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Blaulicht
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Hariette Plath Fernlicht Kriminalerzählung
Verlag Das Neue Berlin -2-
1 Auflage © Verlag Das Ne...
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Blaulicht
273
Hariette Plath Fernlicht Kriminalerzählung
Verlag Das Neue Berlin -2-
1 Auflage © Verlag Das Neue Berlin Berlin 1989 Lizenz Nr 409 160/203/89 LSV 7004 Umschlagentwurf: Wolfgang Theiler Printed in the German Democratic Republic Gesamtherstellung (140) Druckerei Neues Deutschland, Berlin 622 856 1 00045
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Sechzehn Uhr, Feierabend. Wenige Minuten nach dem Sirenenton trat Annegret Weber ins Freie und schaute mißtrauisch zum Betriebsausgang. Ihr Blick wanderte vom Pförtnerhäuschen zur anderen Torseite. Es schien, als fürchte sie, jemanden zu entdecken, dem sie lieber aus dem Weg gehen wollte. Sie blickte sich nach Uschi Vollmer um, die nach ihr die Werkhalle verlassen hatte. Als ihre Kollegin heran war, hängte sie sich wie schutzsuchend bei ihr ein. »Was denn, gibt er immer noch keine Ruhe«, erkundigte sich Uschi Vollmer voller Anteilnahme. Annegret Weber nickte. »Er kommt fast jeden Tag, mal hierher, mal zur Kinderkrippe, oder er steht vor meinem Haus. Du müßtest mal erleben, wie gemein er wird. Nicht nur mit Ausdrücken, o nein. Hier sieh mal, meine Arme.« Annegret Weber schob die Ärmel ihrer Bluse hoch und wies auf dunkelblaue Druckstellen. »So ein gemeiner Kerl«, rief Uschi Vollmer empört aus, »kann man denn gar nichts dagegen machen?« Annegret zuckte hilflos mit den Schultern. »Hast du zu Hause schon ein neues Türschloß einbauen lassen«, fragte Uschi Vollmer weiter. Wieder nickte Annegret. »Gestern war der Schlosser da.« Auf der Straße schaute sie sich noch einmal um. Jürgen Machert war nirgends zu sehen. Sie atmete auf. Die beiden Frauen liefen zur Haltestelle, um mit dem Bus nach Arnsberg zu fahren, wo sie wohnten. Das hieß, von Oberlangen zwanzig Minuten mit dem Bus unterwegs zu sein. Annegret wollte zur Kinderkrippe, ihren Jungen abholen, dann einkaufen und später, nach dem Abendbrot, den Kleinen zu Uschi bringen. Uschi Vollmer spielte gern einmal Babysitter, wenn Not am Mann war. Der Bus war vollgestopft mit Beschäftigten des Kraftwerkes, und Annegret hatte Mühe, ihren günstigen Stehplatz in dem Gedränge zu behaupten. Ihre Kollegin war von ihr weggedrückt worden, und bald gerieten sie sich gänzlich aus den Augen. Annegret Weber ließ ihren Gedanken freien Lauf. Wie so oft
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kreisten sie auch heute wieder um Jürgen Machert, den Vater ihres Jungen. Wann würde er endlich Ruhe geben. Seit sie den Trennungsstrich zwischen sich und ihm gezogen hatte, lauerte er ihr auf, wo er nur konnte, und wollte sie mit Gewalt zurückgewinnen. Am schlimmsten war es geworden, seit sie Günter Falk kannte. Falk gab ihr ein Gefühl von Sicherheit, das sie brauchte, um Machert endlich zu widerstehen. Er war immer der Stärkere gewesen. Sie hatte nachgegeben und seine Launen und Beleidigungen, sogar seine Schläge hingenommen. Beteuerte er dazwischen seine Zuneigung, hatte sie mit Geduld alle Schmach ertragen, die er ihr zufügte. Nicht immer war es so gewesen, zugegeben. Als sie ihn kennenlernte, war sie achtzehn, er einundzwanzig Jahre alt. Es war ein Jahr nach dem Tod ihrer Mutter, und der Schmerz über ihren Verlust saß noch tief. Sie brauchte Trost und glaubte, ihn bei Jürgen Machert zu finden. Machert versprach ihr, sie für immer glücklich zu machen. So oft es ihre Zeit erlaubte, fanden sie in der Wohnung ihrer Mutter voller Gefühle zueinander. Seitdem war Zeit ins Land gegangen, und Micha feierte bald seinen dritten Geburtstag. Dazwischen lag Jürgens Haft. Man hatte ihn wegen Einbruchsdiebstählen eingebuchtet. Einbruchsdiebstähle! Als ob er sie nötig gehabt hätte. Als das Kind kam, war er Feuer und Flamme gewesen, doch später war seine Begeisterung rasch verflogen. Immer stand ihm das Kind im Weg, weil sie beide nicht mehr ausgehen oder allein sein konnten, wann sie wollten. Schließlich waren Macherts Launen und seine Eifersucht, die ihn schon während der Haftzeit quälte, immer schlimmer geworden. Häufig glaubte er, daß sie ihn hinterging, und er wurde gewalttätig. Er scheute nicht davor zurück, sie zu schlagen. Zum Schluß war es von ihrer Seite keine Liebe mehr gewesen, nur noch eine gewohnte Beziehung. Was von ihren Gefühlen geblieben war, zeigte sich zuletzt nur noch in Angst und Verzweiflung. Machert wollte immer alles mit Gewalt erreichen. Falk dagegen war behutsam, machte ihr Mut und riet ihr, ein neues Leben zu beginnen. Schade, daß Machert nie so gewesen war. Vielleicht wäre sie dann mit ihm
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zusammengeblieben. Jetzt stellte er ihr nach, als sei sie für alle Zeiten sein Eigentum, das er nehmen konnte, wenn es ihm beliebte. Uschi Vollmer hatte recht, Machert war und blieb ein gemeiner Kerl. Vielleicht war es ihr Glück gewesen, daß sie damals nicht auf eine Heirat bestanden hatte, nicht einmal mit ihm zusammengezogen war. Aber das hatte er selber nicht gewollt. Bei seiner Mutter hatte er seine Bequemlichkeit, und er konnte sie herumkommandieren, was ihm Freude bereitete. Annegret dachte mit Bedauern an Anna Machert. Sie wußte, wie sehr Jürgens Mutter an dem Kleinen hing. Bestimmt fehlte ihr Micha. Doch darauf konnte sie keine Rücksicht nehmen. Sie mußte an sich selber denken. Das hatten ihr Uschi Vollmer und auch Günter Falk immer wieder geraten. Falk gab ihr Kraft und Mut, sich von Machert endgültig zu lösen. Machert mußte ihn hassen. Er hatte es ihr oft genug ins Gesicht geschrien. Hoffentlich ging sein Haß nicht soweit, daß er Falk etwas antat. Bei seinem Jähzorn war mit allem zu rechnen. Sie konnte sich vorstellen, daß Macherts Stolz tief verletzt war. Keiner hatte ihm bisher Paroli geboten, und nun ausgerechnet sie. Sie, von der er Respekt gewohnt war, die sich geduckt und es in allem seiner Mutter gleichgetan hatte. Als der Bus erneut hielt, stieg Annegret mit anderen Fahrgästen aus. Plötzlich durchfuhr sie ein Schreck. Machert stand vor der Kinderkrippe. Nur jetzt keine Angst zeigen, redete sie sich ein und ging auf ihn zu. Machert wollte sie umarmen. »Laß das«, herrschte sie ihn an und befreite sich von seinem Griff. »Hab dich nicht so. Hol den Jungen, und dann gehen wir drei nach Hause, verstanden?« »Nach Hause? Daß ich nicht lache. Dein Zuhause ist bei deiner Mutter. Laß mich in Ruhe.« Machert vertrat ihr den Weg und hielt sie fest. Annegret entwand sich ihm erneut und bekam im gleichen Moment eine Ohrfeige. »Verfluchtes Biest, du«, schrie er. Annegret riß sich los und eilte in die Krippe. Tränen stiegen ihr auf, und ihre Wange
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brannte wie Feuer. Als sie wenige Minuten danach mit dem Jungen ins Freie trat, hielt sie Machert noch einmal auf. »Du fühlst dich wohl jetzt stark, was. Weil du diesen Penner kennst«, herrschte er sie an. »Wie kommst du überhaupt dazu, ein neues Türschloß einbauen zu lassen, he? Hat er dir das geraten? Willst dich wohl mit ihm ungestört amüsieren. An den Jungen denkst du gar nicht. Ist mein Junge, verstanden.« Von der Szene angelockt, blieben einige Passanten stehen. Annegret nutzte die Gelegenheit und verschwand mit dem Jungen. Machert drohte ihr hinterher. »Wenn du heute abend nicht öffnest, schlage ich die Tür ein, merke dir das«, rief er ihr nach und ging zu seinem Motorrad. Er jagte in hohem Tempo an ihr vorbei und drohte ihr dabei noch einmal. Anna Machert verharrte seit geraumer Zeit mit gefalteten Händen inmitten der Küche. Sie war eine kleine, gebeugte Frau von dreiundfünfzig Jahren. Man sah ihr harte Arbeit an. Ihre rissigen Hände ließ sie immer rasch unter ihrem Schürzenlatz verschwinden, wenn jemand sie mit seinem Besuch überraschte. Das kam allerdings selten vor. Höchstens, daß Frau Beuchler, ihre Nachbarin, einmal auftauchte. Im Moment gab es keinen Grund dafür. So wartete sie in einer Haltung, die sie schon zu Lebzeiten ihres Mannes eingenommen hatte. Sie mußte immer erst das Ende des Tages hinter sich haben, ehe sie sich innere Ruhe gönnte. Er konnte bis zur letzten Minute unangenehme Überraschungen bringen, das wußte sie aus Erfahrung. Gustav Machert hatte es ihr nicht gerade leicht gemacht, doch sie hatte es geduldig ertragen. Er war vor zehn Jahren gestorben, und seitdem war es Jürgen, für den sie lebte, für den sie da war. Manchmal glaubte sie, nur zu diesem Zweck auf der Welt zu sein. Auf dem Herd stand auf kleiner Flamme ein Suppentopf, dessen Inhalt leise vor sich hin brodelte. Anna Machert lauschte, ob nicht Schritte im Treppenhaus zu hören waren. Nichts. Sie
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seufzte, trat zum Fenster und schaute hinaus. Dort kam Jürgen. Sie beobachtete, wie er das Motorrad aufbockte, und lief rasch zum Herd. Schon waren seine Schritte auf der Treppe zu vernehmen. Sie drehte das Gas größer und rührte eifrig im Topf. Jürgen schloß die Korridortür auf und war im nächsten Moment in der Küche. »Was gibt’s zu essen«, rief er grußlos. Als Anna Machert seinen barschen Ton vernahm, wußte sie, was die Glocke geschlagen hatte. Genau wie Gustav damals, dachte sie. Jürgen wurde seinem Vater immer ähnlicher. Hatte sich dessen schlechte Manieren abgeguckt. »Grüne Bohnen«, antwortete sie und sah, wie Jürgen mit dem Ellenbogen über die Tischplatte fegte. Gleich würde er behaupten, daß sie schmutzig sei, und sie würde noch einmal drüberwischen. Nach dem Essen verlangte er hundert Mark von ihr. Anna Machert erschrak. Es war ihr letztes Geld. »Hast du denn keinen Lohn bekommen?« fragte sie zaghaft. »Ja, doch, aber die Reparatur vom Motorrad hat viel Geld gekostet. Ich kann es Strecker ja nicht kaputt zurückgeben«, erklärte Machert ungehalten. »Außerdem ist mir die neue Lederjacke nicht geschenkt worden. Kriegst das Geld in ein paar Tagen zurück«, fügte er ruhiger hinzu. Nur widerwillig rückte ihm Anna Machert den letzten blauen Schein heraus. »Gehst du auch wirklich arbeiten, mein Junge?« fragte sie noch einmal vorsichtig. »Dein Chef meint es doch gut mit dir. Du darfst ihn nicht enttäuschen.« »Ach, laß mich zufrieden. Natürlich gehe ich arbeiten.« Machert stand auf und zog sich seine neue Lederjacke an. »Gehst du zu Annegret?« Machert warf seiner Mutter einen nachdenklichen Blick zu. »Du weißt doch, wie die Aktien stehen«, sagte er und verließ die Wohnung. Kurze Zeit später hörte Anna Machert den Motor seines
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Krades aufheulen. Sie seufzte beunruhigt. Machert fuhr in die Innenstadt und erwischte noch kurz vor Ladenschluß einen hübschen Blumenstrauß für Annegret und für den Jungen ein Feuerwehrauto mit aufklappbarer Leiter. Er wollte es noch einmal auf friedliche Weise bei Annegret versuchen und hatte sich sogar ein paar nette Worte zurechtgelegt. Um so größer war seine Enttäuschung, als er feststellen mußte, daß Annegret nicht zu Hause war. Wütend schlug er einige Male mit der flachen Hand gegen die Tür, bis er einsah, daß das nichts nutzte. Mit einem Gefühl der Ohnmacht ging er wieder. Auf der Straße angekommen, fuhr gerade der Bus nach Oberlangen an ihm vorbei. Er entdeckte zu seiner Überraschung Annegret und ihren neuen Verehrer Günter Falk darin. Seine Enttäuschung schlug um in Wut. Er spuckte kräftig auf die Erde und warf die Blumen im hohen Bogen in den Rinnstein. »So ein Luder«, murmelte er und band den Karton mit dem Spielzeug wieder auf dem Rücksitz fest. Langsam fuhr er dem Bus nach. Als sie aus der Stadt waren, mußte er vorsichtig sein, wollte er nicht von den beiden bemerkt werden. Später beobachtete er, wie Annegret und Falk auf der Oberlangener Chaussee ausstiegen und in einen Feldweg einbogen, der zum Koppelwald führte. Machert wartete, bis sie das inmitten von Viehkoppeln gelegene Waldstück erreicht hatten. Von der Chaussee aus war es etwa einen Kilometer bis dahin. Vorsichtig schob Machert seine Maschine den Feldweg entlang und stellte sie im Unterholz ab. In dieser sonst flachen Landschaft boten die hochgewachsenen Laubbäume dem Auge eine angenehme Abwechslung. Die Dämmerung war bereits hereingebrochen, und Machert nahm nur im Unterbewußtsein ihre bizarren Umrisse wahr, die sich gespenstisch vom blaßgrauen Himmel abhoben. Sein Interesse richtete sich ganz auf die beiden, die soeben im Dickicht verschwunden waren. Still war es hier draußen. Nur fern waren verschwommene Geräusche von
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Fahrzeugen und der Eisenbahn zu vernehmen. Machert starrte auf den schmalen Pfad, der Annegret und Falk aufgenommen hatte. Er war zum ersten Mal hier, kannte diese schattige Oase nur von weitem. Wenn er früher im Sommer das Bedürfnis nach Landluft verspürte, war er meistens zu seiner Großmutter gefahren, die in einem Dorf, zwanzig Kilometer von Arnsberg entfernt, wohnte. Weiter blickte Machert prüfend um sich. Hierher also war Annegret immer mit ihrem neuen Freund geflüchtet, wenn sie seinen Annäherungsversuchen aus dem Weg gehen wollte. Seit Wochen ging nun schon dieses Spielchen. Machert starrte erneut auf den Pfad, der in den Wald führte. Er stellte sich vor, wie sich die beiden dort im Schatten des Unterholzes miteinander vergnügten, und knirschte vor Wut mit den Zähnen. Weshalb war alles nur so gekommen? Er konnte es nicht begreifen. Schon tausendmal hatte Annegret ihm angedroht, sich von ihm endgültig zu trennen, und tausendmal hatte er erreicht, daß aus der Trennung nichts wurde. Wo war nur ihr demütiges Verhalten, wo ihre Untertänigkeit geblieben? Hatte alles dieser verdammte Falk bewirkt? Bisher war es für ihn ein leichtes gewesen, sie umzustimmen. Nicht immer bedurfte es dazu körperlicher Kraft. Zärtlichkeit tat bei ihr Wunder. Leider lag ihm das nicht. Sollte wirklich alles aus sein? Zugegeben, der Kleine hatte ihn manchmal gestört. Da gab’s böse Worte. Aber immerhin war er der Vater des Jungen. Daran änderte auch nichts die Tatsache, daß er seit zwei Jahren keinen Unterhalt mehr für ihn zahlte. Jetzt war sie mit diesem Günter Falk zusammen und ließ währenddessen den Jungen wieder bei ihrer Freundin. Die ist auch nicht viel besser, dachte er. Hat sich scheiden lassen, weil sie einen anderen haben wollte. Nun saß sie allein da und spielte Kindermädchen. Weiber, verdammte. Konnten sie nicht bei einem bleiben, mußten sie sich von Zeit zu Zeit einen anderen suchen? Machert lief ein paar Schritte auf das dichte Unterholz zu und redete sich dabei immer mehr in Wut. Da entdeckte er, halb von Laub verdeckt, einen dunklen Lada. Machert lachte ironisch auf. Andere Liebespärchen waren wohl heute auch noch unterwegs.
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Dieses bewaldete Fleckchen Erde schien ein besonderer Anziehungspunkt für sie zu sein. Es war ja auch nichts los in der Stadt. Eigentlich gab es da kaum Parkanlagen, die ähnliche Möglichkeiten boten. Und um die Stadt herum nur Felder. Erst hier, ein paar Kilometer entfernt, diese grüne Insel. Fuhr man mit der Buslinie weiter, war man bald im Nachbarort Oberlangen. Im Kraftwerk arbeiteten wie Annegret viele aus der Stadt, aber sicherlich kamen nur selten welche von ihnen in der Woche hierher. Jürgen Machert zündete sich eine Zigarette an und drückte das Streichholz am Erdboden aus. Er nahm einen tiefen Zug und stand wartend da. Was will ich eigentlich hier, fragte er sich. Annegret belauern, mir ausmalen, wie sie sich dort mit ihrem Freund amüsiert? Plötzlich ging das Licht vom Lada an. Jürgen Machert traute seinen Augen kaum. Eine Frau und ein Mann standen am Wagen. Die Frau kannte er aus seiner Wohngegend vom Sehen. Er wußte, daß sie im Kraftwerk arbeitete und von ihrem Großvater ein Vermögen geerbt haben sollte. Sie war sicherlich nicht unbemittelt. Ihr Äußeres und ihr Schmuck waren ihm schon öfters aufgefallen, und er hatte jedesmal herumgerätselt, ob wohl all die schönen Schmuckstücke echt seien. Bestimmt waren sie echt. Aber das war es nicht, was ihn überraschte. Es war die Tatsache, daß sie mit einem anderen hier war. Er kannte ihren Mann. Der war seit einem Autounfall an den Rollstuhl gefesselt. Beide hatten eine kleine Tochter. Und hier traf sich diese Dame mit einem Fremden. Ganz klar, der hier war ihr Liebhaber. Jürgen Machert spuckte auf die Erde, wie es seine Gewohnheit war, wenn ihm etwas mißfiel. Das kann doch nicht wahr sein, dachte er und ballte die Fäuste. Wieder ein Beweis für seine Theorie. Alle Frauen waren untreu, genau wie Annegret. Sie verdienten nichts Besseres, als ab und zu verprügelt zu werden. So war das nun mal. Er sollte der Frau einen ordentlichen Denkzettel verpassen, schoß es ihm durch den Kopf. Vielleicht ergab sich die Gelegenheit. Sie konnte sich unmöglich von ihrem Freund bis vor die Haustür bringen lassen.
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Sicherlich wollte sie von der Chaussee mit dem Bus weiter. Machert sah in Gedanken ihren Schmuck vor sich und spürte seine leere Geldbörse in der Tasche. Als sich der Lada in Bewegung setzte, stieg er auf sein Motorrad und folgte ihm. Er vergaß völlig den eigentlichen Grund seines Hierseins und war von nun an nur noch auf die Frau im Lada fixiert. Er hatte recht mit seiner Vermutung. Auf der Chaussee hielt der Wagen, und die Frau stieg aus. Es war kurz vor der Bushaltestelle »Pumpstation«, zwei Haltestellen vor ihrem eigentlichen Ziel. Die Frau winkte dem Mann im Wagen nach und setzte ihren Weg zu Fuß fort. So ein Luder, dachte Machert. Die Frau blieb an der Bushaltestelle stehen. Er überholte sie, machte plötzlich eine Kehrtwende und fuhr scharf auf sie zu. Jetzt nur noch den Scheinwerfer auf Fernlicht geschaltet, damit sie nichts sehen kann. Die Frau nahm erschreckt die Hände vors Gesicht und blieb erstarrt stehen. Machert sprang vom Motorrad und war im nächsten Augenblick bei ihr. Alles andere war Sekundensache. Ehe es sich die Frau versah, hatte Machert nach ihrer Tasche gegriffen und zerrte daran. Zugleich versuchte er, ihr die Ringe und das Armband zu rauben, was gar nicht so leicht war, denn die Frau wehrte sich mit Händen und Füßen. Machert kam immer mehr in Wut. »Verdammtes Miststück, Schlampe du, gehst fremd und willst nicht mal dafür bezahlen.« Endlich hatte er Tasche und Schmuck an sich gebracht. Als die Frau zu schreien begann, schlug er sie mehrmals ins Gesicht. »Halt’s Maul, verdammt nochmal«, rief er und versetzte ihr noch einen Faustschlag, daß sie stürzte. Machert erschrak. Die Frau mußte mit dem Kopf aufgeschlagen sein. Hoffentlich war ihr nichts Ernsthaftes passiert. Eilig stieg er auf sein Motorrad und suchte das Weite. Er bemerkte dabei nicht, daß der Karton auf seinem Rücksitz fehlte. Er war ihm bei der scharfen Wende
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heruntergefallen. Während der Fahrt in die Stadt kam Machert noch ein paarmal das Bild der reglos am Boden liegenden Frau in den Sinn. Doch bald verblaßte dieser Anblick, und die Stadt nahm ihn wieder gefangen. Am Lenindenkmal angekommen, hielt er, stieg ab und setzte sich auf eine Bank. Das Licht der Straßenbeleuchtung reichte aus, um seine Beute in Ruhe zu betrachten. Doch dazu mußte die Luft rein sein. Machert konnte niemanden entdecken. Zuerst öffnete er die Geldbörse. Sie enthielt achthundert Mark. Der Anblick des Geldes haute ihn fast um. Ferner fand er darin ein goldenes Kettchen mit Anhänger. Rasch steckte er die Geldbörse in die Hosentasche. Ausweis und den übrigen Inhalt ließ er unbeachtet und brachte alles zu einem Müllcontainer. Er schob Abfall darüber und hoffte, daß niemand die Tasche fand. Anschließend nahm er sich den Schmuck vor. Er betrachtete Ringe und Armband voller Interesse. Befriedigt stellte er fest, daß sie gestempelt waren. Vor allem schien es der breite Armreif in sich zu haben. Machert wog ihn abschätzend in seiner Hand und fand, daß er recht schwer war. Der wird mir bestimmt etwas bringen, dachte er und steckte alles wieder weg. Wenige Minuten später trieb er in einer Kneipe noch eine Schachtel Konfekt auf und fuhr nach Hause. Anna Machert wartete auf ihren Sohn. Nachdenklich blickte sie aus dem Fenster, konnte aber niemand auf der Straße entdecken. Vielleicht war Jürgen wieder auf Tour? So nannte er seine abendlichen Ausflüge mit dem Motorrad. Möglicherweise saß er auch in einer Kneipe und kam mit einem Mädchen nach Hause, wie manches Mal, seit es mit Annegret aus war. Dann mußte sie wieder zu ihrer Nachbarin verschwinden, damit er sich ungeniert amüsieren konnte. Er liebte es nicht, wenn sie währenddessen in der Wohnung war. Gottseidank brachte ihr Frau Beuchler großes Verständnis entgegen. Jürgen schlief normalerweise hier in der Wohnküche auf der Liege und sie selber im Zimmer, das für sie Wohn- und Schlafraum zugleich war. Wollte sie hinein, mußte sie erst die Küche durchqueren. Schon oft hatte sie Jürgen gebeten, sich um eine eigene Wohnung zu bemühen. Doch er dachte nicht daran. Ihm war es
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so am bequemsten. Zu Annegret zu ziehen hatte er strikt abgelehnt. Ich will nicht von ihr abhängig sein, hatte er gesagt, und Heiraten kostet nur Geld. Nun war ihm von Annegret der Laufpaß gegeben worden. Schade. Wieder huschte sie zur Tür und lauschte. Kam Jürgen ohne Begleitung, war die Frage, wie der Abend für ihn gelaufen war. War er schlecht gelaufen, würde er als erstes die Stereoanlage einschalten, noch eine Kleinigkeit essen, sich dann auf seine Liege werfen und das Bier trinken, das sie ihm wie üblich auf das Tischchen stellte. Dann würde er etwas von seiner Arbeit oder seinem Brigadier erzählen, schließlich die Zeitung zur Hand nehmen und bald einschlafen. Wieder seufzte Anna Machert. Die Uhr zeigte bereits zehn Uhr. Jetzt hörte sie seine raschen Schritte auf der Treppe. Machert riß im nächsten Moment die Tür auf, zog die Jacke aus und warf seiner Mutter die Konfektschachtel auf den Tisch. »Da, schenk’ ich dir«, rief er ihr aufgeräumt zu. Anna Machert war überrascht. Der Abend war also gut für ihn gelaufen. Um so besser, dachte sie und bedankte sich. »Wenn du noch etwas essen willst, im Kühlschrank ist noch was.« Jürgen Machert kramte in seiner Hosentasche. Er hatte von dem erbeuteten Geld einen Hunderter für seine Mutter beiseite gesteckt, um ihr die am Nachmittag geborgte Geldsumme zurückzugeben. »Hier hast du dein Geld wieder«, sagte er und zog den zusammengefalteten Schein aus der Tasche. Im gleichen Moment rollte ein Ring auf den Fußboden. Er hatte ihn versehentlich mit herausgezogen. Seine Mutter bückte sich, hob den Ring auf und erschrak. »Aber Junge. Wo hast du den Ring und das Geld her«, rief sie ängstlich. »Du hast doch nicht etwa wieder…« Machert ärgerte sich. Mußte ihm das passieren. »Ach, sei still. Ich habe von einem Kollegen was zurückbekommen, traf ihn zufällig. Der Ring gehört einem
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Mädchen. Mach keinen Aufstand und geh schlafen. Es ist spät.« »Aber, ich meine, deine Bewährung, Junge…«. Anna Machert zog ein Gesicht, als ahne sie Unheil. »Geh schlafen, hab ich gesagt«, rief Machert aufgebracht. Seine Mutter zuckte unter seinen barschen Worten zusammen und verließ wortlos die Küche. Machert griff nach einer Blechbüchse auf dem Küchenschrank, tat Ringe und Armband hinein und stellte die Büchse wieder zurück. Er nahm sich vor, den Schmuck sobald wie möglich abzusetzen. Am nächsten Tag saß er zufrieden auf einer Holzkiste und ließ sich von der Sonne wärmen. Voller Genugtuung dachte er an den gestrigen Abend. Er hatte sich für Annegrets Untreue an einer anderen gerächt. Die andere war auch untreu, und es war dabei eine ganze Menge für ihn herausgesprungen. Spuren hatte er bestimmt nicht hinterlassen, und erkannt hatte ihn die Frau auch nicht. Hoffentlich war ihr nichts weiter passiert. Er hatte gleich einem Kollegen eine vor längerer Zeit geliehene Geldsumme zurückgezahlt. Alles übrige stand ihm zur Verfügung. Das waren sechshundertfünfzig Mark. Machert lächelte triumphierend. Wie war er nur darauf gekommen? Waren es das Verhalten der Frau, ihr Schmuck oder seine leeren Taschen gewesen? Alles zusammen wahrscheinlich, dachte er. Eigentlich kein Kunststück, das ganze. Er müßte es wieder mal versuchen. Bloß jedes Weib schleppte vermutlich nicht soviel Geld mit sich wie die von gestern. Der konnte es sowieso nichts schaden, wenn sie dadurch Ärger mit ihrem Mann bekam. Was trieb sie sich mit einem fremden Kerl im Wald herum? Machert lachte still in sich hinein und sah auf die Uhr. Die Pause war gleich vorbei, und er mußte wieder ins Gerüst. Doch irgendwie steckte er noch voller Übermut. Als der alte Stichert mit einem gefüllten Wassereimer den Weg zum Bauwagen daherkam, stellte er ihm hinterlistig ein Bein. Stichert schlug der Länge nach hin. Der Wassereimer schepperte über den holprigen, von Bauschutt überlagerten Weg. Machert schüttete sich aus vor Lachen. Doch nicht lange hielt seine Schadenfreude an. Alfred Brandt, sein Brigadier, war herangekommen. Er half Stichert wieder auf die
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Beine. Stichert hatte sich die Hand aufgeschlagen, und seine Hose wies über dem Knie einen Riß auf. »Verdammter Mistkerl«, rief Brandt. »Kannst du deine blöden Witze nicht woanders loslassen. Darüber reden wir heute noch, verlaß dich drauf.« Wütend drohte er Machert mit der Faust und half mit der anderen Hand Stichert in den Bauwagen. »Ich schicke dir jemanden vom Sanitätsraum«, sagte er. »Laß dir die Hand verbinden.« Brandt lief Machert nach, der auf dem Weg zum Rohbau war. Dieser verdammte Kerl, dachte Brandt. Sorgt nur für Scherereien. Warum hatte er sich bloß auf eine Bürgschaft für ihn eingelassen. Machert säße heute noch und brummte den Rest seiner Strafe ab. Er selber kümmerte sich um ihm, wo immer er nur konnte, und Machert scherte sich einen Dreck darum. Er bummelte die Arbeit, wenn ihm danach war, oder er stänkerte mit den Kollegen. Obendrein wurde er noch wütend, wenn man ihn zur Ordnung rief. Er sollte es sich gut überlegen, ob er Machert wieder zum Angeln auf sein Boot mitnahm. Machert konnte es falsch verstehen und sich darauf noch etwas einbilden. Womöglich würde es danach um so schlimmer. Brandt hatte Jürgen Machert eingeholt. Als habe er die Gedanken seines Brigadiers erraten, fragte er ihn, ob sie nicht wieder einmal zusammen angeln fahren wollten. Brandt schüttelte unwirsch den Kopf. »Muß ich mir noch überlegen«, sagte er, »mach erst mal deine Arbeit, dann sehen wir weiter.« An diesem Tag konnte sich kein Kollege mehr über Jürgen beklagen. Er schaffte für zwei und sorgte mit spaßigen Bemerkungen dafür, daß die Lust an der Arbeit auch bei den anderen nicht nachließ. Seltene Seiten an ihm. Seine Kollegen nahmen sein Verhalten gelassen hin. Sie wußten, daß es am nächsten Tag schon wieder ganz anders aussehen konnte. Bevor Machert nach der Arbeit auf sein Motorrad stieg, wischte er noch einmal mit dem Putzlappen darüber. Dabei glaubte er, daß irgendwas mit seiner Maschine nicht stimmte. Er wußte nur nicht gleich, was es war. Er betrachtete sie von allen
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Seiten, und da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Der Karton! Der Karton mit dem Feuerwehrauto fehlte. Daß er ihn nicht schon gestern abend vermißt hatte. Er konnte ihn nur auf der Chaussee verloren haben. »Verdammter Mist«, fluchte er. Das Spielzeug konnte ihm zum Verhängnis werden. Vielleicht fand man gar seine Fingerabdrücke, und die waren bei der Polizei registriert. Dann stand die Kripo womöglich schon vor seiner Haustür. Machert wischte sich den Schweiß von der Stirn. Voller Unruhe setzte er sich auf sein Motorrad und fuhr im mäßigen Tempo nach Hause. Bevor er in seine Straße einbog, schaute er erst vorsichtig um die Ecke. Alles beim alten, dachte er und atmete auf. Nur nicht soviel Gedanken machen. Nichts würde man feststellen. Den Karton konnte auch ein anderer verloren haben. Er mußte in Zukunft vorsichtiger sein. Zwei Tage nach dem Raub saßen Hauptmann Müller und seine Mitarbeiter Oberleutnant Kraut und Oberleutnant Karnberger beim Rapport. Hauptmann Müller, ein Mann um die Fünfzig, leitete seit Jahren eine Arbeitsgruppe, die sich mit Einbruchsdiebstählen und Raubdelikten befaßte. Man sagte ihm nach, daß er sehr unangenehm werden konnte, wenn ihm die Ermittlungen zu langsam vorangingen. Die beiden Oberleutnante gehörten zu seinen engeren Mitarbeitern. Sie sollten die Bearbeitung des Falles übernehmen. Müller liebte es nicht, wenn sich allzuviel Kriminalisten mit einer Sache abgaben. Da verließ sich womöglich einer zu sehr auf den anderen, und wertvolle Zeit ging verloren. Von Wolfgang Kraut wußte er, daß er ein Mann voller Ungeduld und gesundem Ehrgeiz war. Kraut scheute keine Zeit und Mühe, wenn es um die Aufklärung eines Verbrechens ging. Zwar zeigte er gelegentlich Eigenheiten in der Methodik seines Vorgehens, aber solange sie nicht gegen die Normen verstießen und zum Erfolg führten, wollte er sie ihm nicht ankreiden. Leider barg Krauts
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Engagement für Müllers Dafürhalten die Gefahr in sich, übereilte Schritte zu tun. Karnberger war anders. Er ging mit kühler und distanzierter Sachlichkeit an die Arbeit und zeigte nur dann Emotionen, wenn er sich zu unrecht kritisiert fühlte. Da hieß es für Müller, sich auf die Mentalitäten seiner Mitarbeiter einzustellen, was ihm nicht immer gelang. Er saß hinter seinem breiten Schreibtisch und resümierte die bisherigen Ermittlungsergebnisse. Man habe zwar nicht viel gegen den unbekannten Täter in der Hand, aber ganz ohne Anhaltspunkte sei man auch nicht, stellte er fest. »Die gesicherte Reifenspur stammt von einer zweihundertfünfziger MZ und ist auswertbar. Wir haben also eine Chance, den Halter dieser Maschine ausfindig zu machen und ihn als Täter zu entlarven«, sagte er. »Das wird aber viel Zeit kosten. Wenn wir davon ausgehen, daß der Täter sowohl aus Arnsberg als auch aus Oberlangen stammen kann«, warf Oberleutnant Kraut dazwischen und handelte sich einen mißbilligenden Blick von seinem Vorgesetzten ein. »Das weiß ich auch, Genosse Kraut. Aber es gibt schließlich noch mehr, wo wir ansetzen können«, entgegnete Müller. »Da ist der Karton mit dem Spielzeug. Den Umständen nach kann er nur vom Täter stammen. Wenn er bedauerlicherweise auch keine auswertbaren Fingerspuren aufweist, besteht doch die Möglichkeit, seine Herkunft zu ermitteln. Vielleicht kommen wir auf diesem Weg weiter. Der Kassenbon trägt das Datum von vorgestern. Ferner haben wir Bodenproben von der Stelle, an welcher der Raub passierte. Gibt es also einen Verdächtigen, können wir neben der Überprüfung seiner Maschine feststellen, ob gleiche Erdsubstanzen an seiner Kleidung sind. Haben wir darüber hinaus erst die genaue Beschreibung der geraubten Schmuckstücke, werden wir die Fahndung danach einleiten. Vielleicht führt sie uns zum Täter. Frau Buggenhagen war hoffentlich heute besser in der Lage, Auskünfte zu geben? Bitte, jetzt sind Sie an der Reihe, Genosse Kraut.«
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Der Oberleutnant räusperte sich. »Zunächst möchte ich vorausschicken, daß die Frau wirklich großes Glück hatte. Hätte sie der Taxifahrer nicht gefunden und wäre sie nicht sofort ins Krankenhaus gebracht worden, sähe es böse für sie aus. Das hat mir heute der Stationsarzt noch einmal versichert. Sie hat eine schwere Gehirnerschütterung, und die Platzwunde am Kopf ist auch nicht ungefährlich.« »Warum so umständlich, Genosse Kraut. Wir wissen, daß wir es mit einem brutalen Täter zu tun haben«, fiel ihm der Hauptmann ins Wort, »deswegen werden wir auch alles daransetzen, ihn so schnell wie möglich zu fassen. Also – zur Sache bitte.« »Soviel steht fest«, fuhr Kraut, ein bißchen aus dem Konzept gebracht, fort, »der Frau wurden die Handtasche mit achthundert Mark und Goldschmuck im Wert von rund viertausend Mark geraubt. Leider war sie auch heute noch nicht in der Lage, ihn bis ins Detail zu beschreiben. Vom Täter ganz zu schweigen. Dunkle Kleidung, vermutlich aus Leder, sagte sie. Er trug einen Integralhelm, der sein Gesicht verdeckte, und er kam aus Richtung Oberlangen.« Kraut machte eine Pause und fuhr dann fort: »An ihrer Aussage stimmt etwas nicht«, erklärte er zur Überraschung seiner Genossen. »Was meinst du? Sie redet sicherlich ein bißchen durcheinander. Kein Wunder, bei diesem Schock und den Verletzungen«, warf Hauptmann Müller ein. »Nein, nein, das ist es nicht. Ich stelle mir nur die Frage, warum sie zwei Busstationen vor ihrem eigentlichen Ziel aussteigt, und das zur späten Stunde. Wenn man Überstunden gemacht hat, will man doch sicherlich so schnell wie möglich nach Hause.« »Welche Erklärung gibt sie dafür ab?« erkundigte sich Hauptmann Müller und übersah dabei, daß Uwe Karnberger sich zu Wort meldete. »Sie wollte den Rest des Weges zu Fuß gehen, um noch etwas an der frischen Luft zu sein«, antwortete Oberleutnant Kraut.
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»Also gut. Das kann stimmen. Nun aber zum Täter. Wenn er aus Richtung Oberlangen kam, kann er dort zu Besuch oder in einer Gaststätte gewesen sein und wollte nach Arnsberg. Dann war es wahrscheinlich eine Zufallstat. Anders sieht es aus, wenn er irgendwo auf eine günstige Gelegenheit gewartet, also vorbedacht gehandelt hat. Sicherlich weiß er, daß die Busse nur alle halbe Stunde fahren und um diese Zeit nur noch wenige Fahrgäste befördern. Hat Frau Buggenhagen sagen können, in welche Richtung der Mann wegfuhr?« »Eben nicht. Sie war ohnmächtig. Dem Taxifahrer, der aus Oberlangen gekommen war, ist kein Motorradfahrer begegnet. Der Täter kann also nur nach Arnsberg gefahren sein.« »Gut, dann beginnen wir mit den Überprüfungen in Arnsberg. Doch zunächst Genosse Karnberger, bitte.« Oberleutnant Karnberger konnte auch nichts sagen, was zur Hoffnung auf eine heiße Spur berechtigte. Er hatte Ermittlungen in der Stadtrandsiedlung geführt und dort keinen Hinweis auf Verdächtige erhalten. Niemand hatte von dem, was sich auf der Chaussee abspielte, etwas wahrgenommen. Wäre ja auch ein Wunder gewesen bei dieser Entfernung, dachte Wolfgang Kraut. »Um noch einmal von der Geschädigten zu reden«, sagte Karnberger und kam nun endlich auf jenen Punkt zu sprechen, auf den er schon lange aufmerksam machen wollte. »Ihre Angaben stimmen tatsächlich nicht. Der Busfahrer behauptet, daß an der Haltestelle ›Pumpstation‹ weder jemand aus- noch eingestiegen ist. Um diese Zeit hatte er kaum Fahrgäste und kann sich daher gut erinnern.« Hauptmann Müller zog ärgerlich die Brauen hoch. Warum kam Karnberger erst jetzt damit. Der redet wirklich nur, wenn er dazu aufgefordert wird, dachte er mißmutig und wandte sich an Kraut. »Das würde sich mit deiner Theorie decken, Wolfgang«, sagte er ohne jede Förmlichkeit. »Frau Buggenhagen war also nicht ganz ehrlich zu uns.« »Aber wenn der Busfahrer sich irrt«, meinte Kraut skeptisch. »Dann haut trotzdem etwas nicht hin«, entgegnete Karnberger säuerlich, der die mißbilligende Miene seines
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Hauptmanns bemerkt hatte. »Laut Fahrplan ist der Bus erst nach der Tatzeit dort vorbeigekommen. Was übrigens auch von dem Taxifahrer bestätigt wurde. Der Bus hat dort überhaupt nicht gehalten, sondern ist vorbeigefahren.« Müller fluchte im stillen über Karnbergers Mimosenhaftigkeit. Dabei hatte er nicht ein Wort des Vorwurfs verlauten lassen. »Das läßt die Sache in einem anderen Licht erscheinen. Möglicherweise gibt es einen anderen Ausgangspunkt der Tat«, sagte er. »Bitte, Wolfgang, such den Betrieb auf, erkundige dich, wann Frau Buggenhagen Feierabend gemacht hat. Es kann auch nichts schaden, sich dort nach Leuten umzuhören, die mit uns schon zu tun hatten. Danach rede mit ihr selber. Der Widerspruch muß geklärt werden. Aber sei vorsichtig, denk an ihren Zustand. Laß dir, wenn nötig, von ihrem Mann die geraubten Wertgegenstände beschreiben. Gute wäre, wenn er angeben kann, wo sie angefertigt oder gekauft wurden. Wir müssen Zweitstücke davon fotografieren oder sie von jemand zeichnen lassen. Ich denke, daß wir neben den üblichen Fahndungsmaßnahmen noch Handzettel mit einem Aufruf zur Mithilfe verteilen. Vielleicht wird der Schmuck irgendwo zum Kauf angeboten. Als weiteres kümmerst du dich um die Gruppe an der Karlssohnbrücke. Wir wissen, daß einige von den Burschen motorisiert sind und nicht gerade zu den Bravsten gehören. Wie du es anstellst, ist deine Sache. Hauptsächlich sind die zu überprüfen, die eine zweihundertfünfziger MZ fahren. Und denk an das Spielzeug. Nutze den Kontakt, einen Tip zu bekommen. Oberleutnant Karnberger wird die Motorradhalter erfassen und Ermittlungen nach der Herkunft des Spielzeuges führen. Und denkt bitte daran, wenn ihr auf Verdächtige stoßt, sofort Vergleichsspuren von den Motorradreifen nehmen, klar?« Kraut kam noch mit einem Einwand. »Ich glaube nicht, daß der Täter noch so jung ist, um an der Karlssohnbrücke zu verkehren. Wenn ich an die Art und Weise seines Vorgehens denke…« »Du kannst von mir aus denken, was du willst«, schnitt ihm der Hauptmann das Wort ab, »jedenfalls können wir die Gruppe nicht ausklammern.« Kraut seufzte unhörbar. Müller liebte
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keinen Widerspruch. »Gibt es weitere Bemerkungen«, fragte der Hauptmann. Schweigen. Mit einer Handbewegung entließ Müller seine Mitarbeiter. Er war froh, daß Wolfgang Kraut nicht so empfindlich wie Karnberger war. Der langgestreckte Korridor im Verwaltungsgebäude des Kraftwerkes in Oberlangen sah nicht viel anders aus als der in der VP-Dienststelle. Kühl, amtlich, streng. Oberleutnant Kraut wollte zum Lohnbüro, wo Frau Buggenhagen normalerweise arbeitete. »Kaderabteilung«, las er an einer Tür. Eigentlich konnte es nichts schaden, wenn er gleich mal hier hineinschaute und sich nach unsicheren Kandidaten erkundigte, überlegte er. Er erfuhr vom Kaderinstrukteur, daß ein Tischler namens Karlheinz Dortmund vor etwa vier Wochen aus der Haft entlassen und wieder an seinem alten Arbeitsplatz eingesetzt worden war. Dortmund hatte eine Strafe wegen Raubes verbüßt. Zur Überraschung Krauts stellte sich heraus, daß er am Tatabend sogar bis zwanzig Uhr im Betrieb war und ein Motorrad besaß, mit dem er täglich von Arnsberg nach Oberlangen kam. Kraut überlegte nicht lange. Jetzt Müller anzurufen und sich grünes Licht zu holen schien ihm reine Zeitverschwendung. Am besten, er sprach gleich mit Dortmund. Hatte er etwas mit dem Raub an Frau Buggenhagen zu tun, würde er es an seiner Reaktion feststellen. Wenn nicht, war diese Spur nach der üblichen Überprüfung gleich wieder abzuhaken. Außerdem sah Kraut eine Möglichkeit, die Straftat in kürzester Zeit aufzuklären. »Kann man hier irgendwo ein Zimmer bekommen«, erkundigte er sich bei dem Kaderinstrukteur. »Selbstverständlich«, antwortete der beflissen und telefonierte. Kurze Zeit später saß Kraut Karlheinz Dortmund gegenüber. Er ging nicht lange um den heißen Brei herum, sondern stellte Dortmund konkrete Fragen zum Ablauf des vorgestrigen Abends. Dortmund stierte ihn sekundenlang verständnislos an.
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Dann begriff er. »Warum fragen Sie das alles, he?« brauste er auf. »Is’ was passiert? Und da haben Se nichts Besseres zu tun, als mich zu verdächtigen? Is’ ja auch einfach. Dortmund is’ vorbestraft, Dortmund muß es gewesen sein.« Er sprang von seinem Stuhl auf und rannte im Zimmer hin und her. »Na, na«, versuchte Kraut ihn zu beruhigen. »Kommen Sie, setzen Sie sich wieder. Wenn Sie nichts zu verbergen haben, können Sie mir doch erzählen, was Sie vorgestern abend gemacht haben«, sagte er und bot Dortmund eine Zigarette an. Dieser nahm wieder Platz. Er rauchte schweigend, und Kraut ließ ihm Zeit. »Bin drüben in der Mokkastube gewesen. Hab’ ’ne Bockwurst gegessen und ’nen Kaffee getrunken. Dann ging’s mit dem Motorrad nach Hause. Kann zehn gewesen sein, als ich ankam. Meine Frau wird’s bestätigen.« »Was für eine Maschine fahren Sie?« »MZ zweihundertfünfzig.« Kraut verbarg seine Überraschung. Doch er konnte nicht so recht daran glauben, daß er schon auf der richtigen Spur war. Das ging ihm alles zu glatt, zu einfach. Meist befand man sich in solchen Fällen auf dem Holzweg. »Sind se nun zufrieden«, fragte Dortmund ironisch. »Sagen se mir doch mal, worum’s überhaupt geht.« »Eine Frau ist überfallen worden, eine aus diesem Betrieb. Das ist alles.« Dortmund lachte höhnisch. »Ich mußte ja unbedingt wieder hierher. Viel lieber hätte ich woanders gearbeitet. Aber darüber bestimmen ja andere.« Kraut ging auf diesen Vorwurf nicht ein. Er erkundigte sich, von wem Dortmund im Café bedient wurde. »Ich werde das überprüfen«, sagte er. »Kann sein, daß wir uns Ihr Krad noch näher ansehen. Gehen Sie erstmal wieder arbeiten.«
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Dortmund zog brummend ab, und Kraut ging zum Lohnbüro. So ganz zufrieden war er nicht. Dortmund hatte nicht im geringsten Unsicherheiten gezeigt und war auch ziemlich überzeugend aufgetreten. Handelte es sich bei ihm trotzdem um den Täter, durfte ihm keine Gelegenheit gegeben werden, verräterisches Diebesgut vor der Durchsuchung seiner Wohnung fortzuschaffen. Eine dumme Situation. Als er kurze Zeit später im Lohnbüro erfuhr, daß Frau Buggenhagen keine Überstunden gemacht, sondern gegen siebzehn Uhr den Betrieb verlassen hatte, fluchte er still vor sich hin. Wo war Frau Buggenhagen gewesen? Noch im Café gegenüber und mit wem? So ganz war Dortmund zwar nicht als Täter auszuschließen, aber wenn sein Alibi stimmte, mußte er sich noch bei ihm entschuldigen. Heute Frau Buggenhagen im Krankenhaus aufzusuchen war zwecklos. Er hatte erfahren, daß ihr Zustand wieder schlechter geworden war, und man hatte ihn auf den nächsten Tag vertröstet. Seine Nachfrage in dem Café verlief so, wie er es fast erwartet hatte. Die Serviererin gab Dortmund das Alibi, Dortmund war in der »Mokkastube« kein Unbekannter. Er hatte schon vor seiner Haftzeit dort verkehrt. Kraut seufzte. Wenn er daran dachte, Müller über seine Ermittlungen im Kraftwerk zu unterrichten, wurde ihm flau im Magen. Doch er konnte dem Hauptmann schlecht sein übereiltes Vorgehen unterschlagen. Hätte er gleich gewußt, daß Frau Buggenhagen nicht bis in die späten Abendstunden im Betrieb war, wäre Dortmunds Überprüfung anders verlaufen. Jemanden unvorbereitet anzusprechen, ohne etwas Definitives gegen ihn in der Hand zu haben, konnte ins Auge gehen. Eine alte kriminalistische Weisheit. In solchen Fällen gerieten sie meistens in Zugzwang, was nicht immer günstig für die weiteren Ermittlungen war. Aber was soll es, zum Glück ist nichts schiefgegangen, dachte er. Gegen sechzehn Uhr saß er dem Ehemann der Geschädigten in dessen Wohnung gegenüber. Irgend etwas stimmte in der Ehe nicht. Er merkte es dem Mann im Rollstuhl an. Walter Buggenhagen verhielt sich ziemlich zurückhaltend, stellte dafür aber selber reichlich viel Fragen. »Warum ist sie dort bloß allein
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entlanggegangen. Sie hätte doch mit dem Bus bis vor die Haustür fahren können?« Mißtrauen schwang in seinen Worten mit. »Ihre Frau wollte noch ein bißchen an der frischen Luft sein, Herr Buggenhagen. Bei einem so langen Arbeitstag ist das doch verständlich.« Kraut bemerkte Zweifel in Buggenhagens Miene. Da konnte er leider auch nicht helfen. Mit der Unehrlichkeit seiner Frau mußte Walter Buggenhagen schon selber fertig werden. Er sah keine Veranlassung, ihm zu sagen, was er im Betrieb erfahren hatte. Bei dem geraubten Schmuck handele es sich bis auf das Goldkettchen um Erbstücke, gab Walter Buggenhagen an. Die Kette habe einen Anhänger mit dem Tierkreiszeichen Stier und auf dem Verschluß das Monogramm A. B. Buggenhagen erklärte sich bereit, Zeichnungen von den fehlenden Ringen und dem Armreif anzufertigen. Als technischer Zeichner falle es ihm nicht schwer, Abbilder von ihnen zu Papier zu bringen. »Das ist ja wunderbar«, rief Kraut erfreut und bat Walter Buggenhagen, am besten gleich damit zu beginnen. Dieser fuhr mit dem Rollstuhl zu seinem Schreibtisch und nahm seine Arbeit auf. Währenddessen beschäftigte sich Kraut mit der kleinen Tochter, die neugierig dem Gespräch der Männer gefolgt war. Nach einer halben Stunde reichte Walter Buggenhagen dem Oberleutnant sein Werk. Kraut betrachtete es und nickte anerkennend. »Alle Achtung. Damit können wir schon etwas anfangen«, sagte er und bedankte sich. Am selben Nachmittag brachte er die Zeichnungen zu seinem Hauptmann, der den Schmuck in Fahndung stellen und die Handzettel drucken lassen wollte. Kraut hielt sich nicht weiter auf. Sein Weg sollte ihn heute noch zur Karlssohnbrücke führen. Erst am nächsten Tag wollte er Hauptmann Müller über alles andere informieren. Ein Glück, daß dieser keine weiteren Fragen gehabt hatte.
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Die Dunkelheit war bereits hereingebrochen, als Wolfgang Kraut mit seiner Zweihundertfünfziger langsam an die Karlssohnbrücke heranfuhr. Motorradsport war sein Hobby, und es war kein Wunder, daß er diesen Auftrag gern entgegengenommen hatte. Im allgemeinen stand ihm ein Dienstfahrzeug zur Verfügung, aber in diesem Fall war es angebracht, sein eigenes Motorrad zu verwenden. Er schaute von oben auf die jungen Männer, die unter dem Brückenbogen versammelt waren. Sie steckten samt und sonders in schwarzer Lederkleidung. Ab und zu blitzten im Lampenlicht Knöpfe, Schnallen oder Reißverschlüsse an ihren Sachen auf. Einige Motorräder standen an den Brückenpfeiler gelehnt. Soweit Kraut erkennen konnte, waren auch schwere Maschinen darunter. Wolfgang Kraut hatte eigentlich nicht die Absicht, sich heute gleich als Kriminalist erkennen zu geben. Vielmehr dachte er daran, sein Interesse an Motorrädern zu bekunden und dabei Kontakt zu den Burschen zu finden. Dann wollte er die Gelegenheit wahrnehmen und sich die Maschinen und ihre Besitzer näher ansehen. Einer der Burschen mußte ihn entdeckt haben, denn Kraut bemerkte, wie sie sich ihm zuwandten und ihn neugierig musterten. Jemand rief etwas, und plötzlich liefen welche zu ihren Motorrädern und kamen ihm auf der Schräge des Dammes entgegengefahren. Kraut überlegte blitzschnell. Wenn er ihnen imponierte, würden sie ihn wahrscheinlich am ehesten akzeptieren. Hoffentlich vermuteten sie in ihm nicht einen Mann, der ihnen nicht gut gesonnen war. Er gab Gas und fuhr über die Brücke zurück zur Hauptstraße. Unmittelbar darauf bog er in eine wenig befahrene Seitenstraße ein. Die Burschen hatten ihn erwartungsgemäß rasch eingeholt und nahmen ihn in ihre Mitte. Zwei kamen ihm von beiden Seiten so nahe, daß er jeden Moment mit einem Zusammenstoß rechnete. Jetzt mußte er Vollgas geben und ihnen davonfahren. Hoffentlich läuft mir kein Verkehrspolizist über den Weg und macht Scherereien, dachte er. Im nächsten Moment hatte er seine Verfolger schon abgehangen. Er bog an der nächsten Ecke ein und fuhr die Parallelstraße zurück zur Karlssohnbrücke. Dort wartete er, bis die Meute heran war. Er trug wie sie dunkle Motorradkleidung
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und hatte das Visier seines Integralhelms hochgeschoben. »Guten Abend«, begrüßte er sie. »He, was bist du für einer«, rief ein junger Bursche. Er legte seinen Helm ab und trat näher an Kraut heran. Herausfordernd pflanzte er sich vor dem Oberleutnant auf und stemmte die Hände in die Seiten. Kraut fiel sein im Lampenlicht rotschimmerndes, hochtoupiertes Haupthaar auf. Die Seitenpartien seines Kopfes waren kahlrasiert. Kraut nahm ebenfalls den Helm ab und stellte sich ebenso in Pose. »Mensch, ein Opa«, rief ein anderer. Kraut, dem Dreiunddreißigjährigen, gab es einen Stich. Verdammt, so alt sehe ich doch bestimmt nicht aus, dachte er voller Ingrimm. Der erste Sprecher, offenbar der Wortführer, lief zu Krauts Maschine und griff nach dem Lenkrad. »Toller Ofen. Bist uns ganz schön davongefahren. Wo haste denn den Schlitten her? Von deinem Sohn, was?« Er lachte höhnisch und gab dem Motorrad einen Tritt. Es kippte zur Seite. Die anderen Burschen fielen in das spöttische Lachen des Sprechers ein. Kraut, der sich die Kontaktaufnahme mit den Jungen anders vorgestellt hatte, nahm seelenruhig seine Maschine wieder auf und besah sie sich. Einen Schaden konnte er nicht entdecken. Er trat dicht an den Wortführer heran. »Du bist hier wohl der Schlaueste, was? Dann wirst du mir ja am besten helfen können«, sagte er, und ihm war in diesem Moment klar, daß auch alles weitere anders verlaufen würde, als von ihm geplant. Sein Gegenüber nahm eine drohende Haltung an. »Wenn du deinen Sprößling suchst, bei uns ist kein Fremder, eh. Und nun hau ab.« Unvermittelt griff er Kraut an den Kragen und wollte ihm einen Stoß geben. Doch er hatte nicht mit den Judokenntnissen des Oberleutnants gerechnet. Ehe er wußte, wie ihm geschah, lag er auf dem Boden und rieb sich sein Hinterteil. »Eh, was hab’ ich dir denn getan, Opa«, krächzte er und rappelte sich auf. Jetzt lachten die anderen über ihn. »So, nun mal zur Sache, Jungens«, rief Kraut energisch und
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zeigte seinen Dienstausweis. »Kriminalpolizei, Oberleutnant Kraut«, fügte er hinzu. »Wem gehören die drei Zweihundertfünfziger dort?« Er wies mit der Hand zu den Maschinen. Im stillen fluchte er, daß nicht alles nach Plan gelaufen war. Nun mußte er damit rechnen, daß man sich reserviert verhielt. Drei Burschen traten aus der Gruppe heraus. Er ließ sich ihre Ausweise geben und notierte sich die Namen. Es handelte sich um Mike Koch, den Gruppensprecher, Steffen Hauser und Julius Kretschmar. Kraut bestellte sie für den nächsten Tag zu seiner Dienststelle. »Und vergeßt bitte eure Motorräder nicht«, sagte er zu ihnen. »Was ist denn überhaupt los?« wollte Mike Koch wissen. »Ist ein Unfall mit so ’nem Ding passiert?« »Wir suchen jemanden«, antwortete Kraut, »aber darüber reden wir morgen.« Er hatte es sich überlegt. Hier, an dieser Stelle, mit offenen Karten zu spielen wäre nicht das richtige gewesen. Am nächsten Morgen war er schon früh auf den Beinen, um rechtzeitig aus dem Krankenhaus zurück zu sein, wenn die Burschen kamen. Frau Buggenhagen hörte ihm schweigend zu, als er ihr erzählte, was er inzwischen in ihrem Betrieb erfahren hatte. »Warum haben Sie uns nicht die Wahrheit gesagt, Frau Buggenhagen. Sie brachten uns damit fast auf eine falsche Spur.« Obwohl er sich bemühte, einen sachlichen Ton anzuschlagen, war der Vorwurf nicht zu überhören. Frau Buggenhagen nestelte verlegen an ihrer Bettdecke. »Wenn Sie möchten und es stehen keine Bedenken dagegen, können wir Ihre Angaben auch vertraulich behandeln«, sagte Kraut, um ihr das Sprechen zu erleichtern. »Vertraulich«, wiederholte sie nachdenklich und schüttelte den Kopf. »Nein, das heißt, eigentlich nur meinem Mann gegenüber.«
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Kraut nickte. »Reden Sie nur.« »Entschuldigen Sie, daß ich nicht die Wahrheit gesagt habe, aber Sie werden gleich verstehen, warum.« Ihre kurzen Atemzüge verrieten, daß ihr das Sprechen schwer fiel. Schließlich gestand sie ein, daß sie sich mit einem Bekannten im Koppelwald aufgehalten hatte und von ihm danach mit dem Wagen bis zur Chaussee mitgenommen, wurde. In der Nähe der Bushaltestelle habe sie sich absetzen lassen, erklärte sie, um nicht mit ihm in der Stadt gesehen zu werden. Kraut hatte sich so etwas gedacht. Nun, er war kein Moralapostel und hatte keine Partei zu ergreifen. Schließlich war es Sache der Frau. Dennoch konnte er nicht verhindern, daß sich ihm das Bild vom Mann im Rollstuhl und der kleinen Tochter aufdrängte. »Haben Sie jemand am Koppelwald gesehen oder vielleicht später auf der Chaussee«, fragte er reserviert. »Nach uns kam jemand mit einem Motorrad vom Koppelwald. Ich habe ihn im Seitenspiegel bemerkt, aber später nicht mehr auf ihn geachtet.« »Na, sehen Sie. Das kann doch der Täter gewesen sein.« Kraut klappte sein Notizbuch zu. Auch Betroffene sagen manchmal nicht die Wahrheit, dachte er. Am Vormittag lief alles so, wie er es sich vorgenommen hatte. Mike Koch, Steffen Hauser und Julius Kretschmar waren gekommen. Ihre Maschinen standen auf dem Hof der Dienststelle. Er hatte die Burschen kurz ins Bild gesetzt und sich zuerst mit Kretschmar und Hauser unterhalten. Nun war der Gruppensprecher, Mike Koch, an der Reihe. Er wartete im Besucherraum. »Kommen Sie«, forderte Kraut ihn auf und ging mit ihm in sein Dienstzimmer. »Was machen die jetzt mit meiner Kiste«, fragte Mike Koch neugierig mit einem Blick zum Fenster. Oberleutnant Kraut sah hinaus. »Bitte«, sagte er und winkte Koch heran. Beide schauten auf
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den Hof und beobachteten für einige Minuten die Handhabungen der Kriminaltechniker. Zunächst waren die Fabrikate der Reifen festzustellen und jene herauszusuchen, die der am Tatort gesicherten Spur entsprachen. Dann wurde Stück für Stück der Reifen mit ihr verglichen, um auf die individuellen Merkmale zu stoßen, die sie aufwies. Die Feinuntersuchung erfolgte anschließend im Labor. »Sie waren doch damit einverstanden«, meinte Kraut lächelnd und bat Mike Koch, wieder Platz zu nehmen. »Ja, schon«, erwiderte Koch und setzte sich. »Und Sie sagten auch, Sie hätten volles Verständnis für unsere Arbeit.« »Hab’ ich auch«, entgegnete Mike Koch aufmüpfig. »Aber Sie verdächtigen mich, nur weil ich so aussehe.« »Ich verdächtige Sie doch nicht und schon gar nicht wegen Ihrer Frisur. Aber Sie wissen, daß Sie und Ihre Freunde schlecht nachprüfbare Alibis vorbringen. Sie wollen alle am Tatabend an der Karlssohnbrücke gewesen sein, geben sich gegenseitig sozusagen ein Alibi. Sie werden verstehen, daß ich da ein bißchen mißtrauisch bin.« »Ich hab jedenfalls mit dem Raub nichts zu tun«, sagte Mike Koch trotzig. Kraut blickte sein Gegenüber eine Weile schweigend an. »Wenn Sie mit dem Raub nichts zu tun haben, na schön, dann können Sie mir vielleicht einen Tip geben, wer es gewesen sein kann«, sagte er. Mike Koch lachte ironisch. »Ich Ihnen einen Tip geben? Erst verdächtigen Sie mich, und dann wollen Sie ’nen Tip von mir?« »Na, na. Nun dramatisieren Sie mal nicht. Also wie ist es?« Mike Koch kaute auf seiner Unterlippe herum. »Ich selber kenne keinen, der sowas machen würde. Hab’ auch nichts gehört. Bin ja nur mit der Meute an der Brücke zusammen. Aber da gibt’s die Susi. Susi Kramer. Vielleicht fragen Sie die mal.« »Was ist mit ihr?«
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»Die verkehrt an allen möglichen Ecken der Stadt. Die liebt so schwere Öfen, wie wir sie fahren, und läßt sich gern zu ’ner Fahrt einladen. Sie kennt bestimmt ’ne Menge Leute mit Motorrädern.« »Aha. Interessant. Und wo finde ich diese Susi?« »Wo sie wohnt, weiß ich nich’. Kann Ihnen ’ne Disko nennen, wo sie verkehrt. Am besten is’, Sie kommen wieder mal bei uns vorbei. Alle paar Tage kreuzt Susi bei uns auf.« Der Oberleutnant bedankte sich und ließ Koch gehen. Wenn ihm das Gespräch mit den jungen Burschen auch nicht auf die erwünschte Spur gebracht hatte, war er dennoch mit dem Ergebnis zufrieden. Nach dem Essen wollte Hauptmann Müller in aller Kürze über die Arbeitsergebnisse informiert werden. Kraut begann mit seinen Ermittlungen im Kraftwerk. Freimütig berichtete er, daß er fast geglaubt habe, auf der richtigen Fährte zu sein, doch es wäre ein Trugschluß gewesen. »Karlheinz Dortmund hat ein einwandfreies Alibi. Er war von zwanzig bis einundzwanzig Uhr dreißig im Café ›Mokkastube‹. Die Tat passierte bekanntlich gegen neun«, sagte er. »Die Serviererin ist glaubwürdig.« Müller sah ihn bei seinen Worten eigentümlich an, sagte aber nichts. Was soll er auch sagen, dachte Kraut. Schließlich hatte er ihm selber den Auftrag gegeben, sich im Kraftwerk nach Verdächtigen umzuhören. Allerdings nur umzuhören, gestand er sich ein. »Wir haben mit unserer Vermutung recht gehabt«, fuhr er rasch fort, als könne er vom Thema ablenken. »Frau Buggenhagen hat keine Überstunden gemacht. Dortmund dagegen war bis zwanzig Uhr im Betrieb.« Wieder fing Kraut einen nachdenklichen Blick vom Hauptmann auf. »Frau Buggenhagen hat mir heute anvertraut«, fuhr er fort, »daß sie am Tatabend mit einem Freund im Koppelwald war. Sie trafen sich dort in der Nähe. Ihr Freund hat sie später mit seinem Wagen ein Stück mitgenommen und an der Bushaltestelle abgesetzt. Sie erinnert sich sogar, daß nach ihnen ein Motorradfahrer aus gleicher Richtung gekommen ist.« »Also doch«, rief Hauptmann Müller. »Demnach hat der Täter
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sein Opfer vermutlich schon am Koppelwald ausgemacht. Doch woher wußte er, daß die Frau auf der Chaussee aussteigt?« Er schwieg einen Moment. »Wie auch immer«, meinte er dann, »alles deutet darauf hin, daß es sich um keinen geplanten Raub, mehr um eine Zufallstat gehandelt hat. Das erschwert die Sache. Bitte weiter.« »Keiner der Burschen von der Karlssohnbrücke hat schon mit der Kriminalpolizei zu tun gehabt«, berichtete Kraut. »Drei von ihnen fahren eine zweihundertfünfziger MZ. Die Trassologen vergleichen noch. Die Alibis der Burschen erscheinen mir ein bißchen wacklig. Sie wollen am Tatabend alle an der Brücke gewesen sein. Ich prüfe das noch.« Kraut machte eine Pause und erzählte dann von Susi Kramer. »Ich hoffe, daß ich mit ihrer Hilfe weiterkomme«, sagte er. »In Ordnung, dann bleibst du an dieser Spur. Vielleicht kommst du tatsächlich über dieses Mädchen weiter. Und sprich auch mit dem Freund der Buggenhagen. Wenn ich mir auch nicht viel davon verspreche, müssen wir wissen, mit wem wir es da zu tun haben. Möglich sogar, daß er den Täter gesehen hat, ohne sich dessen bewußt zu sein. Die Personalien hast du doch hoffentlich?« Kraut atmete im stillen auf und nickte. Diesen Ton kannte er. Müller kam manchmal mit Fragen, auf die man nicht vorbereitet war. Er hatte zum Glück Namen und Anschrift des Mannes. Müller war schon aufgestanden und zum Fenster getreten. Er fühlte sich wegen dieses Falles nicht recht wohl. Drei Tage nach dem schweren Raub waren sie noch nicht weit gekommen, obwohl es genügend Ausgangsmaterial zu geben schien. Nach Minuten des Schweigens setzte er sich wieder. Der Trassologe kam ins Zimmer und legte ihm das Ergebnis seiner Vergleichsuntersuchungen auf den Tisch. »Keiner der Reifen weist die gleichen Merkmale auf wie die am Tatort gesicherte Spur«, erklärte er. »Na bitte«, sagte Hauptmann Müller enttäuscht. »Da kannst du dir weitere Alibiüberprüfungen ersparen, Wolfgang.« Er bedankte sich seufzend und nahm eine Liste zur Hand, die
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Karnberger gefertigt hatte. Auf ihr waren die Arnsberger Halter von Motorrädern des gesuchten Typs verzeichnet. »Kommen wir also hierzu«, sagte Hauptmann Müller und ging zur nächsten Aufgabe über. »Wir müssen den Kreis einengen und halten uns zunächst an die Jüngeren. Genosse Karnberger, du bekommst noch Unterstützung.« Karnberger schien nicht begeistert von dieser Aufgabe. Es war mühselige Kleinarbeit, Müller bemerkte es. »Tut mir leid, Uwe. Jeder von euch hat gleiche Chancen, auf die Spur des Täters zu stoßen, nur unterschiedlich sind die Wege.« Er schwieg einen Moment. Die kleinen Rivalitäten unter den beiden, wer zuerst auf den Täter kam, hatte etwas für sich. Sie spornten an. »Hast du die Herkunft des Spielzeuges ermitteln können«, fragte er Karnberger. »Die Herkunft: vermutlich ja«, antwortete dieser, »aber ich weiß nicht, ob der beschriebene Käufer der Täter ist.« Karnberger machte absichtlich eine Pause und blickte in die gespannten Gesichter seiner Genossen. »Bei dem Feuerwehrauto handelt es sich um ein seltenes Modell. Die Leute sind wie wild darauf. Vor drei Wochen wurden sie an das Warenhaus Centrum und die Fachgeschäfte ausgeliefert. Am Kauftag unseres Spielzeuges hatten nur noch zwei Verkaufssteilen ein paar Exemplare zur Verfügung. Das ist drei Tage her. Der Kassenbon weist leider nicht auf das Geschäft hin, in welchem unser Feuerwehrwagen gekauft wurde. Eine Verkäuferin vom Spielzeugladen Merks will sich erinnern, am Tattag einem Motorradfahrer den vorletzten verkauft zu haben. Daß er ein Motorradfahrer war, schloß sie aus seiner Kleidung und dem Integralhelm, den er in der Hand trug. Sie schätzt den Mann auf Anfang bis Mitte Zwanzig. Eine genaue Beschreibung kann sie nicht geben. Groß, schlank, dunkelhaarig, das ist alles.« »Na das ist doch was. Vielleicht würde sie den Mann trotzdem wiedererkennen«, rief der Hauptmann. »Nein. Sie glaubt nicht.« Müller war enttäuscht. »Es ist zum Heulen. Erst keine Fingerabdrücke, jetzt das. Laß sie trotzdem in die Lichtbildkartei
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einsehen, vielleicht haben wir Glück«, entschied er. »Ist schon organisiert. Fräulein Krüger kommt noch heute«, antwortete Karnberger mit gekränkter Miene, die Müller nicht entging. Vielleicht hatte Karnberger seine Enttäuschung wieder als Vorwurf gegen sich aufgefaßt. »Das hast du gut gemacht«, lobte er ihn daher. »Und informiere mich bitte gleich, Uwe.« Diese Anerkennung tat Karnberger offensichtlich wohl, und Müller registrierte es mit einem unhörbaren Seufzer. Er bat Kraut, noch zu bleiben. »Menschenskind, Wolfgang, was hast du bloß in Taktik gelernt«, sagte er seufzend und schlug ihm kameradschaftlich auf die Schulter. Krauts betretene Miene verriet ihm alles. »Nun hau schon ab.« Müller schob ihm lächelnd aus dem Zimmer. Kraut, der geglaubt hatte, die Sache mit Dortmund überspielt zu haben, schwor sich, nie wieder voreilig zu handeln. Annegret Weber stand am Küchenfenster und hielt Ausschau nach Günter Falk. Sie rechnete jeden Moment mit seinem Kommen. Noch einmal lief sie zum Spiegel und schaute prüfend in ihr verweintes Gesicht. Die Röte der Augen wollte nicht weichen. Sie drückte mit einem feuchten Tuch dagegen, doch es half nichts. Dann ging sie in die Stube zu dem Kleinen. Micha hockte auf dem Fußboden, schob seine Holzeisenbahn auf dem Teppich entlang und gluckste fröhlich vor sich hin. Annegret lächelte. Ein Glück, daß Machert keinen Anspruch auf den Jungen erhob. Sie starrte auf ihre Handgelenke, die noch immer Druckstellen aufwiesen. Er hatte ihr wieder im Flur des Hauses aufgelauert und sie bedrängt. Als sie sich nicht von ihm küssen lassen wollte, packte er so hart zu, daß sie aufschrie. Der Junge begann zu weinen. Da wurde Machert noch wütender. Er verlangte, mit in die Wohnung genommen zu werden. Wäre in diesem Moment nicht Herr Peters aus dem dritten Stock gekommen, hätte Machert sicherlich nicht von ihr abgelassen. So aber konnte sie ihn wegstoßen und zusammen mit Herrn Peters nach oben gehen.
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Annegret seufzte. Was sollte das bloß noch werden. Plötzlich hörte sie Lärm im Treppenhaus. Sie öffnete die Tür und vernahm Männerstimmen. Wenn sie sich nicht irrte, waren Falk und Machert aneinandergeraten. Annegret erschrak. Machert hatte gedroht, Falk zusammenzuschlagen. Wenn er seine Drohung nun wahrmachte? Rasch griff sie nach ihren Wohnungsschlüsseln und lief die Treppen hinunter. Als sie im Parterre ankam, verschwand Machert gerade durch die Haustür. Günter Falk lag am Boden und drückte ein Taschentuch gegen seine Lippen. Er blutete aus Nase und Mund. Ein Mieter war aus seiner Wohnung getreten und bot seine Hilfe an. »Danke, es geht schon«, flüsterte Falk und ließ sich von Annegret auf die Beine helfen. Sie hörten gerade noch, wie Machert mit seinem Motorrad davonfuhr. Machert hatte zwar seine Wut abreagiert, aber innerlich war er immer noch aufgewühlt. Der Gedanke, daß Annegret mit diesem Falk zusammen war, machte ihn krank. Er versuchte zur Ruhe zu kommen. Im Zentrum der Stadt stellte er seine Maschine am Straßenrand ab und lehnte sich an das Schutzgitter. Mit seinen Gedanken war er noch immer bei Annegret. Ihre heftige Abwehr war schuld daran gewesen, daß sich seine Wut so gesteigert hatte. Als zu seinem Leidwesen noch Falk auftauchte, hatte er seine Beherrschung verloren. Sicherlich waren dem ein paar Zähne locker. Vielleicht sollte er sich doch nach einer anderen Frau umsehen, überlegte er. Annegret hatte ihm wieder deutlich gezeigt, wie ernst es ihr mit einer Trennung war. Bisher hatte er noch keine Frau gefunden, die ihr glich. Im Grunde wollte er auch keine andere. Was sollte er tun, um sie zurückzugewinnen. Auf keinen Fall auf Knien vor ihr rutschen, nahm er sich vor. Hätte er es am Nachmittag erreicht, in ihre Wohnung zu kommen, wäre es ihm auch gelungen, mit ihr zu schlafen. Er glaubte, seine Macht über Annegret zu kennen. Aber seit Wochen, ja Monaten, hatte sich nichts mehr zwischen ihnen abgespielt. Vielleicht sollte er es noch einmal auf nette Weise versuchen? Was sie nur an diesem Falk fand. Das war doch keine Konkurrenz für ihn. Der Gedanke an seinen Nebenbuhler
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weckte in Machert erneut Zorn auf Annegret, und wieder redete er sich ein, daß alle Frauen schlecht seien. Sie verdienten es nicht, einen anständigen Kerl zum Mann zu bekommen, so meinte er. Wenn es nach ihm ginge, müßten alle, die untreu waren, bestraft werden. Plötzlich, wie von einer fixen Idee besessen, sprang er auf sein Motorrad und fuhr stadtauswärts. Er hatte Glück. Eben war eine elegante Dame an der Haltestelle Stadtrandsiedlung aus dem Bus gestiegen. Sie hielt des Windes wegen ihren Hut fest. Machert gab Gas und fuhr der Frau entgegen. Im Dämmerlicht konnte er erkennen, daß die Frau allerlei Schmuck an sich hatte. Fünfzig Jahre alt mochte sie sein, sah aus, wie eine Geschäftsfrau. Ihre Tasche trug sie am Bügel über die Schulter. Machert schaltete das Fernlicht ein und richtete es voll auf die Frau. Er bemerkte, wie sie erschrak und unwillkürlich nach ihrer Tasche griff. Machert sprang vom Motorrad, lief zu ihr, packte sie an der Schulter und riß ihr den Bügel der Tasche herunter. Die Frau wehrte sich und begann zu schreien. Machert schlug ihr ein paarmal heftig ins Gesicht und versuchte ihr die Ringe von den Fingern zu ziehen. Es gelang. Nur die große Brosche mit Sicherheitsverschluß wollte sich nicht von ihrer Bluse lösen. Er mußte sie mit dem Revers herunterreißen. Die Frau gab immer noch nicht auf, doch Machert war stärker. Als er die Tasche erbeutet hatte, lachte er höhnisch auf. Da krallte sich die Frau wie eine Klette an seine Lederjacke, zerrte daran herum und riß sie doch tatsächlich entzwei. Machert war außer sich. Er fürchtete, Leute könnten aufmerksam werden und gab der Frau einen Stoß, daß sie ins Stolpern kam und hinstürzte. Machert trat ihr mit dem Fuß brutal in die Seite. »Sei still, Mensch, sonst passiert was.« In der Ferne war das Geräusch vom Bus zu vernehmen, und Machert sah zu, daß er fortkam. In der Stadt angekommen, fuhr er kreuz und quer durch die Straßen, um mögliche Verfolger abzuschütteln. Nur allmählich klang seine Erregung ab. Als er sicher war, daß er nicht verfolgt wurde, blieb er an der Hauptverkehrsstraße stehen und atmete
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tief durch. Jetzt fühlte er sich wohler. Nur die Kehle war ihm trocken geworden, und er verspürte mit einem Mal großen Appetit auf ein Bier. Er fuhr nach Hause, stellte sein Motorrad in die Remise und ging nach oben. Bevor er sich zu Fuß auf den Weg in die Grotewohlstraße machte, wollte er noch rasch seine Beute in Augenschein nehmen. Zum Glück traf er seine Mutter nicht in der Wohnung an. Sie war vermutlich bei ihrer Nachbarin. Machert schüttelte den Inhalt der Handtasche auf den Tisch und fand in der Geldbörse vierhundert Mark. Er steckte sie schnell weg und nahm sich die Ringe vor. Er ließ sie spielerisch durch die Finger gleiten. Von der Brosche entfernte er den Stoffetzen. Ihm kam ein Gedanke. Er holte den anderen Schmuck aus der Blechbüchse und steckte ihn ebenfalls ein. Vielleicht ergab sich eine Möglichkeit, die Beute abzusetzen. Er brauchte Geld. Die Reparatur der Lederjacke würde nicht billig sein. Von einer neuen ganz zu schweigen. In seiner Kneipe angekommen, blickte er sich suchend um. Er entdeckte Alfred Stüber und war froh darüber. Stüber kam ihm gerade recht. Früher hatte er ihm von Zeit zu Zeit von seiner Ware etwas abgenommen und es verhökert. Als genügend Tumult im Lokal herrschte, kramte Machert den Schmuck aus seiner Tasche und zeigte ihn unter dem Tisch Alfred Stüber. Doch der schien nicht geneigt zu sein, irgend etwas davon zu übernehmen. »Biste verrückt«, zischte er Machert an, »sieh mal hier.« Er holte ein zerknittertes Stück Papier aus seiner Jackentasche und reichte es Machert. Es war der Aufruf der Volkspolizei zur Mitarbeit. Die darauf abgebildeten Gegenstände jagten Machert einen tüchtigen Schreck ein. Es handelte sich um seine Beute aus dem ersten Raub. Rasch ließ er den Schmuck wieder in seine Tasche verschwinden. »Verdammt«, flüsterte er. »Ich hab’ sowieso keine Abnehmer mehr«, erklärte ihm Stüber. »Am besten, du schreibst eine Annonce.« Machert schüttelte den Kopf und trank eilig sein Bier aus. »Schade«, sagte er nur und bedankte sich für den Tip. So eine Pleite, dachte er. Gerade jetzt, wo er so dringend Geld gebrauchen konnte.
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»Mensch, laß dich bloß nicht erwischen. Hast doch das Ding nicht etwa selber gedreht«, fragte Stüber mit verschlagenem Blick. »Da, bestell dir noch ’nen Schnaps und vergiß es«, erwiderte Machert, warf ihm einen Zehner auf den Tisch und ging. Hoffentlich verpfiff ihn Stüber nicht. Er wollte den Schmuck vorläufig nicht anrühren. Machert wurmte es, daß er so wertvolle Dinge besaß und sie nicht an den Mann bringen konnte. Annonce aufgeben, nein danke, dachte er. Das war unter diesen Umständen ein ebenso großes Risiko, wie die Gegenstände in ein An- und Verkaufsgeschäft zu bringen. Dann wollte er ihn lieber als eiserne Reserve behalten. Für Hauptmann Müller und seine Genossen stand fest, daß man es im zweiten Fall mit dem gleichen Täter wie beim ersten Raub zu tun hatte. Diesmal erwiesen sich die Angaben der Geschädigten als richtig. Frau Worms war aus Oberlangen mit dem Bus gekommen und an der Haltestelle Stadtrandsiedlung ausgestiegen. Sie arbeitete in der Betriebspoliklinik des Kraftwerkes als Ärztin und hatte bis zwanzig Uhr Sprechstunde abgehalten. Nachdem sie nach dem Überfall wieder zu sich gekommen war, war sie nach Hause gelaufen und hatte die Polizei verständigt. Bei der Tatortuntersuchung konnten erneut Reifenspuren von einer zweihundertfünfziger MZ gesichert werden. Damit war die gleiche Täterschaft in beiden Fällen bestätigt worden. Die Beschreibung des Mannes fiel ähnlich wie im ersten Fall aus. Er sei groß, schlank, sportlich gewesen und habe dunkle Lederkleidung und einen schwarzen Integralhelm getragen, hatte Frau Worms ausgesagt. Wie Hauptmann Müller feststellte, war die Einsichtnahme in die Täterlichtbildkartei durch die Verkäuferin des Spielzeugladens erfolglos verlaufen. Gerade darauf hatte er gewisse Hoffnung gesetzt. Als weitere Enttäuschung stellten sich Karnbergers bisherige Bemühungen heraus, den Verbleib des geraubten Schmucks durch Überprüfung von Annoncen zu ermitteln. Auch die Fahndungsmaßnahmen in An- und Verkaufsgeschäften hatten noch nicht zu seinem Auffinden
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geführt. Blieben noch die Motorradhalter. Müller bemühte sich, bei seinen Worten keine Enttäuschung zu zeigen. »Da kann man nichts machen«, meinte er. »Der Täter wird noch in Besitz der gestohlenen Gegenstände sein. Will sie vielleicht erst absetzen; wenn Gras über die Sache gewachsen ist.« Karnberger nickte. Sein Hauptmann hatte ihm offenbar aus der Seele gesprochen. Einen anderen Umstand aber hielt dieser für bemerkenswert. Beide Geschädigten arbeiteten im Kraftwerk Oberlangen. Kraut sollte dort weitere Nachforschungen anstellen. Möglicherweise suchte der Täter schon hier seine späteren Opfer aus. Kam Dortmund mit Sicherheit nicht als Täter in Frage, sollten die Verbindungen der beiden Frauen festgestellt und gegebenenfalls andere Mitarbeiter entsprechenden Alters und Aussehens überprüft werden. Müller übertrug diese Aufgabe Kraut. Seine abendlichen Ausflüge zur Karlssohnbrücke könne er nebenbei weiterführen, meinte er. Irgendwann müsse ja diese Susi Kramer dort wieder auftauchen. Ungeachtet der noch ausstehenden Ergebnisse wollte Hauptmann Müller einen Einsatz vorbereiten, der auf die Festnahme des unbekannten Täters gerichtet war. »Ich rechne stark damit, daß er wiederkommt«, meint er. »Wenn unsere Gruppe verstärkt wird, sind wir in der Lage, Kriminalistenpärchen zu bilden, die die Aufmerksamkeit des Unbekannten auf sich lenken werden. Mit gleichem Ziel setze ich Kriminalistinnen ein. Sie werden den Bus benutzen und an den uns bekannten Haltestellen aussteigen. Gewiß, das ist ein Risiko. Wenn aber genügend Sicherungskräfte vorhanden sind, dürfte nichts schiefgehen.« Müllers Worte stimmten optimistisch. Es gab keinen Zweifel, daß er alles auf eine Karte setzen wollte. Kraut war enttäuscht, als er erfuhr, daß er bei diesem Einsatz nicht mit von der Partie sein sollte. Für ihn gäbe es genug anderes zu tun, meinte Müller. Kraut strich sich verstohlen über das Kinn. Müller hatte recht. Die anderen Ermittlungen mußten weiterlaufen. Dennoch, am
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Einsatz teilzunehmen, hätte ihm behagt. Eine echte Chance, den Täter auf frischer Tat festzunehmen. Machert lag auf seiner Liege und starrte ins Leere. Er war erst am späten Vormittag aufgestanden, hatte gegen eins die Zeitung aus dem Postkasten geholt, und nun war es bald fünf, und er hatte noch keinen Fuß vor die Tür gesetzt. Alfred Brandt, sein Brigadier, hatte ihm vor zwei Tagen mitgeteilt, daß ab sofort vom Lohnbüro der Pfändungsbeschluß des Gerichts in die Tat umgesetzt werde und ihm die Unterhaltskosten für seinen Sohn Micha sowie noch eine monatliche Nachzahlungsrate von seinem Verdienst abgezogen werden. Lange genug habe man mit ihm Geduld gehabt und mit seiner Zahlungswilligkeit gerechnet, leider vergeblich, hatte Brandt gemeint. Seit dieser Aussicht war Jürgen Machert die Lust aufs Arbeiten vergangen. Er lachte ironisch auf. Neunzig Mark Unterhalt und dazu noch sechzig Mark Nachzahlung monatlich. Das nannten die »in angemessener Höhe«. Verdammt nochmal, das war ein schönes Stück Geld, und er brauchte es jetzt so dringend. Die vierhundert Mark vom letzten Coup waren so gut wie aufgebraucht. Sein Verdienst reichte gerade für das nötigste. Bald wurde sein ehemaliger Kumpel aus der Haft entlassen, und er mußte ihm das Motorrad zurückgeben. Dann hieß es, sich selber eins zuzulegen, und das war nicht billig. Was sollte er ohne Motorrad anfangen? Etwa mit Bus oder Straßenbahn fahren? Vielleicht noch zu Fuß zur Arbeit? Nein, danke. Das ist das letzte, dachte er. Er ging zum Kühlschrank und nahm einen Schluck aus der Wodkaflasche, in der nur noch ein Rest von gestern geblieben war. Endlich kam seine Mutter. »Bist ja spät dran«, rief er vorwurfsvoll. »Machst doch sonst bloß bis drei in deiner Schule sauber.« »Herr Direktor hat mich gebeten, heute länger zu bleiben. Er hatte eine Beratung mit anderen Direktoren, und da sollte ich sie bewirten helfen.« »Herr Direktor, Herr Direktor. Wenn ich das schon höre. Mehr Geld kriegste deswegen auch nicht. Haste wenigstens was für mich? Bin so gut wie blank.«
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Anna Machert seufzte. Mußt nicht soviel in Kneipen gehen, dachte sie. Schon wieder wollte er Geld haben. Warum bummelt er bloß seit zwei Tagen die Arbeit. Kein Wunder, wenn er weniger ausgezahlt bekam. Sie griff zur Geldbörse und reichte ihm einen Fünfzigmarkschein. »Da, mehr hab’ ich nicht, Junge. Kann dir vorläufig auch nichts geben.« Machert riß ihr den Geldschein aus der Hand. »Gib schon her, Wirst ja nächste Woche wieder was kriegen, oder? Los, mach was zu essen, ich muß fort.« Machert nahm die Zeitung und bedeckte damit fast die ganze Tischplatte. »Beeil dich«, rief er seiner Mutter zu, die bereits an den Herd getreten war und das Essen vorbereitete. Am Küchentisch hatte sie jetzt nichts zu suchen, wußte sie. Sie hatte nicht einmal ihre Jacke ausgezogen, sondern gleich die Schürze darüber gebunden. »Ja, ja«, antwortete sie und hantierte weiter am Herd herum. Wieder einmal bedauerte sie, daß es zwischen Annegret Weber und Jürgen aus war. Verstehen konnte sie das Mädel ja, aber für Jürgen wäre es besser gewesen, wenn sie zu ihm gehalten hätte. Solange ihr Verhältnis miteinander bestand, war Jürgen halbwegs vernünftig. Nun aber verschlechterte sich sein Benehmen von Tag zu Tag. Ihr fehlte auch der Kleine. Sie glaubte, daß sie ihn nie wieder sehen werde. Dabei hatte sie sich immer ein Enkelkind gewünscht, für das sie eine richtige Oma sein konnte. Wenn Jürgen so weitermacht bekommt er überhaupt keine anständige Frau, dachte sie. »He, träumst du? Wie lange dauert es denn noch. Ich hab’s eilig«, unterbrach er ihre Gedanken, Anna Machert zuckte zusammen. »Bin ja gleich soweit«, rief sie. Er wollte weg? Wieder auf Tour, wie er es nannte? Raste vielleicht wie ein Wilder durch die Straßen, erschreckte die Leute und fuhr womöglich noch jemanden an. Nun ja, soll er doch verschwinden, dachte sie. Dann hatte sie wenigstens ein paar Stunden Ruhe. Anna Machert hatte falsch vermutet. Machert suchte seit langem wieder einmal eine Disko auf. Die Lust auf ein Mädchen trieb ihn dorthin. Er nahm an der Theke Platz, bestellte sich eine Cola und hielt
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nach einem hübschen Mädchen Ausschau. Es war noch relativ früh, erst neunzehn Uhr. Er konnte keines entdecken, das seinen Vorstellungen entsprach. Das Spiel der blitzenden Scheinwerfer tauchte die Paare auf der Tanzfläche im raschen Wechsel in andere Farben und ließ sie wie Wesen einer fremden Welt erscheinen. Plötzlich erregte ein Mädchen Macherts Interesse. Es war mit einem gleichaltrigen Burschen gekommen. Beide schienen miteinander befreundet zu sein. Das Mädchen sah verdammt gut aus, fand Machert. Eigentlich liebte er an Frauen nicht so viel Flitter und schon gar nicht Kriegsbemalung in ihren Gesichtern. Doch diese hier hatte etwas Aufreizendes an sich. Als sie mit ihrem Partner tanzte, bewegte sie ihren geschmeidigen Körper temperamentvoll im Rhythmus der Musik, daß ihm heiß wurde. Als ihr Freund nach dem Tanz etwas zu trinken holte, lief Machert zu ihr und sprach sie an. Er war sich seiner Wirkung auf Frauen so sicher, daß er nicht an ihrer Zusage zweifelte. Susi Kramer blickte erstaunt auf Machert, der sie bat, mit ihm zu tanzen. Machert gefiel ihr auf den ersten Blick. Groß, schlank, sportlich. Das liebte sie an Männern. Sicher war er nicht so langweilig wie ihr Begleiter. Sie nahm Macherts Einladung gern an. Anschließend ging sie mit ihm zur Theke und kümmerte sich nicht mehr um den, mit dem sie gekommen war. Machert triumphierte im stillen. Er hatte wieder einmal recht behalten. Als er Susi Kramer bald darauf zu sich nach Hause einlud, zögerte sie nicht einen Augenblick. Sie fand Jürgen aufregend. Anna Machert nahm ohne Erstaunen die Tatsache hin, daß Jürgen eine Freundin mitbrachte. Rasch stellte sie ein zweites Bierglas auf den Tisch. »Ist schon gut«, sagte Jürgen jovial zu ihr, »wir machen das schon. Du wolltest doch noch zu deiner Nachbarin.« Anna Machert nickte eifrig und blickte dabei verstohlen auf die Uhr, deren kleiner Zeiger langsam auf die Neun rückte. »Ja, ja«, rief sie, »Frau Beuchler wartet schon auf mich.« Sie band sich die Schürze ab und verließ die Wohnung. Susi Kramer schaute ein bißchen verwirrt drein, fand sich aber schnell mit der veränderten Situation ab. Jürgen Machert öffnete eine Flasche
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Wein, die er von unterwegs mitgebracht hatte. Susi schaute ihn nach dem zweiten Glas noch verliebter an, als sie es bereits in der Disko getan hatte. Der Rest des Abends war für Machert gelaufen. Es war fast dreiundzwanzig Uhr, als Machert sich aufrappelte und wieder Licht in der Küche machte. Die karierte Schlafdecke war auf den Fußboden gerutscht, und Susis entblößter Rücken hob sich vom dunkelgrünen Samtüberzug der Liege deutlich ab. Susi lag auf dem Bauch und blinzelte in das grelle Licht der Deckenleuchte. Jürgen Machert griff nach ihren Jeans und warf sie ihr zu. »Los, steh auf. Genug des tollen Spiels«, sagte er wie im Scherz, doch seine Worte klangen nach einem Befehl. Als Susi sich nicht gleich regte, gab er ihr einen Klaps und wiederholte seine Aufforderung, diesmal einen Ton schärfer. Susi hatte gehofft, die Nacht bei ihm bleiben zu können, und sah ihn erstaunt an. »Nun beeil dich schon, ich muß früh raus«, herrschte Machert sie an. Susi versuchte ihn zu umarmen und zu küssen, doch er wehrte sie ab. »Hast du noch nicht genug? Los, ab jetzt mit dir. Ich will meine Ruhe haben.« Machert stand auf, holte sich eine Limonade aus dem Kühlschrank und trank sie in einem Zug leer. »Nach Hause kann ich dich nicht bringen, hab’ was getrunken«, sagte er, zog seine Hose über und klingelte bei der Nachbarin. Frau Beuchler und seine Mutter schienen schon auf sein Klingeln gewartet zu haben. »Nun mach schon«, rief Machert Susi noch einmal zu, die verloren in der Küche stand. Machert griff nach seiner Geldbörse, nahm etwas heraus und drückte Susi das Goldkettchen in die Hand, das aus dem ersten Raub stammte. »Damit du dich nicht beklagst. Und nun hau ab, oder ich schiebe dich eigenhändig raus.« Wieder schwang in seinen Worten ein drohender Unterton mit, der Susi erschreckte. Sie rannte aus der Wohnung und eilte die wenigen Stufen hinunter ins Freie. »Idiot« murmelte sie vor sich hin, »was bildet der sich
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ein.« Sie ärgerte sich. So schnell hatte sie noch keiner rumgekriegt. Nicht einmal eine Verabredung war herausgekommen, und wie Jürgen mit Nachnamen hieß, wußte sie auch nicht. Unter einer Laterne besah sie sich das Kettchen. Es schien aus Gold zu sein. Donnerwetter, solch ein teures Geschenk, dachte sie und lächelte. Doch gleich wurde sie wieder ernst. Dieser Jürgen hatte sie bezahlt, nichts anderes. Es wäre besser gewesen, sie hätte das Geschenk nicht angenommen. Irgendwann sollte sie ihm das Kettchen zurückgeben. Mit diesem Gedanken machte sie sich auf den Heimweg. Machert hatte sie vom Fenster aus beobachtet und zog nun die Gardine wieder vor. Seine Mutter war schon in ihr Zimmer verschwunden. Er warf sich auf seine Liege und verschränkte die Arme unter dem Kopf. Trotz seiner Genugtuung war er mit sich und der Welt nicht zufrieden. Er hatte sein Vergnügen gehabt, na schön. Aber diese Susi war doch wieder einmal ein typisches Beispiel dafür, daß Frauen unehrlich, untreu und es nicht wert waren, daß man sich um sie bemühte. Vielleicht machte nur Annegret eine Ausnahme. Susi hatte ihm selbstverständlich von dem jungen Burschen erzählt, mit dem sie gekommen war, und nicht eine Sekunde zeigte sie dabei ein schlechtes Gewissen. Es sei nur ein Kumpel aus ihrem Lehrlingskollektiv, behauptete sie, nichts weiter. Sie wollte ihm weismachen, daß sie sich schon auf den ersten Blick in ihn verliebt habe. Vielleicht hatte ihr nur sein Motorrad imponiert. Die Weiber waren alle gleich. Es war zum Verzweifeln. Er sollte es doch noch einmal mit Annegret versuchen. Er würde ihr etwas schenken und von seiner Liebe reden. Früher hatte er damit immer Erfolg gehabt. Aber das war lange her. Am nächsten Tag machte er sein Vorhaben wahr und tat etwas, was seinem Wesen widersprach. Sollte er damit bei Annegret ankommen, so schwor er sich, wollte er nie wieder einer anderen Frau irgendwie zu nahe treten. Er klopfte so zaghaft an Annegrets Wohnungstür, als stände ein schüchterner Mensch davor, der nicht um jeden Preis Einlaß begehrte. Als Annegret öffnete, streckte er ihr einen großen
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Blumenstrauß entgegen und trat näher. Annegret kam nicht dazu, ihm die Tür vor der Nase zuzuschlagen, wie sie es manchmal schon getan hatte. »Guten Tag, Annegret. Ich möchte den Jungen sehen«, erklärte Machert mit dunklem Schmelz in der Stimme. Er stand schon auf dem Korridor und nahm einen nagelneuen Fernlaster aus seiner Aktentasche. Er reichte ihn dem Kleinen, der zögernd herbeigekommen war. »Da, von deinem Papa«, sagte er und zog das Spielzeug auf. Es rollte dem Jungen vor die Füße. Dieser bückte sich erfreut und begann mit dem Ding zu spielen. Machert richtete sich wieder auf. »Entschuldige«, wandte er sich zu Annegret, »wenn ich so unangemeldet komme.« Er wollte sie umarmen. »Das bin ich ja von dir gewohnt«, erwiderte Annegret und entzog sich ihm. Machert ließ augenblicklich von ihr ab. »Was willst du wirklich«, fragte ihn Annegret unfreundlich. »Du wirst wohl noch eine Tasse Kaffee für den Vater deines Kindes übrighaben. Dabei kann ich dir deine Frage genau beantworten.« Macherts Worte hatten scherzhaft geklungen, und wieder machte er eine zaghafte Bewegung zu Annegret. Sie wandte sich ab und ging in die Küche. »Beschäftige dich mit dem Jungen«, sagte sie. »Ich mache uns einen Kaffee.« »Ich bin selbstverständlich in erster Linie wegen dir gekommen, Gretel«, erklärte ihr Machert leise. Seit langem nannte er sie wiedermal bei ihrem Kosenamen. Solche Töne waren Annegret schon lange fremd an ihm. »Und die blauen Flecke. Ich habe sie heute noch«, erwiderte sie vorwurfsvoll und streckte ihm ihre Handgelenke entgegen. »Oh, das tut mir leid. Du weißt, wie schnell ich aus der Fassung gerate.« Machert ergriff ihre Hände und bedeckte sie mit Küssen. Annegret wollte sie ihm entziehen, aber immer wieder küßte er sie. Annegret spürte, daß sie diese Liebkosungen allmählich als
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angenehm empfand. Doch sie wollte einer solchen Regung auf keinen Fall nachgeben. Mit Machert war es endgültig vorbei. Sie zog ihre Hände aus den seinen. »Nun geh zu dem Jungen. Ich komme gleich nach«, sagte sie. Machert trollte sich. Er glaubte, auf dem richtigen Weg zu sein. Später saßen sie sich gegenüber und blickten sich stumm an. Annegret sann darüber nach, was Machert wohl bewogen haben konnte, sich heute so zurückhaltend zu benehmen. Wahrscheinlich hatte sein Brigadier mit ihm gesprochen. Anfangs waren solche Gespräche noch wirkungsvoll gewesen, zum Beispiel nach Macherts Haftentlassung. Später jedoch schien der Einfluß seines Kollegen mehr und mehr nachzulassen. Machert brach zuerst das Schweigen. »Ich hatte wirklich Sehnsucht nach dir, Annegret«, wiederholte er noch einmal und erhob sich. Er trat hinter ihren Sessel und umfaßte ihre Schultern. Sanft streichelte er sie und beugte sich zu ihr hinunter. »Ich liebe dich«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Laß das bitte.« Annegret entwand sich mit Mühe seiner Umarmung. Da legte Machert einen goldenen Ring vor ihr auf den Tisch. »Bitte, schenke ich dir. Habe ich von meiner letzten Prämie gekauft«, log er und sah sie zärtlich an. Annegret war überrascht. Ein solches Geschenk hatte er ihr noch nie gemacht. Der Ring war wunderhübsch. Sie nahm ihn in die Hand, ließ ihn aber gleich wieder los, als habe sie glühendes Eisen berührt. »Ich will nicht mehr, Jürgen«, sagte sie leise. Sie stand auf und ging in die Küche, um seine Blumen ins Wasser zu stellen. Machert folgte ihr und wollte noch einmal zärtlich werden. »Laß es wieder so zwischen uns werden wie früher«, bat er sie. »Du gehst nicht mehr in den Koppelwald, und ich bin nicht mehr grob zu dir, einverstanden?« Annegret war bei seinen Worten zusammengezuckt. Machert war ihr und Falk also gefolgt und hatte sie beobachtet. Das sähe ihm ähnlich.
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»Du warst am Koppelwald?« fragte sie. Machert nickte. »Ich werfe dir wegen Falk nichts vor, du bist doch nicht wie andere, die dort ihre Männer betrügen. Schicke ihn zum Teufel, und es ist zwischen uns wieder alles gut«, redete Machert auf sie ein und strich ihr sanft über das Haar. Annegret wandte ihren Kopf ab. Was redet er da vom Koppelwald und von Frauen, die ihre Männer betrügen, dachte sie. Nachdenklich ging sie ins Zimmer und setzte sich, Annegrets Blick fiel auf den Ring, der immer noch auf dem Tisch lag. Ihr kam ein entsetzlicher Gedanke. Sie erinnerte sich an den Raub, der am gleichen Abend, als sie sich mit Falk im Koppelwald aufgehalten hatte, nicht weit davon entfernt auf der Chaussee passiert war. Eine Frau aus ihrem Betrieb war das Opfer gewesen. Wenige Tage später wurde eine Ärztin aus der Poliklinik auf gleiche Weise beraubt. Auch das hatte sich im Betrieb schnell herumgesprochen. Wieder machte Machert Anstalten, sie zu umarmen und ihr in die Bluse zu greifen. »Laß mich endlich in Frieden, verdammt nochmal«, schrie ihn Annegret zornig an und sprang auf. Sie griff nach dem Ring und warf ihn Machert vor die Füße. »Da, kannst du behalten. Du hast die Frauen überfallen. Ich weiß es! Verdammter Verbrecher, du!« Annegrets Anklage hatte so sicher geklungen, als wäre sie Zeuge eines Überfalls gewesen. Eigentlich hatte sie nur auf den Busch klopfen wollen. Doch als sie merkte, daß an ihrer Behauptung etwas zu stimmen schien, log sie drauflos. »Ich habe dich beobachtet, ich ganz allein«, rief sie und weidete sich daran, wie Machert blaß wurde. Jetzt hatte sie ihn in der Hand. Einmal ihn klein und demütig zu sehen, das hatte sie sich oft gewünscht. Doch seine Reaktion war anders, als von ihr erwartet. Machert verlor bei ihren Worten nur für einen Moment seine Sicherheit. Er hielt es für möglich, daß Annegret ihn beim ersten Raub gesehen hatte. Seine Aufmerksamkeit galt an diesem Abend ausschließlich der Straße. Auf Fußgänger hatte er nicht geachtet, und sie wären ihm im Schatten der Büsche am
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Straßenrand womöglich auch nicht aufgefallen. Wegen eines solchen Zufalls wollte er keineswegs beigeben und vielleicht sogar wieder in Haft wandern. Annegret sollte sich nicht etwa einbilden, sie könne ihm Angst einflößen. Seine Aggression kam unerwartet und heftig. Er packte Annegret und zog sie vom Sessel hoch. »Wenn du mich verpfeifst, du Luder, dann bringe ich dich um, das schwöre ich dir.« Gefährlich hatten seine Worte geklungen, und Annegret lief ein Schauer über den Rücken. Jetzt wußte sie endgültig, daß ihre Vermutung stimmte. Sie glaubte, von nun an ein Mittel zu besitzen, womit sie Jürgen Machert zur Räson bringen konnte. Sie stieß ihn mit einem kräftigen Ruck von sich und lief auf den Korridor. Dort griff sie nach seiner Jacke. »Wenn du mich nicht ein für alle Male in Ruhe läßt, dann zeige ich dich an. Mich umzubringen, dazu wirst du nicht kommen. Verschwinde«, schrie sie und warf ihm seine Jacke zu. Einen solchen Ton empfand Machert als Beleidigung. Er packte sie erneut und stieß sie mit voller Wucht gegen die Wand. Von der Erschütterung fiel der Spiegel herunter und zersplitterte. Machert lief zurück in die Stube, hob den Ring auf, streichelte dem weinenden Jungen über das Haar und ging an Annegret vorbei zur Wohnungstür. »Und ich sage dir noch einmal: Laß dir nicht einfallen, mich zu verpfeifen. Dann hast du die längste Zeit die Sonne gesehen.« Mit lautem Knall schlug Machert die Tür hinter sich zu. Es war wie verhext. Hauptmann Müller lief unruhig im Zimmer auf und ab. Seit einigen Tagen waren die Genossen allabendlich im Einsatz und nichts passierte. Der Täter schien wie vom Erdboden verschwunden. Zumindest ließ er sich am Koppelwald oder auf der Oberlangener Chaussee nicht mehr blicken. Die Einsatzstrecke war erweitert worden. Die Beobachtungspunkte der Kriminalisten entlang der Chaussee schienen Müller dicht genug, um den Unbekannten nicht entschlüpfen zu lassen. An der Stadtrandsiedlung und in Höhe des Koppelwaldes
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standen Funkwagen bereit, um dem Täter, wenn nötig, den Weg nach Arnsberg oder Oberlangen abzuschneiden. Er sollte von vermeintlichen Liebespaaren angelockt werden, die sich zu unterschiedlichen Zeiten vom Wald aus mit dem PKW in Bewegung setzten und bis zur Chaussee fuhren. Dort stieg die Kriminalistin aus und lief weiter. Andere Frauen verließen in den Schwerpunktzeiten abwechselnd an den Haltestellen »Pumpstation« oder »Stadtrandsiedlung« den Bus und setzten ihren Weg zu Fuß fort. Müller befürchtete fast, der Täter könne wegen einer anderen Straftat in Haft genommen worden sein, und niemand ahnte, daß er der gesuchte Räuber war. Die Überprüfung der Motorradhalter war so gut wie abgeschlossen, ohne daß man dabei einen Verdächtigen gefunden hatte. Wie sich herausstellte, gab es einige Motorradeigentümer, die ihre Maschinen nicht selber benutzten, sondern sie verliehen oder vermietet hatten. Die eigentlichen Benutzer mußten noch unter die Lupe genommen werden. Hauptmann Müller ging das alles zu langsam. Oberleutnant Kraut war mit seinen Ermittlungen an der Karlssohnbrücke und den Nachforschungen im Kraftwerk keinen Schritt weitergekommen. Seine Hypothese, daß der Täter im Kraftwerk arbeitete, schien nicht aufzugeben. Das Gespräch mit Frau Buggenhagens Freund war auch negativ verlaufen. Peinlich berührt, daß seine Beziehungen zu Frau Buggenhagen gewissermaßen in einer amtlichen Untersuchung, wenn auch nur am Rande, zur Sprache kamen, hatte er nur widerwillig Auskunft gegeben. So lief man seit einigen Wochen mit den Ermittlungen dem Täter hinterher. Womöglich lachte sich der Unbekannte ins Fäustchen und machte seine Witze über die Polizei. Auch vom Schmuck fehlte jede Spur. Hauptmann Müller wünschte sich fast, daß der Täter sein Treiben auf der Oberlangener Chaussee wieder aufnahm, dann bestand die Chance, seiner habhaft zu werden. Noch einmal bat Müller seine Mitarbeiter zu sich. »Heute abend also wieder dasselbe Spiel, Genossen-«, redete er sich seinen Groll von der Seele. »Die Einsatzkräfte werden langsam
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ungeduldig. Wenn nicht bald etwas passiert, sehe ich schwarz.« Wolfgang Kraut war nicht minder vom Verlauf der Ermittlungen enttäuscht. Am meisten machten ihm seine eigenen Mißerfolge zu schaffen. Zu seinem Pech hatte auch noch die Disko wegen Renovierung geschlossen, in der Susi verkehren sollte. Heute wollte sie zur Karlssohnbrücke kommen. Sie hatte Mike Koch ihren Besuch angekündigt, und Koch hatte ihn verständigt. Vielleicht trat danach endlich die Wende bei seinen Ermittlungen ein. Hauptmann Müller unterbrach seine Gedanken und reichte ihm eine Liste herüber. »Du bleibst weiter an deiner Spur. Tagsüber bitte ich, die restlichen Überprüfungen vorzunehmen. Bei den Leuten handelt es sich um jene, die geliehene Maschinen benutzen. Zwei Tage dürften für die Überprüfungen reichen.« Kraut überflog die Namen. Es waren sechs Männer verzeichnet. »In Ordnung«, sagte er. Das konnte er verkraften. Noch hoffte er auf den heutigen Abend. Jürgen Machert hatte seine Arbeit hinter sich gebracht. Seit Tagen war er ihr wieder zur Zufriedenheit seines Brigadiers nachgekommen. Annegrets Drohungen hatten ihn nachdenklich gestimmt und ihn veranlaßt, für einige Tage die Finger von einem neuen Überfall zu lassen. Einmal noch war er mit Annegret vor ihrem Betrieb zusammengetroffen und mußte sich erneut ihre Drohungen anhören. Das war über eine Woche her, und so langsam begann es ihm wieder in den Fingern zu kribbeln. Hinzu kam, daß sich seine finanzielle Lage nicht gebessert hatte. Er verdiente zwar nicht schlecht, aber was war das schon im Vergleich zu seinen Ansprüchen. Er mußte etwas unternehmen, um diesen Zustand zu verändern. Es kam, wie er meinte, hauptsächlich auf Schnelligkeit an, und noch besaß er das Motorrad. Bis Strecker aus der Haft entlassen wurde, mußte er eine eigene Maschine besitzen. Er nahm sich vor, am Abend die Lage zu sondieren. Sollte sich die Gelegenheit bieten, wollte er zufassen. Es war kurz nach zwanzig Uhr, als Machert sein Motorrad
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den Feldweg bis zum Koppelwald entlangschob. Er wollte vermeiden, seine Anwesenheit durch das Motorengeräusch zu verraten. Wie üblich, versteckte er die Maschine im Unterholz und versuchte sich in der Dunkelheit zu orientieren. Der Himmel war bedeckt und die Luft nicht ganz so mild wie bei seinem letzten Besuch. Heute wirkte die Umgebung düster und unheimlich, wie er es eigentlich nie zuvor empfunden hatte. Woran das lag, konnte er sich nicht erklären. Nach einer Weile entdeckte er mit Genugtuung einen weißen Lada am Waldrand. Der gehört Leuten, die Geld haben, dachte er. Ihm konnte das nur recht sein. Er lief zu seinem Motorrad und setzte sich seitlich darauf. Eine Zigarette würde ihm das Warten verkürzen. Gespannt blickte er auf die Lichtung, von der ein Weg in den Wald führte. Wie würde sein heutiges Abenteuer aussehen? Susi Kramer war lange nicht bei ihren Freunden an der Karlssohnbrücke gewesen. Ein-, zweimal hatte sie sich noch mit ihrem Freund aus dem Lehrlingskollektiv getroffen, danach war sie in eine Clique am Schinkelplatz geraten, deren Typen ihr auch nicht recht zugesagt hatten. Es schien ihr an der Zeit, die alten Freunde wieder mal aufzusuchen. Mike Koch und die anderen konnten ihr zwar nichts weiter bieten, als sie mit dem Motorrad umherzukutschieren, aber sie hatte wenigstens ihren Spaß mit ihnen. Jemand, mit dem sie sich einlassen würde, war nicht darunter. Und so schnell, wie es dieser Jürgen geschafft hatte, würde es sowieso kein anderer bei ihr schaffen. Immer noch hing sie Jürgen in Gedanken nach, obwohl er sich beim Abschied wie ein Ekel benommen und sie so gut wie aus der Wohnung geworfen hatte. Für sie war er nach wie vor ein interessanter Typ, der etwas Geheimnisvolles an sich hatte. Manchmal stand sie eben auf solch eiskalten Burschen. Schließlich trug sie auch noch das Goldkettchen, das sie ihm eigentlich hatte wiedergeben wollen. Sie war froh, als sie ihre alten Freunde antraf. Susi Kramer zog den Reißverschluß ihrer schwarzen Lederjacke weiter nach oben, steckte die Hände forsch in die
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Taschen ihrer engen Lederolhose und schlenderte mit gelangweiltem Gesicht auf die Gruppe zu. Sie war sich sicher, daß sie, so hochgeschlossen, das blonde lange Haar locker über den Kragen geworfen, Eindruck auf die Jungens machen würde. Sie trug übergroße Messingkreolen an den Ohren, die ihr etwas Exotisches gaben. Die Lider hatte sie sich lila gepudert und sich eine gleichfarbene Haarsträhne in die Stirn gezogen. Sie kaute auf einem Pfefferminzgummi und glaubte, das gäbe ihr etwas Lässiges. Als man sie entdeckte, wurde sie von den Jungens umringt. Sie begannen sofort mit ihr herumzuflachsen, und Susi genoß es, Mittelpunkt zu sein. Mit kessem Mundwerk gab sie eine Story nach der anderen zum besten. Die jungen Männer amüsierten sich köstlich. Plötzlich stieß Mike Koch einen Pfiff aus. »Kraut«, rief er, und alle blickten zum Aufgang, der zur Brücke führte. Der Oberleutnant schob sein Motorrad auf der schräg nach unten führenden Fahrrinne hinab. »Wer ist Kraut?« fragte Susi und war enttäuscht, daß nun ein anderer die Aufmerksamkeit ihrer Freunde erregte. Kraut war herangekommen und stellte sein Motorrad ab. »Einer von der Kripo«, flüsterte ihr Mike Koch ins Ohr. Susi blickte erstaunt auf den Mann, in dem sie einen der ihren vermutet hatte. Kraut setzte seinen Helm ab und begrüßte die Jungens mit Handschlag. »Das ist Susi«, stellte Mike Koch ihm das Mädchen vor. Susi sah den Kriminalisten herausfordernd und neugierig zugleich an. Sie lächelte ihm gewinnend zu, und er erwiderte das Lächeln. »Fein, daß ich Sie kennenlerne«, sagte er, »ich habe Ihren Namen schon von den Jungens hier gehört.« »Hoffentlich nicht im schlechten Sinne«, erwiderte Susi und blickte sich kokett um. »Keineswegs«, versicherte Kraut und trat näher. »Wollen wir nicht ein paar Schritte am Fluß entlanggehen«,
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fragte er. Susi nickte und kam sich plötzlich wichtig vor. Die anderen blickten den beiden nach. »Jetzt wird er versuchen, aus ihr etwas herauszuholen«, meinte Mike Koch. »Vielleicht kann sie ihm tatsächlich helfen.« Am Flußufer blieben Kraut und Susi stehen. Susi, die inzwischen ihre Jacke geöffnet hatte, wandte sich Kraut zu und blickte ihn keß an. »Na«, sagte sie, »nun schießen Sie mal los.« Sie lachte hell auf, als hätte sie einen Witz gemacht. Kraut ging auf ihren Ton ein und fragte sie nach diesem und jenem, um dann auf seine eigentliche Frage zu kommen. »Sagen Sie, Sie kennen sich doch aus mit Motorrädern, nicht wahr?« »Ja…« »Und Sie kommen viel herum. Können mir Namen von jungen Männern nennen, die eine zweihunderfünfziger MZ fahren. Vielleicht ist einer dabei, der schon ein Kind hat?« »Warum wollen Sie das wissen«, fragte Susi erstaunt. »Es geht um Überfälle auf Frauen, von einem Motorradfahrer.« Susi stieß einen Pfiff aus. »Donnerwetter«, rief sie, »und ich dachte, Sie suchen Rowdys, die Parkbänke umschmeißen oder sowas.« Sie schwieg einen Moment. »Überfälle sagen Sie, mit einer MZ?« Nachdenklich nagte sie an ihrer Unterlippe. »Ich kenne welche, die damit fahren«, sagte sie nach einer Weile. »Am Schinkelplatz und in der Nähe vom Lenindenkmal verkehren sie. Aber sowas machen die nicht. Und ein Kind hat auch keiner. Die sind alle noch ein bißchen grün.« Susi lachte, wurde aber gleich wieder ernst. Ihr fiel Jürgen ein. Der war älter als ihre sonstigen Freunde. Dem würde sie so etwas zutrauen. Plötzlich griff sie sich an den Hals. Das Kettchen. Oh Gott, wenn er das nun einer anderen geklaut hatte? Sie wollte nicht weiter denken. »Was ist los«, fragte Kraut, der ihre Verwirrung bemerkte.
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Die Bewölkung hatte sich gelichtet, und ab und zu fiel Mondschein auf das träge fließende Wasser und ließ es silbern aufschimmern. Kraut sah wieder prüfend auf Susi. Ihr Halsschmuck machte ihn neugierig. Wenn er sich nicht täuschte, war die Kette von Frau Buggenhagen ähnlich beschrieben worden. Er bemerkte, wie Susi schluckte. Offenbar mußte sie sich zu etwas durchringen. Kraut hatte recht mit seiner Vermutung. Susi überlegte, ob sie von Jürgen reden sollte oder nicht. Eigentlich hatte sie ihn toll gefunden. Andererseits lag ihr noch sein Verhalten im Magen, als er sie loswerden wollte. Wenn der Ärger mit der Polizei bekommt, kann es nichts schaden, dachte sie. Hatte er nichts mit den Überfällen zu tun, würde man es schon feststellen. »Ich bin gespannt«, sagte Kraut und blickte Susi noch immer abwartend an. Erstaunt nahm er wahr, wie Susi plötzlich das Kettchen abnahm und es ihm reichte. Das kam ihm gelegen. »Hier, die ist von Jürgen«, sagte sie und erzählte Kraut, wie sie ihn kennengelernt hatte. Sie verschwieg lediglich die intimen Dinge. Der Gedanke, es könnte sich um die gestohlene Kette handeln, ließ Kraut unruhig werden. Ihm war, als wittere er eine heiße Spur. Im Schein des Mondes betrachte er den Halsschmuck so gut es ging. Der Anhänger stellte einen symbolisierten Stier dar, genau wie ihn Walter Buggenhagen gezeichnet hatte. Ein Monogramm auf dem Verschluß konnte er allerdings nicht erkennen. Er glaubte seinen Ohren nicht zu trauen, als er erfuhr, daß dieser Jürgen ein Motorrad besaß, das dem gesuchten Typ entsprach. Kraut war plötzlich wie im Fieber. »Kommen Sie, zeigen Sie mir, wo dieser Jürgen wohnt«, rief er und gab ihr das Kettchen zurück. Susi hatte ihm weder Nachnamen noch Adresse nennen können. Sie rief ihren Freunden zu, daß sie warten sollten. Die Burschen blickten den beiden erstaunt nach. Sie hörten nur das Geräusch des Motorrades auf der Brücke. Susi kamen, plötzlich Zweifel, ob sie richtig gehandelt hatte. Vielleicht tat sie Jürgen unrecht, was ihr leid tun würde. Wenn er von der Polizei gesucht wird, dachte sie, bin ich es, die ihn ans
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Messer liefert. Sie mußte bei diesem Gedanken lächeln. Ans Messer, na ganz so schlimm wird es schon nicht sein, glaubte sie. Wolfgang Kraut wollte sich von Susi Kramer Jürgens Wohnhaus zeigen lassen und an seiner Tür den Namen feststellen. Er konnte sich jetzt schlecht mit Hauptmann Müller verständigen, denn der befand sich im Einsatz wie alle Abende zuvor. Ob es sich bei diesem Jürgen tatsächlich um den gesuchten Täter handelte, würde sich herausstellen. Doch er wollte sichergehen. Vor einer Gaststätte hielt er und bat Susi abzusteigen. »Aber wir sind noch nicht da«, rief Susi erstaunt aus. »Ich weiß, ich weiß. Kommen Sie bitte.« In der Gaststätte betrachtete Kraut unter der Lampe das feine Goldkettchen noch einmal genau. Da, tatsächlich: Ein Monogramm A. B.: Annemarie Buggenhagen. Nun gab es für ihn keine Zweifel mehr. Dieser Jürgen war der richtige. Kraut sprang auf, warf ein Geldstück für die Limonade auf den Tisch und zog Susi aus der Gaststätte. »Rasch!«, rief er, »wir haben wenig Zeit.« Nach einigen Minuten erreichten sie das Haus, in welchem Jürgen wohnte. Kraut fiel auf, daß es sich bei dieser Adresse um eine von jenen sechs handelte, die auf der Liste von Müller standen. Nun wollte er sich nur noch von der Namensgleichheit überzeugen. »Erster Stock links«, erklärte Susi. »Anna und Jürgen Machert« stand an der von Susi bezeichneten Wohnungstür. Jürgen Machert benutzte zur Zeit das Motorrad eines gewissen Strecker, der in Haft saß. Das hatten Karnbergers Recherchen ergeben. Plötzlich ging die Tür auf, und eine ältere Frau trat heraus. Es war Anna Machert, die zu ihrer Nachbarin wollte. Sie schaute erstaunt auf Wolfgang Kraut, und wegen seiner Aufmachung vermutete sie in ihm einen Kumpel ihres Sohnes. »Jürgen ist wieder auf Tour«, sagte sie lakonisch, ohne eine Frage abzuwarten.
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»Auf Tour?« fragte Kraut erstaunt. »Ja, das übliche. Wissen Sie doch sicher. Fährt durch die Straßen und manchmal auch aus der Stadt raus.« Frau Machert lief zur Nachbartür und kümmerte sich nicht mehr um Kraut. Von Susi hatte sie kaum Notiz genommen. Hatte sie vielleicht nicht einmal wiedererkannt. »Ich bringe Sie jetzt zu meiner Dienststelle«, sagte Kraut auf dem Weg nach unten. »Es ist wegen der Kette. Wir müssen Ihre Angaben protokollieren und die Kette beschlagnahmen«, erklärte er. »Sie warten dort am besten auf mich. Ich bin bald zurück.« Susi war enttäuscht. Sollte ihr Abenteuer schon zu Ende sein? »Hat Jürgen die Frauen überfallen?« fragte sie auf der Fahrt zum Kreisamt. Ihr wurde im gleichen Moment bewußt, daß sie dann die Kette endgültig los war. Vielleicht ist es besser so, dachte sie. »Vermutlich«, erwiderte Kraut. Machert war mit Sicherheit heute auf ein neues Opfer aus, und er wollte schnell Müller informieren. Er wußte, daß auf der Oberlangener Chaussee alles für die Festnahme des Täters vorbereitet war, und dennoch gab es manchmal unverhoffte Zwischenfälle. Er mußte sich beeilen. Wolfgang Kraut hatte bereits den Stadtrand erreicht und passierte die Siedlung. Nun lag die Chaussee nach Oberlangen wie ein helles Band vor ihm. Nach einer Weile vernahm er von weitem Motorengeräusch. Es konnte nur von einem Kraftrad stammen. Gerade wollte er nach rechts einbiegen und auf das Birkenwäldchen zusteuern, in welchem laut Plan das Einsatzfahrzeug seines Hauptmanns stehen mußte, da tauchte am Horizont Scheinwerferlicht auf. Er hatte sich nicht getäuscht. Es war ein Motorrad. Doch was war das? Der Fahrer stoppte plötzlich und sprang ab. Kraut hielt ebenfalls, schaltete das Licht aus und wartete. Er durfte den Täter, wenn er es war, nicht verscheuchen. Hauptmann Müller konnte er immer noch ins Bild setzen. Da vernahm er den gellenden Schrei einer Frau. Was er einige
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hundert Meter vor sich auf der Chaussee zu erkennen glaubte, sah aus wie ein Handgemenge. Sollten seine Genossen den Täter auf frischer Tat geschnappt haben? Er gab Vollgas und fuhr auf die Leute zu. Als er näher kam, sprang jemand in schwarzer Motorradkleidung auf die Maschine und jagte in Richtung Oberlangen davon. Eine Frau stand am Straßenrand und weinte. Sie mußte hingestürzt sein, denn sie klopfte sich den Schmutz von den Kleidern. Zwei Einsatzkräfte kamen zu spät. Einer von ihnen war Karnberger. »Er hat mir die Tasche wegreißen wollen«, hörte Kraut die Frau sagen. »Wenn Sie nicht gekommen wären, hätte er sie gehabt. Danke.« »Ich folge ihm«, rief Kraut Uwe Karnberger zu und fuhr weiter. Sicherlich würde Karnberger gleich Hauptmann Müller über Sprechfunk unterrichten. Wie hatte das nur passieren können? fragte sich Kraut. Man hatte sich vor allem auf die Busse aus Oberlangen nach Arnsberg konzentriert, nicht aber umgekehrt. Das war der Haken. Vermutlich hätten dazu nicht die Kräfte ausgereicht. Kraut bemerkte, wie der Mann vor ihm sein Tempo erhöhte. Ihm war sicherlich nicht entgangen, daß ihm jemand auf den Fersen war. Kraut holte das letzte aus seiner Maschine heraus, um den Abstand zwischen sich und dem Täter zu verringern. Hinter sich hörte er das Martinshorn des Funkwagens. Er richtete sein ganzes Augenmerk auf den Motorradfahrer und sah, wie der plötzlich mit einer scharfen Kurve nach rechts in einen Feldweg einbog. Der Grund war ein zweiter Funkwagen, der sich aus entgegengesetzter Richtung näherte. Offensichtlich hatte Machert begriffen, daß er in einer Falle steckte. Kraut triumphierte. Der Mann würde ihm nicht entkommen. Mit riskanter Wende setzte er ihm nach und mußte im nächsten Moment höllisch aufpassen, um nicht die Gewalt über seine Maschine zu verlieren. Der Feldweg hatte seine Tücken. Vermutlich hatten Traktoren die Fahrrinnen verursacht. Sein Motorrad sprang von einem Erdbuckel zum anderen. Die
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Funkwagen würden es hier noch schwerer haben. Kraut nahm etwas Gas weg. Der Flüchtende war ihm aus dem Blickfeld geraten. Unverhofft endete der Weg am Fluß, der parallel zur Chaussee verlief. Nur ein schmaler Pfad führte am Ufer weiter. Kraut hielt Ausschau und richtete seine Scheinwerfer auf das Wasser. Er hatte das Anwerfen eines Außenbordmotors vernommen. Der Täter setzte mit einem Boot zum anderen Ufer über. »Verdammter Mist«, fluchte Kraut. Das durfte nicht wahr sein. Tagelang lagen seine Genossen auf der Lauer und hofften, daß der Täter ihnen ins Netz ging, und nun entschlüpfte dieser vor ihren Augen. Weit und breit war kein Übergang zu entdecken. Der Kerl mußte sich hier auskennen. Wer konnte schon ahnen, daß er in dieser Gegend ein Boot hatte. Er sah noch, wie der Mann an Land sprang und querfeldein lief. Ein Funkwagen war herangekommen. Kraut verständigte sich mit dem Leiter der Besatzung und setzte seine Fahrt auf dem schmalen Weg am Ufer so schnell es ging fort. Er hatte vor, den nächsten Übergang zu erreichen und nach dem Täter zu suchen. Der Mann wußte zwar nicht, daß man seinen Namen und die Adresse kannte, doch war es fraglich, ob er gleich seine Wohnung aufsuchen würde. Besaß er eine zweite Bleibe, mußte sie erst ausfindig gemacht werden. Wie von Hunden gehetzt, durchquerte Jürgen Machert ein Maisfeld und erreichte die Landstraße nach Arnsberg. Schweratmend blieb er stehen und blickte sich um. Niemand war zu sehen. Er hatte seine Verfolger abgehangen und grinste zufrieden. Wie sollten die auch so schnell über den Fluß kommen? Ein Glück, daß er den Standort von Brandts Boot und das Versteck des Schlüssels kannte. Alfred Brandt hatte nie ein Geheimnis darum gemacht. Im Laufschritt setzte Machert seinen Weg nach Arnsberg fort. Die sollten ihn nicht kriegen. Nicht, bevor er mit Annegret abgerechnet hatte. Sie hatte ihn verraten, davon war er überzeugt. Der Gedanke, wieder in Haft zu müssen, brachte sein Blut in Wallung. Er wollte es Annegret zeigen. Hatte er sie nicht gewarnt? Er mußte sich beeilen. Da
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vernahm er Motorengeräusch hinter sich. Rasch huschte er zur Seite und versteckte sich im Straßengraben. Sollte man ihn schon eingeholt haben? Ein Fahrzeug kam näher. Er glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Ein Taxi. Erleichtert lief er auf den Fahrdamm und macht sich bemerkbar. Das war ein Geschenk des Himmels. Als er einstieg, war er kaum imstande, Annegrets Adresse deutlich auszusprechen. »Beeilen Sie sich!«, herrschte er nach wenigen Atemzügen den Fahrer an. Der mißtrauische Blick des Mannes störte ihn nicht. Er hatte Geld bei sich. Wenige Minuten später hatten sie Annegrets Wohnhaus erreicht. Annegret Weber blickte auf den festlich gedeckten Tisch. Geschirr und Gläser blinkten im Widerschein der Kerzen. Günter Falk liebte Kerzenlicht. Als sie stürmische Schritte auf der Treppe vernahm, glaubte sie, er sei es. Sie lief hin, um zu öffnen. Doch vor ihr stand Machert. Erschrocken stieß sie einen Schrei aus. Seine wutverzerrte Miene flößte ihr Entsetzen ein. Machert drängte sie in die Wohnung und stieß sie ins Zimmer. »Du verdammte Schlampe«, schrie er, »du hast mich verraten! Das sollst du mir büßen!« Er packte sie mit beiden Händen um den Hals und drückte zu. Annegret versuchte verzweifelt, sich von seinem Griff zu befreien. Als sie halbwegs Luft bekam, begann sie wieder zu schreien. Machert lockerte erst seinen Griff, als er Kinderweinen vernahm. Es war Micha, sein Sohn. Machert schien in diesem Moment bewußt zu werden, was er tat. Nein, umbringen wollte er sie nicht. Doch dann entdeckte er den gedeckten Tisch und geriet außer sich vor Wut. Der Gedanke, daß Annegret auf zärtliche Stunden mit Falk vorbereitet war, brachte ihn fast um den Verstand. »Das könnte dir so passen«, schrie er und preßte erneut seine Hände um Annegrets Hals. Annegret röchelte. Mit letzter Kraft konnte sie eine am Boden stehende Steingutvase ergreifen und Machert damit auf den Kopf schlagen. Die Vase zersprang, und
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Macherts Hände lockerten sich augenblicklich. Er sackte zusammen. In der gleichen Sekunde wurde die Tür mit Gewalt geöffnet, und Wolfgang Kraut stürmte herein, gefolgt von Genossen des Funkstreifenwagens. Kraut war über die Oberlangener Chaussee zurückgerast und zu Macherts Wohnung gefahren. Von seiner Mutter hatte er Annegrets Adresse erfahren. Zwei Schutzpolizisten packten Machert und legten ihm die Schließacht an. Er war wieder zu sich gekommen und ließ es willenlos geschehen. Dann fuhren sie mit ihm in die Wohnung seiner Mutter. Bei der sofort durchgeführten Durchsuchung fanden die Kriminalisten die geraubten Schmuckstücke. Seine Mutter sah still den Handgriffen der Kriminalisten zu. Sie hatte geahnt, daß man Jürgen bald auf die Spur kommen würde. Die Büchse mit dem wertvollen Inhalt und auch der Stoffetzen von der Bluse waren ihr beim Saubermachen in die Hände gefallen, aber ihr fehlte der Mut, ihrem Sohn Vorhalte zu machen. Nun hatte alles auch ohne ihr Zutun seinen gerechten Gang genommen. Susi Kramer bestätigte, daß es Jürgen Machert war, der ihr das Goldkettchen geschenkt hatte. Das von ihm benutzte Motorrad stellte sich als das zur Tat verwendete Fahrzeug heraus. An den Schuhen des Verdächtigen konnten Erdsubstanzen gesichert werden, die von den Biologen der Kriminalpolizei als identisch mit dem Boden vom Tatort erklärt wurden. Nun gab es an Macherts Täterschaft keine Zweifel mehr. Er wurde in Haft genommen. In einer ruhigen Stunde schrieb er einen langen Brief an Annegret Weber. Er hat nie Antwort darauf erhalten.
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