Königs Erläuterungen und Materialien Band 314
Erläuterungen zu
E. T. A. Hoffmann
Das Fräulein von Scuderi von Wolfga...
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Königs Erläuterungen und Materialien Band 314
Erläuterungen zu
E. T. A. Hoffmann
Das Fräulein von Scuderi von Wolfgang Pfister
Zum Autor dieser Erläuterung: Wolfgang Pfister, Abitur 1959 in Bamberg, anschließend Studium der Fächer Deutsch und Geografie in Erlangen und Würzburg. 1964 bzw. 1966 Erstes und Zweites Staatsexamen für das Lehramt an Realschulen. 1974 Erwerb des Pädagogischen Diploms an der Universität Bamberg und Ernennung zum Zweiten Realschulkonrektor, 1986 zum Realschulrektor als Leiter der Graf-Stauffenberg-Realschule Bamberg.
Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52 a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne eine solche Einwilligung eingescannt oder gespeichert und in ein Netzwerk eingestellt werden. Dies gilt auch für Intranets von Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen.
5. Auflage 2008 ISBN 978-3-8044-1767-0 © 2002 by C. Bange Verlag, 96142 Hollfeld Alle Rechte vorbehalten! Titelabbildung: E. T. A. Hoffmann Druck und Weiterverarbeitung: Tiskárna Akcent, Vimperk
2
Inhalt Vorwort ...............................................................
5
E. T. A. Hoffmann: Leben und Werk ................ Biografie ................................................................ Zeitgeschichtlicher Hintergrund ............................. Politisch bedeutsame Ereignisse zwischen 1770 und 1830 ........................................ 1.2.2 Die romantische Strömung zwischen 1770 und 1830 . 1.2.3 Auswirkungen der industriellen Revolution: Fortschritt und Spiritismus .................................... 1.3 Angaben und Erläuterungen zu wesentlichen Werken ........................................
8 8 15
1. 1.1 1.2 1.2.1
2. 2.1 2.2 2.3
Textanalyse und -interpretation ........................ Entstehung und Quellen ........................................ Inhaltsangabe ........................................................ Aufbau: Epische und dramatische Gestaltungsmerkmale ............................................ 2.3.1 Einzelschritte, die als Schilderung des realen Geschehens das unerhörte Ereignis vorbereiten ..... 2.3.2 Einzelschritte, die zum Nachweis von Oliviers Unschuld führen ................................................... 2.3.3 Lösung der dramatischen Situation: Begnadigung Oliviers als Ergebnis der bisher erfolgten Bemühungen der Scuderi und des Sinneswandels des Königs ............................................................. 2.3.4 Verschiebung des Blickwinkels innerhalb der Erzählung ........................................................ 2.4 Personenkonstellation und Charakteristiken .......... 2.4.1 Personen im Umkreis des königlichen Hofes ......... 2.4.2 Personen im Umkreis der Scuderi .......................... 2.4.3 Mörder und Giftmischer ........................................ 2.4.4 Beziehungen einzelner Personen zueinander ..........
15 18 20 23 27 27 29 47 50 52
54 54 56 56 61 64 64
3
Inhalt
4
2.5 2.6 2.7
Sachliche und sprachliche Erläuterungen ............... Stil und Sprache ..................................................... Interpretationsansätze ...........................................
69 71 75
3.
Themen und Aufgaben .......................................
78
4.
Rezeptionsgeschichte ..........................................
80
5. 5.1 5.2
Materialien .......................................................... Hoffmanns Selbstdeutung seiner Erzähltechnik ..... Grundlegende Deutungen der Sicht Hoffmanns .....
82 82 85
Literatur ..............................................................
87
Vorwort
VORWORT Ernst Theodor Amadeus Hoffmann gilt zwar als ein Vertreter der Romantik, dennoch ist seine Einordnung in eine fest umrissene Epoche fragwürdig. Dies liegt daran, dass er als vielseitiger Künstler – Dirigent, Komponist, Bühnenbildner und Zeichner – von unterschiedlichen Seiten aus erfasst werden kann: Neben Klaviersonaten, einem Harfenquartett, einer Symphonie oder geistlichen und weltlichen Werken für Chor und Orchester schuf er Bühnenmusiken sowie die Opern Aurora und Undine in einem Stil, der allerdings seine Stellung zwischen Mozart und Beethoven nicht verleugnen kann. In seinen Dichtungen beweist Hoffmann stärkere Eigenständigkeit. Dabei ragen einerseits fantastische, alle Grenzen sprengende Ereignisse heraus, etwa, als sich der Archivarius Lindhorst im Goldenen Topf vor den Augen des staunenden Anselmus in einen merkwürdigen Vogel verwandelt und zum Fenster hinausfliegt. Andererseits herrscht bei ihm ein Realismus vor, dessen genaue und damit ernüchternde Sichtweise jegliche Verzauberung verhindert. Die Verschmelzung von Fantastischem und Wirklichem in Sinne des „fantastischen Realismus“ bewirkt somit den besonderen Reiz seiner Werke. Diese scheinbar widersprüchliche Blickrichtung Hoffmanns ist jedoch stets auf das Außergewöhnliche gerichtet, wodurch die Alltagswelt eine neue, herausgehobene Qualität gewinnt und das Unheimlich-Gespenstische oder das Groteske zum eigentlichen Handlungsträger aufsteigt. Damit kann er innere Konflikte aufzeigen, die seinen Dichtungen zusätzliche Spannung verleihen. So gewinnt seine Kennzeichnung der Menschen eine weitere Sicht: Nicht der in Natur, Musik oder Traum gefangene Mensch, sondern der in seelischen Konflikten, in Spannungen Vorwort
5
Vorwort zwischen Edelmut und Verbrechen oder der gegen undurchsichtige Kräfte kämpfende Mensch wird zum Mittelpunkt seiner Welt. Hoffmanns Gestalten leben im Gegensatz zu denen seines 12 Jahre jüngeren Dichterkollegen Eichendorff überwiegend in äußeren und inneren Spannungsfeldern. Sogar bei seinen vordergründig harmlosen Märchenwelten bewahrt er stets das Doppelbödige aller Personen. Wichtige Ereignisse finden in der Nacht statt oder werden in der Dunkelheit vorbereitet. Daher sind seine Gestalten bizarr und teilweise schwer zu identifizieren, sie treten wie Sonderlinge auf, sind mitunter Doppelgänger oder verwandeln sich unversehens. Zusätzlich verwendet Hoffmann Parallelen zwischen Mensch und Tier, tauscht diese in ihren Rollen aus und schafft damit die Möglichkeit, den Blickwinkel zu ändern. Dennoch bewegen sich seine Figuren weniger in der Natur als in Gassen großer Städte, wobei sie sich oft in Auseinandersetzungen mit Kontrahenten oder dunklen Mächten befinden. Dies kann als logische Folge seiner Doppelbödigkeit gewertet werden. Die dafür geeignete sprachliche Gestalt ist zwar die Novelle mit ihrer jeweils „unerhörten“, einzigartigen Begebenheit, zumal mit ihr Außergewöhnliches in klarer, gedrängter Art beschrieben werden kann. Ob Hoffmanns Erzählung Das Fräulein von Scuderi jedoch als Novelle eingestuft werden kann, ist fraglich, zumal nicht nur ein „unerhörtes“ Ereignis dominiert, sondern mehrere, die auf das Künstlertum und damit auf das kaum zu fassende Seelenleben gerichtet sind. Zwar steht die Aufklärung eines Verbrechens und damit das rein Kriminalistische rein äußerlich im Vordergrund, die Stärke des Werkes liegt jedoch in der Kennzeichnung einer Zeitepoche mit Hilfe herausragender Personen. Dabei stößt Hoffmann als Gestalter sozialer und psychologischer Verhaltensweisen in Bereiche vor, deren genaue Betrachtung erst Jahrzehnte später erfolgte.
6
Vorwort
Vorwort Nicht ohne Grund dominiert Hoffmanns Scuderi im Lektürekanon des Deutschunterrichts und dient dessen unterschiedlichen Ansprüchen. Daher wurde als Textgrundlage die sehr häufig verwendete Reclamausgabe (RUB Nr. 25) herangezogen. Zitatnachweise aus diesem der Erläuterung zu Grunde gelegten Werk schließen direkt an das jeweilige Zitat an. Die erste Zahl gibt dabei die Seite an, die zweite die Druckzeile.
Vorwort
7
1.1 Biografie
1.
E. T. A. HOFFMANN: LEBEN UND WERK
1.1 Biografie Ort
Ereignis
1776
Königsberg
Geburt am 24. Januar als drittes Kind, von denen das erste frühzeitig stirbt. Der von den Eltern gewählte letzte der drei Vornamen Wilhelm wird vom Dichter wegen seiner Verehrung für Mozart in „Amadeus“ geändert. Sein Vater Christoph Ludwig Hoffmann, ein origineller, fähiger Jurist, ist Kriminalrat beim Königsberger Gericht. Als Alkoholiker kämpft er mit seinem emotionalen Verhalten. Er heiratet seine Cousine Luise Dörffer, eine innerlich unfreie, hysterisch veranlagte Person, die der Familie keine Geborgenheit geben kann. Scheidung der Eltern. Die Erziehung E. T. A. Hoffmanns wird von seinem Onkel Otto Wilhelm Doerffer übernommen. Eintritt in die reformierte Burgschule. Lebenslange Freundschaft mit Theodor Gottlieb Hippel.
1778
1782
8
Alter
Jahr
Königsberg
2
6
1. E. T. A. Hoffmann: Leben und Werk
1.1 Biografie
Jahr
Ort
Ereignis
1792
Königsberg
1795
Königsberg
1796
Glogau
Immatrikulation an der dortigen juristischen Fakultät, an der Kant lehrt, ohne dass Hoffmann bei ihm Vorlesungen hört, da er sich ausschließlich den juristischen Fachbereichen widmet. Literarische Versuche wie Cornaro, Memoiren des Grafen Julius von S. oder Der Geheimnisvolle werden mit Zeichnungen Hippel zur Begutachtung gegeben, der seinen Freund berät. Unterricht bei dem Maler Saemann. Tägliche musikalische Übungen am Klavier, so dass er mit 18 Jahren seine erste Schülerin Dora Hatt, die Ehefrau eines Weinhändlers, unterrichten kann und sich in diese verliebt. Juristisches Examen in Königsberg und Beginn der Laufbahn am dortigen Gericht als Beisitzer (Regierungs-Auskultator). Versetzung an das Glogauer Gericht. Trennung von Dora Hatt. Hoffmann wohnt bei seinem Onkel, einem Regierungsrat in Glogau.
1. E. T. A. Hoffmann: Leben und Werk
Alter 16
19
20
9
1.1 Biografie
Ort
Ereignis
1798
Königsberg
Referendar-Examen, Verlobung mit seiner Cousine Minna Dörffer, der Tochter seines Onkels Johann. Versetzung nach Berlin. Musikunterricht bei Johann Friedrich Reichardt. Singspiel Die Maske: Hoffmann schreibt dazu den Text und die Musik. Asessor-Examen; Versetzung nach Posen. Ablehnung seines Singspiels am Nationaltheater durch August Wilhelm Iffland. Auflösung der Verlobung mit Minna Dörffer. Strafversetzung nach Plock wegen Anfertigung von Karikaturen auf Personen der Posener Gesellschaft. Hochzeit mit Maria Thekla Michalina (Mischa) Rorer-Trzynska. Regierungsrat in Warschau. Polen gehört seit der 3. Teilung zu Preußen. Bekanntschaft mit Julius Eduard Itzig, der ab 1809 Hitzig heißt. Geburt der Tochter Cäzilia. Mitbegründer der „Musikalischen Gesellschaft“ in Warschau.
Berlin
1799
1800
Posen
1802 Plock
10
Alter
Jahr
1804
Warschau
1805
Warschau
22
23
24
26
28
29
1. E. T. A. Hoffmann: Leben und Werk
1.1 Biografie
Jahr
Ort
Ereignis
1806
Warschau
3. August: Erster Auftritt als Dirigent in der „Musikalischen Gesellschaft“ im Palais Mniszchów. Besetzung Warschaus durch Franzosen. Tod seiner Tochter Cäzilia. Entlassung aus dem Staatsdienst, da er den Eid auf Napoleon nicht leistet, und Übersiedlung nach Berlin. Polen gehört nach der 3. Teilung zu Preußen. 1. September: Antritt als Kapellmeister am Theater in Bamberg dank der Fürsprache durch Julius von Soden, der das Theater vom 17. September 1809 bis 30. März 1810 leitete. Bezug der Wohnung am Zinkenwörth Nr. 56 für 12 Gulden pro Monat trotz seines geringen Gehaltes von 50 Gulden pro Monat. Finanzielle Schwierigkeiten des Bamberger Theaters; Ritter Gluck. Hoffmann erhält am 17. April 1809 die Kündigung. Umzug am 1. Mai 1809 in die Wohnung Schillerplatz 26.
1807
Berlin 1808
Bamberg
1809
Bamberg
1. E. T. A. Hoffmann: Leben und Werk
Alter 30
31
32
33
11
1.1 Biografie
Jahr
Ort
Ereignis
1810
Bamberg
1811
Bamberg
Wiedereröffnung des Bamberger Theaters. Hoffmann wird als Direktionsassistent, Kulissenmaler und Bühnenarchitekt beschäftigt. Weitere Einkünfte als Musiklehrer und Verfasser von Musikrezensionen. Johannes Kreislers, des Kapellmeisters, musikalische Leiden. Melodram Saul. König in Israel. Beziehung zu Medizinaldirektor Dr. Markus, dem Leiter der Bamberger Krankenanstalten und Leibarzt des Fürstbischofs, der auch Vorsitzender von 49 Aktionären ist, die das Bamberger Theater betreiben. Aufgabe seiner Tätigkeiten als „Direktionsgehilfe“ am Theater; unglückliche Liebe zu seiner Klavierschülerin Julia Marc. Offener Konflikt und Entgleisung während eines Ausfluges nach Pommersfelden mit Familie Marc und dem Kaufmann Johann Gerhard Graepel, dem Verlobten Julias. Vergeblicher Versuch, am Würzburger Theater unterzukommen. Musik zur Oper Aurora von Franz Holbein.
1812
12
Alter 34
35
36
1. E. T. A. Hoffmann: Leben und Werk
1.1 Biografie
Alter
Jahr
Ort
Ereignis
1813
Dresden Leipzig
1814
Berlin
Reisen nach Dresden und 37 Leipzig. 17. März: Vertrag mit Joseph Seconda für die Stelle als Kapellmeister in Leipzig. 18. März: Vertrag mit dem Weinhändler Kunz über die Veröffentlichung des ersten Teiles der Fantasiestücke in Callots Manier. Übersiedlung nach Leipzig. Fantasiestücke I–III mit einem Vor- 38 wort von Jean Paul. Tätigkeit am Justizministerium und Kammergericht. Die Automate. Entlassung durch Seconda. Wiedereintritt in den Staatsdienst. Die Fermate. Besuche des Weinlokals Lutter & Wegner in Berlin. Fantasiestücke IV. 39/40 Die Elixiere des Teufels. Ernennung zum Kammer- 40 gerichtsrat. Uraufführung der Oper Undine mit großem Erfolg. Unglückliche Liebe zur Schauspielerin Johanna Eunicke, der Hauptdarstellerin der Oper Undine am Königlichen Schauspielhaus Berlin. Nussknacker und Mausekönig. Nachtstücke I.
1815 1815/16 1816
1. E. T. A. Hoffmann: Leben und Werk
13
1.1 Biografie
Ort
Ereignis
1817
Berlin
Brand des Schauspielhauses und Vernichtung der Dekorationen zu Undine. Nachtstücke II. Das Fräulein von Scuderi erscheint bei Wilmans in Frankfurt mit großem Erfolg. Berufung in die „ImmediatCommission zur Ermittlung hochverräterischer Verbindungen und anderer gefährlicher Umtriebe“. Die Serapions-Brüder I–IV. Lebensansichten des Katers Murr. Protest gegen die Verhaftung des „Turnvaters“ Jahn. Prinzessin Brambilla. Entlassung aus der „ImmediatCommission“ auf eigenen Antrag. Berufung in den Oberappellationssenat am Kammergericht Berlin. Erkrankung und Einleitung eines Disziplinarverfahrens wegen der satirischen Darstellung des Polizeidirektors von Kamptz, dessen Züge der Spitzel Knarrpanti in Meister Floh erhält – das Werk erscheint unzensiert erst 1908 bei Julius Bard in Berlin. Tod am 25. Juni.
1818
14
Alter
Jahr
1819
Berlin
1819– 1821 1820
Berlin
1821
Berlin
1822
Berlin
41
42
43
44
45
46
1. E. T. A. Hoffmann: Leben und Werk
1.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund
1.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund Die Entstehung der Erzählung fällt in eine Epoche, die mit dem Begriff „Romantik“ nur ungenau gekennzeichnet werden kann. Das Jahr 1818, als Hoffmann im Frühjahr den Plan für das Werk entwickelte, das noch im gleichen Jahr erschien, lässt sich der Spätromantik zuordnen. Setzt man die romantische Epoche in Deutschland zwischen 1770 und 1830 fest, so sind die politischen Verhältnisse in dieser Zeit durch einschneidende Ereignisse bestimmt: 1.2.1 Politisch bedeutsame Ereignisse zwischen 1770 und 1830 1769 1770
1772 1773 1774 1775
1776 1777 1778 1799
Geburt Napoleons auf Korsika. Geburt Friedrich Wilhelms III., König von Preußen (1797–1840). Ludwig XVI. heiratet Marie Antoinette von Österreich. Erste Teilung Polens zwischen Österreich, Preußen und Russland. Geburt des Fürsten Clemens von Metternich, des österreichischen antiliberalen Staatsmannes. Tod Ludwigs XV., König von Frankreich. Nachfolger wird sein Enkel als Ludwig XVI. Beginn des nordamerikanischen Unabhängigkeitskrieges gegen England. Verkauf von Leibeigenen in Russland; Bauernaufstand an der Wolga. Annahme der Unabhängigkeitserklärung durch den Kongress der USA. Geburt Zar Alexanders I. von Russland. Bayerischer Erbfolgekrieg gegen Österreich. Erfolglose Belagerung Gibraltars durch Frankreich und Spanien.
1. E. T. A. Hoffmann: Leben und Werk
15
1.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund
1780 1781
1785 1786
1787
1788 1789 1790 1792
1793 1796 1798 1799 1800
16
Tod Maria Theresias, der Herrscherin von ÖsterreichUngarn; Joseph II. wird österreichischer Herrscher. Reformen in Österreich durch Joseph II.: Abschaffung von Leibeigenschaft und Folter; Religionsfreiheit, Aufhebung der Klöster, Einwanderungserlaubnis für Nichtkatholiken. Friedrich II. gründet den Fürstenbund, um den Kaiser am Erwerb Bayerns zu hindern. Tod Friedrichs II. von Preußen; Friedrich Wilhelm II. wird König von Preußen; Ludwig I. wird König von Bayern. Herzog Karl Eugen von Württemberg vermietet das aus seinen Untertanen bestehende Kap-Regiment an die Holländisch–Ostindische Kompanie. Einsetzende Flut politischer Broschüren in Frankreich, die Freiheit und Gleichheit fordern. Beginn der Französischen Revolution. Nach dem Tod von Kaiser Joseph II. wird dessen Bruder Leopold II. deutscher Kaiser. Frankreich erklärt Österreich den Krieg; Preußen unterstützt Österreich; der deutsche Kaiser Franz II. wird Kaiser von Österreich. Terror der Französischen Revolution: Ludwig XVI., Marie Antoinette und Gräfin Dubarry werden guillotiniert. Kommunistische „Verschwörung der Gleichen“ in Frankreich. Krieg der Koalition England, Österreich, Russland, Türkei und des Kirchenstaates gegen Frankreich. Napoleon Bonaparte wird durch Abstimmung erster Konsul für zehn Jahre. Errichtung des „Vereinigten Königreichs Großbritannien und Irland“. 1. E. T. A. Hoffmann: Leben und Werk
1.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund
1802 1803 1804
1806 1807
1811 1812 1813 1814 1815 1816 1817
1818 1819 1821 1828 1830
Napoleon Bonaparte wird Konsul auf Lebenszeit. Seekriege zwischen Großbritannien und Frankreich. Bonaparte wird französischer Kaiser Napoleon I. mit Erbrecht; Freiherr vom Stein gelangt in die preußische Regierung. Napoleon I. siegt gegen Russland und Preußen in der Schlacht bei Jena und Auerstedt. Aufhebung der Erbuntertänigkeit der Bauern und der Adelsvorrechte in Preußen durch den Freiherrn vom Stein. Aufhebung der Zünfte und des Frondienstes durch Hardenberg in Preußen. Russlandfeldzug Napoleons; Flucht Napoleons und Auflösung des französischen Heeres. Deutsche Befreiungskriege gegen Napoleon; Völkerschlacht bei Leipzig. Beginn des Wiener Kongresses zur politischen Neuordnung Europas. Napoleon kehrt von Elba nach Paris zurück. Erste Verfassung durch Großherzog Karl August von Weimar. Wartburgfest der deutschen Burschenschaften und Forderung der Einheit Deutschlands unter den Farben Schwarz-Rot-Gold. Karl Marx wird geboren. Karlsbader Beschlüsse gegen politische und geistige Freiheit in Deutschland. Tod von Kaiser Napoleon. Tod von Karl August, Großherzog von Sachsen-Weimar. Juli-Revolution in Paris wegen Verletzung politischer Rechte durch König Karl X.
1. E. T. A. Hoffmann: Leben und Werk
17
1.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund 1.2.2 Die romantische Strömung zwischen 1770 und 1830 Die bewegte politische Situation in Europa wirkt sich nur bedingt auf das literarische Geschehen in Deutschland aus, zumal sich das Geistesleben in den Bahnen des Sturm und Drang bewegt. Insgesamt lässt sich die Romantik in drei Epochen einteilen: Die erste romantische Epoche umfasst erste romantische Epoche die um 1770 geborenen Literaten. Der Student Goethe begegnet in Straßburg Johann Gottfried Herder, der sich mit Volksdichtung beschäftigt, alte Lieder sammelt und mit seinem Aufruf, auf Tanzböden und in Bauernstuben danach zu suchen, eine ungeahnte Wirkung erzielt. Die zweite romantische Epoche bzw. zweite romantische Epoche bzw. die Heidelberger- oder Hochromantik die Heidelberger- oder bezieht sich auf die Zeit der um 1780 Hochromantik Geborenen. Es ist die Hochblüte Heidelbergs, in der Achim von Arnim und Clemens von Brentano 1805 Des Knaben Wunderhorn vorlegen. Friedrich Schlegel gründet im Jahre 1798 die programmatische Zeitschrift Athenäum für junge Romantiker und setzt sich für Shakespeare ein, da dieser den Mut hatte, den dunklen Seiten des Lebens nachzuspüren, zumal sie der Ursprung der genialischen Kraft seien. Die Spätromantik zwischen dem Spätromantik Wiener Kongress 1815 und der Pariser Julirevolution von 1830 gehört zur Endphase der Goethezeit. Sie kann als geistiger Stillstand und damit als poetischer Abstieg in Deutschland betrachtet werden: So beschäftigen sich z. B. die von Heinrich Heine verlachten „schwäbischen Romantiker“ mit längst vergangenen Zuständen oder verklären mittelalterliche Verhältnisse, wie dies parodistisch im
18
1. E. T. A. Hoffmann: Leben und Werk
1.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund Kyffhäuser-Mythos Friedrich Barbarossas im Wintermärchen geschildert wird. Politisch betrachtet handelt es sich um die Phase der Reaktion bzw. des Metternichsystems. Sicher sind dafür nicht allein die politischen Verhältnisse verantwortlich, zumal die einzelnen deutschen Staaten nach ihrer Befreiung aus der Vorherrschaft Napoleons gestärkt waren. Nach der Rückkehr Napoleons aus seiner Verbannung auf Elba 1815 und nach der Gründung des Deutschen Bundes unter österreichischer Führung ist die Einheit der deutschen Nation jedoch noch nicht vollzogen. Zudem beweist das literarische Übergewicht Goethes die Ohnmacht und vor allem die Bedeutungslosigkeit zahlreicher Dichter. So bezeichnet ihn z. B. Novalis als „wahren Statthalter des poetischen Geistes“1, wenn dieser das Klassische als das Gesunde und das Romantische als das Kranke darstellt.
Wiedererweckung der Poesie des Mittelalters Nicht zufällig legt Heine seine kritisch-nachdenklichen Ansichten über den Zustand des deutschen Geisteslebens programmatisch in theoretischen Texten dar, die er 1833 unter dem Sammelbegriff Die romantische Schule veröffentlicht. Wenn er sie als Wiedererweckung der Poesie des Mittelalters, die aus dem Christentum hervorging, kennzeichnet, drückt sich darin jedoch nicht nur eine Beschreibung, sondern auch eine versteckte Kritik aus: „Die romantische Kunst hatte das Unendliche und lauter spiritualistische Beziehungen darzustellen oder vielmehr anzudeuten, und sie nahm ihre Zuflucht zu einem System traditioneller Symbole oder vielmehr zum Parabolischen, wie schon Christus 1
vgl. Hoffmeister, Gerhart, Deutsche und europäische Romantik, Stuttgart 1978, S. 33.
1. E. T. A. Hoffmann: Leben und Werk
19
1.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund selbst seine spiritualistischen Ideen durch allerlei schöne Parabeln deutlich zu machen suchte. Daher das Mystische, Rätselhafte, Wunderbare und Überschwängliche in den Kunstwerken des Mittelalters; die Fantasie macht ihre entsetzlichsten Anstrengungen, das Reingeistige durch sinnliche Bilder darzustellen, und sie erfindet die kolossalsten Tollheiten, sie stülpt den Pelion auf den Ossa2, den ‚Parzival‘ auf den ‚Titurel‘, um den Himmel zu erreichen“.3 Auch wenn Hoffmann mit dem Begriff „Romantik“ nicht eindeutig erfasst werden kann, da seine auf den Realismus hindeutende Genauigkeit die Alltagswelt auch in ihrer grauen Realität zeigt, dringt bei ihm doch eine spukhafte Geisterwelt spukhafte Geisterwelt in die vertraute Wirklichkeit ein und hebt sie dadurch auf. Das unheimlich Gespenstische, das Groteske, fördert jedoch nicht nur die äußere Spannung, sondern verweist auf den inneren Konflikt im Menschen. 1.2.3 Auswirkungen der industriellen Revolution: Fortschritt und Spiritismus Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass, vordergründig gesehen, die Auswirkungen der industriellen Revolution mit der Blüte der Romantik zusammenfallen: Die Schwerindustrie auf der Grundlage von Kohle und Erz, Gasbeleuchtung zumindest in großen Städten oder die Erfindung der Dampfmaschine, für die James Watt 1769 das Patent erwirbt. Etwa parallel zu dieser Entwicklung hat sich die deutsche Romantik 2 3
20
Gebirgszüge, die die Giganten, ein Riesengeschlecht der griechischen Sage, aufeinander türmten, um den Himmel zu erstürmen. Heine, Die romantische Schule. Erstes Buch. In: Heines Werke in fünf Bänden. Vierter Band, Aufbau Verlag Berlin und Weimar 1978, S. 202. 1. E. T. A. Hoffmann: Leben und Werk
1.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund den „Mesmerismus“ zu eigen gemacht: Franz Mesmer (1734– 1815) begründet die Lehre vom „tierischen Magnetismus“. Die vornehme Welt beschäftigt sich seitdem gerne mit geheimen Wissenschaften. Okkulte Kräfte öffnen den Weg zur Geisterwelt, der Spiritismus kommt in Mode, Schlafwandler und Hellseher treten auf. Sogar Goethe hat in den Wahlverwandtschaften dem Glauben an ein Zwischenreich Aufnahme gewährt: Ottilie erschauert, als sie Eisen und Leichenteile im Boden erblickt. Die Entwicklung in Wirtschaft und Entwicklung in Wirtschaft und Technik eröffnet zusätzliche EntTechnik faltungsmöglichkeiten: 1809, im Geburtsjahr Charles Darwins, veröffentlicht Antoine de Lamarck die Transmutationslehre, ein Jahr später gründet Georg Henschel eine Maschinenfabrik in Kassel, die später vor allem Lokomotiven baut und zur Erwerbsgrundlage für unqualifizierte Arbeiter wird. Auch Friedrich Krupp ermöglicht 1811 mit der Gründung einer Stahlfabrik in Essen Erwerbsgrundlagen für die z. T. verarmte Bevölkerung. Das Entstehen dieses Proletariats mit seiner Massenarmut trotz der Industrialisierung kennzeichnet den wirtschaftlichen Niedergang des deutschen Reiches. Ob es die über Deutschland ausgebreitete dunkle Stimmung war, kann angezweifelt werden: Der dunkle Grund des Seelenlebens rückt jedoch ins Zentrum der Betrachtung auch der geistig regen Menschen, so dass sich in romantischen Texten Ahnungen, Gespenster und Visionen häufen, aber auch Giftmischerei und Mord. Hier lässt sich literaturgeschichtlich und vor allem thematisch Hoffmanns Scuderi einordnen, auch wenn der Begriff „Romantik“ gerade bei Hoffmann nicht gleichzusetzen ist mit dem Ende der Goethe-Zeit oder dem der etablierten biedermeierli1. E. T. A. Hoffmann: Leben und Werk
21
1.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund chen schwäbischen Romantiker, die ihren Blick auf Unverfängliches richten. Dass sich Hoffmann weder den „Jungdeutschen“ noch den romantischen Theoretikern, etwa Arnold Ruge4 mit seinem Romantischen Katechismus, anschloss, spricht für seine Eigenständigkeit. Gleichzeitig beweist dies erneut die Schwierigkeit, ihn in eine eindeutige literarische Richtung einzuordnen. Der Gegensatz zwischen Kunst und bürgerlichem Alltag in seiner wirtschaftlichen und politischen Misere scheint von Hoffmann nicht wahrgenommen zu werden. Er schafft für sich einen Ausweg: Da er nicht in der Lage ist, sich in die enge Wirklichkeit einzuordnen, verlässt er das alltägliche Leben und sucht sich ein anderes, jenseitiMärchenwelt ges. Die Märchenwelt bietet sich an mit allem Fantastischen. Allerdings scheitern seine Gestalten häufig an der Normalität. Hinzu kommt, dass sie ihr Glück nur selten in der Begrenzung finden. Auch der national-volkstümliche Zug, der Volksgeist der Reaktion, wie er in Heidelberg gepflegt wurde als mythische Sicht der Vergangenheit und als Hoffnung auf die Wiederherstellung der Nation als Ständestaat, liegt außerhalb Hoffmanns Denken. Aus dieser Sicht ist die Schwierigkeit verständlich, in seinen Werken eine Abgrenzung zum fantastischen Realismus oder gar zum Surrealismus vorzunehmen – der Eigenbrötler sprengt die Grenzen seiner Zeit.
4
22
Arnold Ruge, 18031880, Philosophiedozent in Halle, begründete 1838 die Halleschen Jahrbücher, das Organ der Junghegelianer. 1. E. T. A. Hoffmann: Leben und Werk
1.3 Angaben und Erläuterungen zu den Werken
1.3 Angaben und Erläuterungen zu wesentlichen literarischen Werken Die Erzählung Das Fräulein von Scuderi reiht sich in einen Gesamtrahmen von Texten ein, die Hoffmann in vier Bänden sammelte und unter dem einheitlichen Die Serapions-Brüder Titel Die Serapions-Brüder zwischen 1819 und 1821 bei dem Verleger Georg Andreas Reimer in Berlin veröffentlicht. Es handelt sich um Geschichten, die in Gespräche eines kunstverständigen Freundeskreises eingebettet sind. Hoffmann kam der Aufforderung seines Verlegers nach, die in Journalen und Taschenbüchern verstreuten Erzählungen und Märchen zu sammeln und Neues hinzuzufügen. In Anlehnung an Tiecks Phantasus wurde der Titel Serapions-Brüder nach den Serapionsabenden gewählt, die ihren Namen nach dem Gedenktag des Märtyrers und Einsiedlers Serapion erhalten, der am 14. November begangen wird. Der Rahmen der Erzählungen ist eine Gesprächsrunde zwischen den Freunden Theodor, Ottmar, Sylvester, Vincenz, Cyprian und Lothar. Dabei wird die Geschichte eines Wahnsinnigen berichtet, der sich für den Märtyrer Serapion hielt und unter Kaiser Decius hingerichtet wurde. Die Gespräche konzentrieren sich auf das Wesen Wahnsinniger und auf Seltsames und Unwahrscheinliches. Es wird jedoch vereinbart, dass nur das wirklich Geschaute vom Dichter ausgesagt und gestaltet werden darf. Da das geistig Geschaute aber zur Wirklichkeit gehört, entsprechen auch seltsame Geschichten dem serapiontischen Prinzip. Die Freunde beschließen, wöchentlich zusammenzukommen und poetische Produktionen vorzulegen. Als Schutzpatron wird der Einsiedler Serapion bestimmt.
1. E. T. A. Hoffmann: Leben und Werk
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1.3 Angaben und Erläuterungen zu den Werken Die einzelnen Stücke wurden in der vierbändigen Erstveröffentlichung so angelegt, dass jeder Band in zwei Abschnitte aufgeteilt ist, die durch Schrägstriche kenntlich gemacht sind. Die so entstandenen acht Teile entsprechen den acht Zusammenkünften der Freunde: Band 1: Der Einsiedler Serapion. Rat Krespel. Die Fermate. Der Dichter und der Komponist. / Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde. Der Artushof. Die Bergwerke zu Falun. Nussknacker und Mausekönig. Band 2: Der Kampf der Sänger. Eine Spukgeschichte. Die Automate. Doge und Dogaresse. / Alte und neue Kirchenmusik. Meister Martin der Küfner und seine Gesellen. Das fremde Kind. Band 3: Aus dem Leben eines bekannten Mannes. Die Brautwahl. Der unheimliche Gast. / Das Fräulein von Scuderi. Spielerglück. Der Baron von B. Band 4: Signor Formica. Zacharias Werner. Erscheinungen. / Der Zusammenhang der Dinge. Eine grässliche Geschichte. Die ästhetische Teegesellschaft. Die Königsbraut. Zusätzlich sind Zusammenstellungen von Texten oder Einzelwerke von Bedeutung: In der Sammlung Fantasiestücke in Callots Manier finden sich Einzelerzählungen wie Jaques Callot. Ritter Gluck. Kreisleriana. Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza. Der goldne Topf. Die Abenteuer der Silvester-Nacht.
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1. E. T. A. Hoffmann: Leben und Werk
1.3 Angaben und Erläuterungen zu den Werken Die Nachtstücke enthalten die Einzelerzählungen Der Sandmann und Das Majorat. Das Märchen Klein Zaches genannt Zinnober sprengt mit seinen zehn Kapiteln nach Umfang und Aufgliederung den Märchenrahmen. Die Elixiere des Teufels. Nachgelassene Papiere des Bruder Medardus, eines Kapuziners schildern das wunderbare Leben eines Mannes, über den schon bei seiner Geburt die himmlischen und dämonischen Mächte walten, „jene geheimnisvollen Verknüpfungen des menschlichen Geistes mit all’ den höheren Prinzipien, die in der ganzen Natur verborgen...“ (Hoffmann, Werke, Bd. 1, S. 586.) Die Erzählung Meister Floh bringt Konflikt mit der Zensur Hoffmann mit der Zensur in Konflikt. Anlass sind die Demagogenverfolgungen im Anschluss an das Wartburgfest 1817. Nachdem Hoffmann am 1. Oktober 1819 in die „Immediat-Kommission“ berufen wurde, die sich der Demagogenbekämpfung widmete, und nachdem der von dem Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. mit außerordentlichen Vollmachten versehene Polizeidirektor Heinrich von Kamptz vor ungesetzlichen Verhaftungen nicht zurückschreckte, verweigert die Kommission auf Hoffmanns Betreiben diesen Aktionen ihre Zustimmung. Als Hoffmann 1820 als Anwalt „Turnvater“ Jahn gegen Kamptz vor Gericht vertritt, wird für ihn die Lage bedrohlich. Der Brief an Hippel, worin Hoffmann darlegt, „... dass dem hirngespinstigen Treiben einiger junger Strudelköpfe Schranken gesetzt werden mussten...“5, wird für ihn verhängnisvoll. Erst auf Befehl des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm III. wird der Prozess niedergeschlagen. 5
E. T. A. Hoffmann, Werke in vier Bänden, Frankfurt 1967, Band 4, S. 505.
1. E. T. A. Hoffmann: Leben und Werk
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1.3 Angaben und Erläuterungen zu den Werken Prinzessin Brambilla. Ein Capriccio nach Jakob Callot. Mit 8 Kupfern nach Callotschen Originalblättern erschien 1820 und verwendet als Titelnamen den des italienischen Komponisten Paolo Brambilla. In der Zusammenstellung Letzte Erzählungen finden sich vereinzelte Texte wie Haimatochare, Die Marquise de la Pivardiere, Die Irrungen, Die Geheimnisse, Der Elementargeist, Datura fastuosa, Des Vetters Eckfenster, Die Genesung, Naivität und Der Feind. Es fällt auf, dass Hoffmann im Gegensatz zu den übrigen Autoren seiner Zeit auf Lyrik und epische Versdichtung verzichtet.
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1. E. T. A. Hoffmann: Leben und Werk
2.1 Entstehung und Quellen
2.
Textanalyse und -interpretation
2.1 Entstehung und Quellen Die Themen, die Hoffmann für seine Erzählung verwendet, sind nicht nur allgemeiner Bestandteil der romantischen Sicht und Deutung gesellschaftlicher Lebensumstände, sondern bewusst eingehaltenes Programm. Das Leben des romantischen Helden wird als Abenteuer gesehen und danach gestaltet und kann somit als Projektion seiner Leidenschaft gewertet werden. Damit stilisiert sich der romantische Dichter selbst zum Helden6. Hoffmann gelingt es, das Fantastische oder das von ihm ins Fantastische Erhobene stets sichtbar in den Vordergrund zu stellen, ohne dass es einen emphatischen oder sentimentalen Ton annimmt.7 Wenn auch Schriften und Quellen der damals florierenden Schilderungen obskurer Zustände in Paris zur Zeit Ludwig XIV. Einfluss hatten, insbesondere die Darstellung des Gayot de Pitaval, so handelt es sich doch bei der Erzählung Das Fräulein von Scuderi um eine Eigenschöpfung.8 Die vorherrschenden Einkleidungen der Handlung betonen das Geheimnisvolle: Zunächst stehen Verbrechen und deren Bekämpfung im Vordergrund, gleichzeitig wird damit die Darstellung von unerklärlichen Morden ermöglicht. Auch hier erscheint wieder romantisches Thema: der Tod ein romantisches Thema: Der Tod mit seinen undurchsichtigen und damit geheimnisvollen Begleitumständen. 6 7 8
vgl. Hoffmeister, S. 141 f. vgl. Wittkop-Ménardeau, Gabrielle, E. T. A. Hoffmann, Rowohlt, Reinbek 1966, 15. Aufl. 1998, S. 114. vgl. zur Entstehungsgeschichte: Lindken, Hans Ulrich, Erläuterungen und Dokumente. E. T. A. Hoffmann. Das Fräulein von Scuderi. Reclam (RUB Nr. 8142) 1978, S. 29 ff.
2. Textanalyse und -interpretation
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2.1 Entstehung und Quellen Hoffmann liefert selbst Informationen, die Hinweise zur Entstehung und zu Quellen des Werkes geben. Sein Interesse an Schilderungen, denen er ggf. Anregungen entnehmen konnte, lässt sich aus einem Brief an seinen Leihbibliothekar Kralowsky in Berlin vom 28. März 1818 entnehmen. Ferner bekundet er die Absicht, den Text für eines der damals beliebten „Taschenbücher“ vorzulegen – es handelte sich um das Taschenbuch für das Jahr 1820. Der Liebe und Freundschaft gewidmet. Der gängigen Gewohnheit entsprechend, waren die Texte mit Zeichnungen oder Illustrationen versehen. Auch Hoffmanns Kritik an der Ausführung dieser Zeichnungen weist auf sein Interesse an einer hochwertigen Publikation hin.
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2. Textanalyse und -interpretation
2.2 Inhaltsangabe
2.2 Inhaltsangabe9 Die Erzählung wirkt, vordergründig keine Unterteilung in einzelne betrachtet, wegen ihrer fehlenden UnKapitel terteilung in einzelne Kapitel zunächst ungegliedert und daher unübersichtlich. Allerdings werden mit der Einführung handlungstragender Personen Zäsuren geschaffen, die zumindest eine innere Gliederung und damit eine Übersicht über den ganzen Text ermöglichen. Handlungsort ist das nächtliche Paris zur Paris zur Zeit Ludwigs XIV. Zeit Ludwigs XIV., das zu einem Zentrum von Gewalt und Verbrechen verkommen ist. Handlungsmotiv ist der Sieg der Wahrheit und des Guten. Nach einer Serie von Giftmorden, deren Aufklärung meist gelungen ist, hat sich ein anderes Übel verbreitet: Unschuldige Passanten werden im nächtlichen Paris mit einem gezielten Dolchstoß ermordet und ihres Schmuckes beraubt. 3–13/8: Nächtliche Übergabe eines geheimnisvollen, für die Scuderi bestimmten Kästchens Mitternächtliches Pochen an die Tür des Hauses in der Straße St. Honoré schreckt die Martiniere, das Kammerfräulein der beliebten und angesehenen Dichterin Magdaleine von Scuderi, auf. Ohne Dichterin Magdaleine von Scuderi männlichen Schutz, den üblicherweise Baptiste, der momentan abwesende „Türsteher“ und Bedienstete, bietet, erscheint ihr das unablässige Klopfen mit Drängen und Bitten des Einlass fordernden Unbekannten zu dieser Stunde als Beleg dafür, dass auch ihrem „Fräulein“ ein Mordanschlag drohe. Erst nach längerem Zögern und auf die immer heftiger werdenden Bit9
Die Kennzeichnung der einzelnen Handlungs-Abschnitte erfolgt entsprechend der Reclam-Ausgabe (RUB Nr. 25) nach Seitenzahl und Zeile.
2. Textanalyse und -interpretation
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2.2 Inhaltsangabe ten des sich als Unglücklichen Bezeichnenden, der Hilfe benötige, öffnet die Martiniere. Ihre Vermutung scheint sich zunächst zu bestätigen, denn mit einem gezückten Stilett fordert der Unbekannte, zu Magdaleine Scuderi geführt zu werden, und als die Martiniere sich ihm standhaft in den Weg stellt, verhindert nur die zufällig vorbeikommende Polizeiwache ihre Überwältigung. Der Unbekannte fürchtet offensichtlich die Polizei und drängt der Martiniere ein Kästchen mit der Anweisung auf, dieses ihrem „Fräulein“ auszuhändigen. Während dieses Vorganges kommt der Diener Baptiste zurück, da er aus Sorge um die Sicherheit der beiden im Haus zurückgelassenen Damen vorzeitig die Hochzeit seiner Schwester verlassen hat. Trotz der Vermutung, dass mit dem Kästchen ein Giftanschlag geplant sei, beschließen die Martiniere und Baptiste, dieses am nächsten Morgen Magdaleine Scuderi zu übergeben.
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Stichwörter/wichtige Textstellen: Darstellung von Harmlosigkeit und Bedrohlichem als Kontrast: Dichterin anmutiger Verse (3/2 f.) und mitternächtliches, hartes und heftiges Anschlagen an das Haus (3/5–7); Schimmer der Mondstrahlen und finstere Wolken (4/9–10); lebensbedrohende Gefahr (4/35) und mögliche Hilfe (5/12); Paris als Schauplatz von Gräueltaten (8/26–11/3); eigener Gerichtshof für Untersuchung und Bestrafung Verdächtiger (11/28–29). 13/9–16/35: Schilderung der bedrohlichen Zustände im nächtlichen Paris Auf Grund zahlreicher Verhaftungen und öffentlicher Hinrichtungen wegen tatsächlicher und vermuteter Giftmorde an bekannten Persönlichkeiten kehrt die nächtliche Sicherheit in Paris zwar nicht zurück, aber die Art der Verbrechen ändert
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2. Textanalyse und -interpretation
2.2 Inhaltsangabe sich: Liebhaber, die nachts wertvollen Schmuck bei sich tragen, um ihn im Schutz der Dunkelheit als Geschenk ihrer Geliebten zu bringen, werden mit einem gezielten und stets präzise ins Herz treffenden Dolchstoß ermordet und ihres Schmuckes beraubt. Der Polizeiminister Argenson lässt zwar alle Verdächtigen verhaften, aber weder Verhöre noch Folterungen führen auf eine Spur zu der vermuteten Mörderbande, denn wegen der Häufung der Morde könne es sich nur um organisiertes Verbrechen handeln. In seiner Not sorgt Polizeileutnant Desgrais für Doppelgänger seiner eigenen Person und beteiligt sich an der nächtlichen Kontrolle der Stadt. Dennoch wird in der Nähe seines Versteckes der Marquis de la Fare angefallen, allerdings kann dieser sich wehren und fügt dem Angreifer mit seinem Degen eine schwere Wunde zu. Doch es gelingt dem Verbrecher, sich dem Zugriff (durch Verschwinden durch eine Mauer, hinter der ehrbare Leute wohnen) zu entziehen. Wegen offensichtlicher UnUnfähigkeit der Justiz fähigkeit der Justiz, die Bevölkerung zu schützen, beantragt der Polizeiminister Argenson, nun einen nur für die nächtlichen Raubmorde zuständigen Gerichtshof zu errichten. Allerdings lehnt dies der König wegen der großen Anzahl der bereits durchgeführten Hinrichtungen ab. Stichwörter/wichtige Textstellen: Gaunerbande, die Schmuck entwendet (13/13 f.); geheimnisvolles Verschwinden durch eine Mauer (15/31); unzählige Hinrichtungen (16/33).
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2. Textanalyse und -interpretation
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2.2 Inhaltsangabe 16/36–18/27: Zusicherung verstärkten Schutzes nächtlicher Liebhaber auf Grund eines galanten Verses der Scuderi Um den König dennoch für stärkeres Durchgreifen gegen die Raubmorde zu bewegen, wird ihm im Namen der gefährdeten Liebhaber ein Gedicht übereicht, das die Klage enthält, Liebe und Galanterie nicht mehr beweisen zu können. Ebenso sei die nächtliche Überbringung von Geschmeide nicht mehr möglich. Der König, der gelungene Verse schätzt, reicht sie der Marquise de Maintenon weiter, um von ihr eine Entscheidungshilfe wegen des in dem Gedicht enthaltenen Ansinnens zu hören. Doch diese weicht mit ihrer Antwort aus, so dass die zufällig anwesende Scuderi das Gedicht zur Beurteilung erhält. Anstatt einer klaren Aussage antwortet diese mit dem vielsagenden Ausspruch: Ein Liebender, der die Diebe „Ein Liebender, der die Diebe fürchfürchtet, ist der Liebe nicht würdig tet, ist der Liebe nicht würdig“ (übersetzt). Der König schließt daraus, dem Verbrechen Einhalt gebieten zu müssen, und befiehlt dem Polizeiminister Argenson und dem Präsidenten des Gerichtshofes, la Regnie, gegen die Verbrechen vorzugehen.
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Stichwörter/wichtige Textstellen: Gedicht im Namen der Liebhaber (17/4); Ludwig als leuchtender Polarstern aller Liebe und Galanterie (17/10 f.); Tötung der Liebeslust durch Angst (17/23 f.).
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2. Textanalyse und -interpretation
2.2 Inhaltsangabe 18/28–25/12: Entdeckung des Schmuckes und der Widmung – Hinweis auf Cardillac wegen der kunstvollen Arbeit Unter Schilderung des nächtlichen Vorfalles übergibt die Martiniere ihrem Fräulein am nächsten Morgen das Kästchen, nicht ohne auf die damit verbundene Gefahr aufmerksam zu machen. Doch die Scuderi lässt sich auf Grund ihres Alters von dreiundsiebzig Jahren nicht schrecken. Anstatt eines tödlichen Giftes enthält das Kästchen einen äußerst wertvollen Halsschmuck. Zusätzlich findet sie auf seinem Boden einen Zettel, der den gleichen Sinnspruch über einen Liebenden und dessen Furcht vor Dieben enthält, den sie noch vor kurzem dem König vorgetragen hatte. Dieser Zettel trägt die Unterschrift „Die Unsichtbaren“ und die Erläuterung, dass das Geschenk aus Dankbarkeit der hochverehrten Dame gelte, die die „Unsichtbaren“ vor Verfolgung errettet habe. Anstatt auf den Rat der Martiniere einzugehen, das Kästchen mit dem Kästchen enthält Halsschmuck Schmuck dem Polizeiminister vorzuledes Goldschmieds Cardillac gen, begibt sich die Scuderi zur Marquise de Maintenon, erzählt den Vorfall mit der damit verbundenen Kränkung, da das Geschenk für eine Dame ihres Alters ein unangebrachter Scherz sein müsse. Nach Begutachtung des Schmuckes gelangt die Marquise de Maintenon zu der Erkenntnis, dass nur der berühmteste Pariser Goldschmied René Cardillac Derartiges anfertigen könne. Gleichzeitig berichtet sie der Scuderi von seinen überragenden Fähigkeiten, wonach es ihm trotz seiner vorgerückten Jahre immer noch gelinge, sogar wertloses Material in das edelste Kunstwerk zu verwandeln. Allerdings besitze er eine merkwürdige Eigenart: Jede ihm angetragene Juwelenarbeit nehme er mit Begierde an, stets versuche er jedoch, das zugesagte Ergebnis seiner Arbeit nicht auszuhändigen oder die Aushändigung zu verzögern. 2. Textanalyse und -interpretation
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2.2 Inhaltsangabe
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Stichwörter/wichtige Textstellen: Goldene, mit Juwelen besetzte Armbänder und Halsschmuck (19/26 f.); Zettel mit dem Sinnspruch der Scuderi (20/19–22); Bitte um Freundschaft der Unsichtbaren (20/31–33); René Cardillac als Schöpfer des Schmuckes (22/15 f.); Cardillacs Gier nach Juwelen (23/36) und seine Hemmungen, Eigenschöpfungen zu verkaufen (24/17). 25/13–29/25: Identifizierung des Schmuckes durch Cardillac in Verbindung mit der Bitte, diesen der Scuderi als Zeichen der Verehrung übergeben zu dürfen
Beide beschließen, den Schmuck Cardillac zur Begutachtung vorzulegen. Ihre Vermutung, dass es sich um seine Arbeit handeln müsse, bestätigt sich. Der Versuch der Scuderi, ihm das Kästchen zurückzugeben, scheitert jedoch an seiner Weigerung, da das Verhängnis ihr diesen Schmuck bestimmt habe und er, wie er ausdrücklich begründet, bei der Arbeit ausschließlich an das Fräulein habe denken müssen, da es nur für dieses bestimmt sei. Er empfinde für sie und ihre Tugend tiefe Verehrung und bitte darum, das Geschenk anzunehmen. Nach Anraten der Maintenon, den Wunsch Cardillac schenkt der Scuderi Cardillacs zu erfüllen, verlässt der den Schmuck Goldschmied eilig die Damen. Sowohl die Marquise de Maintenon als auch die Scuderi sind sich darin einig, dass der Schmuck niemals getragen werden könne und dass hinter dem ganzen Vorgang ein grauenvolles Geheimnis stehen müsse. Allerdings nutzt die Scuderi ihr Erlebnis als Anregung für ihre Verse, die sie dem König vorliest und dessen Bewunderung sie erringt. Sie beschließt, den Schmuck schon am nächsten Tag Cardillac zurückzubringen.
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2. Textanalyse und -interpretation
2.2 Inhaltsangabe Stichwörter/wichtige Textstellen: Cardillac als Sonderling (25/24); Lüge Cardillacs aus Verlegenheit bei der Begegnung mit der Scuderi (26/12 f.); unerklärliches Verhalten Cardillacs der Scuderi gegenüber (28/2–6); Scherz mit der Scuderi als dreiundsiebzigjährige Goldschmiedsbraut (28/20 f.); Ahnung der Scuderi, ein grauenvolles Geheimnis berührt zu haben (29/1–3).
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29/26–35/15: Aufforderung eines Unbekannten, den Schmuck an Cardillac zurückzugeben – Verdächtigung Oliviers, Cardillac ermordet zu haben Als die Scuderi nach mehreren Monaten in der Glaskutsche der Herzogin von Montansier zufällig durch Paris fährt, dringt durch die Volksmenge ein junger Mann zu ihrem Gefährt und wirft einen Zettel mit der dringenden Aufforderung hinein, das Kästchen mit dem Schmuck Cardillac zurückzubringen, sofern sie ein Unheil verhindern wolle. Ihren Vorsatz, der Aufforderung unmittelbar nachzukommen, kann sie wegen gesellschaftlicher Verpflichtungen jedoch erst am anderen Morgen ausführen. Als sie zur Wohnung Cardillacs gelangt, nimmt sie eine aufgebrachte Volksmenge wahr und hört von Leutnant Desgrais, dass Cardillac von Verdacht, dass Cardillac von Olivier Brusson ermordet worden sei. Olivier Brusson ermordet Obwohl Madelon, die Tochter worden sei Cardillacs, die Unschuld Oliviers beteuert hatte, sei dieser bereits in das Gefängnis gebracht worden. Wegen eines Ohnmachtsanfalles Madelons wird diese von der Scuderi aufgenommen und gelangt dank der Bemühungen eines berühmten Arztes wieder zu Kräften. Madelon erzählt der Scuderi nun aus ihrer Sicht, wie alles gekommen sei: Olivier habe sie nachts geweckt, weil ihr Vater schwer verletzt sei und im Sterben liege. Leute im Haus seien wegen 2. Textanalyse und -interpretation
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2.2 Inhaltsangabe der nächtlichen Bemühungen um den Verletzten aufmerksam geworden. Auf Grund des entstehenden Lärms seien Desgrais und die Polizeiwache hinzugekommen und hätten Olivier in das Gefängnis gebracht.
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Stichwörter/wichtige Textstellen: Zettel mit der Aufforderung an die Scuderi, den Schmuck im Kästchen umgehend Cardillac zurückzubringen (30/8 und 30/ 30–35); Erinnerung an das von früher bekannte Gesicht des Eindringlings in die Kutsche (31/31–33); Straße Nicaise als Wohnort des Mörders (32/9–24); Beschuldigung Olivier Brussons des Mordes an Cardillac (33/11). 35/15–40/23: Vergeblicher Versuch der Scuderi, Oliviers Unschuld zu beweisen Die Scuderi ist von der Unschuld Oliviers fest überzeugt und findet bei ihren eigenen Erkundungen alles, was sie erfahren hat, bestätigt. Schließlich versucht sie bei dem Präsidenten des Gerichtshofes, la Regnie, Olivier freizubekommen. Die Nachforschungen über den Tathergang und Aussagen von Hausbewohnern belasten Olivier jedoch so stark, dass die Bemühungen der Scuderi vergebens bleiben, zumal la Regnie den Tathergang bis ins Kleinste zurückverfolgt und eine Beweiskette erstellt hat. Auf ihren Wunsch wird es der Scuderi jedoch gestattet, Olivier im Gefängnis zu besuchen.
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Stichwörter/wichtige Textstellen: Chambre ardente als gefürchtetes Gericht (35/26); la Regnie nennt das Verfahren gegen Olivier einen Kriminalprozess (37/ 13); Aufforderung der Scuderi an la Regnie, menschlich zu sein (40/6).
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2. Textanalyse und -interpretation
2.2 Inhaltsangabe 40/24–44/22: Besuch Oliviers im Gefängnis durch die Scuderi – Erneuter Wunsch Oliviers, die Scuderi vertraulich sprechen zu können Der Besuch der Scuderi im Gefängnis ändert nichts an der Situation Oliviers, im Gegenteil, ihre bisherige Überzeugung von der Unschuld Oliviers beginnt zu schwanken, zumal sie in ihm denjenigen erkennt, der ihr den Zettel in den Wagen geworfen hatte. Nunmehr an jeder TuScuderi zweifelt an Unschuld gend zweifelnd, regt sich ihr aufkeiOliviers mender Verdacht nun nicht nur gegen Olivier, sondern auch gegen Madelon, wobei auch deren Verhalten zu Zweifeln Anlass gibt. Während sie entmutigt erkennt, dass ihr Glaube an Tugend und Treue eine Täuschung sei, meldet ihr Baptiste den Besuch des Leutnant Desgrais. Er sei von Präsident la Regnie zu ihr gesandt worden, da Olivier Brusson seit der Begegnung mit ihr im Gefängnis halb rasend auf einer Unterredung unter vier Augen mit ihr bestehe. Nur ihr wolle er sein Bekenntnis darlegen. Ihre Bedenken überwindend, erklärt sich die Scuderi bereit, Olivier Brusson zu nächtlicher Stunde zu empfangen. Stichwörter/wichtige Textstellen: Olivier wird als Überbringer des Zettels in die Kutsche erkannt (41/4 f.); aufkommender Verdacht der Scuderi gegen Olivier (41/13–14 und 25–28); Zweifel der Scuderi an Tugend und Treue (42/12–15); vertrauliche Unterredung zwischen der Scuderi und Olivier (43/20–23).
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2. Textanalyse und -interpretation
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2.2 Inhaltsangabe 44/23–48/11: Erinnerung an biografische Einzelheiten aus Oliviers Leben Als zum vereinbarten mitternächtlichen Termin Olivier ohne Fesseln gebracht wird und Magdaleine von Scuderi seine Gesichtszüge betrachtet, wird in ihr eine bisher verschüttete Erinnerung an eine geliebte Person wach. Offensichtlich wundert sich auch Olivier, dass die Scuderi sich Oliviers Mutter war Ziehtochter nicht zu erinnern scheint. Diese Geder Scuderi dächtnislücke der Scuderi nutzt Olivier nun, um aus seinen und ihren früheren Tagen zu berichten und um damit seine Glaubwürdigkeit zu belegen: Sie, die Scuderi, habe Anne Guiot, die Tochter eines verarmten Bürgers, bei sich aufgezogen, und als diese von dem Uhrmacher Claude Brusson umworben worden sei, habe sie in die Verbindung ihrer Pflegetochter mit ihm eingewilligt. Doch wegen Neides und Missgunst anderer Juweliere in Paris sei Claude zunehmend verarmt und daher mit seiner Frau und dem 3-jährigen Olivier nach Genf ausgewandert. Allerdings konnte er dadurch seine wirtschaftliche Situation nicht verbessern. Kurz nachdem er seinen Sohn Olivier zu einem Goldschmied in die Lehre geben konnte, starb er und wenig später auch seine Frau. Olivier zeigt jedoch während seiner Lehrzeit so großes Geschick, dass ein von ihm gefertigter Halsschmuck die Bewunderung eines Kunden hervorruft, der die Ansicht äußert, dass nur der erste Goldschmied in Paris seine Kunst übertreffen könne.
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Stichwörter/wichtige Textstellen: Erinnerung der Scuderi durch Olivier an die Pflegetochter Anne Guiot (45/28) und Claude Brusson (45/32); Erinnerung Oliviers an Genf (47/12); Vergleich der Goldschmiedearbeiten Oliviers mit denjenigen Cardillacs durch einen fremden Kunden (48/4–8).
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2. Textanalyse und -interpretation
2.2 Inhaltsangabe 48/11–51/25: Berichte Oliviers über die Lehrzeit bei Cardillac, seine Liebe zu dessen Tochter und über Cardillacs Mordversuch Es gelingt Olivier, in Paris bei dem berühmten Goldschmied René Cardillac arbeiten zu dürfen und sogar dessen Anerkennung zu erhalten. Doch als Olivier Olivier entdeckt der Scuderi, nach einiger Zeit Madelon, der Tochdass Cardillac der nächtliche ter Cardillacs, begegnet und sich in sie Mörder war verliebt, erregt er den Zorn seines Meisters und wird des Hauses verwiesen. Dennoch währt seine Liebe zu Madelon. Eines Nachts schleicht er sehnsuchtsvoll um das Haus Cardillacs und wird Zeuge, wie sich der Goldschmied um Mitternacht aus einem Schlupfwinkel seiner Hausmauer heraus auf einen vorbeikommenden Passanten stürzt, diesen niedersticht und ihm offensichtlich etwas entwendet. Entsetzt spricht Olivier seinen ehemaligen Meister an, doch dieser kann in sein Anwesen entweichen. Die von dem Handgemenge und von hinzukommenden Passanten aufmerksam gemachte und herbeigeeilte Polizeiwache überwältigt Olivier in der Meinung, er sei der Mörder des Passanten. Doch als ein Mitglied der Wache Olivier als Geselle Cardillacs erkennt, lässt man ihn frei, weil es nicht möglich sein könne, dass jemand, der bei dem braven Meister arbeite, ein Verbrechen begehe. Stichwörter/wichtige Textstellen: Madelon wirkt auf Olivier wie ein Engelsbild (48/27); finsterer Blick Cardillacs (49/4); Entdeckung Cardillacs in dem finsteren Mauerspalt (50/8); Olivier beobachtet Cardillacs nächtlichen Überfall (50/20–23); die Gewissheit, in Madelons Vater den Mörder erkannt zu haben, löst den inneren Konflikt Oliviers aus (51/19 f.).
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2. Textanalyse und -interpretation
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2.2 Inhaltsangabe 51/26–59/5: Bericht vom Angebot Cardillacs, Olivier wieder in sein Haus aufnehmen zu wollen, von der Zustimmung zur Ehe mit Madelon und von Cardillacs Schilderung seiner erblichen Belastung Olivier berichtet der Scuderi weiter, wie er unmittelbar nach diesem Vorfall von Cardillac besucht wird und das Angebot erhält, wieder bei diesem arbeiten zu können. Gleichzeitig willigt Cardillac in die Verbindung mit Madelon ein, da er sich keinen besseren Schwiegersohn denken könne. Als Olivier etwas zögert, droht Cardillac einerseits mit den Pariser Schergen, andererseits spricht er von der Sehnsucht Madelons. So erfährt die Scuderi von Olivier, dass die nächtlichen Morde nicht von einer Bande, sondern ausschließlich von Cardillac verübt worden seien und dass Olivier nur wegen seiner Liebe zu Madelon in das Haus und die Werkstatt Cardillacs zurückgekehrt sei trotz der Unmöglichkeit, mit seinem Meister in Gemeinschaft arbeiten zu können. Der ahnungslosen Madelon gegenüber habe er die Verbrechen ihres Vaters verschwiegen. Offensichtlich ist Cardillac jedoch der inneren Belastung nicht gewachsen, so dass er sich überraschend während der Arbeit an Olivier wendet und ihm sein InneCardillac von einem bösen Stern res offenbart: Er sei von einem bösen belastet Stern belastet. Als nämlich seine Mutter mit ihm schwanger gewesen sei, erblickte sie bei einem Hoffest eine blitzende Juwelenkette am Hals eines spanischen Kavaliers. Dieser nutzte die begehrlichen Blicke als Gunst des Augenblicks an einem einsamen Ort. Doch während die Mutter Cardillacs nach der Kette des Kavaliers griff, sei dieser wie vom Schlag getroffen tot zu Boden gefallen. Der Schrecken darüber habe die Mutter an ein langes Krankenlager gebunden, doch habe sie ihn als gesundes Kind geboren. Seither ziehe es ihn so stark zu Diamanten und goldenem Geschmeide
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2. Textanalyse und -interpretation
2.2 Inhaltsangabe hin, dass er den Beruf des Goldschmiedes habe einschlagen müssen. Seine Veranlagung bewirke es nun, dass er sich nicht von Schmuck trennen könne und Mordlust auf diejenigen empfinde, die den von ihm gefertigten Schmuck angelegt hätten. Von allen Kunden habe er ein genaues Verzeichnis. Durch einen geheimen Ausgang in seinem jetzigen Haus sei er zu seinen Raubmorden angeregt worden und könne jedem Besitzer des von ihm geschaffenen Schmuckes auflauern. Die Beute habe er sorgfältig geordnet und beschriftet. Stichwörter/wichtige Textstellen: Cardillac bietet Olivier die Rückkehr in sein Haus an und willigt in die Ehe mit Madelon ein (52/1–9); der böse Stern als Glaube an ein unabänderliches Schicksal (54/24); das krankhafte Verhalten Cardillacs (56/22–25); genaue Auflistung des geraubten Schmuckes (58/20–23).
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59/5–63/5: Bericht Oliviers über die Zusammenkunft Cardillacs mit der Scuderi beim König – Rückblende auf die bisherigen Ereignisse Eines Tages habe sich der Meister ungewöhnlich heiter gezeigt, nachdem er von einem Besuch bei der Maintenon und dem König zurückgekommen sei, bei dem auch die Scuderi anwesend gewesen wäre. Diese hätte dem König als Denkanstoß und gleichzeitig als Aufforderung, den nächtlichen Überfällen ein Ende zu bereiten, den Vers „Ein Liebender, der die Diebe fürchtet, ist der Liebe nicht würdig“ (übersetzt) vorgetragen. Dann bekannte Cardillac, dass er die Scuderi wegen ihrer Tugend und ihrer Verse derart verehre, dass nur sie allein seinen besten Schmuck tragen könne, ohne dass er dabei an Raub und Mord denke. In einer Gefühlsaufwallung habe er Olivier beauftragt, ihr ein wertvolles Geschmeide zu bringen, 2. Textanalyse und -interpretation
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2.2 Inhaltsangabe das er selbst hergestellt hätte. Zwar hätte er gelobt, der Heiligen Jungfrau in der Kirche St. Eustache eine Diamantenkrone zu fertigen, doch habe er sein Gelöbnis nicht gehalten. Auch deswegen müsste Olivier der Scuderi den Schmuck bringen. Diesen Botengang wollte Olivier nun dazu nutzen, um der Scuderi seine verzweifelte Lage bei Cardillac zu schildern und sie um ihre Hilfe zu bitten. Oliviers Plan gelang jedoch nicht. Als sich nach der erfolgten Aushändigung des Schmuckes zunehmend das Wesen Cardillacs verändert habe und man ihm seine bösen Mordgedanken hätte ansehen können, habe er, Olivier, nur die Möglichkeit gesehen, mit dem in die Kutsche der Scuderi geworfenen Zettel die Rückgabe des Schmuckes zu erwirken. Allerdings sei dies ergebnislos gewesen, daher sei für ihn nur die Möglichkeit geblieben, persönlich vor der Tür der Scuderi zu wachen und sie so zu schützen. Nachdem sich Cardillac, von Olivier beobachtet, in der Dunkelheit zur Straße St. Honoré aufgemacht hätte, sei zufällig ein Offizier vorbeigekommen und von Cardillac angefallen worden. Doch dieser habe sich wehren und Cardillac die tödliche Wunde versetzen können. Der herbeieilende ein Offizier versetzte Cardillac die Olivier sei Zeuge des Vorfalls gewortödliche Wunde den, aber vom Offizier zunächst für einen Helfer Cardillacs gehalten worden. Olivier habe die Wunde Cardillacs zusammen mit der aus dem nahen Haus herbeigeeilten Madelon versorgt, bis das erboste Volk die Wache auf ihn gelenkt habe, in der Meinung, den Mörder gefunden zu haben.
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Stichwörter/wichtige Textstellen: Den für Henriette von England bestimmten Halsschmuck lässt Cardillac durch Olivier der Scuderi bringen (59/25–60/2); Cardillac bereut die Herausgabe des Schmuckes (61/21–23); 2. Textanalyse und -interpretation
2.2 Inhaltsangabe Rückblende auf den nächtlichen Überfall Cardillacs (62/17–23); Eingeständnis der Schuld Oliviers wegen seines Schweigens über die Verbrechen Cardillacs (62/28–30); Vorsatz Oliviers, die Verbrechen Cardillacs der geliebten Madelon zu verschweigen (63/2–5). 63/6–68/18: Entschluss der Scuderi, Olivier zu helfen – Bericht des Grafen Miossens Auf Grund dieses Berichtes ihres Schützlings Olivier beschließt die Scuderi erneut, sich für Olivier einzusetzen. Jedoch wendet sie sich vergeblich an den berühmten Anwalt Arnaud d’Andilly, der ihr zunächst mit dem mehrdeutigen Spruch „Das Wahre muss nicht immer wahrscheinlich sein“ antwortet und damit seinen Zweifel an der Redlichkeit Oliviers ausdrückt. Nur Olivier selbst könne – so der Rat des Anwaltes – durch die Preisgabe aller Umstände des Mordes zu seiner Rettung beitragen. Auch ein Begnadigungsgesuch beim König sei nutzlos. Noch am gleichen Abend wird die Scuderi zu ihrer Überraschung von Graf Miossens besucht, dem Obristen der Garde des Königs. Dieser berichtet, dass er es gewesen sei, der Cardillac niedergestochen Miossens hat Cardillac habe, nachdem in ihm schon lange ein niedergestochen Verdacht aufgestiegen sei. Er selbst habe bei Cardillac einen Schmuck bestellt, und als dieser ihn voller Unruhe brachte und sich genau dabei erkundigte, für wen er bestimmt sei und zusätzlich seinen Kammerdiener ausgefragt habe, habe sich sein Verdacht gesteigert. Ferner sei ihm aufgefallen, dass alle Mordopfer in der gleichen Weise mit einem gezielten Dolchstoß ins Herz getroffen worden seien. Daher habe er einen Brustharnisch angelegt.
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2.2 Inhaltsangabe
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Stichwörter/wichtige Textstellen: Zweifel an Oliviers Schuld nach dem Bericht des Grafen Miossens (64/2–5); erneuter Versuch der Scuderi, die Verurteilung Oliviers abzuwenden (64/15–37); Hinweis des Anwaltes d’Andilly, nur Olivier könne den Mord an Cardillac klären; Hoffnung für Olivier wegen der Aussage des Grafen Miossens (66/11–68/10). 68/19–72/8: Wendung des Geschehens durch die Aussage des Grafen Miossens – beginnender Sinneswandel des Königs dank erneuter Aktivität der Scuderi
Der Anwalt d’Andilly überzeugt sich von der Richtigkeit der Darstellung der Scuderi und holt zusätzlich die Aussage des Grafen Miossens ein. Dieser bestätigt die Hilfeleistung Oliviers Cardillac gegenüber. Allerdings erschwere nach seiner Ansicht die Mitwisserschaft Oliviers an den Verbrechen die Lage, so dass schon deswegen die Todesstrafe nicht ausbleiben könne. Auf Anraten des Anwaltes wird Olivier dem Grafen Miossens gegenübergestellt, und als sich herausstellt, dass es sich zwischen Olivier und dem Grafen so verhielt, wie beide es dargestellt hatten, soll nach der Erwirkung eines Vollstreckungsaufschubes dem König Erwirkung eines Vollstreckungsder Sachverhalt dargelegt werden. aufschubes Diese schwierige Aufgabe soll die Scuderi übernehmen, die sich in festlich schwarzer Kleidung, mit dem Geschmeide Cardillacs versehen, zum König begibt, um diesem die Wendung des Geschehens zu berichten. Gleichzeitig schildert sie ihm die Not Madelons, aber auch den auf Anweisung des Präsidenten des Gerichtshofes, la Regnie, erfolgten Besuch Desgrais‘ bei Scuderi nach der entscheidenden Aussage des Grafen Miossens. Von dieser Wendung überwältigt, wünscht der König Madelon zu sehen, die
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2. Textanalyse und -interpretation
2.2 Inhaltsangabe auf Anraten der Scuderi bereits mit einer Bittschrift in einem Nebenraum wartet. Stichwörter/wichtige Textstellen: Bestätigung der Unschuld Oliviers nach Überprüfung der Aussagen des Grafen Miossens (68/25–32 und 69/22 f.); Auftritt der Scuderi mit dem Geschmeide Cardillacs vor dem König (70/12–35); entstehende Zweifel des Königs an der rechtmäßigen Festnahme Oliviers (71/10–72/8).
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72/8–76/17: Begnadigung Oliviers, Brautgeschenk des Königs mit der Aufforderung an das Brautpaar, Paris zu verlassen Von dem Anblick Madelons gerührt, scheint sich der König einer Affäre mit der ehemaligen Geliebten la Valliere zu erinnern. Er tröstet Madelon mit der Zusicherung, die gewonnenen Erkenntnisse dem Gerichtshof vorlegen zu wollen. Inzwischen ist auch die Aussage des Grafen Miossens nicht nur dem Gericht bekannt geworden, sondern auch der Bevölkerung, die nunmehr vor dem Palast des Gerichtspräsidenten la Regnie die Freilassung Oliviers fordert. Nach einer geheimen Unterredung des Königs mit Miossens und nach einem Besuch des vertrautesten Kammerdieners Bontems bei Olivier in der Conciergerie und in der Wohnung Cardillacs, wobei auch Olivier anwesend war, zeigt es sich, dass der König die Angelegenheit persönlich in die Hand genommen hat. Als er die Scuderi nach etwa einem Monat auffordern lässt, ihn in den Gemächern der Maintenon zu besuchen, teilt er ihr nach spannungsreichen Augenblicken die Freilassung Oliviers bereits erfolgte Freilassung Oliviers mit. Gleichzeitig äußert er sich anerkennend über ihre juristischen Fähigkeiten und ordnet an, Madelon tausend Louis als 2. Textanalyse und -interpretation
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2.2 Inhaltsangabe Brautgeschenk auszuzahlen, allerdings solle das Brautpaar Paris verlassen. Olivier zieht mit Madelon nach Genf. Nach etwa einem Jahr verkündet der Erzbischof von Paris, ihm sei von einem reuigen Sünder ein Juwelenschatz übergeben worden, und wer bis zum Ende des Jahres 1680 auf offener Straße seines Schmuckes beraubt worden sei, könne diesen kraft Cardillacs genau geführter Liste nach Meldung und Überprüfung durch den Advokat d’Andilly zurückerhalten. Was nicht abgeholt werde, falle der Kirche St. Eustache zu.
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Stichwörter/wichtige Textstellen: Gefühlsregung des Königs nach der Begegnung mit Madelon (72/10–15); Rettung Oliviers aus den Fängen der Justiz (73/8 f.); Information der Scuderi durch den König über die Befreiung Oliviers (74/25 f.); Brautgeschenk des Königs von tausend Louis an Madelon (75/4).
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2. Textanalyse und -interpretation
2.3 Aufbau
2.3 Aufbau: Epische und dramatische Gestaltungsmerkmerkmale Vordergründig lässt sich E. T. A. Hoffmanns Erzählung als fortlaufender, ungegliederter Text, der lediglich einzelne Absätze enthält, kennzeichnen. Hintergründig lenken Einzelheiten das Ereignis, die dem Bereich von Gefühl und Ahnung zuzuordnen sind. Das dramatische äußere Geschehen wird durch das einmalige, unerhörte Ereignis deutlich, das durch verschiedene Einzelsituationen vorbereitet wird. Aus dieser Sicht wird trotz der Bezeichnung „Erzählung aus dem Zeitalter Ludwig des Vierzehnten“ Goethes Forderung verwirklicht, die sich auf die Gestaltung einer Novelle bezieht: „... denn was ist eine Novelle anders als eine sich ereignete, unerhörte Begebenheit. Dies ist der eigentliche Begriff, und so vieles, was in Deutschland unter dem Titel Novelle geht, ist gar keine Novelle, oder bloß Erzählung oder was Sie sonst wollen ...“10 Allerdings gestaltet Hoffmann in seinem Text nicht nur ein einziges Ereignis als unerhörte Begebenheit, sondern mehrere Einzelbegebenheiten, die für sich betrachtet dramatische Elemente besitzen. Sie alle münden in ein unerhörtes Ereignis, nämlich den möglichen Gnadenerweis des Königs, der jedoch nur dank der akribischen Untersuchung des Kriminalfalles durch die Scuderi ermöglicht wird. Demnach kann der Aufbau der Erzählung als Summe und zugleich als Steigerung der Einzelereignisse gesehen werden, vergleichbar mit dem Aufbau des klassischen Dramas. 10 Eckermann, Johann Peter, Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens, Berlin und Weimar (Aufbau-Verlag) 1982, S. 194 f. 2. Textanalyse und -interpretation
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2.3 Aufbau Als Kriminalgeschichte folgt er einem für diese Textart typischen Schema: Dramatische Exposition: abgelegenes Haus, Mitternacht, unheimliches Pochen als Ankündigung eines Unheils, Abwesenheit des schützenden Bediensteten, Übergabe eines gefährlich scheinenden Kästchens durch einen sich bedrohlich verhaltenden jungen Mann; mögliche Gefahr durch das Kästchen für das Leben der Scuderi (3–8/24). Epische Exposition: Berichte über die Giftmorde in Paris und über neuerdings sich häufende Raubmorde mit jeweils damit verbundenem Juwelendiebstahl, Hilflosigkeit der Polizei; drastische Hinrichtungen als Folge der zahlreichen Verbrechen; Bericht über die realitätsfremde Situation am Hof des Königs und dessen Beschäftigung mit Versen.11 Verbindung der dramatischen mit der epischen Exposition: Einführung der Scuderi als Dichterin des symbolhaltigen Verses: „Ein Liebender, der die Diebe fürchtet, ist der Liebe nicht würdig.“12 Damit fordert die Scuderi einerseits den König und seine Staatsmacht auf, die unhaltbaren Verhältnisse in Paris zu beenden. Andererseits verlangt sie von dem „Liebenden“, d. h. von dem im Schutz der Dunkelheit wandelnden Liebhaber, Mut, Tapferkeit und Klugheit zu beweisen, wenn er zu seinem Ziel gelangen wolle. Inhaltlich berührt die Scuderi den Ausspruch des Advokaten d’Andilly, wonach das Wahre nicht immer das Wahrscheinliche sein muss: Fürchtet nun ein Liebender, während seines Weges zu seiner Geliebten beraubt und ermordet zu werden, existiert als Realität nur die Furcht – die Wahrscheinlichkeit des Mordes und der Beraubung ist zwar vorhanden, aber nur als Möglichkeit, nicht als Realität.
Kriminalgeschichte
11 vgl. Kanzog, Klaus, E. T. A. Hoffmanns Erzählung Das Fräulein von Scuderi als Kriminalgeschichte. In: Mitteilungen der E.T.A. Hoffmann-Gesellschaft Bamberg, Heft 11, 1964, S. 1 ff. 12 übersetzt (18/1920).
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2. Textanalyse und -interpretation
2.3 Aufbau Die Zitate der Scuderi und des Advokaten d’Andilly verbinden äußerlich und innerlich das Epische mit dem Dramatischen und beziehen sich nicht nur auf die Situation in Paris, sondern ebenso auch auf den König: Menschlichkeit steht gegen das juristisch korrekte Verhalten – nicht ohne Grund fordert die Scuderi von dem Gerichtspräsident la Regnie in ihrer Hilflosigkeit: „Seid menschlich“ (40/6). Trotz der belastenden Indizienbeweise gegen Olivier und ihrer nunmehr eigenen Zweifel betrifft die Bitte an den Präsidenten des Gerichtshofes nicht nur das laufende Verfahren gegen Olivier, sondern auch die Staatsmacht, verantwortet durch den König: Wenn endlich dafür gesorgt werde, Furcht und Schrecken wegen der Morde zu beseitigen, habe die Menschlichkeit gesiegt. Gleichzeitig wird der Gegensatz zwischen der Scuderi und Cardillac deutlich, denn auch dieser hat durch seine Gier und die damit verursachten Morde Egoismus und Unmenschlichkeit bewiesen. Der Aufbau des Textes lässt sich noch unter einem anderen Blickwinkel darstellen: a) Objektiv scheinender Bericht über die Zustände in Paris, über die Giftmorde und die Verstrickung, in die Olivier und Madelon gegen ihren Willen hineingeraten; b) Subjektive Berichte der Martiniere, Oliviers, Madelons; schließlich Cardillacs Lebensbeichte Olivier gegenüber. Damit werden äußere und innere dramatisches und episches Handlungen gekennzeichnet und mitGeschehen einander verbunden. Sie verschränken sich sowohl im Fortgang des Textes als auch in einem dramatischen und einem epischen Geschehen: Spannung, Konflikt, Handlungsreichtum und Gegensätzlichkeit einerseits, Erzählen als Vermitteln zwischen Ereignis und Zuhörer andererseits.13 13 vgl. Wilpert, Gero von, Sachwörterbuch der Literatur. 1. Aufl. Stuttgart 1955. 2. Textanalyse und -interpretation
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2.3 Aufbau 2.3.1 Einzelschritte, die als Schilderung des realen Geschehens das unerhörte Ereignis vorbereiten: Aktuelle Situation: Schauerstimmung durch mitternächtliches „hartes“ Anklopfen; Furcht vor dem Öffnen wegen des fehlenden männlichen Schutzes; zufälliges Eintreffen der Schutztruppe Desgrais’ zusammen mit dem Diener Baptiste (3–8/24). Rückblende: Schilderung zahlreicher Giftmorde und der allgemeinen Unsicherheit in Paris (8/25–11/26); Vergebliche Verhinderungsversuche der Verbrechen durch die Justiz; verstärkte Aktivität bei der Untersuchung und Bestrafung der Morde (11/27–13/8); Änderung der Situation: Vermeintliches Auftreten einer Gaunerbande; nächtliche Ermordung argloser männlicher Passanten, die wertvollen Schmuck bei sich tragen (13/9–14/29); Schilderung der Verfolgung eines spurlos durch eine Mauer verschwundenen Mörders (14/30–16/10), allgemeine Furcht und erfolglose Beantragung eines eigenen Gerichtshofes (16/10–35). Eintritt von Magdaleine de Scuderi in die Handlung als Dramatisierung des Geschehens: Überreichung eines im Namen der Liebhaber verfassten Gedichtes an den König mit dem Ziel der Machterweiterung und Durchsetzungskraft der Justiz (16/36–18/27). Rückbesinnung auf das Schmuckkästchen: Peinlichkeit für eine dreiundsiebzigjährige Dame, Schmuck als Zeichen der Verehrung annehmen zu müssen (18/28–20/14); Erinnerung an den von der Scuderi verfassten Sinnspruch über die Würdigkeit eines Liebhabers für seine Geliebte
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2. Textanalyse und -interpretation
2.3 Aufbau (20/15–22/3); Entdeckung René Cardillacs als Absender des Schmuckes (22/4–23/16). Cardillacs merkwürdiges Verhalten: Ungewöhnliche Weigerung, selbst gefertigte Schmuckstücke abzugeben (23/16–25/12); sonderbares Verhalten bei der Begegnung mit der Scuderi (25/13–27/3); Offenbarung der Zuneigung zur Scuderi (27/3–28/6). Reaktion auf das Verhalten Cardillacs: Koketterie der Scuderi bei gleichzeitiger Erkenntnis der peinlichen Situation (28/7–28/25); Vermutung eines grauenvollen Geheimnisses um Cardillac und den Schmuck (28/26–29/15); Überwindung der Peinlichkeit der Begegnung mit Cardillac durch humoristische Verse der Scuderi (29/16–29/25). Hinweise auf eine bevorstehende Katastrophe: Ungewöhnliche Aufforderung zur Rückgabe des Schmuckes (29/26–31/14); Verzögerung der Rückgabe des Schmuckes durch gesellschaftliche Verpflichtungen (31/15–32/8). Die äußerliche Katastrophe: Tumult im Hause Cardillacs als böses Omen (32/9–32/24); Beschuldigung Olivier Brussons durch die Volksmenge und durch Leutnant Desgrais (32/25–33/24). Beschäftigung mit dem Verbrechen durch die Scuderi: Mitleid der Scuderi mit Madelon und deren Betreuung in Scuderis Haus (33/24–34/8); Bericht Madelons als Rückblende auf den tatsächlichen Vorgang (34/9–35/10); Entschluss der Scuderi, die Rettung Oliviers zu betreiben (35/10–36/23); Be2. Textanalyse und -interpretation
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2.3 Aufbau such der Scuderi bei la Regnie, um ihn von seinem Vorurteil gegen Olivier in dem Kriminalprozess abzubringen (37/13); überzeugende Beweisführung la Regnies gegen Olivier (36/24– 40/23); Erkenntnis der Scuderi, in Olivier den Überbringer der Nachricht, den Schmuck an Cardillac zurückzugeben, gefunden zu haben (40/24–41/11); beginnende Zweifel der Scuderi an der Unschuld Oliviers (41/12–42/25). 2.3.2 Einzelschritte, die zum Nachweis von Oliviers Unschuld führen: Besuch Desgrais’ auf Geheiß la Regnies bei der Scuderi mit der Bitte, Olivier in ihrer Wohnung unter vier Augen anzuhören (42/25–44/34); Darstellung biografischer Einzelheiten durch Olivier, die der Scuderi noch in Erinnerung sein mussten (44/35–47/37); Bericht Oliviers über den Aufenthalt bei Cardillac (47/37–49/12); Bericht Oliviers über seine Entlassung aus Cardillacs Dienst und die Beobachtung seines Raubüberfalles (49/12–51/25); Bericht Oliviers vom Besuch Cardillacs und dessen Angebot, wieder bei ihm arbeiten und Madelon heiraten zu dürfen (51/26–53/14); Rückkehr Oliviers wegen der Liebe zu Madelon in Cardillacs Haus trotz schwerer Vorbehalte (53/15–54/14); Bericht und Information der Scuderi durch Olivier über Cardillacs eigene Schilderung seiner krankhaften und verbrecherischen Veranlagung (54/14–57/3); Bericht Oliviers über Cardillacs Vorgehensweise bei seinen Überfällen (57/3–58/17); Preisgabe des Versprechens von Olivier an Cardillac, dessen Sammlung der geraubten Schmuckstücke nach dessen Tod mit einem noch geheimen Mittel zu vernichten (58/18–59/13); Begründung Cardillacs, den für Henriette von England gefertigten Schmuck der Scuderi überbringen zu lassen (59/13–60/30); Hoffnung Oliviers, durch die Scuderi aus dem Bannkreis Cardillacs be-
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2. Textanalyse und -interpretation
2.3 Aufbau freit zu werden (60/30–61/15); Sinneswandel und Reue Cardillacs wegen des der Scuderi überbrachten Schmuckes (61/15–61/26); Oliviers Erkenntnis der von Cardillac ausgehenden Gefahr für die Scuderi (61/26–62/1); Oliviers Beobachtung des Überfalls auf Miossens während der nächtlichen Annäherung an Cardillacs Haus (62/2–62/18); Hilfeleistung für Cardillac durch Olivier und dessen Transport in seine Wohnung (62/18–62/27); Oliviers Schweigen zu dem Verhalten Cardillacs wegen seiner Rücksicht gegenüber Madelon (62/ 26–63/5); Unmöglichkeit für die Scuderi, die Unschuld Oliviers ohne Preisgabe des tatsächlichen Sachverhaltes zu beweisen (63/6–64/14); Ablehnung eines Gesuches der Scuderi durch la Regnie wegen der aus Rücksicht gegen Madelon durchgehaltenen Weigerung Oliviers, ihren Vater als Mörder zu enttarnen (64/15–66/12); Miossens’ Bekenntnis vor der Scuderi, Cardillac niedergestochen und die Tat aus Furcht vor la Regnie verschwiegen zu haben (66/13–68/18); Aussage Miossens’ als Grund für die Verschiebung des Todesurteils gegen Olivier und als erneute Information des Königs (68/19– 69/29); Geschick der Scuderi, dem König den wirklichen Tathergang ohne Erwähnung Oliviers zu schildern und gleichzeitig seine Aufmerksamkeit auf die Tugend Madelons zu richten (69/30–71/15); Beratung des Königs mit seinem Vertrauten, dem Marquis de Louvois (71/15–24); Erinnerung des Königs an seine ehemalige Geliebte la Valliere und Feststellung von Madelons Ähnlichkeit mit dieser (71/24–73/2); Aussage Miossens’ vor der Chambre ardente, Sinneswandel des Volkes und Befreiung Oliviers im Anschluss an Nachforschungen des Königs (73/3–74/26); Freilassung Oliviers, finanzielle Entschädigung durch ein Geldgeschenk des Königs an das Brautpaar Madelon und Olivier mit der Anweisung, Paris zu verlassen (74/26–76/17). 2. Textanalyse und -interpretation
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2.3 Aufbau 2.3.3 Lösung der dramatischen Situation: Begnadigung Oliviers als Ergebnis der Bemühungen Scuderis und des Sinneswandels des Königs Die Aussage des Grafen Miossens führt zum positiven Ergebnis und kann als eigentlicher Höhepunkt der Erzählung gesehen werden, zumal sie von la Regnie und damit auch von der Chambre ardente anerkannt wird. Der Sinneswandel des Königs ist somit eine Folge neuer Ergebnisse, die bei der ersten Entscheidung des Gerichtes nicht hatten vorliegen können. Damit wird auf den Höhepunkt des dramatischen Geschehens vorbereitet, das sich schon zuvor als Ergebnis der Aktivitäten der Scuderi angedeutet hatte durch • die Tugend Madelons und Oliviers • die Untersuchung im Hause Cardillacs und • die innere Überzeugung des Königs von der Redlichkeit Madelons (71/12–15). Diese Wendung des Geschehens folgt der Moralvorstellung, wonach die auch vom König als tugendhaft erkannte Madelon sich nicht an einen unglaubwürdigen Menschen binden kann. Insofern ist das Ergebnis von Wertvorstellungen geprägt, die für Hoffmann und seine Zeit als allgemeine Normen Gültigkeit besitzen: Trotz aller gegenteiligen Untersuchungsergebnisse siegt das Gute und Wahre über das Unrecht in Gestalt eines Justizirrtums und damit Todes eines Unschuldigen. 2.3.4 Verschiebung des Blickwinkels innerhalb der Erzählung Der Sinneswandel des Königs ermöglicht, den Handlungsaufbau noch unter einem weiteren Blickwinkel zu betrachten:
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2. Textanalyse und -interpretation
2.3 Aufbau Der Jurist Hoffmann verschiebt die Problematik des durchsetzbaren anfangs stark kriminalistischen Elebzw. angewandten Rechts mente auf die Ebene der Problematik des durchsetzbaren bzw. angewandten Rechts, was vom Leser nachvollzogen werden kann. Anschließend fügt er eine weitere Ebene durch die Einführung der königlichen Gnade hinzu und gestaltet damit etwas Unangreifbares, das jenseits von Alltagsrealität und möglicher Rechtsauffassung steht.14
14 Der Zusammenhang zwischen Hoffmanns Tätigkeit als Jurist und sein innerer Zwiespalt bei seiner Verpflichtung im Rahmen der sog. Demagogenverfolgung soll hier nicht aufgezeigt werden. 2. Textanalyse und -interpretation
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2.4 Personenkonstellation und Charakteristiken
2.4 Personenkonstellation und Charakteristiken Um den dramatischen Konflikt zu verdeutlichen, bedarf es konflikttragender Gegensätze. Diese entstehen ausschließlich durch individuelle Handlungen einzelner Personen. Auf Grund unterschiedlicher Charaktermerkmale lassen sie sich in drei Gruppen aufteilen: 2.4.1 Personen im Umkreis des königlichen Hofes Ludwig XIV. steht zwar über dem verfahrenen Rechtsfall in scheinbarer Objektivität, dass er stark stimmungsabhängig und gefühlvoll ist, beweist er jedoch durch die Zuwendung zu Madelon, die Wangen von „hohem Purpur“ (72/4) und einen „schönen Lilienbusen“ (72/6 f.) besitzt und den König wegen ihrer Schönheit betroffen macht (72/11 f.). Damit wird er seiner Charakterisierung gerecht, wonach er als der leuchtende Polarstern aller Liebe und Galanterie gilt (17/10 f.). Staatsmännisches Geschick oder herausragende Persönlichkeitsmerkmale werden nicht dargestellt, zumal er sich eng an die herrschende Meinung der Bediensteten und Institutionen bindet. Dadurch verursacht er ein moralisches Vakuum, das zwangsweise zum Verfall der Herrschaft und folglich zur Revolution führt. Mit seiner schwankenleistet der Rechtsunsicherheit den Meinung leistet er der RechtsVorschub unsicherheit Vorschub, was im Text jedoch nicht direkt ausgesprochen wird. d’Andilly, Pierre Arnaud, wird zwar als berühmtester Advokat in Paris in das Geschehen eingeführt (65/6–8), sein Durchsetzungsvermögen gegenüber dem „Gerichtshof zur Untersuchung und Bestrafung der heimlichen Verbrechen“, der
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2. Textanalyse und -interpretation
2.4 Personenkonstellation und Charakteristiken „Chambre ardente“, (11/28–30) scheitert jedoch an seinem zweideutigen und opportunistischen Verhalten, mit dem er sich aus einer Zwangslage befreit. Er beweist mit seiner Antwort auf das Hilfeersuchen der Scuderi mit dem literarischen Zitat „Das Wahre muss nicht immer wahrscheinlich sein“ (65/ 15 f.) seine Hilflosigkeit und damit seine Zuflucht zu einem Orakelspruch, dessen Deutung offen bleiben muss. Natürlich kennt er die gesellschaftlichen Verflechtungen am Hof und wagt es nicht, sich entweder für das Anliegen der Scuderi oder für die staatserhaltende Ordnung einzusetzen, für die Argenson und la Regnie verantwortlich sind. Er lässt die Ereignisse weiterhin treiben und billigt zum Zweck der Verbrechensbekämpfung den blinden Eifer des Präsidenten, der sogar vor Grausamkeiten nicht zurückschreckt (12/32 f.). Dabei bemerkt er nicht, dass er sich durch dieses schwankende Verhalten ähnlich wie der König als unfähig erweist, die staatstragende Rechtmäßigkeit und somit auch die Sicherheit für alle Bürger zu gewährleisten. Argenson steht als Polizeiminister unter einem Erfolgsdruck und greift wegen des Verfalls jeglicher Sicherheit im nächtlichen Paris alles auf, was verdächtig scheint (14/1–3). Seine Aktionen haben jedoch wegen ihrer Erfolglosigkeit nur symbolische Wirkung, was dadurch unterstrichen wird, dass er einen fünfzehn Schritte vor Leutnant Desgrais erfolgten Mord nicht verhindern kann. Er sieht sich gezwungen, die rechtmäßige Gerichtsbarkeit mit zusätzlich ausgedehnter Macht zu betrauen (16/29–31), was letztlich einer Aufhebung des Rechts entspricht. Athénais, Françoise, die Marquise von Montespan, ist als ehemalige Geliebte des Königs eine eitle Person, die dennoch „nicht solchen Schmuck besitz(t)“ (19/31), wie er im „Kästchen“ enthalten ist. 2. Textanalyse und -interpretation
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2.4 Personenkonstellation und Charakteristiken Boileau-Despréaux, Nicolas, ist ein durch Witz und Geschmack bekannter Schöpfer der Satire, des poetischen Briefes, des Epigramms und des komischen Epos’. Er ist mitverantwortlich für die Verzögerung der Rückgabe des Schmuckkästchens an Cardillac (31/23). Bontems, der vertrauteste Kammerdiener des Königs, besucht Olivier in der Conciergerie. Er ist an der Durchsuchung des Hauses von Cardillac beteiligt und überbringt dem König die Nachricht von der Unschuld Oliviers, worauf dieser aus der Haft entlassen wird (74/20). Bonzy, Kardinal, wird verdächtigt, bei der la Voisine das Mittel gefunden zu haben, mit dem er alle Personen, denen er als Erzbischof von Norbonne Pensionen zu zahlen hatte, vergiften konnte (12/16–20). Bouillon, von, Herzogin, befindet sich auf der „Liste“ des Kardinal Bonzy, nachdem dieser bei der la Voisin das unheimliche Gift gefunden hat; wird wegen der Verbindung mit dem „teuflischen Weib“ la Voisin angeklagt (12/20). De Brinvillier, Marquise (9/10 f.), die Tochter von Dreux d’Aubray, gilt als entartetes Weib. Sie wird durch Godin de Sainte Croix zu einem Ungeheuer, das Schande über die ganze Familie bringt. Auch den Chevalier du Guet hat sie vergiftet und wird vom verkleideten Desgrais in Lüttich verhaftet, nach Paris gebracht und enthauptet. Ihre Asche wird „in die Lüfte zerstreut“ (11/3). de la Chapelle, Jean, Dramatiker, ahmt den Stil Racines nach. Er ist mit Boileau die Ursache für die Verzögerung der Rückgabe des Schmuckes an Cardillac (31/19–26). La Chaussee ist als Gehilfe von Sainte Croix schon vor der Brinvillier enthauptet worden (10/37). Desgrais ist Beamter der Marechaussee und Leutnant (7/24). Beteiligt sich an der nächtlichen Kontrolle in Paris, auf die
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2. Textanalyse und -interpretation
2.4 Personenkonstellation und Charakteristiken Baptiste bei seiner vorzeitigen Rückkehr stößt. Als Geistlicher verkleidet reist er nach Lüttich, um mit einem Liebeshandel die Brinvillier zu verhaften und nach Paris zurückzuholen. Er soll den geheimsten Schlupfwinkel des Verbrechens entdecken. Dreux d’ Aubray, Zivil-Leutnant in Paris, ist der Vater der Marquise de Brinvillier (9/14). De la Fare, Marquis, wird in der Nähe des Louvre angefallen (14/35 f.). Du Guet, Chevalier, wird von der Marquise de Brinvillier vergiftet (10/5). Maintenon, eigentlicher Name d’Aubignè, Françoise, ist Gattin des Dichters Paul Scarron und wird nach dem Tod ihres Ehemannes von Ludwig XIV. zur Marquise de Maintenon ernannt. Sie erzieht ab 1669 die Kinder Ludwigs XIV., wird täglich nach dem Mittagsmahl und vor und nach dem Abendessen vom König besucht und ist stets bei der Arbeit des Königs und seiner Minister anwesend. Sie empfängt die Scuderi und den König in ihren Gemächern. Miossens, Graf, Obrist der Garde des Miossens hat den Goldschmied Königs (66/11 ff.), wünscht die Scuderi Cardillac niedergestochen spät abends zu sprechen und berichtet ihr, dass er den Goldschmied Cardillac niedergestochen habe, nachdem er beim Kauf eines Schmuckes Verdacht wegen dessen merkwürdigem Verhalten geschöpft hatte. Deshalb trug er bei der Tat einen Brustharnisch, da die Wunde durch den nächtlichen Mörder immer an derselben Stelle zugefügt wurde. Montansier, Herzogin, bestellt die Scuderi zu sich, so dass sich die Rückgabe des Schmuckes in dem „Kästchen“ an Cardillac verzögert (31/28 f.). De Montmorenci, François Henri, Herzog von Luxemburg, ist Mitglied des höchsten Adels und Marschall des Reiches. Er 2. Textanalyse und -interpretation
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2.4 Personenkonstellation und Charakteristiken wird der Verbindung mit dem „teuflischen Weib“ la Voisin angeklagt (12/23) und von le Tellier und la Regnie in ein sechs Fuß langes Loch eingesperrt (12/27 f.). Perrault, Claude, entwirft als bedeutender Architekt die Fassade des Louvre. Er unterhält zu dem geistreichen Boileau freundschaftliche Beziehungen (31/26). Racine ist ein von der Maintenon besonders begünstigter Dichter, dessen Auftritt am Hof Ludwigs XIV. ebenfalls ein Grund für die Verzögerung der Rückgabe des Schmuckes an Cardillac ist (31/21). Er soll vom König einen von Cardillac gearbeiteten Ring erhalten. La Regnie lässt sich als Präsident des Gerichtshofes zur „Untersuchung und Bestrafung der heimlichen Verbrechen“ (11/ 28–30) durch seinen blinden Eifer zu Grausamkeiten verleiten (12/32 f.). De Scoraille, Maria Angélique, war als Marquise de Fontange vor der Maintenon die Geliebte des Königs. Sie wird von der Scuderi als Vorbild für Schönheit genannt, so dass dieser das Kästchen mit dem Schmuck geschenkt werden sollte (27/ 13 f.). Le Tellier, François Michel, Marquis de Louvois, ist seit 1668 Kriegsminister und Berater des Königs und hat auf diesen bedeutenden Einfluss. Er lässt den Herzog Montmorenci einkerkern (12/27) und empfiehlt dem König, Madelon in einer Audienz persönlich zu beurteilen (71/17). Tournay, von, Marquis (8/14 f.), wird mittels eines vergifteten Briefes ermordet, als er ihn öffnet.
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2. Textanalyse und -interpretation
2.4 Personenkonstellation und Charakteristiken 2.4.2 Personen im Umkreis der Scuderi Baptiste, Koch, Bediensteter und Türsteher der Scuderi, kommt aus Sorge wegen der Sicherheit des Hauses nachts vorzeitig von der Hochzeit seiner Schwester zurück (7/17) und trifft dabei mit dem flüchtenden Eindringling und dem hinzukommenden Desgrais zusammen (7/24). Brusson, Claude, geschickter Uhrmacher; warb bei der Scuderi um deren Pflegetochter Anne Guiot. Er ließ seinen Sohn Olivier oft bei der Scuderi, die ihn wie eine Mutter verwöhnte. Wegen des Brotneides der Kollegen in Paris wanderte er mit seiner Frau nach Genf aus, wo er bescheiden lebte (46/8 ff.). Brusson, Olivier, Sohn des Claude Brusson, berichtet der Scuderi, von einem Kunden in Genf wegen seiner hervorragenden Goldschmiedearbeit auf den Goldschmied Cardillac in Paris aufmerksam gemacht worden zu sein (47/37). Er arbeitet bei Cardillac, bis dieser ihn wegen seiner Liebe zu dessen Tochter Madelon aus dem Haus wirft. Er beobachtet Cardillac nachts bei einem Mord und will dem von Cardillac erstochenen Mann helfen, wird aber von der hinzukommenden Polizeiwache festgenommen (50/30–35), als Geselle des beliebten Cardillac jedoch wieder freigelassen. Nach dem Tod Cardillacs wird er verhaftet und von der Scuderi im Gefängnis besucht. Dabei wird er von ihr als Überbringer des Zettels in die Kutsche, der die Aufforderung zur Rückgabe des Schmuckes enthielt, erkannt. Bei seinem Freigang aus dem Gefängnis berichtet er der Scuderi vom Überfall Cardillacs auf einen Offizier, der sich erfolgreich wehren konnte und Cardillac schwer verletzte. Bisher hatte er aus Rücksicht auf Madelon die Raubmorde ihres Vaters verschwiegen. Bei seiner Unterredung mit der Scuderi gibt er sich als Sohn ihrer Sohn ihrer Pflegetochter Pflegetochter Anne Guiot zu erkenAnne Guiot nen. Sein Schweigen zu den Verbre2. Textanalyse und -interpretation
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2.4 Personenkonstellation und Charakteristiken chen Cardillacs bezeichnet er als seine einzige Schuld. Nach dem Bekenntnis des Grafen Miossens, das mit der Aussage Oliviers übereinstimmt, wird er vom König begnadigt (75/4). Auf Anordnung des Königs muss er jedoch Paris verlassen und zieht nach der Hochzeit mit Madelon nach Genf (75/30). Cardillac, Madelon, Tochter des Goldschmieds Cardillac (33/ 14) und Verlobte von Olivier Brusson, findet mit Olivier ihren niedergestochenen Vater und versorgt ihn in dessen Wohnung (35/12). Sie beteuert bei der Festnahbeteuert Oliviers Unschuld me Oliviers dessen Unschuld und wird nach einem Ohnmachtsanfall von der Scuderi aufgenommen. Nach dem Gnadengesuch der Scuderi wird sie zum König gerufen und erhält nach der Begnadigung Oliviers einen Brautschatz von 1000 Louis (75/4). Zusammen mit Olivier muss sie Paris verlassen (75/7). Cardillac, René, geschicktester Goldschmied in Paris und einer der kunstreichsten und sonderbarsten Menschen seiner Zeit (22/17 f.). Trotz seines Alters von kraftvoll wie ein Jüngling über fünfzig Jahren ist er kraftvoll wie ein Jüngling. Er wirft seinen Gesellen Olivier wegen dessen Liebe zu Madelon aus seinem Haus und wird anschließend von diesem bei einem nächtlichen Mord beobachtet. Daher holt er Olivier in sein Haus zurück, berichtet ihm von seinem „bösen Stern“, den er von seiner Mutter geerbt habe (56/8–10), und von seiner Unruhe nach jeder Ablieferung eines Schmuckes. (65/22–25). Er zeigt Olivier die geraubten Schmuckstücke und den geheimen Ausgang für seine nächtlichen Überfälle (58/20–23). Dabei erzählt er von seiner Verehrung für die Scuderi, vor der sein böser Stern erbleiche (59/20–24). Er lässt Olivier den Schmuck zur Scuderi bringen (60/27–30). Guiot, Anne, Tochter eines verarmten Bürgers, wurde von klein auf von der Scuderi aufgenommen und mit Liebe erzo-
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2. Textanalyse und -interpretation
2.4 Personenkonstellation und Charakteristiken gen (45/28–31). Sie heiratet den Uhrmacher Claude Brusson und lässt ihren Sohn Olivier von der Scuderi aufziehen. Später zieht die Familie nach Genf. Martiniere, Kammerfrau der Scuderi, öffnet dem nächtlichen Anklopfer (5/22). Sie begleitet die Scuderi in der Glaskutsche, als in diese ein Zettel geworfen wird (30/8). Patru, Claude, alter Meister, wohnt im Parterre, dicht neben der Haustür Cardillacs (38/15), und berichtet, wie Cardillac am Abend seiner Ermordung die Haustür absperrte. Mit seiner Aufwärterin nahm er in der Wohnung Cardillacs Unruhe und Stöhnen wahr und hörte Olivier und die nachträgliche Untersuchung in Cardillacs Wohnung (73/36). Scuderi, Magdaleine von, Verfasserin anmutiger Verse (3/2 f.); wohnt in der Pariser Straße St. Honoré. Trotz der möglichen Gefahr, die von dem Kästchen ausgeht, öffnet sie dieses und entdeckt die Widmung der „Unsichtbaren“ (20/21–33). Sie beabsichtigt, den Schmuck Cardillac zurückzubringen, auf Drängen der Maintenon behält sie ihn zunächst und schreibt über diese Begebenheit Verse, die diejenigen des Dichters BoileauDespréaux nach Ansicht des Königs übertreffen (29/Anm.). Sie nimmt Madelon Cardillac nach der Ermordung ihres Vaters zu sich und hat schon Anne Guiot, die Mutter Oliviers, vor Jahren bei sich aufgenommen und erzogen (45/28). Sie besucht Olivier Brusson im Gefängnis und bricht bei seinem Anblick zusammen, da sie in Olivier den Überbringer des Zettels in die Kutsche erkennt. Beim Freigang Oliviers während seiner Haft erfährt sie von ihm von den Morden Einsatz für die Sache der Cardillacs. Daher bewirkt sie mit ihGerechtigkeit ren Einsatz für die Sache der Gerechtigkeit beim König die Freilassung Oliviers (74/25 f.). Seron, berühmtester Arzt in Paris; betreut Madelon während ihrer Ohnmacht wegen der Festnahme Oliviers (33/36). 2. Textanalyse und -interpretation
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2.4 Personenkonstellation und Charakteristiken 2.4.3 Mörder und Giftmischer Exili, Italiener (8/33), schließt sich dem Apotheker Glaser an. Stellt das feine Gift her, das ohne Spur den Tod bringt (9/5); wird in die Bastille gebracht (9/8). Glaser, bester Apotheker in Paris, stammt aus Deutschland; beschäftigt sich mit alchemistischen Versuchen (8/31) und entwickelt ein Gift, das ohne sichtbare Spuren zum schnellen Tod führt (9/2–6). Le Sage, Giftmischer, Spießgeselle der la Voisin, versetzt auch starke und tapfere Personen in Furcht und Schrecken (12/4–6). De Sainte Croix, Godin, Hauptmann, wird in der Bastille im selben Raum mit Exili eingesperrt (9/9). Er hatte mit der Marquise de Brinvillier lange ein Verhältnis, das Schande über die ganze Familie brachte. Als eifrigster Schüler Exilis kann er selbstständig Gift mischen und vergiftet sich durch ein Missgeschick (10/19 f.). Le Vigoureux zusammen mit le Sage Spießgeselle der la Voisin (12/4). La Voisin, „teuflisches Weib“, alte Geisterbeschwörerin und Wahrsagerin, stellt mit le Sage und le Vigoureux Gift her (12/ 1–6). Wird von der Chambre ardente zum Feuertod verurteilt (12/11 f.). 2.4.4 Beziehungen einzelner Personen zueinander Hoffmann gelingt es, ein Beziehungsgeflecht aufzuzeigen, das wie ein feststehendes gesellschaftliches Muster wirkt. Es scheint, als hätten sich die herausragenden Personen in festgelegten Kreisen zu bewegen und daher starre Rollen einzunehmen. Daher können sie auch nicht frei handeln und verstärken das von Hoffmann entworfene Schwarz-Weiß-Gemälde.
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2. Textanalyse und -interpretation
2.4 Personenkonstellation und Charakteristiken Diese Trennung von Gut und Böse rückt die Erzählung in die Nähe des Märchens, weil letztlich das Gute siegen muss. Der Kreis um Magdaleine von Scuderi: Das unangreifbare Feld der Menschlichkeit Magdaleine von Scuderi steht zwar nicht im Vordergrund, dennoch laufen alle Fäden des Geschehens bei ihr zusammen. Damit lenkt sie den Fortgang der Entlenkt den Fortgang der wicklung innerhalb der Geschichte, Entwicklung gleichzeitig wirkt sie wie ein Katalysator, der allerdings nur zur Verhinderung eines Justizirrtums und damit Todes eines Unschuldigen führt, nicht jedoch für die in der Dunkelheit begangenen Morde. Ihre Leistung besteht darin, das geheimnisvolle Schmuckkästchen am Hof vorzulegen und somit die Aufklärung der Verbrechen einzuleiten. Gleichzeitig führt ihre Bitte an la Regnie über die vordergründig nach Recht und Unrecht suchende Justiz in einen anderen Bereich: Die Worte „Seid menschlich“ (40/6) zielen auf eine Ebene, die für la Regnie und – vorerst – für den König unerreicht bleibt, denn Rechtssicherheit und Staatserhaltung können nicht mit Fragen der Menschlichkeit erzielt werden. Die Forderung, menschlich zu handeln, verschafft der Scuderi jedoch Überlegenheit: Trotz der klaren Beweislage gegen Olivier besitzt sie immer noch die kaum zu besiegende Waffe ihrer eigenen Menschlichkeit, die somit ihr Ansehen stärkt. Nicht ohne Grund gelingt es ihr, bei dem tumultartigen Vorgang in Cardillacs Wohnung den Überblick zu behalten: „Ehrerbietig weicht das Volk der würdigen Dame“ (33/4 f.). Weder la Regnie noch der König könnten es somit wagen, ein Urteil zu vollstrecken, das die Scuderi als Unrecht empfinden müsste. Weil sie wie eine kaum wahrnehmkaum wahrnehmbare Drahtzieherin bare Drahtzieherin die handlungs2. Textanalyse und -interpretation
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2.4 Personenkonstellation und Charakteristiken tragenden Personen dorthin lenkt, wo sie zum guten Ausgang der verworrenen Situation beitragen können, ist sie als Verkörperung des Guten auch die moralische Instanz, über die sich nicht einmal der König hinwegsetzen kann. Ihr Verhältnis zu la Regnie und zum König ist somit unangreifbar. Als ehemalige Pflegemutter von Anne Guiot ist sie deren Sohn Olivier Brusson ebenso zugetan wie dessen Braut Madelon, der Tochter Cardillacs. Aus diesen Bindungen erklärt sich die mütterliche Sorge für Olivier. Der Aktivität der Scuderi ist es zu verdanken, dass sie eine Art Familienbindung aufbauen kann, in die sogar der Goldschmied Cardillac indirekt einbezogen wird. Es gelingt ihr auch, den berühmten Arzt Seron für ihre Zwecke zu gewinnen, indem er Madelon aus der Ohnmacht hilft. Der Advokat Pierre Arnaud d’Andilly spielt eine zwiespältige Rolle im Kreis der Scuderi, da er die Freilassung Oliviers erst nach der Bekanntgabe der Aussage von Miossens regelt. Somit kann auch der zum Hof des Königs zu rechnende Graf Miossens im weitesten Sinn in den Kreis der Scuderi eingeordnet werden. Am äußeren Rand stehen der Bedienstete Baptiste ebenso wie der alte Meister Claude Patru. Sie sind nicht in das eigentliche Geschehen einbezogen. Der Kreis des Dämonischen als innere Treibkraft des Geschehens Cardillac besitzt als einzige Gestalt der Erzählung dämonische Merkmale. Gerade weil er am Hof des Königs und beim Volk als untadeliger Mensch gilt, der mit seinen künstlerischen Fähigkeiten einzigartige Werke schafft, überragt er nicht nur seine Kollegen, sondern baut um sich eine Schranke auf, die niemand zu durchbrechen wagt. Weil er den Wert seiner Schöpfungen
dämonische Merkmale
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2. Textanalyse und -interpretation
2.4 Personenkonstellation und Charakteristiken richtig einschätzt, fällt es ihm schwer, sich von ihnen zu trennen. Der von ihm geschaffene Schmuck übt in doppelter Weise dämonische Kraft aus: Zum einen verändert er nach Auslieferung an den Käufer sein Wesen wegen der Vorstellung, ein Toter trage den Schmuck. Das ist ein Hinweis auf seinen Zwang, den Träger des Schmuckes zu ermorden. Cardillac fühlt sich erst dann von diesem dämonischen Zwang befreit, wenn er durch den Mord weiß, dass der Träger den Schmuck nicht mehr braucht. Die Vorstellung, wonach das Geschmeide von einem Toten getragen werde (56/36) und damit von einem, dem dies nicht zukomme, ist neben der Besessenheit Ansporn, es zurückzuholen. Cardillacs Dämonie besteht somit nicht in der Absicht zu morden, sondern darin, den zwanghaften Trieb zu befriedigen. Trotz bester Vorsätze, trotz der Nähe zur verehrten und geliebten Scuderi krankhafte Eigenliebe überwiegt die krankhafte Eigenliebe. Nicht einmal ihr kann er einen Teil seiner selbst überlassen, da sich ein „unaussprechliche(r) Hass“ (57/1) auf sie richten müsste. An dieser Gespaltenheit scheitert Cardillac, auch wenn er – zufällig – von Graf Miossens erstochen wird. Hoffmann zeigt nicht nur den Sieg des Guten über das Böse, sondern auch das Dämonische, das mit sich selbst uneinig ist. Der Kreis der schlichten Mörder Exili, der italienische Giftmischer, besitzt die Fähigkeit, sein feines Gift so herzustellen, dass es ohne nachweisbare Spur den Tod bringt. Diese Kunst beherrscht auch Glaser, ein deutscher Apotheker, der „alle Ärzte täuscht, die, den Giftmord nicht ahnend, den Tod einer natürlichen Ursache zuschreiben müssen“ (9/2–6). Beide Giftmischer haben es darauf abgesehen, „den Stein der Weisen“ (8/32) zu finden und sich damit Gewinne zu verschaffen. Im Gegensatz zu Cardillac handelt 2. Textanalyse und -interpretation
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2.4 Personenkonstellation und Charakteristiken es sich um unbedeutende Mörder. Le Sage, le Vigoureux und la Voisin belegen nur den Hintergrund der verbrecherischen Verhältnisse in Paris und bleiben somit passiv. Der Kreis der Staatsgewalt König Ludwig XIV. als Personifikation seines Staates ist nicht unmittelbar in das Alltagsgeschehen eingebunden, was der Scuderi bewusst ist. Daher verhandelt sie zunächst mit la Regnie über die Freilassung ihres Schützlings Olivier. Als Vertreter des Staates, der zu Objektivität verpflichtet wäre, kann er bei dem Gespräch mit der Scuderi „ein feines, beinahe hämisches Lächeln“ (36/35–37) nicht unterdrücken, womit seine Voreingenommenheit gekennzeichnet wird. Da la Regnie keine Veranlassung hat, sich in besonderer Weise um den Mord an Cardillac zu kümmern, genügen ihm die vorgelegten Indizienbeweise. Nur Graf Miossens nimmt eine Sonderrolle ein: Er wird als einziges Mitglied des Hofes von sich aus wegen des Prozesses gegen Olivier aktiv. Die übrigen Beamten und Bediensteten werden, wie der Polizeiminister Argenson und der Präsident der Chambre ardente, la Regnie, von der Scuderi um ihren Einsatz für ihre gerechte Sache gebeten. Offensichtlich kann sich der König, der über allem steht, nicht gegen la Regnie und Argenson durchsetzen. Er gehört somit zu den schwächsten Gestalten am Hof. Daher gelingt es der Scuderi auch, sich, Madelon und Olivier in den Kreis der Staatsgewalt einzuführen und ihr Ziel durchzusetzen.
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2. Textanalyse und -interpretation
2.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen
2.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen Hoffmann bedient sich einer leicht leicht verständliche Prosa verständlichen, mehr dem Realismus als der Romantik verpflichteten Prosa. Erläuterungen seines Textes sind nicht erforderlich, zumal die Reclamausgabe Anmerkungen enthält, die sich auf Sachverhalte, einzelne Straßen und Plätze in Paris um das Jahr 1680 beziehen sowie die historische Einordnung der genannten Personen aufzeigt. Sachfragen haben jedoch bei dem auf psychologische Merkmale ausgerichteten Text ohnedies nur untergeordnete Bedeutung. Das liegt daran, dass Hoffmanns eigenwillige Figuren überwiegend seiner eigenen Fantasie entstammen, wie dies auch in seinen anderen Werken, z. B. auch bei Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza oder bei allen Gestalten im Goldnen Topf beobachtet werden kann. Sicher verstecken sich hinter ihnen zuweilen reale Personen aus seiner Zeit, z. B. der Polizeidirektor von Kamptz, der in parodistischer Zuspitzung als Knarrpanti in dem Märchen Meister Floh erscheint. Hoffmanns Vorliebe für die Dunkelheit zeigt ebenfalls, dass es ihm weniger auf die Darstellung überprüfbarer Sachverhalte als auf die Gestaltung mysteriöser Ereignisse ankommt – nicht ohne Grund Gestaltung mysteriöser Ereignisse gibt es den Begriff „Gespenster-Hoffmann“. Trotz seiner fantasievollen Vorstellungskraft ist es dennoch wahrscheinlich, dass Das Fräulein von Scuderi, das den Untertitel Erzählung aus dem Zeitalter Ludwig des Vierzehnten enthält, auf überlieferte Texte zurückgreift. Insbesondere gilt das für die Sammlung von Kriminalgeschichten des französischen Rechtsgelehrten François Gayot de Pitaval (1673–1743): Einerseits wird damit das Interesse an Giftmorden, 2. Textanalyse und -interpretation
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2.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen andererseits auf merkwürdig übereinstimmende Raubmorde gelenkt. Weil die Erzählung zwar historische Ereignisse enthält, diese jedoch ins Fantastische überträgt, entspricht sie dem serapiontischen Prinzip und schilBegebenheiten, die möglich sein dert somit Begebenheiten, die möglich könnten sein könnten.
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2. Textanalyse und -interpretation
2.6 Stil und Sprache
2.6 Stil und Sprache Die sprachliche Besonderheit Hoffmanns zeigt sich im Gegensatz zu manchem seiner Zeitgenossen, z. B. zu Eichendorff, gleich zu Beginn der Erzählung. Seine Sprache ist nüchtern und sachbezogen und auf genaue Darlegung wichtiger Einzelheiten ausgerichtet. Diese Objektivierung des Objektivierung des Ausdrucks Ausdrucks darf jedoch nicht einseitig gedeutet werden, da sie mit ihrer klaren Schärfe stets auf einen makabren Höhepunkt zusteuert. So heißt es mit – scheinbar – deutlich klarer Ortsbestimmung: „In der Straße St. Honoré war das kleine Haus gelegen, welches Magdaleine von Scuderi, bekannt durch ihre anmutigen Verse, durch die Gunst Ludwig des XIV. und der Maintenon, bewohnte“ (3/1–4). Die Informationsfülle dieses ersten Satzes lässt sich kaum überbieten: • Genaue Bezeichnung der Straße, die auf einem historischen Stadtplan zu finden sein muss, • Kennzeichnung der Größe des Hauses, • genauer Name der Bewohnerin, • Kennzeichnung der Tätigkeit der Bewohnerin, • Nennung der Bezugspersonen, die den Wohnsitz ermöglicht haben. Anders verhält es sich bei Hoffmanns Zeitgenossen Eichendorff, aus dessen Werk zwei Beispiele angeführt werden sollen: Eichendorff beginnt seine sicher bekannteste Erzählung Aus dem Leben eins Taugenichts in sprachsprachlich lyrische Verträumtheit lich lyrischer Verträumtheit: „Das Rad an meines Vaters Mühle brauste und rauschte schon wieder recht lustig, der Schnee tröpfelte emsig vom Dache, die Sperlinge zwitscherten und tummelten sich dazwischen; ...“ (RUB Nr. 2354, S. 3.) 2. Textanalyse und -interpretation
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2.6 Stil und Sprache Die Informationen dieses Satzes sind an Fantasie und an subjektive Sichten des Lesers gebunden: • Ungenaue Kennzeichnung des Rades, • ungenaue Kennzeichnung der Art der Mühle, • fehlende Abgrenzungsmöglichkeit zwischen „brausen“ und „rauschen“, • Bezug der Verben nur grammatisch auf das Rad, inhaltlich auf das nicht genannte Wasser, • ungenaue Kennzeichnung der Art des Geräusches als „recht lustig“, sprachlich korrekt, inhaltlich jedoch erklärungsbedürftig, • ungenaue Zusatzinformation durch die Angabe „schon wieder“. Die Methode Eichendorffs lässt sich noch an einem anderen Beispiel belegen: Der Beginn der Erzählung Das Marmorbild lautet: „Es war ein schöner Sommerabend, als Florio, ein junger Edelmann, langsam auf die Tore von Lucca zuritt, sich erfreuend an dem feinen Dufte, der über der wunderschönen Landschaft und den Türmen und Dächern der Stadt vor ihm zitterte, sowie an den bunten Zügen zierlicher Damen und Herren, ...“ (RUB Nr. 2365, S. 3.) Die Informationen sind wieder auf die jeweils persönliche Stimmung ausgerichtet und verhindern eine überprüfbare und eindeutige Aussage: • • • • • •
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Schöner Sommerabend, Florio, ein junger Edelmann, langsam auf die Tore zuschritt, sich erfreuend an dem feinen Dufte, der über der wunderschönen Landschaft zitterte, sowie an den bunten Zügen zierlicher Damen und Herren. 2. Textanalyse und -interpretation
2.6 Stil und Sprache Auch hier lässt sich ein greifbarer Sachverhalt nicht klar bestimmen, weil alles in allgemeinen Bildern festgehalten ist. Im Gegensatz zu Hoffmann will Eichendorff auch nicht Spannung durch ein erregendes Geschehen erzeugen oder bestimmte Menschen, wenn auch verschlüsselt, charakterisieren. Seine Sprache entspricht dem verträumten Inhalt, daher kann sie auch nicht so zupackend und zwingend sein wie diejenige Hoffmanns. Im Gegensatz zu Eichendorff, der mit seiner weichen Beschreibung alles in Pastellfarben zu hüllen scheint, scheut Hoffmann jedoch vor Sprachbildern nicht zurück. Seine Tochter Madelon bezeichnet Cardillac Olivier gegenüber als „süße Frucht“ (49/9), wobei er nicht ihren Zustand kennzeichnet, sondern vielmehr Oliviers Begehrlichkeit trifft. Auch die Scuderi bedient sich vielseitig auszudeutender Aussagen, was mit dem vielseitig auszudeutende Aussagen Sinnspruch „Ein Liebender, der die Diebe fürchtet / ist der Liebe nicht würdig“ (übersetzt, 18/19–20) zum Ausdruck kommt. Der König bezeichnet den Vers der Scuderi als „ritterlich“ (18/21), zumal er offensichtlich Bezugspunkte im Sinn hat und somit das von der Scuderi aufgezeigte Geschehen mit dem dazugehörigen Verhalten auf bestimmte Personen überträgt. Demnach weiß der König von den nachts auf den Straßen gehenden Liebhabern, die ihr Ziel im Schutz der Dunkelheit suchen. Als Verantwortlicher für seine Bürger muss er auch für die Sicherheit der die Dunkelheit bevorzugenden Liebhaber sorgen – Hoffmann spricht dies zwar nicht aus, im Handlungsverlauf wird es aber durch die Aktivitäten des Grafen Miossens, aber auch durch la Regnie und Argenson deutlich. Anstatt die Naturstimmung zu beschreiben, wie es bei Eichendorff geschieht, betont Hoffmann die Nacht und somit das Unheimliche: Nicht an einem schönen Sommerabend, wie bei Eichen2. Textanalyse und -interpretation
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2.6 Stil und Sprache dorff, sondern spät um Mitternacht beginnt das Geschehen. Es wird dabei auch nicht an das Tor geklopft, sondern „hart angeschlagen“, ein Beispiel für das genaue Erfassen nicht nur des Sachverhaltes, sondern auch der Stimmung. Auch dies erklärt die Bezeichnung „Gespenster-Hoffmann“. Dass er das Gespenstisch-Unheimliche ohne VorBetonung und Gestaltung des warnung gleich im ersten Satz einDämonischen setzt, deutet auf ein Programm hin: die Betonung und Gestaltung des Dämonischen. So zeigt sich vor allem in der Erzählung Das Fräulein von Scuderi eine – scheinbar – greifbare Wirklichkeit in der Nähe zum Realismus, auch wenn häufig das Fantastische überwiegt. Diese Wirklichkeitsnähe lässt sich insbesondere an Hoffmanns Satzbau erkennen, dessen verschlungene Konstruktion nach Informationen zu weiteren Sachverhalten drängt. Wieder wird hier der Unterschied zu Eichendorff deutlich. Dennoch lässt sich die Vorliebe zu Symbolen und Vorliebe zu Symbolen und traumtraumhaften Darstellungen nicht überhaften Darstellungen sehen: So ist das krankhafte Verhalten Cardillacs die Darstellung, wie weit ein Mensch den finsteren dunklen Mächten verfallen kann und entspricht dem serapiontischen Prinzip gemäß der diskutierenden Erzählform der Serapions-Brüder, deren Zusammenkünfte formal dem Realistischen verhaftet sind.
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2. Textanalyse und -interpretation
2.7 Interpretationsansätze
2.7 Interpretationsansätze Vordergründig lässt sich die Erzählung unter dem Gesichtspunkt der Kriminalgeschichte erfassen. Allerdings besitzt die Klärung des Verbrechens dabei nur untergeordnete Bedeutung. Hoffmanns Text würde durch die Überbetonung des Kriminalfalles verstümmelt und falsch gedeutet, obwohl die ausführlich dargestellten Indizienbeweise zur Überbetonung des Kriminalistischen15 verleiten. Die Frage nach Schuld und möglicher Frage nach Schuld und Sühne Sühne16 zielt auf die Problematik des Künstlers Cardillac. Die Einschränkung seiner Schuld könnte sich aus der vorgeburtlichen Prägung durch seine Mutter ableiten, eine Sicht in der Nähe der, wenn auch vergröberten, Abstammungslehre. Cardillac muss bei seinem Bekenntnis einsehen, dass er lange Zeit aus innerer Not gehandelt hat. Aus ähnlicher Problematik lässt sich Olivier betrachten, da sein Gewissenskonflikt in der Schuld besteht, lange Zeit das Treiben Cardillacs gedeckt zu haben. Seine Sühne hat er als Geselle Cardillacs bereits geleistet, obwohl er sich auf Grund seiner skrupulösen Veranlagung schuldig fühlt und bereit wäre, die ungerechtfertigte Verurteilung durch den Gerichtshof anzunehmen. Hoffmann hat den Tod für die Gestaltung gesellschaftlicher Zusammenhänge verwendet und somit die Darstellung des Todes mit derjenigen des Lebens verbunden.17 Die thematische Abgrenzung zwischen Mord, Totschlag und Zwangs-
15 s. dazu Kanzog 16 vgl. Himmel, Hellmuth, Schuld und Sühne der Scuderi. Zu Hoffmanns Novelle. In: Mitteilungen der E. T. A. Hoffmann-Gesellschaft Bamberg, Heft 7, 1960, S. 1 ff. 17 vgl. Segebrecht, Wulf, Hoffmanns Todesdarstellungen. In: Mitteilungen der E. T. A. HoffmannGesellschaft Bamberg. Heft 12, 1966, S. 11 ff. 2. Textanalyse und -interpretation
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2.7 Interpretationsansätze handlung bedürfte zwar juristischer Hilfe, gibt aber der Erzählung zusätzliche Blickwinkel. Ob es sich bei Cardillac um die VerVerschmelzung von Verbrechen, schmelzung von Verbrechen, KünstlerKünstlertum undWahnsinn tum und Wahnsinn18 handelt, ist eine Frage der Sicht und vor allem der Definition der einzelnen Begriffe: Somit wäre seine Beichte nicht so sehr der Versuch, sich durch Erklärung seines Verhaltens zu rechtfertigen, sondern die Darstellung seiner „ödipalen Situation“19. In den Bereich von Schauspiel, Oper, Film und Fernsehen ist der Scuderi-Stoff ebenfalls eingedrungen: Otto Ludwigs Drama Das Fräulein von Otto Ludwig Scuderi aus den Jahren 1846/47 benutzt zwar die von Hoffmann aufgezeigte Thematik, doch werden die Motive und Handlungen Cardillacs anders begründet: Da das Schöne nie fertig werde, weil es immer noch schöner sein könne, solle auch niemand von Vollendung eines Kunstwerkes sprechen. Das Problem von Sein und Schein wird nicht nur an einem Kunstwerk, sondern auch an dem Künstler Cardillac aufgezeigt. So ist er ordentlicher, geschätzter Bürger und gleichzeitig mörderischer Künstler.20 An dieser Differenz von Sein und Schein geht Cardillac schließlich zu Grunde. Paul Hindemiths Oper Cardillac, die Paul Hindemith erstmals 1926 in Dresden aufgeführt wurde, enthält eine stark vereinfachte und zudem noch verfremdete Handlung. Cardillacs Gegenspieler ist Graf Miossens, der Madelon liebt und aus diesem Grunde Cardillac zu retten versucht. Dennoch entgeht Cardillac seinem Schicksal nicht und muss seine Verbrechen gestehen. 18 vgl. Schneider, Peter, Verbrechen, Künstlertum und Wahnsinn. Untersuchungen zur Figur des Cardillac in E. T. A. Hoffmanns Das Fräulein von Scuderi. In: Mitteilungen der E. T. A. HoffmannGesellschaft Bamberg. Heft 26, 1980, S. 34 ff. 19 ebd. S. 36 20 vgl. Gorski, Gisela, Das Fräulein von Scuderi in Schauspiel, Oper, Film und Fernsehen. In: Mitteilungen der E. T. A. Hoffmann-Gesellschaft Bamberg, Heft 26, 1980, S. 76 ff.
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2. Textanalyse und -interpretation
2.7 Interpretationsansätze Eugen York schuf den Film zum Eugen York Scuderi-Stoff. Da ab 1896 LiteraturVerfilmungen in Mode gerieten, gab es zahlreiche Filme dieser Art. Allerdings wurden sie nie der literarischen Textvorlage gerecht, zumal die Wünsche des Publikums zu berücksichtigen waren. Insgesamt entstanden unter dem Titel Das Fräulein von Scuderi fünf Fassungen. Dem Medium Film entsprechend handelt es sich dabei nur um Bearbeitungen des literarischen Werkes, so dass Teile der Textvorlage und Figuren entsprechend dem Gebot der Unterhaltung gestrichen werden mussten. Am 27. Januar 1976 sendete das ZDF das Fernsehspiel E. T. A. Hoffmann: ‚Das Fräulein von Scuderi’. Ein Krimi aus dem Paris Ludwigs XIV. Fernsehbearbeitung: Karl Wittlinger, Regie: Lutz Büscher. Dabei wurde die Reihenfolge der Szenen der Originalvorlage z. T. umgestellt.
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3. Themen und Aufgaben
3.
Themen und Aufgaben
Zur historischen Einordnung Stellen Sie mit Hilfe einer Kulturgeschichte wichtige historische Ereignisse und Entscheidungen in Europa während der Regierungszeit Ludwigs XIV. (1643– 1715) fest. Vergleichen Sie diese historischen Ereignisse mit denen der Lebenszeit E. T. A. Hoffmanns (1776–1822). Welche geschichtlichen Leistungen lassen sich auf Ludwig XIV. zurückführen?
Textgrundlage: Stein, Werner: Kulturfahrplan. Die wichtigsten Daten der Kulturgeschichte von Anbeginn bis heute. Berlin 1970
Zur Kennzeichnung herausragender Personen Stellen Sie gemeinsame Merkmale und Textgrundlage: Unterschiede zwischen der Gestalt des S. 17 f., 21, 27 f., Cardillac und derjenigen der Scuderi fest 33, 35, 40 unter Berücksichtigung von Ansehen, Tätigkeit, gesellschaftlichem Umgang und Verhältnis zu jungen Menschen. Beurteilen Sie das Verhalten Ludwigs Textgrundlage: XIV. gegenüber der Scuderi und gegenüS. 70 ff., 74 f. ber Madelon. Beurteilen Sie das Leben am Hof Ludwigs XIV. und das sittliche Verhalten des Königs nach derzeit geltenden Maßstäben.
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3. Themen und Aufgaben
3. Themen und Aufgaben
Was sagt der Ausspruch der Scuderi: „Ein Liebender, der die Diebe fürchtet, ist der Liebe nicht würdig“ (18/19 f.)? Beurteilen Sie, ob Olivier Brusson für die in der Erzählung aufgezeigten Schwierigkeiten selbst verantwortlich ist oder ob er sie hätte vermeiden können. Beurteilen Sie das Verhalten Madelons nach heutigen Maßstäben. Warum lässt sich Cardillac als Verbrecher und liebevoller Vater, als Bürger und Künstler bezeichnen? Beurteilen Sie die Vorgehensweise der Chambre ardente im Vergleich zur derzeitigen Rechtssprechung und Rechtssicherheit für den einzelnen Bürger. Erklären Sie den Sinneswandel des Rechtsanwaltes d’Andilly und berücksichtigen Sie dabei seine Feststellung: „Das Wahre muss nicht immer wahrscheinlich sein“ (65/Anm.). Begründen Sie die Anordnung des Königs, wonach Olivier und Madelon Paris verlassen müssen (75/7).
Textgrundlage: S. 17 f. Textgrundlage: S. 34
Textgrundlage: S. 33 Textgrundlage: S. 13, 18, 22, 44–49, 50 f., 61 Textgrundlage: S. 64
Textgrundlage: S. 66, 68
Textgrundlage: S. 72 f.
Anm.: Die jeweiligen Aufgaben lassen sich meist nur aus dem Gesamtzusammenhang und nicht aus einzelnen Textstellen klären und sind somit als Denkanstöße gedacht.
3. Themen und Aufgaben
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4. Rezeptionsgeschichte
4.
Rezeptionsgeschichte
Ausführliche Auszüge aus Bewertungen der Erzählung finden sich in den Erläuterungen von Hans Ulrich Lindken (s. Literaturverzeichnis), die Texte zu Diskussion enthalten, die zwischen 1912 und 1971 entstanden sind. Ferner hat Horst Künzel 1983 Materialien und Arbeitsvorschläge zusammengestellt, die in der „Buchners Lesereihe Deutsch“ des C. C. Buchners Verlages erschienen sind21 und folgende Sichten enthalten: • Das sicher angenehmste Urteil über Hoffmanns Erzählung findet sich in einem Brief der Gebrüder Wilmans vom 11. Februar 1820, in dem die Verleger wegen des Erfolges des Werkes eine Kiste mit fünfzig Flaschen „Rüdesheimer Hinterhaus“, Jahrgang 1911, ankündigen (vgl. auch Lindken, S. 45). • Walther Harich betont in dem Nachwort zur HoffmannGesamtausgabe von 1924, Bd. 2, die Spannung zwischen bürgerlicher und künstlerischer Existenz (Harig, S. 109 f.). • Gisela Gorski zeigt den Kontrast zwischen Unterhaltungskünstlerin (Scuderi), echtem Künstler (Cardillac) und normalem, gemeinem Verbrechertum (z. B. Sainte Croix oder la Voisin). Da Cardillac nur während der Nacht Männer tötet, sei dies ein Unterschied zu dem Vorgehen der gemeinen Mörder (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik, Nr. 77, Stuttgart 1980). • Richard Alewyn sieht in der ErzähNähe zu einem Detektivroman lung die Nähe zu einem Detektivroman, da es bei ihr nicht um die Darstellung eines Mordes, sondern um dessen Aufklärung gehe (s. Lindken, S. 85). 21 vgl. Künzel, Horst, Das Fräulein von Scuderi. In: Buchners Lesereihe Deutsch, H. 7, 1. Aufl. Bamberg 1992.
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4. Rezeptionsgeschichte
4. Rezeptionsgeschichte • Klaus Kanzog betont typische Elemente der Kriminalgeschichte und stellt dazu eine Motivkette her (vgl. Fußnote 11). • Johannes Klein erkennt zwar nicht das Übergewicht der Detektivgeschichte, dafür jedoch kriminalistische Merkmale (vgl. Lindken, S. 112 ff.). • Josef Kunz betont das romantische Element, das die Nacht und starre Welt- bzw. Menschenbilder enthält (Kunz, S. 122 f.). • Wulf Segebrecht untersucht die Einbeziehung des Todes in die Einbeziehung des Todes in die DarDarstellung des Lebens stellung des Lebens als konsequente Fortsetzung von Hoffmanns künstlerischem Weg (s. Fußnote 17). • Hellmuth Himmel fragt nach Schuld und Sühne und zeigt, dass Cardillac noch vor der Begegnung mit der Scuderi unter dem Einfluss eines Dämonen steht (s. Fußnote 16).
4. Rezeptionsgeschichte
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5.1 Hoffmanns Selbstdeutung seiner Erzähltechnik
5.
Materialien
Zunächst könnte man sich über Hoffmann wundern: Als Jurist am Berliner Kammergericht scheint er von seinem Metier kaum Gebrauch machen zu wollen. Die Beurteilung der Morde unter Berücksichtigung von Cardillacs krankhaftem Verhalten bleibt hinter den ausgelösten Erschütterungen zurück. Auch vermeidet Hoffmann eine Diskussion über die Rechtmäßigkeit der erfolgten Verteidigung des Grafen Miossens, die für Cardillac das Ende bedeutete, zumal die Notwehr des Grafen nicht spontan, sondern in voller Absicht und somit unter Hinnahme möglicher Folgen geschah. Nicht der Blick des Juristen Hoffmann, sondern der des Anteil nehmenden Erzählers ist auf das außergewöhnliche Geschehen gerichtet. Es geht ihm offensichtlich nicht so sehr um das Verbrechen, sondern um ein komplexes Gesamtkomplexes Gesamtgeschehen geschehen, das ohnedies zahlreiche Ungereimtheiten enthält.
5.1 Hoffmanns Selbstdeutung seiner Erzähltechnik Bereits die erste Erzählung Der Einsiedler Serapion aus den durch die Erzähltechnik verbundenen Erzählungen und Märchen enthält in kaum verschlüsselter Weise Hoffmanns Methode, eine Einheit zwischen seiner außergewöhnlichen Vorstellungskraft und der von ihm erfahrenen Lebensrealität herzustellen: Schon der Beginn mit seiner Anrede zeigt dies deutlich auf:
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5. Materialien
5.1 Hoffmanns Selbstdeutung seiner Erzähltechnik „Ihr wisst, dass ich mich vor mehreren Jahren einige Zeit hindurch in B ( Anm.: Bamberg), einem Orte, der bekanntlich in der anmutigsten Gegend des südlichen Teutschlands gelegen, aufhielt. ... Da saß nun der Anachoret aus der alten Zeit des Christentums in Salvator Rosas wildem Gebürge (!) lebendig mir vor Augen. – Ich besann mich bald, dass ein Ambulierender Mönch wohl eben nichts Ungewöhnliches in diesen Gegenden sei, und trat keck auf den Mann zu mit der Frage, wie ich mich wohl am leichtesten aus dem Walde hinausfinden könne, um nach B zurückzukehren. Er maß mich mit finsterm Blick und sprach dann mit dumpfer feierlicher Stimme: ‚Du handelst sehr leichtsinnig und unbesonnen, dass du mich in dem Gespräch, das ich mit den würdigen Männern, die um mich versammelt, führe, mit einer einfältigen Frage unterbrichst! – Ich weiß es wohl, dass bloß die Neugierde, mich zu sehen und mich sprechen zu hören, dich in diese Wüste trieb, aber du siehst, dass ich jetzt keine Zeit habe, mit dir zu reden...‘“22 Der Ich-Erzähler, der es wagt, den Gedankenaustausch mit dem frühchristlichen Einsiedler Serapion in Einsiedler Serapion seiner Wald-Einsamkeit anzusprechen, wird von diesem schroff getadelt. Gerade dieser Tadel muss jedoch als Kern eines intensiven Gedankenaustausches und damit Gespräches gesehen werden. Gleichzeitig verschwimmt der Unterschied zwischen realer, nachvollziehbarer Zustandsschilderung des Einsiedlers und dessen Gespräch mit seinen – für den ebenfalls real vorhandenen Fragesteller – nicht sichtbaren Gesprächspartnern, mit den „Brüdern“. Das Gespräch Serapions und damit dasjenige Hoffmanns ist somit in den Bereich der Fantasie entrückt und dadurch erst zur eigentlichen Wirklichkeit geworden. Wie sehr diese fantastische Wirklichkeit im Sinne Hoffmanns und damit auch im 22 E. T. A. Hoffmann, Der Einsiedler Serapion. In: E. T. A. Hoffmann. Werke in vier Bänden, Bd. 2, S. 217 f. 5. Materialien
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5.1 Hoffmanns Selbstdeutung seiner Erzähltechnik Sinne des normalen Alltagsmenschen angenommen wird, zeigt sich in der Erzählung im weiteren Verlauf, als ein „normaler“ Mensch von dem Verhalten Serapions erfährt: „Ich erzählte ihm unterwegs mein Abenteuer und fragte ihn, wer wohl der wunderliche Mann im Walde sei. ‚Ach lieber Herr,’ erwiderte der Bauer, ‚das ist der würdige Mann, der sich Priester Serapion nennt und schon seit vielen Jahren im Walde eine kleine Hütte bewohnt, die er sich selbst erbaut hat. Die Leute sagen, er sei nicht recht richtig im Kopfe, aber er ist ein lieber frommer Herr, der niemanden (sic!) etwas zu Leide tut und der uns im Dorfe mit andächtigen Reden recht erbaut und uns guten Rat erteilt, wie er nur kann.‘“23
23 ebd., S. 217 f.
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5.2 Grundlegende Deutungen der Sicht Hoffmanns
5.2 Grundlegende Deutungen der Sicht Hoffmanns Hans Mayer24 spricht bei Hoffmanns Texten vom ungelösten Rest, den der Leser selbst zu bewältigen habe, da seine Wirklichkeitsauffassung der Eindeutigkeit entbehre: „Die Welt Hoffmanns kann nur in ihrer Dualität verstanden werden.“ Die eine Welt des Dichters ist Realität des Hier und Jetzt, die andere muss Sachverhalte voraussetzen. „Die Zweiteilung der Wirklichkeit als Dualität gegensätzlicher Raum- und Zeitvorstellungen durchzieht gerade die wichtigsten Werke des Erzählers Hoffmann ... Es gibt zwei Wirklichkeiten zwei Wirklichkeiten in der Dichtung 25 E. T. A. Hoffmanns.“ Hartmut Steinecke weist auf das abschließende Gespräch der Serapions-Brüder hin, das für die Deutung des gesamten Werkes Hoffmanns als Leseanweisung und Verständnishilfe zu sehen ist: „‚Mag‘, sprach Ottmar, ‚mag jeder tragen was er kann, jedoch nur nicht das Maß seiner Kraft für die Norm dessen halten, was dem menschlichen Geist überhaupt geboten werden darf. Es gibt aber sonst ganz wackre Leute, die so schwerfälliger Natur sind, dass sie den raschen Flug der erregten Einbildungskraft irgend einem krankhaften Seelenzustande zuschreiben zu müssen glauben und daher kommt es, dass man von diesem, von jenem Dichter bald sagt, er schriebe nie anders, als berauschende Getränke genießend, bald seine fantastische (sic!) Werke auf Rechnung überreizter Nerven und daher überstandenen Fiebers setzt. Wer weiß es denn aber nicht, dass jeder auf diese jene Weise erregter Seelenzu24 Mayer, Hans, Die Wirklichkeit E. T. A. Hoffmanns. In E. T. A. Hoffmann, Werke, Bd. 4, S. 461 ff. 25 ebd., S. 465. 5. Materialien
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5.2 Grundlegende Deutungen der Sicht Hoffmanns stand zwar einen glücklichen genialen Gedanken, nie aber ein in sich gehaltenes geründetes (sic!) Werk erzeugen kann, das eben die größte Besonnenheit erfordert.‘“26 Hinsichtlich der Realitätsnähe der Scuderi betont Steinecke die historischen Quellen bei der Darstellung der politischen Ereignisse und Hintergründe. „Eine darin überlieferte Anekdote über die berühmte französische Schriftstellerin bietet den erzählerischen Kern ... wie er (Anm.: d. h. Hoffmann) historische Personen psychologisch ausgestaltet, historisch nicht belegte Personen hinzuerfindet: das kann ein Blick auf diese berühmte Erzählung zeigen.“ 27 Ernst Bloch bringt Hoffmann mit Edgar Allan Poe in Verbindung, wobei er den positiven Ausgang des Handlungsgeflechtes kritisch betrachtet und dabei das serapiontische Prinzip betont, was in voller Konsequenz eine Entfernung vom real-kriminalistischen Geschehen bedeuten könnte: „Der Anfang zum clever end scheint schwer gewesen zu sein, wurde später leider desto leichter. Hoffmanns ‚Fräulein von Scuderi’ öffnet 1819 die Bahn, mit der edlen alten Dame fast schon detektivhaft, den Goldschmied entlarvend, seinen Gesellen rettend. Scharf entwickelt aber, bereits mit allem Zubehör, wurde das Genre durch E. A. Poe, wie bekannt; Modell gibt ‚The murders in the Rue Morgue’, 1841, mit Mr. Dupin als klarem Detektiv, mit dem sonderlich schwer herauszuhorchenden Täter, einem OrangUtang. ... Der detektivische Kammergerichtsrat Hoffmann ging recht eigentlich über in das ‚serapiontische Prinzip’ des Malers, Musikers, Dichters.“28 26 Steinecke, Hartmut, E. T. A. Hoffmann, Stuttgart 1997 (Reclam), S. 127 f. 27 ebd., S. 125. 28 Bloch, Ernst: Philosophische Ansicht des Detektivromans. In: E. B., Gesamtausgabe, Bd. 9, Frankfurt a. M., 1965, S. 245 ff, zit. n. Lindken, S. 90.
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Literatur
Literatur Die im Kapitel 4 genannten Werke geben in groben Zügen einen Überblick über den derzeit aktuellen Stand der Forschung. Darin wird auf weitere Literatur, deren Erörterung den Rahmen sprengen würde, verwiesen. Dokumente zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des Textes finden sich bei Lindken, S. 39 ff., wobei eine klare Trennung zwischen Literaturangaben und Materialien nicht getroffen werden kann. Die darin enthaltenen Abschnitte IV („Das serapiontische Prinzip“), V („Zur Problematik der Kriminalerzählung“) und VI („Texte zur Diskussion“) ermöglichen es, Hoffmanns Erzählung Das Fräulein von Scuderi nicht nur nach verschiedenen Aspekten, sondern auch als komplexe Erzählung zu erfassen. Primärliteratur: E. T. A. Hoffmann, Das Fräulein von Scuderi., Stuttgart: Reclam Universalbibliothek Nr. 25, 1969. (Nach dieser Ausgabe wird zitiert.) E. T. A. Hoffmann, Werke in vier Bänden. Neu durchgesehen und revidiert von Herbert Kraft und Manfred Wacker. Frankfurt am Main: Insel Verlag, 1967. Verwendete Sekundärliteratur: Alewyn, Richard, Ursprung des Detektivromans. In: Richard Alewyn, Probleme und Gestalten. Frankfurt am Main 1974. Literatur
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Literatur Bloch, Ernst, Philosophische Ansicht des Detektivromans. In: Ernst Bloch, Gesamtausgabe, Band 9, Frankfurt am Main, 1965. Gorski, Gisela, Das Fräulein von Scuderi. Stuttgart 1980. Gorski, Gisela, Das Fräulein von Scuderi in Schauspiel, Oper, Film und Fernsehen. In: Mitteilungen der E. T. A. HoffmannGesellschaft Bamberg, 1980, Heft 26. Harich, Walther, Nachwort zu Band 2. In: E. T. A. Hoffmann. Gesamtausgabe in 15 Bänden. Herausgegeben und mit Nachworten versehen von Walther Harich, Weimar 1924. Heine, Heinrich, Die romantische Schule. Erstes Buch. In: Heines Werke in fünf Bänden. Vierter Band, Berlin und Weimar: Aufbau Verlag, 1978. Himmel, Hellmuth, Schuld und Sühne der Scuderi. Zu Hoffmanns Novelle. In: Mitteilungen der E. T. A. Hoffmann-Gesellschaft Bamberg, 1960, Heft 7. Hoffmann, E. T. A., Der Einsiedler Serapion. In: E. T. A. Hoffmann. Werke in vier Bänden, Frankfurt am Main 1967, Band 2. Hoffmeister, Gerhart, Deutsche und europäische Romantik, Stuttgart 1978. Kanzog, Klaus, E. T. A. Hoffmanns Erzählung „Das Fräulein von Scuderi“ als Kriminalgeschichte. In: Mitteilungen der E. T. A. Hoffmann-Gesellschaft Bamberg, 1964, Heft 11.
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Literatur
Literatur Klein, Johannes, Geschichte der deutschen Novelle von Goethe bis zur Gegenwart. Wiesbaden, 1954. Künzel, Horst, Das Fräulein von Scuderi. In: Buchners Lesereihe Deutsch, Bamberg 1992, Heft 7. Kunz, Josef, Die deutsche Novelle zwischen Klassik und Romantik. Berlin, 1992. Lindken, Hans Ulrich. E. T. A. Hoffmann. Das Fräulein von Scuderi. Erläuterungen und Dokumente. Reclam (RUB 8142) 1978. Mayer, Hans, Die Wirklichkeit E. T. A. Hoffmanns. In: E. T. A. Hoffmann. Werke in vier Bänden. Frankfurt am Main 1967, Band 4. Schneider, Peter, Verbrechen, Künstlertum und Wahnsinn. Untersuchungen zur Figur des Cardillac. In: E. T. A. Hoffmanns Das Fräulein von Scuderi. In: Mitteilungen der E. T. A. Hoffmann-Gesellschaft Bamberg, 1980, Heft 26. Segebrecht, Wulf, Hoffmanns Todesdarstellungen. In: Mitteilungen der E. T. A. Hoffmann-Gesellschaft Bamberg, 1966, Heft 12. Stein, Werner, Kulturfahrplan. Die wichtigsten Daten der Kulturgeschichte von Anbeginn bis heute. Stuttgart/Hamburg/Berlin 1970. Steinecke, Harmut, E. T. A. Hoffmann. Stuttgart: Reclam 1997. Literatur
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Literatur Wilpert, Gero von, Sachwörterbuch der Literatur. 1. Aufl. Stuttgart 1955. Wittkop-Ménardeau, Gabrielle, E. T. A. Hoffmann. Reinbek: Rowohlt, 1966, 15. Aufl. 1998. Das Fräulein von Scuderi deutsche Verfilmungen Das Fräulein von Scuderi. DDR/Schweden 1955. Regie: Eugen York. Drehbuch: Joachim Barckhausen, Alexander von StenbockFermor. Cardillac. BRD 1968. Regie und Drehbuch: Edgar Reitz. Das Fräulein von Scuderi. BRD (Verfilmung für das Fernsehen/ZDF) 1976. Regie: Lutz Büscher. Drehbuch: Karl Wittlinger.
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