Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit
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Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit
Centauri 05
Fragmente der Ewigkeit von ...
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Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit
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Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit
Centauri 05
Fragmente der Ewigkeit von Hubert Haensel
Was bisher geschah: Wir schreiben den Februar des Jahres 1225 NGZ. Auf Einladung der Historikerin Li da Zoltral besucht Atlan das auf einer Museumsinsel gelegene Epetran-Archiv, in dem Schätze und geheimes Wissen der Lemurer lagern, der Ersten Menschheit, die schon vor weit über fünfzig Jahrtausenden die Milchstraße besiedelte und von der alle gegenwärtig in der Galaxis existierenden humanoiden Völker abstammen. Als Unbekannte unter den Augen der Besucher ein Krish'un stehlen, einen Umhang lemurischer Tamräte, nimmt Atlan die Ermittlungen auf. Mit dem Schweren Jagdkreuzer TOSOMA stößt er ins Zentrum von Omega Centauri vor, einem wegen seiner hyperenergetischen Bedingungen bisher unerforschten Kugelsternhaufen. Die TOSOMA wird von Walzenraumern der Mograks angegriffen. Atlan flieht mit dem Schiff zur Handelswelt Yarn, wo er Informationen über lemurische Hinterlassenschaften auf dem Planeten Acharr erhält. Doch auf dem Flug zur Ruinenwelt zwingt ein Hypersturm sie zur Landung. Nur mit äußerster Mühe kann die Besatzung die geistige Beeinflussung durch ein planetenweites Bewusstsein abstreifen und ihr ursprüngliches Ziel anfliegen: Acharr. Bei Kämpfen in einer Steuerzentrale der Lemurer gegen Naats und Arkoniden wird Atlans Verdacht zur Gewissheit: Die Familie da Zoltral zieht im Hintergrund die Fäden. Atlan beschließt, sich in einem der drei Reiche umzusehen, die in Omega Centauri von Lemurerabkömmlingen gegründet wurden. Die Wahl fällt auf das Tamanium Shahan ... Als der erste turmdicke Thermostrahl die Atmosphäre aufriss, stockte Hergol Cohrnard der Atem. Der Planet war nur als schmale, fast filigrane Sichel zu erkennen, doch in diesem Moment hielt dort das Grauen Einzug. Mit schreckgeweiteten Augen verfolgte Cohrnard den Angriff. Sich herumwerfen und wegrennen war sein erster Impuls – es hätte ihm nichts gebracht. Entlang dem Schusskanal loderte die Atmosphäre in irrlichterndem Feuer. In der Tiefe, inmitten des verwaschene Lichtermeers der großen Städte, wuchs ein blutroter Glutball auf. Ein zweiter Thermoschuss durchschnitt die Nacht. Der Einschlag lag Tausende Kilometer weiter westlich. Gequält sog Hergol Cohrnard den Atem ein, begleitet von einem schmerzvollen Wimmern, das ihn fast noch mehr erschreckte als das Geschehen vor ihm. Das Sterben hatte begonnen; die Angreifer feuerten im Salventakt schwere Breitseiten ab.
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Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit
sich bis vor kurzem stolze Gebäude in den Nachthimmel gereckt hatten, ragten nur noch brennende Fragmente auf. Schutt türmte sich in den aufgebrochenen Straßen, und aus dem Untergrund quollen Versorgungsleitungen hervor wie das Gedärm aus dem Leib eines geschlachteten Tieres. Glut schwelte überall. Die Sonnenhitze der Thermostrahlen hatte die Trümmer miteinander verbacken, doch unter der Oberfläche brannte es weiter. Jäh brachen Flammensäulen aus der Tiefe empor, eine Explosion, die im Aufwind Unrat und Trümmer ausspie. Die Optik erfasste zwei Männer inmitten des Chaos und folgte ihnen in gleich bleibendem Abstand. Der eine war von einer großflächigen Brandwunde entstellt, der andere stützte ihn und zerrte ihn mit sich. Ringsum immer neue Eruptionen und einstürzende Mauern, die das Feuer wieder und wieder anfachten. Der Tod hatte erbarmungslos zugeschlagen. Ebenso gnadenlos fraß sich die Aufnahme an verbrannten, zerschmetterten Körpern fest. Ihr Anblick ließ Cohrnard würgen. Er zitterte, verkrampfte die Arme vor dem Leib, aber er wandte den Blick nicht ab. Er sah die aus großer Höhe abtropfende zähflüssige Kunststoffmasse, die sich wie ein Wasserfall über ausgeglühte Fahrzeugwracks ergoss, aufschäumte und Feuer fing. Die beiden Männer konnten dem Schwall nicht ausweichen. Cohrnard sah sie schreien, sah ihre von Panik entstellten Gesichter und den verzweifelten Versuch, dem Verderben zu entfliehen. Der Verwundete brach haltlos zusammen, als er jäh zur Seite gestoßen wurde, aber auch der andere schaffte es nur noch wenige Schritte weit, bevor die Woge über ihn hinwegschwappte und ihn zur lodernden Fackel werden ließ. Hergol Cohrnard verkrampfte, sein Magen wurde hart wie Stein. Brennend heiß stieg es in seiner Speiseröhre empor, dann übergab er sich. Er schaffte es gerade noch, sich vom Holo abzuwenden. So blieben wenigstens die Arbeitsstation und die Archivspeicher unverschmutzt. Sein Mageninhalt verspritzte auf dem Boden, und gleich darauf brach es noch einmal aus ihm hervor. Cohrnard wimmerte. So elend wie jetzt hatte er sich noch nie gefühlt. Doch – viele Shahana-Jahre war es her –, als Mirtam, seine Frau, ihn verlassen hatte. Damals hatte er ebenfalls geglaubt, der Himmel stürze über ihm ein. Von einer Tonta zur anderen war er allein gewesen.
1. Ein absolut tödliches Gewitter brach über den Planeten herein. Innerhalb von Augenblicken riss die Nacht auf, und es würde wohl nie wieder Dunkelheit auf dieser Welt geben. Dutzende großer Raumschiffe feuerten. Jeder Hitzestrahl stanzte einen glutflüssigen See zwischen Berge und Meer. Dazwischen zeichneten sich die Explosionen von Raumtorpedos ab, brodelnde Rauchpilze, während die Angreifer in aufgefächerter Formation tiefer sanken. Von den Städten aus mussten sie wie ein Asteroidenschwarm erscheinen, der einen ausgedehnten Schweif ionisierter Gase hinter sich herzog. Endlich starteten auf dem Planeten die ersten Raumschiffe und Abfangjäger. Hergol Cohrnard sah einen kleinen Kugelraumer gleich nach dem Abheben, von Torpedos, Thermoschüssen und Desintegratorsalven getroffen, auf die Piste zurückstürzen. Flackernd brachen die Schutzschirme zusammen, und nur Sekunden später wurde an dieser Stelle eine neue Sonne geboren. Der grelle Glutball, von weiteren Eruptionen angeheizt, breitete sich gedankenschnell aus. Eine gewaltige Feuerwalze überrollte die Hafengebäude. Nicht überall bot der hohe Lärmschutzwall ausreichend Sicherheit. Die Angreifer aus dem All brachten Tod und Verderben. Zunehmend deutlicher holten die Optiken die Oberfläche des Planeten heran. Cohrnard rang nach Atem, eine unsichtbare Faust schnürte ihm die Kehle zu. Er wünschte, er hätte diese Bilder nicht sehen müssen. Aber er konnte den Blick nicht abwenden. Vergeblich rannten die Jäger gegen die Feuer speienden Kolosse an. Sie hatten nicht den Hauch einer Chance, bis ihre Piloten sich in Pulks und selbstmörderischer Absicht in die gegnerischen Schutzschirme stürzten. Hergol Cohrnard biss sich die Unterlippe blutig. Er kroch geradezu in die holografische Wiedergabe hinein, als könne er auf diese Weise weitere Details erkennen. Rauch und Feuer breiteten sich wie ein Leichentuch aus, doch unter den dichter werdenden Wolken zuckten unaufhörlich grelle Blitze. Dort starben Millionen intelligenter Wesen. Sie hatten keine Chance, waren im Schlaf überrascht worden und begriffen vielleicht gar nicht, was mit ihnen geschah. Hergol Cohrnard verkrampfte sich. Atemlos starrte er auf die Wiedergabe, die eine neue Perspektive zeigte. In Schutt und Asche liegende Straßenzüge. Wo
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Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit war kein grauer Rüssel, sondern ein schwarzer Tentakel. Zugleich spürte er einen stechenden Schmerz und trat unwillkürlich zu. Er erkannte einen flexiblen Greifarm. Der Arm gehörte zu einem flachen Reinigungsrobot, der noch weitere Werkzeuge einsetzte. »Es reicht!«, schimpfte Hergol Cohrnard. Sein neuerlicher Tritt traf auf den Punkt genau. Der zwei Handspannen messende Roboter überschlug sich. Ein bösartiges Summen erklang, als das Biest sich wieder in die richtige Position manövriert hatte und erneut heranschwebte. »Ich will das nicht!«, sagte Cohrnard. »Verschwinde!« Der Erfolg war überwältigend. Innerhalb von Sekunden zog der Reinigungsrobot alle Arme ein und entfernte sich rückwärts. Zumindest hatte Cohrnard diesen Eindruck. Er würde sich nie an Erzeugnisse der Mikrotechnik gewöhnen, denen sich ein Vorne und Hinten nur zuordnen ließ, sobald man sie mit Farbe markierte. Und selbst das hätte ihn immer argwöhnen lassen, die Markierung vielleicht am falschen Ende angebracht zu haben. Er küsste Namron schließlich auch nicht auf den Schwanz. Überrascht stellte er fest, dass der Reinigungsrobot den Boden bereits poliert hatte. Lediglich auf seinen Schuhen klebten noch Spritzer des Mittagessens. Deshalb hatte der Roboter sich so hartnäckig um ihn bemüht. Cohrnard widmete sich wieder dem Holo. Diese Welt hörte auf zu existieren. Überall Glut und zähflüssige Lava in gewaltigen Schollen. Es gab keine Städte mehr, keine Wälder, Berge oder Seen – nichts überdauerte den Tod im Atombrand. Vielleicht währte es nur noch Stunden, bis eine neue Sonne erstrahlte. Schon sprang das Feuer auf die Atmosphäre über; das schaurige Flackern erinnerte an Polarlichter. Nur mit dem Unterschied, dass hier die Lufthülle verbrannte. Was in Jahrmillionen entstanden war, wurde innerhalb von Stunden ausgelöscht. Es bleibt ein Stern, dachte Hergol Cohrnard ehrfürchtig, einer von unzähligen Lichtpunkten am Firmament, die das All durchziehen, deren lodernder Schein ineinander übergeht und ein gleißendes Meer bildet, endlos, grenzenlos. Ein Fragment der Ewigkeit.
Zwei Tage später hatte er sich Namron gekauft, das Kofentellan-Weibchen. Kofentellans galten als anhänglich und treu. Er hatte viel Geld bezahlt – zu viel, aber das war ihm damals egal gewesen. Mit einem unwilligen Kopfschütteln wischte er die Erinnerung an Mirtam beiseite. Der üble Geschmack im Mund würgte ihn, doch er kämpfte gegen den neuen Brechreiz an. Das Archiv der Tamaron war für ihn immer ein erhabener Ort gewesen, ein Platz der Stille und des Friedens, beinahe heilig. Irgendetwas lief falsch. Er fühlte sich nicht nur ausgebrannt und leer. Dieses Wühlen in seinen Eingeweiden, das seit Tagen stärker werdende Nagen, als würde etwas Unsichtbares ihn von innen heraus zerfleischen, das konnte nur eine beginnende Depression sein. Hergol Cohrnard ließ sich wimmernd nach vorn sinken, bis die Stirn auf die Arbeitsstation stieß, und vergrub den Kopf zwischen den Armen. Ihm war ohnehin klar, dass der Planet in der holografischen Wiedergabe dem Untergang geweiht war, dass es keinen Ort mehr gab, an dem seine Bewohner überleben konnten. Sein Wimmern wurde zum gequälten Schluchzen. Er brauchte Ruhe, um zu vergessen, dass er wieder vom Pech verfolgt wurde. Obwohl er sich, von der Sache mit Mirtam abgesehen, kaum beklagen konnte. Fast zwanzig Shahana-Jahre hatte er mit der Medikerin verbracht. Das ist vorbei, dachte er bitter. Ich will nichts mehr davon wissen. Hergol Cohrnard spürte, dass seine Atemzüge gleichmäßiger und tiefer wurden. Er sollte sich besser nicht mit Dingen beschäftigen, die ihn nichts angingen; so etwas brachte immer nur Ärger. Nahezu mein ganzes Leben liegt noch vor mir. Was sind schon 45 Jahre? Wie alt wurde eigentlich ein KofentellanWeibchen? Er stellte fest, dass er keine Ahnung hatte. Der Gedanke an Namron ließ ihn vollends alle selbstquälerischen Zweifel abschütteln. Sie wartete bestimmt schon ungeduldig auf ihn. Hergol Cohrnard stutzte. Eben hatte er Namrons Berührung gespürt, sanft wie immer, wenn sie an seiner Wade entlangstrich. Jetzt erneut ... Es tat gut, gebraucht zu werden. Kein Shahano hatte ihm dieses Gefühl je so vermittelt wie ausgerechnet Namron. Vor allem, wenn sie den rauen Rüssel auf seine Lippen drückte. Hergol Cohrnard glaubte nicht, dass die Kleine das irgendwo abgeschaut hatte. Wieder die Berührung. Etwas zerrte an seinem Schuh. Mühsam hob Cohrnard den Kopf gerade so weit, dass er nach unten blicken konnte. Da
* Schwerer Jagdkreuzer TOSOMA Kugelsternhaufen Omega Centauri 26. Februar 1225 NGZ Es wird Zeit, dass etwas geschieht, raunte mein
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Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit wenn wir wieder normalen Weltraum vor dem Metagrav haben.« Ich warf einen flüchtigen Blick auf die Zeitanzeige. Noch neuneinhalb Zentitontas bis zur Transition. Wieder würde die TOSOMA nur wenige Lichtjahre entlang einem der passierbaren Korridore überwinden. Manchmal fiel es mir schwer, die Geduld zu bewahren. Die Fortbewegung in Omega Centauri ähnelte einer altertümlichen Postkutschfahrt – sie war holprig, unsicher und kostete Zeit. Ja, verdammt, ich bin ungeduldig, bemerkte ich, um dem Extrasinn zuvorzukommen. Das ist wohl mein gutes Recht. Ich vergrub das Gesicht in den Handflächen und massierte Nasenwurzel und Stirn. Eine seltsame Benommenheit stieg in mir auf, ein Gefühl, für das ich keine Erklärung fand. Als hätte ich mit Freund Bully eine Nacht lang durchgezecht. Tief atmete ich ein und versuchte mit einem knappen Kopfschütteln, die eigenartige Empfindung zu vertreiben. Aber dadurch wurde sie eher noch schlimmer. Die Zentrale der TOSOMA begann vor meinen Augen zu verschwimmen. Ich hörte Stimmen, verstand jedoch nicht, was sie sagten. Nur noch konturlos flache Gesichter starrten mich an, während ein ungeheurer Druck meine Schädeldecke zu sprengen drohte. Etwas griff nach meinem Verstand – ein unheimlicher Zwang, begleitet von dem Eindruck, zwischen polarisierende Prallfelder geraten zu sein. Ich schaffte es nicht, mich gegen den Einfluss zu sträuben, vertraute nur auf den Schutz der Mentalstabilisierung. Ich wollte schreien, auf mich aufmerksam machen, aber ich konnte es nicht. Kein Laut drang über meine Lippen. Für einen Augenblick glaubte ich, mich in der Zentrale stehen zu sehen, aber ich empfand den schlanken und durchtrainierten Körper als fremd. Das war nicht ich, das ... Atlan! Die lautlose Stimme schreckte mich auf. Du bist bereits beeinflusst! Unsinn. Ich fühlte mich zufrieden, taumelte durch die Unendlichkeit, ringsum die unglaubliche Sternenpracht Omega Centauris. Die TOSOMA mit ihrer Crew war fast schon vergessen, während der Zwang stärker wurde. Verlockend sogar. Hör auf damit, du Narr! Du darfst dich nicht treiben lassen! Da war ein Reflex, ein metallisches Glitzern voraus. Ich stürzte darauf zu. Der Schimmer wurde größer, teilte sich, wuchs in einer Vielzahl von Verästelungen und Flanschen. Eine einsame Station im Nichts – bizarr in ihrer Konstruktion, dennoch irgendwie vertraut. Ich tauchte ein
Extrasinn. Den zynischen Klang überhörte ich geflissentlich, und eine Antwort war schon gar nicht erforderlich. Ich wollte nicht wissen, ob der Logiksektor auf die hinter uns liegenden Kurztransitionen anspielte – ein Standardtag für 33 Hypersprünge und lächerliche 132 Lichtjahre, die wir dabei zurückgelegt hatten –, oder ob er sich mokierte, dass Li und ich beinahe achtzehn Tontas miteinander geschlafen hatten. Ich liebe Versöhnungen, dachte ich amüsiert und riss mich vom Anblick des Sternenmeers in den Holos los. Prompt tastete ich über mein linkes Schlüsselbein. Li da Zoltral ist keine Frau, sondern ein transsylvanischer Blutsauger, bemerkte der Extrasinn sofort. Sie hätte dich fast gefressen. Kümmere dich um deine Angelegenheiten!, gab ich ebenso lautlos zurück. Vielleicht hatte mein zweites Ich gar nicht so Unrecht. Li hatte sich als die Leidenschaft in Person entpuppt, ein Vulkan an Energie und Hingabe. Du bist ein Greis, der mehr als zwölftausend Jahre auf dem Buckel hat. Lass die Finger von ihr, Beuteterraner! Dann erlebst du auch keine bösen Überraschungen. Was der Logiksektor »böse« nannte, war für jeden Mann die Erfüllung schlechthin. Ich hatte viele Frauen gekannt, ob im alten Ägypten oder im Zeltlager Alexanders des Großen, wo Charis es mir angetan hatte, die sich später das Leben nahm. Li übertraf alle. »Nächste Transition in vierzehn Zentitontas!«, meldete January Khemo-Massai. »Wir erreichen das Tamanium Shahan.« »Endlich«, raunte eine sanfte Stimme neben mir. Lis Hand glitt über meinen Nacken und wühlte sich ins Haar. »Was meinst du, mein Unsterblicher, wirst du noch in der Zentrale gebraucht?« Das Lachen des Extrasinns war wie ein Hagel scharfer Dolche. Die Geister, die du riefst, wirst du nicht mehr los. Ein sinnendes Lächeln umfloss Lis Lippen. Ich sah, dass sie sich verstohlen über die Augenwinkel wischte. Ihre Augen tränten bei Erregung. Ruckartig wandte ich mich um. »Irgendwelche Besonderheiten, Agir-Ibeth Nir-Adar-Nalo Nilmalladah der Dritte?«, wollte ich wissen. Der Hasproner bestand darauf, stets und unter allen Umständen mit vollem Namen angesprochen zu werden, der für manche ein wahrer Zungenbrecher war. »Chaotische Verhältnisse in jeder Hinsicht«, antwortete der Leiter der Abteilung Funk und Ortung. »Wir können uns glücklich schätzen,
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Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit Logiksektors explodierte unter meiner Schädeldecke. Du wirst nicht herausfinden, wer dich beeinflusst. Ich hatte es versucht, war sogar nahe daran gewesen. Nur noch die Koordinaten fehlten ..., aber in dem Moment war der Zwang verflogen. Benommen schüttelte ich den Kopf. Mein Blick streifte die Transitionsanzeige. Nicht eine Zentitonta war vergangen. Ich stand immer noch wenige Meter hinter dem Pilotensessel, und meine Waffe steckte gesichert im Holster. Fast hätte ich geglaubt, Gulokhiz erschossen zu haben. Ich hatte dem starken äußeren Einfluss eine ebenso starke Selbsthypnose entgegengesetzt, aber dennoch stand ich mit leeren Händen da, ohne Hinweis auf die Ursache. »Ich habe dich beobachtet.« Li schaute mich forschend an. »Was war los?« »Jemand oder etwas hat versucht, mich zu übernehmen.« Li nickte zögernd. »Ich habe an mir selbst nichts bemerkt. Wie ist das mit den anderen? January? Zuunarik?« Mit einem Fingerschnippen baute sie ein Mikrofonfeld der Internkommunikation auf, als der Kommandant und der 2. Pilot verneinten. »Zentrale an alle! Vor wenigen Augenblicken wurde ein mentaler Angriff registriert. Sollte jemand ungewöhnliche Beobachtungen gemacht haben, sofort in der Zentrale melden!« Li reagierte schnell und präzise. Dass sie sich dabei über alle Kompetenzen hinwegsetzte, war den Umständen zuzuschreiben. Es gab keine Rückmeldung. Aber das hatte ich nicht anders erwartet. Die Attacke hatte mir gegolten, niemand sonst. Zufall? Eine gezielte Aktion? Das waren zwei neue Fragen in einem Fragenkatalog, der seit siebzehn Tagen immer länger wurde. An unserem Ziel änderte sich nichts. Ich wartete auf die nächste Transition.
zwischen die Verstrebungen und in die Fülle der miteinander verbundenen Elemente. Das Fremde in mir wurde stärker. Es wird dich töten! Nein, das glaube ich nicht. Es holt mich zu sich, es ... Nur ein Verrückter bringt sich selbst in Gefahr!, dröhnte meine innere Stimme. Der Weise handelt. »Lass mich in Ruhe!«, wollte ich rufen. »Ich bin nicht hilflos, ich ...« Beinahe hätte es die fremde Macht geschafft, mich in ihren Bann zu ziehen. Von einem Moment zum anderen verwischten die Vision der unbekannten Raumstation und die Sterne von Omega Centauri. Was blieb, war die holooptische Wiedergabe auf den Panoramaschirmen. Und der Eindruck, von allen in der Zentrale angestarrt zu werden. Keine Ahnung, weshalb Gulokhiz plötzlich in der Zentrale stand. Der Halb-Ekhonide war der stellvertretende Leiter der Schiffsverteidigung, ein zumeist misslauniger Mann, dem der buschige Schnauzbart ohnehin ein verkniffenes Aussehen verlieh. Gulokhiz richtete seinen Strahler auf mich. Paralysemodus, registrierte ich. Wie auch immer, ein Akt der Meuterei blieb es dennoch. »Du bist beeinflusst«, sagte er scharf. »Ich würde bedauern, auf dich schießen zu müssen. Also zwing mich nicht dazu.« »Mach keine Dummheiten«, warnte auch KhemoMassai. Ich lachte. »Ihr seid verrückt. Was glaubt ihr eigentlich?« Zeit gewinnen! Nur ein paar Millitontas, um diesem verfluchten Spuk ein Ende zu bereiten. Schlecht standen meine Chancen nicht; nur Gulokhiz hatte die Waffe gezogen, und bis die anderen reagieren konnten, hatte ich die Situation bestimmt wieder unter Kontrolle. Ich warf mich nach vorn und rollte mich über die Schulter ab. Gulokhiz’ Paralysatorschuss verfehlte mich. Fast gleichzeitig traf der scharf gebündelte Glutstrahl aus meiner eigenen Waffe den untersetzten Mann in die Brust. Ein Ausdruck ungläubigen Erstaunens erschien in seinem Gesicht. Er starrte mich an, wollte etwas sagen, aber nicht ein Laut kam über seine Lippen. Der Paralysator polterte zu Boden. Gulo-khiz machte einen zaghaften Schritt auf mich zu, dann durchlief ein Zittern seinen Körper. Er war schon tot, als er in sich zusammensackte. Niemand sagte etwas. Ich richtete die Waffe auf den Kommandanten. »Die Transition abbrechen! Neuer Kurs ...« Begreifst du endlich? Die mentale Stimme des
2. Mit einer knappen Geste unterbrach Hergol Cohrnard die Wiedergabe, das Holo fiel in sich zusammen. Danach starrte er zentitontalang ins Leere, war vorübergehend nicht ansprechbar – geistesabwesend oder verwirrt, behaupteten böse Zungen, in Meditation versunken, sagte er selbst dazu. Wenn er meditierte, vertrieb er das Unglück, das ihn zuweilen mit penetranter Anhänglichkeit verfolgte.
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Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit Knochensplitter war ihm egal, und die Fleischwunde hatte sich schnell mit dem Heilplasma verbunden und ließ nur noch eine Narbe erkennen. Schlimmer war die seelische Wunde, die Hergol Cohrnard seitdem mit sich herumschleppte: Furcht hieß sie. Wieder dieses Knacken aus dem Nebenraum. Als setze jemand vorsichtig und zögernd einen Fuß vor den anderen. Cohrnards Rechte schloss sich um den winzigen Kristall. Was darauf gespeichert war, hatte mit dem Anschlag zu tun, und es war bei weitem mehr als nur die Aufzeichnung, die er eben in Ausschnitten gesehen hatte. Mit der Linken griff er nach dem kleinen Nadler im Schulterholster. Die Waffe beulte seinen Umhang kaum aus und blieb neugierigen Blicken verborgen. Früher hatte er von Waffen nichts wissen wollen, inzwischen verlieh ihm das kühle Metall ein Gefühl von Sicherheit. Nie wieder wollte er in die Situation geraten, einem Gegner hilflos ausgeliefert zu sein, dafür war das Leben zu kostbar – und seit beinahe drei Jahren auch wieder lebenswert. Die Erlaubnis, eine Waffe zu tragen, konnte er vorweisen. Irgendjemand machte sich nebenan zu schaffen. Die Tamrätin selbst? Nur sie allein besaß ungehinderten Zutritt. Hergol Cohrnard hätte es nie zugegeben, doch tief in ihm nistete die Angst. Weil der Mordversuch an ihm mit den eben gesehenen Filmsequenzen zusammenhing. Seine Hand schloss sich fester um den Nadler. Dann streifte er die Schuhe ab, weil er barfuss kaum ein Geräusch verursachen würde, und huschte los. Sein Herz hämmerte bis zum Hals, und falls nebenan wieder ein Rascheln war, wurde es vom Dröhnen des Blutes in den Schläfen übertönt. Die schwere Stahltür war in die Wand zurückgefahren. Andernfalls fühlte Cohrnard sich wie in einem Käfig eingesperrt. Vom Durchgang aus sah er einen Schatten, seltsam verzerrt und unstet. Eigentlich ein Unding in der künstlichen Beleuchtung. Wie ein Flimmern, fand Cohrnard, als würden Luftmoleküle ein wenig Helligkeit absorbieren. Da war jemand – und er war bestimmt nicht gekommen, um die Schnitzereien zu bewundern. Einige Säulen zeigten frühe Tamräte, eine einzige sogar das Abbild einer der Schwarzen Bestien, die selbst in Moljaar-Holz unglaublich bedrohlich wirkte. Als wolle sie jeden Moment zu tödlichem Leben erwachen. Hergol Cohrnard registrierte, dass seine Gedanken das eigentliche Problem mieden. Er
Seit beinahe drei Shahana-Jahren hatte ihn niemand mehr bei seinen Meditationen überrascht, seit dem Zeitpunkt, als er die Erfüllung seines Lebens gefunden und die Anstellung als Archivar bei der Tamaron erhalten hatte. Der Archivkomplex der Hohen Tamrätin Nestara Cherhay bestach durch Ruhe und Einsamkeit. In den weitläufigen, an den Palast angegliederten Räumlichkeiten hatte Cohrnard sich in den ersten Wochen oft verirrt, aber längst fand er sich sogar in den entlegensten Winkeln blind zurecht. Das Archiv war so etwas wie ein Paradies, und das nicht nur, weil in den Räumen unglaublich viel über die lange und bewegte Geschichte des Shah’-taman, des Tamaniums von Shahan, zusammengetragen worden war. Hier fand sich alles, angefangen von den dicken und schwergewichtigen Folianten der Frühzeit, die zu transportieren ein Mann allein gar nicht in der Lage war (die mit Antigravpads zu versehen Cohrnard jedoch als unverzeihlichen Frevel angesehen hätte), bis hin zu den unscheinbaren Speicherkristallen der Neuzeit, deren Fassungsvermögen ganze Bibliothekssäle übertraf. Auf einem solchen Kristall, ein transparentes, nur eineinhalb Zentimeter durchmessendes und lediglich zwei Millimeter dickes Plättchen, war der Untergang des Planeten Tarik gespeichert. Zwischen Daumen und Zeigefinger drehte Hergol Cohrnard die Scheibe. Ohne es bewusst zu wollen, führte er das kristalline Material an die Nase. Es war schlicht steril, unpersönlich und eisig, wohingegen die größeren Datenscheiben der früheren Jahrtausende wenigstens ein Hauch von Metall und Kunststoff umgab. Aber vor allem die Folianten mit den aus der Rinde des MoljaarBaumes geschöpften Blättern und den kunstvoll aus Kernholz geschnitzten Rücken lebten und atmeten den Hauch der Ewigkeit. Staub und Moder ..., nüchtern betrachtet. Aber waren nicht gerade das die Bestandteile der Ewigkeit? Nichts anderes währte so lange. Schritte! Hergol Cohrnard erstarrte in der Bewegung. Er lauschte. Nichts ... Vielleicht war er einfach nur überreizt. Kein Wunder, denn wer konnte schon von sich behaupten, vor wenigen Tagen beinahe ermordet worden zu sein? Die Stichwunde schmerzte bis heute. Vor allem, wenn er sich darauf konzentrierte. Der Stich mit dem Vibratormesser hatte eine Rippe eingekerbt und ein großes Knochenstück herausgebrochen. Lediglich drei Fingerbreit weiter, und die Klinge hätte das Herz getroffen. Der fehlende
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Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit auszugleichen, würde er tagelang arbeiten müssen. Hergol Cohrnard zog sich in seinen Arbeitsraum zurück und schloss die Stahltür. Er streifte die Schuhe wieder über, ordnete die wenigen Utensilien auf der Konsole – sie besaßen ihren festen Platz, und jede Veränderung würde ihm sofort auffallen – und befahl der Automatik, alle Funktionen nach zehn Minuten zu löschen. Zu diesem Zeitpunkt stand er schon draußen vor dem Archiv. Tief sog er die kühle Luft der beginnenden Nacht in seine Lungen. Die letzten schwachen Strahlen der Sonne Shagdul zeichneten noch einen weißgelben Rand auf schwere Wolkenbänke, und Shaga stand nahezu im Zenit. Das silbrig bis metallisch blau geäderte Antlitz des Mondes schien sich fortwährend zu verändern. Doch dieser Eindruck entstand ausschließlich durch atmosphärische Störungen. Das Sternenmeer funkelte. Angesichts von vier Millionen Sonnen in Shahannahol wurde es auf keiner der ungezählten Welten nachts wirklich dunkel. Cohrnard fragte sich, wie es wohl draußen in der Galaxis aussah. Sich Nächte vorzustellen, in denen die Schwärze alles beherrschte und nur wenige ferne Lichtpunkte am Himmel standen, fiel ihm schwer. Sein Blick suchte Shagrol, die rote Schwestersonne in lediglich zwölf Lichtstunden Entfernung, dann glitt er zurück zum Archiv, der dreistufigen Pyramide am Rand der ausgedehnten Parkanlagen. Eine Zeit lang wartete Cohrnard auf irgendetwas Unvorhersehbares. Endlich zuckte er mit den Schultern und ging weiter. Er war allein inmitten des weitläufigen Areals. Oder doch nicht? Das Gefühl, beobachtet zu werden, verstärkte sich mit jedem Schritt. Bis er abrupt stehen blieb. Äste knackten. Ein wuchtiger Leib durchbrach die Phalanx blühender Driomnusch-Büsche und löste mit einer Wolke von Blütenstaub eine wahre Duftorgie aus. Es gab auf Shahana nichts, was ähnlich intensiv roch. Das Sternenlicht brach sich auf der Gestalt zwischen den Büschen und entriss sie vollends der Anonymität. Sie war größer als ein Shahano, mindestens 2,20 Meter, und auch in den Schultern deutlich breiter. Die Arme waren lang, Tentakel geradezu, die erstaunlich geschickt die Äste zur Seite bogen, und der Schädel wirkte kantig. Anstelle der Augen glomm ein Sensorband in dunklem Grün. Ein Gärtnerrobot, erkannte Hergol Cohrnard erleichtert, und eine schwere Last fiel von ihm ab.
zog den Nadler. Die Waffe war das Modernste auf dem Markt, ein kleines Wunderwerk, nicht eben billig, aber ... Nicht ablenken lassen!, ermahnte er sich. Konzentriere dich auf das Wesentliche! Der Schatten schien mittlerweile verschwunden zu sein. Vielleicht hatte die betreffende Person den Raum wieder verlassen. Cohrnard schob sich weiter nach vorn, sein Blick huschte über die Regalreihen. Da waren die dicken Folianten, dort die strahlungssicheren Behälter für Speicherkristalle. Wenige Meter entfernt die anderen Datenspeicher. Eines Tages würden alle Systeme vereinheitlicht sein, dann war die Historie lückenlos erfasst und auf engem Raum konzentriert, jederzeit greifbar ... Die gegenüberliegende Tür war geschlossen. Fenster gab es keine, und das nötige Licht kam von der Decke. Sprunghaft schnellte Cohrnards Blick zu den Gittern der Klimaanlage empor. Aber sie waren fest verankert. Den Speicherkristall hielt er immer noch fest umkrampft in der Hand, als müsse er ihn mit seinem Leben verteidigen. »In Ordnung.« Er bemühte sich, seiner Stimme einen festen Klang zu geben. »Ich weiß, dass du hier bist, also zeige dich!« Sein Blick pendelte von einer Seite zur anderen. Aber dann, urplötzlich, geschah alles gleichzeitig und vor allem so schnell, dass er nur noch reflexartig reagierte. Da war der Schatten wieder. Jäh löste er sich von der Säule der Schwarzen Bestie, als entwickle sie ein bislang verborgenes Eigenleben. Diese Bestien hatten das Große Tamanium vor langer Zeit in den Untergang getrieben. Cohrnard verschoss das gesamte Magazin. Fünfzig millimeterdünne Hohlnadeln bohrten sich mit bösartigem Knacken in die Statue und die hinter ihr verlaufenden Regalreihen. Sie durchschlugen den Schatten, als sei er überhaupt nicht existent. Hergol Cohrnard kniff die Augen zusammen. Wie winzige Stacheln steckten die Nadler-Projektile im Holz. Das in ihnen enthaltene Gift, auf Lebewesen lähmend wirkend, schimmerte in winzigen Tropfen auf dem dunklen Moljaar. Endlich schob der Archivar den Speicherkristall in eine Tasche seines Umhangs. Da er nicht angegriffen wurde, fiel die Erregung endlich von ihm ab. Hatte er sich wirklich nur getäuscht? Es war wesentlich später als sonst, wenn er seine Arbeit beendete, und die überreizten Sinne konnten ihm durchaus einen Streich gespielt haben. Nur die Projektile im Holz waren real. Ein ganzes Magazin – um den finanziellen Verlust
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Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit Rematerialisation der TOSOMA vergangen. Medoroboter hatten begonnen, die Zentralebesatzung wieder auf die Beine zu bringen. Zweifellos sah es nirgendwo an Bord anders aus. Lächerliche vier Lichtjahre hatten wir mit dieser Transition überwunden. »Ein Katzensprung«, würden die Terraner dazu sagen. Ich weiß das, immerhin habe ich länger auf ihrer Welt gelebt als irgendwo sonst im arkonidischen Imperium. Für einen Augenblick stieg die Erinnerung an Larsaf III in mir auf, den dritten Planeten einer unbedeutenden kleinen gelben Sonne in einem ebenso unbedeutenden Spiralarm unserer Galaxis. Jahrtausende hatte ich auf Larsaf III im biologischen Tiefschlaf verbracht, wiederholt in die Entwicklung der Menschen eingegriffen, aber aus Furcht vor einem globalen Atomkrieg den ersten Mondflug ebenso verpasst wie das auf dem irdischen Mond notgelandete Forschungsschiff von Crest und Thora. Alles das war längst Vergangenheit. Doch mit der Mission der TOSOMA schloss sich offensichtlich ein Kreis in der Geschichte der humanoiden Milchstraßenvölker. Braangon, in terranischen Sternkatalogen Omega Centauri genannt, war der größte und massereichste Kugelsternhaufen der Milchstraße. Vier Millionen Sonnenmassen, auf einen Durchmesser von lediglich 178 Lichtjahren komprimiert, ergaben chaotische Verhältnisse. Die galaktische Geschichte mochte ebenso daran schuld sein wie die erschwerte Navigation, dass nie Schiffe der großen Galaktischen Blöcke Expeditionen unternommen hatten. Was Wunder, dass in Braangon einst vor den Bestien fliehende Lemurer Zuflucht suchten und den Sternhaufen nicht mehr verließen. Ich fragte mich, wie viele Nachkommen der Lemurer vielleicht noch der Meinung waren, die Milchstraße werde von den Bestien beherrscht. Diese Tragik hatte dann sogar schon wieder komische Züge. Ich nenne es Ignoranz, widersprach der Logiksektor. Annähernd viereinhalb Zentitontas vergingen, bis die TOSOMA in jeder Hinsicht wieder einsatzfähig war. Es gab keinen weiteren Zwischenfall. Wir hatten den Außenbereich des Tamaniums Shahan erreicht. Was wir auf den geläufigen Hyperfunkfrequenzen empfingen, erschöpfte sich in von Störungen überlagerten unverständlichen Fragmenten, aber zusammen mit den Ortungsdaten ergab sich dennoch ein einigermaßen deutliches Bild.
Schwerer Jagdkreuzer TOSOMA Hindernisse Der Alarm heulte auf, und ich glaubte, einen gellenden Schrei zu hören. Gleichzeitig traf mich der Schmerz mit aller Wucht, als jede einzelne Nervenbahn in meinem Körper aufzuglühen schien. Entlang der Wirbelsäule vereinte sich der Schmerz und ließ sengende Hitze unter der Schädeldecke explodieren. Im Hintergrund meines Denkens registrierte ich noch, was geschah. Unheimliche Geräusche durchliefen die TOSOMA. Da war ein von der Außenhülle kommendes Knistern und Knacken, das alle Isolierungen durchdrang. Schutzschirmbelastung bei 125 Prozent! Wahrscheinlich schlugen Energien auf die Rumpfstruktur durch. Eine positronische Stimme gab Statusmeldungen. Das Dröhnen in meinen Schläfen übertönte die Daten. Automatische Kurskorrektur eingeleitet, behauptete der Extrasinn. Das Schiff beschleunigt, fliegt Ausweichmanöver. Nach wie vor der Schmerz im Nacken. Ich spürte das Pochen des Zellaktivators, der alle schädigenden Einflüsse abzuwehren versuchte. Ich konnte schon wieder tiefer einatmen ohne das Gefühl, innerlich zu verbrennen. Vor meinen Augen wogten dennoch grelle Schleier. »January?«, rief ich. »Zuunarik?« Keine Antwort. Die Crew hat es erwischt, war der lapidare Kommentar des Logiksektors. Mit einer eher beiläufigen Bewegung löste ich die Magnetgurte und stemmte mich aus dem Sessel hoch. Das Gefühl, in einer Zentrifuge herumgeschleudert zu werden, wich schnell, als ich schwankend auf die Beine kam. Der Kommandant bewegte sich bereits wieder, wenngleich noch sichtlich benommen. Zuunarik, der 2. Pilot, hing in sich zusammengesunken in den Gurten. Nur wenige Schritte trennten mich von ihm. Ich griff unter sein Kinn und hob den Kopf an. Keine Reaktion. Zuunarik weilte weit weg im Reich der Träume. Ich hörte die Meldung, dass die TOSOMA die Gefahrenzone überwunden hatte. Ein örtlich begrenzter Hypersturm also. Der Flugverkehr innerhalb des Kugelsternhaufens unterlag extremen Einschränkungen. Modernste galaktische Technik wie Metagrav-Triebwerke versagten kläglich, einzig die veralteten Transitionstriebwerke spielten unter diesen Bedingungen ihre Stärke aus. Keine zwei Zentitontas waren seit der
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Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit Im Hauptholo zeichnete sich das Shahan-System ab. Ein extremes Gravitationsgefüge wurde erkennbar, das die zwei Sonnen des Systems aneinander kettete, obwohl ihre Entfernung zueinander zwölf Lichtstunden betrug. Das waren rund dreizehn Milliarden Kilometer. Die Hauptsonne war der weißgelbe F8V-Stern. Sechs Planeten umkreisten ihn; zwischen den beiden inneren Welten gab es zudem einen dichten Asteroidengürtel. Bei der zweiten Sonne handelte es sich um einen kleinen roten Stern mit fünf Umläufern und einem weiteren Asteroidenring. Die nächste Transition wurde festgelegt. Sie würde uns endgültig ins Shahan-System bringen, und zwar in den Bereich der Sonne Shagdul mit ihren sechs Welten. Die sichere Zone endete im Bereich von Shagdul IV, den die vorliegenden Informationen als Gasriesen auswiesen. Mit 95.882 Kilometern Durchmesser kam er dem heimischen Saturn schon recht nahe. Du unterschlägst 24.000 Kilometer, erklang es spöttisch in meinen Gedanken. Und »heimisch« ...? Du bist und bleibst ein Beuteterraner. Wenn du es nur wolltest, könntest du längst anstelle von Theta Ariga I. Imperator des Kristallimperiums sein. Ich wurde einer Antwort enthoben, die mich womöglich in Erklärungsnot gebracht hätte. Der Hasproner wandte sich an mich. »Wir haben endlich die ersten Auswertungen«, begann Agir-Ibeth. »Demnach ist die Massekonzentration innerhalb des Nebels deutlich niedriger als angenommen. Was wir zweifelsfrei anmessen und hochrechnen können, ist ein permanenter Einbruch fünfdimensionaler Energie.« Der Chef der Ortung legte eine künstliche Pause ein und entblößte seine dunklen Zähne. Die breite Nase mit den vier Öffnungen bebte leicht. Scheinbar gedankenverloren zwirbelte er seinen eine Handspanne messenden Kinnbart. »Es wäre interessant, die Hintergründe zu untersuchen, die das Entstehen einer Energielinse ermöglichten«, fuhr er schließlich fort. »Unter den herrschenden Umständen bekommen wir mit unseren Mitteln keine Details herein. Ebenso falsch ist es wohl, von Kristallisationskeimen zu reden ...« Ein helles, ziegenhaftes Meckern mischte sich in seine Stimme. Überhaupt erinnerte mich der nur 1,34 Meter messende Hasproner mit seinem zotteligen Äußeren an einen irdischen Faun. Statt der Hörner überzogen allerdings zwei Knochenkämme den ansonsten von schulterlangem Fell bedeckten Schädel.
Eineinhalb Tontas später gab ich den Befehl, die nächste Transition einzuleiten. Kurs auf Shagdul, die Hauptsonne im Zentralsystem des Shah’taman. Sprungdistanz abermals vier Lichtjahre. Diesmal hielten sich die Begleiterscheinungen der Ent- und Rematerialisation wieder in Grenzen. Von einer leichten Benommenheit und vereinzelten, unangenehmen Nervenschmerzen abgesehen. Fünf Sonnen standen uns näher als zwei Lichtmonate. Zwischen ihnen strahlten die Überreste eines Gasnebels in unwirklichen Farben. »Wir erhalten sehr viele Missweisungen«, meldete Agir-Ibeth Nir-Adar-Nalo Nilmalladah III. »Die Echos könnten auf größere Massewerte hindeuten. Auf jeden Fall werden Hyperenergien in einem breiten Spektrum wirksam.« »Möglicherweise eine größere Raumstation?«, wollte ich wissen. Der Hasproner bedachte mich mit einem forschenden Blick. Wie kommst du ausgerechnet darauf?, lautete seine unausgesprochene Frage. Laut sagte er: »Falls da wirklich ein größeres Objekt ist, liegt es zumindest teilweise unter einem Abschirmfeld.« »Dranbleiben!«, bestimmte ich und ignorierte das leise Lachen des Logiksektors. Zweifellos wollte er mir einreden, dass hier nie und nimmer der Ausgangspunkt der mentalen Attacke sein konnte. Nicht so schnell, bestimmt nicht rein zufällig, und überhaupt ... Die Ortungsabteilung hatte hinreichend damit zu tun, Störungen und Reflexionen auszufiltern. Ein intensives Hintergrundrauschen überlagerte alle Daten. Dass wirklich nur die hohe Sonnendichte ursächlich sein sollte, wollte ich nicht recht glauben. Dahinter steckte mehr. Ich spüre, dass da mehr sein muss, dachte ich. Aber du hast keine Beweise, antwortete der Extrasinn. Vermutungen müssen nicht bewiesen werden. Sie sind ohnehin nur Ausdruck verschiedener Möglichkeiten, die vom Instinkt favorisiert werden. Als Agir-Ibeth den Wunsch äußerte, näher an die Wolkenschleier heranzugehen, wehrte ich ab. Zumindest vorerst wollte ich nicht riskieren, mit der TOSOMA die sichere Flugroute zu verlassen. Vierzig Zentitontas waren vergangen, ohne dass erneut eine mentale Attacke erfolgt wäre. Ich glaubte selbst schon nicht mehr daran, dass uns der Zufall auf eine Spur geführt hatte. Die undefinierbaren Massewerte konnten viele andere Ursachen haben.
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Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit »Fakt ist, dass uns die Energielinsen eine größere Masse vorgaukeln, als tatsächlich vorhanden ist. Ich gebe die positronische Analyse auf das Hauptholo.« Was in einer schemenhaften Projektion sichtbar wurde, hatte in der Tat eine gewisse Ähnlichkeit mit meiner »Vision«. Der Eindruck, dass sich innerhalb des Gasnebels eine unregelmäßig verzweigte technische Station verbarg, ließ sich nicht leugnen. Gerade deshalb hatte ich mit dem Weiterflug der TOSOMA noch gezögert. »Ich nehme die Brechung der Linse in Zehnerpotenzen zurück«, erklärte Agir-Ibeth. »Nach allen bisherigen Berechnungen liegt sogar der Vergleich mit einem Vituellbildner nahe.« »Mit anderen Worten: Wir haben den ersten natürlichen Virtuellbildner vor uns«, warf Li ein. Der Hasproner nickte. »Du sagst es, Arkonidin.« Das Bild verringerte sich um die erste Zehnerpotenz. Der Schatten wurde optisch dichter und verlor einige seiner kleineren Auswüchse. Immer noch ließ sich das Aussehen mit einer mehrschichtig aufgebauten Raumstation vergleichen. Die Verzerrung wurde weiter rückgängig gemacht. Ohne den größten Teil ihrer Ausdehnung wirkte die vermeintliche Station schon gar nicht mehr so imposant. Durch die Rückrechnung wurde die mehrfache Spiegelung einer vergleichsweise kleinen Masse deutlich. »Fragmente eines Kugelraumers«, erkannte ich. »Sieht ganz so aus, als wäre ein Schiff abseits der sicheren Route materialisiert und zerstört worden.« »Oder die Besatzung hat den Gasnebel bewusst angeflogen«, wandte Zuunarik ein. »Wehe dem schlecht ausge-rüsteten Raumer, der in diesen Energiewirbel gerät.« Ich blickte zu Li, die sich wortlos anschickte, die Zentrale zu verlassen. Ich sah einen Ausdruck von Traurigkeit in ihrem Gesicht, der so gar nicht zu ihr passte. Sie hatte mir im Epetran-Archiv das Leben gerettet. Mit einer Reaktionsschnelligkeit und Effizienz, die niemand einer Historikerin zugetraut hätte. Als kurze Zeit später die Medoroboter in der Klinik zu Killermaschinen wurden, hatte sie endgültig wie eine ausgebildete Spezialistin reagiert. Ihre Behauptung, nicht zu wissen, wo sie ausgebildet worden war, nahm ich ihr bis heute nicht ab. Li schleppte ein Geheimnis mit sich herum. Aber du tust, als könne sie kein Wässerchen trüben, beschwerte sich der Extrasinn. Im Zweifel für die Angeklagte, dachte ich. Liebe macht blind. Das behaupten wenigstens die Terraner.
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Bei dem Überfall im Epetran-Archiv war ein Krish’un gestohlen worden, der Umhang eines lemurischen Tamrats. Eigentlich war dieses fünfzig Jahrtausende alte Kleidungsstück ein halb pflanzliches, halb tierisches Lebewesen, das mit seinem Träger eine Art Symbiose einging und ohne eine solche Verbindung in Stasis fiel. Die Spur führte in den Kugelsternhaufen Omega Centauri. Und diese Region war heute noch ein weißer Fleck auf den Sternkarten. »... mit 98 Prozent Wahrscheinlichkeit ein 230 Meter durchmessender Kugelraumer«, hörte ich den Hasproner sagen. »Die verwendeten Materialien sind nicht mit dem Stahl terranischer oder arkonidischer Schiffe identisch. Zudem lassen die Hochrechnungen einen äquatorialen Triebwerksringwulst erkennen. Ich vermute, das Wrack gehört den Shahano.« Ich gab den Befehl zur nächsten Transition. »Die Sprungdaten modifizieren; Sprung in exakt fünfzehn Zentitontas, ab jetzt!« Die TOSOMA würde endlich den Randbereich des ShahanSystems erreichen. Dann verließ ich die Zentrale. Ich weiß nicht, ob ich mir Sorgen um Li machte. Wahrscheinlich nicht. Aber ihr Verhalten irritierte mich. Auf der einen Seite war sie die knallharte Kämpferin, zudem intelligent und witzig, auf der anderen hatte sie sich erst vor wenigen Augenblicken wieder als verletzlich erwiesen. Die Vorstellung, dass eine ganze Raumschiffsbesatzung in den sicheren Tod geflogen war, hatte ihr zugesetzt. Ich trat hinaus auf den breiten Hauptkorridor. Dass Li sich in ihre Kabine zurückgezogen hatte, glaubte ich nicht. Das passte nicht zu ihr. Ich begab mich in den äußeren Ring. Da nach wie vor Alarmzustand herrschte, begegnete mir niemand. Alle Besatzungsmitglieder hatten ihre Posten eingenommen. Li stand vor einer der kleinen Mannschleusen. Vorübergehend argwöhnte ich sogar, dass sie das Schiff verlassen wollte. Unverwandt starrte sie auf das Innenschott – oder sogar darüber hinaus. Sie bemerkte mich nicht einmal. »Li ...«, sagte ich endlich. »Was ist geschehen?« Unendlich langsam wandte sie den Kopf. Schmerz und Melancholie standen ihr ins Gesicht geschrieben. Aber das war etwas, mit dem sie selbst fertig werden musste. Sie schwieg. Weltschmerz war wohl die treffende Umschreibung; eine Art Depression, was immer sie ausgelöst haben mochte. Unvermittelt schlang Li die Arme um meinen Hals und legte den Kopf an meine Schulter. Ich spürte ihr Beben und den hastigen, heißen Atem. »Nimm mich in die Arme«, brachte sie stockend
Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit Vergangenheit zu erforschen. Er wusste nicht, was außerhalb des Kugelsternhaufens vor sich ging, ob die Bestien weite Sterngebiete kontrollierten. Aber er hätte es herausgefunden. Wie so oft hatte ihm das Schicksal einen Strich durch die Rechnung gemacht. Erst war Claronne geboren worden, nicht einmal zwei Jahre später Seljiam, und Mirtam hatte ihn vor die Wahl gestellt, entweder Familie oder Sterne. »Beides zusammen«, glaubte er selbst heute noch ihre Stimme zu hören, »ist unmöglich.« Er hatte sich für die Familie entschieden, entscheiden müssen, und seinen großen Traum zwangsläufig begraben. Heute hatte er keine Familie mehr. Wohin das Schicksal Mirtam verschlagen hatte, wusste er nicht, er versuchte es auch gar nicht herauszufinden. Mit seinen 45 Shahana-Jahren wollte er nur noch in Ruhe gelassen werden. Die mittlerweile erwachsenen Töchter hatte er seit langem nicht mehr gesehen. Es genügte ihm zu wissen, dass Claronne und Seljiam keine materielle Not litten. Alles andere war nicht mehr seine Sache, sie hätten es selbst in der Hand gehabt, Kontakt mit ihm zu halten. Shahjohl-Dah war die Randsiedlung, in der sein kleines Haus stand. Das Einzige, was ihm von der Vergangenheit geblieben war. Er hätte es verkaufen können und in den Kernbereich von Shahjohl ziehen, näher zum Archiv des Shah’taman, aber er scheute vor den damit verbundenen Umständen zurück. Seine Schritte knirschten auf grobem Kies. Das Parkgelände war ihm auf dem Nachhauseweg stets eine willkommene Abkürzung. Überhaupt war Shahjohl mit den weitläufigen Parks und Waldgebieten eine der schönsten Städte für ihn. Harmonisch passten sich die schlanken Wohntürme und Stufenpyramiden in die Natur ein. Die verwendeten Natursteine aus den nahen Bergen, vor allem die mannsgroßen Blöcke aus verschiedenfarbigem Granit, ließen Shahjohl wehrhaft erscheinen. Es roch nach Regen – und den Ausdünstungen der gestarteten Kreuzer. Prüfend sog Hergol Cohrnard die Luft ein. Sie schmeckte nach Ozon und ionisierten Molekülen. Es wurde windig. Staub und halb verrottetes Laub wirbelten auf. Die mit Wahnsinnswerten startenden Schiffe hatten die Atmosphäre verdrängt und ein Vakuum hinterlassen, das sich donnernd wieder schloss. Hergol Cohrnard hatte plötzlich genug damit zu tun, seine wehende Kleidung festzuhalten und die Augen vor dem feinen Staub zu schützen. Zwischen den Zähnen knirschte es bereits. Der Speicherkristall steckte lose in einer
hervor. Ich tat es nicht. »Was ist los mit dir?« »Nichts.« »Du lügst!« Ich spürte, dass sie sich verkrampfte. »Da waren wieder diese Bilder«, flüsterte Li. »Wie in der Klinik, nur intensiver. Ein Schatten ... nein, ein Roboter. Oder auch nicht. Eine unglaublich grazile Gestalt. Ihre Hände streichen über meinen Körper, und die Berührung lässt mich erschauern. Ich bin nackt – aber ich weiß nicht, was dieses ... dieses Wesen von mir will.« Sie stockte, atmete tief ein. Erneut durchlief ein Beben ihren Leib. »Halt mich fest, Atlan!«, verlangte sie. »Und lass mich nie wieder los!« 3. Ein öffentlicher Gleiter brachte Hergol Cohrnard von der Sammelstelle außerhalb des Palasts nach Shahjohl-Dah. Shahjohl war die Hauptstadt auf dem Nordkontinent. Weitgehend von schroffen Sechstausendern umgeben, die Unwetter fern hielten, zählte die Stadt heute zwanzig Millionen Einwohner und war die mit Abstand größte Metropole Shahanas. Achtzig Kilometer westlich des Zentrums lag der Raumhafen. Obwohl dessen hoch aufgeschütteter Sichelwall Lärm von Shahjohl fern halten sollte, war das Donnern der Impulstriebwerke startender und landender Schiffe nicht zu überhören, und oft genug strich ein Schwall erhitzter Luft über die Stadt hinweg. Als Hergol Cohrnard den Gleiter verließ, eingekeilt in eine Traube schwitzender Shahano, stiegen vier Schiffe mit dröhnenden Triebwerken in den Nachthimmel. Cohrnard argwöhnte einen Alarmstart. An den Grenzen des Tamaniums hatte es wohl wieder einen Zwischenfall gegeben. Nach wenigen Augenblicken waren die Schiffe nur noch als ferne Glutpunkte zu erkennen, einen Lidschlag später hatte sie das gleißende Sternenmeer verschluckt. Das nachschwingende Dröhnen verriet Cohrnard, dass Schwere Kreuzer gestartet waren, jeder 230 Meter durchmessend und mit einem mächtigen Triebwerksringwulst versehen. Diese Schiffe galten als kampfstark und wendig. Eindrucksvolle Schiffe! Früher, als er das Leben noch als Herausforderung angesehen hatte, war es sein unausgesprochener Traum gewesen, eines Tages zu den Sternen zu fliegen, die Grenzen Shahannahols hinter sich zu lassen und in den unvorstellbaren Weiten der Galaxis die
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Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit Cohrnard schloss die Augen. »Was machen wir?«, hörte er ein Raunen. »Der ist längst verschwunden«, antwortete der andere. »Aber morgen kriegen wir ihn und sein Rüsselvieh.« Hergol Cohrnard hielt sich an dem Nadler fest. Er wusste, was die Kerle von ihm wollten. Irgendwie hatte Namron das Stück Folie erwischt und ihm in die Tasche geschoben – wie so vieles andere auch, was ihm auf den gemeinsamen Spaziergängen vor den Rüssel kam. Und gerade dieser Fetzen hatte Cohrnard auf den Speicherkristall hingewiesen. Er war da auf eine ganz große Sache gestoßen, die seinem Leben eine Wende geben konnte. Aber noch hatte er zu wenig in der Hand. Die Männer waren längst verschwunden, als Cohrnard sich endlich aus dem Schutz des Baumes löste. Unbehelligt erreichte er das Ende des Parks.
Außentasche. Erleichtert registrierte er, dass die Scheibe noch da war, aber im selben Moment entdeckte er die beiden Silhouetten sechzig oder siebzig Schritte hinter sich. Sonst war er um die Zeit allein. Er entsann sich nicht, dass ihm andere Personen aus dem Gleiter gefolgt wären. Sein Pulsschlag raste schon wieder. War der Schatten im Archiv doch keine Einbildung gewesen? Falls jemand im Schutz der Unsichtbarkeit ... Hergol Cohrnard schritt schneller aus. Fast verdrängte Bilder stiegen in ihm auf. Er sah den Unbekannten blutüberströmt zu Boden sinken und den Mörder mit dem Vibratormesser herumfahren. Da war erst ein Ausdruck von Erstaunen, gleich darauf blanker Hass, und dann stieß er zu ... Verwirrt registrierte Cohrnard, dass der Boden unter seinen Füßen weich geworden war. Er hatte instinktiv den Weg verlassen und suchte den Schatten eines knorrigen Baumes. Schritte kamen näher. Kein Zweifel, die Schatten versuchten aufzuholen, ehe er die Siedlung erreichte. Die Gesichter der Männer blieben im Halbdunkel; sie liefen an ihm vorbei, ohne ihn zu bemerken. Aber gleich darauf stoppten sie. »... er kann sich unmöglich in Luft aufgelöst haben«, zischte eine Stimme. »Aber wo ist er? Hörst du ihn noch?« »Er ist stehen geblieben.« »Unsinn.« »Dann ist er in den Park verschwunden. Den finden wir heute nicht wieder.« »Ich habe dir gesagt, dass es besser wäre, Shahjohl-Dah zu überwachen. Was glaubst du, wie viele Leute so ein graues Rüsselvieh spazieren führen?« Das war es also! Hergol Cohrnard reagierte wie elektrisiert. Der eine konnte durchaus der Kerl mit dem Messer sein. Und der andere? Seine Gedanken überschlugen sich. Hatte da nicht jemand gestanden, in der gaffenden Menge ...? »Ich brauche den Kode. Er hat die Folie.« Cohrnards Knie wurden weich. An den Baum gelehnt, zwang er sich, ruhig und gleichmäßig zu atmen. Keine zehn Meter trennten ihn von den beiden, andernfalls hätte er ihr scharfes Flüstern nicht verstanden. Sie brauchten nur näher zu kommen, und diesmal würde ihm kein Schreien helfen; er spürte schon die Klinge erneut in seine Brust eindringen. Seine Hand umklammerte den Nadler. Das war das Einzige, was er vorzuweisen hatte. Vielleicht ließen die Männer sich täuschen. Sie konnten nicht wissen, dass das Magazin leer war. Sie kamen näher. Höchstens noch fünf Schritte.
* Hergol Cohrnard war schweißgebadet und konnte sich selbst nicht mehr riechen, als er endlich sein Haus erreichte. Es schmiegte sich an einen der hohen Wohntürme, die scheinbar wahllos in die Landschaft verstreut aufragten, in Wirklichkeit aber einem komplexen Geflecht geomantischer Beziehungen folgten. Das Haus erinnerte an einen angeschnittenen Kegel, der wie alle anderen individuellen Bauten während des Tags dem Lauf der Sonne folgte. Mit Beginn der Dämmerung war die Außenfront undurchsichtig geworden, nur noch einzelne Segmente gewährten den einseitigen Durchblick von innen nach außen. Hergol Cohrnard war später dran als sonst, der Eingangsbereich hatte sich inzwischen bis zum jenseitigen Ufer des Biotops entfernt und konnte erst in knapp einer Stunde wieder auf normalem Weg betreten werden. Cohrnard wollte indes nicht so lange warten. Mit bebenden Fingern aktivierte er sein Armband. Rückkoppelung ... Er begann ungeduldig zu werden, ertappte sich dabei, dass er immer wieder suchend um sich schaute. Trotz der angenehmen Temperaturen fröstelte er. Endlich die Bestätigung. Ein Signal für die Kostenabbuchung; kein gesondert aufgebauter Zugang ohne Gebühren. Manchmal verfluchte Hergol Cohrnard die Wirtschaft, die erst mit großartigen Versprechungen lockte und hinterher den Shahano für jede Selbstverständlichkeit plünderte.
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Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit Sofern er überhaupt noch Geld besaß. Für die Arbeit, die er leistete, hätte er ein höheres Einkommen verdient. Irgendwann musste er die Hohe Tamrätin Nestara Cherhay darauf ansprechen, und er war überzeugt davon, dass sie sich seinem berechtigten Anliegen nicht verschließen würde. Bislang hatte sich nur noch keine passende Gelegenheit ergeben. Das Geld, das ihm derzeit übrig blieb, reichte gerade noch für den Luxus einer Haushälterin und Namrons Futter. Oft genug wunderte er sich, was ein nur fünfzig Zentimeter großes, stummelbeiniges Monstrum mit kurzem Rüssel und noch kürzerem Schwanz den ganzen Tag über fraß. Ein silbernes Flirren ließ die Antigravbrücke über das Biotop hinweg erkennen. Das Gefühl, durch die Luft zu schreiten, war häufig unerträglich, heute achtete Hergol Cohrnard nicht darauf. Er wollte endlich die Speicherscheibe weiter überprüfen, selbst wenn er die ganze Nacht hindurch arbeiten musste. Vielleicht war das der ganz große Wurf in seinem Leben. Er hatte gewusst, dass eines Tages etwas geschehen würde, was ihn über die Masse hinaushob. Aber noch passten die Teile nicht zusammen. Hergol Cohrnard war begeisterungsfähig und dann auch sehr schnell besessen von dem, was er tat. Er hatte den Tümpel überquert und verscheuchte alle überflüssigen Gedanken. Viel zu schnell hastete er auf den Eingang zu. Die Glasfront teilte sich gerade noch rechtzeitig vor ihm. Der weiche Bodenflor schmiegte sich um seine Füße, nahm Schmutz und Mikroben auf und machte sie unschädlich. Lautes Trompeten hallte durch den Vorraum. Und schon zwängte sich Namron zwischen seine Beine. Um ein Haar hätte Cohrnard das Gleichgewicht verloren, weil er entgegen sonstiger Gewohnheit nicht stehen blieb. »Hör auf damit!«, herrschte er Namron an. »Wir gehen heute nicht spazieren. Heute nicht und morgen auch nicht.« Namron reckte den Rüssel in die Höhe. »Nein!«, schimpfte Cohrnard. »Auch nicht spielen. Ich habe zu tun!« Der nächste Trompetenstoß klang rostig. Cohrnard achtete kaum noch darauf. Unwillig schob er Namron, die durchaus nicht verstehen wollte, was heute anders war, mit dem Fuß zur Seite. Er erreichte den Mittelpunkt des Wohnraums. Der illuminierte Wasserfall war ein Zugeständnis an Claronne gewesen, und bis heute hatte er keine Zeit gefunden, ihn wieder abzubauen. Neben dem
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grässlich plätschernden Becken lag die Liftplatte, gerade groß genug, dass eine Person bequem darauf stehen konnte. »Jetzt nicht!«, herrschte er das Rüsseltier an, das mit nach oben fahren wollte. Namron musste seine krumme Nase in alles hineinstecken und beschwor damit jedes Mal Ärger herauf. Die Plattform stoppte auf Höhe der Galerie. Tief sog Cohrnard den Duft der Blütenpflanzen ein, deren Triebe entlang den Leitdrähten üppig wucherten. Das war seine Erholungslandschaft. Mobiliar und Natur verschmolzen miteinander, und der Ausblick bis zu den fernen Berggipfeln war berauschend. »Was ist los mit dir?« Cohrnard zuckte jäh zusammen. Die Haushälterin stand vor ihm, aber er hatte sie nicht einmal bemerkt. So etwas konnte tödlich sein, falls die beiden Fremden ... »Nichts«, sagte er ausweichend. »Das nehme ich dir nicht ab. Du behandelst die Kleine, als hätte sie die Karobin-Krankheit.« Cohrnard schwieg dazu und ging weiter. »Was ist los mit dir? Hat dich die Tamaron endlich rausgeworfen?« Nur sie durfte sich diesen Tonfall erlauben. Weil er sich gut mit ihr verstand. Andernfalls hätte sie wohl auch nicht die schlecht bezahlte Stelle bei ihm angenommen. Hergol Cohrnard argwöhnte seit geraumer Zeit, dass die Haushälterin mehr wollte als nur seine Wohnung in Ordnung halten. Sie wollte ihn. Allerdings dachte er nicht daran, noch einmal etwas mit einer Frau anzufangen. »Nein«, sagte er betont leise und bemüht, ruhig zu bleiben. »Die Tamaron ist mit meiner Arbeit sehr zufrieden, das nehme ich zumindest an. Ich habe freie Hand.« »Umso weniger Anlass hast du, Namron schlecht zu behandeln.« »Was ich mache und was nicht, geht dich nichts an.« Cohrnard war lauter geworden und schrie die letzten Worte schier hinaus. »Ich will arbeiten und erwarte, dass mich niemand stört. Niemand! Habe ich mich klar genug ausgedrückt?« Das hatte er. Er sah es an der Art, wie seine Haushälterin zurückwich. Ebenso an dem unheilvollen Flackern in ihren Augen. Sie starrte ihn an und erwartete eine Entschuldigung. Aber er dachte nicht daran, sich zu entschuldigen. Wortlos wandte er sich ab und ging in sein Arbeitszimmer. Die Tür schlug hinter ihm zu, er betätigte mit der Fernsteuerung die Verriegelung. Dann dämpfte er die Transparenz der Innenwände auf ein Mittelmaß. Niemand konnte ihn mehr sitzen sehen, doch er wurde einigermaßen gewahr, was sich auf der Wohnebene abspielte.
Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit Unschlüssig justierte er die schwebende Arbeitsplatte aus Naturstein. Aber letztlich stützte er nur die Ellenbogen auf und vergrub das Gesicht in den Handflächen. So saß er, bis vom Eingang her dumpfe Geräusche durchs Haus hallten. Schneller war er nie aufgesprungen. Er blickte nach draußen. Aber niemand war gekommen, um ihn anzugreifen. Nur die Haushälterin ging. Sie schaute nicht einmal zurück. Hergol Cohrnard hatte das untrügliche Gefühl, dass sie ihn für immer verließ. »Gut«, murmelte er im Selbstgespräch. »Ich brauche niemanden. Vielleicht ist es sogar besser so.« Mit zitternden Händen holte er das zweite Nadlermagazin, das er zusammen mit der Waffe erworben hatte, aus einem Schrankfach und setzte es ein. Sprengnadeln mit hoher Brisanz, ausreichend, um sogar den Brustpanzer eines Roboters zu durchschlagen. Das Magazin umfasste zwar nur 25 Geschosse, aber schon das trug dazu bei, dass er sich wieder sicherer fühlte. Cohrnard legte die Waffe in Griffnähe vor sich. Anschließend setzte er den Speicherkristall in sein Lesegerät ein. Längst war er sicher, einem riesigen Geheimnis auf der Spur zu sein. Er spürte es, weil er mit Leib und Seele Archäologe war. Und weil es Zeit wurde, dass alle sein Genie erkannten. Er hatte sich zielstrebig an den Platz emporgearbeitet, an dem er am meisten bewegen konnte. Der eine oder andere Neider behauptete, mit der Trennung von Mirtam hätte sein sozialer Abstieg begonnen, doch er selbst wusste es besser. Nicht umsonst hatte er jahrelang studiert, länger als viele andere. Zuerst hatte er den Abjion, den Meister im Fachgebiet lemurische Sprachen, absolviert. Beeinflusst durch sein Faible für Archäologie. Danach hatte er ein Studium in Geschichte und Politik abgeschlossen. Ebenfalls mit herausragendem Ergebnis. Doch als Dozent an verschiedenen Akademien zu arbeiten war eine unterqualifizierte Beschäftigung gewesen. Die jungen Shahano waren eingebildet und dumm, sie wollten nichts lernen, sondern bestenfalls die Zeit totschlagen, und sie hatten ihn schon deshalb nicht anerkannt. Nach wenigen Monaten hatte er angefangen, das Lehramt zu hassen. Er war ein Mann der Praxis, brauchte Bestätigung, aber keineswegs die tägliche Monotonie gelangweilter Gesichter, denen bestenfalls ein dummes Grinsen zu entlocken war. Er hatte dann noch Verschiedenes versucht, aber erst die Anstellung als Archivar und Historiker
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entsprach seinen Fähigkeiten. Abgesehen vom niedrigen Einkommen, aber das würde sich bald ändern. Bildsequenzen, die er schon kannte, flimmerten über den Schirm. Er verfügte nicht über Holoprojektoren wie im Archiv, nur über einen preisgünstigen 3-D-Schirm, und irgendwie schien ein Schleier über dem Bild zu liegen. Weiter. Jede Nuance konnte wichtig sein. Cohrnard erkannte nicht, welche Hoheitszeichen die Raumschiffe trugen, die den Planeten vernichteten. Vielleicht waren sie bewusst retuschiert worden. Oder – weitaus erregender – Teile des Kristalls waren verschlüsselt. Dann traten solche überlappenden Interferenzen auf, weil einfache Positroniken die feinen Details nicht mehr sauber trennen konnten. Hergol Cohrnard stoppte die Wiedergabe, um tiefer in die Kristallschichten einzudringen, doch ein dumpfes Poltern schreckte ihn auf. Es wiederholte sich, bis er endlich bemerkte, woher es kam. Irgendetwas schlug von der Wohnraumseite aus gegen die Trennwand. Namron, stellte er fest, als er die Scheibe aufhellte. Das Kofentellan-Weibchen rieb die Flanke am Glas und ließ Kopf und Rüssel pendeln. Das dumpfe Geräusch entstand, sobald der Schädel gegen die Scheibe stieß. Dass eine nicht zu unterschätzende Kraft in dieser Bewegung steckte, wusste Cohrnard aus eigener Erfahrung. In dem Moment sah ihn Namron. Der Rüssel fuhr in die Höhe, klatschte gegen die Wand und stieß ein erbärmliches Trompeten aus. Das Herz verkrampfte sich Cohrnard fast, und er war nahe daran, die Verriegelung aufzuheben, doch rechtzeitig besann er sich. Er würde zu keiner weiteren Recherche mehr Zeit haben, sobald Namron erst sein Arbeitszimmer unsicher machte. Das Kofentellan-Weibchen wurde lästig. Auch wenn die Legende berichtete, dass Kofentellans einst auf der Heimatwelt aller Lemurer gelebt hatten, bevor die Bestien die Milchstraße mit ihrem erbarmungslosen Krieg verwüsteten. Jene Tiere, die damals nach Shahana evakuiert worden waren, hatten aus unerfindlichen Gründen im Laufe von Jahrtausenden ihre imposante Größe verloren. Ursprünglich, hieß es, waren sie doppelt mannsgroß gewesen, heute reichten sie einem Shahano gerade noch bis zum Oberschenkel. Hergol Cohrnard riegelte sich erneut optisch ab. Eine Zeit lang polterte Namron noch gegen die Wand, bis sie ihre erfolglosen Versuche aufgab. Hergol war währenddessen zu keiner Arbeit fähig und starrte nur dumpf brütend auf die Wand.
Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit Längst war der Mond Shaga unter den Horizont gesunken. Eine bleierne Müdigkeit hielt den Archivar der Tamaron im Griff. Immer öfter fielen ihm die Augen zu, und schließlich lag er vornübergesunken mit dem Oberkörper halb auf der Arbeitsplatte, den Kopf auf den Armen, und seine gleichmäßigen Atemzüge verrieten, dass er so schnell nicht aufwachen würde. * Schwerer Jagdkreuzer TOSOMA Das Shahan-System Wir waren im Außenbereich des Systems materialisiert und flogen mit halber Lichtgeschwindigkeit tiefer ein. Auf der Panoramagalerie der optischen Außenbeobachtung und Ortungssimulation, die den Eindruck erweckte, nur durch ein Fensterband vom freien Weltraum getrennt zu sein, stand Shagdul IV. Gigantische Wolkenwirbel prägten die Oberfläche des Planeten und verliehen ihr ein selten zu sehendes Spiel von Licht und Schatten, eingefroren in der Ewigkeit der Zeit. Nichts schien sich zu bewegen, nicht einmal die beiden großen Monde, deren Schattenwurf nur auf einzelnen Grenzschichten der Atmosphäre zu sehen war. Entfernung zur Sonne Shagdul im Mittel 525 Millionen Kilometer, resümierte ich. Schwerkraft 2,26 Gravos, Atmosphäre mit giftigen Gasen durchsetzt. Ein Sonnenumlauf dauert 4882,9 Tage zu jeweils elf terranischen Normstunden. Insgesamt drei Monde. Achtung, da ist etwas!, meldete der Extrasinn. »Ortung!«, rief Agir-Ibeth gleichzeitig. »Fremdes Raumschiff! Liegt auf Kollisionskurs!« Ausschnitte der Panoramagalerie veränderten sich. Noch erfasste die Normaloptik nicht mehr als einen winzigen Stern, der sich aus dem Orbit des Riesenplaneten löste, knapp zehn Millionen Kilometer von der TOSOMA entfernt. Die Ortungseinblendungen waren schon weit präziser. Zum Teil veränderten sich die Messdaten gedankenschnell. Ein Walzenraumer näherte sich. Mit 1400 Metern Länge und 350 Metern Durchmesser hatte er eine beachtliche Größe. »Beschleunigung 1800 Kilometer pro Sekundenquadrat!« Jemand lachte und forderte »Agir-Ibeth« auf, nicht schamlos zu übertreiben. In Situationen wie dieser zeigte der Hasproner, dass er auch anders konnte und schon auf seinen ersten kurzen Namensteil reagierte. Er musste eben nur wollen.
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»Ich weiß, das ist ein unglaublicher Wert!«, rief der Ortungschef. »Aber 1800 ist korrekt!« Es gibt nicht viele Raumschiffe, die mit solchen Wahnsinnswerten beschleunigen, kommentierte mein Logiksektor. Ich nickte bitter. Schon die Maßangaben waren ein Schlüsselreiz für mein fotografisches Gedächtnis. Lange lag es zurück, dass Walzenraumer dieser Größe über Terra erschienen waren. Ich sah sie wieder vor mir, mit halbkugeligem Bug, abgeplatteter Heckregion und nachtschwarzer Hülle. Aber das war nur eine Erinnerung. Wieso sollten sie ausgerechnet nach so langer Zeit erscheinen, und dann auch noch in Omega Centauri? Zeit ist relativ und so unbedeutend wie kaum etwas anderes in diesem Universum, behauptete der Extrasinn. »Schiff ändert Kurs, wird uns in 50.000 ... 80.000 Kilometern Abstand passieren. Geschwindigkeit 190.000 Sekundenkilometer, da ... das Schiff ...« Der immer noch winzige Lichtpunkt in der optischen Vergrößerung verschwand. »... es ist fort!«, brachte Agir-Ibeth ungläubig hervor, und seine Stimme klang eine Oktave schriller als sonst. »Eintritt in den Überlichtflug. Nein, keine Transition. Das Schiff ist einfach in den Hyperraum eingetreten, als hätte es einen Metagrav-Vortex geöffnet.« Also doch? Im Bereich des Kugelsternhaufens waren nachweislich nur Transitionen möglich. Selbst hochmoderne galaktische Raumer, die nicht über diese Redundanz verfügten, waren hilflos. Aber wenn Agir-Ibeth behauptete, dass das Walzenschiff nicht transistiert war, musste das nicht nachgeprüft werden. Das war dann gleichbedeutend mit einer extrem hoch entwickelten Technik, mit der die TOSOMA nicht mithalten konnte. »Ich will über jede Schiffsbewegung informiert werden«, wandte ich mich an den Hasproner. »Gib mir alle ermittelten Daten auf den Schirm!« Vieles wiederholte sich. Nur die Endwerte der Messreihen waren als Standbild deutlicher als in der Veränderung. Der Syntron-Großrechner hatte zudem die Optik aufgebessert. Was ich zu sehen bekam, war ein schwarzes Walzenschiff, auf dessen Bug und Heckregion ich schon gar nicht mehr achtete. Mit Beginn der Beschleunigung hatte sich der Raumer in eine abwechselnd blau und rot leuchtende Aureole gehüllt. Ein UFO-Mutterschiff! Es sieht so aus, als hättest du in ein Wespennest gestochen. Schön hast du das formuliert, gab ich in Gedanken zurück. Vor allem richtig altterranisch.
Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit wirkende Männer in blauen Anzügen. Ihre muskulösen Körper und die glatten, leblos wirkenden Gesichter hatten sich verblüffend ähnlich gesehen, wie bei Klonen. Ausgerechnet hier und jetzt auf Helfer der Kosmokraten zu treffen ... Ich konnte mich in hunderterlei Vermutungen ergehen, ohne der Wahrheit auch nur nahe zu kommen. Aber eine Verfolgung des Walzenraumers wäre allemal von vornherein unsinnig gewesen. Sei auf der Hut, alter Arkonide, redete ich mir ein. Etwas anderes bleibt dir nicht übrig. Mir blieb ohnehin nicht die Zeit, in Erinnerungen zu schwelgen. Fünf Kugelraumer befanden sich im Anflug. Es waren Raumer mit äquatorialem Ringwulst. Vier von ihnen durchmaßen 230 Meter, einer sogar beachtliche 600 Meter. »Die Schiffe nehmen Abfangposition ein!«, meldete der Hasproner. »Ihre Waffensysteme und Schutzschirme sind aktiviert. Wir müssen mit einem Angriff rechnen.« »Gibt es wenigstens den Versuch eines Funkkontakts?«, wollte ich wissen. »Nein.«
Unzählige Vermutungen schossen mir durch den Sinn. Vor allem fragte ich mich, ob ich ungewollt den »Hohen Mächten« des Universums in die Quere gekommen war. Aber was sollten Kosmokraten mit dem Diebstahl eines Krish’un zu tun haben? Nichts, absolut nichts, gab ich mir selbst die Antwort. Das war ungefähr so, als würde sich ein Raumfahrer für die abgebrochene Spitze eines Faustkeils interessieren. Ein besserer Vergleich fiel mir nicht ein. Weil du irritiert bist. Es gibt also doch noch Dinge, die einen potenziell unsterblichen Arkoniden aus der Fassung bringen. Ich hätte eine kleine Ewigkeit über Kosmokraten und ihre Helfer reflektieren können. Das begann mit dem ewigen Widerstreit zwischen Kosmokraten und Chaotarchen, wobei der Unterschied zwischen Gut und Böse längst nicht so polarisiert zutage trat, wie es den Anschein hatte. Aber solche Wertungen waren von Menschen gemacht, nicht von den auf der Leiter der kosmischen Entwicklung hoch über ihnen stehenden Wesenheiten. Was kümmerte es den Menschen, wenn er beim Bau eines neuen Raumhafens den Lebensraum von Ameisen zerstörte? Wichtig schienen allein der Fortschritt und der Nutzen daraus zu sein. Die Ameisen würden deshalb nicht aussterben. Und was kümmerte es die Kosmokraten ...? Ich brachte den Gedanken nicht zu Ende, denn er hatte etwas Erschreckendes und zeigte auf fatale Art unsere Hilflosigkeit. Ein Jahr vor Beginn der Neuen Galaktischen Zeitrechnung, also 3587 n. Chr., waren die UFOnauten erstmals über der Erde aufgetaucht. Aber auch in weit entfernten Bereichen des Universums hatten wir sie erlebt, nämlich als Demonteure in den Kosmischen Burgen der Sieben Mächtigen. Walzenraumer wie den eben im Orbit über Shagdul IV beobachteten bezeichneten wir als UFO-Mutterschiff. Die eigentlichen »UFOs«, nicht mehr als Beiboote, waren hochgewölbte Disken mit unterschiedlichem Durchmesser, die sich ebenfalls durch extreme Triebwerksleistungen auszeichneten. Sie waren schnell und wendig, und die äußerlich sichtbaren Emissionen erschöpften sich in der abwechselnd blauen und roten Aura. »Kleine Humanoide« hatten wir die Beauftragten der Kosmokraten genannt, weil sie nur einen Meter groß waren. Oh ja, ich sah sie wieder vor mir; allein schon ihre violette, wie lackiert wirkende Iris hinterließ einen bleibenden Eindruck. In ihrer Begleitung waren humanoide Androiden aufgetreten, metallisch und fremd
4. Erregte Stimmen ... ein unterdrückter Aufschrei ... Hergol Cohrnard hielt nur für einen Augenblick inne. Er konnte nichts erkennen, weil ihm das Buschwerk den Blick verwehrte. Aber es ging ihn ja sowieso nichts an, wenn andere sich stritten. Und was ihn nichts anging, brachte nur Ärger. Ein Schmerzensschrei, gefolgt vom Geräusch eines fallenden Körpers ... Ein grauer Schatten huschte auf die Büsche zu, brach raschelnd durch das Laub. »Namron!«, rief Hergol Cohrnard halblaut. »Komm zurück, Namron!« Aber das Kofentellan-Weibchen reagierte nicht. »He, du Mistvieh«, erklang eine dumpfe Stimme. »Lass das, verdammt!« Namrons schrilles Trompeten brach abrupt ab, wurde zum schmerzvollen Quieken. Was immer geschehen sein mochte, niemand durfte seinem Haustier wehtun. Ein flüchtiger Blick zeigte Cohrnard, dass andere Passanten ebenfalls aufmerksam geworden waren. Er lief los, die Arme schützend vors Gesicht gehoben. Kräftige Äste peitschten heran. Keine zehn Schritte ... Cohrnard schrie auf. Er versuchte, alles gleichzeitig zu erfassen – und bekam doch nur Ausschnitte des Ganzen mit, Mosaikstücke, die sich tief in sein Gedächtnis einbrannten.
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Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit Ein Mann lag verkrümmt im Gras, die Finger ins Erdreich gekrallt, den Kopf in völlig unnatürlicher Haltung abgewinkelt. Entsetzt registrierte Cohrnard die größer werdende Blutlache. Jemand hatte dem Mann die Kehle durchgeschnitten. Sein Blick glitt weiter. Für die Dauer eines Herzschlags starrte er den Kerl an, der nur drei Meter vor ihm stand. Ihre Blicke fraßen sich ineinander, die Eiseskälte in diesen Augen erschreckte Cohrnard. Der Kerl hielt ein Messer in der Rechten. Er hatte nicht nur den am Boden Liegenden umgebracht, er war im Begriff, auch Namron zu ermorden. Mit der Linken hielt er den Rüssel umklammert und zerrte das Kofentellan-Weibchen in die Höhe. »Mörder!«, keuchte Cohrnard. »Elender Verbrecher!« Der andere starrte ihn nur an. Dann schleuderte er Namron zur Seite und warf sich nach vorn. Cohrnard konnte im allerletzten Moment ausweichen. Er kreischte auf, als die Klinge an seinem Gesicht vorbeizuckte. Schon stach der andere erneut zu. Cohrnards Schrei verstummte. Ungläubig spürte er den Schmerz in seiner linken Brust. Sein Herzschlag schien auszusetzen, begann von neuem, stolperte. Warm und klebrig rann es über seine Haut, und die Hand, instinktiv auf die Wunde gepresst, färbte sich rot. Alles war plötzlich so weit weg, hinter einer dichten Nebelwand entrückt. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, in der Cohrnard unzählige Tode starb. Während er der Länge nach ins Gras schlug, sah er seinen Mörder fliehen. Alles um ihn her drehte sich, geriet in immer schnellere Bewegung. War das der Tod? So schnell und überraschend ... Aber er wollte nicht sterben. Ein Meer von Stimmen brandete über ihn hinweg. Viele Shahano kamen bis auf wenige Schritte heran und wichen ebenso schnell wieder zurück. Nur dieses graue, dickhäutige Etwas verschwand nicht wieder. Namron, erfasste Cohrnards schwindender Verstand. Ein abgehacktes Husten quoll über seine Lippen. Endlich keuchte er: »Namron ... hilf ... mir ...« Er schloss die Augen. Der Schmerz wurde erträglicher, nur noch sein Puls raste. Er verstand sogar die Rufe nach dem Sicherheitsdienst. Eine Frau beugte sich über ihn. »Bleiben Sie ruhig liegen. Die Mediker sind alarmiert.« »Ich ... laufe nicht weg«, raunte Cohrnard. Alle gafften ihn an. Aber das wollte er nicht, er konnte es nicht ertragen, dass ihn jeder so hilflos sah.
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Namrons Rüssel streifte über sein Gesicht. Etwas kratzte dabei, und Cohrnard bemerkte, dass das Kofentellan-Weibchen ein Stück Folie festhielt. Dann glitt Namrons Rüssel in seine Tasche. Das war zugleich der Augenblick, in dem Hergol Cohrnard endgültig das Bewusstsein verlor. * Da war eine Gasse, ein Weg zwischen Milliarden Sonnen hindurch ... und am Ende dieses Weges ein verheißungsvolles Funkeln; Feuerräder, die aus dem Nichts heraus entstanden; Galaxien, die langsam auseinander drifteten. Das war der Anbeginn der Zeit – oder auch ihr Ende. Hergol Cohrnard fühlte sich unglaublich leicht und frei, alle Ängste und Sorgen waren von ihm abgefallen. Aber dieser Zustand währte nur kurz; ein durch Mark und Bein gehendes Kreischen schreckte ihn auf. Er fror, hatte Schmerzen und rang nach Atem. Vor allem verstand er nicht, wo er sich befand, nur dass zwei Männer des Sicherheitsdienstes versuchten, Namron von ihm wegzuzerren. Das Kofentellan-Weibchen widersetzte sich trompetend. »Lasst sie ...«, brachte Cohrnard tonlos hervor. »Lasst sie bei mir!« Eine leichte Berührung am Hals. Wohlige Müdigkeit durchflutete ihn. Jemand hatte ihm ein Beruhigungsmittel injiziert, und er brachte nur noch ein unartikuliertes Stammeln hervor. Gleich darauf verließ er zum zweiten Mal die Realität. * Er schwebte im Nichts. Zeitlos und unfähig, über seinen Zustand nachzudenken. So ähnlich musste eine Kreatur empfinden, die sich ihrer eigenen Existenz kaum bewusst war. Das Erwachen kam übergangslos. Über ihm sterile Helligkeit und das von Licht umflossene Gesicht eines Medikers. Zwei kräftige Hände hinderten ihn daran, sich abrupt aufzurichten. »Langsam, Hergol Cohrnard. Der Stich ging nahe am Herzen vorbei und hat eine Rippe abgesplittert. Ansonsten hattest du Glück. Die Wunde wird in wenigen Tagen restlos verheilt sein.« »Ich ...« »Bleib noch eine Weile liegen. Danach kannst du dich anziehen und gehen. Du wirst schon erwartet.« »Namron?« »Auch. Das Kofentellan-Weibchen wird in
Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit unserer Spezialabteilung betreut. Aber der Sicherheitsdienst hat wohl einige Fragen.« Er schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, war der Mediker gegangen. Cohrnard setzte sich auf, kam, noch ein wenig benommen, wieder auf die Beine und raffte seine Kleidung zusammen. In einer Tasche steckte ein Stück Folie. Cohrnard entsann sich dunkel. Namron musste es hineingesteckt haben. Der Fetzen, so groß wie eine Handfläche, war zusammengeknüllt und blutig. Hergol Cohrnard wollte die Folie schon in den Abfallvernichter werfen, als er sich besann und sie glättete. Die eingeprägte Handschrift war keiner der geläufigen Dialekte. Auf Anhieb hätte Cohrnard nicht zu sagen vermocht, welchem Tamanium er die Sätze zuordnen sollte. Seine Augen wurden größer, je länger er las. Die Folie in seiner Hand zitterte. Die Sätze endeten mitten im Verlauf, der andere Teil war offensichtlich abgerissen worden. Aber schon das Wenige, was Cohrnard las, entsetzte ihn. Vorübergehend spielte er mit dem Gedanken, die Notiz den Sicherheitsleuten zu geben, wenn er gleich den Raum verließ. Aber vielleicht war alles, was hier stand, nur ein Scherz. Dann würde er sich bis auf die Knochen blamieren. Und falls nicht, fehlten ihm die Beweise. Dabei musste es ausgerechnet ihm ein Leichtes sein, solche Beweise zu beschaffen. Das Archiv war der richtige Ort dafür. Er versuchte, sich zu erinnern, wie er in den Besitz der Folie gelangt war. Zweifellos hatte der Mann im Park wegen dieser Folie sterben müssen. Sein Mörder hatte sie ihm abgenommen und dabei wohl zerrissen. Im ungünstigsten Moment war er, Hergol Cohrnard, aufgetaucht. Oder auch Namron. Jedenfalls hatte Namron das Stück Folie erwischt. Nein, intelligent war Namron deshalb noch nicht. Sie hatte nicht wissen können, welche Brisanz die wenigen Sätze enthielten. Eine Verschwörung!, durchzuckte es den Archivar. Und nicht nur das. Wenn er den Gedanken weiterspann, sah er den Bestand Shahannahols gefährdet. Er strich die Folie glatt, faltete sie bedächtig zusammen und ließ sie wieder in der Tasche verschwinden. Eine Gelegenheit wie diese bot das Schicksal keinem Shahano ein zweites Mal, er hätte verrückt sein müssen, sie nicht beim Schopf zu packen. Sogar seine Wunde vergaß Hergol Cohrnard. Wenn er es richtig anstellte, würde er seinen längst verdienten Ruf als Genie endlich begründen. Tief atmete er ein, als er sich anschickte, den
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Raum zu verlassen. Nein, dröhnte es unter seiner Schädeldecke, ich weiß nichts. Ich habe keine Ahnung, wer der Tote ist, und seinen Mörder habe ich auch noch nie zuvor gesehen ... * »Nein ...!« Unvermittelt ein Aufschrei, der die nächtliche Stille durchbrach. Danach, aufgeregt, eine schwer verständliche Stimme: »Ich ... ich weiß nichts!« Ein tiefes Seufzen folgte. Schließlich nur noch unregelmäßige Atemzüge. Ein unheimliches Flackern beherrschte den Raum – eine Momentaufnahme vom Untergang einer fernen Welt, deren Leben im Atombrand verging. Für die Ewigkeit konservierte Bilder. Und für alle, die wissen wollten, wozu intelligentes Leben fähig war. Wieder dieses schwere Seufzen ... Über den Bergen vertrieben die ersten Sonnenstrahlen die ohnehin nur unvollkommene Nacht. Jeder neue Morgen auf den Welten Shahannahols war eine Auseinandersetzung naher und weniger naher Sonnen um die Vorherrschaft am Firmament. Es waren die nahezu horizontal einfallenden Strahlen, die Hergol Cohrnard aus seinen Albträumen aufschreckten. »Ihr werdet mich kennen lernen! Ihr alle ... werdet ...« Abrupt richtete er sich auf und schien erst da wirklich zu begreifen, wo er sich befand. »Tarik«, murmelte er. »Die Wahrheit sieht man oft sehr spät.« Nur eine Millitonta nachdem er die Innenwand transparent werden ließ, richtete sich Namron auf. Das Kofentellan-Weibchen hatte vor der Trennwand geschlafen und begann nun erneut, mit Rüssel und Schädel gegen die Scheibe zu schlagen. »Heute nicht.« Cohrnard knirschte mit den Zähnen. »Es gibt Wichtigeres zu tun, verstehst du?« Namron hörte ihn nicht. Cohrnard ignorierte seinen Hunger. Nachdem die Haushälterin gegangen war, hätte er sich selbst das Frühstück richten müssen. Er gestand sich ein, dass er keine Ahnung hatte, wo er die Zutaten suchen sollte. Von neuem vertiefte er sich in den Speicherkristall. Längst hätte er seine Arbeit im Archiv antreten müssen, aber es war ihm gleich. Da er in seinen Entscheidungen weitgehend frei war, würde auch niemand nach ihm fragen. Die Sonne kletterte in den Zenit. Jeder noch so viel versprechende Versuch, das Geheimnis der
Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit die Sicherung nur mithilfe seiner Fingerabdrücke zu überwinden war, und steckte die Waffe ins Schulterholster. Dann verließ er das Arbeitszimmer, wartete ungeduldig darauf, dass die Antigravplatte in die Höhe schwebte, und ließ sich nach unten tragen. Namron war nicht zu sehen. Dafür zog sich eine Spur der Verwüstung durchs Haus. Entwurzelte Zierpflanzen und zerschlagene Skulpturen zeigten deutlich, dass Namron sich zurückgesetzt fühlte. Aus der Küche erklang ein heiseres Trompeten und gleich darauf ein helles Klirren. Wieder war etwas zu Bruch gegangen. Für einen Augenblick war Cohrnard unschlüssig. Doch wenn er jetzt die Küche betrat, würde er Namrons treuherzigem Blick nicht widerstehen können. Trotz Hunger und Durst verließ er das Haus. Draußen blieb er erst einmal stehen, atmete tief durch und versuchte, sich über die nächsten Schritte klar zu werden. Hinter ihm polterte etwas Graues gegen die Tür; er sah es aus den Augenwinkeln, aber er wandte sich nicht um. Die Hände zu Fäusten geballt, die Lippen fest zusammengepresst, ging er davon. Namron würde sich über kurz oder lang beruhigen, und morgen war dann alles vergessen.
Kristallscheibe zu lüften, blieb im Ansatz stecken. Mit Ausnahme der Bildsequenzen waren alle Daten auf eine Weise gesichert, die Hergol Rätsel aufgab. Er fand keinen Anhaltspunkt. Vor allem wuchs sein Ärger darüber, dass sich solche Dinge seinem Zugriff entzogen. Was geschehen war, betrachtete er schlicht als persönliche Herabwürdigung, die er nie und nimmer hinnehmen würde. Namron hatte sich getrollt und von der Antigravplatte ins Erdgeschoss tragen lassen. Cohrnard vernahm ein dumpfes Poltern, auf das lautes Trompeten folgte. Was immer Namron anstellte, es interessierte ihn momentan nicht. Es dauerte lange, bis Hergol Cohrnard begriff, dass sich die Daten erst seit wenigen Jahrzehnten auf dem Kristall befanden und von ihren Urhebern kodiert worden waren. Von jemandem außerhalb des Shah’taman? Deshalb konnte er die Verschlüsselung nicht lösen! Die Bildsequenzen gaben vor, fünfhundert Shahana-Jahre alt zu sein. Cohrnard konnte nicht einmal das widerlegen. Nur behaupteten die Notizen auf der zerrissenen Folie etwas anderes. Ohne diese Folie hätte der Speicherkristall vermutlich noch jahrzehntelang unbeachtet im Archiv der Tamaron gelegen. Ein Mann hatte der Daten wegen schon sterben müssen. Er selbst wäre fast der zweite Tote gewesen – für Cohrnard gab es deshalb keine Zweifel an Echtheit und Brisanz seines »Fundes«. Eine Welt, die angeblich vor fünfhundert Shahana-Jahren vernichtet worden war, und das Bildmaterial dokumentierte dies eindringlich, existierte in Wahrheit noch. Tarik war niemals vernichtet worden, sondern hatte sich im Verborgenen weiterentwickelt. Wenn das stimmte ...! Cohrnard fragte sich, wer den Speicherkristall ins Archiv der Tamaron eingeschleust hatte und warum. Sein Vorgänger? Es hieß, der Mann hätte den Planeten überraschend und ohne ein Ziel zu nennen verlassen. Aber vielleicht war er ebenfalls – Hergol Cohrnard fasste sich an die Kehle und schluckte krampfhaft – umgebracht worden? Er zitterte am ganzen Leib und spielte sogar mit dem Gedanken, den Kristall in den Abfallvernichter zu werfen und alles zu vergessen. Aber er wusste schon zu viel, und die Mörder waren ihm auf der Spur. Zum anderen reizte ihn die Wahrheit, das war er sich selbst schuldig. Cohrnard schob den Speicherkristall in seine Brusttasche und verschloss sie sorgfältig. Sein nächster Griff galt dem Nadler; er überprüfte den Sitz des Magazins, überzeugte sich davon, dass
* Schwerer Jagdkreuzer TOSOMA Kein freundlicher Empfang 27. Februar 1225 NGZ Die Anspannung in der Zentrale war greifbar geworden. Die fünf Kugelraumer passten ihren Kurs und die Geschwindigkeit der TOSOMA an. In einer Distanz von nur noch 500.000 Kilometern flogen sie schräg voraus, als warteten sie nur auf den richtigen Zeitpunkt, auf Kollisionskurs einzuschwenken. Der vierte Planet des Systems fiel allmählich in die Anonymität zurück. Wir flogen ohne Schutzschirm, ganz im Gegensatz zu den Shahano – natürlich gehörten die Ringwulstraumer zur Heimatflotte –, deren Schiffe in ein rotes, gestaffeltes Halbraumfeld gehüllt waren. Die Messungen ergaben eine unseren HÜ-Schirmen vergleichbare Absorptionsleistung, also kein unüberwindbares Hindernis. Wobei ich mich hüten würde, sozusagen mit der Tür ins Haus zu fallen. In gewisser Weise hatten wir das mit unserem Einflug ins System ohnehin schon getan. Ich suchte Kontakte und Informationen, keine Konfrontation.
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Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit »Fünf gegen einen«, hörte ich hinter mir jemanden sagen. »Nicht das beste Verhältnis, auch nicht mit Blick auf die Schiffsgröße. Aber wir haben dennoch beste Chancen, als Sieger aus einem Kampf hervorzugehen.« »Cisoph Tonk«, antwortete ich, ohne mich umzuwenden, »ich habe nicht vor, die TOSOMA in die Schlacht zu führen. Entsprechend verhalten wir uns – und das erwarte ich von jedem. Ist das angekommen?« »Klar und deutlich«, antwortete der Terraner polynesischer Abstammung. Zwölf Millitontas inzwischen ... Erfahrungswerte belegten die ersten drei Zentitontas eines Zusammentreffens als die entscheidende Phase; kam in dieser Zeit ein friedlicher Kontakt zustande, war das Schlimmste ausgestanden. »Funkausgang zu mir!« Ich aktivierte ein Mikrofonfeld. »Sendung auf allen Frequenzen!« »Geschaltet«, bestätigte Agir-Ibeth. Sechzehn Millitontas ... Die Schirmfeldprojektoren waren geflutet und würden die Schutzschirmstaffel in Kürze mit voller Leistung entstehen lassen. Die Scannerdaten zeigten, dass die Gegenseite über Impuls- und Thermokanonen sowie Desintegratoren und Paralysegeschütze verfügte, alles lichtschnelle Waffen, die unserem Syntron ausreichend Reaktionszeit lassen würden. Lediglich die Gegenpol-Kanonen waren unseren Transformgeschützen vergleichbar, allerdings transportierten sie die Sprengkörper nicht unmittelbar ins Ziel, sondern bauten erst ein Empfangsfeld auf, in dem dann die Geschosse bis zu 1000 Gigatonnen Vergleichs-TNT materialisierten. Auch sie ließen uns also genug Reaktionszeit. Gegenpol-Kanonen als Offensivwaffe hatten schon die Lemurer benutzt. »Hier spricht der arkonidische Kreuzer TOSOMA«, begann ich. »Mein Name ist Atlan da Gonozal. Wir kommen in friedlicher Mission. Ich wiederhole: Wir sind in friedlicher Absicht in das Shahan-System eingeflogen.« Nichts. Keine Antwort. Nicht einmal ein Zeichen, dass der Hyperfunkspruch empfangen worden war. Ich blickte zu Agir-Ibeth hinüber, aber der Hasproner entblößte nur sein kräftiges Gebiss. Zwei Zentitontas ... Das Bremsmanöver war eingeleitet, die TOSOMA drang nur noch mit knapp 45.000 Kilometern in der Sekunde tiefer in das System ein. Es ist sinnlos, wollte mir der Extrasinn einreden, als ich erneut das energetische Akustikfeld vor meine Lippen dirigierte. Noch haben sie nicht das Feuer eröffnet, gab ich
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in Gedanken zurück. Aber sie werden es tun ... »Hier spricht die TOSOMA«, begann ich noch einmal. »Wir wollen keine Konfrontation ...« Ein Aufblitzen, so flüchtig wie ein Gedanke. Die Augen waren zu träge, um mehr als diese jähe Helligkeitsschwankung wahrzunehmen. Aber die Ortungsdaten zeigten es deutlich: Ein meterdicker Impulsstrahl hatte die TOSOMA um wenig mehr als vier Kilometer verfehlt. Angesichts der noch vorhandenen Restgeschwindigkeit eine gute Leistung des gegnerischen Feuerleitoffiziers. Unsere Schirmfeldstaffeln hatten sich ebenso schnell aufgebaut und hätten die auftreffende Energie mühelos absorbiert. Der Schuss war nur eine Warnung gewesen, weit genug entfernt, um keine Gefahr zu bedeuten, aber zugleich so nahe, die Entschlossenheit der Verteidiger zu demonstrieren. Zwei Impulssalven folgten. Sie streiften den Schutzschirm der TOSOMA fast, und nahezu gleichzeitig baute sich, noch weit voraus, das Rematerialisationsfeld einer Gegenpol-Kanone auf. Der Glutball der Explosion überschüttete die Zentrale mit düsterem Leuchten, als das Schiff, nur noch mit geringer Restfahrt, hindurchstieß. Augenblicke später hatten wir den relativen Stillstand erreicht. Und die drei Zentitontas waren um. »Ortungschef?«, wandte ich mich an Agir-Ibeth Nir-Adar-Nalo Nilmalla-dah III. Ich hatte mich an seine Marotte gewöhnt und zog es vor, ihn mit seinem Titel anzureden, um irgendwelche Probleme zu vermeiden. Aber manchmal fragte ich mich, ob er sich überhaupt bewusst war, was er allen an Bord zumutete. »Funkempfang!«, meldete er in dem Moment. »Shahano.« Ich nickte knapp, und den Bruchteil einer Millitonta danach baute sich vor mir ein Holo auf. Zwei stechende graue Augen taxierten mich, weil mein Abbild gleichzeitig an Bord der Ringwulstraumer zu sehen war. Die grauen Augen gehörten zu einem ovalen Gesicht mit markant ausgeprägten, leicht schräg stehenden Wangenknochen. Die Nase, scharfrückig und gebogen, erinnerte an einen Vogelschnabel, der schmallippige Mund wirkte verkniffen. Mir blieb genug Zeit, diese Physiognomie zu studieren, denn der Mann schwieg beharrlich. Offensichtlich wartete er darauf, von mir eine Erklärung zu hören. Eine steile Falte erschien über seiner Nasenwurzel. Des millimeterkurzen Haarschnitts hätte es gar nicht mehr bedurft, um meinen ersten spontanen Eindruck zu erhärten: Ich hatte einen Soldaten vor mir, wahrscheinlich
Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit ein hoher Rang. Der Mann wirkte verkniffener, je länger er wartete. Ich legte meine flache Hand an die Brust, eine Geste, die in vielen Epochen Gültigkeit besaß. »Halaton kher lemuu onsa«, sagte ich betont, eine Anrede, die einige Falten mehr auf der Stirn meines Gegenübers erscheinen ließ. Ich hatte die traditionelle lemurische Grußformel benutzt: »Gesegnet sei das Land der Väter.« Aus der unwilligen Ablehnung in seinem Blick war eine gewisse Neugierde geworden, die aber nach wie vor hinter seinem Misstrauen zurückstand. »Ich bin Atlan da Gonozal«, fuhr ich fort. »Die TOSOMA ist ein arkonidisches Schiff. Arkon liegt 39.859 Lichtjahre von Shahan entfernt.« Eine herrische Handbewegung unterbrach mich. »Du behauptest also, aus Apsuhol zu kommen?« Apsuhol war ein rein lemurischer Name. Apsu hatten sie Sol genannt, das Muttergestirn der Erde, und Apsu stand gleichbedeutend für der von Anbeginn an da ist. Eine gewisse Inkonsequenz ließ sich dabei nicht leugnen, denn Sol war gewiss nicht die erste Sonne gewesen, die in der Milchstraße geboren worden war. Es sei denn, die Bezeichnung bezog sich noch auf etwas anderes. Aber dafür hatten wir nie Hinweise erhalten. Und Hol stand für Sterneninsel, also für die Galaxis an sich. »Wie groß ist das Sternenreich Arkon?« Was sollte ich ihm sagen? Die Wahrheit würde er mir angesichts der Abgeschiedenheit in Omega Centauri wohl nicht glauben. »Egal«, fuhr er fort, ohne mir Gelegenheit für eine Antwort zu lassen. »Ich verlange, dass die TOSOMA ihre Schutzschirme abschaltet und für eine Inspektion zur Verfügung steht. Dabei wird es keine Ausnahme und keine verborgenen Räume geben. Ich hoffe, wir verstehen uns richtig.« »Das wäre einfacher, wüsste ich, mit wem ich spreche.« Er starrte mich ungläubig an. »Geschwaderkommandant Fragma Wurkaff«, rasselte er herunter. »Ich unterstehe der Tamaron in gerader Linie.« »Meine Antwort lautet dennoch nein, Geschwaderkommandant«, sagte ich. »Ich bin gern bereit, dich zu einem Stützpunkt zu begleiten und dort Rede und Antwort zu stehen. Aber die technischen Details meines Schiffes werde ich nicht preisgeben. Das würde niemand tun.« »Welches Tamanium von Shahannahol schickt dich, um das Shah’taman auszuspionieren?« »Ich sagte bereits ...«
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»Ach was!« Fragma Wurkaff winkte heftig ab. »Dir bleibt nur die Wahl zwischen der Wahrheit und dem Tod. Ich will die Wahrheit hören und Beweise sehen!« »Beweise ja, aber keine Inspektion meines Schiffes«, widersprach ich. »Andererseits empfange ich dich und einige deiner Offiziere sehr gern an Bord. Missverständnisse lassen sich so schnell aus der Welt schaffen.« »Missverständnisse?«, wiederholte er ungläubig. »Ich gebe dir eine halbe Stunde Zeit, dein Schiff für eine uneingeschränkte Inspektion freizugeben. Andernfalls ziehe ich meine eigenen, für dich wenig angenehmen Schlüsse.« Die Übertragung erlosch. Was mich in meiner Ansicht über gewisse Militärs bestärkte. * Ich wusste, dass der Geschwaderkommandant sich nicht mit einer einfachen Inspektion zufrieden geben würde. Zweifellos hatte ihn das Aussehen des Schiffes zu seiner Forderung veranlasst. Nicht nur, dass der TOSOMA der Ringwulst fehlte, sondern auch die Aggregategräben und die am Schiffsäquator einander gegenüberliegenden MetagravTriebwerke mussten sein Interesse geweckt haben. Und falls die Energieortungen an Bord des Fünferpulks exakte Daten wiedergaben, hatte Fragma Wurkaff einen Grund mehr, die TOSOMA bis in die letzte Abstellkammer hinein zu untersuchen. »Warum eigentlich ...?«, begann January KhemoMassai. »Ja?«, schreckte ich aus meinen Überlegungen auf. »Warum lassen wir keine Abordnung an Bord? Die Shahano würden sehr schnell erkennen, dass wir nicht aus dem Kugelsternhaufen stammen.« »Ihr Denken beschränkt sich auf Shahannahol, alles andere interessiert sie vielleicht, stößt sie aber auch sehr schnell ab. Vergiss nicht, dass sie jahrtausendelang keinen Kontakt mit der Milchstraße hatten. Vielleicht besteht in ihren Köpfen immer noch die Assoziation Milchstraße gleich Bestien.« »Dann hätten wir besser daran getan, uns als Angehörige eines Volkes aus Omega Centauri auszugeben«, wandte Altra Atlan da Orbanaschol ein, mein verehrter Patensohn, der den Zweiten Piloten abgelöst hatte. »Ich glaube nicht«, sagte ich. »Die TOSOMA verrät eine hochstehende Technik und schürt damit Neid und Furcht. Der Geschwaderkommandant sprach nicht umsonst
Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit schon von ausspionieren.« »Demnach bleibt uns nur die Wahl zwischen Beelzebub und dem Teufel«, wandte der Kommandant ein. »Was bitte?«, fragte Agir-Ibeth verwirrt. »Die Wahl zwischen zwei Übeln«, erklärte Altra. »Ohne zu wissen, welches das größere ist.« »Nach Ablauf des Ultimatums wird nichts anders sein«, behauptete Agir-Ibeth. »Eine halbe Tonta verändert nichts.« »Oh doch«, sagte Khemo-Massai. »Ich denke, dass Atlan die verbleibende Zeit nutzen wird, um einige Kostproben unseres Könnens zu geben.« Er wandte sich an mich: »Ist es nicht so?« Ich nickte knapp. »Es ist immer gut, den anderen kennen zu lernen. Unterbreiten wir also ein Friedensangebot.« * Die holografische Wiedergabe des Geschwaderkommandanten starrte mich unverhohlen feindselig an. »Dein Angebot ist inakzeptabel«, sagte er schroff. »Dabei ist mir gleichgültig, was dich zum vermeintlichen Einlenken bewegt. Du wirst weder Shahan noch eine andere Welt unseres Systems anfliegen und dort landen. Erst wenn die Vorbedingungen erfüllt sind: ein Inspektionsteam an Bord deines Schiffes. Dir bleiben noch neunzehn Zeiteinheiten.« Damit unterbrach Fragma Wurkaff die Verbindung. Neunzehn seiner Zeiteinheiten, das entsprach in der Umrechnung knapp vierzehn Standardzentitontas. Unser Psychospiel hatte begonnen. Natürlich wäre es möglich gewesen, den Sperrriegel der fünf Kugelraumer zu durchbrechen. Aber jede Gewaltanwendung hätte unsere Chancen schrumpfen lassen, dass wir noch von irgendwem Informationen erhielten. Khemo-Massai grinste mich an und deutete auf die Ortung. In diesem Moment »materialisierte« dreieinhalb Millionen Kilometer entfernt ein Raumschiff. Die Ortung zeichnete den Kugelraumer mit einigen Unschärfen, aber daran waren schlicht die hyperphysikalischen Besonderheiten des Sternhaufens schuld. Das andere Schiff, das mit Höchstwerten verzögerte, glich der TOSOMA wie ein Ei dem anderen. 150 Meter Durchmesser, kein Ringwulst – allerdings auch keine aktivierten Schutzschirme. Das würde dem Geschwaderkommandant jetzt einiges Kopfzerbrechen bereiten. Fünf gegen zwei, das Verhältnis besserte sich. Und es würde noch ganz anders werden. Zwei weitere Strukturschocks zeigten die Ankunft
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der nächsten Schiffe. Die Endpunkte der Transitionen lagen um einige Millionen Kilometer tiefer im Sonnensystem. »Erhöhter Funkverkehr!«, meldete Agir-Ibeth. »Von den Ortungen ganz zu schweigen; die tasten mit allem, was sie haben.« »Noch zwei?«, fragte Khemo-Massai. Ich zögerte. Der Energieverbrauch der TOSOMA war rapide angestiegen. Aber Massewerte und energetische Signaturen der Schiffe da draußen waren echt. Zumindest für den, der nicht wusste, wonach er zu suchen hatte. »Die größeren«, bestätigte ich. Die TOSOMA und die fünf Schiffe der ShahanHeimatflotte standen nahezu exakt in der Ekliptik des Systems. Die beiden Kugelraumer, die jetzt aus dem Hyperraum fielen, stürzten mehr als vierzig Millionen Kilometer über der Ekliptik zurück, und sie stießen in einer Zangenbewegung auf uns herab. Fünfhundert Meter durchmaß jeder von ihnen – sie basierten auf der Matrix eines Schlachtkreuzers der Träger-/Tender-Klasse. Wurkaffs Geschwader formierte sich neu. Abfangposition. Außerdem empfingen wir einen Hyperfunkspruch, in dem er Verstärkung anforderte. Eine Millitonta danach feuerten seine Schiffe. Unsere Ortungsbilder zeigten in rascher Abfolge entstehende Empfangsfelder der GegenpolKanonen. Die ersten neuen Sonnen wurden aus dem Nichts heraus geboren, blähten sich auf und fielen langsam wieder in sich zusammen. Wie eine Kette aus Feuer und Vernichtung lagen sie exakt im Kurs zweier TOSOMA-Ebenbilder, die nach wie vor ohne Schutzschirme flogen. Für die Shahano musste es ein Schock sein, die Unverwundbarkeit unserer Schiffe zu erkennen. Sie feuerten jetzt im Salventakt, hatten den Betrug also noch nicht erkannt. »Lange halten wir die Virtuellbilder nicht mehr aufrecht«, wandte Cisoph Tonk ein. »Sie verschlingen zu viel Energie.« »Wie lange noch?«, wollte ich wissen. »Maximal zehn Zentitontas.« »Fünf! Danach machen wir dem Spuk ein Ende.« Agir-Ibeth meldete von mehreren Welten schwache Energieechos. »Da heben etliche Schiffe im Alarmstart ab. Und das alles nur wegen ein paar falscher Echos. Peinlich für den Geschwaderkommandanten.« »Ich kann mir vorstellen, dass Wurkaff danach noch weniger gut auf uns zu sprechen sein wird als vorher«, bemerkte der Kommandant. »Solche Lektionen sind lehrreich«, sagte ich. »Bisher haben wir noch keinen Schuss abgegeben, und das wird auch so bleiben.«
Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit »Wir empfangen eine Hyperfunknachricht auf der bisherigen Frequenz«, meldete Agir-Ibeth. »Nur ein Rafferimpuls, keine Bildübertragung.« Den Bruchteil einer Millitonta später hallte Fragma Wurkaffs Stimme durch die Zentrale. Seine Erregung war deutlich herauszuhören. »Die gesetzte Frist ist nahezu abgelaufen!«, rief er. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Khemo-Massai grinste schräg. »Eins muss man dem Shahano lassen: Er hat Rückgrat und gibt nicht klein bei.« »Dann eben anders«, entschied ich. »Im Übrigen teile ich deine Einschätzung. Wir beschleunigen wieder. Kurs auf Shahan!« Die Verteidiger schienen endlich erkannt zu haben, dass sie nur auf Projektionen feuerten. Von einzelnen Explosionen abgesehen, die wohl nur noch den Zweck hatten, Messungen vorzunehmen, stellten sie ihre Breitseiten ein. »Sieben weitere Raumer im Anflug identifiziert«, meldete die Ortung. »Sie fliegen mit mehr als halber Lichtgeschwindigkeit.« Bislang reagierte der Geschwaderkommandant nicht auf die neue Veränderung. Noch während des Gefechts und bevor die TOSOMA wieder beschleunigte, hatten wir die Antiortungsfelder aktiviert. Lediglich fünf Kilometer querab begleitete uns ein mit allen Details projiziertes Virtuellbild. »Ringwulstraumer nehmen ebenfalls Fahrt auf. Sie gleichen ihren Kurs an.« Du unterschätzt diesen Wurkaff, mahnte der Extrasinn. Seine Lernfähigkeit wird nur noch von seiner Sturheit übertroffen. Der neue Funkkontakt kam wenig später zustande. Der Geschwaderkommandant blickte mich aus geröteten Augen an. Mich oder vielmehr den Krish’un, den ich angelegt hatte, um ihm meine Berechtigung zu beweisen. Er kannte den Umhang der Tamräte, das sah ich an seiner Reaktion, aber er ging mit keinem Wort darauf ein. »Du hast deine Entscheidung getroffen, Atlan da Gonozal«, sagte er. »Mit technischen Spielereien kannst du mich nicht beeindrucken.« »Von meinem Schiff wurde bislang kein einziger Schuss abgegeben«, widersprach ich. »Ich wiederhole, dass wir in friedlicher Mission kommen. Außerdem sollte der Krish’un mich als befehlsberechtigt ausweisen. Unsere Völker sind aus den Lemurern hervorgegangen; ich will keinen Bruderkrieg.« »Demnach stimmst du unserer Inspektion nun zu?« »Unter der Voraussetzung ...« »Du verkennst immer noch die Situation.« Das
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Holo erlosch. »Drei weitere Raumschiffe haben uns fast erreicht!«, meldete der Hasproner. »Zwei davon gehören zum 600-Meter-Typ.« »Nach wie vor kein Feuerbefehl! Ich weiß, was ich erreichen will.« Augenblicke später griff der Geschwaderkommandant wieder an. Thermo- und Impulsstrahlen schlugen in den mittlerweile simulierten Schutzschirm der falschen TOSOMA ein. Die Glutbälle heftiger Explosionen säumten den Kurs des Schiffes. Zugleich wurde es schwerer, das Virtuellbild aufrechtzuerhalten. Nur zwei Zentitontas vergingen, bis Fragma Wurkaff den Betrug durchschaute und die TOSOMA trotz ihres Ortungsschutzes aufspürte. Von da an war jede weitere Projektion überflüssig. Wir benötigten die Energie ohnehin für unsere eigenen Schirme. Sechzig Prozent Belastung ... achtzig ... fünfundneunzig ... Ich kam nicht umhin, den Geschwaderkommandanten für die Effizienz zu bewundern, mit der er uns angriff. Seine Raumer feuerten punktgenau, und inmitten der Explosionen, der blassgrünen Desintegratorsalven, der Impuls- und Thermostrahlen detonierten zudem Raumtorpedos. Viele Hunde sind des Hasen Tod, kommentierte der Logiksektor mit einer alten terranischen Weisheit, als die nächsten Ringwulstraumer in den Ortungen erschienen. Die äußere Schirmfeldstaffel brach zusammen. Ich achtete nicht darauf. Ich wartete auf einen Hyperfunkspruch, der nicht eintreffen wollte. 5. Hergol Cohrnard nahm an diesem Nachmittag nicht den kürzesten Weg und ließ seine Umgebung nicht aus den Augen. Seine anfängliche Unruhe legte sich, als er endlich sicher sein konnte, dass ihm niemand folgte. Kaum eine Wolke trübte den Himmel, und nur ein leichter Westwind trug die Gerüche des Raumhafens heran. Umso überraschter war Cohrnard, als ein fernes Rumoren anschwoll und sich zum dumpfen Gewitter auswuchs. Die Augen zusammengekniffen und mit beiden Händen gegen die Sonne abgeschirmt, entdeckte er endlich den fallenden »Stern«, der eine länger werdende Leuchtspur durch die Atmosphäre zog. Das Raumschiff schien über der Polarregion in die Lufthülle eingedrungen zu sein, und das Dröhnen seiner Triebwerke war deutlich zu
Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit blätterte er gar nicht erst durch, sondern tippte auf zwei Positionen der Titelseite. Beide Gerichte wurden noch einmal aufgelistet. Gewicht, Wartedauer, Nährstoffgehalt nach Zubereitung. Keineswegs alle Positionen entsprachen der erforderlichen Tagesdosis; Cohrnard orderte deshalb eine Beimischung von Vitaminen und Spurenelementen. Als er eher unbewusst unter die Jacke griff und die Finger um den Nadler schloss, hob sein Gegenüber den Kopf. Cohrnard wich dem fragenden Blick aus. Es mochte Zufall sein, dass er ausgerechnet nach Westen schaute, Richtung Raumhafen. Der Alte legte die Stirn in Falten. »Du weißt es also schon?« Cohrnard zuckte mit den Schultern. »Das mit den Fremden«, fügte der Mann bedeutungsvoll hinzu. Hergol Cohrnard blickte ihn forschend an. »Ich verstehe nicht. Welche Fremden?« Seine Hand lag schwer auf dem Nadler. »Sie sind erst vor einer Viertelstunde gelandet.« »Du sprichst von den fünf Raumschiffen ...?« »Sechs. Aber nur fünf davon waren unsere Kreuzer.« Cohrnard wurde abgelenkt, weil ein Roboter das Essen servierte. Hastig trank der Archivar den in einem Röhrenglas schwimmenden Fruchtsaft. »Die Kommentare sind spärlich«, schimpfte der Alte. »Obwohl das Geschehen von eminenter Bedeutung ist.« »Das Schiff stammt aus einem bislang unbekannten Tamanium?«, vermutete Cohrnard mit vollem Mund. Er erwartete, den Namen Baylamor zu hören. »Offenbar aus einem sehr großen Tamanium.« »Wo in Shahannahol ...?« »Apsuhol!«, brachte der Alte gewichtig hervor. »Apsu...«, Hergol Cohrnard verschluckte sich fast, »... hol?« Ihm war die Bedeutung des Begriffs geläufig, aber er fragte sich, ob der Alte ebenfalls Bescheid wusste oder den Namen nur so dahinsagte. Apsuhol war das Große Tamanium der Lemurer, die vom Bestienkrieg verwüstete Sterneninsel. Falls wirklich ein Raumschiff von dort gekommen war, stellte das jedes andere Ereignis in den Schatten. »Zeigst du mir die Bilder?«, drängte er. Der Alte griff in den Holowürfel hinein, und dann konnte auch Cohrnard die Projektion erkennen. Nur den Kommentar hörte er nicht. Aber das war ihm egal, denn die Aufnahmen sprachen für sich. Das Erste, was Cohrnard sah, waren die Schweren Kreuzer mit den Hoheitszeichen des Shah’taman.
vernehmen. Zu laut, entschied Cohrnard. Das war entweder eines der beiden eintausend Meter durchmessenden Schlachtschiffe, über die die Flotte des Shah’taman verfügte, oder mehrere Kreuzer flogen in enger Formation. Kampfschiffe erschienen nicht oft über dem Raumhafen von Shahjohl, deshalb folgte Cohrnard dem größer werdenden Lichtpunkt mit den Augen. Tatsächlich teilte sich dieser noch vor dem Landeanflug. Fünf oder sechs Raumschiffe waren es – so genau ließ sich das auf die große Entfernung nicht erkennen. Hergol fragte sich, ob die Demonstration shahanoischer Militärpräsenz mit den vermuteten Agenten von Tarik zusammenhing. Das Tamanium Baylamor verbanden wenige Shahano mit einer konkreten Vorstellung. Und noch weniger wussten, wie der Name des benachbarten Tamaniums einst gelautet hatte: Tarik’taman, Reich von Taman. Die Raumschiffe landeten. Knapp fünf Minuten lang waren sie als grelle Lichtpunkte zu sehen gewesen. Noch einmal schaute Cohrnard sich nach allen Seiten um, dann steuerte er auf das nächstgelegene Schweberestaurant zu. Die Lichtkaskaden des Eingangsbereichs wirkten dämpfend auf das Nervensystem. Hergol Cohrnard verweilte etwas länger als nötig inmitten des flirrenden Vorhangs. Der behagliche Eindruck, seine Sorgen wie eine alte, vertrocknete Haut abzustreifen, machte diese Restaurants so erfolgreich. Ausgelöst wurde der Effekt durch eine schwache mentale Beeinflussung. Cohrnard fragte sich, wie eines Tages die Weiterentwicklung aussehen würde. Shahano am Draht, wie Puppen ferngelenkt? Aber das war dann nicht mehr seine Welt – es sein denn, er gehörte zu jenen, die am anderen Ende des Drahtes zogen. Warum eigentlich nicht? Ein Lächeln umfloss seine Mundwinkel. Trotz der vorgerückten Stunde waren nahezu alle Plätze belegt. Hergol Cohrnard fand noch einen freien Stuhl hoch über der Passage; unter ihm wälzte sich der Mob durch das bunte Angebot der Zerstreuungsmöglichkeiten. Der alte Mann ihm gegenüber nickte knapp und vertiefte sich wieder in die Nachrichten eines Holowürfels. Cohrnard stand der Sinn wenig nach Unterhaltung. Er setzte sich so, dass eine Mauer hinter ihm vor unliebsamen Überraschungen schützte und er kaum gesehen werden konnte, während er selbst nahezu alles im Blick behielt. Den in der Tischplatte eingespiegelten Menüplan
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Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit Sie eskortierten einen weiteren Kugelraumer. Ihm fiel das Fehlen eines Ringwulstes an dem fremden Schiff auf. Es ließ sich keinem der bekannten Tamanien zuordnen, sofern es sich nicht um eine geheime Neuentwicklung handelte. Das Schiff war kleiner als die anderen und durchmaß nach Cohrnards Schätzung ungefähr 150 Meter. Dennoch glaubte er zu spüren, dass es vor Kraft strotzte. Der rötlich blaue Rumpf hatte etwas Exotisches, die ausgeprägte Hüllenstruktur sprach für eine hoch stehende Werfttechnik. Ohne sichtbare Emissionen schwebte das fremde Schiff zwischen den Schweren Kreuzern in die Tiefe. Die Perspektive wechselte. Kameras in Bodenhöhe verfolgten das Landemanöver. Erst jetzt registrierte Cohrnard, dass die Kreuzer ihre Waffensysteme aktiviert hatten. Gemeinsam projizierten sie ein Energiefeld, das den Landebereich gegen äußere Einflüsse abschirmte. Hergol Cohrnard glaubte nicht, dass die Fremden sich davon beeindrucken ließen. Ihr Schiff besaß keine hydraulischen Landebeine. Nur wenige Meter über dem Boden schwebte es auf einer Art energetischem Prallfeld. Cohrnard hatte sein Essen kalt werden lassen. Während er angespannt darauf wartete, dass sich eine Schleuse öffnete, schlang er alles in sich hinein. Er glaubte nicht, dass mit diesem Schiff Bestien gelandet waren. Bestiennachfahren, berichtigte er sich in Gedanken. Schließlich waren seit dem Großen Krieg rund 39.500 ShahanaJahre vergangen. Trotzdem wäre ein Schiff der Bestien sofort angegriffen worden. Das bedeutete, an Bord befanden sich Lemurer – aus der Galaxis. »Wir stehen an der Wende eines neuen Zeitalters«, sagte der Alte. »Wie? Ja, natürlich.« Cohrnard hatte dem Mann gar nicht mehr zugehört. Nach wie vor lag ihm wenig an Konversation. Vielleicht stimmte sogar, was sein Gegenüber von sich gab – im Guten wie im Schlechten. Cohrnard zahlte mit seinem Fingerabdruck, erhob sich und ging. Auf einmal glaubte er zu wissen, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb, Licht in das Dunkel um Tarik zu bringen. * Niemand war ihm gefolgt. Hergol Cohrnard hatte jedoch den Eindruck, allenthalben eine unterschwellige Nervosität zu spüren, die mit der Landung des fremden Kugelraumers zusammenhing. Schon das Äußere des Schiffes leistete einer Vielzahl von Spekulationen Vorschub.
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Es gab verschärfte Kontrollen im Bereich des Palasts. Cohrnard wurde mehrmals angehalten und musste sich ausweisen. Nur auf seine Waffe achtete niemand. Er sah das als Indiz dafür, dass die Fremden den Shahano ähnelten und die Tamaron weniger ihre technischen Möglichkeiten als eine unbemerkte Infiltration fürchtete. Hatte Baylamor die Finger im Spiel? Waren die angeblichen Lemurer aus Apsuhol nur Mittel zum Zweck für eine Machtergreifung durch das benachbarte Tamanium? Cohrnard ahnte, dass er in den normalen Bereichen des Archivs kaum fündig werden konnte. Um an wirklich brisante Dokumente zu gelangen, musste er in den gesperrten Sicherheitstrakt eindringen. Aber dort hatten Einzelpersonen nicht mehr Zutritt, nur noch Gruppen von mindestens drei Archivaren. Bis vor wenigen Jahren war das anders gewesen, aber seit das Fehlen wichtiger Dokumente bemerkt worden war, gab es diese Vorschriften. Dass Hergol Cohrnard nie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen war, betrachtete er jetzt als Bonus, der ihm eine Übertretung erlaubte. Zumal er hoffte, anschließend Beweise vorlegen zu können. Cohrnard, der Held, dem es gelungen war, das Shah’taman vor dem Zugriff seiner Feinde zu bewahren. Still lächelte er in sich hinein. Er hatte sein Leben lang auf eine solche Chance gewartet. Cohrnard fand in seinem Archiv alles so vor, wie er es am vergangenen Abend verlassen hatte. Sogar die abgebrochenen Betäubungsnadeln steckten noch in der Säule. Für jemanden, der nichts davon wusste, waren sie schwer zu entdecken. Er fragte sich, ob der Schatten wirklich da gewesen war, und wenn ja, wonach er gesucht hatte. Eigentlich gab es nur eine plausible Antwort darauf: den Kristallspeicher, den er selbst mit nach Hause genommen hatte. Oder redete er sich das alles nur ein? Eines war Cohrnard erschreckend klar: Falls er wieder zur Waffe griff, würden die Explosivnadeln innerhalb des Archivs schwere Schäden verursachen. Die Verriegelung des Sicherheitstrakts reagierte ausschließlich auf Kodekarten. Er selbst besaß eine. Entweder musste er zwei weitere Personen einweihen und sich ihrer Neugierde oder ihrem Spott aussetzen, auf jeden Fall aber der Gefahr, den späteren Ruhm mit ihnen teilen zu müssen, oder er beschaffte sich zwei Karten auf andere Weise. Meruti Jamahn, der als Archivaufbereiter in der Hierarchie eine Stufe unter ihm stand, verfügte ebenfalls über eine Karte. Jamahns Tätigkeit
Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit bekommen. »Dann sollten wir gemeinsam zum Sicherheitsdienst gehen.« Jamahn grinste schräg. »Oder behagt dir das nicht, Hergol? Das hätte ohnehin dein erster Weg sein müssen.« Er wusste nicht, was er tat. Genau diese Erkenntnis durchzuckte Cohrnard, als seine Hand zur Waffe fuhr. Noch hätte er eine Eskalation vermeiden können – aber er wollte es nicht. Zu tief war er schon in seinem Geflecht aus Hoffnung, Neugierde und Furcht gefangen. »Ein lautes Wort, und du bist tot!« Der andere starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an. Dann erst wurde er bleich. »Steh auf!«, herrschte Cohrnard ihn an. »Beweg dich schon!« »Was hast du vor?« Jamahn versuchte, Zeit zu gewinnen. »Du willst meine Kodekarte? Für den Zugang zum Sicherheitstrakt.« Zögernd folgte er dem Wink mit der Waffe und schritt quer durch den Raum zu der schmalen Seitentür hinüber. »Hat das mit den Fremden aus Apsuhol zu tun?« Hergol Cohrnard blieb die Antwort schuldig. Er kannte sie selbst nicht. Die Tür führte in einen kleinen Vorratsraum, der keinen weiteren Zugang besaß. Wer da drinnen eingesperrt war, konnte sich ohne Hilfe von außen nicht mehr befreien. »Dein Armband!«, forderte Cohrnard. Jamahn gab ihm das kombinierte Sende- und Empfangsgerät. Augenblicke später schlug die Tür zu; Cohrnard sicherte das Schloss. Jamahn konnte höchstens versuchen, mit Rufen auf sich aufmerksam zu machen, doch zu der Stunde hielt sich niemand mehr in der Nähe auf, der ihn hätte hören können. Die Kodekarte lag nicht an ihrem Platz. Cohrnard begriff, dass er wirklich verrückt sein musste. Aber er konnte nicht mehr zurück. Es war wie so oft in seinem Leben: Die Situation hatte sich verselbständigt. Er musste sich treiben lassen und darauf vertrauen, dass er das Richtige tat. Er durchwühlte Jamahns halben Arbeitsplatz, bis er endlich die Karte fand. Eine brauchte er noch für den Zugang zum Sicherheitstrakt.
umfasste die Registrierung aktueller Geschehnisse. Früher, überlegte Cohrnard, waren Daten entweder chronologisch oder nach Sachgebieten archiviert und vieles erst nachträglich integriert worden. Die Quervernetzungen von heute degradierten den Beruf des Archivars zur Bedeutungslosigkeit. Eines Tages würde der Reiz fehlen, der mit der Suche nach wichtigen Daten verbunden war. Meruti Jamahn schaute überrascht auf, als Cohrnard bei ihm erschien. Ihre Kontakte beschränkten sich im Allgemeinen nur auf kurzen Datenaustausch. Jamahns fragender Blick war schwerlich zu übersehen. »Mich interessiert das fremde Raumschiff«, begann Cohrnard ohne Umschweife. »Darüber weiß ich bislang sehr wenig«, sagte Jamahn. »Dann sind die Nachrichtensender besser informiert als du.« Cohrnard grinste schräg. »Stammt es wirklich aus der Galaxis?« »Das ist die offizielle Version.« »Und inoffiziell?« »Die Tamaron und ihre engsten Vertrauten beraten derzeit. Mit ist nur bekannt, dass von einem Fremden namens Atlan eine enorme Datenfülle übermittelt wurde.« Natürlich wusste Cohrnard, wo die Kodekarten während der Anwesenheit des jeweiligen Berechtigten aufbewahrt wurden. Doch er wartete vergeblich darauf, dass Jamahn seinen Platz oder gar den Raum verließ. »Ist noch etwas?«, fragte der Archivaufbereiter nach einer Weile. Die Zeit drängte. Cohrnard spürte eine aggressiver werdende Ungeduld. Er hatte Namron allein zurückgelassen; das Kofentellan-Weibchen war es nicht gewohnt, ohne den täglichen Spaziergang und vor allem ohne Ansprache auszukommen. Die Haushälterin würde eine Zeit lang schmollen und erst morgen oder übermorgen zurückkommen. »Ich brauche deine Kodekarte!«, hörte Cohrnard sich sagen. Jamahn blickte ihn ungläubig an. »Ausgeschlossen! Die Vorschriften ...« »Die Vorschriften kümmern mich einen feuchten Dreck«, platzte Cohrnard ärgerlich heraus. »Ich bin da einer Sache auf der Spur ...« Er biss sich auf die Zunge, weil er beinahe schon zu viel gesagt hatte. »Lass hören!« Es war verrückt. Cohrnard wusste selbst nicht, weshalb ihm die Sätze überhaupt herausgerutscht waren. Ausgerechnet Jamahn gegenüber, der alles dafür tun würde, einen besser bezahlten Posten zu
* Schwerer Jagdkreuzer TOSOMA Strategischer Erfolg Erneut tobten die Aufrissfronten zum Hyperraum um das Schiff. Die zweite Schutzschirmstaffel geriet nach nicht einmal sechs Zentitontas
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Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit Dauerfeuer ins Wanken. »Belastungsanzeige übersteigt den kritischen Punkt bei 120 Prozent!«, meldete Cisoph Tonk, der Polynesier am Waffenpult. Der Geschwaderkommandant schien es sich in der Tat zur Aufgabe gemacht zu haben, den arkonidischen Kreuzer aus dem All zu blasen. In den Gesichtern der Zentralecrew stand ein Hauch von Besorgnis. An eine Transition war unter den gegebenen Umständen nicht zu denken. Und das Feuer zu erwidern – nein, die Shahano waren nicht unsere Gegner. Sie reagierten lediglich übernervös. Dass sie uns für Spione eines benachbarten Tamaniums hielten, zeigte auf, wie unsicher die Zeiten selbst in Omega Centauri waren. Zwei Beiboote näherten sich. Sie waren diskusförmig, eine Art Space-Jet, jede knapp zwanzig Meter durchmessend. Und sie lagen eindeutig auf Kollisionskurs. Unser Ausweichmanöver war zu knapp bemessen. Dann – ein gefilterter Lichtblitz. Gleich darauf die zweite Explosion. Vibrationsalarm! Immer noch sah ich den grellen Blitz vor mir, der nur langsam wich. Die Gegner hatten zwei Beiboote voll Energie gepumpt und in unseren Schutzschirm stürzen lassen. Diese zusätzliche Zerstörungskraft hatte ausgereicht, auch die zweite Staffel zusammenbrechen zu lassen. Der Erfolg würde Fragma Wurkaff zweifellos anspornen, dieses Vorgehen zu wiederholen. Gib endlich den Feuerbefehl! Ich schwieg, denn nur ein einziges von uns abgeschossenes Schiff der Shahano machte die Aufnahme von Beziehungen endgültig unmöglich. Inzwischen glaubte ich selbst nicht mehr daran, dass sich meine Erwartungen noch erfüllten. »Funkspruch!«, ertönte die meckernde Stimme des Hasproners. Also doch! Ich hatte mich nicht getäuscht. Von Störungen überlagert, stabilisierte sich das holografische Abbild einer Frau. Spontan schätzte ich sie auf etwa sechzig Jahre. Sie war schlank und wirkte sportlich trainiert, und noch ehe sie zu sprechen begann, hatte ich schon den Eindruck, einer sehr sachlich denkenden Person gegenüberzustehen. »Du nennst dich Atlan da Gonozal, und du trägst einen Krish’un der Tamräte«, sagte sie mit klarer, energischer Stimme. »Ich bin Tamaron Nestara Cherhay.« Beiläufig registrierte ich, dass die TOSOMA nicht mehr unter gegnerischem Beschuss lag. Demnach hatte die Tamrätin die Eskalation gestoppt und
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den Befehl zum Einstellen des Feuers gegeben. »Was willst du? Vor allem: Ist es wahr, dass dein Schiff aus Apsuhol kommt?« »Es ist wahr. Ich bin hier, weil ich Informationen benötige und einer vagen Spur folge. Aber beides sollten wir nicht über Hyperkom besprechen.« Sie nickte knapp. »Nach wie vor besteht Landeverbot für die TOSOMA. Ich verlange Beweise, die mich überzeugen. Bist du in der Lage, solche Beweise vorzulegen?« »Natürlich.« »Gut. Ich lasse dir Zeit, alles Material zusammenzustellen und zu übermitteln. Allerdings erwarte ich, dass dein Schiff stoppt und keine weiteren Manöver unternimmt. Geschwaderkommandant Wurkaff hat genaue Anweisungen erhalten. Die TOSOMA ist nicht unbesiegbar; gib uns also keinen Grund zum Misstrauen.« »Ich denke, Tamaron, wir werden uns bald in Freundschaft gegenüberstehen.« »Das hängt nicht von den Shahano ab.« Ihr Abbild verblasste. * Trotz Syntronunterstützung benötigten wir zwanzig Zentitontas, um alle relevanten Daten zusammenzustellen. Jedes Zuviel an Informationen würde die Tamrätin nur verwirren und vor allem neue Fragen aufwerfen. Andererseits durfte nichts fehlen, was die galaktische Geschichte in den vergangenen fünfzig Jahrtausenden geprägt hatte. Vor allem musste aus dem Bericht unzweifelhaft hervorgehen, dass die TOSOMA aus der Milchstraße stammte und eine noch unbekannte Macht von Omega Centauri aus ihre Hände nach unserer Heimat ausstreckte. Die Gefahr, die sich abzeichnete, war auch eine Bedrohung für das Shah’taman. Ich begann mit dem Überfall auf das EpetranArchiv und führte Epetrans Datei an. Aus unbekannten Quellen hatte er in Erfahrung gebracht, dass vor Jahrzehntausenden Mitglieder des Großen Alten Volkes, wie er sagte, im Kugelsternhaufen Braangon siedelten. Nicht unerwähnt ließ ich dabei die »bemerkenswerte Leuchtfeuerkonstellation« im Zentrum des Sternhaufens ebenso wie das Pyramidenfünfeck auf dem Randplaneten Shamakh. Überhaupt nahmen die Geschehnisse auf Shamakh einen größeren Rahmen ein. Der Übergang zu Informationen über das Große Tamanium der Lemurer war hier geradezu prädestiniert. Die Flucht der Lemurer vor den Bestien durch die Sonnentransmitter nach
Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit Andromeda, der Rückfall des Planeten Erde in die Bedeutungslosigkeit ... dann die aus den Resten der versprengten Lemurer hervorgegangenen Völker, die heute noch Geschichte schrieben: Akonen, Arkoniden, Aras, Springer. Zuletzt die Terraner, die ihre Heimat, das alte Lemur, wieder zu einem bedeutenden Sternenreich gemacht hatten. Von den Nachfahren der Bestien von einst, den heutigen friedliebenden Halutern, sprach ich lieber nicht. Tiefe Wunden verheilten nur langsam und brachen mitunter sehr schnell wieder auf. Das Ganze durfte nicht den Beigeschmack einer Fälschung bekommen. Deshalb ergänzte ich die Informationen um astronomische und astrophysikalische Nachweise. Auch hier hatten die Shahano keine Möglichkeit, den Wahrheitsgehalt spontan nachzuprüfen. Ich zielte in erster Linie auf die dem Menschen angeborene Neugierde. Die Tamrätin würde erheblich mehr erfahren wollen, Details von Geschehnissen, die nur am Rande erwähnt wurden. Weiter greifende Kenntnisse über das Schicksal der Lemurer besaßen vor allem die Terraner. Nicht zuletzt mehrere Zeitreisemissionen tief in die Vergangenheit hatten dazu beigetragen. Eine knappe Empfangsbestätigung der Tamaron traf ein, verbunden mit dem Versprechen – oder der Androhung? – einer umfassenden Analyse, dann begann für uns das Warten. Mittlerweile standen vierzehn Raumschiffe der Shahano in Schussweite. Die Energiescans zeigten, dass sie innerhalb weniger Augenblicke mit allen Waffensystemen losschlagen konnten. Im Vergleich dazu wirkte die TOSOMA eher wie ein Wrack. Keine aktivierten Schutzschirme, die Waffensysteme nicht versorgt, nicht die Spur von Triebwerksemissionen. Mit einer Restfahrt von nur noch wenigen hundert Metern in der Sekunde driftete das Schiff zwischen den Umlaufbahnen der Planeten III und IV Shahan entgegen. Nicht einmal unsere Ortungen griffen in dieser Zeit weit in den Raum hinaus. Mit einer schnellen Entscheidung der Tamrätin hatte niemand gerechnet. Dafür war das gelieferte Material zu umfangreich. Aber allmählich breitete sich Ungeduld aus. Sechs Tontas ... Die Piloten wechselten erneut. Der Kommandant nahm kurz darauf, nach einer ausgedehnten Ruhepause, seinen Platz wieder ein. Mir machte es wenig aus, auf Schlaf zu verzichten. Zweimal hatte ich in der Zwischenzeit in der Zentrale für jeweils eine halbe Tonta die Augen geschlossen, das restliche Schlafbedürfnis kompensierte der Zellaktivator. Li hatte ihre vorübergehende
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Niedergeschlagenheit längst überwunden und war wieder die faszinierende Frau, als die ich sie kennen gelernt hatte. Ein Geheimnis umgab sie, das glaubte ich deutlicher zu spüren als zuvor. Aber vielleicht redete ich mir das auch nur ein. Sie vereinte alles, was ich an einer Frau schätzte: Sie war intelligent und schön, konnte ihre Hände ebenso perfekt als Waffe benutzen wie einen Syntron, und ihre Sinnlichkeit war fordernd und hingebungsvoll zugleich. Vor allem war sie sich ihres Frauseins bewusst. Vierzehn Tontas vergingen, bis die Tamrätin ihr Schweigen beendete. »Die Beweise sind überzeugend, aber sie werfen zugleich neue Fragen auf. Es ist faszinierend, wie sich das Leben außerhalb von Shahannahol weiterentwickelt hat. Geschwaderkommandant Wurkaff wird die TOSOMA nach Shahana eskortieren und nach der Landung die Bewachung fortsetzen. Ich erteile hiermit die Landeerlaubnis.« »Und jetzt?«, fragte Khemo-Massai, als die Hyperkomverbindung erlosch. »Ich gehe davon aus, dass die Tamaron eine Abordnung empfangen wird«, sagte ich. Li schürzte die Lippen. »Nestara Cherhay ist noch nicht überzeugt.« »Das ist richtig ...« Warum musste ich Narr ausgerechnet jetzt wieder daran denken, dass Li und ausgerechnet mein Patensohn Altra Atlan auf Othmura miteinander geschlafen hatten? Was Li mit ihm angestellt hatte, stand mir noch deutlich vor Augen. Ein fotografisches Gedächtnis konnte auch ein Fluch sein. Dabei war das alles eigentlich unbedeutend. Ich war selbst kein unbeschriebenes Blatt, und Li hatte mir gegenüber nicht die geringste Verpflichtung. Ich schaute Li da Zoltral in die Augen und glaubte ein fernes, geheimnisvolles Funkeln wahrzunehmen. »... aber Nestara Cherhay hat den Köder geschluckt«, vollendete ich meinen Satz. »Sie will mehr in Erfahrung bringen.« 6. Grelles Licht erfüllte den Korridor. Hergol Cohrnard fröstelte beim Anblick der Stahlwände und der aus verborgenen Quellen stammenden durchdringenden Helligkeit. Die Kälte und Unpersönlichkeit passten zu den hier aufbewahrten Daten, aber er liebte diese Umgebung nicht gerade. Seine Schritte erzeugten kaum ein Echo. Cohrnard zögerte vor dem dunklen Flirren der Strahlensperre. Dann drückte er entschlossen die
Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit erste seiner Karten in die Lesevertiefung. Die dritte Kodekarte war eine Fälschung; er konnte nur hoffen, dass sie ihm gelungen war. Es handelte sich lediglich um eine Passierkarte für den unterirdischen Übergang in den Palastbereich, die er mithilfe seiner Positronik modifiziert hatte. Außer Meruti Jamahn hatte sich niemand mehr im Archiv aufgehalten. Im Nachhinein dankte Cohrnard seiner Tochter Claronne für ihren ausgeprägten Hang zur Positronik-Manipulation. Bei ihr hatte er sich Tricks abgeschaut, die nur wenige hundert Spezialisten beherrschten. Nicht umsonst gehörte Claronne trotz ihres jugendlichen Alters zu den von Industrie und Verwaltung begehrten Shahano. Für sie hatte sich schon der Traum erfüllt, dem er, Hergol, noch nachjagte. Er zögerte, bevor er die dritte Karte einfügte. Jeden Moment glaubte er, eine zweite Energiebarriere aufflammen zu sehen, die ihn zum Gefangenen im Stahlgang machte. Doch nichts geschah. Natürlich wurden die Namen der Besucher gespeichert. Aber das interessierte Cohrnard wenig. Bis der nächste Abgleich erfolgte, hatte er längst nichts mehr zu verlieren. Kurz darauf betrat er das »Allerheiligste« des Archivs. Es lag subplanetarisch, umgeben von dickem Stahl mit eingelagerten AerogelSchichten. Nicht einmal der Absturz eines Raumschiffs über dem Gebäude hätte den teils uralten Dokumenten gefährlich werden können. Obwohl er gewusst hatte, was ihn erwartete, geriet Hergol Cohrnard ins Schwitzen. Was hier lagerte und darauf wartete, eines Tages erfasst, bewertet und konserviert zu werden, reichte für etliche Menschenleben. Cohrnard lachte heiser. Er hatte sich zu viel zugemutet, diese Datenfülle war nicht zu beherrschen. Er hatte eine Nacht und bestenfalls noch einen halben Tag, dann würde sein unbefugtes Eindringen auffallen. Warum fing er nicht einfach an? Sein Lachen verstummte. Scheu schritt er an dem eingelagerten Material vorbei. Gut drei Viertel waren chronologisch noch nicht zugeordnet. Angeblich lagerten hier im Herzen des Archivs sogar noch Daten aus der Zeit des Großen Kriegs gegen die Bestien, gesehen hatte er selbst bislang kein einziges derartiges Dokument. Wahllos griff er zu, zog einen mittelgroßen Folianten aus einem Fach. Das Buch trug keinen Hinweis, wann es gedruckt worden war. Irgendwann in ferner Vergangenheit, 25.000 Shahana-Jahre oder mehr, schätzte Cohrnard. Es war ein astrophysikalisches Werk, das sich mit
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den Besonderheiten in Shahannahol auseinander setzte. Der zweite Zugriff brachte einen kleinen Holospeicher zum Vorschein. Es war fast ein Wunder, dass der Projektor noch über ausreichend Energie verfügte. Aus einem bunten Flimmern heraus stabilisierte sich die halb mannsgroße Wiedergabe einer Frau. Ihr Alter konnte Cohrnard schwerlich schätzen, auf gewisse Weise wirkte sie zeitlos. Den Hintergrund füllte die Abbildung einer Spiralgalaxis aus, die Cohrnard auf Anhieb größer einschätzte als Apsuhol. Diese Sterneninsel hatte mindestens zwei kleine vorgelagerte Galaxien. Die Frau redete zu ihm, aber er hörte nur ein heiseres Krächzen. Ohnehin faszinierte ihn ihre Erscheinung mehr als alles andere. Sie war schlank und wirkte hochgewachsen, war vermutlich größer als er selbst. Das tiefschwarze Haar hatte sie glatt zurückgekämmt und im Nacken zu einem breiten Knoten geschlungen. Ihre ausdrucksvollen Augen und die vollen Lippen schlugen Cohrnard in ihren Bann. Und nicht weniger ihr locker fallender Umhang, den ein schillerndes, psychedelisches Farbenspiel überzog. Unaufhörlich schienen sich diese Farben zu verändern. Die Wiedergabe endete abrupt. Hergol Cohrnard benötigte einige Augenblicke, um sich wieder bewusst zu werden, wo er sich befand. Er vergeudete seine Zeit, er musste gezielt nach Speichern suchen, deren bereits erfolgte Datierung eine Einschätzung zuließ. Fünfhundert Shahana-Jahre ... Er arbeitete wie besessen und wühlte sich in eine Zeit hinein, die aber offensichtlich keine Antwort auf seine Fragen bereithielt. Einige Dokumente befassten sich mit dem Tarik’taman. Tarik, das war der zweite von insgesamt neun Planeten einer orangefarbenen Sonne, eine Welt mit nur einem einzigen kleinen Kontinent. Es gab kein originales Bildmaterial, nur eine Umrisskarte. Er benötigte gut eine Stunde, um das zuordenbare Material von den positronischen Spürprogrammen nach dem Stichwort Tarik durchsuchen zu lassen. Eigentlich war sehr wenig über das Tarik’taman bekannt. Das Jagdfieber, das ihn schon am vergangenen Tag angetrieben hatte, hielt ihn wieder im Griff. Wie ein unschätzbar wertvolles Kleinod drehte er die kleine Kristallscheibe zwischen den Fingern, bevor er sie ebenfalls unter den Abtaster legte. An der Positronik hatte er Veränderungen vorgenommen, die einen Abgleich des Kristalls mit beliebigen älteren Daten veranlassten. Auf diese Weise konnte er zwar nicht die Kodierung
Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit Nein! Hergol Cohrnard war fest entschlossen, seinen Triumph auszukosten. Sein Puls raste, als er sich auf die Wiedergabe konzentrierte.
knacken, aber winzige Verformungen im Kristallgitter ließen möglicherweise eine Übereinstimmung verwendeter Grundlagen erkennen. Er suchte also schlicht einen gleich alten Speicher, der als Grundlage dienen konnte, die Kodierung wenigstens zu manipulieren. Nichts. Er suchte vergeblich. Wäre die Vernichtung des Planeten Tarik nicht vor fünfhundert Shahana-Jahren erfolgt, hätte Hergol Cohrnard die angewendete Verschlüsselung für die damalige Zeit als zu komplex eingestuft. Aber so ... Er befand sich auf der richtigen Spur. Als eine Altersanalyse der Kristallscheibe die vage Rückmeldung erbrachte, dass der Speicher vor 524 Shahana-Jahren produziert worden war, lächelte Cohrnard zum ersten Mal seit Stunden. Die Täuschung war perfekt. Jeder sollte glauben, dass Tarik nicht mehr existierte. Für diesen weit zurückliegenden Zeitraum gab es längst keine Augenzeugen mehr. Er befasste sich mit den jüngsten Speichern und arbeitete sich in die Vergangenheit vor. Das Tamanium Tarik wurde seit geraumer Zeit nur noch als Baylamor’taman bezeichnet. In den vergangenen 36 Jahren hatte es eine zunehmend offensive und aggressive Expansionspolitik betrieben und seine gierigen Finger auch nach dem Shah’taman ausgestreckt. Zweifellos kam ihm zugute, dass niemand mit Gefahr von einem Reich rechnete, dessen Zentralwelt in einem Feuersturm untergegangen war. Tarik war gar nicht vor 500 Shahana-Jahren vernichtet worden. Die Eintragungen auf der Kristallscheibe waren, mit einer sehr geringen Schwankungsbreite, gerade einmal dreißig Jahre alt. Das galt für alle im Kristallgitter verankerten Informationen. Mitternacht war nicht mehr fern, als Cohrnard endlich einen Hinweis auf die Art der Verschlüsselung fand. Ich schaffe es! Nur dieser Gedanke hämmerte noch unter seiner Schädeldecke. Ich brauche nichts als den richtigen Kode. Er konzentrierte sich auf die neueren Verschlüsselungstechniken. Alles, was älter als dreißig Shahana-Jahre war, interessierte ihn nicht mehr. Obwohl er die gesamte Kapazität der Positronik für die Dekodierung verwendete, benötigte er immer noch geraume Zeit, um einen einigermaßen brauchbaren Algorithmus zu entwickeln. Die Hände im Nacken verschränkt, lehnte er sich zurück und verdrehte die Augen. Er hatte es geschafft. Mirtam würde noch bitter bereuen, dass sie ihn verlassen hatte. Aber falls sie zu ihm zurückkehren wollte ...
* Schwerer Jagdkreuzer TOSOMA Festbankett »Eine Farce«, sagte January Khemo-Massai kopfschüttelnd. Sein Blick hatte sich an der Panoramagalerie festgefressen, die in perfekter Rundumprojektion das Raumhafengelände wie auch den weitgehend umlaufenden Lärmschutzwall zeigte und darüber noch die höchsten Gipfel der fernen Bergketten. In geringer Entfernung waren die Wachschiffe des Geschwaderkommandanten gelandet. Auf ihren hydraulischen Landebeinen stehend, mit dem mächtigen äquatorialen Triebwerksringwulst, versprühten die Kugelraumer einen nostalgischen Charme. Nur die eingeblendeten Anzeigen der Energieortung passten nicht zu der vermeintlich friedvollen Szenerie. Alle Waffensysteme unserer »neuen Freunde« waren hochgefahren. »Sobald sie zu feuern beginnen, bleibt von dem Raumhafen und der nahen Stadt nichts übrig«, sagte der Kommandant weiter. »Die Shahano zeigen ihre Muskeln«, antwortete ich. »Sie können uns noch nicht wirklich vertrauen, andererseits wollen sie sich die Chance nicht entgehen lassen, die wir für sie darstellen. Die Tamaron praktiziert eine Gratwanderung, um ihren Interessen gerecht zu werden.« »Und was nun?«, fragte Li. »Ich warte auf die offizielle Einladung«, meinte ich. »Nestara Cherhay lässt nur eine gewisse Schamfrist verstreichen. Sie will nicht mit dem Vorwurf konfrontiert werden, sich anzubiedern.« Eine Standardstunde später meldete sich eine Ordonnanz. Der Mann überbrachte die Aufforderung, dass wir uns im großen Bankettsaal des Palasts von Shahjohl einfinden »durften«. Diese Einladung galt für sechs Personen »unbewaffnet und in wohlwollender Absicht«. »Eine Floskel«, bemerkte Li. »Wenn die Tamaron glaubt ...« »Wir halten uns daran«, unterbrach ich sie. Li starrte mich an. »Das kann nicht dein Ernst sein!« »Natürlich nicht. Dass du mit deinen Fäusten ebenso gut umzugehen verstehst wie mit einem Strahler, hast du bewiesen. Deine Ausbildung muss extrem intensiv gewesen sein. So etwas vergisst man nicht, es sei denn ...«
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Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit Ihr Blick durchbohrte mich schier. »Es sei denn, was?« »Es sei denn, man will vergessen oder das Gedächtnis wird manipuliert. Beides setzt missliche Umstände voraus.« »Ich – weiß – es – nicht!« Jedes Wort schleuderte sie mir entgegen. Ihre Empörung war echt. »Glaubst du, mir macht es Vergnügen, mit einer Lücke in meiner Vergangenheit herumzulaufen? Ich will wissen, wer ich wirklich bin.« »Li da Zoltral. Historikerin im Rang einer Laktrote.« »Li da Zoltral?«, murmelte sie gedankenverloren. »Ist das alles, einfach so?« »Mag sein, dass ich gar nicht mehr will.« Ihr Blick wurde nachdenklich. Du vielleicht nicht, bedeutete er, aber ich – ich will endlich alles über mich wissen! Natürlich würde Li mich begleiten. Bei den anderen fiel es mir schon schwerer, die richtige Wahl zu treffen. Wahrscheinlich brauchten wir keinen Diplomaten, sondern jemanden, der zuzupacken verstand, sobald es darauf ankam. Das ließ jedenfalls die jüngste Vergangenheit erwarten. Also Zanargun, Leiter der Abteilung Außenoperation und Chef der Landungstruppen. An 1,5 Gravos angepasst, eher wortkarg, aber ein hervorragender Einzel- und Nahkämpfer. Zanargun würde, wenn es sein musste, selbst den Teufel aus der Hölle holen. Und das nur für eine Tasse Kaffee, heiß, schwarz und stark, kommentierte der Logiksektor meine Wahl. Er hatte Recht, gab ich schmunzelnd zu. Der gebürtige Luccianer hatte ein zwiespältiges Verhältnis zu Terra und den Terranern, aber Kaffee, das war in seinen Augen etwas, womit die Menschen die Galaxis beglückt hatten. Außerdem entschied ich mich für Akanara, den ausgestoßenen Yarn. Seine präkognitive Fähigkeit konnte uns von Nutzen sein. Er hatte jahrelang in Slums und aus der Mülltonne gelebt, auf der TOSOMA fühlte er sich trotz der erhaltenen Hypnoschulung verunsichert und entwurzelt. Aber zu mir hatte er Vertrauen gefasst. Akanara war so dürr, dass ihn der eine oder andere als wandelndes Gerippe bezeichnete, doch eine passende Abendgarderobe würde sich für ihn schon finden lassen. Den weißen Yarn-Turban würde er ohnehin nicht abnehmen. Natürlich durften wir nicht ohne standesgemäße Leibgarde erscheinen. Ich wählte zwei erfahrene Raumsoldaten aus. Auch sie offiziell unbewaffnet, aber kleinere Überraschungen ließen sich dennoch ganz gut am Körper verbergen. Die Einkleidung nahm geraume Zeit in Anspruch.
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Vor allem das Präparieren unserer Ausrüstung. Wir mussten nicht mit einer Leibesvisitation rechnen, aber mit Detektoren und verschiedenen Scannern. Mehrmals passte etwas nicht, mussten wir neue Abschirmungen zusammenstellen. Als die Gleiterkolonne erschien, hatten wir es gerade so geschafft. »Auf in die Höhle des Löwen«, sagte ich. Li schaute mich fragend an. »Eine terranische Redewendung. Was man sich halt so im Laufe der Jahrtausende aneignet.« Wir verließen das Schiff über eine Schleuse im unteren Polbereich. * Shahjohl war eine schöne Stadt, kein Moloch aus Glas, Stahl und Beton, der wenig Raum zum Leben ließ, sondern eingebettet in weitläufige Parks und Wasserflächen. Sogar Wälder durchzogen sie. Teilweise herrschte eine zyklopenhafte Bauweise vor, mit Quadern aus Naturstein. Schlanke Turmbauten und viele Stufenpyramiden prägten das Bild. Sie erinnerten mich weniger an das altägyptische Sakkara, sondern des üppigen Grüns wegen eher an Mittelamerika, Chichén Itzá hätte durchaus für manche dieser Bauten Vorbild gewesen sein können. Der Palast der Tamaron, den die Robotgleiter anflogen, war imposant, wenngleich keineswegs mit ähnlichen arkonidischen Anlagen vergleichbar. Nüchtern, zweckdienlich, sehr weitläufig angelegt, aber eben nur wenig verspielt und schon gar nicht in dem selbstverliebten Baustil errichtet, der mit seiner Imposanz alles andere auszustechen versuchte. Ich hatte erwartet, spätestens am Hauptportal von Tamaron Nestara Cherhay empfangen zu werden, doch nur vier Lakaien warteten auf uns. Ein unmissverständlicher Hinweis darauf, dass wir für das Shah’taman nicht so wichtig waren, wie wir es uns erhofften. Ich lächelte. Die Tamaron hatte den Eröffnungszug gemacht, nun war die Reihe an uns. Wir würden uns gegenseitig abtasten, keiner würde zu viel über sich und seine Ziele preisgeben, und am Ende blieb die Hoffnung, dass der kommende Tag bessere Ergebnisse brachte. Ich wollte mich nicht in dieses Schema zwängen lassen. Zwei Sicherheitszonen entdeckte ich, weil mein Mehrzweckarmband die einfallenden Impulse registrierte. Dennoch blieb mein Aggregategürtel mit dem Schutzschirmprojektor ebenso wie der nicht einmal eine Handfläche große Strahler
Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit unbemerkt. Auch meine Begleiter passierten die Kontrollen ungehindert. Im Anschluss an eine Säulenhalle öffnete sich der Bankettsaal vor uns. Eine Gruppe offensichtlich hoher Würdenträger hatte vor uns den Saal betreten. Wir mussten einige Zentitontas warten, bis wir weitergehen konnten. Gemessenen Schrittes kam Tamrätin Nestara Cherhay auf uns zu. Ihr Blick streifte meine Begleiter und blieb an mir hängen. Mit sichtlichem Interesse taxierte sie den Krish’unUmhang, den ich angelegt hatte. »Willkommen auf Shahana. Ich entschuldige mich für eventuelle Unannehmlichkeiten auf dem Flug hierher.« »Wir haben den Angriff des Geschwaderkommandanten als willkommenen Test angesehen«, antwortete ich. Da lag ein Aufblitzen in ihren Augen, ein gewisses Amüsement. »Ich bezog mich eher auf den Gleiterflug.« »Wir hätten uns einige Erklärungen über Shahjohl gewünscht, Tamaron.« Ich deutete eine Verbeugung an; gerade so weit, wie man sie auf Arkon Gleichgestellten gewährte. Dann stellte ich Li, Akanara und Zanargun vor; die Namen unserer Leibgardisten taten nichts zur Sache. Die Tamrätin gab sich äußerlich gelassen, aber sie sog jedes meiner Worte auf. »Ich habe mir erlaubt, einen kleinen Imbiss zu bereiten. Natürlich nicht aus Anlass eures Besuchs, dafür wäre die Zeit zu kurz gewesen, aber ich freue mich, euch in meiner Nähe zu wissen.« Und zu überwachen!, dachte ich, hütete mich aber davor, das auszusprechen. Laut sagte ich: »Die Freude ist ganz unsererseits, Tamaron. Wir wissen den Empfang richtig einzuschätzen.« Nestara Cherhay nickte knapp. Sie bedeutete einer Ordonnanz, uns zu unseren Plätzen zu führen. Daraus wurde ein Spießrutenlauf. Alles war so arrangiert, dass wir als Letzte eingetroffen waren. Der Saal war bis zum letzten Platz gefüllt, und jeder fixierte uns. Ich schätzte die Zahl der Gäste überschlägig auf einhundert bis einhundertzwanzig. Den Uniformen nach zu schließen, war auch eine Reihe hoher Militärs des Shah’taman anwesend. Wir hatten unsere Fähigkeiten demonstriert und mit dem Virtuellbildner und dem Ortungsschutz zweifellos einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Ich durfte mir also ausrechnen, wo die Unterhaltungen dieses Abends zwangsläufig enden würden. Die Tafel bog sich unter der Last üppiger Speisen und Getränke. Wenn das ein kleiner Imbiss war,
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interessierte mich ein richtiges Bankett. Verblümt gab ich das der Tamaron zu verstehen und fragte, ob alles im Tamanium Shahan solchen Gesetzmäßigkeiten unterlag. »Wir sind ein kleines Reich«, bestätigte sie, »gemessen an der Ausdehnung von Shahannahol, aber wir wissen uns zur Wehr zu setzen. Noch hat uns niemand wirklich angegriffen.« Die Speisen mundeten exzellent. Vor allem durften wir davon ausgehen, dass alles, was die Lemurernachkömmlinge zu sich nahmen, uns ebenso problemlos zuträglich war. »Noch?«, hakte Li ein. »Heißt das, Shahana hat Feinde?« »In eurem Dossier ist ausführlich die Rede von der Einmischung einer Macht aus Omega Centauri im arkonidischen Imperium«, antwortete die Tamrätin. »Mich interessiert, was außerhalb Shahannahols geschieht. Das ist Neuland für uns, eine neue und verwirrende Weite – das Apsuhol unserer Vorfahren, frei von den mörderischen Bestien.« »Nicht von allen«, sagte ich. Die Tamaron aß weiter, hielt erst Augenblicke später inne und musterte mich aus zusammengekniffenen Augen. »Wie soll ich das verstehen?« »Es gibt kriminelle Elemente, die man nicht einem Volk allein zuordnen kann.« Eine Zeit lang unterhielt sich die Tamaron mit den Tischnachbarn an ihrer anderen Seite. Schließlich wandte sie sich wieder uns zu. Akanara hatte nun eine spiralförmige Schale voll kandiertem Gebäck vor sich stehen, und ich fragte mich ernsthaft, ob das alles in seinem ausgemergelten Leib wirklich noch Platz hatte. Die Tamaron entschuldigte sich für ihre kurze Unaufmerksamkeit. »Ich hatte mit dem Admiral der Raumflotte, Gorm Henissen, einige Missverständnisse auszuräumen. Der Admiral ist ansonsten ein sehr fähiger Mann. Ich werde euch nach dem Essen miteinander bekannt machen.« Sie schaute mich forschend an. »Mich interessiert die Verteidigungskraft Arkons«, bemerkte sie wie beiläufig. »Will das Shah’taman Arkon angreifen? Davon würde ich dringend abraten. Die Militärmacht des Imperiums reicht aus, Shahannahol in Schutt und Asche zu legen.« »Wir können über gegenseitigen Beistand reden«, begann die Tamrätin, als nach dem dritten Gang kunstvoll gedrehte Gläser serviert wurden, in deren Verdickungen verschiedenfarbige Flüssigkeiten brodelten. Das Getränk erwies sich als mild rauchig und angenehm auf der Zunge. Ich hatte es geahnt. Omega Centauri war kein
Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit Paradies und unterschied sich nur in der Dichte der Sternpopulation von der Milchstraße. Auch hier waren Auseinandersetzungen an der Tagesordnung. Nestara Cherhays Bemerkungen zielten letztlich darauf ab, einen starken Verbündeten zu gewinnen, der ihre Probleme mit einem anderen Reich aus der Welt schaffte. Vielleicht auch mit mehreren. Wenn du einen Gegner nicht besiegen kannst, mache ihn dir zum Freund, raunte der Extrasinn. Was ist daran illegitim? Ich bin hier, um eine Bedrohung von Arkon abzuwenden, aber nicht, um mich in die Tagespolitik von Omega Centauri einzumischen. Das Essen zog sich hin. Diener eilten mit einer Vielzahl unterschiedlicher Getränke von Tisch zu Tisch und mischten die exotischsten Flüssigkeiten. Geleerte Platten wurden in Windeseile ausgetauscht. Nebenher gab es gepflegte Konversation getreu dem Motto: »Ich will wissen, was du mir verschweigst, aber ich sage dir nichts.« Akanara, an solche Gegebenheiten nicht gewöhnt, hatte zu spontan zugeschlagen und warf das Handtuch. Vorübergehend fürchtete ich sogar, sein Magen würde die vielen süßen Dinge nicht bei sich behalten. Sein Blick wirkte gequält. Zanargun aß von Anfang an, wie er redete: karg, nur hie und da ein Häppchen. Und die Soldaten hielten sich zurück, wie es von Gardeangehörigen erwartet wurde. Nach einiger Zeit hatte ich die Tamaron endlich so weit, dass sie eine potenzielle Bedrohung einräumte. Sie hatte es nicht direkt sagen wollen, weil sie sich damit in eine neue Abhängigkeit begab. Aber schließlich berichtete sie wenigstens stichpunktartig von dreister werdenden Übergriffen eines benachbarten Tamaniums, das innerhalb weniger Jahrzehnte einen überraschenden technischen Aufschwung erlebt hatte. Vor dreißig Shahana-Jahren war das Tarik’taman in Baylamor umbenannt worden. Baylamor! Das Wort ließ mich aufhorchen. Diesen Namen hatte der schwer verletzte Attentäter auf Arkon ausgestoßen, bevor er in der Klinik getötet worden war. Baylamor. Der Extrasinn hatte mich darauf hingewiesen, dass dieses Wort in siebzehn bekannten Sprachen der Milchstraße unterschiedlichste Bedeutungen hatte. Aber es war auch ein gebräuchlicher arkonidischer Vorname. Und mittlerweile glaubte ich nicht mehr an einen Zufall. Seit den Ereignissen auf der Tabuwelt Acharr, im EpetranBericht Shamakh genannt, wussten wir, dass die Familie da Zoltral in Omega Centauri ihre Finger im Spiel hatte. Aber was steckte hinter alledem?
Dass der Attentäter von diesem »Tamanium« wusste, bedeutet doch, dass die Spur nach Baylamor führt, stellte der Extrasinn fest. Nichts anderes wollte er vor seinem Tod zu verstehen geben. Wir waren beim Dessert angelangt, einer regenbogenfarbenen, aus filigranen Blüten hervorquellenden Masse, die einen extremen Honigduft verbreitete. Die Tamaron hatte nach der Erwähnung des Namens Baylamor abrupt das Thema gewechselt, aber gerade hier wollte ich mehr hören. Bevor ich sie wieder darauf ansprechen konnte, trat Akanara mit aller Kraft gegen mein Schienbein. »Atlan«, raunte er, »Admiral Henissen wird in zwei Zentitontas ermordet!« 7. Er war dicht dran! Der neue Tag würde ihm den Triumph bringen. Schon jetzt bewiesen die vorliegenden Fakten, dass er den richtigen Riecher gehabt hatte. Die breite Öffentlichkeit im Shah’taman hatte den Namen Tarik so gut wie vergessen. Niemand interessierte sich für eine im Atombrand untergegangene Welt. Aber die Dokumente über die Vernichtung des Planeten waren gefälscht. Möglicherweise war wirklich eine Welt vernichtet worden. Doch die Behauptung, dass Tarik vor rund 500 ShahanaJahren untergegangen war, kursierte erst seit rund dreißig Jahren. Eine einzige Erwähnung des Tarik’taman hatte Cohrnard noch gefunden: Vor 34 Jahren war ein Frachter vom Flug nach Tarik nie zurückgekehrt. Das war nur eine Randnotiz, aber sie stützte seinen Verdacht. Er war einer Geschichtsverfälschung in großem Maßstab auf die Schliche gekommen! Zugleich stellten sich viele Fragen, die Hergol Cohrnard nicht beantworten konnte. Wer hatte ein Interesse daran, die Vergangenheit in einem falschen Licht erscheinen zu lassen? Und vor allem, warum? Welchen Vorteil hatten der oder die Betreffenden davon? Nervös kaute der Archivar auf seiner Unterlippe. Zu viel Mühe für einen einzelnen Planeten, fand er. Aber es gab eine Erklärung. Sie musste sogar auf der Hand liegen – allerdings nur, falls Tarik nicht mehr so unbedeutend war wie vor Jahrzehnten. Cohrnard arbeitete wie besessen, zitterte vor Aufregung und schob immer wieder die Hand zwischen Hals und Kragen, um sich mehr Luft zu verschaffen. Für einen flüchtigen Moment wurde die
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Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit holografische Wiedergabe des Untergangs von Tarik verschwommen. Schattenhafte Gebäudeumrisse überlagerten das Bild. Hergol Cohrnard ließ sich die verwendeten Parameter anzeigen. Zwei Wiederholungssequenzen waren notwendig, bis er endlich exakte Werte bekam. Seine Träume zerplatzten wie Seifenblasen. Der Kristallspeicher stammte nicht aus einem anderen Tamanium, sondern war auf Shahana selbst kodiert worden. Die Verschlüsselungstechnik hatte der Geheimdienst des damals amtierenden Tamrats, Harhal Sowen, angewendet. Der Zusatz bei höchst brisanten Dokumenten machte den Vorgang noch mysteriöser. Die Doppelprojektion wurde deutlicher, bestes Zeichen dafür, dass die Dechiffrierung griff. Die Schwingungen des Kristallgitters überlagerten sich. Jäh stieß der Archivar einen verblüfften Ausruf aus. Im Anschluss an die Vernichtungssequenz war ein Geheimdienstbericht gespeichert – und dieser Bericht zeichnete ein gänzlich anderes Bild. So verwirrend und fremd, dass Hergol Cohrnard die Augen schloss, um sich dem Bann des Fremden erst einmal zu entziehen. Er hatte es geschafft! Er hatte Daten aufgespürt, die seine gewagtesten Vermutungen bestätigten. Mehr noch, die das Fremde greifbar werden ließen. Aber gerade deshalb blieb unverständlich, dass Tamrat Harhal Sowen davon gewusst und nichts unternommen haben sollte. Hatte er diese Aufnahmen wirklich gekannt, oder waren sie ihm vom eigenen Geheimdienst vorenthalten worden? Ein frevlerischer Gedanke. Außerdem glaubte Cohrnard, dass Tamrätin Nestara Cherhay von alledem nichts wusste. Er ließ die Aufzeichnung noch einmal ablaufen und versank schier in der holografischen Wiedergabe. Eine orangefarbene Sonne schälte sich aus dem Sternenmeer von Shahannahol heraus. Ihre äußeren Planeten glitten vorbei. Dann die Nummer zwei: eine schmale Sichel mit diffus erhellter Nachtseite. Kein Mond. Wasser beherrschte den Planeten, nur ein einziger Kontinent zeichnete sich ab. Die Umrisse der Landmasse, rund ein Sechstel der Oberfläche, kannte Cohrnard. Sie stimmten mit den alten Karten überein. Kein Zweifel, diese Welt war Tarik, aufgenommen erst vor wenigen Jahrzehnten ... Sekundenlang nur Dunst. Dann der Blick aus wenigen Kilometern Höhe. Rasend schnell ging es weiter abwärts, wechselten die Eindrücke. Eine große Stadt breitete sich aus, durchzogen von weiten Grünflächen. Am Rand des Bildes ein Raumhafen, gewaltig in seinen Ausmaßen, von
einem hohen Schutzwall umgeben. Eigenwillige Bauten huschten vorbei; Cohrnard fühlte sich an trichterförmige Fleischpilze erinnert. Die Wiedergabe ließ nur wenig Zeit zur Besinnung, huschte zwischen hohen Bauten hindurch. Da waren Gleiter, dort durchaus humanoid wirkende Roboter. Dazwischen die Bewohner der Stadt ... Endlich endete das rasende Konglomerat. Hergol Cohrnard vermutete, dass die Aufnahmen von einem der nicht einmal faustgroßen Robotspione stammten. Um einer Ortung zu entgehen, war der Roboter wie ein Meteorit durch die Atmosphäre gefallen und hatte den Flug erst knapp über dem Boden stabilisiert. Der folgende 360-Grad-Schwenk wirkte schon weitaus ruhiger – wenn auch nicht beruhigend. Hoch ragten die Gebäude in den Himmel auf, und viele waren mit ihren Ausmaßen schon eine Stadt für sich. Sie verbreiterten sich von der Basis aus kontinuierlich. Das waren bis zu tausend Meter hohe Trichterbauten. Und wie Fleischpilze von Insekten wurden diese Bauten von Gleitern und Antigravplattformen umschwärmt. Geräumige Einflugschneisen öffneten sich wie düster gähnende Schlünde. Aus der Höhe hatte es sogar ausgesehen, als würden die Bauten in ihrem Innern terrassenförmig abfallen, bewachsen mit üppigem Grün. Offenbar gab es sogar kleine Raumschiffshangars in den größten Trichterhäusern. Der Archivar sah einen scheibenförmigen, runden Flugkörper näher kommen und mit kurzen Impulsstößen den Kurs korrigieren. Die Scheibe war im Zentrum dicker als im Randbereich. Endlich wurde einer der Bewohner der Stadt in Großaufnahme erfasst. Nur sein Gesicht war zu sehen, ein kantiges, gerötetes, aber menschliches Gesicht. Hergol Cohrnard hatte nie zuvor von einem Volk wie diesem gehört, und es war nicht nur die grobporige, von Falten geprägte Haut, die diesem Mann einen barbarischen Eindruck verlieh. Es war sein üppig wallendes dunkelrotes Haar, das in zwei Strängen seitlich zusammengefasst und zu brustlangen Zöpfen geflochten worden war. Die vorgewölbten Jochbögen wurden von ebenfalls roten und üppig wuchernden Augenbrauen verdeckt, und von den Wangenknochen abwärts verschwand das Gesicht unter einem gewaltigen Vollbart. Hergol Cohrnard hätte alles darauf verwettet, dass der Rothaarige nicht aus Shahannahol stammte. »Barbaren«, raunte er im Selbstgespräch. »Sie kommen als Eroberer.«
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Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit Dann sprang die Wiedergabe um. Cohrnard wusste sofort, dass er jetzt die wirklichen Herren von Tarik sah. Sie schienen sogar mit den Shahano verwandt zu sein. Sie waren an die zwei Meter groß und zumeist schlank gewachsen. Ihre Schädelform wirkte leicht länglich, aber wirklich auffällig waren das weiße Haar, das viele schulterlang trugen, und die rote Augenfarbe. Zugleich wurde ihm bewusst, dass diese Fremden, sofern sie ihre Haare färbten und kürzten und die rote Augenfarbe kaschierten, sich jederzeit unentdeckt auf Shahana bewegen konnten. Vielleicht taten sie das schon seit geraumer Zeit und hatten den Planeten längst infiltriert. Die beiden Verfolger aus dem Park ... Hergol Cohrnard versuchte, sie sich mit weißem Haar und rötlichen Augen vorzustellen. So abwegig erschien ihm der Gedanke nicht einmal. Inzwischen hatte sich der Robotspion aus dem Bereich der Trichterbauten entfernt und näherte sich dem Raumhafen. Nur einmal verharrte das Bild noch am Rand eines ausgedehnten Industriekomplexes. Monströse Lastenplattformen transportierten teils riesige Aggregate ab. Cohrnard fehlte das Fachwissen, um die Verwendung dieser Geräte zu erkennen. Mehrere Energiekuppeln überspannten Teilbereiche des Komplexes, und vor dem größten Gebäude, das allein eine Ausdehnung von mehreren Quadratkilometern besaß, ragte eine Skulptur auf. Frei schwebend, eine Art Symbol. Oder doch nur ein Kunstwerk? Drei massive Kugeln bildeten die Ecken eines gleichseitigen Dreiecks. Keine dieser Kugeln war wirklich rund, vielmehr wiesen sie unterschiedliche Gravuren auf, Erhebungen und Vertiefungen, die Cohrnard an die Landmasse von Planeten erinnerten. Handelte es sich um die Darstellung von drei Welten? Dann bedeutete der Kreis, der ebenfalls die Eckpunkte des Dreiecks berührte, so etwas wie eine geometrisch exakte gemeinsame Umlaufbahn? Der Archivar empfand den Gedanken nicht einmal als unsinnig. Immerhin sprachen die Legenden von ähnlichen kosmischen Konstellationen. Das Große Tamanium hatte einst Sonnen aus ihrer angestammten Umlaufbahn herausgerissen und mit ihnen neue, geometrisch exakte Konstellationen zusammengestellt. In einem längst wieder verstaubten Winkel seiner Erinnerung schlummerte der nur in Fragmenten erhaltene Bericht über ein Sonnensechseck im Zentrum von Apsuhol. Hergol Cohrnard hatte nie gewusst, ob er solche
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Behauptungen wirklich glauben durfte. Angesichts der großen Skulptur neigte er nun dazu, ihnen eine höhere Wahrscheinlichkeit einzuräumen. Auf jeden Fall war es eine fremdartige, exotische und vor allem hochmoderne Welt, die sich ihm da offenbarte. Tarik blühte im Verborgenen. Doch alles, was im Verborgenen geschah, war mit Misstrauen zu betrachten. Die Sonde hatte den Raumhafen erreicht. Der jenseitige Bereich verlor sich im Dunst des Tages und war nicht einmal zu erahnen. Aber nicht seine extreme Ausdehnung, sondern die gelandeten Kugelraumer bescherten dem Archivar einen neuerlichen Schweißausbruch. Keines der Raumschiffe stand auf hydraulischen Landebeinen, vielmehr schwebten sie in unterschiedlicher Höhe über der Piste. Der äquatoriale Ringwulst mit den Triebwerksöffnungen fehlte ihnen. Stattdessen zogen sich schwer zu definierende Aggregatebänder um den Rumpf, deren Sinn sich nur dem erschloss, der diese Technik kannte. Wie Schuppen fiel es Hergol Cohrnard von den Augen. Er hatte ein solches Schiff schon gesehen – keinen der auf Tarik gelandeten Raumer, deren Durchmesser wohl nicht unter 300 Metern lag, sondern ein kleineres, vielleicht ein Beiboot. Aber immer noch imposant genug ... Hastig hantierte er an seinem Armband. Vor Aufregung zitternd, brauchte er mehrere Anläufe, um einen der Nachrichtenkanäle auf das Holodisplay zu legen. Aktuell wurde ein Bericht über Handelsbeziehungen innerhalb des Shah’taman übertragen. Das war nicht gerade das, wonach er suchte. Hergol Cohrnard zwang sich zur Ruhe, justierte den miniaturisierten Empfänger auf den Holoprojektor und gab dem Empfang von außen Vorrang vor dem Speicherkristall. Innerhalb weniger Augenblicke fand er die letzte Infosendung, die zwei Stunden zurücklag. Während er den Speicherkristall aus dem Positronenfeld entnahm, rief er die Nachrichten ab. Die Infos hatten mit einer Zusammenfassung begonnen. Noch einmal sah er die Raumschiffe aus dem Nachmittagshimmel herabsinken, sah den fremden Kugelraumer über dem Landefeld zur Ruhe kommen. Stunden später senkten sich schwere Gleiter wenige hundert Meter vor dem fremden Raumschiff zu Boden. Die Maschinen trugen das Emblem der Tamaron. Mittlerweile war es Nacht. Eine Schleuse im unteren Polbereich des ringwulstlosen Raumers
Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit öffnete sich. Nur verschwommen zeichneten sich die Umrisse mehrerer Personen in der hell erleuchteten Schleuse ab. Langsam schwebten sie bis auf die Piste und schritten den Gleitern entgegen. Die Regie zeigte die Gesichter der Fremden, ließ die Optik besonders lang auf ihrem Anführer verharren. Schnaubend sog Cohrnard die Luft ein. Der Mann war groß und von athletischem Körperbau. Sein weißblondes Haar fiel glatt bis auf seine Schultern, den roten Augen schien nichts auf dem Landefeld zu entgehen. Hatte Hergol Cohrnard schon auf das Aussehen des Mannes mit einem heftigen Zittern reagiert, so brachte sein Umhang ihn vollends aus der Fassung. Auch ein solches Kleidungsstück hatte er erst vor kurzem in der Wiedergabe gesehen; die Frau vor dem Abbild der Spiralgalaxis hatte es getragen. Zufall? Hergol Cohrnard glaubte nicht mehr daran. Dreißig Jahre alt waren die Aufzeichnungen auf der Kristallscheibe – was sie zeigten, wurde plötzlich Realität. Vielleicht sogar tödliche Wirklichkeit. Für die Behauptung, Tarik sei zerstört worden, gab es nur noch eine einzige plausible Erklärung: Tarik besaß für das Tamanium Baylamor längst eine derart überragende Bedeutung, dass die dortigen Herrscher den Planeten vor den Blicken rivalisierender Tamanien verborgen hatten. Was war wirkungsvoller als die Behauptung, eine Welt sei im Atombrand verglüht? Auf Tarik wurden neue Waffen und besondere Raumschiffe entwickelt und gebaut. Vielleicht Schiffe, die mit den Verhältnissen in Shahannahol keine Probleme mehr hatten. Gab es deshalb nur noch die Aggregatebänder und großflächigen Projektoranlagen im Bereich der Außenhülle? Ein Reporter kommentierte. Er weiß nichts, begriff Hergol Cohrnard erschrocken, er redet von friedlichen Besuchern und wirtschaftlicher Zusammenarbeit, aber er meint Unterdrückung und Ausbeutung. Vielleicht war der Sprecher sogar einer von Tarik in entsprechender Maske. Seine Erregung war schuld daran, dass Cohrnard die Unlogik dieser Gedanken nicht mehr erkannte. Im nächsten Moment reagierte er wie elektrisiert. Der Sprecher hatte soeben erklärt, dass die Tamaron den Fremden eine Audienz gewährte! Das war vor wenigen Stunden gewesen. Da sich Empfänge und Festivitäten stets bis in die frühen Morgenstunden hinzogen, mussten sich alle noch im Palast befinden. Hergol Cohrnard begann zu handeln. Zwei Sequenzen von Tarik übertrug er auf seinen Armbandspeicher: jeweils ein Bild der
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weißhaarigen, rotäugigen Bewohner und des Raumhafens. Über größere Kapazität verfügte sein Armband nicht. Aber die beiden Aufnahmen, als Hologramm projiziert, sollten genügen, um die Tamaron zu überzeugen. Seine Zeit war gekommen. * Atlan Unerwartete Gäste Unwillkürlich schaute ich zu dem Admiral der Raumflotte hinüber, der an Nestara Cherhays anderer Seite saß, nur wenige Schritte von mir entfernt. Natürlich bemerkte er meine abrupte Aufmerksamkeit und hob fragend den Blick. Du Narr, raunte der Extrasinn, Akanara kann sich täuschen. Das wäre nicht das erste Mal. Er hatte Recht. Der junge Yarn hatte zwar in den Slums überlebt, weil er oft die Geschehnisse der kommenden Augenblicke vorausgeahnt hatte, doch seine Fähigkeit war keineswegs vollkommen. Weil selbst die nahe Zukunft Variationsmöglichkeiten bereithielt und weil er mitunter in reines Wunschdenken verfiel, was wenig mit Parafähigkeiten zu tun hatte. Achte auf Li! Vorübergehend hatte ich mich ablenken lassen. Die Warnung meines zweiten Ich kam fast zu spät. Li da Zoltral hatte eine Millitonta lang wie erstarrt dagesessen, aber nun sprang sie auf, das Gesicht zur Grimasse verzerrt und die Finger gespreizt, als wolle sie jemandem die Augen ausstechen. Während ihr Antigravsessel zurückfederte, warf sie sich auf die Tamrätin, die von dem Geschehen völlig überrascht wurde. Li hatte sich mehrfach als gefährliche Kämpferin erwiesen. Vor allem war sie ausgebildet, einen Gegner mit bloßen Händen zu töten. Ich handelte rein instinktiv und warf mich ebenfalls nach vorn. Für einen Augenblick herrschte atemlose Stille, dann erklangen Schreie, Lärm brandete auf. Teile der Tischdekoration gingen zu Bruch und wurden umhergeschleudert. Mit der rechten Schulter prallte ich gegen Li, und wir stürzten gemeinsam zwischen Gläser und Karaffen, Schalen und Essensreste. Li schrie auf und schlug nach mir; ich riss ihre Arme mit einem Dagorgriff zur Seite, aber schon krachte ihr Schädel gegen meine Schläfe. Li versuchte, sich über mich hinwegzuhebeln, und wir krachten beide auf den Sessel, in dem die Tamaron eben noch gesessen hatte. Lis Knie traf
Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit mich zwischen die Beine, genau da, wo es am schmerzhaftesten war, und wir stürzten ineinander verkrallt zu Boden. Im nächsten Moment wurde sie steif. Ihr Blick ging starr an mir vorbei und verlor sich in endloser Ferne. Nein, sie war nicht tot, hatte nur das Bewusstsein verloren. Ich richtete mich halb auf und suchte nach der Tamaron. Nestara Cherhay stand drei Schritte entfernt und blickte ungläubig auf das Chaos, das sich rings um ihren Platz ausgebreitet hatte. Als sie die Hand hob, verstummte jedes Geräusch. Die Stille wirkte bedrohlich. Akanara hatte sich also doch getäuscht. Admiral Henissen saß unbehelligt auf seinem Platz und tupfte sich mit der Serviette den Mund ab. Aber Li ... Sie atmete kaum noch. »Was soll das, Atlan da Gonozal?«, fragte die Tamrätin mit eisiger Stimme. »Deine Begleiterin hat versucht, mich anzugreifen.« »Es tut mir Leid, Tamaron. Ich weiß nicht, was in sie gefahren ist.« Zögernd tastete ich nach Lis Halsschlagader, ich rutschte ein Stück zur Seite und beugte mich über sie – und genau diese Bewegung rettete mir das Leben. Ein Blitz zuckte über mich hinweg, ein kurzes, grelles Aufleuchten. Der gebündelte Thermostrahl traf Admiral Henissen in die Brust und tötete ihn auf der Stelle. Seine Begleiterin begann, hysterisch zu schreien. Von da an gab es niemanden mehr, der das Chaos noch hätte verhindern können. Ein hochrangiger Militär, gut dreißig Meter entfernt an der Früchtetheke stehend, hatte seine Waffe gezogen und den Admiral erschossen. Nicht ein Muskel zuckte in seinem Gesicht, als er die Waffe erneut auslöste. Gleichzeitig tauchte ich unter der Tafel hindurch, und während der Thermoschuss kostbare Stoffe und edles Holz in Brand steckte, reagierte die Leibgarde der Tamrätin. Von den Ausgängen her feuerten sie auf den Schützen, der noch in wilden Zickzacksprüngen versuchte, sich in Deckung zu werfen. Er wurde mehrmals getroffen und stürzte mit brennendem Umhang zu Boden. Der letzte Rest von Ordnung löste sich auf. Jeder suchte sein Heil in der Flucht oder warf sich in Deckung, und ein Großteil der Gäste trug wohl auch Waffen. Ein Desintegratorschuss löste eine Tafel teilweise auf und hinterließ flirrenden Staub. Thermostrahlen steckten die Wandverkleidung und schwere Stoffe in Brand, und die Flammen breiteten sich mit explosionsartigem Fauchen aus. Aus bislang unsichtbaren Öffnungen sprühten Chemikalien,
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die das Feuer eindämmen sollten, zugleich aber die Sicht behinderten. Mit einem Dagorgriff schickte ich zwei Shahano zu Boden, die mich mit bloßen Fäusten angegriffen hatten. Dann kniete ich wieder neben Li. Sie war immer noch bewusstlos. Akanara kauerte zwei Schritte entfernt neben einem umgestürzten Sessel. Er zitterte wie Espenlaub, hatte die Arme verschränkt und den Kopf zwischen ihnen vergraben. Doch offensichtlich half ihm das wenig. Er weiß, was geschieht, er sieht es!, meldete der Extrasinn. Ich ergriff Akanara am Arm, zwang ihn, mich anzusehen. »Was ist los?«, herrschte ich ihn an, heftiger als beabsichtigt. Akanara war totenbleich. »Sie ... sie kommen aus dem Nichts!«, stammelte er. »Sie holen Li.« Ich achtete nicht mehr auf ihn, weil Teile der Deckenverkleidung ausbrachen. Dumpf dröhnend krachten sie auf die Tafel herab, begruben Sessel und zuckende Leiber unter sich und wirbelten Rauch und Staub auf. Das Atmen wurde zur Qual. Die Schreie nahm ich schon nicht mehr wahr. Ebenso wenig die Schüsse und das Prasseln der Flammen. Die Beleuchtung war weitgehend ausgefallen, der zuckende Widerschein der Flammen und der dichter werdende Qualm machten die Orientierung nicht gerade leichter. Ich versuchte, meine Begleiter zusammenzuhalten, aber Zanargun lieferte sich mit mehreren Shahano eine wüste Prügelei, und einer unserer »Leibgardisten« versuchte soeben, eine Gruppe jüngerer Männer und Frauen zum Ausgang zu führen. Eine Salve aus Thermostrahlen ließ seinen aktivierten Individualschutzschirm hell aufflammen. In dem Moment sah ich sie: Wie aus dem Nichts heraus standen plötzlich zwei kleine Humanoide inmitten der Rauchschwaden. Ein Shahano, der sich ihnen mit der Waffe in der Hand entgegenstellte, brach ohne ersichtlichen Grund zusammen. Ich konnte nicht erkennen, was mit ihm geschehen war. Die beiden gingen, von dem Chaos ringsum unbewegt, auf Li zu. Und auf einmal waren da auch einige der größeren Humanoiden mit den ausdruckslosen Gesichtern. Einer von ihnen beugte sich über Li da Zoltral, umfasste sie an den Schultern. »Lasst Li in Ruhe!« Ich warf mich vorwärts, stieß einen der kleinen Humanoiden zur Seite und riss den größeren, metallisch wirkenden mit mir zu Boden. Ein Dagorgriff hätte ihn eigentlich betäuben sollen, aber er wälzte sich herum, als wäre nichts geschehen, und kam schneller wieder
Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit Seine Gedanken kreisten nur um die Fremden, als er den Antigravlift betrat. War dieser Atlan gekommen, um die Tamaron zu überwältigen? Vielleicht wartete an der Grenze des ShahanSystems eine Angriffsflotte auf ein Signal, um das Shah’taman im Handstreich zu nehmen. Cohrnard tastete nach seiner Waffe. Dass er den Nadler bei sich trug, beruhigte ihn ein wenig. Er überlegte nur, wie er der Tamaron gegenübertreten und was er ihr sagen sollte. Die Besucher durften dabei nicht misstrauisch werden. Erst musste er die Tamrätin überzeugen, aber sie würde ihn anhören, ganz sicher. Die Nacht war windig, und der Wind trug herben Blütenduft mit sich. Ohne sich dessen bewusst zu werden, hatte Cohrnard das Archiv auf dem gewohnten Weg verlassen und die unterirdische Verbindung zum Palast ignoriert. Es regnete leicht. Jeden Tropfen spürte Cohrnard auf der Haut. Der Himmel weint, weil irgendwo Böses geschieht, nannten die Shahano diese Art von Regen. Cohrnard verfiel in einen schnellen Laufschritt. Die Parkanlagen des Palasts, so überwältigend sie schon tagsüber waren, entpuppten sich während der Nacht als atemberaubend illuminierte Szenerie. Lichtkaskaden stiegen in den Himmel, entrissen hier das bizarre Geäst von SpirlaBäumen der Dunkelheit und fluteten dort über Felder blühender Organzien hinweg, bevor sie sich in einem Katarakt aus Spiegelfeldern in einen die Sinne berauschenden Ozean ergossen. Cohrnard hatte keinen Blick für diese Schönheit. Er hastete quer über den Rasen. Vor ihm wuchs der Palast auf. Die erste Kontrolle. Er reichte dem Roboter seinen Ausweis. »Du kannst passieren, Hergol Cohrnard.« Weiter auf der befestigten Zufahrt. Nur einige Dutzend Schritte entfernt standen die Gleiter der Tamaron. Cohrnard zwang sich dazu, nicht mehr so hektisch auszuschreiten. Vor den Stufen der riesigen Sonnenterrasse wartete der nächste Posten, ein Mann der Sicherheitsgarde. Ein strafender, geringschätziger Blick traf Cohrnard. Erst da wurde ihm bewusst, dass seine Kleidung gewiss nicht dem Abend angepasst war. Der Blick glitt aufreizend langsam abwärts und verharrte schließlich auf seinen Schuhen. Dreck und abgerissenes Gras verklebten das schwarze Kunstleder. »Nein!«, wehrte der Gardist schon im Voraus ab. »Was immer du willst, die Antwort lautet nein.« »Die Tamaron befindet sich in Gefahr!«, stieß der Archivar hervor. »Die Fremden sind nicht das,
auf die Beine als ich. Der andere hatte sich über Li gebeugt. Unter seinen Händen hob sich ihr Körper langsam vom Boden. Sie wollten Li da Zoltral entführen! Endlich hielt ich meinen kleinen Kombistrahler in der Hand und aktivierte meinen Schutzschirm. Der erste Schuss traf den metallisch wirkenden Humanoiden mit dem starren Gesicht. Auch jetzt war keine Regung zu erkennen. Zentimeter vor ihm floss die Energie ab, verschwand einfach, als würde sie von einem Schutzfeld absorbiert. Immerhin ließ er von Li ab. Die beiden Kleinen hoben ihre Hände. Unvermittelt traf mich ein heftiger Schlag; ich wurde herumgewirbelt und stürzte, fing mich ab und kam auf die Knie. Aber ich schoss nicht mehr, denn die Humanoiden waren verschwunden. Und Li war offensichtlich im Begriff, wieder zu sich selbst zu finden, jedenfalls kroch sie ein Stück weiter in die trügerische Deckung der zusammengebrochenen Tafel. Sie sind so spurlos gegangen, wie sie erschienen sind!, stellte der Extrasinn fest. Welches Interesse haben Diener der Kosmokraten an Li? Vielleicht war alles nur Zufall. Ich dachte an den Walzenraumer im Orbit des Gasriesen. Aber die Frage, was die Kosmokraten von den Shahano wollten, war kaum leichter zu beantworten. Weitere Gardisten der Tamaron stürmten in den Bankettsaal. Jeder, der von Anfang an eine Waffe besessen oder inzwischen erbeutet hatte, schoss wild um sich. Mehrere Treffer ließen meinen Schutzschirm aufflammen. Dann entdeckte ich die Tamaron. Deckenfragmente hatten sie getroffen, aber offenbar nicht nennenswert verletzt. Hastig wühlte sie sich unter den Trümmern hervor, während dicht neben ihr mehrere Thermoschüsse einschlugen und eine Explosion verursachten. Nestara Cherhay verschwand inmitten einer wirbelnden, glutenden Staubwolke. Im Nu war ich neben ihr, zerrte sie aus der Glut hervor und versuchte, ihr mit meinem eigenen Individualschirm Schutz zu geben. In dem Moment sah ich einen Shahano mit einer Projektilwaffe auf mich zielen ... 8. Nie hatte Hergol Cohrnard die Räume des Archivs derart unheimlich, ja geradezu bedrohlich empfunden wie in dieser Nacht. Das Echo seiner eigenen hastigen Schritte verfolgte ihn, als er den Sicherheitstrakt verließ.
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Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit was sie ...« Was sie zu sein vorgeben, hatte er sagen wollen, doch er biss sich auf die Zunge. Egal, was er sagte, der Gardist würde ihm nicht glauben, seine Haltung wirkte nicht nur ablehnend, sondern sogar feindselig. Sollte der Mann gar ... Unsinn! Sobald er anfing, überall Agenten von Baylamor zu sehen, überschritt er die Grenze zwischen Realität und Wahn. »Ich kann meine Behauptung beweisen«, sprudelte es aus ihm hervor. Zwei weitere Gardisten waren aufmerksam geworden und kamen, langläufige Strahlenwaffen in der Armbeuge, näher. Cohrnard hatte mit Schwierigkeiten nicht gerechnet. Bis zur Tamrätin vorzudringen, noch dazu in äußerst unangemessener Kleidung, erwies sich als so gut wie unmöglich. Die Wachen würden sich hüten, den Empfang zu stören. Cohrnard sah das an ihren verkniffenen Gesichtern. »Verschwinde!« Der Wink mit der Waffe war unmissverständlich. Cohrnard zögerte dennoch, legte sich zurecht, was er sagen sollte ... Da begann einer der Gardisten zu brüllen und riss die Waffe hoch. Hergol Cohrnard duckte sich unwillkürlich und zog den Kopf ein, aber die Aufregung galt nicht ihm. »Im Palast wird geschossen!«, hörte er, und dann stand er allein vor dem Treppenaufgang. Die Gardisten hetzten auf den Palast zu, als gelte es ihr Leben. Zu spät!, durchfuhr es den Archivar. Ich bin zu spät gekommen. Die Fremden von Tarik haben ihr Attentat auf die Tamaron verübt. Er wollte fliehen, fort von dem zu erwartenden Chaos. Aber seine Neugierde siegte. Langsam erst, dann immer schneller stieg er die Treppe hinauf. Das prunkvolle Hauptportal ... Die Gardewachen, die stets hier standen, waren verschwunden. Cohrnard tauchte ein in eine Welt des Prunks. Edle Stoffe an den Wänden, die Decke von Stuck und handgearbeiteten Leuchtern bestimmt, auf dem Boden Mosaike mit zum Teil holografischer Ausstrahlung. Achtlos stolperte er darüber hinweg, versuchte sich zu orientieren und ließ sich letztlich vom aufbrandenden Lärm leiten. Der große Bankettsaal öffnete sich vor ihm. Hier herrschte ein unbeschreibliches Chaos. Teile der Tafel waren zusammengebrochen, andere von Thermoschüssen in Brand gesteckt worden und verbreiteten einen flackernden Schein. Schwarzer Rauch wogte auf, als wolle er die Szenerie gnädig verhüllen. Hergol Cohrnard stand wie erstarrt. Irgendwo da drinnen befand sich die Tamrätin, falls sie überhaupt noch am Leben war. Er war zu spät
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gekommen. Da half nicht einmal, dass er den mörderischen Plan der Fremden durchschaut hatte. Zu spät! Die Geschichte ungezählter Völker wurde von diesem schrecklichen Wort geprägt. Wenn es erst ausgesprochen war, gab es kein Zurück mehr. Zitternd warf sich Hergol Cohrnard herum. Seine Furcht wuchs zur Panik. Was im Palast geschah, würde wie eine alles verschlingende Feuersbrunst über Shahjohl hinwegschwappen, und bald gäbe es im ganzen Shahan-System keinen sicheren Ort mehr. Hergol Cohrnard floh – vor sich selbst und vor den Fremden. Er kam nicht weit, schaffte es nicht einmal, die Säulenhalle vor dem Saal halb zu durchqueren. Etwas Unheimliches griff nach ihm. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel schlug es in ihn ein, und Cohrnard hielt so abrupt inne, als sei er gegen eine unsichtbare Wand geprallt. Er hörte ein Stöhnen, aber er verstand nicht mehr, dass er selbst diese qualvollen Laute ausstieß. Sein Blick wurde glasig. Nicht einmal für die Dauer eines Atemzugs kämpfte der Archivar gegen den Zwang an, der seinen Geist versklavte. Als Hergol Cohrnard den Nadler aus dem Schulterholster riss, wusste er schon nicht mehr, was er tat. Wie eine ferngelenkte Puppe wirkte er, steif und nicht von seinem Ziel abzubringen. Er sah Gardisten am anderen Ende der Halle und jagte ihnen das halbe Magazin entgegen – sie starben inmitten heftiger Explosionen, ohne zu begreifen, was geschah. Cohrnard ging weiter, betrat den Saal, ein Chaos aus Rauch und Glut, zusätzlich angefacht und verwirbelt vom Sog der Klimaanlage. Nicht einen Gedanken verschwendete er daran, was er da tat. Er schaffte es nicht, sich dagegen aufzulehnen. Blind feuerte er. Dann war das Nadlermagazin leer, gerade als er den weißhaarigen Fremden entdeckte. Der Mann, der sich Atlan nannte, zog die Tamaron in den Schutz einer trügerischen Deckung. Zudem sah es so aus, als wolle er sie mit seinem eigenen Leib beschützen. Er trug einen eigenen schwach leuchtenden Schutzschirm. Noch einmal löste Cohrnard den Nadler aus. Nichts. Er schleuderte die Waffe zur Seite, beugte sich über einen toten Admiral der ShahanaRaumflotte und riss dem Toten den Strahler aus der Hand. Er musste den Fremden töten ... Er musste es! Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte er einen der Begleiter Atlans. Er hatte den nicht besonders
Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit großen, massig wirkenden Mann schon in den Bildsequenzen vom Raumhafen gesehen. Der Mann richtete einen kleinen Strahler auf ihn. Cohrnard zögerte den Bruchteil eines Augenblicks zu lange. Ein grünlich flirrender Strahl traf seine Brust. Nichts sonst geschah. Cohrnard spürte keine tödliche Hitze, die seine Haut und das Fleisch verbrannte. Lachend wollte er die eigene Waffe herumreißen und den Untersetzten erschießen – aber da war keine Waffe mehr. Nicht einmal mehr die Hand war da, mit der er den Strahler gehalten hatte. Auch der Arm bis hinauf zum Schultergelenk war verschwunden. Ungläubig starrte Hergol Cohrnard an sich hinab. Was mache ich hier?, dröhnten seine Gedanken. Wieso bin ich nicht geflohen? Teile seiner Kleidung und das Schulterholster hatten sich aufgelöst, und – der Speicherkristall war fort! Cohrnard rang nach Atem, glaubte, ersticken zu müssen. Die Haut auf seiner Brust hatte sich ebenso verflüchtigt wie großflächige Bereiche des Muskelgewebes, rechts lagen sogar die Rippen frei wie bei einem Skelett. Ein Desintegrator, erkannte der Archivar im Aufwallen neuer Panik. Der Untersetzte hatte mit einem Desintegrator auf ihn geschossen. Also war der Speicherkristall in Atome zerstäubt und mit ihm die unersetzlichen Informationen. Übelkeit wogte in ihm auf. Alles um ihn herum begann, sich in einem schneller werdenden Reigen zu drehen. Er brach in die Knie, hielt sich noch einen kaum spürbaren Atemzug lang aufrecht und kippte zur Seite. Warm und klebrig quoll es über seine Lippen. Mit dem untrüglichen Instinkt der letzten Sekunden spürte Hergol Cohrnard, dass er starb. Baylamor!, wollte er sagen, wollte vor dem Zugriff von Tarik warnen, aber nur ein gehauchtes »Bay...« drang noch über seine Lippen. Der Weißhaarige beugte sich über ihn. Cohrnard starrte in dessen rote Augen und erkannte, dass sie voll Trauer waren. Das waren warme, weichherzige Augen! »Du weißt mehr«, drängte Atlan. »Wir werden dir helfen ...« Cohrnards Lippen bebten. Mühsam sammelte er seine letzte Kraft. Baylamor, versuchte er noch einmal hervorzustoßen, aber was er mit erlöschendem Atem hauchte, war der Name des einzigen Wesens, das er auf dieser Welt in sein Herz geschlossen hatte und das ihn nie wieder sehen würde: »Namron ...«
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* Atlan Das Ende einer Hoffnung Augenblicke lang versuchte ich zu ignorieren, was ringsum geschehen war. Ich achtete nur noch auf den Sterbenden. Es hatte ihn schier unmenschliche Anstrengung gekostet, dem Tod noch einige Augenblicke abzuringen. Was immer dieser Mann mitteilen will, es muss von enormer Brisanz sein, wisperte mein Logiksektor. Und er gehört nicht zur hohen Gesellschaft. Ich reagierte nicht darauf. Der Unbekannte hatte mich erschießen wollen, hatte die Waffe nur auf mich gerichtet, auf niemand sonst. Ganz nahe war ich seinen Lippen und hörte seinen letzten Atemzug: »Namron ...« Ein Name? Vielleicht. Oder ein Ort, ein Planet, was auch immer. Für mich hatte dieses Wort nicht die geringste Bedeutung. Das kann sich sehr schnell ändern. Du meinst, dieser ... Namron ... könnte ein Kosmokrat sein?, gab ich in Gedanken zurück. Er hat die kleinen Humanoiden ausgesandt? Der Spuk war auf jeden Fall vorbei. Fürs Erste. Ein rascher Rundblick durch Qualm und Flammen zeigte ringsum Shahano, die sich aus ihrer Deckung erhoben. Fluchend und wütend die einen, die anderen offensichtlich froh, dass sie überlebt hatten. Die wenigsten schienen erkannt zu haben, was wirklich geschehen war. Einige blickten sich suchend um, die Waffen immer noch im Anschlag. Die Humanoiden mit den ausdruckslosen Gesichtern waren ebenso schnell und spurlos verschwunden, wie sie erschienen waren. Sie handelten im Auftrag eines Kosmokraten, das stand für mich unumstößlich fest. Aber warum ...? Kümmere dich um Naheliegendes, Narr!, schimpfte der Extrasinn. Um die Tamrätin zum Beispiel. Mit der Rechten strich ich über die Augen des Toten und drückte seine Lider zu, bevor ich mich wieder aufrichtete. Nestara Cherhay stand keine vier Schritte entfernt. Sie fixierte mich mit einem Blick, als hätte sie mich nie zuvor gesehen. Zorn stand in ihren Augen und ebenso der Schrei nach Vergeltung. »Was hier geschehen ist, Tamaron ...« Mit einer unmissverständlichen Bewegung schnitt sie mir das Wort ab. Im Hintergrund wurden Flüche laut. Jemand versuchte, die Flammen zu löschen, indem er
Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit Was bisher geschah:
Kübel mit Eiswasser ausleerte. Aber das war vergebliche Mühe, wie manches andere auch. Immer noch wirkten einige Shahano wie in Trance, bewegten sich wie Marionetten, deren Führungsfäden sich verwirrt hatten. Jemand schoss auf einen Schatten an der Decke. Ein scharfer Befehl der Tamrätin. Zwei Männer ihrer Leibgarde nahmen dem Schützen die Waffe ab und zerrten ihn nach draußen, weg von den Verletzten und Toten. Andere folgten ihnen. »Wo bleiben die Mediker? Und das Feuer muss endlich eingedämmt werden!« Nestara Cherhay starrte mich an. Dann erst schien sie den Toten zu erkennen. »Hergol Cohrnard, der Archivar. Er gehörte nicht zu den Festgästen.« Ein unwilliger Zug erschien um ihre Mundwinkel. Sie hatte viele Fragen, aber sie stellte sie nicht. Weil sie wusste, dass die Antworten jetzt und hier nicht erschöpfend sein konnten. Ein Adjutant stürmte in den verwüsteten Saal. Aufgeregt meldete er, dass ganz Shahana von unerklärlichen Amokläufen heimgesucht worden war. Aus immer mehr Städten trafen Meldungen ein; offensichtlich hatte es Hunderte von Toten und noch mehr Verletzte gegeben. »Es tut mir Leid, Tamaron«, begann ich. Sie trat einen Schritt zurück und hob befehlend den Arm. »Nehmt sie fest!«, befahl sie ihrer Leibgarde. »Alle sechs!« Ich schüttelte den Kopf, als mich die Blicke meiner Begleiter trafen. Vielleicht hätten wir uns der Verhaftung entziehen können, aber damit jede weitere Chance auf eine Verständigung verspielt. »Atlan«, sagte die Tamrätin mit schneidender Kälte in der Stimme, »ich klage dich und deine Begleiter des Aufruhrs an. Ihr seid verantwortlich für den Tod vieler Shahano. Das ist Grund genug, euch standrechtlich zu erschießen ...«
Wir schreiben den Februar des Jahres 1225 NGZ. Auf Einladung der Historikerin Li da Zoltral besucht Atlan das auf einer Museumsinsel gelegene Epetran-Archiv, in dem Schätze und geheimes Wissen der Lemurer lagern, der Ersten Menschheit, die schon vor weit über fünfzig Jahrtausenden die Milchstraße besiedelte und von der alle gegenwärtig in der Galaxis existierenden humanoiden Völker abstammen. Als Unbekannte unter den Augen der Besucher einen Krish’un stehlen, einen Umhang lemurischer Tamräte, nimmt Atlan die Ermittlungen auf. Mit dem Schweren Jagdkreuzer TOSOMA stößt er ins Zentrum von Omega Centauri vor, einem wegen seiner hyperenergetischen Bedingungen bisher unerforschten Kugelsternhaufen. Die TOSOMA wird von Walzenraumern der Mograks angegriffen. Atlan flieht mit dem Schiff zur Handelswelt Yarn, wo er Informationen über lemurische Hinterlassenschaften auf dem Planeten Acharr erhält. Doch auf dem Flug zur Ruinenwelt zwingt ein Hypersturm sie zur Landung. Nur mit äußerster Mühe kann die Besatzung die geistige Beeinflussung durch ein planetenweites Bewusstsein abstreifen und ihr ursprüngliches Ziel anfliegen: Acharr. Bei Kämpfen in einer Steuerzentrale der Lemurer gegen Naats und Arkoniden wird Atlans Verdacht zur Gewissheit: Die Familie da Zoltral zieht im Hintergrund die Fäden. Atlan beschließt, sich in einem der drei Reiche umzusehen, die in Omega Centauri von Lemurerabkömmlingen gegründet wurden. Die Wahl fällt auf das Tamanium Shahan ...
Atlan ahnt nicht, dass er um Haaresbreite in den Besitz wertvoller Informationen über die Vergangenheit von Omega Centauri gekommen wäre. Er hat auf Shahana um das Vertrauen der Tamrätin geworben, es gewonnen und gleich wieder verloren. Nichts scheint verhindern zu können, dass sie sich an seinem vermeintlichen Verrat rächt ... ANGRIFF DER BESTIEN Unter diesem Titel schildert Bernd Frenz das weitere Schicksal des Arkoniden.
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Centauri 05 – Fragmente der Ewigkeit Impressum: © Copyright der Originalausgabe by Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt Chefredaktion: Klaus N. Frick © Copyright der eBook-Ausgabe by readersplanet GmbH, Passau, 2004, eine Lizenzausgabe mit Genehmigung der Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt
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