Georg Rubel
Erkenntnis und Bekenntnis Der Dialog als Weg der Wissensvermittlung im Johannesevangelium
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NEUTESTAMENTUCHE ABHANDLUNGEN
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Neue Folge 54
GEORGRUBEL
ERKENNTNIS UND BEKENNTNIS DER DIALOG ALS WEG DER WISSENSVERMITTLUNG IMJOHANNESEVANGELIUM
ASCHENDORFF MÜNSTER
NEUTESTAMENTLICHE ABHANDLUNGEN Begriindet von Augustinus Bludau, fortgeführt von Max Meinertz,Joachim Gnilka, herausgegeben von Martin Ebner
Neue Folge Band 54
© 2009 AschendorffVerlag GmbH & Co. KG, Münster
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PARENTIBUS MEIS
Vorwort 'Ev &:pxfl ~v 0 i.,6yoc;. Wenn Johannes sein Evangelium mit der theologischen Vorstellung beginnt, dass am Anfang das Wort war, dann kann es demzufolge nichts geben, was VM" dem Wort war. Ist damit die Gattung Vor-Wort überhaupt vereinbar mit der johanneischen Theologie? Wie gut, dass der Begriff i.,6yoc; ein sehr breites Bedeutungsspektrum aufweist und nicht nur mit "Wort", sondern u. a. auch mit "Sammeln", "Lesen", "Rechnen", "Berechnung", "Vernunft" oder auch "Ruhm" übersetzt werden kann. So kommt diese Arbeit, die im Wintersemester 2007/2008 von der Theologischen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt als Inaugural-Dissertation angenommen wurde, doch noch zu einem Vorwort. Ein solches bietet dem Verfasser eine willkommene Gelegenheit, entsprechend dem Thema dieser Untersuchung mit den Personen in Dialog zu treten und zu kommunizieren, die maßgeblich am Entstehen dieser Arbeit beteiligt waren. Mein erster und aufrichtiger Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Lothar Wehr, der mir die Promotion bei ihm anbot und diese mit großer Gewissenhaftigkeit und Umsicht begleitete. Als seinen wissenschaftlichen Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neutestamentliche Wissenschaften in Bamberg und anschließend in Eichstätt gewährte er mir jederzeit den nötigen Freiraum zum. eigenständigen Forschen. Für seine Förderung sowie für die Erstellung des Erstgutachtens danke ich ihm sehr herzlich. Ich bedanke mich auch bei Herrn Prof. Dr. Burkard M. Zapff, der sich als Zweitgutachter zur Verfügung stellte und das entsprechende Gutachten verfasste. Ein besonderes Dankeschön gilt Frau Prof. Dr. Sabine Föllinger, die mir durch ihre Antrittsvorlesung in Bamberg wertvolle Anstöße zum Thema gab, stets bereit war, mit mir in den Dialog über den Dialog zu treten und mir ihre zu diesem Zeitpunkt noch unveröffentlichten Aufsätze zum Dialog in der Antike anvertraute. Prof. Dr. Martin Ebner sowie Prof. Dr. Hubert Frankemölle danke ich für die Aufnahme der Untersuchung in die Reihe "Neutestamentliche Abhandlungen". Meinem Heimatbistum Bamberg und der Diöze-
VI
Vorwort
se Eichstätt gilt mein Dank für die gewährten Zuschüsse zu den Druckkosten. Frau Irene Loch, Ht!rr Dr. Christian Schramm und Herr Georg Busse waren bereit, die Mühe des Kor~ekturlesens auf sich zu nehmen. Für ihre in gewohnt .akribischer und sorgfältiger Manier geleistete Arbeit danke ich ihnen sehr herzlich sowie für ihre aufmunternde Begleitung während der gesamten Promotion. Ein besonderer Dank gilt meinem Schwager Jürgen Weißerth, der mir jederzeit hilfsbereit und geduldig zur Verfügung stand, meine computertechnischen Probleme zu lösen, und der sämtliche Formatierungsarbeiten für die Veröffentlichung der Dissertation übernahm. Meinen Eltern Angelika und Siegbert Rubel, die mich bei allem, was ich bisher in meinem Leben getan habe, sowohl ideell als auch finanziell unterstützt und gefördert haben, ist diese wissenschaftliche Erstlingsfrucht in Liebe und Dankbarkeit gewidmet.
Neukenroth und Eichstätt, zum Fest der hl. Katharina von Alexandrien 2008
GeorgRubel
Inhaltsverzeichnis
A. Prolegomena 1.
Kommunikation .................... ........................... .... ....... ..... ................ 1 1. Was ist Kommunikation? ............................................................ 1 2. Wozu braucht der Mensch Kommunikation? ........................... 3 3. Welche Ebenen von Kommunikation gibt es? .......................... 5
11.
Gespräch und Dialog. ............................... ....................................... 8 1. Das Gespräch.............. ............................ .................................... 8 2. Der Dialog .................................................................................. 9
IH. Der literarische Dialog ................................................................... 11 1. Definition des literarischen Dialogs ........................................ 11 2. Kurzer Abriss der Geschichte des literarischen Dialogs im nichtchristlichen Bereich......................................................... 11 3. Form und Funktion des literarischen Dialogs ........................ 15
IV. DasJohannesevangelium als "Evangelium der Dialoge" .............. 18 1. Dialogische Elemente beiJohannes ........................................ 18 2. Die Einteilung der DialogeJesu imJohannesevangelium ...... 20
V.
Thematik und Methodik......................................... ....................... 22 1. Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen als Gegenstand der
Untersuchung ........................................................................... 22 2. Vorgehensweise und Aufbau der Untersuchung .................... 24 3. Textgrundlage und Methodik ................................................. 25
VIII
Inhaltsverzeichnis
B.· Die DialogeJesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium I.
Der DialogJesu mit Nathanael inJoh 1,47-51 .............................. 29 1. Joh 1,47-51 als Bestandteil der TexteinheitJoh 1,35-51 ......... 2. Die Abgrenzung der TexteinheitJoh 1,35-51 ......................... 3. Aufbau und Inhalt vonJoh 1,35-51 ......................................... 3.1. Die ersten beidenJüngerJesu Goh 1,35-39) .................... 3.2. Die Berufung des Simon durch seinen Bruder Andreas Goh 1,40-42) ...................................................................... 3.3. Die Berufung des Philippus durchJesus Goh 1,43f.) ...... 3.4. Die BegegnungJesu mit Nathanael Goh 1,45-51) ........... 4. Entstehung vonJoh 1,35-51 ..................................................... 4.1. Ludger Schenke: Die literarische Entstehungsgeschichte vonJoh 1,19-51. 4.2. Stefan Schreiber:Joh 1,43-51 als literarische Einheit.. .... 4.3. Eigener Ansatz: Joh 1,35-51 alsjohanneische Komposition ....................... 5. Exegetische Analyse zuJoh 1,47-51 ......................................... 5.1. Die Ausgangssituation ....................................................... 5.2. Der Aufbau des Dialogs ..................................................... 5.3. Der Verlauf des Dialogs .................................................... 5.3.1. Eröffnung des Dialogs: Der werbende RufJesu (V. 47c) und die erstaunte Frage Nathanaels (V. 48b) ............... 5.3.2. Vertiefung des Dialogs: Das wunderbare WissenJesu (V. 48d) ................... 5.3.3. Höhepunkt des Dialogs: Das doppelte Bekenntnis Nathanaels (V. 49) ....... 5.3.4. Abschluss des Dialogs: Das doppelte VerheißungswortJesu (V. 5Of.) ....... 5.4. Die johanneische Strategie der Wissensvermitdung........ 5.4.1. Die Skepsis des Nathanael als Ausgangspunkt ...... 5.4.2. Der Weg der Wissensvermitdung im Dialog zwischenJesus und NathanaeI .............. 5.4.3. Weiterführendes Wissen am Ende des Dialogs .....
30 31 33 33 36 38 38 40 40 41 43 46 46 47 49
49 51 53 56 64 64 65 66
Inhaltsverzeichnis
11.
IX
Der DialogJesu mit der Samaritanerin inJoh 4,7-26 ................... 69 1. Joh 4,7-26 als Bestandteil der TexteinheitJoh 4,1-42 ............. 73 2. Aufbau vonJoh 4,1-42 .............................................................. 74 3. Entstehung vonJoh 4,1-42 ....................................................... 75 3.1. RudolfBultmann ............................................................... 76 3.2. Andrea Link............................... ........................................ 76 3.3. Teresa Okure ..................................................................... 77 3.4. Eigener Ansatz ................................................................... 79 4. Exegetische Analyse zuJoh 4,7-26 ........................................... 80 4.1. Die Ausgangssituation ...................... ............................ ..... 80 4.2. Der Aufbau des Dialogs..................................................... 85 4.3. Literarkritische Beobachtungen am Dialog ..................... 87 4.4. Der Verlauf des Dialogs .................................................... 89 4.4.1. Eröffnung - Unterbrechung - Fortführung2. Unterbrechung des Dialogs: Der Jude Jesus und die samaritanische Frau (V.7-9) ..................... 89 4.4.2. Die Fortführung des Dialogs: Das lebendige Wasser (V. 10-15) ............................ 93 4.4.3. Themenwechsel: Der durchschauende und der durchschaute Mensch (V. 16-19) ........... 102 4.4.4. Der Dialog in vollem Gange: Anbetung in Geist und Wahrheit (V. 20-24) ....... 108 4.4.5. Der Höhepunkt des Dialogs: Die Selbstoffenbarung Jesu als Messias (V. 25f.). 115 5. Die Auswirkungen des Dialogs auf den Fortgang der Erzählung ........................................... 120 5.1. Das Weggehen der Samaritanerin zu ihren Landsleuten und das Kommen der Samaritaner zuJesus ................... 120 Exkurs: Diejüngerbelehrung inJoh 4,31-38 ....:......................... 122 5.2. Die Missionierung der Samaritaner und ihr Bekenntnis zuJesus als dem Retter der WeiL .. 124 6. Der Weg der Wissensvennittlung in Joh 4,1-42..................... 131 6.1. Der Weg der Wissensvennittlung innerhalb des Dialogs inJoh 4,7b-26 .............................. 132 6.2. Der Weg der Wissensvennittlung über den Dialog hinaus in der narratio ........................ 134
III. Der DialogJesu mit dem Blindgeborenen inJoh 9,35-38 .......... 136 1. Joh
9,35~38
als Bestandteil der TexteinheitJoh 9,1-41 ......... 137
x
Inhaltsverzeichnis
2. Abgrenzung der TexteinheitJoh 9,1-41 und Stellung im Evangelium ................................................. 3. Aufbau vonJoh 9,1-41 ............................................................ 4. EntstehungvonJoh 9,1-41 ..................................................... 4.1. Problemanzeigen zuJoh 9 und ihre Lösung in der Forschung ............................................................. 4.2. Matthias Rein: Entstehungsmodell zuJoh 9,1-41. .......... 4.3. Kritik an Rein und eigener Lösungsansatz .................... 5. Exegetische Analyse zuJoh 9,35-38.;: .................................... 5.1. Die Ausgangssituation ..................................................... 5.2. Der Aufbau des Dialogs................................................... 5.3. Der Verlauf des Dialogs .................................................. 5.3.1. Paukenschlag zur Eröffnung: Die GlaubensfrageJesu (V. 35) ............................ Exkurs: Der Menschensohn imJohannesevangelium ................ 5.3.2. Retardierendes Moment: Gegenfrage des Geheilten (V. 36) ....................... 5.3.3. Der Höhepunkt des Dialogs: Die SelbstoffenbarungJesu (V. 37) ..................... 5.3.4. Der Abschluss des Dialogs: Verbales und nonverbales Bekenntnis (V. 38) ........................... 6. Wissen und Nicht-Wissen inJoh 9,1-41 ................................. 6.1. Der Glaubensweg des Blindgeborenen .......................... 6.2. Der Unglaube der Pharisäer ........................................... 6.3. Die Entscheidung des Lesers ............................ ~.............
137 140 144 144 146 147 151 151 152 153 153 155 160 162 163 167 167 169 171
IV. Der DialogJesu mit Martha inJoh 11,20-27 ............................... 174 1. 2. 3. 4.
Joh 11,20-27 als Bestandteil der TexteinheitJoh 11,1-53 ..... Die Stellung von Joh 11 im Johannesevangelium ................. Der Aufbau vonJoh 11,1-53 ................................................... Entstehung vonJoh 11,1-53 - Literarkritische und traditionsgeschichtliche Überlegungen ................................ 5. Exegetische Analyse zuJoh 11,20-27 ..................................... 5.1. Die Ausgangssituation ............... ,..................................... 5.2. Der Aufbau des Dialogs................................................... 5.3. Der Verlauf des Dialogs .................................................. 5.3.1. Eröffnung des Dialogs: Martha und ihr Gottvertrauen (V. 2lf.) .............. 5.3.2. Die AntwortJesu: Eine offene Zusage (V. 23) ..... 5.3.3. Fortführung des Dialogs: Das vermeintliche Wissen der Martha (V. 24) ....
175 176 178 179 183 183 186 187 187 189 190
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5.3.4. Der Höhepunkt des Dialogs: Die SelbstoffenbarungJesu (V. 25f.) ................... Exkurs: Die Ich-bin-Worte desJohannesevangeliums ................ 5.3.5. Ende und Ziel des Dialogs: Das christologische Spitzenbekenntnis der Martha (V. 27) ................ 6. Der Weg derWissensvermittlung inJoh 11,20-27 ................. 7. Die Verortung des Dialogs innerhalb der Lazarusperikope. 8. Die Bedeutung des Dialogs für dasJohannesevangelium .... V.
XI 192 192 203 214 216 218
Der Dialog des Auferstandenen mit Maria Magdalena inJoh 20,15-17 und ihre Reaktion inJoh 20,18 .......................... 221 1. Joh 20,15-18 als Bestandteil der TexteinheitJoh 20,1-18 ..... 222 2. Die Abgrenzung der TexteinheitJoh 20,1-18 ....................... 223 3. Aufbau und Inhalt vonJoh 20,1-18 ....................................... 226 3.1. Die Entdeckung des leeren Grabes durch Maria Magdalena und ihre Berichterstattung an Simon Petrus und den Jünger, denJesus liebte (Joh 20,lf.) .... 226 3.2. Der Wettlauf der beidenjünger zum Grab .................... 228 3.3. Die Ostererfahrung Maria Magdalenas am Grab........... 230 3.4. Kommen - Sehen - Glauben inJoh 20,1-18 .................. 233 4. EntstehungvonJoh 20,1-18 ................................................... 236 4.1. Literarkritische Betrachtungen ...................................... 236 4.2. Traditionsgeschichtliche Analyse ................................... 238 4.3. Redaktionelle Bestrebungen desJohannesevangelisten 245 5. Exegetische Analyse zuJoh 20,15-18 ..................................... 250 5.1. Die Ausgangssituation ..................................................... 250 5.2. Der Aufbau des Dialogs ................................................... 251 5.3. Der Verlauf des Dialogs ................................................... 253 5.3.1. Eröffnung: Die beideri FragenJesu (V. 15bc) ..... 253 5.3.2. Retardierendes Moment: Die Verwechslungsszene (V. 15d-i) ...................... 256 5.3.3. Höhepunkt des Dialogs: Die Erkennungsszene (V. 16) .............................. 259 5.3.4. Abschluss des Dialogs: Der Auftrag des Auferstandenen (V. 17) ............ 265 5.4. Reaktion auf den Dialog: Die Auftragsausführung durch Maria Magdalena (V. 18) ..................................... 271 6. Die johanneische Strategie der Wissensvermittlung inJoh 20,1-18 .......................................................................... 274 6.1. Das Nichtwissen der Maria Magdalena als Ausgangspunkt ................................................................ 274
XII
Inhaltsverzeichnis
6.2. Der Weg der Wissensvennittlung im Dialog zwischen Jesus und Maria Magdalena ............................................ 275 6.3. Die Wissensweitergabe über den Dialog hinaus ............ 277 VI. Der Dialog des Auferstandenen mit Thomas inJoh 20,27-29 .... 279 1. Joh 20,27-29 als Bestandteil der TexteinheitJoh 20,24-29 ... 2. Das Verhältnis vonJoh 20,24-29 zuJoh 20,19-23 .................. 3. Aufbau und Inhalt vonJoh 20,19-29 ..................................... 3.1. Die Erscheinung des Auferstandenen vor den Zwölf Goh 20,19-23) .................................................................. 3.2. Die besondere Situation des Thomas Goh 20,24f.) ....... 3.3. Die Begegnung des Thomas mit dem Auferstandenen Goh 20,26-29) .................................................................. 4. Entstehung vonJoh 20,19-29 ................................................. 4.1.Joh 20,19-23 als traditionelle Vorgabe und ihre johanneische Bearbeitung.. ............................................ 4.2. Joh 20,24-29 als schöpferisches Produkt des Johannesevangelisten ...................................................... 5. Exegetische Analyse zuJoh 20,27-29 ..................................... 5.1. Die Ausgangssituation ...................................................... 5.2. Der Aufbau des Dialogs................................................... 5.3. Der Verlauf des Dialogs .................................................. 5.3.1. Eröffnung des Dialogs: Eingehen auf die Bedingungen des Thomas und GlaubensforderungJesu (V. 27) .......................... 5.3.2. Höhepunkt des Dialogs: Das Glaubensbekenntnis des Thomas (V. 28) .... 5.3.3. Abschluss des Dialogs: (Nicht-)Sehen und Glauben (V. 29) .................... 6. Der Weg der Wissensvennittlung inJoh 20,24-29 ................. 6.1. Das Nicht-Wissen des Thomas als Ausgangspunkt ......... 6.2. Der Weg der Wissensvennittlung im Dialog .................. 6.3. Zusammenfassendes und weiterführendes Wissen am Ende des Dialogs ........................................................
280 281 283 283 287 291 293 293 296 299 299 300 302
302 306 310 314 ·314 315 316
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XIII
c. Theologischer Ertrag: Der Dialog als Weg der Wissensvermittlung im Johannesevangelium 1.
Kriterien zum Vergleich der Dialoge jesu mit Einzelpersonen im j ohannesevangelium .................................... 319
1I. Vergleich der Dialogejesu mit Einzelpersonen im johannesevangelium .................................................................... 322 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Stellung des Dialogs imjohannesevangelium ....................... Länge des Dialogs............................................................. ...... Dialogpartner ......................................................................... Ausgangsbedingungen des Dialogs ......................... ........... ... Eröffnung des Dialogs............................................................ Verlauf des Dialogs ................................................................. Abschluss und Auswirkungen des Dialogs.............................
322 323 324 326 332 334 338
III. Der Dialog als Weg der Wissensvermittlung ..............................• 344 IV. Theologische Kommunikation und Kommunikative Theologie 351
Quellen- und Literaturverzeichnis ...................................................... 355 Register ................................................................................................ 377
A. Prolegomena Erkenntnis und Bekenntnis - Der Dialog als Weg der Wissensvermittlung im Johannesevangelium, so lautet der Titel der hier vorliegenden Untersuchung. Für die Bearbeitung dieses Themas bedarf es einleitend einiger Vorbemerkungen, die schrittweise zum Forschungsgegenstand hinführen und gleichzeitig dazu dienen, bestimmte Begriffe zu definieren und von anderen Begrifflichkeiten abzugrenzen. Insofern sich die folgenden Ausführungen auf den Dialog im vierten Evangelium beziehen, liegt es nahe, zunächst das Phänomen der Kommunikation als solches in den Blick zu nehmen und sodann den Dialog als spezielle Form von Kommunikation zu beleuchten. Nach einer Abgrenzung des Dialogs vom Gespräch und nach Ausführungen zu Wesen und Funktion des literarischen Dialogs ist der Boden für die Exegese im Rahmen der Themenstellung soweit bereitet, dass die DialogeJesu imJohannesevangelium angegangen werden können. Aus den verschiedenen Gruppen von DialogenJesu im vierten Evangelium werden die DialogeJesu mit Einzelpersonen als Gegenstand der Untersuchung benannt, bevor abschließende Bemerkungen zu Vorgehensweise und Methodik zum Hauptteil überleiten und die exegetische Analyse der einzelnen Dialoge beginnen kann.
I. KOMMUNIKATION
1. Was ist Kommunikation? Wer sich dieser Frage stellt, wird sehr bald zu der Einsicht gelangen, dass es alles andere äls leicht ist, eine treffende Antwort auf diese doch recht einfach klingende Frage zu geben. Offensichtlich handelt es sich bei dem Stichwort Kommunikation um einen komplexen Begriff bzw. Sachver!J.alt, der einer etwas genaueren, soweit im Rahmen dieser exegeti~chen Arbeit möglichen Betrachtung bedarf, ohne dass damit
2
Prolegomena
eine umfassende und jeden zufrieden stellende Antwort auf die eingangs formulierte Frage zu erwarten wäre. Merten hat sich schon vorjahren die Mühe gemacht, 160 Definitionen von Kommunikation zu sammeln l und diese nach verschiedenen Kriterien systematisch zu untersuchen. 2 Über die Struktur und die strukturellen Elemente der Definitionen hinaus lässt sich bei ihm aus der formalen und vor allem inhaltlichen Aufschlüsselung von Kommunikation die ganze Bandbreite dieses Feldes herauslesen. Wird Kommunikation in formaler Hinsicht weithin als Prozess verstanden3 , so ergeben sich bei der inhaltlichen Bestimmung von Kommunikation die unterschiedlichsten Ergebnisse: Kommunikation wird verstanden als Transmission von etwas, als Reiz-Reaktions-Handlung, als Interpretation, als Verständigung, als Austausch, als Teilhabe, als Beziehung, als Verhalten, als Interaktion, als Residualkategorie. 4 Allein dieser kurze Überblick vermag aufzuzeigen, dass es keine einheitliche Vorstellung von Kommunikation gibt und es schier unmöglich ist, das Phänomen Kommunikation umfassend zu definieren. Wenn es schon keine allgemeingültige Definition gibt, was lässt sich dann generell über Kommunikation sagen, wie lässt sie sich -beschreiben? Der Begriff "Kommunikation" geht auf das lateinische Substantiv communicatio zurück und bedeutet "Mitteilung". Eine Mitteilung kann zwischen Menschen, Lebewesen, maschinellen Systemen oder technischen Geräten erfolgen, indem ein Sender über einen Code einem Empfänger eine Nachricht, welcher Art auch immer, zukommen lässt. Für den Code kommen die verschiedensten Symbole und Zeichen, z. B. Sprache, Schrift, Mimik, Gestik, Bilder usw. in Frage, unter der Voraussetzung, dass alle an der Kommunikation Beteiligten diesen Code entschlüsseln können.5 Für die Kommunikation zwischen Menschen am meisten charakteristisch und auch leistungsfähigli ist die Sprache. 7 Diese hohe Bedeutung 1
2
3 4 5
6
Vgl. die Zusammenstellung bei K. MERTEN, Kommunikation 168-182. Nach der Darstellung seiner methodisch-hermeneutischen Vorgehensweise bei der Definitionsanalyse stellt Merten die wichtigsten Ergebnisse der Auszählung vor, um dann die analysierten Definitionen inhaltlich diskutieren zu können, vgl. K. MERTEN, Kommunikation 29-38. Vgl. die Übersicht bei K. MERTEN, Kommunikation 37. Vgl. K. MERTEN, Kommunikation 38. Jedoch hängt eine "gelingende" Kommunikation nicht nur von der potenziellen Fähigkeit zur Entschlüsselung des jeweiligen Codes, sondern auch noch von vielen anderen Faktoren ab, wie z. B. von der Beziehung der an der Kommunikation Beteiligten. So die Einschätzung von H.-D. BASTIAN, Kommunikation 100.
Kommunikation
3
der Sprache für die Kommunikation zeigt sich allein schon in der Tatsache, dass in Abgrenzung zur verbalen Kommunikation über Sprache alle anderen Formen als non-verbale Kommunikation bezeichnet und manche darüber hinaus noch mit Sprache direkt in Zusammenhang gebracht werden, wenn z. B. von Symbolsprache, Bildersprache oder Körpersprache die Rede ist und damit die "Sprache" als verbale Kommunikationsform in nonverbale .Kommunikationsformen eingetragen wird. s Umgekehrt darf dies aber nicht dazu führen, Sprache und Kommunikation miteinander gleichzusetzen und das komplexe Phänomen Kommunikation auf rein sprachliche Akte zu reduzieren. Kommunikation, ob verbal oder nonverbal, zwischen wem, in welchen Formen und zu welchen Zw~cken auch immer, eröffnet ein weites Feld und führt immer wieder zurück zur Ausgangsfrage: "Was ist eigentlich Kommunikation?" und darüber hinaus zu anderen Fragen, wie sie im Folgenden gestellt werden.
2. Wozu braucht der Mensch Kommunikation? Hartig .stellt zu Recht fest, dass es bei menschlichen Handlungen "keine kommunikationslosen Zeiten"9 gibt. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Unser Leben ist durch und durch geprägt von kommunikativen Strukturen, so dass die Kommunikation zu einem Hauptcharakteristikum der heutigen gesellschaftlichen Welt avanciert. lO Der Mensch, will er am gesellschaftlichen Leben partizipieren, ist demnach angewiesen auf Kommunikation. Aber selbst wenn er sich rein theoretisch dem entziehen möchte und sich jeglicher Form von Kommunikation verweigern möchte, so gilt doch das folgende metakommunikative Axiom von Watzlawick: "Man kann nicht nicht kommunizieren."11 Wie Verhalten kein Gegenteil hatl2 , so gibt es auch bei der Kommunikation, die laut Watzlawick Mitteilungscharakter hat und demnach Verhalten darstellt, keine Nicht.., Der Bedeutung der Sprache im verbalen Bereich entspricht die der Schrift für die nonverbale Kommunikation. S Vgl.]. RINKE, Kerygma 5. 9 So M. HARTIG, Kommunikation 13. 10 Ebd., wobei die absolute Feststelhing von Hartig: .Die Kommunikation ist das Hauptcharakteristikum unserer heutigen gesellschaftlichen WeIt" hier bewusst relativiert und die Bedeutung der Kommunikation ebenso bewusst noch in einem Prozess der weiteren verstärkten Durchdringung der Gesellschaft begriffen wird. 11 So die These von P. WATZLAWICK, Kommunikation 53. 12 Ich kann mich nicht nicht verhalten; auch das Nichtstun ist beispidsweise eine Form des Verhaltens.
4
Prolegomena
Kommunikation. Auch Schweigen ist beispielsweise eine Form der Kommunikation. Beim Schweigen kommuniziert deIjenige, der schweigt, mit seiner Umwelt, und die Umwelt kommuniziert umgekehrt mit demjenigen, der schweigt, indem sie sein Schweigen akzeptiert oder aber versucht, sein Schweigen zu durchbrechen und mit der betreffenden Person in direkten Kontakt zu treten. Allein schon aus diesem Beispiel geht deutlich hervor, dass es für den Menschen nicht möglich ist, nicht zu kommunizieren. Selbst wenn die Kommunikation nicht absichtlich bzw. unbewusst oder indirekt erfolgt, jeder Mensch ist dem Phänomen Kommunikation ausgesetzt und kann gar nicht anders, als mit seiner Umwelt zu kommunizieren.I 3 Diese Notwendigkeit zur Kommunikation begleitet den Menschen sein ganzes Leben lang. Bereits im Mutterleib kommuniziert das ungeborene Kind mit der Mutter und über die Mutter mit der Umwelt. Kommunikationsstörungen in den ersten Lebensjahren und darüber hinaus können beim betreffenden Menschen schwere körperliche und/ oder seelische Schäden hervorrufen.l 4 Der Mensch muss also kommunizieren, um leben zu können, oder noch radikaler ausgedrückt: Die Kommunikation macht den Menschen erst zum Menschen. Über die verschiedensten kommunikativen Formen tritt jeder Mensch mit anderen Menschen, mit der Gesell~chaft und mit der restlicheri Umwelt in Kontakt. Die Kommunikation mit dem Gegenüber beendet die Isolierung des Einzelnen und schafft eine Ich-Du-Beziehung, die das Ich am Du werden lässt und umgekehrt: "Beziehung ist Gegenseitigkeit. Mein Du wirkt an mir, wie ich an ihm wirke. "15 So erweist sich der Mensch in der kommunikativen Begegnung mit dem anderen Menschen laut dem jüdischen Philosophen Buber als "dialogisches Wesen" und entwickelt eine personale Beziehung: "Wer Du spricht, hat kein Etwas zum Gegenstand. Denn wo Etwas ist, ist anderes EtWas, jedes Es grenzt an andere Es, Es ist nur dadurch, dass es an andere grenzt. Wo aber Du gesprochen wird, ist kein Etwas. Du grenzt nicht. Wer Du spricht, hat keIn Etwas, hat nichts. Aber er steht in det Beziehung. "16 Menschliche Kommunikation hat demnach eine dialogisierende Funktion; sie ermöglicht den Dialog zwischen Menschen und schafft eine dialogische Beziehung zwischen Ich und Du.
13 14 15 16
Vgl. P. WATZLAWICK, Kommunikation 50-53. Vgl. R. A. SPITZ, Säugling 140-166. So M. BUßER, Prinzip 19. M. BUßER, Ich und Du 10r.
Kommunikation
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Die Kommunikation mit mehreren Menschen in einer Gruppe gliedert das Individuum in einen Sozialverband ein und stellt eine IchWir-Beziehung her, die das Ich am Wir werden lässt und umgekehrt. Auch hier gilt: In der kommunikativen Begegnung mit den anderen Menschen zeigt der Mensch sein dialogisches Wesen und entwickelt eine soziale Beziehung. Menschliche Kommunikation hat demnach eine sozialisierende Funktion; sie bringt soziale Bindungen in Gruppen hervor und schafft eine Beziehung zwischen Ich und Du im Wir. 17 Die Kommunikation mit Menschen und mit der Gesellschaft verortet den einzelnen Menschen in der Welt als solcher und erschließt ihm seine Welt. Im kommunikativen Austausch mit seiner Umwelt wird der Einzelne zum aktiven Subjekt und gewinnt dadurch seine eigene Identität. Durch diese "kommunikative Entfaltung der Persönlichkeit"18 enolgt eine kommunikative Entfaltung der Wirklichkeit für den Einzelnen. Menschliche Kommunikation hat demnach eine identitätsstiftende Funktion, indem sie den Menschen durch den Austausch mit anderen Menschen und mit der Umwelt zur Entdeckung seiner Persönlichkeit verhilft, und eine wirklichkeitsstiftende Macht, indem sie durch Dialogisierung und Sozialisierung dem Individuum seine Wirklichkeit aufzeigt. 19
3. Welche Ebenen von Kommunikation gibt es? In seinem grundlegenden Werk über die menschliche Kommunikation unterscheidet Watzlawick zwei Ebenenjeglicher Form kommunikativen Handeins, eine Inhalts- und eine Beziehungsebene. 20 Auf der Inhaltsebene findet reine Informationsvermittlung statt, es werden Zahlen, Daten und Fakten übertragen, unabhängig davon, ob diese Informationen wahr oder falsch, gültig oder ungültig, von Bedeutung oder nicht von Bedeutung sind. Neben dieser leicht auszumachenden "Was-Ebene" zeichnet sich jede Kommunikation durch eine schwieriger zu fassende "Wie-Ebene" aus. Diese Ebene bringt zum Ausdruck, wie der Sender· dem Empranger eine Mitteilung übermittelt und lässt darauf schließen, welche Beziehung zwischen den Kommunibtionspartnem besteht.
17 Vgl. H.-D. BAsTIAN, Kommunikation 62f. 18 50 M. HARTIG, Kommunikation 13. 19 VgI. M. 5CHARER/B.J. HILBERATH, Theologie 34-36. 20
VgI. zum Folgenden P. WATZIAWICK, Kommunikation 53-56.
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Prolegomena
Im Unterschied zum Inhaltsaspekt verhält es sich mit dem Beziehungsaspekt wesentlich komplexer, er stellt laut Watzlawick eine "Kommunikation über eine Kommunikation"21 und damit eine Metakommunikation dar. Was sein Verhältnis zum Ersteren betrifft, so beeinflusst der Beziehungsaspekt den Inhaltsaspekt derart, dass er über das Gelingen der Kommunikation entscheidet; bei einer gestörten Beziehung kann der beste Inhalt nicht transportiert werden; umgekehrt kann bei einer funktionierenden Beziehung der Inhalt sekundär sein. 22 Vereinfacht gesagt: Das "Wie" kann entscheiden über das "Was". Seine Überlegungen zu den verschiedenen Ebenen von Kommunikation fasst Watzlawick in folgendem Axiom zusammen: ,Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt, derart, dass letzterer den ersteren bestimmt und daher eine Metakommunikation ist. "23 Das soeben theoretisch Gesagte lässt sich in einem Bild gut veranschaulichen: Von einem Eisberg ist nur die Spitze sichtbar; der weitaus größere Teil befindet sich unsichtbar im Meer. Mit den beiden Ebenen der Kommunikation verhält es sich ähnlich: Die Inhaltsebene ist augenfällig und deshalb leicht auszumachen, während die Beziehungsebene im "Verborgenen" ruht und deshalb umso schwieriger wahrzunehmen, geschweige denn zu bestimmen ist. In Anlehnung an das zweistufige Schema von Watzlawick u. a. entwickelt Schulz von Thun ein Modell, das zwischen vier Seiten (Aspekten) einer Nachricht unterscheidet: Sachinhalt, Selbstoffenbarung, Beziehung und Appell. 24 Dem Inhaltsaspekt bei Watzlawick entspricht bei Schulz von Thun der Sachinhalt. Jede Nachricht enthält eine Sachinformation, die mitgeteilt wird. Der Beziehungsaspekt bei Watzlawick untergliedert sich bei Schulz von Thun in die drei Bereiche Selbstoffenbarung, Beziehung im engeren Sinn und Appell. Durch diese Ausdifferenzierung lässt sich die "verborgene" Beziehungsebene leichter wahrnehmen und auch besser beschreiben. Neben Sachinhalten enthält jede Nachricht auch Informationen über die Person des Senders. Wenn der Sender eine Nachricht mitteilt, dann geschieht immer eine gewisse Selbstoffenbarung des Senders; der 21 So P. WATZIAWlCK, Kommunikation 55. 22
23 24
Die vorsichtige Formulierung soll andeuten, dass es bei Kommunikation auch auf den Inhalt ankommt, dieser aber durch den Beziehungsaspekt nochmals eine andere Klassifizierung erf"ahrt. P. WATZlAWlCK, Kommunikation 56. Vgl. F. SCHULZVONTHUN, Störungen 25-30.
Kommunikation
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Sender gibt etwas von sich selbst kund, sei es freiwillig als Selbstdarstellung, sei es unfreiwillig als Selbstenthüllung. Die Beziehung im engeren Sinne betrifft das Verhältnis zwischen Sender und Empfänger. Aus der Nachricht lässt sich schließen, wie der Sender zum Empfänger steht und was beide voneinander halten. Dadurch kommt in der Mitteilung eine zweifache Art von Beziehung zum Ausdruck, zum einen die Beziehung zum Empfänger, zum anderen die Beziehung zwischen sich und dem Empranger; im ersten Fall werden Du-Botschaften, im zweiten Fall Wir-Botschaften ausgetauscht. Die meisten Mitteilungen werden nicht einfach dahergesagt, sondern verfolgen ein bestimmtes Ziel. Der Sender will an den Empfänger appellieren und dadurch versuchen, auf ihn Einfluss zu nehmen und sein Verhalten zu ändern. Letztlich stehen die anderen drei Seiten der Nachrichten im Dienste des Appells und werden dahingehend funktionalisiert, beim Empranger eine bestimmte Wirkung zu erreichen. Der Sender appelliert über die Mitteilung an den Empfänger und versucht, ihn durch diesen Appell zu einer bestimmten Reaktion zu animieren. Wenn Kommunikation etwas erreichen soll - und ein bestimmtes Ziel liegt jedem kommunikativen Akt zugrunde - dann stellt dieser zuletzt genannte Aspekt des Appells die wichtigste Seite einer Nachricht dar und verdient eine besondere Beachtung bei menschlicher Kommunikation.
11. GESPRÄCH UND DIALOG Von den vielen Formen menschlicher Kommunikation sollen im Hinblick auf den weiteren Gang der Untersuchung das Gespräch und der Dialog besondere Aufmerksamkeit erfahren. Insofern beide Begriffe in der Alltagssprache oftmals synonym verwendet werden, empfiehlt es sich, jeweils eine spezifische Definition zu fonnulieren und dadurch beide Fonnen der Kommunikation voneinander abzugrenzen, so dass für die folgenden Ausführungen eine klare Trennung von Gespräch und Dialog vorliegt.
1. Das Gespräch Nach Brinker/Sager ist ein Gespräch "eine begrenzte Folge von sprachlichen Äußerungen, die dialogisch ausgerichtet ist und eine thematische Orientierung aufweist."1 Diese Definition lässt sich im Hiriblick auf ihre einzelnen Bestandteile folgendennaßen auswerten: Aus der Fonnulierung "begrenzte Folge" geht hervor, dass jedes Gespräch eine Anfangs- und eine Endphase mit entsprechenden Signalen hat und sich in eine abgrenzbare Abfolge von Äußerungen2 gliedern lässt. Wenn hier eigens von "sprachlichen Äußerungen" die Rede ist, dann wird dadurch der mündliche Charakter eines Gesprächs betont. Ein Gespräch - das Wort leitet sich ab von "sprechen" - besteht aus akustisch-verbalen Äußerungen und wird demzufolge mündlich geführt. Das Adjektiv "dialogisch" weist darauf hin, dass an einem Gespräch mindestens zwei Interaktanten beteiligt sind, die in einem Wechsel von Rede und Gegenrede miteinander kommunizieren und dabei wenigstens einmal einen Sprecherwechsel vollziehen. Im Gegensatz zu einer lockeren Konversation oder einem oberflächlichen Geplauder zeichnet sich ein Gespräch durch seine "thematische Orientierung" aus, d.h. ein Gespräch ist auf ein bestimmtes Thema ausgerichtet und besteht aus einem inhaltlich-logischen Zusammenhang der einzelnen Äußerungen. 3
1 So di~ Definition bei K. BRINKERjS. F. SAGER, Gesprächsanalyse 11. 2 Als .Außerung" wird in der Linguistik jeder beliebige Abschnitt Rede einer einzigen Person bezeichnet, vor und nach welchem die Person schweigt, ebd. 3 Vgl. zum Ganzen K. BRINKERjS. F. SAGER, Gesprächsanalyse 9-14.
Gespräch und Dialog
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Anders als beim schriftlich verfassten Text stehen beim mündlichen Gespräch die an der Kommunikation Beteiligten zeitlich in unmittelbarem Kontakt und führen ein direktes Gespräch. 4 Je nach Situation und Beziehung der Gesprächsteiln.ehmer lassen sich die verschiedensten Beispiele für solche face-to-face-Gespräche anführen, angefangen vom Unterrichtsgespräch in der Schule über das Dienstgespräch am Arbeitsplatz bis hin zum Stammtischgespräch in der Kneipe. Es entspricht unserer menschlichen Erfahrung, dass sich Gespräche oftmals auch ganz spontan ergeben und ebenso spontan zu Ende geführt werden, wie sie begonnen wurden. Man denke dabei nur an die ganz gewöhnlichen Gespräche im Alltag, wenn sich zwei Personen zufällig, z. B. beim Einkaufen, begegnen und miteinander ins Gespräch kommen. Linguisten bezeichnen alle diese erwähnten Gesprächsarten als "natürliche Gespräche"5, weil sie in natürlichen Kommunikationssituationen vorkommen. 6 Charakteristisch für alle solchen Gespräche ist der Aspekt der Mündlichkeit sowie der zeitlichen und räumlichen Unmittelbarkeit der an der Kommunikation Beteiligten.
2. Der Dialog Im Gegensatz zum Gespräch als mündlicher Wechselrede soll "Dialog" als schriftliche Wechselrede verstanden werden. Demnach lässt sich dieser· zunächst einmal als "schriftliche Wiedergabe eines Gespräches"7 definieren. Damit kommt bereits zum Ausdruck, dass der Aspekt der Schriftlichkeit konstitutiv zum Wesen des Dialogs gehört. Vom Begriff her geht unser deutsches Fremdwort "Dialog" auf das griechische Verb OLUAkYELV zurück, das wörtlich soviel wie "auseinander lesen" und dann "sondern", "zergliedern" bedeutet. Die mediale Form OLUA.EYE0'9uL bedeutet eigentlich "für sich zergliedern", "für sich auseinander lesen" und dann im übertragenen Sinn "klar und deutlich reden", "sich unterhalten", "etwas in der Rede erörtern". Das grie-
Beim Telefongespräch liegt die Besonderheit vor, dass die Gesprächsteilnehmer in räumlicher Hinsicht voneinander getrennt sind. 5 Vgl. K. BRINKER/S. F. SAGER, Gesprächsanalyse 13. 6 Hess-Liittich analysiert das transkribierte Gespräch zwischen einem Studenten und einem Dozenten am Institut der Universität und veranschaulicht daran sämtliche Merkmale eines natiirlichen Alltagsgesprächs, vgl. E. W. B. HESs-LÜ'ITICH, Interaktion 92-97. 7 So die vorläufige Definition von B. R. VOSS, Dialog 13. 4
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Prolegomena
chische Substantiv ÖLaA.oyo~ lässt sich demnach am ehesten mit "Erörterung" übersetzen. 8 Als Gegensatz zum Dialog wird pftmals und fast schon konventionell der Monolog angesehen. Ausgehend von der Anzahl der beteiligten Personen wird unterschieden zwischen dem Monolog, den eine einzige . Person hält, und dem Dialog, an dem mehrere Personen beteiligt sind und der sich durch einen Wechsel von Rede und Gegenrede auszeichnet. Dabei wird allzu leicht vergessen, dass auch am Monolog mehr als nur eine Person teilhat, insofern jeder Monolog nicht in einem luftleeren Raum gesprochen wird, sondern in einer bestimmten Gesprächssituation gehalten wird und sich an konkrete Adressaten richtet. 9 Der grundlegende Unterschied zum Dialog besteht darin, dass beim Monolog die Adressaten nicht selbst zu aktiven Sprechern werden, sondern passive Hörer bleiben. Dadurch findet beim Monolog kein Rednerwechsel statt, während sich der Dialog gerade darin auszeichnet, dass der angesprochene Adressat mindestens einmal selbst zum Sprecher wird und so eine wirkliche Erörterung zwischen den verschiedenen Dialogteilnehmern stattfinden kann,lO Nach diesen Überlegungen lässt sich mit Hirzel von Dialogen sprechen als "schriftlich fixierten (sic!) Erörterungen in Gesprächsform" 11. Der Begriff "Erörterung" weist über die formale Form hinaus inhaltlich darauf hin, dass zum Dialog ein "Thema von allgemeiner menschlicher Wichtigkeit" 12 gehört und dass der sich in die Gegenstände versenkende Dialog "nicht wie ein Schmetterling von einem zum andern flattern kann"13. Zum Wesen des Dialogs gehört also nicht nur seine formale, sondern auch seine inhaltliche Geschlossenheit.
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So die Übersetzungsvorschläge von Hirze1 in seiner aus dem jahre 1895 stammenden grundlegenden Abhandlung über den Dialog in. zwei Bänden, die bis in die Gegenwart noch als Standardwerk gilt und bisher von keinem Autor übertroffen wurde; vgl. R. HIRZEL, Dialog I 2f. . jede Form von Kommunikation hat grundsätzlich dialogischen Charakter, vgl. allein schon den Begriff der Kom-munikation. Vgl. zu diesen letzten Ausführungen F.jACQUES, Dialog 16lf. So die Definition von R. HIRZEL, Dialog I 6. Siehej. A. EBERHARD, Synonymik 11 436. So die Einschätzung von Hirze1 in Bezug auf die Abgrenzung des Dialogs von der Konversation in: R. HIRZEL, Dialog I 5.
III. DER UTERARISCHE DIALOG
1. Definition des literarischen Dialogs Neben Romandialogen, Dramendialogen und anderen dialogischen Elementen in literarischen Werken kennt die Literaturwissenschaft die Form des literarischen Dialogs, der laut Görgemanns als "eine Gattung der Prosalit. ( ... ), weIche in direkter Rede ein Gespräch zwischen mehreren Personenwiedergibt"l, definiert wird. Demnach stellt der Dialog eine eigenständige literarische Gattung in Prosa dar, die vor allem in der griechischen und lateinischen Literatur als Form der Erörterung für ethische, philosophische und politische Themen Verwendung findet und gerade in der Antike weit verbreitet ist. In einer bestimmten Situation werden über ein bestimmtes Thema geistige Auseinandersetzungen geführt, die sich entweder tatsächlich so zugetragen haben oder rein fiktiv vom Autor in dialogischer Rede und Gegenrede gestaltet sind; letzteres ist meistens der FalJ.l! Ein kurzer Gang durch die Geschichte des literarischen Dialogs im nichtchristlichen Bereich soll die Entstehung und Entwicklung dieser Gattung nachzeichnen und gleichzeitig die wichtigsten Beispiele aus der griechischen und römischen Literatur vorstellen.
2. Kurzer Abriss der Geschichte des literarischen Dialogs im nichtchristlichen
Bereich Der literarische Dialog ist keinesfalls erst ein "Sohn der Philosophie", sondern begegnet bereits weit vor den Griechen in den Literaturen des Alten Orients.3 In Ägypten lässt sich die Entstehung dieser Form aus Alltagsgesprächen heraus bis hin zu formvollendeten Dialogen beobachten. Die Bilder in den ägyptischen Gräbern mit Szenen aus dem Alltag von Bauern und Handwerkern werden mit Inschriften in Form von Wechselreden versehen.;; so dass sich dadurch Dialoge ergeben. Daneben werden typische Alltagsszenen in die Literatur aufgenommen und die 1
2 g
So die Definition von H. GöRGEMANNS, Art. Dialog 517. Vgl. A HERMANN, Art. Dialog 928. Vgl. hier und auch zum Folgenden A HERMANN/G. BARDY. Art. Dialog 929-955.
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Prolegomena
einfachen Gespräche des Volkes als Dialoge wiedergegeben. Im religiösen Bereich entwickeln sich das Fährmannsgespräch oder auch der Dialog des Toten mit den Türhütern der Unterwelt fast schon zu Standardtexten der Totenliteratur. Eng damit verbunden erscheint die Form des Dialogs im mythologischen Kontext und auch in der Weisheitsliteratur als Belehrungsgespräch des Vaters mit dem Sohn. Die spätere Zeit des Neuen Reiches bringt in den großen Tempeln niedergeschriebene Gespräche zwischen König und Gott oder Gespräche von Göttern untereinander hervor. Auch in der Fabel begegnen dialogische Elemente, so beispielsweise in der Fabel vom Kap/und den Gliedern oder im Rangstreit der Bäume Die aufgeführten Beispiele sollen verdeutlichen, dass der ägyptische Dialog seinen Sitz im Leben im Gespräch des Volkes hat und gewissermaßen die "Philosophie der einfachen Leute"4 darstellt. Ähnlich wie in Ägypten ist der Dialog auch in Mesopotamien im mythologischen Kontext verankert und wird als literarische Form für sumerische Mythen eingesetzt. Er begegnet in Streitgesprächen zwischen Göttern und Menschen, zwischen Menschen untereinander und zwischen Tieren, Pflanzen und unbelebten Gegenständen. So führen Baum und Schilfrohr oder Spitzhacke und Pflug einen dialogischen Austausch; auch die akkadische Fabel von der Dattelpalme und der Tamariske mit dem bekannten Überbietungstopos, welcher Baum denn den größeren Wert und Nutzen besitzt, steht in Dialogform. Den Ausgangspunkt für solche literarischen Produkte bilden auch hier die Alltagsgespräche der Menschen mit ihren ganz natürlichen Sorgen und Problemen. Auch in Israel gibt es in Anlehnung an die altorientalische Tradition den literarischen Dialog. doch stellt diese Gattung bei den Juden eher eine Randerscheinung dar. Die in die alttestamentlichen Bücher eingefügten Gespräche einzelner· Männer mit Gott, etwa die eines Mose oder umgekehrt die der Propheten als Sprachrohre Gottes mit dem Volk, sind hierfür als allgemeine Beispiele zu nennen. Ein Paradebeispiel für die Verwendung des literarischen Dialogs in Israel und damit gleichzeitig die große Ausnahme im jüdischen Bereich stellt das Buch Hiob dar, das bis auf die Rahmenerzählung gänzlich in Dialogform verfasst ist.5
4 5
So die Einschätzung von A HERMANN, Art. Dialog 933. Zu den Dialogen im Buch Hiob vgl. K. ENGLJÄHRINGER, Theologie im Streitgespräch. Studien zur Dynamik der Dialoge des Buches Ijob (SBS 198), Stuttgart 2003.
Der literarische Dialog
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Bei den Griechen haben Historiker wie Herodot6 oder Thukydides7 neben Reden auch Dialoge in ihre Werke eingebaut; Ion von Chios kleidet zumindest teilweise Anekdoten über berühmte Persönlichkeiten in Gesprächsform.8 Entscheidend auf die weitere Entwicklung des Dialogs als Literaturform haben sich die Dialoge der Sokratesschüler ausgewirkt. 9 Unter ihnen ragen Xenophon mit seinem Dialog Oikonomikos und Platon als der Vertreter schlechthin für den klassischen literarischen Dialog hervor; die Dialoge des zuletzt Genannten gelten als "Muster der Gattung"IO, an denen sich alle später Folgenden orientieren und auch gemessen werden . .Die 28 uns erhaltenen Dialoge Platons, von denen einige bis heute in ihrer Echtheit umstritten sind, lassen sich den verschiedenen Perioden seines Lebens zuordnen und geben eine deutliche Entwicklung zu erkennen. Zu den frühesten platonischen Dialogen, die noch etwas unreif erscheinen, zählen u. a. Protagoras, Gorgias und Alkibiades, unter den vollendetsten Dialogen der mittleren Schaffensphase finden sich beispielsweise Symposion, Phaidon oder der Staat, während die späteren Dialoge wie Phaidros oder Parmenides zu mehr oder weniger reinen Abhandlungen werden)l Als Propagandamittel und Werbung für die Philosophie schreibt Platon philosophische Erörterungen über die Person und Lehre des Sokrates. Im Unterschied zu den Lehrvorträgen der Sophisten kommt es ihm dabei allerdings nicht auf die magistrale Übermittlung von feststehendem und gesichertem Wissen an, sondern auf einen Weg zusammen mit dem Hörer bzw. Leser zur philosophischen Erkenntnis. Der Adressat der fiktiven platonischen Dialoge ist also nicht passiver Konsument von gelehrtem Wissen, sondern aktiv beteiligt am philosophischen Erkenntnisprozess und wird zu eigener Reflexion herausgefordert. Von daher ist es nur logisch und konsequent, dass die Dialoge eines Platon meistens mit keiner eindeutigen Lösung des Problems enden; vielmehr sind sie ergebnisoffen und lassen dadurch dem Adressaten genügend Spielraum für seine eigene
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Vgl. die Auflistung sämtlicher Dialoge bei Herodot von R HENI, Gespräche 189-191. Im Gegensatz zu Herodot finden sich bei Thukydides erstaunlich wenige Dialoge, vgl. R HENI, Gespräche 9. Heni macht auf die heiden einzigen von Thukydides ausgestalteten Dialoge aufmerksam und vergleicht sie mit den Dialogen bei Herodot. Vgl. H. GöRGEMANNS, Art. Dialog 517. Bardy und Görgemanns nennen Aischines von Sphettos, Aristippos, Antisthenes, Eukleides von Megara, Phaidon von Elis, von denen allerdings nur Fragmente überliefert sind; vgl. G. BARDY, Art. Dialog 938f. und H. GöRGEMANNS, Art. Dialog 517. So die Beurteilung von T. FRIEsjK. WEIMAR, Art. Dialog. 354. Vgl. G. BARDY, Art. Dialog 939-941.
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Prolegomena
philosophische Orientierung und Bewältigung des erörterten Problems. 12 Von den Nachfolgern P1.atons ist einzig und allein Aristoteles mit Namen zu nennen, dessen Dialoge jedoch leider verloren gegangen sind und von denen wir nur noch die Titel kennen. Aus den Werken anderer Schriftsteller lassen sich folgende Neuerungen eines Aristoieles gegenüber seinem Vorgänger erkennen: Zu Beginn seiner Dialoge stehen an den Leser gerichtete Proömien, es finden sich längere zusammenhängende Reden und Aristoteles tritt selbst als Sprecher, sogar als Hauptsprecher, auf.l 3 Im Unterschied zu den dialogisch ausgerichteten platonischen Dialogen tragen die aristotelischen einen stärker lehrhaft-systematischen Charakter und verstärken hinsichtlich des Wissens die Asymmetrie zwischen Autor und Leser, so dass ein typisches Lehrverhältnis entsteht und sich Aristoteles fast schon als Systematiker erweist. 14 Nach Platon und Aristoteles lassen sich in der griechischen Tradition erst wieder Plutarch 15 und Lukian 16 im 1. und 2. Jahrhundert n. Chr. als namhafte Vertreter des literarischen Dialogs anführen.l7 Bei den Römern stehen am Beginn der Dialogliteratur M. Iunius Brutus mit seinen drei Büchern De iure civile und Varro mit seinem dialogisch aufgebauten Lehrbuch Res rusticae. Den Höhepunkt des lateinischen Dialogs markiert Cicero als römisches Pendant zu Platon; er gilt als Meister des lateinischen Dialogs. Mit dem Ziel, der römischen Welt die griechische Philosophie zu erschließen und dann auch zu vermitteln, kann Cicero als Eklektiker in Anlehnung an seine griechischen Vorbilder geschickt auf den literarischen Dialog als Darstellungsform zurückgreifen. Inhaltlich steht er dabei Platon relativ nah l8 , formal orientiert er sich eher an Aristoteles. 19 Von den vielen Dialogen Ciceros seien hier nur die wichtigsten erwähnt: De oratore, De re publica, De legibu§.o, De finibus bonorum et maloru:m, Tusculanae disputationes, De natura deorum, De fato, De amicitia. 12
13 14 15 16 17 18 19 20
Vgl. S. FÖLUNGER, Lehren 463f. Hier findet sich auch weiterführende Literatur zu den platonischen Dialogen. Vgl. H. GÖRGEMANNS, Art. Dialog 518. Vgl. S. Föllinger, Lehren 466468. _ _ Von ihm stammen beispi«;lsweise die Dialoge Uber das Mondgesicht, Uber die gemeinsamen Begriffe oder Uber die Erzeugung der Seele nach dem Timaios. Er gilt als der Schöpfer des satirischen Dialogs in Prosa. Vgl. G. BARDY, Art. Dialog 942. Allein die Titel seiner Dialoge De Te publica und De legibus zeigen unverkennbar die inhaltliche Anlehnung an Platon. Vgl. H. GÖRGEMANNS, Art. Dialog 519. Diese drei bedeutenden Dialoge stammen aus den Jahren 55/51 v. Chr.
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Der literarische Dialog
Nach Cicero benutzen auch LiviuS 21 , Seneca22 und Tacitus23 die Dialogform in ihren Werken.
3. Form und Funktion des literarischen Dialogs Hinsichtlich der Form kann ein literarischer Dialog nach einer Eröffnungsszenerie aus einem Wechsel kürzerer oder längerer, fast schon monologartiger Redebeiträge besteheri oder durch ein FrageAntwort-Schema konstituiert sein. 24 Durch den SprecheIWechsel25 treten die Gesprächsteilnehmer miteinander in Beziehung in dem Sinn, dass eine "Polarität zwischen Ich und Du"26 und damit eine im Dialog aufzulösende Spannung zwischen den sprechenden Personen besteht, die jedem Dialog eine gewisse Dynamik und Prozesshaftigkeit verleiht. 27 Ein Dialog ist nicht, sondern er wird, in dem Sinn, dass er sich entwickelt, dass die Kommunikationspartner in Interaktion stehen und in gegenseitiger Reaktion den Dialog voranbringen. Doch zu welchem Zweck tun sie das? Beim literarischen Dialog geh~ es im Gegensatz zum Gespräch nicht um einen bloßen Austausch oder eine lockere Unterhaltung im Sinne eines Gespräches um des Gespräches willen, sondern um Informationsund hauptsächlich um Wissensvermittlung. Dadurch, dass zwischen den Dialogpartnern Informationen über ein bestimmtes Thema ausgetauscht werden und damit einhergehend eine Erörterung über dieses Thema stattfindet, wird ein anf"angliches Weniger an Wissen mit Fortschreiten des Dialogs ausgeglichen zugunsten eines Mehr-Wissens der an der Kommunikation Beteiligten. Gerade darin, Informationen zu liefern und Wissen zu vermitteln, liegt eine bedeutende Funktion des literarischen Dialogs. 28 Freilich könnte die Wissensvermittlung auch auf anderem Wege erfolgen, beispielsweise in einem systematisch konzipierten Lehrvortrag; der deduktiv vorgeht und die einzelnen Fakten von einer These 21
Von seinen Dialogen haben wir nur durch Seneca ep. 100,9 Kenntnis.
.
22 Seine Dialoge sind eher als Diatriben zu bezeichnen, z. B. De /»'utJidentia, De vita beata, De brevitate vitae. In Anlehnung an Ciceros De (ff(LWre verfasst Tacitus den Dialogus de oratoribus und schafft damit ein MeisteIWerk dieser Gattung. 24 Vgl. S. FÖWNGER, Lehren 455f. 25 Damit überhaupt von einem literarischen Dialog die Rede sein kann, sollte mindestens einmal ein SprecheIWechsel erfolgen. 26 So Mukarovsky nach R. KLOEPFER, Das Dialogische 317. 27 Ebd. 28 Vgl. S. FÖlLINGER, Lehren 456-458.
23.
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Prolegomena
her ableitet und der Reihe nach vorstellt;29 Doch offensichtlich bietet die Form des literarischen Dialogs besondere Vorteile für die Wissensvermittlung, die speziell von den antiken Autoren erkannt, in der Neuzeit jedoch nicht mehr gesehen wurden. 30 Heisenberg bildet mit seinem Werk "Der Teil und das Ganze. Gespräche im Unikreis der Atomphysik" insofern eine große Ausnahme im 20. Jahrhundert, als er für seine Darstellung die Dialogform wählt. 31 Im Vorwort zu diesem Buch schreibt Heisenberg: "Naturwissenschaft beruht auf Experimenten, sie gelangt zu ihren Ergebnissen durch die Gespräche der in ihr Tätigen, die miteinander über die Deutung der Experimente beraten. Solche Gespräche bilden den Hauptinhalt des Buches. An ihnen soll deutlich gemacht werden, dass Wissenschaft im Gespräch entsteht. (... ) Großer Wert wurde jedoch gelegt auf die korrekte und lebendige Schilderung der Atmosphäre, in der die Gespräche stattgefunden haben. Denn in ihr wird der Entstehungsprozeß der Wissenschaft deutlich, an ihr kann am besten verstanden werden, wie das Zusammenwirken sehr verschiedener Menschen schließlich zu wissenschaftlichen Ergebnissen von großer Tragweite führen kann. "32 Die entscheidende Aussage bei Heisenberg lautet, dass Wissenschaft im Gespräch entsteht. In die gleiche Richtung denken Henne und Rehbock, wenn sie in ihrer Einführung in die Gesprächsanalyse "dialogisches Sprechen als die Voraussetzung aller Wissenschaft"33 ansehen. Aus beiden Aussagen lässt sich folgern: Wissen fällt nicht vom Himmel, Wissen wird auch nicht im luftleeren Raum produziert, Wissen wird nicht von einer einzigen Person "hergestellt", sondern Wissen entwickelt sich prozesshaft im Austausch verschiedener Menschen. Aufgrund dieser Tatsache ist die Form des literarischen Dialogs mehr als geeignet, diesen Weg der Wissenserschließung nachzuzeichnen und zugleich als Medium der Wissensvermittlung zu fungieren.3 4 Im literarischen Dialog wird demnach dem Rezipienten Wissen nicht einfach vorgesetzt bzw. nolens volens aufoktroyiert, sondern dadurch, dass im Dialog selbst ein bestimmtes Wissen durch 29 Fast jedes Lehrbuch heute ist systematisch konzipiert; welcher Autor käme schon auf die Idee, für sein Buch die Dialogform zu wählen?
30 Noch im Mittelalter und auch wieder in der Renaissance findet der literarische Dialog 31 32 33 34
als DarstellungsCorm Verwendung, ab dem 18. Jahrhundert verliert er an Bedeutung und tritt bis auf wenige Ausnahmen ganz zurück. Vgl. bereits den Untertitel seines Buches, dann auch das Inhaltsverzeichnis und schließlich die Konzeption seines Werkes. So W. HEISENBERG, Teil 7C. H. HENNE/H.·REHBOCK, Einführung 4. Vgl. S. FÖLLINGER, Lehren 457C.
Der literarische Dialog
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den Austausch der an der Kommunikation Beteiligten untereinander allmählich erschlossen und weiteIVermittelt wird, kann der Leser des Dialogs den Weg der Wissenserschließung mitgehen und bekommt selbst dieses Wissen vermittelt. Diese Hauptthese Föllingers, dass der Dialog als Medium der Wissensvermittlung den Weg der Wissenserschließung reproduziert und dem Rezipienten eine bestimmte Erkenntnis vermittelt35 , soll im Folgenden auf das Johannesevangelium übertragen werden. Anhand kon': kreter Textbeispiele wird der Weg der Wissensvermittlung in den jahanneischen Dialogen nachgezeichnet, der über verschiedene Etappen letztlich zur Erkenntnis und zum Bekenntnis führt, mit dem Ziel, die Fähigkeit des vierten Evangelisten zu einer kommunikative Theologie zu erkennen und seine Strategie der christologischen Wissensvermittlung in Form von theologischer Kommunikation zu durchschauen.
35
Vgl. S. FÖUINGER, Lehren 458-460.
IV. DASJOHANNESEVANGELIUMALS "EVANGELIUM DER DIALOGE"
1. Dialogische Elemente bei Johannes Das Johannesevangelium unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von den synoptischen Evangelien. Im Großen hebt es ·sich durch seinen Aufbau 79 , seinen InhaltBo , seine Sprache81 und seine Theologie82 von Markus, Matthäus und Lukas ab; auch im Kleinen gibt es zahlreiche Unterschiede zwischen Johannes und den Synoptikern, so z. B. dass im vierten Evangelium die Wunder Jesu als OTJiJ.ELa. bezeichnet werden83, dass nur beim vierten Evangelisten die Gestalt des Lieblingsjüngers in Erscheinung tritt84 oder dass Johannes den Heiligen Geist als Parakleten verheißtB5 • In formaler Hinsicht fällt auf, dass das Johannesevangelium im Vergleich zu den drei synoptischen Evangelien einen deutlich höheren Anteil an dialogischen Strukturen aufweist. Nicht von ungefähr wählt Demke für seinen Artikel zum J ohannesevangelium die viel verspre79
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Markus legt seinem Evangelium das Wegmotiv zugrunde:Jesus beginnt sein Wirken in Galiläa, zieht nach Jerusalern und stirbt dort am Kreuz. Matthäus und Lukas übernehmen diesen Aufbau, der sich an geographischen und darüber hinaus auch theologisch. gefüllten Orten (Galiläa als Ort des Erfolgs, Jerusalem als Stätte des Misserfolgs und Scheiterns Jesu) orientiert, als Grundgetüst für ihre jeweilige Schrift. Johannes dagegen durchbricht dieses synoptische Wegschema insofern, als sichJesus während seiner öffentlichen Wirksamkeit insgesamt dreimal inJerusalem aufhält und bereits in Joh 2,13, also schon am Anfang des Evangeliums und damit zu Beginn seines Auftretens, nachjerusalern kommt. Der synoptische Jesus verkündigt die ßIXOLAELIX 1:0U eEOU, der johanneische Jesus demgegenüber offenbart sich selbst und eröffnet den Menschen den einzigen Zugang zu Gott, vgl.Joh 1,18. Im Gegensatz zur einfachen, verständlichen Sprache der drei synoptischen Evangelien zeichnet sich das vierte Evangelium durch eine gewisse Sondersprache aus, eine Sprache, die rätselhaft, geheimnisvoll und verschlüsselt erscheint, aber gerade dadurch eine gewisse Faszination auf den Leser ausübt. Gegenüber den Synoptikern weist das später entstandene Johannesevangelium eine weiterentwickelte Theologie auf; als Beispiel sei hier nur auf die sog. "Hohe Christologie" desJohannes verwiesen, die sich in der Wirkeinheit von Vater und Sohn manifestiert (vgl.Joh 5,19ff.) und so weit geht, dass der Vater und der Sohn eins sind (vgl.Joh 10,30). Vgl.Joh 2,11.23; 3,2; 4,48.54; 6,2.14.26; 7,31; 9,16; 10,41; 11,47; 12,18.37; 20,30. An insgesamt fünf Stellen im Johannesevangelium ist vom ,Jünger, den Jesus liebte" die Rede:Joh 13,23; 19,26; 20,2; 21,7.20. Vgl.Joh 14,16.26; 1~,26; 16,7.
Das Johannesevangelium als "Evangelium der Dialoge"
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chende Überschrift "Das Evangelium der Dialoge"86. Allerdings geht er dann nicht näher inhaltlich auf die dialogischen Elemente im vierten Evangelium ein87, sondern stellt entsprechend dem Untertitel seines Artikels hermeneutische und methodologische Überlegungen an. Seiner Meinung nach gibt es nicht nur eine einzig richtige Interpretation der johanneischen Dialoge, sondern er plädiert für eine gewisse interpretatorische Offenheit analog zur sprachlichen Öffnung in der Rede von Jesus Christus bei Johannes, die wiederum nicht schlechthin zu entgrenzen ist, sondern den verschiedenen Lesern verschiedene Auslegungs- und Identifikationsmöglichkeiten bieten kann und bieten soll und so erst die Tradierung von Texten sicherstellt. 88 Unklar bleibt aber bei ihm weiterhin seine Hauptüberschrift "Evangelium der Dialoge", zumal er an keiner Stelle des Artikels das Johannesevangelium auf seine dialogische Struktur hin untersucht und darüber hinaus auch keinen Vergleich mit den synoptischen Evangelien anstellt, der zU der Aussage "Das Evangelium der Dialoge" berechtigen würde. Oder geht Demke stillschweigend davon aus, dass in den ersten drei Evangelit:!n der Dialog keine so wichtige Rolle spielt wie bei Johannes? Ein aufmerksamer Blick in die Evangelien genügt, um festzustellen, dass das Johannesevangelium mehr als die anderen drei Evangelien von Dialogelementen durchsetzt ist. Ein genauerer Vergleich auf der rein quantitativen Ebene zwischen dem ältesten und dem jüngsten Evangelium ergibt, dass der Dialoganteil im Johannesevangelium fast doppelt so hoch ist wie im Markusevangelium.89 Bei Markus konzentriert sich die dialogische Struktur hauptsächlich auf die Wundergeschichten90 sowie auf die Jünger- und Streitgespräche91 ; auch in der Passion finden sich Dialoge92 • Insgesamt dominiert im ältesten Evangelium die einfache Erzählung. Bei Johannes lässt sich aufgrund des hohen Dialoganteils im gesamten Evangelium leichter angeben, was nicht in Dialogform steht. Zu 86 C. DEMKE, Das Evangelium der Dialoge. Hermeneutische und methodologische 87 88 89 90 91 92
Beobachnmgen zur Interpretation desJohannesevangeliums, in: ZThK 97 (2000) 164182. Als Beispiele streift er die Kurzdialoge in Joh 2; ausführlicher behandelt er dann gegen Ende den Dialog zwischen Jesus und Petrus in Joh 13,6-10 im Kontext der Fußwaschung. Vgl. C. DEMKE, Evangelium 167-172. Nach meiner eigenen Auswertung liegt der Dialoganteil im Markusevangelium bei 42,9% und imJohannesevangelium bei 73,5%. Vgl. Mk 1,40-45; 2,5-12; 3,3-5; 5,6-13.30-34; 7,26-30; 8,23-26; 9,17-25.28f.; 10,46-52. Vgl. Mk 2,16-28; 7,5-15; 10,1-12; 11,28-33; 12,13-34; 14,3-9. Vgl. Mk 14,12-15.18-42.60-64.66-71; 15,2-5.9-15.
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Prolegomena
diesen nicht-dialogischen Passagen gehören der Prolog in Joh 1,1-18, der Epilog in Joh 20,30f., der zweite Buchschluss in Joh 21,24f., die Monologe Jesu93, Überleitungen und Summarien94 sowie erzählende Passagen außerhalb der Passion95 und innerhalb der Passion96• Der Rest des Johannesevangeliums und somit der Großteil der Schrift ist in Dialogform geschrieben. Der vierte Evangelist greift demnach mehr als die Synoptiker auf den Dialog zurück, weil ihm diese Darstellungsform offensichtlich geeignet erscheint, seine Botschaft lebendig zu transportieren. Er erkennt im Dialog ein effizientes literarisches Mittel, die Leser bzw. Hörer seines Evangeliums direkt anzusprechen und sie mit hinein zu nehmen in die verschiedenen Dialoge, die es nunmehr aufgrund ihrer Fülle zunächst einmal einzuteilen und zu klassifizieren gilt.
2. Die Einteilung der Dialoge jesu im johanneseuangelium Eine Möglichkeit, die johanneischen Dialoge zu systematisieren, besteht darin, sie nach ihrem Vorkommen im Verlauf des Buches zu ordnen. Übernimmt man die seit Bultmann klassische Zweiteilung des Johannesevangeliums in die Offenbarung der ö6~ vor der Welt und vor der Gemeinde aus seinem Johanneskommentar bzw. spricht man mit Brown vom "book of signs" inJoh 1-12 und vom "book of glory" inJoh 13-2097 , dann lassen sich die Dialoge innerhalb der Zeichen Jesu98 von denen im zweiten Buchteil99 und denen innerhalb der Passion lOO unter scheiden. Eine andere Möglichkeit zur Erfassung der Dialoge im vierten Evangelium ist ihre Einteilung nach den jeweiligen Teilnehmern, wie sie Theobald vorschlägt.lol Stets am Dialog beteiligt ist Jesus; es wechseln seine Dialogpartner. Theobald macht nun im Sinne einer Typologisierung dieser Dialoge folgende fünf Gruppen. aus, die mit dem johanneischen Jesus in Dialog treten: die Juden bzw. die Pharisäer, die
loh 5,19-47; 10,1-18; 15,1-27; 17,1-26. So z. B.]oh 4,1-4; 5,1-3; 6,16-24. 95 Beispielsweise]oh 12,12-18; 13,1-5. 96 loh 18,1-3.16; 19,1-5.16-20.23-25.28-42. 97 So R. E. BROWN,]oh I 39 und]oh 11 543. 98 So beispielsweise]oh 2,3-10; 4,48-53; 5,6-15; 6,5-10; 9,2-12; 11,7-16.21-27.32-44. 99 Als Beispiele seien]oh 13,6-10; 14,1-31; 16,1-33 genannt. 100 loh 18,4-8.17-23.25-27.29-40; 19,6-12.15.2lf. 101 Vgl. M. THEOBALD, Herrenworte 566. 93
94
Dasjohannesevangelium als "Evangelium der Dialoge"
21
Volksmenge, die gläubig gewordenen Juden, die Jünger und diverse Einzelpersonen. 102 Die Dialoge Jesu mit den Juden bzw. Pharisäern als offiziellen Vertretern der jüdischen Religionsgemeinschaft sind auf den ersten Buchteil beschränkt, finden hauptsächlich in Jerusalem statt und tragen großteils den Charakter von Streitgesprächen. 103 Mit der Volksmenge führt Jesus eigentlich nur zwei eigenständige Dialoge in Joh 6,26-40 und Joh 12,29-36, abgesehen von den ZusammentreffenJesu mit dem Volk in dialogisch verlassten Szenen.104 Zu den Dialogen mit gläubig gewordenenJuden zählt TheobaldJoh 3,1-15 und Joh 8,31-36. Im letzteren Fall ist ihm eindeutig Recht zU geben; der Text sagt es inJoh 8,30f. expressis verbis aus, dass die Juden zum Glauben an Jesus gekommen sind. Jedoch kann m. E. Joh 3,1-15 nicht zu den Dialogen Jesu mit gläubig gewordenen Juden gerechnet werden, weil Nikodemus gerade nicht zum Glauben an Jesus kommt, sondern ihn missverstehtl 05 und offensichtlich, zumindest was den Text Joh 3,1-15 angeht, in seinem Missverständnis verharrt. Auf jeden Fall spricht er kein Bekenntnis zuJesus aus lO6, sondern tritt einfach von der Bühne ab bzw. geht seine Person im Monolog Jesu unter. Demzufolge ist das sog. Nikodemusgespräch zunächst zu den Dialogen Jesu mit Einzelpersonen zu zählen, nimmt jedoch auch in dieser Gruppe eine Sonderstellung ein. 107 Während die Dialoge Jesu mit den Juden bzw. Pharisäern ausschließlich im ersten Buchteil vorkommen, finden sich die Dialoge Jesu mit den Jüngern im zweiten Buchteil in den Abschiedsreden Jesu in Joh 13-16. Sie sind dadurch bestimmt, dass sie keine durchgehenden Dialoge darstellen, sondern passagenweise aus reinen Monologen Jesu108 bestehen oder nur durch Zwischenfragen einzelner Jünger109 kurz unterbrochen werden. HO Eine letzte Gruppe bilden die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen, die im Folgenden als Gegenstand dieser Untersuchung einer ausführlichen exegetischen Analyse unterzogen werden sollen. 102 Ygl. 103 Ygl.
auch im Folgenden. z. B. joh 2,18-22; 7,15-24; 8,12-29.48-59; 10,22-39. Mehr dazu bei M. THEOBALD, Herrenworte 566-572. 104 So beispielsweise injoh 7,12f.31. 105Ygl.joh 3,4. 106 Stattdessen stellt Nikodemus bei seinem letzten Dialogbeitrag in joh 3,9 gegenüber jesus eine Rückfrage und bringt darin sein Nicht-Yerstehen zum Ausdruck. lO7Ygl. S. 22f. 108 Ygl.joh 15,1-16,15. 109 So Thomas injoh 14,5 oder Philippus injoh 14,8. 110 Ygl. dazu ausführlicher M. THEOBALD, Herrenworte 575-579.
V. TfiEMATIK UND METHODIK
1. Die DialogeJesu mit Einzelpersonen als Gegenstand der Untersuchung Den Dialogen Jesu mit Einzelpersonen kommt m. E. eine besondere Bedeutung zu, insofern der Johannesevangelist mehr als die Synoptiker an Einzelpersonen interessiert ist, sie als individuelle Glaubensgestalten mit biographischen Zügen stilisiert und sie als solche in den Mittelpunkt seiner Darstellung rückt, so dass gerade hier ein tieferes Verständnis der johanneischen Theologie zu erwarten ist. Zu dieser Gruppe gehört der DialogJesu mit Nathanael inJoh 1,4751, mit Nikodemus in Joh 3,1-12111 , mit der Samaritanerin am Jakobsbrunnen in Joh 4,7-26, mit dem Blindgeborenen in Joh 9,35-38, mit Martha in Joh 11,20-27, mit Maria Magdalena in Joh 20,14-17 und schließlich mit Thomas inJoh 20,27-29. 112 Von diesen sieben Dialogen hebt sich einer in besonderer Weise von den anderen ab; es ist der DialogJesu mit Nikodemus. Dieser Dialog ist nicht wie die übrigen in sich geschlossen und klar abgrenzbar, sondern geht gewissermaßen fließend in einen Monolog Jesu über. Nach drei Redegängen ll3 mit der letzten Äußerung des Nikodemus in Joh 3,9 geht Nikodemus aus der Redeeinleitung Jesu in Joh 3,11 114 lediglich implizit noch als Dialogpartner hervor, spielt aber dann keinerlei Rolle mehr und klinkt sich stillschweigend aus dem Gespräch aus bzw. der Evangelist lässt ihn verstummen, damit der johanneische Jesus seine erste große Rede im Evangelium halten kann. Aufgrunddieser besonderen Konzeption mit dem unscharfen Übergang vom Dialog zum Monolog sowie aufgrund der oben bereits beschriebenen Tatsache, dass Nikodemus im Verlauf des Dialogs mitJesus nicht zum Glauben an Entgegen der Einteilung von M. THEOBALD, Herrenworte 573, der das Nikodemusgespräch zu den Dialogen Jesu mit gläubig gewordenen Juden rechnet; ihm gegenüber erfolgt auch eine andere Abgrenzung des Dialogs: Während Theobald den DialogJesu mit Nikodemus aufJoh 3,1-15 fes~egt, vollzieht sich m. E. bereits mit dem Stichwort "Menschensohn" inJoh 3,13 der Ubergang vom Dialog zum MonologJesu. 112 Die beiden dialogischen Szenen zwischen Jesus und Pilatus in Joh 18,33-38 und Joh 19,9-11 stellen insofern einen Sonderfall dar, als sie traditionsgeschichtlich in den Kontext der Passionserzählung gehören und Pilatus nicht als Glaubensgestalt, sondern als heidnischer Richter gezeichnet wird, der Jesus zunächst verhört und ihn sodann verurteilt. 113 Joh 3,2f./Joh 3,4-8/Joh 3,9-12. III
114 &!.L~v &1l~V AEYW GO\.
Thematik und Methodik
23
ihn kommt und kein Bekenntnis zu ihm ausspricht, wirdJoh 3,1-12 im weiteren Gang der Untersuchung nicht eigens behandelt, sondern nur zum Vergleich mit den anderen Dialogen herangezogen. Im Unterschied zum Nikodemusgespräch zeichnen sich alle anderen aufgeführten Dialoge Jesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium übereinstimmend darin aus, dass die jeweiligen Dialogpartner Jesu zum Glauben an ihn kommen. Im Verlauf des Dialogs bekommen sie von Jesus ein bestimmtes Wissen vermittelt, das sie zur Erkenntnis seiner Person befähigt und ein christologisches Bekenntnis zu ihm aussprechen lässt. Im Hauptteil dieser exegetischen Studie soll die literaturtheoretische These Föllingers, dass der Dialog als Medium der Wissensvermittlung den Weg der Wissenserschließung reproduziert und dem Rezipienten eine bestimmte Erkenntnis vermittelt, auf die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium angewandt und damit aus neutestamentlicher Sicht veranschaulicht und nachgeprüft werden.i 15 Dabei sind die Grenzen dieses Unterfangens von vornherein deutlich in den Blick zu nehmen. Bei den Dialogen Jesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium handelt es sich nicht um klassische literarische Dialoge, weil sie im Unterschied zu den Dialogen Platons oder Ciceros kein eigenständiges Werk, sondern Bestandteile eines narrativen Gesamtzusammenhangs darstellen. Dementsprechend bilden sie jeweils nur kurze dialogische Passagen, die es nach eigenen Gesetzen zu untersuchen und auszuwerten gilt. Aufgrund dieser Eigenheit ist es nicht nur nicht möglich, sondern m. E. auch gar nicht legitim, die Dialoge des Johannesevangeliums mit den klassischen literarischen Dialogen der Antike zu vergleichen, sondern sie für sich entsprechend ihrer Besonderheit zu behandeln. Anhand einer exegetischen Analyse der betreffenden Dialoge soll jeweils der Weg der Wissensvermittlung nachgezeichnet und für den Rezipienten des Textes, den damaligen wie den heutigen Leser, erschlossen werden, so dass er selbst, insofern er bei der Lektüre mit in den Dialog hinein genommen wird und direkt von Jesus Glaubenswissen vermittelt bekommt, zur Erkenntnis der Person Jesu und zum christologischen Bekenntnis gelangt.
115 Als
Altphilologin wählt Föllinger zur Veranschaulichung ihrer These natürlich Beispiele aus der klassischen antiken Literatur und b~~pricht dabei u. a. den Oikonomikos von Xenophon oder den Dialog von Plutarch Uber das Mondgmcht, vgl. S. FÖLUNGER, Lehren 465-470.
24
Prolegomena
2. Vorgehensweise und Aufbau der Untersuchung Die verschiedenen Dialoge Jesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium werden im Hauptteil dieser Arbeit entsprechend ihrer Reihenfolge im Evangelium nacheinander behandelt. Die Darstellung beginnt demnach mit dem Dialog Jesu mit Nathanael in Joh 1,47-51, fährt fort mit dem DialogJesu mit der Samaritanerin inJoh 4,7-26, geht über zu den DialogenJesu mit dem Blindgeborenen inJoh 9,35-38 und mit Martha in Joh 11,20-27 und endet schließlich mit den beiden Dialogen Jesu im johanneischen Osterkapitel, zunächst mit Maria Magdalena in Joh 20,15-18 und sodann mit Thomas in Joh 20,27-29. Bei allen diesen Dialogen geht es nunmehr darum, sie nach einem möglichst einheidichen Schema zu besprechen und auszulegen. Da es sich bei den genannten Stellen nicht um eigenständige Dialoge handelt, sondern um Dialoge, die Bestandteile einer größeren Texteinheit sind, ist es unverzichtbar, diese Dialoge in einem ersten Schritt in ihrem jeweiligen Kontext zu verorten und ihre Stellung im Gesamtzusammenhang zu bestimmen. Auf der Basis dieser Kontexteinordnung gerät über den jeweiligen Dialog hinaus das gesamte Großkapitel in den Blick. In synchroner Lesart gilt es, den Aufbau der Perikope zu analysieren und den Text zu gliedern; in diachroner Lesart wird die Entstehung der Texteinheit beleuchtet und dazu verschiedene Erklärungsmöglichkeiten zur Genese des Textes vorgestellt. Diese notwendigen Beobachtungen am Gesamttext führen hin zum eigendichen Dialog, dessen exegetische Analyse im Zentrum eines jeden Kapitels steht und somit den meisten Raum einnimmt. Nach der Beschreibung der Ausgangssituation, wie es zu diesem Dialog bzw. zum Aufeinandertreffen der beiden Dialogpartner kommt und welche Umstände und Gegebenheiten damit verknüpft sind, geht es auch hier im Kleinen darum, den Aufbau des Dialogs detailliert zu untersuchen, die einzelnen Redegänge auszumachen und damit eine Gliederung des Dialogs zu erstellen. Der wichtigste Aspekt bei der exegetischen Analyse besteht darin, den Verlauf der jeweiligen Dialoge zu verfolgen, angefangen von der Eröffnung über den Fortgang des Dialogs mit der Vermitdung von christologischem Wissen bis hin zu seinem Abschluss und Ziel, dahingehend, dass der jeweilige Dialogpartner zur Erkenntnis der Person Jesu geführt wird und schließlich ein christologisches Bekenntnis ausspricht. In einem letzten Schritt soll noch einmal zusammenfassend der Weg der Wissensvermittlung dargestellt werden, den die Figuren auf der Textebene wie auch die Rezipienten des Textes zurückl~gen und dabei zu Erkenntnis und Bekenntnis geführt werden.
Thematik und Methodik
25
In einem die Arbeit abschließenden Teil mit weiterführenden Betrachtungen geht es darum, die im Hauptteil nacheinander untersuchten Dialoge nunmehr miteinander zu vergleichen. Dazu bedarf es zunächst einmal Kriterien, anhand d,erer ein solcher Vergleich überhaupt durchgeführt werden kann und die zu einer Typologisierung der Dialoge Jesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium berechtigen. Aus dem Vergleich der einzelnen Dialoge ergeben sich allgemeine Aussagen über den Weg der Wissensvermittlung in den johanneischen Dialogen. In einer letzten Beobachtung lassen sich die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium schließlich als Beispiele einer "Kommunikativen Theologie" klassifizieren, insofern sie auf verschiedenen kommunikativen Ebenen Theologie betreiben und damit einen mündigen Glauben bewirken.
3. Textgrundlage und Methodik
Bevor nun mit" der Auslegung der Dialoge Jesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium begonnen werden kann, gilt es, noch ein Wort über die Textgrundlage zu verlieren. Zur Entstehungsgeschichte des vierten Evangeliums, die nach wie vor zu den Kernfragen der Johannesexegese zählt, gibt es die unterschiedlichsten Meinungen und Positionen; diese lassen sich zunächst grob in zwei Gruppierungen aufteilen. Während Thyen als Vertreter der einen Gruppe in seinem Kommentar vom Johannesevangelium als einem "kohärenten und hoch poetischen literarischen und auktorialen Text"116 ausgeht und damit Joh 1,1 bis Joh 21,25 in synchroner Lesart als einheitliches Ganzes auslegt, weist Dietzfelbinger als Repräsentant der anderen Gruppe auf "Differenzen innerhalb des Johannesevangeliums"117 hin und ebnet auf diese Weise einer diachronen Lesart den Weg. In der Tat fallen bei einer literarkritischen Betrachtung des vierten Evangeliums eine Reihe von Spannungen und Brüchen ins Auge, die es unwahrscheinlich machen, dass das Johannesevangelium im Unterschied zu den synoptischen Evangelien aus einem Guss entstanden ist und damit auf nur einen Verfasser zurückgeht. Folgende Beispiele seien an dieser Stelle genannt: Zwischen Joh 4,54 und Joh 5,1 sowie zwischen Joh 5,47 und Joh 6,1 lässt sich jeweils ein geographischer Sprung beobachten. Jesus, der nachJoh 4,43-54 ein Heilungswunder in 116 So H. THYEN.joh 4 (im Original kursiv). 117 So C. DIETZFELBINGER.joh I 12.
26
Prolegomena
Galiläa gewirkt hat, hält sich injoh 5 injerusalem auf, ehe er sich nach joh 6,1 wieder in Galiläa am See von Tiberias befindet. Diese abrupten Ortswechsellassen sich durch die einfache Annahme beheben, dass die Kapitel 5 und 6 vertauscht worden sind. Mit dem Ende der Abschiedsrede jesu in joh 14,30f. sind die weiteren Abschiedsreden in joh 15-17 unvereinbar. In joh 14,30 kündigt jesus den jüngern an, dass er nicht mehr viel zu ihnen sagen wird; dann hält er ihnen aber doch einen längeren Vortrag, der sich über drei Kapitel erstreckt. Zu dieser ausführlichen Redepassage passt auch nicht die Aufforderungjesu zum Aufbruch injoh 14,31, die unmittelbar zu joh 18,1 überleitet und die Passionserzählung folgen lässt. Aus diesen beiden Beobachtungen geht hervor, dass die Abschiedsreden jesu injoh 15-17 als nachträglicher Einschub zu bewerten sind, die den ursprünglichen Textzusammenhang unterbrechen. Innerhalb der Rede jesu über seine Vollmacht in joh 5,19-47 begegnen zwei unterschiedliche Konzeptionen von Eschatologie, die zueinander in Spannung stehen und schwerlich auf einen gemeinsamen Autor zurückzuführen sind. Während in joh 5, 24ff. eine präsentische Eschatologie zum Ausdruck kommt, die den Glaubenden das ewige Leben bereits in der Gegenwart verheißt, wird in joh 5,28f. das eschatologische Geschehen in die Zukunft verlagert und die Stunde der Auferstehung als futurisches Ereignis festgemacht. Analog zu diesen spannungsvollen Aussagen liegen in joh 13 zwei Deutungen der Fußwaschung vor, die völlig verschieden und in keinerlei Weise miteinander vereinbar sind. In joh 13,6-11 wird die Fußwaschung als einmaliges, von jesus selbst an seinen jüngern vollzogenes Ereignis gedeutet; als Liebesdienst soll es seinen bevorstehenden Tod am Kreuz vorwegnehmen, kann aber erst von daher für die jünger richtig verstanden werden. H8 Dagegen wird die Fußwaschungjesu injoh 13,12-17 als Beispiel für die jünger interpretiert, die aneinander so handeln sollen, wie jesus an ihnen gehandelt hat. H9 Durch die explizite Aufforderung jesu zur Nachahmung seines Verhaltens ist die Fußwaschung bei dieser zweiten Deutung im Unterschied zur ersten auf bewusste Wiederholung angelegt und soll aktiv von denjüngern vollzogen werden. Der Epilog in joh 20,30f. markiert eindeutig das Ende des johannesevangeliums und weist Kapitel 21 als späteren Nachtrag zum ursprünglichen Evangelium aus. Mit einer neuerlichen Schlussbemer118Ygl.joh 13,7. 119Ygl.joh 13,15.
Thematik und Methodik
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kung injoh 21,24f. wird das bereits beendete Werk ein zweites Mal abgeschiossen.l 20 Diese wenigen Beispiele weisen darauf hin, dass das johannesevangelium in seiner uns heute vorliegenden Form eine mehrstufige Entstehungsgeschichte durchlaufen hat. Wie diese im Einzelnen ausgesehen hat, lässt sich nicht mehr rekonstruieren, doch kann mit Becker prinzipiell von drei Schichten im vierten Evangelium ausgegangen werden. l2l Der Evangelist greift auf ihm zugängliches Material aus der Tradition zurück und verarbeitet die von ihm ausgewählten Quellen122 in seinem Evangelium, das er entsprechend seiner theologischen Ausrichtung als eigenständig agierender Autor inhaltlich geschlossen und formal abgerundet verfasst. Nach seiner Fertigstellung erfährt dieses Werk diverse Überarbeitungen durch die sog. Redaktion, die das bestehende Evangelium an manchen Stellen korrigierend ergänzt bzw. vor dem Hintergrund der aktuellen Gemeindesituation fortschreibt und theologisch erweitert. Während dieses Modell mit den drei Schichten Tradition, Evangelist und Redaktion für das johannesevangelium noch auf einen relativ breiten Konsens in der neutestamentlichen Exegese stößt, gehen die Meinungen darüber, welchen Umfang die jeweiligen Schichten ausmachen, weit auseinander. Weidemann teilt die verschiedenen Positionen dahingehend ein, welcher der drei Schichten die jeweils dominierende Rolle bei der formalen wie auch inhaltlichen Gestaltung des Evangeliums und damit innerhalb der johanneischen Theologie zukommt, sei es der vOIjohanneischen Tradition oder dem Evangelisten oder der nachträglichen Redaktion.l 23 Im Rahmen dieser Untersuchung ist es nicht möglich und auch gar nicht nötig, diese komplexe Diskussion im Hinblick auf das gesamte johannesevangelium weiterzuverfolgen. Die Analyse der Dialoge jesu mit Einzelpersonen bewegt sich auf der Ebene des vierten Evangelisten, weil er es ist, der diese Dialoge allesamt dank seiner literarischen Gestaltungskunst124 selbst verfasst und entsprechend seiner theologischen
120 Entgegen
der Mehrheitsmeinung der Exegeten sieht Thyen in joh 21 keinen sekundären Nachtrag, sondern rechnet das Kapitel zum ursprünglichen Teil des johannesevangeliums, vgl. H. THYEN,joh 4f. 121 Vgl.j. BECKER,johI 34f. 122 Becker sieht in der sog. Semeiaquelle und im Passionsbericht die beiden Hauptquellen für den Evangelisten, vgl.j. BECKER,joh I 35. 123 Vgl. die Einteilung der unterschiedlichen Positionen mit Nennungjeweils eines namhaften Vertreters bei H.-U. WEIDEMANN, Tod 70. 124 Vgl. U. WILCKENS,joh 7.
28
Prolegomena
Ausrichtung geprägt hat,125 Somit stehen der johannesevangelist und seine Theologie im Zentrum der folgenden Ausführungen. Fragen zu Tradition und Redaktion werden nur bei der Entstehung der jeweiligen Großkapitel gestreift, insofern sie für den eigentlichen Forschungsgegenstand relevant sind. Dieser betrifft die Christologie des vierten Evangelisten, wie sie in den von ihm literarisch wie theologisch komponierten Dialogen jesu mit Einzelpersonen in seinem Evangelium zum Ausdruck kommt. Der johanneische jesus führt seine Dialogpartner und zusammen mit ihnen die Leser des Evangeliums, die den Weg der Wissensvermittlung im Dialog mitgehen und sich dadurch das Glaubenswissen aneignen können, zur Erkenntnis seiner Person und zum anschließenden christologischen Bekenntnis. Wie dieser Weg der christologischen Wissensvermittlung bei den verschiedenen Personen im Einzelnen aussieht, soll aus der folgenden Untersuchung hervorgehen.
125 Vgl. M. THEOBALD, Herrenworte 579.
B. Die DialogeJesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium I. DERDIALOGJESU MITNATHANAELINJOH 1,47-51
Griechischer Text: 47
a b c
48
a b
c d
ELÖEV 0 'IT]oou!; tOV NIX8IXvlX~Ä EPXOIJ.EVOV 1TPO!; IXUtOV KIXL ÄeYEL 1TEPL IXUtOU, "IöE uÄT]8w!; 'IOPIXT]'A\.tT]!; EV ~ öDÄo!; OUK eonv. ÄeYEL IXUt4} NIX8IXVIX~Ä, IIo8Ev IJ.E YLVWOKEL!;; U1TEKpt8T] 'IT]oou!; KIXL EL1TEV IXUt4} , IIpo tOU OE cl)f.ÄL1T1TOV CPWvflOIXL ÖVtlX U1TO ~v OUKftV EtöDv OE.
49
a b
U1TEKpf.8T] IXUt4} NIX8IXVIX~Ä, ·PIXßßf., ou Et b utO!; tOU 8EOU, ou ßIXOLÄEU!; Er tOU 'IOPIX~Ä.
50
a b c
U1TEKpf.8T] 'IT]OOU!; KIXL EL1TEV IXUt4} , "On EL1TOV OOL ön ELöDv OE lJ1TOKIXtW tft!; OUKft!;, 1TLOtEUEL!;; IJ.Ef.(W tOUtwv öl\Iu.
51
a b c
KIXL AEYEL 1X111:4}, 'AIJ.~v UIJ.~V Äeyw UIJ.LV, ö1\IEo8E tOV OUPIXVOV UVE4lYOtlX KIXL tOU!; uyyE'AOU!; tOU 8EOU UVIXßIXf.vOVtlX!; KIXL KlXtlXßn:f.vOVtlX!; E1TL tOV utov tOU UV8pW1TOU.
Deutsche Übersetzung: 47
a b
c
Jesus sah Nathanael zu ihm kommen und sagte über ihn: Siehe, wahrhaft ein Israelit, in dem keine Falschheit ist.
30 48
49
Die Dialoge]esu mit Einzelpersonen im]ohannesevangelium
a b c d
Nathanael sagte zu ihm: Woher kennst du mich? Jesus antwortete und sagte zu ihm: Bevor Philippus dich rief, sah ich dich unter dem Feigenbaum.
a
Nathanael antwortete ihm: Rabbi, du bist der Sohn Gottes, du bist König von Israel!
b
50
a b
c 51
a b
c
Jesus antwortete und sagte zu ihm: Weil ich dir gesagt habe, dass ich dich unter dem Feigenbaum sah, glaubst du? Du wirst Größeres als das sehen. Und er sagte zu ihm: Amen, Amen, ich sage euch: Ihr werdet den Himmel offen sehen und die Engel Gottes auf- und absteigen über dem Menschensohn.
1. Joh 1,47-51 als Bestandteil der TexteinheitJoh 1,35-51
Der Dialog Jesu mit Nathanael in Joh 1,47-51 stellt den ersten Dialog Jesu mit einer Einzelperson im Johannesevangelium dar.! Er bildet den Abschluss und zugleich den Höhepunkt2 der johanneischen Berufungserzählungen, die ab Joh 1,35 geschildert werden. Nach den kurzen Berufungsepisoden der aller ersten Jünger wird die Berufung des Nathanael relativ breit und ausführlich dargeboten. 3 In einer dialogischen Begegnung überwindet Jesus die Skepsis des Nathanael und führt ihn durch sein wunderbares Wissen zum Glauben. Wie dieser Weg der Wissensvermittlung verläuft, soll aus der exegetischen Analyse des Dialogs zwischen Jesus und Nathanael hervorgehen. Zuvor bedarf es jedoch, diesen Dialog als Bestandteil der Texteinheit Joh 1,35-51 in seinem größeren literarischen Umfeld zu verorten. Nach einer Abgrenzung der Texteinheit vom Kontext gilt es, eine
In]oh 1,28f. führt]esus bereits einen kurzen Dialog mit den beiden]üngern; doch die erste Einzelperson als Dialogpartner ]esu ist NathanaeJ in]oh 1,47-51. 2 Vgl. R. SCHNACKENBURG,]oh I 307. 3 Die Berufung des Nathanael in loh 1,45-51 macht eindeutig den größten Teil der Texteinheit]oh 1,35-51 aus. I
Der DialogJesu mit Nathanael inJoh 1,47-51
31
Gliederung zuJoh 1,35-51 zu erstellen und sich Gedanken zu machen über die Entstehung dieser Verse.
2. Die Abgrenzung der Texteinheit Joh 1,35-51 Nach dem Prolog in Joh 1,1-18 beginnt mitJoh 1;19 die narratio des Johannesevangeliums. Analog zu den Synoptikern steht auch beim vierten Evangelisten die Gestalt Johannes des Täufers am Anfang der Erzählung, allerdings nicht als Gerichtsprediger4, sondern als Zeuge für Jesus5, der zunächst indirekt6 und dann direkt7 auf Jesus hinweist und damit zu ihm als dem Protagonisten der Handlung überleitet. Der relativ lange PassusJoh 1,19-51 wird durch die inJoh 1,29.35.43 begegnende Zeitangabe EnQ:upLOv klar und deutlich in vier Abschnitte gegliedert, die jeweils das Geschehen eines Tages berichten und eng aneinander anschließen.8 Die erste Szene inJoh 1,19-28 schildert das Verhör Johannes des Täufers durch die Jerusalemer Gesandtschaft, ehe der 'täufer in der zweiten Szene in Joh 1,29-34 am folgenden Tag ein eindrucksvolles Zeugnis über Jesus ablegt. Hier verschiebt sich bereits die Perspektive vonJohannes dem Täufer aufJesus hin, der sodann in den beiden weiteren Szenen mit der Berufung der ersten Jünger inJoh 1,35-51 wie im restlichenJohannesevangelium im Mittelpunkt des Interesses steht. Hinsichtlich der konkreten Abgrenzung von Joh 1,35-51 zum vorherigen Text lassen sich folgende Beobachtungen machen: Auf der einen Seite istJoh 1,35-51 fest mit den Versen zuvor verbunden. Dies zeigt sich allein schon an dem kleinen Wort nIX,hv inJoh 1,35, welches eindeutig einen Rückbezug zum vorhergehenden Abschnitt herstellt. In der Tat wird in Joh 1,35 die gleiche Sz~nerie wie in Joh 1,29 entworfen. Als Handlungsträger fungiert beide Male Johannes der Täufer, der auf den vorübergehenden Jesus hinweist. 9 Auch der Ort des Ge-
'tu
Vgl. Mt 3,7-12. Vgl.Joh 1,6-8. 6 Vgl.Joh 1,19-28. 7 Vgl.Joh 1,29-34. 8 Vgl. S. SCHRElBER,Jüngerberufungsszene 6. 9 Ein kleiner, aber feiner Unterschied besteht jedoch darin, dass gegenüber Joh 1,29hier werden keine Adressaten des Täuferzeugnisses genannt, weil sich alles um Jesus selbst dreht - in Joh 1,35 zwei Jünger des Johannes mit ihm auftreten; dadurch kommen bereits von Anfang an die Jünger, die im Folgenden berufen werden, in den Blick und werden eingeführt, so dass die neue Handlung nunmehr ihren Lauf nehmenkann. 4
5
32
Die DialogeJesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
schehens hat sich nicht verändert: Die Szene Joh 1,35ff. spielt wie die vorherige auch in Bethanien lo an der Taufstelle desJohannes. ll Bei aller Kontinuität lässt sich auf der anderen Seite jedoch auch ein Bruch zwischen Joh 1,34 und Joh 1,35 konstatieren. Die Angabe 'ti.'l E1f(~UPLOV gleich zu Beginn von Joh 1,35 markiert einen zeitlichen Einschnitt im Handlungsverlauf und impliziert eine neue Handlung an einem neuen Tag. Johannes der Täufer weist zwar wie in der vorherigen Szene am vorherigen Tag auch aufJesus als das Lamm Gottes hin l2 , doch hat er nunmehr seine Zeugenfunktion erfüllt und kann den Platz auf der Bühne des Geschehens räumen für den, der nach ihm kommt, aber ihm voraus ist, weil er vor ihm war13 • So tritt ab Joh 1,38 Jesus als Protagonist aktivl4 auf den Plan und beruft die ersten Jünger, zunächst Andreas, den namenlosen Jünger und Simon l5 und dann am folgenden Tag Philippus und NathanaeI l6 • Dieses Thema der Berufung weist Joh 1,35-51 als Texteinheit aus und· hält die Verse inhaltlich zusammen. 17 Ist der Übergang vonJoh 1,34 zuJoh 1,35 aufgrund von Kontinuität und Diskontinuität eher als fließend zu bestimmen, so ist mitJoh 2,1 eine deutliche Zäsur im Textverlauf gegeben. Die Zeitangabe ti.'I ~IJ.Epq. 'ti.'l 'tPL'tD bringt einen Sprung von drei Tagen zum Ausdruck, der zudem mit einem Ortswechsel verbunden ist. Jesus, der bereits lautJoh 1,43 nach Galiläa aufbrechen wollte l8 , befindet sich nach Joh 2,lf. in Kana auf einer Hochzeit. Es zeigt sich also mehr als deutlich, dass in Joh 2,lf. eine ganz andere Szenerie geschildert wird und demnach gegenüber Joh 1,51 eine neue Texteinheit beginnt. Nach dieser Abgrenzung sowohl vom vorherigen als auch vom nachfolgenden Text lassen sich die VerseJoh 1,35-51 entsprechend der weitläufigen Meinung der Exegetenl9 als Texteinheit betrachten, die 10 . Dieses
11 12 13 14 15 16 17 18
19
Be!;hanien amJordan ist nicht zu verwechseln mit dem bekannteren Bethanien auf dem Olberg in der Nähe von Jerusalem, dem Heimatdorf der Geschwister Maria, Martha und Lazarus, vgl.Joh 11,1. Vgl.Joh 1,28. Vgl.Joh 1,36 mitJoh 1,29. Vgl.Joh 1,30. Bisjetzt war Jesus lediglich Objekt der Handlung, nun greift er als Subjekt aktiv in das Geschehen ein. Vgl.Joh 1,38-42. Vgl.Joh 1,43-51. Vgl.J. BECKER,Joh I 54. Diese Notiz hat natürlich bereits Joh 2,1 im Blick und soll den Ortswechsel vorzeitig motivieren. Vgl. J. BECKER, Joh I 54; R BULTMANN, Joh 68; R SCHNACKENBURG, Joh I 306; U. WILCKENS, Joh 45f. Schenke spricht in seinem Aufsatz zur literarischen Entstehungsgeschichte von Joh 1,19-51 von einer "Kompositionseinheit", vgl. L. SCHENKE, Ent-
Der DialogJesu mit Nathanael inJoh 1,47-51
33
einerseits eng mit dem Kontext verwoben und fest in den Gesamtzusammenhang eingefügt ist2O , aber andererseits ein eigenständiges Thema behandelt und gerade dadurch eine eigene Texteinheit darstellt.21
3. Aufbau und Inhalt vonJoh 1,35-51
tu
Die Zeitangabe haupLov in Joh 1,35 und Joh 1,43 erweist sich als Gliederungssignal für Joh 1,35-51 und teilt diese Texteinheit in die beiden Abschnitte Joh 1,35-42 und Joh 1,43-51. 22 Innerhalb dieser beiden Abschnitte lassen sich je zwei "verkettete Berufungsvorgänge"23 ausmachen. Im ersten Abschnitt ist von der Berufung der ersten beiden Jünger die Rede Goh 1,35-39), von denen der eine, Andreas, sodann seinen Bruder Simon zuJesus führt Goh 1,40-42). Im zweiten Abschnitt wird die Berufung des Philippus erzählt Goh 1,43f.), der analog zu Andreas jemand anderen auf Jesus aufmerksam macht und Nathanael zu Jesus bringt (Joh 1,45-51). Ein bestimmtes Kompositionsschema innerhalb vonJoh 1,35-51 ist hier schwerlich zu übersehen. Die beiden größeren Abschnitte sind symmetrisch zueinander aufgebaut, insofern sie jeweils aus zwei Einzelszenen bestehen, die wiederum eng miteinander verknüpft sind. Von den vier Einzelszenen wird die BegegnungJesu mit Nathanael am ausführlichsten geschildert. Sie stellt nicht nur den Abschluss der Berufungserzählungen, sondern zugleich deren Höhepunkt dar, wie die exegetische Analyse des Dialogs zwischen Jesus und Nathanael noch zeigen wird. 3.1. Die ersten beidenJüngerJesu Goh 1,35-39) Die erste der vier Einzelszenen berichtet inJoh 1,35-39 von den beiden Johannesjüngern, die auf das Zeugnis ihres Lehrers hin Jesus nachfolgen und bei ihm bleiben. Die Zeitangabe gleich am Anfang von Joh 1,35 tfI ElTaUpLOV macht deutlich, dass es sich im Folgenden um die Geschehnisse eines neuen
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stehungsgeschichte 25. Demgegenüber nimmt Schreiber in seinen Ausführungen nur Joh 1,43-51 in den Blick, vgl. S. SCHREIBER,Jüngerberufungsszene 5-28. Vgl. v. a. die o. a. Bezüge vonJoh 1,35-51 zuJoh 1,29-34. Vgl.J. BECKER,Joh I 54. Ganz analog dazu istJoh 1,19-34 durch die Zeitangabe tU emxupLov inJoh 1,29 zweigeteilt inJoh 1,19-28 undJoh 1,29-34, s. o. So die treffende Beschreibung vonJ. BECKER,Joh I 99.
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Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
Tages handelt. Doch wiederholt sich in Joh 1,35f. 24 fast exakt die gleiche Szenerie wie am Vortag. 25 Johannes steht wieder an seiner Taufstelle; diesmal wird allerd~ngs im Blick auf den Fortgang der Handlung gegenüber Joh 1,29-3426 betont herausgestellt, dass zwei seiner Jünger bei ihm sind. Ebenso wie am Tag zuvor weist er aufJesus als das Lamm Gottes hin, aber diesmal in verkürzter Form; der Zusatz b II'Lpwv .~v IXlJlIp.LIIV 'OÜ KOOIJOU ausJoh 1,29 fehltinJoh 1,36. 27 Mit diesem Zeugnis hat Johannes der Täufer seine Funktion erfüllt28 und wird aus der Szene ausgeblendet. Die Perspektive verschiebt sich nunmehr vom "Ort des Johannes" hin zum "Ort Jesu"29: Die beiden Jünger des Johannes folgen Jesus. In Joh 1,37 noch Objekt des Geschehens, avanciertJesus inJoh 1,38 zum Subjekt der Handlung, indem er sich mit folgenden Worten an die beiden ihm nachfolgenden Jünger wendet: TL es ist das erste WortJesu imJohannesevangelium. Bezeichnenderweise handelt es sich dabei nicht um eine programmatische Aussage wie bei Markus und MatthäusSO und auch nicht um ein programmatisches Auftreten wie bei LukassI, sondern um eine einfache Frage, die trotz oder gerade wegen ihrer Schlichtheit ein existenzielles Suchen des Menschen nach dem Sinn des Lebens zum Ausdruck bringt. Es ist sicherlich alles andere als ein Zufall, dass ganz am Ende des Evangeliums in Joh 20,15 di~ Frage erneut begegnet, diesmal allerdings aus dem Mund des Auferstandenen. Durch diese Rahmung will Johannes sein Evangelium als einen Suchprozess nach Jesus verstanden wissen, stelltJesus doch nicht nur jeweils diese Frage, sondern ist zugleich auch die Antwort in Person.
'".e"L.e;
Vgl. den Rückbezug durch '!!lXALV inJoh 1,35, s. o. Vgl.Joh 1,29. Bereits hier sind wohl die Johanne~ünger als Adressaten des Täuferzeugnisses mitzudenken, doch bleiben sie auf der Textebene noch unerwähnt. 27 Das kurze Zitat reicht aus, um den Leser an den vollen Wortlaut in Joh 1,29 zu erinnern, vgl. H. 'THYEN, Johannes 129. Bei der Ergänzung "der die Sünde der Welt hinweg nimmt" inJoh 1,29 handelt es sich demnach nicht um einen späteren Zusatz, vgl. U. WILCKENS,Joh 46. 28 Vgl.Joh 1,7f. 29 So die Bezeichnungen bei L. SCHENKE, Entstehungsgeschichte 30. so Vgl. Mk 1,15; Mt 4,17. SI Vgl. Lk 4,16-30. 24 25 26
Der Dialogjesu mit NathanaeI injoh 1,47-51
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Die beiden Jünger, die Jesus nun als "Rabbi"32 anreden und ihn damit als ihren Lehrer ausweisen, antworten in Joh 1,38 mit einer Gegenfrage: 1TOU IlEVELC;;. Vordergründig bezieht sich diese Frage zunächst einmal auf den konkreten Wohnort Jesu, sein irdisches Haus. Im Sinne des Johannesevangelisten geht die Frage der Jünger wie die FrageJesujedoch tiefer und nimmt die unvergängliche BleibeJesu und damit seine eigentliche Heimat in den Blick. 33 Die Jünger wollen also wissen, wo Jesus wahrhaft daheim ist. Daraufhin bekommen sie von ihm in Joh 1,39 die Aufforderung: "EpXE09E Kat öl\tEo9E. Sogleich nehmen die beidenjünger die EinladungJesu an, sie kommen und sehen, wo Jesus wohnt; doch damit ist die Berufung noch nicht abgeschlossen. Als wesentliches drittes Moment kommt hinzu, dass sie bei Jesus bleiben. Die Formulierung 1Tap' au't4) EIlELVaV 't~v ~~pav EKELVTjV mit dem wichtigen Stichwort IlEVELV weist darauf hin, dass Nachfolge kein Blitzereignis, sondern ein Kontinuum darstellt; auf das ständige Bleiben beiJesus kommt es an. Die Zeitangabe wpa ~v WC; ÖEKti'tTJ, die inJoh 1,39 noch genannt wird, hat unterschiedliche Interpretationen bei den Exegeten hervorgerufen. Bultmann sieht in der zehnten Stunde die "Stunde der Erfüllung"34, Wilckens den Anbruch der Endzeit35 . Thyen verweist bei aller Vorsicht als weitere Vorschläge auf das zehnmalige "Und Gott sprach" der Genesiserzählung oder auf die zehn Worte des Dekalogs.36 Ob sich hinter dieser Zeitangabe tatsächlich ein symbolischer Sinn verbirgt, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit sagen;37 wenn dem wirklich so sein sollte, dann lässt er sich jedenfalls nicht mehr in seiner ursprünglichen Bedeutung eruieren38, so dass sämtliche Vorschläge sich letztendlich als exegetische Spekulationen erweisen.
32 Der Evangelist liefert unmittelbar im Anschluss die griechische Übersetzung der im judentum gebräuchlichen Anrede von Lehrern durch ihre Schüler. Möglicherweise liegt darin ein Hinweis, dass es in der johaI]-neischen Gemeinde auch Milglieder gibt, die nur griechisch sprechen und auf eine Ubersetzung hebräischer oder aramäischer Ausdrucke angewiesen sind, vgl. K WENGSf,joh I 95. 33 Vgl. H. THYEN,joh 129. 34 So R. BULTMANN,joh 70. as Vgl. U. WILCKENS,joh 47. 36 Vgl. H. THYEN,joh 130. 37 Schnackenburg ist diesbezüglich skeptisch und erkennt hier "schwerlich einen symbolischen Sinn", vgl. R. SCHNACKENBURG,joh I 309. 38 Vgl. C. DIETZFELBINGER,joh I 55.
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Die DialogeJesu mi~ Einzelpersonen imJohannesevangelium
3.2. Die Berufung des Simon durch seinen Bruder Andreas Goh 1,40-42) Zu Beginn der zweiten Szene wird dem Leser in Joh 1,40 einer der beiden Erstberufenen mit Namen vorgestellt: "Hv 'AVÖpEIXe; 0 aöeloe; ~(~wvoe; IIhpou eIe; EK tWV Mo tWV aKouaaVtwv lTlXpa 'Iwavvou KlXt aKOAOu9TJaavtwv IXUt41. Durch diesen Rückverweis auf die gerade erfolgte Berufung wird die zweite Szene eng an die erste angebunden und gleichsam mit ihr verkettet. Gleichzeitig stellt die Charakterisierung des Andreas als "Bruder des Simon Petrus" einen Vorverweis auf die unmittelbar bevorstehende Berufung des Simon durch Andreas dar. 39 Wenn Andreas hier als Bruder des Simon Petrus eingeführt wird, dann lässt sich daraus schließen, dass Simon Petrus bei den Lesern bzw. Hörern des Johannesevangeliums nicht nur bekannt, sondern eben bekannter war als sein Bruder Andreas. 4o Im weiteren Evangelium begegnet Andreas noch in Joh 6,8 41 undJoh 12,2242 , beide Male interessanterweise in Verbindung mit Philippus, und tritt damit viel stärker in Aktion als bei den Synoptikern. 43 Der Name des zweiten Jüngers, der von Jesus berufen wird, wird nicht genannt. So stellt sich zwar die berechtigte Frage: "Wer war der andere?"44, doch da der Text keinerlei Anhaltspunkte zur Beap.twortung dieser Frage bietet, lässt sich ungeachtet der vielen Erklärungsversuche für diese Leerstelle im Text45 nur die Aussage machen, dass der Verfasser offensichtlich ganz bewusst den Namen des anderen Jüngers verschweigt und ihn somit in der Anonymität zurücklässt. In der weiteren Erzählung spielt er auch keine Rolle mehr; der Fokus liegt im Folgenden auf Andreas.
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Vgl. L. SCHENKE, Entstehungsgeschichte 30. Vgl. K. WENGST,Joh I 97. Im Kontext des Brotwunders weist Andreas Jesus auf den Knaben mit seinen fünf Gerstenbroten und zwei Fischen hin. Aufgrund seines griechischen Namens ist es nur allzu logisch, dass Andreas zusammen mit Philippus im Kontext der Hellenenrede die Griechen zuJesus führt. Vgl. K. WENGST,Joh I 97. Vgl. C. DIETZFELBINGER,Joh I 56. Die meisten Ausl~ger sehen nach wie vor den Lieblingsjünger hinter diesem anderen Jünger, vgl. die Ubersicht beiJ. KüGLER, Lieblingsjünger 421, der sich allerdings gegen diese Identifizierung ausspricht, oder die Diskussion bei H. THYEN,Joh 131-135.
Der DialogJesu mit NathanaeJ inJoh 1,47-51
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Andreas findet46 laut Joh 1,41 seinen Bruder Simon 47 und legt ihm gegenüber, ähnlich wie Johannes zuvor bei ihm selbst, ein Zeugnis für Jesus ab: EUP~KIXI.LEV MEool.lXv. Neben Joh 4,25 ist Joh 1,41 die einzige Stelle im gesamten Neuen Testament, an der das Wort Messias und seine Übersetzung ins Griechische vorkommt. Entgegen den Synoptikern ist es hier im Johannesevangelium nicht Petrus, der Jesus als Messias bekennt48, sondern Andreas, der seinen Bruder Simon auf Jesus als den Messias verweist. Auf dieses Zeugnis hin führt Andreas seinen Bruder zu Jesus. Von einer Reaktion oder von einem Verhalten des Simon ist im Text nicht die Rede. Stattdessen liegt das Gewicht auf dem Wort Jesu an Simon Petrus in Joh 1,42: ~u Er ~l.l.Lwv 6 utoc; 'Iwuvvou, ou KAlle~01J Kll
,ov
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Hier begegnet erstmals das Stichwort EUp[OKW, das innerhalb der johanneischen Berufungsgeschichten ein Schlüsselwort darstellt und Berufung als einen Findungsprozess beschreibt, vgl.Joh 1,41 (2x).43.45. Nach der Darstellung des Johannesevangelisten ist Andreas seinem Bruder Simon zeitlich vorgestellt; er wird zunächst vonJesus berufen und beruft dann seinen Bruder Simon. Die Unterschiede zu den Synoptikern liegen auf der Hand, vgl. Mk 1,16-20 parr. Vgl. Mk 8,29; Mt 16,16. Vgl.Joh 10,3. Analog zuJoh 1,38 undJoh 1,41 wird auch hier inJoh 1,42 postwendend die Übersetzung zu den nichtgriechischen Ausdrucken mitgeliefert und Kephas mit Petrus wiedergegeben. Vgl. K WENGST,Joh I 98. Vgl. R SCHNACKENBURG,Joh I 310f.
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Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
3.3. Die Berufung des Philippus durchJesus Goh 1,43f.) Aus der Zeitangabe tU E1TaupLOv zu Beginn von Joh 1,43 geht hervor, dass sich die dritte Szene an einem neuen Tag abspielt. Einhergehend mit diesem temporalen Einschnitt wird auch ein Ortswechsel angekündigt, der aber erst inJoh 2,1 vollzogen wird. Jesus, der nach Galiläa aufbrechen will, findet Philippus und beruft ihn zu seinem Jünger. Im Unterschied zur vorherigen Szene weist hier kein Zeuge auf Jesus hin, sondernJesus selbst ergreift die Initiative53 und fordert Philippus direkt zur Nachfolge auf. Der kurze, aber deutliche Imperativ 'AKOl..ou8EL IJ.OL inJoh 1,43 stellt denjohanneischenJesus in synoptische Tradition und lässt an die Berufungsgeschichten bei den Synoptikern54 denken. Philippus wird nicht indirekt wie Simon über Andreas, sondern direkt von Jesus berufen. Er trägt wie Andreas einen griechischen Namen und wird im Johannesevangelium zusammen mit Andreas in Joh 6,5.755 und Joh 12,2lf.56, daneben noch allein in Joh 14,8f.57 erwähnt. Aus Joh 1,44 geht für den Leser hervor, dass Philippus aus Bethsaida58 stammt, welches als die Stadt des Andreas und des Simon näher beschrieben wird. Durch diese zusätzliche Information ergibt sich auf der Textebene eine Verbindung zur vorhergehenden Szene; darüber hinaus wird dadurch ganz allgemein die Verbundenheit des Philippus mit Andreas und dessen Bruder Simon zum Ausdruck gebracht. 59 3.4. Die BegegnungJesu mit NathanaeI Goh 1,45-51) In der vierten und letzten Szene der johanneischen Berufungserzählungen wird zunächst die Berufung des NathanaeI durch Philippus Goh 1,45f.) und sodann seine Begegnung mit Jesus Goh 1,4'7-51) geschildert. 53 54 55 56 57 58
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Vgl. H. THYEN,Joh 138. Vgl. Mk 1,17; 2,14; 10,21 parr. Im Kontext des Brotwunders stellt Jesus Philippus auf die Probe und fragt ihn, wo man Brot für so viele Menschen kaufen kann. Im Zusammenhang mit der Hellenenrede wenden sich die Griechen an Philippus, der sie dann zusammen mit Andreas zu Jesus führt. Innerhalb der Abschiedsrede will Philippus von Jesus den Vater gezeigt bekommen und wird daraufhin vonJesus gerügt. Der Name .Fischhausen" erklärt sich durch die Lage Bethsaidas am See Gennesaret und weist das Dorf, das unter dem Tetrarchen Philippus zur Stadt ausgebaut wurde, ursprünglich als Fischersiedlung aus. Damit wird auch klar, warum Andreas und Philippus im Johannesevangelium stets gemeinsam auftreten; sie tragen nicht nur jeweils einen griechischen Namen (das ist besonders für die Hellenenrede inJoh 12 entscheidend), sondern sie kommen beide aus der gleichen Stadt und haben somit gemeinsame Wurzeln.
Der DialogJesu mit Nathanael inJoh 1,47-51
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Wie zuvor Andreas seinen Bruder Simon findet und durch sein Zeugnis zu Jesus führt60, so findet nun PhiIippus den NathanaeI und bringt ihn durch sein Bekenntnis zu Jesus. 61 Aus dieser bewusst vom Verfasser gestalteten Parallelität lässt sich die johanneische Vorstellung von Berufung ableiten: Ein von Jesus berufener Jünger führt durch sein Zeugnis einen weiteren Jünger zu Jesus. Dieser ist demnach nicht direkt von Jesus berufen, sondern tritt vermittelt durch einen bereits Berufenen in die Nachfolge Jesu ein. NathanaeI, der lautJoh 1,45 von Philippus gefunden wird, begegnet ausschließlich im Johannesevangelium und auch da neben Joh 1,45ff. nur noch in Joh 21,2; an dieser Stelle erfährt der Leser die Herkunft des NathanaeI aus Kana in Galiläa. Wie zuvor in Joh 1,41 Andreas gegenüber Simon, so spricht auch hier in Joh 1,45 Philippus gegenüber NathanaeI ein Jesusbekenntnis aus: "Ov eypalj1Ev Mwüof)c; EV 't4) v6~~ Kat OLlTpo4Jf)'taL Eup~Ka~EV, 'ITjooüv ULOV 'tOü 'Iwo~4J 'tov alTo Na(ape.. Die parallele Formulierung legt es nahe, den Messias hier als den zu sehen, über den Mose im Gesetz und die Propheten62 geschrieben haben. Dieser wird "nunmehr mit Jesus, dem Sohn Josephs aus Nazareth63, identifiziert. Genau daran entzündet sich die Skepsis des Nathanael, die in seinen Worten in Joh 1,46 zum Ausdruck kommt: 'EK Na(ape. cSUva'taL n aya90v ELvaL; Das politisch wie religiös unbedeutende Nazareth ist für Nathanael als Jude nur sehr schwer als Herkunftsort des Messias vorstellbar; schließlich wird es in der Schrift an keiner Stelle eIWähnt. Die ironische Frage Nathanaels beantwortet Philippus in Joh 1,46 mit exakt64 der gleichen Aufforderung, die Jesus gegenüber den beiden Jüngern in Joh 1,39 ausgesprochen hat: "Epxou Kat 'LÖe. 65 Auf diese Einladung hin kommt es in Joh 1,47ff. zur Begegnung Jesu mit NathanaeI. In einem Dialog vermitteltJesus dem Nathanael das nötige Wissen, so dass dieser zur Erkenntnis Jesu gelangt und ihn als Sohn Gottes und König von Israel bekennt.56
Vgl.Joh 1,4lf. Vgl.Joh 1,45f. 62 Mit dieser formelhaften Wendung ist natürlich das gesamte Alte Testament gemeint. 63 Schnackenburg sieht hier nicht eine bestimmte Meinung, sondern »die im Volk übliche Vatersbezeichnung" und verweist aufJoh 6,42, vgl. R. SCHNACKENBURG,Joh I 314. 64 Hier natürlich im Singular, weil er sich nur an eine Person wendet. 65 Philippus übernimmt hier also die Rolle Jesu und führt Nathanael damit zu diesem, vgl. L. SCHENKE, Entstehungsgeschichte 31. 66 Vgl.Joh 1,49. 60 61
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Die Dialogejesu mit Einzelpersonen imjohannesevangelium
4. EntstehungvonJoh 1,35-51
Im Hinblick auf die Entstehung vonJoh 1,35-51 ist die exegetische Forschung in zwei Lager gespalten. Ein Teil der Exegeten macht verschiedene Schichten in diesem Textabschnitt aus und kommt so zu einem gestuften Entstehungsmodell für Joh 1,35-51; der andere Teil sieht Joh 1,35-51 als literarische Einheit und beurteilt diesen Text damit als kohärente Komposition.67 Im Folgenden soll es darum gehen, den Ansatz jeweils eines Vertreters der beiden Extrempositionen vorzustellen und durch die Bewertung der beiden Modelle zu einem eigenen Ansatz für die Entstehung vonJoh 1,35-51 zu kommen. 4.1. Ludger Schenke: Die literarische Entstehungsgeschichte von Johl,I9-51 68 Aus dem Titel des Aufsatzes von Ludger Schenke "Die literarische Entstehungsgeschichte von Joh 1,19-51"69 geht bereits hervor, dass Schenke zu denjenigen Exegeten gehört, die Joh 1,35-51 als Produkt einer mehrstufigen Entwicklung betrachten. Als Kriterien füF die Annahme eines Schichtenmodells verweist Schenke zunächst auf Defizite der erzählerischen Gestaltung. In den beiden Nachfolgeszenen Joh 1,35-39 undJoh 1,43f. und analog dazu inJoh 1,40-42 undJoh 1,45-50 sieht er ein unterschiedliches erzählerisches Niveau, obwohl beide Szenen jeweils in bewusster Parallelität zueinander stehen. "Erzählerisch unbefriedigend"70 ist für Schenke die Erwähnung des ReisewunschesJesu inJoh 1,43. Die neue Redeeinleitung inJoh 1,51 hält er für unnötig. Sodann stellen für Schenke die Verdoppelungen und Wiederaufnahmen einen Beweis für den sekundären Charakter von Joh 1,35-51 dar. Als Doppelungen listet er Joh 1,38.42.47 ("sehen"), Joh 1,39.46 {"kommen und sehen"),Joh 1,40.44 (,,Andreas war ... " bzw. "Philippus war ... "), Joh 1,41.43.45 ("finden") und schließlich Joh 1,41.45 ("den Messias finden" bzw. "den finden, über den Mose im Gesetz und auch die Propheten geschrieben haben") auf, wobei er zwischenJoh 1,40-42 und Joh 1,45-50 eine der gravierendsten Doppelungen im Text festmacht. InJoh 1,40 sieht SchenkeJoh 1,35-37 wieder aufgenommen, in gleicher Beziehung stehen für ihnJoh 1,48 undJoh 1,45 sowieJoh 1,50 67 68 69
70
Vgl. den ausführlichen Forschungsüberblick bei H.:J. KUHN, Christologie 1-68. In: BN 46 (1989) 24-57. Gemäß dem thematischen Kontext werden im Folgenden nur die Ausführungen zu joh 1,35-51 berücksichtigt und besprochen. So das Urteil von L. SCHENKE, Entstehungsgeschichte 34.
Der DialogJesu mit NathanaeI inJoh 1,47-51
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und Joh 1,48. Diese Wiederaufnahmen sind laut Schenke "keineswegs Zeichen einer originalen und notwendigen Kohärenz des Gesamttextes"71. Als drittes Argument für eine stufenweise Entstehung von Joh 1,3551 führt Schenke die Spannungen im Text an. Dabei verweist er auf das 1Tp6hov in Joh 1,41, das seiner Meinung nach erzählerisch wenig plausibel ist, aber inhaltlich eine wichtige theologische Aussage transportiert, insofern darin eine Auszeichnung für Simon enthalten ist. Im Unterschied zu Joh 1,35-39.45-50 erscheint Schenke Joh 1,43f. nicht nur "erzählerisch matt und dürr"72, sondern in literarkritischer Hinsicht auch anstößig, wodurch sich für ihn Fragen nach der Vorgeschichte der Komposition ergeben. Schließlich beurteilt Schenke die stellenweise auftretenden Anklänge an die Synoptiker als "Ergebnis einer umfassenden Neugestaltung des gesamten Textzusammenhanges"73. Als Beispiele nennt er hierfür die Kennzeichnung des Andreas als "Bruder des Simon Petrus" in Joh 1,40 parallel zu Mk 1,16, die Anrede des Simon durch Jesus in Joh 1,42 parallel zu Mt 16,17 sowie den Ruf Jesu in die Nachfolge in Joh 1,43 parallel zu Mk 2,14 par. Die Defizite der erzählerischen Gestaltung, die Verdoppelungen und Wiederaufnahmen, die Spannungen und die Anklänge an die Synoptiker lassen für Schenke nur den Schluss zu, dass es sich bei Joh 1,19-51, und damit Joh 1,35-51 eingeschlossen, um eine sekundäre Komposition handelt, deren Grundlage eine einfachere und kohärente Erzählung darstellt. Diese schriftliche Vorlage hat der Verfasser des vorliegenden Textes wörtlich und vollständig übernommen, sie jedoch neu gegliedert und mit synoptischem Material aufgefüllt. Zur Vorlage rechnet Schenke Joh 1,35-39.4074.45-50. Auf den Verfasser gehen demnachJoh 1,40-42,Joh 1,43 und der abschließende VersJoh 1,51 zuruck. 4.2. Stefan Schreiber:Joh 1,43-51 als literarische Einheit Stellvertretend für diejenigen, die Joh 1,35-51 als literarische Einheit auslegen, soll im Folgenden die Position von Stefan Schreiber dargestellt werden. In seinem Aufsatz "Die Jüngerberufungsszene Joh 1,43-51
71
Ebd.36.
72 Ebd.40. 73 Ebd.44. 74 AnstattAndreasjedoch Philippus aus Bethsaida als Subjekt; dadurch werdenJoh 1,40 undJoh 1,44 zusammengezogen
42
Die Dialoge jesu mit Einzelpersonen im johannesevangelium
als literarische Einheit"75 spricht er sich gegen dem Text Gewalt antuende literarkritische Optionen aus und plädiert dafür, Joh 1,43-45 synchron zu lesen und diesen Text als "absichtsvolle kohärente Ganzheit denn als Produkt verschiedener Überarbeitungen"76 zu verstehen. Die Einheitlichkeit der Textgestalt vonJoh 1,43-51 macht Schreiber an den drei Punkten Vokabular und Stil, narrative Struktur und pragmatische Akzente fest. Im Hinblick auf Vokabular und Stil erkennt Schreiber inJoh 1,43-51 so manche johanneische Eigentümlichkeiten, beispielsweise die Wendung (X,TEKpf.9TJ 'ITJoout; Kai. EtnEV au't41 77 in Joh 1,50, das doppelte &IJ.~V &1J.~V78 bei der RedeeinleitungwichtigerJesusworte hi~r inJoh 1,51 und johanneische Vorzugswörter wie z. B. YWWOKW inJoh 1,48 oder 1TLO'tEUW in Joh 1,50;79 umgekehrt begegnen in diesem Textabschnitt keine für Johannes untypischen Vokabeln. Der Stil von Joh 1,43-51 ist insofern einheitlich, als hier vorwiegend kurze Sätze vorliegen, die parataktisch aneinander gereiht sind. Der Großteil des Textes steht in direkter Rede; dadurch finden sich in nahezu jedem Vers Verben des Sprechens. Auf die stereotypen Redeeinleitungen folgen jeweils die einzelnen Redebeiträge, so dass Joh 1,43-51 von einem sehr starken dialogischen Charakter geprägt ist. Diese durchgehende Dialogstruktur ist für Schreiber ein deutlicher Hinweis auf stilistische Kohärenz. Was die narrative Struktur des Textes angeht, so wird Joh 1,35-51 einheitlich von dem Themenkomplex Nachfolge und Berufung durchzogen. Die einzelnen Berufungen stellen laut Schreiber eine Art Handlungskette, eine Kreisbewegung dar. Jesus beruft einen Jünger und dieser führt durch sein Zeugnis einen weiteren Jünger zuJesus. Auf der narrativen Ebene sind es dabei jeweils die Sprechhandlungen, die das Geschehen ausmachen und es voran bringen. Schreiber weist sehr wohl darauf hin, dass die Berufung jeweils unterschiedlich erzählt wird. WährendJesus analog zuJoh 1,39 inJoh 1,43 Philippus direkt beruft, wird in Joh 1,46 NathanaeI von Philippus zu Jesus geführt, und während die eine Berufung knapp und fast schematisch skizziert wird, wird die andere ausführlich und mit Skepsis geschildert. Diese Unterschiede beeinträchtigen jedoch nicht den Handlungsverlauf, vielmehr lässt sich nach Schreiber Joh 1,43-51 klar in drei Begegnungen mit jeweils zwei 75 In: SNTU.A 23 (1998) 5-28. 76 So S. SCHREIBER.jüngerberufungsszene 5. 77 Diese Redeeinleitung kommt bei johannes 30-mal vor und sonst nicht mehr im Neuen Testament. 78 Im Gegensatz zum einfachen "Amen" bei den Synoptikern; Stellenangaben s. u. bei
der exegetischen Analyse der Stelle
79 Vgl. die Zusammenstellung bei S. SCHREIBER,jüngerberufungsszene 19f.
Der DialogJesu mit Nathanael inJoh 1,47-51
43
Personen gliedern. In der ersten Begegnung stehen sich Jesus und Philippus, in der zweiten Philippus und Nathanael und in der dritten Nathanael und Jesus gegenüber. Diese letzte Begegnung hat insofern ein offenes Ende, als das Jesuswort in Joh 1,51 als Verheißung in die Zukunft gerichtet ist und sich erst erfüllen muss. Als drittes Argument für die Einheitlichkeit von Joh 1,43-51 führt Schreiber pragmatische Akzente an, die die Kommunikation zwischen Autor und Rezipienten steuern und den Leser in eine bestimmte Richtung lenken sollen. Er bezeichnet sie als "Orte der Offenheit"80, die dem Leser Raum geben sollen für seinen eigenen Standpunkt in der Nachfolge Jesu und nennt als Beispiele hierfür u. a. die fehlende Reaktion des Philippus nachJoh 1,43f., den Zweifel des NathanaeI inJoh 1,46 oder das die Textebene überschreitende Wort Jesu in Joh 1,51. Darüber hinaus sieht Schreiber durch die Dialogstruktur den Leser des Textes in besonderer,Weise angesprochen. Dieser kann die inJoh 1,43 undJoh 1,46 ausgesprochenen Imperative befolgen oder auch nicht; er kann das Bekenntnis des Nathanael in Joh 1,49 mitsprechen und sich mit Figuren des Textes identifizieren. Die stilistische Kohärenz, der stringente Erzählyerlauf und die pragmatischen Akzente weisen für Schreiber Joh 1,43-51 als konzeptionelle Einheit aus, die eindeutig johanneischen Charakter trägt. Auf der Basis einer schmalen Tradition, die für Schreiber vorwiegend in den Namen der Jünger und deren Herkunftsort besteht, hatJohannes durch die Dialogstruktur eine Variation zu den synoptischen Berufungserzählungen geschaffen. Das Ergebnis ist eine "literarisch anspruchsvoll gestaltete, kunstvoll komponierte Dialog-Erzählung"81, die laut Schreiber als Einheit zu lesen und zu interpretieren ist. 4.3. Eigener Ansatz:Joh 1,35-51 alsjohanneische Komposition Als Grundlage für einen eigenen Ansatz zuJoh 1,35-51 gilt es zunächst, die bei den unter a) und b) vorgestellten Positionen zu bewerten und sodann die nötigen Rückschlüsse zu ziehen. Wenn Schenke das erzählerische Niveau der Texteinheit für sehr unterschiedlich hält82, so ist dieser Sichtweise deutlich zu widersprechen. Vielmehr lässt sich mit Schreiber darauf verweisen, dass inJoh 1,35-51 ein einheitlicher Stil vorliegt.83 In überwiegend kurzen und einfachen 80 81 82 83
Ebd.25. Ebd.27. Vgl. L. SCHENKE, Entstehungsgeschichte 32. Vgl. S. SCHREIBER,Jüngerberufungsszene 19f.
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o
Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
Sätzen wird eine dialogisch strukturierte. Sprechhandlung geschildert. Die Stileigentümlichkeiten sowie das verwendete Vokabular weisen auf Johannes als Verfasser dieses Textabschnittes hin. . Wenn Schenke innerhalb Joh 1,35-51 diverse Verdoppelungen und Wiederaufnahmen festmacht84 und daraus eine sekundäre Komposition des Textes folgert, zieht er den falschen Rückschluss, denn genau das Gegenteil ist der Fall. Die Doppelungen und Wiederaufnahmen sind gerade ein Beweis für die bewusste parallele Gestaltung des Textes, stellen sie doch Bezüge und Beziehungen her innerhalb der Texteinheit. So lässt sich bei~pielsweise die Parallelität vonJoh 1,45 zuJoh 1,41 oder der Bezug vonJoh 1,48 zuJoh 1,45 nicht übersehen; durch derartige Verknüpfungen wird der Text als Einheit zusammengehalten und die Einzelszenen inJoh 1,35-51 miteinanderverkettet. s5 Die Spannungen, die Schenke in Joh 1,35-51 ausmacht86, löst er selbst auf und beweist damit, dass es sich de facto gar nicht um Spannungen handelt. Im Fall des 1TPW't'OV von Joh 1,41 liefert Schenke die Lösung des von ihm angezeigten Problems, wenn er dazu schreibt: "Dem Verfasser geht es offenbar nicht um erzählerische Plausibilität, sondern um theologische Inhalte"87. In der Tat soll durch das 1TPW't'OVsei es, dass es als Adverb oder als prädikatives Adjektiv verwendet ist die Stellung des Petrus betont und hervorgehoben werden, wie dies auch sonst im Johannesevangelium zum Ausdruck kommt. s8 Auch in Bezug aufJoh 1,43 löst Schenke selbst die von ihm ausgemachte Spannung auf, wenn er in diesem Vers Anklänge an die synoptische Tradition, speziell an Mk 2,14 par, erkennt. Gerade deswegen ist der Vers, wie Schenke behauptet, noch lange nicht anstößig und muss einer sekundären Bearbeitung zugerechnet werden. Ganz im Gegenteil: Mit Joh 1,43 knüpft der Verfasser bewusst an die synoptische Tradition an und gibt mit dieser literarischen Referenz zu erkennen, dass es verschiedene Möglichkeiten der Berufung gibt, die nicht im Widerspruch zueinander stehen, sondern nebeneinander existieren. DurchJoh 1,43 wird der Handlungsverlauf gerade nicht durchbrochen, sondern das Schema aus der vorhergehenden Szene Joh 1,38-42 aufrechterhalten, dass zunächst Jesus einen Jünger direkt beruft und dieser einen wieteren Jünger zu Jesus führt. Somit beginnt mit Joh 1,43 ein neuer Er0
84 Vgl. L. SCHENKE, Entstehungsgeschichte 34-36. 85
S. o. bei Aufbau und Inhalt vonJoh 1,35-51.
86 Vgl. L. SCHENKE, Entstehungsgeschichte 40. 87 Ebd. 88
Vgl. K. BACKHAus,Jüngerkreise 241, der in diesem Zusammenhang aufJoh 20,2-8 und Joh 20,7f. velWeist.
Der Dialogjesu mit Nathanael injoh 1,47-51
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zählstrang, der analog zur vorherigen Szene aufgebaut ist. Die Erwähnung des Reisewunsches zu Beginn der neuen Szene lässt sich von daher auch nicht als Defizit der erzählerischen Gestaltung betrachten, sondern als gliedernde Notiz, die vonJoh 2,1 her motiviert ist. Gegen Bultmann89 , Becker90 und Schnackenburg91 besteht also kein Grund zu der Annahme,Joh 1,43 einem späteren Redaktor zuzuschreiben.92 Vielmehr ist Joh 1,43 fest im Kontext verankert und gehört damit von Anfang an zur TexteinheitJoh 1,35-51 dazu. 9s Neben Joh 1,43 gehört auch Joh 1,51 zu den Versen, die Schenke nicht zur Vorlage rechnet und als sekundären Zusatz bestimmt. Die neue Redeeinleitung 'A~~v &:~~v I..eyw u~lv im unmittelbaren Anschluss an KilL I..eYEL IlU't'4) inJoh 1,51 klassifiziert er als "unnötig"94. Nötig ist sie aber gerade deshalb, weil an dieser Stelle ein Adressatenwechsel vorliegt; nicht mehr Nathanael allein ist angesprochen, sondern mit ihm zusammen die Leser bzw. Hörer desJohannesevangeliums. Damit, dass hier die reine Textebene überschritten und eine neue Personengruppe außerhalb des Textes angeredet wird, lässt sich diese neue Redeeinleitung begründen. Auch in diesem Fall besteht also kein Anlass zu einer literarkritischen Operation. Wieso sollte ein späterer Redaktor diesen Vers erst anfügen? Es ist Johannes selbst, der mit dieser Verheißung eine vom Leser zu füllende Leerstelle schafft95 und damit den Blick seiner Adressaten auf sein folgendes Evangelium richtet. Nach allen diesen Beobachtungen erweist sich mit Schreiber die Jüngerberufungsszene Joh 1,35-51 als literarische Einheit. Sämtliche Versuche, bestimmte Verse einem späteren Redaktor zuzuweisen, entpuppen sich m. E. als künstliche Operationen am Text und sind deswegen nicht haltbar. Als Verfasser dieser formal wie inhaltlich stringenten Texteinheit kommt nur der Johannesevangelist in Frage. Neben den johanneischen Stileigentümlichkeiten und Vorzugsworten sowie der kunstvollen Komposition ist es v. a. die dialogische Struktur des Textes, die Johannes als Verfasser vonJoh 1,35-51 erkennen lässt. 96 Im 89 90 91 92
Vgl. R. BULTMANN,joh 68. Vgl.J. BECKER,joh I 100. Vgl. R. SCHNACKENBURG,joh I 312f. Mit dieser Hypothese wird versucht, den Text verständlicher zu machen, als er ohnehin schon ist. Einen überzeugenden Grund für eine redaktionelle Einfügung dieses Verses gibt esjedoch nicht. 93 Vgl. die Argumentation bei K. BACKHAus,jüngerkreise 23lf. 94 Vgl. L. SCHENKE, Entstehungsgeschichte 34. 95 Vgl. S. SCHREIBER,jÜßgerberufungsszene 25. 96 Vgl. S. SCHREIBER, jüngerberufungsszene 27f., der darauf hinweist, dass bei johannes das Wort besonders akzentuiert ist.johannes ist demnach der .Theologe des Wortes" unter den Evangelisten.
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Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium
Unterschied zu den Synoptikern berichtet der vierte Evangelist von der Berufung der ersten Jünger nicht streng narrativ als Erzählung über ein Ereignis, sondern kleidet. sie in Dialogfonn und macht durch den großen Anteil an wörtlicher Rede das Ereignis selbst zum Ereignis. Am deutlichsten geschieht dies im Dialog Jesu mit Nathanael in Joh 1,4751, der im Folgenden ausführlich betrachtet werden soll.
5. Exegetische Analyse'zujoh 1,47-51 5.1. Die Ausgangssituation Bevor es zum Dialog zwischen Jesus und Nathanael in Joh 1,47-51 kommt, wird geschildert, wie die beiden Dialogpartner zueinander finden und sich begegnen. Von einer direkten und Unmittelbaren Begegnung kann hier nicht die Rede sein, vielmehr muss NathanaeI erst von Philippus auf Jesus aufmerksam gemacht und zu ihm geführt werden. Der Dialog zwischen Jesus und Nathanael inJoh 1,47-51 kann demnach nicht von seinem Kontext herausgelöst werden, sondern ist fest in der Erzählung verortet und ergibt sich aus der vorher berichteten Handlung. Wie Andreas seinen Bruder Simon inJoh 1,4lf. findet und ihmJesus als Messias bezeugt, so findet Philippus in Joh 1,45 NathanaeI und spricht ihm gegenüber ebenfalls ein Zeugnis für Jesus aus. Anders als bei Simon kommt es bei NathanaeI jedoch nicht sofort zur Begegnung mit Jesus. Während in Joh 1,42 nichts von einer Reaktion des Simon berichtet wird, aber vom Kontext davon auszugehen ist, dass Simon das Zeugnis seines Bruders Andreas positiv aufgenommen hat, wird in Joh 1,46 dezidiert geschildert, wie Nathanael auf das Zeugnis des Philippus reagiert. Anstatt es wie Simon einfach anzunehmen und sich ohne Widerrede zuJesus führen zu lassen, macht sich bei Nathanael Skepsis breit.97 Er steht dem Glaubenszeugnis des Philippus reserviert gegenüber, insofern er eine Rückfrage stellt und darin seine Zweifel an der BedeutungJesu zum Ausdruck bringt. Trotz oder gerade wegen seiner skeptischen Haltung98 nimmt Nathanael die Einladung des Philippus epx;ou KaI. 'LÖE99 an und lässt sich von ihm zu Jesus bringen. Dieser sieht ihn laut Joh 1,47 auf sich zuVgl. R. SCHNACKENBURG,Joh I 314. Das Zeugnis des Philippus reicht Nathanael als solches nicht aus, er will Jesus direkt begegnen und sich von ihm selbst überzeugen lassen, wer er ist. 99 Joh 1,46. 97 98
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kommen und spricht ihn sogleich an. Nach der Vermittlung durch Philippus erfolgt also nunmehr die unmittelbare Begegnung zwischen Jesus und NathanaeI. Damit bekommt Nathanael die Gelegenheit, seine Skepsis zu überwinden, indem er Jesus sieht und sich im Dialog mit ihm selbst überzeugen kann, wer er ist und was es mit seiner Person auf sich hat. 5.2. Der Aufbau des Dialogs Die Texteinheit Joh 1,35-51 ist durch einen sehr hohen Anteil an wörtlicher Rede geprägt. In Joh 1,38f. findet sich ein kurzer Dialog zwischen Jesus und den ersten beidenjüngern, die er beruft.Joh 1,41 gibt das Zeugnis des Andreas gegenüber seinem Bruder Simon in wörtlicher Rede wieder. Jesus spricht in Joh 1,42 Simon persönlich an und verheißt ihm einen neuen Namen; in Joh 1,43 ruft er Philippus direkt in seine Nachfolge. Ein kurzer Dialog zwischen Philippus und Nathanael wird in Joh 1,45f. geschildert. Den größten Anteil an wörtlicher Rede innerhalb der johanneischen Berufungsgeschichten macht der Dialog zwischen Jesus und NathanaeI in Joh 1,47-51 aus, wird doch die Begegnung zwischen den beiden auch am ausführlichsten erzählt. In formaler Hinsicht lässt sich der Dialog zwischen Jesus und NathanaeI in zwei Redegänge und einem abschließenden Wort Jesu gliedern. Der erste Redegang besteht aus einem Ausruf Jesu in Joh 1,47c und einer Rückfrage Nathanaels inJoh 1,48b. Die AntwortJesu in Joh 1,48d und das Bekenntnis Nathanaels in Joh 1,49b bilden den zweiten Redegang. Das abschließende Wort Jesu ist zweigeteilt: Zunächst wendet sich Jesus in Joh 1,50 mit einer Verheißung an Nathanael, die sodann inJoh 1,51 auf die Leser bzw. Hörer desJohannesevangeliums ausgeweitet wird. Den einzelnen Beiträgen des Dialogs steht jeweils eine Redeeinleitung voran, die stets stereotyp formuliert ist und je für sich genommen keine Besonderheit aufweist. Im Vergleich der verschiedenen Redeeinleitungen lässt sich jedoch eine interessante Beobachtung machen. Die beiden Redebeiträge des Nathanael werden jeweils einfach eingeleitet, inJoh 1,48a mit AEYH ocim~ Noc9ocvOC~A und inJoh 1,49a mit a,1TEKPL9T) OCll'!4} Noc9ocvOC~A. Demgegenüber liegt bei Jesus, abgesehen von Joh 1,47b100, stets eine doppelte Redeeinleitung vor, die in Joh 100 Hier
liegt insofern eine besondere Situation vor, erfolgt doch in joh 1,47 der Übergang von der Erzählhandlung zum Dialoggeschehen; allein schon aus syntaktischen Gründen kann an dieser Stelle gar keine doppelte Redeeinleitung stehen.
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Die Dialoge jesu mit Einzelpersonen im johannesevangelium
1,48c und Joh 1,50a, identisch mit «'irEKp(9Tl 'ITlOOü<; KaI. ELlTEV au't'<\)IOI formuliert ist und in Joh 1,51 KaI. AEYEL au't'<\), 'Afl~V &fl~V AEYW UflLV lautet. Bei dieser letztgenannten Redeeinleitung liegt auf den ersten Blick eine doppelte Spannung vor. Zum einen ist es noch immer Jesus, der spricht. Ist also die neue Redeeinleitung unnötig?I02 Zum anderen li~gt eine Spannung zwischen den beiden Einzelhälften vor, die sich durch den Wechsel der Personalpronomen ergibt: Zunächst ist von au't'w und unmittelbar danach von UflLV die Rede. 103 Doch liegt hier wirklich eine ·Spannung vor? Im ersten Teil der Redeeinleitung witd NathanaeI angesprochen; damit kommt zum Ausdruck, dass dieses Wort noch zum Dialog gehört. Allerdings ist es eben, wie aus dem zweiten Teil der Redeeinleitung hervorgeht, nicht nur an NathanaeI gerichtet, sondern über ihn hinaus an einen weiteren Personenkreis. Die "Spannung" innerhalb der Redeeinleitung in Joh 1,51 lässt sich also mit diesem doppelten Adressatenkreis erklären und die "Spannung" zum Kontext wird dadurch gelöst, dass durch die neuerliche Redeeinleitung inJoh 1,51 das anschließende WortJesu besonders hervorgehoben und in seiner Bedeutung unterstrichen werden soll. Genau darin liegt m. E. auch der Sinn und Zweck einer doppelten gegenüber einer einfachen Redeeinleitung; das, was folgt, soll bereits durch die Einleitung als wichtig und bedeutsam ausgewiesen werden. Wenn nun im Dialog Joh 1,47-51 ausschließlich die Beiträge Jesu mit einer doppelten Redeeinleitung versehen werden, so lässt sich demzufolge schließen, dass auf ihnen das besondere Gewicht und der entscheidende Nachdruck liegen; auf die Worte Jesu kommt es im Dialog mit Na·thanael hauptsächlich an. Diese Beobachtung deckt sich mit der Tatsache, dass Jesus gegenüber Nathanael im Gesamt des Dialogs die wesentlich höheren Sprechanteile zu verzeichnen hat, Während auf Nathanael gerade einmal die kurze Frage inJoh 1,48b und das Bekenntnis inJoh 1,49b entfallen, ist Jesus mit vier Beiträgen am Dialoggeschehen beteiligt. Rein quantitativ hat Jesus demnach die Oberhand im Dialog, was sich auch auf der qualitativen Ebene bestätigt. Es istJesus, der den Dialog mit Nathanael eröffnet; es istJesus, der den Dialog mit Nathanael steuert und die von ihm bestimmte Richtung gibt; und es ist Jesus, der den Dialog mit Nathanael schließlich beendet und an sein Ziel führt. Aus diesen Beobachtungen lässt sich unschwer erkennen, dassJesus inJoh 1,47-51 Diese Redeeinleitung lässt sich als typisch johanneisch ausweisen, begegnet sie doch ausschließlich im vierten Evangelium, 102 Vgl. L. SCHENKE, Entstehungsgeschichte 34. 103 Vgl.joh 1,51ab. 101
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die entscheidende Person in der dialogischen Begegnung mit NathanaeI ist; von daher lässt sich Joh 1,47-51 vollkommen zu Recht als christologischer Dialog bestimmen. 5.3. Der Verlauf des Dialogs 5.3.1. Eröffnung des Dialogs: Der werbende RufJesu (V. 47c) und die erstaunte Frage Nathanaels (V. 48b) Noch bevor NathanaeI bei Jesus angekommen istl 04 , ergreift dieser die Initiative und eröffnet den Dialog mit ihm mit folgendem AusrufinJoh 1,47c: "IöE a.A.Tj8wC; lopaTjH-rTjC; EV ~ öOA.OC; OUK eonv. Aus der vorhergehenden Redeeinleitung in Joh 1,47b KaL A.EYEL 1TEPL au-roü geht deutlich hervor, dass Jesus nicht zu, sondern über NathanaeI spricht. Aber Nathanael hört natürlich dieses WortJesu, wie seine Reaktion in Joh 1,48b beweist.l05 Wie kann Jesus, der Nathanael noch nie zuvor in seinem Leben gesehen, geschweige denn kennen gelernt hat, ein solches Urteil über ihn aussprechen? Hier in Joh 1,47c kommt ein Motiv zum Einsatz, das bereits in Joh 1,42 Verwendung gefunden hat und dann auch in Joh 1,48d erneut eingesetzt wird. 106 Jesus verfügt über wunderbares Wissen, das bei ihm im Gegensatz zu den hellenistischen 8E'iOL äVÖPEC; nicht auf irgendwelche magischen Wunderkräfte, sondern auf die enge Verbindung zu. seinem Vater zurückzuführen ist.l 07 Als Folge davon, dass Jesus in unmittelbarer Beziehung zu seinem Vater stehtl08 , kennt und erkennt er die Menschen, die ihm begegnen. Aufgrund dieser Herzenskenntnis weiß Jesus, dass NathanaeI wahrhaft ein Israelit ist, in dem keine Falschheit ist. Die ehrenhafte Titulierung lopaTjH-rTjC; begegnet nur hier im Johannesevangelium lO9 und weist NathanaeI' als Spross des jüdischen Volkes aus, das vom Patriarchen Jakob/Israel abstammt. Durch den Zusatz EV ~ öOA.OC; OUK eonv erfolgt eine nähere Beschreibung dessen,
104 Lautjoh
1,47a siehtjesus den Nathanael auf sich zukommen, d. h. er ist noch nicht direkt bei ihm. 105Vgl. H. THYEN,joh 141. 106 S. u. bei der Auslegung der Stelle. 107 Vgl. R. SCHNACKENBURG,joh I 314. 108 Vgl. z. B. joh 10,30 oder 13,3 als die beiden Spitzenaussagen zu dem Beziehungsverhältnis zwischen Vater und Sohn imjohannesevangelium. 109 Stärker an der heilsgeschichtiichen Stellung der Israeliten interessiert sind das Matthäusevangelium, das lukanische Doppelwerk und der Brief des Paulus an die Römer.
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Die Dialoge jesu mit Einzelpersonen imjohannesevangelium
was einen echten Israeliten ausmacht. Von Joh 1,51 her llO lässt sich dieses Wort Jesu vom Israeliten ohne Trug mit Jakob in Verbindung bringen, der sich laut Gen 27,35f. mit List den Erstgeburtssegen erschleicht und den Ehrennamen "Israel" verliehen bekommt. 111 Wird hier in Joh 1,47 Nathanael als Kontrastfigur zu Jakob stilisiert? So ged~cht würde das Adverb Q:A.T)8wC; in Bezug auf Nathanael einen Gegensatz zum Betrüger Jakob zum Ausdruck bringen. Allerdings lässt der Text selbst an dieser Stelle keinen eindeutigen Bezug zur Jakobstradition erkennen. Vielmehr ergibt sich durch die Formulierung "in dem kein Trug ist" eine direkte Verbindung zu einer anderen alttestamentlichen Stelle, von deren Kontext her eine inhaltlich logische Brücke zurück zu Joh 1,47 gebaut werden kann. Bei dem Zusatz in Joh 1,47c EV ~ öOA.OC; OUK eonv klingt nahezu wörtlich Ps 32,2 an. ll2 In diesem Psalm wird die Freude dessen besungen, der seine Sünde und Schuld offen vor dem Herrn bekennt und von ihm die Vergebung erfährt, so dass er als Mensch mit redlichem Herzen vor dem Herrn stehen kann. Vor diesem Hintergrund erscheint der Mensch, in dem kein Trug ist, als der vor Gott Gerechte. Wenn Jesus NathanaeI als Israelit, in dem keine Falschheit ist, bezeichnet, so spricht er darin ein durch und durch positives Urteil aus und lobt ihn als einen "würdigen Vertreter des Gottesvolkes"113. Die Absicht, die Jesus mit dieser löblichen Auszeichnung verfolgt, liegt inhaltlich vom Kontext der johanneischen Berufungserzählungen her auf der Hand. Jesus will Nathanael als Jünger gewinnen und in seine Nachfolge rufen. Genau deswegen macht er diese werbende Feststellung in Joh 1,47c. Und wie der weitere Fortgang des Dialogs beweist, hat er damit auch Erfolg: Seine "pastorale"114 Mission kommt in der gelungenen Berufung des Nathanael zu ihrer Erfüllung. Auf der literarischen Ebene hat die positive Vorwegbeurteilung Nathanaels 1l5 die Funktion, den Dialog mit ihm zunächst in Gang zu
110 An dieser Stelle wird ganz klar auf Gen 28,12 und damit auf diejakobstradition Bezug genommen, s. u. bei der Auslegung des Verses. 111 Vgl. H. THYEN,Joh 143. 112 Sowohl in der LXX als auch bei johannes begegnet das entscheidende Stichwort ö6A.o~, allerdings lässt sich auch ein kleiner Unterschied feststellen: Die Formulierung .in seinem Geist" des hebräischen Textes ersetzt johannes durch das Relativpronomen .in ihm", während in der LXX frei .in seinem Mund" steht. ll3 So die treffende Beschreibung bei R. SCHNACKENBURG,Joh I 315. 114Vgl.joh 10,3. 115 Nathanael bekommt dieses .Image vom Israeliten ohne Trug" von außen aufgedruckt. Der Text selbst enthält keinerlei Informationen, dass er sich in irgendeiner Form
Der Dialogjesu mit Nathanael injoh 1,47-51
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setzen und dann weiter voranzutreiben;1l6 konkret auf Joh 1,47c bezogen bedeutet dies: Das Motiv des wunderbaren Wissens wird hier als Motor für den Dialog Jesu mit Nathanael eingesetzt. Dieser Antrieb funktioniert. Auf das Lob Jesu hin ist Nathanael erstaunt. Kurz zuvor hat er sich noch skeptisch gegenüber Jesus aufgrund dessen Herkunft aus Nazareth geäußertll7, nunmehr ist diese Skepsis gedämpft und in Verwunderung überführt. NathanaeI reagiert überrascht mit der Frage in Joh 1,48b: I16SEv IlE Y~VulOKEL~;. Er kann sich beim besten Willen nicht erklären, woher Jesus, der ihm vorher noch nicht begegnet ist und ihn deswegen gar nicht kennen kann, trotzdem kennt. Aus menschlicher Sicht ist die Frage Nathanaels also durchaus berechtigt. Woher kennt ihnJesus? 5.3.2. Vertiefung des Dialogs: Das wunderbare WissenJesu (V. 48d) Auf die überraschte Frage Nathanaels inJoh 1,48b antwortetJesus in Joh 1,48d mit den Worten: I1po 'Cofi OE ~(}.. ~lTlTOV
wvfio(X.~ ÖV1;(X. 1mo 'C~V OUKfiv döOv OE. Nach Joh 1,42 und Joh 1,47 ist es hier in Joh 1,48 erneut das wunderbare Wissen Jesu, mit dem er sein Gegenüber beeindruckt und in Erstaunen versetzt. 118 Jesus lässt NathanaeI wissen, dass er ihn schon vor Philippus unter dem Feigenbaum gesehen hat. Doch was meintJesus mit dieser Aussage? AufweIche Situation spricht er NathanaeI an? Dass es sich hierbei laut Dietzfelbinger um eine "zufällige Ortsangabe" 119 handelt, lässt sich vom Kontext nicht aufrechterhalten. Zum einen kommt der Dialog mit diesem Hinweis Jesu aufgrund seines wunderbaren Wissens in seine entscheidende Phase, was sich spätestens an der Reaktion NathanaeIs inJoh 1,49 zeigt; zum anderen wird inJoh 1,50b noch einmal explizit auf den Feigenbaum Bezug genommen. Als logische Konsequenz dieser beiden Beobachtungen greift es m. E. zu kurz, das Sitzen NathanaeIs unter dem Feigenbaum rein vordergründig als bloße Ortsangabe zu verstehen oder wie Becker einzig als "Mittel zur Überzeugung NathanaeIs"120. Vielmehr legt sich, wie so oft im Johannesevangelium, eine tiefere Bedeutung dieser Aussage Jesu nahe, ausgezeichnet oder helVorgetan hat; nur jesus kennt aufgrund seines wunderbaren Wissens Nathanaels Charakter und dessen innere Persönlichkeit. 116Vgl. K. WENGST,joh I 102. 117Vgl.joh 1,46a. 118 Vgl. weitere Stellen imjohannesevangelium, an denen dieses Motiv des wunderbaren Wissensjesu eingesetzt wird, z. B.joh 2,25; 4,17f.; 6,15; 13,1; 21,17. 119 Er hält diese Möglichkeit für nicht ausgeschlossen, vgl. C.'DIETZFELBINGER,joh I 60. 120 So J. BECKER,joh I 104.
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Die Dialoge jesu mit Einzelpersonen imjohannesevangelium
versucht doch Jesus an dieser Stelle nicht durch irgendwelche Äußerlichkeiten, sondern durch sein wunderbares Wissen NathanaiH als Jünger für sich zu gewinnen. Dadurch, dass der Text allerdings keine näheren Angaben zu den Begleitumständen dieses Sitzens unter dem Feige~baum macht, lässt sich diese Aussage Jesu verschiedendich interpretieren. . Bei Dietzfelbinger findet sich der Vorschlag, das Sitzen unter dem Feigenbaum ats Zeichen der messianischen Zeit zu verstehen mit dem Hinweis auf Mi 4,4 und 1 Makk 14,12. 121 Jeremias stellt eine Verbindung vom Feigenbaum zum Baum der Erkenntnis im Paradies her, der im Frühjudentum als Feigenbaum angesehen wurde, und verweist darauf, dass Nathanael durch die Anspielung auf Ps 32,2 in Joh 1,47c als einer ge~eichnet wird, der seine Sünden erkennt und sie vor Gott . bekennt.I 22 Die gängigste Erklärung123 besteht darin, das Sitzen unter dem Feigenbaum nach einer rabbinischen Redensart124 als vorzügliche Haltung für das Schriftstudium zu betrachten. Demnach hätte sich Nathanael in den Schatten des Baumes zurückgezogen und sich mit der Thora befasst. Von seinem Bekenntnis in Joh 1,49b ließe sich dann auch inhaltlich der Rückschluss ziehen, dass Nathanael die messianischen Erwartungen der Schrift studiert hat und von dem unter dem Feigenbaum gesehen und gefunden wird, den er als den Messias in der Schrift gesucht hat. Aufgrund der fehlenden Klarheit des Textes ist es letztlich unmöglich, die ursprüngliche Aussageabsicht dieser Notiz zu eruieren. 125 Was Jesus mit dieser Andeutung letzdich gemeint hat und welche tiefere Symbolik darin zum Ausdruck kommt, lässt sich nicht mehr ermitteln. Während Nathanael das WortJesu versteht und darauf reagiertl26 , ist es dem Leser aufgegeben, die rätselhafte Aussage Jesu zu entschlüsseln. Gelingt es ihm, das Rätsel zu lösen, so steht er auf einer Wissensstufe mit Nathanael und kann sich voll und ganz mit ihm identifizieren. Bleibt ihm die Auflösung versagt, dann hat er zwar gegenüber Nathanael ein Wissensdefizit im Detail, kommt aber dennoch zu der 121 Vgl. C. DIETZFELBINGER,joh I 60. 122 Vgl.j.jEREMIAS, Berufung 2-5. 123 Exemplarisch sei hier aufR. SCHNACKENBURG,joh I 315 verwiesen. 124 R. Abba b. Kahana spricht von den Gelehrten als solchen, "die
unter dem Olivenbaum u. Weinstock u. Feigenbaum sitzen u. sich mit der Thora beschäftigen", so Midr HL 4,4 zitiert nach H. L. STRACK/P. BILLERBECK, Kommentar 11 371. 125 Diese Meinung vertritt auch Nicklas, der die Aussage jesu in joh 1,48d für eine zu . vage, zu offene Andeutung hält, um über i1).ren Sinngehalt befriedigend entscheiden zu können, vgl. T. NICKlAS, Feigenbaum 202. 126 Vgl. das anschließende Bekentnis Nathanaels injoh 1,49.
Der DialogJesu mit Nathanael inJoh 1,47-51
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grundlegenden Einsicht, dass jesus mit dieser Aussage über die äußere Situation Nathanaels hinaus auch seine innere Situation anspricht 127 und ihn mit seinem wunderbaren Wissen durchschaut. Wie der weitere Fortgang des Dialogs beweist, entfaltet das Wort jesu bei Nathanael und mit ihm beim Leser seine Wirkung; der Dialog tritt nunmehr in seine entscheidende Phase und erreicht mit dem anschließenden Bekenntnis Nathanaels injoh 1,49, in das auch der Leser einstimmen soll, seinen Höhepunkt. 5.3.3. Höhepunkt des Dialogs: Das doppelte Bekenntnis Nathanaels (V. 49) Nathanael ist von der Aussagejesu injoh 1,48d dermaßen beeindruckt und überwältigt l28 , dass er sie sogleich in joh 1,49b mit einem doppelten Bekenntnis zujesus beantwortetl29 : 'P~ßßL, ou er 6 utoc; tOU 9EOU, ou ß~OLA.EUC; EL tOU 'Iop~~i.. Diese eindrucksvolle Glaubensäußerung markiert den Höhepunkt im Dialog zwischenjesus und Nathanael. Wie die beidenjohannesjünger injoh 1,38, so redet auch Nathanael jesus mit 'P~ßßL an; diese Anrede gehört noch nicht zum Bekenntnis selbst, sondern leitet dieses ein und bringt das Lehrer-Schüler-Verhältnis zwischenjesus und Nathanael zum Ausdruck. Nathanael als der Schüler spricht im Folgenden ein Bekenntnis zu jesus als seinem Lehrer aus. Dass es sich hierbei um ein Bekenntnis handelt, geht bereits aus der sprachlichen Formulierung von joh 1,49b hervor. Die Verbindung von OU EL mit einem christologischen Hoheitstitellässt sich als Bekenntnisstil ausweisen 130, wie er sich noch an anderen Stellen im j 0hannesevangelium 131 und darüber hinaus auch bei den Synoptikern 132 findet. Analog zu diesen Stellen spricht Nathanael in joh 1,49b ein doppeltes Bekenntnis zu jesus aus: Zunächst bekennt er ihn als Sohn Gottes und sodann als König von Israel. Durch das zweifache ou EI vor dem jeweiligen christologischen Hoheitstitel bekommt dieses Bekenntnis eine persönliche Prägung und erscheint als individuelles Glaubenszeugnis des NathanaeL 133
127 Vgl. R. SCHNACKENBURG,Joh I 316. 128 So jeweils die Beurteilung bei R. SCHNACKENBURG,Joh I 316 und H. 'I'HYEN,Joh 141. 129 Dass es sich hierbei wirklich um eine Antwort handelt, geht aus dem c1:1TEKpt811 der Redeeinleitung inJoh l,49a expressis verbis hervor. 130Vgl. R. SCHNACKENBURG,Joh I 316. 131 Vgl.Joh 4,19; 6,69; 11,27. 132 Vgl. Mk 3,11; 8,29; Mt 16,16 u. a. 133Vgl. R. SCHNACKENBURG,Joh I 316.
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Die Dialoge]esu mit Einzelpersonen im]ohannesevangelium
Johannes der Täufer formuliert das erste christologische Bekenntnis im J ohannesevangelium l84 und bezeugt Jesus in Joh 1,34 als den Sohn Gottes. Noch im selben Kapitel greift der Johannesevangelist diesen Hoheitstitel erneut auf und legt ihn in Joh 1,49 Nathanael als ersten Bestandteil seines doppelten Glaubensbekenntnisses in den Mund. Das zweifache Vorkommen des Sohnes-Gottes-Titels innerhalb weniger Verse am Anfang des Johannesevangeliums lässt aufhorchen und den weiteren Gebrauch dieser Würdebezeichnung mit besonderem Interesse verfolgen. Es ist sicherlich kein Zufall, dass genau in der Buchmitte, beim Bekenntnis der Martha inJoh 11,27, sowie ganz am Ende im Epilog inJoh 20,31 genau dieser Titel wieder verwendet wird. So ist an den neuralgischen Punkten des Johannesevangeliums, am Anfang, in der Mitte und am Ende, stets von Jesus als dem Sohn Gottes die Rede.l 35 Diese Beobachtung erlaubt den Rückschluss, dass der SohnGottes-Titel für den vierten Evangelisten die wichtigste christologische Hoheitsbezeichnung darstellt. Mit ihr bringt Johannes die besondere Nähe und enge Verbundenheit Jesu zu Gott zum Ausdruck. Als der Sohn hat Jesus ein einzigartiges Verhältnis zu seinem Vater, das letztlich so weit geht, dass beide eins sind136. Vor diesem Hintergrund mag der Gebrauch des Sohnes-Gottes-Titels im Kontext der Berufung des Nathanael in die Nachfolge Jesu zunächst überraschen, verwundert es doch, dass der gerade erst berufene Nathanael sogleich ein so hohes Bekenntnis zu Jesus ausspricht. Schaut man sich jedoch die genaueren Umstände an, durch die Nathanael zu diesem Bekenntnis gelangt, so wird der Gebrauch dieses christologischen Hoheitstitels durchaus verständlich und nachvollziehbar. Der ausschlaggebende Punkt für die Glaubenserkenntnis Nathanaels und seinem anschließenden Glaubensbekenntnis liegt im wunderbaren WissenJesu begründet, das inJoh 1,48d zum Ausdruck kommt. Diese Herzenskenntnis hatJesus nicht von sich aus, sondern sie stammt von Gott. Im Alten Testament ist an verschiedenen Stellen137 davon die Rede, dass Gott die Herzen der Menschen kennt und sie durchforscht.l 38 Im 134 Damit wird auch seine besondere Funktion als Zeuge für ]esus entsprechend loh 1,7 1;!estätigt. 135 Uber diese markanten Buchstellen hinaus ist natürlich die christologische Ehrenbezeichnung "Sohn Gottes" für ]esus über das ganze ]ohannesevangelium hinweg verteilt und stellt zusammen mit der absoluten Redeweise vom "Sohn" den gängigsten und damit typisch johanneischen Hoheitstitel im vierten Evangelium dar. 136Vgl.]oh 10,30. 137 In den Geschichtsbüchern ebenso wie in der Weisheitsliteratur sowie bei den Propheten. . 138 Vgl. 1 Sam 16,7; 1 Kön 8,39; 1 ehr 28,9; Ps 7,10; Sir 42,18ff.;]er 11,20; 17,10 u. a.
Der DialogJesu mit Nathanael inJoh 1,47-51
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Neuen Testament wird diese Herzenskenntnis Gottes gleichsam auf Jesus ausgeweitet und übertragen. Durch seine besondere Beziehung zu Gott hatJesus teil am wunderbaren Wissen Gottes und verfügt damit selbst über ein solches Wissen.l 39 Mit einer derartigen Herzenskenntnis, die letztlich von Gott herrührt, führt Jesus Nathanael zum Glauben an seine Person, und so ist es nunmehr nicht weiter verwunderlich, dass Nathanael Jesus aufgrund dieser Beziehung zu seinem Vater als Sohn Gottes bekennt. Im zweiten Teil seines Glaubensbekenntnisses wird Jesus von Nathanael in Joh 1,49c als ßa,aLÄdlC; tou 'Iapa,~Ä bezeugt. Wieso legt Johannes dem NathanaeI an dieser Stelle gerade den Königstitel als zweite christologische Hoheitsbezeichnung für Jesus in den Mund? Im gesamten ersten Buchteil ist nur hier vonJesus als dem König die Rede; diese Titulatur wird erst wieder zu Beginn des zweiten Buchteils beim Einzug Jesu in Jerusalem aufgegriffen und dann verstärkt im Kontext der Passion eingesetzt.l 40 Einen Hinweis darauf, welche Bedeutung dieser Königstitel für Jesus besitzt, liefert das jeweils zugehörige Genitivattribut. Im Prozess Jesu vor Pilatus ist vom "König der Juden" die Rede.I 41 Als Anklagepunkt gegen Jesus bis hin zur Kreuzesinschrift ist diese Bezeichnung durchweg negativ gebraucht und lässt Jesus als irdisch-politischen König verzerrt erscheinen. Er selbst betont im Prozess vor Pilatus, dass sein Königtum gerade nicht von dieser Welt stammt. 142 Als positiven Kontrast dazu verwendet der Johannesevangelist den Titel "König von Israel", den er nebenJoh 1,49 nochmals beim Einzug Jesu in Jerusalem l43 einsetzt. Die nähere Bestimmung dieses Königs als des Königs von Israel macht auf die messianische Komponente dieser Bezeichnung aufmerksam. Jesus wird von Johannes als detjenige gezeichnet, in dem sich die jüdischen Messiaserwartungen erfüllen. Diese Beobachtung geht aus dem unmittelbaren Kontext von Joh 1,49 hervor. In Joh 1,41 sagt Andreas zu seinem Bruder Simon: Eup~Ka,lleV tOV MeaaLa,v und analog dazu heißt es inJoh 1,45 "Ov eypa,ljJev MwüafJc; EV t4) vOiJ.4l Ka,t ol 1TPOcjlfJta,L eup~Ka,lleV, 1TJaouv ulov tou 1wa1]cjl toV a1To Na,(a,ph. Nathanael als Israelit erkennt somit in Jesus den König von 139Ygl. u. WILCKENs,Joh 51. 140 Zum Königstitel für Jesus im Johannesevangelium vgl. J. KÜGLER, König 47-53. Kügler macht hier darauf aufmerksam, dass das Bekenntnis des NathanaeI zur Königswürde Jesu inJoh 1,49 beim EinzugJesu inJerusaiem inJoh 12,13-15 wieder aufgenommen wird, bevor das Thema des KönigtumsJesu im Kontext der Passion beim Verhör Jesu vor Pilatus inJoh 18,33-40 seine intensivste Bearbeitung erf"ahrt. 141 Ygl.Joh 18,33; 19,3.19.21; absoluter Gebrauch inJoh 18,37 undJoh 19,14. 142Ygl.Joh 18,36. 143 Ygl.Joh 12,13 und absolut inJoh 12,15.
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Die Dialoge jesu mit Einzelpersonen imjohannesevangelium
Israel und spielt als einer, der in der Schrift bewandert ist, auf Zef 3,15 und auch auf Jes 44,6 an.!44 An diesen beiden Stellen fungiert "König von Israel" nicht wie im. restlichen Alten Testament als Bezeichnung eines politischen Königs und damit eines Menschen, sondern als Titel für Jahwe. Wenn nun Jesus diese alttestamentliche Gottesbezeichnung zugesprochen bekommt, so ruhen auf ihn die Hoffnungen, dass er das Königtum Gottes wiederherstellen und als messianischer Befreier in Israel auftreten wird. Diese Erwartung kann durchaus so verstanden werden, dass Jesus als irdisch-politischer König angesehen wird und damit in seiner wahren Bedeutung gründlich verkannt wird. Um ein solches Missverständnis bei seinen Lesern von vornherein auszuschalten, ist es gut vorstellbar, dass der EvangelistJohannes in Joh 1,49 bewusst auf die Reihenfolge der beiden christologischen Hoheitstitel geachtet hat. Zunächst lässt er NathanaeI Jesus als Sohn Gottes und erst dann als König von Israel bekennen. Aus dieser Abfolge geht deutlich hervor, dass Jesus eben kein weltlicher Messiaskönig ist. Durch den vorangestellten eindeutig christologischen Titel "Sohn Gottes" stellt Johannes umgekehrt klar, dass es sich bei diesem "König von Israel" um einen überweltlichen, rein religiösen Herrscher handelt. Als der Sohn Gottes ist Jesus der König von Israel, und als diesen bekennt ihn NathanaeI in Johl,49. Aufgrund dieses Glaubenszeugnisses erweist sich NathanaeI wahrhaft als ein Israelit, in dem kein Trug ist.!45 Durch das wunderbare Wissen Jesu "motorisiert", erkennt NathanaeI die wahre Bedeutung Jesu und bekennt ihn sogleich als Sohn Gottes und König von Israel; über dieses christologische Erkennen und Bekennen hinaus steht dem Nathanael jedoch noch viel Größeres bevor, wie er selbst in Joh 1,50 von Jesus verheißen bekommt. Damit stellt das doppelte Bekenntnis Nathanaels in Joh 1,49 zwar den Höhepunkt innerhalb des Dialogs zwischen ihm und Jesus dar, aber noch nicht den End- und Zielpunkt seines Glaubensweges. Dieser beginnt vielmehr erst mit dem soeben ausgesprochenen Bekennti1.is und ist in futurischer Offenheit auf Weiterentwicklung und Vertiefung ausgerichtet. 5.3.4. Abschluss des Dialogs: Das doppelte VerheißungswortJesu (V.50f.) Eigentlich könnte das christologische Doppelbekeimtnis des NathanaeI in Joh 1,49 den krönenden Abschluss der johanneischen Berufungs144Vgl. H. THYEN,joh 142f. 145 Vgl.joh 1,47.
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erzählung darstellen;146 doch dem ist nicht SO.147 Auf das eindrucksvolle Glaubenszeugnis des Nathanael reagiertJesus und beantwortetl48 es mit einem doppelten Verheißungswort, das in Joh 1,50 zunächst an Nathanael und sodann in Joh 1,51 Über Nathanael hinaus an die Leser und Hörer desJohannesevangeliums gerichtet ist. Vor der eigentlichen Verheißung machtJesus inJoh 1,50b folgende Äußerung gegenÜber Nathanael: "On Et1T6v OOL Bn etö6v OE U1TOKtXt-W 'tftc; OUKftC;, mo'tEUELC;;. Seit Chrysostomos wird dieses Wort Jesu mehrheitlich als Frage aufgefasst, und so findet sich bis hin zu Nestle-Aland ein Fragezeichen hinter diesem Vers. Wengst macht immerhin in einer Fußnote darauf aufmerksam, dass dieses WortJesu nicht unbedingt als Frage gelesen werden muss, sondern auch als Feststellung verstanden werden kann.l 49 Unabhängig davon, für welche Variante man sich entscheidet, kommt darin weder ein Zweifel oder ein Vorwurf1 50 noch ein Tadel l51 oder gar eine KritikJesu am vordergründigen Glauben des Nathanael l52 , der bereits aufgrund einer "kleinen Kostprobe wunderbaren Wissens"153 hervorgerufen wird, zum Ausdruck. Vielmehr stellt Jesus mit dem 1TLO'tEUELC; in Joh 1,50b explizit den Glauben Nathanaels fest und nimmt damit sein Bekenntnis an. Zuvor stellt er ihm vor Augen, wie er ihn selbst durch sein wunderbares Wissen zur Glaubenserkenntnis geführt hat. Unter Rückgriff aufJoh 1,48d spieltJohannes in Joh 1,50b nochmals auf die Szene unter dem Feigenbaum an und markiert dieses WortJesu als entscheidende Etappe auf dem Glaubensweg des NathanaeI: Es ist der ,,Auslöser seiner Glaubens-Erkenntnis"154. Durch die folgende Verheißung Jesu i.J.EL(W 'tou'twv öl/ro in Joh 1,50c bekommt Nathanael von Jesus vorausgesagt, dass er noch Größeres sehen wird als er bisher gesehen hat. Die Komparativform i.J.ELCW ist notwendigerweise auf die vorhergehende Aussage Jesu in Joh 1,50b zu beziehen. Auf der einen Seite relativiert sie die vorherige Äußerung Jesu und stellt klar, dass der Glaube des NathanaeI noch nicht "fertig", d.h. ausgereift, ist, sondern sich erst in einem anfänglichen Stadium befindet. Auf der anderen Seite baut sie umgekehrt auf der vorherigen 146 Vgl. K. WENGST,Joh 1102. 147 Gegen]. BECKER,Joh 1104, der mit dem Bekenntnis des Nathanael inJoh 1,49 den gesamten Berufungsvorgang ab Joh 1,35 als abgerundet und damit beendet sieht. 148 Vgl. das &.lI~Kpt9r} in der Redeeinleitung zum WortJesu inJoh 1,50. 149 Vgl. K. WENGST,Joh I 102 Fußnote 54. 150Vgl. R. SCHNACKENBURG,Joh I 317. 151 Vgl. R. BULTMANN,Joh 74. 152Vgl. H.1HYEN,Joh 144. 153 So die Fonnulierung bei]. BECKER,Joh 1104, die der Aussage Jesu inJoh 1,50 m. E. nicht gerecht wird. 154 So die treffende Beurteilung von U. WILCKENS,Joh 52.
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Äußerung jesu auf und sieht den Glauben des Nathanael als Fundament dafür an, dass er überhaupt noch viel größere Dinge sehen und damit im Glaub~n weiter wachsen kann. 155 Doch was ist mit dem "Größeren" gemeint? Die Formulierung IJEL'W tou-rwv ist sehr allgemein und vage und wird inhaltlich nicht weiter gefüllt. Schnackenburg stellt die Vermutung an, dass sie möglicherweise "bewußt unbestimmt gehalten"156 ist; ob bewusst oder unbewusst offen gelassen, auf jeden Fall ergibt sich dadurch auf der Textebene eine Leerstelle, die vom Leser bzw. Hörer des Evangeliums auszufüllen ist. Als ganz konkrete Möglichkeit bietet sich hierfür zunächst der Bezug zu dem unmittelbar im Anschluss erzählten Weinwunder auf der Hochzeit zu Kana an,157 In joh 2,1-12 wird davon berichtet, wie der johanneische jesus zum ersten Mal den jüngern, darunter auch Nathanael, seine Herrlichkeit offenbart und die jünger zum Glauben an ihn kommen i58 ; diese Offenbarung ist dadurch, dass hier ein sichtbares Zeichen geschieht159, weitaus größer als das wunderbare Wissen jesu, wie es in joh 1,48 geschildert wird. Über das Weinwunder hinaus lässt sich natürlich auch an die folgenden Zeichen jesu denken bis hin zur Totenerweckung des Lazarus l60 , bei denen jeweils jesu Doxa aufstrahlt und er im Glauben erkannt und bekannt werden will. Demnach würde der Ausdruck IJEt,W tOUtWV auf die gesamte Zeichenoffenbarung jesu im ersten Buchteil desjohannesevangeliums hinweisen und darin seine inhaltliche Füllung bekommen; doch so weit braucht man gar nicht zu gehen. Durch das Stichwort öl/lu in joh 1,50 wird eine direkte Brocke zum folgenden Vers geschlagen, insofern hier das gleiche Verb; nur anstatt in der 2. Person Singular jetzt im Plural, verwendet wird, nämlich öljIEo9E. Die Vision, die in joh 1,50 nur als Faktum ausgesprochen wird, erfährt in joh 1,51 ihre konkretisierende Explikation; das unbestimmte !JEt,W wird nunmehr bestimmt und in einem Bildwort entfaltet. Der zweite Teil der Verheißung jesu in joh 1,51 ist deutlich von seinem ersten Teil injoh 1,50 abgesetzt. Obwohljesus bereits das Wort hat, erfolgt zu Beginn vonjoh 1,51 mit KaI. AEYEL autw eine neuerliche
155Vgl. H. 'IHYEN,joh 144. 156 So R. SCHNACKENBURG,joh I 317. 157 Ebd. 158Vgl.joh 1,11. 159 Die jünger jesu sowie die übrigen Anwesenden auf der Hochzeit werden zu Zeugen dafür, dassjesus Wasser in Wein verwandelt und kommen aufgrund dieser konkreten Wundertat zum Glauben an ihn. 160 Vgl. J. BECKER,joh I 104.
Der DialogJesu mit NathanaiH inJoh 1,47-51
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Redeeinleitung, aus der Nathanael161 als Adressat der Aussage Jesu hervorgeht. Im direkten Anschluss daran erlolgt mit 'AIJ.~v alJ.~v AEYCiJ UIJ.LV eine weitere Einleitung in direkter Rede und damit von Jesus selbst gesprochen, an der sich zwei wichtige Beobachtungen festmachen lassen. Zum einen fällt auf, dass aus dem alrt4> von Joh 1,51a nunmehr in Joh 1,51b ein UIJ.LV wird und es dadurch zu einem Adressatenwechsel kommt; nicht mehr Nathanael allein ist angesprochen, sondern zusammen mit ihm die anderen von Jesus berufenen Jünger und darüber hinaus die Hörer und Leser des Johannesevangeliums. Demnach richtet sich das letzte WortJesu an einen weiteren Personenkreis und ist dadurch in besonderer Weise hervorgehoben. Zum anderen sticht im Vergleich zu allen bisherigen Redeeinleitungen das doppelte "Amen" inJoh 1,51b ins Auge. Was hat es damit auf sich? Bei den Synoptikern findet sich durchgehend das einfache "Amen" zur Einleitung eines Jesuswortes.l 62 Der vierte Evangelist verdoppelt dieses ,,Amen" und schafft damit eine johanneische Besonderheit. An 25 Stellen seines Evangeliums 163 verwendet er es und leitet damit jeweils ein wichtiges Jesuswort mit Offenbarungscharakter ein; hier inJoh 1,51 begegnet es zum ersten Mal im Evangelium. Johannes bringt dadurch bereits in der Redeeinleitung zum Ausdruck, dass es sich im Folgenden um ein bedeutendes Jesuswort handelt, das besondere Aufmerksamkeit und Beachtung verdient. Die typisch johanneische Redeeinleitung mit dem doppelten Amen ist allerdings noch kein sicheres Indiz dafür, dass es sich bei diesem Logion um ein auf den Johannesevangelisten zurückgehendes Jesuswort handelt bzw. handeln muss. Es ist mit Schnackenburg durchaus als ein ehemals selbstständiges Einzellogion denkbar, dessen ursprünglicher Kontext nicht mehr auszumachen ist.l 64 Der vierte Evangelist hätte es demzufolge aus der Tradition übernommen, mit dem doppelten ,,Amen" johanneisch eingekleidet und es prägnant an den Anfang seines Evangeliums positioniert. Dafür spricht die Beobachtung, dass im weiteren Verlauf des Johannesevangeliums an keiner einzigen Stelle mehr davon die Rede ist, dass Engel über den auf der Erde sich befindlichen Menschensohn auf- und 161 Nur er kann mit dem Pronomen a.irrcii gemeint sein. 162 VgI. z. B. Mt 5,18; 10,15; 11,11; 13,17; 16,28; 18,13; 24,34; 25,12; 26,13; Mk 3,28; 8,12; 9,41; 10,15; 11,23; 12,43; 14,9; Lk 4,24; 12,37; 18,17; 21,32; 23,43. 163VgI.Joh 1,51; 3,3.5.11; 5,19.24.25; 6,26.32.47.53; 8,34.51.58; 10,1.7; 12,24; 13,16.20.21. 38; 14,12; 16,20.23; 21,18. 164 VgI. die Argumentation von R. SCHNACKENBURG,joh I 318.
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Die Dialoge ]esu mit Einzelpersonen im ]ohannesevaiJ.gelium
niedersteigen und damit eine ununterbrochene Verbindung zu Gott im Himmel aufgebaut wird. Wenn sich also keine inhaltlichen Parallelen zwischenJoh 1,51 und dem restlichen Johannesevangelium auftun, so bleibt die Möglichkeit,Joh 1,51 als singuläres Bildwort zu betrachten und es als solches zu interpretieren.l65 Bei den einzelnen Bestandteilen dieses Bildwortes lässt sich jedoch ebenso wenig eine Verbindung zum weiteren Evangelium herstellen wie beim Bildwort als Ganzem. Das Bild des geöffneten Himmels, in der synoptischen Tradition als Offenbarungsmotiv verbreitetJ66 , begegnet nur hier in Joh 1,51 und sonst nicht mehr bei Johannes. Von einer Angelophanie ist im vierten Evangelium nur noch inJoh 20,llff. die Rede, wobei auch hier im Vergleich zu den Synoptikern die Rolle der Engel stark eingeschränkt ist. 167 Die Bezeichnung "Menschensohn" findet sich hier in Joh 1,51 zum ersten Mal und dann noch an weiteren Stellen bei Johannes, allerdings in einem anderen Kontext.l 68 Aufgrund dieser Beobachtungen ist es nicht möglich, das Bildwort Joh 1,51 vom Johannesevangelium her zu betrachten und es in seiner Bedeutung aufzulösen. Vielmehr legt es sich nahe, zum Verstehen dieser Aussage biblische Vergleichstexte mit ähnlichen Motiven und Bildern heranzuziehen, um sie sodann in den Kontextjohanneischer Theologie einordnen zu können. Thyen schlägt vor,Joh 1,51 als ein intertextuelles Spiel mit Mt 26,64 zu betrachten. 169 Auf die Frage des Hohenpriesters nach seiner Messianität und Gottessohnschaft antwortetJesus in Mt 26,64: er1Ta~· 1TI..TJV l..eyCil U~LV, /i1T' &pn ö"'eoge 'tov utov 'tou /iv9PW1ToU Koc9rll.LeVOV EK öe~Lc3v 'tf)~ öuva~eCil~ KaL EPx6~vov hL 'tc3v vecjlel..c3v 'tou oupavou. Das cX1T' &pn vor ö"'eoge in manchen Handschriften vonJoh 1,51170 sieht Thyen als Einfluss von Mt 26,64 an und zieht aus dieser postulierten Abhängigkeit inhaltliche Parallelen. Er stellt fest, dass sowohl in Joh 1,51 als auch in Mt 26,64 vorausgehende messianische Bekenntnisse "prä-
I:u
165 Ebd. 166Vgl. die Öffnung des Himmels bei der Taufe]esu in Mk 1,10 parr; vgl. auch Lk 2,13f.; Mk 9,4 parr; Mk 14,62 parr u. a. 167 In Mk 16,6f. parr verkündet der bzw. verkünden die Engel die Osterbotschaft. Bei]ohannes ist dies nicht der Fall; die Engel, möglicherweise ein Relikt aus der synoptischen Tradition, haben nur noch die Funktion von Statisten. 168 In]oh 3,14; 8,28; 12,23 und 13,31 ist jeweils vom Menschensohn im Zusammenhang mit seiner Erhöhung und Verherrlichung die Rede; darin liegt die spezifische Verwendung dieses Titels beim ]ohannesevangelisten. Neben dieser einheitlichen Vorstellung begegnet vereinzelt die Bezeichnung Menschensohn, so z. B. in]oh 5,27 oder ]oh9,35. 169Vgl. H. THYEN,]oh 144-146. 170 Es findet sich v. a. in den Minuskeln und fehlt in den bedeutenden Handschriften; Thyen selbst gibt zu, dass es sich hierbei "fraglos" um eine sekundäre Lesart handelt, ebd.
Der Dialog]esu mit NathanaeI in]oh 1,47-51
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zisiert und vertieft"l7l werden. Außerdem weist er auf den unvermittelten Numeruswechsel in den jeweiligen Redeeinleitungen beider Stellen hin. Wie ist dieser Ansatz zu bewerten? Unabhängig davon, dass Thyen von einer sekundären Lesart ausgeht und von da aus inhaltliche Aussagen macht, lässt sich auch die These von der Präzisierung und Vertiefung vorausgegangener messianischer Bekenntnisse für sich genommen nicht aufrechterhalten. Schließlich· spricht der Hohepriester beim Verhör Jesu in Mt 26,63 alles andere als ein Bekenntnis zu ihm aus, sondern stellt ihm die für sein weiteres Geschick alles entscheidende Frage nach seiner Identität. In diesem Zusammenhang bleibt festzuhalten, dass beide Jesusworte jeweils in einem unterschiedlichen Kontext anzutreffen sind. Das Jesuslogion in Mt 26,64 ist in der Passionsgeschichte verankert und fungiert am Ende des Matthäusevangeliums als Verheißung der Vision des erhöhten und wiederkommenden Menschensohnes, während das Wort Jesu in Joh 1,51 ganz am Anfang des Johannesevangeliums steht und den irdischen Menschensohn in den Blick nimmt. Aufgrund dieser Beobachtungen lässt sich die These von Thyen nicht halten, einen intertextuellen Bezug zwischenJoh 1,51 und Mt 26,64 herzustellen. Vielmehr liegt es näher, Gen 28,12 als biblischen Vergleichstext zu Joh 1,51 heranzuziehen, wird doch an bei den Stellen ein- und dasselbe Bildmaterial verwendet.l72 Laut Gen 28,12 sieht Jakob im Traum eine Leiter von der Erde bis zum Himmel; auf ihr173 steigen Engel Gottes auf und ab. Auf die Verheißung Gottes 174 hin - Gott steht oben am anderen Ende der Leiter und ist mit Jakob auf der Erde durch die Engel verbunden - erkennt Jakob die Gegenwart Gottes an diesem Ort175 und nennt ihn Bet-EI: Haus Gottes176• In Joh 1,51 wird durch das Motiv der auf- und absteigenden Engel ein intertextueller Bezug zur alttestamentlichen Stelle Gen 28,12 hergestellt und die Szenerie von Jakob auf die von Jesus Angesprochenen übertragen. In beiden Fällen überrascht es, dass die Engel Gottes nicht von Gott ihren Ausgang nehmen und, nachdem l7l Ebd. geschieht dies auch bei den meisten Kommentatoren, vgl.J. BECKER,]oh 1104; c. DIETZFELBINGER,]oh I 61; R SCHNACKENBURG,]oh I 318; K WENGST,]oh I 103f.; U. WILCKENs,]oh 53 u. a. 173 Vom hebräischen Text her ist keine Eindeutigkeit gegeben, das maskuline Pronomen ;:1 kann sich sowohl auf die Leiter (im Hebräischen maskulin) als auch auf Jakob beziehen; es ist die LXX, die durch das feminine Pronomen ~1T' autii<; Klarheit herstellt und die Engel auf ihr, der Leiter (im Griechischen feminin), auf- und absteigen lässt. 174Ygl. Gen 28,13-15. 175Ygl. Gen 28,16. 176Ygl. Gen 28,19. 172 So
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sie auf die Erde herabgestiegen sind, wieder zu Gott in den Himmel hinaufsteigen. 177 Sowohl in Gen 28,12 als auch inJoh 1,51 ist davon die Rede, dass die Engel zunächst auf- und dann absteigen, d.h. sie bewegen sich von der Erde zum Himmel. Perspektivisch gesehen wird hier jeweils der Standpunkt auf der Erde eingenommen, von Jakob in Gen 28,12 wie auch von den Sehenden in Joh 1,51 richtet sich der Blick von der Erde aus nach oben zu Gott in den Himmel. I78 Wenn nun in Joh 1,51 davon die Rede ist, dass die Engel über dem Menschensohn auf- und niedersteigen, dann kann sich dieser Menschensohn nicht im Himmel befinden l79 , sondern er muss seinen Ort auf der Erde haben. Demnach handelt es sich hier um die Vorstellung vom irdischen Menschensohn, der durch die über ihm auf- und absteigenden Engel in ständiger und ununterbrochener Verbindung mit Gott im Himmel steht. Jesus erscheint durch das analoge Bild als neutestamentliches Pendant zum alttestamentlichen Bet-EI und wird so zum Haus Gottes auf Erden 180; in seiner Person offenbart sich die Gegenwart Gottes bei den Menschen. Aus dem einfachen BlIdwort von Joh 1,51 lässt sich also durch das intertextuelle Spiel mit Gen 28, 12ff. eine tiefe theologische Aussage herauslesen, die sich zudem noch hervorragend in den Kontext johanneischer Theologie einordnen lässt. Die Vorstellung, dass Jesus kontinuierlich mit Gott verbunden ist und zwischen bei den eine dauerhafte Gemeinschaft besteht, drückt den Grundgedanken johanneischer Christologie aus. Jesus ist in seinem Reden und Handeln grundlegend auf Gott verwiesen; als der Sohn kann er ohne den Vater nichts tun und umgekehrt tut der Sohn in gleicher Weise alles, was der Vater tUt,181 Diese einzigartige Beziehung zwischen Jesus und Gott, die über das gesamte Johannesevangelium hinweg thematisiert und expliziert wird, kommt im Bildwort J oh 1,51 bereits implizit zum Ausdruck. Doch wie lässt sich in diesem Zusammenhang erklären, dass der johanneische Jesus hier von sich als dem Menschensohn spricht? Im Kontext der johanneischen Redeweise vom Menschensohn steht Joh 1,51 merkwürdig isoliert da,182 Dieses Wort vom irdischen Men177 Bei Johannes wäre es nach dem Bild des geöffneten Himmels nur logisch, dass die Engel Gottes zunächst auf die Erde herabsteigen und dann wieder in den Himmel hinauf. 178 Vgl. R SCHNACKENBURG,Joh I 319. 179 Mit dem Bild vonJoh 1,51 lässt sich die Vorstellung vom erhöhten Menschensohn, die z. B. in Mk 14,62 par oder Apg 7,56 zum Ausdruck kommt, nicht vereinbaren. 180 Vgl. Gen 28,19. 181 Vgl.Joh 5,19. 182 Gegen R SCHNACKENBURG,Joh I 320.
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schensohn fügt sich so gar nicht in den einheitlichen Gedankenkreis "Erhöhung und Verherrlichung" ein, der den Großteil der anderen Menschensohnworte im vierten Evangelium ausmacht und bestimmtl83 : Weder spricht ,es von der Erhöhung bzw. Verherrlichung des Menschensohnes, noch wird in irgendeiner Weise Bezug auf dieses Thema genommen. VomJohannesevangelium ausgepend ergibt sich demnach keine Lösung des Rätsels, warum in Joh 1,51 ausgerechnet der Menschensohntitel und keine andere christologische Hoheitsbezeichnung, wie etwa der Sohn-Gottes-Titel, V~rwendung finden. So bleibt nur noch die Möglichkeit, einen Blick auf die synoptischen Menschensohnworte zu werfen, um eventuell von dort einen Bezug zuJoh 1,51 herstellen zu können. Von den verschiedenen Logien bei den Synoptikern eignen sich hierfür noch am ehesten die Worte vom kommenden Menschensohn l84, wie sie etwa in Mk 8,38 parr, Mk 13,26 parr oder Mk 14,62 parr vorliegen; diese beschreiben allesamt das Kommen des Menschensohnes mit seinen Engeln auf den Wolken des Himmels. Vom verwendeten Bildmaterial lässt sich schnell eine Brücke zu Johannes schlagen, denn auch in Joh 1,51 ist vom Himmel und von Engeln im Zusammenhang mit dem Menschensohn die Rede. Allerdings besteht auch ein grundlegender Unterschied zwischen beiden Darstellungen: Während bei den Synoptikern das Kommen des Menschensohnes in die eschatologische Zukunft verlagert und als Parusie Jesu zum Weltgericht gedacht ist, sprichtJoh 1,51 vom Menschensohn in der Gegenwart, der nicht mehr zu kommen braucht, weil er schon auf der Erde ist und von den Menschen gesehen werden kann. Aufgrund dieser unterschiedlichen Vorstellung lässt sich schwerlich eine direkte Parallele zwischen Johannes und den Synoptikern ziehen,l85 Wenn sich nun weder zu den synoptischen noch zu denjohanneischen Menschensohnworten eine klare Verbindungslinie aufzeigen lässt, so ergibt sich als logische Konsequenz, Joh 1,51 als Menschensohnlogion sui generis in der neutestamentlichen Tradition zu betrachten und es als' solches zu interpretieren. 183 Ein Exkurs zum Menschensohn im Johannesevangelium folgt in Kapitel III
im
Rahmen der Analyse des Dialogs zwischenJesus und dem Blindgeborenen inJoh 9,3538. 184 Die synoptischen Logien vom gegenwärtigen bzw. vom leidenden Menschensohn können von vornherein ausgeschlossen werden, weil sie in keinerlei Verbindung zu Joh 1,51 stehen. ' 185 Ein indirekter Einfluss lässt sich wohl dahingehend annehmen, dass die Zukunftsvorstellung der Synoptiker inJoh 1,51 in die Gegenwart geholt und so antizipiert wird; allerdings verschiebt sich damit auch die Funktion des Menschensohnes insofern, als dass er nunmehr seine eschatologische Bedeutung verliert und sein Wirken irdischpräsentisch verstanden wird.
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Die Bedeutung dieses einzigartigen Menschensohnwortes lässt sich nicht zuletzt an seiner exponierten Stellung im Johannesevangelium ablesen. Zum einen kommt mitJoh 1,51 nicht nur die dialogische Begegnung zwischen Jesus und Nathanael, sondern die gesamte Texteinheit ab Joh 1,35 zu ihrem Abschluss. Ganz bewusst stellt Johannes dieses Wort Jesu an das Ende seiner Berufungserz~lungen und formUliert darin retrospektiv das Ziel der Nachfolge: Das "Wahrnehmen der Einheit zwischen Vater und Sohn im Wirken des Menschensohnes"186. Zu dieser Erkenntnis sollen die gerade von Jesus berufenen Jünger gelangen und sie in ihrer Verkündigung bekennen. Zum anderen trägt joh 1,51 in prospektiver Hinsicht programmatischen Cha~ rakter für das folgende johannesevangelium.l87 Das Wort vom Menschensohn, über dem die Engel Gottes auf- und niedersteigen, fungiert als "Überschrift über alles, was jesu jünger in jesus sehen werden"188, und stellt somit nach dem Prolog das narrative Einfallstor zum folgendenjohannesevangelium dar. Das, was hier injoh 1,51 in dem Bildwort verheißen wird, erfüllt sich sodann konkret im vierten Evangelium, angefangen von der Hochzeit zu Kana als der ersten Offenbarung jesu189 bis hin zur Erhöhung und Verherrlichung des Menschensohnes. 5.4. Die johanneische Strategie der Wissensvermittlung 5.4.1. Die Skepsis des Nathanael als Ausgangspunkt Innerhalb der johanneischen Berufungserzählungen mit den verschiedenen Einzelszenen nimmt die Nathanaelperikope injoh 1,45-51 den breitesten Raum ein und wird zudem durch ihre Spitzenstellung am Ende der gesamten Texteinheit joh 1,35-51 besonders heIVorgehoben. Im Unterschied zu den kurzen Berufungsepisoden zuvor tritt Nathanael nicht sofort, ohne jegliches Zögern und Zaudern, in die Nachfolge jesu ein; schließlich hat er jesus noch nicht gesehen und kennt ihn nicht. Von Philippus wird er injoh 1,45 aufjesus aufmerksam gemacht mit dem Hinweis, dass er, der Sohn des joseph aus Nazareth, derjenige ist, über den Mose im Gesetz und die Propheten geschrieben haben. Diese Identifikation des Messias mit jesus aus Nazareth vermag Nathanael aber nicht zu überzeugen; ganz im Gegenteil: Er reagiert zurückhal186 So K. BACKHAUS,jüngerkreise 242. 187Vgl. H. THYEN,joh 147f. 188 So U. WILCKENS,joh 54. 189 joh 1,51 leitet unmittelbar zur Kanaperikope in joh 2,1-12 über und erklärt bereits vorwegnehmend, warumjesus dieses Zeichen vollbringen kann.
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tend gegenüber der Behauptung des Philippus und fragt lautJoh 1,46 zweifelnd zurück: 'EK Na(aph 1lUVataL tL aya90v ELVaL;. Mit dieser skeptischen Haltung wird NathanaeI zu einer Identifikationsfigur für den Leser. In seiner Person findet sich der Leser wieder und stellt sich zusammen mit ihm die Frage, was es mit diesem Jesus von Nazareth auf sich hat, ob er denn wirklich der verheißene Messias ist. Somit stehen beide, NathanaeI und der Leser des Textes, an einem gemeinsamen Ausgangspunkt. 190 Ihre Zweifel und Vorbehalte gilt es nun von Jesus selbst, in der Begegnung mit ihm, durch christologische Wissensvermittlung auszuräumen und zu widerlegen. Diesen Weg der Wissensvermittlung zeichnet der Dialog zwischenJesus und NathanaeI inJoh 1,4751 nach.
5.4.2. Der Weg der Wissensvermittlung im Dialog zwischenJesus und NathanaeI In den synoptischen Berufungserzählungen wird auf narrative Art und Weise davon berichtet, dass Jesus die ersten Jünger in seine Nachfolge ruft und sie zu Menschenfischern macht;191 hierbei geht es primär um das Faktum der Berufung. Dadurch, dass der vierte Evangelist verstärkt dialogische Elemente in Joh 1,35-51 einbaut und so die synoptische Tradition mit mehr Gewicht auf das Wort verändert l92 , setzt er den Akzent auf den Vorgang der Berufung und will damit für den Leser nachzeichnen, wie die Jünger zum Glauben kommen und in die Nachfolge Jesu eintreten. Diese Absicht zeigt sich am deutlichsten in der Berufungsszene des Nathanael in Joh 1,47-51, die Johannes als literarischen Dialog gestaltet. Damit gelingt es ihm, für den Leser bzw. Hörer des Textes Schritt für Schritt den Glaubensweg des NathanaeI zu beschreiben, wie dieser von seiner anfänglichen Skepsis zum christologischen Bekenntnis geführt wird; mehr noch, der Leser bzw. Hörer wird von Johannes auf diesen Weg mitgenommen und erlebt in der Person des Nathanael, wie er selbst zu christologischem Erkennen und Bekennen gelangt. Berufung wird so zu einem nachvollziehbaren und mitgehbaren Ereignis. Jesus selbst ist es, der NathanaeI und mit ihm den Rezipienten des Textes durch den Dialog zum Glauben an sich bringt. Wie macht er das? Zunächst versucht er, Nathanael für sich zu gewinnen, indem er 190 Gegen T. NICKlAS, Feigenbaum 199, der dem Leser hier inJoh 1,45f. und dann auch noch später inJoh 1,47f. einen Wissensvorsprung gegenüber NathanaeI zuspricht, der sich allerdings so aus dem unmittelbaren Textzusammenhang nicht ergibt. 191 Vgl. Mk 1,16-20 parr. 192 Vgl. S. SCHREIBER,Jüngerberufungsszene 27.
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Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
ihn, ohne ihn zu kennen, als Israelit ohne Falschheit charakterisiert.193 Diese Charakterisierung dient als Motor für den weiteren Fortgang des Dialogs; sie löst Erstaunen llnd Verwunderung bei NathanaeI und natürlich auch beim Leser bzw. Hörer des Textes aus und stimmt nachdenklich-fragend, woher Jesus dieses Wissen hat.1 94 Nunmehr ist der entscheidende Wegpunkt im Dialog erreicht. Mit seiner Antwort inJoh 1,48 offenbart Jesus dem Nathanael und über die Textebene hinaus auch dem Leser sein wunderbares Wissen über Nathanael. Der grundlegende Unterschied bei dieser Wissensvermittlung besteht jedoch darin, dass der Leser im Gegensatz zu Nathanael mit dieser vagen Aussage Jesu wohl nicht viel anzufangen weiß. Während N~thanael, so geht es aus dem Kontext hervor, die AndeutungJesu versteht, stellt sie für den Leser eher ein geheimnisvolles Rätsel dar.1 95 Gelingt es ihm, das Rätsel zu lösen, so hat er den gleichen Wissensstand wie Nathanael und kann sich voll und ganz mit ihm identifizieren. Bleibt das Rätsel ungelöst, dann ist dem Leser zwar eine völlige Identifikation mit NathanaeI versagt, aber er kommt immerhin zu der Einsicht, dass Jesus über wunderbares Wissen verfügt und damit den Nathanael zum Glauben an seine Person führt. Das Motiv der Herzenskenntnis, das inJoh 1,47 bereits angeklungen ist, kommt jetzt inJoh 1,48 zu seiner vollen Entfaltung und zeigt in Joho 1,49 seine unmittelbare Wirkung. In einem christologischen Doppelbekenntnis spricht Nathanael seinen Glauben an Jesus als dem Sohn Gottes und dem König von Israel aus, in das auch der Leser, der mit Nathanael zu diesem Glauben gelangt, einstimmen soll.1 96 Durch sein wunderbares Wissen führtJesus Nathanael inJoh 1,47-49 zur Erkenntnis seiner Person und zum christologischen Bekenntnis. Damit beginnt jedoch erst der Glaubensweg für NathanaeI. 5.4.3. Weiterführendes Wissen am Ende des Dialogs Mit dem Bekenntnis, das der Johannesevangelist in Joh 1,49b Nathanael in den Mund legt, bringt er eindeutig zum Ausdruck, dass dieser zum Glauben an Jesus gekommen ist; dies wäre eigentlich ein ge193Vgl.Joh 1,47. 194 Gegen S. SCHREIBER, Jüngerberufungsszene 26, dreht es sich hier nicht so sehr darum, wer wahrhaft. ein Israelit ist und ob sich der Leser als ein solcher versteht. VielI!lehr geht aus der nachfolgenden Frage Nathanaels in Joh 1,48 hervor, dass die Außerung Jesu die Aufmerksamkeit ganz und gar auf seine eigene Person lenken soll und damitJesus in den Mittelpunkt des Dialogs ruckt. 195 Vgl. T. NICKLAS, Feigenbaum 202. 196 Vgl. S. SCHREIBER,Jüngerberufungsszene 26.
Der DialogJesu mit Nathanael inJoh 1,47-51
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lungener Abschluss des Dialogs zwischen Jesus und Nathanael 197 und darüber hinaus der gesamten Jüngerberufungserzählung.I 98 Doch endet der Dialog zwischen Jesus und NathanaeI gerade nicht mit dem Glaubensbekenntnis des NathanaeI, sondern mit einem doppelten WortJesu, das als Verheißung für die Zukunft formuliert ist und weiterführendes Wissen über den Dialog hinaus vermittelt. Zunächst wendet sich Jesus inJoh 1,50 nochmals an NathanaeI allein und verheißt ihm, dass er noch Größeres sehen wird als bisher. Damit macht er ihm implizit klar, dass sein bisheriges Wissen nicht ausreicht für ein Leben in der Nachfolge Jesu. NathanaeI befindet sich somit erst in einem Anfangsstadium des Glaubens und bekommt für seinen weiteren Weg mehr Wissen von Jesus zugesichert. Worin dieses größere Wissen konkret besteht, lässt sich aufgrund der offenen Formulierung ILEL'W "to\)'rwv in Joh 1,50c nicht aussagen. Dadurch entsteht für den Rezipienten des Textes ein "Ort der Offenheit", den er inhaltlich selbst füllen kann mit seinen eigenen Vorstellungen und Ideen, wie er sich diese Verheißung vorstellt bzw. mit seinem eigenen Wissen, wie diese Verheißung von Jesus im folgenden Evangelium realisiert wird.I 99 Sodann wendet sich Jesus in Joh 1,51 über NathanaeI hinaus an einen breiteren Adressatenkreis und vermittelt erneut ein weiterführendes Wissen, das über den Dialog hinausgeht und offen in die Zukunft gerichtet ist. Mit dem UILLV sind nicht nur die Personen des Textes und damit die gerade von Jesus berufenen Jünger angesprochen, sondern über die reine Textebene hinaus auch die Leser des Johannesevangeliums, die damaligen wie die heutigen. Ihnen allen gilt die Verheißung Jesu, den Himmel offen und die Engel Gottes über dem Menschensohn auf- und absteigen zu sehen. Die Aufgabe der Rezipienten des Textes besteht nun darin, dieses Bildwort des Johannesevangelisten im Kontext seiner Theologie .zu entschlüsseln und dabei die Tiefe des hier vermittelten christologischen Wissens zu erkennen. Der vierte Evangelist verzichtet zwar auch an dieser Stelle bewusst auf konkrete und eindeutige Wissensweitergabe und lässt dadurch einen großen gedanklichen Spielraum für den Leser200, aber zugleich weist er durch die Brückenstellung von Joh 1,51 darauf hin, dass die Verheißung vonJoh 1,51 von grundlegender Bedeutung für dasJohannes197 Genau 198 Um in
dahin wollte Jesus den Nathanael im Dialog führen, zum Glauben an ihn. die Nachfolge jesu einzutreten und sein Jünger zu werden bzw. dann auch zu sein, braucht es als grundlegende Voraussetzung den Glauben an ihn. 199 Vgl. S. SCHREIBER,jüngerberufungsszene 24f. 200 Auch hier lässt sich mit Schreiber von einem HOrt der Offenheit" sprechen, der den Leser dazu einlädt, seine eigenen Gedanken bzw. sein Vorwissen einzubringen, ebd.
68
Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium
evangelium ist. Das Wissen, das der Leser· hier bildhaft vermittelt bekommt, liefert die nötige Voraussetzung zum richtigen Verständnis des vierten Evangeliums und kann durchaus als christologisches Basiswissen für die johanneische Theologie bezeichnet werden. Die in einem Bildwort verschlüsselte Verheißung vonJoh 1,51, dassJesus als der Menschensohn in ständiger Verbindung mit seinem Vater steht und die Gegenwart Gottes bei den Menschen personifiziert, erfüllt sich nunmehr im folgendenJohannesevangelium.
II. DER DIALOG JESU MIT DER SAMARITANERIN IN JOH 4,7-26
Griechischer Text:
7
a b c
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8
a b
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9
a b
c
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10
a b c d e
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11
a b c d
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12
a b c· d
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13
a b
IX'lTEKPL9Tj 'ITjooue; KIXt EL'lTEV IXU'tU, IIäe; 0 'lTLVWV EK 'tOU üoo'toe; 'tou'tou oLIjrfjOEL 'lTaAw·
C
14
a b c d e
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70
15
Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
a b c d
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a b C
d
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a
b C
d
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a b C
d
22
AEYEL TIpOe; uu'tov ~ yuv~, KUPLE, Me; j.LOL 'toum 'to uöwp, '(vu j.L~ öulrw j.LTjÖE ÖLEPXWj.LUL EV9aÖE av'tAE'iv. AEYEL uu'tn, "YTIUYE CPWVTjOOV 'tov ocvöpu oou KUt EAeE EVe&ÖE. aTIEKpLeTj ~ yuv~ Kut EITIEV uu't<\> , OUK EXW ocvöpu. AEYEL uU'tn b '1Tjooue;, KUAWe; Et TIUe; ön "Avöpu OUK EXW' TIEV'tE yap ocvöpue; EOXEe; KUt VUV ÖV EXELe; OUK Eonv oou av~p' 'tou'to aATjeEe; E'(pTjKue;. AEYEL uu't<\> ~ yuv~, KUPLE, eEWpW ön TIpocp~'tTje; EL oU. otTIU'tEpEe; ~j.LWV EV 't<\> OPEL 'tou'ttV TIPOOEKUVTjOUV' KUt Uj.LELe; AEYE'tE ön EV '1EpoooAuj.LoLe; EO'ttV b 'tOTIOe; ÖTIOU TIPOOKUVELV ÖEL. AEYEL uU'tn 6 '1Tjooue;, IILo'tEuE j.LOL, YUVUL, ön EPXE'tUL wpu Ö'tE OÜ'tE EV 't0 OPEL 'tou'ttV OÜ'tE EV '1EpoooAuj.LoLe; TIPOOKUV~OE'tE 't<\> TIU'tp L
a b
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C
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d e
Ö O'(fuj.LEV, ön ~ OW'tTjPLU EK 'tWV '1ouöuLwv EO'tLV.
Der DialogJesu mit der Samaritanerin inJoh 4,7-26
23
a b c
d 24
a b
25
a b C
d e
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71
a b
KIXL VUV EOtLV, Öt'E 01. UA1)8WOL 1TPOOKUV1)t'IXL 1TPOOKUVJlOOUOW '<\> 1T1Xt'PL EV 1TVEUlllXtL KIXL UA1)8ELq;· KIXL yap 0 1T1XTI!P ,0L~U'OUe; (1)t'EL ,oue; 1TPOOKUVOUV,IXe; , , IXU'OV. 1TVEUIlIX 0 8EOe;, KIXL ,oue; 1TPOOKUVOUV,IXe; IXlJ't"OV EV 1TVEUllIXtL KIXL UA1)8ELq; ÖEL 1TPOOKUVELV. AkYEL IXV,<\> ..; YUVJl,
oIölX ÖtL MEOOLIXe; EPXE,IXL 0 AEYOIlEVOe; XpLO,Oe;· Öt'IXV EA8!1 EKELVOe;, UVIXYYEAEL ";IlLV &1TIXVt'IX. AEYEL IXV,f1 0 'I1)OOue;, 'EYW ELIlL, 0 A.lXAWV OOL.
Deutsche Übersetzung:
7
a b
c
8
a b
9
a b
c
10
11
a
Es kam eine Frau aus Samaria, um Wasser zu schöpfen. J esus sagte zu ihr: Gib mir zu trinken! Denn seine Jünger waren in den Ort gegangen, um Essen zu kaufen. Die samaritanische Frau sagte zu ihm: Wie kannst du als Jude vonmir, einer samaritanischen Frau, zu trinken verlangen? Dennjuden haben keinen Umgang mit Samaritanern.
b c d e
Jesus antwortete und sagte zu ihr: Wenn du die Gabe Gottes kennen würdest und wer es ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, dann hättest du ihn gebeten, und er hätte dir lebendiges Wasser gegeben.
a b c d
Sie sagte zu ihm: Herr, du hast kein Schöpfgefäß, und der Brunnen ist tief. Woher hast du also das lebendige Wasser?
72
Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
12
a b e d
Bist du etwa größer als unser Vater Jakob, der uns den Brunnen gegeben hat und selbst daraus trank, und seine Söhne und seine Herdentiere?
13
a b e
Jesus antwortete und sagte zu ihr: Jeder, der von diesem Wasser trinkt, wird wieder Durst bekommen.
14
a b e d e
Wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst bekommen, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, wird in ihm zur Quelle eines Wassers werden, das zum ewigen Leben sprudelt.
15
a b e .d
Die Frau sagte zu ihm: Herr, gib mir dieses Wasser, damit ich keinen Durst mehr habe und aueh nicht hierher kommen muss zum Schöpfen .
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a b e d
Er sagte zu ihr: Geh, ruf deinen Mann und komm hierher!
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a b e d e
Die Frau antwortete und sagte zu ihm: Ich habe keinen Mann. Jesus sagte zu ihr: Richtig hast du gesagt: Ich habe keinen Mann.
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a b e d
Denn fünf Männer hattest du, und der, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann. Damit hast du die Wahrheit gesagt.
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a b c
Die Frau sagte zu ihm: Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist.
20
a b
Unsere Väter haben auf diesem Berg angebetet, und ihr sagt,
Der Dialogjesu mit der Samaritanerin injoh 4,7-26
c d
dass inJerusalem der Ort ist, wo man anbeten muss.
21
a b c d
Jesus sagte zu ihr: Glaube mir, Frau, die Stunde kommt, in der ihr weder auf diesem Berg noch inJerusalem den Vater anbeten werdet.
22
a b c
Ihr betet an, was ihr nicht kennt. Wir beten an, was wir kennen. Denn das Heil kommt von denjuden.
cl e 23
a b c d
73
Aber die Stunde kommt, und sie ist schon da, in der die wahren Beter den Vater in Geist und Wahrheit anbeten werden. Denn so will der Vater angebetet werden.
24
a b
Gott ist Geist, und diejenigen, die ihn anbeten, müssen ihn in Geist und Wahrheit anbeten.
25
a b c d e
Die Frau sagte zu ihm: Ich weiß, dass der Messias kommt, das heißt der Christus. Wenn er kommt, wird er uns alles verkünden.
26
a b
Jesus sagte zu ihr: Ich bin es, der mit dir spricht.
1.Joh 4,7-26 als Bestandteil der TexteinheitJoh 4,1-42 Der DialogJesu mit der Samaritanerin amJakobsbrunnen inJoh 4,7-26 ist eingebettet in einen größeren Erzählzusammenhang, der das gesamte vierte Kapitel desJohannesevangeliums umfasst. Ähnlich wieJoh 9 und Joh 11 gehört Joh 4 zu den Großszenen des Evangeliums l , die 1
Vgl.J. BECKER,joh I 195.
74
Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium
sich allein schon durch ihre Länge von der synoptischen Darstellungsweise unterscheiden und im Johannesevangelium selbst durch ihren kunstvollen Aufbau und ihre. inhaltliche Geschlossenheit als markante Texteinheiten herausragen. Aufgrund der Tatsache, dass sich Joh 4 über 42 Verse erstreckt, empfiehlt es sich zu Beginn der näheren Betrachtung, eine Gliederung dieser längeren Texteinheit zu erstellen und damit den Aufbau der vor uns liegenden Endgestalt vonJoh 4,1-42 zu bestimmen.
2. Aufbau vonJoh 4,1-42
Ausgehend von der Einheitlichkeit desJohannesevangeliums und einer Aufteilung des gesamten Evangeliums in sieben Abschnitte 2 schlägt Lohmeyer auch für Joh 4,1-42 eine siebenteilige Gliederung vor3: V. 1-6: Jesus am Brunnen, V. 7-15: Erster Gesprächsgang, V. 16-19: Zweiter Gesprächsgang, V. 20-26: Dritter Gesprächsgang, V. 27-30: Rückkehr der Jünger, V. 31-38: Jesus und die Jünger, V. 39-42: Jesus und die Samaritaner. Diese lange Zeit vertretene Gliederung verkürzt Olsson auf folgende fünf Abschnitte4: V. 1-4.5-6: Doppelte Einleitung, V. 7-26: Erster Dialog, V. 27-30: Zwischenstück, V. 31-38: Zweiter Dialog, V. 39-42: Schluss. Okure schließlich kommt mit einer Dreiteilung aus und gliedertJoh 4,1-42 folgendermaßen 5 : V. 1-26: narratio, V. 31-38: expositio, V. 28-30.39-42: demonstratio. In Anlehnung an diese soeben dargestellten Vorschläge ergeben sich meine eigenen Beobachtungen und schließlich mein Vorschlag zur Gliederung vonJoh 4,1-42. Aufgrund von Orts- und Personenwechsellassen sich in Joh 4,1-42 m. E. deutliche Einschnitte im Text festmachen. In Joh 4,1-6 ist Jesus der alleinige Protagonist; er hält sich zunächst in Judäa auf, geht aber dann nach Galiläa und nimmt den Weg durch Samaria, so dass er zum Jakobsbrunnen kommt. Dort begegnet er der Samaritanerin und es entwickelt sich ein Gespräch zwischen den beiden. Die Rückkehr der Jünger Jesu in V. 27 markiert einen Einschnitt und motiviert zur anJoh 1,1-18/1,19-51/2,1-6,71/7,1-12,50/13,1-19,42/20,1-31/21; vgl. die sieben Zeichen und die sieben Redeeinheiten beiJohannes. 3 Vgl. E. LoHMEYER, Aufbau 22f. 4 Vgl. B. OU;SON, Structure 124f. 5 Vgl. T. OKURE, Approach 182f. 2
Der DialogJesu mit der Samaritanerin inJoh 4,7-26
75
schließenden Jüngerbelehrung. Mit V. 39 treten die Samaritaner als vierte Personengruppe in Erscheinung, die zum Glauben anJesus kommen und sich abschließend zu ihm bekennen. Damit erfolgt im Laufe der Erzählung eine stufenweise Ausweitung des Personenkreises. Am Anfang istJesus allein. Er begegnet der Samaritanerin;diese geht, damitJesus mit den Jüngern allein ist, bevor am Ende die Samaritaner zu Jesus kommen. An dieser kurzen Zusammenfassung zeigt sich bereits, dass die ErzähleinheitJoh 4,1-42 von einem Kommen und Gehen bestimmt ist. Personaler Fixpunkt ist Jesus am Jakobsbrunnen, er ist gewissermaßen der ruhende Pol inJoh 4, zu dem die verschiedenen Menschen kommen bzw. von dem sie weggehen. Dementsprechend lässt sich auch von Jesus aus Jph 4,1-42 folgendermaßen gliedern:
V. 1-4:
Einleitung: Jesus auf dem Weg von Judäa nach Galiläa durch Samaria
V.5-6:
Exposition: Jesus amJakobsbrunnen
V.7-26:
Dialog: Jesus und die Samaritanerin
V.27-38:
Weggang der Frau und Rückkehr der Jünger: JÜDgerbelehrung durch Jesus
V. 39-42:
Abschluss: Das Bekenntnis der Samaritaner zuJesus.
3. EntstehungvonJoh 4,1-42 Für die Entstehung von Joh 4,1-42 gibt es in der exegetischen Forschung die unterschiedlichsten Erklärungsmodelle, sei es aus synchroner6 oder aus diachroner7 Perspektive.
Als Beispiele seien hier nur Lohmeyer, Aufbau und Gliederung des vierten Evangeliums, aus älterer und Okure, Johannine approach to mission, aus neuerer Zeit erwähnt. 7 Für einen diachronen Zugang zu Joh 4,142 und darüber hinaus zum gesamten Johannesevangelium steht der Name Bultmann. In der neueren Exegese orientiert sich Link in ihrer Monographie zuJoh 4,142 am Schichtenmodell von Richter, vgl. Link, "Was redest du mit ihr?". 6
76
Die Dialoge jesu mit Einzelpersonen imjohannesevangelium
3.1. Rudolf Bultmann Als der Vertreter einer diachronen Zugangsweise gilt Rudolf Bultmann, der für die Entstehung des 10hannesevangeliums die Arbeit des Evangelisten mit dem Rekurs auf die drei Quellen, die Semeia-, die Offenbarungsreden- und die Passionsquelle, verantwortlich macht und eine spätere Redaktion, die sog. "Kirchliche Redaktion", zur Korrektur in Richtung traditioneller Vorstellungswelt bemüht. Für den konkreten Fall Joh 4,1-42 geht Bultmann von einem aus der Semeiaquelle stammenden Traditionsstück in den Versen 5-10 aus, das in den Versen 1619 seine Fortsetzung findet und mit den Versen 28-30 und 40 zum' Abschluss kommt. In den Versen 10-15 und 20-26 lässt sich laut Bultmann ganz die Handschrift des Evangelisten erkennen; auf ihn gehen auch die Verse 31-38 und 39.41-42 zurück. Der "Kirchlichen Redaktion" werden schließlich die Verse 1.2.11.22 zugeschrieben. Bei aller diachronen Betrachtungsweise kommt Bultmann allerdings zu der Einsicht, dass 10h 4,1-42 ein "vom Evangelisten geschaffene(s) Gefüge"8 darstellt. Mit dieser Einschätzung zeigt sich m. E. der fließende Übergang vom diachronen hin zum synchronen Ansatz. Beide Zugänge müssen sich demzufolge nicht ausschließen, sondern können sich gegenseitig ergänzen und sich mit der jeweiligen anderen Sichtweise komplettieren hin zu einem sinnvollen Ganzen. 3.2. Andrea Link In ihrer Dissertation "Was redest du mit ihr?" unternimmt Andrea Link den Versuch, das Schichtenmodell von Richter zur Entstehung des 10hannesevangeliums9 auf 10h 4,1-42 zu übertragen, indem sie die verschiedenen Schichten, angefangen bei der jüngsten, nacheinander abträgt. Der Redaktion schreibt sie die Verse 2.4.9c.22 zu; auf den Evangelisten gehen nach ihrem Modell die Verse 1.3.10-15.23.24;3134.41.42 zurück, so dass für die Grundschrift die Verse 5-9ab.l619.20.21.25.26.27-30.35-38.39.40 übrig bleiben. In mühevoller Kleinarbeit geht Link die einzelnen Verse der jeweiligen Schicht durch, bis sie am Ende ihres redaktionsgeschichtlichen Teils zu einem Schichtenmodell für 10h 4,1-42 kommt.l 0 Ausgehend von diesem Schichtenmodell entwirft sie in einem folgenden theologiegeschichtlichen Abschnitt 8 9
10
So R. BULTMANN,joh 128. Vgl. die gesammelten Aufsätze von Richter in dem von Hainz herausgegebenen Band .Studien zumjohannesevangelium" und die Darstellung der Theorie Richters bei]. WAGNER,_Auferstehung 89-94. Vgl. die Ubersicht bei A. LINK, .Was redest du mit ihr?" 321-324.
Der DialogJesu mit der SamaritaD.erin inJoh 4,7-26
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jeweils die theologischen Akzente der Grundschrift, des Evangelisten und schließlich des Redaktors.!1 Allein schon eine quantitative Verhältnisbestimmung ergibt, dass der redaktionsgeschichtliche Teil den theologiegeschichtlichen Teil um mehr als ein Dreifaches an Länge übertrifft. Unabhängig davon ist die Frage zu stellen, inwiefern von einem singulären Text innerhalb des Johannesevangeliums fundierte Rückschlüsse auf die gesamttheologische Position bzw. Intention des jeweiligen Autors gezogen werden können. Aufgrund dieser Überlegungen erscheint es nicht sinnvoll, einen Text wieJoh 4,1-42 regelrecht zu zerstückeln auf Kosten der kunstvollen Einheit und der theologischen Gesamtaussage der vor uns liegenden Perikope. Damit soll kein einseitiges Plädoyer für eine synchrone Betrachtung ausgesprochen werden. Die Vorteile einer diachronen Betrachtung liegen gerade darin, die Entstehungsgeschichte des Textes und die jeweiligen theologischen Implikationen nachvollziehen zu können. Nur geht es m. E. nicht an, bei diesem Punkt der Untersuchung stehen zu bleiben bzw. darauf das Hauptaugenmerk zu richten, sondern die diachrone Lesart muss fortgeführt und ergänzt werden durch die synchrone Betrachtungsweise, denn nur sie vermag den Gesamttext mit allen seinen Bezügen innerhalb der Texteinheit und auch darüber hinaus zu erfassen und damit das nötige theologische Tiefenpotenzial zu gewinnen. 3.3. Teresa Okure Den umgekehrten, aber genau so einseitigen Weg wie Link schlägt Teresa Okure in ihrer Dissertationsschrift "The johannine approach to mission" ein. Bereits der Titel dieser Arbeit verrät, dass die Verfasserin l2 das Thema Mission in das Zentrum ihrer Ausführungen stellt uIid darin das Leitmotivl3 für das gesamte Johannesevangelium wie auch für den Abschnitt Joh 4,1-42 erkennt. Mit ihrem kontextuellen Ansatz, der nicht auf die Entstehungsgeschichte des Textes eingeht, sondern den Text vom Kontext her auslegt, sieht Okure im johanneischen Jesus den Missionar schlechthin, der von Gott mit einem missionarischen Auftrag in die Welt gesandt wird, "damit ihr glaubt, dass Jesus der Messias ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den
11 12
13
Ebd. 325-369. Teresa Okure ist eine nigerianische Ordensschwester und hat durch ihre afrikanische Herkunft und Biographie ein besonderes Interesse an Mission und missionarischen Fragen. Vgl. T. OKURE, Approach 285.
78
Die Dialoge jesu mit Einze1personen imjohannesevangelium
Glauben das Leben habt in seinem Namen. "14 Dieses missionarische Modell überträgt sie dann auch aufJoh 4,1-42 und vermutet gegen die Mehrheitsmeinung der Exegeten, dass nicht nur die Verse 31-38 bzw. 31-42, sondern die ganze Perikope von einem missionarischen Charakter, ja mehr noch vom Missionsmotiv bestimmt und durchdrungen sind. Dieses eine Thema "Mission" liefert für sie auch den Beweis für die literarische Einheitlichkeit vonJoh 4,1-42, so dass sie nach der Analyse von Joh 4,1-42 zu dem Schluss kommt, "that the whole pericope can be reasonably comprehended in its literary and thematic unity when viewed from the standpoint of mission. "15 Dieses Ergebnis überrascht nicht, insofern Okure synchron und speziell kontextuell arbeitet und damit von der Einheitlichkeit des Textes ausgeht und eben diese in dem einen Joh 4 bestimmenden und darüber hinaus das ganze Johannesevangelium durchziehenden Thema Mission vorprogrammiert sieht. Damit legt sie sich natürlich von vornherein auf eine bestimmte Sichtweise fest und lässt durch diese selbst angelegten Scheuklappen andere Zugangsmöglichkeiten zu diesem Text gar nicht mehr zu. Unabhängig davon, dass das Thema Mission allgemein keine zentrale Rolle im Johannesevangelium spielt und auch nicht speziell in Joh 4,1-42, ist eine methodische Festgefahrenheit m. E. nicht angebracht. Grundsätzlich gilt nach meinem hermeneutischen Verständnis, dass sich verschiedene Auslegungsmethoden nicht von vornherein ausschließen müssen, sondern sich durchaus gegenseitig ergänzen und bereichern können hin zu dem gemeinsamen Ziel, einen literarischen Text besser zu verstehen und eine mögliche Interpretatio'n 16 seiner vom Autor intendierten Aussage zu liefern.
14 15 16
Neben dieser Stelle joh 20,31 stellt auch joh 3,16 für Okure einen Schlüsseltext ,Johanneischer Missionstheologie" dar. So T. OKURE, Approach 183. Für jeden Text gibt es nicht nur die eine und damit die einzig richtige Interpretation, sondern der interpretatorischen Offenheit von Texten entsprechend, die gewiss auch an ihre Grenzen stößt und stoßen muss, kann es rein potenziell so viele Interpretationen geben, wie es Ausleger gibt, weil schon allein bei jedem Ausleger, unabhängig von der Methodik, dessen Vorwissen und die subjektive Auslegungsart eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen. Log!.sch weitergedacht stellt sich damit das hermeneutische Problem einer objektiven Uberprüfbarkeit von verschiedenen methodischen Ansätzen. Gibt es überhaupt allgemeingültige Kriterien zur Beurteilung von verschiedenen Ansätzen oder sind alle Ansätze zu einem Text auch schon gleichberechtigt und exegetisch legitim? Eine Beantwortung dieses hermeneutischmethodologischen Problems oder zumindest eine kritische Auseinandersetzung mit ihm ist m. E. ein dringendes Desiderat für die exegetische Forschung. will sie der neueren und neuesten Methodenflut nicht gleichgültig gegenüberstehen, sondern sich konstruktiv mit ihr auseinandersetzen.
Der DialogJesu mit der Samaritanerin inJoh 4,7-26
79
3.4. Eigener Ansatz
Joh 4,1-42 stellt eine außerordentlich lange und komplexe Erzähleinheit dar. In dieser Länge und Komplexität kann sie unmöglich von Anfang an überliefert worden sein; vielmehr ist davon auszugehen, dass der Text im Laufe des Überlieferungsprozesses angewachsen ist und dabei theologisch angereichert wurde. Deswegen erscheint es mir im konkreten FallJoh 4,1-42 sinnvoll, ausgehend von der diachronen Perspektive die Entstehungsgeschichte dieses Textes zu beleuchten, um dann unter synchronen Aspekten dem kunstvollen Aufbau dieser Perikope gerecht zu werden und den theologischen Gehalt des Textes in seiner vor uns liegenden Form zu erfassen. Dabei soll das Hauptaugenmerk entsprechend der Zielsetzung dieser Arbeit auf dem Dialogteil in den Versen 7-26 liegen, während die restlichen Verse entsprechend ihrem Bezug zum dialogischen Hauptteil nur gestreift werden können. Mit Dietzfelbinger lässt sich vermuten, dass die vor uns liegende Erzählung auf einer älteren Geschichte basiert,!7 Diese voxjohanneische Geschichte erzählt von einer Begegnung Jesu mit einer samaritanischen Frau und den daraus resultierenden Konsequenzen. Die geographischen Angaben Samaria, Sychar und der Jakobsbrunnen in den Versen 5 und 6 weisen m. E. eindeutig auf Lokalkolorit hin und verleihen dieser Begegnung zwischen Jesus und der Samaritanerin entgegen der synoptischen Tradition 18 , aber entsprechend der Apostelgeschichte19, historische Züge. Es kommt zu einem Gespräch am Brunnen, in dessen Verlauf sich Jesus der Frau als Prophet20 und Messias 21 zu erkennen gibt. Als Folge dieser Kommunikation führt die Samaritanerin ihre Landsleute zu Jesus 22 . Die Samaritaner kommen daraufhin zum Glauben an Jesus und nehmen ihn bei sich auf. 23 Mit dieser Abfolge Begegnung - Gespräch - Bekehrung ergibt sich nicht nur eine logische Handlungskette, sondemdaruber hinaus eine in sich stimmige, abgeschlossene Erzählung. Diese alte, der Tradition angehörige Erzählung greift der Evangelist auf und erweitert sie geschickt mit neuen Inhalten entsprechend seiner Theologie und Aussageabsicht. Die Themen "lebendiges Wasser"24 und 17 18 19 20 21 22
Vgl. C. DIETZFELBINGER,Joh I 123-125. Mt 10,5; Lk 9,52-56. Apg 1,8; 8,4ff.; 9,31; 15,3. Joh 4,16-19. Joh 4,25f. Joh 4,28-30. 23 Joh 4,39f. 24 Vgl.Joh 4,10-15.
80
Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
,,Anbetung in Geist und Wahrheit"25 gehen deutlich auf Johannes zurück, weil die entsprechenden Verse sowohl unter sprachlichen als auch unter inhaltlichen Gesichtspunkten der johanneischen Diktion entsprechen. 26 Auch diejüngerbelehrung inJoh 4,31-38, v. a. die Verse 31-34 mit der Spitzenaussage in Vers 34, lässt nur den Evangelisten als Autor zu, der wohl auch für den Abschluss der Erzählung27 mit dem christologischen Bekenntnis zu Jesus als dem Retter der Welt verantwortlich zeichnet. Damit gelingt es dem Evangelisten Johannes, eine alte Erzählung aus der Tradition in seinem Sinne weiter auszugestalten und in sein Evangelium zu integrieren. Die Tatsache, dass er die Erzählung überhaupt aufgreift und sie in seinem Evangelium verankert, zeugt vom großen Interesse des Johannesevangelisten und seiner Gemeinde an der Samariathematik. 28 Eine mögliche Verbindung zwischen den johanneischen Christen und den Samaritanern ist offensichtlich nicht ganz auszuschließen. Wie der Evangelist im Einzelnen an die alte Erzählung anknüpft und seine Theologie mit den traditionellen Vorgaben verwebt, soll die anschließende Exegese des Dialogs zwischen Jesus und der Samaritanerin inJoh 4,7-26 exemplarisch aufzeigen.
4. Exegetische Analyse zuJoh 4,7-26 4.1. Die Ausgangssituation
Jesus, der sich laut Joh 3,22 mit seinen Jüngern in Judäa aufhält und tauft, erzielt nach Joh 4,1 einen größeren Tauferfolg als Johannes. 29 25 Vgl.Joh 4,20-24. 26
27 28 29
Diese doppelte Aussage muss freilich noch bei der genaueren exegetischen Betrachtung der Einzelverse bewiesen werden. Joh 4,4lf. So die Einschätzung von C. DIETZFELBINGER,Joh I 125f. Eine TauftätigkeitJesu, die injoh 3,22.26 undJoh 4,1 explizit ausgesagt wird, wird in Joh 4,2 negiert mit dem Hinweis, dass nichtJesus selbst taufte, sondern seine Jünger. Hat nunJesus getauft oder nicht? Nach demJesusbild der synoptischen Tradition hat jesus nicht getauft; die Aussagen zur Tauftätigkeitjesu beiJohannes sind also singulär und demnach ein Novum in den Evangelien. Laut Bulunann, Becker, Schnackenburg und anderen Exegeten stelltJoh 4,2 eine Glosse bzw. nachträgliche Zwischenbemerkung dar, die das johanneische jesusbild der synoptischen Tradition anpassen will: "Die Parenthese in V2 will die allgemeine, im Urchristentum verbreitete Meinung über Jesus als Korrektur zur aparten Aussage, jesus selbst habe getauft, einbringen." (J. BECKER, joh I 197). Warum diese Korrektur? Offensichtlich hat Jesus ganz am Anfang im Auftrag des Täufers getauft, worüber die synoptischen Quellen schweigen, und hat nach der Trennung vom Täufer die Taufpraxis aufgegeben. Nach dieser Theorie Dietzfelbingers läge in Joh 3,22 die alte, historische, von den Synoptikern
Der DialogJesu mit der Samaritanerin inJoh 4,7-26
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Um eine Konfrontation mit den Pharisäern zu vermeiden30, verlässt JesusJudäa und kehrt nach GaIiläa zurück. Für diesen Weg von Judäa nach Galiläa gibt es drei mögliche Reiserouten: eine westliche entlang der Küste, eine östliche durch das Jordantal und schließlich eine mittlere durch das Bergland von Samaria. Nach dem Zeugnis des Flavius Josephus stellt diese dritte Reiseroute durch Samaria die schnellste Variante dar: "Die Schnellziehenden mussten ihren Weg durch Samaria nehmen; so ist es möglich, in drei Tagen von GaIiläa nach Jerusalem zu gelangen."31 Deshalb bevorzugen die gaIiläischen Festpilger diese mittlere Route durch Samaria32, um möglichst schnell nach Jerusalem zu kommen. Auch Jesus nimmt nachJoh 4,4 diesen Weg durch Samaria. 33 Nach dieser allgemeinen Überleitung in Joh 4,1-4 mit dem Ortswechsel erfolgt ab Vers 5 die spezielle Einleitung für den Dialog. An ihrer Spitze steht in den Versen 5-6a eine detaillierte Bestandsaufnahme der geographischen Verhältnisse, wobei sich die Perspektive zunehmend verengt, von der Region Samaria über den Ort Sychar hin zum Jakobsbrunnen.
30
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verschwiegene Nachricht vom Taufen Jesu vor und inJoh 4,2 wird durch eine "spätere Korrektur versucht, die alte Notiz zu neutralisieren." (C. DIETZFELBINGER,Joh I 97). Ob inJoh 3,22 undJoh 4,1 historisch zuverlässige Informationen vorliegen, lässt sich nicht mit absoluter Sicherheit aussagen. Sicher ist jedoch, dass die johanneischen Aussagen vom Taufen Jesu, ob historisch oder nicht, in Joh 4,2 korrigiert und dadurch auf .synoptischen Kurs" gebracht werden. Bultmann sieht in der Eifersucht der Pharisäer das konkrete Motiv zur Reise Jesu, vgl. R. BULTMANN, Joh 128. Schnackenburg benennt den Argwohn der Pharisäer als Reisegrund (R. SCHNACKENBURG, Joh I 458). Das sind alles nur vage Spekulationen, der Text selbst bietet keine konkreten Anhaltspunkte, zumal bisher im Evangelium noch von keinem Konflikt zwischenJesus und den Pharisäern die Rede war. Entweder wird aus dem Täuferverhör inJoh 1,19-28 konsequent auf ein möglichesJesusverhör geschlossen oder die späteren Konflikte mit den Pharisäern inJoh 7, 9 und 10 werden vorprojeziert. Josephus, Vita 52,269. Josephus, Ant 20,118. Das eÖEL kann sich schwerlich auf die' geographischen Verhältnisse beziehen, daJesus noch zwei weitere, wenn auch längere und damit beschwerlichere Reiserouten zur Verfügung gestanden hätten. Zu weit geht es m. E., hinter diesem eÖEL das .Muss" des göttlichen Willens oder Heilsplanes zu erkennen, wie dies von Haenchen und Brown jeweils in ihren Kommentaren erfolgt, selbst wennJoh 4,4 vonJoh 4,42 gedeutet wird. Jesus muss schlichtweg durch Samaria reisen, nicht nur, weil es die kürzeste Route ist, sondern darüber hinaus und vor allem, damit die Begegnung mit der samaritanischen Frau in Samaria überhaupt stattfinden kann. Das eÖEL dient also ganz einfach dazu, die folgende Erzählung vorzubereiten und die nötigen Voraussetzungen dazu zu schaffen.
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Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
Die Landschaftsbezeichnung ~a:Il&PELa: findet sich insgesamt ll-mal im Neuen Testament. Neben einem Beleg im Lukasevangelium34 und den sieben Stellen in der Apostelgeschichte35 begegnen die verbleibenden drei Angaben imJohannesevangelium und hier dicht gedrängt in Joh 4,4.5.7. Von Samaria ist demnach im gesamten Johannesevangelium nur inJoh 4 die Rede, dafür an dieser Stelle umso konzentrierter. Nimmt man noch die Personenbezeichnung ~a:llIIph'TJC; bzw. ~a:Ila:p'i."tLC; hinzu, so ergeben sich insgesamt acht Belege inJoh 4. Diese Beobachtungen zeugen davon, dass die Ortsangabe Samaria in diesem Kontext keine unbedeutende Rolle spielt, wird doch auch die Erzählung durch die Erwähnung von Samaria inJoh 4,4 und der Samaritaner inJoh 4,40 gerahmt. Demzufolge lassen sich Samaria bzw. die Samaritaner nicht irgendwie anderweitig ersetzen, Joh 4,1-42 ist bewusst in Samaria bei den Samaritanern verortet. Über die Landschaftsangabe Samaria hinaus wird in J oh 4,5 eine konkrete Ortsangabe gemacht: Jesus kommt nach Sychar. Diese Stadt ist wohl nicht, wie Hieronymus meint36 , mit dem alten biblischen Ort Sichern gleichzusetzen37, sondern mit dem heutigen Askar, unweit vom damals zerstörten Sichem. s8 Im Unterschied zu Sichern handelt es sich demzufolge bei Sychar nicht um einen traditionellen heiligen Ort; erst durch die Begegnung zwischen Jesus und der Samaritanerin tritt der Ort biblisch in Erscheinung.39 Die Lage von Sychar wird nä}:ler bestimmt durch das unweit gelegene Grundstück, das Jakob seinem Sohn Josef vermacht hatte. 4O Diese Detailangabe dient als geschickte Überleitung zur Nennung des Jakobsbrunnens im anschließenden Vers 6 und erklärt die Namensgebung des Brunnens. Zu diesem Jakobsbrunnen als Zielort führen sämtliche zuvor gemachten geographischen Angaben hin, auf ihm als dem Hauptschauplatz der folgenden Erzählung liegt der Fokus der Betrachtung. 34
35
36 37 38 39
40
In Lk 17,11 zeigt sich eine interessante Parallele zu Joh 4,4, weil an beiden Stellen berichtet wird, dass Jesus durch Samaria zieht; vielleicht ein Hinweis auf eine gemeinsame Samaria-Tradition mit unterschiedlicher Ausprägung bei Lukas undJohannes. Apg 1,8; 8,1.5.9.14; 9,31; 15,3: Alle diese Stellen stehen in Zusammenhang mit dem Thema Mission, konkret wird in Apg 8 vom missionarischen Wirken des Philippus in Samaria berichtet. Vgl. Hieronymus Ep. 108,16. Aus welchen Gründen sollte das aus dem Alten Testament bekannte Sichern durch das biblisch unbekannte Sychar ersetzt werden? So die Mehrheitsmeinung bei Becker, Dietzfelbinger, Schnackenburg, Wengst u. a. in ihren Kommentaren. Vgl.J. ZANGENBERG, Christentum 105. Vgl. Gen 33,19; 48,22;J05 24,32.
Der Dialogjesu mit der Samaritanerin injoh 4,7-26
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Der Jakobsbrunnen liegt etwas außerhalb von Sychar, an einer wichtigen Landstraße in Nordsüdrichtung nahe der Weggabelung nach Westgaliläa41 , am Fuße des Garizim42 und des Ebal. Er hat einen Schacht von 2,30 m Durchmesser und ist 32 m tief. Durch zwei Löcher lässt sich ab einer Tiefe von 19 m Wasser schöpfen, das der Brunnen nicht vom Regen, sondern vom Grundwasser zugeführt bekommt. 43 An diesemjakobsbrunnen machtJesus, ermüdet von der Reise, um die Mittagszeit Rast. Es geht viel zu weit, hinter der Aussage vom Müdesein Jesu irgendwelche dogmatischen Interessen zu vermuten, die das wahre Menschsein Jesu herausstellen sollen.« Auch lässt sich bei der Zeitangabe C:>pa ~v wc; EK-t'TJ schwerlich eine Verbindung zwischen der Stunde des Gesprächs am Brunnen und der Stunde der Kreuzigung Jesu herstellen, dahingehend, dass durch die zeitliche Einordnung des Gesprächs zur sechsten Stunde das Gespräch unter dem Vorzeichen des Kreuzestodes Jesu steht. 45 Es geht m. E. zu weit, diese ganz einfache, natürliche Aussage auf die theologische Ebene zu heben. Konkret bedeutet dies: Jesus ist ganz einfach erschöpft von der Reise und gönnt sich um die Mittagszeit, in der größten Hitze, eine Rast. Deshalb lässt er sich zur Erholung und Erfrischung am Jakobsbrunnen nieder, so dass es dort zur Begegnung mit der Samaritanerin kommen kann. 46 In einem ganz einfachen Aussagesatz, bestehend aus Verb, Subjekt und finaler Infinitivergänzung als Objekt, wird in Vers 7a beschrieben, dass eine aus Samaria stammende Frau zum Brunnen kommt, um Wasser zu schöpfen. Diese Aussage für sich genommen ist nicht ungewöhnlich, denn Wasserschöpfen ist eine typische Frauenarbeit. 47 Ungewöhnlich ist allerdings die Zeit des Wasserholens: am Mittag, wenn es am heißesten ist; normalerweise wird dies in der Kühle des Morgens oder des Abends getan. 48 Ungewöhnlich ist zudem, dass die Frau nicht zu So die geographische Beschreibung beij. BECKER,joh I 200. Vgl.Joh 4,20-24. Vgl. R. SCHNACKENBURG,Joh I 460. Die Tatsache, dass es sich bei demjakobsbrunnen nicht um einen einfachen Wasserbehälter bzw. eine Zisterne handelt, geht aus der griechischen Bezeichnung 1Il]yi] 'tOll 'IcxKWß hervor, die eindeutig auf eine Quelle und damit auf "lebendiges Wasser" hinweist. Allerdings variiert die Bezeichnung im Laufe des Textes, inJoh 4,11.12 ist von cppea.p, Brunnen, Wasserbehälter die Rede, bevor in joh 4,15 wieder 1Il]'Y1l gebraucht wird. Dieser Wechsel ist mehr als nur eine stilistische Variante, hängt doch die genaue Wortwahl vom unmittelbaren Kontext ab und lässt sich von daher erklären, s. u. bei der exegetischen Analyse der besagten Stellen. « Vgl. E. DREWERMANN,johannes-Evangelium 194f. 45 So die Meinung von T. KNöPPLER, theologia 106. 46 Diese Einschätzung teilt auch C. DIETZFELBINGER,Joh I 97. 47 Vgl. allein die biblischen Zeugnisse, beispielsweise Gen 24,11 oder 1 Sam 9,11. 48 Vgl. auch hier das biblische Zeugnis in Gen 24,11.13, das dem üblichen Verhalten entspricht. 41 42 43
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Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium
den näher gelegenen QuellenAin Askar oder Ain Defne49, sondern zu dem 1 km außerhalb von Sychar befindlichen ]akobsbrunnen kommt. Auch in diesen beiden Fällen braucht man m. E. nicht nach Verlegenheitslösungen zu suchen, etwa dass die Frau zum einen als bekannte Sünderin durch das Wasserholen um die Mittagszeit das Zusammentreffen mit anderen Frauen vermeiden wollte und dass zum anderen ihre Wohnung näher am ]akobsbrunnen lag.so Hier geht es vielmehr darum, dass es am ]akobsbrunnen zur zufälligen Begegnung zwischen ]esus und der Samaritanerin kommt. Der Brunnen gilt in der Antike als ein Ort der Begegnung und des Austausches, am Brunnen trifft man zu~ammen, es werden Gespräche geführt, es findet Kommunikation statt. "Allein die Verortung der Perikope (gemeint ist]oh 4,1-42) an einem Brunnen beinhaltet eine 'kommunikative Komponente'."51 Wie es im Alten Testament zahlreiche Erzählungen gibt, die von einem Zusammentreffen und einem Gespräch zwischen einem Mann und einer Frau am Brunnen berichten52 , so wird auch in]oh 4 eine derartige Situation geschildert. 53 Die gesamte Einleitung in]oh 4,1-6 mit der relativ ausführlichen Beschreibung der Ausgangssituation (Personen, detaillierte Ortsangabe, genaue Zeitangabe) führt zur Begegnung zwischen ]esus und der Samaritanerin am ]akobsbrunnen hin. Während von ]esus sehr häufig in den Versen 1-6 die Rede ist, wird die Frau gerade· einmal mit einem Halbvers eingeführt. Ihr Name wird einleitend nicht genannt und sie bleibt die ganze Erzählung über namenlos; über ihre Person können lediglich Spekulationen angestellt werden. 54 Aus Vers 7a gehen lediglich zwei, dafür sehr bedeutende .Informationen hervor:
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51 52 53
54
Vgl.J. BECKER,Joh I 200. Vgl. etwa R SCHNACKENBURG,Joh I 46l. SoJ. ZANGENBERG, Christentum 106. Vgl. nur Gen 24,11-27; 29,1-14; Ex 2,15-21. Allerdings geht der Rückschluss zu weit, dass es sich auch bei Johannes wie bei den alttestamentlichen Vorgaben (ein Mann trifft seine zukünftige Frau am Brunnen) um eine Verlobungsszene handelt, fehlt doch in Joh 4,1-42 jegliche Brautterminologie und es wird auch keine Verlobung geschlossen, vgl.J. ZANGENBERG, Christentum 107110. Wengst vermutet, dass bei der Frau weniger an eine Sklavin, wohl eher an eine Lohnarbeiterin gedacht werden soll, vgl. K. WENGST, Joh I 166. Da der Text keinerlei Auskünfte über den beruflichen Status der Frau gibt, bewegt sich diese Vermutung auf der Ebene reiner Spekulation. Lediglich die Verse 16-19 können für vage Aussagen über das soziale Lebensumfeld der Frau herangezogen werden.
Der Dialog]esu mit der Samaritanerin in]oh 4,7-26
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Zum einen trifft Jesus mit einer Frau zusammen. Frauen spielen allgemein eine besondere Rolle im Johannesevangelium55 , doch hier in Joh 4 liegt eine ganz besondere Situation vor: Obwohl die Samaritanerin nicht mit Namen genannt und auch sonst nicht mit individuellen Zügen ausgestattet wird, steht keine andere Frau im Johannesevangelium so sehr im Zentrum einer Perikope wie sie. 56 Zum anderen wird sie nicht nur als eine Frau eingeführt, sie wird darüber hinaus durch ihre Herkunft näher bestimmt: Sie stammt aus Samaria. Dadurch kommt zur gesellschaftlichen Komponente - ein fremder Mann trifft eine fremde Frau57 - eine religiöse hinzu: Einjude begegnet einer Samaritanerin. Durch diese doppelt ungewöhnliche, fast schon prekäre Situation, erhält der nachfolgende Dialog zwischen den beiden seine zusätzliche Brisanz. Der Jude Jesus wagt es, sich in aller Öffentlichkeit mit einer samaritanischen Frau abzugeben und mit ihr in Dialog zu treten. Für jüdische wie auch für samaritanische Ohren ist das ein Skandal, der das Idyll des Brunnens zerstört und eine spannungsreiche Ausgangssituation schafft. Unter diesen paradoxen Vorzeichen ist der nun folgende Dialog zu lesen und zu verstehen, zuvor aber noch in seinem Aufbau zu untersuchen. 4.2. Der Aufbau des Dialogs Der Dialog zwischen Jesus und der Samaritanerin in Joh 4,7b-26 lässt auf der formalen Ebene einen klaren Aufbau oder gar eine symmetrische Struktur vermissen. 58 Vielmehr entwickelt er sich aus den einzelnen Äußerungen der Dialogpartner, die den Dialog voranbringen und dem Leser das Gefühl vermitteln, als ob der schriftlich fixierte Dialog tatsächlich mündlich so abgelaufen wäre. Der Dialog besteht aus insgesamt sechs Redegängen in den Versen 7b-25 und einer abschließenden Äußerung Jesu in Vers 26. In den Versen 8 und 9c wird der Dialog durch kommentierende bzw. erklä55
56 57
58
Im Vergleich zu den Synoptikern stellt]ohannes einzelne Frauengestalten heraus und weist ihnen entscheidende Bedeutung zu, so z. B. Martha mit ihrem Bekenntnis in loh 11 oder ganz besonders Maria Magdalena in]oh 20, die als erSte Auferstehungszeugin geschildert wird. So auch die Meinung von C. DIETZFELBINGER,]oh I 126. Im nichtprivaten, öffentlichen Bereich ist es absolut verpönt, dass ein Mann mit einer fremden Frau Umgang pflegt (vgl.]. ZANGENBERG, Christentum 112f.) und sich mit ihr unterhält: "Sprich nicht viel mit dem Weibe. Vom eigenen Weibe sagt man dies, um wie viel mehr gilt dies vom Weibe eines Anderen. Daher sagten die Weisen:]eder, der viel mit dem Weibe spricht, vernachlässigt die Worte der Tora und ererbt am Ende die Hölle.", so TAbot 1,5, zitiert nach C. DIETZFELBINGER,]oh I 98. Vgl. T. OKURE, Approach 92.
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Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
rende Zwischenbemerkungen des Evangelisten auf der Textebene unterbrochen; allerdings wird dadurch ein Dialog auf einer anderen Ebene ermöglicht, nämlich zwischen dem Autor bzw. seinem verfassten Text und dem Leser. Die einzelnen Redegänge werden jeweils von einer Äußerung Jesu und einer Erwiderung vonseiten der Frau gebildet und lassen sich folgendermaßen gliedern: Joh 4,7b-9ab:
1. Redegang:
Bitte Jesu - Frage der Samaritanerin
Joh 4,10-12:
2. Redegang:
AntwortJesu - Doppelfrage der Samaritanerin
Joh 4,13-15:
3. Redegang:
AntwortJesu - Bitte der Samaritanerin
Joh 4,16.17a:
4. Redegang:
AufforderungJesu - Antwort der Frau
Joh 4,17b-20:
5. Redegang:
FeststellungJesu - Aussage der Frau
Joh 4,21-25:
6. Redegang:
BelehrungJesu - Reaktion der Frau
Was die Länge der jeweiligen Redebeiträge betrifft, so fällt rein auf der quantitativen Ebene auf, dass die Dialoganteile Jesu kontinuierlich zunehmen, angefangen von einer einfachen Bitte in Vers 7c bis hin zu einer längeren Belehrung in den Versen 21-24, während die Dialoganteile der Frau nahezu konstant bleiben und jeweils 1-2 Verse ausmachen. Im Verlauf des Dialogs kommt den beiden christologischen Titeln "Prophet" in Vers 19 und "Messias" in Vers 25 eine tragende Bedeutung zu. Durch ihre betonte Stellung jeweils am Ende eines thematischen Abschnitts markieren sie theologische Meilensteine innerhalb des Dialogs und geben stufenweise Antwort auf die alles entscheidende Frage, wer Jesus ist. Unter diesem Aspekt kommt dem Vers 10 eine Schlüsselstellung für den Aufbau und das Thema des folgenden Dialogs zu, insofern hier bereits die Frage nach der IdentitätJesu anklingt. In diesem Vers 10 werden zwei Bedingungen für den Empfang von lebendigem Wasser formuliert, nämlich die Erkenntnis, "worin die Gabe Gottes besteht" und die Erkenntnis, "wer es ist", der diese göttliche Gabe gibt. Damit enthält dieser Vers noch relativ am Beginn des Dialogs59 die beiden entscheidenden Themen für den ganzen Dialog60,
59
60
Der Dialog wird von Jesus in Vers 7b eröffnet, in Vers 8 bereits unterbrochen und in Vers 9 durch eine Frage der Samaritanerin fortgesetzt, die Jesus in Vers 10 beantwortet. Vgl. T. OKURE, Approach 92.
Der DialogJesu mit der Samaritanerin inJoh 4,7-26
87
die natürlich nicht voneinander zu trennen sind, weil die Gabe des lebendigen Wassers an den Geber gebunden ist und umgekehrt. So ist es nicht verwunderlich, dass sich beide Aspekte in der Person jesu treffen: Er ist Gabe und Geber des lebendigen Wassers, wenn er denn als solches und als solcher erkannt wird. Genau darauf, auf die Erkenntnis der Person jesu, zielt der gesamte Dialogjoh 4,7-26 letztlich hin. Wie die Frau als Dialogpartnerinjesu, so soll auch der Leser im Dialog mit dem Text jesus in seiner wahren Bedeutung erkennen. Diese Erkenntnis geschieht nicht durch ein Blitzereignis, sondern vollzieht sich nach und nach in einem Prozess des zun~hmenden Erkennens. Diesen Weg der Erkenntnis jesu versucht die Form des literarischen Dialogs nachzuzeichnen und über die reine Textebene hinaus für den Leser selbst gehbar zu machen. Damit erklärt sich auch die anfangs gemachte Beobachtung, dass der Dialog in joh 4 nicht symmetrisch oder konzentrisch aufgebaut, sondern vielmehr als ein Weg von A nach B gestaltet ist. Ausgehend von einer einfachen Bitte jesu in Vers 7 verläuft dieser Weg über bewusste Umwege in Form von typischjohanneischen Missverständnissen, aber auch über bewusste theologische Hauptstraßen in Form von christologischen Prädikationen auf ein bestimmtes Ziel zu: Die abschließende Selbstoffenbarung jesu als Messias in Vers 26. Bevor dieser Weg mit einem inhaltlichen Durchgang durch die einzelnen Verse beschritten und nachgegangen wird, sollen zunächst literarkritische Beobachtungen am Dialog angestellt werden. 4.3. Literarkritische Beobachtungen am Dialog Die rein formale Einteilung des Dialogs in verschiedene Redegänge hat ihre Schwäche darin, dass bestimmte Spannungen innerhalb des Dialogs und darüber hinaus zum Kontext nicht wahrgenommen und dadurch die Übergänge im dialogischen Geschehen nicht berücksichtigt werden können.6 1 Um dieses Defizit auszugleichen, sollen an dieser Stelle literarkritische Beobachtungen an joh 4,7b-26 angestellt werden. Die Verse 7c.9b.lO-15 stellen insofern eine thematische Einheit dar, als hier und nur hier innerhalb des Dialogs die Rede vom Wasser ist. Das Stichwort üöwp begegnet in den wenigen Versen 7c.9b.lO-15 insgesamt siebenmal und liefert damit das zentrale Thema dieses Abschnitts. Gerahmt werden diese Verse über das lebendige Wasser von 61
Dieses Problem stellt sich inJoh 4,'7b-26 in besonderer Weise, weil es sich hier im Vergleich zu den folgenden Texten um einen extrem langen Dialog handelt.
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Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
zwei Imperativen mit der Bitte um Wasser, die am Anfang in Vers 7 von Jesus und am Ende in Vers 15 von der samaritanischen Frau ausgesprochen werden. Diese Inklusion darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass innerhalb dieser Verse 7-15 Spannungen und Brüche auftreten. Auf die Bitte Jesu nach Wasser in Vers 7c folgt nicht unmittelbar die verbale Reaktion der Samaritanerin; diese wird erst in Vers 9 geschildert. Vielmehr wird der soeben von Jesus eröffnete Dialog gleich in Vers 8 durch eine Bemerkung des Evangelisten62 unterbrochen. Welchen Sinn diese Unterbrechung macht und warum sie ausgerechnet auf den Evangelisten zurückgeht, muss bei der exegetischen Analyse vom Kontext der Stelle her noch genauer geklärt werden. Eine neuerliche Störung im Dialog zwischen Jesus und der samaritanischen Frau ist im Vers 9c gegeben. Bevor Jesus den Dialog mit einer Antwort auf die Frage der Samaritanerin fortsetzen kann, erfolgt für den Leser eine Erklärung. Diese Erklärung geschieht in einem begründenden Nachsatz, den der Evangelist63 oder möglicherweise ein späterer RedaktorM eingeschoben hat: Oll yap auyxpwv'tOCL 'IoUOOCLOL llillocP('tocL~. Auch hier kann die Intention dieser Einfügung nur aus dem Duktus des Dialogs, speziell aus der Personenkonstellation heraus, verstanden und analysiert werden. Ausgehend vom sprachlichen Befund zeigt sich ein deutlicher Bruch zwischen den Versen 9 und 10. Sind die Verse 7 und 9 im einfachen Stil gehalten und deshalb auch sehr kurz, so werden die Sätze ab Vers 10 länger und schwieriger. Aufgrund dieser Beobachtung wird bei der
So die Einschätzung von R. SCHNACKENBURG,Joh I 461, allerdings ohne Begründung; Becker sieht in Vers 8 mit Vers 27 die Vorbereitung des Jüngergesprächs in den Versen 31-38 durch den Evangelisten, erwägt aber im direkten Anschluss auch die Möglichkeit, die Verse 8 und 27 als dem Evangelisten vorgegeben zu betrachten, in deren Anschluss er das Jüngergespräch anfügen konnte, vgl. J. BECKER, Joh I 197f. Am kompliziertesten beurteilt Link den Vers 8: Aufgrund von sprachlich-stilistischen Beobachtungen weist sie diesen Vers der Grundschicht zu und verortet ihn ursprünglich hinter Vers 6, bevor der Evangelist diesen Aussagesatz in einen Begründungssatz umgewandelt und hinter Vers 7 gesetzt hat, vgl. A. LINK, »Was redest du mit ihr?" 259f. Allein schon auf der formalen Ebene, durch die Unterbrechung des Dialogs der alten Erzählung, erweist sich dieser Vers 8 m. E. als Zusatz des Evangelisten, der im Nachhinein nötig war, um den Dialog durch die Rückkehr der Jünger in Vers 27 abbrechen zu lassen und die anschließende Jüngerbelehrung in den Versen 31-38 zu motivieren. 63 So die Zuweisung bei K. WENGST,Joh 1167. 64 So die vorsichtige Vermutung bei R. SCHNACKENBURG, Joh I 461, die sich durch folgende Beobachtungen verstärken lässt: Bei 'Ioooa.loL und llij.UXpL'ta.L~ fehlt jeweils der Artikel und aUYlCpaoj.UXL ist Hapax Legomenon, d. h. beides spricht nicht für typischjo. hanneischen Sprachgebrauch. 62
Der DialogJesu mit der Samaritanerin inJoh 4,7-26
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exegetischen Analyse der besagten Verse darauf zu achten sein, wie sich diese Spannung auf syntaktischer Ebene auflösen lässt. Dreht sich in den Versen 7-15 alles um das Stichwort "Wasser", so ist mit Vers 16 ein thematischer Einschnitt gegeben. Ähnlich wie oben in Vers 7·ein einfacher Imperativ, markiert hier in Vers 16 eine dreifache Aufforderung Jesu an die Frau den Beginn eines neuen Themas. Von "Wasser" ist jetzt nicht mehr die Rede, dafür beleuchten die kommenden Verse 16-19 das Privatleben der Frau, konkret ihr Eheleben. Einhergehend mit diesem inhaltlichen Argument weist eine sprachliche Beobachtung auf einen Neueinsatz mit Vers 16 hin. Im Unterschied zu den relativ komplizierten und verklausulierten Versen 10-15 beg~gnen in den Versen 16-19 wieder überwiegend kurze und einfache Sätze. Mit Vers 20 vollzieht sich ein neuerlicher Bruch im Dialog. Im Unterschied zu vorher werden die Verse nicht nur wieder länger, sondern gewinnen auch an Tiefendimension. In den Versen 20-26 wird die Frage nach der wahren Gottesanbetung verhandelt. Aus literarkritischer Sicht bereitet in diesem Abschnitt der Vers 22e die größten Schwierigkeiten, insofern entschieden werden muss, ob dieser Teilvers auf den Evangelisten oder einen späteren Redaktor zurückgeht. Diese Entscheidung kann an dieser Stelle noch nicht getroffen werden, hängt sie doch maßgeblich vom Kontext der Aussage ab. Deswegen sollen solche literarkritischen Probleme in der nun folgenden Einzelanalyse der Verse mit verhandelt und geklärt werden. 4.4. Der Verlauf des Dialogs 4.4.1. Eröffnung - Unterbrechung - Fortführung - 2. Unterbrechung des Dialogs: Der Jude Jesus und die samaritanische Frau (V. 7-9) Jesus ergreift die Initiative und eröffnet den Dialog, indem er in Joh 4,7c die samaritanische Frau um etwas zu trinken bittet: ßOt; J.l.OL 1TELV. Diese drei Worte drücken ein existentielles Grundbedürfnis des Menschen aus: Jesus hat Durst. Deswegen kommt er auch an den Brunnen, um seinen Durst zu löschen. Mit der einleitenden Bitte um Wasser gelingt es dem johanneischen Jesus, auf die konkrete Situation am Brunnen einzugehen und darüber hinaus die Weichen für den weiteren Fortgang des Dialogs zu stellen. Das Verbum ÖtÖWJ.l.L begegnet in den folgenden Versen noch sechsmal65 und dabei stets in dem Zusammenhang der Gabe von Wasser, sei 65
Innerhalb des Dialogs nebenJoh 4,7 inJoh 4,10 (2x).12.14 (2x).15.
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Die Dialogejesu mit Einzelpersonen imjohannesevangelium
es in Verbindung mit 1TLVW (Verse 7.10.14), mit üöwp (Verse 14.15) oder mit peap (Vers 12). Die gesamte imperativische Wendung .Me;; 1l0L 1TELV findet sich wörtlich nochmals in Joh 4,10 im Munde Jesu und dann in leicht abgewandelter Form Me;; 1l0L 1:0ll'tO 1:0 üöwp als Aufforderung der Frau inJoh 4,15. Durch diese Einzelbeobachtungen bestätigt und verstärkt sich das oben Gesagte, dass Jesus mit seiner Einleitungsbitte in Joh 4,7c den Dialog von Anfang an in eine bestimmte Richtung steuert und damit das Thema der folgenden Verse vorgibt: Es geht um das lebendige Wasser. Dieses Thema wird in den Versen 10-15 "besprochen".66 Bevor die Samaritanerin auf die Bitte Jesu reagieren und in den Dialog mit ihm eintreten kann, schiebt der Evangelist eine Zwischenbemerkung ein und verzögert dadurch den weiteren Fortgang der dialogischen Begegnung. Der Leser erfährt, dass die Jünger Jesu zum Einkaufen in den Ort gegangen sind. Diese Information ist zwar insofern sinnvoll, als dadurch sichergestellt wird, dass Jesus allein, ohne seine Jünger, mit der Samaritanerin reden kann, aber sie kommt mehr als unvermittelt nach der ersten Äußerung Jesu, noch ehe die samaritanische Frau erstmals zu Wort kommt. Dadurch liegt es nahe, diesen Vers 8 als Unterbrechung des Dialogs zu sehen, die auf den Evangelisten zurückgeht. Durch diesen Zusatz verankert er die Jünger gleich zu Beginn in der Erzählung, um die gegen Ende der Erzählung folgendeJüngerbelehrung in den Versen 31-38 vorzubereiten und zu motivieren; zugleich stellt er sicher, dass die Jünger den Dialog zwischen Jesus und der Samaritanerin nicht stören. 67 Nach dieser kurzen Unterbrechung erfährt der Dialog in Vers 9 mit dem ersten Redebeitrag der Frau eine ungewöhnliche Fortsetzung. Die Samaritanerin reagiert nicht direkt auf die Bitte Jesu von Vers 7c, indem sie beispielsweise seiner Bitte nachkommt und ihm zu trinken gibt, sondern sie gibt ihrer Verwunderung in Form einer Frage Ausdruck, die auf die brisante Dialogsituation hinweist: IIwe;; au '1ouoaLoe;; c3v 1Tap' Elloii 1TeLV aL1:ELe;; yuvaLKoe;; l:aIl«PLnÖOe;; oiJaTJe;;; Der Jude Jesus68 wagt 66 67
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Die inhaltliche Geschlossenheit dieses Abschnitts wird formal bestätigt durch die Inklusion der Verse 10 und 15. Gegen R. SCHNACKENBURG, joh I 461, der hier keinen künstlichen Eingriff des Evangelisten annimmt, sondern es für möglich hält, dass sich die Dinge auf natürliche Weise so zugetragen haben; mit C. DIETZFELBINGER, joh I 98, der in Vers 8 die geschickte Regie des Evangelisten erkennt. Nur hier imjohannesevangelium wirdjesus als jude (im Singular) angesprochen; dadurch soll der Kontrast zur samaritanischen Frau zum Ausdruck gebracht werden. Allerdings sagt der Text nichts darüber aus, woran die Samaritanerinjesus als juden
Der DialogJesu mit der Samaritanerin inJoh 4,7-26
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es, eine samaritanische Frau um Wasser zu bitten. Für die Frau wie für den Leser ist diese Tatsache eine Provokation, ·zumal Jesus hier gegen zwei Grundsätze verstößt69: Zum einen spricht er als Mann eine fremde Frau in aller Öffentlichkeit an, zum anderen wendet er sich als Jude mit einer Bitte an eine Samaritanerin. Das bedeutet die "Preisgabe des jüdischen Standpunktes"70. Worin dieses gesellschaftliche und v. a. religiöse Fehlverhalten Jesu besteht, ist für jüdische wie auch für samaritanische Ohren klar. Demgegenüber muss die Verwunderung der Frau, die in ihrer Frage zum Ausdruck kommt, den heidnischen Lesern erklärt werden. Durch die eingefügte Erklärung: Oll yap ouYXPWV'tIlL 'Iouölli.OL ~lllJllp(tIlLC; wird zwar d~r Dialog zwischen Jesus und der Samaritanerin abermals unterbrochen, dafür wird ein Dialog auf einer anderen Ebene geführt, ein Dialog zwischen dem Autor des Textes und seinen Lesern. Wie oben bereits kurz angedeutet, kann dieser Teilvers 9c als erklärende Information für Heidenchristen gelesen werden, die erst über das spannungsvolle Verhältnis zwischen Juden und Samaritanern unterrichtet werden müssen, damit sie die Reaktion der Frau in Vers 9ab und darüber hinaus die ungewöhnliche Dialogkonstellation verstehen können. Diese Deutung liegt nahe und bietet sich an, da die johanneische Gemeinde nach ihrer Trennung vom jüdischen Synagogenverband wohl mehr aus Heiden- als aus Judenchristen bestand. Doch ist mit dieser reinen Informationspolitik der Dialog zwischen dem Autor und seinen Lesern bereits erschöpft oder geht er vielleicht noch weiter? Zangenberg stellt die interessante Überlegung an, dass sich dieser Dialog mit den Lesern v. a. auf der Ebene der Textpragmatik vollzieht, insofern der Autor mit dem "Merksatz" in 9c die Einwände der traditionell jüdisch geprägten Christen hinsichtlich des Kontakts eines Juden mit Samaritanern zur Sprache bringt und damit auch den Anstoß für judenchristliche Leser problematisiert. 7l Hinter dieser Überlegung verbirgt sich ein Dialog auf einer dritten Ebene: ein innergemeindlicher Dialog zwischen den johanneischen Christen, hier speziell zwischen Judenchristen, über ihr Verhältnis zu den Samaritanern. Während die Heidenchristen kein Problem im Umgang mit Samaritanern haben dürften, ist die Beziehung der Judenchristen zu ihnen erkennt, ob an seiner Kleidung oder Sprache oder an seinem Mittagsgebet in RichtungJerusalem, so die verschiedenen Vermutungen bei A. LINK, .Was redest du mit ihr?" 26lf., die jedoch allesamt für das tiefere Verständnis des Textes nichts beitragen. Es geht hier einzig allein um die prekäre Spannungjude Jesus - samaritanische Frau. 69 Vgl. C. DIETZFELBINGER,Joh I 98. 70 So R. BULTMANN,Joh 130. 71 Vgl.J. ZANGENBERG, Christentum 117.
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Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
durch die vorgegebene Erbfeindschaft zwischen Juden und Samaritanern stark vorbelastet. Worin besteht diese Erbfeindschaft? Neben dem politischen Gefälle zwischen dem Nord- und dem Südreich 72 kommt es auch zu einer kultischen Trennung zwischen den Jahweverehrern des Nordens und des Südens. In der Zeit Alexanders des Großen (336-323 v. Chr.) errichten die Samaritaner auf dem Garizhn ihren eigenen Tempel; dadurch entsteht neben dem Tempel in Jerusalem im Norden ein zweites Kultzentrum mit eigenen religiösen Praktiken und Ausprägungen. So erkennen die Samaritaner ausschließlich den Pentateuch als Heilige Schrift an, sie sehen sich als die wahren Nachkommen der Erzväter und verehren Mose als zentrale Gestalt ihrer Religion. Der endgültige Bruch zwischen Juden und Samaritanern erfolgt allerdings erst später unter dem Hasmonäerkönig Hyrkan I. (135-104 v. Chr.), als dieser das Heiligtum der Samaritaner auf dem Garizim und die Stadt Sichern zerstören lässt. Vor diesem geschichtlichen Hintergrund ist das spannungsgeladene Verhältnis zwischen diesen beiden Gruppen auch noch zur ZeitJesu zu verstehen. Aus den Darstellungen des jüdischen Geschichtsschreibers Flavius Josephus geht hervor, dass die Juden die Samaritaner nicht als Israeliten ansahen, sondern als halbheidnisches Mischvolk verachteten 73 ; neben verbalen Attacken berichtet Josephus auch von konkreten Feindseligkeiten74 bis hin zu blutigen Zwischenfällen75 • Diese Situation erbitterter Feindschaft kommentiertJoh 4,9c mit dem zusammenfassenden Hinweis, dass Juden nicht mit Samaritanern verkehren, vielleicht auch konkret im Blick auf das Verletzen jüdischer Reinheitsvorschriften durch den Umgang Jesu mit der unreinen Samaritanerin. 76 Mit dieser kurzen Zwischenbemerkung in Joh 4,9c gelingt es dem Autor, sei es der Evangelist oder ein späterer Redaktor, einen Dialog mit den ursprünglichen Adressaten und darüber hinaus auch mit den
72
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Mit dem Untergang des Nordreichs und der Zerstörung Samarias 722 v. Chr. (vgl. 2 Kön 17) beginnt die unheilvolle Geschichte des Nord-Süd-Konflikts, die letztlich 445 v. Chr. mit der Erhebung Judäas zur selbstständigen Provinz zur politischen Trennungführt. Vgl. Jos Ant XIII 9,1, der die Samaritaner entsprechend 2 Kön 17,24 als Volk der Chuthäer bezeichnet. Jos Ant XVIII 2,2: Samaritaner verstreuen am Pascha menschliche Gebeine im Tempel. Jos Ant XVIII 4,l. So die Meinung von]. ZANGENBERG, Christentum 116-119.
Der DialogJesu mit der Samaritanerin inJoh 4,7-26
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heutigen Lesern 77 zu führen; dabei nimmt er sogar eine abermalige Unterbrechung des Dialogs auf der Textebene in Kauf. 4.4.2. Die Fortführung des Dialogs: Das lebendige Wasser (V. 10-15) Ungeachtet des vorwurfsvollen Einwandes der Frau in Vers 978 macht Jesus dem Gespräch kein Ende, sondern zeigt sich weiterhin dialogbereit. Anstatt jedoch auf den soeben thematisierten Gegensatz zwischen Juden und Samaritanern näher einzugehen, greift er inhaltlich Vers 7 auf; allerdings tut er dies in einem spannungsreichen Kontrast mit vertauschten Rollen. Derjenige, der in Vers 7 um Wasser gebeten hat, wird in Vers 10 zu demjenigen, der Wasser anbietet, kurz: Der Bittende wird zum Anbietenden. Aus diesem Paradox geht eine eigentümliche Wende des Gesprächs hervor. Ein Einschnitt im Dialog zeigt sich bereits in der Redeeinleitung. Mit dem doppelten Prädikat a1TEKpLS" 'I"ooi)C;; Kn:t EL1TEV wird das Folgende betont und hervorgehoben; das, was Jesus jetzt sagt, hat Gewicht. Rein formal lässt sich die Bedeutung der Aussage am kunstvollen Aufbau des Satzes erkennen. Auf eine doppelte Protasis in den Versen lOb und c folgt eine doppelte Apodosis in den Versen IOd und e. Insgesamt liegt diesem Vers 10 eine chiastische Struktur zugrunde. Dem Objekt im ersten Teil der Protasis ,~v ÖWPEa.V ,oi) SEoi) entspricht das Objekt im zweiten Teil der Apodosis iJöwp (wv. Analog lassen sich die beiden Satzteile ,LC;; eonv 0 ÄEYWV im zweiten Teil der Protasis und n:i)'t'ov im ersten Teil der Apodosis aufeinander beziehen. Im Mittelpunkt des Verses steht die wörtlich aus Vers 7c aufgenommene Aufforderung ß6c;; IJ.OL 1TE'l.V. Durch diese formalen Bezüge lassen sich auch wichtige inhaltliche Aussagen erkennen. Die Gabe Gottes besteht in lebendigem Wasser und derjenige, der diese Gabe gibt, ist Jesus, mit dem sich die Samaritanerin unterhält. Allerdings sind die Erkenntnis der Gabe Gottes und die Erkenntnis der Person Jesu die beiden unabdingbaren Voraussetzungen dafür, die Gabe des lebendigen Wassers zu erhalten. Das Substantiv ÖWPEa. begegnet nur hier in Joh 4,10 im Johannesevangelium und fehlt auch sonst in den synoptischen Evangelien. Dagegen findet es sich an vier Stellen in der Apostelgeschichte und beAuch sie müssen über das gespannte Verhältnis zwischen Juden und Samaritanern informiert werden, damit sie die außergewöhnliche Dialogkonstellation am Jakobsbrunnen verstehen können. 78 Gegen C. DIETZFELBINGER, Joh I 102, der erwartet, dass Jesus in seiner Antwort auf den von der Frau angesprochenen Gegensatz zwischen Juden und Samaritanern eingeht. 77
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Die Dialoge Jesu mit Einze1personen imJohannesevangelium
zeichnet jeweils den Heiligen Geist als Geschenk Gottes. 79 In den paulinischen Schriften meint öwpea die Gerechtigkeit Gottes in Jesus Christus80 bzw. die Gnade allgemein, die den Menschen von Gott geschenkt wird. 81 Zusammenfassend stellt sich demnach öwpea im Neuen Testament und darüber hinaus82 als allgemeiner Ausdruck für eine Heilsgabe Gottes an die Menschen dar. Hier inJoh 4,10 besteht dieses Geschenk Gottes konkret in der Gabe lebendigen Wassers. Dieses symbolische Bild vom Wasser eignet sich im Kontext vonJoh 4 vortrefllich dazu, mit dem Begriff öwpea in Verbindung gebracht zu werden. Wasser gilt in sämtlichen Kulturkreisen als lebensspendendes und heilsames Element. Es spielt in den altorientalischen und griechischen Mythen insofern eine zentrale Rolle, als bei der Schöpfung alles Leben aus dem Urelement WasserB3 hervorgeht. Ohne Wasser ist kein Leben möglich. 84 Auf der Grundlage dieser weitverbreiteten Einsicht wird Wasser im Alten Testament als Segen und Heil empfunden85 und Gott selbst wird als Quelle lebendigen Wassers86 bezeichnet. Damit ergibt sich ein Anknüpfungspunkt zu Joh 4,10, zum einen, weil hier auch von lebendigem Wasser die Rede ist, zum anderen, weil dieses lebendige Wasser als Gabe Gottes verstanden wird. Nach diesen Überlegungen wird deutlich, dass mit üöwp (<3v an unserer Stelle alles andere als eine menschliche oder natürliche Gabe gemeint sein kann. Die Frage ist nur, worum es sich bei diesem göttlichen Geschenk des lebendigen Wassers konkret handelt. Wie Origenes und andere Kirchenväter das lebendige Wasser als Symbol des lebensspendenden Pneuma zu verstehen87, greift vom Kontext her nicht nur zu kurz, soridern widerspricht auch johanneischer Theologie, insofern beiJohannes die Geistsendung erst durch den Auferstandenen 79 80 81 82
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Apg 2,38; 8,20; 10,45; 11,17. Röm 5,15.17. 2 Kor 9,15; Eph 3,7; 4,7. Für die Rabbinen ist die Thora das Geschenk Gottes schlechthin, daneben werden auch Frieden und Erlösung als Gaben Gottes betrachtet. Vgl. den ersten Schöpfungsbericht der Genesis, der nichts über eine Erschaffung des Wassers aussagt, sondern das Wasser von Anfang an da sein lässt. Hier ereignet sich Schöpfung dadurch, dass die chaotischen Urwasser geteilt werden. Vgl. die Ausführungen zum Thema Wasser bei W. LÜTGEHETMANN, Hochzeit 176-216, die sich u. a. auch auf das Alte und Neue Testament beziehen. Vgl. Ps 23,2; 36,9f.; 46,5; 65,lOf.;Jes 12,3; 55,1; Ez 47,1-12; Sach 14,8;JoeI4,18. Natürlich ruft Wasser im Alten Testament durchaus auch negative Konnotationen heIVor. Die zerstörerische Kraft des Wassers kommt beispielsweise in der Sintfluterzählung deutlich zum Ausdruck, vgl. Gen 7,17-8,22. Jer 2,13; 17,13. Vgl. Origenes,]ohannes, XIII.10, der sich an dieser Stelle mit Herakleons Exegese zu Joh 4,13-15 auseinandersetzt.
Der Dialogjesu mit der Samaritanerin injoh 4,7-26
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erfolgt. 88 Vielmehr ist bei dieser sinnbildlichen Vorstellung von lebendigem Wasser als göttlicher Gabe an die Offenbarung als solche zu denken und konkret an Jesus als den johanneischen Offenbarer schlechthin. Wie Jesus sich als "Brot des Lebens"89 oder "Licht des Lebens'.'90 offenbart, so spricht er in Joh 4,10 von sich als Spender lebendigen Wassers. Im Vergleich zu den zuvor genannten Stellen tut er dies allerdings nicht direkt in der 1. Person, sondern zunächst in einem verschlüsselten, geheimnisvollen Offenbarungswort in der 3. Person, das den Beginn des Offenbarungsdialogs Jesu mit der Samaritanerin markiert und damit den zuvor begonnen Dialog amJakobsbrunnen auf eine höhere Ebene hebt. Was für die Samaritanerin und auch den Leser am Anfang des Dialogs noch unverständlich ist, hören johanneisehe Ohren sofort heraus: Jesus ist Gabe und Geber des lebendigen Wassers; er ist in seiner Person die Heilsgabe Gottes für die Menschen schlechthin, die er ihnen durch die Offenbarung schenken will. 91 Zu dieser Erkenntnis muss die Samaritanerin im Laufe des Dialogs noch gelangen. Zwar reagiert die samaritanische Frau auf die AussageJesu und greift auch das wichtige Stichwort "lebendiges Wasser" auf, doch zeigt sie mit ihrer Reaktion, dass sie Jesus nicht erkannt und den Sinn seiner Worte nicht verstanden hat. 92 Analog zum Nikodemusgespräch93 liegt auch hier in Joh 4,11 ein typisch johanneisches Missverständnis94 vor. Dadurch, dass der Ausdruck "lebendiges Wasser" in der Alltagssprache die Bedeutung von Quellwasser im Unterschied zum Zisternenwasser 88 89 90 91 92
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Vgl.joh 20,22. joh 6,35. joh 8,12. Gegen Schnackenburg, der davon ausgeht, dass mit der Gabe Gottes jesus nicht unmittelbar selbst gemeint ist, weil er das KilL nicht wie Becker explikativ versteht, vgl. R. SCHNACKENBURG,joh I 462. Gegen Wengst, der mit Schottroff davon ausgeht, dass die Fraujesus sehr wohl versteht, weil sie ihn richtig und angemessen nach dem "Woher" des lebendigen Wassers fragt; allerdings wird durch diese Frage der Frau nur konsequent die Ebene des Missverständnisses weitergeführt, auch hier gegen K. WENGST,joh I 168f. Nikodemus versteht injoh 3,4 das &vwgev aus dem vorigen Vers im irdisch-wörtlichen und nicht im geistig-übertragenen Sinn. Solche Missverständnisse leben von der Doppeldeutigkeit eines bestimmten Ausdrucks, der eben nicht nur wörtlich, sondern auch in übertragener Bedeutung zu verstehen ist. Während die Dialogpartner Jesu auf der wörtlichen Ebene stehen bleiben und jesus missverstehen, werden die Leser dadurch, dass sie dieses Missverständnis durchschauen, auf die übertragene Bedeutung aufmerksam gemacht und zum richtigen Verständnis der Aussage jesu geführt. Neben dieser textpragmatischen Funktion des johanneischen Missverständniskonzeptes für den Leser ist für die reine Textebene nicht zu vergessen, dass solche Missverständnisse als Stilmittel des Verfassers den Dialog voranbringen und weiterführen können, vgl. M. SCHMIDL,jesus 128-133.
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Die Dialoge jesu mit Einze1personen imjohannesevangelium
hat, kommt es zum Missverständnis zwischen Jesus und der Samaritanerin. Die Frau macht Jesus darauf aufmerksam, dass er kein Schöpfgefäß hat und dass der Brunnen tief ist. Damit bleibt sie auf der wörtlichen Ebene stehen und versteht lebendiges Wasser als Quellwasser; die tiefere Bedeutung als göttliche Gabe bleibt ihr aufgrund der Unkenntnis der Person Jesu noch verschlossen. Dazu bedarf es erst einer weiteren Offenbarung Jesu. Auf der Textebene verlangt dieses Missverständnis der Frau also eine Fortsetzung des Dialogs mit einer Klärung für die Frau, was mit lebendigem Wasser gemeint ist und wer es ist, der ihr das schenkt. Doch bevor Jesus das zweite Offenbarungswort spricht, gilt es, sich die beiden Verse 11 und 12 noch etwas näher anzuschauen. Im Unterschied zur fehlenden Anrede in Vers 9, die die Frau möglicherweise aufgrund ihrer Verwunderung vergisst, spricht die Samaritanerin in Vers 11b Jesus mit KUPLE an. Dahinter verbirgt sich nicht etwa ein verstecktes Bekenntnis der Frau zu Jesus als Kyrios95, sondern ganz einfach eine höfliche, ehrerbietige Anrede des Fremden.96 Während in Joh 4,6 zweimal der Ausdruck 1TTlrfl gebraucht wird und damit der Jakobsbrunnen als Quelle ausgewiesen wird, ist in den Versen 11 und 12 jeweils von IjlpEap, d.h. Brunnen im eigentlichen Sinn die Rede. Link sieht in diesen unterschiedlichen Bezeichnungen mehr als nur eine stilistische Variante des Evangelisten; vielmehr hängt die bewusste Verwendung von IjlpEap ihrer Meinung nach mit der Gestaltung des Missverständnisses zusammen. 97 Nicht die frische Quelle, sondern der tiefe Brunnen erfordert ein Schöpfgefäß und motiviert die anschließende Frage der Frau: 1To9EV oov EICHt; 'to iJöwp 'to (WV;98 Diese Frage nach dem Woher des lebendigen Wassers aus dem Mund der Frau mag zunächst oberflächlich und unbedeutend klingen, ähnlich wie die Notiz in der Kanaperikope in Joh 2,9 und auch im Nikodemusgespräch in Joh 3,8. Doch auf der Ebene des Missverständnisses setzt sie der Evangelist bewusst ein, um damit die tiefgründige und wichtige Frage zu stellen, woher der Offenbarer und seine Gabe
95 GegenR. E. BROWN,joh I 170.
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So die Einschätzung von R SCHNACKENBURG,joh I 464. In Vers 14 begegnet interessanterweise wieder die Bezeichnung 1ITlyfj, weil vom Kontext das Bild der Quelle besser passt als das des Brunnens. Damit ist wohl der Beweis erbracht, dass der Evangelist die beiden Ausdrucke bewusst einsetzt, um jeweils eine bestimmte Aussageabsicht zu transportieren. 98 Vgl. A. LINK, "Was redest du mit ihr?" 206.
Der DialogJesu mit der Samaritanerin inJoh 4,7-26
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stammen.99 Eine Antwort darauf versucht das Johannesevangelium als Ganzes zu geben und speziell auchJoh 4,1-42. Mit einer zweiten Frage untermauert die Frau ihr Missverstehen, insofern sie in "verfehlter Ironie"loo Jesus mit Jakob vergleicht. lDl Innerhalb der Samariaperikope Joh 4,1-42 begegnet der Name Jakob an zwei Stellen, erstmals in Joh 4,6 zur Bezeichnung des Brunnens und dann eben an dieser Stelle in Joh 4,12. Hier wird auch nicht nur der bloße Name genannt, sondern es erfolgt eine nähere Bestimmung als 1Hx"CpOC; ~f.LWV 'IQxwß. Aus dieser Titulierung mit dem Possessivpronomen lässt sich die enge Beziehung der Samaritaner zu Jakob als ihrem Ahnherrn ableiten. Er ist es, der ihnen den Brunnen gegeben hat, und er selbst hat daraus getrunken wie auch seine Söhne und seine Herden.1 02 Durch diesen Bezug zu Jakob handelt es sich hier also um einen ganz besonderen,ja einzigartigen Brunnen. UndJesus soll noch größer sein als Jakob? Woher nimmt er das lebendige Wasser? Die Frage der Frau in Vers 12 für sich betrachtet, lässt mit Theobald ein ,,»heilsgeschichtliches« Überbietungsschema"1D3 vermuten, dahingehend, dassJesus zwar in der heilsgeschichtlichen Tradition mit Jakob steht, diesen aber an Größe und Bedeutung klar übertrifft. Allerdings geht aus der folgenden Antwort Jesu sehr schnell hervor, dass Jesus kein neuer Jakob ist und jeder Vergleich mit dem Patriarchen von vorneherein zum Scheitern verurteilt ist. Das Wasser, dasJesus gibt, hat eine ganz andere Qualität als das Wasser des Jakobsbrunnens; es ist totaliter aliter. Dieser Kontrast zwischen dem irdisch-natürlichen Wasser des Jakobsbrunnens und dem göttlich-übernatürlichen Wasser Jesu kommt in dem zweiten Offenbarungswort Jesu in den Versen 13 und 14 zum Ausdruck, das analog zum ersten OffenbarungswortJesu in Vers 10 betont mit doppeltem Prädikat eingeleitet wird. Ganz im johanneischen Stil folgt auf eine Negativaussage eine parallel dazu formulierte positive
Diese Frage wird im weiteren Johannesevangelium immer wieder und immer deutlicher gestellt, insofern sie direkt an Jesus gerichtet wird, vgl. Joh 7,27f.; 8,14; 9,29f.; 19,9; vgl. zum Ganzen R. SCHNACKENBURG,Joh I 464. IOD SO die Einschätzung von C. DIETZFELBINGER,Joh 1102. 101 Vgl. dazu den von den Juden angestellten, direkten, wörtlichen Vergleich zwischen Jesus und Abraham inJoh 8,53. 102 Dieses Ereignis wird im Alten Testament nicht erwähnt und geht wohl auf Lokaltradition zurück, wie auch die Grundschicht, v. a. zu Beginn, sehr stark von Lokalkolorit geprägt ist. . 103 So M. THEOBALD, Israel 171.
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Die DialogeJesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
Kontrastaussage, die inhaltlich noch erweitert ist und dadurch betont wird,l04 Im negativen ersten Teil sprichtJesus von 'tau ÜÖIX'tOC; 'tOu'tOu und bezieht sich durch die Verwendung des Demonstrativpronomens auf das Wasser des Jakobsbrunnen. Dieses und mit ihm jedes andere natürliche Wasser vermag den Durst des Menschen nicht zu stillen, zumindest nicht auf Dauer und für diese bestimmte Zeit auch nur den physischen Durst. Dagegen vermag das Wasser, das Jesus gibt, den Durst des Menschen für immer zu stillen. Durch das adversative öE am Anfang von Vers 14 wird der Umschwung von der negativen hin zur positiven Aussage vorbereitet. Im Folgenden redet Jesus im Unterschied zum Vers 10 auch nicht mehr über sich in der 3. Person, sondern spricht in diesem Vers 14 von sich selbst in der 1. Person und bindet dadurch dieses zweite Offenbarungswort stärker an seine eigene Person. Auf diese Weise geht aus Joh 4,14 klar hervor, dass Jesus dexjenige ist, der dieses Wasser gibt. Schließlich begegnet diese Aussage sogar doppelt, so dass die Verbform öwaw zweimal vorkommt. An ihr ist neben der Verwendung der 1. Person auch und vor allem die Form des Futurs auffällig, das im Gegensatz zur restlichen Erzählung in den Versen 13 und 14 gehäuft gebraucht wird. Während viele Exegeten diese sonderheit schlichtweg übergehenlOs, macht sich Link Gedanken zu den futurischen Relativsätzen in Vers 14,106 Zunächst stellt sie einen Vergleich zwischenJoh 4,14 undJoh 6,51b an 107; dieser hilft ihr jedoch nicht gerade weiter, insofern sieJoh 6,51b dem Redaktor undJoh 4,14 dem Evangelisten zuschreibt. Als weitere Vergleichsstelle zieht sie aufgrund der parallelen Struktur Joh 11,26 heran und kommt zu dem Schluss, dass trotz unterschiedlicher Tempora jeweils eine präsentische Eschatologie ausgedrückt werden soll. Diese Überlegung ist m. E. nicht haltbar, da die Futurformen in Joh 4,14 nicht einfach übergangen werden können. Vielmehr empfiehlt es sich, die im Unterschied zur restlichen Erzählung offensichtlich bewusst gewählten Futurformen ernst zu nehmen und auch als solche zu interpretieren. Der BlickJesu richtet sich rein sprachlich in die Zukunft und diese Tatsache verträgt sich auch bestens mit dem unmittelbaren Kontext der Erzählung. Da die Frau noch nicht zur Erkenntnis gekommen ist, worin die Gabe des
Be-
104 Vgl. weitere negativ-positiv-Formulierungen im Johannesevangelium, z. B. Joh 6,27. 49f.; 10,H.
So beispielsweise Becker, Dietzfelbinger, Schnackenburg, Wengst u. a. in ihren Kommentaren. 106 Vgl. A. LINK, "Was redest du mit ihr?" 216-218. 107 An beiden Stellen begegnet die Formulierung EYW ÖWOW im Relativsatz, inJoh 4 in Bezug auf das lebendige Wasser, inJoh 6 in Bezug auf das eucharistische Brot. lOS
Der DialogJesu mit der Samaritanerin inJoh 4,7-26
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lebendigen Wassers besteht und wer es ist, der ihr diese Gabe vermittelt, kann ihr jesus auch noch nicht das lebendige Wasser für die Gegenwart verheißen, sondern stellt es ihr als zukünftige Gabe in Aussicht. Daraus geht hervor, dass die Gabe des lebendigen Wassers an die Erkenntnis der Offenbarung und des Offenbarers gebunden ist. Im Unterschied zum natürlichen Wasser, das den physischen Durst des Menschen für eine bestimmte Zeit löschen kann, wird von dem Wasser, das jesus gibt und den Durst des Menschen für immer löscht, weiterführend ausgesagt, dass es im Menschen zur Quelle wird, sprudelnd ins ewige Leben. Der gesamte Versteil YEV~(JE'C(U EV IXtJ'r0 1TT)Y~ ÜÖIX1'OC; aUOf,LEVoU Etc; 'w~v IXLWVLOV hat keine Analogie in Vers 13 und fällt dadurch, dass er überschießt und somit die Parallelkonstruktion sprengt, besonders ins Auge. Mit ihm kommen zwei neue inhaltliche Aussagen hinzu. Zum einen wird festgestellt, dass das Wasser jesu im Innern des Menschen zu einer Quelle wird. Die betonte Formulierung EV IXu1'0 begegnet an verschiedenen Stellen im johannesevangelium l08 und macht jeweils deutlich, dass die göttliche Gabe in nichts Äußerlichem besteht, sondern dass Gott sein Geschenk in den Menschen hineinlegt, damit es in dessen Innern wirksam werden kann. Hier injoh 4,14 soll das Wasser im Menschen zu einer Quelle werden, das den Menschen belebt, ihm Frische und Vitalität verleiht. Dies lässt sich aus der Formulierung 1TT]Y~ ÜÖIX1'OC; aUOf,LEVOU herauslesen. Im Zusammenhang mit der Formulierung aUOf,LEVoUI09 kann der Evangelist hier unmöglich von <jlPEIXP reden, sondern muss auf die in Vers 6 verwendete Bezeichnung der Grundschrift 1TT)Y~ zurückgreifen, weil das Bild vom sprudelnden Wasser nicht zu einem Brunnen, sondern zu einer Quelle passt. Zum anderen wird ausgesagt, dass diese Quelle ins ewige Leben sprudelt. Dieser Zusatz dc; 'w~v IXLwVLOV, wohl in Parallele zu EtC; 1'OV atwva formuliert, fügt sich mit Schnackenburg und Becker nicht gut in den Kontext ein, weil dadurch das Bild von der sprudelnden Quelle gesprengt wird. uo Offensichtlich nimmt der Evangelist diesen Bruch auf der Bildebene in Kauf, um damit einen bestimmten Inhalt zu transportieren. Die 'w~ aLwvLOC; stellt für denjohannesevangelisten den InJoh 5,38; 8,37 ist es das Wort, inJoh 6,53 das Leben und inJoh 14,17 der Geist der Wahrheit, die jeweils als göttliche Gaben den Menschen erlassen und sein Inneres durchdringen sollen. 109 äUOfUXL begegnet nur hier im Johannesevangelium und im übrigen Neuen Testament nur noch in Apg 3,8; 14,10, zum Ausdruck dafür, dass ein Gelähmter nach der Heilung aufspringt und wieder gehen kann. 110 Vgl.J. BECKER,Joh I 204; R SCHNACKENBURG,Joh I 466. 108
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Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium
eschatologischen Heilsbegriff schlechthin dar; insgesamt findet sich diese Wendung 17-mal imJohannesevangeliumlll und dabei immer mit eschatologisch-soteriologisch~r Implikation. Das Adjektiv "ewig" bezeichnet dabei über die Dauer und Unzerstörbarkeit hinaus auch und vor allem die innere Qualität dieses Lebens: Es ist wahres,'göttliches Leben. Für Joh 4,14 führen diese Gedanken zu folgendem Ergebnis: Wenn das Wasser, das Jesus gibt, zu einer Quelle im Menschen wird, deren Wasser ins ewige Leben sprudelt, dann macht Jesus mit diesem Offenbarungswort eine soteriologische Verheißung für die Zukunft, dahingehend, dass die Gabe Gottes und dainit die Offenbarung unerschöpflich ist und bis in Ewigkeit bleibt zum Heil für die Menschen. Nun sprichtJesus dieses Wort nicht in den luftleeren Raum, sondern es ist adressiert an die samaritanische Frau am Jakobsbrunnen. Von diesem Kontext her kann entweder gemeint sein, dass der Frau durch diese göttliche Gabe ewiges Leben verheißen wird, oder dass sie selbst zur Quelle von lebendigem Wasser für andere wird. Wie die weitere Erzählung zeigt, brauchen sich diese beiden Möglichkeiten nicht auszuschließen. Die Frau wird zur Erkenntnis geführt, dass Jesus der Messias ist und ihr damit ewiges Leben schenkt und sie führt die Einwohner zu Sychar zu Jesus und verschafft ihnen damit den Zugang zu dieser Quelle, deren Wasser ins ewige Leben sprudelt. 1l2 Aber noch ist es nicht so weit. Mit ihrer Antwort in Vers 15 beweist die Samaritanerin, dass sie Jesus noch immer nicht verstanden hat. 1l3 Vergleichbar mit Nikodemus114 bleibt die Frau in ihrem Missverständnis verhaftet, indem sie auch nach dem zweiten Offenbarungswort Jesu weiterhin auf der irdisch-natürlichen Ebene weiterdenkt und noch immer nicht den Sprung in die göttliche Sphäre geschafft hat. Zwar kommt die Frau mit ihrer Bitte Me; fWL 't'0\)'1:O 't'o lSÖCilp der indirekten Aufforderung Jesu in Vers 10 nach und das Relativpronomen 't'ou't'o und der erste Finalsatz 'Lva; Il~ ÖLtjIc.3 bestätigen auch, dass sie nach dem Wasser, das Jesus gibt und den Durst des Menschen für immer löscht, verlangt, aber spätestens der zweite Finalsatz IlTJöe ÖLEPXCilIlUL EVe«ÖE av't'A.E'Lv lässt keinen Zweifel daIIlJoh 3,15.16.36; 4,14.36; 5,24.39; 6,27.40.47.54.68; 10,28; 12,25.50; 17,2.3; dabei sind die Stellen, an denen 'w~ allein vorkommt, hier nicht aufgeführt. 112 Vgl. U. WILCKENS, Offenbarung 307f. 113 Wieder gegen Wengst, der darauf beharrt, dass die FrauJesus sehr wohl versteht, indem sie ihn um "dieses" Wasser bittet, das den Lebensdurst stillt, vgl. K. WENGST,Joh I 170. Auch gegen Link, die die Reaktion der Samaritanerin durchaus positiv bewertet, ·weil die Frau der Bitte Jesu in Vers 10 nachkommt, vgl. A. LINK, "Was redest du mit ihr?" 222. 114Vgl.Joh 3,9.
Der Dialogjesu mit der Samaritanerin injoh 4,7-26
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ran, dass die Samaritanerin nicht begriffen hat, worum es sich bei dem Wasser Jesu handelt und worin seine Bedeutung besteht. Demnach sieht die Frau das Wasser, das Jesus ihr anbietet, als eine Art "Zauberwasser"115, das ihren Durst für immer stillt und für sie als ein "erfreuliches Mittel für. die Erleichterung des natürlichen Lebens"116 fungiert, insofern ihr die mühevolle Arbeit des Wasserholens in Zukunft erspart bleibt. Über dieses magische Verständnis kommt die Samaritanerin nicht hinaus, oder vom StandpunktJesu her ausgedrückt: Jesus schafft es nicht, sich der Frau als Gabe und Geber des lebendigen Wassers zu offenbaren. Deswegen lässt der Evangelist den Dialog über das lebendige Wasser an dieser Stelle abbrechen und wechselt das Thema, insofern er in den Versen 16-19 zu dem mit Vers 9 verlassenen Traditionsstück zurückkehrt.l!7 Dass es sich bei den Versen 10-15 um einen Dialogeinschub des J~ hannesevangelisten handelt, lässt sich in vielerlei Hinsicht beweisen. An dieser Stelle sollen einige kurze Hinweise genügen. Rein vom Duktus tragen besagte Verse ganz klar johanneischen Charakter. Als Beispiele seien nur die dem Johannesevangelium eigene geheimnisvollverklausulierte Sprache in Vers 10, der hermeneutische Gebrauch des johanneischen Missverständniskonzeptes in den Versen 11.12 und 15, die speziell bei Johannes zu findende Kontrastformulierung in Vers 13f. und .der Zentralbegriff johanneischer Eschatologie und Soteri~ logie "ewiges Leben" in Vers 14 genannt. Viel spannender ist m. E. die Frage, wie es dem Evangelisten gelingt, diese Verse 10-15 in die ihm vorliegende Tradition einzubauen. Die Ausgangssituation am Brunnen bietet es dem Evangelisten geradezu an, daran anzuknüpfen und sein Thema vom lebendigen Wasser zu entfalten. Damit hat er auch bereits die Grundlage und Voraussetzung für das folgende Missverständnis, das er. dem Leser durch die vorgegebene Situation noch anschaulicher machen kann, als dies beispielsweise inJoh 3 bei Nikodemus möglich ist. Einhergehend mit dieser "positiven Ausgangslage" verfährt der Evangelist im Einzelnen sehr geschickt, insofern er die Anfangsbitte Jesu Me; IJOL 1TEI.V aus dem Traditionsstück in seinem Dialogeinschub zweimal aufgreift, einmal wörtlich zu Beginn in Vers 10 im Munde Jesu und das andere Mal leicht abgewandelt am Ende in Vers 15 von der Frau gesprochen. Durch diese Inklusion hält der Evangelist nicht nur seinen Einschub zusammen, sondern schlägt darüber hinaus eine direkte 115
So die Bezeichnung bei R. SCHNACKENBURG,joh I 467.
116 So R. BULTMANN,joh 137. 117 Ebd.
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Die Dialogejesu mit Einzelpersonen imjohannesevangelium
Brücke zur Tradition und verwebt damit beide Teile miteinander. Ein zweites Beispiel gekonnter Einbindung der Verse 10-15 in die traditionelle Vorgabe ist die Verwendung der Anrede KUPLE für Jesus. Der Evangelist findet sie in seiner Vorgabe in Vers 19 vor und übernimmt sie bereits in den Versen 11 und 15118• Auf diese einfache Art und Weise verbindet er seinen Einschub mit der ihm vorgegebenen Tradition und suggeriert dem Leser eine Geschlossenheit des ganzen Dialogs. SchließliCh versteht es der Evangelist mit einem einfachen, aber cleveren Kunstgriff, am Ende seines Dialogeinschubs an das Traditionsstück anzuknüpfen.Dadurch, dass er das Adverb Ev9&ÖE aus dem traditionellen Vers 16 in seinem eigenen Vers 15 vorwegnimmt, stellt er einen direkten Anschluss und eine perfekte Verbindung zu den folgenden Versen 16-19 her. In all dem erweist sich neben der inhaltlich-theologischen hier speziell und ganz besonders die formal-literarische Meisterleistung des Johannesevangelisten. 4.4.3. Themenwechsel: Der durchschauende und der durchschaute Mensch (V. 16-19) Die soeben angestellten Beobachtungen haben gezeigt, dass der Abschnitt über das lebendige Wasser en bloc auf den Evangelisten zurückgeht119 , dem es gelingt, diese Verse 10-15 geschickt in seine traditionelle Vorlage einzubauen und im Kontext zu verankern. Mit Vers 16 ergibt sich ein Sprung im Dialoggeschehen. Die Diskussion um das Stichwort "Wasser" wird von Johannes nicht mehr weitergeführt, stattdessen geht es ihm in den folgenden Versen 16-19 um das Privatleben der Frau. Dieser Themenwechsel ist für den Evangelisten nötig, weil die Samaritanerin in ihrem Missverständnis geblieben ist und Jesus nicht als Gabe und Geber des lebendigen Wassers erkannt hat. Mit einem neuen Anlauf versucht der johanneische Jesus, die samaritanische Frau für die Offenbarung empfänglicher zu machen und sie in ihrer Erkenntnis eine Stufe voranzubringen. Zu diesem Zweck wird die doppeldeutige Ebene verlassen, so dass kein Missverstehen mehr möglich ist; stattdessen kommt das Alltagsleben der Frau zur Sprache.
Dass die Anrede "Herr" in Vers 15 um eine "Nuance respektvoller" ist als in Vers 11 lässt sich für mich schwer nachvollziehen; zumindest geht derartiges aus dem Text selbst nicht hervor, sondern bleibt exegetischer Spekulation überlassen, gegen C. DIETZFELBINGER,joh I lO3. 119 So der Konsens bei den meisten Exegeten, vgl. die aktuelle Bekräftigung bei M. THEOBALD,IsraeI164. 118
Der Dialog]esu mit der Samaritanerin in]oh 4,7-26
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Analog zu Vers 7 spricht Jesus eine Aufforderung an die Frau aus; hier in Vers 16 aber nicht nur wie oben mit einem einfachen, sondern gleich mit einem dreifachen Imperativ: "YmtYE cjlulVlloov tOV &vöpa aou KaI. aSE Ev9aÖE. Jesus weist die Frau an, fortzugehen, ihren Mann zu rufen und wieder zu kommen. Diese Anweisung für sich genommen ist zunächst nicht ungewöhnlich und ohne den folgenden Kontext als logische Konsequenz von Vers 9 interpretierbar.l 20 Im Hinblick auf die Verse 17ff. kann es allerdings nicht darum gehen, dass Jesus verletzte Sitten bereinigen will und nach dem Mann der Frau als neuen Dialogpartner verlangt. Vielmehr lässt sich die einfache AufforderungJesu an die Frau als Vorbereitung seines prophetischen Wissens um ihr Privatleben, das in Vers 18 vollends zum Ausdruck kommt, lesen und verstehen. Jesus, der die lebens geschichtliche Situation der Frau kennt, leitet über diese private Ebene einen erneuten Versuch ein, sich der Samaritanerin zu offenbaren, damit diese zum Glauben an ihn kommt. Die theologische Grundlage für diesen Dialogabschnitt liegt in der johanneischen Konzeption des Offenbarers, der über ein wunderbares Wissen verfügt. Im Kontext der Jüngerberufungen verblüfft Jesus Natanael, indem er sein ·Wesen durchschaut, ohne ihn vorher gesehen zu haben und zu kennen. Betroffen von der Begegnung mitJesus bekennt Natanael ihn daraufhin als Sohn Gottes und König von Israel. Hier in Joh 1,47-49 begegnet zum ersten Mal im Johannesevangelium dieses Motiv vom wunderbaren Wissen Jesu, das in seiner einzigartigen Beziehung zum Vater begründet ist121 und im Laufe des Evangeliums immer wieder anklingt. 122 Jesus weiß um den Menschen und setzt dieses Wissen im Dienste der Offenbarung ein, damit ihn die Menschen in seiner Bedeutung erkennen und sich zu ihm bekennen. Wie Jesus den Natanael inJoh 1,47-49 durchschaut und dieser sich zu ihm bekennt, so werden auch mit der Bitte Jesu in Joh 4,16 die Weichen dafür gestellt, dass Jesus sein höheres Wissen an der Frau offenbar machen kann und sie dadurch zu einer tieferen Erkenntnis seiner Person gelangt und ein Bekenntnis zu ihm ausspricht. Damit erweist sich dieser einfache Vers 16 als nicht belanglos; vielmehr kommt ihm für den weiteren Dialogverlauf eine fundamentale Bedeutung zu. Hinsichtlich der Aufforderung Jesu reagiert die Samaritanerin in Vers 17b kurz und knapp: OUK EXW &vöpa. Damit gibt sie die richtige Antwort und sagt die Wahrheit, wie aus der folgenden Äußerung Jesu 120 Vgl.
C. DIETZFELBINGER,]oh I 106.
121 Vgl. nur die beiden Spitzenstellen]cih 10,30 und]oh 13,3. 122 Beispie1sweise]oh 2,25; 5,42; 6,64; 10,14f; 13,1.3.11.18.38; 21,17.
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Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen imjohannesevangelium
hervorgeht. Diese Äußerung hat einen dreiteiligen Aufbau. Mit der Wendung KaÄwc; EI1Tac;123 bestätigt Jesus die Aussage der Frau und wiederholt sie anschließend wortwörtlich.l 24 Der Vers 18 führt weiter und fungiert als Begründung dafür, dass die Aussage der Frau richtig und wahr ist: 1TEV'tE yap ävöpac; eGXEC; Kat vuv öv eXELC; OUK eGnv GOU &v~p Jesus offenbart der Frau, dass sie fünf Männer gehabt hat und dass der JetZige nicht ihr Mann ist; damit durchschaut Jesus die Samaritanerin und deckt ihren Lebenswandel auf. Über die fünf Männer der Frau 125 sind in der Auslegungsgeschichte des Textes viele Spekulationen angestellt worden, von der allegorischen Deutung auf die fünf Bücher der Tora in der Patristik126 bis hin zur weitverbreiteten Auslegung auf der Grundlage von 2 Kön 17,244V 27 Demnach fungiert die samaritanische Frau als symbolische Gestalt für das treulose Volk der Samaritaner, das neben Jahwe auch andere Götter verehrt. Unabhängig davon, dass diese Analogie nicht korrekt ist128 , lässt sich eine symbolische Deutung vom Text her nicht aufrechterhalten. Eine derartige Auslegung wird der konkreten Situation im Dialog nicht gerecht, wird doch gerade die Frau in Joh 4,18 als Individuum gezeichnet, um deren besondere Lebensverhältnisse Jesus weiß und die er prophetisch zur Sprache bringt. Bei einer symbolischen Deutung wäre der DialogverlaufvonJoh 4,16-19 absurd, oder wie es Becker formuliert: "Sie (gemeint ist die symbolische Deutung) zerstört auch die Pointe: Jesus muß Dinge, die er eigentlich nicht wissen kann, die Frau aber wissend zu überprüfen vermag, vortragen, sonst ist der Schluß auf Prophetie nicht gegeben. "129 Damit liegt wohl die einfachste Lösung darin, dass die Frau tatsächlich fünf Ehemänner
Wendung begegnet laut Wengst häufig in rabbinischen Texten, sei es als Bestätigung, als Lob oder als Ironie, vgl. K. WENGST,joh I 171. 124 Lediglich die Wortstellung ist verschieden, so dass sich zwischen Vers 17b und 17e ein Chiasmus ergibt, der die Aussage über die reine Wiederholung hinaus zusätzlich betonen und hervorheben soll. 125 Es ist sicherlich kein Zufall, dass das Wort &.v1tP insgesamt fünfmal in den Versen 16-19 begegnet; vgl. die fünfmalige Erwähnung der fünf Brote und die zweimalige Erwähnung der zwei Fische inJoh 6,1-15. 126 Origenes beispielsweise deutet die fünf Männer der Frau auf die fünf Bücher der Tora und den sechsten Mann auf die prophetischen Bücher, vgl. ORIGENES,johannes FrgmLVII. 127 Selbst Schnackenburg bringt sie noch relativ ausführlich in seinem Kommentar und erteilt ihr keine klare Absage, vgl. R. SCHNACKENBURG,Johannes I, 468. 128 In 2 Kön 17,30-32 werden fünf Völker genannt, die sieben Gottheiten gleichzeitig neben jahwe verehren; die Frau in joh 4,18 hat aber nicht gleichzeitig in fünf Ehen gelebt. 129 So]. BECKER,joh I 205. 123 Diese
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gehabt hat130 und dass ihr jetziger Mann nicht ihr Ehemann ist. l3l Diese besonderen Lebensumstände der Samaritanerin bieten für Jesus die Möglichkeit schlechthin, sich ihr durch die Aufdeckung ihres Lebens als Prophet zu elWeisen. Entgegen der einschlägigen Behauptung der älteren Exegese, Jesus wolle als· Pädagoge und "Moralapostel" die Frau von ihrem unsittlichen, sündhaften Lebenswandel abbringen, lässt sich Joh 4,1-42 gerade nicht als Bekehrungsgeschichte interpretieren, fehlen doch ein Schuldbekenntnis der Frau und die Sündenvergebung durch Jesus132, ganz abgesehen davon, dass die Erzählung von christologischen Interessen geleitet ist. Bedingt durch diese Zielrichtung ist es genauso abwegig, Joh 4,1-42 durch die psychologische, speziell tiefenpsychologische Brille als Therapiegeschichte zu lesen. Es geht hier nicht darum, dass die Frau von Jesus geheilt wird und zu sich selbst findet.l 33 Vielmehr soll die Frau im Laufe des Dialogs zur Erkenntnis Jesu geführt werden. Für diese christologische Absicht bedarf es keines Pädagogen und auch keines Psychotherapeuten namensJesus, sondern einesJesus, dem es gelingt, die Frau für die Offenbarung empfänglich zu machen und sie zum Glauben an ihn zu führen.l 34 Mit seinem wunderbaren Wissen über das Privatleben der Frau hat Jesus erstmals im Dialog Erfolg, insofern die Frau nicht in ein erneutes Missverständnis verfällt, sondern verwundert über das, was Jesus ihr gerade gesagt hat, folgende Feststellung trifft: KUPLE, 9EWPW ön 1TPOIjl~'tTJC; Er au. Wie bereits in den Versen 11 und 15, so redet die SamaritanerinJesus auch in Vers 19 mit KUPLE an; es handelt sich dabei wie bei den beiden Malen zuvor nicht um einen titularen Gebrauch, sondern schlichtweg um eine höfliche Anrede. Das Verb 9EWPW begegnet beiJohannes bedeutend öfter als in den synoptischen Evangelien.l 35 Als Objekt des Sehens werden im Johannesevangelium die Zeichen Jesu genannt136 oder er selbst als Sohn in seiner Beziehung zum ihn sen-
130 Wengst
erklärt sich diese Abfolge mit dem Tod von Ehemännern oder der Entlassung der Frau aus der Ehe, vgl. K. WENGST,joh I 171. 131 So auch die Einschätzung von]. ZANGENBERG, Christentum 134. 132 Vgl. A.lJNK, "Was redest du mit ihr?" 272. 133 In diese Richtung geht auch die existentielle Interpretation von Buhmann, der Offenbarung im Kontext vonjoh 4,16-19 als ~ufdeckung des menschlichen Seins" versteht, so R. BULTMANN,joh 138. 134 Vgl. R. SCHNACKENBURG,joh I 467. 135 Von den 58 Stellen im Neuen Testament entfallen 24 aufjohannes und insgesamt nur 16 auf die drei synoptischen Evangelien. Damit hat das johannesevangelium mehr Belege als Markus, Matthäus und Lukas zusammen. 136 So z. B. in joh 2,23 oder joh 6,2.
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Die Dialoge jesu mit Einze1personen imjohannesevangelium
denden Vaterl37. In der Verbindung mit ön kommt gewpc3 neben Joh 4,19 in Joh 8,9 und Joh 12,19 vor und hat an allen drei Stellen die Bedeutung "wahrnehmen", "erkennen".l38 Demnach gelangt die samaritanische Frau hier in Joh 4,19 zu der Erkenntnis, dass Jesus ;ein Prophet ist. Allein an der sprachlichen Formulierung fallen das betonte ou ganz am Ende von Vers 19 und die artikellose Verwendung von 1TPO"'~t11t;; auf. . Ersteres macht deutlich, dass die Samaritanerin Jesus unmittelbar anspricht und ihn, keinen anderen, als einen Propheten bezeichnet. Letzteres veIWUndert insofern, als die FrauJesus nicht bestimmt als den Propheten tituliert, sondern unbestimmt als einen Propheten wahrnimmt und erkennt.l 39 Wie ist dies zu bewerten? Link misst dem fehlenden Artikel keine besondere Bedeutung ZU 140 und stellt einen direkten Bezug zu den Stellen mit Artikel in Joh 1,21.25; 6,14; 7,40.52 her. Damit steht für sie auch hinter Joh 4,19 die auf Dtn 18,15-18 zurückgehende Vorstellung vom Propheten. 141 Diese Gleichsetzung ist m. E. nicht ganz unproblematisch, lassen sich doch die Stellen nicht unmittelbar miteinander vergleichen. Im Kontext des Täuferverhörs wird Johannes gefragt: '0 1TPO"'~t11t;; eL ou. Wie aus den Alternativvorschlägen "Messias" und "Elija" und aus dem Gebrauch des Artikels hervorgeht, handelt es sich bei dem Propheten inJoh 1,21 und 25 um eine bestimmte, konkrete Gestalt, an der sich die Verheißung von Dtn 18 erfüllt. Nach dem Brotwunder spricht die Menge in Joh 6,14 folgendes Bekenntnis zuJesus aus: OOtOt;; eonv aÄ119c3t;; 0 1TPO"'~tTJt;; epxo~evot;; elt;; tOV KOO~OV. Jesus, der soeben das Brotwunder vollbracht hat, er ist wirklich der Prophet, der nach Dtn 18 in die Welt kommen soll. Schließlich bekennt das Volk analog zu Joh 6 in Joh 7,40: OOtOt;; eonv aÄ119c3t;; 0 1TPO"'~tTJt;;. Wie an den Stellen zuvor ist auch hier, die alternative Möglichkeit "Messias" und der bestimmte Artikel machen es deutlich, an eine bestimmte Gestalt, den Propheten nach Dtn 18,15.18, gedacht. Demgegenüber lassen sich derartige Beobachtungen für Joh 4,19 nicht anstellen. Der fehlende Artikel lässt sich nicht wie bei Link einfach wegdiskutieren, sondern ist mit Schnackenburg dahingehend zu interpretieren, dass die Samaritanerin nicht an den Propheten wie
o
137 Beispielsweisejoh 6,40;joh 12,45; 16,10. 138 Vgl.
W. MICHAELIS, Art. opliw 346.
139 In joh 9,17 begegnet ebenfalls der artikellose Gebrauch von lIPOcP~t11~, interessanterweise auch hier in einer bekenntnishaften Aussage. Den artikellosen Gebrauch erklärt sie damit, dass 1TPocP~t11~ injoh 4,19 und 9,17 die Funktion eines Prädikatsnomens innehat, vgl. A. LINK, "Was redest du mit ihr?" 339. 141 Vgl. A. LINK, "Was redest du mit ihr?" 268.
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Der DialogJesu mit der Samaritanerin inJoh 4,7-26
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Mose nach: Dtn 18,15.18 denkt,142 Vielmehr steht wohl aufgrund der unbestimmten, offenen Formulierung keine konkrete Bezugsgestalt im Hintergrund und es ist zu überlegen, ob diese allgemeine Einschätzung nicht bewusst gewählt ist. Die Synoptiker sprechen in einem umfassenden Sinn von Johannes dem Täufer143 oder von Jesus144 als Propheten und drücken damit die besondere Beziehung zu Gott aus: der Propl)et als ein Mann Gottes. Diese allgemeine, unbestimmte Einschätzung dürfte auch in Joh 4,19 (und auch in Joh 9,17) zugrunde liegen. Sieht man sich den Kontext vonJoh 4,19 an, so lässt sich inJoh 4,1-42 eine Steigerung der christologischen Titel erkennen: Von "Prophet" in Vers 19 über "Messias" in den Versen 25 und 29 bis zum "Retter"der Welt" in Vers 42. Diese Beobachtung bestätigt die Vermutung, dass mit dem Prophetentitel in Joh 4,19 bewusst eine relativ umfassende Bezeichnung vorliegt, die im Verlauf des Dialogs und darüber hinaus immer weiter konkretisiert und intensiviert wird. Schließlich handelt es sich dabei um die erste christologische Erkenntnis im bisherigen Dialogverlauf, auf die noch weitere Erkenntnisstufen folgen sollen. Was die Samaritanerin unter einem Propheten versteht, ergibt sich aus dem unmittelbaren Kontext. Deswegen erübrigt es sich an dieser Stelle, sämtliche Prophetenvorstellungen aus dem Alten und Neuen Testament sowie aus der samaritanischen Religion zu bemühen. InJoh 4,39 umschreibt die Frau gegenüber den Samaritanern ihre Einschätzung Jesu als eines Propheten mit den Worten: EL1rEV iJ.OL 1TItV'tOC oc ElrOLT)OOC. Daraus geht das Prophetenverständnis der Samaritanerin hervor. Ohne sie zu kennen, sagtJesus der Frau alles, was sie getan hat. Er durchschaut sie aufgrund seines wunderbaren. Wissens. Dieses Motiv vom wunderbaren Wissen begegnet an vielen Stellen des Alten Testaments, v. a. und für unseren Kontext int~ressant bei den Propheten Elia und Elischa,145 So verwundert es nicht, dass Jesus in Joh 4,19 aufgrund seiner tieferen Einsicht in die Lebensumstände der Frau als Prophet bezeichnet wird,146 Durch seine besondere Beziehung zu Gott verfügt er über eine Kenntnis verborgener Dinge und spricht diese auch offen aus,147
142 Vgl.
R SCHNACKENBURG,Joh I 469.
143 Beispielsweise Mk 11,32 oder Mt 14,5. 144 Vgl.
Mt 21,46; Lk 7,16.
145 Vgl. 1 Kön 14,2-6; 18,41; 2 Kön 4,27; 5,26f.; 6,12f.; 6,32f. 146 Vgl. Lk 7,39 als enge Parallelstelle; hier wird höheres Wissen als Bedingung für den Status eines Propheten vorausgesetzt.
147 Vgl. G. DAUTZENBERG, Art. Prophet 184.
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Die Dialoge jesu mit Einzelpersonen im johannesevangelium
Mit dieser prophetischen Gabe gelingt es Jesus, eine ungeheure Faszination auf die Frau auszuüben. l48 Die Samaritanerin spricht zwar noch kein volles und vollgültiges Bekenntnis zu Jesus aus, aber sie erkennt ihn in einer Art Schwellenbekenntnis als einen Propheten. "Mit dieser Erkenntnis weiß sie schon viel mehr über Jesus als am Anfang der Begegnung. "149 Immerhin verlässt der Dialog aus der Sicht der Frau jetzt die natürlich-alltägliche Ebene und bekommt durch die Bezeichnung "Prophet" aus ihrem Munde eine religiöse Komponente,150 Damit ist ein erstes christologisches Fundament gelegt; die Frau hat in Jesus einen Propheten erkannt. ,,Aber sie weiß noch nicht genug"151 über ihn. Der weitere Dialogverlauf wird zeigen, wie auf dieses erste, wenn auch noch zaghafte und unbefriedigende christologische Bekenntnis der Frau aufgebaut und sie Stufe für Stufe zu einer tieferen Erkenntnis der PersonJesu geführt wird. 4.4.4. Der Dialog in vollem Gange: Anbetung in Geist und Wahrheit (V. 20-24)
Nachdem die Frau zu einer ersten Erkenntnis der Person Jesu gelangt ist, kommt der Dialog voll in Gange und gewinnt in den Versen 20-24 an religiöser Tiefendimension. Es wird die Frage nach der rechten Gottesverehrung erörtert. In Vers 20 ist es erstmals die Samaritanerin, die im Dialog die Initiative ergreift und von sich aus ein neues Thema anspricht. Sie konfrontiertJesus mit der alten Streitfrage zwischen Samaritanern undJuden nach dem wahren Ort der Gottesanbetung und erwartet sich offensichtlich von ihm, den sie gerade als einen Propheten erkannt hat, eine Lösung dieses Problems. Dass es sich um einen Konflikt zwischen beiden Gruppen handelt, geht bereits aus der syntaktischen Struktur des Verses 20 heIVor, der als Gegensatz formuliert ist. Den 1TIXtEPEt; ";j..LWV im ersten Versteil steht im zweiten Versteil das Uj..LELt; gegenüber. Mit den Ersteren sind die Vorfahren der Samaritaner und speziell die Erzväter des Alten Testaments gemeint; durch die Berufung auf ihre Autorität wird diese Tradition als legitim und rechtmäßig abgesichert. Mit uj..LEl.t; spricht die FrauJesus als Vertreter der Juden an und stellt anhand der Formulierung Uj..LELt; ÄEYEtE lediglich eine Behauptung auf. 152 Damit ist ihr eigener Standpunkt klar 148 Vgl. das weitere Verhalten der Frau injoh 4,28. 149 So K. WENGST,joh I 172. 150Vgl. A SCHlATTER, Evangelist 123. 151 So K. WENGST,joh 1172. 152 Vgl. K. WENGST,joh I 173.
Der DialogJesu mit der Samaritanerin inJoh 4,7-26
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definiert: Sie als Samaritanerin plädiert natürlich für die samaritanische Tradition, die den Garizim für den wahren Ort der Gottesverehrung hält. Dieser Berg geht eindeutig aus der Formulierung EV tQ ÖPEL tOUt~ hervor, befinden sich doch Jesus und die Samaritanerin während ihres Gespräches am Jakobsbrunnen in Sichtweite des Garizim,153 Dagegen stellt für die Juden der Zionsberg in Jerusalem die einzig wahre Kultstätte dar, auf dem die Anbetung Gottes zu erfolgen hat. Das zentrale Verb des Verses 20 und auch der folgenden Verse lautet 1TPOOKUVELV. An sämtlichen Stellen im Neuen Testament zielt dieses Verb auf etwas Göttliches ab l54 und beinhaltet, sei es explizit wie beispielsweise in Apg 10,25 und 1 Kor 14,25 oder wie bei den meisten Stellen implizit, die "plastische Vorstellung des Niederfaliens auf Knie oder Angesicht"155. Von den elf Belegen im Johannesevangelium entfallen allein neun auf Joh 4,20-24156; diese Konzentration macht deutlich, dass es in den Versen 20-24 zentral um die Frage der Anbetung geht. Diese Frage wird in verschiedener Weise gestellt, zunächst nach dem "Wo" und dann nach dem "Wie" der richtigen Gottesverehrung. In Zusammenhang mit Jerusalem begegnet 1TPOOKUVELV in den Versen 20 und 21 157 als terminus technicus für die Wallfahrt der Juden nach Jerusalem. 158 Da das gleiche Verb auch für die Anbetung Gottes durch die Samaritaner verwendet wird, erfolgt keine qualitative Unterscheidung der Gottesverehrung bei Juden und Samaritanern; schließlich zielt die Anbetung bei beiden auf das gleiche "Objekt", nämlich aufJahwe. 159 Die Frage stellt sich nur nach dem rechten Ort der Jahweverehrung. Jesus nimmt sich in den folgenden Versen dieser Frage an und führt sie weiter, insofern er neue Perspektiven für die Gottesanbetung eröffnet. Die AntwortJesu umfasst die Verse 2.1-24 und stellt den längsten Redebeitrag im gesamten Dialog dar. Dabei sprichtJesus nicht als ein 153 Demgegenüber lässt sich in Joh 6,3.15 kein konkreter Berg festmachen; hier
im Kontext des Brotwunders ist wohl an keinen bestimmten Berg gedacht, sondern es wird der Berg theologisch als ein Ort der Gottesbegegnung und -erfahrung qualifiziert. Möglicherweise ist dieses Bergmotiv in Joh 6 aus der Tradition übernommen, ergeben sich doch dadurch Spannungen innerhalb des Textes, die Anlass zu literarkritischen Optionen geben. 154 Vgl. beispielsweise die Proskynese der Magier vor dem göttlichen Kind in Mt 2,2.8.11 ·oder die der Jünger vor dem auferstandenen Herrn in Mt 28,9.17 oder Lk 24,52. 155 So H. GREEVEN, Art. lIpooKuvew 765. 156 Joh 4,20 (2x).21.22 (2x).23 (2x).24 (2x). 157 Und darüber hinaus inJoh 12,20 und in Apg 8,27; 24,11. 158 Vgl. H. GREEVEN, Art. lIpooKuvew 765. 159 Vgl. A. LINK, "Was redest du mit ihr?" 280.
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Die Dialoge jesu mit Einzelpersonen imjohannesevangelium
jüdischer Prophet, sondern als der johanneische Christus l60 , wie es im Folgenden noch zu zeigen gilt. Analog zu den Versen 7 und 16 redetJesus die Samaritanerin auch in Vers 21 mit einem Imperativ an: nLoTEuE IlOL und fordert sie damit auf, ihm bezüglich der folgenden Aussage Glauben zu schenken.I 61 Neu dagegen ist die Tatsache, dassJesus zum ersten Mal im bisherigen Dialogverlauf die Samaritanerin mit yuveu anredet. Diese Anrede aus dem Munde Jesu erscheint insgesamt fünfmal im Johannesevangelium. Sie ist inJoh 2,4 162 und inJoh 19,26 an Maria, die Mutter Jesu, inJoh 20,13.15 an Maria Magdalena und hier in Joh 4,21 an die Samaritanerin gerichtet und impliziert Höflichkeit und Achtung gegenüber der angesprochenen Person .. Unter diesem Aspekt ist es interessant, dass Jesus erst nach dem ersten Bekenntnis zu ihm als einen Propheten die Samaritanerin bewusst als Frau anspricht. Möglicherweise soll mit der Verwendung der Anrede "Frau" in Joh 4,21 eine größere Wertschätzung der Samaritanerin als nunmehr religiös einsichtige, wenn auch noch nicht vollkommen verstehende, Dialogpartnerin vonseiten Jesu zum Ausdruck gebracht werden. In seiner Aussage greift Jesus die beiden Alternativen der Frau aus dem vorhergehenden Vers, ob der Garizim oder der Zionsberg in Jerusalem der rechte Ort der Gottesanbetung ist, direkt auf, allerdings kontrastiert er das "Entweder-Oder" zu einem "Weder-Noch": OUTE EV TC\> OPEL TOUTCjl OUTE EV 'IEpoOOAUIlOLC;. Damit gibtJesus klar zu erkennen, dass die wahre Gottesverehrung in Zukunft an keinem der beiden Kultorte gebunden sein wird, weder an den Garizim noch an Jerusalem. Diese Alternative ist zukünftig überholt. Dass es sich bei diesem neuerlichen Offenbarungswort Jesu um einen Ausblick in die Zukunft handelt, geht aus dem Futur npoaKuv~aETE hervor. Freilich ist dieser zukünftige Aspekt nur auf der Ebene des Dialogs ernst zu nehmen, für den Leser des Johannesevangeliums hat er sich schon längst realisiert.I 63 Als Objekt dieser zukünftigen Anbetung wird TC\> naTpL, angegeben, der hier erstmals im Dialog genannt wird. In 160 Vgl.J. BECKER,Joh I 206. 161 Die Interpretation von Link, dass der johanneische Jesus mit dieser Aufforderung um das Vertrauen und den Glauben der Frau an Jesus Christus als den Offenbarer des Vaters wirbt, geht m. E. zu weit und lässt sich vom Kontext nicht halten, vgl. A. LINK, "Was redest du mit ihr?" 28l. 162 Hier begegnet sie zum einzigen Mal am Satzende und ist auch nicht wie an den anderen Stellen freundlich und höflich, sondern eher schroff und abweisend verwendet in Zusammenhang mit der vorwurfsvollen Formulierung ,l E~oL KaL ool, die Jesus an seine Mutter richtet und ihr damit zu verstehen gibt, dass es ihr nicht zusteht, die Stunde seines HandeIns festzulegen. 163Vgl. C. DIETZFELBINGER,joh I 107.
Der Dialogjesu mit der Samaritanerin injoh 4,7-26
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engem Zusammenhang mit der futurischen Dimension der wahren Gottesanbetung steht in Vers 21 die ebenfalls wie TIPOOKUV~OE't'E 't'c.i> TIn:'t'pL, den Vers 20 übersteigende Aussage epXE't'n:L wpn:. Aus diesen beiden Zusätzen geht die futurisch-esch~tologische Dimension der Aussage Jesu heIVor. Die kommende Stunde, die mit Vers 23 schon da ist, ist nicht als chronologische Angabe, auch nicht als kreuzestheologische Aussage im Hinblick auf die Erhöhung und Verherrlichung Jesu am Kreuz, sondern mit Bultmann, Schnackenburg und Link als eschatologische Zeit zu verstehen, die in der Person Jesu Christi anbricht. In ihm eröffnet sich eine neue Art und Weise der Gottesverehrung, und die lokale Bindung an eine bestimmte Kultstätte wird bedeutungslos. l64 Bevor diese neue Form der Gottesanbetung in den Versen 23 und 24 konkretisiert wird, begegnet mit dem Vers 22 die wohl schwierigste Äußerung innerhalb des Dialogs in J oh 4 und darüber hinaus eine der umstrittensten Aussagen im gesamten Johannesevangelium. Von der syntaktischen Struktur dieses Verses her ergeben sich noch die wenigsten Probleme. An einen antithetischen Parallelismus mit der Formulierung UIJ-ELC; TIPOOKUVEL't'E ö OUK O'(Ön:'t'E' ~IJ-ELC; TIPOOKUVOUIJ-EV Ö O'(Ön:IJ-EV schließt sich ein Begründungssatz mit ön an: ön ~ OW't'TlPLn: EX 't'WV 'IouliaLwv eo't'Lv. Die Schwierigkeiten beginnen bei der inhaltlichen Beurteilung dieses Verses. Bei der Bestimmung, wer hinter den beiden Personalpronomina steht, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder spricht Jesus in den UIJ-ELC; die Samaritanerin als Vertreterin ihrer Religionsgemeinschaft an und schließt sich selbst in den ~IJ-ELC; mit den Juden zusammen; damit stehen Samaritaner und Juden einander gegenüber. Oder aber sind Samaritaner und Juden in den UIJ-ELC; zusammengefasst undJesus spricht bereits aus christlicher Perspektive und meint mit den ~IJ-ELC; sich und die Christen. Dann würde jedoch die nachfolgende Begründung keinen Sinn ergeben. Vielmehr ergibt sich m. E. aus dem Kontext, dass der in den Versen 20 und 21 eröffnete Gegensatz zwischen Samaritanern und Juden in Vers 22 weitergeführt wird; auch die nachfolgende Begründung "denn das Heil kommt von den Juden" ist nur vor diesem Hintergrund sinnvoll. 165 Wie ist dann diese letzte Aussage zu. bewerten? Im unmittelbaren Zusammenhang mit dem ersten Versteil wird dadurch der heilsgeschichtliche Vorrang der Juden vor den Samaritanern zum Ausdruck gebracht. Weil das Heil aus dem jüdischen Volk heIVorgeht, können die Juden im Unterschied zu den Samaritanern das an164Vgl. R. BULTMANN,joh 139; R. SCHNACKENBURG,joh I 470; A. LINK, .Was redest du mit ihr?"281 in Anlehnung an F. PORSCH, Pneuma 147. 165 Vgl.J. BECKER,joh I 206f.
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Die Dialogejesu mit Einzelpersonen imjohannesevangelium
beten, was sie kennen. Damit sind sie die wahren und rechtmäßigen Gottesanbeter und die alte Streitfrage ist für sie entschieden. Im Gesamtkontext des Johannesevangeliums geht die Aussage "denn das Heil kommt von den Juden" weit über den Konflikt zwischen Samaritanern und Juden hinaus.Joh 4,22e stellt diejudenfreundlichste ,Aussage beiJohannes dar und bildet den stärksten Kontrast zuJoh 8,44; in diesem Vers werden die Juden als Söhne des Teufels verrufen. Aus diesen beiden Spitzenaussagen geht die ambivalente Sichtweise der Juden im Johannesevangelium pointiert hervor. Daneben findet sich bei Johannes auch eine neutrale Sicht der Juden.l 66 Diese unterschiedliche Wahrnehmung der Juden imJohannesevangelium lässt sich unmöglich auf einen einzigen Autor zurückführen. Selbst die Abkehr der johanrieischen Christen vom jüdischen Synagogenverband und die damit einhergehende veränderte Beurteilung der Juden vermag das Nebeneinander solch extremer Aussagen wieJoh 4,22 undJoh 8,44 nicht zu erklären. Demzufolge kommt als Lösung dieser Spannungen nur in Frage, dass das unterschiedliche Bild der Juden im Johannesevangelium auf unterschiedliche Autoren zurückgeht. Für Joh 4,22e muss deshalb entschieden werden, ob dieser Teilvers dem Evangelisten oder einem späteren Redaktor zuzuschreiben ist. Allein die sprachliche Formulierung deutet auf Letzteren hin, stellt doch der Ausdruck ~ OW1:"'lPLCX ein Hapaxlegomenon im Johannesevangelium dar167 und ist möglicherweise durch die abschließende Formulierung in Joh 4,42 oU'tOC; eonv u/..1l9wC; 0 OWTI!P 'tOU KOOfJ.OU in diesen Kontext eingefügt. Wichtiger noch ist die Tatsache, dass sichJoh 4,22e mit seiner extrem judenfreundlichen Tendenz nicht ganz unproblematisch in den Kontext johanneischer Theologie einfügt. Zwar ist und bleibt auch nach der Darstellung des Johannesevangeliums Jesus ein Jude, allerdings nur auf der anthropologischen Ebene, wenn es um seine natürliche Herkunft und sein Menschsein geht. In theologischer Hinsicht ist die AbstammungJesu aus dem Judentum beiJohannes sekundär, vielmehr geht es bei ihm primär um die Beziehung Jesu zum Vater, seine Sendung vom Vater in die Welt und seine Rückkehr zu ihm. Darin begründet sich sein Auftrag im Allgemeinen und sein Heilsangebot im Speziellen. Beides wird von den Juden durch die Ablehnung seiner Person nicht erkannt und nicht angenommen.l 68 Vor die166 So
beispielsweise injoh 7,11; 11,19; 12,9 oder bei der Kennzeichnungjüdischer Feste injoh 2,13; 5,1; 6,4 u. a. 167 Überhaupt begegnet der Ausdruck sehr selten im Neuen Testament, relativ häufig bei Lukas, vgl. Lk 1,69.71.77; 19,9; Apg 4,12; 7,25; 13,26.47; 16,17; 27,34. 168Vgl. nurjoh 1,l1f.
Der DialogJesu mit der Samaritanerin inJoh 4,7-26
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sem Hintergrund kannJoh 4,22e schwerlich vomJohannesevangelisten stammen, sondern von einem späterenjudenchristlichen Redaktor, der noch stark in der jüdischen Tradition verwurzelt ist und das Heil von denjuden erwartet. 169 Wenn qer Teilvers 22e also auf einen Redaktor zurückgeht, dann fällt auch auf den restlichen, vorherigen Vers ein redaktionelles Licht, ist doch 22e durch den Begründungssatz eng mit 22abcd verbunden,170 Dieser logische Rückschluss bestätigt sich durch die Steilung des Verses 22 im Kontext der Verse 21 und 23. In diesen Versen wird sowohl der samaritanische Kult auf dem Garizim als auch der jüdische Kult in Jerusalern für beendet erklärt zu Gunsten einer neuen, vom Ort unabhängigen Fonn der Gottesanbetung in Geist und Wahrheit. Demgegenüber stellt der Vers 22 einen Rückschritt dar, insofern hier den Juden ein Heilsvorrang gegenüber den Samaritanern eingeräumt wird. Rein von der Logik her lässt sich dieser Vers nicht einfach als "Zwischenbemerkung" abtun, die als Überleitung von der Ankündigung der es~ha tologischen Zeit in Vers 21 zu ihrer Erfüllung in Vers 23 fungiertl 71 , sondern er wirkt störend im Duktus der Argumentation, insofern das klare "Weder-Noch" der Verse 21 und 23 durchbrochen wird. Ohne den Vers 22, der von einem späteren judenchristlichen Redaktor "korrigierend, ergänzend und entschärfend"172 eingefügt wurde, ergibt sich eine stimmige und stringente Argumentation, die auf das "WederNoch" sofort ein "Sondern" folgen lässt. 173 Die Stunde der rechten Anbetung, die in Vers 21 futurisch verheißen wird, kommt mit der Aussage Jesu in Vers 23 präsentisch zu ihrer Erfüllung. Die Fonnulierung epXE't'IXL WPIX in Vers 23 ist direkt aus Vers 21 übernommen, aber durch den Zusatz KIXL vuv eonv wird das Kommen der Stunde nicht mehr auf unbestimmte Zeit vertagt, sondern es ereignet sich im Jetzt der Gegenwart. 174 Ebenso wird das 169Vgl. C. DIETZFELBINGER, Joh I 109f.; A. LINK, "Was redest du mit ihr?" 193-195; J. BECKER,Joh I 207f. . 170 Damit scheidet die hypothetische Variante bei Bultmann aus, dass der Vers 22 nur teilweise aufgrund einer falschen Interpretation des Vorherigen eine Glosse der Redaktion ist, vgl. R. BULTMANN,Joh 139. l7l Vgl. R. SCHNACKENBURG,Joh I 471. 172 So C. DIETZFELBINGER,Joh I 110. 173 Das IiH.o: zu Beginn von Vers 23 darf nicht mit "aber" übersetzt werden; es ist im Deutschen vielmehr mit "sondern" wiederzugeben. 174 Damit ergibt sich von c!.er Formulierung her ein deutlicher Bezug zu Joh 5,25.28, wenn hier in wörtlicher Ubereinstimmung mitJoh 4,21.23 die eschatologische Stunde zunächst für die Gegenwart angekündigt und dann für die Zukunft verheißen wird· Anders als im Fall der Eschatologie inJoh 5 stellen die Aussagen inJoh 4 allerdings keine inhaltliche Spannung, sondern eine stringente Weiterführung dar.
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Die Dialoge jesu mit Einzelpersonen im johannesevangelium
1TPOOKUv.10E't'E 't'4) 1Ta't'pL, aus Vers 21 in Vers 23 näher konkretisiert und spezifiziert. Als Subjekt dieser Gottesanbetung werden die UATj9LVOL 1TPOoKuVTj't'aL genannt. Die ßezeichnung 1TPOOKUVTj't'aL erscheiilt im ge-
samten Neuen Testament nur hier inJoh 4,23 und wird durch das Adjektiv UATj9LVOL 175 genauer bestimmt. Bei diesen echten Anbetern spielt der Kultort keine Rolle mehr, vielmehr kommt es bei ihnen auf die Art und· Weise der Gottesverehrung an. Das entscheidend Neue gegenüber allen bisherigen Formen des Kultes ist nunmehr die Anbetung Gottes ev 1TvEujJan KaL uATj9ELa, und als Begründung wird angegeben: yap 0 1Ta't'~p 't'OLOU't'OUt; 'Tj't'EL 't'OUt; 1TPOOKuvouv't'at; all't't)v. Der Vater ist demzufolge nicht nur das Objekt der Verehrung, er selbst sucht solche Anbeter, die ihn in Geist und Wahrheit anbeten.l 76 Mit dieser Doppelwendung l77 bringt Johannes die neue Form der Gottesanbetung "in unüberbietbarer Dichte und Prägnanz"178 zum Ausdruck. Was er darunter versteht, geht aus dem folgenden Vers 24 und darüber hinaus aus seinem Geist- und Wahrheitsverständnis im Evangelium her;vor. Mit der Formulierung 1TVEUjJIX 0 9EOt; in Vers 24 wird zwar keine Definition Gottes geliefert, die Gott mit Geist gleichsetzt und identifiziert, aber analog zu den formal ähnlichen Aussagen 0 9EOt; cjlWt; eonv in 1 Joh 1,5 und 0 9EOt; uytX1TT] eo't'Lv in 1 Joh 4,8.16 wird das Wesen Gottes näher beschrieben und sein besonderes Sein, seine Andersartigkeit gegenüber aller menschlicher Seinsweise, zum Ausdruck gebracht. Nachjohanneischem Verständnis veIWeist der Pneumabegriff im Unterschied zur fleischlich-irdisch orientierten Sarxvorstellung auf den göttlich-himmlischen Bereich. Wenn also Gott Geist ist und in der ihm entsprechenden Weise, also im Geist, angebetet werden will, dann scheidet jeder anthropologische Zugang zu Joh 4,23f. aus. Ausgangspunkt dieser Anbetung im Geiste ist vielmehr der Geist Gottes, dessen schöpferische Macht in Anlehnung an den alttestamentlichen Geistbegriff den Menschen durchwirkt und belebt.l79 Jesus wird dieser Geist bei seiner Taufe verliehen l80 und er ist alleiniger Geistträger, bis er den Geist an Ostern den Jüngern weitergibt.l 81 In der Taufe wird der 175 Man beachte das Wortspiel mit &~TJee(q:. Deswegen steht wohl auch der Doppelausdruck nGeist und Wahrheit", liegt doch im Folgenden der Schwerpunkt auf dem Geist. 176 Vgl. A. LINK, "Was redest du mit ihr?" 226. 177Vgl. andere Doppelwendungen beijohannes, z. B. xapL~ KIXL f) cXA."eELIX injoh 1,14.17 oder&A."eeLIX KIXL f) (CU" injoh 14,6. 178 So R. SCHNACKENBURG,joh I 471. 179 Vgl. Gen 1,2: Der Geist Gottes ist vor aller Schöpfung, d. h. er wird nicht geschaffen, sondern ist selbst Leben schaffendes Prinzip. 180Vgl.joh 1,32. 181 Vgl.joh 20,22.
Der Dialogjesu mit der Samaritanerin injoh 4,7-26
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Mensch mit dem Geist Gottes erfüllt182 und erhält damit die Voraussetzung, Gott, der Geist ist, aus diesem Geist heraus anzubeten. Neben der Anbetung im Geist, die von Gott ausgeht und auf ihn ausgerichtet ist, will Gott auch in der Wahrheit angebetet werden. Der Ausdruck iI &.l~geLQ: begegnet bei Johannes im Unterschied zu den synoptischen Evangelien bedeutend häufiger und bezeichnet laut Bultmann "die in Jesus offenbare Wirklichkeit Gottes"183. Dieser relativ abstrakte Begriff wird in Jesus Christus konkret und nimmt in seiner Person Gestalt an, wenn Jesus inJoh 14,6 von sich selbst sagt: 'EyuS eLjJ.L ~ OöOC; Kat ~ &.l~9ELa Kat ~ 'w~. Demzufolge kann die Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit nicht an Jesus, der die Wahrheit ist, vorbeigehen; vielmehr ist sie konstitutiv an seine Person gebunden. In Jesus Christus bricht die eschatologische Stunde der neuen Gottesanbetung in Geist und Wahrheit an. Damit werden sämtliche Kultstätten, sei es auf dem Garizim oder in Jerusalem oder sonst wo, bedeutungSIOS184, wahre Anbetung erfolgt nunmehr aus dem Geist Gottes heraus, der in Jesus Christus gegeben wurde, und ist aufJesus Christus, der die geoffenbarte Wahrheit Gottes darstellt, ausgerichtet. Die neue Form der Anbetung in Geist und Wahrheit enthält demnach gleichermaßen eine zutiefst theologische wie christologische Komponente. Jesus Christus ist nunmehr der neue Ort der Gottesanbetung. Zu dieser christologischen Erkenntnis will der johanneische Christus die Frau mit seinem kleinen Offenbarungsmonolog in den Versen 21-24 führen. Ob und wie dies ihm geglückt ist, zeigen die beiden letzten Verse des Dialogs zwischenJesus und der Samaritanerin inJoh 4,25f. 4.4.5. Der Höhepunkt des Dialogs: Die SelbstoffenbarungJesu als Messias (V. 25f.) Die offenbarungstheologischen Ausführungen Jesu bezüglich der wahren Gottesanbetung gehen an der Frau nicht spurlos vorbei. Mit ihrer Aussage in Vers 25: Ü!ÖIX ön MeaoLIXC; EPXE'tIXL b leyojJ.evoc; XPLOtOC;· Ö.IXV Ele1J EKelvoc;, &.vlXyyelE1 ~jJ.lv ä,1TIXV't1X bringt sie ihre religiöse Erwartung zum Ausdruck. Die Samaritanerin äußert ihre Vorstellung vom Kommen des Messias und projiziert diese in die Zukunft. Im unmittelbaren Anschluss an das WortJesu in Vers 21 lässt sich die Aussage der Frau in Vers 25 sinnvoll nachvollziehen, weil auch hier der 182joh 3,3.5f. 183 So R. BULTMANN,joh 140. , 184 Die Loslösung von bestimmten Kultorten impliziert allerdings nicht, dass beini Anbeten der konkrete Gestus des NiederfalIens keine Rolle mehr spielt, vgl. H. GREEVEN, Art. lTPOOKUvEW 765.
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Die Dialoge jesu mit Einzelpersonen im johannesevangelium
Blick in die Zukunft gerichtet ist. Durch die präsentischen Verse 23 und 24 erscheint die Frau in Vers 25 jedoch als Nicht-Verstehende. Sie hält weiterhin futurisch na~h dem Kommen des Messias Ausschau, während Jesus von der Gegenwart spricht; mit ihm ist die Heilszeit bereits angebrochen. Damit hat die Samaritanerin Jesus in seiner Bedeutung noch immer nicht erfasst.I 85 Die Formulierung OLM /Sn findet sich in verschiedenen Kontexten des Johannesevangeliums immer wieder186 und druckt jeweils ein sicheres Wissen und eine klare Erkenntnis aus. Die Samaritanerin ist vom Kommen des Messias überzeugt. Allerdings fällt der artikellose Gebrauch von "Messias" in ihrem Munde auf. Welches Messiasverständnis liegt hier vor? Aus der Sicht der samaritanischen Frau legt sich die Messiasvorstellung der Samaritaner nahe, die nach Dtn 18,18 den Taheb als Messias erwarten; dieser "Wiederkehrende" soll ähnlich jüdischen Messiaserwartungen die politische Ordnung, das Königtum Israel, und den wahren Kult wiederherstellen. 187 Dabei fragt sich nur, welchen Sinn es macht, dass der Johannesevangelist an dieser alten, überholten Vorstellung festhält und juden- wie heidenchrisdiche Ohren damit konfrontiert. Neben dieser samaritanischen Variante kommt auch die jüdische Messiaserwartung in Frage, die sich ebenfalls an Dtn 18,18 entzündet: "Einen Propheten wie dich will ich ihnen mitten unter ihren Brüdern erstehen lassen. Ich will ihm meine Worte in den Mund legen und er wird ihnen alles sagen, was ich ihm auftrage." Dass es sich in Vers 25 um eine jüdische Messiasvorstellung handelt, ließe sich folgendermaßen erklären. Der jüdische Titel "Messias" wird analog zu Joh 1,41 im unmittelbaren Anschluss für heidenchrisdiche Hörer bzw. Leser vom Evangelisten erklärt und damit auch ihnen verständlich gemacht. Weiterhin lässt sich der Nachsatz in Vers 25 ocav ~Ä.ell EKELVOC;, livaYYEAE'L ';j.LLV &1TaV1:a inhaldich in engen Zusammenhang mit Dtn 18,18 bringen, insofern beide Male von einer Verkündigungstätigkeit des prophetischen Messias die Rede ist. Ob diese Anspielung von Johannes intendiert ist, mag dahingestellt bleiben. Der Evangelist orientiert sich wohl eher am näheren Kontext. Die samaritanische Frau ist nachJoh 4,16-19 weiterhin ihrem Wunderglauben verhaftet; sie sieht in Jesus nicht nur den Propheten, der durch 185 Vgl. A. LINK, "Was redest du mit ihr?" 283. l86Vgl.joh 3,2; 4,42; 5,32; 8,37; 9,20.24.25.29.31; 11,22.24; 12,50; 16,30; 19,10; 21,15.16. 24. 187 Vgl. R. SCHNACKENBURG,joh I 475f.
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sein wunderbares Wissen ihr Privatleben aufdeckt, sondern auch den Messias, der alles verkündet.l 88 Damit besteht ein innerer Zusammenhang zwischen diesen beiden Titeln, die freilich von der Frau in ihrer christologischen Tiefendimension so nicht wahrgenommen werden. Aber. der Evangelist hebt wahrscheinlich die eher allgemeinere Bezeichnung "Prophet" aus Vers 19 auf eine höhere Ebene und kommt in Vers 25 auf den "Messias" zu sprechen. Durch diese neue christologische Offenbarung gelingt es ihm, auf der Textebene die Perspektive der Samaritanerin zu wahren und ihren Vorstellungen zu entsprechen und gleichzeitig auch die jüdische Dimension im Hinblick auf judenchristliche Rezipienten des Evangeliums einzuhalten.l89 Für die Heidenchristen erfolgt die Erklärung: b Äey6~evoc; XpLa't6c;; damit können auch sie die stufenweise christologische Offenbarung weiter mitverfolgen und werden tiefer in die BedeutungJesu eingeführt. Nach den Versen 21-24 erübrigt sich eigentlich die Frage nach dem Me.ssiasverständnis von Vers 25, erteilt dochJesus dem samaritanischen wie dem jüdischen Kult in gleicher Weise eine Absage. Die neue Form der Gottesanbetung in Geist und Wahrheit ist konstitutiv an die Person Jesu gebunden, er ist der Messias, der nicht erst zu kommen braucht, weil er schon da ist. Diese speziell aus Vers 23 implizit hervorgehende Erkenntnis muss Jesus der Frau und den Lesern gegenüber noch explizit zum Ausdruck bringen, damit es mit dem Rätselraten um seine Person vorläufig zu einem Ende kommt und Klarheit darüber besteht, wer Jesus ist. In einer schlichten, aber doch gewichtigen Aussage erfolgt in Joh 4,26b die Selbstoffenbarung Jesu l90 : 'Eyc.S etJ.l.L, b ÄocÄwv aoL Damit wird der futurische Aspekt von Vers 25 hier in Vers 26 in die Gegenwart geholt. Jesus eIWeist sich der Frau als der von ihr erwartete Messias und gibt ihr das unmissverständlich zu erkennen. Im Unterschied zuJohannes dem Täufer, der auf die Frage der Jerusalemer Gesandtschaft nach seiner Person in Joh 1,20 mit: 'Eyw OUK etJ.l.L b XpLa't6c; antwortet und damit die Messianität für sich zurückweist, kehrtJesus inJoh 4,26 diese
J.
188 VgI. RINKE, Kerygma 88. 189 Gegen Becker, der den Messiastitel
in Vers 25 rur austauschbar hält durch einen anderen, der johanneischen Gemeinde bekannten Hoheitstitel, vgI. J. BECKER, joh I 211. 190 Schnackenburg betont, dass jesus im Unterschied zu joh 9,37 nicht durch die Situation zu dieser Aussage gezwungen wird, sondern sich der Frau aus freien Stücken als Messias offenbart, vgI. R SCHNACKENBURG,joh I 476. Allerdings kannjesus nach der Steilvorlage in Vers 25 gar nicht anders, als die MessiasvorsteIlung der Frau auf seine Person zu übertragen und damit am Ende des Dialogs endlich rur klare Verhältnisse zu sorgen.
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Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
Formulierung in ihr Gegenteil und gibt sich als der erwartete Messias zu erkennen. Auf diese Weise wird die Negativformulierung des Täufers im Munde Jesu positiv aufgelöst und auf seine eigene Person übertragen. Hier in Joh 4,26 begegnet damit zum ersten Mal bei Johannes die absolute Redeweise 'Eyc.S ElIJ.L, die sich auch noch an weiteren Stellen des Evangeliums findet. 191 Dadurch, dass es sich bei dieser ersten Stelle um ein Offenbarungswort Jesu handelt, lässt sich die Formulierung 'Eyc.S eLIJ.L. 6 AaWVaOL nicht einfach als bloße Selbstidentifikation abtun.l 92 Vielmehr gehört dieses absolute'Eyc.S EllJ.L neben den prädikativen Ich-bin-Worten 193 zu den offenbarungstheologischen Ich-binAussagen Jesu im Johannesevangelium. Diese sind nicht ausschließlich in Zusammenhang mit der johanneischen Sendungschristologie zu erklären l94, sondern sind vor dem Hintergrund alttestamentlicher Gottesrede zu verstehen.l 95 In Deuterojesaja wird mit dieser einfachen Formel die Einzigkeit und ErhabenheitJahwes zum Ausdruck gebracht, "damit ihr erkennt und mir glaubt und einseht, dass ich es bin ( ... ) Ich bin Jahwe, ich, und außer mir gibt es keinen Retter."196 Über die Septuaginta kommt wohl dieses absolute "Ich bin" in die Sprechweise des Johannesevangelisten, der mit dieser alttestamentlichen OffenbarungsformelJesus zum neutestamentlichen Offenbarer und Heilsbringer für die Menschen macht.l 97 Was aus den folgenden Stellen sicherlich noch deutlicher hervorgeht, ist allerdings schon in Joh 4,26 grundgelegt. In Anlehnung an die alttestamentliche Gottesoffenbarung gibt sichJesus der Frau mit seiner Selbstoffenbaruilg als Messias zu erkennen. Dies geschieht jedoch nicht in Form einer Christophanie, wie sie vielleicht analog zur Theophanie im Alten Testament zu erwarten wäre, sondern in einem Gespräch: 'Eyc.S ElIJ.L. 6 AaAWV aOL. Auf diese Weise bekommt Offenbarung eine kommunikative Komponente. sie ereignet sich nicht im luftleeren Raum, sondern lässt sich am konkreten Gegenüber erfahren. Die Samaritanerin hört es nunmehr unmissverständlich aus dem Munde Jesu, dass er selbst der Messias ist.
191 Vgl.Joh 6,20; 8,24.28.58; 13,19. 192 Gegen A. LINK, "Was redest du mit ihr?" 288f. 193Vgl.Joh 6,35.48.51; 8,12; 10,9; 11,25; 15,25. 194 Gegen]. BECKER,Joh I 249-251. 195 Vgl. R SCHNACKENBURG,Joh 11 253f. 196 Jes 43,IOf.; vgl. auchJes 41,4 und 45,18.12. 197 Zu den Ich-bin-Worten Jesu im Johannesevangelium folgt noch ein ausführlicher Exkurs im Rahmen der Analyse des Dialogs zwischenJesus und Martha.
Der DialogJesu mit der Samaritanerin inJoh 4,7-26
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Mit dieser Selbstoffenbarung Jesu ist der Dialog Jesu mit der Samaritanerin an seinen Höhepunkt und an sein Ziel gelangt. Die samaritanische Frau weiß nunmehr, mit wem sie gesprochen hat und wer Jesus ist. Auf dieser offenbarungstheologischen Grundlage vonseiten Jesu und dieser erkenntnistheologischen Grundlage vonseiten der SamaritaneriD. ist die Voraussetzung geschaffen für den weiteren Fortgang der Erzählung. Denn mit dem Ende des Dialogs ist nicht das Ende der Erzählung erreicht, vielmehr bringt der Dialog die Erzählung erst in Gang und motiviert die folgende Handlung. 198 Umgekehrt bündelt sich in Joh 4,26 der gesamte Dialogverlauf, insofern der Dialog von Anfang an auf diese Selbstoffenbarung Jesu hinausläuft; demnach erweist sich der Dialog nicht als eine Aneinanderreihung von Einzelthemen, die voneinander isoliert sind und nacheinander behandelt werden, sondern als ein Weg, der nach und nach zum Glauben anJesus führt. Jesus ist Gabe und Geber des lebendigen Wassers; Jesus ist der "Ort" der neuen Gottesverehrung; Jesus ist der Messias. Damit werden im Laufe des Dialogs verschiedene Antworten auf die eine Frage gegeben, wer Jesus ist und welche Bedeutung er für die Menschen hat. Letztlich wird die Frau zusammen mit dem Rezipienten des Dialogs auf verschiedenen Stufen zu der christologischen Erkenntnis geführt, dassJesus der Messias ist. Damit weiß die samaritanische Frau inJoh 4 viel mehr über Jesus als Nikodemus in Joh 3. Überhaupt werden beide Gestalten als Kontrastfiguren gezeichnet: Der Mann, Jude, Ratsherr Nikodemus auf der einen Seite; die namenlose, einfache samaritanische Frau auf der anderen Seite. Jener suchtJesus bei Nacht auf; sie begegnetJesus am helllichten Mittag am Brunnen. Beide unterliegen Missverständnissen, aber mit dem bedeutenden Unterschied, dass Nikodemus in seinem Missverstehen verharrt und dann plötzlich als. Dialogpartner Jesu von der Bildfläche verschwindet, während der Dialog Jesu mit der Samaritanerin dahingehend zu Ende geführt wird, dass sich Jesus der Frau als Messias offenbart199 und sie daraufhin zum Glauben an ihn kommt. Damit wird die samaritanische Frau als Identitätsfigur für den Leser gezeichnet. Zusammen mit ihr soll er stufenweise zur chri~tologischen Erkenntnis geführt werden und schließlich zum Glauben an Jesus als Messias kommen.
198 Vgl.
den weiteren Fortgang der Handlung: Nach der Selbstoffenbaiung Jesu macht sich die Samaritanerin auf zu ihren Landsleuten und bringt sie zu Jesus; diese kommen schließlich zum Glauben an ihn als den Retter der Welt. 199 Vgl. C. DIETZFELBINGER,Joh I 106-109.
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Die DialogeJesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
5. Die Auswirkungen des Dialogs auf den Fortgang der Err.ählung Mit der Selbstoffenbarung Jesu als Messias in Joh 4,26 ist zwar der Höhepunkt des Dialogs erreicht, aber damit ist die Erzählung von der samaritanischen Frau keineswegs zu Ende. Vielmehr stellt dieser gewichtige Einschnitt gewissermaßen die Zündschnur für den Fortgang der Handlung dar, wird doch die Samaritanerin durch ihre stufenweise gewonnene christologische Erkenntnis zu einer entscheidenden Figur für die weitere Erzählung, insofern sie ihre Landsleute zu Jesus führt, die sich daraufhin ihrerseits zu Jesus als dem "Retter der Welt"200 bekennen. 5.1. Das Weggehen der Samaritanerin zu ihren Landsleuten und das Kommen der Samaritaner zuJesus Durch die Rückkehr der Jünger wird der Dialog zwischenJesus und der Samaritanerin unterbrochen: So bleibt am Ende des Dialogs die Selbstoffenbarung Jesu als Messias unkommentiert als Höhepunkt stehen. Die Jünger, die laut Joh 4,8 zum Essenkaufen in den Ort gegangen sind, kehren in Joh 4,27 zurück und sind verwundert, dass Jesus mit einer Frau spricht. Keiner wagt es offen auszusprechen, aber Fragen wie TL CrrtE'i.c; ~ TL Aa.M'i.C; tJ.E't"' a.u't"fic;; werden stillschweigend gestellt, nicht nur von den Jüngern auf der Textebene, sondern auch von den Lesern bzw. Hörern des Textes. Nicht durch das Zurückkommen der Jünger motiviert, sondern um ihre Landsleute herbeizurufen, macht sich die Frau eilends auf den Weg in das Dorf. Ihr schnelles, spontanes Verhalten zeigt sich im Stehenlassen des Wasserkruges, was wiederum darauf hindeutet, dass die Samaritanerin zumjakobsbrunnen und damit auch zuJesus zurückkehrt. 201 Ein Vergleich mit den synoptischen Berufungserzähiungen202 zeigt, dass die Samaritanerin wie die Jünger auch ihre Tätigkeit für Jesus ruhen lässt und darüber hinaus ganz konkret als Vermittlerin zwischenJesus und ihren Landsleuten fungiert, so dass die Samaritaner zum Glauben anJesus kommen. In Joh 4,29 fordert sie die Samaritaner mit einem doppelten Imperativ auf: ßEU't"E 'LÖE't"E. Von dem ganzen Dialog mit Jesus muss die Samaritanerin am stärksten von der prophetischen Gabe Jesu beein200Vgl.Joh 4,42. 201 Vgl. C. DIETZFELBINGER,Joh I 113. 202Vgl. A. LINK, "Was redest du mit ihr?" 297.
Der DialogJesu mit der Samaritanerin inJoh 4,7-26
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druckt sein, nimmt sie doch mit der Aussage &V9pW1TOV ÖC;; EL1TEV ~OL 1Tav't"a öaa E1TOLTjaa ganz gezielt aufJoh 4,16-19 Bezug und reagiert nur zögerlich auf die Selbstoffenbarung Jesu als Messias mit einem Schwellenbekenntnis in Frageform am Ende von Joh 4,29: ~~n ou't"OC;; Eanv 0 XpLa't"oc;;;.
.
Durch die Verwendung von ~~n20S wird eine vorsichtige Vermutung zum Ausdruck gebracht, die den Leser zum Nachdenken und auch zur eigenen Meinungsbildung anregen soll, wer Jesus für ihn ganz persönlich ist. 204 Möglicherweise soll mit diesem zaghaften Bekenntnis der samaritanischen Frau auch eine gewisse Spannung im Erzählbogen aufgebaut werden, die sich im universalen Bekenntnis von Joh 4,42 entladen soll. Demnach liefert Joh 4,29 die vorsichtige Fragestellung der Samaritanerin für die definitive Antwort der Samaritaner in Joh 4,42. 205 Allerdings ergibt sich dadurch eine gewisse Spannung im unmittelbaren Kontext. In Joh 4,26 offenbart sich Jesus der Samaritanerin unmissverständlich als Messias, in Joh 4,29 stellt die Samaritanerin die MessianitätJesu in Frage. Zeigt sich daran, dass die Frau doch noch nicht zum vollen und endgültigen Glauben an Jesus gekommen ist? Der weitere Gang der Handlung beweist auf jeden Fall, dass sie bei ihren Landsleuten mit ihrer Botschaft keineswegs auf Ablehnung oder Desinteresse stößt. Ganz im Gegenteil, aus dem Verhalten der Samaritaner lässt sich schließen, dass die Frau als glaubwürdige Zeugin aufgetreten ist, die zum Glauben an Jesus gekommen ist. Wie sonst hätte sie die Dorfbewohner auf Jesus aufmerksam machen und sie für ihn begeistern können? Damit erweist sich die Formulierung ~~n ou't"OC;; Eanv 0 XpLm;oc;;; doch mehr als rhetorische Frage, die die Neugier der Samaritaner wecken und sie zur persönlichen Begegnung mitJesus antreiben soll. Auf das persönliche Glaubenszeugnis der Frau und auf ihren missionarischen Aufruf hin machen sich die Samaritaner auf den Weg und gehen zuJesus. 206
kommt im gesamtenJohannesevangelium nur dreimal vor, hier inJoh 4,29 und darüber hinaus nur noch in Joh 8,22 und 18,35. Im Unterschied zu den beiden letztgenannten Stellen erfordert es hier in Joh 4 nicht unbedingt eine negative Antwort. 204 VgI. R. SCHNACKENBURG,Joh I 478. 205 VgI. A. LINK, »Was redest du mit ihr?" 300. 206 Die Aoristform ~fJÄ90v betont den punktuellen Aspekt des Aufbruchs (ingressiver Aorist), während die Imperfektform ~PXOVtO die Dauer des Unterwegsseins (duratives Imperfekt) zum Ausdruck bringt. 20S ILlln
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Die Dialogejesu mit Einzelpersonen imjohannesevangelium
Exkurs: DieJüngerbelehrunginJoh 4,31-38
Die Zwischenzeit, während die Samaritaner unterwegs zu Jesus sind, nutzt der Evangelist auf geschickte Art und Weise, um einen Dialog zwischenJesus und seinen Jüngern einzubauen, der zu einem Monolog Jesu wird. Dieser AbschnittJoh 4,31-38 lässt sich formal und inhaldich in ·zwei Teile gliedern. In den dialogischen Versen 31-34 geht es um eine Speise, die die Jünger wörtlich im irdisch-konkreten Sinn verstehen, währendJesus seine Sendung als Speise betrachtet, die ihm die nötige Nahrung im himmlisch-übertragenen Sinn gibt. Die rein monologischen Verse 35-38 sprechen eine missionarische Sprache und lenken den Blick weg vom Wirken des Vaters und des Sohnes hin auf die Arbeit der Jünger. Die Aufforderung der Jünger an Jesus zu essen in Joh 4,31: <j>&YE entspricht der Bitte Jesu gegenüber der samaritanischen Frau, ihm zu trinken zu geben aus Joh 4,7: M~ f..LOL 1TELV. Und wie das Trinken als Stichwort für den folgenden Dialog mit allen seinen Missverständnissen fungiert, so liefert die Aufforderung "iss" das Thema der folgenden Verse und führt auch zu einem Missverständnis. Während die Jünger laut Vers 34 an irdisches Essen denken, das den physischen Hunger des Menschen stillt, spricht Jesus von einer Speise, die die Jünger nicht kennen. 207 Unmittelbar in Vers 34 erfolgt aus dem Munde Jesu die Erklärung, worin seine Speise besteht: 'Ef..LOV ßp<3f..L& eonv 'LVII 1TOL~Oc..> 1:0 9EA.TJf..L1l 1:0U 1TEf..LIjJIlV1:6~ f..LE KilL 1:EAELWOc..> IlU1:0U 1:0 epyov. Diese SelbstaussageJesu gehört irisofern zu den "wichtigsten Sätzen desJohannesevangeliums"208, als sie in prägnanter Dichte die gesamte johanneische Theologie auf den Punkt bringt. Jesus ist nicht zum Selbstzweck in der Welt und verfolgt nicht seine eigenen Interessen, sondern er offenbart sich als der Gesandte, der den Willen dessen tut, der ihn gesandt hat und sein Werk zu Ende führt. Hinter dieser knappen Formulierung manifestiert sich die Gesandtenchristologie des vierten Evangelisten. Jesus wird von Gott in die Welt gesandt, damit er als der Sohn den Auftrag des Vaters ausführt und zur Vollendung bringt. Beide, Vater und Sohn, stehen in engster Wirk- und Werkgemeinschaft. Der Sohn kann von sich aus nichts tun, er handelt stets in Gemeinschaft mit und in Gehorsam gegenüber dem Vater. 209 Umgekehrt ist der Vater bei' der Ausführung seines Werkes auf den Sohn als seinen Gesandten angewiesen. Damit sind beide voneinander abhängig und bedingen sich gegen207Vgl.joh 4,32. 208 So C. DIETZFELBINGER,joh I 115. 209 Vgl. die Redejesu über seine Vollmacht injoh 5,19-47.
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seitig. Vater und Sohn sind also gemeinsam am Werk und führen in gegenseitiger Immanenz das eine Werk aus und bringen es zur Vollendung210 , Menschen zum Glauben an Gott zu bringen und ihnen dadurch Leben zu schenken. Genau dieses Werk vollzieht sich auch und gerade inJoh 4 in der Szene amJakobsbrunnen. 211 Nach einem scheinbaren Themenwechsel212 tragen die folgenden Verse 35-38 im Unterschied zu den vorangehenden Versen zwar deutlich missionarischen Charakter, doch geht es auch hier um das Werk, das Gott und die Menschen ausführen, konkret um das Missionswerk. Wie Dietzfelbinger konstatiert, zeichnet sich dieser kurze Abschnitt gegenüber dem restlichen Johannesevangelium durch eine gehäufte Missionsterminologie aus. 213 InJoh 4,35-38 begegnen dietdem Wortfeld "Mission" zugehörigen Begriffe "Ernte", "Lohn", "Frucht", das Wortpaar "säen - ernten" und zwei Sprichwörter bzw. Redensarten aus der Landwirtschaft:"En ,Etpa.j.1T]VOe; Eonv Kal 6 8EpWj.10e; EPXE,aL in Vers 35 und "AUoe; Eo,lv 6 OlTELPWV Kal ä.Uoe; 6 8EpL(WV in Vers 37. Die größte Unklarheit in diesem Abschnitt besteht darin, wer jeweils mit den Säenden und Erntenden gemeint ist. Die aus Vers 34 hervorgehende Wirkeinheit zwischen Vater und Sohn, die gemeinsame Freude von Sämann und Schnitter in Vers 36 und die sprichwörtliche Aussage von Vers 37 lassen mit Schnackenburg darauf schließen, dass in Vers 36 der Säende der Vater und der Erntende der Sohn ist. 214 Mit Vers 38 verändert sich die Perspektive, sind doch nunmehr die Jünger angesprochen als diejenigen, die ernten. Doch wer sind die ä.UOL, die laut Vers 38 gearbeitet haben? Becker sieht bereits ab Vers 37 einen Sprung von der vorösterlichen Perspektive in die Zeit der Gemeinde nach Ostern; er stellt einen konkreten Bezug zu Apg 8 her und nimmt für die Anderen, unter Ausschluss aller anderen Möglichkeiten 215 , die Hellenisten an, die in Samaria für die johanneische Gemeinde bereits missionarische Vorarbeit geleistet haben. 216 Ebenso verweist Schnackenburg in diesem Zusammenhang auf die urchristlichen Missions210 Vgl. Joh 19,30. 211 Vgl.Joh 4,10-15 in Verbindung mit dem weiteren Fortgang des Dialogs. 212 Gegen A. LINK, "Was redest du mit ihr?" 303, die zwischen den Versen 34 und 35 einen "bruchige [nl Übergang" bzw. einen "abrupte [nl Themenwechsel" sieht. 213 Vgl. C. DIETZFELBINGER,Joh I 115. 214 Vgl. R. SCHNACKENBURG,Joh I 485. 215 Jesus und der Vater können nicht gemeint sein, weil sie beide in einer Wirkeinheit agieren, der Täufer und seine Jünger scheiden als Konkurrenten zur johanneischen Gemeinde ebenfalls aus; schließlich kann Jesus nicht mit Vorgängern zusammen genannt sein, z. B. mit dem Täufer, weil er eine herausragende, einzigartige Stellung einnimmt. 216Vgl.J. BECKER,Joh I 214.
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verhältnisse in Samaria und bezieht sich auch auf Apg 8.217 Die Jünger Jesu können demnach auf dem von den Hellenisten gelegten Fundament weiterbauen 218 und di<;: Frucht dieser Arbeit ernten. Dieser konkrete Lösungsvorschlag von Becker und Schnackenburg klingt überzeugend und lässt sich gut nachvollziehen. Dem Johannesevangelisten kann es hier schwerlich darum gehen, in diesen Versen 31-38 eine allgemeine Belehrung über Mission zu geben; vielmehr richtet er seinen Blick auf die konkrete Situation in Samaria und spricht damit die johanneischen Christen an, die wohl den missionarischen Kontakt zu den samaritanischen Christen halten sollen. 5.2. Die Missionierung der Samaritaner und ihr Bekenntnis zuJesus als dem Retter der Welt Nach diesem kurzen zuerst dialogischen, dann monologischen Intermezzo knüpfen die narrativen Verse 39-41 an Vers 30 an und bringen die Perikope auf der Erzählebene zu ihrem Ende, bevor in Vers 42 als endgültiger und krönender Abschluss zuJoh 4,1-42 das universale Bekenntnis zu Jesus als dem Retter der Welt ausgesprochen wird. Auf das Zeugnis der Frau hin kommen die Samaritaner zum Glauben anJesus. Der Inhalt ihres Zeugnisses wird nachJoh 4,29 inJoh 4,39 ein zweites Mal wiedergegeben: ELlTEV j.LOL '!Ittv'ta IX ElTOLTJOa. Wie oben bereits eIWähnt, muss das wunderbare Wissen Jesu um ihre Person einen so tiefen, nachhaltigen Eindruck auf die Frau hinterlassen haben, dass sie zum Glauben an Jesus kommt und diesen Glauben nicht für sich behalten kann, sondern ihn an ihre Landsleute weitergeben muss: "Er hat mir alles gesagt, was ich getan habe." InteressanteIWeise greift die Samaritanerin vom Dialog mit Jesus kein Offenbarungswort Jesu heraus, sondern bezieht sich auf ihre eigene, persönliche Glaubenserfahrung. Dieses bezeugende Wort der Frau veranlasst die Samaritaner, sich aufzumachen und zum Glauben anJesus zu kommen. Aus der Aoristform ElTLo'tEuoav geht deutlich der Prozess des Zum-GlaubenKommens und das dynamische Element des Glaubens hervor. Ähnlich wie die Frau legen die Samaritaner einen Glaubensweg zurück. Durch das Zeugnis der Samaritanerin werden sie angestoßen und ermutigt, die direkte Begegnung mit Jesus zu suchen und dadurch von ihrem durch die Frau vermittelten Anfangsglauben zu einem tieferen, fundierteren Glauben zu gelangen.
217 Vgl. R SCHNACKENBURG,Joh I 486488. 218Vgl. 1 Kor 3,10.
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Demnach fungiert die Samaritanerin für ihre Landsleute als Mittlerperson, die sie zu Jesus führt und den Kontakt zu ihm herstellt. Die Frau ist also ein notwendiges Glied in der Glaubenskette, ohne sie und vor allem ohne ihr Glaubenszeugnis käme es nicht zum Zusammentreffen zwischeh. Jesus und den Samaritanern. Allerdings ist die Bedeutung der Frau auch nicht absolut zu setzen, gründet doch der volle und wahre Glaube in der unmittelbaren und persönlichen Begegnung mit Jesus selbst. 219 Genau in dieser ambivalenten Bedeutung manifestiert sich die "eigentümliche Paradoxie"220, die der Figur der samaritanischen Frau innewohnt. Auf der einen Seite ist sie unentbehrlich für die Glaubensverkündigung, auf der anderen Seite wird sie, hat sie ihre Mittlerfunktion erfüllt, gleichgültig für die weitere Entwicklung des Glaubens. Entscheidend ist dann der direkte Zugang zum Offenbarer und seine persönliche Beziehung zu ihm. Wie sich dies entwickelt und ausgestaltet, davon berichten die Verse 40 und 41. Ungeachtet der alten Erzfeindschaft laden die Samaritaner den Juden Jesus zu sich ein, und Jesus nimmt diese gastfreundschaftliehe Einladung an. Zwei Tage 221 bleibtJesus bei den Samaritanern und in dieser Zeit kommen noch mehr zum Glauben an ihn öux. tOV ).,6yov autou. Durch die unmittelbare Begegnung mit dem Offenbarer, genauer noch durch das Hören auf seine Botschaft, werden die Menschen von Jesus in seinen Bann gezogen und kommen zum Glauben an ihn. Jesus vollbringt hier im Unterschied zu anderen Stellen des Evangeliums 222 keine Zeichen und Wunder; auch wird hier inJoh 4,41 nicht der konkrete Inhalt seiner Verkündigung genannt. Es ist lediglich von seinem Wort die Rede, das eine unheimliche Faszination auf die Menschen ausübt und sie anzieht, noch stärker als das Wort der Frau. Diese führt die Menschen durch ihr Glaubenszeugnis zuJesus und jene werden von Hörern "erster" zu Hörern "zweiter Hand"223. Dabei führt das Wort Jesu nicht nur quantitativ zu einem größeren Missionserfolg 224, sondern hat auch Auswirkungen auf der qualitativen Ebene,
219Vgl.Joh 4,41. 220 So R. BULTMANN,Joh 149. 221 In sämtlichen Kommentaren wird darauf hingewiesen, dass Did 11,5 vorschreibt, ein Wanderprediger solle sich nur zwei Tage in einer Gemeinde aufhalten und danach weiterziehen, vgl. z. B. R. BULTMANN, Joh 148 oder R. SCHNACKENBURG, Joh I 489, aufgenommen von A. LINK, "Was redest du mit ihr?" 320. 222 Vgl.Joh 2,11; 4,53; 10,38; 11,45; 14,11. 223 So R. BULTMANN,Joh 148. 224 Vgl. die beiläufige, aber doch nicht unbedeutende Formulierung 7ToAAcii 7TAELOUt; in Joh 4,41.
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dahingehend, dass die Menschen durch die direkte Begegnung mitJesus zu einem tieferen Glauben geführt werden. 225 So bekunden inJoh 4,42 die Samaritaner selbst gegenüber der Frau, dass sie nicht mehr aufgrund ihres Zeugnisses glauben, sondern weil sie Jesus direkt begegnet sind und unmittelbar sein Wort gehört haben. Damit liegt in diesem abschließenden Vers 42 eine Steigerung226 gegenüber dem Vers 39 vor und gleichzeitig eine Wiederaufnahme von Vers 41. Diese Tatsache unterstreicht die Bedeutung von Joh 4,42 innerhalb der kleinen Einheit von Joh 4,39-42, die sich im Aussagegehalt dieses Verses manifestiert. Angestoßen von einem menschlichen Zeugnis ist für den Glauben das unmittelbar gehörte Wort Jesu entscheidend, welches zu einer Glaubenserkenntnis führt, die sich wiederum in einem Bekenntnis ausdrückt. Mit dieser mehrstufigen Entwicklung ist nicht nur der Glaubensweg der Samaritaner inJoh 4,39-42 nachgezeichnet, darüber hinaus wird in diesem Abschlussvers die gesamte Erzähleinheit Joh 4,142 zusammengefasst und auf den Punkt gebracht, angefangen von der samaritanischen Frau, die durch die stufenweise SelbstoffenbarungJesu während des Dialogs zur Glaubenserkenntnis geführt wird, über die Glaubensweitergabe an ihre samaritanischen Landsleute bis hin zur Begegnung der Samaritaner mitJesus selbst und schließlich dem die Erzählung abschließenden und krönenden Bekenntnis der Samaritaner zu Jesus als dem Retter der Welt, in das auch die samaritanische Frau mit einstimmen kann. 227 Über das unmittelbar gehörte WortJesu228 kommen die Samaritaner zum Glauben an Jesus. Ihre neugewonnene Erkenntnis sprechen sie unmissverständlich aus in dem universalen Bekenntnis: ou.OC; eanv IXA.TJ9wC; /) awrlJp .oD Koa~ou. Die titulare Bezeichnung aw.~p findet sich im gesamten Johannesevangelium nur hier in Joh 4,42, in den übrigen Evangelien lediglich noch bei Lukas 229, bei Paulus ein einziges Mal in Phil 3,20, dafür aber verstärkt in den Pastoralbriefen230• Aufgrund die225 Vgl. das abschließende Bekenntnis der Samaritaner inJoh 4,42. 226 Diese Steigerung stellt jedoch keine Korrektur dar, schließlich
wird das Glaubenszeugnis der Samaritanerin nicht verbessert und schon gar nicht aufgehoben, gegen C. DIETZFELBINGER, Joh I 121. Vielmehr ist es die nötige Voraussetzung dafür, dass die Samaritaner überhaupt zu Jesus finden und damit zum Glauben an ihn kommen können. 227 Die Verbform ÖLlilXllEv hat zwar vom grammatikalischen Satzzusammenhang her ausschließlich die Samaritaner zum Subjekt, doch vom logischen Gang der Erzählung kann auch die Samaritanerin dieses Bekenntnis zuJesus aussprechen. 228 Schnackenburg spricht von einer "Theologie der Offenbarung und des Wortes Jesu", vgl. R. SCHNACKENBURG,Joh I 489. 229 Und selbst da nur zweimal in Lk 1,47 und 2,11. 230 Vgl. 1 Tim 1,1; 2,3; 4,10; 2 Tim 1,10; Tit 1,3.4; 2,10.13; 3,4.6.
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ser wenigen Belege mag es überraschen, dass die gesamte Wendung aw-ri)p 'toü Koallou noch ein zweites Mal im neutestamentlichen Schrift-
tum begegnet, interessanterweise wiederum im Corpus Iohanneum in 1 Joh 4,14 und mit auffallend sprachlichen Ähnlichkeiten, dahingehend, ~s auch an dieser Stelle nach zwei Verben im bekenntnishaften Wir-Sti1231 das Bekenntnis zum vom Vater gesandten Sohn als dem "Retter der Welt" erfolgt. Diese deutlichen Übereinstimmung«m lassen entweder auf den gleichen Autor beider Stellen schließen oder auf Nachahmung des Sprachstils232 und Übernahme dieser titularen Wendung als christologische Bezeichnung für Jesus Christus. Diese Überlegungen geben allerdings noch keine Antwort auf die Frage, wie dieser im Neuen Testament seltene Titel für Jesus in dasJohannesevangelium und in den ersten Johannesbrief gekommen ist. Dazu bedarf es vielmehr einer religionsgeschichtlichen Beobachtung, die das Vorkommen des Sotertitels im außerbiblischen Bereich kurz nachzeichnet. Das einfache aw't~p begegnet als Epitheton für griechische Götter, die helfend und beschützend in das Leben der Menschen und zur Wohlfahrt des Staates eingreifen. 233 Es ist v. a. für Zeus234, aber auch für ApolIon, Asklepios235 , Poseidon, die Dioskuren, Isis und Serapis überliefert236 und ist wohl auch als Bezeichnung für die Mysteriengötter anzunehmen. 237 Neben den Göttern werden auch die Halbgötter, allen voran Herakles238, und bedeutende Menschen als Retter tituliert, sei es, dass sie als Lebensretter und Ärzte fungieren, sei es, dass sie als Philosophen Seelenschäden heilen, oder dass sie als Staatsmänner politisch für das Wohl der Bürger sorgen. 239 Damit zeigt sich zum einen, dass der Sotertitel nicht nur exklusiv für göttliche Wesen gebraucht wird, sondern auch Menschen als "Retter" bezeichnet werden können. Zum anderen wird die breite Verwendung von Soter deutlich, die über den politis<;:hen und religiösen Bereich 231 't"eeE~Eea. Ka.I. ~p't"upOÜIJ.EV. 232 Diese letztere Variante bevorzugt A. LINK, .Was redest du mit ihr?" 244, wobei die erste Möglichkeit aufgrund der inhaltlichen Parallele nicht ganz auszuschließen ist. 233 Vgl. W. FOERSTER, Art. awrlJp 1006. 234Vgl. F.JUNG, EOTHP 170. 235 Apollo und Asklepios werden als heilende Gottheiten verehrt, v. a. Letzterer gilt auf,. grund seiner Wunderheilungen als Heiland der Kranken, vgl. ebd. 236 Vgl. die Belege in Auswahl bei M. LABAHN, Heiland 149, Fußnote 17. 237Vgl. W. FOERSTER,Art. awrlJp 1006. 238 Er wird nach Dio Chrys Or 1,84 als "Retter der Welt und der Menschheit" bezeichnet, .nicht weil er sie vor den wilden Tieren schützte ... , sondern weil er die rohen und schlechten Menschen bestrafte und die Macht überheblicher Tyrannen brach und vernichtete", vgl. die Übersetzung von Eiliger bei M. LABAHN, Heiland 149, Fußnote
18. 239 Vgl. W. FOERSTER, Art. awrlJp 1006-1010.
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hinausgeht und bis in den konkreten Lebensalltag der Menschen hineinreicht. In diesem Zusammenhang weistjurig darauf hin, dass der Titel Soter keineswegs und ausschließlich für den hellenistischen König und später für den römischen Kaiser reserviert ist un~ dass neben dem »Retter der Welt" durchaus ein "Retter der Stadt" existieren konnte, der sich beispielsweise durch eine Getreidespende bei einer Missernte, durch die Übernahme eines kommunalen Amtes oder durch eine andere Wohltat den Ruf eines Retters erwarb. 240 Diese Beobachtung von jung, dass es nicht nur den einen politischen Soter an der Spitze des Staates gab, sondern daneben noch viele andere lokale Retter, die sich den Menschen gegenüber als wohltätig und helfend erweisen, ist für sich genommen richtig, muss aber m. E. im Hinblick auf joh 4,42 erweitert und modifiziert werden. Durch die Erweiterung des einfachen Titels own,p mit dem Genitivzusatz 'tOU KOOp.
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das Bekenntnis zu1esus Christus als dem Retter der Welt als christliche Kampfansage gegen andere Rettergestalten in der Umwelt des Christentums verstanden wird. 246 Diese Anschauung geht m. E., auch und vor allem aufgrund der Tatsache, dass sich der Sotertitel nur ein einzige~ Mal im 10hannesevangelium findet247 , zu weit, lässt sich doch vom Kontext in 10h 4 her keinerlei Polemik gegen staatliche Obrigkeiten und speziell gegen eine konkrete Herrschergestalt herauslesen. Umgekehrt darf die Rettervorstellung in 10h 4,42 aber nicht völlig von der zeitgenössischen Vorstellung, hier speziell vom römischen Kaiserkult, isoliert und losgelöst werden, ist doch jede Schrift in einen kulturellen Kontext eingebunden und braucht doch der Verfasser für seine Leser einen Anknüpfungspunkt aus der Umwelt zum besseren Verständnis dieses Titels. Die Frage ist also nur, wie stark sich der 10hannesevangelist mit dem Sotertitel für 1esus an den paganen Herrscherkult anlehnt und wie weit er seine eigene Vorstellungswelt in dieses Bekenntnis zu1esus als dem Retter der Welt einfließen lässt. 248 Der Form nach stellt die bekenntnishafte Formulierung ou.oe;; Ea"[LV 0;1..1')96>e;; 0 aw-.i]p "[Gi) Koallou in10h 4,42 laut Jung eine »identifikatorische AkkIamation"249 dar, die einzig und allein durch die Verwendung des Sotertitels einmalig im Johannesevangelium ist. Ansonsten begegnen solche Akklamationen bei 10hannes in den unterschiedlichsten Varianten, sei es als Aussagen über 1esus250, als Ausrufe direkt an 1esus gerichtet251 oder als Fragen formuliert252 , und über das gesamte Evangelium verteilt. Alle diese Akklamationen in ihren verschiedenen Ausprägungen dienen doch der einen Absicht: Sie geben Antwort auf die zentrale Fragestellung des 1ohannesevangelisten, wer 1esus ist, enthüllen damit auf je eigene Weise die IdentitätJesu und führen schließlich zur Erkenntnis des Offenbarers. Sachlich am nächsten stehen ihnen die sog. Ich-bin-Aussagen des johanneischen Christus253, mit denen 1esus selbst metaphorisch-allegorische Aussagen über seine eigene Person und über seine Bedeutung trifft. 254 246 Vgl. ebd. im Vorwort der Arbeit. 247 Eben dieses Faktum macht sämtliche Versuche zu einer Annäherung an den Soterbegriff so schwierig und lässt dementsprechend auch verschiedene Beurteilungsmöglichkeiten zu. 248 Diese Frage lässt sich m. E. nicht beantworten. 249 So die Terminologie von F.JUNG, EQTHP 295. 250Vgl.Joh 1,30; 6,14; 7,4Of.; 9,17. 251 Vgl.Joh 1,49; 6,69; (11,27); 20,28. 252Vgl.Joh 4,29; 6,42; 7,25f.; 18,33.37. 253 Als Beispiel sei hier nur die SelbstaussageJesu inJoh 8,12:''Eyw eLILL tO cjlw~ tOÜ KOaILQU genannt, die durch den Genitivanschluss tOÜ KOalLQuJoh 4,42 am nächsten kommt. 254Vgl. zum Ganzen F.JUNG, EQTHP 294f.
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Inhaltlich wird die Akklamation OutOe; Eonv aAT]9c.3e; (, OWt~p to\) KOOj.LOU ausJoh 4,42 durch den AusrufJohannes des Täufers inJoh 1,29: "!ÖE (, aj.LVoe; to\) 9EO\) (, a:'Cpwv. ~v Uj.La:ptLa:V to\) KOOj.LOU und durch die Selbstaussage Jesu in Joh 3,17: ou y.xp a1TEOtELAEV b 9EOe; tOV ulov Ete; tOV KOOj.LOV LVa: KPLVU tOV KOOj.LOV, all' LVa: ow9ti b KOOj.LOe; ÖL' a:Uto\) antizipiert und zugleich präzisiert. 255 Auf der semantischen Ebene begegnet an allen drei Stellen das Stichwort b KOOj.LOe;, das im gesamten Johannesevangelium eine bedeutende Rolle spielt. 256 Imjohanneischen Sprachgebrauch wird damit die "Welt im Sinne des Universums"257 bezeichnet. Durch diese weite Fassung von Welt, die nicht nur die Menschen, sondern auch die Natur und damit den ganzen Kosmos im Gegensatz zur göttlichen Sphäre umfasst, bekommt der Begriff eine universale Ausrichtung. Wenn Jesus in Joh 4,42 als "Retter der Welt" proklamiert wird, dann erscheint er als Retter von allen Geschöpfen und von allem Geschaffenen, er ist der Retter der) ganzen Welt. Worin diese rettende Funktion Jesu Christi besteht, darauf gibt bereits Joh 1,29 eine erste Antwort. Die RettertätigkeitJesu erweist sich hier darin, dass er als das Lamm Gottes die Sünde der Welt hinwegnimmt und dadurch die Menschen und mit ihnen den ganzen Kosmos von der Macht des Bösen befreit und dem Universum die Erlösung schenkt. Noch deutlicher ist der Bezug zwischen Joh 4,42 und Joh 3,17. An diesen beiden Stellen taucht nicht nur das Stichwort "Kosmos" auf, darüber hinaus besteht die Verbindung über das Verbum o~(w inJoh 3,17 und das dazugehörige Substantiv ow~p inJoh 4,42. Damit Iallt von Joh 3,17 her ein ganz besonderes Licht aufJoh 4,42. !nJoh 3,17 ist vom Richten und vom Retten die Rede, genauer wird die rettende Funktion des von Gott in die Welt gesandten Sohnes klar und deutlich von seiner Richterfunktion unterschieden. 258 Die Sendung Jesu besteht demnach nicht im Richten der Welt, sondern in ihrer Rettung. Durch das betonte ÖL' a:UtO\) am Ende von Joh 3,17 wird die Rettung der Welt unmissverständlich an die Person Jesu gebunden; er allein ist der Retter der Welt. Das affirmative aAT]9c.3e; in Joh 4,42 259 könnte in diese Richtung interpretiert und als exklusiver Anspruch auf die alleinige und deswegen wahrhaftige Rettung durch Jesus Christus verstanden werden. Nach Joh 3,17 und Joh. 4,42 wird in Joh 12,47 am Ende des 255 Vgl. M. LABAHN, Heiland 153. 256Vgl. die wichtigen Stellen Joh 1,10.29; 3,16f.; 4,42; 6,51; 8,12; 9,5; 11,27; 12,31.46; 14,30f.; 17,25; 18,37.
257 Vgl. H. SASSE, Art. K6aI-lO~ 894. 258 Vgl. F.JUNG, Em'HP 300. 259 Vgl. dazu M. LABAHN, Heiland 153f.
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ersten Buchteils und damit in exponierter Stellung nochmals zwischen richtender und rettender Funktion Jesu unterschieden. In Anlehnung anJoh 3,17 wird diesmal in der 1. Person formuliert: ou yap ~leov 'eva KPLVW 'tov KOOIJ.OV, &U' '(va owow 'tov KOOIJ.OV. Diese Aussage entspricht ihrem Inhalt nach ganzJoh 3,17 und ist demnach auch in Verbindung mitJoh 4,42 zu sehen. Ihre Wiederholung an zentraler Stelle ist nicht nur auffällig, sondern auch bedeutend, lässt sie doch den Schluss zu, dass die Soteriologie einen wichtigen Teilaspekt der johanneischen Christologie darstellt und der Johannesevangelist seinen Lesern bzw. Hörern nicht einen richtenden, sondern einen rettenden Jesus vor Augen führt. Mit der Formulierung oU'tOC; Eonv &l"ewC; b ow't~p 'tOü KOOIJ.OU in Joh 4,42 ist demnach eine Spitzenaussage johanneischer Christologie und spezielljohanneischer Soteriologie gegeben. Im Unterschied zur LXX, in deren Aussagen Gott allein als dem Herrn und Schöpfer der Welt eine Retterfunktion zukommt260 , wird hier im Neuen TestamentJesus als Retter der Welt von den Samaritanern bekannt und proklamiert. Bei der Verwendung dieses Titels durch denJohannesevangelisten lässt sich zum einen ein gewisser Einfluss von der Umwelt des Urchristentums, speziell vom römischen Kaiserkult, sicherlich nicht leugnen, der die Universalität des Herrschaftsanspruchs mit sich bringt und den Weg für Christus als den universalen Heilsmittler bahnt. Zum anderen ist auch nicht die Eigenleistung deli Johannesevangelisten zu unterschätzen, der den Sotertitel aus der paganen Umwelt adoptiert, auf Jesus überträgt und in sein christologisches Konzept dahingehend integriert, dass Jesus keine Richterfunktion ausübt, sondern dass durch ihn die eschatologische Rettung der Menschen und des gesamten Kosmos in persona auf den Plan tritt;261 er ist der Retter der Welt.
6. Df!r Weg df!r Wissensvermittlung inJoh 4,1-42
Anhand des klaren Aufbaus und der durchdachten Komposition von Joh 4,1-42 lässt sich der in dieser Erzähleinheit zurückgelegte Weg der Wissensvermittlung gut nachzeichnen und mitverfolgen. Mit seiner stufenweisen Selbstoffenbarung beabsichtigtJesus, die Samaritanerin und mit ihr den Leser zum Glauben an sich zu führen. Durch das Zeugnis der Frau kommen die Samaritaner zuJesus und werden durch das un260Vgl. dazu ausführlich F.JUNG, I:QTHP 177-238. 261 Vgl. L. WEHR, Art. Soter 639.
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Die DialogeJesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
mittelbar gehörte Wort des Offenbarers ebenfalls zur Erkenntnis geführt. Diese durch die Wortoffenbarung Jesu geschenkte Erkenntnis bringen die Samaritaner un~ mit ihnen alle zum Glauben an Jesus Geführten in einem christologischen Bekenn1nis zum Ausdruck. Offenbarung und Glaube sind es also, die den Prozess der Wissensvermittlung in Joh 4,142 vorantreiben und für den Weg christologischen Erkennens und Bekennens die treibenden Kräfte sind. Im Folgenden geht es mir darum, als Abschluss der Betrachtungen zuJoh 4,142 diesen Weg der Wissensvermittlung inJoh 4,142 in aller Kürze und Prägnanz nachzugehen, zunächst innerhalb des Dialogs und dann über den Dialog hinaus in der narratio. 6.1. Der Weg der Wissensvermittlung innerhalb des Dialogs inJoh 4,7b-26 Der Weg der Wissensvermittlung hin zu einer immer tiefer führenden christologischen Erkenntnis lässt sich im Dialog zwischen Jesus und der Samaritanerin sehr gut nachzeichnen. Jesus offenbart sich im Verlauf des Gesprächs immer nachdrücklicher und letztlich eindeutig, so dass die Frau und zusammen mit ihr der Leser eine stets tiefere Einsicht in das Wesen des Offenbarers bekommen und schließlich zur christologischen Erkenntnis geführt werden. Nachdem die samaritanische Frau Jesus offensichtlich als Jude erkannt hat262 und er inJoh 4,10 sein erstes, noch ziemlich verklausuliertes Offenbarungswort gesprochen hat, redet sie ihn in Joh 4,11 mit "Herr"263 an und richtet im darauffolgenden Vers an ihn die Frage, ob er denn größer sei als Jakob. Damit bringt die Frau eine erste Vorahnung über die Bedeutung Jesu zum Ausdruck, bleibt allerdings hier wie auch nach dem zweiten OffenbarungswortJesu inJoh 4,13f. einem Missverständnis verhaftet. 264 Aufgrund der Tatsache, dass die SamaritanerinJesusjeweils missversteht, wird der Dialog immer-weiter vorangetrieben, gilt es doch für Jesus, diese Missverständnisse aus dem Weg zu räumen und sowohl bei ~er Frau als auch beim Rezipienten des Textes Klarheit über seine Identität zu schaffen.
262 Vgl.Joh
4,9.
263 Die Kyriosanrede zeugt m. E. noch nicht von einem christologischen Erkenntnisgewinn der Frau, sondern fungiert als höfliche Anrede des Fremden; allerdings rallt auf, dass sie erstmals nach einem Offenbarungswort velWendet wird und in der gleichen Weise noch an zwei weiteren Stellen inJoh 4,15 undJoh 4,19. 264 Vgl. Joh 4,llf. und Joh 4,15: Beide Male denkt die Frau an natürliches Quellwasser, währendJesus vom lebendigen Wasser als göttlicher Gabe spricht.
Der DialbgJesu mit der Samaritanerin inJoh 4,7-26
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Nachdem die Offenbarung Jesu über das lebendige Wasser nicht zum christologischen Durchbruch bei der Frau führt, setzt Jesus bei den konkreten Lebensumständen der Frau an. Mit seinem wunderbaren Wissen über ihr Eheleben gelingt es Jesus, die Samaritanerin für die Offenbarung empfänglich zu machen. Schließlich kommt sie zu der Einsicht, dass Jesus ein Prophet ist und spricht diese Erkenntnis in einem christologischen Bekenntnis aus. Damit handelt es sich um die erste, explizit ausgesprochene, christologische Einsicht im bisherigen Dialog, die auch an zwei Stellen in der folgenden Erzählung, in Joh 4,29 und 39, jeweils mit einer Umschreibung nochmals aufgegriffen wird. Offensichtlich hat die prophetische Gabe Jesu bei der Frau einen nachdrücklichen Eindruck hinterlassen und fungiert bei der Frau wie eine Art "Zündschnur" für ihren Glauben. Auf der Basis dieser christologischen Erkenntnis erfolgt eine längere und theologisch tiefgehende Offenbarung Jesu, die mit dem Wissen der Frau um das Kommen des Messias in Joh 4,25 beantwortet wird. Allerdings richtet sich die religiöse Erwartung der Frau in die Zukunft; ihr fehlt noch immer die entscheidende Erkenntnis für die PersonJesu und seiner Bedeutung in der Gegenwart. Diese Erkenntnis bekommt sie als Höhepunkt und gleichzeitig als Abschluss des Dialogs in der SelbstoffenbarungJesu als Messias inJoh 4,26 geschenkt. Im persönlichen Gespräch, in einem kommunikativen Austausch, erfolgt die OffenbarungJesu, die die Frau zum Glauben an ihn führen soll. Daran zeigt sich bereits, dass Offenbarung und Glaube keine statischen Elemente sind. Beide brauchen jeweils ein dialogisches Gegenüber und ereignen sich im kommunikativen Bezug zueinander. Offenbarung und Glaube sind hier demnach dialogische Geschehen, die aufeinander angewiesen und voneinander abhängig sind. Die Wortoffenbarung Jesu ohne den darauf antwortenden Glauben der Frau steht isoliert für sich; der Glaube der Frau ohne die Wortoffenbarung Jesu ist gar nicht möglich. Auf die Offenbarung Jesu hin kommt die Samaritanerin zur christologischen Erkenntnis. Beides, Offenbarung und Glaube, sind keine Blitzereignisse, sondern Prozesse, die es durchzumachen und durchzuhalten gilt. Die Selbstoffenbarung Jesu erfolgt nicht sofort und ohne Vorwarnung gleich am Anfang des Dialogs, sondern erst ganz bewusst an seinem Ende. Bis dahin muss die Frau einen längeren Weg der Erkenntnis gehen, der sie zu immer tieferen christologischen Einsichten führt. Diesen Weg geht die Frau nicht allein, sondern zusammen mit den Lesern des Evangeliums, die durch die Rezeption des Textes ebenfalls immer tiefer in die Erkenntnis des Offenbarers eingeführt werden. Damit eIWeist sich christologische Erkenntnis nicht als aufoktroyierter,
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einmaliger Akt, sondern die Offenbarung Jesu kann Stück für Stück nachvollzogen und als Glaubensweg mitgegangen werden. Dazu ist der literarische Dialog als Gattungsform geradezu prädestiniert, ein bestimmtes Wissen nicht magistral oder gar ex cathedra absolut mitzuteilen, sondern den Weg zu diesem Wissen aufzuzeigen und gangbar zu machen. So lässt sich Heisenbergs These "Wissenschaft entsteht im Gespräch"265 leicht abwandeln zu dem Fazit, dass sich Offenbarung und Glaube in einem dialogischen Prozess ereignen, der als Weg gestaltet und deswegen auch nachvollziehbar und mitgeh bar ist.
6.2. Der Weg der Wissensvermittlung über den Dialog hinaus in der narratio Als Einzelperson empfängt die Samaritanerin im Verlauf des Dialogs sukzessive die Offenbarung Jesu und wird immer tiefer in die christologische Erkenntnis eingeführt. Mit dem Ende des Dialogs ist jedoch keineswegs das Ende des Wegs der Wissensvermittlung in Joh 4 erreicht. Vielmehr verlangt die Selbstoffenbarung Jesu in Joh 4,26 geradezu danach, dieses Wissen um Jesus als Messias zu verbreiten und einem größeren Personenkreis zugänglich zu machen. So behält die samaritanische Frau diese gerade gewonnene Einsicht nicht für sich, sondern macht sich auf zu. ihren Landsleuten, berichtet ihnen, was sie gerade erlebt und erfahren hat und äußert in Frageform ein vorsichtiges Bekenntnis, ob Jesus der Messias sei. 266 Dieses Schwellenbekenntnis der Frau veranlasst die Samaritaner dazu, zu Jesus zu gehen, ihm zu begegnen und sein Wort anzuhören. Durch die vermittelnde Funktion der samaritanischen Frau und noch mehr durch den direkten, persönlichen Kontakt mit dem Offenbarer kommen die Samaritaner zum Glauben an Jesus. Das unmittelbar gehörte Wort Jesu liefert ihnen letztlich die entscheidende christologische Erkenntnis, die sie in dem universalen Bekenntnis aussprechen: or)'t'o~ eonv &Ä.TJac3~ 0 ow't'i]p toi) KOOj.LOU.
.
Mit diesem die Erzählung abschließenden Spitzenbekenntnis ist auch der Weg der Wissensvermittlung in Joh 4 an sein Ziel gelangt. 265 Vgl. W. HEISENBERG, Teil 9. 266 Nach der Gewissheit vonJoh 4,26, dassJesus der Messias ist, mag die Unsicherheit in Joh 4,29, ob Jesus der Messias sei, zunächst überraschen, fügt sich aber gut in den Kontext ein. Die Samaritanerin will ihren Landsleuten kein vorgefertigtes Bekenntnis zu Jesus aufzwingen, vielmehr will sie die Samaritaner dazu bewegen, sich selbst zu Jesus auf den Weg zu machen und von ihm zur Erkenntnis seiner Person geführt zu werden. Damit wird also der Weg der Wissensvermittlung über den Dialog hinaus in der narratio fortgesetzt.
Der DialogJesu mit der Samaritanerin inJoh 4,7-26
135
Jetzt ist endgültig klar, worin das Wesen des Offenbarers und seine Bedeutung für die Gläubigen bestehen. Nach den sich steigernden christologischen Wegetappen, angefangen beim Juden inJoh 4,9 und dem GrößerseinJesu als Jakob inJoh 4,12 über den Propheten inJoh 4,19 und den Messias in Joh 4,25.26.29 ist mit dem Retter der Welt in Joh 4,42 die Klimax erreicht. Durch die Form des literarischen Dialoges gelingt es dem Johannesevangelisten, diesen christologischen Weg nicht nur für die Samaritanerin und ihre Landsleute, sondern darüber hinaus auch für die Leser bzw. Hörer des Evangeliums nachzuzeichnen und (ür sie selbst gangbar zu machen. Somit wird über den Figuren in der Erzählung hinaus den Rezipienten des Evangeliums eine immer tiefergehende christologische Offenbarung geschenkt, die es im Glauben zu beantworten gilt. Auch der Leser soll mittels des literarischen Dialogs, insofern er sich wie die Samaritanerin von Jesus direkt ansprechen lässt267, von seinem wunderbaren Wissen überzeugt wird268 und die Selbstoffenbarung Jesu gläubig annimmt, stufenweise zur Erkenntnis gelangen, wer Jesus ist, und diese christologische Erkenntnis in dem gläubigen Bekenntnis aussprechen, das in Joh 4,42 als christologischer Höhepunkt der Samaritanerperikope und Ziel der gesamten Wissensvermittlung formuliert ist: "Er ist wirklich der Retter der Welt. "269
Es ist sicherlich kein Zufall, dass der Dialog zwischen Jesus und der Samaritanerin in Joh 4,7c mit einem Imperativ beginnt; dadurch gelingt es demJohannesevangelisten, sofort eine direkte Beziehung zu seinen Lesern bzw. Hörern herzustellen und diese mit in den Dialog hinein zu nehmen. Vgl. auch die dreifache Aufforderung Jesu in Joh 4,16bcd, die sich über die Textebene hinaus an die Rezipienten des Textes richtet. 268 Während inJoh 1,48 eine rätselhafte Aussage vorliegt, die es zu entschlüsseln gilt, und damit das Motiv des wunderbaren Wissens Jesu nur bedingt seine Wirkung entfalten kann, lässt sich inJoh 4,16-19 gut nachvollziehen, wie Jesus sein wunderbares Wissen einsetzt, um die Samaritanerin und zusammen mit ihr den Rezipienten des Textes zur Erkenntnis seiner Person zu führen. 269 In dieses universale Bekenntnis können Samaritaner wie Judenchristen und alle anderen Christen einstimmen, weil sie im Verlauf des Dialogs zur Erkenntnis geführt worden sind, dass inJesus Christus der neue Ort der Gottesverehrung gegeben ist und er wahrhaftig der Retter der Welt ist, vgl. F.JUNG, EQTHP 308f. 267
III. DER DIALOG jESU MIT DEM BLINDGEBORENEN IN JOH 9,35-38 Griechischer Text: 35
a b c d
"HKOUOEV '11100Ue; ön E~EßIlAOV IllYrOV E~W KilL EUP~V IllJ'tOV El1rEv, ~u lTLO'tEUELe; ELe; 'tov utov 'tou a.v9pwlTou;
36
a b c
a.lTEKp(911 EKELVOe; Kilt ELlTEV, KilL 't(e; Eonv, KUPLE, '(VIl lTLO'tEUOW ELe; IlU'tOV;
37
a b c
Et lTEV IlU'tC\> () 'I11ooue;, KilL EwpIlKIle; IlU'tOV Kilt () Aa.AWV IJ.E't'ft oou EKELVOe; Eonv.
38
a b c
() ÖE E!j>11, II LO'tEUW, KUPLE" Kilt lTPOOEKUVTJOEV IlU'tC\>.
Deutsche Übersetzung: 35
a b c d
jesus hörte, dass sie ihn hinaus gestoßen hatten, und als er ihn fand, sagte er: Du, glaubst du an den Menschensohn?
36
a b c
jener antwortete und sagte: Und wer ist das, Herr, damit ich an ihn glaube?
37
a b c
jesus sagte zu ihm: Du hast ihn gesehen, und der, der mit dir redet, ist es.
38
a b c
Er aber sagte: Ich glaube, Herr! Und er warf sich vor ihm nieder.
Der Dialogjesu mit dem Blindgeborenen injoh 9,35-38
137
l.joh 9,35-38 als Bestandteil der Texteinheitjoh 9,1-41
Der DialogJesu mit dem Blindgeborenen inJoh 9,35-38 findet sich im Kontext der Blindenheilung, deren Erzählung sich über das gesamte neunte Kapitel des Johannesevangeliums Goh 9,1-41) erstreckt. Wie Joh 4 gehört Joh 9 dadurch ebenfalls zu den Großkapiteln des Evangeliums, das vom Verfasser kunstvoll konzipiert und als inhaltliche Einheit geschaffen worden ist.l Das Besondere beiJoh 9 besteht in der Tatsache, dass dieses Kapitel nach der Schilderung der Blindenheilung zu Beginn aus einer reinen Aneinanderreihung von Dialogen zwischen unterschiedlichen und ständig wechselnden Kommunikationspartnern besteht. Der Dialog zwischen Jesus und dem Blindgeborenen in Joh 9,35-39 stellt demnach nur einen Dialog unter mehreren dar, dem allerdings durch seine Stellung am Ende der Texteinheit und durch seinen Inhalt eine besondere Bedeutung zukommt. Bevor dieser Dialog einer näheren exegetischen Untersuchung unterzogen werden soll, gilt es zunächst wiederum, den Kontext vonJoh 9,35-38 und damit das gesamte Kapitel Joh 9 als eigenständige Texteinheit in den Blick zu nehmen.
2. Abgrenzung der Texteinheit joh 9,1-41 und Stellung im Evangelium
Joh 9,1-41 stellt aufgrund seiner Geschlossenheit in der Sprache, in der Thematik und im Aufbau eine eigenständige Texteinheit im Johannesevangelium dar. 2 Jedoch ist sie keineswegs von ihrem Kontext isoliert, sondern laut Schnackenburg "geschickt in den Zusammenhang eingefügt."! Joh 9,1 beginnt nicht mit einem völligen Neuanfang im Stile eines jJ.E'ta 'tau'ta wie beispielsweise in Joh 5,1; 6,1 oder 7,1, sondern ist durch das eröffnende Kat eng mit den vorhergehenden Versen verbunden. 4 Auch wird Jesus als der Protagonist der folgenden Erzählung nicht mehr eigens mit Namen eingeführt; vielmehr muss Jesus als Subjekt durch die Wendung 1Tapaywv etöev in Vers 1 und durch die beiden Pronomina au'tov bzw. au'tou in Vers 2 über den Bezug zum vorher-
Vgl. C. DIETZFELBINGER,joh I 297. Vgl. das Urteil von U. SCHNELLE, joh 168, mit dem Hinweis auf die umfassende synchrone Analyse bei M. REIN, Heilung 11-64. 3 So R. SCHNACKENBURG,joh 11 302. 4 Ebd.304. 1 2
138
Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium
gehenden Kapitel aus dem Kontext erschlossen werden, bevor er in Vers 3 erstmals namentlich erwähnt wird. 5 Trotz dieses engen Anschlusses an Joh 8 ergibt sich doch durch einen Orts- und Personenwechsel für Joh 9 eine neue Szenerie: Jesus muss inJoh 8,59 nach seinen Streitgesprächen mit den Juden denJerusalemer Tempel verlassen und trifft unterwegs den Blindgeborenen. 6 . Mit der Heilung des Blindgeborenen inJoh 97 lässt Jesus seine zuvor inJoh 8,12 getroffene Aussage: "Ich bin das Licht der Welt"8 Wirklichkeit werden und demonstriert zeichenhaft seine Sendung, die Blinden sehend zu machen. 9 Dadurch, dass Jesus den Blindgeborenen aber nicht nur das Augenlicht wiederschenkt, sondern darüber hinaus auch die Augen des Glaubens öffnet10, erweist er sich als "das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet"l1. An diesem Licht scheiden sich jedoch die Geister; es wird nicht von allen akzeptiert. Diejenigen, die sich von diesem Licht erleuchten lassen, werden sehend, diejenigen dagegen, die dieses Licht ablehnen, bleiben in der Finsternis und werden blind. Dieser Zusammenhang von Licht und Gericht begegnet über Joh 9,39-41 hinaus auch noch inJoh 3,19-21 und inJoh 12,46-48 und stellt damit einen theologischen Grundpfeiler im ersten Buchteil des Johannesevangeliums dar. Nicht nur über das Licht- und Gerichtsmotiv lassen sich Bezüge von Joh 9 zum restlichen Evangelium herstellen, sondern auch über einen gattungs- und formgeschichtlichen Vergleich. Besonders auf die auffälligen Parallelen zwischen Joh 5 und Joh 9 wird in der exegetischen Literatur immer wieder hingewiesen,12 Demnach handelt es sich bei beiden Erzählungen um Heilungswunder, die jeweils in unmittelbarer Tempelnähe spielen und ähnlich aufgebaut sind. Auf die Wundertat Jesu folgen mehrere Dialoge und Begegnungen zwischen verschiedenen Kommunikationspartnern, u. a. zwischen dem Geheilten und den Juden bzw. Pharisäern 13 und zwischen Jesus und dem Geheilten l4 • Sowohl inJoh 5 als auch inJoh 9 wird das Wunder Jesu erst nachträglich
5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
Vgl. H. THYEN,Joh 455~ Vgl.Joh 8,59 mit dem Ubergang zuJoh 9,1. Vgl. besondersJoh 9,6f. . InJoh 9,5 wird darauf Bezug genommen und diese Aussage wörtlich wiederholt,vgl. auchJoh 12,35.46. Vgl.Joh 9,39. Vgl.Joh 9,38. Joh 1,9. Vgl z. B.]. BECKER,Joh I 315; M. REIN, Heilung 221-230, U. WIT.CKENS,Joh 153. Vgl.Joh 5,10-13.15 undJoh 9,24-34. Vgl.Joh 5,14f. undJoh 9,35-38.
Der DialogJesu mit dem Blindgeborenen inJoh 9,35-38
139
als Sabbatheilung ausgewiesen 15 ; dadurch ist jeweils der Konflikt mit den Juden vorprogrammiert. Natürlich bestehen zwischen beiden Erzählungen auch gravierende Unterschiede, beispielsweise dahingehend, dass es inJoh 5 nicht zu einem Streit unter den Juden kommt, oder dass der Geheilte nicht zum Glauben an Jesus kommt. Insofern handelt es sich bei Joh 5 und Joh 9 nicht um völlig parallele, sondern um ähnliche Geschichten, deren Verwandtschaft nicht zu übersehen ist. Auch lassen sich von Joh 9 aus Parallelen zu Joh 11 ziehen. Selbst wenn die Totenauferweckung in Joh 11 die Blindenheilung in Joh 9 hinsichtlich der Größe des Wunders bei weitem übertrifft, so ist bei beiden Wundem die theologische Intention die gleiche. Am Blindgeborenen soll das Wirken Gottes offenbar werden 16 und die Krankheit des Lazarus dient zur Verherrlichung Gottes 17 • Beide Male geht es also darum, dass Jesus die Herrlichkeit Gottes offenbart18 und dass die Menschen zum Glauben an ihn als den Sohn Gottes kommen. Auch das Bildwort vom Tag und der Nacht, das Jesus zu seinen Jüngern in Joh 9,4 spricht: "Wir müssen, solange es Tag ist, die Werke dessen vollbringen, der mich gesandt hat; es kommt die Nacht, in der niemand mehr etwas tun kann." hat eine direkte Entsprechung in Joh 11,9f.: "Hat der Tag nicht zwölf Stunden? Wenn jemand am Tag umhergeht, stößt er nicht an, weil er das Licht dieser Welt sieht; wenn aber jemand in der Nacht umhergeht, stößt er an, weil das Licht nicht in ihm ist." Diese Parallelen und Analogien zeigen deutlich auf, dass Joh 9 keineswegs einen isolierten Fremdkörper im Gesamt des Johannesevangeliums darstellt; vielmehr ist diese Erzählung von der Heilung des Blindgeborenen fest im Kontext des restlichen Evangeliums verwurzelt und speziell als eines der ZeichenJesu mit dem ersten Buchteil als des "book of signs" durch Bezüge verschiedener Art verbunden. Die Erzählung von der Heilung des Blindgeborenen in Joh 9,1-41 hat ein doppeltes Ende. Der positive Ausgang besteht darin, dass der Blindgeborener nicht nur sein Augenlicht wiedererlangt, sondern darüber hinaus noch die Augen des Glaubens an Jesus als den Menschensohn geöffnet bekommt. Demgegenüber verharren die Pharisäer als die vermeintlich Sehenden in ihrem Unglauben und werden dadurch blind. Mit dem negativen Schlusswort Jesu an die Pharisäer in 15 16 17 18
Vgl.Joh 5,9 undJoh 9,14. Vgl.Joh 9,3. Vgl.Joh 11,4. Vgl. Joh 2,11 als theologisches Fazit nach dem ersten Wunder Jesu auf der Hochzeit zuKana.
140
Die Dialoge jesu mit Einzelpersonen im johannesevangelium
Joh 9,41 endet die in sich geschlossene Erzähleinheit von der Heilung des Blindgeborenen. Die feierliche Redeeinleitung mit einem für den Johannesevangelisten typischen doppelten Amen markiert inJoh 10,1 einen deutlichen Neueinsatz und eröffnet die sich über Joh 10,1-18 erstreckende Hirtenrede Jesu, die thematisch keinen Bezug zur vorher in Joh 9 geschilderten Blindenheilung aufweist. Ein Anklang an J oh 9 ergibt sich lediglich durchJoh 10,21, wenn die eine Gruppe der gespaltenen Pharisäer die Frage aufwirft: "Kann ein Dämon die Augen von Blinden öffnen?" Dietzfelbinger sieht diesen Bezug als Indiz dafür an, dassJoh 10,19-21 die Fortsetzung von Joh 9,39-41 darstellt und demnach den Abschluss der inJoh 9 erzählten Heilung des Blindgeborenen bildet,19 Allerdings bemerkt Bultmann 20 , dass Joh 10,19-21 und speziell Joh 10,19 eine längere Rede oder Diskussion als den Wortwechsel von Joh 9,39-41 voraussetzt. 21 Außerdem ließe sich schwerlich erklären, warum jetzt plötzlich ein Teil der Pharisäer, auch wenn es wohl nur eine Minderheit ist, Partei für Jesus ergreift. Zu diesen logischen Argumenten kommt noch ein formales hinzu. Würde Joh 10,19-21 wirklich nahtlos anJoh 9,39-41 anschließen, wie wäre dann die Hirtenrede inJoh 10,118 in ihrem Kontext verankert bzw. warum sollte sie von einem späteren Redaktor zwischenJoh 9,39-41 undJoh 10,19-21 genau an dieser Stelle und nicht etwa im Anschluss an die gleiche Bildebene in Joh 10,26-29 eingefügt worden sein?22 Um nicht noch größere Probleme auf literarkritischer Ebene zu schaffen, ist es m. E. sinnvoll, die Reihenfolge so zu belassen, wie sie ist, und damit das gesamte Kapitel Joh 10 als Fortsetzung vonJoh 9 zu betrachten.
3. Aufbau vonJoh 9,1-41 Trotz seines gewaltigen Umfangs von 41 Versen lässt das Groß kapitel Joh 9 einen klaren, wohldurchdachten Aufbau erkennen. 23 Ganz grob
19 Vgl. C. DIETZFELBINGER,joh I 295f. 20 Er setztjoh 10,19-21 an eine ganz andere Stelle, nämlich an das Ende der von ihm 21 22 23
konstruierten "Lichtrede" jesu, die sich laut Bultmann aus folgenden Teilen zusammensetzt:joh 8,12; 12,44-50; 12,34-36; 10,19-21; vgl. R. BULTMANN,joh 260-272. Vgl. R. BULTMANN,joh 236f. Vgl. U. WILCKENS,joh 153f. So das einschlägige Urteil in der exegetischen Literatur, vgl. z. B. C. DIETZFELBINGER, joh I 276.
Der DialogJesu mit dem Blindgeborenen inJoh 9,35-38
141
lässt sich zunächst mit Trummer zwischen einem Handlungsteil (Joh 9,1-7) und einem Gesprächsteil (Joh 9,8-41) unterscheiden. 24 Im Handlungsteil, der nicht nur aus Handlung, sondern auch und sogar überwiegend aus Dialog besteht25 , wird die Heilung des Blindgeborenen durch Jesus klar und kunstvoll erzählt. 26 Nach einer knappen Exposition ohne genaue Ortsangabe, gänzlich ohne Zeitangabe, ohne Namensnennung des Blinden und auch ohne die namentliche Bezeichnung des Protagonisten Jesus27 in Joh 9,1 wird in Joh 9,6f. die eigentliche Wunderhandlung dargestellt. Dabei entspricht der therapeutischen HandlungJesu in drei Schritten EmuoEv - E1TOL'IlOEV - EnEXPWEV inJoh 9,6 mitsamt der anschließenden Aufforderung des Blinden, sich im Teich Schiloach zu waschen, die dreifache Ausführung des Blindgeborenen a1TfjA8Ev EVLI\I(XtO~ ~A8EV ßAE1TüJV inJoh 9,7. 28 Diese Blindenheilung provoziert eine Reihe von Dialogen, die den nun folgenden, den Handlungsteil an Länge bei weitem übertreffenden Gesprächsteil, ausmachen. Zunächst kommt es zu einem Dialog zwischen den Nachbarn und dem Geheilten. Diejenigen, die ihn von früher her als Blinden und Bettler kennen, können nicht glauben, dass er auf einmal sehen kann und zweifeln an seiner Identität. Sie befragen den ehemals Blinden nach dem Heilungsvorgang und nach dem Aufenthaltsort des "Wundertäters" .29 Schließlich bringen sie ihn zu den Pharisäern; auch diese befragen den Blindgeborenen, wie er geheilt wurde. Die Tatsache, dass die HeiT
24 25
26
27
28 29
Vgl. P. 'fRUMMER, Augen 128. Von den insgesamt sieben Versen des Handlungsteils beschreiben nur drei eine Handlung (Joh 9,1.6.7), die restlichen vier (Joh 9,2-5) geben einen Dialog zwischen Jesus und seinen Jüngern wieder. Nach dem Urteil von Thyen lässt sich keine der synoptischen Blindenheilungen (Mk 8,22-26; 10,46-52 par; Lk 18,35-43; Mt 9,27-31; 20,29-34) als Quelle von Joh 9,1.6f. ausmachen; vgl. die Argumentation bei H. THYEN, Joh 458. Die Eigenheiten bei Johannes bestehen beispielsweise darin, dass die Initiative zur Heilung einzig und allein von Jesus ausgeht und der Blinde kein Wort spricht, dass es sich ausdrücklich um einen Blindgeborenen handelt und dass die Heilung inJerusalem und noch dazu an einem Sabbat spielt. Eine auff'allige Gemeinsamkeit zwischenJoh 9,1.6f. und Mk 8,2226 liegt lediglich in der Verwendung von Speichel zur Heilung, was allerdings dadurch gemildert wird, dass menschlicher Speichel in der Antike allgemein als weitverbreitetes Heilmittel galt, vgl. die Belege bei H. THYEN,Joh 458f. Die Aufforderung Jesu an den Blinden, sich zu waschen, hat ihr alttestamentliches Vorbild in 2 Kön 5,10-14, vgl. U. WILCKENS,Joh 157. Dadurch wird der Fokus ganz auf das Faktum gelegt, dass der Mann von Geburt an blind ist, was natürlich die Größe des Wunders gegenüber den anderen Blindenheilungen erheblich steigert. Vgl. A. LEINHÄUPL-WILKE, Karriere 86f. Vgl.Joh 9,8-12.
142
Die Dialogejesu mit Einze1personen imjohannesevangelium
lung an einem Sabbat stattgefunden hat, führt zu einer Spaltung unter den Pharisäern. Die einen folgern aus dem Sabbatbruch Jesu, dass er nicht von Gott sein kann;. die anderen fragen sich, wie ein Sünder solche Zeichen tun kann. so Misstrauisch und ungläubig hinsichtlich des Faktums der Blindenheilung fragen die Juden, wie die offizielle Behörde nunmehr allgemein genannt wird, die Eltern des Geheilten nach dessen familiärer Identität. Daraufhin bekennen die Eltern des Geheilten, dass er ihr Sohn ist und blind geboren wurde; aber den Heilungsvorgang können sie sich nicht erklären.31 Auf den Vorschlag der Eltern hin, ihren Sohn persönlich nach seiner Heilung zu befragen, kommt es zu einer erneuten Auseinandersetzung zwischen den Pharisäern und dem ehemals Blindgeborenen, in deren Verlauf der mutig agierende und theologisch argumentierende Geheilte selbst zum Angeklagten wird und schließlich als Sünder von den Pharisäern verstoßen wird.32 Bei einer zweiten Begegnung mit dem Blindgeborenen öffnet Jesus ihm die inneren Augen und führt ihn dialogisch zum Glauben an den Menschensohn. 33 Während der Geheilte den Glauben an Jesus verbal bekennt und seinem Glauben mit einer Proskynese symbolisch Ausdruck verleiht, stellt Jesus in einem abschließenden Wort an die Pharisäer klar, dass sie als die vermeintlich Sehenden blind und daher in der Sünde verhaftet bleiben. 34 Durch die grobe Unterscheidung zwischen Handlungs-: und Gesprächsteil und dem Wechsel der Dialogpartner im Gesprächsteil selbst mit ständig sich neu ergebenden Personenkonstellationen ergibt sich für Joh 9,1-41 folgende Gliederung: V.1-7: Handlungsteil: Blindenheilung V. 8-41: Gesprächsteil: V.8-12:
Befragung des Geheilten durch die Nachbarn und Bekannten
V. 13-17: Erstes Verhör des Geheilten durch die Pharisäer V. 18-23: Befragung der Eltern des Geheilten durch die Juden
30 31 32 33 34
Vgl.joh 9,13-17. Vgl.joh 9,18-23. Vgl.joh 9,24-34. Vgl.joh 9,35-38. Vgl.joh 9,39-41.
Der DialogJesu mit dem Blindgeborenen inJoh 9,35-38
143
V.24-34: Zweites Verhör des Geheilten durch die Pharisäer V.35-38: DialogJesus - Geheilter V. 39-41: DialogJesus - Pharisäer Damit ergibt sich für die gesamte EinheitJoh 9,1-41 eine Gliederung in sieben Szenen, worüber in der neutestamentlichen Forschung ein breiter Konsens besteht.35 Demgegenüber schlägt Leinhäupl-Wilke einen Aufbau in acht Abschnitten vor, insofern er an der gängigen Gliederung festhält,jedoch durch das .afrra inJoh 9,6 einen deutlichen Einschnitt zwischen Vers 5 und 6 gegeben sieht, der seiner Meinung nach eine Unterteilung des Handlungsteils in zwei Szenen, V.1-5 und V. 6-7, erforderlich macht.3 6 Dieser Schritt ist m. E. nicht nachvollziehbar, berechtigt das kleine Wörtchen 1:au.a in Joh 9,6 noch lange nicht dazu, die Verse 6 und 7 von der in Vers 1 beginnenden Blindenheilung abzugrenzen und damit von ihrem Kontext zu isolieren, ganz im Gegenteil: Mit dem .au.a wird die begonnene Blindenheilung fortgeführt und nach den Worten Jesu in den vorangehenden Versen aktioneIl richtig in Gang gebracht. Die Blindenheilung stellt wiederum den Auslöser für die folgenden Befragungen, Auseinandersetzungen und Verhöre dar, die im Ausschluss des Geheilten durch die Pharisäer gipfeln. An diesem dramatisch gesteigerten Aufbau zeigt sich das "literarische Geschick des Evangelisten", dem es gelingt, in seiner meisterhaften Darstellung "zugleich theologische und zeitgeschichtliche Tendenzen" zu verfolgen. 37 Die theologischen Aussageabsichten des Johannesevangelisten treten am Ende von Joh 9 offen zu Tage: Der Blindgeborene macht im Laufe der Erzählung einen Erkenntnisprozess durch und kommt schließlich durch die Selbstoffenbarung Jesu zum Glauben an ihn. Dieser stufenweise sich entwickelnde Glaube steht damit im diametralen Gegensatz zum Unglauben der Gegner, der sich immer stärker manifestiert und bis hin zur Verstockung am Ende führt. In ihrem Verhalten, den Geheilten auszustoßen, und in der Furcht der Eltern vor den Juden, arbeitet der Evangelist die zeitgeschichtliche Situation seiner Gemeinde ein. Das &:1Toauvaywyo<; in Joh 9,22, das im gesamten Neuen Testament nur noch in Joh 12,42 und 16,2 vorkommt und damit auf das Johannesevangelium begrenzt ist, weist laut Wengst auf 35 Vgl. C. DIETZFELBINGER,Joh I 276; H.1'HYEN,Joh 454; U. WILCKENS,Joh 156, M. REIN, Heilung 56f. u. v. a. 36 Vgl. A. LEINHÄUPL-WILKE, Karriere 83, Fußnote 1. 37 So das Urteil von R. SCHNACKENBURG,Joh 11 303.
144
Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium
den Ausschluss der Judenchristen aus der Synagoge hinS8 und begründet die Furcht der Eltern des Geheilten vor den Juden. Auch Rein sieht in Anlehnung an Martyn39 hinter Joh 9,22 keine spontane Reaktion der jüdischen Synagoge gegen Christen, sondern vielmehr einen "formalen Beschluss eines autoritativen Gremiums im Judentum"4o. Natürlich ist mit Schnelle41 und so manch anderem Kritiker Vorsicht geboten bei einer solch konkreten Einschätzung, weil die geschichtlichen Gegebenheiten nicht sicher rekonstruiert werden können, doch spricht vieles dafür, inJoh 9,22 undJoh 9,34 zeitgeschiChtliche Anklänge desJohannesevangelisten für seine Gemeinde zur Verarbeitung der Trennung von den Juden herauszuhören bzw. zu lesen. 42 Als Fazit zum Aufbau vonJoh 9,1-41 lässt sich dem Urteil von Thyen zustimmen, der in diesem Textabschnitt ein "eigenes kleines Dramolett mit einer Folge von sieben deutlich voneinander unterscheidbaren Auftritten wechselnder Konstellationen ihrer Personen"43 erkennt. Im Folgenden gilt es, der Entstehungsgeschichte dieses kleinen Dramas nachzugehen.
4. Entstehung von Joh 9,1-41 4.1. Problemanzeigen zuJoh 9 und ihre Lösung in der Forschung
Das KapitelJoh 9,1-41 ist viel zu umfangreich und komplex, als dass es aus einem Guss heraus entstanden sein könnte. Allein die Verbindung einer relativ kurzen Wundergeschichte mit einem langen Teil von Dialogen mit jeweils unterschiedlichen Personenkonstellationen macht bereits auf der formgeschichtlichen Ebene deutlich, dass dieses Großkapitel verschiedene Entwicklungsstufen durchlaufen hat. Dabei ist anzunehmen, dass eine ursprüngliche Heilungsgeschichte mit unterschiedlichen Redaktionen angereichert wurde und auf diese Weise immer weiter angewachsen ist. Dieser Entstehungsprozess zeigt sich auf der literarischen Ebene in Form von Spannungen und Brüchen, die bei einer konzentrierten Lektüre des Textes ins Auge fallen und von denen die wichtigsten hier genannt sein sollen. Vgl. K. WENGST, Gemeinde 57f. Vgl. J. L. MARlYN, History 29-3l. 40 So M. REIN, Heilung 262. 41 Vgl. U. SCHNELLE, Christologie 39. 42 Vgl. z. B. die Formulierung in Joh 9,22: i1öll yo:p OUVEtE9ELVtO oL 'IouliliioL Lva Mv tL~ a.Utbv ci~OAom XPLOtOV, &llOOUVa.ywy~ yEV1]ta.L. 43 So H. THYEN,Joh 454.
38
39
Der DialogJesu mit dem Blindgeborenen inJoh 9,35-38
145
In joh 9,3-5 antwortet jesus nicht auf die Frage seiner jünger nach der Ursache, warum der Mann blind geboren wurde, sondern richtet seinen Blick nach vorne, was die Heilung bewirken bzw. zum Ausdruck bringen soll. Auffällig ist die Unterbrechung der Handlung injoh 9,7, wenn in einer Parenthese Schiloach übersetzt und damit gedeutet wird. Erst nachträglich erf"ahrt der Leser in joh 9,14, dass die Heilung an einem Sabbat vollzogen wird; mit der Sabbatthema,tik ist das Auftreten der Pharisäer injoh 9,13-17 verbunden. Abjoh 9,18 ist dann allerdings von den juden die Rede, bevor injoh 9,24 wieder die Pharisäer in Erscheinung treten. Dieser "auffällige Wechsel"44 zwischen juden und Pharisäern stellt die wohl deutlichste Spannung innerhalb vonjoh 9,141 dar und verlangt nach einer Erklärung. Nicht mehr zum eigentlichen Dialog zwischen den juden und den Eltern des Geheilten gehört die kommentatorische Erklärung des Verhaltens der Eltern in joh 9,22f. Schließlich mag der Leser überrascht sein, dass es am Ende in joh 9,35-38 zu einer erneuten Begegnung zwischenjesus und dem Geheilten kommt. Die soeben skizzenhaft angezeigten Probleme bzw. Auffälligkeiten weisen darauf hin, dass in joh 9,1-41 verschiedene Traditionen verarbeitet worden sind. Darin besteht in der neutestamentlichen Forschung ebenso Konsens wie in der konkreten Feststellung, dass am Anfang der Entstehung von joh 9,1-41 eine kurze Wundergeschichte steht, die nicht aus der synoptischen Tradition stammt.45 Über den Umfang dieser alten Erzähltradition herrscht allerdings keine Einigkeit;46 grob lassen sich in der Exegese zwei unterschiedliche Richtungen ausmachen: Der eine Teil der Exegeten rechnet nur das eigentliche Heilungswunder in joh 9,1-3.6f der Tradition zu und erkennt im wesentlich umfangreicheren Rest hauptsächlich die Hand des Evangelisten. 47 Demgegenüber macht der andere Teil der Exegeten genau 44
So die Beurteilung von M. REIN, Heilung 78f.
45 Vgl. C. DIETZFELBINGER,Joh I 296 und s. o. Fußnote 26. 46 Nach meiner Einschätzung ist es nicht möglich und auch gar nicht nötig, die einzel-
47
nen Traditionen bis auf den Vers genau zu bestimmen und exakt voneinander abzugrenzen; wichtig ist doch vielmehr, dass überhaupt ein Entstehungsprozess wahrgenommen wird und damit verbunden eine theologische Entwicklung des Textes hin zu einer Gesamtaussageabsicht. So beispielsweise Barrett, Dodd, Fortna und Schnackenburg. Letzterer rechnet wirklich nur Joh 9,1-3a.6f. der Semeiaquelle zu und macht für den Rest von Joh 9 ausschließlich den Evangelisten verantwortlich, vgl. R. SCHNACKENBURG,Joh 11 309. Demgegenüber fasst Becker den Umfang der aus der Semeiaquelle stammenden Tradition beträchtlich weiter und nimmt noch die vier Dialoge inJoh 9,8-12.13-17.18-23. 24-34 dazu, erkennt aber auch in diesem Teil in den Versen 9.16b.18a.22f.27b-30 eine spätere Tradition, die auf den Evangelisten zurückgeht, vgl.J. BECKER,Joh I 315f.
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Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
umgekehrt weitaus größere Zugeständnisse an die älteste bzw. ältere Tradition, so dass auf den Evangelisten nur noch einzelne Verse entfallen. 48 Nach diesem kurzen Ein- bzw. Überblick soll im Folgenden der neueste Lösungsvorschlag im Rahmen einer Monographie zu Joh 9,141 dargestellt werden, den Rein in seiner Dissertation "Die Heilung des Blindgeborenen" aus dem Jahre 1995 vorgelegt hat. 4.2. Matthias Rein: Entstehungsmodell zuJoh 9,1-41 Nach einer eingehenden literarischen 49 und formgeschichtlichen 50 Analyse versucht Matthias Rein, die Traditionsgeschichte von Joh 9 zu rekonstruieren51 und entwickelt hierfür ein dreistufiges Wachstumsmodell. Wie es dem Konsens der Exegeten entspricht, sieht Rein den Ursprung der Tradition in einer kurzen Heilungsgeschichte, die die Begegnung zwischen Jesus und dem Blindgeborenen52, die Frage der Jünger53 und die ablehnende Antwort Jesu, das Verhalten54 und den Auftrag Jesu und schließlich die entsprechende Auftragsausführung durch den Blindgeborenen erzählt. Seiner Meinung nach beschränkt sich die ursprüngliche Tradition allerdings nicht auf Joh 9,1-3a.6.7; auch die Reaktion der Nachbarn in Joh 9,8-12 und die erneute Begegnung zwischen Jesus und dem Geheilten in Joh 9,35-38 sind ihr zuzurechnen. Mit dem Auftreten der Pharisäer und der nachträglichen Information, dass sich die Blindenheilung an einem Sabbat zuträgt, ist laut Rein das zweite Entwicklungsstadium erreicht. Das Sabbatbruchmotiv verortet er in der synoptischen Jesusüberlieferung, stellt aber fest, dass es im Unterschied zu Mk 3,1-6 hier inJoh 9,13-17 nicht darum geht, ob eine Heilung am Sabbat erlaubt ist, sondern ob Jesus ein Sünder oder 48
49 50 51 52
53 54
Zu dieser Gruppe gehören z. B. Bultmann, Rein oder Haenchen. Bultmann schließt aufgrund der Sprache und des Stils auf die Zugehörigkeit vonJoh 9,1-3.6-15.18-21.2328.34b zur Semeiaquelle und erkennt inJoh 9,4f.22f.29-34a.3941 spätere Zusätze und inJoh 9,16f.35-38 tiefere Eingriffe des Evangelisten, vgl. R. BULTMANN,Joh 250. Vgl. M. REIN, Heilung 86-165. Ebd.169-283. Ebd. 286-339. Nach der Einschätzung von Rein wird der Blinde bereits in der ältesten Vorlage als Blindgeborener eingeführt und nicht erst vom Johannesevangelisten dazu gemacht, um das Wunder zu steigern, vgl. M. REIN, Heilung 286f. Mit dieser Frage nehmen die Jünger Jesu unmittelbar Bezug darauf, dass der Blinde von Geburt an nicht sehen kann. Rein erkennt nur in der VeIWendung von Speichel eine Parallele zu anderen urchristlichen Wundergeschichten, ansonsten bleibt das umständliche Verhalten Jesu in Joh 9,6 analogielos, vgl. M. REIN, Heilung 287.
Der DialogJesu mit dem Blindgeborenen inJoh 9,35-38
147
von Gott ist.55Als "wichtiges Kennzeichen für die Existenz einer zweiten Überlieferungsstufe"56 sieht Rein die Bezeichnung "Pharisäer" für die jüdischen Autoritäten, die in Joh 9,18 zur Titulierung der gleichen Personengruppe hin zu ,Juden" wechselt und in Joh 9,40f. ~eder zu "Pharisäer" zurückkehrt. Allerdings gehörtJoh 9,40f. trotz der Bezeichnung "Pharisäer" seiner Meinung nach nicht zur zweiten Traditionsstufe, weil die Einheit Joh 9,39-41 und v. a. Joh 9,39 dem Evangelisten zuzuschreiben ist. 57 Damit hat Rein, wie er selbst zugibt, letztlich keine Erklärung für das neuerliche Auftreten der Pharisäer in J oh 9,40f. Er rechnet also lediglichJoh 9,13-17 zur zweiten Traditionsstufe. Die abschließende Bearbeitung von Joh 9,1-41 erfolgt durch den Evangelisten und sieht für Rein folgendermaßen aus: Joh 9,3b-5 wird vom Evangelisten eingetragen, wobei der Vers 4 aus Logientradition stammt58; auch für die deutende Übersetzung von Schiloach ist der Evangelist verantwortlich. Im Wechsel der Bezeichnungen "Pharisäer" und ,Juden" sieht er den Hauptgrund zur Traditionsscheidung und führt neben dem literarischen Bruch zwischen den Versen 17 und 18 auch inhaltliche Argumente an, die Joh 9,18-34 als vom Evangelisten gestaltete Einheit ausweisen. 59 Schließlich weist er auch Joh 9,39-41 dem Evangelisten zu, weil Vers 39 seiner Meinung nach vom Evangelisten gestaltet ist und zusammen mit den beiden folgenden Versen eine Einheit bildet. In aller Kürze lautet also das Ergebnis von Rein: Der ältesten Traditionsstufe gehören die Verse 1-3a.6-7a.8-12.35-38 an, auf einer zweiten Traditionsstufe kommen die Verse 13-17 dazu und die restlichen Verse 3b-5.18-34.39-41 gehen auf die Endbearbeitung durch den Evangelisten zurück. 60 4.3. Kritik an Rein und eigener Lösungsansatz Der älteste Kern inJoh 9,1-41 liegt mit Rein zweifelsohne in der kurzen Erzählung von der Heilung des Blindgeborenen in den Versen 1-3a.6.7 (ohne die Deutung von Schiloach). Dieses Wunder bildet den Ausgangspunkt für die folgenden Diskussionen und Auseinandersetzung55 56 57 58 59 60
Ebd.290. Ebd.291. Ebd. Vgl. das Unterkapitel bei Rein zur Traditionsgeschichte der Logien Vers 4 und Vers 39, ebd. 293-303. Zusammenfassend nennt Rein, dass sich die Auseinandersetzung unter den Pharisäern in Joh 9,13-17 ab Joh 9,18 zu einer Auseinandersetzung zwischen den Juden und den Eltern bzw. dem Geheilten selbst verlagert, vgl. ebd. 292. Wobei Rein nicht ausschließt, dass der Evangelist als Endbearbeiter auch andere Teile des Textes überarbeitet und ihnen die endgültige Form verliehen hat, vgl. ebd. 293.
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Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium
en um die Identität Jesu und des Geheilten, die im Laufe der Traditions- und Redaktionsgeschichte den Text sukzessive erweitern und anwachsen lassen. Rein rechnetjedochbereitsJoh 9,8-12 undJoh 9,3538 zur ältesten Traditionsstufe und begründet diese Zuweisung mit einem formgeschichtlichen Vergleich, indem er für die Elemente Admiration, gespaltene Stellungnahme und die Frage nach der Identität Jesu bzw. titulare Akklamation und Glaube des Geheilten synoptische Parallelen anführt. 61 Die Frage ist nur, ob er nicht von synoptischen Wundergeschichten ausgeht und von da aus bestimmte Formmerkmale auf Johannes übertragen will, die es in Joh 9 gar nicht gibt. So fällt es m. E. schwer, inJoh 9,8-12 eine Admiration auszumachen, die etwa Mk 5,42 oder 7,3762 entsprechen soll; vielmehr dominiert hier inJoh 9,8-12 die Frage nach der Identität des Geheilten, während bei den synoptischen Stellen die Frage nach der IdentitätJesu gestellt wird. Auch gibt es keine direkte Parallele zwischen Joh 9,35-38 und dem Schluss synoptischer Wundergeschichten. Begegnen bei den Synoptikern titulare Akklamationen als singuläre, ausschließlich durch das Wunder bedingte Ausrufe und wird der Glaube und die Nachfolge am Ende konstatierend festgestellt, so wird in Joh 9,35-38 ein Glaubensweg in Form eines Dialogs beschritten, der zu einem christologischen Bekenntnis führt. 63 Damit liegen die formalen wie auch inhaltlichen Unterschiede auf der Hand, die einen direkten Vergleich nicht zulassen und das Vorgehen von Rein und damit seine Begründung der Tradition fragwürdig erscheinen lassen. Gegen Rein rechne ich also weder Joh 9,8-12 noch Joh 9,35-38 zur ältesten Traditionsstufe; diese umfasst lediglich den kurzen Heilungsbericht, evtl. mit einer anderen Antwort Jesu auf die Frage seiner Jünger64, aber ohne irgendwelche Zusätze in Form von dialogartigen Diskussionen und Auseinandersetzungen; diese sind das Produkt einer späteren Traditionsstufe, die die Reaktionen auf das Heilungswunder reflektiert. In diesem zweiten Stadium treten die Nachbarn und Bekannten des Geheilten sowie die Pharisäer auf. Erstere befragen den Blindgeborenen, nachdem sie wissen, dass er es ist, zum Heilungsvorgang und zum Aufenthaltsort des Wundertäters und bringen ihn schließlich zu den Pharisäern. Dadurch, dass die Heilung auf einen Sabbat verlegt wird, bekommt die Angelegenheit, wohl von der synoptischen Jesustradition her, zusätzliche Brisanz. Es entsteht eine Spaltung unter den 61 Vgl. die genauen Stellenangaben bei M. REIN, Heilung 288. 62 Beide Angaben finden sich bei Rein als Vergleichsstellen, ebd. 63 S. u. die exegetische Analyse zuJoh 9,35-38. . 64 Vgl. R. SCHNACKENBURG,joh 11 309.
Der DialogJesu mit dem Blindgeborenen inJoh 9,35-38
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Pharisäern, ob jesus ein Sünder oder von Gott ist. Der stringente Handlungsablauf von joh 9,8 bis joh 9,17 lässt keine literarkritischen Scheidungenzu. Ein solcher Einschnitt ist erst mitjoh 9,18 gegeben, wenn hier nicht mehr von den Pharisäern, sondern von den juden die Rede ist, aber damit die gleiche Personengruppe wie zuvor gemeint ist. Dieser Wechsel in der Bezeichnung lässt auf eine andere Traditionsschicht schließen und ab joh 9,18 den Evangelisten am Werk vermuten. Diese Vermutung bestätigt sich durch den kleinen zeitgeschichtlichen Exkurs in joh 9,22f., der die Unterdrückungssituation der johanneischen Christen durch die jüdische Synagoge anklingen und durchscheinen lässt. Auch die theologische Auseinandersetzung zwischen den Pharisäern und dem Geheilten in joh 9,24-34 lässt sich am ehesten dem Evangelisten zuweisen. Die häufige Verwendung von otöoc in diesem Air schnitt65 als eine semantische Achse imjohannesevangelium66, der Dualismus zwischen ,Jünger dieses Menschen" und ,Jünger des Mose" in joh 9,28, die neuerliche Anspielung auf den Synagogenausschluss der johanneischen Gemeinde in joh 9,34 u. a. deuten inhaltlich auf den Evangelisten als Verfasser dieser Verse hin. Dem widerspricht nicht die Tatsache, dass in joh 9,24 wieder von den Pharisäern die Rede ist; offensichtlich kann johannes zwischen verschiedenen Bezeichnungen für die gleiche Personengruppe wechseln und verwendet diesen Wechsel sogar absichtlich als stilistisches Element, um dem Leser jeweils neue Dialogkonstellationen zu suggerieren und damit das Lesen alr wechslungsreich und interessant zu gestalten. Die letzten beiden Dialogejoh 9,35-38 undjoh 9,39-41 gehen ebenfalls auf den Evangelisten zurück. 67 Neben sprachlich-stilistischen Auffälligkeiten 68 sind es auch hier inhaltliche Beobachtungen, die auf johannes als Verfasser dieser Verse schließen lassen. Injoh 9,35-38 wird die erneute Begegnung zwischen jesus und dem Blindgeborenen in Dialogform geschildert.jesus führt den Geheilten zum Glauben an ihn und dieser antwortet mit einem verbalen und einem nonverbalen Bekenntnis. Damit ist positiv der theologische Höhepunkt der Erzählung erreicht, im Zum-Glauben-Kommen des Geheilten liegt die Aussageabsicht des Evangelisten. Umgekehrt formuliert er in den folgenden 65 Vgl.Joh 9,24.25 (2x).29 (2x).30.31. Vgl. F. MuSSNER, Sehweise 32-34. 67 Vgl. J. BECKER,Joh I 315. 68 Vgl. das 1TLatEUeL~ EL~ inJoh 9,36, das EKEiv6c; inJoh 9,37 (als nSelbstbezeichnung" Jesu ist es hier besonders auff'allig), das ~Äeov-Wort in Joh 9,39 mit dem Zusatz EL~ tOV K6o~ov tOiiTOV als typischjohanneische Formulierungen. 66
150
Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
Versen abschließend negativ das Ziel der Sendung Jesu: Beim Gericht werden die Blinden sehend und die Sehenden blind. Dieses johanneische Paradox erfüllt sich inJoh 9,1-41. Der ursprünglich Blinde wird geheilt und kann sehen und diejenigen, die sich für sehend halten, werden als Blinde entlarvt. Damit gibt der Evangelist zum Abschluss der Erzähleinheit eine theologische Zusammenfassung der Ereignisse und stellt dem Glauben des Geheilten den Unglauben der Pharisäer gegenüber. Dieses Thema von blind und sehend präludiertJohannes bereits bei seinem Einschub inJoh 9,3b-5. InJoh 9,3 gehtJesus nur kurz auf die Frage seiner Jünger ein; stattdessen nimmt er die theologische Intention der Blindenheilung vorweg: Am Blindgeborenen soll das Wirken Gottes offenbar werden. Mit dem Bildwort vom Tag und der Nacht in Joh 9,4, das Johannes möglicherweise der weisheitlichen Logientradition entnimmt und mit dem auch eine eschatologisch-apokalyptische Dimension verbunden ist69 , geht er auf seine Sendung70 ein, bevor sich der johanneische Jesus nachJoh 8,12 hier inJoh 9,5 neuerdings als das "Licht der Welt" offenbart und damit die christologische Intention des Evangelisten in der Erzählung von der Blindenheilung zum Durchschein kommt. Schließlich ist der Evangelist auch für die deutende Übersetzung von Schiloach als "der Gesandte"71 in Joh 9,7 verantwortlich. Dieser parenthetische Einschub unterbricht die Handlungsanweisung Jesu und die Handlungsausführung durch den Blindgeborenen. Für Johannes ist es ein geschickter Schachzug, ganz im Sinne seiner Gesandtenchristologie symbolisch auf Jesus zu verweisen. Im Teich Schiloach erlangt der Blindgeborene durch den Gesandten
69
VgJ. M. REIN, Heilung 293-298.
70 Die Formulierung in Joh 9,4 ist merkwürdig und auf den ersten Blick alles andere als
71
logisch. Zunächst sprichtJesus in der 1. Person Plural, bevor er zur 1. Person Singular übergeht. Die Handschriften wollen diese Differenz ausgleichen, indem sie entweder zweimal den Singular oder zweimal den Plural setzen, vgJ. den textkritischen Apparat zur Stelle bei Nestle-Aland. Schnackenburg sieht darin den Text mit "wir" und "mich" als den ursprünglichen bestätigt und erklärt ihn inhaltlich dahingehend, dass in dem "wir" die Jünger Jesu als seine Zeugen und Begleiter miteinbezogen sind, während die exklusive Sendung Jesu vom Vater im Johannesevangelium mit der feststehenden Formulierung "der mich gesandt hat" zum Ausdruck gebracht wird, vgJ. R SCHNACKENBURG,Joh 11 306. Der Name Schiloach meint dadurch weit mehr als den Namen der Wasserstelle, die Hiskia nach 2 Kön 20,20 angelegt hat und die mit Wasser aus der Gichonquelle gespeist wird. Vielmehr laufen bei dieser symbolischen Interpretation die theologischen Linien vonJes 8,6 (vgJ. Neh 3,15) als Drohwort gegen Juda und Gen 49,10 als Deutung auf den Messias zusammen, die der Johannesevangelist in das Partizip ,i1rElTto:4LE~ kleidet, vgJ. H. THYEN,Joh 459-461.
Der DialogJesu mit dem Blindgeborenen inJoh 9,35-38
151
Gottes sein Augenlicht wieder und ganz konkret heißt das: Jesus als der Gesandte Gottes ist es, der den Mann heilt. 72 Mit diesem Gang durch die Entstehungsgeschichte von Joh 9,1-41 sind sicherlich nicht alle Probleme geklärt und können m. E. auch gar nicht geklärt werden. Vieles, z. B. die genaue Zuteilung einzelner Verse zu den verschiedenen Traditionsstufen, muss offen bleiben bzw. kann nur sehr vage und umrisshaft geschehen. Für den weiteren Verlauf der Untersuchung ist von entscheidender Bedeutung, dass der Dialog zwischen Jesus und dem Geheilten in Joh 9,35-38 ziemlich sicher auf den· Evangelisten zurückgeht und sich seiner theologischen Gestaltung verdankt. 73 Wie diese im Einzelnen aussieht, soll aus der folgenden exegetischen Analyse vonJoh 9,35-38 hervorgehen.
5. Exegetische Analyse zu Joh 9,35-38 5.1. Die Ausgangssituation Auf die Heilung des Blindgeborenen durch Jesus in Joh 9,1-7 folgt in Joh 9,8-34 eine Reihe von Auseinandersetzungen und Diskussionen hinsichtlich der Identität von beiden und ihres in den Augen ihrer Gegner anstößigen Verhaltens, die letztlich dazu führen, dass der Geheilte von den Pharisäern hinaus gestoßen wird. 74 Jesus, der nach der Wunderhandlung von der Bühne des Geschehens abtritt75, wohl aber in den Disputen um seine Person stets gegenwärtig bleibt, gewissermaßen als Objekt der Verhandlung, tritt in Joh 9,35 wieder aktiv in Erscheinung: Er hört76 vom Schicksal des Geheilten. Zwar wird nicht ausgesagt, wie Jesus davon erfährt, aber dafür wird umso stärker die Information und damit das Objekt des Gehörten betont, insofern mit der Formulierung E~Eßa;Ä.ov a;u,ov E~W in Joh 9,35 exakt die gleichen Worte aus dem vorherigen Vers aufgenommen werden. 77 Die Tatsache, Vgl. R. SCHNACKENBURG,Joh 11 308. Auch Rein, der Joh 9,35-38 der ältesten Tradition zurechnet, geht immerhin davon aus, .daß V 35-38 wesentlich vom Evangelisten gestaltet wurde", vgl. M. REIN, Heilung 159. 74 Vgl.Joh 9,34. 75 AbJoh 9,8 istJesus von der Bildfläche verschwunden. 76 Dieses Hören ist wie auch inJoh 11,4.6 ein rein akustisches im Gegensatz zum .theologischen Hören" inJoh 5,30; 8,40; 15,15, wenn an diesen letztgenannten Stellen vom Hören des Sohnes auf den Vater die Rede ist. 77 Mit dieser wörtlichen Aufnahme unterstreicht der Evangelist die bereits inJoh 9,22 in den Text eingetragene Erfahrung des Synagogenausschlusses für die johanneische • Gemeinde und versucht sie möglicherweise auch dadurch und v. a. durch das Folgende zu verarbeiten, wenn gerade der Ausgestoßene vonJesus gefunden wird. 72 73
152
Die DialogeJesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
dass die Juden den Geheilten ausgestoßen haben, motiviert Jesus, ihn zu suchen. Analog zu Joh 5,14 wird Jesus auch hier in Joh 9,35 als Suchender und Findender dargestellt; umgekehrt avanciert der soeben Ausgestoßene nunmehr zur gesuchten und gefundenen Person. 78 In diesem Paradox kommt die ureigene johanneische Ironie zum Ausdruck, wie sie innerhalb vonJoh 9 auch inJoh 9,39 begegnet. Die Rollenverteilung, dass der Geheilte von Jesus gesucht und gefunden wird, überrascht insofern, als es im Johannesevangelium normaleIWeise genau umgekehrt der Fall ist, dahingehend, dass Jesus Objekt menschlichen Suchens und Findens ist. 79 Dadurch gewinnt die aktive RolleJesu inJoh 9,35 noch viel deutlicher an Profil. Jesus hört vom Ausschluss des Geheilten und macht sich auf die Suche nach ihm, findet ihn und spricht ihn an. Auf diese Weise kommt es nachJoh 9,1-7 in Joh 9,35-38 zu einer erneuten Begegnung zwischen Jesus und dem Geheilten, die sich in einem Dialog zwischen den beiden vollzieht. Letztlich ist es also Jesus, der diesen Dialog sucht, um den Geheilten damit zum Glauben an sich zu führen. Wie dieser Dialog zwischenJesus und dem Geheilten auf der formalen Ebene aussieht, soll aus der folgenden Untersuchung des Dialogaufbaus hervorgehen. 5.2. Der Aufbau des Dialogs Im Vergleich zum Dialog zwischen Jesus und der Samaritanerin am Jakobsbrunnen in Joh 4,7-26 ist der Dialog Jesu mit dem Blindgeborenen inJoh 9,35-38 ein sehr kurzer Dialog. Der Vorteil dieser Kürze liegt genau darin, dass dieser Dialog sehr übersichtlich aufgebaut ist und eine klare und durchdachte Struktur aufweist. Joh 9,35-38 besteht aus nur zwei Redegängen, die parallel konstruiert sind und zudem durch eine Inklusion zusammengehalten werden. Im ersten Redegang folgt auf eine Frage Jesu eine Gegenfrage des Geheilten. Eine Seibstaussage Jesu wird mit einer Aussage und einer Verhaltensweise des Geheilten im zweiten Redegang beantwortet. Zugleich stellt diese Aussage und Verhaltensweise des Geheilten die Antwort des Blindgeborenen auf die Eröffnungsfrage Jesu dar. Somit wird der Kurzdialog sowohl auf der formalen als auch auf der inhaltlichen Ebene gerahmt und bildet eine in sich geschlossene Einheit.
78 79
Vgl. A. LEINHAUPL-WILKE, Karriere 95. Vgl. die beiden konkreten StellenJoh 1,41.45 im Kontext der Berufungsgeschichten, die eindrucksvoll das Modell der Jesussuche darstellen; im weiteren Evangelium wird diese Suche nachJesus freilich nicht immer so explizit formuliert, geht aber doch implizit aus den einzelnen Abschnitten heIVOr.
Der DialogJesu mit dem Blindgeborenen inJoh 9,35-38.
153
Tabellarisch lässt sich der Aufbau des Dialogs folgendermaßen darstellen: Joh 9,35f.:
1. Redegang:
Frage Jesu - Gegenfrage des Geheilten
Joh 9,37f.:
2. Redegang:
Selbstaussage Jesu - Antwort des Blindgeborenen.
Den vier einzelnen Dialogbeiträgen steht jeweils eine knappe Redeeinleitung mit Et1TEv80 bzw. ~<jl'll81 voran; lediglich inJoh 9,36 findet sich die doppelte Form mit a1TEKpt9r) EKE'iVO~ KaI. EL1TEV, die nicht in das einfache Schema passt und deswegen auch auffällt. Daneben ist die Tatsache interessant, dass Jesus in den Redeeinleitungen zweimal mit Namen genannt wird, wohingegen der Geheilte nicht namentlich vorkommt und stattdessen nur durch die prädikativen bzw. pronominalen Bezüge als Sprechender hervorgeht. Diese Beobachtung erlaubt den Schluss, dass der Fokus aufJesus gelegt wird als denjenigen, der diesen Dialog leitet und richtungsweisend bestimmt. Die folgende Einzelanalyse von Joh 9,35-38 wird zeigen, dass sich diese formale Beobachtung auch in inhaltlicher Hinsicht nicht nur bestätigt, sondern sogar verstärkt. 5.3. Der Verlauf des Dialogs 5.3.1. Paukenschlag zur Eröffnung: Die GlaubensfrageJesu (V. 35) Wie bei der ersten Begegnung zwischen Jesus und dem Geheilten in Joh 9,1.6f. so ergreift auch hier inJoh 9,35 Jesus die Initiative, indem er zu dem Geheilten geht und den Dialog mit ihm eröffnet. Dabei erfolgt anfangs keine Begrüßung, auch fragt Jesus den von ihm Geheilten nicht nach seiner jetzigen Verfassung, sOI.1dern konfrontiert ihn ebenso unvermittelt wie unverhofft mit der Frage: Eu 1TL(J'tEUEL~ EL~ 'tov utov 'tOÜ av9pw1ToU; - ein christologischer Paukenschlag zur Eröffnung des kurzen Dialogs. Durch das betonte ou ganz am Anfang der Frage wird deutlich, dass Jesus den Geheilten direkt anspricht und sich ausschließlich an ihn wendet. Diese exklusive Anrede impliziert zugleich einen polemischen Gegensatz zwischen dem Blindgeborenen, der im Verlauf des Dialogs zum Glauben an Jesus kommt, und denen, die nicht glauben;82 in diesem Sinne ließe sich die Frage Jesu folgendermaßen paraphrasieren: 80
So inJoh 9,35 und 37.
81 InJoh 9,38. 82 Vgl. R. SCHNACKENBURG,joh n 320.
154
Die DialogeJesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium
"Glaubst du im Gegensatz zu den Pharisäern an den Menschensohn?"83 Der Leser soll demnach im Geheilten eine positive Kontrastfigur zu den übrigen Personen der Texteinheit erkennen, dahingehend, dass auch er sich in Joh 9,35 von Jesus direkt ansprechen lässt und zusammen mit dem Geheilten zum Glauben anJesus kommt. Dass das Thema des Glaubens den kurzen Dialog in Joh 9,35-38 beherrscht, ist unschwer zu erkennen. In diesen vier Versen begegnet dreimal das Verbum 1TLO'tEUELV, zunächst inJoh 9,35 im MundeJesu und dann in den Versen 36 und 38 im Munde des Geheilten. Auch wenn dieses Verb im gesamten Johannesevangelium bedeutend häufiger vorkommt als bei den Synoptikern84, so sticht doch seine dichte Verwendung an dieser Stelle besonders ins Auge und weist dadurch den Dialog zwischen Jesus und dem Geheilten explizit als einen Glaubensdialog aus. 55 InJoh 9,35d ist 1TLO'tEUEW wie in den meisten anderen Fällen auch bei Johannes mit ELt; + Akkusativ verbunden. 86 Die Konstruktion an sich verwundert also nicht, dafür umso mehr das Akkusativobjekt, wenn hier vom Menschensohn die Rede ist. Jesus hätte den Geheilten einfacher und direkter fragen können: "Glaubst du an niich?"87; doch diese umständliche Formulierung mit dem Menschensohn als Glaubensobjekt lässt sich mit Bultmann damit begründen, "den Abstand zu betonen, der zwischen der bisherigen Anerkennung Jesu durch den Geheilten und dem geforderten Bekenntnis besteht."88 Noch ist es also für den Geheilten nicht so weit, in demjenigen, der ihn von seinem Leiden erlöst hat, Jesus als den Christus zu erkennen, vielmehr muss er von ihm selbst zu dieser christologischen Erkenntnis geführt werden. Wie unerwartet und befremdlich der Menschensohntitel in Joh 9,35d erscheint, geht aus einem Blick in den textkritischen Apparat zu dieser Stelle hervor. Die meisten Handschriften lesen statt 'tov utov 'tou av8pwnou ein 'tov utov 'tou 8EOU89 und machen so aus dem Sohn des Menschen einen Sohn Gottes. Dieser Schritt lässt sich damit erklären, 83 So M. REIN, Heilung 157. 84
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87 88
89
Bei Johannes finden sich fast dreimal so viele Belege wie bei den drei synoptischen Evangelien zusammen. Damit handelt es sich bei 1TLO't"EUW um ein echtes johanneisches Vorzugswort. Auch Joh 4,7-26 stellt natürlich einen Glaubensdialog dar; allerdings geht das nicht aus dem Stichwort 1TLO'tEUeLW hervor, welches in diesem ausgesprochen langen Dialog nur inJoh 4,21 begegnet. Vgl.Joh 1,12; 2,11; 3,16; 4,39; 6,29; 7,5; 8,30; 9,35; 10,42; 11,25; 12,11; 14,1; 16,9; 17,20 u.a. Vgl. R BULTMANN,Joh 257. Ebd. So z. B. A L 070. 0250 lat bo u. a.
Der Dialogjesu mit dem Blindgeborenen injoh 9,35-38
155
dass der Sohn-Gottes-Titel an den zentralen Bekenntnisstellen im Johannesevangelium begegnetllO und hier eine Vereinfachung des schwierigeren Menschensohntitels darstellt. Die lectio difficilior hat sich demnach nur in wenigen, dafür in den bedeutenderen Handschriften erhalten91 und stellt laut Thyen "fraglos"92 die ursprüngliche Lesart dar. Es ist somit die einzige Stelle im Neuen Testament, bei der der Menschensohntitel als Objekt von TlLOtEUeLv EtC; fungiert. Warum dieser christologische Titel hier begegnet und welche theologische Bedeutung damit impliziert ist, soll aus dem folgenden Exkurs zur Menschensohnvorstellung im Johannesevangelium hervorgehen.
Exkurs: Der Menschensohn im Johannesevangelium Die Bezeichnung "Menschensohn" begegnet an folgenden 13 Stellen im J ohannesevangelium93 : Joh 1,51:
Über den Menschensohn steigen die Engel auf und nieder.
Joh 3,13:
Nur der Menschensohn, der vom Himmel herabgestiegen ist, ist dorthin aufgestiegen.
Joh 3,14:
Der Menschensohn muss wie die Schlange in der Wüste erhöht werden.
Joh 5,27:
Der Sohn hat die Macht, Gericht zu halten, weil er der Menschensohn ist.
Joh 6,27:
Der Menschensohn wird die für das ewige Leben bleibende Speise geben.
Joh 6,53:
Ohne das Fleisch des Menschensohnes und ohne sein Blut gibt es kein Leben.
Joh 6,62:
Der Menschensohn wird in den Himmel hinaufsteigen.
Joh 8,28:
Die Juden werden den Menschensohn erhöhen.
Joh 9,35:
Jesus befragt den geheilten Blindgeborenen nach seinem Glauben an den Menschensohn.
90
Vll.joh 1,34; 11,27; 20,31.
91 p" A B D W pe sy' co. 92 So das klare Urteil von H. THYEN,joh 471 mit anschließender Begründung. 93 Vgl. die Auflistung bei R. SCHNACKENBURG,joh I 412.
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Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium
joh 12,23:
Die Stunde der Verherrlichung des Menschensöhnes ist gekommen.
joh 12,34c:
Der Menschensohn muss erhöht werden.
joh 12,34d:
Die Menge fragt, wer dieser Menschensohn ist.
joh 13,3lf.:
Der Menschensohn ist verherrlicht und Gott in ihm.
Die kontinuierliche und gezielte Verwendung dieser Bezeichnung im ersten Teil des johannesevangeliums94 lässt vermuten, dass der Evangelist die Bezeichnung "Menschensohn" als christologischen Hoheitstitel mit einer ganz bestimmten theologischen Absicht in seinem Werk einsetzt. Inhaltlich lassen sich die einzelnen Menschensohnworte folgendermaßen zusammenfassen95 : 1.) Der Ab- und Aufstieg des Menschensohnes und sein Kontakt zum
Himmel (Joh 1,51; 3,13) 2.) Die Erhöhung und Verherrlichung des Menschensohnes (Joh 3,14; 8,28; 12,23.34; 13,3lf.) 3.) Die Gerichtsvol1macht des Menschensohnes (Joh 5,27) 4.) Der Menschensohn und das Brot vom Himmel (Joh 6,27.53.62) 5.) Der Menschensohn als Objekt des Glaubens (Joh 9,35). Aus diesem Befund ergeben sich notwendigerweise Fragen, die in etwa lauten können: Welche religionsgeschichtlichen Einflüsse lassen sich bei der johanneischen Menschensohnkonzeption feststellen? Von welchen Traditionen ist der vierte Evangelist abhängig? Oder hatjohannes gar eine eigene Vorstellung vom Menschensohn? Und schließlich: Wie ist diese Rede vom Menschensohn im christologischen System des johannesevangelisten verankert? Bultmann, der die johanneische Christologie auf der Grundlage des gnostischen Erlösermythos interpretiert und sich dabei hauptsächlich auf mandäische Schriften beruft96, sieht als religionsgeschichtliche Vom Menschensohn ist bereits inJoh 1 die Rede; als ersten christologischen Hoheitstitel im Munde Jesu kommt dem Menschensohn für die folgenden Kapitel eine programmatische Bedeutung zu, die sich dahingehend zeigt, dass diese Bezeichnung über die folgenden Kapitel relativ gleichmäßig verstreut ist und damit der erste Buchteil abgeschlossen wird. Von den 13 Belegen findet sich nur ein einziger im zweiten Teil des Evangeliums und dieser gleich zu Beginn inJoh 13,31. 95 Vgl. M. SAssE, Menschensohn 72. 96 Vgl. Z. B. R. BULTMANN,Joh 38f. 94
Der DialogJesu mit dem Blindgeborenen inJoh 9,35-38
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Quelle für den johanneischen Menschensohn die Gnosis an. 97 Allerdings scheitert dieses Erklärungsmodell nach Schnackenburg daran, dass in den gnostischen Texten ohne christlichen Einfluss die Bezeichnung "Sohn des Menschen" nicht nachgewiesen ist. Von daher kann Johannes den Titel "Menschensohn" gar nicht aus dem Gnostizismus übernommen haben; vielmehr ist diese Bezeichnung umgekehrt über das Christentum in die Gnosis gelangt und dort von der christlichen Anschauung her interpretiert worden. 98 Nach dem Urteil von Hahn lässt sich die Vorstellung vom Menschensohn "in hohem Maße"99 aus dem jüdischen Denken ableiten, wobei auch "unter allen Umständen"IOO mit Fremdeinflüssen zu rechnen ist. In der jüdischen Apokalyptik erscheint der Menschensohn als Weltenrichter, der am Ende der Tage mit den Wolken des Himmels kommt und dem die Herrschaft übergeben wird.l 0l Diese jüdisch-apokalyptische Vorstellung hat neben anderen religions geschichtlichen Einflüssen die synoptische Tradition vom eschatologischen Menschensohn geprägt102 , die sich wiederum auf das Johannesevangelium ausgewirkt hat. Im Gegensatz zur futurischen Eschatologie bei den Synoptikern, bei der das Kommen des Menschensohnes als eschatologisches Geschehen in der Zukunft erwartet wird, entwickelt Johannes im Kontext seiner präsentischen Eschatologie die jüdisch-christliche Tradition dahingehend weiter, dass der johanneische Menschensohn bereits in der Gegenwart als Richter fungiert.l 03 Eine analoge Beobachtung, dass der Johannesevangelist mit seiner Menschensohnvorstellung in biblisch-christlicher Tradition stehtl04 und diese gemäß seiner eigenen theologischen Konzeption weiterführt, legt sich aus einem Vergleich vonJoh 3,14 mit Mk 8,31 nahe. Johannes hat dieses synoptische Logion vom leidenden Menschensohn im Blick, insofern er neben dem christologischen Titel ulo~ 'tOÜ &v9pwiTOU auch das ÖEl. des göttlichen Ratschlusses in seiner ersten Erhöhungsaussage aufgreift. Analog zu den drei Leidensankündigungen bei den SynoptikernlOS begegnen im Johannesevangelium drei Erhöhungsaussagen.l 06 97 Vgl. die Interpretation Bultmanns zuJoh l,51,Johannes, 74 oder zuJoh 3,13,Joh 107, jeweils die Anm. 4.
98 Vgl. R. SCHNACKENBURG,Joh I 422f. 99 So die Einschätzung von F. HAHN, Hoheitstitel 23. 100
Ebd.
101 Vgl. die Bilderreden des äthiopischen Henochbuches (äthHen 37-71) und Dan 7,13f. 102 Vgl. Mk 8,38; 13,26; 14,62; Mt 13,41; 19,28; 25,31; Lk 12,8; 18,8; 21,36 u. a. 103 Vgl.Joh 5,27. 104 So auch die Annahme von Moloney mit seinem grundlegenden Werk über denjohan-
neischen Menschensohn,Johannine son ofman 208-220, bes. 219. Mk 8,31; 9,31; 10,33f. parr.
105 Vgl.
,j
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Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
Mit dieser ,Johanneischen Sprechweise"107 von der Erhöhung gelingt dem Evangelisten eine doppeldeutige Aussage. Zum einen bezeichnet er damit die konkrete Hinrichtungsart Jesu, so dass Erhöhung im Johannesevangelium zum Synonym für Kreuzigung wird. Zum anderen kommt darin bereits die Verherrlichung Jesu und sein Sitzen ad dexteram patris zum Ausdruck. Mit dem Motiv der Erhöhung gelingt es dem Johannesevangelisten demnach im Unterschied zu Paulus und den Synoptikern, beide Akte des Heilsgeschehens zu einem einzigen Ereignis zu verbinden und in einer einzigen theologischen Formel zusammenzufassen, die den Tod Jesu in seiner vordergründigen (,,Aufhängen am Kreuzespfahl"108) wie hintergründigen (Einsetzen Jesu in Macht und Herrlichkeit) Dimension reflektiert und damit weit über die bisherige urchristliche Theologie hinausgeht. An diesem Beispiel zeigt sich sehr deutlich, wie Johannes auf die synoptische Tradition vom leidenden Menschensohn zurückgreift und daraus im Rahmen seiner Christologie die theologische Vorstellung von der Erhöhung des Menschensohnes entwickelt.l 09 Tradition und Innovation - mit diesen beiden Schlagwörtern lässt sich folglich die johanneische Menschensohnvorstellung umreißen. Wie soeben am Bezug zu den synoptischen Logien vom eschatologischen und leidenden Menschensohn 110 aufgezeigt wurde, steht der Johannesevangelist mit seiner Menschensohnkonzeption in guter christlicher Tradition, die er allerdings innovativ bearbeitet und damit laut Theobald den Rahmen für die johanneische Christologie schafft: "Die Gesandtenchristologie des Corpus setzt nicht die Logoschristologie des Prologs, sondern die Menschensohn-Vorstellung als ihren sie definierenden Rahmen voraus. Er garantiert ihre Autarkie, so daß man die joh. Christologie mit gutem Grund auch »Menschensohnchristologie« nennen kann. Über die Erhöhungs- und Verherrlichungsaussagen ist
106Vgl.Joh 3,14; 8,28; 12,32. 107 Vgl. diese Fonnul~~rung in Anlehnung an Mußners Ausdruck von der ,Johanneischen Sehweise" in der Uberschrift seiner Abhandlung "Die johanneische Sehweise und die Frage nach dem historischenJesus". 108 So P. HOFFMANN, Studien 184. 109 Aus diesen Überlegungen geht hervor, dass Johannes entgegen mancher Kritiker wie z. B. Bultmann (vgl. R. BULTMANN,Joh 356), Müller (vgl. U. B. MÜLLER, Bedeutung 68) oder Straub (vgl. E. STRAUB, Theologie 243) ein Kreuzestheologe ist, der eine theologia cruds sui generis entwickelt. 110 Zu den präsentischen Menschensohnaussagen bei den Synoptikern, z. B. Mk 2,10 oder Lk 9,58, besteht bei Johannes überhaupt kein Zusammenhang; daraus geht hervor, dass Johannes nicht über die Synoptiker zu seinen Gegenwartsaussagen über den Menschensohn gekommen ist, sondern durch eigenes theologisches Nachdenken.
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sie mit dem Zentrum des joh. Jesusbildes, der Deutung seines Todes verbunden. "lll In. der Tat werden die meisten Menschensohnaussagen imJohannesevangelium in Zusammenhang mit "Erhöhung" und "Verherrlichung" bzw. mit ,,Aufstieg" und ,,Abstieg" gemacht. ll2 Demzufolge lassen sich mit Schnackenburg die Menschensohnaussagen im Johannesevangelium einem "einheitlich-geschlossenen Gedankenkreis"llB zuordnen: "Der Menschensohn ist der joh. Messias, der Lebensspender ( ... ) und Richter, der diese Funktion schon jetzt ausübt und allein ausüben kann, weil er der vom Himmel herabgestiegene und dorthin wieder aufsteigende Menschensohn ist. Mögen also verschiedene Wurzeln vorliegen, ist doch die Vorstellung vom »Menschensohn« beiJoh eine Einheit geworden. "114 Vor dem Hintergrund der soeben skizzierten johanneischen Menschensohnkonzeption lässt sich nun auch die zunächst überraschende und bisweilen auch seltsam anmutende Verwendung des christologischen Hoheitstitels "Menschensohn" inJoh 9,35 erklären. Nicht wenige Exegeten gehen vom forensischen Kontext in Joh 9,39 aus und sehen von diesem Gerichtswort Jesu her im Menschensohn von Joh 9,35 ausschließlich den Richter. 115 Dagegen macht Thyen mit mehreren Argumenten klar, dass dieser Bezug "wenig wahrscheinlich"116 ist. Er sieht hier in Joh 9,35 weniger die Verbindung zu Joh 5,27 und zu Dan 7,13 117 als vielmehr zu Joh 3,13-21 und Joh 12,34-36. An diesen beiden Stellen begegnen im Zusammenhang mit dem Menschensohn die beiden johanneischen Schlüsselworte "Licht" und "Leben". Allerdings übersieht Thyen, dass sowohl inJoh 3 als auch inJoh 12 vom Gericht die Rede ist. Was ergibt sich nun aus diesen gegensätzlichen Standpunkten für Joh 9,35? Wenn nach Schnackenburg .der Menschsohn der joh. Messias, der Lebensspender und Richter ist118, so muss sich auch Joh 9,35 S6 M. THEOBALD, Fleischwerdung 392f. 112Vgl.Joh 1,51; 3,13; 3,14; 6,62; 8,28; 12,23.34; 13,3lf. 113 So R SCHNACKENBURG,Joh I 414. 114 Ebd. 115 Vgl. M. SAsSE, Menschensohn 235 und U. WILCKENS, Johannes 160. Auch Schnackenburg geht vom Gerichtskontext inJoh 9,39 aus, bleibt aber nicht bei dieser einseitigen und deswegen unvollständigen Sichtweise stehen, vgl. R SCHNACKENBURG,Joh 11 321. 116 So das Urteil von H. THYEN,Joh 471; vgl. seine anschließende Argumentation. 117 Allein schon die nachfolgende Frage des Geheilten Kocl TL~ ~OTLV, KUpLE, 'LVII mOTEoow El~ oclrt6v; macht klar, dass der Menschensohn von Joh 9,35 kein Himmelswesen der Zukunft sein kann, sondern ein Mensch der Gegenwart sein muss. 118 Vgl. obiges Zitat mit den verschiedenen Funktionen des johanneischen Menschensohnes. III
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Die Dialoge Jesu mit Einze1personen imJohannesevangelium
an diesen Funktionen messen lassen, inwieweit diese hier erfüllt sind bzw. wie diese hier zum Ausdruck kommen. Vom Gerichtskontext in Joh 9,39 legt sich sicherlich ein Verständnis des Menschensohnes in Joh 9,35 als Richter nahe, insofern Jesus als gegenwärtiger Richter die Blinden sehend und die Sehenden blind macht119 und damit die Gläubigen von den Ungläubigen scheidet. Mit der Verneinung der FrageJesu inJoh 9,35 würde sich damit der Geheilte selbst das Gericht zusprechen und, obwohl er äußerlich sehend geworden ist, in Wahrheit doch blind bleiben, weil er in Jesus nicht den Menschensohn erkannt hat und nicht zum Glauben an ihn gekommen ist. Allerdings wäre es einseitig und verkürzt, im johanneischen Menschensohn nur den Richter zu sehen; vielmehr ist mit dieser Funktion des Richters untrennbar die des Lebensspenders verbunden. In Joh 9,1-7 schenkt Jesus dem Blindgeborenen sein Augenlicht und ermöglicht ihm dadurch ein normales Leben ohne Behinderung. Darüber hinaus öffnet er dem Geheilten in Joh 9,35-38 die Augen für das "Licht des Lebens"l20 und wird zum wahren Lebensspender. In dieser lebensspendenden Funktion erweist sich der Menschensohn als johanneischer Messias, dem es gelingt, dem Geheilten zum Glauben an sich als den Menschensohn zu führen und ihn dadurch an sich als den Erhöhten und Verherrlichten zu ziehen. Genau in diesem Punkt, "alle an sich zu ziehen"121, liegt nach Schnackenburg die "Hauptfunktion des joh. Menschensohnes"122. Am Beispiel der Heilung des Blindgeborenen wird sie dem Leser des Evangeliums paradigmatisch vor Augen geführt. Jesus schenkt dem Mann Licht im doppelten und damit Leben im umfassenden Sinne und erweist sich dadurch für den Geheilten wie auch für den Leser als der Menschensohn, der diejenigen richtet, die sich selbst als Sehende betrachten, aber in Wahrheit blind sind und nicht im Licht des Glaubens leben. 5.3.2. Retardierendes Moment: Gegenfrage des Geheilten (V. 36) Auf die Entscheidungsfrage Jesu in Vers 35d antwortet der Geheilte im anschließenden Vers 36 weder mit ,Ja" noch mit "Nein", sondern stellt folgende Gegenfrage: K«t 'de;; eonv, KUPLE, 'Lv« TILO'EUOW ELe;; «u.6v;. Damit kommt der Glaubensdialog zwischen Jesus und dem Geheilten nicht vorschnell an sein Ziel, sondern wird dahingehend verzögert, 119VgI.Joh 9,39. 120 VgI.Joh 8,12. 121 Joh 12,32. 122 So R. SCHNACKENBURG,Joh 11 321.
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dass erst noch die Identität des Menschensohnes geklärt werden muss, damit der Geheilte zum Glauben an ihn kommen kann. Aus der Formulierung KIXI. tLe; eCrtw geht implizit heIVor, dass dem Blindgeborenen die Vorstellung vom Menschensohn nicht unbekannt ist;123 ganz im Gegenteil: Er scheint diesen Titel zu kennen und auch um seinen Inhalt zu wissen. Lediglich die Identifizierung muss noch geklärt werden, wer denn dieser Menschensohn ist. 124 Die präsentisch orientierte Fragestellung125 setzt dabei voraus, dass der Menschensohn keine Gestalt der Vergangenheit sein kann und auch kein Wesen der Zukunft, das auf den Wolken des Himmels kommt, sondern dass es sich bei dem Menschensohn um eine Person der Gegenwart handeln muss als einen Menschen unter Menschen.l 26 Auf die Idee, dass1esus selbst diesen Menschensohn in persona verkörpert, kommt der Geheilte nicht bzw. kann er auch von sich aus nicht kommen, weil es dazu der Selbstoffenbarung 1esu bedarl. Der Geheilte weiß also noch nicht, dass der Menschensohn vor ihm steht und mit ihm spricht. Demzufolge kann auch die Anrede KUPLE im Munde des Blindgeborenen an dieser Stelle des Dialogs noch nicht christologisch im Sinne eines Hoheitsprädikates für 1esus interpretiert werden 127, sondern stellt lediglich eine höfliche Form der Anrede dar, wie sie beispielsweise auch im Munde der Samaritanerin in10h 4,11.15.19 begegnet. Eigentlich könnte sich die Frage des Geheilten auf die Worte KIXI. tLe; eonv, KUPLE beschränken und damit darauf ausgerichtet sein, die Identität des Menschensohnes in Erfahrung zu bringen. Doch die Frage wird fortgeführt mit dem entscheidenden Zusatz: '(VIX 1fLatEuOCU Ete; IXUtOV. Dabei kommt durch die finale Konjunktion LVIX der Zweck bzw. die Absicht zum Ausdruck, die den Geheilten· uberhaupt zu dieser Frage verleitet. Der Geheilte will zum Glauben an den Menschensohn kommen. Die Verbform lTLOtEuOCU ist m. E. als ingressiver Aorist zu interpretieren, die das Zum-Glauben-Kommen des Geheilten nicht als Blitzerlebnis, sondern als einen Weg verstehen lässt, den er zusammen mit 1esus geht und der letztlich in 1esus sein Ziel findet. Schließlich wird hier das lTLOtEUELV nicht absolut gebraucht, sondern hat. in dem Ete; IXUtOV ein konkretes Objekt des Glaubens. Auf diese Weise wird mit dem 123 Gegen H. THYEN,joh 472. 124 Vgl. A LEINHÄUPL-WILKE, Karriere 95f. 125 Der Geheilte fragt nicht: "Wer war dieser
Menschensohn?" oder: "Wer wird dieser Menschensohn sein?", sondern: "Wer ist es?". 126 Vgl. R. BULTMANN,joh 257 und H. THYEN,joh 471. 127 Gegen U. SCHNELLE,joh 173.
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Die DialogeJesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
Zusatz Lva; 'lTL01:EUOW EL<; a;u1:ov die Glaubensbereitschaft des Geheilten an den Menschensohn zur Sprache gebracht, die letztlich die entscheidende Voraussetzung für die nun folgende SelbstoffenbarungJesu darstellt und dadurch den Dialog weiter voranbringt und seinem Ziel entgegenführt. 5.3.3. Der Höhepunkt des Dialogs: Die SelbstoffenbarungJesu (V. 37) Auf die Frage des Geheilten, wer denn der Menschensohn sei, damit er an ihn glauben könne, antwortet Jesus nicht mit einer »Ich-bin-Aussage". Diese Tatsache, dass hier in Joh 9,37 die Offenbarungsformel EYci1 eLlJ.L fehlt, lässt sich weniger damit erklären, dass der Menschensohn nur verhüllt im Glauben gesehen werden kann, oder dass die Formel für den Menschensohn an die Erhöhung gebunden bleibt128, sondern vielmehr damit, dass Jesus immer in der dritten Person vom Menschensohn spricht129 und nie von sich selbst sagt: »Ich bin der Menschensohn".130 Deswegen erfolgt die Selbstoffenbarung Jesu an dieser Stelle nicht direkt als "Ich-bin-Wort", dafür aber nicht weniger deutlich, wenn Jesus sich mit folgenden Worten auf die konkrete Situation und damit auf die Erfahrung des Geheilten beziehtl31 : Ka;I. l:ci1pa;Ka;<; a;u1:ov Ka;I. o Aa;AWV IJ.E1:ft OO\) EKELVO<;132 Eonv. Im ersten Teil dieser Selbstoffenbarung spieltJesus auf die Heilung des Blindgeborenen inJoh 9,1-7 an. Die Perfektform l:ci1pa;Ka;<; sieht die Blindenheilung als Ereignis in der Vergangenheit an, das Auswirkungen auf die Gegenwart hat. Der Blindgeborene, der von Jesus geheilt wurde und ihn als seinen Wundertäter gesehen hat, sieht ihn auch jetzt vor sich und wird bei dieser zweiten Begegnung mit ihm wahrhaft sehend, insofern er in Jesus jetzt den Menschensohn erkennt. 133 Auf den gerade sich vollziehenden Dialog mit dem Geheilten geht Jesus im zweiten Teil seiner Selbstoffenbarung ein, wenn er sagt: 0 Aa:A.WV IJ.E1:O: oo\) EKELVO<; Eonv. Diese Worte Jesu erinnern an Joh 4,26, wenn Jesus sich der Samaritanerin am Jakobsbrunnen, die nach dem Messias Ausschau hält, in der gleichen Weise als deIjenige, der mit ihr redet, offen128 So die beiden Argumente von R. ScHNACKENBURG,Joh 11 322. 129 So die zutreffende Begründung bei H. THYEN,Joh 472. 130 Diese "Regel" gilt nicht nur für die johanneische, sondern auch für die synoptische Tradition und darüber hinaus für das gesamte Neue Testament.
131 Vgl. U. WILCKENS, Johannes, 160f. 132 Der Gebrauch von EKeLv6~ ist hier insofern auffällig, als das Demonstrativpronomen sich auf den Redenden selbst rückbezieht. Diese distanzierte und reservierte Redeweise im Munde Jesu ist wohl in Verbindung mit dem Menschensohntitel zu erklären, der vonJesus niemals direkt verwendet wird, vgl. R. ScHNACKENBURG,Joh 11 322. 133 Vgl. C. DffiTZFELBINGER,Joh !.292.
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bart. Auch hier in Joh 9,37 offenbart Jesus dem Geheilten den Menschensohn und damit sich selbst als denjenigen, der gerade mit ihm spricht. Anhand dieser beiden Stellen lassen sich bereits erste Aussagen über das Offenbarungsverständnis des vierten Evangelisten treffen. Der johanneischeJesus offenbart sich sowohl inJoh 4 als auch inJoh 9 einem einzelnen Menschen in seine konkrete Situation hinein, indem er auf die Erfahrung des Menschen eingeht und ihm den Sinn dieser Erfahrung erschließt. 134 Beide Male erfolgt die Selbstoffenbarung Jesu im Zuge eines Dialogs und stellt den Höhepunkt der christologischen Wissensvermittlung dar. Allerdings sind auch die beiden wesentlichen Differenzen zwischen Joh 4 und Joh 9 in den Blick zu nehmen. Im Unterschied zu Joh 4 erfolgt die Offenbarung Jesu in Joh 9 nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten. Auf die zuvor geschilderte Blindenheilung wird inJoh 9,37 ganz klar Bezug genommen und sie liefert zudem die notwendige Voraussetzung dafür, dass der ehemals Blinde Jesus mit eigenen Augen wahrnehmen und ihn sodann als Menschensohn erkennen kann. Während der Dialog in Joh 4 mit der Selbstoffenbarung Jesu in Joh 4,26 endet und die Samaritanerin außerhalb des Dialogs mit Jesus in Joh 4,29 lediglich zu einem Schwellenbekenntnis gelangt, folgt auf die Selbstoffenbarung Jesu in Joh 9,38 ein Bekenntnis des Geheilten, mit dem nicht nur das Ende, sondern auch das Ziel der christologischen Wissensvermittlung erreicht ist. Die Erkenntnis Jesu will mit einem entsprechenden Bekenntnis zu ihm beantwortet werden. Weil dieses in Joh 4 fehlt und inJoh 9 klar ausgesprochen wird, liegt eine Steigerung vom DialogJesu mit der Samaritanerin zum DialogJesu mit dem Blindgeborenen vor. Diese Steigerung wird dann noch weiter ausgebaut in der dialogischen Begegnung Jesu mit Martha in Joh 11 und mit Thomas in Joh 20. 135 Doch zuvor gilt es, das Bekenntnis des Blindgeborenen in Joh 9,38 und den Weg der christologischen Wissensvermittlung inJoh 9 genauer in den Blick zu nehmen und zu untersuchen. 5.3.4. Der Abschluss des Dialogs: Verbales und nonverbales Bekenntnis (V. 38) Die SelbstoffenbarungJesu inJoh 9,37 beantwortet der Geheilte im darauf folgenden Vers mit einem verbalen und einem nonverbalen Bekenntnis. Allerdings ist es textkritisch umstritten, ob dieses doppelte 134 Vgl. 135 Vgl.
R BULTMANN,joh 257. R SCHNACKENBURG,joh 11 32Of.
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Die Dialoge jesu mit Einze1personen imjohannesevangelium
Bekenntnis zum ursprünglichen Textbestand gehört oder erst später und damit als sekundärer Dialogabschluss in den Text eingetragen wurde. In einigen nicht ganz unbedeutenden Handschriften fehlen der Vers 38 komplett und die Redeeinleitung von Vers 39.136 Wie lässt sich dieser Befund erklären? Brown sieht in dieser Passage einen liturgischen Nachtrag im Zusammenhang mit der Taufliturgie und -katechese und weist auf einige untypische johanneische Formulierungen hin.1 37 Seine Argumentation beruft sich darauf, dass Joh 9 inder Alten Kirche erstmals bei Irenäus l38 und danri auch bei Ambrosius, Augustinus u. a. auf die Taufe gedeutet wurde und dass der Langtext demnach die alte Taufliturgie widerspiegelt. Unabhängig von der Tatsache, dass der Langtext älter ist als die Bezeugung vonJoh 9 als Tauftextl39, kann es in der Textkritik nicht angehen, von der Wirkungsgeschichte eines Textes und damit von seinem Gebrauch rückwirkend auf seine ursprüngliche Gestalt zu schließen. HO Ziel ist es doch genau umgekehrt, dem nicht mehr rekonstruierbaren Urtext unabhängig von späteren Einflüssen aus der Gemeinde so nahe wie möglich zu kommen. Deswegen dürfen und müssen die Argumente lediglich die reine Textebene betreffen. Für den Langtext als ursprünglichen Text lassen sich gute in'haltliehe Kriterien anführen. Ohne Joh 9,38.39a kommt der Dialog zwischen Jesus und dem Geheilten zu keinem Abschluss. Außerdem würde sich das folgende Gerichtswort Jesu zunächst an den Geheilten und dann an die Pharisäer richten. Viel logischer und einsichtiger ist es jedoch, mit dem Bekenntnis des Geheilten in Joh 9,38 das Ende des Glaubensdialoges und mit der Redeeinleitung inJoh 9,39a den Anfang des neuen Dialogs zwischen Jesus und den Pharisäern zu sehen.1 41 Allerdings ist dann noch immer nicht geklärt, warum bestimmte Handschriften diese sowohl inhaltlich wie auch formal wichtige Passage nicht aufweisen. Eine bewusste Auslassung kommt aus den soeben dargelegten Gründen schwerlich in Betracht, und so bleibt als einzig plausible Lösung ein unbewusster Fehler bei der Textüberlieferung in den entsprechenden Handschriften.
136 p" a* Wb (1) sams ac2 mf, vgl. den textkritischen Apparat bei Nestle-Aland zur Stelle. 137 Vgl. R. E. BRoWN,john I 375. 138 Adv. Haer. V. 15,6. 139 Vgl.J. BECKER.joh I 322. 140Vgl. H. THYEN,joh 473. 141 Vg1.J. BECKER,joh I 322.
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Es ist also davon auszugehen, dass Joh 9,38.39a zum ursprünglichen Textbestand gehört. Demnach stellt das doppelte Bekenntnis in Joh 9,38 den Abschluss des Dialogs zwischenJesus und dem Geheilten in Joh 9,35-38 dar. Der Geheilte spricht seinen Glauben an den Menschensohn verbaliter aus und bekräftigt diesen Glauben zeichen haft mit einer Geste der Verehrung. Im Vergleich mit anderen Bekenntnissen im Johannesevangelium fallt das verbale Bekenntnis des Geheilten in Joh 9,38b sehr schlicht aus. Anstatt der Formel "Du bist ... " in Verbindung mit einem christologischen Tite}l42 bekennt der Geheilte kurz und knapp: mOtEUW, KUpLE. Das absolute mOtEUW ist hier jedoch nicht einem "theologischen Blankoscheck" gleichzusetzen, sondern hat vom Kontext her den Menschensohn als Inhalt des Glaubens. In Anlehnung an die anderen johanneischen Bekenntnisformeln'würde sich demnach inJoh 9 ein Bekenntnis a la "Ich glaube, dass du der Menschensohn bist" nahe legen. Aber diese Formel fehlt hier. Schnackenburg gibt als Begründung dafür an, dass "der Mann nur das SelbstzeugnisJesu als Menschensohn bestätigt. "143 Das nachfolgende nonverbale Bekenntnis des Geheilten in Form derProskynese gibt aber deutlich zu erkennen, dass der Geheilte das Selbstzeugnis Jesu als Menschensohn nicht nur bestätigt, sondern sogar bestärkend darauf antwortet. Dieser Aspekt lässt sich aus dem verbalen Bekenntnis des Geheilten, wenn es für sich genommen wird, nicht herauslesen. Vielmehr erscheint dieses kurze Bekenntnis per se als Antwort aufJoh 9,35. Auf die dortige Frage Jesu, ob der Geheilte an den Menschensohn glaubt, antwortet dieser mit: "Ich glaube, Herr." Durch diesen Bezug zuJoh 9,35 erklärt sich auch die präsentische Form von mOtEUW in Joh 9,38; damit handelt es sich hier nicht um eine unjohanneische Formulierung, sondern um eine Formulierung, die sich bestens in ihren Kontext einfügt. Aufgrund der Tatsache, dass inJoh 9,38 die Antwort auf die Frage Jesu in Joh 9,35 gegeben wird, erfolgt eine Rahmung des Dialogs zwischen Jesus und dem Geheilten inJoh 9,35-38. Die Frage nach dem Glauben an den Menschensohn am Anfang dieses Dialogs wird an seinem Ende kurz und knapp, aber dafür auch klar und deutlich bejaht. Durch diese positive Antwort, die trotz ihrer Kürze den Glauben an den Menschensohn beinhaltet, bekommt auch die Anrede KUPLE für Jesus eine andere Färbung. Schwerlich kann sie nach der Selbstoffenbarung Jesu und dem verbalen Bekenntnis des Geheilten als eine rein 142 Vgl.Joh 1,49; 6,69; 11,27. 143 So R. SCHNACKENBURG,Joh
II 322.
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formale Anrede ohne christologische Bedeutung angesehen werden. 144 Vielmehr kommt auch darin der Glaubensweg des Geheilten zum Ausdruck, der in Jesus nunmehr den Menschensohn erkennt und ihn von dieser christologischen Implikation her ehrerbietig als "Herr" anspricht. Das verbale Bekenntnis des Geheilten stellt aber noch nicht den endgültigen Abschluss des Dialogs dar, vielmehr wird es nonverbal bekräftigt und bestätigt, dahingehend, dass sich der Geheilte nach Joh 9,38c vor Jesus niederwirft: iTPOOEKUVll0EV IXU't"W. Dieses Verhalten zeigt nach Schnackenburg die "Tiefe und Wirksamkeit des ·Glaubens"145. Der Geheilte spricht seinen Glauben nicht nur aus, sondern bringt ihn auch demonstrativ mit dieser sinnfälligen Geste des Niederfallens zum Ausdruck. 146 Dadurch bekommt auch das kurze und schlichte verbale Bekenntnis des Geheilten, das zunächst einen oberflächlichen Glauben vermuten lässt, eine ganz andere, viel tiefere Dimension. Der Geheilte ist wirklich zum Glauben an Jesus als den Menschensohn gekommen und verehrt diesen sogleich als solchen. Demzufolge lässt sich das iTPOOKUVEW nicht als symbolische Geste der Dankbarkeit für die zuvor erfolgte Heilung verstehen; es richtet sich nicht an den Wundertäter und damit an einen Menschen.l 47 Im JOhannesevangelium gibt es nur ein Objekt der Verehrung, und das ist Gott selbst. In Joh 4,20-24 und in Joh 12,20, den beiden einzigen Stellen, an denen iTPOOKUVEW neben Joh 9,38 im vierten Evangelium begegnet, ist Gott allein deIjenige, der angebetet wird. So gilt auch für Joh 9,38, dass Gott letztlich deIjenige ist, dem die Verehrung zuteil wird. Das Niederfallen des Geheilten vor Jesus als dem Menschensohn zielt also bereits auf sein göttliches Wesen und letztlich auf Gott selbst ab, stellt doch Jesus nach Joh 4,23 den Ort der wahren Anbetung des Vaters dar. Wer also Jesus anbetet, betet auch Gott an. Der Geheilte lallt demnach in Joh 9,38 nicht nur vor Jesus, sondern auch vor Gott auf die Knie und huldigt ihm durch die Proskynese. Das doppelte Bekenntnis des Geheilten inJoh 9,38 hat eine analoge Entsprechung in der doppelten Selbstoffenbarung Jesu in Joh 9,37. Wie Jesus sich dem Geheilten in Wort und Tat offenbart, so bekennt der Geheilte Jesus ebenso in Wort und Tat. Aus dieser einfachen for144 Gegen R. SCHNACKENBURG.joh 11 322; mit H. THYEN.joh 472.
145 So R. SCHNACKENBURGjoh 11 323. 146Vgl. H.1'HYEN.joh 472. 147Vgl. das Verhalten der sichjesus Nahenden im Matthäusevangelium. Mt 8.2 oder 9.18 u.a.
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malen Beobachtung lässt sich eine wichtige theologische Aussage ableiten, dahingehend, dass das Bekenntnis hier in Joh 9 die adäquate Antwort auf die Offenbarung darstellt und dass beide Elemente aufeinander verwiesen sind. Die Offenbarung bewirkt das Bekenntnis und umgekehrt setzt das Bekenntnis die Offenbarung voraus. Diese Wechselbeziehung von Offenbarung und Bekenntnis wird dem Leser in der Figur des Geheilten paradigmatisch vor Augen geführt. Er beantwortet die doppelte Selbstoffenbarung Jesu mit einem verbalen und nonverbalen Bekenntnis. Ebenso ist der Leser aufgefordert, es dem Geheilten gleich zu tun. Damit aber am Ende kein leeres oder oberflächliches Bekenntnis ausgesprochen wird, lässt sich in Joh 9 der Weg des Blindgeborenen zum Glauben an Jesus als den Menschensohn nachvollziehen und sogar schrittweise mitgehen. Denn nicht nur dem Blindgeborenen, sondern auch dem Leser wird im Verlauf von Joh 9 ein bestimmtes Wissen vermittelt.
6. Wissen und Nicht-Wissen in Joh 9,1-41
6.1. Der Glaubensweg des Blindgeborenen Aufgrund des häufigen Vorkommens von mo't'EDELV in Joh 9,35-38 ist dieser Abschnitt als Glaubensdialog ausgewiesen. Das Thema des Glaubens spielt aber nicht nur in diesen wenigen Versen eine Rolle, sondern spannt sich wie ein roter Faden durch das gesamte Kapitel Joh 9. Dieses Großkapitel zeichnet für den Leser damals wie heute den Glaubensweg des Blindgeborenen nach, der in einem "stufenweisen Prozeß"148 zur Erkenntnis Jesu gelangt, und nimmt den Leser dadurch mit auf diesen Weg der christologischen Wissensvermittlung. Am Anfang seines Glaubensweges steht die Heilung des Blindgeborenen durchJesus. InJoh 9,1-7 wird dem Leser berichtet, wie dem Blindgeborenen das Augenlicht geschenkt wird. Daraufhin kann er Jesus als Menschen sehen, aber noch nicht als Menschensohn erkennen. Für diese tiefere Erkenntnis bedarf es eines längeren Weges, den der Geheilte zusammen mit dem Leser zurückzulegen hat. Die Antwort auf die Frage nach dem Heilungsvorgang leitet der Geheilte gegenüber den Nachbarn und Bekannten in Joh 9,11 mit 0 &V8pW1TOt; 0 AEY0I-LEVOt; 'ITJooüC; ein und schildert sodann, wie sich die Heilung zugetragen hat. Die erste Auskunft des Geheilten über Jesus
148 So die Beurteilung von U. SCHNELLE,Joh 174.
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Die DialogeJesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
beschränkt sich demnach auf dessen Namen, mehr weiß der Geheilte noch nicht vonjesus; sein Aufenthaltsort149 ist ihm unbekannt.l 5o Von den Pharisäern nach seiner Meinung über jesus befragt, gibt der Geheilte in joh 9,17 folgendes Urteil über jesus ab: 1TPOcl>~'tTJ~ EIl'tLv.l 51 Mit dieser Aussage ist die Privatsphäre verlassen und der Eintritt in die religiöse Welt vollzogen. Die Titulierung jesu als Propheten im Munde des Geheilten weist auf dessen jüdischen Glaubenshintergrund hin. Der Geheilte sieht in seinem Wundertäter einen Propheten und damit einen Mann Gottes. Diese Überzeugung kommt dann auch in joh 9,33 expressis verbis zum Ausdruck, wenn der Geheilte in einer neuerlichen Befragung den Pharisäern gegenüber bekennt, dass dieser Mann 1Tap& Seou ist. Mit dieser Aussage im Kontext vonjoh 9,30-33 zeigt sich der Blindgeborene im jüdischen Glauben verwurzelt. Von sich aus kann der Mann nunmehr seinen Glaubensweg nicht weitergehen, doch verhilft ihm die neuerliche Begegnung mit jesus und der Dialog mit ihm zu einem Fortschritt von seinem jüdischen hin zum christlichen Glauben.l52 Auch für den Leser ist an dieser Stelle von joh 9 der entscheidende Punkt gekommen. Bis jetzt weiß er nur vom jüdischen Glaubenshintergrund des Blindgeborenen, doch nun wird auch er zusammen mit dem Geheilten zum Glauben an jesus geführt, insofern im folgenden Dialog christologisches Wissen vermittelt wird. Mit der Eröffnungsfragejesu nach dem Glauben an den Menschensohn injoh 9,35 wird also nicht nur der Geheilte, sondern auch der Leser direkt angesprochen l53, und die offen ausgesprochene Gegenfrage des Geheilten dürfte sich in Gedanken auch der unwissende Leser stellen: "Wer ist dieser Menschensohn?"154 Diesen Wissensdurst von beiden stilltjesus ohne Verzug, indem er sich selbst als der Menschen149 Die Frage
1fOÜ eotLv eKELvo~; in Joh 9,12 lässt sich nicht nur vordergründig auf den momentanen AufenthaltsortJesu beziehen, sondern darüber hinaus auf seine wahre Heimat und bringt so das christologische Interesse des Johannes zum Ausdruck. 150 Dadurch, dass der Blindgeborene den AufenthaltsortJesu nicht kennt, bedeutet das implizit auch, dass er Jesus noch nicht erkannt hat und in seiner Erkenntnis weiter voranschreiten muss. 151 Vgl.Joh 4,19. Wie die Samaritanerin inJoh 4, so erkennt auch der Blindgeborene in Joh 9 inJesus einen Propheten. Diese Erkenntnis ist jeweils das christologische Fundament für den weiteren Glaubensweg beider Personen. 152 Vgl. R. SCHNACKENBURG,Joh 11 323. 153 Dies zeigt sich schon rein grammatikalisch an der VeIWendung der 2. Person Singular, wodurch sofort eine direkte Beziehung zwischen Jesus und dem Geheilten hergestellt wird; auf der reinen Textebene sind natürlich nur Jesus und der Blindgeborene am Dialog beteiligt, jedoch über den Text hinaus auch der Leser, der im Geheilten eine positive Identitätsfigur der Erzählung entdecken und mit dem Geheilten zum Glauben an Jesus kommen soll. 154Vgl.Joh 9,36.
Der DialogJesu mit dem Blindgeborenen inJoh 9,35-38
169
sohn offenbart. Damit bekommt sowohl der Geheilte auf der Textebene als auch der Leser als Rezipient des Textes ein christologisches Wissen von theologisch höchster Qualität geschenkt. Mit der Selbstoffenbarung Jesu wissen nun beide, dass Jesus in persona dieser Menschensohn ist. Dem Geheilten und mit ihm auch dem Leser gehen im wahrsten Sinne des Wortes die Augen auf und sie erkennen die tiefere Bedeutung Jesu. Auf diese Erkenntnis durch die Selbstoffenbarung Jesu erfolgt nun das verbale und nonverbale Bekenntnis. Im 1Tw't"euw, das der Geheilte ausspricht, und in der Proskynese, die der Geheilte vollzieht, kommt der kontinuierliche Glaubensweg des Geheilten in Joh 9,38 nicht nur an sein Ende, sondern auch an sein klimaktisches Ziel. Er erkennt und bekennt Jesus als Menschensohn und wird dadurch wahrhaft sehend; neben dem Augenlicht wird ihm durch die christologische Wissensvermittlung auch das Licht des Glaubens geschenkt. Durch das Vorbild des Geheilten beeindruckt und motiviert, soll nun auch der Leser in das doppelte Bekenntnis des Geheilten mit einstimmen und es vollziehen und dadurch die Selbstoffenbarung Jesu in Wort und Tat, entsprechend dem von Jesus direkt vermittelten Wissen, beantworten. Auf diese Weise wird der Glaubensweg des Blindgeborenen, wie er in Joh 9,1-41 gezeichnet wird und dessen entscheidende Etappe die christologische Wissensvermittlung im Dialog zwischen Jesus und dem Geheilten in Joh 9,35-38 darstellt mit dem Übergang vom jüdischen zum christlichen Glauben, auch zum Glaubensweg für den Leser. 6.2. Der Unglaube der Pharisäer Während der Blindgeborene im Verlauf von Joh 9 auf seinem Glaubensweg zunehmend vorankommt und sein christologisches Wissen im 1TLIJ't"EUW von Joh 9,38 gipfelt, lässt sich bei den Pharisäern genau die entgegen gesetzte Beobachtung machen. I55 Konträr zum aufsteigenden Glaubensweg des Geheilten verläuft in Joh 9 ihr Weg in Richtung Unglauben zunehmend bergab und erreicht schließlich am Ende des Kapitels in Blindheit und Sünde seinen absoluten Tiefpunkt. Nach der Heilung des Blindgeborenen durch Jesus entsteht zunächst eine Spaltung unter den Pharisäern. Die einen stellen den SabbatbruchJesu fest und folgern daraus, dass dieser Mensch nicht von Gott sein kann; die anderen gehen einen Schritt weiter und fragen sich, wie ein Mensch, der sich durch die Sabbatübertretung als Sünder
155 Vgl. A. LEINHÄUPlrWILKE,
Karriere 97.
170
Die DialogeJesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
disqualifiziert, solche Zeichen 156 vollbringen kann. 157 Durch· solche kritischen Aussagen und zweifelnden Überlegungen zeigt sich gleich zu Beginn ihres Auftretens die Starrheit der Pharisäer und damit verbunden ihre fehlende Öffnung zum Neuen. Im Gegensatz zur ersten Befragung des Geheilten erweisen sich zwar die Pharisäer bei einer neuerlichen Befragung als homogene Gruppe 158, doch kommen sie trotz ihres theologischen Wissens nicht zur wahren Erkenntnis; vielmehr bleiben sie im Unglauben verhaftet und ihre Verstockung nimmt zu. In johanneischer Ironie ist in diesem Zusammenhang immer wieder vom Wissen der Pharisäer die Rede l59 , das der Geheilte als Nichtwissen entlarvtl60 und mit seinem eigenen Wissen 161 konfrontiert. Auf die Argumentation des Geheilten vermögen die Pharisäer jedoch nicht mit einer Gegenargumentation zu reagieren; stattdessen machen sie ihm den Vorwurf, in Sünden geboren zu sein, und werfen ihn hinaus. Mit dieser Aktion beweisen die Pharisäer, dass sie in ihrer Verstocktheit festgefahren sind und ziehen sich damit das Gericht ZU. 162 Als solche, die sich für sehend halten, sind sie in Wahrheit blind und der Sünde verhaftet. Umgekehrt werden die Blinden - der Blindgeborene von Joh 9 ist ein Paradebeispiel dafür - sehend und werden gerettet. Dieses johanneische Paradoxon gilt es dahingehend zu entschlüssehl, dass sich die Scheidung in Sehende und Blinde an der Annahme oder Ablehnung der Person Jesu entscheidet,163 Der Blindgeborene kommt durch die christologische Wissensvermittlung zur Erkenntnis Jesu, spricht ein Bekenntnis zu ihm aus und wird infolge dieses Verhaltens im doppelten Sinne sehend. Dagegen verharren die Pharisäer durch die Ablehnung der Person Jesu in ihrem Unglauben und ziehen sich dadurch das Gericht zu. Durch diese Gegenüberstellung erweisen sich Glaube und Unglaube, Sehen und Blindheit, Wissen und Nicht-Wissen als miteinander verwobene Themen in Joh 9, die den Leser dieses Kapitels zu einer grundlegenden Entscheidung herausfordern. 156 Der Plural aT]~LIX schließt wohl das Heilungswunder von Joh 5 mit ein; vgl. R. SCHNACKENBURG,Joh 11 314. 157Vgl.Joh 9,16. 158 Dies zeigt sich zum einen daran, dass die Pharisäer in Joh 9,24-34 von sich stets einmütig in der 1. Person Plural sprechen, und zum anderen, dass sie einheitlich gegen den Geheilten vorgehen. 159 Vgl. die Formulierung Ot1)IX~V inJoh 9,24.29. 160Vgl.Joh 9,30. 161 Vgl. das ironisch-konternde o'(1)IX~Ev im Munde des Geheilten inJoh 9,31. 162 Vgl.Joh 9,39-41. 163 Vgl. R. SCHNACKENBURG,Joh 11 324.
Der DialogJesu mit dem Blindgeborenen inJoh 9,35-38
171
6.3. Die Entscheidung des Lesers Auf der Textebene erscheinen die Pharisäer als ungläubig, blind und nichtwissend und werden durch ihr negatives Verhalten Jesus und dem Geheilten gegenüber dem Leser als negative Kontrastfiguren vor Augen geführt. Dagegen erscheint der gläubige, nun doppelt sehende und wissende Geheilte aufgrund seines positiven Verhaltens Jesus gegenüber als die Identifikationsfigur für den Leser schlechthin. Diese dualistiscl;!.e und damit radikale Konzeption wird aber vor dem Hintergrund der aktuellen Situation der Erstadressaten durchaus verständlich. Nac~ Wengst besteht das gegenwärtige Problem der johanneischen Gemeinde in deren Ausschluss aus der Synagoge.l 64 NebenJoh 9,22 im Kontext der Blindenheilung begegnet noch an zwei weiteren Stellen, in Joh 12,42 undJoh 16,2 der Ausdruck &'1Toauv&ywyoC;, der außerchrisdich nicht belegt ist und im Neuen Testament ausschließlich im Johannesevangelium vorkommt.l 65 Dieser Befund weist darauf hin, dass es um ein spezielles Problem der johanneischen Gemeinde geht, dessen Schärfe und Brisanz nicht unterzubewerten ist. Schließlich meint das johanneische &'1Toauv&ywyoC; nicht nur ein bloßes Verbot, eine Synagoge zu betreten oder an einem Synagogengottesdienst teilzunehmen, verstanden als Maßnahmen zeitlich befristeter jüdischer Bannpraxis, sondern den völligen und radikalen Ausschluss aus der jüdischen Volks- und Religionsgemeinschaft, verstanden als Verfluchung der Häretiker nach dem Ketzersegen des Achtzehngebets. 166 Vor diesem Hintergrund der leidvollen Trennung von Kirche und Synagoge im ersten nachchrisdichen Jahrhundert und der sich daraus ergebenden bedrängten Situation der johanneischen Gemeinde fällt ein verändertes Licht auf das Johannesevangelium als Ganzes und auf Joh 9 im Besonderen. Der Johannesevangelist versucht auf literarischen Wegen, die Erfahrungen des Ausgestoßenseins und der Bedrängnis über die gemeinsame Erkenntnis und das Bekenntnis zuJesus als dem Christus zu verarbeiten und für seine Leser aufzuhellen. Die Erzählung von der Heilung des Blindgeborenen in Joh 9,1-41 erscheint in diesem Zusammenhang als "Verarbeitungsgeschichte" für die johanneischen Christen, die im Schicksal des Blindgeborenen ihr eigenes Schicksal wiedererkennen. Wie sie in trauriger Realität aus der jüdischen Gemeinschaft ausgeschlossen wurden, so geschieht es dem 164Vgl. K. WENGST, Gemeinde 75-104. 165 Vgl. W. SCHRAGE, Art.litrO<Juvaywyo~ 845. 166Vgl. ebd. 846f. und K. WENGST, Gemeinde 89-91.
172
Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
Blindgeborenen im Text. Durch diese Abbildung historischer Tatsachen auf literarischer Ebene avanciert der Geheilte zur Identifikationsfigur schlechthin für die Leser desJohannesevangeIiums und wird zum "Gewährsmann der johanneischen Erzählgemeinschaft" 167. Die Adressaten des vierten Evangeliums sehen sich als Ausgestoßene mit dem Ausgestoßenen solidarisch und gehen deswegen auch seinen wieteren Weg mit. Beide, der Geheilte und die Leser, kommen nach der Trennung vom Judentum zur Erkenntnis Jesu und drucken diese in einem christologischen Bekenntnis aus; ihre neue Heimat ist nunmehr der christliche Glaube, den es nach außen bestärkend zu verteidigen und nach innen identitätsstiftend zu festigen gilt. Im BIindgeboreilen von Joh 9 bekommen die johanneischen Christen demnach ein schillerndes Beispiel für ihre eigene Situation vor Augen geführt; seine "Karriere" ist und bleibt ein Testfall johanneischer Identitätl68 für die Adressaten des Johannesevangeliums damals, aber auch für die heutigen Leser. Die gegenwärtigen Leser sind ebenso wie die Erstadressaten des Evangeliums herausgefordert, inJoh 9 einerseits den Glaubensweg des Blindgeborenen nachzuvollziehen und mitzugehen, andererseits das Verhalten der Pharisäer anzuprangern und ihren Unglauben zu geißeln. Freilich lässt sich die damalige Situation nicht einfach mit der heutigen vergleichen. Der Ausschluss aus der jüdischen Lebens- und Glaubensgemeinschaft ist ein tiefer und radikaler Einschnitt im Leben der johanneischen Christen und macht sie zu einer Ghettogemeinde am Rande. Das Christentum im 21. Jahrhundert ist zwar keine marginalisierte Ghettogemeinde, doch steigt die Zahl der Kirchenaustritte, während umgekehrt die der Gottesdienstbesucher beständig sinkt. Es ist von einer Gottes- und Glaubenskrise in unserer Zeit die Rede, undJoseph Kardinal Ratzinger, wenig später zum Papst Benedikt XVI. gewählt, spricht von einer "Diktatur des Relativismus"l69 mit vielen unterschiedlichen Strömungen heutzutage, die einen klaren Glauben nach dem Credo der Kirche vermissen lässt. 170 Vor diesem zeitgenössischen lIin., tergrund ist auch der heutige Leser von Joh 9 immer wieder neu ein167 So A. LEINHÄUPL-WILKE,
Karriere 98.
168 Vgl. den Titel des soeben zitierten Aufsatzes von Leinhäupi-Wilke. 169 So Joseph Kardinal Ratzinger in seiner Predigt während der Heiligen Messe Pro Eligendo Romano Pontifice, gehalten in St. Peter zu Rom am 18. April 2005, zitiert nach Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Der Anfang Papst Benedikt XVI. Joseph Ratzinger. Predigten und Ansprachen April/Mai 2005 (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 168) 14. 170 Ebd.
Der DialogJesu mit dem Blindgeborenen inJoh 9,35-38
173
geladen, seine christliche Identität zu suchen, zu bestimmen und zu festigen. Der Blindgeborene fungiert dabei auch 2000 Jahre nach der Abfassung des Textes als positive Identifikationsfigur. Mit ihm soll auch der heutige Leser den Glaubensweg mitgehen und schließlich durch die Wissensvermittlung im literarischen Dialog immer wieder im Sinne einer theologischen relecture zur christologischen Erkenntnis und zu einem eindeutigen Bekenntnis zu Jesus geführt werden. Dieses Erkennen und Bekennen ist unabhängig vom Zeitgeist und losgelöst von religiösen Trendströmungen, sondern geht auf die Selbstoffenbarung Jesu zurück und hat dadurch normativen Charakter. Der Blindgeborene in Joh 9 steht beispielhaft für den Weg zum Glauben an Jesus den Christus und avanciert dadurch auch für den heutigen Leser zum Testfall christlicher Identität.
IV. DER DIALOGJESU MIT MARTHA INJOH 11,20-27
Griechischer Text: 20
a b c
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d
ön 'I1laOUC; epXE"I:aL UmlV't1laEV autci)· MapLeXiJ. öE ev tci) OLKq> EKa9E(Eto.
21
a b c
EL1rEV ouv ~ Mocp9a lTPOC; tOV 'I1laouv, KUPLE, Et 'lic; <SÖE OUK äv alTE9aVEV 0 aÖEA$oc; iJ.Ou·
22
a b c
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23
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0 'I1laOUC;, 0 aÖEA$oc; aou.
a
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b
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24
a b
AEYEL autci) ~ Mocp9a, otöa
25
a b c
EL1TEV aUtfl 0 'I1laOUC;, 'Eyw EtiJ.L ~ aVOCataaLC; KaL ~ (c..>~. 1TLatEuc..>v EtC; E!!E Käv alToMvn (~aEtaL,
a b
KaL 1TeXC; 0 (wv KaL 1TLatEuc..>v EtC; EiJ.E ou iJ.T] a1ToMvn EtC; tOV aLwva· lTLOtEUELC; tOUtO;
26
C
27
a b c
o
1EYEL autci) , NaL KUPLE, eyw 1TElTLatEUKa ön all EL 0 XpLatOC; 0 utoc; tOU 9EOU 0 EtC; tOV KOaiJ.OV EPXOiJ.EVOC;.
Der DialogJesu mit Martha inJoh 11,20-27
175
Deutsche Übersetzung: 20
a b
c d
21
a
b c 22
23 24
a
Aber auch jetzt weiß ich: Alles, worum du Gott bittest, wird Gott dir geben.
a b
J esus sagte zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen.
a
Martha sagte zu ihm: Ich weiß, dass er auferstehen wird bei der Auferstehung am Letzten Tag.
c
26
a b c
Jesus sagte zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt.
a
Undjeder, der lebt und an mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht sterben. Glaubst du das?
b
c 27
Da sagte Martha zu J esus: Herr, wenn du hier gewesen wärest, dann wäre mein Bruder nicht gestorben.
b c
b
25
Als Martha nun hörte, dassJesus kommt, ging sie ihm entgegen; Maria aber blieb im Haus sitzen.
a b c
Sie sagte zu ihm: Ja, Herr, ich bin zu dem Glauben gekommen, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll.
l.Joh 11,20-27 als Bestandteil der TexteinheitJoh 11,1-53
Analog zu den Dialogen Jesu mit Nathanael inJoh 1,47-51, mit der Samaritanerin inJoh 4,7-26 und mit dem Blindgeborenen inJoh 9,35-38 ist auch der Dialog Jesu mit Martha in Joh 11,20-27 Bestandteil einer längeren Texteinheit, die sich über die Verse 1-53 erstreckt. NachJoh 4 undJoh 9 handelt es sich demnach ebenso beiJoh 11 um ein Großka-
176
Die DialogeJesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
pitel des Johannesevangeliums, das nicht nur für sich betrachtet kunstvoll komponiert und aufgebaut ist, sondern dem auch darüber hinaus durch seine hervorgehobene Stellung imJohannesevangelium eine besondere Bedeutung zukommt. Genau diesen letzten Aspekt gilt es zunächst zu untersuchen, bevor J oh 11,1-53 in seinem Aufbau und seiner Entstehung und dann speziell der DialogJesu mit Martha inJoh 11,202'7 in den Blick genommen werden.
2. Die Stellung von joh 11 im johannesevangelium Die in Joh 11 erzählte Zeichenhandlung von der Auferweckung des Lazarus nimmt laut Wengst einen "wichtigen Platz in der Gesamtkomposition des Evangeliums"} ein. Zum einen stellt sie nach dem Weinwunder zu Kana in Joh 2, der Heilung des Sohnes des königlichen Beamten in Joh 4, der Heilung eines Gelähmten am Teich Bethesda in Joh 5, dem Brotwunder und dem Seewandel inJoh 6 und der Heilung des Blindgeborenen inJoh 9 das letzte und zugleich auch das größte der sieben Semeia Jesu im Johannesevangelium dar. Mit der Auferweckung des Lazarus von den Toten erweist Jesus am eindrucksvollsten und anschaulichsten seine Macht nicht nur über das Leben wie bei den vorangegangenen Zeichen, sondern hier inJoh 11 sogar über den Tod. Er ist damit auf dem Höhepunkt seines öffentlichen Wirkens angekommen; ein noch größeres Wunder als dieses kann Jesus nicht vollbringen. Deswegen lässt der Evangelist Johannes die Wundertätigkeit Jesu mit dieser Totenerweckung an ihr Ziel kommen und markiert auf diese Weise den Abschluss der öffentlichen Wirksamkeit Jesu. Eine interessante Beobachtung dazu liefert Wengst, wenn er die durchdachte, auf eine Klimax hinauslaufende Komposition des Johannesevangelisten an einem geographischen Detail festmacht: "Indem der Evangelist am Ende von Kap.l0 Jesus an den Ort seines ersten Auftretens zurückkehren und ihn so nun von dem einen Betanien zu dem anderen Betanien kommen lässt, umgreift er dessen ganzes bisheriges Wirken und lässt es in der Auferweckung des Lazarus ktilminieren"2. Zum anderen verweist die Auferweckung des Lazarus auch nach vorne, insofern sie nach der johanneischen Darstellung der Anlass für den Tötungsbeschluss der Juden istS und damit bereits die Ereignisse } So die Einschätzung von K. WENGST,Joh 11 17. Ebd. 3 Vgl.Joh 11,53. 2
Der DialogJesu mit Martha inJoh 11,20-27
177
um das Schicksaljesu ihre Schatten vorauswetfen.jesus, der sich kurz vor dem Paschafest4 nahe bei jerusalern aufhältS, eIWeckt Lazarus von den Toten und nimmt dadurch sein eigenes Geschick von Tod und Auferstehung vOIWeg. Er, der hier in Joh 11 an einem Toten handelt, muss selbst bald in den Tod gehen. Aber wie Lazarus bleibtjesus nicht im Tod zurück, sondern wird vom Vater von den Toten aufeIWeckt und dadurch verherrlicht. Diese Verherrlichung jesu durch den Vater strahlt bereits in joh 11 auf, wenn der Sohn vom Vater durch die AufeIWeckung des Lazarus verherrlicht wird. Damit besteht ein enger Zusammenhang zwischen der ToteneIWeckung des Lazarus und der Passionjesu. Die ToteneIWeckung des Lazarus führt nicht nur zur Passion jesu6, sondern antizipiert bereits sein eigenes Schicksal von Tod und Auferstehung. Aus diesen beiden Überlegungen geht hervor, dass der Evangelist johannes den Aufbau seines Evangeliums kompositorisch durchdacht hat und die AufeIWeckung des Lazarus bewusst an dieser Stelle erzählt. Retrospektiv fungiertjoh 11 mit dem größten und wichtigsten Semeion jesu als krönender Abschluss des ersten Buchteils, des "book of signs". Prospektiv stelltjoh 11 eine Prolepse der Passion dar und nimmtjesu eigenes Geschick vOIWeg. .Mit dieser zweifachen Funktion, einmal zusammenfassend und zugleich vorausschauend, schafft der Evangelist mit joh 11 eine kunstvolle Klammer zwischen beiden Teilen seines Evangeliums. An diesem neuralgischen Punkt begegnet dann auch folgende, von johannes bewusst inszenierte Ironie in seinem theologischen Denken, dass jesus den Lazarus zum Leben eIWeckt und dadurch sein eigenes Todesurteil heraufbeschwört, oder, wie es Schnelle formuliert, dem "machtvollsten Zeichen" jesu die "größte Tat des Unglaubens"7 auf Seiten der juden gegenübersteht. Allein die Stellung vonjoh 11 in der Mitte desjohannesevangeliums macht deutlich, dass es sich hierbei um ein sehr bedeutendes, ja zentrales Kapitel handelt, dessen Aufbau im Folgenden untersucht werden soll.
Vgl.Joh 11,55. Vgl.Joh 11,18. Vgl.Joh 11,46-53. 7 So U. SCHNEllE,Joh 186, in Anlehnung an R. SCHNACKENBURG,Joh II 396.
4
5 6
178
Die Dialoge jesu mit Einzelpersonen imjohannesevangelium
3. Der Aufbau vonJoh 11,1-53
Mit Gnilka empfiehlt es sich zunächst, den langen und komplexen Erzählabschnitt Joh 11,1-53 in drei größere Sinneinheiten zu unterteilen und damit eine erste Übersicht über den Gang der Handlung zu gewinnen8: 1.) Joh 11,1-16:
Die Nachricht vom Tod des Lazarus
2.) Joh 11,17-44:
Die Auferweckung des Lazarus als Zeichen
3.) Joh 11,45-53:
Der Tötungsbeschluss des Hohen Rates ~ Das prophetische Wort des Hohenpriesters.
Diese Grobgliederung gilt es nun mit Schnackenburg zu verfeinern, der im Gesamtaufbau vonJoh 11,1-53 folgende kleinere Einheiten und damit Einzelszenen ausmacht9 : 1.) Joh 11,1-5:
Die Vorgeschichte der Totenerweckung: Die Nachricht von der Erkrankung des Lazarus von Bethanien
2.) Joh 11,6-16:
Der Gang nachJudäa-Bethanien: Das GesprächJesu mit denjüngern
3.) Joh 11,17-27:
In Bethanien: GesprächJesu mit Martha
4.) Joh 11,28-32:
Die BegegnungJesu mit Maria
5.) Joh 11,33-41a:
Der Gang zum Grab und die Öffnung des Grabes
6.) Joh 11,41b-44:
Die Auferweckung des toten Lazarus
7.) Joh 11,45-53:
Der Todesbeschluss des Hohen Rates.
Schnackenburg gibt zu, dass diese Abgrenzung insofern zur weiteren Diskussion steht, als die Übergänge der einzelnen Stücke fließend und deshalb nicht einfach zu bestimmen sind. lo An zwei Punkten muss aus meiner Sicht eine kleine Korrektur gegenüber Schnackenburg vorgenommen werden: Zum einen ist es nicht nachvollziehbar, den Vers 6 bereits dem Unterabschnitt "GangJesu nachJudäa-Bethanien - GesprächJesu mit den Jüngern" zuzurechnen, weil sich die Redeeinleitung zu diesem Gespräch mitsamt der AufIorderungJesu nachJudäa zu gehen erst in Vers 8 9 10
Vgl. die Überschriften beij. GNILKA,joh 88.90.94. Vgl. den Gliederungsvorschlag von R. SCHNACKENBURG,joh II 397. Vgl. ebd.
Der DialogJesu mit Martha inJoh 11,20-27
179
7 findet. Im Vers {) dagegen ist ausdrücklich davon die Rede, dassJesus an dem Ort bleibt, wo er sich gerade aufhält; er nimmt also keinen Ortswechsel vor. So ist es nur logisch und konsequent, den Vers 6 als Abschluss der als Exposition angelegten ersten Einzelszene zu betrachten und mit Vers 7 eine neue Einheit, das Gespräch Jesu mit seinen Jüngern, beginnen zu lassen. Zum anderen wird in den Versen 33-37 noch nicht der Gang Jesu zum Grab erzählt, sondern erst in Vers 38. In den Versen 33-37 werden vielmehr die GefühlsregungenJesu auf das Weinen der Maria und der Juden hin beschrieben. Durch die PersonenkonstellationJesus - Maria - Juden legt es sich nahe, die Verse 28-37 als kleinere Einheit zu fassen und mit dem Ortswechsel,in Vers 38 eine neue Szene zu eröffnen, die bis Vers 44 reicht. Unter Einarbeitung dieser gegenüber Schnackenburg leicht modifizierten Abgrenzungen der einzelnen Erzähleinheiten ergibt sich für Joh 11,1-53 folgende Gliederung, die sich hauptsächlich an den Personen des Textes orientiert: 1.) Joh 11,1-6:
Exposition: Lazarus, Maria und Martha,Jesus
2.) Joh 11,7-16:
Dialog: Jesus und die Jünger
3.) Joh 11,17-27:
Dialog: Jesus und Martha
4.) Joh 11,28-37:
Begegnung: Jesus und Maria, die Juden
5.) Joh 11,38-44:
Zeichenhandlung: Jesus und Lazarus
6.) Joh 11,45-53:
Reaktionen: Glaube der Juden und Tötungsbeschluss des Hohen Rates.
4. Entstehung von Joh 11,1-53 - Literarftritische und traditionsgeschichtliche Überlegungen Dass die uns fortlaufend in Joh 11,1-53 überlieferte Perikope nicht in einem Guss entstanden ist, sondern mehrere Entwicklungsstufen durchlaufen hat, zeigen einfache literarkritische Beobachtungen, von denen die wichtigsten hier genannt sein sollen. Der Vers 2 unterbricht bereits die gerade begonnene Erzählung und weist über den Kontext von Joh 11 hinaus auf eine Begebenheit, die erst in Joh 12,3 erzählt wird. Dadurch gehört dieser Vers, wird er nun
180
Die Dialoge jesu mit Einzelpersonen im johannesevangelium
als nachträglich hinzugekommene Glosse ll oder als Erzählerkommentar12 bewertet, sicherlich nicht zur ältesten Traditionsstufe und damit nicht zum Grundstock der Erzählung. Auffällig im Verlauf von Joh 11,1-53 sind die Angaben über die beiden Schwestern, die dahingehend variieren, dass einmal Maria, das andere Mal Martha im Vordergrund der Erzählung steht. Gleich in Vers 1 wird Maria vor Martha genannt, in Vers 2 ist ausschließlich von Maria die Rede, die Begegnung zwischen Jesus und Maria wird in den Versen 28-33 geschildert und in Vers 45 wird wieder nur Maria angeführt. Dagegen steht in Vers 5 Martha an erster Stelle und Maria wird nur in ihrer Beziehung als Schwester zu Martha, nicht aber mit ihrem Namen bezeichnet; auch in Vers 19 ist Martha der Maria, dieses Mal namentlich erwähnt, vorgeordnet. Im Dialog mit Jesus in den Versen 20-27 nimmt Martha eine exponierte Stellung ein. Ohne ihre Schwester Maria begegnet Martha nochmals in Vers 39. Wie ist diese unterschiedliche Gewichtung der beiden Schwestern literarkritisch zu bewerten? Kremer stellt die interessante Beobachtung an, dass diejenigen Stellen, bei denen Martha im Vordergrund steht, den Gang der Handlung unterbrechen.l 3 Tatsächlich lässt sich diese Beobachtung an zwei Stellen konkret festmachen. -.". Zum einen stellt der Dialog zwischen Jesus und Martha in den Versen 20-27 keinen notwendigen Bestandteil der Erzählung von der Auferweckung des Lazarus dar, ganz im Gegenteil: Durch ihn wird die nachfolgende Handlung nicht mir verzögert, sondern streng genommen sogar überllüssig, ist doch mit der Selbstoffenbarung Jesu in Vers 25 der Höhepunkt vonJoh 11 erreicht und der Tod bereits in der Person Jesu Christi entmachtet. Daraus lässt sich folgern, dass dieser Dialog nicht von Anfang an zur Wundererzählung gehört hat, sondern erst nachträglich als Wortoffenbarung die Zeichenhandlung erweitert und verbaliter gedeutet hat. Für Becker steht klar fest, "dass Wundererzählung und Offenbarungswort zwei Erzählstufen in Joh 11 sein müssen."14 Wie sich der Dialog zwischen Jesus und Martha im Einzelnen zur Wundererzählung verhält und welche Intentionen der Verfasser dieser Verse verfolgt, soll aus der genaueren Betrachtung dieses Dialogteils hervorgehen.
II Vgl. R. BULTMANN,joh 302 und R. SCHNACKENBURG,joh 11 403. 12 SoJ. KREMER, Lazarus 83. 13 Ebd.84.
14
So J. BECKER,joh 11 404.
Der DialogJesu mit Martha inJoh 11,20-27
181
Zum anderen lässt sich der Einwand der Martha in Vers 39b ebenso als retardierendes Moment in der Erzählung festmachen, insofern der Gang der Handlung dahingehend unterbrochen wird, dass der Befehl Jesu zum Steinwegnehmen in Vers .39a nicht sofort, sondern erst in Vers 41 ausgeführt werden kann. Somit lässt sich dieses Zwischenstück als nachträgliche Hinzufügung einordnen, das den ursprünglichen Handlungsablauf stört oder zumindest verzögert. Aus diesen Einzelüberlegungen geht hervor, dass die Stellen, bei denen Martha hervorgehoben ist, nicht zum ursprünglichen Textbestand gehören, sondern erst später Eingang in die Erzählung gefunden haben. Konkret ist Schnackenburg zuzustimmen, der Maria als Hauptperson der Quelle ansieht und den johannesevangelisten für die Hervorhebung Marthas verantwortlich macht.l 5 Dementsprechend ist es nUr konsequent, mit Kremer die Worte jesu an Martha als eine jüngere Schicht vom Text abzutragen I6 und diese Passagen dem Evangelisten zuzuschreiben. Damit entfallen die Verse 22-27.40.41 (ohne den Teilvers a) und 42 aufjohannes. Für den weiteren Gang dieser Untersuchung ist entscheidend, dass der Dialog zwischen Jesus und Martha anders als der Dialog zwischen Jesus und der Samaritanerin in Joh 4 en bloc auf den Evangelisten zurückgeht und von ihm als einheitliches Ganzes komponiert ist. Folglich erübrigen sich für Joh 11,22-27 sämtliche literar-, traditions- und redaktionskritischen Optionen. Spannend ist in diesem Zusammenhang lediglich die Frage, wie der Johannesevangelist an die Tradition anknüpft und seinen Dialog in die Erzählung narrativ einbaut und theologisch integriert. Bevor bei der Dialoganalyse darauf näher eingegangen wird, soll an dieser Stelle, zumindest in groben Zügen, eine mögliche Erklärung für die Entstehung von Joh 11,1-53 nachgezeichnetwerden. Die Verse 22-27 und die Verse 40-42 ohne den Teilvers 41a als die Worte jesu an Martha sind bereits dem Evangelisten zugewiesen worden. Wie der Dialog Jesu mit Martha, so geht auch das Gespräch jesu mit seinen jüngern in den Versen 7-16 auf johannes zurück. I7
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16 17
Vgl. R. SCHNACKENBURG,Joh 11 401. Vgl.J. KREMER, Lazarus 86. Neben der Form des Dialogs begegnet inJoh 11,11-13 ein typischjohanneisches Missverstandnis, zudem wird in Joh 11,16 ähnlich wie in Joh 14,5 und Joh 20,24-29 Thomas vom Evangelisten besonders hervorgehoben. Diese drei Argumente mägen genügen, um diejohanneische Diktion vonJoh 11,7-16 aufzuzeigen.
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Die DialogeJesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
Außerdem lassen sich die Verse 418, 5 zusammen mit 35-3719, 1820 und schließlich 45 und 4621 dem Evangelisten zuschreiben. Nach dem Abtragen die!ler Verse bleibt eine wesendich kürzere Erzählung übrig, die allerdings im Vergleich mit den synoptischen Auferweckungsgeschichten immer noch relativ ausführlich erscheint. Lukas berichtet sehr knapp von der Auferweckung des Jünglings von Nain 22 und kann deswegen schwerlich als unmittelbare Parallele zuJoh 11 herangezogen werden. Die markinische Darstellung von der Auferweckung der Tochter des Jairus 23 eignet sich demgegenüber besser für die Erhellung eines traditionsgeschichtlichen Zusammenhangs, auch wenn sie gegenüber der johanneischen Fassung wesentlich kürzer ist. Beiden Erzählungen liegen, so zeigt ein Vergleich zwischen Mk 5 und Joh 11, typische Merkmale in Form von bestimmten Topoi und Motiven zugrunde, die konstitutiv zur Gattung von Auferweckungserzählungen gehören. Dazu zählen die Nachricht von der Erkrankung24, das Unverständnis angesichts des Klagens und Weinens25, im Zentrum das Befehlswort26 und abschließend eine Anordnung nach der Erweckung27• Über diese Gemeinsamkeiten hinaus zeichnet sichJoh 11 gegenüber Mk 5 allerdings auch durch einige Besonderheiten aus. Während Jesus nach Mk 5,24 sofort mit dem Vater zu dessen Tochter geht, bleibt Jesus lautJoh 11,6 erst noch zwei Tage an seinem Aufenthaltsort, bevor er sich nach Bethanien zu Lazarus aufmacht. Ein weiteres retardierendes Moment findet sich inJoh 11,39, wenn Martha mit ihrem Einwand den Gang der Handlung unterbricht bzw. hinauszögert. Hinter beiden Stellen lässt sich ein und dieselbe Intention vermuten, durch Retardierung die Spannung zu erhöhen und dadurch das Wunder christologisch zu steigern. Jesus wartet bewusst noch den Tod des Lazarus ab, Das Stichwort »Verherrlichung" und der christologische Titel »Sohn Gottes" lassen eindeutigJohannes als VeIfasser erkennen. 19 Das Detail von der Liebe Jesu zu Lazarus und seinen Schwestern gehört wohl nicht der älteren Tradition an, sondern ist erst nachträglich in die Erzählung gekommen, um deren Stellenwert zu erhöhen. 20 Als einen neuerlichen Anklang an die Passion Jesu betont Johannes nach Vers 4 in Vers 18 die Nähe Bethaniens zuJerusalem. 21 Analog zuJoh 2,11 und den anderen ZeichenJesu im Johannesevangelium wird auch in Joh 11,45 zunächst die positive Reaktion auf das Wunder Jesu geschildert, bevor mitJoh 11,46 eine negative Wendung eingeleitet wird, vgl. die Tempelreinigung in Jerusalem im unmittelbaren Anschluss an die Hochzeit in Kana inJoh 2. 22 Vgl. Lk 7,11-17. 23 Vgl. Mk 5,22-24.3543. 24 Vgl. Mk 5,23 undJoh 11,3. 25 Vgl. Mk 5,39 undJoh 11,33. 26 Vgl. Mk 5,41 undJoh 11,43. 27 Vgl. Mk 5,43 undJoh 11,44. 18
Der DialogJesu mit Martha inJoh 11,20-27
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damit er ihn auch von den Toten auferwecken kann. Aus dem Einwand der Martha, Lazarus rieche schon, geht die erzählerische Absicht hervor, die folgende Totenerweckung noch anschaulicher und drastischer zu gestalten. Diese beiden dramaturgischen Elemente gehören sicherlich nicht der ältesten Überlieferungsstufe an, sondern sind im Laufe des Traditionsprozesses aufgrund besagter Absicht in den Text gekommen. Vielmehr lässt sich für den ursprünglichen Textbestand eine einfache und relativ kurze Erzählung vermuten, die in ihrem Minimalbestand die Verse 1.3.17.39a.41a.43bc.4428 als logische Handlungskette umfasst und dann im Laufe der Tradition mehr und mehr erweitert, ausgeschmückt und gesteigert wurde. Es ist m. E. nicht möglich und auch für unsere Zwecke nicht nötig, den exakten Entstehungsprozess von Joh 11,1-53 zu rekonstruieren und im Einzelnen nachzuzeichnen; dafür ist dieses Großkapitel zu komplex. 29 Für den weiteren Gang der Untersuchung ist es lediglich von Bedeutung, dass der Dialog zwischen Jesus und Martha in Joh 11,23-27 formal aufgrund seiner sperrigen Stellung zum Kontext und inhaltlich aufgrund seiner verbalen Prolepse der im Anschluss erzählten Totenauferweckung auf den Johannesevangelisten zurückgeht und von ihm bewusst an dieser Stelle und in dieser Form in die Erzählung eingefügt wurde. Aus der folgenden Einzelanalyse soll hervorgehen, wie der Evangelist den Dialog in die narratio einbaut und v. a. welche Intention er mit diesem Dialogeinschub verfolgt.
5. Exegetische Analyse zuJoh 11,20-27 5.1. Die Ausgangssituation Die Nachricht von der Erkrankung des Lazarus durch seine beiden Schwestern Maria und Martha ist der Anlass und die Motivation für Jesus, nach Bethanien zu kommen. In einfachen, aber deutlichen Worten, ähnlich wie in Joh 3,1 oder 5,5, erfährt der Leser in Joh 11,1 von der Tatsache, dass ein Mann
28 Vgl. die ähnliche Rekonstruktion der Urform der Erzählung bei J. KREMER, Lazarus 29
BBf. So auch die Einschätzung von Schnackenburg, wenn er feststellt, dass die literarkritischen, traditionsgeschichdichen und historischen Fragen für Joh 11 schwierig zu beurteilen sind, vgl. R. SCHNACKENBURG,joh II 396.
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Die Dialogejesu mit Einzelpersonen imjohannesevangelium
krank ist: "Hv öE 'CLC; aagevwvso, und erst im Nachhinein werden sein Name und seine Herkunft genannt: A&Ca:poc; aTToBT)9a:VLa;c;. Der Name Lazarus als grj.echische Kurzfonn des hebräischen Namens Eleasar mit der Bedeutung "Gott hilft" bzw. "Gott hat geholfen" begegnet hier inJoh 11,1 zum ersten Mal im Johannesevangelium und über Joh 11 hinaus nur noch in Joh 12, aber auch an dieser Stelle in Rekurs auf die in Joh 11 erzählte Totenerweckung des Lazarus. SI In den synoptischen Evangelien findet er sich lediglich bei Lukas im Gleichnis vom reichen Mann und vom armen Lazarus in Lk 16,20.32 Unabhängig von dieser möglichen, aber nicht zwingenden Verbindungslinie zu Lukas ist inneIjohanneisch die Tatsache interessant, dass Joh 11 das einzige Semeion im Johannesevangelium darstellt, bei dem deIjenige, an dem sich das Wunder vollzieht, mit Namen genannt wird; in allen vorangehenden Wundererzählungen bleiben die Personen namenlos und damit in der Anonymität. Durch die Verwendung des Namens Lazarus in Joh 11 bekommt das erzählte Wunder demgegenüber konkrete, fast schon biographische Züge, wird doch der Name Lazarus durch die Ortsangabe Bethanien auch noch näher bestimmt und in der Lokaltradition verortet. S3 Allerdings tritt die Person Lazarus nur ein einziges Mal aktiv in der Erzählung auf, ganz am Ende in Vers 44, und zwar ohne ein Wort zu sagen. Demzufolge lässt sich Lazarus mit Wengst als "passiver Mittelpunkt"34 vonJoh 11 bezeichnen. Obwohl sich alles um ihn dreht, greift er nie selbst aktiv in die Erzählung ein; vielmehr wird stets der Blick von ihm weg auf Jesus gerichtet, weil er deIjenige ist, der an ihm handelt, indem er ihn von den Toten auf30 31
32
SS
S4
Über die näheren Umstände der Erkrankung werden keine Angaben gemacht. ygl.joh 12,1.2.9.10.17. Uber die Beziehung zwischen dem lukanischen und johanneischen Lazarus ist in der Forschung viel gerätselt worden und in diesem Zusammenhang auch über die gegenseitige Beeinflussung von Lk 16,19-31 undjoh 11,1-51, ob das lukanische Gleichnis in der johanneischen Darstellung narrativ entfaltet und historisiert worden ist oder ob umgekehrt die Erzählung beijohannes Einfluss auf das Gleichnis bei Lukas ausgeübt hat, insofern Lukas an ein konkretes Ereignis anknüpft, vgl. die Diskussion bei W. E. S. NORTH, Lazarus 119ft". oder bei R. SCHNACKENBURG,joh 11 429f. Fakt ist, dass beijohannes mit dem Namen Lazarus eine Ortsangabe verbunden ist und damit gegenüber Lukas, der hier das einzige Mal im gesamten Neuen Testament einen Namen in einer Gleichniserzählung verwendet, eine konkretere Angabe gemacht wird. Inwieweit diese Beobachtung ausreicht, um eine Verbindung vom lukanischen zum johanneischen oder umgekehrt vom johanneischen zum lukanischen Lazarus herzustellen, mag dahingestellt bleiben, zumal aufgrund des häufigen Vorkommens dieses Namens (vgl. die vielen Belege im Alten Testament und auch außerbiblisch bei Flavius josephus) überhaupt nicht mit letzter Sicherheit ausgesagt werden kann, dass es sich bei den beiden um ein und dieselbe Person handelt. Vgl. R. SCHNACKENBURG,joh 11 402f. SO K. WENGST,joh 11 19.
Der DialogJesu mit Martha inJoh 11,20-27
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eIWeckt. Durch diese Beobachtung zeigt sich schon das christologische Interesse der johanneischen Darstellung, das im Dialog zwischen Jesus und Martha noch sehr viel deutlicher zum Ausdruck kommt. Mit der Ortsangabe Bethanien, die die Herkunft des Lazarus in Joh 11,1 angibt und ihn dadurch näher beschreibt, ist nicht das Bethanien jenseits desjordan gemeint, woJohannes tauft35 undJesus sich zur Zeit der Nachricht authält36, sondern das Bethanien nahe Jerusalem 37, östlich vom Ölberg bei Betfage gelegen.!18 Dieses offensichtlich unbekannte, biblisch bislang bedeutungslose Bethanien erfährt durch die Apposition EK 'tf)c; KWlJ.llC; MapLac; Kat Map9ac; 'tf)c; aÖEMI>iic; au'tf)c; eine nähere Bestimmung. Die beiden Schwestern Maria und Martha müssen demnach den Lesern bekannt sein39, andernfalls würde ihre Erwähnung nicht viel Sinn ergeben. Durch sie wird Bethanien im Bewusstsein der Leser zu einem bekannten Ort und damit letztlich auch der aus Bethanien stammende Lazarus zu einer bekannten Gestalt. 40 Im Laufe der Erzählung spielen Maria und Martha noch eine viel wichtigere Rolle. Beide Schwestern begegnen Jesus und treten in Dialog mit ihm; allerdings legt der Johannesevangelist hier inJoh 11,1-53 ganz klar den Schwerpunkt auf Martha und hebt sie im Unterschied zur lukanischen Tradition besonders hervor. 41 Ihr Dialog mitJesus inJoh 11,20-27 stellt ohne Zweifel nicht nur formal die Mitte, sondern auch inhaltlichtheologisch den Höhepunkt innerhalb der PerikopeJoh 11,1-53 dar. 35 36 37
!18 39
40 41
Vgl.Joh 1,28. Vgl.Joh 10,40. Vgl.Joh 11,18. Vgl.J. KREMER, Lazarus 52f. Auch im lukanischen Sondergut begegnet das Schwesternpaar. Laut Lk 10,38-42 wird Martha als diejenige gezeichnet, die Jesus bewirtet und für ihn sorgt, während Maria sich tatenlos dem Herrn zu Füßen setzt und ihm zuhört. Für die Erhellung eines traditionsgeschichtlichen ZusanImenhangs ist folgende Beobachtung interessant: Zwischen Lukas u~d Johannes lässt sich jeweils in Bezug auf Martha und auf Maria eine signifikante Ubereinstimmung feststellen. Bei beiden Evangelisten erscheint Martha als Dialogpartnerin Jesu, die ihn mit "Herr" anredet. Maria legt heide Male ein ähnliches Verhalten an den Tag. In Lk 10,39 setzt sie sich dem Herrn zu Füßen und in Joh 11,32 fällt sie Jesus zu Füßen, vgl. auch Joh 12,3. Allerdings ist in der lukanischen Darstellung nicht von Lazarus die Rede; diesen Bezug stellt erst der Johannesevangelist her, der möglicherweise auf eine lukanische Tra:dition zurückgreift und diese in seinem Sinne weiter verarbeitet, dahingehend, dass er unter Beibehaltung bestimmter, gerade dargestellter Motive die Rollen genau anders verteilt, insofern bei ihm im Gegensatz zu Lukas nicht Maria als positive Identifikationsfigur geschildert, sondern Martha und ihr Glaube in den Vordergrund gerückt wird. Vgl. C. DIETZFELBINGER,Joh I 340. Dafür ist Maria inJoh 12,3-8 bei der SalbungJesu die Protagonistin, während Martha inJoh 12,2 nur eine Nebenrolle am Rande des Geschehens zugewiesen wird.Joh 11,2 weist ja bereits auf dieses Ereignis voraus und nimmt dadurch auch den PassionskontextfürJoh 11 vorweg.
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Die DialogeJesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
Zu diesem Dialog kommt ~s dadurch, dass die beiden Schwestern Jesus von der Krankheit des Lazarus informieren42 und ihn dadurch indirekt bitten, seinen Freund, und ihren Bruder zu heilen. 4lI Daraufhin44 gehtJesus nach Bethanien.45 Bei seiner Ankunft ist Lazarus bereits verstorben und liegt lautJoh 11,17 schon vier Tage im Grab. In Joh 11,20 werden die unterschiedlichen Reaktionen der beiden Schwestern auf das Kommen Jesu geschildert, die sich gut mit dem lukanischen Bild in Einklang bringen lassen. 46 Maria wird als die Passive geschildert; sie bleibt im Haus. Martha dagegen wird aktiv und geht Jesus entgegen. Dadurch kann es zur Begegnung mit Jesus kommen. Diese Begegnung schildert der Evangelist mit einem Dialog in Joh 11,21-27. 5.2. Der Aufbau des Dialogs Der Dialog zwischen Jesus und Martha erstreckt sich über sieben Verse und lässt sich in zwei Redegänge untergliedern. Der erste Redegang in den Versen 21-23 besteht aus einer doppelten Äußerung Marthas und einem Beitrag von Jesus. Mit Vers 21 eröffnet Martha den Dialog und spricht Jesus direkt und unmittelbar auf den Tod ihres Bruders an. Ihre in verschiedene Richtungen interpretierbare Aussage - sei es als Vorwurf, als Resignation oder als Vertrauensbeweis - wird mit dem zweiten Teil ihrer Aussage in Vers 22 eindeutig als grenzenloses Vertrauen in Gott und zugleich als eine versteckte Bitte anJesus erkennbar. Jesus antwortet darauf in Vers 23 mit einer Zusage, die den Dialog eigentlich bereits beenden und zu Vers 28 überleiten
42
43 44
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46
Vgl.Joh 11,3. Vgl. R. SCHNACKENBURG,Joh 11 403. Für die ursprüngliche Erzählung ist wohl anzunehmen, dass ~ch Jesus sogleich auf den Weg nach Bethanien macht. In einer späteren Stufe der Uberlieferung wird das Wunder dahingehend gesteigert, dass Jesus erst noch zwei Tage wartet, bevor er zu Lazarus geht. Durch dieses retardierende Moment wird sichergestellt, das Lazarus bei der Ankunft Jesu bereits tot ist und im Folgenden keine Krankenheilung, sondern eine ToteneIWeckung erzählt wird. Nach der näheren Bestimmung Bethaniens als Dorf der Maria und Martha inJoh 11,1 wird inJoh 11,18 eine weitere Angabe gemacht: Bethanien liegt nahe beiJerusalem. Diese Notiz ist aber nicht nur rein geographisch zu verstehen, dahingehend, dass viele Juden kommen können, um die Schwestern zu trösten, so die gängige Meinung in den Kommentaren bei Schnackenburg, Schnelle, Wengst u. a. zur Stelle. Vielmehr ist darin auch und vor allem eine theologische Implikation des Johannesevangelisten enthalten: Die NennungJerusalems weist über die Erzählung auf den Passionskontext hinaus und verklammert die Lazarusgeschichte mit dem SchicksalJesu. Der Tod und die AuferstehungJesu stehen kurz bevor. Vgl. E. REINMUTH, Lazarus 131.
Der DialogJesu mit Martha inJoh 11,20-27
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könnte. 47 Stattdessen fungiert dieser Vers im Gesamt des Dialogs als Überleitung vom ersten zum zweiten Redegang, insofern er das Thema der Auferstehung für die folgenden Verse vorgibt und vorbereitet. Diese Verse 24-27 bilden den zweiten Redegang und beinhalten im Zentrum ein zweiteiliges Offenbarungswort Jesu, das am Anfang und am Ende von einer Äußerung Marthas gerahmt wird. In Vers 24 spricht Martha den Glauben an die allgemeine Auferstehung der Toten aus, bevor sichJesus ihr in den Versen 25 und 26 zunächst in einem Ich-binWort als Auferstehung und Leben und anschließend in einem doppelten Verheißungswort offenbart. Schließlich beantwortet Martha in Vers 27 die Selbstoffenbarung Jesu mit einem vollen und vollgültigen Glaubensbekenntnis, in dem sie Jesus als Messias und Sohn Gottes bekennt. 48 5.3. Der Verlauf des Dialogs 5.3.1. Eröffnung des Dialogs: Martha und ihr Gottvertrauen (V.2lf.) Der Dialog zwischen Jesus und Martha in Joh 11,21-27 beginnt in zweierlei Hinsicht recht ungewöhnlich. Zum einen verzichtet der Johannesevangelist auf jegliche Form der Begrüßung der beiden Dialogpartner; nicht einmal ein kurzes Grußwort wird gewechselt.49 Zum anderen wäre es der Situation nur angemessen, wenn Jesus den Dialog dahingehend eröffnen würde, dass er sich nach dem Befinden der ihm nahestehenden Martha50 erkundigt und sie angesichts des Todes ihres Bruders und seines Freundes Lazarus zu trösten versucht. Stattdessen ist es Martha, die nach der nüchternen Redeeinleitung EtlTEV ouv ti Map9a lTPOC; 1:0V 'ITJoOUV die ersten Worte von sich gibt und Jesus direkt und ohne große Vorrede auf den Tod ihres Bruders anspricht. KUPLE, Et ~C; cSÖE OUK iiv O:lTE9aVEV 0 O:ÖEÄ<jlOC; j.LOU. Die Kyriosanrede begegnet innerhalb vonJoh 11,1-53 bereits inJoh 11,3 bei der Übersendung der Nachricht an Jesus, in Joh 11,12 im Mund der Jünger, innerhalb des Dialogs nochmals inJoh 11,27 erneut von Martha gesprochen und schließlich inJoh 11,32 bei Maria. Ähnlich wie in Joh 4 und Joh 9 handelt es sich dabei jeweils um eine höfliche Form der Anrede, die allerdings durch die Nähe zu anderen Hoheits..
47 So die ÜberlegungvonJ. BECKER,Joh II 420. 48 Vgl.J. BECKER,Joh II 42Of. und C. DIETZFELBINGER,Joh I 344f. 49 Vgl.J. KREMER, Lazarus 65. 50 Vgl.Joh 11,5.
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Die Dialogejesu mit Einzelpersonen imjohannesevangelium
titeln den Charakter einer christologischen Titulatur für Jesus bekommt.51 Die folgende Aussage kann für sich genommen in verschiedene Richtungen interpretiert werden. Aus dem Bedingungssatz eL ..;C;; eS&: lässt sich ein Vorwurf, fast schon eine Anklage herauslesen. Warum war Jesus nicht da, hätte er doch durch seine Anwesenheit den Tod des warus verhindern können. Dieser resignative Tonfall von Joh 11,21 kann umgekehrt auch positiv verstanden werden, insofern dadurch das Vertrauen auf die heilende Kraft Jesu zum Ausdruck kommt. 52 Jesus hätte Lazarus heilen können, aber er war Jlicht anwesend. In Joh 11,32 begegnet die Formulierung von Joh 11,21 bis auf die unterschiedliche Stellung des Possessivpronomens53 wortwörtlich im Munde der Maria, wodurch die Begegnungen beider Schwestern mit Jesus zunächst parallelisiert werden sollen, bevor sie sich dann stark voneinander abheben. Während Maria nichts weiter zu Jesus sagt und damit kein Dialog mit ihm zustande kommt, belässt es Martha nicht bei dieser singulären Aussage, sondern f"ahrt mit einer weiteren Äußerung fort und bringt damit den Dialog mit Jesus ins Rollen. Aus dem Kontext der beiden Stellen lässt sich demnach die jeweilige Aussageintention ableiten. Das Weinen der Maria in Joh 11,33 deutet darauf hin, dass ihre im Vers zuvor gemachte Aussage eher unter negativen Vorzeichen als Hoffnungslosigkeit zu verstehen ist. Demgegenüber lässt Joh 11,22 als Fortführung von Vers 21 erkennen, dass dieses Wort der Martha positive Implikationen enthält. Martha hat ihre Hoffnung noch nicht begraben, stattdessen kommt ihr Vertrauen auf die Hilfe Jesu54 dadurch zum Ausdruck, dass sie ihm gegenüber die versteckte Bitte äußert: Kul vuv otöu ön öou .xv ULtTjOU 'tov geov Öc.lOEL OOL 0 geoc;;. Damit fordert Martha Jesus indirekt auf, ihren Bruder vom Tod zu erwecken. 55 Aber sie tut es eben nicht in Form einer Bitte, sondern als Bekenntnis. 56 Diese Tatsache zeigt sich bereits in der Einleitung, insofern die Wendung ol:öu ön analog zu Joh 3,2; 4,25.42; 16,30 das 51
52 53 54 55 56
Dies gilt v. a. für joh 11,27. Die beiden Hoheitstitel .Messias" und .Sohn Gottes" lassen auf die kurz vorher veIWendete Anrede .Herr" ein christologisches Licht fallen, das den Rahmen höflicher Umgangsformen übersteigt. Den Ausschlag für die Interpretation von Kyrios gibt also stets der jeweilige Kontext; dabei gilt generell: "Herr" in der Anrede lässt sich als Höflichkeitsform bestimmen (vorosterliche Perspektive), während es im Bekenntnis eindeutig als christologischer Hoheitstitel auszuweisen ist (nachösterliche Reflexion). Vgl. R. BULTMANN,joh 306. Injoh 11,32 ist es vor- und injoh 11,21 nachgestellt. Vgl. R. SCHNACKENBURG,joh 11 413. Gegen K. WENGST,joh 11 30. Vgl. R. BULTMANN,joh 306.
Der DialogJesu mit Martha inJoh 11,20-27
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Folgende als Glaubenswissen auszeichnet.57 Martha wird an dieser Stelle bereits als Glaubende dargestellt58 oder zumindest, wie es Schnackenburg etwas vorsichtiger formuliert, als "eine zum Glauben bereite Frau"59. Sie weiß, dass Jesu!! jede Bitte von Gott erfüllt bekommt, steht er doch als der Sohn in einer ganz engen Verbindung zum Vater. Und tatsächlich wird sie in ihrem Glauben nicht enttäuscht: InJoh 11,4lf. als Pendant zuJoh 11,22 wird Jesus vom Vater erhört. In diesem Glauben der Martha, der über die Hilfe Jesu hinaus auch und vor allem auf seine Person abzielt, spiegelt sich ganz deutlich die Theologie des Johannesevangelisten wider. Ihm geht es hierbei darum, in aller Kürze und Prägnanz die Wirkeinheit zwischen Gott undJesus zum Ausdruck zu bringen, die es nicht zulässt, dass eine Bitte Jesu von Gott unerhört bleibt. 60 Diese theologische Aussageabsicht, die in der johanneischen Gemeinde wohl zum festen Bestandteil des christlichen Credos gehört, kleidet der Evangelist in eine Glaubensaussage der Martha, die dadurch nicht nur zu einem Sprachrohr johanneischer Theologie wird, sondern auch zu einem Vorbild für jeden christlichen Leser, weil sie genau diesen Glauben ausspricht und bekennt. 61 5.3.2. Die AntwortJesu: Eine offene Zusage (V. 23)
Das in den Versen 21 und 22 zum Ausdruck gebrachte Gottvertrauen der Martha beantwortet Jesus in Vers 23 mit einer offenen Zusage: Jesus versichert der Martha, dass ihr Bruder auferstehen wird. Auf eine Redeeinleitung, deren Prädikat nicht wie in Vers 21 im Aorist, sondern im Präsens steht62, folgt die ÄußerungJesu: 'Avaa't~aE'taL
57 VgI.J. WAGNER, Auferstehung 216.
58 Damit liegt hier eine ganz andere Ausgangssituation vor als beispielsweise im Dialog
Jesu mit der Samaritanerin, die von Jesus erst nach und nach zum Glauben geführt werden muss. 59 So R SCHNACKENBURG,Joh 11 413. 60 Die Einschätzung von Frey, dass MarthaJesus lediglich als frommen Wunderheiler, als ausgezeichneten Gerechten erfasst, der von Gott erhört wird, aber dessen Kräfte angesichts des Todes versagen, greift m. E. sowohl vom Kontext als auch von der universalistischen Formulierung in Joh 11,22 seIbst zu kurz, kommt doch hier ihr uneingeschränktes, grenzenloses Gottvertrauen zum Ausdruck, dahingehend, dass Jesus von Gott alles, worum er Gott bittet, erhört bekommt und sie mit dieser Aussage eine indirekte Bitte um Auferweckung ihres toten Bruders ausspricht; gegenJ. F'REY, Eschatologie III 433. 61 Joh 11,22 ist erst der Anfang dieser Entwicklung, die sich über den ganzen Dialog erstreckt und mit dem Glaubensbekenntnis der Martha inJoh 11,27 ihren absoluten Höhepunkt erreicht. 62 Das Präsens ÄkYEL ist als praesens historicum zu verstehen.
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o &ÖEA,$6c;
oou. Trotz oder gerade wegen ihrer Kürze 63 kann diese Aussage Jesu verschiedentlich interpretieI1 werden. Die einfache Futurfonn &VUanlOE'tUL ohne weitere temporale Ergänzung lässt den genauen Zeitpunkt der Auferstehung offen. Er kann bereits in der nahen, aber auch erst in der fernen Zukunft liegen. Im ersteren Fall drängt sich der konkrete Bezug zu der im unmittelbaren Anschluss erzählten ToteneIWeckung des Lazarus auf; im letzteren Fall ist mehr allgemein an die jüdische Vorstellung von der AufeIWeckung der Toten am Ende der Zeit zu denken. Durch die offene Fonnulierung lässt der Evangelist beide Möglichkeiten zu, ja mehr noch: Die Antwort Jesu ist von Johannes "bewusst mehrdeutig fonnuliert"54. Diese Mehrdeutigkeit, die nicht nur Martha, sondern mit ihr auch den Leser zum Nachdenken bringen soll, verlangt nämlich nach einer Auflösung im Laufe des Dialogs. Genau darum geht es auch demJohannesevangelisten: Durch die offene Fonnulierung will er den Dialog voranbringen, um im Folgenden die Spannung dahingehend aufzulösen, was es mit der Auferstehung des Lazarus auf sich hat, vor allem, wann sie geschieht. Mit der Verbfonn &vuO'tftOE'tUL ausJoh 11,23 liefert er das thematische Stichwort für die folgenden Verse 65, die die offene Zusage des Faktums der Auferstehung näher konkretisieren sollen. 66
5.3.3. Fortführung des Dialogs: Das venneintliche Wissen der Martha (V. 24) Joh 11,24 gibt Aufschluss darüber, dass Martha die zuvor gemachte offene Aussage Jesu im Sinne der traditionellen jüdisch-christlichen Auferstehungshoffnung versteht und demnach die Auferstehung ihres Bruders am Ende der Zeit eIWartet: Otliu on &vuo'tftonuL EV 'tfl &vuo't&.OEL EV 'tfl EOX&.tlJ ~~Ep~.
Nach einer analog zuJoh 11,23 formulierten kurzen Redeeinleitung spricht Martha ihren Glauben an die eschatologische ToteneIWeckung aus. 67 Wie in Joh 11,22 begegnet auch hier in Joh 11,24 die Wendung otliu on, die die folgende Aussage der Martha als Glaubenswissen ausweist und sie selbst als gläubige Frau ihrer Zeit zeichnet. Sie vertritt den 63 Bestehend aus vier Wörtern ist die Hauptaussage genau so lang bzw. kurz wie die Redeeinleitung. 54 So das klare Urteil von U. SCHNELLE,Joh 189. 65 Die Verbform «VW'tT]~L begegnet nochmals in Joh 11,24 und das dazugehörige Substantiv «v&.a,;run~ steht in Joh 11 ,24 und 25. Damit bildet Joh 11 ,23-25 eine Einheit zum Thema ,,Auferstehung". 66 Vgl. C. DIETZFELBINGER,Joh I 345. 67 Vgl. E. REINMUTH, Lazarus 131.
Der DialogJesu mit Martha inJoh 11,20-27
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jüdischen Auferstehungsglauben, dass Gott die Toten in der Endzeit aufeIWecken wird. 68 Diese Vorstellung hat sich seit Dan 12,2 und 1 Mak 9,7 im Judentum etabliert69, sie ist zur ZeitJesu bei den Pharisäern und Apokalyptikern, nicht aber bei den .Sadduzäern70, vorherrschend und auch noch zur Abfassungszeit des Johannesevangeliums im Volk weit verbreitet. 71 Das Urchristentum hat diesen Glauben an die eschatologische ToteneIWeckung vom Judentum adaptiert72 und dann christologisch eIWeitert. Martha erscheint hier inJoh 11,24 als Repräsentantin dieser jüdischchristlichen Überzeugung schlechthin. Allerdings lässt sie laut der Einschätzung von Becker der Evangelist nicht mehr als Jüdin, sondern bereits als "Kronzeugin der christlichen Hoffnung"73 auftreten, was auch im Hinblick auf die christlichen Adressaten des Johannesevangeliums nur sinnvoll ist. Ihre traditionell-konventionelle, christlich verbreitete Glaubensaussage bezüglich einer eschatologischen Totenerweckung dient demJohannesevangelisten als Anknüpfungspunkt74 und zugleich 75 als Kontrast zu seiner eigenen Theologie, die er in den folgenden Versen klar zum Ausdruck bringt. 76 Dabei stehen sich vor allem der präsentische Charakter von Joh 11,25f. und die klar in die Zukunft weisende Zeitangabe EV tij EOXatl1 ";fLEP~, die betont am Ende vonJoh 11,24 platziert ist, gegenüber. Hierbei f'allt auf, dass die Formulierung "am Letzten Tag" aus Joh 11,24 nur im Johannesevangelium im Kontext der eschatologischen ToteneIWeckung begegnet77 , nicht aber bei den Synoptikern und auch nicht bei Paulus. Dieser Befund deutet darauf hin, dass es sich bei dieser Formulierung um eine genuin johanneische Sprechweise handeln könnte. Zumindest hier inJoh 11,24 geht sie ganz klar auf den Johannesevangelisten zurück, der sie bewusst veIWendet, um von dieser tradi68 Vgl. die Futurform avaOnlaEta.L in Joh 11,24, die das Geschehen der Totenauferweckung auch auf der Tempusebene in die Zukunft verlagert.
69 Zur Entwicklung des Auferstehungsglaubens im Alten Testament vgl. K. BIEBERSTEIN, Auferstehung 3-16 und U. B. MÜLLER, Entstehung 55-60.
70 Vgl. Mk 12,18-27 als neutestamentliches Beispiel für die Leugnung der Auferstehung durch die Sadduzäer.
n So die Einschätzung von R. SCHNACKENBURG,Joh II 413f. 72 Vgl. Mk 13,24-27; Mt 25,3lf.; 1 Thess 4,15f.; 1 Kor 15,51-57. 73 SO J. BECKER,Joh 11 421. 74 Vgl. K. WENGST,Joh II 30. 75 Die Sichtweise von Wengst muss nicht unbedingt der Einschätzung von Schnelle widersprechen; beide Meinungen sind miteinander verträglich, wenn sie auch unterschiedliche Schwerpunkte setzen. 76 Vgl. U. SCHNELLE,Joh 189. Mit dieser Einschätzung ist auch die vieldiskutierte Spannung zwischen präsentischer und futurischer Eschatologie aufgelöst und erklärt. 77 NebenJoh 11,24 auch noch inJoh 6,39.40.44.54; 12,48.
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tionellen Sichtweise einer AufeIWeckung der Toten ·am Letzten Tag seine ihm eigene präsentische Eschatologie abzusetzen und besonders zu betonen. 78 Vor diesem Hintergrund entpuppt sich das Glaubenswissen der Martha in Joh 11,24 als vermeintliches Wissen, das durch die Worte Jesu im Folgenden auf eine ganz neue Ebene gehoben wird. 5.3.4. Der Höhepunkt des Dialogs: Die SelbstoffenbarungJesu (V. 25f.) Weist die Äußerung Marthas in Joh. 11,24 mit der Futurform &VII01;~OE'tIIL eindeutig in die Zukunft und darüber hinaus mit der temporalen Präzisierung ev 'tu eo;x:&'t'1l ~IJ.EPQ: in eine alles andere als unmittelbare, vielmehr ultimative Zukunft, so sind demgegenüber die Worte Jesu in Joh 11,25f. durch das präsentische ELIJ.L und die beiden Partizipien im Präsens mo't'Euwv und (wv in der Gegenwart verhaftet und lassen das Gesagte bereits gegenwärtig wirksam werden. Als Kontrast zu dem von Martha ausgesprochenen traditionellen Glaubenswissen kommt die Selbstoffenbarung Jesu dadurch umso deutlicher zum Ausdruck79 und bildet den christologischen Höhepunkt des Dialogs zwischenJesus und Martha. Diese SelbstoffenbarungJesu erfolgt in einem typischjohanneischen Ich-bin-Wort, dem ein zweiteiliger Aufbau zugrunde liegt. Auf die übergeordnete Selbstprädikation des Offenbarers, bestehend aus der Formulierung 'Eyw ELIJ.L und der Nennung seiner soteriologischen Heilsfunktion mit bestimmtem Artikel, schließt sich ein "Ruf zur Entscheidung"80 an, der aus einer Aufforderung und einer Verheißung besteht und das eigentliche Ich-bin-Wort expliziert und interpretiert. Für die weitere Auslegung von Joh 1l,25f. ist es unerlässlich, einen Blick auf die Ich-bin-Worte des Johannesevangeliums zu werfen und damit den Kontext auszuloten, in dem diese Stelle steht.
Exkurs: Die Ich-biTirWone des Johanneseoangeliums Die Formel 'Eyw ELIJ.L im MundeJesu begegnet bei Johannes bedeutend häufiger als in den synoptischen Evangelien,s1 Dieser rein quantitative
78 Vgl. R. SCHNACKENBURG.Joh 11 414. 79 Vgl. U. SCHNELLE.Joh 189. 80 So J. BECKER.Joh 11 422. 81 I-mal bei Mt. 2-mal bei Mk. 2-mal bei Lk und 26-mal beiJoh.
Der Dialogjesu mit Martha injoh 11,20-27
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Befund lässt auf eine spezielle Verwendung dieser Formel im vierten Evangelium schließen, der es im Folgenden nachzugehen gilt. Zunächst sind beim Vorkommen der Formel im Johannesevangelium zwei unterschiedliche Formen voneinander zu unterscheiden: Der absolute Gebrauch von 'Eyw eLIlL und·die Verwendung der Formel mit einem Bildwort. 82 In Joh 6,20; 8,24.28.58; 13,19; 18,5.6.8 wird die Formel 'Eyw etllL absolut, d.h. ohne jeden Zusatz gebraucht. In dieser Verwendung geht sie laut Zimmermannss auf die alttestamentliche Offenbarungsformel zuruck84, die über die LXX in das Neue Testament kommt und Jesus zum neutestamentlichen Offenbarer macht. Für den johanneischen Kontext lassen sich im Alten Testament die beiden Stellen Ex 3,14 und Jes 43,10f. als deutliche Bezüge festmachen. Die Offenbarung des Gottesnamens am Dornbusch bildet für Schnackenburg den Hintergrund für Joh 8,58, und bei Joh 8,24.28 kommt seiner Meinung nach der alttestamentliche Bezug zu Jesaja noch deutlicher zum Ausdruck, weil nicht nur die Formulierung, sondern auch der Inhalt übereinstimmen. 85 MitJes 43,lOf. beschreibt Deuterojesaja die Einzigkeit und Erhabenheit Jahwes und schärft den Israeliten seine machtvolle Größe ein. Analog dazu spricht der johanneische Jesus mit dem absoluten 'Eyw eLIlL in Joh 8,24.28 seine exklusive Bedeutung aus und offenbart seine göttliche Würde. 86 Dieser Aspekt einer hoheitsvollen und mächtigen Redeweise, die Jesus als den exklusiven Offenbarer Gottes auszeichnet, gilt sicherlich auch für die Formel mit einem Bildwort, die im Grunde nichts anderes als eine Erweiterung des absoluten Gebrauchs von 'Eyw etllL darstellt.87 Mit dieser Formel 'Eyw etllL offenbart sich der johanneische Jesus in
82
83 84 85 86 87
joh 4,26; 8,18.23 weichen sprachlich durch die Verbindung mit einem substantivierten Partizip bzw. einer präpositionalen Bestimmung von der Formel ab und lassen sich dadurch nur sehr bedingt der Formel 'Eyw eLI1L zuordnen. Vgl. H. ZIMMERMANN, Offenbarungsformel 270-276. So auch M. THEOBALD, Herrenworte 329. Vgl. R. SCHNACKENBURG,joh II 64f. Vgl. H.-C. KOLLMANN, Kreuzigung 168f. Gegen Becker, der die absoluten Ich-bin-Aussagen traditionsgeschichtlich aus den konkreten Ich-bin-Worten entwickelt sieht und deswegen auch für die Erklärung dieser Aussagen ohne einen Bezug zum Alten Testament auskommt, ja sich sogar dagegen ausspricht, weil im Alten Testament die spezielle Sendungschristologie, wie sie für johannes typisch ist und gerade bei den absoluten Ich-bin-Aussagen vorkommt, fehlt und damit der kontextuelle Zusammenhang nicht gegeben ist, vgl. J. BECKER, johI 347f.
194
Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium
Joh 6,3588 als das Brot des Lebens, inJoh8,12 als das Licht der Welt, in Joh 10,7.9 als die Tür, inJoh 10,11.14 als der gute Hirt, inJoh 11,25 als die Auferstehung und das Leben, inJoh 14,6 als der Weg, die Wahrheit und das Leben und schließlich inJoh 15,1.5 als der (wahre) Weinstock. Nach Theobald geht nicht nur das 'Eyw EtllL auf biblische Überlieferung zurück, sondern auch die Bilder der Logien sind jüdischer Herkunft. Er verortet sie speziell im Diasporajudentum und denkt dabei konkret an Philo oder Joseph und Aseneth.B9 Diese Bezüge lassen sich sicherlich herstellen, allerdings bietet das Alte Testamente selbst genügend Vorlagen für diese johanneischen "Bilder. Das Heil, das die Propheten verkündigen, wird in Bildern wie Brot und Wein in Fülle oder fruchtbarer Weinberg anschaulich gemacht. 90 Natürlich greift eine religionsgeschichtliche Herleitung der Ich-bin~ Worte allein aus dem alttestamentlichjüdischen Bereich zu kurz, steht doch seit dem bahnbrechenden Werk von Norden fest, dass solche Ichbin-Worte im Orient weit verbreitet waren und auf die dortige semitisch-orientalische Rede im religiösen Bereich zurückgehen. 91 Zunächst nur als Gottesformel verwendet, wird das 'Eyw EtllL auf die Repräsentanten der Götter, die Könige, übertragen und mit zahlreichen Würdenamen und Verdiensten von ihnen angereichert und aufgefüllt. Gegenüber dieser ausufernden und überladenen Form erscheint die johanneische Variante sehr kurz und schlicht und besticht im Kontrast zu ihren orientalischen Vorlagen gerade aufgrund dieser Knappheit und Prägnanz. 92 Der johanneische Jesus offenbart sich mit dieser einfachen Form umso wirkmächtiger und bringt in dieser Dichte unüberbietbar seine Heilsbedeutung, die durch das 'Eyw EtllL exklusiv und untrennbar an seine Person gebunden ist, zum Ausdruck. Norden spricht in diesem Zusammenhang von einem "soteriologischen Redetypus"93, der bei den Synoptikern keine direkte Parallele besitzt und damit innerhalb des Neuen Testaments eine theologische Meisterleistung des Johannesevangelisten darstellt. Für Johannes bilden diese Ich-bin-Worte einen Eckpfeiler seiner Christologie, zumal sie sich hervorragend in sein theologisches Kon88
89
90 91 92 93
Hier legt sich der ZusanImenhang zwischen absoluter und erweiterter Redeweise besonders nahe, begegnet doch in Joh 6,20 der absolute Gebrauch von 'Eyc.l dILL und kurz daraufinJoh 6,35 tritt das Bild vom Brot des Lebens hinzu. Vgl. M. THEOBALD, Herrenworte 330f. Neben Deuterojesl9a als Hauptquelle vgl. auch Am 9,1345; Hos 14,7f.;Jer 31,12; Ez 34,12. Vgl. E. NORDEN, Theos 177-179. Vgl. M. THEoBALD, Herrenworte 331. So E. NORDEN, Theos 191.
Der DialogJesu mit Martha inJoh 11,20-27
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zept der Sendungschristologie integrieren lassen. Der johanneische Jesus oder besser der johanneische Christus94 als der Gesandte Gottes offenbart mit dieser Formel sich selbst und das an seine Person gebundene und damit exklusive Heilsangebot Gottes für die Gläubigen. 95 In dieser Funktion dürfen die Ich-bin-Worte mit Theobald zu Recht als "Signale johanneischer Hochchristologie"96 bezeichnet werden; "unübertreffl,ich"97 drücken sie die Heilsbedeutung Jesu Christi aus und sind deshalb ein fester und zentraler Bestandteil johanneischer Christoiogie und Soteriologie. Der Sitz im Leben dieser Sprüche dürfte kultischer bzw. liturgischer Art sein. Bei den gottesdienstlichen Versammlungen der Gemeinde spricht der erhöhte Christus durch den Mund von Propheten immer wieder aufs Neue seine exklusive Heilsbedeutung an die Gläubigen aus und versichert den johanneischen Christen dadurch seine bleibende und heilsstiftende Gegenwart. 9B Nach diesen eher grundsätzlichen Überlegungen zur religionsgeschichtlichen Herleitung der Ich-bin-Worte und zu ihrer allgemeinen Bedeutung für die johanneische Christologie und für die johanneischen Christen stellt sich an diesem Punkt die Frage, was diese Formel eigentlich zum Ausdruck bringt und welche Vorstellungen sie konkret transportiert. Bultmann unterscheidet in seinem Johanneskommentar in einer Fußnote zu den Ich-bin-Worten vier verschiedene Formen dieser Formel und gibt zahlreiche Beispiele aus der Antike und auch aus der Modeme an. 99 Er nennt als erstes die Präsentationsformel, mit der sich der Sprechende als "XY" vorstellt und dabei eine Antwort auf die Frage gibt: "Wer bist du?" Eine solche Präsentationsformel kann erweitert sein durch eine Qualifikationsformel, die die Frage "Was bist du?" beantwortet und die verschiedenen Taten der Gottheit aufzählt; sie kann aber auch allein gebraucht werden. Bei der Identifikationsformel identifiziert sich der Sprechende mit einer an94
95 96 97 9B 99
Schließlich ist es nicht der historische Jesus, der hier spricht, sondern der erhöhte Christus, der auf diese Weise seine exklusive Vollmacht und seine einzigartige Würde zum Ausdruck bringt. Der johanneische Christus ist Gabe (Heilsgut, deswegen die nommale EIWeiterung mit soteriologischem Impetus) und Geber (Heilspender, deswegen die vorangestellte Selbstprädikation im Ich-pin-Stil) zugleich. So M. THEOBALD in der Uberschrift zum Fazit der Ich-bin-Worte desJohannesevangeliums, Herrenworte 329. So die Einschätzung von R. SCHNACKENBURG,Joh 11 70. Vgl. M. THEOBALD, Herrenworte 332. ygl. R. BULTMANN,Joh 167; allerdings räumt Bultmann gleich zu Beginn ein, dass die Ubergänge zwischen den einzelnen Fonnen fließend sein können und oftmals keine eindeutige Zuordnung möglich ist.
196
Die Dialogejesu mit Einzelpersonen imjohannesevangelium
deren Person oder Größe und setzt sich mit ihr gleich. Allen drei Formen ist gemeinsam, dass das EYw jeweils das Subjekt darstellt; während es bei der vierten Form, der Rekognitionsformel, als Prädikat fungiert. Letztere antwortet auf die Frage "Wer ist der Erwartete, der Erfragte, der Besprochene?" mit: "Ich bin es." Diese Rekognitionsformelliegt laut Bultmann bei den Ich-bin-Worten Joh 6, 35.41.51; 8,12; 10,7.9.11.14; 15,1.5 vor; für Joh 11,25 und wohl auch für Joh 14,6 vermutet er die Identifikationsformel. Mit Bultmann scheidet sicherlich die Präsentations- und die Qualifikationsformel für das Johannesevangelium aus. Bei den beiden übrigen Formen ist m. E. keine eindeutige Zuweisung zu den johanneischen Ichbin-Worten nicht nur nicht möglich, sondern auch gar nicht nötig. Dadurch, dass der johanneische Christus Gabe und Geber zugleich ist, lassen sich die Ego-eimi-Aussagen des Johannesevangeliums meiner Meinung nach als eine Mischform aus Identifikations- und Rekognitionsformel beschreiben. Die Identifikationsformel liegt insofern vor, als sich der johanneische Christus jeweils mit einer bestimmten Heilsgabe identifiziert; dabei liegt der Schwerpunkt auf dem jeweiligen Bildwort. Zugleich lässt sich jedes Ich-bin-Wort auch als Rekognitionsformel ausweisen, ist doch die Heilsgabe an den Geber und damit exklusiv an die Person Jesu Christi zurückgebunden; hier wird das 'E'yw etllL betont. Erst beide Aspekte zusammen, Heilsgabe und ihr Geber, und das vereinigt in ein und derselben Person, machen das Besondere der Ich-bin-Worte desJohannesevangeliums aus. Was die formale Gestaltung dieser Aussagen anbelangt, so teilt Theobald die SprücheJoh 6,35; 8,12; 10,9 und 14,6 in zwei Gruppen ein.Joh 6,35 und 8,12 gehören insofern zusammen, als hier auf das eigentliche Ich-bin-Wort eine Einladung in Form eines Partizips und eine Verheißung folgen, die das Bildwort in seiner Bedeutung explizieren. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf dem jeweiligen Bildwort und damit auf der Heilsgabe: Ich bin das Brot des Lebens bzw. ich bin das Licht der Welt. Demgegenüber bilden Joh 10,9 und Joh 14,6 ein Paar, weil nur an diesen beiden Stellen die Formulierung ÖL' EIlOU begegnet und dadurch der Fokus auf Jesus als den exklusiven Heilsgeber gelegt wird: Ich bin die Tür bzw. Ich bin der Weg und sonst niemand.l 00 Analog zur obigen Argumentation ist auch in diesem Fall m. E. eine scharfe Trennung nicht möglich und auch für eine Schwerpunktsetzung ist Vorsicht angeraten. Die Bildworte der ersten Gruppe von Theobald sind in dem Maße auf das "Ich-bin" zurückverwiesen wie das exklusive 100 Vgl.
M. 'I'HEOBAlD, Herrenworte 330.
Der DialogJesu mit Martha inJoh 11,20-27
197
"Ich-bin" der zweiten Gruppe vom folgenden Bildwort abhängt. Beides bedingt sich einander und ist notwendigerweise aufeinander verwiesen; eine Gabe ohne einen Geber ist ebenso sinnlos wie ein Geber ohne eine Gabe. Will man die Bildworte des Johannesevangeliums voll und ganz erlassen, so gehören beide Aspekte zusammen und dürfen trotz kleinerer formaler Unterschiede in der Aussage nicht voneinander getrennt oder gar gegeneinander ausgespielt werden. Schaut man sich die Ich-bin-Worte nun in ihren inhaltlichen Aussagen an, so wird man unschwer feststellen, dass die meisten Bilder der Alltagswelt entnommen sind und dementsprechend bei den Adressaten konkrete Assoziationen und greifbare Eindrücke hervorrufen. Das Brot spielt -im täglichen Leben ebenso wie das Licht und die Tür eine bedeutende, aus dem Leben der Menschen nicht wegzudenkende Rolle. Im agrarischen Palästina und darüber hinaus sind der Hirt mit seiner Herde und der Weinstock mit seinen Reben konkrete Phänomene im Umfeld der Menschen, die jüdischen Ohren vertraut sind. Gegenüber diesen dem Alltag der Menschen entnommenen Bildworten muten "die Auferstehung und das Leben" in Joh 11,25 und "der Weg, die Wahrheit und das Leben" inJoh 14,6 eher abstrakt und unanschaulich an. Schnackenburg vermutet deshalb, dass diese letzteren Bildworte künstlicher Natur und speziell für die johanneische Theologie entwickelt worden sind. 101 Unabhängig von ihrem mehr alltäglichen oder eher abstrakten Bildcharakter ist allen johanneischen Ich-bin-Worten gemeinsam, dass sie allesamt einen Bezug zur (w~ aufweisen. InJoh 6,35 geht das-expressis verbis aus dem angefügten Genitiv hervor: 'Eyc.> Etf.LL 0 &p'toc; 'tiic; (wiic;. Noch deutlicher zeigt sich der Bezug bei Joh 11,25 'Eyc.> Etf.LL ~ , , ta.<JLC; Ka.L, TJ, .,WTJ r ' un d J0 h 146 a.Va.<J' , 'E yw" ELf.LL TJ'1.,,' uuOC; Ka.L"TJ"a.A.TJ'9ELa. Ka.L" TJ (w~, wenn die (w~ auf gleicher Ebene mit dem vorangehenden Bildwort bzw. den Bildworten steht. Für Joh 8,12 ergibt sich der Rekurs auf das Leben in der sich dem eigentlichen BiIdwort anschließenden Verheißung: E~EL 'to c3c; 'tiic; (wiic;. BeiJoh 10,9 findet er sich im folgenden Vers 'Lva. (w~v EXW<JLV Ka.t 'ITEPL<J<JOV EXW<JLV und bei Joh 10,11 nicht direkt ausgesprochen, aber indirekt angedeutet in den imep-Wendungen, die sich auf das "Leben" der Schafe beziehen. Am wenigsten deutlich zeigt sich die Verbindung zur (w~ beiJoh 15,1; stattdessen ist hier ständig vom "bleiben" die Rede, das implizit die "Leben"sverbundenheit der Reben mit dem Weinstock verdeutlichen SOll.102 101 Vgl. R 102 Ebd.
SCHNACKENBURG,Joh 11 60.
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Die Dialoge jesu mit Einzelpersonen im johannesevangelium
Dieser permanente, wenn auch nicht immer gleich starke Bezug zur bei den johanneischen Ego-eimi-Sprüchen ist alles andere als Zufall; vielmehr kommt dadun;h der eigentliche Sinngehalt dieser Worte klar und deutlich zum Vorschein: Jesus ist der Lebensspender schlechthin und er schenkt dieses Leben allen, die an ihn glauben. !Os Diese soteriologische Implikation der Ich-bin-Worte des Johannesevangeliums kommt m. E. gerade in Joh 11,25 sowohl durch das Bildwort als solches als auch durch den Kontext prägnant und unüberbietbar zum Ausdruck. 'c..>~
"Ich bin die Auferstehung und das Leben... "
Ganz im Stile der anderen Ich-bin-Worte I04 offenbart sich Jesus in Joh 11,25b folgendermaßen: 'Eyw eLIJ.L ~ &vao't"aOLt; KaI. ~ 'c..>~; und doch geht von diesem Bildwort eine ganz eigentümliche Wirkung aus. Durch den Kontrast zur futurischen Aussage in Joh 11,24, der bei den anderen Sprüchen allesamt so nicht gegeben ist, kommt das präsentische 'Eyw eLIJ.L noch viel deutlicher zum Ausdruck und hat dementsprechend eine stärkere Tiefenwirkung. Auferstehung ist kein Ereignis der Zukunft, das es für den Letzten Tag zu erwarten gilt; nein, sie ereignet sich im Jetzt der Gegenwart. Diese theologische Konzeption einer präsentischen Eschatologie stellt das Werk des Johannesevangelisten dar, der damit die traditionelle futurische Eschatologie umbiegt und im Zuge seiner Christologie korrigiert105, wie er es bereits in Joh 5,24-27106 getan hat und auch an anderen Stellen des Evangeliums immer wieder tU.t. 107 Auch wenn mit Thyen Vorsicht angemahnt ist, aus einzelnen, über das Evangelium verstreuten Äußerungen Jesu die Eschatologie des Johannes ableiten zu wollen 108 , so lässt sich doch inneIjohanneisch die präsentische Eschatologie des vierten Evangelisten als logische Folge seiner Christologie verstehen. Jesus Christus ist nach der theologischen Konzeption des Johannesevangelisten der einlOS Vgl.
joh 10,10. Diese Aussage jesu steht genau zwischen den beiden Ich-bin-Worten von der Tür injoh 10,9 und vom guten Hirten injoh 10,11. 104 Bezeichnend für joh 11,25 ist lediglich, dass hier im Vergleich zu den früheren Ichbin-Worten im Evangelium erstmals zwei Prädikatsnomen auftreten, die zudem nicht aus der Lebenswelt der Menschen entnommen sind, sondern zwei Abstrakta darstellen. 105 Vgl.J. WAGNER, Auferstehung 210f.; gegen U. SCHNELLE,joh 190, der die präsentische Eschatologie nur durch das folgende Wunder veranlasst sieht und damit eine Korrektur jeglicher futurischen Eschatologie ablehnt. 106 joh 5,24-27 bildet die grundlegende Folie dafür, was in joh 11,25f. prägnant zum Ausdruck kommt. . 107Vgl.joh 3,18.36; 6,40. 108 Vgl. H. THYEN,joh 524.
Der Dialogjesu mit Martha injoh 11,20-27
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zige Offenbarer Gottes109 , der vom Vater dazu in die Welt gesandt wird, die Welt zu retten llO • Mit seiner Sendung ist somit das universale Heilsangebot Gottes an die Menschen verbunden,ja mehr noch:jesus Christus in persona ist der exklusive Heilsmittler. Umgekehrt formuliert bedeutet dies, dass das Heil an die Person jesu Christi gebunden ist. Der Glaube an ihn schenkt den Menschen das Leben in Fülle. lll Vor diesem christologischen Hintergrund kommtjohannes gar nicht an einer präsentischen Eschatologie vorbei, er muss notwendigerweise die Heilsgabe des ewigen Lebens an der Person jesu Christi festmachen. In der Begegnung mit ihm erfahren die Menschen gegenwärtig Heil. Aufjoh 11,25 bezogen bedeutet dies: jesus ist die "Verkörperung von Aufer~ stehung und Leben"ll2 und er schenkt diese Heilsgaben hic et nunc allen, die an ihn glauben. Diesen personalen und deswegen auch präsentischen Bezug bringt auf einzigartige Weise die Formel 'Eyw Etf,LL zum Ausdruck: "Ich bin die Auferstehung und das Leben." Bei dieser Formulierung geht es nicht um eine ontologische Wesensaussage, wer denn jesus ist. Vielmehr dient sie, wie alle anderen Ich-bin-Worte auch, als Funktionsbeschreibung, weIche Bedeutung, speziell weIche Heilsbedeutung jesus hat. ll3 Die beiden Prädikatsnomina ,,Auferstehung und Leben" stellen laut Schnackenburg keinen Pleonasmus dar. 114 Das Stichwort ,,Auferstehung" geht aus dem Kontext von joh 11 hervor und steht notwendigerweise auch am Anfang der Verbindung. In einigen wenigen und zudem unbedeutenden Handschriften fehlt der Zusatz Kat ~ (W~115, der jedoch textkritisch fester Bestandteil dieses Verses ist. Auf der inhaltlichen Ebene kommt mit dem "Leben" nichts Neues zur ,,Auferstehung" hinzu. Der erste Begriff wird lediglich durch den zweiten dahingehend näher expliziert und interpretiert, dass durch die Auferstehung Leben ermöglicht wird, aber gleichzeitig wird dadurch der für alle Ich-bin-Worte typische Bezug zur 'w~ hergestellt. In formaler Hinsicht erfolgt auf diese Weise ein nahtloser Übergang zum zweiten Teil des Offenbarungswortes, bei dem sich die beiden Verben "leben" und "sterben" einander gegenüberstehen. In keinem der Kommentare wird darauf hingewiesen, dass die Prädikatsnomina bei allen Ich-bin-Worten jeweils mit dem bestimmten l09Vgl.joh 1,18. 110Vgl.joh 3,17. III Vgl.joh 10,10. 112 So die treffende Fonnulierung bei C. DIETZFELBINGER,joh I 346. 113 Vgl.j. BECKER,joh II 422. 114 V§'l. R SCHNACKENBURG,joh II 415. 115
P ; 1 sy'; Cyp.
200
Die DialogeJesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
Artikel verbunden sind. Offensichtlich wird dies als grammatikalische Bedeutungslosigkeit angesehen, aber genau darin steckt m. E. ein weiterer Zugang zu diesen Ego-eimi-Aussagen. Beispielhaft für alle wieteren Ich-bin-Worte heißt es in Joh 11,25 eben nicht "Ich bin Auferstehung und Leben", sondern "Ich bin die Auferstehung und das Leben". Genau darin kommt ein Heilsexklusivismus zum Ausdruck, der durch das Ego eimi an die Person Jesu Christi gebunden ist. Jesus Christus ist nicht irgendeine Form der Auferstehung, sondern er ist die Auferstehung schlechthin; eine andere Auferstehung gibt es nicht. Analog dazu ist er nicht irgendeine Form des Lebens, sondern er ist das Leben schlechthin; ein anderes Leben gibt es nicht. Durch diese Umschreibungen wird klar, dass der bestimmte Artikel bei diesen Aussagen keine unbedeutende Rolle spielt, vielmehr werden durch ihn die im Folgenden genannten Heilsgaben als exklusiv und einzigartig artikuliert, die Jesus Christus in und mit seiner Person den Gläubigen vermittelt. So ergibt sich über diese kleine, aber feine Beobachtung eine Grundaussage johanneischer Christologie, die auch für alle anderen Ich-bin-Worte Gültigkeit besitzt. Die Selbstprädikation Jesu als die Auferstehung und das Leben wird analog zu Joh 6,35 mit einem Doppelvers in typisch johanneischverklausuliertem Duktus entfaltet. 116 Dabei handelt es sich entgegen der Mehrheitsmeinung der Exegeten nicht um einen synonymen Parallelismus, bei dem beide Verse positiv und negativ das Gleiche aussagenm, sondern um einen synthetischen oder, dadurch wird der Unterschied noch deutlicher zum Ausdruck gebracht, um einen klimaktischen Parallelismus, bei dem der zweite Vers eine Steigerung gegenüber dem ersten darstellt. 118 An der Parallelität bei der Verse gibt es keinen Zweifel. Auf einen Partizipialsatz folgt jeweils eine in die Zukunft gerichtete Verheißung. Die Partizipialkonstruktion 6 mO"t"ElJWV ELC;; EilE aus dem ersten Vers wird wortwörtlich im zweiten Vers wiederholt, allerdings durch das vorangestellte Partizip 6 (wv ergänzt. Auf diese Weise wird ein Kettenschluss bzw. ein Stichwortanschluss hergestellt, der beide Verse miteinander verbindet: Die futurische Verbform (~OEtC:tL am Ende von Vers 25 wird am Anfang von Vers 26 im Partizip 6 (wv aufgegriffen. Die parallele Verbindung beider Verse zeigt sich auch daran, dass die Aoristform CXtroe&VU sowohl in Vers 25 als auch in Vers 26 begegnet, wenn auch 116 Vgl. R. BULTMANN,Joh 307. 117 Gegen R. BULTMANN,Joh 307; R. SCHNACKENBURG,Joh 11 415;]. BECKER,Joh 11 422;]. KREMER, Lazarus 68 u. a. 118Vgl. H. THYEN,Joh 527.
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einmal bejahend in einem untergeordneten Einschub und das andere Mal verneint als Prädikat des Hauptsatzes. Gänzlich ohne Parallele ist die Formulierung ELC; tOV aLwva in Vers 26b. Durch dieses überschießende Element zeigt sich bereits auf der formalen Ebene die Steigerung von Vers 26 gegenüber dem vorhergehenden Vers 25, die inhaltlich noch viel deutlicher zum Ausdruck kommt. Der "kunstvoll gebaute[r] Zweizeiler"119 erhält seine innere Dynamik durch den Gegensatz der beiden Verben "sterben" und "leben" und ist insofern als Paradoxon formuliert, als sie beide Male mit unterschiedlicher Bedeutung verwendet werden. In Joh 11,25 meint "sterben" den irdischen Tod des Menschen und "leben" die Heilsgabe des ewigen Lebens. In Joh 11,26 verhält es sich genau anders herum: "leben" bezeichnet die Lebenszeit des Menschen bis zu seinem Tod und "nicht sterben" zielt, noch verstärkt durch den Zusatz "bis in Ewigkeit", auf die Perspektive des ewigen Lebens ab.l 20 Durch die chiastische Verwendung beider Verben ergibt sich aber für jeden Vers die gleiche Denkstruktur. Zu Beginn steht jeweils die irdische Existenz des Menschen, die unweigerlich zu seinem Tode führt. Durch den Glauben an Jesus Christus als die Auferstehung und das Leben wird allerdings die Macht des Todes gebrochen und ein neuer Zugang zum Leben, zum ewigen Leben eröffnet. Die notwendige Voraussetzung des Glaubens geht in Joh 11,25 aus dem konditionalen Partizipialstil und in Joh 11,26 zusätzlich durch die Stellung des Partizips 1TLOtEUWV ELC; E!!E zwischen "leben" und "nicht sterben" hervor. Daraus ergibt sich die Bedeutung des Glaubens als "Übergang aus der Vergänglichkeit zum ewigen Leben"121: Der Glaubende wird leben bzw. der Glaubende wird in Ewigkeit nicht sterben. Bezieht sich das '~OEtaL in Joh 11,25 durch den konkreten Kontext vonJoh 11 auf das Leben des Lazarus nach, dem Tod 122, so lässt sich das Nichtsterben in Joh 11,26 mehr in einem spirituellen, übertragenen Sinn verstehen. Zwar ist die Realität des leiblichen Todes dadurch nicht beseitigt, aber die Bedrohung durch den ewigen Tod ist jedem Glaubenden ein für allemal genommen.l 23 Entscheidend ist der Glaube an Jesus Christus als die Auferstehung und das Leben, der.in und mit
119 So die Einschätzung von R. SCHNACKENBURG,Joh II 415. 120 Vgl.J. BECKER,Joh II 423.
121 Ebd.
122 Frey spricht in diesem Zusammenhang von einem ,,Aufleben" nach dem leiblichen
Tod, vgl.J. FREY, Eschatologie 1I 451.
123 Vgl.J. FREY, Eschatologie III 450f.
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Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
seiner Person die Teilhabe an diesen Heilsgaben sicherstellt und gewährleistet.
"Glaubst du das?"
Am Ende seiner Selbstoffenbarung richtet Jesus an Martha in Joh 1l,26c die vergewissernde Frage: lTL(J'tElJELC; 'toO'to;. Mit dem Stichwort mu'tEUeLV knüpft der Evangelist an das vorhergehende Wort Jesu an 124 und leitet gleichzeitig zum folgenden Bekenntnis der Martha über. Im Gegensatz zum Substantiv lTLunc;, . das im gesamten Johannesevangelium kein einziges Mal vorkommt und im restlichen Corpus Ioanneum nur in 1 Joh 5,4125, begegnet das Verbum lTLU'tEUELV bei Johannes sehr oft. 126 Es wird unterschiedlich konstruiert, am häufigsten mit EtC; und Akkusativ127 oder absolut l28, daneben mit Dativl29 oder mit ön l30 . In einem Exkurs zum johanneischen Glauben geht Schnackenburg auf diese verschiedenen Konstruktionen mit ihrem je spezifischen Bedeutungsgehalt ein 131 und kommt zu dem Ergebnis, "daß für Joh Jesus Christus der einzige »Gegenstand« und »Inhalt« des Glaubens ist."132 Allgemein gesprochen zielt das johanneische "glauben" auf die "Annahme der chr Botschaft von Jesus"133 als Grundoption für den Menschen im Zusammenhang mit der entscheidenden Fragestellung Heil oder Unheil und ist nicht so stark wie bei den Synoptikern an einen konkreten Anlass, z. B. eine Wunderheilung, gebunden. 134 Ein spezieller Gebrauch liegt in Joh 11,25c vor, insofern das lTLU'tEUELV nur hier neben 1 Joh 4,16 mit einem Akkusativobjekt verbunden ist. Muss bei sämtlichen anderen Stellen das Objekt des Glaubens
124 An den Inhalt des Offenbarungswortes als solches und ganz speziell an die beiden Partizipien TTLO'tEUWV Ek EIJ,E inJoh 11,25f. 125 Vgl. dagegen das gehäufte Vorkommen bei Paulus mit insgesamt 142 Belegen im Corpus Paulinum. 126 Insgesamt 98 Belege beiJohannes, zum Vergleich 11 bei Mt, 14 bei Mk und 9 bei Lukas. 127 So z. B. inJoh 1,12; 2,11; 3,16; 4,39; 6,29; 7,5; 8,30; 9,35; 10,42; 11,25.26; 12,11; 14,1; 16,9; 17,20. 128 Beispielsweise inJoh 1,7; 4,41; 5,44; 6,36; 9,38; 10,25; 11,15; 12,39; 14,11; 16,31; 19,35; 20,8. 129Vgl.Joh 2,22; 4,21; 5,24; 6,30; 8,31; 12,38 oder 14,11. 130 Oftmals in Verbindung mit einem Bekenntnis, so z. B. inJoh 6,69; 11,27; 20,31. 131 Vgl. R. SCHNACKENBURG,Joh I 508-524. 132 Ebd. 513. 133 So R. BULTMANN, Art. TTLOtEUw 224. 134 Vgl. die Wendung am Ende einer Wundergeschichte: "Dein Glaube hat dir geholfen", z. B. Mk 5,34 oder 10,52, die gegenüber der radikalen Glaubensentscheidung beiJohannes einen Vertrauensglauben in einer konkreten Situation zum Ausdruck bringt.
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nicht extra genannt werden 135 , so erscheint hier das tOl)"C"Q umso auffälliger und hervorgehobener. Es bezieht sich als Demonstrativpronomen im Neutrum Singular auf das Offenbarungswort Jesu als Ganzes zurück und vermeidet damit auf der formalen Ebene eine Wiederholung. Inhaltlich fragtJesus damit Martha, ob sie an ihn als die Auferstehung und das Leben glaubt, oder wenn man die ursprüngliche Bedeutung von mOtEUeLv noch in den Blick nimmt, ob sie sich aufJesus verlässt und seinem Wort vertraut. 5.3.5. Ende und Ziel des Dialogs: Das christologische Spitzenbekenntnis der Martha (V. 27) Auf die Selbstoffenbarung Jesu und seine Frage mOtEUeLC; tOUtO antwortet Martha in Joh 11,27 mit folgenden Worten: Na.t KUPLE, eyw lTEiTLOtEUKa. ön ou EL 0 XPLOtOC; 0 utoc; tOU SEOU 0 EtC; tOV KOOf.LOV epxof.LEvOC;. Mit diesem christologischen Spitzenbekenntnis der Martha kommt der Dialog zwischen Jesus und ihr in Joh 11,21-27 nicht nur an sein Ende, sondern darüber hinaus auch an sein Ziel, insofern damit der intendierte Weg der Wissensvermittlung erfolgreich abgeschlossen wird und Martha und mit ihr der Leser durch die Selbstoffenbarung Jesu zu einem unüberbietbaren christologischen Glaubenswissen geführt werden. Rein theoretisch hätte Martha die Entscheidungsfrage Jesu auch mit einem "Nein" beantworten oder zumindest ihre Zweifel gegenüber Jesus hinsichtlich seines zuvor erhobenen Anspruches, die Auferstehung und das Leben zu sein, anmelden können. In beiden Fällen wäre der Dialog damit möglicherweise an sein Ende, aber sicherlich nicht an sein beabsichtigtes Ziel gelangt. Stattdessen bejaht Martha die Frage Jesu und sie belässt es auch nicht bei einem einfachen ,Ja" oder bei einer zu der Frage Jesu "Glaubst du das?" analogen Antwort ,Ja, ich glaube das", sondern fügt ein Bekenntnis zuJesus als Messias und Sohn Gottes an. Dieses christologische Spitzenbekenntnis aus Marthas Mund wirft m. E. ein ganz besonderes Licht auf das einfache Va.L am Anfang ihrer Antwort. Es ist kein laxes oder gar unüberlegt gesagtes ,Ja", sondern durch das Folgende handelt es sich hierbei um ein ganz bewusstes und entschiedenes ,Ja", das Martha im Brustton der tiefsten Glaubensüberzeugung ausspricht. In diesem Zusammenhang dürfte auch die Anrede KUPLE für Jesus "weit über die anfänglich (sic) Nachricht der Schwestern: KUPLE, 'LliE OV 135
Für denJohannesevangelisten gibt es nur ein Objekt des Glaubens, und das istJesus Christus, vgl. R. SCHNACKENBURG,Joh I 513.
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Die Dialoge jesu mit Einzelpersonen im johannesevangelium
IjlLAE'LC; ao9EvE'L, hinausgehen und Jesus proleptisch bereits als den
Erhöhten anreden. "136 Dieser Einschätzung von Thyen ist nur zuzustimmen, geht doch spätestens aus den beiden christologischen Hoheitstiteln "Messias" und "Sohn Gottes" die nachösterliche Perspektive klar und deutlich hervor. Martha richtet dieses Bekenntnis nicht an den irdischen Jesus 137, sondern an den erhöhten Christus, den Kyrios. Erst nach der Auferstehung Jesu und der damit verbundenen Geistsendung138 lässt sich ein solches Bekenntnis aussprechen, und genau darum geht es mit Becker auch dem Johannesevangelisten: Er will damit keine "vorösterliche Historie" festhalten, sondern "nachösterliche Wirklichkeit für die Gemeinde" auslegen,139 Vor diesem Hintergrund lässt sich die Kyriosanrede in Joh 11,27 nicht als förmliches oder höfliches Verhalten der Martha verstehen, vielmehr als ehrenvolle Titulierung für Jesus als den erhöhten Herrn und damit als Ausdruck nachösterlicher Christologie. Das Stichwort mO'tEUELV aus der Frage Jesu greift Martha in ihrer Antwort direkt auf, allerdings übernimmt sie nicht die präsentische Form aus Joh 1l,26c, sondern sie verwendet in Joh 1l,27b die Perfektform 1TE1TLO'tEUKCX. Diese Tempuswahl durch den Evangelisten verdient insofern besondere Beachtung, als im Unterschied zum klassischen Griechisch das Perfekt im Neuen Testament relativ selten vorkommt und stattdessen der Aorist überwiegt. HO Wenn also vereinzelt eine Perfektform im Neuen Testament begegnet, ist davon auszugehen, dass sie bewusst verwendet wird und damit durch die temporale Form auch ein bestimmter inhaltlicher Aspekt zum Tragen kommen soll. Mit dem Perfekt wird im Griechischen ein Zustand als Ergebnis eines Vorgangs in der Vergangenheit zum Ausdruck gebracht, oder anders formuliert: Ein Ereignis der Vergangenheit hat noch Auswirkungen auf die Gegenwart (Resultat) ,141 Im konkreten Fall von 1TE1TLO'tEUKCX soll also durch die gewählte Perfektform einerseits der Vorgang des Zum-Glauben-Kommens und andererseits das Ergebnis des Glaubens betont werden. Beide Aspekte 136 So H. THlIEN,Joh 529. 137 Auch
wenn Martha auf der Textebene natürlich dem historischen jesus und nicht dem erhöhten Kyrios begegnet. 138 Bei johannes erfolgt die Geistsendung entgegen der lukanischen Darstellung (und auch entgegen der liturgischen Feierpraxis der katholischen Kirche) am üstertag, vgl. Joh 20,19-23. 139 Vgl. J. BECKER,joh 11 426. 140 Im johannesevangelium kommt das Perfekt wegen seines "feierlichen, nachdrucklichen Stils" häufiger vor als bei den Synoptikern, vgl. F. BLASSIA. DEBRUNNER/F. REHKOPF, Grammatik 279. 141 Vgl. M. WHITTAKER u. a., Einführung 100.
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in einer Formulierung zu berücksichtigen, ist freilich schwierig und deshalb legen die verschiedenen Übersetzungen jeweils ihren Schwerpunkt auf den einen oder anderen Gesichtspunkt. Das Münchener Neue Testament142 und auch Beckerl43 übersetzen lTElTLO'tEUKII mit "ich bin zum Glauben gekommen" und stellen damit den Weg zum Glauben in der Vergangenheit heraus. In eine ähnliche Richtung geht die etwas freiere Übersetzung von Dietzfelbinger, der lTElTLO'tEUKII mit "ich habe glauben gelernt" übersetztl44 und damit den Glauben als Lernprozess versteht. Demgegenüber betonen die meisten Kommentare145 und auch die Einheitsübersetzung mehr das Ergebnis des Glaubensweges, den Glauben als solches, indem sie die Perfektform präsentisch mit "ich glaube" wiedergeben. Auch diese Übersetzung ist einseitig und enthält nicht den vollen Aussagegehalt vom griechischen lTElTLO'tEUKIX. Da jede Übersetzung bereits eine Interpretation des Originaltextes darstellt und sich für eine Variante mit einem bestimmten Aussageschwerpunkt entscheiden muss, kann es gar nicht die Übersetzung schlechthin geben, die einzig und allein richtig und zutreffend ist. Deshalb empfiehlt sich zum besseren Verständnis von Joh 11,27 und darüber hinaus für den gesamten Dialog eine Paraphrase von lTElTLO'tEUKII, die beide Aspekte des griechischen Perfekt, den Vorgang in der Vergangenheit und das Endergebnis der Gegenwart, zum Ausdruck bringt und etwa folgendermaßen lauten könnte: "Ich bin zum Glauben gekommen und nun fest im Glauben verwurzelt" oder wie es Dietzfelbinger formuliert146: "Ich bin den Weg des Glaubens gegangen, der mich zu der Erkenntnis geführt hat, daß du bist..... .l47 Vor diesem Hintergrund wird klar, dass das lTElTLO'tEUKII inJoh 11,27b nicht nur auf diesen einen Vers beschränkt ist, sondern vielmehr auf den gesamten Dialog zwischen Jesus und Martha vor verweist und gewissermaßen seinen End- und Zielpunkt darstellt. Im Laufe des Dialogs wird das anfängliche Vertrauen der Martha und ihr (vermeintliches) Glaubenswissen von Jesus vertieft und bis hin zu seiner Selbstoffenbarung gesteigert, so dass Martha nach und nach zum Glauben kommt. Das Resultat dieses Vorgangs der Glaubensvermittlung besteht im festen Glauben der Martha, der eindrucksvoll in ihrem Bekenntnis am Ende des Dialogs zur Sprache kommt. Damit gelangt auch der gesamte 142 Vgl. Münchener Neues Testament 205. 143 Vgl.j. BECKER,joh 11 402. 144 Vgl. C. DIETZFELBINGER,joh 11 344. 145 So z. B.j. GNILKA,joh 91; R. SCHNACKENBURG,joh 11 412 oder H. THYEN,joh 521.
146Vgl. C. DIETZFELBINGER,joh 11 347. 147 Es ist sicherlich kein Zufall, dass johannes beim Bekenntnis des Petrus in joh 6,69 auch die Perfektform lTElTLOtEVKalLEV verwendet.
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Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
Dialog an sein Ziel: Martha ist nun fest im Glauben verwurzelt; sie spricht ein volles und vollgültiges Glaubensbekenntnis aus. Daran äußert die Mehrheit der Exegeten l48 keinerlei Zweifel, nur Moloney vertritt eine andere Meinung. In seinem Aufsatz "The Faith of Martha and Mary. A Narrative Approach to John 11,17-40"149 stellt er den Glauben der Martha dem der Maria gegenüber und kommt zu dem Ergebnis, dass nicht Martha, sondern ihre Schwester Maria die zentrale Glaubensgestalt der Lazarusperikope ist, die sowohl durch ihre Worte 150 als auch und vor allem durch ihr Verhalten 151 ihren Glauben an Jesus zum Ausdruck bringt.l 52 Demgegenüber wertet er den Glauben ihrer Schwester Martha ab und bezeichnet Joh 11,27 als "partial confession of faith"153. Laut Moloney hat die SelbstoffenbarungJesu in Joh 11,25f. bei Martha weder ein tieferes Verstehen der Person Jesu noch den Glauben an ihn bewirkt, so dass das Wunder einen nötigen Versuch Jesu darstellt, sie und mit ihr die Jünger zum wahren Glauben zu führen. 154 Dass Martha inJoh 11,27 nicht nur zu einem "Teilglauben" kommt, sondern ein christologisches Spitzenbekenntnis ausspricht, das auch auf die Selbstoffenbarung Jesu in den beiden Versen zuvor Bezug nimmt, ist hoffentlich schon aus den obigen Ausführungen hervorgegangen, soll aber auch durch das Folgende noch deutlicher zum AtiSdruck kommen. Auf der formalen Ebene lässt sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen der Selbstoffenbarung Jesu und dem darauffolgenden Bekenntnis der Martha erkennen. Das ou Et aus dem Mund der Martha in Joh 11,27c entspricht genau dem EYW EtllL Jesu inJoh 11,25bl55 , d.h. das Bekenntnis der Martha ist die adäquate Antwort auf die Selbstoffenbarung Jesu. Und wenn sich Jesus mit diesem "Ich bin" besonders würde- und hoheitsvoll offenbart, dann fällt dieses Licht auf die ihm entsprechende Antwort Marthas. Es ist nicht irgendein, sondern ein ganz besonderes und feierliches Bekenntnis, das Martha hier ausspricht. Diese Beobachtung gilt nicht nur in formaler, sondern auch 148 So z. B. Bultmann, Haenchen, Gnilka, Becker, Schnackenburg, Dietzfe1binger, Schnelle, Wengst, Kremer u. a. in ihren Kommentaren zur Stelle. in: Biblica 75 (1994) 471-493. 150 In Joh 11,32 sieht Moloney ein Glaubensbekenntnis der Maria, übersieht aber, dass zuvor in Joh 11,21 Martha exakt die gleichen Worte zu Jesus spricht. 151 Moloney verweist in diesem Zusammenhang aufJoh 11,29.32. 152 Vgl. F.J. MOLONEY, Faith 482f. 153 Ebd. 480. 154 Vgl. ebd. 484. 155 Vgl. H. THYEN,Joh 528. 149 Erschienen
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und vor allem in inhaltlicher Hinsicht. Jesus offenbart sich in Joh 11,25b als "die Auferstehung und das Leben" und macht damit eine soteriologisch-eschatologische Spitzenaussage über sich selbst. Diese Doppelprädikation im Munde Jesu hat eine analoge Entsprechung in den beiden christologischen Hoheitstiteln "Messias" und "Sohn Gottes" im Bekenntnis der Martha, die durch den Zusatz "der in die Welt kommen soll" in Joh 11,27c äußerlich gesprengt, aber im Kern verstärkt wird. Den beiden Würdeprädikaten "Messias" und "Sohn Gottes", mit denen Martha den Inhalt ihres Glaubens benennt und bekennt, soll im Folgenden etwas näher nachgegangen werden hinsichtlich ihres Vorkommens und ihrer Bedeutung im J ohannesevangelium. Von den 531 Belegen für XpLa'toc; im gesamten Neuen Testament entfallen gerade einmal 19 auf das Johannesevangelium;156 dafür finden sich die bei den einzigen neutestamentlichen Stellen mit dem Titel MEaa(a;c; beiJohannes inJoh 1,41 und 4,25.1 57 Von diesen insgesamt 21 Belegen für "Messias/Christus" ist allerdings weniger ihr quantitatives Vorkommen als· vielmehr ihre gezielte Verwendung innerhalb des Johannesevangeliums von Interesse. Der Titel begegnet im Prolog inJoh 1,17 und im Epilog inJoh 20,31 und rahmt dadurch das gesamte Evangelium. Bis auf Joh 17,3158 kommt "Christus" ausschließlich im ersten Buchteil vor, erstmals inJoh 1,20 als erster Hoheitstitel der narratio l59 , sodann relativ gleichmäßig verteilt über das "book of signs" in Joh 1,20.25.41; 3,28; 4,25.29; 7,26.27.31.41.42 160; 9,22; 10,24; 11,27 und letztmals in Joh 12,34, wodurch auch hier im ersten Teil der narratio eine Inklusion hergestellt wird und dem Christustitel dadurch im Kontext der Zeichen Jesu offensichtlich eine große Bedeutung zukommt. Allen diesen Belegen innerhalb der Erzählung ist gemeinsam, dass sie ausschließlich in wörtlicher Rede vorkommen, sei es bei den Anhängern Jesu im Munde von Johannes dem 1:'äufer (Joh 1,20; 3,28), Andreas (Joh 1,41), Martha (Joh 11,27) und der Samaritanerin (Joh 4,25. 29), oder von seinen Gegnern artikuliert (Joh 1,25; 7,26.27. 31.41.42; 156 Rinke berechnet jeweils den prozentualen Anteil des Titels in den einzelnen neu-
testamentlichen Schriften, vgl. J. RINKE, Kerygma 81. Daraus geht hervor, dass die Christus-Belege in den synoptischen Evangelien ähnlich niedrig wie im Johannesevangelium sind und der Hauptanteil eindeutig auf das Corpus Paulinum entfällt. 157 An beiden Stellen wird die hebräische Bezeichnung sofort ins Griechische übersetzt, vgl.Joh 1,41: EUp~KIXJ.1EV 'tov MeooLuv, 0 ~O'tLV ~eepll1]VE~VOV XpLo't6~ undJoh 4,25: Oröa on MEOOLa~ epxe'tuL b ÄEy6~vo~ XpLo't6~. 158 Dieser Vers geht laut Schnackenburg u. a. nicht auf den Evangelisten zurück, sondern stellt eine redaktionelle Glosse dar, vgl. R. SCHNACKENBURG,Joh III 195. 159 Diese Tatsache weist bereits auf die Bedeutung dieses christologischen Titels für den lohannesevangelisten hin. 160 AhnIich wie inJoh 1 tritt auch hier inJoh 7 der Christustitel relativ gedrängt auf.
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Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
9,22; 10,24; 12,34).161 Für unseren Zusammenhang ist die Beobachtung interessant, dass der Christustitel in der narratio neben den "Sätzen der Messiasdogrnatik"162 nur in Bekenntnissen begegnetl63 , entweder negativ im Bekenntnis des Täufers vor deiJerusalemer Gesandtschaft Uoh 1,20), bei der Wiederaufnahme dieses Bekenntnisses vor den Täuferjüngern Uoh 3,28) und beim Bekenntnisverbot der Juden Uoh 9,22) oder positiv beim Bekenntnis des Andreas Uoh 1,41), der Samaritanerin Uoh 4,29) und der Martha Uoh 11,27). Bei den drei letztgenannten Bekenntnissen, die eigentlich auch nur als solche fungieren, lässt sich eine aufsteigende Entwicklung beobachten. Im Kontext der johanneischen Berufungsgeschichten spricht Andreas in Joh 1,41 gegenüber seinem Bruder Simon das Bekenntnis zuJesus als dem Messias aus, um ihn für die Nachfolge zu gewinnen. In Joh 4,29 konfrontiert die samaritanische Frau in noch recht unbestimmter Weise Jesus mit diesem Titel, der sich ihr daraufhin indirekt als Messias offenbart. Schließlich bekennt Martha in Joh 11,27 Jesus direkt164 und unmissverständlich 165 als Messias. Damit ist der "christologische" Höhepunkt nicht nur des ersten Buchteils, sondern darüber hinaus des gesamten Johannesevangeliums erreicht. 166 Von den insgesamt neun Belegen für den Sohn-Gottes-Titel im Johannesevangelium 167 entfallen sieben auf den ersten Buchteil l68, einer steht im Kontext der Passion 169 und der letzte Beleg schließlich findet sich im Epilog des Evangeliums l70 . Analog zum Messiastitel gilt auch hier, dass der Titel ULOt; 'tOU 9EOU innerhalb der narratio ausschließlich in wörtlicher Rede begegnet, sei es bei den Anhängern Jesu im MundeJohannes des Täufers Uoh 1,34), NathanaeIs Uoh 1,49) und Marthas Uoh 11,27), sei es im Munde Jesu selbst Uoh 3,18; 5,25; 10,36;
161 Vgl.J. RINKE, Kerygma 82. 162 Ebd. 163 Dieser Titel stellt offensichtlich für den Johannesevangelisten die Form und den Inhalt des Bekenntnisses zu Jesus schlechthin dar und spielt demnach im christologischen Disput der johanneischen Gemeinde eine nicht zu unterschätzende Rolle, vgl.J. RINKE, Kerygma 79-136. 164 Vgl. die Formulierung ou eI, mit der sich Martha unmittelbar anJesus wendet und ihn persönlich anspricht. 165 Gegenüber dem Schwellenbekenntnis der Samaritanerin äußert Martha ein vollgültiges Bekenntnis zuJesus als Messias. 166Vgl. die folgende VerhältnisbestimmungvonJoh 11,27 zuJoh 20,31. 167 Sieht man die absolute Redeweise vom Sohn als Verkürzung zum Sohn-Gottes-Titel an und zählt diese Belege dazu, so kommt man insgesamt auf 26 Stellen. 168 Joh 1,34.49; 3,18; 5,25; 10,36; 11,4.27. 169 Joh 19,7. 170 Joh 20,31.
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11,4)171 oder bei den Gegnern Jesu im Munde seiner Ankläger im Pilatusprozess Uoh 19,7). Für unseren Kontext ist die erstgenannte Gruppe von besonderem Interesse, weil hier der Sohn-Gottes-Titel ausschließlich in Bekenntnissen Verwendung findet. Zum Abschluss seines Zeugnisses für Jesus 172 bekenntJohannes der Täufer ihn inJoh 1,34 als Sohn Gottes l73; allerdings spricht er dieses Bekenntnis nicht direkt im Du-Stil gegenüber Jesus aus, sondern er legt dieses Zeugnis über ihn ab. Dagegen bekennt Nathanael im Kontext der Jüngerberufungen in Joh 1,49 Jesus direkt und unmittelbar als Sohn Gottes l74 , nachdem Jesus zuvor sein wunderbares Wissen über ihn offenbart hat. Außerdem begegnet hier mit "König von Israel"175 eine zweite christologische Titulierung, die das Bekenntnis des NathanaeI in Joh 1,49 wie das Bekenntnis der Martha inJoh 11,27 zu einem Doppelbekenntnis machen. Für den Messiastitel, der sich von Joh 1,45 her nahe legen würde, ist hier zu Beginn der narratio entsprechend dem programmatischen Epilog am Ende des Evangeliums noch nicht der "theologische Kairos" gekommen,176 Er tritt zusammen mit dem Sohn-Gottes-Titel erst am Ende des ersten Buchteils zum Abschluss der ZeichentätigkeitJesu im Glaubensbekenntnis der Martha inJoh 11,27 auf.
l7I Bis aufjoh lO,36 gehören alle diese Stellen in den Kontext von Eschatologie: Injoh 3,18 geht es um das Gericht, injoh 5,25 um die Auferstehung der Toten (bei diesen beiden Stellen fällt auch die gehäufte absolute Redeweise vom "Sohn" auf) und injoh 11,4 um die Auferweckung des Lazams. Deshalb spricht Rinke in diesem Zusammenhang auch vom Sohn Gottes als eschatologischem Bevollmächtigten Gottes, vgl. J. RINKE, Kerygma 149-160. 172 Im Zentrum dieses Zeugnisses steht die Vision des johannes von der Taufe jesu, die jesus als Geistträger qualifiziert und zum abschließenden christologischen Bekenntnis· motiviert. Der johannesevangelist schafft damit ein Pendant zur synoptischen Tauftradition, der Sache nach deutlich an sie anknüpfend, aber genauso deutlich von ihr unterschieden in eigenem, johanneischem Stil, vgl. u. a. die Tatsache, dass die synoptische Erzählung von der Taufe jesu als solche in das Zeugnis johannes des Täufers integriert ist und speziell die Verwendung des Sohnestitels. 173 In Mk 1,11 parr. wird jesus von der Himmelsstimme als "Sohn" proklamiert. Diese Vorgabe aus der Tradition greift der johannesevangelist auf, ändert sie aber dahingehend um, dass jesus m~nmehr von johannes als "Sohn Gottes" bezeugt wird. Mit dieser "christologischen Uberhöhung des Gottesworts" (so j. RINKE, Kerygma 139) gelingt es dem johannesevangelisten, unter der theologischen Voraussetzung der Geistbegabungjesus als Sohn Gottes in sein Evangelium einzuführen und vor diesem Hintergrund das einzigartige Verhältnis zwischen Vater und Sohn zu begründen. 174 Dieses Sohn-Gottes-Bekenntnis stellt die antithetische Rezeption von joh 1,45 dar. Während die Bezeichnung jesu als "Sohn losers" die irdische Herkunft jesu verrät, bringt der Titel "Sohn Gottes" die wahre Herkunftjesu zum Ausdruck und seine Beziehung zu Gott als seinem Vater. 175 Dieser Titel passt treIDich zu joh 1,47, wo jesus Nathanael als "echten Israeliten" charakterisiert. 176 Vgl.j. RINKE, Kerygma HOf.
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Durch die Kombination der beiden Hoheitstitel "Christus" und "Sohn Gottes" inJoh 11,27 wie auch in 20,31 lässt sich zwischen diesen beiden Stellen ein Bezug herstellen l77 , der zwar in den meisten Kommentaren erkannt l78 , aber nicht weiter theologisch ausgewertet wird. Schaut man sich die beiden Stellen genauer an, so ergeben sich über diebeiden christologischen Titel hinaus noch weitere Verbindungen, die die Beobachtung stützen, dass Joh 11,27 und 20,31 zusammen zu lesen sind. Das Glaubensmotiv in Joh 20,31 taucht auch in Joh 11,27 und in den beiden Versen zuvor auf. 179 Das Stichwort (w~ ausJoh 20,31 begegnet zwar nicht direkt in Joh 11,27, dafür im unmittelbaren Kontext davor in den Versen 25 und 26. Einzig die Formulierung EV 'ttlJ 6voiJ.a:n a:u'tou aus Joh 20,31 hat keine Entsprechung in Joh 11,27 wie umgekehrt die Ergänzung 6 ELc; 'tov K00iJ.0V EPX0iJ.EVOC;180 aus Joh 11,27 in Joh 20,31 analogielos bleibt. Abgesehen von dieser zuletzt genannten Abweichung ist eine bewusste Abhängigkeit zwischen Joh 11,27 und 20,31 nicht zu übersehen, die es nicht nur erlaubt, sondern auch theologisch nötig macht, beide Stellen aufeinander zu beziehen und voneinander her zu interpretieren. Auf die Selbstoffenbarung Jesu in Joh 11,25 als "die Auferstehung und das Leben" erfolgt in Joh 11,27 das Bekenntnis der Martha zu Jesus als "Christus" und "Sohn Gottes". Nach dem Tod und der AuferstehungJesu soll der Leser lautJoh 20,31 zum Glauben kommen, dass Jesus der Christus und Sohn Gottes ist und in seinem Namen das Leben haben. Durch diesen analogen inhaltlichen Bezug, einmal Tod und Auferweckung des Lazarus, das andere Mal Tod und Auferstehung Jesu, ergibt sich eine soteriologisch-eschatologische Füllung der beiden christologischen Titel. Jesus ist insofern der Christus und Sohn Gottes, 177 Denn nur in Joh 11,27 und 20,31 treten diebeiden Titel "Christus" und .Sohn Gottes" imJohannesevangelium gemeinsam auf und beide Male in einem Bekenntnis. 178Vgl. z. B. R. BULTMANN,Joh 309, Anm. 1; R. SCHNACKENBURG,Joh 11416f.;]. BECKER, Joh II 426;]. KREMER, Lazarus 70 u. a. 179 In Joh 11,25.26.27 begegnet viennal eine Fonn des Verbums lTLO'tEUHV und in Joh 20,31 zweimal. Am deutlichsten entsprechen sich natürlich das 1TE1TLO'tEUKIt aus Joh 11,27 und das 1Tw'teu[oITJ'tE ausJoh 20,31, die jeweils mit ön konstruiert sind und ein Bekenntnis gleichen Inhalts zuJesus als Christus und Sohn Gottes einleiten. 180 Dafür begegnet diese Apposition in Joh 6,14 im Kontext des Speisungswunders zum Prophetentitel. Mit Bultmann geht es m. E. zu weit, in der Fonnulierung 6 elc; 'tov KOOflOV ~PXOflEVOC; inJoh 11,27 neben "Messias" und "Sohn Gottes" einen dritten Titel zu erkennen, der zudem noch den bedeutsamsten dieser eschatologischen Titel darstellt, vgl. R. BULTMANN,Joh 309. Wenn es wirklich ein eigenständiger Titel mit einer besonderen Relevanz wäre, müsste erklärt werden, warum er gerade in der Schlussnotiz inJoh 20,31 fehlt. Stattdessen werden am Ende des Evangeliums nur die beiden zentralen christologischen Hoheitstitel aufgegriffen, nicht aber diese Ergänzung.
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weil er die Auferstehung und das Leben Goh 11,25) bzw. der Auferstandene und der Lebensspender Goh 20,31) ist. Beide Titel sind also im Kontext der Ostersprache zu lesen bzw. im Lichte des Osterglaubens zu interpretieren.181 Als Christus und Sohn Gottes erfahrt Jesus die Auferstehung nicht nur am eigenen Leib, sondern er schenkt die Gabe des Lebens allen, die an ihn als die Auferstehung und das Leben glauben. Was ](!sus in Joh 11 der Martha verheißt und an Lazarus konkret bewirkt, solllautJoh 20 für alle Glaubenden gelten. InJoh 20,31 wird nicht der Inhalt des gesamten Evangeliums zusammengefasst, sondern der Zweck des Evangeliums angegeben.1 82 Johannes will den Leser zum Glauben führen, dass Jesus der Christus, der Sohn Gottes ist. Als Mittel zu diesem Zweck benennt der Evangelist die Zeichen Jesu, die dieser vor den Augen seiner Jünger getan hat. Diese Notiz lässt an die konkreten Wundertaten Jesu denken l83, auch an das Evangelium als Ganzes l84, oder an beidesl85 • Roose stellt in ihrem Aufsatz Joh 20,30f.: Ein (un)passender Schluss?" ihre eigene These dahingehend auf, dass sie Joh 9 und Joh 11 als primäre Verweisstellen der Schlussnotiz ansieht, die sekundär auf alle Wunderberichte und tertiär auf das ganze Evangelium verweist.1 86 Diese These ist in ihrem Kern richtig, allerdings stellt sich m. E. die Frage, wie die Autorin gerade auf Joh 9 als eine der beiden primären Verweisstellen der Schlussnotiz kommt.1 87 Ich möchte diese These leicht modifizieren, insofern ich ausschließlich Joh 11,27 als primäre Verweisstelle der Schlussnotiz betrachte. Das Glaubensbekenntnis der Martha stimmt nicht nur prospektiv fast wörtlich mit der Schlussnotiz des Evangeliums überein, sondern bildet auch retrospektiv den abschließenden Höhepunkt der ZeichentätigkeitJesu und fasst damit sein gesamtes Wunderwirken zusammen. Demzufolge lässt es ·sich gut nachvollziehen, dass 181 Vgl.J. RINKE, Kerygma 93f. 182 Dieser Aspekt geht aus der finalen Konjunktion 'LVIX inJoh 20,31 hervor. 18S Damit würde hier der Abschluss der sog. Semeiaquelle vorliegen, der allerdings
keinen passenden Schluss für das gesamte Johannesevangelium darstellt, besteht dieses vierte Evangelium doch nicht nur aus ZeichenJesu. 184 Hier muss allerdings erklärt werden, warum der Johannesevangelist seinen speziell auf die Wundertaten Jesu hin angelegten Zeichenbegriff nunmehr allgemein für das ganze WirkenJesu verwendet. 185 Vgl. die verschiedenen Positionen bei H. ROOSE, Schluss 326f. 186 So die These von H. ROOSE, Schluss 328f. 187 Sie begründet dies damit, dass Joh 9 eine Wundererzählung darstellt, die das .ZumGlauben-Kommen" eines Menschen oder, wie sie es auch ausdrückt, die .Bekehrung" bzw. die HHinwendung eines Menschen zuJesus Christus· eigens thematisiert, vgl. H. ROOSE, Schluss 330f. Allerdings liegt darin genau das Proprium aller johanneischen Zeichenberichte, dass die Menschen durch das Wunder zum Glauben gekommen, vgl. beispieihaftJoh 2,11 und alle weiteren ZeichenJesu.
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dieser letztgenannte Aspekt ganz am Ende des Evangeliums noch einmal aufgegriffen wird und Joh 20,30f. damit einen passenden Schluss für das Johannesevangelium .darstellt. Trotz aller aufgezeigten Parallelen zwischenJoh 11,27 undJoh 20,31 gibt es doch einen entscheidenden Unterschied bei den beiden Stellen: Hinter der Formulierung 'Cva 1TLOtEU[Ol11tE inJoh 20,31 verbirgt sich dn kommunikatives Signal, insofern der Johannesevarigelist seine Leser bzw. Hörer direkt in der 2. Person Plural anspricht und sie zum Glauben an Jesus als den Christus und Sohn Gottes führen will. Was hier im Epilog des Evangeliums als Wurisch- und Zielvorstellung des Autors für die Zukunft ausgesprochen wird, hat sich bereits in der narratio exemplarisch in Martha erfüllt. Nach der Selbstoffenbarung Jesu als die Auferstehung und das Leben spricht sie ein der Intention des Johannesevangelisten völlig entsprechendes und vollgüJtiges Bekenntnis zu Jesus als den Christus und Sohn Gottes aus und avanciert dadurch zur Musterfrau johanneischen Glaubens. Mit ihrem 1TE1TI.OtEUKa inJoh 11,27b liefert sie die "perfekte indikativische Vorgabe"l88 für das imperativische Lva 1TLOtEUOVtEt; am Ende des Evangeliums und wird so zur paradigmatischen Glaubensgestalt des J ohannesevangelisten schlechthin, weil sie genau das Bekenntnis ausspricht, das er von seiner Gemeinde und darüber hinaus von allen Lesern bzw. Hörern seines Evangeliums erwartet. Mit diesem christologischen Spitzenbekenntnis lässt der Johannesevangelist den Dialog zwischen Jesus und Martha enden. Über eine Reaktion von Seiten Jesu wird nichts berichtet, auch Martha hat ihrem gewaltigen Glaubensbekenntnis nichts hinzuzufügen. So bleibt dieses Wort der Martha in Joh 11,27 eindrucksvoll und nachhaltig als abschließender Höhepunkt des Dialogs zwischen Jesus und Martha stehen und kann seine vom Verfasser intendierte Wirkung nach verschiedenen Seiten hin entfalten. Auf der Textebene schließt der Johannesevangelist mit Joh 11,27 den Dialog zwischen Jesus und Martha ab und bringt ihn gleichzeitig an sein Ziel. Der im Dialog nachgezeichnete Glaubensweg der Martha erfährt in ihrem christologischen Spitzenbekenntnis seinen unüberbietbaren Höhepunkt. Auf die Selbstoffenbarung Jesu als die Auferstehung und das Leben hin bekennt sie ihn als den Christus und Sohn Gottes und wird so auch über Joh 11 hinaus zur paradigmatischen Glaubensgestalt des Johannesevangeliums schlechthin. Retrospektiv lässt der Johannesevangelist durch seine Stellung am Ende des "book 188 So J. RINKE.
Kerygma 94 (Kursivdruck auch im Original).
Der DialogJesu mit Martha inJoh 11,20-27
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of signs" die gesamte Zeichen tätigkeit Jesu auf dieses mustergültige Glaubensbekenntnis der Martha hinauslaufen und in ihm als neuralgischen Punkt johanneischen Glaubens kulminieren. In Joh 11,27 spricht Martha stellvertretend für alle, die durch die ZeichenJesu zum Glauben an ihn als den Christus und Sohn Gottes gekommen sind. Prospektiv nimmt der Johannesevangelist mitJoh 11,27 innerhalb der narratio die Grundintention seines Evangeliums vorweg, die er im Epilog inJoh 20,30f. zum Ausdruck bringt. Nach der Lektüre des Evangeliums soll der Leser mit den Worten Marthas in das Bekenntnis zu Jesus als den Christus und Sohn Gottes einstimmen und damit seinen Glauben explizieren. Durch eine solch durchdachte und geschickte Komposition gelingt es dem Johannesevangelisten mit dem Glaubensbekenntnis der Martha, sein gesamtes Evangelium zu umreißen. Bewusst in der Buchmitte platziert, fasst er mit Joh 11,27 rückblickend den ersten Teil seines Evangeliums zusammen und stellt gleichzeitig vorausschauend den Bezug zum Ende seines Werkes her. Für Johannes ist Jesus der Christus und Sohn Gottes und genau zu diesem Glauben soll der Leser durch die Zeichen Jesu geführt werden. Als schillerndes Beispiel dafür stellt er ihm Martha vor Augen, die paradigmatisch für jeden Glaubenden dieses christologische Spitzenbekenntnis ausspricht. Vor diesem Hintergrund geht die Bedeutung von Joh 11,27 weit über den unmittelbaren Kontext der Lazarusperikope hinaus, dahingehend, dass dieses Glaubensbekenntnis der Martha einen Dreh- und Angelpunkt des Johannesevangeliums darstellt und eine Spitzenaussage johanneischer Christologie beinhaltet. Deshalb ist dem Urteil von Dietzfelbinger nur zuzustimmen, dass Joh 11,27 innerhalb der anderen Bekenntnisse des Johannesevangeliums 189 einen "hohen Rang"190 einnimmt; nach den angestellten Beobachtungen lässt sich diese Aussage sogar noch dahingehend steigern, dass mitJoh 11,27 das absolute Spitzenbekenntnis des J ohannesevangeliums vorliegt. 191
189Vgl.Joh 1,49; 4,19; 4,42; 6,69; 9,38; (16,30); 20,28. 190 So C. DIETZFELBINGER,Joh I 347. 191 Alle anderen Bekenntnisse stellen gewissermaßen eine christologische Variation dieses johanneischen Zentralbekenntnisses zu Jesus als den ·Christus und Sohn Gottes dar.
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Die DialogeJesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
6. Der Weg der Wissensvcrmittlung inJoh 11,20-27
Mit ihrem Glaubensbekenntnis inJoh 11,27 drückt Martha in unüberbietbarer Dichte und Prägnanz ihr christologisches Wissen aus, zu dem sie im Laufe des Dialogs mit Jesus gekommen ist. Dass es sich bei diesem WissenselWerb um einen Weg bzw. um einen Prozess handelt, dafür findet sich ein versteckter Hinweis im Dialog selbst, und zwar an seinem Ende. Die vom Autor bewusst gewählte Perfektform iTE'rrLO,EUKa inJoh 11,27 soll zwei Aspekte zum Ausdruck bringen: Zum einen den Vorgang des Zum-Glauben-Kommens und zum anderen das Ergebnis bzw. das Resultat dieses Vorgangs, den gewonnenen Glauben. Beide Elemente lassen sich dann auch im Dialog festmachen, und so stellt sich rückblickend und zusammenfassend die Frage, wie denn dieser Glaubensweg der Martha aussieht bzw. aus der Perspektive Jesu formuliert, welchen Weg der Wissensvermittlung Jesus einschlägt, dass Martha zum Glauben an ihn kommt und sich zu ihm als den Christus und Sohn Gottes bekennt. Die Ausgangssituation beim Dialog zwischen Jesus und Martha in Joh 11 lässt sich am besten durch einen Vergleich mit dem Dialog zwischenJesus und der Samaritanerin inJoh 4 erfassen. InJoh 4,7 ist es Jesus, der mit einer einfachen Bitte um Wasser den Dialog mit der samaritanischen Frau eröffnet, um so mit ihr in Kontakt zu kommen und damit die kommunikative Basis für den weiteren Dialog legt. Hier bereits und dann auch im weiteren Fortgang des Dialogs zeigt sich rückwirkend, dass Jesus bei der Frau keinerlei christliches Glaubenswissen voraussetzen kann. Schließlich ist sie Samaritanerin und hat als solche ihre Vorbehalte gegenüber der jüdischen Religion 192 und schon gar keine Verbindung zu Christus. Dementsprechend schwierig gestaltet sich auch der Weg der Wissensvermittlung in Joh 4 und letztendlich kommt die Samaritanerin in Joh 4,19 lediglich zu einem Schwellenbekenntnis. Ganz anders dagegen verhält es sich bei Martha in Joh 11. Sie ist es, die in Joh 11,21 Jesus mit "Herr"193 anspricht und ihm sogleich ihre Hoffnung auf die heilende KraftJesu verrät; im Falle seiner Anwesenheit hätte er den Tod ihres Bruders verhindern können. Bereits mit dieser Aussage ganz zu Beginn des Dialogs wird das 192 Die Samaritaner teilen zwar den Pentateuch als gemeinsame Schrift mit den Juden und berufen sich wie sie auf die Stammväter; jedoch ist das Verhältnis zwischen Juden und Samaritanern von erbitterter Feindschaft bestimmt, so dass die samaritanische Frau auf ihre eigene Religion fixiert ist. 193 Im Unterschied zu Joh 11,27 fungiert die Kyriosanrede hier wohl noch nicht als christologischer Hoheitstitel, sondern lediglich als höfliche Anrede; allerdings wirft natürlichJoh 11,27 seine Schatten aufJoh 11,21 voraus.
Der DialogJesu mit Martha inJoh 11,20-27
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vorherrschende Verhältnis zwischen Martha und Jesus beleuchtet. Martha kennt Jesus194 und vertraut auf seine Hilfe. Noch bevor Jesus ein Wort sagen kann, geht Martha in Joh 11,22 noch einen Schritt weiter und bringt über ihr Vertrauen zu Jesus hinaus ihr grenzenloses Gottvertrauen zum Ausdruck. Bezeichnend hierbei ist die Einleitung mit otöex ön, die die folgende Aussage der Martha als Glaubenswissen klassifiziert. Im Gegensatz zur Samaritanerin ist bei Martha demnach bereits ein Glaubensfundament gelegt, auf dem Jesus auf- und weiterbauen kann. So muss Jesus seinen Weg der Wissensvermittlung nicht ganz von vorne beginnen, sondern er kann auf das Glaubenswissen der Martha reagieren. In Joh 11,23 macht er ihr deswegen sogleich die feste Zusage, dass ihr Bruder auferstehen wird; allerdings lässt er den genauen Zeitpunkt und die genauen Umstände der Auferstehung offen. Durch diese Offenheit, die im Folgenden nach einer Konkretisierung verlangt, wird der Dialog auf der literarischen Ebene vorangetrieben. Prompt nimmt Martha auf die Aussage Jesu im vorausgehenden Vers Bezug und vertritt in Joh 11,24 die traditionelle jüdisch-christliche Auferstehungshoffnung. Analog zu Joh 11,22 begegnet auch hier die Formulierung otoo ön, mit der Marthas Glaubenswissen zum Ausdruck gebracht und sie als gläubige Frau ihrer Zeit gezeichnet wird. Diesem allgemein im Juden- und Christentum verbreiteten Glauben, wie ihn Martha ausspricht, setzt nunmehr Jesus etwas Neues gegenüber: Er offenbart sich inJoh 11,25b als die Auferstehung und das Leben. Mit dieser Selbstoffenbaning geht Jesus den entscheidenden Schritt auf dem Weg der Wissensvermittlung und bringt diese gleichzeitig zu ihrem abschließenden Höhepunkt. Die in die Zukunft gerichtete eschatologische Hoffnung der Martha verlagert Jesus in die Gegenwart, ja mehr noch: Er knüpft sie. an seine eigene Person. Mit diesem präsentisch-personalen Bezug überbietet er das bisherige Glaubenswissen der Martha auf einmalige und einzigartige Weise und offenbart ihr neues christologisches Wissen. Diese christologische Wissensvermittlung durch die Selbstoffenbarung Jesu gilt natürlich nicht nur der Martha, sondern mit ihr zusammen dem Leser bzw. Hörer des Evangeliums. Auch zu ihm spricht Jesus: "Ich bin die Auferstehung und das Leben" und offenbart dadurch seine grundlegende soteriologisch-eschatologische Bedeutung für jeden, der an ihn glaubt. Auch die anschließende Frage Jesu "Glaubst du das?" ist keineswegs nur 194 Zwischen
heiden herrscht lautJoh 11,5 wie auch zwischen Jesus und Maria und Lazarus ein inniges freundschaftliches Verhältnis.
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Die DialogeJesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
an Martha gerichtet, sondern auch und vor allem an den Leser bzw. Hörer des Johannesevangeliums, der dadurch zu einer Antwort herausgefordert wird. Und wie Martha die Selbstoffenbarung Jesu in Joh 11,27 mit ihrem christologischen Spitzenbekenntnis beantwortet, so soll auch der gläubige Leser bzw. Hörer Jesus als den Christus und Sohn Gottes bekennen. Martha wird ihm dabei vom Johannesevangelisten als paradigmatische Glaubensgestalt vor Augen geführt. In ihr mustergültiges Bekenntnis, das nach dem Epilog des Evangeliums voll und ganz der Intention des Autors entspricht, soll er bereits jetzt oder spätestens nach der Lektüre des gesamten Evangeliums einstimmen. Damit kommt der Weg der christologischen Wissensvennittlung durch die Offenbarung Jesu nicht nur bei Martha, sondern auch bei den gläubigen Lesern bzw. Hörern des Evangeliums an sein Ziel. Über die Form des literarischen Dialogs kann der Leser bzw. Hörer die verschiedenen Stationen dieses Glaubensweges der Martha mitgehen und wird mit ihr stufenweise zur christologischen Erkenntnis geführt, die sich als Ergebnis bzw. Resultat in einem vollgültigen Glaubensbekenntnis ausdrückt. Somit hat das 1TE1TL
7. Die Verortung des Dialogs innerhalb der Lazarusperikope Der Dialog zwischen Jesus und Martha in Joh 11,20-27 stellt für sich genommen eine abgeschlossene Einheit dar. Wie soeben aufgezeigt, kommt Martha im Laufe dieses Dialogs durch christologische Wissensvennittlung zum Glauben an Jesus und spricht diesen Glauben in einem Bekenntnis zu ihm als den Christus und Sohn Gottes aus. Mit diesem christologischen Spitzenbekenntnis kommt der Dialog nicht nur an sein Ende, sondern auch an sein Ziel. So homogen der Dialog inJoh 11,20-27 in sich ist195, so sperrig steht er allerdings zu seinem Kontext innerhalb der Lazarusperikope. Nach ihrem Glaubensbekenntnis lässt sich der Einwand der Martha in Joh 11,39 schwerlich, eigentlich gar nicht nachvollziehen. Diese Spannung 195
Gegen Dietzfelbinger, der das Bekenntnis der Martha im Vergleich zu den anderen Bekenntnissen im Johannesevangelium .eigenartig isoliert" in seinem Kontext ansieht, vgl. C. DIETZFELBINGER, Joh I 346. Das Glaubensbekenntnis der Martha stellt vielmehr die adäquate Antwort auf die Selbstoffenbarung Jesu als die Auferstehung und das Leben dar.
Der DialogJesu mit Martha inJoh 11,20-27
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lässt sich literarktitisch damit erklären, dass der Johannesevangelist als letzter Redaktor seinen Dialog zwischen Jesus und Martha ohne Tilgung früherer Traditionsstufen in den Text eingebaut hat. Auf diese Weise kommt es auch zur Kollision inJoh 11 zwischen dem Offenbarungswort auf der einen und der Wundererzählung auf der anderen Seite. Die alles entscheidende Frage lautet nunmehr, wie sich beides zueinander verhält. Ist nachJoh 11,25f. das Lazaruswunder zur "theologischen Bedeutungslosigkeit"196 verdammt oder bestätigt sich gerade die Selbstoffenbarung Jesu als die Auferstehung und das Leben in der anschließenden Auferweckung des Lazarus und seiner Rückkehr ins Leben? Es ist nicht das erste Mal im Johannesevangelium, dass ein Zeichen Jesu mit einer Wortoffenbarung kombiniert ist. Nach dem Brotwunder in Joh 6,1-15 offenbart sich Jesus in der anschließenden Brotrede in einem Ich-bin-Wort als das Brot des Lebens.l 97 Weder ist das Speisungswunder als isolierte Erzählung zu sehen, noch darf die Wortoffenbarung für sich betrachtet werden. Vielmehr sind das Brotwunder und die Brotrede aufeinander hingeordnet und korrespondieren miteinander, insofern das Wunder von der Rede seinen vollen Gehalt erhält und erst von ihr aus richtig interpretiert werden kann. InJoh 11 verhält es sich genau umgekehrt zuJoh 6: Zuerst erfolgt in Joh 11,25 die Offenbarung Jesu im Ich-bin-Stil als die Auferstehung und das Leben und danach die Wundererzählung von der Auferweckung des Lazarus. Trotz dieser umgekehrten Reihenfolge gilt aber auch hier das Prinzip, dass weder die Wortoffenbarung Jesu absolut zu setzen ist noch die Zeichenhandlung eigenständig interpretiert werden darf. Vielmehr verweist beides, die Offenbarung im Wort und die Offenbarung in der Tat, aufeinander und steht in einer Art Wechselwirkung zueinander. Die Selbstoffenbarung Jesu als die Auferstehung und das Leben nimmt die Totenauferweckung vorweg und das von Jesus gewirkte Wunder bestätigt seine zuvor erfolgte Selbstoffenbarung. Jesus ist wirklich die Auferstehung und das Leben, weil er Lazarus von den Toten auferweckt und ihn in das Leben zurückruft. Damit macht Jesus in Joh 11,25 keine leeren Versprechungen, sondern setzt seine Worte sofort in die Tat um und lässt sie Wirklichkeit werden. Es ist m. E. theologisch verkürzt, das Wunder laut Becker lediglich als "nachträgliche Sehhilfe"198 zu verstehen, mit dem der Johannesevangelist die SelbstoffenbarungJesu im Nachhinein veranschaulichen will. Vielmehr 196 So J. BECKER,Joh II 525. 197Vgl.Joh 6,35.48.(51). 198 So die EinschätzungvonJ. BECKER,Joh II 424.
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Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
stellt es neben der Selbstoffenbarung Jesu und dem Glaubensbekenntnis der Martha in Joh 11,25-27 den zweiten theologischen Höhepunkt innerhalb der Lazarusperikope dar.I 99 Bezeichnend ist allerdings die Tatsache, dass der Johannesevangelist als der letzte Redaktor in der traditionsgeschichtlichen Entwicklung des Textes die Selbstoffenbarung Jesu nicht auf das Wunder folgen lässt, sondern sie ihm voranstellt. Aus dieser Reihenfolge geht doch eine gewisse Gewichtung hervor, die der Wortoffenbarung Jesu offensichtlich eine Vorrangstellung einräumt. Noch vor dem Wunder kommt Martha durch die Selbstoffenbarung Jesu zum Glauben an ihn und wird durch ihr christologisches Spitzenbekenntnis dem Leser vom Verfasser als johanneische Glaubensfigur par excellence vor Augen gestellt. In ihr erfüllt sich bereits das letzte Wort Jesu im Johannesevangelium: "Selig sind, die nicht sehen und doch glauben. "200 Damit wird dem Kerygma ganz klar eine Priorität vor der Autopsie zugestanden. 201 Wer allerdings durch die SelbstoffenbarungJesu noch nicht zum Glauben an ihn gelangt, der bekommt in der anschließenden Totenauferweckung ein konkretes Zeichen, dass Jesus die Auferstehung und das Leben ist. Damit soll nicht gesagt werden, dass die Wundererzählung eine "theologische Notnagelfunktion" erfüllt, keineswegs. Sie hat neben ichrem Bezug zur Wortoffenbarung zugleich ihre eigenständige theologische Bedeutung202 und steht von der Theologie her auf einer Ebene mit der Offenbarung in der Tat. Allerdings besteht der Idealfalljohanneischen Glaubens darin, wie Martha noch vor dem Wunder durch die Selbstoffenbarung Jesu zum Glauben an ihn zu kommen und ihn als den Christus und Sohn Gottes zu bekennen.
8. Die Bedeutung des Dialogs für das johannesevangelium Zum Abschluss der Untersuchungen zu Joh 11,20-27 soll gewissermaßen als Fazit die Bedeutung dieses Dialogs für das Johannesevangelium herausgestellt werden. Der Dialog zwischen Jesus und Martha findet sich im Zentrum der Lazarusperikope und diese wiederum in 199 Wie
sonst ist es zu erklären, dass der Johannesevangelist die relativ breit angelegte Wundererzählung nicht verkürzt oder gar weglässt. 200 Joh 20,29. 201 Diese beiden Schlagworte bilden auch den Titel der Dissertation von Rinke: .Kerygma und Autopsie". 202 Sonst wären auch alle vorherigen Zeichen Jesu im Johannesevangelium theologisch .bedeutungslos.
Der DialogJesu mit Martha inJoh 11,20-27
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der Mitte des Johannesevangeliums. Allein diese heIVorgehobene Stellung wirft schon ein besonderes Licht auf Joh 11,20-27 und lässt vermuten, dass auch der Inhalt des Dialogs von entscheidender Bedeutung für das Johannesevangelium ist. Innerhalb dieser wenigen Verse begegnen auf engstem Raum zwei theologische Spitzenaussagen, die einander zugeordnet sind. Die Selbstoffenbarung Jesu als die Auferstehung und das Leben in Joh 11,25f. wird von Martha inJoh 11,27 mit ihrem Glaubensbekenntnis zu Jesus als den Christus und Sohn Gottes beantwortet. Im Kontext der Auferweckung des Lazarus ist es nur logisch und sinnvoll, dass sichJesus als die Auferstehung und das Leben offenbart. Von sämtlichen Ich-bin-Worten Jesu im Johannesevangelium ist Joh 11,25f. m. E. am aussagekräftigsten und besitzt die größte theologische Relevanz. In der Auferstehung von den Toten liegt die Grundhoffnung christlichen Glaubens begründet. Diese Hoffnung ist nun nicht mehr auf ein unbestimmtes Datum in der Zukunft verwiesen, sondern der jahanneische Jesus holt sie in die Gegenwart und bindet sie an seine eigene Person: Ich bin die Auferstehung. In der Hinzufügung "und das Leben" tritt als zweites Prädikatsnomen der Heilsbegriff im Johannesevangelium schlechthin in Erscheinung, die 'Ul~ als die Auferstehung istJesus zugleich das Leben. Mit dieser Kombination macht der Johannesevangelist eine Spitzenaussage seiner Christologie, speziell seiner Soteriologie, die weit über den Rahmen vonJoh 11 hinausgeht. Sie bezieht sich nicht nur auf die anschließende Erzählung von der Auferweckung des Lazarus, sondern nimmt bereits Jesu eigenes Schicksal, seinen Tod und seine Auferstehung, in den Blick. Damit fungiertJoh 11,25f. als Prolepse der Passions- und v. a. der Osterereignisse und präludiert bereits das AuferstehungskapitelJoh 20. 203 Wie die Selbstoffenbarung Jesu als die Auferstehung und das Leben aufgrund ihrer theologischen Relevanz über ihren unmittelbaren Kontext weit hinausweist, so verhält es sich auch mit dem christologischen Spitzenbekenntnis der Martha. Es stellt nicht nur Ende und Ziel des Dialogs mit Jesus dar, sondern nimmt bereits innerhalb der narratio die aus dem Epilog des Evangeliums heIVorgehende Grundintention des Evangeliums vorweg, den Leser bzw. Hörer zum Glauben an Jesus als den Christus und Sohn Gottes zu führen. Damit wird Martha zur Idealgestalt johanneischen Glaubens. Aufgrund der Tatsache, dass dem Dialog zwischen Jesus und Martha erstens eine Spitzenstellung im J ohannesevangelium zukommt und 203Vgl.j. RINKE, Kerygma 94.
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Die Dialoge Jesu mit Einze1personen imJohannesevangelium
dass er zweitens theologische Spitzenaussagen enthält, die ihn über den unmittelbaren Kontext der Lazarusperikope hinaus mit dem Ende des Evangeliums vernetzen204, kommtJoh 11,20-27 eine zentrale Bedeutung im Johannesevangelium zu. Die Kombination aus Selbstoffenbarung Jesu als Spitzenaussage johanneischer Christologie und Glaubensbekenntnis der Martha als Idealbekenntnis johanneischen Glaubens machen den Dialog zwischen Jesus und Martha in Joh 11,20-27 gewissermaßen zu einem "Evangelium im Evangelium", mit dem der Johannesevangelist die Grundinhalte seiner Theologie auf den Punkt bringt und sie seinen Hörern bzw. Lesern narrativ-dialogisch vermittelt.
204 Anfang
und Ende einer Schrift stellen generell neuralgische Punkte dar, die vom Autor dazu benutzt werden, bestimmte Grundaussagen und -intentionen zu formulieren und damit den Leser in eine bestimmte Richtung zu lenken.
V. DER DIALOG DES AUFERSTANDENEN MIT MARIA
MAGDALENA IN JOH 20,15-17 UND IHRE REAKTION INJOH 20,18 Griechischer Text: 15
a b
c d e f g h
16
a b c d
e
17
18
AEYEL ctlrdJ 'ITjooue;, rDvaL, tL KAaLELe;; tLVa 'TjtEle;; EKELVTj öOKouoa ön 0 KTj1TOUpOe; Eonv AEYEL atm;> , KUPLE, EL ou EßaOtaaae; autov, EL1TE f.LOL '!TOU e9TjKae; autov, KUYW autov apw. AEYEL au.n 'l1']oou<;, Mapuif.L. o.pa<j>Eloa EKELVTj AEYEL aute;> 'Eßpa"LOtL, PaßßouvL (ö AEye-.aL LhoaoKaAE).
a
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b
M~ f.LOU &1T.OU,
c d e f
OÜ1TCl.l yap aVaßEßTjKa 1TPO<; tOV '!TatEpa' '!TOPEUOU ÖE '!TPO<; tOUe; UÖEA<j>OUe; f.LOU Kat EL 1TE autol<;, 'Avaßa LVW '!TPO<; tOV 1TatEpa f.LOU Kat 1TatEpa Uf.LWV Kat 9EOV f.LOU Kat 9EOV Uf.LWV.
a
epXEtaL MaPLaf.L ~ MayöaATjV~ UYYEUouoa 'tOle; f.La9Tjtal<; ön 'EwpaKa tOV KUP LOV, Kat tauta EL1TEV autU.
b c
Deutsche Übersetzung: 15
a b c
d e f
Jesus sagte zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Jene meinte, dass es der Gärtner ist. Sie sagte zu ihm: Herr, wenn du ihn weggebracht hast,
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16
Die Dialoge jesu mit EinzeIpersonen imjohannesevangelium
g h
sag mir, wohin du ihn gelegt hast, und ich werde ihn holen.
a
Jesus sagte zu ihr: Maria. Jene drehte sich um und sagte zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni (das heißt übersetzt: Lehrer).
b
c d e 17
a b
c d
e f 18
a b
c
Jesus sagte zu ihr: Berühre mich nicht, denn ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen! Geh aber zu meinen Brüdern und sag ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott. Maria Magdalena ging und verkündete den Jüngern: Ich habe den Herrn gesehen, und dies sagte er ihr.
l.Joh 20,15-18 als Bestandteil der TexteinheitJoh 20,1-18
Der Dialog des Auferstandenen mit Maria Magdalena in Joh 20,15-17 und die folgende Reaktion Marias inJoh 20,18 beschließen den ersten Teil desjohanneischen Osterkapitels inJoh 20, der sich über die Verse 1 bis 18 erstreckt. Im zweiten Teil dieses Kapitels findet sich ein weiterer Dialog des Auferstandenen, der Dialog mit Thomas inJoh 20,27-29. 1 Im Unterschied zu allen bisher besprochenen DialogenJesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium ist es nicht mehr der irdische Jesus, der hier spricht, sondern der Auferstandene, der erscheint2, sich 1
2
Aufgrund der Tatsache, dass sich in dem einen Großkapiteljoh 20 zwei Dialoge finden, im ersten Teil der Dialog des Auferstandenen mit Maria Magdalena in joh 20,15-17 und im zweiten Teil der Dialog des Auferstandenen mit Thomas in joh 20,27-29, werden beide Teile auch getrennt voneinander behandelt, zumal sich eine solche Aufteilung auch durch den zeitlichen Einschnitt in joh 20,19 nahe legt; vgl. ausführlicher bei der unter Punkt 2.) folgenden Abgrenzung der Texteinheit joh 20,1-18 vom Kontext. Auch wenn injoh 20,1-18 nicht explizit von c:l1jl9r} wie bei 1 Kor 15,5 die Rede ist, so lässt sich doch das Aufti-etenjesu injoh 20,14-17 als Erscheinung des Auferstandenen klassifizieren.
Der Dialog des Auferstandenen mit Maria Magdalena inJoh 20,15-17
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zu erkennen gibt und wieder erkannt wird3 und auf diese Weise Maria Magdalena von ihrem Nicht-Wissen4 zum Osterglauben führt5 • Dieser Übergang vom Nicht-Erkennen zum Erkennen, vom Nicht-Wissen zum Wissen wird analog zu Joh 4, Joh 9 und Joh 11 und damit in Kontinuität zum bisherigen Schema nicht als bloße Erzählung geschildert, sondern in einem literarischen Dialog vollzogen. 6 Bevor diese prozesshafte Entwicklung im Dialog des Auferstandenen mit Marla Magdalena inJoh 20,15-17 samt der Reaktion Marias inJoh 20,18 exegetisch unter die Lupe genommen werden kann, gilt es, diese Stelle in ihrem Kontext zu verorten. Dazu gehören eine Abgrenzung der TexteinheitJoh 20,1-18 vom vorherigen und zum nachfolgenden Abschnitt; eine Gliederung von Joh 20,1-18 und nicht ganz einfach zu bewerkstelligende, aber doch notwendige Bemerkungen zur Entstehungsgeschichte vonJoh 20,1-18 in literar-, traditions- und redaktionskritischer Hinsicht.
2. Die Abgrenzung der Texteinheit Joh 20,1-18 Die johanneische Passion endet mit der Abnahme des LeichnamsJesu vom Kreuz, seiner Einbalsamierung und schließlich seiner Grablegung durch Josef von Arimathäa und Nikodemus. 7 Von Joh 19,42, dem letzten Vers der Passion, zu Joh 20,1, dem ersten Vers des sich direkt anschließenden Osterkapitels, erfolgt ein zeitlicher Sprung, der mit einer Veränderung der Personenkonstellation, aber nicht der Szenerie einhergeht. Das Stichwort IJ.VTjIJ.ELOV aus Joh 19,42 wird im darauf folgenden Vers wieder aufgegriffen und stellt einen thematischen Anknüpfungspunkt her zwischen dem Ende der Passion ~nd dem Anfang des johanneischen Osterkapitels mit der Erzählung vom leeren Grab inJoh 20,118. Über diese Brückenfunktion hinaus stellt '1:0 IJ.VTjIJ.ELOV eine wichtige Gattungstechnisch lässt sich deswegen Joh 20,11-18 als Rekognitionslegende bzw. Wiedererkennungserzählung wie z. B. auch Lk 24,13-35 einordnen, für die folgende Merkmale gelten: Der Auferstandene tritt unerkannt auf, gibt sich' durch einen typischen Akt wie bei Lukas das Brotbrechen (vgl. Lk 24,31.35) oder wie hier inJoh 20,16 durch die Namensanrede zu erkennen und ist danach wieder spurlos verschwunden, vgl.J. BECKER,Joh 11 615. 4 Vgl.Joh 20,14. 5 Vgl. die Reaktion Maria Magdalenas am Ende der Erzählung inJoh 20,18. 6 Vgl. im Gegensatz zum "dialogischen Ostern" beiJohannes die Erscheinungsberichte bei Matthäus und Lukas, die mehr narrativ und ohne größere Dialoganteile gestaltet sind. 7 Vgl.Joh 19,38-42. 3
224
Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
Vokabel innerhalb von Joh 20,1-18 dar, spielt doch die Handlung dieser Verse am bzw. im Grab. 8 Dementsprechend wird auch die letzte Bemerkung der Passion e9TJKaV "Cov 'ITJaoiiv erneut in Joh 20,2 und Joh 20,13 verwendet, um von der Passion einen Bezug zur Erzählung vom leeren Grab herzustellen und dadurch beide Teile miteinander zu verklammern. Die Tatsache, dass sich das Grab Jesu laut Joh 19,41 in einem Garten befindet, liefert den szenischen Hintergrund dafür, dass Maria Magdalena inJoh 20,15 Jesus vermeintlich für den Gärtner hält. 9 Schließlich weist die Erwähnung der Leinenbinden in Joh 20,5-7 auf den jüdischen Bestattungsritus inJoh 19,40 zurück. Diese Verbindungen auf der semantischen Ebene machen deutlich, dass zwischen den Passions- und Osterereignissen kein Bruch, sondern eine Kontinuität besteht, die theologisch dahingehend zu interpretieren ist, dass die "Sache Jesu" nicht mit seinem Tod am Kreuz endet, sondern in seiner Auferstehung ihre notwendige und wesentliche Fortsetzung findet, kurz: Tod und AuferstehungJesu Christi sind nicht voneinander zu trennen, vielmehr sind beide Ereignisse aufeinander verwiesen.l° Trotz oder gerade wegen dieser inhaltlichen Verwobenheit zwischen dem Ende der Passion in Joh 19,38-42 und dem Anfang der Ostererzählung inJoh 20,1-18 markiertJoh 20,1 auf verschiedene Weise einen deutlichen Neueinsatz. Zunächst erfolgt durch die Zeitangabe t"Ü OE iJ.L~ "Cwv aaßß(hwv 11 ein zweitägiger Sprung vom Rüsttag, der noch inJoh 19,42 genannt wird, hin zum ersten Tag der Woche. 12 Durch den zusätzlichen temporalen Hinweis 1TPWt wird die Tageszeit dahingehend präzisiert, dass sich die folgenden Ereignisse dieses ersten Tages der Woche frühmorgens abspielen. Dagegen sprichtJoh 20,19 von OUOT\t; ouv oljlLat; t"Ü~jJ.€p~ EKELV1J t"Ü iJ.L~ aaßß(hwv und verlagert das anschließende Geschehen auf den 8 In Joh 20,1-18 finden sich insgesamt neun Belege für ,b flVlJl.LELOV; davon entfallen allein sieben aufJoh 20,1-10. 9 Vgl. S. RUSCHMANN, Maria 109. 10 Deswegen scheint von Beginn der urchristlichen Tradition an das Osterereignis ein fester Bestandteil des Passionsberichtes gewesen zu sein, vgl. R SCHNACKENBURG,Joh III 353. 11 Diese Formulierung, die mit Lk 24,1 übereinstimmt, mag vom Griechischen her verwundern, lässt sich aber vom hebräisch-aramäischen Sprachgebrauch erklären und wördich übersetzt mit "am (Tag) eins des Sabbat" wiedergeben. Inhaltlich fällt auf, dass Johannes nicht die kerygmatische Formel "nach drei Tagen" bzw. "am dritten Tag" vetwendet, die ihm durch die urchristliche Glaubensformel (vgl. 1 Kor 15,3-5) bekannt sein müsste, sondern den Sabbat als Bezugspunkt des Geschehens nennt und damit jüdischem Sprachgebrauch folgt. 12 Vgl. K. WENGST,Joh 11 293.
Der Dialog des Auferstandenen mit Maria Magdalena inJoh 20,15-17
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Abend desselben Tages. Aufgrund dieser tageszeitlichen Unterteilung lassen sich die Ereignisse am Morgen des Ostertages von denen am Abend des Ostertages abgrenzen.l S Mit Joh 20,19 ist nicht nur ein zeitlicher Sprung von morgens auf abends des Ostertages gegeben, sondern auch ein Ortswechsel verbunden. Haben sich die in Joh 20,1-18 geschilderten Ereignisse draußen am bzw. im Grab abgespielt, so wird das Geschehen abJoh 20,19 in das Hausinnere verlagert: Die Jünger sind hinter verschlossenen Türen versammelt und ihnen wird eine Erscheinung des Auferstandenen zuteil. Die sich durch den Orts- und Zeitwechsel ergebende Festlegung der Perikope auf Joh 20,1-18 wird durch die Personenkonstellation bestätigt. Während in Joh 19,38-42 Josef von Arimathäa und Nikodemus agieren, tritt inJoh 20,1 Maria Magdalena als neue Person auf. Als wietere Handlungsträger kommen Simon Petrus und der Jünger, den Jesus liebte, inJoh 20,3-10 hinzu, bevor dann inJoh 20,19 allgemein von den Jüngern die Rede ist und Maria Magdalena und die beiden anderen Jünger Jesu nicht mehr namentlich erwähnt werden. Im Detail lässt sich sehr schön herausstellen, wie Joh 20,1-18 über die Figur der Maria Magdalena eine Texteinheit darstellt und als solche von ihr zusammengehalten wird. Nur an den beiden RandsteIlen dieser Perikope, im Eröffnungsvers Joh 20,1 und im Schlussvers Joh 20,18, wird Maria als die aus Magdala bzw. als die Magdalenerin bezeichnet. Demgegenüber wird sie innerhalb der Erzählung inJoh 20,11 einfach Maria und in Joh 20,16 von Jesus mit ihrem hebräischen Namen Mirjam, jeweils ohne irgendwelchen Zusatz, genannt. Aufgrund der Tatsache, dass Maria ein weit verbreiteter Name war und es allein im Neuen Testament weitere sechs Frauen gibt, die so heißen, ist es nur logisch, dass Maria am Anfang einer neuen Texteinheit wie in Joh 20,1 zur Unterscheidung von anderen Frauen mit dem Namen Maria durch ihren Herkunftsort Magdala, einer kleinen Stadt am Westufer des Sees Gennesaret, eingeführt und dadurch eindeutig bestimmt wird.l 4 Ebenso leuchtet es ein, dass Maria, einmal als die Jüngerin Jesu aus Magdala identifiziert, im Laufe der Erzählung nur mit ihrem einfachen Namen bezeichnet und auch von Jesus so angesprochen wird. Die vollständige Nennung ihres Namens erst wieder am Ende der Perikope verdankt sich wohl der Absicht des Autors, gewissermaßen eine personale Inklusion herzustellen und über
13 14
Vgl. D. ZELLER, Ostermorgen 145. Vgl. W. WEREN, Art. Maria (die Magdalenerin) 194.
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Die DialogeJesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
die Person Maria Magdalena Joh 20,1-18 zu rahmen und damit als Texteinheit auszuweisen.!5
3. Aufbau und Inhalt von Joh 20,1-18
Dreh- und Angelpunkt des Geschehens in Joh 20,1-18 ist das Grab.I 6 Verschiedene Personen gehen zum Grab hin, machen dort bestimmte Wahrnehmungen und gehen wieder vom Grab weg.!7 3.1. Die Entdeckung des leeren Grabes durch Maria Magdalena und ihre Berichterstattung an Simon Petrus und den Jünger, denJesus liebte (Joh 20,lf.) Als erstes macht sich Maria Magdalena zum Grab auf. Dem Leser des Johannesevangeliums ist sie keine unbekannte Gestalt mehr, begegnet sie doch kurz vorher inJoh 19,25 als eine der Frauen, die beim Kreuz Jesu stehen und damit ihre treue Nachfolge unter Beweis stellen. Dieses johanneische Bild der Maria Magdalena geht mit dem synoptischen 15
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Dainit ist zwar der Wechsel von vollständiger zu einfacher Namensnennung und umgekehrt ~rklärt, aber auffällig ist und bleibt die Tatsache, dass Maria Magdalena bei vier Nennungen nach Nestle-Aland viermal unterschiedlich bezeichnet wird, in Joh 20,1 als MlXpLa ~ MIXYÖIXA-T]vi], in Joh 20,11 als MlXp[lX, in Joh 20,16 als MIXPL.xj.L und schließlich in Joh 20,18 als MlXpuxj.L ~ MlXyÖlXA-T]vi]. Ein Blick in den textkritischen Apparat genügt, um zu sehen, dass es für jede Stelle die entsprechende Variante gibt, s~i es MIXPL~ für MIXPLIX und umgekehrt Für Joh 20,16 und Joh 20,18 gibt es eine Ubereinstimmung der beiden wichtigsten Textzeugen Sinaiticus und Vaticanus, so dass die Lesart MIXPL.xj.L hier die ursprüngliche zu sein scheint. Für die beiden vorhergehenden StellenJoh 20,1 undJoh 20,11 ließe sich dann eine Vereinheitlichungstendenz des Sinaiticus vermuten, auch hier MIXPL~ anstelle des v. a. bei Joh 20,11 wesentlich besser bezeugten MIXPLIX zu lesen. Als stützendes Argument zu diesen formalen Beobachtungen ist es auch inhaltlich nachvollziehbar, dass Maria zunächst in dieser Namensform begegnet und dann erstmals vom Auferstandenen in der mehr persönlich anmutenden Namensform Mariam, die berechtigte Assoziationen an den hebräischen Namen Mirjam hervorruft, angesprochen und diese dann beibehalten wird. Stellt man sichJoh 20,1-18 als Szene eines TheaterStücks vor, so sind die Scheinwerfer stets auf das Grab gerichtet, nichts anderes hat der Zuschauer und im Fall des Johannesevangeliums der Leser im Blick. Dementsprechend spielen verba movendi et sentiendi inJoh 20,1-18 eine große Rolle. Das Wortfeld "gehen und laufen" kommt in den Verben epxollcXL Uoh 20,1.2b.3b.4c. 6a.8b.18a) mit den Komposita ~~PXOj.LIXL Uoh 20,3a), ELoepXOj.LIXL Uoh 20,5b.6c.8a) und cbTepXOj.LIXL Uoh 20,10) und tpexw Uoh 20,2a.4a) mit dem Kompositum 1TpOtpexw Uoh 20,4b) zum Ausdruck. Für "sehen" begegnen die drei verschiedenen Verben ~M1TW Uoh 20,lb.5a), 9EWpew Uoh 20,6d.12a.14c) und op.xw Uoh 20,8c.18b), die nach Schnackenburgjeweils keinen semantischen Eigenwert besitzen, sondern vielmehr als Variationen bzw. Synonyme mit gelegentlicher Bevorzugung des einen oder anderen Verbs verwendet werden, vgl. R SCHNACKENBURG,Joh III 367.
Der Dialog des Auferstandenen mit Maria Magdalena injoh 20,15-17
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Befund einher, wonach sie zu den Frauen gehört, die Jesus bereits in Galiläa nachgefolgt sind18 , die im Unterschied zu den Jüngern unter dem Kreuz ausharren 19, den Ort des GrabesJesu kennen20 und sich am ersten Tag der Woche zum Grab aufmachen. 21 Es fällt auf, dass Maria Magdalena in allen vier Evangelien bei der Erwähnung mehrerer Frauennamen bis auf Joh 19,25 22 immer an erster Stelle steht und damit als weibliches Pendant zu Petrus fungiert, der in den Namenslisten der Apostel auch jeweils zuerst genannt wird. 23 Wie also Petrus der bedeutendste Jünger Jesu war, so scheint Maria Magdalena die Spitzenposition unter den Jüngerinnen einzunehmen. Diese herausragende Stellung der Frau aus Magdala wird im Johannesevangelium gegenüber den Synoptikern noch verstärkt. Laut Joh 20,1 geht Maria Magdalena im Unterschied zur synoptischen Darstellung24 ganz allein zum Grab 25 und sieht, dass der Stein weggenommen ist. 26 Daraufhin27 läuft sie zu Simon Petrus und dem Jünger, den Jesus liebt, und berichtet, dass sie28 den Herrn aus dem Grab weggenommen haben und seid Aufenthaltsort nunmehr unklar ist. In dieser kurzen Szene ist Maria Magdalena die alleinige Handlungsträgerin 29, bevor sie ab Joh 20,3 gänzlich von der Bildfläche verschwindet und erst wieder ab Joh 20,11 in Erscheinung tritt. Im Gegensatz zu ihrer exponierten Stellung inJoh 20,11-18 spielt Maiia MagdaVgI. Lk 8,2 mit der zusätzlichen Notiz, dass aus Maria Magdalena sieben Dämonen . ausgefahren sind. 19 VgI. Mk 15,40; Mt 27,56. 20 VgI. Mk 15,47; Mt 27,6l. 21 VgI. Mk 16,1; Mt 28,1; Lk 24,10. 22 Das ergibt sich schlichtweg aus der Tatsache, dass bei der Szene unter dem Kreuz der Fokus auf der Mutter jesu und dem Lieblingsjünger liegt; zudem ist auch hier Maria Magdalena durch die betonte SchlusssteIlung herausgehoben und in besonderer Weise exponiert. 23 VgI. Mk 3,16-19; Mt 10,2-4; Lk 6,13-16. 24 VgI. Mk 16,1 parr. 25 Diese Tatsache lässt bereits auf das Interesse des johanne~vangelisten an Einzelpers,!Jnen schließen, welches injoh 20,11-18 noch verstärkt zum Vorschein kommen wird. 26 Uber eine Motivation Maria Magdalenas für ihren Grabbesuch wird nichts ausgesagt; um so mehr muss es den aufmerksamen Leser verwundern, dass sie sich überhaupt zum Grab aufmacht, ist dieses doch durch den Stein verschlossen und damit nicht zugänglich. Offensichtlich will sie damit nur ihre Trauer über den Tod jesu zum Ausdruck bringen, vgI.joh 20,11. 27 Ob Maria Magdalena in das Grab hineinschaut oder nicht, geht aus dem Text selbst nicht hervor; damit ist diese Fragestellung obsolet und führt zu nichts weiter als zu exegetischen Spekulationen. 28 Wen auch immer Maria Magdalena mit dieser Formulierung meint. 29 Sie erscheint grammatikalisch durchweg als Subjekt und macht injoh 20,1 Petrus und den Lieblingsjünger zum Objekt ihres Handeins. 18
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Die DialogeJesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
lena am Anfang dieses Kapitels lediglich eine Nebenrolle: "Ihre Rolle kann im Vergleich mit der der beidenjünger nur als peripher bezeichnet werden."30 Mit der Entdeckung des leeren Grabes und ihrer Berichterstattung an Simon Petrus und den Lieblingsjünger veranlasst bzw. motiviert sie allerdings den Gang der beidenjünger zum Grab. In synchroner Betrachtung stellt demnach Joh 20,lf. die Exposition für die folgenden Verse dar und dient somit als Vorbereitung für den Wettlauf der beidenjünger zum Grab.31 3.2. Der Wettlauf der beidenjünger zum Grab In Joh 20,3-10 dominieren Simon Petrus und der Lieblingsjünger das Geschehen. Beide machen sich gemeinsam zum Grab auf, kommen aber zeitlich versetzt an und machen unterschiedliche Wahrnehmungen, bevor sie nach jeweils verschiedener Reaktion wieder nach Hause zurückkehren. Simon Petrus ist der in den Evangelien am häufigsten genannte und damit bedeutendste Jünger Jesu.3 2 Seine absolute Vorrangstellung gegenüber allen ariderenjüngern bei den Synoptikern wird allerdings im Johannesevangelium dahingehend relativiert, dass Petrus hier beispielsweise nicht als Erster berufen wird 33 , dass ihm der Auferstandene nicht als Erster erscheint34 und dass er im namenlosen Lieblingsjünger ein Gegenüber bekommt, das seine konkurrenzlose Stellung einschränkt. Dieser ,Jünger, den Jesus liebte"35 begegnet erstmals im Kontext der Fußwaschung in Joh 13,21-30. Er wird hier vor den übrigen Jüngern herausgestellt und zeichnet sich durch seine besondere Nähe zu Jesus aus.3 6 Diese Christusunmittelbarkeit hat der geliebte Jünger dem Petrus voraus, insofern Petrus seine Frage an Jesus über ihn stellen muss. 37 30 So J. KUGLER, Lieblingsjünger 328. 31 32
33 34 35
36
37
Vgl. P. DSCHULNIGG,Jesus 298f. Bei Mk wird er 26-mal, bei Mt 27-mal, bei Lk 30-mal und beiJoh 40-mal erwähnt. Vgl.Joh 1,35-42 gegenüber Mk 1,16-20 paIT. Vgl.Joh 20,11-18 gegenüber Lk 24,34. An den insgesamt fünf Stellen im Johannesevangelium, an denen expressis verbis von diesem Lieblingsjünger die Rede ist, wechselt die Bezeichnung im Griechischen zwischen b fl4e"t~ öv Tjya.llOC b 'I"(JOü~ (vgl.Joh 13,23;19,26; 21,7.20) und b {fUo~ fl4e"t~ öv eljJ[AEL b 'I"(Jo~ (vgl. Joh 20,2); dieser Wechsel zwischen OCYOC1Ta.W und IjJLMW begegnet ebenso bei der Lazarusperikope in Joh 11,3.5 und scheint lediglich eine stilistische Variation ohne bedeutende theologische Relevanz darzustellen, vgl. R. SCHNACKENBURG,Johannes III 364f. Über das Stichwort K6AllO~ inJoh 13,23 lässt sich der Bezug zuJoh 1,18 herstellen. Der Lieblingsjünger liegt an der BrustJesu wie Jesus an der Brust des Vaters ruht; damit ergibt sich eine nahtlose Kette: Gott - Jesus - Liebling~ünger. Vgl.Joh 13,23-25.
Der Dialog des Auferstandenen mit Maria Magdalena in]oh 20,15-17
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Damit werden vom ersten Auftreten an im Evangelium Petrus und der Lieblingsjünger einander gegenübergestellt und es erweist sich hier wie auch inJoh 20,3-10 die Überlegenheit des geliebten Jüngers gegenüber Petrus. 38 LautJoh 20,3 und 4a gehen Petrus und der Lieblingsjünger hinaus und laufen zusammen zum Grab. Doch ab Joh 20,4b wird klar, dass sich das gemeinsame Laufen beider Jünger zu einer Konkurrenz zwischen ihnen entwickelt. 39 Der Lieblingsjünger läuft schneller als Petrus und kommt deswegen auch als Erster ans Grab. Diese Vorrangstellung beim Laufen drückt sich auf der semantischen Ebene durch 1TpoEöpa.f.LEV und 1TPW'tOC; inJoh 20,4 aus 40 ; sie wird inJoh 20,6b nochmals implizit angedeutet und in Joh 20,8b explizit wiederholt. In älteren Kommentaren 41 wird noch versucht, das spätere Ankommen des Petrus mit seinem höheren Alter zu begründen; diese These ist allein schon deswegen höchst spekulativ, weil der Text keine Angaben zum Alter der Jünger macht. Auch das Motiv der Liebe des Lieblingsjüngers zu Jesus als Begründung für seinen Vorsprung 42 kann nicht überzeugen, weil sich hier Jesus und der Lieblingsjünger nicht unmittelbar gegenüberstehen. Vielmehr gilt es, im schnelleren Laufen des geliebten Jüngers einen ersten Hinweis auf seine Vorrangstellung gegenüber Petrus innerhalb von Joh 20,3-10 zu sehen. Dieser Hinweis wird verstärkt durch einen Blick auf die handelnden Personen in diesen Versen. Demnach ist der Lieblingsjünger Träger von elf Handlungen, Petrus handelt achtmal 43 , d.h. auch hier zeigt sich die Überlegenheit des namenlos.en Jüngers. An seinem Verhalten fällt auf, dass er zwar als Erster am Grab ankommt, aber nicht hineingeht; vielmehr überlässt er Petrus als der gesamtkirchlichen Autorität den Vortritt. Dieser geht im Gegensatz zum Lieblingsjünger in das Grab hinein und sieht die Leinenbinden und das Schweißtuch. Die Ordnung im Grab, die in Joh 20,7cd explizit festgestellt wird, soll negativ den Verdacht eines LeiErst im Nachtragskapitel]oh 21 wird die Vorrangstellung des Lieblingsjüngers gegenüber Simon Petrus relativiert, insofern hier dem Petrus in feierlicher dreifacher Proklamation als positiven Kontrast zur vorherigen dreifachen Verleugnung das universale Hirtenamt übertragen und damit das als theologisch spektakulär empfundene ]ohannesevangelium in der breiten Tradition der petrinischen Großkirche verankert und gleichsam approbiert wird. 39 Das Fremdwort "Konkurrenz" leitet sich vom lateinischen Kompositum con-currere ab und bedeutet nichts anderes als "zusammen laufen", freilich mit der Assoziation eines Wettbewerbs oder gar einer Rivalität. 40 Vgl. R. SCHNACKENBURG,]ohannes III 366. 41 Vgl. beispielsweise T. ZAHN, Evangelium 662. 42 Vgl. H. H. WENDT,]ohannesevangelium 255. 43 Vgl.J. KÜGLER, Lieblingsjünger 325f., aber ohne Berücksichtigung von]oh 20,9. 38
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Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
chenraubs widerlegen und positiv bereits als ein Hinweis auf die Auferstehung verstanden werden. 44 Jedoch wird von einer Reaktion des Petrus nichts berichtet, geschweige denn, dass er aufgrund seiner Wahrnehmungen im Grab zum Glauben kommt. Dafür wird die Reaktion des Lieblingsjüngers, nachdem auch er in das Grab geht, umso mehr betont und damit der Nicht-Reaktion des Petrus gegenübergestellt: "Er sah und glaubte."45 Mit dieser Spitzenaussage in Joh 20,846 wird der Glaube des Lieblingsjüngers expressis verbis konstatiert. In diesem vorbildlichen Glauben des geliebten Jüngers liegt letztlich auch der uneingeschränkte Höhepunkt und das vornehmliche Ziel vonJoh 20,3-10. Weniger geht es der Erzählung also um das Verhältnis der beidenJünger zueinander, doch wird das Motiv der Überlegenheit des Lieblingsjüngers gegenüber Petrus dazu benutzt und dienstbar gemacht, durch die Abgrenzung von Petrus 47 den Lieblingsjünger im Hinblick auf seinen mustergültigen Glauben hervorzuheben und ihn als positive Identifikationsfigur dem Leser vor Augen zu führen. Allerdings hat sein Glaube, ebenso wenig wie die im Text nicht beschriebene Reaktion des Simon Petrus48 , keinerlei Auswirkungen oder gar folgenschwere Konsequenzen für den weiteren Fortgang der Erzählung. Laut Joh 20,10 kehren beide Jünger wieder nach Hause zurück. Es wird nichts davon berichtet, dass sie ihre Wahrnehmungen bzw. Erfahrungen an die anderen Jünger oder an sonstige Personen mitteilen. 3.3. Die Ostererfahrung Maria Magdalenas am Grab
Ab Joh 20,11 steht erneut Maria Magdalena im Rampenlicht der Erzählung; ihr werden zwei Erscheinungen zuteil. Zunächst sieht sie zwei
44
Vgl. S. RUSCHMANN, Maria 85.
45 Es macht keinen Sinn, diese Aussage von Joh 20,8 gegen das Wort des Auferstan-
46
47
48
denen .Selig, die nicht sehen und doch glauben" vonJoh 20,29 zu stellen, weil beide Aussagen in eine völlig andere Situation hineingesprochen werden und durch ihren unterschiedlichen Kontext gar nicht miteinander verglichen werden können, vgl. R. SCHNACKENBURG,Joh III 368f. Das absolute lILOtEW bezeichnet den Glauben im Vollsinn und bringt damit den Glauben schlechthin zum Ausdruck. Mit dieser Abgrenzung ist jedoch keine Abwertung verbunden; schließlich wird Petrus an keiner Stelle im Text negativ dargestellt oder gar kritisiert, vgl. R. SCHNACKENBURG, Joh III 371. Es fällt lediglich auf, dass vom Glauben des Petrus nichts berichtet wird, dadurch wird umgekehrt der explizit festgestellte Glaube des Lieblingsjüngers betont herausgestellt. Auf irgendeine Weise muss Simon Petrus reagiert haben, als er in das Grab hineingegangen ist und lediglich die Leinenbinden und das Schweißtuch, aber nicht den Leichnam Jesu gesehen hat; Joh 20,9 lässt vermuten, dass Petrus aufgrund des leeren Grabes noch nicht zum Glauben an die AuferstehungJesu gekommen ist.
Der Dialog des Auferstandenen mit Maria Magdalena injoh 20,15~17
231
Engel im Innern des Grabes, dann begegnet sie dem Auferstandenen und avanciert zur ersten Osterzeugin. Maria Magdalena, die seitJoh 20,2 von der Bildfläche verschwunden war, kehrt nun wieder auf die Bühne des Geschehens zurück. Sie steht nach Joh 20,11 am Grab und weint. Dieses Weinen49 ist nicht die Totenklage50, es ist auch nicht so sehr Ausdruck ihrer Trauer und Betroffenheit über den Tod Jesu allgemein, sondern vom Kontext her legt sich die spezielle Möglichkeit nahe, dass Maria traurig und verzweifelt zugleich ist über das Verschwinden des Leichnams. 51 Wengst geht über den Text als solchen hinaus und sieht in der weinenden Maria Magdalena die bedrängte johanneische Gemeinde repräsentiert, der die ZusageJoh 16,20 gilt: "Ihr werdet traurig sein, aber eure Trauer wird zu Freude werden." In der folgenden Begegnung mit dem Auferstandenen wird sich seiner Meinung nach diese Verheißung aus der Abschiedsrede des irdischen Jesus erfüllen, insofern die johanneischen Christen in der Gestalt :M:aria Magdalenas zur Osterfreude geführt werden. 52 Am Verhalten Maria Magdalenas, dass sie sich während des Weinens in das Grab hineinbeugt, fällt zweierlei auf: Zum einen lässt sich keine Motivation für ihr Hineinbeugen erkennen53 und zum anderen ist es äußerst verwunderlich, dass sie nicht in das Grab geht, wenn sie sich schon vorbeugt. Demnach ist das Verhalten Maria Magdalenas mit Schnackenburg durchaus als "gestellt"54 und damit als künstlich zu bewerten, lässt sich aber von der folgenden Szene mitJesus vor dem Grab rückwirkend erklären und begründen. Als sich Maria Magdalena hineinbeugt, sieht sie zwei Engel im Grabesinneren sitzen. Analog zu den Leinenbinden und dem Schweißtuch inJoh 20,6d.7 sticht hier die besondere Positionierung der beiden Engel hervor: Der eine sitzt dort, wo vorher der Kopf, der andere dort, wo vorher die Füße des Leichnams Jesu gelegen waren. Damit stecken die Himmelswesen den Ort des Leichnams ab und verweisen dadurch, ohne eine göttliche Botschaft in diese Richtung zu verkünden, auf die Auferstehung Jesu. 55 Genau darin liegt auch die Funktion der beiden Engel inJoh 20,12f.: Sie sollen ein stummes Zeugnis dafür geben, dass 49
50 51 52 53 54 55
In dem einen Versjoh 20,11 ist sogar zweimal davon die Rede. Mit R. SCHNACKENBURG,joh III 372. Vgl.joh 20,2.13.15. Vgl. K. WENGST,joh II 300. Vgl. im Unterschied dazu das Verhalten des Lieblingsjüngers injoh 20,5, der sich vorbeugt, weil er noch nicht in das Grab hineingehen will. So die Beurteilung dieser Szene bei R. SCHNACKENBURG,joh III 372. Vgl. S. RUSCHMANN, Maria 87.
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Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium
Jesus von den Toten auferstanden ist; nicht mehr, aber auch nicht weniger. Maria Magdalena versteht !;'!s natürlich nicht in ihrer Situation der Trauer und Verzweiflung, dieses nonverbale Zeichen zu deuten, wie aus Joh 20,13def hervorgeht. Auf die zuvor inJoh 20,13b gestellte Frauge der Engel rllvaL, ,L KÄaLELC;, die Ebner allenfalls als "seelsorgerliche Enipathie"56 bewertet, antwortet sie mit "Hpav KUPLOV J.10U, KaI. OUK otfu 1TOU ~eTJKaV Diese Antwort verweist zurück auf ihre Berichterstattung an Simon Petrus und den Lieblingsjünger in Joh 20,2. Beide Aussagen stimmen fast wörtlich überein, allerdings lassen sich auch einige interessante Unterschiede ausmachen. Die Angabe EK ,OU J.1VTJJ.1ELOU aus Joh 20,2e wird in Joh 20,13 logischerweise obsolet, weil diese Szene im Gegensatz zur vorigen direkt am Grab spielt. Die Bezeichnung KUPLOV für Jesus in Joh 20,2e wird in Joh 20,13d durch das Possessivum J.10U ergänzt und dadurch entscheidend personalisiert. Ebenso wird der allgemeine Plural O'(öaIlEV aus Joh 20,2f in Joh 20,13e in den eindeutigen Singular otöa umgewandelt. An diesen Veränderungen wird eine gewisse Individualisierungstendenz erkennbar. War die Aussage in Joh 20,2 noch sehr allgemein gehalten, so ist Joh 20,13def wesentlich persönlicher formuliert und ganz auf Maria Magdalena hin individualisiert. Die Jüngerin spricht dezidiert von "ihrem" Herrn und gibt sich in dem otöa als ausschließliches Subjekt zu erkennen. Ob darin ein Besitzanspruch auf den LeichnamJesu zum Ausdruck kommen soll, wage ich zu bezweifeln;57 vielmehr geht es doch hier bereits darum, einerseits die besondere Nähe Maria Magdalenas zu Jesus und ihre Vertrautheit mit ihm anklingen zu lassen58 und andererseits Maria Magdalena als eigenständig handelndes Subjekt zu charakterisieren. Nach diesem kurzen Intermezzo mit den beiden Engeln - ihre Erscheinung hat wie die Wahrnehmungen der beiden Jünger am Grab keinerlei Auswirkung auf den weiteren Gang der Handlung - wendet sich die Erzählung, weg von der "Angelophanie"59 hin zur Christopha-
au,ov.
,ov
'ov
56 So M. EBNER, Wer liebt mehr? 41. 57 Gegen S. RUSCHMANN, Maria 88, die ebd. auch von einer "größeren Absolutheit" in dieser Aussage spricht, was m. E. der Sache nicht entspricht.
58 Vgl. U. WILCKENS,Joh 308. 59 Diese Bezeichnung ist hier insofern mit besonderer Vorsicht zu genießen, als im Vergleich zu anderen biblischen Angelophanien typische Gattungselemente, wie beispielsweise das Motiv der Furcht oder das Auftreten eines angelus interpres, hier gänzlich fehlen; der Sache nach liegt aber doch eine Engelserscheinung vor.
· Der Dialog des Auferstandenen mit Maria Magdalena inJoh 20,15-17
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nie inJoh 20,14-18. 60 Ähnlich gestellt wie das Hineinbeugen der Maria Magdalena in die Grabkammer inJoh 20,11 wirkt auch ihr Umwenden inJoh 20,14b61 • Dadurch sieht sie Jesus, erkennt ihn aber nicht. Dies ist die Ausgangssituation für den anschließenden Dialog zwischen Jesus und Maria Magdalena in Joh 20,15-17, in dessen Verlauf sich Jesus ihr nach einer Verwechslung mit dem Gärtner als der Auferstandene offenbart und ihr einen bestimmten Auftrag erteilt. Abschließend wird inJoh 20,18 davon berichtet, dass Maria Magdalena diesen Auftrag ausführt und den Jüngern die Osterbotschaft verkündet. Damit hat Maria Magdalena in doppelter Hinsicht eine Vorrangstellung inne. Sie wird nach Joh 20,14-18 als erste Auferstehungszeugin und damit einhergehend ausdrücklich als erste Verkünderin 62 des Osterglaubens gezeichnet, was ihr in der Väterexegese den Ehrentitel apostola apostolorum63 beschert. 3.4. Kommen - Sehen - Glauben inJoh 20,1-18 Kommen, Sehen und Glauben - mit dieser Trias lassen sich m. E. treffend die inJoh 20,1-18 beschriebenen Ereignisse bei einer synchronen Lektüre zusammenfassen. Diese Beobachtung ergibt sich aus dem semantischen Befund64 und wird sowohl auf der formalen wie auf der inhaltlichen Ebene bestätigt. Kommen: Verschiedene Personen machen sich auf zum Grab. Zunächst ist es Maria Magdalena, dann die beiden Jünger Simon Petrus und der, denJesus liebt, die zum Grab kommen, bevor am Ende wieder Maria Magdalena am Grab steht. In Joh 20,1-18 wird demnach ein mehrfaches Kommen zum Grab geschildert. Von dieser ständigen Bewegung lebt der Text und gewinnt aus ihr seine innere Dynamik. Doch Dieser Abschnitt soll hier nur kurz dargestellt werden, kommt es hier doch zum Dialog zwischen Jesus und Maria Magdalena, der in der folgenden Einze1exegese ausführlich behandelt werden soll. 61 Maria Magdalena hat eigentlich keinen Grund, sich umzuwenden, ganz im Gegenteil, will sie doch von den Engeln eine Auskunft, wo sich der Leichnam Jesu befindet. Dieses Umwenden wird aber auf der literarischen Ebene nötig, um ihre folgende Begegnung mit Jesus nicht nur außerhalb des Grabes, sondern auch. hinter ihrem Rücken, vgl. das Et~ teX 01lLOW inJoh 20,14b, erzählen zu können, vgl. R. SCHNACKENBURG,Joh III 373f. 62 Vgl. &.yyeHouoa. inJoh 20,18 und die anschließende direkte Rede: 'EWpa.Ka. tOV KUpLOV. 63 Diese Ehrenbezeichnung aufgrund vonJoh 20,14-18 begegnet erstmals im Hoheliedkommentar des Hippolyt von Rom, vgl. De cantico XXV, 6, und findet sich in der Folgezeit bei sämtlichen bekannten christlichen Autoren, vgl. zu diesem Topos mit seiner unterschiedlichen Funktion in der Väterexegese R. NURNBERG, Apostolae 228242. 64 Vgl. das bereits analysierte Vorkommen und den Gebrauch dieser Verben inJoh 20,118. 60
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Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium
nicht nur die unterschiedlichen Personen auf der Textebene kommen zum Grab, auch der Leser ist aufgefordert, sich immer wieder neu mit den einzelnen Figuren zum Grab aufzumachen. Dadurch bleibt auch er geistig in Bewegung und gewinnt somit die Möglichkeit, das .Geschehen der Erzählung authentisch zu erleben und sich in ihm wieder zu finden . . Sehen: Natürlich bleibt es nicht dabei, dass die verschiedenen Personen zum Grab kommen und dann sofort wieder gehen, sondern, dass sie dort nach ihrer Ankunft jeweils unterschiedliche Wahrnehmungen machen. Maria Magdalena sieht in Joh 20,1 zunächst nur den vom Grab weggenommenen Stein. Der Lieblingsjünger, der sich in das Grab hineinbeugt, nimmt in Joh 20,5 die Leinenbinden wahr, bevor Petrus, der in das Grab hineingeht, neben den Leinenbinden inJoh 20,7 auch das Schweißtuch Jesu erblickt. In dem, was die einzelnen Personen jeweils sehen, sieht Wilckens eine "Steigerung, mit der der Erzähler die Leser die Osterentdeckung miterleben läßt".65 Diese Beobachtung ist absolut zutreffend, lässt sich aber über Joh 20,1-10 noch auf die folgenden Verse ausweiten. In Joh 20,12 sieht Maria Magdalena zwei Engel im Grab sitzen und in Joh 20,14 schließlich Jesus selbst. Mit dieser Erscheinung des Auferstandenen ist der absolute Höhepunkt bezüglich der Wahrnehmungen der einzelnen Personen erreicht. Während die Personen auf der Textebene jeweils nur ihre Einzelbeobachtungen machen, hat der Leser den Vorteil, diese kontinuierliche Steigerung in dem, was gesehen wird, nachvollziehen und mitgehen zu können, angefangen bei den Gegenständen im Grab, deren Ordnung bereits auf die Auferstehung Jesu hinweist, über die Engel, die noch nicht die Osterbotschaft verkünden, bis zum Auferstandenen selbst, der in persona den Beweis für die Auferstehung liefert. 66 Über diese Klimax schreitet der Leser mit den Personen des Textes in seinen Osterentdeckungen voran und wird schließlich zum Osterglauben geführt. Glauben: Von Petrus wird als einzigem nicht explizit ausgesagt, ob und wie er zum Glauben kommt. Dagegen wird bei den beiden anderen Personen des TextesJoh 20,1-18 umso deutlicher herausgestellt, dass sie aufgrund des Sehens zum Glauben gelangen. Vom Lieblings-
65 So u. WILCKENS,Joh 306. 66 Die Bemerkung, dass Maria Magdalena den auferstandenen Herrn zunächst für den Gärtner hält (vgI.Joh 20,15), stellt ein retardierendes Moment in dieser Steigerungskette dar und verzögert den Höhepunkt der Szene.
Der Dialog des Auferstandenen mit Maria Magdalena injoh 20,15-17
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jünger heißt es in Joh 20,8c ausdrücklich ELÖEV KaL bLO'tEUOEV67 und Maria Magdalena verkündet ihre Osterbotschaft in Joh 20,18c auf der Basis des Sehens: 'EuSpaKa 'tov KUpLOV. Bezeichnenderweise stehen beide Aussagen jeweils am Ende einer kleineren Texteinheit68 und sind also bereits durch ihre Stellung deutlich hervorgehoben. Damit geht die Wichtigkeit ihres Inhalts einher, insofern jeweils die Bedeutung des Sehens für den Glauben herausgestellt wird. Sehen und Glauben sind keine verschiedenen Angelegenheiten, die nebeneinander herlaufen; ganz im Gegenteil, beide Handlungen sind aufeinander verwiesen. Das Sehen stellt die notwendige Voraussetzung für den Glauben dar bzw. umgekehrt formuliert: Ohne das Sehen kann kein Glaube entstehen. Der Lieblingsjünger und Maria Magdalena werden dem Leser inJoh 20,1-18 als schillernde Glaubensgestalten vor Augen geführt. Er, der durch seine besondere Nähe zu Jesus bereits aufgrund des leeren Grabes zum Osterglauben kommt, und sie, die dem Auferstandenen begegnet und daraufhin den Jüngern die Osterbotschaft verkündet. Ebner setzt beide Figuren zueinander in Beziehung und erkennt in Maria Magdalena das weibliche Pendant zum Liebling~ünger: ..Im Bezug auf Maria von Magdala dagegen ist der Liebling~ünger eher eine männliche Spiegelfigur. Dem geliebten Mann, der als erster glaubt aufgrund der Zeichen, entspricht die liebende Frau, die als erste den erhöhten Kyrios identifiziert. "69 Diese These erscheint zwar auf den ersten Blick recht interessant, lässt sich aber bei genauerem Hinsehen nicht halten. Während die besondere Beziehung des Lieblingsjüngers zu Jesus, seine Nähe zu ihm allein schon durch die Bezeichnung "der Jünger, den Jesus liebte" und darüber hinaus in seinem Verhalten in den Texten klar zum Ausdruck kommt, entbehrt das postulierte Liebesverhältnis zwischenJesus und Maria Magdalenajeder textlichen Grundlage, auch wenn Ebner innerhalb vonJoh 20,1-18 eine Liebesmetaph0rik auszumachen versucht. 70 Deswegen ist die Einschätzung Maria Magdalenas als "liebende Jüngerin" m. E. exegetisch nicht haltbar; doch 67
68
69 70
Durch die absolute Formulierung wird natürlich nichts darüber ausgesagt, worin dieser Glaube besteht; aber darauf kommt es in diesem Zusammenhang nicht an, es geht hier um den Glauben im Vollsinn. Deswegen sind m. E. auch die Diskussionen darüber, ob der Glaube des Lieblingsjüngers vorösterlich beschränkt (vgl. U. BORSE, . Glaube 15lf.) oder durch die Augenzeugenschaft als Auferstehungsglaube zu interpretieren ist (vgl. j. KÜGLER, Lieblingsjünger 326f.), obsolet, können sie doch zum Faktum des konstatierten Glaubens als solchem nichts beitragen. Mitjoh 20,8 kommt die Erzählung von Petrus und dem Liebling~ünger injoh 20,3-10 an ihren Höhepunkt. Analog ist mit der Osterverkündigung der Maria Magdalena in joh 20,18 die Klimax vonjoh 20,11-18 erreicht. So M. EBNER,jüngerin 47. Ebd. 42-45.
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Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium
dies spricht nicht dagegen, sie hinsichtlich ihres vorbildlichen Osterglaubens als weibliches Spiegelbild in Beziehung zum Lieblingsjünger zu setzen. Das Tertium comparationis zwischen beiden Figuren ist somit nicht ihre Liebe zuJesus, sondern ihr Glaube.
4. EntstehungvonJoh 20,1-18
Aufgrund von auffälligen Spannungen und Doppelungen in Joh 20,118 reicht es nicht aus, diesen Text ausschließlich synchron zu lesen und zu interpretieren. Vielmehr führt kein Weg daran vorbei, unter diachronem Gesichtspunkt auch die Entstehungsgeschichte vonJoh 20,118 in die Überlegungen mit einzubeziehen, selbst wenn es sich dabei um ein schwieriges Unterfangen handelt. An dieser Stelle soll in aller Kürze und Prägnanz der Versuch unternommen werden, unter Einbeziehung bisheriger forschungsgeschichtlicher Ergebnisse die wichtigsten literarkritischen und traditionsgeschichtlichen Beobachtungen zu machen mit dem Ziel, am Ende keinen vollständigen Lösungsansatz zu präsentieren, sondern speziell die Aussageabsicht des Johannesevangelisten herauszuarbeiten und zu profilieren. 4.1. Literarkritische Betrachtungen Dem aufmerksamen Leser fallen inJoh 20,1-18 zahlreiche Spannungen und Doppelungen ins Auge, die es nun im Zuge der Literarkritik zusammenzutragen gilt. 7I · In Joh 20,1 wird davon berichtet, dass Maria Magdalena allein zum Grab geht; dagegen sagt sie im darauffolgenden Vers Joh 20,2 zu den beiden Jüngern: " Wir wissen nicht, wohin sie ihn [den Herrn] gelegt haben." Dieser Wechsel vom Singular zum Plural fallt nicht nur auf, er muss darüber hinaus auch auf irgendeine Art und Weise erklärt werden. In diesem Zusammenhang ist es auch nicht ganz logisch, dass Maria Magdalena, ohne in das Grab geschaut zu haben, lediglich aufgrund des weggenommenen Steines die Schlussfolgerung zieht, der Leichnam Jesu befinde sich nicht mehr im Grab. Diese Aussage erscheint an dieser Stelle als eine vage Vermutung und lässt sich erst mit Joh 20,11 verifizieren, nachdem Maria Magdalena auch wirklich in das Grab geschaut hat.
7I Vgl. J. BECKER, Joh 11 716-719; J. KÜGLER, Lieblingsjünger 340-344; R SCHNACKENBURG,Joh III 355f.; M. THEOBAID,Jünger 234-239; D. ZELLER, Ostermorgen 146f.
Der Dialog des Auferstandenen mit Maria Magdalena inJoh 20,15-17
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Beim Gang der beiden Jünger zum Grab ist zweierlei auffällig. Zum einen begegnet eine Spannung inJoh 20,3 dahingehend, dass das erste Prädikat im Singular72, das zweite Prädikat aber im Plural73 steht; diese Beobachtung kann sehr wohl literarkritisch ausgewertet werden74, insofern es hier um die Frage geht, wie viele Personen sich zum Grab aufgemacht haben. Zum anderen stehen sichJoh 20,3 mitJoh 20,4a und der restliche Vers von Joh 20,4 einander spannungsvoll gegenüber. Während zunächst von einem gemeinsamen Gang der beiden Jünger zum Grab die Rede ist75 , wird dieser Gang der Jünger inJoh 20,4bc zu einem Wettlauf stilisiert, aus dem der Lieblingsjünger als Sieger hervorgeht. Wie lässt sich dieser unvermittelte Umschwung von einem Zusammenlaufen hin zu einem Wettlauf erklären? Laut Joh 20,8 kommt der Lieblingsjünger, nachdem er in das Grab geht und nichts sieht außer den Leinenbinden und dem Schweißtuch, zum Glauben. Allerdings hat dieser explizit festgestellte Glaube dieses Jüngers nicht nur keinerlei Folgen für die weitere Erzählung, sondern er steht sogar vehement im Widerspruch zur begründenden Aussage von Joh 20,9, dass beide Jünger, also auch der Lieblingsjünger, noch nicht von der Notwendigkeit der Auferstehung aus der Schrift wissen. Für den Leser ist es seltsam und kaum nachzuvollziehen, dass die beiden Jünger laut Joh 20,10 niemandem von ihrem Grabbesuch einschließlich der Inspektion des Grabes erzählen76; stattdessen ist lediglich von ihrer Rückkehr nach Hause die Rede. Kann das, was die beiden Jünger am bzw. im Grab erlebt und wahrgenommen haben, wirklich geheim gehalten werden und damit folgenlos sein? Nachdem Maria Magdalena in Joh 20,2 das Grab verlassen hat, befindet sie sich inJoh 20,11 erneut dort; allerdings wird dazwischen mit keinem Wort von ihrer Rückkehr zum Grab berichtet. Wie kommt sie also wieder dorthin? Oder ist sie möglicherweise am Grab geblieben? Bei der Inspektion des Grabes sehen die beidenjünger lautJoh 20,57 die Leinenbinden und Petrus darüber hinaus auch das Schweißtuch, aber keine Engel. Demgegenüber erblickt Maria Magdalena in Joh 20,12 zwei Engel im Grab, jedoch keine Leinenbinden und auch kein Schweißtuch. Wie lassen sich diese unterschiedlichen Wahrnehmungen miteinander vereinbaren? Und worin liegt speziell die Funktion der 72 ~1iAeEv mit dem zugehörigen Subjekt Petrus. 73 ~PXOvto: Zu Petrus kommt noch der Lieblingsjünger als weiteres Subjekt hinzu. 74 Gegen Kügler, der darin eindeutig eine Sprachkonvention sieht, vgl.J. KÜGLER, 75 76
Lieblingsjünger 343f. In dem OJ,Loii aus Joh 20,4a kommt dies explizit zum Ausdruck. Vgl. dagegen das Verhalten Maria Magdalenas in Joh 20,2, die auf ihre Wahrnehmungen am Grab reagiert und den beidenjüngern Bericht erstattet.
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Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
Engel im Grab? Sie haben keine Botschaft zu verkünden, auch reagieren sie nicht behilflich auf die Klage Maria Magdalenas, sondern stellen ihr lediglich in Joh 20,13b die Frage: fuvaL, 1:i. KÄa;i.EL~;. Exakt die gleiche Frage begegnet zwei Verse weiter im Munde Jesu. 77 Diese auffällige Doppelung muss ebenso erklärt werden wie das zweifache Umwenden Maria Magdalenas inJoh 20,14b undJoh 20,16c. Aufgrund der Tatsache, dass der Text von keinerlei BerührungJesu durch Maria Magdalena spricht, geschweige denn eine Andeutung in diese Richtung macht, erscheint die Aufforderung Jesu I.I.~ j.1OU IX1T1:0U in Joh 20,17b nicht nur unvermittelt, sondern gänzlich unmotiviert und damit auch unlogisch. Schließlich liegt auch noch inJoh 20,18 eine Spannung vor, insofern hier ein Wechsel von direkter zu indirekter Rede stattfindet und dadurch die letzten Worte Kal. 1:ama etTIEV a\nll in Joh 20,18c den Charakter eines nachklappenden Anhangs bekommen, der eigentlich nicht mehr nötig zu sein scheint, aber offensichtlich doch eine bestimmte Funktion zu erfüllen hat. 4.2. Traditionsgeschichtliche Analyse Die soeben im Rahmen der Literarkritik skizzierten Spannungen und Doppelungen machen deutlich, dass der TextJoh 20,1-18 unmöglich aus einem Guss entstanden sein kann, sondern das Produkt einer längeren und auch komplizierteren Entstehungsgeschichte darstellt. Unschwer lassen sich zunächst mit den synoptischen Ostererzählungen im Hinterkopf die verschiedenen Traditionen erkennen, die hier in Joh 20 zusammenlaufen. Dazu gehören zum einen der Komplex der Grabesgeschichten' mit den Varianten Grabbesuch der Frauen, Grabbesuch des Petrus und Grabbesuch der Jünger, zum anderen der Komplex der Erscheinungen mit den beiden Varianten Erscheinung von Engeln und Erscheinung des Aufecitandenen.78 Bedeutend schwieriger gestaltet sich die Klärung der Verflechtung der verschiedenen Traditionen und damit die Bestimmung, auf welcher Stufe die einzelnen Traditionen jeweils miteinander verbunden worden sind und zu welchem Zweck diese Bearbeitung erfolgt ist. Was die Überlegungen zu einer Grabgangtradition betrifft, so zeigt sich in Joh 20,1 eine deutliche Entsprechung zu den synoptischen Erzählungen vom Grabbesuch der Frauen. Die Zeitangabe 'tf1 öe I.I.L~ 1:6)v aaßßIX1:wv inklusive der genaueren zeitlichen Bestimmung TIpwt, die 77 Vgl.Joh 20,15b. 78 Vgl. R SCHNACKENBURG,Joh m 356.
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Erwähnung Maria Magdalenas, das Faktum, dass der Stein vom Grab weggenommen ist, stellen bemerkenswerte Übereinstimmungen dar. Demnach lässt sich das Gerüst vonJoh 20,1 an einer gemeinsamen Tradition mit Mk 16,2.4 festmachen, wobei die größere syntaktische Nähe zu Lukas gegeben ist. 79 Eine johanneische Besonderheit zeigt sich in der wohl symbolisch zu interpretierenden Angabe OKO.(a:C; E'tL OÜ01lC;80 und in der Tatsache, dass Maria Magdalena im Unterschied zu den Synoptikern allein zum Grab geht.81 Der Plural OLÖa:j.l.EV inJoh 20,2 lässt allerdings vermuten, dass in der benutzten Quelle ursprünglich von mehreren Frauen die Rede war, die sich zum Grab aufmachen. Doch nicht nur Frauen scheinen in der Grabgangtradition eine Rolle zu spielen, auch die Jünger. LautJoh 20,3-10 laufen zwei Jünger zum Grab. Diese Angabe lässt sich mit Lk 24,24 in Einklang bringen82 ; doch viel entscheidender ist in diesem Zusammenhang laut Lorenzen Lk 24,12, weil hier z.T. auch wörtliche Übereinstimmungen83 vorliegen und weil hier v. a. von Petrus die Rede ist, der zum Grab läuft. Jedoch gilt es hierbei zu bedenken, dass dieser Vers textkritisch nicht ganz unumstritten ist. Während D it syr und Marcion Lk 24,12 auslassen und dieser Vers dadurch lange Zeit als Interpolation angesehen wurde aufgrund seiner Nähe zu Joh 20,3-1084, gewissermaßen als nachträgliche Kurzzusammenfassung der dort beschriebenen Ereignisse, und deshalb nicht in die westlichen Textzeugen Eingang gefunden hat, nehmen die anderen Textzeugen Lk 24,12 auf und der Vers gilt mittlerweile als ursprünglich.85 Unter dieser Voraussetzung lässt sich in der vorlukanischen und voIjohanneischen Tradition ein Grabgang des Petrus rekonstruieren. Ob Petrus allerdings auf dem Weg zum Grab gemäß Lk 24,12 allein oder nach Lk 24,24 in Begleitung von anderen Jüngern
79
Vgl. D. ZEllER, Ostermorgen 147.
80 Die Dunkelheit bei Johannes lässt sich gut mit dem Weinen der Maria Magdalena am
81 82 83 84
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Grab, vgl.Joh 20,11, verbinden und deutet auf deren Trauer und Hoffnungslosigkeit hin; demgegenüber weist der Sonnenaufgang bei Markus, vgl. Mk 16,2, bereits auf das hereinbrechende Osterlicht hin, vgl. K. WENGST,Joh 11 293. Historisch ist es unwahrscheinlich, dass sich eine Frau bei Dunkelheit zu einem Grab aufmacht, vgl. S. RUSCHMANN, Maria 83f. Vgl.Joh 20,1 mit Mk 16,lf. parr. Im Kontext der Emmauserzählung ist von einigen (unbestimmt, aber gemeint sind einige der Jünger) die Rede, die zum Grab gehen. Vgl. T. LORENZEN, Lieblingsjünger 27, Anm. 10. Benoit spricht in Bezug aufLk 24,12 von einer "Anleihe" des Lukas beiJohannes, vgl. P. BENOIT, Maria Magdalena 366. Vgl. die kurze Zusammenfassung der Diskussion bei R SCHNACKENBURG,Joh III 364.
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Die Dialogejesu mitEinzelpersonen imjohannesevangelium
war86 , wäre im Hinblick auf joh 20,3-10 sehr aufschlussreich, lässt sich
aber m. E. nicht zweifelsfrei klären. Für die vorjohanneische Erzählung nimmt Lorenzen an, dass sie nur von einem Lauf des Petrus, analog zu Lk 24,12, aber gegen Lk 24,24, zum Grab berichtet hat. 87 Demgegenüber sind es laut Schnackenburg in der Quelle Petrus und Maria Magdalena, die zum Grab gehen. Bei dieser Annahme lösen sich auch die Spannungen injoh 20,10f.; während Petrus analog zu Lk 24,12 zurückkehrt, bleibt Maria Magdalena am Grab. 88 Möglicherweise sind es zwei verschiedene, jedoch auf eine ~emeinsame Urform89 zurückgehende Traditionen, die im Laufe des Uberlieferungsprozesses zusammengeführt und verarbeitet werden90, einerseits die Grabgangtradition der Frauen mit Maria Magdalena an der Spitze, andererseits die Grabgangtradition der jünger mit Petrus. Die Verbindung zwischen diesen beiden Traditionen wird nun dahingehend hergestellt, dass Maria Magdalena den Grabgang des Petrus auslöst und motiviert. Während letztere Tradition offensichtlich mit der Rückkehr des verwunderten Petrus endet91 , ist es gut denkbar, dass erstere Tradition nicht nur die Auffindung des leeren Grabes am Ostermorgen durch die Frauen, sondern auch eine Engelerscheinung am Grab enthält. Diese Möglichkeit schließt Dietzfelbinger bei seiner in Anlehnung an Benoit, jeremias und Brown erfolgenden Rekonstruktion der Ur-Grabesgeschichte kategorisch aus. 92 Auch wenn nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden kann, ob die Engel von Anfang an zur Grabesgeschichte gehören oder erst in einem späteren Traditionsstadium dazukommen, so lässt sich diese Verbindung in traditioneller Hinsicht nicht leugnen. Schließlich ist es bemerkenswert, dass in sämtlichen Erzählungen vom leeren Grab Engel auftreten. Diese Tatsache lässt den Rückschluss zu, dass sich die Verbindung von Grabgangser-
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Diese Verse stehen in Spannung zueinander hinsichtlich der Anzahl der Personen, die zum Grab gehen; deswegen gehen sie wohl auch auf unterschiedliche Traditionen zurück. Vgl. T. LORENZEN, Lieblingsjünger 29. Vgl. R. SCHNACKENBURG,joh III 359f. Eine solche Urform könnte die Erinnerung an die Auflindung des leeren Grabes enthalten, die in den davon abhängigen Traditionen unterschiedlich entfaltet wird: Im einen Strang werden die Frauen besonders herausgestellt, im anderen Strang liegt das Gewicht auf Petrus und den jüngern. Wann diese Verschmelzung beider Traditionen stattgefunden hat, lässt sich nicht rekonstruieren, doch ist sie mit ziemlicher Sicherheit vOIjohanneisch anzusiedeln,vgl. S. RUSCHMANN, Maria 77f. Von einer Reaktion des Petrus berichten weder die Synoptiker nochjohannes. Vgl. C. DIETZFELBlNGER, Osterglaube 9f.
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zählung und Angelophanie am bzw. im Grab einer verbreiteten Tradition verdankt, die von allen vier Evangelisten aufgenommen wird. Abgesehen von der Anzahl der Engel93 wird jedoch ihre Funktion unterschiedlich beschrieben. Während bei den Synoptikern der bzw. die Engel die Osterbotschaft verkündet/verkünden 94, bleiben die Engel bei Johannes in kerygmatischer Hinsicht seltsam stumm. Ihre Rolle ist darauf beschränkt, Maria Magdalena nach dem Grund ihres Weinens zu fragen. 95 Damit ist auch schon ihr Auftritt beendet. Sie können weder auf die Klage Maria Magdalenas in Joh 20,13 reagieren, geschweige denn die Auferstehung verkünden. Diese Aufgabe wird beiJohannes Maria Magdalena übertragen, die lautJoh 20,18 als aYYEAAouaa zu denjüngern geht und ihnen bezeugt: 'Eu>paKa 'Cov KUPLOV 96 Dadurch sind die Engel bei Johannes zu funktionslosen Statisten degradiert; sie sind eigentlich gänzlich überflüssig. Doch offensichtlich kann und darf die Szene mit den Engeln nicht komplett wegfallen;97 stattdessen wird die Angelophanie rumpfartig der Christophanie vorangestellt. Aufgrund der Tatsache, dass inJoh 20,11-18 zwei verschiedene, voneinander unabhängige Traditionen zusammengeführt und blockweise hintereinander gestellt werden, erklären sich die auffälligen Doppelungen in diesem Abschnitt. Die doppelte Frage rUvaL, 'CL daLELe;; in Joh 20,13 und 15 sowie das zweifache Umwenden Marias inJoh 20,14 und 16 gehen also jeweils einmal auf die Tradition und einmal auf die Redaktion zurück. Lediglich bei der entsprechenden Zuweisung gehen die Meinungen der Exegeten auseinander. Ebenso wie Brown sieht auch Schnackenburg die Engelszene als spätere Hinzufügung und bekommt durch den Sprung vonJoh 20,l1a zuJoh 20,14b einen glatten Text. Die redaktionelle Komposition lässt sich aus Wendungen des Kontextes ableiten und deshalb gut nachvollziehen; allerdings stellt sich Schnackenburg selbst die berechtigte Frage, "was einen Redaktor dazu bewogen haben sollte, diese Szene einzufügen. "98 Schließlich werden hier keine neuen Inhalte in den Text eingetragen, sondern lediglich bereits Bekanntes wieder aufgegriffen99 oder noch Ausstehendes vorweggenommen 100, so dass der 93 Bei Markus und Matthäus ist es jeweils ein Engel, bei Lukas und johannes sind es jeweils zwei, vgl. Mk 16,5; Mt 28,2; Lk 24,4;joh 20,12. Vgl. Mk 16,6f.; Mt 28,5-7; Lk 24,5-7. 95 Vgl.joh 20,13. 96 Vgl. M. EBNER, Wer liebt mehr? 4l. 97 Die Begründung hierfür geht aus den folgenden Ausführungen zum Verhältnis von Angelophanie und Christophanie hervor. 98 So R. SCHNACKENBURG,joh III 360. 99 joh 20,13 wiederholt fast wörtlichjoh 20,2. 94
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Die DialogeJesu mit Einze1personen imJohannesevangelium
Sinn dieser Einfügung schwerlich einleuchten kann. Mit Fortna101 ist es m. E. logischer, den umgekehrten Weg zu beschreiten und in der Engelszene die traditionelle Vorgabe für das Vorhergehende und speziell für das Nachfolgende' zu sehen. Dabei lässt sich die Überlegung anstellen, ob nicht die Engel in der hier vorliegenden Form ihrer traditionellen Funktion der Verkündigung der Osterbotschaft beraubt worden sind, d.h. die Engelszene einfach abbricht, um der anschließenden Christophanie Raum zu geben und die Funktion der Engel auf Maria Magdalena dahingehend zu übertragen, dass die jüngerin als erste Zeugin der Auferstehung auch als erste diese Auferstehungsbotschaft verkündet. Nach dieser Logik fungiert die Angelophanie gewissermaßen als traditionelles Vorspiel für die Christophanie. Letztere setzt deutlich bei der gleichen Ausgangssituation an, hebt sich aber dann auch genauso deutlich von ihr ab und setzt ihren eigenen theologischen Schwerpunkt. Umgekehrt ist es schwerlich nachvollziehbar, dass ein späterer Redaktor in Anlehnung an die Christophanie die Engelszene aus der Tradition hervorkramt, aber im Unterschied zu ihr die Engel als Statisten ohne irgendwelche Funktion in den Text einträgt. Eine solche Redaktion ist nicht nur sinnlos, sondern darüber hinaus auch absurd. Wie die vorangehende Angelophanie traditionelle Züge aufweist, so hat auch die folgende Christophanie ihre Wurzeln in der Tradition.102 johannes kann schwerlich eine Erscheinung des Auferstandenen erfinden und braucht es auch nicht, schließlich finden sich im Neuen Testament unzählige Erscheinungsberichte, die auf eine breite derartige Tradition schließen lassen,lo3 Aus dieser Fülle von Erzählungen, in denen der Auferstandene einzelnen oder mehreren Personen erscheint, ergibt sich von joh 20,14-18 eine deutliche Parallele zu Mt 28,9f.104 Nach der Darstellung des Matthäus erscheint jesus zwei Frauen, von denen Maria Magdalena als erste genannt wird; bei johannes ist Maria Magdalena die alleinige Empfängerin der Christophanie. Das johanneische IJ.~ lJ.ou &1T1;OU injoh 20,17b kann als Relikt einer Tradition verstanden werden, die sich in Mt 28,9 stärker erhalten hat und von 100 Die Frage der Engel inJoh 20,13 antizipiert wortwörtlich die FrageJesu inJoh 20,15. 101 Vgl. R. T. FORTNA, Gospe1198. 102 Der Sache nach ist es natürlich nur logisch, dass hier verschiedene und voneinander
unabhängige Traditionen vorliegen; im einen Fall erscheinen Engel, im anderen Fall erscheint der Auferstandene. Damit ist das Verhältnis oder besser gesagt das NichtVerhältnis zwischen Angelophanie und Christophanie deutlich geklärt. 103 Vgl. die Zusammenstellung der neutestamentlichen Erscheinungstraditionen bei C. DIETZFELBINGER, Osterglaube 19-22. 104 Vgl. P. BENOIT, Maria Magdalena 365f.
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einer Berührung des Auferstandenen durch die Frauen berichtet. Schließlich dürfte die übereinstimmende, aber jeweils bei Matthäus undJohannes singuläre Bezeichnung der Jünger Jesu als aÖEMJlo( lJ.ou in Mt 28,10 bzw.Joh 20,17 auf eine gemeinsame Tradition hinweisen, die Matthäus und Johannes unabhängig voneinander105 verwendet und dementsprechend auch verschieden überliefert haben,l06 Im Kern lassen sich folgende zwei Wesensmomente dieser Tradition ausmachen: Zum einen die Erscheinung des Auferstandenen vor Frauen und zum anderen sein Auftragswort an sie. Aus diesen beiden Grundelementen besteht also mit großer Sicherheit das traditionelle Fundament für Joh 20,14-18, auf dem der Johannesevangelist weiterbaut. Schwieriger wird es dagegen, die verschiedenen Einzelmomente der Tradition bzw. einer späteren Bearbeitung zuzuordnen. Schnackenburg geht m. E. viel zu weit, wenn er Joh 20,14b-16 komplett der Quelle zuschreibt107 und lediglich für Joh 20,17 "stärkere Eingriffe des Evangelisten"l06 annimmt. Demnach wäre der Großteil der Christophanie dem Evangelisten bereits vorgegeben und es stellt sich die berechtigte Frage, worin denn noch seine Arbeit besteht, abgesehen davon, dass er für Joh 20,17 verantwortlich z<;!ichnet und den Teilvers Joh 20,18d anhängt. Im Gegensatz zu Schnackenburg traut Ruschmann demJohannesevangelisten sehr viel mehr zu und rechnet die Betonung des Verwechslungsmotivs in Joh 20,14f., die Formulierung inJoh 20,15 in Anlehnung anJoh 20,2, das Umwenden Marias in Joh 20,16 als Kopie von Joh 20,14, die Erläuterung ö AEYE'~IlL dLÖlioKIlÄE, das Motiv des Aufstiegs zum Vater in Joh 20,17 und die angehängte indirekte Rede in Joh 20,18c "eindeutig" seiner Bearbeitung zu.l 09 Meiner Meinung nach kann man sogar noch einen Schritt weiter gehen und die Vermutung anstellen, ob in der Quelle noch von mehreren Frauen die Rede ist, denen eine Erscheinung des Auferstandenen zuteil wird, und ob nicht erst der Johannesevangelist die Re-
Gegen Benoit, der eine direkte literarische Abhängigkeit des Matthäus von Johannes vermutet, vgl. ebd. 106 Neben der Anzahl der Frauen unterscheiden sich beide Darstellungen sowohl darin, dass die Frauen bei Matthäus Jesus sofort erkennen und seine Füße umfassen, während Maria Magdalena bei Johannes erst zur Erkenntnis des Auferstandenen geführt werden muss, als auch im Auftragswort Jesu, das bei Matthäus lediglich die Engelsbotschaft aufnimmt, dagegen beiJohannes ganz neu formuliert wird. 107Vgl. R. SCHNACKENBURG,Joh III 360. 108 Ebd. 109 Vgl. S. RUSCHMANN, Maria 78. 105
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duktion auf die eine Frau Maria Magdalena vornimmt. 110 Wenn nämlich dem Evangelisten in Joh 20,1 die Tilgung der anderen Frauen zugetraut wird, warum soll er .nicht auch imstande sein, die Erscheinungstradition auf Maria Magdalena hin zu zentrieren und ihre Begegnung mitJesus als seinen theologischen Höhepunkt zu gestalten? Nach dieser Theorie ist der Evangelist auch für den Dialog zwischen Jesus und Maria Magdalena inJoh 20,15-17 verantwortlich. Dazu kommt das stützende Argument, dass im übrigen Neuen Testament keine andere Erscheinung des Auferstandenen in Dialogform erzählt wird. Diese Überlegungen führen bereits von der Traditions- zur Redaktionskritik, die es im Anschluss zu behandeln gilt. Zuvor soll jedoch ein kurzes Fazit zu den verwendeten Traditionen in Joh 20,1-18 gezogen werden. Die traditionsgeschichtliche Analyse hat gezeigt, dass sich in dem Abschnitt Joh 20,1-18 mehrere Traditionen ausmachen lassen, die im Kern auf zwei voneinander unabhängige Grundtraditionen zurückzuführen sind. Die eine davon hält die Erinnerung an den Gang zum Grab wach, die andere die Erscheinung des Auferstandenen. Diese beiden Urtraditionen entwickeln sich im Laufe des Überlieferungsprozesses weiter und erfahren durch mündliche Mutation ihre je eigene Ausprägung. Was die Grabgangtradition betrifft, so ist wohl in Joh 20,1.2 die älteste Überlieferung erhalten. Frauen mit Maria Magdalena an ihrer Spitze machen sich am Ostermorgen zum Grab auf und finden es leer. Auf einer späteren Stufe der Tradition wird dieser Grabgang der Frauen mit einer Angelophanie verbunden, wie sie in Joh 20,11-13 geschildert wird. Eine weitere voIjohanneische Bearbeitung besteht nun darin, die traditionsgeschichtlichjüngere Erzählung von einem Grabgang der Jünger mit Petrus lll in die Erzählung von einem Grabgang der Frauen mit anschließender Angelophanie einzufügen 112 und durch diese Kombination entsprechende Spannungen und Doppelungen im Text zu verursachen. ll3 110 Wie
viele vor ihr geht auch Ruschmann ganz selbstverständlich davon aus, dass bereits die vOIjohanneische Tradition die Erscheinung des Auferstandenen vor Maria Magdalena kennt, vgl. ebd. III Ob Petrus allein oder in Begleitung zum Grab gegangen ist, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit sagen; offensichtlich gibt es laut Lk 24,12 und Lk 24,24 beide Varianten in der Tradition. 112 Dies geschieht inJoh 20,3-10. 113 Vgl. dazu den Rekonstruktionsversuch von S. RUSCHMANN, Maria 76-80. Ruschmann lässt zu Recht die Frage offen, wann beide Traditionsstränge miteinander verbunden worden sind. Dass diese Verbindung in einem sehr späten Stadium der Tradition geschieht, ist einleuchtend; möglicherweise liegt darin auch die letzte vorjohanneische Bearbeitung.
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Mit der Erscheinungstradition verhält es sich etwas einfacher. Aus der Fülle der neutestamentlichen Erscheinungstraditionen lässt sich hinter Joh 20,14-18 die Überlieferung einer Erscheinung des Auferstandenen vor Frauen mit Maria Magdalena rekonstruieren, die der Johannesevangelist sodann entsprechend seiner theologischen Aussageabsicht umgestaltet und verändert hat. Es ist m. E. nicht nötig, bereits im Vorfeld der Bearbeitung durch den Evangelisten eine Erscheinungstradition des Auferstandenen vor Maria Magdalena allein anzunehmen. 114 Einhergehend mit der Tatsache, dass sich in der einen Tradition am Ostermorgen mehrere Frauen zum Grab aufmachen, spricht nichts dagegen, dass in einer anderen Tradition der Auferstandene mehreren Frauen erscheint; viel schwieriger ist es doch anzunehmen, dass sich eine Erscheinung des Auferstandenen vor einer einzelnen Frau in der Tradition hält und im Überlieferungsprozess bestehen kann. 4.3. Redaktionelle Bestrebungen desJohannesevangelisten Im Zuge ihrer Traditionsanalyse zuJoh 20,1-18 kommt Ruschmann zu der Einsicht, dass es nicht nur schwierig, sondern darüber hinaus auch nicht möglich ist, genauestens zwischen Tradition und Redaktion und damit zwischen ursprünglichem Material und johanneischer Bearbeitung zu unterscheiden. 115 Beides steht schließlich nicht blockweise nebeneinander, sondern vermischt sich dahingehend, dass der Johannesevangelist die ihm zukommenden Traditionen auf seine Weise bearbeitet und dadurch dem gesamten Text eine johanneische Ausrichtung verleiht. Insofern kann es im Folgenden nicht darum gehen, innerhalb von Joh 20,1-18 die einzelnen Schichten bis auf einzelne Teilverse voneinander abzugrenzen, sondern vor dem Hintergrund der verwendeten Traditionen die redaktionellen Bestrebungen des Johannes auszumachen und diese im Kontext seiner Theologie zu verorten. Sogleich lässt sich in Joh 20,1 ein deutliches Eingreifen des Evangelisten beobachten. Im Unterschied zu den Synoptikern gehen laut Joh 20,1 nicht mehrere Frauen zum Grab, sondern MariaMagdalena allein. Bei dieser Reduzierung der Personen kommt die Vorliebe des Johannes für Einzelpersonen zum Ausdruck. Im Laufe des Johannesevangeliums werden immer wieder Begegnungen Jesu mit einzelnen 114 Gegen
den bisherigen Forschungstrend und somit auch gegen S. RUSCHMANN, Maria 78-80. 115 Vgl. S. RUSCHMANN, Maria 79f.
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Personen geschildert, angefangen inJoh 3 mit Nikodemus über Joh 4 mit der Samaritanerin bis hin zuJoh 20 mit Maria Magdalena und mit Thomas. Bei allen diesen Darstellungen geht es dem vierten Evangelisten nicht darum, jeweils das Porträt einer individuellen Person zu zeichnen, sondern Einzelpersonen auftreten zu lassen, "deren Verhalten und Erkenntnisse exemplarische Bedeutung für die Gemeinde haben. "116 Damit avancieren diese Personen auf der textpragmatischen Ebene zu möglichen Identifikationsfiguren für den Leser und nehmen ihn mit zu einer Begegnung mitJesus. ll7 Für Maria Magdalena steht die eigentliche und folgenschwere Begegnung mit Jesus noch bevor. Bis es dazu kommt, lässt sie der Evangelist einen Weg vom Nicht-Wissen zum Wissen zurücklegen. Dieser Weg beginnt symbolisch in Joh 20,1 in der Dunkelheit118 und führt schließlich zum Erkennen des Auferstandenen. Mit Schwankl lässt sich bei diesem Übergang vom Dunkel zur Erleuchtung ein metaphorischer Kontrast ausmachen, der darauf ausgerichtet ist, die folgende Christophanie vor Maria Magdalena in ein strahlendes Licht zu rucken. 1l9 Aus dieser Überlegung geht hervor, dass Joh 20,1 nicht isoliert vom Kontext zu lesen ist, sondern bereits als Präludium für Joh 20,14-18 fungiert. Der Johannesevangdist verfolgt demnach eine einheitliche Komposition und lässt von Beginn an Maria Magdalena als weibliche Hauptfigur inJoh 20,1-18 auftreten. Die männliche Hauptrolle im johanneischen Osterkapitel wird vom Lieblingsjünger verkörpert, der inJoh 20,3-10 auf der Bühne des Ostergeschehens in ·Erscheinung tritt. Dieser Lieblingsjünger stammt sicher nicht aus der Tradition, weil er nur im Johannesevangelium vorkommt und darin eine besondere Rolle spielt; darin sind sich alle Forscher einig. Die entscheidende und kontrovers diskutierte Frage in Bezug auf den spezifisch johanneischen Lieblingsjünger lautet nun allerdings, ob dieser Jünger, den Jesus liebte, vom Evangelisten in Joh 20,3-10 eingeführt wurde oder ob ihn die spätere Redaktion nachträglich in den Text eingebracht hat. Dietzfelbingerl20 , Lorenzen l21 , Schnackenburg122 und Zellerl2!1 gehen ganz selbstverständlich davon aus, dass der Lieblingsjünger auf den 116 So U. SCHNELLE,Joh 298. 117Vgl. P. DSCHULNIGG,JesuS U. 118 Vgl. die Angabe aK01:L~ ~'CL ol'lm,~ inJoh 20,1 gegenüber «vcmLA.lxv"to~ "toü ~Hou in Mk 16,2. Die Dunkelheit druckt beiJohannes demnach nicht nur die Trauer und die Verzweiflung Maria Magdalenas aus, sondern auch ihr Nichtwissen. 119 Vgl. O. SCHWANKL, Licht 190. 120Vgl. C. DIETZFELBINGER, Osterglaube 11. 121 Vgl. T. LoRENZEN, Lieblingsjünger 32.
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Evangelisten zurückgeht, der ihn in die Grabgangtradition der Jünger einträgt und im Wettlauf der beiden Jünger zum Grab das Konkurrenzverhältnis zwischen Simon Petrus und dem Lieblingsjünger aufbauen kann. Demgegenüber vertreten Beckerl24, Ebner l25, Küglerl26 und Theobald l27 die Gegenposition, insofern ihrer Meinung nach erst die Redaktion für die Gestalt des Lieblingsjüngers verantwortlich zeichnet. Letzterer weist nachdrücklich und konsequent alle Lieblingsjüngertexte des vierten Evangeliums als einheitliches Konzept der johanneischen Redaktion aus. 128 Speziell für das Osterkapitel Joh 20 geht Theobald davon aus, dass mitJoh 20,3-10 undJoh 20,11-18 zwei miteinander konkurrierende Texte vorliegen, die jeweils unterschiedliche Antworten auf die Frage: "Wer ist denn nun der erste österliche Glaubenszeuge gewesen?"129 geben und deswegen auf zwei verschiedene Autoren zurückgehen. Aufgrund der stilistischen und theologischen Konzeption von Joh 20,11-18 plädiert Theobald dafür, diese Verse dem Evangelisten zuzuweisen, der Maria Magdalena in den Erzählfaden integriert und sie zur ersten Osterzeugin macht. Diese Ehre macht ihr die Redaktion dahingehend streitig, dass sie in Joh 20,3-10 nachträglich den Lieblingsjünger einfügtl30 und diesen damit vor Maria Magdalena zum ersten Osterzeugen stilisiert. Nach diesem Modell wird der Lieblingsjünger somit als Kontrastfigur zu Maria Magdalena gesehen, der sie als erste Osterzeugin verdrängt. Auch wenn die Argumentation Theobalds in sich logisch und nachvollziehbar erscheint, so stellt sich m. E. schon die Frage, ob die beiden TextsteIlen wirklich gegeneinander zu lesen sind und ob es letztlich um die Frage geht, wer denn nun der erste Auferstehungszeuge bzw. die erste Auferstehungszeugin ist. Schließlich kommen sowohl der Lieblingsjünger als auch Maria Magdalena zum Osterglauben, lediglich ihr Weg dorthin wird unterschiedlich beschrieben. Dem Lieblingsjünger wird keine Erscheinung des Auferstandenen zuteil, er kommt allein 122 Vgl. R. SCHNACKENBURG,Joh III 358-361. 123 Vgl. D. ZELLER, Ostermorgen 154-156. 124Vgl.J. BECKER,Joh II 719-721. 125 Vgl. M. EBNER, Wer liebt mehr? 47f. 126 Vgl. J. KÜGLER, Lieblingsjünger 341-346. 127 Vgl. M. THEOBALD,Jünger 237-239. 128 Vgl. ebd. 227-239. 129 So die zugespitzte Frage bei M. THEoBALD,Jünger 235. 130 Theobald begründet die Zuweisung vonJoh 20,3-10 an die Redaktion u. a. mit dem pantomimischen Auftritt des Lieblingsjüngers, der im Gegensatz zu Maria Magdalena erzählerisch merkwürdig einsam erscheint und kein Wort über seine Glaubenserkenntnis verliert.
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aufgrund des leeren Grabes zum Glauben. Dagegen begegnet Maria Magdalena dem Auferstandenen und wird von ihm direkt zum Osterglauben geführt. Diese kurze Gegenüberstellung zeigt schon, dass es sich hierbei um zwei verschiedene Figuren mit je eigenem Profil handelt. Diese Tatsache berechtigt aber noch lange nicht zu der Schlussfolgerung, dass hinter dem Lieblingsjünger in Joh 20,3-10 und Maria Magdalena inJoh 20,14-18 zwei verschiedene Autoren stehen müssen. Ganz im Gegenteil, es ist überhaupt nicht nötig, beide Stellen als Konkurrenztexte zu lesen und sie gegeneinander auszuspielen. Vielmehr gilt es, denjeweiligen Eigenwert beider Texte und damit die Aussageabsicht des Verfassers zu erkennen, dass Glaube unterschiedlich entstehen kann. Schließlich geht es in Joh 20,3-18 theologisch nicht um die Frage, wer als Erster bzw. als Erste zum Osterglauben kommt, sondern wie der Lieblingsjünger und Maria Magdalena jeweils zum Glauben gelangen. In dieser Hinsicht fungieren beide auf je eigene Weise, aber nicht gegeneinander, als Identifikationsfiguren für die johanneische Gemeinde. Aufgrund dieser inhaltlichen Überlegungen muss m. E. keine spätere Redaktion bemüht werden, die den Lieblingsjünger nachträglich in Joh--20,3-10 einträgt. Vielmehr ist es der Johannesevangelist selbst, der die Gestalt dieses von Jesus geliebten Jüngers im Text verankert, wie er es auch an den anderen Stellen in seinem Werk tut.l 31 Mit der Einfügung des Lieblingsjüngers durch den Evangelisten lösen sich auch sämtliche auf der Literarkritik ausgemachten Spannungen; dazu bedarf es nicht erst eines späteren Redaktors. Die Grabgangtradition der Jünger wird von Johannes zum Wettlauf zwischen Petrus und dem Lieblingsjünger stilisiert, den Letzterer dahingehend für sich entscheidet, dass er zuerst ans Grab kommt und aufgrund des leeren Grabes zum Glauben gelangt. 132 Die Spitzenaussage in Joh 20,8c mit der Verbindung von Sehen und Glauben ist ein sicheres Indiz für den Evangelisten als Verfasser. Johannes macht demnach den Lieblingsjünger für seine Leser zur Idealfigur johanneischen Glaubens. Wie der Lieblingsjünger im ersten Teil vonJoh 20 vom Evangelisten in den Vordergrund gerückt wird, so bekommt Maria Magdalena im zweiten Teil die Hauptrolle zugewiesen. Im Gegensatz zu den SynopMit Theobald ist es unter methodisch-hermeneutischem Gesichtspunkt nur korrekt, alle Lieblingsjüngerstellen im Johannesevangelium als einheitliche Konzeption auszumachen und damit k?nsequent einer literarischen Schicht zuzuordnen, vgl. M. THEOBALD,Jünger 227. Uber die Zuweisung der Lieblingsjüngerstellen an den Evangelisten oder einen späteren Redaktor lässt sich sodann streiten; hier soll die Entscheidung exemplarisch nur anJoh 20,3-10 gefällt werden. 132 Vgl. C. DIETZFELBINGER, Osterglaube 11. 131
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tikern wird sie vom Johannesevangelisten besonders exponiert und in eine Spitzenstellung gehoben. Zwar weiß auch Mt 28,9f. von einer Christophanie vor Maria Magdalena und der anderen Maria, doch analog zu Joh20,1 erfolgt auch in Joh 20,14-18 eine Reduktion der Frauen; es ist Maria Magdalena allein und nur sie, die dem auferstandenen Herrn begegnet. Wie bei anderen wichtigen Begegnungen zwischen Jesus und bestimmten Einzelpersonen zuvor wählt der Evangelist auch hier inJoh 20,15-17 die Form des Dialogs, den er geschickt unter Rückgriff auf die bestehende Situation in den Kontext einfügt. Dadurch gelingt es dem Johannesevangelisten, eine exklusive und individuelle Erscheinung des Auferstandenen vor Maria Magdalena zu schildern. Letztere wird von ihm zur ersten Osterzeugin stilisiert und avanciert dadurch auch zur ersten Verkünderin des Osterglaubens. Bei näherer Betrachtung vonJoh 20,14-18 sind sämtliche Versuche, diese Verse der Tradition zuzuordnen, nicht nachvollziehbar und deswegen auch nicht haltbar. Becker bestimmt die Begegnung Maria Magdalenas mit dem Auferstandenen inJoh 20,14b-17 als ehemalige Einzelerzählung aus der johanneischen Gemeindetradition, die im Zuge der Traditionsgeschichte des Passionsberichtes Eingang inJoh 20 gefunden hat.l 33 Demnach existiert die Hauptgestalt des Textes bereits vor der Entstehung des Evangeliums, der Evangelist selbst bleibt bei Becker "seltsam arbeitslos"134. Abgesehen davon, dass das fünfstufige Entstehungsmodell von Becker für Joh 20,1-18 sehr komplex und überaus kompliziert ist, lässt sich die Arbeit des Johannesevangelisten nicht auf die Anfügung der Thomasperikope beschränken. Zu deutlich ist mit Theobald in Joh 20,14-18 die Handschrift des Johannesevangelisten erkennbarl35, der diese Szene gerade nicht aus der Tradition übernimmtl36, sondern eigens gestaltet und mit seinen theologischen Motiven durchformt. Johannes knüpft geschickt an die vorherige Szene an, indem er die Frage der Engel an Maria Magdalena von Joh 20,13b in Joh 20,15b aufgreift und damit den Dialog zwischen Jesus und Maria Magdalena eröffnet. Im Verlauf dieses Dialogs treten deutlich Elemente zutage, die keinen anderen Autor als den Johannesevangelisten zulassen. Dazu gehören das Motiv der Verwechslung in Joh 20,14f. lind die damit 133 VgI.J. BECKER,Joh 11 610f. 134 So die Einschätzung von D. ZElLER, Ostermorgen 151. 135 Vgl. M. THEoBALD,Jünger 237. 136 Auch gegen Schnackenburg, der Joh 20,14b-16 als eine lebendig geschilderte Szene aus der Quelle beurteilt und lediglich für Joh 20,17 den Evangelisten als Bearbeiter bemüht, vgl. R SCHNACKENBURG,Joh III 360.
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transportierte typisch johanneische Ironie; das Motiv der Namensnennung in joh 20,16 und das dadurch erfolgende Wiedererkennen sowie das Motiv des Aufstiegs zum Vater injoh 20,17.1 37 Gerade bei diesem letzten Vers besteht sowohl von der sprachlichen Formulierung als auch vom inhaldichen Gehalt kein Zweifel daran, dass er auf den johannesevangelisten zurückgeht. Diesem liegt daran, die Begegnung Maria Magdalenas mit dem Auferstandenen seinen Lesern lebendig und anschaulich zu erzählen. Zu diesem Zweck greift er auf die in seinem Evangelium bereits bewährte dialogische Darstellung zurück und führt Maria Magdalena mittels eines Dialogs auf der äußerlich wahrnehmbaren Ebene vom Nicht-Erkennen zum Erkennen und damit auf der theologischen Ebene vom Nicht-Wissen zum Wissen. Wie sich dieser Weg im 'Einzelnen vollzieht, soll in der folgenden exegetischen Analyse zujoh 20,15-18 aufgezeigt werden.
5. Exegetische Analyse zu Joh 20,15-18 5.1. Die Ausgangssituation Laut joh 20,lla steht Maria Magdalena beim Grab und weint. Die durativ zu deutende Imperfektform EKMxLEV in joh 20,llb bringt zum Ausdruck, dass es sich hierbei um einen längeren Vorgang handelt, in dessen Verlauf Maria Magdalena zwei Wahrnehmungen macht. Zunächst sieht Maria Magdalena zwei Engel im Grab, die sie in joh 20,13b nach dem Grund ihres Weinens befragen: fUVIXL, 't"L KMxLEL/;; Ähnlich wie in joh 20,2efg, nur diesmal persönlicher, gibt Maria Magdalena in joh 20,13def das Verschwinden ihres Herrn als Begründung an und spricht expressis verbis ihr Nicht-Wissen aus: OUK OLÖIX 1TOU E91lKIXV lXu't"6v; sie weiß also nicht, wo sich der Leichnam jesu befindet. Mit dieser negativen Feststellung Maria Magdalenas bricht die Angelophanie auf abrupte Art und Weise ab und es erfolgt ein ziemlich holpriger Übergang zur Christophanie.1 38 Dieser wird durch das unmotivierte und deswegen auch künsdich erscheinende Umwenden Maria MagdalenasEo't"p&$ll Etc; 't"a 61TLOW injoh 20,14b hergestellt. Dieses Umwenden dient dem Zweck, dass Maria Magdalena ihre zweite Wahrnehmung machen kann. Sie siehtjesus, erkennt ihn aber nicht. Analog zu ihrem Nicht-Wissen im Kontext der ersten Beobachtung wird auch bei dieser zweiten Beobachtung ihr Nicht-Wissen klar und deudich in 137 Vgl. S. RUSCHMANN, Maria 78. 138 Vgl. ebd. 88.
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Joh 20,I4de konstatiert: oUK'llÖEL ön 'IT]uofi~ eunv. Mit diesem erklärenden Kommentarl39 schafft der Evangelist die Ausgangssituation für die folgende Begegnung zwischen Maria Magdalena und Jesus und stellt damit die Weichen für den Dialog zwischen den beiden Personen. Jesus erscheint als der Auferstandene, doch als solcher wird er von Maria Magdalena nicht wahrgenommen. Es scheint, als ob die äußere Dunkelheit von Joh 20,1 sich im Innem der Maria Magdalena widerspiegelt und umgekehrt. Schließlich wird von Maria Magdalena in Joh 20,13ef und Joh 20,14de ein doppeltes Nicht-Wissen ausgesagt. Im ersten Fall bekräftigt sie aus eigenem Munde, dass sie den Aufenthaltsort des Leichnams nicht kennt, im zweiten Fall erfährt der Leser vom Evangelisten, dass Maria Magdalena Jesus nicht erkennt. Damit bleibt Maria Magdalena bis zur dialogischen Begegnung mit dem Auferstandenen im Dunkel des Nicht-Wissens zurück. 5.2. Der Aufbau des Dialogs Dass die Christophanie vor Maria Magdalena vom Johannesevangelisten in einen Dialog gekleidet wird, zeigt sich bereits auf der semantischen Ebene. In der kurzen Passage Joh 20,15-17 kommen im Vergleich zum restlichen Teil der Erzählung extrem viele verba dicendi vor. Diese Dichte ist bedingt durch die Redeeinleitung mit ÄkYELV, die in diesen drei Versen fünf Mal 140 Verwendung findet. 141 Als Subjekte dazu und damit als Dialogpartner lassen sich Jesus und Maria Magdalena ausmachen. Es fällt allerdings auf, dass Letztere in den Redeeinleitungen niemals namentlich genannt wird l42 , obwohl doch im Unterschied zur Samaritanerin und zum Blindgeborenen ihr Name bekannt ist. Diese Beobachtung lässt sich vielleicht damit erklären, dass in den Redeeinleitungen bewusst auf die Namensnennung verzichtet wird, um die persönliche Anrede durchJesUs mit "Maria" inJoh 20,16b betont hervortreten zu lassen und zum Höhepunkt des Dialogs zu stilisieren. Die Feststellung von Habermann trifft genau zu, dass der Dialog zwischen Jesus und Maria Magdalena gerade an seinem Höhepunkt in Leinhäupl-Wilke bezeichnet Joh 20,14 als "Hintergrundinformation des Autors" für den Leser, der damit ein Wissen vorgeliefert bekommt, zu dem Maria Magdalena auf der Handlungsebene noch geführt werden muss, vgl. A. LEINHÄUPL-WILKE, Wissen 252. 140 Eigentlich begegnet 1EYELV in Joh 20,15-17 sogar 6-mal, doch wird es in Joh 20,16c nicht als Redeeinleitung, sondern als Erklärung gebraucht. 141 Vgl. die semantische Analyse bei S. RUSCHMANN, Maria lllf. 142 Im Unterschied zuJesus, der vor allen seinen Dialogbeiträgenjeweils mit Namen genannt wird, vgl. Joh 20,15a.16a.I7a. \39
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Joh 20,16 am knappsten ist,143 Er besteht an der Stelle gerade einmal aus zwei Worten, und so bezeichnet ihn Ruschmann als den "kürzesten Dialog des ganzen JohEv"144. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass der Dialog zwischen Jesus und Maria Magdalena nicht auf Joh 20,16 und damit auf diese zwei Worte zu reduzieren ist. Auch wenn hier seine Klimax zu finden ist, so beginnt der Dialog zwischen den beiden bereits inJoh 20,15 und endet mitJoh 20,17. Hinsichtlich seines genauen Aufbaus lassen sich folgende Aussagen machen. Der Dialog zwischenJesus und Maria Magdalena inJoh 20,1517 besteht aus zwei vollständigen Redegängen inJoh 20,15 und inJoh 20,16. Im ersten Redegang antwortet Maria Magdalena auf eine Doppelfrage Jesu. Allerdings erfolgt diese Antwort nicht sofort, sondern wird durch eine kommentierende Erklärung leicht hinausgezögert. Eine ähnliche Beobachtung lässt sich beim zweiten Redegang in Joh 20,16 machen. Auch hier begegnet zwischen der Anrede Jesu und der Reaktion Maria Magdalenas ein narratives Versatzstück. Aufgrund der Tatsache, dass solche Zwischenelemente bei den vorangegangenen Dialogen nicht aufgetreten sind, muss in der folgenden Einzelexegese ein besonderes Augenmerk darauf gerichtet werden, wie diese narrativen Einfügungen im Dialog zu bewerten sind und welche Funktion sie erfüllen. Im Gegensatz zu diesen beiden vollständigen Redegängen liegt in Joh 20,17 ein WortJesu vor, das von Maria Magdalena im Dialog selbst nicht erwidert wird, aber auf das sie in Joh 20,18 reagiert. Auch wenn dieser letzte Vers streng genommen nicht mehr zum eigentlichen Dialog gehört, weil hier die Dialogkonstellation Jesus - Maria Magdalena aufgebrochen wird, so ist es m. E. sinnvoll, diesen Vers im weiteren Sinne dem Dialog zuzurechnen und mit ihm in Zusammenhang zu bringen, werden hier doch seine unmittelbaren Auswirkungen beschrieben und der Dialog durch das ayyEÄA.oua(t sogar fortgesetzt. Der ursprüngliche Dialog zwischen Jesus und Maria Magdalena in Joh 20,15-17 wird demnach in Joh 20,18 auf die Jünger als Adressaten der Osterbotschaft ausgeweitet.
143 Vgl. R. HABERMANN, Apostelin 232. 144Vgl. S. RUSCHMANN, Maria 117.
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5.3. Der Verlauf des Dialogs 5.3.1. Eröffnung: Die beiden FragenJesu (V. 15bc) Die in Joh 20,14 geschilderte nonverbale Begegnung zwischen Jesus und Maria Magdalena wird in den darauffolgenden Versen in eine verbale Begegnung überführt. Jesus ergreift die Initiative und eröffnet in Joh 20,15 den Dialog mit Maria Magdalena, indem er sie zunächst in Joh 20,15b mit genau der gleichen Frage anspricht, die ihr kurz zuvor inJoh 20,13b von den beiden Engeln gestellt wurde: ruVIIL, .. ( K}..a;(ELC;;. Dass es sich hierbei um eine klassische Dublette handelt, lässt sich faktisch nicht leugnen l45 ; wie diese zustande kommt, lässt sich m. E. folgendermaßen erklären 146 : Der Johannesevangelist greift ganz bewusst auf die ihm aus der Tradition vorgegebene Frage der Engel an Maria Magdalena zurück und schafft damit bei der Christophanie exakt den gleichen Dialogeinstieg wie bei der zuvor geschilderten Angelophanie. Mit diesem Kunstgriff wird zunächst beim Leser der Eindruck der Parallelität beider Dialoge geweckt. AuchJesus redet Maria Magdalena mit »Frau" an und befragt sie sodann nach dem Grund ihres Weinens. Damit gelingt es dem Evangelisten auf einfache, aber geschickte Art und Weise, auf die konkrete Situation und speziell auf das persönliche Befinden Maria Magdalenas einzugehen. Zudem braucht er sich durch die kopierte Frage keinen neuen Anfang für seinen Dialog zwischen Jesus und Maria Magdalena zu überlegen, weil er schon einen perfekten Einstieg vorfindet und diesen nur von der Angelophanie für seine Christophanie zu übernehmen braucht. Die sich daraus ergebende Doppelung nimmtJohannes freiwillig in Kauf, hört doch der Adressat dieselbe Frage mit jeweils unterschiedlichem Klang. Im Munde Jesu bekommt die Frage der Engel einen ironischen Unterton, weil Jesus nicht nur den Grund des Weinens der Maria Magdalena kennt, sondern weil es um ihn selbst geht. Auch der Leser ist spätestens seitJoh 20,14 in die Umstände eingeweiht, versteht aber, warum der Evangelist Jesus diese Frage stellen lässt. Maria Magdalena muss erst noch zur Erkenntnis des Auferstandenen geführt werden. Als Ausgangspunkt für diesen Weg legt der Evangelist seinen Jesus die empathische Frage der Engel in den Mund und hat durch 145 Auch
wenn sich Wilckens in diesem Zusammenhang über eine "buchhalterische Mentalität" beschwert, vgl. U. WILCKENS,]oh 308. 146 Im Unterschied zu so manchen Kommentatoren, die lediglich das Faktum dieser Doppelung konstatieren, vgl. H. THYEN,]oh 762 oder K. WENGST,]oh 11 302, soll hier weiterführend eine Erklärung gegeben werden.
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diesen situativen Au1hänger einen optimalen Einstieg für den Dialog zwischenJesus und Maria Magdalena. Im Unterschied zu der singulären Frage der Engel stelltJesus inJoh 20,15c eine weitere Frage an Maria Magdalena: 'tLva (TJtEL!;;. Durch diesen Zusatz wird schnell klar, dass es sich beim Dialog zwischen Jesus und Maria Magdalena nicht nur um einen "Abklatsch" des Dialogs zwischen den beiden Engeln und Maria Magdalena zuvor handelt. Die Parallelität, die sich zunächst durch die wortwörtliche Aufnahme der Engelsfrage im Munde Jesu ergeben hat, wird so schnell aufgebrochen, wie sie hergestellt wurde. Indem der EvangelistJesus Maria Magdalena gegenüber die weiterführende Frage "Wen suchst du?" stellen lässt, gibt er damit zugleich die Zielrichtung dieses Dialogs vor. Es handelt sich hierbei expressis verbis um eine Suchaktion nach einer bestimmten Person; derjenige, der gesucht wird, steht im Zentrum dieses Dialogs. 147 So lässt sich dieser Dialog bereits zu Beginn als christologisch einstufen, wird doch kein anderer alsJesus gesucht. Allerdings ist diese Suche nach Jesus nicht neu, sondern begegnet von Anfang an des Evangeliums bis hierher. Der Leser bzw. Hörer des Johannesevangeliums wird sich bei der Frage Jesu an Maria Magdalena "Wen suchst du?" inJoh 20,15c an eine ähnliche, nahezu identische Frage Jesu ganz am Anfang des Evangeliums erinnert fühlen. Im Kontext der Jüngerberufungen fragtJesus die beiden ihm folgenden jünger inJoh 1,38: "Was sucht ihr?".148 Dies sind die ersten Worte, die der johanneische Jesus vom Evangelisten in den Mund gelegt bekommt. Allein schon aufgrund dieser programmatischen Anfangsstellung kommt ihnen eine hohe Bedeutung zu, und es ist sicherlich alles andere als ein Zufall, dass eben dieselben Worte in leichter Abwandlung am Ende des Johannesevangeliums im Munde des Auferstandenen begegnen. Aus dem eher allgemeinen und wohl bewusst weit gefassten tL in Joh 1,38149 wird in Joh 20,15 das wesentlich konkretere tLVa, das lediglich Personen als Objekte menschlicher Suche zulässt und speziell auf einen ganz bestimmten Menschen hin ausgerichtet ist, aufJesus.
147 Vgl. R SCHNACKENBURG,joh III 374. 148 Auf
diesen Zusammenhang wird entweder überhaupt nicht eingegangen, vgl. H, THYEN, joh 762 und K. WENGST, joh 11 302, oder er wird lediglich konstatierend festgestellt, vgl. A. LEINHÄUPL-WILKE, Wissen 252, Anm. 94 und U. WILCKENS,joh 308. Ruschmann ist die einzige, die sich im Rahmen einer Verhältnisbestimmung von Magdalenen-Erzählung und jüngerberufung über die Verbindung von joh 1,38 und joh 20,15 ausführlich Gedanken macht, vgl. S. RUSCHMANN, Maria 142-164. 149 Vgl. S. RUSCHMANN, Maria 132.
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Über diese bewusste Rahmenkomposition will der Johannesevangelist sein Werk als SuchprozessiSO nach Jesus verstanden wissen. 151 Am Anfang des Evangeliums sind es die Jünger, die Jesus suchen und nach seinem Zuhause fragen. Inkludierendam Ende des Evangeliums macht sich Maria Magdalena auf die Suche nach dem Leichnam Jesu. Während die Jünger durch gezielte Vermittlung zu ihrem "christologischen Fund"152 kommen 153 und ohne größere Hindernisse in die Nachfolge Jesu eintreten können, gestaltet sich die Suchaktion bei Maria Magdalena inJoh 20 wesentlich schwieriger und komplexer. Aufgrund der Tatsache, dass sie einen Toten sucht, kann sie natürlich nicht ahnen, dass dieser Totgeglaubte lebendig vor ihr steht. Mit dieser Konstellation lässt der Evangelist die Aussage Johannes des Täufers inJoh 1,26 "Mitten unter euch steht der, den ihr nicht kennt" Realität werden und benutzt sie dazu, um seine ihm typische, aber bisher im Evangelium in dieser Form noch nicht da gewesene Ironie gezielt zum Ausdruck zu bringen. Mitten vor Maria Magdalena steht der, den sie nicht kennt, und so fragt sie den lebendigen Jesus nach dem Leichnam des toten Jesus. 154 Aber das ist hier nur die eine Seite johanneischer Ironie, die andere lässt sich wie folgt beschreiben: Jesus weiß genau, dass Maria Magdalena ihn sucht, und so erscheint seine Frage an sie "Wen suchst du?" nicht nur überflüssig, sondern schon fast grotesk. Er, der von ihr Gesuchte, fragt sie nach dem, den sie sucht und damit nach sich selbst. Diese hier vom Johannesevangelisten "doppelt" angelegte Ironie wird bei der folgenden Szene nicht nur weiterbetrieben, sondern sogar noch gesteigert und ad absurdum geführt. Zuvor soll jedoch nicht versäumt werden, die Kompositionsleistung des Johannesevangelisten zu Beginn des Dialogs zwischen Jesus und Maria Magdalena zu würdigen. Auf den ersten Blick scheint es in Joh 20,15 ein ganz harmloser Dialogeinstieg zu sein; im griechischen Originaltext machen die beiden Fragen Jesu gerade einmal ganze fünf Worte aus. Hinzu kommt die Tatsache, dass keine dieser bei den Fragen "neu" ist, sondern jeweils bereits im Evangelium zuvor gestellt worden ist. Liegt also mitJoh 20,15 ein gleichermaßen banaler wie billiger Dialogbeginn vor? 150 Das Verbum ''''tEW kommt insgesamt 34-mal imjohannesevangelium vor; in über der Hälfte der Belege istjesus das Objekt der Suche. 151 Vgl. K. SCHOLTISSEK, Christologie 419-423. 152 So K. SCHOLTISSEK, »Mitten unter euch steht er, den ihr nicht kennt« (Joh 1,26) 113. 153 Vgl.joh 1,41.45. 154Vgl. K. SCHOLTISSEK, »Mitten unter euch steht er, den ihr nicht kennt« (Joh 1,26) 113f.
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Keineswegs! Bei genauerer Betrachtung zeigt sich sehr schnell, dass der Evangelist nicht einfach auf zwei "alte" Fragen zurückgreift und diese hintereinander stellt. Vielmehr geht sowohl aus der Auswahl dieser Fragen als auch aus ihrer Platzierung an den Anfang des I?ialogs das meisterhafte Kompositionsgeschick des Johannesevangelisten hervor. Mit der ersten Frage fUVUL, '1:( KÄU(ELC;;; inJoh 20,15b gelingt es dem Evangelisten, an die unmittelbar zuvor geschilderte Angelophanie anzuschließen l55 und wie sie auf die konkrete Situation einzugehen. Geht es Johannes also bei seiner Einstiegsfrage darum, den Dialog zwischen Jesus und Maria Magdalena behutsam in seinen Kontext einzupflanzen und ihn für den Leser nachvollziehbar zu verorten, so richtet sich die zweite Frage 'I:(vu ('l]'l:ELC;;; in Joh 20,15c auf die Zielsetzung dieses Dialogs und hat zudem durch die besondere Situation einen ironischen Klang. Das Motiv der Jesussuche wird hier vom Evangelisten am Ende seines Werks ebenso wie bereits ganz am Anfang bewusst eingesetzt, um durch diese Rahmenkomposition die christologische Ausrichtung seines Evangeliums zu verdeutlichen und zu betonen. Beide Fragen entstammen somit aus unterschiedlichen Kontexten und haben auch an ihrem neuen Ort jeweils eine unterschiedliche Funktion. Während die erste Frage Jesu mehr retrospektiven Charakter hat und an das Zurückliegende anschließt, erweist sich die zweite Frage als prospektiv, insofern sie auf das Folgende verweist und das eigentliche Ziel des Dialogs bereits verbal vorwegnimmt. Durch die Verknüpfung dieser beiden Fragen schafft der Johannesevangelist eine gelungene Eröffnung des Dialogs zwischen Jesus und Maria Magdalena und stellt damit einmal mehr mit ganz einfachen, aber wirksamen Mitteln seine Kompositionskunst unter Beweis. 5.3.2. Retardierendes Moment: Die Verwechslungsszene (V. 15d-i) Auf die beiden Fragen Jesu folgt nicht sofort eine Antwort aus dem Munde Maria Magdalenas; vielmehr gibt der Evangelist dem Leser zunächst inJoh 20,15d eine Zwischeninformation. Ein solches erklärendkommentierendes Versatzstück innerhalb eines Redegangs ist bereits im Dialog Jesu mit der Samaritanerin156 aufgetreten und stellt somit keinen Einzelfall dar. Wie inJoh 4,9, so muss auch hier inJoh 20,15 die Frage geklärt werden, warum der Evangelist den eigentlichen Dialog zweite ruva:L, 1:L KA«(EL~; ist keine störende Dublette, sondern vielmehr eine beabsichtigte Wiederholung, die die Christophanie als gesteigerte Fortsetzung zur Angelophanie zu erkennen gibt. 156 Durch den erklärenden Kommentar des Evangelisten in Joh 4,9c wird der Dialog .zwischenJesus und der SanIaritanerin unterbrochen. 155 Das
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unterbricht und ein nonverbales Intennezzo einfügt. Die Antwort hierfür ergibt sich aus der johanneischen Inszenierung dieser gesamten Szene, die an Absurdität nicht zu überbieten ist und wohl die ausgefallenste Fonn johanneischer Ironie im gesamten Evangelium darsteHt. Damit die folgende Antwort Maria Magdalenas für den Leser verständlich wird, muss ihm der Evangelist zunächst durch einen Exkurs in die Gedankenwelt Maria Magdalenas erklären, dass sie Jesus nach seinen beiden Fragen (noch) nicht erkannt hat und ihn stattdessen laut Joh 20,15d für den Gärtner hält: EKELVTJ ÖOKOUOOC ön 0 Kll1TOUPOC;; Eonv. In der Partizipialform ÖOKOUOOC kommt das Nicht-Wissen Maria Magdalenas zum Ausdruck. Die Stimme Jesu reicht für sie demnach nicht aus, um zum nötigen Wissen zu gelangen undJesus zu erkennen. Stattdessen bleibt Maria Magdalena im Dunkel des Nicht-Wissens nicht nur zurück, darüber hinaus wird ihr Nicht-Erkennen durch die Verwechslung Jesu mit dem Gärtner "besonders pointiert, ja eigentlich karikiert"157. Warum sie ausgerechnet die ihr begegnende Person für den Gärtner hält, legt sich vom Kontext her nahe. Das Grab Jesu befindet sich nach Joh 19,41 in einem Garten; denjenigen, den Maria Magdalena in diesem Garten sieht, hält sie logischerweise für den Gärtner.l 58 Durch diesen kompositorischen Schachzug schafft der Johannesevangelist eine kurze, aber wirkungsvolle Verwechslungsszene. In diesem Zusammenhang wie Thyen von einem "Mißverständnis"159 zu sprechen, erscheint mir der Sache nach nicht angemessen und könnte missverständlich aufgefasst werden. Im Kontext desJohannesevangeliums basiert ein Missverständnis auf der Doppeldeutigkeit einer Aussage Jesu, die wörtlich und auch im übertragenen Sinn verstanden werden kann. In einem anschließenden Erzählerkommentar wird ein solches Missverständnis, dem die Jüngerl60, Juden 161 oder andere Personen 162 unterliegen und damit ihren Unglauben entlaIVen, für den Leser dahingehend aufgelöst, dass die Aussage nicht auf irdisch-menschliche, sondern auf theologische Sachverhalte abzielt. Über ein solches literarisches Mittel gelingt es dem Evangelisten, auf der Textebene einen Dialog voranzubringen und darüber hinaus auf der theologischen Ebene, den Dualismus zwischen 157 So S. RUSCHMANN, Maria 88. 158 Vgl. A LEINHAUPL-WILKE, Wissen 252. 159 So H. THYEN,Joh 762. 160Vgl. z. B.Joh 11,11-13. 161 VgI. z. B.Joh 2,1~21. 162 Vgl. z. B. Nikodemus inJoh 3,3f. oder die Samaritanerin inJoh 4,10-15.
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Glaube und Unglaube zur Sprache zu bringen.I 63 Nun liegt aber inJoh 20,15bc keine doppeldeutige Aussage Jesu vor, sondern zwei ganz klar formulierte Fragen. Auch bezieht sich der erklärende Kommentar des Evangelisten in Joh 20,15d nicht auf das vorher von Jesus Gesagte, sondern auf die Situation als solche, die nicht aufgelöst, sondern im Gegenteil noch verkompliziert wird. Deshalb ist es ratsam, in Zusammenhang mit Joh 20,15 nicht das Wort "Missverständnis" zu gebrauchen. Zwar lässt sich von der allgemeinen Wortbedeutungsebene Joh 20,15 durchaus als Missverständnis bezeichnen l64 , doch um Missverständnisse in der Terminologie, v. a. im Hinblick auf die spezifisch johanneische Konzeption des Missverständnisses, zu vermeiden, empfiehlt es sich in diesem Fall mit Schnackenburg von einem "VeIWechslungsmotiv"l65 zu sprechen. Diese VeIWechslung vollzieht sich nicht wie beim johanneischen Missverständnis auf der literarischen Ebene, sondern betrifft die Handlung, insofern Maria Magdalena Jesus nicht erkennt und ihn mit dem Gärtner veIWechselt. Vor diesem szenischen Hintergrund, der dem Leser in Form eines erklärenden Einschubs vom Evangelisten geboten wird, lässt sich die in Joh 20, 15fghi beschriebene Reaktion Maria Magdalenas verstehen: KupLE, EL ou eßa01:aoac; all't'ov, El1TE 1l0L 1TOU e91lKac; alJ1:ov, K&YW alJ1:ov &pw. Damit gibt Maria Magdalena alles andere als eine Antwort auf die zuvor von Jesus gestellten Fragen, sondern wiederholt vielmehr das, was sie bereits inJoh 20,2 undJoh 20,13 gesagt hat, jetzt freilich aufgrund der veränderten Szenerie in abgewandelter Form.I66 Zunächst spricht sie die ihr gegenüberstehende Person und damit den vermeintlichen Gärtner mit KUPLE an. Schon aus diesem Kontext ergibt sich, dass diese Anrede als reine Höflichkeitsform zu werten istl67 und sich deutlich von der VeIWendung als christologischer Hoheitstitel in Joh 20,18 absetzt, auch wenn natürlich von dort her in Joh 20,15 ein gewisser ironischer Unterton mitschwingt.l 68 Sodann sieht Maria Magdalena im Gärtner einen potenziellen Kanndidaten, der den Leichnam Jesu weggenommen haben könnte. Für den Fall, dass ihre Unterstellung EL ou eßa01:aoac; all't'ov zutrifft, bittet sie 163 Vgl.
den Exkurs zum Missverständnis im johannesevangelium bei M. SCHMIDL, jesus 128-133. 164 In dem Sinne, dass Maria Magdalena die Situation missversteht und jesus missverständlich für den Gärtner hält. 165 So die eindeutigere Bezeichnung bei R SCHNACKENBURG,joh III 374. 166 Vgl. K WENGST,joh II 302. 167 Darin stimmen sämtliche Kommentatoren von Bultmann bis Wengst überein, vgl. jeweils die einzelnen Kommentare zur Stelle. 168 Vgl. S. RUSCHMANN, Maria 89.
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ihn, ihr den Aufenthaltsort der Leiche zu nennen, um den toten Jesus herbeizuschaffen. Mit dieser Bitte erreicht die johanneische Ironie dieser Szene ihren Höhepunkt, steht doch der Leichnam dessen, den sie holen will, lebendig vor ihr. l69 Es fallt auf, dass Maria Magdalena in diesem Zusammenhang keinen Namen oder keine Bezeichnung verwendetl70 , sondern stattdessen dreimal das Pronomen ai)'t·ov gebraucht. Dadurch, dass sie inJoh 20,15efgjeweils von "ihm" spricht, umgeht sie geschickt eine Antwort auf die Frage Jesu, wen sie denn suche. l7l Dahinter steckt natürlich das Interesse des Johannesevangelisten. Dieser hätte Maria Magdalena bereits auf die einfache und direkte Frage Jesu "Wen suchst du?" sofort und mit einer klaren Aussage antworten lassen können.I'2 Stattdessen baut der Evangelist das VelWechslungsmotiv ein, das dem Dialogverlauf zunächst eine andere Richtung gibt. Warum tut er dies? Offensichtlich geht es Johannes darum, Maria Magdalena nicht sofort zur Erkenntnis des Auferstandenen zu führen, sondern diese hinauszuzögern und den Dialog dadurch zu verlängern. Die VelWechslungsszene dient ihm hierfür als ein retardierendes Moment, das die Spannung innerhalb des Dialogs steigertl 73 und dem Ganzen die nötige Dramatik verleiht. Der Leser, der von Anfang an um die Figurenkonstellation weiß, darf nun gespannt sein, wie sich die Verwechslung auflöst und wie Maria Magdalena Jesus erkennt und damit zum christologischen Wissen gelangt. 5.3.3. Höhepunkt des Dialogs: Die Erkennungsszene (V. 16) Nach der VelWechslungsszene inJoh 20,15 erfolgt jetzt inJoh 20,16 die Erkennungsszene 174 und damit der Höhepunkt des Dialogs zwischen 169 Ebd. 170 VgJ. K. WENGST,Joh II 302. 171 VgJ. U. WILCKENS,Joh 308. 172 VgJ. A. LEINHÄUPlrWILKE, Wissen 252. 173VgJ. R.SCHNACKENBURG,Joh III 375. 174 Der dramaturgische Fachausdruck für dieses häufig in der griechischen Tragödie vorkommende Element lautet ,.Anagnorisis". AristoteIes definiert Anagnorisis in seiner Poetik als ~ Q:YVOLO:~ Et~ ~LV llE'ro:ßoA.~ (Aristot. poet. 1I,1452a-b), als Umschlag von Nichtwissen in Wissen bzw. von Unkenntnis in Kenntnis, und bezieht sie über das Wiedererkennen von Personen hinaus auch auf die Wiedererkennung von Gegenständen. Im engeren und ursprünglichen Sinn bezeichnet Anagnorisis die Tatsache, dass sich zwei Personen wiedererkennen. Solche Szenen gibt es bereits im Homerischen Epos, so beispielsweise in der Odysee, als Odysseus zunächst von seiner Magd Eurykleia und sodann von seiner Gattin Penelope wiedererkannt wird. Die Anagnorisis vollzieht sich an entscheidenden Stellen im Drama und bewirkt eine Peripetie, einen Umschwung der Handlung; am besten ist laut ...y;.stoteles die Anagnorisis, wenn sie zugleich mit der Peripetie eintritt, wie dies im Odipus der Fall ist. Analog dazu geht auch inJoh 20,16 die Anagnorisis mit der Peripetie einher: Maria Magda-
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Jesus und Maria Magdalena. Sie, die bis jetzt den Gärtner vor sich zu haben meint, erkennt ihn als den auferstandenen Herrn. Diese Erkenntnis geschieht nicht über eine komplizierte Erklärung oder gar über eine empirische Beweisführung, sondern durch ein einziges Wort. Jesus spricht Maria Magdalena mit ihrem Namen an und sagt zu ihr: M«PLlXIJ.I75. Diese Namensnennung markiert die Wende im Dialog. Hat die Stimme Jesu allein nicht zu seiner Erkenntnis ausgereicht und noch zur Verwechslung mit dem Gärtner geführtl76 , so fungiert die direkte und persönliche Anrede als sicheres Erkennungsindiz. Diese Anrede ist zunächst als ein akustisches Signal zu werten, lässt sich aber nicht auf diese Funktion reduzieren, sondern hat eine viel tiefer gehende Bedeutung. Die gängige Interpretation in diesem Zusammenhang geschieht mit einem Verweis auf die Hirtenrede in Joh 10. Der Hirte ruft seine Schafe einzeln beim Namen 177 und diese hören auf seine Stimme l78 • Diese Verbindung wird von den meisten Auslegern hergestelltl79 , reicht aber m. E. nicht aus, um den besonderen Charakter vonJoh 20,16 zu erfassen. Neben Maria Magdalena werden im Johannesevangelium nur noch Simon lso, Lazarus 181 und PhilippUS 182 direkt von Jesus mit Namen angesprochen. Von diesen hebt sich Maria Magdalena nicht nur dadurch ab, dass sie eine Frau ist und damit zum einzigen weiblichen Wesen im Johannesevangelium avanciert, das von Jesus namentlich angesprochen wird, sondern, dass es im Unterschied zu Simon, Lazarus und Philippus nicht der irdische Jesus, sondern der auferstandene Christus ist, der sie lena erkennt in der vor ihr stehenden Personjesus wieder. Daraufhin kommt sie zum Glauben an den auferstandenen Herrn und bezeugt ihn vor den jungem. Vgl. zum Phänomen der "Wiedererkennung" B. ZIMMERMANN, Art. Anagnorisis 642f. 175 Diese Lesart ist wohl hier wie in joh 20,18 die ursprungliehe gegenuber Mo:pta, vgl. die Ausffihrungen vonj. D. M. DERRETI, Miriam 177. 176 Vgl. A. LEINHÄUPL-WIl.KE, Wissen 253. 177Vgl.joh 10,3. 178Vgl.joh 10,27. 179Vgl. die Kommentare von Bultmann, Dietzfelbinger, Schnackenburg, Thyen, Wengst, Wilckens u. a. zur Stelle; dagegen spricht sich j. BECKER, joh 11 617 dezidiert gegen einen solchen Zusammenhang aus und beffirwortet stattdessen eine formgeschichtliche Parallele zu Lk 24,30f.35. 180 Im Kontext der jungerberufungen sprichtjesus Simon mit seinem Namen an, identifiziert ihn als den Sohn des johannes und verleiht ihm einen neuen Beinamen, vgl. joh 1,42. 181 Im Zusammenhang mit der Auferweckung des Lazarus nenntJesus den Verstorbenen bei seinem Namen und ruft ihn auf diese Weise aus dem Grab heraus, vgl.joh 11,42. 182 Innerhalb der ersten Abschiedsrede richtet Philippus die Bitte anJesus, den jüngern den Vater zu zeigen, und jesus beantwortet sie ihm direkt an seine Namensadresse mit der rhetorischen Frage, ob er ihn nicht erkannt habe und in ihm nicht den Vater, vgl.Joh 14,8-10.
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anspricht. Trotz dieser unterschiedlichen Situation l83 lässt sich bei Maria Magdalena eine gewisse Parallele zu Simon in Joh 1,42 herstellen. Wie dieser von Jesus mit Namen angesprochen und dadurch in seine Nachfolge berufen wird, so macht auch der Auferstandene durch die Namensanrede Maria Magdalena zu seiner Jüngerin und konstituiert damit die neue Form der Jüngerschaft nach Ostern. Vor diesem Hintergrund lassen sich diejohanneischen Ostergeschichten inJoh 20 in Beziehung setzen zu denjüngerberufungen inJoh 1 und damit auch als Berufungsgeschichten lesen und verstehen, freilich mit der Besonderheit der nachösterlichen Situation. Diese spiegelt sich wohl auch darin wider, wie Jesus Maria Magdalena anredet. Wohl ganz bewusst verwendet der Johannesevangelist an dieser entscheidenden Stelle die gräzisierte Form des hebräischen Namens Miljam und stellt dadurch eine besondere Beziehung her, die es nun näher auszuwerten gilt. Allein schon das Faktum der Namensnennung zeigt an, dass Jesus Maria Magdalena als Person und damit auf der existenziellen Ebene anspricht,184 Mit Bultmann lässt es sich so ausdrücken: "die Nennung des Namens sagt dem Menschen, was er ist"I85. Demnach lässt Jesus Maria Magdalena wissen, was sie für eine Person ist und erkennt sie als solche in ihrer Persönlichkeit und Individualität an. Genau darin liegt die Voraussetzung dafür, dass Maria Magdalena als so von Jesus Erkannte umgekehrt auch ihn als Person in seiner Persönlichkeit und Individualität erkennen kann. Wenn Jesus Maria Magdalena überdies in ihrer Muttersprache mit MapLlxll anspricht, dann kommt hier allerdings noch mehr zum Ausdruck, dahingehend, dass zwischen den beiden Menschen eine persönliche Vertrautheit und Verbundenheit,ja mehr noch eine große Nähe bis hin zu einer gewissen Intimität besteht. Im Vergleich zu den anderen neutestamentlichen Erkennungsszenen l86 gibt sich Jesus hier in Joh 20,16 in einer Form zu erkennen, die trotz oder gerade wegen ihrer Knappheit an Intensität und Tiefenwirkung nicht zu übertreffen ist. Ein einziges Wort, das wie kein anderes sie als Person anspricht und sie dabei in ihrer Persönlichkeit und Indivi183 Natürlich sind beide Texte aus der nach österlichen Perspektive geschrieben, doch auf der textimmanenten Ebene sind die jüngerberufungen vor und die Begegnung Maria Magdalenas mitjesus nach Ostern anzusetzen. 184Vgl. S. RUSCHMANN, Maria 118. 185 So R BULTMANN,joh 532. 186 Vgl. beispielsweise den Gestus des Brotbrechens in Lk 24.30 oder das Angebot der Berührung injoh 20,27. Für den außerbiblischen Bereich lassen sich in der Welt des antiken Dramas folgende Beispiele als Erkennungszeichen (Gnorismata) anführen: In der Elektra von Euripides erkennt Elektra Orest an seinen Fußspuren und einer Locke seines Haares wieder; in der Iphigenie auf Tauris erfolgt die Wiedererkennung von Orest durch Iphigenie über einen Brief.
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dualität erfasst, nämlich ihr Name, gibt· den Ausschlag dafür, dass Maria Magdalena in ihrem Gegenüber den auferstandenen Herrn erkennt. Für den Leser mag es überraschend und faszinierend zugleich sein, wie schnell dem Verwechslungsspiel ein Ende gemacht wird und wie wirksam sich die Erkennungsszene bei aller Kürze vollzieht. Die Wende, die sich an dieser Stelle im Dialog ereignet, kommt auch aUf der semantischen Ebene zum Ausdruck. Nachdem Jesus Maria Magdalena inJoh 16b mit ihrem Namen angesprochen und sich ihr dadurch in seiner Identität zu erkennen gegeben hat, erfolgt nicht sofort die AntwortMaria Magdalenas; ihre verbale Reaktion findet sich erst in Joh 20,16d. Dazwischen, inJoh 20,16c, begegnet analog zuJoh 20,15d ein kleiner, aber nicht unbedeutender Einschub des Johannesevangelisten, der das Umwenden Maria Magdalenas thematisiert und durch seine Stellung gleichsam als nonverbale Brücke zwischen der Namensnennung Jesu und der darauf folgenden Reaktion Maria Magdalenas fungiert. Grammatikalisch bezieht sich die Partizipialform O'tpo:cjlELOO: auf das AkYEL der Redeeinleitung zu der Antwort Maria Magdalenas. Damit ist dieses Umwenden der Maria Magdalena untrennbar mit ihrer folgenden Reaktion verbunden. 187 NachJoh 20,14b ist hier also von einem erneuten Umwenden Maria Magdalenas die Rede, allerdings in einer viel tieferen und fundamentaleren Bedeutung. Während das erste Umwenden Maria Magdalenas lediglich als äußere Richtungsänderungl88 weg von den beiden Engeln im Grab hin zu Jesus außerhalb des Grabes zu verstehen ist, vollzieht sich inJoh 20,16b eine innere Wende bei Maria Magdalena, die für sie den Übergang zur Christuserkenntnis bedeutet und damit für sie auf der Glaubensebene als Lebenswende zu interpretieren ist. Der, den sie kurz zuvor noch für den Gärtner gehalten hat, erscheint ihr als der auferstandene Herr; diese Offenbarung nimmt sie gläubig an 189, wie aus ihrer Reaktion hervorgeht. Maria Magdalena wendet sich um und sprichtJesus inJoh 20,16d mit PO:~~OUVL an. Diese Anrede Maria Magdalenas korrespondiert stilecht mit der vorherigen Anrede Jesu und stellt somit eine passende Antwort dar. Wie Jesus zuvor, so macht auch Maria Magdalena, nachdem sie ihn erkannt hat, keine großen Worte, sonden! beschränkt sich auf ein Minimum an Kommunikation. Analog zu dem einen Wort MO:PLllj.L aus dem Munde Jesu antwortet sie auch nur mit einem einzigen Wort. Dadurch verschafft der Johannesevangelist diesem Redegang ein ausgewogenes 187 Vgl. 188 Vgl. 189 Vgl.
s. RUSCHMANN, Maria 117. U. WILCKENS,joh 308f. R. SCHNACKENBURG,joh III 375.
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Gleichgewicht, insofern der Redeanteil beider Dialogpartner gleichermaßen gering ist und sich jeweils in einem einzigen Wort erschöpft. Diese Ausgewogenheit geht sogar so weit, dass beide Worte jeweils aus drei Silben bestehen und sich dadurch auch in ihrer Länge entsprechen. Dies kann als Zufall auf der phonetischen Ebene bewertet werden; beabsichtigt dürfte jedoch vom Evangelisten beide Male der semitische Klang sein. Wie Jesus Maria Magdalena in ihrer Muttersprache anredet, so antwortet ihm jene auf hebräisch, wie es in der Redeeinleitung mit 'Eßpu'L<J'tL explizit festgestellt wird. Das Hebräische als gemeinsame Sprache verbindet Jesus und Maria Magdalena und verleiht diesem Wortwechsel seinen eigentümlichen Charakter, den der Evangelist herzustellen bemüht ist und den er selbst im Hinblick auf seine Hörer bzw. Leser, die außerhalb Palästinas anzusiedeln und des Hebräischen nicht mächtig sind, nicht aufzugeben bereit ist. Für sie überträgt er sogleich in Form eines parenthetischen Erzählerkommentars das hebräische "Rabbuni" ins Griechische und übersetzt es wie die Anrede "Rabbi" in Joh 1,38190 mit ÖLMaKUA.oc;;. Dadurch, dass nur an diesen beiden Stellen die Übersetzung der bei Johannes häufiger vorkommenden Anrede "Rabbi" bzw. "Rabbuni" vom Evangelisten mitgeliefert wird, ergibt sich eine weitere Verbindungslinie zwischen den Jüngerberufungen ganz am Anfang hin zu der Ostererzählung ganz am Ende des Johannesevangeliums. 191 Inwieweit darüber hinaus der Gebrauch der Rabbi-Anrede inJoh 1,38 mit der Verwendung von Rabbuni in Joh 20,16 übereinstimmt bzw. sich unterscheidet, soll aus den folgenden Überlegungen heIVorgehen. Im vierten Evangelium taucht "Rabbuni" nur hier inJoh 20,16d auf, und auch im gesamten übrigen Neuen Testament kommt diese Anrede nur noch ein einziges Mal vor.l 92 Wesentlich häufiger findet sich dagegen die Form "Rabbi", die allein schon im Johannesevangelium mit ach~ Belegen anzutreffen istl 93 und hier vorwiegend im Mund der Jünger als Anrede für Jesus als ihrem Lehrer begegnet.l 94 Inwieweit ist 190 InJoh 1,38 reden Andreas und der andere Jünger ebenso wie Nathanael inJoh 1,49 Jesus mit "Rabbi" an. 191 Vgl. die ausführliche Verhältnisbestimmung vonJoh 20,1.2.11-18 zuJoh 1,35-51 bei S. RUSCHMANN, Maria 142-164. Scholtissek fasst diesen Zusammenhang zwischenJoh 20 undJoh 1 als "fortschreibende relecture der Jüngerberufungen in der österlichen Begegnung zwischen Jesus und Maria von Magdala" zusammen, vgl. K. SCHOLTISSEK, »Mitten unter euch steht er, den ihr nicht kennt« aoh 1,26) 113. 192 In Mk 10,51 spricht der blinde Bettler Bartimäus Jesus mit ..Rabbuni" an und bittet ihn, wieder sehen zu können. 193Vgl.Joh 1,38.49; 3,2.26; 4,31; 6,25; 9,2; 11,8. 194 Als die beiden Ausnahmen lassen sichJoh 3,2 (Nikodemus sprichtJesus mit Rabbi an) undJoh 3,26 (die Jünger desJohannes sagen Rabbi zum Täufer) anführen.
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es nun aufIallig, dass Maria Magdalena als Jüngerin Jesu den Auferstandenen nicht mit Rabbi, wie es bisher im Johannesevangelium der Fall war, anspricht, sondern mit .Rabbuni? Zunächst besteht mit dieser Anrede kein Zweifel daran, dass Maria MagdalenaJesus als den Auferstandenen erkennt,195 Sodann ist es aber nicht einfach zu beurteilen, ob bzw. wie sich die beiden Anreden Rabbi und Rabbuni voneinander unterscheiden. Becker betrachtet die Anrede Rabbuni als Nebenform zu Rabbi, die wörtlich "mein Meister" bedeutet und vom Evangelisten mit "Meister" übersetzt wird.l 96 Auch Wengst ist der Meinung, dass für den Johannesevangelisten zwischen Rabbi und Rabbuni sachlich kein Unterschied besteht, gibt er doch beide Anredeformen mit öL60CaKaAE wieder.l 97 Schnackenburg geht demgegenüber einen Schritt weiter, wenn er Rabbuni als nichts anderes als das gewöhnliche Rabbi ansieht, das jedoch "verstärkt, gleichsam persönlicher gehalten"19B ist. Die Extremposition schlechthin vertritt schließlich Schnelle, der dem Rahbuni im Gegensatz zum Rabbi einen "Bekenntnischarakter"199 zuschreibt. In der Tat lässt sich das "Rabbuni" in Joh 20,16d als Bekenntnis interpretieren, allerdings kann als Begründung nicht wie von Schnelle der Unterschied zu Rabbi angeführt2°O, sondern es muss m. E. der Kontext dieser Stelle beachtet und herangezogen werden. Im Gegensatz zu den anderen neutestamentlichen Stellen, an denen Rabbi bzw. Rabbuni vorkommt, scheint in Joh 20,16d der durch das PossessivSuffix "-i" gegebene persönliche Klang nicht verloren zu sein, sondern sich erhalten zu haben. Diese Vermutung legt sich dadurch nahe, dass Maria Magdalena in Joh 20,13d von ihrem Herrn spricht. An beiden Stellen kommen demnach eine persönliche Nähe und ein vertrautes Verhältnis zwischen Jesus und Maria Magdalena zum Ausdruck. 201 Darüber hinaus gilt es, für die Rabbuni-Anrede in Joh 20,16d die besondere Situation in Rechnung zu ·stellen, in die sie hineingesprochen wird. Es ist nicht der irdische Jesus, den Maria Magdalena wie die 195 Gegen Bultmann, der sich dafür ausspricht, dass Maria MagdalenaJesus noch nicht voll als den erkannt hat, der er jetzt als Auferstandener ist und ihn dahingehend missversteht, dass er einfach aus dem Tod zurückgekehrt derjenige ist, der er als Lehrer war, vgl. R. BULTMANN,Joh 532. 196 Vgl.J. BECKER,Joh 11 617. 197Vgl. K. WENGST,Joh 11 304. 19B SO die Beurteilung von R. SCHNACKENBURG,Joh 111 375. 199 So U. SCHNELLE,Joh 303. 200 De facto besteht zwischen diesen beiden Formen kein Unterschied; sie werden alternativ als Anrede für Gelehrte verwendet, vgl. G. DALMAN, Worte 267.279 und E. LoHSE, Art. paj3ßL 965. 201 Vgl. S. RUSCHMANN, Maria 91.
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anderen Jünger auch mit Rabbi angeredet hat, sondern es ist der auferstandene Christus, den sie zunächst für den Gärtner hält, aber dann als den Auferstandenen erkennt und als ihren Rabbuni bekennt. Der Bekenntnischarakter von Rabbuni ergibt sich nicht zuletzt aus der unmittelbar zuvor erfolgten Anrede Maria Magdalenas durch Jesus und wird von da aus mit aufgebaut. 202 Wie der Auferstandene Maria Magdalena mit ihrem Namen und damit ganz persönlich anspricht, so gibt sie dieses Erkanntwerden in dem Rabbuni zurück und bekennt Jesus damit als ihren auferstandenen Lehrer. In diesem einen Wort fallen somit Erkenntnis und Bekenntnis zusammen. Dadurch unterscheidet sich Rabbuni in Joh 20,16d auf fundamentale Weise von der von den Jüngern früher gebrauchten Rabbi-Anrede für Jesus. Jetzt ist es nicht mehr der irdische Jesus, der von seinen Jüngern zur Einführung einer Frage oder eines Anliegens als Meister angeredet wird, sondern der auferstandene Lehrer, dem diese ehrenvolle Bezeichnung als Bekenntnis zu ihm gebührt. Mit diesem Bekenntnis bringt Maria Magdalena ihren Glauben an die AuferstehungJesu zum Ausdruck. 203 5.3.4. Abschluss des Dialogs: Der Auftrag des Auferstandenen (V. 17) Mit dem Wort Jesu in Joh 20,17 endet der kurze Dialog mit Maria Magdalena. Der Auferstandene erteilt ihr einen Auftrag, den sie sodann laut Joh 20,18 ausführt. Inhaltlich stellt dieser Auftrag, auch wenn er klar und unmissverständlich formuliert ist, die Ausleger vor so manche Probleme; hier soll er zunächst in formaler Hinsicht analysiert werden. Das WortJesu an Maria Magdalena inJoh 20,17 M~ j.l.OU ii1T'tou. OÜ1TW yap a.VIXßEßTJKIX 1TpOe; tOV 1TlXteplX' 1TOPEUOU ÖE 1Tpoe; tOUe; a.ÖEA,<j!oUe; j.l.OU KIXL EL1TE IXVtOLe;. 'AV!XßIXLVW 1Tpoe; tOV 1TlXteplX j.l.OU KIXL 1TlXteplX Uj.l.wv KIXL 9EOV j.l.OU KIXL 9EOV Uj.l.WV besteht aus zwei Teilen, die aufeinander bezogen sind;
auf ein Verbot mit einer Begründung in der ersten Hälfte folgt in der zweiten Hälfte ein Gebot mit einem bestimmten Auftrag. Beides, einfaches Verbot wie doppeltes Gebot, sind Imperativformen der 2. Person Singular. Über das Stichwort a.VIXßIXLVW sind die beiden Teile miteinander verbunden, wobei der Schwerpunkt eindeutig auf der zweiten Hälfte liegt; dies geht nicht nur aus dem verdoppelten Imperativ hervor, sondern auch und vor allem daraus, dass die Begründung des Verbots OÜ1TW yap a.vIXßeßTJKIX 1Tpoe; tOV 1TlXteplX dann im Gebot aufgenommen und deutlich erweitert wird zu 'AVIXß!XLVW 1Tpoe; tOV 202 Vgl. 203 Vgl.
K. SCHOLTISSEK, »Mitten unter euch steht er, den ihr nicht kennt« Goh 1,26) 117. U. SCHNELLE.Joh 303.
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Was die Gattung dieses Wortes Jesu an Maria Magdalena betrifft, so handelt es sich hierbei entsprechend seiner imperativischen Form um ein Auftragswort, wie es als typisches Element in den neutestamentlichen Ostergeschichten begegnet. In Mk 16,7 ist es der Engel, der den Frauen folgenden Auftrag gibt: U1TIX.YE-rE E'lna,E ,o'ie; fLIl8Tj,a'ie; au,ou KaL "-l>
1TIX,Epa fLoU KaL na,Epa uf,LC;)v KaL 8EOV fLoU KaL 8EOV UfLWV.204.
IIhp41 ön IIpoaYEL ufLiie; Ete; ,~v rahÄalav· EXE'i au,ov öl/lW8E, Ka8we; ElnEV ufL'iV. In Mt 28,10 ist es der Auferstandene selbst, der den Frauen befiehlt: unaYE-rE anaYYElÄa,E ,o'ie; aÖEÄcjlo'ie; fLOU 'lva anEJ..8WOLV Ete; ,~v
Beide Beispiele stimmen mit Joh 20,17 in der Grundstruktur dahingehend überein, dass jeweils mit einem doppelten Imperativ dazu aufgefordert wird, zu den Jüngern bzw. zu den Brüdern 205 zu gehen 206 und den Auftrag des Engels bzw. des Auferstandenen auszurichten 207 . Allerdings lassen sich auch deutliche Unterschiede zwischen Markus und Matthäus einerseits undJohannes andererseits aufzeigen. Während sich bei Mk und Mt vor dem eigentlichen Auftrag das für eine Epiphanie typische fL~ cjlOßE'i08E208 findet, stellt Johannes an den Anfang seines Wortes das eigentümliche, weil unmotivierte Verbot fL~ fLOU än,ou. Auch fehlt bei Johannes im Gegensatz zu den beiden Synoptikern im eigentlichen Auftragswort die Ankündigung einer Erscheinung Jesu in Galiläa; stattdessen baut der vierte Evangelist das für ihn und seine Theologie signifikante Motiv des Aufstiegs Jesu zum Vater ein. Diese beiden Unterschiede gilt es im Folgenden zu untersuchen, stellen sie doch nicht nur eine Abweichung von den Synoptikern dar, sondern bereiten auch innerhalb des näheren und weiteren Kontextes des Johannesevangeliums erhebliche Schwierigkeiten. Was das Verbot Jesu fL~ fLOU ämou gegenüber Maria Magdalena betrifft, so beginnen die Probleme hier bereits bei der Übersetzung. Das griechische Verb ämw8aL209 hat im Medium die Bedeutung "anfassen, berühren, ergreifen", und dementsprechend geben Luther und raÄLÄalav, KaKE'i fLE öl/lov,aL.
204Vgl. M. THEOBALD, Osterglaube 10I. 205 Mt undJoh stimmen sogar in dieser auffälligen Einzelheit überein, so dass hier wohl die größte Nähe zu vermuten ist. 206 Auch wenn im Griechischen verschiedene Verben begegnen (imayw bei Mk und Mt, dagegen lTOPEUo~IXL beiJoh), so lässt sich der Sache nach kein Unterschied ausmachen. 207 Auch hier ist mit dem Wechsel zwischen }..~yw (Mk und Joh) und amlXyyeUw (Mt) sachlich kein Unterschied verbunden, gehören doch beide Verben zum Wortfeld des Sagens und Sprechens. 208 Bei Mk bereits am Beginn der Engelsrede in Mk 16,6, bei Mt unmittelbar vor dem Auftragswort des Auferstandenen in Mt 28,10. 209 Im Johannesevangelium kommt es nur an dieser Stelle vor und darüber hinaus im CorpusJohanneum auch nur noch in 1Joh 5,18.
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andere Übersetzer die Stelle mit "Rühre mich nicht an!" wieder. Dagegen sperrt sich allerdings die nachfolgende Begründung OÜ1T(a) yap livaßeßllKa 1TPOC;; 't'ov 1Ta't'epa. Welchen Sinn sollte es für Johannes machen, dass Maria MagdalenaJesusjetzt noch nicht berühren darf, aber nach seinem Aufstieg zum Vater eine Berührung möglich ist?210 Einen Ausweg aus diesem inhaltlichen Dilemma weist der grammatikalische Befund. Demnach lässt sich die Form I.I.~ ämou als verneinter Imperativ Präsens bestimmen, der im Griechischen durativen Charakter haben und zum Ausdruck bringen kann, dass eine Handlung, die schon geschehen oder versucht ist, aufhören SOIl.211 Vor diesem sprachlichen Hintergrund lässt sich I.I.~ l.I.0u ämou also nicht so sehr als Abwehr einer intendierten, sondern vielmehr als Beendigung einer versuchten oder bereits begonnenen Berührung verstehen. In diesem letzteren Sinne ist I.I.~ l.I.0u ämou entweder mehr wörtlich mit "Rühre mich nicht länger an!" oder dann übertragen mit "Halt mich nicht länger fest, laß mich IOS!"212 zu übersetzen. Mit diesen beiden Varianten lässt sich der anschließende Begründungssatz vereinbaren, so dass sich im Unterschied zum ersten Übersetzungsvorschlag nun dem Inhalt nach eine logischere Textfolge ergibt213 ; doch besteht nach wie vor eine deutliche Spannung zum vorherigen Kontext. Ehe Jesus das Berührungsverbot ausspricht, wird im Text nichts darüber ausgesagt, dass Maria Magdalena versucht, ihn anzufassen, geschweige denn, dass sie ihn auch tatsächlich anfasst und mit Händen ergreift. Es ist inJoh 20,14 lediglich von einem Umwenden Maria Magdalenas die Rede; ob mit dieser Bewegung eine Berührung einhergeht oder nicht, muss vom Textbefund her offen bleiben und fällt in den Bereich exegetischer Spekulation. 214 Während also dieses Verbot bei Johannes absolut unmotiviert erscheint, hätte es nach Mt 28,9 seine volle Berechtigung. An dieser Stelle wird berichtet, wie die Frauen als Reaktion auf die Erscheinung des Auferstandenen vor Jesus niederfallen und seine Füße umfassen. Genau eine derartige Szene fügen einige Handschriften am Anfang von Joh 20,17 ein 215 und bieten dadurch eine Motivation für das anschließende Berührungsverbot. Dieser Zusatz ist aufgrund der Tatsache, dass es sich hierbei um eine den Text vereinfachende Lesart 210 Vgl. C. DIETZFELBINGER,Joh 11 332. 211 Vgl. F. BLASS/A. DEBRUNNER/F. REHKOPF, Grammatik § 336 2.e) mit Anm. 4275. 212 So der Übersetzungsvorsehlag von Sehnackenburg,Johannes III 376. 213 Hier steht bewusst der Komparativ, weil diese Aussage im Kontext der johanneisehen Theologie absolut nicht logisch, sondern von der Situation, in die sie hineingesproehen ist, zu verstehen und zu interpretieren ist. 214 Vgl. S. RUSCHMANN, Maria 91. 215 Ke '1' pcvg~ syh fügen zu Beginn vonJoh 20,17 ein: Kilt llpooeöpa.f!Ev iiljIlWellL Ilmoli.
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handelt, textkritisch als sekundär zu beurteilen, auch wenn er der Sache nach seine Berechtigung hat. 216 Dem Johannesevangelisten, der an dieser Stelle offensichtlich aus einer mit Matthäus gemeinsamen Tradition schöpft217, geht es nicht um den Berührungsvorgang als solchen; er beschränkt sich auf das Berührungsverbot, das er aus seinem ursprünglichen Kontext herauslöst218 und es als Aufhänger benutzt für seine ihm eigene Redeweise vom Aufstieg Jesu zum Vater. Durch die folgende Begründung OÜ1T(u yap avaßEßtlKu 1TPOC; 'tOV 1TU'tEPU bekommt das IJ.~ IJ.OU ämou bei Johannes eine ganz neue Ausrichtung und kann nur in diesem Zusammenhang richtig interpretiert und verstanden werden. Dass Johannes in dem Auftragswort nicht die Erscheinung Jesu vor seinen Jüngern in Galiläa thematisiert, wie es Markus und Matthäus tun, sondern das Motiv des AufstiegsJesu zum Vater in den Mittelpunkt stellt, zeigt sich bereits auf der semantischen Ebene darm, dass das Verbum avußuLvcu in beiden Teilen von Joh 20,17 vorkommt und dort jeweils das Schlüsselwort darstellt. Die johanneische Redeweise vom AufstiegJesu zum Vater ist den Lesern des Evangeliums alles andere als neu, macht sie doch einen festen Bestandteil der Christologie des vierten Evangelisten aus und gehört näherhin in sein Gesandtenschema, dahingehend, dass Jesus als der Sohn vom Vater in die Welt gesandt wird, um ihn zu offenbaren, und nach der Erfüllung dieses Auftrags zu ihm zurückkehrt. So ist inJoh 3,13 undJoh 6,38.62 explizit vom Auf- und Abstieg Jesu die Rede, während das Sendungsmotiv durch das ganze Evangelium hindurch begegnet. 219 Vor allem in den Abschiedsreden spricht Jesus davon, dass er zum Vater geht220 und damit zu dem zurückkehrt, der ihn gesandt hat. 221 Diese Rückkehr ist gut für die Jünger, beschert sie ihnen doch das Kommen des Beistandes. 222 216Vgl. R. SCHNACKENBURG,Joh III 375. 217 Eine direkte Abhängigkeit zwischen Johannes und Matthäus ist wohl auszuschließen, zumal beide Evangelisten unterschiedliche Verben für den Vorgang der Berührung verwenden; bei Matthäus findet sich KpIX-rel.V, beiJohannes dagegen ibrteo9IXL. 218 Nach Ruschmann war das Berührungsverbot direkter als jetzt mit dem Auftrag verbunden, zu den Brüdern zu gehen und ihnen die Auferstehungsbotschaft mitzuteilen: "halt mich nicht fest, sondern geh und verkünde", vgl. S. RUSCHMANN, Maria 92. 219Vgl. die typischjohanneische Redewendung -rov nElllJra:v-rr! 1lE, z. B. inJoh 5,24; 7,16. 28.33; 8,16.18.26; 12,44.45; 13,20; 15,21; 16,5. 220Vgl.Joh 14,12. 221 Vgl.Joh 16,5. 222Vgl.Joh 16,7. Zur Funktion des Parakleten imJohannesevangelium vgl. L. WEHR, .Er wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe" (Joh
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InJoh 20,17 thematisiert der johanneische Jesus ein letztes Mal und in einer bisher nicht vorgekommenen Dichte seinen AufstiegJesu zum Vater, und genau diese Stelle bereitet theologisch die größten Probleme. Hier redet der Auferstandene davon, dass er noch nicht zum Vater hinaufgegangen ist. Unabhängig davon, ob es sich hierbei um einen "Zwischenzustand"223 zwischen Auferstehung und Aufstieg oder "~witterzustande"224 als schon Auferstandener, aber noch nicht Aufgestiegener, handelt und wie sich dieser vorzustellen ist225 , steht doch diese Aussage in Spannung zur johanneischen Kreuzestheologie. Im Unterschied zu den Synoptikern und auch zu Paulus, die auf die Kreuzigung Jesu seine Auferstehung folgen lassen, verbindet der vierte Evangelist beide Akte des Heilsgeschehens zu einem einzigen Ereignis. Mit seiner doppeldeutigen Redeweise von der Erhöhung, die sowohl wörtlich das ~ufhängen am Kreuzespfahl"226 als auch übertragen die Rückkehr Jesu .zum Vater beinhaltet227, avanciert Johannes zu einem Kreuzestheologen sui generis. Für ihn vollzieht sich bereits in der Kreuzigung Jesu sein Aufstieg zum Vater. 228 Als logische Konsequenz dieser originellen theologischen Konzeption dürfte es demnach imJohannesevangelium keine Erscheinungsberichte des Auferstandenen geben. Wenn in der Erhöhung Jesu seine Kreuzigung und sein Aufstieg zum Vater in eins gedacht werden, ist im Gegensatz zur lukanischen Konzeption von den 40 Tagen zwischen Auferstehung und Himmelfahrt streng genommen "kein Platz" für die Ostergeschichten mit der Erscheinung des Auferstandenen vor Maria Magdalena, den Jüngern und Thomas. Dadurch, dass Johannes mit der Anfügung des Osterkapitels Joh 20 seine einmalige theologische Konzeption von der Erhöhung durchbricht und damit gewissermaßen Platz schafft für die Erscheinungen des Auferstandenen, scheint ihm ein starkes Interesse daran zu liegen, die Auferstehung Jesu als solche auch zu schildern. Dazu verleitet ihn
14,26). Die hermeneutische Funktion des Geist-Parakleten und die Kriterien der Traditionsbildung imjohannesevangelium 325-342. 223 So U. SCHNELLE,Joh 303. 224 So R. BULTMANN,joh 532. _ 225 Schnackenburg hält diese Uberlegungen zu Recht für falsch, weil sie an der theologischen Aussageabsicht des Evangelisten vorbeigehen, vgl. R. SCHNACKENBURG, Joh III 376f. 226 So P. HOFFMANN, Studien 184. 227 Vgl.joh 3,14; 8,28; 12,32. 228 Vgl. T. KNÖPPLER, Die theologia cmds des johannesevangeliums; A. DETIWILER/J. ZUMSTEIN, Kreuzestheologie im Neuen Testament; W. '!'HüSING, Die Erhöhung und VerherrlichungJesu imjohannesevangelium.
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Die Dialogejesu mit Einzelpersonen imjohannesevangelium
sicherlich nicht die "Reverenz vor der kirchlichen Tradition"229 und auch nicht die Absicht, dass er seinen Lesern die traditionellen Ostergeschichten nicht vorenthalten will. 230 Vielmehr kommt es ihm darauf an, in den Ostergeschichten eine eigene theologische Botschaft zu vermitteln, die sich aus Joh 20,17 ableiten und erkennen lässt; nicht von ungefähr bezeichnet Theobald diesen Vers als "hermeneutischen Schlüssel für Kap. 20"231. In Joh 20,17d bezeichnet Jesus zum ersten Mal im Johannesevangelium seine Jünger als Brüder. 232 Damit kommt theologisch zum Ausdruck, dass mit der Auferstehung eine "neue Phase der Christusbeziehung"233 und dadurch wiederum ein "besonderes Verhältnis zu seinem Vater"234 beginnt. Die Jünger haben nunmehr als Brüder Jesu seinen Vater zu ihrem Vater und seinen Gott zu ihrem Gott. Die Auferstehung Jesu hat somit konkrete Auswirkungen und praktische Konsequenzen für ihr eigenes Dasein; durch sie werden die Jünger und mit ihnen die Adressaten dieser Osterbotschaft hinein genommen in eine neue Lebenswirklichkeit, die von einer durch Jesus eröffneten persönlichen 235 und unmittelbaren Gottesbeziehung geprägt ist. Genau darin liegt m. E. auch die Aussageintention des Johannesevangelisten, für die er sein eigenes theologisches Konzept durchbricht. Es genügt ihm nicht, die Auferstehung Jesu in das Kreuzesgeschehen zu integrieren; damit ist sie zwar hochtheologisch reflektiert, aber doch in ihrer Bedeutung für den Glauben nicht konkret genug erfasst. Es geht ihm viel mehr darum, die Auferstehung als "Geschehenswirklichkeit"236 für seine Leser zu erzählen. Diese können nicht nur nachvollziehen, wie sich Auferstehung ereignet, sondern auch erfahren, wie sie an der Auferstehung teilhaben und welche Bedeutung sie für ihr Leben hat, dahingehend, dass nämlich der Mensch in der Begegnung mit dem Auferstandenen zum Glauben an ihn geführt wird und damit gleichzeitig in eine neue, persönliche Gottes- und Christusbeziehung eintritt. 229 So U. WILCKENS,joh 309. 230 Können würde er dies schon, schließlich ist er imstande, auch auf andere wichtige Erzählungen wie beispielsweise den Einsetzungsbericht, den er sicherlich gekannt hat, oder das Vater Unser, das ihm wohl auch als Tradition vorlag, zu verzichten; der Einheitlichkeit seines theologischen Konzeptes wegen müsste er die Ostergeschichten streng genommen sogar weglassen. 231 Im Original kursiv, vgl. M. THEOBALD, Osterglaube 113. 232 Vgl. K. WENGST,joh 11 307. 233 So C. DIETZFELBINGER,joh 11 333. 234 So R. SCHNACKENBURG,joh III 378f. 235 Vgl. die Häufung der Possessivpronomen injoh 20,17. 236 Vgl. Wilckens,johannes 309.
Der D~alog des Auferstandenen mit Maria Magdalena inJoh 20,15-17
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Vor dies~m Hintergrund bekommt nun auch das am Anfang vonJoh 20,17 stehende VerbotJesu j.I.~ IlOU &1T'tOU seine ihm wesenhafte Bedeutung. Wenn Maria MagdalenaJesus nicht loslässt, dann kann dieser nicht zum Vater aufsteigen und seine Brüder nicht an der Auferstehung teilhaben lassen; wenn sie ihn jedoch loslässt, dann steht dem Aufstieg Jesu zum Vater nichts mehr im Wege und der Auferstandene kann die Brüder mit hinein nehmen in die neue Wirklichkeit seines Gottes und Vaters, der damit zu ihrem Gott und Vater wird. Auferstehung ist demnach nicht ein ausschließlich auf Jesus fixiertes Ereignis, sondern bekommt eine soteriologisch-eschatologische Bedeutung für alle, die an ihn als den Auferstandenen glauben. 5.4. Reaktion auf den Dialog: Die Auftragsausführung durch Maria Magdalena (V. 18) Den Auftrag, den ihr der Auferstandene in Joh 20,17 erteilt, führt Maria Magdalena lautJoh 20,18 aus; sie geht zu den Jüngern und verkündet ihnen die Osterbotschaft. Mit dieser Reaktion auf den Dialog zwischen Jesus und Maria Magdalena ist zugleich auch das Ende der Christophanie und darüber hinaus der gesamten TexteinheitJoh 20,118 erreicht. Entsprechend dem Auftrag des Auferstandenen inJoh 20,17 1TOPEUOU ÖE 1TPOC; 'tOUC; aÖEA.Ij!ouc; j.l.OU Kat Et1TE au'toi.c; geht Maria Magdalena verkündigendJ. 37 zu den Jüngern238 • Auch wenn im Griechischen jeweils unterschiedliche Verben für die beiden Handlungsakte gebraucht werden 239, so kommt Maria Magdalena sachlich dem Auftrag des Auferstandenen nach und führt ihn wie befohlen aus. Dass sie dabei vom Evangelisten als ayyeUouaa gezeichnet wird, verdient besondere Beachtung. Das Verbum ayyeUELv kommt nämlich als Simplex, abgesehen von der textkritisch umstrittenen Stelle inJoh 4,51, im gesamten Neuen Testament kein einziges Mal mehr vor; dagegen begegnen die Komposita avayyeUELv und a1TayyeUELv insgesamt sechs Mal imJohannesevangelium. Bis auf Joh 5,15240 werden sie stets in einem christo237 Die Form a.yyEl..Äouoa: ist als Partizip Präsens aktiv zu bestimmen; damit ist die Verkündigungstätigkeit Maria Magdalenas untrennbar mit ihrem Gehen zu den Jüngern verbunden. 238 Es fällt auf; dass hier im Gegensatz zum vorherigen Vers nicht von a.ÖEÄ.cjlOL, sondern wieder von ~eT]'t"a:L die Rede ist. Diese Beobachtung lässt sich wohl damit erklären, dass nur Jesus die Jünger als seine Brüder bezeichnen und diese Verhältnisbestimmung deswegen ausschließlich aus seinem Munde kommen kann. 239 Aus dem lIopeuou inJoh 20,17 wird inJoh 20,18 ein ~Pxe't"a:L und das eLlIE inJoh 20,17 wird inJoh 20,18 zu einem a.yyeUouaa:. 240 Hier wird es ganz profan in der Bedeutung von »mitteilen, berichten" gebraucht.
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Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium
logischen oder pneumatischen Kontext gebraucht, dahingehend, dass jesus bzw. dem Parakleten eine Verkündigungs tätigkeit zugeschrieben wird. 241 Wenn nun hier in joh 20,18 das erste und einzige Mal im johannesevangelium eine andere Person als jesus oder der Geist und noch dazu eine Frau etwas offenbarend verkündet, dann bekommt Maria Magdalena eine einzigartige Stellung vom johannesevangelisten eingeräumt. Darüber hinaus wird natürlich auch ihre Botschaft in spezieller Weise qualifiziert und bekommt eine besondere Bedeutung. 242 Diese Einschätzung ergibt sich nicht zuletzt aufgrund des Inhalts der Botschaft; schließlich macht Maria Magdalena den jüngern nicht irgendeine Mitteilung, sondern sie verkündet ihnen die Osterbotschaft. Die Botschaft Maria Magdalenas an die jünger besteht aus zwei Teilen. Zunächst verkündet sie ihnen: 'EwpaKa KUpLOV. Die Tatsache, dass Maria Magdalena den jüngern die Osterbotschaft in direkter Rede mitteilt, stellt eine außerordentliche Besonderheit gegenüber den synoptischen Parallelerzählungen dar. 248 Während bei Markus die Frauen den Auftrag des Engels gar nicht ausführen 244, wird dies bei Matthäus lediglich angedeutet;245 es ist einzig und allein der johannesevangelist, der nicht nur beschreibt, wie Maria Magdalena den Auftrag des Auferstandenen genauestens befolgt, sondern auch wörtlich fasst, was sie den jüngern ausrichtet. Dadurch, dass johannes ihr das 'EwpaKa KUPLOV in den Mund legt, stilisiert er Maria Magdalena zur Osterzeugin par excellence im Neuen Testament. 246 . Was den Inhalt dieser Verkündigung angeht, so verwendet der johannesevangelist hier wie in joh 20,25 eine urchristliche Kurzformel für die Ostererfahrung, wie sie auch bei Paulus in 1 Kor 9,1 begegnet. Wennjesus in diesem Zusammenhang "Kyrios" genannt wird, dann versteht sich von selbst, dass es sich nicht wie noch in joh 20,15f um eine Höflichkeitsbezeichnung, sondern nunmehr um einen christologischen Hoheitstitel handelt, mit dem der Glaube an den auferstandenen und erhöhten Herrn zum Ausdruck gebracht wird. Bultmann spricht dem Kyriostitel an dieser Stelle zum ersten Mal bei johannes "sein eigentliches Pathos"247 zu, so wie er dann auch noch injoh 20,20.
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241 Vgl.Joh 4,25; 16,13.14.15.25. 242 Vgl. S. RUSCHMANN, Maria 94. 243 In Mt 28,11 wird nur angedeutet, dass die Frauen den AuftragJesu ausführen. 244 Statt zu den Jüngern zu gehen und ihnen die Botschaft des Engels zu verkünden, fliehen sie vom Grab und schweigen, vgl. Mk 16,8. 245Vgl. Mt 28,11. Bei Lukas findet sich überhaupt kein Verkündigungsauftrag, weder im Munde der Engel noch im Munde des Auferstandenen. 246 Vgl. S. RUSCHMANN, Maria 95. 247 So R. BULTMANN,Joh 534, Anm. 2.
Der Dialog des Auferstandenen mit Maria Magdalena inJoh 20,15-17
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25.28; 21,7.12 als angemessene Bezeichnung für den Auferstandenen in seiner Hoheit und Würde begegnet. Laut Schnackenburg entspricht die aktive Formulierung 'EWPIXKIX 1:0V KUPLOV dem häufiger vorkommenden passivischen wIj>S".248 Es ist interessant, dass diese beiden urchristlichen Formeln das Sehen als wesentliche Grunderfahrung für den Osterglauben benennen. An keiner Stelle im Neuen Testament kommt dieser Zusammenhang von Sehen und Glauben so deutlich und prägnant zum Ausdruck wie in Joh 20. Hier kulminiert die Sichtweise des Johannes, der sein ganzes Evangelium hindurch dem Sehen eine zentrale Bedeutung für den Glauben zumisst und den Sehakt gewissermaßen als integralen Bestandteil des Glaubensaktes versteht. 249 Vom Lieblingsjünger heißt es in Joh 20,8: e'l:ÖEv KIXL E1rL01:EOOev. Dadurch kommt bereits auf der semantischen Ebene explizit zum Ausdruck, dass der geliebtejünger aufgrund des Sehens zum Glauben an die Auferstehung kommt. Bei Maria Magdalena ist. es nicht die Wahrnehmung des leeren Grabes, sondern die Begegnung mit dem Auferstandenen, die sie zur Erkenntnis führt und den Jüngern gegenüber bekennen lässt: 'EWPIXKIX 1:0V KUpLOV. Wie aus diesem Zeugnis hervorgeht, ist es auch bei ihr der Sehakt, der die Schlüsselrölle im Glaubensprozess spielt. Johanneischer Osterglaube beruht demnach nicht auf irgendwelchen theoretischen Spekulationen oder Halluzinationen, sondern auf der konkreten Wahrnehmung bestimmter Ereignisse in der menschlichen Wirklichkeit, sei es das leere Grab als solches oder der Auferstandene selbst. Maria Magdalena hat den Auferstandenen mit ihren eigenen Augen leibhaftig gesehen und so kann sie den Jüngern die Osterbotschaft verkünden. Wie Johannes der Täufer ganz am Anfang des Evangeliums aufgrund einer Vision Jesus in einem Bekenntnis als den Sohn Gottes bezeugt25o, so wird Maria Magdalena ganz am Ende des Evangeliums nach ihrer :Begegnung mit dem auferstandenen Herrn zur ersten Osterzeugin und bekennt gegenüber den Jüngern: "Ich habe den Herrn gesehen." Auf diese Weise wird das Johannesevangelium von zwei Zeugen gerahmt, die aufgrund ihrer eigenen Wahrnehmung ein Bekenntnis zuJesus aussprechen. 251 Der zweite Teil der Botschaft Maria Magdalenas an die Jünger wird nun nicht mehr in direkter, sondern in indirekter Rede wiedergegeben: KIXL 1:IXÜ1:IX etTIev IXUtij. Dieser Wechsel mutet nicht nur seltsam an, 248 Vgl. R. SCHNACKENBURG,Joh III 379. 249Vgl. F. HAHN, Sehen 521-537. 250Vgl.Joh 1,34. 251 Mit Joh 20,28 kommt noch Thomas als weiterer Zeuge hinzu, der aufgrund des Sehens zum Glauben kommt undJesus als seinen Herrn und Gott bekennt.
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Die Dialoge jesu mit Einzelpersonen imjohannesevangelium
sondern ist auch wirklich ungewöhnlich; deswegen versuchen manche Abschreiber dahingehend zu vereinfachen, dass sie entweder bei der ersten Aussage die direkte in eine indirekte Rede ändern 252 oder umgekehrt bei der zweiten Aussage die indirekte in eine direkte Rede verwandeln 253. Nach dem Urteil von Schnackenburg gibt es keinen Zweifel daran, dass der Text mit dem Wechsel von direkter zu indi"rekter Rede "sicher der ursprüngliche"254 ist, stellt er doch die lectio difficilior dar; die Frage ist nur, zu welchem Zweck dieser spannungsvolle Übergang erfolgt. Das Demonstrativpronomen 't"OCÜl"II inJoh 20,18c kann sich vom Kontext her nur aufJoh 20,17fbeziehen. 255 Mit diesem Rückverweis gelingt es also dem Johannesevangelisten, den Inhalt des Auftrags des Auferstandenen an seine Jünger, ohne ihn nochmals wörtlich wiederholen zu müssen, als wesentlichen Bestandteil der Osterbotschaft Maria Magdalenas zu kennzeichnen. Demzufolge ist es m. E. verkürzt,Joh 20,18c als "summarische Mitteilung in indirekter Rede"256 zu verstehen, die das vorher Gesagte einfach zusammenfasst; vielmehr weist dieser Halbvers, so ungeschickt er auch in sprachlicher Hinsicht formuliert und an das Vorhergehende angefügt worden ist; inhaltlich mit Nachdruck auf das Wort des Auferstandenen von seinem noch nicht erfolgten Aufstieg zum Vater und verstärkt es dadurch in seiner Funktion als Dreh- und Angelpunkt für die Interpretation des johanneischen Osterkapitels.
6. Die johanneische Strategie der Wissensvermittlung inJoh 20,1-18 6.1. Das Nichtwissen der Maria Magdalena als Ausgangspunkt Bevor Maria Magdalena in Joh 20,18 den Jüngern die Osterbotschaft verkünden kann, muss sie selbst zu diesem österlichen Wissen geführt werden. Den Ausgangspunkt für diesen Weg der Wissensvermittlung markiert das Nicht~Wissen der Maria Magdalena, das der Johannesevangelist an mehreren Stellen innerhalb von Joh 20,1-18 explizit herausstellt. Bereits in Joh 20,2fg und damit als grundlegende Konstellation für den weiteren Fortgang der Erzählung wird expressis verbis das Nicht252 Aus dem EWP(XI«X wird bei A D L Q Yu. a. ein EWP(XI(EII. 253 Anstelle des (XUtij lesen lat sa ac' bo~ ein j.lOL. 254 So das Urteil von R. SCHNACKENBURG,]oh III 379, Anm. 62. 255 Vgl. U. WILCKENS,joh 310. 256 So die Einschätzung von K. WENGST,joh II 308.
Der Dialog des Auferstandenen mit Maria Magdalena inJoh 20,15-17
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Wissen der Maria Magdalena thematisiert und dazu noch von ihr selbst zugegeben: OUK o'C&ZJlEV not) e8T)Ka:v a:ll't6v. 2&7 Fast die gleiche Formulierung begegnet in Joh 20,13ef erneut im Munde Maria Magdalenas. 258 Beide Male, zuerst gegenüber Simon Petrus und dem Lieblingsjünger und dann auch gegenüber den Engeln, bekundet Maria Magdalena ihr Nicht-Wissen in Bezug auf den Aufenthaltsort des Leichnams Jesu. Selbst als Jesus leibhaftig vor ihr steht, weiß sie nicht, dass er es ist. Zusätzlich zur semantischen Ebene 259 wird hier also durch die Personenkonstellation das Motiv des Nicht-Wissens nicht nur verstärkt, sondern sogar in typisch johanneischer Ironie ad absurdum geführt. Stärker und wirkungsvoller könnte der Johannesevangelist Maria Magdalena in ihrer Unwissenheit nicht zeichnen. Die Dunkelheit der frühen Morgenstunde260 tut ihr Übriges dazu; sie spiegelt sich voll und ganz im Innern der Maria Magdalena wider. Äußerlich bemerkbar wird diese innere Dunkelheit der Maria Magdalena und damit ihr Nicht-Wissen in ihrem Weinen. 261 Maria Magdalena steht am Grab und weint, weil sie nicht weiß, wo sich der Leichnam Jesu befindet. 262 Deshalb richten sowohl die beiden Engel als auch Jesus die Frage an sie: rUVa:L, .d. KAa:LELC;;;263. Während im ersten Fall Maria Magdalena noch in ihrem Nicht-Wissen zurückbleibt und gewissermaßen weiterweint, wird im zweiten Fall ihr Weinen vonJesus in ein Wissen überführt. Wie sich dieser Übergang vom Nicht-Wissen zum Wissen vollzieht, beschreibt der Dialog zwischen Jesus und Maria Magdalena in Joh 20,15-17. 6.2. Der Weg der Wissensvermittlung im Dialog zwischenJesus und Maria Magdalena Der Dialog zwischen Jesus und Maria Magdalena inJoh 20,15-17 stellt keinen Fremdkörper in der Gesamtkomposition dar, sondern ist vom Evangelisten geschickt in den Kontext des johanneischen Osterkapitels eingefügt. Mit der Einstiegsfrage Jesu fUVa:L, .d. KA.ttLELC;; in Joh 20,15b 257 Der Plural o'LIlIXj.LEV lässt sich traditionsgeschichtlich als Relikt der synoptischen Überlieferung erklären, s. o. unter Punkt 4.) bei der Entstehung vonJoh 20,1-18. Im Kontext vonJoh 20 ist es natürlich Maria Magdalena allein, die hinter dieser Aussage steht und sich damit als Nicht-Wissende zu erkennen gibt. 2&8 Hier dann auch grammatikalisch korrekt im Singular: oWe otllex. 2&9Vgl. inJoh 20,14d erneut die Formulierung OUK 1jIlEL, die das Nicht-Wissen der Marla Magdalena nunmehr zum dritten Mal explizit zum Ausdruck bringt. 260Vgl.Joh 20,1. 261 Vgl. A. LEINHÄUPL-WILKE, Wissen 255. 262Vgl.Joh 20,11. 263 Vgl.Joh 20,13b.15b.
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Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
knüpft johannes an die persönliche Verlassung Maria Magdalenas an und verleiht damit seinem jesus ein empathisches Gespür für die vorherrschende Situation. Zunächst geht er also auf das Weinen Maria Magdalenas ein, doch schon die weiterführende Frage 'tLva (TJ'tELt;; in joh 20,15c gibt dem Dialog seine eigentliche Ausrichtung. Es geht im Folgenden nicht um Maria Magdalena, sondern umjesus. Der, den sie für tot hält, steht lebendig als der Auferstandene vor ihr; er führt sie zur Erkenntnis seiner selbst und schenkt ihr darüber hinaus durch ein Offenbarungswort christologisches Wissen, das nicht nur für sie, sondern auch für die anderen jünger bestimmt ist. Bevor es aber dazu kommt, ist Maria Magdalena weiterhin wie bisher in ihrem Nicht-Wissen verhaftet. Obwohljesus vor ihr steht und sie den Klang seiner Stimme hört, erkennt sie ihn nicht; sie hält ihn für den Gärtner. 264 Durch diese Verwechslungsszene erlährt der Dialog ein'-retardierendes Moment, d.h . .der Übergang vom Nicht-Wissen zum Wissen erlolgt nicht sofort265, sondern wird dramaturgisch hinausgezögert. Die Spannung, die dadurch aufgebaut wird, hält jedoch nicht lange an; vielmehr wird der Leser überrascht, wie schnell und vor allem auf welche Weise sie aufgelöst wird. Mit einem einzigen Wort wird der Verwechslung ein Ende bereitet und gleichzeitig die Erkennungsszene eingeläutet.jesus nennt Maria Magdalena bei ihrem Namen und führt sie auf diese einfache, aber doch existenzielle Art aus ihrem Nicht-Wissen heraus. Die ebenso schlichte, aber eben auch tiefgehende Reaktion Maria Magdalenas, ihr Umwenden auf der nonverbalen und ihre Anredejesu mit Rabbuni auf der verbalen Ebene, beweisen, dass sie jesus erkannt hat und ihn zuleich als ihren Lehrer bekennt. In dieser Kürze und Prägnanz erreicht der Dialog zwischenjesus und Maria Magdalena seinen Höhepunkt. Maria Magdalena, nunmehr nicht mehr in der Dunkelheit des Nicht-Wissens, sondern im Lichte der Erkenntnis, bekommt zum Abchluss dieses Dialogs einen Auftrag vom Auferstandenen, der ihr ein noch tieferes christologisches Wissen offenbart und sie dadurch mitten in das johanneische Ostergeheimnis hineinnimmt. Dieses Wissen vom Aufstiegjesu zum Vater darl sie allerdings nicht für sich behalten, sondern sie soll es den jüngern weitergeben, damit auch diese zum Glauben an die Auferstehung geführt werden und im Gott und Vater jesu auch ihren Gott und Vater erkennen. 264Vgl.Joh 20,15de. 265 Maria Magdalena hätte auch direkt auf die Frage Jesu antworten können, dann wäre der Dialog sicherlich geradliniger und nicht auf diesem Umweg zur Erkenntnis Jesu verlaufen.
Der Dialog des Auferstandenen mit Maria Magdalena inJoh 20,15-17
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6.3. Die Wissensweitergabe über den Dialog hinaus
Der Weg der Wissensvennittlung in Joh 20 endet im Unterschied zu den Dialogen Jesu mit Nathanael, dem Blindgeborenen und Martha gerade nicht mit dem Abschluss des Dialogs, sondern geht wie beim Dialog Jesu mit der Samaritanerin über diesen hinaus; hier wie dort wird das soeben vennittelte Wissen an andere Personen weitergegeben und erreicht damit einen größeren Adressatenkreis. Diese besondere Konstellation ergibt sich aus dem besonderen Ende des Dialogs zwischen Jesus und Maria Magdalena. In Joh 20,17 bekommt Maria Magdalena vom Auferstandenen christologisches Wissen über seinen Aufstieg zum Vater geschenkt und wird gleichzeitig von ihm beauftragt, seine Jünger an diesem Wissen teilhaben zu lassen. Dementsprechend führt Maria Magdalena im darauf folgenden Vers diesen Auftrag aus und gibt das von Jesus empfangene Wissen an die Jünger weiter. Daurch, dass die Jünger über Maria Magdalena Adressaten der Botschaft Jesu werden, weitet sich der ursprüngliche Dialog zwischen Jesus und Maria Magdalena nunmehr auf die Jünger aus und auch sie werden mit hinein genommen in das Wissen über die AuferstehungJesu. In dieser dialogischen Verlängerung wird Maria Magdalena von der Wissen empfangenden zur Wissen vennittelnden Figur und bekommt inJoh 20,18 mit der Verkündigung der Osterbotschaft an die Jünger eine aktive Rolle zugeschrieben. Im Vergleich zu ihrer Ausgangssituation macht Maria Magdalena demnach eine enonne Wandlung durch. Ihren prozesshaften Weg vom Weinen zum Verkündigen sieht Ruschmann in der ersten Abschiedsrede in Joh 13,31-14,31 vorab gebildet;266 dort werden die Jünger von der Verwirrung zum Glauben geführt267. Damit sind jedoch nur die beiden Eckpunkte des Weges der Maria Magdalena abgesteckt. Ihr vollständiger Weg führt vom Weinen als Ausdruck ihres Nicht-Wissens am Anfang über die christologische Wissensvennittlung im Dialog zum Wissen und zur Weitergabe dieses Wissens am Ende. Über diese Stationen macht der Johannesevangelist Maria Magdalena zur Verkünderin der Auferstehungsbotschaft und zur ersten Osterzeugin in seinem Evangelium. Den Weg der Maria Magdalena vom Nicht-Wissen zum Wissen bis hin zur Wissensweitergabe soll auch der Leser des Johannesevangeliums mitgehen. Durch die Fonn des Dialogs wird er unmittelbar hinein genommen in die Begegnung zwischen Jesus und Maria Magdalena. Wie sie den Auferstandenen erkennt, so wird auch der Le266 Ygl. s. RUSCHMANN, Maria 193. 267Ygl.Joh 14,1.27.29.
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Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
ser durch die Identifikation mit ihr zu dieser Erkenntnis geführt und wie sie vom Auferstandenen beauftragt wird, zu den Brüdern zu gehen und ihnen die Osterbotschaft zu verkünden, so bekommt auch der Leser diesen Auftrag, sich aufzumachen und die AuferstehungJesu zu bezeugen.
VI. DER DIALOG DES AUFERSTANDENEN MIT THOMAS IN JOH 20,27-29 Griechischer Text: 27
a b c d e f
EttlX ÄeYEL 't<\> 0wll4, ~PE 'tov 6IXK'tUÄOV OOU c.SOE KIXL 'LoE 't,xe; XE1pae; ~OU KIXL ~epE ~v XE1pa oou KIXL ßaÄE Ei.e; 't~v lTÄEupav ~OU, KIXL ~~ YLVOU iXlTLo'toc; a.ÄÄ,x lTLO'tOe;.
28
a b
a.lTEKpL9Tj 0w~iXe; KIXL EtlTEV IXU't<\> , '0 KUpLOe; ~OU KIXL Cl 9EOe; ~OU.
29
a b c
ÄeYEL IXU't<\> Cl 'ITjoofie;, "On EwplXKae; ~ lTElTLO'tEUKIXe;; ~IXKapLOL oL ~~ LOOV'tEe; KIXL lTLO'tEUOIXV'tEC;.
Deutsche Übersetiung: a b c d e f
Dann sagte er zu Thom.as: Nimm deinen Finger hierher und sieh meine Hände, und nimm deine Hand und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!
28
a b
Thomas antwortete und sagte zu ihm: Mein Herr und mein Gott!
29
a b
Jesus sagte zu ihm: Weil du mich gesehen hast, bist du zum Glauben gekommen. Selig, die nicht sehen und doch glauben.
27
c
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Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
l.Joh 20,27-29 als Bestandteil der TexteinheitJoh 20,24-29
Neben dem Dialog zwischen dem Auferstandenen und Maria Magdalena inJoh 20,15-17 findet sich imjohanneischen Osterkapitel ein weiterer Dialog, der des Auferstandenen mit Thomas in Joh 20,27-29. Dieser stellt nicht nur den Abschluss des Kapitels, sondern darüber hinaus der gesamten narratio des Johannesevangeliums dar. 1 Allein schon aufgrund dieser besonderen Stellung lässt sich die Bedeutung des Dialogs zwischen Jesus und Thomas für den Verfasser des vierten Evangeliums erkennen. Nach der Begegnung des Auferstandenen mit Maria Magdalena in Joh 20,11-18 erscheint Jesus in Joh 20,19-23 den Jüngern; Thomas ist nicht anwesend bei dieser Erscheinung. Statt dem Osterzeugnis der Jünger Glauben zu schenken, will sich Thomas selbst von der Wirklichkeit der Auferstehung überzeugen. Durch die Bedingungen, die er stellt, fordert er eine Begegnung mit dem Auferstandenen heraus, und zu dieser kommt es auch. Jesus erscheint dem Thomas und führt ihn in einem dialogischen Prozess zum Glauben. Wie dieser Weg vom anfänglichen Zweifel bis hin zum mustergültigen Glauben des Thomas verläuft, soll aus den folgenden Ausführungen heIVorgehen. Der Dialog zwischen Jesus und Thomas inJoh 20,27-29 stellt den zentralen Bestandteil der Thomasperikope (Joh 20,24-29) dar, welche wiederum untrennbar mit den vorangehenden Versen verbunden ist. Deswegen legt es sich nahe, diesen größeren Kontext in die Überlegungen mit einzubeziehen und zunächst das Verhältnis von Joh 20,24-29 zu Joh 20,19-23 zu bestimmen; auf diese Weise wird gewährleistet, die Sonderstellung des Thomas im johanneisehen Osterkapitel aufzuzeigen und seinen Weg zum Glauben besser nachvollziehen zu können. Nach Überlegungen zu Aufbau und Inhalt von Joh 20,19-29 sowie zur Entstehung dieser Verse soll die exegetische Analyse des Dialogs zwischen Jesus und Thomas in Joh 20,27-29 im Mittelpunkt der Ausführungen stehen, bevor abschließend der Weg der Wissensvermittlung inJoh 20,24-29 nachgezeichnet wird.
1
Mit dem Epilog in Joh 20,30f. kommt das Johannesevangelium endgültig zu seinem Abschluss. Joh 21 ist als Nachtragskapitel erst von späterer Hand hinzugefügt; vgl. dazu T. SÖDING, Schrift 343-371.
Der Dialog des Auferstandenen mit Thomas inJoh 20,27-29
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2. Das Verhältnis vonJoh 20,24-29 zuJoh 20,19-23
Das johanneische Osterkapitel besteht insgesamt aus vier Episoden: Die Entdeckung des leeren Grabes durch Maria Magdalena und der Grabgang der Jünger in Joh 20,1-10, die Erscheinung des Auferstandenen vor Maria Magdalena in Joh 20,11-18, die Erscheinung Jesu vor den Zwölf in Joh 20,19-23 und schließlich die Begegnung des Thomas mit dem Auferstandenen in Joh 20,24-29. Diese Erzählungen sind nicht einfach willkürlich aneinander gereiht, sondern kunstvoll in ein bestimmtes zeitliches Schema hineinkomponiert. Der Grabgang der Jünger sowie die Erscheinung des Auferstandenen vor Maria Magdalena spielen sich am Morgen des ersten Tages der Woche ab. 2 MitJoh 20,19 ist ein erster zeitlicher Sprung imjohanneischen Osterkapitel gegeben. Die Erscheinung Jesu vor den Jüngern wird auf den Abend dieses ersten Tages der Woche gelegt. Aus dem deutlichen Bezug vonJoh 20,19 zu Joh 20,1 geht die Absicht hervor, das Ostergeschehen zusammenhängend an einem Tag zu schildern. 3 Der zweite zeitliche Sprung im johanneischen Osterkapitel erfolgt in Joh 20,26, insofern die Begegnung des Thomas mit dem Auferstandenen acht Tage nach der Erscheinung Jesu vor den Jüngern und damit genau eine Woche nach dem Ostersonntag datiert wird. Hinter diesem temporalen Querverweis lässt sich die Absicht erkennen, die Thomasperikope eng an das Geschehen vom Ostertag anzubinden und sie als Fortsetzung der österlichen Ereignisse am Abend des ersten Tages der Woche auszuweisen. Diese Beobachtungen lassen den Schluss zu, dass das johanneische Osterkapitel als kunstvolle Einheit komponiert ist. Von den insgesamt vier Szenen lassen sich durch das Zeitschema jeweils zwei aufeinander beziehen. Die beiden Grabszenen am Ostermorgen4 gehören ebenso zusammen wie die Erscheinung des Auferstandenen am Abend des Ostertages vor den Jüngern und eine Woche später vor Thomas. 5 Auf das Verhältnis der beiden Erscheinungsszenen zueinander soll im Folgenden der Fokus der Betrachtung liegen. In Joh 20,19-23 wird von der Erscheinung des Auferstandenen vor denjüngern am Abend des Ostertages berichtet. Jesus tritt in die Mitte der Jünger und, nachdem er ihnen den Friedensgrußzugesprochen 2 3 4
5
Vgl.Joh 20,1. Vgl. C. DIETZFELBINGER,Joh II 336. Zum Verhältnis von Joh 20,1-10 zu Joh 20,11-18 siehe die Ausführungen im vorangehenden Kapitel V. Der Dialog des Auferstandenen mit Maria Magdalena in Joh 20,15-17 unter Punkt 3.) Aufbau und Inhalt vonJoh 20,1-18. Vgl. U. WILCKENs.]oh 310f.
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Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium
hat, sendet er sie6, verleiht ihnen den Geist7 und überträgt ihnen die Vollmacht zur Sündenvergebung8 • Mit dieser Szenerie liegt nicht nur eine abgerundete Einzelerzählung vor9, sondern ähnlich wie bei Matthäus könnte das Johannesevangelium mit der Jüngersendung beendet sein;lO doch dem ist nicht so. InJoh 20,24-29 wird eine weitere Erscheinung des Auferstandenen geschildert, die eindeutig auf die vorhergehenden Verse bezogen ist. Das zeigt sich bereits an Joh 20,24, insofern hier dem Leser die Information nachgeliefert wird, dass Thomas bei der Erscheinung des Auferstandenen vor den Jüngern nicht anwesend war.!1 Durch diesen Rückbezug erweist sich die Thomasperikope bereits von Anfang an als von Joh 20,19-23 abhängige Erzählung, die ohne die vorherigen Verse gar nicht existieren könnte.!2 Noch viel klarer zeigt sich dieser Bezug an einer ganzen Reihe von Motiven bis hin zu wörtlichen Übereinstimmungen, die vonJoh 20,1923 nach Joh 20,24-29 importiert werden. Nahezu identisch wird das Erscheinen Jesu vor den Zwölf ohne Thomas in Joh 20,19 und dann mit Thomas inJoh 20,26 wiedergegeben. Auf eine Zeitangabe und das Versammeltsein der Jünger hinter verschlossenen Türen erfolgt das Kommen Jesu, das Stehen Jesu in der MittelS und schließlich die Erbietung des Friedensgrußes. Die Ostererfahrung der Jünger, dass sie den Herrn gesehen haben, wird aus Joh 20,20d übernommen und iri Joh 20,25b entsprechend umformuliert. Schließlich ist die Bedingung, die Thomas inJoh 20,25defg stellt und ihre Gewährung durch Jesus in Joh 20,27bcde nicht ohne Joh 20,20b möglich; vielmehr kann erst aus dem Zeigen der Hände und der Seite bei der Erscheinung des Auferstandenen vor den Zwölf die Thomasperikope mit ihrer Sinnspitze, glauben, ohne zu sehen, entwickelt werden. Gerade dieser letzte Bezugspunkt macht deutlich, in welcher AbhängigkeitJoh 20,24-29 vonJoh 20,19-23 steht. Kann die Perikope von 6 7 8 9
10 11
12 13
Vgl.Joh 20,21. Vgl.Joh 20,22. Vgl.Joh 20,23. Joh 20,19-23 für sich betrachtet ist eine eigenständige Texteinheit, die weder vom vorherigen noch vom nachfolgenden Kontext abhängig ist. Vgl. K. WENGST,Joh 11 313. InJoh 20,19-23 ist von dieser Abwesenheit nicht die Rede, vielmehr geht der Text stillschweigend davon aus, dass alle Jünger da sind und vom auferstandenen Herrn gesendet werden. Wieso sollte einer und gerade Thomas dabei fehlen? Konsequenterweise müsste ihm ja dann nachträglich die Sendung durch den Auferstandenen zuteil werden. Dies geschieht jedoch nicht, und somit ist klar, dass die Thomasperikope sekundär an die vorangehende Erzählung angefügt wurde. Vgl.J. BECKER,Joh 11 627. Dieses wird inJoh 20,26d wörtlich vonJoh 20,1ge aufgenommen: eotTj El~ tO !-LEaov.
Der Dialog des Auferstandenen mit Thomas in Joh 20,27-29
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der Erscheinung des Auferstandenen vor den Jüngern als in sich abgeschlossene Einheit problemlos für sich stehen, so ist die Thomasperikope notwendigerweise auf die vorangehenden Verse verwiesen, setzt sie doch die Erzählung von der Erscheinung vor den Jüngern voraus und, um es mit Wengst treffend auf den Punkt zu bringen, "hinge ohne sie in der Luft."14 Aufgrund dieser ebenso literarischen wie thematischen Abhängigkeit ist es im Folgenden unverzichtbar, für die Auslegung der Thomasperikope auch die Erscheinung Jesu vor den Jüngern inJoh 20,19-23 in die Überlegungen mit einzubeziehen bzw. von dort auszugehen, um Joh 20,24-29 besser verstehen und einordnen zu können.
3. Aufbau und Inhalt von Joh 20,19-29
Zwei Erscheinungen sind es, die in Joh 20,19-29 erzählt werden: Zunächst tritt Jesus am Abend des Ostertages in den Kreis seiner Jünger und beschenkt sie mit den Gaben des Auferstandenen. Thomas ist bei diesem Ereignis nicht anwesend, und so kommt es genau eine Woche später zu einer neuerlichen Erscheinung des Auferstandenen in der Begegnung mit Thomas. 3.1. Die Erscheinung des Auferstandenen vor den Zwölf Uoh 20,19-23)
Gänzlich unabhängig von der Erscheinung des Auferstandenen vor Maria Magdalena inJoh 20,11-18 setzt mitJoh 20,19 eine neue Ostererzählung ein. Es ist mittlerweile Abend geworden an diesem ersten Tag der Woche; die Jünger sind versammelt und haben aus Angst vor den Juden 15 die Türen verschlossen. Damit ist die Ausgangssituation umrissen für die Erscheinung des Auferstandenen vor den Jüngern: Jesus kommt16 , tritt in die Mitte 17 und spricht den Friedensgruß18. Als Beweis 14 So die Formulierung von K. WENGST,Joh II 315. 15 Vgl. Joh 7,13; 9,22; 19,38; Wengst sieht in diesem Motiv die Situation der johanneischen Gemeinde in den Text eingetragen, vgl. K. WENGST,Joh II 309.
16 Die Überlegung, wie esJesus gelingt, durch die verschlossenen Türen einzutreten, ist 17
obsolet und wird deswegen vom Autor des Textes auch nicht angestellt; dem Auferstandenen sind keinerlei Grenzen mehr gesetzt. Es ist auffällig, dass das Stichwort !!Eao~ nur ganz am Anfang und dann erst wieder ganz am Ende desJohannesevangeliums auftaucht. Wenn es inJoh 1,26 heißt: "Mitten unter euch steht der, den ihr nicht kennt", so wird dieses Wort aus dem MundeJohannes des Täufers durchJesus selbst, näherhin durch seinen Tod am Kreuz (vgl.Joh 19,18) und durch seine Auferstehung (vgl.Joh 20,19.26) aufgelöst. Der, der in seinem irdischen Leben nicht erkannt worden ist, erscheint den Jüngern als der Auferstandene und gibt sich damit wahrhaft und endgültig zu erkennen.
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Die DialogeJesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
dafür, dass es sich bei dem Auferstandenen um den Gekreuzigten handelt, zeigtJesus den Jüngern seine Hände und seine Seite. Der Identitätsbeweis ist gelungen, denn die Jünger freuen sich, dass sie den Herrn sehen. Die Formulierung Lö6vw; 1:0V KUPLOV inJoh 20,20d spiegelt die Ostererfahrung Maria Magdalenas in Joh 20,18b wider: 'EwpaKa 1:0V KUpLOV. Wie Maria Magdalena durch die Begegnung mit dem Auferstandenen zum Osterglauben kommt, so ist auch das Sehen des Herrn der ausschlaggebende Punkt für die Osterfreude der Jünger. Die parallele Formulierung deutet also darauf hin, dass gerade das Sehen das konstitutive Element für die Ostererfahrung darstellt; die visuelle Begegnung mit dem Auferstandenen führt zum Osterglauben. Durch die Wiederholung des Friedensgrußes in Joh 20,21b ergibt sich ein gewisser Einschnitt innerhalb von Joh 20,19-23. Handeln die Verse 19-20 vom Erscheinen des Auferstandenen im Kreis seiner Jünger und von deren Reaktion auf das Sehen ihres Herrn, so ergreift in den folgenden Versen 21-23 Jesus das Wort und beschenkt seine Jünger mit den österlichen Gaben der Sendung, des Geistes und der Vollmacht zur Sündenvergebung. Nach dem bestärkenden Friedensgruß erfolgt in Joh 20,21cd die Sendung der Jünger durch den Auferstandenen: Ka8w<; (X1rE01:aAKEV ~E 6 1Ta1:~p, KO:YW 1TE~1TW u~ik Jesus gibt den Jüngern Anteil an seiner Sendung, die er vom Vater empfangen hat. Damit entsteht gewissermaßen eine "Sendungssukzession" vom Vater über den Sohn hin zu den Jüngern. Dass die Sendung Jesu durch den Vater weiter besteht und mit der Sendung der Jünger weiter geht, lässt sich sehr schön aus dem Perfekt O:1TE01:aAKEV in Joh 20,21c herauslesen. Im präsentischen 1TE~1TW in Joh 20,21d wird diese Sendung zum gegenwärtigen Ereignis. Während seines irdischen Wirkens spricht der johanneische Jesus zwar sehr oft von seiner Sendung durch den Vater l9 , aber nur ganz selten von der Sendung der Jünger. Letzteres hat seinen Grund darin, dass die Sendung der Jünger erst nach Ostern durch den Auferstandenen erfolgt. 18 Die Worte Elp~V11 4,L'l.v sind zunächst als der alltägliche jüdische Gruß auszumachen, doch gewinnen sie hier durch den, der sie ausspricht, und durch die Situation, in die sie hinein gesprochen werden, eine ganz neue Dimension. Es ist nicht irgendjemand, sondern es ist der Auferstandene, der den Jüngern nach seiner Auferstehung diesen Gruß entbietet und sie mit einer neuen, bisher unbekannten Qualität von Frieden, die von Tod und AuferstehungJesu herrührt, beschenkt. Es ist der Friede, denJesus lautJoh 14,27 seinen Jüngern verheißen hat, der Friede des Auferstandenen als österliche Frucht des TodesJesu am Kreuz, vgl. U. W1LCKENS,Joh 312. 19 Das Motiv der Sendung des Sohnes durch den Vater durchzieht das gesamte Johannesevangelium, angefangen vonJoh 1,33 bis hin zuJoh 20,21.
Der Dialog des Auferstandenen mit Thomas injoh 20,27-29
285
Demnach sind auch die beiden Stellen Joh 4,38 und Joh 17,18, an denen der irdische Jesus von der Jüngersendung spricht, als Prolepsen der nachösterlichen Jüngersendung zu verstehen. Dieser Bezug geht besonders deutlich aus Joh 17,18 hervor, wenn der scheidende Christus im Abschiedsgebet spricht: Ku9wC;; EIJ.E a1TEo't'ELMxC;; EtC;; 't'ov KOOIJ.OV, Kayw a1TEo't'ELMx uu't'ouC;; EtC;; 't'ov KOOIJ.OV. Von der formalen Struktur der Aussage ist die Parallelität zuJoh 20,21 nicht zu übersehen 20, allerdings ist es inhaltlich auff'allig, dass die ObjektsteIle inJoh 20,21 im Vergleich zuJoh 17,18 nicht besetzt ist. Die Jünger werden also nicht missionarisch "in die Welt" gesandt, wie es inJoh 17,18 noch explizit geheißen hat; auch wird die Sendung inhaltlich, etwa durch einen speziellen Sendungsauftrag, nicht weiter gefüllt. 21 Die relativ allgemeine und prägnante Formulierung von Joh 20,21 lässt offensichtlich darauf schließen, dass es hierbei um die Sendung als solche und nicht um ihre konkrete Ausformung geht. 22 Im unmittelbaren Anschluss an die Sendung wird den Jüngern durch den Auferstandenen der Geist verliehen. Diese Geistmitteilung verläuft laut Joh 20,22 in zwei Schritten: Zunächst haucht Jesus die Jünger an und bekräftigt diese Handlung sodann mit den Worten: "Empfangt heiligen Geist!" Sprachlich sind an dieser Darstellungsweise mehrere Aspekte interessant. Das Verbum EiJ.uoaw, wörtlich "anblasen, hineinblasen", kommt im Neuen Testament an keiner weiteren Stelle mehr vor, dafür begegnet es an wichtigen Stellen in der LXX im Zusammenhang mit der Übertragung von Leben. Neben 1 Kön 17,21, Ez 37,9 oder Weish 15,11 eignet sich vor allem Gen 2,7 als Vergleichsstelle par excellence zu Joh 20,22b. Wie Gott den aus Lehm geformten Menschen den Lebensatem einbläst und ihn so zu einem lebendigen Wesen macht, so haucht der Auferstandene seine Jünger an und macht sie dadurch zu neuen, geisterfüllten Menschen. Analog zur alten Schöpfung Gottes schafft hier in Joh 20,22 der Auferstandene eine neue Schöpfung durch die österliche Gabe des Geistes. 23 Wenn in diesem Zusammenhang von 1TVEUIlU &YLOV die Rede ist, dann fällt zunächst der artikellose Gebrauch sowie das Adjektiv &YLOV auf, das in Verbindung mit dem Geist nur noch in Joh 1,33 und Joh 14,26 20
21
22 23
Schnackenburg geht davon aus, dass joh 20,21 gegenüber joh 17,18 primär ist, weil die Fonnulierung knapper und durch den Wechsel der Verben von U'TI'Oa,EÄA.HV zu 'TI'Efl'Tl'ELV weniger geglättet ist, vgl. R. SCHNACKENBURG,joh III 384. Vgl. im Gegensatz dazu den konkreten Sendungsbefehl des Auferstandenen am Ende des Matthäusevangeliums in Mt 28,16-20 oder auch den kanonischen Markusschluss in Mk 16,15-18. Vgl.J. BECKER,joh 11 624. Vgl. H. THYEN,joh 767.
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Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
begegnet, aber auch und vor allem der fehlende Bezug zum Parakleten. Aufgrund der Tatsache, dass imJohannesevangelium keine wietere Geistmitteilung geschildert ~rd, stelltJoh 20,22 die Erfüllung vonJoh 7,39 sowie der Parakletworte dar. Der Beistand bzw. der Heilige Geist, der den Jüngern laut Joh 14,16.26; 15,26; 16,7 verheißen wird, wird ihnen am Ostertag geschenkt, ohne dass hier jedoch die verschiedenen Funktionen des Parakleten, wie sie aus den vier Sprüchen24 hervorgehen, nochmals thematisiert werden. Ähnlich wie bei der Sendung der Jünger geht es vornehmlich um das Geschehen der Geistmitteilung als solches. Im Unterschied zur lukanischen Konzeption mit der .beträchtlichen Zeitspanne zwischen der Auferstehung und Geistverleihung25 findet das johanneische Pfingsten noch am Ostertag statt. Dadurch, dass also Ostern und Pfingsten zusammenfallen, kommt bei Johannes die untrennbare Einheit von Auferstehung und Geistmitteilung zum Ausdruck; der Auferstandene ist es, der den Jüngern den Geist verleiht und sie dadurch an seinem neuen Leben teilhaben lässt. Auf die Geistmitteilung in Joh 20,22 folgt in Joh 20,23 unmittelbar die Übertragung der Vollmacht zur Sündenvergebung durch den Auferstandenen. Der Zusammenhang von Geistmitteilung und Sündenvergebung stellt keine johanneische Besonderheit dar, sondern lässt sich vielmehr traditionell verankern. Neben alttestamentlichen Bezugs:. stellen26 und Aussagen in den Schriften von Qumran27 findet sich auch im Neuen Testament bei Paulus28 und in der Apostelgeschichte29 eine derartige Verbindungslinie. Am Ende des Johannesevangeliums verdichtet sich dieser Zusammenhang insofern, als hier im Gegensatz zu den anderen Stellen das Ereignis der Geistmitteilung direkt geschildert wird und die anschließende Vollmachtsübertragung zur Sündenvergebung unmittelbar aus dem MundeJesu kommt. Aufgrund der doppelseitigen Formulierung ergibt sich eine deutliche Parallele zum Wort vom Binden und Lösen in Mt 16,19 bzw. Mt 18,18.30 Im Unterschied zu Matthäus ist es aber bei Johannes nicht in der vorösterlichen Jesusgeschichte verankert, sondern der erhöhte 24 25 26 27 28 29 30
Vgl.Joh 14,16f.25f.; 15,26f.; 16,7-11. Vgl. Apg 1,3 sowie die Schilderung des Pfingstereignisses in Apg 2,1-36. Vgl. Ez 36,25-27; Ps 51,3-14. Vgl. lQS IV 21 und lQS III 6-8. Vgl. 1 Kor 6,9-11. Vgl. Apg 2,38. Vgl. die Analyse der Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Fassungen sowie deren traditionsgeschichtliche Beziehung zueinander bei M. THEOBALD, Herrenworte 174-196. Dabei ist der Hinweis interessant, dass Mt 16,19; 18,18 undJoh 20,23 in keinem einzigen Wort übereinstimmen und doch auf ein gemeinsames Logion zurückgehen dürften, ebd. 174.
Der Dialog des Auferstandenen mit Thomas injoh 20,27-29
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Christus erteilt nach seiner Auferstehung den Jüngern in Zusammenhang mit der Geistmitteilung die Vollmacht zur Sündenvergebung. Dieser Kontext ist beiJohannes sicherlich kein Zufall. Rein theoretisch könnte auch schon vorher im Evangelium, beispielsweise in den Parakletsprüchen, die Rede von der Sündenvergebung sein. Dies ist jedoch nicht der Fall, weil das entscheidende Ereignis hierfür noch nicht stattgefunden hat: der Tod Jesu am Kreuz. 51 Durch seinen Tod am Kreuz wird Jesus zum "Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinweg nimmt"32, oder umgekehrt ausgedrückt: Die Sündenvergebung ist die heilvolle Frucht des Kreuzestodes Jesu;33 erst der Auferstandene kann seinen Jüngern dieses Geschenk machen. Dass dies tatsächlich als Heilsgabe zu verstehen ist, zeigt sich bereits an der Vorrangstellung des Vergebens der Sünden gegenüber ihrer Verweigerung.34 Wie dieses Erlassen bzw. Festhalten der Sünden jedoch genau aussieht, wird an dieser Stelle nicht ausgesagt. 55 Analog zur vorherigen Sendung und Geistmitteilung geht es auch hier um die Vollmacht zur Sündenvergebung als solche, die den Jüngern vom Auferstandenen geschenkt wird. Mit dem Vollmachtswort inJoh 20,23 gelangt die Episode am Abend des Ostersonntages nicht nur zu ihrem Abschluss, sondern laut Theobald auch zu ihrem Höhepunkt56, der m. E. aber nicht ausschließlich in Joh 20,23, sondern in der Einheit Joh 20,21-23 zu suchen ist. 57 Dadurch, dass weder von einer Reaktion der Jünger noch von einem Verschwinden Jesu berichtet wird38, liegt tatsächlich der Schwerpunkt der gesamten Szene auf den Worten Jesu, mit denen er die Jünger sendet, ihnen den Geist verleiht und ihnen die Vollmacht zur Sündenvergebung überträgt. 3.2. Die besondere Situation des Thomas (Joh 20,24f.)
Während Joh 20,19 ganz selbstverständlich davon ausgeht, dass die Jünger - und damit sind wohl alle Jünger ohne Ausnahme gemeint 31
Vgl. H. THYEN,joh 768.
32 joh 1,29. 33 34 35
36
37
38
Vgl. U. WILCKENs,joh 313f. In der matthäischen Fassung vom Binden und Lösen ist es genau umgekehrt. Vgl. dazu die näheren Bestimmungen in 1 joh 2,9.12. Vgl. M. THEOBALD, Herrenworte !87-193, der joh 20,23 für ein ursprünglich selbstständiges Logion hält, das in der Uberlieferung der österlichen Erscheinungjesu vor seinen jüngern seine Inszenierung erhält und schließlich über diese Ostererzählung in das Evangelium gelangt und vonjohannes christologisch verwertet wird. Sendung, Geistmitteilung und Sündenvergebung bedingen sich gegenseitig und sind deshalb untrennbar miteinander verbunden. Zur Sendung bedarf es des Geistes, und ohne den Geist ist keine Sündenvergebung möglich. Vgl. C. DIETZFELBINGER,joh 11 338.
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Die Dialogejesu mitEinzelpersonen imjohannesevangelium
als geschlossene Gruppe bei der ErscheinungJesu anwesend sind, wird in Joh 20,24 nachträglich das Fehlen des Thomas bei dieser Erscheinung konstatiert; ein Grund. bzw. eine Erklärung hierfür wird ebenso wenig angegeben, wie es versäumt wird, die logischen Schlussfolgerungen aus dieser Absenz zu ziehen. Wenn Thomas nicht zu den Jüngern gehört, die vom Auferstandenen gesendet werden und den Geist uild die Vollmacht zur Sündenvergebung bekommen, dann müsste all dies für ihn in gewisser Weise nachgeholt werden, um ihn in den Status eines nachösterlichenjüngers zu heben. Doch darum geht es dem Text nicht; vielmehr. setzt er bewusst bei der vorösterlichen Perspektive an und dreht die Zeit für Thomas gewissermaßen noch einmal vor Ostern bzw. vor die Erscheinung des Auferstandenen am Abend des Ostertages zurück. Damit wird für Thomas eine besondere Situation geschaffen, die den Ausgangspunkt für die folgende Erzählung darstellt: Thomas ist wie die Leser bzw. Hörer des Evangeliums kein Augenzeuge des Ostergeschehens und deshalb auf das Zeugnis anderer angewiesen. 39 Statt jedoch der Osterbotschaft aus dem Mund der bei der Ersc;heinungJesu anwesenden Jünger Glauben zu schenken und sich mit dem Status eines "Hörers zweiter Hand"40 zufrieden zu geben, stellt Thomas seine eigenen Bedingungen, um zum Glauben an den Auferstandenen zu kommen. Er will sich selbst von der Wirklichkeit des Ostergeschehens überzeugen und führt damit eine weitere, speziell für ihn und alle auf seiner Glaubensstufe Befindlichen, sich ereignende Erscheinung des Auferstandenen herbei. InJoh 20,24 wird Thomas zunächst als Etl;; EK 't'WV öWÖEKU eingeführt. Wenn Judas in Joh 6,71 41 auch als "einer von den Zwölf' bezeichnet wird, so lässt sich damit nicht sofort auf eine bestimmte Beziehung zwischen Thomas und Judas schließen;42 schließlich werden auch Andreas inJoh 6,8 und der Lieblingsjünger Jesu inJoh 13,23 jeweils als "einer von seinen Jüngern" tituliert. Vielmehr geht es hierbei darum, Thomas wie die anderen Jünger auch in eine besondere Beziehung zu Jesus zu setzen. Er gehört als einer der Zwölf dem engsten Jüngerkreis Jesu an; aber diese Vertrautheit bewahrt ihn gerade nicht davor, dass bei ihm Zweifel an der Auferstehung Jesu aufkommen und dass er Bedingungen für seinen Osterglaubenstellt. Dadurch verkörpert Thomas alles andere als das Idealbild eines Jüngers; stattdessen bekommt er 39
40 41 42
Vgl. K. WENGST,joh 11 295. Vgl.joh 4,42. Vgl. dazujoh 12,4; 13,21. Gegen Dietzfe1hinger, der in den heiden Personen zwei mögliche Haltungen der Gemeinde gegenüber jesus auszumachen versucht, vgl. C. DIETZFELBINGER,joh 11 342.
Der Dialog des Auferstandenen mit Thomas inJoh 20,27-29
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menschliche Züge, die ihn für den Leser des Evangeliums zu einer Identifikationsfigur par excellence43 avancieren lassen. Neben seiner Zugehörigkeit zum Zwölferkreis wird Thomas in Joh 20,24 mit 0 AEy0IJ.EVOC; ,MöulJ.0C; genauer bestimmt. Diese Information, dass Thomas "Didymus" genannt wird44 , ist dem Leser des Johannesevangeliums nicht neu. Bereits inJoh 11,6, bei seinem ersten Auftreten im Evangelium, wird Thomas mit der zusätzlichen Bezeichnung "Zwilling" eingeführt. Im Kontext der Lazarusperikope spricht Thomas, stellvertretend für alle Jünger, die Bereitschaft aus, mit Jesus nach Jerusalem zu gehen und mit ihm zu sterben. Thomas will also in Treue zu Jesus seinen Weg ans Kreuz mitgehen, doch aus Joh 14,5, dem zweiten kurzen Auftritt des Thomas imJohannesevangelium, geht deutlich hervor, dass er Jesus noch nicht richtig verstanden hat. Als Wortführer der Jünger sagt er zu Jesus: "Herr, wir" wissen nicht, wohin du gehst" und stellt ihm dann die trügerische Frage: "Wie sollen wir dann den Weg gehen?". Diese beiden kurzen Passagen lassen einen Eindruck von der Person des Thomas entstehen, der sich bei seinem dritten und bedeutendsten Auftreten im Johannesevangelium in Joh 20,24-29 noch bestätigt: Thomas ist nicht der Ungläubige schlechthin45, einer, der nicht glauben will. Die Bereitschaft zum Glauben ist bei ihm vorhanden, doch fehlen ihm die nötige Einsicht und das entsprechende Wissen zum vollen Glauben. Dieser Übergang von seinem oberflächlichen, schwachen hin zum tiefgründigen, starken Glauben geschieht in der Begegnung mit dem Auferstandenen nach Ostern. Möglicherweise deutet die Bezeichnung des Thomas als "einer von den Zwölf' am Beginn der Thomasperikope auf seinen vorösterlichen Status hin, der sich spätestens mit dem hohen Bekenntnis in Joh 20,28 in sein Gegenteil verkehrt und Thomas nunmehr als echte.n Glaubenszeugen erkennen lässt. Bei der Erscheinung des Auferstandenen im Jüngerkreis am Abend des Ostertages ist Thomas lautJoh 20,24 nicht dabei. Doch die Jünger berichten Thomas von ihrem Erlebnis und verkünden Thomas die Osterbotschaft mit den gleichen Worten, die Maria Magdalena nach ihrer Begegnung mit dem Auferstandenen zu den Jüngern getragen 43
44
45
Die nachfolgenden Generationen können die Zweifel des Thomas nur allzu gut nachempfinden und verstehen. In Thomas haben sie einen "Gewährsmann" für ihre eigenen Zweifel ~ der AuferstehungJesu. Damit ist die Ubersetzung des aramäischen Wortes "toma" geliefert, das ursprünglich ein Epitheton war und sich in der christlichen Tradition zu einem Personennamen entwickelt hat, vgl. A. BAUER, Art. Thomas 303f. Vgl. R. SCHNACKENBURG,Joh 11 392.
290
Die DialogeJesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
,ov
hat: 'EWpaKCXj.LEv KUpLOV. 46 Anstatt sich über diese Nachricht zu freuen und dem Zeugnis der Jünger Glauben zu schenken, erwidert Thomas in Joh 20,25: 'Eav j.L~ 'Uiw EV ,cx'Le; XEPOtV cxu,ou ,OV ,UiTOV ,WV ~AWV Kcxt ßaAw MK,UA6v j.LOU E1.e;'ov ,UiTOV ,WV ~AWV KCXt ßaAw j.LOU ,~v XE'LpCX Ei<; '~V iTAEUpaV cxu,OU, ou j.L~ mo'Euow. Die Einleitung mit der Konjunktion Mv und der nachfolgende Konjunktiv weisen darauf hin, dass es sich beim ersten Teil dieser Aussage, der Protasis, um einen Bedingungssatz handelt, der durch. j.L~ verneint wird. Die doppelte Negation im zweiten Teil, der Apodosis, durch ou j.L~ bringt eine deutliche Verstärkung zum Ausdruck und lässt nicht den geringsten Zweifel an der unerbittlichen Haltung des Thomas. Sehr treffend geht dies aus der Übersetzung von Thyen hervor, der ou j.L~ mo,Euow mit "werde ich das nie und nimmer glauben"47 wiedergibt. Die Kombination aus Bedingungssatz und anschließender Verneinung im Hauptsatz begegnet noch an drei weiteren Stellen im Johannesevangelium, inJoh 4,48; 8,51 und 16,7. Eine auffällige Verbindung ergibt sich hierbei zwischen Joh 20,25 und Joh 4,48, insofern beide Stellen nicht nur in formaler, sondern auch in inhaltlicher Hinsicht deutliche Parallelen aufweisen. 48 Wenn es in Joh 4,48 heißt: 'Eav j.L~ OT]j.LE'Lcx KCXt ,EPCX,CX 'UiT],E, ou j.L~ iTW,EUOT],E, so lassen sich über die exakte Übereinstimmung in der Formulierung mit Mv j.L~ und der doppelten Negation ou j.L~ hinaus auch Gemeinsamkeiten bezüglich des Inhalts zwischen den zwei Stellen erkennen. In beiden Aussagen ist jeweils vom Sehen und Glauben die Rede, genauer gesagt wird ein Zusammenhang zwischen diesen beiden Akten hergestellt, dahingehend, dass als Bedingung für den Glauben ein bestimmtes Sehen postuliert wird. Wenn Jesus in Joh 4,48 allgemein das Sehen von Zeichen und Wundern als Glaubensvoraussetzung thematisiert und diese Haltung eines Schau- und Faszinationsglaubens kritisch hinterfragt, so fällt damit ein bestimmtes Licht auf die Figur des Thomas. Er gehört mit seiner speziellen Forderung von Joh 20,25 genau zu denen, die Zeichen sehen wollen, um glauben zu können und verkörpert daher ein konkretes Beispiel für alle diejenigen, die Jesus iriJoh 4,48 anspricht. Für Thomas reicht das verbale Zeugnis der Jünger nicht aus, er glaubt nicht auf das Wort der anderen hin. Mit eigenen Augen will er die Wundmale Jesu sehen, ja mehr noch: Er will sie berühren und seine Hand in die Seite Jesu legen. Aus diesen Bedingungen des Thomas lässt sich eine doppelte Steigerung herauslesen. Zunächst ist Joh
,ov
46 Vgl.Joh 20,18. 47 So H. THYEN,Joh 768. 48 Vgl. R. SCHNACKENBURG,Joh 111 393.
Der Dialog des Auferstandenen mit Thomas inJoh 20,27-29
291
20,25 für sich genommen als Klimax formuliert49, sodann ergibt sich gegenüber Joh 4,48 eine deutliche Weiterführung, insofern hier nicht nur vom Sehen als Glaubensbedingung, sondern darüber hinaus auch vom Berühren, vom Anfassen die Rede ist. Selbst das Sehen reicht also für Thomas nicht aus; er will einen handfesten Beweis, dass es sich auch tatsächlich um den Gekreuzigten handelt, der den Jüngern als der Auferstandene erschienen ist. Einen solchen "Identitätsbeweis"50 macht Thomas aus eigenem Antrieb heraus zur unabdingbaren Voraussetzung für seinen Glauben. Aus dieser Forderung lässt sich schwerlich rückschließen, dass Thomas über keinerlei Glauben verfügt, dass er der Ungläubige schlechthin ist. Wenn dem so wäre, dann hätte er keine derartige Glaubensforderung gestellt. Thomas will glauben, doch kann er es unter den gegebenen Umständen nicht; sein Glaube ist einfach zu schwach und zu brüchig. Um zum vollen Glauben, zu seinem eigenen Osterglauben zu kommen, bedarf es für ihn der persönlichen, handfesten Begegnung mit dem Auferstandenen. 51 3.3. Die Begegnung des Thomas mit dem Auferstandenen Goh 20,26-29) Die Bedingungen, die Thomas in Joh 20,25 ausspricht, stellen den nötigen Anknüpfungspunkt und gewissermaßen die szenische Vorbereitung für die folgende Erzählung dar. Mit ihnen wird bereits die zentrale Thematik von Sehen und Glauben präludiert, die die Begegnung des Thomas mit dem Auferstandenen inJoh 20,26-29 bestimmt. Eröffnet wird die Begegnung des Thomas mit dem Auferstandenen nach dem KaL ganz am Anfang von Joh 20,26, das ähnlich wie in Joh 1,19 oder Joh 2,13 zu einem neuen Geschehen überleitet52, mit einer neuen Zeitangabe. Wenn hier von !lEe' ~!lEpar; OK't'W die Rede ist, dann kann dies schwerlich als Widerspruch zur Chronologie der Osterereignisse bei den Synoptikern interpretiert53 , sondern muss vom innetjohanneischen Kontext her betrachtet und erklärt werden. "Nach acht Tagen" findet die Begegnung des Thomas mit dem Auferstandenen statt und damit genau eine Woche nach dem Ostertag, also wiederum an einem Sonntag. Diese Datierung geschieht sicherlich nicht zufällig, 49
50 51 52 53
Vgl. ebd. 292. So die treffende Bezeichnung von C. DIETZFELBINGER,Joh 11 342. Man beachte zu diesem Gedanken die Häufung der Personalpronomina inJoh 20,25. Vgl. R. SCHNACKENBURG,Joh III 393. Vgl. Mk 16,7 und Mt 28,16-20. An diesen beiden Stellen werden die Erscheinungen des Auferstandenen in Galiläa lokalisiert, während sich die in Joh 20 berichteten Osterereignisse inJerusalem abspielen.
292
Die Dialoge]esu mit Einzelpersonen im]ohannesevangelium
sondern ist bewusst gewählt; aus ihr ergeben sich zwei Schlussfolgerungen, die eng miteinander zusammenhängen. Durch den deutlichen Rückbezug zum Ostersonntag soll m. E. zunächst zum Ausdruck gebracht werden, dass sich nun auch für Thomas Ostern ereignet; er bekommt gewissermaßen sein eigenes Osterfest direkt vom Auferstandenen geschenkt. Die Tatsache, dass sich dieses nachträgliche Osterfest auch an einem Sonntag zuträgt, lässt darauf schließen, dass sich zur Zeit des Johannesevangelisten die sonntägliche Zusammenkunft zur Feier des Herrenmahles54 bereits eingebürgert hat und dass die Gemeinde somit den Sonntag als Herrentag55 . in Erinnerung an die Auferstehung des Herm56 feiert und begeht. 57 Im Unterschied zum Ostertag ist Thomas nun am darauf folgenden Sonntag bei der Versammlung der Jünger dabei und erlebt zunächst ein ähnliches Geschehen, wie es sich eine Woche zuvor ereignet hat. Analog zuJoh 20,19 berichtet auchJoh 20,26 mit fast exakt den gleichen Worten, dass Jesus bei verschlossenen Türen kommt, in die Mitte der Jünger tritt und ihnen den Friedensgruß entbietet. Gegenüber der Aoristform ~A.aEV in Joh 20,19 fällt allerdings in Joh 20,26 das präsentische ePXE'tlu auf, das als Praesens historicum dem Eintreten Jesu in den Kreis der Jünger offensichtlich eine besondere Lebendigkeit und Dynamik verleihen soll. Eindeutig zu interpretieren ist die Tatsache, dass das Motiv der Furcht vor den Juden inJoh 20,26 im Vergleich zu Joh 20,19 wegfällt, weil es nunmehr im Kontrast zur Osterfreude der Jünger, die inJoh 20,20c explizit festgestellt wird, stehen würde. 58 Den Friedensgruß inJoh 20,26e spricht der Auferstandene zunächst allen Jüngern zu, bevor er sich ab Joh 20,27 ausschließlich an Thomas wendet. In der dialogiscl!en Begegnung mit ihm geht der Auferstandene auf seine zuvor geäußerten Bedingungen ein, schafft damit seine Glaubenszweifel aus dem Weg und führt ihn zum vollen Glauben. Am Ende des Dialogs steht das eindrucksvolle Bekenntnis des Thomas und das WortJesu über das Verhältnis von Sehen und Glauben an die Leser des Evangeliums, mit dem nicht nur die Thomasperikope, sondern darüber hinaus die gesamte narratio des Johannesevangeliums zu ihrem Abschluss kommt.
Vgl. Apg 20,7; Did 14,1. Vgl. Apk 1,10. Vgl. IgnMagn 9,1; Bam 15,9. Vgl. K. WENGST,]oh 11 297. 58 Vgl. R. SCHNACKENBURG,]oh III 394. 54 55 56 57
Der Dialog des Auferstandenen mit Thomas inJoh 20,27-29
293
4. Entstehung von Joh 20,19-29
Die Verhältnisbestimmung von Joh 20,24-29 zu Joh 20,19-23 hat gezeigt, dass Joh 20,19-23 als abgeschlossene Erzähleinheit für sich stehen kann, ·währendJoh 20,24-29 von diesen vorhergehenden Versen abhängig ist und ohne sie keinen Bezugspunkt hätte. Für die Entstehung von Joh 20,19-29 ergibt sich daraus als zwingend logische Konsequenz, dass Joh 20,19-23 zunächst bestanden haben muss und Joh 20,24-29 später daraus entwickelt worden ist. Wie der Entstehungsprozess von Joh 20,19-29 im Einzelnen abgelaufen ist, lässt sich nicht definitiv und mit allerletzter Sicherheit entscheiden und muss m. E. auch nicht bis ins Detail entschieden werden; doch kann mit einem Blick auf die neutestamentliche Überlieferung der Osterereignisse zumindest ein Zugang zur Entwicklung vonJoh 20,19-29 eröffnet werden. 4.1.Joh 20,19-23 als traditionelle Vorgabe und ihrejohanneische Bearbeitung Dass Jesus nach seiner Auferstehung den Jüngern erscheint, gehört zum festen Kern der neutestamentlichen Osterüberlieferung. In dieser Tradition stehen zum einen die Erscheinung des Auferstandenen vor Einzelpersonen wie beispielsweise Maria Magdalena in Joh 20,11-18 oder Petrus in 1 Kor 15,5a, zum anderen die Erscheinungen des Auferstandenen vor dem Jüngerkreis in 1 Kor 15,5b oder in Mt 28,16-20, die traditionsgeschichtlich von Ersteren unabhängig sind und diesen literarisch stets nachfolgen. 59 Dieses Anordnungsprinzip lässt sich auch im johanneischen Osterkapitel festmachen. Auf die Begegnung des Auferstandenen mit Maria Magdalena in Joh 20,11-18 folgt in Joh 20,19-23 die Erscheinung des Auferstandenen vor den Jüngern. Während 1 Kor 15,5b in aller Kürze von der Erscheinung des Auferstandenen vor den Zwölf Zeugnis gibt, berichten die Evangelisten bis auf Markus, der die Erscheinung des Auferstandenen in Galiläa lediglich ankündigt, aber das Ereignis als solches nicht erzählt, ausführlicher davon, wie Jesus nach seiner Auferstehung den Jüngern begegnet. Im Vergleich der drei Erscheinungserzählungen bei Matthäus, Lukas und Johannes lässt sich eine. auffällige Verbindung zwischen Lk 24,36-43 und Joh 20,19-23 herstellen,so Beide lokalisieren die Er59 60
Vgl. 1 Kor 15,5a.b; Mt 28,9f. und 28,16-20; Lk 24,13-35 und 24,36-53. Mt 28,16-20 verfolgt mit seiner Darstellungsweise eine andere Ausrichtung. Unabhängig davon, dass sich die Erscheinung in Galiläa und nicht am Ostertag selbst, sondern unbestimmte Zeit danach zuträgt, liegt der Schwerpunkt bei Matthäus auf der Sendung der Jünger durch den Auferstandenen. Dadurch scheidet ein direkter
294
Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
scheinung in Jerusalem und lassen sie am Ostertag geschehen. Unabhängig von diesen Rahmenbedingungen wird das Auftreten des Auferstandenen nahezu mit den gleichen Worten beschrieben. Sowohl Lk 24,36 als auch Joh 20,19 berichten, dass Jesus in die Mitte der Jünger tritt und ihnen den Frieden wünscht. Diese genauen Übereinstimmungen sind sicherlich kein Zufall, sondern lassen bereits auf eine tniditionsgeschichtliche Verwandtschaft bei der Stellen schließen. Diese Vermutung bestätigt sich in weiteren Gemeinsamkeiten zwischen Johannes und Lukas, die darin liegen, dass der Auferstandene unaufgefordert seine Hände und seine Seite61 bzw. seine Füße 62 zeigt und dass sich die Jünger daraufhin freuen 63 • Entscheidend ist letztlich jedoch, warum der Auferstandene vor den Jüngern erscheint; und genau in diesem Punkt liegt ein deutlicher Unterschied zwischen der johanneischen und lukanischen Darstellung. Während es bei Lk 24,36-43 um den Beweis geht, dass es sich bei der Erscheinung um kein Gespenst64 handelt, sondern um den Auferstandenen als leibhaftige Person aus Fleisch und Knochen 65, legtJoh 20,1923 den Fokus auf die Wundmale Jesu 66 , die die Identität des Auferstandenen mit dem Gekreuzigten aufweisen und sicherstellen sollen. 67 Die von den Nägeln durchbohrten Hände und die von der Lanze durchbohrte Seite68 lassen keinen Zweifel daran, dass es sich bei demjenigen, der als der Auferstandene erscheint, um den Gekreuzigten handelt.69 Die Jünger erfahren durch diesen Identitätsbeweis die Aufer-
61 62 63 64 65
66 67
68 69
traditionsgeschichtlicher Zusammenhang mitJoh 20,19-23 mit ziemlicher Sicherheit aus. Vgl.Joh 20,20. Vgl. Lk 24,40. Vgl.Joh 20,20 und Lk 24,41. Vgl. Lk 24,37. Vgl. Lk 24,39-43: Nach dem Angebot an die Jünger, seine Hände und Füße zu betrachten, verlangtJesus auch nach etwas zu Essen, um dadurch keinerlei Zweifel an seiner Leiblichkeit zu lassen, und isst vor den Augen der Jünger ein Stück gebratenen Fisch. Dies zeigt sich v. a. daran, dass der johanneische Jesus neben seinen Händen auch seine Seite zeigt, vgl.Joh 19,34. Vgl. zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen Joh 20,19-30 und Lk 24,36-43 K WENGST,Joh 11 289. Vgl.Joh 19,34. Die Tatsache, dass Johannes die Identität des Auferstandenen mit dem Gekreuzigten zum Ausdruck bringen will, lässt sich theologisch dahingehend auslegen, dass der Auferstandene kein heiler Siegertyp ist, sondern dass er bleibend die Wundmale des Gekreuzigten an sich trägt, d. h. Tod und Auferstehung Jesu gehören für Johannes untrennbar zusammen.
Der Dialog des Auferstandenen mit Thomas injoh 20,27-29·
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stehung als Wirklichkeit70, und so weicht ihre anfängliche Furcht vor den Juden nunmehr der Freude über die AuferstehungJesu. Bei allen Gemeinsamkeiten mit Lk 24,36-43 zeigt sich also, dass Joh 20,19-23 eine eigene, spezifisch johanneische Aussageabsicht verfolgt. Für die Entstehung des Textes bedeutet dies, dass der vierte Evangelist auf der Grundlage einer gemeinsamen Tradition mit Lukas 7! eine ihm vorgegebene Erzählung eigenständig bearbeitet und im Kontext der Theologie seines Evangeliums umschreibt. In dem kurzen Abschnitt finden sich zahlreiche Hinweise, die mehr oder weniger eindeutig die in das Traditionsgut eingreifende Hand des Johannes erkennen lassen: Mit der Zeitangabe in Joh 20,19a wird der Textabschnitt im johanneischen Osterkapitel verortet und damit der Bezug zum Vorhergehenden hergestellt. Das Motiv der Furcht vor den Juden ist johanneischer Natur. Zwar begegnet auch bei den synoptischen Ostergeschichten das Furchtmotiv72 , doch bekommt es im Unterschied zu diesem allgemeinen Gebrauch beiJohannes eine spezifische Komponente, insofern inJoh 20,19c wie bereits an mehreren Stellen im Evangelium zuvor73 von der Furcht vor den Juden die Rede ist und damit auf die konkrete Situation der johanneischen Gemeinde angespielt wird. Im Unterschied zu Lk 24,40 zeigt der Auferstandene in Joh 20,20b nicht seine Füße, sondern seine Seite; damit stellt Johannes einerseits den Rückbezug zuJoh 19,34 her, andererseits bereitet er schon die folgende Thomasperikope vor, die in spezieller Weise an den Wundmalen des Gekreuzigten an dessen Händen und an dessen Seite interessiert ist. Schließlich wird durch die Formulierung i.ö6V'tEt;; 'tov KUPLOV in Joh 20,20d eine bewusste Verbindungslinie zuJoh 20,18b gezogen, insofern von J ohannes sowohl die Ostererfahrung der Maria Magdalena als auch die der Jünger jeweils mit dem Sehen des auferstandenen Herrn ausgedrückt und weitergegeben wird. Allein schon diese kurzen Hinweise mögen genügen, um die Vorgehensweise des Johannesevangelisten deutlich zu machen. Johannes hat den Bericht von der Erscheinung des Auferstandenen vor den Zwölf nicht einfach unverändert aus der Tradition übernommen, sondern entsprechend seiner Aussageabsicht bearbeitet und ihn geschickt in den Kontext von Joh 20 eingefügt, so dass er mit der folgenden Erzählung daran anknüpfen kann~
70 71 72 73
Vgl. R. SCHNACKENBURG,joh III 383. Vgl. C. DIETZFELBINGER,joh 11 341. Vgl. Mk 16,6.8; Mt 28,4f.8.10; Lk 24,37f. Vgl.joh 7,13; 9,22; 12,42; 19,38.
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Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
4.2.Joh 20,24-29 als schöpferisches Produkt des Johannesevangelisten Die Thomasperikope ist Sondergut innerhalb der gesamten Osterüberlieferung. An keiner weiteren Stelle im Neuen Testament wird von einer Erscheinung des Auferstandenen vor Thomas berichtet. Zudem stellt die Tatsache, dass im Johannesevangelium auf eine Gruppenerscheinung eine Begegnung Jesu mit einem einzelnen Jünger74 folgt, eine singuläre Kombination im Vergleich mit den anderen neutestamentlichen Ostererzählungen dar. 75 Aus diesen Beobachtungen ergeben sich eigentlich nur zwei Möglichkeiten. Entweder hatJohannes die Thomasperikope aus einer ausschließlich ihm vorliegenden und damit ihm eigenen Tradition übernommen oder er hat Joh 20,24-29 selbst geschaffen. Für die erste Variante führt Bultmann als Argument an, dass Thomas in Joh 20,24 als EIe; EK t"wv öwöEKa eingeführt wird. 76 Die Bezeichnung öwöEKa für den engeren Jüngerkreis ist im Johannesevangelium wahrlich nicht besonders häufig77 und auch die Tatsache, dass Thomas den Lesern des Johannesevangeliums bereits aus Joh 11,16 und 14,5 bekannt ist, lässt sich nicht bestreiten. Doch zum einen lässt sich sehr wohl begründen, warum Thomas inJoh 20,24 als "einer von den Zwölf' charakterisiert wird78 und zum anderen reicht dieses Argument für sich genommen nicht aus, die gesamte Erzählung Joh 20,2429 einer vorjohanneischen Quelle zuzuweisen. Selbst Bultmann muss zugeben, dass Joh 20,24-29, wenn denn die Thomasperikope der Tradition entstammt, vom vierten Evangelisten überarbeitet ist und sich seiner Gestaltung verdankt. 79 In der Tat lässt sich in Joh 20,24-29 die Handschrift des Johannesevangelisten gleich in mehrere Hinsicht deutlich erkennen. 74
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76 77
78
79
Natürlich sind laut Joh 20,26 auch die anderen Jünger bei der Erscheinung des Auferstandenen mit anwesend, doch fungieren sie lediglich als Statisten, im Mittelpunkt des Interesses steht die Person des Thomas; ab Joh 20,27 sind die Jünger dann gänzlich von der Bildfläche verschwunden, es stehen sich nur noch Thomas undJesus gegenüber. Bei Paulus in 1 Kor 15,5-7 verhält es sich genau umgekehrt, zunächst erfolgt die Einzel-, dann die Gruppenerscheinung. Bei Mt und Lk gibt es lediglich die Erscheinung des Auferstandenen im Jüngerkreis, von einer Christophanie vor Einzelpersonen ist überhaupt nicht die Rede. Vgl. R BULTMANN,Joh 537. NebenJoh 20,24 lassen sich gerade noch drei weitere Belege inJoh 6,67.70.71 festmachen; vgl. dagegen das häufigere Vorkommen bei den Synoptikern (8-mal bei Mt, ll-mal bei Mk, 7-mal bei Lk). Es ist nicht irgendjemand, der Bedingungen für seinen Osterglauben stellt, sondern eine Person aus dem engsten Kreis um Jesus. Durch diese Konstellation werden die Glaubensforderung des Thomas bzw. seine drei Bedingungen gewissermaßen legitimiert. Vgl. R BULTMANN,Joh 537f.
Der Dialog des Auferstandenen mit Thomas inJoh 20,27-29
297
Was die Komposition der Thomasperikope angeht, so kommt eigentlich nur der vierte Evangelist als Verfasser dieser Verse in Frage. Wie an zahlreichen anderen Stellen zuvor in seinem Werk, so stellt Johannes auch hier eine Einzelperson in den Mittelpunkt seiner Darstellung. Nach Nikodemus in Joh 3, der Samaritanerin in Joh 4, dem Blindgeborenen inJoh 9, Martha inJoh 11 und Maria Magdalena inJoh 20 ist es am Ende dieses Kapitels Thomas, der aus der Gruppe der Zwölf herausgenommenso und mit einer eigenen Erscheinung des Auferstandenen gewürdigt wird. Ebenso wie bei den gerade erwähnten Personen wird auch die Begegnung des Thomas mit Jesus dialogisch geschildert. Thomas kommt nicht allein durch das Sehen der Wundmale Jesu zum Glauben an den Auferstandenen, sondern er wird in einem Dialog mit ihm zum Glauben an ihn geführt. Dieser Weg der Wissensvermittlung verläuft alles andere als zufällig, sondern er ist bewusst komponiert und auf ein bestimmtes Ziel hin angelegt. Bevor Joh 20,2729 einer exegetischen Analyse unterzogen wird, gilt es zu zeigen, dass der Dialog Jesu mit Thomas vom Johannesevangelisten verfasst wurde und ebenso wie die bisher behandelten Dialoge ein schöpferisches Werk seiner literarischen Gestaltungskunst darstellt. Diese Verse entsprechen nicht nur in kompositorischer Hinsicht der Arbeitsweise des Johannes, auch sprachliche Merkmale weisen auf ihn als Autor der Thomasperikope hin. InJoh 20,24 gehören Ete; EK mit Genitiv81 ,o A.EyOj.J.EVOe;82, ELj.J.i. j.J.E.& mit GenitiVS3 und das artikellose 1'1')OOUe;84 zu den johanneischen Spracheigentümlichkeiten. 'E&v j.J.i)85 und ou j.J.i)86 inJoh 20,25, die Formulierung OL j.J.«9'1').«i. «u.ou sowie der asyndetische Anschluss ~PXE.«L 0 1'1')ooue; in Joh 20,26 und nicht zuletzt die Redeeinleitung 0:1TEKp(9'1') K«i. EI1TEv in Joh 20,28 lassen auf Johannes als Verfasser dieser Verse rückschließen,87 Jedoch begegnen innerhalb von Joh 20,24-29 auch Formulierungen, die <;liese klare Einschätzung trüben. So stellen ~ow in Joh 20,26 und ä.1TLO.Oe; und 1TLO.Oe; im darauf folgenden Vers echte Hapaxlegomena im Johannesevangelium dar; auch j.J.«Ka.pLOe; ist untypisch für Johannes, kommt es doch neben Joh 20,29 80
Vgl.Joh 20,24.
81 Vgl.Joh 1,40; 6,8.70.71; 7,50; 11,49; 12,2.4; 13,21.23; 18,26. 82 Vgl.Joh 4,5.25; 5,2; 9,11; 11,16.54; 19,13.17; (21,2). 83
Vgl.Joh 3,26; 7,33; 8,29; 9,37.40; 11,31; 12,17; 13,33; 14,9; 15,27; 16,4.32; 17,12; 18,18.
84 Dauer untersucht das Verhältnis von Jesus" mit und ohne Artikel bei Johannes und bei den Synoptikern und kommt zu dem Ergebnis, dass das artikellose 'IT]ao~ als johanneische Formulierung ausgewiesen werden kann, vgl. A. DAUER, Herkunft 63. 85 Vgl.Joh 3,2.3.5.27; 4,48; 5,19; 6,44.53.63; 8,24; 12,24; 13,8; 15,4(bis).6; 16,7. 86 Vgl.Joh 4,14.48; 6,35.37; 8,12.51.52; 10,5.28; 11,26.56; 13,8.38; 18,11. 87 Vgl. M. LANG,Johannes 288f.
298
Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
nur noch injoh 13,17 vor.B8 Diese sprachlichen Besonderheiten lassen sich gewiss nicht einfach wegdiskutieren; jedoch wird dadurch der johanneische Gesamtcharakter.der Thomasperikope nicht im Geringsten beeinträchtigt. Durch das Gegensatzpaar &lTLOtOC; und lTLOtOC; injoh 20,27 kommt das Thema der Thomasperikope in den Blick; es geht um Glauben bzw. Unglauben. Dieses Thema durchzieht wie ein roter Faden das gesamte johannesevangelium89 , und so ist es nicht verwunderlich, dass es in der letzten Erzählung der narratio nochmals aufgegriffen und betont herausgestellt wird. Paradox ist allerdings, dass dies hier in joh 20,27 gerade durch zwei echte johanneische Hapaxlegomena geschieht.90 Diese semantische Auffälligkeit ändert jedoch nichts am inhaltlichen Status dieser Aussage. Mit der Alternative Glaube - Unglaube wird die grundlegende Option des johannesevangeliums formuliert. In joh 20,24-29 wird dieses johanneische Dauerthema auf die Spitze getrieben und mit dem Motiv des Sehens bzw. des Nicht-Sehens kombiniert. 91 Der Akt des Sehens spielt im gesamtenjohannesevangelium eine Ilicht unbedeutende Rolle 92 , angefangen vom Prolog93 bis hin zum Ende in joh 20. 94 Dort wird die Ostererfahrung der Maria Magdalena und der jünger durch das Sehen des auferstandenen Herrn zum Ausdruck gebracht. 95 Das Thema Sehen und Glauben wird im Rahmen der joharineischen Ostererzählungen injoh 20,8 präludiert, ehe es injoh 20,2429 vollends entfaltet und ausgeführt wird. 96 Der johanneische Lieblingsjünger nimmt in gewisser Weise auf der narrativen Ebene die verbale Spitzenaussage der Thomasperikope vorweg. Wenn also davon ausgegangen werden kann, dass die Figur des Lieblingsjüngers auf den Evangelisten zurückgeht, dann kommt auch für joh 20,24-29 kein anderer Verfasser in Frage. Der Glaube an jesus Christus als das johanneische Thema schlechthin in Verbindung mit dem Sehakt als Weg 88 89 90
91
92
93 94 95 96
Vgl. A. DAUER, Herkunft 64f. Vgl. die Zielsetzung desJohannesevangeliums inJoh 20,30f. Dieses Phänomen lässt sich m. E. nur damit erklären, dass es dem Johannesevangelisten mit diesen für ihn ungewöhnlichen Formulierungen dezidiert auf den Inhalt der Aussage ankommt. Vgl. die doppelte Gegenüberstellung von opliw und 1fLITtEUW in Joh 20,29 pointiert anJ Ende der Thomasperikope. Vgl. den Titel von Mußner "Diejohanneische Sehweise und die Frage nach dem historischenJesus" und seine anschließenden Ausführungen. Vgl.Joh 1,14. Vgl. die Darstellung zum Aspekt des Sehens imJohannesevangelium bei R. GEBAUER, Sehen 48-53. Vgl.Joh 20,18.25. Vgl. R. GEBAUER, Sehen 53f.
Der Dialog des Auferstandenen mit Thomas inJoh 20,27-29
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zu diesem Glauben lässt ohnedies nur Johannes als schöpferische Kraft der Thomasperikope annehmen. Selbst wenn der vierte Evangelist in einer mit Lk 24,36-43 verwandten Tradition stehen und von dort das Motiv des Unglaubens der Jünger bei der Erscheinung des Auferstandenen entliehen haben sollte, schafft er doch mit der Thomasperikope eine eigene Darstellung. Neben der thematischen Zielsetzung mit Joh 20,29 weisen die Komposition und die Spracheigentümlichkeiten von Joh 20,24-29 diese Verse als schöpferisches Produkt des Johannesevangelisten aus, mit dem er zum Abschluss der narratio nochmals pointiert auf den Punkt bringt, worum es ihm in seinem gesamten Evangelium geht.
5. Exegetische Analyse zuJoh 20,27-29 5.1. Die Ausgangssituation Bei der Erscheinung des Auferstandenen vor den Jüngern am Abend des Ostertages ist Thomas lautJoh 20,24 nicht anwesend: OUK ~v flEt' ocutc3v ÖtE ~A.9EV 'I"aoüc;. Die Jünger berichten ihm von ihrer Erfahrung97, doch Thomas geht auf das Osterzeugnis der Jünger nicht ein. Vielmehr formuliert er eine dreifache Bedingung, um selbst98 und unmittelbar99 glauben zu können. Thomas will die Male der Nägel an Jesu Händen sehen; er will seinen Finger in die Male der Nägel und seine Hand in die Seite Jesu legen. lOO Demnach gibt sich Thomas nicht einmal mit einer rein visuellen Wahrnehmung des Auferstandenen zufrieden; er verlangt darüber hinaus einen handgreiflichen Kontakt als Voraussetzung für seinen Osterglauben. Mit dieser hartnäckigen Haltung fordert Thomas eine direkte, persönliche Begegnung mit Jesus und zugleich eine neuerliche Erscheinung des Auferstandenen heraus. Zu ihr kommt es genau eine Woche später. Die Jünger sind wiederum versammelt, dieses Mal ist auch Thomas bei ihnen. Da kommt der Auferstandene, tritt in ihre Mitte und wünscht ihnen den Frieden. Sind hier in Joh 20,26e noch alle Jünger angesprochen, so wendet sich Jesus nach dem Friedensgruß ausschließlich :in Thomas. Die Jünger, die bisher eine wichtige Rolle gespielt haben, treten nunmehr als funktionslose Statisten in den Hintergrund. Thomas und der Vgl.Joh 20,25. Vgl. die Verwendung der 1. Person Singular bei den Verbformen und den Personalpronomina inJoh 20,25. 99 Thomas gibt sich gerade nicht mit dem Zeugnis anderer zufrieden. 100 Zum Aufbau vonJoh 20,25 vgl. H.-U. WEIDEMANN, Tod 489f. 97 98
300
Die DialogeJesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
Auferstandene beherrschen von jetzt an als Protagonisten das Geschehen; zwischen ihnen spielt sich eine dialogische Begegnung ab, die inJoh 20,27-29 geschildert wird. 5.2. Der Aufbau des Dialogs In dem kurzen AbschnittJoh 20,24-29 ist der Anteil an wörtlicher Rede sehr hoch; abgesehen von den beiden Situationsangaben in den Versen 24 und 26 und den jeweiligen Redeeinleitungen ist der gesamte Abschnitt in direkter Rede formuliert. InJoh 20,25 findet ein dialogischer Kurzaustausch zwischen den bei der Erscheinung des Auferstandenen anwesenden Jüngern und dem dabei fehlenden Thomas statt und in Joh 20,26 entbietet der Auferstandene den Jüngern den Friedensgruß. Den restlichen Anteil an wörtlicher Rede in diesem Abschnitt macht der Dialog zwischenJesus und Thomas inJoh 20,27-29 aus. Im weiteren Sinne beginnt der Dialog zwischen Jesus und Thomas bereits mitJoh 20,26e, richtet sich doch der Friedenswunsch des Auferstandenen auch an Thomas als Mitglied des Jüngerkreises. Die eigentliche Dialogkonstellation und damit der Dialog im engeren Sinne ergibt sich jedoch erst abJoh 20,27: Es stehen sich mitJesus und Thomas die beiden Dialogpartner gegenüber. Dieser Neueinsatz zeigt sich nicht zuletzt daran, dass in Joh 20,27a die in Joh 20,26e begonnene Rede Jesu nicht direkt und unmittelbar fortgeführt wird; durch die erneute Redeeinleitung Eha ÄEYEL 'tti> SwfJ.& in Joh 20,27a wird vielmehr eine deutliche Zäsur dahingehend markiert, dass nun nicht mehr alle Jünger angesprochen sind, sondern dass Thomas allein und ausschließlich als Adressat der Worte Jesu expressis verbis genannt wird. Sein Name begegnet dann nur noch in der folgenden Redeeinleitung inJoh 20,28a, diesmal allerdings nicht in der Objekt-, sondern in der Subjektstellung, weil Thomas nun der Sprechende ist. In Joh 20,29a wird sein Name durch das Personalpronomen au'tw ersetzt, liegt doch hier im letzten Vers aller Nachdruck aufJesus, der hier erstmals im Verlauf des Dialogs namentlich hervortritt. Es fällt auf, dass in keiner der drei Redeeinleitungen, seien sie einfach wie inJoh 20,27 und 29 mit ÄEYEL oder doppelt wie inJoh 20,28 mit &:1TEKpt9T) KaI. EL1TEV gestaltet, beide Namen verwendet werden; entweder ist nur von Thomas lOi oder nur von Jesus 102 namentlich die Rede. Diese Beobachtung mag für sich genommen banal sein und wenig Aussagekraft besitzen; doch im Hinblick auf den jeweiligen Rede101 Vgl.Joh 20,27a.28a. I02Vgl.Joh 20,29a.
Der Dialog des Auferstandenen mit Thomas inJoh 20,27-29·
301
beitrag ist sie von entscheidender Bedeutung, dahingehend, dass stets derjenige der beiden Dialogpartner, der in der Redeeinleitung namentlich genannt wird, im folgenden Redebeitrag im Mittelpunkt des Interesses steht. Injoh 20,27 ist es Thomas, der vonjesus imperativisch angesprochen und zu einem bestimmten Verhalten aufgefordert wird. Damit richtet sich das Augenmerk auf ihn, der sodann im folgenden Vers joh 20,28 das Bekenntnis zu jesus als seinem Herrn und Gott formuliert. Die Perspektive ändert sich in joh 20,29, wenn nun nicht mehr Thomas, sondern jesus die volle und uneingeschränkte Aufmerksamkeit gebührt. Der Auferstandene spricht zunächst ein Wort an Thomas, bevor er sich im direkten Anschluss, d.h. ohne Unterbrechung durch eine neuerliche Redeeinleitung, an einen größeren Adressatenkreis wendet. Mit dieser zweigeteilten Aussage jesu ist nicht nur der Abschluss des Dialogs mit Thomas gegeben, sondern auch die narratio des johannesevangeliums beendet. Wie dieser schnelle Durchgang zeigt, handelt es sich bei der dialogischen Begegnung zwischen jesus und Thomas um einen sehr kurzen Dialog, der gerade einmal einen vollständigen Redegang103 und ein abschließendes Wort des Auferstandenen umfasst. Aufgrund dieser Kürze lassen sich fast keine weiteren Beobachtungen zum Aufbau des Dialogs mehr anstellen. Aufschlussreich sind lediglich die Sprechanteile der beiden Dialogpartner. Während jesus zwei längere Beiträge liefert, ist Thomas mit nur einer relativ knappen Aussage am Dialoggeschehen beteiligt.l04 Dafür wird dieses kurze Wort des Thomas in joh 20,28 durch seine Stellung qualitativ aufgewertet; es wird von den beiden Aussagen jesu in joh 20,27 und joh 20,29 gerahmt und bildet demzufolge die Mitte und das Herzstück des Dialogs. Zusammen mit dem den Dialog und das gesamte johannesevangelium abschließenden Wort jesu kommt ihm also eine zentrale Bedeutung zu, die es in der folgenden Einzelanalyse herauszustellen und zu würdigen gilt.
103 Auf
die mehrfachen Aufforderungen des Auferstandenen in Joh 20,27 antwortet Thomas inJoh 20,28 mit einem christologischen Spitzenbekenntnis. 104 Der reine Dialog zwischen Jesus und Thomas in Joh 20,27-29 ohne die jeweiligen Redeeinleitungen besteht insgesamt aus nur 44 Worten; davon entfallen 37 aufJesus und 7 auf Thomas. Damit istJesus mit einem Anteil von 84,09 %, Thomas hingegen lediglich mit 15,91 % am Dialog beteiligt.
302
Die Dialoge jesu mit Einzelpersonen imjohannesevangelium
5.3. Der Verlauf des Dialogs 5.3.1. Eröffnung des Dialogs: ,Eingehen auf die Bedingungen des Thomas und GlaubensforderungJesu (V. 27) Nach dem Friedensgruß an alle Jünger wendet sich der Auferstandene in Joh 20,27 ausschließlich an Thomas und eröffnet den Dialog mit ihm dahingehend, dass er auf seine Bedingungen eingeht und ihn zum Glauben auffordert: tPEPE 'tov llOCK'tUÄ.OV OOU cSÖE Kat tÖE 'toce; XELpae; IJ.OU Kat <j>EPE TIJV XELpa oou Kat ßaÄ.E Eie; 't~v, 1TÄ.Eupav IJ.OU, Kat IJ.~ YLVOU &1TLO'tOe; &ll& mo'tOe;. Dieser Einstieg erfolgt sowohl für Thomas als auch
für den Leser mehr als unvermitteltWS und sehr direkt, spricht Jesus sein Gegenüber doch gleich zu Beginn mehrmals imperativisch an und geht dabei genau auf die Bedingungen ein, die Thomas zuvor im Jüngerkreis geäußert hat,l06 Hierbei kommt aufs Neue das wunderbare WissenJesu zum Ausdruck, über das bereits der Irdische 107 verfügt und das natürlich erst recht den Auferstandenen auszeichnet. ws Obwohl nicht anwesend, weißJesus ganz genau, was Thomas zu den Jüngern gesagt hat, "als habe er die zweifelnde Entgegnung des Thomas an seine Mitjünger Wort für Wort mitgehört"109 und überrascht Thomas nunmehr damit, dass er seinem Verlangen exakt nachkommt, indem er seine Bedingungen explizit aufgreift und sie ihm dadurch adäquat gewährt. Auf der literarischen Ebene lässt sich schnell erkennen, dass Joh 20,27 von Joh 20,25 her entworfen ist. Alle wichtigen Stichworte, so z. B. llOCK'tUÄ.Oe;, 1TÄ.Eupa oder ßaHw begegnen in beiden Versen, doch bei genauem Hinsehen ergeben sich trotz sachlicher Übereinstimmung auch einige Unterschiede im Hinblick auf Ausdruck und Gestaltu,ng. 110 Die drei Bedingungen des Thomas, um zum Glauben zu kommen, werden von Jesus mit vier Imperativen aufgegriffen. Die Reihenfolge ändert sich dahingehend, dass der erste Imperativ Jesu <j>EPE 'tov llOCK'tUÄ.OV OOU cSÖE inJoh 20,27b der zweiten Bedingung des Thomas EaV IJ.~ ßaÄ.w tOV llOCK'tUÄ.OV lJ.ou Eie; 'tov 'tlmov twv ~Ä.wv in Joh 20,25e entspricht und der zweite Imperativ Jesu tÖE 'tae; XELpae; lJ.ou in Joh 20,27c auf die erste Bedingung des Thomas EaV IJ.~ töw EV 'taLe; XEPOI.V 105 Vgl. H. THYEN,joh 769. 106Vgl.joh 20,25. 107 Zum ersten Mal begegnet dieses Motiv injoh 1,47-50 bei der Begegnungjesu mit Nathanael, vgl. sodannjoh 2,24f.; 4,16-19 u. a. lOS Vgl.J. BECKER,joh 11 629f. 109 So H. THYEN,joh 769. 110 Vgl. R. SCHNACKENBURG,joh III 394.
Der Dialog des Auferstandenen mit Thomas injoh 20,27-29
303
IXu-mu 1:0V 1:UlTOV 1:WV llAWV in joh 20,25d zurückgeht; damit liegt eine
chiastische Verschränkung besagter Aussagen vor. Der dritte und vierte Imperativ jesu <jlepE TIJV XE'i.pa aou KIX1. ßaAE EtC; 1:~V lTAEUpaV flOU in joh 20,27de nehmen Bezug auf die dritte Bedingung des Thomas Ea.V fl~ ßaAw flOU TIJV XE'i.pIX eLc; TIJv lTAEUPa.V IXU1:0U in joh 20,25f.1 11 Von den Wundmalen, die injoh 20,25de erwähnt werden, ist im gesamten Vers joh 20,27 nicht die Rede. Bei aller Abhängigkeit vonjoh 20,25 hatjoh 20,27 doch seine eigene Struktur, die hauptsächlich von den vier Imperativen <jlepE - 'LeSE - <jlepE - ßaAE herrührt. Von diesen Formen gehören jeweils die beiden ersten und die beiden letzten zusammen, so dass syntaktisch zwei parallele Satzreihen vorliegen. Auffällig ist nun, dass beide Male auf einen Imperativ Präsens (<jlepE) ein Imperativ Aorist ('(OE bzw. ßaA.E) folgt. Offensichtlich soll mit diesem Tempuswechsel der Akzent auf die jeweils zweite Imperativform gelegt und damit inhaltlich das Sehen und das Berühren betont werden. Es ist hier injoh 20,27 nicht das erste und einzige Mal innerhalb der Thomasperikope vom Sehen die Rede. Zunächst beschreiben die jünger in joh 20,25b ihre Ostererfahrung mit den Worten 'EwpaKIXflEv 1:0V KUPLOV und im Anschluss daran fordert Thomas bei seiner ersten Glaubensbedingung injoh 20,25d, die Male der Nägel an den Händenjesu zu sehen. Am Ende der Erzählung wird mit der Gegenüberstellung von EwpIXKac; und fl~ töOVtEC; in joh 20,29 noch einmal der Blick auf das Sehen bzw. Nichtsehen gerichtet. Damit zieht sich dieses Motiv wie ein roter Faden durch die Thomasperikope, angefangen injoh 20,25 über joh 20,27 bis hin zu joh 20,29 und bildet eine deutlich zu erkennende Linie. ll2 Neben dem Sehen liegt der zweite Fokus von joh 20,27 auf dem Berühren. Der Auferstandene gewährt Thomas seine zuvor in j oh 20,25ef geäußerten Bedingungen und fordert ihn in joh 20,27e dazu auf, seine Hand in seine Seite zu legen. Damit bekommt Thomas über die visuelle Wahrnehmung hinaus vom Auferstandenen selbst die Möglichkeit eröffnet, gewissermaßen auf Tuchfühlung mitjesus zu gehen und sich durch diesen handfesten Beweis von der Wirklichkeit der Auferstehung zu überzeugen. Hierbei handelt es sich um ein reales Angebot, wie aus dem konkreten Imperativ jesu an Thomas in .dieser konkreten Situation hervorgeht. Deswegen kann es nicht angehen, diese Szene symbolisch zu deuten ll3 und die Hände und Seite jesu als Verweis auf die "innige Gemeinschaft mit dem Gekreuzigten und Aufer-
III Vgl. M. LANG,johannes 289f. 112 Vgl. R. SCHNACKENBURG,joh III 113 Gegen]. KREMER, Hand 2165.
395.
304
Die Dialoge jesu mit Einzelpersonen im johannesevangelium
standenen"114 zu interpretieren. Dadurch, dass Jesus dem Thomas seine Wundmale zeigt und er sie sogar berühren darf, erweist sich der Auferstandene wirklich und wahrhaft als der Gekreuzigte. Die WundmaleJesu liefern hierfür den entscheidenden Identitätsbeweis. 115 Nach der Darstellung des Johannesevangelisten wird Jesus eben nicht nur wie in Lk 24,41-43 als der Irdische gezeichnet, der vor den Augen seiner Jünger isst und ihnen damit seine leibliche Existenz beweist. l16 Zu deutlich gehtJohannes inJoh 20,25 und 27 auf die Wundmale Jesu an seinen Händen und an seiner Seite ein und will damit die Identität des Auferstandenen mit dem Gekreuzigten zum Ausdruck bringen. Dadurch, dass der Auferstandene die signa crucifixi am Leib trägtll7, ist er bleibend118 der Gekreuzigte. Nach der Auferstehung lässt sich die Kreuzigung nicht einfach auslöschen oder vergessen machen, wie es sich Müller vorstellt, wenn er Folgendes schreibt: »Nach der Erhöhung ist er Oesus] der Verherrlichte und nichts als der Verherrlichte, niemals aber der Gekreuzigte, sofern dies etwas über sein Wesen auch nach der Verherrlichung aussagen sollte."1l9 Vielmehr gehört es konstitutiv zum Wesen des Auferstandenen bzw. des Verherrlichten, dass er als der Gekreuzigte identifiziert wird und seine Wundmale als »bleibende Zeichen seiner Herrschaft"120 fungieren und in dieser Bedeutung erkannt werden. Thomas bekommt nun dieses Angebot vom Auferstandenen, ihn anhand seiner Wundmale als den Gekreuzigten zu erkennen. Dadurch, dass der Auferstandene dabei exakt auf die vorher von Thomas geäußerten Bedingungen eingeht und ihn auffordert, seine Wundmale nicht nur zu sehen, sondern auch zu berühren, kann hier von einem Tadel nicht die geringste Rede sein.1 21 Stattdessen erhält Thomas geradezu eine Einladung, durch die »Möglichkeit handgreiflichen Sehens"122 zum Glauben an Jesus als den Gekreuzigten und Auferstandenen zu kommen. Verbaliter äußert sich dieses Anliegen Jesu in der
114Ebd. 115 Vgl. K. WENGST,joh II 297. 116 Gegen M. LANG,johannes 290. 117 Vgl. KNÖPPLER, theologia 266-268. 118 Die Uberlegung Haenchens, "Ob sich
1'.
der Erzähler die Wunden jesu als inzwischen geheilt vorgestellt hat, läßt sich nicht sagen", ist obsolet. Dadurch, dass die Wundmale die Identität des Auferstandenen mit dem Gekreuzigten sicherstellen sollen, werden sie niemals verheilen. Der Auferstandene ist bleibend der Gekreuzigte. 119 So U. B. MÜLLER, Bedeutung 69. 120 So die Formulierung bei T. KNÖPPLER, theologia 268. 121 Vgl. U. WILCKENS,joh 315. 122 Ebd.
Der Dialog d~s Auferstandenen mit Thomas in]oh 20,27-29 Glaubensforderung, die er in Joh 20,27f an Thomas richtet: KaI. YLVOU cx.mo'wc;
aHa mo'L"Oc;.
305 Il~
Grammatikalisch gesehen handelt es sich bei dieser Formulierung um einen mit Il~ verneinten Imperativ Präsens und damit um einen Prohibitivl23 , der hier kein Verbot, sondern eine Mahnung zum Ausdruck bringen SOll.124 Das Verbum YLvoilaL kann im Johannesevangelium sowohl im Sinn von "sein"125 als auch im Sinn von "werden"126 Verwendung finden. Im Fall von Joh 20,27 lassen sich beide Bedeutungen folgendermaßen miteinander kombinieren: Für den ersten Teil Il~ YLVOU cx.mo'L"OC; ist es nur möglich mit "sei nicht ungläubig" zu übersetzen; alles andere ergibt vom Kontext her logischerweise keinen Sinn. Dafür kann der zweite Teil neben "sei gläubig" auch mit "werde gläubig" wiedergegeben werden. Diese letztere Variante ist m. E. vorzuziehen, bringt sie doch zum Ausdruck, dass der Glaube kein Blitzereignis ist, sondern vielmehr einen Prozess darstellt, ein Zum-GlaubenKommen.I 27 Thomas ist nicht einfach gläubig in dem Moment, alsJesus ihn zum Glauben auffordert, sondern er wird durch die Begegnung mit dem Auferstandenen, speziell auf sein Wort hin, gläubig. Damit bietet sich für Joh 20,27 folgende Übersetzung an: "Sei nicht länger l28 ungläubig, sondern werde gläubig".129 Die beiden Adjektive cx.mo'L"OC; und mo'L"OC; stellen zwei echte Hapaxlegomena bei Johannes dar, kommen sie doch nur hier im Evangelium vor. Unter sprachlichen Gesichtspunkten ist also Joh 20,27f sehr untypisch für das Johannesevangelium, dafür umso typischer, was den Inhalt dieser Aussage angeht.I 30 Das Gegensatzpaar ungläubig - gläubig bringt die grundlegende Spannung des vierten Evangeliums zum Ausdruck. Dem johanneischen Jesus geht es darum, die dem Unglauben verhafteten Menschen zum Glauben an sich zu führen.I 31 123 Grammatikalisch noch präziser liegt hier ein Inhibitiv vor (~~ + Imperativ Präsens), der eine im Verlauf befindliche Handlung unterbinden soll. 124 Vgl. R. SCHNACKENBURG,]oh 111 395. 125 Damit fungiert es als Synonym zu ElVaL, vgl.]oh 2,1; 3,25; 6,16; 10,19; 13,2 u. a. 126 Dabei gibt es die Veränderung eines Zustands an, vgl. z. B. loh 1,14; 2,9; 4,14; 12,36; 16,20.
127 Dieser Aspekt liegt in der Verwendung des Präsens begründet, das den Verlaufscharakter einer Handlung betonen soll. 128 So wird auch hier dem Verlaufscharakter durch das Präsens Rechnung getragen. 129 Wengst übersetzt mit: "Und sei nicht ohne Vertrauen, sondern habe Vertrauen!", vgl. K. WENGST, loh 11 298. Bei dieser Übersetzung gehen allerdings sämtliche grammatikalische Nuancen verloren, unabhängig davon, dass hier Glaube als Vertrauen verstanden wird und damit bereits eine bestimmte Interpretation vorliegt. 130 Vgl.J. BECKER,]oh 11 630. 131 Vgl. die Reden ]esu im ]ohannesevangelium, in denen dieses Grundanliegen immer wieder buchstabiert wird, z. B. loh 3,12-21; 5,19-47; 6,22-59.
306
Die Dialogejesu mit Einzelpersonen imjohannesevangelium
Der Glaube ist von Anfang an das Grundanliegen im J ohannesevangelium, und so verwundert es nicht, dass dieses johanneische Dauerthema auch ganz am Ende der Schrift nochmals aufgegriffen und zentral herausgestellt wird. Innerhalb der Thomasperikope inJoh 20,24-29 begegnet das Glaubensmotiv explizit an drei Stellen. Die Glaubensforderung, die der Auferstandene dem Thomas inJoh 20,27f stellt, ist Dreh- und Angelpunkt der Erzählung. 132 Sie greift auf die Glaubensverweigerung des Thomas in Joh 20,25g zurück und verweist gleich in doppelter Hinsicht nach vorne, insofern sie das Glaubensbekenntnis des Thomas vorbereitet und zum Schlusswort in Joh 20,29 überleitet. Damit ergibt sich durch das Stichwort "Glauben" eine Linie von Joh 20,25 (Glaubensweigerung) über Joh 20,27 (Glaubensforderung) hin zu Joh 20,29 (Seligpreisung der Glaubenden) .1 33 Es ist sicherlich kein Zufall, sondern kompositorische Absicht, dass sich diese Linie mit der zuvor ausgemachten anderen Linie kreuzt bzw. genau mit ihr übereinstimmt. An allen drei Stellen ist jeweils vom Sehen und Glauben die Rede, wobei der deutlichste Bezug in Joh 20,29 hergestellt wird. Für Thomas gehört das Sehen konstitutiv zum Glauben l84; er kann nicht zum Osterglauben kommen, ohne vorher Jesus mit seinen Wundmalen gesehen zu haben. Auf diese Forderung geht der Auferstandene ein und führt Thomas über das Sehen zum Glauben. 5.3.2. Höhepunkt des Dialogs: Das Glaubensbekenntnis des Thomas (V. 28) Auf die GlaubensforderungJesu hin spricht Thomas inJoh 20,28b ein außerordentliches Bekenntnis zu Jesus aus: '0 KUPL6c;; !l0u KilL b 8E6c;; !l0U;I35 er beweist damit, dass er den Auferstandenen als den Gekreuzigten identifiziert hat136 und zum Glauben an ihn gekommen ist. Bereits die Redeeinleitung in Joh 20,28a UTIEKpt8T] 9wlJ.&c;; KilL ELTIEV IlU't"W gibt zu erkennen, dass es sich im Folgenden um eine wichtige Aussage 132 Weidemann
bemerkt richtig, dass mit joh 20,27f der entscheidende Wendepunkt im Text vorliegt, vgl. H.-U. WElDEMANN, Tod 490. Allerdings ist sein Vergleich mitjoh 20,17 nicht gerechtfertigt, liegt doch bei der Magdalenep.-Geschichte der entscheidende Umbruch bereits injoh 20,16. 133 ygl. R. SCHNACKENBURG,joh III 395. 184 Ubrigens nicht nur für Thomas, sondern auch für die anderen jünger, vgl.joh 20,18 undjoh 20,25. 135 Laut Kügler gehört joh 20,28 zu den .Spitzenaussagen johanneischer Christologie" (so J. KÜGLER, König 146) und ist ausgehend vom Buchschluss in joh 20,3Of.· als eine "zugespitzte Formulierung der johanneischen Königschristologie" (ebd. 164) zu verstehen. 136 Vgl. T. KNÖPPLER, theologia 267f.
Der Dialog des Auferstandenen mit Thomas injoh 20,27-29
307
handeln muss. Im Unterschied zu den beiden anderen Redeeinleitungen in joh 20,27a und joh 20,29a ist joh 20,28a nicht einfach, sondern doppelgliedrig formuliert. Zudem stehen die beiden Verben nicht im Präsens 137, sondern im Aorist; durch diesen Wechsel wird der einzige Dialogbeitrag des Thomas von seinem Kontext abgehoben und seine besondere, ja einmalige Bedeutung unterstrichen. Aufgrund der Tatsache, dass sich an die Glaubensforderung jesu in joh 20,27 injoh 20,28 direkt und unmittelbar das Glaubensbekenntnis des Thomas anschließt, bleibt vom Text her offen, ob Thomas auf das Angebot des Auferstandenen eingegangen ist und seine Wundmale berührt hat oder nicht. Dementsprechend kontrovers wird diese Frage dann auch unter den Exegeten diskutiert. Während die einen davon ausgehen, dass Thomas den Auferstandenen berührt hat138, sprechen sich die anderen gegen einen Körperkontakt aus. l39 Schnackenburg stellt die jeweiligen Hauptargumente vorl40 , legt sich aber nicht eindeutig141 auf eine bestimmte Position fest. Fakt ist, dass der Text keinerlei Aussagen darüber macht, ob Thomas den Auferstandenen berührt. Offensichtlich kommt es dem johannesevangelisten nicht auf eine solche Aussage an, weil es für ihn viel entscheidender ist, dass Thomas zum Glauben anjesus kommt. Möglicherweise schweigtjohannes auch ganz bewusst von einem Körperkontakt, um damit implizit zum Ausdruck zu bringen, dass sich der Glaube des Thomas nicht an einer handfesten Berührung entzündet142 , sondern an der dialogischen
137 Vgl. jeweils
die Verbform .tEYEL injoh 20,27a undJoh 20,29a. So beispielsweise J. CALVIN, joh 11 299; U. SCHNELLE, Joh 306f. und zuletzt H.-U. WEIDEMANN, Tod 492. Ausgehend vonJoh 20,17, dem hermeneutischen Schlüsselvers für das ganze Kapitel, bejaht Weidemann grundsätzlich die Möglichkeit, dass der Auferstandene berührt werden kann. Als konkrete Argumente für die Thomasperikope führt er an, dass sich drei der fünf Imperative Jesu in Joh 20,27 auf die direkte Berührung des Auferstandenen beziehen und betont der Finger und die Hand des Thomas genannt werden. 139 So z. B. R. BULTMANN, Joh 538, der allerdings gerade nicht das l:WPfIKru; in Joh 20,29 als Argument gelten lässt. NachJ. BECKER,Joh 11 630, braucht es kein Betasten mehr: »Das Wort Jesu schafft bei ihm Glauben - wie bei allen Menschen.";. vgl. auch M. THEOBALD, Osterglaube 120f. 140 Als Hauptargument für eine Berührung führt er an, dass mit den Worten Jesu wahrscheinlich die entsprechenden Gesten des Jüngers verbunden waren. Gegen eine Berührung spricht seiner Meinung nach, dass in Joh 20.29 nur vom Sehen die Rede ist, nicht aber von einer körperlichen Berührung, vgl. R. SCHNACKENBURG, joh III 395f. 141 Die Auffassung, dass Thomas den Auferstandenen nicht berührt hat, scheint sich für Schnackenburg besser begründen zu lassen; daneben hält er aber auch ein Berühren für nicht unmöglich, vgl. ebd. 142 VgI.J. KREMER, Hand 2165. 138
308
Die Dialoge ]esu mit Einzelpersonen im]ohannesevangelium
Begegnung mit dem Auferstandenen und damit eine ganz andere Qualität und Authentizität bekommt. Analog zum Bekenntnis d~r Martha inJoh 11,27 formuliert Thomas in Joh 20,28 seinen Glauben mit einer doppelgliedrigen Aussage, bestehend aus zwei Prädikationen; im Unterschied dazu fehlt jedoch das einleitende ou EI. Dadurch ist nicht ganz klar, ob Joh 20,28 tatsächlieh als Ausruf oder doch eher als Anrede zu bestimmen ist. In diesem letzteren Fall mag dann allerdings verwundern, dass statt des zu erwartenden Vokativs der Nominativ gebraucht wird. Wie dem auch sei, ob als verkürzter Ausruf oder als nominativische Anrede, Joh 20,28 stellt eindeutig ein Bekenntnis dar. Durch das doppelte Possessivpronomen 1l0U143 bekommt es eine persönliche Note. l44 Es ist Thomas, der zum Glauben an den Auferstandenen kommt und diesen als seinen Herrn und seinen Gott bekennt. Damit kommt aufs Neue zum Ausdruck, dass Glaube für denJohannesevangelisten keine allgemeine und allgemeingültige, sondern stets eine persönlich-individuelle Größe darstellt: "Glaube ist für E der individuelle Glaube des einzelnen", so bringt es Beckerl45 treffend auf den Punkt, was sich von Anfang des Johannesevangeliums an abzeichnet und was hier am Ende noch einmal deutlich zum Ausdruck kommt. Inhaltlich besteht das Bekenntnis des Thomas in Joh 20,28 aus den beiden Prädikationen KUPL6~ und eE6~, die zusammen gehören und eine Einheit bilden. Es sind bisher verschiedene Versuche gemacht worden, die Herkunft dieser Kombination zu bestimmen. Weidemann 146 sieht wie vor ihm schon Schnackenburg147 u. a. in der Verbindung "mein Herr und mein Gott" die alttestamentliche Gottesrede auf Jesus Christus übertragen. Er verweist dabei hauptsächlich auf die Psalmen, in denen sich die Formulierung wörtlich 148 oder in abgewandelter Form149 begegnet.l 50 Für Becker ist diese Gottesprädikation der LXX jedoch nur formal vergleichbar. 151 Er denkt mehr an liturgische Tradition, ist aber auch hier vorsichtig mit seinem Urteil, weil klare Parallelen feh143 Becker sieht darin die sachliche Entsprechung zur Formulierung in]oh 11,27, vgl. J; BECKER,]oh 11 630. 144 Ygl. R. SCHNACKENBURG,]oh III 396. 145 J. BECKER,]oh 11 630. 146 Ygl. H.-U. WEIDEMANN, Tod 491. 147Ygl. R. SCHNACKENBURG,]oh III 397, 148 So in Ps 34,23 LXX: e~EYEpeT}'t~ KUP~E KCXL 'Tlp6aXE~ tfI KpiaE~ ~U 0 ~ ~U m\ 0 ICUp~ ~U EL~ t~V /)(KTjV !l0U.
149 In den LXX"Psalmen 3,8; 7,2.4; 12,4; 29,3; 85,15; 87,2 wird der Vokativ ~U als Gebetsanrede für]ahwe gebraucht. 150Ygl. außerdem 2 Sam 7,28; 1 Kön 18,39; Sach 13,9. 151 Ygl.J. BECKER,]oh 11 630.
ICUpLE
0
~
Der Dialog des Auferstandenen mit Thomas injoh 20,27-29
309
len. 152 Nichtsdestotrotz könnte es mit Schnackenburg gut möglich sein, dass mit der Verbindung "mein Herr und mein Gott" eine Akklamation aus der urchristlichen Liturgie vorliegt.l53 Thyen verortet die Herkunft des Thomasbekenntnisses im politischen Bereich und sieht darin eine Absage anjegliche Form des Kaiserkultes. 154 Kaiser Domitian, in dessen Regierungszeit die Entstehung des Johannesevangeliums fällt, hat sich selbst als Dominus et Deus nosterl55 bezeichnet und diese Anrede für sich eingefordert. Allerdings vermag auch diese Herleitung nicht vollständig zu überzeugen, sind doch im Johannesevangelium keinerlei Tendenzen zur Abgrenzung von einem politischen Heilsanspruch und damit vom Kaiserkult zu erkennen.1 56 Wenn es nun offensichtlich nicht gelingt, die Herkunft der Verbindung "mein Herr und mein Gott" aus dem alttestamentlichen, liturgischen oder politischen Bereich und damit "von außen" zufrieden stellend und ohne jegliche Einwände zu bestimmen, bleibt nur noch, einen Blick auf das J ohannesevangelium selbst und damit auf den "Binnenbereich" zu werfen, werden beide Titel "Herr" und "Gott" zwar nicht in dieser Kombination, sondern getrennt, aber doch an so manchen Stellen im vierten Evangelium von Johannes verwendet. KUPLOt;; begegnet im Johannesevangelium als gängige Anrede für den irdischen Jesus157 und wird dann im Kontext des Ostergeschehens zur ehrenvollen Bezeichnung für den auferstandenen Herrn. 158 Wenn nun Thomas inJoh 20,28 Jesusals "Herrn" bekennt, dann geht daraus hervor, dass er zum Glauben an den Auferstandenen gekommen ist.159 Nach Maria Magdalena inJoh 20,18 und den anderen Jüngern inJoh 20,20.25 wird schließlich auch dem Thomas dieses österliche Bekenntnis vomJohannesevangelisten in den Mund gelegt. Lässt sich somit das Kyriosprädikat in Joh 20,28 vom unmittelbaren Kontext her erklären, so bedarf es im Fall des Gottesprädikates ~ines weitaus größeren Sprunges imJohannesevangelium. Sämtliche Kommentatoren sind sich darin einig, dass mit b SEOt;; inJoh 20,28 am Ende des Evangeliums ein Bogen
152 Ebd. 153 Ygl. R SCHNACKENBURG,joh III 397. 154Ygl. H.1HYEN,joh 769. 155 Ygl. Sueton, Domitian 13. 156Ygl.j. BECKER,joh II 630. 157Ygl. den Vokativ KUpLE injoh 4,11.15.19.49; 6,34.68; 11,3.12.21; 12,21; 13,6.9.36; 14,5. 8.22 u. a. im Munde der jünger jesu und anderer Personen, die jesus während seiner irdischen Wirksamkeit begegnen. 158Ygl.joh 20,18.20.25; 21,7.15.16.17.21. 159 Yg1. R SCHNACKENBURG,joh III 396.
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Die Dialogejesu mit Einzelpersonen imjohannesevangelium
zurück an den Anfang zuJoh 1,1.18 gespannt wird.l 60 Durch diese Inklusion ruft Johannes in der letzten Perikope seines Evangeliums dem Leser die Aussagen des Prologs in Erinnerung und geht dem Weg des Logos nach. Der Logos, der am Anfang bei Gott war und in Jesus Christus Fleisch annimmt, er wird von Thomas als gottgleich erkannt und bekannt.l 61 Dem Johannesevangelisten geht es hier in Joh 20,28 also nicht um eine dogmatische Definition der Göttlichkeit Jesu. Vielmehr will er zum Ausdruck bringen, dass Thomas in Jesus Gott begegnet und das Bekenntnis zu ihm als seinen Gott am Ende des Evangeliums offen ausspricht.l 62 Aufgrund der Tatsache, dass in Joh 20,28 neben dem Kyriostitel die Gottesprädikation hinzutritt, gewinnt dieses Bekenntnis des Thomas an äußerster theologischer Tiefe. Jesus als Gott zu bekennen - damit ist die Klimax des christologischen Bekenntnisses, die höchste Christologie, erreicht. Alle bisherigen PrädikationenJesu im Johannesevangelium laufen auf diese Gottesprädikation hinaus und sind darin neben dem Kyriostitel zusammengefasst. So kann Thyen mit Recht Joh 20,28 als "das adäquateste und gefüllteste Bekenntnis des gesamten Evangeliums"163 bezeichnen. Das Glaubensbekenntnis des Thomas in Joh 20,28 stellt demnach nicht nur den Höhepunkt des Dialogs in Joh 20,27-29, sondern zugleich aller Bekenntnisse im Johannesevangelium dar.
5.3.3. Abschluss des Dialogs: (Nicht-)Sehen und Glauben (V. 29) Mit dem Glaubensbekenntnis des Thomas in Joh 20,28 hätte die Erzählung einen trefllichen und zugleich schönen Abschluss erreicht; eigentlich ist diesem Bekenntnis auch nichts mehr hinzuzufügen. Aber in Anbetracht der Tatsache, dass damit nicht nur die Thomasperikope, sondern auch das gesamte Johannesevangelium beendet wäre, ist es nur würdig und recht, dass Johannes das letzte Wort in seinem Evangelium der Hauptperson vorenthält. 1M Nach der präsentischen Redeeinleitung in Joh 20,29a AEYEL «\)"1:4> 0 'IT)ooiiC; spricht Jesus in Joh 160Vgl.]. BECKER,joh 11 630;]. KREMER, Hand 2167; R. SCHNACKENBURG,joh III 397; H. THYEN,joh 769; K. WENGST,joh 11 299; U. WILCKENS,joh 316. 161 Damit avanciert Thomas zu einer positiven Kontrastfigur zu den vielen, die jesus im Laufe des Evangeliums nicht in seiner wahren Bedeutung erkannt haben. Exemplarisch sei hier nur auf die juden verwiesen, die an der Gottgleichheit jesu Anstoß nehmen und damit sein Todesschicksal heraufbeschwören, vgl. Joh 5,18; 8,58f.; 10,30f. 162 Vgl. das Bekenntnis des heidnischen Hauptmanns unter dem Kreuz in Mk 15,39. 168 So H. THYEN,joh 769. 164 Vgl.]. BECKER,joh 11 630.
Der Dialog des Auferstandenen mit Thomas inJoh 20,27-29
311
20,29bc ein doppelgliedriges Wort, das zunächst an Thomas und sodann an die Leser des Johannesevangeliums gerichtet ist: "On EwpaK&C; ~E lTElTLOtEUKac;; ~aK&pLoL ol ~~ tMVtEC; Kat mOtEUOaVtEC;. Mit diesem literarischen Kunstgriff gelingt es Johannes, nicht nur den Dialog zwischen Jesus und Thomas, sondern zugleich die narratio des Evangeliums abzuschließen. Im Hinblick auf Joh 20,29b muss zunächst entschieden werden, ob es sich bei diesem WortJesu an Thomas um eine Frage 165 oder um eine Feststellung166 handelt. Anders als bei Joh 20,28 167 ist in diesem Fall gegen Bultmann 168 und auch gegen Wilckens 169 die Entscheidung nicht gleichgültig, hängt doch von ihr maßgeblich die Interpretation des Textes ab. WirdJoh 20,29b als Frage aufgefasst, so impliziert dies eine deutliche Kritik Jesu am Verhalten des Thomas, dahingehend, dass Thomas nicht bereits auf das Wort der Jünger hin, sondern erst durch das Sehen des Auferstandenen zum Osterglauben gek.ommen ist. Wie aber ist dann das Glaubensbekenntnis des Thomas in Joh 20,28 zu bewerten? Wird es etwa durch die Aussage Jesu in Joh 20,29b rückwirkend relativiert oder gar entwertet? Joh 20,28 ist und bleibt ein mustergültiges Glaubensbekenntnis, das durchJoh 20,29b in seiner Bedeutung keineswegs geschmälert, sondern sogar verstärkt wird. Jesus stellt expressis verbis fest, dass Thomas zum Glauben gekommen ist. Analog zuJoh 11,27 beinhaltet das Perfekt inJoh 20,29b nicht nur den Verlauf eines Vorgangs in der Vergangenheit, sondern auch das Ergebnis in der Gegenwart. Im speziellen Fall von mOtEUELV hat Frey aufgezeigt, dass das Perfekt von mOtEUELV eine gewisse Intensität zum Ausdruck bringt. 170 Demnach hat Thomas laut Joh 20,29b einen festen und starken Glauben. l7l An diesem Glauben Kritik zu üben, lässt sich nicht nachvollziehen. Auch macht es vom Kontext her keinen Sinn, dassJesus zunächst auf die Bedingungen des Thomas eingeht und ihn anschließend für sein Verhalten tadelt. Schließlich lässt sich dann noch die berechtigte Frage stellen, warum der Evangelist in Joh 20 nacheinander von drei Erscheinungen des Auferstandenen berichtet. Er tut es sicherlich nicht, um sie anschließend mit einer kurzen Bemerkung zu kritisieren und sie in gewisser Weise als überflüssig 165 Vgl. die Interpunktion von Nestle-Aland. 166 So die Meinung von H.-U. WEIDEMANN, Tod 492. 167 Ob als Anrede oder als Ausruf zu bestimmen, Joh
kenntnis dar. 168 Vgl. R. BULTMANN,Joh 539. 169 Vgl. U. WILCKENS,Joh 316. 170 VgI.J. FREY, Eschatologie II 105. 171 Vgl. auch R. SCHNACKENBURG,Joh III 398.
20,28 stellt in jedem Fall ein Be-
312
Die DialogeJesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium
zu deklarieren. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen wird einsichtig, dass Joh 20,29b nicht als Kritik Jesu an Thomas zu verstehen ist.I72 Demzufolge scheidet die Möglichkeit aus,Joh 20,29b als Frage zu interpretieren oder auch als "Feststellung (in vorwurfsvollem Ton)"173. Weder von einer Kritik noch von einem Vorwurf kann im Zusammenhang mit der Aussage Jesu gegenüber Thomas die Rede sein. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine nüchterne und wertfreie Feststellung Jesu, die das zusammenfasst, "was gerade geschehen ist"174, nämlich dass Thomas durch das Sehen 175 zum Glauben an den Auferstandenen kommt, ihn als seinen Herrn und Gott bekennt und nunmehr fest in diesem Glauben verwurzelt ist. Für den Johannesevangelisten ist es mehr als legitim, dass Thomas durch das Sehen zum Glauben kommt; über das gesamte johanneische Osterkapitel hinweg bildet das Sehen die konstitutive Voraussetzung für den Glauben.l 76 Wie Maria Magdalena und die Jünger hat auch Thomas die Möglichkeit, den Auferstandenen zu sehen. Für die Menschen der nachapostolischen Zeit existiert diese Möglichkeit nicht mehr; sie können den Auferstandenen nicht sehen. So richtet sich speziell an sie der zweite Teil des Wortes Jesu inJoh 20,29c ~IlK&pLOL ot ~~ töOV1:Et; KilL meJ'tEuOIlV1:Et;. Der Form nach handelt es sich hierbei um einen Makarismus, wie er bei den Synoptikern öfters begegnetl77, im Johannesevangelium dagegen eine Besonderheit darstellt.I78 Insgesamt enthält das vierte Ev,angelium nur zwei Makarismen, von denen der erste in Joh 13,17 laut Theobald der Redaktion zuzuschreiben ist. l79 Demnach hat Johannes nur einen einzigen Makarismus in seinem Evangelium veIWeildet und diesen nicht an irgendeiner Stelle, sondern offensichtlich ganz bewusst am Ende seiner Schrift. Die Einzigartigkeit und die betonte Endstellung des Makarismus lassen darauf schließen, dass es demJohannesevangelisten hierbei um eine ganz besondere und wichtige Aussage geht.
172 Gegen K. WENGST, Joh 11 320f., der allerdings in der Kritik an Thomas in Joh 20,29 keine Kritik an seinem Bekenntnis sieht. 173 So die Einschätzung von R. SCHNACKENBURG,Joh III 398. 174 So U. WILCKENs,Joh 316. 175 Analog zu m;1!(cnEuK~ steht auch tWPO:K~ inJoh 20,29b im Perfekt, wodurch auch hier der Prozess der Handlung und ihr anschließendes Ergebnis zum Ausdruck gebracht wird.
176 Vgl.Joh 20,8.18.25. . 177Vgl. die Seligpreisungen bei Mt 5,3-11 bzw. Lk. 6,20-22 und daneben Mt 11,6; 13,16; 16,17; 24,46; Lk. 1,45; 7,23; 10,23; 11,27.28; 12,37.38.43; 14,14.15; 23,29. 178 Vgl. R. SCHNACKENBURG,Joh III 398. 179 Vgl. die Argumentation von M. THEOBALD, Herrenworte 136.
Der Dialog des Auferstandenen mit Thomas injoh 20,27-29
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Der Plural j.LocKapLOL belegt eindeutig, dass die Aussage Jesu nicht mehr an Thomas gerichtet ist, sondern an alle, die nicht sehen (ot j.L~ töOV'tEC;) und doch 180 glauben (KOCL mo'tEuoocV'tEc;).181 Die beiden Partizipien im Aorist182 lassen sich mit Schnackenburg dahingehend erklären, dass der Blick nunmehr in die Zukunft geht.l 83 Als allerletztes Wort aus seinem Munde preist Jesus diejenigen selig, die jenseits der Zeit der Ostererfahrung leben, d.h. die den Auferstandenen im Gegensatz zu Thomas und den anderen Jüngern der apostolischen Ära nicht mehr sehen können, aber doch an ihn glauben. Damit spricht Johannes die Leser bzw. Hörer seines Evangeliums an. Wie verhält sich aber nun dieser Makarismus in Joh 20,29c zu der Aussage Jesu gegenüber Thomas inJoh 20,29b? Mit Thyen ist nachdrücklich daran festzuhalten, dass der Makarismus gerade nicht die "Moral von der Geschichte des Zweiflers" formuliert, dahingehend, dass hier auf Kosten des Thomas nur die Späteren selig gepriesen werden.l 84 Von einem exklusiven Makarismus kann hier nicht die Rede sein, geht es doch dem Johannesevangelisten sicherlich nicht darum, einen Gegensatz zwischen den apostolischen Augenzeugen und den Gläubigen der nachapostolischen Zeit aufzubauen. Umgekehrt macht es auch wenig Sinn, den Makarismus in Joh 20,29c inklusiv zu verstehen und beide Gruppen, diejenigen, die den Auferstandenen gesehen haben, und diejenigen, die ihn nicht gesehen haben, als gemeinsame Adressaten der Seligpreisung zu bestimmen. 185 Kurzum: Die beiden Aussagen Joh 20,29b und Joh 20,29c schließen sich weder gegenseitig aus186 noch ein l87 • Der Schlüssel für das richtige Verständnis besteht m. E. darin, beide Aussagen zunächst unabhängig voneinander zu interpretieren, richten sie sich doch an unterschiedliche Adressaten in einer unterschiedlichen Situation und Zeit. Das erste WortJesu geht präsentisch an Thomas, der als Mitglied des Jüngerkreises zum Zeitzeugen für das Ostergeschehen wird und durch das Sehen des Auferstandenen zum GlauISO Aus
dem Kontext, speziell ausjoh 20,25, geht hervor, dass das Kcxt hier injoh 20,29c adversativ zu interpretieren ist. 181 Vgl. das letzte Wort jesu im Dialog mit NathanaiH in joh 1,51, das über Nathanael hinaus an einen größeren Adressatenkreis gerichtet ist. 182 NormaleIWeise würde man hier das Präsens elWarten. 183 Vgl. R. SCHNACKENBURG,joh III 399. 184 Vgl. H. THYEN,joh 770. 185 Die Frage von Weidemann, ob der Makarismus injoh 20,29c exklusiv oder inklusiv zu verstehen ist, ist m. E. falsch gestellt, vgl. H.-U. WEIDEMANN, Tod 493. 186 Wieso sollte gerade am Ende des Evangeliums eine Spannung aufgebaut werden, die letztlich eine Unterscheidung zwischen Gläubigen erster und zweiter Klasse zur Folge hätte? 187 Wieso erfolgt dann die Unterscheidung zwischen Sehen und Nicht-Sehen?
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Die Dialogejesu mit Einzelpersonen imjohannesevangelium
ben kommen kann. Demgegenüber sprichtJesus mit dem zweiten Wort futurisch alle diejenigen der nachösterlichen Zeit selig, die den Auferstandenen nicht mehr sehep. können und doch glauben. Sie müssen zwar auf das Sehen verzichten, aber sie können und dürfen auf das Wort hin .glauben I88 , auf das mündliche Wort der Jünger Jesu und auf das schriftliche Wort des Evangeliums hin l89 , das je auf seine eigene Weise den Glauben an den Auferstandenen bezeugt und lebendig macht. Wenn nun auch für diese Späteren aufgrund der anderen Situation der Zugang zum Glauben ein anderer ist, so ist der Glaube selbst doch der gleiche.1 90 Ohne den AUferstandenen gesehen zu haben, ·können die späteren Gläubigen deswegen in das hohe Bekenntnis des Thomas mit einstimmen und Jesus bekennen als "mein Herr und mein Gott".
6. Der Weg der Wzssensvermittlung inJoh 20,24-29 6.1. Das Nicht-Wissen des Thomas als Ausgangspunkt Bevor Thomas das Bekenntnis zuJesus als seinem Herrn und Gott aussprechen kann, muss er von Jesus selbst zu diesem Glaubenswissen ge-: führt werden. Den AusgangspunJ,ü für diesen Weg der Wisl\ensverJIlittlung markiert das Nicht~Wissen des Thomas, das· der Johannesevangelist auf sehr deutliche Art und Weise dem Leser vor Augen führt. Dadurch, dass Thomas bei der Erscheinung des Auferstandenen am Abend des Ostertag~s laut Joh 20,24 nicht anwesend war, bleibt er gegenüber den Jüngern im Unwissen zqruck. Die Jünger, die Jesus gesehen haben,. berichten Thomas von ihrer Ostererfahrung und lassen ihn so:tp.it teilhaben an ihrem Wissen: 'ECUpOCKlXl.LEV 'tov KUpLOV. Doch Thomas lässt sich nicht ein auf dieses ihm zugetragene Wissen. Dem Osterzeugnis der Jünger schenkt er keinen Glauben. Anstatt sein Nicht-Wissen durch das Wissen der Jünger zu beheben, will er direkt und unmittelbar von Jesus von einem Nicht-Wissenden zu einem Wissenden. hingeführt werden. Mit den Bedingungen, die er stellt, fordert Thomas eine Begegnung mit dem Auferstandenen geradezu heraus, um auf diese Weise selbst, und nicht über die anderen Jünger, zum Osterglauben zu kommen. Werden ihm seine Beding188 Vgl.j. BECKER,joh 11 631. 189 Vgl. R. SCHNACKENBURG,joh III 399. 190 Es ist mehr als interessant, dass am
Ende der beiden Aussagen jeweils explizit der Glaube festgestellt wird, und zwar der absolute Glaube.
Der Dialog des Auferstandenen mit Thomas inJoh 20,27-29
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ungen nicht erfüllt, bleibt er lieber im Unwissen zurück. Das DU ~~ inJoh 20,25g spricht eine deutliche Sprache. Gleichzeitig geht aber auch daraus hervor, dass Thomas glauben will; nur kann er es unter diesen Umständen nicht. Mit dieser zerrissenen Haltung wird Thomas bei den Lesern bzw. Hörern des Evangeliums zu einer sehr sympathischen l91 und authentischen Figur. Die Adressaten des Johannesevangeliums stehen auf einer Stufe mit Thomas. Sie wollen den Auferstandenen mit eigenen Augen sehen und sich von der Identität des Auferstandenen mit dem Gekreuzigten überzeugen. Die Bedingungen, die Thomas in Joh 20,25defg ausspricht, sind genau ihre Bedingung für den Glauben. Ihr vermeintliches Nicht-Wissen wollen sie durch die Begegnung mit dem auferstandenen Herrn behoben und durch das Sehen seiner Wundmale in ein zuverlässiges Wissen verwandelt haben. Darin zeichnet sich folgendes Grundproblem bei denjohanneischen Christen ab: Glauben, ohne zu sehen, fällt schwer und ruft bei so manchem Zweifel hervor. So avanciert Thomas zur Identifikationsfigur schlechthin für die Leser des Johannesevangeliums. In seiner kritischen Haltung finden sie sich wieder und wollen wie er durch die Begegnung mit dem Auferstandenen zu einem sicheren Glaubenswissen geführt werden. mGtEUGW
6.2. Der Weg der Wissensvermittlung im Dialog Der Dialog in Joh 20,27-29 zeichnet den Weg der Wissensvermittlung durch Jesus nach, der Thomas von seiner ungläubigen Haltung hin zum vollen Glauben führt. Noch bevor der eigentliche Dialog zwischen Jesus und Thomas beginnt, erscheint der Auferstandene allen Jüngern. So bekommt nun auch Thomas, wie die anderen Jünger zuvor l92 , den Auferstandenen mit den Wundmalen des Gekreuzigten zu sehen und kann sich selbst von der Wirklichkeit der Auferstehung überzeugen. Bei diesem Sehen des auferstandenen Herrn bleibt es jedoch nicht, vielmehr ist damit lediglich der Ausgangspunkt für die folgende Wissensvermittlung durchJesus im Dialog mit Thomas geschaffen. Der eigentliche Übergang vom Nicht-Wissen zum Wissen erfolgt durch das Wort, das der Auferstandene inJoh 20,27 an Thomas richtet. Jesus spricht Thomas direkt an l93 und geht exakt auf seine zuvor ge-
Die Leser bzw. Hörer des Textes können nur allzu gut mitfühlen, wie es Thomas ergeht, und sich in seine Lage hineinversetzen. 192 Vgl.Joh 20,25. 193 Aus den Imperativformen geht dies deutlich hervor. Diese Aufforderungen richten sich natürlich über Thomas hinaus auch an die Leser des Johannesevangeliums, 191
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Die DialogeJesu mit Einze1personen imJohannesevangelium
äußerten Bedingungen ein l94. Im Gegensatz zu Maria Magdalena195 fordertjesus Thomas nachdrücklich dazu auf, ihn zu beruhren.I96 Dadurch, dass Thomas von jesus, die Möglichkeit bekommt, den Auferstandenen an seinen Wundmalen als den Gekreuzigten zu erkennen, wird ihm das nötige Wissen vermittelt. Die Glaubensforderung jesu iJ.~ YLVOU &1TLo'mc; &ill 1TLO.OC; in joh 20,27f markiert nunmehr den entscheidenden Wendepunkt im Dialog.I 97 Thomas, dem sich der Auferstandene visuell und verbal offenbart, wird nun explizit aufgefordert, nicht länger ungläubig zu sein, sondern gläubig zu werden. Diese Forderung richtet sich über Thomas hinaus an alle Leser bzw. Hörer des johannesevangeliums, die der Auferstehung des gekreuzigten jesus kritisch gegenüberstehen und daran zweifeln. Zwar können sie nicht wie Thomas den Auferstandenen sehen und seine Wundmale beruhren, doch haben sie in Thomas einen Gewährsmann für die Wirklichkeit der Auferstehung. Wie Thomas von jesus selbst vom Unglauben zum Glauben geführt wird, so werden die Adressaten mit in diesen Dialog hinein genommen und bekommen dadurch, dass sie sich mit Thomas identifizieren, Wissen vermittelt. Zur Erkenntnis jesu gelangt, können sie sodann mit Thomas das Bekenntnis '0 KUPLOC; iJ.OU KaI. 0 9EOC; iJ.OU in joh 20,28b aussprechen und damit das soeben im Dialog eIWorbene Glaubenswissen zum Ausdruck bringen und bezeugen. 6.3. Zusammenfassendes und weiterführendes Wissen am Ende des Dialogs Wie das hohe Bekenntnis des Thomas in joh 20,28b eindrucksvoll unter Beweis stellt, ist er durch die dialogische Begegnung mit dem Auferstandenen zum Glauben an ihn gekommen. Das Wort jesu am Ende des Dialogs injoh 20,29b fasst noch einmal den Weg der Wissensvermittlung für Thomas zusammen: "On ewpaKac; iJ.E 1TE1TLo.EuKac;. Hier wird das Sehen des Auferstandenen als konstitutives Element für den deren ZWeifel dahingehend beseitigt werden sollen, dass sie zusammen'mit Thomas zum nötigen Wissen kommen und an die AuferstehungJesu glauben können, 194Vgl.Joh 20,27 mitJoh 20,25. 195 Vgl. das !.1ft I.IOU iimou aus dem Munde Jesu gegenüber Maria Magdalena inJoh 20,17, 196 Es kann nicht angehen, Joh 20,17 und Joh 20,27 gegeneinander auszuspielen, sind doch beide Verse in einem ganz unterschiedlichen Kontext verortet. Während das Berührungsverbot Jesu an Maria Magdalena mit seinem noch nicht eIfolgten Aufstieg zum Vater begründet wird, geht es bei der Beruhrungsforderung an Thomas um den Beweis der Identität des Auferstandenen mit dem Gekreuzigten. Der Johannesevangelist veIfolgt demnach jeweils unterschiedliche theologische Aussageabsichten. 197 Vgl. H.-U. WEIDEMANN, Tod 490.
Der Dialog des Auferstandenen mit Thomas injoh 20.27-29
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Osterglauben des Thomas benannt; es ist sein Zugang zum Wissen. Natürlich meint Sehen in diesem Zusammenhang nicht nur die rein optische WahrnehmungJesu durch die Augen ...Mit dem Sehen ist alles zusammengefaßt, was Thomas in der Begegnung mit dem Auferstandenen erfahren hat. "198 Über das Optische hinaus enthält dieses Sehen für Thomas das Hören auf das WortJesu und möglicherweise auch das Berühren seiner Wundmale; es ist also eine ganzheitliche Wahrnehmung mit allen möglichen Sinnen, die Thomas vom Auferstandenen geschenkt bekommt und ihm so das nötige Wissen vermittelt. Während Thomas durch das Sehen zum Glauben an den Auferstandenen kommt, bleibt den Gläubigen der nachapostolischen Zeit diese Möglichkeit verschlossen. Aber dadurch entsteht für sie gegenüber Thomas und den anderen Jüngern, denen der Auferstandene erschienen ist, kein Nachteil bzw. kein Mangel.I 99 Vielmehr werden gerade sie, die nicht sehen und doch glauben, von Jesus selbst selig gepriesen: I.I.IXKOCPLOL OL I.I.~ LMv'tEC; KIXL 1TLO'tEUOIXV'tEC;. Mit diesem Makarismus am Ende der Thomasperikope und gleichzeitig auch am Ende des Johannesevangeliums vermittelt Jesus ein weiterführendes Wissen, das über den Dialog mit Thomas hinausgeht und offen in die Zukunft gerichtet ist. Textpragmatisch werden hierbei die Leser bzw. Hörer des Johannesevangeliums angesprochen. Die Seligpreisung Jesu stellt für sie alle einen beruhigenden Trost und zugleich eine hoffnungsvolle Zusage dar. Sie, die den Auferstandenen nicht (mehr) sehen können, dürfen sich glücklich wissen, weil auch sie auf das Wort der Zeugen und der Schrift hin zum Glauben gelangen und Jesus wie Thomas bekennen können als ..mein Herr und mein Gott". Auf diese Weise bekommt nicht nur Thomas im Verlauf des Dialogs. sondern über ihn hinaus auch die Leser, die den Dialog mitverfolgen, den Weg des Thomas mitgehen und am Ende des Dialogs sogar angesprochen werden, christologisches Wissen vermittelt, das ihre kritischen Zweifel beseitigt und sie zum vollen Glauben an den Auferstandenen führt.
198 So R. SCHNACKENBURG.joh 199 Vgl. U. WILCKENS.joh 316.
III 398.
c. Theologischer Ertrag: Der Dialog als Weg der Wissensvermittlung im J ohannesevangelium Im Hauptteil dieser Arbeit sind die verschiedenen DialogeJesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium nacheinander abgehandelt und besprochen worden, ausgehend von ihrem Kontext und ihrer Stellung im Evangelium, dem Aufbau und der Entstehung der gesamten Perikope, innerhalb der sie angesiedelt sind, über die exegetische Analyse der eigentlichen Dialogverse bis hin zum Weg der Wissensvermittlung im Dialog und darüber hinaus. Nunmehr gilt es, diese Einzeldialoge im Hinblick auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede miteinander zu vergleichen mit dem Ziel, die johanneische Gestaltung von Dialogen zu durchschauen, zu erfassen, wie der vierte Evangelist ein bestimmtes Wissen vermittelt, und letztlich die Frage zu klären, warum Johannes dazu gerade auf den· Dialog und nicht auf andere literarische Formen zurückgreift. Um einen Vergleich der Einzeldialoge überhaupt erst anstellen und daraus die entsprechenden Folgerungen ziehen zu können, bedarf es jedoch zunächst bestimmter Kriterien, die zu einem solchen Vergleich notwendig sind und damit den Ausgangspunkt für die folgenden Beobachtungen bilden.
I. KRITERIEN ZUM VERGLEICH DER DIALOGE JESU MIT EINZELPERSONEN IMJOHANNESEVANGELIUM
Hösle geht im zweiten Teil seines Werkes "Der philosophische Dialog" sehr ausführlich auf die innere Struktur des literarischen Dialogs ein. 1 Unter der Überschrift "Das Universum des philosophischen Dialoges"2 behandelt er "einige der wiederkehrenden Kategorien, mit denen je-
1 2
Vgl. V. HÖSLE, Dialog 155-420. Ebd.155.
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Theologischer Ertrag
der Interpret eines Dialogs arbeiten muß".3 Dazu gehören für ihn die Ontologie des Dialogs mit der Unterscheidung von einzelnen Dialogen und Dialoggruppen, direkten, indirekten und Mischdialogen sowie Wirklichkeit und Möglichkeit im literarischen Universum, die Physik des Dialogs, die sich mit Raum und Zeit eines Dialogs beschäftigt, die Zahl der am Dialog beteiligten Personen, die Ausgangsbedingungen urid das Ziel des Dialogs sowie die Ethik, die Logik und die Ästhetik des Dialogs. Mit diesen Kategorien versucht Hösle, das literarische Universum des philosophischen Dialogs abzustecken, indem er sie auf sämtliche Dialoge eines Platon, eines Cicero, eines Augustinus und vieler wieterer Dialogautoren anwendet. Auf das Neue Testament können solche Kriterien nicht direkt übertragen werden, besteht doch zwischen den philosophischen Dialogen der Antike und den neutestamentlichen DialogenJesu ein grundlegender Unterschied in formaler Hinsicht: Während die philosophischen Dialoge Platons und anderer antiker Autoren in der Regel in sich abgeschlossene Werke darstellen und als solche interpretiert werden können, sind die Dialoge Jesu im Neuen Testament fester Bestandteil einer fortlaufenden Erzählung und vom Kontext des Evangeliums nicht zu lösen; dementsprechend ergibt sich für die neutestamentlichen Dialoge als erstes Kriterium ihre Stellung im Gesamtwerk. 4 Konkret für die johanneischen Dialoge bedeutet dies, sie im vierten Evangelium zu verorten und ihre Position im Hinblick auf die gesamte Schrift auszuwerten. Aufgrund der Tatsache, dass die einzelnen Dialoge Jesu für sich genommen nur einen kleinen Teil des Johannesevangeliums ausmachen, sind sie bedeutend kürzer als die philosophischen Dialoge, schwanken aber genau wie sie in ihrem Umfang. Als zweites Kriterium legt es sich deswegen nahe, die verschiedenen Dialoge Jesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium hinsichtlich ihrer Länge miteinander zu vergleichen und daraus entsprechende Rückschlüsse auf den jeweiligen Dialog und den Weg der Wissensvermittlung zu ziehen. Das Kriterium von Hösle, die Zahl der Personen des Dialogs zu betrachten, lässt sich bei Johannes dahingehend ausweiten, die Dialogpartner als solche zu analysieren mit all den Informationen, die aus
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Ebd.157. Es braucht nicht mehr eigens betont zu werden, dass dieses Kriterium für die philosophischen Dialoge, wenn man sie für sich betrachtet, obsolet ist; natürlich können in einem weiteren Schritt die verschiedenen Dialoge eines Autors in sein Gesamtwerk eingeordnet und miteinander verglichen werden, doch darum geht es hier nicht.
Kriterien zum Vergleich der Dialoge
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dem Text hervorgehen, und in einem nächsten Schritt die Ausgangsbedingungen des Dialogs zu umreißen. Allein schon durch ihre Kürze ist es bei denjohanneischen Dialogen nicht möglich, sie wie die längeren philosophischen Dialoge in gleicher Intensität im Hinblick auf ihre Ethik, Logik und Ästhetik zu untersuchen. Neben diesen angesprochenen formalen Unterschieden ergibt sich schließlich auch durch den anderen Inhalt ein eigener Zugang zu den biblischen Dialogen. Geht es bei den klassischen Dialogen der Antike um philosophische Grundfragen des Lebens, sind die Dialoge Jesu im Neuen Testament natürlich speziell theologisch bzw. im Falle des Johannesevangeliums christologisch ausgerichtet. Dadurch, dass bei den Dialogen J esu mit Einzelpersonen im J ohannesevangelium ein bestimmtes christologisches Wissen vermittelt werden soll, genügt es nicht, beim Vergleich der einzelnen Dialoge nur den Anfang und den Schluss des Dialogs, sondern auch und vor allem seinen Verlauf in den Blick zu nehmen 5 und die Art und Weise der jeweiligen Wissensvermittlung zu betrachten. Wie sich bereits bei der Analyse der einzelnen Dialoge Jesu im Hauptteil dieser Arbeit indirekt gezeigt hat, ergeben sich aus dem Wesen der theologischen Dialoge mit ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden zu den philosophischen Dialogen folgende Kriterien, die die Grundlage bilden sollen für den anschließenden Vergleich der Dialoge Jesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium untereinander: 1.) Stellung des Dialogs imJohannesevangelium 2.) Länge des Dialogs 3.) Dialogpartner 4.) Ausgangsbedingungen des Dialogs 5.) Eröffnung des Dialogs 6.) Verlauf des Dialogs 7.) Abschluss und Auswirkungen des Dialogs.
5
Dies gilt natürlich nicht nur für den theologischen, sondern auch für den philosophischen Dialog, insofern bei Letzterem der Argumentation der verschiedenen Dialogpartner eine entscheidende Bedeutung zukommt.
11. VERGLEICH DER DIALOGEjESU MIT EINZELPERSONEN IM jOHANNESEVANGELIUM Anhand der soeben dargestellten Kriterien lassen sich die im Hauptteil dieser Arbeit besprochenen Dialoge jesu mit Einzelpersonen im johannesevangelium miteinander vergleichen. Es sind dies der Dialog jesu mit Nathanael in joh 1,47-51, der Dialog jesu mit der Samaritanerin in joh 4,7-26, der Dialog jesu mit dem Blindgeborenen in joh 9,35-38, der Dialogjesu mit Martha injoh 11,20-27, der Dialogjesu mit Maria Magdalena in joh 20,15-18 und schließlich der Dialog jesu mit Thomas in joh 20,27-29. Durch diesen Vergleich sollen einerseits Gemeinsamkeiten aufgezeigt werden, die die Dialoge miteinander verbinden, aber andererseits auch auf Unterschiede hingewiesen werderi, die das spezielle Profil eines jeden Dialogs ausmachen.
1. Stellung des Dialogs im Johannesevangelium Von den sechs Dialogen jesu mit Einzelpersonen im johannesevangelium, bei denen jeweils ein bestimmtes Wissen vermittelt wird, finden sich vier im ersten Buchteil und die restlichen beiden ganz am Ende im letzten Kapitell des Evangeliums. Gleich zu Beginn des vierten Evangeliums in joh 1,47-51 führt der johanneische jesus seinen ersten Dialog und beruft damit Nathanael in seine Nachfolge. Auch noch relativ am Anfang der Evangelienschrift wird in joh 4,7-26 der Dialog jesu mit der Samaritanerin geschildert. Mehr zur Hälfte des j ohannesevangeliums hin findet sich der Pialog jesu mit dem Blindgeborenen in joh 9,35-38. Der Dialog jesu mit Martha in joh 11,20-27 stell~ sodaIin die Mitte des johannesevangeliums dar und zugleich den letzten Dialog jesu mit einer Einzelperson im ersten Buchteil des Evangeliums. So zeigt sich, dass die wissensvermittelnden Dialoge jesu mit Einzelpersonen relativ gleichmäßig über den ersten Teil des johannesevangeliums verteilt sind. Die Offenbarung jesu vor der Welt beginnt und endet mit einem solchen Dialog und wird dadurch in formaler Hinsicht gerahmt. Im zweiten Buchteil des johannesevangeliums, bei der Fußwaschung injoh 13, bei den Abschiedsreden injoh 14-17 sowie bei der Passion in I
Joh 20 ist insofern das letzte Kapitel des Johannesevangeliums, als es sich bei Joh 21 um einen späteren Nachtrag handelt, der nicht zum ursprünglichen Bestand gehört.
Vergleich der Dialoge
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Joh 18 und 19, d.h. bei der OffenbarungJesu vor den Jüngern, begegnen zunächst keine Dialoge, bei denen Jesus sein Gegenüber zu einer bestimmten Erkenntnis führt und ein Bekenntnis zu Jesus ausgesprochen wird. Erst im johanneischen Osterkapitel finden sich erneut zwei solche Dialoge: InJoh 20,15-18 der Dialog Jesu mit Maria Magdalena und inJoh 20,27-29 der DialogJesu mit Thomas. Was die Stellung der Dialoge Jesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium betrifft, so lässt sich zusammenfassend feststellen, dass sie von Johannes an den neuralgischen Punkten seines Evangeliums, an den Anfang, in die Mitte und an das Ende 2 , platziert sind und dass ihnen bereits durch diese exponierte Stellung eine besondere Bedeutung zukommt.
2. Länge des Dialogs Die sechs Dialoge Jesu mit Einzelperso~en im Johannesevangelium zeichnen sich jeweils durch ihre unterschiedliche Länge aus. Der kürzeste von diesen Dialogen begegnet inJoh 20,27-29: ZwischenJesus und Thomas kommt es gerade einmal zu einem vollständigen Redegang, bevor Jesus mit einem doppelten Wort den Dialog bereits wieder abschließt. Umgekehrt stellt der Dialog zwischen Jesus und der Samaritanerin in Joh 4,7-26 den längsten der wissensvermittelnden Dialoge Jesu mit einer Einzelperson im vierten Evangelium dar: Er besteht aus insgesamt sechs RedegängenS und einer abschließenden SelbstoffenbarungJesu. 4 Die weiteren Dialoge lassen sich jeweils von ihrer Länge her zwischen diesen beiden extrem kurz bzw. langen Dialogen ansiedeln und dementsprechend als mittellang klassifizieren. Der Dialog Jesu mit Nathanael in Joh 1,47-51 umfasst zwei Redegänge und ein doppeltes Verheißungswort Jesu am Ende. Ebenfalls aus zwei, wenn auch jeweils sehr kurzen Redegängen, setzt sich der Dialog Jesu mit dem Blindgeborenen in Joh 9,35-38 zusammen. Etwas länger sind die einzelnen Redebeiträge des Dialogs Jesu mit Martha in Joh 11,20-27, der aber auch nur aus insgesamt zwei Redegängen und dem abschließenden Bekenntnis der Martha besteht. In Joh 20,15-17 bilden 2 S
4
Durch zwei Dialoge innerhalb eines Kapitels liegt auf dem Ende des Johannesevangeliums ein spezielles Gewicht. Davon sind jeweils die Redegänge zwei, drei und sechs besonders umfangreich; sie erstrecken sich über mehrere Verse. Zwar endet mitJoh 4,26 der Dialog zwischen Jesus und der Samaritanerin, doch wirkt sich dieser Dialog auf die weitere Erzählung aus mit dem Ergebnis, dass inJoh 4,42 die Samaritaner ein universales Bekenntnis zuJesus aussprechen.
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Theologischer Ertrag
zwei vollständige Redegänge5 und das abschließende Auftragswortjesu den Dialog mit Maria Magdalena. Dieser Längenvergleich der Dialoge jesu mit Einzelpersonen im johannesevangelium ist keineswegs ein rein numerisches Unterfangen mit ausschließlichem Selbstzweck; vielmehr lassen sich daraus wichtige Rückschlüsse auf den Dialog an sich und die an diesem Dialog beteiligten Personen ziehen. Ist ein Dialog sehr kurz, so bedeutet dies, dass das entsprechende Gegenüber jesu sehr schnell von ihm zu einem christologischen Wissen geführt werden kann, weil die betreffende Person bereits über ein bestimmtes Glaubenswissen verfügt. 6 Umgekehrt bedarf es bei einer Person mit wenig bzw. keinerlei Glaubensgrundlage eines längeren bzw. langen Weges der Wissensvermittlung, bis sie zur christologischen Erkenntnis gelangt und diese in einem Bekenntnis verbalisiert; der Dialog ist deshalb umfangreicher. 7 Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen zeigt sich, dass die Länge eines Dialogs durchaus ein entscheidendes Kriterium im Vergleich der Dialoge untereinander darstellt und von hier aus indirekte Brücken, zu anderen Kriterien geschlagen werden können, beispielsweise zur Stellung des Dialogs imjohannesevangelium8 oder zu den Dialogpartnemjesu in ihrem jeweiligen Glaubensstatus und damit zu den Ausgangsbedingungen des Dialogs.
3. Dialogpartner Im Rahmen der Dialoge jesu mit Einzelpersonen im johannesevangelium kommt es jeweils zu einer Begegnung zwischen jesus und einem anderen Individuum. Von den sechs Dialogpartnem jesu sind drei Frauen, die Samaritanerin in joh 4, Martha in joh 11, Maria Magdalena injoh 20, und drei Männer, NathanaeI injoh 1, der Blindgeborene -injoh 9, Thomas injoh 20. Unter den Dialogpartnemjesu lässt sich demnach eine Gender-Parität ausma.chen; es finden sich 5 6 7 8
Der zweite davon ist der kürzestmögliche Redegang überhaupt: Er besteht jeweils aus einem Wort im Mundejesu bzw. Maria Magdalenas, vgl.joh 20,16. Beispiele hierfür sind Martha injoh 11 und noch deutlicher Maria Magdalena injoh 20. Das Paradebeispiel schlechthin ist der Dialog jesu mit der Samaritanerin in joh 4,726. Es ist wohl kein Zufall, dass der längste Dialogjesu mit einer Einzelperson und damit der weiteste Weg der Wissensvermittlung noch relativ am Anfang des johannesevangeliums begegnet, während die kurze dialogische Begegnung zwischen jesus und Maria Magdalena und der knappe Dialogjesu mit Thomas ganz an seinem Ende stehen.
Vergleich der Dialoge
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ebenso viele Frauen wie Männer. Darüber hinaus liegt auch eine abwechselnde Reihenfolge von einem Mann und einer Frau bei den Dia10gpartnernJesu vor!', die lediglich am Ende inJoh 20 gestört wird.l 0 Von den sechs Dialogpartnern Jesu werden dem Leser bzw. Hörer des Johannesevangeliums vier mit Namen vorgestellt. Es sind dies NathanaeI inJoh 1, Martha inJoh 11 sowie Maria Magdalena und Thomas inJoh 20. Durch die Namensnennung bekommen diese vier Personen jeweils ihr "persönliches Ich" zugesprochen und avancieren aufgrund dieser biographischen Angabe umso leichter zu Identifikationsfiguren für den Leser bzw. Hörer des Evangeliums. Die anderen beiden Dialogpartner Jesu bleiben dagegen namenlos in der Anonymität; weder bei der Samaritanerin in Joh 4 noch beim Blindgeborenen in Joh 9 wird ein Name genannt. Dafür gehen aus der Bezeichnung yuv~ EK 't'ilc;; ~IX~PELIXC;; inJoh 4,7 die Herkunft der Frau aus Samaria und aus der Vorstellung des Mannes als äv9pc..>1TOV tu!jl.wv EK YEVE't'ilC;; in Joh 9,1 sein Leiden hervor. Unter den vier mit Namen vorgestellten Dialogpartnern Jesu finden sich zwei Männer, NathanaeI und Thomas, sowie zwei Frauen, Martha und Maria Magdalena. Ein Mann, der Blindgeborene, und eine Frau, die Samaritanerin, bilden'die kleinere Gruppe der namenlosen Dialogpartner Jesu. Die Symmetrie, die sich bereits oben hinsichtlich des Geschlechts angedeutet hat, wird hier nun weiter fortgeführt und konsequent durchgehalten. Dies ist sicherlich kein Zufall, sondern verdankt sich vielmehr der johanneischen Komposition. Der vierte Evangelist setzt die Dialoge nicht nur an eine ganz bestimmte Position in seinem Evangelium und gibt ihnen eine ganz bestimmte Länge, sondern legt darüber hinaus genau fest, mit wem er Jesus in Dialog treten lässt, ob mit einem Mann oder mit einer Frau, ob er dieser Person einen Namen verleiht oder nicht. Diese Vorgehensweise lässt darauf schließen, dass der Johannesevangelist bei der Auswahl der Dialogpartner Jesu seine Gemeinde im Blick hat, die neben Männern gleicher-
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Mann inJoh 1 - Frau inJoh 4 - Mann inJoh 9 - Frau inJoh 11 - Frau inJoh 20Mann inJoh 20. Dadurch, dass auf Martha in Joh 11 zunächst Maria Magdalena und erst dann Thomas in Joh 20 folgt, wird die Kette mit dem Wechsel zwischen Mann und Frau bei den Dialogpartnern Jesu durchbrochen. Allerdings wird auf diese Weise eine andere Symmetrie hergestellt, insofern der erste und der letzte Dialog Jesu im Johannesevangelium jeweils mit einem Mann stattfinden und damit in Bezug auf das Geschlecht eine Rahmung vollzogen wird.
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Theologischer Ertrag
maßen aus Frauen besteht11 und die sich nicht nur aus namentlich bekannten, sondern auch anonymen Christen zusammensetzt.1 2
4. Ausgangsbedingungen des Dialogs Hösle unterscheidet bei seinen Ausführungen zu den Ausgangsbedingungen des Gesprächs zwischen einem verabredeten und einem zufälligen Gespräch. 13 Ein Gespräch kann von den Gesprächsteilnehmern fest ausgemacht sein mit dem Ziel, sich über ein bestimmtes Thema auszutauschen und zu unterhalten. Im Fall des philosophischen Dialogs geht es den Menschen darum, sich an einem bestimmten Ort zum gemeinsamen Philosophieren zu verabreden.l 4 Ein Gespräch kann sich aber auch spontan ergeben aufgrund einer zufälligen Begegnung. 15 So ist es möglich, dass sich aus einer belanglosen Alltagsunterhaltung eine philosophische Debatte entwickelt, die vorher nicht im Geringsten abzusehen war. Wie verhält es sich nun bei denjohanneischen Dialogen? Auf der einen Seite gibt es Dialoge Jesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium, deren Ausgangspunkt auf der Textebene ein spontanes, rein zufälliges Aufeinandertreffen zweier Personen darstellt. Bei der Begegnung Jesu mit der Samaritanerin am Jakobsbrunneri in Joh 4 handelt es sich definitiv nicht um eine vereinbarte Verabredung. Jesus ist lautJoh 4,6 müde von der Reise und setzt sich um die Mittagszeit zur Erholung an den Brunnen. Die Samaritanerin geht entsprechendJoh 4,7 ihrer täglichen Arbeit nach und kommt zum WasserhoIen an den Brunnen. Auf diese Weise geraten beide zufällig aneinander und treten in einen gemeinsamen Dialog ein. Analog dazu verhält es sich auch inJoh 9. Jesus begegnet dem Blindgeborenen laut Joh 9,1 unteIWegs und trifft ihn dann nachJoh 9,35 spontan wieder, so 11
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Die HeIVOrhebung von Maria Magdalena als erste Osterzeugin in joh 20 lässt sogar darauf schließen, dass die Frauen in der johanneischen Gemeinde eine besondere Stellung haben. Aufgrund der bedrängten Situation der johanneischen Gemeinde lässt sich dieses Faktum gut nachvollziehen, vgl. Nikodemus, der lautjoh 3,U. nachts zujesus kommt, oder josefvon Arimathäa, der gemäBjoh 19,38 aus Furcht vor den juden nur heimlich einjüngerjesu ist. Vgl. V. HÖSLE, Dialog 283-291. Hösle velWendet hier im Gegensatz zu meiner eigenen Terminologie die Bezeichnung "Gespräch" und unterscheidet demnach nicht zwischen Gespräch und Dialog. Als Beispiele für das verabredete Gespräch zum Philosophieren führt Hösle die beiden Dialoge Platons Sophistes und Politikos an, vgl. V. HÖSLE, Dialog 283. Als klassisches Beispiel bei Platon für den "Dialog des Zufallsgesprächs" nennt Hösle den Euthyphron, bei dem sich beide Dialogpartner zmallig begegnen, vgl. V. HÖSLE, Dialog 286.
Vergleich der Dialoge
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dass es zum Dialog zwischen den beiden kommt. Das beste Beispiel für einen zufälligen Dialog im Rahmen der behandelten Stellen ist das Aufeinandertreffen von Jesus und Maria Magdalena in Joh 20. Völlig unverhofft begegnet Maria Magdalena dem Auferstandenen und erkennt ihn zuerst gar nicht, bevor er sich ihr offenbart und sie zur Erkenntnis seiner Person führt. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Dialoge Jesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium, bei denen das Aufeinandertreffen der beiden Dialogpartner nicht dem Zufall überlassen, sondern gezielt forciert wird, sei es von einer außen stehenden Person oder von der am Dialog beteiligten Person selbst. Für die Begegnung zwischen Nathanael und Jesus in Joh 1 am Ende der johanneischen Berufungserzählung ist Philippus verantwortlich. Laut Joh 1,45 weist er zunächst Nathanael aufJesus hin und führt ihn sodann nachJoh 1,46 zu ihm. Diese Vermittlung durch Philippus stellt somit die Ausgangsbedingung dar, dass es überhaupt zum Dialog zwischenJesus und Nathanael kommt. In Joh 11 ist Martha selbst daran beteiligt, dass sie auf Jesus trifft und beide in einen Dialog eintreten. Zusammen mit ihrer Schwester Maria lässt sie Jesus in Joh 11,3 die Nachricht von der Krankheit des Lazarus überbringen, der daraufhin nach Bethanien kommt und Martha begegnet. Somit liegt in dieser Bitte der beiden Schwestern die eigentliche Ausgangsbedingung für das Zustandekommen des Dialogs zwischen Jesus und Martha. Am deutlichsten kommt in Joh 20 zum Ausdruck, dass die beiden Dialogpartner alles andere als zufällig, sondern vielmehr durch gezielte Steuerung aufeinander treffen. Thomas, der auf das Zeugnis der anderen Jünger hin nicht zum Osterglauben kommt, stellt in Joh 20,25 Bedingungen, um glauben zu können, und fordert damit eine neuerliche Erscheinung des Auferstandenen heraus. Der Dialog zwischen Jesus und Thomas verdankt sich somit der hartnäckigen Haltung des Thomas; er selbst provoziert die dialogische Begegnung mit Jesus. Aus diesen Beobachtungen geht hervor, dass sich bei den Dialogen Jesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium sowohl zufällige als auch geplante Dialoge ausfindig machen lassen. Der vierte Evangelist variiert zwischen diesen beiden Möglichkeiten und suggeriert damit dem Leser verschiedene Ausgangsbedingungen für das Aufeinandertreffen zweier Personen zum Dialog. Im Kontext seiner Ausführungen zu den Ausgangsbedingungen des Gesprächs macht Hösle auch auf den Unterschied zwischen symmetrischen und asymmetrischen Gesprächen aufmerksam und sieht
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Theologischer Ertrag
darin "eine der wichtigsten Einteilungen der Gesprächsfonnen"16. Bei einem symmetrischen Gespräch handelt es sich laut Hösle um einen Dialog zwischen gleichen Partnern, die eine gemeinsame Untersuchung anstellen oder etwas voneinander lernen wollen. Dagegen stehen sich in einem asymmetrischen Gespräch zwei oder mehrere ungleiche Dialogpartner gegenüber. Einer davon ist der Wissende, der (im dualen Dialog) dem anderen einen Lehrvortrag hält oder auch im ironischen Unterton sein Unwissen vor Augen führt.l 7 Wie die Religionsgespräche allesamt asymmetrische Dialoge darstellen - der Wissende hat den richtigen Glauben und versucht durch Argumentation, den Ungläubigen vom rechten Glauben zu überzeugen 18 - so zeichnen sich auch alle DialogeJesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium durch ihre Asymmetrie im Hinblick auf das Wissensgeralle aus. In allen sechs Dialogen erscheint Jesus stets als der Wissende, der seinem Dialogpartner jeweils ein bestimmtes Wissen vennittelt und ihn dadurch zum Glauben an seine Person führt. Während Jesus in allen Dialogen durchgehend als der Wissende schlechthin gezeichnet wird, unterscheiden sich seine Dialogpartner vor allem durch ihren christologischen Wissensstand voneinander. Alle sechs Dialogpartner Jesu verfügen jeweils zu Beginn des Dialogs über ein anderes Glaubensvorwissen. Diese unterschiedliche Glaubensstufe der einzelnen Dialogpartner am Anfang des Dialogs hat logischerweise entscheidende Auswirkungen auf seinen Verlauf, hängt doch die Wissensvennittlung durch Jesus maßgeblich vom Vorwissen seines jeweiligen Gegenübers ab. Deswegen ist es erforderlich, bei den Ausgangsbedingungen des Dialogs das jeweilige Glaubensvorwissen der einzelnen Dialogpartner Jesu zu beleuchten und so gut es geht zu untersuchen.l 9 Bei Nathanael in Joh 1 lässt sich seine Ausgangssituation in Bezug auf sein christologisches Wissen zu Beginn des Dialogs mitJesus recht eindeutig beschreiben. Zwar geht es aus dem Text nicht explizit her16 So v. HÖSLE, Dialog 292. 17
Vgl. ebd. 292-306.
18 Vgl. ebd. 293. 19
Gerade aus henneneutischer Sicht gestaltet sich dieses Unterfangen sehr schwierig, machen doch die Texte selbst keine expliziten Aussagen darüber, ob bei den jeweiligen Dialogpartnem Jesu ein bestimmtes Glaubenswissen vorhanden ist, und wenn ja, in welcher Intensität dies ausgeprägt ist. Um zumindest eine grobe Aussage über den Glaubensstand der einzelnen Personen machen zu können, bedarf es des Kontextes bzw. des Dialoges an sich, um von bestimmten Aussagen innerhalb des Dialogs Rückschlüsse auf den Ausgangsglauben der jeweiligen Person zu Beginn des Dialogs zu machen.
Vergleich der Dialoge
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vor, dass er ein Jünger Johannes des Täufers ist20, aber mit Backhaus lässt sich vermuten, dass Nathanael, ebenso wie Simon und Philippus, dem Jüngerkreis Johannes des Täufers angehört. 21 Infolge der dialogischen Begegnung mit Jesus wird Nathanael von einem Jünger Johannes des Täufers zu einem Jünger Jesu; Jesus selbst beruft Nathanae1 in seine Nachfolge und macht damit aus dem Juden einen Judenchristen. Vor diesem Hintergrund wird klar, dass Nathanae1 noch über keinerlei christliches Glaubenswissen verfügt bzw. noch gar nicht verfügen kann; er steht gerade erst am Anfang seines Glaubensweges. 22 Es versteht sich von selbst, dass die Samaritanerin inJoh 4 der samaritanischen und damit ihrer eigenen Volksreligion angehört. Wie aus dem Text hervorgeht23, grenzen sich die Samaritaner von den Juden ab und umgekehrt und beharren jeweils auf der Eigenständigkeit und Legitimität ihrer jeweiligen Glaubensrichtung. Während die Samaritaner Gott auf dem Berg Garizim anbeten, befindet sich das jüdische Kultzentrum in Jerusalem. Die im Monotheismus beheimatete Samaritanerin verfügt vor der Begegnung mit Jesus über keinerlei christliches Glaubenswissen, so dass sie einen längeren Weg der Wissensvermittlung vor sich hat, bis sie allmählich zur Erkenntnis Jesu gelangt. Bei dem Blindgeborenen in Joh 9 handelt es sich um einen Juden, bei dem ein bestimmter Glaubenshintergrund vorhanden ist. Nach seiner Heilung durch Jesus wird der namenlose Mann vor die jüdischen Autoritäten gebracht und zur Heilung verhört. Auf die Frage der Pharisäer nach seiner Meinung über den Wundertäter verwendet der Geheilte in Joh 9,17 den Propheten titel und stellt Jesus damit in die Reihe jüdischer Propheten. Im zweiten Verhör durch die Pharisäer argumentiert der Geheilte in Joh 9,3lf. mit seinem jüdischen Glaubenswissen und bringt damit seine religiöse Verwurzelung im Judentum zum Ausdruck. So kann Jesus beim .Blindgeborenen an dessen jüdischen Glaubenshintergrund anknüpfen und ihn im Vergleich zu der Samaritanerin ohne größere Schwierigkeiten zum christlichen Glauben hinführen. Nur Andreas und der ungenannte jünger gehen expressis verbis als Täufeljünger aus dem Text hervor, vgl.joh 1,35.40. 21 Vgl. K. BACKHAUS,jüngerkreise 242f. Backhaus führt folgende Argumente an, dass Simon, Philippus und NathanaiH zum Täuferkreis gehören: 1. Als Galiläer halten sie sich am Ostufer des jordan auf (vgl.joh 1,28). 2. Andreas und Simon (vgl.joh 1,45) sowie Philippus und NathanaiH (vgl.joh 1,45) haben denselben theologischen Hintergrund. 3. Die plurale Fonn EUp1jKIXIJ.EV (vgl.joh 1,41.45) verweist auf eine "Gemeinschaft der Suchenden". 4. Die Verbindung der Berufungserzählung zur Kana-Perikope injoh 2,1-12. 22 Vgl.joh 1,50. 23 Vgl.Joh 4,9.20. 20
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Theologischer Ertrag
Martha wird in Joh 11 als die Schwester von Maria und Lazarus vorgestellt. Jesus ist diesen Geschwistern laut Joh 11,5 in freundschaftlicher Liebe zugetan. Die beiden Schwestern vertrauen auf die Hilfe Jesu und benachrichtigen ihn von der Krankheit ihres Bruders Lazarus. Sie sind fest davon überzeugt24, dass Jesus ihren Bruder gesund machen kann. Als Jesus schließlich nach Bethanien kommt, geht Martha ihm laut Joh 11,20 entgegen, obwohl Lazarus bereits gestorben ist. Diese Geste verdeutlicht bereits, was sodann im Dialog verbalisiert wird, nämlich, dass Martha trotz allem den Glauben an Jesus nicht verloren hat, sondern ganz im Gegenteil unerschütterliches Vertrauen in ihn setzt. Martha verfügt mehr als die anderen Dialogpartner J esu vor ihr und auch nach ihr über ein fundiertes Glaubenswissen 25 und ist fest im jüdischen Glauben verwurzelt. Aufgrund dieser optimalen Ausgangsbedingungen hat es Jesus bei ihr sehr leicht, sie vom jüdischen zum christlichen Auferstehungsglauben zu führen und sich ihr selbst als die Auferstehung und das Leben zu offenbaren. 26 Bei Maria Magdalena in Joh 20 handelt es sich um eine treue Jüngerin Jesu. Sie folgt Jesus nach Jerusalem, harrt mit den anderen F~uen unter dem Kreuz Jesu aus27 und macht sich am Ostermorgen allein 28 zum Grab auf. Bevor es zur dialogischen Begegnung mit dem Auferstandenen kommt, wird Maria Magdalena in doppelter Weise als Nicht-Wissende geschildert. Aus ihrem Weinen am Grab 29 geht implizit hervor, dass sie nicht weiß, wo sich der LeichnamJesu befindet. Explizit kommt dieses Nicht-Wissen der Maria Magdalena in ihrer Antwort auf die Frage der Engel nach dem Grund ihres Weinens inJoh 20,13 zum Ausdruck. Obwohl Maria Magdalena als treue Jüngerin Jesu ihm bis unter das Kreuz nachgefolgt ist und sich selbst als seine Schülerin versteht30, fehlt ihr noch das österliche Wissen, zu dem sie vom Auferstandenen selbst durch die dialogische Begegnung mit ihm geführt wird. Thomas wird in Joh 20,24 als ete; EK 't"wv öwöeKCI vorgestellt und gehört somit als Apostel zu den engsten Jüngern und Vertrauten Jesu. Bei der Erscheinung des Auferstandenen vor den Jüngern am Oster24 25 26 27 28 29 30
Vgl.Joh 11,21.32. Vgl. das zweimalige otoo inJoh 11,22.24. Vgl.Joh 11,25. Vgl.Joh 19,25. Vgl.Joh 20,1 im Gegensatz zu Mk 16,1 parr. Vgl.Joh 20,11.13. In der Anrede "Rabbuni" für Jesus inJoh 20,16 kommt das Lehrer-Schwer-Verhältnis zwischen dem irdischenJesus und Maria Magdalena zum Ausdruck, das freilich durch Ostern eine ganz neue Qualität erhält.
Vergleich der Dialoge
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sonntag ist er nicht anwesend. sI Dem Osterzeugnis der Jünger 'EWpa.Ka:iJ.EV 'tov KUPLOV in Joh 20,25 schenkt er keinen Glauben; stattdessen stellt Thomas eigene Forderungen auf, um glauben zu können und führt dadurch eine neuerliche Erscheinung des Auferstandenen herbei. Paradoxerweise braucht gerade Thomas als einer der Zwölf einen handfesten Beweis für die Auferstehung Jesu. Er, der als Jünger und Vertrauter Jesu eigentlich glauben müsste, kann nicht glauben, weil ihm das nötige Glaubenswissen erst in der dialogischen Begegnung mit dem Auferstandenen vermittelt wird und er dadurch zum Osterglauben gelangt. Wie dieser kurze Durchgang beweist, liegt in allen Dialogen eine andere Ausgangssituation in Bezug auf das Glaubenswissen des jeweiligen Dialogpartners Jesu vor. Zu den Dialogpartnern Jesu zählt interessanterweise kein Heide, den Jesus von Grund auf Glaubenswissen vermitteln und ihn auf einem langen Weg zur Erkenntnis seiner Person führen müsste. Eine Sonderstellung innerhalb der sechs Dialogpartner Jesu nimmt die Samaritanerin inJoh 4 ein, gehört sie doch im Unterschied zu den anderen nicht der jüdischen, sondern der samaritanischen Religion an. Aufgrund dieser besonderen Ausgangssituation wird klar, dass der Weg der Wissensvermittlung bei der Samaritanerin länger dauert als bei den jüdischen Dialogpartnern Jesu, auf deren Glaubensvorwissen Jesus leichter aufbauen und sie schneller zur Erkenntnis seiner Person führen kann. Die anderen fünf Dialogpartner Jesu sind zwar allesamt Juden, doch stellen sie keineswegs eine homogene Gruppe hinsichtlich ihres Glaubenswissens dar; vielmehr sind sie verschiedenen Gruppierungen des Judentums zuzuordnen. Nathanael in Joh 1 ist wohl durch Johannes den Täufer in seinem jüdischen Glauben geprägt, und beim Blindgeborenen in Joh 9 zeigt sich deutlich seine Verwurzelung im Judentum. Im Gegensatz zu den anderen jüdischen DialogpartnemJesu verfügen diese beidenjedoch noch über keinerlei christliches Glaubenswissen. Demgegenüber gehören Martha in Joh 11, Maria Magdalena und Thomas in Joh 20 dem Jüngerkreis Jesu an. Durch ihre Nähe zu Jesus haben sie bereits eine christliche Prägung ihres jüdischen Glaubens erhalten, aber ihnen fehlt noch der volle christliche Glaube, zu dem sie von Jesus selbst in der dialogischen Begegnung mit ihm geführt werden. Es versteht sich von selbst, dass solche unterschiedlichen Ausgangsbedingungen in Bezug auf das Glaubenswissen der Dialogpartner Jesu unmittelbare Auswirkungen haben auf den Dialog selbst und auf seinen Verlauf. Je weniger christliches SI
Vgl.Joh 20,24.
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Theologischer Ertrag
Glaubenswissen beim jeweiligen Dialogpartner Jesu vorhanden ist, desto länger dauert der Weg der Wissensvermittlung. Umgekehrt werden diejenigen, die bereits zum Jüngerkreis Jesu gehören, sehr schnell zur christologischen Erkenntnis geführt.
5. Eröffnung des Dialogs Die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium entstehen - wie alle anderen Dialoge auch - dadurch, dass sich die beiden am Dialog beteiligten Personen begegnen und eine davon den Dialog mit einer verbalen Äußerung gegenüber der anderen Person beginnt. Von den sechs untersuchten Dialogen bei Johannes ist es in fünf Fällen Jesus, der die Initiative ergreift und den Dialog mit seinem Gegenüber eröffnet. In Joh 1,47 stellt die Äußerung Jesu den Motor für den weiteren Fortgang des Dialogs dar. Jesus charakterisiert Nathanael als einen Israeliten ohne Falschheit, ohne ihn vorher zu kennen. Der überraschte Nathanael kann kaum anders, als auf den werbenden Ruf Jesu zu reagieren und in den Dialog mit ihm einzutreten. Gegenüber der samaritanischen Frau spricht Jesus in Joh 4,7 einleitend die einfache Bitte .Me;; j.10L TIELV aus und nimmt mit diesem "anthropologischen Einstieg"32 bereits das theologische Thema vom lebendigen Wasser33 vorweg. Die Samaritanerin, will sie sich dem Dialogangebot Jesu nicht gänzlich verweigern, kommt nicht umhin, auf die AufforderungJesu zu reagieren. Im Unterschied zur harmlosen Dialogeröffnung in Joh 4 beginnt der Dialog inJoh 9 mit einem christologischen Paukenschlag. 34 Der Geheilte wird ihn Joh 9,35 von Jesus gefragt, ob er an den Menschensohn glaubt, und wird durch diese direkte Frage zu einer Stellungnahme herausgefordert. Diese Dialogeröffnung Jesu mit der Glaubensfrage an den Geheilten zielt somit medias in res und stellt den Blindgeborenen bereits zu Beginn des Dialogs vor die entscheidende Alternative Glaube oder Unglaube, die das gesamte Johannesevangelium wie ein roter Faden durchzieht. Mit einer doppelten Frage eröffnet Jesus in Joh 20,15 den Dialog mit Maria Magdalena. Zunächst greiftJesus die Worte der Engel ausJoh 20,13 auf, die sich bei Maria 32 Jesus nutzt die konkrete Situation amJakobsbrunnen aus und bittet die Samaritanerin 33 34
um Stillung seines menschlichen Grundbedürfnisses nach etwas zu trinken. Vgl.Joh 4,10-15. Dieser unvermittelte Dialogeinsatz erklärt sich aus der Gesamtkomposition von Joh 9. NachdemJesus den Blindgeborenen geheilt hat, trifft er ihn wieder und kann ihn vor dem Hintergrund der Heilung direkt mit der Glaubensfrage konfrontieren.
Vergleich der Dialoge
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Magdalena nach dem Grund ihres Weinens erkundigen. Mit dieser Einstiegsfrage gelingt es dem 10hannesevangelisten auf einfache, aber effektive Weise, an den Kontext anzuknüpfen und den Dialog zwischen 1esus und Maria Magdalena geschickt in die Erzählung zu integrieren. Sodann wird durch die zweite Frage 1esu tLVO: '1)tEi.C;; an die ersten Worte 1esu im 10hannesevangelium angeknüpft, die dieser zu Beginn der johanneischen Berufungserzählung an die beiden 1ünger richtet. 35 Somit geht bereits aus der Dialogeröffnung in 10h 20,15 hervor, dass die dialogische Begegnung zwischen 1esus und Maria Magdalena als österliche Berufungserzählung verstanden werden will, bei der Maria Magdalena vom Auferstandenen in seine Nachfolge gerufen wird und ihn vor den 1üngern als den zum Vater Zurückgekehrten bezeugen soll.36 Ähnlich wie in 10h 9 erfolgt auch in 10h 20 der Einstieg in den Dialog zwischen 1esus und Thomas sehr unvermittelt und direkt. Der Auferstandene geht gleich zu Beginn des Dialogs in10h 20,27 exakt auf die zuvor von Thomas in 10h 20,25 gestellten Bedingungen ein und fordert ihn schließlich explizit zum Glauben auf. Damit geht auch dieser Dialog wie 10h 9 ohne irgendwelche Anlaufzeit"Sofort in seine entscheidende Phase. In der Reihe der Dialoge1esu mit Einzelpersonen im10hannesevangelium wird das soeben aufgezeigte Schema, dass 1esus stets deIjenige ist, der den Dialog eröffnet, ein einziges Mal durchbrochen. In 10h 11,21 ist es gerade nicht 1esus, sondern Martha, die die Initiative ergreift und den Dialog mit 1esus beginnt. Als sie hört, dass 1esus nach Bethanien kommt, geht sie ihm laut10h 11,20 entgegen37 und spricht ihn auf den Tod ihres Bruders Lazarus an; daraus entwickelt sich sodann der Dialog zwischen 1esus und Martha. Während in den übrigen Dialogen aufgrund der Tatsache, dass1esusjeweils den Dialog eröffnet, der Schwerpunkt von Anfang an auf1esus.1iegt, wird hier in10h 11 der Fokus auf den Dialogpartner 1esu gerichtet. Durch diese Besonderheit nimmt Martha eine Sonderstellung unter den Dialogpartnern 1esu ein und damit auch der gesamte Dialog in 10h 11,20-27, was sich bereits durch die Stellung dieses Dialogs im 10hannesevangelium angedeutet hat und was sich jetzt noch im Hinblick auf den Verlauf sowie den Abschluss und das Ziel dieses Dialogs weiter zeigen wird.
35
Vgl.Joh 1,38.
36 Vgl.Joh 20,17. 37
Martha sucht also regelrecht die dialogische Begegnung mitJesus.
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Theologischer Ertrag
6. Verlauf des Dialogs Allen untersuchten DialogeIl Jesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium ist gemeinsam, dass Jesus im Verlauf des Dialogs ein bestimmtes christologisches Wissen vermittelt und dadurch den jeweiligen Dialogpartner zur Erkenntnis seiner Person, d.h. zum Glauben an ihn, führt. Dieser Weg der Wissensvermittlung sieht jedoch von Dialog zu Dialog ganz unterschiedlich aus, hängt er doch entscheidend vom jeweiligen Dialogpartner Jesu und speziell von dessen bereits vorhandenem Glaubenswissen ab. Der Verlauf des Dialogs zwischenJesus und Nathanael inJoh 1,47-51 wird vom Motiv des wunderbaren Wissens Jesu bestimmt. Bereits bei der Eröffnung des Dialogs inJoh 1,47 machtJesus von seiner Herzenskenntnis Gebrauch, indem er Nathanael, ohne ihn vorher zu kennen, als Israeliten ohne Falschheit charakterisiert. Damit versetzt er seinen Dialogpartner in Erstaunen und zieht ihn von Anfang an in seinen Bann. In seiner Antwort auf die verwunderte Frage des NathanaeI in Joh 1,48 kommt erneut das wunderbare Wissen Jesu zum Ausdruck, dieses Mal noch eindeutiger und dezidierter als zuvor. 3B Auf diese Weise gelingt es Jesus, seinen Dialogpartner von sich zu überzeugen und zur Erkenntnis seiner Person zu führen. Paradoxerweise geschieht dies nicht, indem Jesus über sich selbst spricht und sich dabei direkt mit einer Ich-bin-Aussage o. Ä. offenbart, sondern indirekt durch sein Wissen über NathanaeI. Von dieser Herzenskenntnis Jesu ist NathanaeI dermaßen beeindruckt und überwältigt, dass er nunmehr von einem Jünger Johannes des Täufers zu einem Jünger Jesu wird. Beim Dialog zwischen Jesus und der Samaritanerin inJoh 4,7-26 lässt sich der Weg der Wissensvermittlung sehr schön nachvollziehen und für den Leser Schritt für Schritt mitgehen. In einem ersten Stadium in Joh 4,10-15 versucht Jesus, der samaritanischen Frau ein bestimmtes theologisches Wissen zu vermitteln, doch sie versteht den tieferen Sinn seiner Aussagen über das lebendige Wasser nicht. Bedingt durch ein doppeltes Missverständnis der Samaritanerin 39 istJesus gezwungen, das Thema zu wechseln, um auf einfachere Weise auf dem Weg der Wissensvermittlung voranzukommen. So spricht Jesus in Joh 4,16-18 die Frau nunmehr auf ihr Privatleben an und offenbart ihr sein wun38 39
Im Unterschied zur eher allgemeinen Aussage inJoh 1,47 spieltJesus inJoh 1,48 auf eine ganz konkrete Situation an. Die Frau denkt rein von der anthropologischen Ebene her, Jesus dagegen macht theologische Aussagen; deswegen kann die Wissensvermittlung durch Jesus gar nicht funktionieren, vgl.Joh 4,11.15.
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derbares Wissen über ihre Ehe. Im Unterschied zu seinen vorherigen theologischen Ausführungen gelingt Jesus damit ein erster Durchbruch. Aufgrund seiner Herzenskenntnis kommt die Samaritanerin in Joh 4,19 zu der Einsicht, dass Jesus ein Prophet ist. Mit diesem Bekenntnis ist jedoch der Weg der Wissensvermittlung noch nicht abgeschlossen. Die samaritanische Frau ordnet zwar Jesus in die jüdische Prophetentradition ein, doch seine eigentliche Bedeutung hat sie noch nicht erkannt. 40 Deswegen hält ihr Jesus in Joh 4,21-24 eine theologische Rede über das wahre Wesen und die richtige Anbetung Gottes, woraufhin die Samaritanerin in J oh 4,25 ihr Wissen über den Messias kundtut. Demzufolge weiß sie, dass der Messias kommt und dass er alles verkünden wird, aber sie weiß nicht, dass dieser Messias in Jesus vor ihr steht und mit ihr spricht. Diese christologische Erkenntnis bekommt sie vonJesus selbst mitgeteilt, der sich ihr zum Abschluss des Dialogs in Joh 4,26 mit den Worten 'Eyw ELIlL, b MM3v aOL offenbart. Mit dieser Selbstoffenbarung Jesu erreicht der längste Weg der Wissensvermittlung bei den Dialogen Jesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium vorerst sein Ende. Das Schwellenbekenntnis der samaritanischen Frau, zu dem sie nach Ab- und Umwegen letztendlich in Joh 4,29 kommt, sowie das universale Bekenntnis der Samaritaner in Joh 4,42 finden sich außerhalb des Dialogs und sind als seine Auswirkungen zu betrachten. Im Gegensatz zu dem relativ langen und komplizierten Weg der Wissensvermittlung inJoh 4 bei der Samaritanerin führtJesus den Geheilten in Joh 9 sehr schnell und direkt zur christologischen Erkenntnis. Dieser Umstand verdankt sich der Tatsache, dass der Blindgeborene im Judentum verwurzelt ist, und bei ihm nur noch ein kleiner Schritt vom jüdischen zum christlichen Glauben fehlt,4l So stellt Jesus gleich zu Beginn des Dialogs in Joh 9,35. die Frage an den Geheilten, ob er an den Menschensohn glaubt. Aus der Antwort des blindgeborenen Mannes in Joh 9,36 geht hervor, dass ihm die Vorstellung vom Menschensohn nicht fremd ist und dass er zum Glauben an ihn bereit ist, doch dass· er nicht weiß, wer dieser Menschensohn ist. Diese Wissenslücke des Geheilten schließt Jesus unmittelbar mit seiner Selbstoffenbarung inJoh 9,37. Damit wird der blindgeborene Mann ohne irgendwelche Umwege zur christologischen Erkenntnis geführt, dass Jesus, der ihn geheilt hat, der Menschensohn ist. 40 41
Vgl.Joh 4,20. Vgl. Joh 9,27. Aus dieser Aussage des Geheilten geht implizit hervor, dass sich der blindgeborene Mann bereits als Jünger dessen versteht, der ihm das Augenlicht geschenkt hat.
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Theologischer Ertrag
Von allen DialogenJesu mit Einzelpersonen imJohannesevangelium lässt sich beim Dialog zwischen Jesus und Martha in Joh 11 der Weg der Wissensvermittlung am deutlichsten erkennen und nachvollziehen. Dies liegt an der Tatsache, dass Martha im Verlauf des Dialogs ihr fundiertes jüdisches Glaubenswissen explizit zum Ausdruck bringt und Jesus dementsprechend darauf eingehen und direkt mit der Transformierung des jüdischen Glaubenswissens in christliches Glaubenswissen reagieren kann. Bereits zu Beginn des Dialogs, noch bevor Jesus das Wort ergreift, spricht Martha inJoh 11,2lf. ihr festes Vertrauen auf die Hilfe Jesu aus, der durch seine Beziehung zu Gott alle Bitten von ihm gewährt bekommt. Dieses Wissen der Martha42 wird nicht enttäuscht, sondern sie bekommt von Jesus in Joh 11,23 ihre zuvor indirekt geäußerte Bitte erfüllt. Auf die Zusage Jesu hin, dass ihr Bruder Lazarus auferstehen wird, bringt Martha inJoh 11,24 ihre jüdische Auferstehungshoffnung durch die Einleitung mit einem erneuten otöoc43 als sicheres Glaubenswissen zum Ausdruck. Daran knüpft Jesus unmittelbar an und überträgt ihre Auferstehungshoffnung für die Zukunft auf seine eigene Person in der Gegenwart, indem er sich der Martha inJoh 11,25 als die Auferstehung und das Leben offenbart. Hier geschieht zum ersten und auch zum einzigen Mal im Rahmen eines Dialogs Jesu mit einer Einzelperson im Johannesevangelium die Selbstoffenbarung Jesu durch ein Ich-bin-Wort. Diese Besonderheit lässt sich wohl damit erklären, dass Jesus auf das dezidierte Glaubenswissen der Martha direkt Bezug nimmt und ihre jüdische Auferstehungshoffnung verchristlicht, indem er sie unmissverständlich an seine eigene Person bindet. Diese eindeutige Selbstoffenbarung Jesu führt die bereits gläubige Martha zur vollen Erkenntnis Jesu. Im Gegensatz zu den Dialogen inJoh 4 undJoh 11 ist es bei den beiden Dialogen inJoh 20 sehr schwierig, einen Weg der Wissensvermittlung auszumachen, weil die Dialoge zum einen sehr kurz sind44 und zum anderen der Weg zur Erkenntnis Jesu nicht nur durch verbale, sondern auch und vor allem durch nonverbale Offenbarung erfolgt. 45 Anstatt durch einen schrittweisen Prozess der Wissensvermittlung wie 42 43 44
45
Vgl. olM inJoh 11,22. Vgl.Joh 11,24 nachJoh 11,22. Der Dialog Jesu mit Maria Magdalena in Joh 20,15-17 umfasst gerade einmal zwei kurze Redegänge und ein abschließendes Wort Jesu; aus nur einem einzigen Redegang und einem abschließenden Wort Jesu besteht der Dialog zwischen Jesus und Thomas inJoh 20,27-29. Dies ergibt sich aus dem Kontext, handelt es sich doch bei beiden Dialogen inJoh 20 um Erscheinungen des Auferstandenen, der sich seinen Jüngern in einer dialogischen Begegnung zu erkennen gibt und sie damit zum Osterglauben führt.
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bei den anderen Dialogpartnern Jesu werden Maria Magdalena und Thomas durch die dialogische Begegnung mit Jesus als solcher zur christologischen Erkenntnis geführt; dazu genügt in beiden Fällen ein kurzer Anstoß. Bei Maria Magdalena geschieht die verbale Wissensvermittlung durch ein einziges Wort. Jesus, der unerkannt vor ihr steht und den sie in ihrer Verzweiflung für den Gärtner hält46, spricht sie in Joh 20,16 mit ihrem Namen Maria an und löst dadurch auf Anhieb die christologische Erkenntnis bei ihr aus. Von einem Moment auf den anderen weiß Maria Magdalena, dass es sich bei der Person vor ihr um den Auferstandenen handelt. Auch bei Thomas ist es ähnlich. Anstatt einer stufenweisen Wissensvermittlung gehtJesus inJoh 20,27 gleich zu Beginn des Dialogs direkt und ohne jeglichen Umweg auf die Forderungen des Thomas ein und führt ihn damit unmittelbar zum Osterglauben. Durch die Erscheinung Jesu und speziell durch die dialogische Begegnung mit ihm erkennt Thomas schlagartig, dass der Gekreuzigte auferstanden ist und mit seinen Wundmalen behaftet als der Auferstandene vor ihm steht. Wie diese Beobachtungen zum Verlauf der Dialoge Jesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium beweisen, kann der Weg der Wissensvermittlung je nach Dialogpartner Jesu und Ausgangssituation des Dialogs ganz unterschiedlich sein. Die beiden letzten Beispiele haben gezeigt, dass Maria Magdalena und Thomas sehr schnell zur christologischen Erkenntnis kommen, dagegen dieser Weg für die Samaritanerin sehr viel länger ist. Während Jesus sich dem Nathanael indirekt durch sein wunderbares Wissen offenbart, bekommt Martha eine direkte Selbstoffenbarung Jesu mit einem Ich-bin-Wort. Im johanneischen Osterkapitel liegt der Sonderfall vor, dass Jesus nicht nur auf verbale, sondern auch auf nonverbale Art und Weise christologisches Wissen vermittelt, indem er Maria Magdalena und Thomas als der Auferstandene erscheint und sie durch die dialogische Begegnung mit ihm zum Osterglauben führt. Auch wenn der Weg der christologischen Wissensvermittlung je nach Dialogkonstellation variiert, so führt er doch immer zur Erkenntnis Jesu. Die Gemeinsamkeit bei allen diesen Dialogen liegt darin, dass Jesus die treibende Kraft in diesem Prozess der Wissensvermittlung ist und dass er jeweils durch seine Offenbarertätigkeit sein Gegenüber zum Glauben an ihn bringt.
46
Mit dieser Szene liegt ein Paradebeispiel johanneischer Ironie vor. Maria Magdalena suchtJesus und erkennt nicht, dass der Gesuchte vor ihr steht; stattdessen hält sie ihn für den Gärtner.
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Theologischer Ertrag
7. Abschluss und Auswirkungen des Dialogs
Die christologische Erken~tnis, die ihnen von Jesus im Verlauf des Dialogs vermittelt wird, bringen die Dialogpartner Jesu zusammenfassend am oder gegen Ende des Dialogs in einem Bekenntnis zum Ausdruck und bezeugen damit ihren Glauben, zu dem sie gekommen ·sind. An dieses christologische Bekenntnis schließt sich in der Regel noch ein WortJesu an, der damit den Dialog endgültig beendet und an sein Ziel führt. Je nach dessen Stellung im Kontext kann es sogar sein, dass der Dialog Auswirkungen hat auf den weiteren Fortgang der Erzählung. Durch das wunderbare Wissen Jesu kommt Nathanael inJoh 1,47-51 zur christologischen Erkenntnis und spricht in Joh 1,49 folgendes Bekenntnis zu Jesus aus: 'Pa.PP(, ou EI 0 ULOC; .ou 9EOU, ou Pa.OLA.eUC; Er 'OU '1opa.~A.. Mit diesem christologischen Doppelbekenntnis, bestehend aus dem Sohn-Gottes-Titel und der Bezeichnung "König von Israel", bringt der Johannesevangelist unmissverständlich zum Ausdruck, dass Nathanael zum Glauben an Jesus gekommen ist und nunmehr in seine Nachfolge eintreten kann. Allerdings stellt dieses eindrucksvolle Bekenntnis nicht das Ende des Dialogs zwischen Jesus und Nathanael dar, sondern es folgt noch ein doppeltes VerheißungswortJesu, das die Bedeutung des zuvor von Nathanael ausgesprochenen Glaubensbekenntnisses relativiert und ins rechte Licht rückt. Aus der Verheißung Jesu an Nathanael inJoh 1,50 geht hervor, dass dieser erst am Anfang seines Glaubensweges steht und er noch größeres Wissen vermittelt bekommt. Worin dieses größere Wissen besteht, lässt sich aus dem zweiten VerheißungswortJesu herauslesen, das über Nathanael hinaus an die Leser bzw. Hörer des Johannesevangeliums gerichtet ist und in einem Bildwort auf die Offenbarung Gottes inJesus Christus verweist47 , wie sie das folgende Evangelium zum Ausdruck bringen und damit den Glauben seiner Adressaten, einschließlich des Nathanael, weiterführen und vertiefen will. Der Abschluss des Dialogs zwischenJesus und Nathanael inJoh 1,4951 ist von seinem kompositorischen Aufbau gesehen kein Einzelfall im Johannesevangelium, sondern wiederholt sich auf analoge Weise beim Dialog zwischen Jesus und Thomas inJoh 20,27-29. Auch hier folgt auf ein christologisches Doppelbekenntnis ein zweifaches Verheißungswort Jesu, mit dem er sich zunächst an seinen Dialogpartner und dann über ihn hinaus an einen weiteren Adressatenkreis wendet. Nachdem er 47
Vgl. auchJoh 1,18.
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vom Auferstandenen selbst in der Begegnung mit ihm das nötige christologische Wissen vermittelt bekommen hat, um glauben zu können, spricht Thomas in Joh 20,28 mit '0 KUPLOC; !l0U KO:L 0 SEOC; !l0U ein sehr persönliches Bekenntnis zu Jesus aus und artikuliert damit seinen Osterglauben. Dieses christologische Doppelbekenntnis wird ihm vom Johannesevangelisten in den Mund gelegt. Der Kyriostitel ist in den johanneischen Ostererzählungen fest verankert48 und schließt diese. in Joh 20,28 ab, während Johannes mit der Bezeichnung 0 9EOC; !l0U für Jesus den Bezug zum Anfang seines Evangeliums49 herstellt und damit seinem Werk eine »theologische" Rahmung verleiht. Mit diesem wohlüberlegten christologischen Spitzenbekenntnis könnte der Dialog zwischen Jesus und Thomas sehr schön zu Ende sein; doch analog zu Joh 1 folgt auch hier inJoh 20 ein doppeltes WortJesu, das in diesem besonderen Fall nicht nur den Dialog zwischen Jesus und Thomas, sondern die gesamte narratio des Johannesevangeliums abschließt. 5o Zunächst sprichtJesus inJoh 20,29b Thomasallein an, wie er sich auch in Joh 1,50 erst ausschließlich an Nathanael wendet, und hält ihm seinen Weg über das Sehen zum Glauben vor Augen, bevor er sich sodann in Joh 20,29c analog zu Joh 1,51 an die Leser bzw. Hörer des Johannesevangeliums richtet und sie selig preist, die sie nicht sehen und doch glauben. Mit diesem aufmunternden und hoffnungsvollen Schlusswort schlägt der Johannesevangelist die Brücke in die nachapostolische Zeit und verheißt allen Lesern seines Evangeliums die Möglichkeit des Osterglaubens, indem er ihnen Thomas als positive Identifikationsfigur51 wie auch als negative Kontrastfigur52 vor Augen stellt. Wie Nathanael inJoh 1,49 und Thomas inJoh 20,28 so spricht auch Martha inJoh 11,27 ein doppeltes Bekenntnis zuJesus aus: Nut KUPLE, eyw lTElTl.a1:EUKU ön ou EI 0 XPLO'tOC; 0 uLOC; 'tou 9EOU 0 ELC; 'tov KOO!lOV epxO!lEVOC;. Es besteht aus den beiden christologischen Hoheitstiteln
"Messias" und "Sohn Gottes", die in dieser Kombination noch einmal im Epilog desJohannesevangeliums inJoh 20,31 begegnen und an bei48 49 50
51 52
Vgl.joh 20,2.13.18.20.25; (21,7.12). Vgl.joh 1,1.18. Aus diesem Grund wird auch verständlich, warum das johannesevangelium nicht mit dem eindrucksvollen Thomasbekenntnis zu Ende geht; das allerletzte Wort gebührt jesus als dem Protagonisten des Evangeliums..· Die Leser desjohannesevangeliums sollen mit Thomas zur Erkenntnis des Auferstandenen gelangen und mit ihm in sein Osterbekenntnis einstimmen. Im Unterschied zu Thomas haben die Leser gerade nicht mehr die Möglichkeit einer handfesten Erscheinung des Auferstandenen; doch gerade deswegen sind sie selig zu preisen, weil sie nicht sehen und doch glauben (können).
340
Theologischer Ertrag
den Stellen den Osterglauben zum Ausdruck bringen. 53 Im Zielsatz54 am Ende seines Evangeliums fonnuliert Johannes für seine Leser, zu welchem Glauben sie nac1;t der Lektüre des Evangeliums kommen sollen, nämlich, dass Jesus der Messias, der Sohn Gottes ist. Wenn Martha bereits in der Mitte des Evangeliums zu diesem Glauben gelangt, so nimmt sie exemplarisch das Zielbekenntnis des Johannesevangelisten vorweg und wird mit ihrem christologischen Spitzenbekenntnis dem Leser als positive Identifikationsfigur vor Augen geführt. 55 Dieser soll in das mustergültige Glaubensbekenntnis der Martha mit einstimmen und darin das "Evangelium im Evangelium" erkennen. Dem vollen und vollgültigen Bekenntnis der Martha hat Jesus nichts mehr hinzuzufügen, und so endet der Dialog zwischen Jesus und Martha nicht wie bei Nathanael und Thomas mit einem Wort Jesu, sondern mit dem zentralen Glaubensbekenntnis der Martha. Damit ist er der einzige von den wissensvennittelnden Dialogen Jesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium, der direkt mit einem verbalen Bekenntnis abschließt. Aufgrund dieser Besonderheit bekommt das Bekenntnis der Martha eine noch größere Bedeutung für den Dialog und darüber hinaus für das gesamte Johannesevangelium. Im Unterschied zum christologischen Spitzenbekenntnis der Martha in Joh 11,27 mit den beiden zentralen christologischen Hoheitstiteln des Johannesevangeliums fällt das Glaubensbekenntnis des Geheilten in Joh 9,38 sehr viel kürzer und schlichter aus. Es besteht gerade einmal aus den beiden Worten IILotEUW, KUPLE, mit denen der Geheilte seinen Glauben an Jesus als den Menschensohn auf ganz einfache Weise zum Ausdruck bringt. Mit diesem verbalen Bekenntnis ist der Dialog zwischen Jesus und dem Geheiltenjedoch noch nicht zu Ende. Die kurze Glaubenszusage des Mannes wird verstärkt durch ein nonverbales Bekenntnis. Nachdem der Geheilte seinen Glauben an Jesus als den Menschensohn ausgesprochen hat56 , wirft er sich vor ihm nieder und bekundet mit dieser sinnfälligen Geste, dass er ihn anbetet und verehrt. Mit diesem nonverbalen Bekenntnis am Ende zur Bekräftigung des unmittelbar zuvor geäußerten verbalen Glaubensbekenntnisses nimmt der Dialog zwischenJesus und dem Geheilten inJoh 9,35-
53
54 55 56
Vgl. den Kontext beider Stellen: In Joh 11,25 offenbart sich Jesus selbst als die Auferstehung und das Leben; der Epilog inJoh 20,3Of. schließt sich unmittelbar an das johanneische Osterkapite1 mit den Erscheinungen des Auferstandenen an. Vgl. die finale Konjunktion -(VII inJoh 20,31. Vgl.J. RINKE, Kerygma 94. Mit seinem Bekenntnis in Joh 9,38 antwortet der Geheilte auf die Frage Jesu in Joh 9,35.
Vergleich der Dialoge
341
38 eine Sonderstellung innerhalb der untersuchten Dialoge jesu mit Einzelpersonen im johannesevangelium ein. Die beiden verbleibenden Dialoge zwis~hen jesus und der Samarita:p.erin in joh 4 und zwischen jesus und Maria Magdalena in joh 20 heben sich dadurch von den anderen Dialogen ab, dass sich das christologische Bekenntnis jeweils außerhalb des Dialogs befindet und in dem einen Fall gar nicht vom unmittelbaren Dialogpartner jesu ausgesprochen wird. Der Dialog zwischen jesus und Maria Magdalena in joh 20,15-17 ist sehr wortkarg gestaltet. Die Erkennungsszene besteht gerade einmal aus zwei Worten. Nachdem der Auferstandene sie in joh 20,16 mit ihrem Namen anspricht, antwortet Maria Magdalena mit "Rabbuni". Aus dieser Reaktion geht hervor, dass Maria Magdalena den Auferstandenen erkannt hat und ihn gleichzeitig als ihren Meister bekennt. 57 Doch damit ist der Dialog zwischen den beiden noch nicht zu Ende, auch das eigentliche Bekenntnis christologischer Art58 steht noch bevor. Den Abschluss des Dialogs bildet injoh 20,17 ein Auftragswort des Auferstandenen an Maria Magdalena. Dieses hat unmittelbare Auswirkungen auf den weiteren Fortgang der Erzählung. Denn sogleich führt Maria Magdalena die Weisungjesu aus und verkündet den jüngern injoh 20,18 die Osterbotschaft mit den Worten: 'EWpttKtt tOV KUpLOV. Damit spricht sie das eigentliche christologische Bekenntnis aus und bezeugt jesus als den auferstandenen Herrn. 59 Das Besondere an diesem Bekenntnis besteht darin, dass es zwar streng genommen außerhalb des Dialogs zwischen jesus und Maria Magdalena liegt, aber doch so eng mit dem vorangehenden Dialog verbunden ist und deshalb auch, zumindest im weiteren Sinne, zu ihm gehört. Beim Dialog zwischen jesus und der Samaritanerin in joh 4,7-26 lassen sich sehr schön die verschiedenen Stationen der Wissensvermittlung aufzeigen. Injoh 4,19 kommt die s~aritanische Frau zu der Einsicht, dassjesus ein Prophet ist und injoh 4,25, in ihrer letzten Äußerung unmittelbar vor dem Ende des Dialogs, spricht sie ihr religiöses Wissen über das Kommen des Messias aus. Allerdings bezieht sie es nicht direkt auf jesus, sondern formuliert es allgemein ohne konkrete Zuweisung an eine bestimmte Person und Zeit, weil sie noch nicht zur vollen christologischen Erkenntnis gelangt ist. Anstelle eines persön57 58
59
In dem einen Wort fallen somit Erkenntnis und Bekenntnis zusammen. Bei "Rabbuni" handelt es sich für sich genommen nicht um einen christologischen Hoheitstitel, sondern um eine Anrede, die jedoch hier durch ihren Kontext Bekenntnischarakter verliehen bekommt. Mit dem Kyriostitel in Joh 20,18 liegt nunmehr eindeutig eine christologische Hoheitsbezeichnung vor.
342
Theologischer Ertrag
lichen Bekenntnisses zu Jesus im Stil eines au EL wie beispielsweise in Joh 1,49 oder Joh 11,27 kommt es deshalb in Joh 4;25 nur zu einer unpersönlichen und in die Zukunft gerichteten Glaubensaussage der Samaritanerin, die Jesus durch seine anschließende Selbstoffenbarung auf seine eigene Person bezieht und damit in die Gegenwart vor verlagert. Mit dem wissensvermittelnden Wort Jesu in Joh 4,26 kommt der Dialog zwischen Jesus und der Samaritanerin als solcher zu seinem Abschluss. Von einer direkten verbalen Reaktion der Frau auf die· Selbstoffenbarung Jesu wird nichts berichtet; somit gibt es kein christologisches Bekenntnis innerhalb des Dialogs. Stattdessen hat der Dialog unmittelbare Auswirkungen auf den weiteren Fortgang der Erzählung. Nach der Selbstoffenbarung Jesu geht die Samaritanerin zu ihren Landsleuten und spricht ihnen gegenüber inJoh 4,29 ein Schwellenbekenntnis zu Jesus aus. Sein wunderbares Wissen verleitet die Samaritanerin zu der vorsichtigen Vermutung60, dass es sich beiJesus um den Messias handeln könnte. Ungeachtet dieser unsicheren Erkenntnis kommen lautJoh 4,39 auf das Wort der Frau hin viele Samaritaner zum Glauben an Jesus. Noch mehr Menschen werden allerdings durch die direkte und unmittelbare Begegnung mit Jesus und seinem Wort zur christologischen Erkenntnis geführt und wissen nunmehr: oU'tOC; ea-rLv IXATJ9wC; (, aw'ti]p 'tOU KOaiJ.Ou. Auf dieses universale Bekenntnis in Joh 4,42, das bezeichnenderweise nicht von der Samaritanerin als der Dialogpartnerin Jesu allein ausgesprochen wird, sondern von all den Samaritanern, die zum Glauben an Jesus kommen 61 , läuft das gesamte Kapitel Joh 4 zielgerichtet hinaus und erreicht mit ihm seinen abschließenden Höhepunkt. Von daher erklärt es sich, dass der Dialog zwischen Jesus und der Samaritanerin kein christologisches Bekenntnis enthält. Eine Doppelung würde das universale Bekenntnis in Joh 4,42 nur abschwächen und in seiner Bedeutung relativieren; so steht es allein und exponiert am Ende der Erzählung. Zusammenfassend lassen sich folgende Beobachtungen hinsichtlich des Abschlusses und der Auswirkungen der Dialoge Jesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium machen: Während der Dialog Jesu mit Martha inJoh 11,27 mit einem christologischen Spitzenbekenntnis endet, enthält der Dialog Jesu mit der Samaritanerin in Joh 4 überhaupt kein christologisches Bekenntnis; dieses wird erst ganz am Ende 60 61
Vgl. die Frageform des Schwellenbekenntnisses inJoh 4,29. Das inhaltlich universal ausgerichtete Bekenntnis inJoh 4,42 bekommt dadurch, dass es nicht von einer einzigen Person, sondern von mehreren Menschen geäußert wird, einen noch umfassenderen Charakter.
Vergleich der Dialoge
343
der Erzählung von den Samaritanern und nicht von der Samaritanerin als der DialogpartnerinJesu ausgesprochen. Auch inJoh 20 findet sich das eigentliche christologische Bekenntnis nicht innerhalb des Dialogs zwischen Jesus und Maria Magdalena, sondern im Anschluss daran als unmittelbare Auswirkung des Dialogs auf die fortlaufende Erzählung. In beiden Fällen gehört das Bekenntnis unabdingbar zum jeweiligen Dialog; dadurch kommt er erst zu seinem eigentlichen Abschluss. Am Ende des Dialogs zwischen Jesus und dem Geheilten in Joh 9,38 liegt der Sonderfall vor, dass das verbale Bekenntnis des Geheilten von ihm nonverbal bestätigt und bekräftigt wird. Die beiden Dialoge zwischen Jesus und Nathanael inJoh 1 und zwischenJesus und Thomas inJoh 20 lassen die Gemeinsamkeit erkennen, dass abschließend jeweils auf das christologische Doppelbekenntnis des Nathanael bzw. des Thomas ein zweifaches WortJesu folgt, das sich zunächst an den jeweiligen Dialogpartner und sodann an die Leser bzw. Hörer des Johannesevangeliums richtet. Aufgrund dieser Beobachtung lässt sich vermuten, dass der Johannesevangelist den ersten und den letzen Dialog Jesu mit einer Einzelperson in seinem Evangelium in analoger Weise aufgebaut und gestaltet hat. Neben diesen beiden Dialogen am Anfang und am Ende des Johannesevangeliums enthält nur noch der Dialog zwischen Jesus und Maria Magdalena in der Buchmitte ein christologisches Doppelbekenntnis. Auch diese Anordnung ist m. E. kein Produkt des Zufalls, sondern verdankt sich der bewussten Komposition des vierten Evangelisten. An den neuralgischen Punkten seiner Schrift, am Anfang, in der Mitte und am Ende, setzt Johannes deutliche christologische Akzente und baut in den Bekenntnissen jeweils zwei seiner wichtigsten Hoheitstitel für Jesus ein. Damit unterstreicht er die christologische Ausrichtung seines Evangeliums. Jesus ist für ihn der Christus, der Sohn Gottes.
III. DER DIALOG ALS WEG DER WISSENSVERMITTLUNG Wie sehr sich auch die untersuchten Dialoge im Einzelnen voneinander unterscheiden hinsichtlich der Stellung im johannesevangelium, der Länge, der Dialogpartner, der Ausgangsbedingungen, der Eröffnung, des Verlaufes, des Abschlusses und des Zieles, so lässt sich bei ihnen doch durchgehend ein einheitliches Schema der Wissensvermittlung erkennen und festmachen l : Bei allen Dialogen ist es jesus, der seinem Gegenüber, entsprechend der jeweiligen Ausgangssituation, nach und nach ein bestimmtes christologisches Wissen vermittelt und ihn bzw. sie damit sukzessive zum Glauben an ihn führt. Der letzte Schritt auf diesem Weg zur christologischen Erkenntnis erfolgt jeweils durch die Selbstoffenbarung jesu. Durch sie macht jesus seinem Gegenüber unmissverständlich klar, wer er ist und worin die Bedeutung seiner Person liegt. Damit bekommt der Dialogpartner absolute Sicherheit über jesu Identität und gelangt so zu einer verlässlichen Erkenntnis. Diese soeben erworbene Erkenntnis behält er nicht für sich, sondern spricht sie offen in einem christologischen Bekenntnis aus und bezeugt damit den Glauben, zu dem er vonjesus selbst geführt wurde. Erkenntnis und Bekenntnis lauten demnach die beiden Schlüsselbegriffe zur Charakterisierung der Dialoge 1
In dieser Arbeit wird bewusst auf die Bezeichnung "Mystagogie", wie sie beispielsweise von Meyer als Perspektive von Textauslegung veIWendet wird (vgl. A. MEYER, Mystagogie 2-19) bzw. "mystagogische Christologie" (vgl. K. SCHOLTISSEK, Christologie 412-426) verzichtet, weil sie für die johanneischen Dialoge m. E. nicht nur ungeeignet, sondern auch aus folgenden Gründen ziemlich problematisch ist: Der Begriff "Mystagogie" kommt im gesamten Neuen Testament und damit auch im Johannesevangelium nicht vor, sondern "wird von außen in die Exegese eingetragen. Sein ursprünglicher Sitz im Leben sind die hellenistisch-römischen Mysterienkulte, bei denen Mysten durch die Führung eines Mystagogen nach und nach in die Geheimnisse des Kultes eingeweiht werden und somit Anteil am göttlichen Leben erhalten. Nun istJesus Christus nicht irgendein Mystagoge (gegen A. MEYER, Mystagogie 347), der unter Wahrung der Arkandisziplin irgendwelche kultischen Geheimnisse lüftet, sondern lautJoh 1,18 der einzige Offenbarer Gottes, der seine Dialogpartner in der öffentlichen Begegnung mit ihm zur Erkenntnis seiner Person und zum christologischen Bekenntnis führt. Auch der christliche Kontext des Begriffs "Mystagogie", die frühkirchliche Sakramentenkatechese, v. a. bei der Taufe, lässt sich nicht auf das Johannesevangelium übertragen, geht es doch beim vierten Evangelium allgemein (es ist kein Missionsevangelium) und speziell bei den johanneischen Dialogen nicht darum, die Leser bzw. Hörer in den Glauben an Jesus Christus einzuführen (kein einziger der sechs Dialogpartner Jesu ist ein Heide!), sondern die bereits gläubigen Christen zu stärken, damit sie die Bedeutung der Person Jesu immer wieder neu erkennen und bekennen.
Der Dialog als Weg der Wissensvennittlung
345
jesu mit Einzelpersonen im johannesevangelium, stellen sie doch die beiden wichtigsten Etappen auf dem Weg der Wissensvermittlung dar. Dieser Weg der Wissensvermittlung wird vom johannesevangelisten in Dialogform beschrieben. Nunmehr gilt es die entscheidende Frage zu beantworten, warum der vierte Evangelist hierfür gerade auf den Dialog und nicht auf andere Formen narrativer Gestaltung wie beispielsweise eine monologartige Rede zurückgreift. Föllinger legt in ihrem Aufsatz "Lehren im Gespräch: Der literarische Dialog als Medium antiker Wissensvermittlung" verschiedene Grunde dar, die ihrer Meinung nach die Wahl der Dialogform für Wissensvermittlung in der Antike veranlasst haben. 2 Als ersten und wichtigsten Grund führt sie an, dass der Dialog als Medium der Wissensvermittlung den Weg der Wissenserschließung reproduziert. 3 Im Gegensatz zum systematischen Lehrvortrag bekommt der Rezipient ein bestimmtes Wissen nicht einfach vorgesetzt, sondern er hat die Möglichkeit, den Weg der Wissensvermittlung selbst mitzugehen und so Stück für Stück als einer, der in den Denkprozess involviert ist, zur Erkenntnis zu gelangen; auf diese Weise kann er das erworbene Wissen eigenständig nachvollziehen und auch gegenüber Außenstehenden argumentativ vertreten. Diese Hauptthese Föllingers bildete den Ausgangspunkt meiner Untersuchung und wurde auf die wissensvermittelnden Dialoge jesu mit Einzelpersonen im johannesevangelium angewendet. Nach der exegetischen Analyse der einzelnen Dialoge lässt sich nunmehr zusammenfassend feststellen: Der johannesevangelist wählt bewusst die Form des Dialogs, weil er damit den Weg der christologischen Wissensvermittlung literarisch aufzeigen und darstellen kann. Die Erkenntnis, zu der Nathanael, die Samaritanerin, der Blindgeborene, Martha, Maria Magdalena und Thomas kommen, und das Bekenntnis, das sie jeweils aussprechen, werden von ihm nicht "theoretisch" in einem. Lehrvortrag jesu vorgestellt, sondern "praktisch" in einem Dialog entwickelt. Diese Darstellungsweise hat für den Leser bzw. Hörer des johannesevangeliums den unschätzbaren Vorteil, dass er ein bestimmtes Glaubenswissen nicht einfach dogmatisch aufoktroyiert bekommt und damit möglicherweise theologisch vor den Kopf gestoßen wird, sondern dass er den Weg dorthin selbst mitgehen und somit auch nachvollziehen kann. Laut Hösle liegt es im Wesen des Dialogs begründet, dass er von Lesern rezipiert werden will. 4 Durch die Rezeption des Textes wird der Leser in den Dialog hinein genommen und in das Dialoggeschehen Vgl. S. FÖU.INGER. Lehren 458-463. Ebd. 458-460. 4 Vgl. V. HÖSLE. Dialog 418.
2 3
346
Theologischer Ertrag
verwickelt. 5 Wie sieht eine solche Verwicklung in den behandelten Textbeispielen konkret aus? Durch Imperative wie beispielsweise inJoh 4,7 und Joh 20,27 oder durch Prohibitive wie in Joh 20,17 gelingt es dem Johannesevangelisten, seine Leser bzw. Hörer direkt anzusprechen. Der Leser bzw. Hörer bleibt damit kein unbeteiligter Zuschauer des Dialoggeschehens, sondern wird durch diesen einfachen Kunstgriff unmittelbar in den Dialog einbezogen und zum aktiven Handeln herausgefordert, bekommt er doch das Gefühl vermittelt, dass sich die Aufforderung im Text an seine Adresse richtet und er den Auftrag ausführen soll. Die Verheißungen, wie sie z. B. in Joh 1,50f., Joh 11,23 undJoh 20,29 vom johanneischen Jesus ausgesprochen werden, richten sich nicht nur an den jeweiligen Dialogpartner Jesu, sondern über diesen hinaus an den Rezipienten des Textes. Durch die Verwendung der zweiten Person Plural in Joh 1,51 wird der Leser bzw. Hörer sogar direkt angesprochen und avanciert damit textpragmatisch zum unmittelbaren Empfänger der Verheißung; das, was hier verheißen wird, soll sich bei ihm selbst erfüllen. Durch solche großen und positiven Verheißungen hat der vierte Evangelist den Rezipienten des Textes schnell für sich und den Text eingenommen und verwickelt ihn in den gesamten Dialog. Mit den Fragen, die Jesus beispielsweise in Joh 9,35 oder in Joh 11,26 an seine jeweiligen Dialogpartner stellt, wendet sich der Johannesevangelist über die reine Textebene hinaus, an die Leser bzw. Hörer seines Evangeliums. Diese werden insofern in den Dialogprozess involviert, als auch und gerade von ihnen eine Antwort auf die Fragen Jesu erwartet wird. Sie haben demnach gar nicht die Möglichkeit, sich dem Dialoggeschehen zu entziehen, sondern werden durch das dialogische Frage-Antwort-Schema fest in den Text eingebunden und sind zu einer klaren Stellungnahme herausgefordert. Neben diesen sprachlichen Möglichkeiten, den Leser in den Dialog zu verwickeln, bieten sich hierfür auch und geradezu die Personen des Textes selbst an. Der Rezipient der johanneischen Dialoge soll sich in ihnen wieder finden und in der Situation der Dialogpartner Jesu seine eigene existentielle Lebenslage erkennen, so dass die Dialogpartner Jesu für ihn zu Identifikationsfiguren werden. Mit dem Blindgeborenen inJoh 9,1-41, der aufgrund seines mutigen Zeugnisses für Jesus in Schwierigkeiten mit der jüdischen Autorität gerät, können sich die jahanneischen Christen wohl problemlos identifizieren, spiegelt sich doch in ihm ihr eigenes Schicksal wider. Trotz aller äußeren Schwie5
Vgl. den Titel der Untersuchung von D. F. GNIESMER: In den Prozeß verwickelt. Erzähltextanalytische und textpragmatische Erwägungen zur Erzählung vom Prozeß Jesu vor Pilatus (Joh 18,28-19,16a.b).
Der Dialog als Weg der Wissensvennittlung
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rigkeiten - die Pharisäer verhören ihn und machen ihm den Prozess 6 lässt er sich von Jesus die Augen öffnen und kommt zum Glauben an ihn. Damit wird er für die Leser als Vorbild gezeichnet, dessen Beispiel zur Nachahmung einlädt. Zur Identifikationsfigur schlechthin wird Thomas in Joh 20,24-29 stilisiert. Mit den Bedingungen, die er in Joh 20,25 für seinen Glauben stellt, werden ihm vom Johannesevangelisten sympathische Züge verliehen, die die Rezipienten des Textes teilen und in denen sie sich wieder finden können. Wie die Bedingungen des Thomas von Jesus selbst in Joh 20,27 erfüllt werden, so werden durch die Identifikation mit dem Apostel die Glaubenszweifel der Leser ausgelöscht; diese bekommen vom Johannesevangelisten in Thomas eine positive Identifikationsfigur vor Augen geführt, deren Glaubensweg sie mitzugehen eingeladen sind. Lässt sich der Rezipient der johanneischen Dialoge auf dieses Angebot ein und lässt er sich vom vierten Evangelisten in den Dialog verwickeln, so wird er zusammen mit Thomas und den anderen Figuren auf der Textebene von Jesus zur Erkenntnis seiner Person geführt und kann dann mit ihnen einstimmen in ihr christologisches Bekenntnis. Der Glaubensweg der Personen auf der Textebene ist somit nichts anderes als ein Spiegel für die Leser bzw. Hörer des Johannesevangeliums, der ihnen ihren eigenen Glaubensweg vor Augen halten und sie durch die Vermittlung christologischen Wissens im Glauben bestärken und festigen soll. Die Adressaten des Johannesevangeliums müssen nicht erst zum christlichen Glauben bekehrt werden. Entgegen der vereinzelten Meinung einiger Forscher7 handelt es sich beim vierten Evangelium gerade nicht um eine missionarische Schrift. Dagegen sprechen laut Zumstein die johanneische Sprache in ihrer Symbolik und die das Evangelium prägende Ironie, die nur Gemeindemitglieder in ihrer Bedeutung erfassen können und die für Außenstehende vollkommen unverständlich bleibt,s Vielmehr hat der Johannesevangelist eine glaubende Gemeinde vor sich, deren Glaube allerdings aufgrund ihrer aktuellen geschichtlichen Situation geschwächt ist und erst wieder neu buchstabiert und belebt werden muss. Nach dem Ausschluss aus der jüdischen Synagoge9 und den damit verbundenen schmerzlichen Erfahrungen für die johanneische Gemeinde lo kommt es zu einer Glaubenskrise. Die johanGniesmer vergleicht Joh 9,1-41 mit der Prozesserzählung Jesus vor Pilatus in Joh 18,28-19,16a.b und weist auf viele Gemeinsamkeiten, aber auch auf Unterschiede beider Darstellungen hin, vgl. D. F. GNIESMER, Prozeß 382f. 7 So z. B. Bornhäuser, Okure, Robinson. S Vgl.J. ZUMSTEIN, Strategie 36. 9 Vgl.Joh 9,22; 12,42; 16,2. 10 Vgl. K. WENGST, Gemeinde 75-104. 6
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Theologischer Ertrag
neischen Christen, von ihrem jüdischen Umfeld als "Ketzer"ll verachtet und dementsprechend in religiöser, aber auch in sozialer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht isoliert, müssen einerseits den Bruch mit der Synagoge verarbeiten und andererseits eine neue Identität entwickeln, um unter den neuen Voraussetzungen als eigenständige Gemeinde überleben und weiterexistieren zu können. Vor dem Hintergrund dieser schwierigen, für die Gemeinde existentiellen Situation verfasst Johannes sein Evangelium mit dem Ziel, "den Glauben der Glaubenden zu wecken"12. Auf den ersten Blick erscheint diese Formulierung von Zumstein paradox, doch in der Sache trifft sie wohl genau die Intention des vierten Evangelisten. Johannes geht es mit seiner Schrift darum, den von Abschwächung bis hin zu Verfall 13 bedrohten Glauben seiner Gemeinde zu retten, indem er ihn neu zu wecken versucht und damit die christliche Identität seiner Adressaten wieder stärkt. Den Glauben der Glaubenden wecken meint also in diesemjohanneischen Kontext nicht, einen neuen Glauben angesichts der neuen Gemeindesituation zu entfachen, sondern den bereits vorhandenen Glauben zu vertiefen und vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderungen die johanneischen Christen in ihrem Glauben zu festigen. Zumstein spricht in diesem Zusammenhang von der ,Johanneische[n] Strategie des Glaubens"14 und führt mehrere Beispiele an, die die Absicht des Johannesevangelisten aufzeigen, seine Leser von einem elementaren hin zu einem vertieften Glauben zu führen. Bereits der Prolog am Anfang des Evangeliums stellt für Zumstein ein "markantes Beispiel der joh Strategie des Glaubens"ls dar, gelangt doch der Leser vom ersten Abschnitt in Joh 1,5-13 zum zweiten Abschnitt in Joh 1,14-18 zu einem vertieften Glauben, insofern er durch den Numeruswechsel von der dritten zur ersten Person und durch die Identifikation des Logos mit der Person Jesu Christi in Jesus Christus den präexistenten und inkarnierten Logos erkennt und dadurch zur Fülle des Heiles kommt. Innerhalb der narratio des Johannesevangeliums macht Zumstein folgende drei Beispiele für die johanneische Strategie des Glaubens aus: 11
Ebd.lOl.
12 So J. Zumstein, Strategie 36 (im Original auch kursiv gedruckt). 13 Es ist wohl davon auszugehen, dass sich die Zahl der johanneischen Christen in dieser 14 15
bedrohlichen und bedrängenden Zeit verringert hat; allerdings gibt es hierfür keine Belege. So J. ZUMSTEIN, Strategie 37; vgl. auch den Titel seines Aufsatzes .Das johannesevangelium: Eine Strategie des Glaubens·. Ebd.
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Das ZeugnisJohannes des Täufers wird vom ersten Tag inJoh 1,1928 zum zweiten Tag in Joh 1,29-34 dahingehend gesteigert, dass der Leser vom synoptischen zum johanneischen Zeugnis vordringt und schließlich erfährt, dass Jesus der Sohn Gottes ist. Ein weiteres Beispiel für die johanneische Stufenhermeneutik16 findet sich in den johanneischen Berufungsgeschichten in Joh 1,35-51. Die Jesus nachfolgenden Jünger bekennen ihn mit den klassischen christologischen Titeln (Messias inJoh 1,41; Sohn Gottes und König von Israel inJoh 1,49), die laut Zumstein nur eine erste Stufe auf ihrem Glaubensweg darstellen; mit der Verheißung von Größerem in Joh 1,50 und mit dem Offenbarungswort Jesu in Joh 1,51 werden die Jünger von ihrem elementaren hin zu einem vertieften Glauben geführt, der sie Jesus in seiner ständigen Verbindung zum Vater erkennen lässt. Als drittes Beispiel weist Zumstein auf die verschiedenen Stufen des Glaubens im Gespräch zwischen Jesus und Nikodemus hin, der in Jesus zunächst einen von Gott gesandten Lehrer sieht17 und sodann vonJesus zur Erkenntnis der irdischen und der himmlischen Dinge und somit zu einem vertieften Glauben geführt wird. 18 In die Reihe dieser Beispiele lassen sich hervorragend die im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Dialoge Jesu mit Einzelpersonen im Johannesevangelium einordnen. Gemäß seiner Strategie des Glaubens führt der Johannesevangelist die Dialogpartner Jesu auf der Textebene und mit ihnen seine Leser von einem elementaren zu einem vertieften Glauben. Durch die Wissensvermittlung im Dialog schreiten sie stufenweise in der Erkenntnis Jesu voran und sprechen schließlich ein christologisches Bekenntnis als verbalen Beweis ihres nunmehr gefestigten Glaubens aus. Die Dialogform begünstigt es für den Rezipienten, den Weg dorthin mitzuverfolgen und mitzugehen, um selbst zu einer tieferen christologischen Erkenntnis zu gelangen und in das abschließende Bekenntnis einzustimmen. Dadurch, dass der Leser mit in den Dialog hinein genommen und in den Dialog verwickelt wird, bekommt er vom vierten Evangelisten kein fertiges Glaubenswissen vorgesetzt, das er nur anzunehmen und in einem reinen Lippenbekenntnis zu wiederholen bTäuchte; vielmehr ist er aktiv herausgefordert, den Weg
16
17 18
Diesen Begriff entlehnt Zumstein von Theißen und verankert ihn in seinem Konzept von der johanneischen Strategie des Glaubens, wird doch der Leser des johannesevangeliums in verschiedenen Stufen von einem elementaren hin zu einem vertieften Glauben geführt. Vgl.joh 3,2. Vgl. zu den skizzierten Textbeispielenj. ZUMSTElN, Strategie 37-40.
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Theologischer Ertrag
der Wissensvermittlung im Dialog zu reproduzieren und damit eigenständig zu einem vertieften Glauben zu kommen. Genau darum geht es dem Johannesevangelisten, seine Leser zu einem mündigen Glauben 19 zu führen. Vor dem Hintergrund der Umbruchsituation der johanneischen Gemeinde mit den daraus resultierenden bedrängenden und schmerzlichen Erfahrungen der Christen, bedarf es für den vierten Evangelisten eines solChen reifen und erwachsenen Glaubens, der den aktuellen Herausforderungen gewachsen ist und sie bewältigen kann. Die johanneischen Christen brauchen in ihrer bedrohten Lage einen starken Glauben, der ihnen nach innen ihre eigene Identität vermittelt und sie nach außen als Gemeinde eint. Auch für die heutigen Christen ist es unverzichtbar, dass sie in Zeiten des gesellschaftlichen Wandels und der Anfeindung von außen immer wieder neu in ihrem Glauben gefestigt werden und auf dieser Basis ihr Leben verantwortet gestalten können. Mit dem Dialog als Weg der christologischen Wissensvermittlung gelingt es dem Johannesevangelisten, seine Leser damals wie heute zu einem mündigen Glauben zu führen und sie in ihrer christlichen Identität zu bestärken. 20 In der Erkenntnis der Person Jesu und im christologischen Bekenntnis sind ihnen zwei grundlegende Momente einer gereiften christlichen Existenz gegeben, die esjedoch, will der Glaube lebendig sein und bleiben, immer wieder neu zu entdecken und im Leben zu verwirklichen gilt.
19 20
Vgl. den Titel des Aufsatzes von K SCHOLTISSEK: "Mündiger Glaube. Zur Architektur und Pragmatikjohanneischer Begegnungsgeschichten:Joh 5 undJoh 9". Vgl. K SCHOLTISSEK, Glaube 103-105.
IV. THEOLOGISCHE KOMMUNIKATION UND KOMMUNIKATIVE THEOLOGIE "Was ist Kommunikation?" Zu Beginn dieser Untersuchung habe ich diese Frage gestellt und darauf hingewiesen, dass es aufgrund der Komplexität des Phänomens nicht möglich ist, eine umfassende Antwort darauf zu geben. Am Ende dieser exegetischen Studie will ich nunmehr eine fachspezifische Eingrenzung vornehmen und nach dem Verhältnis von Theologie und Kommunikation fragen. Haben beide Bereiche überhaupt etwas miteinander zu tun? Wenn ja, wie verhalten sich Theologie und Kommunikation zueinander? "Man kann nicht nicht kommunizieren." Diese eingangs zitierte metakommunikative Aussage von Watzlawick hat allgemeingültigen Charakter und gilt demzufolge als Axiom auch für die Theologie. In der Theologie kann man nicht nicht kommunizieren, oder positiv formuliert: In der Theologie muss man kommunizieren. Wenn Professoren eine Vorlesung oder einen Vortrag halten, dann leiten sie ihr theologisches Fachwissen in einem Akt der Kommunikation an andere weiter. Wenn der Priester predigt, dann kommuniziert er mit den Gläubigen über theologische Themen und Inhalte. Wenn sich Christen beim Bibelkreis über ihren Glauben unterhalten, dann betreiben sie eine theologische Kommunikation. Diese drei Beispiele sollen verdeutlichen, dass sich Theologie und Kommunikation nicht gegenseitig ausschließen, sondern dass sie sich vielmehr bedingen und in einer engen Wechselwirkung zueinander stehen. Dabei ist es jedoch keineswegs so, dass die Kommunikation als "Magd der Theologie" fungiert und lediglich dazu dient, die Inhalte der Theologie zu transportieren und medial weiterzuvermitteln. Gegen dieses Missverständnis von Kommunikation als Anwendung der Theologie wenden sich Scharer und Hilberath und weisen mit ihrem Ansatz der Kommunikativen Theologie darauf hin, dass die Theologie selbst ein kommunikatives Geschehen ist und von ihrem Wesen her auf Kommunikation ausgerichtet ist: "Theologie ist nicht ,etwas', das dann auch kommuniziert werden kann; Kommunikation ist vielmehr zentraler Inhalt der Theologie. Kommunikation ist also weder etwas, was als Anwendung zur Theologie hinzukommt, noch ein Ersatz für das, was ,eigentlich' Theologie sein soll. Theologie ist selbst ein
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Theologischer Ertrag
kommunikatives Geschehen, und wenn sie dies nicht mehr ist, hört sie auf, Theologie zu sein. "1 In der Bezeichnung "Tpeo-Iogie" ist bereits der kommunikative Aspekt von Theologie grundgelegt; als "Rede von Gott" hat sie von sich aus kommunikativen Charakter und muss sich in Kommunikation vollziehen, will sie ihrem eigenen Wesen treu bleiben und authentische Theologie sein. Wenn Scharer und Hilberath ihren Ansatz als "Kommunikative Theologie" bezeichnen, so handelt es sich hierbei nicht um eine überflüssige Verdoppelung, sondern um eine bewusste Verdeutlichung. Mit dem Adjektiv "kommunikativ" betonen sie den kommunikativen Aspekt von Theologie und bringen damit dezidiert zum Ausdruck, dass es sich bei der Theologie um ein umfassendes I}ommunikationsgeschehen handelt, das in und aus lebendigen Kommunikationsprozessen besteht. 2 Diese Auffassung von Theologie als einem kommunikativen Prozess lässt sich in eindrücklicher Weise am Johannesevangelium aufzeigen. Im Vergleich zu den Synoptikern zeichnet sich der vierte Evangelist dadurch aus, dass er Theologie in kommunikativer Form betreibt und sein Evangelium als Kommunikationsprozess anlegt, das den Glauben zu reflektieren und zu vermitteln versucht. 3 Sein Werk kann zu Recht als "Evangelium kommunikativer Theologie" bezeichnet werden, geht es doch dem Johannesevangelisten darum, in eine theologische Kommunikation mit seiner Gemeinde einzutreten und auf diese Weise den johanneischen Christen seine Theologie kommunikativ zu entfalten. Das Paradebeispiel kommunikativer Theologie im Johannesevangelium stellen IIi. E. die Dialoge Jesu mit Einzelpersonen dar. An ihnen zeigt sich besonders deutlich, dass Theologie für den Johannesevangelisten kein theoretisches und einseitiges Unterfangen am Schreibtisch in der Studierstube, sondern einen lebendigen und wechselseitigen Prozess in der kommunikativen Begegnung zwischen Jesus und den Menschen darstellt. In diesen Dialogen führt der johanneische Jesus eine theologische Kommunikation mit seinem jeweiligen Gegenüber und vermittelt dabei ein bestimmtes christologisches Wissen, bis der Dialogpartner zur Erkenntnis Jesu kommt und diese Erkenntnis in einem Bekenntnis offen ausspricht. Theologie etweist sich hier im wahrsten Sinn des Wortes als ein kommunikatives Geschehen. Allein schon durch die Gattung "Dialog" kommt zum Ausdruck, dass Theologie bei den Dialogen Jesu mit Einzelpersonen im Johannes1
2 3
So M. SCHARER/B.J. HILBERATH, Theologie 17. Vgl. ebd. 15-17. Vgl.Joh 20,31.
Theologische Kommunikation und Kommunikative Theologie
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evangelium in und aus Kommunikation geschieht. Der Johannesevangelist schreibt nicht etwa über die Dialoge Jesu mit diversen Einzelpersonen, beispielsweise in Form eines narrativen Berichts in indirekter Rede, sondern er verfasst als bewusstes Gestaltungsmerkmal seiner Theologie Dialoge mit Rede und Gegenrede in wörtlicher Rede und schafft damit eine lebendige Kommunikation, die sich auf verschiedenen Ebenen abspielt. Auf der Textebene lässt der vierte Evangelist seinen Jesus in eine theologische Kommunikation mit seinem jeweiligen Dialogpartner eintreten. Nathanael, die Samaritanerin, der Blindgeborene, Martha, Maria Magdalena und Thomas bekommen nicht einfach ein bestimmtes christologisches Wissen durch einen dogmatischen Lehrakt vorgesetzt, sondern dieses wird ihnen von Jesus selbst in einem dialogischen Prozess vermittelt. Der johanneische Jesus geht auf die Fragen4, Missverständnisses, Bedingungen6 und sonstigen Äußerungen seiner Dialogpartner ein; er betreibt mit dieser theologischen Kommunikation kommunikative Theologie und führt sein jeweiliges Gegenüber schließlich zum Glauben an seine eigene Person. Über die Textebene hinaus kommuniziert der Johannesevangelist mit seinen Lesern, mit den damaligen vor knapp 2000 Jahren sowie mit den heutigen in der Gegenwart. Mit dem Dialog als literarischem Kunstgriff gelingt es dem vierten Evangelisten, seine Leser in den Kommunikationsprozess auf der Textebene einzubinden und sie mitzunehmen auf den Weg der Wissensvermittlung, der sie zusammen mit den Figuren auf der Textebene in einem Akt kommunikativer Theologie zur Erkenntnis der Person Jesu und zum christologischen Bekenntnis führt. Durch die Rezeption des Textes werden die Leser selbst zu Dialogpartnern Jesu und bekommen von ihm direkt Schritt für Schritt den christlichen Glauben kommuniziert. Dieser erweist sich somit nicht als ein fertiges Produkt; er entsteht vielmehr in einem wechselseitigen Prozess von Theologie und Kommunikation und zeichnet sich dadurch als lebendig aus, dass er nie abgeschlossen ist und sich ständig zu erneuern hat. Wenn durch die Reproduktion und Verinnerlichung der christologischen Wissensvermittlung in den johanneischen Dialogen bei den Rezipienten ein mündiger und verantworteter Glaube erwächst, dann kann er die Menschen damals wie heute in ihrer jeweils existentiellen Lebenssituation bestärken und ermutigen. Aus der theologischen Kommunikation wird somit eine kommunikative 4 S 6
Vgl.Joh 1,48. Vgl.Joh 4,11-15. Vgl.Joh 20,27.
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Theologischer Ertrag
Theologie, deren Ziel darin besteht, den Glauben theologisch zu reflektieren und ihn kommunikativ zu vermitteln.
Quellen- und Literaturverzeichnis Die Abkürzungen richten sich nach S. SCHWERTNER, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete (IATG2 ), Berlin 21992. Darüber hinaus werden folgende Abkürzungen verwendet: ABG
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Register
I. BIBELSTELLENREGISTER (in Auswahl)
1. Altes Testament
Genesis
Psalmen
2,7 285,286 27,35f. 50 28,12 61,62
32,2 50,52
Exodus
Weisheit 15,11 285
3,14 193
Jesaja
Deuteronomium
43,IOf. 118, 193 44,6 56
18,15 106, 107 18,18 106, 107, 116 1 Könige 17,21 285
2 Könige 17,24ff. 104
1 Makkabäer 9,7 191
Ezechiel 37,9 285
Daniel 12,2 191
Zefanja 3,15 56
378
Register
2. Neues Testament
Matthäus 2;2 109
16,17f. 37 16,19 286,287 18,18 287 26,64 60,61 28,9 109,242,249,267 28,10 243,249,266
1,29 31,130 1,33 286 1,34 54,209 1,35 30, 31, 33, 34, 64 1,37 34 1,38 34,35,254,263 1,39 35 1,40 36 1,41 37, 41, 44, 47,55, 116, 207,208
Markus
2,14 5,24 8,31 16,2 16,4 16,7
44 182 157 239,246 239 266
Lukas
209,338,339,342
7,39 107
10,39 16,20 17,11 24,12 24,24 24,36 24,40
1,42 37, 49, 261 1,43 33,38,40,41,44,47 1,44 38 1,45 39, 46, 55, 64, 209, 327 1,46 39, 46, 65, 327 1,47 46, 49, 50-52, 66, 332, 334 1,48 47-49,51,53,54,58, 334 1,49 47, 48, 52, 53, 55, 56, 66,
185 184 82 239, 240, 244 239, 240, 244 294 295
24,52 109
Johannes 1,1 310 1,17 207 1,18 310
1,19 31 1,20 117 1,26 255
1,50 56-58, 67,338,339,349 1,51 32, 40, 43, 45, 47, 48, 50,. 57-64, 67, 68, 339, 346, 349 2,1 32, 38, 45 2,4 110
2,9 96 3,11 21 3,13 268 3,14 157 3,17 130,131 3,22 80,81 4,1 80,81 4,4 81,82 4,5 82 4,6 96, 97, 326 4,7 83,88-90, 122,214,325, 326, 332, 346 4,8 88
379
Bibelstellenregister
4,9 4,10 4,11 4,12 4,13
88, 90-92, 135 86,93-95,132 95,96, 132 97,135 97
4,14 97-100 4,15 100 4,16 89, 102, 103 4,17 103 4,18 104 4,19 86, 105, 106, 117, 135,
214, 335, 341 4,20 108, 109 4,21 110,111,113 4,22 89, 111-113 4,23 113, 114, 116 4,24 114, 116 4,25 86,115-117, 133, 135, 207,335,341,342
4,26 87, 117-121, 123, 133, 134, 162, 163,335,342 4,27 120 4,29 120, 121, 208, 335, 342
4,31 122 4,34 122, 4,35 123 4,37 123 4,38 123, 4,39 107, 4,40 125 4,41 125 4,42 126, 342
123
285 124, 342
128-131, 135, 335,
6,20 6,35 6,38 6,51 6,62
193 194, 196, 197, 200 268 98 268
6,69 205
7,39 286 8,12 138, 150, 194, 196, 197 8,24 193 8,28 193 8,58 193 8,59 138 9,1 137, 141,325,326 9,3 150 9,4 139, 150 9,5 150 9,6 141,143 9,7 141, 145, 150 9,11 167 9,14 145 9,17 168,329 9,18 145 9,22 143,144,171 9,24 145, 149 9,28 149 9,33 168 9,34 149 9,35 151-154, 159, 160, 165, 168,326,332,335,346 9,36 153, 160, 161,335 9,37 162, 163, 166,335 9,38 163-166, 169,340,343 9,39 164, 165
4,48 290, 291
10,1
5,14 152 5,15 272 5,24ff. 113, 198 5,28 113 6,5 38 6,8 36,288
10,7 194, 196 10,9 194 10,11 194, 196, 197 10,14 194
140
10,19 140 10,21 140
6,14 106 6,15 109
11,1 183, 184-186 11,2 179, 180
380 11,3 327 11,6 179, 182, 289 11,7 179 11,9f. 139 11,16 296 11,18 186 11,20 330,333 11,21 186-188, 214,333 11,22 186, 188, 189, 215 11,23 186,189, 190,215,336 11,24 187,190-192, 198,215 11,25 180,191,192,194,196202, 206, 207, 215, 217, 219 11,26 98,200-202,204,206, 217,219 11,27 54, 188, 203-206,208214, 216, 219, 308, 311, 339, 340,342 11,32 185, 188 11,33 188 11,38 179 11,39 181, 182 11,44 184 12,21 38 12,22 36 12,42 143, 171 13,17 312 13,19 193 13,23 288 14,5 289, 296 14,6 115, 194, 196, 197 l4,8f. 38,49 14,16 286 14,26 286 14,30 26 14,31 26 15,1 194, 196, 197 15,5 194, 196 15,26 286 16,2 143, 171 16,7 286 16,20 231
Register
17,18 285 18,1 26 18,5 193 18,6 193 18,8 193 19,25 226 19,26 110 19,34 295 19,40 224 19,41 224, 257 19,42 223, 224 20,1 223,225,227,234,236, 238,239,244-246,251,281 20,2 224, 232, 236, 237, 258, 275 20,3 229, 237 20,4 229, 237 20,5 234 20,7 .234 20,8 230,235,237,273,298 20,9 237 20,10 240 20,11 225, 230, 231, 233, 236, 237, 240, 250 20,12 231, 234, 237 20,13 110, 224, 231, 232, 238, 241, 249, 250, 251, 253, 258, 264, 275, 330, 332 20,14 233, 234, 238, 241, 243, 250,251,253,262,267 20,15 34, 110,224,249,252259, 262, 272, 276, 332, 333 20,16 225,238,241,250-252, 259-265,272,341 20,17 238,242, 243, 252, 265271,274,277,341,346 20,18 225,233,235,238,241, 243, 252, 258, 265, 271, 272, 274, 284, 295, 309, 341 20,19 225,281-283,288,292, 294,295 20,20 282, 284, 295
381
Bibelstellenregister
284 285, 286 286, 287
20,21 20,22 20,23 20,24
288-290, 296, 297, 299, 314,330,336 20,25 272, 282, 291, 297, 300306, 315, 327, 331, 333, 336,
347 20,26 281, 282, 291, 292, 297-
9,1 272 14,25 109 15,5 293 2 Korinther
9,15 94
Epheser
300
20,27 282, 292, 298, 300-306, 315,316,333,337,346,347 20,28 289, 297, 300, 301, 305311,316,339 20,29 298-303,306,310-317, 339 20,30f. 26, 54,207, 210-213, 339,340
Apostelgeschichte 2,38 8,20 10,25 20,7
1 Korinther
94 94
3,7 94 4,7 94
Philipper 3,20 127 1 Johannes
1,5 4,8 4,14 4,16
114 114 127 114, 202
109
292
Römer 5,15 94
Offenbarung
1,10 292
382
Register
11. STICHWORTREGISTER (in Auswahl)
Abschiedsrede(n) 26,322 Anagnorisis 259,260 Anbetung/Proskynese 80, 89, 109-111, 113, 114, 117, 142, 165, 166, 169,340 Angelophanie 60,232,241, 242,244,250,253
Apokalyptik 157 Auferstandener 225,231,234, 238, 242, 243, 246, 249, 251, 253, 259, 265, 272,281-316, 327, 330, 333, 337 Auferstehung/Auferweckung 157, 176, 177, 180, 182, 187, 190, 192, 197-201,203, 204, 207,210-212, 215, 217, 219, 224,230,231,241,269,270, 273, 277, 278, 280, 286, 289, 293-294, 303, 304 Aufstieg 243, 250, 266-269,
271,277 Bekenntnis 23, 28, 39, 47, 5254, 60, 65, 66, 103, 108, 110, 121, 124, 126, 129, 132-134, 148, 149, 163, 164, 166, 167, 169, 170, 172, 173, 187,204206, 209, 211-214, 216, 218220, 264, 274, 289, 293, 301, 307-311,316,324,338,340-
344, 349-353 Berufung 30-33, 36, 37, 42, 44, 64, 65, 261, 333, 349 Bethanien 183-185 Christologie 28, 62, 118, 122, 128, 131, 150, 158, 194, 195, 198, 200, 210, 212, 213, 216; 219, 220, 268, 310
Christophanie 118,232,241243, 246, 249-251, 253, 271 Dialog 9-16, 19-24, 27-30,39, 46-50, 53, 66, 85-91, 108110, 119-122, 124, 134, 135, 137, 141, 148, 149, 151-153, 160, 162-165, 173, 180, 181, 183, 185,205, 212, 214, 218, 219,223,233,244,251-262, 275-278,280,293,300-302, 306, 307, 315, 317-35,3
Diasporajudentum 194 Einzelperson 245,297,319342, 345, 349, 352 Engel 59-64, 67, 231-234, 237, 238,240,242,249,253,254,
266,272 Epilog 20, 26, 207, 208, 211213, 219, 338 Erhöhung 63, 111, 157-159, 162, 269, 304 Erkenntnis 23,28,39,65, 66, 86, 87, 93, 99, 100, 103, 105, 107, 108, 115, 116, 119, 120, 126, 129, 132-134, 143, 154, 167, 169, 170, 172, 173, 216, 246, 250, 253, 259-262, 276, 278,324,335-338,341-345, 349-353 Erscheinung 225, 230, 234, 238, 242, 245, 247, 249, 251, 266, 270, 281-283, 288, 290, 294, 296, 299, 327, 330, 337 Eschatologie 26, 101, 131, 157,191, 192, 198, 199,207, 210, 215, 271 Feigenbaum 51,52
Stichwortregister
Frieden 282-284, 292, 299, 300 Fußwaschung 26, 322 Galiläa 81 Garten 224 Geist/Paraklet 18, 80, 114, 115, 117,272,282,284-288 Gericht 130, 138, 150, 159, 160, 164, 170 Gespräch 8,9,83,84,326-328 Glaube 21-23,30,57, 65-6, 79, 103, 110, 119, 121, 124-126, 132, 133, 139, 142, 143, 148150, 152, 153, 160-162, 164168, 170, 172, 173, 187, 189191,201-206,209-220,230, 234-237, 248, 258, 270-273, 277, 280, 288-293, 297-317, 324-353 Glaubensweg 66 Glaubenszeugnis 53,56,121, 125 Gnosis 157 Grab 186, 223-240, 244-248, 257, 262, 275, 281 Heil 112, 199, 219 Heilung 141, 142, 147, 148, 167 Herr 105, 132, 161, 165, 187, 203, 204, 214, 232, 250, 258, 260,262,264,272,273,290, 301, 308, 309, 312, 315, 317, 339,341 Herrenmahl 292 Herrentag 292 Himmel 60-63, 67 Ich-bin-Wort 192-200,206 Identifikationsfigur 65, 119, 171-173,230, 246, 248,315, 325,340,346,347 Immanenz 123 Ironie 250, 255, 257, 259, 275
383
Jakobsbrunnen 79, 81-84, 9698, 105, 109, 120, 123 Jerusalem 81, 92, 109, 113 Johannesevangelium 18,19, 23, 25, 27, 30, 31, 34, 36, 39, 49, 53, 54, 58-62, 64, 67, 68, 74, 76-78, 85, 97, 99, 109, 112, 116, 127, 129, 130, 137, 143, 149, 152, 154, 157, 165, 171,172, 176, 184, 191, 196, 197,208,213,216-220,226, 227, 245, 246, 254, 260, 266, 272, 282, 286, 289, 290, 296, 298, 301, 305, 306, 309, 311352 Judäa 81 Juden 21, 85, 91, 108, 112, 113, 132, 138, 144, 145, 147, 149, 176, 177, 292, 295, 329, 331 Jünger 30-33, 35, 44, 58, 80, 90, 120, 122, 124, 145, 225, 227-230, 233, 237, 239, 240, 243,244,247,254,257,261, 270-274, 277, 281-290, 293, 294, 300-304, 312-314, 317, 323, 329-333, 349 Kaiser 128, 129, 131, 309 König von Israel 39, 53, 55, 56, 66, 209, 338 Kommunikation 1-8,17,43, 79,84,262,351-353 Kosmos 130, 131, 199,268, 285 Kreuz 26, 83, 223, 224, 269, 287, 294, 304 Lamm Gottes 32, 34, 287 Leben 176, 187, 197-201,203, 207,210-212,215,217,219 - ewiges ... 99-101 Leser 87, 90, 91, 93, 110, 119, 132, 133, 167-169, 171-173,
384
226, 230, 234, 237, 246, 250259, 263, 270, 278, 289, 296, 310, 311, ~13-317, 325, 334, 339, 340, 343-353 Licht 138, 139, 159, 160, 185, 189,211-213, 216, 219, 220 Lieblingsjünger 18 Makarismus 312,313,317 Menschensohn 59,62-64, 67, 68,139,142, 154-168,332, 335,340 Messias 86, 106, 107, 115-121, 134, 187,204,207-210,213, 214,216,339-343 Mission 77, 78, 123, 124, 347 Missverständnis 87, 95, 96, 100, 101, 119, 122, 132,257, 334 Monolog 10,22, 122 Mystagogie 343 Nachfolge 35, 38, 50, 54, 64, 65,329,333 Offenbarung 20,58-60,87, 95, 99, 100, 102, 103, 105, 110, 115, 117-120, 124, 126, 129, 131-135,143, 161; 163, 166,167, 169, 173, 180, 187, 192, 193, 198, 203, 205, 206, 210,215,217-219,312,323, 335, 336, 338, 342, 344, 349 Ostern 219,233,234,247, 249, 261, 266, 269, 273, 276, 280-306, 323, 327 Passion 20, 55, 61, 177, 208, 219, 223, 224, 322 Pharisäer 81, 138-151, 154, 164, 168-172,329 Prolog 20, 31, 207, 310, 348 Prophet 86, 106, 107, 11 0, 116,117, 133, 135,329,335 Rabbi 263-265, 338
Register
Retter der Welt 107, 120, 124, 126-131, 134, 135, 342 Sabbat 139, 142, 145, 146, 148, 169 Samaria 79, 81, 82 Schöpfung 286 Sehen 248, 273, 290-293, 297303, 312-317, 339 Sendung 112, 118, 122, 130, 150, 195, 199, 268, 284, 285, 287, 288 Sohn Gottes 39, 53, 54, 56, 63, 66, 154, 155, 187, 204, 208210, 213, 214, 216, 338-340, 343,349 Soteriologie 101, 131, 194, 195, 198,207, 210, 215, 219, 271 Stunde 83, 111, 113, 115 Sündenvergebung 282, 284, 286-288 Sychar 79, 81, 82 Synagoge 144, 149, 171 Synoptiker 18, 20, 22, 38, 41, 46,53,59,60,63,107,148, 154,157,227,241,245,248, 249, 266, 269, 292, 312 Theologie 351-353 Theophanie 118 Tod 26, 176, 177, 188, 200, 210, 224, 231, 287 Unglaube 139,143, 150, 169, 170, 172, 177, 258, 298, 305, 316,332 Verheißung 37, 43, 57, 58, 61, 67, 68, 106, 187, 192, 196 Verherrlichung 63, 111, 158, 159, -177,304 Vertrauen 186, 188, 189, 215 VeIWechslung 249, 257, 259, 262,276
385
Stichwortregister
Wahrheit 80, 114, 115, 117, 197 Wasser 79, 87-89, 93, 94, 9699,101, 102, 119, 133, 214 Weinen 188,231,241,250, 253,275 WiSsen 30, 49,51,54,55, 66, 67,103, 105, 107, 116, 117, 170, 190, 192, 209, 215, 223,
246,250,275-278,314,316-
324,328-347,352,353 Wissensvermittlung 15-17, 2325, 28, 65, 131, 132, 135, 163, 167, 170, 173, 203, 214216,274,277,297,315,316, 321, 323-329, 331, 335-337, 341,344,349,350,353
Zeichen 176