Flug mit der Bombe
Hanna Reitsch - Testpilotin der Luftwaffe
Ihr Name war in den dreißiger Jahren bereits weltweit b...
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Flug mit der Bombe
Hanna Reitsch - Testpilotin der Luftwaffe
Ihr Name war in den dreißiger Jahren bereits weltweit bekannt ge worden. Sie hieß Hanna Reitsch, und ihre zierliche Gestalt stand in krassem Gegensatz zur Größe ihrer fliegerischen Leistungen. Schon als „kleines Mädchen" gelangte sie mit Segelflugzeugen zu Weltrekordeh ren, und im Verlauf des II. Weltkrieges sollte sie die einzige Frau sein, die als Testpilotin der Luftwaffe fast alle Einsatzflugzeuge, darunter auch jene Typen geflogen hatte, mit denen die deutsche Luftfahrtindu strie schon damals die Schwelle zu einem neuen Zeitalter der Fliegerei überschritten hatte: die ersten Raketen- und Düsenflugzeuge und sogar die bemannte Ausführung der V-1. Der einzigartige Lebensweg dieser mit dem EK I ausgezeichneten Einfliegerin wurde vom Autor auf den nachfolgenden Seiten zurückverfolgt. Die Redaktion
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Wie Riesenvögel stehen die Dreimotorer vom Typ Ju 52 am Rand des Flugplatzes, auf dem die Deutsche Forschungsanstalt für Segelflug - im Luftwaffen-Papierkrieg auch „ D F S " genannt - schon seit einigen J a h ren ihre Zelte aufgeschlagen hat. Und es ist auch schon geraume Zeit her, daß die „Tanten Ju", wie sie von ihren Besatzungen gern genannt werden, zum erstenmal mit ihren Laufrädern die Flugplatzerde des Segelflug-Forschungszentrums be rührten. Aber die Männer in den dunklen Overalls der Techniker, die im Schweiß ihres Angesichtes am Backbordmotor eines der Flugzeuge her umhantieren, haben es sich schon längst abgewöhnt, sich über etwas zu wundern. Zum Beispiel darüber, was Transportmaschinen auf einem Platz zu suchen haben, der eigentlich nur etwas mit der Segelfliegerei zu tun hat. Dafür waren sie auch schon zu schnell über den Zweck ihres Hierseins aufgeklärt worden, und zwar an jenem Tag, als aus den Hallen zum erstenmal ein Segelflugzeug von ziemlicher Größe herausgescho ben worden war. Und sie hatten bald erkannt, daß dieser neue Typ keine Segelkiste für übliche Zwecke war, sondern irgend etwas Besonderes. Denn selbst einer, der vom Segelfliegen sowenig Ahnung hatte wie ein Küchenbulle von einer Luftschraubenverstellung, hätte merken m ü s sen, d a ß in die neue Maschine m e h r Leute hineinpaßten als in die normalen Segelflugzeuge, die täglich über den Platz von DarmstadtGriesheim ihre Kreise zogen. Mittlerweile war es überhaupt kein Geheimnis mehr, daß m a n mit dem Segler eine Anzahl von Soldaten irgendwohin transportieren wollte. Man hatte das herausbekommen, ohne die Geheimnistuer vom anderen Platzrand vorher ausquetschen zu müssen, denn die Schlepp flüge, die beinahe täglich durchgeführt wurden, gaben genügend Auf schluß darüber. Der Obergefreite Wanger*), der n u n schon eine gute Viertelstunde lang auf der obersten Sprosse einer Eisenleiter gestanden hatte und mit dem Oberkörper halb im Träger- und Leitungsgewirr des Motors ver schwunden war, hebt jetzt seufzend den Kopf und läßt einen Schrau benschlüssel auf die Erde fallen. Das Eisenstück klatscht dicht neben den Füßen eines Unteroffiziers in das Gras. „Kreuzdonnerwetter", flucht dieser, „mußt du denn immer nach ei nem zielen?" Wanger fährt sich über das Gesicht und tarnt dadurch eine Anzahl von Sommersprossen. Dabei grinst er auf eine so unvergleichliche Weise, daß der Unteroffizier noch grantiger wird. „Verdammte Grünschnäbel!" erbost dieser sich. Und irgendwie spricht Unteroffizier Gernheim die Worte nicht zu Unrecht, da Wanger ein Reservist ist und direkt von der Lufthansa als Spezialist in die Reihen der „Schwarzen" (technisches Personal) gekommen war. Im übrigen hätte er gut und gern der Vater des zwanzigjährigen Obergefrei ten sein können. Und wenn man richtig gehört hatte, besaß er sogar einen Sohn in diesem Alter, den es ebenfalls zur Luftwaffe verschlagen haben sollte. „Grünschnabel ist gut, Opa!" lächelt der Obergefreite. Der Unteroffizier mit den weißen Schläfenhaaren gibt es auf und läßt Luft ab. *) Alle Namen, außer solchen von Persönlichkeiten der Zeitgeschichte, sind frei gestaltet.
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„Fertig?" erkundigt er sich, während er einen schnellen Blick zum gegenüberliegenden Platzrand wirft. „Es wird Zeit, dort drüben k o m men sie schon." „Meinetwegen", b r u m m t der Obergefreite, während er die Motorver kleidungsbleche schließt und von der Leiter herunterklettert. „Meinet wegen kann der Zinnober losgehen." „Wahrhaftig", schmunzelt der Unteroffizier, „davon kannst du heute wirklich reden. Vorhin, als du deine Rübe im Motor drinnen hattest, ist ein ganzer Haufen hoher Tiere gekommen. Lauter Generale und andere Würdenträger. Und dazu noch ein Wagen mit Infanteristen." „Ha?" schnauft der Obergefreite. Gernheim kommt zu keiner weiteren Erwiderung mehr. Der Wagen, der jetzt auf die Maschine zufährt, hält ihn davon ab. Es ist der Oberwerkmeister, der aussteigt, hochrot im Gesicht und auch sonst nicht gerade ruhig. „Leute", brabbelt er, „ist alles in Ordnung?" „Jawohl, freilich!" erwidert der Obergefreite. „Hoffentlich", seufzt der Oberwerkmeister, „die Segelmühle soll heute einigen Generälen vorgeführt werden. Sie sind schon da. Udet und Kes selring und Milch habe ich auch drüben gesehen. Wenn mit eurem Schinken etwas nicht klappt nachher bei der Vorführung, zerreiße ich euch in der Luft." Der Obergefreite deckt noch einige weitere Sommersprossen mit sei ner Ölhand zu, während der Oberwerkmeister wieder zu dem kleinen Wagen geht und davonbraust. „So viel Theater wegen ein paar Generälen", mault der Obergefreite. „Halt die Klappe!" rät Gernheim. „Dort drüben kommen übrigens schon unsere Luftkutscher!" „Ich sehe sie", brummt Wanger, wobei er seine speckige Feldmütze ins Genick schiebt. Wenig später nimmt er eine Art von Haltung an, als sich vier Männer in Flugkombinationen der Maschine nähern. „Maschine flugklar", sagt Unteroffizier Gernheim, weil er der 1. Wart der „ J u " ist. „Dank' dir schön, Opa", nickt der junge Feldwebel, der den Namen Ketterer trägt und im übrigen so hager ist, daß man sich wundern muß, wie eine Maschine von der Dicke der „ J u " sich einen Piloten wie ihn gefallen läßt. Er wirft noch einen Blick über die breitausladenden Trag flächen, ehe er auf die Einstiegluke deutet und seinen drei Kameraden zuwinkt. Die Besatzung der Ju 52 ist kaum im Rumpf verschwunden, als ein Traktor ein unförmig wirkendes Segelflugzeug aus einer Halle heraus zieht. Der verhältnismäßig große Rumpf deutet darauf hin, daß sich in seinem Inneren allerhand unterbringen läßt. Die Maschine wird von einigen Monteuren der DFS begleitet; am Heckende wird jetzt auch der Chefkonstrukteur des Instituts sichtbar. Unteroffizier Gernheim und sein sommersprossiger Gehilfe haben sich in der Nähe der linken Tragflächenspitze postiert. Interessiert ver folgen sie den Aufmarsch der Generalität, die in der Nähe einer Halle Aufstellung genommen hat. Aber die kleine Marschsäule von Soldaten, die jetzt in feldmarschmäßiger Ausrüstung auf das Segelflugzeug zu marschieren, läßt sie sehr schnell die Offiziere mit den goldenen Achsel stücken und den weißen oder roten Kragenspiegeln vergessen. 13
„Mich laust der Affe!" brummt Wanger. „Was wollen die denn h i e r ? " „Es sieht so aus, als ob sie in die Segelkrähe hineinwollten", meint der Unteroffizier. Offenen Mundes verfolgen die beiden die weiteren Vorgänge. Sie be stehen im Augenblick eigentlich nur darin, daß die Infanteristen n u n mehr in das Segelflugzeug klettern und bald nicht mehr zu sehen sind. Dafür spuckt jetzt ein heranfahrender Wagen einige Gestalten aus. Eine davon ist von auffallend kleinem Wuchs. Sie nähert sich den Mon teuren, die an einem langen Schleppseil herumzerren, das sie schließlich an dem Traktor befestigen. Mit tuckerndem Motor rollt das Vehikel auf das Leitwerk der Ju 52 zu. Die beiden Techniker haben jetzt nur noch Augen für die kleine Ge stalt im Fliegerdreß, die in nachdenklicher Haltung vor der Einstiegsöff nung des Segelflugzeuges stehengeblieben ist. „Da ist sie wieder, die Kleine!" stellt der Obergefreite fest. „Mensch, daß ein Mädchen solche Schlitten herumschippern k a n n . . . " Ein Traktor kommt vorbeigefahren. Vorher war noch das große Segel flugzeug mit dem merkwürdigen Rumpf von der Zugmaschine auf den Flugplatz gezogen worden. In der Nähe der beiden Mechaniker springt ein Mann auf den Rasen. Er winkt dem Traktorfahrer noch einmal zu und stemmt dann die Hände in die Seiten. Er trägt eine verbeulte Hose und eine Leinenbluse, die an der Vorderfront einen durchgehenden Reißverschluß aufweist. Ein Räuspern, das der Obergefreite jetzt von sich gibt, läßt ihn den Kopf wenden. Es geschieht fast in jenem Augenblick, da der Feldwebel in der Kanzel der Ju 52 den ersten Motor anspringen läßt. Wenig später folgen die beiden anderen. Das Heulen der immer höher drehenden Triebwerke lenkt die Blicke der vielen auf dem Rollfeld versammelten Menschen von dem Segler ab. Nach einem kurzen Probelauf läßt der Feldwebel die Ju 52 anrollen. Der Mann, der vorhin von dem Traktor gesprungen war, ist zur Seite getreten. Trotzdem wippt die linke Tragflächenspitze der T r a n s p o r t m a schine über seinen Kopf hinweg, als das Flugzeug an ihm vorbeirollt. Die Ju 52 schiebt sich an der Versuchsmaschine vorbei. Sie wird von ihrem Piloten erst einige hundert Meter davor zum Stehen gebracht. Die Motoren beginnen auf Leerlauf zu drehen, und es wird möglich, wieder sein eigenes Wort zu verstehen. „Opa", sagt der Obergefreite Wanger, „kommt uns die Type da drüben nicht bekannt vor?" „Allerdings", nickt der inzwischen an vieles gewöhnte Unteroffizier, ,,er ist meines Wissens einer der Ingenieure von der Forschungsanstalt." „Ah, daher", nickt Wanger. Der Ingenieur scheint inzwischen des Alleinseins müde geworden zu sein. Er fährt sich mit einer schnellen Bewegung durch sein schütteres Blondhaar und geht auf die beiden Mechaniker zu. Auf seinem hageren Gesicht liegt ein abwesender Ausdruck, als er jetzt vor den zwei Män nern stehenbleibt. „Na, Herr Ingenieur", sagt Gernheim, „wichtiger Tag heute, wie?" Er deutet über die Schulter in die Richtung, wo sich die Generalität gerade zu ihrem Beobachtungsstand begibt. „Das ganze große Deutschland ist ja heute anwesend." Der Ingenieur blickt kurz zu den Generälen hinüber. „Vielleicht", erwidert er, „vielleicht auch nicht. Pleiten sind bei sol 14
chen Vorführungen immer drin. Und das meistens dann, wenn es u n b e dingt klappen soll." „Was ist das denn eigentlich für ein Vogel?" erkundigt sich Wanger, wobei er seine breiten Nasenflügel zucken läßt. „Das wird bald kein Geheimnis mehr sein", antwortet der junge Inge nieur. „Schließlich steht die Fracht schon daneben." „Also ein Transporter?" erkundigt sich jetzt der Unteroffizier. Der Ingenieur hat seinen Blick auf die Mädchengestalt gerichtet, die in der Nähe der Maschine mit einigen anderen Fachleuten der Forschungs anstalt spricht. Weit vor dem Segler blubbern die Motoren der Ju 52 immer noch im Leerlauf. „Na schön", sagt er schließlich, „wenn es euch interessiert, dann kann ich euch ja ein bißchen über die neue K r ä h e erzählen. Zuerst", sagt der Ingenieur, „sollte mit einem solchen Vogel ein fliegendes Observatorium geschaffen werden, weil wir uns hier beim Institut auch sehr viel mit meteorologischen Forschungen, Beobachtungen von Luftströmungen und anderem Zeug beschäftigen. Später hätte man aus dem Flugzeug auch einen Anhänger für Verkehrsmaschinen machen können . . . " „Einen Anhänger?" staunt Wanger. „Ja", nickt der Ingenieur, „so ungefähr schon. Man hätte Post in den K a h n packen können, und der Segler hätte sich dann dort von der Schleppmaschine lösen können, wo für das Motorflugzeug selbst keine Landemöglichkeit bestand." „Nicht übel", sagt Gernheim anerkennend. „Jetzt aber . . . " Ein schnelles Lächeln huscht über das Gesicht des Ingenieurs. „Ja", erwidert er, „jetzt hat man allerdings noch eine andere Fracht möglichkeit dafür gefunden." Er blickt zusammen mit seinen Gesprächspartnern zu der Maschine hinüber, wo sich jetzt laute Befehlsstimmen mit dem Knattern der Flug zeugmotoren vermischen. Sekunden später zischen Leuchtkugeln durch die Luft.
Die neun Infanteristen sitzen dicht hintereinander im Rumpf des Se gelflugzeuges. Ihre Gesichter sind etwas bleicher als sonst. Ihre Hände halten die Gewehre umklammert, und ihre Blicke sind auf den Unterof fizier im Vordergrund des Rumpfes gerichtet, als ob nur er für das Experiment verantwortlich sei, zu dem m a n sie befohlen hatte. „Wie die Ölsardinen haben sie uns hier zusammengequetscht", mault ein Gefreiter. Er rümpft seine Nase und begegnet dann dem Blick des Gruppenführers. „Schnauze!" sagt der Unteroffizier schlicht und einfach, aber das Wort hat nicht den gewohnten Klang. Denn das Innere des Segelflugzeuges ist schließlich kein Kasernenhof, und so nimmt es nicht wunder, daß auch solch ein kerniger Soldatenhin weis dieses Mal nicht viel ausrichtet. Dazu erscheint jetzt vor der gläser nen Kanzelscheibe noch die schmale Gestalt eines - nein, zum Teufel, das ist ja ein Mädchen! Das „Mädchen" blickt jetzt mit einem heiteren Lächeln in die Gesich ter der vorn sitzenden Infanteristen. Keiner der Männer kann wissen, was in diesem Augenblick in ihr vorgeht. Und keiner hat eine Ahnung davon, wie viele Wagnisse von ihr bis jetzt unternommen werden m u ß 15
ten, bis diese Infanteriegruppe in jenem Lastensegler Platz nehmen konnte, der einmal die Bezeichnung DFS 230 tragen würde. Auch weiß keiner der Landser etwas über die monatelange Erprobungsarbeit und den Tag, da dieses „Mädchen" vor der Kanzel zum erstenmal in das Flugzeug stieg, ohne zu wissen, ob es überhaupt fliegen würde. Und es ist möglich, daß die fast zierlich anmutende Fliegerin jetzt auch daran denkt, wie sie den Segler zuerst allein flog, um ihn dann erst einmal mit Sandsäcken so weit beladen zu lassen, bis das Gewicht der später mitzu führenden menschlichen Last erreicht war. Nun war es soweit! Sie spricht jetzt noch einige Worte mit den Männern, die mit ihr zum Startplatz gekommen waren, ehe sie sich dem Einstieg nähert. Wenig später schiebt sie sich in den Rumpf des Gleiters. Ihr Blick gleitet kurz über die verkrampft wirkenden Gesichter der darin befindli chen Männer. Dann läßt sie sich hinter dem Steuer nieder und schnallt sich an. Neben der Kanzel tauchen die Gesichter der anderen Männer wieder auf. „Hals und Bein*), Hanna!" sagt einer. Wenige Minuten später heulen einige hundert Meter voraus die Moto ren der Ju 52 auf. Durch den Rumpf des Lastenseglers geht ein Ruck. Die Oberkörper der Infanteristen machen die Bewegung mit. Ihre Hände krampfen sich noch fester um die Läufe der Gewehre. Sie haben mittler weile die Generäle vergessen, die irgendwo am Platzrand vielleicht ge rade die Okulare ihrer Ferngläser putzen. Außer den „Fliegerbonzen" ist auch General Model dabei, aber keiner denkt jetzt mehr daran. Denn die Maschine schlittert schon über den Flugplatz. Das „Mädchen" auf dem Führersitz macht irgend etwas mit dem Steuer. Der Segler kommt vom Boden ab und schwebt in der Luft. Mit angehaltenem Atem blicken die Männer auf die schmale Gestalt, die in gelöster Haltung hinter dem Steuerknüppel sitzt. Den Infanteri sten vertrocknet immer mehr Spucke im Hals. Mit großen Augen be trachten sie das Stück Erde, das vor der Kanzel sichtbar ist, darüber allerdings noch viel mehr H i m m e l . . . Der Gleiter muß immer noch am Seil des Schleppflugzeuges hängen. Das Rauschen des Fahrtwindes pfeift um den Rumpf. Die Männer sehen sich an und versuchen zu begreifen. Minuten verrinnen, ohne d a ß sie es merken. Plötzlich läßt der starke Zug nach. Die Geschwindigkeit verringert sich. Es ist, als ob die Segelmaschine ins Taumeln gekommen wäre. Doch schon in den nächsten Sekunden setzt ein Zischen ein. Die Gesichter der Männer sind jetzt der Erde entgegengeneigt. In ihren Mägen revoltiert das Frühstück. Sie sehen auf den Rücken des Mädchens, für das die ganze Angelegenheit nur eine Spielerei zu sein scheint. Die Strömungsgeräusche des Sturzes sind immer noch um das Flug zeug. Doch auf einmal wird die Sturzbewegung flacher. Ein Wort kommt aus dem Mund der Fliegerin: „Fertigmachen!" Dem Gefreiten gehen einige Gedanken durch den Kopf. Erinnerungen an die Instruktionen des Gruppenführers. Fertigmachen? Sollte es schon soweit sein? Und dieses Mädchen da vorn hatte ein Flugzeug mit neun ausgewachsenen Infanteristen durch die Luft geschaukelt? Der Gefreite *) Hals- und Beinbruch = Flieger-„Glückwunsch"
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beendet seine Überlegungen. Im gleichen Augenblick wird sein Körper von der Bremswirkung der unter dem Rumpf befindlichen Kufen erfaßt. Ein Gleiten setzt ein, ein knirschendes Rutschen. Dann steht der große Vogel still. „Raus!" schreit der Unteroffizier. Die Pilotin lächelt, als die feldgrauen Gestalten an ihr vorbeihuschen und über das Gras des Flugplatzes springen. Die Generäle am Platzrand wirken interessiert. K a u m einmal hatten sie während der ganzen Flugvorführung die Ferngläser von den Augen genommen, gespannt verfolgten sie die Lösung des Segel-Transporters vom Schleppflugzeug. Anschließend sahen sie den flachen Sturz, der Erdoberfläche entgegen. Ihr Erstaunen erreichte seinen Höhepunkt, als das Flugzeug fast laut los aufsetzte und die Infanteriegruppe sich schon Sekunden später zur Gefechtslinie entwickelte. „Ausgezeichnet!" sagt einer der Generäle. „Wirklich großartig!" Einer der anwesenden Stabsoffiziere wendet sich an den untersetzten Offizier mit dem rundlichen Gesicht, der die ganze Zeit über k a u m einmal seine lange Zigarre aus dem Mund genommen hatte. „Herr General*)", sagt er, „wurde die Maschine nicht von einer Dame geflogen?" „Allerdings", nickt Ernst Udet, Chef des Technischen Amtes im Reichsluftfahrtministerium (RLM) und seit 1.11. 1938 Generalleutnant, während er interessiert die Asche seiner Zigarre betrachtet, „aber sie ist eine so phantastische Fliegerin, daß sie wenig Zeit hat, eine Dame zu sein." Udets Lächeln vertieft sich. „Sie heißt Hanna Reitsch, wenn Ihnen der Name etwas sagt. Sie arbei tet schon geraume Zeit beim Institut als Einfliegerin." „Donnerwetter!" Was mochte Udet, Flieger des I. Weltkrieges und danach weltberühm ter Kunstflieger, nach diesem Ausruf gedacht haben? Vielleicht das: Ein „Donnerwetter" genügt wohl kaum für ein Mädchen, das schon als hal bes Küken einige Weltrekorde im Segelflug erkämpfte. Es genügt auch nicht für eine so bewunderswerte Fliegerin wie Hanna, die mit Vorliebe ihre Langstreckenflüge auf Fußballplätzen zum Abschluß bringt. Wie damals im Mai 1937, als sie eine von den fünf Piloten war, die zum erstenmal in einem Segelflugzeug die Alpen überquerten und die dann mit ihrem „Sperber-Junior" auf dem Fußballplatz einer italienischen Kaserne landete. Eine Gefährtin unbeschwerter Fliegerjahre, die außer dem schon 1937 den Titel eines Flugkapitäns verliehen bekam und im September 1937 an die Erprobungsstelle Rechlin berufen wurde. Dort wußte sie mit Stukas**) und Bombern bald genauso gut Bescheid wie mit Segelflugzeugen. Schließlich ein weiterer Glanzpunkt in ihrer fliege rischen Karriere: im Februar 1938 ihr Flug mit dem ersten Hubschrauber der Welt unter dem Dach der Deutschlandhalle in Berlin. Und anschlie ßend h a t t e sie den hohen Besucher bei den „Air Races" in Amerika auch noch mit bestem Erfolg vertreten. Dazwischen war von ihr ein Streckenweltrekord im Segelflug von der Wasserkuppe (Rhön) nach Hamburg aufgestellt worden und vor einem *) '*)
Anrede für Generaldienstgrade Sturzkampfbomber vom Typ Ju 87
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J a h r ein anderer im Zielfliegen - von ihren weiteren Weltbestleistungen, die ihr bis jetzt noch niemand streitig gemacht hatte, ganz abgesehen. Und was sie soeben vorgeführt hatte - nun, die Herren dürften wohl über genügend Scharfblick verfügen, um zu erkennen, welche Möglich keiten dieses Transportsegelflugzeug in taktischer Beziehung zu bieten hatte. Denn es handelte sich schließlich um eine Maschine, die in nahezu lautlosem Flug feindliche Stellungen erreichen und in kürzester Zeit Soldaten völlig überraschend zum Einsatz bringen könnte. Es dauert geraume Zeit, bis die Gespräche der anderen Offiziere wie der in Udets Bewußtsein dringen, und vielleicht denkt nicht einmal er in diesem Augenblick daran, daß das jetzt auf dem Flugplatz stehende Segelflugzeug bald für eine wahre Revolution in der Geschichte des Krieges sorgen wird. In ihrer Nähe hat sich die Infanteriegruppe gesammelt. Die Gesichter der Männer haben jetzt wieder eine bessere Farbe. Möglicherweise kommt das auch von dem schnellen Lauf, den sie vor führten, und von dem Auf und Ab des gefechtsmäßigen Angriffs. K a u m hundert Meter von den Infanteristen entfernt stehen die Warte (Flugzeugmechaniker) der Ju 52. Der Obergefreite mit dem sommer sprossigen Gesicht winkt die gerade gelandete Ju 52 ein. Immer näher kommt das stählerne Ungetüm, bis die Luftschraubenspitzen des mittle ren Triebwerkes nur noch wenig von der Gestalt in der dunklen K o m b i nation entfernt sind. Die kreuzweise über dem Kopf verschränkten Arme des Wartes wer den zum Signal für das Abstellen der Motoren. Mit behäbigen Bewegungen klettert Feldwebel Ketterer aus dem Rumpf der „Ju". Hinter ihm kommt ein weißblonder Haarschopf in Sicht. Er gehört dem Bordfunker, der schon geraume Zeit die Litzen eines Unteroffiziers trägt und auf den Namen Hänlein hört. „Na, ihr Flöten", meckert der hagere Ketterer, während er beim Zie hen an einer Zigarette seine eingefallenen Wangen noch mehr nach innen wölbt, „war 'n tolles Ding, wie?" „Mann", staunt der Sommersprossige, „wie die vorhin mit ihrem gan zen Gelumpe über das Feld gerannt sind! Ich schwitze schon, wenn ich daran denke." „Ha", knurrt der weißblonde Hänlein, „was ist denn das?" Wanger fährt sofort herum, als ob er in seinem Rücken etwas von Verpflegungsausgabe gehört habe. „Lieber Himmel", wundert sich Gernheim, „was wollen denn die hier?" „Besichtigung", erläutert Ketterer. „Das ist scheinbar immer so, wenn wieder etwas Neues ausgebrütet worden ist." In den nächsten Sekunden fällt kein weiteres Wort mehr. Denn immer hin sind die Generäle inzwischen höchstens noch ein Dutzend Meter entfernt. Die Nähe der hohen Herren und die Ausstrahlung soviel aller höchster Führerschaft lassen sogar den Obergefreiten Wanger ein inne res Beben verspüren. Hanna Reitsch, die inzwischen ebenfalls wieder am Startpunkt einge troffen ist, wirkt vor der gold- und silberschimmernden Kulisse der militärischen Würdenträger beinahe wie ein Kind, dem aufgetragen worden ist, vor einer Prominentenversammlung ein Sprüchlein aufzusa gen. Wanger, der Obergefreite mit den ölverschmierten Händen, und die 18
beiden Flieger aus der „ J u " kommen nicht in den Genuß der Unterhal tung, die jetzt bei der Generalsgruppe geführt wird. Sie sehen nur, d a ß die Generäle auf den Lastensegler zugehen, den der Traktor wieder herangeschleppt hat. Feldwebel Ketterer bleibt zusammen mit seinem Funker inzwischen ein weiteres Wundern erspart. Denn jetzt kommt der Oberwerkmeister über das Rollfeld gefegt, um dann hochroten Kopfes zu erklären, daß die „ J u " mit dem Segler noch einmal starten solle. „Mit den Generälen?" entfährt es Gernheim. „Natürlich!" schnappt der Oberwerkmeister. Ketterer wirft Hänlein einen fassungslosen Blick zu, ehe er sich u m wendet und auf die Maschine zugeht. Kurz darauf ist es soweit. Der Gleiter kommt schon nach kurzer Rollstrecke frei und schwingt sich in die Luft. Die „ J u " hat jetzt ebenfalls vom Boden abgehoben. Am Rand des Flugplatzes stehen die Männer der Infanteriegruppe. Sicher gefällt ihnen die Maschine, die sie vorhin durch die Luft trug, von unten besser als von innen. In etwa tausend Meter Höhe wird das Segelflugzeug ausgeklinkt. Nach einem kurzen Sturz geht es in engen Spiralen zur Erde nieder und setzt wenig später am Rollfeld mit knirschenden Kufen auf. Einige Wagen fahren auf die gelandete Maschine zu. Sie holen die hohen Offiziere ab und bringen sie zu den Platzgebäuden. Über dem Flugplatz von Rechlin liegt noch der Dunst der Morgen frühe. Über dem grauen Vorhang hat die Sonne bereits ihr Licht ausge breitet. Bald durchbrechen die Strahlen die wogenden Dunstschwaden und werden von den Kanzeln der Flugzeuge reflektiert, die gerade aus einer Halle ins Licht des neuen Tages gezogen werden. Je mehr die Sonne an Kraft gewinnt, desto reger wird das turbulente Treiben, das dieser zur Alchimistenküche der deutschen Luftwaffe ge wordenen Erprobungsstelle neuer Flugzeugtypen seinen Stempel auf drückt. Motoren werden angelassen, Fahrzeuge rollen über die Ringstraßen, mit Monteuren und Geräten beladen. Im Halbdunkel der Hallen stehen Männer in weißen Kitteln um geheimnisvolle Flugzeugtypen. Dazwi schen Gestalten in Flugkombinationen. Es sind Männer, die jeden Tag von neuem dem Tod ins Auge sehen: Einflieger, Testpiloten! Draußen vor der Halle haben Mechaniker hohe Eisenleitern vor eine Do 17 geschoben. Sie öffnen die Verkleidungsbleche der Motoren und blicken prüfend auf das Gewirr von Leitungen, Schrauben und die ölglänzende Verkleidung der Triebwerke. Einer von ihnen h a t ein mit Sommersprossen übersätes Gesicht. Der Obergefreitenwinkel auf seinem linken Ärmel ist fast so schwarz wie das Tuch der Kombination. Er klettert gerade wieder auf die Erde und tritt zu einem grauhaarigen Unteroffizier. „Muß den Bock mal anspringen lassen, damit man besser sieht, an welcher Stelle er die Masern hat." Der Unteroffizier nickt nur. Er sieht dabei dem hageren Feldwebel entgegen, der gerade von der Halle herkommt. Neben ihm läuft ein hochgewachsener Unteroffizier, der ein Sortiment von Kopfhörern in der rechten Hand hält. Unter seiner Mütze lugen blonde Haarsträhnen hervor. 19
„Unsere hohen Herrschaften kommen", b r u m m t der Obergefreite Wanger, während er Gernheim wieder einmal an den Rippen kitzelt. „Grüß euch Gott alle miteinander!" sagt der Bordfunker Hänlein. Er wendet sich jetzt dem Obergefreiten zu. „Wie viele Schraubenschlüssel hast du wieder im Motor liegenlassen?" Der Mechaniker beläßt es bei einem grimmigen Blick. Feldwebel Ketterer betrachtet indessen die neue Maschine, die er vor einigen Tagen zum erstenmal geflogen hatte. Dann senkt er den Kopf und starrt auf die Grasfläche vor seinen Füßen. „Habt ihr schon die Nachrichten gehört?" wendet er sich an Gernheim. „Noch keine Zeit gehabt!" „Ich auch nicht." Der Feldwebel sieht zur Halle hinüber, wo gerade eine Ju 87 ins Freie gezogen wird. Dann deutet er wieder auf die Ma schine, vor welcher der Obergefreite vorhin die Eisenleiter aufgestellt hatte. „Wie lange braucht ihr noch?" „Kleiner Fisch!" erwidert Wanger. „Eine Viertelstunde vielleicht!" „Gut!" Der Pilot dreht sich nach dem Funker um. „Gehen wir ein bißchen in die Kantine solange?" ,,Immer noch besser als in den Bunker", nickt der Unteroffizier. Während sie auf die Ringstraße zugehen, klettert Wanger auf den Flugzeugführersitz der Do 17. „Ich kann es immer noch nicht begreifen", sagt der Feldwebel, als sie die Straße erreicht haben. „Was? Daß du jetzt hier praktisch ein Einflieger geworden bist und keine alten ,Jus' mehr kutschieren m u ß t ? " Der Feldwebel scheint die Worte gar nicht gehört zu haben. „Dieser Krieg", sagt er, „er kam ja wie ein Blitz aus heiterem Himmel." „Das ist neuerdings anscheinend immer so", nickt der lange Bordfun ker, während er an seiner Mütze herumrückt. „Bitte!" Er macht eine Verbeugung und läßt den Feldwebel in die Kantine eintreten. Der Raum ist, abgesehen von dem hinter der Theke befindlichen K a n tinier und einem neben ihm stehenden Mädchen, so gut wie leer. Die beiden Flieger setzen sich an einen Tisch. In ihrer Nähe steht ein Radio gerät, das Marschmusik ausspuckt. „Zwei Kaffee!" ruft der Feldwebel dem Kantinier zu. Der Bordfunker hat ein kleines Buch herausgezogen und es aufge schlagen. Die vielen Funkkladden, die er schon zu führen hatte, haben ihm offenbar eine Leidenschaft für die Registrierung auch anderer E r eignisse eingebracht. „Das mit deinem Krieg, was du vorhin sagtest", meint er, „war wirk lich ein dicker Hund. Aber schließlich müssen wir uns allmählich d a r a n gewöhnt haben. Da . . . " Er beugt sich über den kleinen Taschenkalender und beginnt vorzulesen: „1. September 1939: Deutscher Einmarsch in Polen. 3. September: England erklärt uns den Krieg. 10. September: K a n a d a erklärt Deutschland den Krieg. 9. April 1940: Deutsche Truppen landen in Dänemark und Norwegen."
Er hebt den Kopf und blickt den Feldwebel an.
„Und dann, gestern, 10. Mai 1940: Wir marschieren in Frankreich ein!"
„Wie ein Buchhalter!" meint Feldwebel Ketterer. Er möchte noch
etwas sagen, tut es aber nicht, da sich in diesem Augenblick die Tür öffnet und Hanna Reitsch den Raum betritt. 20
Die beiden Flieger verfolgen ihren Weg zur Theke, wo sie mit dem Dicken einige Worte wechselt. Kurz darauf dreht sie sich wieder um und geht mit einem freundlichen Gruß hinaus. „Da ist sie ja wieder!" sagt der Bordfunker. „Bin n u r gespannt, in welche K r ä h e sie sich jetzt hineinklemmt!" In diesem Augenblick wird im Radio der Wehrmachtsbericht angekün digt. Dann geht es los: „ . . . haben unsere Truppen nach der Niederwerfung der Fe stungswerke von Eben Emael den Vormarsch nach Süden angetreten. Das Fort Eben Emael wurde schon am 10. Mai durch eine ausgesuchte Abteilung der Luftwaffe unter Führung von Oberleutnant Witzig und unter Einsatz neuartiger Angriffsmittel kampfunfähig gemacht und niedergehalten..." Draußen vor dem Fenster steht die Testpilotin. Ihr Blick schweift über die Flugplatzanlage zum Himmel, der schon seit vielen J a h r e n ihr Reich, ja fast ein Stück ihres Lebens darstellt. Aber dieses Mal sind es nicht die frohen Erinnerungen an das schwere lose Dahingleiten vor weißen Wolkenburgen, die sie bewegen, und es sind keine Gedanken an die sportlichen Siege in den kleinen Segelflug zeugen, errungen über vielen Kontinenten. Dieses Mal ist es der Krieg, der auch sie bedrückt, und sicherlich war sie sich in dieser Stunde noch nicht bewußt, d a ß sie durch ihre vorange gangene Einfliegertätigkeit eine Schlacht hatte entscheiden helfen. Die Worte, die vorhin aus dem Radio klangen, mögen indessen höch stens eine ungefähre Ahnung über die wirklichen Vorgänge geschaffen haben. Bei einem vor wenigen Tagen stattgefundenen Treffen waren schon ähnliche Empfindungen aufgekommen. Irgendwo auf einem west deutschen Flugplatz war Hanna Reitsch mit der Elite der deutschen Segelfliegerei zusammengekommen. Sie hatte dabei mit Freunden ge sprochen, die ebenfalls zum erstenmal in ihrem Leben Soldaten in Segel flugzeugen transportierten, Männer mit Uniformen, die sie als Angehö rige der Fallschirmtruppe auswiesen. Und bei den Gesprächen hatte sich die Vermutung bestätigt, daß die Lastensegler bald einem besonderen Zweck dienen würden. Es waren die gleichen Flugzeuge, deren Prototyp sie praktisch aus der Taufe hatte heben helfen. Was war nun inzwischen geschehen? War vorhin nicht von neuartigen Kampfmitteln gesprochen worden? Im Zusammenhang mit der Erobe rung eines großen Forts? Waren es die neuen Segler gewesen, mit denen die Bezwingung der wichtigen Verteidigungsanlage gelungen war? Aber weder sie noch die beiden Flieger, die sie durch das Fenster der Kantine auch jetzt noch beobachten, wissen etwas von dem Zug, der im Morgengrauen des 10. Mai 1940 hinter einem halben Hundert Ju 52 die Flugplätze am Rhein verlassen hatte. Die Maschinen mit den kleinen Kanzeln hatten sich über dem hollän disch-belgischen Grenzgebiet von ihren Schleppflugzeugen gelöst - r u n d vierzig an der Zahl. In beinahe lautlosem Flug - nur vom Zischen des Fahrtwindes beglei tet - waren sie dem Felsensockel zwischen Maas und Albert-Kanal entgegengeschwebt, in den grauenden Morgen hinein. In den Rümpfen der Gleiter hatten Fallschirmpioniere gesessen, umgeben von Waffen und Behältern mit hochexplosivem Sprengstoff. 21
Wenige Minuten später waren die Kufen der Lastensegler zwischen den gewaltigen Bunkern des Festungswerkes Eben Emael gelandet, und kurz darauf hatten Haftladungen die ersten Breschen in das als unbe zwingbar angesehene Verteidigungswerk gerissen. Noch im Donnern der ersten Explosionen waren andere Gleiter vom Typ DFS 230 an den Albert-Kanal-Brücken von Canne, Veldvezelt und Vroenhofen gelandet. Auch hier hatten die Insassen der Flugzeuge zwei strategisch wichtige Brücken in letzter Minute vor der Zerstörung bewahrt. Nach dreistündigem Kampf war etwas gelungen, das in der Geschichte des Krieges bis dahin unmöglich erschienen war: Ein 75 ha großes Werk mit schweren Panzerkuppeln und einer Unzahl großkalibriger Abwehr waffen war eingenommen worden. In einem Zeitraum von kaum eineinhalb Tagen konnte somit der Beweis erbracht werden, daß selbst große Befestigungswerke durch Luftlandetruppen zu erobern waren. Das Sperrfort am Albert-Kanal war ausgeschaltet, und deutsche T r u p penverbände zogen nun, von den drohenden Bunkerkuppeln unbehel ligt, der französischen Grenze entgegen. Die beiden Flieger in der Kantine hatten die ganze Zeit über kein Wort gesprochen. Es ist jetzt Ketterer, der das Schweigen bricht. „Der Teufel soll mich holen", murmelt er, „wenn sie das Fort in Hol land nicht mit den Lastenflitzern geknackt haben." Er sieht auf die Uhr. „Komm, es wird wieder Zeit für uns." Draußen schlägt ihnen eine angenehme Wärme entgegen. Ketterer und sein Gefährte sind nicht mehr weit von ihrer Do 17 entfernt, als sich mit dem Motorenklang einer abfliegenden Ju 87 ein anderer, hoher Sing ton vermischt, der in regelmäßigen Abständen von unregelmäßigem Knallen unterbrochen wird. Sofort heben die beiden alarmiert die Köpfe, denn dieses abgehackte Motorengeräusch hatte noch nie etwas Gutes bedeutet. Auch auf den Abstellplätzen vor den Hallen haben die Techniker*) die Hände sinken lassen. Sie sehen jetzt eine einzelne Me 109, die in einiger Entfernung vom Platzrand zur Landung ansetzt. Inmitten des Silber kreises, den die Luftschraube beschreibt, sieht m a n in regelmäßigen Abständen ganz deutlich einzelne Propellerblätter. „Donnerwetter!" murmelt der Bordfunker. „Wenn der es nur noch schafft!" Die von Osten her anschwebende Maschine gibt nur noch wenige Laute von sich, ehe der Motor ganz verstummt. Trotzdem fährt der Flugzeugführer das Fahrwerk aus. Die Me 109 hat inzwischen ungefähr den Platzrand erreicht. Sie hängt in der Luft „wie eine reife Pflaume"**). Zuweilen läuft ein Zittern durch den schlanken Rumpf. Daß der Pilot die ohne Motorkraft fliegende Maschine dennoch sicher auf den Boden bekommt, ist für Ketterer Grund zu einem anerkennen den Brummen. Dabei verfolgt er den Rollweg des Jagdflugzeuges, das kaum hundert Meter hinter der Do 17 zum Stehen kommt. „Mein lieber Mann", sagt sein Bordfunker, „das war gekonnt!" *) Luftwaffenausdruck für Flugzeugmechaniker **) Fliegersprache
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„Wahrhaftig!" nickt der Feldwebel. „Komm, wir wollen uns den A k r o baten einmal ansehen!" Bevor sie die Maschine erreicht haben, stoppt ein Wagen neben dem Flugzeug, dem ein Hauptmann entsteigt. Das ist kein Wunder, da Rech lin für alle nicht „ortsansässigen" Luftkutscher so t a b u zu sein hat wie etwa das Vorzimmer des Reichsmarschalls*) für einen englischen Ser geant. So kommen sie gerade zurecht, als sich der Hauptmann bei einem jungen Leutnant nach dem Grund seiner Anwesenheit auf ausgerechnet diesem Flugplatz erkundigt, und sie hören auch, daß der Me-109-Pilot von einem Kolbenfresser redet. Der Hauptmann murmelt etwas von „drüben in diesem Haus melden". Dann setzt er sich wieder in seinen Wagen und rollt davon. Der Me-109-Mann hat seine Fliegerhaube abgenommen. Braunes, ge welltes Haar kommt zum Vorschein. Er wischt sich mit dem Ärmel über die schweißnasse Stirn und sieht dann einem Traktor entgegen, auf dem einige Mechaniker sitzen. Schließlich kommt er auf Ketterer und den Bordfunker zu. „Keine Ahnung gehabt, daß das Rechlin ist", meinte er wie zur Entschuldigung. „Kann passieren, wenn der Quirl (Luftschraube) Possen macht", erwi dert Ketterer. Er stellt dabei fest, daß der Leutnant hellblaue Augen hat, eine lange, gerade Nase, stämmige Schultern und ziemlich schmale Hüf ten. Sicher ein Sportler auf manchen Gebieten. „Gibt es hier nichts zu trinken?" erkundigt sich der Leutnant. „Dort drüben ist eine Bude, wo es etwas gibt!" Zu dritt gehen sie jetzt auf die Do 17 zu, an welcher Wanger und Unteroffizier Gernheim, unterstützt von zwei weiteren Warten, gerade die letzten Handgriffe vornehmen. Plötzlich fällt ein Schraubenschlüssel aus Gernheims Hand. Der Un teroffizier mit den grauen Schläfenhaaren starrt fassungslos auf den jungen Leutnant aus der Me 109, der inzwischen ebenfalls stehengeblie ben ist. „Junge, du bist hier?" „Ja, alter Herr", strahlt der Leutnant. „In diese Ecke haben sie dich also v e r b a n n t ? " In den nächsten Sekunden lassen sie erst einmal ihrer Freude freien Lauf, bis dann Gernheim die Frage stellt: „Wohin wolltest du d e n n ? " „Nach Köln-Ostheim! Überführungsflug zu meinem Haufen." Der Unteroffizier schüttelt den Kopf. Dann sieht er zur Halle hinüber, wo ein Traktor vor einer Ju 87 dem Hallenvorfeld entgegentuckert. Der Schleppzug hält kaum ein Dutzend Meter von den Männern entfernt. Eine kleine Gestalt im Dreß der Einflieger kommt aus der Halle. Sie bleibt neben dem Stuka stehen. „Wer - wer ist denn d a s ? " entfährt es Leutnant Gernheim. „Hanna Reitsch", erwidert sein Vater nicht ohne einen gewissen Stolz. „Hast du noch nie von ihr gehört?" „Und ob! Gehört schon. Das wäre ja auch noch schöner. Von der reden sie bei uns manchmal mehr als vom lieben Gott. Bei uns sind nämlich einige Segelflugbullen, die sie schon von früher kennen. Das ist sie also?" „Ja, das ist sie!" nickt Unteroffizier Gernheim. *)
Coring, OB der Luftwaffe
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„Was macht sie denn hier?" Der Unteroffizier zuckt die Schultern und wirft Ketterer einen fragen den Blick zu. „Vielleicht siehst du es bald." In diesem Augenblick steigt Hanna Reitsch am Rumpf der Ju 87 in die Höhe. Der junge Gernheim staunt. „Fliegt die etwa mit diesen Mühlen?" „Natürlich!" An der Ju 87 wird bereits der Motor angelassen. Bald darauf bildet die Luftschraube einen silbernen Kreis. Ein Mann in hellem Overall nähert sich der Maschine. Er winkt gegen die Kabine, und die Fliegerin lächelt. Auf ein Zeichen von ihr nehmen die Warte die Bremsklötze weg. Das Flugzeug rast über das Rollfeld und hebt vom Boden ab. Leutnant Gernheim sagt: „Wenn ich das meinen Segelflugfritzen erzähle, halten sie mich für bekloppt." Die Ju 87 klettert einige Kilometer vom Flugplatz entfernt in die Höhe. Der Leutnant hat jetzt offenbar vergessen, daß er etwas trinken wollte. Wie angewurzelt steht er da und starrt auf die immer kleiner werdende Silhouette des Sturzkampfflugzeuges. „Übrigens", sagt Gernheim zu Ketterer, „die Do 17 ist soweit." „Ja, ja." Der Stuka ist inzwischen hinter einer Kumuluswolke verschwunden. Aber schon Sekunden später kommt er wieder in Sicht. In steilem Sturz rast er der Erde entgegen. Der Motor ist auf die Hallen gerichtet. Ein hohes Heulen erfüllt den Luftraum über dem Flugplatz. Der Mann im hellen Overall, der H a n n a Reitsch vorhin noch zugewinkt hatte, blickt ebenfalls nach oben. Gernheim hätte seinem Sohn sagen können, d a ß er Frank heißt und eines der Einfliegerasse von Rechlin ist. Oben am Himmel stürzt die Ju 87 immer noch in die Tiefe. In geringer Höhe wird die Sturzbewegung flacher. Mit aufheulendem Motor huscht das Sturzkampfflugzeug über die Hallen hinweg. Wenige Sekunden spä ter legt es sich auf die linke Tragflächenspitze. Aus dieser steilen K u r venlage heraus wird es dem Landekreuz entgegengeslipt. Die „butter weiche" Landung entlockt dem Leutnant einige erstaunte Ausrufe. Die Ju 87 stoppt an der gleichen Stelle, von der sie vorhin abgerollt war. Der Mann im hellen Overall tritt an den Rumpf. Die Pilotin steigt aus. Leutnant Gernheim stößt die angestaute Luft aus. „Man könnte ge rade meinen, sie hätte soeben n u r einen Doppeldecker h e r u m k u t schiert." „So ist sie halt n u n mal", erwidert sein Vater.
Der Krieg im Westen, der am 10. Mai 1940 begonnen hatte, w a r am 25. J u n i mit einem deutschen Sieg zu E n d e gegangen. In jenen Tagen vor dem Beginn der „Schlacht um England" zeigte der Krieg immer wieder neue Gesichter. Und je verbissener das Ringen um die Luftherrschaft über Großbritannien wurde, desto stärker trat menschlicher Erfindungsgeist in den Dienst der Schlachtenlenker. Die Technik wurde zum Komplizen des Todes, der seine Opfer mit immer 24
neuen Spielarten aus dem Himmel stieß, sei es durch neuartige Fla-Ge schosse, Funkpeilstrahlen oder die Drahtseile großer Sperrballone. Sperrballone! Der Mann im Konstruktionsbüro der Erprobungsstelle ist einer von jenen, die das Wissen um die tückische Waffe schon seit Wochen wie ein Alptraum verfolgt. Auch jetzt steht er wieder vor einem großen Zeichenbrett und betrach tet die Skizze eines zweimotorigen Flugzeugs, um dessen Vorderpartie sich ein merkwürdiges, antennenartiges Gebilde spannt. Die gezeichnete Linie hat Ähnlichkeit mit der Sehne eines Bogens, die sich schützend vor die Tragflächenpartie spannt. Der Konstrukteur wippt mit der Spitze seines Bleistiftes gegen die Zeichnung, ehe er sich kopfschüttelnd umwendet und an das Fenster tritt. Einige Dutzend Meter von ihm entfernt steht eine Do 17, über deren Tragflächen das seltsame Gebilde auf der technischen Zeichnung bereits Wirklichkeit geworden ist. Niemand h ä t t e so gut wie der Konstrukteur erläutern können, daß die Vorrichtung einen sogenannten Ballonabwei ser darstellt, ein Gerät also, das die Halteseile der Sperrballone bis zu den Flächenspitzen abweisen soll, wo sie dann von Schneidevorrichtun gen gekappt werden. Es ist kein siegesgewisser oder gar triumphaler Ausdruck auf dem Gesicht des Konstrukteurs. Denn er kennt die Versuche, die mit dem Ballonabweiser durchgeführt wurden, und er weiß, d a ß der Abweiser noch lange keine hundertprozentige Garantie gegen den tückischen Tod unter den Hüllen der Sperrballone darstellt. Langsam wendet sich der Mann, der vor vielen Monaten einmal einen Segler konstruiert hatte, wieder um. Er tritt vor ein anderes Zeichen brett, auf dem ebenfalls die Umrisse eines zweimotorigen Flugzeuges zu sehen sind. Aber auf dieser Darstellung fehlt die symbolisierte Bogen sehne. Dafür verläuft entlang der Flügelnase ein paralleler Strich, der in der Nähe der Motoren endet. Der Bleistift fällt aus der Hand des Konstrukteurs. Aufatmend tritt er ins Freie. Mit gesenktem Kopf entfernt er sich von dem kleinen Gebäude und geht auf den Rollfeldrand zu. Doch schon nach wenigen Schritten bleibt er wieder stehen und beobachtet eine Do 17, die gerade aus der Halle gezogen wird. Vor den Tragflächen der Maschine heben sich zwei längliche, messerartige Gebilde im Licht der Sonne ab. Wenig später nimmt etwas anderes die Aufmerksamkeit des Mannes im weißen Arbeitsmantel in Anspruch. „Na, Hanna", sagt er, wobei er mit dem Kopf gegen die Kampfma schine deutet, „hast du dir die Geschichte genügend angesehen?" Das Mädchen im Fliegerdreß nickt einige Male vor sich hin. „Anzusehen gibt es da nicht viel", meint sie, „probieren ist besser!" „Es wird nicht so einfach sein wie mit den anderen Vorrichtungen, Hanna. Die Motoren sind nicht geschützt." „Ich weiß, aber es wird schon klappen." „Manchmal habe ich Angst um dich, Hanna!" „Hast du kein Vertrauen mehr in deine Konstruktionen, H a n s ? " „Verdammt noch mal", knurrt der Konstrukteur, „darum handelt es sich nicht, sondern um dich. Schließlich ist die Mühle da drüben kein Segelflugzeug." „Das weiß ich auch!" 25
„Warum machst du das alles eigentlich, H a n n a ? " Das Lächeln auf dem Gesicht der Fliegerin erlischt. „Das weißt du so gut wie ich", erwidert sie, „wir tun das alles ja nicht für uns. Denn hier gibt es keine Sperrballone. Wenigstens keine, an denen sich irgend jemand den Hals brechen soll. A u ß e r . . . " Sie ver stummt und macht eine wegwerfende Handbewegung. „Eben", fällt der Konstrukteur ein, „außer euch! Mensch, Hanna! P a ß auf! Die Sache mit den Stahlschneiden da kann höllisch ins Auge ge hen." „Na schön", ein schneller Blick gleitet über das Gesicht des Konstruk teurs, „dann werde ich eben meine Brille aufziehen." Der Konstrukteur kennt solche Bemerkungen zu gut, um besonders darauf zu reagieren. So zuckt er nur die Schultern. Dann sagt sie: „Es wird Zeit, Hans. Drück die Daumen!" „Ja, natürlich, Hanna!" Noch einmal hebt sie grüßend die Hand, ehe sie sich der Kampfma schine nähert. Dicht vor der einen Tragfläche bleibt sie stehen und beobachtet die Stahlschneiden vor den Flügelnasen. Die Männer der Ballonerprobungsstelle in einem Waldstück bei dem Flugplatz Saarow sehen gerade zu, wie eine der riesigen Gummiwürste immer größer und größer wird. Sicherlich denken sie sich jedesmal ihr Teil, wenn sie die Flugzeuge vom Typ Do 17 mit den merkwürdigen Vorrichtungen vor Tragflächen und Kanzeln auf die Drahtseile h e r a b stechen sehen, die ihre Ballone in der Luft halten. Keiner von ihnen weiß allerdings, wer in der Kanzel des Versuchsflugzeuges sitzt und mit jedem neuen Anflug auf die dicken Stahlseile ein Duell mit dem Tod austrägt. Sie wissen höchstens, daß es Maschinen der Erprobungsstelle Rechlin sind, welche die wagemutigen Versuche durchführen. Dafür ist ihnen aber um so genauer bekannt, d a ß die Halteseile ihrer Ballone eine Stärke zwischen 2,7 Millimetern und der massivsten Dicke von 8,9 Milli metern aufweisen. An diesem Tag hatten sie einen ihrer Ballone an einem besonderen Seil befestigt. Es war ein Stahlseil von 5,6 Millimetern Stärke, das von einem englischen Ballon stammte und über den Kanal an die deutschbe setzte französische Küste getrieben worden war. Ein wahrhaft tücki sches Seil übrigens - wenn man an die armen Teufel in den Do 17 dachte, die jeden Tag ihr Leben bei den Kappversuchen mit den sogenannten Ballonabweisern riskierten. Denn immerhin bestand es aus sechs dicken Stahlsträhnen, die ihm eine beachtliche Festigkeit verleihen mußten. Dazu war es noch recht kurz, was natürlich zur Folge hatte, d a ß die Versuchspiloten den Ballon in geringer Höhe anfliegen mußten. Und wenn dann etwas nicht klappte . . . Der Leutnant, der die ganze Zeit über den Männern zusieht, die mit der Vorbereitung des Ballons beschäftigt sind, dreht sich um, als er in seinem Rücken das Geräusch eines Automotors hört. Es ist ein offener Wagen, der in langsamer Fahrt über den Waldweg holpert. Generaloberst Udet steigt aus und nimmt die Meldung des Leutnants entgegen. Er nickt einige Male und reicht dann dem jungen Offizier die Hand. Auf Udets Gesicht ist ein abwesender Ausdruck. Immer wieder 26
blickt er an den Stämmen der Bäume in die Höhe zu dem Stück blauen Himmel, das über den Baumkronen zu sehen ist. Zusammen mit dem Leutnant tritt er etwas zurück, als laute K o m m a n dos durch den Wald schallen. Der Ballon steht schon einige Meter über dem Boden. Schon im nächsten Augenblick hebt er sich noch weiter in die Höhe und schwebt bald über den Baumkronen. Der nachdenkliche Ausdruck auf dem Gesicht des Generalobersten hat sich schon vertieft. Sogar seine Zigarre ist erloschen, aber er scheint es nicht zu merken. „Verdammt kurz, das Seil", wendet er sich jetzt an den Leutnant. Der junge Offizier fährt herum. „Jawohl", erwidert er, „aber es war so befohlen, Herr Generaloberst. Es ist ein Beuteseil und . . . " „Ich weiß", nickt Udet, „ich weiß alles!" Er tippt grüßend mit der Hand an den Mützenschirm und blickt wie der zum Himmel hinauf. Vielleicht denkt er dabei an die Nachricht, die er vorhin bei seiner Landung in Saarow erhalten hatte. Sie besagte, d a ß an diesem Tag anstelle der normalen Ballonabweiser eine neue K a p p vorrichtung probiert werden sollte. Dabei handelte es sich um eine Stahlschneide, die entlang den Tragflächenprofilen des Flugzeuges an gebracht war und die Aufgabe hatte, das Seil des Ballons zu zerschnei den. Der General memoriert die letzten Berichte, die er über die neue Vorrichtung erhalten hatte. Er denkt vielleicht auch an die zahlreichen bis dahin bei solchen Versuchsflügen gekappten Ballone, die anschlie ßend in freiem Flug mit ihren Stahlseilen in den Hochspannungsdrähten der Überlandleitungen eine heillose Verwirrung anrichteten. Nun, si cher würde man auch heute Jagdflieger bereit haben, die nach dem gelungenen Kappversuch die frei herumfliegenden Ballone abzuschie ßen hatten. Sicher ist es aber nicht nur der bevorstehende Erprobungsversuch, der den nachdenklichen, fast besorgten Zug auf das Gesicht des General obersten brachte. Es mag vielmehr das Wissen um die Tatsache sein, d a ß es schon seit vielen Monaten eine Frau ist, die mit den Ballonabweisern bereits unzählige waghalsige Versuche durchführte: Hanna Reitsch, die kleine Hanna, die treue Fliegerkameradin aus glücklichen Vorkriegsjah ren. Und heute würde sie erstmalig mit dem neuen Seilzerschneider den Ballon anfliegen, der n u r wenige hundert Meter über der Erde hängt! Udet hebt den Kopf, als er in der Ferne das Geräusch von Flugmotoren hört. „Sie kommen", sagt der Leutnant. Er hat jetzt eine Leuchtpistole in der Hand. „Ich höre es", sagt sein Besucher. Er wirft die Zigarre auf den Boden, obwohl sie kaum angeraucht ist. Dann tritt er zurück und blickt wieder zum Himmel hinauf. Der Leutnant von der Versuchsgruppe kann sich keinen Vers darauf machen, warum der General an seiner Seite jetzt schon wieder den Kopf schüttelt... Leutnant Gernheim lehnt an der Tragfläche seiner Me 109 und raucht die letzte Zigarette vor dem Start. Dabei blickt er immer wieder auf den 27
Fliegerchronometer an seinem linken Handgelenk. Denn die Startzeiten sind bei diesem neuen Job, zu dem man ihn vom Ersatzhaufen (Ergänzungsgruppe) aus kommandiert hatte, sehr genau zu beachten. Der Oberwerkmeister der technischen Kompanie kommt steifbeinig auf ihn zu. „Wird bald wieder soweit sein, Herr Leutnant." Gernheim wirft noch einmal einen Blick auf seine Uhr und läßt d a n n die Zigarette ins Gras fallen, wo er sie mit dem Absatz des Pelzstiefels ausdrückt. Jenseits der Tragfläche steht ein Gefreiter in der Nähe der Bremsklötze. In seiner Hand hält er eine Andrehkurbel. Mit hochgezogenen Augenbrauen deutet der Oberwerkmeister auf das linke Bein des Leutnants. „Wie geht es?" Über Gernheims Gesicht huscht ein schmerzlicher Ausdruck. „Es wird langsam besser", erwidert er. „So ein verdammter Schuß in den Knöchel war noch nie 'ne angenehme Sache." „Kann ich mir denken", nickt der Oberwerkmeister. „Man m e r k t es, wenn Sie laufen, daß da etwas nicht in Ordnung ist. Wie ist es eigentlich passiert?" Fred Gernheim wirft einen Blick auf seine U h r und zieht d a n n eine neue Zigarette aus dem Päckchen. Der Oberwerkmeister reicht ihm Feuer. „Es war über London", sagt der Leutnant, „wir hatten ,Kämpfer' (Kampfflieger) begleitet und waren gerade wieder im Abflug. Die Flak war so fröhlich wie immer und der Himmel voller Geigen." „Geigen?" wundert sich der Oberwerkmeister. „Na ja", erläutert Gernheim, „ich meine natürlich diese verfluchten Sperrballone." „Ah", sagt der Oberwerkmeister, „und?" Der Leutnant n i m m t einen tiefen Zug aus seiner Zigarette. An seiner Lederjacke hängt das EK I über dem Flugzeugführerabzeichen. „Na ja", fährt er dann fort, „mein Rottenflieger und ich sind so in fünftausend durch die Luft gekrebst*), als wir plötzlich eine einzelne Ju 88 sahen, die gewaltig angeschlagen war. Plötzlich waren fünf eng lische Jäger da, die sofort auf die Ju 88 losgingen. Als wir uns einge mischt haben, gab es eine Riesenkurbelei. Dabei hat es bei mir in der Kabine dann plötzlich gerumst, u n d mein Fuß war dahin." „Verdammt noch mal!" murmelt der Oberwerkmeister. „Der Witz kommt noch", sagt Gernheim. „Meine Maschine hatte n ä m lich ziemlich viel abbekommen. Es reichte nicht mehr bis zur französi schen Küste. So bin ich mitten im Kanal baden gegangen. Ganz in meiner Nähe schwamm bereits die gute Ju 88. Wir haben uns später im Lazarett wiedergefunden", berichtet er weiter. „Dabei erzählten die anderen, daß sie auf eines der Sperrballonseile gedonnert seien. Es war selbst für sie ein Wunder, d a ß sie nicht postwendend vom Himmel fielen." Der Oberwerkmeister schüttelt sich. „Muß ja ein teuflisches Zeug sein." „Solange man sie noch sieht, geht es", nickt Gernheim. „Wenn sie aber in den Wolken hängen, dann sind die Halteseile so gut wie unsichtbar." „Und wie sind Sie gerade zu uns gekommen, Herr Leutnant?" erkun digt sich der Oberwerkmeister nach einer längeren Pause. *)
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Fliegersprache
„Na ja", lächelt Gernheim, „erstens einmal, weil ich ja mit den Ballo nen einige Erfahrung habe - immerhin habe ich schon vier über London in Brand geschossen -, und dann war auch ein bißchen Nachhilfe von mir dabei. Der Betrieb beim Ersatzhaufen macht einen verrückt. Und d a h e r . . . " Er wirft wieder einen Blick auf seine Uhr. „Es wird Zeit. Hoffentlich klappt es auch heute. Offen gestanden, die Jungs in den Maschinen mit den Ballonabweisern sind nicht zu beneiden." „Wahrhaftig", stimmt der Oberwerkmeister zu, „ich habe die Leute von Rechlin überhaupt noch nie beneidet." Mit vorsichtigen Bewegungen hebt Gernheim sein verwundetes Bein über den Kabinenrand. Er lehnt sich erst aufatmend zurück, als der F u ß im Seitenruderpedal einen Halt gefunden hat. Wenig später springt der Motor an. Mit kurzen Gasstößen rollt Gern heim die Me 109 zum S t a r t . . .
Die Fahrbahnen der Autobahn nach Frankfurt/Oder sind zu einem silbernen Band geworden, das zwischen Wäldern u n d Seen zu dem einsamen Flugzeug am Himmel hinaufleuchtet. Die Autobahn ist bereits hinter den Tragflächen der Do 17 zurückge blieben. Die Kanzel des Flugzeuges deutet jetzt auf die Nordspitze des fingerartig ins Land zeigenden Scharmützelsees und auf die Silhouette des Städtchens Saarow. Eine dunkle Blendschutzbrille hat das Gesicht des Piloten unkenntlich gemacht. Regungslos sitzt die schmächtige Gestalt hinter dem Steuer horn, die eine Hand auf den gelben Knöpfen der Gashebel. Die Zeiger der Instrumente vibrieren leicht im Rhythmus der Motoren. Der schlanke Rumpf der Maschine, die einmal den Beinamen „fliegen der Bleistift" erhalten hatte, weist eine gähnende Leere auf. Nur ein einziger Mensch sitzt darin, ein Pilot mit einer hellen Fliegerkopfhaube, unter deren Rändern Haarsträhnen hervorlugen. Es ist Hanna Reitsch. Sie legt das Kampfflugzeug über der Nordspitze des Scharmützelsees jetzt in eine leichte Kurve. Für Sekunden ruht ihr Blick auf den schienenartigen Gebilden vor den Tragflächen, richtet sich dann auf die Erde, tastet über die grünschil lernden Konturen eines Waldes und erfaßt plötzlich das längliche, wurstartige Gebilde, das wie ein Fremdkörper vor dem glasigen Blau des Himmels steht. Die Hände klammern sich fester um die Griffe des Steuerhorns. Ge danken kommen und gehen. Erinnerungen an das knirschende Geräusch tauchen auf, wenn die Ballonabweiser die Sperrseile trafen. Heute aber würde es anders sein. Das von einem bangen Ernst ge prägte Gesicht des alten Freundes auf dem Flugplatz von Rechlin will sich wieder ins Bewußtsein schieben, das Gesicht jenes Mannes, der den neuartigen Seilzerschneider konstruierte und davon sprach, d a ß die Motoren nicht geschützt seien. Aber d a n n sind wieder die nüchternen Zeilen auf weißen Papierseiten da, die von den Ausfällen durch Sperrballone berichteten, und der G e danke d a r a n , daß dieser neuartige Seilzerschneider vielleicht die end gültige Lösung darstellen könnte, läßt alles andere in den Hintergrund treten. Der Fahrtwind verändert seine Tonlage, wird zu einem hohen Pfeifen. 29
Die Erde kommt näher und näher. Die Baumkronen des Waldes an der Nordspitze des Sees schälen sich aus der grünlichen Masse. Über ihnen steht die längliche Hülle des Sperrballons. Das Herz wird unruhig. Aber das Mädchen am Steuer der Kampfmaschine hat es schon längst gelernt, die Unruhe in ihre Schranken zu weisen. Die Nadel des Höhenmesers sinkt immer weiter dem Anschlag entge gen. Nur noch wenige hundert Meter hoch fliegt die Do 17 ihrem Ziel entgegen. Der Blick der Fliegerin wird starr. Ist es denn möglich? Steht der Ballon wirklich nur wenige hundert Meter über der Erde? Sie duckt sich unwillkürlich tiefer über das Steuerhorn. Sie fliegt kaum einige Dutzend Meter von dem Ballon entfernt, und sie sieht dabei, d a ß eine Luftströmung ihn immer mehr abtreibt. So ist es kein Wunder, daß das Seil allmählich einen gefährlich flachen Winkel ein nimmt. Hanna Reitsch weiß, daß es 5,6 Millimeter stark ist, aus fünf bis sechs verschiedenen Stahlsträhnen besteht und daher eine besondere Festigkeit aufweisen dürfte. Sekundenlang kämpft in ihr ein Gefühl von Unentschlossenheit mit dem Wissen um die übernommene Aufgabe. Der Verstand sagt, d a ß es ein Wahnsinn ist, gegen dieses flachliegende Seil anzufliegen, und es keine Chance für einen Fallschirmabsprung geben wird, wenn . . . Aber da ist wieder jener rätselhafte Mut, der sich in ähnlichen Situa tionen immer wieder einstellte. Mit mechanischen Steuerbewegungen dirigiert Hanna Reitsch die Do 17 in die Gegenkurve. Das flachliegende Seil unter der Riesenhülle wird jetzt deutlicher und deutlicher. Nur wenige hundert Meter trennen es noch von der Vorder partie des Versuchsflugzeuges. Mit Hunderten von Stundenkilometern rast die Do 17 der tückischen Falle entgegen. Um die stählernen Seilzerschneider an den Tragflächen heult der Wind. Und dann ist das Seil da . . . ! Die Augen schließen sich nicht, sondern starren auf das Seil. Erst in jener Sekunde, als ein fürchterliches Bersten sich mit dem Dröhnen der Triebwerke vermischt, senken sich die Lider. Es geschieht, als ein gewal tiger Ruck die Maschine schüttelt und das Kanzelglas von Metallsplit tern wie von einer Geschoßgarbe zerfetzt wird. Mit aller Kraft halten die Hände die nach links zerrende Maschine. Lange, weißliche Rauchwolken zischen aus den Auspuffen des demolier ten Triebwerks. Die verbeulte Luftschraube erzeugt durch ihren un wuchtigen Lauf Gegenkräfte. Die Kronen der Bäume kommen immer näher. Der defekte Motor schickt knallende Stöße in die Luft. Noch einmal prasseln Splitter der demolierten Propeller gegen die Kanzel, während die Erde auf das Flugzeug z u r a s t . . .
In weiten Schleifen fliegt Leutnant Gernheim seine Me 109 durch den Himmel. Es ist eine gute Maschine, und Gernheim weiß, daß man sich darauf verlassen kann. Über der Autobahn im Süden Berlins zieht er sie in eine Messerkurve und dreht auf die Nordspitze des langgestreckten Sees im Süden der Autostraße ein. Er kennt das Aussehen der Gegend, in der die Ballonver 30
suche stattfinden, schon so gut, daß eine besondere Orientierung völlig überflüssig geworden ist. Ein zufriedenes Brummen löst sich aus dem Mund des Leutnants, als er in der Ferne den Ballon vor dem Horizont stehen sieht. Mit hoher Geschwindigkeit verringert sich die Distanz, und bald huscht das unför mige Gebilde dicht unter den Tragflächen der Me 109 vorbei. Der Leutnant legt die Maschine in eine Kurve und fliegt in einer weiten Schleife um die Ballonaufstiegstelle herum. Schon kurz darauf sieht er im Osten die Konturen einer Do 17, die in etwa fünfhundert Meter Höhe auf das Wäldchen zufliegt. Gernheim schiebt den Gashebel etwas weiter nach vorn und läßt die Maschine steigen. Dabei wirft er noch einmal einen Blick auf den Ballon. Er kommt zu der Überzeugung, daß er sich in einer merkwürdig schrä gen Lage befindet. Auch scheint es, als ob das Halteseil alles andere als horizontal stehe, sondern mehr in einem sehr flachen Winkel zur Erde. Wieder einmal überkommt den Leutnant stille Bewunderung für die Männer, die Tag für Tag diese höllischen Drähte anfliegen, vor denen man droben am Kanal manchmal mehr „Kimmengang" hatte als vor einem Haufen „Spitfires". Wenn es ihnen aber wirklich gelang, eine hundertprozentig wirksame Vorrichtung zur Ausschaltung dieser tödli chen Gefahr zu entwickeln, dann hatten sie den Kameraden an der Front wirklich einen unbezahlbaren Dienst erwiesen. Gernheim fliegt auf das Kampfflugzeug zu, und für Sekunden sieht er auch das im Sonnenlicht schimmernde Gerät an den Tragflächenprofi len der Do 17. Es scheint sich um ein überdimensionales Messer zu handeln, das den Tragflächen vorgelagert ist. Die „Do" geht jetzt zum Anflug über, und Gernheim beobachtet das gefährliche Manöver mit höchster Spannung. Sekunden später dringt ein entsetzter Laut über seine Lippen. Mit geweiteten Augen starrt er auf die Do 17, die gegen eine unsichtbare Wand gerast zu sein scheint. Hoch darüber neigt sich der Ballon der Erde entgegen, um sich dann wieder träge aufzurichten. Im Gegenlicht der Sonne wirbeln Bruchstücke erdwärts. Aus dem linken Motor der Do 17 schlägt eine Rauchwolke. Immer noch torkelt die Maschine nach unten. In dem kleinen Waldstück bei Saarow sind die Männer der Ballon-Ver suchsabteilung vor Entsetzen erstarrt. Auch das Gesicht des Generalobersten ist fahl geworden. In Sekundenschnelle hatten die Baumkronen das demolierte Flugzeug den Blicken der Männer entzogen. Der Ballon hat sich träge wieder aufgerichtet und schwebt nach wie vor über dem Wald. Mit angehaltenem Atem wartet auch Udet auf die Detonation des Aufschlages. Jede Sekunde muß sie doch zu hören sein, wenn sich die abstürzende Maschine in die Erde b o h r t . . . Und am Steuer sitzt Hanna! Aber die Detonation erfolgt nicht. Immer noch erfüllt das Motorenge räusch die Luft. Über den Baumwipfeln jagt eine Me 109 dahin. Von der Do 17 aber ist nichts mehr zu sehen. Udet stößt den zurückgestauten Atem aus, blickt auf das kalkweiße Gesicht des Leutnants und dann auf die regungslos dastehenden Solda ten. 31
In der nächsten Sekunde dreht er sich um und läuft auf seinen Wagen zu. Der Fahrer läßt den Motor anspringen. Mit gekonnten Manövern wendet er auf dem schmalen Waldweg und braust davon. Der Wagen holpert über Schlaglöcher. Udet hat beide Hände um einen Haltegriff geklammert. Immer wieder wird sein Körper hochgeworfen. Der Wald lichtet sich. Die Augen des Generalobersten suchen den Him mel ab. Aber nirgendwo ist etwas von der Do 17 zu sehen. Im Lärm des Automotors ist auch kein Fluggeräusch mehr zu hören. Endlich ist der Flugplatz erreicht. Der Fahrer stoppt dicht vor dem Fieseler „Storch", mit dem Udet nach Saarow gekommen war. Warte rennen auf die Maschine zu. K a u m eine Minute später springt der Motor an. Mit einem „Kavalier start"*) reißt der Generaloberst die Maschine vom Boden weg . . . Leutnant Gernheim ist immer noch nicht fähig, das Wunder zu begrei fen. Vor seinen Augen gaukeln noch die einzelnen Bilder des unglaubli chen Zwischenfalls wie der Streifen eines Gruselfilms. Er sieht die Do 17 anfliegen, sieht sie das Seil berühren. Der Ballon b ä u m t sich auf - an der Kampfmaschine wirbeln Stücke des linken Triebwerks durch die Luft... Gernheims Blick hängt wie gebannt auf dem tief über die Erde dahin huschenden Kampfflugzeug. Der linke Motor steht. Die Luftschraube rotiert leer im Wind, besser gesagt: das, was von ihr übriggeblieben ist. Manchmal läuft ein Zittern durch die Maschine. Der defekte Motor spuckt weißen Dampf aus. Er kann jeden Augenblick in Brand geraten! Erleichterung überkommt Gernheim, als er in der Ferne das Oval eines Flugplatzes erkennt. Es m u ß Fürstenwalde sein! Der Leutnant beobachtet, daß die Do 17 aus dem Anflug heraus auf das Landekreuz zuschwebt. Und das mit einem Motor, der jeden Augen blick aus seiner Verankerung herausgerissen werden kann! Aber da! Die Maschine ist ja bereits auf dem Boden! Sie rollt und rollt. Das Tempo wird langsamer . . . Gernheim hat jetzt n u r noch das Bedürfnis, so schnell wie möglich wieder Boden unter dem Fahrwerk zu haben. So drückt er den Auslöse knopf u n d fährt die Landeklappen aus. Das Landekreuz kommt auf ihn zu. Kurz darauf spürt er die ersten holpernden Stöße. Rechts huscht die zum Stillstand gekommene Do 17 vorbei. Menschen laufen darauf zu. Etwa ein Dutzend Meter davon entfernt stellt Gernheim den Motor ab, springt aus der Kabine und läuft auf die Do 17 zu. Im Laufen erkennt er einen Fieseler „Storch", der gerade zur Landung anschwebt. Das Flugzeug kommt dicht neben der Do 17 zum Stillstand. Beim Anblick des Generalobersten, der jetzt auf die Erde springt, vergißt Gernheim für Sekunden den eigentlichen Grund seiner Renne rei. Udet! durchfährt es ihn. Wie k o m m t der hierher? In der Mauer der Warte öffnet sich eine Gasse. In ihrer Mitte wird eine kleine Gestalt im Fliegerdreß sichtbar. Ihr helles Haar leuchtet in der Sonne. Udet geht auf sie zu und legt ihr die Hände auf die Schultern. Auf dem Gesicht Hanna Reitschs sind noch die Spuren der Nervenstra pazen zu sehen, die der Flug mit der defekten Maschine hervorgerufen hatte. Aber darüber liegt schon wieder jenes unbeschwerte Lächeln, das sie offenbar immer p a r a t hat. *) Fliegersprache: jähes Abheben vom Boden mit steilem Steigwinkel
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Der Generaloberst sieht sie noch einmal an, d a n n wendet er sich wortlos um und geht auf seine Maschine zu. Wenig später läuft Hanna Reitsch an Gernheim vorbei. Sie hat den Kopf gesenkt. Vielleicht denkt sie schon gar nicht mehr daran, d a ß dieses Flugzeug beinahe zu ihrem Sarg geworden wäre. Trotzdem wird sie die Versuche morgen wohl wiederaufnehmen. Keiner von den Männern, die dem davonfliegenden „Storch" nachse hen, kann ahnen, daß Udet jetzt den Flugplatz des Hauptquartiers an steuert. Der Bericht, den er dort abgeben wird, hat zur Folge, daß Hanna Reitsch als der zweiten Frau seit der Stiftung des Eisernen Kreuzes im J a h r e 1813 jene Auszeichnung verliehen wird, die Soldaten an der Front für Tapferkeit vor dem Feind erhalten. Ihr Feind war ein Drahtseil gewesen, das einen Sperrballon am Him mel gehalten hatte. Ein neuer Morgen zieht über dem weiten Flugfeld herauf, das schon seit vielen J a h r e n zum Schauplatz gefahrvollster Versuchsflüge gewor den ist. Es waren Flüge, bei denen das Leben der Testpiloten mehr als einmal an dem berühmten seidenen Faden hing. Auch an diesem Frühlingsmorgen schieben die Mechaniker der E r p r o bungsstelle wieder Dutzende von Flugzeugen aus den Hallen. Unter den Männern, die auf der Ringstraße entlanggehen, ist auch Hanna Reitsch. Vor einer der Hallen bleibt die Gruppe stehen. Noch einmal flackern Gespräche auf, bis das Auftauchen des Chefkonstrukteurs diese ver stummen läßt. „Hanna", sagt der Mann mit dem schütteren Haar, „bevor Sie die Ballonversuche wiederaufnehmen, wäre noch eine Ju 88 mit neuen Sturzflugbremsen einzufliegen. Wollen Sie das machen?" „Das ist doch selbstverständlich." „Schön! Die Maschine steht dort drüben. Sie können mit den Versu chen anfangen, wenn die Mechaniker soweit sind." Vor der Ju 88, der sich Hanna Reitsch nähert, steht Unteroffizier Gernheim. Auf der Tragfläche kauert der Obergefreite Wanger. „Guten Morgen", sagt Gernheim. „Sind Sie heute hier dran, Fräulein Reitsch?" Sie nickt und betrachtet das Kampfflugzeug. Dennoch scheint sie den Blick des älteren Unteroffiziers zu spüren. Kind, könnte er jetzt zu ihr sagen, über dich fällt man von einem Erstaunen ins andere. Wenn man dich vor diesem riesigen Kasten stehen sieht, den mancher Mann kaum richtig vom Boden wegbringt, dann weiß man nicht mehr, was man denken soll. Wie machst du das eigentlich mit deinen schlanken Armen und diesen Händen? Wie bringst du es fertig, bald viertausend PS zu meistern und nebenbei noch Aufgaben zu voll enden, die selbst deinen Kollegen im Einfliegerdreß das Höchste abver langen? Wo nimmst du denn immer nur den Mut her? „Es wird schon klappen!" Und wieder einmal klingen ihre Worte so einfach und selbstverständlich, als ob weiter nichts zur Debatte stünde als ein Spazierflug.
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„Bist du fertig, Wanger?" „Klar, Opa!" Hanna Reitsch h a t diese Anrede schon zu oft gehört, um sich noch darüber zu wundern. Sie blickt noch einmal in die Runde, ehe sie sich der schmalen Eisenleiter an der Rumpfunterseite der Kampfmaschine nä hert. Kein Funker ist bei ihr, kein Bordmonteur und kein Beobachter. Sie wird auch dieses Mal wieder allein fliegen wie unzählige Male zuvor. Offenbar hält m a n es wahrscheinlich für besser, dem Tod nur einen Menschen zu opfern anstatt drei oder vier. Denn noch weiß niemand, ob die neuen Sturzflugbremsen funktionieren. Noch weiß niemand, ob es dem Mädchen in der Kanzel der Ju 88 gelingen wird, die Maschine nach dem Sturz wieder abzufangen. Wanger steht vor der Kanzel in der Nähe des linken Triebwerks (Motors). Er hat eine Hand gehoben und einen Finger gespreizt. Kurz darauf tritt er etwas zurück, als der linke Motor anspringt. Wenig später folgt der zweite. Nach einem kurzen Probelauf zieht der Obergefreite die Bremsklötze weg. Ein Ruck geht durch die Maschine. In die Laufräder kommt Bewe gung. Noch einmal sehen die beiden Männer die Gestalt in der Kabine, ehe sie die Hände an die Mützen drücken u n d sich gegen die Druckwellen der Luftschrauben stemmen . . . Hanna Reitsch schafft es auch dieses M a l . . .
Mit knallenden Motoren schwebt eine Do 17 zur Landung an. Fach leute würden sehen, d a ß an der linken Tragfläche einige Reparaturen vorgenommen worden sind. Auch die Lackfarbe des linken Triebwerks stimmt nicht ganz mit dem übrigen Farbanstrich überein. Das Flugzeug hat inzwischen aufgesetzt und huscht über das Rollfeld des Versuchsplatzes. Am Rand des Vorfelds steht ein Mann in der Kombination der Einflie ger. Er hat die Hand über die Augen gelegt und blickt dem heranrollen den Flugzeug entgegen. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht, während er auf die Kollegin zugeht, die gerade aus dem Flugzeug steigt. „Tag, Hanna", sagt er. „Nun, wie benimmt sich der Vogel?" „Ganz ordentlich. Fast so gut wie früher. Na, eigentlich ist es ja auch schon eine alte Tante." Sie lächelt Unteroffizier Gernheim und dem sommersprossigen Obergefreiten zu, die gerade ihre Werkzeugkisten an die Maschine her anschleppen. „Etwas Besonderes, Fräulein Reitsch?" erkundigt sich Gernheim. „Nein, eigentlich nicht, aber noch einmal nachsehen schadet bestimmt nichts. Neue Motoren haben immer ihre Mucken." „Selbstverständlich." Hanna Reitsch h a t sich umgewandt und folgt d a n n dem anderen, der jetzt an der Halle vorbeigeht. In der Nähe des Rollfeldes liegt ein Haufen verkohlter Wrackstücke. „Das ist also von Karli übriggeblieben . . . ? " Ihre Worte lenken die Erinnerung des Einfliegers zu dem Tag, da der Kamerad, den sie Karli nannten, jenseits des großen Sees den Tod fand. 34
Noch weiß niemand, wie es geschehen konnte. Aber es geschah! So, wie sich hier schon viele Einfliegerschicksale erfüllten. „Verdammt noch mal, was war er doch für ein wunderbarer Kerl!" „Sie sind alle wunderbare Kerle, auch du, Heini!" Die beiden Einflieger - ein Mann, der in ihrer Gilde nur noch „Heini" heißt, und ein Mädchen, das den Tod genauso verachten gelernt hat wie er selbst - gehen weiter. „Es gibt etwas Neues." „Was d e n n ? " „Eine neue Jagdmaschine, die sie in Regensburg ausbrüten. Etwas ganz Tolles mit einem sensationellen Antrieb. Kein Kolbenmotor mehr und so." „Ach!" „Ja", erwidert der hochgewachsene Einflieger, der Hanna Reitsch um gut zwei Haupteslängen überragt, „ich war vor einigen Tagen in Lech feld. Einer von den Leuten mit den weißen Mänteln hat mich da einmal in seine Zauberkiste sehen lassen." „Interessant! Erzähl doch mal!" „Es wird wahrscheinlich ein Flugzeug für den Objektschutz werden, was ja auch bitter nötig ist, seit die Amerikaner uns von Tag zu Tag mehr zu schaffen machen." „Jaja, und weiter?" „Wenn alles klappt, dann gibt es eine Maschine mit einem Raketen antrieb. Der Vogel soll nach den technischen Berechungen in wenigen Minuten 10 000 Meter Höhe erreichen und an die 1000-km/h-Grenze h e r a n kommen." „1000 k m / h ? Phantastisch, Heini! Das interessiert mich wirklich!" Ein verständnisvolles Lächeln huscht über das Gesicht des anderen. „Das dachte ich mir", nickt er, „daher habe ich es dir auch erzählt. Es ist sicher etwas anderes als ein Ballonabweiser und so. Im übrigen brauchen wir das Zeug jetzt auch nicht mehr." „Und wie sieht die Maschine denn a u s ? " „Ganz eigenartig. Fast wie ein größerer Drachen. Die Flächen haben eine trapezartige Form. Eigentlich besteht der ganze Kasten nur aus Tragflächen und einem kleinen Kabinenteil. Der Onkel von der Kon struktion meinte, daß die Maschine bald reif wäre für die Erprobung." „1000 k m / h ! Heini, was da für Möglichkeiten drinnen stecken." Der Mann an ihrer Seite sagt jetzt: „Das Ding hat aber einen höllisch gefährlichen Treibstoff. So ein hochexplosives Gemisch aus Wasserstoffsuperoxyd und anderem Zeug. Eigentlich ist das Ganze kein Flugzeug für ein Mädchen, Hanna!" „Ach nein? Vielleicht interessiert es mich gerade deshalb so?" Er sieht sie an und schmunzelt. „Das kennen wir. Aber ich muß jetzt ins Büro. Bis später, Hanna." An einer Hallenmauer sitzen zwei Männer im Sonnenlicht. Sie hocken auf ihren Fallschirmen und blicken über den Werkflugplatz, der leer und verlassen wirkt. Einer von ihnen, der an seiner Jacke das Abzeichen der Bordfunker trägt, zieht jetzt ein kleines Notizbuch aus der Tasche und blättert gelangweilt darin herum. Er läßt das Büchlein aber sofort wieder sin 35
ken, als dem neben ihm sitzenden Kameraden ein erstaunter Ausruf entschlüpft. „Da", sagt er, „ein ,Storch'. Wer damit wohl wieder spazierenfliegt?" Die Maschine setzt dicht vor der Halle zur Landung an und wird schon nach kurzer Rollstrecke herumgeschwenkt. Der Motor verstummt, und die Kabine wird geöffnet. „Da legst du dich doch nieder", sagt der Bordfunker verblüfft, „ist das nicht H a n n a ? " „Allerdings", nickt der Pilot, „was die hier wohl zu tun h a t ? " Die Fliegerin geht über das Hallenvorfeld und nähert sich einem der Gebäude, in dem vor kurzem einige Männer mit weißen Mänteln ver schwunden waren. Ketterer deutet auf das Notizbuch, das der Funker in der Hand hält. „Schreibst du immer noch alles auf?" „Warum nicht?" erwidert der andere. Er äugt dabei in die Richtung, wo jetzt ein hohes Heulen immer stärker anschwillt. „Der Teufel mag wissen, was sie dort drüben ausbrüten." „Sie munkeln etwas von einem neuen Triebwerk", erwidert Ketterer, „vielleicht führen sie uns das Ding bald vor . . . " Es sollte nicht m e h r lange dauern, bis es soweit war, und es k o m m t der Tag, an dem die ersten der eigenartig geformten Flugkörper aus der Halle herausgeschoben werden. Flugzeuge, die mehr Projektilen glei chen. Sie haben kleine, zurückgewinkelte Tragflächen und ein auffal lend hohes Leitwerk. Nirgendwo ist etwas von einer Luftschraube zu sehen. Dafür gähnt unter dem Leitwerk ein dunkles Loch. Die Kabine ist niedrig und schmal, die gesamte Maschine gleicht einer Art geflügeltem Torpedo. Unter den Männern, die sich um das Flugzeug gruppiert haben, ist auch Hanna Reitsch. Mehr als einmal trifft sie aus den Augen der Testpiloten und Konstrukteure ein bewundernder Blick. Denn auch sie hat das phantastische, aber ebenso gefährliche Flugzeug bereits geflo gen, dem man eine Endgeschwindigkeit von rund 1000 Stundenkilometer prophezeit hat. Aber noch befindet sich die kleine Maschine in der Erprobung. Noch kämpfen die M ä n n e r in den weißen Mänteln mit ihren Kinderkrankhei ten; sie und die Piloten, die gerade dem Vortrag eines Konstrukteurs lauschen. Sie hören, d a ß das Flugzeug einmal die Typenbezeichnung Me 163 tragen soll und d a ß es mit einem Raketentriebwerk ausgestattet sein wird, das von Professor Walter konstruiert wurde. Die andächtig lauschenden Einflieger hören weiter, daß es sich bei dem Triebwerk um eine sogenannte Flüssigkeitsrakete handelt, die mit einem T-Stoff (Wasserstoffsuperoxyd) und einem als C-Stoff bezeichne ten Spezialtreibmittel in Funktion gebracht werden soll. Es wird ihnen auch erklärt, d a ß dann bei 1800 Grad Celsius in den Brennkammern des Raketentriebwerkes eine sofortige Zersetzung der Treibstoffe eintritt, so daß also kein besonderes Zündelement nötig sein wird. „Der dadurch verursachte Explosionsdruck erzeugt eine Rück stoßkraft", sagt der Konstrukteur, „die einer Leistung von rund 4500 PS entspricht." „Was sagst du dazu, Hanna?" wendet sich einer der Einflieger an das 36
stumm dastehende Mädchen mit dem goldenen Flugzeugführerabzei chen auf der dunklen Jacke. „Unfaßbar!" Der Konstrukteur sagt jetzt: „In einer Stunde können wir die Versuche fortführen." Hanna Reitsch geht allein über das Hallenvorfeld. Und auf einmal taucht in ihr wieder eine schmerzhafte, unfaßbare Gewißheit auf. Sie wurde am 17. November 1941 erstmalig hervorgerufen, als aus den Lautsprechern die Nachricht herausdröhnte: ,,Der Generalluftzeugmeister der Luftwaffe, Generaloberst Udet, ist heute morgen bei der Erprobung einer neuen Waffe tödlich verunglückt. Der Führer*) hat ein Staatsbegräbnis angeordnet." Wie konnte das nur geschehen? War es wirklich eine neue Waffe gewesen, die ihn den Tod hatte finden lassen? War Udet nicht einer der besten Piloten, die es überhaupt gab? Oder war es vielleicht nicht doch etwas anderes gewesen, das ihn in die Katastrophe getrieben hatte? Udet! Ernst Udet! Noch einer war ihm in den Tod gefolgt. Einer der größten unter den deutschen Jagdfliegern: Werner Mölders! Auch die Nachricht von seinem Tod war so unfaßbar wie die vom Lebensende des genialen Kunstfliegers, den sie vor wenigen Wochen noch in der Uniform eines Generalobersten gesehen hatte. Bei Breslau war die Maschine, die Oberst Werner Mölders zum Staatsbegräbnis Udets bringen sollte, im Schlechtwetter-Anflug an einem Fabrikschorn stein zerschellt. Mölders erlag danach seinen schweren Verletzungen. Ein Mann, der über hundert Gegner im Luftkampf besiegt hatte, der erste Träger der Brillanten zum Ritterkreuz.
Feldwebel Hänlein - seit einigen Tagen hat er die Möglichkeit, den neuen Stern auf seinen Schulterklappen anzuschielen - äugt in die Sonne hinein und wendet sich dann seinem Flugzeugführer zu, der neben ihm auf die funkelnagelneue Me 110 zugeht. „Das Ding da oben arbeitet nur noch mit halber Kraft", sagt er, womit er die Sonne meint, „hat wahrscheinlich auch die Schnauze voll." „Hm", b r u m m t Ketterer. Im Gegensatz zu dem langen Bordfunker trägt er eine Fliegerbluse, an deren Ärmeln ihn drei Schwingen als Oberfeldwebel ausweisen. „Warum, hast du vielleicht die Schnauze voll?" „So war das nicht gemeint", gibt der Bordfunker zurück. Er deutet noch einmal zum Himmel hinauf. „Nur 'n bißchen langweilig wird die Geschichte allmählich, meine ich. Jeden Tag Schleppflüge und sonstiger Kram. Da war's in Rechlin doch noch interessanter. Besonders nachts juckt's mich manchmal, wenn die Tommys**) in der Gegend h e r u m k r e b sen. Möchtest du nicht auch manchmal hinauf?" „Junge, halt die Luft an!" r ä t Ketterer. „Das, was wir hier machen, ist ja auch nicht gerade Käse. Da würde ich mich schon lieber manchmal in *) offizieller Titel für Hitler **) Spitzname für Engländer
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eine von den neuen Mühlen hineinklemmen. Ah, dort drüben holen sie gerade wieder eine heraus." Er ist stehengeblieben und bedeckt die Augen mit der Hand. „Verflucht, verflucht!" murmelt der Bordfunker. „Nun hab' ich ja schon wahrhaftig genug Starts von den Teufelsdingern erlebt. Trotzdem bleibt einem immer wieder die Spucke weg." Der Oberfeldwebel an seiner Seite nickt einige Male. „Was machen wir eigentlich h e u t e ? " Ketterer deutet gegen die Halle. „Schleppen. Offenbar haben sie an dem ,Kraftei' dort drüben wieder etwas geändert. Die Maschine soll noch einmal im motorlosen Flug erprobt werden." Hänlein rümpft die Nase. „Wer fliegt?" „Hanna!" „Guter Gott!" k n u r r t der Feldwebel, während er einige seiner weiß blonden Haarsträhnen unter den Mützenrand schiebt. „Das Mädchen wird mir immer unheimlicher. Daß sie Bomber und sonstwas fliegt, mag ja noch angehen - m a n hat sich d a r a n gewöhnt -, aber daß sie neuer dings beinahe jeden Tag in diese K r ä h e steigt, die wie der Gottseibeiuns in die Luft zischt und in Null K o m m a nichts auf zehntausend Meter hochflattert, und das mit bald 1000 k m / h , kann m a n sich kaum vorstel len! Ob die überhaupt noch Nerven h a t ? " Statt einer Antwort deutet Ketterer auf einen Wagen, der jetzt neben dem kleinen Flugzeug, das beinahe wie ein Spielzeug aussieht, angehal ten hat. „Da ist sie ja schon!" „Jaja, ich sehe sie", entgegnet der Funker. „Übrigens, hast du die Geschichte von ihr schon gehört, als sie neulich beim Reichsmarschall war? Vorhin, als ich bei den Einfliegern stand, haben sie es erzählt." „Was?" „Ein tolles Ding", schmunzelt Hänlein, während er ein belustigtes Kichern ausstößt. „Also, sie war doch zum Reichsmarschall befohlen, damals, nach der Sache mit dem Ballonflug. Udet war auch dabei, um ihr ein bißchen Hilfestellung zu geben. Der ,Dicke' (Göring) soll immer zur Tür gesehen haben, obwohl die Hanna schon vor ihm stand. Dann m u ß der Udet gesagt haben, d a ß der Herr Reichsmarschall die zur Audienz Befohlene nicht mehr zu suchen brauche, sie stehe ja schon vor ihm. Darauf soll der Dicke gesagt haben: Was, das soll unser berühmter Flugkapitän sein? Können Sie Kleine denn überhaupt fliegen?" „Ach! Ist das w a h r ? " Der Bordfunker kichert vor sich hin. „Na, sie haben es erzählt. Und weißt du, was Hanna darauf gesagt h a t ? " „Na?" „Sie soll mit den Händen den Umfang des Dicken nachgeformt u n d zu ihm gesagt haben, ob man zum Fliegen denn so aussehen müsse wie er." „Mensch", prustet der Oberfeldwebel, „das ist ja ein tolles Ding!" Er sieht dabei einem der Motorspezialisten entgegen, der von der Halle her auf ihn zukommt. „Seid ihr soweit?" „Natürlich!" „Na schön!" Grabesstille liegt über dem weiten Rund des Flugplatzes. Sie wird erst unterbrochen, als Oberfeldwebel Ketterer die Motoren der Me 110 a n 38
springen läßt. Hinter ihm hat Hänlein bereits auf dem Funkersitz Platz genommen. Auch das Schleppseil ist bereits mit der zweimotorigen Maschine verbunden. Noch einmal wendet der Oberfeldwebel den Kopf, bevor er die Kabine schließt. Hinter dem Heck der Me 110 steht die Raketenmaschine vom Typ Me 163 B am Ende des Schleppseils auf dem niedrigen, abwerfbaren Fahrwerk. Hinter der schmalen Kabinenscheibe sind die Konturen eines Kopfes zu sehen: Hanna Reitsch! Oberfeldwebel Ketterer wirft einen abwesenden Blick auf den linken Motor, vor dem die Luftschraube einen silbernen Kreis gebildet hat. In der Nähe der Tragfläche stehen einige Monteure. Dann ist es wieder mal soweit! Die Bremsklötze werden von den Laufrädern der Me 110 weggerissen. Die Maschine beginnt zu rollen, das an ihrem Heck angeschlossene Zugseil sich zu straffen. Die Raketenma schine holpert auf ihren Laufrädern über die Grasnarbe des Flugplatzes. Immer schneller wird die Vorwärtsbewegung. Fasziniert verfolgt der Bordfunker den Startvorgang des Raketenflugzeuges. Er sieht, wie es sich vom Boden abhebt! Jetzt muß jeden Augenblick das Fahrgestell zur Erde zurückfallen. Jeden Augenblick! Aber was ist denn das? Immer mehr entfernt sich der Raketenjäger vom Boden. Die Me 110 schwebt ebenfalls schon frei in der Luft. Der lange Bordfunker sieht von seinem rückwärtigen Sitz aus, daß die Gestalt in der Kabine der Me 163 unaufhörlich in Bewegung ist, als ob sie versuche, einen Griff zu ziehen, der sich nicht lösen läßt. Ein merkwürdi ges Taumeln hat von dem Raketenflugzeug Besitz ergriffen. Und bereits in diesem Augenblick durchzuckt den Feldwebel auf dem Funkersitz der Me 11O die Ahnung einer sich anbahnenden Katastrophe. Wenn sie das Fahrwerk nicht wegbringt! durchfährt es ihn. Sie kann damit doch nicht fliegen. Es verzerrt die ganzen Strömungsverhältnisse. Jeder, der mit dem Flugzeug schon zu t u n hatte, weiß das . . . Es dauert noch Sekunden, bis Hänleins Stimme über die Eigenverstän digung dringt: „Sie bringt das Fahrwerk nicht weg . . . ! " Die Männer vor der großen Halle sind zur Reglosigkeit erstarrt. Denn jeder einzelne von ihnen ist ein Spezialist, der mit der neuen Maschine bis aufs letzte vertraut ist. Und alle wissen, daß sich oben am Himmel eine Tragödie anzubahnen beginnt. Von düsteren Ahnungen erfüllt, blicken die Monteure mit starren Gesichtern zum Himmel hinauf. Sie sehen, wie die Raketenmaschine im Schlepp der Me 110 immer höher steigt, und auch sie ahnen, daß Hanna Höhe gewinnen will. Denn Höhe ist auch für einen Testpiloten das halbe Leben, wie ein Fliegerspruch lautet. In weiten Kreisen zieht die zweimotorige Maschine die Me 163 weiter hin durch den Himmel. Selbst mit bloßem Auge ist die unsichere Flug lage der Raketen-Jagdmaschine zu erkennen. In regelmäßigen Abstän den geht ein Zittern durch den Flugkörper. Manchmal scheint es, als ob er sich um die Längsachse drehen wolle. „Das Fahrwerk", sagt jetzt einer der Einflieger mit heiserer Stimme, „es verwirbelt*) die ganze Maschine." *) Fachausdruck für die Bildung von Strömungswirbeln an einem Flugzeug. Sie können einen gefahrvollen Flugzustand herbeiführen.
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Oben am Himmel hat sich immer noch nichts geändert. Weiterhin schleppt die Me 110 das Raketenflugzeug höher und höher. Zuweilen bricht sich das Sonnenlicht auf der kleinen Kabine, hinter der eine junge Frau einsam und allein dem Unabwendbaren entgegensieht. Plötzlich aber geht ein Raunen durch die Reihen der Männer. Doch keiner spricht es aus, was alle sehen: Hanna Reitsch h a t die Raketenmaschine ausgeklinkt. Schon im näch sten Augenblick legt sich die Me 163 in eine steile Kurve. Und dann geschieht das, was die Männer vor der Halle nie auszuspre chen gewagt hätten. Mit entsetzten Augen starren sie zu dem kleinen Flugzeug hinauf, das jetzt die gedrungene Bugpartie der Erde entgegen geneigt h a t . . . In Ketterers Handflächen hat sich Schweiß angesammelt, auch auf seiner Stirn sind Schweißperlen hervorgetreten. In seinen Ohren gellen noch die ununterbrochenen Rufe der Kameraden: „Das Fahrwerk — das Fahrwerk — fahr unsere Laufräder aus, damit sie sieht, was los ist - ihr Funkgerät scheint nicht in Ordnung zu sein - ich höre sie nicht - sie klinkt nicht aus — schlepp sie weiter in die Höhe wahrscheinlich will sie nur Höhe gewinnen, um mit dem Fallschirm abspringen zu können - jetzt - jetzt - sie hat a u s g e k l i n k t . . . " Ketterer hat die Me 110 auf die Tragflächenspitze geneigt. In weiten Schleifen umkurvt er den Flugplatz. Weit unter ihm stürzt das Raketen flugzeug der Erde entgegen. Wie konnte das nur geschehen? Aber alle Überlegungen nützen doch nichts mehr. Denn da unten fliegt die Ma schine, die Hanna Reitsch jeden Augenblick zum tödlichen Gefängnis werden kann. Sie kann jetzt nicht mehr weit über der Erde sein. Vielleicht hundert Meter oder gar weniger. Und jetzt beginnt sie zu slipen. Wie ein F a h r stuhl nähert sie s i c h . . . Aus Oberfeldwebel Ketterers Mund löst sich ein dumpfer Laut, als er sieht, daß die Maschine plötzlich nach unten wegsackt. Da zieht er die „110" so steil herum, daß ihn die Wucht der Fliehkraft in den Sitz preßt. Schon in den nächsten Sekunden erfassen seine Augen ein schreckli ches Bild. Er sieht die aufstäubende Erde und die in sich zerfallende Maschine. Er erkennt die hochspritzenden Erdbrocken, und eine grau sige Ahnung sagt ihm, daß sich die Tragödie bereits vollendet h a t . . . Die Monteure auf dem Hallenvorfeld denken nicht mehr an die Fahr zeuge, die in ihrer Nähe stehen. Sie haben n u r noch eines im Sinn: möglichst schnell dorthin zu gelangen, wo sie vielleicht noch helfen können, dorthin, wo die kleine Hanna jetzt inmitten eines T r ü m m e r h a u fens aus Flugzeugteilen eingezwängt ist. Die Männer laufen, als ob es um ihr eigenes Leben ginge. Keiner von ihnen achtet mehr auf die Me 110, die gerade zur Landung ansetzt. Nur ein Gedanke beseelt sie alle: Hanna ist abgestürzt! Inzwischen haben die ersten Monteure den Trümmerhaufen erreicht, in den sich eine der modernsten Maschinen der Fluggeschichte verwan delt hat. Entsetzt prallen die Männer zurück. Fassungslos starren sie auf die blutüberströmte Gestalt unter der zerschmetterten Kabinenscheibe. Aber - hatte sich da eben nicht der Kopf bewegt? 40
Das Entsetzen teilt sich auch den Einfliegern mit, die inzwischen ebenfalls die Unglücksstätte erreicht haben. Erschüttert stehen sie vor dem Mädchen, das einmal „ihre Hanna" gewesen war. Und sie mögen in diesen Sekunden an ein Wunder geglaubt haben, als sich die schmalen Hände heben und ein Taschentuch zum Vorschein kommt. „Hanna!" schreit einer. Er ruft den Namen in jenem Augenblick, da der blutende Kopf gegen das Armaturenbrett sinkt. Da erst sind die Männer fähig, sich dem Flugzeugwrack zu nähern und die Anschnallgurte zu lösen. Mit vorsichtigen Bewegungen heben sie den in sich zusammengesunkenen Körper aus der Kabine. Von der in der Nähe gelandeten Me 110 kommen Ketterer und der lange Hänlein angelaufen. Sie zucken zurück, als sie die Gestalt im blutgetränkten Dreß sehen.
Das kleine Zimmer im Hospital der Barmherzigen Schwestern zu Regensburg ist nur vom Licht einer matten Lampe erhellt, die auf einem weißgestrichenen Nachttisch steht. Die Schwester, welche die ganze Zeit über vor dem Bett gesessen und den völlig mit Binden umhüllten Kopf der am Nachmittag eingelieferten Patientin bis jetzt kaum einmal aus den Augen gelassen hatte, betrach tet kurz die schwarze Tafel über dem Bett. „Hanna Reitsch, Flugkapitän", steht darauf. Die Schwester erhebt sich, als sich die Tür öffnet und ein Arzt den Raum betritt. „Wie steht es?" wendet sich der Chirurg Dr. Bodewig an die Schwester. „Unverändert", erwidert die Nonne. Der Arzt nickt und läßt sich mit vorsichtigen Bewegungen auf dem Rand des Bettes nieder. Sein Blick heftet sich auf die verschwollenen Lippen und die blutunterlaufenen Augen der Patientin, deren Lider geschlossen sind. Die Finger des Arztes greifen nach der schlaff herabhängenden Hand. Ein Blick auf die Krankentafel über dem Kopf der Bewußtlosen erin nert den Chirurgen wieder an den Befund, den die Röntgenaufnahmen ergeben hatten. Es sind Verletzungen, die in vielen anderen Fällen den sofortigen Tod herbeigeführt hätten, und auch dem Arzt dünkt es fast wie ein Wunder, daß noch Leben in der zierlichen Frauengestalt ist. Unwillkürlich schüttelt der Chirurg den Kopf, als er sich den Befund noch einmal vergegenwärtigt: Vierfacher Schädelbasisbruch, zwei Gesichtsschädelbrüche, ein Bruch des Oberkiefers, eine Gehirnquetschung und eine zertrümmerte Nase. Es scheint sicher, daß diese Frau nie mehr wird fliegen können - wenn sie überhaupt davonkommen sollte . . .
Woche um Woche und Monat um Monat vergehen!
An manchen Tagen heulen die Raketenflugzeuge über die Dächer von
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Regensburg. Ihr Fauchen dringt auch in das kleine Krankenzimmer, das sich allmählich in eine Art von Blumengarten verwandelt hat. Täglich kommen Menschen in den Raum, in dem der Tod einen Kampf verloren hat. Es ist das Zimmer, in dem die Frau, die man halb tot aus den Trümmern eines Raketenflugzeugs herausgeogen hatte, allmählich wieder ihr Lachen zurückgewonnen hat. Die Binden, die ihren Kopf umhüllen, sind bereits spärlicher geworden, und aus den Augen strahlt wieder jene unbezwingbare Zuversicht, die den Ärzten des Hospitals jeden Tag immer neue Rätsel aufgibt. In dem kleinen R a u m steht ein Radiogerät. Es sind keine guten Nach richten mehr, die aus dem Lautsprecher herausschallen: „Im Zuge von Frontbegradigungen wurde die Stadt Rostow aufgege ben . . . Charkow aufgegeben . . . nach schweren Verlusten des Gegners Kursk aufgegeben . . . Rschew g e r ä u m t . . . Schwerer Luftangriff auf H a m b u r g . . . auf verschiedene Städte des Ruhrgebiets . . . " Und das, nachdem schon im Februar des J a h r e s 1943 die Meldung kam: „Die 6. Armee des Generalfeldmarschalls Paulus hat in Stalingrad der russischen Übermacht weichen müssen." Es ist im März des Jahres 1943, als Hanna Reitsch eines Tages ein Haus in der Einsamkeit des Riesengebirges betritt, wo sie lange allein sein wird mit sich und dem weiten Himmel, dem auch jetzt noch all ihre Sehnsucht gilt. K a u m jemand weiß, wie sie in der Abgeschiedenheit dieses Berghau ses die Auswirkungen der schweren Verletzungen zu überwinden ver suchte und wie sie täglich mit den unsichtbaren Mächten kämpfte, die sich ihr hemmend in den Weg stellten. Doch eines Tages erschien sie wieder auf einem Flugplatz in der Nähe von Breslau und t a t das, was nach dem Unglück von Regensburg alle für unmöglich gehalten hatten: Sie flog wieder! Und mit jedem T a g wurden ihre Flugfiguren gewagter und gefahrvol ler. Das alte Lächeln lag wieder auf ihrem Gesicht, wenn sie aus den Flugzeugen stieg. Unter ihrer Flugkombination trug sie das Eiserne Kreuz I. Klasse, zusammen mit dem Goldenen Flugzeugführerabzeichen mit Brillanten, d a s ihr für ihre bedeutenden Leistungen verliehen wor den war. Es dauerte nicht mehr lange, bis der Flugplatz von Bad Zwischenahn bei Oldenburg für sie zum Schauplatz eines für sie großen Ereignisses wurde. In Windeseile h a t t e es sich herumgesprochen, von Halle zu Halle, von Abstellplatz zu Abstellplatz: Hanna ist wieder d a ! Sie macht wieder mit! Sie kann wieder fliegen! Schon am nächsten Tag schließt sich über ihr wieder die Kabine eines Raketenflugzeugs. Mit pfeifendem Triebwerk trägt die Maschine sie in den Himmel hinein. Die Nadel des Tachometers steigt mit unheimlicher Geschwindigkeit. Die Erde wird ferner und ferner. Wie ein Blitz taucht das Raketenflugzeug in den bläulichen Dunst der großen Höhen. Hinter dem schmalen Leitwerk züngelt ein Feuerstrahl in die eisige Luft! 9000 - 10 000 - 11 000 Meter! Immer noch grollt das Donnern des Triebwerks. Und immer noch jagt der Flugkörper weiter hinein in die Unendlichkeit, bis das Fauchen 42
verstummt und eine gespenstische Stille die Kabine erfüllt. Nur noch das Rauschen des Fahrtwindes umgibt die stürzende Maschine. Unten auf der Erde stehen die Monteure vor den Hallen, den Blick zum Himmel gerichtet. Sie hören das Zischen der stürzenden Maschine, die jetzt schon tief über dem Boden fliegt. Dann gleitet die schmale Kufe über das Gras des Flugplatzes. Die Kabine öffnet sich. Ein Dutzend Männer springt an die Me 163. „Hanna", sagt einer, „geht es wieder?" Die Frau im Dreß der Einflieger zeigt ein gelöstes Lächeln. „Habt ihr es nicht gesehen?" Ein eisiger Sturmwind preßt die Kronen der Waldbäume gegeneinan der. Die ersten Vorboten des nahenden Winters rasen über die weiten, kahlen Steppen Rußlands und über die schmalen Löcher, aus denen Stahlhelme herausragen, über die Läufe der Maschinengewehre und Artilleriegeschütze und über die langen Rohre der schweren Flak unweit der Hauptkampflinie. Das Grollen der Geschütze läßt auch an jenem Tag die Erde rund um das Hauptquartier der Luftflotte des Mittelabschnitts bei Orscha erzit tern, als eine Frau aus einem Wagen steigt und von einem Offizier zu den Baracken geleitet wird. Schreibstubenleute, Adjutanten und Ordonnanzen, die der Besucherin im Ledermantel auf ihrem Weg zu den Diensträumen des Flottenchefs, Generaloberst Ritter von Greim, begegnen, bekommen erstaunte Augen und werfen sich verständnislose Blicke zu. He, mögen sie sich sagen, was hat denn eine Frau hier zu suchen? Aber sie hat ein Gesicht, das man doch schon irgendwo gesehen hat? Richtig, und nicht nur einmal! War sie nicht neulich in der Luftwaffen-Il lustrierten abgebildet, mit dem gleichen Ledermantel, den sie auch jetzt trägt? Natürlich! Hanna Reitsch! Die Landser bleiben so lange stehen, bis die Frau im Ledermantel und der junge Offizier im Vorzimmer des Generals verschwunden sind. Aber das Vorzimmer ist nur eine kurze Zwischenstation, denn der Generaloberst war es ja gewesen, der Hanna Reitsch gebeten hatte, zu ihm an die Ostfront zu kommen. Er erhebt sich hinter seinem Schreibtisch, als sie das Zimmer betritt. Über das Gesicht des Flottenchefs mit dem sorgfältig gescheitelten, leicht ergrauten Haar huscht ein erfreutes Lächeln. „Frau Hanna", sagt er, „wie schön, daß Sie da sind!" Dann sitzen sie sich gegenüber: der Mann, der eine Luftflotte leitet, und die Frau, deren Bild sogar die Landser in den vordersten Stellungen kennen. Eine Weile horcht v. Greim auf das ferne Grollen der Artillerieab schüsse, ehe er zu sprechen beginnt. Aus seinen Worten entnimmt Hanna Reitsch die bange Sorge des hohen Offiziers um das künftige Schicksal seines Frontabschnitts. Sie erfährt auch, daß er sich nicht damit be gnügt, von seinem Hauptquartier aus die Operationen seiner Luftwaf fen- und Flak-Verbände zu leiten, sondern daß er seine Aufgabe auch darin sieht, in vorderster Front durch persönliches Erscheinen seine Verbundenheit mit seinen Männern zu zeigen. Er spricht auf eine Weise, 43
die immer mehr verdeutlicht, d a ß die Landser an der Front u n d die Männer in den Flugzeugen rund um Orscha diesen Chef ihrer Luftflotte nicht umsonst „ P a p a Greim" nennen. Er erläutert n u n seine Bitte, die Fliegerin an die Front gerufen zu haben, und spricht davon, daß es für seine Männer sicher ein nachhalti ges Erlebnis darstellen werde, die bekannte Einfliegerin mit ihren für eine Frau einmaligen Auszeichnungen bei sich zu sehen. Hanna Reitsch h a t t e ihm stumm zugehört. Später führt er sie in einen kleinen Raum, der ihr als Unterkunft zugewiesen wurde. Grauer Dunst liegt über der kleinen Wiese in der Nähe des H a u p t q u a r tiers. Wie übergroße Kopien ihrer Namensvettern ragen die Silhouetten zweier „Störche" aus dem Dunstvorhang heraus. Die Mechaniker stehen fröstelnd in der Nähe der Maschinen. Sie sehen den Generalobersten mit einem Begleiter im Ledermantel auf eines der Flugzeuge zugehen. Freundlich quittiert Generaloberst von Greim den Gruß seiner Männer, die im Augenblick aber für die Gestalt im Leder mantel mehr Interesse zu haben scheinen als für ihn. Und bald wissen auch sie, wer jetzt mit ihm zusammen in den „Storch" steigt. Das Kabinendach hat sich bereits wieder geschlossen. Der Motor springt an. Auch an der zweiten, der Begleitmaschine, beginnt die Luftschraube zu rotieren. Hanna Reitsch h a t am Steuer Platz genommen. Auf dem zweiten Sitz hat sich der Generaloberst angeschnallt. Ein Handzeichen noch, dann hebt sich die Maschine nach kurzer Rollstrecke von der Wiese ab und zieht über die Baumspitzen dahin. Die Kompaßnadel spielt sich auf Nordkurs ein. Eine empfindliche Kälte erfüllt die Kabine. Rechts schwimmt die Begleitmaschine in der eisigen Luft. Die Feuerblitze am Horizont werden immer deutlicher. Mit großen Augen betrachtet H a n n a Reitsch d a s dämonische Schauspiel. Dort m u ß die Front sein! Sie dreht sich um, als der Generaloberst ihre Schulter berührt. Er deutet auf eine Wiesenfläche am Rand eines Waldes. Zwischen den Bäumen sieht m a n die Konturen von Baracken. Kurz darauf berühren die Laufräder wieder die Erde. Aus dem Wald kommen Soldaten. Es sind Offiziere darunter, die ihre Meldung erstat ten. Mit gesenktem Kopf lauscht der Generaloberst ihren Worten. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht, als er das Staunen bemerkt, mit dem die Offiziere die Anwesenheit der F r a u neben ihm zur Kenntnis nehmen. „Kommen Sie!" sagt der Generaloberst. Nebeneinander gehen sie auf den Wald zu, wo sie in einen Panzerspäh wagen steigen. Manchmal wirft Ritter von Greim der Frau neben ihm einen fragenden Blick zu, als ob er sagen wolle: Ist es nicht zuviel, was ich von dir verlange? Der Motor des Panzerspähwagens springt an. Dröhnend rollt das Fahrzeug durch den Wald. D r a u ß e n bleiben Infanteristen stehen. Manche von ihnen haben Verbände um die Köpfe, auf denen sich Blut flecken abzeichnen. Dann sind es wieder marschierende Kolonnen, die unter den Bäumen entlanggehen. Irgendwo hält der Wagen. Der Fahrer öffnet die Ausstiegluke. 44
Schon eine Minute später ist die Hölle los. Zuerst ist es eine Granate, die von Osten heranjault. Dann sind es Dutzende, Hunderte. Ein Feuer überfall! Schon beim ersten Einschlag hatte der Generaloberst Hanna Reitsch in einen Stellungsgraben gerissen. Sie kauert sich instinktiv auf die Grabensohle, als die erste Granate so nahe einschlägt, d a ß eine riesige Erdfontäne niederprasselt. In das höllische Bersten der nächsten Detonationen mischen sich die Schreie von Verwundeten. Pausenlos erzittert jetzt die Erde unter den Einschlägen. Und als sie nach einer Ewigkeit endlich spärlicher werden, beginnt schlagartig ein neues unheilverkündendes Schauspiel. Auf einmal hört auch Hanna Reitsch den durchdringenden Ruf: „Panzer, Panzer kommen!" Der letzte Schrei ist k a u m verklungen, als etwa ein Dutzend Schritte von ihr entfernt eine Stimme den Befehl hinausbrüllt: „Feuer!" Der Mündungsknall der schweren Kanone ist so nachhaltig, daß Hanna Reitsch glaubt, die Trommelfelle würden ihr platzen. Sie preßt die Hände gegen die Ohren, als wenige Sekunden später ein weiterer Schuß des 8,8-cm-Geschützes nach Osten peitscht. Das Schreien der Landser rings um die Stellung, das Bellen der Ma schinengewehre, die Abschüsse der Flak - all das klingt noch immer an ihr Gehör, als ein Oberleutnant mit dem Ritterkreuz neben ihr auf der Grabensohle landet. Sekundenlang blickt er fassungslos in das bleiche Gesicht unter dem hellen Haarkranz, ehe er die Worte hervorstößt: „Leben Sie noch?" Es sind Worte, die wie lindernder Balsam wirken. Der Generaloberst scheint sich endlich wieder an seine Begleiterin zu erinnern. Er faßt sie an der Hand und zieht sie aus dem Stellungsloch heraus. In gebückter Haltung erreichen sie den Wald. Die schwere Flak feuert immer noch. In der Nähe des Panzerfahrzeuges bleibt v. Greim wieder stehen. „Frau Hanna, ist es nicht zuviel?" Vielleicht wundert er sich nicht einmal darüber, d a ß sie n u r den Kopf schüttelt. Die Sonne, die zwischen den Baumwipfeln hindurchschim mert, beleuchtet die tiefe Narbe über ihrer Nase. Noch einmal blickt der Generaloberst in die Richtung, wo Feuer am Horizont emporzüngelt. Es schlägt aus einem der russischen Panzer, die vorhin nach dem Artillerieüberfall zum Angriff angetreten waren. Das Feuer der schweren Flak ist verstummt. Zwei Infanteristen tragen eine Zeltplane zwischen sich, aus der eine menschliche Hand herausragt. „Kommen Sie!" Ritter von Greim deutet auf den Panzerspähwagen.
Hoch über der Heide ziehen die Bomber dahin. Pulk auf Pulk. Dutzende, Hunderte, Tausende von Flugzeugen, wie zur Parade. Auch die dunklen Sprengwolken der Flak, die zuweilen den Flugweg der Viermotorigen umsäumen, bringen keinen Mißklang in die Vollkommenheit der Flugformation. Tausende von Metern unter den Bombenmaschinen mit den amerika 45
nischen Hoheitsabzeichen auf Tragfläche und Rumpf blüht die Heide. Der Duft des Frühlings weht auch über das Oval des Flugplatzes, der inmitten der weiten Natur fast verloren wirkt. Die niedrigen Hallen haben die gleiche F a r b e wie das sie umgebende Land. Auf den Abstell plätzen stehen nur wenige Maschinen. Und fast scheint es, als ob man bestrebt sei, die Flugzeugmuster in den Hallen vor den Blicken Neugieri ger zu verbergen. Nur wenige Außenstehende konnten wissen, d a ß der Flugplatz seit einiger Zeit der Luftwaffenerprobungsstelle als Außenplatz dient. Die Männer in den ölschimmernden Kombinationen, die am Rand des Hallenvorfeldes stehen und zum Himmel hinaufblicken, wissen es um so besser. Schon seit vielen Wochen sind auch sie ein Teil jenes Planes, der alle Anzeichen verzweifelter letzter Anstrengungen zur Wendung einer immer aussichtsloser werdenden Situation in sich birgt. Auf dem Ärmel des Wartes mit dem sommersprossigen Gesicht fristet der Obergefreitenwinkel immer noch sein unscheinbares Dasein. Dafür sind auf den Schultern des Mannes, den der Obergefreite Wanger so gern „Opa" nennt, seit einiger Zeit die Feldwebelsterne zu sehen. Auch an diesem Tag denkt keiner der Monteure daran, den Vorbeiflug der Bomber von einem der zahlreichen Splitterlöcher aus zu verfolgen. Dafür ist man an den Anblick schon zu sehr gewöhnt, und außerdem wäre immer noch Zeit dazu, wenn das unheimliche Rauschen e i n s e t z t . . . Doch bis jetzt war der Platz von Bomben verschont geblieben. Es ist direkt ein Wunder für die Männer, wenn sie d a r a n denken, was im Halbdunkel der Hallen auch an diesem Tag zum Erprobungseinsatz bereitsteht. Feldwebel Gernheims Hände werden unruhig, als jetzt vom Himmel her das Echo von Bordwaffen zur Erde herunterklingt. Offenbar hat eine Gruppe deutscher Jäger zum Angriff angesetzt. Irgendwo am Himmel züngelt Feuer auf. Aus einem kleinen Blitz wird in Sekundenschnelle ein feuriger Komet, der, von einem hohen Heulen begleitet, der Erde entgegenstürzt. Und es dauert nicht lange, bis sich das gleiche Schauspiel noch an verschiedenen anderen Stellen wieder holt. Eine Viertelstunde dauert es noch, bis sich die Bomber immer weiter entfernen. Auch das Echo der Kanonenabschüsse wird schwächer und schwächer, bis schließlich nur noch ein fernes Brummen den Standort der nach Osten abgeflogenen Bomberpulks verrät. Da erst senkt Feldwebel Gernheim den Kopf. Er deutet zum Himmel hinauf und wendet sich an den Sommersprossigen: „Mein Sohn ist jetzt auch dabei. Vorgestern hat er mich besucht. Er liegt bei Bremen." „Alles Krampf!" k n u r r t der Obergefreite, während er einige Male den Kopf schüttelt. „Ich möchte nur wissen, wozu sie hier all den neuen K r a m erproben, wenn da oben alles drunter und drüber geht." Der Feldwebel zuckt die Schultern. Über sein Gesicht huscht ein L ä cheln, als er einen Flugzeugführer auf sich zukommen sieht. Es ist Oberfeldwebel Ketterer, und es ist kaum einen Monat her, seit er wieder auf dem Flugplatz auftauchte. Sein mit Brandnarben bedecktes Gesicht deutet darauf hin, d a ß inzwischen der damals geäußerte Wunschtraum seines Funkers nach einer anderen fliegerischen Betäti gung in Erfüllung gegangen war. Bald ein J a h r lang war er bei einer Nachtjagdgruppe geflogen und nach einem schweren Absturz über die 46
Ersatzgruppe wieder zur Erprobungsstelle gekommen. Den langen Hän lein hatte er allerdings nicht mitgebracht. Schon bei seiner ersten Begeg nung mit Gernheim und dem Obergefreiten hatte er davon gesprochen, daß sie den Funker schon vor vielen Monaten zur letzten Ruhe gebettet hatten. Die Garbe eines feindlichen Heckschützen hatte ihm den Flieger tod gebracht. „Hanna ist wieder da", sagt Ketterer. „Sie wird sich heute in eine der Schwalben dort drüben setzen." Gernheim kommt nicht mehr zu einer Erwiderung, denn in diesem Augenblick tuckert ein Traktor aus der Halle. Er schleppt eine Do 217 ins Freie, auf deren linker Tragfläche ein kleines, wie ein Spielzeug a n m u tendes Flugzeug montiert ist. Es besitzt nur schmale Stummelflügel, ein nach hinten fliehendes, eckiges Leitwerk und eine lange, spitze Rumpf nase, vor der keine Luftschraube zu sehen ist. Über den Tragflächen schimmert eine winzige Kabine im Licht der Frühlingssonne. Ein Schwarm von Monteuren ist mit der Maschine vor die Halle ge kommen. Sie klettern sofort auf die Tragflächen des Kampfflugzeuges und nähern sich dem kleinen Flugzeug, das durch lange Stahlstreben mit der Do 217 verbunden ist. Von den Unterkünften her kommt ein schmalbrüstiger Unteroffizier, der sich Ketterer nähert. „Morgen", sagt er, während ein Lächeln über sein sonnengebräuntes Jungengesicht huscht. „Morgen", erwidert Ketterer den Gruß seines neuen Bordfunkers. Aber der Anblick des merkwürdigen Huckepack-Gespanns vor der Halle scheint ihm die Lust zu einer weiteren Unterhaltung zu nehmen. Es ist genau das vierte Mal, daß er mit der Do 217 und der winzigen Jagdmaschine auf der Tragfläche zu einem Erprobungsflug starten wird. Und so weiß er auch, daß das kleine Flugzeug die Typenbezeich nung Me 328 trägt und ursprünglich eine Turbinenmaschine darstellte. Zum Antrieb waren einmal zwei Argus-Schmitt-Turbinen vorgesehen gewesen. Mittlerweile hatte die Maschine eine andere Bestimmung er halten. Irgendwo im Süden Deutschlands sitzen zu dieser Stunde Piloten der Luftwaffe, die auf diese Maschine warten. Es sind Männer, die praktisch ihr eigenes Todesurteil unterschrieben und sich entschlossen hatten, ihr Leben für die Vernichtung eines wertvollen feindlichen Erdzieles einzu setzen. Vor noch nicht allzu langer Zeit hatten sie ihren Namen unter ein Schriftstück gesetzt, das folgenden Wortlaut hatte: ,Jch melde mich hiermit zum Selbstaufopferungseinsatz als Führer der bemannten Gleitbombe. Ich bin mir bewußt, daß dieser Einsatz mit dem Tod endigt." Der Atem des Oberfeldwebels geht schneller, als sein Blick jetzt wie der das kleine Flugzeug auf der Tragfläche der Kampfmaschine umfaßt. Dort drüben, keine zwanzig Meter entfernt, ist jetzt der Prototyp der bemannten Gleitbombe auf der Bombertragfläche montiert. Eines Ta ges wird der Rumpf mit Sprengstoff gefüllt sein. Einer der Männer, die jetzt in einer Kaserne bei Passau auf den Einsatz warten, wird dann in der kleinen Kabine sitzen und mit fast tausend Stundenkilometer Ge schwindigkeit der Erde entgegenrasen. Im Feuerblitz der Detonation wird der Tod nach ihm greifen . . . Der Oberfeldwebel wendet den Kopf, als er auf der Rollfeldringstraße 47
das Geräusch eines Automotors hört. Der Wagen hält dicht neben der Do 217. Eine der ersten, die aussteigen, ist Hanna Reitsch! Sie trägt bereits die Flugkombination. Ein erfreutes Lächeln huscht über ihr Gesicht, als Ketterer, der Funker und die zwei Monteure auf sie zukommen. Sie deutet auf die Do 217. „Na, können w i r ? " Ketterer nickt. In seinem Hals ist irgend etwas nicht in Ordnung. Was bist du doch für ein Mädchen? denkt er. Da redest du von diesem Teufelsding auf der Tragfläche, als ob es ein neues Auto w ä r e ! Und unwillkürlich erinnert er sich an die Parolen, die neuerdings über Han nas „russisches Gastspiel" herumgehen. Sicher aber hatte man ihr jedes Wort förmlich herausziehen müssen, denn es war nicht ihre Art, über solche Dinge viel zu sprechen. Und auf einmal steht auch der Tag wieder vor Ketterers Augen, als man sie aus der demolierten Me 163 gezogen hatte. Mit einem Gesicht, das k a u m mehr eines war. Und jetzt wollte sie in diese kleine Höllenmaschine steigen . . . „Na denn!" Hanna Reitsch streift ihre Kopfhaube über. Unter dem Rand lugen ihre hellen Haarlocken hervor. Mit abwesendem Blick hört sie einem Konstrukteur zu, der neben sie getreten ist. Gernheim und Wanger stehen über dem linken Motor auf der Trag fläche. Dicht neben ihnen ragt die Me 328 auf ihren Halterungen in die Höhe. Ein Wart reicht dem Obergefreiten eine kleine Leiter hinauf. Er stellt sie neben das Versuchsflugzeug. Oberfeldwebel Ketterer spürt noch den Händedruck der Frau, als sie ihm noch einmal ein „Hals und Bein" zurief und auf die Maschine zuging. Er sieht sie jetzt auf der linken Tragfläche dicht vor der kleinen Leiter. Dann steigt sie die Sprossen hinauf. Kurz darauf setzt sie sich in das Projektil, schließt die kleine Kabine und gibt Ketterer ein Zeichen. Der Oberfeldwebel quittiert das Signal und blickt zu Gernheim hinun ter, der das Freizeichen zum Anlassen der Motoren gibt. Wenig später beginnt es im Backbordmotor zu singen. Die Luftschraube dreht sich . . . Die Spezialisten haben sich neben der linken Tragfläche zu einem Halbkreis postiert. Der Funker hinter Ketterer hat die Kopfhörer aufge setzt. Seine Hände bewegen einige der Skalenknöpfe. Noch einmal sieht Ketterer zu der Me 328 hinauf, aus der ihm Hanna Reitsch entgegenblickt. Wie in einem Gefängnis, aus dem es kein Aus brechen mehr gibt, denkt Ketterer, während er das Zeichen zum Beseiti gen der Bremsklötze gibt. Die Motoren brüllen auf. Durch den Rumpf des Flugapparates, der einmal einen Menschen mitsamt einer Sprenglast dem Tod entgegentra gen soll, geht ein Zittern. Er wippt im Rhythmus der Fahrwerksfedern, als der Oberfeldwebel die Do 217 zum Startplatz rollt. Das Heckende schwenkt herum. Neben dem Startwagen hebt ein Un teroffizier die karierte Flagge. Ketterers rechte Hand liegt auf den Gashebeln. Bevor er sie auf Voll laststellung schiebt, wendet er noch einmal den Blick. Es ist wie eine magische Gewalt, die ihn jetzt wieder zu der Pilotin in der winzigen Kabine hinaufsehen läßt. D a n n brüllen die Motoren auf. Seine Augen richten sich auf die Mar kierung der Startbahn. Immer schneller wird das Fahrttempo. Die In strumentennadeln rucken. Bald macht die Maschine die ersten zögern den Sprünge, bis sie sich endlich hineinschwingt in ihr Element. 48
Die Nadel des Höhenmessers wandert stetig nach oben. 1000 - 2000 3000 Meter. Dann nähert sie sich der 4000-Meter-Marke. Ketterers Hals wird trocken, während er daran denkt, was in den nächsten Minuten geschehen wird. Die Me 328 wird sich von ihrer Halte rung lösen und . . . Er bringt den Gedanken nicht mehr zu Ende. In Sekundenschnelle sieht er noch einmal das Gesicht Hanna Reitschs. Doch dann reißt der Fahrtwind die Versuchsmaschine aus ihrer Halterung. Sie fliegt noch einige Sekunden fast auf gleicher Höhe, um dann über die rechte Trag fläche in die Tiefe zu stürzen. Unbewußt leitet auch Ketterer eine Kurve ein. Sofort sieht er die Maschine wieder, die jetzt in engen Schleifen durch den Himmel zieht. Doch auf einmal zuckt er zusammen. Es ist die Stimme des Bordfun kers, die ihn für Sekunden zur Regungslosigkeit erstarren läßt. „Von Funker an Flugzeugführer", sagt der Unteroffizier. „Vorwar nung, myo! Ende!" Herrgott, denkt Ketterer, während er unwillkürlich den Blick durch den Himmel kreisen läßt, myo? Feindliche Einflüge? Vielleicht Tiefflie ger? In einer impulsiven Reaktion neigt er die Kanzel der Maschine der Erde entgegen, und auf einmal ist es ihm, als ob er fern am Horizont eine Reihe dunkler Punkte sehe. Da sucht er noch einmal nach dem kleinen Flugzeug, das er vorher noch auf der Tragfläche der Do 217 durch den Himmel getragen hatte. Er findet es nicht mehr . . . Beinahe lautlos schwebt die kleine Flugmaschine durch die Luft. Die Pilotin hat sich leicht im Sitz zurückgelehnt und blickt auf die ferne Erde hinunter. In ihrer Hand vibriert der kurze Steuerknüppel, der jetzt leicht nach links geneigt wird. Sofort deutet die eine stummelartige Tragfläche auf die Erde, während die Augen der Einfliegerin die hoch über ihr durch den Himmel kreisende Kampfmaschine verfolgen. Dann heftet sich der Blick wieder auf die Meßinstrumente. Sie zeigen normale Werte, und auch die Fluglage ist durchaus befriedigend. Das Rauschen des Fahrtwindes, der sich um die Maschine gelegt hat, erweckt Erinnerungen an das schwerelose Dahingleiten im Segelflug zeug. Aber das Wissen um den Einsatzzweck dieses fliegenden Torpedos verscheucht die Empfindungen und lenkt die Gedanken wieder auf die bevorstehende Landung, die in wenigen Minuten erfolgen muß. Die Dächer der wenigen Hallen am Flugplatzrand werden größer und größer. Die schmale Rumpfnase der Me 328 ist jetzt bereits auf die Mitte des Rollfeldes gerichtet. Hanna Reitsch hebt den Kopf, als von der Erde her eine rote Leuchtku gel in den Himmel zischt. Ein Warnsignal? Was soll es bedeuten? Ist vielleicht etwas an der Maschine nicht in Ordnung? Ein Blick auf die Instrumente. Nirgendwo ist eine Unregelmäßigkeit festzustellen. Die Erde ist nur noch wenige hundert Meter entfernt. Mit einer vor sichtigen Steuerbewegung schwenkt die Testfliegerin das geflügelte Projektil in die Landerichtung. Für wenige Sekunden sieht sie dabei die Schleppmaschine wieder, die in flachem Sturzwinkel der Erde entgegen 49
rast. Und was bedeuten die aufgeregten Bewegungen der Männer vor der Halle? Aber selbst wenn irgend etwas an der Maschine nicht in Ordnung sein sollte - es gäbe keine Möglichkeit mehr, dem Unabänderlichen zu entge hen. Denn die Erde ist schon so nahe und die Maschine hat keine eigene Triebkraft. So nahen wieder einmal Sekunden, denen etwas Entscheidendes fol gen wird. Kurz darauf knirscht die Kufe über das Rollfeld. Die Vorwärtsbewe gung wird langsamer. Dann verstummt das Geräusch unter dem Rumpf. Erstaunt blickt Hanna Reitsch den Offizieren entgegen, die auf sie zugesprungen kommen. „Weg, Hanna!" schreit der eine. „Es ist myo, Feindeinflug. Dahinten krebsen schon zwei Amis rum." Das war es also! Monteure hängen die Versuchsmaschine an einen Traktor. Der Oberleutnant zieht Hanna Reitsch auf den Wagen zu. Es geschieht in jenem Augenblick, da zwei amerikanische „Thunder bolts" über den Horizont tauchen. „Verdammt, verdammt", murmelt der Oberleutnant, „und da oben fliegt noch die ,Do' herum. Das myo k a m , als ihr gerade beim Ausklin ken wart", sagt er dann, und es klingt wie eine Entschuldigung. „Es macht nichts", erwidert Hanna Reitsch. „Schließlich haben sie mich ja nicht erwischt." Von den zwei feindlichen Tieffliegern ist im Moment nichts mehr zu sehen...
Ein neuer Morgen ist angebrochen. Langsamen Schrittes nähert sich der Obergefreite Wanger einer Halle. Ein Posten steht davor. „Niemand darf hier hinein", sagt er. „He, warum denn nicht?" „Befehl", erwidert der Posten. „Meinetwegen", b r u m m t Wanger. Er dreht sich um und nähert sich wieder der vor der Halle stehenden He 111. Feldwebel Gernheim sucht gerade aus einem Werkzeugkasten einen Schraubenschlüssel heraus. „Niemand darf in die Halle", k n u r r t der Obergefreite. „Wahrschein lich hat sich ein Weihnachtsmann da hineinverirrt." Der Feldwebel zuckt nur die Schultern. Er ist an diesem Morgen sehr wortkarg. Wanger k a n n sich nicht erklären, wie das kommt, denn der „Opa" ist ansonsten die Freundlichkeit selbst. „Schlecht geschlafen?" Feldwebel Gernheim richtet sich auf. „Wie man's nimmt", erwidert er. „Mein Sohn war gestern bei uns. Er ist nach dem Luftkampf in der Nähe von uns mit 'nem Fallschirm abgesprungen." „Was?" staunt Wanger. Von den Hallen her nähern sich jetzt Oberfeldwebel Ketterer und der dürre Bordfunker. Hinter ihnen folgt einer der Versuchsingenieure mit einigen Spezialisten. Sie haben einen Handwagen bei sich, der mit zahl reichen Geräten und Materialien beladen ist. Schon bald darauf entfalten die Monteure eine emsige Tätigkeit. Sie bohren die Tragfläche der Kampfmaschine an. 50
Vor der Halle hält ein Wagen. Unter den Personen, die aussteigen, ist auch Hanna Reitsch. Der Oberfeldwebel sieht ihr nach, bis sie in der kleinen Türöffnung im Hallentor verschwunden ist. Erinnerungen an die vorhin durchgeführte Flugbesprechung überkommen ihn. „Ein Schleppflug mit einem neuen Gerät!" Das war eigentlich alles gewesen. Hanna Reitsch kommt wieder aus der Halle heraus. Die Sonne, die gerade den Dunstvorhang zerteilt, beleuchtet ihr Gesicht. Ein nachdenk licher Ausdruck hat sich darauf ausgebreitet. Vielleicht denkt sie in diesen Sekunden an den Mann in der Uniform der Waffen-SS, mit dem sie vor einigen Tagen in Berlin zusammenge troffen war und dessen Name nicht nur in Deutschland bekannt gewor den ist. Denn immerhin war er es gewesen, der den Luftlande- und Fallschirmjäger-Einsatz zur Befreiung Mussolinis geleitet hatte: Sturm bannführer Skorzeny! Es waren keine leichten Gespräche gewesen, die damals im Haus der Flieger geführt wurden. Und es hatte sich dabei offenbart, d a ß Skorzeny nun jene Gruppe von Soldaten befehligen würde, die vor einiger Zeit einmal ihr eigenes Todesurteil unterschrieben hatten und nun irgendwo auf ihren ersten und vielleicht auch letzten Einsatz warteten. Neben der Me 328 aber, deren Erprobung inzwischen abgeschlossen war, sollte eine neue Waffe für den Selbstaufopferungs-Einsatz bereitge stellt werden. Es war jener Flugkörper, dessen erster Einsatz in England panischen Schrecken ausgelöst hatte: die V-l. Künftig sollte diese mit Sprengstoff gefüllte „Vergeltungswaffe", die durch ein Raketenaggregat angetrieben wurde, nicht mehr durch Fern lenkung ins Ziel gebracht werden. Inzwischen war das Projektil mit einem Kabinensitz versehen worden und mit einer Steuerung, die von Menschenhand bedient werden sollte. Heute n u n sollte zum erstenmal ein Pilot das Gerät erproben und seine eigentlichen Flugleistungen t e sten. Die Fliegerin vor der Halle mag vielleicht daran denken, daß auch sie bald in dem Flugzeug sitzen wird, dem m a n hohe Geschwindigkeiten prophezeit hat. Und vielleicht kommen ihr jetzt die Gespräche wieder in den Sinn, die sie über die Verwendung der V - l für den Todeseinsatz mit dem bulligen Mann in der SS-Uniform besprochen hatte. Möglicher weise sind es die gleichen Gedanken, die sie damals beseelten: Wird es denn noch einen Sinn haben, was wir tun? Monteure kommen mit einer V-l an, hieven sie an die Tragfläche der He 111 und befestigen die Verschlüsse an den Halterungen. Einer der Einflieger, ein Mann mit einem sonnengebräunten Gesicht, kommt auf Hanna Reitsch zu. „Mal sehen, wie sich der Vogel benimmt!" „Fliegst du zuerst?" „Ja, Hanna!" „Dann . . . Hals und Bein!" „Danke." Ein tiefer Atemzug hebt die Brust des Einfliegers, ehe er sich umwen det und auf die He 111 zugeht. Sie ist immer noch von einem ganzen Schwarm von Monteuren umgeben. Aus dem einen Ingenieur sind mitt lerweile vier geworden. Die V-l hängt so tief, daß m a n in die Kabine sehen kann. 51
Einer der Ingenieure kommt auf Oberfeldwebel Ketterer zu. „Wir können!" sagt er. Der Testpilot hat bereits in der Kabine Platz genommen. Nur sein Gesicht ist noch zu sehen. Auf ein Zeichen des Ingenieurs läßt Ketterer die Motoren an. Die Bremsklötze werden beseitigt. Voller Spannung verfolgen die Menschen vor der Halle den Start. Wird alles klappen? Oder wird es wieder einmal eine Katastrophe ge ben? Hanna Reitsch steht immer noch neben Gernheim. Mit kundigem Blick verfolgt sie den Flugweg des Schleppflugzeuges. Es wird noch geraume Zeit dauern, bis der Versuchspilot sich von der He 111 lösen wird. Die Kampfmaschine umfliegt den Flugplatz in weiten Kreisen. Unter ihrer Tragfläche wie ein nicht abzuschüttelnder Fremdkörper der be m a n n t e Typ der V-l, in den Geheimakten als „Reichenberg" bezeichnet. Höher und höher schraubt sich die He 111 hinauf. Es müssen jetzt schon zweitausend Meter sein, die inzwischen von der Schleppmaschine erreicht wurden. Dann ist es soweit! Ein Raunen geht durch die Reihen der Männer, als sich der Flugkörper von der Schleppmaschine löst und nach einer flachen Kurve in die Tiefe stürzt. Noch fliegt die bemannte V-l ohne Triebwerk, gilt es doch, das Gerät zuerst einmal auf seine fliegerischen Eigenschaften in den ver schiedensten Situationen zu erproben. Regungslos stehen die Monteure vor der Halle. Unter ihnen die Frau, die den nächsten Testflug durchführen wird. Der Einflieger zieht die V-l in engen Kurven durch den Himmel. Sekunden später wird aus dem Kurven ein flacher Sturz. Die He 111 hat am Platzrand bereits wieder zur Landung angesetzt. Einer der Monteure ist es, der als erster die jähe Veränderung regi striert, die mit der am Himmel dahinjagenden V-l vor sich gegangen ist. Es war zuerst ein Zittern, das den Leib der Maschine durchlief, und jetzt sehen sie alle, wie das kleine Flugzeug immer mehr nach unten durch sackt. Immer stärker wird die Fallbewegung. „Er schmiert ab!" Irgendeiner der Männer schrie es. In diesen Sekunden taucht die Versuchsmaschine bereits unter den Horizont. Wenige Augenblicke später steigt über dem Wald, der den Platz begrenzt, eine hohe Rauchwolke auf. Es dauert noch lange, bis die Menschen vor der Halle es begriffen haben: Der Einflieger ist abgestürzt. Von der Flugleitung her rast ein Wagen auf die Landstraße zu. Einige Offiziere sitzen darin. Dahinter folgt ein Sanitätskraftwagen. Feldwebel Gernheim steht noch immer neben Hanna Reitsch. Sie hat den Kopf gesenkt. Die Rauchwolke über dem Wald wird immer schwächer. Vom L a n d e kreuz her nähert sich die He 111. Ketterer steigt aus. Hinter ihm kommt der Funker in Sicht. Dem Gesicht des Oberfeldwebels ist anzusehen, daß er den Absturz beobach tet hatte. 52
Inzwischen scheint der Ingenieur, der für die Versuche verantwortlich ist, die Fassung wiedergewonnen zu haben. Er richtet einige Worte an die Monteure und geht auf die Halle zu. Die Tore werden wieder aufge schoben. Im Licht der Sonne präsentiert sich ein weiterer Flugkörper. Hinter der winzigen Kabine beginnt das Strahlrohr des Raketenantriebs. Ein Traktor manövriert sich vor den Bug. Mit tuckerndem Motor zieht er eine zweite V-l aus der Halle. Das kleine Fahrzeug nähert sich der He 111, aus deren Auspuffen noch feine Rauchwölkchen quellen. Es dauert fast eine halbe Stunde, bis der Wagen mit den Offizieren wieder zurückkommt. Der Sanitätswagen ist nicht dabei. Hanna Reitsch läuft hinüber. Ketterer sieht ihr entgegen, als sie zurückkommt. „Er lebt!" sagt sie unter einem befreiten Aufatmen. „Trotzdem weiß noch niemand, wie es passieren konnte. Irgend etwas m u ß nicht in Ordnung gewesen sein." „Er lebt?" „Ja, er lebt. Allerdings ist er schwer verletzt!" „Fliegen Sie jetzt?" „Ja, jetzt fliege ich!" Ketterer schluckt einige Male, aber er findet keine Worte. Sie geht mit langsamen Schritten auf die Monteure zu, die inzwischen ihre Arbeit wiederaufgenommen haben. Ein Kranwagen steht neben ihnen. Es dauert nicht mehr lange, bis die zweite V-l dieses Morgens den Halterungen unter der He-111-Tragfläche entgegenschwebt. Die Monteure treten zurück, nachdem sich die Kabine über dem Kopf der Einfliegerin geschlossen hat. Vorhin ist einer mit einem gleichen Gebilde abgestürzt, mögen sie denken. Und jetzt setzt sie sich hinein, als ob das die selbstverständlichste Sache der Welt wäre. Der Oberfeldwebel nimmt hinter der Steuersäule Platz. Wieder ein mal springen die Triebwerke an. Eine lange Staubfahne peitscht über das Gras des Rollfeldes. Ein kurzes Abbremsen, ein Prüfen der Ma gneten noch, dann nehmen zwei Monteure die Bremsklötze weg. Die Bugspitze der V-l ragt unter der Tragfläche hervor. Wie muß es einem zumute sein, wenn m a n in einer solchen Höllenma schine sitzt, in diesem engen Raum, der doch einer erdrückenden Ge fängniszelle gleicht? Endlich hebt die He 111 vom Boden ab. Der Unteroffizier löst seine Anschnallgurte und nähert sich dem Funkersitz. Oberfeldwebel Ketterers Blick huscht über die Instrumente. 4000 Me ter zeigt die Nadel des Höhenmessers an. Plötzlich kommt Bewegung in das Fluggerät unter der Tragfläche. In der nächsten Sekunde entschwindet die Bugpartie aus dem Blickfeld des Oberfeldwebels. Erleichtert will er sich in den Sitz zurücklehnen. Doch fast gleichzeitig erinnert er sich an eine Wahrnehmung. War da nicht eben ein Ruck durch die Zelle der He 111 gegangen?
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Die Worte des Funkers, die jetzt über die Kopfhörer dringen, bestäti gen die Ahnung. „Mein Gott! - Sie hat die Tragfläche gestreift - das Heck - das Heck..." H a n n a Reitschs Kopf ist noch immer nach hinten gewandt, als ob sie der Ursache des knirschenden Geräusches nachspüren wolle, das vorhin durch das Flugzeug ging. Aber sie sieht nichts. Sie merkt nur an den harten Reaktionen der Steuerorgane, daß irgend etwas geschehen ist. Und ihre Erfahrung sagt ihr, daß sie mit dem Schleppflugzeug in Berührung gekommen sein m u ß . Doch es dauert nur Sekunden, bis die jähe Unruhe von der Konzentra tion überwunden wird, die sie bisher in allen Gefahren ausgezeichnet hat. Sie blickt jetzt wieder durch die schmale Windschutzscheibe. Das Flugzeug mit den kleinen Stummelflächen, dessen Ebenbilder, mit Sprengstoff gefüllt, zu dieser Stunde vielleicht über die Nordsee fau chen, ist unruhig geworden. Immer wieder wird es von merkwürdigen Schlingerbewegungen geschüttelt. Der Gedanke will sich aufdrängen, daß der harte Schlag von vorhin nicht von einer Kollision mit dem Schleppflugzeug herrührte, sondern in einem Konstruktionsfehler oder einem strömungstechnischen P r o blem seinen Ursprung haben könnte. War es vielleicht der gleiche Feh ler, der vorhin den Absturz des Kameraden herbeiführte? Regungslos sitzt Hanna Reitsch hinter dem Steuerknüppel. Ihr Körper wird in regelmäßigen Abständen von dem Zittern erfaßt, das in der Zelle der Versuchsmaschine nicht m e h r abebben will. Sie weiß, daß irgend etwas mit dem Flugzeug nicht in Ordnung ist. Und sie ahnt immer stärker, daß es mit der Steuerung zusammenhängt. Die Erde kommt näher und näher. Plötzlich ist es, als ob die V - l ins Torkeln komme. Das Beben in den Tragflächen wird stärker und nach haltiger. Die Bugnase senkt sich. Die Maschine wird immer kopflastiger. Mit einer instinktiven Gegenreaktion zieht Hanna Reitsch den kleinen Steuerknüppel nach hinten. Aber der Weg, den das Steuer beschreibt, ist nur wenige Zentimeter lang. Im Rauschen des Fahrtwindes, der die stürzende Maschine umheult, formt sich die Überzeugung: Es ist etwas mit dem Höhenruder passiert! Das Gesicht der Erde wird immer deutlicher und drohender. Einmal sieht Hanna Reitsch noch die Konturen des Schleppflugzeuges. Die Vision der abstürzenden V-l, in welcher ein Kamerad gesessen hatte, drängt sich auf. Gedanken kommen und gehen. Was kann es nur sein? Warum läßt sich das Steuer nicht bewegen? Wenn es so weitergeht, dann wird es wie damals sein. Und vorhin war Heini auf eine ähnliche Weise abgestürzt. Und auf einmal ist es wie immer, wenn man plötzlich die Nähe des Todes spürt. Der Flugplatz und mit ihm die Oberfläche der Erde sind schon so nahe. Nur wenige hundert Meter trennen das Projektil noch von dem grünen Teppich des Grases. 54
Immer noch ist der Bug des Flugkörpers auf die Erde gerichtet, die sich vor der stürzenden Maschine ausbreitet wie ein gieriger Schlund . . . Rings um die zwei Monteure stehen die anderen Männer. Alle sind Spezialisten, die schon Dutzende ähnlicher Vorfälle miterlebten. Sie sahen brennende Versuchsflugzeuge vom Himmel stürzen und andere wie Bomben der Erde entgegenrasen, wobei sie wußten, daß der Mensch in der Kabine nur noch wenige Sekunden atmen würde. Und jetzt - war es jetzt nicht wieder genauso? Die Männer halten den Atem an. Vor der Halle stehen einige Offiziere des Flugplatzes. Und auf einmal sehen sie das verbogene Leitwerk des Versuchsflug zeuges. Es ist deutlich zu erkennen. In jenem Augenblick aber, da den Männern der Herzschlag stocken will, geschieht das Wunder. Es ereignet sich, als die stürzende Maschine kaum noch fünfzig Meter von der Erde entfernt ist. Ein Ruck geht jetzt durch den schlanken Rumpf, kaum zehn Meter von der Erdoberfläche entfernt. Und ehe die Experten das Unbegreifliche noch zu erfassen vermögen, knirscht die schmale Kufe bereits über das Gras. Dann verringert sich die Vorwärtsbewegung, die Maschine steht. Schon wenige Sekunden später löst sich aus vielen Kehlen ein Schrei unsäglicher Erleichterung. Die Männer rennen auf die Versuchsma schine zu. Mit fahrigen Händen löst ein Monteur die Anschnallgurte von den Schultern der Frau, die wieder einmal den Klauen des Todes entschlüpft ist. Ihr Gesicht zeigt noch die Spuren der ungeheuren Konzentration. Sie hat die Augen geschlossen und den Kopf nach hinten gelehnt. In schnel len Stößen kommt der Atem über ihre halbgeöffneten Lippen. Doch dann, als sie die Hände der Männer auf ihren Schultern spürt, kehrt das Lächeln zurück. Sie öffnet die Augen und blickt in die Runde, als ob sie selbst noch nicht begriffen habe, wie sie es schaffen konnte. Fast willenlos läßt sie sich aus der Kabine heben und stützt sich auf den Arm des weißhaarigen Ingenieurs, der jetzt auf das verbeulte Leitwerk blickt. Und da erst finden auch die anderen die Kraft, das Heckende des Flugkörpers zu betrachten. Fassungslos erkennen sie, daß die Leitwerk partie in einem spitzen Winkel zur Längsachse des Flugzeuges weggebo gen ist. Im Metall des Rumpfes klafft ein langer, breiter Riß. Und fast scheint es, als ob das gesamte Leitwerk nur noch an einer schmalen Stelle mit dem Rumpf Verbindung habe. Hanna Reitsch streift die Haube ab und zerknüllt sie in der Hand. Immer noch ist keiner der Männer fähig, ein Wort zu sprechen. Es ist der weißhaarige Ingenieur, der endlich sagt: „Mein Gott, Hanna, wenn das hier . . . " Er deutet auf das demolierte Leitwerk. „Wenn das . . . " Offenbar wagt er es nicht, den Satz zu voll enden. Jeder der Monteure weiß, wie nahe der Tod dieses Mal wieder gewesen war. Und dann denken sie an das letzte Aufbäumen der Versuchsma schine vor dem Aufsetzen. Wie konnte sie es nur schaffen? 55
Der Mund des Generalobersten, der hinter dem Flugzeugführer der FW 190 in der doppelsitzigen Maschine Platz genommen hat, ist schmal geworden. Aber es ist nicht so sehr der Anblick des Abwehrfeuers, das immer wütender wird, sondern der Gedanke an die Mission, derent wegen er in den ersten Morgenstunden von München aus den Flug nach Berlin angetreten h a t t e - nach einem Berlin, das im Todeskampf liegt. Manchmal denkt der Generaloberst, dessen Soldaten ihn einmal „Papa Greim" genannt hatten, an die Fliegerin in seinem Rücken. Er hatte ihre Anwesenheit an Bord des Flugzeuges erst nach dem S t a r t bemerkt, und irgendwie war er nicht einmal erstaunt darüber gewesen. Die Flammenblitze des Artilleriefeuers lenken die Gedanken des Gene ralobersten schon bald in eine Richtung. War es denn wirklich möglich, was sich da unten den Augen darbot? War d e n n alles umsonst gewesen, was auch diese tapfere Frau hinter ihm an unglaublichen Leistungen vollbracht hatte? Sollte denn alles Wahnsinn gewesen sein, was sie u n d Millionen andere im Glauben an eine gerechte Sache unternommen hatten? Die bedrückenden Gedanken sind noch nicht verklungen, als die Lauf räder der Focke-Wulf den Boden des Flugplatzes von Gatow berühren. Irgendwo in der Nähe der Flugleitung steht ein Fieseler „Storch". Soldaten mit bleichen, übernächtigten Gesichtern kommen aus einem der Gebäude. Offiziere salutieren vor dem Generalobersten. Und wieder einmal treffen erstaunte Blicke die Frau, die jetzt aus dem Flugzeug steigt. Aber es dauert nicht lange, bis die Männer von der FW 190 wissen, wer vor ihnen steht. Ihr Erstaunen erreicht seinen Höhepunkt, als Hanna Reitsch zusam men mit dem General in den Fieseler „Storch" steigt. Die Maschine hebt sich von der E r d e und nimmt Richtung auf das Zentrum der großen S t a d t . . . Der Generaloberst h a t den Steuerknüppel des „Storchs" selbst in die Hand genommen. Zuweilen spürt er in seinem Nacken den Atem der Frau, die auf die ausgebrannten Häuserruinen starrt, die unter d e m Flugzeug vorbeiziehen. Generaloberst Ritter von Greim steuert die Maschine über die R u i nenfelder. Er fliegt über Straßen, aus denen sich Geschoßsalven lösen. Sie entstammen Maschinenwaffen, die von russischen Soldaten bedient werden. Die Augen des hohen Offiziers suchen die große Straße, die einmal den Namen Ost-West-Achse erhalten hatte. Er wendet den Kopf, als plötzlich Einschläge in die linke Tragfläche prasseln. Vor der Windschutzscheibe schillert d a s Brandenburger Tor im Licht der Sonne. Eine Straße huscht unter den Tragflächen hindurch. In ihrer Mitte stehen erdbraune Gestalten. Sie haben Waffen in den Händen, aus denen pausenlos kleine Blitze zucken. Wieder zerfetzt eine Geschoß garbe die Tragflächen. Eine weiße Benzinfahne stäubt nach hinten weg. Plötzlich aber erhellt gleißender Schein die Kabine. Mit einem ächzen den L a u t sinkt Generaloberst Ritter von Greim in sich zusammen. Der Geruch von Pulver erfüllt den Kabinenraum. Sekunden später t u t Hanna Reitsch etwas, das selbst die Grenzen der fliegerischen Routine übersteigt. Der Generaloberst m e r k t nicht mehr, d a ß ihre H ä n d e an ihm vorbei 56
das Steuer ergreifen. Sein Kopf ist auf die Brust gesunken. Ein Spreng geschoß hatte seinen Fuß zerfetzt. So ist es Hanna Reitsch, die jetzt das zerschossene Flugzeug der gro ßen Straße entgegenlenkt. Der Motor beginnt zu tuckern. Jeden Augen blick kann die Luftschraube stehenbleiben. Ihre Augen erfassen die Granattrichter, mit denen die breite Paradestraße übersät ist. Irgendwo zeichnen sich die Konturen von Panzern ab. Aus ihren Rohren zischen Feuerstrahlen. Die Erde kommt näher. Hanna Reitsch reißt das Gas heraus. Ein leichter Zug am Knüppel, und die Laufräder berühren die Erde. Rechts huscht ein Granattrichter vorbei, dann noch einer. Plötzlich verstummt der Motor. Mitten im Toben des Kampflärms öffnet sich die Kabine des „Storches". Soldaten laufen über die Straße. Sie heben den schwerverwundeten Offizier aus dem Flugzeug und legen ihn an den Straßenrand. Hanna Reitsch kauert sich neben ihn. Die Männer starren sie an wie ein Gespenst. Vom gegenüberliegenden Stra ßenrand feuert ein Artilleriegeschütz. Mitten in Berlin! Mit ausdruckslosem Gesicht starrt Hanna Reitsch auf das Chaos, das sie umgibt. Der Generaloberst neben ihr hat die Augen aufgeschlagen. Stöhnend läßt er sich von den Soldaten auf eine Trage legen, die sie inzwischen herangeschafft hatten. Ein Lastwagen stoppt in der Nähe. Die Männer tragen den Schwerver wundeten zu dem Fahrzeug. Hanna Reitsch folgt ihnen. Wenig später rollt der Wagen durch die Hölle des Endkampfes um Berlin. Er stoppt vor einem grauen Betonklotz. In den Tiefen des Bun kers steht ein gebeugter Mann: Adolf Hitler. Es ist das letzte Mal, daß er die Frau vor sich sieht, die ihren opfervol len Weg bis zu diesem bitteren Ende gegangen war. Draußen, in den brennenden Straßen der Stadt, nähert sich die Tragö die mit jeder weiteren Stunde ihrem letzten Akt.
In flimmernden Wellen löst sich die Hitze vom Gras des kleinen Flug platzes. Hoch am Himmel stehen Wolkentürme wie riesige Burgen, vor denen ein weißes Segelflugzeug seine Kreise zieht. Hanna Reitsch blickt zur Erde hinunter, wo sich der gelbe Balken des Landekreuzes aus dem Grün des Grases abzeichnet. Dann neigt sie den Bug des Segelflugzeuges. Ein Zug an einem Griff läßt die Landeklappen aus den Tragflächen schwingen. Wenig später schleift die Kufe der Segelmaschine über das Gras. Männer mit nackten Oberkörpern k o m m e n angelaufen. Sie beugen sich über die bereits geöffnete Kabine und blickten in das Gesicht der Frau, die sich jetzt in die Höhe stemmt und aussteigt. „Na, Hanna, geht es wieder?" Der sonnengebräunte Fluglehrer, der die Worte an sie gerichtet hatte, geht neben ihr her. Zuweilen wirft er einen Blick auf das Gesicht seiner Begleiterin, die völlig in sich versunken scheint. Er sagt auch nichts, als sie sich ins Gras setzt und sich dann auf den Rücken gleiten läßt. Ihre Augen richten sich auf den Himmel. Es ist der gleiche Himmel, der vor J a h r e n noch vom Fauchen der Turbinen- u n d Raketenmotoren erfüllt war, und der gleiche, an dem das 57
Grauen des Todes heraufzog, wenn die Pulks der Bomber sich ihren Zielen näherten. Es ist der Himmel, an dem Hanna Reitsch unzählige Testflüge durchgeführt hatte. Zum erstenmal seit vielen J a h r e n war sie jetzt wieder geflogen. Aber allmählich verbindet sich das Erlebnis, das der vorangegangene Flug darstellte, mit den Erinnerungen an die letzten, furchtbaren Tage im Berlin des Jahres 1945. Es sind Erinnerungen an die Nacht, als sie mit dem verwundeten Generalobersten an Bord in einer Arado 96 auf einem kurzen Straßenstück gestartet war. Und die Frage will sich aufdrängen, die sich immer wieder in die Gedanken schleicht: W a r u m hast du das alles getan? Hanna Reitsch richtet sich auf. Sie dreht sich um, als sie in ihrem Rücken Stimmen hört. Eine Gruppe von Zuschauern hat sich um den Startplatz geschart. Auf einmal hört sie ihren Namen. Fassungslos sieht sie dem Mann im leichten Sommerhemd entgegen, der jetzt mit schnellen Schritten auf sie zukommt. „Ketterer! - Sie?" „Frau Hanna!" „Sie leben also noch?" „Ja, sehen Sie es nicht?" „Wie kommen Sie denn hierher?" „Ein reiner Zufall. Ich sah von der Landstraße aus die Flugzeuge in der Luft, und da bin ich herübergekommen, um ein bißchen zuzusehen." Ihre Hand ruht immer noch in der seinen, als er sagt: „Ich werde nie vergessen, was d a m a l s alles war!" Ein verlorenes Lächeln huscht über Hanna Reitschs Gesicht. „Wer könnte das wohl?" ENDE Quellennachweis: Hanna Reitsch: „Fliegen, mein Leben"; Galland: „Die Ersten und die Letzten"; Ernst Heinkel: „Stürmisches Leben"; R. O. v. Tippeiskirch: „Geschichte des II. Weltkrieges" sowie zahlreiche dem Verfasser während des Krieges bekanntgewordene Tatsachen und Erlebnisse.
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Walther Wever
Erster Generalstabschef der Luftwaffe. - Erfolgloser Verfechter der
Fernbomber-Theorie. - Am 3. Juni 1936 mit einer He 70 tödlich abgestürzt
Es mag aus heutiger Sicht müßig sein, darüber zu diskutieren, ob der plötzliche Fliegertod des ersten Gene ralstabschefs der neuen deutschen Luft waffe, Walther Wever, am 3. Juni 1936 nicht nur ein persönliches Verhängnis für den Betroffenen war, indem er eine vielversprechende soldatische Lauf bahn vorzeitig jäh beendete, sondern mit seinen Konsequenzen zugleich auch als Keim dafür anzusetzen ist, daß die deutsche Luftwaffe im IL Weltkrieg nach Qualität und Quantität schließlich doch nicht mehr eine kriegsentschei dende Rolle zugunsten des 3. Deut schen Reiches zu spielen vermochte. Tatsache ist immerhin, daß General Wever, der bis zu seiner Übernahme aus dem Heeresgeneralstab in die Luftwaf fenführung der Aufbauzeit mit der Mili tärfliegerei dienstlich nichts zu tun ge habt hatte, unter der ersten Generation der deutschen Fliegergenerale jener Mann war, der am leidenschaftlichsten den Ideen des italienischen Generals Giulio Douhet (1869-1930) anhing. Der nach ihm benannte „Douhetismus" ist eine Kriegslehre, die einer offensiven strategischen Luftwaffe durch konzen trierte Bombenangriffe auf Ziele im rückwärtigen Feindgebiet kriegsent scheidende Bedeutung beimißt, wäh rend Landstreitkräfte und Marine im wesentlichen eher defensiv eingesetzt werden. Douhets bereits im Jahre 1921 erschienenes Buch „Die Luftherrschaft" fand selbst in seinem eigenen Lande kaum Beachtung und war auch ander wärts stets umstritten. Am konsequen
testen hat dann während des IL Welt kriegs der britische Luftwaffenstab dou hetsche Gedanken vertreten und prak tiziert. So kann man in der offiziellen Luftkriegsgeschichte von Webster/ Frankland („The Strategie Air Offen sive") u. a. lesen: „Die strategische Luftoffensive ist eine Methode des direkten Angriffes auf den feindlichen Staat mit dem Ziel, ihn der Mittel oder des Willens zur Fortsetzung des Krieges zu berauben. Sie kann in sich selbst schon ein Instrument des Sie ges sein, oder sie kann ein Mittel sein, mit dem der Sieg von den anderen Streitkräften errungen werden kann. Sie unterscheidet sich von allen bisheri gen Arten bewaffneten Angriffs dadurch, daß sie allein unmittelbar direkt und zerstörerisch das Herzland des Feindes treffen kann. Ihre Aktionssphäre liegt daher nicht nur über, sondern auch jen seits der von Armeen und Flotten." Eine solche Luftkriegslehre führte zu der Forderung, eine möglichst große Flotte moderner viermotoriger Fern bomber aufzustellen, was Wevers tech nisches Hauptziel beim Aufbau der deutschen Luftwaffe war, das er mit Energie und Weitblick - allen Wider ständen maßgeblicher Militärs zum Trotze - anvisierte, solange er lebte, das aber nach seinem Tode nicht mehr nachhaltig weiterverfolgt wurde. Jeden falls besaß Deutschland bereits zu Be ginn der sechsmonatigen „Luftschlacht um England" im Juli 1940 nicht mehr die notwendige Zahl von Fernbombern, 59
um die Thesen Douhets von einer jeden Widerstand brechenden Bomberoffen sive wahr zu machen. Die deutsche Luftwaffe erholte sich nie wieder richtig von den in der „Schlacht um England" erlittenen personellen und materiellen Verlusten und war, da sie zudem nicht über die erforderliche Produktions und Rohstoffkapazitäten verfügte, um dem Allfrontenkrieg gegen die mäch tigsten Länder der Welt auf die Dauer gewachsen zu sein, gegen Kriegsende fast zur Bedeutungslosigkeit reduziert. Gleichzeitig flogen Engländer und Amerikaner einen Bombergroßeinsatz nach dem anderen mit starkem Jagd schutz und bombten Deutschlands Städte systematisch zu Schutt und Asche, und auch an der Ostfront ging die Luftherrschaft immer mehr auf die sowjetische Luftwaffe über. Ob eine Verwirklichung der wever schen Vorstellungen an diesem Kriegs ausgang angesichts der realen Vertei lung der personellen und materiellen Reserven etwas geändert hätte, mag man mit Recht bezweifeln. Bestehen bleibt jedoch die Tatsache, daß Walther Wever ein Generalstäbler von unge wöhnlichen Qualitäten und Persönlich keitswerten war, in dem der Reichs kriegsminister, Generalfeldmarschall von Blomberg (1878-1946), schon ei nen künftigen Oberbefehlshaber des Heeres gesehen hatte. Geboren wurde Walther Wever am 11. November 1887 in der Reichshaupt stadt Berlin als Sohn eines Direktors. Am Steglitzer Gymnasium machte er Ostern 1905 sein Abitur, um dann als Fahnenjunker beim (1. Schlesischen) Grenadier-Regiment „König Friedrich Wilhelm II" Nr. 10 in Schweidnitz einzu treten. Hier wurde er am 18.8.1906 - mit Vorpatentierung auf den 15. 2. 1905 zum Leutnant befördert. Das Jahr 1910 brachte seine Berufung zum Adjutan ten des I. Bataillons seines Regiments. Daß er ein guter Adjutant gewesen sein muß, beweist die Tatsache, daß er nach der Beförderung zum Oberleutnant am 17. 2.1914 gegen Ende 1914 zum Regi 60
mentsadjutanten ernannt wurde und bereits am 18. 6.1915 mit knapp acht undzwanzig Jahren seine nächste Be förderung zum Hauptmann erlebte. Er war aber sicherlich nicht nur ein guter Adjutant und ein besonders tapferer Soldat, sondern zugleich auch ein für den Generalstabsdienst in außerordent lichem Maße befähigter Offizier. Des halb wurde er schon 1916 zur General stabsausbildung ausersehen und ge hörte in den letzten Jahren des I. Welt krieges der Operationsabteilung im Stab des Chefs des Generalstabes des Feldheeres, Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg (1847-1934), an. We vers soldatische Leistungen während des I. Weltkrieges im Truppen- wie im Stabsdienst fanden durch die Verlei hung von nicht weniger als zwölf deut schen, österreichischen und türkischen Orden ihre äußere Anerkennung. Dar unter befanden sich - außer den beiden Eisernen Kreuzen I. und II. Klasse auch der nächst dem Pour le mérite höchste preußische Offizierskriegs orden: das Ritterkreuz des Königlichen Hausordens von Hohenzollern mit Schwertern. Auch der Reichswehr der Weimarer Republik diente Hauptmann Wever zu nächst in Generalstabsfunktionen: zu erst in seiner Heimatstadt Berlin im Stab des Gruppenkommandos 1 und dann bei der 7. (Bayerischen) Division in München. Zugleich mit ihm taten dort 1923 u. a. noch folgende drei nach her weithin bekannt gewordene Haupt leute Dienst: der spätere Generaloberst und Heeresgeneralstabchef Franz Hal der (1884-1972), der wie jener aus dem 3. Bayerischen Feldartillerieregiment hervorgegangene nachmalige Luftwaf fen-Generaloberst und Inspekteur der Flak-Artillerie Günther Rudel (1883 bis 1950) und schließlich Hitlers Mitput schist vom 9. November 1923, Ernst Röhm (1887-1934). Auch erbrachte es im „Dritten Reich" seines Duzfreundes Adolf Hitler, zu dessen Machtergreifung am 30.1.1933 er mit seiner „Braunen Ar mee" von mehreren hunderttausend
Generalleutnant Walther Wever
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militärähnlich straff organisierten SAMännern (SA = Sturmabteilung) we sentlich mit beigetragen hatte, zu Rang und Würden. SA-Stabschef Röhm wur de sogar Reichsminister. Das bewahrte ihn allerdings nicht davor, am 1. Juli 1934 bei der Niederschlagung des an geblichen „Röhm-Putsches" auf Befehl Hitlers im Stadelheimer Gefängnis er schossen zu werden. Im Jahre 1924 führte Hauptmann We ver ein Truppenkommando als Chef der 3. Kompanie des 4. (Preußischen) In fanterieregiments nach Stargard in Pommern. Hier rückte er am 1. 2.1926 nach fast elf Hauptmannsjahren zum Major auf. Als solcher wurde er im Ja nuar 1927 in die Heeresabteilung (T1) des von dem seinerzeitigen Oberst von Blomberg geleiteten Truppenamtes (TA) versetzt, das einen Teil der Auf gaben des durch den Versailler Vertrag ausdrücklich verbotenen Großen Ge neralstabes übernommen hatte. We vers Abteilungsleiter war in jenen Jah ren der spätere Generaloberst, Chef der Heeresleitung bzw. Oberbefehlshaber des Heeres Werner Freiherr von Fritsch (1880-1939). Nachdem Major Wever am 1. 4.1930 zum Oberstleutnant avanciert war, übernahm er für einige Zeit in der Harz stadt Quedlinburg das Kommando über das II. Bataillon des IR (Infanterie regiment) 12, bis er wieder ins Reichs wehrministerium nach Berlin zurück kehrte, wo er 1932 Leiter der HeeresAusbildungsabteilung (T4) wurde. In dieser Stellung wurde er am 1. 2.1933 zum Oberst i. G. (im Generalstabs dienst) befördert. Zu seinen Mitarbei tern zählten die damaligen Majore und späteren Generalfeldmarschälle Keitel, Model und Paulus. Bald darauf wurden die ersten perso nellen und organisatorischen Voraus setzungen für den Aufbau einer neuen deutschen Luftwaffe als selbständiger Wehrmachtsteil geschaffen. Aus Gö rings bisherigem „Reichskommissariat für die Luftfahrt" entstand am 27.4.1933 das „Reichsluftfahrtministerium (RLM), 62
in das ab 15.5.1933 auch das sogenann te Luftschutzamt des Reichswehrmi nisteriums eingegliedert wurde. Das war bislang die Zentrale für alle mit der Militärfliegerei im geheimen befaßten Referate der Reichswehrspitze. Gleich zeitig wurde das „Luftschutzamt" in „Luftkommandoamt" umbenannt, das als vorerst noch getarnter Luftwaffen generalstab fungierte. Der „Reichskom missar für die Luftfahrt", Hauptmann a.D.Hermann Göring (1893-1946), wur de Reichsluftfahrtminister und erhielt zunächst den militärischen Rang eines Generals der Infanterie. Unter ihm wirk te nunmehr als „Staatssekretär der Luft fahrt", Stellvertreter des Ministers in allen militärischen Fragen und Vor gesetzter aller Offiziere der RLM, der frühere Generaldirektor der Deutschen Lufthansa, Hauptmann a. D. Erhard Milch (1892-1972), der seine zweite mi litärische Karriere als Oberst begann. Die nächste Kommandoebene danach bildete eine Reihe von Ämtern, mit de ren Leitung in erster Linie aus dem Heer übernommene hochqualifizierte Generalstabsoffiziere betraut wurden. Es waren dies das > Luftkommandoamt (LA): Oberst Walther Wever (1887-1936) > Allgemeines Luftamt (LB): Ministerialdirektor Willy Fisch (zuständig für Luftverkehr und Luftrecht) > Technisches Amt (LC): Oberst Wilhelm Wimmer (1889-1973) > Luftwaffenverwaltungsamt (LD): Oberst Albert Kesselring (1885-1960) > Luftwaffenpersonalamt (LP): Oberst Hans-Jürgen Stumpff (1888-1968) Für die Besetzung des Luftkommando amtes hatten ursprünglich drei Ober sten des Heeres zur Auswahl gestan den, darunter der spätere Generalfeld marschall Erich von Manstein (1887 bis 1973). Milch entschied sich jedoch für Wever, da Manstein als nicht sonderlich
Mit einer solchen Maschine vom Typ He 70 „Blitz" war Walther Wever tödlich abgestürzt technisch interessiert galt. Damals fiel übrigens in einem Gespräch mit Milch Blombergs bedauerndes Wort, er gebe Wever nur schweren Herzens ab, da er mit ihm einen späteren Oberbefehls haber des Heeres verliere. Allerdings stand auch in den Personalpapieren des damaligen Obersten Stumpff die Beurteilung: „Später geeignet als Ober befehlshaber des Heeres." Oberst Wevers Ernennung zum Chef des Luftkommandoamtes wurde dann mit Wirkung vom 1.9.1933 offiziell aus gesprochen. Er wurde nun Milchs wich tigster Berater in Fragen taktischer Er fordernisse der Luftwaffe, deren er sich sehr schnell mit Tatkraft, Ideenreichtum und Weitblick annahm. Auch war es für ihn - ebenso wie für Kesselring - selbst verständlich, daß er von Milchs Ange bot an die Nichtflieger unter seinen ranghöchsten Mitarbeitern Gebrauch machte, Flugstunden zu nehmen und die Pilotenprüfung abzulegen - was einem Sechsundvierzigjährigen gewiß mehr Schwierigkeiten bereitete als ei
nem jungen Offizier im Alter zwischen zwanzig und dreißig Jahren. Es war Wevers Idee, die er gegenüber Milch durchzusetzen wußte, eine gesonderte Luftnachrichtentruppe der fliegenden Verbände aufzubauen. Er war auch der jenige, der sich - zusammen mit Milch am heftigsten immer wieder unrealisti schen Vorstellungen Hitlers und Gö rings über Geschwindigkeit und Aus maß des Aufbaus der künftigen deut schen Luftwaffe widersetzte, denn als nüchterner Generalstäbler wußte er, daß dies Zeit, Geduld, systematische Beharrlichkeit und Rücksicht auf die technischen, rohstoffwirtschaftlichen und ausbildungsbedingten Gegeben heiten erforderte. Zudem rechnete er von vornherein damit, daß es einige Jahre dauern würde, bis die Luftwaffe ausreichend mit modernen Flugzeugen ausgerüstet sein konnte, und er hatte einkalkuliert, daß die ersten Aufstel lungsabschnitte erst im Herbst 1938 ab geschlossen sein würden. Zielbewußt arbeitete er an der Ent 63
Wicklung einer ersten Luftwaffendienst vorschrift, die schließlich im Mai 1936 vorlag und sich auf Vorstudien des Weltkrieg-1-Fliegers General Helmut Wilberg (1880-1941) gründete, der seit März 1920 das Fliegerreferat im Trup penamt des Reichswehrministeriums geleitet hatte. In dieser Vorschrift, die der „Spätflieger" Wever erarbeitete, standen Sätze, die deutlich an Douhets fast schon vergessene Buchthesen aus dem Jahre 1921 erinnerten und die dann als Grundlage der Ausbildungspläne in der Luftkriegsakademie wichtige strate gisch-taktische Bausteine für die Blitz kriegserfolge der deutschen Luftwaffe während der ersten Jahre des II. Welt krieges bildeten. In Wevers „Luftwaffen dienstvorschrift" hieß es zum Beispiel: „Die Fliegerkräfte tragen den Krieg von Kriegsbeginn an ins Feindesland. Ihr Angriff trifft die Kampfkraft des Geg ners und den Widerstandswillen des feindlichen Volkes an der Wurzel." Angriffe gegen die Zivilbevölkerung schloß jedoch Wevers Handbuch in sei nem Paragraphen 186 ausdrücklich aus: „Angriffe auf Städte zum Zweck des Terrors gegen die Bevölkerung sind grundsätzlich abzulehnen." Besonderen Wert hatte Wever, der auch von Anfang an die Bedeutung von Udets Sturzkampfflieger- (Stuka-) Idee richtig erkannt hatte, auf die Entwick lung von viermotorigen Langstrecken bombern gelegt, die nachträglich als „Ural-Bomber" charakterisiert wurden, aber der deutschen Luftwaffe dann fehl ten, als es Ziele auf den Britischen In seln und hinter dem Ural zu bekämpfen galt. Gegen diese Idee wandten sich zahlreiche einflußreiche Widersacher Wevers, u. a. Udet, Kesselring und Je schonneck. Nach Wevers plötzlichem Tod führte das zu einer Entscheidung Görings, den Bau von Langstrecken bombern einzustellen und die vorhan denen Muster zu verschrotten, weil es seinen Vorstellungen von einem mög lichst schnellen Luftwaffenaufbau sehr entgegenkam, statt einer viermotorigen 64
lieber zweieinhalb zweimotorige Bom benflugzeuge zu produzieren. In dieser expansiven Aufrüstungs phase der deutschen Wehrmacht ab März 1935, als Hitler die Rüstungs beschränkungen des Versailler Vertra ges einseitig aufkündigte, machte man in der Luftwaffe noch schneller Karrie re als beim Heer. So wurde Wever am 1.10.1935 zum Generalmajor der Luft waffe befördert und durfte sich nun mehr offiziell „Chef des Generalstabes der Luftwaffe" nennen. Bereits ein hal bes Jahr später - am 20.4.1936 -, als Go ring zum Generaloberst und Milch zum General der Flieger avancierten, erlebte Walther Wever bereits seine nächste Beförderung zum Generalleutnant und hatte damit den Höhepunkt seiner sol datischen Laufbahn erreicht. Am 3. Juni 1936 gab nämlich das Reichsluftfahrtministerium folgende Mitteilung an die deutsche Presse, die damals in allen Zeitungen abgedruckt und über den Rundfunk bekanntgege ben wurde: „Am 3. Juni vormittags ist auf dem Dresdener Flughafen das zur Flug bereitschaft des Reichsluftfahrtministe riums gehörige Flugzeug D'UZON un mittelbar nach dem Start abgestürzt. Die Besatzung des Flugzeugs, der Chef des Generalstabes der Luftwaffe, Gene ralleutnant Wever als Flugzeugführer, und Obergefreiter Kraus als Bordme chaniker, kam dabei uns Leben." Ehrend gedachten des ersten Gene ralstabschefs der neuen deutschen Luft waffe, der es beim Start seiner „HeinkelBlitz" (He 70) offenbar versäumt hatte, die Querruderverriegelung zu lösen, der Reichsminister der Luftfahrt und Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Gene raloberst Göring, in einem Tagesbefehl und der „Führer und Reichskanzler" in einer „Verfügung". In Hitlers Verfügung wurde zum ehrenden Andenken an Ge neralleutnant Wever bestimmt: „Das Kampfgeschwader 235 führt fortan die Bezeichnung ,Kampfgeschwader Gene ral Wever'. Die Offiziere, Unteroffiziere
und Mannschaften tragen am Rock ein Erinnerungsband mit dem Namen ,Ge schwader General Wever'. Beigesetzt wurde Walther Wever auf dem Waldfriedhof in Klein-Machnow bei Berlin. Mit seiner körperlichen Hül le wurde zugleich die Idee eines deut schen Fernbombers symbolisch zu Gra be getragen, eines Flugzeugtyps, den die deutsche Luftwaffe bereits im Jahre 1940 für die „Schlacht um England" dringend benötigt hätte. Wevers Nach folger als Generalstabschef der Luftwaf fe wurde für ein Jahr der bisherige Chef des Luftwaffenverwaltungsamtes Al
bert Kesselring, der spätere General feldmarschall. Neun Jahre nach dem Tode des Generalleutnants Walther We ver fand auch dessen Sohn den Flieger tod, nachdem er zuvor noch am 28.1. 1945 als Leutnant und Flugzeugführer in der 3. Staffel des Jagdgeschwaders 51 „Mölders" nach 44 Luftsiegen mit dem Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes aus gezeichnet worden war. Er stürzte am 10. April 1945 - nur einen Monat vor Kriegsende - als Oberleutnant im JG (Jagdgeschwader) 7 mit einer Me 262, dem ersten einsatzfähigen Düsenjäger der Welt, tödlich ab. Dr. Gerd F. Heuer
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Verehrte Leser: Der nächste LANDSER-Großband Nr. 832 - wie immer mit Bildbei lage, Farbseite und Magazinteil - enthält einen Beitrag des Marine schriftstellers W. Wolfslast. Titel:
Bis zur letzten Granate Die Feindfahrten der deutschen Schlachtschiffe BISMARCK, TIR PITZ, SCHARNHORST und GNEISENAU, ihre Erfolge und Ein
satzschicksale bis zum jeweils tragischen Ende bilden das Thema dieser
neuen Ausgabe.
In derselben Woche veröffentlichen wir den Band Nr. 1795 - ein „Alter
LANDSER" in neuem Gewand. Titel:
Ein Front- Alltag Dezember 1944. Ardennenoffensive. Autor: Horst Mayer.
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Deutsche Fliegerverbände:
Schlachtgeschwader 2 Entstehung - Gliederung - Einsätze im II. Weltkrieg Die Aufstellung der deutschen Schlacht fliegerverbände erfolgte am 1. Novem ber 1938 durch die Bildung der II. Grup pe des Lehrgeschwaders 2 in Tutow. Diese Gruppe hatte im II. Weltkrieg die Aufgabe, die vormarschierenden Hee resverbände durch Tieffliegerangriffe zu unterstützen und ihnen den Weg zu bahnen. Sie blieb bis Januar 1942 die einzige Schlachtfliegergruppe der deut schen Luftwaffe. Der Ostfeldzug zeigte aber deutlich, daß diese Gruppe eine mit Maschinen derTypen Me 109 und Hs-123 nicht aus reichte, und so entstand ab Januar 1942 das erste Schlachtgeschwader, das bis Oktober 1943 auf allen Kriegsschauplät zen Rußlands zur Unterstützung des Heeres flog. Für den fliegerischen Einsatz zur Unterstützung des Deutschen Afrika korps wurde am 28.September 1942 die I. Gruppe des Schlachtgeschwaders 2 aufgestellt, das nun laufend Tiefflieger angriffe gegen britische Streitkräfte in Nordafrika und kleinere Schiffsverbän de im Mittelmeer flog. Diese Gruppe war durch die Piloten der III./Zerstörer geschwader 1 sowie der Jagdgeschwa der 27 und 53 gebildet worden und er hielt als vierte Staffel eine in Beblin irena aufgestellte Panzerjägerstaffel mit Maschinen vom Typ Hs-129. Zur Verstärkung dieser im Mittel meerraum eingesetzten Schlachtflie gergruppe bildete das Oberkommando der Luftwaffe am 17. Dezember 1942 den in Gleiwitz aufgestellten Geschwader stab. Kommodore wurde der Eichen laubträger Major Wolfgang Schenck. Gleichzeitig mit dem Geschwaderstab 66
wurde nun eine II. Gruppe aufgestellt, die mit drei Staffeln FW 190 und einer Panzerjägerstaffel Hs-129 ausgerüstet wurde. Das gesamte Geschwader blieb vor erst in Nordafrika und unterstützte die 5. Panzerarmee bei ihren letzten Kämp fen in Tunesien. Erst im April 1943 ver legten beide Gruppen auf Flugplätze in Mittelitalien. Das Geschwader blieb mit beiden Gruppen bis Oktober 1943 in Italien. Es flog Einsätze gegen die alli ierten Truppen von den Flughäfen Ciampino bei Rom, Viterbo, Tivoli, Grosseto, Rieti u. a. m. Die letzten schweren Angriffe gegen die in Italien gelandeten alliierten Ver bände erfolgten im September 1943 an der Front des Brückenkopfes Salerno fast täglich. Die Piloten unterstützten hierbei die schwer ringenden deut schen Verbände südlich des Golfes von Neapel und verzeichneten dabei erheb liche Verluste. Das Oberkommando der Luftwaffe nahm am 18. Oktober 1943 eine Neuglie derung der Schlachtfliegerverbände vor und löste das Schlachtgeschwader 2 auf. Der Stab des Geschwaders wurde Stab Schlachtgeschwader 4, die II. Gruppe des Geschwaders wurde nun I. Gruppe dessel ben Verbandes der bis Mitte 1944 auf dem italienischen Kriegsschauplatz blieb. Die Panzerjägerstaffeln des Schlacht geschwaders 2 wurden bei der Umglie derung mit den übrigen Panzerjäger staffeln der anderen Schlachtgeschwa der zum neuen Schlachtgeschwader 9 zusammengefaßt und kämpften bis Kriegsende in diesem Verband. W.H.
Rheinmetall-Borsig MK103 Eine deutsche Luftkrieg-Bordwaffe im IL Weltkrieg Bei dieser Flugzeugkanone mit 30-mmKaliber handelte es sich um einen Gasdruck lader mit beweglichem Lauf und feststehen dem Verschluß mit zwei Verriegelungsklap pen. Nachdem nur großkalibrige Waffen bei der Bekämpfung der amerikanischen vier motorigen Bomber Erfolg versprachen, be gann trotz einiger technischer Unzulänglich keiten die Truppenerprobung der MK 103. Da die Montage im Motorblock bei der Bf 109 K-4 und in der Tragfläche wegen der Höhe der Waffe praktisch unmöglich war, war man gezwungen, sie in Gondeln unter den Tragflächen einzubauen. Dies erfolgte bei der Bf-109 K-6 und der FW 190 A-8/R 3, nachdem die Erprobung bei der FW 190 A-5 U/11 erfolgreich verlaufen war.
Die stärkste MK-103-Bewaffnung erhielt der Nachtjäger Heinkel He 219 A in einigen Aus führungen, nämlich vier Stück. Theoretische Berechnungen ergaben, daß man mit der MK 103 aus 500 m Entfernung mit 40 Schuß einen Viermotorer mit fünfzigprozentiger Si cherheit, mit 76 Schuß aus gleicher Entfer nung mit fünfundneunzigprozentiger Wahr scheinlichkeit abschießen konnte. In den letzten Kriegsmonaten sollten noch dreißig MK 103 in fernbedienten Lafetten FLA 103 Z in den Höhennachtjäger Ju 388 J-l einge baut werden. Da aber nur noch eine Ju 388 J gebaut wurde, kam es nicht mehr zum Ein satz dieses Gerätes. Ähnliche Vorhaben bei der Me 410 konnten wegen des Kriegsendes ebenfalls nicht mehr realisiert werden.
Technische Daten: Kaliber: Länge: Höhe: Breite: Lauflänge: Waffengewicht: Schußfolge pro Minute: Mündungsgeschwindigkeit: Patronengewicht (Minengranate): Zerfallgurt mit 100 Schuß:
30 mm 2,31m 34,8 cm 28,4 cm 1,33 m 145 kg 420 860 m/sec 780 g 90,5 kg
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Soldatenhumor Anekdoten und Landserulk aus zwei Weltkriegen Besuch Friedrichs des Großen beim Husarenregiment Zietens. Der König war übler Laune, denn man hatte ihm erzählt, die Husaren würden in Wirts häusern herumsaufen und mit den Bür gersleuten dauernd Händel anfangen. Grimmigen Blickes lenkte der „Alte Fritz" sein Pferd auf einen Husaren mit zahlreichen Narben auf Stirn und Wan gen. „Er da!" fuhr er den Mann an. „In welchem Wirtshaus hat Er denn sein Gesicht so verhauen bekommen?" „Es war in der Kneipe von Kolin (Schlacht bei Kolin)", erwiderte der Husar trocken. „Dort, wo Eure Majestät die Zeche bezahlt haben." (Anspielung auf Friedrichs Niederlage im Juni 1757). * Bekanntlich schätzte Preußens Friedrich Wilhelm I., der „Soldaten könig", seine hochgewachsenen Prachtsoldaten - die „langen Kerls" ganz besonders. Auch sie trugen, wie das damals üblich war, lange Zöpfe, de ren Pflege nicht einfach gewesen sein soll. Da der Preußenkönig bei Muste rungen aber nicht nur die „Langen", sondern auch ihre Zopfzierden jeweils kritisch zu betrachten pflegte, gab es, wenn sich liederlich arrangierte Zöpfe seinem Blick darboten, ein großes Don nerwetter. Und weil die Haarschwänze offenbar nie zu seiner Zufriedenheit ge fertigt waren, erklärte er eines Tages: „Ein Zopf muß so gedreht sein, daß die letzte Laus darin weinend verendet." * 1916. Sanitätsstation in Flandern. Ein Stabsarzt will einem wieder zur Front zurückkehrenden Feldwebel gute Rat 68
schläge mit auf den Weg geben. Jovial fragt er: „Was unternehmen Sie, wenn Sie nur schlechtes Wasser zur Verfügung haben?" „Wir kochen es ab." „Ah, sehr gut! Und was noch?" „Wir filtern es, wenn wir einen eini germaßen sauberen Lappen haben." „Ausgezeichnet! Und dann?" „Dann", schmunzelt der Feldwebel, „trinken wir Bier, wenn welches da ist." * Ins selbe Revier kommt kurz darauf ein „Landstürmer". Der Sanitätsunter offizier führt ihn zum Stabsarzt und er klärt, daß der Mann erkältet sei und krank geschrieben werden wolle. „Was?" erbost sich der Arzt. „Das ist ja ungeheuerlich! Würden Sie im Zivil leben wegen solch eines Schmarrens auch zu mir kommen?" „Nein, Herr Stabsarzt", lächelt der Erkältete, „dann würde ich Sie rufen lassen." * 1942. Gewehrreinigen bei einer Er satzkompanie. Der Unteroffizier fragt einen „alten" Obergefreiten, der hier die Zeit bis zur Rückkehr zu seinem Fronttruppenteil verbringt: „Was beachtet man als erstes, wenn man ein Gewehr reinigt?" Darauf der „Oberschnäpser" mit dem EK 1: „Nach der Nummer gucken." „Wieso das?" „Damit man nicht eine falsche Knar re reinigt." *
Vom Doppeldecker
zum Turbinenbomber
Die Geschichte der Arado-Flugzeugwerke. - Produktionsstätte b e r ü h m t g e w o r d e n e r Luftkriegskampfmittel Wer heute in deutschen Fluß- oder See häfen oder an Tankstellen den Namen Stin nes liest, weiß wohl in den wenigsten Fällen, wer dieser Mann war. Er schuf während und nach dem Ersten Weltkrieg ein kleines Impe rium innerhalb der Wirtschaft, zu dem unter anderem auch eine 1917 gegründete „AradoHandelsgesellschaft mbH" in Warnemünde gehörte. Die Firma verfügte nur über kleine Werkstätten und Lager. Soweit bekannt, be schaffte sie die für die Rüstung dringend benötigten Rohstoffe auf geheimnisvollen Wegen aus dem Ausland. Nach 1919 hielt sich das Unternehmen mit dem Bau von Fischkuttern und Möbeln über Wasser. Es sah damals böse aus mit dem kleinen Unter nehmen, das im Grunde nur aus Hallen der ehemaligen Werft Warnemünde des Flug zeugbaus Friedrichshafen bestand, die Stin nes 1925 gekauft hatte.
Zu dieser Zeit arbeitete man bei der Reichswehr bereits an der Vorbereitung des Aufbaus einer geheimen Fliegertruppe. Arado schien dem damaligen Leiter der technischen Entwicklung für Flugzeuge im Reichswehrministerium, Hauptmann Stu dent, geeignet, Flugzeuge für die Reichs wehr zu bauen. Die Aufträge wurden, da der Militärflugzeugbau durch den Friedensver trag von Versailles streng verboten war, durch das Reichsverkehrsministerium fi nanziert. Als Chefkonstrukteur wurde Wal ter Rethel, ein bewährter Mitarbeiter Fok kers, der 1917/18 Deutschlands erfolgreich ste Jagdflugzeuge konstruiert hatte, gewon nen. Rethel baute auf Fokkers bewährte Ideen auf und entwickelte sie weiter. Er hat das Konstruktionsbüro von Arado bis 1933 geleitet. 1925 erhielt Arado den ersten Auftrag für
Eine Arado Ar 196
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drei Schulflugzeuge, welche die Typen bezeichnung SC I erhielten. Es waren kon ventionelle Doppeldecker mit 120-PS-Moto ren. Die Leistungen befriedigten, so daß vierzehn weitere Schulflugzeuge bestellt wurden. Offiziell sollten diese an die Türkei geliefert werden, landeten aber bei der Deut schen Verkehrsflieger-Schule (DVS) und dienten für die getarnte Ausbildung der Reichswehrflieger. Hauptmann Student hatte inzwischen ge nau festgelegt, wie ein Jagdeinsitzer aus sehen sollte. Die Ausschreibung verlief unter dem Kodewort „Heitag" Rethel ent wickelte danach den Doppeldecker SD I mit einem luftgekühlten Sternmotorvon 425 PS. Die beiden Prototypen wurden in die gehei me Luftwaffenbasis Lipezk in der UdSSR überführt, wo sich dann herausstellte, daß die Maschine festigkeitsmäßig nicht befrie digte. Daraufhin entstanden dann 1929 die Jagdeinsitzer SD II und SD III, die man als Vorstufe für den Jäger Ar 64 ansprechen kann. Für die Marine, deren Flugzeugent wicklung damals noch streng getrennt vom Heer verlief, konstruierte Rethei den Jagd einsitzer SSD I, der als erstes deutsches Schwimmerflugzeug Zentralschwimmer mit seitlichen Stützschwimmern erhielt. Für die Erprobung in Lipezk bekam die Maschine ein Radfahrwerk. Im gleichen Jahr 1929 ent standen noch das zweimotorige Schwim merflugzeug W II, das in List auf Sylt statio niert war, und die beiden Sportflugzeuge L1 und L 2 - diese nach Entwürfen von Dipl. lng. Hoffmann. L 1 stürzte während der Erprobung ab. Einige L 2 nahmen mit eini gem Erfolg am Europarundflug teil. 1930 entstand dann der Jagdeinsitzer Ar 64 als Weiterentwicklung der SD II und SD Hl. Nach intensiver Erprobung in Lipezk lief die Fertigung 1932 an. Es wurden aber nur 25 Stück gebaut, da Rethel aus der Ar 64 ein verbessertes Muster, die Ar 65, entwik kelte. Im Gegensatz zur Ar 64, die mit luft gekühlten Sternmotoren von 500 PS aus gerüstet war, erhielt die Ar 65 den BMW VS 7,3 Z von 750 PS Startleistung. Alle Jagd einsitzer ab der SD II hatten eine Bewaff nung von zwei MG. In der ersten Zeit wur den noch die alten IMG 08/15 verwendet, bis dann die neuen MG 17 zur Verfügung
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standen. Die Ar 65 hatte eine Höchst geschwindigkeit von 282 km/h und erreich te eine Gipfelhöhe von 7350 Metern. Dieses Flugzeug war Rethels letzte Arbeit für Arado. Sein Nachfolger wurde Walter Blume, 1917/18 Führer der Jagdstaffel 9, der nach dem Krieg das Ingenieurstudium absolviert hatte. Die Ar 65 war nach der Machtübernah me durch Hitler (30. Januar) der erste wirk lich serienmäßig gebaute Jagdeinsitzer der neuen Luftwaffe. Nach dem 30. Januar 1933 begann dann der Ausbau des Werkes. Aus der „Arado-Handelsgesellschaft mbH" wur de die „Arado-Flugzeugwerke GmbH". Be triebsführer des Unternehmens wurde Ma jor a. D. Wagenführ, der im Ersten Weltkrieg Chef der Flugzeugmeisterei gewesen war und dadurch große Erfahrung im Flugzeug nachschub hatte. Die technische Leitung übernahm Dipl.-Ing. Walter Blume, dem sich später Dipl.-Ing. R. Heinemann hinzugesell te. Die Verwaltungszentrale der Firma wurde nach Babelsberg bei Berlin verlegt und in Brandenburg an der Havel ein großes Werk errichtet. Zweigwerke entstanden in An klam, Rathenow, Wittenberge und Neuen dorf. Rethel hatte vor seinem Ausscheiden noch die Konstruktion eines Schuldoppel deckers Ar 66 begonnen. Blume änderte den Entwurf in einigen Punkten. Die Ar 66 wurde ursprünglich nur als Schulflugzeug benutzt und ist in großen Stückzahlen ge baut worden. Ab 1944 wurde sie an der Ost front und im hohen Norden bis zum Zusam menbruch 1945 als Nachtaufklärer und leichter Nachtbomber geflogen. Die Luftwaffe verlangte nun nach einem Ersatz für den inzwischen veralteten Jagd einsitzer Ar 65. Blumes erster Entwurf, die Ar 67, wurde zugunsten des Parallelentwurfs Ar 68 aufgegeben. Als erster Jagdverband wurde die Jagdgruppe in Werl mit der Ar 68 F ausgerüstet. Ar 68 und He 51 waren die letzten Doppeldecker der Jagdwaffe gewesen. 1934 brachte Blume das Schulflugzeug Ar 69 heraus, das sich aber nicht durchset zen konnte. Im gleichen Jahr entstand als Konkurrenzmuster zu Kurt Tanks FockeWulf FW 56 für das Programm „Heimat schützer"der leichte Jagdeinsitzer Ar 76. Von diesem ist aber nur eine kleine Vorserie ge baut worden. Erst 1937 gelang Blume ein
großer Wurf: das zweisitzige Reiseflugzeug Ar 79 mit dem Hirth-Hm-504-A-2-Motor von 105 PS. Die Maschine eroberte vier Welt rekorde, errang Siege in verschiedenen Luft rennen und stellte mit einem Flug von Ben gasi in Libyen nach Gaya in Indien mit 6303,840 Kilometern einen internationalen Langstreckenrekord auf. Zumindest eine Ar 79 flog noch nach 1955 in der Bundesrepu blik unter dem Kennzeichen D-ECUV. Weniger Glück hatte Blume mit seinem Jagdeinsitzer Ar 80, der zu den Konkurrenz mustern der Bf (Me) 109* neben der He 112 und der FW 159 gehörte, die zum Jagdflug zeugwettbewerb 1935 antraten. Die Maschi
planten Flugzeugträger „Graf Zeppelin". Auch hier entwickelte Blume wieder einen Dop peldecker, obwohl diese Bauart doch be reits als veraltet angesehen werden mußte. Aber wahrscheinlich sind hier Forderungen der konservativ eingestellten Marineflieger maßgebend gewesen. Die Maschine war mit einem BMW 132 M von 830 PS ausgerüstet, besaß Klappflügel und Landehaken. Das RLM (Reichsluftfahrtministerium) ent schied dann aber, eine Trägerversion der Ju 87 entwickeln zu lassen, die Ju 87 C. Da der Flugzeugträger aber nie fertiggestellt wurde, war auch diese Entwicklung im Endeffekt nutzlos.
Arado Ar 232, „Tatzelwurm" genannt
ne hatte gute Flugeigenschaften, entsprach auch den Bewaffnungsanforderungen, konnte aber aufgrund ihres nichteinzieh baren Fahrwerks nicht die Leistungen der Bf 109 erreichen. Auch im Sturzbomberwett bewerb von 1936 unterlag Blumes Doppel decker Ar 81 neben der He 118 und der BV137 gegen die Junkers Ju 87. 1936 entstand aufgrund der mit der Ar 81 gemachten Erfahrungen das See-Mehr zweckflugzeug Ar 95. Hiervon wurden eini ge Versuchsmaschinen mit verschiedenen Triebwerken gebaut. Danach kam es noch zum Bau einer kleinen Serie. Eine Staffel ging nach Chile. Andere Maschinen wurden bei Küstenaufklärungsstaffeln noch 1941 geflogen, u.a. bei der 3./SAGr 125. 1937 folgte die Konstruktion eines Mehr zweck-Trägerflugzeugs Ar 195 für den ge • Bf = Bayerische Flugzeugwerke, ab September 1938 in Messerschmitt AG umbenannt.
Im Jahre 1939 entstand dann ein Mehr zweck-Übungsflugzeug, das zu einem der meistgebauten Flugzeuge des Zweiten Welt krieges werden sollte, die Ar 96. Die Ar 96 V-l, D-IRUU, war ein freitragender Tiefdek ker mit einem Argus-As-10-C-Motor von 240 PS. Man hatte zuerst ein nach außen in die Tragflächen einziehbares Fahrwerk, ähnlich wie bei der Bf 109, eingebaut. Bereits nach den ersten Probeflügen stellte man dann aber fest, daß dieses Fahrwerk mit sei ner geringen Spurweite für Flugschüler nicht sehr geeignet war, und gestaltete die Ar 96 V-l um. Sie erhielt nunmehr ein nach innen hochziehbares Fahrwerk mit großer Spurbreite. Die Erprobung verlief so erfolg reich, daß sofort ein Serienauftrag erteilt wurde. Die Fertigung lief von 1939 bis 1945, wobei insgesamt 11546 Arado 96 gebaut wurden. Die meisten gehörten zur Version B-l und B-2 und waren mit dem 465-PS-Ar 71
Technische Amt der Luftwaffe eine Aus schreibung für einen schnellen Aufklärer, der mit den neuen Strahltriebwerken von Jumo (Junkers-Motoren-Werke) oder BMW ausgerüstet werden sollte. Die Junkers-Tur bine Jumo 004 erreichte am 28.1.1940 be reits einen Schub von 430 kp und war Ende 1941 bereits auftragsreif. Im Frühjahr 1941 waren Walter Blume und sein Mitarbeiter Dipl.-Ing. Rebeski soweit. Es handelte sich bei ihrer Konstruktion um einen relativ einfach aussehenden Schulter decker in Ganzmetallbauweise mit unge pfeilten Tragflächen, unter denen die Trieb werke aufgehängt waren. Ar234 V-l und V-2 wurden bereits im Winter 1941/42 fertig. Erst ein gutes Jahr später waren die ersten Jumo 004-A-Triebwerke betriebsreif. Sie gingen nach Warnemünde, wo sie in die Ar 234 V-l eingebaut wurden. Man war damals der An sicht, daß Einziehfahrwerke die hohe Bela stung beim Aufsetzen bei der Landung nicht aushalten würden, und hatte aus diesem Grunde die erste Ar 234 nur mit Kufen aus gerüstet. Der Start sollte von einem Start wagen erfolgen, der nach dem Start abge worfen werden konnte. Im Mai 1943 wurde die Ar 234 V-l abgerü stet und nach Rheine gebracht. Dort erfolgte ihr Erstflug unter Flugkapitän Seile am 15. Juni 1943. Die Erprobung ergab, daß an einen Front einsatz nicht zu denken war. So erhielt die nächste Versuchsausführung Ar 234 V-9 ein in den Rumpf einziehbares Fahrwerk. Gleichzeitig wurde sie als erste mit Bomben trägern unter Rumpf und Triebwerksgon deln ausgestattet. Der Erstflug der Maschine fand am 15. 3.1944 in Alt-Lönnewitz statt. Der erste Fronteinsatz wurde von Ar 234 V-5 im Juli 1944 durchgeführt. Die beiden Maschinen waren der 1. Staffel des Versuchs verbandes des Oberbefehlshabers der Luft waffe zugeteilt worden, die in Juvincourt bei Reims lag. Vorbereitung der Luftbildgeräte
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und Auswertung der Aufnahmen fanden bei der Fernaufklärungsgruppe 123 und bei der 17(F) 121 statt. Es traten keinerlei Verluste ein, obwohl die Ar 234 A unbewaffnet wa ren. Sie operierten in Höhen und mit Ge schwindigkeiten, die sie für Feindjäger un angreifbar machten. Es kamen dann noch zwei Ar 234 B-l dazu. Am 27. 7. verlegten die Maschinen nach Chievres und am 5.9.1944 nach Rheine. Bis zum 1.11.1944 flogen die Turbinenflugzeuge laufend Fernaufklärung über England, wo bei englische Jäger wiederholt versuchten, die Ar 234 abzuschießen, was stets mißlang. In Rheine war noch das „Sonderkommando Götz" aufgestellt worden, das über vier Ar 234 verfügte. Im November wurde dann als erster Bomberverband die IL/KG 76 auf Ar 234 B-2 umgerüstet, die I. und III. Gruppe folgten. Die 6. Staffel der KG 76 flog Bom benangriffe während der Ardennenoffen sive im Dezember 1944. Inzwischen war aufgrund der Erfahrun gen mit Ar 234 V-6 und V-8 die vierstrahlige Version Ar 234 C entwickelt worden. Proto typ für die Serienausführung C-3 wurde die Ar 234 V-21. Diese verfügte auch über eine Bewaffnung von zwei starren MG 151/20 un ter dem Rumpf nach vorn und zwei weite ren, ferngelenkt nach hinten feuernd. Bis zur V-27 waren alle Ar 234 Einsitzer. Die erste zweisitzige Version wurde die Ar 234 V-28, die als Musterflugzeug für den Bomber C-5 und den Aufklärer C-6 dienen sollte. Eine Ar 234 B-l wurde behelfsmäßig zum Nachtjäger umgerüstet. Dies geschah durch den Anbau einer Wanne mit zwei MG 151/20, starr nach vorn feuernd, unter dem Rumpf. Diese eine Maschine, die bei der Versuchs stelle für Höhenflüge in Oranienburg, nörd lich von Berlin, stationiert war, hat unter Führung eines Oberfeldwebels etwa zwei Dutzend Nachtabschüsse erzielt. Heinz J. Nowarra