Erich von Däniken
ERSCHEINUNGEN
Phänomene die die Welt erregen
Econ Verlag Düsseldorf - Wien
Bearbeitung: Wilhelm ...
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Erich von Däniken
ERSCHEINUNGEN
Phänomene die die Welt erregen
Econ Verlag Düsseldorf - Wien
Bearbeitung: Wilhelm Roggersdorf
1. Auflage 1974 Copyright © 1974 by Econ-Verlag, Düsseldorf und Wien Alle Redite der Verbreitung, auch durch Film, Funk, Fernsehen Tonträger jeder Art, fotomechanische Wiedergabe sowie auszugsweisen Nachdruck sind vorbehalten Gesetzt aus der 10/12 Punkt Garamond Gesamtherstellung: Ebner, Ulm Printed in Germany ISBN 3 43011984 7
Inhalt
Vorwort 1. Kapitel Erscheinungen - Gibt es die? 2. Kapitel Evangelistenberichte + Apostelbriefe + Prophetenbücher + Urtexte = das »Wort Gottes«? 3. Kapitel Das WUNDER ist des GLAUBENS liebstes Kind 4. Kapitel Es gibt Erscheinungen
Vorwort Dieses Buch mußte ich mir von der Seele schreiben. Zehn Jahre lang trug ich es mit mir herum. Damals war ich zum erstenmal in Lourdes, diesem riesigen Garten, in dem Hoffnung, Verzweiflung und profanes Geschäft so nahe beieinander gedeihen. Mich verfolgten Bilder und Klagegesänge. Während ich auf allen Kontinenten den Spuren meiner GötterAstronauten folgte, ließ ich es nicht aus, jeden erreichbaren Erscheinungsort zu besuchen. Wie ähnlich waren sie sich alle in der Substanz! Mehr und mehr wurde mir klar, daß diese Phänomene uns alle angehen. Ich vergaß meine Götter-Astronauten nicht, aber es gibt Bücher, die reif sind wie Äpfel im Herbst. Was sind das für Menschen, die für Erscheinungen prädisponiert zu sein scheinen? Sind es psychologisch Angeknackste, von religiösen Wahnvorstellungen Verfolgte? Ist es eine echte Legitimation, mit der christliche Kirchen, besonders die römisch-katholische Kirche, die von ihnen als »echt« anerkannten Wunder vereinnahmen? Ist das Wort Gottes — einziger Maßstab und letzte Instanz kirchlicher Behördenurteile - wirklich als vom Hl. Geist inspiriert zu betrachten? Sind die Dogmen der römischen Kirche, die auch bei Erscheinungen die entscheidende Rolle spielen, durch göttliche Eingebung zustande gekommen? Sind die Wunder vielfacher Art, wie sie fraglos nach Erscheinungen an Wallfahrtsorten geschehen, Betrug oder Selbstbetrug? Gibt es für diese Wunder eine breite Basis medizinischnaturwissenschaftlicher Erkenntnisse, die die Phänomene glaubhaft und erklärbar machen?
Während das Material der Dokumentationen zu Bergen anwuchs, während ich gezielte Reisen an Erscheinungsorte unternahm, während ich in vielen großen Bibliotheken wühlte, drängte sich mir eine wahre Flut von Fragen auf. Da ich nicht so konstruiert bin, auf die einfache anerzogene Art glauben zu können, vielmehr wissen möchte, was sich mit unserem von einem Gott gegebenen Verstand ohne Berufung auf einen anonymen und vielgeschmähten Hl. Geist erklären läßt, ging ich an die Arbeit. Als neugieriger Arbeiter im Weinberge Gottes. Als einer, dem Gott eine zu erhabene Instanz ist, als daß er es wagen möchte, ihn dauernd als Argumentationshilfe im Munde zu führen. Nach jahrelangem Studium der Phänomene darf ich mit nur geringem Vorbehalt annehmen, daß es ein Kompendium wie dieses bisher nicht gibt. Darum bleiben selbstverständlich Fragen offen, aber ich hoffe, daß sich künftig zuständige Wissenschaftler und nicht zuletzt kirchliche Instanzen der Erforschung von Ursache und Wirkung des riesigen Komplexes von Erscheinungen und Wundern annehmen werden, um dann in Freimut und Ehrlichkeit richtigzustellen, was an falschen Vorstellungen in Umlauf ist. Herrn Dr. jur. Robert Kehl, Zürich, möchte ich sehr herzlich für manche Anregungen und für seinen Beitrag, den er mir als Gastautor zur Verfügung stellte, danken. Dr. Kehl studierte Theologie, wechselte dann aber zur rechtsund staatswissenschaftlichen Fakultät über; seine juristischen Kommentare sind bei Schweizer Anwälten und Gerichten in täglichem Gebrauch — unter vielen anderen Publikationen machte sich Dr. Kehl mit zwei bedeutenden moraltheologischen Werken einen Namen. Zugleich möchte ich den 23 Verlegern danken, die sich rund um die Welt für die Verbreitung dieses Buches einsetzen werden. Bonstetten bei Zürich Im August 1974
Erich von Däniken
Erscheinungen — Gibt es die? Leider war ich nie Zeuge eines Erscheinungsspektakels. Bei mir hat nicht ein einziges Mal einer der 12 000 Heiligen »Grüß Gott« gesagt. Seit ich aber vor zehn Jahren zum erstenmal in Lourdes war, habe ich begriffen, daß das Erscheinungen-Phänomen mehr oder weniger uns alle betrifft. Ich sah Menschen in Ekstasen, hörte ihre seelenwunden Gesänge, beobachtete unendliches Leid, ich war angewidert von der Ausnützung gläubiger Kreaturen. Ich sah kein Wunder. — Vor 125 Jahren gab es in Lourdes die Visionen eines 14jährigen Mädchens, heute suchen Jahr für Jahr fünf Millionen Pilger den Erscheinungsort auf. »Lourdes« steht als Markenzeichen für Hunderte und Tausende von Wallfahrtsorten, an denen mit gleichen odei ähnlichen Zutaten »gearbeitet« wird. Was erklärt dieses Mysterium, das »Innewerden der göttlichen Gnade im Menschen«, um es im katholischen Vokabular zu definieren? Am Anfang steht immer die Vision, die Schau, die Begegnung einzelner oder kleiner Gruppen von Menschen mit Angehörigen von Gottesfamilien — im christlichen Abendland vorzugsweise mit Maria, der Mutter Jesu, mit prominenten Engeln oder sogar der Erscheinung von Jesus Christus oder Gottvater in persona. Die in Visionen Geschauten sind keine neutralen Geister. Das Erscheinungen-Personal stellt sich nicht als beobachtende, lächelnde und nur segnende Besucher vor — es gibt Anweisungen, was die Menschen tun dürfen und sollen und was ihnen keinesfalls erlaubt ist. Jede personifizierte Erscheinung versichert, Abgesandter aus dem Himmel und göttlicher Botschafter zu sein, die die Macht hat, die Menschheit zu heilen, zu erlösen oder sogar zu vernichten. Sie mischen sich in religiöse und politische Belange, beherrschend nisten sie sich in die Hirne ganzer Kriegsscharen ein. Wendet sich der »Himmel« der Erde zu?
Ich jagte meinen Götter-Astronauten nach, aber ich konnte die Eindrücke von Lourdes nicht vergessen. Ich sammelte »amtliche« Veröffentlichungen über Erscheinungen und Traktate, wie sie an Wallfahrtsorten — wo es Erscheinungen gab, entstehen allemal Wallfahrtsorte — feilgeboten werden. In jedem Fall und an jedem Ort lösten einzelne »Seher« oder kleine Grüppchen von »Sehern« die Non-Stop-Prozessionen aus, die nicht aufhören, ob die Kirche das »Wunder« bereits anerkannte, es verbot oder stillschweigend duldet. »Was die Kirche nicht verhindern kann, das segnet sie.« (Kurt Tucholsky.) Immer ist die menschliche Sehnsucht, an Wunder glauben zu wollen, stärker als jedes Verbot. Mehr als die Hälfte der Menschen glaubt an Wunder Vor wenigen Jahren wurde in Westdeutschland mit West-Berlin eine repräsentative demoskopische Umfrage gemacht. 53 Prozent der Befragten glauben an Wunder und Visionen, 36 Prozent tun es nicht, 11 Prozent mochten sich nicht entscheiden. Ich nehme an, daß diese Ergebnisse nicht nur für diesen Raum und seine befragten Bewohner repräsentativ sind. Es gibt Länder, vor allem katholische Gebiete, in denen der Prozentsatz der Wundergläubigen beträchtlich höher liegt. Auf welchem Urgrund blüht dieser Wunderglaube? Welche offenbar zeitlose Kraft läßt ihn gedeihen? Unabhängig von Zeit und Raum und Kulturen? Unberührt von Art und Qualität der verschiedenen Religionen? Um das Phänomen überhaupt begreifen und einfassen zu können, muß man die »Seher«, Orte und Umstände, die daran teilhaben, kennenlernen. Ich setze deshalb an den Anfang staunenswerte detaillierte Skizzen einiger Erscheinungsfälle, die alle wesentlichen Charakteristiken solcher Mirakel beinhalten.
Rosa mystica Ins Frühjahr 1947 datiert das Ereignis, das Montichiari — 10 km südlich von Brescia, Italien, gelegen — zur Attraktion machte. Pierina Gilli, eine junge Krankenpflegerin, sah in der Kapelle des Krankenhauses eine schöne Dame in violettem Kleid schweben. Die fremde Dame weinte; aus ihrer Brust ragten, ohne daß ein Tropfen Blut floß, drei Schwerter. Traurig sagte die Unbekannte: »Gebet — Opfer — Buße.« Das fromme Fräulein Pierina war verwirrt. War das ein Spuk? Narrten sie Augen und Verstand? Oder hatte sie, die schlichte Pierina, es mit einer »echten« Erscheinung zu tun? Zunächst behielt sie das seltsame Erlebnis für sich. Am 13. Juli 1947 wiederholte sich das Mirakel. Diesmal war die schöne Unbekannte weiß gewandet, die fürchterlichen Schwerter fehlten, aber sie war mit drei Rosen — einer weißen, einer roten und einer gelben — geschmückt, die wiederum aus der Brust ragten. Verängstigt fragte Pierina: »Wer seid Ihr?« — Die Dame antwortete freundlich und lächelnd: »Ich bin die Mutter Jesu und die Mutter aller... Ich wünsche, daß alljährlich der 13. Juli zu Ehren der »Geheimnisvollen Rose« (Rosa mystica) gefeiert wird ...« [1] Langsam verblaßte das Erscheinungsbild. Das Wunderbare wiederholte sich am 22. Oktober, am 16. und am 22. November 1947 in der Dorfkirche. Nun beantwortete die fremde Dame der Pierina eine Reihe von Fragen. Dramatisch wurde die dritte dieser Begegnungen, weil die Fremde feierlich versprach, am 8. Dezember zur Mittagszeit wieder in der Dorfkirche zu erscheinen. Der große Tag von Montichiari Die Kunde von Pierinas seltsamen Erlebnissen war längst weit über Montichiari hinaus in der Lombardei bekannt geworden. Es war
also wirklich kein Wunder, daß zum 8. Dezember einige tausend Menschen anreisten, die die Kirche drängend füllten und sich in den Gassen stauten. Die Hauptperson des Schauspiels, Pierina Gilli, konnte nur mit Mühe und sanfter Gewalt durch die Menschenmauer in die Kirche geschleust werden. Dort kniete sie in der Mitte des Kirchenschiffes an jener Stelle, an der sie dreimal der schönen Dame, die von den Leuten längst »Mutter Gottes« genannt wurde, begegnet war. Gemeinsam mit der Menge der Gläubigen und vielen Neugierigen betete sie den Rosenkranz. Plötzlich rief sie laut: »Oh, die Madonna!« Es wurde »still wie in der Kirche«. Niemand sah etwas, das heißt, einige waren sich nicht ganz sicher, ob sie nicht doch etwas wahrnahmen. Jedenfalls hefteten alle den Blick auf Pierina, um sich das Zwiegespräch ihrer Landsmännin mit der Gottesmutter nicht entgehen zu lassen. In knappen geflüsterten Worten gelangten Mitteilungen zu der vor der Kirche harrenden Menge. Pierina sah, so hieß es, die Gottesmutter auf einer hohen schneeweißen Treppe, wieder mit weißen, gelben und roten Rosen geschmückt. Unter jenseitigem Lächeln offenbarte die Dame: »Ich bin die unbefleckte Empfängnis. Ich bin Maria der Gnade, Mutter meines göttlichen Sohnes Jesus Christus.« Während sie die weiße Treppe herabstieg, sagte sie zu Pierina: »Mit meinem Kommen nach Montichiari wünsche ich, ›geheimnisvolle Rose‹ genannt zu werden.« Auf den unteren Stufen angelangt, verhieß sie: »Wer hier auf diesen Ziegelsteinen betet und Reuetränen vergießt, wird eine sichere Himmelsleiter finden und durch mein mütterliches Herz Schutz und Gnade empfangen.« 19 Jahre lang passierte nichts. Pierina wurde, wie das so üblich ist, von einem Teil der Leute verspottet, von anderen bereits als Heilige verehrt. Seit jenem 8. Dezember 1947 war die Erscheinungen-Kirche Ziel von Wundergläubigen und Heilungsuchenden, denn hier in Montichiari taten sich Wunder über Wunder, daran gab's keinen
Zweifel. Die Quelle in Fontanelle Den »Weißen Sonntag« vom 17. April 1966 verbrachte Pierina im Nachbarort Fontanelle, der von Montichiari nur drei Kilometer entfernt ist. Als sie auf den Stufen, die zu einer kleinen Quelle führten, saß, schwebte, für Pierina völlig unerwartet, die »geheimnisvolle Rose« über dem kleinen Wasser. Sie forderte Pierina auf, die Treppe von oben nach unten dreimal zu küssen und befahl, links neben die untere Stufe ein Kruzifix aufzustellen; alle Kranken, sagte die Erscheinung, sollten, ehe sie Wasser aus der Quelle schöpften, um es zu trinken, Jesus, den Herrn, um Vergebung der Sünden bitten und das Kruzifix küssen. Pierina führte die Befehle aus. Am 13. Mai 1966 um 11.40 Uhr, als etwa 20 Menschen mit ihr neben der Quelle beteten, erschien die »geheimnisvolle Rose« neuerlich und äußerte diesen präzisen Wunsch: »Ich wünsche, daß hier ein bequemes Becken entsteht, um die Kranken darin eintauchen zu können.« — Nun schon auf vertrautem Fuß, fragte Pierina die rosenbegabte Dame: »Wie soll die Quelle genannt werden?« — Die Dame antwortete: »Die Quelle der Gnade.« — Pierina forschte weiter: »Was wünscht Ihr, daß hier in Fontanelle geschehe?« — »Liebeswerke an Kranken, die hierher kommen werden.« [2] Danach verschwand die göttliche Jungfrau. An der Quelle in Fontanelle können Kranke geheilt werden! Wie ein Lauffeuer, ja, wie ein Befehl ging es durchs Land: Schleppt die Kranken herbei! Tatsächlich fanden mirakulöse Heilungen statt. 8. Juni 1966, nachmittags. Über 100 Menschen knien und beten bei der Quelle. — Kurz nach 15 Uhr kommt Pierina. Sie fordert die Besucher auf, mit ihr den Rosenkranz zu beten. Momente später nur unterbricht sie das Gebet und ruft: »Schaut zum Himmel empor!«
Wie Pierina sehen einige Gläubige die Gottesmutter über einem Kornfeld schweben, sechs Meter oberhalb der Quelle. Hostien für Fatima, den Papst und die Gläubigen Wieder trägt die Dame ihre drei Rosen und bittet darum, aus dem Korn der Ähren Hostien zu machen. Diese Hostien, befiehlt sie, sollen nach Rom und am 13. Oktober nach Fatima, Portugal, gebracht werden. Schon will sich die Dame nach dieser Weisung entfernen, als Pierina bittet, noch zu bleiben. Die hl. Jungfrau wendet sich um und der auserwählten Pierina zu, die ihr nun Wünsche und Fragen der Gläubigen, Priester und Kranken vorträgt. 6. August 1966, nachmittags. Über 200 Personen beten bei der Quelle. Um 14.30 Uhr kommt Pierina und bittet wieder alle, mit ihr den Rosenkranz zu beten. Während des vierten RosenkranzGeheimnisses unterbricht Pierina: »Unsere Liebe Frau ist hier!« Gespräche und Gebete verstummen. Alle lauschen, wie sich Pierina mit einem für sie unsichtbaren Wesen unterhält. Um nähere Unterweisungen gebeten, was mit den hausgemachten Hostien zu geschehen habe, verlangt die »geheimnisvolle Rose«, daß ihrem »geliebten Sohn Papst Paul« von dem Korn geschickt werde mit dem Hinweis, daß es durch ihre Anwesenheit gesegnet worden sei. Und: Aus dem restlichen Korn solle man Brötchen backen, um diese in Fontanelle zum Andenken an ihr Kommen zu verteilen. Seitdem wird in Fontanelle wie in Montichiari gebetet und gehofft. Alle Tage und alle Nächte. Wie an vielen Orten, die von Erscheinungen wissen. Phänomene »einkreisen« Das ist, nehmt alles nur in allem, ein klassischer Erscheinungsfall. Ein bis zum wunderbaren Ereignis unbekanntes Wesen sieht
»etwas«, teilt es, vom Erlebnis aufgewühlt, mit und ruft Gläubige herbei. Sind es besonders qualifizierte Menschen? Sind sie über den Durchschnitt fromm? Sind sie bigott-religiös? Sind sie extrovertiert, wollen sie sich in Szene setzen? Die Methode, ein Problem auf Lösungsmöglichkeiten hin einzukreisen, ist nicht meine Erfindung. Phänomene, die als Erscheinungen, als »sich den Sinnen Zeigendes«, als seltene Ereignisse und Wunderdinge definiert werden, verlangen methodisches Vorgehen. Es müssen Tatbestände, die so gut wie nur möglich belegt sind, dargestellt werden. Aus ihnen sind dann erst Bestimmungen von Werten, die außerhalb des ursprünglich angenommenen Bereichs liegen, zu finden. Zehn Jahre lang sammelte ich »Erscheinungen«. Als ich mit dieser Archivierung begann, ahnte ich nicht, was für eine überwältigende Fülle an gedrucktem Material auf mich zukommen würde. Ich habe selektiert, das heißt, ich habe kennzeichnende Fälle ausgewählt, die jeweils für zahlreiche andere stehen, damit ich aus der Summe der Charakteristika Erklärungen für die Phänomene anbieten kann. Wenn ich sage, daß allein im christlichen Raum über 40000(!) Erscheinungen geschätzt werden, läßt sich ahnen, wie polysemantisch sich diese Materie darstellt. In einem kühnen Parforceritt durch die Historie bis in die jüngste Gegenwart lege ich aktenkundige Erscheinungsfälle vor. Welche Schlüsse daraus zu ziehen sind, welche Erklärungen sich dafür anbieten oder hypothetisch denkbar sind, das wird erst nach Rodung des gewaltigen Terrains möglich sein. Das Bluttuch von Iborra Am 16. August jeden Jahres wird in Iborra, Spanien, von den Gläubigen ein blutdurchtränktes Tuch angebetet. Seit dem Jahre 1010 ist diese Reliquie Gegenstand religiöser Verehrung.
Damals soll der hochwürdige Herr Bernard Olivier, als während der Messe das Tintinnabulum (Wandlungsglocke) läutete, um roten Wein in das Blut Christi zu verwandeln, von Zweifeln befallen worden sein. Von diesem Moment an, wird berichtet, habe sich in rätselhafter Weise das Blut vermehrt, den Gläubigen sei es so erschienen, als sei es vom Tisch des Herrn über den Altar die Stufen bis auf den Boden der Kapelle herabgeflossen. Entsetzen habe die Kirchgänger ergriffen. Die Imagination ging so weit, daß einige resolute Frauen das Blut vom steinernen Boden mit Tüchern auftupften, steht in den Annalen. Der Bischof von Solsona, der heilige Ermengol, habe von der Erscheinung gehört und dem Papst berichtet. Papst Sergius IV. (1009—1012) erlaubte die öffentliche Verehrung der seltsamen Reliquie, des Bluttuches von Iborra. Es müssen nicht immer heilige Gestalten Erscheinungen provozieren, das können auch deren »Requisiten«. Iborra ist kein Ausnahmefall. Der Leichnam, der fluoreszierte Der fromme Monsieur Thierry, Rektor der Pariser Universität, wurde 1073 in Pirlemont, Brabant, ermordet. Die rüden Mörder warfen seine Leiche in einen trüben Wassertümpel. Als man den ganzen Ort nach dem Opfer absuchte, lange Zeit vergeblich, leuchtete plötzlich aus dem Tümpel ein »wunderbares Licht«, das um den Leichnam herum erstrahlte. Zum Dank für diese wundersame Entdeckung und Erscheinung malte ein Künstler die Gottesmutter über einem Wasser schwebend auf eine Holzplatte. — 1297 wurde das Bild in eine soeben erbaute Kapelle überführt. Während der Einweihungsfeierlichkeiten, so ist es in den Akten vermerkt, sei das Bild unversehens in einen »unerklärlichen Flammenschein« gehüllt worden. [3] Auch wenn es nicht aktenkundig gemacht wurde, vermute ich, daß die hl. Jungfrau,
unermüdlich an allen Orten tätig, auch hier noch einige seltsame Kunststücke zeigte. Vielleicht lächelte sie der Versammlung zu, vielleicht winkte sie segnend aus dem Rahmen. Aus dem Rahmen fallen ihre Begabungen immer. Erscheinungen hinterlassen Spuren Auf dem Hügel Codol, fünf Kilometer von Javita bei Valencia, Spanien, kämpfte am 23. Februar 1239 eine kleine Schar christlicher Krieger gegen eine vielfach überlegene islamische Übermacht. Vor der Schlacht baten sechs christliche Hauptleute um Erteilung der hl. Kommunion. Sie konnten gerade noch die Beichte ablegen, aber nicht mehr das Sakrament empfangen, weil just in diesem Augenblick von der nahen Burg Chio der Schlachtruf der Feinde bis in die Kirche dröhnte. Die Hauptleute eilten zu den Waffen, weil Beten hier nicht mehr half. — Voller Angst, die Muselmanen könnten die Kirche zerstören, verbarg der Priester Altartuch und Hostie unter einem Steinhaufen. Die christlichen Streiter obsiegten. Als der Priester das Altartuch aus dem Versteck hervorholte, klebten sechs blutige Hostien daran. — Des Wunders nicht genug! Am nächsten Tag rückten die Muselmanen mit großer Verstärkung an; die Lage schien hoffnungslos, die Christen mußten sich auf die am Vortag eroberte Burg Chio zurückziehen. Einer stupenden Eingebung folgend, band der Priester das von der HostienErscheinung sakralisierte Altartuch an eine Stange und schwenkte sie vom Zinnenkranz der Burg den Feinden entgegen. Die Überlieferung vermerkt, daß vom Altartuch weit ins Land Strahlen ausgingen, die eine solche Leuchtkraft besessen haben sollen, daß der Feind geblendet wurde und floh. Ist das ein Beweis für die urtümliche Kraft von Erscheinungen? Sie können ganze Heerscharen bezwingen, und vor christlichem Geblüt hilft auch der Schlachtruf »Allah ist groß!« nicht mehr. Nein, Erscheinungen sind nicht immer friedlichen Geistes. Wenn nötig,
verbreiten sie auch Angst und Panik. Jeder Spanienreisende kann in der Kirche von Daroca das Altartuch mit sechs roten Flecken in Augenschein nehmen. [4] Ähren zu Ehren des Herrn Irgendwann im 14. Jahrhundert, das genaue Datum ist unbekannt, verletzte sich bei Trois-Epis im Oberelsaß in Frankreich ein Mäher tödlich mit der Sense. Zum Gedenken an den tragischen Tod hämmerten Bauern ein Kruzifix an eine Eiche und nannten den Ort des Geschehens »Zum toten Mann«. — Dort ritt am 3. Mai 1491 der Schmied Dietrich Schöre, ein handfester, mit beiden Beinen auf der Erde stehender Mann, vorüber, als ihm eine Frauengestalt im weißen Mantel, in Schleier gehüllt, erschien; in der Hand trug sie einen Eiszapfen, in der anderen hielt sie drei Ähren. Dem verdutzten Schmied erklärte sie, der allmächtige Gott würde, ob der Sünden und Laster der Menschen hierzulande, zur Strafe böse Krankheiten, viel Regen und Frost schicken, falls man nicht Reue zeige und Buße tue; die Ähren aber, sagte die Dame, wären Symbol für Segen und gute Ernte, die Gott durch ihre Fürbitte gewähren wolle. Der Schmied maß dem Spuk keine Bedeutung bei; den Dörflern von Niedermorschweiher wollte er kein Wort davon berichten. Aber dann passierte es! Er kaufte auf dem Markt einen Sack voll Korn, brachte ihn aber trotz kräftigen Zupackens einiger Knechte nicht auf den Pferderücken, der Sack wurde schwerer und schwerer. Nun beugte sich der Schmied Dietrich Schöre, man kann's verstehen, der göttlichen Allmacht und erzählte den Leuten von seiner Erscheinung. Die Geistlichen begriffen spontan und riefen zu einer Prozession »Zum toten Mann« auf. Die feine Dame hat meistens die Hand fest am Puls ihrer Schäflein. Wer Bauern eine gute Ernte verspricht, hat schon gewonnen. Trois-Epis ist ein bekannter elsässischer Wallfahrtsort. [5]
Bekehrung mittels Erscheinung Vom heiligen Thomas von Villanueva, Erzbischof von Valencia, ist überliefert, daß ihm im Jahre 1554 ein Sterbender diese Story erzählte: »Ich war Jude und wurde nach strengen jüdischen Gesetzen erzogen. Wir waren zu dritt auf einem Spaziergang, als wir plötzlich merkten, daß sich der blaue Himmel wie ein Vorhang öffnete. Wir erschraken sehr, denn keiner von uns hatte je ein solches Naturschauspiel gesehen. Da erschien in der Luft, mitten im blauen Himmelsgrund, ein goldener Kelch und darüber eine schneeweiße Hostie. Wir wußten schon, daß die Christen diese Art von ›Brot des Herrn‹ zu sich nahmen, aber wir waren alle drei sehr erschrocken. Am andern Tag erkundigte ich mich nach den Möglichkeiten, Christ werden zu können. Als ich volljährig wurde, trat ich der katholischen Kirche bei. Dies mußte ich Ihnen vor meinem Tode berichten, denn meine Bekehrung vom jüdischen Glauben zum Christentum hatte diese Erscheinung zum Anlaß.« [6] Wozu Erscheinungen nicht alles taugen! Bei Bekehrungen erreichen sie freilich ihre höchste Effektivität... Belohnung für Glaubenstreue Im Mai 1594 herrschte in Guadalupe, Ekuador, eine furchtbare Hungersnot. Eine lange Trockenperiode hatte das Land ausgedörrt. In letzter Verzweiflung beschloß eine Gruppe christlicher Indianer, der neuen Religion abzuschwören, um die alten bewährten Götter um Hilfe anzurufen. Während sie ihre Ritualtänze vorbereiteten, erschien plötzlich eine Dame, die »über der Erde schwebte«. Sie versprach den Indianern auf der Stelle das Ende der Hungersnot, wenn sie an diesem Ort zu ihrer, der Jungfrau, Ehren ein Heiligtum errichten würden. Die Indianer, die in der Dame sofort die Gottesmutter ihres neuen Glaubens ausmachten, taten, was ihnen
befohlen war. Die Hungersnot hatte ein Ende. Heute noch feiern die Indianer alljährlich am 13. September die »Dame von Guadalupe.« [7] Erscheinungen verpflichten. Gottesmutter in Aktion Das Kloster von Concepcion, Chile, gehört den Trinita-rierinnen. Dort steht eine lebensgroße vergoldete Zedernholzstatue der gekrönten Mutter Gottes, deren Hände nicht zum Gebet gefaltet sind — sie zeigen die Gebärde des Wegwerfens! Das hat einen handfesten Grund. Als im Jahre 1600 die Stadt Concepcion und auch die Kapelle, in der damals die Zedernholzstatue stand, von Feinden angegriffen wurde, soll die Statue auf geheimnisvolle Weise die Kapelle verlassen haben und den gegnerischen Indianern auf einem Baum erschienen sein. Sie schaufelte Erde und schleuderte sie emsig den Angreifern mit mächtigen Würfen entgegen. Daß selbst mutige Indianer beim Anblick einer derart kämpferischen hölzernen Dame in Panik die Flucht ergriffen, mutet in der Chronik der Ereignisse durchaus glaubhaft an. Tatsache oder hübsche Legende, das läßt sich heute nicht mehr feststellen — fest steht indessen, daß die »werfende Statue« von Concepcion heute noch hingebungsvoll verehrt wird. [8] Ich finde es bemerkenswert, daß Erscheinungen oftmals so gar nichts »Ätherisches« an sich haben, daß sie, wie die hölzerne Madonna in Concepcion, sogar mit Dreck werfen, wenn sie sich davon eine Wirkung auf ihre Schäflein versprechen. Der Zweck heiligt die Mittel. Völker, bessert euch! Aus Besancon, Stadt im französischen Jura, heute Sitz des Erzbistums, wird unter dem Datum vom 3. Dezember 1712 »eine
erschreckliche Begebenheit« überliefert. Mago-pholis berichtete über diese Erscheinung in seinem 1860 in Weimar erschienenen Buch »Neue Galerie des Übernatürlichen, Wunderbaren und Geheimnisvollen«. Der Himmel war wolkenlos und voller Sonne, da sah man gegen neun Uhr morgens in einer Höhe von »neun Lanzen« die Figur eines Mannes schweben, die dreimal mit lauter Stimme rief: »Völker! Völker! Völker! Bessert euch, oder euer Tage Ende ist gekommen!« Das geschah an einem Markttag, und Magopholis wußte, daß es »im Angesichte« von mehr als 10000 Menschen passierte. Nach den harten Drohungen verschwand die Männergestalt in einer Wolke, als ob sie geradenwegs in den Himmel aufgestiegen wäre. Eine Stunde später habe sich die Luft so sehr verfinstert, daß im Umkreis von 20 Meilen weder Himmel noch Erde zu erkennen gewesen wären. Maga-pholis im Wortlaut: »Gewaltige Angst und großer Schrecken bemächtigte sich aller Gemüter; viele Leute starben eines jähen Todes. Die Bevölkerung hielt Prozessionen ab und sandte inbrünstige Gebete gen Himmel. Endlich, nach Ablauf von drei Tagen, hellte sich die Luft wieder auf; aber es entstand ein furchtbarer Sturm, viel schrecklicher, als ihn die ältesten Leute in der Stadt sich zu erinnern wußten, und der ungefähr eineinhalb Stunden anhielt. Dann kam ein grausamer Wolkenbruch, so daß das Wasser vom Himmel herabfloß, als wenn man Stückfässer voll ausgösse, und zugleich entstand ein ungeheures Erdbeben, so daß die gantze Stadt zerstört wurde. Auf einem Raum von vierzehn Meilen Länge und sechs Meilen Breithe sind nur ein einziges Schloß, ein Kirch-thurm und in der Mitte dieses Raumes drei Häuser stehen geblieben. Man sieht sie auf einem runden Erdhügel dastehen; auch kann man einige Theile von der Stadtmauer bemerken, und in dem Thurme und dem Schlosse erblickt man von der Seite, wo das Dorf Des Quetz liegt, Fahnen und Standarten, welche flattern. Keiner kann nahe herangehen. Gleicherweise kann niemand sagen, was dies alles zu bedeuthen
hat, und keiner kann hinsehen, ohne daß sich ihm die Haare auf dem Kopfe zu Berge sträuben; denn dies ist eine gar wunderbare und erschreckliche Begebenheit.« Da hat der von Angesicht und Namen nicht identifizierte Mann vom Himmel — ob seiner Drohung (Bessert euch, oder euer Tage Ende ist gekommen!) zweifelsfrei von christlicher Herkunft — mit seiner Erscheinung in Besancon eine große Verwirrung angerichtet. Wer in der Furcht des Herrn gehalten werden soll, braucht ab und zu ein deutliches Zeichen. Besancon wird exemplarisch für ganze Landstriche seine Wirkung gehabt haben. Erscheinungen zu allen Zeiten in aller Welt Seit von menschlicher Intelligenz berichtet wird, gab es Erscheinungen unter den Voraussetzungen aller Religionen und zivilisatorischen Faktoren. Es gibt sie bis in die jüngste Gegenwart, es wird sie immer geben. Angehöriger des christlichen Abendlandes, erzogen nach der römisch-katholischen Erlösungs- und Heilslehre, wissend, daß diese Darstellung vorwiegend von Lesern der westlichen Welt gelesen wird, beschäftige ich mich in erster Linie mit christlichen Erscheinungen. Es steht aber fest, und das möchte ich ausdrücklich sagen, daß gleiche Fakten mit gleichen Fragestellungen aus dem asiatischen, dem afrikanischen, dem indischen und dem südamerikanischen Raum berichtet werden könnten. Aber — und das muß mit Entschiedenheit und Klarheit gesagt werden: Erscheinungen sind kein katholisches Privileg. Biblische Erscheinungen Die Juden anerkannten Jesus nicht als den Erlöser, wußten folglich nichts von dessen heiliger Familie. Wieso kann es dann im Alten Testament geradezu von Erscheinungen wimmeln? Abraham
erschienen zwei Engel wie auch Lot vor der Zerstörung von Sodom und Gomorrha. — Jakob, zweiter Sohn des Stammvaters von Israel, jener, der seinem Bruder Esau »für ein Linsengericht« das Recht der Erstgeburt abkaufte, mußte am Berg Jabkok gar mit einem Engel kämpfen. — Moses wurde Zeuge von Erscheinungen über Erscheinungen. Die bekannteste hatte er am Berge Sinai, wo er von Jahwe beauftragt wurde, sein Volk aus ägyptischer Gefangenschaft zu befreien. — Überliefert ist, daß die Israeliten 40 Jahre lang einer Erscheinung nachliefen, die nachts hell leuchtete und am Tage wie eine dunkle Wolkenwand drohte. [9] — Selbst Bileam, der im Rufe eines falschen Propheten und Irrlehrers stand, erlebte eine sichtbare Erscheinung Gottes, wie auch der keineswegs als Tugendbold in die Historie eingegangene König Nebudkadnezar während eines festlichen Gelages in Babylon von der Erscheinung einer »schreibenden Hand« überrascht wurde. — Den beiden Helden Tobias, Vater und Sohn, erschien im apokryphen Buch Tobit der Erzengel Raphael (heute Schutzheiliger der Apotheker). — Dem frommen David zeigte sich, neben anderen Erscheinungen, eine Vision des Menschensohnes auf Himmelswolken — zu einer Zeit also, als es den »christlichen« Menschensohn noch gar nicht gab! — Salomo, König des Israel und Juda umfassenden Raumes, dem wir die leider so selten erkennbaren »salomonischen Urteile« verdanken, erschaute nach seinen Erzählungen mehrmals den »Herrn«. — Ja, und um es nicht auszulassen: Mit Erscheinungen begann es schon im Paradies. Unseren ungezogenen Ureltern Adam und Eva erschienen Gott und diverse Engel. [10] Diese biblische Erscheinungen-Liste erhebt bei weitem keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Wer beruft sich nicht auf Erscheinungen? Der Sage zufolge soll Rom von Romulus und Remus, Zwillingssöhnen des Mars, gegründet worden sein. Ausgesetzt,
seien die Neugeborenen von einer Wölfin gesäugt und von dem Hirten Faustulus aufgezogen worden. Zu Romulus, der von 753— 716 v. Chr. in Rom geherrscht haben soll, gesellte sich eines Tages die Erscheinung des Servius Tullius, Sohn des Vulkan, der sich im »Feuerglanz über seinem Haupte« zeigte. [11] — Herodot, der im vierten vorchristlichen Jahrhundert lebte, war ein weitgereister Geschichtsschreiber, der vor allem die Perserkriege chronologisch notierte; er wußte, daß den Persern im Tempel der Athene Pronoia in Delphi ein so »wunderbares Geschrei« ertönte, daß sie die Flucht ergriffen. Über Stimmen, zu denen Personen, die sie verursachen, fehlen — akustische Erscheinungen also —, wird vielfach berichtet. In den Tempeln des Äskulap, Gott der Heilkunde, erschien den Heilungssuchenden der Gott höchstpersönlich tagtäglich — so selbstverständlich wie der Oberarzt an den Krankenbetten einer modernen Klinik. Die berühmten Gesetzgeber Numa Pompilius, der Sage nach der zweite König von Rom — Minos, König von Knossos, Sohn des Zeus und der Europa, und Lykurgos, sagenhafter Gesetzgeber von Sparta — diese drei vorzüglichen Männer empfingen ihre schöpferischen Ideen meistens per direkter Erscheinungen von Göttern. — Äneas, Held des troischen Sagenkreises, erschien nach seinem Tode seinem Sohn Ascanius in kompletter Rüstung samt Begleitern. — Gajus Julius Cäsar, geboren am 13. Juli v. Chr., ermordet am 15. März 44, erschien einem Thessalier, den er beauftragte, seinem Adoptivsohn Gajus Okta-vianus den bevorstehenden Sieg von Philippi zu melden. — Der altiranische Religionsstifter Zarathustra, der um 600 v. Chr. als Prophet auftrat, empfing entscheidende Passagen der Awesta (religiöse Texte seiner Anhänger) in mehreren Erscheinungen. — Mohammed, um 570— 623, Stifter des Islam und Verkünder Allahs, des einzigen Gottes, fühlte sich ab etwa 610 zu Höherem berufen. In Mekka verkündete er die ihm in Erscheinungen zuteil gewordenen Offenbarungen, die im Koran aufgezeichnet wurden.
Ohne Erscheinungen kamen Religionsstifter offensichtlich nie zurecht; sie brauchten sie als Aktivlegitimation aus dem Übersinnlichen. Dadurch wurden ihre Lehren attraktiver und wirkungsvoller. Ihre klugen und weisen Gedanken wären auch ohne Berufung auf Erscheinungen großartig gewesen — doch der Nimbus, der Heiligenschein, löste starke Impulse aus. Sind Erscheinungen exklusiv? Das heilige Personal von Erscheinungen wird generell nur von den »Seherinnen« und »Sehern« beobachtet und gehört. Sie werden vom Drang, das Erlebte mitzuteilen, zu Botschaftern der Erscheinung und zum Symbol der bald danach nolens volens auftretenden Wunder. In einem rasant ablaufenden Schneeballsystem erreichen die wunderbaren Nachrichten binnen kürzester Frist eine große Zahl von Menschen, die geradezu auf die Neuigkeit gewartet zu haben scheinen. Fatima So begann es auch in dem Dorf Fatima in der Provinz Estremadura, Portugal. Dort hatten drei Hirtenkinder jeweils am 13. der Monate Mai bis Oktober 1917 eine Marien-Erscheinung als »Muttergottes vom Rosenkranz«, die die Kinder immer wieder zur Errichtung einer Kapelle am Erscheinungsort aufforderte. Lebhaft und begeistert erzählten die Kinder von ihren Visionen. Sie waren Sommer und Herbst 1917 das zentrale Ereignis weit über Portugal hinaus. Am Anfang waren drei Kinder das Kommunikationszentrum, aber es dauerte nur kurze Zeit, bis zum 13. eines jeden Monats in endlosen Karawanen die Pilger in Fatima eintrafen. Zuverlässigen Berichten zufolge sollen es am 13. Oktober 1917 etwa 70000 bis 80000 gewesen sein, die am Erscheinungsort auf das Wunder
warteten. Und für sie sollte es sich gelohnt haben, denn es erwartete sie ein Ereignis, von dem nicht nur die Hirtenkinder beeindruckt wurden. Das Sonnenwunder von Fatima Es regnete in Strömen, es herrschten miserable Voraussetzungen für eine Marienerscheinung. Doch plötzlich rissen die Wolken auf, ein Stück blankgeputzten blauen Himmels wurde frei, strahlend schien die Sonne, aber sie blendete nicht. Das »Sonnenwunder von Fatima« nahm seinen Anfang, und alles, was ich berichte, steht in den Akten des großen Tages. Die Sonne begann zu zittern und zu schwanken. Sie führte abrupte Bewegungen nach links und nach rechts aus und fing schließlich an, sich wie ein gigantisches Feuerrad mit ungeheurer Geschwindigkeit um sich selbst zu drehen. Grüne, rote, blaue und violette Farbkaskaden schössen aus dem Gestirn und tauchten die Landschaft in ein unwirkliches, ja, so heißt es, unirdisches Licht. Zehntausende sahen es, und Augenzeugen behaupteten, daß die Sonne einige Minuten stillgestanden habe, als hätte sie den Menschen eine Ruhepause gönnen wollen. Gleich danach hätten die phantastischen Bewegungen wieder eingesetzt, auch das Riesenfeuerwerk aus gleißendem Licht hätte wieder begonnen. Das Spektakel wäre, bekundeten Beobachter, mit Worten nicht zu beschreiben. Nach einem neuerlichen Stopp begann der Sonnentanz ein drittes Mal in gleicher Herrlichkeit. Insgesamt dauerte das Sonnenwunder 12 Minuten, es wurde in einem Umkreis von 40 km beobachtet. Trotz anfänglicher staatlicher Gegenwirkung wurde Fatima das Ziel von Wallfahrten. Es zählt heute zu den bedeutendsten Wallfahrtsorten der Welt. Am ersten und am letzten Tag der Erscheinungen, am 13. Mai und am 13. Oktober jeden Jahres, ist Fatima ein einziger großer Garten der Erwartung. Abertausende
hoffen auf eine Erscheinung, auf ein Wunder; am liebsten würden sie wohl noch einmal das Sonnenwunder miterleben. Sind Kinder bevorzugte Empfänger von Erscheinungen? Aus der Summe registrierter Erscheinungen ergibt sich, daß in 90 von 100 Fällen Kinder Empfänger und Übermittler der transzendentalen Phänomene sind. Sollte sich aus dieser objektiven Feststellung ein Hinweis dafür ergeben, daß Jugendliche während der vorpu-bertären und pubertären Entwicklung besondere Gehirnströme entwickeln, die ihnen den Zugang zu einer anderen Sphäre des Bewußtseins (oder Unterbewußtseins) erleichtern? Oder eröffnet ihnen eine naive Neugier, gepaart mit ungehemmter kindlicher Phantasie, besondere Kontakte zu einer Astralwelt? Ist es möglich, daß in das Gehirn eines Kindes Erscheinungen »projiziert« werden, die von dort aus durch Telepathie — also auf dem Wege der zwischenmenschlichen Kommunikation ohne Sensibilisierung der fünf Sinne, einem Weg, der von der Wissenschaft nicht mehr bestritten wird — in die Gehirne Gleichaltriger übertragen werden? Ist es überhaupt diskutabel, daß Erscheinungen nicht objektivierbar, weder fotografierbar noch mit einer Apparatur meßbar sind, trotzdem aber subjektiv im »limbischen System« [12] unseres Gehirns, im archaischen Hirngewebe, stattfinden? Wenn keine objektive Kontrolle der Visionen durch Außenstehende möglich ist, woher kommen dann aber — über bildhafte Erscheinungen hinaus — Worte, Befehle, Wünsche und konkrete Anweisungen? Wie kann denn überhaupt in einem Kinderkopf der absurde Gedanke entstehen, daß eine fremde Dame »geheimnisvolle Rose« genannt werden will? Sind es pathologisch disponierte, psychisch anfällige Kinder, die von Erscheinungen heimgesucht werden? Ich
glaube es nicht, weil die mit Erscheinungen in Verbindung gebrachten Kinder durchweg als normal, gesund und mit allen Attributen ihres Alters ausgestattete vergnügte kleine Menschen beschrieben werden. Untersuchen wir also Erscheinungen, deren Empfänger Kinder waren, Kinder aus unserer Zeit. Vier kleine Mädchen auf der Calleja Zur Ouvertüre dieses Teiles der Erscheinungen-Oper wählte ich einen Fall aus, der sich in drei klaren Fragestellungen kristallisiert. Er muß mit allen Einzelheiten dargestellt werden. 100 km südwestlich der spanischen Stadt Santander in Altkastilien liegt der Flecken San Sebastian de Carabanda, kurz: Carabandal, ein Dörfchen mit steinigen schmalen Straßen und vielleicht 40 Häusern. Sonntag, 18. Juni 1961, 16.30 Uhr. — Auf dem Marktplatz spielten vier kleine Mädchen: Conchita und Jacinta, beide 12 Jahre alt, und Mari-Cruz, 11; sie heißen Gonzales, sind aber nicht miteinander verwandt, der Name Gonzales ist hier so häufig wie anderswo Smith, Dupont oder Müller. Das vierte Mädchen heißt Marie-Loli Ma-zon, 12. — Diese Kinder beschlossen, im Garten des Lehrers Äpfel zu stiebitzen. Gegen 20 Uhr gingen sie mit prall gefüllten Schürzen und sehr schlechtem Gewissen den steinigen Weg, Calleja genannt, ins Dorf zurück. Um das mulmige Gefühl zu bekämpfen, das in der Magengrube rumorte, hoben sie Steine auf, mit denen sie nach einem imaginären »bösen Engel« warfen, den sie sich am linken Wegrand vorstellten. [13] Plötzlich blieb Conchita stehen und starrte gen Himmel. Sie sagte den andern, sie sähe dort oben »eine sehr schöne Gestalt in hellem Licht«. Die drei hielten das für ein neues Spiel, doch Conchita behauptete erregt: »Nein, nein! Seht dort, dort!« Die Mädchen blinzelten zu den Wolken und riefen: »Der Engel!«
Dann waren sie mucksmäuschenstill und glotzten — Pardon! — minutenlang zum Himmel, still wie der Engel, der sich dort zeigte. Schnell, wie es erschienen war, verschwand das Phänomen. Die Mädchen rannten heim und berichteten. Im abergläubischen Dorf war die Neuigkeit in Windeseile herum. Können vier gesunde und vernünftige kleine Mädchen zu gleicher Zeit dasselbe »Gesicht« haben? fragte man sich. Warum sollen Kinder grundlos lügen, wie können sie in völliger Übereinstimmung die gleichen Schilderungen geben, da sie außer Strafe für den Apfeldiebstahl nichts zu erwarten haben? Wieso wiederholen sie beharrlich und unbeirrbar ihre Aussagen, wie sie es auch in Zukunft tun werden? Verhaltener Zweifel war das Echo auf ihren Bericht. Kinder wollen es immer genau wissen. So rannten die kleinen Vier am nächsten Tag wieder die Calleja hinauf, den Rosenkranz zwischen den verkrampften Fingern. Der Engel zeigte sich nicht. Am 20. Juni wurde der Marsch wiederholt, einige Neugierige waren dabei. Wieder rührte sich am Himmel nichts. Als man sich enttäuscht auf den Rückweg machte, erblickten die Kinder urplötzlich ein »strahlendes Licht« am Firmament. Außer ihnen nahm keiner das Phänomen wahr. Tags darauf war bereits eine größere Gruppe mit auf der Calleja. Diesmal zeigte sich der Engel spontan. Die Begleiter merkten zwar wieder nichts, doch einige fotografierten die verklärten Gesichter der Kinder. Die Spötteleien verstummten. Die Menschen packte eine gewisse Scheu vor dem Übernatürlichen, vor dem Unbegreiflichen. Den Kindern zeigte sich »ihr« Engel am 22., 23., 24. und 25. Juni am gleichen Ort. Nach Darstellung der Kinder war es stets derselbe Engel, der aber bislang stumm blieb.
Der Engel stellt sich vor Beim abendlichen Rendezvous vom 1. Juli waren die Mädchen von einem sensationslüsternen Menschenschwarm begleitet. Der Engel erschien und blieb volle zwei Stunden. Wieder war die Beobachtung, die Schau, ein Reservat der Kinder, aber die Anwesenden hörten das Zwiegespräch, den Dialog, mit dem Engel. Um es exakt zu sagen: Sie hörten Fragen und Antworten der kleinen Mädchen. Heute sprach der Engel zum ersten Mal, er stellte sich als der Erzengel Michael vor. Übereinstimmend schilderten die Teilnehmer an dem Spektakulum die eigenartig unnatürliche Haltung der Kinder: Zwei Stunden lang knieten sie, die Köpfe weit ins Genick zurückgeschlagen, erstarrt in einer verkrampften Körperstellung. Prozession in Carabandal Am 2. Juli, einem Sonntag, war ganz Carabandal auf den Beinen; aus Nachbardörfern waren Menschen en masse herbeigeeilt. Ab 15 Uhr betete man in der Kirche den Rosenkranz. Gegen 18 Uhr setzte sich die große Prozession, darunter Ärzte und Priester, vorn die Mädchen, in Bewegung. Am Erscheinungsort hatte man vier Pfähle in den Boden gerammt und mit Seilen verbunden, damit die Kinder von der Menge nicht erdrückt würden. Maria ist immer dabei Das Mirakel ereignete sich. Kaum hatten die Kinder den »Ring« erreicht, da zeigte sich ihnen schon die »Mutter Gottes«, flankiert von zwei Engeln. Der eine, Michael, war den Mädchen vertraut, und vom andern sagten sie, er gliche Michael »wie ein Zwilling«. Der Steckbrief, den die Kinder unabhängig voneinander, gleichwohl in den Fakten völlig
synchron, abgaben, liefert eine Beschreibung, wie sie ganz ähnlich immer wieder auftaucht: Langes, dunkelbraunes, in der Mitte gescheiteltes Haar, längliches Gesicht mit schmaler Nase und weichen Lippen, blütenweißes Kleid mit umgehängtem einfarbigem hellblauem Mantel, auf dem Kopf eine Krone mit goldenen Sternen, Alter zwischen 17 und 18 Jahren. Wie in anderen Fällen bemerkten die Mädchen, daß die Gestalt ihre Füße nicht bewegte, wenn sie ihre Stellung wechselte — sie schwebte. Rechts von der Hl. Jungfrau erkannten sie ein »rötlich waberndes Bild«, von dem sich ein Dreieck mit einer Inschrift abhob, die sie nicht entziffern konnten. — Die Engel trugen faltenlose blaue Gewänder, hatten auch schmale Gesichter und dunkle (»schwarze«) Augen; die Fingernägel waren — so genau hatten sie beobachtet — kurz geschnitten (!) und aus den Rücken wuchsen große rosarote Flügel. Verhör und Bericht Ortspfarrer Don Valentin verhörte die Mädchen. Bis ins Detail stimmten vier separat voneinander gemachte Aussagen überein. Über die spektakuläre Erscheinung vom 2. Juli verfaßte Pater Ramon Andreu einen Bericht für den Bischof Al-dazal in Santander. Darin heißt es wörtlich: »Auch mit schmerzhaften Schnitten, brutalen Stößen und selbst mit Verbrennungen gelingt es nicht, die Kinder zu sich zu bringen. Sie nehmen nichts von der Außenwelt wahr. Davon kann man sich überzeugen, indem man an ihren Augen plötzlich ein Licht oder irgendeinen anderen Gegenstand vorbeiführt. Keine Bewegung des Augenlides oder der Pupille zeigt sich.« [14] St. Michael kommt Schlag 20 Uhr Am 27. Juli gab es gleich zwei Erscheinungen. Am frühen Morgen avisierte der Engel für den Abend, pünktlich um acht, ein zweites
Auftauchen. Diese Botschaft sprach sich schnell herum. Nach amtlichen Schätzungen versammelten sich über 600 Personen, darunter wieder einige Priester und Ärzte und auch ein »Spion« von der Universität Laboral in Cordoba, ein Dominikanerpater. Erzengel St. Michael traf pünktlich ein und blieb 8 5 Minuten. — Augenzeugen behaupteten, die Kinder wären diesmal so steif gewesen, daß zwei Männer nur mit großer Mühe einen kleinen Körper hätten aufheben können; bei verschiedenen Versuchen wäre es nicht gelungen, Kopf oder Arme der Seherinnen zu bewegen. — Bleibt anzumerken, daß nicht nur St. Michael über die Tugend der Pünktlichkeit verfügte: Erscheinungen »lieben« es, Zeit und Ort anzusagen und einzuhalten. Erscheinungen am Fließband Freilich gab es Spötter und Skeptiker. Auch die Geistlichkeit übte Reserve. Es wurde von Hypnose gesprochen, von Wahnvorstellungen, von abgefeimten Lügen und Betrug, auch von Geschäftemacherei zum Nutzen des entlegenen Bauerndorfes. Es wurde alles diskutiert, was in solchen Fällen die Gemüter mit Für und Wider erhitzt. Conchita, das schien evident, war die ausgeprägteste Persönlichkeit unter den Mädchen. Darum vermutete man, sie könnte ihre Freundinnen suggestiv beeinflussen. Um sie abzulenken, brachte man sie in Santander mit anderen Kindern zusammen und ließ sie zur »Entkrampfung« mit ihnen am Strand baden. Nach gut einer Woche holte die Familie ihre Conchita zurück. Nun ging es erst richtig los! Eine Erscheinung nach der andern, Erscheinungen am Fließband. Das Interesse weiter Kreise wurde wach. Die Zuschauerlawinen, die ins Dorf rollten, nahmen beängstigende Ausmaße an. Am 18. Oktober waren es nach offizieller Schätzung über 5000 Menschen.
An diesem Tag herrschte ein für die Jahreszeit absurdes Wetter mit Regengüssen und sturmartigen Böen. Die Äcker, auf denen die Leute ausharrten, waren zu tiefem Schlamm aufgeweicht. Man hielt aus. Man wartete auf ein Wunder. Es geschah nichts. Gegen 22 Uhr wurde eine von den Kindern unterzeichnete Botschaft verlesen, die ihnen angeblich die Gottesmutter diktiert hatte. Darin wurden alle aufgefordert, Opfer zu bringen und Buße zu tun, weil sonst — ohne das geht's in solchen Botschaften nie ab! — Züchtigungen über die Menschheit kommen würden. Ich will kein minutiöses Protokoll der vielen Erscheinungen zu Carabandal geben. Für Interessierte steht die Literatur zur Verfügung. [15] Was ist aus den kleinen Mädchen geworden? Was wurde aus den vier kleinen Mädchen? Conchita kehrte nach der einzigen großen Reise ihres Lebens — sie war beim Papst in Rom — ins Dorf zurück, trat aber bald in das Juvenat der »Beschuten Karmeliterinnen von Pamplona« ein. Marie-Loli und Jacinta wurden in ein Kloster bei Saragossa aufgenommen. Nur Mari-Cruz blieb bei ihren Eltern, denen sie im Haus und bei der Landwirtschaft hilft. Aus dem »Logbuch« der stürmischen Ereignisse von Carabandal sind mir drei Punkte wichtig: Das Hostienwunder 1) Das Hostienwunder. Es geschah in der Nacht vom 18. Juli 1962. Gegen zwei soll der Erzengel Michael in Conchitas Zimmer erschienen sein, in dem sich auch einige Verwandte aufhielten. Plötzlich wäre, steht in den Berichten, das Mädchen mit verklärtem Gesicht die Stiege des Hauses hinuntergerast, wäre durch die Gassen gewetzt, um sich abrupt auf den Boden zu werfen.
Verkrampft liegend, hätte es weit die Zunge herausgestreckt. Sofort wäre Conchita von Sensationslüsternen, die Tag und Nacht im Dorf lauerten, umringt gewesen, alle hätten sie angestarrt. Augenzeugen der wilden Nacht gaben zu Protokoll, daß auf der Zunge des Mädchens im Nu eine schneeweiße, ziemlich dicke Hostie erschienen wäre, die etwa zwei Minuten lang sichtbar gewesen sei. Dann schluckte Conchita die Hostie. Diese Materialisation wurde von einem Zuschauer gefilmt! Rund 40 Bilder zeigen auf der Zunge des Mädchens tatsächlich einen weißen runden »Gegenstand«, etwas, das einer Hostie ähnlich ist. Beobachter beteuerten, daß Conchita mit ihren Händen keine Bewegung ausgeführt oder gar den Mund berührt hätte. Während dieser »Kommunion« hätte sie auch die Zunge weder in den Mund noch unter den Gaumen zurückgenommen; es wäre auch undenkbar, daß sie etwas so Weißes im Mund verborgen gehabt hätte. — Mir scheint übrigens der von einem Herrn Daminas aufgenommene und in Barcelona entwickelte Amateurfilm ein kleines Wunder für sich zu sein: Es war Nacht, es gab nur den Lichtschein einiger Taschenlampen. Ist das kein Wunder, daß der Film überhaupt exponierte? Die letzte Erscheinung 2) Während der letzten Erscheinung am 13. November 1965 erhielten die Mädchen von der Gottesmutter eine Botschaft für den Papst. Im Januar 1966 reiste Conchita wirklich nach Rom, wurde im Vatikan über zwei Stunden lang von hochwürdigsten Herren der Glaubenskongregation, dem ehemaligen Hl. Offizium, vernommen und danach vom Papst empfangen. — Von Rom aus fuhr Conchita nach San Giovanni Rotondo, um dort den Wunderpater Pio zu besuchen.
Mari-Cruz widerruft! 3) Das eigentlich Absurde an den Ereignissen von Carabandal ist dies: Mari-Cruz, das Mädchen, das im Hause der Eltern arbeitet, leugnet plötzlich, je eine Erscheinung gehabt zu haben! Was war der Anlaß für diesen Widerruf? In der katholischen Zeitung »Vaterland«, die in Luzern erscheint, lese ich in der Ausgabe vom 17. März 1967 unter der Überschrift »In Carabandal hat es keine Erscheinungen gegeben« diesen Text: »In einer offiziellen Note vom 17. März 1967 hält der bischöfliche Oberhirte, Bischof Puchol Montis von San-tander, folgende drei Punkte fest: 1. Es hat keine einzige Erscheinung, weder der allerheiligsten Jungfrau noch des heiligen Erzengels Michael noch irgendeiner anderen Person vom Himmel gegeben. 2. Es wurde keine Botschaft übermittelt. 3. Alle in Carabandal stattgefundenen Vorgänge haben eine natürliche Erklärung.« Was durfte nicht sein? Man ist konsterniert. Es gibt aus Carabandal fotografische Aufnahmen und Tonbänder. Es wurden Verhöre vielfacher Art, sogar von der Glaubenskongregation, durchgeführt. Alle Befrager bestätigten die völlige Deckungsgleichheit der Aussagen der Mädchen noch in der winzigsten Kleinigkeit. Conchita wurde vom Papst empfangen. Es wird nicht bestritten, daß es »Vorgänge« gab, die aber hätten eine natürliche Erklärung gefunden. Es wäre wünschenswert, wenn in offiziellen Kirchennoten nicht nur festgestellt würde, was nicht gewesen sein darf, sondern auch, was gewesen sein kann. Nicht zuletzt der Gläubigen wegen. Es wird mich jedenfalls nicht überraschen, wenn den Ereignissen von Carabandal in einem Jahrzehnt oder später doch noch das
»große Wunder« attestiert wird. Klug, wie sie ist, läßt sich die Kirche mit ihrem langen Atem viel Zeit; möge sie vor lauter Klugheit und Taktik nicht kurzatmig werden. Wenn eines Tages das Wunder effek-tuiert werden soll, könnte Mari-Cruz sagen (oder dies in einem Testament hinterlassen), daß sie zur »Prüfung der Gläubigen« auf unmittelbaren Befehl aus dem Himmel habe lügen und widerrufen müssen. — Die anderen drei Jungfrauen wurden derweil in ihren Klöstern zu Fast-Heiligen vorbereitet, sie werden zur gewünschten Zeit das Richtige verlautbaren. Übrigens geschehen in Carabandal nach wie vor und immer wieder unerklärliche Wunderheilungen . .. Rigorose Madonna In jedem Erscheinungsfall sind Indizien für Klärungen, für Erklärungen verborgen, doch scheint es mir unstatthaft, in nur wenigen ad hoc ausgesuchten Phänomenen Schlüssel zur Enträtselung des Rätselhaften zu suchen. Erst eine leidliche Kenntnis des Pandämoniums erlaubt es, Licht ins Dunkel zu bringen. Klar ist inzwischen, daß die Figuren in Erscheinungen kurioseste Dinge tun. Die landläufige Vorstellung, daß sie die »Seher« stets aus seligen blanken Augen anstrahlen und aus dem Füllhorn christlicher Lehre nur mit verheißenden Sprüchen bedienen, ist grundfalsch. Oft sind sie anmaßend. Nahe der französischen Grenze bei der flämischen Provinzhauptstadt Namur, Belgien, liegt das Städtchen Beauraing, das 2300 Einwohner hat. Es geschah am 29. November 1932. Albert Degeimbre, 11, ging mit seinen Schwesterchen Andree, 14, Gilberte, 9, und Fernande, 5, zum von geistlichen Schwestern geleiteten Pensionat, das nahe beim Bahndamm liegt. Im Garten des Pensionats steht seit Jahren eine Lourdes-Statue.
Die letzten Schritte lief Albert voraus, zog an der Torglocke und schaute sich nach seinen Geschwistern um. In diesem Moment sah er überm Bahndamm eine Muttergot-tes-Statue schweben. Wie dem Bruder, leuchtete auch den Mädchen in der Dunkelheit aus strahlendem Licht die Muttergottes-Statue. Zur gleichen Stunde liefen Albert und Andr£e am nächsten Tag zum Pensionat, um festzustellen, ob die Lourdes-Statue noch an ihrem Platz stände. Ja, sie posierte dort wie eh und je — aber die Erscheinung überm Bahndamm wiederholte sich! Nicht nur an diesem Tag. Hübsche runde 3 3 mal zeigte die Dame sich den Kindern, an manchen Tagen gleich zweimal. Beauraing geriet in Aufruhr. Wie Kletten klebten die Leute an den Degeimbre-Kindern. Sie sahen zwar (wieder) nichts, folgten aber mit verhaltenem Atem den Dialogen, die die Kinder mit der Unsichtbaren führten. So hörten sie am 2. Dezember, wie ein Kind fragte: »Bist Du die unbefleckte Jungfrau?« Es teilte den Gaffern mit, daß die Dame zustimmend genickt habe. — Am 23. Dezember wollten die Kinder wissen, warum die Jungfrau ausgerechnet nach Beauraing käme. Sehr attraktiv die Antwort: »Auf daß man hierher wallfahren komme!« Am 3. Januar 1933 erschien die Madonna letztmalig. Dieser Abschied wurde von jedem Kind anders berichtet. Das ist eigenartig, weil sonst die Berichte immer fast deckungsgleich sind. Zu Albert sagte die Dame: »Adieu! Gott befohlen!« — Zu Gilberte: »Ich werde die Sünder bekehren!« — Zu An-dree: »Ich bin die Mutter Gottes, die Königin des Himmels!« — Fernande erlebte den Abschied am eindrucksvollsten: Sie bemerkte zunächst, wie eine dicke, längliche und feurige Kugel zerplatzte, dann erst wurde sie'von Maria gefragt: »Liebst Du meinen Sohn? Liebst Du mich? Dann opfere Dich für mich!« Kein Kind hatte vernommen, was die Jungfrau zu gleicher Zeit jeweils den anderen Geschwistern mitgeteilt hatte. Zuschauer kamen zu einem Trosterlebnis: Sie behaupteten, das Platzen einer
Kugel wahrgenommen zu haben. Maria ohne Verständnis für Kinder? Die Kinder wurden von Ärzten und Psychiatern untersucht und ausgefragt, von Behördenmenschen ausgequetscht, von den Eltern von früh bis spät in die Zange genommen. Es ergaben sich — bis auf den Abschied — keinerlei Widersprüche, jedes Kind machte klare Aussagen. Aber die Erwachsenen verstanden sie nicht. »Die meisten vergesesn ihre Kindheit wie einen Schirm und lassen sie irgendwo in der Vergangenheit stehen. Und doch können nicht vierzig, nicht fünfzig spätere Jahre des Lernens und Erfahrens den seelischen Feingehalt des ersten Jahrzehnts aufwiegen.« (Erich Kästner) Aber auch die Jungfrau selbst scheint nicht eben viel von Kinderpsychologie zu wissen. »Ich werde die Sünder bekehren!« klingt eher wie eine Drohung denn ein Trost. Wie distanzierend die Vorstellung: »Ich bin die Mutter Gottes, die Königin des Himmels!« Wie eitel die Fragen: »Liebst Du meinen Sohn? Liebst Du mich?« Wie unbarmherzig die Forderung: »Dann opfere Dich für mich!« Ist das die feine mütterliche Art, mit einem Kind zu sprechen? Wären solche Forderungen nicht besser an einen hohen Herrn der Hl. Glaubenskongregation zu richten, der mächtig ist, statt an ein verängstigtes Kind? Warum eigentlich muß die Madonna durch Symbole verwirren? Etwa durch drei Rosen? Ich weiß, die Kirche hat eine Erklärung: Die weiße Rose symbolisiert den Gebetsgeist, die rote den Opfergeist, die gelbe den Bußgeist. Warum drückt sich die Jungfrau nicht einfach, orakellos, den Kindern verständlich aus? Weshalb Symbole, die Theologen erst deuten müssen? Und selbstverständlich deuten werden, wie sie wollen. Wenn sie aber schon Formulierungen verwendet, die Kinder nicht verstehen können und die für Erwachsene bestimmt sind, warum sagt sie's dann
nicht den Erwachsenen direkt? Mir schmeckt in all den Mitteilungen auch nicht, daß stets die Sprossenleiter der himmlischen Hierarchie vorgezeigt wird. Hören denn diese Privilegien nie auf? Ganz klar: In Beauraing wurde 1933 eine Kirche gebaut, in der seitdem die Statue »Unsere Liebe Frau, Mutter mit dem goldenen Herzen« Heilungen bewirkt und Fürbitten aller Art erhört. [16]
Erscheinung als Sozialfall Das nächste Ereignis spielte sich in Belgien in dem Dorf Banneux, das östlich von Lüttich in den Ardennen liegt und 350 Seelen zählt, ab. Die Familie Beco wohnte Anfang der 30er Jahre mit ihren sechs Kindern im zweiten Stock eines poweren Arbeiterhauses. Vater Beco war kein gläubiger Katholik (Chance zur Bekehrung!) und hatte Sinn dafür, daß seine kleine Mariette, 12, nichts vom Religionsunterricht hielt; er riet ihr, nicht mehr hinzugehen. — Der hochwürdige Rektor Jamin betete mit anderen Gläubigen für das verlorene Schaf, so, wie in katholischen Andachten stets für Abtrünnige gebetet wird. Am 15. Januar 1933 hütete Mariette schon schlafende Geschwister und schaute durchs eisblumenblinde Fenster in die Schneenacht hinaus, ob denn ihr jüngerer Bruder noch nicht heimkäme. Da geschah es. Rechts im kleinen Gärtchen sah Mariette etwas, das sich wie ein wehender Schleier bewegte, bald erglomm ein Licht, in dem, leicht nach links geneigt, eine wunderschöne Frau mit gefalteten Händen sichtbar wurde. Sie rief ihre Mutter, die auch einen Moment lang den Eindruck hatte, eine verschleierte Frau zu sehen. Mariette berichtete: »Sie trägt ein schneeweißes Kleid, das vom blauen Gürtel ab gefaltet ist; die Enden des Gürtels hängen vorn herunter. Der Kopf ist mit einem weißen Schleier bedeckt, der auf
Schultern und Arme herabfällt. Ihr rechter Fuß ist unbekleidet und trägt eine goldene Rose. Am rechten Arm hängt ein Rosenkranz. Die Jungfrau blickt mich lächelnd an.« [17] Von diesem Abend an war Mariette verändert. Sie betete nun viel und ließ keine Religionsstunde mehr aus. Drei Tage später kniete sie im Garten und sah — wie sie in Verhören äußerte — »ganz in der Ferne am Himmel, von Licht umgeben, die Mutter Gottes vom Himmel herabkommen«. Kaum eineinhalb Meter entfernt schwebte die Erscheinung auf einer kleinen Wolke über dem Erdboden. Die Jungfrau nahm Mariette bei der Hand, führte sie zu einer Quelle und befahl: »Tauche Deine Hände in das Wasser!. .. Diese Quelle ist mir vorbehalten. Gute Nacht — auf Wiedersehen!« Mariettes Erscheinungen wiederholten sich am 19. und 20. Januar, am 11., 15. und 20. Februar und zum letztenmal am 2. März 1933. Und die Dame sagte unter anderem, sie sei ». .. die Mutter des Erlösers, die Mutter Gottes... die Jungfrau der Armen ... Die Quelle ist für alle Nationen ... um den Kranken Linderung zu bringen .. .« Muß ich schreiben, daß der ungläubige Vater wieder ein erstklassiger Katholik wurde? Originellerweise ging Mariette nicht in ein Kloster, sie heiratete und wurde eine geachtete Mutter. Rom anerkannte am 22. August 1949 offiziell die »Echtheit« der Erscheinungen aus dem Jahre 1933. Am Erscheinungsort wurde eine Kirche errichtet; an der Quelle geschehen Heilungen, die von Ärzten in nicht wenigen Fällen als Wunder bezeichnet werden. Banneux wird in jedem Lexikon als Wallfahrtsort aufgeführt. Warum hatte es Rom diesmal so eilig mit der Anerkennung? Ja, mon dieu, Jungfrau der Armen, das ist ein Pfund, mit dem sich wuchern läßt. Rom kennt seine christliche Soziallehre, die so gut in die politische Landschaft paßt. Rom versteht eine Menge von Public Relations.
Warum keine Erscheinung am Petersplatz? Auch in den von der Glaubenskongregation geprüften und anerkannten Erscheinungen steckt ein Widerspruch. Immer wieder beruft sich die Gottesmutter auf die ihr von Gottvater oder ihrem Sohn Jesus Christus verliehene Macht. Wenn sie darüber verfügt und den inständigen Wunsch hat, in aller Welt von den Gläubigen intensiver verehrt zu werden, warum zeigt sie sich dann stets an entlegenen Orten und noch dazu meistens armen kleinen Hascherln, die so wenig zur Erfüllung ihres Wunsches, der manchmal auch in Befehle ausartet, tun können? Ohne jede jenseitige Erleuchtung wüßte ich da eine bessere Gelegenheit, die den Publicity-Wunsch auf einen Schlag erfüllen könnte. Eine fulminante Gelegenheit: Wenn der Papst an hohen kirchlichen Feiertagen vom Balkon seines Palastes am Vatikanischen Hügel einer vielhunderttausendköpfigen Menge auf dem Petersplatz den Segen urbi et orbi (der Stadt [Rom] und dem Weltkreis) erteilt, übertragen Fernsehstationen diesen höchsten kirchlichen Gnadenakt in alle Kontinente. Der Papst spricht von der Kirche aus, die über dem Grab des Apostels Petrus gebaut wurde. Ja, gibt es denn überhaupt einen effektvolleren, einen wirksameren Ort für Erscheinungen, wenn sie schon aus dem Himmelreich kommen und stets Auserwählte aufsuchen? Bietet sich nicht hier im Herzen Roms eine exzellente Möglichkeit, dem innigen Marienwunsch Erfüllung zu gewähren? Ich kann den Kern der süßen Erscheinungsfrucht nicht goutieren. Er ist bitter. Ich vermag nicht zu akzeptieren, daß ausgerechnet die Gottesmutter darum barmt, mehr und intensiver angebetet und verehrt zu werden. Ist das »göttlich«, wenn sie unentwegt droht, daß ihr mächtiger Sohn die Menschheit vernichten wird, wenn ihr Wunsch unerfüllt bleibt? Entspricht dieses Verhalten der Vorstellung von Gott und dem Gottessohn, von deren Allmacht
und Güte? Was tut sich hier? Brauchen Erscheinungen das Mysterium im Sinne seiner ursprünglichen Wortbedeutung, nämlich einen Geheimkult, der nur Eingeweihten zugänglich ist und ein persönliches Verhältnis zur verehrten Gottheit vermittelt? H. U. von Balthasar sagt dazu Kluges: »Überall, wo der Mensch das Seltene, Kostbare und Heilige achtet, trennt er und sondert aus; er entzieht das Geweihte den Blicken der Öffentlichkeit; er verbirgt es in der Zelle eines Heiligtums, im Halbdunkel eines sakralen Raumes; er entrückt es durch eine wunderbare Legende dem Alltag der gewöhnlichen Geschichte; er läßt es umwittert sein vom Geheimnis ...« [19] Geheimnis ist immer gut, das kommt an. Die harmloseste Akte wird so richtig lesenswert, wenn der Stempel top se-cret darauf prangt. Der einfältige Mensch möchte teilhaben am »Geheimnis«, es drängt ihn danach, zum Zirkel der Wissenden zu gehören, er möchte »in« sein. Geheimreligionen, Geheimbünde, geheime Männerbünde, Geheimagenten etc. haben etwas ungemein Reizvoll-Attraktives. Eine Sache im Geheimen, im Geheimnis, zu halten, ist clever. Sakralisierte Geheimnisse sind eine glänzende Erfindung. Den »Geheimnissen«, von denen hier die Rede ist, läßt sich auf die Spur kommen. Sonnenwunder anno 1950 Kinder sind mitteilungsfreudig. Die Geheimregie weiß, daß sie sich deshalb, aber auch weil sie so unschuldig und nett sind, vorzüglich zu Ansagern des großen Tamtams, der Schaustellung des Wunderbaren wie zur Diversifikation der an vielen Orten möglichen, geduldeten oder forcierten angeblich transzendentalen Erlebnisse eignen. In dem Dorf Acquaviva-Platani auf Sizilien zeigte sich der Tina Mallia, 12, fünfmal nachmittags um zwei, außerhalb des Ortes bei
Casalicchio eine Frauengestalt. Tina plauderte über ihre Erlebnisse. Klar. — Am 15. April 1950 begleitete sie bereits eine Menschenwoge zum Erscheinungsort. Es waren besonders viele Leute dabei, weil die Dame avisiert hatte, sie würde an diesem Nachmittag ein Zeichen geben. Klug geplant. Die Menge wurde nicht enttäuscht. Plötzlich teilte sich eine lichte Wolke, hinter ihr strahlte ein heller, ja, so wird berichtet, ein grell leuchtender Stern. Bald fing die matt glänzende Sonne an, sich zu drehen, mal nach rechts, mal nach links, näherte sich im Zickzackkurs der Erde und stieg dann wieder in verrückten Kapriolen himmelwärts. Augenzeugen sagen, daß die Sonne in allen Farben sprühte, bis sie schließlich wie eine sich um sich selbst drehende Scheibe ins Weltall raste. Das Sonnenwunder wiederholte sich am gleichen Tag um 16.21 Uhr. Ob man nach diesem Schauspiel verhindern konnte, verhindern wollte, daß Casalicchio bei Acquaviva-Plata-ni im für Wunder anfälligen Sizilien ein Ziel für Pilger wurde? [20] Die Mafia tut jedenfalls nichts dagegen, und das ist schon etwas. Story wie ein Krimi Die Ereignisse von Heroldsbach sind ein klassisches Exempel für diktatorisches Verhalten der römischen Kirche. Diese Story könnte von Agatha Christie oder Georges Simenon erfunden worden sein. Das Dorf Heroldsbach liegt in Mittelfranken, Bayern. 9. Oktober 1949. Die Kinder Marie Heilmann, 10, Kuni Schleicher, 11, Grete Gügel, 11, und Erika Müller, n, sammelten im Herbstwald Blätter verschiedener Bäume für den botanischen Schulunterricht. Auf dem Heimweg sahen sie über den Baumkronen eine leuchtende Schrift, »wie wenn die Sonne durch eine grüne Bierflasche scheint«, mit den drei Buchstaben IHS. Die Schrift verschwand. Über dem Birkenwald schwebend, erschien »eine weiße Frau, die aussieht wie eine weiße Schwester«. [21] Langsam geisterte die Erscheinung hin
und her. Die vernünftigen Kinder kontrollierten ihren Verstand; sie begannen zu zählen, verständigten sich über Geräusche, die sie hörten, und rannten zum Weiher, auf dem wie immer sieben Enten schwammen. Nein, sie träumten nicht. Wieder auf dem Hügel, schwebte »da oben« immer noch die Frauengestalt, höher und höher, bis sie in den blauen Himmel eintauchte. Die Erscheinung dauerte eine Viertelstunde. Man glaubte den Kindern zu Hause kein Wort. Mütter setzten sich in Marsch, um durch Augenschein dem Spuk ein Ende zu machen. Auf dem Hügel beobachteten sie, wie die Kinder — »plötzlich« selbstverständlich!— gebannt zum Wald blickten: Sie nahmen wieder die Erscheinung wahr. Die Mütter konnten nur eine eigenartige, sie berührende Ergriffenheit der Kinder feststellen. Die Protokolle ergaben hernach, getrennt angefertigt, gleichartige Schilderungen des Phänomens durch die Kinder. 10. Oktober Kuni Schleicher ging mit einer Freundin auf den Hügel. Ihnen folgten vier Buben, die sie hänselten: Andreas Büttner, 13, Michael Lindenberger, Adolf Meßbacher und Heinz Muscha, alle 12 Jahre alt. Nun sahen alle Kinder, nur zehn Meter entfernt, über den Baumwipfeln die Dame, die sich langsam erdwärts bewegte. 12. Oktober Die Mädchen beobachteten nur einen »weißen Schimmer«, während Michael Lindenberger und sein Bruder Martin »eine weiße Frau« gesehen haben wollen. 13. Oktober Antonie Saam (der Kreis der Seher-Kinder wurde größer) fragte die Erscheinung: »Was ist Dein Wunsch?« — Alle Kinder hörten die Antwort: »Die Leute sollen fest beten!« Die Kinder baten Ortspfarrer Gailer, mit auf den Hügel zu kommen. Der Geistliche lehnte ab, informierte aber seine vorgesetzte Behörde, das bischöfliche Ordinariat in Bamberg.
16. Oktober Der vom Domkapitel beauftragte Herr Kümmelmann konnte die Kinder in ihrer Erscheinungsekstase beobachten. In den folgenden Monaten und Jahren wiederholten sich die Erscheinungen, es mehrte sich auch die Zahl derer, die sie wahrgenommen haben wollten. — Registrierte Termine sind: 13. Januar 1950 — 5., 9., 17.und 18. Februar — 4., 16. und 25.Mai — 15., 16., 24., 25. und 26. Juni — 10. Juli — 7. und 8. Oktober. Bis zum letzten Phänomen am 31. Oktober 1952 gab es Erscheinungen in beträchtlicher Häufigkeit. Danach trat Ruhe in Heroldsbach ein. Wirklich? Wir werden es erfahren. Nicht immer waren die Figuren der Erscheinungen dieselben, mal wurde die Gottesmutter mit und ohne Jesuskind, mal wurden prominente Engel, mal wurde die Dreifaltigkeit und mal sogar Vater Joseph gesichtet. — Am Weihnachtstag 1949 soll vor den Kinderaugen die Christgeburtsgeschichte wie ein Film abgelaufen sein. Was haben die Lordsiegelbewahrer des Hl. Geistes aus Heroldsbach gemacht? Eine moderne Inquisition. Inquisition in Heroldsbach 30. 10. 1949 Vom bischöflichen Ordinariat Bamberg erhalten die Gläubigen eine Warnung, an den Erscheinungsort zu gehen. 10. 1. 1950 Von den Kanzeln wird verlesen, die bischöfliche Untersuchung habe nichts erbracht, was zur Annahme von Visionen übernatürlichen Ursprungs Anlaß böte. Prozessionen und Wallfahrten wurden verboten. 2. 3. 1950 Durch bischöflichen Erlaß wird allen Geistlichen untersagt, sich an religiösen Veranstaltungen, falls sie mit Erscheinungen zusammenhängen, zu beteiligen oder mitzuwirken. 6. 3. 1950 Erzbischof Dr. Kolb zitiert Ortspfarrer Gai-ler und verbietet ihm, weiterhin den Erscheinungshügel zu betreten.
2. 10. 1950 Der Erzbischof erhält ein Schreiben des Hl. Offiziums, datiert vom 28. September. Darin heißt es: »Des weiteren billigt das Heilige Offizium das, was Eure Exzellenz (= der Erzbischof von Bamberg) in dieser Angelegenheit angeordnet haben, und belobt den Klerus sowie die Mitglieder der Katholischen Aktion, welche die Vorschriften des Erzbischofs gewissenhaft beobachtet haben. Die übrigen Gläubigen aber, die bis heute den Entscheidungen der kirchlichen Behörde Widerstand geleistet haben, sollen ermahnt werden, ihnen Folge zu leisten ... Wir fügen hinzu, daß das Beten auf dem Hügel als Bekenntnis zur Echtheit der Vision wirkt und darum zu unterlassen ist...« 12. 10. 1950 Die kirchliche Behörde verlangt, daß Andachten am Erscheinungshügel, die längst ohne Priester stattfinden, auch von den Seher-Kindern zu meiden sind. 15. 8. 1951 Ein neues Dekret des Heiligen Offiziums wird veröffentlicht: »Am Mittwoch, dem 18. Juli 1951, haben in der Vollsitzung der höchsten Kongregation des Heiligen Offiziums ihre Eminenzen, die hochwürdigsten Herren Kardinale, denen die höchste Obhut in Sachen von Glaube und Sitte anvertraut ist, nach Prüfung der Akten und Dokumente.. . beschlossen: Es steht fest, daß die genannten Erscheinungen nicht übernatürlich sind. Darum wird der diesbezügliche Kult im obengenannten Ort und auch anderswo verboten. Priester, die künftighin an diesem unerlaubten Kult sich beteiligen, sind ohne weiteres von der Ausübung der Weihevollmachten suspendiert. Am folgenden Donnerstag, dem 19. des gleichen Monats und Jahres, hat seine Heiligkeit durch göttliche Vorsehung, Papst Pius XII., in der herkömmlichen, seiner Exzellenz, dem Herrn Assessor des Sanktum Offizium gewährten Audienz, das ihm vorgetragene Dekret ihrer Eminenzen gebilligt, bekräftigt und zur Veröffentlichung befohlen. Gegeben zu Rom, aus dem Palast des Heiligen Offiziums, am 25. Juli 1951.«
4. 8. 1951 Der ergraute Pfarrer Gailer, der die Pfarrei Heroldsbach 38 Jahre lang versorgte und von seinen Pfarrkindern geliebt wurde, wird, weil er zur »Echtheit« der Erscheinungen stand, mit sofortiger Wirkung versetzt. — Acht Jahre später kehrte er als Leichnam in seine Gemeinde zurück. 22. 8. 1951 Nach inquisitorischem Verhör schließt Pfarrverweser Dr. Schmitt die Seher-Kinder vom Empfang der Sakramente aus und verlangt, daß sie nicht nur dem Erscheinungshügel fernbleiben, sondern auch künftig versichern, die Gottesmutter nie gesehen zu haben. — Aus Angst vor der Kurie bleiben die Kinder fünf Monate dem Hügel fern, bekommen die Sakramente aber trotzdem nicht. 15.5.1953 Durch Urteilsspruch in einem vom erzbischöflichen Ordinariat angestrengten Prozeß wird die Zwangsräumung des Hügels (Marienstatue, Altärchen etc.) angeordnet. 4.—6. 2. 1957 Vor dem Amtsgericht Forchheim findet eine Verhandlung gegen den Regierungsamtmann außer Dienst, Paul Schneider, statt, der 1954 eine Schrift [22] zum Thema Heroldsbach veröffentlicht hatte. In diesem Ehrverletzungsprozeß trat wieder das erzbischöfliche Ordinariat als Kläger auf. — Unter den Zeugen waren auch einige Seher-Kinder, die nun — 1957 — bereits 17 und 18 Jahre alt waren. Sie bestätigten ihre Erscheinungen aus den Jahren 1949—1952. Auch Heroldsbach hatte ein Sonnenwunder Erwähnt werden muß noch, daß es am 8. Dezember 1949 auch in Heroldsbach ein Sonnenwunder gab, das von 10000 Menschen beobachtet wurde. Darüber gab Pfarrer Gailer zu Protokoll: »Die Sonne kam auf uns zu und knisterte ganz gewaltig. Ich sah darin einen 20 cm breiten Kranz von Rosen. Antonie Saam sah in der Sonne die Mutter Gottes mit Kind. Wir waren zu fünf Geistlichen oben. Solange ich lebe, werde ich das bezeugen.« Dr. J. B. Walz, Professor der Theologie, gab diese Schilderung
[23]: »Es wurde immer heller und heller, immer greller. Die Sonne schien mir immer greller und größer zu werden und näher an uns heranzukommen. Ich war wie geblendet. Ich hatte den überwältigenden Eindruck eines außergewöhnlichen Ereignisses und glaubte, es kommt jetzt schlagartig etwas außergewöhnlich Furchtbares. Ich erschrak . .. Da fing die Sonne an sich zu drehen, ganz schnell im Kreise herum, und die Drehungen waren so deutlich erkennbar, so schnell, daß ich die Vorstellung hatte, wie wenn ein Motor die Sonnenscheibe in gleichmäßiger Geschwindigkeit sehr rasch drehen würde. Dabei erschien die Sonnenscheibe in den herrlichsten Farben.«
cuius regio - eins religio Ich kann dem Heiligen Offizium mit Dutzenden von Erscheinungsfällen zur Hand gehen, die weniger exakt dokumentiert sind wie die von Heroldsbach und von weniger Teilnehmern beobachtet wurden, die aber längst als »echt« anerkannt wurden. Es kommt wohl auf die Art der Berichterstattung der zuständigen Kirchenbehörden an, und die sind, trotz Charisma der dort tätigen Herren, nicht frei von Irrtümern. Was schrieb man von Bamberg aus nach Rom? Waren die Seher-Kinder unbotmäßig, weil sie nicht die immer gleiche Erscheinung schilderten? Weil sie die ganze heilige Familie über den Baumwipfeln aufmarschieren ließen? Oder: Standen am Ende in den geheimgehaltenen Protokollen Botschaften, die sich mit der Heilslehre nicht synchronisieren ließen? Da Geheimhaltung im Sanktum Offizium traditionsgemäß besser klappt als in weltlichen Ministerien und Kanzleien, auch ohne Geheimstempel, werden wir es diesmal nie erfahren. Rom ist im Recht. Hält man sich sonst aber immer ein Hintertürchen auf, um, wenn nützlich, den Urteilsspruch zum Heile
der Kirche revidieren zu können, wurde — was Heroldsbach angeht — die Tür kräftig zugeschlagen, nachdem Papst Pius XII. selbst berühmt wurde. Cuius regio — eius religio! (In wessen Fürsten Gebiet man lebt, dessen Religion muß man haben!) Eine vielfach bewährte römische Maxime... Letztlich aber waren alle Befehle umsonst: In Heroldsbach wird immer noch gebetet, es kommen immer noch Pilger auf den Erscheinungshügel, und es geschehen immer noch wunderbare Heilungen ... Erscheinungen für Erwachsene Um auch in diesem Bericht das statistische Mittel für die Empfänger von Erscheinungen zu halten, das bei 90:100 Kinder Erwachsene liegt, sei zunächst von dem Waldaufseher Matousch Laschut berichtet, der in Turzov-ka, südlich von Krakau, an der mährischslowakischen Grenze arbeitet. Laschut war 42 Jahre alt, als er am 1. Juni 1958 seine erste Muttergotteserscheinung — in einem »Meer von Rosen« — hatte. Vater von drei Töchtern, war er bei den sieben Erscheinungen, die ihm von Juni bis August 1958 zuteil wurden, stets allein, eine telepathische Übermittlung der »Bilder« aus einem Kindergehirn schied als Möglichkeit aus. Eine /es#s-Erscheinung beschrieb Laschut so [24]: ».. . mit einem weißen Gewände bekleidet, trägt er einen roten Mantel, über die rechte Schulter und den linken Arm geworfen. Zu seiner Linken steht ein schmales Kreuz, so hoch wie seine Gestalt. Die ganze Erscheinung in einem großen, blendenden, strahlenden gleichseitigen Dreieck von etwa zehn Metern Seitenlänge.«
Erscheinungen kennen keine Grenzen Obwohl die kommunistischen Behörden der Tschechoslowakei mit den Visionen nichts anzufangen wußten und selbstverständlich alles taten, um die Erscheinungen von Turzovka nicht populär werden zu lassen, wurden an manchen Tagen dort bis zu 10000 Pilger geschätzt. — Erscheinungen kennen weder Grenzen noch politische Systeme, sie gedeihen diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs. Ist das nicht wunderbar? Erscheinung sucht sich einen Konvertiten Bruno Cornacchiola wurde am 19. Mai 1913 in Rom geboren und wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Ursprünglich katholisch, heiratete er 1936 und reiste allein nach Spanien, um nur bei sporadischen Besuchen zu Hause seine Fruchtbarkeit unter Beweis zu stellen. In Spanien konvertierte Bruno C. zum Protestantismus und wurde, wie die meisten Übergetretenen, zum aggressiven Antika-tholiken. Seine Kinder wurden nicht religiös erzogen. Diese Vita ist bemerkenswert, weil Bruno C, 34, ein erwachsener Mann, als er seine beiden Erscheinungen hatte, zu allem Überfluß auch noch Nichtkatholik war. Am 12. April 1947 machte der Trambahnangestellte Bruno C. mit seinen Kindern Gianfranco, 4, Carlo, 7, und Isola, 12, einen Ausflug zu den »Tre-Fontane« bei Rom. Während seine Kinder Ball spielten, vertiefte er sich in seine Sportzeitung. Der Ball rollte in eine Grotte, Gianfranco lief hinterher. Der Kleine kam nicht wieder zum Vorschein. Isola und Carlo baten den Papa, bei der Suche von Bruder und Ball zu helfen. Mürrisch, weil bei der Lektüre gestört, ging Bruno C. zur Grotte, bekam aber auf energischen Anruf von Gianfranco keine Antwort. Er bückte sich und sah seinen Sohn mit erhobenen Händen dastehen, seine Augen starrten auf einen Punkt, den er verzückt anhimmelte: »Schöne, schöne Frau, schöne Frau ...«
Bruno C. wollte das Knäblein am Ärmel greifen, als auch schon Isola und Carlo neben ihm auf die Knie sanken. Nun brabbelten alle drei: »Schöne Frau, schöne Frau ...« Es hätte Brunos Temperament entsprochen, nun eine echt italienische Schimpfkanonade loszulassen, doch beim Anblick der blassen Kindergesichter nahm er sich an die Kandare. Er versuchte mit sanfter Gewalt, Carlo mit sich zu nehmen, aber er konnte den Kleinen nicht von der Stelle bewegen. Plötzlich war er auch selbst von gleißendem Licht geblendet, in dem die Kinder nur noch wie Umrisse von Phantomen zu sehen waren. Später beschrieb Bruno C. diesen Zustand wie ein Gefühl, als hätte sich sein Bewußtsein vom Körper gelöst (!). Als der grelle Schein abblendete, sah er eine Frauengestalt von unbeschreiblicher Schönheit, eingefaßt von goldenem Schimmer. Der Steckbrief, den der erwachsene Mann von der Madonna gab, differierte kaum von der Substanz der Schilderungen, wie sie Kinder zu geben pflegen: ». . . schwarze Haare, ein leuchtendes weißes Kleid, gehalten von einem rosafarbenen Band mit zwei Schleifen, ein Mantel von wiesengrüner Farbe ... Die nackten Füße der schönen Frau ruhten auf einem Tuffstein; ihr Antlitz hatte den Ausdruck mütterlichen Wohlwollens, gepaart mit stiller Taurigkeit; in der rechten Hand hielt sie ein nicht zu großes Buch, das an der Brust lehnte .. .«. [25] Überzeugt, daß das alles Unsinn wäre, wollte Bruno C. protestieren, doch als die Dame zu sprechen begann, wußte er, daß die Gottesmutter vor ihm stand. Als sie sich ihren Blicken wieder entzogen hatte, fand sich der Nichtka-tholik Bruno C. am Boden kniend. Am 6. Mai 1947 hatte Bruno C. seine zweite und letzte Erscheinung in der Grotte. Da war er allein.
Prädisponiert? Matousch Laschut und Bruno Cornacchiola waren erwachsene Männer. Eine telepathische Übertragung von Phantasmagorien aus Kindergehirnen entfällt, denn beide Männer hatten Erscheinungen (Bruno C. am 6. Mai) ohne Anwesenheit von Kindern. Wie bei den anderen Schilderungen habe ich aus den Akten auch für diese beiden Fälle die jeweiligen Umstände berichtet, um zu zeigen, daß es für die Erscheinungen offensichtlich keine prädisponierten Situationen, weder okkulte Dämmerzustände noch für den Zweck wirksame, spiritualisierende religiöse Lokationen gab. Stimmt das? Die Erscheinungen fanden, wann und wo auch immer, jeweils abrupt statt. Jedenfalls taucht in den Protokollen immer wieder das Wort »plötzlich« auf. Welche Freiheiten hat das himmlische Personal? Nach dem Studium von Hunderten von Erscheinungsprotokollen ist eindeutig, daß für die Anerkennung oder Nichtanerkennung der Phänomene die katholische Kirche einen exklusiven Anspruch wahrt, ungeachtet der Tatsache, daß es Erscheinungen bei allen Völkern und allen Religionen gab und gibt. Nach ihrem Ratschluß steht es aber weder der Gottesmutter noch dem Herrn Jesus Christus oder den Erzengeln frei, wem sie wo erscheinen mögen. Aber auch die Seher der Visionen dürfen nicht selbst über die »Echtheit« dessen, was sie beobachteten, befinden. (Es ist ein bißchen so, wie wenn die Geistlichkeit bei der Geburtenregelung mitspricht: Sie ist persönlich nicht betroffen!) Die katholische Kirche leitet den Anspruch, allein die »Echtheit« der Phänomene erkennen zu können, von ihrem Lehrauftrag ab. Wenn beispielsweise die Gottesmutter per Erscheinung einem Kind eine Botschaft übermittelt, deren Inhalt dem angemaßten Lehrauftrag nicht entspricht, dann wird die Erscheinung in jedem
Fall als »nicht echt« eingestuft und abgelehnt, totgeschwiegen oder verboten, sie hat nicht stattgefunden. Horribile dic-tu: eine absurde Logik! Hat aber jemand, der nicht an die alleinseligmachende Kirche glaubt, eine Erscheinung, kann sich die heimgesuchte arme Person nur in psychiatrische Behandlung begeben .. oder sie muß schleunigst katholisch werden. Folgerichtig liest man denn auch in dem Traktat, das Mönche an der Grotte verkaufen, in der der Trambahnangestellte Bruno Cornacchiola seine beiden Erscheinungen hatte: »Kategorisch aufgehalten auf dem Wege, der zum Verderben führt, sah Bruno leuchtend vor sich die einzige Straße, die zur Rettung führt: die römische, katholische, apostolische Kirche.« Heiliger Geist -Kronzeuge für alles Der Schriftsteller und Katholik Rudolf Krämer-Badoni fragt denn auch: »Darf die Kirche sich benehmen wie ein Klub und Statuten erlassen, die von jedem Klubmitglied beim Eintritt akzeptiert werden müssen?« Der Hochmut kirchlicher Behörden tut weh. Was nicht genehm und befohlen ist, darfst du nicht gesehen haben — Botschaftsinhalte, die nicht abgesegnet sind, darfst du nicht gehört haben. Und immer wieder die Erleuchtung der charismatischen Herren durch den Hl. Geist! Den ungreifbaren Kronzeugen für alles. Noch einmal Krämer-Badoni in seinem Buch »Die Last, katholisch zu sein«: »Hat die Kirche das Recht, für jeden juristischen Beschluß den Heiligen Geist als Zeugen anzurufen? Wieso bildet sich dann fortwährend traditionalistischer Wust, der immer wieder abgebaut werden muß (um neuem Unsinn Platz zu machen)?«
Große Politik mit Erscheinungen Ein Abriß historischer und aktueller Erscheinungsfälle wiese eine fahrlässige Lücke auf, wenn darin zwei weltberühmte Damen — Katharina von Siena und Johanna von Orleans — fehlen würden. Die Erscheinungen dieser Jungfrauen nehmen über die religiös relevanten Phänomene hinaus deshalb einen besonderen Rang ein, weil die beiden Damen unter Berufung auf ihre Visionen eine eminente politische Wirkung ausübten. Immer schon galt die Maxime des Jesuitenpaters Hermann Busenbaum (1600—1668) aus seiner Medul-la theologiae moralis (Von der Moraltheologie): »Cum jinis est licitus, etiam media sunt licita« — »Wenn der Zweck erlaubt ist, sind auch die Mittel erlaubt.« Die Strategie der Kirche ist bewunderungswürdig, sie zeigt sich besonders eindrucksvoll in der Retrospektive. Katharina von Siena Siena, Stadt in der Toskana, Italien, stand im 13. Jahrhundert auf dem Höhepunkt seiner politischen Macht — im 14. Jahrhundert, in dem Katharina geboren wurde, in der Pracht seiner künstlerischen Blüte. Siena war die Rivalin von Florenz, bis es 1559 besiegt wurde und zum provinziellen Mittelpunkt der landwirtschaftlich reichen Umgebung absank. Heute noch wird jeder Italienreisende vom gotischen Stadtbild mit den Palazzi Pubblico, Buon-signori und Piccolomini, den Kirchen San Domenica, San Francesco und San Maria dei Servi und dem 102 m hohen Torre del Mangia entzückt sein. Selbstverständlich ist Siena auf den drei Hügeln an der Wasserscheide zwischen Elsa und Ombrone Erzbischofssitz. Katharina wurde um 1347 als 23. oder 24. Kind (sie hatte eine Zwillingsschwester) des Färbermeisters Benincasa geboren. Mit 17 trat sie in den Dritten Orden der Dominikaner ein, der ohne klösterliches Gemeinschaftsleben und eigene Regeln der Caritas
diente; sie lebte, heißt es, »ganz ihren mystischen Betrachtungen«. In dem mit der Imprimatur vom 6. 12. 1943 des Bischofs von Chur versehenen Werk »Katharina von Siena — Politische Briefe« [26] ist zu lesen: »Um 1370 erlebte sie den ›mystischen Tod‹, um von ihrem geliebten Meister die Sendung zum neuen Leben des Apostolats zu empfangen.« 1357 rühmte sich Katharina des unmittelbaren Umgangs mit ihrem »Verlobten« Jesus Christus, mit dem sie die Herzen getauscht und dessen Wunden sie erhalten habe. Es wird berichtet, sie sei schon als Kind anders als andere Kinder gewesen: »Kaum ist sie zum Gebrauch der Vernunft gelangt, als ihr der Herr erscheint, angetan mit den päpstlichen Gewändern und mit der Tiara gekrönt. Segnend streckt er die Hand nach ihr aus. Unauslöschlich prägt sich dieses Bild der Einheit von Christus und Kirche in ihr Herz, im Papst sieht sie fortan die Erscheinung des ›Christus auf Erden‹...« Bei so nützlichen Vorgaben fällt mir Psalm 4,4 ein: »Gott führt seine Heiligen wunderlich«, würde aber den Text gern variieren: »Die Kirche führt ihre Heiligen wunderlich!« — Katharina blieb auf der Spur. »Es ist die rein mystische Periode ihrer Jugend, gipfelnd im mystischen Tod, dem großen Wendepunkt ihres Lebens. Vier Stunden lang hält man sie für tot. Während dieser Zeit zeigt ihr der Herr die Heiligkeit der Heiligen ...« In weißem wollenem Gewand mit umgehängtem schwarzem Mantel eilte Katharina durch Siena. Ihre Visionen und Ekstasen hatten sich herumgesprochen, sie war eine stadtbekannte Person. Mit »zwingenden Augen« übte sie unwiderstehlichen Einfluß aus. Wunder über Wunder geschahen in ihrer Gegenwart. Das Volk wallfahrtete zu ihr. Ab 1374 attestierte man »ihre kommende Weltsendung«, die zunächst darin bestand, daß sie engagierte flammende Briefe
— »politische Briefe« — an Königinnen und Könige, Päpste und Bischöfe diktierte (sie lernte erst in den letzten Lebensjahren notdürftig zu schreiben). Leidenschaftlich animierte sie zur Teilnahme am Kreuzzug: »Gott will es und ich will es.« Katharina war, man sieht es, keineswegs von christlicher Demut und Bescheidenheit. Was sie aus angeblich religiösem Impetus initiierte, hatte in Wirklichkeit politische Wirkungen. Papst Gregor XI. (1370—1378) lebte mit der päpstlichen Regierung in Avignon im Exil. Angetrieben von ihrem Erscheinungsauftrag, wollte Katharina den Papst, der einheitlichen Macht der Kirche wegen, nach Rom zurückholen, damit er den Primat wieder vom Herzen der Kirche — Rom — aus wahren könnte. Sie warb für ihre kirchenpolitische Mission auf den Schlössern des mächtigen Adels und bei allen, denen sie weltliche Macht zutraute. Sie reiste auch »an den glänzend-weltlichen Hof der Päpste in Avignon . . . Katharina ist immer und zuerst die begnadete Mystikerin ... Nur von daher wird man ihre politischen Missionen verstehen können . ..« Eine verdächtige Weiß wasche! Ein Jahr lang kämpfte Katharina verbissen für die Rückkehr des Papstes. 1377 hatte sie ihr Ziel erreicht. Rom war wieder Rom, die Kirche am Sitz ihrer Macht. Indem man immer wieder und allzu deutlich ihre gläubige Naivität betont und ihre Erscheinungen als eine Referenz bester Adresse für ihre politischen Engagements nominiert, verpackt man unübersehbar dick das politische Werkzeug Katharina von Siena in schwarze Watte. Mögen Visionen nicht prüfbar sein, durch sie effektuierte kirchenpolitische Macht ist es. Das sollte man durchschauen, wenn man nicht »mit Blindheit geschlagen« (1. Moses 19,11) ist.
Jobanna am Domremy Da gab es das politisch nicht minder aktive Bauernmädchen Johanna, das zum Weltstar unter den Seherinnen wurde. Es wurde zwischen 1410 und 1412 im Dorf Domremy an der Maas in Ostfrankreich geboren. Domremy heißt heute »Domremy-laPucelle« (la pucelle, die Jungfrau), hat rund 280 Einwohner, die Fremden gern das Geburtshaus ihrer weltberühmten Einwohnerin zeigen. Das Bauernmädchen aus Domremy — in kirchlicher und weltlicher Literatur bekannt als Jeanne d'Arc, heilige Johanna oder Jungfrau von Orleans, Mittelpunktsfigur großer Dramen — griff als Beauftragte von Erscheinungen in die große europäische Politik ein. 13 Jahre alt, hatte Johanna ihre ersten Erscheinungen, sie hörte Stimmen. Prozeßaussagen der streitbaren Jungfrau wurden in den »Handschriften der Königlichen Bibliothek« [27] aktenkundig: Aus dem Prozeß-Protokoll »Im Alter von dreizehn Jahren ließ sich mir im Garten meines Vaters zu Domremy eine Stimme hören. Sie war zur Rechten, von der Seite der Kirche her, und von einer großen Helle begleitet. Im Anfang fürchtete ich mich, aber ich erkannte bald, daß es die Stimme eines Engels sey, welcher mich seitdem geleitet und gelehrt hat. Es war der heilige Michael. Auch sah ich die heilige Katharina (von Sienaü) und die heilige Marga-retha, welche mich anredeten, mich ermahnten und alle meine Handlungen leiteten. Ich unterscheide leicht an der Stimme, ob ein Engel oder eine Heilige mit mir redet. Gewöhnlich, aber nicht immer, sind sie von einer Helle begleitet. Ihre Stimmen sind sanft und gut. Die Engel erschienen mir mit natürlichen Köpfen. Ich habe sie gesehen und ich sehe sie mit meinen Augen ...« ». .. Nach fünf Jahren, als Johanna das Vieh hütete, sagte eine gewisse Stimme: Gott habe
Mitleid mit dem französischen Volke, und sie müsse gehen, es zu erretten. Als sie hierauf weinte, befiehlt ihr die Stimme, nach Vaucouleurs zu gehen, wo sie einen Hauptmann finden werde, der sie ohne Hinderniß zum König führen solle.. .« »... Seit dieser Zeit habe ich Nichts gethan, als im Gefolge der erhaltenen Offenbarungen und Erscheinungen, und selbst während meines gantzen Prozesses rede ich nur, was mir eingegeben ist...« Bei der Belagerung von Orleans sagte Johanna die Einnahme der Stadt voraus und auch, daß sie aus ihrer Brust Blut vergießen werde. Am Tage darauf wurde sie verwundet, ein Pfeil drang »sechs Zoll tief« in ihre Schulter ein. In dauerndem Konnex mit ihren Stimmen, wurde Johanna zweibis dreimal je Woche zu politischen Aktivitäten aufgefordert. Gegen Ende 1428 wurden die Befehle so konkret, daß sie dem Mädchen auftrugen, nunmehr sofort ihren Landsleuten Hilfe zu bringen: Sie sollte die Belagerung von Orleans durch die Engländer beenden. Johanna zwischen den Fronten Die Stimmen taten sich leicht mit ihren Befehlen, aber für ein Bauernmädchen war das eine schwierige politische Aufgabe, denn Frankreich war in zwei Parteien zerstritten. Da gab es die OrleansPartei unter dem schwächlichen Dauphin (Titel des ehemaligen französischen Thronfolgers,) den Johanna 1422 in Reims zum König Karl VII. krönte. Und da war die mit den Engländern verbündete Burgund-Partei unter Heinrich V. Durch seine permanenten Erscheinungen war das Mädchen wie von Furien angetrieben. In ihren bäuerlichen Fetzen überwand es die Hofschranzen mit großer Schlagfertigkeit und drang bis zum infantilen Dauphin vor, auf den sie so lange einredete, bis er sie zum »Chef de guerre« ernannte.
Johanna siegt! An der Spitze von 4000 Kriegern zwang Johanna die Engländer, die goddams, zum Abzug aus Orleans. Dieser Sieg brachte die Wende im »Hundertjährigen Krieg« Frankreich gegen England. Johannas weitergehender politischer Wunsch, ein wiedervereinigtes Frankreich, Orleans und Burgund, könnte England vernichten, scheiterte jedoch am schwachen König. Nochmal zog die Wackere in die Schlacht, wurde aber bei Compiegne von den Burgundern gefangengenommen. »Ihr« dummerhafter König tat nichts für sie. Die Burgunder verkauften die Gefangene für viel Geld an die Engländer. (Heilige haben ihren Preis!) Die hatten mit der Jungfrau so üble Erfahrungen gemacht, daß sie sie aus pragmatisch-politischen Gründen für jeden Batzen Geld in ihrer Gewalt haben wollten. Sie wußten, daß Frankreich ohne Johanna (und ihre Erscheinungen!) keine treibende Kraft zur Einigung mehr hatte. — Die Briten hielten die Kriegsbeute für eine Zauberin; vorsichtshalber steckten sie das Mädchen in einen Eisenkäfig! Kreuzverhör über Erscheinungen Unter dem Bischof von Beauvais begann am 21. Februar 1431 der Scheiterhaufenprozeß. Die Protokolle [28] weisen aus, daß Johannas Erscheinungen und Stimmen zentrales Beweisthema waren. 22. Februar 1431 — Schloß zu Rouen Der Verhörende: Wann hörtet Ihr zuerst Stimmen? Johanna: Ich war dreizehn Jahre alt, als mir eine Stimme von Gott erklang, um mir zu helfen, recht zu leben. Der Verhörende: Suchte die Stimme Euch oft heim? Johanna:
Zwei- oder dreimal in der Woche sprach sie zu mir: »Du sollst Dein Dorf verlassen und nach Frankreich wandern.« Der Verhörende: Was ward Euch noch eröffnet? Johanna: Es wurde mir gesagt, ich solle die Belagerung von Orleans aufheben Die Erscheinung gab Johanna einen eindeutig politischen Auftrag! — Als man ihr am 28. März mit Folterung drohte, um sie als Ketzerin zu verurteilen, schwor sie ihren Erscheinungen ab. Johanna: Da die Geistlichen versichern, meine Erscheinungen und Offenbarungen seien unglaubhaft und nicht zu befürworten, so will auch ich nicht auf ihnen bestehen. Am 2. April widerrief sie den Widerruf, zu dem man sie erpreßt hatte. Der Bischof : Habt Ihr seit Donnerstag die Stimmen der heiligen Katharina und der heiligen Margaretha vernommen? Johanna: Gott ließ mir durch die heiligen Frauen sagen, zu welch elendem Verrat ich mich herabließ, als ich abschwor und widerrief, um mein Leben zu retten. Mit augenzwinkerndem Einverständnis christlicher Gerichtsherren entzündeten weltliche Henker am 30. Mai 1431 den Scheiterhaufen. Johanna starb mit dem Schrei: »Jesus! Jesus!« 20 Jahre später gab ein Gerichtsdiener zu Protokoll, daß das Herz Johannas trotz völliger Zerstörung des Körpers unversehrt geblieben wäre. Man muß nicht deuteln und rätseln, die Figuren in Johannas Erscheinungen wollten politische Wirkungen erzielen. Was konnten die »Glücklichen im Himmel« für ein Interesse daran haben? 1456 erkannte die Kirche ihre Chance, eine Heilige und eine Nationalheldin in den Schoß der Kirche zurückführen zu können.
Die Kirche widerrief das Urteil, das ihr Glaubenskind auf den Scheiterhaufen brachte. 1894 wurde sie seliggesprochen, 1920 zur Heiligen erklärt. Im Epilog von George Bernard Shaws »Die Heilige Johanna« sagt:DER HERR : Ja, an jedem dreißigsten des Monats Mai, dem Jahrestag des Todes der genannten, überaus gesegneten Tochter Gottes soll in jeder katholischen Kirche bis ans Ende aller Tage eine besondere Messe zu ihrem Gedächtnis gelesen werden. Und es wird gesetzlich angeordnet, ihr besondere Kapellen zu widmen und auf dem Altar in allen diesen Kirchen ihr Bild aufzustellen. Und den Gläubigen soll befohlen werden, niederzuknien und ihre Gebete durch die Heilige zum Sitze der Allbarmherzigkeit aufsteigen zu lassen. Shaw bediente sich des Wortlauts amtlicher Texte. So gründlich revidiert die Kirche sich selbst, wenn Heilige nicht nur Heilige, sondern auch noch wirksame politische Machtfaktoren werden, mit denen sie sich vorteilhaft identifizieren kann. Erscheinungen kennen keine Konkurrenzklausel Ich sagte schon, daß die römisch-katholische Kirche alle von ihren Instanzen als »echt« bezeichneten Erscheinungen für sich reklamiert. Usurpatorisch. Nun gibt es aber andere große christliche Gemeinden und Sekten, die sich auch auf das Alte und das Neue Testament gründen. Diese Millionen Anhänger andersgearteter christlicher Religionen halten sich nicht für eine mindere Art von Christen, für zweite oder dritte Wahl. Auch sie vertreten in ihrer Glaubenswelt die »Echtheit« von Erscheinungen. Die Rechthaberei ist wieder mal gegen jede Logik. Die Mitteilungen aus Erscheinungen bei Methodisten, Baptisten, Zeugen Jehovas, Neuapostolischen, Griechisch-Ka-tholischen etc. bewirken ebendieselben religiösen Wunder und Wertvorstellungen wie Glauben — Beten — Wahrung des Anstands — Nächstenliebe
— Achtung vor dem Mitmenschen — Ächtung verbrecherischen Tuns ... wie sie die römisch-katholische Lehre verlangt. Warum in Dreiteufelsnamen erzielt denn bei »den anderen« der Teufel, wenn denn schon nur Luzifer erschienen sein kann, so absolut christliche Wirkungen? Joseph Smith -Religionsgründer aus Visionen Der Prophet Joseph Smith (1805—1844) gründete die »Kirche Jesu der Heiligen der letzten Tage«. In der Nacht des 21. September 1823 hatte er eine Erscheinung [29]: Während ich so im Gebet zu Gott ergriffen war, gewahr ich, daß ein Licht in meinem Zimmer erschien, das zunahm, bis der Raum heller war als am Mittag, worauf alsbald ein Engel neben meinem Bett erschien, in der Luft stehend, denn seine Füße berührten den Boden nicht. Er war mit einem losen Gewand von außerordentlicher Weiße bekleidet. Es war weißer als irgend etwas, was ich je gesehen; auch glaube ich nicht, daß etwas Irdisches so auserlesen weiß und glänzend werden könnte. Seine Hände waren bloß, auch seine Arme bis etwas über dem Handgelenk. Auch seine Füße waren unbekleidet, ebenso seine Beine, bis ein wenig über den Knöcheln. Sein Haupt und sein Hals waren ebenfalls bloß. Ich konnte sehen, daß er außer diesem Gewand nichts anderes trug, denn es war offen und ich konnte seine Brust sehen ... Er nannte mich beim Namen und sagte mir, er sei als Bote von der Gegenwart Gottes zu mir gesandt worden und heiße Maroni; Gott habe ein Werk für mich zu tun ... Er sagte, es sei ein auf goldenen Platten geschriebenes Buch aufbewahrt, das einen Bericht von den früheren Einwohnern dieses Kontinents und ihrem Ursprung gebe; auch sei darin die Fülle des ewigen Evangeliums enthalten, wie es der Heiland jenen alten Einwohnern verkündigt habe . .. Nach diesen Mitteilungen sah ich, wie sich das Licht im Zimmer um ihn, der zu mir gesprochen hatte, zusammenzuziehen begann, und dies hielt an, bis der Raum wieder dunkel war, außer
um ihn herum. Dann konnte ich plötzlich wie durch einen Lichtschacht in den Himmel sehen, und der Besucher stieg empor, bis er gänzlich verschwand und das Zimmer wieder so dunkel war wie vor der Erscheinung des himmlischen Lichtes... Wo ist in diesem Bericht ein Unterschied zu römisch-katholisch approbierten Erscheinungen? Joseph Smith hatte weitere Erscheinungen, in denen ihm die Goldplatten gezeigt wurden, deren Texte er übertrug. So entstand 1830 die Bibel der Mormonen »The Book of Mormon«. Die christliche Mormonen-Gemeinde ließ sich 1848 nach langen Wanderungen in der Wüste am Salzsee von Utah, USA, nieder und gründete den Mormonenstaat Utah mit der Zentrale in der blühenden Ansiedlung Salt-Lake-City. Die Mormonenkirche hat heute über eineinhalb Millionen Angehörige, die über die ganze Welt verstreut sind. Mormonen leben wirklich nach ihren christlichen Gesetzen, sie sind mehr als eine Sekte, die sich als eine quan-tite negligeable abtun ließe. Der Inhalt des aus Erscheinungen empfangenen »Book of Mormon« bringt eine solche Fülle geschichtlicher Ereignisse von Daten, Namen und geographischen Angaben, daß dieses Kompendium kaum aus dem Wissen eines 17jährigen entstanden sein kann. Wie bei allen Erscheinungen war auch hier »etwas«. Dieses »etwas« ist zu untersuchen. Mit Sicherheit handelt es sich nicht um eine Demonstration der Hölle, weil letztlich Positives bewirkt wurde. Das wäre, laßt es uns mit den Kirchenvätern sagen: eine contrario, contrariis! (Entgegengesetztes mit Entgegengesetztem bekämpfen.) Erscheinungen in Kairo Die Koptische Kirche ist die christliche Nationalkirche Ägyptens mit über einer Million Gläubigen. Sie wird vom Patriarchen von Alexandria, der seit dem 11. Jahrhundert seinen Sitz in Kairo hat, geleitet.
Am 2. April 1968 beobachteten Passanten über den Kuppeln der alten koptischen Kirche im Kairoer Vorort Zeitun Gebilde wie weiße Tauben, die fließende Konturen hatten und sich langsam in einem Nebel zusammenfanden. In einer gespenstischen Metamorphose nahm der Nebel das Aussehen einer menschlichen Gestalt an; sie strahlte so, daß die Zuschauer geblendet wurden und dem Phänomen nur mit zusammengekniffenen Augen folgen konnten. Die Erscheinung zeigte sich am gleichen Ort in gleicher Art an einigen Abenden. Der koptische Patriarch Kyrillos VI. Sesto berief sofort eine Kommission aus Priestern, Wissenschaftlern und Gläubigen. Diese Kommission wie Tausende von Kairoer Bürgern — Kopten, Moslems, Hindus, Christen aller Couleurs, Angehörige von Sekten — bezeugten, über den Kirchenkuppeln eine »schöne Dame«, eine von innen heraus strahlende Frau, gesehen zu haben. Das war vor sechs Jahren. Am Abend des 12. April machte der ägyptische Fotoreporter Wagih Rizk Matta auf der Jagd nach einer Sensation den ersten Schnappschuß von einer Marienerscheinung am Himmel. — Am 14. April legte der Patriarch das Bilddokument auf einer Pressekonferenz vor: Es zeigte vor dem Hintergrund der drei Kuppeln am unteren Bildrand, über dem Dach der Kirche, ein grellweißes Gebilde mit einer unidentifizierbaren Figur. Zeugen bekräftigten in einer umfangreichen Unterschriftenliste, eine »schöne Frauengestalt« gesehen zu haben. [30] Dem Wunder auf den Fersen Ich war in Lourdes und Fatima. Auf meinen Reisen quer durch Kontinente ließ ich keinen Erscheinungsort aus, um mit kritischer Aufmerksamkeit die Umgebung und Geschichte des »Wunders« zu beobachten. Nie aber hatte ich den Vorzug, neutraler Teilnehmer eines »plötzlichen« Erscheinungsphänomens zu werden oder eine aktive Seherin oder einen aktiven Seher zu sprechen. Laufend aber
kamen mir aktuelle Berichte über das Wirken der »Mama Rosa« auf den Schreibtisch. »Mama Rosa« gilt als Seherin. Ob sich hier eine Chance bot, eine Wissenslücke zu schließen? Am 22. März 1974 besuchte ich das gottverlassene Nest San Damiano. Das war nicht leicht zu finden, denn kein Wegweiser zeigt dorthin. Ich merkte bald, daß Wegweiser hier nicht nötig sind, weil jeder Mensch, den man fragt, den Hof der Familie Quattrini kennt, auf dem »Mama Rosa« lebt und wirkt. (San Damiano liegt südlich von Piacenza und Piacenza südwestlich von Mailand) — Pilger aus aller Herren Länder finden hierher wie ich, eine Parkfläche mit Wagen aller Fabrikate und Nummernschilder aller Nationalitäten beweisen es. Aus einem Fenster des Bauernhauses leiert monotones Rosenkranzbeten: »Den du, o Jungfrau, vom Hl. Geist empfangen hast — Den du, o Jungfrau, zu Elisabeth getragen hast — Den du, o Jungfrau, geboren hast — Den du, o Jungfrau, im Tempel aufgeopfert hast.. .« Im Rhythmus murmeln die Pilger mit. Die Südwand des Gehöftes ist mit Votivtafeln (Weihgaben für einen Heiligen am Wallfahrtsort) bestückt: Maria hat geholfen! Von schwerer Krankheit erlöst! Dank in alle Ewigkeit! Bin wieder gesund! Examen bestanden! Es fehlt keine mir bekannte Sprache unter den Danksagungsadressen. »Mama Rosa« muß Wunder wirken können. Ich bin an der richtigen Adresse ... In einem Hofteil flackern auf einer mehrstufigen eisernen Etagere in langer Reihe rote öllämpchen. Dahinter stehen auf einem Tisch zwei große Plastikflaschen mit »wunderbarem Wasser« aus San Damiano. Man erhält es gratis, bei Mama Rosa wird nichts verkauft. Devotionalien und Souvenirs gibt's in den wenigen Läden im Dorf. Eine weiße gekrönte Muttergottes-Statue thront mit einladender Gebärde, in jeder Hand eine Rose, von Blumen eingerahmt, hinter einem Drahtgitter auf einem Steinsockel, eingesperrt wie ein
seltenes Tier im Zoo. Rechts davon gibt es Gebetsbänke, hinter denen ein »Kreuzgang« anfängt: In einem Kunststoffschlauch stellen Figuren den Leidensweg des Herrn dar. Hier und vor der Statue knien Pilger auf dem Betonboden, die Gesichter dem Gitter zugewandt. Bitte, ich möchte Mama Rosa sprechen . .. Eine Bäuerin mit umgebundener Schürze begegnet mir, sie wird ungefähr 50 Jahre alt sein. Nach Fotografien, die ich kenne, könnte sie eine Schwester von Mama Rosa sein. Ich spreche sie an: »Excusa, Signora ...« Ich komme aus der Schweiz, um Mama Rosa einige Fragen zu stellen. — »No! No!« Das geht nicht, Mama Rosa muß jetzt beten. — Macht nichts, ich werde ein paar Stunden warten oder morgen wiederkommen. Ich bin Schriftsteller und beschäftige mich mit Erscheinungen, wie sie Mama Rosa . . . Fuchsteufelswild sprudelt es nur so aus ihr heraus: Mama Rosa können Sie nicht sprechen, sie ist krank, jetzt ist sie sowieso krank ... Ich bleibe beharrlich. Für Bruchteile von Sekunden schießt mir der Gedanke ins Gehirn, ob ich es mit ein paar Lirescheinen versuchen sollte, die sonst in Italien die dichtesten Türen öffnen. Ich lasse es, um sie mir nicht eventuell ganz zu verprellen, immerhin bin ich an wundersamem Ort. Aber: Ich komme nicht weiter. Ehe ich herkam, wußte ich schon aus Publikationen [31], was in San Damiano geschehen sein soll und was Mama Rosa zum Magneten für Wundergläubige machte: Der Birnbaum, der im Herbst blühte Am 29. September 1961 krümmte sich Frau Rosa Quattrini vor Schmerzen auf ihrem Bett, am nächsten Tag sollte im Spital eine Bruchoperation stattfinden. Frau Rosa hatte drei Kinder mit
Kaiserschnitt geboren. Der Jüngste studierte damals schon im Priesterseminar in Pia-cenza, die Kleinen wurden von Tante Adele versorgt. Geld war immer knapp im Haus, an diesem Tag hatte man 1000 Lire zusammengekratzt, die sollten mit ins Spital genommen werden. Neben der Schlafkammer kochte Tante Adele in der Küche ein karges Mahl; als eine junge Dame an die Tür klopfte; sie bat um eine mildtätige Gabe für die Kirche von Santa Maria della Grazie in San Giovanni Rotondo, wo der Wunderpater Pio wirkte. Tante Adele, der Geld so »heilig« war wie allen armen Leuten, fragte Rosa, was sie der Bittstellerin sagen solle. Spontan trennte sich Rosa von der Hälfte der Barschaft. Die Fremde ging zur Kranken, um ihr zu danken und ermunterte sie, aufzustehen. Schließlich zog sie Frau Quattrini mit stiller Gewalt aus ihrem Bett: »Meine Tochter, Du bist geheilt!« — Die Schmerzen waren wie weggeblasen, die Operation fand nicht mehr statt. Die junge Dame empfahl Frau Rosa, den Pater Pio zu besuchen. Die auf so wunderbare Weise Genesene reiste nach San Giovanni Rotondo, wo ihr Pater Pio, dem auch Fernheilungen nachgerühmt werden, den Rat gab, sie möge sich, soweit sie nicht familiäre Pflichten hinderten, der Pflege der Kranken annehmen. Drei Jahre lang ging das Leben auf dem Gehöft in San Damiano seinen üblichen Gang. Am 16. Oktober 1964 hielt sich Frau Quattrini mit einer Nachbarin im Obstgarten auf. Beide Frauen bemerkten — wie denn anders als »plötzlich«? — einen Nebelschleier, eine seltsame kleine Wolke, die das Geäst des Pflaumenbaumes einhüllte. Dann schwebte das merkwürdige Gebilde zum Birnbaum hinüber, und dort zeigte sich — »plötzlich« — in der Wolke, die sich zu verfestigen begann, eine strahlend helle Frauengestalt mit den zwei obligaten Rosen in der Hand und einer Krone auf dem Haupt. Die Dame drohte: »Ich bin gekommen, die Welt zum Gebet zu
ermahnen, denn die Strafgerichte nahen!« — Die pfiffige Rosa fragte: »Wie soll man mir armseligen Frau Glauben schenken?« — Klar und deutlich antwortete die Madonna: »Fürchte Dich nicht, ich werde ein Zeichen geben. Ich werde den Birnbaum erblühen lassen!« - Die Erscheinung verblaßte. Im Oktober trug der Baum zwar noch einen Korb voll reifer Birnen, doch — angeblich — nicht eine einzige Blütenknospe. Und doch erblühte der Baum, nicht langsam, sondern — wie Augenzeugen es gesehen haben wollen — von einer Minute zur anderen. Das Mirakel wiederholte sich am nächsten Tag beim Zwetschgenbaum. Mama Rosa plaudert mit Mutter Maria Seit der herbstlichen Baumblüte hören für Rosa Quattrini die Erscheinungen nicht auf. Fast jeden Dienstag spricht Mama Rosa mit der Gottesmutter, und sie empfängt von ihr Anweisungen und Botschaften, Mitteilungen für bestimmte Personen und Drohungen für jene, die nicht des rechten Glaubens sind. Ich schlendere durch den Mirakelgarten, über den Hof. Aus dem Fenster des Hauses tönt die Litanei: »Den du, o Jungfrau, im Tempel gefunden hast — Der für uns Blut geschwitzt hat — Der für uns gegeißelt worden ist.. .« — Zwei französische Priester in vollem Ornat knien vor der vergitterten Marien-Statue. Mama Rosa macht es Rom nicht leicht. Die angeblich von der Mutter Maria empfangenen Botschaften sind widersprüchlich, naiv, oft selbstherrlich, manchmal gespickt mit rigorosen Drohungen. Die Protokolle belegen daß das alles in seiner Geschwätzigkeit kaum aus dem Kontakt mit einer irgendwie göttlichen Eingebung herrühren könnte. Dennoch geschehen, heißt es, in San Damiano Wunderheilungen. Dennoch haben hier Hunderte von Zeugen zwei Sonnenwunder erlebt.
Die Kirche in Reserve Noch distanziert sich die Kirche. Der »Osservatore Romano« veröffentlichte am 16./17. November 1970 eine Erklärung des Bischofs von Piacenza: »Die angeblichen Botschaften, Visionen und Wunder haben nichts mit Übernatürlichem zu tun ... Rosa Quattrini hat täglich und öffentlich ihrem Bischof den Gehorsam verweigert. Wir weisen Rosa Quattrini hiermit formell daraufhin, daß wir gezwungen sind, ihr die Sakramente zu verweigern, sowie den Zutritt zur Kirche ... Der Priester Edgardo Pellacini, ehemaliger Pfarrer von San Damiano, hat in seinem vom Heiligen Stuhl approbierten Absetzungsdekret die formelle Auflage erhalten, sich nicht weiter um die sogenannten ›Ereignisse von San Damiano‹ zu kümmern ... Wir warnen ferner alle übrigen Anhänger und Verantwortlichen . . . Priester wie Laien ... Meldungen über angebliche Erscheinungen und Botschaften der Gottesmutter zu verbreiten und Fahrten dorthin zu veranstalten ... andernfalls wir gezwungen sind, ihnen den Zutritt zur Kirche und zu den Sakramenten zu verbieten. Zuwiderhandelnden Priestern droht ferner die Suspendierung a divinis. Warten wir Jahre, Jahrzehnte... Ein schlanker junger Kapuziner in brauner Soutane mit weißem Kordelgürtel schlendert auf dem Hof umher, ich beobachte ihn seit Stunden, er lächelt mich an. Überall ist dieses einlullende Rosenkranzbeten: »Der für uns mit Dornen gekrönt worden ist — Der für uns das schwere Kreuz getragen hat — Der für uns gekreuzigt worden ist — Der von den Toten auferstanden ist...« Ich spreche den Kapuziner an. Immer noch hoffe ich, zu einem Interview mit Mama Rosa zu kommen. Vielleicht kann mir der
fromme Mann helfen, der sich wie hier zu Hause benimmt. — Nein, Sie können nicht zu Frau Quat-trini, sie muß beten. Für wen schreiben Sie? Wie war doch gleich Ihr Name? ... Nein, niemand kann zu ihr, sie empfängt niemanden, sie führt ein Gespräch mit Maria. — Rom, sage ich, hat sich mit großer Deutlichkeit von San Damiano distanziert. — Der Kapuziner hebt die Schultern und läßt sie wieder fallen, als wolle er sagen: »Tja, mein Gott.. .« Er meint, das wäre doch die übliche Haltung der Kirche, man müsse halt warten, Jahre, Jahrzehnte ... Was tut dann der kirchliche Beobachter hier? Seit Stunden beobachte ich ihn. Vor wem und vor was soll er die alte Dame schützen, von der er sagt, daß sie mit Maria im Gespräch sei? Einen halben Tag lauerte ich auf eine Gelegenheit, Mama Rosa zu sprechen. Sie war abgeschirmt. Als ich schließlich aufgab^ nahm ich wieder das eintönige Beten wahr, das als eine enervierende Geräuschkulisse über dem Hof stand. Pausenlos. »Der von den Toten auferstanden ist — Der in den Himmel aufgefahren ist — Der uns den Heiligen Geist gesandt hat — Der Dich, o Jungfrau, in den Himmel aufgenommen hat — Der Dich, o Jungfrau, im Himmel gekrönt hat.« Sechs Stunden lang leierte es so hin wie von einer Gebetsmühle abgespult. Es durchzuckte mich ein böser Gedanke: Sollte man drin im Haus ein Tonband laufen lassen? Schon richtig, was der Kapuziner bemerkte. Man wird warten. Jahre. Jahrzehnte. Ein Jahrhundert. Dann erst wird »Mama Rosa« aus San Damiano ihr Scherflein dazu beitragen, im Heer der Heiligen die einzig wahre Kirche zu bestätigen. Zu gern würde ich in ioo oder 200 Jahren einmal nur eine Stunde lang in den Heiligenlisten blättern, falls es dann sowas noch gibt. Wahrscheinlich würde ich dann »Mama Rosa« darauf verewigt finden. Kirchliche Wissenschaftler wie der Historiker und Ha-giograph Walter Nigg [32] beackern den Boden, auf dem immer wieder
Wunder gedeihen und Heilige wachsen können: »Die Heiligen verkörpern die christliche Existenz, sie sind die besten Lehrmeister für den Umgang mit Gott, und sie führen uns unmittelbar vor den brennenden Dornbusch. Es gibt nichts Anschaulicheres und Lebendigeres als die Heiligen; sie sind die vorbildlichen Menschen, die Gott vor Augen haben, als sähen sie ihn.« Sind die Phänomene erklärbar? Ich habe einen Abriß charakteristischer Fälle von Erscheinungen mit dem Spektrum ihrer Möglichkeiten zusammengestellt. Sollte man es nun mit Franz Werfel, dem Autor des Lourdes-Romans »Das Lied der Barnadette« halten? »Für den, der glaubt, ist eine Erklärung nicht nötig. Für den, der nicht glaubt, ist eine Erklärung nicht möglich.« Wirklich nicht? Allein im christlichen Raum sind so viele Erscheinungen belegt und so viele in unserem Jahrhundert dokumentiert, daß mich Urteil und Reaktion mancher Wissenschaftler nur verblüffen. Mich darüber »wundern« zu können, habe ich längst verlernt. Was zunächst unfaßbar und undefinierbar, was nicht meßbar und physikalisch nicht registrierbar ist, das existiert nicht. Füglich kann es sich nur um Phantasmagorien handeln, und darüber spricht man nicht. So einfach sollte man es sich nicht machen. Nachdem ich Berge von Dokumentationen studiert habe, ist mir eindeutig klar, daß subjektiv wahrgenommene Erscheinungen stattgefunden haben. Wahrscheinlich findet zu dieser Stunde, am 17. April 1974, da ich dies schreibe, irgendwo auf der Welt eine Erscheinung ihren Empfänger. Zu untersuchen ist, was religiös-schwärmerische Einbildung bei den Betroffenen für eine Rolle spielt, was im subjektiv Erlebten von der Mitwelt, durch Erziehung und Beeinflussung initiiert wurde. Der materialistische Standpunkt jener, die alles negieren, was nicht
meßbar ist, ist nicht mehr auf der Höhe heutiger Forschung. Es mag für den small talk von Parties attraktiv sein, über Phänomene, die man nicht begreift und auch nicht zu begreifen versucht, zu witzeln. Das »in die Forschung bringen« neuer Themen, Phänomene und Problemstellungen bleibt wohl dünnhäutigen Elefanten überlassen. Mit einem Besteck prüfender Überlegungen läßt sich das Phänomen ERSCHEINUNGEN einkreisen. Ganz gewiß läßt sich beweisen, welche Ursachen auszuschließen sind. Beginnen wir mit der »Heiligen Schrift« ...
Evangelistenberichte + Apostelbriefe + Prophetenbücher + Urtexte = das »Wort Gottes« ? Mehr als eine Milliarde Menschen auf dieser Welt nennen sich Christen. Wie werden sie an ihr Bekenntnis gebunden? Dazu ist eine gemeinsame Basis nötig. Diese Basis -war und ist die Bibel. Bibel kommt vom griechischen: ta biblia, Bücher. Im Lexikon heißt es zum Stichwort: Bibel: »Buch der Bücher, Heilige Schrift, die Sammlung der Schriften, die von den christlichen Kirchen als Urkunden der göttlichen Offenbarung, das Wort Gottes, und als verbindlich für Glauben und Leben angesehen werden ...« In den Kirchen tönt es, wider besseres Wissen, die Bibel sei und enthalte das »Wort Gottes«. Dem schlichten Christenmenschen klingt das aus gesalbtem Theologenmund in Ohren und im einfältigen Herzen so, als habe der liebe Gott höchstpersönlich das Buch der Bücher inspiriert und/ oder gar diktiert und er wird, was das Neue Testament angeht, in dem Glauben belassen, Weggefährten des Jesus von Nazareth hätten dessen Reden, Lebensregeln und »Weissagungen« mitstenographiert und dessen »Wunder« beobachtet und bald danach in einer Chronik der wunderbaren Ereignissen notiert. Der Christenmensch soll eben das Buch der Bücher als eine Sammlung authentischer Berichte nehmen. Professor Hans Conzelmann, Professor für Neues Testament, Göttingen, gab denn auch zu, daß die christliche Gemeinde eigentlich davon lebt, daß ihr die Ergebnisse kritischer Bibeluntersuchungen weitgehend unbekannt seien. Das ist zwar nicht die feine christliche Art, aber es ist so.
Geheimwissenschaft? Die Bibel ist nicht das, wofür sie — immer noch und immer wieder — ausgegeben wird, und selbst der Hl. Geist ist nicht mehr das, was er ursprünglich sein sollte. Meine theologischen Fachkritiker werden, ich weiß das jetzt schon, mit empörtem Augenaufschlag sagen: Aber das wissen wir doch, das steht doch in unserer theologischen Fachliteratur. Recht haben sie. Aber: Die großen und kleinen christlichen Kirchen leben in und von der Öffentlichkeit, hier begleiten sie den einfachen Menschen von der Wiege bis zur Bahre, hier machen sie sich durch Zeremonien bei raffiniert gesetzten Lebensabschnitten »unentbehrlich«, hier in der Öffentlichkeit üben sie Macht aus, hier füllen sie die Kirchenkassen. Es ist also durchaus unfair, zu sagen, in den Büchern theologischer Bibliotheken wären alle Irrtümer (öffentlich als letzte Wahrheit verbreiteter) biblischer Glaubenslehre nachzulesen ... und zugegeben. Welcher der über eine Milliarde Christenmenschen steigt denn in die Archive theologischer Wissenschaft? Die Unwissenheit der Christen Joachim Kahl [1], promovierter Theologe der Philipps-Universität Marburg stellt fest: »Die Unwissenheit der Christen beruht weitgehend auf der mangelhaften Information durch die Theologen und Kirchenhistoriker, die in ihren Arbeiten zwei Spielarten kennen, die skandalösen Fakten zu leugnen. Entweder verdrehen sie Realität in ihr genaues Gegenteil, oder sie verschleiern sie.« — Beide Verfahren nenne ich ein Hintergehen der Gläubigen. Der Laie hat ein Recht darauf, aus irrtümlichen und längst überholten christlichen Lehrmeinungen entlassen zu werden; er kann, da es im Namen des Herrn geschieht, verlangen, daß ihm ohne komplizierte und nicht nachvollziehbare theologische
Turnübungen auf verständliche Weise in verständlicher Sprache die Wahrheit gesagt wird; der Laie darf erwarten, daß er von nunmehr fast zweitausend Jahre alten, nicht gemeinten, wenn auch erfolgreich angewandten Ängsten befreit wird. Immer noch: unfehlbar In der Konzilskonstitution über die Kirche am 21. November 1964, in der Erklärung vom 28. November 1965 über das Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen sowie in dem feierlichen Credo des Papstes Paul VI. vom 30. Juni 1968 wird neuerlich ausdrücklich festgehalten: die katholische Kirche sei die einzig wahre Kirche, die katholische Kirche verkünde allein die unfehlbare Wahrheit, die katholische Kirche sei heilsnotwendig, der katholischen Kirche sei der volle Schatz der himmlischen Güter anvertraut, die katholische Kirche allein sei wahre Erbin der göttlichen Verheißung, die katholische Kirche allein sei im Besitz des Geistes Christi, der katholischen Kirche allein sei das unfehlbare Lehramt anvertraut, die katholische Kirche allein sei im Besitz der vollen und ganzen Wahrheit. Am 18. November 1965 verkündete die katholische Kirche in der dogmatischen Konstitution feierlich und hochoffiziell: daß die Bibel Gott zum Urheber habe, daß die Bibel in allen Teilen heilig sei, daß die Bibel in allen Teilen unter der Einwirkung des Heiligen Geistes verfaßt worden sei, daß alles, was die inspirierten Bibelverfasser aussagen, als vom Heiligen Geist geschrieben zu gelten habe, und daß die Bibel sicher, getreu und ohne Irrtum lehre. Um diesen exklusiven Besitzstand vor der Milliardengemeinde der Gläubigen vertreten zu können, verweisen Theologen, unberührt von den Erkenntnissen ihrer Bibelforschungen, auf die Evangelisten, auf die Apostelbriefe und auf den mirakulösen »Urtext« der Hl. Schrift.
Der Wahrheit eine Gasse Nun war aber — der Wahrheit eine Gasse! — keiner der Evangelisten ein Zeitgenosse Jesu, und kein Zeitgenosse schrieb einen Augenzeugenberidit. Erst nach der Zerstörung Jerusalems durch den römischen Kaiser Titus (39—81 n. Chr.) im Jahre 70 begannen Niederschriften über Jesus und seine Mannschaft. Wenn aber der Tod des Gottessohnes für das Jahr 30 angenommen wird, dann griffelte Markus als erster Autor der Bibel mindestens 40 Jahre nach dem Kreuzigungstod Jesu sein Evangelium. Dazu Dr. Johannes Lehmann [2], Mitübersetzer einer modernen Bibelausgabe: »Die Evangelisten sind Interpreten, nicht Biographen; sie haben nicht aufgehellt, was im Abstand der Generationen dunkel geworden war, sondern sie haben verdunkelt, was noch hell erschien. Sie haben nicht Geschichte geschrieben, sondern Geschichte gemacht. Sie wollten nicht berichten, sondern berichtigen.« Eigenartige Urtexte Die vielbemühten und in der theologischen Rabulistik so ergiebigen »Urtexte« existieren gar nicht. Was hat man in der Hand? Abschriften, die ausnahmslos zwischen dem vierten und zehnten nachchristlichen Jahrhundert entstanden. Und diese rund 1500 Abschriften sind wiederum Abschriften von Abschriften, und nicht eine einzige Abschrift stimmt mit einer anderen überein. Über 80 000 (!) Abweichungen wurden gezählt. Es gibt keine, nicht eine einzige Seite der »Urtexte«, auf der nicht Widersprüchlichkeiten auftauchen. Von Abschrift zu Abschrift wurden die Verse von nachempfindenden Autoren anders gefaßt und nach zeitgemäßem Bedarf umfunktioniert. In den biblischen »Urtexten« wimmelt es von abertausend unschwer nachweisbaren und durchaus bekannten Fehlern. Der
prominenteste Urtext, der Codex Sinaiticus — wie der Codex Vaticanus im vierten nachchristlichen Jahrhundert entstanden — wurde 1844 im Sinai-Kloster gefunden. Er enthält 16000 Korrekturen, die auf sieben verschiedene Korrektoren als »Autoren« zurückgehen sollen. Manche Stellen wurden gleich dreimal geändert und durch einen vierten »Urtext« ersetzt. Friedrich Delitzsch [3], Verfasser eines hebräischen Wörterbuches und Fachmann ersten Ranges, stellte allein etwa 3000 Abschreibungsfehler im »Urtext« fest. Sublime Irreführung Die Sache mit dem »Urtext« ist ein Symptom für die sublime Art theologischer Irreführung. Jeder normale Sterbliche verbindet mit dem Begriff »Urtext« so etwas wie eine Urkunde, etwas wie eine zweifelsfreie Erstschrift, in jedem Fall ein unbestrittenes und unbestreitbares Dokument. Was würde der christliche Laie sagen, wenn ihm von der Kanzel freiheraus gesagt würde, daß ein »Urtext« in solchem Sinne nicht existiert? Es ist genial und tatsächlich höchster Inspiration würdig, wie — ohne Vergleich in der 7 ooojährigen Menschheitsgeschichte — das Märchen von der Bibel als dem »Wort Gottes« durchgehalten wurde. Daß aber sogar die »Urtexte«, die von Widersprüchen und Fälschungen strotzen, immer noch als »Gottes Wort« reklamiert werden, grenzt an Schizophrenie. Ich weiß, daß Fälschung eine harte Charakterisierung ist. Fälschung bedeutet nicht mehr und nicht weniger als eine absichtliche Irreführung. Was soll es? Schon die Kirchenväter der ersten nachchristlichen Jahrhunderte waren sich mindestens darin einig, auch wenn sie über die Verursacher strittig waren, daß die »Urtexte« gefälscht waren, sie sprechen noch offen von »einschieben, schänden, vernichten, verbessern, verderben, auslöschen« — aber das ist lange her, und die Wortklauberei ändert damals wie heute nichts am objektiven
Tatbestand von Fälschungen. Christliche Theologen, das ist verständlich, hören es nicht gern, wenn von Fälschungen in den »Urtexten« gesprochen wird. Sie nehmen die Fälscher unter ihre schwarzen Fittiche und raunen von »bewußten Änderungen«, sie verpacken die Veränderer in Wortwatte und behaupten, sie hätten im Sinne und Interesse des wahren Wortes Gottes — zu dem sie dann, lange nach Christus, Zugang gehabt haben müssen — gehandelt. Was die Fälschungen angeht, schreibt Dr. Robert Kehl [4], Zürich: »Es ist oft genug vorgekommen, daß die gleiche Stelle von dem einen Korrektor im einen, und von dem anderen gerade wieder im entgegengesetzten Sinne ›korrigiert‹ oder ›zurückkorrigiert‹ worden ist, je nach dem, welche dogmatische Auffassung in der betreffenden Schule vertreten worden ist. Jedenfalls entstammt schon durch die vereinzelten, aber natürlich noch mehr durch die planmäßigen ›Korrekturen‹ ein völliges TextChaos und ein unentwirrbarer Wirrwarr.« Und Pfarrer Jean Schorer [5], langjähriger Seelsorger an der Kathedrale Saint-Pierre, Genf, kam zu dem Schluß, daß die These von der totalen Inspiration der Bibel und die Auffassung, Gott sei ihr Verfasser, unhaltbar sei; diese Auffassung verstoße derart gegen die elementarsten Erkenntnisse des gesunden Menschenverstandes und erfahre durch die Bibel selbst derart eindeutige Dementis, daß eine solche Auffassung nur noch von unwissenden Evangelisten und jeder Allgemeinbildung baren Schäfchen vertreten werden könne. Wie heilig ist die Heilige Schrift? In einigen neueren Bibelausgaben — wie etwa in der Volksausgabe der Zürcher Bibel — wird mindestens zugegeben, daß einige Passagen »von späterer Hand« eingefügt wurden. Aber auch dieser Hinweis ist eine nur sehr zage Andeutung der massiven Manipulation, die an den Bibeltexten vorgenommen wurde. In der
Schriftenreihe »Die Religion des modernen Menschen« [6] gibt Dr. Robert Kehl einen Umriß dessen, was wirklich geschah. Ich zitiere: »Die meisten Bibelgläubigen sind des naiven Glaubens, die Bibel habe von Anfang an immer in der Form bestanden, wie sie ihnen heute vorliegt. Sie glauben, die Bibel habe immer alle die Teile enthalten, welche in ihrem persönlichen Bibel-Exemplar enthalten sind. Sie wissen nicht — und wollen meist auch nicht wissen — daß die ersten Christen lange Zeit, während etwa 200 Jahren, außer dem Alten Testament keine »Schrift« hatten, daß selbst der alttestamentliche Kanon zur Zeit der ersten Christen noch nicht endgültig festgelegt war, daß »neutestamentliche« Aufzeichnungen nur ganz langsam entstanden sind, daß lange Zeit niemand daran dachte, diese »neutestamentlichen« Schriften auch als heilige Schrift zu betrachten, daß aber mit der Zeit die Übung entstanden ist, diese Schriften in den Gemeinden vorzulesen, daß aber auch dann immer noch niemand daran dachte, sie als heilige Schriften dem Alten Testament gleichzustellen, daß man erst auf diesen Gedanken kam, als die verschiedenen Richtungen des Christentums sich bekämpften und man das Bedürfnis empfand, sich auf etwas Verbindliches stützen zu können, daß man auf diese Weise erst gegen 200 nach Christus begann, jene Aufzeichnungen langsam als Heilige Schrift zu betrachten.« Christliche Einfalt Da ist also nichts von Inspiration aus einem Geist, gar aus dem Hl. Geist. Das »Wort Gottes« fügte sich wie in einer Ballotage in geheimer Abstimmung mit weißen oder schwarzen Kugeln. Das sind Tatsachen. Weltorganisationen, die sich zu Hütern der letzten und einzigen Wahrheit aufschwingen, stände es bei solchem Anspruch wohl zu Gesicht, wenn sie historische Tatsachen nicht nur in ihren dialektisch perfekten, dem Laien unverständlichen Fachdiskussionen, also hinter vorgehaltener Hand, bereden
würden. Sie sollten mit ihren erstklassigen Public-RelationsApparaten die Tatsachen in allgemein verständlicher Sprache unters »gemeine Volk« bringen! Fehlt es an Zivilcourage? Hat man Sorge, der Genossenschaft auf Gegenseitigkeit würde die Geschäftsbasis, sozusagen das Einlagekapital, entzogen, wenn man zugibt, daß die Bibel nicht das »Wort Gottes ist«, weil sie es nach der bewiesenen Art ihrer Entstehung nicht sein kann} Wie lange noch verharren die führenden kirchlichen Manager in dem Irrtum, daß man die Gläubigen im Zustand christlicher Demut und in Einfalt halten kann? Wie lange noch meint man, Widersprüche und Fälschungen als »gottgewollt«, als »zum Heile der Gläubigen« oder als vom »Heiligen Geist« inspiriert bezeichnen zu können? Was hat, wenn man derart mit Fakten umgeht, theologische Forschung noch mit Wissenschaft zu tun? Immerhin stellt die Theologie eine wissenschaftliche Fakultät an den Universitäten, sie wird vom Steuerzahler, der sich in den meisten Fällen auch Christ nennt, finanziert. Ich nehme an, daß den »stud. theol.« in den Fakultäten unverblümt wissenschaftliche Erkenntnisse vermittelt werden. Was für eine Transmission ist dann zwischen akademischer Lehre und volkstümlicher Kanzelrede installiert? Wo, an welcher Stelle, ist der Wissensschwund programmiert, der Tatsachen vergessen macht und schließlich das alte Lied von der Bibel als dem wahren Wort Gottes vollmundig von den Kanzeln erschallen läßt? Wie die Weichen gestellt wurden Alles begann mit den Konzilien, den »Versammlungen kirchlicher Oberhirten zur Behandlung wichtiger kirchlicher Anliegen«. — Voraussetzung für die Berufung eines Amtsträgers der Kirche ist es, daß er »Charisma« hat, also der »göttlichen Gnadengabe« teilhaftig ist. Demnach ist bei Konzilien in einem so erlauchten Kreis der Heilige Geist mitten unter den Teilnehmern und durch sie in potenzierter Weise allgegenwärtig und wirksam. Sollte man
meinen. In den Versammlungen der ersten fünf ökumenischen (bedeutet: der gesamten katholischen Kirche) Konzilien der jungen Christenwelt wurden die Weichen für Inhalt und Organisation der neuen Religion gestellt. Die ältesten Glaubenslehren, die bis heute ihren dogmatischen Wert behalten haben, wurden verkündet in Nicäa (325 n. Crh.), Konstantinopel (318), Ephesus (431), Chalkedon (451) und nochmals in Konstantinopel (553)Es lohnt, in geraffter Darstellung, zu erfahren, wie die Konzilien zustande kamen und was auf ihnen — vermutlich für alle Ewigkeit — beschlossen wurde. Das 1. Konzil Das 1. ökumenische Konzil zu Nicäa. — Das Konzil wurde von dem erst auf dem Sterbebett getauften Kaiser Konstantin (288—337) einberufen, weil er das Römische Reich mit Hilfe des expansiven und chancenreichen Christentums festigen wollte. Als Konstantin die 318 Bischöfe für das Konzil aussuchte und berief, war reine Machtpolitik der Hintergrund, bei weitem kein religiöses Anlie-» gen. Daran kann es aber auch für die charismatischen Bischöfe keinen Zweifel gegeben haben, denn der Kaiser präsidierte nicht nur die Versammlung, höchst kaiserlich hatte er ausdrücklich verlautbart, daß sein Wille kirchliches Gesetz sei. Die Oberhirten akzeptierten ihn sogar ungetauft als »Universal-Bischof« und ließen ihn als weltlichen Fürsten an den die Kirchenlehre betreffenden Abstimmungen teilnehmen. Geistliche und irdische Interessen gingen — so früh schon! — eine erstaunliche Symbiose ein. Dabei hatte Konstantin von der Lehre Jesu keinen blassen Schimmer. Er hing dem Sonnenkult des Mithra (altiranischer Lichtgott) an; weit in die christliche Zeit hinein wurde er auf Münzen als die »unbesiegbare Sonne« abgebildet und verehrt. Als
er der altgriechischen Handelsstadt Byzanz seinen Namen verlieh und Konstantinopel (330) zur Hauptstadt des Römischen Reiches machte, ließ er sich, bar aller christlichen Bescheidenheit, zur Einweihung der Metropole eine gewaltige Säule errichten — obenauf der Kaiser mit der unbesiegbaren Sonne. Weihrauchdämpfe wallten und Kerzenprozessionen züngelten durch die Gassen zu seinem Ruhm. — Der Pontifex schaffte auch keineswegs in christlicher Nächstenliebe die Sklaverei ab; er verordnete, daß Sklaven, beim Mundraub erwischt, glühendes Blei in die Mundhöhlen gegossen würde und erlaubte Eltern, in Notzeiten ihre Kinder zu verkaufen. (Hätte er ihn gelesen, könnte er Matthäus i8, 23 mißverstanden haben: »Deshalb ist das Reich der Himmel gleich einem König, der mit seinen Sklaven abrechnen wollte.«) Bei welchen kirchenpolitischen Entscheidungen wirkte dieser Pascha mit? Jesus wird gottgleich Bis Nicäa galt die Lehrmeinung des Arius von Alexandria: Gott und Christus waren nicht wesensgleich, sondern nur ähnlich. Konstantin zwang das Konzil, die Wesenseinheit (Homousia = Unterschied ein Jota) von Gottvater und Jesus zu beschließen. Durch kaiserliches Reichsgesetz wird diese den Kern treffende Änderung zum Kirchendogma. So kam es zur Gottgleichheit Jesu. Darauf basierend, verabschieden die Bischöfe per Akklamation das »Nizäische Glaubensbekenntnis«. Der Nichtchrist Konstantin erwies der Kirche einen weiteren enormen Dienst: Bis dato war die Begräbnisstätte Jesu unbekannt geblieben. Da entdeckte der römische Kaiser im Jahre des Heils 326, befähigt durch eine »göttliche Inspiration«, simsalabim, das Grab des soeben gottgleich gewordenen Jesus. (330 ließ Konstantin in Jerusalem die Heilige Grabeskirche erbauen). Diese wunderbare
Entdeckung konnte Konstantin allerdings nicht daran hindern, gleichen Jahres einige nahe Verwandte zu ermorden — seinen Sohn Crispus, seine Gattin Fausta, die er in siedendes Wasser tauchen ließ, während er Schwiegervater Maximian gefangensetzen ließ und zum Selbstmord zwang. So sieht der Kaiser und Pontifex aus, der die »Glaubensbekenntnisse zu Nicäa« managte und der — nach beendetem Konzil — den christlichen Gemeinden in einem Rundschreiben offenbarte, daß die Übereinstimmung der 318 Bischöfe das »Urteil Gottes« sei. Konstantin der Große wurde übrigens zum Heiligen der armenischen, griechischen und russischen Kirche erwählt. Das 2. Konzil Das 2. ökumenische Konzil zu Konstantinopel. — Dieses Konzil wurde von Kaiser Theodosius I. (347—395), dem die Kirche den schmückenden Beinamen »der Große« verlieh, einberufen. Dieser römische Imperator stand seinem Kollegen Konstantin in seinen moralischen Qualitäten nicht nach. Er war, das weiß die Historie, ein rechter Armeleuteschinder, der dem niederen Volk unerträgliche Lasten auferlegte, die seine Steuerbüttel mit Folterungen brutal eintrieben. Diesen geschundenen Kreaturen verbot er mit der ganzen Strenge seiner kaiserlichen Macht, Unterschlupf zu gewähren. Taten sie es, ließ er die Bewohner ganzer Dörfer abschlachten. Im Jahre 390 (also fast zehn Jahre nach dem frommen Konzil) ließ er im Zirkus der Stadt Thessalonike (Saloniki) in einem fürchterlichen Blutbad 7000 aufständische Bürger umbringen — zur gleichen Zeit, als sich in christlichen Kirchen das »Hallelujah« — »Lobet Jehova« einbürgert. — Theodosius erklärte die christliche Lehre zur Staatsreligion (darum der »Große«) und läßt Ambrosius, Bischof von Mailand, alle heidnischen Heiligtümer gewaltsam zerstören. Mit seinen
Methoden könnte Theodosius tatsächlich der Ahnherr der Inquisition gewesen sein. Wenn aber Jesus die frohe Botschaft für die Armen und Bedrängten gepredigt hat, dann war Theodosius der Antichrist in Person. Doch dieser unheilige Geist berief das 2. Konzil zu Konstantinopel. Was geschah dort? Vater, Sohn und hl. Geist Ein entscheidender Glaubensartikel wurde von der von theologischen Experten als Rumpfkonzil bezeichneten Versammlung der Oberhirten in die kirchliche Lehre eingeführt: die Dreieinigkeitslehre von Vater, Sohn und Hl. Geist. Sie wird zum »Nizänisch-konstantinopolinschen Glaubensbekenntnis« gemacht. Und — etwas für theologische Feinschmecker — die Wesenseinheit (von Nicäa) wird nun zur Wesensgleichheit von Vater, Sohn und Hl. Geist. Von dieser so gewonnenen Dreieinigkeitslehre zehrt die Kirche heute noch. Das 3. Konzil Das 3. ökumenische Konzil zu Ephesus. — Dieses Konzil wurde vom oströmischen Kaiser Theodosius II. (408—450) und vom weströmischen Kaiser Valentianus III. (425—455) einberufen. Die beiden Kaiser plagten sich weder mit weltlichen noch gar mit geistlichen Problemen, sie waren Playboys. Sie beehrten das Konzil darum auch selten mit ihrer Anwesenheit. Theodosius II. war ein Schwächling, der sich ganz seinen Hobbys hingab und für sein aufwendiges Leben tyrannisch die Steuern seiner Untertanen eintrieb. Der Kaiser nahm sich reichlich, was des Kaisers ist ... Was Wunder, daß Theodosius völlig unter dem Einfluß seiner älteren machtbesessenen und intriganten Schwester Pulcheria (399—453) stand; sie übte für den Bruder eine Zeitlang die Regentschaft aus und rühmte sich bei jeder passenden und
unpassenden Gelegenheit, jungfräulich zu sein (worüber schon ihre Zeitgenossen nur lächeln konnten). Doch ihre fromme Beteuerung reichte offenbar aus, sie zur Heiligen zu ernennen, wobei es nicht störte, daß sie nach dem Tode ihres Bruders dessen geschickten, tüchtigen und erfolgreichen Rivalen Chrysophus ermorden ließ. Ja, und der weströmische kaiserliche Kollege Valentianus stand unter der Vormundschaft seiner Mutter Galla Placidia und endete durch Mord. Was passierte in Ephesus? Marienverehrung Das Konzil beschloß die Verehrung der Maria als Mutter Gottes. Durch Aufnahme in den »Theodosianischen Kodex« wurde der Beschluß zum Reichsgesetz. So kam eins zum andern, und der Hl. Geist war immer dabei... Das 4. Konzil Das 4. ökumenische Konzil zu Chalkedon. — Formell wurde das Konzil zwar vom byzantinischen Kaiser Mar-cianus (396—457) einberufen, in Wirklichkeit leitete es wieder die jungfräuliche Pulcheria, die Marcianus nach dem Tode von Theodosius geheiratet hatte. Sie wußte genauer als die Bischöfe, was sie wollte. Der Theologe Eduard Schwanz [7] kommt zum Schluß, daß Pulcheria das Konzil gegen den Willen verschiedener Kirchen durchsetzte und einberief und die Zügel der Beratung fest in der hand behielt. Was geschah in Chalkedon? Doppelnatur Jesu — Der Primat Roms Papst Leo I. initiierte mit seinen »Epistula dogmatica« (Dogmatische Briefe) die Glaubensformel von der Doppelnatur Jesu. Das Konzil verkündete den Lehrsatz, daß in der Person Jesu die göttliche und die menschliche Natur »unvermischt und unzertrenntlich«
vereinigt sind. Als »Chalzedonische Glaubensformel« lebt die Doppelnatur bis heute. — Und, last but not least, wurde in Chalkedon die Wahrung der Einheit der Lehre durch jederzeit mögliches Eingreifen dem Papst übertragen. So kam es zu dem Primat Roms. Die Grundlagen für künftige Entwicklungen waren nun aktenkundig gemacht. Man muß der unheiligen Pulcheria im Vatikan noch heute dankbar sein, daß sie mit ihren Intrigen das Konzil zu Chalkedon durchsetzte... Das 5. Konzil Das 5. ökumenische Konzil zu Konstantinopel. — Es wurde vom oströmischen Kaiser Justinian I. (483—565) inszeniert. Er war ein Despot von Format, folgte aber trotzdem oder deshalb den Launen seiner Gattin und Mitre-gentin Theodora (497—548). Diese Tochter eines Zirkuswärters macht sich um den Gemahl verdient, weil sie ihm beim Nika-Aufstand (532), als sich grüne und blaue Zirkusparteien gegen den Zwangsherrscher empörten, den Thron rettete. Nach diesem Verdienst konnte sie ihrem wie besessenen Willen die Zügel schießen lassen und die Reste des Heidentums ausrotten, eine Idee, die die Oberhirten des Konzils mit zähnefletschendem Schmunzeln beflügelte. Dabei hatten die Bischöfe des 5. Konzils nichts, gar nichts zu bestellen. Was Justinian erreichen wollte, hatte er längst vorher in kaiserlichen Dekreten und Gesetzen erlassen; es ist nicht ohne Ironie, diese Veranstaltung in der Literatur als »Akklamationskonzil« aufgeführt zu lesen. Justinian beorderte Papst Vigilius (537—555) — »unwürdiger Vertreter seines Amtes«, der späteren Gegnern der päpstlichen Unfehlbarkeit Demonstrationsobjekt in persona war — nach Konstantinopel. Vigilius wie die Bischöfe unterwarfen sich in schöner Einmütigkeit den machtpolitischen Interessen des Kaisers, der dann seiner erbarmungslosen Ketzergesetze wegen in die
Geschichtsbücher einging. »Ketzer« war nun jeder, der christliche Dogmen leugnete: Er wurde mit dem Tode bestraft, sein Erbrecht ging verloren. Ein Heer von römischen Beamten spürte Andersgläubige auf, trieb sie zu Scharen und führte sie auf Befehl Justinians zwangsweise der christlichen Taufe zu. Der byzantinische Geschichtsschreiber Prokopios (um 490—555) war Autor einer Geschichte der Kriege Justinians gegen Perser, Wandalen und Goten, eines Buches über die Bauten Justinians (Hagia Sophia!), aber auch Verfasser eines Pamphlets gegen Justinian und sein Weib Theodora. Prokopios, der seinen hohen Herrn vermutlich gut kannte, schilderte Justinian als stolz, scheinheilig, ungerecht, tückisch, grausam und blutdürstig. Christliche Historiendeuter machen gern Abstriche von den Schilderungen des Prokopios. Freilich! Denn Justinian wurde — wie die Kaiser Konstantin und Theodosius — zum Heiligen gekürt. Was geschah auf dem Konzil? Abweichler vom Wort Gottes sind Ketzer Der griechische Kirchenschriftsteller Origines (um 185—254), Lehrer an der Katechetenschule in Alexandria, war der bedeutendste Theologe des christlichen Altertums und erster Vertreter einer kritischen Bibelbetrachtung. Durch seine platonische Bildung hatte er die Schrift zum Teil mit allegorischen Ausdeutungen begreifbar gemacht und spiritualisiert. Das Konzil verurteilte den Abweichler, bezeichnete seine Exegesen als nicht rechtgläubig. Was künftig rechtgläubig zu sein hat, bestimmt ausschließlich die vom Hl. Geist inspirierte Kirchenführung, und wer inspiriert ist, bestimmt sie durch Berufung. — Als dieser Konzilsbeschluß ergangen war, galt fürderhin die Verfolgung nicht nur den zahlreichen Anhängern des Origines, das Halali zur Jagd auf alle Andersgläubigen war geblasen. — Symbol der »Vermählung« mit der Kirche wird um
diese Zeit der Ring, den die Bischöfe tragen. Eine, wie mir scheint, eigenartige Ehe zwischen Mensch und Hl. Geist... Die Bibel ist nicht das »Wort Gottes«. Und: Die auf den ersten fünf Konzilien von einem Heer von Kirchenfürsten hergestellten Glaubenslehren sind — trotz angeblichem Charisma der Teilnehmer — nicht vom Hl. Geist inspiriert worden. Für den schlicht gläubigen Laien ist das, weil er ihn meist unvorbereitet trifft, ein böser Schock. Was bleibt? Was ist mit Jesus? Gab es ihn? Ist er am Kreuz »für unsere Sünden« verblutet? Hat er das, was das Neue Testament berichtet, wirklich selbst gepredigt? Aber: Wenn die Jesus in den Mund gelegten Texte nicht von ihm sind, woher stammen dann die 1500 Abschriften von Abschriften der »Urtexte«? Irgend etwas muß geschehen sein. Eine einzige von vielen Gestalten, die den Kreuzestod starben, kann einen so ungeheuren Personenkult nicht entfachen, tragen und behaupten. Es waren kluge Köpfe am Werk. Es gibt eine Vielzahl von Büchern über Jesus von Na-zareth. Die nach dem jüngsten Stand der Forschung rekonstruierbare JesusGeschichte haben Autoren wie Johannes Lehmann [8], Joel Carmichael [9] und Rudolf Augstein [10] in jüngster Zeit vorgelegt. Diesen Kritikern irreführender Jesus-Interpretationen wurde von theologischer Seite selbstverständlich widersprochen; doch wenn man sich beispielsweise die Ausflüchte des Autorenkollektivs [11], das sich zu Augsteins »Jesus Menschensohn« äußerte, zum Verstande führt, dann erkennt man in diesem Widerlegungsversuch doch nur die uralte Technik, die Joachim Kahl als »Verschleierung« bezeichnet. Das Jesus-Dogma Christliche Theologen machen das Jesus-Dogma — die festgelegte religiöse Lehrmeinung mit dem Anspruch unbedingter Geltung, die ungeprüfte Behauptung [12] — zum springenden Punkt der
christlichen Religion. Auch das scheint mir verständlich, wenn auch leichtsinnig, weil all die hunderttausend Hirten aller christlichen Kirchen sich selbst und ihren Job aufgeben würden, wenn sie nicht mehr »im Namen Jesu« handeln könnten. Ehrlicherweise müßten sie nämlich dem kleinen Mann in der 17. Reihe des Kirchenschiffs sagen, daß Jesus von Nazarerth nicht der »eingeborene Sohn Gottes« war und sich selbst nie als solchen ausgegeben hat. Es wäre in der Tat viel verlangt, eine solche Kanzelaussage zu erwarten. Was denn war der reale Jesus? Rudolf Augstein [13] fragt: ».. . mit welchem Recht sich die christlichen Kirchen auf einen Jesus berufen, den es nicht gibt, auf Lehren, die er nicht gelehrt, auf eine Vollmacht, die er nicht erteilt, und auf eine Gottessohnschaft, die er nicht beansprucht hat.« Für den Wissenden sind das keine Neuigkeiten. Ich wende mich aber an den Unwissenden, den Laien, der das Theologenwelsch weder kennt noch versteht. Ich nehme es, einmal mehr, auf meinen breiten Buckel, Kathederweisheiten in allgemeinverständliche Sprache zu dolmetschen — wissend, welche Tracht Prügel mir von christlichen Fachgelehrten ins Haus steht. Es ist mir nicht gegeben, ›par ordre du Mufti‹ einfach zu glauben. Theologenwissen und Theologenerkenntnisse sind in Hekatomben von Büchern gedruckt, die in Archiven stehen. Damit jedermann mich versteht, muß ich bei Null beginnen. Die Erbsünde Dem Christenmenschen wird seit nunmehr fast zwei Jahrtausenden eine unerträgliche Belastung mit auf den Lebensweg gegeben; er sei, redet man ihm ins Gewissen, »ab Geburt« mit der Erbsünde belegt, und um diese Belastung loszuwerden, brauche er den »Erlöser«. Wir alle lernten in Schule und Kirche, daß Gott Anfang und Ende aller Dinge, daß er Alpha und Omega sei, daß Gott allmächtig,
allgütig, allgerecht, allwissend, erhaben, ewig und allgegenwärtig sei. Bis hierher akzeptiere ich uneingeschränkt die Deutung des Gottesbegriffes. Aber: Gott ist auch zeitlos, weil ewig, er kennt kein Gestern, Heute oder Morgen. Der ewige und allgegenwärtige Gott braucht das Ergebnis seiner Maßnahmen — »Wie wird es wohl ausgehen?« — nicht abzuwarten, denn er kennt das Resultat vorher. Adam und Eva im Paradies Mit großer Anteilnahme hörte ich in meiner christlichen Schule die reizend-reizvolle Geschichte, wie Gott in seiner Güte zwei arglose kleine Menschen mit dem Aufenthalt im Paradies, dem Ort der Freude und Glückseligkeit, beschenkte. Adam und Eva, die Auserwählten, lebten einen sorglosen Tag vor sich hin, es fehlte ihnen an nichts, sie hatten weder Wünsche noch Sehnsüchte. Nur etwas, nur eine einzige Sache war ihnen von Gott, dem Vater, streng verboten: Sie durften keine Frucht vom Baum der Erkenntnis verspeisen. Das war das erste »off limits«! Man stutzt. Warum setzte der Allmächtige dieses strenge Verbot? Hatte er Freude an diesem Kindergarten der ersten Menschen? Konnte Gott menschlicher Glücksgefühle, deren sich Adam und Eva im Garten Eden erfreuten, teilhaftig sein? Da er doch — erhaben — hoch über den Menschen steht? Warum wollte er die »Erkenntnis« von seinen Erstprodukten fernhalten? Theologen haben eine Antwort. Gott wollte »Liebe verschenken« und wünschte, daß die beiden an seinem Reich »teilhaben« sollten. Potztausend. Dieser Interpretation folgend, hätte Gott sich nach Liebe gesehnt ... und er hätte sich einsam gefühlt. Das, meine ich, sind Gefühle, die Gott nicht anstehen, denn gerade er ist in seiner Allmacht wunschlos glücklich. Ein Mittelding — »Etwas Liebe könnte schon sein« und »Langweilig ist es, Gespielen wären nicht
schlecht« — gibt es für den ausschließlichen Gott nicht. Was also wollte er mit den Menschlein im Paradies erreichen? Der unfreiwillige Sündenfall Die Theologen wissen es genau. Gott wollte Adam und Eva in Versuchung führen, er wollte sie prüfen. So, hohe Herren, geht das nicht. Wie wenig halten Sie denn von Gott? »Versuchung« und »Prüfung« wären doch von Gott ein gezinktes Spiel, da er — allwissend — das Resultat von Versuchung und Prüfung vorher kennen mußte. Die Replik, Adam und Eva hätten ja ihren freien Willen gehabt, vom Baum der Erkenntnis zu naschen oder nicht, zählte nicht, denn auch darüber wäre Gott vorher informiert gewesen. Spielen wir aber einmal den Gedanken durch, sie hätten — da freien Willens — nicht in den Paradiesapfel gebissen. Würden dann Adam und Eva noch heute Nackedei im Paradies spielen? Was wäre geschehen, wenn sie ohne den Obstgenuß nicht ihre schamhaften Blößen — und damit die Fortpflanzungsmöglichkeit — erkannt hätten? Hätte Gott dann — Pardon: am Fließband — immer immer mehr Menschen »erschaffen« müssen? Menschen, die dank ihres freien Willens wiederum nicht nach »Erkenntnis« gestrebt hätten, weil sie gehorsam dem Gottesverbot folgten? Gott hatte wohl den »Sündenfall« im Kalkül, weil er allwissend war. Sonst würden heute manche Länder der Erde nicht wegen Menschenfülle aus den Nähten platzen ... Woher kam der Teufel -woher die Schlange? So mir nichts, dir nichts holten sich Adam und Eva den Apfel nicht vom Ast. Es gab Versucher, den Teufel oder die Schlange. Alles Erschaffene aber kommt von Gott. So haben wir es gelernt. Logischerweise sind also auch Teufel oder Schlange Hervorbringungen Gottes. Hat denn der gütige Gott die Infamie
besessen, Teufel oder Schlange zu schaffen, um mit deren Assistenz zwei tumbe Menschen hereinzulegen? Und wenn, warum ist Gott dann nach dem vegetarischen Mahl so beleidigt darüber, daß nun die »Sünde« unausrottbar (bis der Erlöser kommt) in seiner Welt ist. ER wußte doch vorher, wie alles kommen würde... Theologen zupfen mich am Ärmel: So war es nicht! Lu-zifer, der Teufel, sagen sie, war doch ein Abgrünniger im Reiche Gottes. Ein Abtrünniger in Gottes Himmelreich? Wie das? Wenn »Himmelreich« gleich »Glückseligkeit« (so wird es uns versprochen) ist, dann kann es dort keine Opposition, keinen Aufsässigen, keinen Abtrünnigen geben. Entweder — oder. Garantiert Gottes Reich den Zustand vollkommenen Glücks, wäre Luzifer wohl nicht auf die Idee gekommen, Gott zuwiderzuhandeln. Gab es im Himmelreich jedoch das absolute Glück nicht, dann wäre Gott nicht allmächtig genug gewesen, dieses Klima herbeizuführen. Auch hier ist im Theologendisput eine weiche Stelle; den Streit zwischen Gott und Luzifer vermögen sie weder zu plazieren noch logisch zu motivieren. Ehe Luzifer sich verführerisch an das paradiesische Paar heranmachte, mußte Gott wissen, daß dessen Teufelei gelingen würde. Und diese Sache mit dem »freien Willen« von Adam und Eva bleibt auch unter Einschaltung von Luzifer eine Art deus ex machina, denn Luzifer, Adam und Eva oder die Schlange handelten im Willen und Auftrag des allwissenden Gottes. Gottes unbegreiflicher Zorn Für einen Mann, der das Wort, das ihn gelehrt wurde, beim Wort nimmt, stellt sich die Situation so dar: Gott lebt nicht in einem glückseligen Himmel, in dem es eine Opposition gibt — Luzifer gelangt zu bekanntem Tun ins Paradies, wo Adam und Eva von ihm animiert werden, eine Sünde zu begehen, von der Gott wußte, daß sie fällig war — der Apfelbutzen ist verzehrt. Nun ist (der allwissende) Gott so beleidigt, daß der Unlogik die Tiara aufgesetzt
wird: Er kennt sich in seinem grenzenlosen Zorn nicht mehr, er verflucht für alle Zeiten die unschuldige Nachkommenschaft des ersten Ehepaares und brennt ihr in einer grauenhaften Sippenhaft den Makel der »Erbsünde« in den Stammbaum. Wer immer ab jetzt geboren wird, schleppt ab seinem ersten Schrei die »Erbsünde« mit sich. Wie kann die arme Menschheit von diesem Ballast erlöst werden? Nur durch einen Erlöser. Die Bibel sagt es: »So sehr hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn zum Opfer darbrachte.« Nicht kleinlich, adoptiert man den plötzlich aufgetauchten Sohn, obwohl der einzige Gott mit Familie schwer vorstellbar ist. Dieser Sohn ist beneidenswert, er muß einen »himmlischen« Vater haben, voller Liebe, Güte und Fürsorge. Denkt man sich. Dem aber ist nicht so. Der Sohn wird der (unter der Erbsünde leidenden) Menschheit ausgeliefert, damit er seine Brüder und Schwestern von der Erbsünde befreie. Ans Kreuz muß sich der Sohn Gottes schlagen lassen, elendiglich verbluten. Nach dem Tode seines »eingeborenen Sohnes« aber ist Gott wieder versöhnt! Enthält diese grauenhafte Mär nicht Gedanken barbarischen Heidentums? Dieses Erlösungsdogma scheint mir wie ein Rückfall in primitive Religionen, die ihren Knechten abverlangten, die erzürnten Götter durch Blutopfer zu versöhnen. Der Kreuzestod, versichern Theologen, sei nur symbolisch zu verstehen. Warum sagt man es nicht im Klartext? Meine Tochte Lela lernt — wie alle Generationen vorher — Jesus sei der »fleischgewordene und eingeborene Sohn Gottes«, er habe alle Leiden (= die erdrückenden Erbsünden) »als Mensch mitgefühlt«. Wer als Mensch starb, hat wie ein Mensch gelitten, mit allen Schmerzen und allen Nöten. Wie aber kann Gott, der seinen Sohn wissend so quälen ließ — weil Adam und Eva eine Sünde begingen, die er, wenn er gewollt hätte, durch seine Voraussicht hätte verhindern können — durch dessen Tod mit der Menschheit, die
ausgerechnet seinen Sohn (!) umbrachte, versöhnt sein? (Mit diesem makabren Ende der Mär sollte dann eigentlich die Erbsünde aus der Welt verbannt sein. Sie ist aber immer noch im Spiel). Gefährliche Dogmen Theologen, einfallsreich und dialektisch versiert, suchten neuerdings eine Kurve, die aus diesem Dilemma führen soll, aber sie endet auch in einer Sackgasse. Nicht Gottvater, sagen sie, habe die Menschen so sehr geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn opferte — vielmehr habe Jesus selbst aus »freiem Willen«, aus Liebe zur Menschheit sein Leben als Opfer dargebracht. Leider ergibt diese Kehrtwendung erneut keinen sinnvollen Schluß. Gott-Vater und Gott-Sohn sind nach christlichem Dogma (Nizäische und Chalzedonische Glaubensbekenntnisse) eins, »unvermischt und unzertrennlich«. Es macht also keinen Unterschied, was der eine oder was der andere tut. So oder so bleibt die Opferung sinnlos. Vater und Sohn waren (und sind) nach geltender Lehre von Anfang an »eins«. Beide wußten demnach jeweils zu jedem Zeitpunkt, was geschehen würde. Weil dieser Hasenhaken den Widerspruch nicht auflöst, fiel den Kirchenlehrern eine — allerletzte? — Auslegung ein: Jesus habe der Menschheit demonstrieren wollen, wie sie leben müsse, um Gott, dem Vater, »wohlgefällig« zu sein. Stehen wir damit nicht wieder am Anfang, bei Null? Wenn die ganze Menschheit »Gott wohlgefällig« wandeln sollte, dann hätte der Allmächtige doch lediglich unsere Ureltern Adam und Eva zu solchem Wohlverhalten, nach seinem Willen und Befehl, veranlassen müssen. Das hätte doch in seiner Allmacht gelegen. Oder? Außerdem: Ist denn dem Erhabenen so sehr um »Wohlgefälligkeit« zu tun? Wenn er die braucht, ist er nach meinem Verständnis nicht von jener Erhabenheit, die der Gott, an den ich glaube, hat. Seit Ewigkeit.
Entbehren, mit klarem Verstand betrachtet, nicht die Erbsündeund Erlösungsdogmen jeder Grundlage? Jeder überzeugendglaubwürdigen Basis? Blutopfer wie Erlösung durch Kreuzestod halte ich, sogar im Interesse der christlichen Kirchen, für gefährliche Lehrsätze. Von den ersten Konzilien zu Dogmen gemacht, wurden sie zu Legitimationen für Folterungen und Morde in Ketzerprozessen, zu abgesegneten Ritualen der Inquisition, ja, und sie »inspirieren« noch in unseren Tagen heilsuchende Jugendliche und Mitglieder obskurer Sekten zu schrecklichen exorzistischen Ritualmorden, mit deren Opfern diese Kriminellen immer noch vorgeben, Gott »versöhnen« zu wollen. Wer war Jesus? Jesus war Jude. Wann geboren: Unbekannt. Es gibt kein Geburtsregister, in dem sein Name steht, nur das christliche Abendland richtete seinen Kalender nach dem angeblichen und angenommenen Geburtsjahr Jesu ein. Erst um das Jahr 50 der neuen Zeitrechnung taucht der Name (bei Paulus) zum ersten Mal in einem Brief auf. In den Matthäus- und Lukas-Evangelien heißt es, Jesus sei »zu Bethlehem geboren« — Markus hingegen nennt Nazareth als Geburtsort. Unklarheiten und Widersprüche machen die Bibel schon ab der Geburt des Erlösers zur . abenteuerreichen Lektüre. Als Mutter wird durchgängig Maria angegeben, die brave Magd. Der Vater, Zimmermann Joseph, ist nicht der leibliche Vater, denn Maria nahm das Sperma durch Mitwirkung des Hl. Geistes in »unbefleckter Empfängnis« auf. Das ist christlicher Volksglaube, denn mit dem Verstand ist dieser Befruchtungsvorgang nicht zu begreifen. Besonders aufgeklärte Theologen bemühen sich denn auch eifrig darum, darzutun, was man sich unter »unbefleckter Empfängnis«
vorzustellen habe. Der offiziellen Biographie zufolge, dem Neuen Testament, verliert sich nach der Geburt die Spur des Jesuskindes, bis es plötzlich als zwölfjähriger Ausreißer im Tempel wieder auftaucht — in heißem theologischem Gespräch mit Gelehrten. — Leider weiß man nie genau, was stimmt und was nicht, was sich ereignet haben soll oder was Fälscher (Urtexte!) dazu erfanden. Falls es zutrifft, und ich nehme das hier einmal an, daß der Zwölfjährige kluge Tempelherren in eine theologische Auseinandersetzung binden konnte, dann muß der aufgeweckte Knabe in irgendeiner zeitgenössischen Schule auf alttestamentarische Texte gedrillt worden sein. Welche Schule besuchte Jesus? Was für eine Schule bot sich an? Man muß sich den zeitlichen Background ins Gedächtnis rufen. Der Raum, den wir heute als »Naher Osten« bezeichnen, gehörte zu der Zeit, die uns hier interessiert, zum riesigen Römerreich: Damaskus wurde 64 vor Christus vom berühmten Feldherrn Pompejus Magnus (106—48) erobert, Jerusalem wird 37 vereinnahmt, und Ägypten wurde 30 römische Provinz. Was in diesem Säkulum des Gajus Julius Cäsar (100—44) in den eroberten und besetzten Gebieten passierte, ist nicht in historischem Nebel verborgen. Besatzer waren vermutlich zu allen Zeiten aus dem gleichen Stoff gewebt. Die Römer jedenfalls brachten ihre Lebensgewohnheiten mit und propften den okkupierten Ländern ihre Kultur auf. Die römischen Soldaten waren keine Heiligen: Sie verehrten den von den Griechen übernommenen Apoll, Gott der Dichtung, Musik und Jugend — leerten ihre Becher auf das Wohl des Gottes Bacchus (Dionyios) —, buhlten vor der Göttin Fortuna um Glück —, erflehten Gnade von Jupiter, Gott des Blitzes, Donners und des
Rechtes —, baten Neptun, Gott des Wassers, um Regen —, knieten in Andacht vor Sol, dem Sonnengott. Die Römer hatten, wie man sieht, Götter für jede Gelegenheit. Ein Greuel für jeden echten Juden. Seit über 400 Jahren — Esra sammelte die Thora-Texte schon um 440 vor Christus — lebte das jüdische Volk nach mosaischem Gesetz, dem Pentateuch und der Thora. Und im Gesetz hatte Erzvater Moses verkündet: »Du sollst keine anderen Götter haben neben mir, du sollst dir kein Gottesbild machen, keinerlei Abbild, weder dessen, was oben im Himmel, noch dessen, was unten auf Erden, noch dessen, was in den Wassern unter der Erde ist. Du sollst sie nicht anbeten und ihnen nicht dienen, denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott.« (2. Buch Moses, Kap. 20 ff) Moses war Monotheist. Als der Religionsstifter ca. 1230 v. Chr. die Israeliten von Ägypten nach Palästina zurückgeführt hatte, ließ er die legendären Tafeln mit den weisen zehn Geboten auf dem Berge Sinai aufstellen. Die Anerkennung und Verehrung nur eines Gottes hatte also eine alte Tradition, als die Römer mitten unter den Juden Vielgötterei betrieben. Die Juden konnten nichts dagegen tun. Zähneknirschend lebten sie mit den gehaßten, schwerbewaffneten Besatzern zusammen, die aber, das sei vermerkt, unterworfene Völker weder animierten noch zwangen, ihre Götter anzubeten. Recht vernünftig, beließen sie ihnen sogar eine Selbstverwaltung. Zwar wurde der Tempel von römischen Soldaten bewacht, doch von Juden verwaltet. In den Vorhöfen gingen Geldwechsler, Händler hinter Verkaufsständen und Handwerker in ihren Buden den Geschäften nach. So blieb auch zur Zeit der römischen Besatzung, der Zeit Jesu, die Thora — seit 443 v. Chr. Grundgesetz des jüdischen Staates — die religiöse Lehre der Juden.
Sadduzäer und Pharisäer Strenge Hüter, Wahrer und Lehrer des mosaischen Gesetzes waren die Sadduzäer, Vertreter der konservativen Religionspartei. Bei ihnen wäre eine mögliche Schule für den kleinen Jesus zu suchen. — Gegner der Sadduzäer waren die Pharisäer, Progressive, die sich zwar auch an den Wortlaut der mosaischen Gesetze hielten, die aber in die Lehre Engel und die Wiederauferstehung der Toten aufnahmen. Als Schriftgelehrte gewannen sie zur Zeit Jesu mit ihren Gesetzesschulen Einfluß auf das Judentum. Hier also gab es eine zweite Möglichkeit für den Schulbesuch des Jesuskindes. Folgt man den Evangelisten, verstand sich Jesus weder mit den Sadduzäern noch den Pharisäern. Oft mokierte er sich über diese »Schriftgelehrten«, und daß diese ihrerseits den vorlauten jungen Mann nicht als ihresgleichen akzeptierten, steht auch im Neuen Testament. Wäre Jesus aber Absolvent einer sadduzäischen oder pharisäischen Schule gewesen, hätte man ihn auch anerkannt oder als Protestler relegiert. Nichts dergleichen ist überliefert, der Name eines Jesus von Bethlehem oder Nazareth existiert in keiner Gelehrtenschrift. Der disputierende Jesus mußte seine Kenntnisse woanders her bezogen haben. Woher? Gab es eine dritte Schule? Es gab sie, doch das weiß man noch nicht lange.
Die Essener Die außerordentlich konservative Brudergemeinschaft der Essener lebte bis 68 n. Chr. bewußt isoliert vom Tempeljudentum in einer nach einem Erdbeben wiederaufgebauten klosterähnlichen Anlage in Chirbet Qumran in einer zerklüfteten Gebirgslandschaft am Toten Meer. Ihren Ursprung führte die »Armee des Heils« auf einen »Lehrer der Gerechtigkeit« aus der Makkabäerzeit, Jahrhunderte vor Christus, zurück. Die Essener schlössen ihren »Neuen Bund«, um aus ihm heraus das messianische Reich vorzubereiten. — Die
ältesten Berichte über diese asketische Sekte stehen in einem Aufsatz des Philon von Alexandria (25 v. Chr.— jo n. Chr.): »Quod omnis probus Über sit« [14]: Die Berichte des Philon von Alexandria »Das palästinensische Syrien, welches ein wesentlicher Teil des sehr zahlreichen Volkes der Juden bewohnt, ist auch nicht unfruchtbar im Hervorbringen von Tugend gewesen. Gewisse unter ihnen, an Zahl mehr als 4000, bezeichnet man mit dem Namen Essener; dieser Name ist meiner Ansicht nach, obwohl er genaugenommen kein griechisches Wort ist, mit dem Wort ›Heiligkeit‹ zusammengebracht worden; tatsächlich sind dies Menschen, die ganz besonders dem Gottesdienst obliegen; sie bringen aber keine Tieropfer dar, sondern finden es ratsamer, ihr Denken zu heiligen ... Sie horten weder Silber noch Gold, und sie erwerben keine großen Landgüter, weil sie daraus Einkünfte zu ziehen wünschten, sondern sorgen nur für den nötigen Lebensbedarf. Fast allein unter allen Menschen, leben sie ohne Güter und Besitz ... sie halten sich dennoch für reich, weil sie Genügsamkeit und ein gutes Gemüt als eine wirkliche Überfülle schätzen ... Sie verwerfen alles, was in ihnen Habsucht erwecken könnte ... Sie haben unter sich nicht einen einzigen Sklaven, vielmehr sind sie alle frei und helfen sich gegenseitig... Ihre Liebe zu Gott zeigen tausend Beispiele... Verachtung der Reichtümer und der Ehre, Abscheu vor Vergnügen ... Sie haben eine einzige Kasse für alle und gemeinsame Ausgaben . . . auch den Brauch der gemeinschaftlichen Mahlzeiten ... das Teilen desselben Daches, derselben Lebensweise und desselben Tisches findet man tatsächlich nirgends besser verwirklicht...«
Die Berichte des Flavius Josephus Auch dem jüdischen Historiker und Feldherrn Flavius Josephus (37 —97) galt in seinen Werken »Geschichte des jüdischen Krieges« und »Jüdische Archäologie« das besondere Interesse der EssenerGemeinde. Im achten Kapitel des zweiten Buches der »Geschichte des jüdischen Krieges« [15] gibt er Details dieser Glaubensgemeinschaft, die man Wort für Wort aufnehmen muß: »Es gibt nämlich bei den Juden drei Arten von philosophischen Schulen; die einen bilden die Pharisäer, die andere die Sadduzäer, die dritte, welche nach besonders strengen Regeln lebt, die sogenannten Essener. Die letzteren sind ebenfalls geborene Juden, aber untereinander noch mehr als die anderen durch Liebe verbunden ... Über die Ehe denken sie gering, dagegen nehmen sie fremde Kinder auf, solange dieselben noch im zarten Alter stehen und bildungsfähig sind, halten sie wie ihre Angehörigen und prägen ihnen ihre Sitten ein . .. Den Reichtum verachten sie ... Es besteht die Vorschrift, daß jeder, der der Sekte beitreten will, sein Vermögen der Gesamtheit abtreten muß ... Ordensangehörigen, die anderswoher kommen, steht alles, was sie bei ihren Genossen finden, wie ihr eigener Besitz zur Verfügung ... In ihrem Anzug und ihrer ganzen äußeren Erscheinung machen sie den Eindruck von Knaben ... Kleider und Schuhe wechseln sie nicht eher, als bis sie gänzlich zerfetzt sind . . . Ehe das Mahl beginnt, spricht der Priester ein Gebet.. . Nach dem Mahle betet er wiederum ... Nur in zwei Dingen besitzen sie völlige Freiheit: in Hilfeleistung nämlich und in Ausübung der Barmherzigkeit... Den Frieden pflegen sie angelegentlich .. . Mit Vorliebe widmen sie sich dem Studium von Schriften der Alten, besonders um zu ergründen, was für Leib und Seele heilsam ist... Schmerzen überwinden sie durch Seelenstärke, und einen ruhmvollen Tod ziehen sie dem längsten Leben vor. Diese ihre Gesinnung trat so recht im Kriege gegen die Römer zutage. Auf die Folter wurden sie gespannt, ihre Glieder gereckt, verbrannt,
zerbrochen; mit allen erdenklichen Marterwerkzeugen quälte man sie, um sie zur Lästerung des Gesetzgebers oder zum Genuß einer ihnen verbotenen Speise zu bringen . .. Kein bitteres Wort über ihre Peiniger kam über ihre Lippen ... Sie hegen nämlich den festen Glauben, daß der Körper zwar der Verwesung anheimfalle und vergänglich sei, die Seele dagegen in Ewigkeit fortlebe ... Es finden sich ... auch solche unter ihnen ... die die Zukunft vorherzuwissen behaupten. Und in der Tat ist es ein seltener Fall, wenn einmal ihre Weissagungen nicht in Erfüllung gehen .. .« Die Zufallsfunde am Toten Meer Flavius Josephus, der die Aufzeichnungen im Jahre 77 n. Chr. niederschrieb, war über die Essener so gut informiert, weil er nach eigenen Angaben drei Jahre lang unter ihnen lebte. Mit großer Wahrscheinlichkeit kannte er auch die schriftlichen Überlieferungen auf Lederrollen aus der Zeit um ioo v. Chr., die die Gemeinde während eines sie bedrohenden Aufstandes (66) in benachbarten Höhlen, in Krüge verpackt, versteckt hatten. Mit einer Zeitzündung von 2000 Jahren platzte — ich kann es nicht anders sagen — diese theologische Bombe. In Höhlen im Wadi Qumran wurden 1947 die als »Schriftrollen vom Toten Meer« [16] bekannten, von den Essenern versteckten Urkunden durch einen Zufall gefunden. Sie sind aus der theologisch-historischen Literatur nicht mehr wegzubringen. Die ganze abenteuerliche Geschichte der Qumran-Texte hat Heinrich Alexander Stoll in seinem Buch »Die Höhle am Toten Meer« [17] beschrieben. Dieses unerhört kostbare, schon von den Essenern mit Kommentaren versehene (!) »Handbuch der Unterweisung« wanderte um die halbe Welt, wurde in Universitäten und Klöstern begutachtet, bis es nach wilden Intrigen und Geldpoker bei objektiven Wissenschaftlern wie den Professoren Andre Dupont-Sommer [18] und Millar Burrows [19] in gute Hände kam.
Jesus ein Epigone? Eindeutig ergibt die Übersetzung der Qumran-Textrollen, daß wesentliche Teile der Evangelien aus der Essener-Schule stammen Lebensweise und Lebensstil Jesu Sitte der Essener waren Gleichnisse, wie Jesus sie benutzte, ja, ganze ihm zugeschriebene Predigten lange Zeit vor ihm von den Essenern gelehrt wurden. Als eindeutige Übereinstimmungen würden Textvergleiche von Qumran-Rollen und Neuem Testament von jedem ordentlichen Gerichtshof anerkannt und bestätigt werden — nicht so von der christlichen Theologenschaft. Als ob es ein Makel wäre, wenn die Einlassungen des Jesus von Nazareth oder Bethlehem Lehrgüter der asketischen Essener-Gemeinde beinhalten! Hier aber steht die Gottgleichheit Jesu, in Nicäa beschlossen, im Wege. Die Essener waren schlichte Ordensbrüder, die lange vor Christus ihre Lehre hatten. Jesus ein Epigone? Das darf nicht sein, das halten christliche Hüter der reinen Lehre Jesu für untragbar. Albert Schweitzer [20] war offenbar nicht deutlich genug, als er sagte: »Das moderne Christentum muß von vornherein und immer mit der Möglichkeit einer eventuellen Preisgabe der Geschichtlichkeit Jesu rechnen.« Lebte Jesus unter den Essenern? Hier einige Beispiele für eindeutige Übereinstimmungen zwischen der Lehre der Essener und der Lehre Jesu: Die Essener tauften nicht. Das tat auch Jesus nicht. Die Essener sagten sich von den Theologen ihrer Zeit, den Sadduzäern und Pharisäern, los. Das tat Jesus auch. Die Essener predigten Sanftmut und Demut zum Wohlgefallen Gottes. Jesus tat das auch. Die Essener warnten vor einem kommenden »Weltgericht mit Feuer«. Genauso Jesus. Die Essener sagten, man müsse seinen Bruder lieben wie sich selbst. Das war das Leitmotiv aller Reden Jesu. Die Essener
sprachen von den »Söhnen des Lichts«, die gegen die »Mächte der Finsternis« kämpfen. Wer kennt diese Metapher nicht aus den Reden Jesu? Die Essener predigten den »Geist der Wahrheit« und verhießen das »ewige Leben«. Nichts anderes tat Jesus. Die Essener sprachen von »Mitgliedern des neuen Bundes« und vom »heiligen Geist«. Was tat Jesus? Die Essener feierten die gemeinsame Mahlzeit mit Tischgebeten — wie Jesus beim Abendmahl. Die Essener sprachen vom Fundament, »das nicht erschüttert werden wird« — Jesus vom Felsen (Petrus), der nicht überwältigt wird. In der vierten Qumran-Höhle wurden »Seligpreisungen« gefunden, die Satz für Satz mit dem Wort »selig« beginnen — das Auftaktwort, das Jesus in der Bergpredigt benutzte. Die Essener verlangten von jedem Mitglied, das neu in ihre Gemeinschaft eintrat, daß es seine Sünden bekenne — ein ehernes Gesetz der Christenheit. Bei so vielen Beweisen (es sind keine Indizien!) drängt sich förmlich die Frage auf, ob nicht auch Jesus wie der Historiker Flavius Josephus — eine Zeitlang bei den Essenern lebte. Über 19 christliche Jahrhunderte rätselten kluge Köpfe um die Berichte des Flavius Josephus; von den Essenern wußte man nichts, sie sind weder in den Evangelien noch in der Apostelgeschichte erwähnt. Hatte dieser Flavius Josephus über einen nicht existierenden Orden eine Science-Fiction-Story erdichtet? Die Funde der Qumran-Rollen haben ihn posthum als sorgfältigen Historiker bestätigt. Der Tag, an dem ich stutzig wurde Ich erinnere mich genau an den Tag, als ich, Internatsschüler am streng katholischen College Saint-Michel, Fribourg, zum ersten Mal die ergreifende Abschiedsansprache Jesu an seine Jünger hörte, in der er ihnen den »Jüngsten Tag« ankündigt und prophezeit, der Herr »wird seine Schafe zu seiner Rechten stellen, und die Böcke zur Linken«. (Matthäus 25,23 ff)
»Dann wird der König zu denen zu seiner Rechten sagen: kommet her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbet das Reich, das euch von Grundlegung der Welt an bereitet ist. Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mich getränkt; ich war fremd, und ihr habt mich beherbergt; ich war nackt, und ihr habt mich bekleidet; ich war krank, und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen.« Der Präfekt im College ermahnte uns, an jedem Tag so zu leben, daß wir in jeder Stunde reinen Herzens vor Gott ständen, weil wir nie an seinem Wort gezweifelt, weil wir das Wort Gottes vielmehr immer, ohne ein Jota von der Schrift abzuweichen, geglaubt hätten. Während der Predigt wurde mit klar, daß ich eindeutig auf der linken Seite stehen würde, denn ich war voller Zweifel. Wie ist das nun, grübelte ich, hat der Präfekt recht damit, daß Gott die Gläubigen, die ohne Zweifel sind, belohnen wird? Werden die, die ohne Anfechtung glauben können, zur Rechten Gottes stehen? Nur, weil sie immer geglaubt haben? Zwar beruft sich der Präfekt fortwährend auf das Wort Gottes, aber er war doch weder bei einer himmlischen Auswahl noch bei der Belohnung der Gläubigen dabei! Der Präfekt konnte sich irren. Da war zwar die Legitimation durch Berufung auf das Wort Gottes, aber mein weiser und allmächtiger Gott (der noch etwas von dem gütigen alten Herrn mit langem weißem Bart hatte) würde sagen: »Meine Kinder, ich gab Euch den Verstand, damit Ihr ihn nutzt. Ich machte Euch klüger als die Tiere, damit Ihr denkt und fragt. Wer unter Euch zu feige war zu denken, der gehört nicht in mein Reich, wer seinen Verstand nicht nutzte, der ist verdammt.« — Das ist nun über 20 Jahre her, aber die Quintessenz meiner kindlichen Einsicht ist geblieben: Ich denke und frage. Bei allem Zweifel war ich damals trotzdem überzeugt, Jesus, der Sohn Gottes, habe die herrlichen und ergreifenden Worte geprägt. Heute weiß ich, daß auch dieser Text aus dem sogenannten
»Testament Josefs« [21] stammt. Ich zitiere: »Ich war als Sklave verkauft, aber der Herr machte mich frei; ich war gefangengenommen, aber seine starke Hand half mir; ich war von Hunger gequält, aber der Herr ernährte mich; ich war allein, aber Gott tröstete mich; ich war krank, aber der Höchste besuchte mich; ich war im Gefängnis, aber der Erretter begnadete mich.« Jesus-Christ-Superstar Braucht es weiterer Beweise, daß die Worte Jesu nicht aus seinem »göttlichen Geist« geboren sind? Sie waren längst vor ihm in religiösem Gebrauch. Es fehlt im Reigen der Erklärungen noch, daß man sie tiefenpsychologisch als archetypische Erinnerungen aus dem Unbewußten (C. G. Jung) deutet, aber dann wären sie auch nicht göttlichen Ursprungs. Für mich scheint gesichert zu sein, daß Jesus in die Schule der Essener ging, sich aber mindestens in ihrer Lehre sehr, sehr genau auskannte. Damit hätte der von Nazareth oder Bethlehem die Flamme des Christentums aus überliefertem religiösem Geist entfacht. Wäre das so arg? Doch nur, wenn die Gottgleichheit Jesu Basis christlicher Lehre bleiben muß. Mit Wohlwollen betrachtet man die Jesus-People-Welle als eine Hinwendung der Jugend zum Glauben. Man läßt Musicals mit Jesus-Christ-Superstar in den Kirchen aufführen. Ich möchte meinen Gott ungern geschminkt, tanzend, singend, gröhlend erleben. Dafür ist nun wieder mein Glaube an göttliche Allmacht zu groß, ja, ganz altmodisch: Unantastbar. Dieser verkrampfte Firlefanz wäre nicht nötig, wenn die Frage nach dem Wort Gottes ehrlich und nach dem jüngsten Stand der Forschung brutal offen beantwortet würde. Überzeugung ist heute attraktiver als Glaube.
Resümee meiner Ansicht An unbekanntem Ort kommt Jesus als uneheliches Kind der Magd Maria zur Welt. Unbemittelt, will Maria dem Jungen eine gute Erziehung zukommen lassen; sie weiß, daß die Essener fremde Kinder aufnehmen, solange dieselben noch im zarten Alter und bildungsfähig sind. Maria bringt ihr Kind in die Klosterschule am Toten Meer. — Für die Essener ist die Vielgötterei der Römer eine Gotteslästerung und das Fraternisieren der Tempeljuden mit den Besatzern eine Schmach. Die Essener beschließen, mit getarnten Reden (Gleichnissen) die jüdische Landbevölkerung in ihrem psychologischen Widerstand gegen die Besatzer zu festigen, ihnen Haß einzuimpfen. In den kleinen Ansiedlungen vom See Genezareth bis hinüber nach Jericho entsteht ein Maquis, eine Partisanenbewegung, die vorzugsweise von Johannes dem Täufer, der ein mitreißender und gewiefter Redner ist, angefeuert wird. Gelehriger Schüler in der Wüste ist Jesus; er lernt von dem Prediger Johannes die Methoden der Massenpsychologie. Jesus macht sich selbständig 3ojährig, verläßt Jesus die Essener-Gemeinde und geht selbst als Prediger durch die Lande. Er sucht sich (fraglos nicht auf derart simple Weise wie im Neuen Testament erzählt wird) seine 12 Gefährten. Diese »Apostel« waren beileibe keine Unschuldslämmer, sie waren Rädelsführer des lokalen Maquis; mindestens vier von ihnen sind als »Zeloten«, Angehörige der römerfeindlichen Nationalpartei, als Dolchmänner [22], identifiziert. Diese Leibwache war so perfekt organisiert, so redegewandt und von derart missionarischem Eifer besessen, daß Jesus es als erster seiner Gesinnungsgenossen riskieren konnte, in der Stadt aufzutreten. Seine in Wirklichkeit politischen Reden tarnte er vor römischen Soldaten — für den Fall, daß sie seine Sprache verstanden oder
einen Dolmetscher dabei hatten — mit religiösen Sprüchen. Aber seine Ermahnungen hörte und verstand ja auch die sadduzäische und pharisäische Theologenschaft. Jesus macht sie nervös, weil sie mit den Römern fraternisieren und darum überhaupt nicht wollten, daß ihnen dieser Wanderprediger politisch in die Quere kam. Zwischen der jüdischen Oberschicht und der römischen Offizierskaste gab es ein stillschweigendes Gentlemen's Agreement: Die einheimische High Society behielt ihre Heiligtümer und durfte in den Tempeln weiterwirken; Landwirtschaft und Handel samt Geldverkehr funktionierten in hergebrachter Weise. Die Römer kassierten lediglich einen Tribut, eine ziemlich saftige Steuer. Wie dem auch sei, die jüdische Führerschaft wünschte diesen verhältnismäßig erträglichen Status quo nicht verletzt zu wissen, es ging ihr recht gut. Da trat plötzlich Jesus mit seiner Leibgarde in Jerusalem an den belebtesten Plätzen der Stadt auf und hielt, wenn auch religiös kaschierte, aufrührerische Reden. Wie konnte man den unbequemen Wanderprediger wieder loswerden? Jesus wird beschattet Es darf angenommen werden, daß die Städter, mindestens durch Flüsterpropaganda, genau wußten, daß Jesus ein Essener war, jedenfalls einer, der deren Maximen von einem Leben in Sanftmut, Gerechtigkeit, Einfachheit und Liebe geschickt um seine politischen Maximen zu winden wußte. Die Römer hingegen merkten lange Zeit nicht, was da gespielt wurde; sie hielten den essenischen Prediger für einen harmlosen Priester, der mit seinen Reden römische Interessen und Hoheitsrechte nicht tangierte. Irgendwann wies irgendwer — vielleicht sogar ein V-Mann der jüdischen Oberschicht — die Besatzungsmacht auf das für den Kenner der Lage zweideutige Treiben hin. Von diesem Tage an wurde Jesus beschattet.
Die dramatischste Szene der Weltliteratur Aus den Evangelien geht nicht hervor, was geschehen ist. Eine Mitteilung an den römischen Landpfleger von Judäa, Pontius Pilatus (26-36) muß genügt haben, ihn sofort einschreiten zu lassen. Hatte der jüdische Hohepriester Kaiphas (18-36) dem Statthalter einen Wink gegeben? Hatte er Pilatus aufgeklärt, was der fromme Essener mit seinen so sanftmütig klingenden Reden erreichen wollte? Hatte Jesus — wie Joel Carmichael [23] behauptet — mit seinen Anhängern den Tempel gestürmt? In jedem Fall muß es sich um eine politische Denunziation gehandelt haben, denn die Römer mischten sich in religiöses Leben nicht ein. Fest steht aber, daß es sich nicht um einen Volksaufstand, eine Revolution oder um eine Rebellion gegen die Römer gehandelt haben kann. Das wäre in der römischen Geschichte aktenkundig. Das Ereignis muß relativ unbedeutend gewesen sei. Fest steht jedoch auch, daß Jesus sich ganz plötzlich mit seinen Anhängern verstecken mußte. Weshalb? Die Evangelien schildern Jesus als einen Mann, der sanft und hilfsbereit ist, dessen Reden zum reinen Leben anhalten, der Schwerkranke heilt und Tote zum Leben erweckt. Jesus selbst weiß, daß sein Leben in Gefahr ist. Mit seiner Begleitung zieht er sich auf den ölberg mit seinen drei Kuppen, östlich vom Tal Kidron bei Jerusalem, zurück. Das riskante Spiel ist aus. Die Schilderung einer der dramatischsten Aktionen der Weltliteratur kennt jeder: Assistiert von ortskundigen Juden suchen die Römer den Nazarener. In ihrem Versteck fallen die Jünger, erschöpft von den Aufregungen und Anstrengungen dieser Tage, in tiefen Schlaf. Nur Jesus findet keine Ruhe, er schwitzt »Blut«. Flackerndes Licht der Pechfackeln erhellt gespenstisch die Szene. Ruf der Soldaten und Lärm klirrender Waffen. Die Aufrührer sind umstellt. Da löst sich Judas Ischarioth, ein Apostel, aus der Schar der
Häscher, tritt auf Jesus zu und küßt ihn. (Der Judaskuß wurde zum Inbegriff schmählich-hinterhältigen Verrats) Ein schrecklicher Augenblick, doch sollte man fragen, was Judas denn eigentlich verraten konnte. Einen friedfertigen und vom Volk geliebten Mann? Einen, der nur Gutes tat? Überdies: Jesus wirkte in hellster Öffentlichkeit; das Volk, die Theologen, die Römer kannten ihn von Gestalt und Gesicht. Tagtäglich hätten ihn die Römer verhaften oder zu einer Einvernahme holen können. Warum mußte Judas durch einen Kuß die Identität des Meisters mit dem Gesuchten demonstrieren? Die Evangelisten berichten, Judas habe den Ältesten und Schriftgelehrten gesagt: »Der, den ich küsse, der ist es.« — Läßt die Kuß-Identifikation darauf schließen, daß Jesus maskiert und verkleidet war? Es wird handgreiflich in der nächtlichen Szene. Es steht im Neuen Testament: Petrus greift blitzschnell zum Schwert und schlägt Malchus, einem Sklaven des Hohenpriesters, das rechte Ohr ab (Johannes 18,10). Besaß Petrus, einer aus der friedfertigen Gilde, ein Schwert? Vermutlich war die ganze Begleitmannschaft bewaffnet. Jesus ist Herr der Lage; er erkennt, daß Widerstand zwecklos ist, und befiehlt: »Stecke das Schwert in die Scheide!« Jesus wird verhaftet, abgeführt. Im Durcheinander von Gaffern und Soldaten schlagen sich die Apostel in die Büsche. Nur der streitbare Petrus will wissen, was nun mit seinem Herrn geschieht; verkleidet mischt er sich unter die römischen Soldaten am Lagerfeuer: »Und nachdem sie ihn ergriffen hatten, führten sie ihn ab und brachten ihn in das Haus des Hohenpriesters. Petrus jedoch folgte von ferne. Als sie aber mitten im Hof ein Feuer angezündet und sich zueinander gesetzt hatten, setzte sich Petrus mitten unter sie. Da sah ihn eine Magd beim Feuer sitzen, blickte ihn an und sagte: ›Auch dieser war mit ihm.‹ Er aber verleugnete ihn und sagte: ›Weib, ich kenne ihn nicht.‹ Und kurz nachher sah ihn ein anderer
und sagte: ›Auch du bist einer von ihnen.‹ Petrus aber sagte: ›Mensch, ich bin's nicht.‹ Und ungefähr nach Verlauf einer Stunde versicherte ein anderer : ›In Wahrheit, auch dieser war mit ihm, denn er ist ein Galiläer.‹ Petrus aber sagte: ›Mensch, ich weiß nicht, was du meinst.« (Lukas 22, 54 ff.) Daß Petrus sich mindestens zwei Stunden unter den römischen Legionären am Lagerfeuer aufhalten konnte, beweist, daß er ein gerissener Bursche war. Jesus wird vor zwei Gerichte geschleppt, verhört, verhöhnt, gepeinigt, für schuldig befunden und ans Kreuz geschlagen. Carmichael [24] hat überzeugend nachgewiesen, daß die Kreuzigung ein römischer Strafvollzug war; nach einem römischen Urteilsspruch nahmen römische Soldaten die Kreuzigung vor. Das soll, nimmt die Theologie an, im Jahre 32 gewesen sein. Wie die Kreuzesinschrift andeutet, wurde Jesus eines politischen Vergehens wegen hingerichtet ... als »König der Juden« (Johannes 19,19.22). Statement Ergänzend zu diesem Abriß bleibt zu sagen, daß Jesus ein feinfühlender, heilkundiger und schriftgelehrter Mann war, der über parapsychologische Fähigkeiten verfügte, ein Redner von hohem Talent. Die absolute Ehrlichkeit und demütige Gottesfurcht kann niemand in Abrede stellen, sofern man ihn als geschichtliche Persönlichkeit wertet. Als Essener oder aber vertrauter Kenner deren Ordensregeln praktizierte er die Gebote der Nächstenliebe, Enthaltsamkeit und Hilfsbereitschaft. Seit die Quamran-Texte vorliegen, weiß man aber auch, daß die Vertreter der essenischen Lehre bei aller Friedensliebe engagierte Opponenten gegen die Römer waren: Sie wollten die heidnischen Eindringlinge samt ihrer Vielgötterei aus dem gelobten Land werfen. Religiöse und politische Interessen mischten sich, das mußte irgendwann zum Eklat führen. Religion und Politik haben nie eine bekömmliche
Mischung ergeben. Mir geht es um den Jesus der christlichen Lehre Ich will hier nicht in die Diskussion einsteigen, ob Jesus, wie Augstein vermutet, »eine aus mehreren Figuren und Strömungen synthetisch in eins geflossene Erscheinung ... als eine personifizierte Heilserwartung« sei. Denn, so Professor Günther Bornkamm [25]: »Würden wir die Überlieferung kritisch auf das reduzieren wollen, was mit keinerlei historischen Gründen sich mehr bezweifeln läßt, wir behielten am Ende nur einen Torso zurück, der wieder mit der in den Evangelien bezeugten Geschichte kaum noch etwas gemein hat.« Mir geht es hier nur darum, klar festzustellen, daß Jesus ein frommer Mann, doch nicht »Gottes eingeborener Sohn« — daß er ein politischer Täter, doch nicht der »Erlöser« war. Diese belegte Information wird dem wortgläubigen Christen einen rechten Schock zufügen, weil Zweifel schon eine Sünde »wider den Hl. Geist« sind. Hunderte Millionen Christen wurden in einem ausgeklügelten Lehrsystem seit zweitausend Jahren auf einer primitiven Religionsstufe gehalten, wenngleich gut informierte Theologen die Wahrheit längst hätten »verkünden« können. Sie verschweigen sie. Zweitausend Jahre falsche Unterweisung — das nenne ich Tradition! Glaube und Religion Römisch-katholisch erzogen, beschäftige ich mich eben mit der Jesus-Gestalt, wie wir alle sie in christlicher Tradition aufnahmen, auch wenn wir »begreiflicher Weise... so sehr in unserer eigenen Tradition befangen (sind), daß. wir uns den Evangelisten und dem Neuen Testament in seiner Gesamtheit kaum ohne
Voreingenommenheit nähern können.« (Carmichael) Glaube wird definiert als innere Gewißheit ohne Rücksicht auf Beweise, eine gefühlsmäßige Überzeugung. An Glauben appelliert man, Glauben fordert man bei jenen, die nicht wissen. Glauben bedeutet »Vertrauen«. Dieser Appell aber im Sinne von Glauben an eine höhere Macht, an das Unbegreifliche von »Werde!« und »Stirb!«, von Anfang und Ende allen Seins, ist gut, notwendig und ewig. Dieser Glaube gibt jedem Menschen in jeder Zeit Trost und Hilfe, Segen und Nutzen. Solcher Glaube hat aber auch von ferne nichts mit religiöser Rechthaberei zu schaffen. Mit den fanatischen Befehlen: »Du mußt!«, »Du sollst!«, »Du darfst nicht!« begaben sich christliche Oberhirten und Exegeten in den großen endlosen Glaubenskrieg. Mit dem eigensinnigen Beharren, einzige Verkünder des alleinseligmachenden Wortes Gottes zu sein, setzten sie einen bösen Anspruch unter die Geister. Es ist andererseits nicht wahr, was generelle Glaubensgegner sagen, nämlich, daß »die Religion« an sich Leid und Kummer über die Menschheit gebracht habe mit Verfolgungen, Folterungen, Tränen und Blut. Hätten Gläubige sich, von Eiferern aufgestachelt, kein Bild von Gott gemacht, nie hätte es Religionskriege gegeben. Denn: Religion im Geiste des Glaubens an eine schöpferische und ordnende Kraft erhebt nicht den Anspruch, letzte Wahrheiten zu verkünden; sie kennt auch keine gedruckten Vielzweck-Ratschläge für kleine Wehwehchen und keine salbadernden Spruchweisheiten für alle Gelegenheiten. Sie sollte nur der Erhabenheit des allmächtigen Gottes gerecht werden. Textvergleiche für kritische Bibelleser Schon ehe die 1947 gefundenen Qumran-Texte vom Toten Meer völlig neue Aspekte in die christlich-theologische Fachdiskussion zwangen, hatten kritische Verstandesmenschen, die es genau wissen wollten, unentwirrbare Widersprüche im Neuen Testament
aufgedeckt. Das wäre nicht erschütternd, wenn es sich dabei nicht um das Wort Gottes bzw. das Wort Jesu handeln sollte. Da Vater und Sohn von Wesensgleichheit (2. Konzil von Konstantinopel) sind, sind sie allwissend, allweise, allgegenwärtig, ohne Irrtum, kurz: Unfehlbar. — Derartige Qualifikationen inspirierter Urheber bestimmen den Maßstab, der an die Hl. Schrift anzulegen ist. Ist der hohe Maßstab gerechtfertigt? Väter, Väter! Das Evangelium des Matthäus beginnt mit der Abstammung Jesu, »der da ist ein Sohn Davids, des Sohnes Abrahams« (1) Stammväter werden aufgezählt, bis »Jakob zeugte Joseph, den Mann Mariä« (16). Was nützt dieser Joseph, da er doch nicht der Vater Jesu sein darf? Daß seine Frau vom Hl. Geist geschwängert sein sollte, leuchtete dem schlichten Zimmermann, dem trotzdem die landläufige Art, Kinder in die Welt zu setzen, vertraut war, nicht recht ein: »Joseph aber, ihr Mann, war fromm und wollte sie nicht rügen, gedachte aber, sie heimlich zu verlassen« (19). Ein Engel rettete im Traum das eheliche Glück: »Joseph, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, dein Gemahl, zu dir zu nehmen; denn das in ihr geboren ist, das ist vom Heiligen Geiste« (20). — Joseph akzeptierte die Mitteilung der Traumerscheinung. Josephs Abstammung scheint wirklich nicht von wünschenswerter Klarheit gewesen zu sein, wie auch eine gewisse Skepsis in seine Vaterschaft des Jesuskindes bei Lukas angedeutet wird: »Und Jesus ging in das dreißigste Jahr und ward gehalten für einen Sohn Josephs, welcher war ein Sohn Elis« (Lukas 3,23). — Lukas schreibt Joseph 76 (Matthäus: 42) Vorvordere zu. Es gibt halt erhebliche Schwierigkeiten, den Stammbaum bis Joseph blütenrein aufgehen zu lassen.
Unbefleckte Empfängnis Moderne Theologen [26] sagen, daß die Sache mit der »unbefleckten Empfängnis« nun nicht so zu verstehen sei, daß Joseph seine Maria nicht berührt hätte. Deuteln sie (weil der Vorgang so unplausibel ist) am von Gott inspirierten Wort herum? Matthäus sagt es doch in schönster Deutlichkeit: »Als seine Mutter Maria mit Joseph verlobt war, fand es sich, ehe sie zusammengekommen waren, daß sie vom Heiligen Geist schwanger war« (1,18). Eine sehr klare Feststellung. Erinnerungslücke des Johannes Matthäus berichtet ausführlich, daß und wie Johannes Jesus taufte. Johannes weiß, wen er vor sich hat: ». .. der aber nach mir kommt, ist stärker als ich, und ich bin nicht würdig, ihm die Schuhe zu tragen« (3,11). Johannes spricht Jesus auch direkt an: »Ich habe nötig, mich von dir taufen zu lassen, und du kommst zu mir?« (3,14) Nach der Taufe tat sich der Himmel auf, und Gottes Geist schwebte »gleich als eine Taube« herab, und eine Stimme sprach aus dem Himmel: »Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe« (3,17)- Johannes erkennt seinen Täufling, der sogar vom Höchsten als Gottessohn identifiziert wird; eindeutiger geht es nicht. Herodes Antipas (4 v. Chr. bis 40 n. Chr.) nimmt denselben Johannes in Haft und läßt sich später sogar zur Enthauptung des Täufers durch seine Gemahlin animie-. ren. Im Kerker erinnert sich Johannes plötzlich nicht mehr an Jesus; er schickt »zween Jünger« aus, um Jesus fragen zu lassen: »Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?« (11,3) — Der Eindruck, den der Nazarener — bei so geballtem Charisma — während der Taufzeremonie auf Johannes machte, schien so nachhaltig, daß die Erinnerungslücke schwer zu verstehen ist.
Schlag nach bei Matthäus! Schlag nach bei Matthäus, dem Zolleinnehmer (9,9) vom See Genezareth und späteren Apostel und- angeblichen Evangelisten! — Jesus ging umher »im ganzen galiläi-schen Lande« und »lehrte in ihren Schulen« (4,23), die damals in Synagogen hospitierten. Synagogen unterstanden Priestern und Schriftgelehrten. Niemand konnte ex cathedra beschließen, dort zu lehren; er mußte von den Schriftt gelehrten geprüft und anerkannt, einer von den ihren sein. Woher nahm Jesus die Kühnheit, diese Zunft, von der seine Lehrtätigkeit abhing, derart zu beschimpfen: »Wenn eure Gerechtigkeit nicht besser ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, werdet ihr nicht in das Reich der Himmel kommen.« (5,20) Der sanftmütigi Jesus Matthäus berichtet in seinem Evangelium von Reden Jesu, die berechtigten Zweifel an dessen Sanftmut aufkommen lassen. Eine Verhaltensempfehlung aus dem Munde des Gottessohnes lautet: ». .. Wer aber sagt: Du Tor! soll der Hölle mit ihrem Feuer verfallen sein.« (5,22) — Wenn mit allen Christen, die im Zorn lauthals und befreiend schimpfen, so verfahren wird, muß die Hölle ein gigantisches Krematorium sein. Hart, sehr hart! Matthäus überliefert im 5. Kapitel Ratschläge, die selbst die frommsten Christen meines Wissens zu keiner Zeit befolgten und trotz des göttlichen Gebots auch nicht befolgen können: »Wenn dich aber dein rechtes Auge zur Sünde verführt, so reiß es aus und wirf es von dir (29) ... und wenn dich deine rechte Hand zur Sünde verführt, so haue sie ab und wirf sie von dir (30)... wer dich auf den
rechten Backen schlägt, dem biete auch den anderen dar (39), und dem, der gegen dich den Richter anruft und dir den Rock nehmen will, dem laß auch den Mantel dazu (40), und wer dich nötigt, eine Meile weit zu gehen, mit dem gehe zwei...« (41). Ich bin immer verblüfft, wenn an die passende Stelle einer »aus dem Alltagsleben gegriffenen Geschichte« sinnentstellte Zitate des Meisters gesetzt und dann als »Wort Gottes« geglaubt werden. Mir ist noch kein Prediger begegnet, der diese Worte beim Wort genommen hätte.
Ja, ja -nein, nein! Wiederholt hält Jesus seine Zuhörer zu klarer Sprache an, sie soll nie »lauwarm« sein: »Vielmehr sei eure Rede: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Bösen« (5,37). Der Nazarener selbst hält sich keineswegs an seinen Ratschlag, er spricht in verklausulierten Gleichnissen, ist doppelzüngig. Beispiel: Jesus heilt einen Aussätzigen, einen Leprakranken, durch Handauflegen. Jesus befiehlt (5,4) dem Geheilten: »Sage es niemand«, fährt aber in gleichem Atemzug fort: »Gehe hin und zeige dich dem Priester.« — Das anfängliche Schweigegebot war ohnehin sinnlos, weil »eine große Volksmenge« (5,1) bei der Wunderheilung zugegen war. Ja — nein? Jein! Barmherzigkeit Jesus beteuert, er sei nicht gekommen, Gerechte zu berufen, sondern Sünder: »Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer.« Doch mit der Barmherzigkeit ist es, Matthäus folgend, nicht weit her, denn Jesus droht geringer Sünden wegen: »Die Söhne des Reiches werden in die Finsternis, die draußen ist, hinausgestoßen werden. Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein« (8,12).
Der Narziß Liebet einander — Liebe deinen Nächsten wie dich selbst... sind die Slogans unter denen die christlichen Kirchen von Beginn an bis heute ihre Lehre unters Volk bringen. Warum und weshalb erkennt der Bibelleser nicht selbst, daß Jesus eindeutig ein Narziß gewesen ist, der in seiner beispielgebenden Person diese kategorischen Imperative nicht befolgte. Jesus nämlich sagt: »Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert« (10,37). Läßt sich das alles mit dem »Wort Gottes« vereinbaren oder ist der Sohn Gottes liebebedürftig? Kein gemeinsamer Nenner Die Bürger von Chorazin, Bethsaido und Kapernaum hatten Jesus und seine Jünger vermutlich nicht mit geziemender Freundlichkeit empfangen. Ganz ohne Größe werden sie dafür vom Gottessohn bis zum jüngsten Tag in die Hölle verflucht (11,20 ff). Der des Gottessohnes Taten angeblich brav chronisie-rende Matthäus muß Widersprüche en masse festhalten. Jesus schickte seine Sendboten mit der Mahnung aus: ».. . Seid klug wie die Schlangen, und ohne Falsch wie die Tauben« (10,16). Das nenne ich einen doppelzüngigen Rat! Dann prophezeit er, daß sie alle »gehasset werden von Jedermann um meines Namens willen« (10,22), den Tod aber nicht fürchten sollen. — Warum sagt Jesus seinen Leuten so furchtbares Schicksal an, da er bald darauf mit erhobener Stimme behauptet: »Mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht« (11,30)? — Es war wohl damals, dem angeblichen Geschehen nahe, schon nicht leicht, das »Wort Gottes« auf einen Nenner zu bringen.
Ein Mann von der Straße Was soll die Matthäus-Schilderung einer empörenden Ungerechtigkeit? »Und Jesus antwortete, und redete abermals durch Gleichnisse zu ihnen, und sprach (22,1): Das Himmelreich ist gleich einem Könige, der seinem Sohne Hochzeit machte (2).« — Eine feine Hochzeit mit einer feinen Pointe bringt dieses »Gleichnis«. — Das Hochzeitsmahl war gerichtet, aber die geladenen Gäste kamen nicht. Neuerlich sandte der König Boten aus, Gäste zu laden, aber auch die verachteten die Einladung und brachten sogar einige Einlader um. Um endlich zum Fest zu kommen, befahl der König: »Darum geht auf die Straßen, und ladet zur Hochzeit, wen ihr findet« (9). Volk von der Straße wurde in den Saal getrieben. »Da ging der König hinein, die Gäste zu besehen ... und sah da einen Menschen, der hatte kein hochzeitliches Kleid an...« (11). Fuchsteufelswild befahl der König: »Bindet ihm Hände und Füße und werft ihn hinaus in die Finsternis, die draußen ist. Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein« (13). — Und die Pointe vom »Gleichnis«, die Jesus formuliert? »Denn viele sind berufen, wenige aber auserwählt« (14). Mögen Kommentare und Rezepte für predigtliche Auswertung dieses Gotteswort drehen, verdrehen, wie sie mögen. Für mich schlichten Bibelleser bleibt es ein Fall abscheulich asozialen Benehmens. Ich will keine Anweisung, wie es »gemeint« ist, ich kann ja lesen. Sonntag für Kapitalisten Auch eine weitere von Matthäus mitgeteilte Geschichte scheint mir nicht von göttlichem Geist inspiriert. Ich fasse den Text, Kapitel 25,14—30, zusammen. — In diesem »Gleichnis« fährt ein reicher Herr in Urlaub und vertraut vor der Abreise den Knechten, seinen Angestellten, sein Geld an. Nach der Rückkehr erscheinen sie zum Bericht:
Einer, dem der Herr fünf Talente (= Silbergeld von 6000 Drachmen) anvertraute, hatte die Zeit genutzt, zehn daraus zu machen. Eitel Lob! Ein anderer hatte aus zwei ihm anvertrauten Talenten vier erwirtschaftet. Eitel Freude! Alle bis auf einen hatten das Kapital vermehrt. Dieser eine, offenbar ein Antikapitalist, hatte das Geld ängstlich vergraben, er gab ein Talent zurück, wie er es übernommen hatte. Da sprach der Herr: »Du böser und fauler Knecht, wußtest du, daß ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und sammle, wo ich nicht ausgestreut habe (26)? Dann hättest du mein Geld den Geldverleihern bringen sollen, und ich hätte bei meiner Rückkehr das Meinige mit Zinsen zurückerhalten (27). Darum nehmet ihm das Talent weg und gebet es dem, der die zehn Talente hat (28)! Denn jedem, der hat, wird gegeben werden, und er wird Überfluß haben; dem aber, der nichts hat, wird auch das genommen werden, was er hat (29). Und den unnützen Knecht stoßet hinaus in die Finsternis, die draußen ist. Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein (30).« — Diese Story kann dem Jesus People nicht in seine Ideologie vom antikapitalistischen Jesus passen — aber sie wird als Evangelium am 27. Sonntag nach Trinitatis, dem Dreifaltigkeitsfest, von den Kanzeln verlesen. Kapitalisten aller Länder, lobet das göttliche Wort! Mehret Eure Talente! Ein Spuk? Letztes hier erwähntes Matthäus-Rätsel (28, 16-17). — Elf Jünger (12 minus Judas) stiegen auf den Kreuzigungsberg bei Galiläa, wohin Jesus sie bestellt hatte. Sie sahen ihn und fielen vor ihm nieder. »Einige jedoch zweifelten.« Zeit meiner Bibelstudien finde ich keine Antwort auf die Frage, woran einige Männer angesichts eines menschlichen Wesens, das gekreuzigt und begraben wurde, nun aber putzmunter vor ihnen steht, zweifeln mögen. Trauten sie ihren Augen nicht, hielten sie es für einen Spuk, einen Toten lebendig wiederzusehen?
»Er wird von Sinnen sein« Markus erzählt einige beachtenswerte Geschichten. Eindeutig stellt er fest, daß Jesus Brüder hatte (3,31-32), die in dieser Szene mit ihrer Mutter auftauchen, als Jesus mit seinen Leuten zu Tisch sitzt. Die Anwesenheit des Wundermannes hat sich herumgesprochen, viel Volk gafft neugierig auf der Straße. »Die um ihn waren« (3,21), wollten hinausgehen und Jesus halten, sie sagten: »Er wird von Sinnen sein.« Hielt man Jesus temporär für nicht normal? (Die Psychologie könnte heute triftige Gründe dafür nennen.) Der Meister will von Mutter und Brüdern, die mehrfach draußen nach ihm fragen, nichts wissen. Abwimmelnd stellt er allen die rhetorische Frage: »Wer sind meine Mutter und meine Brüder?« (33), um ins allgemeine abzulenken: »Wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder, und meine Schwester, und meine Mutter« (34). Ein Gefühl von Dankbarkeit gegenüber der Mutter, die ihn unter heiklen Umständen zur Welt brachte, ist auch hier nicht erkennbar. War der Gottessohn sündig? Johannes taufte die Menschen im Jordan, sie kamen in Scharen zu ihm. Allen predigte er: ».. . man solle sich taufen lassen auf Grund der Buße und zur Vergebung der Sünden« (1,4). Wir wissen — und erfahren es wieder beim Chronisten Markus —, daß Jesus diesem Appell folgte und sich taufen ließ. Ist da nicht zu fragen: Waren denn dem Gottessohn Sünden zu vergeben? Haben die Jünger das Wort Jesu verstanden? Widersprüche, die sich in zeitlichem und textlichem Abstand ergeben, sind entschuldbar. Wenn sie aber in einem Atemzug erfolgen, bedarf es wahrscheinlich theologischer Klimmzüge, Erklärungen herbeizuholen. Laut Markus sagt Jesus zu seinen
Jüngern: »Euch ist das Geheimnis des Reiches Gottes gegeben, jenen aber, die draußen sind, wird alles in Gleichnissen zuteil« (4,11). Bedeutet: Ihr, Freunde, versteht jedes meiner Worte, dem Volk muß ich es mit Hilfe von Gleichnissen klarmachen. Bereits in Vers 13 zürnt Jesus aber seinen Schülern, daß sie nicht einmal ein Gleichnis begreifen: »Ihr versteht dieses Gleichnis nicht, und wie wollt ihr alle Gleichnisse begreifen?« Die Frage, ob die Apostel Jesus überhaupt genau verstanden haben, bleibt offen. Nach Matthäus (13,11) urteilt Jesus: »Euch ist gegeben, daß ihr das Geheimnis des Himmelreiches vernehmt, diesen aber ist es nicht gegeben.« Er erhebt die Jünger über die anderen, die ihn nicht verstehen, und lobt sie, weil »eure Augen selig (sind), daß sie sehen, und eure Ohren, daß sie hören« (16). Danach muß man annehmen, daß die Kommunikation im engeren Kreis so erstklassig ist, daß die Chiffren, in denen Jesus tagtäglich spricht, verstanden werden. O nein! Sogar der gelehrige Petrus muß bitten: »Erkläre uns dieses Gleichnis« (15,15). Erstaunt fragt Jesus: »Seid ihr denn auch noch unverständig?« (16). Haben sie nun »Gottes Wort« begriffen oder nicht? Vermutlich nicht, denn sogar nach der Auferstehung, als sie den Meister nicht mehr um zusätzliche Erläuterungen bitten können, stellt Johannes (20,9) fest, daß die Kameraden nicht verstanden haben. Ich habe euch nie gekannt... Markus berichtet, Johannes habe Jesus gemeldet, daß man einen Mann gesehen habe, der in seinem hohen Namen den Teufel ausgetrieben, und daß man es ihm verboten habe (9,38). Sehr opportun antwortet Jesus: »Wehret es ihm nicht, denn niemand wird auf meinen Namen hin eine machtvolle Tat tun und bald darauf Böses von mir reden können« (39). — Bei Matthäus liest sich das anders: Hier nämlich haben Fremde im Auftrage Jesu geweissagt, den Teufel ausgetrieben und in seinem Namen gehandelt (7,22). In
vollendet demagogischer Manier kommt die Antwort: »Und dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch nie gekannt; weichet von mir, die ihr begehrt, was wider das Gesetz ist« (23). Das mögen Usancen des Maquis sein — gottwürdig ist es nicht, Leuten Aufträge zu geben, um nachher zu leugnen, daß sie bekannt sind. Informiert von höchster Stelle Es wird dem christlichen Laien nicht leicht gemacht, sich durch das Dickicht von 'Widersprüchen des Neuen Testaments hindurchzuwühlen. Für die wissenden Theologen ist das einfacher, sie haben fraglos ein rotes Telefon, über das sie sich von höchster Stelle informieren lassen können. Durch ihre Münder und wiederum die Münder derer, die sie unterweisen, erfahren Kinder in der Religionsstunde und Gläubige in den Kirchen, wie alles zu verstehen sei und wie es auf keinen Fall verstanden werden dürfe. Einschlägig kommentiert, ist dann die Substitution zu glauben. Wenn sich doch wenigstens die Theologen einig wären! Aber sie liegen sich, je nach Mitgliedschaft bei einer Kirche, in den Haaren, heftig, ärgerlich, zürnend für ihre Sache. Ja, und was nicht unter eine Tiara zu bringen und überhaupt nicht zu erklären ist, das wird denen, »die draußen sind«, als Glaubensprüfung auferlegt. Wie hieß es doch? »Eure Rede sei ja, ja; nein, nein.«
Du sagst es In der Verkündigung des Hl. Wortes heißt es, Jesus sei Gottes eingeborener Sohn, der das im Verhör vor dem Hohen Rat selbst zugegeben habe. In Tat und Wahrheit lautet die korrekte Übersetzung der Aussage Jesu nicht: »Ich bin es«, sondern: »Du sagst es.« Man muß schon einen unehrlichen Verstand einsetzen, um nicht zu begreifen, was gemeint ist, nämlich: Ich habe das nie behauptet, ihr unterstellt mir das! — Bei Markus liest man denn
auch: »Jesus aber sprach zu ihm: Was nennst du mich gut? Niemand ist gut außer Gott allein« (10,18). Jesus markiert deutlich, daß er nicht Gott ist, aber er wußte ja auch nicht, was Konzilsbeschlüsse bald aus ihm machen würden . ..
Sie sind nicht »eins« Gegen die Dogmen, Vater und Sohn seien »eins« und die Dreieinigkeit von Vater, Sohn und Hl. Geist, steht ein ehrliches Geständnis Jesu: »Über jenen Tag oder jene Stunde weiß niemand etwas, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern nur der Vater« (Markus 13,32)- Wären sie »eins«, wäre jeder von ihnen über Tag und Stunde eines fernen Geschehens informiert. Gerüchte aus dem Gericht Die Hohenpriester verurteilen Jesu — denn sie fanden keinen anderen Grund —, weil er »Gott gelästert« habe. Der Hohepriester fragte, ob er Christus, der Sohn Gottes wäre. Die Antwort nach Matthäus (26,24): »Du hast es gesagt.« Die Antwort nach Markus (14,62): »Ich bin es.« Die Antwort nach Lukas (22,70): »Ihr sagt es, daß ich es bin.« Die Widersprüche der Evangelisten sind verständlich, keiner von ihnen war bei der Verhandlung dabei, sie berichten Gerüchte. Was ich euch im Dunkeln sage. . . Johannes hatte etwas ausführlichere Informationen, er berichtet, Jesus habe sich vor dem Hohen Rat verteidigt. »Ich habe alle Zeit in der Synagoge und im Tempel gelehrt, wo alle Juden zusammenkommen, und im Geheimen habe ich nichts geredet« (18,20). Vermutlich war das nur die halbe Wahrheit, die Verteidigungsantwort eines Widerständlers. Vielleicht wußte der
Rat auch von einer Wühltätigkeit Jesu, wie sie Matthäus andeutet: »Was ich euch im Dunkeln sage, das saget im Licht, und was ihr ins Ohr hört, das predigt auf den Dächern« (10,27.) Subversiver Tätigkeit wegen wurden Widerständler zu allen Zeiten überführt. Vielleicht war hier der Anklagegrund zu suchen? Grundlos angeklagt? Übereinstimmend kommen die Evangelisten zu dem Ergebnis, daß Jesus grundlos verhaftet wurde. Bemüht suchten Hohepriester und der Rat Anklagegründe: »Die hohen Priester aber und der ganze Rat suchten Zeugnis wider Jesus, um ihn zu Tode zu bringen, aber sie fanden keins« (Markus 14,55). Was war wirklich mit Judas? Es blieb bisher unaufgeklärt, was Judas wirklich Belastendes verraten haben könnte; er meldete sich während des Prozesses bei keiner Stelle, ist bei keinem Verhör, trat nirgends als Zeuge der Anklage auf. Es dringt zwar aus dem Verhandlungsraum, daß die Ältesten ihm 30 Silber-linge auszahlen ließen. Wofür aber? Für die Identifikation eines Mannes, der stadtbekannt war, doch wohl kaum. Hätte er aber, und da wird und bleibt die Sache unverständlich, außer dem Verräterkuß auch einen handfesten Klagegrund geliefert, wäre die Obrigkeit nicht so hilflos gewesen. Und: Der lumpigen Silberlinge wegen hat sich Judas gewiß nicht zum Verräter gemacht. Da muß noch etwas im Busch gewesen sein, was wir wohl nie erfahren werden. An Geld, an mehr als 30 Silberlinge, wäre Judas leicht herangekommen: So, wie die Essener ihr Gemeindeleben mit einer Zentralkasse organisiert hatten, so führte auch Judas die Buchhaltung der Truppe Jesu. Nein, da muß noch etwas anderes gewesen sein ...
Unklares Verfahren Verurteilung und Liquidation bleiben geheimnisumwittert. Jesus wurde Pontius Pilatus überstellt, der ihn zwar für unschuldig hält, ihn letztlich aber dennoch kreuzigen läßt. Nach Johannes' Bericht wehrt sich der Statthalter: »Nehmt ihr ihn und kreuzigt ihn, denn ich finde keine Schuld an ihm« (19,6). Der römische Statthalter war lange genug im Lande, um zu wissen, daß die Juden keinen Menschen kreuzigen durften. Kreuzigung war ein römischer Strafvollzug, die Offerte deshalb sinnlos. Hartnäckig klagen die Juden an: »Wir haben ein Gesetz, und nach dem Gesetz muß er sterben; denn er hat sich zu Gottes Sohn gemacht« (7). Was soll das den Römer kümmern? Ihn interessieren religiöse Streitigkeiten nicht. Gleichwohl behauptet Johannes: »Als Pilatus dies Wort hörte, fürchtete er sich noch mehr« (8). Wovor fürchtet er sich denn? Er hat die militärische und politische Macht und die Polizeigewalt. Er sagt es dem schweigenden Jesus: »Weißt du nicht, daß ich Macht habe, dich freizulassen, und Macht, dich zu kreuzigen?« (10). Warum eigentlich soll er sich fürchten? Pilatus regierte despotisch, so daß er später abberufen wurde. Hätte er Jesus wirklich für unschuldig gehalten, er hätte ihn trotz jüdischer Proteste freigelassen. Er muß, weil es dann doch eine römische Kreuzigung gab, politische Gründe gehabt haben, und politische Gründe bleiben bekanntlich oft ungenannt. Wie lauten die letzten Worte? Uneinigkeit herrscht im »Wort Gottes« auch über die letzten JesusWorte am Kreuz. Nach Markus (17,34) und Matthäus (27,46) rief er mit lauter Stimme: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« Nach Lukas (23,46) rief er laut:
»Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.« Nach Johannes (19,30) sprach er: »... ›Es ist vollbracht^ und neigte das Haupt und gab den Geist auf.« Die Weiber am Grab Widersprüchlich sind die vier Evangelistenberichte auch vom Besuch der Weiber am Grab Jesu. Markus (16,1-8) weiß, daß Maria Magdalena, Maria Jakobi und Salome Spezereien kauften, um Jesus zu salben. Auf dem Weg noch mit dem Gedanken beschäftigt, wie sie den Stein vom Grab wälzen könnten, sehen sie, daß die Gruft bereits geöffnet ist, und daß ein Jüngling in langem weißem Gewand darin sitzt. Er sagt, sie sollten sich nicht entsetzen, denn Jesus, den sie suchten, sei auferstanden. Das sollten sie den Jüngern melden. Aber die Weiber flohen voller Angst und »sagten niemand nichts, denn sie fürchteten sich.« Johannes (20,1-2) kennt den Vorgang anders. Bei ihm kommt nur Maria Magdalena in der Sabbatfrühe zum Grab, von dem der Stein bereits weggehoben ist; in Panik rennt sie zu Simon Petrus und den anderen Aposteln: Sie ist der Meinung, man habe Jesus weggenommen und an einen unbekannten Ort gebracht. Lukas (24,1-6) weiß nur von namentlich nicht bekannten »Weibern«, die zum geöffneten Grab gingen und es leer fanden. Als sie traurig dort stehen, kommen zwei Männer in »glänzenden Kleidern«, die sagen: »Was sucht ihr den Lebendigen bei den Toten? Er ist nicht hier, er ist auferstanden.« Hochdramatisch geht es bei Matthäus (28,1-19) zu. Da kommen Maria Magdalena und Maria Jakobi zum Grab, das noch vom Stein verschlossen ist. Glücklicherweise setzt in diesem Augenblick ein Erdbeben ein, der Engel des Herrn — seine Gestalt wie der Blitz, in einem Kleid weiß wie der Schnee — kommt vom Himmel, wälzt den Stein fort, setzt sich darauf und informiert die Weiber: Er zeigt
ihnen den Platz, an dem Jesus lag, und teilt mit, daß er auferstanden ist, was sie eilends den Jüngern sagen sollen. Daß sie dann noch Jesus unterwegs begegnen, gehört schon nicht mehr zum Grabbesuch. Hätten die zahllosen Bibelbearbeiter nicht wenigstens Sorge tragen müssen, das zentrale Ereignis der Auferstehung in den Berichten zu synchronisieren? Wenn schon die sagenhaften »Urtexte« des »Wortes Gottes« unbegreiflicherweise keine einheitliche Schilderung enthielten, hätte man doch hier redigieren müssen, zum Heile des schlichten Bibellesers, der sich nun bis in alle Ewigkeit fragen muß: Was geschah denn wirklich? Merkwürdige Reaktion der Apostel Ganz merkwürdig ist auch die Reaktion der Apostel auf das phänomenale Ereignis. Sie glauben kein Wort vom Bericht der Weiber, unter denen sich nunmehr die von Person her bekannten beiden Marien und Johanna befinden. »Diese Worte kamen ihnen vor wie leeres Gerede, und sie glaubten ihnen nicht« (Lukas 24,11). — Johannes (20,9) stellt gar fest: »Denn sie wußten die Schrift noch nicht, daß er von den Toten auferstehen würde.« £5 ist nicht zu fassen: Da notieren die Evangelisten über vier Bücher hinweg Jesu Ansage, daß er sterben und auferstehen würde, und am Ende wissen sie nichts davon. Eine Himmelfahrt Auch ohne die göttliche Inspiration letzter Wahrheit wird schließlich noch widerspruchsvoll über Jesu Himmelfahrt berichtet. Laut Matthäus (28,26-27) hat Jesus das Erscheinen der Jünger auf einem Berg bei Galiläa befohlen. Als sie ihn sehen, werfen sie sich nieder, »einige aber zweifelten.« Immer noch? Matthäus weiß nichts Ergänzendes von einer Himmelfahrt.
Markus (16,19) hat nur einen Satz für das wichtige Ereignis: »Der Herr Jesus nun wurde, nachdem er zu ihnen geredet hatte, in den Himmel emporgehoben und setzte sich zur Rechten Gottes.« — So einfach war das. Lukas (24,50-51) läßt Jesus selbst die Jünger »hinaus bis gen Bethanien« führen. Während er sie segnete, »schied er von ihnen und fuhr gen Himmel.« Johannes (21) weiß nichts von einer Himmelfahrt. Die wichtigsten Ereignisse im Leben Jesu (so es ihn dem »Wort Gottes« gemäß gegeben hat — was ich bei diesen Textvergleichen fromm unterstellte), waren zweifellos Auferstehung und Himmelfahrt. Die Evangelisten nahmen so viele Nebensächlichkeiten auf, daß nicht zu verstehen ist, warum sie die beiden zentralen Ereignisse, um die herum die christliche Lehre arrangiert wurde, nicht genau, in farbigen packenden Bildern und wirklich inspiriert berichteten. crux interpretum Wäre Jesus vor aller Augen, mindestens aber im Kreis der Jünger, in den Himmel aufgestiegen, dann wäre diese Kunde wie ein Lauffeuer noch am gleichen Tage durch die Gassen Jerusalems gegangen, denn das Volk hatte lebhaften Anteil am Prozeß und an der Kreuzigung genommen. Kein römischer oder jüdischer Geschichtsschreiber aber notierte auch nur ein einziges Wort über diese weltverändernden Ereignisse! Das alles wissen nur sehr rudimentär die Evangelisten, und die waren keine Augenzeugen. Es ist ein crux interpretum. Einer von Millionen Ich bin einer von vielen hundert Millionen »Christen«, die von der Wiege an organisiert sind und dafür Steuern zahlen, der aber nicht
im Sinne der organisierten Religion zu glauben vermag. Ich bin kein Atheist. Ich bewundere die großartige dramatische Dichtung, die um die Zentralfigur des Jesus von Nazareth herum geschrieben wurde; ich bewundere die Zeugnisse christlicher Kultur in Malerei, Plastik und Musik. Ich anerkenne die meisten im christlichen Glaubenskodex notierten Gesetze und Regeln menschlichen Zusammenlebens (wie sie in der Substanz allen Religionen, Mythen und Legenden aller Völker eigen sind). Ich verneine aber den alleinseligmachenden Anspruch der Kirche, in die ich hineingeboren wurde, weil ich — um nur zwei Beispiele zu nennen — die Lehren und Glaubensgrundsätze Buddhas und Mohammeds nicht für geringer achte. Millionen gläubiger Christen wissen nichts oder zu wenig vom Background der Bibel. So erzogen, nehmen sie sie von Generation zu Generation als das »Wort Gottes«; sie halten Jesus für einen originären Verkünder seiner Lehren. Dabei ist erwiesen, daß er, ganz vorsichtig ausgedrückt, wesentliche Teile von den Essenern am Toten Meer adaptierte. Daß die christlichen Lehren und Gebräuche zum größten Teil Entlehnungen aus älteren Religionen sind, belegt eine mir von Dr. Robert Kehl [27] zur Verfügung gestellte Dokumentation, der ich als kleinen Teil des darin zusammengestellten Materials folgende Einzelheiten entnehme: »Die Bibel enthält keinen einzigen religiösen oder moralischen Gedanken, der nicht schon in irgendeiner Form in den heiligen Schriften der früheren oder zeitgenössischen Religionen enthalten gewesen wäre. Unmittelbarer Nährboden — um nicht zu sagen: Zeughaus und Arsenal — für das heutige »christliche«, das heißt paulinische Glaubens-, Gemeinde- und Kultleben waren ganz besonders die (ihrerseits weitgehend von ägyptisch-orientalischen Kulten übernommenen) hellenistischen Mysterienkulte. Besonders im Attis-, Dionys-, Mithras- und Isiskult ist praktisch alles zu finden, was das heutige paulinische Christentum ausmacht (a): Tragende Figur der einzelnen Mysterienkulte war stets eine dem
paulinischen Christos entsprechende Heilandsgestalt, ein »Sohn Gottes«, der als »der Herr« bezeichnet wurde. Dabei spielte das Leiden und Sterben dieses jeweiligen »Gottessohnes« die entscheidende Rolle, wobei auch von gekreuzigten Göttern die Rede ist. — Die Höllenfahrt eines Gottes (»... abgestiegen zur Hölle ...«) war eine allgemein verbreitete Vorstellung, genauso, wie die Himmelfahrt in sämtlichen Mysterienkulten zur jeweiligen Heilsgeschichte gehörte. Wie im alten Ägypten war auch bei den Mysterienkulten die Trinität (Dreifaltigkeit, Dreieinigkeit) bekannt. Im Namen von Mithras und Dionysos wurden Kranke geheilt, Tote auferweckt, das Meer beruhigt, Wasser in Wein verwandelt usw. Es gab auch das Osterfest (Auferstehungsfeiern), wobei die Auferstehung des betreffenden Gottes gleich wie beim späteren Christentum konzipiert war (Auferstehung am dritten Tag, leeres Grab, weggewälzter Stein). Die Erlösungslehre, welche als Spezifikum der christlichen Religion gilt, findet man in den Mysterienreligionen in allen Details. Selbst das christliche Grunddogma von der Erbsünde war nichts eigentlich Neues (Mithras). — Bei den hellenistischen Mysterienkulten war die Taufe mit vorherigem Fasten und Bußübungen bekannt. Das heilige Mahl, auch als »Tisch des Herrn«, »Mahl der Seligen« oder »Mahl der Heiligen« bezeichnet, hat weitgehende Übereinstimmung mit dem (späteren!) christlichen Abendmahl. Von besonderer Bedeutung ist aber, daß dieses Mahl auch nach den Mysterienreligionen gleichzeitig ein Essen des Leibes und ein Trinken des Blutes ihres Gottes (Kommunion) darstellte. Das Abendmahlsbrot wurde teils ebenfalls in Form von Hostien mit dem Kreuzeszeichen verabreicht. Es ist bezeugt, daß auch dieser »Tisch des Herrn« teilweise als sakramentale unblutige Erneuerung des Gottesopfers aufgefaßt worden ist. Sogar der Wandlungsspruch der heutigen katholischen Messe ist im wesentlichen belegt: »Sag siebenmal: Du bist Wein; nicht bist du Wein, sondern das Blut der Athena. Du bist Wein; nicht bist du Wein, sondern das Blut des Osiris, die Eingeweide des
Jao.« Durch dieses »Mahl der Seligen« wurden die Gläubigen »wiedergeboren«, und im Gegensatz zur verlorenen Welt, die ein schlimmes Los erwartete, als »Erlöste, Gerettete, Unsterbliche« bezeichnet. — Die Eingeweihten der Mysterienkulte wurden durch das Mahl »Kinder Gottes«. Gott nahm in ihnen Wohnung; sie wurden mit Gott vereinigt. Das Mahl ist auch als Mahlgemeinschaft mit Gott selbst aufgefaßt worden. Das Leben der jeweiligen Söhne Gottes beziehungsweise der Religionsstifter zeigt nicht nur in den Mysterienreligionen, sondern auch in den östlichen und fernöstlichen vorchristlichen Religionen frappante Übereinstimmugn mit dem Leben Jesu. Das beginnt bereits mit den Prophezeiungen als »Erlöser und Retter der Menschheit« (b). Auch den Gläubigen der zarathustrischen Religion wurde zum Beispiel gesagt: »Voll Erwartung ist die Welt auf ihn; er ist der Prophet Mazdas.« — Meist wird von einer übernatürlichen Zeugung (c) des Rettergottes berichtet, wobei besonders die jungfräuliche Zeugung lange vor Jesus weitherum bekannt war, beispielsweise für Buddha oder Zarathustra. Bei Buddha soll die Zeugung durch das Eindringen eines göttlichen Strahls in den Leib der jungfräulichen Mutter vor sich gegangen sein. Noch auffälliger ist die Konkordanz in den Schilderungen der Geburt des Stifters (d). — Außer Jesus wurden auch andere Religionsstifter in einem Stall geboren, in eine Krippe gelegt und in Windeln gewickelt; auch in anderen Religionen wurde die Geburtsstätte »von hellem Licht umstrahlt«; auch bei anderen Religionsstiftern erschienen »himmlische Chöre mit wunderbarem Gesang«; selbst die Hirtenanbetung fehlte nicht. — Wie bei der Geburt Jesu wird auch bei Krischna (8. irdische Erscheinung Vischnus, einer der Haupterscheinungen des Göttlichen im Hinduismus) die Tötung aller männlichen Neugeburten von einem eifersüchtigen König befohlen. — Die Darstellung des Kindes im Tempel ist ebenfalls bezeugt. Insbesondere wurden sämtliche Religionsstifter, meist in
der Einöde, wo sie fasteten, vom Teufel versucht (e). Dabei treffen auch hier Details mit der Bibel zusammen, indem der Teufel zuerst Speise und dann weltliche Herrschaft anbietet, wenn nachgegeben wurde. Als Buddha getauft wird, tritt eine Erschütterung ein, und Gott verkündet: »Die Unsterblichkeit ist gefunden.« (Bei Jesus: »... Dieser ist mein geliebter Sohn . ..«) — Eine frapannte Ähnlichkeit läßt sich auch beim Tode göttlicher Gestalten, die als Weltheiland-Gestalten gefeiert wurden, feststellen. — Bei Cäsars Tod wird von einer Finsternis gesprochen und davon, daß »die Erde barst« und »Gestorbene zurückgekehrt« sind (f). — Auferstehungen von Göttersöhnen, die auf dieser Erde gewandelt waren, sind vor Jesus in der Antike allgemein bekannt. Auch der auferstandene Apollonius, ein Zeitgenosse und eine Art von Doppelgänger von Jesus, erscheint seinen Jüngern. Die Mysterienreligionen und vor ihnen die ägyptischbabylonischen Kulturen kannten sowohl den Gedanken »Ich bin der Weinstock« als auch das Hirtenmotiv »Ich bin der gute Hirte« (g). — Die Verfolgung der Anhänger der Mysterienreligionen durch die Priester der etablierten Religion war ebenso gang und gäbe wie die der Christen. — Die Verspottung des leidenden Dionysos ist verblüffend ähnlich der Verspottung Jesu. — Die meisten Religionsstifter und Gottessöhne, die die Antike und auch die fernöstliche Welt vor Jesus kennt, waren in gleicher Weise wie Jesus Wundertäter (h). Das Wein-Wunder hat seine Parallele in der Dionysos-Legende. Kranke genesen, Greise hüpfen, Hungrige werden gesättigt, Blinde werden sehend, Lahme gehen, Stumme reden. Es geschehen Fernheilungen wie bei Jesus. Geheilte trugen die Bahren fort, das Meer wurde besänftigt, sogar 300 000 Personen wurden wunderbar gespeist, und es blieb noch viel übrig. Der ins Wasser sinkende (ungläubige) Petrus kommt bereits im Buddhimus vor. Wie Jesus bezeichnet sich auch Buddha als »die Wahrheit.« Auch Zarathustra kündigte an, er werde mit den
»heiligen Engeln wiederkommen.« Schließlich verkündete schon Krischna, daß die Welt »ihn nicht erkennen könne« (i). Zum Abschluß seien einige Texte aus heiligen Schriften anderer alter Religionen entsprechenden Texten aus der Bibel und besonders der Evangelien gegenübergestellt. Die Abkürzungen bedeuten: B = Buddhismus Hi = Hinduismus M = Mysterienreligionen T = Taoismus Z = Zarathustrismus
Bibel
Dir, Herr ist niemand gleich Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit, Amen Du aber bleibst derselbe, und Deine Jahre nehmen kein Ende Was krumm ist, solle gerade werden Euch ist der Heiland geboren Gebenedeit bist Du unter den Frauen Wer mich sieht, sieht den, der mich gesandt hat Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, um die Welt zu richten, sondern damit die Welt durch ihn gerettet werde Ich bin das Licht der Welt Die Zeit ist erfüllt Aus anderen heiligen Schriften Keiner gleicht Dir in den Welten(Hi) Euer ist die Herrschaft und Euer ist die Macht, o Mazda(Z) O Ahura Mazda, der Du ewiglich derselbe bist(Z)
Was krumm ist, wird gerade gemacht(T) Euch ist heute der Heiland geboren. Die Jungfrau hat geboren; das Licht nimmt zu(M) Erhaben über alle irdischen Frauen (gemeint ist die Mutter Buddhas)(B) Wer mich sieht, der sieht die Lehre(B) Denn nicht um zu schaden oder um zu strafen, sondern zu retten, ist der Logos (Herakles) da(M) Ich bin das Auge der Welt(B) Die Zeit ist erfüllt(Assurbanipal)
Bibel Geht hin, lehret alle Völker und lehret sie alles behalten, was ich euch befohlen habe Wer Ohren hat, zu hören, der höre Wer sucht, der findet Wer die Hand an den Pflug legt und zurückschaut, ist nicht tauglich für das Reich Gottes Die Sünde herrscht über die Menschen Auch wenn deine Schuld rot wäre wie Scharlach, so soll sie weiß werden wie Wolle Wenn Gott für uns ist, wer wird wider uns sein? Wer ihm vertraut, wird nie verloren gehen Euer Vater weiß, was ihr bedürft, ehe ihr ihn bittet Aus anderen heiligen Schriften Was ihr von mir gesehen und erfahren habt, das sollt ihr allen Menschen verkünden(Hi) Wer Ohren hat, höre das Wort und glaube(B) Wer sucht, wird auf ihm (dem Tao) finden(T)
Denn wer (mit den Dingen dieser Welt weiter) beschäftigt ist, ist untauglich, das Reich zu nehmen(T) Die Sünde herrscht frei über sie(Hi) Und wärst du auch ein Bösewicht und wögen deine Sünden schwer, leicht führt dich der Erkenntnis Floß fort über jedes Sündenmeer (Hi) Von Gott holen wir Kraft; wer will wider uns sein?(Z) Denn niemals wird, das glaube mir, wer mir vertraut, verloren gehen (Hi) Denn im Voraus weiß ich deine Fragen und Klagen(Z)
Bibel Was ihr wollt, daß euch die Leute tun, das tut auch ihr ihnen (Die »goldene Regel«) Liebe deinen Nächsten wie dich selbst Selig sind die Barmherzigen Liebet eure Feinde, tut Gutes denen, die euch verfolgen — Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun Wenn ihr denen leiht, von denen ihr etwas zurückerwartet, was für einen Dank habt ihr? Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder ... Wer sich selbst erhöht... Wer Weib und Kind und ... um meines Namens willen verläßt
Aus anderen heiligen Schriften Was du am Nächsten tadelst, das tue du selber auch nicht (Motiv in allen Religionen) Andere soll man lieben wie sich selber(M+T+B) Wer mit Barmherzigkeit kämpft, der siegt(T) Selbst wenn sie seinen Körper zerfleischen, denkt der Jünger an die Befreiung sogar derer, die ihn zerfleischen, und er verletzt sie nicht einmal in Gedanken (B + Hi) Erweise den Menschen eine Gunst, ohne dafür etwas von ihnen zu erwarten (T) Laß fahren Gedanken und Denken und sei ganz wie ein Kind(Z) Wer allzu hochfahrend ist, wird wenig wenig hoch fahren(T) Wahres Wissen ist nur dies: Befreiung von Anhänglichkeit an Weib und Kind, an Dach und Fach(Hi) Bibel Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen Das Himmelreich ist inwendig in euch Wer mir nachfolgen will, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Wer die Hand an den Pflug legt und zurückschaut, ist meiner nicht wert Der bleibe in mir und ich in ihm Frau, warum weinst du? Ich fahre zu meinem Vater
Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist Es ist vollbracht Aus anderen heiligen Schriften Selig hier und selig nach dem Tode, wer reinen Herzens ist (Z) Der Engel der Liebe ... hat für uns schöne Wohnungen bereitet (Z) Der Himmel ist in dir (B) Ein Bodhisattva (ein für die Erleuchtung bestimmtes Wesen) nimmt sich vor: Ich nehme die Last allen Leidens auf mich. Ich kehre nicht um und laufe nicht davon(B) Bleibe bei mir in meiner Seele (M) Klage nicht, Mutter; ich gehe nun in den Himmel auf(M) Nimm meinen Geist, ich bitte dich, zu den Sternen auf(M) Es ist vollbracht(M) Allgemeingültigkeit christlichen Glaubens? Roland Puccetti (50), Professor für Philosophie und Theologie in Singapur, beschäftigt sich mit der Kernfrage des christlichen Glaubens, nämlich, ob der Anspruch auf Allgemeingültigkeit zu rechtfertigen sei. Dieser Anspruch vorausgesetzt, meint Puccetti, bliebe doch der größte Teil der Menschheit von der Erlösung ausgeschlossen, weil er nie Gelegenheit hatte, die »frohe Botschaft« von der Geburt Christi und seiner Lehre zu vernehmen. Puccetti [28] sagt: Selbst wenn das Evangelium auf unserem Planeten allgemein verbreitet wäre — was es bekanntlich nicht ist —, hätte nur ein unbedeutender Teil aller intelligenten Wesen im Universum
davon gehört, während der Anspruch auf Allgemeingültigkeit aber auch die Pflicht und den Auftrag beinhalte, alle Lebewesen mit der Heilslehre vertraut zu machen, sie daran teilhaben zu lassen. Professor E. L. Mascall [29] sagt, in der Tradition christlicher Theologie wäre als eigentliche Bedeutung der Erlösung stets das Faktum betont worden, daß der Sohn Gottes mit der Spezies, die er erlösen wollte, einsgeworden sei. Der Sohn Gottes sei Mensch geworden, analysiert Mascall, damit die Menschen durch ihn Kinder Gottes werden konnten. Man brauche nun aber nicht vor der Aussicht zahlloser Inkarnationen und Kreuzigungen im Universum zu erschrecken. Denn, meint der Theologe, wenn es so wäre, »würde schon die Tatsache, daß auf unserem Planeten am Ende die siegreiche Erlösung der Menschheit durch die Auferstehung Christi gestanden habe, eine Wiederholung an anderen Orten rechtfertigen ... Mit anderen Worten: Wenn es in einem Fall möglich ist, daß sich Vergängliches und Ewiges in einer Person vereinigen, weshalb sollte es dann nicht auch in mehreren Fällen möglich sein?« Wie viele Inkarnationen des Gottessohnes? In Fortführung dieses Gedankens kommt Professor Puccetti zu der Feststellung, daß eine einzelne organische Person mit Sicherheit nicht mehr als eine organische Person sein kann, wie viele unkörperliche Personen sie gleichzeitig darstellen möge. .. »Unkörperliche Personen können zu jeder Zeit überall sein. Körperliche Personen aber können sich zur gleichen Zeit immer nur an einem Ort im Universum aufhalten«. Puccetti, der — für einen Theologen sehr mutig — die neuesten wissenschaftlichen Kenntnisse in seine religionsphilosophischen Deutungen einführt, versucht die zentrale Frage zu klären, »wie es möglich sein könnte, daß Gottes Sohn im Universum viele Male Mensch würde — vielleicht an 1018 Orten — ohne gleichzeitig mehr als eine
organische Person zu sein«. Er kommt zum Schluß, daß dies natürlich nicht möglich sei, sagt aber: »Wenn man die oben genannte Zahl möglicher Gesellschaften außerirdischer natürlicher Personen in den bekannten Galaxien (die ungefähr ein Zehntel aller Galaxien ausmachen) zugrunde legt, und wenn man annimmt, daß die Lebenszeit Jesu von Nazareth die durchschnittliche Dauer einer Inkarnation des Sohnes Gottes darstellt, dann würde es 34 mal 1018 Jahre dauern, bis Gottes Sohn auf jedem dieser Planeten nacheinander je einmal die Zeit von Geburt bis Auferstehung verbracht hätte. Die zu erwartende Lebensdauer von Sternen, deren Planetensysteme möglicherweise die Voraussetzungen für die Entwicklung intelligenter Lebewesen bieten, beträgt in unserer eigenen Galaxis nur (1 — 5) x 1010 Jahre; wenn man diese Zahl auch für das restliche bekannte intergalaktische Universum als Durchschnitt annimmt, müßten von heute bis zur Auslösung des Lebens auf allen diesen Sternen gleichzeitig zwischen 680 00 0000 und 3 400 000 000 Inkarnationen stattfinden! Wenn man frühere Inkarnationen abzieht, verringert sich die Zahl «in wenig, aber doch nicht so sehr, daß es viel ausmachen würde ... Wenn Gott nicht nur die Erscheinung irgendeines einzelnen Mitgliedes einer rationalen körperlichen Spezies angenommen haben sollte, sondern durch seinen Sohn in jedem Fall »ihr Wesen angenommen« hätte, wodurch er dieser Spezies »seine Persönlichkeit« übertragen hätte, so müßte daraus gefolgert werden, daß sich gleichzeitig viele organische Personen im Universum befänden, die im christlichen Sinne »göttliche Wesen« wären. Was das für das Christentum bedeuten würde, geht sehr deutlich aus folgender Vorstellung hervor .-Nehmen wir an, wir könnten mit einer 50 Lichtjahre von uns entfernten Gesellschaft in Verbindung treten und würden ihr den Text des Neuen Testaments übermitteln. Als Antwort bekämen wir ein Fernsehbild ihres Christus. Er hat neun Finger an jedem Arm, vier Beine, eine dicke blaue Haut und lange Knochen. Wir könnten darauf kaum
antworten: »Ja, das ist Christus«, es sei denn, wir meinten damit so viel wie: »Das ist der Sohn Gottes, wie er euch erschienen ist«, was wieder reiner Doketismus wäre. Andererseits könnten wir seinen göttlichen Status nicht leugnen (angenommen, er predigte seine »Bergpredigt«, sei am Kreuz für ihre Sünden gestorben und wieder auferstanden etc.), denn er würde das gleiche Recht darauf haben wie Jesus von Na-zareth. Was könnten wir also tun? Wir hätten Jesus von Nazareth und sie hätten ihren »X-Christus«, beide wären von Gott angenommene Wesen, und beide Spezies wären in Christi »Menschsein« beziehungsweise sein »X-Sein« als getrennte Inkarnationen von Gottes Wort einbezogen . .. Wenn der Sohn Gottes aber einmalig, wie kann er dann gleichzeitig ganz Mensch und ganz »X« sein, das heißt, als zwei verschiedene körperliche Personen existieren? Zwei körperliche Personen sind nicht eine. Hinzu kommt, daß wir dann gerade so viel Ursache haben würden, den angenommenen »X-Christus« anzubeten wie unseren Jesus Christus, und das Christentum nicht länger eine Dreieinigkeit, sondern eine Viereinigkeit umfassen würde. Das Risiko des Christentums Und dies sage nicht ich (wenn es auch meine Meinung ist!), dies sagt der wissenschaftliche Theologe Puccetti, der sich um die Existenz des Christentums in der Zukunft Sorgen macht: »Was die Christenheit tun kann, ist, die wahrscheinliche Existenz außerirdischer intelligenter Wesen vollständig unberücksichtigt zu lassen ... Es könnte in der Tat dazu kommen, daß das Christentum — womöglich als einzige der großen lebendigen Religionen — durch Versuche mit der interstellaren Kommunikation als unwahr erwiesen würde ...«
Kosmonaut Jesus Christus Durch die Presse und die einschlägige Literatur spukt seit einiger Zeit, mal akzeptiert, mal glossiert, wie das Ungeheuer von Loch Ness die Mitteilung, Jesus sei Astronaut gewesen. Erfinder dieses allerneuesten Jesus-Kultes ist der sowjetische Philologe Dr. Wjatscheslaw Saizew von der Universität Minsk. Saizew glaubt, daß Jesus aus dem Weltall kam, daß er der Vertreter einer höheren Zivilisation gewesen sei, und das erkläre auch zum Teil seine übernatürlichen Kräfte und Fähigkeiten. Wörtlich Saizew [30]: »Mit anderen Worten, das Herabsteigen Gottes auf die Erde ist in Wahrheit ein kosmisches Geschehen.« Aufsätze von Dr. Wjatscheslaw Saizew über ein »Raumschiff auf dem Himalaja« und »Engel in Raumschiffen« in der sowjetischen Zeitschrift SPUTNIK waren für mich im Sommer 1968 Anlaß für eine Reise nach Moskau. Bei seinen jüngsten Spekulationen kann ich Saizew nicht folgen. »Belegen« läßt sich alles Freilich beruft sich Saizew auf Evangelistentexte. Was läßt sich mit ihnen nicht beweisen? Es ist lediglich eine Fleißaufgabe, textlich zu »belegen«, ob Jesus Krieger, Heerführer oder König, Politologe oder Wahrheitssucher, Geistheiler, Zauberer oder Wahrsager, Sektenprediger oder — last not least — der Sohn Gottes war. Man kann auch den »Astronauten« Jesus »belegen«. Wie hätten Sie's denn gern? Was fand Saizew für Gründe für seine Thesen? Matthäus (1,20), der Joseph »einen Engel des Herrn« erscheinen läßt? Der Engel ist also ein Astronaut. Oder der Bericht von der »unbefleckten Empfängnis«? In der Astronauten-Version wird daraus »natürlich« eine künstliche Befruchtung. Was sonst?
Oder die Wolke, aus der bei der Taufe Jesu durch Johannes (Matthäus 3) eine Stimme über den Jordan ruft? Was kann das anders sein als ein Raumschiff, aus dem ein Megaphon erdwärts schallt? Oder die beiden »Männer in glänzenden Kleidern«, die bei Lukas (24) erscheinen? Astronauten! Oder der Engel bei Matthäus (28) mit einem Aussehen »wie der Blitz und sein Kleid weiß wie Schnee«? Noch ein Außerirdischer im Schutzanzug! Oder Jesus' Aussage: »Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen«? Damit können doch nur die unzähligen bewohnten Planeten im Universum gemeint sein. Oder die Behauptung von Markus (13), »der Sohn des Herrn wird auf den Wolken kommen mit großer Macht und Herrlichkeit«? Die Sache ist klar: Der Oberbefehlshaber schickt seinen Sohn im Raumschiff. Genug. Die Liste ließe sich mit beliebig vielen »Belegen« fortsetzen. Ausgemachter Unsinn Meine Stellungnahme: 1) Man muß die Evangelien texte glauben, um vermeintliches Wissen und Wirklichkeiten daraus gewinnen zu können, wie: Maria habe Jesus unbefleckt empfangen, eine Wolke, aus der eine Stimme rief, habe über dem Herrn geschwebt, ein weißschimmernder Engel sei im Grab gewesen, Jesus habe die Taten getan und die — ihm posthum in den Mund gelegten — Worte wirklich ausgesprochen. Wer nicht Wort für Wort die Texte glaubt, wer weiß, wie das »Wort Gottes« zustande kam, kann die Schilderungen nicht für Wirklichkeiten halten. Wer einen »Astronauten Jesus« aus den Evangelien abzuleiten versucht, begeht denselben Unsinn wie Richter, die aus verfälschten Akten einen Schuldspruch ableiten
und fällen. (Für den Sowjetbürger Saizew ist übrigens »glauben« eine contradictio in adjecto!) 2) Was denn hätte der Astronaut Jesus auf Erden bewirken sollen? Eine Religion, christliche oder moralische Lehrsätze bringen? Er brachte nichts Neues. Nach einem Textvergleich von Evangelien und Qumran-Texten weiß man, daß der Kern dessen, was Jesus lehrte, von der Essener-Gemeinde stammt. Überdies wären die Zutaten kein Fortschritt gewesen. Um mit Strafen zu drohen, Ängste zu verbreiten, die Hölle zur Endstation für Andersgläubige zu machen, bedurfte es nicht der Aussendung des KosmonautenJesus ! 3) Interstellare Raumfahrer hätten nach präzisem Programm operiert, aber die Helfer aus dem Raumschiff kamen zu spät, um ihren wichtigen Mann vor dem Tode zu retten. Hätte der Astronauten-Jesus mit der rechtzeitigen Hilfe seiner Brüder im Kosmos rechnen können (von der er ja wissen mußte), hätte er nicht sein Leben lang von seinem unausweichlichen Tode gesprochen. Zu unterstellen, Raumfahrer hätten den wichtigen Sonderbotschafter im Stich gelassen, heißt denn doch wohl, die Außerirdischen zu unterschätzen. 4) Falls gar die Auferstehung selbst als Beweismittel herangezogen wird, wäre das absurd. Nimmt man trotzdem einmal an, den Außerirdischen wäre es durch ihre besonderen und fortschrittlichen medizinischen Fähigkeiten (Blutkonserven, Transplantationen etc.) geglückt, den Leichnam Jesu zu verlebendigen. Hätten sie dann die Chance ausgelassen, ihre Macht selbst über den Tod in aller Öffentlichkeit zu demonstrieren? Nur einige, und die zweifelten noch, wissen überhaupt von dem Wunder der Auferstehung. Hätten Außerirdische, denen solches gelang, Jesus nicht wieder nach Jerusalem geführt und dort gezeigt und predigen lassen? Ohne Demonstration ihrer überlegenen Fähigkeiten blieb ihre beeindruckende Leistung unbekannt. Auch hatte, der Apostelgeschichte folgend, die medizinische
Wiedererweckung keinerlei Konsequenzen. Die Jünger bleiben verwirrt zurück, sie wagen sich nicht in die Öffentlichkeit. 5) Außerirdische Intelligenzen, die Weltraumfahrt in interstellaren Distanzen beherrschen, wären nicht so töricht gewesen, nur an einem Punkt unserer Erde aufzutreten, um lokal eine religiöse Mission einzuleiten. Um wirkungsvoll tätig werden zu können, hätten sie verschiedene geographische Orte angesteuert, was für sie nur eine kleine Mühe gewesen wäre, ihnen aber die einzige Möglichkeit einer großen Operation zur Religionsstiftung gegeben hätte. Weder aus dem judäischen Raum oder von anderen Orten werden aus der Lebenszeit Jesu Raumschifflandungen, Raumschiffbeobachtungen, UFOs oder ähnliche Besonderheiten in den Geschichtsbüchern vermerkt. Was dann religiöse Fanatiker nach dem Tode Jesu an Phantastereien in die Welt setzten — Jesus in Indien, Jesus in Zentralamerika — ist als Hirngespinst abzutun, denn diese »Religionsgründer« berufen sich ja wiederum auf die vielfach verfälschten Evangelien texte, die Jesus erst zum »Gottessohn« und »Erlöser« machten. Beides war er nicht. 6) Hätte ein Astronauten-Jesus, den Menschen in Judäa intellektuell weit überlegen, in die Zukunft weisen wollen, müßte er wohl Worte und Formeln in seinen Gleichnissen zur Überlieferung versteckt haben, Formeln, Chiffren, die dann ferne Generationen verstehen würden. Und sollten! »Höret, ihr Söhne und Töchter«, könnte er gesagt haben, »wenn die Zeit reif ist, zu der eure Gelehrten das kleinste Teilchen der Materie zu teilen wissen, wird der Sohn Gottes aus den Wolken erscheinen«. Selbst Wissenschaftler werden nicht bestreiten, daß planende Extraterrestrier einen JesusAstronauten mit Kenntnissen künftiger Entwicklung der Intelligenz auf unserem Planeten vertraut gemacht hätten. Stände in den Evangelien eine einzige solche Formel, eine kurze nur wie Einsteins E = mc2, ich stände an der Seite Saizews. 7) Hätten, und das ist der Weisheit letzter Schluß, die Außerirdischen wirklich ihren Mann Jesus nach Jerusalem entsandt,
um unter Einsatz großer technischer Mittel religiöse Lehren verbreiten zu lassen, dann hätten sie das Entwicklungsgebiet unter Kontrolle gehalten. Eine Kontrolle aber der Jesus-Lehre kann nicht stattgefunden haben. Das Christentum wucherte aus den Zutaten Paulus' aus, es wütete bald in grausamer Unmenschlichkeit. Nicht nur die Römer, wie sich's in den Religionsbüchern so nervenkitzelnd liest, verfolgten die Christen. Sehr bald waren es die barmherzigen Christen selber, die Abweichler vom gepachteten Glauben und alle Nichtchristen abschlachteten. Es gibt keine Heiligenliste der nichtchristlichen Märtyrer, es waren wohl zu viele ... Nein. Die Story vom Astronauten-Jesus sollten wir schnell vergessen, es hat ihn nicht gegeben, wie es auch den Erlöser Jesus nie gegeben hat. Vier Punkte Mir kam es darauf an, zu der uns kirchlicherseits präsentierten Jesus-Gestalt vier Dinge klarzustellen: a) Jesus war nicht der »eingeborene Sohn Gottes«, denn der allmächtige Gott, »Schöpfer Himmels und der Erden«, hat weder Söhne noch Töchter b) Jesus kann nicht die Funktion eines »Erlösers« gehabt haben, weil der Gedanke der »Erbsünde«, die Strafen androht und Vergeltungsakte auslöst, die nur durch Blut und Marter »gelöscht« werden kann und muß, mit der erhabenen Vorstellung vom allmächtigen und zeitlosen Gott unvereinbar ist c) Taten, Predigten und Lehren Jesu, soweit sie korrekt überliefert wurden, entstammen nicht göttlicher Inspiration, es gab sie längst vor der (angenommenen) Zeit Jesu d) Jesus war — um auch die frischeste Personendeutung zu erwähnen — kein Astronaut. Der Gedanke ist noch absurder als
alles, was so im Laufe von 2000 Jahren behauptet wurde Jesus und das aus seinem Erdenwandel initiierte Christentum sind ebensowenig göttlicher Herkunft wie die Bibel nicht das »Wort Gottes« beinhaltet. Da diese Basis entfällt, können folglich Erscheinungen weder Gott-Vater noch Gott-Sohn noch der Gottesmutter Maria zugeschrieben werden. Sie müssen anders motiviert werden.
Das WUNDER ist des GLAUBENS liebstes Kind Ich finde nicht die Spur Von einem Geist, und alles ist Dressur Goethe, Faust, Prolog im Himmel Wenn Jesus nicht der »eingeborene Sohn Gottes« war — wenn der allmächtige Gott weder Söhne noch Töchter hatte —, wenn Maria also nicht zum himmlischen Personal gehören kann, und Engel oder Erzengel schon gar nicht zum Legatenkreis der erweiterten christlichen Familie gezählt werden können, dann scheiden alle diese Heilsboten als aktive Verursacher von Erscheinungen aus. Damit ist mindestens der gängigen und so willfährig geglaubten Erklärung für Erscheinungen aus dem heilig-christlichen Ensemble die Basis entzogen. Es bleibt indessen der Tatbestand, daß an christlich okkupierten Erscheinungsorten Wunder geschehen und medizinisch unerklärbare Heilungen stattfinden. — Sind solche Phänomene dann nicht doch Beweise für das Wirken von »himmlischen Kräften« und damit wiederum Belege für die »Echtheit« der aus der christlichen Hierarchie besetzten Erscheinungen? Durch das Studium aller Deutungen schon vom Zickzackkurs theologischer Rabulistik angehaucht, baut sich mir auch diese Frage zu einer windigen Bastion auf: Wenn an einem angenommenen Erscheinungsort keine »echte« Erscheinung stattgefunden hat — also mit der Hl. Jungfrau, Jesus und Erzengeln —, oder falls die personifizierte Erscheinung nicht identisch ist mit den Figuren, die die »Seher« schildern und zu Protokoll geben, wie können dann im Namen der vorgeblich Erschienenen doch »Wunder« oder
»Wunderheilungen« stattfinden? Lourdes Ich orientierte mich vor Ort. Lourdes in den französischen Pyrenäen ist der Welt bekanntester Wallfahrtsort. Bis zu fünf Millionen Pilger reisen aus allen Ecken der Welt alljährlich dorthin. Von Tarbes aus, der Hauptstadt des Departement HautesPyrenees, führt eine breit ausgebaute Autostraße in den Wallfahrtsort, der selbstverständlich auch mit der Bahn oder dem Flugzeug zu erreichen ist. Wer eine vom Hl. Geist umwitterte Stadt erwartet, wird enttäuscht sein. Lourdes hat den Charakter eines großen Jahrmarktes, auf dem als Attraktionen — bei einem Volltreffer! — Wunder angeboten werden. Lourdes' Straßen sind immer ein einziges Geschiebe und Gedränge von Menschen, selbst nachts, wenn auch das Nachtleben nicht mehr als ein Striptease hochgespannter Erwartungen zeigt. Das Geschäft mit dem Wunder blüht, es hat immer Hochkonjunktur, seit 125 Jahren. In den zahllosen Läden gibt es Kruzifixe jeder Machart, und das Modell der am Ort aufgestellten Madonna gibt es in Serienfertigungen aller Größen, fürs Vertiko und für den Vorgarten. Es gibt keine klassenlosen Einheitsrosenkränze, es gibt sehr kostbare für die Wohlhabenden und solche für Minderbemittelte; welche wirksamer sind, entzieht sich meiner Kenntnis. Das Angebot an Diversem ist phantasievoll und unüberschaubar: Heiligenbilder und Holzschuhe, Taschen, Glocken und Teller, Sonnenbrillen, Uhren und Anhänger, Kerzen aller Variationen: Dünne und dicke, lange und kurze, violette und rosarote, gezogene und kunstvoll gedrehte, mit goldener Schrift darauf. Auf allem und jedem — Made in Lourdes — die Madonna! Ihr Konterfei auf den Kerzen wird eines Tages in Wachstränen
herabfließen, auf Holzschuhen und Tellern ist es haltbarer. Ich kenne Bars in aller Welt, und die in Acapulco, die von sich behauptet, jede Flaschenform jeden Inhalts aus aller Welt in den Regalen zu haben. Was die Form der Flaschen angeht, kann meines Erachtens kein Etablissement mit Lourdes konkurrieren: Ich habe eine derartige Ansammlung von Flaschenformaten an keinem andern Ort gesehen! Bauchige und ballonrunde Flaschen, viereckige und dreieckige, in Taschenformat, Literflaschen und Gallonen, in allen Farben, in allen Größen. Im Gegensatz zu den Flaschen mit den reizvollen Inhalten in der Wunderbar in Acapulco enthalten all diese Flaschen ausschließlich das »Wunderwasser von Lourdes«. Die Geschäftsleute wissen, was sie der Reputation des Ortes schuldig sind, genauso, was den Umsatz sichert und hebt. So nennen sie ihre Läden: »Zum Paradies« — »Unserer lieben Weihnachtsfrau« — »Zur heiligen Odile« — »Zum heiligen Camille« — »Zum heiligen Papst Paul X«! — »Zum Frieden der Welt« — »Zum heiligen Rosenkranz und konkurrenzlos in seiner Schlichtheit: »Zur heiligen Dame der Grotte«. Seit die Seherin der Madonna heiliggesprochen wurde, ist in Lourdes alles an scheinheiligem Gehabe sakrosankt. Selbst Hotels haben nicht die gängigen Namen irdischer Herbergen, eine, zum Beispiel, heißt sogar »Hotel du Vatican«. Roms Herren tragen weite Mäntel, unter die so etwas paßt, und im Hl. Offizium errötet kein Kardinal. Die Geschäftsinteressen in Lourdes sind vollsynchronisiert mit automatischem Getriebe. Angewidert von soviel exhibitionistischer Geschäftemacherei stelle ich meinen Wagen in der heiligen Garage eines heiligen Hotels für unheiliges Geld ab. Innig hoffend, daß mich trotz allem eine innerliche Erleuchtung überfalle, mische ich mich unter die Menschenmasse vor der Basilika. Wenigstens hier, auf dem »heiligen Areal«, gibt es keine Verkaufsstände und fliegenden Händler. Man wird von Kerzen- und Weihrauchduft eingenebelt,
narkotisiert. Aus Stereophonischen Lautsprechern tönen altvertraute, international bekannte Kirchenlieder, gemischt und verbunden durch Gebete. Die Eindrücke sind verwirrend. Wohin soll man zuerst schauen? Auf Wägelchen, eins wie das andere, werden Kranke, von Helfern gezogen oder geschoben, in wirklich kilometerlanger Schlange vorbeigefahren. Paternoster. Auf der großen Wiese tut sich eine Prozession mit Fahnen, Kreuz und vorangetragener Madonnenstatue, ein Priestei spricht Gebete ins Handmegaphon. Eine große, täglich mehrmals wiederholte Inszenierung. In Zehnerreihen schieben sich die Hoffnungsvollen, die Wundergläubigen, die Heilungsuchenden, ich mitten unter ihnen, schrittweise voran und warten geduldig, bis sie an den Hähnen, die in die Mauer eingelassen sind, ihre farbigen Plastikflaschen mit heiligem Wasser aus Lourdes füllen können. Manche trinken davon, fangen es in ihren Händen auf, um Kopf oder Füße damit zu benutzen. Obwohl im Freien, herrscht eine Feierlichkeit wie im Schiff einer Kahtedrale. Ringsum brennen Kerzen, Hunderte, Tausende, ein unübersehbarer Lichtertanz. Es wird nur geflüstert, gebetet und gesungen. In mehreren Sprachen verkünden Tafeln, daß man sich auf heiligem Boden befindet, wer das vergessen sollte, wird sofort von strengen Ordnungshütern zurechtgewiesen; sie sorgen auch dafür, daß Eilige sich nicht vordrängen. Jetzt bin ich am Wasserstrahl angelangt, ich habe keine Flasche bei mir, ich lasse es in meine Hände laufen. Ich beobachte meine Nebenleute. Die Gesichter sind gezeichnet von Leid und Verzückung, von Andacht und Anbetung, von Glück und Stolz, nun endlich hier zu sein. Dem Wunder so nahe. — Wasser wird hier gehamstert in Gallonen und Zehnliterflaschen. Für den eigenen Bedarf? Oder finanziert man zu Hause mit dem Verkauf in kleinen Dosen die Kosten der weiten Reise? Die Phalanx der Hoffenden schiebt sich Schritt für Schritt dem großen Ziel zu, der Grotte. Sie ist acht Meter lang, sechs Meter hoch
und zwölf Meter breit. In etwa drei Meter Höhe, rechts vom Eingang, steht die weiße Marmorstatue der Mutter Gottes, an eben der Stelle und in angeblich exakt derselben Haltung, wie sie sich bei 18 Erscheinungen zwischen dem 11. Februar und dem 16. Juli 1858 der kleinen Bernadette Soubirous [1] zeigte. — Die Wände sind feucht und glänzen, die Gläubigen küssen sie, knien am Boden und starren verzückt zur Marmorstatue empor; sie beten und manche weinen laut vor sich hin. Ab und zu werden Briefumschläge in einen Metallkorb im hinteren Teil der Grotte geworfen — Bittbriefe an die Gottesmutter. Portofrei. — In der Mitte der Grotte steht ein Altar, vor dem Kerzen brennen, Hunderte von Kerzen, die die feuchte Luft stickigheiß machen. So wie ich in diesem Augenblick das Flammenmeer leuchten sehe, so leuchtet es ohne Pause seit dem 18. Februar 1858. Wenn es ein »ewiges«Leuchten gibt, dann das in der Grotte von Lourdes. So sehr mich der schier orientalische Basar in der Stadt anwiderte, so sehr ergreift mich die Atmosphäre, der fromme Atem am Ziel der Pilger. Niemand kann so hartgesotten sein, um nicht von dem, was an den Wasserzapfstellen, in der Grotte, auf dem großen Platz und in der Basilika vor sich geht, berührt zu werden. Wieviel Kummer und wieviele Schmerzen werden hierher geschleppt, wieviel gemeinsame Hoffnung schließt die Gläubigen zusammen! Wieviel Enttäuschung werden sie als schweres Gepäck mit auf die Heimreise nehmen ... Ich setze mich auf eine Mauer, 100 Meter von der Grotte entfernt. Zehn Stunden hocke ich dort bis tief in die Nacht. Mit Einbruch der Dunkelheit ebbt der Strom der Pilger ab, und der Schimmer der Kerzen, die allüberall brennen, nimmt zu, wird zu einer großen Flamme, blendet die Augen, stimuliert den Eindruck dessen, was Lourdes ausmacht. Ständig wimmert das Weinen irgendeines unbekannten Mitmenschen aus der Grotte, auch noch lange nach Mitternacht, als ich in mein heiliges Hotel gehe.
Der Magnet von Lourdes ist die Heilige Bernadette Welcher Magnet hat die immense Kraft, Jahr für Jahr Millionen Pilger an diesen Ort zu ziehen? Dem 14jährigen Hirtenmädchen Bernadette Soubirous (1844— 1879) erschien die Madonna i8mal in der Grotte und empfing Botschaften von ihr. Am 8. Dezember 1933 wurde Bernadette von Papst Pius XI. heiliggesprochen. Mit diesem Akt anerkannte die Kirche sowohl die Echtheit der Erscheinungen wie auch einige Wunderheilungen, die in Lourdes registriert worden waren. Eine wirksamere Werbung konnte von der Zentrale in Rom aus für Lourdes nicht gestartet werden. Soweit der Arm der Kirche reicht, werden in allen Diözesen Wallfahrten und Pilgerzüge (mit verbilligten Fahrkarten) organisiert. 1858 registrierte man über 100 Heilungen, sieben davon wurden vom Hl. Offizium als »Wunder« anerkannt. (»Wunder« war nach katholischer Definition stets die Bezeichnung für eine »Durchbrechung der Naturgesetze«; weil dieser Begriff heute naturwissenschaftlich fragwürdig ist, interpretiert die Kirche »Wunder« heute als etwas »völlig Unerklärliches«). Seit 1866 werden Heilungen laufend im »Journal de la Grotte« publiziert. Unter Tausenden von angeblichen Heilungen gab die Kirche in 63 Fällen das amtliche Rubrum des Wunders. — Dr. Alphoriso Olivieri, langjähriger Präsident des »Bureau des Constatations Medicales«, sagte 1969, daß noch heute im Jahresdurchschnitt 30 Heilungen registriert würden [2]. Allerdings hat das Ärztebüro in Lourdes keinen Gesamtüberblick über alle Daten von wirklichen oder angeblichen Heilungen, weil es Angaben nur von Kranken erhält, die im Asyl »Notre Dame« oder im Spital »Unsere liebe Frau zu den sieben Schmerzen« aufgenommen werden konnten. Dort bekamen 1970 genau 49036 Kranke und 1971 44731 Leidende Quartier.
Wie ein Wunder geschieht Wie wickelt sich ein »kirchlich anerkanntes Wunder« ab? Frau Alice Couteault reiste im Mai 1952 aus Poitiers, Frankreich, mit einer organisierten Pilgerfahrt nach Lourdes. Sie war 34 Jahre alt und seit drei Jahren an Multipler Sklerose erkrankt. Unter lauter Schwerkranken war die Reise im Pilgerzug für Frau Couteault eine Tortur. Es wurde ohne Unterlaß gebetet, Marienlieder wurden gesungen, und es wurde gejammert. Verwandte und Begleitpersonal betreuten die Leidenden. Die Atmosphäre aus Leid und Schmerzen war bedrückend, trotzdem war unter allen lindernd die Hoffnung auf Lourdes wach und gegenwärtig. Schon bei der Ankunft fühlte sich Frau Couteault besser. In der Morgenfrühe des 15. Mai wurde Frau Couteault, die weder gehen noch sprechen konnte, im Wägelchen zur Piscine, zum Badebecken, gefahren. Beim Eintauchen war sie einer Ohnmacht nahe, alle Glieder zuckten. Nach dem Bad fühlte sie sich wie neubelebt. Im Wägelchen wurde sie ins Asyl zurückgefahren. Am Nachmittag machte sie einen kleinen Gang allein durch die Asylhalle, kein Arzt hätte das für möglich gehalten. Am späten Nachmittag nahm sie an der Sakramentsprozession teil, bei der alle Pilger den Segen erhalten. Plötzlich hatte Frau Couteault den Eindruck, daß sie wieder sprechen konnte, riskierte es aber nicht, weil sie befürchtete, »einzelne Worte verkehrt auszusprechen und sich damit lächerlich zu machen«. — Das Pflegepersonal fuhr sie zurück. Vor dem Hauptportal stieg sie aus dem Wägelchen und ging ohne Hilfe ins Asyl. Am 16. Mai stellte sich Frau Couteault dem Ärztebüra Unter der Leitung des Präsidenten — es war Dr. Alphori-so Olivieri — diagnostizierten verschiedene Ärzte verschiedener Nationen den Zustand der Patientin. (Jeder Arzt, der nach Lourdes kommt, kann an den Untersuchungen teilnehmen) Man las Atteste und Diagnosen von Ärzten, die Frau Couteault vor der Pilgerfahrt
behandelt hatten. Es gab Gutachten des Chirurgen Dr. Chauvenet, des Neurologen Dr. Delmas-Marsalat und von Professor Beau-chant aus ihrer Heimatstadt Poitiers. Laboranalysen waren im Dossier. Einhellige Diagnose: Multiple Sklerose, unheilbar. An diesem 16. Mai gaben die Ärzte zu Protokoll: »Der Gang und die Haltung beim Gehen sind normal. Es bestehen keine Kontrakturen. Die Patellarrefle-xe (Kniescheibenreflexe) sind normal...« Während der Folgejahre wurde die Patientin wieder und wieder in Lourdes untersucht, ihre Heilung ärztlich bestätigt. Am 10. Mai 1955 versicherten 15 untersuchende Ärzte, daß »alle subjektiven Krankheitszeichen verschwunden (sind)«. Derartige Heilungsfälle werden einem internationalen Komitee bekannt gemacht, dem etwa 10 000 Ärzte, Zahnärzte, Medizinstudenten, Pharmazeuten etc. angehören; eine jeweils andere, größere Gruppe erhält detaillierte Aufzeichnungen über Vorgeschichte der Krankheit und Heilung in Lourdes. Am 15. August 1955 stellte Professor Thiebaud, Universität Straßburg, fest: »Die Untersuchung zeigte bei der Patientin keine Funktionsstörung. Insbesondere hört und sieht sie gut, spricht mit richtiger Artikulierung.. .« Am 23. Juni 1956 trat in Poitiers die von Monsignore Vidn, Bischof von Poitiers, eingesetzte Kommission zusammen. Dem Gutachten der Mediziner folgend, stellte die Kommission die Heilung von Frau Alice Couteault »außer und über die Naturgesetze«. Am 16. Juli 1956 verkündete Monsignore Viön feierlich: »Auf Grund der uns vom Pridentiener Konzil (= Inspiration durch die Hl. Schrift) in dieser Hinsicht erteilten Autorität, unter Unterwerfung unseres Urteils unter die Autorität des Papstes erklären wir hiermit feierlich, daß die Heilung von Frau Alice Couteault, die am 16. Mai 1952 in Lourdes geschehen ist, wundebar ist und zuerkannt werden muß einer besonderen Manifestation der allerseligsten Jungfrau und Gottes Mutter Maria.«
Der Countdown für das Wunder Was soll man dazu sagen? Es ist bekannt, daß das Ärztebüro sehr strenge und genaue Untersuchungen durchführt und daß unter den Medizinern Ungläubige und Skeptiker sind. Es wird kein Heilungsfall zur Notiz genommen, dessen Krankheitsbild nicht mit ärztlichen Testaten vor dem Ereignis beschrieben ist. Das Manko der Testate ist, daß sie selten jüngsten Datums sind, sie liegen manchmal Jahre — ab Entstehung und Entwicklung der Krankheit — zurück; günstigstenfalls sind sie einige Wochen vor dem Entschluß zur Lourdes-Wallfahrt erstellt. — Stellt sich aber auch die Frage, ob denn Ärzte überhaupt eine »unfehlbare«, alle Symptome des Leidens umfassende Diagnose geben können. Welchen diagnostischen Wert hat zum Beispiel das Urteil, daß Frau Couteault an diesem 16. Mai 1952 als geheilt erscheint? Den Befunden des Lourdes'schen Ärztebüros könnte nur ein hoher Grad von wissenschaftlicher Sicherheit beigemessen werden, wenn dieselben Ärzte, die den spontanen Heilerfolg feststellen, selbst längere Zeit vor dem Wunder, den Kranken bereits observiert hätten. Aber diese streng wissenschaftliche Methode ist bei den Tausenden von Kranken, die aus aller Welt nach Lourdes aufbrechen, undurchführbar. Seit zuerst in Amerika und dann in Deutschland die von F.G.Alexander und V.von Weizsäcker entwickelte Lehre von der Psychomatik in die Medizin eingeführt wurde, ist in vielen klinischen Versuchen bewiesen worden, daß körperliche Vorgänge und organische Leiden durch psychische Antriebe unmittelbar beeinflußt werden. Durch Suggestionen (Hypnosen) können Muskelleistungen, Herztätigkeit, Absonderung von Verdauungssekreten etc. verändert werden. Genaue Beobachtungen haben gezeigt, daß sich organische
Krankheiten oft in einer krisenhaften Lebenssituation entwickeln, ja, es steht außerhalb jeden Zweifels, daß bestimmten Organkrankheiten bestimmte psychische Situationen zugeordnet sind. »Psychosomatik betrifft ein Subjekt, das sich ›seine‹Krankheit selbst formt und nicht passiv von ihr ›befallen‹ wird, jede Krankheit hat ihren wesenhaften Ausdruck in der psychischen Erscheinungsweise des lebendigen Organismus.« Diagnosen (griech. Unterscheidung) stellen kennzeichnende Merkmale eines Zustandes fest, aus ihnen lassen sich mögliche und erfolgversprechende Therapien ableiten; Diagnosen müssen und können nicht immer die Ursache einer Krankheit oder eines Leidens aufzeigen, aber erst diese letzte und absolute Erkenntnis könnte mit Sicherheit eine Heilung bringen. Würden Ärzte stets alle Ursachen der Erkrankungen erkennen können, gäbe es bald keine Kranken mehr. Wenn das Ärztekomitee in Lourdes die Befunde von vor und nach der Heilung vergleicht, vergleicht es zwei Zustände. Daraus kann es bei bester Bemühung die Ursachen für die Wendung nicht ermitteln. Hat schon die Hoffnung auf eine Heilung in Lourdes das »Wunder« eingeleitet? Ehe sich ein Leidender zu der anstrengenden Reise entschlossen hat, rumorten bereits lange Zeit vorher Fragen, Zweifel und Hoffnungen in seinen Gedanken. Hatte er sich nicht längst mit seinem Schicksal abgefunden? Hatte er nicht schon jeden Arzt, der ihm empfohlen wurde, aufgesucht? Ohne Erfolg? Sollte er mit einer Wallfahrt den letzten Versuch wagen, sein Schicksal zu wenden? Könnte ein Wunder ihm tatsächlich Erlösung von den Schmerzen bringen? Wenn in diesem Kampf zwischen Zweifel und Hoffnung der Entschluß zur Wallfahrt reift, nimmt nicht schon in diesem Augenblick die Wunderheilung ihren Anfang? Setzt nicht schon jetzt eine Veränderung der psychologischen Einstellung zur Krankheit ein?
Auf eine solche Möglichkeit repliziert Dr. Alphoriso Olivieri [3], »daß die Hypothese einer Autosuggestion oder Hetero-Suggestion keinerlei Wahrscheinlichkeit« habe; er verweist auf Frau Couteault, die klar erkannt habe, daß sie an einer unheilbaren Krankheit litt, fügt aber hinzu, daß sie »seit ihrer Abfahrt und während ihrer Pilgerfahrt ein grenzenloses Vertrauen in die Wirksamkeit der Bäder« in Lourdes gehabt habe. In diesen Zeilen steckt ein erheblicher Widerspruch! Warum und weshalb kann man Autosuggestion oder Hetero-Suggestion kategorisch als Ursache der Heilung ausschließen, wenn man gleichzeitig zugibt, daß die Kranke »grenzenloses Vertrauen in die Wirksamkeit der Bäder« hatte? »Grenzenloses Vertrauen« ist eine leicht akademisch verbrämte Umschreibung von »Glauben«, und »Glauben« ist, so die Kirche, eine persönliche Überzeugung, ein Vermuten im Gegensatz zum Wissen. »Glauben« ist demnach Selbstbeeinflussung und die ist Autosuggestion. Warum also einen entscheidenden Grund für die Ursachen von Heilungen mit gespaltener Zunge wegreden? Gabriel Gargam — ein Paradefall? Die Wunderheilung des Gabriel Gargam nimmt in den Annalen von Lourdes einen besonderen Rang ein, denn Gargam war nicht gläubig und wurde doch geheilt. Am 17. Dezember 1899 raste auf der Strecke Bordeaux — Paris ein Expreßzug auf einen Zug, der einer Panne wegen im Bahnhof Angouleme aufgehalten war. Der Bahnpostschaffner Gabriel Gargam wurde 20 m weit aus dem zermalmten Postwagen in den Schnee geschleudert. Stunden später fand man den Bewußtlosen. Im Krankenhaus stellten die Ärzte weder eine Fraktur noch eine Luxation (Verrenkung) der Wirbelsäule fest, wohl aber eine Lähmung der unteren Extremitäten und einen dumpfen Schmerz in der Niere; das Schlüsselbein war gebrochen, der Körper von
Schnittwunden übersät. Monate lag Gargam im Spital. Er konnte nicht schlucken und wurde künstlich ernäht, er magerte zum Skelett ab; in den Beinen hatte er kein Gefühl. Im August 1901 entließ man ihn, weil er eine Operation ablehnte. — Von den Französischen Staatsbahnen bekam er eine Abfindung von 60 000 Francs und eine Jahresrente von 6000 Francs [4]. — Auf Drängen der Familie, besonders seiner Mutter, ließ sich Gargam widerstrebend nach Lourdes bringen. Dort wurde er am 20. August 1901 in Lourdes-Wasser getaucht. Er wurde ohnmächtig. Während der nachmittäglichen Sakramentsprozession stand er plötzlich von der Bahre auf, wankte mühsam herum und verlangte zu essen. In drei Monaten nahm er zehn Kilo zu. Seine Heilung war von Dauer. Gargams Fall steht in Kontrast zur Heilung von Madame Couteault. Sie brachte »grenzenloses Vertrauen«, also die Fähigkeit zur autosuggestiven Heilung mit — er glaubte nicht, er ließ sich widerwillig nach Lourdes transportieren. Also doch ein Wunder? Dr. Franz L. Schleyer [5], der 232 Heilungen unter Mithilfe ärztlicher Kapazitäten untersuchte, kam zum Schluß, daß bei Gabriel Gargam »offenbar auf der Basis eines schweren Traumas (Schock mit leibpsychischer Reaktion) psychogene Mechanismen in Gang gesetzt« wurden, deren Störungen schließlich in Lourdes gänzlich beseitigt wurden, nachdem die organischen Folgen des Traumas schon vorher weitgehend ausgeheilt worden waren. Psychogene Störungen sind seelisch bedingt. Während seines langen Spitalaufenthaltes und danach hatte Gargam sich innerlich einer Heilung widersetzt; er war deprimiert und überzeugt, daß er den Rest seines Lebens im Rollstuhl verbringen müßte. Er hatte sich selbst aufgegeben. (Solche »Flucht in die Krankheit« ist gerade in unserer Zeit ein signifikantes Phänomen!) Mit Gargams Bereitschaft aber, sich nach Lourdes bringen zu lassen, war der Widerstand gegen die Gesundung bereits gebrochen. Allmählich nahm das motorische Nervensystem seine Funktion wieder auf. Der »Schock«
des Bades im Lourdes-Wasser gab ihm den (positiven) Rest: Der Wille zum gesunden Leben war wieder da. Ein Wunder? Das Ende eines Leidens, herbeigeführt durch ein Mittel, das kein Arzt auf einen Rezeptblock schreiben kann. Frauen — die Hauptklientel Dr. Schleyer ermittelte bei seinen Untersuchungen, daß »zwischen 16 und 45 Jahre alte Frauen den Hauptanteil der Lourdes-Kranken« stellen. Von 232 untersuchten Fällen gehörten 185 dem weiblichen Geschlecht an. Dr. Schleyer erklärt das so: »Offenbar handelt es sich bei den Kranken von Lourdes vorwiegend um einen ganz bestimmten, durch eine abnorm leichte Auslösbarkeit vegetativer Reaktionen gekennzeichneten Typ junger Frauen mit langjährigen Leidensgeschichten, in deren Verlauf diesen Asthenike-rinnen (Menschen von schmächtigem Körperbau) — häufig mit nur geringer Begründung — mannigfache ernste Krankheiten andiagnostiziert werden (es ist zuweilen erstaunlich, wie viele verschiedene Krankheiten eine einzige Patientin vor ihrer Lourdes-Wallfahrt gehabt haben soll).« Am Anfang schloß die Kirche die Heilung nervöser Krankheiten von der Anerkennung als Wunderheilung aus. Die ärztliche Forschung ist ihr in die Quere gekommen. Seit die Medizin weiß, daß Neurosen auch organische Krankheiten auslösen können, deren Ursachen sich aus der Vita des Kranken und seinen Konfliktsituationen eindeutig klären lassen, daß Neurosen in der Persönlichkeit des Patienten motiviert sind und meistens weder medikamentös noch operativ erreichbar sind, ist jede wunderbare Heilung kein Wunder mehr. Mit dem Fortschritt der Medizin wird es immer seltener echte Wunderheilungen geben. Fällt mir der kluge Satz des alten Seneca ein, den wir in der Schule lernten: »Felix, qui potuit rerum cognoscere causas« — Glücklich der, welcher die Gründe der Dinge zu erkennen vermocht hat!
Das Wunderwasser -Trinkwasser! Wasser (besonders plötzlich aufgetauchte Quellen) spielt an Erscheinungsorten eine legendäre Rolle. Das Hydrologische Institut, das Lourdes' wundertätiges Wasser physikalisch und chemisch untersuchte, gab am 8. Oktober 1964 diese Analyse ab: Wasser mit fast neutralem pH-Wert (Maßzahl für die Konzentration freier Wasserstoff-Ionen) Gehalt an freiem Kohlendioxyd schwach Kein gasförmiges Kohlendioxyd Wasser mittlerer Kalkhärte (etwa 14') Leichte Mineralisierung, im wesentlichen aus Kalziumkarbonat Gehalt an Sulfaten und Chloriden sehr gering Gehalt an gelöstem Eisen und organischen Stoffen normal Keine Einwirkung von Baumaterial oder Kanalanlagen Fazit: Ganz gewöhnliches Trinkwasser, das keine balneologische Wirkung haben kann! Warum kein echtes Wunder? Lourdes ist mit seinen Wunderheilungen weltberühmt, doch kein Einzelfall. Wo immer an Erscheinungsorten eine »wundertätige Madonna« aufgestellt wird, geschehen alsbald Wunder mannigfacher Art, wird bald von Heilungen berichtet. Das Bild ist etwas schief, hat aber den Vorzug, auszudrücken, was geschieht: Wo Seher heilige Visionen hatten, sprießen Kapellen und Kirchen aus dem Boden. Man kann es kaum erwarten, dem Gewünschten, Geglaubten und Erhofften eine adäquate Dekoration hinzubauen. Im Handumdrehen wächst eine bigotte Welt, für die »schizophren« in seinem Wortsinn vom »gespaltenen Seelenleben« zutrifft. Gebete mit konkreten Wünschen werden formuliert — und erhört. Votivtafeln, die so oft hübsch und naiv gemalten Dankgaben an wunderspendende Heilige, dekorieren in langen Reihen die Wände der Kirchen als Bestätigung empfangener Wohltaten. Quittungen
für kleine und große Wunder. Wände für Beschwerdetafeln all jener, die nicht erhört wurden, gibt es nirgends. Das ist bei der heiligen Genossenschaft der Hausherren verständlich: Enttäuschte Hoffnungen sind kein Bardepot für die Religion, die Wunder angeblich erst möglich macht. Mir wurde kein Fall eines echten Wunders bekannt, daß etwa ein Amputierter sein Bein oder seinen Arm wiederbekommen hätte. Solche echten Wunder dürften doch bei den erstklassigen Adressen der Wunderwirkenden, die allesamt auf den allmächtigen Gott zurückgehen, weder unmöglich noch Hexerei sein. Die gläubigen Lourdes-Chronisten [6, 7, 8, 9] wenden ein, daß selbst ein solches Wunder die Skeptiker nicht überzeugen könnte: Da hätte Jesus den Lazarus von den Toten auferweckt, und trotzdem hätten alle, die nicht dabei waren, dieses unerhörte Wunder nicht geglaubt (Joh. 11,1 ff.) Daß bei der Art der Entstehung des »Wort Gottes« die Skepsis sogar Jesus selbst erreichte, ist eigentlich nur verständlich. Unter den Skeptikern, die nicht wahrhaben wollten, daß Jesus auferstanden wäre, befand sich auch der Apostel Thomas: »Wenn ich nicht an seinen Händen das Mal der Nägel sehe und lege meine Finger in das Mal der Nägel und lege meine Hand in seine Seite, werde ich es nicht glauben« (qoh. 20 —24 ff). Jesus erschien und forderte den Ungläubigen auf, seine Hände in die Wunden zu legen. Folgt man den Evangelien, dann lag dem Gottessohn entschieden daran, einen Skeptiker zu überzeugen. Warum eigentlich sollte bei dem anmaßenden Anspruch, schwer verifizierbare Wunder bewirken zu können, nicht — once for all! — einmal nur auch ein mißtrauischer, wissenschaftlich fundierter Mediziner durch ein zweifelfreies, evidentes Wunder überzeugt werden, einer, der kein Quentchen Glauben, aber eine große Portion an Wissen mitbringt?
Heilung oder Euphorie? Seit Oktober 1917 geschehen in Fatima, Portugal, 170 km nördlich von Lissabon, Wunderheilungen. Hier nur zwei absurde Beispiele aus den Akten: Da Fräulein Cecilia Augusta Goveia Trestes, 22, aus Torres Novas seit Jahren an Lungentuberkulose, Bauchfellentzündung und Bauchwassersucht litt, hatte die Familie in richtiger Einschätzung der Lage schon einen Sarg bestellt. Obwohl Ärzte nicht helfen konnten, wurde Fräulein Trestes am 13. Juli 1923 nach Fatima transportiert Am Wunderort rührte sich nichts. Auf dem Heimweg allerdings meldete sich bei der bisher Appetitlosen ein regelrechter Heißhunger. Gierig verschlang sie den Proviant der Begleitung. Nach einer halbstündigen Verdauungspause wurde die wortkarge Cecilia Augusta redselig, begann sogar zu lachen und zu singen. Eine Woche spätei war sie gesund [10]. Ob dieser überraschende Wechsel — alle Anzeichen deuten darauf hin — von einer der Medizin wohlbekannter Euphorie, dem plötzlichen subjektiven Wohlbefinder Schwerkranker, ausgelöst wurde, steht nicht in den Akten, auch nicht, wann und wo sie schließlich ihren Leider erlag. Schnapswunder? Schnapsidee! Ein 3ojähriger aus Camara de Lobos von der Insel Madeira war chronischer Alkoholiker. Ärzte prophezeiten ihm eine sichere Leberzirrhose mit letalem Ausgang. Der junge Mann soff unbekümmert weiter, täglich eine Flasche Schnaps. Da griff seine gläubige Frau ein: Sie mischte unter die tägliche Schnapsration einige Tropfen Fatima-Wasser. O Wunder, von Stund' an war dem Säufer sein Alkohol verekelt. Er wurde 70 Jahre alt [11]. Ich glaube nicht an Wunder. Wunder geschehen nicht von selbst,
sie werden gemacht, sie haben immer eine Ursache, die auch meistens zu entdecken ist. Das Schnaps-Mirakel aber paßt in kein Schema, darum zitiere ich es. Hier kommt man nicht mit Glauben, Autosuggestion oder hysterischer Einbildung über die Wunderhürde. Aber es wäre ein Weltschlager: Man nehme ein paar Tropfen Fa-tima-Wasser. .. und der Alkoholismus könnte von der Suchtliste der Weltgesundheitsbehörde gestrichen werden. Endlich eine gründliche Reform, die nichts kostet. Schnaps-Wunder sind Schnaps-Ideen. Sie geraten von Menschen, die Okkultem zugeneigt sind, durch fabelhafte Erzählungen (ich habe es selbst gesehen!) in die Literatur ... und gelegentlich auch in offiziöse Akten. »Heilungen« dieser Sorte sind stets unüberprüfbar, doch behaupten sie sich hartnäckig in der Märchenliteratur von Wundern. Betroffene Personen, die man fragen könnte, sind längst gestorben — Angehörige, geschmeichelt, eine Wunderheilung in der Familie zu haben, nicken mit verklärtem Augenaufschlag: Ja, ja, das wird über den Verstorbenen berichtet... Immerhin, Stoff für einschlägige Traktate sind und bleiben auch Schnaps-Wunder. Seher-Kinder sind aktiv Seit 1940 wurde in Fatima die runde Summe von 1500 Heilungen registriert, von vorgeblichen Heilungen. Wie in Lourdes, wird der Ärztekommission auch hier nur eine vergleichsweise geringe Zahl von »Heilungen« bekannt, und auch hier taxiert man das Verhältnis von »geheilten« Frauen zu Männern auf 70:30 Fälle. Woran mag es liegen? Beten Frauen inbrünstiger? Oder tragen Evas Töchter mehr (eingebildete) Krankheiten, die von verzweifelten Ärzten, die nichts Konkretes fanden, bestätigt wurden, vor die Madonna? Es sei klargestellt: Außergewöhnliche Heilungen an Erscheinungsorten werden nicht bestritten. Es sei aber auch noch mal klargestellt: Da Mitglieder der Heiligen Familie nicht Ursache
von Erscheinungen sind, können sie auch nicht Ursache von Wunderheilungen sein, die ja kraft Erscheinungen geschehen. Trotzdem tun sich Wunder im Namen christlicher Heilsfiguren. Die Zeitschrift »Kinder von Fatima« [12] bringt periodisch Meldungen von Heilungen, bestätigt den Neuzugang von Votivtafeln oder zitiert aus Briefen von Personen, die versichern, durch Anbetung und Anrufung christlicher Gestalten Hilfe oder Heilung empfangen zu haben. In diesen Zeitschriften-Bulletins liest man nicht nur die Namen von Maria, Jesus, Erzengeln und einigen Heiligen! Häufig wenden sich Dankadressen auch an verstorbene Seher-Kinder, die Bitten aller Art prompt erfüllen, obwohl sie von der Kirche bisher weder selig- noch heiliggesprochen wurden, also noch ohne Lizenz und Appo-probation tätig werden. Der Knabe Francisco, der 1917 mit den Mädchen Jacinta und Lucia der Erscheinungen von Fatima teilhaftig wurde, starb 11 jährig am 4. April 1919. — Gläubige rufen Francisco im Gebet an und behaupten, durch seine Fürbitte geheilt worden zu sein. Beispiele für Franciscos emsiges Wirken: J. N. R. Madeira. — Er erlangte durch die Fürbitte des Hirtenknaben Francisco die Gnade der Heilung für seinen schwerkranken Sohn. A. R. C. Minho. — Er betete zu Francisco, damit er durch seine Fürbitte eine Freundin von der Operation verschone. Die Bitte wurde erhört. M. A. Utrecht, Holland. — Wurde zur Operation ins Spital gebracht, die aber durch Franciscos Fürbitte überflüssig wurde. L. P. Ljubljana, Jugoslawien. — Durch Franciscos Fürbitte verschwanden Leber- und Blasenschmerzen. D. G. Sidney, Australien. — Durch Franciscos Fürbitte überlebte der Sohn einen lebensgefährlichen Autounfall. Der Knabe Francisco hat schon einige 100 Fälle wirksamer Hilfeleistungen auf seinem Konto. Auch seine Freundin Jacinta,
10jährig gestorben, wird angerufen und erhört nicht minder eifrig Wünsche und Bitten der Pilger. Die Kirche sammelt Belege Die Kirche sammelt alle Danksagungsbelege mit Akribie, denn sie werden in den Selig- und Heiligsprechungsprozessen vom Vertreter des heiligen Anliegens benötigt. Erhörte Fürbitten sind keine Indizien, sie sind Beweise — also jeder Fall zu den Akten! — Der Seligsprechungsprozeß für Francisco und Jacinta ist in Vorbereitung. Kein Kenner der Materie zweifelt daran, daß die beiden Seher-Kinder später auch einen achtbaren Stammplatz auf der Weltrangliste der Heiligen bekommen. Bis dahin wird freilich noch viel Zeit vergehen, und die beiden müssen tüchtig Wunder wirken. Die Kirche am Nervenzentrum ihrer sichtbaren Macht Die Kirche entscheidet nicht nur, was »echte« Erscheinungen sind, sie bestimmt auch, was ein »Wunder« ist. 1870 wurde die Definition dessen, was als Wunder zu gelten hat, im Vatikan festgeschrieben: Das Wunder steht »Im Widerspruch zu den Naturgesetzen«. Punktum. Aber diese Definition ist über 100 Jahre alt, sie hat Patina angesetzt wie die Türme der Kirchen. Der Mensch kommt der Natur mehr und mehr auf die Schliche, ja, er lernt sogar, Naturgesetze nach seinem Willen zu manipulieren. Darum habe ich begründete Hoffnung, daß man in 100 Jahren nichts mehr als »Wunder« bezeichnen kann. Zur Zeit laufen im Vatikan rund 1200 (!) Verfahren zur Seligoder Heiligsprechung.
»Bank des heiligen Geistes« - eine der Filialen in Rom. Der Glaube an ihn soll diesmal den Kontoinhabern Sicherheit geben. Die Bank ist im Besitz des Vatikans.
Fatima. — Die Kinder Jacinta Martos, Francesco und Lucia Santos hatten am 13. Juli 1917 zur Mittagszeit ihre erste Marienerscheinung. Am 13. Oktober 1917 erlebten 70 000-80 000 Pilger das Sonnenwunder.
Die regenschweren Wolken rissen auf, und in einem Stück blankgeputzten, blauen Himmels begann das Feuerwerk der rasenden Sonne. Am 13. Mai und 13. Oktober jeden Jahres ist Fatima ein großer Garten der Hoffnung.
In dieser Grotte hatte Bernadette Soubirous vom n. Februar bis 16. Juli 1858 insgesamt 18 Marienerscheinungen an der Stelle, an der heute die Marmorstatue von Hoffenden verehrt wird. In den Nächten erleuchten Scheinwerfer die Wasserzapfstelle, aus der in Flaschen aller Variationen »Wunderwasser« abgefüllt wird. Normales Leitungswasser. Ein Kerzenstand mit deutschem Text, es gibt ihn in allen Umgangssprachen. Das Kerzenlichtermeer leuchtet seit 1858. Massenumsatz ist auch eine Hilfe für die Kirche.
Unterhalb der Wallfahrtsbasilika wimmelt es Tag für Tag von Tausenden von Pilgern - 5 Millionen im Jahr. Auf dem Platz vor der Basilika schieben Helferinnen und Helfer gehunfähige Patienten in Wägelchen zum Wunder.
Eine der vielen täglich nach Fahrplan, mit Megaphonen und Gesängen ablaufenden Rosenkranzprozessionen. Zur heiligen Odile - zum heiligen Basken ... mit Heiligen wird in Lourdes alles an den Mann gebracht, Flaschen, Rosenkränze, Holzschuhe . . .
Dich t neben Gebet und Hoffnung gedeiht das profane Geschäft mit dem Wunder, aber das ist kein »Wunder« bei dieser ausgetüftelten, bewährten Inszenierung. Autos aus aller Welt. Devotionalien nach Wunsch und auf allem und jedem: ›made in Lourdes‹, -die Madonna.
An keinem anderen Ort der Welt habe ich eine derartige Ansammlung von Flaschenformaten gesehen: bauchige und ballonrunde, viereckige und dreieckige, in Taschenformat und Gallonen, in allen Farben und Größen . . . für das wundertätige Wasser. An Devotionalien gibt es nichts, was es nicht gibt: Heiligenbilder und Holzschuhe, Taschen, Glocken, Teller und Sonnenbrillen, und auf allem und jedem: die Madonna.
Rekonstruktion der Tempelanlagen von Epidauros. Die Ruinen lassen die enorme Größe des heiligen Bezirks ahnen, in dem der Gott Asklepios die Kranken im Heilschlaf kurierte. Wunderheilungen 2350 Jahre vor Lourdes!
Die Tempelanlagen von Epidauros vermitteln selbst in ihren grandiosen Ruinenfeldern noch eine Vorstellung von der gigantischen »Poliklinik«, die die freundlichen Heilgötter hier mit der wundersamen Therapie des Heilschlafes erfolgreich betrieben. Die Heilgötter waren vortreffliche »Ärzte«.
Statue des Heilgottes Asklepios, des Chefs der göttlichen Poliklinik.
Votivtafeln aus vorchristlicher Zeit. Der Wunsch, sich für Wunder zu bedanken, ist uralt.
Votivtafeln ›La Madonna della Guardia‹, Genua - ›Santuario della Rivelatione‹, Rom - und in ›Madonna del Divino Amore‹ bei Rom. So bedankt man sich in christlicher Zeit.
Vor über 300 Teilnehmern schwebte das Medium Mr. Collin Evans RochesterSquare-Tempel in London im Jahre 1938 meterhoch über dem Boden.
Dr. von Schrenck-Notzing machte bei seinen Experimenten Blitzlichtaufnahmen, die Materialisationen des Mediums Eva C. zeigen. Die »Englische Gesellschaft für psychische Forschung«, London, machte unter Leitung von Sir William Crookes solche Aufnahmen mit vier Kameras gleichzeitig.
Bei Mama Rosa in San Damiano.
Hellenistische Mysterienkulte kannten bereits das Abendmahl, Brot mit dem Kreuzzeichen (spätere Hostien) wurden gereicht. Es war ein Essen und Trinken des Leibes und Blutes ihres Gottes. Und damals ahnte man von Jesus noch nichts. - Die Madonna mit Kind wurde in mehreren Religionen lange vor Erfindung dieses christlichen Kultes verehrt. Zwei asiatische Madonnen-Darstellungen mit Kind Modelle für katholischen Marienkult}
»Mama Rosa« ist offensiditlidi erfolgreidi tätig. Die lange Südwand des Gehöftes ist mit Votiv-tafeln bestüdu: »Maria hat geholfen!« In allen mir bekannten Spradien sind die Dankadressen abgefaßt. Audi ohne kirchenamtliche Approbation sdieint »Mama Rosa« auf gutem Fuß mit dem Wunder zu stehen.
In dieser Grotte bei Tre-Fontane, Rom, hatte der Trambahnsdiaffner Bruno Cornacchiola 1947 Marienerscheinungen - ein gut frequentierter und erfolgreicher Wallfahrtsort. Die Dankesrufe der Votivtafeln beweisen es!
5. Mai 1974: Besuch bei der Hellseherin Jane Dixon in Washington DC.
Mit Ausnahme von 2, 3, 4, 31, 32, 33 (historische Fotos) sind alle Aufnahmen von Erich von Däniken.
Rund 12 000 (!) Heilige gibt es bereits. Seit Papst Benedikt XIV. 1738 das Werk »Über die Seligsprechung und Heiligsprechung der Diener Gottes« veröffentlichte, gilt die Regel, daß für jeden Heiligen nach dessen Ableben mindestens zwei Wunder nachgewiesen werden müssen. Alle, die jetzt auf der Warteliste der 1200 »Fast-Heiligen« stehen, haben es ungleich schwerer als ihre Vorgänger. Was früher leicht als Wunder abgenommen wurde, das bringt heute jeder bessere Heilpraktiker fertig. Auch ein Heiliger zu werden, ist nicht mehr so einfach wie früher. Fällt mir der Schülerslogan ein: »Tempora mutantur, nos et mutamur in Ulis.« Die Zeiten ändern sich und wir uns mit ihnen ... Pater Pio Was tut die Kirche, wenn einer ihrer Diener schon zu Lebzeiten Wunder über Wunder wirkt? Wenn er von den Gläubigen ohne allerhöchsten Segen wie ein Heiliger verehrt . .. und angebetet wird? Sie duldet es. In eingeweihten Kreisen gilt es als absolut sicher, daß Francesco Forgione, der unter dem Namen Pater Pio zu Weltruf kam, in die Gemeinschaft der Heiligen aufgenommen wird. Pater Pio bewirkte während seines Lebens so viele Wunder, daß er längst vor der Kanonisation zum (lebendigen) Heiligen stilisiert wurde. Francesco Forgione wurde am 25. Mai 1887 in Pietrel-cina geboren — er starb als Pater Pio am 23. September 1968 im Kloster San Giovanni Rotondo, »fast auf den Tag fünfzig Jahre, nachdem er die Wundmale des Herrn empfangen hatte. [13] Über Francescos Jugend ist, gewollt oder zufällig, wenig bekannt; er selbst sagte von sich, er wäre ein »maccherone senza sale« (schlapper Kerl) gewesen. Die Kapuziner sprechen nicht über die Entwicklung ihres »heiligmäßigen Mitbruders«, aber schon während seines Noviziats drang die Kunde in die Außenwelt, daß »seltsame Phänomene« den jungen Bruder auszeichneten, denn
»Tage und Tage hindurch verzichtet dieser blasse und ausgezehrte Novize auf Nahrung ... In Venafro lebt er 21 Tage nur von der heiligen Eucharistie«. Seine schwache Gesundheit läßt ihn unter plötzlichen Fieberanfällen leiden, die »regelmäßig die Thermometer des Klosters platzen« ließen; der Pater Krankenpfleger versuchte es mit einem stabilen Badethermometer, dessen Quecksilber auf 48 (!) Grad anstieg. Die Nächte in den Klosterzellen waren aufregend. »Schreckliche Ungeheuer tauchten von allen Seiten auf, sowie er, der heiligen Regel gehorchend, etwas zu ruhen versuchte.« Wundmale im Weinberg Pater Pio weilte zur Erholung auf dem Bauernhof seiner Eltern. Am 20. September 1915 rief ihn seine Mutter zum Mittagessen, er trat aus einer Hütte im Weinberg, »wobei er die Hände hin und her bewegte, als ob er sich verbrannt hätte«. Die Mutter erkundigte sich, was geschehen sei, und Pio antwortete, daß er nur unbedeutende stechende Schmerzen empfinde. »In Wirklichkeit aber hatte Pater Pio eben unsichtbare Wundmale erhalten«, heißt es in dem mit höchsten kirchlichen Imprimaturen versehenen Buch. Diese unsichtbaren Male brechen später blutend auf, während er im Chor seiner Brüder in der letzten Reihe sitzt. Als Pio vortritt, bluten seine Hände, zeigen sich an den Füßen Wundmale und eine tiefe Schnittwunde an der rechten Seite. »Pater Pio è un santo!« rief die Menge. Pater Pio ist ein Heiliger. Fotos der Wundmale gingen ans Heilige Offizium. (Heute das Büro der Glaubenskongregation, früher hl. Inquisition.) Pater Pio wurde befohlen, sich von Ärzten untersuchen zu lassen und sich der Neugier der Gläubigen zu entziehen. Ärzte prüfen, versiegeln die Verbände auf den Malen. Schließlich wird festgestellt, daß sich »diese Art von Läsionen« (Verletzungen) dem »Zugriff der Wissenschaft« entziehen. Alle Tage verliert Pater Pio eine Tasse voll Blut. Tagsüber trägt er kastanienfarbene Handschuhe über den
sichtbaren Malen. Eine Universal- Begabung Pater Pio verfügte so ziemlich über alle Fähigkeiten, die die Wissenschaft heute unter dem Sammelbegriff »parapsychologische Phänomene« zusammenfassen würde. Er war Seher und Prophet, Telekinet und Telepath, Wundertäter und Fernheiler in einer Person. Der Pater konnte kein Englisch, verstand aber, was amerikanische Boys ihm sagten. Er wußte schon vorher, was die bußbereiten Beichtkinder ihm gestehen oder verschweigen würden. Einem Mann sagte er auf den Kopf zu, daß er sich mit dem Gedanken trug, seine Frau ermorden zu wollen. Bei einer Frau, die vor einer schweren gynäkologischen Operation stand, hörten spontan die Blutungen auf und Pater Pio prophezeite ihr, daß sie einen Sohn gebären werde. Ein Jahr später brachte sie den Knaben zu ihm ins Kloster. Alberto de Fante, offizieller Chronist von San Giovanni Rotondo, berichtet, ein Mann habe in Pios Beichtstuhl für seinen ungläubigen Neffen um Hilfe gebeten, der mit dem Tode rang und den die Ärzte aufgegeben hatten. 24 Stunden später war der Neffe durch eine »unbestreitbare« Heilung genesen. Eine Frau, die ihre vom Vormerkungsbüro aufgetragene Wartezeit von drei Tagen — Pio war stets auf Wochen ausgebucht — abkürzen wollte, indem sie sich lautweinend in die Menge zwängte, stellte Pater Pio und befahl ihr, schnell heimzugehen, denn es wäre alles in Ordnung. Als die Frau nach Hause kam, war ihr Mann, für den sie hatte bitten wollen, geheilt. Die Zahl der »wunder«baren Berichte ist groß. Da verließ ein Mann abends nach der Beichte das Kloster und sah sich vor einem Wolkenbruch; er wartete, weil er nicht pitschnaß werden wollte. Da trat Pater Pio zu ihm und sagte, er solle getrost gehen, er würde ihn begleiten. Als der Fremde in seiner Herberge ankam, wunderten
sich die Leute, daß er nicht tropfnaß war. Die Gastgeber verstanden sofort: »Ja dann, wenn Pater Pio Ihnen das gesagt hat. ..« Pater Pio vermochte aber auch in umgekehrter Weise zu zaubern: An einem Wintermorgen erreichte eine Büßerin durch strömenden Regen das Kloster. Pio berührte sie an der Schulter und zur Verblüffung derer, die dabeistanden, waren die Kleider der Signora »in einem Augenblick völlig trocken geworden«. Auch Bilokation war Pater Pio offensichtlich nicht fremd. Die Autorin des imprimierten Berichtes weiß, daß der Pater zum großen Erstaunen der Menge, die auf ihn wartete, auch »verschlossene Türen durchschreiten« konnte, wodurch er auf »elegante Weise Lästige von der Spur abbringen und Neugierige abschütteln« konnte. »Wo waren Sie denn, Padre? Man suchte Sie überall!« — Pater Pio lächelte: »Ich ging vor euch auf und ab, ihr aber habt nichts davon bemerkt.« Selbst Wohlgerüche zauberte der leidende Pater (»Ich leide, wenn ich nicht leide.« Pio über Pio) in vermiefte Stuben. — Der Arzt Dr. Romanelli fand es unschicklich, daß Pater Pio, wie er vermutete, Parfüm benutzte. Ein Kapuziner klärte ihn auf, daß das Blut Pios mit »diesen Wohlgerüchen« erfüllt wäre. Als ein Dr. Festa ein Stück vom Blute Pios getränkten Leinens mit nach Rom nahm, um es im Labor untersuchen zu lassen, fragten Mitreisende, was denn hier so gut röche. — Im Juli 1930 duftete plötzlich ein Wohnzimmer in Bologna nach Rosen und Narzissen. Eine Kranke war eben aus San Giovanni Ro-tondo zurückgekehrt. Der himmlische Duft hielt eine Viertelstunde an, dann konnte das Mädchen ihren kranken Arm wieder bewegen. Das Duftphänomen sei nicht zu bezweifeln, weil die Zahl der Zeugen über vier Jahrzehnte hin sehr groß gewesen sei. Offenbar ist, um mit Michael Faraday (1791 —1867) zu sprechen, »nichts zu wunderbar, um wahr zu sein«. Und Papst Benedikt XV. nahm alle Prozesse vorweg: »Pater Pio ist wahrhaft ein Mann Gottes.«
Die Wundmale der Stigmatisierten Pater Pio trug die Wundmale Christi unter den Augen von Zeitgenossen. Sein berühmter Vorgänger, Franz von Assisi (1182— 1226) war mit den ersten aktenkundigen Stigmen behaftet; er wurde schon zwei Jahre nach seinem Tode heiliggesprochen. Seine Wundmale sind Legende, der Heilige, der »mit den Vögeln sprach«, singt längst im Chor der Engel. Seit Franz von Wundmalen gezeichnet wurde, soll es etwa 350 ähnlich Belastete gegeben haben. — Nicht alle Stigmatisierten tragen »echte« Male. So soll die Schlagzeilen machende Therese Neumann (1898— 1962) aus Konnersreuth in der Oberpfalz, Deutschland, eine Betrügerin gewesen sein. Der Theologe Dr. Josef Hanauer [14] äußert den Verdacht, die »Resel« habe sich selbst die Wunden aufgekratzt, weil sie oft die Besucher aus dem Zimmer schickte, um dann bei deren Rückkehr die blutenden Wunden vorzuzeigen. Inoffiziös heißt es, Resel habe während der Fastenzeit 1926 die Stigmen bekommen und an Freitagen außerhalb christlicher Festzeiten Erscheinungen der Leidensgeschichte des Herrn gehabt. Berichte von Frommen, die an Händen, Füßen und unterm Herzen die Wundmale des Gekreuzigten trugen, sind zu häufig und von so vielen Zeugen bekundet, als daß man sie als Nonsens abtun könnte. Die »Wundmale Christi« (Gal. 6,17) sollen schmerzen wie die Wunden der Geißelung, Dornenkrönung und An-nagelung ans Kreuz; sie bluten vorzugsweise an Freitagen und sind, heißt es, durch Wundbehandlung nicht heilbar. Stehen wir nun vor der Festung eines uneinnehmbaren Wunders? Vorweg sei zugegeben, daß eine eindeutige Klärung stigmatischer Phänomene noch nicht vorliegt; dafür umgibt sie ein zu dichter, wohlgehüteter okkulter Schleier.
Die heilige Krankheit Man muß wissen, daß in früher Zeit kultische, religiöse Handlungen nachweislich um angeblich von Dämonen besessene Menschen entstanden. Die Epilepsie (Fallsucht mit plötzlichen Krämpfen), wurde morbus sanctor, die »Heilige Krankheit«, genannt, weil die davon Befallenen oft Erscheinungen von Luzifer, Geistern, Göttern und Engeln hatten. »Es ist bekannt, daß auch Mohammed an epileptischen Anfällen litt und deshalb von seinem Volk für gottnah gehalten wurde. Er selbst berichtet im Koran von seinem Aufenthalt im Paradies.« [15] Professor O. Prokop sagt, daß in epileptischen Dämmerzuständen die Erlebnisse meist religiöser Art sind und daß solche Menschen zur Askese neigen. (Ein Charakteristikum für Stigmatisierte!) Durch Atemtechnik können sie — »infolge einer Verschiebung des Säure-BasenGleichgewichts« — die dämonischen Anfälle herbeizwingen. Drei Krankheitsbilder Auch die Katatonie, eine Form der Schizophrenie, gekennzeichnet durch Unruhe und Erregung, wirkt auf religiös Fixierte durch die Entwicklung besonderer, gezielter Kräfte. »Die Faszination ist wohl um so wirksamer . .. als der Schizophrene ohne Intelligenzverlust auf seine Umgebung einwirkt.« Professor Prokop und andere erwähnen als drittes Krankheitsbild die Hysterie als eine echte Erkrankung psychischer Natur. Hysterikern schreiben sie eine »ausgeprägte Lust (zu), beachtet, geliebt, gelobt und anerkannt zu werden, ferner ihre Freude an der Fähigkeit, die Menschen durch eigene ›Reize‹ an sich zu ziehen . .. und so läßt sich erklären, warum die religiösen Märtyrer nicht nur ihre Martern ertrugen, sondern ihnen ›freudig entgegengingen«. Vielfach belegt ist ferner die Tatsache, daß Hysteriker so gut wie schmerzunempfindlich sind.
Meiner Ansicht nach gibt die kurze Beschreibung dieser Krankheitsbilder wesentliche Hinweise auf den prädisponierten Zustand derer, die von Stigmen heimgesucht werden. Alle drei Krankheitssymptome weisen auf eine Schädigung oder Störung des Nervensystems hin. Nun bezeichnen schon simple Nachschlagewerke einen »Stigmatisierten« als Menschen mit überempfindlichem Nervensystem (vegetativ Stigmatisierte), die dazu neigen, auf seelische und andere Reize mit Störungen (Stigmen) zu reagieren. Der Parasympatbicus, Teil des vegetativen Nervensystems, sorgt — auf entsprechende Reize oder Befehle vom Gehirn — z. B. für Verengung der Lidspalte, läßt Tränen und Speichel fließen, beschickt aber auch die Geschlechtsorgane usw. Im Zustand gesteigerter Spannung (Vagotonie) sprechen die vom parasympathischen Nervensystem versorgten Organe schon auf geringe Reize an, es kann zu Organstörungen kommen. Abnorme Spannungszustände (Dystonie) der Muskeln und Gefäße sind typisch für geschwächte vegetative Nervensysteme, sie äußern sich durch Störungen an den Organen .. . und auf der Haut als Blutüberfüllung, Blutandrang, Blutstauung (Hyperämie). Um den kurzen medizinischen Exkurs abzurunden, sei auch noch auf die Hyperästhesie mit ihrer krankhaft gesteigerten Empfindlichkeit für Berührungen als Folge verschiedenster Erkrankungen des Nervensystems hingewiesen.
Schlüssel zur Lösung? Resümieren wir. In allen mir bekannten Schilderungen von Stigmatisierten wird spontane Erregbarkeit ebenso vermerkt wie die Entwicklung besonderer Kräfte. Daß sie ausnahmslos eine — gewollte oder nichtgewollte — Faszination auf die Umwelt ausübten, steht außer Frage. Empfanden sie nicht auch eine demütige Freude, »beachtet, geliebt, gelobt und anerkannt zu werden«? Konnten sie ihre Fähigkeit, durch eigene »Reize« (=
Stigmen) die Menschen an sich zu ziehen, leugnen? Wie anders als durch eine gegebene Krankheitssituation vermochten sie Schmerzen zu ertragen? Unterlagen nicht auch ihre körperlichen Funktionen Befehlen und Reizen des Nervensystems? Die Summe dieser Krankheitsbilder versetzten meiner Überzeugung nach die Stigmatisierten in Streß-Situationen, die den ganzen Körper beeinflußten. Professor Dr. Hans Selye, Direktor des Instituts für experimentelle Medizin und Chirurgie der Universität Montreal, der »Vater der Streß-Forschung«, beschreibt solchen Zustand: »Streß äußert sich immer durch ein Syndrom, das heißt eine Summe von Veränderungen, nicht durch eine einzelne Veränderung. Eine isolierte Einwirkung auf irgendeine Einheit des Körpers ist entweder Schädigung oder Anreiz zu erhöhter Leistung.« [16] —Daß alle möglichen Verästelungen durch Autosuggestion zum endlichen Effekt gebündelt werden, braucht beim heutigen allgemeinen Erkenntnisstand — etwa durch das populäre autogene Training — nur am Rande erwähnt werden. Bio-Feedback Am 14. Oktober 1973 sprach ich im Plaza-Hotel in New York mit Professor Dr. Josef Brudny, Rehabilitations-Experte der Universität New York. Sie heilten ohne chirurgischen Eingriff einen jungen Mann, der seines gebrochenen Rückgrats wegen seit Jahren an den Rollstuhl gefesselt war. Sind Sie ein Wunderdoktor? Mit Wunder hat das Ganze überhaupt nichts zu tun. Wenn man in diesem Zusammenhang von Wunder sprechen kann, dann ist es die Macht des Gehirns über den Körper. Tatsächlich meine ich, daß die Macht des Gehirns die letzte ungezähmte Bestie dieses Planeten ist. Wie haben Sie den Patienten von seiner Lähmung erlösen können? Ich schloß ihn ans elektromyographische Feedback und trainierte
mit ihm in viel Geduld. Was soll ich unter dieser Maschine verstehen? Das ist ein elektronisches Gerät, das am ehesten mit einem Enzephalographen zu vergleichen ist. Es registriert gewisse biologische Abläufe, zum Beispiel Herzschlag oder Blutdruck, gibt aber zusätzlich dem Patienten Signale, sobald eine Veränderung der gemessenen Ströme eintritt. Schlägt zum Beispiel ein Herz plötzlich langsamer als es sollte, dann vernimmt der Patient über Kopfhörer einen rhytmischen Piepton wie er den eigentlichen Herzintervallen entspricht. Sofort reagiert das Gehirn und befiehlt dem Herzen, im suggerierten Rhythmus zu schlagen. Das Gehirn befiehlt also dem Herzen, wie schnell es zu schlagen hat? Der menschliche Organismus ist wie ein kybernetisches System mit seinen Steuerungs- und Regelmechanismen, ein ständig in sich geschlossener Kreislauf von Funktionen. Das Gehirn befiehlt etwa den Muskeln, so oder so zu reagieren. Selbst erhält es seine Informationen von Sensoren aller Art, durch Berühren, Tasten, Sehen, Riechen, Hören, Schmerzempfinden und so weiter. Setzt beispielsweise das Herz aus, registriert das Gehirn sofort eine Panik-Situation. Es gibt intensive Rückbefehle an den Herzmuskel, und der gehorcht, falls nicht außergewöhnliche Umstände, etwa die Verstopfung einer Arterie, den Befehl inhibieren. Meinem Kollegen Dr. B. Engel vom San Francisco Medical Center der Universität Kalifornien ist es gelungen, bei vielen Patienten den Herzschlag willentlich, also suggestiv, zu verlangsamen oder zu beschleunigen. Die Versuchsperson fleht vor sich rote, grüne und gelbe Lichtsignale. »Gelb« entspricht dem normalen Herzrhythmus des Patienten. Befiehlt der Versuchsleiter einen rascheren
Herztonus, läßt er die rote Lampe aufleuchten und spielt über Kopfhörer der untersuchten Person einen simulierten schnelleren Herzschlag zu. Die Versuchspersonen geraten in eine audovisuelle Faszination: Sie wollen dem Befehl der roten Lampe und dem Pochen in den Kopfhörern nachkommen. In wenigen Sekunden zeigt die mitschreibende Herzkurve ein Diagramm mit schnellerem Herzrhythmus, als er dem. Normalzustand der Person entspricht. Auf diese Weise kann man den Pulsschlag verlangsamen, den Blutdruck verändern, Hitze oder Kälte an die Hautoberfläche kommandieren .. . oder eben, wie im Falle des gelähmten jungen Mannes, sukzessiv die Lähmung überwinden. Das sind fundierte medizinische Erfahrungen, keine Wunder. Wir nennen diese Methode »Bio-Feedback«. Wunsch, Wille und Suggestion Wahrhaftig, den Stigmatisierten ist nicht der geringste Vorwurf zu machen, daß sie von den Ursachen und dem Entstehen ihrer Wundmale nichts ahnten und ahnen, und Bio-Feedback, das direkte Schlüsse erlaubt, ist eine ihnen unbekannte Methode. Dem in religiöser Verzückung Lebenden ist nicht bewußt, wie sich aus seinen psychischen Fixierungen auf die gepriesenen und angebeteten großen Vorbilder (denen ähnlich zu werden seine Manie ist), allmählich pathologische Veränderungen an Zellen und Geweben des Körpers vollziehen. Daß eine täglich und über Jahre hinweg getätigte Hetero-Suggestion, die so selbstverständlich wird, daß sie unbewußter Teil der Existenz ist, schließlich auch Wundmale hervorbringen kann, liegt durchaus im Bereich medizinischer Möglichkeiten. Wie an »Wunderheilungen« sind auch an »Stigmatisierungen« überwiegend Frauen beteiligt. Mögliche Motivationen wurden schon genannt. — Wenn religiös Fanati-sierte, ob Frau oder Mann, sich mit aller Inbrunst wünschen, die Wundmale des Herrn zu
bekommen — stimuliert durch optische Zeichen, die die Darstellungen des blessierten Herrn am Kreuz ihnen auf Schritt und Tritt geben — gereizt durch akustische Signale, die in Gebet und Gesang das Bild des Gekreuzigten schildern, wird irgendwann die »Bestie Gehirn« gehorchen und Befehl geben, Äderchen und Blutgefäße so reichlich mit Blut zu beschicken, daß sie anschwellen und zum ersehnten Happy-End kleine rote Tröpfchen durch die Epidermis treten lassen. Über allem dominiert der Wille zum Leiden und der innige Wunsch, die Schmerzen des Erlösers nachzuempfinden. Der bedeutende englische Chirurg Richard Serjeant [17] fragt: »Muß man zur Erlangung des Seelenheils unbedingt leiden? ... Rechtfertigt das den Schmerz? In der Laienhierarchie des christlichen Himmels steht das Heer der Märtyrer an dritter Stelle nach den Aposteln und Propheten. Märtyrertum ist also das einzige Mittel für den gewöhnlichen Menschen, dort hineinzukommen.« — Der Wille, durch Leiden, Schmerzen und Askese, kurz: durch Märtyrertum in die Gemeinschaft der Seligen zu kommen, ist eindeutig das Wesen Stigmatisierter. Wundmale Tragende haben einen eisernen Willen. Stigmen als Show-Attraktion Verlassen wir die religiöse Enklave, um an einem profanen Beispiel zu demonstrieren, was ein eiserner Wille fertigbringen kann ... In den 20er Jahren wurde im westdeutschen Kohlerevier der Bergmann August Diebel durch schlagende Wetter beim Einsturz eines Stollens verschüttet. Zwei Tage und zwei Nächte wartete er auf Rettung. Der rechte Oberschenkel und ein Teil des Fußes waren von Gesteinsbrocken eingeklemmt. Der Bergmann suggerierte sich, die Schmerzen nicht wahrzunehmen, aber er spürte, wie die Gliedmaßen gefühllos und kalt wurden. Nun konzentrierte er die ganze Kraft seines Willens darauf, Blut in den »tauben« Schenkel zu
dirigieren. Zunächst empfand er starke Schmerzen, die er negierte, registrierte dann aber wiederkehrende Wärme und Gefühl. Bei der ärztlichen Untersuchung stellten sich zur allgemeinen Verblüffung Schenkel und Fuß als gut durchblutet heraus, er kam ohne Amputation davon. Durch das Unglück hatte der Bergmann an sich eine Fähigkeit entdeckt: Mit suggestivem Willen konnte er Körperpartien schmerzunempfindlich machen (Fakire!), aber auch Blut an von ihm gewollte Stellen leiten. Er trainierte diese Fähigkeiten und wurde eine internationale Varieteattraktion. Daß Artisten sich auf der Bühne mit Nadeln und Schwertern durchbohren lassen, war keine Novität. Dieser Mann aber produzierte mit äußerster Konzentration unter atemloser Spannung des Publikums die klassischen Stigmen auf der Hautoberfläche. In jeder Vorstellung. Mittwochs und sonntags zweimal. Das Variete»wunder« ging mit einem Nervenzusammenbruch des Mannes zu Ende. Clevere Manager wollten die Darbietung überperfekt machen, der Artist sollte auch blutige Tränen weinen. Weil auch mit äußerster Willensanstrengung kein Blut durch die Hornhaut zu pressenwar, ließen die Geldschneider vor jeder Vorstellung einen obskuren Augenarzt in die Garderobe kommen, der winzige Perforationen in den Augapfel stichelte. August Diebei weinte einige Male blutige Tränen, aber dann versagten seine Nerven. Auf die Tränen kommt es bei dieser profanen Story nicht an, aber sie beweist, daß ein von eisernem Willen besessener Mensch Male auf die Hautzwingen kann. Die Lust, heilig zu werden Professor Dr. H. J. Campbell [18], Physiologe an der Londoner Universität, hat überzeugend nachgewiesen, daß das Gehirn bei Mensch und Tier auf Lustgewinn aus ist. — Der Embryo beginnt sein intrauterines Wachstum mit einem vergleichsweise
überdimensionierten Kopf, dessen graue Gehirnmasse den Körper nach programmierten Baumustern wachsen läßt. Schon bei der Geburt sind die 3 Nervenbahnen, die Lustgewinn zu erreichen bestrebt sind, ausgebildet. Vom ersten Krähen des kleinen Menschen an setzt der Erfahrungsprozeß mit seinen Reaktionen auf Lust- oder Unlusterlebnisse ein. Fortgesetzt und ziemlich rücksichtslos füttert die Umwelt — Eltern, Onkel, Tanten, Lehrer und Pfarrer — den Computer »Bestie Gehirn« mit menschlichen Verhaltensregeln und Moralgesetzen. Außerdem müssen Entdeckungen, die ihm die Sinnesorgane melden, in winzigsten Zellen des Gehirns gespeichert werden. Aus allen »Meldungen« ans Gehirn werden für künftiges Verhalten fixierte Reaktionen programmiert. Verhaltensweisen wie diese: Das darfst du nicht tun, das mußt du tun — das darfst du sagen, jenes nicht — dies sollst und mußt du glauben, jenes zu glauben ist verboten usw. Oder Erfahrungen wie diese: Das ist heißt du verbrennst dich — dies ist kalt, du frierst — singe, denn es erfreut dich — rieche an einer Rose, denn der Duft ist angenehm usw. Da nach Erziehen, Lernen und Glaubenslehre immer noch das Streben nach Lustgewinn dominiert, meint Campbell, daß »den Gehirn-Computern unserer Urahnen ein einziger Befehl erteilt wurde: ›Aktiviere den Lustgewinn!‹« — Campbell wendet den Begriff »Lust« streng wissenschaftlich an: Er kennzeichnet damit die bei erhöhter Stimulierung der Lustareale entstehenden Gefühle, die sich in höheren Hirnschichten abspielen. In solchem Sinne kann das Denken zu einer »Errichtung und Umwandlung von bevorzugten Bahnen im Gehirn führen und dem Individuum so die Macht erteilen, seinen Geist mit Bedacht selbst zu gestalten«. Was das Individuum für sich als Lustgewinn registriert und selektiert, bestimmt es selbst nach Veranlagung und Gusto. — Die Forschungen Camp-bells, der als Gastprofessor am Max-PlanckInstitut für Gehirnforschung, Frankfurt, und auch am College de France, Paris, arbeitete, geben für unser Thema relevante Hinweise.
Die Wege religiöser Lust Dem Christenmenschen wird vom ersten vagen Denken an der überhebliche »Glaube« aufoktroyiert, er sei die Krone der Schöpfung, er sei bevorzugt vor Andersgläubigen, denn für ihn sei der Erlöser gestorben; ihm seien besondere Gnaden vorbehalten, denn bei Gott (und der Kirche) wohlgefälligem Verhalten sei ihm der Himmel der Seligen sicher; überdies gäbe es für sein irdisches (katholisches) Leben eine unfehlbare richterliche Instanz über Gut und Böse, den Papst. Diese doktrinäre »Erziehung« geht einher mit suggestiver optischer Infiltration der kirchlichen Lehre wie durch Illustrationen des Rosenkranztextes, den das Kind lernt, mit den Leidensstationen Christi, durch Schenkung von süßlich in Farbe gedruckten Marienbildern anläßlich der Erstkommunion (Acht- oder Neunjährige nehmen erstmalig an der Eucharistie teil). Die Kirchenräume präsentieren den ganzen Pomp eines verirdischten Himmelreichs mit kunstvoll geschnitzten oder in Marmor gehauenen Darstellungen des Herrn am Kreuz, die Wundmale triefen meistens in sehr naturalistischer Darstellung von Blut. Sie zeigen Marienfiguren und Marienbilder, mit und ohne Jesuskind, Maria am Kreuz in Gethsemane kniend oder den Kopf des Leidenden im Schoß bergend. Sie bieten die plastisch oder malerisch dargestellten Figuren von Heiligen an. Unter manchen Glasstürzen liegen in vollem Ornat Märtyrer oder Schutzpatrone. Und allüberall das grafisch geniale Emblem des Kreuzes. — Die optischen Signale für die alleinseligmachende Lehre lassen den Gläubigen nicht aus: Es ist eine Lust, an diesen heiligen Leben teilzuhaben. Die Weitläufigkeit der Kirchen, in denen sich der Mensch so klein vorkommt, wie die okkulte Stimmung in anheimelnden Kapellen, zwingen zu vollkommener Ruhe, zum Relaxen, zur Meditation, zur »Hingabe an die auf die Sache zielendes
Betrachten«. Einlullend raunen Gebete der in den Andachtsbänken Knieenden. Während der Messe oder des Hochamtes zwingt eine faszinierende Regie die Anwesenden zur Aufmerksamkeit am Mysterium der Transsubstantion, der Wandlung des Weins in das Blut des Herrn. Nach so ausgetüftelter Tradition kennt das Drehbuch keine Mängel: Die Liturgie (»Dienst in amtlicher Funktion«) wickelt die geformten Teile des Gottesdienstes ab, die »kultische Vergegenwärtigung des Erlösungswerkes Christi durch die Kirche«. — Akustische Signale mit dem Wechselgesang von Priestern und Gemeinde, verstärkt und eindringlich gemacht durch den Schall der Orgel (deren fast ausschließliche Besitznahme zu den klügsten Wirkungseffekten der Kirche gehört), sensibilisieren die für die große Schau empfängliche Gemeinde. Die Texte der Lieder wühlen geradezu im schmerzhaften Leiden, ja, sie baden die Gläubigen in einem Gefühl, den Schmerz als erstrebenswerte Lust zu empfinden, um dadurch dem Erlöser näher zu kommen. Natürlich steht am Ende, meistens im Refrain, die Verheißung himmlischen Glücks! — Es ist eine Lust, zu leiden und der Schmerzen teilhaftig zu werden. Wunder sind erklärbar Die optischen und akustischen Signale, wie sie die moderne Medizin beim »Bio-Feedback« einsetzt, und der vom Physiologen Campbell nachgewiesene programmierte Wunsch im menschlichen Gehirn nach Lustgewinn, bieten meines Erachtens einleuchtende Erklärungen auch für die »Steckbriefe«, die die Seher-Kinder (und auch die wenigen erwachsenen Seher) detailliert zu Protokoll geben: Es sind »Visionen« von Darstellungen, die sie von kleinauf begleiten und verfolgen. Ihre »Botschaften« enthalten Texte und Vokabeln, die sie aus dem Theologenwelsch, das ihnen von Katheder und Kanzel infiltriert wurde, in kindlichen Vereinfachungen wiedergeben. Weil sie oft den Sinn dessen, was
sie hörten und lernten, nicht begriffen haben, verballhornen sie Predigten und Katechismentexte. Herauskommen rätselhafte, unverständliche Mitteilungen, in die überirdische Gedanken, Wahrsagungen und Prophezeiungen haarspalterisch hineingeheimnist werden. Es ist, mit der Kinderpsyche vertraut, nicht überraschend, daß es vorzugsweise die Jüngsten sind, die sich der Erscheinungen erfreuen können. Sie leben in Furcht vor dem Purgatorium, dem »Läuterungsort«, dem »Fegefeuer als Stätte der Begnadeten, die unabgebüßte Sündenstrafen haben«, (1. Kor. 3,1 5.) Kinder fürchten die angedrohte Strafe, dorthin zu kommen. Also bemühen sie sich, alles zu tun, um der Höllenqual zu entgehen; mit naiver Inbrunst und ungehemmter kindlicher Phantasie steigern sie sich in phantastische Gedanken und Unternehmungen hinein; sie wünschen sich nichts sehnlicher, als den wunderschönen Gestalten der Kirchenwelt Auge in Auge zu begegnen. Täglich erfuhren sie aus rührend-schönen Legenden von begnadeten Menschen, denen Mitglieder der Hl. Familie gegenübertraten. Diese Legenden erzählten ihnen Pfarrer und Religionslehrer, Funktionäre der Kirche, und die Kirche lügt nicht. (Märchen mit grausamem Inhalt, jeder Psychologe weiß es, können bei Kindern Angstneurosen auslösen.) — Aus der Phantasie wächst nun das Lustgefühl, wunderbare Erlebnisse herbeizuzwingen. In voller sinnlicher Anschauung erleben die Kinder dann »plötzlich« Wahrträume, die einen überraschenden Wahrheitsgehalt (nämlich die Gestalten, Symbole und Worte ihrer Religion) haben, »der außerhalb der normalen Erscheinung zu liegen scheint«. Die Objekte der Wahrträume sind von der träumenden Psyche seit langem registriert, nun werden sie schlagartig zur »Offenbarung der Wirklichkeit des Unbewußten« (Herder). Das Streben nach Lust, im Falle der Kinder die Freude an der Vision, hat sich erfüllt. Es ist ungerecht, den Seher-Kindern die subjektive »Wahrheit« ihrer Visionen zu bestreiten. Wenn die Kirche »Erscheinungen«
generell nicht wünscht, müßte sie das Training auf die Erlebnisbereitschaft, den Wunsch nach der Konfrontation mit der Hl. Familie ändern oder abschaffen. Das wird sie nicht tun, da sie die sogenannten »echten« Erscheinungen sehr gut in ihrer Werbepraxis brauchen kann. Der schon zitierte Hagiograph Walter Nigg, der die Wiederkehr der Heiligen herbeiwünscht, äußert eine fromme Hoffnung, die gleichermaßen für die »Notwendigkeit« von Erscheinungen gilt: »Zwar sind sie gegenwärtig wie ausgelöscht, man redet nicht oder nur selten von ihnen. Doch wird es nicht bei diesem Verstummen bleiben, denn plötzlich werden sie wieder zu den Menschen sprechen.« — Auch die Kirche hat ihren sehr spezifischen Wunsch nach Lust, nach der Lust am Wunder. Ein Licht geht auf! In die Zelebration zur Vermehrung des Lustgewinns am Glauben sind wirksame Tricks integriert worden. Der Amerikaner Leslie M. LeCron [19] meint, für die Stimulierung einer Hetero-Suggestion (und was anders ist Andacht?) sei eine brennende Kerze am besten geeignet; sie solle so aufgestellt werden, daß sie bequem zu betrachten sei. »Die flackernde Kerzenflamme hat eine hypnotische Wirkung.« Campbell stellte experimentell fest, daß weißes Licht mit seinen vielen Frequenzen intensive Lustgefühle hervorruft: »Helligkeit steht im Gegensatz zur langweiligen Monotonie der Umgebung und ruft somit Lust hervor.« Selbstverständlich hatten die klugen kirchlichen Kultgestalter keine akademische Begründung, als sie die Lucerna, die ewige Lampe, zum »Zeichen der Gegenwart Christi als Licht der Welt« (Joh. 8,12) vor den Altären installierten. Die Kirche bewies aber während ihrer 2000jährigen Geschichte eine untrügliche Ahnung, einen sechsten und siebten Sinn, für Wirkung. Längst leuchtet nicht mehr nur die ewige Lampe im Kirchenraum. Kerzenstände bieten am Entree die wirksamen Leuchten feil. Keine Kirche, die nicht vor
Altar und Hochaltar, vor Madonnen- und Heiligenbildern ungezählte Kerzen züngeln läßt: Sie erregen die gewünschte Verzückung. An Wallfahrtsorten erzeugen Kerzenorgien orphische Mysterien, die aus einem Kerzenlichtermeer die Bereitschaft zum Wunder wecken. Lichterprozessionen leiten hohe Kirchenfeste ein. Mit dem psychologischen Wissen von heute ist es ein wirksames Stimulanz, jenen Zustand des »Außersichseins« zu bewirken, in dem auch Wunder noch eine Chance haben, geglaubt zu werden. Psychodrama Phänomene sind einzukreisen, insonderheit jene Massenerlebnisse mit Wunderheilungen, die so viele Zeugen auf den Plan rufen; es ist der Kohäsion auf die Spur zu kommen. Ich will mich nicht auf das weite uferlose Feld der Psychologie begeben, doch möchte ich mit Schlaglichtern einen Sektor behandeln, der Antworten auf Fragen geben kann — ich denke an die psychotherapeutische Methode des Psychodramas. Eine Gruppe von Patienten führt schauspielerisch ihre Konflikte vor, um sich dadurch von Frustrationen und Neurosen freizumachen. Die Therapie bewirkt einen Heilprozeß. Diesem so modernen Gedanken begegnet man schon bei dem griechischen Philosophen Aristoteles (384 v. Chr. — 322 n. Chr.). Aristoteles erkannte, daß Ideen nicht außerhalb des Körpers, sondern in ihm als bewegende Kraft wirken. Seine Idee von der Entelechie (= formende Kraft), die er auf die Naturlehre übertrug, setzte er in seiner Sittenlehre durch, die Jahrhunderte überdauerte. Danach ist der Geist stofflose Energie = die erste formende Kraft. Die Tragödie, so Aristoteles, erziele durch die Kartharsis (= Reinigung), der Entscheidung zwischen Gut und Böse, eine heilsame wunderbare Wirkung. (Psychodrama!) Privatdozent Dr. Ploeger [20] erläutert den Vorgang:
»Unausgesprochene Voraussetzung dafür bei den Zuschauern ist ihre Einfühlung (Identifikation) mit dem Helden, dessen Handlungen sie bejahen und mit ihren eigenen Idealen und Motiven in Übereinstimmung finden.« (Derartige Identifikationen gibt es an allen Erscheinungsorten — mit Mitgliedern der Hl. Familie!) Die Heilung bringende dramatische Darstellung der Konflikte in aristotelischem Sinne erzeugt Wirkungen wie das heute in westlichen und östlichen Ländern praktizierte Psychodrama. Heilung von Tao, dem Welturgrund In der chinesischen Philosophie des vierten und dritten vorchristlichen Jahrhunderts gab es den Begriff des Tao, was etwa Bahn oder Weg bedeutet. Tao war der Welturgrund, der allen Erscheinungen zugrunde lag, aber der verstandesmäßigen Erkenntnis entzogen war. In dieser Philosophie stand das Yin Yang (Dunkel und Helle) für das Positive und Negative. Wie Professor Ilza Veith [21] in seinem Essay »Psychiatrie Thought in Chinese Medi-cine« berichtet, haben sich die Chinesen den Schöpfer nie wie andere Kulturvölker als Gestalt vorgestellt, die Gehorsam und Anbetung forderte. Durch keinen strafenden und rächenden Gott in der Urbeziehung gestört, suchte der Chinese in der additiven Kraft gleichgestimmter »Seelen«, in der Gruppierung seiner Familie und Freunde, Erbauung und Heilung aus dem Welturgrund in einer Selbsthypnose. Auch hier wirkte der Geist einer Gemeinschaft, die auf einen Gedanken fixiert war, und die Heilung wurde als Wunder genommen. Das sind beispielhafte Entwicklungsstufen zum Psycho-drama mit seinen »Mechanismen zwischenmenschlicher Beziehung« [22]. Autogenes Training und Tempelschlaf Von solider Tradition ist auch das autogene Training, das in diesen
Zusammenhang gehört. Der Göttinger Neurologe Johannes Heinrich Schultz (1884—1970) führte diese Art von Selbsthypnose, die durch eine bestimmte innere Einstellung zur Entspannung führt, in die allgemeine Anwendung ein. Sie hat in der Inkubation, dem Tempelschlaf, der Antike eine ungefähre Entsprechung. Der Tempelschlaf brachte im Traum göttliche Offenbarungen und Heilungen von Krankheiten, (ineubare: sich an einem geweihten Ort niederlassen.) Die Inkubation wurde in der Antike zur Entspannung durch ein Bad eingeleitet. (Lourdes und anderswo!) »Die eigentliche Inkubation wurde im Abaton, dem allerheiligsten Raum des Tempels, in ruhender Form vollzogen.« (Haben Kirchen und Altäre eine andere Wirkung?) — Dr. von Schumann [23] sagt, daß Muskelentspannung und Einschlaferlebnis bei der Inkubation (wie beim autogenen Training) in enger Korrelation stehen müssen, dann nämlich konnten die »auf religiös-magische Heilung kritiklos eingestellten suggestiblen und gläubigen« Patienten von Störungen befreit und geheilt werden. Bei der Inkubation verhielt sich der Heilungsuchende passiv und »erwartete in magischer Weise von Gott Asklepios ... die Heilung«. — Man setze beispielsweise an die Stelle von »Gott Asklepios« den Namen »Bernadette Soubirous«, und man meint, einen Bericht über die Vorgänge in Lourdes zu lesen. Freundliche Heilgötter Der Gott Asklepios (Äskulap) wirkte in dem ihm geweihten Heiligtum in Epidauros, der im Altertum berühmten Stadt am Saronischen Golf; er »arbeitete« aber auch in den Tempeln in Knidos, Kos, Pergamon, Sikyon, Nau-paktos und Athen. Er betrieb viele Filialen, in denen alles, was vorkam, geheilt wurde. Es kamen Blinde, Lahme und Taube, Wassersüchtige, Organkranke, solche, die Bandwürmer hatten und die ihren Haarausfall beklagten.
Immer mußte der vielbeschäftigte Gott Mirakel vollbringen ... wie heutzutage Heiligenstatuen an Wallfahrtsorten. Rabbi Ben Akiba pflegt zu sagen: Alles schon dagewesen ... Der Epidauros-Tempel mit der Inschrift: »Komme als guter Mensch, gehe als besserer« war seit 500 v. Chr. ein Wallfahrtsort für Heilungsuchende, das Lourdes des »Goldenen Zeitalters« der griechischen Kultur. Außer dem Chef — Asklepios — selbst wirkten »freundliche Heilgötter« während des Heilschlafs Wunder. Kurt Pollack [24] schreibt: »Die Wunderheilungen kamen bevorzugt bei Blinden, Tauben, Gelähmten, Schlaflosen und anderen Leidenden vor, die man heute in das große Heer der Neurotiker und Vegetativ-Stigrnatisierten einreihen würde. Der göttliche Arzt brachte die Heilung vielen, denen die irdischen Ärzte nicht hatten helfen können .Die guten unter den Asklepios-Priestern sind erfahrene Menschenkenner gewesen, die die seelische Beeinflussung der Kranken ausgezeichnet beherrschten. Sie waren in einem gewissen Sinne, ohne es zu wissen oder zu wollen, Vorläufer der heutigen Psychotherapeuten.« — Muß man diese Art von Wundern einst und jetzt kommentieren? Die Kirche kennt die Historie. Heilung mit Musik Den Pythagoräern des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts war schon die psychotherapeutische Wirkung der Musik bekannt. (Ich höre förmlich die Klagegesänge in Lourdes!) — Der syrische Philosoph Iamblichos überlieferte diesen Status: »Die Phytagoräer gebrauchten die Musik wie ein Heilmittel; und es gab bestimmte Weisen gegen die seelischen Leiden, nämlich solche gegen Schwermut und nagenden Kummer, diese galten als die hilfreichsten — andere wiederum gegen heftige Gemütsbewegungen und Leidenschaften und gegen jegliche Art seelischer Verwirrung. In gewissen Tonweisen und Rhythmen, durch welche Sinnesart und Stimmung der Menschen gebessert
und der seelische Zustand in die anfängliche Ordnung zurückversetzt wird, fand Pythagoras Mittel der Beschwichtigung und Heilung von Krankheiten des Leibes und der Seele.« Wie sich die Bilder gleichen! Was heute Heilige und ihre Adlaten an Wundern tun, vollbrachte — mit gleichen bis ähnlichen Methoden, doch ohne jede christliche Assistenz — Asklepios mit seinen Jüngern in Epidauros! Glücklicherweise, weil damit belegbar, fühlten sich auch die in antiken Tempeln Geheilten zu ähnlichen Danksagungen verpflichtet wie die an Erscheinungs- und Wunderorten Genesenen: Auch sie bedankten sich mit Votivtafeln! — 165 n. Chr. stand der griechische Schriftsteller Pausanias aus Magnesia in Kleinasien vor den Ruinen von Epidauros. Im zweiten Band seiner Beschreibung Griechenlands (Periegesis tes Hellados) notierte er: »Es standen innerhalb der Umzäunung des Heiligtums in alter Zeit noch mehr Schriftplatten als zu meiner Zeit. Jetzt sind nur noch sechs übrig. Auf ihnen sind die Namen von Männern und Frauen vermerkt, die von Asklepios geheilt wurden, dazu auch die Krankheit, die jeder hatte, und wie er geheilt wurde. Verfaßt sind die Tafeln in dorischer Sprache.« 1928 fand man bei Ausgrabungen in Epidauros diese sechs Steintafeln mit den Dankesinschriften: Ambrosia von Athen, einäugig. Kam als Bittfleherin zu dem Gott. Als sie im Heiligtum umherging, lachte sie über einige Heilungen als unwahrscheinlich und hielt es für unmöglich, daß Lahme und Blinde gesund werden sollten, da sie nur einen Traum gesehen hätten. Nachdem sie im Heilraum geschlafen hatte, kam sie gesund heraus. Euhippos trug eine Lanzenspitze sechs Jahre im Kiedend und schlief im Heilraum .. . Als es Tag geworden, kam er gesund heraus. Euphippos trug eine Lanzenspitze sechs Jahre im Kiefer. Nachdem er im Heilraum schlief, ging er gesund heraus mit der Lanzenspitze in den Händen. Hermodikos von Lampsakos, am Körper gelähmt.
Diesen heilte Asklepios, als er im Heilraum schlief, und befahl ihm, wenn er herauskomme, einen Stein in das Heiligtum zu bringen, den größten, den er fände. Da brachte er den, der jetzt vor dem Heiligtum liegt. Alketas von Halieis. Dieser war blind und schlief im Heiligtum. Als es Tag geworden war, kam er gesund heraus. Arate von Lakonien, Wassersucht. Für diese schlief ihre Mutter, während sie selbst in Lakedämon war, und sah einen Traum ... Als sie nach Lakedämon zurückkehrte, traf sie ihre Tochter gesund an; dies hatte denselben Traum gesehen. Aristokritos aus Halieis. Dieser war ins Meer hinausgeschwommen und beim Tauchen an einen Ort gekommen, von dem kein Ausweg war. Darauf schlief sein Vater, da er beim Suchen nirgends auf den Knaben stieß, bei Asklepios im Heilraum ... Als er aus dem Heilraum herauskam ... fand er den Knaben am siebenten Tag auf. Eine illustre Gesellschaft Die durch Wunder Genesenen verhielten sich 500 Jahre v. Chr. nicht anders als heute, und auch die Wunder waren damals von derselben Qualität wie heute, wenn christliche Hüter »echter« Wunder das auch gar nicht gern hören. Damit der Gott Asklepios nicht allein als Kronzeuge für vorchristliche Wunderheilungen auf weiter Flur steht, möge er illustre Gesellschaft bekommen. Es wird gelegentlich übersehen, daß Apollo nicht nur der Gott strahlender Jugend, der Dichtung und Musik, sondern auch Gott der Heilkunde und Weissagung ... und der Sohn des Asklepios war; er ging also in keine schlechte Schule. — Apollo war ein angebeteter Heilgott, dem man im achten Jahrhundert v. Chr. im Heiligtum von Delphi einen Tempel errichtete, in dem sich selbstverständlich Wunder taten: Taube lernten zu sprechen, Nierensteine gingen auf geheimnisvoll-natürliche Weise durch den Harnleiter ab, glatzköpfige Griechen erflehten und bekamen
üppigen Haarwuchs [25]. (Ein cleverer Börsianer sagte mir, nach der Erfindung von Nähnadel und Reißverschluß gäbe es nur noch eine Erfindung, durch die man Milliardär werden könnte: Ein Haarwuchsmittel. Vom geschwätzigsten Figaro der Welt lassen sich Gebete j zu Apollo und Papa Asklepios nicht als kosmetische Wundermittel verkaufen) In den großen Heiligtümern der ägyptischen Toten- ] Stadt Theben wurde der Heilgott Amphiaraos verehrt — im Tempel des Ptah von Memphis fand man Danksteine, ! auf denen Geheilte ihre Götter priesen. Darauf sind oft- , mals Füße, Beine und Hände in Stein verewigt, um die j Dankbarkeit wetterfest zu machen. Neben das Bildnis des j Ptah in Memphis wurden gleich 376 Ohren in Stein ge- j hauen [26]. Hier muß eine Poliklinik für Otologie (Ohj renheilkunde) Wunder am Fließband gewirkt haben. Gruppentherapie Allen diesen antiken Heilstätten ist das Gruppenerlebnis gemeinsam. Ich sehe darin Vorläufer zum heute praktizierten Psychodrama in einem Sinne, wie Dr. Samuel J. Warner [27] die Gruppentherapie beschreibt: »Die Gruppentherapie ist oft besonders hilfreich, denn es ist leichter, etwas gegenseitig zu erkennen, und in der Wechselbeziehung ›wäscht‹ sozusagen ›eine Hand die › andere‹ ... Diese Therapie ist nicht nur ein intellektuelles Verfahren: Sie umfaßt auch das Gefühlsleben, denn die Persönlichkeit entstand durch emotionale Erlebnisse, die die Reaktion der Drüsen und andere körperliche Nebenerscheinungen zur Folge hatten. Um in der Therapie einen grundlegenden Persönlichkeitswandel hervorzubringen, muß sie diese intensiven, wiederholten und anhaltenden emotionalen Erlebnisse von neuem berühren, damit die emotionalen Bereiche der Persönlichkeit von neuem betroffen und sich einem Wandel unterziehen werden.«
An allen Wallfahrtsorten, die ich sah, war dieses auf ein Ziel gerichtete Gruppenerlebnis bis unter die Haut zu spüren. Die Sehnsucht nach dem Wunder — als gemeinsames emotionales Erlebnis — löste unter wildfremden Menschen Wechselbeziehungen aus, die jede Scheu, auch vor lautem Jammern und Weinen, auslöschten. Menschen, für sich allein vermutlich eher introvertiert, erlebten einen Persönlichkeitswandel: Sie gaben sich ungehemmt dem allgemeinen Gefühl hin. Hier, am Ziel ihrer Hoffnung, gelang in der Masse der namenlos Leidenden der Wandel der Einstellung zu ihrem Leiden. Hier oder nie wollten sie es loswerden! Ekstatische Emotionen sind an Wallfahrtsorten der Humus, auf dem gelegentlich Undenkbares möglich werden kann. Heilige Handaufleger In diesem Zusammenhang muß auch kurz der »animalische Magnetismus« erwähnt werden, den der Arzt Franz Anton Mesmer (1734—1815) praktizierte. Mesmer schaute seinen Patienten fixierend in die Augen, lange, und übertrug dann durch Handauflegen die vom Menschen ausstrahlenden Kräfte zur suggerierten Heilung. (Auch Jesus heilte durch Handauflegen. Die katholische Kirche hat 35 Chiroteten [Handaufleger] heiliggesprochen.) Der englische Chirurg James Braid (1795—1860) erkannte, daß es sich bei erfolgreichen Heilungen nach dieser Methode um kein okkulten Hokuspokus handelte, Braig taufte sie auf den Namen Hypnose (griech. Schlaf). Der Mesmerismus wurde zu einer europäischen Landplage, weil auch solche, die nicht über heilmagnetische Kräfte verfügten, ein blühendes Geschäft daraus machten. Wie sehr aber Massensuggestion und Massenhypnose »Wunderheilungen« bewirken können, liest man in einem Bericht [28] aus dem Jahre 1784:
Die wunderwirkende Ulme in Soissons Der Marquis von Puisequr hatte sein Schloß bei Soissons zur »Magnetischen Heilanstalt« gemacht, in der er als fanatischer Anhänger der Mesmerschen Methode Heilungsuchenden helfen wollte. Der Zulauf der Kranken war enorm, die Menge quoll aus den Räumen des Schlosses. Was tun? Der Marquis hatte eine verblüffende Idee: Er magnetisierte eine ansehnliche Ulme im Dorf! »Zu diesem magnetischen Baum strömte, wie zu einem wundertätigen Gnadenbild, in jenen Tagen die leidende Menschheit diesseits und jenseits des Rheins.« — No comment. Aber: Es müssen nicht immer Reliquiare, hl. Mumien und wunderwirkende Heiligenstatuen sein, die Heilungswunder zustande bringen. Das können auch alte Ulmen, sofern der Heilungsuchende an sie »glaubt«. Faustens Satz paßt wie die Faust aufs Auge: »Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind!« Suggestion Autosuggestion Hypnose An Erscheinungsorten sind bei Wunderheilungen, ob die Kirche es wahrhaben will oder nicht (auch bei den attestierten »echten« Wundern), Suggestion und Hypnose als eine Spezies der Suggestion allgegenwärtig. Suggestion ist, um es genau zu definieren, eine Beeinflussung der Denk-, Gefühls- und Willensabläufe, die »zu ungeprüfter Übernahme von Überzeugungen, Werteinstellungen oder Verhaltensweisen führt«. Im Fall affektiver Zuneigung (und die sprüht an Wallfahrtsorten aus allen Knopflöchern und Ärmeln!) »öffnet sich der Mensch unwillkürlich Erscheinungsformen und Ideen. Massensituationen, auch Zustände gesteigerter Affekterregung, haben verstärkende Wirkung ... Autosuggestion ist Selbstbeeinflussung durch affektbetonte Erwartungen und Wunschdenken«. Und was kann Hypnose? Sie kann »leicht Illusionen und Halluzinationen
hervorrufen. Das Gedächtnis wird enthemmt. Bei innerer Bereitschaft sind die meisten Menschen hypnotisierbar.« Diese Definitionen sind Diagnosen der Pilger an Wallfahrtsorten. Was aber sagt die Kirche? Sie behauptet, daß »die Tatsache des großen Wunders in der katholischen Kirche für den unvoreingenommenen Untersucher unleugbar feststehen« muß [29]. Ich halte diese Anmaßung der Kirche mindestens für ungeschickt. Wenn in unserer an Nervenleiden, an neurotischen Organerkrankungen und körperlich schädigenden Depressionen so überfrachteten Zeit von allen Erscheinungsorten — bewirkt durch Suggestion, Autosuggestion und Massenhypnose — in jedem Jahr nur ioo Heilungen (auch wenn sie keine »Wunder« sind!) gemeldet werden, dann erfüllen doch die Medien der Kirche — Madonnen, Reliquien, Quellen usw. — einen guten, wunderbaren Zweck! Die Kirche vergibt sich nichts. Schon Naturvölker kannten Wunderheilungen Wunderheilungen sind seit Urzeiten bekannt. Professor D. Langen [30] weiß es: »Die Hypnose ist als seelische Krankenbehandlung uralt und läßt sich in der Medizin der ethnischen Kulturen (Schamanen) ebenso finden wie in den Hochkulturen Ägyptens, Griechenlands und Roms . . . Im Mittelalter verliert sich die Spur . .. Mit Franz Anton Mesmer beginnt dann eine neue Periode, die über die Fluidumtheorie und den Magnetismus animalis mit großen Schwierigkeiten zu der heute noch gültigen Suggestionstheorie der Hypnose führte ... Das Denken bleibt auf den eingeengten Punkt konzentriert, so daß hier ein Verhältnis zur übrigen gesenkten Bewußtseinslage überwacher Bewußtseinskern entsteht. Dieser wird erhalten, indem das Denken angehalten wird, sich auf einen Punkt bzw. einen Gedankenkomplex zu richten und dort zu bleiben . .. Meditation ist somit ein eingeengtes punktförmiges Denken bei
einem unterwachen Bewußtseinsstand.« Bei allen 12000 Heiligen! Sieht man denn nicht, wie sich an Erscheinungsorten die Massen mit starren Blicken auf einen »Punkt« konzentrieren, etwa auf eine Madonnenstatue? Wie sie durch Autosuggestion in eine hypnotische Absenz geraten? Empfindet man nicht mit allen Fasern, wie sich die allgemeine Bewußtseinslage senkt und zugleich überwach auf das Wunder harrt? Fast jeder Pilger ist von Beginn an der Massensuggestion verfallen; sollte einer außerhalb stehen, gerät er in den Sog des Bewußtseinsstandes des anderen. »Menschliche Individuen wirken über das sensorium commune (gemeinsames Gefühl) unmittelbar aufeinander« [31]. Das sind keine Vermutungen des Herrn von Däniken, das ist eine logische Beweiskette, die Mediziner aus Forschungen geknüpft haben. »Natürliche« Erklärungen läßt die Kirche zwar auch zu, behält sich aber die Anerkenntnis »echter« Wunderheilungen via Erscheinungen durch Mitwirkung der Hl. Familie samt hallelujasingendem Anhang vor. Unchristliche Heilung durch Willen, Konzentration und »Glauben« Paramahansa Yogananda [32] war einer der berühmtesten Yogi unserer Zeit. Seine von ihm 1917 gegründete, weltweit verbreitete »Self-Realization Fellowship« vertritt durchaus vernünftige Ansichten, die sich um einen Kernsatz des großen Yogi gruppieren: »Gott hilft denen, die sich selbst helfen. Er hat euch Willens- und Konzentrationskraft, Glauben, Vernunft und gesunden Menschenverstand verliehen, damit ihr euch bei allen körperlichen und geistigen Leiden selbst helfen könnt; alle die Fähigkeiten müßt ihr einsetzen, während ihr Ihn gleichzeitig um Hilfe anruft. Wenn ihr betet oder Heilmeditationen anwendet, sagt euch immer, daß ihr eure eigene, aber von Gott gegebene Kraft braucht, um euch selbst oder andere zu heilen.« Yogananda kannte sehr genau die Wirkungsgesetze der
Psychologie: »Man kann nie im voraus wissen, wann man geheilt wird, und sollte sich daher keine Zeitgrenze setzen. Der Glaube und nicht die Zeit wird bestimmen, wann die Heilung eintritt. Das Endergebnis hängt von der richtigen Erweckung der Lebenskraft und von der bewußten und unterbewußten Verfassung des Betreffenden ab.« Diese Kenntnisse eines Yogi, dem Weihwasser (das als Sakramentale gilt; es ist etwas Salz beigemischt) so fremd ist wie dem katholischen Priester immer noch das Glück einer Ehe, treffen den Kern der Wunderheilungen aus einem total unchristlichen Glauben, der eher ein Wissen um die entscheidenden Vorgänge der autosuggestiven Heilungen ist. — Yogananda gibt seinen Fellows eine Anweisung, wie sie an allen Erscheinungs- und Wunderorten ausgeübt wird: »Vergeßt nicht, daß ihr die heilenden Worte mit der richtigen Betonung sprechen müßt, zuerst laut und dann immer leiser, bis ihr nur noch flüstert, daß vor allem tiefe Aufmerksamkeit und Hingabe nötig sind. Auf diese Weise leitet ihr die Gedanken, von deren Wahrheit ihr zutiefst überzeugt seid, vom Gehörsinn ins Bewußtsein ... von dort ins Unterbewußtsein oder automatische Bewußtsein. Wer den nötigen Glauben besitzt, wird durch diese Methode geheilt werden . ..« Ich habe nie gehört — und nehme es auch nicht an —, daß Yogananda je in Lourdes oder Fatima oder an einem anderen Erscheinungsort gewesen ist. Doch seine Methode ist die, die dort praktiziert wird: Die Menschenmassen, die sich auf großen Plätzen versammeln, singen mit lauten Stimmen Choräle, beten stimmgewaltig den Rosenkranz oder andere fromme Sprüche; je näher sie dem Wunderort kommen, um so mehr reduzieren sie die dröhnenden Chöre; ihre Aufmerksamkeit und Hingabe richtet sich bereits aufs Ziel; was sie wünschen, ist »vom Gehörsinn ins Bewußtsein« gedrungen; nun wird nur noch geflüstert, Lieder werden fast nur noch gesummt. Und: Der »Glaube« ist hellwach
und konzentriert. In den meisten Fällen genügt dieser Glaube an die Wirkung der Heilmethode, an Erscheinungsorten der Glaube an das Wunder. Tatsächlich leitet das Unterbewußtsein (bzw. das »automatische Bewußtsein«) chemisch-elektrische Funktionen des Gehirns ein: »Wenn die Nervenimpulse ... im Gehirn eintreffen, lösen sie verschiedene chemische Reaktionen aus« (Campbell). Daß schon der Glaube an die Wirkung eines Medikamentes Heilung bringen kann, hat sich bei der klinischen Erprobung neuer Pharmazeutika oft und oft bewiesen: Personen werden in zwei Kontrollgruppen eingeteilt; die eine bekommt das neue Präparat, die zweite ein Placebo (eine wirkungsfreie Nachahmung des neuen Medikaments, meistens geschmacklich »parfümierte« Zuckerpillen von gleichem Format und gleicher Farbe). Leslie M. Le-Cron kennt das Ergebnis: »Man stellte dabei fest, daß ein großer Teil der Kontrollgruppe auf das Placebo genauso reagiert wie diejenigen, die das wirkliche Mittel genommen haben. Diese Wirkung ist auf Suggestion zurückzuführen.« Was Yogananda Paramahansa als Glaube, Willensund Konzentrationskraft beim Heileffekt nennt, bezeichnet die Medizin exakt als das, was es ist: Suggestion. Yogi und Arzt sind weit von christlichem Wundergehabe entfernt, wissen aber, wie »Wunder« zustande kommen. Paracelsus wußte es vor 450 Jahren Es ist die Sturheit, die partielle Blindheit, die ich nicht begreife. Was Theologen immer noch nicht zur Erklärung des »Wunders« klar aussprechen, war schon vor über 450 Jahren bekannt. Theophrastus Bombastus von Hohenheim (1494—1541) genannt Paracelsus, war der Begründer einer neuen Heilkunde: Er betonte den Primat der »Seele« (heute würde man »Psyche« sagen) im normalen und krankhaften Leben und erkannte erstmals die bis
dahin übersehenen pathologischen Zusammenhänge und neue Krankheitsbilder, so die Neurosen und Psychosen. In den Mittelpunkt stellte er den Menschen als Mikrokosmos. Heilung war für Paracelsus das Werk von Lebenskraft und Lebenswillen. Wie modern Paracelsus' Ansichten waren, belegen Zitate aus seiner Abhandlung über die Imaginatio [33] (Einbildungskraft) : »Der Mensch ist der Imagination unterworfen, und die Imagination, obwohl unsichtbar, unbegreiflich, wirkt sie körperlich in einer Substanz und durch die Substanz, als sei sie Substanz. Die Imagination kann Krankheit machen, schreckliche Krankheit machen, und sie kann Freude und Gesundheit machen. Daraus folgt, daß die Imagination mehr als die Natur ist und sie regiert; sie nimmt angeborene Eigenschaften weg, so daß er weder den Himmel noch die Natur der Erde kennt. Daraus folgt daß dem Arzt vieles unmöglich ist, und je stärker die Imaginationen sind, um so schwächer die Wirkung des Arztes ist. Deshalb werden viele durch den Glauben der Imagination gesund, viele aber auch krank. Durch solche Imaginierung (entsteht) der Glaube sowohl an die Mirakel der Heiligen wie an die Arznei... daß sie gesund macht und dies den Heiligen und Mirakeln zuschreibt... obwohl es alles aus dem Glauben an die Imagination gekommen ist. Mag der Glaube gerecht oder falsch sein, es liegt nur an der Stärke der Imagination. Und wenn auch ein falscher Prophet sich dem Volk beeindrucken mag, daß es ihn für selig oder heilig hält, und daraus ihre Wirkungen beziehen, in dem sie auf den Glauben der Liebe und der Hoffnung setzen, so werden diese Mirakel geschehen, nicht durch ihre Kraft, sondern durch die Kraft derer, die sich so stark in Glauben bringen. Wir wissen weiter auch, daß die, die so wunderbare Zeichen tun durch den Glauben und das nicht beschließen mit dem Befehl im
Namen Jesu »Stehe auf und sei genesen«, daß dieselben in List und Flaschheit wandeln. Denn die Mirakel, die sie tun, geschehen aus der Kraft des Kranken ihres eigenen Glaubens wegen, den die vermeinen, aus Gott zu erhalten; darum erfährt er die Gesundheit nicht durch die Gabe dessen, auf den sie Hoffnung setzen, sondern durch den Glauben, den er aufbringt. Durch solche Wirkung sind Heilige nicht allein bei den Christen, sondern auch bei den Türken, Dauern etc. Darum ist nicht die Person des Propheten oder Heiligen anzusehen, sondern der starke Glaube dessen, der gesund geworden ist und ohne falschen Glauben, denn das ist eine Abgötterei. Sonst nämlich ist keine Krankheit im Leib, die unheilbar ist, als nur die, die die Imagination eingibt. Denn der Unverstand und die Unkenntnis der Natur ist groß bei jenen, was man täglich prüfen kann, was Unnützes bei dem entsteht, den ein Kopf regiert, der kein Hirn hat.« Christian-Science Was der Ägypter Upanischaden um 2100 v. Chr. in seinem »Gespräch eines Lebensmüden mit seiner Seele« ahnte ... was der Grieche Aristoteles (384—322 v. Chr.) durch seine Gruppenpsychologie — wir stellten sie bereits dar — auf wissenschaftlichen Rang erhob ... was Rene Descartes (1596—1650) und Benedictus de Spinoza (1632—1677) über das menschliche Bewußtsein philosophisch entwickelten ... was Gottfried Wilhelm Leibniz (1646—1716) durch die Einführung des Begriffs der »Zweckursachen« verdeutlichte und als Existenz des Unbewußten erstmalig ankündigte . .. was der Engländer John Locke (1632—1704) mit der Erkenntnis der Sensation (Sinneswahrnehmung) und reflection (Selbstwahrnehmung) zur Feststellung der subjektiven
Sinnesqualität weiterentwickelte ... was sein Landsmann David Hume (1711 —1776) mit seinem Treatise on human nature als Rückführung aller Bewußtseinsinhalte auf Eindrücke und Assoziationen an Wirkung erzielte... was Wilhelm Wundt (1832—1926) in psychologischen Laboratorien durch empirische Forschung mit der Bestimmung des Willens und des Bewußtseins menschlicher Existenz in den Vordergrund rückte ... was Wilhelm Dilthey (1833-1911) mit seiner Behauptung, der Mensch sei »im Erleben ursprünglich und in seiner Ganzheit gegeben«, bewirkte ... was schließlich Sigmund Freud (1856—1939) mit seinen Verfahren zur Heilung von Neurosen zu neuen Einsichten führte... was Carl Gustav Jung (1875—1901) als Lehre von der psychischen Energie, der Entwicklung der Individuation (individuelle Persönlichkeit) sowie das Wissen vom persönlichen und kollektiven Unbewußten in Diskussion brachte ... was alle diese Gelehrten dachten, erforschten und bewiesen, das ergibt in summa die Erklärung alles vorgeblich Unerklärbaren. Auch wenn man deren Urheber und ihre weiterführenden »Schüler« nicht kennt, sind doch diese Erkenntnisse Teil unseres alltäglichen Daseins geworden. Daß trotz exaktem Wissen das Ungewisse der Massen auch heute noch »Religionsstiftern« Chancen gibt, sei an einem Musterbeispiel dargestellt. Mary Baker-Eddy Mary Baker-Eddy wurde am 16. 7. 1821 in Boston, USA, geboren, wo sie auch am 3. 12. 1910 starb. Man darf sie als die einzige große Religionsstifterin der Moderne betrachten: Sie gründete 1866 die »Christian-Science«-Kirche. Diese Gemeinschaft ist in einer Mutterkirche mit eigenem Kult organisiert; sie verfügt über 3000 Gemeinden in fünf Kontinenten,
über die zentrale ausgezeichnet redigierte Zeitung Christian-ScienceMonitor, einige Millionen Anhänger und die Baker-Bibel Science and Health (Wissenschaft und Gesundheit), deren Auflage astronomische Ziffern erreicht hat. Mother Mary, wie die Farmerstochter aus New Hampshire genannt wird, ist der Beweis dafür, daß sich mit nicht erlahmender Energie, wildem Ehrgeiz und einem untrüglichen Instinkt für Massenwirkung und einer ausreichenden Affinität zu barer Münze sogar in den angeblich so aufgeklärten 19. und 20. Jahrhunderten noch taufrische »Religionen« mit ihrem ganzen Pomp, Kult und Heilsversprechen (freilich samt Erscheinungen) gründen lassen. Dabei war Mary Baker nach Ansicht von Ärzten ein psychopathologischer Fall. Siebentes Kind, war sie ein »Fremdkörper« in der puritanischen Familie. Setzte es Schelte oder nur ein lautes zurechtweisendes Wort, reagierte das Kind hysterisch — wir haben die Symptome der Hysterie kennengelernt — und warf sich zu Boden. Wir wissen, daß so veranlagte Menschen willentlich (durch eine Verschiebung des Säure-BasenGleichgewichts) einen Starrkrampf herbeiführen können. Mary konnte das perfekt nach Lust und Laune. Lange Zeit nahm die Familie in Sorge um den Zustand ihrer Tochter Rücksicht, ja, sie hielt die kleine Hysterikerin für etwas Besonderes... bis ihr ein Arzt auf die Schliche kam, der eine durchaus intakte Gesundheit feststellte und erkannte, daß die Krämpfe von ihr in einer totalen Autosuggestion gespielt wurden. Die Diagnose half wenig. Jahrelang setzte Klein-Mary mit dieser Methode ihren Willen durch, und wenn sie ihr Ziel erreicht hatte, war sie die Sanftmut in Person. — Die j Farmerfamilie war heilfroh, als der businessman Washington Glover die 22jährige exzentrische junge Dame ehelichte. Die Befreiung von Mary brachte den Bakers nur ein zweijähriges Glück: Glover wurde 1844 von einer Gelbfiebermücke gestochen. Mary war wieder allein, ihre Schwester Abigail nahm sie bei sich
auf. Mary begann die vehement durchgehaltene Flucht in die Krankheit aufs Neue. Sie ist eine einzige Qual für die Umwelt. Wollüstig steigerte sie sich derart in ihre eingebildete Krankheiten hinein, daß die Muskulatur versagte und selbst Ärzte eine Myelitis (Rückenmarkentzündung) vermuteten. Wieviel echte Krankheit und wieviel Autosuggestion in ihren Zuständen ein Leben lang war, dies Geheimnis nahm »The holy Mary« mit ins Grab. Jedenfalls reichte ihre beispiellose Energie eines Tages aus, sich vom Dauerkrankenlager zu »erheben«, um den ambulanten Wunderdoktor Patterson zu konsultieren. Da Mary erreichte, was sie sich in den Kopf setzte, ließ sie sich nicht nur beraten, sie ließ auch ihren (auf Wunsch stets vorhandenen) Charme spielen: Der Wundermedizinmann heiratete die 32jährige. Während des Bürgerkrieges (1861—1865) rückte Patterson ein, wurde interniert, es kam kein Lebenszeichen. Von einer göttlichen Inspiration bei Mary keine Spur! Genüßlich gibt sie sich wieder ihren Krankheiten hin. Irgendwelche gutmütig-besorgten Geister sind immer für sie da. Wieder hört sie von einem Wunderarzt, dem Mister Phineas Quimby, der in den Citys großer Städte florierende Sprechstunden abhält. Als Quimby noch Uhrmacher war, sah er die Demonstrationen eines Mesmerianers, der seine Patienten hypnotisierte. Der Uhrmacher stellte fest, daß er das auch konnte, hing die Uhren an den Nagel und wurde Wunderheiler. Die todelende Mary schnorrte sich das Reisegeld zusammen, ratterte mit dem Dampfroß nach Portland, wurde, diesmal wirklich a bout du souffle, von Helfern des Meisters ins Ordinationsbüro geschleppt. Eine Woche später war Mary vollkommen gesund. Womit hatte Quimby dieses »Wunder« einer Heilung bewirkt?
Heile dich selbst: »Mir geht es immer besser!« Quimby hat es nicht vollbracht. Mary ging auf diese letzte Reise in derselben seelischen Verfassung, wie sich die Pilger auf Erscheinungsorte hin in Bewegung setzen: Das ist die letzte Station, diesmal oder nie muß eine »Wunderheilung« erfolgen. Quimby tat nämlich nichts anderes als das, was Emile Coue (1857—1926) getan hat: Er übermittelte suggestive Befehle an die Kranken, daß sie gesund werden sollen und müssen — das Prinzip, das Coue umdrehte, indem er den Kranken zur Autosuggestion riet: »Ich werde gesund. Es geht mir immer besser. Ich bin gesund!« (Der Coueismus war in den 20er Jahren so populär, daß seine »Rezepte« zur Autosuggestion Slogans der Umgangssprache waren) Der kluge Mister Quimby hatte die Heilungsuchenden durchschaut: Viele kamen mit ihren eingebildeten .Krankheiten (wie Mary!) und die konnte er natürlich durch Suggestion heilen. Mary's Sternstunde Es war die Sternstunde für Marys Heilsidee, denn die ganze »Christian-Science« ist nichts anderes als die mit dem Weihrauchdunst religiöser Zauberei angewandte Suggestion. Das Rezept war rührend einfach: Heile dich selbst! Mary hatte auch keine, wie sie felsenfest behauptete, von göttlichem Geist eingegebene »Sendung«, was sie im Sinne von Heilsbotschaft verstanden wissen wollte. Es war die alte, ewig junge Masche: Sie selbst wollte endlich von ihren eingebildeten Krankheiten geheilt werden, sie wurde gesund, erkannte die Ursache und machte daraus — getreu ihrem lebenslänglichem Vorsatz, etwas Außergewöhnliches leisten zu wollen — eine Heilsverkündung. Die Aufspürung der Masche ist im publicitygewohnten Amerika freilich ungleich eleganter und leichter als in den von schwarzbetuchten Wächtern gehegten Bezirken wohlgewahrter
Erscheinungsphänomene. Marys Weg zum religiösen Hit ist steil und steinig, wie offensichtlich die Wege aller Heilsverkünder, Heiligen und Seher nach ungeschriebenen, aber erfolgreichen Gesetzen zu sein haben. Sie pumpt sich, was sie zum Leben braucht, läßt keinen Moment mehr ihr Ziel aus dem Auge, beginnt — 5ojährig — an ihrer »Bibel« zu schreiben, terrorisiert, wer ihr über den Weg läuft, sucht per Inserat Schüler (gleich »Jünger«), denen sie gegen Stundenhonorar ihre Heilslehre einzupauken verspricht. Da meldet sich auch ein 21 jähriger Arbeiter Richard Kennedy, der unbedingt seine Ersparnisse investieren will- Mary macht mit ihm einen Fifty-fifty-Vertrag für künftige Einnahmen: sie dressiert den »Dr.« Kennedy mit ihren principles of Science, so daß sie ihn bald auf eine erwartungsbereite Klientel loslassen kann, programmiert auf holy Mary's Heilslehre. Der junge Arbeiter »Dr.« Kennedy ist so erfolgreich, daß Mary auf ihren Jünger neidisch wird. Dem Komplex kann sie nur den Garaus machen, wenn sie das Apostelheer vergrößert. Für $ 100,bis $ 300,- hält Mother Mary Schnellkurse, Morgen-, Mittag- und Abendkurse, ab. Lernthema: Moral Science. Aus diesem Begriff macht sie später den griffigen Markenartikel Christian-Science. Der Zustrom ist gewaltig, sie gründet Filialen, die später Orte der »Kirche« werden. Holy Mary's Bibel kommt auf den Markt 1875 kommt der »Urtext« ihrer Bibel Science and Health heraus. (Wie sich's gehört, hat auch Marys Bibel einen Urtext, der laufend korrigiert wurde) An jedem Exemplar, im Selbstverlag publiziert, verdient die Heilsver-künderin einen blanken Dollar, und das war 1875 eine Menge Geld. Nun geht es (wie bei jeder mit Wundern arbeitenden Religionsgemeinschaft) aufwärts. Der Dollar rollt. Mary predigt gegen Honorar, heiratet 1877 Gilbert Eddy (an dessen
Krankenbett ihre Wunderheilung völlig versagt, denn Eddy ist wirklich krank und stirbt). Sie lebt, introvertiert und auf ihre Heilsbotschaft fixiert, aus dem unerschöpflichen Fundus ihrer umwerfenden Energie, bis sie 89Jährig als vielfache Dollarmillionärin stirbt. Vorher konnte sie noch ein Lustgefühl befriedigen: Sie rief zur Spende für den Bau der Mutterkirche in Boston (nach dem Modell des Domes in Florenz!) auf. Innerhalb von zwei Monaten waren über zwei Millionen $ auf den Konten, der Bau konnte höher, größer und teurer als jeder andere (damalige) Bau in Boston hochgezogen werden. »Zum erstenmal in der Neuzeit haben gläubige Menschen einer lebenden Frau ein Heiligtum errichtet: Kein Wunder, daß man sie bald selbst eine Heilige nennt...« schreibt Stefan Zweig [34] in seinem hervorragenden biographischen Essay »Mary Baker-Eddy« in seinem Buch »Heilung durch den Geist«. Zweig charakterisiert auch die simple religionsstiftende »Lehre« der »Mother Mary«: ». .. es ist ja so schrecklich einfach: Gott, wie ihr wißt, ist das Prinzip des Guten. Folglich kann der Mensch nur göttlich sein, und da alles Göttliche gut ist, wie sollte da etwas so Böses wie Krankheit, Schwäche, Sterben und Altern in diesem Abbild Gottes Heimstatt finden können? Der Mensch kann sich höchstens einbilden, er kann sich allenfalls mit seinen lügnerischen Sinnen vorstellen, sein Körper sei krank ...« An sich selbst erprobt, mußte the holy Mary es wissen. Wir wissen inzwischen, daß die religiös merkantilisierte Heilmethode keineswegs unvernünftig ist. Allerdings ist zu bedenken: Wenn eine ehrgeizige Dame unserer Zeit mit ihrem Wissen um suggestive und autosuggestive Heilverfahren Kranke heilen und durch dieses (Wunder-)Renommée eine weltweit frequentierte Religion (!) gründen kann, um wie vieles leichter müssen dann Heilungen aus dem Weihrauchdunst und den erprobten Riten aus 2ooojähriger Tradition mit allen optischen und akustischen Zutaten an Erscheinungsorten gelingen ...
Land in Sicht Moderne Kommunikationsmittel wie die allgemeine Lust am Reisen brachten die Menschen einander näher. Man weiß mehr vom Nachbarn als je zuvor. — Ein jugendlicher Gammler, der morgen vor der Basilika in Fatima steht und einem Mirakel beiwohnt, hebt lässig die Schultern: «Was soll es? Das habe ich vor vier Wochen schon in Karatschi gesehen!« — Der indasche Swami, der seine begierig lauschenden Zuhörer mit Mysterienstories füttert, hat längst eine handfeste Konkurrenz in den parapsychologischen Instituten, die seine Wundermären gründlich entblättern könnten. Was in fernöstlichen Ländern noch als Wunder und göttliche Inspirationen verkauft werden kann, ist im Westen längst nüchterne Wissenschaft. Mögen Gläubige von Primitiv-Religionen noch der Meinung sein, daß Götter die Krankheit schicken und daß nur Götter sie wieder nehmen können, wird die Medizin Zug um Zug auch in bisher von der Zivilisation noch nicht erreichten Regionen religiösen Aberglauben eines Tages eliminieren. Weil der Primitive unfähig war, selbst Heilungen herbeizuführen, suchte er den Priester auf, der zwischen ihm und dem undefinierbaren, so weit entfernten Gott vermitteln sollte. Für den aufgeklärten Menschen sind »Vermittler« zur Behebung der Krankheit Allgemein-Ärzte, Fachärzte, Psychologen und Psychotherapeuten. In ihren Praxen mag es nach Äther oder Chloroform riechen — den Geist verwirrende Weihrauchdüfte brauchen sie nicht. Sie heilen ohne Klimbim. Ich sage es ganz offen: Wer heute eine Religion gründet, weil er zu heilen versteht, ist ein Betrüger. Kann man es unverblümter sagen als Richard Serjeant in seinem Buch »Der Schmerz«? »Alle Religionen verheißen ein künftiges Leben; alle nehmen an, daß bestimmte Personen durch bestimmte Lehren oder Übungen unmittelbaren Zugang zu höheren Zuständen der Existenz erlangen
können. Diese Personen sind Priester, Adepten, Heilige usw. Solche Ausnahmen sind charakteristisch für den primitiven Aberglauben, für die griechische Mythologie, den Buddhismus, den Katholizismus und die meisten anderen Religionen . .. Sobald eine Religion versucht, rational oder ›realistisch‹ zu werden, läßt ihre Macht nach.« Die Wunder-wütigen sind immer bereit Viele Menschen unserer Zeit sind, man sollte es nicht für möglich halten, immer noch bereit, »wunderwirkenden Religionsstiftern« in Sekten und Bünden auf den Leim zu gehen, wenn diese nur felsenfest behaupten, daß sie ihrq Lehren und Erkenntnisse direkt von Gott beziehen, daß der Weg, auf den sie die Leute locken, erstund einmalig ist und das Heil der Seligen garantiert. Solche »modernen« wunderwirkenden Sekten [35] gibt es rund um die Welt. Hier einige Etiketten ihrer »Kirchen«: Maharashi Ji (Divine-Light-Mission) Children of God Jesus People Universal Life Church Philognosie Kinder von Lou und Mien Scientology Church of Satan Order of Dog Blood Fountains of the World Final Church of Judgement San Myung Mun Hare Krishna etc. etc. Das ist bei weitem keine komplette Liste. Die Summe der Millionen frömmelnder wundersüchtiger Sektierer ist unbekannt. Bekannt ist, daß die cleveren »Religionsstifter« kassieren, kassieren, kassieren ...
nach dem hehren Beispiel der Großen. — Es scheint mir aufschlußreich, daß die westlichen Sektengründer der letzten Jahre Jesus immer noch einen übernatürlichen Verehrungsstatus zubilligen, obwohl sie selbst nicht als »christlich« gelten wollen. In ihrer fanatischen Selbstherrlichkeit merken Sektengründer wohl nicht, daß sie mitten im Strom nur die Pferde, nicht aber die Richtung, den Weg, das Ziel wechseln. An heiligen Quellen In unmittelbarem Zusammenhang mit Erscheinungen geschieht häufig bereits das erste sichtbare Wunder: Seherin oder Seher entdecken eine Quelle! Das »plötzlich« aus dem Erdreich sprudelnde Wasser, das dann später angeblich wunderbare Heilungen bewirkt, ist kein durch himmlische Fügung initiiertes »Wunder«. Ohne mich in den Streit der Wissenschaftler um die Ursachen des Wünschelrutenphänomens einzumischen, gehe ich davon aus, daß es die Effektivität der Wünschelrute (»Magischer Reis«) seit Menschengedenken gibt. Moses zaubert Wasser aus dem Fels Moses führte die Gemeinde der Kinder Israel durch die Wüste, und es gab kein Wasser. Das Volk murrte und verlangte von Moses, der es zum Aufbruch aus Ägypten animiert hatte, Stillung des Durstes. »Der Herr sprach zu ihm: Gehe vorhin vor dem Volke, und nimm etliche Ältesten von Israel mit dir; und nimm deinen Stab in deine Hand, damit du das Wasser schlagest und gehe hin. (5) Siehe, ich will daselbst stehen vor dir auf einem Fels in Horeb; da sollst du den Fels schlagen, so wird Wasser herauslaufen, daß das Volk trinke . . .« (6) 2. Mose, 17, 1—6 Woher bezog Erzvater Moses seine Kenntnis von den
paranormalen Fähigkeiten einer Wünschelrute? Das moderne Pendant berichtet Werner Keller [36]: Während des Weltkrieges 1914—1918 litt das britische Expeditionskorps auf der türkischen Halbinsel Gallipoli in glühender Hitze unter Wassermangel. Der Zivilingenieur Sapper S. Kelley aus Melbourne nahm einen gebogenen Kupferdraht und suchte das Gelände ab. In geringer Entfernung vom Divisions-Stabsquartier schlug die Rute heftig aus, man grub und stieß auf eine Quelle, die stündlich 10 000 l klares und kühles Wasser lieferte. Kelley suchte weiter und fand innerhalb einer Woche 32 unterirdische Brunnen. »Man hatte genug Wasservorräte entdeckt, um täglich 100 000 Mann mit je viereinhalb Litern kühlen Nasses versorgen zu können.« Begabt muß man sein Liegt man sich auch ob des WIE und WODURCH in den Haaren, ist unbestritten, daß der Umgang mit der Wünschelrute eine angeborene Begabung, also nicht erlernbar ist. Professor J. Walther nimmt an, daß 10—15 Prozent aller Menschen über diese Begabung verfügen, wenn sie es auch nicht wissen und keinen Gebrauch davon machen. Ebenso klar ist, daß die medial Begabten oft und oft an den gleichen Ort gehen müssen, um fündig zu werden. (Auch Quellen an Erscheinungsorten treten erst nach wiederholten Besuchen der Seher hervor!) Wer fromm ist, braucht keine Rute Für meine Sicht der Dinge ist es uninteressant, ob das Material der Ruten aus Holz, Fischbein oder Draht besteht — für mich ist die Vermutung des Jesuiten Athanasius Kircher (1601 —1680) in seinem Buch »De arte magnetica« interessant, daß ein »motorischer Einfluß von Dünsten und Dämpfen« wirksam sei und hochinteressant die Feststellung des Mineralogen Agricola (1494—
1555) in seinem Buch »De re metallica«, daß ein frommer Bergmann die Rute nicht nötig habe [37]. Fragezeichen Kein Wissenschaftler leugnet, daß es physikalisch-technisch ungeklärte Phänomene gibt. Bisher kann niemand die experimentelle Erfahrun gerklären, wie elektromagnetische Wellen Menschen, die in Faradayschen Bleikäfigen sitzen, erreichen. Kann man da ernsthaft die Radiästhesie, die Strahlenfühligkeit, bestreiten? Warum sollen dazu begabte Menschen nicht »durch das im Bereich des Wassers gestörte elektrische vertikale Potentialgefälle beinflußt« werden? 14 Milliarden Neuronen (Bausteine des Nervensystems) sind im Gehirn mit Hunderten anderer verbunden. »Die Reizung eines Neurons ... wird vermutlich von Ionen bewerkstelligt. Gleichstrom wird ausgeschickt und wandelt sich vorübergehend in Wechselströme, die das Signal bis zum äußersten Ende der Reizleitung weitertragen [38].« Kein Mensch gleicht dem anderen. Wer, bitte, hat die Kühnheit, die Möglichkeiten singulärer Begabungen in Abrede zu stellen — nur, weil sie noch nicht als existent bewiesen und meßbar sind? Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit existieren »masselose Energieteilchen«, die mit unseren Gehirnnerven in Verbindung treten. Können sie aus unserem riesigen Computer-Gehirn nicht dort gespeicherte Informationen (= Wissen) abrufen? Gibt es diese Möglichkeit, dann gibt es auch ein Kraftfeld, das wissenschaftlich noch nicht verifiziert ist. Andreas/Kilian wiesen auf Experimentalergebnisse hin, die auf das Vorhandensein von noch nicht definierten Feinstoffkörpern schließen lassen, die Informationen ungehindert in unser Bewußtsein gelangen lassen — eine »feinstoffliche Informationsübertragung außerhalb der gegenwärtigen technischen Möglichkeiten«.
»Spürer« von hl. Quellen Seherinnen und Seher sind nervlich hochsensibilisierte Persönlichkeiten. In diesem, aber auch nur in diesem Sinne sind sie von der Natur »Auserwählte«. Wiederholt gehen sie an »ihre« Erscheinungsorte, dort verbringen sie viele Stunden in Verzückung, Anbetung, Meditation und Autosuggestion. Es zieht sie immer wieder an denselben Punkt, nur dort kommen sie zu ihren Visionen. Ist diese Fixierung an den stets gleichen Standort durch eine Wasserader bedingt, die sie unbewußt spüren? Ist hier die Wirkung eines elektrizitätsähnlichen Fluidums zu vermuten? Erreichen sie hier die Schwingungszahlen der Feinstoffteilchen [39]? — Nein, Ruten benötigen die Visionäre zur Entdeckung heiliger Quellen nicht. Genaugenommen brauchten sie auch Wünschelrutengänger nicht, weil sie eigentlich nur optische Verstärker der minimalen Spannungsänderungen nach ideo-motorischen Gesetzen in der Muskulatur sind. Mama Rosa's Birnbaum-Wunder Ein »Wunder« klärte sich mir buchstäblich am Straßenrand auf. Als ich im Frühjahr am Bodensee entlang durch die traumhaft-schöne Baumblüte fuhr, kam mir mein März-Besuch in San Damiano bei »Mama Rosa« in den Sinn und das dort durch die »schöne Dame« bewirkte Wunder einer Birnbaumblüte im Oktober 1964, diesem sichtbaren himmlischen Zeichen für die attraktive Erscheinung. — Ich parkte am Straßenrand, erklärte einem Obstbauern im Telegrammstil die Fakten und fragte, ob es so was gäbe — Fruchtstand und gleichzeitig Blüte. Der Mann nickte und sagte, das wäre eine »Notblüte«, wie es aber dazu käme, das wisse er nicht. Immerhin hatte ich erfahren, daß Mama Rosas im Oktober blühender Birnbaum keine Einmaligkeit, keine »Durchbrechung der Naturgesetze« im Sinne eines kirchlicherseits akzeptablen
Wunders sein konnte. Ich zog Erkundigungen bei Botanikern ein. Birnbaum und Pflaumenbaum (der ja auch im Oktober blühte!) gehören zur Familie der Rosengewächse (Rosaceae). Der Birnbaum gehört zu den Tiefwurzlern, er braucht einen warmen Boden, in den die Wurzeln bis zu 3 m Tiefe reichen. Das Grundwasser darf nicht über diese Höhe steigen, weil Birnbäume gegen Grundwasser empfindlich sind. Der Pflaumenbaum gedeiht am besten auf mäßig feuchtem Boden, braucht aber — wie die verwandte Birne — ein warmes Klima. Beiden Bäumen reicht ein jährlicher Niederschlag von etwa 600 mm. Bei solchen Voraussetzungen reifen die Früchte im stetigen Ablauf der Jahreszeiten — besonders vortrefflich in einem Klima wie südwestlich von Mailand. Dieser Rhythmus wird empfindlich gestört, wenn es einen unzeitgemäßen Kälteeinbruch mit unüblichen Niederschlägen und nachfolgender — etwa dem italienischen Herbst gemäßen Wärme gibt. Durch Kälteschock und Regen — beide gab es im September 1964 im Räume Mailand! — stellen sich die Bäume auf ihre Frühjahrsaktivitäten ein, durch Kühle und Bodenfeuchtigkeit setzen die biochemischen Stoffwechselvorgänge ein: Blüh-Hormone werden gebildet. Trifft dann wieder herbstliche Sonnenwärme auf die Bäume, dann kommt es zu dem botanischphysiologischen »Wunder« einer Herbstblüte bei gleichzeitigem Fruchtstand. Die Blüten brechen »plötzlich« auf und fallen ebenso schnell wieder ab; sie tragen keine Frucht, weil Bienen und Hummel sich längst zurückgezogen haben. Wenn auch die Kopplung von Enzymen und Hormonen im Wachstum der Pflanzen immer noch ein Rätsel ist, so ist ganz gewiß Mama Rosas blühender Birn- und Pflaumenbaum kein himmlisches Wunder, sondern ein unzweifelhaft erklärbarer Vorgang, den der Bodensee-Bauer schlicht »Notblüte« nannte. So schnell purzeln Wunder vom Baum der Erkenntnis!
Krankheit — ein Geschenk Gottes? »Der kranke Mensch ist ein Geschenk Gottes an uns, eine unmittelbare Gnade, und als solches muß er von uns aufgenommen werden. Er (der kranke Mensch!) ist eine Gnade Gottes an uns vor allem darin, daß er uns die Möglichkeit gibt, jene Offenheit des Herzens zu verwirklichen, die Barmherzigkeit heißt ...« [40] behauptet der Jesuit Ladislaus Boros, Lehrbeauftragter für Religionswissenschaften in Innsbruck. Wer noch nicht krank ist, muß ja durch solches Theologengeschwätz malade werden. Aber diese Art von dubioser Seelenmassage wird vom Kindergarten an an uns vorgenommen. Als Schatten allen Tuns läuft der irreale Begriff von der »Erbsünde« (»sine metu Dei, sine fiducia, cum concupiscentia« — »Ohne Gottesfurcht, ohne Vertrauen, mit Begierde«) auf Schritt und Tritt dem Christenmenschen nach. Es gehört für den, der in dieser Lehre erzogen wurde, ein ungeheurer Mut dazu, sich innerlich von allen Drohungen zu befreien. Es ist zeitgemäß, daß Thema sexueller Verklemmung der Christen aufzublähen. Zum Selbstbefreiungsakt gehört das freilich auch dazu, doch ist es nicht der Schlüssel, mit dem sich das Tor der persönlichen Freiheit und Eigenverantwortung gegenüber Moralgesetzen öffnen läßt. Sigmund Freuds (damals!) revolutionäre These, daß alles und jedes aus dem Triebleben verständlich würde, ist in ihrem ausschließlichen Anspruch von neuen Erkenntnissen der Wissenschaft längst überholt. 2000 Jahre christlicher Tradition mit dem Raffinement ihrer Dogmen sitzen tief im Unbewußten. Auch in den grauen Gehirnzellen des nichtpraktizierenden Christen ist als Verhaltensmuster die ergreifende Jesus-Legende mit der leidenden Maria, den leidenden Aposteln und den leidenden Heiligen gespeichert. Für den praktizierenden Christen aber bedeutet diese Programmierung des Gehirns die dauernde Bereitschaft zum
Glauben an Wunder und Wunderheilungen als Gnadenerweis Gottes. Bevor ein gläubiger »Lazarus« an einer Wallfahrt zum Erscheinungsort teilnimmt, hat bei ihm eine Gehirnwäsche stattgefunden: Die gleichgesinnte Familie, Freunde und Priester haben dem Leidenden eindringlich klargemacht, warum die Wallfahrt die »letzte Rettung« ist. Tag und Nacht beschäftigt sich der schmerzgeplagte Kranke mit der ihm einsuggerierten Hoffnung auf ein Wunder; zuletzt krallt er sich an diesen rettenden Gedanken. Wenn die Kinder in Fatima oder die kleine Bernadette in Lourdes anderen geholfen haben, warum dann nicht auch mir? Am Krankenbett — wirksame fromme Therapie! — werden Marienlieder gesungen, wird der Rosenkranz gebetet ... und auch ein Obolus für die allenfal-sige Heilung berechnet und versprochen. Der Leidende ahnt nicht, daß nun vielleicht schon eine Selbstheilung begonnen hat, daß er selbst den Heilungsmechanismus (Psycho-Feedback!) in Gang setzte. Was im Krankenzimmer so raffiniert gekonnt präpariert wurde, potenziert seine Wirkung am Erscheinungsort durch die gemeinsamen Gefühle der namenlosen, aber gleichgestimmten Masse der Wundergläubigen. Wir haben es schon beschrieben. Jesus, Maria und die Heiligen sind am Ziel der Erlösungsreise intensiver »spürbar« als je zuvor im christlichen Alltag oder auch in der heimatlichen Kirche. Es geschehen — gelegentlich — aus Motivationen, die wir kennen, Heilungen ... wie sie unter anderen Voraussetzungen und anderen Vorzeichen stets auch anderswo stattfinden. Geist-Heiler In Amerika, Europa und Asien gibt es einige Tausend »GeistHeiler«. Im Dutzend solcher Männer, die ich kennenlernte, begegnete ich hilfsbereiten, oft schüchternen, stets bescheidenen Personen, die ihren Beruf ohne religiösen Kult und ohne feierliches
Gehabe ausüben. Selbstverständlich nehmen sie für ihr Wirken ein Honorar, sie sind keine Heiligen, von Luft und Liebe können sie nicht leben. — Ich war auch gegenüber den von ihnen eingesetzten physikalisch-medizinisch Undefinierten Heilkräften skeptisch. Darum traf ich mich in einem Restaurant in Aarau mit dem jungen, aufgeweckten, in meiner Schweizer Heimat bekannten Geistheiler Marcus Brogler. Ich verspöttelte ihn und fragte, ob er denn selbst an seinen Zauber glaube. Marcus stand auf und stellte sich hinter mich. — »Was machst Du da?« — »Bleib sitzen, wie Du sitzt. Ich berühre Dich nicht.« — Ich trank mein Bier. Es verging keine Minute, da war mir, als ob jemand mit einem heißen Bügeleisen die Wirbelsäule hinauf und hinunter führe. Ich drehte mich um. Marcus ging an seinen Platz zurück, bestellte die nächste Runde und fragte spöttisch: »Hast du jetzt den Zauber gespürt?« Ach, wir leben ja mitten drin in einem Irrgarten von Zauber und Wunder. Wie die warmen Semmeln kommen gare und halbgare, mehr oder minder gut schmeckende Brötchen aus den Backöfen der großen Konjunktur — um es genauer zu sagen: Kommen aus den Druckpressen Bücher, die über die geheimnisvoll wirkenden Kräfte der Telekinese und Telepathie berichten, die Wunder auf den Teppich unter unseren Füßen zu holen versuchen oder sie für machbar erklären, die über die Arbeit von Geistchirurgen auf den Philippinen Bericht erstatten und die das weite Feld der Parapsychologie beackern. Es hieße Eulen nach Athen, Präzisionschronometer nach Genf, elegante Frauen nach Paris oder Bier nach München tragen, würde ich diesen Forschungsgebieten einen weiteren Beitrag zuliefern wollen. Ich bleibe innerhalb der Fähnchen, mit denen ich mein Gebiet: ERSCHEINUNGEN abgesteckt habe.
Die unverwesten Leichen der Heiligen Yogananda Paramahansa, der so viel Kluges über suggestive Heilung niederschrieb, starb am 7. März 1952 in Los Angeles. Von seinem Leichnam wird berichtet — wie es auch so oft nach dem Tode heiligmäßiger Menschen der Fall sein soll —, daß er nach drei Wochen keine Verwesungserscheinungen aufwies. Harry T. Rowe, Direktor des Friedhofs Forest Lawn Memorial Park, Los Angeles, stellte in einer Urkunde [41] fest: »Das Ausbleiben jeglicher Verfallserscheinungen am Leichnam Paramahansa Yoganandas stellt den außergewöhnlichsten Fall in allen unseren Erfahrungen dar . .. Selbst zwanzig Tage nach seinem Tode war kein Zeichen einer körperlichen Auflösung festzustellen .. . Kein Verwesungsgeruch konnte während der ganzen Zeit wahrgenommen werden ...« Der Stoff, aus dem man Heilige macht! Inge Santner berichtet in DIE WELTWOCHE [42], Zürich, über einen Vortrag, den der Wiener Psychiater und Neurologe Dr. Gerhard Kaiser, Dozent für gerichtliche Medizin an der Universität Salzburg, vor der Wiener katholischen Akademie hielt. Dr. Kaiser ging der Frage nach, warum Heilige Jahrzehnte oder Jahrhunderte nach ihrem Tode ihre körperliche Fasson nicht verloren hatten. Kurt Tucholsky [43] schreibt in einem herrlichen Bericht über Lourdes in seinem »Pyrenäenbuch«: »Jetzt, zu ihrer Seligsprechung im vorigen Jahr, haben sie (Bernadette Soubirous) exhumiert: Der Körper war gut erhalten, ihr linkes Auge, das der Erscheinung zugewendet war, soll offen gewesen sein, ihr Grab so nach Blumen geduftet haben, daß, wie in Lourdes erzählt wird, Briefe, die dort gelegen haben, dufteten...« (Bernadette war zu dieser Zeit noch keine Heilige, die ist sie erst seit 1933.) Nach Meinung des Wiener Wissenschaftlers sind keine Wunder nötig, um die fleischliche Hülle zu konservieren, damit sie
Jahrzehnte oder Jahrhunderte ohne sichtbare Zeichen der Verwesung übersteht. Dr. Kaiser untersuchte Fälle wie diese: Franz von Sales, gestorben 1622, wurde bei der Ausgrabung 1632 »wie lebend« aufgefunden. Die Leiche zerfiel erst 1656 in Staub von »außerordentlichem Wohlgeruch«. Franz Caracciola starb 1608. Bei der Exhumierung 1628 waren Fleisch und Sehnen unverändert. Als ein Einschnitt gemacht wurde, floß Blut heraus. Karl Borromäus, gestorben 1584, zeigte sich nach einem Ärztegutachten 1606 trotz leckem Sarg »übernatürlich geschmeidig«. 250 Jahre später, nämlich 1880, hatte der Körper immer noch dasselbe Aussehen. Johannes von Kreuz, der 1591 starb, wurde bei seiner Ausgrabung 1859 (!) mit rosafarbener Haut entdeckt, eine wohlduftende Flüssigkeit netzte den Leichnam. Maria Magdalena de Pazzi, gestorben 1607, zeigte bei ihrer Ausgrabung Anno 1663 zwar ein geschwärztes Gesicht, doch darauf trug sie immerhin einen »überaus milden Ausdruck«. Bernadette Soubirous, tot seit 1879, schien bei der Ausgrabung nur zu schlafen, ihr Antlitz war leicht gebräunt, und sogar ihr Gewand hatte die Zeit unbeschädigt überdauert. Wunderwirksamkeit ist auszuklammern Erstaunlich-unheimliche, wunderbare Feststellungen? Dr. Gerhard Kaiser sagt: »Wo immer Hergänge rekonstruierbar sind, müssen Indizien von Wunderwirksamkeit ziemlich sicher ausgeklammert werden.« Dies sind die wissenschaftlichen Fakten: Nach dem Tode sind Körperreaktionen nichts Außergewöhnliches. Herzstillstand beeinflußt nicht gleichzeitig alle Gewebe: Ganze Zellgruppen überleben den Exitus viele Stunden. Spermatozoen bewegen sich noch bis zu 28 Stunden nach dem Tod des Organismus. Bekannt ist das (unheimliche) Seufzen Verstorbener, wenn sie für ihren letzten Weg gekleidet und dabei bewegt werden.
Oft erschrecken Hinterbliebene, Haltungsänderungen feststellen zu müssen, die durch Hitze bewirkt wurden. Scheintot? Wenn eine Schwangere stirbt, kann durch Fäulnisgase im Sarg der Fötus aus dem Leib gepreßt werden. Eine Scheintote? Nein, ein chemischphysikalischer Vorgang. Normalerweise setzt nach den sicheren Todeszeichen (Leichenkälte, Todesstarre, Herz- und Atmungsstopp, rotblaue Flecke auf der Haut, instrumentale Nullkurve) sehr bald der Verwesungsprozeß ein. Mikroorganismen im Körper bewirken eine schmutziggrüne Verfärbung. Bald folgt eine blasenartige Abhebung der Haut und Gasbildung — oft mit erheblichem Druck in den Körperhöhlen. Der Fäulnisvorgang wird vor allem durch Luft ausgelöst: Sie trägt Bakterien und der Sauerstoff setzt die chemischen Umsetzungsprozesse in Gang. Feuchtigkeit und Wärme beschleunigen den Verfall, und, schließlich unter der Erde, sorgen Maden und Raub- und Aaskäfer für weitere Zerstörung. Ameisen schaffen eine vollständige Skelettierung in drei Tagen! Generell lösen sich die Weichteile in drei bis vier Jahren auf, Fette in den Gebeinen viel später. Hirngewebe und Hirnhäute überdauern Jahrzehnte, das Eiweiß in Knochen erhält sich 100 und mehr Jahre. Vom Toten, der in ein übliches Grab gelegt wird, bleibt schließlich nur das Skelett übrig. Gräber in Sonderanfertigung Heiligmäßige Menschen, die ja schon zu Lebzeiten durch spektakuläre Taten ihre Besonderheit demonstrierten, werden freilich nicht in üblichen Gräbern oder Grüften beigesetzt. Das aber ist der neuralgische Punkt, von dem aus Dr. Kaiser zu seinen überzeugenden Schlüssen kommt. Wichtigste Voraussetzung für die Erhaltung eines Leichnams ist das Fernhalten von Bakterien; wird deren Zutritt verhindert oder gemindert, verlangsamt sich
der Fäulnisprozeß erheblich. Wie aber lassen sich Umweltbedingungen beeinflussen, um den Zutritt der zerstörerischen Kleinlebewesen zu mindern oder unterbinden? Durch trockene Luft wie durch ständigen kräftigen Luftzug tritt eine natürliche Mumifizierung ein, die die besonders fleischarmen Körperteile (Ohren, Nase, Finger, Zehen) erhält. In der Nähe des Leichnams fließendes kaltes Wasser kühlt ständig ab, es hält Fliegen und Maden ab. Diese konservierende, bakterienhemmende Kühle kann durch Eis potenziert werden. (Aus Gletschern werden Leichen noch nach Jahren unversehrt geborgen.) Die Gerichtsmedizin kennt Leichen, die in Teergruben zwar verfärbt, aber völlig erhalten gefunden werden. — Bekannt sind auch Moorleichen, die durch fäulniswidrige Humussäuren erhalten blieben. — Kohlenoxyd verhindert das Stocken des Blutes: Bei Kohlenoxyd-Vergifteten kann noch lange nach dem Tod Blut aus Schnittstellen fließen. In Metallsärgen entwickeln sich Metallsalze, die die Verwesung bis zu zehn Jahren bremsen. — Bodensalze (Arsenik aus Eisenquellen) oder Meersalze bewirkten zusammen mit trockenem Klima, daß bei Ausgrabungen im Räume Lima Hunderte während der Inka-Zeit begrabene Totenschädel mit unversehrten Weichteilen und komplettem Haarwuchs gefunden wurden. — Die Erhaltung von Leichen durch Behandlung mit Natron, Asphalt und Zedernprodukten war in Ägypten seit dem dritten Jahrtausend v. Chr. bekannt. — (Heute geht es einfacher: man mumifiziert mit Formalin, einem keimtötenden Mittel. Mit einem fabelhaften Makeup versehen, können Angehörige in vielen amerikanischen Memorial-Parks Verstorbene aus den Tresorfächern ziehen und in »lebendiger Schönheit« betrachten ... Tod in Hollywood!) Dr. Kaiser zweifelt nicht daran, daß ein großer Teil unverweslicher Heiliger unter solchen Bedingungen beigesetzt wurde. Fraglos wurde das fleischliche Überleben der Rosa von Lima
durch Salze verursacht. (Die Nonne, die 18 Monate unbeschädigt blieb, lag in derselben salzhaltigen Erde, in der die Inka-Schädel gefunden wurden.) Die heilige Klara von Monte Falco wurde durch trockene Luft mumifiziert und mit »ausnehmend schönem Gesicht« gefunden. Über ihr hing ihr herausgeschnittenes Herz als Reliquie, das angeblich »ausgedorrt war und das Antlitz des gekreuzigten Christus zeigte«. Den »geselchten (geräucherten) Pfarrer von St. Thomas« am Blasenstein in Niederösterreich machten Chemikalien — Teerstoffe — unzerstörbar. War es purer Zufall, daß Heiligmäßige in für die Konservierung so günstiger Umgebung ihre Begräbnisstätte fan-' den? Es gibt Beweise dafür, daß mit geeigneten Methoden nachgeholfen wurde, um einen heiligen Körper »im Fleische« zu erhalten. — Kapuziner in Italien und Mähren legten die Totenkammern ihrer Klöster so an, daß unablässig trockene Zugluft hindurchströmte. — Dr. Kaisers Vermutung, daß die Leichen vieler Heiliger mit Essenzen, wohlriechenden ölen, Salben und Aromen nicht nur einbalsamiert wurden, um den Leichengeruch zu vertreiben, sondern auch, weil man die konservierende Wirkung der »Kosmetika« kannte, darf als Gewißheit genommen werden. Profane Blicke zerstören das Wunder Wenn Körper erhabener Kirchenmänner zerfielen, nachdem profane menschliche Augen sie betrachteten, ist das nach Dr. Kaiser keinesfalls ein »Gotteszeichen«. Durch Öffnung des Grabes wurden die zersetzungshemmenden Bedingungen, die man bei der Beisetzung geschaffen hatte, unterbrochen und beendet. Zum Beispiel zerbröselte der heilige Vinzenz von Paul eindeutig infolge plötzlichen Luftzutritts, als man den Sarg 25 Jahre nach seiner letzten Bestattung öffnete. »Wiederentdeckte Gräber von gewöhnlichen Etruskern, denen niemand besondere Heiligkeit nachsagt, wiesen das gleiche Phänomen auf. Die Leichen, die
unbeschädigt auf ihren steinernen Betten ruhten, wurden noch während der Grabhöhlen-Erkundung zu Staub. Ein wohlriechender goldener Dunst soll den Raum erfüllt haben.« Ich fände es eine glänzende Idee und mutige Tat, wenn die reiche katholische Kirche, die so sehr um Unantastbarkeit und göttliche Erhabenheit ihrer Heiligen besorgt ist, einen Forschungsfonds bereitstellen würde, damit das postmortale Verhalten heiliger Körper auf breiter Basis erkundet werden kann. Dann ließe sich eines Tages auch die pfiffige Frage des Wiener Forschers beantworten: »Warum sollte Gott gerade den Körper jener Menschen erhalten, deren Seele er auf dem kürzesten Weg zu sich nahm?« Nicht einmal Jesus glaubte an Wunder Nicht einmal Jesus, der Meister, glaubte an Wunder ... aber er kannte die Wirkung der Suggestion! Kam zu ihm, berichtet Markus (5,23 ff) ein Weib, das in den »letzten Zügen« lag. Der Ruf des Wunderheilers lief Jesus vorauf und bereitete allerorts den Boden für seine direkten Suggestionen. Man bat ihn, die Hand aufzulegen, damit das Weib gesund werde, denn sie litt seit 12 Jahren an »Blutgang« (Blutungen); sie hatte viel Geld zu Ärzten getragen, die ihr nicht helfen konnten. Wie immer umsteht das Volk erwartungsvoll den Meister: Es will ein Wunder sehenl Und die Kranke will eine Wunderheilung erleben! »Denn sie sprach: Wenn ich nur sein Kleid möchte anrühren, so würde ich gesund« (28). Ihre Bereitschaft als Voraussetzung für eine Wunderheilung ist vorhanden. »Und alsbald vertrocknete der Brunnen ihres Blutes; und sie fühlte es am Leibe, daß sie von ihrer Plage gesund geworden war« (29). Jesus wußte sehr genau, woher diese ihm zugemutete Wirkung
kam, denn er fragte reihum, wer sein Kleid berührt habe: »Und er sah sich um nach der, die es getan hatte« (32). Nun erklärt der Wunderheiler sehr modern und völlig zutreffend das Rätsel der Heilung: »Meine Tochter, dein Glaube hat dich gesund gemacht; gehe hin in Frieden, und sei gesund von deiner Plage«. Der Nazarener wußte nichts von den Wirkungsmechanismen der Autooder Hetero-Suggestion, aber er hatte deren Wunderwirkungen in sicherem Gespür. Wenn heutige Geistheiler die Bibel als Lehrbuch nehmen, können sie viele probate Hinweise finden. »Von sich aus leidet keiner gern. Es sei denn, daß er gar nicht leidet, sondern untertänig sich daran freut. Die Schläge auch noch genießend, gar als unumgänglich, um seelisch aufzuquellen. Der leidende Blick ist dann nicht nur versöhnt, sondern dankt. Gerade noch dieses Danken kommt duckmäuserisch vor«, sagt Ernst Bloch [44], und seine Feststellungen decken meine Beobachtungen. Ich glaube an Gott Wenn man mir vorhält, ich solle Religionen mehr achten, so kann ich aus Überzeugung und von Herzen gern versichern, daß ich jede Religion hoch achte, die auch den Gläubigen achtet. Wo jedoch Unwissenheit des Gläubigen gering geachtet und schamlos ausgenützt wird, wo mit Wundern, die keine sind, Hokuspokus getrieben wird, wo aus andressierter Gläubigkeit klingende Münze geschlagen wird, wo Religionen mit Androhung von Strafen im Jenseits ihre Anhänger im Diesseits unter Zwang setzen, in allen solchen Fällen kann ich Religionen, gleich welcher Couleur, nicht achten. Ich bemühe mich um Aufrichtigkeit und möchte denen helfen, die — wie ich — von Kindheit an in den Bann einer Religionslehre genommen wurden, aus dem es angeblich kein Entweichen gibt — es sei denn um den Preis ewiger Verdammnis.
Die Befreiung von konfessionellen Fesseln bedeutet keinesfalls Preisgabe des Glaubens an einen Gott als Urkraft allen Seins. Nein! »Wunderheilungen« sind kein Beweis für die Echtheit einer Erscheinung. Um Licht ins Dunkel der Mysterien vorgeblicher Wunder zu bringen, muß versucht werden, den Erscheinungsphänomenen, die sie ermöglichen sollen, auf die Spur zu kommen.
Es gibt Erscheinungen
Dies ist erst der Anfang ihres Tuns. Nunmehr wird ihnen nichts unmöglich sein, was immer sie sich vornehmen. Moses I,11,6
Erscheinungen gibt es. Erscheinungen entstehen im intelligenten Gehirn. Jedes intelligente Gehirn verfügt über Voraussetzungen, Erscheinungen entstehen lassen zu können. Der Impuls für die Auslösung von Erscheinungen ist außerirdischer Herkunft. Religiöse Erscheinungen entstehen durch das Wunschbild des Sehers, das er — von seiner religiösen Umwelt suggeriert — in sich trägt. Bergen diese meine Thesen eine Sammlung von Widersprüchen? Das mag auf Anhieb so scheinen. Um nun Indizien und Beweise zum Verständnis der Thesen logisch aneinanderzufügen, muß ich von der Basis meiner Theorie her aufbauen. Für die Entstehung des Weltalls bietet die Astrophysik heute im wesentlichen drei Theorien [1] an: die »Urknall «-Theorie, die »Steady-State«-Theorie und die »Oszillations«-Theorie. Keine dieser drei (oder weiterer) Theorien für die Entstehung des Weltalls erklärt, woher die geheimnisvolle Ur-Materie des gesamten Kosmos stammt und was vor ihrer Entstehung vorhanden war. Aus NICHTS entsteht NICHTS. So belanglos es für meine Thesen ist, welche der zum Teil
wissenschaftlich fundierten, aber auch vielfach spekulativen Theorien letztlich Anspruch auf Gültigkeit erheben kann, so unwichtig ist es auch für mich, ob die Entstehung des Universums fünf, zehn oder zwanzig Milliarden Jahre zurückliegt, wie es mir auch unerheblich scheint, ob die Materie endlich oder unendlich ist oder ob sie sich dauernd erneuert. Meine Frage ist: Woraus ist UrMaterie entstanden? Und: Was war vor der Ur-Materie existent? 48 Zeilen Science-fiction Meine Ansicht zu dieser Frage verdeutlichte ich in Diskussionen an einem vereinfachenden bildhaften Denkmodell. Ich regte an, man möge sich einen Computer mit 100 Milliarden Denkeinheiten (in der Fachsprache: Bits) vorstellen, einen Computer, der denken kann, also ein »persönliches Bewußtsein« (Professor Michie, Universität Edinburgh) hat. Dieses Bewußtsein ist an Milliarden Schaltstellen fixiert, es wäre zerstört, wenn der Computer sich selbst in die Luft sprengen würde. Unser Modell-Computer aber ist von höchster Intelligenz und rasantem Kombinationsvermögen: es gibt nichts, was er nicht weiß. Trotz Bewußtsein und Allwissen ist der denkende Computer nicht »glücklich«, denn trotz seiner Höchstform kann er etwas nicht er-denken, er-rechnen, er-kombinie-ren: ERFAHRUNG. Die aber will er sammeln. Da ihm keine ebenbürtige oder auch nur von ferne ähnliche Konkurrenz bekannt ist, bei der er sie einholen könnte, entscheidet er, die 100 Milliarden Bits seines Zentralkörpers durch Explosion zur Erkundung auszusenden, wohl wissend, daß er dadurch endgültig sein persönliches Bewußtsein verlieren würde. .. wenn er nicht in seiner unübertrefflichen Cleverness die Zukunft nach der Selbstzerstörung, dem Moment der Massenaussendung der Bits also, längst vorher programmiert hätte. Ehe die Bits auf die große Erfahrungsreise katapultiert wurden, hatte der kluge Computer in ihnen magnetische Impulse mit dem
Befehl programmiert, sich an dem Ort x zu der Zeit Y wiederzusammenzufinden. Wenn diese Stunde schlägt, kehren also die Milliarden Bits gehorsam — wer kann schon gegen ein Programm an? — in die komplizierte Maschinerie mit ihrem »persönlichen Bewußtsein« zurück und tragen — wie Bienen den Honig in den Stock — Erfahrungen heim. Vom Moment der Explosion an bis zum Augenblick der Rückkehr »wußte« kein Bit, daß es winzigstes Teilchen eines größeren Bewußtseins war und nun wieder sein wird. Zu dieser »Erkenntnis« fehlte den Bits die notwendige Kohärenz. Hätte sich ein einzelnes Bit mit seinem geringen Denkvermögen die Frage stellen können: »Was ist Sinn und Zweck meiner rasenden Fahrt?« oder »Wer hat mich erschaffen, woher komme ich?«, es hätte keine Antwort gehabt. So war denn die gewaltsame Reise Anfang und Ende eines Aktes, einer Art von »Schöpfung« des Bewußtseins, vermehrt um den Faktor ERFAHRUNG. Dieser kühne Vergleich aus dem Arsenal der Science-fiction ist als Denkhilfe gemeint, um das Phänomen aufzuspüren, das vor der Ur-Materie vorhanden war. Terrible simplificateur. Ich bitte um Vergebung, aber es hilft uns weiter. Am Anfang war nur »Geist« Es gibt keine Menschheitsüberlieferungen, die nicht versichern, »Geist« (oder das umfassende Synonym »Gott«) sei vor allem Anfang, also vor der Entstehung von Materie »da« gewesen. Der (Ur-)Geist habe dann beschlossen, Materie zu werden, sich zu verwandeln. (... Und das Wort ist Fleisch geworden ...) »Geist« ist nicht dingfest zu machen, mit Instrumenten nicht meßbar. Wie soll man sich ihn vorstellen? In gasförmigem Zustand? Kaum möglich, denn Gasmoleküle sind ja bereits Materie. Denkbar allerdings, daß »Geist«, dieses unbekannte geheimnisvolle ES (Geist muß ein Neutrum gewesen sein!), sich in der ersten Stufe seiner
Materialisation in eine gasförmige Aggregation umwandelte. Diese Annahme hat nun aber nichts, gar nichts mehr mit Sciencefiction zu tun, denn jede astrophysikalische Theorie zur Entstehung des Weltalls beginnt beim gasförmigen Zustand der Ur-Materie — bei Gasmolekülen, die sich finden und langsam und stetig zu Materieklumpen zusammenballen. Ist aber der gasförmige Zustand der nachgewiesene Urzustand [2] aller Materie und anfänglich »Geist« gewesen, dann bedeutete das schlicht und klar, daß alle vorhandene Materie vom Urgeist durchdrungen wäre, eine Behauptung, die in allen theosophischen und esoterischen Religionen manifest ist. Materie wäre so, gröblich ausgedrückt, kristallisierter sublimierter Geist. Es ist unerheblich, an welche Art von Materie man denkt — ob an Lava, Gestein, Pflanzen, Tiere oder Menschen — sie kommt letztlich aus demselben Urzustand. Es ist sogar gleichgültig, ob man Materie von unserem Planeten, vom Jupiter, Alpha Centauri oder aus dem Andro-meda-Nebel annimmt. Materie ist die Schöpfung an sich und selbst Produkt der Schöpfung. Materie hat millionenfache Wege der Evolution durchlaufen. Ein Stein, Produkt derselben Herkunft und desselben Urzustandes, kann sich keine Frage stellen. Eindeutig aber entwickelt sich Leben aus »toter« Materie, daran gibt es nicht die geringsten akademischen Zweifel mehr. Lebende Materie, etwa eine Zelle, entwickelte sich in Jahrmilliarden zu komplizierten Organismen. Entwicklung und Reaktionen von Organismen werden von Gehirnen mit ihrer grauen Masse milliardenfacher Zellen gesteuert, sie bringen durch chemisch-elektrische stoffliche Veränderungen das »persönliche Bewußtsein« hervor. Erst nach Existenz von persönlichem Bewußtsein ist Intelligenz vorhanden, die Fragen stellen kann. (Descartes: »Cogito, ergo sum« — Ich denke, also bin ich). Entwicklungsgeschichtlich ist demnach Intelligenz jeder unter ihrem Bewußtseinszustand liegenden Materie überlegen. Materie
wird von ihr beherrscht. Intelligenz ist dem Urgeist verwandter als tote Materie — Intelligenzen können untereinander kommunizieren, sie können auf hohem Niveau fragen: »Wer hat mich erschaffen? Was ist Sinn und Zweck des Daseins?« — In meinem utopischen Denkmodell: Bits suchen mit ihren Sensorien Kontakt zum ursprünglichen Bewußtsein, ohne zu begreifen, daß sie selbst Bestandteil dieses Bewußtseins sind, sie mögen nach dem »Geist«, nach dem ES, dem Synonym für Schöpfer oder Gott, suchen, doch sie »merken« nicht, daß das, was sie suchen, um sie herum und in ihnen selbst ist. Eine absurde Idee? Wissenschaftler mögen antworten. Der Stoff der Welt Sir Arthur Eddington (1882—1944), englischer Astronom und Physiker, Direktor der Sternwarte in Cambridge [3], entdeckte die Massenhelligkeitsbeziehung der Sterne und begründete die Pulsationstheorie der Cepheiden. Eddington vertrat einen »selektiven Subjektivismus« der Naturgesetzlichkeit, indem er annahm, daß die physikalischen Grundgesetze wesentlich durch die Struktur des Erkenntnisvorgangs mitbestimmt seien, und behauptete: »Der Stoff der Welt ist der Stoff des Geistes«. Der Naturphilosoph Bernhard Bavink (1879—1947)) der sich bemühte, die Kluft zwischen Naturwissenschaft und Religion zu schließen, vertrat die Ansicht [4]: »Die stoffliche Weltordnung erscheint uns heute als vielleicht vorübergehende Materialisation eines durchaus geistigen Konzepts.« Max Planck (1858—1947), der der Physik mit seiner Quantentheorie neue Wege wies und 1918 den Nobelpreis für Physik bekam, bekannte: »Als Physiker, also als Mann, der sein ganzes Leben der
nüchternsten Wissenschaft, nämlich der Erforschung der Materie diente, bin ich sicher von dem Verdacht frei, für einen Schwarmgeist gehalten zu werden. Und so sage ich Ihnen nach meinen Forschungen des Atoms dieses: Es gibt keine Materie an sich! Alle Materie entsteht und besteht nur durch eine Kraft, welche die Atomteilchen in Schwingungen versetzt und sie zum winzigsten Sonnensystem des Atoms zusammenhält. Da es aber im ganzen Weltall weder eine intelligente noch eine ewige Kraft an sich gibt, müssen wir hinter dieser Kraft einen bewußten intelligenten Geist annehmen. Dieser Geist ist der Urgrund aller Materie ...« Sir James Hopwood Jeans (1877—1946), englischer Mathematiker, Physiker und Astronom, der vor allem auf dem Gebiet der Thermodynamik, der Stellardynamik und der Kosmogonie bahnbrechend wirkte, wurde besonders durch seine Theorie der Planetenentstehung [5] bekannt. Sir James meinte: »Heute ist man sich ziemlich einig darüber und auf der physikalischen Seite der Wissenschaft nahezu völlig einig, daß der Wissensstrom auf eine nichtmechanische Wirklichkeit zufließt; das Weltall sieht allmählich eher wie ein großer Gedanke als wie eine große Maschine aus«.
»Geist« — Energie Wenn also Materie ein Produkt von »Geist« und — vice versa — Geist ein Produkt von Materie ist, wären dann Geist und Materie von gleicher Beschaffenheit — nur in einem anderen Aggregatzustand? Vor 50 Jahren fragte man: Läßt sich Energie in Materie umsetzen? Einsteins Formel E = mc2 gab die weltverändernde Antwort. Wasserstoffbomben sind ein unübersehbarer und unüberhör-barer Beweis. Darf heute gefragt werden: Läßt sich »kristallisierter« Geist freisetzen? Der Analogieschluß liegt auf der Hand: Materie ist sowohl eine
Energieform als auch »kristallisierter« Geist; folglich ist Geist gleich Energie und Energie gleich Geist. Bewußtsein, als unzweifelhaft rnit dem »Geist« verwandt definiert, muß eine andere (wenn auch noch unbekannte) Form von Energie sein. Energie geht nicht verloren Der niederländische Physiker und Mathematiker Christiaan Huygens (1629—1695) gilt als der Urheber des »Energiesatzes« (Energieprinzip), wonach die Gesamtenergie des Universums konstant ist und alle Energieformen ineinander umwandelbar sind. Hermann von Helmholtz (1821 —1894) und Albert Einstein (1879— 1955) ergänzten diesen Fundamentalsatz. — Nimmt man Bewußtsein (alle laufenden Forschungen kündigen dieses Resultat an) als eine Energieform, dann ist der empirische vielbewährte »Energiesatz« auch darauf anzuwenden. Da die Gesamtheit aller Energie konstant bleiben muß, bedeutet doch wohl diese mir schlüssig scheinende Beweislinie nicht mehr und nicht weniger, als daß Bewußtsein (manche mögen es »Seele« nennen) unsterblich ist! Energie geht nicht verloren, kann nicht verschwinden, kann nicht »sterben« und sich auch nicht in Nichts auflösen — sie wird sich allerdings umwandeln. Umgewandelte Energie ist nicht mehr das, was sie vorher war. Bewußtsein verliert zwar durch Tod seine originäre energetische Aktivität, ist kein »Bewußtsein« mehr, ist aber nunmehr umgewandelte Energie. (Dampf ist ein anderer Aggregatzustand von Eis und Eis ist ein anderer von Wasser. Dampf, Eis und Wasser sind mit geringer Mühe in eine andere Form umsetzbar, doch sind ihre Wirkungen völlig verschieden voneinander). Ist die ultima ratio, die letzte Konsequenz: ALLES ist EINS und EINS ist ALLES? Wenn dem so ist — und was spricht gegen diese Logik? —, muß es dann nicht der bewußten intelligenten Energieform möglich sein, auf die unbewußte einzuwirken? Mit Hilfe von
Technik und Mechanik geschieht das in jeder Minute rund um uns herum: wenn der Holzfäller einen Baum umlegt, setzt er seine bewußte intelligente Energie ein, um den unbeweglichen Baum zu Fall zu bringen — durch seine bewußte intelligente Energie nutzt der Schmied andere Energieformen (Feuer, Hammer, Amboß), um das Hufeisen in eine neue Form zu zwingen. Die bewußte intelligente Energie nutzt jeweils alle für den konkreten Fall zweckmäßigen und bekannten Formen zur Energieumwandlung. Wenn Mechanik und Technik Umwandlungsprozesse kraft bewußter Intelligenz ganz selbstverständlich vollziehen, müßte dann nicht gleichermaßen eine bewußte intelligente Energieform auch dazu fähig sein, andere Energieformen zu gewollten Reaktionen zu veranlassen? Die Frageform ist überflüssig, weil solche Reaktionen laufend in der Menschheitsgeschichte ausgelöst wurden und sich auch in uneren Tagen abspielen. Immer gab (und gibt) es Menschen, die den Geheimnissen, die die »Energie-Bestie Gehirn« barg, auf die Spur kamen, um dann die Mitwelt, bewußt oder unbewußt, durch neue Erkenntnisse und Kräfte zu verblüffen, ihr zu helfen, sie weiterzubringen. Wo aber heute noch derart gewonnene Erkenntnisse und Kräfte genutzt werden, um neue Religionen zu kreieren und alte mysteriös »aufzufrischen«, handelt es sich für meinen Geschmack um die infamste Sorte modernen Gangstertums, weil hier ein rücksichtsloses Spiel mit Unwissenden getrieben wird. Materialisations-Phänomene Dr. Albert Freiherr von Schrenck-Notzing (1862—1929) gilt als Begründer der heute so populären Parapsychologie. Er war sich durchaus klar, welchen Angriffen er sich aussetzte, als er seinen Bericht über körperliche Erscheinungen, die sich bei Anwesenheit eines Mediums in Form einer nebelartigen Masse (Tele- oder Ektoplasma) entwickelten, publizierte. Der Arzt Dr. Schrenck-
Notzing hatte selbst in Rom und Paris bei der Entlarvung von Scharlatanen mitgewirkt, die unter Benützung von Hilfsmitteln Materialisationen vortäuschten. Er kannte alle Tricks, mit denen angebliche Medien dümmliche Seancen-Teilnehmer an der Nase herumführten. Eva C. war das Beobachtungssubjekt des Arztes. Im Jahre 1909 fanden Sitzungen in der Pariser Wohnung des Dramatikers Alexander Bisson (1848—1912) statt. Es nahmen — wie später in München oder London — jeweils mehrere Personen, darunter Ärzte, teil. Die Kleidung von Eva C. wie Beleuchtung, Verriegelung der Türen, Beschaffenheit der Wände etc. wurden stets kontrolliert. — Vor Beginn zeigte sich Eva C. unbekleidet. Madame Bisson nahm eine gynäkologische Untersuchung vor, Peri-neum und Anus wurden exploriert. Und: »Vor jeder Sitzung untersuchte der Verfasser die Kopfhaare, Nasenlöcher (ließ Luft durchblasen), die äußeren Ohrkanäle, die Mundhöhle, Zähne, Achselhöhlen, Füße, die Beschaffenheit der Hände und Fingernägel ... der Einwand, das Medium könnte irgendwo kleine zusammengerollte Kü-gelchen haben, erscheint unbegründet«. Nach diesen penetrant genauen Untersuchungen wurde die arme Eva C. in ein schwarzes Gewand eingenäht, das sie zuvor nie berührt hatte. »Wenn darauf geachtet wird, daß das Medium nichts Weißes auf dem Körper hat (weder Hemd noch Taschentuch), so wirken die grau und weiß erscheinenden Materialisationsgebilde auf schwarzem Hintergrund überzeugend.« Schrenck-Notzing kam eine technische Entwicklung seiner Zeit zunutze: Blitzlichtaufnahmen mit pulverisiertem Magnesium. Diese zum Teil ekelerregenden Fotografien sind seinem Buch »Materialisations-Phänomene« [6] als Belege beigegeben. Was nun geschah bei diesen mediumistischen Sitzungen?
Ohne Netz und doppelten Boden Einige Beispiele aus den Protokollen: 17. Mai 1910 ... Es bildete sich nun unter tiefen Respirationen und krampfhaften Muskelanstrengungen unmittelbar vor meinen Augen eine große, streifige, flockige Substanz, die ihrem Munde zu entströmen schien, sich vergrößerte und verdichtete. Das Gebilde mag fünf bis acht Zentimeter breit und 40 bis 50 Zentimeter lang gewesen sein. Ich näherte meinen Kopf bisauf etwa 15—20 Zentimeter, um deutlicher zu beobachten, und sah diese in träger Bewegung befindliche, wie ein Haufen feinster, gestreifter grauer Schleier aussehende Masse langsam niedersinken. Dasselbe folgte jeder Bewegung nach, die das Medium mit dem Kopf ausführte, und schien sich dennoch von demselben zu trennen ... Zu unserem Erstaunen konnten wir keine Gesichtszüge mehr erkennen; denn der ganze Kopf war eingehüllt in eine große schleierartige Wolke, von der helle Fetzen und Streifen auf die Brust bis zum Knie herunterhingen. Vor unseren Augen verflüchtigte sich dieses Bild, wie wenn ein Nebel zerfließt, und das Gesicht wurde wieder deutlich sichtbar ... 1.Juni 1910 ... Bei der folgenden Erscheinung nahm der helle Schein zuerst seinen Ausgang von ihrem Schöße und der rechten Hüfte. .. Der Mund hatte keine Verbindung mit dem Gewebe, wovon ich mich durch Einführen eines Fingers in den Mund überzeugte ... 2. September 1910 ... Madame Bisson hielt eine Sitzung ab, wobei Eva C. kein anderes Kleidungsstück als einen Schlafrock anhatte ... Madame Bisson veranlaßte das hypnotisierte Medium, denselben zu öffnen, und ich hatte nun zum erstenmal Gelegenheit, die Emanation des Teleplasmas am unbekleideten Körper zu beobachten ... dasselbe entströmte in erster Linie den Körperöffnungen, Mund, Brustwarzen und Genitalien ... Die Emanation hat einen rauch- oder gasartigen Charakter,
bildet Wolken, aus denen schleierartige stoffliche Gebilde und alle möglichen den menschlichen Gliedmassen ähnliche Formen entstehen .. . Explorationen in Paris und London An der Sitzung vom 5. November 1910 nahm Professor Charles Richet (1850—1935) teil. Der französische Mediziner erkannte die Schutzwirkungen des Blutes bei infizierten Versuchstieren und entdeckte die Anaphylaxie, Dafür erhielt er 1913 den Nobelpreis. Heute beginnen die Sitzungen sofort mit den Phänomenen . . . Da, wo der Verdichtungsprozeß der grauen Stoffaggregate weiter fortgeschritten ist, sehen wir einen weißen, ins Rosa spielenden Schein wie von weißem Chiffon oder Schleiergewebe ... In Paris waren fast bei jeder Sitzung Ärzte aller denkbaren Fakultäten zugegen, aber auch Naturwissenschaftler wie Professor Fontenay, der die physikalischen Gegebenheiten prüfte. Während der Sitzungen in München zog Dr. von Schrenck Dozenten der Universität wie Dr. Specht und Dr. Kafka zu. Im Laufe der Jahre produzierte Eva C. Umrisse von Gestalten und, fotografisch festgehalten, deutlich erkennbare Gesichter. Skeptische Pariser und Londoner Ärzte untersuchten das Medium bis unter die Haut, prüften ihre nahe Umgebung, die Phänomene wiederholten sich unter allen Voraussetzungen. Eva C. stammte aus geordneten Verhältnissen, sie hatte keine pekuniären Prorbleme, sie trat nie gegen Entgelt auf, stellte sich aber allen Ärztegremien und auch Journalisten. In den Listen der Sitzungen stehen Namen wie die von Professor Eck Dumoir van Twick, Gesellschaft für psychische Studien, den Haag; Professor Courtier, Direktor des physiologischen Laboratoriums der Sorbonne, ja sogar der von Sir William Crookes (1832—1919), Mitglied der Englischen Gesellschaft für psychische Forschung. Crookes entdeckte 1861 das Thallium und erfand 1874 das
Radiometer. Das britische Komitee lud Eva C. in sein Haus nach London, 20 Hanover Square, ein. Unter strengsten wissenschaftlichen Prämissen wurden dort Sitzungen durchgeführt. Bei der Sitzung am 10. Mai 1920 wurden vier Kameras verwendet, darunter eine Stereoskopkamera. Eine Aufnahme zeigte »eine kleine Hand auf der linken Schulter«, eine andere »eine flackernde Leuchtmasse«. Am 28. Mai wurde Evas Kopf in einen Schleier eingenäht, und man »erkannte, daß das Objekt aus ihrem Mund durch den Schleier« gedrungen war. Es gab Zweifler und Skeptiker, aber auch sie konnten nicht ermitteln, wie die Erscheinungen bei Eva C. zu erklären waren. Die englische Society veröffentlichte Berichte sowohl in ihrer periodischen Zeitschrift wie in Sonderdrucken. In Paris nahmen Professor H. Clararede, Genf, und Professor de Fontenay von der Sorbonne wie führende Ärzte Pariser Krankenhäuser an Evas Demonstrationen teil. Der berichterstattende Arzt Dr. Bourbon: Alles, was ich in den zahlreichen Sitzungen gesehen habe, ist mehr als genügend für meine Überzeugung, daß man sich hier Erscheinungen gegenüber befindet, die aus einem noch ganz unbekannten Gebiet der Biologie stammen ... Der Nobelpreisträger Charles Richet schrieb an Dr. von SchrenckNotzing: ... Was meine ehemaligen Experimente . .. betrifft, so habe ich davon kein Wort zurückzunehmen. Hierbei berufe ich mich auf den großen und edlen Gelehrten William Crookes, der sich erst ganz kürzlich so äußerte: »Ich ziehe nichts zurück von dem, was ich gesagt habe.« — Kritik muß geübt werden, das ist eine Bedingung der Wissenschaft selbst. Die Wahrheit wird in ihrer ganzen Schönheit an den Tag kommen; das wird aber nicht geschehen durch inkompetente Personen, durch Ignoranten, die nichts gesehen haben, nichts kontrolliert, nichts geprüft, ja nicht einmal mit Sorgfalt die Untersuchungsprotokolle gelesen haben; vielmehr
durch solche Gelehrte, die wirklich gearbeitet und ohne Unterlaß experimentiert haben, welche die Wahrheit der Wahrscheinlichkeit vorziehen... Es ist sicherlich nicht unser Fehler, wenn das metaphysische Gebiet so viele Unwahrscheinlichkeiten und Widersprüche bietet... Soweit die Dokumentation des Falles Eva C. zugänglich ist, bleibt objektiv festzustellen, daß Betrugshypothesen nicht zu halten waren, daß von Eva C. alle Wünsche wissenschaftlicher Gremien erfüllt wurden, daß ein Personenkreis, der nach meinen Schätzungen weit über ioo liegt, die Materialisationen beobachtete und bestätigte. Ein Argument, das der Arzt Dr. von SchrenckNotzing ausließ, scheint mir überzeugend zu sein: Warum sollte sich Eva C, ohne den geringsten Nutzen davon zu haben, den geschilderten ekelhaften Prüfungen aussetzen? Für wen denn spielte sie Theater? Es gibt eine Vielzahl behaupteter angeblicher Materialisationsphänomene. Der Fall Eva C. behielt bis heute seine Sonderstellung, weil alle anderen nicht so penibel registriert und dokumentiert wurden. Deshalb auch erscheint er immer wieder als Beispiel in der wissenschaftlichen Literatur der Parapsychologie. Bleibt das Resümee von Professor Mikuska, Universität Genua, zum Fall Eva C.: So bleibt es einer okkulten Biologie der Zukunft vorbehalten, das Lebensrätsel, den Zusammenhang von Geist und Materie, von Seele und Körper, von Lebendem und Leblosem zu erforschen. Sie zeigt uns heute schon, daß der Geist, die Idee, der Wille das treibende Agens für die Entstehung teleplastischer Formenbildungen darstellt, und sie wird uns, hoffen wir, in einer nicht zu fernen Zukunft auch dem großen Mysterium näherbringen, wie durch schöpferische Willensakte des Weltgeistes das Weltall in seiner Gesamtheit und kosmische Prozesse in der Unendlichkeit ihrer Entwicklung und Vervollkommnung entstehen. Umgewandelte Energieformen Verstorbener? Materialisationen, wie es sie im Fall Eva C. vielfach gab, haben
mit Spiritismus gar nichts und mit Okkultismus auch nur sehr bedingt zu tun, denn die phänomenalen Erscheinungen waren sichtbar, fühlbar und fotografierbar. Was im beschriebenen Fall gelang und geprüft wurde, ist sicher keine Einmaligkeit. Das Phänomen war und ist wiederholbar. Ich bezweifle die dokumentarischen Beri-te von Dr. von Schrenck-Notzing und der beteiligten Wissenschaftler nicht — ich stelle eine Frage, die damals noch nicht zur Debatte stand: Welche Energieform war hier wirksam? Eva C. war bei den Sitzungen durch Hypnose in Trance, einem Bewußtseinszustand also, der freie Willensbestimmung ausschließt. Das Unterbewußtsein als Energieform (für die Produktion von Materialisationen) ist denkbar, wenn auch vorerst noch nicht bewiesen. Aber: Kommen vielleicht umgewandelte Energieformen Verstorbener in Frage? Pardon, das ist keine so absurde Vermutung, es ist vielmehr eine konsequente Weiterführung des »Energiesatzes« in bisher kaum erforschtes Neuland. Wenn alle Energieformen ineinander umwandelbar sind — eines der ganz wenigen total anerkannten und unbestrittenen Naturgesetze! —, müssen auch die Bewußtseinsenergien Verstorbener umwandelbar sein. Jahrtausendelang wußte man außer vagen philosophischen und religiösen Spekulationen nicht, was über den Tod hinaus mit dem Bewußtsein geschieht. (Die »Seele« fährt gen Himmel. Unsterblichkeit wurde also dem Bewußtsein = Seele immer schon zugebilligt!) Die moderne Forschung ist dabei, die schwarzen Tücher, die über einem vorgeblich unerklärbaren Mysterium ausgebreitet wurden, behutsam wegzuziehen, und was sie bisher schon ans Licht brachte, scheint zu beweisen, daß das Bewußtsein (ergo: Bewußtseinsenergie) Verstorbener durchaus nicht »tot« ist! Waren derartige Bewußtseinsenergien Verstorbener vielleicht auch beim »Hostienwunder« in der Nacht vom 18. Juli 1962 in Carabandal wirksam, als sich auf der Zunge des Mädchens Conchita etwas wie eine Hostie materialisierte? — Wo stehen die
Erkundungen dieser Phänomene heute? Berichte aus dem »Jenseits« Scheintode kommen bei Atmungsstillstand durch Lähmung des Atemzentrums (Asphyxie), bei Herzinfarkten, Unfallverletzungen (Traumen), Vergiftungen oder nach Krämpfen etc. vor. Wie JeanBaptiste Delacour [7] berichtet, bezeugen alle von solchen Scheintoden Erretteten, daß sie beim temporären Aufenthalt im »Jenseits« zwar ein Bewußtsein behielten, daß es aber von völlig anderer Art als das ihres »lebendigen« Bewußtseins gewesen wäre. Die jenseitige Welt wurde als zeitlos empfunden, als eine Welt von Schwingungen, Harmonien und Farben, als eine Welt, in der offenbar zahllose Bewußtseine untereinander kommunizierten, Gespräche miteinander führten und — körperlos und ohne Sinnesorgane, wie sie dort waren — andere sahen und Erinnerungen mit ihnen austauschen konnten. Von allen aus dem »Jenseits« Wiedergekehrten wurde die abrupte Rückkehr auf den harten Boden diesseitiger Tatsachen als unangenehm lästig und widerlich empfunden. »Drüben« war alles so unendlich viel schöner. Mediziner sagen, derartige Schilderungen Wiedererweckter wären als Aussagen über ein »Jenseits« unerheblich und wertlos, weil im Gehirnstamm Scheintoter Bewußtseinsebenen in Funktion bleiben und aus tiefen Gehirnschichten den kurzfristig »Toten« Truggebilde einer Märchenwelt ins Bewußtsein heben würden. Falls die Mediziner recht haben, ist das für mich ein scheußlicher Gedanke: Ich liege da unten in meinem holzernen Appartement, Maden und Würmer tun sich an meinem Fleische gut, und meine tieferen Gehirnschichten sind immer noch aktiv. Sehr unangenhm. Wer weiß, wie lange sie aktiv bleiben? Bis zu dem Moment, in dem sich Bewußtseinsenergien umgewandelt haben? Das wird Gott sei Dank im Falle eines wirklichen Exitus schneller geschehen als bei
Scheintoten ... Was aber ist mit Bewußtseinsenergien von Personen, die schon seit Jahren und Jahrzehnten tot sind? Transzendentale Stimmen 1964 behauptete der Schwede Friedrich Jürgenson [8], daß es ihm gelungen sei, mit Hilfe von Mikrofonen und Tondbändern Stimmen längst Verstorbener einzufangen. Dieses Phänomen fesselte den kritischen Parapsycholo-gen Dr. Constantin Raudive. — Raudive, 1909 in Lettgallen an der russischen Grenze geboren, verließ als Jüngling seine Heimat, studierte in Paris und Madrid, wo für ihn die Begegnung mit Ortega y Gasset (1883—1955) zum entscheidenden Erlebnis wurde. (Ortega vertrat die anthropologische Lehre, daß der »Geist« den Kern der Persönlichkeit bilde) Raudive setzte seine Studien in Edinburgh und Uppsala fort, kehrte nach Riga zurück, übersetzte für Verlage die Werke von Miguel Unamo, Ortega y Gasset und Goethe ins Lettische. 1944 floh er vor den Russen über Polen und die Tschechoslowakei nach Deutschland, wo er heute in Bad Krozingen, Baden-Württemberg, seinen Forschungen nachgeht. Vier Jahre wandte Raudive an die Verifizierung der Behauptungen des Schweden Jürgenson; er ließ sich ein absolut schalldichtes Aufnahmestudio einrichten und arbeitete mit magnetisierten Platten, die auch Störungen der minimalen Nebengeräusche von Mikrofonen und Aufnahmeköpfen ausschlössen. 1968 veröffentlichte Raudive [9] seine Forschungsergebnisse, die ausnahmslos unter wissenschaftlich gesicherten Bedingungen stattgefunden hatten. Hunderte von Beobachtern bestätigten die Exaktheit seiner Methoden, darunter. Persönlichkeiten wie Professor Hans Bender, Leiter des Instituts für Grenzwissenschaften, Freiburg, der Physiker Dr. G. Rönicke, Dr. phil. Juliane Bieber, Dr. med. Arnold Reincke, Dr. med. Hans
Naegeli, Präsident der Schweizerischen Parapsychologischen Gesellschaft, Professor Atis Teichmanis, der Chirurg Professor Werner Brunner, Zürich, Professor Alex Schneider, St. Gallen, Professor Walter H. Uphoff, Boulder, USA, Dr. Jule Eisenbund, Denver, USA, Dr. Wilhelmine C. Hennequin, Spezialärztin für Anästhesie, Dr. R. Fat-zer, Wädenswil, Schweiz usw. usw. 72 000 Stimmmen wurden von Constantin Raudive registriert! Zum Ergebnis sagt Alex Schneider, Professor für Physik an der Eidgenössischen Technischen Hochschule, Schweiz: »Vorläufig sind von der Physik her keine Widersprüche zu Stimmenphänomen zu erkennen. Allerdings wird man auf weitere Untersuchungen gespannt sein, besonders da sie auch unsere Auffassung von der elektromagnetischen Strahlung erweitern werden.« Jeder kann Stimmen jagen Jeder kann ohne großen Aufwand in seinen vier Wänden auf Stimmenjagd gehen — etwa nach dem Rezept: Man wähle eine Zeit und einen Raum mit wenig störenden Außengeräuschen; man nehme allein oder mit einer beliebigen Zahl von Personen ein Mikrofon zur Hand und fordere laut Verstorbene (oder »Geister«) auf, sich zu melden; das Tonband möge schon leise vor sich hin laufen. Man warte und wiederhole nach einer halben Minute die Appelle an die Jenseitigen. Man warte wieder. So eine Ruf- und Suchaktion möge nicht über eine halbe Stunde hinaus ausgedehnt werden ... Man läßt das Tonband zurückspulen und hört, falls man auf Anhieb Kontakt und Echo bekam, verblüffenderweise in Sekunden, die nicht von Rufen ins Jenseits überlagert sind, hastig gesprochene Worte in verschiedenen Sprachen. Die aufgenommenen Sprachfetzen sind in so großem Tempo gehaspelt, daß man anfänglich ziemliche Mühen aufwenden muß, um aus dem Gewirr
von eigenen Rufen, Raumgeräuschen und Störungen aus dem Äther heraus Worte oder Sätze identifizieren zu können: Laute, Wörter, Satzteile werden oft gezischt, manchmal auch nur dezent geflüstert, sie kommen von verschiedenen Stimmen. Man sollte, was man mitkriegt, aufschreiben, weil sich erst dann Sprachen, Dialekte und Kürzel erkennen lassen. Zu besten Resultaten kommt man, wenn man identifizierte Stimmen auf ein zweites Tonband überspielt und dabei Wartezeichen, Nebengeräusche etc. herausschneidet. Ich möchte die Hoffnung zerstören, daß man sozusagen im Klartext Mitteilungen der Stimmen verstehen kann. Es geht im Äther ziemlich turbulent zu, nach Nietzsche meldet sich der Urgroßvater von Tante Emma und gleich darauf die Stimme Carusos oder eines verstorbenen Freundes. Bezeichnend ist, daß offensichtlich — richtiger: offenhörbar — keine Stimme die andere ausreden läßt. Muß ja auch im Jenseits ein ziemliches Gedränge herrschen ... Eine praktikable Methode des Stimmenfangs ist diese: man schließe das Mikrofonkabel des Tonbandgerätes ans Radio an und wähle eine Einstellung zwischen zwei Sendern. Dieses Verfahren hat zwar den Nachteil, daß Stimmen von atmosphärischen Störungen überlagert werden, aber den Vorteil, daß eine denkbare Beeinflussung des Mikros durch Anwesende ausgeschlossen wird. Es ist erwiesen, daß über allem atmosphärischen Gekreische Stimmen aus dem Äther erwischt werden [ 10]. Es ist ein lustiges Gesellschaftsspiel und viel aufregender, als wenn man bei Ekarte, Bingo oder Backgammon sein Geld verliert! Es geht nur um Bewußtseinsenergien Bei den Experimenten im Studio von Dr. Raudive gab es keine Geräusche, die akademischen Teilnehmer sprachen kein Wort: Es wurden. Stimmen verstorbener Freunde oder Verwandter erkannt. Falls eine über- oder unterbewußte Energieform die Phänomene
ausgelöst haben sollte, wäre das in jedem Fall unbewußt geschehen — egal, denn auch das wäre ja ein Beweis für Umwandlung von Bewußtseinsenergie in die Energieform des technischen Mediums Tonband! Man schätzt, daß kreuz und quer durch die Welt einige ioo ooo Tonbandprotokolle mit jenseitigen Stimmen archiviert sind. Belege wären also en masse vorhanden — deren Deutung ist eine offene Frage. Die Crux ist, daß bisher nicht mit »wissenschaftlicher Sicherheit« gesagt werden kann, daß die transzendentalen Stimmen wirklich zu Verstorbenen gehören. Es ist denkbar und naheliegend, daß die Bewußtseinsenergie Lebender (inkl. Unter- und Überbewußtsein) direkt in die Elektronik wirkt. Es mag sogar genügen, daß irgendwo irgendwer, jemand, der überhaupt nicht am Experiment teilnimmt, durch Gedankenkombination unbewußte Energie auslöst, die sich in elektromagnetische Schwingungen umwandelt, und die lassen sich auf dem Magnetband nieder. Für meine Betrachtungsweise macht es kaum einen Unterschied, ob da Stimmen Verstorbener oder Bewußtseinsfetzen von Zeitgenossen magnetisch aufgezeichnet werden: So oder so werden Bewußtseinsenergien nachgewiesen, die Wirkungen hervorrufen, ohne daß sie sie bewußt verursacht haben. Die Jagd auf Stimmen aus der Geisterwelt geht weiter. Im Mai 1974 schrieb Dr. Constantin Raudive [11]: »Zum erstenmal verfügen wir in der post-mortem-For-schung über ein Objekt, das das Merkmal der Wiederholbarkeit aufweist, was als zwingender Beweis für die Existenz dieses Objekts zu betrachten ist. Somit haben wir die Möglichkeit systematischer, intensiver Forschung auf diesem Gebiet. Aus den Resultaten dieser Untersuchung läßt sich folgern, ob diese oder jene Annähme richtig oder falsch ist; die Tatsachen sind die wahre Sprache der Wissenschaft.«
Durch Hypnose in die Vergangenheit? Die virulent angelaufene Diskussion und Forschung um Bewußtseinsformen nach dem Tode, ohne religiöse Arabesken, erschöpft sich freilich bei weitem nicht in der Befragung Scheintoter oder dem Halali für erjagte transzendentale Stimmen. — Hypnotiseure versetzen Versuchspersonen im Zustand des durch Suggestion eingeengten Bewußtseins nicht nur in ihre Jugend zurück, sondern über ihre intrauterine Existenz hinaus in ein Dasein vor der Geburt. Thorwald Dethlefsen [12], ein junger Hypnotiseur aus München, verfügt über exakte Zeugenprotokolle von Hypnosesitzungen, in denen die hypnotisierte Person zunächst ins Säuglingsalter zurückversetzt wurde, um dann über ihre Existenz vor der Geburt befragt zu werden. Diese hypnotische Retrospektive ging über zwei oder drei Geburten hinaus! Die in Trance vernommenen Personen versicherten, vor ihrer subjektiven Geburt unter anderem Namen an anderem Ort, oft in einem anderen Geschlecht, gelebt zu haben; sie nennen Namen und Geburtsdaten dieser »Vorleben« und sprechen auch in einer ihnen fremden Sprache, nämlich der jenes Landes, in dem sie vor zwei oder drei Geburten gelebt haben. Um das kalte Gruseln zu kriegen: sie beschreiben ihre eigenen, oft mehrmaligen Tode! Die Forschung wird so richtig schön gespenstisch ... Morey Bernstein [13] versetzte Frau Ruth Simmons durch Hypnose ins Alter von vier, drei, zwei und einem Jahr zurück. Bernstein zwang die Simmons, noch weiter zurückzudenken, zurück hinter ihre Geburt. Plötzlich berichtete sie unter anderem Namen — als Bridey Murphy — von einem anderen Leben in Irland um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Alles, was Ruth Simmons berichtete, wurde auf Tonband genommen, abgeschrieben und in Irland an Ort und Stelle recherchiert .. . durch Sprachvergleiche (Gälisch!), Einsicht in Kirchenbücher und kommunale Urkunden. Ortsund
Personenbeschreibungen der Ruth Simmons alias Bridey Murphy deckten sich mit den örtlichen Ermittlungen. Selbstverständlich hatte das Hypnosei »Opfer« Ruth Simmons die alten Dokumente nie gesehen; sie konnte sie auch nicht auf telepathischem Weg empfangen haben, weil sich für diese verstaubten Akten niemand interessiert hatte, ein mediumistischer »Sender« also nicht existierte. Hat Ruth Simmons alle Trance-Schilderungen im vorigen Jahrhundert in einer »Inkarnation« erlebt? — Das zu akzeptieren, scheint, weil die Phantasie überstrapaziert und unsere realistische Vorstellungswelt überfordert wird, unzumutbar. Indes: »Was jedermann für abgemacht hält, verdient am meisten untersucht zu werden«, sagte der Physiker Georg Christoph Lichtenberg (1742— 1799). Meine Dreieinigkeit Es ist das alte Lied: Jene, die sich intensiv mit der Aufklärung solcher Phänomene beschäftigen, wenden ihre Zeit nicht daran, Materialisten zu überzeugen, die im Stofflichen das einzig metaphysisch Wirkliche anerkennen und alles, was mit ihren Formeln, Massen und Gewichten nicht darstellbar ist, als baren Unsinn abtun. Dabei meine ich, daß gerade Materialisten »meiner« Dreieinigkeit Geist-Materie-Energie zustimmen müßten — sie zielt doch schier ins Zentrum ihrer Weltanschauung. Ich will mein Paradepferdchen an der Longe führen und nicht zu Tode reiten, zumal es von einem Mann wie Wernher von Braun [14] ausgesprochene Kraftnahrung bekommt: »Die Wissenschaft hat festgestellt, daß nichts spurlos verschwinden kann. Die Natur kennt keine Vernichtung, nur Verwandlung.« Im Gegensatz zur religiösen Interpretation (»Seele« ist unsterblich) halte ich es im physikalischen Sinne für sehr
wahrscheinlich, daß sich in unserer vierdimensionalen Welt die Bewußtseinsenergie Verstorbener durch Umwandlung in eine andere Energieform sehr wohl zu behaupten vermag. Falls sich Energien aus dem »Jenseits« unter uns bemerkbar machen können, muß auch der umgekehrte Weg — von der Erde zum »Jenseits« — gangbar sein. Unsere Bewußtseinszustände sind an die vierte Dimension, den Ablauf der Zeit, gebunden, eine Fixierung, die möglicherweise im »Jenseits« nicht gilt. Der weltbekannte französische Hellseher Belline, 50, verlor seinen einzigen, zwanzigjährigen Sohn 1969 durch einen Autounfall. 20 Monate lang versuchte Belline mit seinen telepathischen Fähigkeiten Kontakt zu Michel zu bekommen. Vergebens. Plötzlich aber empfand er eine »unsichtbare Nähe«, die er als »drittes Ohr« oder »Heil-Hören« bezeichnete. Belline fürchtete, einer aus seinem Leid heraufbeschworenen Illusion anheimgefallen zu sein. Er begann, die mit Michel in Trance geführten Gespräche auf Tonband aufzunehmen; sie erschienen 1973 in einem Buch [15], zu dem Gabriel Marcel, Institut de France, Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, das Vorwort schrieb und dem 90 Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kunst ihre Ansicht zu diesem Experiment beifügten. Aus den Protokollen wird die Zeitlosigkeit der vierten jenseitigen Dimension deutlich: 8. April 1971, 8 Uhr morgens. BELLINE: Michel, dieses »Jenseits« — wie ist es? MICHEL: ES ist eine andere Welt, ein Traum, der mit Worten nicht faßbar wird. Eine Sprache. Bewegung, Transparenz, Gedanken. Hier gibt es weder das irdische Böse noch das irdische Gute. Es ist eine Art von Heimatlosigkeit, eine Art von Traum in unzähligen Dimensionen und Vibrationen ... Hier wird die Zeit, so wie Du sie Dir in diesem Augenblick vorstellst, zur Karikatur. Ich kann dem nichts hinzufügen.
Utopische Wirklichkeiten? Falls es eins Tages gelingt, gezielt Bewußtseinsenergien von hier ins »Jenseits« zu lenken, um sie dort, in andere Energieformen verwandelt, mit Verstorbenen Kontakt aufnehmen zu lassen, müßte man diesen jenseitigen Existenzen Angaben über Vergangenheit und Zukunft abfragen können. Grund: Die Jenseitigen existieren in einer zeitlosen Dimension, ihr Zustand scheint nicht an einen Zeitablauf gefesselt zu sein. Physikalisch ist diese Möglichkeit durchaus gegeben. Unterschiedliche Energiezustände — etwa Elementarteilchen, die sich ineinander umwandeln können: ein Neutron in ein Proton, ein Elektron in ein Neutrino — haben ganz verschiedene »Lebenszeiten«. Manche von ihnen haben so geringe Lebenszeiten, daß sie eigentlich überhaupt nicht existieren dürften. Die Lebensdauer eines Positrons oder Sigma-Teilchens beträgt eine trillionstel Sekunde. Was soll man sich darunter noch vorstellen? Million x Million x Million = eine »10« mit 18 Nullen! Ein neutrales Pion »lebt« gerade noch io~15 ( i. w. zehn hoch minus fünfzehn) Sekunden, und das ominöse Neutrino hat im Ruhezustand (Ruhemasse = o) überhaupt keine Lebensdauer mehr. Wird aber so ein Neutrino beschleunigt, »lebt« es wieder. Trotz dieser schier widersinnig winzigen Existenzspannen bergen Elementarteilchen bis zu io22 (eine »10« mit 22 Nullen) Elektronenvolt; sie schießen aus dem Weltall durch Sonnen und Planeten, um sich in Myonen und Neutrinos umzuwandeln — im 100/1000stel einer Sekunde. Noch vor 40 Jahren war die Physik überzeugt, im Atom das kleinste Bauteilchen entdeckt zu haben. Heute wissen die Physiker, daß es eine subatomare Welt gibt, die winziger als der Atomkern und energiereicher ist als alles, was man sich bisher unter »freiwerdender Energie« vorstellen konnte. Zeitbegriffe versagen in dieser Wunderwelt. Physiker wissen
nicht mehr, wie und wo sie das Elektron, Baustein und Atomhülle, einstufen sollen. Bei mathematisch nachgewiesenen Teilchen, die Überlichtgeschwindigkeit haben — wie etwa die von Gerald Feinberg errechneten Tachyonen, Tardyonen und Luxyonen —, brechen alle Zeitbegriffe endgültig zusammen: Sie verhalten sich genau umgekehrt wie unsere »normalen« Elementarteilchen. Statt bei Erreichen der Lichtgeschwindigkeit eine unendliche Masse und damit unendliche Energie aufzuweisen — wie Einstein berechnete —, verlieren diese Teilchen, je schneller sie werden, Masse und Energie. Das überhaupt Unvorstellbare: Lichtgeschwindigkeit ist die unterste Grenze ihrer Beschleunigung — darüber hinaus könnten sie trillionenfache Lichtgeschwindigkeit erreichen. Sind unsere Zeitbegriffe schon durch kommende insterstellare Raumfahrt völlig diffus geworden, geraten sie bei der Beschäftigung mit überlichtschnellen Teilchen total durcheinander. Jeder normale Mensch ist der — bisher begründeten! — Überzeugung, daß es vor einer Wirkung zunächst eine auslösende Ursache für die Wirkung geben muß. Demnächst steht die Welt Kopf: Bei überlichtschnellen Teilchen kann zuerst die Wirkung und danach die Ursache eintreten. Es geht etwas vor, man weiß aber nicht recht, was. So, wie die Physik allgemein die Existenz der Anti-Materie anerkennt, könnte man für eine ferne Zukunft auch eine Anti-Zeit postulieren, in der zu jeder »Normal-Zeit« eine »Gegen-Zeit« abläuft. Dann gibt es — wie soll man es nur in den Verstand bringen? — keine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mehr. Erinnerungen an die Zukunft finden heute, jetzt, in diesem Augenblick statt! Der Zeitbegriff wird zum subjektiven Ablauf von Bewußtseinszuständen. Falls man in solchem Zusammenhang noch von Bewußtsein sprechen kann ...
Am Anfang steht immer die Hypothese Sofern Bewußtseinsenergie Verstorbener außerhalb aller Zeitbindungen existiert und irdische Bewußtseinsenergie mit ihr Kontakt aufnehmen kann, wäre das Rätsel aller Prophezeiungen gelöst. Was noch Hypothese ist, könnte durch die Ergebnisse technischer Forschung in Zukunft nicht nur bewiesen, sondern realisiert werden. Hypothesen im Wortsinne einer »angenommenen Vermutung« sind Voraussetzungen für jede Entwicklung. Man muß nur ein bißchen Mut haben, sie ins Gespräch zu bringen. Ich habe ihn. Ein Denkmodell Ein jenseitiges Bewußtsein hat aus irgendeinem Grund Interesse daran, das Verhalten eines oder mehrerer Menschen oder einer Gruppe (Völker, Länder, Religionen, Königreiche) zu beeinflussen, es verläßt seinen »zeitlosen Zustand« und nimmt Verbindung mit einem diesseitigen Bewußtsein auf. Auch der umgekehrte Weg ist denkbar: Die Bewußtseinsenergie einer irdischen Person (wer kann's anderes sein als ein Prophet?) könnte in konkreten Situationen mit den zeitlosen Bewußtseinsenergien eines Jenseitigen kommunizieren. Vom verstorbenen Kollegen und dessen intakter Bewußtseinsenergie (Oh, man komme mir nicht mit »Seele«!) könnte sie erfahren, was künftig geschehen wird: aus der geschichtlichen Erfahrung weiß die Person, daß das Ereignis, per Energie mitgeteilt, noch nicht stattgefunden haben kann, deshalb für die Zukunft angesagt (»prophezeit«) wird. Prophetie ohne Chancen Das Paradoxon ist, daß das prophezeite Ereignis nie aufgehalten oder verhindert werden kann. So heilig ist kein seherischer
Heiliger. Ein Mensch stirbt. Sein Bewußtsein gelangt (in Form von Energie) in »zeitlosen Zustand«. In dieser Verfassung »sieht« er seine Heimatstadt in Fluten versinken. Da sich diese Katastrophe nicht zu seinen Lebzeiten ereignete, muß das Ereignis in der Zukunft stattfinden. Wann die Zukunft den Katastrophentermin vorgebucht hat, kann das ab dem Tode zeitlose Bewußtsein nicht wissen. Jenseitige Bewußtseine haben (kraft ihrer Energien) immer noch Bindungen zu lebenden Kindern, Verwandten und Freunden. Sie bemühen sich, auf Bewußtseinsenergien ihnen verbundener Menschen auf der alten Erde Einfluß zu gewinnen, denn sie wollen sie vor der (irgendwann) drohenden Katastrophe warnen. Die in den Trott ihres Alltags eingebundenen Erdbewohner haben die Gehirnfunktionen, mit denen solche Phänomene wahrzunehmen wären, nicht trainiert — die aus dem Jenseits durch Energieumwandlung (Energiesatz) ausgestrahlten Impulse kommen nicht an. Die Jenseitigen müssen sich über ein Medium (das die empfangfähigen Teile trainiert hat) bemerkbar machen. In Trance, dem Zustand, der paranormale Fähigkeiten entwickelt, »sieht« das Medium durch die wirkenden Energien, wie seine Stadt in den Fluten versinkt, aber es weiß nicht, wann das geschehen wird — plausibel, denn die Jenseitigen wissen es in ihrem zeitlosen Zustand selbst nicht. Wenn also ein Medium (Prophet, Priester, Seher) predigt: Betet! Betet emsig, sonst wird eure Stadt in den Fluten versinken!, dann mag das zwar eine attraktive Darbietung sein — der Inhalt aber ist eine Lüge, weil die Stadt so oder so irgendwann in den Fluten untergehen wird. Wäre es anders, hätten ja die zeitlosen Jenseitigen die Katastrophe nicht ankündigen können. Exerzieren wir den Fall in anderer Richtung durch. Ein diesseitiger Prophet fährt seine (trainierten) geistigen Fühler per Energieumwandlung ins Jenseits aus; er »sieht« Ereignisse, die nur in der Zukunft Raum haben, weil sie sich in der zurückliegenden
Geschichte (die der Prophet kennt oder miterlebte) nicht ereigneten. Der medienkundige Seher erfährt also auch nicht, wann der Tag X der »gesehenen« Ereignisse im Kalender rot anzukreuzen ist. Er hat lediglich eine Chance, präzisere »Botschaften« von sich zu geben, wenn die von ihm »gesehenen« Ereignisse von einer derartigen Präzision waren, daß er als kluger Zeitgenosse aus Umständen und Bedingungen, die er genauestens kennt, kombinieren und dann abschätzen kann, wann ungefähr der Termin aus der »Botschaft« angesetzt werden könnte. Eines aber kann auch der cleverste und medial trainierteste Prophet nicht: Das »gesehene« Ereignis abwenden! Wäre es nämlich nicht erst für eine unbestimmbare Zukunft programmiert, hätte es eine jenseitige Bewußtseinsenergie nicht senden und eine diesseitige es nicht »sehen« können. Es wäre ja Schnee vom alten Jahr, wenn Ereignisse, die längst im Geschichtsbuch stehen, mitgeteilt würden. Erklärt diese physikalisch-metaphysische Hypothese nicht ganz plausibel, weshalb Mitteilungen durch »Erscheinungen« zwar kommende Ereignisse ankündigen und androhen, nie aber aufhalten können? Ist so nicht auch einzusehen, warum Prophetenund Seherbotschaften so unklar, so »mysteriös« und vieldeutig sind? Mit ihrer präsenten Bewußtseinsenergie nehmen Seher und Propheten zwar Zukunftsereignisse wahr, können sie aber nicht »verwerten« .... außer zu obskuren Wahrsagungen und unkontrollierbaren Prophetien. Johannes ohne technisches Wörterbuch Im Anhang zum Neuen Testament steht die »Geheime Offenbarung des Johannes«. Es handelt sich um ein »Seher«-Buch. Der Prophet sieht in Bildern Umweltverschmutzung, Flugzeuge, Helikopter, Kernexplosionen etc. Er gibt diese Visionen mit Worten wieder, wie er sie mit bewußtseinsenergetischen Übermittlungen empfing: »... Und es ward ein Hagel und Feuer, mit
Blut gemengt, und fiel auf die Erde, und der dritte Teil der Bäume verbrannte, und alles Grüne verbrannte ... Und es fuhr wie ein großer Berg mit Feuer brennend ins Meer, und der dritte Teil des Meeres ward bitter (radioaktiv?) .. . und der dritte Teil der lebendigen Kreaturen im Meere starben, und der dritte Teil der Schiffe wurde verderbt. .. (Kap. 8) Und die Heuschrecken hatten Panzer wie eiserne Panzer, und das Rasseln ihrer Flügel war wie das Rasseln an den Wagen vieler Rosse . .. und sie hatten Schwänze gleich den Skorpionen, und es waren Stacheln an ihren Schwänzen ... (Kap. 9) Und ich sah Rosse, und sie hatten bläuliche und schweflige Panzer, und die Häupter der Rosse waren wie die Häupter der Löwen, und aus ihrem Munde ging Feuer und Rauch und Schwefel. .. (Kap. 16). Ist nicht diskussionslos klar, weshalb Johannes die sehr genauen Beschreibungen aus seiner Begriffswelt mit seinen Worten lieferte? Das moderne technische Vokabular kannte er nicht. — Es ist von Reiz zu erfahren, daß der Kernphysiker Bernhard Philberth [16] die Geheimen Offenbarungen des Johannes modern interpretierte. Störend ist bei seiner technologischen Exegese nur, daß er für alle prophetisch-apokalyptischen Ausdeutungen den lieben Gott stets höchstpersönlich bemüht. Mir ist das unangenehm gegen den Strich gebürstet. Ich mag es einfach nicht, wenn man Gott, die letzte und höchste Instanz des Seins, für alle möglichen Erklärungen als Weg (besser: als Ausweg) anbietet, wo man auch mit Vernunft zum Ziel kommen kann. Justinus Kerner und die Seherin von Prevorst Mit der Deutung von somnambulen Erscheinungen ist es so eine Sache. Da spielt die Zeit, in der sie gedeutet werden, mit ihrem Wissen eine Rolle. Der Dichter Justinus Kerner (1786—1862) war Mittelpunkt der
»Schwäbischen Dichterschule«. Viele seiner Gedichte standen über Generationen in den Schullesebüchern, manche erreichten die Volkstümlichkeit von Volksliedern. Justinus Kerner, der Arzt, widmete sich einem besonderen Forschungsgebiet, dem Übersinnlichen; über seine Beobachtungen führte er mit wissenschaftlicher Akribie Tagebuch. Über mehrere Jahre war seine Beobachtungsperson die Kaufmannsfrau Friederike Hauffe; er registrierte ihre somnambulen Erscheinungen in dem zweibändigen Werk »Die Seherin von Prevorst«. Ich besitze die Erstausgabe von 1829, muß mich also nicht auf Auszüge aus Kerners Arbeit in wissenschaftlichen Publikationen, die oft darauf zurückgreifen, beziehen. Friederike Hauffe stammte aus dem Dorf Prevorst, nahe der württembergischen Stadt Löwenstein, einer gebirgigen Landschaft, deren Bewohner — so Kerner — für magnetische und siderische ( = auf Sterne bezügliche) Einflüsse offen waren. Vater Hauffe war Revierförster. Friederike wurde »einfach und ungekünstelt« erzogen. Nie verzärtelt, wuchs sie als »blühendes, lebensfrohes« Kind heran. Während ihre Geschwister mit »Gesichtern« behaftet waren, war diese Merkwürdigkeit an Friederike nicht festzustellen, wohl aber entwickelte sie ein Ahnungsvermögen, das sich in vorausschauenden Träumen »kund gab«. Sie wurde »Gattin eines gewerbetreibenden Mannes«, bekam Kinder, führte ein bürgerliches Leben, doch ihr Gefühlsleben steigerte sich so, daß »sie nach den größten Entfernungen hin Alles fühlte und hörte«. Sie konnte kein Licht mehr ertragen: Als einmal ein geistlicher Verwandter mittags die Fensterläden öffnete, fiel sie in einen dreitägigen Starrkrampf. Spüren jenseitiger Bewußtseinsenergien? »Um diese Zeit fühlte sie, daß sie alle Abend, sieben Uhr, sieben Tage lang, ein nur von ihr gesehener Geist magneti-sierte. Es
geschah mit drei Fingern, die der Geist gleich Strahlen ausbreitete.« (Vermutlich Bereitmachen und erstes Spüren von jenseitigen Bewußtseinsenergien.) Durch dieses geistige Magnetisieren in tiefen Schlaf gefallen, gab sie an, daß sie nur durch »Magnetisieren zu erhalten sey«. Mit diesem Sensorium, berichtet Kerner, habe sie zugleich hinter jeder Person, die sie sah, eine andere »auch von menschlicher Gestalt, aber wie in Verklärung schweben« gesehen. (Ein Phänomen, das viele Seher so berichteten.) »Ich möchte bekennen«, schreibt der Arzt, »daß ich dazumal noch die Ansichten der Welt und ihrer Lügen über sie theilte, daß ich abrieth, auf ihren nun schon so lang andauernden schlafwachen Zustand .. . Rücksicht zu nehmen.« — Am 25. November 1826 nahm Kerner Frau Hauffe »völlig verzehrt . .. und zu liegen unfähig« in sein Haus auf. Er erklärte ihr, daß er auf das, »was sie im Schlafe spreche, keine Rücksicht nehme, daß ich gar nicht wissen wolle, was sie da spreche, und daß ihr somnambules Wesen, das zum Jammer ihrer Verwandten schon so lange angedauert habe, endlich aufhören müsse.« Nach vielen Wochen ärztlicher und psychischer Behandlung fragte Kerner sie in ihrem Tiefschlaf, ob sie fühle, »daß eine abermalige, aber geregelte magnetische Behandlung ihr noch Rettung bringen könne. Sie erwiderte: darüber könne sie erst Auskunft geben, wenn sie am andern Abend um sieben Uhr sieben magnetische Striche erhalten habe . . .(Hatte sich ihr eine jenseitige Bewußtseinsenergie angesagt?) ... Die sieben ihr gegebenen magnetischen Striche hatten auch schon die Folge, daß sie sich am andern Morgen zu ihrer großen Verwunderung, denn sie wußte selbst nicht, wie es geschah, wieder frei im Bett aufrichten konnte und sich weit kräftiger fühlte, als durch alle bisher versuchten Mittel...« Kerner leitete eine regelmäßige magnetische Behandlung* durch Striche von den Schläfen bis zur Herzgrube ein. »Frau H. war von
meiner magnetischen Behandlung in einem so tiefen somnambulen Leben, daß sie nie im wachen Zustande war, wenn sie dieß auch zu seyn schien. Freilich war sie wacher als andere Menschen, denn es ist sonderbar, diesen Zustand, der gerade das hellste Wachen ist, nicht wach zu nennen, aber sie war im Zustand des Innern.« Eine Seherin über ihre Situation Es gibt in der einschlägigen Literatur keine Angaben über den inneren Zustand der Seher. Friederike Hauffe gab ihn zu Protokoll: »Es kommt mir oft vor, als sei ich außer mir, ich schwebe dann über meinem Körper und denke dann auch über meinem Körper. Es ist mir aber dieß kein unbehagliches Gefühl, weil ich meinen Körper doch immer noch weiß. Wenn nur meine Seele fester an den Nervengeist (!) gebunden wäre, dann würde sie sich auch fester an die Nerven selbst binden, aber das Band meiner Nervengeister wird immer lockerer.« Im magnetischen Schlaf konnte die Hauffe auch Körperteile sehen: »Einmal .. . anscheinend im wachen Zustande, fielen Frau H. die Augen zu, und sie vermochte nicht, sie zu eröffnen. Sie sagte: sie sehe nun in der Magengegend eine Sonne, die sich langsam bewege und wünsche nur, die Augen eröffnen zu können, damit sie diese Sonne nicht mehr sehe. Dieses Sehen einer sich langsam bewegenden Sonne in der Gegend des Sonnengeflechtes, hatte sich auch später noch oft.« Frau H. sagte dazu: »Ich sagte es ja schon, ich sehe den Punkt wie eine kleine Sonne, aus der kleine Strählchen gehen, aber je mehr ich diesen nachfühle, je wacher werde ich ...« Kerner notierte über Jahre hinweg viele Beispiele der Hellsichtigkeit und Vorausschau; sie bezogen sich auf einen großen Kreis ihr bekannter und unbekannter Menschen. Mit vielen Ärzten, die Kerner zuzog, wurde jede Aussage geprüft, stets ihre Stimmigkeit ermittelt. »Alle Versuche und Erscheinungen bei Frau
H. sprechen von einem bei ihr in der größten Intensität gewesenen und freigewordenen Nervengeiste ...« Dokumentiertes Beispiel von Präkognition Ich kenne keine frühere ärztlich-wissenschaftliche Dokumentation eines »Falles« wie den, den der Arzt Justinus Kerner in seinen beiden nun bald 150 Jahre alten Büchern schilderte. Als Arzt und Naturwissenschaftler untersuchte er die Phänomene der Friederike Hauffe zunächst als Krankheitsbild, recherchierte Jugend und Herkunft, Lebensumstände und Gewohnheiten. Er wollte sich an das »Centrum« herantasten. Als aller Bemühung letzter Schluß wurde ihm klar, daß der magnetische Schlafzustand besondere Fähigkeiten, nämlich seherische Qualitäten, freilegte. Jeden Fall der Präkognition, der für ihn an Wunder grenzte, untersuchte er mit einer Präzision und Ausdauer, die Scotland Yard wohl anstehen würden. Anstelle Dutzender Beispiele schildere ich einen Fall, den Kerner aufzeichnete: Am 25. November 1826 traf Friederike Hauffe in Weinsperg im Hause Kerners ein. Sie kannte den Ort nicht und hatte dort auch keine Bekannten. Die Wohnung war ebenerdig unweit des Amtsgerichts. Ein gewisser K., der einige Jahre zuvor in diesem Haus gestorben war, hatte die Geschäfte eines Herrn F. zu dessen Nachteil geführt, sodaß die »Handlung in Gant ( = Konkurs) geraten« war. In magnetischem Schlaf sagte die Hauffe: »Da ist jener schon wieder und stört mich . . . Was zeigt er mir? Ein Blatt von nicht ganzer Foliohöhe voll von Zahlen. Oben in der rechten Ecke ist eine kleine Einbiegung, in der linken Ecke eine Zahl .. . Dieses Blatt liegt unter vielen Akten, man beachtet es nicht. Er will haben, ich solle es meinem Arzt sagen und durch diesen soll eine Warnung ergehen ... Dieses Blatt liegt in einem Gebäude, das sechzig Schritt von meinem Bett steht. In diesem sehe ich ein großes, dann ein kleineres Zimmer. In diesem sitzt ein langer Herr
oben an einem Tische und arbeitet. Soeben geht er heraus, und jetzt kommt er wieder herein. Nach diesem Zimmer kommt ein noch größeres, in dem stehen längliche Kisten. Einen Kasten sehe ich, der steht am Eingange, und an diesem ist die Thüre etwas offen ... Oben an der Tafel steht etwas von Holz ... und auf diesem liegen Papiere, und die sehe ich in drei Haufen liegen. Rechts im Haufen ist nichts von diesem Manne, aber in den zwei andern fühle ich von ihm, und zwar im mittleren, ein wenig unter der Mitte, jenes Blatt, das ihn so quält.« Kerner erkannte in dem geschilderten Gebäude zwar das Oberamtsgericht, hielt diese Vision aber für ein Traumbild. Mehr um der Kranken zur Ruhe zu verhelfen, denn diese Geschichte quälte sie immer wieder, ging er zum Oberamtsrichter, der auf Anhieb verblüfft war, weil er in dem bezeichneten Moment tatsächlich in ein anderes Zimmer gegangen war, um dann wieder an seinen Platz zurückzukehren. Die Gesichte kamen wieder, die Angaben wurden immer präziser. Kerner und der Oberamtsrichter durchsuchten »jene Aktenfascikel«, die die Hauffe so prägnant beschrieben hatte. Es gab eine Überraschung, wie sie sich ein Kriminalinspektor in seinen kühnsten Träumen erhofft. »Wir fanden in einem Briefumschlag, der ganz so war, wie die Seherin ihn bezeichnete, ein Blatt, mit Zahlen und Worten von der Hand jenes Mannes . .. (den die Hauffe »gesehen« hatte!) . .. Dieses Blatt enthielt einen Beweis, und zwar den Einzigen, daß K. ein Geheimbuch führte, das aber nach seinem Tode nicht mehr gefunden wurde, in welches er wahrscheinlich Vieles eingetragen hatte, was jetzt nicht mehr am Tag kam . ..« In schlafwachem Zustand diktierte Friederike Hauffe an die Frau des Verstorbenen einen Brief: Sie sei unschuldig und könne dem »Gant« getrost entgegensehen. Über den Gesamtvorgang fertigte der Oberamtsrichter eine beweiskräftige »Aktennotiz« an. Frau Hauffe war nach vollzogenem Auftrag wie erlöst. Am 5. August 1829 starb die Seherin von Prevorst in genau
jener Weise, wie sie sie am 2. Mai in magnetischem Schlaf geschildert hatte. Schlüsse aus meiner Sicht Woher sollte der hervorragende Arzt Justinus Kerner vor 150 Jahren Ergebnisse der modernen PSI-Forschung ahnen oder gar kennen? Was konnte er von energie-tem-poraler Umwandlung wissen? Was denn anders »erschien« der Seherin als die Bewußtseinsenergie des verstorbenen Herrn F., der seiner Frau im bevorstehenden »Gant« mit seinen Kenntnissen helfen wollte? Wer denn außer Herrn F. kannte jene »Aktenfascikel« und den Brief, auf den es im Konkurs entscheidend ankam? Der von Kerner geschilderte Fall ist mehr als Hellseherei, ist exaktes Wissen von Vorgängen. Es ist verständlich, daß Kerners Bericht über die Seherin von Prevorst auch in der gegenwärtigen wissenschaftlichen Literatur immer wieder auftaucht: Er setzte Maßstäbe für die Durchführung von Experimenten und die (ihm zu seiner Zeit mögliche) forscherische Auswertung. Wie ein Leitmotiv geht durch alle Berichte die Mitteilung der Seherin, daß sie alle Eindrücke und Visionen von einem »Nervengeist« bekäme. Ich möchte frech unterstellen, daß Kerner den ersten »Beweis« für meine Hypothese lieferte, daß Bewußtseinsenergien die ihnen geeignet scheinenden Medien suchen und ... finden! Propheten verkünden meistens Unheil Über einen Mangel an Propheten und deren vorzugsweise furchterregenden Mitteilungen kann sich die Menschheit nicht beklagen. Daß Prophezeiungen, die stets wie Donnerhall in die Geschichte bollerten, Unheil ankündigten, muß man mit Nachsicht verstehen: Sollten zu einer x-beliebigen Zeit jenseitige mit diesseitigen Bewußtseinsenergien lediglich Kontakt aufnehmen, um
reine Freude zu vermelden? Kinder, die Zeiten werden herrlich! Seid lustig!Die Steuern werden gesenkt!Was ihr heute besitzt, werdet ihr auch in 20 Jahren noch besitzen! Liebt euch, denn es wird kein Schatten auf euer Leben fallen! Idiotische Kriege gibt's nimmermehr, umarmt euch! Nein, zu solchen Frohbotschaften mußte der energetische Nachrichtenapparat nicht in Bewegung gebracht werden. Die »Geister von drüben« übermittelten (und übermitteln) ziemlich ausschließlich Schilderungen von kommenden drohenden Katastrophen, vom Weltuntergang, von Sorgen und Hungersnöten, die die Erdenkinder zu gewärtigen hätten. Eine garstige Funkertätigkeit — aber: Vor Freuden warnt man nicht. Was »offenbart« denn ein Blick in Seher-Annalen, ein kurzer Blick nur? Der griechische Wanderpriester Peregrinus Proteus verkündete auf seinen Landmärschen zunächst die Lehren des Christentums, es befielen ihn Zweifel, und er wechselte die Weltanschauung: Er wurde Kyniker, einer jener Philosophen, die das Ideal der Bedürfnislosigkeit bis zur Verachtung des Anstands kultivierten. (Den Kynikern verdanken wir den Begriff des Zynikers. Auch was!) Der Konvertit war nicht glücklich. Er »sah« — und teilte es als Prediger natürlich allen Leuten mit — die Menschheit »vor dem Untergang«. Da er am Massenereignis nicht teilnehmen mochte, verbrannte er sich konsequenterweise während der olympischen Spiele anno 165. Der phrygische Prophet Montanus (156) gehörte zu der urchristlichen Sekte, die eine kurzfristige Hoffnung auf baldige sichtbare Wiederkehr Jesu unterm Volk weckte. Zu diesem Behufe, wohlvorbereitet zu sein, forderte der Prophet seine Anhänger zu strengster Askese auf, weil sonst »das baldige Ende der Welt« zu erwarten wäre. Der römische apostolische Vater Hermas forderte 140 in seiner Schrift »Der Hirt« (die zeitweilig zum Neuen Testament gerechnet
wurde) die Christenheit auf, die Chance zur Buße als letzte Rettung »vor dem nahen Weltgericht« wahrzunehmen. Vor über 400 Jahren (1568) veröffentlichte der südfranzösische Pestarzt Michael Nostradamus (1503—1566) post mortem das Buch »Les Propheties«, »Prophezeiungen« [17]. Seine bis in die Neuzeit reichenden Prophetien, die nach Meinung von Leuten, die sich akademisch damit befaßten, von bestechender Genauigkeit der angemeldeten Fakten sind, bringen eine Nonstop-Liste von Kriegen, Pestilenzen und Unheil. Daß sich die meisten Ereignisse fahrplanmäßig abgewickelt haben sollen, ist kaum ein Trost. Schenken wir uns die Sammlung prophetischer »Niederkünfte«, sie könnte den Umfang des New Yorker Telefonbuchs annehmen, und das Wühlen im Schrecklichen — gar wenn es uns noch ins Haus steht! — macht keinen Spaß. Spaß aber macht es, einer Prophetin zu begegnen und mit ihr ein Gespräch führen zu können. Jeane Dixon, Washington D.C. Jeane Dixon ist eine Amerikanerin vom Typ der gehobenen Mittelklasse, wohnt in einem Reihenhaus aus roten Ziegeln in Washington, D. C., führt mit ihrem Mann Jimmy — einem smarten Geschäftsmann — eine vorbildlich glückliche Ehe, liebt ihren Kater Mike, kleidet sich modisch und ist Prokuristin in der Immobilienfirma James L. Dixon & Comp. Sie schreibt — neben zehnstündiger Büroarbeit — Kolumnen für 200 amerikanische Tageszeitungen, bekommt wöchentlich im Schnitt 3000 Briefe, hält — neben geschäftlich-repräsentativen Verpflichtungen — Vorträge; sie hat berechnet, daß sie 217 Tage mehr arbeitet als ihre Mitbürger: 52 Samstage, 52 Sonntage, 9 Feiertage (außer Weihnachten), 14 Tage Urlaub (den sie nicht macht) und 90 Tage, die aus Überstunden resultieren. Jeane Dixon hat Humor und ist tief religiös. Diese Frau machte und macht Schlagzeilen in der Presse der ganzen Welt.
1944 sagte sie voraus, daß China kommunstisisch würde. (1949 geschah es) Sommer 1947 kündigte sie an, daß Mahatma Gandhi im nächsten halben Jahr ermordet werden würde. (Am 30. 1. 1948 wurde er von einem fanatischen Hindu erschossen) 1961 prophezeite sie Marylin Monroes Selbstmord. (Die Monroe starb am 5. 8. 1962 an einer Überdosis Schlaftabletten) Anfang September 1961 »sah« sie den Tod ihres Freundes Bill Rowallo voraus, der zur Begleitung des UNO-Generalsekretärs Dag Hammarskjöld gehörte. (Hammarskjöld und seine Begleitung kamen am 18. September 1961 bei einem unaufgeklärten Flugzeugabsturz bei Ndo-la, Rhodesien, ums Leben) Rene Noorbergen [18] schildert die »dramatische Weissagung des Todes von Präsident John F. Kennedy«, die Jeane Dixon elf (!) Jahre vor dem Attentat am 12. 11. 1963 gemacht hatte. Auf allen ihr möglichen Kanälen hatte sie versucht, Kennedy von der Reise nach Dallas, Texas, abzuhalten. — Jeane Dixon behauptet von sich selbst, daß sie eine besondere Affinität zur Familie Kennedy habe. So sagte sie auf einer großen Tagung im Januar 1968, daß Robert Kennedy nicht Präsident der USA würde, »weil er im Juni diesen Jahres in Kalifornien Opfer eines Attentats wird.« — Am 5. Juni erschoß Bishara Sirhan im Ambassador-Hotel, Los Angeles, den Senator. Auch den Ort des Geschehens hatte Jeane Dixon bezeichnet. Rene Toorbergen sprach mit Dr. Clyde Backster, dem Spezialisten für Lügendetektoren und Leiter eines wissenschaftlichen Forschungsinstituts, über die Phänomene der Jeane Dixon. Backster vertrat die Ansicht, daß Jeane Dixon in den Frequenzbereich vorgedrungen ist, der »die Kommunikation im Universum« bestimmt. Backster: »Ich halte es für sicher, daß es diese Art von Verständigungsmitteln schon immer gegeben hat. Nur haben wir unsere übersinnlichen Wahrnehmungen durch Vorurteile in uns selbst blockiert. Wir machen uns selbst vor — und Wissenschaft und Umgebung tun das ihrige dazu — daß es einen außerhalb der
üblichen Sinne vorhandenen Sinn praktisch nicht gibt... Jeane Dixon hat offenbar vollkommenen Zugang zu einer Fähigkeit, deren man sich in Urzeiten allgemein bediente . ..« Interview mit einer Seherin Sonntag, den 5. Mai 1974, traf ich die Grand Old Lady in ihrem Washingtoner Haus zu einem Gespräch. Frau Dixon, was geschieht, wenn Sie Ihre Prophezeiungen erfahren? Was geschieht dann? Vernehmen Sie eine Offenbarung, erleben Sie eine Vision, eine Erscheinung? Wenn ich die Zukunft sehe, ist es eine wundervolle Sache. Es ist keine Erscheinung, denn das wäre ja eine geisterhafte Figur. Es ist auch keine Offenbarung, denn die steht in Gottes Wille. Was ich sehe, ist das Schicksal, das Gott für Sie oder irgendwen vorherbestimmt hat, und dieses Schicksal können Sie nicht ändern. Das sagte ich übrigens Herrn Richard Nixon schon 1959. Was geschieht in solchen Momenten mit Ihnen? Was geht in Ihrem Gehirn vor sich? Es ist eine Art von höherem Gnadenstand, ich bin jeweils darauf vorbereitet. Mein Befinden verändert sich, meine Einstellung zur Umwelt, mein logisches Denkvermögen, ja, ich glaube, selbst mein Gesundheitszustand. Man weiß eines Morgens plötzlich, daß jetzt eine Eingebungsperiode folgt. Diese Periode ist nicht vergleichbar mit der normalen Zeit. Ich las, daß Sie ein sehr gläubiger Mensch sind. Praktizieren Sie die Religion? Ja, ich war heute morgen um sieben Uhr in der Kirche. Was sagt denn die Kirche, was sagt der zuständige Kardinal zu Ihren Prophezeiungen? Sie sollten mal lesen, was einige Priester über mich schreiben! Am besten kümmert man sich nicht darum und betet für sie. Sind Sie wirklieb ernsthaft angegriffen worden?
Natürlich bin ich ernsthaft angegriffen worden, und von ganz hohen Stellen. Man wird immer von denen angegriffen, die nichts begreifen, aber so tun, als ob sie alles verstehen. Die Faulen schreien stets am lautesten ... Weshalb greift man Sie von kirchlicher Seite an? Sie haben doch nie etwas gegen das Christentum gesagt? Ich werde auch nie etwas gegen das Christentum sagen. Ich erlebte selbst schon Jesus-Visionen, aber die sind mit dem Zustand der Prophezeiungen nicht vergleichbar. Ich las gerade in diesen Tagen in einer Zeitung, daß Sie von der Existenz von UFOs überzeugt sind. Können Sie mir darüber etwas sagen? Ich sage Ihnen, in meinem Leben gibt es nichts Neues mehr. Ich bin mit UFOs seit Jahren und Jahrzehnten vertraut. Leute fragen mich, wann haben Sie zum ersten Mal etwas über UFOs gewußt? Die Frage ist für mich nicht zu beantworten, da ich über UFOs weiß, seit ich laufen kann. Haben Sie je darüber nachgedacht, seit wann und weshalb Sie bewußt laufen können? UFOs sind Ihrer Meinung nach also Realität. Woher kommen denn diese Dinger? Wir werden bald herausfinden, daß sie von einem un-entdeckten Planeten in unserem Sonnensystem stammen. Wir werden offiziellen Kontakt mit den Besatzungen erhalten und von ihnen insbesondere lernen, wie vorhandene Energien simpler und besser ausgenützt werden können. Die Gravitationsverhältnisse sind in unserem Sonnensystem ausgewogen. Ein unbekannter Planet hat da keinen Platz. Außerdem haben Raumsonden auch den Raum »hinter der Sonne« durchlaufen — es ist kein neuer Planet registriert worden. Diese Feststellungen ändern nichts daran, daß wir demnächst trotzdem einen unbekannten Planeten entdecken werden! Der Planet befindet sich in der Nähe des Jupiters. Jupiter ist sehr weit von unserer Sonne entfernt. Der Riesenplanet zählt nicht mehr zur Lebenszone unseres Sonnensystems. Wie soll in
dieser Kälte Intelligenz entstehen? Warten Sie's doch ab! Übrigens werden die UFOs von Frauen gelenkt... Wie kommen Sie denn darauf? Ich fühle die Vibrierungen, sie sind weiblich. Frau Dixon, Sie kennen meine Bücher. Was sagen Sie zu meinen Theorien? In vielen Punkten haben Sie absolut recht. Glauben Sie, daß wir wieder von Außerirdischen besucht werden? Ja, selbstverständlich. Wir sind in der Vergangenheit besucht worden, wie Sie es behaupten .. . Geben Sie mir für einige Minuten Ihre Hand. Sehen Sie, ich kann hier, in Ihren Fingerspitzen, die Energie Ihres Über-Überbewußt-seins erfühlen. Sehen Sie, Herr von Däniken, Ihr nächster wichtiger Lebensabschnitt.. . (An dieser Stelle untersagte Jeane Dixon die weitere Tonbandaufnahme für zwei Stunden und verbot auch die Veröffentlichung des Gesprächs. Das Ende unseres Gesprächs lief so ab:) Trinken Sie von Zeit zu Zeit Alkohol? In meinem ganzen Leben habe ich noch keinen Schluck zu mir genommen! Ich trinke auch weder Kaffee noch Tee. Erinnern Sie sich, als Sie 19 waren und die große Wende in Ihrem Leben eintrat? Damals haben doch Sie nicht die Wende verursacht. Es kam sozusagen »über Sie«. Sie werden in Ihrem weiteren Leben sehr kraftvolle Feinde haben, aber noch mehr führende Kräfte, die Ihnen helfen werden. Mißbrauchen Sie Ihr Talent nicht. Und machen Sie ein anständiges Interview! Falls die Dinge, die wir hier während Stunden besprachen, unfair dargestellt werden, wird dies das letzte Interview sein, daß ich in meinem Leben gegeben habe ...«
»Irgendetwas« »Irgendetwas« pendelt aus unseren Energieebenen — »irgendetwas« sieht Bilder zukünftiger Ereignisse — »irgendetwas« pendelt aus fremden jenseitigen Energieebenen in unser Gehirn und produziert Visionen. Lauter Hirngespinste? Es gibt keine Prophetie und die wenigen Treffer von Voraussagen sind Zufälle, im lebendigen menschlichen Gehirn entstanden, und Prophetieprodukte wurden von »Sehern« aufgebauscht. Ist denn alles, was Jeane Di-xon und andere prophezeiten, eingetroffen? Gewiß nicht, aber wen wundert das? Wenn man versteht, daß die Welt jenseits des (bislang) physikalisch Faßbaren »zeitlos« ist, können freilich abgestrahlte Energien vom »Empfänger« zwar empfangen, aber zeitlich kaum oder nur sehr schwer — Zufallstreffer! — eingeordnet werden. Bewußtseinsformen Jenseitiger, die mit uns Kontakt suchen, sind entweder emotioneil oder unlogisch (weil außerhalb irdischer Empirie und Zeitgesetze) oder beides. Sie würden sonst nicht vor angeblich kommenden Ereignissen, die im »zeitlosen Zustand« schon geschehen sind, warnen — es wäre ja doch nichts mehr zu ändern. Oder: Bewußtseinsformen Diesseitiger stoßen in die »andere Welt« vor, und ihre Emissäre hoffen, ein »gesehenes« Ereignis abwenden zu können. Das allerdings wäre ein Solounternehmen diesseitiger Kommunikation, ein Versuch. Die Jenseitigen hätten dann nichts mit Warnungen vor künftig drohenden Ereignissen zu tun. Die zweite Annahme ist mir sympathischer, bei ihr käme man ohne die Bemühung Jenseitiger aus. Dann nämlich wären Bewußtseinsenergien, von unseren Gehirnen erzeugt, fähig, in gewissen Zeitabständen mit der »zeitverkehrten Welt« (Tachyonen!) in Verbindung zu treten und so jenseitige Bewußtseine für Prophezeiungen anzuzapfen.
Mythologie und Kontakte mit dem Jenseits Für meine Hypothese vom Besuch Außerirdischer auf unserem Globus bezog ich viele Informationen aus Mythologien. Dieses Wissen alter Chronisten faszinierte, weil es der Menschheit Sacbverhalte mit Inhalten überlieferte, deren Bedeutung und Tragweite der Schreiber zu seiner Zeit nicht erkennen konnte. Was Kontakte zwischen Diesseitigen und Jenseitigen angeht, ist die Mythologie eine nicht minder trächtige Fundgrube. Einige Kostproben. Die indogermanische Völkergruppe der Kelten wurde von den Germanen über den Rhein gedrängt, dann besetzte sie die britischen Inseln. Diese Inselkelten der ersten nachchristlichen Jahrhunderte hatten vertrauten Umgang mit Feen, schönen, zauberkundigen, dämonischen Wesen, Naturgeistern, die permanent von der natürlichen in eine übernatürliche Welt hin und her wechselten; sie verblüfften die Inselkelten durch ihr Wissen um die Zukunft und, wenn sie gerade irdische Station nahmen, flößten sie großen Respekt ein, weil sie Auserwählte sogar vorübergehend in ihr »Reich« lockten und wieder zurückkehren ließen. Die Nordgermanen waren felsenfest von der Existenz eines »zweiten Ich« überzeugt, das sie Fylgja nannten; es begleitete die Menschen wie ein unsichtbarer Schatten. Fylgja gehörte zum persönlichen Bewußtsein, konnte sich aber auch davon lösen und an einem x-beliebigen Ort auftauchen. Den Skandinaviern war Fylgia ein vertrauter Schutzgeist, der, je nach Bedarf, vor allem aber bei drohender Gefahr, einen Spurt ins Jenseits machte, um mit einer Fülle von Informationen wiederzukommen, mit denen Fylgja den Diesseitigen aus der Patsche helfen konnte. Bei den Druiden, den altheidnischen Priestern keltischer Völker, wurde nur der als Kulturbringer und Prophet anerkannt, der den sogenannten Druiden-Kessel, eine exquisite Art von Wunderkessel, vorzeigen konnte, der aus dem »Geist der Jenseitigen« angefertigt
war. Was die druidischen Seher an Prophezeiungen in ihren Kesseln kochten, kann man heutzutage aus dem besten thermoplastischen Kochtopf nicht hervorzaubern, nicht einmal Uri Geller. In der gespenstischen Nacht des Samhuin (Phänomen aus altindischen Weden) sollen gar die Schranken zwischen Diesseits und Jenseits gefallen sein; Schreckgestalten aller Arten sollen sich aus dem Nichts materialisiert haben. In der okkultistischen Literatur aller Zeiten spielt der »Astralleib« eine große Rolle; dieser merkwürdige Korpus, heißt es da, sei eine »feinstoffliche Umhüllung« des Körpers und der Seele. Die gnostisch-mythische Religion, die das Heil des Menschen von seiner Kenntnis der Geheimnisse der Welt abhängig macht, behauptet, der Astralleib durchdringe den menschlichen Körper und sei so etwas wie ein Bindeglied zwischen dem irdischen und einem »höheren« Körper. Astralleib Aura Od=Kraft Wer Astralleib sagt, muß auch Aura sagen. Aura bedeutet im Griechischen Luft oder Hauch. Sie ist nicht nur von alters her im Gespräch, sie wurde allezeit als existent behauptet, sie ist gerade heute Gegenstand der parapsychologischen Forschung, diese im allgemeinen nicht sichtbare Hülle, die Lebewesen umgibt. (Man spricht ja davon, daß dieser oder jener Dichter, Gelehrte und manchmal sogar Politiker eine »gewisse Aura« im Sinne von Charisma habe!) Ich will hier nicht alle Stationen schildern, an denen die Undefinierte Aura angeblich und endgültig entdeckt worden sein soll. Doch als Beleg dafür, daß sich Wissenschaftler von Rang mit diesem Phänomen befaßten, soll der Naturwissenschaftler und Chemiker Carl-Ludwig Freiherr von Reichenbach (1788—1869) genannt werden, der immerhin im Holzteer das Paraphin und
Kreotin entdeckte. Reichenbach war von der Existenz dieser unsichtbaren, aber sichtbar zu machenden Ur-Kraft, die er »OdKraft« (vom germanischen »Od« = ursprünglich) nannte, so sehr überzeugt, daß er zwei volle Jahrzehnte seines Forscherlebens an ihre Entdeckung wandte. Wie Franz-Anton Mesmer glaubte auch Reichenbach daran, daß sich Od-Kraft von einem auf den andern Menschen übertragen ließe. Doch diese merkwürdige Sache, Astralleib, Aura oder Od-Kraft, kam erst durch einen Zufall in den Bereich möglicher technischer Entdeckung. In unseren Tagen. Kirlian-Effekt In der zweiten Hälfte der 40er Jahre bemerkte der russische Ingenieur Semjonow Davidowitsch Kirlian aus Krasnodar am Kuban, daß sich zwischen dem Körper eines Patienten und den Elektroden im Hochfrequenzbereich einer Apparatur für elektrotherapeutische Behandlung Entladungen zeigten. Kirlian erregte die Frage, ob diese mit den Augen wahrnehmbare Beobachtung auch fotografierbar wäre; mit seiner Frau Valentina machte er sich auf den mühevollen Weg einer Entwicklungsarbeit. Die heute allenthalben angewandte Kirlian-Fotografie zeigt den sogenannten Kirlian-Effekt: In Wechselstromfeldern hoher Frequenz, die für Mensch, Tier und Pflanze unschädlich sind, bekommen Körper eine fotografisch darstellbare Lumineszenz, eine Lichterscheinung, die nicht durch erhöhte Temperatur bewirkt wird. Man nennt das auch »kaltes Leuchten«. Um die Phänomene, die die Kirlian-Fotografie sichtbar machen kann, nur anzudeuten, sei von Fotos berichtet, die eine frische Blume mit vielen Blüten zeigen und dann dieselbe Blume, aus der ein Ästchen mit Blüten herausgeschnitten wurde: Dort, wo die Blüte gewesen war, zeigte sich Sekundenbruchteile nach dem Schnitt immer noch der Umriß jener Blüte, die nicht mehr vorhanden war. Zahllose Aufnahmen wurden inzwischen in aller
Welt nach Methoden, die auf dem Kirlian-Effekt beruhen, gemacht: Sie zeigen um den Körper des Menschen eine Strahlung, die mit dem Auge nicht wahrnehmbar ist. Es gibt da zum Beispiel eine Aufnahme, die nach der Amputation einer Hand gemacht wurde: Die Umrisse der amputierten Hand erscheinen auf der fotografischen Platte. Und das Merkwürdigste: Auf einem Sofa hatte ein Mensch gelegen, er war aufgestanden und weggegangen; ein im gleichen Moment gemachtes Foto zeigt die Umrisse des Menschen, wie er kurz vorher auf dem Sofa gelegen hatte. Hier löst offensichtlich eine unbekannte Kraft ein physikalisches Phänomen aus. Es wird sich, weiterentwickelt, daraus eine ganz neue Kategorie für Menschen ergeben, denn die fotografierte Aura — oder was immer es ist — ist von sehr unterschiedlicher Qualität, will sagen: Deutlichkeit. Wo beginnt die Geisterwelt? Für mich ist es immer wieder umwerfend, festzustellen, wie sich unverständliche Übermittlungen aus Mythen und heiligen Schriften von Tag zu Tag mehr als Realitäten erweisen. Man sprach von Aura, vom Strahlenschein, wie sie bestimmte Personen umgaben — und es gibt sie! Man kann sie fotografieren. Wie der Kirlian-Effekt zustande kommt, ist im Prinzip geklärt. Von Physikern wird nicht bestritten, daß jeder Körper mehr oder weniger »strahlt«. Kirlian fand die Methode, diese Strahlungen zu fotografieren. Was aber gibt es für eine Antwort auf die »phänomenale« Frage, wie ein nicht mehr vorhandener Körper (abgeschnittene Blume, amputierte Hand, aus dem Bild gegangener Mensch) noch für eine geringe Zeitdauer weiter strahlen, also am alten Platz »aktiv« sein kann? Schließlich ist, so sollte man meinen, der jeweilige Körper Ursache der Strahlungen. (Ist es, bei allen Engeln, vielleicht umgekehrt?) Wohin wird die Energie abgestrahlt? In physikalischem Sinn ist jede Strahlung »materiell«; das gilt
auch für Lichtstrahlungen (Quanten) und alle Arten von Korpuskelstrahlungen (Teilchenstrahlen). Die Strahlungsenergie zerfällt. Zerfällt in was? Nach dem Energieprinzip kann sie sich nicht in NICHTS auflösen. Das ist der Punkt, an dem auch die Kernphysik am Ende ist: Der Nachweis gewisser Atomteilchen nach ihrer Energieumwandlung ist nicht möglich. Ein Physiker, der am europäischen Kernforschungsinstitut CERN in Genf tätig ist, sagte mir (mit der Bitte, seinen Namen nicht zu nennen): »Für uns beginnen hier überirdische Zustände. Wir registrieren gewisse Wirkungen, wir versuchen, die Gesetzmäßigkeit festzustellen. Wir sind aber bei den Ursachen dieser Wirkungen überfragt. Hier beginnt wohl die Geisterwelt.« Resignierte Dr. Leonid L. Wassiliew, Ordinarius für Psychologie an der Universität Leningrad, Träger des Lenin-Ordens? Oder drückte er eine Hoffnung aus, als er sagte: »Die Entdeckung der ASW-Energie wird von der gleichen Bedeutung sein wie die der Atomenergie.« Sind Erscheinungen an Ort und Zeit gebunden? Der anscheinende Umweg über parapsychologische Phänomene zu Erscheinungen ist kein Umweg. Erscheinungen sind parapsychologische Phänomene. Hinter jeder Erscheinung steht Energie. Woher kommt sie? Was veranlaßt (im Sinne von: verursachen) einige Milliarden Atome, sich zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort sichtbar zu manifestieren und bei diesem Akt intelligentes Verhalten zu demonstrieren? Warum werden Erscheinungen immer nur von wenigen Personen wahrgenommen? Warum bemerken Hunderte und Tausende, die dabei sind, nichts? Warum stellen sich die Erscheinungen den Sehern bevorzugt am gleichen Platz? Sind sie unfähig, den einmal fixierten Standort zu wechseln? Mit herausfordernder Penetranz werden die Seher aufgefordert, sich an bestimmten Tagen zu bestimmten Stunden am
vorgeschriebenen Ort einzufinden. Sollten (göttliche!) Erscheinungen unfähig sein, aufzutauchen, wo und wann immer es ihnen beliebt? Gottesmutter aus Nebel und Schleier Für die nur kleine Auswahl der von mir berichteten Erscheinungen ist aus den Protokollen nachzuweisen, daß in 11 Fällen die Seher weder spontan noch plötzlich das komplette Erscheinungsbild »sahen«, vielmehr vorher eine »neblige, undefinierbare, grauweiße Masse« vor sich hatten. Erst nach intensivem Bemühen (Autosuggestion!) gewahrten sie in dieser »Masse« ihr Erscheinungsbild. Der kleine Albert aus Beauraing, der am 29. November 1932 die Gottesmutter »sah«, meinte zuerst ein »weißes Tuch« bemerkt zu haben, das sich dann zum Bild der Madonna formierte. — Matousch Laschut, der tschechische Seher aus Turzovka, »sah« die Hl. Jungfrau bei der ersten Erscheinung in einem »leichten, weißlichen und feinen Nebel«. — Die Heroldsbacher Mädchen »sahen« bei der Erscheinung vom 12. Oktober 1949 nur einen »weißen Schein«, er nahm erst später — und nur für die Buben sichtbar — die Form einer »weißen Frau« an. — Auch Mama Rosa in San Damiano behauptete, zuerst nur ein »nebliges Gebilde« gesehen zu haben, das sich dann zur Mutter Gottes »verdichtete«. (Es sei an den Jesuiten Atha-nasius Kircher erinnert, der an fündigen Orten beim Wünschelrutengehen »Dünste und Dämpfe« für wirksam hielt) Erscheinungen aus elektrischen Entladungen Die Protokolle der Seher-Kinder in Fatima lassen auf physikalische Ereignisse schließen. Stets kündigten sich Erscheinungen mit »Blitzen« an, deren elektrische Entladungen mit Geräuschen von
Rauschen und Knistern verbunden waren. Die kleine Lucia sagte aus, daß sie immer, wenn sich eine Erscheinung entfernte, einen Laut vernommen habe, als ob in der Ferne »eine Feuerwerksrakete platzte«. Als die Fatima-Kinder am 13. September 1917 ihre fünfte Erscheinung erlebten, bemerkten einige Tausend deutlich eine Lichtkugel, die langsam und majestätisch himmelwärts entschwebte. Am 13. Mai 1924 beobachteten Pilger über der Steineiche, dort, wo die Erscheinungen ihren Fixpunkt hatten, eine »eigenartige weiße Wolke«; es fielen, sagten sie, schneeflockenähnliche Gebilde herab, die sich knapp über dem Boden in Nichts auflösten. Lucia schrieb später auf, die MutterGottes-Erschei-nung habe sich stets langsam im »Widerschein eines Lichtes« genähert, und die Kinder hätten die Madonna immer erst dann gesehen, wenn der Lichtpunkt über der Steineiche stillgestanden habe. Als Lucia im Verhör gefragt wurde, warum sie während der Erscheinungen häufig den Blick gesenkt habe, statt die Hl. Jungfrau unverwandt anzusehen, antwortete sie: »Weil sie mich manchmal blendete [19].« Materialisationen Im Falle Lourdes wird einem der Gedanke von der Materialisation einer fremden Energieform geradezu auf silbernem Tablett serviert! In den ersten, noch von keiner Schönfärberei verfälschten Berichten weltlicher Juristen erklärte Bernadette Soubirous — im Verhör in die Zange genommen —, zu Anfang habe sie nur etwas »Unbestimmtes« gesehen . .. etwas »wie ein wehendes weißes Tuch oder einen Mehlsack [20]«; außerdem habe sie vor der Grotte einen gedämpften Lärm »wie ein Windstoß« vernommen. (Protokoll der Ärzte Lacrampe, Balencie und Peyrus vom 27. 3. 1858.) Diese Angaben machte Bernadette auch gegenüber anderen Persönlichkeiten [21].
Erkenntnisse Mir bieten sich drei Erkenntnisse an: 1. Eine Erscheinung ist nicht plötzlich da, sie muß sichtlich ihre Atome erst zum »Bild« ordnen. (Daß die Vokabel »plötzlich« oft in Protokollen auftaucht, ist damit zu erklären, daß den Vernehmern der Seher das »Vorspiel« [Nebel, Schleier, weiße Tücher etc.] unwichtig ist; durch insistente Fragen stoßen sie zum Ziel vor, zur Darstellung der Vision. So kommen dann — auf jeden Fall in den Protokollen — Erscheinungen »plötzlich« zustande!) 2. Während des Erscheinungsvorgangs entsteht ein elektromagnetisches, wahrscheinlich stark ionisiertes Feld. Luft wird sehr schnell verdrängt; dabei entstehen Schallschwingungen wechselnder Höhe und Stärke wie ein »dumpfer Wind«. Luft wird wie durch einen Exhaustor aus der Grotte abgesaugt, verdrängt. 3. Bricht die Erscheinung zusammen, stürzt Luft ins Vakuum, das vom sich spontan auflösenden Magnetfeld aufgerissen wird. Darum hörten an mehreren Erscheinungsorten auch passive Zuschauer einen »Knall«. Schon dieses knappe Fazit läßt den Schluß zu, daß die unbekannten Erscheinungsursachen physikalischen Gesetzmäßigkeiten unterliegen. Würde sich der allmächtige Gott, wenn er an diesem Phänomen via familiärer Botschafter beteiligt wäre, so lapidaren Gesetzen einfach beugen? Berichte über vorgebliche Erscheinungen, die von Scharlatanen, Möchtegern-Visionisten, religiösen Spinnern vorgetäuscht oder nur in den Gehirnen anstaltsreifer Hysteriker stattfinden, gehören zur Klärung und Abstellung auf die Psychiater-Couch. — Die Ursachen ernstzunehmender Erscheinungs-Phänomene müssen außerhalb menschlichen Verstandes, menschlicher Gehirnfunktionen liegen. Ionisierte Luft, knallartige Explosionen, Kugelblitze etc. bieten so
harte Fakten an, daß man sich an ihnen die Zähne ausbeißen kann. Wer ist der große Manitu, der mächtige »Geist«, der die Phänomene lustvoll produziert? Darf ich denn behaupten, daß es echte Erscheinungen gibt? Das soziale Atom Ich darf es. Tausende, die einen Knall hörten, den Blitz sahen oder das Sonnenwunder beobachteten, waren nicht sinnesgestört. Wenn den »Sehern« an die Erscheinungsorte Menschen folgten, war das nicht nur eine in der Wolle gefärbte Herde gläubiger Schäflein. Es waren oft skeptische Wissenschaftler dabei, meistens auch kritische Journalisten und immer eine Vielzahl religiös ungeimpfter Ungläubiger. In eine Massensuggestion »heiliger Ereignisse« fügen sich aber immer nur die Frommen, die unangefochten Gläubigen, ein — in einer Weise, wie sie Jacques Hochmann [22], Psychiater und Psychologe der Universitätsklinik in Lyon, Frankreich, im Zusammenhang einer Darstellung des Psychodramas beschreibt: Es gibt das theoretische Modell einer »Soziometrie«, in dessen Mittelpunkt das soziale Atom steht; dieses Atom ist als Kern zu verstehen, der sich durch die anziehenden und abstoßenden Beziehungen im Umkreis eines Individuums konstituiert; diese Beziehungen bestehen aus einem Netz interrelationaler Ketten, die durch affektive (gemütsbewegte) Ströme hervorgerufen werden. Eine homogene Gemeinschaft »sozialer Atome« bildet sich aber nur an Wallfahrtsstätten wie etwa Lourdes, wo die Pilger ganz gewiß durch »affektive Ströme« mit- und untereinander verbunden sind; es gibt sie nicht an Orten, wo Neugier und Wunderhoffnung die Menschenmasse zusammenwürfeln.
Warum Fixierung auf Ort und Zeit Erscheinungen machen sich den »Sehern« unter hypnotischem Zwang und in einer — ich kann es nicht anders ausdrücken — gewissen Hilflosigkeit kund. Stets sichert sich die Erscheinung durch Bestimmung von Ort und Zeit ab. »Ich will, daß ihr am 13. des nächsten Monats hierher kommt...«, befahl die Erscheinung den drei Fatima-Kindem. Pünktlich erschien die Madonna am angesagten Ort. Halb zwei nachmittags war am 13. Juli 1917 für die geographische Position Fatima genau die astronomische Mittagszeit. (Warum?) Neuerlich bat die schöne Dame um ein Rendezvous mit den Kindern am 13. des folgenden Monats an derselben Stelle. Der Informationsfluß von der Erscheinung (Sender) zu den Sehern (Empfängern) war in Gang gesetzt. So weit, so gut. Warum aber sind Erscheinungen an Ort und Zeit gebunden? Ich kann hier nur eine phantastische Möglichkeit zur Diskussion stellen, die, zugegeben, nur wenig zu den sogenannten anerkannten Tasachen paßt. Mir scheint, daß es besser ist, eine Theorie anzubieten, als sich feige in die Büsche zu schlagen. Dabei bin ich mir durchaus der Mahnung bewußt, die der Kulturhistoriker Egon Friedeil (1878—1938) allen Verwegenen ins Stammbuch schrieb: »Das sind die wirklichen Wunder: Man faßt ein Tabu an und verbrennt sich nicht nur die Finger, sondern auch die Zunge, und man darf nicht erstaunt sein, wenn man unversehens in Flammen steht.« Kommunikation braucht Partner Wie sollen sich jenseitige mit diesseitigen Existenzen oder diesseitige mit jenseitigen über viele Lichtjahre"' Entfernung hinweg miteinander in Verbindung setzen? Mit Radiowellen?
Durch Lichtsignale oder Radarimpulse? Alle elektromagnetischen Wellen sind an die Lichtgeschwindigkeit gebunden. Radio- oder Radarverkehr würde über Hunderte, Tausende von Generationen laufen, eine Programmfolge, die sich nur in utopischen Phantasien reizvoll ausmacht. Trägerwellen von Fernsehbildern sind Dezimeterwellen, die sich — wie Lichtstrahlen — nur gradlinig ausbreiten. Würden wir heute Fernsehbilder durch eine Brücke von Relaisstationen auf einen Richtstrahl setzen, um den Stern Arktur im Sternbild Bootes zu erreichen, würden wir frühestens in 82 Jahren eine Antwort erwarten können, denn der liebe Arktur ist 41 Lichtjahre von der Erde entfernt. Das ist selbst für heutige Postverhältnisse eine ungebührlich lange Zustellungsfrist. Die Sterne Riegel oder Canopus, um noch zwei Adressen zu nennen, liegen 900 Lichtjahre weit weg. Wenn wir uns die Mühe machen würden, »auf Sendung« zu gehen, wüßten wir nicht einmal, ob die beiden stellaren »Kameraden« überhaupt noch existieren; »ihr« Licht, das heute bei uns eintrifft, ist ja schon 900 Jahre alt. Inzwischen kann (und wird!) auch auf diesen Sternen eine ganze Menge passiert sein. Warum sollte man sie anpeilen? Selbst wenn sie sich noch besten Wohlbefindens erfreuen und sogar über eine adäquate technische Zivilisation verfügen, könnte frühestens nach 1800 Jahren ein Echo bei uns eintreffen. Wen interessiert das schon? Es müssen neue, andere Systeme interstallarer Kommunikation gefunden — oder erschlossen werden, weil selbst die Hochfrequenzastronomie, die mit riesigen parabolischen (gekrümmte Flächen ohne Mittelpunkt) Reflektoren sendet und empfängt, um Himmelsobjekte zu beobachten, ungeeignet ist. Niemand kennt bisher die richtige Wellenlänge! (Es ist ja schon Glück und Zufall, wenn man hienieden einem Menschen begegnet, der auf der gleichen Wellenlänge liegt!) — Ist denn eine Kommunikation zwischen so weit voneinander entfernten Intelligenzen überhaupt möglich?
Ja. Durch Erscheinungen. Überwindung von Zeit und Raum Wer Lust hat, meinen spekulativen Kombinationen zu folgen und ein Brett vorm Kopf haben sollte, lege es unter die Füße. Das hat den Vorteil, daß man einige Zoll höher steht und theoretische Querverbindungen und Zusammenhänge leichter überschauen kann. Irgendwann irgendwo in unserer Galaxis bildete sich die erste Intelligenz. Astrophysiker wissen, daß es ungleich ältere Sonnensysteme gibt als das unsere, ergo vermutlich — und ernsthaft und endgültig nicht bestritten — auch viel ältere Intelligenzen. Die früheste Intelligenz begann (wie es Intelligenz allemal wohl ansteht!), Fragen zu stellen, um ihr Wissen zu vermehren. Bevor diese intelligenten Extraterrestrier Raumfahrt planten, betrieben sie astrophysikalische und astronomische Forschung (wie es unsere Fachleute taten, ehe sie die ersten Raketen in die Atmosphäre schickten). Als sie begannen, Raumschiffe zu konstruieren, kamen ihre Mathematiker und Ballistiker daher und rechneten vor, daß bei hohen Geschwindigkeiten der Raumschiffe die Zeit zwischen Startplanet und Raumschiffbesatzung verschieden ist. Unverständlich? Wissenschaftlich ist längst bewiesen, daß bei interstellaren Flügen mit hohen Geschwindigkeiten verschiedene Zeiten gelten. Die »Zeitdilatation«, wie man diese Zeitverschiebung nennt, wurde zwar erst in unserer Zeit »entdeckt«, aber sie ist ein »ewiges« Gesetz, das auch schon für die ersten raumfahrttreibenden Intelligenzen gegolten hat. Was tun, spricht Zeus? fragte Friedrich Schiller in seinem Gedicht »Teilung der Erde«. Was tun? fragten sich auch die Extraterrestrier. Wie sollten sie das Ziel der Expedition, Wissen zu vermehren, realisieren, wenn nach Rückkehr
von der Reise aus dem All Jahrtausende vergangen waren? Wenn daheim niemand mehr leben würde, der die Reiseergebnisse in Empfang nehmen und auswerten könnte? Raum und Zeit wären nur zu besiegen, sagten die extraterrestrischen Akademiker, wenn man an möglichst vielen Plätzen im Kosmos zu verschiedenen Zeiten für Nachkommen sorgen würde — selbstverständlich »nach ihrem Ebenbild«! Also wurden die Astronauten geschult und bekamen den Auftrag, während der weiten Reise alle Sonnen heimatlichen Typs anzusteuern und dort zu landen. Auf den gründlich explorierten Planeten hatten sie die jeweils fortgeschrittenste Lebensform zu separieren und durch gezielte künstliche Mutation intelligent zu machen. Nach welchem Muster? Freilich »nach ihrem Ebenbild«. Staffetten unter Gleichartigen So wurde mit einem ziemlich einfachen Trick die Zeit überwunden. Ab nun gab es auf verschiedenen heimatähnlichen Planeten zu verschiedenen Zeiten Intelligenzgruppen ihrer »Art« — gebastelt nach ihrem »Ebenbild«. Der chronologische Aufbau der gewollten Züchtungen ermöglichte es trotz Zeitverschiebung, erzielte Resultate aus Erfahrung und Wissen in einer quasi zeitlosen Staffette weiterzugeben. Das Expeditionsziel: Wissensvermehrung war gesichert. Es wäre hirnrissig, nun zu behaupten, menschliche Intelligenz wäre einzigartig und allein im Kosmos. Es kann Millionen und Abermillionen Intelligenzformen im Universum geben — nur: Abgesandte anderer Intelligenzformen als jener, der wir unsere Entwicklung verdanken, haben unseren Planeten nicht aufgesucht. Was soll eine Jupiter-Intelligenz auf dem Merkur, wenn die heimatlichen Prämissen nicht gegeben sind? In Homers »Odyssee« steht das Rezept der Extraterrestrier:
»Wie doch stets den Gleichen ein Gott gesellet zum Gleichen!« In unserer Galaxis existieren uns artverwandte Intelligenzformen, weil die Extraterrestrier auftragsgemäß an mehreren strategischen Punkten Mutationen, künstliche Mutationen, an vorhandenem Leben vornahmen. Es wird, auch wenn wir es noch nicht wissen, andere Intelligenzen in unserer Galaxis geben, die denken, handeln und fühlen wie wir. Diese uns eng verwandten kosmischen Familien besitzen Gehirne, die wie unsere funktionieren — sie haben ja gleichen Ursprung: Konstruiert nach dem bewährten »Ebenbild« der fremden Kosmonauten. Diese Gehirne produzieren dieselben Reaktionen auf Reize der Außenwelt wie unsere so schrecklich sparsam ausgenutzten Denkapparate. Geben sie die Initialzündung für Erscheinungen? Natur kann nicht hexen Warum, wird gefragt werden, ist die »Krone der Schöpfung« nicht, wie die Anthropologen sagen, zu ihrer Intelligenz durch Selektion"', Evolution und Mutation gekommen? Weil die ganze restliche Affenfamilie (unsere Vorfahren!) immer noch im Urwald haust! Weil ihr genau der gleiche Zeitraum für eine Evolution zur Verfügung stand! Weil Zahl und Form ihrer Chromosomen nicht mit unseren identisch sind! Unsere Vorfahren, die Hominiden, hatten 48 Y-Chromosomen — wir haben nur 46 X-Chromosomen. Ich bitte flehentlich einen Genetiker, der mir (und den Anthropologen!) das »Wunder« erklären kann, wie es von 48 Y = Chromosomen zu 46 X = Chromosomen kam und sich Produkte aus der Paarung von ungleicher Zahl und Form auch noch erfolgreich vermehren konnten. Vielleicht höre ich, daß zufällig zwei Y-Chromosomen zusammenwuchsen und ein X-Chromosom ergaben. Warum nicht? Da ist aber ein Haken: Das Wesen, dem zufällig dieser genetische Defekt widerfuhr — egal ob Männlein oder Weiblein — konnte sich
»danach« der ungleichen Chromosomenzahl wegen mit keinem anderen Hominiden mehr paaren. Bei dieser grotesk unlogischen Erklärung müßte man mir dann auch noch die mathematische Unmöglichkeit unter die Weste jubeln, daß sich dieser rein zufällige Chromosomendefekt zur ungefähr gleichen Zeit ein zweites Mal wiederholt hätte, und sich diese zweite »Spontan-Mutation« auch noch »zufällig« mit der ersten gefunden hätte! Herrschaften, ein Paar hat zwei Teile; wenn es sich vermehren will, muß jedes Teil von gleicher Beschaffenheit sein. So eine »Lösung« des Problems anzubieten, ist eine Zumutung. Für den, der unangenehme Fragen stellt, gibt's, wenn man nicht weiter weiß, oft Angebote von ähnlicher Qualität. Zum Thema der Intelligenzwerdung veröffentlichte der britische Vererbungsforscher Francis Harry Crick, der 1962 für die Erforschung der chemischen Grundlagen der Vererbung (DNS) den Nobelpreis erhielt, in der Zeitschrift ICARUS [23] seine Überzeugung, daß durch außerirdische Gene Leben auf unserer Erde wirksam geworden ist. Da man mich gerade dieser meiner Hypothese wegen vielerorts heftig attackierte, darf ich gestehen, daß mich der Artikel eines so weltweit anerkannten Genetikers sehr glücklich machte. Zufallspunkt JETZT Ehe ich fortfahre, zu begründen, weswegen meines Erach-tens die Entstehung unserer Intelligenz durch Außerirdische auch Ursache echter Erscheinungen sein kann, muß ich mit dem gewichtigsten Einwand gegen meine Kosmonauten-Theorie aufräumen. Namhafte Astronauten und Exobiologen wie etwa Professor Carl Sagan, New York, meinen, ein Besuch Außerirdischer auf unserem Planeten sei schon deshalb unmöglich gewesen, weil bei der Vielzahl der in Frage kommenden Planeten die Extraterrestrier innerhalb der menschlichen Entwicklungsgeschichte den
Zufallspunkt JETZT, der Punkt, an dem der Mensch intelligent gewesen sei, nicht hätten vorausbestimmen können. Wäre also die Erde vor — angenommen — drei Millionen Jahren von Außerirdischen besucht worden, dann hätten Berichte von diesem Ereignis nicht in die Mythologie eingehen können, wie ich es in meinen Büchern behauptet habe; Die Außerirdischen hätten a) nicht wissen können, daß unser Planet ein lohnendes Ziel gewesen sei und b) auch nicht gewußt, daß die Hominiden in ihrer Entwicklung gerade Intelligenz erworben hatten. Der homo-sapiens ist ja erst seit dem Besuch der Außerirdischen intelligent! Wäre die Erde vor drei Millionen Jahren besucht worden, dann gäbe es justament seit drei Millionen Jahren Intelligenz. Und wären wir erst in fünf-hunderttausend Jahren der Zukunft besucht worden, existierte der Punkt JETZT erst dann. Die Zeitannahmen sind fiktiv. Wann immer der Zufallspunkt JETZT angesetzt werden mag, er ist in jedem Fall identisch mit der Intelligenzwerdung unserer Urahnen, unabhängig davon, wo in der Zeitlinie der Punkt JETZT angesetzt wird. Um Raumfahrt interstellarer Dimensionen betreiben zu können, brauchte es eine ganze Menge mehr als das, was unsere Technik bisher zuwege brachte. Die Außerirdischen, die uns durch künstliche Mutation intelligent werden ließen, waren uns Heutigen nicht nur in der Technik um Jahrhunderte voraus, auch ihr Wissen um subatomare Welten und um die wirklichen Fähigkeiten des Gehirns muß unvergleichlich viel weiter entwickelt gewesen sein. Addieren wir zu den Phänomenen des menschlichen Gehirns, soweit wir ihnen auf die Spur gekommen sind, die Fähigkeiten einer uns weit überlegenen Intelligenz, dann können wir auch nur von ungefähr ahnen, über welchen Intelligenzquotienten die Schöpfer unseres Bewußtseins verfügt haben. Alle außersinnlichen Wahrnehmungen, heute unter der Etikette ASW Objekt brisantester Forschung, sind nichts Neues. Was wir mit großen Mühen und beträchtlichem materiellen Aufwand wiederentdecken und dann zu
verwenden und zu beherrschen trachten, ist seit jener vorzeitlichen gezielten künstlichen Mutation im menschlichen Gehirn programmiert. Es gehört längst zum Allgemeinwissen, daß nur 1/10 unserer Gehirnmasse aktiv ist. Was tut der dominierende »Rest« von 9/10, über den wir verfügen könnten? Warum denn ließen Selektion, Evolution und Mutation ein Gehirn von 1300—1800 g Gewicht entstehen, wenn der Mensch es überhaupt nicht braucht? Über das hinaus, was es im Alltag zu produzieren hat, kann die »Bestie Gehirn« unendlich viel mehr. Medien, Hellseher, Telepathen, Hypnotiseure, Telekineten ... und Propheten beweisen es. Extraterrestrische Kommunikation Mit der Manipulation, den Hominiden eigene Art- und Wesensmerkmale »aufzupfropfen« — eine Methode, die in vergleichsweise kleinem Maßstab in der Kulturpflanzen-und Haustierzüchtung übernommen wurde — übertrugen die außerirdischen Kosmonauten auch ihre außersinnlichen hochentwickelten Wahrnehmungsfähigkeiten — getreulich nach »ihrem Ebenbild«. Sie gaben sich diese Mühen einer Veredelung (= Vermenschlichung) der Hominiden nicht aus reinster Uneigennützigkeit, aus Liebe oder als gnadenreiches Geschenk aus dem großen Koffer ihrer Allmacht — wie Religionen es behaupten würden. Für die Fremden war es ein technisches Geschäft: Sie erwarben laufend Kenntnisse, die sie konservieren wollten. Wissend, daß bei der Rückkehr die Bewohner ihres Heimatplaneten längst in Staub zerfallen sein würden, legten sie »Wissensdepots« an. Diese Depots wurden zu Kommunikationszentren aller »Kinder«, die sie nach »ihrem Ebenbild« fabriziert hatten. Nun waren an vielen Plätzen gleichgerichtete »Empfangs- und Sendestationen« installiert. Mit welchen Medien aber waren die
Verbindungen herzustellen? Elektromagnetische Wellen schieden bei den großen Entfernungen und der damit zwangsläufig verbundenen Störanfälligkeit wegen aus. Für Gedankenübertragungen gab es keine Hindernisse. Das haben Forscher unserer Tage schon hinreichend bewiesen, indem sie bei telepathischen Versuchen »Gedankenwellen« von Sendemedien viele hundert Meter durch Meerwasserschichten hindurch zum »Empfänger« gelangen ließen. Auch sperrten Forscher »Empfänger« in mit Bleiplatten gegen Wellen aller bekannten Arten abgeschirmte Faradaysche Käfige: Die telepathischen Signale kamen ungehindert an. Trotzdem war für eine telepathische Nachrichtenübermittlung dieser Art die Sprache ein unüberwindliches Hindernis. Die klugen kosmonautischen Mutationsspezialisten hatten die Entwicklung verschiedener Sprachen vorgesehen. So präzise nach Vorlage, nach »ihrem Ebenbild«, gearbeitet, wußten sie, daß die neue Rasse in ihren diversen Spielarten Feinde haben und Kriege führen würde. Darum war die Entwicklung verschiedener Sprachen als einer Art von Geheimcode in der sich bildenden Völkerfamilie unvermeidlich — als eine Absicherung gegen Feinde. In verschiedenen Sprachen würden sich aber auch unterschiedliche moralische und ethische Begriffe bilden, würden wissenschaftlich-technische Erkenntnisse in unterschiedlichen Sprachschlüsseln formuliert werden. Die vom Sender X abgestrahlte Nachricht würde, durch die Sprachbarriere gehindert, vom Empfänger Y nicht verstanden werden. Blieb nur der Weg emotioneller und bildlicher Telepathie! Übermittelte Gefühle wie Liebe, Vertrauen, Haß, Gefahr etc. würden überall verstanden wie Bilder vom common sense erkannt würden.
Gefühle, Bilder, Symbole und Musik als Medien Tatsächlich beginnt jede echte Erscheinung mit dem Empfang von Beruhigungsmitteilungen: »Friede sei mit dir« — »Fürchte dich nicht« — »Über allem sei Liebe« usw. Zwischen intelligenten Wesen ist solche emotioneile Telepathie möglich und wirksam. Es werden in keiner Sprache Wörter wie »Liebe« oder »Frieden« ausgestrahlt, sie würden nicht an allen Plätzen verstanden. (Das allgemeinverständliche Esperanto bleibt im Getto von Sprachlaboranten!) Es werden deshalb Gefühle von Liebe und Frieden verbreitet. Verstärkt und verdichtet wird die emotionelle Ausstrahlung durch die Sendung von Bildern und Symbolen. Bilder sind international und interkosmisch. Das Lächeln der Mona Lisa erfreut in Paris und Tokio. Als dritte Frequenz wird Musik (Klang) genutzt. Vibrationen und ineinanderlaufende Schockharmonien sollen Neuronen des Gehirns anregen und Schwingungen, energetische Umsetzungen, auslösen. Ältere unter uns stehen oft fassungslos moderner Musik gegenüber, die sie nicht »verstehen« können. In der Jugend unserer Zeit hat sich ein neues Bewußtsein für die eigenartigen Schwingungen eröffnet; die elektronisch hergestellten, kosmischen Schwingungen der Musik gehen ihr tief unter die Haut, wie im Drogenrausch werden unter-oder überbewußte Gehirnschichten aktiviert. Man sollte nicht überhören, daß auf LPs, die die Jugend bevorzugt, Orgel und Synthesizer mit ihren Klangvibrationen nie fehlen als Stimulantien für ein erweitertes Bewußtsein. Seltsam nur, daß sich derartige neue »Welten« gleichzeitig und überall erschließen und nicht an völkerspezifische Geschmäcker gebunden sind. Was ist da für eine Kraft tätig, die plötzlich einen Komponisten in Korea wesensverwandte Musik finden läßt wie seine Kollegen in Zürich, Paris, New York oder Berlin? Welchen Grund hat es, daß auf einen Schlag in der Malerei Surrealismus oder Abstraktion
dominieren? Woher kommen diese doch erkennbar terminierten Impulse?« Weil die neue Art von Musik oder Malerei »gefragt« und modern ist? Warum ist denn plötzlich »etwas« gefragt und modern? Der Walzer war auch mal modern und gefragt — in der westlichen Welt, doch Hindus und Indianer animierte er nicht. Reichte er nicht in Bewußtseinsschichten hinein, in denen ein allein gemeinsames Gefühl programmiert ist? Gedächtnismoleküle entdeckt Trotz weniger noch vorhandener Lücken in der Beweiskette halte ich es für ein gegebenes Faktum, daß das menschliche Gehirn diffizilere und feinere Schwingungen registrieren kann als alle noch so raffinierten physikalischen Meßgeräte. Kein Meßgerät hat je »Liebe« registriert; da selbst hochmögende Wissenschaftler davon befallen werden, können sie nicht leugnen, daß es Liebe gibt. Im Bereich von Physik und Chemie ist die Umwandlung von Elementen unbestritten. Sollen für das menschliche Gehirn andere Kategorien gelten? Professor George Ungar [24] vom Baylor Medicine College, Universität Houston, Texas, hat in Tausenden von Tierexperimenten nachgewiesen, daß durch elektrische Impulse Gehirnzellen chemisch aktiv gemacht werden und einen neuen Stoff bilden — Gedächtnismoleküle. Professor Ungar: »Ob es uns nun behagt oder nicht, wir müssen heute davon ausgehen, daß unser Gehirn letztlich ein Behältnis und Abspielgerät ist für Millionen Denkmoleküle.« Im Gehirn sind die Denkmoleküle Schaltstellen, von denen programmiertes Wissen abgerufen werden kann. Sie sind materiell. In Schwingung versetzt, beeinflussen sie feinstoffliche Teile der antimateriellen Welt. Was der Physiker im Synchroton (Beschleuniger für geladene Elementarteilchen) durch Elektronenvolt zur Elementarladung erreicht, bewirken im
menschlichen Gehirn Emotionen. Jeder von uns trägt solche Energieumwandler in sich und mit sich, Haß, Liebe, Freude, Trauer, Mitgefühl, Neid. — Im Normalzustand lösen Emotionen normale Reaktionen aus. Die Trance, dem auf suggestivem oder hypnotischem Weg erreichten Zustand, potenziert paranormale Fähigkeiten. Das ist nachgewiesen, wenn auch die Kräfte, die sie bewirken, noch nicht dingfest gemacht werden konnten. Levitationen Der englische Physiker und Chemiker Sir William Crookes, von dem schon gesprochen wurde, experimentierte in seinem Laboratorium mit dem Medium Daniel Douglas Home. Sir William vertrat die Ansicht, daß es eine Kraft gäbe, die auf noch ungeklärtem Weg Kontakt mit dem Körper habe. Bei Laborexperimenten schwebte Medium D. D. Home — von unsichtbaren Kräften gehoben — mehrere Fuß hoch über dem Boden. Der Physiker Crookes: »Das wundervollste Ereignis... hat sich nicht einmal oder zweimal bei trübem Licht, sondern es hat über hundertmal unter allen denkbaren Umständen stattgefunden ... Einmal schwebte Home sogar in einer Höhe von 70 Fuß (= 21 m) aus einem Fenster hinaus und durch ein anderes wieder herein. Sehr angesehene Ehrenmänner wie Lord Dunraven, Lord Lindsay und Kapitän Wynne waren als Augenzeugen bereit, diese Tatsache mit ihrem Eid zu bestätigen« [25]. Gleiches geschah 1938 mit dem englischen Medium Collin Evans vor 300 Zuschauern. Diese Levitation::" wurde in verschiedenen Stadien fotografiert. Man spekulierte und man wird auch weiterspekulieren, was es für Kräfte sind, die diese Phänomene verursachen. An einem Roulett, das die Art der wirkenden Energien austrudelt, möchte ich keine Chips auf Ziffern setzen; noch gibt es zu viele Möglichkeiten und zu wenig Trefferchancen. Genügt es nicht, zu wissen, daß Kräfte »da« sind, registriert und nachgewiesen wurden? Ihre
Existenz reicht vollkommen aus, richtig zu tippen, warum Figuren in Visionen schweben und schwerelos scheinen. Erfolgte mit der Lourdes-Statue im Garten in Beauraing eine Levi-tation? Wurden nicht auch an anderen Erscheinungsorten der Vision ähnliche Gegenstände mittels psychokinetischer Phänomene levitiert? Solche offenen Fragen sollten in die aktuelle Forschung einbezogen werden. Planungsfehler der Außerirdischen? Bleiben wir bei den Prämissen: Außerirdische besuchten auch andere Sonnensysteme und hinterließen auf ihnen geeignet erscheinenden Planeten Ableger »nach ihrem Ebenbild«. Einige Ablegergruppen haben uns gegenüber einen Vorsprung: Sie zähmten, entwickelten und trainierten die »Bestie Gehirn« ... früher als wir. Diese Vorzugsschüler oder überreifen Intelligenzler senden an uns, ihre Brüder und Schwestern gleicher Abkunft, energetische Gedankenimpulse, die unser Bewußtsein anregen und erweitern sollen. Daher erklärt sich meiner Überzeugung nach auch das Mißlingen aller Versuche von Diktaturen weltlicher und kirchlicher Natur, menschliches Bewußtsein auf Dauer einzuengen und in einer Richtung zu dressieren. Ich bin auf die Frage gefaßt, warum denn die superklugen Außerirdischen bei ihrem Aufenthalt auf der Erde keine Apparate hinterließen, mit denen sich auf einen Knopfdruck hin jederzeit eine Kommunikation der Hinterbliebenen untereinander herstellen ließe. Nun, Astronauten nahmen zu keiner Zeit schwere Apparaturen mit auf die große Reise, sofern diese nicht für Navigation, Betrieb etc. des eigenen Raumschiffes nötig waren. Im diskutierten Fall aber hätten sie Hunderte von Sende- und Empfangsapparaturen einpacken müssen, weil sie an vielen, vielen Plätzen im All das Spiel des Intelli-gentmachens spielten. Sie haben uns wirklich nicht
als ihr ausschließliches Meisterstück, als einzigartige Krone ihrer Intelligenzschöpfung betrachtet. — Ja, warum haben sie dann nicht Kommunikationsgeräte gebaut? Die Zeitsekunde im Weltablauf, in der sie uns durch Mutation »nach ihrem Ebenbild« intelligent machten, fand uns homonidischen Wildlinge unvorbereitet. Zum Bau einer so komplizierten Apparatur hätte eine breite technische Infrastruktur gehört, Werke, die integrierte Schaltungen drucken und chemische Halbleiter herstellen konnten, die Kernfusionen zustande brachten usw. Das alles gab es in der Stunde O der »Geburt« unserer Intelligenz nicht. Selbst bei hypothetischer Annahme, die Fremden hätten eine geeignete Sende- und Empfangsstation mitgeschleppt, hätten sie sie kaum — sie waren doch nicht dumm! — auf dem Planeten Erde deponiert, dem Erdbeben, Flutkatastrophen und Kriege bevorstanden. Allein die Zeitläufe mit dem Wechsel des Klimas hätten zerstörend gewirkt. Kabel und Geräte, die amerikanische Astronauten auf dem Mond deponierten, zerfallen heute schon zu Staub, und das, obwohl der Mond keine Atmosphäre besitzt. Diese Zerstörung besorgt nur der extreme Wechsel von Kälte und Wärme. Den Außerirdischen unterlief kein Planungsfehler! Sie wußten, daß alle mechanisch erzeugten und ausgestrahlten Sendungen an die Lichtgeschwindigkeit gebunden sein würden — sie wußten, daß elektromagnetische Wellen über die enormen interstellaren Distanzen hinweg nicht beim Empfänger ankommen könnten. Wozu also eine sinn- wie nutzlose Maschinerie? Die extremen Fähigkeiten des Gehirns Das Mittel zur Kommunikation war und ist die »Bestie Gehirn«. Vom Fließband heutiger Forschung trudeln wissenschaftliche Beweise, daß der Mensch über parapsychologische Fähigkeiten verfügt, die gegen die Naturgesetze sind. Eben erst, ganz am
Anfang stehend, an der Schwelle zum dritten Jahrtausend, sind wir im Begriff, unbekannte Möglichkeiten des Gehirns zu entdecken und später hoffentlich auch vernünftig zu nutzen. Wir machen erste tappende Schritte auf eine beidseitige Kommunikation hin. Wenige »Auserwählte« fanden — ich spreche nicht von religiösen Figuren — immer schon Zugang zu dem wunderbaren Unbewußten, aus dem sie visionär große Entdeckungen abriefen. Der dänische Physiker Niels Bohr (1885—1962), der die Grundlagen für die Atomtheorie schuf, erzählte, wie ihm endlich nach Jahren vergeblichen Suchens die Idee seines Atommodells [26] kam: Niels Bohr träumte, er säße auf einer Sonne aus brennendem Gas. Zischend und fauchend rasten Planeten an ihm vorbei, und alle Planeten schienen durch feine Fäden mit der Sonne, um die sie kreisten, verknüpft zu sein. Plötzlich aber verfestigte sich das Gas, Sonne und Planeten schrumpften zusammen und erstarrten. In diesem Augenblick, sagte Niels Bohr, sei er aufgewacht. Er habe sofort gewußt, daß das, was er im Traum gesehen hatte, das Atommodell war. Für diese Vision wurde Niels Bohr 1922 seliggesprochen — Pardon! Für diesen Traum erhielt er 1922 den Nobelpreis für Physik. Dieser »Traum« hat für mich die Valeurs einer Erscheinung. Zischen und Fauchen vor dem Ereignis, Gas, das sich verfestigt und zum Bild gerinnt... Ich habe das alles schon mal unter anderen Vorzeichen gehört. Physiker haben ihre Welt, täglich und stündlich leben sie mit den »Bildern« ihrer Formeln, Diagramme, Pläne. Das sind optische Signale, die sie auf Schritt und Tritt begleiten. Dialoge und Diskussionen mit Kollegen, Assistenten und Studenten kreisen um ihre physikalischen Probleme — akustische Signale, die immer gegenwärtig sind. Der Streß der Arbeit bringt ein »PsychoFeedback«, dem sie nie entfliehen können. Deshalb kann der Physiker nur Visionen von Bildern aus seiner Arbeitswelt haben wie Niels Bohr, der jahrelang auf die Suche »seines« Atommodells
fixiert war. In einer Erscheinung hat es sich ihm gezeigt. — Wir wissen, woher religiöse Eiferer ihre optischen und akustischen Signale beziehen. In meiner Sicht wurde der »Traum« des Physikers durch außerirdische Impulse ausgelöst. Aus dem Unbewußten riefen sie das dort programmierte »Bild« ab — durch Psycho-Feedback war das Atommodell präsent. Bohrs Gehirn war für diesen exzeptionellen Fall trainiert! — Man muß sich von dem unsinnigen Gedanken freimachen, Erscheinungen wären ein religiöses Privileg. Das ist es doch nur, wenn man den anmaßenden religiösen Anspruch gutheißt. — Die Größen der Geisteswelt sind nicht clever genug, aus ihren Visionen Kapital zu schlagen. Sie hatten halt plötzlich eine Idee ... sie »sahen« plötzlich die Lösung eines lange gestellten Problems ganz deutlich »vor den Augen« ... das Unbewußte flüsterte ihnen etwas zu, und das war dann die »innere Stimme«, die mit ihnen sprach. Das Syndrom vieler Visionen bezeichnen sie schlicht als »geniale Idee«. Was für einen Heiligen hätte eine kirchliche Organisation aus Albert Einstein gemacht, wenn er als eins ihrer Schäflein plötzlich und per Eingebung seine genialen Gedanken gehabt hätte! Diese Relativitätstheorie ist so ungeheuerlich, daß die Laterne, mit der hier hinter die letzten Geheimnisse geleuchtet wird, irgendwo im Schuppen eines Mitglieds der Hl. Familie gestanden haben muß. Was Seher sehen Die Situation scheint mir klar. Außerirdische Impulse veranlassen Gehirne, Erscheinungen zu produzieren. Die Erscheinung selbst ist nicht außerirdisch: Sie »offenbart« das Wunschbild des Sehers. Ein arabischer Seher »sieht« Mohammed oder dessen jüngste Tochter Fatima, ein Hindu »sieht« Brahma, Wischnu oder Schiwa, ein Indianer seinen Manitu ... und ein katholischer Seher »sieht« Jesus, Mutter Maria, Engel und Heilige samt klerikalem Zubehör. Jeder
Empfänger von Erscheinungen reproduziert seine ihm anerzogene religiöse Vorstellungswelt. Erreicht die Nachricht von einer Erscheinung christlichen Geblüts die Öffentlichkeit und ist mysteriös und attraktiv genug, wird sie kirchlicherseits vereinnahmt (sofern alles ins traditionelle Schema paßt), oder sie wird radikal abgelehnt, falls der Seher die Version ablehnt, die durch extrapolierte Fragestellungen erstellt wurde. In dem Moment, in dem der Seher in den Bereich eines außerirdischen Impulsfeldes — wie ich es einmal nennen möchte — gerät, wird er zum Medium; er kann den Impulsen, die sein Gehirn erreichen, nicht ausweichen. Das Gehirn beginnt Figuren zu produzieren, die nur für ihn sichtbar sind. Erscheinungen mögen immateriell oder materiell (ektoplasmische Materialisationen) sein — für den Seher sind sie stets echt. Es ist ungehörig, wenn außenstehende Instanzen sich anmaßem, darüber zu rechten und zu urteilen, welche Erscheinungen echt sind und welche nicht. — Es ist nicht die Gottesmutter, die verlangt: »Betet den Rosenkranz!« Diese plakative Aufforderung steht auf der religiösen Tapete, mit der das Innenleben des christlichen Sehers geschmückt ist. Dort nimmt er auch die Bilder der schönen Dame, der Erzengel und Heiligen ab, die zum Objekt seiner Erscheinung werden. Was empfinden Seher-Kinder Was ereignet sich in den vielen kindlichen Seher-Gehirnen? Da blitzt »etwas« im Gehirn (vom außerirdischen Impulsfeld abgestrahlt), es wiederholt sich, das Kind empfindet Angst. Es sucht eine Zuflucht. Unversehens überkommt es ein Gefühl von Frieden und Geborgenheit. Es »sieht« Nebel, feine sich bewegende Schleier, die Luft scheint zu flimmern, irgendwo strahlt ein Licht. Diese unwirklichen Trugbilder nehmen »plötzlich« Formen an, in denen das Kind die ihm vertrauten Porträts des Herrn Jesus oder der Hl. Maria erkennen möchte. Endlich, endlich sieht es im Vexierbild die
vertrauten Gestalten. Von ihnen »hört« es gern Botschaften von Liebe und Frieden und Vertrauen. Das Kind überkommt ein Glücksgefühl, es möchte sich an die Figuren schmiegen. (Überlichtschnelle Verbindungen erzeugten im Unteroder Überbewußtsein Schwingungen, eine Verbindung mit Außerirdischen war hergestellt. Die Impulse bewirkten lediglich bildhafte [sprachlose] Vorstellungen von Frieden, Liebe und Geborgenheit, die das kindliche Gehirn dann in Gestalten der Hl. Familie fand.) In den Protokollen der Seher-Verhöre nimmt sich das so aus: Ich weiß mit absoluter Sicherheit, daß ich eine Erscheinung hatte. Ich weiß, daß die Erscheinung mich zuerst beunruhigte (Angst), dann aber beruhigte (Liebe, Frieden). Ich fühlte, daß die Erscheinung stark und mächtig war, sie war schöner und größer als alles, was ich je sah. Die Erscheinung hat eigentlich nichts gesagt, aber ich spürte ihren Wunsch und Willen, Frieden zu verbreiten. (Wenn Erscheinungen zu Kriegszeiten stattfanden, wurden diese Empfindungen bei Sehern stets zum Friedensappell — Extrakt des allgemeinen Gefühls!) Ich meine, alle Menschen wären mit der Erscheinung eins gewesen. (Symbol der Außerirdischen: Wir sind eine Einheit im Ursprung.) Alternative: GUT oder BÖSE Seher ahnen nicht, wie ihre Erscheinungen zustande kommen, ja, sie dürfen es nicht wissen, weil das außerirdische Impulsfeld durch Abwehrreaktionen gestört werden könnte. Für den Seher gibt es vor dem Phänomen nur die Alternative: GUT oder BÖSE. War es »gut«, kann es sich nur um eine Manifestation Gottes gehandelt haben — verwandelt in Gestalten wie Jesus, Maria, Buddha, Schiwa, Mohammed... war es »böse«, kann die Erscheinung nur vom Teufel gewesen sein, und der hat Hunderte von furchterregenden Masken und üble Sprüche im Mund. — Wo religiöse Seher noch skeptisch
bei der Identifizierung der gesehenen Gestalten sind, sorgt die hochinteressierte religiöse Umwelt für vollkommene Klarheit und verscheucht die Zweifel. Woher kommt der Wunsch der Erscheinungsgestalten, am Ort des Ereignisses eine Wallfahrtskirche zu errichten? Das kann zwei Gründe haben. Einmal war der Seher am Ort der Erscheinung sehr glücklich, hier empfand er die wunderbarsten Augenblicke seines Lebens. Von der Sensation (im Wortsinn: Empfindung) aufgewühlt, gelingt ihm eine so prächtige Schilderung des Gesehenen, daß alle, die mindestens an den Verheißungen und künftigen Wundern teilhaben möchten, eine Kirche errichten wollen. Und gegen Bauten aus Spendengeldern wendet sich keine Kirche! Für den Seher ist das eine herrliche Sache: Er wird immer wieder an den Ort, an dem er so glücklich war, zurückkehren ... wie Verliebte, die »ihre« Bank im Park immer wieder aufsuchen, um den Glückszustand von damals nochmal zu erwischen. — Hypothetisch kann man annehmen, daß die außerirdischen Kontaktpartner den Ort als besonders günstig ausgemacht hatten und ihn zu wechselseitigem Kontakt gesichert wissen möchten. Finden aus diesem Grunde Erscheinungen fast ausschließlich an »störfreien« Plätzen statt? Niemandem würde es einfallen, radioastronomische Antennen in eine Industrielandschaft zu pflanzen. Advocatus diaboli Ich mache mich zum Anwalt meines eigenen Teufels. Warum müssen, können oder sollen Erscheinungen überhaupt mit Außerirdischen zu tun haben? Sind Erscheinungen nicht nur Hirngespinste von Psychopathen? Sind nicht selbst echte (fotografierte) Erscheinungen durch unbewußte Kräfte des menschlichen Gehirns verursacht worden? Warum also außerirdische Superwesen bemühen?
Sobald zwischen Seher und Erscheinung Kontakt besteht, behauptet jede Erscheinung von sich, »außerirdisch« zu sein. Im christlichen Vokabular heißt das: »Ich bin die Mutter des Universums« »Ich bin die Königin des Himmels« (Weltall) »Ich bin die unbefleckte Empfängnis« (Vornehme Umschreibung der ursprünglichen künstlichen Mutation?) Der Seher beschreibt gesendete Symbolgruppen mit den ihm zur Verfügung stehenden Wörtern und analogen Bildern. Die Behauptung der Erscheinungen, außerirdischer Herkunft zu sein, wäre allein keine ausreichende Legitimation. Wenn aber beispielsweise dem 18jährigen Joseph Smith, dem Gründer der Mormonen-Religion, ein Engel erscheint, der vorgibt, den geheimen Ort zu kennen, an dem Schrifttafeln mit der Menschheitsgeschichte verborgen sind, und wenn es sich dann erweist, daß genau am bezeichneten Punkt tatsächlich die Schrifttafeln gefunden werden, dann bedeutet das für mich, daß Außerirdische dem Joseph Smith in beidseitiger Kommunikation eine Information gegeben haben, die nur ihnen bekannt sein konnte. (Da sie vor Jahrtausenden ja selbst auf unserem Planet das Versteck anlegten!) Was später aus dem Erscheinungsphänomen (Es war Jesus!) gemacht wurde, gehört in die Märchenwerkstatt, in der Religionen angefertigt werden. »Nicht der Unglaube ist in unserer Gesellschaft gefährlich, sondern der Glaube« [27]. Was wir Erscheinungen verdanken An der Bewußtseinsöffnung der Menschheit waren echte Erscheinungen wesentlich beteiligt. Alle Religionsgründer, die von ihren Phänomenen inspiriert unters Volk gingen, verkündeten, daß nicht sie selbst sprächen, sondern daß durch sie »dasjenige in mir und über mir« spricht. De facto teilten sie vielfach der Menschheit Neuigkeiten mit, die weit über dem Wissens- und Erfahrungsstand ihrer Zeit lagen.
Aber es sind ja gottlob nicht nur Religionsstifter und Adepten Empfänger von Erscheinungen. Da sind die großen Begabungen, die aus Kontakten mit dem Überirdischen ihre Ideen beziehen. Wir sprechen von Genies. Sie sind die Auserwählten, die Kontaktfähigen, die außerirdische Impulse in Gedankenmoleküle umzuwandeln vermögen. Der geisteswissenschaftlich geschulte und forschende Verstand, der Symbole begreift und in Erkenntnisse umsetzt, spricht nicht von Erscheinungen. Irgendwann tauchen in den Biographien der Großen der Menschheitsgeschichte Momente auf, an denen Visionen, Erleuchtungen oder Eingebungen die große Wende oder die entscheidende grundstürzende Erkenntnis (die Idee) brachten. Die Legitimation von Erscheinungen bei den Großen ist ihre Leistung für die Menschheit. Religionen, vor allem ihre Begründer, brauchen Erscheinungen wie »Brosamen, die von des Herrn Tische fallen« (Matth. 15,27). Erscheinungen, die religiös unbrauchbar sind, die Visionen und Erleuchtungen, die die Großen aus dem Überirdischen beziehen, bringen den Fortschritt.
Daran glaube ich.