OTTO ZIERER
BILD DER JAHRHUNDERTE EINE WELTGESCHICHTE IN 18 EINZEL- UND 12 DOPPELBÄNDEN
Am Tor der neuen Welt Unter d...
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OTTO ZIERER
BILD DER JAHRHUNDERTE EINE WELTGESCHICHTE IN 18 EINZEL- UND 12 DOPPELBÄNDEN
Am Tor der neuen Welt Unter diesem Titel erscheint der Doppelband 25/26 der neuartigen Weltgeschichte. Der Doppelband behandelt das 15 Jahrhundert n. Ch. Die Menschen beginnen die Welt mit neuen Augen zu sehen. Das geographische und wissenschaftliche Bild der Erde dehnt sich über die engen Grenzen des alten Universums: Columbus entdeckt Amerika, Vasco da Gama findet den Seeweg nach Indien. Der Geist bricht über die Schranken frommer Bindung in ^roße, unabsehbare Räume. Die Buchdruckerkunst gibt jedem neuen, revolutionären Gedanken, jeder Entdeckung weltweites Echo. Donnernd springt das Tor zu einer größeren Welt auf, die Neuzeit hebt an.
Auch dieser Doppelband ist in sich vollkommen abgeschlossen und enthält wieder ausgezeichneteKunstdrucktafeln und zuverlässige historische Karten. Er kostet in der herrlichen Ganzleinenausgabe mit Rot- und Goldprägung und farbigem Schutzumschlag DM6.60, Mit dem Bezug des Gesamtwerkes kann in bequemen Monatslieferungen jederzeit begonnen werden. Auf Wunsch werden auch die bereits erschienenen Bücher geschlossen oder in einzelnen Bänden nachgeliefert. (Einzelbände 1—18 je DM 3.60.) Prospekt kostenlos vom
VERLAG SEBASTIAN LUX • MURNAU MÜNCHEN
KLEINE
BIBLIOTHEK
DES WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
K U L T U R K U N D L I C H E
HEFTE
Fritz Bolle
Friedliches
ATOM Atomkraft im Dienst des Menschen
VERLAG SEBASTIAN LUX • MURNAU / MÜNCHEN
Die Spaltung des Kerns von Uran 235 durch ein Neutron ergibt zwei mittelschwere Kerne.als Bruchstücke; außerdem werden weitere Neutronen frei, die andere Uran"" kerne spalten, so daß unter Energieentfaltung eine Kettenreaktion in Gang kommt.
Atom — u n t e i l b a r e s Urteilchen Rom — im Jahre 854 „nach Gründung der Stadt" — 100 Jahre nach Christus. Marcus Silvanius Niger, römischer Patrizier aus uraltem Geschlecht, hat sich nach langen Jahren der Bewährung als Soldat, als Politiker, als Diplomat im Dienst des Imperium Romanum, des weltweiten Römischen Reiches, endlich von allen öffentlichen Ämtern lösen können. Jetzt erst, an der Schwelle des Greisenalters, findet er Muße genug, sich ganz dem zuzuwenden, was seit den Jünglingsjahren, da er begeistert den Liedern der Dichter, den scharfsinnigen Ausführungen der Philosophen gelauscht hatte, «ein Traum war: sich selbst in die Werke der großen Denker und Dichter versenken zu können und ihnen auf ihrem Geistesflug zu folgen. Behaglich auf das Ruhebett hingestreckt, läßt Silvanius den Blick über die Regale wandern, die an der Längswand des Arbeitsraumes aufgerichtet sind. Auf den pergamentenen Blättern der Schriftrollen ist von Schreiberhand festgehalten, was die Poeten gedichtet, was die großen Philosophen gedacht haben. Silvanius schließt die Augen und ruft in die Erinnerung zurück, was er gestern gelesen: 2
Demokrits ethische und naturwissenschaftliche Schriften. Welche Geisteswelt hat sich ihm in der Weisheit dieses griechischen Philosophen erschlossen, der nun schon fast 500 Jahre tot ist! Nur aus einer hohen und edlen Denkart konnte ein Wort wie dieses hervorgehen: „Höchstes Gut des Menschen ist die Glückseligkeit, wie sie aus jener ruhigen Heiterkeit entsteht, die man am sichersten durch Mäßigung aller Leidenschaften und Begierden, durch stetiges Gleichmaß in der Lebensführung erreichen kann .. .", oder jenes andere Wort: „Gut ist nicht das Nicht-Unrechttun, sondern das Nicht-einmal-Unrecht-Wollen" . .. und „Wer Unrecht tut, ist unselisrer, als wer Unrecht leidet." Silvanius sinnt einen Augenblick den Worten nach. Dieser Grieche aus Abdera in Thrakien hatte ausgesprochen, was das Lebensziel jedes „homo vere Romanus", jedes echten alten Römers, hätte sein sollen. Aber nicht diesen Gedanken will Silvanius heute weiter folgen; etwas anderes hat ihn mehr noch an Demokrits Philosophie gefesselt, seine Ansichten von der Natur und der Welt. Behauptete der Meister doch, daß nicht aus den vier Elementen, nicht aus Feuer und Erde, Wasser und Luft die Welt geschaffen und aufgebaut sei, wie es die ältesten Philosophen geglaubt hätten, sondern aus kleinsten, nicht mehr teilbaren Teilchen, ans Atomen. A-tomos, un-teilbar, so lehrte Demokrit, sei jedes einzelne dieser Teilchen, ewig und ungeworden sei es, unzerstörbar — seit Ewigkeiten in Bewegung und, bis in alle Ewigkeiten in Bewegung. Silvanius überlegt: Dort steht die Marmorsäule. Wenn ich jetzt ein Stückchen davon abschlage, wird auch dieses Splitterchen immer noch Marmor sein. Immer kleiner schlage ich die Stückchen; ein ganz kleines könnte ich jetzt nach hinten bringen, wo die Sklaven das Korn zu Mehl mahlen, und zwischen den Steinen der Mühle zerrreiben lassen, immer kleiner und feiner — bis ich es nicht mehr sehen, nicht mehr fühlen kann. Aber ein Stückchen Marmor bleibt es immer noch, auch wenn ich die Zerkleinerung — nun in Gedanken — immer und immer weiter fortsetze, solange, bis ich ein nicht mehr teilbares Stückchen erhalte, unendlich klein, a-tomos, ein Marmor-Atom. Aber es wird immer noch Marmor-Eigenschaft haben, wird körperhaft und dicht sein. Sind die Atome der Dinge aber wirklich so unendlich klein, wie Demokrit meinte, so muß es sie in unendlichen Mengen geben, nicht nur in diesem Marmor, sondern in allen sichtbaren und greifbaren Gegenständen. Verschieden an Gestalt, Lage und Anordnung, bauen die Atome, sich zu immer größeren Anhäufungen zusammenballend, sich in Wirbeln zusammenschließend, alles Seiende auf. 3
Silvanius lächelt etwas wehmütig: Diese Welt des Demokrit, ein leerer Raum von Ewigkeit zu Ewigkeit, darinnen eine unendliche Zahl unendlich kleiner Atome, von Ewigkeit zu Ewigkeit in nie ruhender Bewegung — sie ist gewiß ein großartig einheitliches Bild. Aher nichts in diesem Weltbild erinnert mehr an die lichten und heiteren Götter der Griechen, die ihm, dem Römer, so viel bedeuten; denn für die Götter der Vorväter ist in dieser Atomwelt kein Raum mehr. Auch die Überirdischen sollen ja nach Demokrit nur aus Atomen gebildet sein, aus den kleinsten freilich, ganz glatten und ganz runden, aus denen auch die Seele des Menschen gefügt ist. „Ein wenig tröstliches Bild!" sagt Silvanius. Aber er mag sein Denken hin und hergehen lassen — der Verstand gibt keine andere Antwort. Auch wenn er sich einmal das Größte vorzustellen versucht, was es geben mag, zwingt sich ihm der Begriff des kleinsten Atoms wieder auf,' aus dem dieses Größte zusammengesetzt sein muß. Alle Körper, der kleinste wie der größte, besteben aus unendlich kleinen Teilchen, die selber nicht mehr teilbar sein können. Ist nicht der Römer Lukrez, der vor 200 Jahren geboren wurde, zu der gleichen Erkenntnis gekommen? Silvanius erhebt sich von seinem Lager und entfaltet eine der Rollen seiner Bibliothek. Es ist das große Lehrgedicht des Lukrez „De rerum natura" (Über die Natur der Dinge). In eigenartig altertümlich strenger Form, aber doch mit dichterischer Kraft ist in diesem tiefgründigen Werk die gleiche Lehre von den unteilbaren kleinsten Bausteinchen der Welt niedergelegt. „ . . . Befindet sich nicht ein äußerstes Restchen noch an jedem beliebigen Körper, das nicht mehr unseren Sinnen • faßbar ist? Und dieser Rest wird, wer kann daran zweifeln!, sich unteilbar zeigen und ist von äußerster Kleinheit; und nie ward es geteilt in sich, nie wird man es teilen . . . Einfach sind sie daher und fest, die Atome der Körper, davon nichts die Natur je abzusplittern gestattet oder zu kürzen, da sie die Dinge erst möglich machen. Oder gilbt es vielleicht kein Kleinstes? — so hätten die Körper, wären sie noch so klein, noch immer unendliche Teile, weil vom Halben das Halbe geteilt neue Teilung ergibt, nie wäre ein Ende zu denken. Wie aber würde sich dann vom Größten das Kleinste scheiden?" Unendlich viele, unendlich kleine Atome — wieder packt den Silvanius die eiskalte Großartigkeit dieses dichterisch gestalteten 4
Gedankengebäudes. Aber ist das die ganze Wahrheit? Und dann erinnert sich Silvanius, daß Lukrez einst durch Selbstmord geendet hat. Dieser selbstgewählte Tod macht ihn nachdenklich. Welten, erschaffen durch Zusammentritt von winzigen Atomen, von Ewigkeit zu Ewigkeit immer neu erschaffen und — wenn die Vereinigung der Atome auseinanderfiel — wieder zugrunde gegangen! Mit dieser gewiß ebenso einfachen wie umfassenden Lehre hatte Lukrez die Menschen, die nach seiner Vorstellung selber nichts anderes waren als Zusammenballungen von Atomen, von der Furcht vor den Göttern und vor dem Tode befreien wollen. Aber warum hatte er dann Selbstmord begangen? Hatte dieses Bild der Welt ihm, dem Schöpfer dieses Bildes, vielleicht doch nicht ganz jene Glückseligkeit schenken können, von der sein Lehrmeister, von der Demokrit, gesprochen hatte? Silvanius fröstelt. Glückseligkeit? Ein Wort, um das in dieser Zeit die Philosophen Roms in den Gelehrtenschulen und auf dem Forum debattierten, das den Sklaven wie den Kaiser bewegte, das die einen im vollen Ausschöpfen der Glücksfälle des Lebens erfüllt sahen und die anderen in 'der Hingabe an das Ewige jenseits des Weltgeschehens. Hatte Demokrit, hatte Lukrez recht? War das Göttliche Zusammenballung von Stoffatomen — nun so sollte man dem Glück des Tages huldigen, wo es sich einem darbot. Hatten aber die anderen recht, denen das Geschaffene als das Werk der Götter oder des einen Gottes erschienen—dann waren dem Menschenstreben höhere Ziele gesetzt. Silvanius wußte auf diese Fragen keine Antwort.
Ton Sennert bis Dalton Anderthalb Jahrtausende gehen vorüber, ehe über den Begriff des Atoms, des kleinsten Bausteinchens der Stoffe, erneut nachgedacht wird. Es ist die Zeit, da man mit neuen Mitteln darangeht, den Geheimnissen der Natur auf die Spur zu kommen. Nicht mehr mit philosophischem Verstände allein will man nun die Rätsel lösen, sondern durch Beobachtung und Versuch. „Messen, was meßbar ist" — so kennzeichnet Galileo Galilei, seit 1592 Professor der Mathematik zu Padua, das neue Programm — „und meßbar machen, was noch nicht meßbar ist". Sein deutscher Zeitgenosse, Daniel Sennert, Professor an der Universität Wittenberg, greift schon bald zur naturphilosophischen Deutung des Weltgefüges den Atom-Begriff des Altertums auf; er spricht als erster wieder von Atomen, von „atoma corpuscula", von unteilbaren 5
Körperchen, als den „minima naturae", dem Kleinsten, was es überhaupt in der Natur gibt. Freilich läßt Sennert noch immer die vier uralten Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft gelten — aus diesen vier Arten von Elementar-Atomen baue sich die Welt auf. — Von Atomen als den kleinsten Bausteinen der Körperwelt redet zur gleichen Zeit auch der Pariser Professor Pierre Gassendi; und es gehört nicht wenig Mut dazu, denn damals steht in Frankreich auf die Verbreitung dieser angeblich gottlosen Lehre die Todesstrafe! Zu einem echt naturwissenschaftlichen Begriff aber wird die bis dahin ausschließlich von den Philosophen und philosophierenden Dichtern benutzte Atomlehre erst durch Robert Boyle, einen reichen, unabhängigen englischen Grundbesitzer und Naturforscher aus Leidenschaft, der 1691 in London als Präsident der Royal Society gestorben ist, der ältesten und vornehmsten wissenschaftlichen Gesellschaft der Welt. Seine Versuche haben ihn gelehrt, daß man mit den vier „Elementen" der Alten (die gar keine Elemente sind) wissenschaftlich nichts anfangen kann, und deshalb faßt er den Begriff „Element" neu: Ein Element ist jeder Stoff, der sich mit den Mitteln der Chemie nicht in verschiedenartige Teile zerlegen läßt. Dieser von Boyle geschaffene Begriff des chemischen Elements besteht auch heute noch zu Recht: Eisen, Quecksilber, Schwefel, Aluminium sind Elemente, die selbst unter der Einwirkung der raffiniertesten Mittel der Chemie immer Eisen, Quecksilber, Schwefel, Aluminium bleiben und durch Hitze, durch Säuren, durch andere Eingriffe nicht in einfachere Stoffe verwandelt werden können. Kochsalz jedoch oder Zucker sind keine Elemente, sondern Verbindungen von Elementen, Kochsalz zum Beispiel eine Verbindung des Elements Natrium, eines Metalls, und des Elementes Chlor, eines Gases. Boyle hatte schon ausgesprochen, daß jedem Element ganz bestimmte Atome zuzuordnen seien, je nach Element unterschieden nach Größe und Gestalt; aber erst 150 Jahre später brachte ein englischer Privatgelehrter, John Dalton, diesen Lehrsatz in die strenge Form des wissenschaftlichen Gesetzes, ausgedrückt durch ineßbare Zahlenverhältnisse. Eine einfache Versuchsserie mag Daltons Art, zu arbeiten und aus dem Versuchsergebnis ein Gesetz aufzustellen, veranschaulichen. In acht verschiedenen Versuchsgläschen werden achtmal die Elemente Schwefel und Eisen zusammengebracht, jedesmal in verschiedenen Gewichtsmengen. Man nimmt den Schwefel in Form von Schwefelblume, das Eisen in Form von Eisenpulver und wiegt nun in die einzelnem Gläschen 6
a) b) c) d) e) f) s) h)
6 Gramm Schwefel und 7 Gramm Eisen 5 „ 7 4 „ 7 3 „ 7 2 „ 7 „ 3 „ 3,5 „ 2 „ 3,5 „ 1 „ 3,5 „
Sind Schwefel und Eisen gut durcheinander geschüttelt, so wird die Mischung mit einer glühenden Nadel berührt. Es kommt zu einer stofflichen Veränderung, einer Reaktion. Die ganze Mischung glüht auf, und es entsteht eine grauschwarze Masse. Prüft man nach dem Erkalten nun alle acht Gläschen daraufhin, was aus dem Inhalt geworden ist, so macht man eine überraschende Feststellung: In drei Gläschen (a, b, f) läßt sich noch Schwefel nachweisen — man kann ihn mit dem Lösungsmittel Schwefelkohlenstoff herauslösen —, in drei anderen (d, e, h) muß noch Eisen vorhanden sein, denn die Masse im Glas zeigt eine der kennzeichnendsten Eigenschaften des Eisens, sie ist "(magnetisch geblieben. Bei zwei Versuchen aber (c und g) läßt sich weder Schwefel herauslösen, noch ist das Versuchsergebnis magnetisch. Hier muß also alles Eisen mit allem Schwefel in eine solch enge Verbindung getreten sein, daß beide rfesentliehe Eigenschaften eingebüßt haben und etwas neues entstanden ist. Auffallend ist nun, daß bei diesen beiden Versuchen dieselben Gewichtsverhältnisse geherrscht haben, denn 4 verhält sich zu 7 genau so wie 2 zu 3,5. Wiederholt man die Versuche mit einem Vielfachen dieser Zahlen —• zum Beispiel mit 40 Gramm Schwefel und 70 Gramm Eisen, mit 12 Gramm Schwefel und 21 Gramm Eisen, so bekommt man stets die einheitliche Masse, die weder Schwefel- noch Eiseneigenschaften zeigt. Ähnliche, stets feste Zahlenverhältnisse fand nun Dalton — und nach ihm jeder Chemiker, der Elemente zu Verbindungen zusammentreten ließ oder Verbindungen in Elemente zerlegte — immer wieder. Will man Kochsalz in reiner Form haben, so muß man 23 Gewichtseinheiten Natrium mit 35,5 Gewichtseinheiten Chlor zusammenbringen. Und zerlegt man Salzsäure, die eine Verbindung aus den Gasen Wasserstoff und Chlor ist, so erhält man stets das Verhältnis 1: 35,5. Das ist wieder die Zahl 35,5 für Chlor! Was liegt näher, als anzunehmen, daß diese Zahl etwas über die chemische Eigenart des Chlors aussagt!
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Dalton überlegte: Wenn aus einer bestimmten Menge Eisen und ' aus einer anderen, in einem festen Zahlenverhältnis zu ihr stehenden, bestimmten Menge Schwefel stets eine bestimmte Menge einer neuen, ganz andersartigen Masse wird (die man Schwefeleisen nennt) und beide Ausgangsstoffe ihre elementaren Eigenschaften darin aufgegeben haben, so müssen alle Atome des Schwefels und alle Atome des Eisens miteinander in Verbindung getreten sein. Oder umgekehrt: Die kleinste Menge (1 Atom) Schwefel hat in chemischer Verbindung mit der kleinsten Menge (1 Atom) Eisen die kleinste Menge Schwefeleisen ergeben. Für diese Kleinstmenge Schwefeleisen konnte man nun schlecht den Begriff Atom anwenden, denn sie war nicht a-tomos, sie ließ sich ja wieder in die beiden Atome der Elemente Schwefel und Eisen zurückverwandeln; deshalb brauchte man für sie einen neuen Begriff: Die kleinste Menge einer Verbindung nennt man Molekül, vom lateinischen molecula, die kleine Masse. Sinngemäß das gleiche, was für Schwefel, Eisen und Schwefeleisen gilt, trifft dann aber auch für Natrium, Chlor und Kochsalz, für Wasserstoff, Chlor und Salzsäure zu: Auch hier muß jeweils ein Atom des einen Elements mit einem Atom des zweiten zu einem Molekül der neuen Verbindung (Kochsalz bzw. Salzsäure) zusammengetreten sein. Und nun bekommt die Zahr35,5 beim Element Chlor eine ganz besondere Bedeutung: Wenn ein Atom Wasserstoff und ein Atom Chlor ein Molekül Salzsäure bilden und wenn man zur Bildung von Salzsäure stets 1 Gewichtsteil Wasserstoff und 35,5 Gewichtsteile Chlor nehmen muß, dann bleibt nur ein Schluß: Ein Atom Chlor muß 35,5mal so gewichtig sein wie ein Atom Wasserstoff! Nehmen wir nun die Verhältnisse bei Koehsalz: Auch zu dieser Verbindung wird Chlor gebraucht, dessen Atom 35,5mal so schwer ist wie ein Wasserstoffatom. Wir brauchen, um reines Kochsalz herzustellen, zu den 35,5 Teilen Chlor noch 23 Teile Natrium; im Kochsalzmolekül entsprechen also die Zahlen 23 und 35,5 den Gewichten seiner Atome, d. h. wie das Chloratom 35,5mal so schwer ist wie ein Atom Wasserstoff, so ist das Natriumatom entsprechend 23mal so schwer wie ein Wasserstoffatom. Damit hatte man aber ein Maß für das Atomgewicht; selbstverständlich nicht für das wirkliche Gewicht eines Atoms, denn das konnte ja bei seiner winzigen Größe nur unvorstellbar wenig wiegen. Aber Verhältniszahlen konnte man aufstellen, die angeben, um wievielmal ein Atom eines Elementes schwerer ist als das eines anderen Elementes. Als Grundlage für die Verhältniszahlen wählte man zunächst das leichteste aller Elemente, den Wasserstoff, dessen
Atomgewicht man einfach mit 1 bezeichnete. Aus rein praktischen Erwägungen'ist man in neuerer Zeit davon wieder abgegangen, und zwar deshalb, weil Wasserstoff sich mit einer großen Zahl von Elementen nicht zu Verbindungen zusammenbringen läßt. Viel verbindungsfreudiger ist da der Sauerstoff; er ist 15,87mal so schwer wie Wasserstoff, und aus Bequemlichkeitsgründen hat man ihm das Atomgewicht 16 gegeben; Wasserstoff erhält dann, wie sich leicht ausrechnen läßt, das Atomgewicht 1,008. Nach und nach lernte man die Atomgewichte aller Elemente kennen — es waren fast hundert verschiedene: Chlor hatte nun 35,45 und Schwefel 32,06, Eisen 55,85. Das größte Atomgewicht aber hatte Uran mit 237,977 — seine Atome waren also rund 238mal so schwer wie die Atome des Wasserstoffs.
Strahlende Elemente Im Jahre 1808 war Daltons grundlegendes Werk „A New System of Chemical Philosophy" (Neues System der chemischen Philosophie) erschienen, und als sich das Jahrhundert seinem Ende zuneigte, war aus den noch halb philosophischen Überlegungen der frühen Chemiker eine weltweite Wissenschaft geworden, deren Erkenntnisse einer mächtig aufstrebenden Industrie die feste Grundlage boten. Und unerschütterlich schien besonders ein Fundament: daß jedem Element sein Atom zukomme als der unteilbare, unveränderliche und unveränderbare Grundbestandteil eben dieses Elementes — daß es also rund 100 verschiedenartige Atome gebe, aus denen sich alle Materie zusammensetze. Inzwischen hatte man aber auch durch sinnreiche Experimente und ihre geniale Deutung Aussagen über das wirkliche Gewicht der Atome machen können. Sie sind nicht „unendlich" klein, 'die Atome, wie es einst Demokrit und Lukrez gemeint hatten, aber doch unvorstellbar klein: Ein einzelnes Wasserstoff-Atom zum Beispiel hat das Gewicht von 0,000 000 000 000 000 000 000 00166 Gramm! Man hatte außerdem gelernt, die Elemente in ein sehr sinnvolles System einzuordnen, das sich durch die regelmäßige Anordnung sehr ähnlicher, also doch wohl miteinander irgendwie verwandter Elemente in bestimmter Reihenfolge auszeichnet. In diesem System, das ursprünglich aus einer nach den Atomgewichten geordneten Tabelle bestand, stehen zum Beispiel untereinander die „Salzbildner"-Elemente — Fluor, Chlor, Brom, Jod—, die eine Menge 9
gemeinsamer Merkmale haben, ebenso die „Edelgase" Helium, Neon, Argon, Krypton und Xenon, die ihren stolzen Namen daher tragen, daß sie mit keinem anderen Element irgendeine chemische Verbindung eingehen. Und dieses sogenannte „Periodische System" der Elemente erwies sich schon bald als so richtig, daß man nach ihm noch unbekannte Elemente voraussagen konnte. Wo noch Lücken bestanden, konnte man genau nach den Verwandtschaftsbeziehungen, die das System angab, sagen, welche Eigenschaften das noch fehlende Element haben müsse. Germanium und Gallium waren solche „prophezeiten" Elemente, deren Atomgewicht, Schmelzpunkt, Dichte und sonstige Merkmale man aus der Tabelle bereits kannte, ehe man sie wirklich gefunden hat. In diesem Periodischen System hat jedes Element seine Ordnungszahl, zunächst einfach die Zahl, die angibt, an welcher Stelle das Element steht, wenn man alle Elemente nach steigendem Atomgewicht anordnet. — Wasserstoff zum Beispiel hatte die Ordnungszahl 1, Natrium 11, Schwefel 16, Chlor 17, Eisen 25, Uran als das letzte Element 92. Das Jahrhundert, das der Chemie einen so glanzvollen Aufschwung gebracht hatte, ging seinem Ende zu. Da kam aus Würzburg eine sonderbare Kunde: Der Physikprofessor Conrad Röntgen hatte im Jahre 1895 eigenartige Strahlen entdeckt, Strahlen, die feste Stoffe durchdrangen, die auf dem Leuchtschirm das Knochengerüst der lebenden Hand deutlich abbildeten! Alles suchte nun nach solchen oder ähnlichen Strahlen, und ein Pariser Kollege von Röntgen, Henri Becquerel, konnte schon im Jahr darauf etwas mindestens ebenso Erstaunliches mitteilen: Als er ein Uran-Erz, eine chemische Verbindung also des Elementes Uran, des letzten im Periodischen System (des Elements mit dem höchsten Atomgewicht 238), in schwarzes, lichtundurchlässiges Papier gewickelt auf eine photographische Platte gelegt hatte, zeigte die Platte eine Schwärzung! Das Uran-Erz mußte also ebenfalls strahlen und wie die Röntgenstrahlen andere Stoffe durchdringen! Zwei junge Forscher, Pierre Curie und seine Frau Marie Curie, eine geborene Polin, waren von dieser Entdeckung so begeistert, daß sie sich mit geradezu übermenschlicher Hingabe an die Enträtselung dieser Erscheinung machten. Unter primitivsten Verhältnissen, mit nie versagender Arbeitskraft, in unüberwindlichem Glauben an die Richtigkeit ihrer Arbeitsmethode schafften sie fünfundvierzig Monate lang in schwerstem körperlichem Einsatz, bis sie der aufhorchenden Wissenschaft ihr wahrhaft „strahlendes" Ergebnis bekanntgeben konnten: Sie hatten zwei neue Elemente gefunden, beide „strahlend-tätig", radioaktiv, wie das Uran. Das eine 10
Links : Das Wasserstoff-Atom besitzt nur ein Proton und ein Elektron]: Ordnungszahl und Atomgewidit 1. - Rechts : Modelides Helium-Atoms: Dem Atomgewicht 4 entsprechen im Kern 2 Protonen und 2 Neutronen, der Ordnungszahl 2 die beiden Protonen und die beiden Elektronen. war Radium, hunderttausendmal starker strahlend als Uran —' Radium, „das Strahlende", das mit der Ordnungszahl 88 im Periodischen System der Elemente als sogenanntes Erdalkalimetall die Stelle unter dem Rarium (Ordnungszahl 56) einnimmt; das zweite war Polonium, in dessen Namen die Erinnerung an die Heimat der Madame Curie anklingt. Mit wahrem Feuereifer gingen die Physiker an die Untersuchung dieser strahlenden Elemente. Rald zeigte sich, daß die Strahlung nichts Einheitliches war, sondern sich mit dem Magneten in drei verschiedene Arten von Strahlung aufgliedern ließ, die man nach den ersten drei Ruchstaben des griechischen Alphabets Alpha-, Retaund Gamma-Strahlen nannte. Die Gamma-Strahlen waren gute Rekannte: Es waren besonders durchdringende Röntgenstrahlen (und diese wiederum gehören zu dem weiten Rereich der elektromagnetischen Wellen, zu denen auch die Funkwellen und die Wellen des sichtbaren Lichtes gerechnet werden). Auch die Reta-Strahlen vermochte man zu identifizieren: Es waren Elektronen.
Die Geschichte des Elektrons Elektron — der Name war uralt. Elektron hatten die alten Griechen jenen wundersamen goldglänzenden, leichten, brennbaren Stein genannt, den sie auf schwierigen Handelswegen aus dem hohen nebligen Norden bekamen, wo er an der Ostseeküste an11
geschwemmt wird — versteinertes Harz von Nadelbäumen längst vergangener Erdzeitalter. Mit Elektron, mit Bernstein, hatte der Londoner Arzt und Naturforscher William Gilbert verwunderliche Experimente angestellt, die er in seinem Werk über magnetische Körper anno 1600 beschrieben hat. Bernstein, mit einem trockenen Tuch gerieben, zieht leichte Körperchen, Papierscbnitzel etwa oder Haare, genau so an wie der Eisenmagnet den eisernen Nagel. Und wenn auch alle späteren Untersuchungen den Magnetismus und die von Gilbert entdeckte neue Anziehungskraft des Elektrons als nahe verwandt erscheinen ließen, so zeigte sie doch ihre besonderen Eigenheiten, und man blieb zu ihrer Kennzeichnung bei dein von Gilbert geschaffenen Namen Elektrizität. Als es dann schließlich im Laufe des 19. Jahrhunderts gelang, immer tiefer in das Geheimnis dieser Elektrizität einztidringen, fand man, daß sich alle elektrischen Erscheinungen auf ein einziges Urprinzip zurückführen ließen, auf eine immer gleichartige, unveränderliche, negative elektrische „Elementarladung". Dieser kleinsten existenzfähigen Elektrizitätsmenge gab Johnstone Stoney im Jahr 1890 den uralten Namen Elektron. Dieses Elektron nun, diese Einheit der elektrischen Ladung (so wie die Sekunde die Einheit der Zeit ist), zeigte überraschende Ähnlichkeit mit dem Atom — das Elektron war nämlich nicht nur die Ur-Einheit der elektrischen Ladung, sondern es besaß auch Masse, war also ein „Körperchen", aber noch viel winziger, viel leichter als das leichteste Atom; den tausendachthundertsten Teil vom Atomgewicht des Wasserstoffs wiegt ein Elektron! Und Milliarden und Abermilliarden dieser unvorstellbar kleinen Elementarteilchen der Elektrizität drängen und schieben sich in jedem Kabel, durch jeden Glühfaden der eingeschalteten Lampe und erhitzen ihn durch ihre Bewegung. Solche Elektronen also strahlte das Radium in seinen Betastrahlen aus.
Das Geheimnis der Alphastralilen Was aber waren die Alphastrahlen? Bei ihnen stand man vor etwas bisher völlig Neuem. Auch sie waren Körperchen, Teilchen, und zweifellos waren sie, im Gegensatz zu den elektrisch negativen Elektronen, elektrisch positiv geladen. Ihre Geschwindigkeit war viel kleiner als die der Elektronen, die bis zu 200 000 Kilometer in der Sekunde zurücklegen und damit fast Lichtgeschwindigkeit erreichen. Sie brachten es nur auf rund 2000 Kilometer in der Sekunde, aber sie erzeugten, wo sie auftrafen, Wärme. Und diese 12
Alphateilchen waren ausgesprochen schwer —, viermal schwerer als ein Wasserstoff-Atom. Was aber ist viermal so schwer wie Wasserstoff? Ein Blick auf die Atomgewichts-Tabelle zeigte es den Physikern: Es ist Helium, jenes Element, das man zuerst in der Sonne entdeckt hatte! Ja — aber wie konnte ein Element ein ganz anderes Element aus sich hervorgehen lassen? Wenn Radium ununterbrochen Helium ausstrahlt, das doch das Atomgewicht 4 hat, so muß das Radium doch auch an Gewicht, an Masse verlieren, muß ein niedrigeres Atomgewicht bekommen, und aus den Radiumatomen müssen schließlich andere Atome werden? Die Natur selbst gab auf diese bestürzende Frage die Antwort: Jawohl! Es gibt Elemente, die von selbst zerstrahlen und sich dabei in andere Elemente verwandeln. Das Bestürzende aber war, daß dann wie das Element so auch das Atom nicht ein letztes Unwandelbares sein konnte. Auch Atome können zerfallen, sich in andere verwandeln. Das heißt aber: Das angeblich unteilbare Atom ist nicht a-tomos, es ist noch nicht das letzte Bausteinchen aller Körper! Aus den sich häufenden Beobachtungen, die alle diese erste, wahrhaft revolutionäre Erkenntnis bestätigten, zog ein Engländer, Sir Ernest Rutherford, die Folgerung: Das Atom des Natriums, des Radiums, des Goldes, des Schwefels ist nichts Unteilbares — es ist selbst wieder zusammengesetzt. Das Modell des Atoms, das Rutherford schuf und seine Schüler vervollkommneten, war überraschend einfach: All die fast 100 verschiedenen Atome der Elemente bauen sich aus drei verschiedenen Bausteinen auf: Aus Protonen und Neutronen, die zusammen den Atomkern bilden, und aus Elektronen, die diesen Kern in weiten Kreisen umrunden wie die Planeten die Sonne. Drei Elementarteilchen also sind es, auf die all die Vielfalt der Elemente, auf die die unübersehbare Fülle der chemischen Verbindungen im letzten zurückgehen. Das Proton (griechisch proton, das erste) ist elektrisch positiv geladen, das Neutron (lateinisch neutrum — keins von beiden) ist weder positiv noch negativ, sondern elektrisch neutral, und das Elektron ist negativ elektrisch. Das einfachste Atommodell ergab sich für den Wasserstoff: Um ein Proton kreist ein einziges Elektron, dieses fast gewichtslos gegenüber dem fast zweitausendmal schwereren Proton. Das nächste Element im Periodischen System ist Helium mit der Ordnungszahl 2 und dem Atomgewicht 4. Kreisten hier vielleicht vier Elektronen um vier Protonen? Alles, was man experimentell ermittelt hatte, sprach jedoch dafür, daß Helium nur zwei Elektronen besaß. 13
Wie konnte man »ich dann aber da» gegenüber dem Wasserstoff vierfache Atomgewicht erklären? Die Antwort lautet: Den zwei Elektronen entsprechen im Kern zwei Protonen, und außerdem enthält der Kern noch zwei Neutronen von etwa der gleichen Masse wie die beiden Protonen — zwei und zwei ist vier: Das Atomgewicht stimmte nun! Und als man nun Element um Element durchging, zeigte sich, daß ein tiefer Sinn in jener Tabelle steckte, die man das Periodische System genannt hatte: Die Ordnungszahl eines Elements gibt an, wieviel Elektronen um den Kern kreisen und wieviel positive Protonen ihnen im Kern sozusagen das Gleichgewicht halten. (Sauerstoff mit der Ordnungszahl 8 hat also 8 Protonen und 8 Elektronen. Und da er das Atomgewicht 16 hat, stecken in seinem Kern noch 8 Neutronen. Beim Uran — Ordnungszahl 92 — müssen es also 92 Elektronen sein, die wie 92 Planeten den Atomkern mit seinen 92 positiven Protonen umkreisen; 146 Neutronen liegen außerdem im Kern; aus 92 Protonen und 146 Neutronen ergibt sich das Atomgewicht: 238. Immer tiefer drang die Forschung, in der sich nun Physik und Chemie vereinigten, in die Geheimnisse der Atome ein. Man lernte, daß es die äußeren Elektronen sind, die allein die chemischen Vorgänge, das Zusammentreten der Elemente zu Verbindungen, bewirken — der Atomkern ist dabei überhaupt nicht beteiligt. Man kam ab von dem ersten, noch grob anschaulichen Bild des Planetensystems und mußte, wenn man allen experimentellen Erkenntnissen in streng mathematischer Form gerecht werden sollte, an die Stelle der „Elektronenkügelchen", die in Bahnen um den Kern kreisten, unanschauliche Gleichungen setzen, denen allenfalls ein Bild von „Elektronenwolken" entspricht. Und man erkannte schließlich, daß für die Bestimmung eines Elementes, also dafür, ob man Uran, Blei oder Gold vor sich hat, allein die positive Gesamtladung des Atomkerns ausschlaggebend ist, allein also die Zahl seiner Protonen — d i e Ordnungszahl! Die ungeladenen Neutronen spielen für die chemische Natur eines Elementes überhaupt keine Rolle. Diese Einsicht führte nun allerdings wieder zu verblüffenden Folgerungen.
Sieben verschiedene Elemente Blei Das genaue Studium der radioaktiven Elemente, die „von selbst" zerfallen und sich dabei in andere Elemente umwandeln, hatte dazu geführt, daß man ganze „Geschlechterfolgen", „Stammbäume", von Elementen aufstellen konnte; einer beginnt mit dem Uran und führt
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Links: Modell eines Atoms des schweren Wasserstoffs: Der Kern enthält ein Proton deshalb die Ordnungszahl 1 - und außerdem ein Neutron, wodurch sich das Atomgewicht auf 2 erhöht. — Rechts: Modell eines Atoms des spaltbaren Urans 235: Im Kern 92 Protonen und 143 Neutronen umschwärmt von 92 Elektronen. über verschiedene Zwischenstufen, deren jede ein Element darstellt, zum Radium, von ihm zum Radon, einem Element, das wie Helium und Neon ein Edelgas ist, und weiter über Radium A, Radium B, Radium C schließlich zum Blei — wobei von Schritt zu Schritt die Ausstrahlung entweder von Alpha- oder von Beta-Teilchen die Umwandlung in das nächste Element bewirkt. Dabei stellte sich nun heraus, daß Radium B, Radium D (und ein weiteres Radium G) alle, trotz ihrer physikalischen Verschiedenheit, die gleiche Ordnungszahl hatten, nämlich 82. Das aber ist die Nummer des Elements Blei im Periodischen System! Und damit nicht genug: Nach und nach lernte man nicht weniger als sieben verschiedene Sorten Blei kennen, alle mit der gleichen Kernladungszahl 82, alle also mit 82 Protonen im Kern, aber alle mit verschiedenem Atomgewicht! Man gab diesen verschiedenen Arten von Blei (und auch bei vielen anderen Elementen fand sich diese Erscheinung) einen eigenen Namen: man nannte sie I s o t o p e (vom griechischen isos, gleich, und topos, Ort), weil sie ja tatsächlich alle den gleichen Platz im Periodischen System einnehmen, alle — chemisch wenigstens—völlig identisch mit Blei sind. Und als man nun weiter feststellte, daß die verschiedenen Isotope eines Elements stets in einem ganz bestimmten Mischungsverhältnis vorkommen, daß beispielsweise die sieben verschiedenen Formen Blei mit den Atomgewichten 206, 207, 208, 210, 211, 212 und 214 stets so gemischt sind, daß im Durchschnitt ein Atomgewicht von 207, 21 herauskommt, da hatte man endlich auch eine Erklärung für die doch zunächst sehr merkwürdige Tatsache. 15
daß die Atomgewichte keine ganzen Zahlen ergeben, wenn man sie chemisch bestimmt. Sie können es ganz einfach deshalb nicht, weil die Elemente fast stets in der Form von Gemischen verschiedener Isotope auftreten. Selbst vom Wasserstoff, dem leichtesten Element, gibt es deren drei, von denen zwei allerdings äußerst selten sind, so daß als Durchschnitts-Atomgewicht doch nur 1,008 herauskommt. Die verschiedenen Atomgewichte der Isotope entstehen dadurch, daß der Kern einmal mehr und einmal weniger Neutronen enthält; tritt zu dem einen Proton im Kern des gewöhnlichen Wasserstoffs mit dem Atomgewicht 1,000 ein Neutron, so ändert sich die Kernladungszahl (die Ordnungszahl) 1 nicht, wohl aber das Atomgewicht — es steigt, da Protonen und Neutronen gleichgewichtig sind, auf das Doppelte. Chemisch ist der Wasserstoff dadurch nicht verändert;-genau wie der gewöhnliche (leichte) Wasserstoff verbindet sich auch der „Schwere Wasserstoff" (meist Deuterium genannt, vom griech. deuteros, der zweite) mit Sauerstoff zu Wasser: zwei Atome Wasserstoff und ein Atom Sauerstoff geben ein Molekül Wasser. Aber die physikalischen Eigenschaften des Schweren Wasserstoffs (und des aus ihm entstandenen Schweren Wassers) sind von denen des gewöhnlichen Wasserstoffs erheblich verschieden. So rundet sich das Bild: Drei Elementarteilchen beherrschen das Reich der Atome, ihr Zusammenspiel, von mathematisch darstellbaren Gesetzen bestimmt, formt die ganze, unabsehbar vielgestaltige Welt der Erscheinungen, vom einfachen Element bis zu den kompliziertesten Verbindungen, von den Kristallen bis zu den auch heute noch undurchschaubar verzwickt gebauten Molekülen der Eiweißstoffe, die ihrerseits wieder alle Lebewesen, die Bakterien, die Blütenpflanzen, Vogel, Pferd und Mensch aufbauen. Drei Elementarteilchen sind also die kleinsten Bausteine für alles Stoffliche der Erde wie des Weltganzen — ein grandioses Bild, in seiner Einfachheit unvergleichlich packender als jenes Weltgemälde vom Wirbel der Atome, das einst Demokrit und Lukrez gemalt hatten. Aber muß der Mensch von heute nicht unruhig werden an- ! gesichts dieses Weltbildes der Atomphysik, an dem in friedlicher Zusammenarbeit die Forscher aller Nationen geschaffen haben, nicht ebenso unruhig werden wie der Römer Silvanius vor fast 2000 Jahren? Mit aller Bestimmtheit antworten gerade die Atomphysiker, die dieses Bild erarbeitet haben, mit einem Nein. Denn nicht tot und entgöttert ist heute die Welt. In den mathematischen Formeln, die I nur der Fachmann richtig zu lesen und zu deuten versteht, offenbart i sich der Geist eines Höheren, das sich hinter den Erscheinungen der
Atome und ihrer Elementarteilchen verbirgt. So spricht der Göttinger Atomphysiker Carl Friedrich von Weizsäcker anläßlich einer Betrachtung der in der Atomphysik sich offenbarenden Zusammenhänge von „einem Erschrecken wie vor dem Anblick Gottes"- „Begeisterung und Ehrfurcht" waren dem greisen Max Planck Antrieb und zugleich auch Ergebnis all seiner Arbeit am Weltbild der modernen Physik, deren großartige Erkenntnisse ihn deutlieh auf den Weg „Hin zu Gott" wiesen; der Münchener Forscher Arnold Sommerfeld glaubte aus den Gesetzen des Atombaues „eine wirkliche Sphärenmusik des Atoms" heraushören zu können, „ein Zusammenklingen ganzzahliger Verhältnisse, eine bei aller Mannigfaltigkeit zunehmende Ordnung und Harmonie".
Atome werden künstlich umgewandelt Solange es eine abendländische Wissenschaft gibt, geht es dem Forscher nur um eines: „daß er" — wie Faust — „erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält". Forschung will weder Gewinn noch Macht — ihr Ziel ist die Wahrheit. Dieses Streben nach Einsicht in die wahren Zusammenhänge, nach Erkenntnis, nach Wissen, ist ein zutiefst friedliches Unternehmen, und deshalb gedeiht es auch am besten im Frieden, in friedlichem Zusammenarbeiten der Forscher und ihrer Nationen. Dieser Gedanke erscheint gerade an dieser Stelle besonders angebracht; denn die Wege, die eingeschlagen worden sind, um die Rätsel des Atoms zu lösen, waren von Anfang an friedlich — wenn schließlich auch einer ihrer Endpunkte zum Schrecken der Menschheit von heute geworden ist und an ihm das Todesgespenst der Atombombe steht. Es ist richtig, wenn man sagt, auch die Atombombe sei schließlich das Ergebnis der Arbeit von Forschern; ebenso richtig ist es aber auch, daß die Entscheidung, dieses fürchterliche Mittel der Macht und der Zerstörung einzusetzen, nicht in Forscherhand gelegen hat, daß vielmehr gerade die Männer der Wissenschaft, durch deren Versuche und Berechnungen die Atombombe erst möglich wurde, von Anfang an ihre warnende Stimme erhoben haben und auch heute noch um die Ächtung dieser Waffe und die Kontrolle der Produktionsstätten in allen in Frage kommenden Ländern ringen. Von der Atombombe soll hier nur soweit gesprochen werden, als die in ihr wirkenden Gesetzmäßigkeiten zum Verständnis dessen nötig sind, was das Atom für das friedliche Zusammenleben der Menschen zu bedeuten vermag. Denn der Weg, der einerseits zur Atombombe und anderseits zur Atom-Maschine geführt hat, ist der gleiche gewesen. 17
Er wurde erstmals im Jahre 1919 betreten, von dem Manne, der das erste Modell des Atombaus gegeben hat, von Rutherford. Schon damals wies er nach, daß die Bahnen der Elektronen um den Atomkern von Kräften bestimmt werden, die jenen ähnlich sind, mit denen unsere Sonne die Planeten in ihren Umläufen hält. Auch im Verhältnis entsprechen sich diese Kräfte ungefähr. Man weiß, daß es elektrische Kräfte sind, die im Atom zwischen dem positiven Kern und den negativen Elektronen wirken. Anders jedoch ist es mit den Kräften, die im Atomkern selbst tätig sind und ihn zusammenhalten. Denn die Protonen des Kerns sind alle elektrisch positiv geladen und müßten «ich deshalb mit ungeheuerer Kraft gegenseitig abstoßen. Daß dies nicht geschieht, daß vielmehr der Kern meist außerordentlich stabil ist, das ist die Folge geheimnisvoller Kräfte, einer zusammenhaltenden Energie, deren Höhe wir zwar kennen, über deren wirkliches Wesen die Wissenschaft aber auch heute noch nichts Genaueres auszusagen vermag. Atom-Energie ist deshalb Kern-Energie. Will man an diese inneren Bindekräfte des Atomkerns heran, will man den stabilen Kern angreifen, so muß man die Natur zu Hilfe rufen, die ja bei den radioaktiven Elementen zeigt, daß es auch „instabile" Kerne gibt, solche, bei denen ein Teil der Binde-Energie im Zerfall freigegeben wird — offenbar, um aus einem weniger stabilen in einen stabileren Zustand überzugehen. Der Schluß liegt nahe: Will man im Versuch das wiederholen, was uns die Natur bei den radioaktiven Elementen und ihren strahlenden Atomen vormacht, will man Atome eines Elements in solche eines anderen umwandeln, muß man mit hohen Energien arbeiten. So machte es 1919 Rutherford. Die hohen Energien gab ihm die Natur selbst in Form einer stark strahlenden radioaktiven Verbindung. Die positiven Alphateilchen, die ja nichts anderes sind als HeliumKerne, schlugen wie sehr energiereiche Geschosse auf die Atome der beiden Gase auf, aus denen die Luft sich zusammensetzt, Sauerstoff und Stickstoff. Die meisten dieser Geschosse freilich trafen nicht — kein Wunder, denn die Atomkerne sind ja positiv geladen, und positive Ladungen stoßen sich gegenseitig ab. Aber in einigen wenigen Fällen traf doch einmal ein kräftiges Alpha-Teilchen einen Stickstoff-Kern — mit dem Erfolg, daß er sich in den Kern des nächst höheren Elements im Periodischen System umwandelte, in einen Sauerstoff-Kern; der Helium-Kern wurde dabei gleichsam verschluckt. Damit aber war dem Menschen zum ersten Male die künstliche Verwandlung eines Elementes in ein anderes geglückt —• der alte Alchimistentraum von der Verwandlung der Stoffe schien endlich in greifbare Nähe gerückt. Aber es waren nur allerwinzigste 1«
Mengen, die hier verwandelt waren, und es gehörten allerfeinste Messungen dazu, diese Umwandlung überhaupt nachzuweisen. Der künftigen Forschung war die Aufgabe gewiesen: Man mußte Kerne mit energiereichen Elementarteilchen „beschießen", damit sie ein anderes Gefüge bekamen und dadurch Gelegenheit erhielten, sich von selbst umzuordnen; jede solche Umordnung innerhalb des Kernes als Übergang vom instabilen in den stabileren Zustand hat Energieaibgabe zur Folge. Dabei ist es gleichgültig, ob der Kern von Natur aus instabil ist, wie bei den radioaktiven Elementen, oder ob wir ihn instabil machen und Protonen in ihn „hineinschießen". Zunächst versuchte man es, Rutherford folgend, mit immer energiereicheren Alphateilchen, also mit den Atomkernen des Heliums. Man erhielt solche „Geschosse", indem man die Elementarteilchen in gewaltigen Hochspannungsanlagen von Hunderttausenden und Millionen Volt künstlich beschleunigte und ihnen so immer größere „Wucht" gab. Aber die positiv geladenen Geschosse hatten nur wenig Erfolg; zwar konnte man nach und nach fast alle Elemente vom Bor (Ordnungszahl 5) bis zum Kalium (Ordnungszahl 19) durch Alphateilchen-Beschüß in das nächst höhere verwandeln — wobei das Alphateilchen „eingefangen" und ein Proton ausgesandt wurde —, aber stets nur in so winzigen Mengen, daß nur die hochentwickelten Meßmethoden der Atomforschung überhaupt einen Nachweis gestatteten; Mengen, die man etwa auf die Waage hätte legen können, erhielt man so nicht. Ein anderes Geschoß mußte her, um den Atomkern wirkungsvoll treffen zu können; und das war das Neutron, dessen wahre Natur man erst im Jahre 1932 aufgedeckt hatte, obwohl es schon lange vorher von Rutherford vorausgesagt worden war. Dieses elektrisch neutrale Elementarteilchen wird ja nicht, wie das positive Alphateilchen, abgestoßen oder abgelenkt, wenn es auf stärker positiv geladene Kerne trifft. Und als besonders ergiebige Neutronenquelle erkannte man den künstlich herbeigeführten Zusammenstoß von Atomen des Schweren Wasserstoffs, wobei Neutronen von hoher Beschleunigung frei wurden. Im Jahre 1934 gelang es dem französischen Forscher-Ehepaar Joliot-Curie (dem Schwiegersohn und der Tochter der Entdecker des Radiums), die ersten künstlich radioaktiven Elemente herzustellen — wiederum nur in winzigsten Mengen. Stets aber blieb es beim gleichen Bild: Auch wenn ein Neutron in den Atomkern eindrang, erhielt man nur entweder Isotope, die den gleichen Platz im Periodischen System einnahmen, oder aber der Kern wurde instabil und verwandelte sich unter Aussenden von Betastrahlen, also von Elektronen, in das nächsthöhere Element. 19
Professor Hahn zerschlägt das Uran-Atom So blieb es auch, als man gelernt hatte, die Neutronen als „Kerngeschosse" immer stärker zu beschleunigen und sie so mit größter Stoßenergie auszustatten. Nach und nach waren fast alle Elemente des Periodischen Systems auf diese Weise beschossen worden, bis hinauf zum höchsten, dem Uran, mit der Ordnungszahl 92. Auch hier gab es Umsetzungen unter der beikannten Erscheinung der Elektronen-Aussendung; der italienische Atomphysiker Fermi, der diese Experimente des Uranbeschusses erfolgreich durchgeführt hatte, schloß zunächst daraus, daß es ihm gelungen sei, Elemente jenseits des Urans hergestellt zu haben — „Trans-Urane" mit der bisher in der Natur nicht bekannten Ordnungszahl 93 und höher. Diese Versuche wurden im Jahre 1938 durch die Professoren Otto Hahn, Lise Meitner und Fritz Straßmann im Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie, Berlin-Dahlem, nachgeprüft und zunächst bestätigt. Dann aber fanden sie etwas, das „wie eine Bombe" unter den Atomforschern einschlug — ein Ausdruck, der sogar in der sonst so nüchternen „Geschichte der Physik" des großen Forschers Max von Laue benutzt wird! Professor Hahn schildert darin seine Entdeckung: „Neben den vielen, für Trans-Urane gehaltenen Substanzen fanden Straßmann und ich aber auch strahlende Atomarten, die wir für künstliches Radium halten mußten. Schon dies war merkwürdig; denn das Radium hat eine um vier Einheiten niedrigere Kernladung als das Uran. Aber damit nicht genug. Als wir unser sogenanntes ,Radium' genauer untersuchten, verhielt es sich etwas anders, als uns vom natürlichen Radium bekannt war; es zeigte genau die Eigenschaften des ihm chemisch sehr ähnlichen Bariums. Dies sollte ja aber nach allem, was wir von der Kernphysik wußten, nicht der Fall sein, denn Barium ist absolut kein Nachbar des Urans im Periodischen System — es hat die Kernladung 56 statt 92 im Uran. Nach den verschiedensten Kontrollmethoden immer wieder durchgeführte Versuche zwangen uns aber schließlich zu dem Schluß, daß wir doch künstliche radioaktive Vertreter des Bariums vor uns hatten, und zwar gleich drei verschiedene Isotope. Bei der Bestrahlung des Urans mit Neutronen trat also ein völlig neuartiger Prozeß auf: Die Zerspaltung des schweren Uran-Kerns in leichtere Bruchstücke, von denen wir zunächst das Barium nachgewiesen hatten. Sehr bald war auch der andere Partner dieser Zerspaltung festgestellt, das Edelgas Krypton. Die Kernladungen dieser Elemente, nämlich 56 und 36, ergänzen sich zu 92, zur Kernladung des Urans" — immer noch allerdings in unwägbaren Mengen! 20
Berechnungen ergaben, daß diese Spaltvorgänge, die das UranAtom in zwei Teile auseinanderrissen, unwahrscheinlich große Energiebeträge freisetzten — millionenmal größer als die, wie sie etwa bei der Verbrennung gleicher Mengen von Kohle entstehen. Noch wichtiger aber als diese Erkenntnis, die zum erstenmal die Aussicht eröffnete, die Energie der Atomkerne nutzen zu können, war eine andere: Bei der Uran-Spaltung, die durch ein Neutron je Kern ausgelöst worden war, flog der Urankern nicht nur in zwei Bruchstücke auseinander, sondern es wurden, sozusagen als „Abfall", zusätzlich noch einige Neutronen aus dem Kern frei. Wenn diese Neutronen nun wiederum auf weitere Uran-Kerne auftrafen, so müßten weitere Spaltungen eintreten, wiederum neue Neutronen frei werden, neuen Zerfall zur Folge haben — eine „Ketten-Reaktion" müßte die Folge sein, die solange anhielt, als Uran da war und von Neutronen getroffen werden konnte; eine wahre Lawine von ungeheuren Energiemengen wurde freigesetzt.
Energie aus Atomen! Im 27. Band der Zeitschrift „Die Naturwissenschaften", der 1939 erschien, gaben Professor Hahn und sein Mitarbeiter Straßmann ihre Ergebnisse bekannt, und im gleichen Band findet man den ersten Hinweis von Professor Flügge, „daß unsere gegenwärtigen Kenntnisse die Möglichkeit einer ,Uranmaschine' wahrscheinlich machen". Im Jahr darauf schrieb Professor Bernhard Bavink in seinem großen zusammenfassenden Werk „Ergebnisse und Probleme der Naturwissenschaften" die prophetischen Worte: „Hier haben wir also erstmalig einen Vorgang, der bei geeigneter Leitung sich unter Umständen selbst nicht nur unterhalten, sondern sogar beschleunigen könnte; sogar ein explosives Ausarten derselben erscheint nicht ausgeschlossen, so daß die Frage ernsthaft diskutierbar geworden ist. ob auf diesem Wege die Atomenergie endlich nicht doch technisch ausnutzbar werden könnte. Leider steht allen dahingehenden Versuchen das große Bedenken im Wege, daß dabei vielleicht Wirkungen eintreten, die den unvorsichtigen Experimentator nicht nur, sondern unabsehbare Teile seiner Umgebung, ja unter Umständen die ganze Erde, in die Luft sprengen könnten. Auch der Gedanke an etwaige kriegerische Verwendungen solcher Mittel hat wenig Tröstliches." Damals, 1940, war aber bereits Krieg! Auf beiden Seiten ging man daran, sich die Energie der Atomkerne nutzbar zu machen. Im gleichen Jahr 1942 war man in Deutschland wie in USA mit den theoretischen und praktischen Vorarbeiten 21
soweit, daß man mit dem Ban der ersten „Uranmaschine" beginnen konnte. Aber wahrend jenseits des Ozeans alles auf das eine Ziel ausgerichtet wurde, mit Hilfe der Kettenreaktion des Urans „unabsehbare Teile in die Luft zu sprengen", auf das Ziel „Atombombe" also, „wurde im Sommer 1942 von den verantwortlichen Stellen" in Deutschland „beschlossen, auf den Versuch der Herstellung von Atombomben zu verzichten". So und nicht anders berichtet es Professor Werner Heisenberg, einer der maßgebenden deutschen Atomphysiker. „Dieser Entschluß war sicher im Sinne der deutschen Kriegsführung konsequent. Denn, auch wenn dieser Versuch unternommen worden wäre, hätte er infolge der Überlastung der Industrie und der immer stärker werdenden Luftangriffe nicht zum Ziele geführt. Den an der Atomenergiearbeit beteiligten Physikern aber wurde durch diesen Entschluß die schwere moralische Entscheidung erspart, vor den sie durch einen Befehl zur Erzeugung von Atombomben gestellt worden wären. Die Herstellung von Atombomben ist also in Deutschland nicht versucht worden." Wohl aber hat „eine kleine Gruppe von Atomphysikern bis zum Kriegsende in SüdWürttemberg" in bescheidenem Umfange weitergearbeitet, „um wenigstens eine Übersicht zu behalten über die Möglichkeiten, die sich bei der technischen Ausnützung der Atomenergie ergeben und die technischen Probleme soweit gefördert, daß die Fertigstellung" einer „Uranmaschine" nahe bevorstand und „schließlich nur am Materialmangel scheiterte". Anders in Amerika: Hier ging man mit aller Energie ans Werk. Mehr als zwei Milliarden Dollar wurden verbraucht! Ehe man aber praktische Ergebnisse erzielen konnte, bedurfte es noch vieler und grundlegender Arbeit. Zuerst mußte man einsehen lernen, daß das Uran, so wie es in der Natur vorkommt, auch in großen und größten Mengen ohne weiteres weder in einer Kettenreaktion von millionste! Sekunden Dauer und unter Entwicklung von Temperaturen von mehreren Millionen Grad explodiert, noch daß es die Freisetzung der Energie langsam ablaufen läßt, also eine „Uranmaschine" abgibt. Der Grund dafür ist die Tatsache, daß natürliches Uran ein Gemisdi von drei Isotopen ist, von denen das eine das Atomgewicht 235, das andere 238, das dritte 234 hat. Das Atomgewicht des natürlich vorkommenden Urans 237,977 kommt dadurch zustande, daß in ihm 99,3 Prozent Uran 238, 0,7 Prozent Uran 235 und 0,00548 Prozent des hier nicht weiter interessierenden Urans 234 enthalten sind. Nur das leichte Uran 235 ist durch Neutronen spaltbar; das Isotop 238 fängt die Neutronen ein, wobei ein neues Element aufgebaut wird, Plutonium, das ebenfall« strahlend und spaltbar ist und — was be22
sonders gefährlich ist — von einer bestimmten Menge ab (wenn nämlich wieder genügend Neutronen für eine Kettenreaktion da sind) mit fürchterlicher Energie-Entwicklung seine Kettenreaktion ablaufen läßt!
Die Uranmaschine wird Wirklichkeit Aus diesen Erkenntnissen ergaben sich zwei Forderungen: Wollte man Atombomben herstellen, so mußte man versuchen, möglichst viel reines Uran 235 oder Plutonium (dieses durch Anlagerung von Neutronen an Uran 238) zu gewinnen. Beides ist gelungen: Die erste Atombombe bestand aus Uran 235, die zweite aus Plutonium. Wollte man aber eine Atom-Maschine bauen, so mußte man die Kettenreaktion „steuern" können, damit sie nicht lawinenartig anschwellend wiederum eine Atombombe ergab. Um das richtig tun zu können, muß man wissen, daß bei der Spaltung eines Uran-Atoms durch ein einziges Neutron drei Neutronen de« Kerns frei werden. Läßt man sie alle weiter auf das Uran einwirken, so hat man (da die Neutronen mit einer Geschwindigkeit von etwa 30 000 Kilometer in der Sekunde wegfliegen) in unvorstellbar kurzer Zeit drei, neun, siebenundzwanzig weitere Atome gespalten, und die Anlage explodiert als Atombombe. Gehen aber alle drei Neutronen verloren, weil sie irgendwo steckenbleiben, so hört die Reaktion auf — die Uranmaschine „bleibt stehen". Man muß es also so einrichten, daß jeweils eins der drei entstehenden Neutronen einen Kern trifft, ihn spaltet, daß danach wiederum nur ein Neutron wirksam werden kann und so fort. Man erreicht dies zunächst aussichtslos erscheinende Ziel dadurch, daß man in die Uranmaschine Stäbe von Kadmium, einem zinkähnlichen metallischen Element, oder von Borstahl einschiebt. Beide haben nämlich die Eigenschaft, Neutronen in sehr hohem Maße aufnehmen zu können, sie also vor dem Eindringen in ein nächstes Uran-Atom wegzufangen. Die Steuerung der Kettenreaktion erfolgt dann dadurch, daß die Stäbe, je nach der Geschwindigkeit der anlaufenden Reaktion, versdiieden tief in die Uran-Maschine hineingeschoben werden, wobei noch als besonders günstig der Umstand mitspielt, daß ein Teil der bei der Spaltung frei werdenden Neutronen erst mit einer gewissen Verzögerung abgegeben wird, so daß man die Einstellung der KadmiumStäbe nicht in kaum zu beherrschenden Sekundenbruchteilen vornehmen muß, sondern einige Minuten Zeit hat. Besonders wirksam für die Spaltung des Urans 235 sind langsame Neutronen, solche also, die einen Großteil ihrer Energie bereits 2?.
Schematische Darstellung eines Atom-Reaktors: Im Graphit eingelassen das Uran (U); oben die Kadmiumstäbe für die Regelung der Reaktionsgeschwindigkeit; unten die Kühlvorrichtung. durch Zusammenstöße mit anderen Atomen eingebüßt haben. Schnelle Neutronen spalten viel schlechter als langsame. Man muß deshalb die Neutronen „abbremsen", ohne daß die bremsenden Substanzen selbst Neutronen in nennenswertem Umfange aufnehmen. Solche Bremssubstanzen (auch Moderatoren genannt, vom lat. moderare, mäßigen) sind ganz reiner Graphit — allbekannt aus der Bleistiftmine —• und Schweres Wasser. Graphit ist nichts anderes als elementarer Kohlenstoff, und es gehörte zu den schwierigsten Problemen der neuen Atomtechnik, wirklich reinen Graphit zu gewinnen. Schweres Wasser ist die Verbindung von einem SauerstoffAtom mit zwei Schwer-Wasserstoff-Atomen, solchen also, -die als Isotop des gewöhnlichen Wasserstoffs das Atomgewicht 2 haben. Beim Bau einer Uranmaschine wird man also so vorgehen: Man legt abwechselnd immer eine Schicht Graphit und eine Schicht Uran so übereinander, daß das Uran auf beiden Seiten von der Bremssubstanz umgeben ist. Die schnellen Neutronen, die in der Uranschicht entstehen, werden in der Graphitschicht abgebremst und treten verlangsamt in die nächste Schicht Uran ein, in der sie neues Uran 235 aufspalten. Das Uran liegt dabei in Form der Verbindung Uranoxyd oder als Metall vor. Die Steuerung der Reaktion erfolgt durch die bereits beschriebenen Kadmium- oder Borstahl-Stäbe.
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Wächst die Kettenreaktion bedrohlich an, so werden die Stäbe eingeschoben, und zwar soweit, bis die Geschwindigkeit das gewünschte Maß hat; sinkt die Reaktionsgeschwindigkeit, so zieht man sie heraus. Nach diesem Prinzip war die erste „Uranmaschine" gebaut, die tatsächlich richtig gearbeitet hat. Am 2. Dezember 1942, morgens 9.54 Uhr, lief sie in einem Laboratorium der Universität Chicago mit etwa sechs Tonnen Uran an. In USA nennt man solche Anlagen „Uran-Pile" (von engl, pile, Haufen) oder „Atom-Reactor", bei uns spricht man nicht mehr von Uranmaschinen, sondern von Uranbrennern, Atommeilern, Uranöfen oder Reaktoren. In dem Atombrenner von Chicago mit der Bezeichnung CP 1 gelang es zugleich zum ersten Male, all die Substanzen, die beim Uranzerfall entstehen, in wägbaren Mengen zu erhalten. Es sind nämlich nicht nur Barium und Krypton, die dabei als Spaltprodukte gebildet werden, sondern mehr als vierzig verschiedene Kerne, ungefähr alle Elemente von der Ordnungszahl 30 (Zink) bis zur Ordnungszahl 62 (Samarium). Stets aber ergeben die dabei neu entstandenen Spaltprodukte, zählt man ihre Ordnungszahlen zusammen, die Ordnungszahl 92, die des Urankernes also. CP 1 hatte nur eine sehr geringe Energieausbeute — nicht mehr als 200 Watt entwickelte er, so sehr war die Geschwindigkeit der Kettenreaktion herabgesetzt. iSein Nachfolger war nach der gleichen Bauart ausgeführt, aber unvergleichlich größer und von höherer Energie: 3800 Kilowatt leistete er, wobei das Uran auf 245 Grad Celsius, der Graphit auf 130 Grad erhitzt wurde. Man hatte hier auf die Schichtung verzichtet, vielmehr einen riesenhaften Graphitwürfel von sieben Meter Kantenlänge aufgeführt, der von zahlreichen Kanälen durchzogen war. 1248 dieser Kanäle nahmen das Uran auf, das in Zylindern von dünnem Aluminium eingeschoben wurde. Noch größer als dieser in Oak Ridge (USA) stehende Reaktor sind die Reaktoren von Hanford, die etwa 100 000 Kilowatt entwickeln. Selbstverständlich ist die radioaktive Strahlung, die solche Uranbrenner nach allen Seiten von sich geben, für die Menschen, die dort arbeiten, außerordentlich gefährlich. Alle nur denkbaren Vorsichtsmaßregeln müssen dabei beachtet werden; der Reaktor selbst ist von Bleiplatten und meterdicken Betonwänden umgeben, viele Arbeitsgänge werden aus sicherer Entfernung automatisch gesteuert, und zahlreiche Meßinstrumente zeigen jede Sekunde an, ob gefährliche Strahlungsmengen auftreten. Diese Uranbrenner nun, zunächst gebaut, um das Ausg£)ngsmaterial für Atombomben zu gewinnen, 25
dienen heute auch vielfältigen friedlichen Zwecken. In USA sind es etwa 20 Anlagen, die ununterbrochen arbeiten, in Frankreich, in England, in Norwegen und in vielen anderen Ländern sind größere oder kleinere Reaktoren in Betrieb. Es gibt Atomöfen, die mit Schwerem Wasser als Bremssubstanz arbeiten, und andere, in denen schnelle Neutronen auf Plutonium wirken. Es gibt aHch bereits „Baby"-Reaktoren, deren eigentlich arbeitender Teil nur einen Viertelmeter Höhe und Breite mißt. Die sonst noch notwendigen Vorrichtungen — eine Graphitschicht, die alle nach außen entweichenden Neutronen gleichsam in den Reaktor zurückspiegelt, ein Strahlenschutz aus Blei und die dicken Betonwände ergeben immerhin einen Bau von etwa sechzig Kubikmeter, also von der Größe eines mittleren Zimmers. Welchen friedlichen Zwecken dienen all diese Reaktoren?
Atomenergie für den Frieden Bei der Uranspaltung entstehen zahlreiche strahlende Elemente als Spaltprodukte. Sie sind durchaus nicht etwa nutzloser Abfall, sondern hochwillkommene Helfer für Forschung und Praxis. Ein strahlendes Isotop hat ja chemisch dieselben Eigenschaften wie sein nichtstrahlender „Zwilling", es hat aber den Vorzug, daß man es auch noch in allergeringsten Mengen eben durch seine Strahlung nachweisen kann. Und damit sind die strahlenden Isotope, wie sie im Uranbrenner entweder von selbst anfallen oder aber durch Einführung in einen der zahlreichen Kanäle des Brenners und durch Neutronenbeschuß im Brenner künstlich erzeugt werden können, zu den wichtigsten „Spurenfindern" der reinen wie der angewandten Forschung geworden. Will man den Geheimnissen einer Metalllegierung auf die Spur kommen, so arbeitet man mit „markierten", künstlich radioaktiven Metallen, die ihre Anwesenheit durch das Ticken im „Geigergerät" anzeigen, einer handlichen Apparatur, die jedesmal anspricht, wenn ein ausgestrahltes Elementarteilchen sie trifft. Man kann auf diese Weise verfolgen, wie die Metalle sich vermischen. Will man wissen, wie die Pflanzen bestimmte Stoffe aus dem Boden aufnehmen, in ihren Gefäßen weiterleiten, verarbeiten und schließlich ausscheiden, so begießt man sie mit einer Nährlösung, in der der Stoff, nach dem man sucht, künstlich radioaktiv gemacht ist. Das Aufsteigen dieses Stoffes oder seine Speicherung in der Pflanze kann man ganz einfach dadurch anschaulich machen, daß man den strahlenden Stoff sich selbst photographieren läßt — denn er schwärzt ja die Photoplatte. Es genügen dabei ganz winzige Men26
gen der radioaktiven Lösung, so daß das normale Leben der Pflanze nicht im geringsten gestört wird. So sind die strahlenden Isotope aus den Uranbrennern zu wichtigsten Helfern der biologischen Forschung und der Industrie geworden. Fast noch wichtiger ist ihre Bedeutung für die Medizin. Normale und krankhafte Stoffwechselvorgänge im Körper kann man dadurch verfolgen, daß man dem Körper anstatt der nichtstrahlenden Elemente — Phosphor etwa oder Stickstoff, die im Eiweißkörper eine wichtige Rolle spielen — die radioaktiven Isotope dieser Elemente anbietet. Er merkt die Änderung nicht, nimmt sie auf und verarbeitet sie genau so, wie die nicht strahlenden Elemente. Vor allem die Spurenelemente, jene also, die nicht wie der Kohlenstoff des Zuckers oder der Stärke in großen Mengen in den Körper gelangen und umgebaut werden, sondern oft nur in winzigen Bruchteilen von Milligramm, kann man nun bis in den letzten Winkel des Körpers nachweisen. Man hat mit diesem Verfahren entscheidende Einsichten in Wesen und Werden der verschiedensten Krankheiten gewinnen können. Mehr noch — die strahlenden Isotope werden auch zur Heilung bösartiger Leiden angesetzt. So hat z. B. strahlendes Kobalt vielerorts die Rolle des Radiums oder der Röntgenstrahlen in der Strahlenbehandlung von Krebsgeschwülsten übernommen. Radioaktives Jod dagegen half, Schilddrüsenerkrankungen zu erkennen. Man hat ein bestimmtes strahlendes Jod-Isotop auch dazu benutzt, das unerwünschte allzustarke Arbeiten der Schilddrüse dadurch zu hemmen, daß es überflüssiges Drüsengewebe zerstört. Und selbst einige Fälle eng umschriebener Krebsgeschwülste hat man dadurch erfolgreich bekämpfen können, daß man strahlende Isotope solcher Elemente in den Körper einbrachte, die von der Geschwulst mit Vorliebe gespeichert werden. Sind die radioaktiven Atome erst einmal innerhalb der Geschwulst, so schießen sie ihre „Atomgeschosse" in das krankhaft veränderte Gewebe und töten es ab; ihre Menge muß so abgestimmt sein, daß nur krankhaftes, nicht aber kräftiges, gesundes Gewebe betroffen wird. Noch steht die Isotopen-Medizin am Anfang. Aber man darf hoffen, daß die radioaktiven Spurenfinder (in der Fachsprache nennt man sie Indikatoren, vom lateinischen indicare, anzeigen) noch viele Geheimnisse des Krankwerdens und Krankseins aufdecken, und daß die strahlenden Isotope noch vielen bisher gar nicht oder nur schwer zu bekämpfenden Leiden ihre Schrecken nehmen werden. Man hat aber auch gelernt, selbst die in der Natur vorkommenden radioaktiven Elemente als Indikatoren zu benutzen. Jedes strah27
r Iende Element verwandelt sich immer innerhalb einer fest umgrenzten Zeit, und die Geschwindigkeit dieser Umwandlung eines Elemente« in ein zweites ist von allen äußeren Bedingungen völlig unabhängig. Das Maß dieser Geschwindigkeit ist die sogenannte „Halbwertszeit"; man versteht darunter diejenige Zeit, in der sich jeweils die Hälfte der anfänglich vorhandenen Menge des Elements umwandelt, wobei es gleichgültig ist, von welcher Menge man ausgeht. Radium zum Beispiel hat eine Halbwertszeit von 1590 Jahren — nach dieser Zeit ist aus einem Milligramm Radium ein halbes geworden. Uran hat eine Halbwertszeit von viereinhalb Milliarden Jahren, Radon eine von knapp vier Tagen, Actinium B zerstrahlt binnen 36 Minuten zur Hälfte, und Thorium C hat gar nur eine Halbwertszeit von einer hundertmillionstel Sekunde! Aus dem Zerfall des Urans nun hat man auf das Alter der Erde geschlossen, indem man die Zeit errechnet hat, die vergangen sein muß, seitdem sich die ältesten uranhaltigen Gesteine gebildet haben und ununterbrochen strahlen: Es sind rund zwei Milliarden Jahre — eine Zahl, die man auch mit Hilfe anderer „Indikatoren"-Methoden recht gut gesichert hat. Aber nicht nur für die endlos erscheinende Erdgeschichte sind die natürlichen Indikatoren zu gebrauchen. Es gibt in der Natur auch ein, freilich «ehr seltenes, radioaktives Isotop des Kohlenstoffs mit einer Halbwertszeit von 5360 Jahren. Solcher Kohlenstoff aber findet sich, wenn auch in winzigsten Mengen, in jedem Überrest von Pflanze und Tier; der Kohlenstoff der Luft-Kohlensäure ist ja die Urnahrung aller grünen Pflanzen. Aus dem Gehalt an strahlendem Kohlenstoff und aus der Halbwertszeit lassen sich dann recht genaue Angaben für das Alter zum Beispiel hölzerner Überreste längst vergangener Kulturepochen machen. Schon manches Fehlurteil früherer Forscher, die nur auf Schätzungen angewiesen waren, konnte so richtiggestellt werden; so wurde das Alter der berühmten Sonnenpyramiden in Mexiko, das man mit mehr als zehntausend Jahren angesetzt hatte, nunmehr mit rund 2300 Jahren richtig ermittelt; Gebälk, das man in den Bauten fand, ermöglichte die Datierung. Man konnte berechnen, wann der älteste Ackerbau auf der Erde (im Zweistromland) begonnen hat: vor 7000 Jahren. Und dank dieser „Radiokarbonmethode" weiß man nun auch, wann die ältesten Einwohner Amerikas in diesem Erdteil eingetroffen sind — vor fast genau 10 000 Jahren! Wie steht e« aber mit der Frage, die sich jedem aufdrängt, der an die ungeheuerliche, bei der Explosion der Atombombe frei werdende Energiemenge denkt? Kann man nicht auch diese Kräfte bannen? 28
Man kann es — aber auch hier stehen Forschung und Praxis noch ganz am Anfang. Die riesigen Wärmemengen, die in den Uranbrennern entstehen, werden zur Zeit noch fast ausnahmslos durch Kühlwasser aufgenommen und nutzlos ins Freie geleitet. Allein in Hanford (USA), wo Plutonium für Atombomben gewonnen wird, gehen jährlich eine Million Kilowatt mit dem Kühlwasser in den Columbia-Fluß verloren! Aber erste Ansätze zu einer technischen Nutzung der AtomEnergie sind da: Man heizt in der englischen Atomforsehungszentrale Harwell seit dem 19. November 1951 80 Büros mit Wasser, das seine Wärme aus dem Atombrenner bezieht, und am 20. Dezember 1951 brannten in der amerikanischen Reaktor-Versuchsstation in Arco die ersten vier Glühlampen mit Atomenergie! Der Strom für diese Lampen stammt von einem Generator, dessen Turbine mit Atombrenner-Abwärme getrieben wird. Man benutzt also die Kühlflüssigkeit des Atombrenners — meist auf dem Weg über einen „Wärmeaustauscher" — zum Antrieb von Turbinen; diese die Wärme vom Uranmeiler zur Turbine übertragende Flüssigkeit kann Wasser — wie in Harwell — sein, aber auch flüssiges Metall, Quecksilber zum Beispiel. In USA sind Riesenflugzeuge mit Atomantrieb geplant; die Schwierigkeit, sie zu bauen, liegt weniger darin, daß man den richtigen Uran- oder Plutoniumbrenner konstruiert, als in dem riesigen Gewicht des Schutzmantels. Leichter ist dieses Problem beim Schiffsbau zu lösen; wiederum in USA hat man im Jahre 1952 das erste Unterseeboot auf Kiel gelegt, das mit Atomenergie-Turbinen laufen soll. Selbstverständlich hat man auch bereits Berechnungen über die Wirtschaftlichkeit von Kraftwerken angestellt, die anstatt mit Kohle mit Kern-Energie betrieben werden. Die Grundberechnung ist einfach: Ein Kilogramm Uran enthält 7 Gramm spaltbares Uran 235, die insgesamt 150 000 Kilowattstunden liefern. Da das Kilo Uran zur Zeit 22 Dollar kostet, kommt die Kilowattstunde, rechnet man nur den Rohstoff, auf 0,015 Cent. Eine Tonne Kohle liefert 8000 Kilowattstunden und kostet 6 Dollar, die Kilowattstunde also 0,075 Cent. Aber diese Kosten sind ja nur ein kleiner Bruchteil der wirklichen Kosten, die vor allem durch Aufbau und Unterhaltung der Anlagen entstehen. Immerhin läßt sich, wenn man alle Einzelheiten berücksichtigt, zeigen, daß ein Urankraftwerk, das gleichzeitig Plutonium für ein zweites Kraftwerk erzeugt, mit Kohlenkraftwerken durchaus konkurrieren kann. Solche Berechnungen freilich, wie man sie früher gern aufgestellt hat — daß die Kernenergie von einem einzigen Kilogramm Kohle ausreiche, einen 29
Ozeandampfer zehn Jahre lang hin- und herfahren zu lassen —, sind und bleiben Utopien, die nie Wirklichkeit werden können. Und wie ist es mit den Vorräten an spaltbaren „Atombrennstoffen"? Es gibt Pessimisten, nach deren Berechnungen die Kohlenund Erdölvorräte schon in wenigen Jahrzehnten oder Jahrhunderten aufgezehrt «ein sollen; Nachprüfungen ergaben, daß man so schwarz nicht zu sehen braucht, wenn diese Energiequellen auch nicht unerschöpflich sind. Und so hat es auch Pessimisten gegeben, die da meinten, das zur Zeit vorhandene Uran werde bestenfalls einige Jahre vorhalten, um den Weltbedarf an Energie zu decken. Wiederum hat nüchterne Nachprüfung den Schwarzsehern nicht recht gegeben. Was man heute schon voraussehen kann, ist, daß man mit Atomenergie allein weit über, das Jahr 2000 hinaus versorgt ist. Uran allein ist jedoch sicherlich nicht der einzige Atombrennstoff der Zukunft; auch das Thorium wird sich aller Voraussicht dazu eignen, und zudem kennt man heute bereits Verfahren, die es ermöglichen, in einem mit spaltbarem Uran 235 betriebenen Brenner so viel neues, wiederum spaltbares Atombrennmaterial zu gewinnen, daß der Verbrauch an Uran dabei nicht nur gedeckt, sondern übertroffen wird. Dieses „Breeding", dieses Ausbrüten neuen Atombrennstoffes, wird vielleicht die nächste Epoche jenes Zeitalters der Atomtechnik einleiten und ermöglichen, das heute erst durch ein paar geheizte Zimmer, durch einige Glühlampen, einige Turbinen und Stromgeneratoren und durch die Vorhaben von Atom-U-Booten und Atom-Flugzeugen in Erscheinung tritt. Morgen schon kann es so weit sein, daß eine von Atomkraft getriebene Rakete den Flug in den Weltraum a n t r i t t . .. Friedliche Arbeit friedlicher und friedliebender Forscher hat dem Menschen vorher ungeahnte Einblicke in die innersten Geheimnisse der Welt der Atome geschenkt, hat ihm Mittel in die Hand gegeben, die Energie strahlender Atome heute schon helfend und heilend in Wissenschaft, Industrie und Medizin zu nutzen, sie hat ihm die Wege eröffnet, mit Atomkraft den Energiehunger der ständig wachsenden Menschheit zu stillen, Kraftwerke zu bauen, Schiffe über die Ozeane, Flugzeuge durch die Lüfte zu treiben.
* Forschung und Technik sind ihrem innersten Wesen nach weder gut noch böse. Ebenso wenig, wie ein Messer „böse" ist, weil man damit einen Menschen töten könnte, ebenso wenig sind die Atombrenner der Forscher noch keine Werkzeuge des Krieges und der Zerstörung. Die Entscheidung, ob man mit dem Messer Brot 30
schneidet, eine Madonna aus dem Holz schnitzt oder einen Mitmenschen niedersticht, liegt beim Menschen allein — bei jedem einzelnen. Und bei jedem einzelnen von uns liegt zuletzt die Entscheidung, ob die Kraft der Atome zum Aufbau, zur Verbesserung der Lebenshaltung, zur Ausweitung unserer Kenntnisse vom Bau dieser Welt, zum Helfen und Heilen genutzt werden soll oder zur Vernichtung. Wie sagt Otto Hahn, dessen Entdeckung von der Spaltung des Urankerns am Anfang des neuen Zeitalters der Atomenergie stand? „Wird die Menschheit die Reife, moralische Kraft und Verantwortung aufbringen, die in ihre Macht gegebene Verwendung der Kernkräfte in die richtigen Bahnen zu lenken? Wir müssen es hoffen, zu unserer eigenen Rettung. Möchte in dem Kampf der Möglichkeiten die Hoffnung auf die segenbringende Wirkung der in den Dienst der Menschheit gestellten Atomenergie gegenüber der Furcht vor der alles vernichtenden Wirkung der Bombe den Sieg davontragen!"
Umsdilaggestaltung: Karlheinz Dobsky Der Untergrund des Umschlagbildes zeigt im Ausschnitt die Vorderseite des AtomReaktors von Oak Ridge (USA) mit einem Teil der 1248 Kanäle, durch die das Uran in dünnen Zylindern eingeschoben wird. Auf der Rückseite des Umschlags eine Hochspannungsanlage für atomphysikalische Forschungsarbeiten.
L u x - L e s e b o g e n 1 4 3 ( P h y s i k ) / H e f t p r e i s 2 5 Pfg Natur- und kulturkundliche Hefte — Bestellungen (vierteljährl. 6 Hefte DM 1.501 durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt — Verlag Sebastian Lux, MurnauMünchen — Drude: Buchdruckerei Mühlberger, Augsburg 31
LUX-LESEBOGEN IN DER KASSETTE Alle vierzehn Tage liefert Dir, lieber Leser, Deine Buchhandlung einen neuen Lesebogen aus, vielen bringt der Postbote die Hefte mit der Briefpost sogar ins Haus. Fünfzig, hundert und mehr Lesebogen haben sich so im Laufe der Zeit bei Dir angesammelt, stehen dünn und schmal, aber gewichtig unter Deinen Büchern. Viele Lesebogenfreunde wissen noch nicht, daß die Hefte auch in schmukken Kassetten aufbewahrt werden können, die sich wie ein Buch in die Hausbücherei einordnen lassen. Man bewahrt die Hefte nach dem Lesen in der Kassette auf, am Ende des Jahres ist sie mit 24 Lesebogen gefüllt. Die Kassette ist zweiteilig, sie enthält eine Einsteckkassette und die Außenhülle mit der Goldfolie auf dem Rücken. Diese; Rückenschild trcgt die Aufschrift „Lux-Lesebogen". Ganz nach Belieben kann nun der Leser mit Hilfe einer beiliegenden gummierten ZusafzfoJle (ebenfalls in Gold) die Kassetten nach Jahrgängen oder nach Sachgebieten beschriften. Er ordnet seine Hefte also entweder nach dem Erscheinungsjahr 1947, 48, 49, 50, 51, 52, 53, oder nach dem Inhalt. Die Zusatzfolie enthält dafür die Aufdrucke: Kunst und Dichtung, Geschichte, Völker und Länder, Tiere und Pflanzen, Physik und Technik, Sternenkunde, man braucht sie nur abzuschneiden und aufzukleben. Die Kassetten sind karmesinrot, Größe 15x11 x4,5cm und reichen zur Aufnahme von je 24 Heften. Preis der Kassette DM 1.20. Bestellungen in den Buchhandlungen oder direkt beim Verlag.
Verlag Sebastian Lux, Murnau vorMünchen
. . . da wackelt die Erde! so liest man im „Orion11 Hart ist d i e aite Erde g e p a n z e r t . Ein mächtiger Gesieinsschild liegt schützend und undurchdringlich um ihre innersten Geheimnisse. Kein Bohrer dringt durch d i e g r a n i t e n e Außenhaut, d i e v e r b o r g e n e Tiefe zu erschließen. Und doch weiß die Wissenschaft mehr als der Laie ahnt. Sie registriert d i e Schocks, d i e ab und zu den Erdball erschüttern und zieht daraus ihre Schlüsse über A r t und A u f b a u unseres Planeten. Da man den Zeitpunkt von natürlichen Erdbeben nicht voraussagen kann, hat man neuerdings künstliche Erdbeben - Explosionen größten Umfangs benutzt, um genaue Messungen vorzunehmen. N o t w e n d i g gewordene Riesensprengungen wurden auf d i e Sekunde genau festgelegt. Die Forscher bauten ihre A p p a r a t e auf, und als der Zündfunke d i e Sprengladung zur Detonation brachte, da schlugen im selben Moment d i s Zeiger d e ' S e i s m o g r a p h e n aus. Die Aufwertung des Großversuchs e r g a b , daß der Granitmantel der Erde nur h a l b so stark ist, wie man bisher angenommen hat. Von solch interessanten Experimenfen, von den Schönheiten und Geheimnissen d e r Na^ur und d e n großartigen Leistungen der modernen Technik berichtet in mehrfarbig illustrierten Aufsätzen mit prächtigen Fotos und Kupfertiefdruckbeilagen der „ O R I O N " . » O R I O N « - die naturwissenschaftlich-technische Zeitschrift für Jedermann. Monatlich zwei Hefte DM 1.60. Bestellungen nehmen alle guten Buchhandlungen und Postämter entgegen. Prospekt und Probeheft direkt vom
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