Terra Astra 637
Die sieben Kreise der Hölle Ernst Vlcek 6. Roman des Zyklusses – Die Evolutionspolizei
Die Hauptperso...
10 downloads
395 Views
421KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Terra Astra 637
Die sieben Kreise der Hölle Ernst Vlcek 6. Roman des Zyklusses – Die Evolutionspolizei
Die Hauptpersonen des Romans: Gaythas - Er herrscht über ein Volk von Gesetzlosen. Qilbert Fenton, Keiny, und Dugon-Streitz Drei Evolutionsagenten in den sieben Kreisen der Hölle. Professor Koun Scharochin - Ein Biologe. Major Peraciodes - Terranischer Chef der Evolutionspolizei. Gurlanot und Mirlin - Ein Ehepaar auf der Flucht.
1. Abirion war Major der Evolutionspolizei und für den Heidekka-Raumsektor verantwortlich. Vor ihm lag die schwerste Aufgabe seines Lebens: Er sollte auf Heidekka landen und einen verbrecherischen Wissenschaftler festnehmen. Bisher war er seinem Ziel noch keinen Schritt näher gekommen, hatte aber bereits zehn Männer verloren. Jetzt machte sich der elfte Agent bereit, das Sicherheitsnetz um Heidekka zu durchdringen. Der Agent hieß Stornoll, war Leutnant und Major Abirions persönlicher Freund. „Du mußt nicht gehen, Stornoll“, brachte ihm Abirion wieder 2
in Erinnerung. „Du hast kaum Chancen, die Oberfläche von Heidekka zu erreichen - geschweige denn, Professor Scharochin zu finden und gefangenzunehmen.“ „Ich habe mich freiwillig gemeldet“, sagte Stornoll nur. Dann klappte er den Helm des flugfähigen Kampfanzugs zu und betrat die Luftschleuse. Die Lamellentür schloß sich hinter ihm. Das elliptische Raumschiff befand sich in einer Höhe von 20.000 Kilometern in einer Umlaufbahn von Heidekka. Es war einfach nicht möglich, näher an den Planeten heranzugehen, ohne zu riskieren, daß die gesamte Mannschaft wahnsinnig wurde. Als Abirion in die Kommandozentrale kam, hatte Stornoll bereits die Luftschleuse verlassen und war von den Außenkameras erfaßt worden. Seine Gestalt füllte den gesamten Hauptbildschirm aus - sich überschlagend, trieb er langsam vom Raumschiff fort. „Alles in Ordnung?“ erkundigte sich Abirion über Sprechfunk. „Alles klar“, bestätigte Stornoll. „Dann Hals- und Beinbruch.“ Stornoll korrigierte seine Flugrichtung mit einigen Stößen seiner Steuerdüsen, dann zündete er den Raketentreibsatz. Er schoß mit starker Beschleunigung auf den grauvioletten Planeten zu, der groß und drohend über ihm hing. „Hoffentlich ergeht es ihm nicht wie den anderen“, sagte der Erste Offizier. Abirion starrte gebannt auf die Bildschirmvergrößerung. Stornoll war noch als winziger Punkt auszumachen, und dann entschwand er den Blicken der Beobachter. Abirion stand aber noch durch Sprechfunk mit dem Agenten in Verbindung. Außerdem war in dessen Kampfanzug eine Kamera eingebaut, die ständig Bilder an das Raumschiff funkte. Hoffentlich ergeht es ihm nicht wie den anderen! hallte es in 3
Abirions Geist nach. „Nein!“ preßte er hervor. „Er wird bestimmt nicht wahnsinnig, und er wird auch nicht mutieren.“ „Das stimmt“, sagte der Erste Offizier. „Er müßte durch den ersten und zweiten Kreis kommen. Wahrscheinlich durchdringt er auch den dritten Kreis. Aber was ist danach?“ „Wir können nur hoffen“, meinte Abirion. Auf dem Hauptbildschirm erschien jetzt ein rasch größer werdender Ausschnitt des Planeten, aufgenommen durch die Kamera in Stornolls Kampfanzug. Es war still in der Kommandozentrale, nur die monotone Stimme des Funkers war zu hören, der mit dem Ortungsspezialisten zusammenarbeitete und Stornoll Anweisungen für Flugkorrekturen gab. Stornoll selbst meldete sich nicht. Er würde erst sprechen, wenn er in den ersten Kreis eindrang. Der erste Kreis der Hölle war ein parapsychisches Feld, das sich bis in eine Höhe von zwanzig Kilometern um Heidekka spannte. 99 von 100 Menschen, die in seinen Bereich kamen, wurden wahnsinnig. Tests hatten ergeben, daß Stornoll die eine Ausnahme bildete. Trotzdem bestand immer noch die Gefahr, daß auch er wahnsinnig wurde... „Jetzt bin ich...“, drang Stornolls Stimme aus dem Lautsprecher. „Hast du den ersten Kreis erreicht?“ fragte Abirion, der den Funker von seinem Platz verdrängt hatte. „Ja - ich...“ „Kehre augenblicklich um, wenn du spürst, daß du die Ausstrahlung nicht verträgst“, riet Abirion. „Nein, ich - sie können mir nichts anhaben“, erwiderte Stornoll. Es hatte den Anschein, als müsse er sich jedes Wort gewaltsam abringen. „Ich halte durch... Es ist nur - die telepathischen Gedanken sind so fremdartig und verworren!“ „Kehre um!“ verlangte Abirion. „Nein, ich schaffe es!“ Eine Weile war nur Stornolls keuchender Atem zu hören. Dann meldete er sich wieder. 4
„Nur noch wenige hundert Meter“, berichtete er. „Bald habe ich die Oberfläche erreicht. Die telepathischen Vögel umschwirren mich zwar in immer dichteren Schwärmen, aber... Jetzt habe ich es geschafft!“ Abirion atmete auf. Aber er machte sich nichts vor. Stornoll hatte erst die erste von insgesamt sieben Hürden genommen. Es war unwahrscheinlich, daß er auch die anderen sechs Kreise überwinden konnte, um bis zu Professor Scharochins Versteck vorzudringen. Deshalb entschloß sich Abirion zu einem letzten Vermittlungsversuch. „Stellen Sie eine Verbindung zu Gaythas her“, befahl er dem Funker. „Glauben Sie, den König der Diebe doch noch zur Zusammenarbeit überreden zu können?“ fragte der Erste Offizier. „Ich muß es zumindest versuchen.“ Während Abirion auf das Zustandekommen der Bildsprechverbindung wartete, dachte er über die wohl seltsamste Erscheinung nach, die die galaktische Zivilisation hervorgebracht hatte. Heidekka - die Welt der Gesetzlosen. Heidekka war inmitten des Sternenimperiums eine Insel der Verfemten. Hier fand jedermann Asyl, der aus irgendeinem Grund verfolgt wurde. Allerdings war die Welt kein Paradies für Verbrecher. Gaythas, den sie den König der Diebe nannten, führte ein strenges Regime. Er nahm zwar Verbrecher aller Kategorien bei sich auf, ließ auf seiner Welt jedoch das Verbrechen nicht gedeihen. Nicht, daß er etwa die Gesetze des Sternenimperiums achtete und auf seiner Welt eingeführt hatte. Nein, Gaythas hatte eigene Ansichten über Recht und Ordnung, und die verfocht er auf Heidekka. Sein Wort war Gesetz. Wie Gaythas Vorstellungen von Recht und Gerechtigkeit genau aussahen, war nicht bekannt. Denn wer einmal auf Heidekka war, der kam nie wieder zurück. Der Planet war 5
ausbruchsicherer als alle Gefängnisse der Galaxis. Das war auch ein Grund, warum der Galaktische Gerichtshof und die Evolutionspolizei diesen Anti-Staat innerhalb des Imperiums duldeten. Es gab sogar ein Abkommen zwischen dem König der Diebe und der Imperiumsregierung, von dem aber nur wenige wußten. Demnach hatte sich Gaythas verpflichtet, die Rückkehr seiner asozialen Untertanen in die Zivilisation zu verhindern. Dafür hatte er die Zusicherung erhalten, daß man nie die Auslieferung eines Verbrechers verlangen würde. Und daraus hatte sich das augenblickliche Dilemma ergeben. Der Fall war eingetreten, daß ein wichtiger und gefährlicher Mann nach Heidekka geflüchtet war, der sich unter keinen Umständen weiterhin in Freiheit befinden durfte. Es handelte sich um den Biologen Koun Scharochin, der angeblich das Geheimnis des Lebens gelöst hatte. Dieser Mann mußte in sicheren Gewahrsam genommen werden - koste es, was es wolle! Abirion wurde durch die Stimme des Funkers aus seinen Gedanken gerissen, der ihm meldete, daß die Verbindung mit Gaythas hergestellt sei. „Sieh an, schon wieder der rührige Evolutionsmajor“, sagte der König der Diebe vom Bildschirm her, als Abirion in den Aufnahmebereich der Kamera trat. Gaythas war ein Tarrugier. Wie alle Menschen dieses Volkes, war er groß und schlank und hatte eine graubraune Haut. Sein langer, schmaler Kopf, in dem die großen, dämonischen Augen dominierten, war vollkommen haarlos. In die blanke Schädeldecke waren die Namen der prominentesten Familienangehörigen eintätowiert, die er im Zweikampf besiegt hatte. Die langen, spitzen Zähne und die Fingernägel waren rötlich getönt. Er trug ein prachtvolles Gewand und war über und über mit Schmuck behangen. „Sie scheinen mich in Ihr Herz geschlossen zu haben, Major“, meinte Gaythas lächelnd und zeigte seine roten Zähne. Er 6
machte eine bedauernde Geste. „Leider lassen es die Umstände nicht zu, daß wir uns persönlich kennenlernen. Schade, daß die sieben Kreise zwischen uns sind.“ „Sie haben es in der Hand, die sieben Kreise auszulöschen“, erwiderte Abirion. Gaythas seufzte. „Fangen Sie schon wieder damit an, Major. Sie wissen, daß Sie mich gezwungen haben, das Verteidigungssystem von Heidekka zu aktivieren. Sie wollten gewaltsam in mein Reich eindringen und die Ordnung stören. Dabei hat die Institution, für die Sie arbeiten, die Unabhängigkeit vertraglich zugesichert.“ „Sie wissen, daß ein Sonderfall eingetreten ist“, warf Abirion ein. „Nichts weiß ich!“ behauptete Gaythas. „Sie sagen, daß sich auf Heidekka ein Mann aufhält, der über die ganze Galaxis Unheil bringen kann, wenn die Evolutionspolizei seiner nicht habhaft wird. Aber das sind bloß Worte. Beweisen Sie mir, daß Professor Scharochin tatsächlich eine Gefahr darstellt. Wenn Sie das können, werde ich eine Auslieferung in Erwägung ziehen.“ „Dann geben Sie endlich zu, daß Sie Scharochin bei sich verstecken!“ rief Abirion. Gaythas schüttelte den Kopf. „Ich gebe gar nichts zu. Ich erkläre mich lediglich bereit, Ihnen behilflich zu sein, wenn Sie Professor Scharochins Gefährlichkeit beweisen können. Sind Sie dazu nicht in der Lage, bestehe ich darauf, daß alle Punkte des Vertrags eingehalten werden.“ Abirion spürte, wie ihn die Wut übermannte. Er war machtlos und dem Spott dieses Mannes ausgeliefert, der über ein Volk von Gesetzlosen und Außenseitern der Gesellschaft regierte. „Treiben Sie es nicht zu weit“, drohte Abirion. „Der Befehl des Hauptquartiers war unmißverständlich - Professor Scharochin muß um jeden Preis gefunden werden. Wenn Sie sich weiterhin weigern, ihn auszuliefern, werden die Yskander 7
kurzen Prozeß machen. Sie wissen, daß Ihnen Ihr Verteidigungssystem nichts nützt, wenn wir einige Bomben abwerfen.“ Gaythas lächelte wieder. „Seien Sie nicht kindisch, Major. Sie wissen so gut wie ich, daß die Vernichtung Heidekkas ein Massenmord wäre. Darauf läßt sich die Evolutionspolizei nicht ein.“ „Dann werden andere Mittel und Wege gefunden werden, um den Professor in die Hand zu bekommen!“ entgegnete Abirion hitzig. Er wußte, daß dieses Gespräch zu nichts führen würde. Trotzdem wollte er noch nicht aufgeben. „Kommen Sie doch und holen Sie ihn sich“, rief Gaythas. Er blieb weiterhin ruhig und gelassen und zeigte sein überhebliches Lächeln. „Sie sollten endlich zur Vernunft kommen, Major. Ich habe auf Heidekka ein Sicherheitssystem geschaffen, um jenen Menschen, die sich in meine Obhut begeben haben, vor Zugriffen von außen zu schützen. Ich frage nicht danach, woher sie gekommen sind und was sie getan haben. Sie sind zu mir gekommen und akzeptieren meine Gesetze. Nur das zählt für mich. Ich habe diesen Menschen Unantastbarkeit garantiert und werde mit allen Mitteln darum kämpfen, mein Versprechen zu halten.“ „Sie können durch geschwollene Reden die Tatsache nicht aus der Welt schaffen, daß Sie zehn der besten Evolutionsagenten auf dem Gewissen haben“, rief Abirion erregt. „Und Sie können auch nicht vertuschen, daß Sie einen Mann verbergen, der der ganzen Menschheit zum Verhängnis werden kann.“ „Ich glaube, Ihnen fehlen die Voraussetzungen, um die Situation zu verstehen“, meinte Gaythas seufzend. „Deshalb will ich Ihnen etwas verraten, Major. Selbst wenn ich wüßte, wo sich Professor Scharochin aufhält, selbst wenn ich ihn also fände - so könnte ich ihn nicht ausliefern. Mehr kann ich nicht dazu sagen. Aber vielleicht klärt Sie das Hauptquartier auf 8
Yskan auf. Dort weiß man Bescheid über Heidekka!“ „Das sind Ausflüchte! Sie lügen!“ Aber Abirion sprach bereits zu einem dunklen Bildschirm. Gaythas hatte die Verbindung einfach unterbrochen. Abirion war einem Tobsuchtsanfall nahe. Doch bevor er seinem angestauten Ärger freien Lauf lassen konnte, passierten zwei Dinge fast gleichzeitig, die ihn voll und ganz in Anspruch nahmen. Zuerst meldete der Funker am Hypergerät, daß eine Nachricht vom Hauptquartier der Evolutionspolizei auf Yskan eingetroffen sei. Abirion wollte sich gerade darum kümmern, als der andere Funker ausrief: „Stornoll hat den zweiten Kreis überwunden und ist in den Bereich des dritten Kreises gelangt!“ Abirion wandte sich dem Hauptbildschirm zu. Die Kamera, die Stornoll bei sich trug, funkte Bilder einer düsteren Landschaft zum Schiff. Schiefergraue Felsen ragten zu beiden Seiten einer Schlucht steil auf, die von dicken Adern eines purpurroten Minerals durchzogen waren. Nirgends gab es Anzeichen von Leben. „Wie fühlst du dich, Stornoll?“ erkundigte sich Abirion über Sprechfunk. „Ausgezeichnet“, kam die Antwort. „Wie du siehst, bin ich nicht mutiert - das ist immerhin schon etwas.“ Im zweiten Kreis mutieren Menschen und werden zu Ungeheuern! Nur einem Menschen von tausend gelang es, der Mutationsstrahlung zu entgehen. Stornoll war einer von ihnen, sein Vorgänger hatte weniger Glück gehabt... „Wir halten dir die Daumen, Stornoll“, sprach Abirion ins Mikrophon. „Ich bin überzeugt, daß du es schaffst. Spürst du schon den Einfluß des dritten Kreises?“ „Nein, ich...“ Stornoll unterbrach sich selbst. Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: „Doch, jetzt ist mir, als sei jemand in meiner Nähe. Ich fühle direkt...“ Stornoll unterbrach sich wieder. 9
„Wir haben zwar ein gutes Bild, aber wir können nichts entdecken“, sagte Abirion schnell. „Vielleicht bist du einer Täuschung unterlegen.“ „Vielleicht“, sagte Stornoll gedehnt. Plötzlich klang seine Stimme unsicher. „Es ist nur ein unbestimmtes Gefühl, Abirion, aber ich muß dir davon berichten.“ „Rede schon“, forderte Abirion ihn auf. „Ja...“ „Was wolltest du mir sagen?“ drängte Abirion. „Ich - habe es vergessen“, sagte Stornoll. „Erinnerst du dich nicht mehr daran?“ „Woran?“ „An das, was du mir sagen wolltest.“ „Was wollte ich sagen?“ Abirion war der Verzweiflung nahe. Er wechselte einen schnellen Blick mit dem Ersten Offizier und fand in dessen Augen seine eigenen Ahnungen bestätigt. Stornoll war ein Opfer des dritten Kreises geworden! Aber Abirion wollte es nicht wahrhaben. „Stornoll! Stornoll!“ rief er verzweifelt ins Mikrophon. „Du sprachst von einem seltsamen Gefühl, das du hattest. Erinnerst du dich daran?“ „Ja, ein Gefühl.“ „Kannst du es definieren?“ „Def i... was?“ „Definieren!“ „Ich...“ Das war das letzte Wort, das Abirion von Stornoll hörte. Eine Weile drang noch sein schwerer Atem aus dem Lautsprecher. Dann gab es plötzlich ein knackendes Geräusch, und die Sprechverbindung war unterbrochen. Gleich darauf wurde auch die Kamera ausgeschaltet, der Bildschirm erlosch. Abirion unternahm alles, um die Verbindung zu Stornoll wiederherzustellen. Aber er bemühte sich vergebens. 10
Stornoll blieb auf Heidekka verschollen. Er war der elfte Agent, den Abirion auf diese Weise verlor. Der Major war noch immer wie benommen, als er die Nachricht vom Hauptquartier auf Yskan entgegennahm. Darin hieß es: UNTERNEHMEN SOFORT ABBRECHEN. KEINE WEITEREN MÄNNER NACH HEIDEKKA ENTSENDEN. EIN AGENT WIRD KOMMEN, DER DIESER AUFGABE GEWACHSEN SCHEINT. ER BRINGT ALLE NÖTIGEN VORAUSSETZUNGEN MIT. BIS ZU SEINEM EINTREFFEN NICHTS UNTERNEHMEN. Abirion zerknüllte die Folie. „Wenn diese Nachricht einige Stunden früher gekommen wäre, dann wäre Stornoll noch am Leben“, sagte er bitter. „Sie schicken einen Agenten, der alle Voraussetzungen für diesen Auftrag besitzt“, meinte der Erste Offizier. „Was muß das für ein Supermann sein!“ 2. In dem alten Fachwerkhaus zehn Kilometer nördlich von Jodrell Bank ging es wieder einmal drunter und drüber. Gilbert Fenton war der Verzweiflung nahe. Zuerst hatte die Landpolizei eine Razzia veranstaltet und die vierköpfige Hippie-Kommune ausgehoben, die im Obergeschoß einquartiert gewesen war. Man hatte in ihrem Zimmer Waffen, ein Kilogramm Rohopium und einen Destillierapparat gefunden, mit dem sie sich ihren Schnaps selbst gebrannt hatten. Außerdem waren sie Amerikaner, deren Aufenthaltsgenehmigung bereits vor Monaten abgelaufen war. Die Anklage lautete also auf unerlaubten Waffenbesitz, Rauschgiftschmuggel und auf Schwarzbrennerei - diese Angelegenheit würde noch ein Nachspiel haben. 11
Nachdem die Polizei gegangen war, tauchten drei Wärter eines nahe gelegenen Privatsanatoriums auf, die nach einem flüchtigen Patienten suchten. Sie fanden ihn auch prompt in Fentons Haus. Er war vor drei Tagen eingetroffen, hatte sich als Ufologe ausgegeben und behauptet, die Landung von außerirdischen Invasoren beobachtet zu haben. Gilbert Fenton hatte diese beiden Schicksalsschläge kaum verdaut, als es innerhalb der Zigeunerfamilie, die sich hinter dem Haus niedergelassen hatte, zu einem Streit kam. Fenton wußte nicht genau, worum es dabei ging, aber er quartierte die Zigeuner aus, noch bevor sie die Messer sprechen lassen konnten. All dieser Ärger hätte Fenton durchaus genügt. Aber es kam noch schöner. Der albanische Wissenschaftler, der sein ständiges Domizil in Fentons Haus aufgeschlagen hatte, experimentierte wieder einmal. Fenton kannte von ihm nur den Namen, Cachrunsky, hatte aber keine Ahnung davon, auf welchem Gebiet der Mann sich eigentlich wissenschaftlich betätigte. Als es aber dann in den Räumen des Albaniers zur Explosion kam, ahnte Fenton, daß seine Experimente nicht so harmlos waren, wie er selbst wirkte. Kaum hatten die Erschütterungen nachgelassen (das Haus stand zum Glück noch), da erschien Dominique mit ihren zwei Koffern in der Halle. Sie erklärte, daß sie es hier nicht mehr aushalte, und verschwand mit dem Ziel Paris. Clifford Ramson brachte sie mit dem alten Bentley nach London. Nun war Fenton allein, wenn man von dem Albanier und einigen anderen exzentrischen Bewohnern des Fachwerkhauses absah. Fenton hatte gute Lust, sie alle kurzerhand hinauszuwerfen. Der Landbevölkerung war das Haus mit seinen seltsamen Gästen sowieso schon lange ein Dorn im Auge. Aber das störte Fenton nicht. Er fürchtete eher, daß die Zustände, die hier herrschten, der Evolutionspolizei auf Yskan 12
zu Ohren kommen könnten. In diesem Falle war zu erwarten, daß Fenton unehrenhaft aus dem Dienst entlassen würde. Dann wären alle Mühen umsonst gewesen, die Fenton aufgewendet hatte, um sich in die Reihen der Evolutionspolizei einzuschleichen. So unwahrscheinlich es auch klang, Madhouse, wie die Landbevölkerung das Haus nannte, war der „Terranische Stützpunkt der Evolutionspolizei“. Außer Fenton, Ramson und Dominique Courage wußte natürlich keiner der anderen Bewohner davon. Ebensowenig wie die anderen „Terraner“ wußten, daß es eine Evolutionspolizei und ein Sternenimperium mit zwanzigtausend bewohnten Planeten gab. Die Menschen der Erde mühten sich immer noch mit den ersten Schritten ins All ab, während sie dabei von wachsamen Augen aus der ganzen Galaxis beobachtet wurden. Viele Völker sehnten den Tag herbei, da die Terraner eine vollwertige Raumfahrt entwickelt hatten, und manche halfen sogar ein wenig nach. Das lohnte sich, denn die Erde war eine der zehn Grünen Paradieswelten. Aber die Evolutionspolizei wachte darüber, daß die Terraner in ihrer Entwicklung nicht von außen beeinflußt wurden. Der für die Sol-Regierung verantwortliche Evolutionspolizist war Major Peraciodes, sein Stellvertreter auf der Erde Gilbert Fenton. Er hatte die seltsamen und exzentrischen Personen nur in seiner Eigenschaft als Evolutionspolizist um sich geschart, denn er erhoffte sich von ihnen noch am ehesten Angaben über die Machinationen Außerirdischer. Aber nach den letzten Ereignissen sah er ein, daß dies eine Schnapsidee von ihm gewesen war. Allerdings war es für einen Rückzug bereits zu spät, denn er galt in aller Welt als Mäzen und Gönner von Okkultisten und Spinnern. Er war so etwas wie ein Schutzpatron aller Verrückten. Trotzdem darf nicht verschwiegen werden, daß Gilbert Fenton der Evolutionspolizei wertvolle Dienste geleistet hatte. 13
Er war bereit, sein Leben für die gute Sache hinzuwerfen. Im Augenblick dachte er jedoch nicht an Abenteuer und seine Pflichten als Evolutionsagent. Er war deprimiert. Als dann noch die Stimme aus dem Nichts zu ihm sagte: „Einen schönen Schweinestall haben Sie hier!“ - da begann er auch noch an seinem Verstand zu zweifeln. Fenton war allein in der Bibliothek. Er lag auf dem lederbezogenen Sofa und starrte ins Leere. Beim Klang der Stimme fuhr er hoch. Es war niemand in seiner Nähe, der zu ihm hätte sprechen können. Da stand es für ihn fest, daß er den Verstand verloren hatte. „Wie können Sie sich hier nur wohl fühlen, Fenton“, sagte wieder die Stimme aus dem Nichts. „Wer sagt, daß ich mich wohl fühle“, erwiderte Fenton. „Ich fühle mich geradezu miserabel, wo mich mein Freund im Stich gelassen hat und meine Verlobte davongerannt ist. Außerdem hat die Polizei eine Razzia veranstaltet und dabei Opium und eine Schnapsdestille sichergestellt.“ „Hat man dabei etwa auch die unterirdischen Anlagen entdeckt?“ fragte die Stimme aus dem Nichts besorgt. „Nein...“ Plötzlich wurde Fenton hellwach. Er grinste schwach. „Die Stimme kenne ich doch! Perac, sind Sie's?“ „Allerdings.“ In der Richtung, aus der die Stimme gekommen war, begann die Luft plötzlich zu flimmern, die Konturen eines menschlichen Wesens zeichneten sich ab - und dann wurde ein Mann sichtbar. Er war 1,80 Meter groß, hatte ein energisches Gesicht und trug eine rotschillernde, einteilige Kombination: Major Peraciodes. Er nahm in einem Ohrensessel Fenton gegenüber Platz. „Haben Sie mich erschreckt, Perac“, seufzte Fenton. „Ich glaubte schon an Halluzinationen. Warum kommen Sie als Gespenst zu mir?“ „Ich wollte eine neue Erfindung ausprobieren“, antwortete Peraciodes. „Diese Kombination sieht aus wie jede andere 14
Paradeuniform, besitzt aber die Eigenschaft, elektromagnetische Wellen abzulenken. Das ruft den Effekt der Unsichtbarkeit hervor. Das Prinzip wird schon seit vielen Jahren bei Raumschiffen angewandt - Sie kennen es. Aber es war erst jetzt möglich, ein Gerät zu konstruieren, das klein genug ist, um es bequem in der Tasche tragen zu können. Freilich wird eine hundertprozentige Wirkung nur in einem düsteren Raum wie diesem erzielt. Bei Tageslicht macht sich eine Lichtbrechung bemerkbar.“ „Das klingt sehr interessant“, sagte Fenton. „Aber um mir dies zu erklären, sind Sie sicher nicht gekommen. Die Yskander haben Sie wohl zu mir geschickt“, meinte er lauernd. „Was ist daran auszusetzen“, erwiderte Peraciodes kühl. „Sie wissen, daß die Yskander die Leitung über die Evolutionspolizei haben. Alle schwerwiegenden Entscheidungen werden auf Yskan getroffen.“ „Natürlich, aber die Yskander sind auch das stolzeste und einflußreichste Volk im Sternenimperium“, hielt Fenton dagegen. „Ein Volk, das von der übrigen Menschheit vergöttert wird, ein Volk, das den denkbar besten Leumund hat - ein Volk mit Tradition. Und die Yskander sind eines der zehn Menschenvölker, die auf einer Grünen Welt leben.“ „Das sind doch keine Gegenargumente“, meinte Peraciodes. „Die Sache ist nur die, daß ich einen dunklen Punkt in der Vergangenheit der Yskander entdeckt habe“, sagte Fenton. „Ich weiß, daß die Yskander die Grüne Welt durch Gewalt von einem anderen Volk erobert haben. Ich bin ein Mitwisser, den die Yskander beseitigen müssen, wollen sie nicht riskieren, vor der ganzen Galaxis als Evolutionsverbrecher entlarvt zu werden. Deshalb denken sie sich immer wieder gefährliche Situationen für mich aus, in denen ich mein Leben lassen könnte. Habe ich recht, daß mir ein neuer Auftrag erteilt 15
werden soll, der ein Todeskommando ist?“ „Sie haben sich da in etwas verrannt, das jeglicher Logik entbehrt, Fenton“, erklärte Peraciodes in tadelndem Tonfall. „Was die Yskander vor Jahrtausenden auch immer gewesen sein mögen, jetzt sind sie ein ethisch und moralisch hochstehendes Volk, würdig, die Führungsrolle im Imperium zu übernehmen.“ Fenton verzog das Gesicht. „Sie weichen mir aus, Perac. Deshalb frage ich Sie wieder: Wollen Sie mir ein Todeskommando übertragen?“ Peraciodes senkte den Blick. „Das kann ich nicht leugnen“, sagte er leise. 3. Eine Weile herrschte drückendes Schweigen, dann sprach wieder Peraciodes. „Sie verkennen die Lage vollkommen, Fenton. Man hat Sie nicht willkürlich für diesen Auftrag ausgewählt, sondern wegen Ihrer besonderen Befähigung. Der Auftrag hängt nicht mit den Interessen Terras zusammen und fällt auch nicht in den Bereich der Sol-Region. Sie und ich, wir sind offiziell nicht dafür zuständig. Aber das Problem betrifft auch uns - die ganze Menschheit ist davon betroffen. Es handelt sich um eine Gefahr, die sich über die ganze Milchstraße ausbreiten kann, wenn sie nicht rechtzeitig gebannt wird.“ Fenton lächelte belustigt. „Jetzt wollen Sie mich neugierig machen.“ „Sie müssen sich dafür interessieren“, sagte Peraciodes eindringlich. „Ich bin überzeugt, daß Sie Ihre Meinung ändern werden, sobald Sie informiert sind.“ Fenton seufzte. „Also schießen Sie los, Perac.“ „Ich werde mich kurz fassen“, versprach Peraciodes. Dann 16
erzählte er: „Vor ungefähr zehn Jahren irdischer Zeitrechnung ging die Meldung durch die Galaxis, daß es einem Wissenschaftler namens Koun Scharochin gelungen sei, das Geheimnis des Lebens enträtselt zu haben. Es hieß, er könne Leben erschaffen -und nicht nur in der Retorte, sondern praktisch aus dem Nichts. Und darin liegt der große Unterschied. Jeder zweite Mensch im Sternenimperium ist heutzutage bereits ein Retortenkind, aber die Erschaffung von Lebewesen ist etwas ganz anderes. Über die Methode Professor Koun Scharochins ist nicht viel bekannt, aber es steht fest, daß er Lebewesen jeder Art erschaffen kann. Diese rein synthetischen Geschöpfe können denken und fühlen, aber sie tun es in völlig unmenschlichen Bahnen. Es sind zwangsläufig Ungeheuer. Wenn Professor Scharochin seine Experimente in großem Stil ausführt, wird die Galaxis von seinen Ungeheuern überflutet. Und hier liegt die Gefahr für die gesamte Menschheit.“ „Wenn ich Sie recht verstehe, so befindet sich dieser Wissenschaftler noch immer auf freiem Fuß“, warf Fenton ein. Peraciodes nickte. „Als Scharochin merkte, daß das allgemeine Interesse an ihm zu groß wurde, verschwand er. Zehn Jahre lang hörte man nichts von ihm. Sie können sich vorstellen, welche Unruhe dies im Sternenimperium auslöste. In zehn Jahren könnte Scharochin eine millionenstarke Armee aufstellen!“ „Weiß man, daß er das möchte?“ erkundigte sich Fenton. „Seine Entdeckung brauchte nur in die falschen Hände zu fallen“, erwiderte Peraciodes. Aber wir müssen uns nicht mit Spekulationen aufhalten, denn vor kurzem wurde bekannt, wo sich Professor Scharochin befindet. Auf Yskan weiß man nun, daß er vor zehn Jahren nach Heidekka flüchtete, wo er aller Voraussicht nach immer noch lebt.“ „Dann brauchen die Yskander doch nur nach Heidekka zu gehen und Scharochin zu verhaften“, meinte Fenton. Er wußte 17
natürlich, daß es nicht so einfach sein konnte, denn sonst wäre Peraciodes wohl nicht zu ihm gekommen. „Oder gibt es einen Haken?“ „Allerdings. Heidekka ist nämlich eine Welt der Gesetzlosen“, erklärte Peraciodes. „Heidekka ist ein Asyl für Verbrecher. Wer sich in den Schutz dieser Welt begibt, ist vor dem Zugriff des Gesetzes sicher. Es besteht sogar ein Abkommen, wonach sich die Evolutionspolizei verpflichtet hat, nichts gegen die auf Heidekka befindlichen Kapitalverbrecher zu unternehmen.“ „Jetzt verstehe ich“, sagte Fenton. „Die Yskander können offiziell nichts gegen Scharochin unternehmen, weil es ihnen untersagt ist, auf Heidekka einzuschreiten. Wollen Sie mich nun überreden, mich als Verbrecher auszugeben und auf Heidekka einzuschmuggeln, um dann Scharochin zu finden und zu entführen?“ „Da haben Sie vollkommen recht“, bestätigte Peraciodes. „Aber so einfach liegt die Sache leider nicht. Gaythas, der sich König der Diebe nennt und auf Heidekka regiert, traute den Versprechungen der Evolutionspolizei anscheinend nicht. Mit Recht, muß ich zugeben. Als man die Auslieferung Scharochins von ihm verlangte, weigerte er sich verständlicherweise. Aber er tat noch mehr. Er aktivierte ein Sicherheitssystem, das fast unüberwindbar ist. Dadurch ist es schier unmöglich, an die Oberfläche von Heidekka zu gelangen und bis in die Unterwelt vorzudringen. Professor Scharochin ist so wichtig, daß sich die Evolutionspolizei nicht scheuen würde, einen Vertragsbruch mit Gaythas zu begehen. Aber die sieben Kreise der Hölle sind ein unüberwindliches Hindernis.“ „Nun verstehe ich überhaupt nicht, warum Sie zu mir kommen, Perac“, stellte Fenton verwirrt fest. „Was wollen Sie eigentlich von mir?“ „Sie sollen versuchen, durch die sieben Kreise der Hölle zu kommen, denn Sie gehören zu den wenigen, die reelle Chancen 18
besäßen.“ „Wieso ausgerechnet ich?“ „Das werde ich Ihnen erklären.“ „Sie wissen, daß auf Yskan eine Kartei über alle Evolutionsmitglieder aufliegt“, führte Peraciodes aus. „Darin sind alle Daten über jeden Mann vermerkt - seine Abstammung, seine psychischen und physischen Eigenheiten, sein Charakter, seine Fähigkeiten, sein Werdegang, sein Privatleben, rein alles über seinen Geist und Körper und seinen Gen-Kode.“ „Wenn ich daran denke, bekomme ich eine Gänsehaut“, meinte Fenton. Peraciodes ließ sich nicht beirren. Er fuhr fort: „Auf diese Art ist es den Yskandern möglich, in speziellen Fällen immer die geeignetsten Männer einzusetzen. Auf Heidekka stehen sie nun vor dem Problem der sieben Kreise. Dabei handelt es sich keineswegs um geometrische Figuren, es handelt sich vielmehr um echte Barrieren, die überwunden werden müssen, wenn man bis zu Gaythas Reich vordringen möchte. Wir kennen nicht die Natur aller sieben Kreise, weil bisher noch keiner unserer Agenten bis in das Innerste von Heidekka gekommen ist. Wir kennen nur die äußeren drei Kreise - aber auch darüber sind unsere Informationen nur lückenhaft. Fest steht, daß sich der erste Kreis in einer gewissen Höhe um den gesamten Planeten spannt. Es handelt sich dabei um eine parapsychische Sphäre, die von telepathisch veranlagten Vögeln errichtet wurde. Neunundneunzig von hundert Menschen werden wahnsinnig, wenn sie in den Bereich der telepathischen Vögel gelangen. Auf Yskan hat man festgestellt, daß Sie immun gegen diese Ausstrahlung sind.“ „Das weiß man so genau?“ meinte Fenton verwundert. „Dafür gibt es eine ziemliche Gewißheit“, sagte Peraciodes, ohne eine nähere Erklärung abzugeben. „Hat man den ersten 19
Kreis überwunden, dann kommt man auf der Oberfläche in den Bereich des zweiten Kreises. Er besteht aus einer Art von Ausstrahlung, die Menschen mit einem bestimmten Gen-Kode mutieren und zu Ungeheuern werden läßt. Einer von tausend Menschen ist immun dagegen - Sie sind einer davon, Fenton.“ „Tatsächlich?“ „Der dritte Kreis wird wirksam, wenn man den zweiten überwunden hat“, fuhr Peraciodes fort. „Wer in den dritten Kreis der Hölle gerät, wird auf bisher noch nicht erforschte Weise geistig dermaßen überfordert, daß er verdummt. Er verliert seine Persönlichkeit, sein Gedächtnis, sein Wissen, seine Fähigkeiten. Er wird zu einer Hülle ohne Inhalt. Was bleibt, ist ein Körper ohne Geist. Das heißt, nicht alle Menschen unterliegen der verhängnisvollen Wirkung des dritten Kreises. Es gibt Ausnahmen.“ „Und ich bin eine solche Ausnahme?“ fragte Fenton. „Genau. Sie sind der Mann, der imstande sein müßte, die ersten drei Kreise zu meistern“, bestätigte Peraciodes. „Und was ist mit den anderen vier Kreisen?“ „Darüber wissen wir nichts Genaues.“ Peraciodes lächelte entschuldigend und berichtigte sich. „Besser gesagt, ich persönlich weiß überhaupt nichts über sie. Aber auf Yskan scheint man einige Vermutungen zu haben.“ „Warum hat man Ihnen die nicht mitgeteilt?“ „Aus Sicherheitsgründen“, antwortete Peraciodes. „Man möchte die zum Einsatz kommenden Agenten nicht mit einer Fülle von Daten überschütten, die doch nichts anderes als Spekulationen sind. Das könnte im Ernstfall zu Fehlhandlungen führen. Deshalb läßt man die Agenten im unklaren. Sie sollen unbelastet sein und frei entscheiden können.“ „Sie sprechen von mehreren Agenten“, sagte Fenton stirnrunzelnd. .Außer Ihnen gibt es noch zwei Agenten, die alle 20
Voraussetzungen für diesen Auftrag mitbringen.“ Peraciodes gestattete sich ein feines Lächeln. „Sie sind doch nicht so vermessen, Fenton, sich für den einzigen Supermann innerhalb der Evolutionspolizei zu halten?“ „Mir wäre lieber, wenn ich überhaupt nicht in die Gilde der Übermenschen gehörte“, sagte Fenton im gleichen Tonfall. „Sie wissen, daß Sie mich seelisch belastet haben, Perac. Das war nicht fair. Indem Sie mir sagten, daß ich einer von dreien bin, die die Menschheit vor einem großen Übel bewahren könnten, haben Sie mich in ein arges Dilemma gebracht.“ „Das Dilemma reden Sie sich nur ein, Fenton. Ein verantwortungsbewußter Mann kann überhaupt nicht zögern, wenn es gilt, die Menschheit zu retten.“ „Sie haben leicht reden“, meinte Fenton, „es geht ja nicht um Ihr Leben.“ „Doch - wenn auch nur im weiteren Sinne. Wenn ich mir vorstelle, daß überall in der Galaxis Scharochins monströse Geschöpfe auftauchen und uns Menschen verdrängen, dann habe ich Angst vor der Zukunft.“ „Hören Sie auf“, flehte Fenton. „Sie können einen ja das Gruseln lehren.“ „Dann kann ich mit Ihrer Hilfe rechnen?“ „Welche Wahl habe ich denn schon“, seufzte Fenton. Er blickte Peraciodes direkt an. „Mir gefällt nur ein Punkt nicht bei dieser Angelegenheit. Wieso geht die Evolutionspolizei von der Voraussetzung aus, Scharochin müßte seine Entdeckung gegen die Menschheit einsetzen? Es gibt doch dafür nicht den geringsten Beweis.“ „Wir müssen das Schlimmste annehmen, nur dann können wir es verhindern“, erklärte Peraciodes fest. Er erhob sich. „Wenn Sie keine weiteren Einwände mehr haben, können wir uns auf den Weg machen.“ „Was, so wie ich bin?“ begehrte Fenton auf. „Ich müßte erst einige Vorbereitungen treffen, bevor ich mich auf eine 21
lichtjahrweite Reise begebe. Außerdem muß ich mindestens Cliff von meinem Vorhaben unterrichten. Wenn er von London zurückkommt und das Haus verlassen vorfindet...“ „Hinterlassen Sie ihm einfach eine verschlüsselte Nachricht“, sagte Peraciodes unwirsch. „Um Ihr persönliches Wohlergehen brauchen Sie sich nicht zu sorgen. Ich habe auf meinem Schiff alle nötigen Vorbereitungen getroffen. Inzwischen wird man für Sie eine Kabine bereitgestellt haben.“ Fenton fügte sich ohne weitere Einwände in sein Schicksal. Er schrieb auf einen Zettel: Bin auf Weltreise gegangen, um für meine Memoiren Material zu sammeln. Sollte ich nicht zurückkommen, dann grüße Dominique von mir und sage ihr, daß meine Reise nichts mit ihr zu tun hat. Gil. Für Außenstehende würde diese Nachricht nichtssagend sein, aber Cliff Ramson würde den Ausdruck „Weltreise“ und die anderen Erwähnungen richtig deuten. Für ihn mußte es klar sein, daß Fenton wieder einmal im Auftrag der Evolutionspolizei unterwegs war. „ Fenton hinterlegte die Nachricht in Ramsons Zimmer, dann verließ er mit Peraciodes das Haus. Sie erreichten nach knapp zehn Minuten das elliptische Raumschiff, das auf einer Lichtung des kleinen Buchenwäldchens gelandet war. 4. Peraciodes Raumschiff legte die knapp 1000 Lichtjahre bis zum Heidekka-System im Hyperflug in etwas weniger als 24 Terra-Stunden zurück. Fenton hatte diese Zeit auf seiner Kabine zugebracht. Nicht, weil er Peraciodes etwa grollte, sondern weil er ganz einfach allein sein und sich psychisch auf den kommenden Einsatz einstellen wollte. Er hätte auch gerne 22
Unterlagen über Heidekka, Gaythas oder den Biologen Scharochin eingesehen, doch waren an Bord des Raumschiffs keine vorhanden. Peraciodes versprach, bei ihrem Eintreffen im Heidekka-System alle verfügbaren Informationen zu besorgen. Aber es stellte sich heraus, daß es leere Versprechungen waren. „Ich habe gesagt, daß ich Ihnen alle verfügbaren Informationen besorgen werde“, redete sich Peraciodes heraus. „Doch leider scheint es solche nicht zu geben.“ Als sie im Heidekka-System eintrafen, waren bereits zehn Ellipsenschiffe der Evolutionspolizei da. In einem ersten Funkwechsel wurde vereinbart, daß sich die drei zum Einsatz kommenden Agenten mit ihren Kommandanten auf Major Abirions Schiff treffen sollten. Fenton begab sich mit Peraciodes in ein Beiboot, das der Zweite Navigator steuerte. Nachdem sie zu Major Abirions Schiff gebracht worden waren, kehrte das Beiboot wieder um. Abirion erwartete sie bereits in der Hangarschleuse. Er war ein großer, kräftig gebauter Raccino mit rötlicher Haut und einem für seinen Körper viel zu kleinen Kopf. Er sprach Interlingua mit hartem Akzent und begrüßte Peraciodes und Fenton kühl. „Sie können inzwischen die Messe aufsuchen“, sagte er. „Ich muß hierbleiben und die anderen Herren empfangen. Einer meiner Leute wird Ihnen den Weg zeigen.“ Ein anderer Raccino in der rotschillernden Paradeuniform der Evolutionspolizei kam heran und bat Peraciodes und Fenton, ihm zu folgen. Er brachte sie im Antigravlift hinauf in die Offiziersmesse und verschwand wieder wortlos. „Sehr zuvorkommend hat man uns nicht behandelt“, beschwerte sich Fenton. „Das hat nichts zu bedeuten“, sagte Peraciodes um eine Spur zu hastig. 23
Fenton sah ihm in die Augen. „Vielleicht doch, Perac. Vielleicht behandelt man uns deshalb von oben herab, weil wir beide von einer unterentwickelten Welt stammen.“ „Sie glauben wohl, alle Männer müßten so aufdringlich und geschwätzig wie Terraner sein“, entgegnete Peraciodes gereizt. Fenton schwieg betroffen. Er hatte offenbar mit seiner Bemerkung Peraciodes an einer wunden Stelle getroffen. Wahrscheinlich war es tatsächlich so, daß Peraciodes als Abkömmling einer unterentwickelten Welt, die noch nicht den Raumflug kannte, in der Evolutionspolizei nicht immer einen leichten Stand hatte. Fenton beschloß, nicht weiter daran zu rühren. Sie warteten schweigend auf das Eintreffen der anderen Konferenzteilnehmer. Fenton nutzte die Gelegenheit, um sich in der Messe umzusehen. Sie unterschied sich nicht von jener auf Peraciodes Schiff, wie sich die Patrouillenkreuzer der Evolutionspolizei auch in ihrer Gesamtheit nicht voneinander unterschieden. Nur waren für diese Besprechungen einige Veränderungen vorgenommen worden. Man hatte die meisten Tische im Boden oder in der Wand versenkt und nur einen einzigen großen Tisch in der Mitte des Raumes stehengelassen, um den acht gewöhnliche Stühle und zwei luxuriös ausgestattete Konturensessel gruppiert waren. „Ich glaube, daß ich eine Erklärung für die Zurückhaltung des Raccinos gefunden habe“, meinte Fenton und deutete auf die beiden Sessel. „Es sieht ganz so aus, als erwarte Major Abirion hohen Besuch. Es würde mich nicht einmal wundern, wenn es sich dabei um...“ Fenton hatte den Satz noch nicht vollendet, als sich die Tür öffnete und zwei Yskander erschienen. Sie waren über zwei Meter groß, besaßen riesige, kahle Schädel, die wie nach unten gedrehte Birnen geformt waren. In dem spitz zulaufenden Teil ihrer Köpfe befanden sich die winzigen Gesichter, in denen die runden und intelligenten Augen wie schwarze Perlen glitzerten. 24
Ihre kleinen, fast lippenlosen Münder waren verkniffen. Peraciodes machte bei ihrem Anblick eine zackige Ehrenbezeigung. Fenton folgte seinem Beispiel nur recht lässig und handelte sich einen strafenden Blick der beiden Yskander ein. Sie trugen zwar die rotschillernde Kombination der Evolutionspolizei, aber es war nicht anzunehmen, daß sie im aktiven Dienst tätig waren. Um so überraschter war Fenton, als sich der vorangehende Yskander an ihn wandte und zu ihm sagte: „Sie müssen Fenton, der aufsässige Terraner sein. Ich hoffe, Sie werden sich in nächster Zeit von Ihrer diszipliniertesten Seite zeigen. Von Leuten, die mit mir zusammenarbeiten, verlange ich unbedingten Gehorsam!“ Fenton war viel zu erstaunt, um etwas erwidern zu können. Er hätte nicht einmal in seinen kühnsten Träumen daran gedacht, daß sich ein Yskander persönlich an diesem Todeskommando beteiligen würde. Daß es trotzdem so war, ließ dieses Unternehmen in einem ganz anderen Licht erscheinen. Fenton wurde erst jetzt davon überzeugt, daß es sich um eine Angelegenheit erster Dringlichkeitsstufe handelte. Gleich darauf lernte Fenton auch den dritten Agenten kennen, der an dem Unternehmen beteiligt sein würde. Es handelte sich um einen eineinhalb Meter großen Arrigoer. Sein kegelförmiger Schädel ging halslos in die breiten, muskulösen Schultern über. Der kleine Mund mit den wulstigen Lippen verschwand beinahe unter den Fleischmassen eines nach oben quellenden Doppelkinnes. Er hieß Dugon-Streitz. Der Name des Yskanders war Keinyl, der des anderen Yskanders Synd. Synd war der Stratege bei diesem Unternehmen. Die Lagebesprechung begann. Synd erklärte: „Keinyl, Fenton und Dugon-Streitz - so unterschiedlichen Völkern sie angehören - haben eines doch 25
gemeinsam: die Befähigung, die sieben Kreise, die Gaythas um Heidekka gezogen hat, zu durchbrechen. Ihre Aufgabe soll sein, den Biologen, der sich irgendwo innerhalb der sieben Kreise versteckt hält, gefangenzunehmen und in die Zivilisation zurückzubringen. Darüber brauchen wir keine Worte mehr zu verlieren. Die Aufgabe dieser drei Männer ist bekannt. Wichtiger ist es, zu erklären, wie diese Aufgabe bewältigt werden soll.“ Synd gab dem Raccino Abirion einen Wink. Dieser machte seinerseits einem seiner Leute ein Zeichen. Gleich darauf wurde von zwei Männern ein schwerer Kampfanzug herangebracht. Sie hielten ihn so, daß alle ihn sehen konnten. „Dies ist ein Kampfanzug für spezielle Einsätze wie diesen“, erklärte Synd. „Er versorgt seinen Träger für lange Zeit mit Sauerstoff und Nahrung, besitzt einen starken Raketentreibsatz für den Flug im freien Raum und eine Antigraveinrichtung für die Fortbewegung im Bereich von Planeten. Weiter sind vorhanden: ein energetischer Schutzschirm für die defensive Verteidigung und zwei Strahlenwaffen, schwenkbar in den Armfortsätzen eingebaut, für die Offensivverteidigung. Im Brustteil sind auch zwei mechanische Gelenkarme eingebaut, die für verschiedene Arbeiten eingesetzt werden können. Darüber hinaus gibt es in einer Tasche des Kampfanzugs ein gut sortiertes Arsenal von weiteren technischen Hilfsmitteln. Über die Bedienung der Kombination zerbrechen Sie sich bitte nicht die Köpfe. Die genauen Bedienungsanweisungen erhalten Sie über den Hypnoschuler.“ Synd machte eine Pause, dann fuhr er fort: „Obwohl wir alles in unserer Macht Stehende für Ihre Sicherheit getan haben, sind wir nicht in der Lage, Sie vor den Einflüssen der sieben Kreise zu schützen. In diesem Punkt sind Sie auf Ihre persönlichen Fähigkeiten angewiesen. Selbstverständlich stehen Sie drei untereinander in Sprechfunkverbindung, so daß Sie Erfahrungen austauschen können. Aus Sicherheitsgründen 26
werden Sie unabhängig voneinander und an verschiedenen Stellen auf Heidekka landen. Sie müssen zumindest die ersten drei Kreise getrennt überwinden. Danach können Sie sich zusammenschließen und vereint versuchen, die weiteren Hürden zu nehmen. Das Kommando bei diesem Unternehmen hat Grenus Keinyl -aber das bedarf sicher keiner besonderen Erwähnung. Fenton und Dugon-Streitz, Sie haben sich unbedingt den Befehlen Grenus Keinyls zu unterwerfen. Haben Sie mich verstanden?“ Der Arrigoer Dugon-Streitz nickte eifrig mit seinem Spitzschädel. Fenton gestattete sich ein feines Lächeln. Er hatte nicht vor, während des Einsatzes gegen den Yskander zu rebellieren. Aber er würde dessen Befehle nur solange befolgen, wie sie sinnvoll und der Sache dienlich waren. „Es sollte eigentlich keiner weiteren Fragen mehr bedürfen“, erklärte Synd. „Für die drei Agenten ist alles klar, sie erhalten weitere Instruktionen vom Hypnoschuler. Damit dürfte diese Besprechung wohl beendet sein. Oder?“ Diese Frage galt dem Kommandanten des Raumschiffs. Abirion hatte sich von seinem Platz erhoben. „Verzeihen Sie, Grenus Synd“, sagte er ehrerbietig, aber bestimmt. „Doch habe ich Sie recht verstanden, daß wir mit den drei Agenten überhaupt keinen Kontakt haben sollen? Ich habe selbst insgesamt elf meiner besten Leute nach Heidekka geschickt. Aber ich stand mit ihnen ständig über Bild und Ton in Verbindung. Dadurch erhielt ich wertvolle Informationen, ohne die wir dieses Unternehmen in seiner jetzigen Form nicht starten könnten. Wäre es nicht vorteilhaft, es auch diesmal so zu halten, daß wir von den Raumschiffen aus ständig Kontakt zu den Agenten haben?“ Synd lächelte geringschätzig. „Nein, das ist nicht notwendig“, sagte er knapp. „Darf ich fragen, warum Sie es nicht für nötig halten, Grenus 27
Synd?“ wollte Abirion wissen. „Das könnten Sie sich selbst beantworten, Major“, fauchte ihn Synd an, der es offensichtlich anmaßend fand, daß man eine Entscheidung von ihm nicht kommentarlos hinnahm. „Erstens können wir nichts für die Agenten tun, und zweitens führt Grenus Keinyl die dreiköpfige Gruppe an. Er hat niemandem Rechenschaft über seine Handlungen abzulegen, denn das Hauptquartier hat ihm alle Vollmachten übertragen. Das dürfte Ihre Neugierde doch wohl befriedigen, Major!“ Abirion zögerte, dann sagte er: „Jawohl, Grenus Synd“, und wandte sich ab. Fenton warf Peraciodes einen auffordernden Blick zu, doch dieser blickte zur Seite. Anscheinend hatte auch er nicht den Mut, einem Yskander zu widersprechen. Fenton hingegen war nicht gewillt, alles hinzunehmen. Er blickte zu Synd und sagte: „Da ich einer der Beteiligten bin, würde es mich interessieren, warum Sie so strikt dagegen sind, daß wir mit den Raumschiffen in Verbindung bleiben. Wenn wir davon schon keinen Nutzen haben, so kann es doch zumindest nichts schaden. Ich glaube sogar, daß es uns moralischen Auftrieb geben würde, wenn wir in der Hölle von Heidekka nicht ganz allein auf uns gestellt wären.“ „Sie sind keineswegs auf sich allein gestellt“, entgegnete Synd ungehalten. „Sie stehen mit Ihren Kameraden in Funkverbindung.“ „Das ist kein ausreichender Grund dafür, warum wir unter keinen Umständen Kontakt zu den Schiffen haben dürfen“, beharrte Fenton weiterhin auf seinem Standpunkt. „Haben Sie denn keine bessere Begründung für Ihre Maßnahmen?“ Synd ließ sich nichts anmerken, aber Fenton war überzeugt, daß er innerlich kochte. „Man hatte Sie mir als einen Mann beschrieben, der alles genau wissen möchte“, sagte Synd mit leiser Stimme. „Das ist eine schlechte Eigenschaft, Fenton, glauben Sie mir das. Für 28
einen Mann Ihres Ranges ist es das oberste Gebot, Befehle und Anordnungen entgegenzunehmen und zu befolgen. Das müssen Sie noch lernen, Fenton, sonst haben Sie eine schwere Zeit vor sich.“ „Ich werde es vielleicht einmal lernen“, stellte Fenton in Aussicht. „Aber jetzt bin ich noch nicht soweit. Ich würde unzufrieden und unausgeglichen sein, wenn ich nicht wüßte, welcher Sinn hinter Ihrer Anordnung steckt. Ich bitte also um Aufklärung, Grenus Synd.“ Für Sekundenbruchteile sah es so aus, als verliere Synd die Beherrschung. Aber dann mußte er gemerkt haben, daß die anderen Fentons Interesse teilten, und er entschloß sich zu einer Stellungnahme. „Wir wollen, daß die Agenten in jeder Beziehung auf eigene Faust vorgehen“, erklärte er. „Sie sollen selbst Entscheidungen treffen und nicht ständig Einflüssen ausgesetzt sein, die sie in ihrer Entschlußkraft und Bewegungsfreiheit hemmen. Kein Außenseiter kann die Situation der Agenten so gut beurteilen, wie sie selbst Deshalb fanden wir es klüger, den Kontakt zu den Raumschiffen von vornherein zu unterbinden. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.“ Synd erhob sich, blickte Fenton und dann Dugon-Streitz an und sagte abschließend: „Die Agenten haben sich sofort zu den Psychoschulern zu begeben.“ Daraufhin verließ er die Offiziersmesse. Keinyl schickte sich an, ihm zu folgen. Doch bevor er aus dem Raum ging, blieb er vor Fenton stehen. „Sie werden in der Hölle von Heidekka nicht verloren sein, Fenton“, sagte er zynisch. „Denn ich werde mich Ihrer annehmen.“ „Dann, auf gute Zusammenarbeit, Keinyl“, meinte Fenton im gleichen Tonfall. Keinyl straffte sich. „Für Sie immer noch Grenus Keinyl, Fenton.“ 29
„Grenus bedeutet doch Hoher Herr“, rief sich Fenton ins Gedächtnis. „Aber wir sind von nun an Gefährten. Ich erlaube Ihnen, daß Sie mich Gil nennen, Keinyl.“ Der Yskander wandte sich abrupt um und verließ die Messe. „Treiben Sie es nur nicht zu weit, Fenton“, mahnte Peraciodes. Fenton lachte. Nach der Hypnoschulung wurde Fenton zusammen mit Arrigoer Dugon-Streitz in einem Raum untergebracht. Sie durften weder mit ihren Raumschiffkommandanten noch mit jemandem von der Schiffsbesatzung in Verbindung treten. Das verstärkte Fentons Mißtrauen gegen die Yskander nur noch mehr, und er hegte den Verdacht, daß die Yskander irgend etwas verbergen wollten. „Warum hat man uns hier eingeschlossen?“ sinnierte Fenton laut und warf dem Arrigoer einen verhohlenen Blick zu, der auf seinem Lager saß und vor sich hin brütete. „Sind wir durch die Hypnoschulung zu Geheimnisträgern geworden, und befürchten die Yskander nun, wir könnten unser Wissen ausplaudern? Was meinen Sie, Dugon? Ich darf Sie doch so nennen?“ „Sie dürfen“, erklärte der Arrigoer. „Aber Sie dürfen mich nicht mit Ihren abwegigen Gedanken vergiften.“ „Das war deutlich genug“, seufzte Fenton. „Ich will Sie nicht vergrämen, Dugon, aber denken Sie nicht auch, daß die Vorbereitungen für unseren Einsatz reichlich seltsam abrollen?“ „Ich denke nicht, ich gehorche.“ Fenton ließ trotzdem nicht locker. „Wir sind doch Gefährten, Dugon. Wer weiß, was uns auf Heidekka erwartet. Es könnte sein, daß einer dem anderen in einer Situation beispringen müßte. Wäre es da nicht klüger, die Schranken zwischen uns niederzureißen. Wir sitzen im selben Boot.“ Dugon-Streitz blickte ihn lange an. „Wir haben nicht die 30
gleichen Ansichten. Aber wenn wir dennoch Kameraden sein könnten, wäre ich froh.“ Fenton lachte. „In Ordnung, Dugon. Ich werde Sie nicht mehr mit meinen Gedanken belästigen. Sprechen wir über realere Dinge. Was halten Sie von den Informationen, die uns der Psychoschuler gegeben hat?“ „Sie sind äußerst lückenhaft.“ Fenton nickte. „Ganz meine Meinung. Was wir über die ersten drei Kreise erfahren haben, geht noch an. Aber was wissen wir über den vierten Kreis?“ „Der vierte Kreis ist ein Irrgarten“ sagte Dugon-Streitz, „in dem jene bedauernswerten Geschöpfe hausen, die im zweiten Kreis mutierten und zu Ungeheuern wurden.“ „Darunter kann man sich viel und nichts vorstellen“, meinte Fenton. „Wie sehen diese Mutanten aus? Wie viele sind es? Soviel wir wissen, hat Major Abirion elf Agenten auf Heidekka verloren. Sieben davon blieben bereits im zweiten Kreis hängen. Da vor ihrem Eintreffen die sieben Kreise noch nicht existierten, können wir annehmen, daß nur diese sieben mutierten Männer im Irrgarten hausen.“ „Das ist eine logische Annahme“, bestätigte Dugon-Streitz, schränkte aber ein: „Leider wissen wir nicht, ob die sieben Kreise schon vorher einmal aktiviert wurden und ihre Opfer forderten.“ „Eben. Deshalb wissen wir nicht, welche Gefahr der vierte Kreis tatsächlich darstellt“, sagte Fenton. Er lehnte sich zurück. „Und was wissen wir über den fünften Kreis?“ „Im fünften Kreis liegt die Destruktive Welt“, antwortete Dugon-Streitz. „Das ist der Lebensraum der auf Heidekka Gestrandeten, also die eigentliche Zivilisation dieses Planeten. Wie es aussieht, welche Gesetze dort herrschen, welche Gefahren es dort gibt - das alles wissen wir nicht.“ „Dort haben wir die ärgsten Schwierigkeiten zu erwarten“, fügte Fenton hinzu. „In der Destruktiven Welt werden wir mit 31
allen Mitteln um unser Leben kämpfen müssen. Dagegen ist der sechste Kreis ein Glücksspiel.“ „Der sechste Kreis ist ein Transmitter, der nur Personen mit einer besonderen Art von Ausstrahlung durchläßt“, erklärte Dugon-Streitz dazu. „Wer den Transmitter passiert, materialisiert entweder in Gaythas Reich - oder im siebten Kreis.“ Fenton nickte. „Gaythas Reich und der siebte Kreis - darüber wissen wir überhaupt nichts. Es wird nur vermutet, daß sich dort - im Herzen von Heidekka - Professor Scharochin verbirgt. Es ist äußerst fraglich, ob wir bis zu ihm vordringen können. Aber selbst wenn es uns gelingt und wir seiner habhaft werden können, so frage ich Sie, wie wir ihn von Heidekka fortschaffen sollen. Der Weg zurück ist nicht minder schwer als der Anmarsch. Schließlich haben wir vom Hypnoschuler erfahren, daß Heidekka ein Planet ohne Wiederkehr ist. Wer erst einmal in Gaythas Einfluß gerät, entkommt ihm nicht mehr.“ „Wenn wir erst einmal dort sind, weiß Keinyl sicherlich einen Ausweg“, sagte Dugon-Streitz voll Überzeugung. „Hoffentlich.“ Daraufhin schwiegen sie. Nicht lange nach diesem Gespräch kamen Major Abirions Männer in Begleitung von Synd und brachten sie zur Luftschleuse. Dort wurden ihnen die schweren Kampfanzüge angelegt. Bevor Fentons Druckhelm geschlossen wurde, fragte er den Yskander: „Wo ist Major Peraciodes? Ich hätte erwartet, daß es ihm zumindest gestattet ist, sich von mir zu verabschieden.“ „Major Peraciodes bedauert sehr, bei Ihrer Verabschiedung nicht anwesend sein zu können“, sagte Synd. „Aber wichtige Verpflichtungen haben ihn vorzeitig in die Sol-Region zurückgerufen.“ In diesem Moment fühlte sich Fenton verraten und verkauft. 32
Irgend etwas stimmte nicht. Dugon-Streitz betrat zuerst die Schleusenkammer. Fenton wartete geduldig, bis sich das Lamellenschott öffnete und den Weg für ihn freigab. Er betrat die Druckkammer. Als er sich mit dem schweren Kampfanzug behäbig umdrehte, sah er, wie Keinyl gerade auftauchte. Fenton konnte noch erkennen, daß man für den Yskander einen Kampfanzug hereinbrachte, dann schloß sich die Innenschleuse. Wenige Sekunden danach glitten die Lamellen der Außenschleuse in die Wandung zurück. Vor Fenton breitete sich die Unendlichkeit des Alls aus. Unter ihm wälzte sich Heidekka als riesige grau-violette Kugel auf seiner Umlaufbahn um die Sonne. Fenton stand am Rande der Luftschleuse und spürte noch die künstliche Gravitation des Schiffes. Dann stieß er sich ab und fühlte sich von einem Moment zum anderen schwerelos. Sich überschlagend, fiel er auf den Planeten zu. Nach einer Weile stoppte er seine Eigendrehung durch Stöße der Korrekturdüsen. Als er sich nach dem Raumschiff umsah, war es nur noch als fingerkuppen-großes Ellipsoid zwischen den funkelnden Sternen auszumachen. Im nächsten Augenblick war es verschwunden. Fenton blieb allein in der Weite des Alls. Er schaltete den Raketentreibsatz ein und schoß mit wachsender Beschleunigung auf den Planeten zu. 5. Fentons Höhenmesser zeigte 18 Kilometer an, als er plötzlich einen Druck auf seinen Geist verspürte. Im gleichen Augenblick hörte er in den Kopfhörern Dugon-Streitz Schrei. „Keine Panik“, meldete sich daraufhin Keinyl. „Sie müssen sich immer nur vor Augen halten, daß Ihnen die telepathischen 33
Vögel nichts anhaben können, dann geht alles gut. Begehen Sie aber nicht den Fehler, sich den fremden Gedanken zu ergeben, sonst kann es Sie trotz Ihrer Immunität den Verstand kosten.“ Fenton konnte weder Keinyl und Dugon-Streitz, noch die telepathischen Vögel sehen. Aber er hörte ihre Stimmen und nahm die telepathischen Impulse wahr. Zuerst spürte er nur den Druck. Ihm war, als wolle eine unsichtbare Kraft sein Gehirn zusammenpressen. Aber der Druck ließ nach wenigen Sekunden nach - und dann überfielen ihn die fremdartigen Gedanken. Bevor sie ihn vollständig überfluten konnten, schaltete er den Antigravantrieb auf Automatik. So würde er, egal, was mit ihm passierte, in einem flachen Winkel der Oberfläche von Heidekka zustreben. Fenton hatte erwartet, von den telepathischen Vögeln Visionen einsuggeriert zu bekommen. Er hatte befürchtet, daß ihre Fähigkeiten mehr hypnotischer Art seien. Doch darin täuschte er sich. Sie waren reine Telepathen, keine Hypnosuggestoren - aber das war schlimm genug. Ihre Gedanken waren chaotisch -Spiegelungen kranker Geister -Eruptionen des Wahnsinns. Die Vögel litten an Bewußtseinsstörungen. Sie waren psychopathisch veranlagt, sie waren schizophren und hysterisch. Ihre krankhaften Gehirne stürmten auf die der drei Eindringlinge ein und versuchten, von ihnen Besitz zu ergreifen. Fenton spürte, wie der Irrsinn an ihm zerrte. Seine Augen nahmen immer noch die rasch näher kommende Oberfläche von Heidekka wahr. Sie nahmen die Bilder auf und leiteten sie an das Gehirn weiter, aber das Gehirn verarbeitete sie nur sporadisch. Die meiste Zeit über wurde es von den fremden Einflüssen umnebelt. Und dann erblickte Fenton für Sekundenbruchteile einen der Vögel. Er war riesig und hatte eine Flügelspannweite von zwanzig Metern. Nach diesem ersten Eindruck stürzten sich 34
wieder die verworrenen Gedanken eines bewußtseinsgespaltenen Geistes auf ihn. Sie waren selbstzerstörerisch… Fenton wurde von einem unheimlichen Drang zur Vernichtung gepackt. Er sah Schwärze und Abgründe, Reflexionen seiner eigenen Seele. Er empfand die Hoffnungslosigkeit des Daseins, die Sinnlosigkeit allen Strebens nach Erfüllung. Nur die Selbstvernichtung brachte den ewigen Frieden... Fenton nahm seinen ganzen Willen zusammen, um sich gegen diese zerstörerischen Gedanken zu wehren. Aber dann kamen neue Gedanken, doppelte Gedanken. Fenton hatte plötzlich zwei Persönlichkeiten. Während das eine Ich noch gegen die Destruktion ankämpfte, breitete sich das zweite Ich aus. Es war das Böse, das nicht nach eigener Vernichtung, sondern nach Zerstörung anderer trachtete. Das Böse wollte zuschlagen, sich entfalten - aber es wurde gehemmt von dem anderen Ich, das nun wieder zurückfand. Die beiden Persönlichkeiten vereinigten sich und gingen eine Symbiose ein. Es war ein schrecklicher Zustand, zu wissen, daß der Geist von einem schleichenden Gift durchsetzt wurde, ohne daß man etwas dagegen tun konnte. Doch, es gab ein Mittel Auflehnung! Lehne dich auf, Fenton, gegen die doppelten Bilder, gegen die doppelten Gedanken verschiedenen Inhalts. Vor Fentons Augen blitzte es auf. Er erblickte in kurzen Unterbrechungen unter sich die Oberfläche. Sie konnte nur noch wenige hundert Meter entfernt sein. Zwischen den zerklüfteten Felsen mit der purpurnen Maserung sah er große Schatten, die ihre Schwingen ekstatisch durch die giftige Atmosphäre peitschten. Zwei der telepathischen Vögel gerieten aneinander und zerfleischten sich in einem mörderischen Luftkampf. Als beide abtrudelten und auf die Oberfläche zusegelten, verspürte Fenton eine unsägliche Erleichterung in sich aufsteigen. 35
Der Alpdruck ließ nach und wich schließlich endgültig von ihm. Er hatte es geschafft! Sein Blick klärte sich, und er sah, daß er nur noch wenige Meter über der felsigen Oberfläche schwebte. Als seine Beine auf dem Boden aufsetzten, schaltete die Automatik den Antigravantrieb aus. Fenton hatte den ersten Kreis der Hölle überwunden! „Fenton ruft Dugon! Fenton ruft Dugon!“ sprach Fenton ins Mikrophon seines Sprechfunkgeräts. „Ich habe Sie auf meinem Ortungsgerät. Können Sie mich hören, Dugon?“ „Jawohl“, kam es schwach aus Fentons Kopfhörern. „Ist bei Ihnen auch alles in Ordnung?“ „So könnte man sagen, wenngleich ich mich nicht gerade wohl fühle“, antwortete Fenton. „Aber das war erst der Anfang, wir haben noch eine Menge vor uns. Können Sie eine Spur von Keinyl entdecken? Ich kann ihn nirgends orten.“ „Sorgen Sie sich deswegen nicht, Fenton“, meldete sich in diesem Augenblick der Yskander. „Ich bin wohlauf. Auch wenn Sie mich nicht orten können, so befinden Sie sich in meiner Reichweite. Ich behalte Sie im Auge.“ „Wie kommt das?“ wollte Fenton wissen. „Meine Geräte haben eine größere Reichweite als die Ihren“, gab Keinyl bereitwillig Auskunft. „Natürlich“, meinte Fenton verbittert. „Ich hätte mir denken können, daß Sie als Yskander Vergünstigungen genießen.“ „Wenn ich Vergünstigungen genieße, dann nur in meiner Eigenschaft als Kommandant dieses Unternehmens“, entgegnete Keinyl. Fenton ging nicht weiter darauf ein. „Wie geht es jetzt weiter, Keinyl?“ fragte er. „Das haben Sie während der Psychoschulung erfahren“, sagte der Yskander, bequemte sich dann aber doch zu einer Erklärung. „Folgen Sie der Richtung, die Ihnen Ihre 36
Massetaster weisen, dann kommen Sie zum Irrgarten. Sie wissen, daß dies der einzige Weg in die Unterwelt von Heidekka ist. Es gibt viele dieser Irrgärten, aber jeder von uns sollte jenen als Zugang wählen, der ihm am nächsten liegt.“ „Könnten wir uns nicht zusammentun und gemeinsam den zweiten Kreis zu durchbrechen versuchen?“ schlug Fenton vor. „Nein“, lehnte Keinyl barsch ab. „Das ist zu riskant. Wir müssen jeder einen eigenen Weg gehen. Erst wenn wir die Destruktive Welt erreicht haben, können wir gemeinsam weitergehen.“ Das klang logisch. Wenn sie beisammen waren, konnte es sein, daß sie alle untergingen. So standen die Chancen besser, daß zumindest einer von ihnen durch die nächsten beiden Kreise kam. Fenton erinnerte sich der Verhaltensmaßregeln, die ihm der Psychoschuler mit auf den Weg gegeben hatte: Nach Überwindung des ersten Kreises sollen die Flugeinrichtungen des Kampfanzugs nach Möglichkeit nicht verwendet werden! Das gefiel Fenton weniger. Er sah nicht ein, warum er einen beschwerlichen Fußmarsch auf sich nehmen sollte, wenn er den Weg auch schneller und bequemer zurücklegen konnte. „Warum ist es uns untersagt, einfach den Irrgarten anzufliegen?“ erkundigte sich Fenton über Sprechfunk. „Weil es sein könnte, daß Sie während des Fluges in den Bereich der telepathischen Vögel kommen“, erklärte Keinyl geduldig. „Und wer weiß, ob Sie dem geistigen Druck auch ein zweites Mal standhalten könnten.“ Während sich Fenton mit Keinyl unterhielt, suchte er die Gegend nach den beiden abgestürzten Vögeln ab. In einem Felskrater entdeckte er einen von ihnen. Fenton brauchte erst gar nicht in den Krater hinunterzusteigen und sich den Vogel aus der Nähe anzusehen. Er erkannte selbst aus dieser Entfernung, daß es sich um einen flugfähigen Roboter handelte. Durch Beschichtung mit Zellmasse hatte man ihm 37
das Aussehen eines Vogels gegeben. Fenton konnte nicht sagen, ob seine Entdeckung von besonderer Bedeutung war. Aber eines stand für ihn fest: Wer die Mittel hatte, den gesamten Luftraum um einen Planeten von Robotern kontrollieren zu lassen, der war mehr als nur ein „König der Diebe“. Abgesehen von der Produktion der Roboter und deren Verkleidung, gehörte ein großer Stab von Fachkräften dazu, die Gedanken von kranken menschlichen Gehirnen in entsprechenden Geräten zu speichern, die sie später projizieren konnten. Fenton wandte sich von dem Krater ab und stapfte in die Richtung, die ihm seine Massetaster wiesen. „Und wo liegt der zweite Kreis?“ fragte Fenton ins Mikrophon. Wie als Antwort drang ein Stöhnen an seine Ohren. „Überall, Fenton, überall“, kam Keinyls Antwort. „DugonStreitz ist bereits mitten drin.“ Plötzlich krampfte sich in Fenton alles zusammen. Sein Körper stand wie unter Flammen. Von seinem Gehirn ging ein pochender Schmerz aus, der durch sein gesamtes Nervensystem zuckte. Sein Körper krümmte sich, während die unsichtbare Strahlung seine Zellen angriff, sie zu verformen drohte. Fentons Körper schien aufzuquellen. Als ob jemand Wasser in ihn pumpte. Das war die Mutationsstrahlung. Seine Knochen wurden weich und biegsam - aber das konnte nur Einbildung sein, denn er stand immer noch. Plötzlich wurde ihm der Anzug zu eng. Er wollte sich den Panzer vom Leibe reißen und in die Freiheit rennen. Sein Atem ging schwer. In seinen Ohren war ein dumpfes Dröhnen. Vor seinen Augen verschwamm die Umgebung. Er mußte den Mund öffnen, um Platz für seine geschwollene Zunge zu schaffen. Seine Sinne wurden überempfindlich. Er spürte auf der Zunge 38
das Salz seiner Tränen, seine aufgeblähten Nasenflügel sogen den Geruch seines Körperschweißes ein, die Ohren vernahmen das Geräusch, das entstand, wenn sich die Haut seines Körpers an der Kombination rieb. Ich mutiere! Fenton glaubte, zwischen den Schmerzwogen ein Kribbeln zu spüren, das von überall aus seinem Körper kam. Und er glaubte zu wissen, daß dieses Kribbeln von den wuchernden Zellen verursacht wurde. Ein Krampf befiel seinen Körper und schüttelte ihn. Er bäumte sich auf und fiel dann langsam vornüber. Der rissige Felsboden schwebte auf ihn zu, dann schlug Fenton mit einem dumpfen Dröhnen auf. Plötzlich verspürte er keinen Schmerz mehr. Friede kehrte in ihn ein. Jetzt liege ich da und verwandle mich in ein Ungeheuer, dachte Fenton. Er empfand es als Erlösung, daß die Metamorphose in ein Stadium getreten war, wo sie keinen Schmerz mehr verursachte. Die Zeit tropfte dahin, Fenton lag bewegungsunfähig auf dem Boden. „Fenton! Dugon-Streitz!“ Fenton verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Er wollte in Ruhe gelassen werden. „Fenton! Dugon-Streitz!“ „Ja - hier ist Dugon...“ „Ist bei Ihnen alles in Ordnung, Dugon-Streitz?“ „Ich denke schon. Nur - ich fühle mich so seltsam.“ „Wenn Sie nur zusammenhängend sprechen können, dann dürfte die Mutationsstrahlung bei Ihnen nicht gewirkt haben.“ Das war Keinyls Stimme, Fenton erkannte sie auf Anhieb. Nach einer kurzen Pause fuhr Keinyl fort: „Fenton meldet sich jedoch nicht. Ihn scheint es erwischt zu haben.“ „Nein!“ schrie Fenton auf. „Ich lebe!“ 39
„Hoffentlich haben Sie sich nicht verändert, Fenton“, ließ sich Keinyl vernehmen. „Es wäre zu schade, wenn ich Sie für ein Monstrum halten und von meiner Schußwaffe Gebrauch machen müßte!“ „Lassen Sie diese dummen Scherze!“ fuhr Dugon-Streitz dazwischen. Fenton wunderte sich über das Verhalten des Arrigoers. Was war in Dugon-Streitz gefahren, daß er es wagte, gegen einen Yskander heftig zu werden? Fenton erhob sich. Er fühlte sich schwach und wie gerädert. Aber anscheinend hatte er die Mutationsstrahlung unbeschadet überstanden. Er bewegte Arme und Beine. Sie gehorchten ihm, nur waren sie schwer wie Blei. „Ich lege eine Rast ein“, erklärte Fenton. „Sie können wettern, wie Sie wollen, Keinyl, aber ich mache Rast.“ „Ich habe nichts dagegen“, erwiderte der Yskander. „Wenn Sie nicht zum dritten Kreis kommen, so kommt er zu Ihnen.“ Heidekka war eine stille, trostlose Welt, fand Fenton, während er dasaß und Nahrungskonzentrat kaute, das er sich aus dem Spender in seinem Kampfanzug geholt hatte. Eine Welt, auf der es nur zwei Farben zu geben schien: grau und purpur. Vegetation war nicht vorhanden, ebensowenig zeigten sich Spuren von tierischem Leben. Der Himmel, ständig von einer dicken Wolkenschicht bedeckt, hatte die Farbe des Bodens angenommen: grau und purpur. Fenton wußte nicht, ob es sich um Reflexion handelte, oder ob die Wolken Spuren jener Minerale mit sich führten, die den Fels in dicken Adern durchzogen. Er zerbrach sich auch nicht weiter den Kopf darüber. Der Gesamteindruck von Heidekka war deprimierend. Der Planet hatte kein eigenes Leben hervorgebracht und konnte auch kein fremdes Leben erhalten. Wovon lebten die Menschen, die sich hier niedergelassen hatten? Wie versorgte 40
Gaythas sein Volk? Woher nahmen die Menschen den zum Atmen nötigen Sauerstoff? Heidekka besaß eine giftige Atmosphäre und keine Nährstoffe, die für den Menschen genießbar waren. Sicher, das Problem der Ernährung konnte durch ausgedehnte hydroponische Gärten gelöst werden. Das Sauerstoffgemisch konnte aus der giftigen Atmosphäre gewonnen werden - oder der Sauerstoff war in komprimierter Form von anderen Welten herbeigeschafft worden. Wie dem auch sein mochte, so ergab sich dennoch eine Frage, die ganz einfach nicht aus der Welt geschafft werden konnte. Woher nahm Gaythas die Mittel - oder woher hatte sie sein Vorgänger genommen -, die für die Anschaffung der gigantischen Anlage erforderlich waren? Wie konnte sich eine Kolonie, wie die auf Heidekka, aus eigener Kraft am Leben erhalten? Es gab viele Unklarheiten, die Fenton zu beseitigen hoffte, wenn er in die Unterwelt eindrang. Damit war er bei seinen persönlichen Problemen und seiner Aufgabe angelangt. Vor ihm lag der dritte Kreis. Wie hatte Keinyl gesagt? Wenn Sie nicht zum dritten Kreis kommen, dann kommt er zu Ihnen! Fenton erhob sich und marschierte in die Richtung, die ihm seine Massetaster wiesen. Es hatte keinen Zweck, noch länger zu verweilen. Er fühlte sich ausgeruht und kräftig genug für die nächste Bewährungsprobe. Das Gewicht des Kampfanzugs spürte er kaum, weil es durch die Antigravprojektoren aufgehoben wurde. Er schritt kräftig aus, brachte eine weite, kraterübersäte Ebene hinter sich und kam in eine enge Schlucht. Ein Blick auf die Ortungsgeräte zeigte ihm, daß sie nicht ausschlugen - seine beiden Gefährten befanden sich demnach außerhalb seiner Reichweite. Er versuchte daraufhin, sie über Sprechfunk zu erreichen, doch außer statischen Störungen war in seinem 41
Helmempfänger nichts zu hören. Heidekka war eine stille Welt... Plötzlich würde die Stille vollkommen. Kein Geräusch war zu hören, nicht einmal das Knirschen der Stiefel, wenn sie auf den rauhen Fels auftrafen. Der Umschwung erfolgte so plötzlich, daß sich Fenton der Stille schmerzhaft bewußt wurde. Er konnte nicht einmal mehr seinen eigenen Atem hören. War er taub? Fenton blieb stehen. Warum hatte er sich eben noch gefragt, ob er taub sei? Seltsam. Warum diese eigenartige Frage! Bin ich taub? Jetzt erinnerte sich Fenton wieder, daß die unheimliche Stille ihn zu dieser Frage veranlaßt hatte. Er lächelte vor sich hin. Manchmal war er so vergeßlich wie ein zerstreuter Professor. Hatte er doch glatt vergessen, daß... Was hatte er vergessen? Woran konnte er sich nun schon wieder nicht erinnern? Er hatte glatt vergessen, was er eigentlich vergessen hatte! Ihn schwindelte. Er versuchte sich zu erinnern, versuchte, den Gedankengang zu rekonstruieren. Es gelang ihm nicht. Ein Blick auf den Massetaster zeigte ihm, daß er von der vorgesehenen Richtung abgekommen war. War das denn überhaupt von Bedeutung? War es denn überhaupt wichtig, der Richtung zu folgen, die der Zeiger wies? Sicherlich nicht, denn sonst hätte er gewußt, warum er dem Zeiger folgen sollte. Fenton fühlte sich erleichtert und unbeschwert. Ihn bedrückte plötzlich nichts mehr. Er fühlte sich leicht und - leer. Ja, so leicht, als wäre ihm eine Last abgenommen worden. Und so leer, als hätte er etwas von seiner Substanz verloren. Ihm war, als verlöre er immer noch Substanz. Irgend etwas entwich aus ihm. Panik erfaßte ihn. Er blickte erstaunt um sich. 42
Purpur. Grau. Felsen. Was soll er hier? Wo war er? Wer war er? Nicht fragen, nicht denken - das alles fiel so schwer. Dabei hatte er sich schon so losgelöst gefühlt. Und plötzlich war sein Kopf wieder so schwer. Irgend etwas rebellierte darin, belastete ihn bis an die Grenzen des Erträglichen. Er wollte die entsetzliche Panik verbannen. Aber sie blieb. Sie setzte sich in seinem Gehirn fest und füllte die Lücken, die das entschwundene Gedächtnis zurückgelassen hatte. Ich habe meine Erinnerung verloren! Die Panik verstärkte sich, nahm von seinem Geist und Körper Besitz, diente als Katalysator und wandelte psychische Vorgänge in physische Reaktionen um. Schweiß brach ihm aus. Sein Geist verzerrte sich. Ich muß mich erinnern! Warum eigentlich? Weil ich sonst ein Opfer des dritten Kreises werde! Jawohl, er befand sich mitten im dritten Kreis der Hölle. Eine unsichtbare Macht versuchte, die geistige Substanz aus seinem Körper zu holen. Er mußte sich dagegen auflehnen. Er mußte sich dazu zwingen, sich zu erinnern. Was war gewesen? Was war geschehen? Es hatte damit begonnen, daß er glaubte, plötzlich taub zu sein! Wieso diese seltsame Befürchtung? Warum konnte er geglaubt haben, mit einem Schlag taub zu sein? Weil er nichts gehört hatte! Die absolute Stille hatte ihn umfangen. Er hatte seine Schritte nicht mehr gehört und auch nicht seinen Atem und er hatte seinen Pulsschlag nicht mehr gefühlt. Doch jetzt hörte er seinen Atem wieder. Er ging rasselnd. Er hörte das Schlurfen seiner Stiefel über den rauhen Fels. Jeder Schritt bereitete ihm Kopfschmerzen. Jawohl, jetzt hörte er wieder - und er erinnerte sich. 43
Fenton atmete auf. Er war auch dem dritten Kreis entronnen. Jetzt brauchte er nur noch geradeaus zu gehen, immer geradeaus, bis er den Irrgarten erreichte. Der Irrgarten war die letzte Hürde auf dem Weg in die Unterwelt von Heidekka. Wie hatte ihn der Psychoschuler über den Irrgarten aufgeklärt? Dort, im vierten Kreis der Hölle, da treffen sie sich: die Schwachen, die nun Monstren sind; die Labilen, nun lebende Tote, Körper ohne Inhalt, und die Starken, die hier zerbrechen sollen. Sie alle sind verdammt. Das waren fast poetische Worte, aber deutlich in ihrer Drohung. 6. Fenton hatte den Irrgarten erreicht. Zwar hatte sich die Landschaft nicht verändert, und er fand auch nirgends eine Höhle oder sonst einen Zugang. Aber da die Zeiger in keine bestimmte Richtung mehr wiesen, sondern sich ständig im Kreise drehten, stand es für ihn fest, daß er beim Irrgarten angelangt war. Er mußte nur noch einen Zugang finden. Er stand unschlüssig da und blickte sich suchend um, als plötzlich in seiner Nähe der Felsboden in Bewegung geriet. Er dachte im ersten Moment an ein Bodenbeben, doch als er erkannte, daß der Fels nur in einem Umkreis von zwanzig Metern erbebte, war es für ihn klar, daß etwas anderes dafür verantwortlich sein mußte. Fenton wich einige Schritte zurück. Er verharrte erst, als er fünfzig Meter von der Stelle entfernt war. Staunend und mit steigendem Entsetzen sah er, daß sich aus dem Boden ein mächtiges Gebilde hob. Es war unförmig und so grau wie der Fels, doch es schien aus organischer Materie zu bestehen. 44
Das Ding lebte! Es war ein gallertartiges Gebilde, aus dem Tentakel schossen, die die giftige Atmosphäre peitschten und wieder in die Hauptmasse zurückglitten. Felsbrocken, die auf dem Monstrum gelegen hatten, lösten sich und fielen polternd zu Boden. Staub wurde aufgewirbelt. Fenton wich noch weiter zurück, als ein langer Pseudotentakel auf ihn zuschoß. An einer Stelle bildete sich eine Öffnung, an der ein zuckender, schleimiger Stumpf erschien, an dessen Ende sich ein triefendes Auge befand. Das Auge hatte Wimpern und ein Lid - es wirkte ausgesprochen menschlich. Es zwinkerte und wurde wieder eingefahren. Gleich darauf setzte sich der unförmige Koloß in Bewegung. Aus dem Körper wurden zwei Dutzend Pseudofüße ausgefahren, die sich mit Hilfe von Saugnäpfen am Boden festklammerten und die gewaltigen Körpermassen hinter sich herzogen. Auf diese Art entwickelte das Monstrum eine beachtliche Geschwindigkeit und kam rasch näher. Fenton schlug einen Haken und änderte die Richtung. Das Monstrum folgte ihm nicht. Als es die Stelle erreichte, an der er vorhin gestanden hatte, fuhr es wieder sein Teleskopauge aus. Fenton suchte hinter einem Felsbrocken Deckung. Doch hatte er zu langsam reagiert. Das Monstrum erspähte ihn, zog das Auge ein und kroch mit unglaublicher Geschwindigkeit in seine Richtung. Fenton merkte erst jetzt, daß er sich in einer Sackgasse befand. Er konnte sich nicht mehr weiter zurückziehen und auch nicht zur Seite ausweichen, denn rund um ihn ragten steile Felswände in die Höhe. Sie waren nicht so steil, daß er sie nicht hätte erklimmen können. Aber dafür war es nun zu spät Das Monstrum war schon zu nahe. Es gab nur noch einen Ausweg. Fenton hob den rechten Waffenarm, in den ein leistungsstarker Strahler eingebaut war. Aber er zögerte im letzten Moment - er konnte nicht 45
abdrücken, weil er wußte, daß das Monstrum vor ihm einst ein Mensch gewesen war. Fenton konnte dieses Wesen nicht so einfach töten, obwohl es seinerseits offenbar keine diesbezüglichen Bedenken hatte. Es raste heran, die kräftigen Saugbeine in schnellem Rhythmus gebrauchend. Plötzlich stockte es jedoch, als es eine Stelle erreichte, an der die Felswände eine zehn Meter schmale Enge bildeten. Fenton hoffte schon, daß dies seine Rettung bedeutete. Aber dann merkte er, daß das Monstrum seine Form veränderte. Es zog den Körper in die Länge, bis dieser so schmal war, daß er durch die Enge schlüpfen konnte. Fenton kroch in einen Felsspalt, den Waffenarm schußbereit ausgestreckt, um sich verteidigen zu können, falls ihm keine andere Möglichkeit mehr blieb. Das Monstrum blieb wieder stehen, fuhr sein Teleskopauge aus und zog es blitzschnell wieder ein, als es Fenton erspäht hatte. Fenton mußte sein Versteck wechseln. Das Monstrum tappte blindlings auf den Felsspalt zu, in dem er sich eben noch aufgehalten hatte, fuhr seine Pseudoarme aus und tastete die Felswand ab. Als es entdeckte, daß der Spalt leer war, stieß es einen grollenden Laut aus. Dieser Zwischenfall gab Fenton die Gewißheit, daß das monströse Geschöpf nur sehen konnte, wenn es sein Stielauge ausfuhr. Ohne dieses Auge war es blind, konnte sich nicht orientieren. Die Tatsache, daß es das Auge nur zeitweise gebrauchte, bewies Fenton auch, daß es sein kostbarstes Gut war. Er nahm sich vor, nur auf das Auge zu zielen, falls er zum Schießen gezwungen wurde. Er stand gegen die Felswand gepreßt. Die Waffenhand erhoben, erwartete er den Angriff. Tentakel wurden aus der Körpermasse ausgefahren, peitschten über seinen Kopf hinweg. Fenton duckte sich. Das Monstrum war wieder in eine Enge geraten. Sein 46
zuckender Körper war eingeklemmt. Die Öffnung bildete sich, das Teleskopauge stieß daraus hervor. Bevor sich das Auge noch orientieren konnte, schoß Fenton einen schwachen, aber grellen Strahl ab. Das Ding schrie auf und fuhr sein Auge wieder ein. Fenton kletterte schnell die Felswand hinauf, rutschte ab, als ihn ein Tentakel am Bein traf, setzte seinen Weg aber unbeirrt fort. Als er außer Reichweite des Monstrums war, legte er eine Pause ein. Erst jetzt wurde ihm bewußt, daß er gar nicht daran gedacht hatte, den Antigravantrieb seines Kampfanzugs einzusetzen und davonzuschweben. Aber das war jetzt egal. Er befand sich in Sicherheit. Und er hatte diese Freiheit erlangt, ohne dem Monstrum einen Schaden zugefügt zu haben. Der grelle Strahl seiner Energiewaffe hatte das Auge nicht zerstört, sondern nur für einige Zeit geblendet. Fenton machte sich auf der anderen Seite an den Abstieg. Er suchte die Öffnung, in der das Monstrum auf der Lauer gelegen hatte. Zu seinem größten Erstaunen entdeckte er, daß es sich um einen Zugang zu einem Höhlensystem handelte. Er hatte den Eingang zum Irrgarten gefunden. Noch bevor Fenton die Höhle betrat, warf er zufällig einen Blick auf die Ortungsgeräte. Zu seiner größten Verwunderung stellte er fest, daß das Gerät, das auf Dugon-Streitz abgestimmt war, heftig ausschlug. Die Wertangabe zeigte, daß der Arrigoer nicht weiter als dreihundert Meter von ihm entfernt sein konnte. Fenton schaltete das Sprechfunkgerät ein. „Fenton ruft Dugon-Streitz! Fenton ruft Dugon-Streitz!“ Aber statt des Arrigoers meldete sich Keinyl. „Was veranlaßt Sie dazu, Dugon-Streitz anzurufen?“ erkundigte sich der Yskander. „Muß ich Sie daran erinnern, daß ich das Kommando führe? Es könnte schlimme Folgen für Sie haben, wenn Sie mich zu übergehen versuchen, Fenton.“ 47
„Blicken Sie einmal auf Ihre Ortungsgeräte, dann werden Sie erkennen, was mich veranlaßt hat, Dugon-Streitz anzurufen“, erwiderte Fenton. „Er treibt sich in meiner Nähe herum, und ich wollte ihn fragen, was das zu bedeuten hat.“ Keinyl schwieg einige Sekunden lang, dann sagte er: „Sie haben recht, er befindet sich nicht mehr auf seiner Route. Was mag ihn veranlaßt haben, Ihren Weg zu kreuzen?“ „Was weiß ich. Aber noch ist er mir nicht über den Weg gelaufen.“ Fenton betätigte das Notsignal, das auch bei defekter oder ausgefallener Sprechfunkanlage funktionierte. Aber Dugon-Streitz reagierte nicht „Ist es nicht seltsam, daß er sich auch nicht auf den Notruf hin meldet? Vielleicht ist ihm etwas zugestoßen - wir müssen ihm zu Hilfe kommen.“ „Sein Verhalten ist tatsächlich seltsam“, stimmte Keinyl zu. »Aber das war es schon, nachdem wir den zweiten Kreis passierten. Ich kann mir denken, was vorgefallen ist. Unternehmen Sie nichts, Fenton. Haben Sie verstanden?“ „Nicht genau. Wie meinen Sie das, ich solle nichts unternehmen?“ „Gehen Sie Dugon-Streitz aus dem Weg. Selbst wenn er ein Zusammentreffen mit Ihnen herbeiführen möchte - was Sie mit Hilfe der Ortungsgeräte erkennen können -, dann weichen Sie ihm aus.“ „Und aus welchem Grund?“ „Den Grund dafür werden Sie noch früh genug erfahren. Aber jetzt befolgen Sie meinen Befehl.“ „Vielleicht finde ich diesen Befehl aber unsinnig“, meinte Fenton. „Es könnte trotz Ihrer geheimnisvollen Vermutung so sein, daß Dugon-Streitz unsere Hilfe benötigt.“ Keinyls Stimme bekam einen gefährlichen Unterton. „Dann werde ich sie ihm gewähren. Sie aber, Fenton, halten sich da heraus. Das ist ein Befehl!“ Fenton unterbrach die Sprechverbindung. Er dachte nicht im Traum daran, sich an Keinyls Befehl zu 48
halten. Er wollte selbst in Erfahrung bringen, was mit dem Arrigoer geschehen war und ihm notfalls beispringen. Fenton schaltete das Außenmikrophon, den Außenlautsprecher und den Helmscheinwerfer ein. Dann betrat er die Höhle. Der breitgefächerte Lichtstrahl durchschnitt die Dunkelheit und legte einen vier Meter durchmessenden Höhleneingang frei, der steil in die Tiefe führte. Die beiden Waffenarme abgewinkelt, stieg er den unebenen, abschüssigen Boden hinunter. Manchmal war ihm, als bewegten sich in Seitenhöhlen unheimliche Schemen, wenn das Scheinwerferlicht hineinfiel. Aber jedesmal, wenn er eine solche Stelle erreichte, konnte er keine Anzeichen von Lebewesen entdecken. Er glaubte jedoch nicht daran, daß er optischen Täuschungen erlegen war. Das Monstrum war ein Beweis dafür gewesen, daß Menschen, die Opfer des zweiten Kreises geworden waren, die giftige Atmosphäre von Heidekka unbeschadet atmen konnten. Aber - erlitten sie tatsächlich keinen Schaden, wenn sie die giftige Atmosphäre aufnahmen? Vielleicht waren es gerade diese Gase, die sie nach der erfolgten Mutation zu formlosen, ungeheuerlichen Monstren werden ließen! Während Fenton immer tiefer in die Höhle eindrang, hielt er wachsam Ausschau. Ein Blick auf das Ortungsgerät zeigte ihm, daß Dugon-Streitz nur noch zweihundert Meter von ihm entfernt war. Er befand sich irgendwo dort vorn im Labyrinth. Was hatte ihn dazu veranlaßt, seine, Fentons, Nähe zu suchen? Fenton stellte fest, daß Dugon-Streitz seine augenblickliche Position kaum veränderte. Nur wenn Fenton vom geraden Kurs abkam, verließ Dugon-Streitz seinen Standort, um in seiner Richtung zu bleiben. Warum tat er das? Wenn sich Dugon-Streitz in akuter Gefahr befand, dann hätte er einfach das Notrufsignal geben können. Aber er verhielt sich vollkommen passiv und beantwortete 49
nicht einmal die Anrufe. Für einige Sekunden hatte sich Fenton intensiv auf seine Gedanken konzentriert und in seiner Wachsamkeit nachgelassen. Das hätte ihn beinahe das Leben gekostet. Plötzlich tauchte in einem Seitengang ein drei Meter großes Wesen auf. Es besaß immer noch annähernd humanoide Gestalt, Fetzen eines Raumanzugs hingen an ihm. Fenton stellte fest, daß die eine Hand noch im Waffenarm eines Kampfanzugs steckte - und er wußte sofort, daß es sich um einen der verschollenen Agenten Major Abirions handelte. Der Agent war zweifellos ein Opfer des zweiten Kreises. Sein Kopf war ein formloser Klumpen, auf dem Haare und Zell-Wucherungen zu einem netzartigen Gebilde verfilzt waren. Der Kopf ging übergangslos in den Körper über. Fenton erstarrte beim Anblick dieses Mutanten und überlegte sich noch, ob es sinnvoll wäre, über die Außensprechanlage mit ihm in Verbindung zu treten. Da sein Aussehen noch einigermaßen humanoid war, hoffte Fenton, daß er auch geistig noch genug Mensch sein würde, um seine Worte verstehen zu können. Aber bevor er noch etwas sagen konnte, hob der Mutant den Waffenarm und zielte auf ihn. Fenton schoß schneller. Der Mutant schrie auf, als sein Waffenarm getroffen wurde, taumelte rückwärts und wurde von der Dunkelheit verschluckt. Gleich darauf ertönte das Donnern von herabstürzenden Felsmassen. Der Zugang der Nebenhöhle war im Nu verschüttet. Fenton ging weiter. Sein Ortungsgerät zeigte an, daß der Arrigoer nur noch hundert Meter entfernt war. Plötzlich stand Fenton vor einem Lamellenschott. Es konnte gar kein Zweifel bestehen, daß es sich dabei um eine Luftschleuse handelte. Fenton erblickte sogar das Handrad, mit dem man das Außenschott der Luftschleuse manuell öffnen 50
konnte. Das mußte der Zugang zum eigentlichen Irrgarten sein. Der Öffnungsmechanismus war entweder verklemmt oder verrostet, jedenfalls ließ sich das Rad nicht drehen. Fenton unternahm drei Versuche. Danach war er schweißgebadet, aber das Rad hatte sich keinen Zentimeter bewegt. Daraufhin legte er eine kurze Rast ein. Als sein Atem wieder regelmäßiger ging, brachte er die Gelenkarme, die an seiner Brust montiert waren, in Stellung und erfaßte mit den Greifwerkzeugen das Rad. Die mechanischen Gelenkarme, die motorisch betrieben wurden und eine unglaubliche Kraft entwickelten, waren Fentons letzte Hoffnung. Wenn sie den Öffnungsmechanismus nicht betätigen konnten, dann mußte er sich nach einem anderen Zugang zum Labyrinth umsehen. Fenton ließ seine Finger über die Tastatur innerhalb seines Handschutzes gleiten. Er hatte die Gelenkarme noch nie bedient, sondern lediglich vom Hypnoschuler eine Gebrauchsanleitung erhalten. Dennoch fand er sich schnell zurecht Schon beim ersten Druck der mechanischen Arme gab das Rad nach und bewegte sich ein Stück. Beim zweiten Versuch konnte Fenton das Rad mühelos drehen. Die Lamellen des Schotts schoben sich knirschend in die Wandung zurück. Fenton trat in die Druckkammer und schloß das Außenschott mittels des Bedienungsrades. Kaum war die Druckkammer dicht, strömte zischend Luft ein. Fenton holte aus seiner Gerätetasche ein Analyseröhrchen hervor, mit dem sich die Gasanteile der Atmosphäre messen ließen. Zufrieden stellte er fest, daß es sich um atembare Luft handelte. Er hatte zwar nicht vor, seinen Kampfanzug abzulegen, aber es war doch gut zu wissen, daß er es in einem Notfall bedenkenlos tun konnte. Das Innenschott glitt automatisch auf. Fenton verharrte einen Moment überrascht, bevor er aus der 51
Druckkammer trat. Er hatte erwartet, daß der Irrgarten ein Höhlensystem war. Doch in dieser Beziehung täuschte er sich gewaltig. Er stand auf einer Plattform. Links führten Stufen in die Tiefe, rechts davon führten Stufen in die Höhe. Vor ihm lag ein Abgrund. Fenton trat an den Rand der Plattform, die kein Geländer besaß, und blickte in die Tiefe. Fünfzig Meter unter ihm war der Boden. Ebenfalls fünfzig Meter hoch über ihm spannte sich die Decke. Vor ihm waren Mauern. Es waren Mauern, die nur der Vorstellungswelt eines kranken Gehirns entsprungen sein konnten. Die Mauern eines Irrgartens. Sie waren ineinander verschachtelt, endeten oft unfertig, so, als hätte der Baumeister keine Lust gehabt, sie zu vollenden. Es gab unzählige Durchlässe und Winkel, Stege und Wege in allen Etagen, die untereinander mit Treppen verbunden waren. Manche der Treppen führten dreißig, vierzig oder auch fünfzig Meter in die Höhe und endeten dann plötzlich vor einer Wand. Andere führten in den freien, unverbauten Raum hinein und brachen mitten in der Luft ab. Es gab gerade Gassen, die an ihrem Ende in Wendeltreppen mündeten. Es gab Gassen, die an gewundenen Mauern entlang verliefen, und solche, die bergab und bergauf führten. Man konnte eine Treppe ersteigen, nur, um an ihrem Ende feststellen zu müssen, daß sie wieder in die Tiefe führte. Fenton entdeckte auch einen der Erbauer dieses Irrgartens. Es war ein Mensch, eine alte, gebeugte Frau, ohne erkennbare Mutationsmerkmale. Sie stand dreißig Meter unter Fenton an einem Mauervorsprung, löste Ziegel aus einer Trennwand und baute damit einen Steg zur gegenüberliegenden Mauer, in der sich ein Durchlaß befand. Es war ein faszinierender Anblick, den die alte Frau bot. Sie löste mit einem eigenen Griff die Ziegel aus der Wand, trug sie spielerisch, als seien sie aus Papier, zu ihrer „Baustelle“ und reihte sie dort einfach aneinander. Da sie keinen Mörtel oder 52
sonst ein Bindemittel verwendete, vermutete Fenton nicht zu Unrecht, daß die Ziegel selbstklebend und ein geradezu ideales Baumaterial waren. Außer der Alten sah Fenton nirgends ein menschliches Wesen. Ohne lange zu überlegen, betrat er die Treppe zu seiner Linken, die in die Tiefe führte. Er mußte einen großen Umweg machen, bis er endlich bei der Alten ankam. Sie schien sein Kommen überhaupt nicht bemerkt zu haben, obwohl seine Stiefel auf dem Ziegelboden einen unglaublichen Lärm verursachten. Sie ließ sich jedenfalls in ihrer Tätigkeit nicht stören. Selbst als er sie ansprach, zeigte sie keine Reaktion. Fenton vergewisserte sich, daß er die Außensprechanlage eingeschaltet hatte und wiederholte seine Worte. Doch die Alte ging an ihm vorbei, drehte die Ziegel aus der Mauer heraus, trug sie auf ihre fast vollendete Brücke und klebte sie mit flinken Bewegungen aneinander. Als sie die gegenüberliegende Seite erreicht hatte, wischte sie ihre Hände am Kittel ab und ging davon, ohne Fenton auch nur eines Blickes gewürdigt zu haben. Fenton schüttelte verständnislos den Kopf. Doch plötzlich kam ihm eine Vermutung. Er glaubte zu wissen, warum die Alte so seltsam und abweisend reagiert hatte. Er nahm an, daß sie ein Opfer des dritten Kreises war. Sie hatte ihre ganze Persönlichkeit im dritten Kreis verloren. Hier, im Irrgarten von Heidekka, hatte sie eine neue Bestimmung erhalten: Ihre Aufgabe war es, den Irrgarten auszubauen, ständig zu verändern. Ob alle Opfer des dritten Kreises dieses Schicksal erlitten? Fenton schauderte. Wie dem auch sein mochte, diese alte Frau war für ihn der Beweis, daß die sieben Kreise der Hölle schon des öfteren wirksam geworden waren. Er wischte diese Überlegung hinweg und beschäftigte sich mit dringlicheren Problemen. 53
Sein Ortungsgerät zeigte an, daß sich Dugon-Streitz ganz in seiner Nähe befand. Aber Fenton ortete auch noch eine weitere Person: Keinyl! Der Yskander meldete sich im gleichen Moment. „Fenton, machen Sie, daß Sie schnellstens aus dem Irrgarten kommen“, riet er über Sprechfunk. „Suchen Sie sich Ihren Weg. Ich werde mich inzwischen um Dugon-Streitz kümmern.“ Fenton antwortete nicht. Er sah sich plötzlich einem Dutzend alptraumhafter Geschöpfe gegenüber. 7. Sie kamen von allen Seiten her auf ihn zu: aus Öffnungen in den Wänden, über die Treppen und durch Korridore. Sie versperrten Fenton alle Wege - nur eine einzige Fluchtmöglichkeit ließen sie ihm offen: einen seltsamen Korridor, dessen Wände, Decke und Boden unzählige Vorsprünge auf wiesen und vollkommen aus dem Winkel geraten waren. Fenton hatte also keine Wahl. Wenn er es nicht auf eine Auseinandersetzung ankommen lassen wollte, mußte er diesen Fluchtweg wählen. Sicher, er konnte sich auch den Mutanten stellen, doch wäre das ein unnützes Blutvergießen gewesen. Die Absicht der Mutanten war klar. Sie wollten ihn in eine bestimmte Richtung drängen. Vielleicht beabsichtigten sie sogar, ihn aus dem Irrgarten zu jagen - oder sie hatten ihm eine Falle gestellt. Da er im Kampfanzug ziemlich geschützt war, glaubte er nicht, daß ihm die Mutanten viel anhaben konnten. Er rannte in den Korridor hinein. 54
Aus einer Wandöffnung schoß eine Klaue heraus, glitt aber an seinem Brustpanzer ab. Aus einer weiteren Öffnung langte ein Tentakel und umschlang eines seiner Beine. Fenton stürzte, aber noch während des Fallens betätigte er einen seiner mechanischen Gelenkarme und schlug damit kräftig auf den Tentakel. Aus der Öffnung erklang ein tierischer Schrei, und der Tentakel wurde ruckartig zurückgezogen. Fenton brachte diesen Korridor heil hinter sich. Ein vierkehliger Schrei, aus Wut und Haß geboren, folgte ihm, als die Mutanten merkten, daß er das Spießrutenlaufen ohne Schaden überstanden hatte. Der Korridor beschrieb eine Biegung und schraubte sich dann in die Höhe. Am Ende befand sich eine dreifache Gabelung. In zwei der Abzweigungen standen die Verformten und versperrten Fenton den Weg. Sie wollten offensichtlich, daß er die Treppe benutzte, die sie freigelassen hatten. Aber diesmal wollte sich Fenton nicht ihrem Willen beugen. Sein Ortungsgerät zeigte an, daß sich Dugon-Streitz in einer anderen Richtung aufhielt. Der Korridor, der dorthin führte, wurde von einem schlangenähnlichen Mutanten versperrt. Fenton näherte sich ihm lauernd. Als er knapp vor ihm stand, machte er einen Ausfallschritt. Der Schädel mit dem geifernden Maul schnellte herunter, auf Fentons Bein zu. Doch damit hatte Fenton gerechnet, auf diese Reaktion hatte er gehofft. Mit einem mächtigen Satz sprang er über den Mutanten hinweg. Noch bevor der Verformte die Situation erfaßt hatte, war Fenton bereits in einem Seitengang verschwunden. Vor ihm senkte sich plötzlich der Boden und fiel steil und glatt ab. Fenton verlor den Halt und glitt wie auf einer Rutschbahn in die Tiefe. Die Rampe führte direkt in eine Halle, in die dreißig Gänge mündeten. Fenton bremste den Aufprall mit den Füßen ab. Obwohl er wußte, in welcher Richtung Dugon-Streitz zu 55
finden war, fiel es ihm schwer, den richtigen Weg zu wählen. Deshalb versuchte er sein Glück zuerst in einem Spiralengang, der sich wie das Gewinde einer Schraube in horizontaler Richtung dahinzog. Aber der Schraubengang endete in einer Sackgasse. Fenton kehrte in die Halle zurück und drang in den angrenzenden Gang ein. Er führte um viele Ecken herum, verlief in Schlangenlinien, hinauf und hinunter - mündete schließlich wieder in die Halle ein. Als Fenton im dritten Gang wieder in eine Sackgasse geriet, erkannte er, daß er sich in einer Falle befand. Wahrscheinlich führte nur der Weg ins Freie, den er gekommen war. Aber er konnte beim besten Willen nicht mehr erkennen, durch welche Öffnung er die Halle betreten hatte. Plötzlich durchfuhr es ihn siedend heiß. Es war ohne weiteres möglich, daß der einzige Zugang zugemauert worden war, während er im Labyrinth herumirrte! Er dachte noch über seine verworrene Lage nach, als aus einer der Öffnungen ein Schrei erklang. Gleich darauf drangen hastende Schritte zu ihm. Ein Schatten wurde sichtbar - dann sprang ein Verformter in die Halle. Fenton hob automatisch den Waffenarm. Aber er drückte nicht ab. Denn er erkannte eindeutig Dugon-Streitz! Der Arrigoer besaß trotz der geringfügigen Mutationen seines Körpers immer noch die typischen Merkmale seines Volkes. Er hatte sich des Kampfanzugs entledigt und war vollkommen nackt. Sein Gesicht war verquollen, der ehemals kegelförmige Schädel war rund und aufgedunsen. Aus seiner Brust wuchs eine Reihe von knochenlosen Ärmchen. „Helfen Sie mir, Fenton!“ schrie er gequält auf und brach zusammen. Als er, mit dem Gesicht nach unten, auf dem Boden lag, erblickte Fenton die große Wunde in seinem Rücken. Sie konnte nur von einer Strahlenwaffe herrühren. Keinyl! durchzuckte es Fenton. 56
Er beugte sich über den Arrigoer und drehte ihn auf die Seite. In dem entstellten Gesicht zuckte es. „Danke, Fenton“, hauchte Dugon-Streitz. Es schien, als wolle er ein Lächeln zeigen. Das mißlang kläglich. „Ich hatte immer Angst vor den sieben Kreisen - und jetzt sterbe ich durch die Hand meines Kommandanten.“ „Warum hat er es getan?“ preßte Fenton wütend hervor. „Warum?“ Dugon-Streitz Körper erbebte. „Sehen Sie mich an, ich bin ein Monstrum. Es hat mich im zweiten Kreis erwischt. Ich war nicht so schlimm wie die anderen dran. Aber der Prozeß der Metamorphose ist trotzdem nicht aufzuhalten. Keinyl kann kein Ungeheuer als Partner brauchen...“ „Und deshalb schoß er Sie einfach in den Rücken?“ „Nicht nur deshalb“, widersprach Dugon-Streitz. „Er tat es, weil ich die Wahrheit herausgefunden habe. Fenton, ich weiß jetzt, daß es keine Rückkehr mehr gibt. Wir sind für alle Zeiten auf Heidekka gefangen.“ „Wir werden einen Weg finden“, behauptete Fenton. Dugon-Streitz schüttelte den unförmigen Kopf. „Nein, denn dieser Planet hält uns mit eisernem Griff fest. Heidekka ist ist...“ Bevor der Arrigoer noch den Satz vollenden konnte, war er tot. Fenton hörte hinter sich ein Geräusch und wirbelte herum. Er sah sich Keinyl gegenüber, der aus jener Öffnung trat, durch die vor ihm schon Dugon-Streitz gekommen war. Fenton näherte sich dem Yskander in drohender Haltung. „Warum haben Sie es getan?“ zischte er drohend. „Sie haben Dugon-Streitz getötet. Warum?“ „Sehen Sie sich ihn an“, antwortete der Yskander ungerührt „Ich hielt ihn für einen Gegner.“ „Das sagen Sie ohne jegliche Gemütsbewegung“, sagte Fenton erschüttert. „Sie erschießen wohl alle Mutanten, die Ihnen in den Weg kommen!“ 57
„Es war ein verhängnisvoller Irrtum“, erklärte Keinyl knapp. Er straffte sich und fuhr mit fester Stimme fort: „Es war ein Irrtum, Fenton, das muß Ihnen genügen! Vergessen Sie nicht, daß ich immer noch Ihr Vorgesetzter bin. Sie sind verpflichtet, mir bedingungslos zu vertrauen - und zu gehorchen.“ Fenton lachte bitter. „Vertrauen ist etwas, wozu man sieh nicht verpflichten kann. Entweder man bringt es einer Person entgegen oder nicht. Sie haben nichts getan, um mein Vertrauen zu gewinnen. Keinyl. Im Gegenteil, Sie haben alles getan, um mein Mißtrauen gegen Sie zu nähren.“ Keinyls dünnlippiger Mund verzog sich spöttisch. „Das ändert nichts an der Tatsache, daß Sie mein Untergebener sind. Lassen wir Emotionen aus dem Spiel, sie sind für unsere Aufgabe nur hinderlich.“ „Wie kann ich meine Gefühle unterdrücken“, sagte Fenton. „Sie sind ein Mörder, Keinyl, das läßt sich einfach nicht aus der Welt schaffen.“ „Genug geredet“, unterbrach der Yskander. „Wir haben ein Ziel vor Augen, auf das wir unbeirrbar losgehen müssen. Bedenken Sie, Fenton, daß in unseren Händen womöglich das Wohl der gesamten Menschheit liegt. Wir sollten unsere Energien nicht mit solchen Nebensächlichkeiten verschwenden.“ Fenton resignierte für den Augenblick. „In Ordnung, aber ich behalte mir vor, Sie bei Gelegenheit an Ihre Entgleisung zu erinnern. Und nun zu unserer Aufgabe. Glauben Sie eigentlich daran, daß wir Heidekka jemals wieder verlassen können wenn alles andere nach Plan verläuft?“ Keinyl machte eine wegwerfende Handbewegung. „Welche Frage! Wenn wir erst einmal Professor Scharochin gefunden haben, können wir uns immer noch über unseren Rückzug Gedanken machen. Ich zweifle nicht daran, daß wir unseren Auftrag ausführen können.“ Fenton beobachtete den Yskander genau, als er sagte: 58
„Dugon-Streitz war der Meinung, daß wir nie wieder von Heidekka loskommen.“ „Das ist eine allgemeine Ansicht. Ebenso gelten die sieben Kreise der Hölle als unüberwindlich. Sie sehen selbst, was davon zu halten ist.“ „Noch haben wir nicht einmal den vierten Kreis hinter uns gebracht“, meinte Fenton. „Oder wissen Sie bereits, wie wir aus diesem verdammten Irrgarten gelangen können?“ Keinyl sagte nichts. Er wandte sich einer der Ziegelwände zu, hob beide Waffenarme und schoß aus seinen Strahlenwaffen zwei konzentrierte Energiebündel ab. Die Ziegelwand verglühte. „Unser Weg wird uns geradewegs quer durch das Labyrinth führen“, erklärte Keinyl. „Es ist die einfachste Sache der Welt.“ „Ja, Zerstörung ist auch eine Möglichkeit, um ein Ziel zu erreichen“, sagte Fenton. „Tun Sie nicht so, Fenton.“ Keinyl war verärgert. „Kennen Sie vielleicht eine bessere Methode, dem Irrgarten zu entkommen?“ Fenton kannte keine. Keinyl war bereits in dem Gang verschwunden, den er mit seinen Strahlenwaffen brannte. „Worauf warten Sie noch, Fenton!“ rief er über Sprechfunk. Fenton starrte auf den toten Arrigoer. „Ich überlege mir gerade, daß wir Dugon-Streitz bestatten müßten“, sagte er leise. „Machen Sie sich um ihn nur keine Sorgen“, riet Keinyl, „Die Baumeister werden ihn bald finden und ihm eine Gruft mauern.“ Die Baumeister - das waren die Opfer des dritten Kreises. Der vierte Kreis hatte seine Schrecken verloren. Fenton und Keinyl kamen rasch voran. Die Ziegelwände verpufften förmlich unter dem Feuer ihrer Energiewaffen. Von 59
den Mutanten, die den Irrgarten beherrschten, drohte keine Gefahr mehr. Sie hielten sich vom Feuer und von der Hitze fern und zogen sich tiefer in ihre Gänge zurück. Fenton und Keinyl wechselten einander in ihrer Tätigkeit ab. Während Keinyl den Weg freischmolz, übernahm Fenton die Rückendeckung, und umgekehrt. Sie drangen nicht in horizontaler Richtung vor, sondern in steil abwärtsführender Linie. Fentons Tiefenmesser zeigte bald an, daß sie sich bereits einen Kilometer unter der Oberfläche befanden. Der Irrgarten schien kein Ende zu nehmen. Sie hatten eine Strecke von drei Kilometern zurückgelegt und befanden sich in einer Tiefe von 1700 Metern, als sie die erste Rast einlegten. „Jetzt haben wir es bald geschafft“, erklärte Keinyl. „Sie scheinen sich hier recht gut auszukennen“, meinte Fenton dazu. „Ich habe meine Informationen“, sagte Keinyl nur. „Es hat wohl keinen Zweck, wenn ich Sie ersuche, mir einiges von Ihrem Wissen abzugeben?“ „Alles zu seiner Zeit.“ „Und wenn Ihnen etwas zustößt?“ „Dann werden Sie versuchen müssen, auf eigene Faust durchzukommen.“ Fenton schüttelte verständnislos den Kopf. „Ich komme ganz einfach nicht dahinter, was diese Geheimniskrämerei soll. Jetzt befinden wir uns bereits mitten in der Hölle von Heidekka, und Sie rücken immer noch nicht mit der Sprache heraus.“ „Das hat mit Geheimniskrämerei nichts zu tun“, behauptete Keinyl. „Es ist nur nicht nötig, Sie mit einer Menge von Informationen vollzustopfen. Das würde Sie nur belasten. Ich gebe Ihnen die Informationen stückweise - immer dann, wenn Sie sie verwerten können.“ „Hoffentlich sagen Sie mir rechtzeitig alles über die Destruktive Welt.“ 60
„Darüber gibt es kaum etwas zu sagen, sonst würde ich es jetzt tun“, erklärte Keinyl. „Bevor wir die Unterwelt von Heidekka jedoch betreten, müssen wir einige vorbeugende Maßnahmen treffen. Aber verlangen Sie nicht, daß ich Sie schon jetzt über alles informiere. Es wird ohnehin bald soweit sein.“ Fenton gab es auf, weiter in Keinyl zu dringen. „Haben Sie eine Ahnung, welche Ausdehnung die Irrgärten haben und wie viele es gibt?“ fragte er statt dessen. „Das läßt sich schwer sagen“, antwortete Keinyl. „Heidekka existiert in dieser Form schon seit vielen Jahrhunderten. Früher war es möglich, die Ausdehnung der Irrgärten und der Destruktiven Welt einigermaßen zu kontrollieren. Aber seit hundert Jahren läßt sich das nicht mehr machen. Denn inzwischen hat sich die Unterwelt über den ganzen Planeten ausgebreitet. Es muß an die hundert Milliarden Menschen auf dieser Welt geben - einige hundert Millionen davon sind Opfer der sieben Kreise und hausen in den Irrgärten. Diese Zahlen sind natürlich nur Vermutungen, denn wir wissen nicht, in welchem Maße sich die Bewohner von Heidekka vermehren. Wir besitzen nicht einmal genaue Unterlagen über die Zuwanderungen. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor kommt durch die Mutanten hinzu. Sie können sich - in gewissen Grenzen, versteht sich - untereinander ebenfalls fortpflanzen.“ „Wie kam es überhaupt zur Gründung Heidekkas?“ wollte Fenton wissen. Keinyl gab darüber nur eine ausweichende Antwort. Er sagte, daß sich dies nicht mehr genau rekonstruieren lasse. Ursprünglich seien auf Heidekka Schwermetalle abgebaut worden, aus dieser Zeit stamme das Höhlensystem, das den gesamten Planeten bis in eine Tiefe von 10 Kilometern durchziehe. Irgendein Gesetzesbrecher müsse dann wohl den Anfang gemacht und hier Zuflucht gesucht haben. Andere waren ihm nach und nach gefolgt, bis der Planet zu einer Art 61
Asyl für lichtscheues Gesindel geworden war. Nach dieser ziemlich kargen Auskunft drängte Keinyl zum Aufbruch. Sie kamen noch vierhundert Meter weit, dann waren die Batterien ihrer Strahlenwaffen ausgebrannt. Aber das war weiter nicht schlimm. Denn hier endete der Irrgarten. „Hier müssen wir uns unserer Kampfanzüge entledigen“, erklärte Keinyl. „Wir würden in der Destruktiven Welt nur damit auffallen. Abgesehen davon, daß dies nicht ratsam wäre, sind uns die Kampfanzüge nicht mehr von Nutzen. Was wir von der Ausrüstung brauchen, nehmen wir mit.“ Keinyl beförderte aus einer Tasche seines Kampfanzugs eine Reihe von Gegenständen. Zwei handliche Strahler, zwei Beutel, die vollgestopft waren mit Münzen der auf Heidekka gültigen Währung; einige Phiolen mit Wahrheitsserum, zwei Armband-Sprechfunkgeräte und zwei Täschchen, die ein großes Sortiment von erbsengroßen Nebel-, Tränengas- und Schlafgasbomben enthielten; zwei Pläne, in denen die wichtigsten Punkte dieses Teils der Destruktiven Welt von Heidekka eingezeichnet waren - unter anderem auch die verschiedenen Transmitterstationen des sechsten Kreises. Dazu erklärte Keinyl: „Die Transmitter werden streng bewacht. Ich glaube kaum, daß wir eine der Stationen mit Gewalt nehmen können. Deshalb ist es ratsam, daß Sie nicht versuchen, einen der Transmitter in Eigenregie zu kapern.“ Er begann, die Hälfte der zutage geförderten Gegenstände Fenton auszuhändigen. Dann verstauten sie ihre Kampfanzüge in einer Felsnische. Fenton hatte sich bereits abgewandt und schritt auf den Tunnel zu, der in die Unterwelt von Heidekka führte. Als er sich zufällig umdrehte, sah er, daß Keinyl sich an den Kampfanzügen zu schaffen machte. „Was tun Sie da?“ erkundigte sich Fenton ohne großes Interesse. Der Yskander sprang auf und kam in wahren Riesensätzen 62
auf Fenton zugerannt. „Deckung, Fenton!“ rief er und warf sich zu Boden. Ohne recht zu begreifen, folgte Fenton der Aufforderung. Er lag kaum auf dem Fels, die Hände schützend über dem Kopf haltend, als es an der Stelle, wo sie die Kampfanzüge versteckt hatten, zur Explosion kam. Nachdem die Druckwelle über sie hinweggefegt war, fragte Fenton verständnislos: „Warum haben Sie das getan, Keinyl?“ Der Yskander zeigte ein feines Lächeln. In diesem Moment erinnerte sich Fenton der Worte des sterbenden Dugon-Streitz: „Wir sind für alle Zeiten auf Heidekka gefangen!“ Sie betraten den fünften Kreis der Hölle - die Destruktive Welt. 8. Gurlanot kam wie berauscht nach Hause. Er ergriff Mirlin, seine Frau, trug sie zum Bett und bedeckte ihr Gesicht mit Küssen. „Ich glaube, es klappt“, sagte er. Sie gab einen vergnügten Laut von sich und umarmte ihn. „Du meinst, du bekommst den Posten?“ flüsterte sie ihm ins Ohr. „Ist das wahr, Lanot? Kommen wir wirklich endlich aus diesem Sumpf heraus?“ „Es sieht so aus, Liebes.“ „Oh“, machte sie nur, ließ sich aufs Bett zurücksinken und schloß verträumt die Augen. „Ich möchte nicht, daß du dich zu großen Hoffnungen hingibst...“, begann er zögernd. Aber sie unterbrach ihn. „Laß mir meine Hoffnungen. Wenn sich dann alles nur als Traum herausstellt, macht es nichts aus. Schlimmer kann es nicht werden.“ 63
Mirlin hatte recht. Es konnte nicht schlimmer werden. Er schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln, strich ihr zärtlich übers Haar und erhob sich. Er blickte sich im Raum um, und sein Blick wurde sofort stumpf. Alle Wärme wich aus seinen Augen. Zwanzig Quadratmeter Wohnraum, zehn Zentimeter Kopffreiheit, wenn man aufrecht stand. Gurlanot hatte das Gefühl, von den dunklen, kahlen, unfreundlichen Wänden erdrückt zu werden. Das war kein Leben! „Ist heute irgend etwas vorgefallen?“ erkundigte er sich wie nebenbei. Eigentlich hätte er erst gar nicht zu fragen brauchen es geschah jeden Tag irgend etwas Unerfreuliches. Mirlin schwieg. Da wußte Gurlanot, daß es ein besonderes Ereignis gegeben haben mußte. Er wagte nicht, seine Gefährtin anzublicken. „Möchtest du nicht darüber sprechen?“ Sie brach in Tränen aus. Dann berichtete sie, daß zwei Männer dagewesen waren und sie der gesamten Lebensmittelvorräte beraubt hatten. „Wie hießen sie?“ fragte Gurlanot. „Ich weiß nicht, es waren Fremde.“ Er ergriff sie an den Armen und zog sie zu sich heran. „Ich möchte ihre Namen wissen!“ Mirlin bog den Kopf zurück. „Du tust mir weh, Lanot.“ „Dann sage mir ihre Namen!“ „Es waren die beiden Männer, die...“ Sie brach ab und flehte plötzlich: „Nein, ich kann es dir nicht sagen, Lanot. Du würdest dich bestimmt rächen wollen. Man würde dahinterkommen, und dann wäre deine Chance auf den Posten dahin. Ich möchte endlich von hier fort, kannst du das nicht verstehen?“ Gurlanot ließ sie los. „Ich will mir nur die Lebensmittel zurückholen. Wenn ich das nicht tue, wie sollen wir dann 64
leben? Ich müßte stehlen. Und wenn sie mich dabei ertappen, sind wir noch schlimmer dran. Nenne mir also die Namen der beiden.“ „Es waren die Männer, die du vor einiger Zeit mitgebracht und als deine Freunde vorgestellt hast“, sagte Mirlin tonlos. Angor und Briror, die Zwillingsbrüder. Er hatte sie während der letzten Kollektivwoche kennengelernt. Es waren Süchtige, die behauptet hatten, bei ihm eine Entwöhnungskur machen zu wollen. Deshalb hatte er sie mit in die Wohnung genommen. Sie äußerten sich damals sehr lobend über die Bedingungen und versprachen, so schnell wie möglich zu ihm zu ziehen und mit der Entwöhnungskur zu beginnen. Er hatte danach nie wieder von ihnen gehört. Bis zu diesem Augenblick. Gurlanot öffnete den Schrank, schob eine Bodenleiste zur Seite und holte den Strahler hervor, den er dort versteckt hatte. „Es hat doch keinen Zweck, Lanot“, drang seine Gefährtin in ihn. „Wo willst du nach ihnen suchen?“ „Ich weiß schon, wo sie zu finden sind.“ Er wandte sich der Tür zu. „Bitte, Lanot, sei vorsichtig“, rief Mirlin ihm nach. Gurlanot knöpfte sich den Umhang am Hals zu, vergewisserte sich, daß seine Strahlenwaffe im Achselhalfter nicht zu erkennen war, und trat auf die Straße hinaus. Es waren nur wenige Fußgänger zu sehen - wie immer. Die meisten Menschen blieben zu Hause, wo sie sich sicher fühlten. Erst wenn der Hunger oder die Einsamkeit unerträglich wurde, wagten sie sich aus ihren Behausungen. Gurlanot spuckte aus. Er hatte noch nie über Nahrungsmangel zu klagen gehabt, denn er erhielt wegen guter Führung Sonderrationen. Außerdem brauchte er nicht so viele Kollektivwochen abzuleisten wie die anderen. Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse, während er die 65
Straße hinunterging. Andere mochten ihn wegen der ihm zuerkannten Begünstigungen beneiden. Er war damit nicht zufrieden. Er wollte mehr. Er wollte fort von hier - nicht nur fort aus dem Verbrecherviertel, sondern weg von Heidekka. Wie er diesen Planeten haßte! Vielleicht bot sich ihm die langersehnte Chance, wenn er den Posten bekam. Er hatte vom ersten Augenblick an darauf spekuliert. Jetzt war er seinem Ziel nahe. Sollte er wirklich das Erreichte aufs Spiel setzen, nur weil zwei Halunken ihn seiner Lebensmittelvorräte beraubt hatten? Wenn er den beiden einen Denkzettel verpaßte und man dahinterkam, sank er wieder auf die Stufe zurück, auf der er begonnen hatte -ganz unten. Der Anfang - wie lange lag er schon zurück! Er wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war, denn in der Unterwelt von Heidekka konnte man die Zeit nicht messen. Es gab keine Nacht und keinen Tag, es gab nicht einmal Uhren, die die Zeit exakt anzeigten. Natürlich hatten einige ganz Gerissene sich diesen Umstand zunutze gemacht und „ZeitZentren“ errichtet. Das waren Unternehmen, die gegen ein entsprechendes Honorar eine Kartei anlegten und darauf die persönlichen Daten eintrugen. Geburtsdaten, Zeit der Ankunft auf Heidekka und so weiter. Man konnte sich dann immer und jederzeit nach dem Datum und der Uhrzeit erkundigen und danach, wie lange man sich bereits auf Heidekka befand. Die Kollektivwochen waren keinesfalls ein Zeitmaß, da sie nicht für jeden gleich lang waren. Der Ausdruck „Kollektivwoche“ war eigentlich nur eine verschönernde Beschreibung für Zwangsarbeit. Ihr konnte sich niemand entziehen. Man konnte die Dauer der Zwangsarbeit nur auf ein erträgliches Maß herabsetzen, wenn man sich gut führte. Gurlanot arbeitete während der Kollektivwochen in den Ziegelwerken - auch das war eine Vergünstigung. Nun hoffte er, daß er wegen guter Führung dem 66
Transmitterpersonal zugeteilt wurde. Der Vorarbeiter im Ziegelwerk hatte so eine Andeutung gemacht. Wenn ihm, Gurlanot, dieser Sprung gelang, dann würden er und Mirlin automatisch aus dem Verbrecherviertel ausziehen und in den Transmitterblock übersiedeln. Und wenn er erst einmal soweit war, dann befand er sich bereits mit einem Fuß in Freiheit. Freiheit - davon hatte Gurlanot schon von Anfang an geträumt. Der Anfang - er lag schon lange zurück. Aber noch nicht so lange, daß er sich nicht an die Zeit vor seinem Eintreffen auf Heidekka erinnerte. Er hatte eine Agentur geführt, die sich mit Ermittlungen beschäftigte. In der Hauptsache hatte er sich auf dem Gebiet der Wirtschaftsspionage betätigt. Nicht, daß er gegen entsprechende Bezahlung Spionage betrieb, nein, im Gegenteil, man bediente sich seiner, wenn es galt, Spionagetätigkeit zu verhindern. Gurlanot hatte sich nicht zu beklagen brauchen. Das Geschäft ging gut. Und dann gab ihm ein großer Konzern diesen Auftrag: Er sollte einen Biologen, der mit einer unbezahlbaren Entdeckung nach Heidekka geflüchtet war, zurückbringen. Gurlanot kannte das Risiko, aber er ging es ein. Er flog mit einem gemieteten Raumschiff nach Heidekka, landete und drang bis in die Unterwelt vor. Seit damals saß er hier fest. Er hatte in all dieser Zeit keinen einzigen Fluchtversuch unternommen, denn der erste Vorstoß in den Irrgarten hatte ihm gezeigt, welches Schicksal ihm blühen würde. Da zog er schon lieber das erbärmliche Dasein in der Destruktiven Welt vor, nahm die Zwangsarbeit auf sich und die Gefahren, die von seinen Mitbürgern drohten. Mitbürger, pah - es waren fast ausschließlich asoziale Elemente. Es gab nur wenige Ausnahmen, dazu gehörten er und Mirlin. Sie war so unschuldig in diese chaotische Zivilisation geraten wie er. Sie war die Tochter eines 67
gestürzten Diktators, der vor der Wut des Volkes mit seiner ganzen Familie nach Heidekka geflüchtet war. Mirlin war die einzige Überlebende. Gurlanot hatte sein Ziel erreicht Er stand vor dem Portal der Rauschgifthöhle. Er zögerte. Sollte er seine und Mirlins Zukunft seiner Rache opfern? Es wäre einfacher gewesen, die G-Männer anzurufen - das waren Gaythas Schergen, die versuchten, die Verbrechen in der Destruktiven Welt in Grenzen zu halten. Und man mußte ihnen zugestehen, daß sie es mit verblüffendem Erfolg taten - wenn auch nicht immer mit herkömmlichen Mitteln. Sollte er sie auf den Plan rufen? Nein, das konnte er nicht. Er wäre sich dabei als schäbiger Denunziant vorgekommen. Er mußte die Angelegenheit schon selbst in die Hand nehmen. Gurlanot betrat die Rauschgifthöhle. Die Höhle erinnerte ihn an den Irrgarten. Sie war in lauter kleine und kleinste Räume aufgeteilt, die durch schmale Korridore verbunden waren. Man konnte hier das Rauschgift in Gruppen einnehmen, oder allein, in der Abgeschiedenheit einer winzigen, dunklen, muffigen Kammer. Als Gurlanot die Rauschgifthöhle betrat, stellten sich ihm sofort zwei der Wachtposten in den Weg. Er war hier kein Unbekannter - allerdings kannte man ihn nicht als Gast. „Sieh an, die Konkurrenz“, sagte der eine Wachtposten. „Kommst du jetzt schon in die Höhle des Löwen, um unsere Kunden abzuwerben?“ „Verschwinde, Lanot, bevor wir dir sämtliche Knochen brechen“, sagte der andere. Gurlanot zog die Strahlenwaffe und bedrohte die beiden verblüfften Männer damit. „Ich suche zwei Männer. Sie heißen Angor und Briror“, sagte Gurlanot. Die beiden Männer lachten und sahen einander an. Der eine von ihnen meinte: 68
„Er kommt tatsächlich zu uns, um Schäfchen für die Entwöhnungskur zu suchen.“ Er wandte sich Gurlanot zu. „Gehst du nicht doch ein bißchen zu weit, Lanot? Wenn du auf der Stelle umkehrst, wollen wir die Angelegenheit vergessen. Andernfalls hetzen wir dir die G-Männer auf den Hals.“ Gurlanot grinste. „Das werdet ihr bestimmt nicht tun, denn sonst erfahren sie durch mich, mit welchem Trick Inklur das Baumaterial für die Höhle beschafft hat.“ Der eine der beiden Männer zuckte die Schultern. „Also keine G-Männer. Dann werden wir die Sache eben untereinander ausmachen.“ „Keine Dummheiten“, sprach Gurlanot, aber er sprach zu tauben Ohren. Die beiden Wachtposten stürzten sich plötzlich auf ihn. Gurlanot wurde davon nicht überrascht. Er drückte die Strahlenwaffe ab und traf den einen der Angreifer voll ins Gesicht, den anderen schlug er gleichzeitig mit der freien Hand nieder. Gurlanot hatte noch vor Betreten der Rauschgifthöhle seine Strahlenwaffe auf „Mindestkapazität“ geschaltet, so daß die abgeschossenen Strahlen nur Licht, aber keine Hitze entwickelten. Der getroffene Mann schrie auf und preßte sich die Hände gegen die Augen. „Ich bin blind“, jammerte er. „Du bist nur für einige Zeit geblendet“, erklärte Gurlanot unbeeindruckt. „Aber beim nächsten Mal schieße ich heiß.“ Er gab dem auf dem Boden liegenden Mann einen Wink. „Los, bringe mich zu der Kabine der beiden.“ „In Ordnung. Ich zeige dir den Weg. Aber glaube ja nicht, daß du ungestraft davonkommst.“ Der Wachtposten erhob sich. Gurlanot ängstliche Blicke zuwerfend, ging er hinein in das verwirrende System der Korridore. Vor einer winzigen Kabine blieb er stehen. „Da drinnen sind sie.“ „Geh voran!“ 69
Der Mann stieß die Tür auf und betrat die düster beleuchtete Kabine. Gurlanot folgte ihm. Er erkannte sofort Angor und Briror, die grünhäutigen Zwillingsbrüder. Sie lagen rücklings auf dem Boden und hielten sich an den Händen. Ihre entrückten Gesichter ließen erkennen, daß sie berauscht waren. „Wecke sie“, forderte Gurlanot den Wachtposten auf. Der beugte sich über die beiden Süchtigen. „He, aufwachen“, rief er ihnen zu und schüttelte sie an der Schulter. „Da ist der rettende Engel, der euch eine Entwöhnungskur versprochen hat.“ „Er soll verschwinden“, lallte Angor. Als er in die Mündung der Strahlenwaffe blickte, klärte sich sein Blick ein wenig. „Was soll denn das?“ „Ich verlange die Lebensmittel zurück, die ihr mir gestohlen habt“, herrschte Gurlanot ihn an. Angor lachte. Inzwischen war auch Briror zu sich gekommen. Er richtete sich auf, blickte stumpf um sich und wollte sich erheben. Gurlanot stieß ihn zurück. „Wo habt ihr die Lebensmittel versteckt?“ wollte er wissen. „Wir haben - sie nicht mehr“, lallte Briror mit schwerer Zunge. Angor lachte wieder. „Wir haben uns den Gegenwert der Lebensmittel gespritzt. Ha, ha, ha!“ Gurlanot blickte den Wachtposten an. „Stimmt das?“ Der Wachtposten wurde unsicher. „Wir konnten ja nicht wissen, daß das Paket gestohlen war. Inklur selbst hat gesagt, das ginge schon in Ordnung.“ Inklur war der Besitzer der Rauschgifthöhle. „Wir werden zu ihm gehen“, entschied Gurlanot. „Sieh zu, daß du die beiden auf die Beine bringst, dann statten wir alle deinem Chef einen Besuch ab.“ „Du begehst einen Fehler, Lanot, wenn du ...“, versuchte der Wachtposten ihn umzustimmen. Als er jedoch den kalten, unerbittlichen Blick in seinen Augen sah, fügte er sich. Er 70
steckte jedem der beiden Süchtigen eine Tablette in den Mund, hielt ihnen die Nase zu, damit sie schlucken mußten, und zog sie dann mit einiger Anstrengung in die Höhe. Sie verließen die enge Kabine. Gurlanot hielt sich ständig hinter ihnen und bedrohte sie mit der Waffe, während sie durch die Korridore der Rauschgifthöhle gingen. Nach einer endlos scheinenden Zeit kamen sie an eine Tür, die sich allein durch ihre Größe von den anderen unterschied. Als der Wachtposten in einem bestimmten Rhythmus dagegen klopfte, öffnete sich darin eine Klappe. „Lanot ist da und möchte Inklur sprechen“, sagte der Wachtposten, so wie es ihm Gurlanot aufgetragen hatte. Die Tür schwang nach kurzer Zeit auf. Der Wachtposten trat zuerst ein. Die süchtigen Zwillingsbrüder folgten ihm auf unsicheren Beinen. Lanot sprang mit einem Satz in den dahinterliegenden Raum und hielt den Mann in Schach, der ihnen geöffnet hatte. „Zu Inklur“, sagte er knapp. Den Mann an der Tür ließ die Waffe kalt. „Dort hinein geht es.“ „Du bringst uns zu ihm“, bestimmte Gurlanot. Der Mann blieb immer noch die Ruhe selbst. Er durchquerte den Vorraum, öffnete die gegenüberliegende Tür und rief: „Lanot ist da und möchte...“ Gurlanot stieß ihn beiseite, packte Angor und Briror am Kragen und stieß sie in das Allerheiligste von Inklur. Der Besitzer der Rauschgifthöhle war ein fetter Zimbala, der schon in jungen Jahren wegen eines Mordes von seiner Heimatwelt Zimbal nach Heidekka geflüchtet war. In den Jahren seines Aufenthalts hier hatte er einen weitreichenden Rauschgiftring aufgebaut, besaß zwar nicht die Chance auf Vergünstigungen, führte aber doch ein angenehmes Leben. Es ging das Gerücht, daß er einen Androiden besaß, der ihm aufs Haar glich und den er statt seiner die Zwangsarbeit verrichten ließ. 71
Inklur saß reglos hinter seinem Schreibtisch. Nur sein bläulich verfärbtes Gesicht zeigte, daß er über den Besuch ärgerlich war. „Sie haben von diesen beiden Schurken bedenkliche Ware angenommen“, erklärte .Gurlanot und deutete auf die süchtigen Zwillingsbrüder. „Es handelt sich um Lebensmittel, die sie mir gestohlen haben. Ich verlange sie zurück.“ Inklur regte sich eine Weile nicht. Endlich nickte er mit dem Kopf. Seine wulstigen Lippen kamen in Bewegung, und er sagte schleppend: „Gut, Sie bekommen alles zurück, Lanot. Ich will nicht feilschen. Ich garantiere Ihnen sogar freien Abzug. Aber ich gebe Ihnen auch noch eine Garantie dazu, nämlich die, daß Sie nicht mehr lange genug leben werden, um den Inhalt des Lebensmittelpakets zu verzehren.“ „Danke für die Warnung“, sagte Gurlanot. „Ich werde mich zu schützen wissen.“ Inklurs Augen wurden schmal. „Glauben Sie nur ja nicht, Sie könnten mich bei den G-Männern anschwärzen. Einige dieser Herren sind Stammgäste in meinem Haus.“ Gurlanot verzog abfällig den Mund. Er hielt dies nur für einen Bluff. G-Männer hatten es nicht nötig, sich mit einem Halsabschneider wie Inklur einzulassen. Sie bekamen alles, was sie wollten, auf einfachere Art und Weise. Gaythas sorgte gut für seine Leute. „Fertigen Sie mich ab, Inklur“, verlangte Gurlanot „Ich habe es eilig.“ „Sie werden in nächster Zeit ständig in Eile sein, Lanot“, versprach Inklur. „Sie werden nicht einmal Zeit zum Schlafen haben.“ Es dauerte nicht lange, da brachten Inklurs Leute ein Paket, das in Kühllappen eingeschlagen war. Gurlanot warf einen Blick hinein und nickte zufrieden. Es waren seine Lebensmittel, „Ich gebe Ihnen einen Vorsprung bis zu Ihrer Wohnung“, 72
sagte Inklur, bevor er Gurlanot verabschiedete. „Dann erhalten meine Leute das Startzeichen für die Jagd auf Sie. Rechnen Sie sich nicht allzu gute Chancen aus, Lanot, denn ich werde eine Kopfprämie ausschreiben, die meine Leute zu Sonderleistungen anspornt. Und jetzt verschwinden Sie.“ 9. „Wir müssen sofort verschwinden, Mirlin.“ Sie starrte ihn entgeistert an. Nachdem er ihr berichtet hatte, was vorgefallen war, brach sie in Tränen aus. „Ich wußte, daß es so kommen würde“, schluchzte sie. „Du hättest dich nicht mit Inklur anlegen sollen. Jetzt müssen wir alles aufgeben. Wir werden ständig auf der Flucht sein, bis man uns eines Tages stellt. Ich weiß nicht, ob ich dieses Leben ertrage, Lanot.“ Er umarmte sie und sagte zärtlich: „Höre mich erst einmal an, Liebes. Ich habe mir bereits einen Plan zurechtgelegt, bevor ich in die Rauschgifthöhle ging. Wir werden nicht kopflos flüchten und uns nicht irgendwo in der Unterwelt verstecken. Denn genau damit rechnet Inklur. Ich habe dir davon erzählt, daß ich in Bälde dem Transmitterpersonal zugeteilt werden soll. Es kann sich nur noch um Tage handeln. Aber so lange können wir nicht warten. Deshalb werde ich im Transmitterblock vorsprechen. Wenn ich dort unsere ausweglose Lage anschaulich darlege, kann ich vielleicht die Entwicklung beschleunigen. Unsere Chance ist, daß wir im Transmitterblock zumindest ein Asyl finden. Alles andere ergibt sich dann von selbst.“ Das leuchtete Mirlin ein, und sie beruhigte sich einigermaßen. Sie packten in Windeseile ihre wichtigste Habe zusammen und stopften alles, zusammen mit den Lebensmitteln, in einen Rucksack, den sich Gurlanot auf den Rücken schnallte. 73
Bevor sie die Wohnung verließen, warf Gurlanot einen vorsichtigen Blick in den Straßentunnel hinaus. Erst als er nichts Verdächtiges entdecken konnte, traten sie ins Freie. Mirlin zitterte am ganzen Körper. „Bis zum Transmitterblock ist es ein weiter Weg“, keuchte sie. „Wenn wir auf offener Straße bleiben, stöbern uns Inklurs Leute bestimmt bald auf.“ „Ich kann deine Nervosität verstehen, aber vertraue mir nur“, beruhigte er sie. „Ich kenne den Weg zum Transmitterblock und habe mir eine Route zurechtgelegt. Wir werden nicht ständig auf der Straße bleiben.“ Gurlanot hoffte, daß sich Mirlin mit diesen Andeutungen zufriedengab. Er hatte nicht vor, sie in seine Pläne einzuweihen. Er hoffte, daß Inklurs Leute, durch die Kopfprämie angespornt, keine geschlossenen Aktionen starteten. Es lag nahe, daß jeder von ihnen die Prämie allein einstreichen wollte. Mirlin blickte sich ständig nervös um. „Wir bieten hier ausgezeichnete Zielscheiben“, gab sie ängstlich zu bedenken. „Später werden wir die Hauptwege meiden“, erklärte Gurlanot. „Aber im Augenblick geht das noch nicht.“ Er hatte die obersten Knöpfe seines Umhangs offengelassen, um jederzeit blitzschnell zur Waffe greifen zu können. Seine wachsamen Augen suchten ständig die Umgebung ab. An jeder Straßenkreuzung verlangsamte er seinen Schritt, um nicht einem von Inklurs Leuten in die Arme zu laufen. Aber der Besitzer der Rauschgifthöhle schien Wort gehalten zu haben bisher hatte er seine Häscher zurückgehalten. Aber bereits in diesem Moment konnten sie ausschwärmen und mit der Jagd auf ihn beginnen. Da die Rauschgifthöhle nicht weit von Gurlanots Unterkunft entfernt lag, würden die Menschenjäger bald das ganze Gebiet abgeriegelt haben. Für Gurlanot war es klar, daß ihm der Durchbruch nur 74
gelingen konnte, wenn es ihm möglich war, seine Verfolger zu täuschen. Mirlin blieb plötzlich stehen. „Lanot!“ rief sie bestürzt aus. „Das ist nicht die Richtung zum Transmitterblock. Wir bewegen uns geradewegs auf den Irrgarten zu. Was hat das zu bedeuten?“ „Stelle jetzt keine Fragen, Liebes“, wich er einer Antwort aus. „Du mußt mir vertrauen.“ „Aber ich würde eher sterben, als mich in den Irrgarten zu begeben“, rief Mirlin. „Die Mutanten würden uns...“ Er ergriff ihren Arm und zog sie mit sich. Ihm lagen einige scharfe Worte auf der Zunge, aber noch bevor er Mirlin rügen konnte, kam es zu dem von ihm erwarteten Zwischenfall. Aus einem der vor ihnen liegenden Hauseingänge sprang ein Mann und brachte einen Lähmstrahler in Anschlag. Gurlanot gab Mirlin einen Stoß, so daß sie stolperte und der Länge nach hinfiel. Gurlanot warf sich ebenfalls zu Boden. Er hatte seine Strahlenpistole gezogen und schoß im Fallen auf eine Stelle der Decke, die über seinem Gegner lag. Der Fels glühte auf, wurde flüssig und tropfte zu Boden. Inklurs Häscher mußte von einem der glutflüssigen Tropfen getroffen worden sein, denn er schrie auf. Gurlanot kam auf die Beine und rannte auf ihn zu. Als er ihn erreichte, beförderte er mit einem Tritt die Waffe aus seiner Hand. Der Mann lag auf dem Boden und umklammerte sein Bein, das von dem flüssigen Gestein getroffen worden war. „Schöne Grüße an Inklur“, sagte Gurlanot zu dem Verwundeten. „Jetzt wird es sich zeigen, ob er Männer oder feige Memmen in seinen Reihen hat. Sage deinen Freunden, daß sie mich im Irrgarten besuchen können, wenn sie Mut haben.“ Der Mann heulte auf. Gurlanot ließ ihn liegen, wandte sich Mirlin zu, die vollkommen verstört näher gekommen war. 75
„Los, wir müssen weiter“, drängte er und steuerte auf den Eingang des nächsten Hauses zu. Er stieß das Tor auf, schob Mirlin hinein und folgte ihr. „Nein, Lanot“, schrie sie. „Hier sitzen wir wie in einer Falle fest.“ Er blickte ihr in die Augen. „Du wolltest mir doch vertrauen“, sagte er beherrscht. Nachdem sie genickt hatte, fuhr er fort: „Dann stelle bitte keine weiteren Fragen mehr.“ Sie hatte sich wieder gefaßt. Seine Ruhe und Selbstsicherheit hatten offensichtlich auf sie übergegriffen, und Mirlin zeigte sogar ein zaghaftes Lächeln. „So ist es besser“, lobte er und küßte sie flüchtig auf die Stirn. „Ich habe gar nicht vor, den Irrgarten aufzusuchen. Das wollte ich Inklurs Leuten nur glaubhaft machen, um sie auf die falsche Spur zu lenken.“ Er eilte eine Treppe hinauf, hielt die Waffe immer noch schußbereit in der Hand und stürmte bis in das oberste Geschoß hinauf, das direkt an die Felsdecke grenzte. Mirlin folgte ihm keuchend. Als sie ihn erreicht hatte, trat er gerade die Tür einer Wohnung ein. Das Schloß gab ächzend nach, die Tür flog nach innen. Gurlanot erblickte eine Frau, die sich mit fünf Kindern in den hintersten Winkel des Raumes geflüchtet hatte. Er blickte sie nicht an, als er befahl: „Macht, daß ihr hier herauskommt.“ Die eingeschüchterte Frau trieb ihre Kinder aus der Wohnung. „War das nötig?“ erkundigte sich Mirlin tonlos. „Du hast doch versprochen, von nun an vernünftig zu sein“, fuhr Gurlanot sie an. Er suchte nach der Luftöffnung, die sich in jedem Wohnraum befand, und entdeckte das kleine, runde Loch in einer Höhe von zwei Metern in der dem Eingang gegenüberliegenden Wand. 76
Gurlanot schoß einen Fächerstrahl auf diese Stelle ab. Die Ziegelwand löste sich unter der ersten Hitzeeinwirkung augenblicklich in Nichts auf. Eine Öffnung war entstanden, die groß genug war, einen erwachsenen Menschen durchzulassen. „Du zuerst“, sagte er zu Mirlin. Er half ihr beim Hinaufklettern. Als sie in der Öffnung verschwunden war, folgte er ihr. Sie kamen in einen der Hauptbelüftungsschächte, die in waagrechter Richtung verliefen und die gesamte Unterwelt durchzogen. Gurlanot kannte die Luftschächte wie seine eigene Tasche. Denn früher, als er noch geglaubt hatte, von Heidekka flüchten zu können, hatte er sie oft durchstreift und überall Markierungen angebracht, um sich orientieren zu können. Jetzt kam ihm das zugute. Er holte aus seinem Rucksack einen Handscheinwerfer und leuchtete in den Hauptentlüftungsschacht hinein, der hoch genug war, um einen Menschen aufrecht gehen zu lassen. „Hier werden sie uns nicht finden“, erklärte Gurlanot und schenkte Mirlin ein zuversichtliches Lächeln. „Wir haben genügend Proviant, um uns durch das Belüftungssystem bis in die Nähe der Transmitterstation durchschlagen zu können.“ Sie hatten insgesamt sieben Mahlzeiten zu sich genommen und dreimal geschlafen. Gurlanot hatte darauf bestanden, daß immer einer von ihnen Wache hielt, während der andere ausruhte. Außerdem war er darauf bedacht gewesen, keine Spuren zu hinterlassen. Jetzt hatten sie ihr Ziel fast erreicht. „Warum müssen wir den Luftschacht verlassen, obwohl er doch bestimmt bis in den Transmitterblock hineinreicht?“ wollte Mirlin wissen. „Weil wir am Leben bleiben wollen“, erklärte Gurlanot. „Irgendwo vor uns befinden sich Energiefallen, die jede organische Materie vernichten, die in ihren Bereich kommt. Das ist eine verständliche Sicherheitsmaßnahme des 77
Transmitterpersonals. Andernfalls könnten die Bewohner der Unterwelt im Transmitterblock aus und ein spazieren, wie es ihnen paßte. Oder glaubst du, ich sei der einzige, der das Belüftungssystem für seine Zwecke mißbraucht?“ „Nein, nein“, sagte Mirlin. Die Strapazen der letzten Zeit waren nicht spurlos an ihr vorübergegangen. Aber trotz der dunklen Ringe unter ihren Augen war sie immer noch schön und begehrenswert. Gurlanot wollte nichts unversucht lassen, um mit ihr die Freiheit zu erlangen und ein neues Leben zu beginnen. Mirlin zeigte plötzlich einen besorgten Gesichtsausdruck. „Aber dann ist es doch möglich, daß Inklurs Leute uns gefolgt sind“, gab sie zu bedenken. „Sind sie auch“, bestätigte Gurlanot. „Während du schliefst, hörte ich unsere Verfolger oftmals ganz in unserer Nähe. Aber sie haben keine Ahnung, wohin wir uns wenden, und wissen nicht, wo sie nach uns suchen sollen.“ „Und wie geht es jetzt weiter?“ „Wir werden das Belüftungssystem verlassen und bei Mutter Yong-Hei Unterschlupf suchen“, antwortete Gurlanot. „Bei der Wahrsagerin?“ Gurlanot nickte. „Ich kenne sie gut. Wir haben früher schon oft zusammengearbeitet. Ich habe für sie Auskünfte über Klienten eingeholt, so daß sie immer wußte, welche Prophezeiungen gewünscht wurden, während sie mir durch ihre Wahrsagerei Kunden für die Entwöhnungskur zuschanzte.“ „Ich habe nicht gewußt, daß du mit dieser Hexe zusammenarbeitest“, meinte Mirlin und fragte dann besorgt: „Glaubst du, daß sie uns auch jetzt helfen wird?“ „Es stimmt, daß sie eine Hexe, eine üble Halsabschneiderin ist, nur auf ihren persönlichen Vorteil bedacht“, stimmte Gurlanot zu. „Aber ich weiß, wie man sie nehmen muß.“ Gurlanot kletterte mit Mirlin einen senkrechten Schacht hinunter, der in einer geräumigen Betonkammer endete, und 78
wandte sich einer Eisentür zu, die ein kompliziertes Schloß besaß. Selbst für den geschicktesten Einbrecher wäre es ohne moderne Hilfsgeräte nicht möglich gewesen, dieses Schloß aufzubrechen. Für Gurlanot stellte es jedoch kein Hindernis dar, denn er kannte die Kombination. Hinter der Tür lag Mutter Yong-Heis „Tempel der Wahrheit“. Nachdem Gurlanot die Kombination eingestellt hatte, schwang die Tür fast geräuschlos auf. Mutter Yong-Hei, die durch ein Warnsystem davon unterrichtet worden war, daß sich jemand an der Tür zu schaffen machte, erwartete ihn bereits. „Schau, schau“, sagte sie bei Gurlanots Anblick. „Welch seltener Besuch. Du hast schon lange nichts von dir hören lassen, Lanot. Ah, und du bringst auch deine Frau mit. Sicher ist sie der Grund, warum du mich so vernachlässigt hast. Falls ihr gekommen seid, um etwas über eure Zukunft zu erfahren, dann kehrt besser wieder um. Sie ist nämlich alles andere als rosig.“ „Dann weißt du also bereits, daß Inklur hinter uns her ist“, stellte Gurlanot fest. „Ich wußte es bereits, noch bevor es Realität wurde“, behauptete Yong-Hei. Gurlanot schmunzelte. Er mochte Yong-Hei trotz ihres verwerflichen Charakters ganz gut leiden. Sie war nämlich nicht so verdorben, wie es auf den ersten Blick schien. Zwar konnte sie ohne mit der Wimper zu zucken jemandem die letzte Münze aus der Tasche ziehen, aber es war ihr andererseits nicht möglich, einem Hungernden Speise und Trank zu verwehren. Sie übervorteilte ihr besten Freunde, gewährte ihnen in Zeiten der Not aber ihre volle Unterstützung. Außerdem war sie eine schöne und begehrenswerte Frau. „Sie haben aber nicht viel von einer Mutter und einer weisen Frau an sich“, sagte Mirlin spitz. 79
Yong-Hei war viel zu abgebrüht, um sich durch so eine Bemerkung aus der Fassung bringen zu lassen. Sie lächelte zuvorkommend, während sie entgegnete: „Ich weiß, mein Kind, daß ich zu jenen wenigen Ausnahmen zähle, bei denen das Schicksal Weisheit und Klugheit in eine schöne Hülle verpackt hat. Seien Sie nicht neidisch, sondern vielmehr dankbar, daß ich Ihre Verbündete bin.“ Sie warf Gurlanot einen säuerlichen Blick zu. „Ich gehe wohl nicht fehl in der Annahme, daß du nur gekommen bist, weil du dir Unterstützung von mir erwartest.“ „Zugegeben, ich habe gehofft, daß du uns helfen würdest.“ „Kommt mit.“ Sie geleitete die beiden in einen großen Raum, der zwei Dutzend Menschen als Unterkunft dienen konnte. Er war in ein rotes und blaues Licht gehüllt, das in den Überschneidungszonen violett glühte. Es handelte sich um den Konsultationsraum, in dem Mutter Yong-Hei ihren Kunden wahrsagte. Dazu diente ihr eine psychedelische Ton-BildOrgel. Sie konnte darauf tatsächlich spielen wie auf einem Musikinstrument, doch zauberten die Tasten nicht nur Klänge, sondern auch Bilder hervor. Außer der Ton-Bild-Orgel gab es keine Einrichtungsgegenstände. Über den Boden verstreut lagen lediglich Kissen, die als Sitzgelegenheiten dienten. „Nehmt Platz“, forderte die Wahrsagerin Gurlanot und Mirlin auf und ließ sich selbst auf einem Kissen nieder. Plötzlich kam ein kehliges Lachen über ihre Lippen. „Du hast den fetten Inklur ganz schön lächerlich gemacht. Wenn er das Gesicht nicht verlieren will, muß er dich zur Strecke bringen. Es ist keine Frage, daß er früher oder später bei mir auftaucht, um nach dir zu suchen. Ich kann euch also hier nicht verstecken.“ „Das verlange ich auch gar nicht“, sagte Gurlanot. „Ich habe nicht vor, mein weiteres Leben vor Inklurs Banditen davonzulaufen. Ich stehe auf der Vormerkliste des 80
Transmitterpersonals. Es kann sein, daß inzwischen eine Aufforderung an meine Adresse geschickt wurde, mich im Transmitterblock einzufinden. Du siehst, für meine und Mirlins Zukunft ist bestens gesorgt.“ Yong-Hei mußte gemerkt haben, daß er die letzten Worte besonders betonte, aber sie zeigte keine Reaktion. „Und was kann ich dazu beitragen, daß der Traum von einer besseren Zukunft nicht nur ein Traum bleibt?“ „Ich befürchte, daß sich Inklurs Leute auch in dieser Gegend herumtreiben“, sagte Gurlanot. „Vielleicht haben sie sogar herausgefunden, daß ich für einen Posten in der Transmitterstation vorgemerkt bin. Es wäre also leichtsinnig von uns, geradewegs auf den Transmitterblock zuzumarschieren. Wir müßten uns zumindest tarnen, unser Aussehen ändern, neue Kleider haben.“ „Das soll ich für euch alles umsonst tun?“ fragte Yong-Hei lauernd. Gurlanot wußte, daß sie ihn auch unterstützen würde, wenn er keine Gegenleistung erbringen könnte. Doch das wollte er gar nicht verlangen. Er deutete auf den Rucksack. „Mirlin und ich, wir besitzen einige Wertgegenstände. Einige Bücher, ein wenig Schmuck, den Mirlin aus dem Familienbesitz retten konnte...“ „Du willst ihr doch nicht meinen Schmuck geben!“ empörte sich Mirlin. „Den Plunder könnt ihr behalten“, erklärte Yong-Hei. „Mich interessieren nur die Bücher - und Gebrauchsgegenstände, wenn ihr welche habt. Damit könntet ihr in der Transmitterstation ohnehin nichts anfangen. Ich habe gehört, daß es dort sogar Uhren geben soll.“ Gurlanot langte unter die Achsel und holte die Strahlenpistole hervor. „Damit darf ich mich nicht in die Transmitterstation wagen, sonst bin ich ein toter Mann. Ich überlasse dir also auch die Waffe.“ 81
Yong-Hei nahm die Strahlenpistole an sich und wog sie prüfend in der Hand. „Ein schönes Stück“, sagte sie schließlich. „Ich fürchte nur, daß ich nicht genug bieten kann, um sie zu bezahlen. Aber ich werde alles in meiner Macht Stehende für euch tun, damit euch Inklurs Leute nicht erwischen.“ Die Transmitterstation war innerhalb der Destruktiven Welt ein Fremdkörper, eine uneinnehmbare Festung, für den durchschnittlichen Bewohner der Unterwelt unerreichbar. Denn es durften nur ausgesuchte Leute den fensterlosen Betonbunker betreten. Man mußte schon einen mustergültigen Lebenswandel führen, wollte man in die Transmitterstation berufen werden. Was einen dort erwartete, konnte niemand mit Bestimmtheit sagen, denn keiner der Berufenen war jemals in die Destruktive Welt zurückgekehrt. Aber alle waren davon überzeugt, daß über die Transmitterstation der Weg in eine bessere Welt führte. Man sprach auch davon, daß es geheime Zugänge in den Betonbunker gab, doch fehlte dafür bisher der Beweis. Der Bunker stand mitten auf einem freien Platz. Er reichte vom Boden bis zur Felsdecke hinauf. Rund um ihn spannte sich über die ganze Höhe eine Energiebarriere, in der alles verglühte, was mit ihr in Berührung kam. Es gab nur einen Durchlaß in der Energiebarriere, die von zwei bis an die Zähne bewaffneten Posten bewacht wurde. Mirlin und Gurlanot hatten sich der Barrikade bis auf fünfzig Meter genähert. Von der Plattform des fünf Meter hohen Geschützturms richtete sich der Lauf eines Energieprojektors auf sie. „Hoffentlich schießt man nicht“, kam Mirlins ängstliche, gedämpfte Stimme durch die Maske. „Bestimmt nicht“, versicherte Gurlanot. „Die Posten haben die Pflicht, zuerst zu fragen, bevor sie von ihren Waffen Gebrauch machen. Das weiß ich.“ 82
Sie hatten noch vierzig Meter zurückzulegen. Auf dem Platz lungerten einige Frauen und Männer herum. Sie warteten darauf, bis Berufene kamen, die in die Transmitterstation bestellt worden waren, und stürzten sich dann auf deren Habseligkeiten, die sie in der Destruktiven Welt zurücklassen mußten. „Bei denen ist nichts zu holen“, sagte ein altes Weib, als Mirlin und Gurlanot vorbeikamen. Der Mann, der neben ihr auf einer zerschlissenen Liege lümmelte, hob nur den Kopf und gab dann einen abfälligen Laut von sich. „Von denen würde ich sowieso nichts haben wollen“, meinte er. „Das sind Mutanten, deshalb tragen sie Masken und vermummen sich auch sonst“ In der Tat, Mirlin und Gurlanot hatten von Yong-Hei eine Ausrüstung bekommen, wie sie sonst nur Strahlungsgeschädigte trugen. Es gab genügend Männer und Frauen, die trotz aller Warnungen versucht hatten, durch den Irrgarten und die Kreise der Hölle auszubrechen. Sie waren alle wieder in die Destruktive Welt zurückgekommen und hatten körperliche Schäden erlitten. Sie verbargen sich größtenteils hinter Masken und hüllten ihre Körper in weite Gewänder. Dies kam Gurlanot und Mirlin sehr zustatten, denn diese Tarnung ermöglichte es ihnen, bis an die Transmitterstation heranzukommen. Als sie nur noch zwanzig Meter von der Barrikade entfernt waren, verstellte ihnen plötzlich ein Mann den Weg. Gurlanot erkannte sofort, daß er nicht zu den herumlungernden Tagedieben gehörte, sondern einer von Inklurs Leuten war. „Würdet ihr mal eure Maskerade lüften“, sagte er. Gurlanot machte eine Bewegung, als wolle er die Gesichtsmaske abnehmen. Aber als er die Hand gehoben hatte, ballte er sie zur Faust und schlug sie dem Mann ins Gesicht. Während der Mann zu Boden stürzte, nahm Gurlanot Mirlin an 83
der Hand und rannte mit ihr das letzte Stück bis zur Barrikade. „Halt!“ forderte sie der Posten auf, der hinter der Barrikade hervorgetreten war. „Was habt ihr hier zu suchen?“ Gurlanot ignorierte den Lähmstrahler, der sich auf sie richtete, und erklärte, daß seine Einberufung in die Transmitterstation bevorstehe. „Ich weiß nichts davon, daß ein Strahlungsgeschädigter auf der Vormerkliste steht“, sagte der Posten. Gurlanot nahm die Maske ab. »Wir mußten uns maskieren“, erklärte er dazu, „um unsere Häscher zu täuschen. Wenn man uns früher erkannt hätte, würden wir nicht mehr leben.“ „Wollen Sie behaupten, man wollte Sie beide ermorden?“ fragte der Posten. „Warum haben Sie sich nicht an die GMänner gewandt?“ „Ist das jetzt noch wichtig?“ Gurlanot drehte sich nach dem Mann um, den er niedergeschlagen hatte. Er war verschwunden. Gurlanot wandte sich wieder dem Wachtposten zu. „Sie müssen uns schützen! Bald wird der Mörder mit Verstärkung eintreffen, und dann ist es um uns geschehen. Lassen Sie uns durch und überprüfen Sie dann meine Angaben. Sie können uns immer noch den G-Männern übergeben, wenn sich meine Worte als Lüge herausstellen.“ Der Posten zögerte, dann deutete er auf eine Metallplattform hinter der Barrikade. „Stellen Sie sich dort hin... Moment noch - was ist eigentlich mit der Frau?“ „Wir gehören zusammen.“ Als der Posten zögerte, fügte Gurlanot hinzu: „Sie hat sich nichts zuschulden kommen lassen. Sie können das nachprüfen.“ Der Posten nickte, ging zu einem Schaltpult und nahm einige Einstellungen vor. Dadurch schaltete sich ein Gerät ein, das Gurlanot und Mirlin durchleuchtete. Auf diese Weise sollten Waffen und Gebrauchsgegenstände entdeckt werden, die Berufene eventuell in die Transmitterstation einschmuggeln wollten. 84
„In Ordnung, ihr könnt passieren“, sagte der Posten. „Eure Angaben werden noch überprüft. Wenn sie nicht stimmen nun, dann möchte ich nicht in eurer Haut stecken.“ Es war, als würden sie in eine andere Welt treten. Die Räumlichkeiten innerhalb des Betonbunkers waren hell und freundlich, großzügig angelegt und geradezu verschwenderisch ausgestattet. Die Menschen, denen sie bisher begegnet waren, hatten offene und ehrliche Gesichter. Gurlanot blickte sich in dem Warteraum neugierig um. „Ich hatte in all der Zeit schon vergessen, wie schmutzig und versumpft die Destruktive Welt eigentlich ist“, sagte er. „Erst jetzt ist es mir möglich, einen Vergleich zu ziehen.“ „Hoffentlich verjagt man uns nicht wieder von hier“, flüsterte Mirlin. „Ich würde lieber sterben wollen, als in die Unterwelt zurückzugehen.“ Er drückte zuversichtlich ihre Hand. „Es gibt keinen Grund, warum man uns zurückschicken sollte. Meine Zuweisung in die Transmitterstation ist beschlossen.“ „Sie haben recht - das heißt, wenn Sie wirklich Gurlanot sind“, ertönte hinter ihnen eine freundliche Männerstimme. Gurlanot drehte sich um. Er lächelte befreit. „Natürlich bin ich Gurlanot. Wer sollte ich sonst sein? Es stimmt also, daß ich dem Transmitterpersonal zugeteilt worden bin. Dann ist alles in Ordnung?“ Der Mann machte eine bedauernde Geste. „Nicht ganz.“ Gurlanot spürte, wie sich etwas in ihm zusammenkrampfte. Er machte eine vage Bewegung in Mir lins Richtung. „Soll das etwa heißen, daß man meiner Frau nicht gestatten will, bei mir zu bleiben?“ Der Mann winkte ab. „Nein, nein, das soll es nicht heißen. Jeder Berufene hat das Recht, eine Begleiterin mitzunehmen. Ich muß sogar zugeben, daß Frauen in unserer Welt äußerst willkommen sind. Das ist also nicht das Problem. Es hat sich nur eine Schwierigkeit rein organisatorischer Natur ergeben. 85
Können Sie uns beweisen, daß Sie Gurlanot sind?“ Gurlanot wurde blaß. Er tastete seine Taschen ab. Dabei murmelte er: „Ich hatte meine Ausweispapiere bei mir, aber ich habe sie in der Destruktiven Welt zurückgelassen.“ „Gibt es eine Möglichkeit, sie zu beschaffen?“ „Ja.“ Gurlanot nickte. „Aber ich müßte zurück, um sie zu holen.“ „Ich habe von Ihren Schwierigkeiten gehört und kann Ihre Abneigung verstehen, noch einmal umzukehren“, sagte der Mann mitfühlend. „Aber leider ist es unbedingt nötig. Selbstverständlich werde ich veranlassen, daß man G-Männer zu Ihrem Schutz abstellt.“ Gurlanot schüttelte wie geistesabwesend den Kopf. Er hätte sich in der Begleitung von G-Männern natürlich sicher gefühlt, doch konnte er das Angebot nicht annehmen. Denn seine Ausweispapiere hatte er zusammen mit den anderen Habseligkeiten Mutter Yong-Hei überlassen. Und wenn er GMänner in ihren „Tempel der Wahrheit“ führte, hätte sie ernsthafte Schwierigkeiten bekommen können.“ Er konnte also die Hilfe nicht annehmen. Er mußte allein zurück. „Darf Mirlin inzwischen hierbleiben?“ wollte er wissen, nachdem er die Unterstützung der G-Männer abgelehnt hatte. „Selbstverständlich“, versicherte der Mann. „Wenn Sie schon keinen Schutz annehmen wollen, so werde ich Sie zumindest durch einen geheimen Ausgang nach draußen bringen.“ 10. Fenton und Keinyl hatten sich unter das Gesindel gemischt, das auf dem freien Platz um den Betonbunker lungerte. Sie hatten die Szene beobachtet, die sich abspielte, als die zwei vermummten Gestalten bei dem bewachten Zugang 86
eingetroffen waren. Es war ihnen sogar gelungen, das Gespräch zwischen dem Wachtposten und den beiden Vermummten durch ein weitreichendes, handliches Tele-Abhörgerät zu belauschen. „Das wäre eine Möglichkeit gewesen, in die Transmitterstation einzudringen“, meinte Fenton. „Aber jetzt können wir diesen Trick nicht mehr anwenden. Zweimal hintereinander die gleiche Masche würde Mißtrauen erwecken.“ „Unsere Stunde schlägt noch“, erklärte Keinyl überzeugt. Während ihres Aufenthalts in der Destruktiven Welt hatte er sich gerade mustergültigverhalten. Nach den ersten Zwischenfällen mit den hier dominierenden asozialen Elementen hatte er wahrscheinlich eingesehen, daß es nicht immer vorteilhaft war, den Mund zu voll zu nehmen. Seit sie einmal dem Tod nur knapp entronnen waren, verhielt sich Keinyl stets zurückhaltend. Er mußte erkannt haben, daß das Leben eines Yskanders innerhalb der Destruktiven Welt, so wenig wert war wie das der anderen Menschen. „In meinen Unterlagen steht, daß es zu jeder Transmitterstation einen geheimen Zugang gibt“, berichtete Keinyl. „Und zwar handelt es sich um einen Transmitter, durch den die engsten Vertrauten von Gaythas ein- und ausgehen. Ich weiß auch, daß sich der Transmitter in der nächsten Umgebung befindet, kenne allerdings nicht seine genaue Position. Wir müßten also darauf warten, daß uns einer von Gaythas Männern den Standort des Transmitters verrät.“ „Etwas anderes wird uns wahrscheinlich nicht übrigbleiben“, seufzte Fenton. Sie wanderten gemächlich rund um den Platz vor dem Transmitterblock und näherten sich dabei immer mehr den Felswänden auf der einen und den Wohnhäusern auf der anderen Seite. Keinyl beobachtete dabei ständig die winzige Skala des Energietasters auf seinem Armbandsprechgerät. Aber 87
er mußte bald einsehen, daß das Instrument keine brauchbaren Angaben machte: Zu stark war der Einfluß der Energiebarriere rund um die Transmitterstation. Der schwache Energiefluß eines Kurzstrecken-Transmitters mußte davon förmlich „verschluckt“ werden. Plötzlich stieß Fenton den Yskander an. Er deutete auf einen Mann, der scheinbar ziellos in den Trümmern am Fuße der Felswand umherkletterte. Dabei wurde ersichtlich, daß er sich langsam aber sicher der Wohngegend näherte. „Ist das nicht unser Freund, der vor kurzem in die Transmitterstation eingelassen worden war?“ sagte Fenton. „Er könnte es sein“, gab Keinyl zu. „Wenn er es ist, kann er nur über den geheimen Kurzstrecken-Transmitter ins Freie gelangt sein. Es erscheint mir jedoch als unwahrscheinlich, daß er die Transmitterstation wieder verlassen durfte. Das wird sonst keinem der Berufenen gewährt.“ „Er ist es“, sagte Fenton bestimmt. „Ich erkenne ihn jetzt wieder. Wäre es nicht möglich, daß er eine Sondergenehmigung erhalten hat?“ „In der Destruktiven Welt scheint alles möglich zu sein“, meinte Keinyl, der den Mann jetzt ebenfalls identifiziert hatte. „Wahrscheinlich mußte er die Transmitterstation aus einem wichtigen Grund noch einmal verlassen. Er kehrt aber bestimmt wieder zurück. Wir werden ihm folgen, dann führt er uns bei seiner Rückkehr zum geheimen Transmitter.“ Sie folgten dem Mann in sicherer Entfernung. Obwohl er sich ständig umblickte und offensichtlich nach Verfolgern Ausschau hielt, entdeckte er Keinyl und Fenton nicht. Er erreichte das Wohngebiet, ging eine der Fernverbindungsstraßen hinunter und verschwand dann in einem Seitenweg. Als Keinyl und Fenton die Kreuzung erreichten, sahen sie ihn gerade in einem Haus verschwinden. Über dem Eingang war ein Schild angebracht, auf dem in schreienden Lettern stand: 88
MUTTER YONG-HEI PROPHEZEIT DIR DEINE ZUKUNFT. „Was hat er hier verloren?“ meinte Fenton verwundert. Keinyl wollte etwas darauf sagen, aber er kam nicht mehr dazu. Durch die nur angelehnte Eingangstür drang ein gedämpfter Aufschrei zu ihnen heraus. Ohne lange zu überlegen, stieß Keinyl die Tür auf und sprang mit gezückter Waffe in den dahinterliegenden Flur. Er stürmte ihn entlang, Fenton folgte ihm. Sie kamen in einen großen Raum, der in rotes, blaues und violettes Licht gehüllt war. Auf dem Boden lagen Kissen verstreut. An einer der Wände stand ein Gerät, das Fenton stark an eine Orgel erinnerte. Davor saß in einem Konturensessel eine Frau, den Oberkörper vornüber gebeugt und auf die Tastatur der Orgel gelehnt. Über ihr stand der Mann, den sie bisher verfolgt hatten. Als er Keinyl und Fenton erblickte, sagte er fassungslos: „Sie ist tot - Inklurs Leute haben Mutter Yong-Hei ermordet.“ Keinyl richtete den Strahler auf den Mann und sagte drohend: „Machen Sie keine falsche Bewegung.“ Jetzt begriff der Mann. Er wurde blaß, wich bis an die Wand zurück und stammelte: „Hat - hat Inklur euch geschickt?“ Keinyl machte eine wegwerfende Bewegung. „Wir arbeiten in eigener Regie.“ Er hob den Kopf der Toten, sah das Einschußloch in ihrer Stirn, und ließ ihn wieder sinken. „Haben Sie das getan?“ „Ich?“ fragte der Mann verwundert und schüttelte den Kopf. Er leckte sich über die Lippen. „Wer sind Sie?“ „Das erfahren Sie noch rechtzeitig genug“, erklärte Keinyl barsch. „Zuerst möchten wir alles über Sie wissen. Warum man Sie in die Transmitterstation berufen hat. Wieso Sie wieder herauskamen. Wie es in der Transmitterstation aussieht - und vor allem, auf welchem Weg Sie sie verlassen haben. Wenn Sie freiwillig sprechen, ersparen wir uns Zeit und 89
Unannehmlichkeiten.“ Der Mann schüttelte wieder heftig den Kopf und tastete sich langsam an der Wand entlang zum Ausgang - wo Fenton auf ihn wartete. „Nein, nein“, sagte der Mann. „Das können Sie nicht von mir verlangen.“ Er stieß plötzlich von der Wand ab und rannte genau in Fentons vorschnellende Faust hinein. Gurlanot sank bewußtlos zusammen. Fenton rieb sich die Fingerknöchel. Keinyl beugte sich über den Bewußtlosen, holte aus seiner Tasche eine Phiole mit dem Wahrheitsserum, brach die Spitze ab, so daß eine darunterliegende Kanüle hervorschnellte. Der Yskander setzte dem Bewußtlosen die Hohlnadel in die Armbeuge und injizierte ihm das Wahrheitsserum. Wenig später konnte er mit der Befragung beginnen. Er hieß Gurlanot, war wegen guter Führung dem Transmitterpersonal zugeteilt worden, hatte aber noch im letzten Augenblick Schwierigkeiten mit dem Besitzer einer Rauschgifthöhle bekommen, so daß er sich nur auf Umwegen zu der Transmitterstation begeben konnte. Als er es dann schließlich geschafft hatte, stellte sich heraus, daß er seine Identität beweisen mußte, bevor man ihn aufnehmen wollte. Er hatte die Transmitterstation verlassen, um seine Ausweispapiere zu holen, die er bei Mutter Yong-Hei zurückgelassen hatte. „Suchen Sie nach seinen Habseligkeiten, Fenton“, ordnete Keinyl an. Während der Yskander das Verhör fortführte, durchsuchte Fenton die angrenzenden Räumlichkeiten. In einer Abstellkammer fand er schließlich den von Gurlanot beschriebenen Rucksack. Der Inhalt war auf dem Boden ausgeschüttet. Es handelte sich hauptsächlich um Lebensmittelkonserven, zwischen denen einige Schmuckstücke lagen. Aber Fenton fand nichts, was einem Identitätsausweis 90
ähnelte. Er kehrte zu Keinyl zurück. „Nichts“, sagte er, als der Yskander zu ihm aufsah. „Spielt keine Rolle mehr“, erklärte Keinyl. „Ich habe eben eine unglaubliche Entdeckung gemacht. Gurlanot ist unser Mann. Er wird mit uns zusammenarbeiten - wahrscheinlich sogar auf freiwilliger Basis. Passen Sie auf, Fenton, ich werde einige meiner Fragen wiederholen.“ Fenton ließ sich auf ein Kissen sinken. Keinyl wandte sich dem Medium zu. Er fragte: „Sind Sie schon lange auf Heidekka?“ Gurlanot antwortete: „Ja, schon sehr lange.“ Keinyl: „Sind Sie aus freien Stücken nach Heidekka gekommen?“ Gurlanot: „Jawohl.“ „Waren Sie auf der Flucht? Haben Sie hier Asyl und Schutz vor Ihren Verfolgern gesucht?“ „Nein, das trifft nicht zu.“ „Warum kamen Sie dann freiwillig nach Heidekka?“ „Ich habe jemanden verfolgt.“ „Aus welchem Grund?“ „Ein Konzern hat mich beauftragt, einem Wissenschaftler Unterlagen abzujagen, die er aus einem Tresor entwendet hat.“ „Und dieser Wissenschaftler flüchtete nach Heidekka?“ „Jawohl, er flüchtete hierher.“ „Wie ist der Name dieses Wissenschaftlers?“ „Professor Koun Scharochin.“ Der Yskander blickte zu Fenton. „Was sagen Sie nun?“ „Ich bin sprachlos“, gestand Fenton. „Dieser Mann ist wahrscheinlich schon vor Jahren - aus dem gleichen Grund wie wir nach Heidekka gekommen. Nur hat er andere Motive. Haben Sie schon versucht, herauszufinden, ob er weiß, wo sich Scharochin aufhält?“ „Er weiß es nicht“, sagte Keinyl. „Aber trotzdem wird er uns als Verbündeter sehr von Nutzen sein. Er kann uns zumindest 91
in die Transmitterstation führen. Ich könnte zwar versuchen, ihn weiterhin auszuhorchen, aber das wäre zu umständlich. Es ist nicht notwendig, daß er uns den geheimen Zugang beschreibt. Er wird uns hinführen.“ Keinyl injizierte Gurlanot das Gegenmittel, das die Wirkung des Wahrheitsserums aufhob. Wenige Minuten später war Gurlanot aus der Trance erwacht. Er richtete sich stöhnend auf, blickte sich verwirrt um und fand nach und nach in die Wirklichkeit zurück. „Was haben Sie mit mir getan?“ fragte er mit immer noch entrückter Stimme. „Wir haben Ihnen ein Wahrheitsserum injiziert“, bekannte Keinyl. „Unter seiner Wirkung haben Sie gestanden.“ „Gestanden?“ fragte Gurlanot. „Was habe ich gestanden?“ „Daß Sie hinter Scharochin her sind. Wir haben die gleichen Interessen. Auch wir wollen seiner habhaft werden. Sie können uns als Ihre Verbündeten betrachten.“ „Aber ich habe gar kein Interesse mehr an Scharochin“, erwiderte Gurlanot. „Das alles liegt schon so lange zurück. Ich denke nicht mehr an meinen Auftrag, sondern bin froh, wenn ich in dieser Hölle mein Leben einigermaßen erträglich gestalten kann.“ „Mit unserem Eintreffen bekommt Ihr Leben wieder einen Sinn“, sagte Keinyl. „Sie werden uns helfen, in die Transmitterstation zu gelangen und dann gemeinsam mit uns nach Professor Scharochin forschen.“ „Das geht nicht.“ Gurlanot blickte abwechselnd von Keinyl zu Fenton. „Das kann ich nicht. Wie auch? Ich muß froh sein, selbst in der Transmitterstation aufgenommen zu werden. Sie sollten wissen, daß nur wenige Auserwählte Zutritt haben.“ Keinyl winkte gelangweilt ab. „Ich meine nicht, daß Sie uns durch den bewachten Hauptzugang bringen, sondern durch den geheimen Kurzstrecken-Transmitter in den Felsen.“ „Wieso...“ Gurlanot blieben die Worte im Halse stecken. 92
„Ich habe Ihnen doch schon erklärt, daß Sie uns unter der Wirkung des Wahrheitsserums alles gesagt haben“, fuhr Keinyl fort. „Wir wissen auch, daß Sie offiziell nur dann in die Transmitterstation zurückkehren können, wenn Sie in der Lage sind, Ihre Identität zu belegen. Doch ist das leider nicht möglich, weil jemand Ihre Habseligkeiten durchsucht und die Ausweispapiere an sich genommen hat. Sie sehen, daß Sie nur auf illegalem Weg in die Transmitterstation zurückkehren können. Allein wird es Ihnen jedoch nicht gelingen, sich zu behaupten, deshalb können Sie froh sein, in uns Verbündete gefunden zu haben.“ Gurlanot sank in sich zusammen. „Meine Frau befindet sich noch im Transmitterblock“, sagte Gurlanot niedergeschlagen. „Ohne sie würde ich nirgends hingehen.“ „Wir werden sie mitnehmen“, versprach Fenton. Keinyl warf ihm einen spöttischen Blick zu. „Das ist Ihre Idee, Fenton, deshalb werden Sie sie verwirklichen.“ „Ich gehe nicht ohne Mirlin“, beharrte Gurlanot. „Das werden wir schon in Ordnung bringen“, versprach Fenton wieder. Gurlanot blickte ihn an und fragte: „In welchem Auftrag handelt ihr eigentlich? Welches Interesse habt ihr an Scharochin?“ „Wir sind Evolutionsagenten“, antwortete Fenton. „Wir wollen Scharochin in die Zivilisation zurückbringen, bevor er seine Entdeckung zum Schaden der gesamten Menschheit verwerten kann.“ Gurlanot blickte Fenton überrascht an. „Das ist mir neu. Ich hätte nicht geglaubt, daß Scharochin eine solche Gefahr darstellt.“ „Er vielleicht weniger“, schränkte Fenton ein. „Aber die von ihm gemachte Entdeckung, künstliche Intelligenzwesen praktisch aus dem Nichts zu erschaffen - die ist gefährlich.“ 93
Gurlanot schüttelte verwundert den Kopf. „Woher haben Sie nur diese Angaben! Erstens hat Scharochin keine Methode entdeckt, um synthetisches Leben zu erschaffen, sondern er hat die diesbezüglichen Unterlagen bloß entwendet. Und zweitens kann er mit diesen Unterlagen überhaupt nichts anfangen, denn er ist nur ein Laienbiologe, hat aber tatsächlich Gehirnchirurgie praktiziert. Er war ein Weltverbesserer und stahl die Unterlagen deshalb, weil er nicht wollte, daß sie in falsche Hände gerieten. Jetzt, nachdem ich die Hölle von Heidekka kennengelernt habe, kann ich ihn sogar verstehen.“ „Und Sie glauben wirklich, daß von Scharochin keine Gefahr droht?“ erkundigte sich Fenton. „Er kann das gar nicht beurteilen“, fuhr Keinyl dazwischen. „Los, machen wir uns auf den Weg.“ Fenton kam der Aufforderung nach. Aber er war sehr nachdenklich geworden. Die Hintergründe für seinen Auftrag wurden immer mysteriöser. Warum nur war die Gefährlichkeit Professors Scharochins so hochgespielt worden? Wenn Gurlanot recht hatte, fehlte jede Grundlage für den Einsatz auf Heidekka. 11. Sie erreichten die von Gurlanot angegebene Stelle im Fels ohne Zwischenfall. Sie fahnden auch den Transmitter, der, kaum sichtbar, in einer Nische untergebracht war - doch er führte keine Energie. „Rogzent, das ist der Kommandant der Transmitterstation, hat mir erklärt, wie man den Transmitter in Betrieb nehmen kann“, sagte Gurlanot und suchte den Fels ab. Als seine Finger eine Ader aus grünlichen Kristallen entlangfuhren, ertönte von irgendwoher plötzlich ein Summen - und eine flimmernde 94
Energiewand spannte sich zwischen den beiden Transmitterbögen. „Das haben Sie gut gemacht, Lanot“, lobte Keinyl und zog seinen Strahler. Er wies auf Gurlanot. „Sie werden selbstverständlich vorangehen. Ich bleibe hinter Ihnen, den Abschluß bildet Fenton. Wir gehen wie abgemacht vor. Zuerst holen wir Ihre Frau, Lanot, dann lassen wir uns von Rogzent zum Haupttransmitter bringen. Sollten sich uns Hindernisse in den Weg stellen, machen wir von den Schußwaffen Gebrauch. Sie wissen, was auf dem Spiel steht, Fenton!“ „Schön wäre es“, knurrte Fenton. Er wartete ab, bis Gurlanot und Keinyl im Transmitter verschwunden waren, dann folgte er. Von da an überstürzten sich die Ereignisse. Fenton materialisierte in einem Schaltraum. Neben dem Transmitter, mit dem Rücken zur Wand, stand Gurlanot und hielt sich den rechten Arm. Vor dem Transmitter stand Keinyl. Seine Strahlenwaffe spie Feuer. Auf dem Boden lagen zwei Männer, ein dritter wurde ins Bein getroffen und schrie vor Schmerz auf. Keinyl wandte sich zu Gurlanot um. „Ist einer von den dreien Rogzent?“ fragte er. Gurlanot schüttelte den Kopf. Fenton ging zu ihm und besah sich die Wunde an seinem Bein. Es war ein Streifschuß, eine Brandwunde, die nicht tief reichte. „Er wird es überstehen“, meinte Keinyl. „Los, wir müssen weiter. Sie übernehmen wieder die Spitze, Gurlanot.“ Gurlanot ignorierte den Schmerz und ging zur Tür des Schaltraums. Sie kamen auf einen Korridor, der ganz in Weiß gehalten war. Er erinnerte in seiner Sterilität an ein Krankenhaus. Niemand begegnete ihnen. Gurlanot wandte sich einem Antigravlift zu. „Gibt es keine Treppe?“ wollte Keinyl wissen. 95
„Doch...“ „Dann nehmen wir die Treppe“, entschied der Yskander. „Der Antigravlift könnte zu leicht zu einer Falle für uns werden.“ Gurlanot bog in einen Seitengang ein. Dort befand sich das Treppenhaus. Sie betraten es und erreichten ungehindert die zehnte Etage. „Warum nur stellt sich uns niemand in den Weg?“ sinnierte Keinyl. „Vielleicht hatten die drei Posten am KurzstreckenTransmitter nicht mehr die Zeit, Alarm zu geben“, meinte Fenton. „Sie haben ihnen nicht viel Zeit gelassen.“ „Ich mußte sie unschädlich machen“, verteidigte sich Keinyl. Fenton entgegnete nichts. Sie kamen aus dem Treppenhaus in einen Korridor, der sich von den anderen durch nichts unterschied. Er war hell, gerade und sauber, aber auch leblos und steril. Gurlanot hielt vor einer Tür. „Hält man hier Ihre Frau gefangen?“ fragte Keinyl. Gurlanot hatte kaum genickt, da riß der Yskander die Tür auf und stürmte mit entsicherter Waffe in den dahinterliegenden Raum. Ein hochgewachsener Mann in einer grünen Kombination stand drin -es war die gleiche Uniform, wie sie die Männer in dem Schaltraum getragen hatten. Vor ihm saß eine Frau auf einer Bank. Sie trug einen weiten Umhang mit Kapuze, die sie zurückgeschlagen hatte. Der Mann stand mit dem Rücken zur Tür. Als er die Veränderung im Gesicht der Frau bemerkte, wandte er sich um. Erstaunen lag auf seinem Gesicht, als er den bewaffneten Yskander erblickte. Fenton drängte hinter Gurlanot in den Raum und schloß die Tür hinter sich. „Ist das Rogzent?“ wollte Keinyl wissen. Gurlanot nickte nur und lief der Frau entgegen, die sich schluchzend in seine Arme warf. 96
Rogzent kam einen Schritt auf Keinyl zu, blieb aber stehen, als der Yskander mit der Waffe eine drohende Geste machte. „Sie werden uns jetzt durch Ihre Station führen, Rogzent“, sagte Keinyl. „Aber es soll keine ausgedehnte Exkursion werden. Wir wollen nur zum Haupttransmitter, mehr verlangen wir nicht. Warum tun Sie so erstaunt, Rogzent? Wurden Sie nicht von unserem Eindringen unterrichtet?“ „Doch, ich wußte davon, daß jemand gewaltsam in die Transmitterstation eingedrungen war“, sagte Rogzent. „Aber ich hätte nicht geglaubt, daß einer der Eindringlinge dem Volke der Yskander angehört Jetzt beginne ich zu ahnen, warum meine Leute sich Ihnen nicht in den Weg gestellt haben.“ „So?“ machte Keinyl. „Dann hat Gaythas Sie wohl davon nicht in Kenntnis gesetzt, daß eines Tages ein Bevollmächtigter eintreffen würde? Das war eine grobe Unterlassungssünde von ihm.“ „Ich wußte Bescheid“, erklärte Rogzent. „Nur hatte ich keine Ahnung, daß man auf Yskan so schnell handeln würde. Aber wie dem auch sei, Gaythas ist bestimmt auf diese Situation vorbereitet.“ Fenton konnte kein Wort von dem Gesprochenen verstehen, obwohl er das Gespräch aufmerksam verfolgte. Er erkannte nur soviel, daß Keinyl plötzlich kein Interesse mehr an Professor Scharochin zu haben schien. „Bringen Sie uns jetzt in den Transmitterraum, Rogzent“, verlangte Keinyl. „Ich brenne darauf, Gaythas gegenüberzutreten und ihn zur Rechenschaft zu ziehen.“ Rogzent zögerte. „Haben Sie sich auch gut überlegt, was Sie tun wollen? Sind Sie überzeugt, alles mit Ihrem Gewissen vereinbaren zu können, Grenus?“ Keinyl verzog abfällig den Mund. „Aus Ihrem Mund hört sich diese Anrede wie eine Beleidigung an. Sie sind ein Verbrecher, Rogzent, und wagen es, in diesem Ton mit mir zu sprechen!“ „Ich habe einmal gefehlt“, gab Rogzent zu. „Aber dank 97
Gaythas großzügiger Unterstützung habe ich auf den rechten Weg zurückgefunden. Und nun kommen Sie und verlangen, daß Gaythas für seine menschliche Handlungsweise auch noch sühnt. Damit kann ich mich nicht abfinden, Grenus.“ „Kein Wort mehr“, herrschte Keinyl ihn an. „Bringen Sie uns jetzt in den Transmitterraum. Ich möchte mich meiner widerwärtigsten Pflicht schnellstens entledigen und dann die Reformierung Heidekkas in Angriff nehmen.“ Rogzent fügte sich in sein Schicksal. Er verließ den Raum, von Keinyl und den anderen gefolgt. Wieder stellte sich ihnen niemand in den Weg, als sie auf den Korridor hinauskamen. Rogzent wollte den Antigravlift benutzen, wählte dann aber auf Keinyls Verlangen den Weg über die Treppe. Sie kamen in die zwanzigste und oberste Etage hinauf. Vor ihnen lag ein großes Panzerschott. Nachdem Rogzent den Öffnungsmechanismus betätigt hatte, glitt es auf. Sie erreichten den Transmitterraum. Dort wurden sie von Gaythas erwartet. Der Tarrugier war in ein festliches Gewand gekleidet. Die dunklen, dämonischen Augen in dem langen, grauhäutigen Gesicht blickten den Ankömmlingen ruhig entgegen. Auf seinem blanken, tätowierten Schädel spiegelten sich die Lichter der Armaturen. Die feingliedrigen Finger mit den rotgetönten Fingernägeln hatte er in den Hüftgürtel gehakt. Der Mund war leicht geöffnet und zeigte zwei Reihen spitzer, rotgefärbter Zähne. Keinyl hob die Waffe und nahm Ziel. „Ich hätte das Recht, Sie auf der Stelle zu töten, Gaythas“, sagte er kalt. Gaythas lächelte. „Das werden Sie nicht tun, Keinyl. Sie wissen doch zu wenig über die Verhältnisse auf Heidekka. Ohne meine Unterstützung wären Sie verloren.“ „Das sind große Worte.“ „Ich nenne die Dinge nur beim Namen.“ Gaythas deutete auf 98
den großen Transmitterbogen, in dem die geballten hyperenergetischen Elemente tobten. „Es genügt nämlich nicht, daß Sie einfach durch den Transmitter gehen, um der Herrscher über Heidekka zu sein. Es bedarf auch eines Wissens, um die Struktur - ich vermeide das Wort Zivilisation aus verständlichen Gründen - um also die Struktur dieser Welt verstehen zu lernen. Und Verständnis muß man aufbringen, will man die Geschicke der Milliarden gestrandeter Geschöpfe lenken. Glauben Sie mir, Keinyl, es ist nicht einfach damit abgetan, daß Sie mich töten und dann meine Nachfolge antreten. Bevor Sie das tun, sollten Sie mich erst einmal anhören.“ „Nein, zuerst hören Sie mir zu, Gaythas.“ Keinyl blickte in die Runde, und sein Blick blieb an Fenton hängen. „Jetzt werden Sie einige Dinge zu hören bekommen, die man Ihnen bisher verschwiegen hat. Es ist ein Geheimnis, das niemals an die Öffentlichkeit dringen darf. Da Sie Heidekka nicht verlassen können, macht es nun nichts mehr aus, wenn Sie zu den Eingeweihten gehören.“ Keinyl machte eine Pause und fuhr, an Gaythas gewandt, fort: „Sie haben Ihre Pflicht in vielen Punkten gröblichst verletzt, Gaythas, darüber sind Sie sich wohl klar! Sie haben von Anfang an gewußt, welche Bewandtnis es mit Heidekka hat. Bevor Sie diesen Posten noch antraten, haben Sie gewußt, daß es sich hier nicht um ein Asyl für Verbrecher handelt, sondern um einen Strafplaneten. Das wurde nur geheimgehalten, um die Gesetzesbrecher nicht abzuschrecken. Wenn sie gewußt hätten, daß Heidekka in Wirklichkeit ein riesiges Gefängnis ist - vom Galaktischen Gerichtshof ins Leben gerufen -, wäre keiner von ihnen nach hier gekommen. Aber so glaubten sie, dem Arm des Gesetzes zu entkommen, wenn sie nach Heidekka flüchteten. Sie hofften, ein Paradies für Diebe, Räuber und Mörder vorzufinden. Deshalb kamen sie freiwillig. Sie erwachten spätestens dann aus ihren Träumen, als sie erkannten, welch 99
straffe Ordnung trotz der Gesetzlosigkeit herrschte. Sie müssen zugeben, daß dieses System der Verbrechensbekämpfung geradezu ideal ist, Gaythas. Die Verbrecher flüchteten vor dem Gesetz und laufen ihm dann auf Heidekka in die Arme.“ Fenton mußte dem zustimmen. Der Plan, Verbrecher unter falschen Voraussetzungen anzulocken und dann dingfest zu machen, war genial - und wie man sah, auch wirkungsvoll. Aber Gaythas sagte: „Das System ist veraltet.“ „Lassen Sie mich fortfahren“, sagte Keinyl streng. „Obwohl in der ganzen Galaxis bekannt war, daß kaum einer von Heidekka wieder fortkam, wenn er erst einmal hier war, fehlte es nicht an Neuzugängen. Daß sie dann auf Heidekka nicht das Paradies fanden, sondern die für ihre Schandtaten angemessene Strafe, ist doch nur gerecht. Auch das nahmen und nehmen sie noch immer hin. Denn sie geben ihre Hoffnung auf Flucht nicht auf. Sie wollen es einfach nicht glauben, daß sie dem Irrgarten, der Verdummungsstrahlung, der Mutationsstrahlung und schließlich den telepathischen Wahnvorstellungen nicht schadlos entrinnen können. Sie rennen immer dagegen an. Jene, die zu hartnäckige und zu dreiste Fluchtversuche unternehmen, bleiben als Mutanten oder .Baumeister' im Irrgarten auf der Strecke. Lassen wir dahingestellt, ob die Bestrafung in allen Fällen gerecht ist - das ist ein eigener Problemkomplex. Aber in jedem Falle ist das System in seiner Gesamtheit seit vielen Jahrhunderten äußerst wirksam. Die Verbrechensquote ist in der Galaxis seit der Erstehung Heidekkas stark gesunken.“ Keinyl holte Atem, dann fuhr er mit erhobener Stimme fort: „Dann hat man Sie als Gefängnisdirektor eingesetzt. Und was sind Ihre ersten Maßnahmen? Sie führen neue Gesetze auf Heidekka ein, Sie behandeln die Insassen nicht mehr als das, was sie sind - als Sträflinge -, sondern wie zivilisierte 100
Geschöpfe. Nicht nur, daß Sie den Obersten Gerichtshof ständig mit Verbesserungsvorschlägen bombardieren, nein, Sie schreiten ohne Befugnisse zur Tat. Sie führen auf Heidekka die Begriffe ,mildernde Umstände' und ,Vergünstigung’ und ,Amnestie' ein. Um diese Vergünstigungen den Insassen von Heidekka mit guter Führung gewähren zu können, mißbrauchen Sie selbst diese Transmitterstationen. Gefangene, die Sie für berufen ansehen, laden Sie ein, durch den Transmitter in die Freiheit zu gehen. Finden Sie es nicht vermessen von Ihnen, rein nach dem Gefühl zu beurteilen, welcher Gefangene ,berufen' ist und welcher nicht? Früher hatten die Transmitterstationen den Zweck, Gefangene zu Planeten zu befördern, wo sie schwerste Zwangsarbeit zu verrichten hatten. Aber seit zehn Jahren ist von diesen Transmittern noch kein einziger Gefangener zu einem der Arbeitsplaneten geschickt worden. Heute sind die Transmitter Tore zu einem Paradies. Und das nur, weil Sie dem Geschwätz eines närrischen, unverbesserlichen Weltverbesserers erlegen sind. Humanität und Gleichberechtigung sind eine gute Sache, Gaythas, aber sie lassen sich nicht auf Außenseiter der Gesellschaft anwenden. Wie konnten Sie nur so verblendet sein, Professor Scharochins verrückte Ideen zu realisieren!“ „Das kann ich Ihnen sagen, falls Sie Ihre lange Rede beendet haben“, meinte Gaythas. „Ich habe noch einen Anklagepunkt gegen Sie vorzubringen“, sagte Keinyl. „Es ist der letzte und zugleich der schwerste Vorwurf. Früher waren die Kreise der Hölle nur wirksam, wenn jemand von Heidekka flüchten wollte. Aber Sie haben die Anlagen umgepolt, die die telepathischen Robotvögel, die Mutationsstrahlung und die anderen Effekte bewirken. Nun werden die sieben Kreise der Hölle nach beiden Seiten wirksam. Man kann Heidekka nun weder ungefährdet betreten, noch verlassen. Es ist keinem Gesetzesbrecher mehr möglich, hier Zuflucht zu suchen. Sie können sich vorstellen, was Sie 101
dadurch angerichtet haben. Mehr habe ich nicht zu sagen.“ „Dann werde ich versuchen, mich zu rechtfertigen.“ Fenton hatte auf viele - auf fast alle Fragen plötzlich eine Antwort. Er wußte, woher die ungeheuren finanziellen Mittel kamen, um die Zivilisation auf Heidekka aufrechtzuerhalten. Sie kamen aus der Staatskasse des Sternenimperiums. Er wußte, warum die Evolutionspolizei diese Destruktive Welt duldete. Der angebliche Verbrecherplanet Heidekka war in Wirklichkeit ein riesiges Gefängnis. Es gab noch einige Unklarheiten, aber Fenton konnte hoffen, daß diese von Gaythas beseitigt werden würden. Der „Gefängnisdirektor“ von Heidekka begann: „Ich gab vorhin schon meiner Meinung Ausdruck, daß das System, die Außenseiter der Gesellschaft hier zu kasernieren und zu konzentrieren, überholt und veraltet sei. Diese Ansicht möchte ich jetzt begründen. Dazu bedarf es keiner großen Worte, denn das Schicksal zweier Menschen spricht für sich.“ Er deutete auf Gurlanot und Mirlin. „Diese Frau und dieser Mann kamen unschuldig in dieses Gefängnis. Und wie diesen beiden, erging es vielen Millionen. Kann man denn verantworten, daß diese unzähligen Unschuldigen bis an ihr Lebensende in dieser Hölle verbringen müssen? Aber selbst andere, die nicht ganz unschuldig sind, sondern sich kleinerer Vergehen schuldig gemacht haben, verdienen dieses Schicksal nicht. Wir leben angeblich in einem Sternenimperium mit einer modernen Rechtsauffassung. Aber wo bleibt die Gerechtigkeit für die kleinen Sünder, die in die Fangstricke Heidekkas geraten sind? Meine Meinung geht sogar dahin, daß Heidekka nicht einmal der richtige Ort für Kapitalverbrecher ist. Denn wir wissen, daß in jedem Menschen etwas Gutes liegt, selbst wenn das Böse die Oberhand gewonnen hat.“ „Das sind Binsenweisheiten“, warf Keinyl ein. „Sie als Jurist wissen, daß es in der Galaxis viele Methoden gibt, Verbrecher 102
zu resozialisieren. Und diese Methoden werden vielfach und erfolgreich angewandt.“ „Eben - und warum sollen sie ausgerechnet auf Heidekka nicht angewandt werden?“ wollte Gaythas wissen. „Heidekka ist eine einzige Falle, in der Gesetzesbrecher aufgefangen werden“, erklärte Keinyl. „Heidekka ist ein Auffanglager, keine Erziehungsanstalt.“ „Aber ich habe eine Erziehungsanstalt daraus gemacht - das war mein Vergehen“, sagte Gaythas. „Ich habe dahingehende Änderungen und Reformierungen vorgenommen, daß auf Heidekka aus Gestrandeten wieder wertvolle Mitglieder der Gesellschaft werden. Gleichzeitig damit soll den Unschuldigen Gerechtigkeit widerfahren. Zugegeben, es muß noch viel getan werden. Aber wenn das Imperium meine Pläne unterstützte, dann kämen wir rascher voran.“ „Sie sind ein Träumer, Gaythas“, erwiderte Keinyl. „Sie haben sich von Scharochin beschwatzen lassen. Seine phantastischen Ideen sind unrealisierbare Hirngespinste.“ „Und gerade Professor Scharochin war es, dessen Ideen meine Pläne verwirklichen halfen“, behauptete Gaythas. „Er hat mir die Möglichkeit gegeben, eine Auslese der Gefangenen zu treffen und jeden Berufenen als geläutert von Heidekka zu verabschieden.“ „Dann geben Sie zu, Gefangenen die Freiheit geschenkt zu haben!“ rief Keinyl aus und hob automatisch den Strahler, den er immer noch in der Hand hielt. „Ich will es gar nicht abstreiten“, sagte Gaythas. „Aber ich möchte nochmals betonen, daß kein Mensch Heidekka verläßt, der in seiner moralischen und ethnischen Auffassung nicht dem Durchschnitt angepaßt wurde.“ Keinyl lachte spöttisch. „Sie wollen beurteilen können, wann ein Asozialer wieder in die Zivilisation zurückkehren darf?“ „Nicht ich, sondern der Materietransmitter“, antwortete Gaythas. 103
Daraufhin schwieg selbst Keinyl. Gaytha fuhr fort: „Ich habe in allen Transmitterstationen Sicherheitseinrichtungen anbringen lassen, die absolut fehlerfrei arbeiten und eine Auslese treffen. Zwar treffen schon meine Männer in der Destruktiven Welt eine Auswahl. «Aber wie Sie sagten, Keinyl, Menschen können irren. Maschinen jedoch, vornehmlich Lügendetektoren und Individualtaster, sind unbestechlich. Es kann ohne weiteres sein - und zugegeben, es kommt oft vor -, daß sich unter den von mir Ausgewählten solche befinden, die nicht reif sind, um in die Freiheit zurückzukehren. Sie können den Transmitter durchschreiten, doch gelangen sie nicht in die Freiheit. Die Sicherheitsschaltung wird aktiviert und polt den Transmitter um, wenn ein Asozialer in den Wirkungsbereich tritt. Der Asoziale wird dann in den siebten Kreis abgestrahlt, wo Professor Scharochin bereit steht und ihn einer Gehirnoperation unterzieht, die ihn zu einem wirklich Berufenen macht. Sie sehen, Keinyl, mein System ist absolut narrensicher und zudem noch human. Ich habe es erreicht, daß auf Heidekka die Sünder erzogen und nicht bestraft werden. Wie gesagt, stehen wir leider erst am Anfang.“ „Und es ist zugleich das Ende, dafür werde ich sorgen“, versprach Keinyl. Gaythas blieb ungerührt „Was wollen Sie unternehmen, Keinyl?“ wollte er wissen. „Sie sind zwar gekommen, um mich abzulösen. Aber ich fürchte, Sie haben nicht die nötige Bewegungsfreiheit auf Heidekka, um diesen verantwortungsvollen Posten ausfüllen zu können Sie können nur innerhalb der Destruktiven Welt agieren, denn auf der einen Seite stellt der Irrgarten ein unüberwindliches Hindernis dar, auf der anderen dieser Transmitter.“ „Was soll das heißen?“ erkundigte sich Keinyl argwöhnisch. Er war nun nicht mehr der stolze, selbstsichere und unnahbare 104
Angehörige eines einflußreichen Volkes. Er war ein Yskander, der seine Emotionen nicht mehr unter Kontrolle halten konnte. „Ich meine, daß es keine Möglichkeit für Sie gibt, die Kreise der Hölle zu deaktivieren“, antwortete Gaythas. „Und was soll die Anspielung auf den Transmitter?“ fragte Keinyl und spannte den Finger um den Abzug der Waffe. Fenton merkte es und hielt sich sprungbereit. „Ich sagte schon, daß die Sicherheitsschaltung des Transmitters eine Auslese trifft“, erklärte Gaythas ruhig. „Sie, Keinyl, bringen gewisse moralische Befähigungen nicht mit, deshalb würden Sie im siebten Kreis bei Professor Scharochin landen.“ In Keinyls Gesicht zuckte es. Fenton erkannte, daß er nun entschlossen war, abzudrücken, und stürzte sich auf den Yskander. Er schlug ihm in dem Augenblick die Waffe aus der Hand, als sich der Schuß löste. Keinyl verlor den Halt und landete auf dem Boden. Bevor er nach der neben sich liegenden Waffe greifen konnte, hatte sie Gurlanot mit einem Fußtritt beiseite gestoßen. „Jetzt haben Sie den Beweis dafür geliefert, daß der Transmitter Ihnen nicht die Freiheit schenkt“, sagte Gaythas bekümmert. „Sie sind das lebende Beispiel dafür, daß selbst die Evolutionspolizei nicht gegen asoziale Elemente gefeit ist.“ Keinyl kam keuchend auf die Beine. Er blickte sich haßerfüllt um. „Das werdet ihr büßen müssen“, preßte er hervor. „Sie, Fenton, und Sie, Gaythas, besonders. Denn Menschen eurer Art sind die großen Feinde der Zivilisation. Wenn Sie der gerechten Strafe entrinnen wollen, müssen Sie mich auf der Stelle töten, Gaythas!“ „Das könnte ich nicht, Keinyl, denn ich sehe keine Notwendigkeit dafür“, erwiderte Gaythas gelassen. „Im Gegenteil, ich gebe Ihnen die Chance, die ich jedem anbiete. Sie können den Materietransmitter benutzen. Gehen Sie 105
hindurch - Sie werden sehen, wo Sie landen.“ Keinyl betrachtete Gaythas lauernd. „Ich warne Sie nochmals. Selbst wenn Sie mir das Leben schenken und mich durch den Transmitter in die Freiheit gehen lassen, werde ich für Sie keine Gnade kennen.“ „Gehen Sie nur, Keinyl. Professor Scharochin erwartet Sie.“ Jetzt war Keinyl wieder der stolze Yskander. Hocherhobenen Hauptes betrat er das hyperdimensionale Feld des Materietransmitters. Als wenig später Fenton, Gurlanot, Mirlin und Gaythas folgten und auf einer anderen Welt herauskamen, fanden sie von Keinyl keine Spur. Das war der Beweis dafür, daß Keinyl erst resozialisiert werden mußte, bevor er in die Zivilisation zurückkehren durfte. 12. Der Planet gehörte nicht in die Kategorie der „Grünen Welten“, und doch war er im Vergleich zu Heidekka ein Paradies. Die Atmosphäre war atembar, der Boden fruchtbar, die Flora üppig und die Fauna vielfältig. Menschen fanden hier alles, was sie zum Leben brauchten. Aber es wurde ihnen nichts geschenkt. Sie mußten jeden Fußbreit Land der Natur abringen, sich jede Sekunde ihres Lebens erkämpfen. Trotzdem fanden sie hier Glück und Erfüllung. Die Menschen, die durch den Transmitter nach hier gekommen waren, hatten auf Heidekka eine harte Schule durchgemacht. Sie waren nicht unterzukriegen. Für sie stellte diese Dschungelwelt ein Geschenk des Himmels dar - sie, die keine Hoffnung mehr gehabt hatten, jemals der Hölle von Heidekka zu entrinnen, erlebten hier eine Wiedergeburt. Es war schwer, sich in die Mentalität dieser Menschen hineinzudenken, aber Fenton glaubte zu erkennen, was sie 106
fühlten. Sein Aufenthalt auf Heidekka war nicht von langer Dauer gewesen, trotzdem hatte er die ganze Zeit über befürchten müssen, dort für immer gefangen zu sein. Jetzt befand er sich in Freiheit. Allerdings hatte diese Freiheit etwas Trügerisches an sich. Es war noch nicht sicher, ob Gaythas ihn ohne weiteres ziehen lassen würde. Der Tarrugier deutete sogar mit jedem Wort an, daß Fenton für einige Zeit auf dieser Welt würde bleiben müssen. „Wie heißt dieser Planet?“ wollte Fenton wissen, als er mit Gaythas, Mirlin und Gurlanot das Podest verließ, auf dem der Empfänger-Transmitter stand. Vor ihnen breitete sich eine geordnete Fläche aus, auf der bereits eine stattliche Anzahl von Ziegel- und Holzhäusern stand. „Wir haben unserem Planeten noch keinen Namen gegeben“, antwortete Gaythas auf Fentons Frage. „Das hat auch Zeit, bis wir eine Zivilisation aufgebaut haben und mit dem Sternenimperium in Kontakt treten können. Im Augenblick müssen wir uns allerdings noch von der übrigen Menschheit streng isolieren. Die Menschen auf dieser Welt müssen sich erst mit der wiedergewonnenen Freiheit vertraut machen, sie müssen Lebenserfahrungen sammeln und ihre Vergangenheit meistern. Erst wenn das geschehen ist, können sie es wagen, sich der großen menschlichen Gemeinschaft anzugliedern. Das wird noch lange dauern.“ „Und inzwischen soll dies eine geheime Kolonie bleiben?“ fragte Fenton. „Jawohl“, bestätigte Gaythas. „Niemand im Sternenimperium soll die Koordinaten dieses Sonnensystems erfahren. Deshalb darf im Augenblick auch noch niemand ins Sternenimperium zurückkehren. Sie verstehen das doch, Fenton?“ „Ich akzeptiere Ihre Gründe, Gaythas“, meinte Fenton zerknirscht. „Aber ich kann mich schwer damit abfinden, bis ins hohe Alter hier festzusitzen.“ 107
Der Tarrugier lachte und klopfte ihm auf die Schulter. „Diese Bestimmung gilt natürlich nicht für Sie, Fenton. Sie gehören zu den wenigen Ausnahmen, die hier nicht festgehalten werden sollen. Ganz im Gegenteil, ich möchte, daß Sie zurückkehren und der Evolutionspolizei Bericht erstatten. Ich sehe in Ihnen so etwas wie einen Gesandten, der in Sachen Humanität unterwegs ist. Wenn Sie meine Absichten und Bemühungen im Hauptquartier auf Yskan ins rechte Licht setzen, dann anerkennen vielleicht auch die Verantwortlichen im Sternenimperium den Wert meiner Arbeit.“ Fenton atmete erleichtert auf. Doch dann kamen ihm Bedenken. „Sie sagen, daß die Koordinaten dieses Sonnensystems geheim bleiben müssen und bieten mir im gleichen Augenblick die Rückkehr an. Wo liegt da der Haken? Haben Sie etwa vor, mich hypnotisch zu beeinflussen, oder zumindest einen Teil meines Gedächtnisses zu löschen?“ Gaythas lachte wieder. „Seien Sie unbesorgt, das habe ich nicht im Sinn.“ „Wie können Sie dann sicher sein, daß ich Ihre Kolonie nicht verrate?“ bohrte Fenton weiter. „Das ist ganz einfach“, erklärte Gaythas. „Ich besitze ein Schiff, das von einer auserlesenen Mannschaft betreut wird. An Bord dieses Schiffes werde ich Sie in die Nähe einer Patrouille der Evolutionspolizei bringen lassen. Man wird Sie dann mit einem Notrufsender im All aussetzen, so daß Sie bald danach geortet und aufgefischt werden können. Selbstverständlich erfahren Sie die Koordinaten dieses Systems nicht.“ „Gegen diese Art meiner Freilassung habe ich nichts einzuwenden“, stellte Fenton zufrieden fest. „Aber glauben Sie nicht, daß Sie zu große Hoffnungen in meine Mission setzen? Ich möchte vorausschicken, daß ich in allen Punkten bedingungslos Ihrem Plan zustimme. Nur befürchte ich, daß man sich auf Yskan nicht allein von meinen Worten 108
überzeugen läßt. Vergessen Sie nicht, daß die Yskander durch Sie einen ihrer Vertrauensleute verloren haben. Das könnte sie verärgert haben.“ Gaythas machte eine wegwerfende Handbewegung. „Keinyl war keine Vertrauensperson, sondern eine Testperson. Sie glauben doch nicht, die Yskander würden einen so charakterschwachen und kriminell veranlagten Mann wie Keinyl als ihren Botschafter entsenden? Nein, Fenton, die Yskander haben absichtlich einen potentiell Asozialen auserwählt und nach Heidekka geschickt, um mein System prüfen zu lassen. Wäre es Keinyl gelungen, meine Pläne zu zerstören und die Herrschaft auf Heidekka an sich zu reißen nun, dann hätte sich alles andere erübrigt. Da aber Keinyl versagt hat, von mir als das entlarvt wurde, was er ist, und anschließend in den Resozialisierungsprozeß einbezogen wurde, müssen die Yskander die Richtigkeit meines Systems anerkennen. Sie werden also keinen schweren Stand haben, um den Yskandern die letzten Zweifel zu nehmen.“ Fenton nickte gedankenversunken. Wahrscheinlich hatte Gaythas recht. Die Yskander konnten sich einfach nicht den Argumenten verschließen, die für seine Reformierungspläne sprachen. Am meisten mußte wohl die Tatsache zu denken geben, daß gut 99 Prozent der in der Hölle von Heidekka lebenden Menschen vollkommen unschuldig waren. Denn sie gehörten einer Generation an, die auf dieser Welt geboren und aufgewachsen war. Ihr einziges Verhängnis war, daß sie Abkömmlinge der zugewanderten Gesetzesbrecher waren. Aber dafür konnte man sie nicht verantwortlich machen. Sie waren so unschuldig wie alle anderen Bürger der Galaxis. Man konnte sie nicht für die Verfehlungen ihrer Ahnen bestrafen. Der Gefängnisplanet hatte allein deshalb eine Reformierung bitter nötig. Dem konnten sich die Yskander ganz einfach nicht verschließen. Da sich Gaythas' Maßnahmen zudem noch als äußerst wirksam erwiesen hatten, sah Fenton der Zukunft 109
zuversichtlich entgegen. Wenn dennoch leise Zweifel in ihm nagten, dann war das lediglich auf die Vorurteile zurückzuführen, die er gegen die Yskander hatte. Er mußte diese Vorurteile abbauen. Das nahm er sich vor. Plötzlich mußte er daran denken, welche verblüffende Wendung die Geschehnisse genommen hatten. Er schnitt eine Grimasse. Gaythas merkte es und blickte ihn fragend an. „Das hat weiter nichts zu bedeuten“, meinte Fenton. „Ich mußte nur eben daran denken, daß mein Auftrag lautete, Professor Scharochin um jeden Preis in die Zivilisation zurückzubringen. Doch ist dies nun vollkommen unwichtig geworden. Ist überhaupt etwas Wahres an dem Gerücht, daß Scharochin Leben erschaffen kann?“ „Professor Scharochin stahl die Unterlagen, die angeblich eine Methode dokumentierten, Leben aus dem Nichts zu erschaffen“, sagte Gaythas. „Doch wurde der Beweis dafür nie erbracht. Professor Scharochin vernichtete die Unterlagen, kaum daß sie in seinem Besitz waren. Er war sich schon damals der Gefahr bewußt, wie gefährlich es für die Menschheit sein konnte, künstliche Lebewesen zu züchten. Nur aus diesem Grund nahm er die Aufzeichnungen an sich. Auf Yskan weiß man übrigens darüber Bescheid. Die Begründung für Ihre Entsendung nach Heidekka war also nur ein Vorwand.“ Fenton und Gaythas verfielen in Schweigen. Es gab nichts mehr zu sagen, was von Wichtigkeit gewesen wäre. Das Unternehmen Heidekka war abgeschlossen. Der Gefängnisplanet existierte zwar weiterhin, aber er würde keine weiteren Gefangenen mehr aufnehmen. Die Kreise der Hölle würden die Verfemten und Gejagten davon abhalten, hier Zuflucht zu suchen. Und in einigen Jahren, vielleicht Jahrzehnten, war dann Heidekka eine tote, verlassene Welt 110
wenn alle Verfemten von hier abgewandert waren. Das war gut so. Denn kein Lebender verdiente es, egal auf welchen abwegigen Pfad ihn ein unergründliches Schicksal auch gelenkt hatte, in dieser Hölle sein Dasein fristen zu müssen. Gurlanot und Mirlin waren entschwunden. Fenton hatte sie irgendwann aus den Augen verloren. Aber ganz vergessen würde er sie nie, denn sie waren für ihn das lebende Symbol dieser jungen, aufstrebenden Welt. Sie symbolisierten die Jugend, Kraft und Dynamik einer Welt, die sicher bald ihren festen Platz im Sternenimperium haben würde. ENDE
Lesen Sie in zwei Wochen CHAOS IM PROKYON-SEKTOR von Rüdiger Vaas. Terra im Brennpunkt - zwei Stories aus dem 23, Jahrhundert.
111