Gedächtnisschrift fur Michael Gruson
Herausgegeben von Stephan Hutter Theodor Baums
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Gedächtnisschrift fur Michael Gruson
Herausgegeben von Stephan Hutter Theodor Baums
De Gruyter Recht
Gedächtnisschrift für Michael Gruson
Gedächtnisschrift für
MICHAEL GRUSON Herausgegeben von
Stephan Hutter und Theodor Baums
De Gruyter Recht · Berlin
∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN 978-3-89949-500-3 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
© Copyright 2009 by De Gruyter Rechtswissenschaften Verlags-GmbH, Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Datenkonvertierung/Satz: WERKSATZ Schmidt & Schulz GmbH, Gräfenhainichen Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen
Vorwort Am 20. Dezember 2005 verstarb Michael Gruson, einer der weltweit führenden Anwälte im Bereich des internationalen Bank- und Kapitalmarktrechts. Schon bald nach seinem viel zu frühen Tod reifte der Entschluss seiner Partner, Associates, Kollegen und Freunde, ihn durch eine Gedächtnisschrift zu würdigen. Michael Gruson wurde am 17. September 1936 in Berlin geboren. Seine Jugendjahre verbrachte er in Berlin, Frankfurt, Wiesbaden und Tirol (Österreich). Nach dem Abitur im Jahr 1957 am Liebig-Gymnasium in Frankfurt studierte er Rechtswissenschaften in Berlin, Tübingen, Mainz und New York. Neben seiner Tätigkeit als Associate bei Shearman & Sterling in New York, die er 1965 begann, verfasste er eine Doktorarbeit zum Thema „Die Bedürfniskompetenz“ und wurde 1966 an der Freien Universität in Berlin promoviert. 1973 wurde er in die Partnerschaft der internationalen Anwaltssozietät Shearman & Sterling aufgenommen, der er – seit 2001 als Of Counsel – bis zu seinem Tod angehörte. Michael Gruson war ein über die Grenzen hinweg gesuchter und beliebter US-amerikanischer Rechtsanwalt, der seinen Beruf stets mit großer Begeisterung und Hingabe ausübte. Mandanten, Kollegen und Mitarbeiter schätzten seine juristische Brillanz, sein Verantwortungsbewusstsein, seine menschliche Wärme, seine Bescheidenheit und seinen Humor. Es gelang ihm in einzigartiger Weise, komplexe Sachverhalte im Zusammenhang mit großen grenzüberschreitenden Wirtschaftstransaktionen nicht nur im Detail zu analysieren und einer fundierten juristischen Lösung zuzuführen, sondern gleichzeitig seinem Gegenüber rechtsgeschichtliche, IPR-rechtliche und praktische Zusammenhänge zu vermitteln. Obwohl zunächst Generalist der alten Schule mit einer erfolgreichen gesellschaftsrechtlichen Praxis, entwickelte er sich im Laufe der Jahre zu einem der großen und anerkannten Experten im internationalen Bank- und Kapitalmarktrecht, insbesondere im Zusammenhang mit großen grenzüberschreitenden Transaktionen durch deutsche und US-amerikanische Unternehmen und Banken. Durch seine jahrzehntelange anwaltliche Tätigkeit in New York mit einer starken Ausrichtung auf deutsche Mandanten – von großen Banken über Dax-Unternehmen bis zum deutschen Mittelstand – hat er einen ganz wesentlichen Grundstein für den Aufbau und den nachhaltigen Erfolg der deutschen Büros von Shearman & Sterling gelegt. Michael Gruson war als Wanderer zwischen Kulturen, Sprachen und Rechtssystemen seiner Zeit als anwaltlicher Internationalist um Jahrzehnte voraus. Seine besondere Gabe, durch vorgelebte Leidenschaft, Neugier und
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Vorwort
schier unerschöpfliche historische und aktuelle Rechtskenntnis gepaart mit großer Disziplin und Bescheidenheit, junge Associates für den Anwaltsberuf zu begeistern, lebt heute in den mehr als 50 deutschen und österreichischen Juristen fort, die das Glück hatten, im Laufe ihrer Karriere ein Jahr mit Michael Gruson als Foreign Associate in New York zusammenzuarbeiten. Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit engagierte sich Michael Gruson während seines gesamten Berufslebens an Universitäten und im Rahmen von Berufsvereinigungen, da ihm der regelmäßige fachliche Austausch mit Studenten, Kollegen und Mandanten auch außerhalb des Tagesgeschäfts für die Erweiterung seines Erfahrungshorizonts wichtig war. Michael Gruson lehrte u.a. als Gastdozent an den rechtswissenschaftlichen Fakultäten zahlreicher Universitäten wie der Columbia University School of Law, der University of Illinois, dem Queen Mary College der University of London, der Universität Osnabrück sowie der Bucerius Law School in Hamburg. Er verfasste darüber hinaus zahlreiche einschlägige Publikationen zu einem breiten Spektrum von Themen im Bank- und Kapitalmarktrecht sowie im internationalen Privatrecht. Die Werke „Regulation of Foreign Banks“ (Lexis Publishing, 4. Auflage, 2004) und „Legal Opinions in International Transactions“ (Kluwer Law, 2004) sind längst Standardwerke des international praktizierenden Bank- und Kapitalmarktanwalts geworden. Michael Gruson war auch Vice Chairman des Committee on Banking Law, Chairman des Subcommittee on Legal Opinions und Mitglied des Council der Section on Business Law der International Bar Association, Honorary Treasurer der amerikanischen Sektion der International Law Association sowie Mitglied der American, New York State und New York City Bar Associations. Die Herausgeber danken den Kollegen und Freunden, die als Weggefährten von Michael Gruson mit einem Aufsatz zu dieser Gedächtnisschrift beigetragen haben. Für das Zustandekommen dieser Schrift gebührt auch dem Verlag De Gruyter Rechtswissenschaften herzlicher Dank, der die verlegerische Betreuung und Herstellung des Werks übernommen und umsichtig betrieben hat. Besonderer Dank gebührt darüber hinaus Herrn Rechtsanwalt Stefan Brass, in dessen Händen die organisatorische Betreuung des Werkes gelegen hat. Möge diese Gedächtnisschrift dazu beitragen, in einer immer schnelllebigeren und allzu oft nicht auf Bewahrung bedachten Zeit das Andenken an Michael Gruson wach und lebendig zu halten.
Frankfurt, im März 2009
Stephan Hutter
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V
Theodor Baums Zur monistischen Verfassung der deutschen Aktiengesellschaft. Überlegungen de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
Hartwin Bungert / Christof Alexander Schneider Grenzüberschreitende Verschmelzung unter Beteiligung von Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
Babett Carrier Selected recent U.S. Developments in Cross-Border M&A . . . . .
53
Hans Diekmann Die Mitbestimmung unter europäischen Gesichtspunkten, insbesondere unter Berücksichtigung der europäischen Gesellschaft (SE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
Christian Dorda / Alexander R. P. Babinek Minderheiten- und Sonderrechte des GmbH-Gesellschafters bei der Umstrukturierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
Fabian Ehlers / Nicolas Nohlen Unabhängiger Finanzexperte und Prüfungsausschuss nach dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz . . . . . . . . . . . .
107
Klaus Esser Anwalt, Mandant oder Formularbuch – Wer gestaltet den Vertrag?
125
Andreas Fabritius Der besondere Vertreter gemäß § 147 Abs. 2 AktG . . . . . . . . .
133
Klaus K. Fischer Zusammenwirken von § 112 AktG und § 181 BGB im deutschen Aktienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
151
Hans-Michael Giesen Der Verkauf der Landesbank Berlin (früher: Bankgesellschaft Berlin) im Jahre 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
163
VIII
Inhaltsverzeichnis
Herbert Harrer Kapitalmarktrechtliche und gesellschaftsrechtliche Aspekte des German Real Estate Investment Trust (G-REIT) . . . . . . . .
181
Peter Hay Forum-Selection and Choice-of-Law Clauses in American Conflicts Law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
195
Stephan Hutter / Katja Kaulamo / Marc O. Plepelits Die Verwendung von Total Return Equity Swaps bei feindlichen Übernahmen – Eine Analyse nach deutschem und US-amerikanischem Wertpapier- und Übernahmerecht . . . . . . .
213
Roger Kiem Die Gewährträgerhaftung für öffentlich-rechtliche Kreditinstitute im Stresstest – Beobachtungen zu einem höchst aktuellen Auslaufmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
247
Astrid Krüger Das auf den Verschmelzungsplan nach § 122c UmwG anwendbare Recht – Spannungsfeld zwischen Europarecht und IPR . . . . . .
265
Michael Kutschera Zur Genehmigungspflicht für Geschäfte zwischen Aktiengesellschaften und deren Aufsichtsräten sowie diesen gleichzuhaltende Geschäfte nach österreichischem Recht . . . . . . . . .
277
Wienand Meilicke Die Rechtsprechung des EuGH zum Ertragsteuerrecht – Rückblick und Ausblick (dargestellt am EuGH-Urt. v. 06. 03.2007, Rs. C-292/04 – Meilicke). Ein Erfahrungsbericht aus der Praxis für die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
293
Peter Pöch UNIDROIT – Entwurf einer Wertpapier-Konvention . . . . . . .
303
Jochem Reichert Erfahrungen mit der Societas Europaea (SE) in Deutschland . . . .
321
Dietrich Rethorn Legal Professional Privilege: Anmerkungen zu Akzo Nobel . . .
339
Inhaltsverzeichnis
IX
Isabelle Roesle The Fight against Art-Laundering. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
353
Uwe H. Schneider Kapitalmarktrecht – Principles-Based – oder Rules-Based Regulation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
369
Markus Sgouridis Global Convergence of Hedge Fund Standards . . . . . . . . . . .
379
Michael Thoma REIT-AG – Die Haftung des Sachverständigen für fehlerhaftes Wertgutachten im Prospekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
405
Claus Wecker / Sorika Pluskat Acting in Concert im deutschen Kapitalmarkt- und Gesellschaftsrecht – Richtungsänderung durch das Risikobegrenzungsgesetz 2008? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
421
Martin Wiemann Die Mieterdienstbarkeit – ein Finanzierungshindernis? . . . . . . .
441
Daniel Wilm Die ordnungsgemäße Geschäftsorganisation einer Versicherung . .
465
Verzeichnis der Schriften von Michael Gruson . . . . . . . . . . . . .
477
Autorenverzeichnis Alexander R. P. Babinek, Mag. jur., Dissertant an der Universität Wien Theodor Baums, Dr. jur., Dr. h.c., ordentlicher Professor an der GoetheUniversität Frankfurt am Main Hartwin Bungert, Dr. jur., LL.M., Rechtsanwalt, Düsseldorf Babett Carrier, Dr. jur., LL.M., Attorney-at-Law (New York), Rechtsanwältin, London Hans Diekmann, Dr. jur., Rechtsanwalt, Düsseldorf Christian Dorda, Dr. jur., Rechtsanwalt, Wien Fabian Ehlers, M.C.J., Rechtsanwalt, Frankfurt am Main Klaus Esser, Dr. jur., S.M. in Management, Managing Director, General Atlantic LLC Andreas Fabritius, Dr. jur., LL.M., Rechtsanwalt, Frankfurt am Main Klaus K. Fischer, Dr. jur., LL.M., Rechtsanwalt, Frankfurt am Main Hans-Michael Giesen, Dr. jur., LL.M., Attorney-at-Law (New York), Rechtsanwalt, Berlin Herbert Harrer, Dr. jur., LL.M., Rechtsanwalt, Frankfurt am Main Peter Hay, Dr. jur., Professor an der Emory University, Atlanta, Georgia, Honorarprofessor an der Universität Freiburg im Breisgau Stephan Hutter, Dr. jur., LL.M., Rechtsanwalt, Attorney-at-Law (New York), Frankfurt am Main Katja Kaulamo, Dr. jur., Rechtsanwältin, Frankfurt am Main Roger Kiem, Dr. jur., LL.M., Rechtsanwalt, Frankfurt am Main Astrid Krüger, Dr. jur., Rechtsanwältin, München Michael Kutschera, Dr. jur., M.C.J., Rechtsanwalt, Wien Wienand Meilicke, Dr. jur., Rechtsanwalt, Bonn Nicolas Nohlen, Doktorand an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Marc O. Plepelits, Mag. jur., LL.M., Attorney-at-Law (New York), Rechtsanwalt, Frankfurt am Main Sorika Pluskat, Dipl.-Kffr., Dr. jur., LL.M. Eur., Rechtsanwältin/Steuerberaterin, Düsseldorf Peter Pöch, Dr. jur., Rechtsanwalt, Wien Jochem Reichert, Dr. jur., Rechtsanwalt, Mannheim, Honorarprofessor an der Friedrich-Schiller-Universität Jena Dietrich Rethorn, Dr. jur., LL.M., Rechtsanwalt, Chefsyndikus der Landesbank Hessen-Thüringen Isabelle Roesle, lic. iur., Juristin, Zürich
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Autorenverzeichnis
Christof Alexander Schneider, Rechtsanwalt, Düsseldorf Uwe H. Schneider, Dr. jur., ordentlicher Professor an der Technischen Universität Darmstadt; Direktor des Instituts für deutsches und internationales Recht des Spar-, Giro- und Kreditwesens an der JohannesGutenberg-Universität Mainz Markus Sgouridis, Rechtsanwalt, London Michael Thoma, Dr. jur., Rechtsanwalt, Frankfurt am Main Claus Wecker, Rechtsanwalt, Düsseldorf Martin Wiemann, LL.M., Rechtsanwalt und Notar, Berlin Daniel Wilm, Dr. jur., Rechtsanwalt, Düsseldorf
Zur monistischen Verfassung der deutschen Aktiengesellschaft Überlegungen de lege ferenda Theodor Baums I. Einführung Seit der Aktienrechtsnovelle aus dem Jahre 1884 ist das dualistische System, also die Aufteilung der Geschäftsleitung auf Vorstand und Aufsichtsrat, für die deutsche Aktiengesellschaft zwingend.1 International hat sich diese zwingende Zweiteilung nicht durchsetzen können. Viele ausländische Aktienrechte belassen den Gesellschaften insoweit zwar Wahlfreiheit; tatsächlich herrscht aber der Typus der Gesellschaft mit einheitlichem Verwaltungsrat oder board vor.2 Dabei ist sogleich zu betonen, daß von der Boardverfassung 1 Eingehend dazu, zur Vorgeschichte, den Gründen der Einführung des dualistischen Systems und der späteren Debatte Wiethölter, Interessen und Organisation der Aktiengesellschaft im amerikanischen und deutschen Recht, 1961, S. 270 ff.; Lieder, Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, 2006; zuletzt Hüffer, Der Vorstand als Leitungsorgan und die Mandatsund Haftungsbeziehungen seiner Mitglieder, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel II, 2007, S. 342 ff. 2 S. nur Davies, Struktur der Unternehmensführung in Großbritannien und Deutschland: Konvergenz oder fortbestehende Divergenz?, ZGR 2001, 268 ff.; Merkt/Göthel, USamerikanisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (2006), S. 311 ff.; Menjucq, Das „monistische“ System der Unternehmensleitung in der SE, ZGR 2003, 679 (680 f.) (zum französ. System); Arlt, Französische Aktiengesellschaft. Monistisches und dualistisches System im Spannungsfeld der Corporate Governance, 2006; Forstmoser, Monistische oder dualistische Unternehmensverfassung? Das Schweizer Konzept, ZGR 2003, 688 ff.; Böckli, Schweizer Aktienrecht, 3. Aufl. (2004), S. 1734 ff.; Kalss/Burger/Eckert, Die Entwicklung des österreichischen Aktienrechts, 2003, passim (Vergleich zwischen dem deutschen und österreichischen monistischen Modell der SE bei Neye, Monistische Unternehmensverfassung in der Europäischen Gesellschaft, in: Festschrift für Röhricht, 2005, S. 443 (452 ff.); vgl. ferner Rodriguez Artigas et al. (Hrsg.), Derecho de Sociadades Anonimas Cotizadas II, 2006, S. 727 ff. (Esteban Velasco); S. 769 ff. (Alonso Ureba); Jau Hansen, Nordic company law, the regulation of public companies in Denmark, Finland, Iceland, Norway and Sweden, 2003; Wymeersch, Das neue belgische Gesetz über „Corporate Governance“, ZGR 2004, 53 (54 ff.) sowie die Hinweise bei Hoffmann-Becking, Organe: Strukturen und Verantwortlichkeiten, insbesondere im monistischen System, ZGR 2004, 355 (373 ff.); Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff, SE Kommentar, 2008, Art. 38 SE-VO Rdnrn. 15 ff.; s. ferner die Hinweise in den Länderberichten im Sammelband Baums/Ulmer (Hrsg.), Unternehmens-Mit-
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Theodor Baums
nicht gesprochen werden kann; vielmehr ist hier eine Vielfalt von Typen mit durchaus unterschiedlichen Ausprägungen anzutreffen.3 Die internationale Corporate Governance-Debatte seit Beginn der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts hat zwar beide Führungsmodelle, das duale System und das Verwaltungsratsmodell, einer kritischen Prüfung unterworfen und Konvergenztendenzen ausgelöst.4 Jedenfalls auf deutscher und offenbar auch auf österreichischer Seite 5 hielt sich aber bisher die Bereitschaft, nach internationalem Vorbild das Verwaltungsratsmodell zumindest als Option für die Aktiengesellschaft einzuführen, in Grenzen. Im 2001 vorgelegten Bericht der Regierungskommission Corporate Governance heißt es dazu wie folgt: „Auf der anderen Seite hat die Regierungskommission keinen Anlaß gesehen, grundsätzliche Änderungen der bestehenden Unternehmensverfassung, eine völlige Neugewichtung und -abgrenzung der Kompetenzen von Vorstand und Aufsichtsrat oder gar eine Aufgabe des dualistischen Systems zugunsten des monistischen Board-Systems der angelsächsischen und romanischen Länder vorzuschlagen. Es fehlt bisher an empirischen, ökonometrischen Nachweisen dafür, daß das Verwaltungsratsmodell dem zweigliedrigen Vorstand-/Aufsichtsrat-Modell überlegen wäre. Kontrollversagen in Einzelfällen ist in beiden Systemen zu beobachten. In theoretischer Hinsicht lassen sich gegen beide Konzepte Einwände vorbringen. Gegen das Board-System spricht, daß niemand sich selbst überwachen kann; gegen das zweigliedrige System spricht, daß man jemanden nur überwachen kann, wenn man an seiner Tätigkeit intensiv teilhat. In der Praxis scheint sich trotz der verschiedenen Ausgangspunkte eine gewisse Konvergenz beider Systeme zu entwickeln. In den angelsächsischen Ländern wird zunehmend üblich oder zunehmend gefordert, die Ämter des CEO und des Vorsitzenden des Board voneinander zu trennen; wichtige Ausschüsse des Board sollen mehrheitlich mit unabhängigen Direktoren besetzt werden. Im deutschen Recht wird die Teilhabe und Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats
bestimmung der Arbeitnehmer im Recht der EU-Mitgliedstaaten, 2003; im Sammelband Baums/Cahn (Hrsg.), Die Europäische Aktiengesellschaft. Umsetzungsfragen und Perspektiven, 2004; Berichte über die Aktienrechte in 25 EU-Mitgliedstaaten in: Van Hulle/Gesell (Hrsg.), European Corporate Law, 2006. 3 S. dazu eingehend unten II. 4 Dazu m. Nachweisen Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 2006, S. 533 ff. 5 S. dazu die Begründung zum österr. SE-Gesetz, abgedruckt bei Kalss/Hügel, Europäische Aktiengesellschaft, SE-Kommentar, 2004, S. 117 (für die Einführung eines Wahlrechts zwischen dem monistischen und dem dualistischen Verwaltungsmodell auch für die Aktiengesellschaft sollten – angesichts des mit der Einführung des monistischen Systems einhergehenden und auch auf andere Rechtsbereiche (wie etwa die Aufsicht über Banken und Versicherungen) ausstrahlenden Systemwechsels – zunächst Erfahrungen mit dem monistischen System in der SE gesammelt werden).
Zur monistischen Verfassung der deutschen Aktiengesellschaft
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in der Praxis durch häufigere und längere Sitzungen, Verstärkung der Ausschußarbeit, inhaltlich sachgemäßere Zustimmungskataloge und weitere Maßnahmen verstärkt. Die Regierungskommission hält es für angezeigt, diese Entwicklung zu unterstützen, und sieht sich in dieser Haltung durch die von ihr erbetenen Stellungnahmen bestärkt. Vorschläge, das deutsche dualistische Modell zugunsten des Board- oder Verwaltungsratsmodells aufzugeben, wurden denn auch ausschließlich von ausländischen institutionellen Investoren und Sachverständigen unterbreitet, die mit der Funktionsweise der deutschen Unternehmensverfassung weniger vertraut sein dürften. Nicht betont zu werden braucht, daß eine Ersetzung der Vorstands-/Aufsichtsratsverfassung durch das Verwaltungsratsmodell oder auch nur das Eröffnen einer entsprechenden Option nach französischem Vorbild angesichts des Umstands, daß die Mitbestimmung der Arbeitnehmer am Aufsichtsrat ansetzt, einen ganz erheblichen Regulierungsaufwand erfordern würde. Da die Erörterung mitbestimmungsrechtlicher Fragen nicht zu den der Regierungskommission gestellten Aufgaben gehört, hat sie auch aus diesem Grunde davon abgesehen, einer grundsätzlichen Änderung der Unternehmensverfassung der Aktiengesellschaft das Wort zu reden.“ 6 Ähnlich zurückhaltend war das Echo der Wirtschaftskreise auf den Vorschlag der EU-Kommission in ihrem Aktionsplan aus dem Jahre 2003, den börsennotierten Gesellschaften die Wahl zwischen einem monistischen und dem dualen System zu ermöglichen.7 Die Argumente beziehen sich hier allerdings eher auf die europäische Ebene. So wurde etwa die Frage gestellt, ob Regelungen zu Grundfragen der Unternehmensverfassung überhaupt vom europäischen Gesetzgeber getroffen werden sollten; dies sei Sache der nationalen Gesetzgeber, die sich dem Wettbewerb der Gesellschaftsrechtssysteme zu stellen hätten. Auf die besonderen nationalen Traditionen müsse Rücksicht genommen werden; allenfalls eine Empfehlung oder das Aufstellen einiger allgemeiner Prinzipien sei insoweit wünschenswert. Nahezu die Hälfte der Befragten sprach sich allerdings für die Einführung eines Wahlrechts durch europäische Vorgaben aus.8 6 Bericht der Regierungskommission „Corporate Governance“, BT-Drucks. 14/7515, 33 (Abdruck bei Baums, Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, Rdnr. 18). 7 Vgl. Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union – Aktionsplan [KOM(2003) 284 endg.], S. 18 f. sowie S. 29. Der Vorschlag geht zurück auf den Bericht der „Wintergruppe“ (Bericht der Hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen in Europa vom 4.11.2002; http://ec.europa.eu/internal_market/company/ docs/modern/report_de.pdf), S. 63. 8 Vgl. im Einzelnen Directorate General for Internal Market and Services: Consultation and Hearing on Future Priorities for the Action Plan on Modernizing Company Law and
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In neueren rechtspolitischen Stellungnahmen wird dagegen zunehmend eine Optionslösung befürwortet.9 Dafür sprechen heute in der Tat mehrere Gründe. Zuerst ist hier die Entwicklung im Bereich der SE zu nennen, die bekanntlich beide Führungsmodelle zur Wahl stellt.10 Zum einen liegt damit inzwischen eine ausgearbeitete Regelung vor, die belegt, daß und wie eine Gesellschaft mit monistischer Unternehmensverfassung in ein am dualen Führungssystem orientiertes rechtliches Umfeld eingepaßt werden kann. Zum anderen ist die dadurch ausgelöste rechtstatsächliche Entwicklung bemerkenswert. Eine Aufstellung zum 6. Januar des vergangenen Jahres zeigt, daß bis zu diesem Zeitpunkt 129 SEs gegründet oder in Gründung befindlich waren, davon bemerkenswerte 57 (44,2 %) allein in Deutschland.11 Bei den 129 Gründungen handelte es sich in 26 Fällen um Vorratsgründungen, in 51 Fällen dagegen um Gründungen von SEs, die sofort operativ tätig werden sollten; für die übrigen Fälle lagen insoweit keine Informationen vor. Von den 129 SEs erhielten nur 25 eine duale Führungsstruktur mit Vorstand und Aufsichtsrat, 46 dagegen eine monistische Führungsstruktur (für die übrigen fehlen wiederum Angaben). Interessant ist nun, daß sich unter den 46 SEs mit monistischer Führungsstruktur 17 mit Sitz in Deutschland befinden. Nach den von Bayer/Schmidt auf den 10. Januar 2008 erhobenen Zahlen hatten von 61 bis zu diesem Termin in Deutschland gegründeten SEs nur 26 eine duale Verfassung mit Vorstand und Aufsichtsrat, aber 35 (d.h. mehr als 57 %) waren monistisch verfaßt.12 Dies deutet, zumindest auf den ersten Blick, darauf hin, daß hier ein praktisches Bedürfnis nach dieser Führungsstruktur besteht. Die Wahl dieser Führungsstruktur läßt sich in den betreffenden FälEnhancing Corporate Governance in the European Union. Summary Report S. 18 ff. (http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/consultation/final_report_en.pdf). 9 Dafür bereits Handelsrechtsausschuß des DAV, ZIP 2003, 863 (869); Expertengruppe Europäisches Gesellschaftsrecht, ZIP 2003, 863 (869); so auch Bayer, Empfehlen sich besondere Regeln für börsennotierte und für geschlossene Gesellschaften?, Gutachten E zum 67. DJT 2008, S. E112 f.; für Österreich Kalss/Schauer, Die Reform des Österreichischen Kapitalgesellschaftsrechts, in: Verhandlungen des 16. Österreichischen Juristentages II/1, 2006, S. 91 ff. mit eingehenden, detaillierten Regelungsvorschlägen. 10 Vgl. Artt. 39 ff., 43 ff. VO (EG) Nr. 2157/2001 des Rates über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) vom 8.10.2001, ABlEG Nr. L 294, S. 1 – im Folgenden SE-VO – sowie ergänzend §§ 15 ff., 20 ff. SE-Ausführungsgesetz – im Folgenden SEAG – (= Art. 1 des Gesetzes zur Einführung der Europäischen Gesellschaft vom 22.12.2004, BGBl. I, S. 3675). 11 European Trade Union Institute, SE Europe – Worker participation at board level in the European Company (SE), 2208 (abrufbar unter http://www.worker-participation.eu/ european_company/se_companies/overview_table_1). Ähnliche Zahlen bei Bayer/Schmidt, «Going European» continues – die Zahl der SE steigt weiter, AG-Report 2008, R 31 f. Deutlich höhere Angaben aufgrund einer Ermittlung in den nationalen Handelsregistern (nach Drucklegung) bei Eidenmüller/Engert/Hornuf, AG 2008, 721 ff. 12 Bayer/Schmidt, AG-Report 2008, R 32.
Zur monistischen Verfassung der deutschen Aktiengesellschaft
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len jedenfalls nicht ausschließlich damit erklären, daß es sich dabei lediglich um – später ohne weiteres umzugestaltende – Vorratsgründungen, vielleicht sogar zwecks Vermeidung der Mitbestimmung13, handele. Denn unter den erwähnten 17 SE-Gründungen mit monistischer Verfassung mit Sitz in Deutschland befanden sich 9, bei denen es sich nicht um eine Vorratsgründung handelte (tatsächlich dürfte es sich um wesentlich mehr Fälle handeln, aber insofern fehlen Informationen). In einzelnen Fällen hatte die SE mit monistischer Verfassung sogar mehr als 2000 Arbeitnehmer; nach den getroffenen Mitbestimmungsvereinbarungen sind in diesen Fällen aber durchweg keine Arbeitnehmer im Board vertreten.14 Allerdings läßt sich nicht einmal behaupten, daß an der Gründung einer SE (bzw. einer AG) mit monistischer Leitungsverfassung jedenfalls dann keinesfalls Interesse bestehen könne, wenn dies bedeute, daß Arbeitnehmer in den Verwaltungsrat einzögen. Denn zumindest bei der österreichischen Plansee SE sind Arbeitnehmer im Board vertreten.15 Aus dieser Entwicklung läßt sich nun zwar nicht zwingend ableiten, daß ein unabweisbares Bedürfnis auch nach einer Aktiengesellschaft mit monistischer Verfassung bestehe. Denn die SE weist weitere Besonderheiten auf, wie die „europäische Marke“; die Möglichkeit, über die Mitbestimmung zu verhandeln und dabei die außerhalb Deutschlands in europäischen Konzerngesellschaften tätigen Arbeitnehmer einzubeziehen; die Möglichkeit, den Satzungs- und Verwaltungssitz ins Ausland zu verlegen;16 kurz, eine Reihe von Gestaltungsmöglichkeiten und Ausstattungsmerkmalen, die die SE insgesamt offenbar denjenigen Unternehmen, die diese Rechtsform gewählt haben, als attraktiver erscheinen lassen als die Aktiengesellschaft traditioneller Prägung. Anders gewendet: Man wird nicht behaupten können, daß die betreffenden Unternehmen, die eine SE mit monistischer Leitungsstruktur gewählt haben, sich auch für eine Aktiengesellschaft mit dieser Verfassung 13 Dazu, ob mit einer Vorratsgründung dieses Ziel überhaupt erreicht werden kann, etwa C. Schäfer, in: MünchKomm-AktG, IX/2, 2. Aufl. (2006), Art. 16 SE-VO Rdnr. 13 mit Nachweisen. 14 Einzelheiten hierzu bei Köstler/Werner, SE zwischen Eiszeit und Europa, Magazin Mitbestimmung 12/2007 (abrufbar unter http://www.boeckler.de/107_89892.html). 15 Dazu Schwimbersky/Rehfeldt, Case Study Report on Plansee SE, 2006 (abrufbar unter http://www.worker-participation.eu/european_company/se_companies/case_studies/ case_study_report_on_plansee_se). 16 Vgl. Art. 8 SE-VO i.V. mit §§ 12 ff. SEAG. Der AG soll künftig zwar die Verlegung des Verwaltungssitzes ins Ausland ermöglicht werden; § 5 AktG i.d.F. des am 1.11.2008 in Kraft tretenden Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), vgl. vorerst BT-Drucks. 16/6140. Eine (rechtsformändernde) Verlegung des Satzungssitzes bleibt aber nach wie vor ausgeschlossen (Art. 10b EGBGB i.d.F. des RefE eines Gesetzes zum IPR der Gesellschaften, Vereine und jur. Personen, 2007, verweist insoweit auf das nationale Sachrecht). Nur auf einem Umweg, durch grenzüberschreitende Verschmelzung gemäß §§ 122a ff. UmwG mit Hilfe eines ausländischen Verschmelzungsvehikels, läßt sich dieses Ziel erreichen.
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entschieden hätten, wenn diese Form ohne die übrigen Vorteile der SE zur Verfügung stände. Wohl aber läßt sich festhalten, daß offenbar die Gesamtheit der mit der SE eröffneten Gestaltungsmöglichkeiten und Ausstattungsmerkmale diese Rechtsform doch für eine beachtliche, in Zukunft vermutlich noch wachsende Zahl von Unternehmen als attraktiver erscheinen läßt als die herkömmliche Aktiengesellschaft, die im Wettbewerb der Rechtsformen derzeit offensichtlich an Boden verliert. Diese Beobachtung stützt nun aber jedenfalls die Aufforderung, die Verfassung der Aktiengesellschaft tunlichst ähnlich flexibel zu gestalten wie die der SE, und zwar nicht nur hinsichtlich ihrer Führungsstruktur – auf dieses Thema beschränken wir uns im Folgenden –, sondern auch hinsichtlich der anderen für die Praxis wichtigen Ausstattungsmerkmale und Gestaltungsmöglichkeiten, insbesondere der Flexibilisierung im Bereich der Mitbestimmung einschließlich der Größe der Aufsichtsräte, die diese Rechtsform vor der Aktiengesellschaft auszeichnen. Gegen diese Erwägungen könnte man einwenden, den Bedürfnissen der Praxis sei hinreichend bereits dadurch Rechnung getragen, daß der Gesetzgeber, wenn auch gezwungen durch europäische Vorgaben, eine dem entsprechende Rechtsform, eben die SE, schon zur Verfügung stellt. Dieser Einwand begegnet aber zwei Bedenken. Zum einen ist es gesamtwirtschaftlich effizienter, wenn nicht alle Unternehmen, denen an einer ihren Bedürfnissen eher gerecht werdenden Rechtsform liegt, auf den aufwendigen Weg der Gründung einer SE (die nur unter Beteiligung einer weiteren Gesellschaft im Ausland erfolgen kann), verwiesen werden, sondern wenn der Gesetzgeber eine bereits von ihm vorgehaltene und von den Akteuren vielfach benutzte Rechtsform den praktischen Bedürfnissen und Wertungen entsprechend anpaßt. Zum anderen ist der nationale Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Aktienrechts nicht an die bindenden Vorgaben der SE-VO und der Richtlinie zur Arbeitnehmerbeteiligung 17 in der SE gebunden. Spielräume, die sich hieraus ergeben, könnten sich bei der Weiterentwicklung des nationalen Aktienrechts und der Steigerung seiner Attraktivität im Wettbewerb der Rechtsformen als wertvoll erweisen. Neben dieser Entwicklung im Bereich der SE ist eine andere Entwicklung im Auge zu behalten, die für die Einführung eines monistischen Modells als Option spricht. Zunehmend sehen die uns umgebenden nationalen Aktienrechte eine solche Wahlmöglichkeit vor.18 Derzeit wird überdies ein europä17 Richtlinie 2001/86/EG des Rates zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer vom 8.10.2001, ABlEG Nr. L 294, S. 22. 18 Vgl. die rechtsvergleichenden Nachweise in Fußn. 2 sowie bei Fleischer, Der Einfluß der Societas Europaea auf die Dogmatik des deutschen Gesellschaftsrechts, AcP 204 (2004), 502 (528 f.); Hopt/Leyens, Board Models in Europe – Recent Developments of Internal Corporate Governance Structures in Germany, the United Kingdom, France, and Italy, ECFR 2004, S. 135 ff.; J. Schmidt, „Deutsche“ vs. „britische“ Societas Europaea (SE) – Gründung, Verfassung, Kapitalstruktur, 2006, S. 477 ff.
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isches Modellstatut für die Aktiengesellschaft (EMCA) vorbereitet, das diese Option ebenfalls enthalten wird.19 Um bei offenen Grenzen und freier Rechtsformwahl als attraktive Alternative in Betracht gezogen und gewählt zu werden und der sich entwickelnden europäischen „Benchmark“ zu genügen, wird es dauernder Überprüfung und notfalls Anpassung des nationalen Gesellschaftsrechts bedürfen. Nach allem dürften Überlegungen zu der Frage lohnen, wie eine monistische Verfassung der deutschen Aktiengesellschaft ausgestaltet werden könnte. Die inzwischen vorliegende Fülle an rechtsvergleichenden Berichten 20 kann wertvolle Hinweise auf verschiedene Typen der jeweiligen Unternehmensverfassungen liefern und zeigen, wie grundlegende Fragen zu ihrer rechtlichen Ausgestaltung gelöst worden sind. Für die konkrete rechtstechnische Implementierung eines monistischen Modells in ein vom dualen System geprägtes rechtliches Umfeld wird man dagegen zunächst eher die für die deutsche SE gefundene Lösung in den Blick nehmen. Diese Lösung mag als Ausgangspunkt der Debatte, als bereits ausformulierte und praktizierte Modellvorgabe, dienen, kann aber auch kritisch in Frage gestellt werden, weil der Gesetzgeber hinsichtlich des Aktiengesetzes anders als im Fall des SEAG nicht an die zwingenden Vorgaben der SE-VO gebunden ist. Daraus ergibt sich der folgende Aufbau unserer Überlegungen. Zunächst werden die in der rechtsvergleichenden Literatur beschriebenen monistischen Verfassungen drei unterschiedlichen Grundtypen zugeordnet (II). Sodann wird im Einzelnen zu fragen sein, was für und gegen eine Übernahme des jeweiligen Typus spricht, und es werden Einzelprobleme der Ausgestaltung angesprochen (III.–V.). Fragen der Mitbestimmung, insbesondere nach der Übernahme des Verhandlungsmodells der SE und nach den notwendigen Änderungen der Mitbestimmungsgesetze bei Einführung eines optionalen Verwaltungsratsmodells, bleiben aber ausgeklammert, weil dies den Rahmen der Untersuchung sprengen würde. Eine Zusammenfassung beschließt die Untersuchung (VI).
II. Drei Grundtypen monistischer Unternehmensverfassung Drei Grundtypen monistischer Unternehmensverfassung lassen sich unterscheiden; in der Detailbetrachtung zeigen sich dann freilich bedeutsame Modifikationen und Zwischenformen. Gleichwohl ist es für die Strukturierung der Debatte sinnvoll, von den Grundtypen auszugehen. Es handelt sich 19 S. Baums, Europäische Modellgesetze im Gesellschaftsrecht, in: Kley/Leven/Rudolph/Schneider (Hrsg.), Aktie und Kapitalmarkt. Anlegerschutz, Unternehmensfinanzierung und Finanzplatz, 2008, S. 525 ff. 20 S. dazu die Nachweise oben Fußn. 2.
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um die folgenden: erstens, den GmbH-ähnlichen Typus (alle Verwaltungsratsmitglieder sind geschäftsführend tätig); zweitens, den „unitarischen“ Verwaltungsrat mit geschäftsführenden und nicht geschäftsführenden Verwaltungsratsmitgliedern; und drittens den dualistischen Typus, bei dem neben dem Verwaltungsrat ein gesondertes Geschäftsführungsorgan besteht. Beispiele für den ersten Typus findet man in denjenigen Rechtsordnungen, die die private Kapitalgesellschaft nicht, wie die GmbH des deutschen Rechts in ihrem Verhältnis zur Aktiengesellschaft, als gesonderte Rechtsform, sondern als Variation einer als einheitlich aufgefaßten Kapitalgesellschaft mit allseits beschränkter Haftung ausgebildet haben, wie dies insbesondere für die Limited Liability Company des englischen Rechts gilt.21 Die kleine, private Kapitalgesellschaft verfügt wie ihre große Schwester über einen Verwaltungsrat oder Board. Häufig sind in diesem Gremium aber ausschließlich geschäftsführende Direktoren tätig. Zum zweiten, „unitarischen“ Grundtypus rechnen die Gesellschaften mit einem Verwaltungsrat, der sowohl mit geschäftsführenden wie mit externen Verwaltungsratsmitgliedern besetzt ist. In der Praxis sind insoweit mehrere charakteristische Variationen zu beobachten. Unterschiede zeigen sich zunächst einmal in der Frage, ob die nichtgeschäftsführenden, externen Direktoren in der Mehrheit 22 oder in der Minderheit sind; ferner, wieweit diese jedenfalls formal „unabhängig“ sein müssen oder sollen,23 und schließlich, welche Ausschüsse des Verwaltungsrats nur mit nichtgeschäftsführenden Direktoren besetzt sein sollten.24 Eine weitere Spielart dieses Typus findet sich, wenn die Rollen des Vorsitzenden des Verwaltungsrats und des leitenden geschäftsführenden Direktors („managing director“; „chief executive officer“) von derselben Person wahrgenommen werden (so traditionell im US-amerikanischen System; im französischen System bei Bestellung eines „Président Directeur Général“).25 Der dritte, „dualistische“ Typus ist dadurch gekennzeichnet, daß sich bei ihm neben dem Verwaltungsrat ein auch formal gesondertes Geschäfts21
S. nur Turnbull/Coleman, United Kingdom, in: Van Hulle/Gesell (o. Fußn. 2), S. 361. So tatsächlich häufig in den Boards der börsennotierten US-amerikanischen Gesellschaften entsprechend den Vorgaben der New Yorker Börse; vgl. dazu Merkt/Göthel (o. Fußn. 2), Rdnr. 581; Vergleich mit Großbritannien bei Davies, ZGR 2001, 268 (283). Rechtsvergleichend zur „board balance“ Merkt, Die monistische Unternehmensverfassung für die Europäische Aktiengesellschaft aus deutscher Sicht, ZGR 2003, 650 (667). 23 Dazu die Empfehlung der Kommission vom 15.2.2005 (2005/162/EG), ABlEU Nr. L 52, S. 51; rechtsvergleichende Hinweise oben Fußn. 2. 24 S. auch dazu wiederum die Empfehlung der Kommission (o. Fußn. 23) sowie die rechtsvergleichenden Berichte in Fußn. 2. 25 Beobachtungen zur Praxis bei britischen Gesellschaften bei Davies, ZGR 2001, 268 (271) sowie zum „PDG“ französischer Prägung Menjucq, ZGR 2003, 679 (687); Empfehlung zur Trennung beider Funktionen im brit. Combined Code; vgl. Davies, in: Gower and Davies’ Principles of Modern Company Law, 7. Aufl. (2003), S. 325. 22
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führungsorgan („management board“) mit ihm durch Gesetz oder Satzung zugewiesenen besonderen Aufgaben und Pflichten, zum Beispiel Führung der laufenden Geschäfte und Vertretung der Gesellschaft, findet.26 Die Übergänge zum unitarischen System mit verwaltungsratsinterner Aufteilung der Aufgaben und Kompetenzen zwischen geschäftsführenden und nicht geschäftsführenden Verwaltungsratsmitgliedern sind allerdings fließend. In einer Variation dieses dualistischen Typus gehören dem gesonderten Geschäftsführungsorgan Nichtverwaltungsratsmitglieder an. Eine besonders weitgehende Annäherung des dritten Grundtypus an die duale Unternehmensverfassung mit Vorstand und Aufsichtsrat liegt dann vor, wenn Gesetz oder Satzung dem vom Verwaltungsrat gesonderten Geschäftsführungsorgan Geschäftsführungsaufgaben und Pflichten zur Erfüllung unter eigener Verantwortung zuweisen.
III. Der GmbH-ähnliche Typus: Der Verwaltungsrat als Geschäftsführung Beim GmbH-ähnlichen Typus sind alle Verwaltungsratsmitglieder geschäftsführend tätig. Im Grenzfall ist dies eine Einzelperson. Daß ein großes praktisches Bedürfnis nach einer Kapitalgesellschaft mit einer solchen Verfassung besteht, belegt die Verbreitung der GmbH ohne Aufsichtsrat. Für die nicht börsennotierte Tochtergesellschaft im Konzern, für die Familiengesellschaft mit mehreren Gesellschafter- und Fremdgeschäftsführern wie für die von allen Gesellschaftern selbst geführte GmbH wird gleichermaßen häufig gelten, daß neben der Gesellschafterversammlung nur ein einziges weiteres Organ, die Geschäftsführung, eingerichtet und auf einen Aufsichtsrat verzichtet werden soll. Freilich liegt dann die Überwachung der Geschäftsführung und – je nach Ausgestaltung des Statuts – auch die „Festlegung der Geschäftspolitik“ 27 als Teil der Geschäftsleitung und gegebenenfalls darüber hinaus das Recht zur Ingerenz in die laufende Geschäftsführung bei den Gesellschaftern.
26 So die Wahlmöglichkeit nach französischem Gesellschaftsrecht seit der Reform 2001. Menjucq hat diese Spaltung zwischen Verwaltungsrat und Geschäftsführung als drittes System zwischen Monismus und Dualismus bezeichnet (ZGR 2003, 697 (687)). Zur Schweiz s. insoweit den Überblick bei Forstmoser, ZGR 2003, 688 (689), 694 ff. Für Großbritannien zu dieser „dualistischen“ Ausprägung der monistischen Leitungsverfassung die empirischen Beobachtungen der brit. Gesellschaftsrechtsreformkommission, mitgeteilt bei Davies (o. Fußn. 25), S. 317; zur zwingenden „dualistischen“ Ausgestaltung der monistischen Leitungsverfassung der deutschen SE durch das SEAG unten IV. 1. 27 S. dazu für die GmbH m.w. Nachweisen Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. (2004), § 37 Rdnr. 8.
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Ein „GmbH-ähnliches“ monistisches System für die Aktiengesellschaft vorzusehen, würde dementsprechend nicht nur erfordern, nach dem Vorbild der Artt. 43 ff SE-VO, §§ 20 ff SEAG Vorschriften über einen Verwaltungsrat, dessen Besetzung, Aufgaben und Befugnisse, Beschlüsse und Abberufung zu schaffen. Sondern dies würde tiefgreifende Änderungen der aktienrechtlichen Unternehmensverfassung, eine Neuordnung des Verhältnisses zwischen Hauptversammlung und dem geschäftsführenden Verwaltungsrat erfordern. Denn der Aktionärsversammlung müßten nicht nur nach dem Vorbild der §§ 28 ff SEAG die Wahl und die Abberufung der Verwaltungsratsmitglieder, sondern auch die Überwachung des Verwaltungsrats übertragen und die hierzu erforderlichen Instrumente zur Verfügung gestellt werden. Darüber hinaus müßten ihr – zumindest wenn den praktischen Anforderungen an die Gestaltbarkeit der GmbH-Verfassung auch hier Rechnung getragen werden soll – nach Maßgabe der Satzung Leitungsbefugnisse übertragen und darüber hinaus sogar das Recht zu Einzelweisungen in Bezug auf die Geschäftsführung eingeräumt werden können. Eine solch tiefgreifende Umarbeitung des Aktienrechts dürfte in Anbetracht dessen ausscheiden, daß die Verfassung der GmbH sich entsprechend gestalten läßt und damit eine Kapitalgesellschaft mit allseits beschränkter Haftung zur Verfügung steht, die den praktischen Gestaltungsbedürfnissen genügt. Es kommt hinzu, daß in der „kleinen“ SE (Gesellschaften mit einem Grundkapital von weniger als drei Mio EURO; vgl. § 23 Abs. 1 S. 1 SEAG) der weisungsbefugte Verwaltungsrat aus nur einer Person bestehen kann; diese Regelung könnte für die Aktiengesellschaft übernommen werden. Im Konzern kann dann als einziges Verwaltungsratsmitglied der Tochter-SE bzw. Tochter-AG ein Angestellter oder ein Vorstandsmitglied der Obergesellschaft bestellt werden, der der weisungsabhängigen Geschäftsführung der Tochter Weisungen in Bezug auf die Geschäftsführung erteilen könnte. Jedenfalls für die Fälle, in denen der bzw. die Anteilseigner aus juristischen Personen oder rechtsfähigen Gesellschaften bestehen, die bei der Wahrnehmung ihrer Gesellschafterrechte ohnehin einer Vertretung bedürfen, kann also in organisatorisch recht einfacher Weise eine ähnliche Entscheidungsstruktur hergestellt werden wie in einer GmbH, deren Gesellschafter durch ihre Vertreter der Geschäftsführung Weisungen erteilen.28 Freilich bleiben nicht zu leugnende rechtliche Unterschiede (keine Abhängigkeit der Geschäftsführung der abhängigen SE bzw. AG von Weisungen des oder der Anteilseigner selbst; verbleibende organschaftliche Verantwortung des bzw. der Verwaltungsratsmitglieder der abhängigen Gesellschaft). Da es hier darum geht, die Aktiengesellschaft hinsichtlich der Flexibilität ihrer Leitungsverfassung tunlichst mit der SE auf eine Stufe zu heben, stellt 28 Darauf weist Teichmann, Gestaltungsfreiheit im monistischen Leitungssystem der Europäischen Aktiengesellschaft, BB 2004, 53 (54 li. Sp.) hin.
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sich die Frage, ob denn für die SE eine GmbH-ähnliche monistische Verfassung in dem beschriebenen Sinne zugelassen ist und gestaltet werden kann. Art. 43 SE-VO spricht davon, daß das Verwaltungsorgan der SE „die Geschäfte der SE führt“. Das schließt zwar nicht aus, daß der Hauptversammlung abgegrenzte Zuständigkeiten in dem der Geschäftsführung zuzurechnenden Bereich übertragen werden könnten, zum Beispiel ein Katalog zustimmungsbedürftiger Geschäfte in die Satzung aufgenommen werden könnte. Die SE-VO gestattet dies freilich nur, soweit das jeweilige Aktienrecht eines Mitgliedstaats solches für die seinem Recht unterliegenden Aktiengesellschaften gleichfalls vorsieht (vgl. Art. 52 S. 2 SE-VO), was bekanntlich nach geltendem deutschem Aktienrecht nicht der Fall ist. Aus den Artt. 38, 43 Abs. 1 SE-VO wird man überdies schließen dürfen, daß der Verwaltungsrat der SE, dem Art. 43 Abs. 1 SE-VO die Führung der Geschäfte überträgt, nicht im Verhältnis zur Hauptversammlung darauf beschränkt werden kann, nur mehr die laufenden Geschäfte zu erledigen, während die „Festlegung der Geschäftspolitik“ als Teil der Geschäftsleitung und darüber hinaus das Recht zur Ingerenz in die laufende Geschäftsführung der Hauptversammlung vorbehalten würde.29 Wie auch immer dies aber zu beurteilen sein mag, jedenfalls bleibt festzuhalten, daß wegen der Verweisung des Art. 52 S. 2 SE-VO auf die Kompetenzen der Hauptversammlung im nationalen Aktienrecht eine deutsche SE mit GmbH-ähnlicher Verfassung in dem oben angedeuteten Sinne de lege lata nicht gestaltet werden kann. Deshalb müssen keine weitgehenden Eingriffe ins Aktienrecht in Betracht gezogen werden, soweit es nur darum geht, eine Gleichstellung der Rechtsform der AG mit der deutschen SE mit Sitz im Inland zu erreichen.
IV. Der dualistische Typus: Verwaltungsrat und gesonderte Geschäftsführung 1. Allgemeines Den Gegenpol zum GmbH-ähnlichen Typus bildet der „dualistische“ Typus. Damit ist nicht die duale Führungsstruktur mit Vorstand und Aufsichtsrat gemeint, sondern ein monistisches Modell, für das das Gesetz außer dem Verwaltungsrat ein gesondertes Geschäftsführungsorgan („management board“) mit besonderen Aufgaben, zum Beispiel Führung der laufenden Geschäfte, Vertretung der Gesellschaft und Erfüllung bestimmter gesetzlicher
29 Ebenso Reichert/Brandes, in: MünchKomm-AktG (o. Fußn. 13), Art. 38 SE-VO Rdnr. 15; Schwarz, SE-VO, Kommentar, 2006, Art. 43 Rdnr. 15.
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Pflichten, vorsieht. Diesem gesonderten Geschäftsführungsorgan können auch Nichtverwaltungsratsmitglieder angehören. Es handelt sich also um eine weitgehende Annäherung an die duale Unternehmensverfassung. Gleichwohl bleibt ein maßgeblicher formaler Unterschied zwischen den beiden Führungsmodellen, also der dualen Verfassung mit Vorstand und Aufsichtsrat einerseits und dem monistischen Modell in seiner dualistischen Ausprägung mit Verwaltungsrat und separatem Geschäftsführungsorgan oder management board andererseits: Anders als ein Aufsichtsrat „leitet“ der Verwaltungsrat die Gesellschaft – insoweit nimmt er die Stellung des Vorstands einer deutschen Aktiengesellschaft ein, § 76 Abs. 1 AktG –, aber anders als der Vorstand führt der Verwaltungsrat nicht die Geschäfte, sondern überläßt dies der Geschäftsführung, die er überwacht und für wichtige Maßnahmen an seine Zustimmung bindet. Die Geschäftsführung ist verpflichtet, die Anweisungen und Beschränkungen zu beachten, die die Satzung oder der Verwaltungsrat in Bezug auf die Geschäftsführungsbefugnis getroffen haben. Der Verwaltungsrat nimmt also sowohl Aufgaben eines Vorstands als auch Aufgaben eines Aufsichtsrats wahr. Die Geschäftsführung kann in formaler Hinsicht nicht mit dem Vorstand der Aktiengesellschaft, sondern eher mit der Geschäftsführung der GmbH verglichen werden.30 Allerdings verschieben sich faktisch die Gewichte deutlich zugunsten der Geschäftsführung, je mehr Verwaltungsratsmitglieder selbst in der Geschäftsführung tätig sind, und je mehr sie ihrer Zahl nach zugleich den Verwaltungsrat bestimmen oder gar dominieren. Der deutsche Gesetzgeber hat die monistische SE mit Sitz im Inland in diesem Sinne ausgestaltet; sie ist dem „dualistischen Typus“ zuzuordnen: Der Verwaltungsrat bestellt einen oder mehrere geschäftsführende Direktoren. Zu geschäftsführenden Direktoren können Mitglieder des Verwaltungsrats, aber auch Dritte bestellt werden (§ 40 Abs. 1 S. 1 und 2 SEAG). Der Verwaltungsrat leitet die Gesellschaft, bestimmt die Grundlinien ihrer Tätigkeit und überwacht deren Umsetzung (§ 22 Abs. 1 SEAG). Die geschäftsführenden Direktoren führen die Geschäfte der Gesellschaft (§ 40 Abs. 2 S. 1 SEAG). Dazu gehört nicht nur die Erledigung der „laufenden“ Geschäfte, sondern auch die Vornahme außergewöhnlicher, bedeutsamer und deshalb u.U. zustimmungsbedürftiger Geschäfte. Die geschäftsführenden Direktoren vertreten die Gesellschaft im Rechtsverkehr (§ 41 SEAG); ihnen ist die Erfüllung bestimmter gesetzlicher Pflichten aufgetragen (siehe etwa §§ 21, 47, 49 SEAG). Im Verhältnis zur Gesellschaft sind sie verpflichtet, die Anweisungen und Beschränkungen zu beachten, die – im Rahmen der für die SE geltenden Vorschriften – die Satzung, der Verwaltungsrat, die Hauptversammlung und die Geschäftsordnungen des Verwaltungsrats und der geschäftsführenden Direktoren für die Geschäftsführungsbefugnis getroffen haben 30 Treffend Drinhausen, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen (Hrsg.), Handbuch zur Europäischen Gesellschaft (SE), 2007, § 3 Rdnrn. 3, 23.
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(§ 44 Abs. 2 SEAG). Die Abhängigkeit vom Verwaltungsrat (und der Unterschied zur Stellung des Vorstands der Aktiengesellschaft; vgl. § 84 Abs. 3 AktG) zeigt sich auch darin, daß geschäftsführende Direktoren vom Verwaltungsrat jederzeit auch ohne wichtigen Grund abberufen werden können, sofern die Satzung nichts anderes bestimmt (§ 40 Abs. 5 SEAG). Ob diese „dualistische Ausgestaltung“ des monistischen Systems durch den Gesetzgeber des SEAG mit den Vorgaben der SE-VO vereinbar ist, insbesondere die Betrauung von Nichtverwaltungsratsmitgliedern mit der Geschäftsführung und die Übertragung der Vertretung der Gesellschaft an eine vom Verwaltungsrat getrennte „Geschäftsführung“, ist während des Gesetzgebungsverfahrens vielfach bezweifelt worden.31 Das kann hier dahinstehen. Jedenfalls für die Aktiengesellschaft könnte der Gesetzgeber, der insoweit nicht an die Vorgaben der SE-VO gebunden wäre, im Vierten Teil des Ersten Buches des Aktiengesetzes (§§ 76–149 „Verfassung der Aktiengesellschaft“) einen gesonderten Abschnitt zum monistischen System einfügen, insoweit die §§ 76 bis 116 des Aktiengesetzes für unanwendbar erklären und der Sache nach durch die Vorschriften der Artt. 43–51 SE-VO und die diese ausfüllenden und ergänzenden Vorschriften der §§ 21–49 SEAG ersetzen. Da es sich bei der monistischen Verfassung der Aktiengesellschaft nicht, wie im Fall der SE, um die Verfassung einer anderen, in einem vom Aktiengesetz gesonderten Gesetz geregelten Rechtsform handelt, könnte der Gesetzgeber überdies weitgehend mit Verweisungen auf die bereits bestehenden Normen des Aktiengesetzes arbeiten. Fragen der Gesetzgebungstechnik interessieren an dieser Stelle aber nicht weiter. Vielmehr stellen sich hier drei materielle Fragen: Erstens und vorab, ob das Korsett der SE-VO zu eng geschnürt ist, und der Gesetzgeber für die Aktiengesellschaft über deren Vorgaben hinausgehen sollte (dazu sogleich unter 2.). Sodann ist zu fragen, ob die Gestaltungsspielräume, die der EU-Verordnungsgeber in der SE-VO den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Ausgestaltung des monistischen Systems ausdrücklich gelassen hat, und die bei der Schaffung des SEAG nicht ausgenutzt wurden, jedenfalls bei Einführung des monistischen Systems in der Aktiengesellschaft genutzt werden sollten (dazu unten 3.). Schließlich ist zu erörtern, ob die Ausgestaltung des dualistischen Typus, die der deutsche Gesetzgeber für die SE jenseits der zwingenden Vorgaben und der ausdrücklich eingeräumten Optionen der SE-VO im SEAG gewählt hat, in jedem Punkt auch für die Aktiengesellschaft überzeugt (unten 4.). Bei allem ist im Blick zu behalten, daß es im Folgenden zunächst nur um die gerade mit dem „dualistischen Typus“ verbundenen besonderen Fragen geht. Fragen, die zwar den Verwaltungsrat, seine Organisation, Befugnisse, Pflichten und Arbeitweise, nicht
31 Zu dieser Debatte eingehend Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff (o. Fußn. 2), Art. 43 SE-VO Rdnrn. 17 ff., 30 ff. m. Nachweisen.
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aber das Vorhandensein einer vom Verwaltungsrat gesonderten Geschäftsführung betreffen und diese Trennung voraussetzen, werden gesondert unten unter V. behandelt.
2. Zu enge Vorgaben der SE-VO? Der Gesetzgeber ist bei der Ausgestaltung des nationalen Aktienrechts nicht an die zwingenden Vorgaben der SE-VO gebunden. Im Hinblick darauf stellt sich die Frage, ob es Gestaltungsbedürfnisse gibt, deren Umsetzung die SE-VO nicht zuläßt, die aber bei der Einführung einer monistischen Verfassung des „dualistischen Typus“, d.h. mit Verwaltungsrat und gesondertem Geschäftsführungsorgan, für die Aktiengesellschaft erwogen und berücksichtigt werden sollten. Solche Gestaltungsbedürfnisse, die in dem durch die SE-VO gesteckten Rahmen nicht berücksichtigt werden könnten, sind – vielleicht mit einer sogleich zu besprechenden Ausnahme – nicht zu erkennen. Denn die Artt. 43–51 SE-VO überlassen die Ausgestaltung des monistischen Systems, insbesondere seine an dieser Stelle interessierende „dualistische“ Ausformung, im Wesentlichen dem nationalen Gesetzgeber (vgl. Art. 43 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 SE-VO) und der Satzung der Gesellschaft. Eine Ausnahme von diesem Prinzip findet sich in Art. 48 Abs. 1 SE-VO. In dieser Vorschrift greift die SE-VO die Aufteilung in einen nicht selbst geschäftsführend nach außen auftretenden Verwaltungsrat und eine Geschäftsführung auf. Danach werden „in der Satzung der SE … die Arten von Geschäften aufgeführt, für die … im monistischen System ein ausdrücklicher Beschluß des Verwaltungsorgans erforderlich ist.“ Die Vorschrift geht davon aus, daß nicht der Verwaltungsrat insgesamt auch die laufenden Geschäfte führt, sondern entweder die Satzung oder der Verwaltungsrat selbst hierfür geschäftsführende Verwaltungsratsmitglieder bestellt hat oder eine vom Verwaltungsrat gesonderte Geschäftsführung eingerichtet ist. In diesem Fall hat die Satzung einen Katalog wichtiger Geschäfte aufzustellen, deren Vornahme der Zustimmung des Verwaltungsrats einschließlich seiner nichtgeschäftsführenden Mitglieder bedarf. Unbeschadet einer solchen Satzungsregelung kann der Verwaltungsrat generell, etwa in einer Geschäftsordnung, oder im Einzelfall wichtige Geschäfte von seiner Zustimmung abhängig machen.32 Flexibler erscheint hier die Lösung des § 111 Abs. 4 S. 2 AktG, die es den Gesellschaften freistellt, ob die Satzung einen Katalog zustimmungsbedürftiger Geschäfte aufstellt, der notfalls durch den Aufsichtsrat ergänzt wird, oder ob dieser Katalog insgesamt von vornherein vom Aufsichtsrat formuliert wird, während sich die Satzung hierüber ausschweigt.33 32
Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff (o. Fußn. 2), Art. 48 SE-VO Rdnr. 18. Teilweise wird in der Literatur Art. 48 Abs. 1 SE-VO bereits in diesem Sinne interpretiert, also angenommen, daß diese Vorschrift nur eine Regelungsbefugnis für den Satzungs33
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3. Im SEAG nicht ausgeübte Optionen der SE-VO a) Der Gesetzgeber hat im SEAG für die SE zwingend den dualistischen Typus eingeführt, also die Zweiteilung in einen Verwaltungsrat und die davon getrennte Geschäftsführung. Wie oben bereits erwähnt, ist während des Gesetzgebungsverfahrens bezweifelt worden, ob diese „dualistische Ausgestaltung“ des monistischen Systems durch den Gesetzgeber des SEAG mit den Vorgaben der SE-VO vereinbar ist.34 Nicht zweifelhaft ist aber, daß die SE-VO hierzu nicht zwingt, also nicht ihrerseits bindend vorschreibt, daß die monistische SE einen Verwaltungsrat und eine davon getrennte Geschäftsführung mit gesonderten Aufgaben, Befugnissen und Pflichten haben muß. Für die Ausgestaltung der monistischen Verfassung der Aktiengesellschaft sollte jedenfalls erwogen werden, dem Satzungsgeber insofern Gestaltungsfreiheit einzuräumen, also die Wahl zwischen der monistischen Verfassung mit getrenntem Geschäftsführungsorgan und der „einfachen“ monistischen Verfassung zu lassen. Daß dies nicht bedeuten sollte, die „Binnenstruktur“ des Verwaltungsrats, die Verteilung der Aufgaben zwischen geschäftsführenden und nicht geschäftsführenden Direktoren und ihr zahlenmäßiges Verhältnis, völlig der Satzungsfreiheit zu überlassen, wird unten, bei der Diskussion dieses Typus der monistischen Führungsverfassung, noch im Einzelnen erörtert werden.35 b) Eine weitere vom deutschen Gesetzgeber für die SE nicht wahrgenommene, von der SE-VO eingeräumte Option findet sich in Art. 43 Abs. 1 S. 2 SE-VO (sog. Schwedenklausel).36 Danach kann ein Mitgliedstaat vorsehen, daß ein oder mehrere Geschäftsführer die laufenden Geschäfte in eigener Verantwortung unter denselben Voraussetzungen führt bzw. führen, wie sie für Aktiengesellschaften mit Sitz im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaates gelten. Der deutsche Gesetzgeber konnte von dieser Option für die SE schon deshalb keinen Gebrauch machen, weil das Aktiengesetz für die Aktiengesellschaft ein monistisches System mit Verwaltungsrat und gesonderter Geschäftsführung nicht kennt. Die Ermächtigung des deutschen Gesetzgebers zur Schaffung eines monistischen Systems in der SE ergibt sich daher nicht aus Art. 43 Abs. 1 S. 2 SE-VO, sondern aus Art. 43 Abs. 4 SEVO.37 Das ist in der Debatte um den Entwurf des deutschen Ausführungsgeber, aber keine Regelungspflicht vorsehe; in diesem Sinne etwa Reichert/Brandes, in: MünchKomm-AktG (o. Fußn. 13), Art. 88 SE-VO Rdnr. 1; a.A. aber Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff (o. Fußn. 2), Art. 48 SE-VO Rdnr. 5 mit Nachweisen. 34 Vgl. Text zu Fußn. 31. 35 S. unten V. 36 Zum Hintergrund der Einführung dieser Klausel etwa Danelius, The European Company: Report from Sweden, in: Baums/Cahn (o. Fußn. 2), S. 38 (46 f.); Neye/Teichmann, Der Entwurf für das Ausführungsgesetz zur Europäischen AG, AG 2003, 169 (176 li. Sp). 37 Neye, Die Vorbereitung der Ausführungsgesetzgebung zur Societas Europaea in Deutschland, in: Baums/Cahn (o. Fußn. 2), S. 131, 136 f.
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gesetzes zur SE-VO vielfach anders gesehen worden.38 Die Ermächtigung des Art. 43 Abs. 4 SE-VO beschränkt den nationalen Gesetzgeber aber nicht darin, der Geschäftsführung nur die Erledigung der laufenden Geschäfte zu übertragen, also sich regelmäßig wiederholender Geschäfte unter Ausschluß bedeutsamer Einzeltransaktionen, für die demgemäß der Verwaltungsrat ausschließlich zuständig bliebe.39 Dem entsprechend hat der Gesetzgeber die Kompetenz der Geschäftsführung denn auch nicht auf die Erledigung der laufenden Geschäfte beschränkt, sondern ihr umfassend die Führung der Geschäfte der SE übertragen (§ 40 Abs. 2 S. 1 SEAG), unbeschadet freilich der Zuständigkeit und Befugnisse des Verwaltungsrats (§ 22 Abs. 1 SEAG), dem die Entscheidung über bedeutsame Geschäfte oder jedenfalls die Zustimmung hierzu vorbehalten ist (vgl. Art. 48 Abs. 1 S. 1 SE-VO) und der sogar in die laufenden Geschäfte durch Weisungen eingreifen kann (§ 44 Abs. 2 SEAG). Fraglich mag nun zwar sein, ob die Satzung einer SE die Geschäftsführung auf die Führung der laufenden Geschäfte beschränken und ihr damit einen engeren Aufgabenkreis zuweisen könnte, so wie ihn z.B. das österreichische SE-Gesetz für die Geschäftsführung vorsieht (§ 56 öSEG).40 Diese Frage nach der Reichweite der Gestaltungsfreiheit in der SE kann hier aber offen bleiben. Jedenfalls könnte der Gesetzgeber für eine monistisch verfaßte Aktiengesellschaft insoweit Satzungsfreiheit einräumen, also der Satzung überlassen, ob sie das Geschäftsführungsorgan nach österreichischem Vorbild auf die Erledigung der „laufenden Geschäfte“ beschränkt oder ihr weiter gehende Befugnisse einräumt. Dagegen spricht allerdings, daß der Begriff der „laufenden Geschäfte“ auslegungsbedürftig ist und zu Zweifelsfragen und Meinungsverschiedenheiten zwischen Geschäftsführung und Verwaltungsrat Anlaß geben kann. Insofern erscheint letzten Endes auch für die monistisch verfaßte Aktiengesellschaft der vom SEAG eingeschlagene Weg vorzugswürdig, der Geschäftsführung – unbeschadet im Einzelfall möglicher Weisungen des Verwaltungsrats – pauschal die Führung der Geschäfte zu übertragen und in die Satzung einen präzise abgegrenzten Katalog zustimmungsbedürftiger Geschäfte aufzunehmen. Falls erforderlich kann die Abgrenzung der „Leitung der Gesellschaft“ durch den Verwaltungsrat von den Aufgaben der geschäftsführenden Direktoren weiter in einer Geschäftsordnung konkretisiert werden. c) Nach Art. 48 Abs. 2 SE-VO können die Mitgliedstaaten für die in ihrem Hoheitsgebiet eingetragenen SEs festlegen, welche Arten von Geschäften auf jeden Fall in die Satzung aufzunehmen, d.h. der Zustimmung des Ver38
Vgl. die Nachweise bei Hoffmann-Becking, ZGR 2004, 355 (372). Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff (o. Fußn. 2), Art. 43 SE-VO Rdnrn. 30 ff., Anh. Art. 43 SE-VO (§ 40 SEAG) Rdnr. 29, je mit Nachweisen zu abweichenden Ansichten. 40 Vgl. dazu Kalss/Greda, in: Kalss/Hügel (o. Fußn. 5), S. 595 ff. 39
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waltungsrats zu unterwerfen sind. Deutschland hat, anders als z.B. die Niederlande und Österreich, für sein Aktienrecht einen gesetzlichen Katalog zustimmungsbedürftiger Geschäfte immer wieder verworfen 41 und dem entsprechend auch für die SE hiervon abgesehen. Dabei sollte es bleiben. d) Die SE-VO spricht in Art. 43 Abs. 1 S. 1 davon, daß der Verwaltungsrat die Geschäfte der SE führt, läßt aber die Vertretung der Gesellschaft unerwähnt. Daraus ist geschlossen worden, daß dem Verwaltungsrat zwingend auch die Vertretung der Gesellschaft obliegen müsse, da beides, Geschäftsführung und Vertretung, untrennbar miteinander verknüpft sei.42 Der Gesetzgeber des SEAG hat hieraus einen anderen Schluß gezogen: Da die Vertretungsmacht in Art. 43 SE-VO nicht erwähnt sei, könne der nationale Gesetzgeber, der gemäß Art. 43 Abs. 4 SE-VO eine vom Verwaltungsrat gesonderte Geschäftsführung einrichten dürfe, dieser auch die Vertretung der Gesellschaft übertragen und den Verwaltungsrat von der Vertretung ausschließen (vgl. §§ 41 ff SEAG). Wie auch immer diese Auslegung der SE-VO zu beurteilen sein mag, jedenfalls ist der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der monistischen Verfassung der Aktiengesellschaft hieran nicht gebunden. Er könnte die in den §§ 41 ff SEAG gewählte Lösung übernehmen oder sich auch der österreichischen Lösung anschließen; der österreichische Gesetzgeber hat die Vertretung der Gesellschaft Verwaltungsrat und geschäftsführenden Direktoren gemeinsam übertragen, sofern die Satzung nichts anderes bestimmt (§ 43 öSEG). Dabei muß allerdings gesehen werden, daß der Verwaltungsrat nach dem österreichischen SEG auch in die Geschäftsführung eingebunden ist (§§ 39 Abs. 1, 40 Abs. 1, 56 öSEG), also nicht wie der Verwaltungsrat nach dem SEAG (§ 22 Abs. 1 SEAG) grundsätzlich nur intern wirkt. Solange es bei der Aufteilung der Kompetenzen zwischen Verwaltungsrat und Geschäftsführung, wie im SEAG vorgesehen, auch bei der monistisch verfaßten Aktiengesellschaft bleibt, ist die dort getroffene Vertretungsregelung konsequent.
4. Sonstige Gestaltungsfragen Das SEAG enthält eine Reihe von Vorschriften zur (vom Verwaltungsrat zu unterscheidenden) Geschäftsführung, die nicht zwingend von der SE-VO vorgegeben sind und vor ihrer Übernahme in das Recht der Aktiengesellschaft nochmals kritisch geprüft werden sollten. Details können dazu an dieser Stelle nicht ausgebreitet werden. Immerhin sind zwei Grundfragen anzusprechen. Sie betreffen zum einen das Verhältnis der Hauptversammlung zur
41 S. dazu zuletzt die Erwägungen im Bericht der Regierungskommission Corporate Governance (o. Fußn. 6), S. 38; Abdruck bei Baums (o. Fußn. 6), Rdnr. 34. 42 Hoffmann-Becking, ZGR 2004, 355 (370 f).
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Geschäftsführung (dazu sogleich unter a) und zum anderen die im SEAG gewählte Technik der Aufteilung der Aufgaben und Pflichten zwischen Verwaltungsrat und Geschäftsführung (dazu unten b). (a) Wie sich aus dem Vorstehenden ergibt, orientiert sich das im SEAG gewählte Modell der monistisch verfaßten SE sehr stark am Vorbild der Aktiengesellschaft mit dualer Führungsstruktur. Das gilt auch für das Verhältnis zwischen Hauptversammlung und Geschäftsführung. Bei der Auswahl und Bestellung der geschäftsführenden Direktoren hat die Hauptversammlung kein Mitwirkungsrecht, auch nicht in der kleinen, nicht mitbestimmten und nicht börsennotierten SE. Vielmehr werden nach § 40 Abs. 1 S. 1 SEAG der oder die geschäftsführenden Direktoren vom Verwaltungsrat bestellt. Bei dieser Bestellungskompetenz des Verwaltungsrats (und nicht der Hauptversammlung) sollte es zwar, auch für die kleine nicht mitbestimmte Aktiengesellschaft, aus den bereits bei der Erörterung der GmbH-ähnlichen monistischen Verfassung 43 angedeuteten Gründen bleiben.44 Wohl aber sollte der Satzung eindeutiger als im SEAG geschehen, vorbehalten werden festzulegen, ob die geschäftsführenden Direktoren ausschließlich oder in einem bestimmten Verhältnis Verwaltungsratsmitglieder oder ausschließlich Dritte 45 sein müssen, oder aber sich einer Festlegung hierzu zu enthalten. Nach § 40 Abs. 1 S. 5 AktG kann die Satzung zwar „Regelungen über die Bestellung eines oder mehrerer geschäftsführender Direktoren treffen“, und diese Regelungskompetenz wird in der Literatur großzügig ausgelegt.46 Eine eindeutigere Klarstellung wäre hier aber wünschenswert. (b) Was die Aufteilung der Aufgaben und Pflichten zwischen Verwaltungsrat und Geschäftsführung betrifft, sollten die Vorgaben des SEAG gleichfalls nicht unbesehen übernommen werden. Diese Aufgaben und Pflichten erge43
Oben III. Entsprechendes gilt für die Abberufungskompetenz, die gemäß § 40 Abs. 5 SEAG ausschließlich beim Verwaltungsrat liegt. Da die Abberufung der Verwaltungsratsmitglieder ihrerseits nicht zwingend einen wichtigen Grund voraussetzt (vgl. § 29 Abs. 1 SEAG), und die geschäftsführenden Direktoren wiederum vom Verwaltungsrat ohne wichtigen Grund abberufen werden können (§ 40 Abs. 5 S. 1 SEAG), bedarf es in Bezug auf die geschäftsführenden Direktoren weder der Vorkehrungen des § 84 Abs. 3 S. 1 und 2 AktG (Abberufbarkeit eines Vorstandsmitglieds auch bei Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung) noch einer Regelung, daß die Hauptversammlung selbst (in der nicht mitbestimmten Gesellschaft) die geschäftsführenden Direktoren jedenfalls aus wichtigem Grund abberufen können muß. 45 Mindestens in diesem Fall sollte der Geschäftsführung das Recht zustehen, vom Vorsitzenden des Verwaltungsrates die Einberufung des Verwaltungsrates verlangen zu können; zur – umstrittenen – Rechtslage nach dem SEAG insoweit Teichmann, in: Lutter/ Hommelhoff (o. Fußn. 2), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 38 SEAG) Rdnr. 5 einerseits; Schwarz (o. Fußn. 29), Anh. Art. 43 Rdnrn. 242 f. andererseits. S. dazu auch § 53 öSEG. 46 S. nur Reichert/Brandes, in: MünchKomm-AktG (o. Fußn. 13), Art. 43 SE-VO Rdnr. 117; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff (o. Fußn. 2), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 40 SEAG) Rdnr. 7 m.w.N. 44
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ben sich entweder aus dem SEAG unmittelbar oder aus Vorschriften anderer Gesetze, insbesondere des Aktiengesetzes, die freilich das Vorhandensein eines Vorstands und eines davon gesonderten Aufsichtsrats voraussetzen. Das SEAG folgt nun bezüglich solcher Vorschriften außerhalb des SEAG, die zwei getrennte Führungsorgane fordern oder vorsehen, nicht dem Prinzip, die Aufgaben, Pflichten und Befugnisse des Aufsichtsrats dem Verwaltungsrat und diejenigen des Vorstands grundsätzlich der Geschäftsführung zuzuweisen. Vielmehr beziehen sich im Grundsatz sämtliche außerhalb des SEAG in Rechtsvorschriften anzutreffenden Aufgaben, Pflichten und Befugnisse sowohl des Aufsichtsrates als auch des Vorstands auf den Verwaltungsrat. Dieser Grundsatz ergibt sich aus § 22 Abs. 6 SEAG: „Rechtsvorschriften, die außerhalb dieses Gesetzes dem Vorstand oder dem Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft Rechte oder Pflichten zuweisen, gelten sinngemäß für den Verwaltungsrat, soweit nicht in diesem Gesetz für den Verwaltungsrat und für geschäftsführende Direktoren besondere Regelungen enthalten sind.“ Dies mag im Prinzip überzeugen, wirft aber doch weitere Fragen auf, die hier nur angedeutet werden können. Die Einbindung zweier eigenverantwortlich handelnder, wechselseitig nicht weisungsgebundener Organe, des Vorstands und des Aufsichtsrats, in Entscheidungen von weitreichender Bedeutung für die Gesellschaft und ihre Aktionäre stellt eine besondere Vorkehrung dar, die die Beachtung der betroffenen Interessen institutionell absichern soll. Das zeigt sich etwa, um nur einige Beispiele aufzugreifen, in dem Nebeneinander und der Verschränkung der Aufgaben von Vorstand und Aufsichtsrat bei der Ausnutzung eines genehmigten Kapitals (§§ 204 Abs. 1, 205 Abs. 2 S. 2 AktG), der Sicherung der abhängigen Gesellschaft durch einen vom Vorstand aufzustellenden und vom Aufsichtsrat zu prüfenden Abhängigkeitsbericht (§§ 312, 314 AktG), oder den Pflichten und Befugnissen von Vorstand und Aufsichtsrat einer Zielgesellschaft, deren Aktionären ein Übernahmeangebot unterbreitet wird (vgl. §§ 27, 33 WpÜG). Diese institutionelle Vorkehrung entfällt, wenn die Aufgaben und Befugnisse von Vorstand und Aufsichtsrat in einem Organ, dem Verwaltungsrat, vereinigt sind. Die Vorschrift, daß die Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungsrats nicht in der Geschäftsführung tätig sein darf (§ 40 Abs. 1 S. 2 SEAG), vermag dies schon deshalb nicht auszugleichen und gewissermaßen eine der dualen Verfassung vergleichbare Struktur zu schaffen, weil Koalitionen oder die Abwesenheit nicht geschäftsführender Direktoren den geschäftsführenden Direktoren leicht zu einem Übergewicht im Verwaltungsrat verhelfen können. Der Gesetzgeber hat deshalb für die Aufstellung der Jahres- und Konzernabschlüsse und Zwischenabschlüsse und deren Prüfung (§§ 40 Abs. 3, 47 SEAG) sowie für die Anwendung der Vorschriften der §§ 308–327 AktG (vgl. § 49 SEAG) auf das Vorbild der dualen Unternehmensverfassung zurückgegriffen und der Geschäftsführung insoweit die Pflichten und Aufgaben des
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Vorstands, dem Verwaltungsrat dagegen die Pflichten und Aufgaben des Aufsichtsrates zugewiesen. Hier wird eingehend erörtert werden müssen, was diese Aufspaltung und die Betrauung einer vom Verwaltungsrat weisungsabhängigen Geschäftsführung mit gesetzlichen Pflichten überhaupt an institutioneller Sicherung bietet, ob also diese Aufspaltung und Zuweisung von Pflichten über eine – der Satzung oder Geschäftsordnung zu überlassende – Arbeitsteilung zwischen Verwaltungsrat und Geschäftsführung hinaus sinnvoll und geboten erscheint. Falls dies zu bejahen ist, stellt sich die Frage, wieso diese Anleihe beim Vorstands-/Aufsichtsratsmodell auf die erwähnten, im SEAG aufgeführten Pflichtaufgaben beschränkt bleiben sollte.47 Vom Gesetzgeber nicht in Betracht gezogene, zumindest nicht realisierte, Alternativen beständen darin, in geeigneten Fällen ausschließlich mit nichtgeschäftsführenden Verwaltungsratsmitgliedern besetzte Ausschüsse des Verwaltungsrats (im monistischen System) an die Stelle des Aufsichtsrats (im dualen System) zu setzen 48 oder die nichtgeschäftsführenden und die geschäftsführenden Direktoren in geeigneten Fällen gesondert abstimmen zu lassen. Zur Beurteilung dieser Fragen wären sämtliche einschlägigen Vorschriften des Aktiengesetzes und weiterer Gesetze durchzumustern. Eine weitere Folge der vom Gesetzgeber in § 22 Abs. 6 SEAG gewählten Regelungstechnik (Allzuständigkeit des Verwaltungsrats mit Ausnahme der im SEAG hiervon zugunsten der Geschäftsführung ausgenommenen Materien) ist eine gewisse Konzentration von Aufgaben, Befugnissen und Pflichten beim Verwaltungsrat auch in solchen Fällen, in denen dieser hiervon vielleicht entlastet werden könnte, genauer: wo es der Entscheidung der Satzung der Gesellschaft oder der vom Verwaltungsrat erlassenen Geschäftsordnung überlassen werden kann und überlassen bleiben sollte, diese Zuweisung vorzunehmen. Hier mag ein Beispiel genügen. In der Aktiengesellschaft mit dualer Verfassung erteilt, wenn vinkulierte Aktien ausgegeben sind, der Vorstand die erforderliche Zustimmung der Gesellschaft zur Übertragung, es sei denn, daß die Satzung eine Entscheidung des Aufsichtsrates oder der Hauptversammlung vorsieht (§ 68 Abs. 2 AktG). In der SE mit monistischer Verfassung ist hierfür gemäß § 22 Abs. 6 SEAG der Verwaltungsrat zuständig, da dem SEAG selbst nichts anderes, insbesondere keine Zuweisung an die Geschäftsführung, zu entnehmen ist. Eine solche Zuweisung wird man auch nicht dem formalen Gesichtspunkt entnehmen dürfen, daß die Geschäfts-
47 Zur korrigierenden Auslegung des SEAG insoweit Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff (o. Fußn. 2), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 22 SEAG) Rdnrn. 46 f. mit Nachweisen. 48 Zu dieser Lösung als Regelungsansatz in monistischen Systemen etwa Holland, Das amerikanische „board of directors“ und die Führungsorganisation einer monistischen SE in Deutschland, 2006, S. 27 ff; Scherer, Die Qual der Wahl: Dualistisches oder monistisches System? Alternativen der Unternehmensverfassung einer Europäischen Gesellschaft (SE) in Deutschland, 2006, S. 75 (85 ff.).
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führung die Gesellschaft nach außen vertritt (§ 41 SEAG), und es sich bei der Zustimmung nach § 68 AktG um einen Akt der Vertretung handelt. Bestätigt wird diese Auslegung durch § 34 Abs. 4 S. 2 SEAG. Danach kann der Verwaltungsrat die Aufgabe nach § 68 Abs. 2 S. 2 des Aktiengesetzes nicht einem Ausschuß an Stelle des Verwaltungsrats zur Beschlußfassung überweisen, d.h. das Plenum des Verwaltungsrats hat über die Zustimmung zu entscheiden. Wenn aber eine Gesellschaft über einen Verwaltungsrat, der sich auf die Leitung der Gesellschaft beschränkt, und eine gesonderte Geschäftsführung verfügt, der die Führung der Geschäfte übertragen ist, dann sollte es der Satzung der Gesellschaft überlassen bleiben zu bestimmen, wer für die Erteilung der Zustimmung zur Übertragung vinkulierter Aktien zuständig ist. Ähnlich müßte für alle übrigen im dualen System dem Vorstand auferlegten Pflichten, Aufgaben und Befugnisse geprüft werden, ob nicht – abweichend vom Prinzip der grundsätzlichen Zuweisung an den Verwaltungsrat (vgl. § 22 Abs. 6 SEAG) – Satzungsfreiheit eingeräumt, d.h. es den Gesellschaften selbst überlassen werden sollte, diese Aufgaben statt dessen der Geschäftsführung zu übertragen. Der Gesetzgeber des SEAG hat dies wohl wegen der recht knapp bemessenen Frist zur nicht einfachen (!) Umsetzung der Vorgaben der SE-VO nicht leisten können.49 Für die Einführung des monistischen Systems im Aktienrecht besteht dagegen kein entsprechender Zeitdruck.
V. Der „unitarische“ Verwaltungsrat mit Leitungs-, Überwachungsund Geschäftsführungsauftrag 1. Allgemeines Der dritte in monistischen Systemen der Leitungsverfassung der Kapitalgesellschaften anzutreffende Typus ist dadurch gekennzeichnet, daß der Verwaltungsrat sämtliche Führungsaufgaben auf sich vereinigt: Er leitet die Gesellschaft, bestimmt im Rahmen der Satzung die Grundlinien ihrer Tätigkeit, er führt aber auch – durch hierzu bestimmte geschäftsführende Verwaltungsratsmitglieder – die Geschäfte selbst und überwacht die geschäftsführenden Verwaltungsratsmitglieder. Die Überwachung erfolgt entweder durch das Plenum des Verwaltungsrats, das sich häufig in seiner Mehrheit aus nichtgeschäftsführenden Mitgliedern zusammensetzt, die dann ihrerseits mehrheitlich oder zu einem bestimmten Prozentsatz „unabhängig“ sein sollten, oder auch – für bestimmte Aufgaben – durch Ausschüsse des Verwaltungsrats, die dann ausschließlich mit nichtgeschäftsführenden Verwaltungsratsmitgliedern 49
Dazu Lutter, in: Lutter/Hommelhoff (o. Fußn. 2), Einl. SE-VO Rdnrn. 19 f.
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besetzt sein können. Eine weitere Vorkehrung in diesem Typus entsprechenden Systemen kann darin bestehen, daß die Rolle des leitenden geschäftsführenden Direktors (CEO; directeur général) von der Rolle des Vorsitzenden des Verwaltungsrats (chairman; président) getrennt wird. Auch bei diesem „unitarischen“ Typus findet sich also, anders als beim „GmbH-ähnlichen“ Typus, vielmehr insofern vergleichbar mit dem „dualistischen“ Typus, eine Differenzierung der Rollen der nichtgeschäftsführenden und der geschäftsführenden Verwaltungsratsmitglieder. Gleichwohl ist dieser Typus doch deutlich von dem oben unter IV. behandelten „dualistischen Typus“ zu unterscheiden, auch wenn sich in der Ausgestaltung oder in der Praxis einzelner Jurisdiktionen Annäherungen ergeben mögen. Der grundlegende Unterschied besteht eben darin, daß bei dualistischer Ausprägung das Gesetz selbst zwischen dem Verwaltungsrat und einer Geschäftsführung (den geschäftsführenden Direktoren) trennt, beiden Organen verschiedene Aufgaben zuweist (auch wenn der Verwaltungsrat „durchregieren“ kann), und nicht nur dem Verwaltungsrat, sondern auch der Geschäftsführung gesetzliche Pflichten auferlegt, die nur von ihr, nicht aber vom Verwaltungsrat zu erfüllen sind. Demgegenüber sind bei dem hier betrachteten unitarischen Typus sämtliche Leitungs-, Überwachungs- und Geschäftsführungsbefugnisse und die diesbezüglichen gesetzlichen Pflichten beim Verwaltungsrat konzentriert bzw. auf diesen bezogen, und es ist im Grundsatz der Satzung, der Geschäftsordnung (oder auch einem Corporate Governance Kodex) überlassen, insoweit für eine Trennung der Funktionen der Geschäftsführung und deren Überwachung innerhalb des Verwaltungsrats zu sorgen. International ist wohl dieser „unitarische“ Verwaltungsratstyp am weitesten verbreitet. Vergleicht man diese Unternehmensverfassung mit der dualen Unternehmensverfassung, dann läßt sich verkürzt und zusammengefaßt folgendes festhalten: Das Regelungsprinzip, das der dualen Vorstands-/Aufsichtsratsverfassung zugrunde liegt, ist die durchgehende Trennung zwischen Geschäftsleitung und Überwachung. Eine Ausnahme von diesem Regelungsprinzip bildet die Vornahme zustimmungspflichtiger Geschäfte (sofern man nicht den Zustimmungsvorbehalt gleichfalls dem Bereich der „Überwachung“ zurechnet). Demgegenüber ist beim Verwaltungsrat des „unitarischen“ Typus das zugrundeliegende Regelungsprinzip die gemeinschaftliche Leitung (Festlegung der Ziele und Strategie des Unternehmens; von Organisationsfragen; Finanzplanung und -kontrolle; Grundfragen des Rechnungs- und des Personalwesens; Entscheidungen über wesentliche Geschäfte) durch geschäftsführende und externe Verwaltungsratsmitglieder. Dem „unitarischen“ Verwaltungsratstyp liegt also im Vergleich mit der dualen Unternehmensverfassung genau das gegenteilige Regelungsprinzip zugrunde. Dieses Prinzip der gemeinschaftlichen Leitung läßt sich freilich nicht uneingeschränkt durchhalten; die Ausnahmen hiervon nähern sich, wenig verwunderlich, der Tren-
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nung zwischen Überwachung und Geschäftsleitung im dualen System mit Vorstand und Aufsichtsrat an. Wo Interessenkonflikte oder die Besonderheit einzelner spezifischer Aufgaben dies gebieten, wird die Erledigung dieser Aufgaben unabhängig (mit unabhängigen externen Verwaltungsratsmitgliedern) besetzten Verwaltungsratsausschüssen übertragen. Beispielhaft ist dieses „unitarische“ Führungsmodell im britischen Gesellschaftsrecht verwirklicht.50 Obwohl auch der Companies Act 2006, wie der Companies Act 1985, nicht explizit eine duale Unternehmensverfassung ausschließt, geht er in seinen Vorkehrungen durchweg vom Vorhandensein eines einheitlichen Verwaltungsrats aus. Pflichten, Aufgaben und Befugnisse beziehen sich allerdings nicht auf einen Verwaltungsrat oder Board, sondern unmittelbar auf die Direktoren. Und zwar richten sich die Vorschriften des Companies Act durchweg unterschiedslos an alle Direktoren; das Gesetz differenziert nicht zwischen geschäftsführenden und sonstigen, externen Direktoren. Die Pflichten zur Anmeldung zum Gesellschaftsregister, die persönlichen Ausschließungsgründe, als Direktor einer Gesellschaft zu fungieren, die Vorschriften über die Wahrnehmung von Geschäftschancen der Gesellschaft, die Gewährung von Krediten an Direktoren, den Abschluß von Dienstverträgen mit der Gesellschaft sowie die Voraussetzungen und die Durchsetzung der Haftung gelten unterschiedslos für alle Direktoren der Gesellschaft. Die Aufteilung der Aufgaben zwischen geschäftsführenden und nichtgeschäftsführenden Direktoren ist danach Sache der Satzung und/oder einer Geschäftsordnung. Für börsennotierte Gesellschaften enthält aber der Combined Code 51 Empfehlungen („Principles“ und „Supporting Principles“), die das Vorhandensein von non-executive und executive directors voraussetzen und empfehlen und hieran anknüpfend Anforderungen an die Binnenorganisation eines Verwaltungsrats, dessen Zusammensetzung und die Zuweisung von spezifischen Aufgaben an unabhängig besetzte Ausschüsse des Verwaltungsrats stellen.52 Danach soll der Verwaltungsrat in einem ausgeglichenen Ausmaß aus outside und aus managing directors bestehen, und die non-executive directors sollen (einschließlich des Vorsitzenden des Verwaltungsrats) in ihrer Mehrheit „unabhängig“ sein. Der Code benennt die dem Verwaltungsrat als Ganzem mindestens vorzubehaltenden Entscheidungen und enthält Vorschriften zur Besetzung und zu den Aufgaben eines Ausschusses für die Nominierung von Direktoren, eines Ausschusses für die Vergütung der managing directors und des Prüfungsausschusses (audit committee).
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Nachweise zu Darstellungen oben in Fußn. 2. Fundstelle: http://www.fsa.gov.uk/pubs/ukla/lr_comcode2003.pdf. 52 Treffend dazu Merkt, ZGR 2003, 650 (677): „Die monistische Verfassung ist flexibler als die dualistische, worin ein wesentlicher Vorteil gesehen wird. Freilich werden die zentralen Regelungsprobleme damit lediglich vom Gesetz auf den Corporate Governance – Kodex verlagert.“ 51
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Ein kurzer Seitenblick auf das US-amerikanische Gesellschaftsrecht zeigt eine ähnliche Vorgehensweise: Zum Beispiel werden nach sec. 141 (a) Del. General Corp. Law die Geschäfte der Gesellschaft durch oder unter der Aufsicht des Verwaltungsrats geführt. Die folgenden Vorschriften differenzieren nicht zwischen outside und inside directors. Die Vorgaben an die interne Corporate Governance, insbesondere die Zuweisung spezifischer Aufgaben an externe, unabhängige Verwaltungsratsmitglieder, finden sich für börsennotierte Gesellschaften insbesondere in den von der SEC gebilligten Corporate Governance Guidelines (sec. 303 A) des NYSE Euronext Listed Companies Manual.53 Im Folgenden ist zu erörtern, ob und welche Vorgaben der SE-VO und des SEAG vor einer Übernahme ins Aktiengesetz geändert und welche zusätzlichen Vorkehrungen getroffen werden müßten, um für die Aktiengesellschaft auch den Verwaltungsrat mit Leitungs-, Überwachungs- und Geschäftsführungsauftrag, also nicht den „dualistischen“, sondern den „unitarischen“ Typus, wie er sich etwa im britischen und US-amerikanischen Gesellschaftsrecht findet, zu ermöglichen.
2. Die Vorgaben der SE-VO und des SEAG Die SE-VO läßt den „unitarischen“ Typus neben dem oben unter IV. beschriebenen „dualistischen“ Typus zu. Denn die Ausgestaltung der monistischen Leitungsverfassung im Einzelnen ist im Wesentlichen den Mitgliedstaaten und den Satzungen der Gesellschaften überlassen.54 In den der SEVO vorangestellten Erwägungen (Erwägung 14) heißt es insoweit lediglich wie folgt: „Es ist erforderlich, der SE alle Möglichkeiten einer leistungsfähigen Geschäftsführung an die Hand zu geben und gleichzeitig deren wirksame Überwachung sicherzustellen. Dabei ist dem Umstand Rechnung zu tragen, daß in der Gemeinschaft hinsichtlich der Verwaltung der Aktiengesellschaften derzeit zwei verschiedene Systeme bestehen. Die Wahl des Systems bleibt der SE überlassen, jedoch ist eine klare Abgrenzung der Verantwortungsbereiche jener Personen, denen die Geschäftsführung obliegt, und der Personen, die mit der Aufsicht betraut sind, wünschenswert.“ Der deutsche Gesetzgeber hat diesen Auftrag der SE-VO, die Verantwortungsbereiche von Geschäftsführung und Verwaltung voneinander abzugrenzen, dadurch erfüllt, daß er sich für die „dualistische“ Ausprägung des monistischen Führungssystems entschieden hat. Der dem SEAG unterfallen53 Fundstelle: http://www.nyse.com/Frameset.html?nyseref=http%3A//www.nyse.com/ regulation/listed/1182508124422.html&displayPage=/lcm/lcm_section.html. Darstellungen etwa bei Merkt/Göthel (o. Fußn. 2), Rdnrn. 57 ff.; Holland, Das amerikanische „board of directors“ und die Führungsorganisation einer monistischen SE in Deutschland, 2006. 54 S. näher dazu oben IV. 2.
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den SE ist es demnach nicht möglich, dem Verwaltungsrat nicht nur die Leitung der Gesellschaft, sondern darüber hinaus auch die Geschäftsführung und Vertretung einschließlich der Erfüllung sämtlicher gesetzlicher Pflichten zu übertragen. Die Vertretungsmacht gemäß § 41 SEAG steht nicht dem Verwaltungsrat insgesamt zu, sondern nur den geschäftsführenden Direktoren, die als solche zum Handelsregister anzumelden sind. Ferner sind die den geschäftsführenden Direktoren im SEAG auferlegten gesetzlichen Pflichten nur von ihnen, nicht vom Verwaltungsrat insgesamt, d.h. von allen einschließlich aller nichtgeschäftsführenden Verwaltungsratsmitglieder, zu erfüllen. Sicher ist diese deutliche Trennung, die „dualistische“ Ausformung des monistischen Führungssystems der SE, zum einen dem Umstand geschuldet, daß das deutsche Aktienrecht einschließlich seiner Nebengesetze vom dualen Prinzip der Unternehmensverfassung geprägt ist, an das auch für die monistische SE angeknüpft wurde, und zum anderen von der Notwendigkeit bestimmt, auch die SE mit Boardverfassung mitbestimmungstauglich zu machen. Wenn nun aber auch für die Aktiengesellschaft das monistische System eingeführt werden soll, empfiehlt es sich, diese Beschränkung auf die dualistische Ausprägung zu überprüfen und der Satzung, ausländischen Vorbildern folgend, möglichst viel Spielraum einzuräumen, möglicherweise also auch den Typus des einheitlichen Verwaltungsrats mit Leitungs-, Überwachungsund Geschäftsführungsauftrag zuzulassen. Eine solche dem Satzungsgeber eingeräumte Wahlfreiheit sollte auch mitbestimmten Gesellschaften ermöglichen, die ihnen gemäße Verfassung zu wählen. Die Abgrenzung der Verantwortungsbereiche derjenigen Personen, denen die Geschäftsführung obliegt, und der Personen, die mit der Aufsicht betraut sind, würde dann gewissermaßen durch Binnendifferenzierung innerhalb der Aufgaben des Verwaltungsrats erfolgen. Für börsennotierte Gesellschaften könnte zusätzlich der Deutsche Corporate Governance Kodex in einem besonderen Abschnitt Empfehlungen für diesen Typus der Unternehmensverfassung vorsehen. Im Folgenden wird in einem ersten Schritt (sogleich unter 3.) der technischen Frage nachzugehen sein, wie die Vorschriften des SEAG und die durch sie vorgegebene „dualistische“ Ausprägung der Leitungsverfassung verändert werden müßten, um die Voraussetzungen für einen einheitlichen, unitarischen Verwaltungsrat mit Leitungs-, Überwachungs- und Geschäftsführungsauftrag zu schaffen. In einem weiteren Schritt (unten 4.) wird dann – in der hier gebotenen Kürze – die rechtspolitische Frage zu erörtern bleiben, wie weit die gesetzliche Gleichbehandlung aller Verwaltungsratsmitglieder gehen darf, und die Aufgabenteilung zwischen geschäftsführenden und überwachenden Verwaltungsratsmitgliedern der Selbstorganisation und gegebenenfalls einem Corporate Governance Kodex überlassen werden kann, und wie in diesem Fall die durch die gesetzliche Einführung des Aufsichtsrats im dualen Modell geschützten Interessen zu wahren sind.
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3. Notwendige Modifikationen des SEAG Der Verzicht auf eine „Geschäftsführung“ mit gesetzlichen Pflichten, Aufgaben und Befugnissen, die sich von denen des Verwaltungsrats unterscheiden, würde zunächst erfordern, eben diese gesetzlichen Pflichten, Aufgaben und Befugnisse der geschäftsführenden Direktoren zu streichen und dem Verwaltungsrat zu übertragen, der sie dann einzelnen Verwaltungsratsmitgliedern oder einem Ausschuß zur Vorbereitung, Ausführung oder selbständigen Erledigung übertragen kann, aber nicht muß. In groben Zügen geschildert würde sich dann folgendes ergeben: (a) Der Verwaltungsrat leitet wie bisher (§ 22 Abs. 1 SEAG) die Gesellschaft, bestimmt aber künftig nicht lediglich „die Grundlinien ihrer Tätigkeit und überwacht deren Umsetzung“. Sondern er führt auch die Geschäfte der Gesellschaft, kann aber die Geschäftsführung einem (Exekutiv-)Ausschuß (vgl. § 34 Abs. 4 SEAG) oder einzelnen Verwaltungsratsmitgliedern übertragen, der bzw. die dann vom Verwaltungsrat oder für bestimmte Aufgaben von speziell eingerichteten und besetzten Ausschüssen des Verwaltungsrats (Prüfungsausschuß; Nominierungsausschuß; Vergütungsausschuß) zu überwachen sind. Eine gesetzliche Pflicht, geschäftsführende Direktoren zu bestellen (vgl. § 40 Abs. 1 S. 1 SEAG) entfällt aber. Zur Eintragung ins Handelsregister anzumelden und auf den Briefen der Gesellschaft aufzuführen (§§ 40 Abs. 1 S. 3, 43, 46 Abs. 1 S. 2 SEAG) sind demgemäß nicht „die geschäftsführenden Direktoren“, sondern diejenigen Verwaltungsratsmitglieder, die einzeln oder gemeinschaftlich zur Vertretung der Gesellschaft befugt sind; in Ermangelung einer abweichenden Bestimmung in der Satzung sind alle Verwaltungsratsmitglieder gemeinschaftlich zur Vertretung befugt. Hinsichtlich der Inhabilitätsvorschriften des § 76 Abs. 3 AktG sollte eindeutiger als bisher klargestellt werden, daß sie für alle Verwaltungsratsmitglieder gelten, also sowohl für die zur Geschäftsführung berufenen wie für die nichtgeschäftsführenden Direktoren.55 (b) Die besonderen gesetzlichen Pflichten, die nach dem SEAG den geschäftsführenden Direktoren, nicht dem Verwaltungsrat obliegen, müßten entweder dem Verwaltungsrat auferlegt oder ganz gestrichen werden. Das SEAG führt folgende Pflichten der Geschäftsführung auf: Die Pflichten gegenüber dem Handelsregister (§§ 21, 40 Abs. 2 S. 4, 46 SEAG); die Anzeigepflicht bei Verlust der Hälfte des Grundkapitals oder drohender oder bereits eingetretener Insolvenz (§ 40 Abs. 3 SEAG); die Berichtspflicht entsprechend § 90 AktG gegenüber dem Verwaltungsrat (§ 40 Abs. 6 SEAG); 55 Vgl. Art. 47 Abs. 2 SE-VO, §§ 21 Abs. 2 S. 1, 31 Abs. 1 Nr. 3, 40 Abs. 1 S. 4, 46 Abs. 2 SEAG; zur kontroversen Auslegung dieser Normen Reichert/Brandes, in: MünchKommAktG (o. Fußn. 13), Art. 43 SE-VO Rdnr. 116; Schwarz (o. Fußn. 29), Art. 43 Rdnr. 49; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff (o. Fußn. 2), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 27 SEAG) Rdnrn. 2 ff.
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die Aufstellung des Jahresabschlusses usw. und der Gewinnvorschlag (§ 47 Abs. 1, 3 SEAG); die für den Vorstand einer Aktiengesellschaft in den §§ 308– 327 AktG vorgesehenen Pflichten (§ 49 SEAG). Würde künftig für die Aktiengesellschaft auch die „unitarische“ monistische Leitungsverfassung ohne gesonderte Geschäftsführung neben dem Verwaltungsrat vorgesehen, dann wären die Pflichten gegenüber dem Handelsregister statt dessen vom Verwaltungsrat zu erfüllen, soweit sie nicht dem oder den vertretungsberechtigten Verwaltungsratsmitgliedern überlassen werden könnten. Die Aufstellung des Jahresabschlusses und der Gewinnvorschlag wären Sache des Verwaltungsrats, der sie einem Ausschuß überlassen könnte, aber nicht müßte. Die Pflicht zur Anzeige an den Verwaltungsrat, daß die Hälfte des Grundkapitals verloren ist usw., entfiele. Hier wäre zu überlegen, ob im AktG statt dessen festgelegt werden sollte, daß für den Fall, daß die Aufstellung des Jahresabschlusses oder einer Zwischenbilanz einem Ausschuß übertragen ist, diesen solche Anzeigepflichten treffen. Entsprechendes gilt für die Berichtspflicht: Einer Vorschrift über die Berichterstattung an den Verwaltungsrat (vgl. § 40 Abs. 6 SEAG i.V. mit § 90 AktG) bedarf es nicht, wenn dieser selbst die Geschäfte führt. Auch hier ist nur zu überlegen, ob dem Verwaltungsrat, der seine Geschäftsführungsaufgaben auf einen Exekutivausschuß oder einzelne Verwaltungsratsmitglieder übertragen hat, kraft Gesetzes aufgegeben werden sollte, dafür zu sorgen, daß er mindestens Berichte entsprechend § 90 AktG erhält.56 Auch hinsichtlich der für den Vorstand einer Aktiengesellschaft in den §§ 308–327 AktG vorgesehenen Pflichten bliebe es dabei, daß diese Pflichten den Verwaltungsrat, nicht eine hiervon zu unterscheidende Geschäftsführung treffen würden. Für die Haftung der Verwaltungsratsmitglieder würde die Vorschrift des § 93 AktG entsprechend gelten (vgl. bisher §§ 39, 40 Abs. 8 SEAG). Die Straf- und Bußgeldvorschriften des § 53 SEAG müßten entsprechend angepaßt werden. Die Generalverweisung des § 22 Absatz 6 SEAG schließlich („Rechtsvorschriften, die außerhalb dieses Gesetzes dem Vorstand oder dem Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft Rechte oder Pflichten zuweisen, gelten sinngemäß für den Verwaltungsrat, soweit nicht in diesem Gesetz für den Verwaltungsrat und für geschäftsführende Direktoren besondere Regelungen enthalten sind.“) müßte ebenfalls modifziert werden: „Rechtsvorschriften, die außerhalb dieses Gesetzes dem Vorstand oder dem Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft Rechte oder Pflichten zuweisen, gelten sinngemäß für den Verwaltungsrat, soweit nicht dieses Gesetz etwas anderes bestimmt“. (c) Was die persönliche Rechtsstellung derjenigen Verwaltungsratsmitglieder betrifft, denen nach der internen Aufgabenverteilung im Verwaltungsrat Geschäftsführungsaufgaben übertragen sind und die deshalb einen Anstellungsvertrag erhalten, würde Folgendes gelten: 56
Zur Absicherung der Überwachungsfunktion des Verwaltungsrats noch unten 5.
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Die §§ 87 und 88 AktG (vgl. § 40 Abs. 7 SEAG) gelten nur für diejenigen Verwaltungsratsmitglieder, mit denen die Gesellschaft einen Anstellungsvertrag schließt; die §§ 113 f. AktG für die übrigen, nicht dauernd geschäftsführend tätigen Verwaltungsratsmitglieder. Die Vergütung der Verwaltungsratsmitglieder mit einem Anstellungsvertrag wird vom Verwaltungsrat (einem mit nicht exekutiv tätigen Verwaltungsratsmitgliedern besetzten Vergütungsausschuß des Verwaltungsrats) festgesetzt.57 Hinsichtlich der §§ 89, 115 AktG (Kreditgewährung an Vorstände und Aufsichtsräte) wäre zu überprüfen, wieweit diese Vorschriften vereinheitlicht und auf sämtliche Verwaltungsratsmitglieder angewandt werden könnten. Die Vorschrift zur Abberufung der geschäftsführenden Direktoren (§ 40 Abs. 5 S. 1 SEAG) würde entfallen. Eine Befugnis zur Geschäftsführung würde mit dem Amt als Verwaltungsratsmitglied (Ende der Amtszeit, Abberufung, Amtsniederlegung usw.) enden. Allerdings sollte die Satzung festlegen können, daß das Verwaltungsratsplenum jederzeit, auch ohne wichtigen Grund, die einem Verwaltungsratsmitglied übertragenen Aufgaben auch wieder entziehen kann, unbeschadet der Vergütungsansprüche usw. aus einem Anstellungsvertrag.
4. Rechtspolitische Fragen hinsichtlich geschlossener und kapitalmarktbezogener Gesellschaften Wie die vorstehende Übersicht zeigt, wäre eine Modifikation der Vorschriften des SEAG für die Zwecke der Einführung des einfachen, „unitarischen“ Verwaltungsratsmodells im Aktienrecht technisch ohne große Schwierigkeiten zu bewältigen. Es bleibt die Frage, ob der Gesetzgeber es auch rechtspolitisch dabei bewenden lassen kann, die im dualen System scharf betonte Unterscheidung zwischen geschäftsführendem und überwachendem Organ, die sich auch im monistischen Modell des SEAG noch, wenn auch abgeschwächt, in der obligatorischen Trennung zwischen Verwaltungsrat und Geschäftsführung findet, gesetzlich völlig einzuebnen, und die Arbeitsteilung und Erfüllung der gesetzlichen Pflichten der Unternehmensleitung vollends der Binnenorganisation durch Satzung und Geschäftsordnung und gegebenenfalls einem Corporate Governance Kodex zu überlassen. In dieser Debatte sollte zwischen kapitalmarktbezogenen (börsennotierten 58) und nicht kapitalmarktbezogenen, „geschlossenen“ Aktiengesellschaften unterschieden werden. 57 In den angelsächsischen Systemen kommt hier u.U. auch die Hauptversammlung ins Spiel; vgl. sec. 188, 439 brit. Companies Act 2006; sec. 303A.08 NYSE Euronext Listed Company Manual. 58 Zur Terminologie und Abgrenzung eingehend Bayer (o. Fußn. 9), S. E12 ff. Das englische Recht spricht im Companies Act durchweg allerdings nicht von „listed“ company, sondern von „public“ company. Eine „private company“ darf auch außerhalb der Börse ihre Aktien nicht öffentlich anbieten; vgl. sec. 755 ff. Companies Act 2006.
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(a) Insbesondere für die nicht kapitalmarktbezogenen, geschlossenen Gesellschaften 59 wird in der neueren Literatur zunehmend ein „Wahlrecht“ zwischen monistischer und dualistischer Unternehmensverfasssung befürwortet,60 freilich ohne daß die verschiedenen anzutreffenden Ausprägungen monistischer Unternehmensleitung und die mit ihrer Einführung jeweils verbundenen unterschiedlichen rechtspolitischen Probleme in den Blick genommen würden. Für ein solches Wahlrecht nicht kapitalmarktbezogener Gesellschaften werden insbesondere die mit einer solchen Option verbundene größere Flexibilität bei der Ausgestaltung einer passenden Leitungsstruktur sowie die mindere Bedeutung des für die börsennotierte (Publikums-)Gesellschaft charakteristischen „Kontrollversagens“ angeführt. Wie unsere bisherigen Überlegungen gezeigt haben, heißt Wahlfreiheit einzuräumen freilich nicht nur, die Gesellschaften zwischen dem dualen System mit Vorstand und Aufsichtsrat und der monistischen Leitungsverfassung in ihrer dualistischen Ausprägung (wie im SEAG verwirklicht) wählen zu lassen. Sondern wirkliche Wahlfreiheit würde bedeuten, auch die geschilderte „unitarische“ Leitungsverfassung einführen zu können, bei der die Differenzierung zwischen Geschäftsführung und Überwachung jedenfalls im Wesentlichen der Binnenorganisation der Gesellschaft durch Satzung und Geschäftsordnung überlassen wäre. Der Gesetzgeber müßte also auch bereit sein hinzunehmen, daß eine nicht börsennotierte Gesellschaft nicht hinreichende Mechanismen der Kontrolle der Geschäftsführung innerhalb des Verwaltungsrats selbst vorsieht und im Grenzfall auf nicht geschäftsführende Direktoren im Verwaltungsrat und damit auf die Überwachung der Geschäftsführung durch diese ganz verzichtet, also einen „GmbH-ähnlichen Typus“ des Verwaltungsrats einführt, obwohl der Hauptversammlung der deutschen Aktiengesellschaft und ihren Aktionären die Mittel und Befugnisse fehlen, die Geschäftsführung laufend effektiv zu kontrollieren.61 Für die kapitalmarktferne, geschlossene Gesellschaft sollte allerdings darauf vertraut werden, daß die Anforderungen in Satzung und Geschäftsordnung an die Führungsorganisation einschließlich der Überwachung durch den Verwaltungsrat den Interessen der Eigenkapitalgeber an Überwachung und Kontrolle in angemessener Weise Rechnung trägt. Ist das nicht der Fall, weil die einflußreichen Gründer zugleich den Verwaltungsrat besetzen und auf die Gestaltung von Satzung und Geschäftsordnung in ihrem Sinne Einfluß genommen haben, muß auf hinreichende Vorsicht der Eigenkapitalgeber selbst und ergänzend auf vorhandene Instru-
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Abgrenzung und Typologie bei Bayer (o. Fußn. 9), S. E14. Nachweise bei Bayer (o. Fußn. 9), S. E113. Dazu bereits oben III.
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mente wie Sonderprüfung, Haftung der Verwaltungsratsmitglieder und dergleichen gesetzt werden.62 Besonderes Augenmerk ist insoweit allerdings auf die Erfüllung im Gläubigerinteresse und im öffentlichen Interesse gegebener Pflichten zu legen. Werden solche Pflichten allen Verwaltungsratsmitgliedern persönlich auferlegt, dann muß deren Erfüllung entsprechend sanktioniert werden einschließlich der Vorgabe, daß eine Delegation auf die geschäftsführenden Verwaltungsratsmitglieder oder Angestellte nicht von der dann verbleibenden Überwachungspflicht befreien kann. (b) Für die börsennotierte Gesellschaft kann man es dagegen nicht einfach bei dem Hinweis auf die unbezweifelbaren Vorteile der Freiheit der Satzungsgestaltung bewenden lassen.63 Der Aktionär mit Kleinanteilsbesitz hat typischerweise weder tatsächlich Einfluß auf die Gestaltung der Satzung, die Auswahl der Verwaltungsratsmitglieder und deren Kontrolle, noch hat er die notwendigen Anreize hierfür. Auch das Aussondern von Gesellschaften mit mangelhafter Geschäftsleitung und -kontrolle aufgrund eines Qualitätswettbewerbs am Kapitalmarkt ist zweifelhaft, weil den Kleinaktionären die für diesen Wettbewerb vorausgesetzte Information fehlt oder sie sie nicht zur Kenntnis nehmen, und sie deshalb auch nicht oder nur zu spät „trittbrettfahren“, d.h. wie ein informierter Aktionär die Aktie vermeiden oder noch rechtzeitig aussteigen können. Es verwundert denn auch nicht, daß Systeme, die das „unitarische“ Verwaltungsratssystem auch für die börsennotierte Gesellschaft zulassen und – jedenfalls auf den ersten Blick – auf zwingende gesetzliche Vorgaben hinsichtlich der internen Leitungsorganisation verzichten, andere Mechanismen kennen oder inzwischen entwickelt haben, die das Ziel der Überwachung und Kontrolle des Managements auf anderen Wegen zu erreichen versuchen. Für die USA ist insoweit auf die Rolle der SEC insbesondere bei der Information des Kapitalmarkts und der Kommunikation der Verwaltung mit den Aktionären, die zwingenden Vorgaben des Sarbanes-Oxley Act insbesondere hinsichtlich der Aufbereitung und Prüfung der kapitalmarktrelevanten Informationen (sec. 301 ff. SOA), die praktische Bedeutung von Haftungsklagen (direct suits, insbesondere class actions, und derivative suits) und die Rolle der Gerichte mit ihrer ausdifferenzierten Rechtsprechung zu den Befugnis62 Dagegen hilft es wenig, die Rechte der Hauptversammlung dadurch zu stärken, daß ihr, ausländischen Vorbildern folgend, nach Maßgabe der Satzung weitere Befugnisse eingeräumt werden, z.B. die Kompetenz zur Zustimmung zu bedeutsamen Geschäften (vgl. Art. 52 S. 2 SE-VO), wenn die Satzung dann hiervon keinen Gebrauch macht. 63 Eingehend zur Debatte der Satzungsfreiheit in der publikumsoffenen Gesellschaft mit weiteren Nachweisen zuletzt Bak, Aktienrecht zwischen Markt und Staat. Eine ökonomische Kritik des Prinzips der Satzungsstrenge, 2003; Spindler, Die Entwicklung der Satzungsfreiheit und Satzungsstrenge im deutschen Aktienrecht, in: Bayer/Habersack (o. Fußn. 1), S. 995 ff.; Bayer (o. Fußn. 9).
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sen und Pflichten von Unternehmensleitern 64 hinzuweisen sowie an die Rolle sonstiger Marktkräfte (institutionelle Investoren) und Kontrollmechanismen (öffentliche Übernahmen; proxy fights) und an die eingehenden, von der SEC gebilligten zwingenden Vorgaben der Börsen auch hinsichtlich der internen Kontrollstrukturen einer börsennotierten Gesellschaft 65 zu erinnern. Im Vergleich mit der Fülle dieser – auch regulatorischen – Vorgaben verblaßt die Bedeutung eines selbständigen Aufsichtsrats als Kontrollinstrument etwas, dies insbesondere dann, wenn diese Einrichtung – wegen der zwingenden Mitbestimmung – keinen eindeutigen, nämlich an der Marktwertsteigerung der Gesellschaft orientierten Überwachungsauftrag hat sowie eine wenig geeignete Größe und eine problematische Besetzung aufweist, was die Eignung, die Unabhängigkeit und die Legitimation verschiedener Mitglieder angeht. Auch für Großbritannien gilt festzuhalten, daß der Companies Act 2006 zwar, was die Gestaltung der Binnenverfassung der Public Limited Company betrifft, einen äußerst flexiblen Regelungsrahmen bietet. Ergänzend müssen aber auch hier die – praktisch verbindlichen – Vorgaben des „Combined Code“ 66 zur Binnenverfassung und Kontrollstruktur börsennotierter Gesellschaften hinzugenommen werden, deren Beachtung von den Marktkräften, insbesondere von den die Hauptversammlungen britischer börsennotierter Gesellschaften dominierenden institutionellen Investoren erwartet und notfalls durchgesetzt wird. Festzuhalten ist nach allem, daß es nicht schlicht genügt, das monistische System (in seiner „dualistischen“ wie seiner „unitarischen“ Ausprägung) zur Wahl zu stellen, insoweit Satzungsfreiheit einzuräumen und dann darauf zu bauen, daß sich auf Druck des Marktes in den Gesellschaften umgehend die notwendigen Kontrollstrukturen herausbilden werden. Bei genauerer Betrachtung von Systemen, die der Satzung vermeintlich weitestgehend Gestaltungsfreiheit hinsichtlich der internen Unternehmensverfassung belassen, zeigt sich vielmehr, daß neben einer Überwachung der Geschäftsführung durch nichtgeschäftsführende Direktoren oder Ausschüsse des Board die weiteren Instrumente und Elemente der internen wie der externen Corporate Governance der betreffenden Rechtsordnung einschließlich der Aktionärsstruktur und Anlegertypen in den Blick genommen werden müssen, um zu erkennen, ob und in welchem Umfang diese Rechtsordnung börsennotierten Gesellschaften tatsächlich Freiheit bei der Gestaltung ihrer Unternehmensverfassung beläßt, und wie die Durchsetzung als unverzichtbar erkannter Normziele sonst gewährleistet wird. 64 Zusammengestellt vom American Law Institute in den „Principles of Corporate Governance: Analysis and Recommendations, 2 Bände, 1994. 65 S. insbesondere NYSE Euronext Listed Company Manual Subsection 303 A. („Corporate Governance Standards“); Fundstelle oben Fußn. 53. 66 Fundstelle oben Fußn. 51.
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Nach allem setzt die Umsetzung der oben unter 4. unterbreiteten „technischen“ Vorschläge auch für die deutsche börsennotierte Aktiengesellschaft eine konkrete rechtspolitische Debatte zu jedem einzelnen Punkt darüber voraus, ob völlige Satzungsfreiheit gewährleistet werden sollte und gewährleistet werden kann. Dies umfaßt eine Prüfung, ob alternative, nicht auf eine scharfe Trennung zwischen Geschäftsführungsorgan und Überwachungsorgan setzende Regelungsmechanismen eingeführt werden könnten, die die Durchsetzung als unverzichtbar erkannter Normziele gewährleisten,67 und ob der Gesetzgeber sich auf zwingende Mindestvorgaben beschränken kann, die dann vom Corporate Governance Kodex zu ergänzen und auszufüllen wären. Die vorliegenden rechtsvergleichenden Arbeiten 68 können insoweit wertvolle Hinweise liefern, und auch die rechtspolitischen Vorschläge aus der Diskussion vor Einführung des SEAG 69 verdienen insofern nach wie vor Beachtung. Und schließlich muß die Gestaltung der Unternehmensverfassung auch den Bedürfnissen mitbestimmter Gesellschaften gerecht und die Mitbestimmungsregelung in die Unternehmensverfassung eingepaßt werden; die damit verbundenen Fragen sind hier ausgeklammert worden.70
VI. Zusammenfassung 1. In neuerer Zeit wird zunehmend gefordert, der Aktiengesellschaft nach dem Vorbild der SE die Wahl zwischen der dualen und der monistischen Unternehmensverfassung einzuräumen. Diese rechtspolitische Forderung verdient aus mehreren Gründen Unterstützung: Erstens liegt heute mit dem SEAG eine ausgearbeitete Regelung vor, die belegt, daß und wie eine Gesellschaft mit monistischer Unternehmensverfassung in ein am dualen Führungssystem orientiertes rechtliches Umfeld eingepaßt werden kann. Zweitens stützt die rechtstatsächliche Entwicklung im Bereich der SE die For67 Als Beispiele seien das Erfordernis genannt, für bestimmte Aufgaben (Nominierung neuer Verwaltungsratsmitglieder; Vergütung der geschäftsführenden Verwaltungsratsmitglieder; Prüfung der Abschlüsse und Dialog mit dem Abschlußprüfer und der internen Revision u.a.m.) Verwaltungsratsausschüsse, die nur mit externen Verwaltungsratsmitgliedern besetzt sind, einzurichten; die Vorgabe eines bestimmten Verhältnisses zwischen externen und geschäftsführenden Mitgliedern („board balance“); darauf abgestellte Mehrheitserfordernisse und Beschlußquoren bei bestimmten Entscheidungen u.a.m. 68 Nachweise dazu in Fußn. 2. 69 Nachweise dazu in den Fußnoten dieses Beitrags, passim. 70 Dazu aus der Diskussion vor Einführung des SEBG insbesondere Henssler, Unternehmerische Mitbestimmung in der Societas Europaea, in: Festschrift für P. Ulmer, 2003, S. 193 (200 ff.); Reichert/Brandes, Mitbestimmung in der SE, ZGR 2003, 767 (790 ff.); Köstler, Die Mitbestimmung in der SE, ZGR 2003, 800 (804 f.); Steinberg, Mitbestimmung in der Europäischen Aktiengesellschaft, 2005; weitere umfangreiche Nachweise bei Oetker, in Lutter/Hommelhoff (o. Fußn. 2), Vor § 1 SEBG.
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derung, auch die Verfassung der Aktiengesellschaft tunlichst ähnlich flexibel zu gestalten. Drittens sprechen auch die Entwicklung der Aktienrechte in einzelnen EU-Mitgliedstaaten und das im Entstehen begriffene Europäische Modell-Aktiengesetz (EMCA) dafür, auch der deutschen Aktiengesellschaft diese Option zu eröffnen. 2. Drei verschiedene Typen monistischer Leitungsverfassung können unterschieden werden und sind tatsächlich, mit Variationen und Übergangsformen, anzutreffen: Der GmbH-ähnliche Typus, der dualistische Typus, und der „unitarische“ Verwaltungsrat. Beim GmbH-ähnlichen Typus sind alle Verwaltungsratsmitglieder geschäftsführend tätig; es gibt keine „externen“ Verwaltungsratsmitglieder (und definitionsgemäß auch keinen Aufsichtsrat). Die Überwachung und Kontrolle des Verwaltungsrats liegt bei der Gesellschafterversammlung und erfolgt ergänzend durch Wahrnehmung von Individual- und Minderheitsrechten der Gesellschafter. Den Gegenpol zum GmbH-ähnlichen Typus bildet der dualistische Typus. Bei ihm findet sich neben dem Verwaltungsrat ein gesondertes Geschäftsführungsorgan („management board“). Dessen Mitgliedern (Verwaltungsratsmitglieder und/oder Dritte) sind durch Gesetz und Satzung besondere Aufgaben und Pflichten zugewiesen. Vom dualen Führungssystem mit Vorstand und Aufsichtsrat unterscheidet sich dieser Typus vor allem durch die folgenden Merkmale: Der Verwaltungsrat „leitet“, anders als der Aufsichtsrat, die Gesellschaft; die Mitglieder der Geschäftsführung sind als solche von den Weisungen des Verwaltungsrats abhängig; es kann Personen(teil-)identität zwischen den Mitglieder des Verwaltungsrats und der Geschäftsführung bestehen. Die monistische Verfassung der SE nach dem SEAG ist diesem „dualistischen“ Typus zuzuordnen. Der dritte „unitarische“ Typus steht gewissermaßen zwischen den beiden beschriebenen Typen monistischer Leitungsverfassung. Bei diesem Typus sind die gesetzlichen Aufgaben, Befugnisse und Pflichten sämtlich auf den Verwaltungsrat und alle seine Mitglieder bezogen. In der Praxis findet sich jedoch die Unterscheidung zwischen externen und geschäftsführenden Direktoren; dies sehen die Satzung und Geschäftsordnungen der Gesellschaft sowie gegebenenfalls ein Corporate Governance Kodex oder Börsenregeln so vor; und hieran knüpfen dann bisweilen punktuell auch gesetzliche Vorschriften an (die z.B. vorschreiben mögen, daß das „Audit Committee“ des Verwaltungsrats einer börsennotierten Gesellschaft mit externen, unabhängigen Verwaltungsratsmitgliedern besetzt sein muß). 3. Für die Einführung des GmbH-ähnlichen monistischen Typus als Führungsmodell auch für die deutsche Aktiengesellschaft besteht kein praktisches Bedürfnis. Außerdem empfiehlt sich in Anbetracht der starren Beschränkung der Kompetenzen der Hauptversammlung der Aktiengesellschaft und der – im Vergleich mit dem GmbH-Recht – schwach ausgeprägten
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Individual- und Minderheitsrechte der Aktionäre ein Verzicht auf ein gesondertes Überwachungsorgan nicht. 4. Demnach bleiben für die Ausformung der monistischen Leitungsverfassung der Aktiengesellschaft nur eine „kleine“ und eine „große“ Lösung. Die „kleine“ Lösung bestände darin, für die Aktiengesellschaft im Grundsatz die Vorschriften des SEAG zur monistischen Verfassung der SE zu übernehmen. In Anbetracht der im SEAG bereits entwickelten und von der Praxis angenommenen Lösungen wäre der damit verbundene Regelungsaufwand überschaubar. Allerdings sollte gleichwohl die Chance genutzt werden, einzelne Vorgaben des SEAG zu überdenken. Dafür sind oben (unter IV. 2–4.) Vorschläge unterbreitet worden, die an dieser Stelle nicht zu wiederholen sind. 5. Die „große“ Lösung bestände demgegenüber darin, der Satzung der Aktiengesellschaft weitestgehend Gestaltungsfreiheit zu lassen und den Gesellschaften die Wahl zwischen einem „unitarisch“ ausgestalteten Verwaltungsrat, einem eher „dualistisch“ geprägten Verwaltungsrat sowie dem überkommenen dualen System mit Vorstand und Aufsichtsrat einzuräumen. Soll dies erreicht werden, dann müßten zwecks Übernahme ins Aktienrecht diejenigen gesetzlichen Vorschriften des SEAG (zur monistischen Verfassung der SE), die den geschäftsführenden Direktoren, seien es Verwaltungsratsmitglieder oder Dritte, besondere Pflichten, Aufgaben und Befugnisse auferlegen und dadurch eine gesonderte Geschäftführung neben dem Verwaltungsrat konstituieren, durch Vorschriften ersetzt werden, die diese Pflichten, Befugnisse und Aufgaben auf den Verwaltungsrat insgesamt und dessen sämtliche Mitglieder beziehen. Vorschriften, die einen gesetzlich vorausgesetzten Dualismus von Verwaltungsrat und gesonderter Geschäftsführung voraussetzen, würden gleichfalls im Prinzip entfallen. Die Aufteilung und Zuweisung von Aufgaben und Befugnissen wäre im Grundsatz Sache verwaltungsratsinterner Aufgabenteilung zwischen Plenum und Ausschüssen, zwischen externen und geschäftsführenden Mitgliedern, die der Satzung und der Geschäftsordnung obliegen würde. Die Erfüllung gesetzlicher Pflichten, die allen Verwaltungsratsmitgliedern auferlegt wären, könnte von diesen zwar grundsätzlich (an geschäftsführende Verwaltungsratsmitglieder oder sonstige angestellte Manager) delegiert werden, wenn das Gesetz nicht im Einzelfall etwas anderes vorsähe; von der dann verbleibenden residualen Überwachungspflicht könnte eine solche Delegation jedoch nicht befreien. Mit dieser technischen Umformung der Vorschriften des SEAG, die oben (unter V. 3.) in ihren Grundzügen skizziert worden ist, wäre die „große Lösung“ freilich noch nicht erreicht. Denn sie erfordert weitere rechtspolitische Entscheidungen, die dann in weitere gesetzliche Vorgaben münden könnten, denen das SEAG nicht vorgearbeitet hat: Der Gesetzgeber müßte zwar, wenn die Ausdifferenzierung zwischen Geschäftsführung und Überwachung weitgehend der Gestaltungsfreiheit der Gesellschaften überlassen
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wird, für die nichtbörsennotierte Gesellschaft wohl bereit sein hinzunehmen, daß die Vorkehrungen der Satzung und einer Geschäftsordnung vielleicht nicht für eine hinreichende, der bisherigen detaillierten Regelung des Aktiengesetzes gleichwertige Kontrolle der geschäftsführenden Verwaltungsratsmitglieder Vorsorge treffen würden. Was dagegen die börsennotierte Aktiengesellschaft betrifft, kann die Trennung zwischen Geschäftsführung und Überwachung einschließlich des Umgangs mit Interessenkonflikten nicht allein der Satzung und Geschäftsordnungen überlassen werden. Hier wäre zu prüfen, wo insoweit Vorgaben des Corporate Governance Kodex – der auf die monistische Verfassung abgestimmt werden müßte – genügen würden, und wo doch gesetzliche Mindestvorgaben erforderlich wären, die die Durchsetzung von als unverzichtbar erkannten Regelungszielen zu sichern hätten. Die vorliegenden rechtsvergleichenden Arbeiten können insoweit wertvolle Hinweise liefern, und auch die rechtspolitischen Vorschläge aus der Diskussion vor Einführung des SEAG verdienen insofern nach wie vor Beachtung.
„Grenzüberschreitende Verschmelzung unter Beteiligung von Personengesellschaften“ Hartwin Bungert und Christof Alexander Schneider I. Einleitung Die grenzüberschreitende Verschmelzung unter Beteiligung von Personengesellschaften ist im nationalen deutschen Umwandlungsrecht nicht ausdrücklich geregelt. Insbesondere hat der Gesetzgeber es unterlassen, diese Fallgruppe anlässlich der Umsetzung der Richtlinie 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedsstaaten („Verschmelzungsrichtlinie“) 1 ausdrücklich zu regeln. Zwar waren entsprechende Regelungen während des Gesetzgebungsverfahrens mehrfach gefordert worden.2 Jedoch hat der Gesetzgeber von einer „überschießenden“ Umsetzung der Richtlinie abgesehen und mit dem 2. UmwÄndG ausschließlich Regelungen für die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften vorgesehen (vgl. § 122b Abs. 1 UmwG). In der Gesetzesbegründung verwies er auf die „nahezu unüberschaubar große Anzahl an Kombinationsmöglichkeiten“ bei der Verschmelzung unter Beteiligung einer Personengesellschaft.3 Trotz der fehlenden Regelung im UmwG besteht nach der Sevic-Entscheidung des EuGH 4 jedoch weitgehende Einigkeit darüber, dass innerhalb des EWR auch grenzüberschreitende Verschmelzungen unter Beteiligung von Personengesellschaften zulässig sein müssen, da sie von der Niederlassungsfreiheit nach Artt. 43, 48 Abs. 2 EG erfasst werden. Die überwiegende Auffas1
ABl. vom 25.11.2005 Nr. L 310, S. 1. Vgl. z.B. Drinhausen/Keinath, BB 2006, 725 (732); Forsthoff, DStR 2006, 613 f.; J. Vetter, AG 2006, 613 (615 ff.). Vgl. auch die Stellungnahme Nr. 47/06 des Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins zum Regierungsentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Umwandlungsgesetzes, S. 12 f., sowie die Stellungnahme der Centrale für GmbH Dr. Otto Schmidt vom 16.3.2006 zum Referentenentwurf eines zweiten Gesetzes zur Änderung des Umwandlungsgesetzes, GmbHR 2006, 418 f. 3 BT-Drucks. 16/2919, 20. 4 EuGH, Urt. v. 13.12.2005 – Rs. C-411/03, Slg. 2005, I-10805, vgl. hierzu z.B. die Besprechungen von Bungert, BB 2006, 53; Kallmeyer/Kappes, AG 2006, 224; Leible/Hoffmann, RIW 2006, 161; Lutter/Drygala, JZ 2006, 770. 2
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sung will daher § 1 Abs. 1 UmwG europarechtskonform auslegen und eine grenzüberschreitende Verschmelzung von Personengesellschaften zulassen, soweit eine Gesellschaftsform betroffen ist, die mit einer der genannten Formen in § 3 Abs. 1 UmwG vergleichbar ist.5 Die fehlende Regelung der Verschmelzung unter Beteiligung von Personengesellschaften hat in der Vergangenheit in der Praxis zu erheblicher Rechtsunsicherheit geführt. So sind bisher keine Praxisfälle bekannt geworden, in denen dieser Weg beschritten wurde. Daneben existieren nur wenige Praxisfälle für grenzüberschreitende Verschmelzungen von Kapitalgesellschaften nach der Sevic-Rechtsprechung.6 Nachfolgend soll zunächst ein Überblick über die Grundlagen des Kollisionsrechts (II.) sowie des deutschen nationalen Sachrechts (III.) vermittelt werden. Sodann werden einzelne, ausgewählte Probleme bei Durchführung einer grenzüberschreitenden Herein- oder Hinausverschmelzung von Personengesellschaften innerhalb des EWR aufgezeigt (IV.). Dabei spielt das Problem der unternehmerischen Mitbestimmung eine wichtige Rolle (V.). Abschließend wird auf verbleibende Probleme sowie alternative Fallgestaltungen eingegangen (VI.).
II. Kollisionsrecht Das auf eine grenzüberschreitende Verschmelzung anwendbare Recht richtet sich nach dem Gesellschaftsstatut. Seit den Entscheidungen Überseering 7 und Inspire Art 8 des EuGH ist zumindest im Verhältnis zu Gesellschaften des EWR 9 davon auszugehen, dass sich das Gesellschaftsstatut nach dem Gründungsort der Gesellschaft bestimmt. Da bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung Rechtsträger mehrerer Rechtsordnungen beteiligt sind, ist die so genannte Vereinigungstheorie zu beachten. Sie besagt, dass für sämtliche Fragen, die einen bestimmten an der Verschmelzung beteiligten Rechtsträger betreffen, das Recht seines Gesellschaftsstatuts zur Anwendung gelangt; sind von einer Frage mehrere Rechtsträger betroffen, so sind die Rechte ihrer Gesellschaftsstatuten kumulativ anzuwenden.10 Dieser Ansatz ist auch
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Vgl. z.B. Veil, Der Konzern 2007, 98 (103). Zu den wenigen berichteten Verschmelzungsfällen, siehe Dorr/Stukenborg, DB 2003, 647; Wenglorz, BB 2004, 1061 sowie Gesell/Krömker, DB 2006, 2558. 7 EuGH, Urt. v. 05.11.2002 – Rs. C-208/00, Slg. 2002, I-09919. 8 EuGH, Urt. v. 30.09.2003 – Rs. C-167/01, Slg. 2003, I-10155. 9 Vgl. BGHZ 154, 185 – Überseering. 10 Vgl. Staudinger/Großfeld, Neubearb. (1998), IntGesR Rdnr. 683; Kindler, in: MünchKomm-BGB, 4. Aufl. (2006), IntGesR Rdnrn. 848 ff.; Kallmeyer, in: Kallmeyer, UmwG, 3. Aufl. (2006), § 1 Rdnr. 17. 6
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im Referentenentwurf zur Kodifizierung des Internationalen Gesellschaftsrechts 11 gewählt worden (Art. 10a Abs. 1 EGBGB-E). Für den Umfang des Verschmelzungsstatuts bedeutet dies im Einzelnen, dass zunächst nach allen betroffenen Rechtsordnungen zu überprüfen ist, ob nach ihnen das Institut der Verschmelzung anerkannt ist. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ist hiervon angesichts der Sevic-Entscheidung auszugehen. Die aktive und die passive Verschmelzungsfähigkeit richten sich nach dem Recht des jeweils betroffenen Rechtsträgers; gleiches gilt für mögliche Beschränkungen einer Verschmelzung im konkreten Einzelfall.12 Hier ist zu beachten, dass nationale Vorschriften zum Schutz von Gläubigern, Minderheitsgesellschaftern und Arbeitnehmern nur im Hinblick auf diejenige Gesellschaft zur Anwendung gelangen, der die jeweils zu schützende Personengruppe zuzurechnen ist.13 Das Verfahren der Verschmelzung richtet sich nach den nationalen Rechten der jeweils beteiligten Rechtsträger. Soweit die Rechtsordnungen die Erstellung einer gemeinsamen Dokumentation zulassen oder ein gemeinsames Tätigwerden erfordern, sind bei einer solchen Vorgehensweise die nationalen Regeln kumulativ anzuwenden 14. Dies betrifft insbesondere den Verschmelzungsbericht und die Verschmelzungsprüfung.15 Hinsichtlich der Wirkungen der Verschmelzung ist zu differenzieren: Die Vermögensübertragung durch Gesamtrechtsnachfolge sowie das Erlöschen des übertragenden Rechtsträgers richten sich jeweils nach dem Recht des betreffenden übertragenden Rechtsträgers. Der Vermögenserwerb sowie weitere Wirkungen beim übernehmenden Rechtsträger hingegen unterliegen dessen nationaler Rechtsordnung.16
11 Referentenentwurf für ein Gesetz zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen, abrufbar unter www.bmj.de; dazu Göthel, FAZ vom 30.01.2008, S. 25; Knof/Mock, GmbHR 2008, R 65; Kußmaul/Richter/Ruiner, DB 2008, 451; C. Schneider, BB 2008, 566; Wagner/Timm, IPRax 2008, 81. Der Entwurf geht auf einen Vorschlag des deutschen Rates für Internationales Privatrecht aus dem Jahr 2006 zurück (abgedruckt in RIW 2006, Beilage 1 zu Heft 4, 1). 12 Vgl. Geyrhalter/Weber, DStR 2006, 146 (147); Kindler, in: MünchKomm-BGB (o. Fußn. 10), IntGesR Rdnrn. 852 ff.; Krause/Kulpa, ZHR 171 (2007), 38 (50); Limmer, ZNotP 2007, 242 (247). 13 Vgl. Bungert, BB 2006, 53 (55); Geyrhalter/Weber, DStR 2006, 146 (149); Lutter/ Drygala, JZ 2006, 770 (775). 14 Vgl. Kallmeyer/Kappes, AG 2006, 224 (230); Spahlinger/Wegen, Internationales Gesellschaftsrecht in der Praxis (2005), Rdnr. 506. 15 Vgl. Kallmeyer/Kappes, AG 2006, 224 (230); Kindler, in: MünchKomm-BGB (o. Fußn. 10), IntGesR Rdnrn. 856 ff. 16 Vgl. Geyrhalter/Weber, DStR 2006, 146 (147); Krause/Kulpa, ZHR 171 (2007), 38 (50); Spahlinger/Wegen, Internationales Gesellschaftsrecht in der Praxis, Rdnr. 507.
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Eine Besonderheit gilt für Verfahrensvereinfachungen im Zusammenhang mit Konzernverschmelzungen: Diese sind nur dann möglich, wenn sie vom Recht der zu schützenden Tochtergesellschaft zugelassen sind.17 Unabhängig von einem solchen, grundsätzlich anzuwendenden Recht ist der Vorrang des Einzelstatuts zu beachten. So ist insbesondere denkbar, dass ein Drittstaat, in dem einzelne von der Verschmelzung betroffene Gegenstände belegen sind, den Rechtsübergang nicht anerkennt, etwa für Grundstücke. In diesem Fall sollte eine gesonderte (zusätzliche) Einzelrechtsübertragung für diese Vermögensgegenstände vorgenommen werden.18 Daneben stellt das Recht eines Belegenheitsortes mitunter zusätzliche Anforderungen an eine Vermögensübertragung einzelner Gegenstände, wie z.B. eine behördliche Erlaubnis, eine Eintragung oder die Zustimmung Dritter. Auch diese Regeln sind vorrangig zu beachten.
III. Anwendbares deutsches Sachrecht Gelangt auf diese Weise deutsches Sachrecht zur Anwendung, ist die Frage zu beantworten, welche sachrechtlichen Vorschriften im Einzelnen anzuwenden sind. Hier stellt sich das Problem, dass das deutsche nationale Umwandlungsrecht keine Regelungen für eine grenzüberschreitende Verschmelzung von Personengesellschaften vorsieht. Drei Ansätze sind daher denkbar: 1. Man wendet die nationalen Vorschriften zur Verschmelzung von Personengesellschaften (insbesondere die §§ 39 bis 45 UmwG) an.19 Hierfür spricht, dass die Regelungen den speziellen Charakter der Verschmelzung aufgrund der Beteiligung einer Personengesellschaft hinreichend berücksichtigen. 2. Die Vorschriften der Verschmelzungsrichtlinie werden entsprechend angewendet. Dieses Vorgehen hätte den Vorteil, dass ein einheitliches System für alle Mitgliedstaaten geschaffen würde.20 Dagegen spricht jedoch, dass zumindest in Deutschland ein Rückgriff auf die Richtlinie aufgrund der Existenz der §§ 122a ff. UmwG ausgeschlossen ist.21 3. Die Regelungen der §§ 122a ff. UmwG werden entsprechend angewendet. Zwar hat der Gesetzgeber die Anwendung dieser Normen auf die grenzüberschreitende Verschmelzung von Personengesellschaften gerade nicht vorgesehen. Jedoch sind die Regelungen vielfach dem grenzüberschreitenden 17
Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB (o. Fußn. 10), IntGesR Rdnr. 855. Bungert, in: Festschrift Heldrich (2005), S. 527; Racky, DB 2003, 923. 19 Vgl. für die Anwendbarkeit dieser Vorschriften Louven/Dettmeier/Pöschke, BB 2006 Special zu Heft 11, 1 (5); Simon/Rubner, Der Konzern 2006, 835 (843); wohl auch Dorr/ Stukenborg, BB 2003, 647 (648 f.). 20 So Lutter/Drygala, JZ 2006, 770 (772 f.). 21 Gegen die Anwendbarkeit auch Veil, Der Konzern 2007, 98 (104). 18
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Charakter der Verschmelzung geschuldet und daher grundsätzlich auch zur Anwendung auf die Verschmelzung von Personengesellschaften geeignet.22 Richtigerweise ist von einer Kombination der nationalen Vorschriften zur Verschmelzung von Personengesellschaften sowie der Regelungen zur grenzüberschreitenden Verschmelzung von Kapitalgesellschaften auszugehen. Dabei ist stets zu fragen, ob die Anwendung der Vorschriften im Einzelfall tatsächlich sachgerecht ist. So kann sich ergeben, dass eine Vorschrift der §§ 39 ff. UmwG dem grenzüberschreitenden Charakter der Verschmelzung nicht hinreichend Rechnung trägt und daher unanwendbar ist. Umgekehrt sind die §§ 122a ff. UmwG dort nicht auf Personengesellschaften anwendbar, wo eine Spezialregelung ausschließlich auf die Beteiligung einer Kapitalgesellschaft zurückgeht. Aus der Kumulation mehrerer nationaler Rechtsordnungen sowie der dargestellten Unklarheit über die anwendbare nationale Normengruppe können sich für den Praktiker erhebliche Schwierigkeiten bei der Ermittlung der konkret anwendbaren Rechtsvorschriften ergeben. In diesen Fällen sollte eine enge Absprache mit den beteiligten Behörden, insbesondere den Registergerichten, gesucht und der gesamte Verfahrenablauf im Einzelfall sorgfältig abgestimmt werden. Dabei wird es den Umgang mit den Behörden erheblich vereinfachen, wenn man so weit wie möglich auf bereits bekannte nationale Rechtsinstitute und -begriffe zurückgreift.
IV. Einzelfragen zum Ablauf der Verschmelzung Bei der Durchführung einer grenzüberschreitenden Verschmelzung unter Beteiligung einer Personengesellschaft können nach dem Gesagten zahlreiche Schwierigkeiten auftreten. Dies soll nachfolgend im Einzelnen verdeutlicht werden.
1. Verschmelzungsplan/Verschmelzungsvertrag Bei der Aufstellung des Verschmelzungsplans bzw. -vertrags sind mehrere Besonderheiten zu beachten. Ist eine deutsche Personengesellschaft beteiligt, ist insbesondere gemäß § 40 Abs. 1 UmwG für jeden Anteilsinhaber anzugeben, ob er im übernehmenden Rechtsträger künftig die Stellung eines Komplementärs oder eines Kommanditisten innehaben wird. Zudem ist bei der Darstellung des Umtauschverhältnisses gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 3 UmwG die Angabe erforderlich, ob sich dieses Verhältnis auf das variable Kapital22 So Simon/Rubner, Der Konzern 2006, 835 (843). Für eine entsprechende Anwendung auch J. Vetter, AG 2006, 613 (616 f.) sowie Veil, Der Konzern 2007, 98 (104 f.).
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konto zum Verschmelzungsstichtag oder auf ein festes Kapitalkonto beziehen soll und ob weitere Gesellschafterkonten zu berücksichtigen sind.23 Offen ist, ob für den Fall der Hereinverschmelzung auf eine deutsche Personengesellschaft im Anhang des Verschmelzungsplans bzw. -vertrags der Gesellschaftsvertrag des übernehmenden Rechtsträgers beizufügen ist. Im nationalen deutschen Verschmelzungsrecht der Personengesellschaften ist eine solche Beifügung nicht vorgesehen. Demgegenüber bestimmt § 122c Abs. 2 Nr. 9 UmwG, dass bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Kapitalgesellschaften die Satzung des übernehmenden Rechtsträgers beizufügen ist. Der Widerspruch zwischen diesen beiden Regelungen dürfte zutreffenderweise dahingehend aufzulösen sein, dass im Fall einer übernehmenden Personengesellschaft der Gesellschaftsvertrag nicht beizufügen ist. Mit dem Geheimhaltungsinteresse der künftigen Gesellschafter wäre es nicht vereinbar, wenn nach der Verschmelzung der Gesellschaftsvertrag für jedermann im Handelsregister einsehbar wäre. Der Verschmelzungsplan bzw. -vertrag ist bei Beteiligung eines deutschen Rechtsträgers stets notariell zu beurkunden (§ 6 UmwG). Kennt das ausländische Recht ein solches Beurkundungserfordernis nicht, bleibt es bei der einfachen Beurkundung im Inland. Anderenfalls kann gegebenenfalls eine Doppelbeurkundung erforderlich sein, wenn der Verschmelzung ansonsten ihre Anerkennung im Ausland versagt bliebe.24 Unklar ist, ob der Verschmelzungsplan bzw. -vertrag dem Betriebsrat entsprechend § 5 Abs. 3 UmwG zugeleitet werden muss. Im Rahmen der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Kapitalgesellschaften ist dies strittig. Zur Sicherheit sollte in der Praxis eine Zuleitung an den Betriebsrat erfolgen, auch wenn bereits der Verschmelzungsbericht den Arbeitnehmervertretern zuzuleiten ist (dazu siehe sogleich unter 2.).
2. Verschmelzungsbericht Auch bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung unter Beteiligung einer Personengesellschaft dürfte ein Verschmelzungsbericht stets zu erstellen sein. Zwar sieht § 41 UmwG für eine nationale Verschmelzung unter Beteiligung einer Personengesellschaft vor, dass ein solcher Bericht entbehr23
Hierzu vgl. Müller, in: Kallmeyer (o. Fußn. 10), § 5 Rdnr. 20. Vgl. diesbezügl. den von Wenglorz, BB 2004, 1061 (1064) geschilderten Fall einer Hinausverschmelzung einer Kapitalgesellschaft nach Österreich, wo das deutsche Registergericht eine Auslandsbeurkundung als ausreichend anerkannte, sowie Dorr/Stukenborg, DB 2003, 647 (651), wo im Falle einer Hereinverschmelzung einer Kapitalgesellschaft aus Italien zunächst nur eine Belehrung vor dem italienschen Notar stattfand, der Verschmelzungsvertrag danach dann in Deutschland unter Hinweis auf die italienische Belehrung notariell beurkundet wurde. 24
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lich ist, wenn alle Gesellschafter zur Geschäftsführung berechtigt sind. Auf der anderen Seite jedoch bestimmt § 122e UmwG, dass im Verschmelzungsbericht auch die Auswirkungen der Verschmelzung für Arbeitnehmer und Gläubiger darzustellen sind und der Bericht den Arbeitnehmervertretern zuzuleiten ist. Diese Vorschrift dürfte auch bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung unter Beteiligung einer Personengesellschaft anwendbar sein. Dann jedoch steht jedenfalls das Informationsinteresse der Arbeitnehmer einer Entbehrlichkeit des Verschmelzungsberichts entgegen. Der Verschmelzungsbericht kann ggf. von allen beteiligten Rechtsträgern gemeinsam erstellt werden. Insoweit hat die Verschmelzungsrichtlinie keine Vereinheitlichung vorgesehen, so dass zumindest nach deutschem Recht eine gemeinsame Erstellung des Verschmelzungsberichts wegen § 8 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 UmwG möglich ist 25. Allerdings ist ein gemeinsamer Bericht nach der Vereinigungstheorie nur dann zulässig, wenn auch die nationalen Rechtsordnungen der anderen beteiligten Rechtsträger dies zulassen.
3. Verschmelzungsprüfung Eine Verschmelzungsprüfung dürfte auch bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung unter Beteiligung einer deutschen Personengesellschaft grundsätzlich erforderlich sein. Zwar ist nach nationalem deutschen Verschmelzungsrecht für Personengesellschaften gemäß § 44 UmwG eine Verschmelzungsprüfung nur dann erforderlich, wenn der Gesellschaftsvertrag eine andere Mehrheit als die Einstimmigkeit vorsieht, und auch dann nur, wenn ein einzelner Gesellschafter dies verlangt. Demgegenüber sieht jedoch § 122f UmwG für den Fall der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Kapitalgesellschaften vor, dass eine Verschmelzungsprüfung in diesem Fall immer erforderlich sein soll. Dabei wird insbesondere die nationale Ausschlussvorschrift des § 48 UmwG für die GmbH ausgeschlossen. Dies belegt, dass im Fall der Grenzüberschreitung eine Verschmelzungsprüfung stets erforderlich sein soll. Daher ist auch für den Fall einer grenzüberschreitenden Verschmelzung unter Beteiligung einer Personengesellschaft grundsätzlich davon auszugehen, dass zum Schutz der Gesellschafter stets eine Verschmelzungsprüfung erforderlich ist.
25 Vgl. (für den Fall der Verschmelzung von Kapitalgesellschaften) Frenzel, RIW 2008, 12 (16 f.); Krause/Kulpa, ZHR 171 (2007), 39 (62); Tebben/Tebben, DB 2007, 2355 (2359). A.A. Drinhausen/Keinath, BB 2006, 725 (728), die aus der ausdrücklichen Erwähnung der Zulässigkeit einer gemeinsamen Bestellung des Verschmelzungsprüfers in Art. 8 Abs. 2 der Verschmelzungsrichtlinie den Umkehrschluss ziehen wollen, dass ein gemeinsamer Verschmelzungsbericht nicht möglich ist.
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Allerdings sind die Gesellschafter nicht schutzbedürftig, wenn sie dem Verschmelzungsplan gemäß § 43 Abs. 1 UmwG einstimmig zustimmen müssen, wenn der Gesellschaftsvertrag also keine abweichende Mehrheit nach § 43 Abs. 2 UmwG vorsieht. In diesem Fall können sie nämlich ihre Zustimmung an die Durchführung einer Verschmelzungsprüfung knüpfen. Daneben ist eine Verschmelzungsprüfung bei einem notariell beurkundeten Verzicht aller Gesellschafter sowie bei einer 100 %-igen Konzernverschmelzung entbehrlich (§§ 122f, 9 Abs. 3, 12 Abs. 3 UmwG).
4. Verschmelzungsbeschluss Grundsätzlich ist für alle beteiligten Rechtsträger ein Verschmelzungsbeschluss erforderlich. Lediglich für den Fall der 100 %-igen Konzernverschmelzung ist gemäß § 122g Abs. 2 UmwG der Beschluss für den übertragenden Rechtsträger entbehrlich.26 Diese Entbehrlichkeit ist für rein innerstaatliche Verschmelzungen nicht vorgesehen. Daher ist davon auszugehen, dass die Regelung dem grenzüberschreitenden Charakter der Verschmelzung geschuldet ist und sie auch auf grenzüberschreitende Verschmelzungen von Personengesellschaften angewandt werden kann. Die Modalitäten des Verschmelzungsbeschlusses ergeben sich aus dem nationalen Recht des jeweils betroffenen Rechtsträgers. Für deutsche Personengesellschaften ist dabei insbesondere gemäß § 42 UmwG die Übersendung des Verschmelzungsplans an die Gesellschafter erforderlich. Zudem bestimmt § 43 Abs. 1 UmwG, dass grundsätzlich Einstimmigkeit erforderlich ist. Ausnahmsweise kann der Gesellschaftsvertrag eine andere Mehrheit von mindestens drei Vierteln der abgegebenen Stimmen vorsehen (§ 43 Abs. 2 UmwG).
5. Anmeldeverfahren Die Anmeldung der Verschmelzung dürfte oft große Probleme bereiten, da die nationalen Anmeldeverfahren teilweise erheblich voneinander abweichen. Sinnvollerweise jedoch sollte ein Verfahren mit einer zweistufigen Rechtmäßigkeitskontrolle entsprechend §§ 122k, 122l UmwG bzw. Art. 10 der Verschmelzungsrichtlinie gewählt werden.27 Entsprechend sind zunächst Vorabbescheinigungen der zuständigen Behörden für sämtliche übertragenden Rechtsträger einzuholen, aus denen sich ergibt, dass die jeweiligen nationalen Vorschriften eingehalten wurden. Dies 26 Anders im Fall der innerstaatlichen Verschmelzung unter Beteiligung einer Aktiengesellschaft, wo der Verschmelzungsbeschluss nach § 62 Abs. 1 UmwG nicht für den übertragenden, sondern für den übernehmenden Rechtsträger entbehrlich ist. 27 So auch Lutter/Drygala, JZ 2006, 770 (776); Geyrhalter/Weber, DStR 2006, 146 (148).
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gilt insbesondere für die Erklärungen der beteiligten Rechtsträger, dass keine laufenden Anfechtungsverfahren existieren. Anders als bei rein nationalen Verschmelzungen (§ 16 Abs. 2 UmwG) können die übertragenden Rechtsträger eine entsprechende Erklärung nur für ihre eigene Jurisdiktion abgeben (§ 122k Abs. 1 Satz 2 UmwG sowie § 122l Abs. 1 Satz 3 UmwG). Nach Erhalt sämtlicher Vorabbescheinigungen kann dann die Eintragung bei der Behörde des übernehmenden Rechtsträgers beantragt werden. Hat die zuständige Behörde keinerlei Bedenken gegen die Verschmelzung, trägt sie diese ein und informiert die Register der übertragenden Rechtsträger.
6. Wirkungen Schwierigkeiten bereitet auch die Bestimmung des Zeitpunktes der Verschmelzung. In den einzelnen nationalen Rechtsordnungen wird nämlich auf unterschiedliche Zeitpunkte abgestellt. So kommen neben der deutschen Regelung, nach der die Verschmelzung mit Eintragung in das Register des übernehmenden Rechtsträgers wirksam wird (vgl. § 20 UmwG, ggf. über § 122a Abs. 2 UmwG), als weitere Zeitpunkte insbesondere die Beschlussfassung über den letzten Verschmelzungsbeschluss (wie in Frankreich 28) oder der Tag nach der Erstellung einer notariellen Verschmelzungsurkunde (wie in den Niederlanden 29) in Betracht. Hier wird teilweise vertreten, dass die Verschmelzung erst dann wirksam werden soll, wenn der Verschmelzungszeitpunkt nach allen betroffenen Rechtsordnungen erreicht wurde.30 Richtigerweise ist jedoch zur Bestimmung des Verschmelzungszeitpunktes ausschließlich das Recht des übernehmenden Rechtsträgers heranzuziehen. Denn dieses bestimmt auch über die Wirkung der Verschmelzung im Übrigen. Diese Lösung entspricht auch der Konzeption der Verschmelzungsrichtlinie (vgl. Art. 12) sowie des Referentenentwurfs zur Kodifizierung des Internationalen Gesellschaftsrechts (vgl. Art. 10a Abs. 3 EGBGB-E).31 Zu-
28 Vgl. Art. L 236-4 al. 2 Code de commerce, der allerdings nach der Umsetzung der Verschmelzungsrichtlinie gemäß Art. L 236-31 al. 2 Code de commerce nicht für grenzüberschreitende Verschmelzungen zur Aufnahme von Kapitalgesellschaften gilt. 29 Vgl. Art. 318 Abs. 1, 2. Buch NLZGB. Diese Vorschrift gilt seit Umsetzung der Verschmelzungsrichtlinie nur noch für den Fall, dass der übernehmende Rechtsträger dem niederländischen Recht unterliegt; für alle anderen Fälle sieht der neue Art. 333i Abs. 1, 2. Buch NLZGB vor, dass sich der Zeitpunkt der Wirksamkeit nach dem Recht des ausländischen übernehmenden Rechtsträgers richten soll. 30 Vgl. Gesell/Krömker, DB 2006, 2558 (2563). 31 Referentenentwurf für ein Gesetz zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen, abrufbar unter www.bmj.de. Der Entwurf geht im Wesentlichen auf den Vorschlag des deutschen Rates für internationales Privatrecht für
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mindest bei der Hereinverschmelzung auf einen deutschen übernehmenden Rechtsträger wird sich in der Praxis allerdings kein Unterschied zwischen beiden Auffassungen ergeben, da das deutsche Recht insoweit ohnehin auf den Zeitpunkt der Eintragung in das Register des übernehmenden Rechtsträgers und damit an den letztmöglichen Zeitpunkt für ein Wirksamwerden der Verschmelzung anknüpft.
7. Schutz der persönlich haftenden Gesellschafter Die Thematik des Schutzes der persönlich haftenden Gesellschafter stellt eine Besonderheit des Personengesellschaftsrechts dar. Logischerweise finden sich daher in §§ 122a ff. UmwG keine Regelungen zu dieser Frage. Folglich sind ausschließlich die Regelungen der §§ 39 ff. UmwG anzuwenden. In diesem Zusammenhang sind zunächst die bereits dargestellten Regelungen der §§ 40 Abs. 1, 43 Abs. 1 UmwG zu nennen. Gemäß § 40 Abs. 1 UmwG ist im Verschmelzungsplan bzw. -vertrag für jeden Gesellschafter anzugeben, ob er beim übernehmenden Rechtsträger die Stellung eines Komplementärs oder eines Kommanditisten einnehmen wird. Gemäß § 43 Abs. 1 UmwG ist zudem für den Verschmelzungsbeschluss grundsätzlich Einstimmigkeit erforderlich, es sei denn, die Satzung sieht eine abweichende Mehrheit von mindestens drei Vierteln der abgegebenen Stimmen vor (§ 43 Abs. 2 UmwG). Ist dies der Fall, darf ein persönlich haftender Gesellschafter eines übertragenden Rechtsträgers der Verschmelzung widersprechen. Der Widerspruch hat zur Konsequenz, dass der Gesellschafter beim übernehmenden Rechtsträger lediglich die Stellung eines Kommanditisten einnimmt (§ 43 Abs. 2 Satz 3 UmwG). Schließlich sieht § 45 UmwG für den Fall der Mischverschmelzung unter Beteiligung einer deutschen Personengesellschaft als übertragendem Rechtsträger eine zeitliche Begrenzung der Haftung ihrer persönlich haftenden Gesellschafter vor. Voraussetzung ist, dass die Verbindlichkeiten bereits vom übertragenden Rechtsträger begründet wurden. In diesem Fall beschränkt sich die Nachhaftung auf Verbindlichkeiten, die maximal fünf Jahre nach Bekanntmachung der Verschmelzung fällig werden.
8. Schutz der Minderheitsgesellschafter Zum Schutz der Minderheitsgesellschafter ist in § 122i Abs. 1 UmwG ein Austrittsrecht der Gesellschafter gegen Gewährung einer Barabfindung vorgesehen. Diese Vorschrift findet allerdings nur dann Anwendung, wenn es eine Regelung des internationalen Gesellschaftsrechts auf europäischer/nationaler Ebene zurück, vgl. RIW 2006, Beilage 1 zu Heft 4, 1 ff., dort Art. 10b Abs. 4 des Vorschlags für eine nationale deutsche Regelung im EGBGB.
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sich bei dem übernehmenden Rechtsträger um eine ausländische Gesellschaft handelt, also für den Fall der Hinausverschmelzung. In diesem Fall ist die Höhe der Barabfindung in den Verschmelzungsplan bzw. -vertrag aufzunehmen und ihre Angemessenheit gemäß § 30 Abs. 2 UmwG zu prüfen. Nach der Gesetzesbegründung liegt dieser Vorschrift der Gedanke zugrunde, dass kein Anteilsinhaber gezwungen werden soll, die mit dem Wechsel in eine ausländische Rechtsform verbundene Änderung seiner Rechte und Pflichten hinzunehmen. Daher kann davon ausgegangen werden, dass diese Vorschrift auch im Fall einer grenzüberschreitenden Verschmelzung von Personengesellschaften herangezogen werden kann. Ein Spruchverfahren, wie es in § 15 Abs. 1 UmwG sowie nach § 34 UmwG für das nationale Recht vorgesehen ist, ist bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Kapitalgesellschaften gemäß §§ 122h, 122i UmwG nur dann vorgesehen, wenn es in allen beteiligten Rechtsordnungen bekannt ist oder wenn die Gesellschafter aller beteiligten Rechtsträger im Verschmelzungsbeschluss ausdrücklich zustimmen. Bei dem zugrunde liegenden Artikel 10 Abs. 3 der Verschmelzungsrichtlinie handelte es sich um einen der Hauptstreitpunkte bei der Ausarbeitung der Richtlinie. Die Regelung stellt folglich einen übernationalen Kompromiss dar, von dem anzunehmen ist, dass er auch für den Fall der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Personengesellschaften Anwendung finden soll.
9. Gläubigerschutz Die Systeme zum Schutz der Gläubiger sind in den einzelnen nationalen Rechtsordnungen durchaus unterschiedlich. So sieht beispielsweise das italienische nationale Verschmelzungsrecht vor, dass Gläubiger eines übertragenden Rechtsträgers der Verschmelzung widersprechen können. Der Widerspruch entfaltet eine Suspensivwirkung, die nur dann entfällt, wenn ein Gericht dies unter Festlegung einer angemessenen Sicherheitsleistung entscheidet (Art. 2503 Codice civile). Der deutsche Gesetzgeber hingegen hat sich für ein reines Konzept der Sicherheitsleistung entschieden. Dabei hat er allerdings bei Umsetzung der Verschmelzungsrichtlinie in § 122j UmwG für den Fall der Hinausverschmelzung eine Regelung vorgesehen, die von der rein innerstaatlichen Regelung des § 22 UmwG inhaltlich abweicht. Statt einer sechsmonatigen Frist für das Verlangen einer Sicherheitsleistung, die mit dem Zeitpunkt der Bekanntmachung der Eintragung der Verschmelzung zu laufen beginnt, ist dort eine zweimonatige Frist ab Offenlegung des Verschmelzungsplans festgeschrieben. Für einen deutschen beteiligten Rechtsträger dürfte daher auch bei der Verschmelzung unter Beteiligung von Personengesellschaften zu differenzieren sein: Handelt es sich um eine Hereinverschmelzung, ist für den überneh-
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menden deutschen Rechtsträger § 22 UmwG mit seiner Sechs-Monats-Frist ab Bekanntmachung der Eintragung der Verschmelzung anzuwenden. Handelt es sich hingegen um eine Hinausverschmelzung, kommt für den deutschen übertragenden Rechtsträger § 122j UmwG mit der Zwei-Monats-Frist ab Offenlegung des Verschmelzungsplans analog zur Anwendung. Hieraus ergibt sich eine weitreichende systematische Konsequenz. Während bei einer nationalen Verschmelzung von Personengesellschaften der Verschmelzungsplan der Allgemeinheit nicht offenzulegen ist, wird es in diesem Fall ausnahmsweise erforderlich, dass der Verschmelzungsplan gemäß § 122d UmwG über das Registergericht bekannt gemacht wird, um die Anmeldefrist von zwei Monaten überhaupt in Gang setzen zu können. Im Fall der Hereinverschmelzung hingegen dürfte eine solche Bekannmachung auch im Fall einer grenzüberschreitenden Verschmelzung zumindest aus Sicht des deutschen übernehmenden Rechtsträgers nicht erforderlich sein.
V. Unternehmerische Mitbestimmung Für die Praxis der grenzüberschreitenden Verschmelzung stellt die Frage der unternehmerischen Mitbestimmung einen besonders wichtigen Aspekt dar. Nach dem deutschen Kollisionsrecht richtet sich auch diese Frage nach dem Gesellschaftsstatut der jeweils betroffenen Gesellschaft.32 Folglich unterliegen die Regeln für die Mitbestimmung beim übernehmenden Rechtsträger dessen Gesellschaftsstatut. 1. Ist an der Verschmelzung eine deutsche Personengesellschaft beteiligt, ist diese regelmäßig mitbestimmungsfrei, da weder das MitbestG noch das DrittelbG auf Personengesellschaften Anwendung finden. Da zudem auch die ausländische Personengesellschaft im Regelfall nicht mitbestimmt sein wird, ist im Fall der Hereinverschmelzung die deutsche übernehmende Personengesellschaft im Ergebnis mitbestimmungsfrei. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Vorschriften des MgVG entsprechend anzuwenden sind. Denn insoweit käme es allenfalls zu einer Anwendung des Sitzstaatsprinzips gemäß § 4 MgVG, so dass über diesen Umweg wiederum die nationalen deutschen Mitbestimmungsregeln zur Anwendung berufen wären. Die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens nach §§ 6 ff. MgVG sowie eine Anwendung der gesetzlichen Auffangregelungen entsprechend §§ 23 ff. MgVG hingegen kämen nicht in Betracht, da die erforderlichen Anwendungsvoraussetzungen der §§ 5 bzw. 23 MgVG nicht gegeben wären. 32 Vgl. BGH, NJW 1982, 933 (934); von Bar, IPR II, 1991, Rdnr. 644; Bungert, WM 1997, 2233 (2234); Staudinger/Großfeld (o. Fußn. 10), IntGesR Rdnr. 510; Kindler, in: MünchKomm-BGB (o. Fußn. 10), IntGesR Rdnr. 365; Zimmer, NJW 2003, 3585 (3590 f.).
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2. Ungleich problematischer stellt sich der Fall einer grenzüberschreitenden Hereinverschmelzung im Wege einer Mischverschmelzung dar. Wird eine mitbestimmte ausländische Kapitalgesellschaft auf eine bisher nicht mitbestimmte deutsche Personengesellschaft verschmolzen, stellt sich die Frage, ob in diesem Fall ein Mitbestimmungsverfahren wie bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Kapitalgesellschaften oder der Verschmelzung zur SE zu durchlaufen ist. Eine direkte Anwendung des MgVG scheitert am eindeutigen Bezug zu Kapitalgesellschaften in § 2 Abs. 2 MgVG sowie in der Gesetzesbegründung 33. Daher wäre allenfalls eine analoge Anwendung der Vorschriften vorstellbar. Dafür würde sprechen, dass anderenfalls der vollständige Wegfall der unternehmerischen Mitbestimmung im Fall der Verschmelzung drohen würde. Nach der Rechtsprechung des EuGH in den Sachen Überseering 34 sowie Sevic 35 kann der Schutz von Arbeitnehmerinteressen im Einzelfall eine, die Niederlassungsfreiheit nach Artt. 43, 48 Abs. 2 EG beschränkende Maßnahme rechtfertigen, was im äußersten Fall zu einer Untersagung der Verschmelzung im konkreten Einzelfall führen könnte. Allerdings ist eine solche Maßnahme nur dann gerechtfertigt, wenn sie nicht über das hinausgeht, was für einen effizienten Schutz der Arbeitnehmerinteressen erforderlich ist.36 Gegenüber einer vollständigen Untersagung der Verschmelzung wäre das Durchlaufen eines Verhandlungsverfahrens im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit jedoch als das mildere Mittel anzusehen. Vor diesem Hintergrund könnte eine analoge Durchführung des Verfahrens nach dem MgVG durchaus für sinnvoll erachtet werden. Richtigerweise ist jedoch nicht von einer analogen Anwendung der Vorschriften des MgVG auszugehen. Zum einen ist unklar, ob insoweit eine unbewusste Regelungslücke vorliegt. Das MgVG wurde in Kenntnis der Sevic-Rechtsprechung verabschiedet. Dennoch hat der Gesetzgeber darauf verzichtet, den Anwendungsbereich des Gesetzes auch auf den Fall der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Personengesellschaften zu erstrecken. Dies scheint gegen eine planwidrige Regelungslücke zu sprechen. Doch selbst wenn man die Planwidrigkeit der Regelungslücke bejaht, ist in diesem Fall ein Rückgriff auf die Regelungen des MgVG keineswegs zwingend. Eine eindeutige Tendenz zu Gunsten der Regelungen des MgVG oder der zugrunde liegenden Verschmelzungsrichtlinie auf europäischer Ebene ist nicht auszumachen. Denn neben diesen Regeln existieren die Vorschriften der SE-Richt-
33 34 35 36
Vgl. BT-Drucks. 16/2922, 15 f. Vgl. EuGH, Urt. v. 05.11.2002 – Rs. C-208/00, Slg. 2002, I-09919 (dort Rdnr. 92). Vgl. EuGH, Urt. v. 13.12.2005 – Rs. C-411/03, Slg. 2005, I-10805 (dort Rdnr. 28). Vgl. EuGH, Urt. v. 13.12.2005 – Rs. C-411/03, Slg. 2005, I-10805 Rdnr. 29.
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linie 37, die stellenweise erheblich von den Regeln des MgVG abweichen, etwa in Bezug auf die Voraussetzungen für die Aufnahme von Verhandlungen oder das erforderliche Quorum für die Anwendung der gesetzlichen Auffanglösung. Daher ist nicht davon auszugehen, dass die Vorschriften des MgVG – ebenso wenig wie die Vorschriften des SEBG – als analogiefähig anzusehen sind.38 3. Für den Fall der Hinausverschmelzung gilt das soeben Ausgeführte entsprechend mit der Maßgabe, dass in diesem Fall das ausländische Recht des übernehmenden Rechtsträgers über die anzuwendenden Mitbestimmungsregeln entscheidet. Handelt es sich bei dem deutschen übertragenden Rechtsträger um eine Personengesellschaft, ist diese nicht mitbestimmt. Ist auch die ausländische Gesellschaft nicht mitbestimmt, dürfte zumindest ein Verhandlungsverfahren gemäß Art. 16 der Verschmelzungsrichtlinie auch in dieser Konstellation nicht in Betracht kommen. Handelt es sich hingegen bei der übertragenden deutschen Gesellschaft um eine Kapitalgesellschaft, ist durchaus vorstellbar, dass das ausländische Recht für diesen Fall ein Verhandlungsverfahren entsprechend Art. 16 der Verschmelzungsrichtlinie vorsehen wird. In Ermangelung anderweitiger Regelungen dürfte dann für den übertragenden deutschen Rechtsträger im Hinblick auf das Verhandlungsverfahren auf die Vorschriften des MgVG zurückzugreifen sein. Anders als im umgekehrten Fall der Hereinverschmelzung ist dieser Rückgriff hier unproblematisch. Denn anders als in der dortigen Konstellation weichen die Regelungen des MgVG zur Zusammensetzung und Wahl des Besonderen Verhandlungsgremiums in keinem Punkt von den Vorschriften des SEBG ab. Daher ist eine einheitliche Tendenz zugunsten dieser Regelungen auf europäischer Ebene auszumachen, so dass für den Fall der Durchführung eines Verhandlungsverfahrens nichts gegen ihre Analogiefähigkeit und damit gegen eine entsprechende Anwendung auf den deutschen übertragenden Rechtsträger spricht. 4. Ein Sonderproblem stellt sich für den Fall der Verschmelzung einer GmbH & Co. KG auf eine ausländische Personengesellschaft. Wird die deutsche Komplementär-GmbH nicht ebenfalls auf eine ausländische Gesellschaft verschmolzen und verbleibt als Komplementär in der ausländischen Personengesellschaft, stellt sich die Frage, ob ihr die Mitarbeiter der Personengesellschaft nach §§ 4 Abs. 1, 5 Abs. 2 MitbestG zugerechnet werden können mit der schwerwiegenden Konsequenz, dass in ihr ggf. ein mitbestimmter Aufsichtsrat einzurichten wäre. Der Gesetzeswortlaut spricht insoweit lediglich von „Kommanditgesellschaften“, was bei weitem Verständnis auch ent37 Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 08. Oktober 2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer, ABl. EG Nr. L 294, S. 22 ff. 38 Ebenso Forsthoff, DStR 2006, 613 (618).
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sprechende ausländische Gesellschaftsformen umfassen könnte. Gegen eine Zurechnung spricht indes der Umstand, dass auch für den umgekehrten Fall einer ausländischen Komplementärgesellschaft bei einer deutschen KG nach ganz herrschender Auffassung keine Zurechnung stattfindet 39. Daher dürfte auch im Fall einer deutschen Komplementärgesellschaft einer ausländischen Personengesellschaft eine Zurechnung über die Grenze ausscheiden.
VI. Perspektiven Zusammenfassend ergibt sich, dass für den Fall der grenzüberschreitenden Verschmelzung unter Beteiligung von Personengesellschaften trotz ihrer grundsätzlichen Zulässigkeit erhebliche Rechtsunsicherheiten bestehen. Daher kommt nach dem derzeitigen Stand eine Verschmelzung von Personengesellschaften allenfalls in Fällen ohne Konfliktpotenzial in Betracht. Dies könnte insbesondere bei Konzernverschmelzungen sowie Verschmelzungen innerhalb von (nicht streitenden) Familienunternehmen der Fall sein. Für die nähere Zukunft ist nicht damit zu rechnen, dass diese Unsicherheiten ausgeräumt werden. Insbesondere ist eine Harmonisierung der materiell-rechtlichen Regelungen auf europäischer Ebene in absehbarer Zukunft nicht zu erwarten.40 Auch auf nationaler Ebene hat sich der deutsche Gesetzgeber in seiner Begründung zum 2. UmwÄndG gegen eine ausdrückliche Regelung ausgesprochen.41 Jedoch liegt mit dem Referentenentwurf für eine Kodifizierung des Internationalen Gesellschaftsrechts zumindest der Vorschlag für eine Regelung vor, der auch das Internationale Privatrecht der Verschmelzungen umfasst. Die Regelungen zur grenzüberschreitenden Verschmelzung entsprechen dabei den bereits oben dargestellten Regeln (insbesondere der Vereinigungstheorie). Ob allerdings eine europaweite Regelung des Internationalen Gesellschaftsrechts im Wege einer EU-Verordnung stattfinden wird, ist derzeit zweifelhaft. Ein entsprechendes Rechtsetzungsverfahren jedenfalls ist bislang nicht in Gang gesetzt worden. Angesichts der erheblichen Rechtsunsicherheit hinsichtlich des anwendbaren materiellen Rechts kann in anderen Fällen als in reinen Konzernverschmelzungen oder Verschmelzungen von Familiengesellschaften einstweilen nur geraten werden, auf eine alternative Strukturierung der Transaktion zurückzugreifen, die im Ergebnis einer grenzüberschreitenden Verschmelzung gleich kommt. Hier ist insbesondere an eine „Verschmelzung 39 Vgl. z.B. Ulmer/Habersack, in: Ulmer/Habersack/Henssler, MitbestR, 2. Aufl. (2006), § 4 MitbestG Rdnr. 11. 40 Vgl. Neye/Timm, GmbHR 2007, 561 (565). 41 Vgl. BT-Drucks. 16/2919, 20.
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durch Anwachsung“ zu denken. So ist alternativ zu einer Hinausverschmelzung einer deutschen Personengesellschaft denkbar, dass der übernehmende ausländische Rechtsträger als Gesellschafter in einem ersten Schritt in die deutsche Personengesellschaft eintritt. In der Folge treten alle weiteren Gesellschafter aus der zu übertragenden Personengesellschaft aus und erwerben stattdessen Anteile an der übernehmenden Personengesellschaft. Die Rechtsfolgen dieses Vorgehens richten sich nach dem Gesellschaftsstatut der deutschen Personengesellschaft, also nach deutschem Recht. Dieses sieht für die Vereinigung sämtlicher Gesellschaftsanteile in einer Hand eine Anwachsung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge vor. Lediglich für einige spezielle Vermögensgegenstände ist gegebenenfalls der Vorrang eines ausländischen Belegenheitsstatuts zu beachten. Strebt man eine entsprechende alternative Fallgestaltung für den Fall der Hereinverschmelzung an, ist zu beachten, dass sich die Folgen des Vorgehens nach dem Recht des ausländischen zu übertragenden Rechtsträgers richten werden. In diesem Fall ist daher sicherzustellen, dass auch dieses Recht die Grundsätze der Anwachsung im Wege einer Gesamtrechtsnachfolge anerkennt. Daneben sind weitere alternative Transaktionsstrukturen denkbar. Insbesondere können Unternehmenswerte im Wege eines asset deal auf den anderen Rechtsträger übertragen werden oder im Wege eines Einbringungsvertrages in dessen Vermögen überführt werden. Für komplexere Strukturen ist daneben auch eine wechselseitige Beteiligung der Rechtsträger vorstellbar.
Selected Recent U.S. Developments In Cross-Border M&A Babett Carrier I. Introduction Cross-border M&A activity represents a large and important segment of the global M&A market 1, and in recent years, Europe has been particularly buoyant with most of the largest cross-border deals being either intra-European mergers or acquisitions of European targets.2 Cross-border M&A transactions are often amongst the most complex M&A transactions as they typically implicate the laws and regulations of various jurisdictions that may have conflicting requirements that need to be reconciled. In particular, even if none of the transaction participants is a U.S. company, the U.S. federal securities laws may be applicable if the parties have security holders that are resident in the United States – a fact that sometimes comes as a surprise to the parties involved. This stems primarily from the fact that most jurisdictions outside the United States, including most European jurisdictions, apply their takeover rules and regulations on the basis of the target’s jurisdiction of incorporation, whereas the U.S. tender offer rules 3 and U.S. registration 1 See Jessica Hall “Cross-Border Mergers Defy U.S. Slump, REUTERS (October 18, 2007) (noting that cross-border deals reached record highs through mid-October 2007, and were up 82 percent over levels for the same period in 2006, according to figures compiled by the research firm Dealogic). 2 For example, the offers by a consortium led by Royal Bank of Scotland Group PLC for ABN AMRO Holding N.V.; by Enel Energy Europe S.r.l. and Acciona S.A. for Endesa S.A.; by Mittal Steel Company N.V. for Arcelor S.A.; by Grupo Ferrovial S.A. for BAA plc; and by Linde AG for BOC plc. 3 The U.S. tender offer rules are contained in an amendment to the U.S. Securities Exchange Act of 1934, as amended (the “Exchange Act”) enacted in 1968 as the “Williams Act”. The rules and regulations for third-party tender offers are contained in Sections 14(d) and 14(e) of the Exchange Act and Regulations 14D and 14E promulgated thereunder. Section 14(d) and Regulation 14D apply to third-party tender offers for equity securities registered under Section 12 of the Exchange Act and impose substantial filing, disclosure and dissemination requirements. Equity securities would typically be registered under Section 12 of the Exchange Act if a corporation has securities listed on the New York Stock Exchange or quoted on the NASDAQ Stock Market. Section 14(e) and Regulation 14E apply to any tender offer made in or extended into the United States, including those that are also subject to Section 14(d) and Regulation 14D, and contain general anti-fraud and procedural requirements.
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requirements 4 are triggered based upon the use of U.S. jurisdictional means, like the mail or communication facilities, to make the offer.5 As a result, in the past it was very common for bidders to exclude U.S. security holders from these transactions to avoid the application of the U.S. securities laws, particularly when U.S. security holders held a small amount of the securities of the non-U.S. target.6 This practice has long been of great concern to the U.S. Securities and Exchange Commission (“SEC”) because excluding U.S. security holders from these transactions was denying them the opportunity to receive a premium for their securities and to participate in an investment opportunity.7 This problem was exacerbated by the increasing shareholdings of U.S. investors in non-U.S. companies in the late 1990s.8 The SEC tried to address the issue in 1999 through the adoption of the release governing crossborder tender and exchange offers, business combinations and rights offerings relating to the securities of foreign companies (the “Cross-Border Release”) 9, which made a number of significant changes to the regulation of cross-border acquisitions. The changes made by the SEC in the CrossBorder Release were based on a desire to strike the appropriate balance between the protection of U.S. investors and the need to promote the inclusion of U.S. security holders in cross-border transactions.10 At the same
4 Section 5 of the U.S. Securities Act of 1933, as amended (the “Securities Act”) requires all offers and sales of securities to be registered under the Securities Act, unless an exemption from registration is available. In addition, Rule 145 under the Securities Act states that an “offer” or “sale” is deemed to be involved if the security holders of a corporation are asked to vote on or consent to a business combination transaction. As a result, if the acquisition consideration in a tender offer or a business combination transaction includes securities, the securities to be issued to the security holders of the target in the United States must, absent an exemption, be registered on the appropriate form of registration statement. 5 Brett A. Carron and Steven M. Davidoff “Getting U.S. Security Holders to the Party: The SEC’s Cross-Border Release Five Years On”, 26 U. Pa. J. Int’l Econ. L., 455, 456 (2005). 6 Cross-Border Tender Offers, Business Combinations and Rights Offerings, Securities Act Release No. 7611 (November 13, 1998) (the “Cross-Border Proposing Release”). 7 The SEC has first recognized this issue in the Concept Release on Multinational Tender Offers and Exchange Offers, Securities Act Release No. 6866 (June 6, 1990). 8 In the Cross-Border Proposing Release, supra at note 6, the SEC noted that “U.S. ownership of foreign companies increased from $158.8 billion in 1991 to $558.9 billion in 1996” and that “the number of foreign companies reporting under the Exchange Act has more than doubled since 1991”. 9 Cross-Border Tender and Exchange Offers, Business Combinations and Rights Offerings, Securities Act Release No. 7759 (October 22, 1999) (the “Cross-Border Release”). Simultaneously, the SEC adopted a separate release that updated and simplified the U.S. tender offer rules. Regulation of Takeovers and Security Holder Communications, Securities Act Release No. 7760 (October 22, 1999) (the “Regulation M-A Release”). 10 Cross-Border Release, supra at note 9, p. 8.
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time, the SEC recognized the increasing globalization of the world’s capital markets.11 The Cross-Border Release facilitates the inclusion of U.S. security holders in M&A transactions that are primarily foreign in nature by providing several exemptive rules (the “Cross-Border Rules”) from the U.S. tender offer rules and the U.S. registration requirements. While the availability and extent of the exemptive relief depends on the level of U.S. ownership, all the exemptions require that the target company be a “foreign private issuer” 12. The following is a very brief overview of the most relevant Cross-Border Rules in the context of cross-border M&A transactions. The broadest exemption is the Tier I / Rule 802 exemption that requires that U.S. resident holders hold 10 % or less of the class of securities sought in the offer. If the exemption is available, the offer is exempt from most of the requirements of the U.S. tender offer rules and the bidder will be allowed to conduct the offer substantially in accordance with the target company’s home jurisdiction law and practice. In addition, any securities issued to target security holders will be exempt from the U.S. registration requirements. More limited relief from the U.S. tender offer rules may be available under the Tier II exemption if U.S. resident holders hold more than 10 % but not more than 40 % of the class of securities sought in the offer. If the Tier II exemption is available, the offer must comply with the applicable U.S. tender offer rules, with only limited exceptions. Given the level of U.S. ownership in a Tier II offer, it is the SEC’s view that these offers should be regulated by the U.S. federal securities laws, but the SEC has codified limited exemptive relief in order to eliminate areas of frequent conflict between the U.S. rules and foreign regulatory regimes. Any securities issued in a Tier II offer must be registered under the Securities Act, absent an exemption. While the adoption of the Cross-Border Rules was an important step towards facilitating the inclusion of U.S. security holders in cross-border transactions and reconciling conflicts between U.S. rules and the rules of non-U.S. jurisdictions, the number of requests for exemptive relief that have been submitted to the SEC since 2000 have shown that there are still areas of possible improvement. In particular, it has become increasingly clear that certain issues arise repeatedly in cross-border transactions, that, although technically cover11 Paul Michalski “Current SEC & Cross-Border M&A Developments: Proposals on Cross-Border Rights Offers, Tender Offers; New Form 20-F; and Developments under Regulation S”, 1154 PLI/Corp 139, 143. 12 A “foreign private issuer” is defined in Rule 3b–4 of the Exchange Act as a corporation or other organization incorporated or organized under the laws of a country other than the U.S., unless more than 50 % of its outstanding voting securities are directly or indirectly held of record by U.S. residents and either (i) the majority of its executive officers or directors are U.S. citizens or residents; (ii) more than 50 % of its assets are located in the U.S.; or (iii) its business is administered principally in the U.S.
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ed by the prohibitions of certain U.S. rules, do not present the concerns that those rules were designed to prevent. The need for revisions to some aspects of the Cross-Border Rules has been recognized by members of the staff of the SEC on various occasions. Most recently, John White Director of the Division of Corporation Finance of the SEC until the end of 2008 stated during a speech he gave at a securities law conference in London in 2008, “with eight years of experience using the current rules, I believe that most will agree that the rules have worked well in balancing the need to promote the inclusion of U.S. security holders in cross-border transactions against the need to provide the protections of the federal securities laws to those holders. Despite the success of these rules however, the staff [of the SEC] is considering revisions to address areas that may not be working as well as expected and areas where relief could be expanded.” 13 To that end, on May 6, 2008, the SEC proposed amendments to the Cross-Border Rules, seeking to enhance and expand their usefulness.14 These amendments (the “Amendments”) were adopted by the Commission in August 2008 and the final rule release setting forth the Amendments was issued on September 19, 2008.15 13 John White Director, Division of Corporation Finance, U.S. Securities and Exchange Commission, “Corporation Finance in 2008 – International Initiatives”, Remarks before PLI’s Seventh Annual Institute on Securities Regulation in Europe, London, January 2008. 14 Revisions to the Cross-Border Tender Offer, Exchange Offer, and Business Combination Rules and Beneficial Ownership Reporting Rules for Certain Foreign Institutions, Securities Act Release No. 8917 (May 6, 2008). 15 Commission Guidance and Revisions to the Cross-Border Tender Offer, Exchange Offer, Rights Offerings, and Business Combination Rules and Beneficial Ownership Reporting Rules for Certain Foreign Institutions, Securities Act Release No. 8957 (September 19, 2008). The Amendments contain three types of changes: (i) substantive changes to the existing Cross-Border Rules; (ii) codification of exemptive and no-action relief previously granted by the staff of the SEC; and (iii) technical changes that clarify applicability of the existing rules. They also contain guidance by the SEC on a number of issues, including use of exclusionary offers. Most importantly, the Amendments refine the test for the calculation of U.S. ownership to determine eligibility for the Cross-Border Rules. Under the Amendments, bidders in negotiated transactions are permitted to calculate U.S. ownership as of any date within a period comprising 60 days before and 30 days after announcement of a cross-border transaction (or, if the bidder is unable to make the calculation within this 90-day time period, up to 120 days before the announcement date). This replaces the previous requirement to calculate U.S. ownership as of a fixed date 30 days prior to commencement of the transaction, a requirement that often has proven difficult for bidders. The requirement that the bidder must conduct a “look-through” analysis, i.e. look through the record ownership of nominee holders located in the United States, the target company’s jurisdiction of incorporation and the jurisdiction that is the primary trading market for target’s securities is retained. In the past, timing issues, the unwillingness of European nominees and data protection laws in various European jurisdictions have often prevented bidders from relying on the exemptions of the Cross-Border Rules. While the Amendments try to address some of these issues, the requirement to perform a “look-through” analysis will likely remain problematic. If the bidder is unable to perform the “look through” analysis, under the Amendments it may now rely on an alternate test based on trading volume.
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In the two years prior to the release of the Amendments, the staff of the SEC addressed some of the identified issues by expanding relief in certain areas. This relief represented a further shift by the SEC towards deference to the laws and regulations of non-U.S. regulatory regimes in cross-border transactions and showed an increased confidence in the investor protections provided by these regimes. This development is rooted in the greater international regulatory integration 16 over the last couple of years in response to the globalization of the world’s markets 17 and the increased sophistication of non-U.S. capital markets 18. The main focus of the SEC’s regulatory actions was on Rule 14e-5 under the Exchange Act and, as part of the Amendments, the SEC is now codifying its existing exemptive orders in this area into the Cross-Border Rules. The SEC also recently granted important relief from Regulation M in a competitive bid situation. Both Rule 14e-5 and Regulation M under the Exchange Act are intended to prevent interested parties in an exchange offer or merger from manipulating the price of the securities of the bidder and the target during the offer or merger.19 This article will look first at these recent SEC actions. The issue of conflicting regulatory regimes and principles of international comity are also present when the parties in cross-border transactions bring 16 As Christopher Cox Chairman of the SEC stated at a recent conference: “we’re deeply engaged with our regulatory colleagues not just in Europe but all around the world. In 2007, the SEC conducted securities regulatory training sessions at our Washington headquarters and in other national offices for more than 1,000 foreign regulators from over 100 countries.” In addition, the SEC has executed numerous agreements with various regulators directed to enhancing regulatory, enforcement and supervisory cooperation. Christopher Cox Chairman, U.S. Securities and Exchange Commission, “International Business – An SEC Perspective”, Address to the American Institute of Certified Public Accountants’ International Issues Conference, Washington D.C., January 2008. 17 There was a significant growth in U.S. investor interest in foreign securities from $53 billion in the 1980s to over $7.5 trillion today, with approximately two-thirds of American investors owning securities of non-U.S. companies, representing a 30 % increase from just five years ago. At the same time, foreign trading activity in U.S. securities is over $33 trillion. See Christopher Cox supra at note 16. The task of regulators in connection with the increased globalization is to lower the barriers to the efficient operation of the world’s capital markets by rationalizing the different regulatory approaches, while at the same time protecting investors, maintaining orderly markets, and promoting capital formation. Christopher Cox Chairman, U.S. Securities and Exchange Commission, Remarks on Acceptance of the Atlantic Leadership Award from the European-American Business Council, Washington D.C., February 2008. 18 In a recent speech, Chairman Cox acknowledged that, while countries vary widely in their approaches to securities regulation, there are jurisdictions that share the SEC’s commitment to investor protection and market integrity. The protections that these markets offer investors often mirror the protections provided by the U.S. rules – in substance, if not in form. See Christopher Cox supra at note 17. 19 While Rule 14e-5 applies to the target securities being acquired, Regulation M applies to the securities being offered by the bidder.
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litigation in U.S. courts, which is often done in hostile or competitive transactions. This article will look at the recent U.S. litigation in connection with the acquisition of Endesa, S.A., where the decision of the court has been guided by similar principles of deference to the laws and regulations of the primary regulatory regime of the transaction. Despite the adoption of the Cross-Border Rules and the efforts by the SEC to minimize conflicts between U.S. and non-U.S. rules, offers from which U.S. security holders of the target company are excluded remain an attractive transaction structure for some non-U.S. companies. This article will conclude with a discussion of the recent litigation relating to Scor, S.A.’s exclusionary offer for Converium Holding AG.
II. Exemptive Relief from Rule 14E-5 Rule 14e-5 under the Exchange Act prohibits bidders (and their affiliates, financial advisors and concert parties) directly or indirectly, from purchasing or arranging to purchase target equity securities outside an offer from the time of the first public announcement of the offer until its expiration. Recognizing that this prohibition often conflicts with the regulations of nonU.S. jurisdictions, the SEC adopted an automatic exemption from Rule 14e-5 for offers that qualify for the Tier I exemption, allowing purchases outside the offer to be made both inside and outside the United States.20 This exemption is consistent with the SEC’s position that Tier I offers are primarily foreign in nature and should be allowed to be conducted in accordance with the target’s home jurisdiction law. Given the level of U.S. ownership in a Tier II offer, the SEC did not, however, adopt an automatic exemption for offers that qualify for the Tier II exemption, but stated in the Cross-Border Release that it will consider requests for exemptions from Rule 14e-5 in Tier II offers on a case-by-case basis. Since 2000, bidders have regularly requested exemptive relief from Rule 14e-5 and a review of the pertinent SEC relief letters shows that in cross-border M&A transactions, Rule 14e-5 typically raises at least three issues: – Rule 14e-5 interferes with the use of “dual offer” structures to comply with applicable U.S. and non-U.S. rules – Rule 14e-5 interferes with standard bid practice in a large number of nonU.S. jurisdictions that allow purchases outside an offer 20 This exemption is subject to the following conditions: (i) the offering documents furnished to U.S. security holders must prominently disclose the possibility of any purchases and the manner in which information about such purchases will be disclosed; (ii) the bidder must disclose information in the U.S. about any purchases made in a manner comparable to the disclosure made in the target’s home jurisdiction; and (iii) the purchases must comply with the applicable laws and regulations of target’s home jurisdiction.
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– Rule 14e-5 interferes with the ordinary course trading activities of the bidder’s financial advisors and their affiliates While the SEC routinely gave exemptive relief in those three areas, the need to seek SEC relief had the potential to delay the announcement or commencement of transactions and provided an incentive for bidders to continue excluding U.S. security holders of the target. Over the last two years, the SEC has directly addressed these three issues by granting class exemptive or global relief and, as part of the Amendments, it has now codified these existing exemptive orders into the Cross-Border Rules. In each case, the relief is only available if the target is a foreign private issuer and the bidder reasonably intends to rely on the Tier II exemption in connection with its offer. The relief therefore does not eliminate the need to conduct a proper calculation of the U.S. ownership level of the target company to determine eligibility for the Tier II exemption. This article will discuss the original class exemptive relief and any changes made in the Amendments to the conditions for the relief.
1. “Dual Offer” Structures If an offer qualifies for the Tier II exemption, it must comply with all the applicable U.S. tender offer rules, with only limited exceptions, and, if applicable, the U.S. registration requirements. As a result, bidders often structure a transaction as dual offers to accommodate differences that primarily relate to disclosure requirements or are procedural in nature, between the laws of the U.S. and the target’s home jurisdiction. In the Cross-Border Release in 1999, the SEC recognized that practice by adopting an exemption from the equal treatment requirement of Rule 14d-10 21, expressly allowing dual offer structures, where one offer is made to U.S. security holders only and one offer is made to non-U.S. holders only, in a Tier II offer as long as the terms of the U.S. offer are at least as favorable as those of the non-U.S. offer (and has now further expanded this relief in the Amendments).22 Unfortunately,
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Rule 14d-10 under the Exchange Act, also known as the “all holders/best price rule”, generally requires an offer to be open to all shareholders of the target, thereby preventing dual offer structures. 22 In practice in order to facilitate tendering and settlement procedures, in most dual offers, the U.S. offer was extended to U.S. shareholders and holders of American Depositary Shares (“ADSs”) representing target shares worldwide and the non-U.S. offer was extended to all non-U.S. shareholders. As these dual offer structures did not fit within the parameters set by the Tier II exemption before the adoption of the Amendments, bidders continued to seek specific exemptive relief from Rule 14d-10. The Amendments now expand the Tier II exemptive relief in this area to allow ADS holders worldwide to be included in the U.S. offer and U.S. holders to participate in the non-U.S. offer(s) where
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the SEC did not adopt a corresponding exemption from Rule 14e-5 in the Cross-Border Release. Such an exemption is necessary as technically any purchase made pursuant to the non-U.S. offer constitutes a purchase outside the U.S. offer that is prohibited by Rule 14e-5. Hence, bidders were required to request relief from Rule 14e-5 for dual offer structures on a case-bycase basis, thereby rendering the automatic exemption from Rule 14d-10 meaningless. In order to remedy this disharmony, on June 22, 2006, the staff of the SEC granted class exemptive or global relief from Rule 14e-5 for multiple offers as part of its exemptive relief letter issued to Mittal Steel Company N.V. (the “Mittal Letter”) in connection with its offer for Arcelor S.A. and as part of the Amendments, the SEC has now codified the Mittal Letter into new Rule 14e-5(b)(11). Rule 14e-5(b)(11) exempts multiple offer structures from Rule 14e-5, subject to the same conditions that were contained in the Mittal Letter: – the economic terms and the consideration in the offers must be the same, provided that any cash consideration paid in the offer to U.S. security holders may be converted from the foreign currency into U.S. dollars – the procedural terms of the U.S. offer must be at least as favorable as the terms of the non-U.S. offer(s) – the intention of the bidder to make purchases pursuant to the non-U.S. offer(s) must be disclosed in the U.S. offering document – purchases by the bidder may be made solely pursuant to the non-U.S. offer(s) and not pursuant to open market purchases, private transactions or other transactions The scope of the relief is not confined to dual offer structures, but expressly contemplates multiple offers, i.e., one U.S. offer and several non-U.S. offers.23 Secondly, although the Mittal Letter was issued in the context of a dual offer structure that excluded U.S. holders from the non-U.S. offer, neither the relief in the Mittal Letter nor subsequent Rule 14e-5(b)(11) impose that as a requirement. The relief should therefore accommodate dual offer structures in jurisdictions that require the non-U.S. offer to be open to all target security holders, including U.S. holders.24 This is also consistent
required under foreign law. In addition, the Amendments also eliminate the current restriction on the number of non-U.S. offers that may be made concurrently with the U.S. offer, thereby allowing multiple offer structures under Rule 14d-10. 23 This is consistent with the changes made to Rule 14d-10 that also provide an exemption for multiple offer structures from the U.S. equal treatment requirement in transactions qualifying for the Tier II exemption. An example of a transaction involving a multiple offer structure is Sanofi-Synthelabo S.A’s offer for Aventis S.A. in 2004. 24 Among the jurisdictions that require the non-U.S. offer to be open to all target security holders, including U.S. holders, are Spain, Chile and Mexico.
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with the expanded relief from Rule 14d-10 adopted in the Amendments.25 Similarly, the relief should be available for dual offers that limit the non-U.S. offer to security holders from the target’s home jurisdiction and extend the U.S. offer to all other security holders.26 Lastly, the relief should also eliminate the need to obtain specific Rule 14e-5 relief in exchange offers subject to Regulation 14E only that are extended into the U.S. on a private placement basis, as long as the conditions are satisfied.
2. Purchases Allowed by Non-U.S. Regulatory Regimes The takeover regimes of most non-U.S. jurisdictions allow purchases outside an offer, subject to a number of protective safeguards designed at preventing market abuse. Rule 14e-5 therefore interferes with standard bid practice in these jurisdictions. The SEC recognized this when it stated its rationale for the automatic exemption from Rule 14e-5 in Tier I offers: “Many foreign jurisdictions do not expressly prohibit an offeror from purchasing or arranging to purchase the subject security outside the terms of the offer…. [A] strict application of Rule 14e-5 in some cases could disadvantage U.S. security holders where the offeror decides not to extend the offer in the United States because of the rules restrictions.” 27 Although the SEC declined to extend the automatic exemption to Tier II offers, it has regularly granted exemptive relief from Rule 14e-5 in this context, particularly in jurisdictions like the United Kingdom that are seen as having procedures in place that provide for sufficient protection of target security holders. On March 2, 2007, the SEC granted class exemptive or global relief from Rule 14e-5 for purchases outside an offer as part of the exemptive relief letter granted to Sulzer AG (the “Sulzer Letter”) in connection with its offer for Bodycote International plc and as part of the Amendments, the SEC has now codified the Sulzer Letter into new Rule 14e-5(b)(12). Rule 14e-5(b)(12) permits a bidder, its affiliates and/or its agents to buy target securities outside the offer, subject to certain conditions, including: – the offer price must be increased to match any consideration paid outside the offer that is greater than the offer price – all purchases outside the offer must be made outside the U.S.28 25 The Amendments expand the Tier II exemptive relief from Rule 14d-10 to allow U.S. holders to participate in the non-U.S. offer(s) where required under foreign law. 26 See the offer by Rizzoli Corriere della Sera Medical Group S.p.A. for Fila Holding S.p.A. The transaction was structured as dual offers, with the Italian offer being extended to Italian security holders on a private repurchase basis only in order to be exempt from the Italian rules applicable to Italian public tender offers. 27 See Cross-Border Release, supra at note 9, p. 12. 28 This requirement differs from the automatic Tier I exemption, pursuant to which a bidder may make purchases both inside and outside the U.S.
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– appropriate disclosure about the possibility of purchases outside the offer must be made in the U.S. offering materials – public disclosure about any purchases must be made in the U.S. to the extent made in the target’s home jurisdiction While the new rule does not impose any additional conditions to those set forth in the Sulzer Letter, some conditions from the letter were not incorporated in an effort by the SEC to streamline the rule text in a manner that would not compromise the fair treatment of security holders. Importantly, the condition under the Sulzer Letter that the SEC and the target’s home jurisdiction regulatory authority be parties to a bilateral or multilateral Memorandum of Understanding (“MOU”) as to consultation and cooperation in the administration and enforcement of securities laws has not been incorporated into Rule 14e-5(b)(12). In the past, the staff had indicated that the failure to satisfy this condition would not only require a bidder to seek specific exemptive relief from the SEC, but may mean that such relief is not obtainable if the staff is not satisfied that they will receive appropriate cooperation from the non-U.S. regulatory authorities.29 The elimination of this condition makes the rule therefore somewhat more lenient. Similarly, under the Sulzer Letter, the requirement to increase the offer price to match any price paid in purchases made outside the offer had to be a legal requirement pursuant to the applicable laws and regulations of the target’s home jurisdiction. The Sulzer Letter was therefore not available in jurisdictions where this legal requirement does not extend to all purchases outside the offer. For example, in the Netherlands, where this legal requirement is limited to off-market purchases and does not extend to purchases made in regular stock exchange trading, bidders had to seek specific exemptive relief.30 Under new Rule 14e-5(b)(12), this “price matching” condition is satisfied if either the laws of the relevant home jurisdiction or the terms of the tender offer provide for matching the higher consideration, thereby allowing a bidder to voluntarily raise the tender offer price pursuant to the terms of the offer in jurisdictions without such a legal requirement. It should also be kept in mind, as the staff of the SEC pointed out, that the “price matching” requirement may also trigger other requirements under the U.S. tender offer
29 While a large number of countries have entered into bilateral MOUs with the SEC or are signatories to the multilateral MOU of the International Organization of Securities Commissions (“IOSCO”), bidders intending to rely on the Sulzer Letter had to carefully verify that the authorities of the target’s home jurisdictions are parties to the required MOU. For example, Austria is neither party to a bilateral MOU with the SEC nor signatory to the IOSCO MOU. 30 See letter regarding the proposed offer for ABN AMRO Holding N.V. by Royal Bank of Scotland Group PLC, Banco Santander Central Hispano SA and Fortis SA/N.V., (July 20, 2007).
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rules. Under Regulation 14E, a tender offer must remain open for at least 10 U.S. business days following notice to security holders of an increase in the consideration offered. Such a mandatory extension could be problematic if the offer price increase occurs at a time where the rules of the target’s home jurisdiction do not permit any further extension of the offer period. In addition, raising the tender offer price may give rise to amendment and dissemination requirements of the offer documentation. In an offer where the offer consideration consists of bidder stock or both cash and bidder stock, it may be difficult to determine whether the price of a purchase outside the offer exceeds the offer price and the amount of the required offer price increase.
3. Ordinary Trading Activities of Financial Advisors The restrictions of Rule 14e-5 apply to “Covered Persons”, a very broadly defined term that typically includes a bidder’s financial advisors. As financial advisors are usually large financial institutions that, together with their affiliates, offer a full range of banking and securities services, including trading, their ordinary trading activities would be prohibited by Rule 14e-5. Due to this prohibition, those financial advisors would effectively be compelled to stay “out of the market” for a significant period of time and, to the extent that they are not able to make a market, the markets and the financial advisor’s clients may be disadvantaged.31 As part of the Cross-Border Release, the SEC adopted an exemption from Rule 14e-5 for some trading activities in connection with offers for non-U.S. targets that are subject to the United Kingdom’s City Code on Takeovers and Mergers (the “City Code”). Under the exemption, purchases by certain principal traders and market makers that are affiliated with either the bidder or the target company or their respective advisors, are exempt from Rule 14e-5, subject to the satisfaction of a number of conditions.32 This exemption is based on the SEC’s experience with the U.K. regulatory regime and its recognition that the U.K. regulatory oversight of purchases by these persons is sufficiently protective to investors.33 31 See Letter to SEC, dated April 3, 2007, requesting relief from Rule 14e-5 for Certain Trading Activities of Financial Advisors, submitted by Cleary Gottlieb Steen & Hamilton LLP on behalf of Goldman Sachs International (the “Goldman Request Letter”), p. 5. 32 Rule 14e-5(b)(9) provides an exemption for purchases and arrangements to purchase effected by a “connected exempt market maker” or a “connected exempt principal trader”, as those terms are used in the City Code. This exemption is subject to the conditions that (i) the target is a foreign private issuer, (ii) the offer is subject to the City Code, (iii) the connected exempt market maker or the connected exempt principal trader comply with the applicable provisions of the City Code, and (iv) their identity is disclosed in the offer document together with information about how U.S. security holders can obtain information about purchases made to the extent such information is required to be made public in the U.K. 33 See Cross-Border Release, supra at note 9, p. 13.
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In addition, the SEC granted specific exemptive relief from Rule 14e-5 on numerous occasions to financial advisors and their affiliates for certain enumerated trading activities in connection with offers for non-U.S. targets where the City Code was not applicable.34 As a condition to this relief, the financial advisors and their affiliates were required to voluntarily comply with the City Code, a requirement that again reflects the SEC’s confidence in the U.K. regulatory regime. The relief was primarily based on the rationale that where the ordinary trading activities were to occur outside the United States, they would not violate the principles of Rule 14e-5, especially when local law coupled with voluntary compliance with the City Code provided protections to security holders similar to those under the Exchange Act.35 On April 4, 2007, the SEC made this relief available to all financial advisors and their affiliates by granting class exemptive or global relief in its letter to Goldman Sachs International (the “Goldman Letter”) and as part of the Amendments, the SEC has now codified the Goldman Letter into new Rule 14e-5(b)(12).36 Rule 14e-5(b)(12) is subject to certain conditions, including – the trading activities must only be conducted outside the U.S. – the trading activities must not be made to facilitate the offer – internal “Chinese walls” must be in place between the officers and employees of the financial advisor and its affiliates conducting the trading activities – the financial advisor must have an affiliate that is a U.S. registered brokerdealer The relief provided in Rule 14e-5(b)(12) is premised on the financial advisor’s affiliate carrying out its normal business activity when purchasing outside a tender offer, with the focus on both the nature and the level of activity. In addition, it should be kept in mind that certain other activities, including the activities of financial advisors acting as agents for bidders, are already permitted under, or exempt from, Rule 14e-5 37. 34 See, e.g., the letter regarding the offer by NYSE Euronext, Inc. for Shares of Euronext N.V. (July 13, 2006, involving French law); the letter regarding the offer by Adecco S.A. for DIS Deutscher Industrie Service AG (January 9, 2006, involving German law); the letter regarding the offer by Crucell N.V. for Shares of Berna Biotech AG (January 5, 2006, involving Swiss law); and the letter regarding Gas Natural SDG S.A’s proposed acquisition of Endesa S.A. (November 18, 2005, involving Spanish law). 35 See Goldman Request Letter, supra at note 31, p. 2. 36 Rule 14e-5(b)(12) does not incorporate all of the conditions set forth in the Goldman Letter. For example, the condition requiring voluntary compliance with the City Code has not been included in the rule. 37 Certain trading activities already permitted by Rule 14e-5(b) are: (i) Exercises of Securities (Rule 14e-5(b)(1)); Purchases as Intermediary (Rule 14e-5(b)(4)); Basket Transactions (Rule 14e-5(b)(5)); Covering Transactions (Rule 14e-5(b)(6)); and Purchases Pursuant to Contractual Obligations (Rule 14e-5(b)(7)). In addition, Rule 14e-5(b)(8) exempts
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III. No-Action Relief from Regulation M On August 2, 2007, the SEC granted no-action relief from Regulation M to Barclays plc in connection with its offer for ABN AMRO Holding N.V. (the “Barclays Letter”). Although the relief granted in the Barclays Letter did not constitute class relief, it is worth discussing here for a number of reasons. First, it represents a further example of the SEC’s efforts to accommodate cross-border transactions by deferring to the laws and regulations of nonU.S. regulatory regimes and the supervision by non-U.S. regulators.38 It is, however, also noteworthy because it was granted against the background of one of Europe’s fiercest high-profile takeover battles in 2007 and therefore raised particular sensitivities. At the time the relief was granted, ABN AMRO was subject to competing bids from Barclays and a consortium of banks (the “Consortium”) led by the Royal Bank of Scotland Group plc (“RBS”). While the Consortium’s offer consisted mainly of cash (approximately 93 %), Barclays’ offer consisted of a large stock component (approximately 63 %) and a considerably smaller cash component (approximately 37 %). Barclays intended to finance the cash component in part with the proceeds of a subscription for Barclays shares by affiliates of China Development Bank and Temasek Holdings (Private) Limited. While the larger part of these subscriptions was conditioned on the success of Barclays’ offer, approximately one-third was unconditional and according to statements made by Barclays not needed to finance the cash component of its offer. Instead, Barclays was planning to use the proceeds from the unconditional subscriptions to fund a share repurchase program aimed at protecting existing Barclays shareholders from the dilutive effects of the unconditional subscriptions and achieving the objective of a neutral impact on current Barclays shareholders. The implementation and the timing of this share repurchase program raised concerns against the backdrop of the competing bid situation. At the time of the announcement of the share repurchase program, the value of Barclays’ offer had declined rather significantly, due to a sharp decline in the market price of Barclays’ shares. Only a material rise in Barclays’ stock price could have made its offer more competitive, which provided considerable incentive for Barclays to support or raise the market price of its stock to facilitate its offer.39
purchases and arrangements to purchase by an affiliate of the dealer-manager and Rule 14e-5(b)(12) also exempts the activities of a financial advisor acting as an agent for a bidder. 38 The SEC stated in the Barclays Letter that it granted the relief partly in recognition of the global securities markets and to further accommodate cross-border offerings. 39 As a matter of fact, the price of Barclays’ shares did rise after the announcement of its share repurchase program.
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From a U.S. legal perspective, without relief from the SEC, the share purchase program would have been in violation of Regulation M. Regulation M under the Exchange Act is designed to prevent manipulative conduct in connection with offerings of securities, including as part of exchange offers or mergers. In the context of an M&A transaction, a bidder that is offering its securities as offer consideration, is prohibited, together with its affiliated purchasers, from simultaneously acquiring securities of the same class in the market. In the context of an offer, this restriction applies from the day the offering materials are first disseminated to security holders until the expiration of the offer. As the SEC declined to adopt an exemption from Regulation M as part of the Cross-Border Rules, this restriction applies whether or not a cross-border transaction qualifies for the registration exemption under Rule 802 or the Tier I or Tier II exemptions from the U.S. tender offer rules.40 As a result of its offer for ABN AMRO, Barclays was engaged in a distribution of its securities and therefore subject to Rule 102 of Regulation M, the rule covering the activities of issuers. The SEC granted the requested no-action relief allowing Barclays to implement its share repurchase program during the restricted period imposed by Regulation M. It appears that the staff of the SEC became comfortable that there were sufficient safeguards in place to prevent any manipulative conduct or effect on the price of Barclays’ shares, taking into consideration a number of factors and imposing the conditions set forth below. First, the SEC saw the offer and the share repurchase program as essentially European transactions that were closely governed and monitored by a European regulatory regime that has laws and regulations that provide important safeguards to prevent the kinds of abuses that Regulation M is designed to address – thereby justifying deference to the laws and regulations of the relevant European jurisdictions.41 This was underscored by the fact that trading on the London Stock Exchange, where all the repurchases were to be conducted, accounted for approximately 95.56 % of the worldwide average daily trading volume in the Barclays shares, while only 3.51 % of Barclays shares, including American Depositary Shares (“ADSs”) representing Barclays shares, were held of record by U.S. holders. Therefore, although technically the Cross-Border Rules do not extend to Regulation M, the SEC clearly considered the level of U.S. ownership as one of the decisive factors in granting relief.
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See Cross-Border Release, supra at note 9, p. 13. The key legislation and regulation governing market activities and market conduct in the United Kingdom are the Financial Services and Markets Act 2000, the Criminal Justice Act 1993, the Code of Market Conduct, the EU Market Abuse Directive, the EU Stabilisation and Buybacks Regulation, the Listing Rules and the Disclosure and Transparency Rules of the U.K. Financial Services Authority. 41
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Secondly, Barclays shares were very actively traded, with a worldwide average daily trading volume of approximately 44.4 million shares, or approximately £ 306.0 million in value at the time, a fact that in itself should provide some protection against abuse. In the view of the SEC, it is very costly and difficult to manipulate highly liquid stock that is usually widely followed by the investment community and traded on markets with high levels of transparency and surveillance and it has therefore adopted an exemption from Regulation M for purchases of these kinds of securities by distribution participants, like underwriters or financial advisors.42 Although this exemption is not available to Barclays as the issuer of the securities, the difficulty to manipulate the price of actively-traded securities was presumably a factor considered by the SEC. To provide additional safeguards, the relief was granted subject to ten conditions, the most important of which are: – all repurchases must be made outside the U.S. – all repurchases must be effected by an independent third-party broker in accordance with applicable U.K. and Dutch requirements – a blackout period applies for at least ten trading days preceding the expiration of Barclays’ offer – aggregate and daily volume limitations and price limitations are imposed to minimize the impact on the market price of Barclays shares or otherwise facilitate its offer Given the specific purpose of the share repurchase program, the relief was not limited to ordinary course purchases.
IV. Recent U.S. Litigation In hostile or competitive cross-border M&A transactions, participants like to bring litigation in the U.S., as a defence strategy or to gain a tactical advantage. These plaintiffs choose to litigate in the U.S. because they perceive that U.S. securities laws might give them an advantage by providing discovery and relief which they have no reasonable expectation of obtaining in their home jurisdiction. Litigation in cross-border transactions raises particular issues. While U.S. courts have an interest in protecting U.S. security holders of foreign companies that are affected by the conduct of the transaction participants, this kind of litigation also implicates significant principles of international comity and the ability of the U.S. and foreign regulatory regimes to coexist.43 42 Anti-Manipulation Rules Concerning Securities Offers, Securities Act Release No. 7375 (December 18, 1996) (the “Regulation M Adopting Release”), pp. 35, 36. 43 See E.ON AG v. Acciona, S.A., 468 F. Supp. 2d 559.
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1. Endesa Litigation The litigation in connection with the contested bidding war for Endesa, S.A., Spain’s largest electricity supplier, has attracted widespread attention. Although numerous proceedings were initiated in Spain and the U.S. as well as the European Court of Justice, this article will focus on the lawsuit brought by E.ON AG in the U.S. alleging a violation of the U.S. tender offer rules 44. This litigation addressed for the first time the applicability of the U.S. tender offer rules in a cross-border transaction since the adoption of the substantial amendments thereto made by the Cross-Border Release and the Regulation M-A Release in 2000. Between 2005 and 2007, Endesa was subject to competing offers from Gas Natural SDG, S.A., Spain’s largest natural gas distributor, and Germany’s E.ON.45 Endesa’s ordinary shares were listed on the Spanish exchanges and ADSs representing Endesa shares were listed on the New York Stock Exchange. As a result, the bids of E.ON and Gas Natural were subject to both Spanish and U.S. law. The primary regulator of the transaction, however, was the Spanish Comision Nacional del Mercado de Valores (“CNMV”). In late September 2006, Spain’s construction and energy company Acciona, S.A. became Endesa’s largest shareholder by buying a 10 % stake in Endesa through an overnight buying program. Through financial intermediaries, including intermediaries in the U.S., Acciona contacted hundreds of Endesa shareholders, including shareholders in the U.S., through telephone, emails and the Bloomberg messaging system. Acciona offered these shareholders a fixed price that constituted a premium to the market price, on a first-come, first-served basis for at least 10 % of Endesa shares. The financial intermediary in the U.S. was instructed to focus on U.S. institutions and contacted approximately 100 of its U.S. clients. Overall, Acciona and its advisors secured commitments to sell 13.692 % of Endesa shares and directly acquired 10 %.46 Under Spanish law, the transaction was not considered a tender offer and not subject to Spanish takeover regulation. Spanish law at the time contained a bright-line test for tender offers based on percentage thresholds and required the acquisition of 25 % of a company’s shares in order to trigger the takeover regulation.
44 The lawsuit also claimed a violation of Regulation 13D, the U.S. beneficial ownership reporting obligations. 45 A combined offer from Enel Energy Europe S.r.l., Italy’s largest power company, and Spain’s construction and energy company, Acciona, S.A. was ultimately successful. 46 The additional 3.692 % were held by Banco Santander Central Hispano, S.A. for future transfer to Acciona under total return swap arrangements. Following the initial book-building process, Acciona’s position was increased to 20 % over the course of the next two weeks.
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In mid-October 2006, E.ON filed a law suit in the United States District Court for the Southern District of New York against Acciona’s attempt to capture a stake in Endesa, alleging that Acciona’s “reverse book-build” constituted an unconventional “tender offer” 47 under U.S. law 48 that was conducted using the means of U.S. interstate commerce without complying with the applicable U.S. tender offer rules.49 E.ON was seeking a rescission offer giving shareholders “after the fact” withdrawal rights and a forced vote by Acciona to vote its Endesa shares in the tender offer battle in proportion to the votes cast by the remaining Endesa shareholders. While the U.S. court affirmed its jurisdiction over the primarily foreign matter 50, it ruled that the transaction was not a “tender offer” under U.S. law. Due to the unconventional nature of the buying program, the court focused mainly on the purpose of the Williams Act and less on the conventional factors established by the Wellman test to determine whether the transaction constituted a tender offer. It put particular emphasis on the question whether the class of persons affected needed the protection of the Williams Act and concluded that Acciona’s purchases were from sophisticated institutional
47 The term “tender offer” is not defined by the U.S. tender offer rules. Under the so-called “Wellman” test, U.S. courts have, however, established eight factors that are indicative of a tender offer: (1) active and widespread solicitation of public shareholders; (2) solicitation made for a substantial percentage of the target’s stock; (3) offer at a premium to the prevailing market price; (4) terms are fixed rather than negotiable; (5) offer contingent on tender of a minimum number of shares; (6) offerees are subject to pressure to sell their stock; and (8) public announcement precedes or accompanies rapid accumulation of stock. It is not necessary for all factors to be present in order to find that a transaction constitutes a tender offer. 48 The U.S. tender offer regime is different from the Spanish regime and the regimes in most other countries in two important aspects. First, it regulates “tender offers”, i.e., the manner in which the purchases are made, and not “changes of control”. As a result, if a change of control is effected by means other than a tender offer, the U.S. tender offer rules do not apply. On the other hand, if a tender offer does not involve a change of control, the U.S. tender offer rules still apply. Secondly, the U.S. tender offer rules are triggered based upon the use of U.S. jurisdictional means, like the mail or communication facilities, to make the offer and are not limited to offers made for U.S. companies. 49 E.ON’s illegal tender offer claim was based on the following alleged factors: Acciona conducted an active and widespread solicitation of a large number of shareholders, offerees were not told key facts about Acciona’s offer, and offerees were pressured to sell their shares in that the offer to purchase was a firm offer made at a premium over the prevailing market price, was contingent on the tender of a fixed minimum number of shares, and was open for only a limited period of time. 50 Although the court felt that the litigation was a tactical skirmish in a European takeover battle, it expressed a strong interest in having a U.S. court interpret and apply new U.S. securities law claims. In confirming its subject matter jurisdiction though, the court noted an important distinction between the extraterritorial application of the antifraud provisions of the U.S. securities laws and other requirements, like the filing requirements of the U.S. tender offer rules, stating that the antifraud provisions have a broader extraterritorial reach.
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investors who were able to assess the risks and advantages of making their sales to an undisclosed buyer at a premium over the market price during the publicly disclosed takeover battle for Endesa. In addition, and maybe surprisingly so, it saw the solicitation of hundreds of investors as not so widespread or sufficiently public to be deemed a tender offer. The significance of the judgement, however, lay in the court’s sensitivity to the fact that the transaction was a primarily European transaction with the consequence that it clearly did not want the application of the U.S. rules to be dispositive. Although the court stated that the U.S. tender offer rules conceivably could be applied to the predominantly foreign stock buying program, it cautioned against defining “tender offer” too broadly in the context of a cross-border transaction.51 The court also looked for guidance to the Cross-Border Release and found significant evidence that the SEC did not intend a broad or sweeping definition of a tender offer for the securities of a foreign private issuer. Instead, the court found that the regulations appear to assume that cross-border tender offers are those that fit comfortably within the traditional definition of a tender offer, and would be recognized as such both in the U.S. and in the issuer’s home jurisdiction and that the regulations further recognize that the tender offer process may be competently and appropriately managed by the home jurisdiction. The court was clearly guided by the SEC’s reasoning behind the Cross-Border Release when, in reaching its conclusion, it focused strongly on the legality of Acciona’s block trade as an extraordinary transaction under Spanish law that did not trigger the application of the Spanish takeover regulations. In particular, the court stated that “there is a risk of creating unnecessary conflict between the American and Spanish regulatory systems if American law is not applied with sensitivity to the issues of international comity”. The decision in the E.ON litigation is clearly consistent with the SEC’s policy towards cross-border transactions that has been expressed in the Cross-Border Release and the recent exemptive and no-action positions discussed in this article. The question remains, however, whether the decision has bigger implications going forward. Should this deference to the Spanish regulatory system and the supervision of the CNMV be read as fact specific 51 The court found this particularly true where only the application of the filing requirements of the U.S. tender offer rules was concerned when it stated: “while the broad and remedial interpretation of the Williams Act may create no problems insofar as the antifraud provisions are concerned, it is unlikely that Congress intended “tender offer” to be so broadly interpreted as to make the provisions regulating the management of the tender offer unworkable. This caution is particularly warranted in the context of a cross-border buying program, where a foreign buyer may be acting in compliance with the laws of its own jurisdiction and the home jurisdiction of the issuer and unwittingly run afoul of a broadly interpreted tender offer rule in the U.S.” E.ON AG v. Acciona, S.A., 468 F. Supp. 2d 559, p. 24.
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and limited to the case at hand or should we infer a broader statement that U.S. courts will not provide support to plaintiffs, including conceivably even the SEC, for the application of U.S. laws and regulations that are more restrictive than the primary non-U.S. regulatory regime?
2. Converium Litigation In April 2007, another lawsuit was brought in the United States District Court for the Southern District of New York that addressed the applicability of the U.S. tender offer rules 52 in a cross-border context, this time in connection with an offer from which U.S. shareholders were excluded. Scor, S.A., a French reinsurance company, made an unsolicited takeover offer for Converium Holding AG, a Swiss reinsurance company, offering both cash and Scor shares as consideration. Converium’s shares were listed on the SWX Swiss Exchange and ADSs representing Converium shares were listed on the New York Stock Exchange. Over 10 % of the outstanding Converium shares were held by U.S. residents, meaning the Tier I and Rule 802 exemptions were not available, and therefore Scor decided to exclude U.S. holders of Converium shares and all holders of Converium ADSs from the offer. Converium brought litigation in the U.S. alleging that Scor’s exclusion of U.S. holders violated the U.S. tender offer rules. As factors triggering their applicability, Converium cited, among others, the fact that the offer had attracted widespread media coverage in the United States and that Scor had openly admitted that U.S. holders may indirectly avail themselves of the offer.53 The latter point made reference to a submission on behalf of Scor to the Swiss Takeover Board in response to their query whether Scor’s exclusion of U.S. holders was potentially inconsistent with the Swiss “equal treatment” rule. In its submission, Scor’s U.S. attorneys stated that “exclusion” would not prevent U.S. holders from participating in Scor’s offer. An exclusionary offer is based on the premise that in order for the U.S. tender offer rules to be applicable, a bidder must use U.S. jurisdictional means, i.e., the mail services or other means of communication or instrument of interstate commerce (including fax, telephone, email or access to websites from the U.S.) of the United States or the services of a U.S. securities exchange to make the offer. In order to avoid employing U.S. jurisdictional means, a bidder therefore must adhere to stringent communications and publicity 52 The lawsuit also claimed a violation of Regulation 13D, the U.S. beneficial ownership reporting obligations. Although the U.S. registration requirements were equally implicated through the offer of Scor stock as consideration, the lawsuit did not include a claim under the Securities Act. 53 Complaint in Converium Holding AG vs Scor S.A. and Patinex AG, dated April 16, 2007, p. 2.
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restrictions relating to the offer in the U.S. and needs to take steps to ensure that U.S. persons are not targeted by the offer and to prevent general participation in the offer by U.S. persons. Media coverage of the offer in the U.S. that is not due to the conduct of the bidder is generally not sufficient to trigger the applicability of the U.S. tender offer rules. Neither should be the fact that some U.S. investors may find a way to tender their shares into the offer through European nominees or other means, as long as the bidder has taken all the necessary precautions not to solicit these U.S. holders and has carefully ensured that neither its actions nor statements induce U.S. investors to find a means to participate in the offer. Converium’s lawsuit appears to be yet another example where litigation in the U.S. has been used for strategic purposes, here as part of its defense against Scor’s unsolicited offer, presumably with the goal of providing Converium with additional time to build its defense and strengthening its negotiating position. The litigation was ultimately settled, the parties agreed to a friendly transaction with an increased cash component of the consideration and Scor concluded the offer successfully, while still excluding Converium’s U.S. holders and ADS holders. What is the future of exclusionary offers in a global regulatory environment that strives for harmonization of regulatory regimes and integration of the world’s capital markets, and will the Converium litigation have any impact? On the one hand, it could be argued that the example of Scor’s successful exclusionary offer that, particularly because of the related litigation, was highly publicized, will lead to a renewed increase in the use of exclusionary offers. On the other hand, the adoption of the Cross-Border Rules and the subsequent Amendments as well as the ongoing efforts by the SEC to minimize conflicts between the U.S. and non-U.S. regulatory regimes should make compliance with the U.S. rules less burdensome and lead to a more frequent inclusion of U.S. holders. Increased harmonization may also eventually prompt non-U.S. regulators to refuse giving exemptions from the “equal treatment” requirement that is or will likely become a cornerstone in most non-U.S. regulatory regimes, thereby effectively banning exclusionary offers.54
54 The SEC emphasizes that it continues to encourage its fellow international securities and takeover regulators to minimize the ability of bidders to exclude U.S. holders from tender and exchange offers. At the same time, the SEC stresses its view that exclusionary offers are inappropriate for bidders that are U.S. companies and announces that in the future, it will more closely monitor exclusionary offers, in particular for securities that are registered in the U.S., to determine whether SEC action is necessary to protect U.S. holders. In addition, the SEC expressed its view that were a foreign all-holders requirement does not permit a bidder to reject tenders from U.S. holders and does not permit statements that the offer may not be accepted by U.S. holders, it may not be possible for the bidder to structure a proper exclusionary offer. See statements made by the SEC in the releases supra notes 14 and 15.
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V. Conclusion The Cross-Border Release, the Amendments and related regulatory actions are part of a larger initiative by the SEC on international matters. Other areas were significant changes have been made are the admission of International Financial Reporting Standards for the preparation of SEC financial statements by non-U.S. companies and the simplification of the deregistration process. Important future initiatives include the mutual recognition of the registration of broker-dealers and exchanges from selected jurisdictions and the employment of a standard data format by companies and markets for sharing financial statements and other information important to investors. According to the Chairman of the SEC Christopher Cox, the pace of events in the world’s capital markets over the last few years has made the rational integration of markets, and hence global regulatory cooperation, the most pressing issue for both investor protection and healthy capital formation in the early 21st century. There is a growing demand by investors for global markets that reflects the fact that both individuals and companies today have the technological capability and market opportunity to raise and invest capital beyond their geographic boundaries.55 These ongoing developments make the regulatory harmonization process not only desirable, but necessary.
55
See Christopher Cox supra at note 17.
Die Mitbestimmung unter europäischen Gesichtspunkten, insbesondere unter Berücksichtigung der europäischen Gesellschaft (SE) Hans Diekmann
Der Beitrag untersucht, inwieweit durch europäisches Recht die deutsche unternehmerische Mitbestimmung nicht mehr zur Anwendung kommt. Im Vordergrund steht dabei die SE als eine seit 2004 verfügbare Rechtsform. Für die SE sind das Mitbestimmungsgesetz 1976 (MitbestG 1976) sowie das Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG) nicht anwendbar. Stattdessen ist die Mitbestimmung zu vereinbaren; bei Scheitern einer Vereinbarung gilt die gesetzliche Auffangregelung.
I. Einleitung In Deutschland gibt es eine unternehmerische Mitbestimmung seit den 50er Jahren. Eckpfeiler dieser Mitbestimmung sind die Montanmitbestimmung von 1951, die Mitbestimmung mit einem paritätisch besetzten Aufsichtsrat für Unternehmen mit mehr als 2000 inländischen Arbeitnehmern (§§ 1, 7 MitbestG 1976) sowie die so genannte Drittelmitbestimmung, das heißt ein Drittel der Mitglieder im Aufsichtsrat wird von den Arbeitnehmern gestellt (§§ 1, 4 DrittelbG: Unternehmen mit weniger als 2000, aber mehr als 500 inländischen Arbeitnehmern). Außerhalb Deutschlands gibt es in Europa Mitbestimmung von Arbeitnehmern in Gesellschaftsorganen in Österreich, Slowenien, Tschechien, der Slowakei und Ungarn 1. Darüber hinaus in monistisch geprägten Gesellschaften mit nur einem Verwaltungsrat (statt Aufsichtsrat und Vorstand) in Luxemburg, Schweden, Dänemark und Finnland 2. Aber nur in Deutschland – wenn man im Übrigen von der Montanmitbestimmung von 1951 absieht – reicht die Mitbestimmung bis zur paritätischen, d.h. mit einem jeweils zur Hälfte durch Arbeitnehmer und Anteilseignervertreter besetzten Aufsichtsrat. Über eine Drittel-Beteiligung von Arbeit1 2
BDA/BDI (Hrsg.), Bericht der Kommission Mitbestimmung, Berlin 2004, S. 11 ff. BDA/BDI (Hrsg.), Bericht der Kommission Mitbestimmung, Berlin 2004, S. 12 f.
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nehmern in Gesellschaftsorganen geht in anderen europäischen Ländern die Mitbestimmung in der Regel nicht hinaus 3.
II. Überprüfung der deutschen Mitbestimmungsregeln Die deutschen Mitbestimmungsregeln sind – wenn man insbesondere auf das MitbestG 1976 abstellt – mehr als 30 Jahre alt. Vor dem Hintergrund sich verändernder interner Strukturen der Unternehmen, wie auch der ökonomischen Rahmenbedingungen im Zuge der Globalisierung, wurden die Mitbestimmungsregeln in Deutschland in den letzten Jahren auf den Prüfstand gestellt. Beispielhaft seien hier die Böckler- und Bertelsmann-Stiftungen zu nennen, die in Zusammenarbeit mit dem Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung im Jahre 1998 4 zu dem Ergebnis kamen5: „weder die traditionelle deutsche Unterscheidung zwischen Aufsichtsrat und Vorstand, noch die Mitbestimmung der Arbeitnehmer auf Unternehmensebene stehen, wie zahlreiche Beispiele zeigen, dem Erfolg eines Unternehmens im Wege. Deutsche Aufsichtsräte sind im Durchschnitt nicht weniger kompetent als Unternehmensorgane in Ländern ohne Mitbestimmung. (…) Eine Notwendigkeit zur Neuregelung der Mitbestimmung um die Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats willen besteht nicht.“ Weiter ist das Berliner Netzwerk Corporate Governance aus dem Jahre 2003 anzuführen. Dies kam im Wesentlichen zu dem Ergebnis, dass das deutsche Mitbestimmungsmodell sich überlebt habe, die Überwachungseffizienz des Aufsichtsrats notleidend sei, und insbesondere ausländische Belegschaften nicht ausreichend repräsentiert seien. Stattdessen wurde die Einrichtung eines Konsultationsrats vorgeschlagen, der durch umfassende Informations- und Beratungsrechte (ohne Veto-Befugnis) die Arbeitnehmerinteressen auf Konzernebene gegenüber der Unternehmensführung geltend macht 6. Ähnliche Vorschläge wurden durch eine gemeinsame Kommission von BDA und BDI im Jahr 2004 gemacht. Die Mitbestimmung solle zunächst verhandelt werden (so genannte Verhandlungslösung) und im Falle des Scheiterns der Verhandlungen solle eine gesetzliche Auffangregelung greifen 7. 3
BDA/BDI (Hrsg.), Bericht der Kommission Mitbestimmung, Berlin 2004, S. 12. Bertelsmann-Stiftung/Hans-Böckler-Stiftung (Hrsg.), Mitbestimmung und neue Unternehmenskulturen – Bilanz und Perspektiven (Bericht der Kommission Mitbestimmung, 1998). 5 Bertelsmann-Stiftung/Hans-Böckler-Stiftung (Hrsg.), Mitbestimmung und neue Unternehmenskulturen – Bilanz und Perspektiven (Bericht der Kommission Mitbestimmung, 1998), S. 17, 101. 6 Berlin Center of Corporate Governance (Hrsg.), Modernisierung der Mitbestimmung, Berlin 2003, S. 26 ff.; vgl. die Thesen in AG 2004, 200. 7 BDA/BDI (Hrsg.), Bericht der Kommission Mitbestimmung, Berlin 2004, S. 33 ff., 39 ff. 4
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Schließlich gab es die sogenannte Biedenkopf-II-Kommission. Die Zielsetzung für diese im Jahre 2005 durch die damalige Bundesregierung eingesetzte Kommission lautete 8: „Aufgabe der eingesetzten Regierungskommission unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Biedenkopf ist es, ausgehend vom geltenden Recht bis Ende 2006 Vorschläge für eine moderne und Europa-taugliche Weiterentwicklung der deutschen Unternehmensmitbestimmung zu erarbeiten. Wir werden die – einvernehmlich erzielten – Ergebnisse der Kommission aufgreifen und, soweit erforderlich und geboten, Anpassungen der nationalen Unternehmensmitbestimmung vornehmen.“ Die Kommission war neben dem Vorsitzenden Biedenkopf mit je drei Vertretern der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite sowie mit zwei neutralen wissenschaftlichen Mitgliedern besetzt. Anfang November 2006 erklärten die Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretungen der Kommission die Verhandlungen für gescheitert, da zwischen beiden Gruppen unüberwindbare Differenzen bestanden, insbesondere in der Frage der paritätischen Besetzung von Aufsichtsräten. Während die Arbeitnehmervertreter in der Kommission daran festhalten wollten, forderten die Arbeitgebervertreter eine Beteiligung, bei der die Arbeitnehmer nur noch ein Drittel der Aufsichtsräte besetzt hätten. Der Kommissionsvorsitzende Biedenkopf sowie die beiden neutralen wissenschaftlichen Mitglieder legten deshalb im Dezember 2006 einen „Bericht der wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission“ vor, dem lediglich Stellungnahmen der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmervertreter beigefügt sind 9. Ferner hat sich der Deutsche Juristentag vor dem Hintergrund europarechtlicher Entwicklungen im September 2006 der Unternehmensmitbestimmung gewidmet 10. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die rechtspolitische Diskussion in Deutschland bisher nicht zu wesentlichen Änderungen im Rahmen der Unternehmensmitbestimmung geführt hat. Dem ist entgegenzusetzen, dass deutsche – auch mittelständische Unternehmen – ihre Globalisierung vorantreiben. Oft ist bereits jetzt die Mehrzahl der Arbeitnehmer nicht mehr in 8 Wortgleich übernommen in: Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD, S. 38, einsehbar auf den Internetseiten der Parteien. 9 Kommission zur Modernisierung der deutschen Unternehmensmitbestimmung, Bericht der wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission mit Stellungnahmen der Vertreter der Unternehmen und der Vertreter der Arbeitnehmer, 2006; abrufbar unter http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2001-2006/2006/12/Anlagen/200612-20-mitbestimmungskommission,property=publicationFile.pdf 10 Vgl. das zugrunde liegende Gutachten von Raiser, Unternehmensmitbestimmung vor dem Hintergrund europarechtlichter Entwicklungen, in: Verhandlungen des 66. DJT 2006, I/B.
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Deutschland, sondern in der Europäischen Union bzw. in anderen Ländern außerhalb Deutschlands beschäftigt. Auch ist zu konstatieren, dass Gremien mit 20 Mitgliedern, aus denen ein Aufsichtsrat einer deutschen Gesellschaft mit mehr als 20.000 inländischen Arbeitnehmern zu bestehen hat, zu groß sein können. Eine effektive, i.S. der Gesellschaft zu führende Behandlung der Gegenstände ist eher in kleineren Gremien zu gewährleisten. Im Übrigen ist nicht zu verkennen, dass Unternehmen, die aufgrund der steigenden Anzahl inländischer Beschäftigter an der Schwelle zur Beteiligung von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat bzw. auch zur ggf. zukünftigen paritätischen Beteiligung von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat stehen, nach Wegen suchen, dies zu vermeiden. Vor diesem Hintergrund sind die inzwischen durch das europäische Recht gegebenen Gestaltungsmöglichkeiten zu untersuchen.
III. Europäische Gesellschaft (Societas Europaea, SE) als Gestaltungsform zur Mitbestimmung 1. Überblick Nach langer Vorbereitungszeit gibt es seit Oktober 2004 die Rechtsverordnung zur Schaffung einer SE (SE-VO) 11. Diese Rechtsverordnung erlaubt unter anderem die grenzüberschreitende Verschmelzung mit Formwechsel in eine SE (Art. 2 I SE-VO). Auch können sich Aktiengesellschaften in eine SE (Art. 2 IV SE-VO) umwandeln 12. Die Corporate Governance einer SE entspricht im Wesentlichen der Corporate Governance einer Aktiengesellschaft im Sitzland der SE; eine SE mit Sitz in Deutschland folgt daher im Wesentlichen den Regeln einer deutschen Aktiengesellschaft (vgl. Art. 3 I SE-VO). Allerdings ermöglicht die SE erstmals in Deutschland, neben dem ansonsten in Deutschland nur möglichen two tier-System mit Aufsichtsrat und Vorstand, auch ein so genanntes one tierSystem mit einem Verwaltungsrat einzuführen (Art. 38b SE-VO).
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Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABlEG vom 10.11.2001 Nr. L 294, S. 1. 12 Die erste wohl bekannteste Umwandlung in eine SE nahm die Allianz AG im Rahmen der Verschmelzung ihrer italienischen Tochter Riunione Adriatica di Sicurtà Società per Azioni (RAS) vor. Andere große Gesellschaften (wie BASF, Fresenius und Porsche) und auch weitere Gesellschaften, u.a. Interseroh, Klöckner, MAN Diesel SE, Mensch und Maschine SE, haben die Rechtsform einer SE angenommen bzw. sind dabei, sich in eine SE umzuwandeln. Dabei ist festzustellen, dass die großen Gesellschaften wie Allianz SE, BASF SE sowie Fresenius SE unter Beibehaltung der paritätischen Besetzung des Aufsichtsrats die Zahl der Mitglieder im Aufsichtsrat jedoch von 20 auf 12 reduziert bzw. festgeschrieben haben.
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Die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE richtet sich nach dem SEBG 13, das die europäische Beteiligungsrichtlinie (SE-RL) 14 umsetzt. Das MitbestG 1976 sowie das DrittelbG sind daher auf eine SE nicht anwendbar. Die Arbeitnehmerbeteiligung ist stattdessen mit dem Ziel zu verhandeln, eine Vereinbarung über die Arbeitnehmerbeteiligung zu erreichen (siehe dazu unten Ziffer 2). Sofern es dazu nicht kommt, gilt die so genannte gesetzliche Auffangregelung 15 (siehe dazu unten Ziffer 3). Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Mitbestimmung sich nach der Gründung der SE verändern kann (siehe dazu unten Ziffer 4). Schließlich ist auf das Missbrauchsverbot (siehe dazu unten Ziffer 6) einzugehen und der in der Praxis eingeschlagene Weg der Vorrats-SE zu erläutern (siehe dazu unten Ziffer 6).
2. Vereinbarung über die Arbeitnehmerbeteiligung Die Verhandlungen über die Arbeitnehmerbeteiligung erfolgen zwischen der Unternehmensleitung bzw. – sofern mehrere Gesellschaften betroffen sind – den Unternehmensleitungen und einem von den Arbeitnehmern zu bildenden besonderen Verhandlungsgremium (BVG). a) Bildung des besonderen Verhandlungsgremiums (BVG) Das BVG besteht grundsätzlich aus Vertretern der beteiligten Unternehmen aus allen Ländern der Europäischen Union (EU) sowie des europäischen Wirtschaftsraums (EWR), in denen die beteiligten Unternehmen Arbeitnehmer beschäftigen. Es wird grundsätzlich in einem zweistufigen Verfahren gebildet. Zunächst haben die Unternehmensleitungen der beteiligten Gesellschaften über die Bildung eines BVG zu unterrichten (§ 4 SEBG). Diese Information hat gegenüber den Arbeitnehmervertretungen und – sofern diese nicht bestehen – gegenüber den Arbeitnehmern zu erfolgen (§ 4 II SEBG). Die Information hat die Konzernstruktur der an der Gründung beteiligten Unternehmen aufzuzeigen, die Arbeitnehmervertretungen in den Ländern der EU und des EWR zu nennen und die Zahl der in den Gesellschaften beschäftigten Arbeitnehmer, die daraus zu errechnende Gesamtzahl, der in einem Mitgliedstaat beschäftigten Arbeitnehmer sowie die Zahl der
13 Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer europäischen Gesellschaft, Art. 2 des Gesetzes zur Einführung der Europäischen Gesellschaft vom 22. Dezember 2004, BGBl. 2004 Teil I Nr. 73, S. 3675 (3686). 14 Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 8. Oktober 2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer, ABlEG vom 10.11.2001 Nr. L 294, S. 22. 15 Zu einer Verhandlung mit einer gesetzlichen Auffangregelung siehe auch schon oben Vorschlag des BDA/BDI.
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Arbeitnehmer, denen Mitbestimmungsrechte in Organen dieser Gesellschaften zustehen, anzugeben (§ 4 III SEBG). Die Zusammenstellung dieser Daten, wie auch die Durchführung der Information in den verschiedenen beteiligten Ländern kann mühsam und zeitaufwendig sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn einzelne Arbeitnehmer nicht durch Arbeitnehmervertretungen repräsentiert werden und daher selbst zu informieren sind. Nach erfolgter Information haben die Belegschaften der Mitgliedstaaten ihre Vertreter in das BVG zu wählen. Dies richtet sich nach den lokalen Vorschriften und hat innerhalb von 10 Wochen nach der Unterrichtung zu erfolgen (vgl. § 11 I 1 SEBG). Dabei hat jedes Land, in dem eine an der Gründung der SE beteiligte Gesellschaft Arbeitnehmer beschäftigt, das Recht, grundsätzlich für jede angefangenen 10 % der Gesamtzahl der zu berücksichtigenden Beschäftigten je ein Mitglied in das BVG zu wählen (§ 5 I SEBG). Sofern es daher in einem Land der EU oder des EWR nur EINEN Beschäftigten gibt, hat auch dieses Land das Recht, ein Mitglied zu stellen; es sei denn, der bzw. die betroffenen Arbeitnehmer verzichten hierauf. Sofern es in Deutschland einen Konzernbetriebsrat für das an der Gründung der SE beteiligte Unternehmen gibt, bildet dieser das Wahlgremium, das wiederum die deutschen Vertreter für das BVG bestimmt (vgl. § 8 III, V SEBG). Ansonsten werden die Vertreter von dem Gesamtbetriebsrat bzw. dem Betriebsrat bestimmt (vgl. § 8 III SEBG). Nur wenn keine Arbeitnehmervertretungen bestehen, findet eine Urwahl statt (vgl. § 8 VII SEBG). Jedes dritte Mitglied der deutschen Vertreter im BVG ist ein Vertreter einer Gewerkschaft (§ 6 III SEBG), jedes siebte Mitglied ist ein leitender Angestellter (§ 6 IV SEBG). b) Inhalt einer Vereinbarung insbesondere hinsichtlich der Mitbestimmung Nach grundsätzlich bis zu sechsmonatigen Verhandlungen, die einvernehmlich um weitere sechs Monate verlängert werden können (vgl. § 20 I 1, II SEBG), soll es zu einer Vereinbarung über die Arbeitnehmerbeteiligung kommen. Bestandteil dieser Vereinbarung sind u.a. die Zusammensetzung eines zu bildenden SE-Betriebsrats (vgl. § 21 I SEBG) oder – wenn kein SEBetriebsrat gebildet wird – die Durchführungsmodalitäten des Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung (vgl. § 21 II SEBG) und – soweit einschlägig – die Mitbestimmung (vgl. § 21 III SEBG). aa. Allgemeiner Inhalt Im Rahmen der Mitbestimmung ist insbesondere die Zahl der Mitglieder des Aufsichts- bzw. (im Falle einer monistischen Struktur) des Verwaltungsorgans der SE, welche die Arbeitnehmer wählen oder bestellen können, sowie das Verfahren, nach dem die Arbeitnehmer diese Mitglieder wählen und
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bestellen können, festzulegen (§ 23 III SEBG). Hierbei kann grundsätzlich vereinbart werden, dass eine bereits bestehende unternehmerische Mitbestimmung beendet wird. Allerdings ist dies bei Gründung einer SE durch Umwandlung einer Aktiengesellschaft nicht möglich (anders dagegen im Rahmen einer grenzüberschreitenden Verschmelzung). Denn im Rahmen einer Umwandlung muss in Bezug auf alle Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung zumindest das gleiche Ausmaß gewährleistet werden, das in der Gesellschaft besteht, die in eine SE umgewandelt werden soll (§ 21 VI SEBG). Dies betrifft jedoch nicht die ANZAHL der Mitglieder der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsorgan bzw. im Verwaltungsrat, sondern nur die Qualität der Mitbestimmung. D.h. eine Gesellschaft mit einem paritätisch besetzten Aufsichtsrat hat auch nach Umwandlung in eine SE einen paritätisch zu besetzenden Aufsichts- bzw. Verwaltungsrat, jedoch kann das Gremium verkleinert werden, so dass der Aufsichtsrat der SE weniger Mitglieder hat als der bisherige Aufsichtsrat der AG 16. bb. Anzahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichts- bzw. Verwaltungsrat Grundsätzlich steht dem BVG ein weiter Gestaltungsspielraum zu, wobei die Mitgliederzahl im Aufsichts- bzw. Verwaltungsrat durch die Satzung zu bestimmen ist. Denn dies ist Teil der Selbstorganisationsautonomie der Organe und daher einer Vereinbarung nicht zugänglich 17. Dem wird entgegen gehalten, dass § 21 III 2 Nr. 1 SEBG ausdrücklich ermögliche, die Zahl der Mitglieder des Aufsichtsrats in der Vereinbarung zu nennen. Darüber hinaus ergebe sich aus den §§ 22 I Nr. 1, 21 V SEBG, dass das BVG auch eine Abrede über den Anteil der Arbeitnehmervertreter an den Sitzen im Aufsichtsrat treffen könne. Daher soll in einer Vereinbarung über die Arbeitnehmerbeteiligung abweichend von der Satzung der SE die Organgröße festgelegt werden können 18. Dies wird auch aus § 17 II SEBG gefolgert, der im Rahmen der Zusammensetzung des Aufsichtsrats bestimmt, dass die Beteiligung der Arbeitnehmer nach dem SE-Beteiligungsgesetz unberührt bleibt 19. Die Satzungsautonomie, auf die die Art. 40 III, 43 II SE-VO
16 So ist dies beispielsweise bei der Allianz SE sowie der BASF SE geschehen. Bei der Fresenius SE ist die Größe von bisher schon 12 Mitgliedern im Aufsichtsrat der Fresenius AG bei der Fresenius SE mit ebenfalls 12 Mitgliedern festgeschrieben worden. 17 Habersack, AG 2006, 345 ff. 18 Oetker, ZIP 2006, 1113 (1115); für eine indirekte Beeinflussung der Gesamtgröße durch die Zahl der Arbeitnehmervertreter wohl auch Hennings, in: Manz/Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft SE, 2005, Art. 4 SE-RL Rdnr. 28; für weitgehend freie Bestimmbarkeit ebenfalls Seibt, AG 2005, 413 (422 f.). 19 Schwarz, Kommentar zur Europäischen Gesellschaft (SE), 2006, Art. 40 SE-VO Rdnr. 82; zweifelnd Krause, BB 2005, 1221 (1226).
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verweisen, stehe dem nicht entgegen, da Art. 12 IV SE-VO der Vereinbarung den Vorrang einräume 20. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass die Größe des Aufsichtsrats mit einer durch 2 oder 3 teilbaren Zahl in der Satzung festzuschreiben ist (vgl. Art. 40 III, 43 II SEVO, § 17 I SEAG). Der Wortlaut des Art. 40 III 1 SE-VO ist eindeutig 21. Es ist nicht ersichtlich, dass im Rahmen der Verhandlungen über die Arbeitnehmerbeteiligung direkt oder indirekt über die Größe des Aufsichtsgremiums entschieden und somit in die Satzungsautonomie der Hauptversammlung eingegriffen werden könnte 22. Sowohl die SE-RL als auch das SEBG sprechen bezüglich der Mitbestimmung immer nur von einem „Teil der Mitglieder des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans“ (Art. 2 lit. k) SE-RL, § 2 XII SEBG, § 21 III 2 Nr. 1 SEBG). Ihr Regelungsgegenstand bezieht sich daher von vornherein nicht auf das Gesamtorgan 23. Etwas anderes lässt sich auch nicht aus Art. 4 II lit. g) SE-RL bzw. § 21 III 2 Nr. 1 SEBG entnehmen, wo von der „Zahl der Arbeitnehmervertreter“ die Rede ist. Diese Vorschriften sagen nichts darüber aus, in welchem Referenzrahmen sich die Vereinbarung bewegen muss. Ohne eine Bezugsgröße könnte darüber hinaus theoretisch eine beliebig hohe Zahl von Arbeitnehmervertretern vereinbart werden. Die Vorschriften gehen daher stillschweigend davon aus, dass die Satzungsbestimmung den Rahmen vorgibt, innerhalb dessen die Zahl der Arbeitnehmervertreter festgelegt werden kann 24. Dem steht auch nicht die Regelung entgegen, dass Vereinbarung und Satzung nicht abweichen dürfen und die Satzung – soweit erforderlich – zu ändern ist (Art. 12 IV SE-VO) 25. Denn diese Regelung setzt voraus, dass sich die Vereinbarung innerhalb der Vertragsautonomie bewegt 26. Dafür spricht auch, dass die Vereinbarung nicht als Rechtsquelle der SE in Art. 9 SE-VO aufgeführt ist, so dass die Vereinbarung nur in Verbindung mit der Satzung normative Wirkung entfalten kann 27. Demnach ist es den Leitungen der beteiligten Gesellschaften und dem BVG verwehrt, die Zahl der Mitglieder des Aufsichtsorgans abweichend von der Regelung in der Satzung festzusetzen. Unabhängig von der Frage der Anzahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichts- bzw. Verwaltungsrat werden sich die Verhandlungen im Ergebnis 20
Schwarz (o. Fußn. 19), Einleitung Rdnr. 288; zweifelnd Krause, BB 2005, 1221 (1226). Reichert/Brandes, in: MünchKomm-AktG, IX/2, 2. Aufl. (2006), Art. 40 SE-VO Rdnr. 70. 22 Reichert/Brandes, in: MünchKomm-AktG (o. Fußn. 21), Art. 40 SE-VO Rdnr. 70. 23 Habersack, AG 2006, 345 (351). 24 Habersack, AG 2006, 345 (352), insbesondere auch Fußn. 50; a.A. Oetker, ZIP 2006, 1113 (1115). 25 Reichert/Brandes, in: MünchKomm-AktG (o. Fußn. 21), Art. 40 SE-VO Rdnr. 70; zustimmend Oetker, ZIP 2006, 1113 (1116). 26 Reichert/Brandes, in: MünchKomm-AktG (o. Fußn. 21), Art. 40 SE-VO Rdnr. 70. 27 Habersack, AG 2006, 345 (348). 21
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jedoch in den weit überwiegenden Fällen an der gesetzlichen Auffangregelung orientieren, so dass es zu einer Vereinbarung kommt, die mehr oder weniger die gesetzliche Auffangregelung abbildet.
3. Gesetzliche Auffangregelung im Hinblick auf die Mitbestimmung Zur gesetzlichen Auffangregelung kommt es, sofern die Parteien dies vereinbaren oder nach Ablauf der grundsätzlich sechsmonatigen Verhandlungsfrist eine Vereinbarung nicht abgeschlossen ist (vgl. § 22 I SEBG, ggfs. i.V.m. § 34 I SEBG). Hat das BVG beschlossen, die Verhandlungen nicht aufzunehmen oder sie abzubrechen (vgl. § 16 SEBG), ist die gesetzliche Auffangregelung nicht anzuwenden (vgl. §§ 16 II, 22 I Nr. 2 SEBG). Dadurch kann es zu einer „Null-Lösung“ bei der unternehmerischen Mitbestimmung kommen; die SE bleibt dann mitbestimmungsfrei 28. Ein solcher Beschluss ist bei einer Gründung durch Umwandlung jedoch ausgeschlossen (vgl. § 16 III SEBG). Im Rahmen der gesetzlichen Auffangregelung ist – neben der Mitbestimmung – ein SE-Betriebsrat zu bilden (§§ 22 ff. SEBG), dem Anhörungs- und Konsultationsrechte zustehen (vgl. §§ 27 ff. SEBG). a) Grundsatz der Übernahme des bestehenden Mitbestimmungsstatuts Grundsätzlich gilt im Rahmen der gesetzlichen Auffangregelung, dass das bestehende Mitbestimmungsstatut „eingefroren“ oder „zementiert“ wird. Dabei ist – wie oben ausgeführt – im Rahmen der Umwandlung das bestehende Mitbestimmungsstatut zu übernehmen (vgl. § 21 VI SEBG). In den übrigen Gründungsvarianten (insbesondere im Rahmen der Verschmelzung) müssen bestimmte Arbeitnehmerquoren erreicht werden, die zuvor einer Mitbestimmung unterliegen, um zu einer Mitbestimmung zu kommen (vgl. § 34 I Nr. 2 und 3 SEBG). Dabei gilt grundsätzlich, dass eine kleine Gesellschaft ihre Mitbestimmung nicht der qualifizierten Mehrheit der übrigen Arbeitnehmer der SE aufzwingen kann. Im Übrigen gilt die Form der Mitbestimmung, die sich auf die höchste Zahl der in den beteiligten Gesellschaften beschäftigen Arbeitnehmer erstreckt, wobei es nicht auf den Sitz der SE ankommt (vgl. § 35 II SEBG). Dementsprechend sind folgende Grundsätze festzuhalten: • Bestehen in keiner der an der Gründung der SE beteiligten Gesellschaften Mitbestimmungsrechte, ist auch die SE nicht verpflichtet, eine Mitbestimmung einzuführen. • Deutsche Unternehmen müssen lediglich darauf achten, eine SE nicht mit einer Auslandsgesellschaft zu gründen, die über ein intensiveres Mitbe28
Jacobs, in: MünchKomm-AktG (o. Fußn. 21), § 16 SEBG Rdnr. 4.
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stimmungsstatut verfügt. Da allerdings paritätische Mitbestimmung ein deutscher Sonderweg ist und in den übrigen EU-Staaten grundsätzlich höchstens Drittelbeteiligung herrscht, kommt dies nur dann in Betracht, wenn deutsche, bisher nicht mit Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat besetzte Unternehmen eine Verschmelzung mit einer Gesellschaft eingehen, die ein mitbestimmtes Gesellschaftsorgan hat. • Wenn ein deutsches Unternehmen bisher mitbestimmungsfrei ist oder der Drittelbeteiligung unterliegt, kann es sich – nach ggf. vorab vorzunehmender Umwandlung in eine Aktiengesellschaft – sodann in eine SE umwandeln. Hierdurch wird die bisherige Mitbestimmungsfreiheit bzw. Drittelbeteiligung gewahrt. Da die deutsche Gesellschaft zukünftig nicht mehr den deutschen Mitbestimmungsregeln, d.h. dem MitbestG 1976 bzw. dem DrittelbG, unterliegt, bleibt die Mitbestimmungsfreiheit bzw. die Drittelbeteiligung gewahrt, obwohl sich ggf. die Anzahl der inländischen Arbeitnehmer deutlich erhöht, so dass nach deutschen Regeln die deutsche Gesellschaft in Form einer Aktiengesellschaft oder GmbH zukünftig die Drittelbeteiligung bzw. die Parität im Aufsichtsrat einführen müsste 29. b) Anzahl der Mitglieder und Wahl der Arbeitnehmervertreter zum Aufsichts- bzw. Verwaltungsrat Die Satzung bestimmt die Größe des Aufsichts- bzw. Verwaltungsrats 30. Demnach kann es bei einer paritätischen Mitbestimmung zu einem mit 6, 12 oder 18 Mitgliedern besetzten Aufsichtsrat kommen (vgl. § 17 SEAG, der festlegt, dass die Zahl durch drei teilbar sein muss). Die Verteilung der Sitze auf die Mitgliedstaaten nimmt der zu bildende SE-Betriebsrat vor, wobei die Verteilung sich nach dem Anteil der in den Ländern der EU und des EWR beschäftigten Arbeitnehmer zu richten hat (§ 36 I SEBG). Für die deutschen Mitglieder gilt, dass – vergleichbar zur Bildung des BVG – jeder dritte auf einen inländischen Arbeitnehmer entfallende Sitzanteil mit einem Gewerkschaftsvertreter, jeder siebte mit einem leitenden Angestellten zu besetzen ist (§ 36 III 2 SEBG i.V.m. § 6 III, IV SEBG). Die Wahl richtet sich nach den jeweiligen nationalen Vorschriften. Sofern es entsprechende Regeln nicht gibt, bestimmt der SE-Betriebsrat die Arbeitnehmervertreter (§ 36 II SEBG). In Deutschland erfolgt die Wahl grundsätzlich nach den Regeln, die auch für die Wahl der Vertreter zum BVG gelten (§ 36 III SEGB) 31. Aus deutscher Sicht stellt dies in der Regel eine Vereinfachung gegenüber den Wahlen nach dem MitbestG 1976 oder dem
29 30 31
Siehe auch unter III 4. Siehe oben III 2b) (bb). Zur Wahl zum BVG siehe oben III 2a).
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DrittelbG dar. Dies kann insbesondere bei größeren Konzernen zu erheblichen Kosteneinsparungen führen.
4. Veränderung der Mitbestimmung nach der Gründung a) Grundsätzlich keine Anpassung der Mitbestimmung Die SE kennt – wie ausgeführt – kein eigenes nationales Mitbestimmungsstatut. Die gesetzliche Auffangregelung und auch eine Arbeitnehmerbeteiligung erfassen ausschließlich das konkrete Mitbestimmungsergebnis (aufgrund einer Vereinbarung oder aufgrund der gesetzlichen Auffangregelung) zum Zeitpunkt der Errichtung der SE. Zukünftiges (organisches) Wachstum des Unternehmens bleibt ohne Bedeutung. Auch wenn zukünftig die SE – anders als z.B. im Rahmen ihrer Gründung – über 2000 inländische Arbeitnehmer beschäftigt, führt allein die Steigerung der Arbeitnehmerzahlen nicht zu einer paritätischen Mitbestimmung 32. Dies bedeutet aber auch, dass im Falle einer Verringerung der Arbeitnehmerzahlen (z.B. von vorher mehr als 2000 inländischen Arbeitnehmern auf weniger als 2000 inländische Arbeitnehmer nach Gründung der SE) die im Rahmen der Gründung der SE vereinbarte bzw. im Rahmen der gesetzlichen Auffangregelung herbeigeführte Mitbestimmung nicht durch weniger Sitze der Arbeitnehmervertreter im Aufsichts- bzw. Verwaltungsrat verringert wird 33. Nach Errichtung wird das Mitbestimmungsregime daher grundsätzlich nicht verschärft. Die SE ist insofern immun gegen den Zugriff deutscher Mitbestimmungsverschärfung. Durch die Gründung der SE wird die Mitbestimmung „eingefroren“. Dies kann insbesondere dazu führen, dass eine mitbestimmungsfreie SE trotz des nach der Gründung erfolgten erheblichen Wachstums und ansteigender Arbeitnehmerzahlen nach wie vor mitbestimmungsfrei bleibt 34. Darüber hinaus hat auch die Sitzverlegung in einen anderen Mitgliedstaat der EU, der ein anderes Mitbestimmungsniveau vorsieht, grundsätzlich keine Auswirkungen auf die kraft einer geschlossenen Vereinbarung oder im Rahmen der gesetzlichen Auffangregelung geltende Mitbestimmung. Sie kann daher nicht dadurch vermieden werden, dass zunächst eine deutsche AG in eine SE umgewandelt wird und danach der Sitz der SE in das europäische Ausland verlegt wird. Konsequenterweise führt die Sitzverlegung einer nicht im Inland ansässigen SE nach Deutschland auch nicht zu einer etwaigen Verschärfung der Mitbestimmung. 32
Zum Missbrauchseinwand siehe unten III 5. Jacobs, in: MünchKomm-AktG (o. Fußn. 21), § 18 SEBG Rdnr. 18; Wollburg/Banerjea, ZIP 2005, 277 (282 f.). 34 Vgl. aber unter III 4b) zur Anpassung bzw. Neuverhandlung der Arbeitnehmerbeteiligung. 33
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Allerdings wird vertreten, dass bei einer Sitzverlegung möglicherweise Neuverhandlungen notwendig werden können, wenn die SE-Richtlinie in dem neuen Sitzland unterschiedlich umgesetzt wurde. Im Übrigen können die Parteien im Rahmen einer Vereinbarung über die Arbeitnehmerbeteiligung auch aufnehmen, dass es im Falle einer Sitzverlegung zu Neuverhandlungen der Arbeitnehmerbeteiligung kommt 35. b) Anpassung bzw. Neuverhandlung der Arbeitnehmerbeteiligung Das Gesetz verlangt aber, dass im Falle einer Strukturveränderung, die geeignet ist, Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer zu mindern, Neuverhandlungen zu führen sind (§ 18 III SEBG). Was unter einer Strukturveränderung zu verstehen ist, ist streitig 36. Ausgehend von dem Grundsatz, dass bei Gründung einer SE die Arbeitnehmerbeteiligung zu verhandeln ist, sind Strukturveränderungen nur korporative Akte, die einer Neugründung gleichkommen 37. Strukturveränderungen sind daher Verschmelzungen oder andere Maßnahmen nach dem Umwandlungsgesetz 38. Unternehmenswachstum führt hingegen nicht zu einer Neuverhandlungspflicht 39. Auch der Zukauf einer Tochtergesellschaft ist nicht unbedingt eine Strukturveränderung. Nach der Gesetzesbegründung soll dies lediglich dann in Betracht kommen, „wenn eine SE ein mitbestimmtes Unternehmen mit einer größeren Zahl von Arbeitnehmern aufnimmt, in der SE aber bisher keine Mitbestimmung gilt“ 40. Darüber hinaus bedarf es als weitere Voraussetzung für Neuverhandlungen einer Strukturveränderung, die Beteiligungsrechte mindert. Dies kommt beispielsweise dann in Betracht, wenn eine mitbestimmungsintensivere Gesellschaft auf eine SE verschmolzen wird. Die Verschmelzung ist zunächst eine Strukturveränderung. Darüber hinaus verlieren die Arbeitnehmer der Gesellschaft, die auf die SE verschmolzen wird, ihre mitbestimmungsintensiveren Rechte. Dann sind Neuverhandlungen zu führen.
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Vgl. Ringe, NZG 2006, 931 ff. Vgl. nur Oetker, in: Lutter/Hommelhoff, Kommentar zur Europäischen Gesellschaft mit SEVO, SEAG und SEBG, 2008, § 18 SEBG Rdnr. 16. 37 Str. Henssler, in: Ulmer/Habersack/Henssler, MitbestR, 2. Aufl. (2006), Einl. SEBG Rdnr. 209; Jacobs, in: MünchKomm-AktG (o. Fußn. 21), § 18 SEBG Rdnr. 12; Kienast, in: Jannott/Frodermann, Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft – Societas Europaea, 2005, Kap. 13 Rdnr. 192; Krause, BB 2005, 1221 (1228); Wollburg/Banerjea, ZIP 2005, 277 (278 f.); a.A. Oetker, in: Lutter/Hommelhoff (o. Fußn. 210), § 18 SEBG Rdnr. 16; Köstler, in: Theisen/Wenz, Europäische Aktiengesellschaft, 2005, S. 370; kritisch ebenfalls Rehberg, ZGR 2005, 859 (883 f.). 38 Jacobs, in: MünchKomm-AktG (o. Fußn. 21), § 18 SEBG Rdnr. 16; Wollburg/Banerjea, ZIP 2005, 277 (282). 39 Zum Missbrauchseinwand siehe unten III 5. 40 RegE, BR-Drucks. 438/04 vom 28.05.2004, 127. 36
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Rechtsfolge der Neuverhandlungen ist, dass es entweder zu einer Vereinbarung kommt. Bei Scheitern greift die gesetzliche Auffangregelung, die dann die neue Struktur berücksichtigen kann, so dass ggf. nun ein mitbestimmter Aufsichtsrat zu bilden ist. Unabhängig von Strukturveränderungen kann darüber hinaus frühestens 2 Jahre nach Gründung der SE auf Verlangen von 10 % der Arbeitnehmer zur Aufnahme von Verhandlungen das BVG erneut gebildet werden (§ 18 II SEBG). Kommt es im Rahmen dieser Verhandlung zu keiner Einigung, gilt die gesetzliche Auffangregelung jedoch nicht (§ 18 II SEBG). Dementsprechend können die Arbeitnehmer durch Neuverhandlungen den Umfang der Mitbestimmung nicht anpassen.
5. Missbrauchsverbot Basierend auf der europäischen Richtlinie (Art. 11 SE-RL) hat der deutsche Gesetzgeber ein so genanntes Missbrauchsverbot vorgesehen. Danach darf eine SE nicht dazu missbraucht werden, den Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten. Missbrauch wird vermutet, wenn ohne Durchführung eines Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens innerhalb eines Jahres nach Gründung der SE strukturelle Änderungen stattfinden, die bewirken, dass den Arbeitnehmern Beteiligungsrechte vorenthalten oder entzogen werden (§ 43 SEBG). Die Auslegung dieser Norm ist problematisch. Die Regelung soll verhindern, dass die Rechtsform der SE missbraucht wird, um Beteiligungsrechte, d.h. auch Mitbestimmungsrechte, zu entziehen. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass die deutschen Mitbestimmungsregeln, insbesondere das MitbestG 1976 und das DrittelbG, für die SE nicht gelten. Deshalb stellt es keinen Missbrauch dar, wenn es zukünftig, d.h. nach Gründung der SE, z.B. durch eine erhöhte Arbeitnehmerzahl im Inland zu einem paritätisch besetzten Aufsichtsrat gekommen wäre. Denn nach Gründung der SE ist das MitbestG 1976 nicht mehr anwendbar (§ 47 I Nr. 1 SEBG) 41. Etwas anderes gilt aber dann, wenn die SE im Rahmen eines Gesamtplans gegründet wird, so dass bei einer schon geplanten bzw. im Rahmen eines an sich durchzuführenden Statusverfahrens aufgrund der Steigerung der Anzahl der Arbeitnehmer im Inland letztlich eine paritätische bzw. Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat gegeben wäre, diese jetzt aber durch die SE vermieden werden soll.
41 Hennings, in: Manz/Mayer/Schröder (o. Fußn. 18), Art. 13 SE-RL Rdnrn. 3 f.; Oetker, in: Lutter/Hommelhoff (o. Fußn. 210), § 47 SEBG Rdnr. 6.
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6. Vorrats-SE In jüngerer Zeit hat sich für die SE ein Markt für Vorrats-Gesellschaften entwickelt. Diese Gesellschaften haben keine Mitarbeiter und daher keinen mitbestimmten Aufsichtsrat. Ein Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren ist bei Gründung nicht durchgeführt worden. Dies ist zulässig 42. Die an der Gründung beteiligten Gesellschaften dürfen jedoch keine Arbeitnehmer haben 43. Sofern eine Vorrats-SE mit Sitz in Deutschland sodann verwandt wird, d.h. zukünftig Geschäfte betreibt, sind zunächst die in Deutschland entwickelten Grundsätze über die Mantelverwendung bzw. wirtschaftliche Neugründung zu beachten 44. Etwaige weitere Folgerungen im Hinblick auf die Mitbestimmung einer Vorrats-SE sind noch weitgehend im Fluss. Die Literatur nimmt teilweise an, dass die Aktivierung der Gesellschaft durch die Ausstattung mit einem Unternehmen und der Aufnahme der Geschäftstätigkeit eine strukturelle Veränderung im Sinne des § 18 III SEBG 45 darstellt 46. Daraus ergebe sich die Pflicht, das Verhandlungsverfahren durchzuführen. Dies gelte jedoch nicht, sofern die SE weiterhin arbeitnehmerfrei bleibe oder nicht mehr als zehn Arbeitnehmer habe 47. Dabei ist für die Prognose hinsichtlich der Arbeitnehmer in Anlehnung an § 43 Satz 2 SEBG auf einen Zeitraum von einem Jahr abzustellen 48. Bloßes organisches Wachstum und der fortlaufende Aufbau von Beschäftigten stellen keine strukturellen Veränderungen im Sinne des § 18 III SEBG dar 49.
42 AG Düsseldorf ZIP 2006, 287; AG Hamburg BB 2005, 2775 = ZIP 2005, 2017; im Anschluss daran LG Hamburg BB 2005, 2775 = ZIP 2005, 2017; im konkreten Fall hatten die Gerichte die Eintragung mangels Arbeitnehmerlosigkeit der Gründungsgesellschaften abgelehnt. 43 Noack, EWiR 2005, 905, 906; Henssler, RdA 2005, 330 (335); Jacobs, in: MünchKomm-AktG (o. Fußn. 21), § 3 SEBG Rdnr. 2; Seibt, ZIP 2005, 2248 f., der weniger als 10 Arbeitnehmer in den Gründungsgesellschaften für ausreichend hält; zustimmend Casper/Schäfer, ZIP 2007, 653; Kienast, in: Jannott/Frodermann (o. Fußn. 37), Kap. 13 Rdnr. 212; Waclawik, DB 2006, 1827 (1828 f.); Reinhard, RIW 2006, 69; a.A. Blanke, ZIP 2006, 789 (791 f.). 44 Schäfer, in: MünchKomm-AktG (o. Fußn. 21), Art. 16 SE-VO Rdnr. 10; Casper/ Schäfer, ZIP 2007, 653 (656 f.). 45 Zur strukturellen Veränderung siehe oben III 4b. 46 Schäfer, in: MünchKomm-AktG (o. Fußn. 21), Art. 16 Rdnr. 13; Casper/Schäfer, ZIP 2007, 653 (658 f.); Reinhard, RIW 2006, 70; Seibt, ZIP 2005, 2248 (2250), der hohe Anforderungen an eine strukturelle Änderung stellt; Waclawik, DB 2006, 1827 (1828 f.), der die wirtschaftliche Neugründung als „Gründung“ i.S.d. § 4 II SEBG verstehen will. 47 Casper/Schäfer, ZIP 2007, 653 (659 f.). 48 Casper/Schäfer, ZIP 2007, 653 (660). 49 Casper/Schäfer, ZIP 2007, 653 (660); Henssler, RdA 2005, 330 (335); Jacobs, in: MünchKomm-AktG (o. Fußn. 21), § 18 SEBG Rdnr. 18; Noack, EWiR 2005, 905 (906); Wollburg/Banerjea, ZIP 2007, 277 (282).
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Dem ist insofern zuzustimmen, dass Neuverhandlungen zu führen sind. Allerdings folgt dies nicht aufgrund einer strukturellen Veränderung i.S.d. § 18 III SEBG, sondern aus den allgemeinen Grundsätzen der Mantelverwendung. Eine Mantelverwendung stellt eine Neugründung dar 50, so dass allein deshalb Verhandlungen zu führen sind; diese haben daher den Vorschriften für die Information der Arbeitnehmer bei Gründung der SE zu folgen (d.h. §§ 4 ff. SEBG analog).
IV. Nutzung einer Gesellschaft ausländischer Rechtsform Das deutsche Recht der unternehmerischen Mitbestimmung knüpft an die Rechtsform des Unternehmens an. Gesellschaften ausländischer Rechtsform unterliegen daher nicht der unternehmerischen Mitbestimmung, d.h. dem MitbestG 1976 bzw. dem DrittelbG. Folglich können Rechtsformen anderer EU-Mitgliedstaaten grundsätzlich genutzt werden, um die deutsche Mitbestimmung zu vermeiden. Dazu musste aber zunächst die rechtliche Basis dafür geschaffen werden, dass Gesellschaften ausländischer Rechtsform ihren Verwaltungssitz in Deutschland nehmen können. Ein Mitgliedstaat der EU kann den WEGZUG einer in seinem Land gegründeten Gesellschaft zwar beschränken oder verbieten. Bei einem ZUZUG aus einem anderen Mitgliedstaat sind jedoch die Rechte des anderen Mitgliedstaates und damit auch die dadurch bestehenden Rechte der Gesellschaft zu beachten 51. Dies folgt aus der Deliberalisierung des Niederlassungsrechts. Damit können nach ausländischem Recht gegründete Gesellschaften ihren Sitz in Deutschland nehmen und damit grundsätzlich am Wirtschaftsverkehr in Deutschland teilnehmen. In der Praxis kam es dadurch vermehrt zum Zuzug von ausländischen Gesellschaften nach Deutschland, zumal diese zum Teil einfacher zu gründen sind, insbesondere in Folge geringerer Mindestkapitalanforderungen. Folglich können Gesellschaften ausländischer Rechtsform genutzt werden, um die Mitbestimmung zu vermeiden. Dies kann auch für die deutsche Kommanditgesellschaft nutzbar gemacht werden. Die Kommanditgesellschaft unterliegt zwar nicht der Mitbestimmung. Grundsätzlich sind der GmbH, die oft als persönlich haftende Gesell-
50 StRspr; BGH NJW 2003, 892 (893); NJW 2003, 3198 (3199); OLG Hamburg NZG 2005, 483; OLG Thüringen NZG 2004, 1114; OLG Schleswig NZG 2007, 75; OLG Celle NZG 2008, 271; zur Kritik der Literatur vgl. bspw. Heidenhain, NZG 2003, 1051. 51 Vgl. die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes in Sachen „Überseering“ EuGH v. 5.11.2002 – Rs. C-208/00, NJW 2002, 3614 und „Inspire Art“ EuGH v. 30.9.2003 – Rs. C-167/01, NJW 2003, 3331 zur Niederlassungsfreiheit sowie auch „Cartesio“ EuGH v. 16. Dezember 2008.
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schafterin einer Kommanditgesellschaft fungiert, die Arbeitnehmer der KG und von dieser abhängigen Gesellschaften jedoch zuzurechnen (vgl. §§ 4, 5 I, II MitbestG 1976), so dass es bei einer Kommanditgesellschaft letztlich doch zur Anwendung der Mitbestimmungsregeln kommt 52. Da nun auch ausländische Gesellschaften ihren Verwaltungssitz in Deutschland haben können und auch die Funktion einer Komplementärin einer deutschen Kommanditgesellschaft übernehmen können 53, sind z.B. Limited & Co. KG (statt GmbH & Co. KG) denkbar, die (auch nicht über die Komplementäre) der deutschen Mitbestimmung nicht unterliegen. Auch denkbar ist, dass die GmbH als Komplementärin nicht eine GmbH deutschen Rechtes ist, sondern eine GmbH österreichischen Rechts und damit nicht der deutschen Mitbestimmung unterliegt.
V. Verschmelzung über die Grenze Im Rahmen der Mitbestimmung ist zu berücksichtigen, dass seit Ende 2006 grenzüberschreitende Verschmelzungen (auch ohne Formwechsel in eine SE) möglich sind. Für Gesellschaften im Inland, die aus einer solchen grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehen, gilt das Mitbestimmungs-Verschmelzungsgesetz (MgVG) 54. Es setzt die arbeitsrechtlichen Vorgaben der europäischen Verschmelzungsrichtlinie um 55 und dient der Sicherung der Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer im Rahmen von grenzüberschreitenden Verschmelzungen. Danach gelten zunächst gemäß dem Sitzstaatsprinzip die Regelungen des Mitgliedstaats für die Mitbestimmung, d.h. für Gesellschaften mit Sitz in Deutschland vor allem das MitbestG 1976 und das DrittelbG. Sobald jedoch in einer der beteiligten Gesellschaften in den sechs Monaten vor der Veröffentlichung des Verschmelzungsplans ein System der Mitbestimmung besteht (§ 5 Nr. 1 MgVG) oder das Recht des neuen Sitzstaats der neuen Gesellschaft nicht das gleiche Mitbestimmungsniveau bietet (§ 5 Nr. 2 und 3 MgVG), sind die Vorschriften über die Verhandlungs- und die gesetzliche Auffangregelung anwendbar. Diesbezüglich ist das MgVG mit dem SEBG vergleichbar. Der weitgehende inhaltliche Gleichlauf ergibt sich aus 52
Oetker, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 2008, § 4 MitbestG, Rdnr. 6; Ulmer/Habersack, in: Ulmer/Habersack/Henssler (o. Fußn. 211), § 4 Rdnr. 23; Gach, in: MünchKomm-AktG, III, 2. Aufl. (2004), § 4 MitbestG, Rdnrn. 1 f. 53 Allg. M., vgl. nur Binz/Mayer, GmbHR 2003, 249 (250 f.); Heinz, Die englische Limited, 2006, § 20 Rdnrn. 1 ff.; Just, Die englische Limited in der Praxis, 2006, Rdnr. 352; Werner, GmbHR 2005, 288 (291). 54 BGBl. I Nr. 65/2006, S. 3332 ff. 55 Richtlinie 2005/56/EG, ABlEU vom 25.11.2005 Nr. L 310, S. 1 ff.; Lunk/Hinrichs, NZA 2007, 773.
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der Regelungstechnik der Verschmelzungsrichtlinie. Diese nimmt in Art. 16 III direkten Bezug auf die SE-RL. Auch hier ist grundsätzlich zur Bestimmung der Mitbestimmung ein Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren mit Bildung eines BVG durchzuführen; scheitern die Verhandlungen, steht eine gesetzliche Auffangregelung zur Verfügung 56. Allerdings ist die gesetzliche Auffangregelung auch dann (schon) anzuwenden, wenn die Leitungen der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften dies unmittelbar entscheiden (§ 23 I 1 Nr. 3 MgVG). Verhandlungen über die Arbeitnehmerbeteiligung sind dann – anders als bei der SE – nicht durchzuführen 57. Voraussetzung dafür ist aber, dass in einer oder mehreren der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften bereits vor der Verschmelzung eine Form der Mitbestimmung bestanden hat, die sich auf mindestens ein Drittel der Arbeitnehmer erstreckt (§ 23 I 2 MgVG). Insofern ist dies für bisher mitbestimmungsfreie Gesellschaften nicht möglich; dort müssen Verhandlungen geführt werden. Im Falle der gesetzlichen Auffangregelung bemisst sich die Zahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat nach dem höchsten Anteil von Arbeitnehmervertretern, der in den Organen der beteiligten Gesellschaften vor Durchführung der Verschmelzung bestanden hat (§ 24 I 2 MgVG). Folglich wird eine z.B. vor Verschmelzung bestandene Drittelbeteiligung fortgeführt. Diese wird aber – vergleichbar wie bei der SE 58 – „eingefroren“. Dies kann z.B. dadurch geschehen, indem eine ausländische (Vorrats-)Gesellschaft auf eine deutsche Gesellschaft verschmolzen wird 59. Ist die deutsche Gesellschaft hinreichend mitbestimmt, greifen gemäß § 5 Nr. 1 MgVG die Regelungen über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer kraft Vereinbarung oder kraft Gesetzes ein. Der Unternehmensleitung steht dann unter den dortigen Voraussetzungen die einseitige Wahl der gesetzlichen Auffanglösung gemäß § 23 I 1 Nr. 3 MgVG offen. Dieser Konstruktion kann auch nicht durch einen Missbrauchseinwand begegnet werden: Art. 16 III lit. g) Verschmelzungsrichtlinie verweist gerade nicht auf das Missbrauchsverbot des Art. 11 SE-RL. Eine entsprechende eigene Vorschrift enthält weder die Verschmelzungsrichtlinie, noch das MgVG oder die nationale Umsetzung der Verschmelzungsrichtlinie im UmwG.
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Zur SE siehe oben III 3. Vgl. Nagel, NZG 2006, 97 (98) und Brandes, ZIP 2008, 2193 (2196). Beschließt andererseits das Verhandlungsgremium der Arbeitnehmer, keine Verhandlungen aufzunehmen oder sie abzubrechen, findet die gesetzliche Auffangregelung wie bei der SE keine Anwendung (§ 23 I 1 Nr. 2, 2. Halbsatz MgVG). 58 Siehe oben III 4a). 59 Vgl. Brandes, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. April 2008, 27. 57
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VI. Fazit Die deutsche Mitbestimmung hat sich in den letzten 30 Jahren kaum geändert. Änderungen sind auch nicht absehbar. Inzwischen gibt es aber mit der SE, der Möglichkeit eines Verwaltungssitzes einer ausländischen Gesellschaft in Deutschland sowie auch der grenzüberschreitenden Verschmelzung, Möglichkeiten, die deutschen Mitbestimmungsregeln nicht mehr zur Anwendung kommen zu lassen. So beruht die Mitbestimmung in der SE auf einer Verhandlungslösung bzw. auf der gesetzlichen Auffangregelung, was letztlich dazu führt, dass in der Regel der bestehende Mitbestimmungsstatus unverändert bleibt. Der Mitbestimmungsstatus wird allerdings eingefroren. Späterer Zuwachs von Arbeitnehmern der Gesellschaft kann daher grundsätzlich nicht dazu führen, dass nationale Mitbestimmungsregeln anzuwenden sind. Im Übrigen hat das europäische Recht die Niederlassungsfreiheit statuiert. Einige Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs haben dies deutlich gemacht, so dass ausländische Gesellschafter ihren Verwaltungssitz in Deutschland nehmen können. Diese unterliegen nicht den deutschen Mitbestimmungsregeln und können daher als Komplementär einer Kommanditgesellschaft dienen, so dass es insofern keine Mitbestimmung gibt. Im Ergebnis führt dies dazu, dass die deutsche Mitbestimmung nicht nur europäisiert wird, sondern letztlich auch durch Nutzung europäischer bzw. Rechtsformen anderer Staaten der EU nicht mehr anwendbar ist.
Minderheiten- und Sonderrechte des GmbH-Gesellschafters bei der Umstrukturierung Christian Dorda und Alexander R. P. Babinek * I. Einleitung Im Gegensatz zum österreichischen Aktienrecht sieht das öGmbHG für gesellschaftsrechtliche Bestandsveränderungen nur bedingten Schutz von Minderheitsgesellschaftern vor. In der Praxis unterliegt aber auch die GmbH – trotz ihrer personalistischen Struktur – weitreichenden Umstrukturierungen. Nicht zuletzt durch das Bundesgesetz über den Ausschluss von Minderheitsgesellschaftern („GesAusG“), eingeführt mit dem ÜbernahmerechtsÄnderungsgesetz 2006 („ÜbRÄG 2006“), wurde das personalistische Element der GmbH weiter eingeschränkt. Demnach ist nun auch der grundlose Ausschluss eines Minderheitsgesellschafters durch den zu 90 % am Grundbzw Stammkapital beteiligten Mehrheitsgesellschafter möglich. Es stellt sich die Frage, inwiefern die Minderheit in einer GmbH der Änderung von Bestand und Struktur der Gesellschaft wirksam entgegentreten kann. Dieser Beitrag will einzelne dem Gesellschafter einer GmbH im Gesellschaftsvertrag eingeräumte Minderheiten- und Sonderrechte 1 solchen Umstrukturierungsmaßnahmen gegenüberstellen. In einem ersten Schritt (Punkt 2 unten) soll Aufschluss über die einzelnen Minderheiten– und Sonderrechte gegeben und es soll aufgezeigt werden, welche Instrumente zum Schutze gegen „Bestandsveränderungen“ existieren. Im zweiten Teil (Punkt 3) soll auf die einzelnen Tatbestände der Umstrukturierung näher eingegangen werden. Beginnend mit der einfachen Auflösung im Rahmen der Liquidation, gefolgt von der übertragenden Auflösung, der verschmelzenden Umwandlung sowie der Kapitalerhöhung gilt es zu prüfen,
* Christian Dorda ist Rechtsanwalt und Seniorpartner der Wiener Rechtsanwälte DORDA BRUGGER JORDIS; Alexander R. P. Babinek ist juristischer Mitarbeiter dieser Kanzlei und Dissertant in Unternehmensrecht an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Uni Wien. 1 Koppensteiner, Sonderrechte bei Auflösung, Unternehmensübertragung und verschmelzender Umwandlung im Recht der GmbH, wbl 2001, 1 ff.; ders., in: FS Sigle (2001), S. 163; Waldenberger, Sonderrechte der Gesellschafter einer GmbH – ihre Arten und ihre rechtliche Behandlung, GmbHR 1997, 49.
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inwiefern die Zustimmung des Sonderrechtsinhabers Voraussetzung für das Zustandekommen des betreffenden Umstrukturierungsbeschlusses ist. In einem weiteren Schritt (Punkt 4) soll untersucht werden, unter welchen Voraussetzungen ein Minderheitsgesellschafter Umstrukturierungsbeschlüsse anfechten kann; dies unter dem Aspekt der materiellen Beschlusskontrolle, die ein zentrales Element dieses Beitrages bildet, und des neuen GesAusG.2 Abschließend werden wir die Auswirkung des GesAusG auf die in diesem Beitrag behandelten Umgründungstatbestände behandeln. Zentrales Augenmerk wird hierbei auf die Frage gerichtet, inwiefern das im GesAusG normierte Prinzip des grundlosen Ausschlusses eines Gesellschafters in ähnlich gelagerten Fällen anzuwenden ist.
II. Minderheiten- und Sonderrechte, Möglichkeiten und Grenzen dispositiver Satzungsgestaltung 1. Überblick, gesetzliche Grundlagen Gegenstand dieses Beitrages sind, wie erwähnt, dem einzelnen Gesellschafter durch Satzung oder mittels Vertrag eingeräumte Sonderrechte und zusätzliche Begünstigungen. Dem Gesellschafter allein kraft seiner Mitgliedschaft zustehende Rechte (sogenannte allgemeine Mitgliedschaftsrechte) dienen nur als dogmatischer Ausgangspunkt der Analyse. Der Gesetzgeber nimmt an mehreren Stellen des GmbHG auf „Sonderrechte“ einzelner Gesellschafter Bezug. So kann gemäß § 50 Abs 4 GmbHG eine Verkürzung der einzelnen Gesellschaftern durch Vertrag eingeräumten Rechte nur unter Zustimmung sämtlicher von der Verkürzung betroffenen Gesellschafter beschlossen werden. Was unter eingeräumten Rechten zu verstehen ist, bedarf näherer Klärung.3 Der OGH setzt den Begriff „Sonderrechte“ mit dem Begriff der „einzelnen Gesellschaftern eingeräumten Rechte“ gleich.4 Ein Sonderrecht liegt demnach vor, wenn einem einzelnen Gesellschafter ein Recht gewährt wird, das anderen Gesellschaftern nicht zusteht. Ähnliches findet sich in § 6 Abs 4 GmbHG, der von einer „besonderen Begünstigung“ spricht, die einem Gesellschafter anlässlich der Gründung der Gesellschaft, eines späteren Beitritts oder durch Satzungsänderung eingeräumt werden
2 U. Torggler, Zur materiellen Beschlusskontrolle, insb bei der Umwandlung, GeS 2006, 57, 109; ders., Treuepflichten im faktischen GmbH-Konzern, S. 132 ff. 3 Vgl. zur deutschen Rechtslage Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 14 Rdnr. 7, § 53 Rdnr. 20; Baumbach/Hueck, GmbHG, § 14 Rdnr. 17, § 53 Rdnr. 19; Hachenburg, GmbHG, § 14 Rdnrn. 17 ff., § 53 Rdnrn. 119 ff. 4 Vgl. OGH 6 Ob 8/74 SZ 47/70; siehe auch Eckert, Rechtsfolgen mangelhafter GmbHGesellschafterbeschlüsse in der österreichischen Judikatur, GeS 2004, 228 (233).
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kann.5 Nicht notwendig hingegen ist es, dass Sonderrechte nur einem einzigen Gesellschafter zustehen; vielmehr können sie auch allen Gesellschaftern zustehen. Dies ist allerdings umstritten.6 Schließlich sieht der OGH auch den Anspruch auf Gleichbehandlung als Sonderrecht iSv § 50 Abs 4 GmbHG an.7 Beschlüsse, die in das Sonderrecht eines Gesellschafters eingreifen, können somit nur mit dessen Zustimmung, d.h. „… nur unter Zustimmung sämtlicher von der Vermehrung oder Verkürzung betroffenen Gesellschafter“, gefasst werden. Die hL wertet die Zustimmung deshalb als „Wirksamkeitserfordernis“ für das gültige Zustandekommen des Beschlusses.8 Der OGH hingegen geht bei Fehlen der erforderlichen Zustimmung nicht von Unwirksamkeit, sondern von bloßer Anfechtbarkeit des Beschlusses aus.9 Es liege somit am Gesellschafter, Eingriffe in Sonderrechte mit Anfechtungsklage binnen einem Monat zu bekämpfen.10 Davon zu unterscheiden sind dem Gesellschafter allgemein zustehende Gesellschafterrechte, die den Kern der Mitgliedschaft betreffen (vgl Einsichts-, Auskunfts- und Informationsrechte, Recht auf Einberufung einer ao HV, Anberaumung von Tagesordnungspunkten sowie das Stimmrecht). Diese sind strikt von Rechten nach § 50 Abs 4 GmbHG zu unterscheiden, weil sie allen Gesellschaftern unabhängig von einer Vereinbarung in der Satzung zukommen.
2. Klassifizierung der Sonderrechte Ob ein Sonderrecht vorliegt, ist durch Auslegung des jeweiligen GmbHGesellschaftsvertrages zu ermitteln.11 Sonderrechte lassen sich in vermögens5 Gellis/Feil, GmbHG, § 6 Rdnr. 11; Koppensteiner, GmbHG, § 6 Rdnrn. 25 f.; ReichRohrwig, GmbHG, Rdnrn. 1/422 ff. 6 Für eine gleichmäßige Begünstigung aller, Reich-Rohrwig, GmbHG, Rdnrn. 1/423 f.; siehe auch Gellis/Feil, § 50 Rdnr. 4; OGH 7 Ob 538/86 SZ 59/104; anders SZ 6/263; 2 Ob 125/58 JBl 1958, 517; referierend 4 Ob 542/94 SZ 67/104. 7 Gellis/Feil, GmbHG, § 50 Rdnr. 4; Koppensteiner, GmbHG, § 50 Rdnr. 13; OGH SZ 38/87; 59/104; anders scheinbar 4 Ob 542/94 SZ 67/104; Kostner/Umfahrer, GmbHG, Rdnr. 525; referierend Eckert, Rechtsfolgen mangelhafter GmbH-Gesellschafterbeschlüsse, GeS 2004/6, 233 Fußn. 75. 8 Eckert, Rechtsfolgen mangelhafter GmbH-Gesellschafterbeschlüsse, GeS 2004, 233; Koppensteiner, GmbHG, § 41 Rdnr. 43 m.w.N., § 50 Rdnr. 14; Kastner/Doralt/Nowotny, Gesellschaftsrecht, S. 417 (422); Kostner/Umfahrer, GmbHG, Rdnr. 525; Gellis/Feil, § 50 Rdnr. 5; hierzu auch Thöni, GesRZ 1996, 138 ff. 9 Vgl. OGH 6 Ob 515/88; 7 Ob 538/86 SZ 59/104; 6 Ob 786/82 SZ 56/84; ecolex 1991, 782; offen SZ 52/132; vgl. auch Eckert, Rechtsfolgen mangelhafter GmbH-Gesellschafterbeschlüsse, GeS 2004, 233 Fn. 76. 10 Kritisch demgegenüber Eckert, GeS 2004, 233 f., der darin eine Gefahr der Rechtsverkürzung sieht; ebenso auch Kostner/Umfahrer, GmbHG, Rdnrn. 483, 525. 11 Koppensteiner, GmbHG, § 50 Rdnr. 12; Kostner/Umfahrer, GmbHG, Rdnr. 524.
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rechtliche und organisationsrechtliche unterteilen;12 dies insbesondere unter dem Blickwinkel der Absicherung gegen bevorstehende Bestandsänderungen. Als solche Absicherungen in Betracht kommen neben Aufgriffs-, Vorkaufs- und Vinkulierungsrechten insbesondere Nominierungs- und Entsendungsrechte 13 für Geschäftsführung 14 und Aufsichtsrat 15 sowie bestimmte Weisungsrechte. Als Schutz vor einer unerwünschten Beendigung der Gesellschaft sind Vetorechte sowie Rechte auf eine erhöhte Liquidationsquote denkbar. 16
3. Besondere Zustimmungserfordernisse gemäß § 99 GmbHG Das EU-Gesellschaftsrechtsänderungsgesetz („EU-GesRÄG 1996“) brachte in Anlehnung an § 50 Abs 4 GmbHG eine weitere Bestimmung (§ 99 GmbHG) mit sich, die eine Verschlechterung der Rechtsposition von Minderheitsgesellschaftern anläßlich einer Verschmelzung verhindern und den Verschmelzungsbeschluss unter bestimmten Voraussetzungen an deren Zustimmung binden soll.17 In Umsetzung der EG-Verschmelzungs-RL 1978/91 ging man einerseits von der für Verschmelzungen bis dahin erforderlichen Einstimmigkeit ab und traf andererseits Vorkehrung für den Minderheitenschutz.18 § 99 GmbHG versteht sich dabei vor allem als Weiterentwicklung von § 50 Abs 4 GmbHG:19 Verliert ein Gesellschafter wegen der Verschmelzung ein ihm durch Gesellschaftsvertrag eingeräumtes Sonderrecht, bedarf der Verschmelzungsbeschluss seiner Zustimmung. Gleiches gilt, wenn der Gesell-
12 Hierzu insb. Waldenberger, Sonderrechte der Gesellschafter einer GmbH – ihre Arten und ihre rechtliche Behandlung, GmbHR 1997, 49 (49 ff.); vgl auch Koppensteiner, wbl 2001, 1, (4 ff.), ders., in: FS Sigle, S. 163 ff.; siehe zur Terminologie auch Winter, in: Lutter, UmwG, 2004, § 50 Rdnrn. 13 ff. 13 Reich/Rohrwig, GmbHG, Rdnrn. 1/54, 428 f.; 2/68 ff. 14 Kostner/Umfahrer, GmbHG, Rdnr. 186 m.w.N.; Reich/Rohrwig, GmbHG, Rdnrn. 1/429; 2/68 ff. 15 Vgl. § 30c GmbHG; Koppensteiner, GmbHG, § 30 c Rdnrn. 1 ff.; Kostner/Umfahrer, GmbHG, Rdnrn. 379 ff.; siehe auch Grünwald, Umwandlung, Verschmelzung, Spaltung, S. 302 ff. 16 Waldenberger, Sonderrechte der Gesellschafter einer GmbH – ihre Arten und ihre rechtliche Behandlung, GmbHR 1997, 49. 17 Reich-Rohrwig, Verschmelzung nach der RV zum EU-GesRÄG, ecolex 1996, 258 ff. 18 Vgl. Heidinger, Änderungen im GmbH-Recht durch Umsetzung der Verschmelzungsrichtlinie, SWK 1996, B 19; Reich-Rohrwig, EU-GesRÄG, ecolex 1996, 258 ff. 19 Kalss, Handkommentar, § 99 GmbHG Rdnrn. 3 ff.; Koppensteiner, GmbHG, § 99 Rdnrn. 6 ff.; Gellis/Feil, GmbHG, § 99 Rdnrn. 843 ff.; Rüffler, Lücken im Umgründungsrecht, S. 331 f., 408 f.; vgl. auch Winter, in: Lutter, UmwG, 2004, § 50 Rdnrn. 14 ff.; weiterführend auch Reiner, Schiedsverfahren und Gesellschaftsrecht, GesRZ 2007, 151; Stern, GmbH-Verschmelzung und nicht voll eingezahlte Geschäftsanteile, RdW 1998, 178.
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schaftsvertrag einer an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaft für einen Gesellschafter ein Zustimmungsrecht bezüglich der Übertragung von Geschäftsanteilen vorsieht (§ 99 Abs 2 GmbHG). Waren hingegen die Anteile der übertragenden Gesellschaft frei übertragbar, aber sieht der Gesellschaftsvertrag der übernehmenden Gesellschaft eine Vinkulierung vor, müssen alle Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft der solcherart auf sie zukommenden Vinkulierung zustimmen (§ 99 Abs 4 GmbHG). Unterliegen bei einer der beteiligten Gesellschaften Beschlussgegenstände einem erhöhten Mehrheitserfordernis, bedarf der Verschmelzungsbeschluss dieser Gesellschaft derselben erhöhten Mehrheit (§ 99 Abs 3 GmbHG). Ist die Stammeinlage einer beteiligten Gesellschaft nicht vollständig eingezahlt, ist schließlich der Verschmelzungsbeschluss an die Zustimmung aller Gesellschafter der übrigen Gesellschaften gebunden (§ 99 Abs 5 GmbHG). Der Gesetzgeber vereinheitlichte somit im Zuge des EU-GesRÄG 1996 den Minderheitenschutz. Der Verschmelzungsbeschluss kann nur eingeschränkt angefochten werden: 20 Seine Anfechtung kann nicht darauf gestützt werden, die Barabfindung oder das Umtauschverhältniss seien unrichtig (§ 96 GmbHG iVm § 225b AktG); vielmehr ist hierfür ein eigenes Verfahren zur Überprüfung vorgesehen (§ 225c AktG). Nach Eintragung der Verschmelzung genießt der Verschmelzungsbeschluss überhaupt absoluten Bestandsschutz.21 Für die Verschmelzung hat somit der Gesetzgeber den Schutz der Minderheit abschließend geregelt.
III. Einzelne Tatbestände der Umstrukturierung Während also ein Verschmelzungsbeschluss in den in § 99 GmbHG genannten Fällen an die Zustimmung des Sonderrechtsinhabers gebunden ist, wollen wir nun untersuchen, inwieweit dies auch in ähnlich gelagerten Umgründungskonstellationen gilt.
1. Auflösung/Liquidation einer GmbH Wie bereits in Pkt 2.1 festgestellt, bedarf eine Satzungsänderung, die in ein gesellschaftsvertraglich eingeräumtes Sonderrecht eingreift, der Zustimmung des jeweiligen Rechteinhabers. Gilt Gleiches für die Liquidation der Gesellschaft?
20 Kalss, Handkommentar, § 225b Rdnrn. 3 ff.; Jabornegg/Strasser, § 225b AktG Rdnrn. 6 ff. 21 Diregger in Doralt/Nowotny/Kalss, § 195 AktG Rdnr. 113; Jabornegg/Strasser, § 225b AktG Rdnr. 6.
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Dies ist nach herrschender Ansicht zu verneinen:22 Entgegen § 50 Abs 4 GmbHG sehen nämlich §§ 84 ff. GmbHG keine Zustimmung des Sonderberechtigten zum Auflösungsbeschluss vor. Zwar verliert der Sonderrechtsinhaber auch in diesem Fall sein satzungsgemäßes Sonderrecht; im Unterschied zu den anderen Umstrukturierungen, mit Ausnahme der übertragenden Auflösung, bleibt aber seine Gesellschafterstellung nicht aufrecht. Das Spannungsverhältnis zwischen Desinvestitionsinteresse der Mehrheit und Bestandsinteresse der Minderheit schlägt somit zugunsten der auflösungswilligen Mehrheit durch. Ziel der §§ 84 ff. GmbHG ist es, die Beendigung der Gesellschaft nicht zu sehr zu erschweren. Deshalb genügt für den Auflösungsbeschluss per se die einfache Mehrheit. Im einzelnen könnte allerdings die Auslegung des Gesellschaftsvertrages ergeben, dass die beteiligten Gesellschafter Gegenteiliges wünschen, nämlich, die Auflösung der betreffenden Gesellschaft doch von der Zustimmung des Sonderrechtsinhabers abhängig zu machen.23 Dies wird freilich idR nicht der Fall sein.
2. Übertragende Auflösung Hier kauft der Hauptgesellschafter das Unternehmen der anschließend zu liquidierenden Gesellschaft; dies unter gleichzeitigem (wirtschaftlichen) Ausschluss der Minderheit. Der Kaufpreis bildet einen Teil der Liquidationsmasse und soll der Abfindung der Minderheit dienen. Dies entspricht im Ergebnis einer verschmelzenden Umwandlung. Bei der Beschlussfassung jedoch ergeben sich Unterschiede. Zwar stehen Auflösungs- und Veräußerungsbeschluss meistens in engem zeitlichen Zusammenhang und verfolgen dasselbe Ziel; dennoch handelt es sich um zwei verschiedene Beschlüsse. Der Liquidationsbeschluss bedarf, wie bereits festgestellt, bloß einfacher Mehrheit. Für die Übertragung des Gesamtvermögens, die hier nicht den gesetzlich gesondert normierten Übertragungsformen entspricht, sondern auf „sonstige Weise“ erfolgt, fehlt aber im GmbHG eine § 237 AktG vergleichbare Bestimmung: Nur im Rahmen der bereits eingeleiteten Liquidation bedarf die Verwertung des Gesellschaftsvermögens (durch Veräußerung als Ganzes) gemäß § 90 Abs 4 GmbHG eines Beschlusses mit der Mehrheit von drei Viertel der abgegebenen Stimmen. Nach Rüffler ist § 90 Abs 4 GmbHG, wie auch § 237 AktG, teleologisch zu reduzieren: Da die Interessenbeeinträchtigung der Minderheit jener bei 22 Koppensteiner, GmbHG, § 84 Rdnrn. 6 ff.; ders., Sonderrechte bei Auflösung, Unternehmensübertragung und verschmelzender Umwandlung im Recht der GmbH, wbl 2001, 1, (3); ders., in: FS Sigle, S. 167; Kostner/Umfahrer, GmbHG, Rdnr. 744; Rüffler, Lücken im Umgründungsrecht, S. 268 f.; U. Torggler, Treuepflichten, S. 134 f.; OGH 6 Ob 335/97a wbl 1998, 546, 547, 549 = ecolex 1998, 557. 23 Rüffler, Lücken im Umgründungsrecht, S. 269 f.; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 60 Rdnr. 6.
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der verschmelzenden Umwandlung entspreche, seien die im UmwG vorgesehenen erhöhten Beschlusserfordernisse (Beschluss der Generalversammlung mit einer Mehrheit von drei Viertel des vertretenen Grundkapitals sowie Zustimmung des zu 90 % am Grundkapital beteiligten Hauptgesellschafters, § 2 UmwG iVm § 98 GmbHG) anolog anzuwenden.24 Gleiches gilt auch für das umwandlungsrechtliche Schutzinstrumentarium. Was nun das diesbezüglich analog anzuwendende Recht der Umwandlung (siehe Punkt 3.3) betrifft, steht nach unbestrittener Auffassung von Lehre und Rechtsprechung dem Sonderrechtsinhaber kein Zustimmungsrecht zu 25, obwohl die Gesellschaft selbst und damit die Gesellschafterstellung des Sonderrechtsinhabers untergehen. Abgeleitet wird dies aus dem eingeschränkten Verweis von § 2 Abs 3 UmwG auf das Verschmelzungsrecht: 26 § 2 Abs 3 UmwG zählt § 99 GmbHG nicht auf. Dies mag auf den ersten Blick unverständlich erscheinen. Laut dem OGH habe aber der Gesetzgeber mit der Normierung eines besonders hohen Mehrheitsquorums und der Abfindungsregelung den Minderheitenschutz abschließend geregelt. Das im gerichtlich entschiedenen Fall, es ging um eine Aufgriffsrecht, geltend gemachte Sonderrecht sei als Vermögensrecht bei der Bewertung der angemessenen Abfindung mit zu berücksichtigen. Ein allen Gesellschaftern und somit auch dem Minderheitsgesellschafter zustehendes Aufgriffsrecht hindere somit nicht die Mehrheit, einen Beschluss gegen die Stimme des Minderheitsgesellschafters zu fassen.27 Zusammenfassend gesagt kann somit ein Minderheitsgesellschafter ohne das ihm explizit vorbehaltene Recht, den jeweiligen Beschlüssen zuzustimmen bzw. sein Veto einzulegen, nicht die übertragende Auflösung unter Ausschluss seiner Person verhindern.28 Vielmehr ist der Inhaber nicht so weit reichender Sonderrechte auf angemessene Barabfindung im Rahmen des (analog anzuwendenden) Umwandlungsverfahrens zu verweisen.
3. Verschmelzende Umwandlung Die verschmelzende Umwandlung lässt das Vermögen – im Unterschied zur übertragenden Auflösung – nicht im Wege der Einzelrechtsnachfolge, 24 Rüffler, Lücken im Umgründungsrecht, S. 268; Gall/Potyka/Winner, Squeeze out, Rdnrn. 636 ff. 25 Rüffler, Lücken im Umgründungsrecht, S. 270 ff.; OGH 6 Ob 335/97a wbl 1998, 546, 547, 549 = ecolex 1998, 557; OGH 7 Ob 38/98h = AG 1999, 142 = ecolex 1998, 711 = RdW 1998, 613. 26 Kalss, Handkommentar, § 2 UmwG Rdnr. 18; Koppensteiner, wbl 2001, 1 (8); ders., in: FS Sigle, S. 177; Gall/Potyka/Winner, Squeeze out, Rdnr. 575. 27 OGH 7 Ob 38/98h ecolex 1998, 711; Kalss, Handkommentar, § 2 UmwG Rdnr. 18. 28 Gall/Potyka/Winner, Squeeze out, Rdnr. 575; so auch Ortner in seiner Glosse zu Entscheidung des OGH 6 Ob 335/97a ecolex 1998, 559.
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sondern qua Universalsukzession übergehen; sie ist deshalb nur unter erschwerten Bedingungen zulässig (vgl Pkt 3.2). Es muss sich um eine Kapitalgesellschaft handeln, der Hauptgesellschafter muss 90% der Anteile am Grundkapital halten, der Beschluss bedarf der qualifizierten Beschlusserfordernisse und der Hauptgesellschafter muss dem Beschluss zustimmen. Betreffend den „a priori-Schutz“ von Minderheitsgesellschaftern gilt das in Pkt 3.2 Gesagte. Der Beschluss bedarf somit idR nicht der individuellen Zustimmung des Sonderrechtsinhabers.29 Wie bereits in Pkt 3.2 dargelegt ist nach hA dank der qualifizierten Beschlusserfordernisse der Beschluss per se gerechtfertigt und die Überprüfung auf seine sachliche Rechtfertigung somit nicht erforderlich.30 Demgegenüber wird mehrfach eingewendet, dass gerade bei der Inhaltskontrolle von Umstrukturierungsbeschlüssen von einer Treuepflicht der Gesellschafter zueinander auszugehen sei und deshalb ein Gesellschafter im Wege einer auflösenden Übertragung wie auch einer verschmelzenden Umwandlung nicht grundlos ausgeschlossen werden dürfe. Allerdings kann seit dem 20.5.2006 auf Basis des GesAusG der Gesellschafter einer GmbH auch ohne wichtigen Grund ausgeschlossen werden. Möglichkeiten und Grenzen der materiellen Beschlusskontrolle sind somit in neuem Lichte zu beurteilen.
4. Kapitalerhöhung und Bezugsrechtsausschluss In diesem Kapitel wollen wir nun die oben dargestellten Wertungen der Judikatur zum UmwG dem Bezugsrechtsausschluss bei der Kapitalerhöhung gegenüberstellen. Die Kapitalerhöhung kann bei Ausschluss des Bezugsrechts zum Einstieg eines neuen Gesellschafters führen.31 Das Bezugsrecht 32 (§ 52 Abs 3 GmbHG) wird zutreffend als Bestandteil des allgemeinen Mitgliedschaftsrechts der Gesellschafter gesehen; es kann aber unter bestimmten Voraussetzungen eingeschränkt bzw. ausgeschlossen werden.33 Eine Grenze findet der Bezugsrechtsausschluss in der Treuepflicht der Gesellschafter. Er muss zum einen im Interesse der Gesellschaft erforderlich, zum anderen gegenüber dem
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Kalss/Zollner, Squeeze out, § 2 UmwG, Rdnr. 16. Kalss, Handkommentar, § 2 UmwG Rdnr. 18; Hügel, Verschmelzung und Einbringung, S. 539; vgl. auch OGH 6 Ob 335/97a = wbl 1998, 546, 547, 549 = ecolex 1998, 557; OGH 7 Ob 38/98h, AG 1999, 142 = ecolex 1998, 711 = RdW 1998, 613; a.A. hierzu Enzinger, Umwandlungsrecht Quo Vadis?, wbl 1997, 5; ebenso Koppensteiner, Sonderrechte, 9 f., ders., in: FS Sigle, S. 180 f.; U. Torggler, Treuepflichten, S. 133 ff. 31 U. Torggler, Zur sog materiellen Beschlusskontrolle, insb bei der Umwandlung, GeS 2006, 58 ff. 32 Koppensteiner, GmbHG, § 52 Rdnrn. 11 ff.; Kostner/Umfahrer, GmbHG, Rdnrn. 534 ff. 33 Vgl. OGH 5 Ob 649/80 SZ 53/172 = JBl 1981, 546 = GesRZ 1981, 44. 30
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Betroffenen verhältnismäßig sein. Das Bezugsrecht darf somit nur dann ausgeschlossen werden, wenn das angestrebte Ziel nicht auf andere Art und Weise erreicht werden kann und der Bezugsrechtsausschluss das einzig vertretbare Mittel ist.34 Dieser von der Judikatur entwickelte „Grundsatz der geringsten Last und Verhältnismäßigkeit“ manifestiert sich in der Pflicht der Mehrheit, bei der Entscheidung die Position der Minderheit zu berücksichtigen. Wegen dieser Grenze der „Mehrheitsmacht“ unterliegen Gesellschafter einer „Sorgfalts- und Treuepflicht“.35 In SZ 53/172 unternahm der OGH hierzu eine entscheidende Weichenstellung und trug zur Entwicklung der gerichtlichen Inhaltskontrolle bei: „Der Bezugsrechtsausschluss muss im überwiegenden Interesse der Mehrheit seine Rechtfertigung finden.“ Der Bezugsrechtsausschluss ist daher an dem Grundsatz der „Erforderlichkeit“ und „Verhältnismäßigkeit“ zu messen; die Entscheidung der Mehrheit über die Minderheit ist einer nachträglichen gerichtlichen Kontrolle zu unterwerfen (materielle Beschlusskontrolle).
IV. Beschlusskontrolle 1. Der OGH zur materiellen Beschlusskontrolle Die in SZ 53/172 herangezogenen Kriterien (Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit) stehen im Einklang mit der schon vorher in Deutschland entwickelten Judikatur.36 Beschlüsse, die in Grundlagen der gesellschaftsrechtlichen Mitgliedschaftsverhältnisse und damit in die Sozialinteressen der Betroffenen eingreifen, bedürften der sachlichen Rechtfertigung. Der Beschluss müsse somit zum Zwecke des Gesellschaftsinteresses gerechtfertigt, geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sein.37 Dann liege, so die österreichische Lehre, der Größenschluss nahe, die im Rahmen der Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss getroffenen Wertungen per analogiam auf ähnlich gelagerte, sogar stärker eingreifende Tatbestände des Umgründungsrechtes anzuwenden.38 Werde nämlich schon bei 34 Koppensteiner, GmbHG, § 52 Rdnrn. 16 f.; Kostner/Umfahrer, GmbHG, Rdnr. 538; U. Torggler, Materielle Beschlusskontrolle I, GeS 2006, 58 ff. m.w.N. 35 Vgl. hierzu auch Hauser, Zur Rechtsstellung des Minderheitsgesellschafters bei der Kapitalerhöhung, NZ 2004/14. 36 Vgl. BGHZ 71, 40 (44 ff.) „Kali und Salz“; BGHZ 83, 319 (320 ff.) „Holzmann“; BGHZ 80, 69 (74) „Süssen“; siehe auch Rüffler, Lücken im Umgründungsrecht, S. 159 Fußn. 830 m.w.N. 37 Rüffler, Lücken im Umgründungsrecht, S. 159 ff.; OGH 5 Ob 649/80 SZ 53/172; Enzinger, Umwandlungsrecht Quo Vadis?, wbl 1997, 1. 38 U. Torggler, Materielle Beschlusskontrolle I, GeS 2006, 58 ff.; Koppensteiner, wbl 2001, 1 (9); ders., in: FS Sigle, S. 181; siehe auch Winter, in: Lutter, UmwG, 2004, § 50 Rdnr. 12 für den Fall der Verschmelzung.
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einem Teilausschluss eine gesellschaftsrechtliche Treuebindung bejaht, so habe dies umso mehr für den Totalausschluss zu gelten. Es stelle sich daher die Frage, welche Beschlüsse einer Verhältnismäßigkeitsprüfung unterliegen sollten und, wenn ja, in welchem Umfang die materielle Beschlusskontrolle erfolgen solle.39 Die Lehre ist strittig, insbesondere zur Frage, bei welchen anderen Beschlussgegenständen die materielle Beschlusskontrolle nun tatsächlich greife. So sei z.B. bei der übertragenden Umwandlung dank der qualifizierten Mehrheit sowie der Abfindungsregelung eine entsprechende Interessenabwägung durch das Gesetz vorweggenommen (Richtigkeitsgewähr), sodass eine nachträgliche Verhältnismäßigkeitskontrolle ausscheide. Der Gesetzgeber habe eben, wie im vorliegenden Fall, die Möglichkeit eines entsprechenden mitgliedschaftsverkürzenden Gesellschafterbeschlusses vorgesehen, zum anderen durch Schaffung anderer Schutzinstrumentarien (Barabfindung, Überprüfung der Angemessenheit der Entschädigung, vgl §§ 225b und 225c ff. AktG) die betroffenen Gesellschafter für erlittenen Schaden entschädigt.40 Ähnlich argumentiert Lutter 41, laut dem Beschlüsse mit hohen Mehrheitserfordernissen von einer nachträglichen Verhältnismäßigkeitskontrolle ausgenommen seien. Diese Meinung stehe nach Ansicht von U. Torggler wiederum in krassem Widerspruch zu dem vom ursprünglichen UmwG (idF vor dem EU-GesRÄG 2006) intendierten Gesetzeszweck.42 Einerseits schlössen qualifizierte Mehrheitserfordernisse und nachgeschaltete Verhältnismäßigkeitskontrolle einander nicht aus, wo doch beide den selben Zweck verfolgten, nämlich, ausreichenden Schutz des Minderheitsgesellschafters zu gewährleisten. Auch führe eine Ausgleichsregelung nicht zur abschließenden Interessenabwägung. Zwar werde durch sie der Vermögensschutz des Minderheitsgesellschafters abschließend geregelt, aber es könne „… aus der Gewährung eines Ausgleichs für die Beeinträchtigung der Vermögensinteressen nicht auf die Rechtmäßigkeit des Eingriffs in sonstige Interessen geschlos39
U. Torggler, Materielle Beschlusskontrolle I, GeS 2006, 62 Fn. 51, 52 m.w.N. Rüffler, Lücken im Umgründungsrecht, S. 161 Fußn. 849 m.w.N.; a.A. U. Torggler, Treuepflichten, S. 136; ders., Materielle Beschlusskontrolle I, GeS 2006, 64; der gerade in diesen zwei Punkten keinen Widerspruch zum Bestehen einer Verhältnismäßigkeitskontrolle sieht. 41 Lutter, Zur inhaltlichen Begründung von Mehrheitsentscheidungen – Besprechung der Entscheidung BGH WM 1080, 378; ZGR 1981, 171, 176 f.; vgl. auch Hachenburg/ Ulmer, § 53 Rdnr. 69; U. Torggler Treuepflichten, S. 136 Fußn. 798 m.w.N. 42 Gemäß den Materialien zum UmwG 1996 und seinen Vorläuferbestimmungen, als auch der ErlRV zum EU-GesRÄG 1996 ist die Ausschlussmöglichkeit eines Gesellschafters im Zuge einer Umwandlung bloße Begleiterscheinung; vgl. Timm, JZ 1980, 665 Fußn. 2; Kalss, JBl 1995, 420 (432); ErlRV EU-GesRÄG 96 32 BlgNR 20. GP 57; demgegenüber sehen die Erläuterungen zum GesAusG eine alternative Ausschlussmöglichkeit nach dem UmwG, wenn auch im Vergleich zum Ausschluss nach dem GesAusG selbst nicht vordergründig, so dennoch vor; vgl. auch Kohlhauser, Squeeze out – Eine Neuregelung in Sicht?, SWI 2001, 224 (231). 40
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sen werden.“ 43 Koppensteiner macht den Gesellschafterausschluss, dessen Ermöglichung er zurecht in der übertragenden Auflösung und der verschmelzenden Umwandlung erblickt, vom Vorliegen eines wichtigen Grundes abhängig.44 Offen bleibt, welcher Lehrmeinung der Vorzug zu geben sei. Mit Einführung des GesAusG ist uE die Diskussion aber in neuem Lichte zu führen und um einige Aspekte zu erweitern.
2. Der Ausschluss des Gesellschafters nach dem GesAusG Das GesAusG trat am 20.5.2006 in Kraft. Die Möglichkeit, einen Gesellschafter auszuschließen, ist als Teil des Umgründungsrechts zu sehen. In Anlehnung an dieses sieht das GesAusG für das Ausschlussverfahren spezifische, dem Minderheitsgesellschafter zustehende Sicherungsinstrumente vor, wie den rechtzeitigen Zugang zu Information und deren Überprüfung durch externe Seite, die Teilnahme aller Gesellschafter an der Beschlussfassung sowie die gerichtliche Überprüfung der Barabfindung. Warum der Hauptgesellschafter den Minderheitsgesellschafter ausschließen will, ist hingegen der nachträglichen Überprüfung entzogen.45 Der Gesellschafterbeschluss kann nämlich nur eingeschränkt angefochten werden (§ 6 GesAusG). Neben Formalmängeln kommen insbesondere Rechtsmissbrauch und Treuwidrigkeit in Betracht. Umfasst sind aber nur solche Fälle, in denen die gesetzlich vorgeschriebenen Rahmenbedingungen für den Ausschluss umgangen oder die Tatbestandsvoraussetzungen treuwidrig herbeigeführt wurden.46) Ein wichtiger Grund ist also nicht erforderlich. Wird eine Beschlussmehrheit von 90 % in der Person des Hauptgesellschafters (einschließlich der ihm zuzurechnenden Stimmen) erreicht und wird eine angemessene Barabfindung gewährt, die in einem gesonderten Verfahrens 47 auf ihre Angemessenheit überprüft werden kann, wird dies für den Schutze der Minderheit als ausreichend erachtet (§ 2 und § 5 Abs 5 GesAusG). Damit nahm der Gesetzgeber eine endgültige Abwägung der Interessen zwischen Mehrheit und Minderheit vor.48 43 U. Torggler, Materielle Beschlusskontrolle I, GeS 2006, 64, mit Verweis auf Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 446. 44 Koppensteiner, wbl 2001, 1 (8, 10); ders., in: FS Sigle, S. 178 (181). 45 Kalss/Zollner, Squeeze out, ecolex spezial, 56 ff.; Gall/Potyka/Winner, Gesellschafterausschluss, Rdnr. 5. 46 Insbesondere letztere Variante bezieht sich auf den Fall, dass sich mehrere Gesellschafter bloß zu dem Zweck zusammenschließen, einen anderen Gesellschafter auszuschließen; hierzu Kalss/Zollner, Squeeze out, ecolex spezial, 56, 110 f. 47 Gall/Potyka/Winner, Gesellschafterausschluss Rdnrn. 478 ff. 48 Vgl auch Kort, Squeeze-out-Beschlüsse: Kein Erfordernis sachlicher Rechtfertigung und bloß eingeschränkte Rechtsmissbrauchskontrolle, ZIP 2006, 1519 ff.
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V. Schlussfolgerungen für die einzelnen Tatbestände der Umstrukturierung 1. Auflösung Wie bereits dargestellt, ist die hA zur nachgeschalteten materiellen Beschlusskontrolle kontrovers. Nur bei der „einfachen Auflösung“ besteht Einigkeit. Wie Rüffler überzeugend darlegte, bedarf der Auflösungsbeschluss keiner sachlichen Rechtfertigung.49 Das einfache Mitgliedschaftsrecht tritt gegenüber dem Desinvestitionsinteresse der Mehrheit zurück. Sonderrechte, die nun einmal unter dem Vorbehalt des Fortbestandes der Gesellschaft stehen, gehen unter.
2. Übertragende Auflösung und verschmelzende Umwandlung Weder die übertragende Auflösung noch die verschmelzende Umwandlung bedürfen, wie dargelegt, laut Rechtsprechung und einem Teil der Lehre der nachgeschalteten Verhältnismäßigkeitskontrolle, weil Interessen der Minderheit durch Abfindungsregelungen und erhöhte Beschlusserfordernisse berücksichtigt werden.50 Die Gegenansichten der Lehre 51 vermögen uE nicht mehr zu überzeugen. Legt man der Diskussion die Wertungen des GesAusG zugrunde, ergibt sich nämlich Folgendes: Mit dem ÜbRÄG 2006 wurden im UmwG der Ausschlussmechanismus und das Rechtsschutzniveau dem neuen GesAusG angepasst. Während im Prinzip das frühere Verfahren zum Schutze des Minderheitsgesellschafters beibehalten werden konnte und die Bestimmungen betreffend die Barabfindung sich bereits weitgehend mit § 2 und § 5 GesAusG deckten, muss nun die Höhe der Barabfindung in den Umwandlungsvertrag aufgenommen werden (§ 2 Abs 2 Z 3 UmwG) und wurde das Verfahren zur Überprüfung der Barabfindung an das GesAusG angepasst.52 Insbesondere sind – hier interessierend – dem einzelnen Gesellschafter eingeräumte Sonderrechte, die in Folge des Gesellschafterausschlusses untergehen, gemäß § 2 49 Rüffler, Lücken im Umgründungsrecht, S. 160, Fußn. 843 m.w.N., 279 ff.; U. Torggler, Materielle Beschlusskontrolle I, GeS 2006, 62; Koppensteiner, wbl 2001, 1 (3); ders., in: FS Sigle, S. 168. 50 OGH 6 Ob 335/97a wbl 1998, 546; OGH 7 Ob 38/98h ecolex 1998, 711; Kalss, Handkommentar, § 2 UmwG Rdnr. 18; Dorda, RdW 1998, 654; RdW 1999, 185; Hügel, Verschmelzung, S. 538 f., Kalss/Rüffler, Satzungsgestaltung, S. 71 f.; Rüffler, Lücken im Umgründungsrecht, S. 277 ff. 51 Enzinger, wbl 1997, 5 ff.; ebenso Koppensteiner, wbl 2001, 1 (9 f.); ders., in: FS Sigle, S. 180 f.; U. Torggler, Treuepflichten, S. 132 ff. 52 Gall/Potyka/Winner, Gesellschafterausschluss, Rdnr. 539; vgl. auch ErlRV 1334 BlgNR 22.GO, 24.
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Abs 2 Z 3 UmwG angemessen abzufinden, und die Angemessenheit unterliegt der gerichtlichen Überprüfung. Eine darüber hinaus gehende Inhaltskontrolle hat der Gesetzgeber in Anbetracht der sich aus dem GesAusG ergebenden Wertungen offenbar nicht gewollt. (U. Torggler weist in seinem Beitrag bereits auf die sE „massive Verschlechterung des Minderheitenschutzes“ hin, wie sie von dem – damals nur als Entwurf vorliegenden – GesAusG ausgehe.) UE hat aber der Gesetzgeber bei der Umsetzung der Übernahme-RL eindeutig der ua von Rüffler und Lutter vertretenen Meinung den Vorzug gegeben.53, 54 Auch lehnen wir den von der Gegenmeinung vorgebrachten Größenschluss auf den Bezugsrechtsausschluss im Rahmen einer Kapitalerhöhung ab.55 Zwar kommt es wegen des gänzlichen Verlustes der Gesellschafterstellung zu einem stärkeren Eingriff in die Sozialinteressen des Gesellschafters, aber gleichermaßen lassen sich auch im Falle eines Bezugsrechtsausschlusses durch die Aufnahme neuer Gesellschafter verstärkte Abhängigkeiten erzeugen. Mit dem Verfahren rund um die Abfindung regelte eben der Gesetzgeber den Minderheitenschutz abschließend. Für nicht bewertbare Sonderrechte kann sich uE auch nichts anderes ergeben: Materielle Beschlusskontrolle bloß in diesem einen Fall zu gewähren, wäre nicht zielführend.56 Für die übertragende Auflösung gilt Gleiches. Zwar ist das GesAusG auf die übertragende Auflösung nicht unmittelbar anwendbar; es untersagt diese aber auch nicht. Da die überwiegende hL den vom UmwG vorgeschriebenen Rechtsschutz auf die übertragende Auflösung analog anwendet, sind uE die entsprechenden Bestimmungen des GesAusG (Ausschluss eines Minderheitsgesellschafters durch den zu 90 % am Grund- oder Stammkapital beteiligten Hauptgesellschafter und Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung der Barabfindung) zu beachten.57
VI. Conclusio Mit dem GesAusG wurde eine neuer, direkter Weg geschaffen, insbesondere auch in einer personalistisch geprägten GmbH einen unliebsamen Gesellschafter ohne wichtigen Grund auszuschließen. Der vor der Novelle
53
Rüffler, Lücken im Umgründungsrecht, S. 277 ff., 285; Lutter, ZGR 1981, 171 (177). Vgl. auch Dorda, Squeeze-out durch Spaltung?, RdW 1998, 654; RdW 1999, 185; GBU 1999/10/07. 55 Vgl. auch Rüffler, Lücken im Umgründungsrecht, S. 282 ff.; a.A. U. Torggler, Treuepflichten, S. 135; ders., Materielle Beschlusskontrolle I, GeS 2006, 58. 56 Rüffler, Lücken im Umgründungsrecht, S. 284; Koppensteiner, wbl 2001, 1 (7 ff.); ders., in: FS Sigle, S. 176 ff. 57 Gall/Potyka/Winner, Squeeze out, Rdnrn. 644 ff.; ErlRV 1334 BlgNR 22. GP, 26. 54
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zum ÜbRÄG 2006 gegebene Weg über die nicht verhältniswahrende Spaltung oder die verschmelzende bzw errichtende Umwandlung hat dadurch in der Praxis weitgehend an Bedeutung verloren. Dennoch wurden diese beiden Varianten beibehalten und durch das ÜbRÄG 2006 an die Wertungen des GesAusG angepasst. Die verschmelzende Umwandlung stellt nach wie vor kein ideales Instrument zum Gesellschafterausschluss dar; dies deshalb, weil sich der Hauptgesellschafter im Unterschied zum GesAusG keine im Konzern gehaltenen Anteile bei der Ermittlung der geforderten Neun-Zehntel-Beteiligung zurechnen lassen kann.58 Wenn die Vermögensübertragung allerdings ohnedies gewollt ist, lässt sich (im Zuge der Umwandlung) der Ausschluss gleich mit erledigen. Dass durch das ÜbRÄG 2006 Regeln des Minderheitenschutzes (Barabfindung, Rechtsschutz und Verfahren) an das GesAusG angepasst und damit verbessert wurden, ist ein klares Indiz dafür, dass der Gesetzgeber eine abschließende Abwägung zwischen den Interessen der Mehrheit und denen der Minderheit vornehmen wollte. Diese Wertung wird vom Großteil der Lehre geteilt. Der in diesem Beitrag ebenfalls behandelten „übertragenden Auflösung“ kam schon bisher geringe Bedeutung zu.59 Im Unterschied zur AG enthält das GmbHG keine § 237 AktG vergleichbare Regelung. Für den Übertragungsbeschluss muss deshalb in Analogie zu § 2 Abs 3 UmwG iVm § 98 GmbHG auf die qualifizierten Beschlusserfordernisse zurückgegriffen werden. Eine nachträgliche Inhaltskontrolle ist auch in diesem Fall nicht vorgesehen. Der in diesem Zusammenhang von einem Teil der Lehre angestellte Größenschluss zur Inhaltskontrolle beim Bezugsrechtsausschluss anlässlich einer Kapitalerhöhung ist ebenfalls zu verneinen. Um sich dennoch vor „Bestandsveränderungen“ wirksam zu schützen, ist es uE ratsam, durch Satzungsgestaltung für bestimmte Umgründungsmaßnahmen ein entsprechendes Veto bzw Zustimmungsrechts vorzusehen. Dadurch ließen sich für die Minderheit unangenehme Folgen im Zuge von der Mehrheit beabsichtigter Umgründungsmaßnahmen vermeiden. Schließlich können die Satzung bzw der GmbH-Gesellschaftsvertrag gemäß § 1 Abs 4 GesAusG den „Gesellschafterausschluss“ von vornherein ausschließen oder wenigsten eine höhere Beteiligungsquote des Hauptgesellschafters vorsehen.
58 59
Gall/Potyka/Winner, Squeeze out, Rdnr. 542. Gall/Potyka/Winner, Squeeze out, Rdnr. 624, insb. Fußn. 663 m.w.N.
Unabhängiger Finanzexperte und Prüfungsausschuss nach dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz Fabian Ehlers und Nicolas Nohlen I. Einleitung Das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG), dessen Inkrafttreten nunmehr für das Frühjahr 2009 geplant ist, befindet sich derzeit immer noch im Gesetzgebungsverfahren. Am 8. November 2007 hatte das Bundesministerium der Justiz einen Referentenentwurf (RefE) veröffentlicht; der Regierungsentwurf (RegE), welcher diesem Beitrag zugrunde liegt, folgte am 21. Mai 2008.1 Das BilMoG ist in weiten Teilen durch gemeinschaftsrechtliche Richtlinien vorgeprägt. Konkret dient es der Umsetzung der Richtlinie 2006/43/EG (Abschlussprüferrichtlinie) 2 sowie der Richtlinie 2006/46/EG (Abänderungsrichtlinie) 3. Inhaltlicher Schwerpunkt der durch das BilMoG anvisierten Gesetzesänderungen ist das HGB-Bilanzrecht. Dieses soll zum einen dereguliert werden, zum anderen sollen Kosten, insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen, gesenkt werden. Insgesamt verfolgt der Gesetzgeber in bilanzrechtlicher Hinsicht das Ziel, Unternehmen von vermeidbarem Bilanzierungsaufwand zu befreien und die Aussagekraft von handelsrechtlichen Jahresabschlüssen zu verbessern. Damit soll letztlich das deutsche Bilanzrecht gegenüber internationalen Rechnungslegungsstandards konkurrenzfähig gemacht werden.4 1
Sowohl der RefE vom 8.11.2007 als auch der RegE vom 21.5.2008 sind auf den Internetseiten des Bundesjustizministeriums abrufbar, http://www.bmj.bund.de (letztmals aufgerufen am 1. Dezember 2008). 2 Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.5.2006 über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen, zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 84/253/EWG des Rates, ABlEU vom 6.9.2006 Nr. L 157, S. 87. 3 Richtlinie 2006/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 zur Änderung der Richtlinien des Rates 78/660/EWG und 83/349/EWG hinsichtlich der Jahresabschlüsse: Entstehungsgeschichte, nationale Umsetzung, Gerichtsentscheidungen, ABlEU vom 16.8.2006 Nr. L 224, S. 1. 4 RefE und RegE, jeweils auf S. 1; vgl. zur Kritik an den bilanzrechtlichen Änderungen, insbesondere am fair-value-accounting Böcking/Dreisbach/Gros, Der Konzern 2008, 207 ff. m.w.N.
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Das BilMoG beinhaltet neben der Modernisierung des Bilanzrechts aber auch erhebliche Änderungen des Aktienrechts, insbesondere der Regelungen zum Aufsichtsrat. Im Vordergrund stehen dabei die neuen Regelungen zum unabhängigen Finanzexperten und zum Prüfungsausschuss. Zudem werden die Entsprechenserklärung zum Corporate Governance Kodex sowie einige aktienrechtliche Regelungen über den Abschlussprüfer ergänzt und modifiziert. Mit diesen Änderungen des Aktienrechts verfolgt der Gesetzgeber das teils bereits gemeinschaftsrechtlich vorgegebene Ziel, die Qualität in der Unternehmensleitung von kapitalmarktorientierten Gesellschaften, also die Corporate Governance, und dabei insbesondere die Effektivität der Überwachung des Vorstands durch den Aufsichtsrat zu verbessern. Gegenstand des nachfolgenden Beitrags sind die aktienrechtlichen Änderungen im Hinblick auf den unabhängigen Finanzexperten und den Prüfungsausschuss im Aufsichtsrat, nicht hingegen die Modernisierung des HGB-Bilanzrechts.5
II. Bisherige Rechtslage 1. Aktiengesetz Das Aktiengesetz enthält de lege lata keine ausdrücklichen Vorschriften über den unabhängigen Finanzexperten im Aufsichtsrat einer deutschen Aktiengesellschaft. Insgesamt gibt es in den Vorschriften zum Aufsichtsrat (§§ 95 ff. AktG) keine Regelung, die ausdrücklich fordert, dass auch nur ein Aufsichtsratsmitglied besondere fachliche Qualifikationen besitzt. Es wird zwar teilweise vertreten, dass zumindest implizit gewisse unverzichtbare gesetzliche Mindestanforderungen an die fachlichen Kenntnisse von Aufsichtsratsmitgliedern zu stellen sind.6 Diese Ansicht stützt sich vor allem auf das Argument, ein Aufsichtsratsmitglied könne seinen Überwachungspflichten gegenüber dem Vorstand nicht entsprechend der gebotenen Sorgfalt nachgehen, wenn es nicht die wirtschaftlichen Zusammenhänge versteht, die für das Unternehmen der Gesellschaft relevant sind. Nach der herrschenden Ansicht bedarf es jedoch keiner besonderen Sachkunde eines Aufsichtsratsmitglieds.7 Dem steht auch nicht das in diesem Zusammenhang oft zitierte 5 Zu den bilanzrechtlichen Änderungen siehe den mit Beispielen versehenen Überblick des BMJ in der Pressemitteilung vom 21. Mai 2008, http://www.bmj.bund.de (letztmals aufgerufen am 1. Dezember 2008) sowie Ernst/Seidler, Kernpunkte des Referentenentwurfs eines Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes, BB 2007, 2557 ff. 6 So etwa Semler, in: MünchKomm-AktG, III, 2. Aufl. (2004), § 100 Rdnrn. 19, 76 ff. 7 Habersack, in: MünchKomm-AktG, II, 3. Aufl. (2008), § 100 Rdnr. 11; Hopt/Roth, in: Großkomm AktG, 2005, § 100 Rdnrn. 20 ff.; Hoffmann-Becking, in: Münchner Handbuch des Gesellschaftsrechts IV, Aktiengesellschaft, 3. Aufl. (2007), § 30 Rdnr. 2a; Hüffer, Die Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern nach Ziffer 5.4.2 DCGK, ZIP 2006, 637 (638).
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„Hertie“-Urteil 8 des BGH aus dem Jahre 1982 entgegen. Der BGH hatte darin entschieden, dass ein Aufsichtsratsmitglied diejenigen Mindestkenntnisse und -fähigkeiten besitzen oder sich aneignen muss, die es braucht, um alle normalerweise anfallenden Geschäftsvorgänge auch ohne fremde Hilfe verstehen und sachgerecht beurteilen zu können.9 Zum einen machte der BGH deutlich, dass es genügt, wenn sich ein Aufsichtsratsmitglied die Kenntnisse erst aneignet, diese also nicht zwingend bei Amtsantritt vorliegen müssen. Zum anderen betraf die Entscheidung lediglich den Sorgfaltsmaßstab eines Aufsichtsratsmitglieds bei der Ausübung seines Amtes, nicht hingegen die Frage, ob nur solche Personen in den Aufsichtsrat bestellt werden können, die über Mindestkenntnisse und -fähigkeiten verfügen.10 Es kann daher derzeit jede natürliche Person, die voll geschäftsfähig ist, unabhängig von ihrer Sachkunde Mitglied des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft sein (§ 100 Abs. 1 Satz 1 AktG). Mitglieder eines Aufsichtsratsausschusses unterliegen allerdings erhöhten Anforderungen an ihre persönliche Qualifikation. Dies gilt insbesondere für Mitglieder eines Prüfungsausschusses.11 Diese müssen vertiefte Kenntnisse besitzen, um den besonderen im Prüfungsausschuss gebündelten Kontrollaufgaben sachgerecht nachgehen zu können. Richtet der Aufsichtsrat daher einen Prüfungsausschuss ein, so vertritt die herrschende Ansicht zutreffender Weise, dass nicht nur jedes Mitglied in diesem Ausschuss über die notwendige „financial literacy“ zu verfügen hat, sondern zudem mindestens eine Person Finanzexperte sein muss.12 Im Übrigen wird in § 100 Abs. 4 AktG die Festlegung persönlicher Anforderungen an ein Aufsichtsratsmitglied dem Satzungsgeber überlassen. Dieser unterliegt bei der Festlegung zwar gewissen Grenzen, da Satzungsvorschriften nicht dazu führen dürfen, dass das originäre Recht der Hauptversammlung zur Wahl der Aufsichtsratsmitglieder, die die Anteilseigner 13 vertreten, unangemessen eingeschränkt wird.14 Satzungsmäßige Regelungen, die besondere fachliche Kenntnisse oder Erfahrungen fordern, sind allerdings als 8
BGHZ 85, 293 (295 f.) = NJW 1983, 991. Vgl. dazu Hopt/Roth (o. Fußn. 7), § 100 Rdnr. 25. 10 Hoffmann-Becking (o. Fußn. 7), § 30 Rdnr. 2a. 11 Habersack, in: MünchKomm-AktG (o. Fußn. 7), § 107 Rdnr. 110. 12 Habersack, Aufsichtsrat und Prüfungsausschuss nach dem BilMoG, AG 2008, 98 (103); Altmeppen, Der Prüfungsausschuss – Arbeitsteilung im Aufsichtsrat, ZGR 2004, 390 (410); Schiessl, Deutsche Corporate Governance post Enron, AG 2002, 593 601. 13 Für Arbeitnehmervertreter kann die Satzung keine persönlichen Voraussetzungen aufstellen, da andernfalls die mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften unterlaufen werden könnten, vgl. hierzu Habersack (o. Fußn. 7), § 100 Rdnr. 39; Spindler, in: Spindler/Stilz (Hrsg.), AktG, 2007, § 100 Rdnr. 36. 14 Drygala, in: Schmidt/Lutter (Hrsg.), AktG, 2008, § 100 Rdnr. 21; Habersack, in: MünchKomm-AktG (o. Fußn. 7), § 100 Rdnr. 41; Hüffer, AktG, 8. Aufl. (2008), § 100 Rdnr. 9; Spindler, in: Spindler/Stilz (o. Fußn. 13), § 100 Rdnr. 37. 9
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zulässig anzusehen.15 Gerade bei börsennotierten Gesellschaften finden sich solche Satzungsvorschriften in der Praxis gleichwohl nur selten.16 Auch zur Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern findet sich keine Vorschrift im Aktiengesetz.17 Es ist daher nach geltendem Recht zulässig 18 und kommt in der Praxis auch nicht selten vor, dass ein Vorstandsvorsitzender unmittelbar anschließend an seine Amtszeit Aufsichtsratsmitglied oder Vorsitzender des Aufsichtsrats in derselben Gesellschaft wird. Ebenso ist es rechtlich zulässig, dass ein Vorstandsmitglied des Hauptaktionärs einer Gesellschaft Aufsichtsratsmitglied in eben dieser Gesellschaft wird.19 Das Aktiengesetz enthält ferner bislang keine Vorschrift über Prüfungsausschüsse in Aufsichtsräten. § 107 Abs. 3 Satz 1 AktG sieht allgemein die Möglichkeit des Aufsichtsrats vor, Ausschüsse zu bilden, konkretisiert aber nicht, mit welchen Aufgaben solche Ausschüsse zulässigerweise betraut werden könnten. In § 107 Abs. 3 Satz 2 AktG sind lediglich einzelne Aufgaben aufgezählt, die nicht an Ausschüsse übertragen werden dürfen. Gleichwohl ist nach bisheriger Rechtslage die Einrichtung eines Prüfungsausschusses unstreitig zulässig. Nicht zulässig ist hingegen eine Satzungsregelung, die den Aufsichtsrat verpflichtet, einen Prüfungsausschuss zu bilden.20 Die Bildung eines Ausschusses ist vielmehr einzig Sache des Aufsichtsrats selbst.21
2. Deutscher Corporate Governance Kodex Hingegen enthält der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK oder Kodex) Vorschriften sowohl zum unabhängigen Finanzexperten als auch zum Prüfungsausschuss im Aufsichtsrat. a) Rechtsnatur des DCGK Die genaue Rechtsnatur des DCGK ist immer noch umstritten.22 Der DCGK ist jedenfalls weder Gesetz, noch kommt ihm satzungsgleiche Wir15 Habersack, in: MünchKomm-AktG (o. Fußn. 7), § 100 Rdnr. 41; Drygala, in: Schmidt/Lutter (o. Fußn. 14), § 100 Rdnr. 21. 16 So auch Hoffmann-Becking (o. Fußn. 7), § 30 Rdnr. 12a; ebenso Hüffer (o. Fußn. 7), S. 638. 17 Vgl. auch Hüffer, ZIP 2006, 637 (638); Habersack, AG 2008, 98 (104). 18 LG München DB 2005, 1617 (1619 f.); Habersack, in: MünchKomm-AktG (o. Fußn. 7), § 100 Rdnr. 54 m.w.N. 19 Hopt/Roth, in: Großkomm AktG (o. Fußn. 7), § 100 Rdnr. 86. 20 Hüffer (o. Fußn. 14), § 107 Rdnr. 16. 21 BGHZ 83, 106 (115); BGHZ 122, 342 (355). 22 Siehe dazu Vetter, Der Deutsche Corporate Governance Kodex nur ein zahnloser Tiger?, NZG 2008, 121 ff.; Ulmer, Der Deutsche Corporate Governance Kodex – ein neues Regulierungsinstrument für börsennotierte Aktiengesellschaften, ZHR 166 (2002), 150 (158 ff.).
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kung zu.23 Er ist auch kein Gewohnheitsrecht oder Handelsbrauch.24 Der DCGK hat vielmehr einen reinen Empfehlungscharakter und ist rechtlich nicht verbindlich;25 er wird daher als „soft law“ qualifiziert.26 Vorstand und Aufsichtsrat einer börsennotierten Gesellschaft 27 sind allerdings verpflichtet, Abweichungen von Empfehlungen des DCGK offenzulegen, § 161 AktG. Diese Entsprechenserklärung muss jährlich erfolgen und ist den Aktionären dauerhaft zugänglich zu machen. Sie hat sich nur auf die Empfehlungen des Kodex zu beziehen, nicht hingegen auch auf Anregungen.28 Das dem § 161 AktG zugrunde liegende Prinzip kommt in der häufig verwendeten Kurzformel „comply or explain“ gut zum Ausdruck, obgleich – da nach § 161 AktG de lege lata nicht begründet werden muss, weshalb von einer Empfehlung abgewichen wird – das Prinzip mit „comply or disclose“ besser umschrieben wäre.29 b) Inhalt der Empfehlungen des DCGK Nach Ziffer 5.3.2 Satz 1 DCGK soll der Aufsichtsrat einen Prüfungsausschuss (audit committee) einrichten, der sich insbesondere mit Fragen der Rechnungslegung, des Risikomanagements und der Compliance, der erforderlichen Unabhängigkeit des Abschlussprüfers, der Erteilung des Prüfungsauftrags an den Abschlussprüfer, der Bestimmung von Prüfungsschwerpunkten und der Honorarvereinbarung befasst. Ferner ist nach Satz 2 vorgesehen, dass der Vorsitzende des Prüfungsausschusses über besondere Kenntnisse und Erfahrungen in der Anwendung von Rechnungslegungsgrundsätzen und internen Kontrollverfahren (Finanzexperte) verfügen soll.30 Wann diese Vor-
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Aus der Rspr. jüngst LG München BB 2008, 10 ff. Kort, Corporate Governance-Fragen der Größe und Zusammensetzung des Aufsichtsrats bei AG, GmbH und SE, AG 2008, 137 f. 25 Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, Deutscher Corporate Governance Kodex, Kommentar, 3. Aufl. (2008), S. 31 f.; Vetter (o. Fußn. 22), S. 121 ff. 26 Kort, AG 2008, S. 137 f. 27 Der DCGK richtet sich in erster Linie an börsennotierte Gesellschaften, wobei in der Präambel auch nicht börsennotierten Gesellschaften die Beachtung des Kodex empfohlen wird. 28 Umkehrschluss aus Ziffer 3.10 Satz 3 DCGK; Empfehlungen sind mit dem Wort „soll“ versehen, Anregungen mit den Wörtern „sollte“ oder „kann“. 29 Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder (o. Fußn. 25), S. 30. Nach dem RegE des BilMoG müssen allerdings künftig auch die Gründe für eine Abweichung genannt werden (Artikel 5 Nr. 9 BilMoG). 30 Die Empfehlung eines unabhängigen Finanzexperten (financial expert) im Prüfungsausschuss (audit committee) geht u.a. auf Section 407(a) des Sarbanes Oxley Act zurück, vgl. auch Vetter, Update des Deutschen Corporate Governance Kodex, BB 2005, 1689; vgl. umfassend zum audit committee im Sarbanes Oxley Act und dessen Bedeutung für deutsche Aktiengesellschaften Gruson/Kubicek, Der Sarbanes-Oxley Act. Corporate Governance und das deutsche Aktienrecht (Teil I), AG 2003, 337 (345 f.). 24
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aussetzungen erfüllt sind und ob die Sachkunde formal nachgewiesen werden muss, lässt sich dem Kodex selbst nicht entnehmen. Zutreffenderweise ist es Sache des Aufsichtsrats, darüber zu entscheiden, ob eine Person als Finanzexperte ausreichend qualifiziert ist.31 Mindestanforderung muss aber sein, dass die Person aufgrund ihrer fachlichen Qualifikationen mit dem Abschlussprüfer auf „gleicher Augenhöhe“ kommunizieren kann.32 Die Unabhängigkeit dieses Finanzexperten ist hingegen nicht umfassend geregelt. Er sollte nach Ziffer 5.3.2 Satz 3 DCGK lediglich kein ehemaliges Vorstandsmitglied der Gesellschaft sein. Eine weitergehende Anforderung an die Unabhängigkeit des Ausschussvorsitzenden ist nicht vorgesehen.33 Ziffer 5.4.2 DCGK, die sich auf den gesamten Aufsichtsrat oder genauer: auf alle Aktionärsvertreter des Aufsichtsrats bezieht 34, empfiehlt lediglich eine „ausreichende Zahl unabhängiger Mitglieder“35, hat also keine unmittelbare Bedeutung für den Vorsitzenden des Prüfungsausschusses. Im Übrigen empfiehlt Ziffer 5.4.2 Satz 4 DCGK, dass Aufsichtsratsmitglieder keine Organfunktion oder Beratungsaufgaben bei wesentlichen Wettbewerbern des Unternehmens ausüben sollen. Die Definition in Ziffer 5.4.2 Satz 2 DCGK, wonach Unabhängigkeit vorliegt, wenn keine geschäftliche oder persönliche Beziehung zu der Gesellschaft oder deren Vorstand besteht, die einen Interessenkonflikt begründet, zeigt jedenfalls auf, dass ein Aufsichtsratsmitglied nicht schon dann unabhängig ist, wenn es – wie in Ziffer 5.3.2 Satz 3 DCGK verlangt – kein ehemaliges Vorstandsmitglied ist. Die Stellung als Aktionär einer Aktiengesellschaft steht hingegen der Unabhängigkeit eines Aufsichtsratsmitglieds im Grundsatz nicht entgegen, da die Aktionärseigenschaft oder gar eine Kontrollbeteiligung nicht notwendigerweise zu einem Geschäftsverhältnis im Sinne der Ziffer 5.4.2 Satz 2 DCGK führt.36 Der Vertreter einer Muttergesellschaft kann daher unabhängiges Aufsichtsratsmitglied der Tochtergesellschaft sein.37 Zusammenfassend kann zum DCGK damit festgehalten werden, dass empfohlen wird, einen Prüfungsausschuss zu bilden und den Vorsitz des 31 Vetter, BB 2005, 1689 (1690). Wann eine Person als financial expert gemäß Section 407(a) des Sarbanes Oxley Act angesehen werden kann, ist hingegen in einem ausführlichen Dokument geregelt, vgl. dazu auch Schiessl, AG 2002, 593 (601 f.). 32 Vgl. auch Vetter, BB 2005, 1689 (1690). 33 Vgl. auch Kremer, in: Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, (o. Fußn. 25), S. 256. 34 Vgl. zu dieser Auslegung zutreffend Hüffer, ZIP 2006, 637 (639); Habersack, AG 2008, 98 (105); Vetter, BB 2005, 1689 (1691). 35 Bei der Frage, welche Zahl an unabhängigen Aufsichtsratsmitgliedern „ausreichend“ ist, steht dem Aufsichtsrat ein weiter Beurteilungsspielraum zu, Kremer, in: Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, (o. Fußn. 25), S. 269; es muss aber zumindest ein Mitglied den Unabhängigkeitsanforderungen genügen, siehe Lieder, Das unabhängige Aufsichtsratsmitglied – Zu den Änderungen des Deutschen Corporate Governance Kodex, NZG 2005, 569 (572). 36 Habersack, AG 2008, 98 (105); Lieder, NZG 2005, 569 (571). 37 Vgl. dazu Lieder, NZG 2005, 569 (571).
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Prüfungsausschuss von einem Finanzexperten ausüben zu lassen, wobei der Finanzexperte kein ehemaliges Vorstandsmitglied sein sollte. Weitere Anforderungen, die konkret die Unabhängigkeit des Finanzexperten betreffen, werden nicht gestellt.
III. Unabhängiger Finanzexperte und Prüfungsausschuss in der Praxis Nach Erhebungen über die Befolgung des DCGK aus dem Jahre 2007 („Kodex Report 2007“), die auf der Grundlage eines schriftlichen Fragebogens erfolgt sind, haben nahezu alle Aufsichtsräte großer deutscher Unternehmen einen Prüfungsausschuss eingerichtet.38 Bei den DAX-Unternehmen liegt die Quote bei 100 %, bei den MDAX-Unternehmen nur knapp darunter. Ferner hat der Kodex Report 2007 ergeben, dass – wenn der Aufsichtsrat über einen Prüfungsausschuss verfügt – dieser in 100 % der Fälle einen Finanzexperten, d.h. eine Person, die über Kenntnisse und Erfahrungen in der Anwendung von Rechnungslegungsgrundsätzen und internen Kontrollverfahren 39 verfügt, als Vorsitzenden hat.40 Dies gilt nicht nur für die DAXund M-DAX-Unternehmen, sondern für alle befragten börsennotierten Unternehmen, die dem DCGK unterliegen (insgesamt 213). Im Hinblick auf die Unabhängigkeit des Finanzexperten im Aufsichtsrat sieht die Situation hingegen etwas anders aus. Zum einen sieht der DCGK noch nicht einmal vor, dass der Finanzexperte im Prüfungsausschuss des Aufsichtsrats unabhängig im weiten Sinne sein soll. Vielmehr wird lediglich empfohlen, dass dieser nicht ehemaliges Vorstandsmitglied ist.41 Zum anderen wird diese Empfehlung aus Ziffer 5.3.2 Satz 3 DCGK nur von 83,1 % der befragten Unternehmen, die dem DCGK unterliegen, befolgt.42 Würde man untersuchen, wie viele der Finanzexperten im Prüfungsausschuss unabhängig im Sinne der Ziffer 5.4.2 Satz 2 DCGK sind, also keine geschäftliche oder persönliche Beziehung zu der Gesellschaft oder deren Vorstand haben, die einen Interessenkonflikt begründet, so würde der Prozentsatz wohl noch deutlich niedriger liegen als 83,1 %. Es bleibt damit festzuhalten, dass die Einrichtung eines Prüfungsausschusses mit einem Finanzexperten – obwohl eine gesetzliche Pflicht fehlt und die
38 v. Werder/Talaulicar, Kodex Report 2007: Die Akzeptanz der Empfehlungen und Anregungen des Deutschen Corporate Governance Kodex, DB 2007, 869 (872). 39 Im Hinblick auf Kenntnisse und Erfahrungen in der Anwendung von internen Kontrollverfahren liegt die Quote bei 99,2 %, v. Werder/Talaulicar, DB 2007, 869 (873). 40 v. Werder/Talaulicar, DB 2007, 869 (872 f.). 41 Vgl. dazu supra unter II.2.b. 42 v. Werder/Talaulicar, DB 2007, 869 (874).
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diesbezüglichen Vorschriften des DCGK rechtlich nicht verbindlich sind – bereits heute gelebte Praxis in deutschen börsennotierten Unternehmen ist. Der Finanzexperte ist allerdings in vielen Fällen nicht unabhängig im Sinne des 5.4.2 Satz 2 DCGK.
IV. Rechtslage nach dem BilMoG 1. Übersicht Das BilMoG sieht in seinem Regierungsentwurf eine Reihe von neuen aktienrechtlichen Regelungen vor, die den Finanzexperten und Prüfungsausschuss im Aufsichtsrat betreffen.43 So regelt etwa Artikel 4 Nr. 3 BilMoG, dass im Aufsichtsrat von kapitalmarktorientierten Kapitalgesellschaften künftig mindestens ein unabhängiger Finanzexperte zu sitzen hat. § 100 AktG, der die persönlichen Voraussetzungen für Aufsichtsratsmitglieder regelt, wird zu diesem Zwecke um einen neuen Absatz 5 ergänzt. Kapitalmarktorientiert ist eine Gesellschaft nach § 264d HGB-E, der ebenfalls durch das BilMoG eingeführt werden soll, wenn sie einen organisierten Markt im Sinne des § 2 Abs. 5 WpHG durch von ihr ausgegebene Wertpapiere im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 1 WpHG in Anspruch nimmt oder die Zulassung zum Handel an einem organisierten Markt beantragt hat.44 Des Weiteren bestimmt Artikel 4 Nr. 4a BilMoG, dass der Aufsichtsrat einen Prüfungsausschuss einrichten kann, dem er insbesondere die Überwachung des Rechnungslegungsprozesses, der Wirksamkeit der internen Risikomanagementsysteme und der internen Revision sowie der Abschlussprüfung überträgt. Hierzu soll in § 107 Abs. 3 AktG ein Satz 2 neu eingefügt werden. Schließlich sieht Artikel 4 Nr. 4b BilMoG vor, dass, sofern der Aufsichtsrat einer kapitalmarktorientierten Kapitalgesellschaft einen Prüfungsausschuss einrichtet, ein unabhängiger Finanzexperte Mitglied dieses Ausschusses zu sein hat. Dies soll künftig im neuen § 107 Abs. 4 AktG geregelt sein. In § 124 Abs. 3 AktG soll schließlich gemäß Artikel 4 Nr. 6 BilMoG ein neuer Satz 2 eingefügt werden, der – sofern der Aufsichtsrat einer kapitalmarkorientierten Kapitalgesellschaft einen Prüfungsausschuss eingerichtet hat – vorsieht, dass sich der Vorschlag des Aufsichtsrats zur Wahl des Abschlussprüfers auf die Empfehlung des Prüfungsausschusses zu stützen hat. 43 Vgl. allgemein Gruber, Der unabhängige Finanzexperte im Aufsichtsrat nach dem Referentenentwurf des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes, NZG 2008, 12 ff. 44 In der Literatur wird die Beschränkung der aktienrechtlichen Regelungen auf kapitalmarktorientierte Gesellschaften teilweise kritisiert, vgl. Hommelhoff/Mattheus, Risikomanagementsystem im Entwurf des BilMoG als Funktionselement der Corporate Governance, BB 2007, 2787 (2789).
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2. Unabhängiger Finanzexperte a) Fachliche Qualifikation Ein Finanzexperte ist nach dem Verständnis des BilMoG (§ 100 Abs. 5 AktG-E) eine Person, die über Sachverstand auf den Gebieten Rechungslegung oder Abschlussprüfung verfügt. Voraussetzung ist nach der Begründung des RegE, dass das Aufsichtsratsmitglied beruflich mit Rechnungslegung und/oder Abschlussprüfung befasst ist oder war. Dies kann nach dem RegE etwa angenommen werden für Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Finanzvorstände, fachkundige Angestellte aus den Bereichen Rechnungswesen und Controlling sowie langjährige Mitglieder in Prüfungsausschüssen oder Betriebsräte, die sich diese Fähigkeit im Zuge ihrer Tätigkeit durch Weiterbildung angeeignet haben.45 Erstmals wird durch das BilMoG damit ausdrücklich rechtlich verbindlich festgelegt, dass zumindest ein Aufsichtsratsmitglied über besondere fachliche Qualifikationen verfügen muss. Die in § 100 Abs. 5 AktG-E gestellten Anforderungen an die Fähigkeiten des Finanzexperten scheinen allerdings geringer zu sein als die bisherigen Empfehlungen des DCGK: Letzterer spricht von besonderen Erkenntnissen und Erfahrungen „in der Anwendung von Rechnungslegungsgrundsätzen und internen Kontrollverfahren“ 46, während in § 100 Abs. 5 AktG-E lediglich Sachverstand „auf den Gebieten Rechungslegung oder Abschlussprüfung“ 47 gefordert wird.48 Nach herrschender Ansicht ist die Mitgliedschaft zumindest eines Finanzexperten im Prüfungsausschuss eines Aufsichtsrates sogar bereits heute schon nicht nur im DCGK als „soft law“ kodifiziert, sondern auch nach dem Aktiengesetz verbindlich vorgegeben.49 Insofern bringt die Regelung des § 100 Abs. 5 AktG-E in der Version nach dem RegE insbesondere eine rechtliche Klarstellung, nicht hingegen eine über die bisherige Rechtslage hinausgehende Neuerung. b) Unabhängigkeit Ferner wird durch das BilMoG mit § 100 Abs. 5 AktG-E auch erstmalig eine gesetzliche Vorschrift geschaffen, die die Unabhängigkeit eines Aufsichtsratsmitglieds verlangt. Dass dies erst jetzt geschieht, ist durchaus bemerkenswert, da die Überwachungsfunktion des Aufsichtsrats gerade im Falle mangelnder Unabhängigkeit einzelner Aufsichtsratsmitglieder – mehr als aufgrund fehlender Fachkenntnisse 50 – gefährdet ist. 45
RegE, S. 225. Vgl. bereits supra unter II.2.b. (Hervorhebung durch Verfasser). 47 Hervorhebung durch Verfasser. 48 So auch Habersack, AG 2008, 98 (103). 49 Vgl. supra Fußn. 12. 50 Vgl. dazu umfassend Roth/Wörle, Die Unabhängigkeit des Aufsichtsrats – Recht und Wirklichkeit, ZGR 2004, 565 ff. 46
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Wann ein Experte unabhängig ist, kann dem BilMoG hingegen nicht entnommen werden. Lediglich in der Begründung des RegE wird auf die Empfehlung der Kommission vom 15. Februar 2005 51 (nachfolgend Kommissionsempfehlung) und dessen Ziffer 13.1 verwiesen, wonach Unabhängigkeit allgemein vorliegt, wenn keine geschäftliche, familiäre oder sonstige Beziehung zu der Gesellschaft, ihrem Mehrheitsaktionär oder deren Geschäftsführung besteht, die einen Interessenskonflikt begründet, der das Urteilsvermögen beeinflussen könnte. Auch wenn eine solche Empfehlung der Kommission kein verbindlicher gemeinschaftsrechtlicher Rechtsakt ist, der Vorrang vor nationalem Recht genießt, so ist sie dennoch „nicht als rechtlich völlig wirkungslos“ anzusehen.52 Die mitgliedstaatlichen Gerichte sind nach der Rechtsprechung des EuGH vielmehr verpflichtet, solche Empfehlungen insbesondere dann zu berücksichtigen, wenn sie als Auslegungshilfe nationaler Umsetzungsvorschriften dienen können.53 Der Begriff „Unabhängigkeit“ gemäß § 100 Abs. 5 AktG-E wird daher im Lichte der Konkretisierung durch die Kommissionsempfehlung ausgelegt werden müssen.54 Die Kommissionsempfehlung beinhaltet neben der in Nr. Ziffer 13.1. enthaltenen Definition des Begriffs „Unabhängigkeit“ einen Anhang II, der eine Reihe von Umständen aufzählt, die gegen die Unabhängigkeit eines Aufsichtsratsmitglieds sprechen. Aus deutscher Perspektive sind vor allem die Ziffern 1a) sowie 1d) des Anhangs II von Bedeutung: Unabhängig ist danach ein ehemaliges Vorstandsmitglied nur, wenn es das Vorstandsamt seit fünf Jahren nicht mehr ausübt (Ziffer 1a) 55. Ein Anteilseigner mit Kontrollbeteiligung oder dessen Vertreter ist in keinem Falle unabhängig (Ziffer 1d). Diese Anforderungen an die Unabhängigkeit des Finanzexperten im Aufsichtsrat oder im Prüfungsausschuss gehen deutlich über die bisherige Rechtslage und die Empfehlungen des DCGK hinaus. Auch die bisherige Praxis entspricht diesen künftigen gesetzlichen Anforderungen nicht.56 Es bleibt abzuwarten, ob sich dies mit Inkrafttreten des BilMoG ändern wird. Angesichts der langen Verweisungskette bis hin zum Anhang II der Kommissionsempfehlung und deren für viele unklare Rechtsverbindlichkeit ist jedenfalls durch das BilMoG nicht unbedingt für ein Höchstmaß an Transparenz und Rechtssicherheit gesorgt. 51 Empfehlung (2005/162/EG) der Kommission vom 15. Februar 2005 zu den Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren oder Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften sowie zu den Ausschüssen des Verwaltungs- und Aufsichtsrats, ABl vom 25.2.2005 Nr. L 52, S. 51. 52 Urteil des EuGH v. 13. Dezember 1989 in der Rs. 322/88 (Grimaldi), Slg. 1989, 4407, Rdnr. 18. 53 Ebd. 54 Vgl. auch Habersack, AG 2008, 98 (105). 55 Für andere Führungskräfte gilt eine Zeitspanne von drei Jahren (Ziffer 1b des Anhangs II). 56 Vgl. dazu supra unter III.
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c) Rechtliche Folgen eines Verstoßes gegen § 100 Abs. 5 AktG-E Verstöße gegen § 100 Abs. 5 AktG-E sind in vielfacher Hinsicht denkbar. Dem Aufsichtsrat fehlt von Anfang an ein Finanzexperte, die Hauptversammlung verzichtet bei der Wahl auf einen Finanzexperten, die Amtszeit des Finanzexperten endet oder der Finanzexperte steht von Anfang an in einem Abhängigkeitsverhältnis oder verliert während seiner Amtszeit seine Unabhängigkeit. In all diesen Fällen wird den Vorgaben des § 100 Abs. 5 AktG-E nicht entsprochen. Offen, weil durch den RegE nicht geregelt, ist, welche Rechtsfolgen dann eintreten. Zunächst stellt sich die Frage, wie ab Inkrafttreten mit Aufsichtsräten zu verfahren ist, in denen – da bislang eine gesetzliche Verpflichtung nicht bestand – kein Mitglied die in § 100 Abs. 5 AktG-E gestellten Anforderungen an einen unabhängigen Finanzexperten erfüllt. Kann in einem solchen Falle mit der Bestellung eines unabhängigen Finanzexperten bis zur turnusgemäßen Wahl neuer Aufsichtsratsmitglieder gewartet werden oder besteht die Verpflichtung, unverzüglich personelle Änderungen im Aufsichtsrat durchzuführen? Der RegE des BilMoG enthält hierzu keine Übergangsregelung. Für die Praxis wird man wohl davon ausgehen können, dass amtierende Aufsichtsratsmitglieder im Amt bleiben und die Regelung für die Wahl neuer Aufsichtsratsmitglieder gilt.57 Wäre dies nicht der Fall, müsste entweder (zumindest) ein amtierendes Aufsichtsratsmitglied vor Beendigung seiner Amtszeit durch die Hauptversammlung abberufen werden, damit ein Platz für einen unabhängigen Finanzexperten frei wird, oder es müsste im Wege einer Satzungsänderung die Anzahl der Aufsichtsratsmitglieder erhöht werden, aufgrund des § 95 S. 3 AktG allerdings mindestens um drei Mitglieder. Hätte der Gesetzgeber diese Pflichten durch das BilMoG einführen wollen, so hätte dies im RegE klar zum Ausdruck kommen müssen. Die Verpflichtung des § 105 Abs. 5 AktG-E entfaltet daher – nach Inkrafttreten des BilMoG – frühestens bei der ersten turnusgemäßen Wahl eines neuen Aufsichtsratsmitglieds seine Wirkung. In Bezug auf die Wahl neuer Aufsichtsratsmitglieder ist ferner fraglich, ob der zugrunde liegende Hauptversammlungsbeschluss anfechtbar ist, wenn die Voraussetzungen des § 100 Abs. 5 AktG-E nicht erfüllt sind. Bei dieser Frage muss allerdings danach differenziert werden, ob nur ein Aufsichtsratsmitglied gewählt wird, ob mehrere Aufsichtsratsmitglieder mit einem Beschluss gewählt werden (Listenwahl) oder ob mehrere Aufsichtsratsmitglieder auf einer Hauptversammlung, allerdings jeweils mit gesondertem Beschluss gewählt werden. Ist das BilMoG in Kraft und steht die Wahl lediglich eines Aufsichtsratsmitglieds an, so muss die zu wählende Person ein unabhängiger Finanzexperte im Sinne des § 100 Abs. 5 AktG-E sein, wenn 57
Vgl. auch Gruber, NZG 2008, 12 (14).
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bislang keine Person diesem Anforderungsprofil entspricht. Ist dies nicht der Fall, so ist der Hauptversammlungsbeschluss anfechtbar, da er mit § 100 Abs. 5 AktG-E nicht in Einklang steht. Werden mehrere Aufsichtsratsmitglieder mit einem Beschluss gewählt, so ist die gesamte Wahl anfechtbar, wenn nach der Wahl kein unabhängiger Finanzexperte Mitglied des Aufsichtsrats ist. Auch bei der Wahl mehrerer Aufsichtsratsmitglieder mit jeweils gesonderten Beschlüssen muss wohl davon ausgegangen werden, dass die einzelnen Beschlüsse anfechtbar sein werden, wenn der Aufsichtsrat in seiner neuen Zusammensetzung nicht über einen unabhängigen Finanzexperten im Sinne des § 100 Abs. 5 AktG-E verfügen würde.58 Zwar sind die einzelnen Beschlüsse für sich betrachtet ohne Mangel. Im Ergebnis wird aber durch die Summe der einzelnen Beschlüsse ein Aufsichtsrat konstituiert, in dem keine Person vertreten ist, die den Anforderungen des § 100 Abs. 5 AktG-E gerecht wird. Es besteht daher zumindest ein erhebliches Anfechtungsrisiko. Es bleibt letztlich festzuhalten, dass die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen § 100 Abs. 5 AktG-E unklar sind. Hier gibt es Klarstellungsbedarf seitens des Gesetzgebers. d) Der unabhängige Finanzexperte aus verfassungsrechtlicher Perspektive Eine Vorschrift, die wie § 100 Abs. 5 AktG-E die Mitgliedschaft eines unabhängigen Finanzexperten im Aufsichtsrat einer kapitalmarktorientierten Gesellschaft zwingend vorschreibt und dabei – wie aufgezeigt – hohe Anforderungen an die „Unabhängigkeit“ stellt, ist verfassungsrechtlich, insbesondere im Hinblick auf Artikel 14 GG, nicht unproblematisch. Ausgangspunkt dieser Erwägung ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit der unternehmerischen Mitbestimmung aus dem Jahre 1979.59 Die Frage, ob die gesetzlich vorgeschriebene hälftige Besetzung des Aufsichtsrats mit Arbeitnehmervertretern u.a. gegen das Eigentumsrecht aus Artikel 14 GG verstößt, verneinten die Karlsruher Richter seinerzeit mit dem Argument, dass selbst in einem paritätisch zusammengesetzten Aufsichtsrat der Anteilseignerseite ein „leichtes Übergewicht“ zukomme, die Anteilseignerseite folglich „den ausschlaggebenden Einfluss ausüben“ könne.60 Dieses Übergewicht sei im Kern darauf zurückzuführen, dass dem Aufsichtsratsvorsitzenden, der aufgrund der Regelung des § 27 Abs. 2 MitbestG in der Praxis stets Anteilseignervertreter ist, in Pattsituationen gemäß § 29
58 So auch Diemer, Börsen-Zeitung vom 9. April 2008, 2; ebenso für die Anfechtbarkeit allerdings ohne Differenzierung Habersack, AG 2008, 98 (106); a.A. Gruber, NZG 2008, 12 (14). 59 BVerfGE 50, 290 (Mitbestimmung). 60 BVerfGE 50, 290 (323 f.) (Mitbestimmung).
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Abs. 2 MitbestG ein Doppelstimmrecht bei Beschlüssen des Aufsichtsrats zukommt. In Aktiengesellschaften mit paritätisch zusammengesetzten Aufsichtsräten kann die zwingende Mitgliedschaft eines unabhängigen Mitglieds im Aufsichtsrat künftig allerdings dazu führen, dass die Aktionärsseite ihr Übergewicht und damit ihre Kontrolle im Aufsichtsrat verliert. Formal gesehen findet zwar keine Veränderung der Verhältnisse statt, da der unabhängige Finanzexperte von der Anteilseignerseite gewählt wird und er dieser mithin zuzurechnen ist. Faktisch hingegen verschiebt sich das Kräfteverhältnis zwischen Anteilseigner- und Arbeitnehmerseite durch den unabhängigen Finanzexperten sehr wohl. In einem paritätisch zusammengesetzten Aufsichtsrat mit 12 Mitgliedern säßen etwa künftig sechs Vertreter der Arbeitnehmerinteressen, fünf Vertreter der Anteilseignerinteressen sowie ein unabhängiges Mitglied (6-5-1). Zwar sind alle Mitglieder des Aufsichtsrats dem Unternehmensinteresse verpflichtet,61 gleichwohl hat der Gesetzgeber mit dem Mitbestimmungsgesetz zu erkennen gegeben, dass zwischen Anteilseignern und Arbeitnehmern divergierende Interessen bestehen, die eines Ausgleichs bedürfen.62 Es ist jedenfalls durchaus zweifelhaft, ob bei der als Beispiel genannten 6-5-1-Zusammensetzung des Aufsichtsrats mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts noch von einem „leichten Übergewicht“ der Anteilseigner gesprochen werden kann. Die damit aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen erledigen sich auch nicht dadurch, dass die Einführung eines unabhängigen Finanzexperten gemeinschaftsrechtlich durch Artikel 41 Abs. 1 Satz 3 der Abschlussprüferrichtlinie verbindlich vorgegeben ist. § 100 Abs. 5 AktG-E setzt zwar in der Tat zwingendes Gemeinschaftsrecht um und ist daher aufgrund der SolangeII-Rechtsprechung 63 des Bundesverfassungsgerichts nicht am Maßstab des Grundgesetzes zu prüfen.64 Die Einführung eines unabhängigen Finanzexperten durch § 100 Abs. 5 AktG-E allein ist aber – wie aufgezeigt – auch gar nicht das Problem. Es ist vielmehr erst das Zusammenspiel mit der deutschen Arbeitnehmermitbestimmung, das im Hinblick auf Artikel 14 GG Fra-
61 Vgl. zur Bindung an das Unternehmensinteresse Habersack, in: MünchKomm-AktG (o. Fußn. 7), Vor § 95 Rdnr. 13; sowie Hüffer (o. Fußn. 14), § 76 Rdnrn. 12 ff.; vgl. zur „Unabhängigkeit“ von Arbeitnehmervertretern Gruson/Kubicek, AG 2003, 337 (350 f.). 62 Vgl. etwa die Gesetzesbegründung zum Mitbestimmungsgesetz, BR-Drucks. 200/74, 27 li. Sp.; vgl. zum „Interessenpluralismus“ auch Wissmann, in: Fitting/Wlotzke/Wißmann (Hrsg.), Mitbestimmungsrecht-Kommentar, 3. Aufl. (2008), Vorbem. S. 18. 63 BVerfGE 73, 339 (375 f.) (Solange II). Vgl. zur Bedeutung von Solange II auch für nationale Gesetze, die zwingendes Richtlinienrecht umsetzen, BVerfG NVwZ 2004, 1346, BVerfG NJW 2001, 1267 sowie ausführlich Masing, Vorrang des Europarechts bei umsetzungsgebundenen Rechtsakten, NJW 2006, 264 ff. m.w.N. 64 Er unterliegt nur dem auf Gemeinschaftsrechtsebene gewährleisteten Grundrechtsschutz, vgl. ebenda.
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gen aufwirft. Die mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften dienen aber nicht der Umsetzung zwingenden Gemeinschaftsrechts und sind folglich am Maßstab des Grundgesetzes voll überprüfbar.
3. Nicht-obligatorischer Prüfungsausschuss Der Aufsichtsrat einer kapitalmarktorientierten Gesellschaft ist nach dem RegE in seiner Entscheidung frei, ob er einen Prüfungsausschuss einrichtet oder nicht. § 107 Abs. 3 S. 2 AktG-E sieht hierzu explizit vor, dass der Aufsichtsrat einen Prüfungsausschuss bilden „kann“. Im Übrigen nennt er im Einzelnen die Überwachungsaufgaben, die einem Prüfungsausschuss übertragen werden können, namentlich die Überwachung des Rechnungslegungsprozesses, der Wirksamkeit der internen Risikomanagementsysteme und der internen Revision sowie der Abschlussprüfung. Die Aufzählung der möglichen Überwachungsaufgaben des Prüfungsausschusses hat in erster Linie klarstellenden und konkretisierenden Charakter.65 Die genannten Pflichten ergeben sich ohnehin bereits aus den allgemeinen Überwachungspflichten des Aufsichtsrats.66 Zudem kommt der Normergänzung die Funktion zu, zur Bildung eines Prüfungsausschusses anzuregen.67 Eine Einschränkung dergestalt, dass nur die genannten Überwachungsaufgaben auf einen Prüfungsausschuss übertragen werden können, kann § 107 Abs. 3 S. 2 AktG-E hingegen nicht entnommen werden, da der Aufzählung ein „insbesondere“ vorangestellt ist. Fraglich ist allerdings, ob § 107 Abs. 3 S. 1 AktG, indem er keine Verpflichtung zur Einrichtung eines Prüfungsausschusses vorsieht, richtlinienkonform ist. Artikel 40 Abs. 1 der Abschlussprüferrichtlinie 68 sieht zunächst vor, dass jedes Unternehmen von öffentlichem Interesse 69 einen Prüfungsausschuss haben muss. Artikel 40 Abs. 5 der Abschlussprüferrichtlinie lässt es allerdings allgemein zu, die einem Prüfungsausschuss nach der Richtlinie obliegenden Aufgaben auch einem anderen Gremium zu übertragen. Es stellt sich mithin die Frage, ob ein anderes „Gremium“ in diesem Sinne auch der Aufsichtsrat als Ganzes sein kann. Wäre dies der Fall, so bestünden im Hinblick auf die deutsche Umsetzung § 107 Abs. 3 S. 1 AktG keine gemeinschaftsrechtlichen Bedenken. 65 Stellungnahme des Deutschen Aktieninstituts vom 21. Dezember 2007 zum Referentenentwurf des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes, S. 2. 66 Hommelhoff/Mattheus, BB 2007, 2787 (2789). 67 Ebenda. 68 Siehe Fußn. 2. 69 Unternehmen von öffentlichem Interesse sind insbesondere Banken und Versicherungen sowie andere Unternehmen, wenn sie Aktien oder Schuldtitel an einen geregelten Markt begeben haben, Artikel 2 Nr. 13 Abschlussprüferrichtlinie.
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Gegen eine solche weite Auslegung des Artikels 40 Abs. 5 der Abschlussprüferrichtlinie könnte allerdings Artikel 40 Abs. 1 Unterabs. 2 der Abschlussprüferrichtlinie sprechen. Dieser sieht nämlich ausschließlich für kleine und mittlere Unternehmen im Sinne der Richtlinie 2003/71/EG vor, dass die Aufgaben des Prüfungsausschusses dem gesamten Aufsichtsorgan übertragen werden können. Aus Artikel 40 Abs. 1 Unterabs. 2 der Abschlussprüferrichtlinie allerdings ableiten zu wollen, der Begriff „Gremium“ in Artikel 40 Abs. 5 müsse eng ausgelegt werden mit der Folge, dass der Gesamtaufsichtsrat die Aufgaben des Prüfungsausschusses nicht in zulässiger Weise ausüben könnte, würde den Zweck des Artikels 41 der Abschlussprüferrichtlinie verkennen. Dieser liegt darin, durch die Einrichtung eines Prüfungsausschusses vor allem bei monistisch organisierten Gesellschaften eine Trennung von Unternehmensleitung und Überwachung herbeizuführen. Bei dualistisch organisierten Gesellschaften, wie der deutschen Aktiengesellschaft, ist die Überwachung der Unternehmensleitung ohnehin Sache des Aufsichtsrats, also einem vom Vorstand getrennten Organ. Es ist daher nicht überzeugend und von der Richtlinie auch nicht gewollt, auch dualistisch organisierten Gesellschaften zwingend die Einrichtung eines Prüfungsausschusses vorzuschreiben. Der 24. Erwägungsgrund der Abschlussprüferrichtlinie sieht dementsprechend auch die Möglichkeit vor, dass die dem Prüfungsausschuss zugewiesenen Funktionen auch durch den Aufsichtsrat als Ganzes ausgeübt werden können, ohne dabei – wie in Artikel 40 Abs 1 Unterabs. 2 der Abschlussprüferrichtlinie – eine Beschränkung auf kleine und mittlere Unternehmen vorzunehmen.70 Indem der deutsche Gesetzgeber die Bildung eines Prüfungsausschusses nicht zwingend vorschreibt, hat er folglich nicht gegen die Abschlussprüferrichtlinie verstoßen, da diese es zulässt, dass die dem Prüfungsausschuss zugewiesenen Aufgaben auch vom gesamten Aufsichtsrat wahrgenommen werden.71 Die durch das BilMoG geplante optionale Einrichtung eines Prüfungsausschusses wird im Übrigen weitgehend begrüßt.72
4. Unabhängiger Finanzexperte im Prüfungsausschuss Wird ein Prüfungsausschuss eingerichtet, so muss ein unabhängiger Finanzexperte Mitglied dieses Ausschusses sein. Auch diese Pflicht nach § 107 70
Vgl. auch RegE, S. 224. Ebenso Habersack, AG 2008, 98 (100 f.); Hucke, Der Prüfungsausschuss nach dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG), ZCG 2008, 122 (124). 72 Habersack, AG 2008, 98 (101); Stellungnahme des Deutschen Aktieninstituts vom 21. Dezember 2007 zum Referentenentwurf des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes, S. 2; a.A. Arbeitskreis Externe und Interne Überwachung der Unternehmung der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e.V., Der Prüfungsausschuss nach der 8. EU-Richtlinie: Thesen zur Umsetzung in deutsches Recht, DB 2007, 2129 f. 71
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Abs. 4 AktG-E richtet sich nur an kapitalmarktorientierte Gesellschaften im Sinne des § 264d HGB-E. Da im Gesamtaufsichtsrat einer kapitalmarktorientierten Gesellschaft künftig gemäß § 100 Abs. 5 AktG-E ohnehin ein unabhängiger Finanzexperte zu sitzen hat, führt § 107 Abs. 4 AktG-E nicht zu einem weiteren gesetzlichen Erfordernis an die Sachkunde der Aufsichtsratsmitglieder. Eine kapitalmarktorientierte Gesellschaft unterwirft sich damit durch die Einrichtung eines Prüfungsausschusses keinen zusätzlichen gesetzlichen Pflichten hinsichtlich der persönlichen Voraussetzungen ihrer Aufsichtsratsmitglieder.73 Vielmehr kann derjenige Finanzexperte, der ohnehin Mitglied des Gesamtaufsichtsrats zu sein hat, auch Mitglied des Prüfungsausschusses sein.
5. Wahl des Abschlussprüfers In § 124 Abs. 3 Satz 2 AktG soll künftig geregelt sein, dass sich bei kapitalmarktorientierten Gesellschaften die Wahl des Abschlussprüfers auf die Empfehlung des Prüfungsausschusses zu stützen hat. Das bedeutet nicht, dass es dem Aufsichtsrat nicht mehr möglich sein soll, von der Empfehlung des Prüfungsausschuss im Einzelfall abzuweichen.74 Folgt er der Empfehlung allerdings nicht, so hat er seinen eigenen Vorschlag gegenüber der Hauptversammlung zu begründen.75 Darüber hinausgehend ist es nach herrschender Ansicht bereits de lege lata zulässig, sogar die Zuständigkeit zur Unterbreitung des Wahlvorschlags gegenüber der Hauptversammlung auf den Prüfungsausschuss zu delegieren.76
V. Fazit Durch das BilMoG wird in weiten Teilen gesetzlich das nachvollzogen, was in den deutschen kapitalmarktorientierten Kapitalgesellschaften ohnehin bereits gelebte Praxis war. Insbesondere der Prüfungsausschuss mit einem Finanzexperten als Vorsitzendem findet sich – da in dieser Form durch den DCGK empfohlen – bereits vor Inkrafttreten des BilMoG in fast allen börsennotierten Unternehmen. Lediglich bei der Unabhängigkeit des Finanzexperten, eines für die Überwachungsfunktion des Aufsichtsrats besonders
73 Anders etwa der Regelungszusammenhang im DCGK, der einen Finanzexperten nur für den Fall der Einrichtung eines Prüfungsausschusses empfiehlt, Ziffer 5.3.2 Satz DCGK, vgl. supra unter II.2.b. 74 Vgl. Begründung zum RegE, S. 228. 75 Ebd. 76 Vgl. Habersack, AG 2008, 98 (99) in der dortigen Fußn. 6 m.w.N.
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wichtigen Aspekts, bleibt die bisherige Praxis hinter dem zurück, was durch das BilMoG rechtlich verbindlich werden soll. Hier wird sich zeigen, inwiefern die im Vergleich zur derzeitigen Rechtslage deutlich strengeren Anforderungen an die Unabhängigkeit des Finanzexperten im Aufsichtsrat oder Prüfungsausschuss von den Unternehmen zeitnah erfüllt werden. Angesichts der mit dem BilMoG eintretenden gesetzlichen Pflicht kapitalmarktorientierter Gesellschaften, über einen unabhängigen Finanzexperten im Aufsichtsrat zu verfügen, stellt sich aber künftig die Frage, welche Rechtsfolgen an eine Nichtbefolgung dieser Pflicht zu knüpfen sind. Da der RegE hierzu schweigt, entstehen erhebliche Unsicherheiten. Diese sollten durch den Gesetzgeber angegangen werden.
Anwalt, Mandant oder Formularbuch – wer gestaltet den Vertrag? Klaus Esser
Der Verfasser ist Laie. Er weiß nämlich nicht, seit wann es Formularbücher gibt. Denn seit Jahrzehnten bin ich bei Vertragsgestaltungen nur der Mandant gewesen, nicht der Anwalt. In dem kurzen Teil meines Juristen-Lebens, vor mehr als 30 Jahren, in dem ich als Anwalt Verträge für unsere Mandanten gestaltete, gab es noch keine Formularbücher. Und mein Chef war Michael Gruson. Ob er später mit Formularbüchern gearbeitet hat, weiß ich nicht. Ich bezweifle es aus folgender Erinnerung: In 1976 arbeiteten Michael Gruson und ich als sein junger Helfer an einem Emergency Trust, welcher, zumindest wenn Gesellschaftsanteile und Unternehmen involviert sind, ein außerordentlich kompliziertes Vertragswerk ist, zudem leider auch noch eins, das nicht mit voller Sicherheit funktioniert, dazu nur eine Chance hat. Immerhin sollte der von uns mit großer Mühe gestaltete Emergency Trust das Vermögen unseres Mandanten, unter anderem auch ein ganzes Unternehmen in der Bundesrepublik, rechtlich in die USA in Sicherheit bringen, wenn die Sowjetunion Deutschland militärisch einnehmen würde. Bei Manchem war damals die Sorge vor einem solchen Militärschlag noch groß genug, um den erheblichen Aufwand eines Emergency Trust in Kauf zu nehmen.
1. Spezielles oder Standard? Formularbücher gab es also noch nicht. Der Rückgriff auf wirklich ähnliche oder scheinbar ähnliche Vertragssituationen war damals der Vorläufer des Formularbuches. Vertragsgestaltungen durch Rückgriff auf etwas Ähnliches, das in derselben Kanzlei schon einmal formuliert wurde, ist natürlich noch heute neben dem Formularbuch eine Hilfsmöglichkeit zur Vertragsgestaltung. Sie war und ist nicht ohne Risiko: Jeder Fall ist anders und wer beim Abschreiben des Alten die Unterschiede übersieht, hat schlechte Arbeit gemacht. Bei unserem Emergency Trust in 1976 waren Michael Gruson und ich frei von diesem Risiko, weil es kaum Vorlagen gab. Es gab keine Alternative dazu, alle zahlreichen Vertragsteile und gesellschaftsrechtlichen Beschlüsse in
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den verschiedenen Ländern und Rechtsordnungen, die einen Emergency Trust ausmachen, selbst zu erfinden. Diese sehr aufwendige Maßarbeit, die auch etwas Akademisches hatte, war zutiefst nach Michael Gruson’s Geschmack. Als ich die dritte Nacht hintereinander jeweils bis 3 oder 4 Uhr morgens arbeitete, stets im Glauben, endlich das Ende des Arbeitsprojektes erreicht zu haben, fehlte mir schließlich nur noch eine letzte Vollmacht. Etwas erschöpft ging ich auf die Suche nach einer irgendwo schon vorhandenen Vollmacht, die durch Gesellschafterbeschluss erteilt wird. Michael Gruson, des nachts ebenfalls noch bei der Arbeit, erkundigte sich nach dem Stand, erfuhr von meiner Suche nach einem „Formular“ und lehnte das völlig ab: „Nun haben wir 14 Tage gearbeitet und alle Verträge besser gestaltet als alles, was da war, und Du willst für die letzte einfache Vollmacht schlapp machen!“ Wir blieben also bei Maßarbeit bis zum Letzen. Aber die zutreffende Antwort auf die Frage in der Überschrift dieses Beitrags könnte sein: Balance! Danach wäre Originalität, Kreativität und genaueste Maßschneiderei da richtig, wo das Geschäft und die Vertragswirkung ihre Besonderheiten haben, und könnte Arbeitserleichterung (und oft auch etwas Qualitätsunterstützung) durch Wiederverwendung von bereits Dagewesenem dort geschehen, wo nichts Besonderes, sondern Standard ist. Natürlich bleibt dem Anwalt unbenommen, wie Michael Gruson zu denken und vollste Originalität in textlicher Eigenschöpfung zu gestalten. Das mag für den Anwalt beglückender sein. Der Wert dieses Extra-Einsatzes für den Mandanten ist aber begrenzt. In meinen Jahrzehnten als Mandant bei Vertragsgestaltungen, am häufigsten im Bereich Mergers & Acquisitions, habe ich den bis zur Übertreibung großen Anspruch von Michael Gruson zu juristisch perfekter Selbstschöpfung von Texten wie in der obigen Episode und wie bei zig weiteren Gestaltungen, die ich mit ihm bearbeitete, sonst nicht wieder kennen gelernt. Sondern ich erlebte häufiger die Übertreibung in die andere Richtung. Vor dieser will mein Gedächtnisschrift-Beitrag warnen:
2. Ist die Standardklausel für meine Partei günstig? Ein zu schnelles, zu williges Orientieren an Standardklauseln und Formularbuchklauseln birgt Risiken: Ein Unternehmen, dem die Mittel knapp wurden, brachte einen Geschäftsbereich in ein Joint-Venture mit einem Partner ein, der dafür Geld an das finanziell beengte Unternehmen zahlte. Die Anwälte des finanziell beengten Unternehmens führten die Gestaltung des Gesellschaftervertrages. Sie wünschten die Aufnahme der Standard-Klausel, dass die Anteile eines Joint-Venture Partners, der in Illiquidität falle, von den anderen Gesellschaftern eingezogen werden könnten. Natürlich war dies Standard und natürlich
Anwalt, Mandant oder Formularbuch – wer gestaltet den Vertrag?
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ist diese Klausel grundsätzlich sehr sinnvoll. Aber im konkreten Fall war diese Klausel nach aller Wahrscheinlichkeit ungünstig für das bereits an Mitteln knappe Unternehmen und günstig für den Gegenüber. Hätte es keine Formularbücher gegeben, keinen wiederverwendeten Standard, hätte ein textlich eigenschöpferischer Anwalt des finanziell beengten Unternehmens eine solche Klausel in dieser Situation nicht in den Vertrag genommen.
3. Passt der Mandant mit auf? Eine weitere Erkenntnis zum Thema dieses Beitrags wird an diesem Beispiel ebenfalls deutlich: Der Glaube der Mandanten, die Gestaltung eines Gesellschaftervertrages sei Angelegenheit der Anwälte, ist weitgehend richtig, aber eben nicht ganz richtig: Das eigene spezielle wirtschaftliche Interesse müsste jeder Mandant doch (noch) besser kennen und spüren als sein Anwalt. Hätte der Mandant im obigen Beispiel den Entwurf seines Anwalts für den Joint-Venture Vertrag selber kritisch gelesen, hätte er doch wohl zusammenzucken müssen bei dem Lesen der Klausel über eine eventuelle zukünftige Illiquidität, weil doch der Mandant, mehr als sein Anwalt, dieses Risiko als ein konkretes eigenes vor Augen haben musste. Tatsächlich kam es zur Illiquidität und die Anteile wurden eingezogen.
4. Erstes Zwischenergebnis Als erstes Zwischenergebnis sehen wir also den kreativen und eigentextschöpferischen Anwalt („Typ Gruson“) in der zentralen Rolle bei der Vertragsgestaltung, das Formularbuch/den Standard in helfender nützlicher Rolle, jedoch gezähmt vom Anwalt, und den Mandanten in aktiver Rolle insbesondere als „Anwalt seiner eigenen wirtschaftlichen Interessen“.
5. Formularklausel aus Reflex? Eine ähnliche Erinnerung an einen Auftritt des Formularbuchs an einem Verhandlungstisch, wo Texte zu gestalten waren: Bei einem Unternehmenserwerb war die erwerbende Gesellschaft für das Aufbringen des Kaufpreises auf eine Mittelzuführung durch ihre Muttergesellschaft angewiesen. Die Muttergesellschaft war ein Staatsunternehmen. Die Verkäufer wünschten eine Garantie der Muttergesellschaft für die Aufbringung des Kaufpreises durch die Tochtergesellschaft. Der sehr tüchtige junge Rechtsanwalt, nächtens und erschöpft, lief zur Bibliothek, um das Formularbuch zu holen. Hier war zum einen die Situation viel zu speziell, als dass das Formularbuch hätte helfen können. Wenn man es recht überlegt, ist vielleicht sogar der Weg zur
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Bibliothek viel zu lang, weil die Garantieformulierung weder so lang, noch so schwierig ist, dass sie nicht schneller eigenschöpferisch zu bewältigen wäre, als Heranholen und Suche im Formularbuch. Zu warnen ist also vor dem nahezu reflexartigen Zugriff auf das Formularbuch wie in diesem Garantiefall.
6. Bietet das Formularbuch Zusätzliches? Beeindruckt hat mich hingegen oft der kritische Blick ins Formularbuch eines Anwalts, der eigenschöpferisch getextet hatte, mit seiner Vertragsgestaltung dann zufrieden war, abschließen wollte, aber sicherheitshalber noch einmal in einem parallelen Text im Formularbuch nachschaute, ob dort ein Gesichtspunkt mit abgedeckt war, den er übersehen hatte, vielleicht weil er im konkreten Fall nicht im Mittelpunkt des Problems stand, aber dennoch, obwohl am Rande, relevant sein konnte.
7. Zweites Zwischenergebnis Wie dargestellt ist die Vertragsgestaltung durch das Formularbuch der falsche Weg. Die Vertragsgestaltung durch den Anwalt ist der richtige Weg. Mir scheint bei der Vertragsgestaltung durch den Anwalt die lupenreine voll eigenschöpferische Textgestaltung, wie bei Michael Gruson erlebt, die bewundernswerteste Art anwaltlicher Tätigkeit. Mir scheint jedoch die Hinzunahme des Formularbuchs für die Vollständigkeitskontrolle jedenfalls qualitätssteigernd. Für die Teile des Vertrages, die wirklich Standard sind – was allerdings der Anwalt kritisch prüfen muss – scheint mir die Übernahme von Formularbuch-Standards die Qualität zu steigern, die Arbeit zu erleichtern und zu beschleunigen und damit auch dem Mandanten Honorarkosten zu sparen. Allerdings bleibt dann – ein Beispiel oben zeigte es – immer noch die weitere Anforderung an den Anwalt, auch noch zu prüfen, ob das, was guter Standard ist, auch wirklich der Interessenlage des Mandanten dient. Zu dieser letzten Frage ist auch der Mandant selbst in aktiver Rolle bei der Vertragsgestaltung, weil er die Beachtung und Bewertung seiner wirtschaftlichen Interessen nicht alleine seinem Anwalt überlassen sollte und darf.
8. Sind Standards international? Bei internationalen Verträgen ergibt sich folgender typischer Aspekt für das Spannungsverhältnis zwischen standardmäßigen Formulartexten und einer Vertragsgestaltung, die vom Anwalt auf die konkreten Interessen des Mandanten und Geschäfts zugeschnitten wird: In den letzten 30 Jahren
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haben sich angelsächsische Vertragsmuster als Standard durchgesetzt. Bei manchen Verträgen – Finanzierungsverträge gehören sicher dazu, Unternehmenskaufverträge vielleicht – braucht die Geschäftswelt auch unbedingt international einheitliche Standards. Aber die Herkunft der Standards entstammt einer bestimmten Rechtsordnung, zumeist den USA oder dem Vereinigten Königreich. Wenn nun aber das Geschäft oder zumindest Teile davon vom Recht eines anderen Staates kontrolliert werden, bedarf der Vertrag der Anpassung hieran. Zumindest bedarf es der Prüfung, ob die Vertragsklauseln unter der anderen Rechtsordnung funktionieren. Auch die Befolgung von Vorschriften, zum Beispiel der US-Behörde für Wertpapierhandel und Börsenaufsicht SEC, durch Umsetzung in Vertragsklauseln ist nur dort sinnvoll, wo die Regeln wirklich maßgeblich sind. Ich habe mehrfach erlebt, dass Vertragsparteien in anderen Ländern den Kopf schütteln über ganz unangebrachte Klauseln, die Anwälte standardmäßig aus einem amerikanisch oder britisch geprägten Muster übernehmen, dabei aber nicht herausgenommen haben, was in dem Land, in dem das Geschäft stattfindet, rechtlich nicht passt.
9. Lässt Herr Mandant sich bedienen? Zum Anliegen dieses Beitrags, auch auf die richtige Balance in der Arbeitsteilung zwischen Anwalt und Mandant zu blicken, habe ich oben schon einen Aspekt genannt: Die Beachtung der konkreten wirtschaftlichen Interessenlage des Mandanten ist natürlich Aufgabe des Anwalts, aber bei richtiger Arbeitsteilung muss hierbei auch der Mandant selber mitwirken. Nach meiner Erfahrung ist das Mitwirken des Mandanten bei der Vertragsgestaltung oft zu gering ausgeprägt, weil der Anwalt gerne und beflissen seiner Rolle als Dienstleister nachkommt, der Mandant hingegen häufiger den Fehler macht, die königliche und bequeme Rolle des Bedienten zu genießen. Beide Seiten können sich in diesem Rollenspiel so sehr bestärken, dass der Mandant zu wenig mitarbeitet. Richtige Vertragsgestaltung verlangt ganz offensichtlich eine möglichst perfekte Erfassung des Sachverhalts und der wirtschaftlichen Interessenlage. Dieses verlangt die Mitarbeit dessen, der Sachverhalt und Interessenlage am besten beurteilen kann. Das ist der Mandant. Ein weiteres Beispiel, bei dem ich oft die Rollenverteilung in dem Sinne verkehrt erlebt habe, dass der Mandant zu wenig mitarbeitete und auch sein Anwalt ihn zu wenig zur Mitarbeit drängte: Der Katalog der Zusicherungen und Gewährleistungen des Verkäufers in einem Unternehmenskaufvertrag. Dieser wird typischerweise als etwas sehr Rechtliches verstanden, dass deshalb der Anwalt bzw. die 2 oder 3 beteiligten Anwalts-Teams alleine unter
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sich ausmachen sollen. Ohnehin ist dies ein Teil der Verhandlungen und der Vertragsgestaltung bei Unternehmenskaufverträgen, der sehr konfliktreich, detailliert, kurzum aus der Sicht der Mandanten lästig ist. Aber: Bei keinen zwei Unternehmenskaufverträgen ist die Interessenlage zu den Zusicherungen und Gewährleistungen gleich. Der Käufer benötigt sehr unterschiedliche Zusicherungen und Gewährleistungen, je nach Objekt. Sicher gibt es viele Anwälte, gerade im M&A-Bereich, die großes Geschick in der Erfassung der wirtschaftlichen Sachverhalte und Interessenlagen haben. Aber dennoch ist auch hier völlig eindeutig der Mandant mit deutlichem Abstand mehr sachkundig. Und deshalb benötigt eine gute Vertragsgestaltung eine sehr gute Mitarbeit des Mandanten. Und deshalb ist nach meinem Eindruck auch dem Anwalt zu empfehlen, seinen Mandanten zu diesem Teil der Vertragsgestaltung zu mehr Mitarbeit zu drängen und sich nicht allein auf seine eigene Sachkunde in einer maßgeschneiderten Vertragsgestaltung zu Zusicherungen und Gewährleistungen zu verlassen. Würde der Anwalt sich hierzu sogar überwiegend auf Formularbuch oder Standard verlassen, wäre dies sicher falsch.
10. Wer schreibt den Börsenprospekt? Die Bearbeitung von Börsenprospekten vor der Emission von Aktien oder Anleihen ist in der Verteilung der Arbeit zwischen Anwalt, Mandant und Formularbuch ein besonders interessanter Fall. Soeben in 9. habe ich dargelegt, dass der Mandant starken eigenen Arbeitseinsatz zeigen sollte, wo es um einen Sachverhalt geht, den er deutlich besser kennt als sein Anwalt. Im Börsenprospekt sind das Geschäft, die Marktchancen, die Wettbewerbslage, die geschäftlichen Risiken, die genauen Produkte des Unternehmens, die Organisation des Unternehmens etc. etc. darzustellen. Natürlich ist darüber hinaus auch viel Rechtliches niederzuschreiben. Aber viele lange Kapitel befassen sich mit der Darstellung von Sachverhalten und Gegenständen, wie die genannten Beispiele zeigen. Man könnte erwarten, dass die Arbeitsteilung für den Börsenprospekt dem Mandanten die Beschreibung des Geschäfts etc. zuordnet und dem Anwalt die rechtlichen Kapitel. Tatsächlich ist es nach meiner Erfahrung aber so, dass die Anwälte auch die Sachverhaltskapitel schreiben. Denn in einem Börsenprospekt darf nichts Falsches stehen, alles muss sehr genau und sehr richtig sein und alle Seiten gehen dann leicht davon aus, dass solche obergenaue Sachverhaltsdarstellung einfach in die Hände von obersorgfältigen Rechtsanwälten gehört. Auch auf diesem Wege gelingen gute und richtige Börsenprospekte! Aber es ist ein enorm arbeitsaufwendiger Weg, dass – meist jüngere – Anwälte, die bei Beginn dieser Arbeit nahezu nichts vom Unternehmen, dessen Produk-
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ten, dessen Wettbewerbslage, dessen Organisation, dessen konkreten Risiken im Geschäft wissen, eine Beschreibung verfassen, die notwendigerweise viele Fehler hat. Und so geht es dann weiter: Der Mandant sieht durch und weist auf die Fehler hin. Die Anwälte verfassen den zweiten Entwurf. Und so weiter bis schließlich die Anwälte sehr viel dazu gelernt haben, das Unternehmen richtig kennen gelernt haben, eine intellektuell sehr reizvolle Arbeit erfolgreich abgeschlossen haben und der Börsenprospekt fertig ist. Diese Vorgehensweise ist zumindest sehr arbeitsaufwändig und sehr teuer. Mehr Mitarbeit seitens des Mandanten und mehr Aufforderung zu dieser Mitarbeit durch den Anwalt, der seinen Mandanten gut berät, wäre auch hier der wohl effektivere und jedenfalls effizientere Weg, schneller und kostengünstiger.
11. Ergebnis Die Überlegungen in diesem Beitrag empfehlen den Anwalt in den Mittelpunkt der Vertragsgestaltung. Und zwar den kreativen, selbsttextschöpferischen, interessengerecht maßschneidernden, dem Mandanten stets bestens helfenden und immens fleißigen Anwalt, kurzum den Anwalt vom Typ Michael Gruson. Formularbuch und Standard erwiesen sich in meinen Überlegungen als ebenso gefährlich und irreleitend wie in vielen Fällen für die Qualität und für die Schnelligkeit der Vertragsgestaltung äußerst nützlich. Der Anwalt muss dieses wichtige und gute Hilfsmittel abwägend und richtig einsetzen oder auch außen vorlassen, wo eigenes schöpferisches Maßschneidern besser oder das allein Richtige ist. Meine Überlegungen machen ein Maß an Mitwirken des Mandanten empfehlenswert, das nach meinem Eindruck über dem Niveau der meistens tatsächlich stattfindenden Mitwirkung liegt. Auch hier sahen meine Überlegungen den Anwalt im Mittelpunkt: Er sollte den Mandanten dort, wo er mit Sachverhaltskenntnis und Kenntnis seiner wirtschaftlichen Interessenlage gebraucht wird, wofür ich eine Reihe von Beispielen gezeigt habe, auffordern, mehr mitzuwirken.
Der besondere Vertreter gemäß § 147 Abs. 2 AktG Andreas Fabritius
Dem in § 147 Abs. 2 AktG geregelten Rechtsinstitut des besonderen Vertreters ist in der Vergangenheit nur begrenzte Aufmerksamkeit zu Teil geworden – und dies, obwohl sich das Institut schon in Art. 223 ADHGB von 1884 findet und damit zum Traditionsbestand des deutschen Aktienrechts gezählt werden darf.1 Nur in einer überschaubaren Anzahl von Fällen scheint es zur Ernennung eines besonderen Vertreters durch die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft gekommen zu sein, weshalb die Rechtsprechung 2, und in ihrer Folge das Schrifttum 3, wenig Gelegenheit hatten, sich mit den sich hier stellenden Rechtsfragen auseinanderzusetzen. Dies hat sich in jüngster Vergangenheit geändert. Die Bestellung eines besonderen Vertreters durch die ordentliche Hauptversammlung der Bayerische Hypo- und Vereinsbank AG vom 26./27. Juni 2007 wie dessen Amtsführung haben große Publizität erfahren: er beschränkte sich nicht auf die Verfolgung von Schadensersatzansprüchen gegen Organmitglieder der Gesellschaft wie auch die Mehrheitsgesellschafterin UniCredito Italiano S.p.A. im Zusammenhang mit den Reorganisationsmaßnahmen nach der Übernahme der Hypovereinsbank durch UniCredito im Herbst 2005, sondern schloss sich als Nebenintervenient auch anhängigen Anfechtungsklagen gegen Hauptversammlungsbeschlüsse an, so etwa über den Ausschluss (Squeeze-out) der Minderheitsaktionäre. Allerdings sind besondere Vertreter in den letzten Jahren auch schon bei anderen Gesellschaften bestellt worden: so bestellte die Hauptversammlung der Mobilcom AG im April 2005 einen besonderen Vertreter zur Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber der damaligen Großaktionärin France Telecom, widerrief diese Bestellung aber im August 2005, nachdem France Telecom ihre 27,3 %ige Beteilung an der Gesellschaft auf die Texas Pacific Corp. übertragen hatte. Bei der (nicht börsennotierten) Ed. 1 Zur geschichtlichen Entwicklung der Regelung vgl. G. Bezzenberger, in: GroßKomm AktG, § 147 Rdnrn. 1 ff.; Schröer, in: MünchKomm-AktG, § 147 Rdnrn. 2 ff. 2 Vgl. insbesondere RGZ 83, 248 ff.; BGH ZIP 1981, 178 ff.; BayObLG JW 1931, 2998; jetzt aber LG München ZIP 2007, 1809 ff. sowie die Berufungsentscheidung OLG München ZIP 2008, 73 ff.; zur Situation bei der GmbH vgl. OLG München DB 1996, 1967. 3 Vgl. nur Böbel, Die Rechtsstellung des besonderen Vertreters nach § 147 AktG, 1999; G. Bezzenberger, in: GroßKomm AktG, § 147 Rdnrn. 12 ff.; Schröer, in: MünchKommAktG, § 147 Rdnrn. 16 ff.; Spindler, in: K. Schmitt/Lutter (Hrsg.), AktG, 2008, § 147 Rdnrn. 3 ff.; Mock, in: Spindler/Stitz, § 147 Rdnrn. 4 ff.
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Züblin AG wurde am 22. Juni 2006 ein besonderer Vertreter zur Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegenüber der mit 57 % beteiligten Hauptaktionärin Strabag AG bestellt, zunächst im Zusammenhang mit dem Erwerb bestimmter Beteiligungen, später auch im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Abwerbung von Fachkräften und des vermuteten Verrats von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. Bei der DIS AG wurde am 8. Juni 2006 ein besonderer Vertreter zur Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegen die Hauptaktionärin Adecco Germany Holding GmbH bestellt. Bei der TFG Capital AG Unternehmensbeteiligungsgesellschaft bestellte die Hauptversammlung am 26. März 2007 einen besonderen Vertreter, um Schadensersatzansprüche gegenüber ehemaligen Aufsichtsratsmitgliedern der Gesellschaft geltend zu machen. Keine Mehrheit erhielt demgegenüber der in der Hauptversammlung der AMB Generali Holding AG am 6. Mai 2008 gestellte Antrag, einen besonderen Vertreter zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegenüber der Großaktionärin Generali Beteiligungs GmbH und den mit ihr verbundenen Unternehmen sowie Organmitgliedern dieser Unternehmen und der Gesellschaft zu bestellen. Bei der IKB Deutsche Industrie Kreditbank AG hat die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) vor der Hauptversammlung vom 22. August 2008 zwar verlautbaren lassen, die Bestellung eines besonderen Vertreters zu prüfen, ein entsprechender Antrag ist in der Hauptversammlung der Gesellschaft aber nicht gestellt worden. Der vorliegende Beitrag stellt kurz den bisherigen Meinungsstand zu Rechtsstellung und Befugnissen des besonderen Vertreters dar (dazu im Folgenden 1.), beschäftigt sich mit den Gründen, weshalb und insbesondere in welchen besonderen Beteiligungsszenarien die Bestellung eines besonderen Vertreters heute offenbar eher in Betracht gezogen wird als in der Vergangenheit (dazu im Folgenden 2.), analysiert die wichtigsten Gerichtsentscheidungen (dazu im Folgenden 3.) und versucht schließlich die Einordnung des besonderen Vertreters in die gesetzliche Systematik zur Verfolgung von Ersatzansprüchen der Gesellschaft gegenüber Organmitgliedern und herrschenden Unternehmen (dazu im Folgenden 4.). Die Ergebnisse werden zusammengefasst unter 5.
1. Meinungsstand zu Status und Befugnissen des besonderen Vertreters Im Mittelpunkt der jüngsten Rechtsprechung 4 zum besonderen Vertreter und der sich anschließenden Literaturdiskussion 5 steht die Frage, wie weit der Kompetenzrahmen des besonderen Vertreters gesteckt ist und welche 4 5
LG München ZIP 2007, 1809 ff.; OLG München ZIP 2008, 73 ff. Verhoeven, ZIP 2008, 245 ff.; Mock, DB 2008, 393 ff.
Der besondere Vertreter gemäß § 147 Abs. 2 AktG
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Befugnisse ihm gegenüber der Gesellschaft, von dessen Hauptversammlung er bestellt worden ist, sowie dessen Organen und Mitarbeitern zustehen. Der Wortlaut des Gesetzes sagt dazu nichts: aus § 147 Abs. 2 S. 1 AktG lässt sich nur entnehmen, dass der besondere Vertreter zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen der Gesellschaft bestellt wird. Diese Aufgabenbeschreibung unterscheidet nicht zwischen dem von der Hauptversammlung und vom Gericht bestellten besonderen Vertreter. Auch unterscheidet sich die Aufgabenbeschreibung nicht von dem, was die Aktionäre gemäß § 148 Abs. 1 AktG nach erfolgreicher Klagezulassung auch selbst erledigen können: auch dort geht es um die Geltendmachung von Ersatzansprüchen der Gesellschaft. Der Wortlaut des Gesetzes gesteht dem besonderen Vertreter auch nicht mehr zu, als was im Vertrags- wie im faktischen Konzern gemäß §§ 309 Abs. 4, 317 Abs. 4, 318 Abs. 4 AktG jeder einzelne Aktionär machen kann, nämlich Ersatzansprüche der Gesellschaft geltend zu machen. Im Schrifttum werden die Rechtsstellung und Befugnisse des besonderen Vertreters häufig dergestalt beschrieben, dass dieser mit erfolgreicher Bestellung gesetzlicher Vertreter und als solcher Organ der Gesellschaft werde. Im Rahmen des Gegenstands seiner Bestellung, d.h. der Geltendmachung von Ersatzansprüchen, soll er das eigentlich zuständige Organ, den Vorstand bzw. den Aufsichtsrat, verdrängen und an ihrer Stelle unbeschränkte und unbeschränkbare Vertretungsmacht für die Gesellschaft besitzen.6 Zur Wahrnehmung seiner Aufgaben soll er ein umfassendes Auskunfts- und Prüfungsrecht haben: zur Auskunft verpflichtet sein sollen alle Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrates sowie alle Arbeitnehmer der Gesellschaft und der Abschlussprüfer. Er soll das Recht haben, Einsicht in alle Unterlagen der Gesellschaft nehmen zu dürfen.7 Das Landgericht München ist vor dem Hintergrund dieses Meinungsbildes zuletzt so weit gegangen, dem besonderen Vertreter ein Auskunftsrecht nicht nur gegenüber den Organmitgliedern, den Arbeitnehmern sowie den Abschlussprüfern zu gewähren, sondern auch gegenüber sonstigen Vertragspartnern.8 Zur Absicherung des Auskunftsrechts soll ihm im Zusammenhang mit der Befragung von Mitarbeitern auch die Direktionsbefugnis des Arbeitgebers zustehen.9 Weiter hat das Gericht dem besonderen Vertreter zur
6 G. Bezzenberger, in: GroßKomm AktG, § 147 Rdnr. 52; Schröer, in: MünchKommAktG, § 147 Rdnr. 43; Hüffer, AktG, 8. Aufl. (2008), § 147 Rdnr. 7; Spindler, in: K. Schmitt/Lutter (Hrsg.), AktG (2008), § 147 Rdnr. 21; Mock, in: Spindler/Stitz, § 147 Rdnr. 25. 7 G. Bezzenberger, in: GroßKomm AktG, § 147 Rdnr. 57; Schröer, in: MünchKommAktG, § 147 Rdnr. 45; Hüffer, AktG, 8, Aufl., § 147 Rdnr. 7; Spindler, in: K. Schmitt/Lutter (Hrsg.), AktG, 2008, § 147 Rdnr. 23; Mock, in: Spindler/Stitz, § 147 Rdnr. 27. 8 LG München ZIP 2007, 1809 (1815). 9 LG München ZIP 2007, 1809 (1815).
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Sicherstellung seines Einsichtsrechtes den ungehinderten Zugang zu den Räumlichkeiten und Unterlagen der Gesellschaft zugestanden.10 Bei der Frage, welche Mitarbeiter der besondere Vertreter zu welchen Punkten befragen darf sowie zur Frage, welche Unterlagen er im Einzelnen einsehen darf, soll dem besonderen Vertreter ein pflichtgemäß auszuübender, aber weiter Ermessensspielraum zustehen, der nur auf Missbrauch hin überprüft werden können soll.11 Das Bild, das sich so für den besonderen Vertreter und seine Arbeitsweise im Unternehmen ergibt, ist das eines selbständigen, staatsanwaltsähnlichen12 Ermittlungsführers, der im Rahmen seines Aufgabenbereiches selbständig Ermittlungen im Unternehmen anstellen kann und dabei gegenüber Vorstand, Aufsichtsrat und Arbeitnehmern weisungsbefugt ist. Seine Befugnisse schließen die eines Sonderprüfers mit ein, gehen aber weit darüber hinaus. Wenn diese Auffassung von den Befugnissen des besonderen Vertreters richtig wäre, würde sich eine Reihe hochinteressanter Anschlussfragen stellen: Wenn der besondere Vertreter in seinem Auftragsbereich die Direktionsbefugnis des Arbeitgebers wahrnimmt, darf er Arbeitnehmer, die seinen Weisungen nicht Folge leisten, abmahnen und ggf. auch kündigen? Muss der besondere Vertreter, da er in seinem Arbeitsbereich nicht nur die Vertretungsbefugnis hätte, Ansprüche der Gesellschaft geltend zu machen, sondern im Rahmen seiner Ermittlungstätigkeit auch geschäftsführungsbefugt wäre, auch die Voraussetzungen erfüllen, die für Mitglieder des Geschäftsführungsorgans, d.h. des Vorstands, allgemein gelten, z.B. bei einem Kreditinstitut die Vorschriften über die an einen Geschäftsleiter zu stellenden Anforderungen hinsichtlich Zuverlässigkeit und fachlicher Eignung (vgl. §§ 32 Abs. 1 Nr. 3 und 4, 33 Abs. 1 Nr. 4 KWG)? Welchen Vertraulichkeitsverpflichtungen unterliegt der besondere Vertreter bei der Ausübung seines Amtes, sei es in datenschutzrechtlicher Hinsicht, sei es in Bezug etwa auf das Bankgeheimnis (AGB-Banken Nr. 2 Abs. 1)?
2. Zunehmende Attraktivität des besonderen Vertreters für Minderheitsaktionäre Dass das Institut des besonderen Vertreters in der jüngsten Vergangenheit ein beliebtes Werkzeug für Minderheitsaktionäre geworden ist, um sich mit der Gesellschaft und beherrschenden Unternehmen in Bezug auf Rechtsgeschäfte der Gesellschaft mit letzteren wie mit konzernrechtlichen Strukturmaßnahmen, insbesondere dem Ausschluss der Minderheitsaktionäre
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LG München ZIP 2007, 1809 (1809). LG München ZIP 2007, 1809 (1812). Das Bild vom Staatsanwalt bemüht Verhoeven, ZIP 2008, 245 (246 f.).
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gemäß §§ 327a ff. AktG, auseinanderzusetzen 13, ist nicht überraschend und erklärt sich aus der einfachen und wirkungsvollen Handhabung dieses Instrumentes für die Minderheitsaktionäre. Bei der Abstimmung über die Bestellung eines Sonderprüfers bestehen keine Stimmverbote. Das ist folgerichtig, weil hier noch nicht feststeht, ob und ggf. gegen wen Ersatzansprüche geltend zu machen sind, sondern zunächst einmal der Sachverhalt aufzuklären ist. Da keine Stimmverbote bestehen, können Minderheitsaktionäre die Bestellung eines Sonderprüfers durch die Hauptversammlung nicht gegen einen Hauptaktionär durchsetzen. Anders im Rahmen des § 147 AktG bei der Geltendmachung von Ersatzansprüchen: richten sich diese gegen einen Gesellschafter, hat dieser bei der Abstimmung darüber, ob Ersatzansprüche geltend gemacht werden sollen, kein Stimmrecht (§ 136 Abs. 1 S. 1 AktG). Insbesondere dann, wenn nur noch wenige außenstehende Minderheitsaktionäre vorhanden sind, wie typischerweise in der Situation, in der der Mehrheitsaktionär aufgrund seines Aktienbesitzes von mindestens 95 % den Ausschluss der Minderheitsaktionäre anstrebt, ist es deshalb für die Minderheitsaktionäre recht einfach möglich, eine Mehrheit für die Bestellung eines besonderen Vertreters zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen zu gewinnen. Da diese Minderheitsaktionäre keine Sonderprüfung durchsetzen können, haben sie natürlich ein starkes Interesse, dass der besondere Vertreter dieselben Ermittlungsrechte wie ein Sonderprüfer haben sollte: um einen Sachverhalt zu ermitteln, auf den dann die soweit nur vermuteten Ersatzansprüche gestützt werden könnten.14 Wenn Einigkeit darüber besteht, dass die Übertragung der Geltendmachung von Ersatzansprüchen auf einen besonderen Vertreter sinnvoll ist, wenn bzw. weil in bestimmten Situationen Vorstand und Aufsichtsrat wegen mangelnder Neutralität keine hinreichende Gewähr für eine effektive Anspruchsverfolgung bieten (s. dazu unter 4.a)), muss auch hier die Frage erlaubt sein, ob in einer Gesellschaft, in der über 95 % des Aktienkapitals von der Abstimmung ausgeschlossen sind und die Hauptversammlung deshalb von Hedgefonds (ggf. mit einer „event driven investment strategy“) und von bekannten „kritischen“ Aktionären, von denen gegen den Squeeze-out-Beschluss Anfechtungsklagen in dreistelliger Zahl erhoben worden sind, dominiert wird, die Bestellung eines besonderen Vertreters durch eine so geprägte Minderheit wirklich eine höhere Gewähr für eine unabhängige Amtsführung bietet.15
13 Verhoeven, ZIP 2008, 245 (245) sieht einen schlafenden Riesen erwachen und Mock, DB 2008, 393 konstatiert zumindest die Entdeckung des besonderen Vertreters nach einem „Dornröschenschlaf“. 14 Verhoeven, DB 2008, 245 (246). 15 Leider fehlt bei Verhoeven, ZIP 2008, 245, und Mock, DB 2008, 393, jede Auseinandersetzung mit diesem Teil der Rechtswirklichkeit.
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3. Die höchst- und obergerichtliche Rechtsprechung zum besonderen Vertreter Zur Begründung der Auffassung, dass der besondere Vertreter in seinem Zuständigkeitsbereich gesetzlicher Vertreter und sogar Organ der Gesellschaft sei, das den sonst zuständigen Vorstand verdränge, beruft man sich im Schrifttum im Wesentlichen auf zwei höchstrichterliche Entscheidungen, die im Folgenden analysiert werden sollen. Im Anschluss soll die jüngste Entscheidung des OLG München gewürdigt werden. a) Die Entscheidung RGZ 83, 248 ff. In dem der Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahre 1913 zugrundeliegenden Fall waren besondere Vertreter gerichtlich zur Führung eines Schadensersatzprozesses gegen die Mitglieder des Aufsichtsrats wegen fahrlässiger Geschäftsführung (sic!) bestellt worden. Ihnen verweigert der Vorstand die Einsichtnahme in Unterlagen der Gesellschaft, so dass die damals so genannten Sondervertreter im eigenen Namen gegen durch die vom Vorstand vertretene Gesellschaft auf Gestattung der Einsichtnahme klagten. Das Reichsgericht stellte zunächst fest, dass diejenigen Bücher und Schriften der Gesellschaft, deren Einsichtnahme für die Führung des Rechtsstreits unentbehrlich waren, den Sondervertretern auch entgegen dem Willen des Vorstands zugänglich gemacht werden müssten, auch wenn der damalige § 268 HGB dies nicht besonders bestimmte. Das Gericht berief sich dabei auf das Preußische Landrecht, wonach „wem die Gesetze ein Recht geben, dem bewilligen sie auch die Mittel, ohne welche dasselbe nicht ausgeübt werden kann“, und führte aus, dass nicht erwartet werden könne, dass der Gesetzgeber mit der einen Hand genommen haben kann (d.h. die zur erfolgreichen Anspruchsdurchsetzung notwendige Informationsbeschaffung vereiteln wolle), was er mit der anderen gab (d.h. die Befugnis zur Anspruchsgeltendmachung).16 In der eigentlichen Streitfrage des Verfahrens aber, wer nämlich von den Sondervertretern richtigerweise zu verklagen war, hatte das Berufungsgericht geurteilt, dass die Sondervertreter nicht im eigenen Namen gegen die Gesellschaft, vertreten durch den Vorstand, hätten klagen dürfen, sondern der Prozess von den Sondervertretern namens der Gesellschaft gegen die Mitglieder des Vorstands hätte angestrengt werden müssen. Das Reichsgericht stellte demgegenüber insbesondere darauf ab, dass die Unterlagen, deren Vorlegung die Sondervertreter begehrten, im Besitz der Gesellschaft lägen und sich die Klage auf Gestattung der Einsicht deshalb allein gegen die Gesellschaft richten könne. Die besonderen Vertreter dürften deshalb mit ihrer Klage kraft Amtes (Führen eines Schadensersatzprozesses für 16
RGZ 83, 248 (250, 252).
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die Gesellschaft) einen Anspruch gegen die Gesellschaft auf billige Unterstützung ihrer Tätigkeit durchsetzen.17 Mit der Entscheidung des Reichsgerichtes wurden schon im Jahr 1913 zwei Dinge klargestellt: Sondervertreter besitzen als Annexkompetenz zu ihrer eigentlichen Aufgabe, dem Geltendmachen von Ersatzansprüchen, ein Auskunfts- und Einsichtsrecht. Über den Umfang des Auskunfts- und Prüfungsrechts sagt das Gericht nichts. Durchzusetzen ist dieses Recht mittels einer Auskunftsklage gegenüber der Gesellschaft: zu verklagen ist die Gesellschaft selbst, vertreten durch den Vorstand. Dies bedeutet auch, dass das Gericht dem besonderen Vertreter kein Auskunftsrecht gegenüber den einzelnen Mitgliedern des Vorstands oder des Aufsichtsrats, oder gar gegenüber Mitarbeitern der Gesellschaft oder gar Dritten, die in Beziehungen zur Gesellschaft stehen (Abschlussprüfer, Vertragsparteien, etc.) zubilligt, das ggf. im Wege einstweiliger Verfügung bzw. Klage gegen die betroffenen Individuen durchzusetzen wäre. Davon, dass schon das Reichsgericht mit aller Deutlichkeit klargestellt habe, dass der besondere Vertreter Organ der Gesellschaft sei, kann keine Rede sein.18 b) Die Entscheidung BGH ZIP 1981, 178 ff. Bei dem dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18. Dezember 1980 zugrundeliegenden Fall hatten die besonderen Vertreter die von ihnen geltend zu machenden Ersatzansprüche zur Verwertung verkauft. Allerdings ließ das Gericht die wirksame Abtretung der Ansprüche daran scheitern, dass dies nicht von ihrer Vertretungsmacht gedeckt gewesen sei, die sich nur auf die Geltendmachung von Ersatzansprüchen, d.h. die gerichtliche und außergerichtliche Verfolgung dieser Ansprüche, erstrecken würde.19 Auf die Frage, weshalb die Vertretungsmacht der besonderen Vertreter insofern eingeschränkt sei, obwohl sie das Gericht ausdrücklich als abgespaltenen Teil der umfassenden gesetzlichen Vertretungsmacht des Vorstands, die unbeschränkt ist, ansah und obwohl der Verkauf ja ein durchaus probates Mittel zur Realisierung eines Vermögenswertes sein kann, ging das Gericht nicht ein. Da über das Vermögen der Gesellschaft nach der Bestellung der besonderen Vertreter zunächst das Vergleichs- und später das Anschlusskonkursverfahren eröffnet worden war und die besonderen Vertreter die Ersatzansprüche erst verkauften, nachdem der Konkursverwalter diese ihnen gegenüber „freigegeben“ hatte, bemerkte das Gericht auch, dass die Vertretungsmacht der besonderen Vertreter als gesetzlicher Vertreter der Gesellschaft wie die gesetzliche Vertretungsmacht des Vorstands während der Dauer des Kon17 18 19
RGZ 83, 248 (250 f.). So aber Verhoeven, ZIP 2008, 245 (246). BGH ZIP 1981, 178 (180).
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kursverfahrens durch das Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Konkursverwalters verdrängt, aber mit der Freigabe der Ansprüche durch den Konkursverwalter wieder aufgelebt war, wobei es obiter dictum davon ausging, dass die besonderen Vertreter die Gesellschaft als zuständiges Organ vertreten 20: Trotzdem sagt das Urteil wenig über die Rechtsstellung des besonderen Vertreters, da es für den Vorrang des Konkursverwalters bei der Verwertung des Gesellschaftsvermögens letztlich nicht darauf ankommt, ob der mit der Geltendmachung von Ersatzansprüchen betraute besondere Vertreter Organ ist oder nicht. c) Die Entscheidung OLG München ZIP 2008, 73 ff. Das Oberlandesgericht München will bei der Bestimmung und Eingrenzung der Befugnisse des besonderen Vertreters das Recht des Sonderprüfers, wie es in §§ 142 ff. AktG geregelt ist, dahingehend berücksichtigen, dass dem besonderen Vertreter nicht ohne weiteres gesetzlich nicht geregelte Kompetenzen zugebilligt werden können, soweit das Gesetz den zugrundeliegenden Interessen der Gesellschaft und der Gesellschafter durch die Regelung über den Sonderprüfer mit gesetzlich klar definierten Befugnissen Rechnung trägt. Das Gesetz sehe keine den Rechten des Sonderprüfers nach § 145 AktG entsprechenden Ermittlungsbefugnisse für den besonderen Vertreter vor; dessen Prüfungskompetenz sei allenfalls als Annexkompetenz unmittelbar an die Geltendmachung der Ersatzansprüche geknüpft, und damit, was die Aufklärung von Sachverhalten anbelangt, sicherlich enger als die des Sonderprüfers. Ihm könnten nur solche Auskunfts- und Einsichtsrechte gewährt werden, die für ihn unerlässlich sind, um seine Arbeit aufzunehmen, und die sich auf Unterlagen beziehen, die bereits durch den vorhandenen Kenntnisstand eindeutig einen unmittelbaren Bezug zu den in dem Hauptversammlungsbeschluss genannten Sachverhaltskomplex aufweisen.21 Das Oberlandesgericht sieht damit ein gestuftes Vorgehen für angebracht an. Ergeben sich konkrete Anhaltspunkte, dass zur Prüfung oder zum Beweis bestimmter anspruchsbegründender Tatsachen die Einsicht in weitere Unterlagen erforderlich ist, so soll es dem besonderen Vertreter ggf. offenstehen, gestützt auf konkreten Sachvortrag (weiteren) einstweiligen Rechtsschutz zu beantragen.22 Das Oberlandesgericht stellt fest, dass die Einsichts- und Auskunftsrechte dem besonderen Vertreter gegenüber der Gesellschaft, welche diese Ansprüche über ihren Vorstand zu erfüllen hat, zustehen.23
20 21 22 23
BGH ZIP 1981, 178 (179). OLG München ZIP 2008, 73 (76 f.). OLG München ZIP 2008, 73 (77). OLG München ZIP 2008, 73 (78).
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4. Einordnung der Rechtsstellung und Befugnisse des besonderen Vertreters in die Systematik der Verfolgung von Ersatzansprüchen gegenüber Organmitgliedern und herrschenden Unternehmen Wenn man sich den Meinungsstand zur Rechtsstellung und den Befugnissen des besonderen Vertreters betrachtet, kann man sich manchmal des Eindrucks nicht erwehren, dass die gefundenen Ergebnisse aus einer Verselbständigung der gebrauchten Terminologie resultieren: eine bestimmte gesetzliche Einrichtung – der besondere Vertreter – wird mit einem Terminus belegt, mit dem auch andere, weitergehende Bedeutungen verbunden bzw. Rechtsinstitute assoziiert werden – und diese letzteren Bedeutungen werden dann auch der ursprünglichen Einrichtung beigemessen: weil er gesetzlich vorgesehen ist, wird der besondere Vertreter als „gesetzlicher Vertreter“ aufgefasst. Weil der normale gesetzliche Vertreter der Aktiengesellschaft der Vorstand ist, wird der gesetzliche Vertreter als vorstandsgleich und als in seinem Aufgabenbereich den Vorstand verdrängend angesehen. Da der Vorstand Gesellschaftsorgan ist, wird dann auch dem besonderen Vertreter eine Organstellung zugebilligt. Da der Vorstand als Organ der Gesellschaft nicht nur vertretungs-, sondern auch unbeschränkt geschäftsführungsbefugt ist, wird letztlich dann auch der besondere Vertreter als in seinem Aufgabenbereich unbegrenzt geschäftsführungsbefugt angesehen, einschließlich weitgehender Ermittlungsrechte im Inneren der Gesellschaft und einschließlich der Direktionsbefugnis gegenüber den Arbeitnehmern der Gesellschaft. Es erscheint demgegenüber angemessen, im Folgenden die Rechtsstellung und Befugnisse des besonderen Vertreters im Rückgang auf die gesetzliche Regelung und ihre systematische Einordnung zu beleuchten. Das Gesetz sagt zur Rechtsstellung und zu den Befugnissen des besonderen Vertreters nichts, außer dass als seine Aufgabe die Geltendmachung von Ersatzansprüchen bestimmt wird. Das Gesetz sagt nichts darüber, ob der besondere Vertreter gesetzlicher Vertreter der Gesellschaft ist: man mag ihn so einordnen, weil seine Aufgabe und Vertretungsmacht bei der Verfolgung von Ersatzansprüchen gesetzlich an die Bestellung durch die Hauptversammlung oder das Gericht anknüpft und insofern gesetzlich bestimmt ist. Auch mag man argumentieren, dass der Bestellung des besonderen Vertreters die Entscheidung, dass die Gesellschaft Ersatzansprüche geltend machen soll, gedanklich vorangeht, so dass naheliegt, dass auch dieser die Ansprüche im Namen der Gesellschaft geltend macht. Alternativ ist denkbar, den besonderen Vertreter als gesetzlichen Prozessstandschafter einzuordnen; 24 dann klagt er im eigenen Namen auf Leistung an die Gesellschaft. In Bezug auf die erst
24
Vgl. Teichmann, in: FS Mühl, 1981, S. 661 (679 f.).
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durch das Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) 2005 in das Aktiengesetz eingeführte Aktionärsklage besteht jedenfalls Einigkeit, dass hier ein Fall gesetzlicher Prozessstandschaft vorliegt, d.h. die Minderheitsaktionäre klagen zwar auf Leistung an die Gesellschaft, aber im eigenen Namen. Davon geht auch § 148 Abs. 4 S. 2 AktG aus, denn ohne die Annahme, dass die Kläger im eigenen Namen klagen, wäre die Bestimmung, dass die Klage auf Leistung an die Gesellschaft zu richten ist, redundant. Auch die Geltendmachung von Ersatzansprüchen der Gesellschaft gegenüber dem herrschenden Unternehmen, dessen gesetzlichen Vertretern wie den Verwaltungsmitgliedern der eigenen Gesellschaft gemäß § 309 Abs. 4 AktG durch jeden Aktionär wird regelmäßig als Fall gesetzlicher Prozesstandschaft angesehen.25 Ob die Klageerhebung als gesetzlicher Vertreter oder in Prozessstandschaft erfolgt, macht in der Praxis keinen wesentlichen Unterschied, auch nicht für die umstrittene Frage, ob in dem von dem besonderen Vertreter angestrengten Prozess Verwaltungsmitglieder unabhängig von ihrer Stellung als Zeugen auftreten können.26 Weiter sagt das Gesetz nicht, ob der besondere Vertreter ein Organ ist 27, oder Geschäftsführungsbefugnis in der Gesellschaft hat. Allerdings ordnet das Gesetz dem besonderen Vertreter systematisch zweifach ein: zum einen im System der Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegenüber Verwaltungsmitgliedern und Aktionären insgesamt und dabei seit neuestem auch im Vergleich zu den Aktionären, die eine Aktionärsklage nach Durchlaufen des Klagezulassungsverfahrens (§ 148 AktG) verfolgen: auch diese haben die gleiche Aufgabe wie der besondere Vertreter, nämlich die Ersatzansprüche der Gesellschaft geltend zu machen. Zum anderen – und das schon seit dem ADHGB – ordnet das Gesetz den besonderen Vertreter auch im Vergleich mit dem Sonderprüfer und dessen Aufgaben und Befugnissen ein. a) Die Systematik der Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegenüber Verwaltungsmitgliedern und Aktionären Gemäß § 93 Abs. 2 AktG sind Vorstandsmitglieder, die bei der Ausübung ihres Amtes, d.h. bei der Führung der Geschäfte der Gesellschaft, ihre Pflichten verletzen, der Gesellschaft, falls dieser daraus ein Schaden entsteht, zu dessen Ersatz verpflichtet. Ebenso haften die Mitglieder des Aufsichtsrats der Gesellschaft für Pflichtverletzungen (§ 116 i.V.m § 93 AktG). Grundsätzlich unterliegt die Geltendmachung der betreffenden Ersatzansprüche gegenüber
25
Vgl. nur Hüffer, AktG, 8. Aufl. (2008), § 309 Rdnr. 21. Vgl. G. Bezzenberger, in: GroßKomm AktG, § 147 Rdnr. 52 einerseits und Schröer, in: MünchKomm-AktG, § 147 Rdnr. 43 andererseits. 27 Vgl. instruktiv zum Organbegriff: Staudinger, Einl zu §§ 21–89 Rdnr. 50 ff. 26
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Vorstandsmitgliedern dem Aufsichtsrat (§ 112 AktG) und gegenüber dem Aufsichtsrat dem Vorstand (§ 78 Abs. 1 AktG). Ohne weitere Regelung wäre damit die Durchsetzung dieser Ansprüche, zumindest wenn in den Unternehmensorganen kein nachhaltiger personeller Wechsel erfolgt, gefährdet, da realistischerweise der Nachdruck, mit dem die Ansprüche verfolgt werden, häufig geringer sein wird, wenn sie sich gegen Personen richten, mit denen man ständig zusammenarbeitet, oder wenn derjenige, der den Anspruch geltend machen soll, damit rechnen muss, aus demselben Sachverhalt selbst in Anspruch genommen zu werden: dies gilt insbesondere dann, wenn es um Geschäfte geht, die vom Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats getätigt worden sind. Um auch in diesen Fällen eine angemessene Rechtsverfolgung zu ermöglichen, bestimmt § 147 Abs. 1 AktG, dass die Hauptversammlung beschließen kann, dass gegenüber den Mitgliedern des Vorstands oder des Aufsichtsrats Ersatzansprüche geltend gemacht werden müssen. Während auch dieser Beschluss zunächst nichts daran ändert, dass die Geltendmachung durch Aufsichtsrat oder Vorstand selbst erfolgt, kann die Hauptversammlung auch noch einen Schritt weitergehen und für die Geltendmachung des Ersatzanspruches einen besonderen Vertreter bestellen (§ 147 Abs. 2 S. 1 AktG). Alternativ besteht die Möglichkeit, dass Aktionäre, deren Anteile zusammen 10 % bzw. einen anteiligen Betrag von EUR 1 Mio. des Grundkapitals erreichen, den Antrag stellen, gerichtlich einen besonderen Vertreter zu bestellen; dem Antrag ist stattzugeben, wenn dem Gericht dies für eine gehörige Geltendmachung zweckmäßig erscheint (§ 147 Abs. 2 S. 2 AktG). Schließlich können Aktionäre, die mit mindestens 1 % bzw. einem anteiligen Betrag von EUR 100.000 am Grundkapital der Gesellschaft beteiligt sind, unter den Voraussetzungen des § 148 Abs. 1 AktG beantragen, zur Geltendmachung der Ersatzansprüche im eigenen Namen gerichtlich zugelassen zu werden. Mit der Haftungsklage nach §§ 147 f. AktG können auch Schadenersatzansprüche gemäß § 117 AktG gegenüber Dritten, die Organmitglieder oder leitende Mitarbeiter der Gesellschaft zu gesellschaftsschädlichem Handeln veranlasst haben, wie die hier als Gesamtschuldner haftenden Organmitglieder, geltend gemacht werden. In Konzernsituationen kommen weitere Haftungstatbestände und Klagebefugnisse zur Anwendung. So sind im Vertragskonzern die gesetzlichen Vertreter des herrschenden Unternehmens dem abhängigen Unternehmen bei Pflichtverletzungen zum Schadenersatz verpflichtet (§ 309 Abs. 2 S. 1 AktG); neben ihnen haften die Organmitglieder der abhängigen Gesellschaft im Falle eigener Pflichtverletzungen (§ 310 Abs. 1 AktG). Die Ersatzansprüche der abhängigen Gesellschaft können hier von jedem ihrer Aktionäre – auf Leistung an die Gesellschaft gerichtet – geltend gemacht werden (§ 309 Abs. 4 S. 1 und 2 AktG): eines bestimmten Beteiligungsbetrages und eines Klagezulassungsverfahrens bedarf es hier, anders als bei § 148 AktG, nicht. Daneben haftet das herrschende Unternehmen wegen Verletzung des Beherr-
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schungsvertrages.28 Werden im faktischen Konzern dem abhängigen Unternehmen Nachteile zugefügt und nicht bis zum Ende des Geschäftsjahres ausgeglichen, so ist gemäß § 317 Abs. 1 AktG das herrschende Unternehmen dem abhängigen Unternehmen zum Schadenersatz verpflichtet. Als Gesamtschuldner haften die gesetzlichen Vertreter des herrschenden Unternehmens (§ 317 Abs. 3 AktG) und, im Falle einer eigenen Pflichtverletzung, die Mitglieder des Vorstands der abhängigen Gesellschaft (§ 318 Abs. 1 AktG). Die betreffenden Ersatzansprüche der Gesellschaft können auch hier – gerichtet auf Leistung an die Gesellschaft – von jedem Aktionär geltend gemacht werden (§§ 317 Abs. 4, 318 Abs. 4 AktG i.V.m. § 309 Abs. 4 AktG). Bei der abhängigen Gesellschaft kann also jeder einzelne Aktionär Schadensersatzansprüche gegen Verwaltungsmitglieder (auch Aufsichtsräte) der eigenen Gesellschaft, gegen die gesetzlichen Vertreter des herrschenden Unternehmens sowie gegen das herrschende Unternehmen selbst geltend machen. Nur bei der unabhängigen Gesellschaft bedarf es für die Geltendmachung durch Aktionäre eines Mindestaktienbesitzes und einer Klagezulassung. Einer Beschlussfassung der Hauptversammlung über die Verfolgung von Ersatzansprüchen oder der Bestellung eines besonderen Vertreters zur Geltendmachung solcher Ansprüche bedarf es im Konzernrecht erst recht nicht. Es dürfte ratsam sein, bei der Bestimmung der Befugnisse des besonderen Vertreters die anderen Fälle, in denen Ersatzansprüche der Gesellschaft gegen Verwaltungsmitglieder oder Aktionäre nicht von den eigentlich zuständigen Organen geltend gemacht werden, nicht außer Acht zu lassen. Weder bei der Aktionärsklage nach Klagezulassung gemäß § 148 AktG noch bei der Klage gemäß § 309 Abs. 4 AktG werden allerdings dem Kläger besondere Untersuchungs- und Ermittlungsbefugnisse gegenüber der Gesellschaft oder ihren Verwaltungsmitgliedern und Arbeitnehmern zuerkannt: die Kläger müssen diese Klagen jeweils auf der Grundlage des allgemein vorhandenen Kenntnisstandes führen. Besondere Rechte und Befugnisse, die ihnen die Erfüllung der Darlegungslast im Prozess erleichtern, haben sie nicht.29 Weshalb dies anders sein soll, wenn der besondere Vertreter eine Klage vorbereitet, ist jedenfalls aus dem Gesetz nicht ersichtlich. Es erscheint sinnvoll, sich an dieser Stelle zu vergegenwärtigen, welche Unterschiede zwischen der Klage durch den besonderen Vertreter und den anderen Klagemöglichkeiten gesetzlich anerkannt sind, und zu fragen, ob diese auf den Willen, das Amt des besonderen Vertreters auch hinsichtlich seiner Ermittlungsbefugnisse besonders auszugestalten, hindeuten. Ein interessanter Unterschied zwischen der Aktionärsklage und der Klageerhebung durch den besonderen Vertreter besteht jedenfalls insofern, als 28 29
Vgl. Hüffer, AktG, 8. Aufl. (2008), § 309 Rdnr. 27. Vgl. Hüffer, AktG, 8. Aufl. (2008), § 148 Rdnr. 15.
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gemäß § 148 Abs. 3 AktG die bereits erhobene Aktionärsklage unzulässig wird, wenn die Gesellschaft ihren Ersatzanspruch selbst gerichtlich geltend macht. Bei der Klage durch den besonderen Vertreter ist das Konkurrenzverhältnis zwischen Rechtsverfolgung durch die Gesellschaft selbst gegenüber der durch den besonderen Vertreter nicht gesetzlich normiert. Die herrschende Meinung stellt sich auf den Standpunkt, dass die von ihr angenommene gesetzliche Vertretungsmacht des besonderen Vertreters den normalerweise zur Vertretung der Gesellschaft berufenen Vorstand von der Vertretungsmacht für die Rechtsverfolgung ausschließt und dieser auch solange ausgeschlossen bleibt, wie der besondere Vertreter seine Aufgaben wahrnimmt.30 Nicht ausdrücklich geregelt ist, ob die Aktionärsklage gemäß § 148 Abs. 3 AktG auch unzulässig wird, wenn der besondere Vertreter tätig wird: allerdings dürfte viel dafür sprechen, wenn der besondere Vertreter tatsächlich als gesetzlicher Vertreter tätig wird und seinem Tätigwerden konkludent die Entscheidung der Hauptversammlung innewohnt, dass die Gesellschaft Ersatzansprüche geltend machen soll, d.h. die Ersatzansprüche im Namen der Gesellschaft und nicht von einem Prozesstandschafter geltend gemacht werden. Weitere Frage wäre, ob, wenn man mit dem OLG München davon ausgeht, dass der besondere Vertreter auch konzernrechtliche Ansprüche nach §§ 309 Abs. 4, 317 Abs. 4, 318 Abs. 4 AktG geltend machen kann31, auch die konzernrechtliche Aktionärsklage unzulässig wird bzw. von dem besonderen Vertreter übernommen wird. Geht man mit der herrschenden Meinung davon aus, dass mit seiner Bestellung der besondere Vertreter das Exklusivrecht für die Geltendmachung von Ersatzansprüchen hat, das ihm auch nur durch die Hauptversammlung selbst und nicht etwa durch Klageerhebung der Gesellschaft durch ihre normalen Vertretungsorgane wieder entzogen werden kann, ist seine Befugnis zumindest gegenüber der Aktionärsklage stärker ausgestaltet. Eine stärkere Ausgestaltung seines Amtes liegt auch sicher darin, dass er einen Anspruch auf Vergütung hat – das ergibt sich für den gerichtlich bestellten besonderen Vertreter aus § 147 Abs. 2 S. 5 AktG, wird aber von der herrschenden Meinung auch dem von der Hauptversammlung ernannten besonderen Vertreter zugestanden 32 – und er auch dem sich aus §§ 148 Abs. 6, 309 Abs. 4, 317 Abs. 4, 318 Abs. 4 AktG ergebenden Kostenrisiko nicht ausgesetzt ist. Er verfügt deshalb über eine bessere materielle Ausgangslage, um seine Tätigkeit erfolgreich zu entfalten. Man mag sich fragen, ob die formellere und stärkere Ausgestaltung des Amtes des besonderen Vertreters 30 Vgl. nur G. Bezzenberger, in: GroßKomm AktG, § 147 Rdnr. 52; Schröer, in: MünchKomm-AktG, § 147 Rdnr. 43; Spindler, in: K. Schmitt/Lutter (Hrsg.), AktG, 2008, § 147 Rdnr. 21; Mock, in: Spindler/Stitz, § 147 Rdnr. 11. 31 Vgl. OLG München ZIP 2008, 73 (75). 32 Vgl. nur G. Bezzenberger, in: GroßKomm AktG, § 147 Rdnr. 63.
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automatisch dazuführen muss, ihm auch weitere Kompetenzen bei der Ausübung seines Amtes zuzubilligen, die klagenden Aktionären nicht zur Verfügung stehen, insbesondere, ob die stärkere Ausgestaltung seines Amtes für eine eigene Ermittlungsbefugnis des besonderen Vertreters spricht. Diese Frage dürfte allerdings weitgehend obsolet sein, und weitere Ermittlungsbefugnisse des besonderen Vertreters über seine Annexkompetenz zur Einsicht in Unterlagen und Erteilung von Auskünften hinaus dürften schwer zu vertreten sein, wenn das Gesetz diese Kompetenzen sowieso bewusst anders zuordnet. b) Die Beziehung zwischen Sonderprüfer und besonderem Vertreter Vorgänge bei der Gründung der Gesellschaft oder bei der Geschäftsführung können gemäß § 142 Abs. 1 AktG einer Sonderprüfung unterworfen werden. Zweck ist insbesondere die Ermittlung, ob in tatsächlicher Hinsicht die Voraussetzungen für Ersatzansprüche der Gesellschaft gegenüber ihren Gründern bzw. Verwaltungsmitgliedern bestehen.33 Der Prüfungsauftrag muss gegenständlich beschränkt sein, d.h. sich auf bestimmte Vorgänge beziehen. In diesem Rahmen hat der Sonderprüfer Vorgänge innerhalb der Gesellschaft umfassend und in alle Richtungen hin zu überprüfen und insofern eine weitgehende Ermittlungsbefugnis. Zur Wahrnehmung seiner Aufgabe hat der Sonderprüfer im Rahmen seines Prüfungsauftrages gemäß § 145 Abs. 1 AktG ein unbegrenztes Einsichtsrecht und gemäß § 145 Abs. 2 AktG ein Auskunftsrecht, das nicht nur gegenüber den Mitgliedern des Vorstands, sondern auch gegenüber den Mitgliedern des Aufsichtsrats besteht – allerdings darf der Sonderprüfer Mitarbeiter der Gesellschaft oder Dritte nicht unter Umgehung des Vorstands unmittelbar ansprechen: abgesehen von der Befugnis, Aufsichtsratsmitglieder direkt anzusprechen, muss der Sonderprüfer seine Ermittlungen über den Vorstand kanalisieren. Im Rahmen der aktiengesetzlichen Vorschriften über die Hauptversammlung (§§ 118–147 AktG) regelt der siebte Unterabschnitt die Möglichkeiten, die die Hauptversammlung hat, einerseits um zu ermitteln, ob es bei der Gründung oder Geschäftsführung der Gesellschaft zu Rechtsverstößen gekommen ist, und falls ja, andererseits Ersatzansprüche gegenüber den Verwaltungsmitgliedern geltend zu machen. Die Sachverhaltsaufklärung obliegt gemäß dem gesetzlichen Modell dem durch die Hauptversammlung bestellten Sonderprüfer, während die Geltendmachung der sich aus der Sachverhaltsdarstellung in rechtlicher Hinsicht ergebenden Ersatzansprüche dem besonderen Vertreter bzw. nach erfolgreichem Klagezulassungsverfahren den Aktionären mit einer Mindestbeteiligung im Wege der Aktionärsklage anvertraut werden kann. Wie sich aus den Bestimmungen des § 143 AktG über die 33
Vgl. Hüffer, AktG, 8. Aufl. (2008), § 142 Rdnrn. 1 f.
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nötige Qualifikation des Sonderprüfers und § 124 AktG über die Verantwortlichkeit des Sonderprüfers ergibt, befindet sich das gesetzliche Leitbild des Sonderprüfers in der Nähe des Abschlussprüfers. Besondere Auswahl oder Verantwortlichkeitsvorschriften für den besonderen Vertreter bestehen andererseits nicht. Dem Aktiengesetz schwebt damit ein zweistufiges Verfahren vor: der Sachverhalt, der zur Annahme der Haftung von Verwaltungsmitgliedern führt, ist durch Sonderprüfung aufzuklären. Die Sonderprüfung hat durch besonders qualifizierte Personen zu erfolgen, die entweder von den Aktionären mit breiter Mehrheit unterstützt oder gerichtlich bestellt werden. Die sich ergebenden Ansprüche können dann durch den besonderen Vertreter bzw. die Aktionärsklage durchgesetzt werden. Im Rahmen dieser Arbeitsteilung können dem besonderen Vertreter bzw. bei der Aktionärsklage dem Aktionär nur solche Auskunfts- und Einsichtsrechte gewährt werden, die unerlässlich sind, um die Arbeit aufzunehmen und die sich auf Unterlagen beziehen, die bereits nach dem vorhandenen (nach der Sonderprüfung gegebenen) Kenntnisstand eindeutig einen unmittelbaren Bezug zu den im Hauptversammlungsbeschluss genannten Sachverhaltskontexten aufweisen.34 Eine Ermittlungstätigkeit im eigentlichen Sinne ist nicht Aufgabe des besonderen Vertreters. Wenn sich im Rahmen der Vorbereitung einer Klage gegen Organmitglieder ergibt, dass zur Prüfung oder zum Beweis bestimmter Ansprüche oder Tatsachen die Einsicht in weitere Unterlagen erforderlich ist, hat der besondere Vertreter ein eigenes Auskunftsrecht gegenüber der Gesellschaft, das er gerichtlich durchsetzen kann, ggf. im Wege einstweiligen Rechtsschutzes. Die Auffassung, dass der besondere Vertreter aber wie eine Art Unternehmenskommissar, eigenständige, auch ergebnisoffene Ermittlungen vornehmen könne, und im Rahmen dieser Tätigkeit hinsichtlich Vertretungsund Geschäftsführungsbefugnissen an die Stelle des Vorstands tritt, findet in der Gesetzessystematik keine Grundlage. Sein Ansprechpartner ist ausschließlich der Vorstand der Gesellschaft (nicht die Mitglieder des Vorstands) und auch, anders als beim Sonderprüfer aufgrund der fehlenden Spezialregelung, nicht der Aufsichtsrat. Ein Recht, ungehindert die Geschäftsräume zu betreten und von den Mitarbeitern die Aushändigung von Unterlagen zu verlangen, hat der besondere Vertreter nicht. Es folgt daraus, dass er auch keine Direktionsbefugnisse gegenüber den Mitarbeitern hat und auch kein Recht, dass die Mitarbeiter der Gesellschaft über seine Bestellung und Funktion informiert werden.35 Erst recht besteht kein Recht des besonderen Vertreters, sich ex officio anderen bei der Gesellschaft anhängigen Verfahren, etwa der Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen, anzuschließen.
34 35
Ganz richtig OLG München ZIP 2008, 73 (76 f.). Auch das wollte das LG München ZIP 2007, 1809 (1816) zugestehen.
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Darauf, dass die Bestellung von besonderen Vertretern in der letzten Zeit populär geworden ist, weil diese gegen den Willen eines Mehrheitsgesellschafters erfolgen kann, ohne dass besondere Anspruchsvoraussetzungen darzulegen sind oder ein Gerichtsverfahren zu durchlaufen ist, ist schon oben hingewiesen worden. Der richtige Weg zu der in diesen Situationen eigentlich angestrebten weiteren Sachverhaltsaufklärung wäre, dass die Minderheitsaktionäre die gerichtliche Bestellung eines Sonderprüfers gemäß § 142 Abs. 2 AktG beantragen: dies ist sicher anspruchsvoller, weil sie hierfür darlegen müssen, dass Tatsachen vorliegen, die den Verdacht rechtfertigen, dass es zu Unredlichkeiten oder groben Rechtsverletzungen gekommen ist. Nur ein solches Vorgehen entspricht jedoch der gesetzlichen Systematik – und ist auch angemessen, insbesondere kann keine Rede davon sein, dass damit die Funktion des besonderen Vertreters bis zur Bedeutungslosigkeit ausgehöhlt werde: die Minderheitsaktionäre sind ja gerade nicht schutzlos, sondern können über die gerichtliche Bestellung von Sonderprüfern eine Sonderprüfung erfolgreich initiieren. 5. Ergebnisse a) Die Aufgabe des besonderen Vertreters beschränkt sich auf die Geltendmachung von Ersatzansprüchen, die sich aus einem bereits bekannten Sachverhalt ergeben. Die selbständige Ermittlung eines Sachverhaltes, aus dem Ersatzansprüche folgen können, ist nicht seine Aufgabe. b) Bei Verdacht von Rechtsverletzungen steht für die Ermittlung des Sachverhaltes die Sonderprüfung zur Verfügung. Die Beschränkung der Aufgabe des besonderen Vertreters zur Geltendmachung von mehr oder weniger bekannten Ersatzansprüchen stellt Minderheitsaktionäre nach der gesetzlichen Systematik nicht schutzlos, da sie die gerichtliche Bestellung eines Sonderprüfers und, wenn dessen Ergebnisse vorliegen und die Geltendmachung von Ersatzansprüchen rechtfertigen, die (ggf. ebenfalls gerichtliche) Bestellung eines besonderen Vertreters betreiben können. c) Der besondere Vertreter hat in seinem Aufgabenbereich keine Geschäftsführungsbefugnis. Er besitzt kein Direktionsrecht gegenüber den Arbeitnehmern der Gesellschaft. Soweit er als Annexkompetenz Einsichts- und Auskunftsrechte hat, richten sich diese allein gegen die Gesellschaft, die dabei durch den Vorstand vertreten wird. d) Aus der Bezeichnung des besonderen Vertreters als gesetzlicher Vertreter oder als Organ der Gesellschaft folgt kein besonderer Erkenntnisgewinn. Ob der besondere Vertreter Ersatzansprüche im Namen der Gesellschaft (als deren Vertreter aufgrund der gesetzlichen Anordnung des § 147 Abs. 2 AktG) oder im Wege gesetzlicher Prozesstandschaft geltend macht, macht keinen praktischen Unterschied. Geschäftsführungsbefugnisse kommen dem besonderen Vertreter nicht zu.
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e) Für die Erweiterung der Kompetenzen der besonderen Vertreter auf innergesellschaftliche Handlungen oder auch auf die Führung anderer Rechtsstreite als den zur Geltendmachung der Ersatzansprüche besteht keine Grundlage.
Zusammenwirken von § 112 AktG und § 181 BGB im deutschen Aktienrecht Klaus K. Fischer
I. Einleitung Eine der bekanntesten Vorschriften des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches dürfte dessen § 181 sein; danach kann ein Vertreter, soweit ihm dies nicht wirksam gestattet ist, kein Rechtsgeschäft des Vertretenen mit sich selbst (Alt. 1) oder mit einem von ihm gleichfalls vertretenen Dritten (Alt. 2) vornehmen, sofern nicht das Rechtsgeschäft ausschließlich in der Erfüllung einer Verbindlichkeit besteht. Dieses Verbot des Selbstkontrahierens gilt auch im Gesellschaftsrecht; praktische Bedeutung hat es insbesondere bei der Ausübung organschaftlicher Vertretungsmacht. Anders verhält es sich mit § 112 AktG; nach dieser Vorschrift wird eine Aktiengesellschaft gegenüber ihren Vorstandsmitgliedern durch ihren Aufsichtsrat vertreten. Die Norm des § 112 AktG und insbesondere ihr Zusammenspiel mit § 181 BGB finden in der Praxis oftmals nicht die ihnen gebührende Beachtung. Im Folgenden soll die Reichweite und der (erweiterte) Anwendungsbereich des § 112 AktG, die Bedeutung der Vorschrift für das Verbot des Selbstkontrahierens – und insbesondere dessen Gestattung – sowie schließlich anhand einzelner Fallkonstellationen die Wechselwirkung zwischen § 112 AktG und § 181 BGB dargestellt werden.
II. § 112 AktG als lex specialis zu § 181 BGB Regelmäßig wird in der gesellschaftsrechtlichen Praxis das Verbot des § 181 BGB als lästig und nicht interessengerecht erachtet. Der durch § 181 BGB bezweckte Schutz der Gesellschaftsinteressen wird von den Handelnden oftmals den Vorzügen des unbehinderten Handelns der Gesellschaftsorgane hintangestellt. Dementsprechend macht die Praxis in aller Regel von der Möglichkeit der Befreiung der Gesellschaftsorgane von den Beschränkungen des § 181 BGB Gebrauch. Dies gilt jedenfalls bei GmbH und Personengesellschaften; dort ist eine Befreiung zulässig und gebräuchlich.
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Klaus K. Fischer
Anders verhält es sich bei Aktiengesellschaften. Eine generelle Befreiung des Vorstands vom Verbot des Selbstkontrahierens ist im Recht der Aktiengesellschaft unzulässig. Einer solchen steht die zwingende Schutznorm des § 112 AktG entgegen (arg. § 23 Abs. 5 AktG).1 Innerhalb deren Anwendungsbereich ist die Vertretung der Aktiengesellschaft durch den Vorstand von vornherein rechtlich unmöglich.2 Auch bei der Befreiung des Vorstandes vom Verbot des Insichgeschäfts nach § 181 BGB ist § 112 AktG anwendbar.3 § 112 AktG als die gegenüber § 181 BGB speziellere Norm verhindert jedoch nicht eine jedwede Befreiung des Vorstands von den Beschränkungen des § 181 BGB. Nur dessen erste Alternative gilt entsprechend dem Wortlaut des § 112 AktG uneinschränkbar. Eine Befreiung vom Verbot des § 181 2. Alt. BGB ist indes zulässig. Einem Vorstand kann somit zwar nicht das Selbstkontrahieren (§ 181 1. Alt. BGB), aber doch die Mehrfachvertretung (§ 181 2. Alt. BGB) gestattet sein. Von dieser Möglichkeit wird in der Praxis zunehmend Gebrauch gemacht. Beschließt der Aufsichtsrat eine Befreiung des Vorstands vom Verbot der Mehrfachvertretung – in der Regel aufgrund einer entsprechenden Satzungsbestimmung – so ist diese Befreiung zur Eintragung in das Handelsregister der Aktiengesellschaft anzumelden.
III. Reichweite des § 112 AktG Eine Befreiung des Vorstands einer Aktiengesellschaft von den Beschränkungen des § 181 BGB für Rechtsgeschäfte mit Vorstandsmitgliedern ist nach alledem im Rahmen der zwingenden Kompetenzzuweisung des § 112 AktG nicht möglich. Es gilt der Grundsatz: § 112 AktG geht § 181 BGB vor. § 112 AktG gilt auch dann, wenn der Vorstand vom Verbot der Vornahme von Insichgeschäften durch (bei § 181 BGB) zulässige Gestattung befreit ist.4 Damit bestimmt die der Vorschrift des § 112 AktG zukommende Reichweite mittelbar auch die Möglichkeit, den Vorstand einer Aktiengesellschaft von den Beschränkungen des § 181 BGB zu befreien: Je weiter der Anwendungsbereich des § 112 AktG reicht, umso weniger weit geht die Gestat1 Hüffer, AktG, 8. Aufl. (2008), § 112 Rdnr. 1; Semler, in: MünchKomm-AktG, 2. Aufl. (2004), § 112 Rdnr. 3; Mertens, in: Kölner Komm. z. AktG, 2. Aufl. (1986 ff.), § 112 Rdnr. 4; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 112 Rdnr. 2; Drygala, in : K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 112 Rdnr. 3. 2 Ekkenga, AG 1985, 40 (41); Spindler, in: Spindler/Stilz (o. Fußn. 1), § 112 Rdnr. 2; Mertens, in: Kölner Komm. z. AktG (o. Fußn. 1), § 112 Rdnr. 5. 3 Spindler, in: Spindler/Stilz (o. Fußn. 1), § 112 Rdnr. 2; Ekkenga, AG 1985, 40 (41); Semler, in: MünchKomm-AktG (o. Fußn. 1), § 112 Rdnr. 3; Fischer, ZNotP 2002, 297 (298). 4 Hopt/Roth, in: Großkomm AktG, 4. Aufl. (2005), § 112 Rdnrn. 9, 12; Semler, in: MünchKomm-AktG (o. Fußn. 1), § 112 Rdnr. 3 m.w.N.
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tungsmöglichkeit bei § 181 BGB. Es bleibt deshalb im Folgenden der Anwendungsbereich des § 112 AktG – und damit mittelbar die Möglichkeit, einen Vorstand von den Beschränkungen des § 181 1. Alt. BGB zu befreien – darzustellen.
1. Amtierende, ausgeschiedene und werdende Vorstandsmitglieder Gegenüber Vorstandsmitgliedern wird die Aktiengesellschaft durch den Aufsichtsrat vertreten. Früher verstand die Rechtsprechung darunter nur amtierende Vorstandsmitglieder.5 Die heute ganz herrschende Meinung erstreckt § 112 AktG auch auf ausgeschiedene und werdende Vorstandsmitglieder; auch diesen gegenüber kann die Aktiengesellschaft folglich nur durch den Aufsichtsrat vertreten werden.6 Ferner entspricht es mittlerweile herrschender Meinung, dass § 112 AktG auch dann zur Anwendung gelangen solle, wenn Angehörige des verstorbenen Vorstandsmitglieds sich mit der Aktiengesellschaft über einen mit dem verstorbenen Vorstandsmitglied geschlossenen Versorgungsvertrag zu Gunsten von dessen Familienangehörigen auseinandersetzen.7 Begründet wird diese erweiternde Auslegung des § 112 AktG mit dessen Schutzzweck. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung und herrschender Lehre ist Zweck des § 112 AktG die Sicherstellung einer unbefangenen Vertretung der Gesellschaft.8 Ausgeschlossen werden soll die abstrakte Gefährdung von Gesellschaftsinteressen.9 Die Vertretungsbefugnis gegenüber dem Vorstand ist deshalb mit § 112 AktG dem Aufsichtsrat unabhängig davon zugewiesen, ob die Unbefangenheit der Vertretung der Gesellschaft im Einzelfall gefährdet ist oder nicht.10 In § 112 AktG greift also eine – wie der Vorsitzende des Gesellschaftsrechtssenats des BGH ausführt – „abstrakte Betrachtung“ der Befangenheit von Vorstandsmitgliedern ohne Rückgriff auf den Einzelfall.11 Es soll mithin bei Rechtsgeschäften und Rechtshandlungen 5
Vgl. BGHZ 13, 188 (191); BGHZ 41, 223 (227). BGH AG 1991, 269; BGHZ 130, 108 (111 ff.); BGH NJW 1997, 23 (24); BGH AG 2004, 142, wonach § 112 AktG auch für den ehemaligen Geschäftsführer einer in eine AG umgewandelten GmbH gilt; Drygala, in: K. Schmidt/Lutter (o. Fußn. 1), § 112 Rdnrn. 7, 8; Hüffer (o. Fußn. 1), § 112 Rdnr. 2; Spindler, in: Spindler/Stilz (o. Fußn. 1), § 112 Rdnr. 10; a.A. wohl nur Behr/Kindl, DStR 1999, 119 ff. 7 BGH ZIP 2006, 2213; Hüffer (o. Fußn. 1), § 112 Rdnr. 2; Schmits, AG 1992, 149 (153); Drygala, in: K. Schmidt/Lutter (o. Fußn. 1), § 112 Rdnr. 10. 8 Vgl. BGH AG 1997, 417; BGHZ 130, 108 (111 f.); BGH AG 1991, 269; BGHZ 130, 213; BGH WM 1989, 637; Hüffer (o. Fußn. 1), § 112 Rdnr. 1; Wiesner, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts IV, Aktiengesellschaft, 3. Aufl. (2007), § 23 Rdnr. 6. 9 Vgl. BGH AG 1991, 269 (270); BGHZ 130, 108 (112). 10 Vgl. BGH WM 1989, 637 (639); BGH AG 1990, 359; Hopt/Roth, in: Großkomm AktG (o. Fußn. 4), § 112 Rdnr. 7. 11 So Goette, DStR 1997, 1174 (1175). 6
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zwischen der Gesellschaft und Vorstandsmitgliedern eine unbefangene Wahrung der Interessen der Gesellschaft hergestellt werden, welche von „sachfremden Erwägungen unbeeinflusst ist und sachdienliche Gesellschaftsbelange wahrt“ 12, wobei bereits eine „abstrakte Gefährdung der Gesellschaftsinteressen“ vermieden werden soll.13
2. Wirtschaftliche Identität Mit derselben Begründung wird § 112 AktG auf Fallkonstellationen erstreckt, in denen das Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft auch (beherrschender) Gesellschafter einer anderen Kapitalgesellschaft ist und die Aktiengesellschaft und die andere Kapitalgesellschaft ein Rechtsgeschäft abschließen.14 In einem von dem Landgericht Koblenz entschiedenen Fall hatte der Vorstandsvorsitzende einer Aktiengesellschaft versucht, im Eigentum dieser Aktiengesellschaft befindliche Grundstücke an eine andere Gesellschaft, deren Alleingesellschafter er war, zu veräußern. Das Landgericht Koblenz kam in seinem Urteil zu dem Ergebnis, dass die beiden kontrahierenden Gesellschaften im Hinblick auf die Vertretung der Aktiengesellschaft durch ihren Vorstandsvorsitzenden keine wirksamen Grundstückskaufverträge geschlossen hätten, noch der erfolgten Eintragung der die Grundstücke erwerbenden Gesellschaft in das Grundbuch eine wirksame dingliche Einigung zu Grunde gelegen habe. Beide Rechtsgeschäfte seien wegen Verstoßes gegen § 112 AktG nach § 134 BGB nichtig. In seiner Begründung stellte das Landgericht Koblenz auf den oben wiedergegebenen Schutzzweck des § 112 AktG ab. Zwar treffe der Wortlaut der Vorschrift den vorliegenden Fall nicht, weil die Rechtsgeschäfte der Aktiengesellschaft nicht mit einem Vorstandsmitglied, sondern einer eigenständigen juristischen Person geschlossen worden seien. § 112 AktG wolle jedoch bereits eine abstrakte Gefährdung der Gesellschaftsinteressen vermeiden, weshalb eine typisierende Betrachtungsweise geboten sei. § 112 AktG müsse deshalb auch entsprechende Anwendung finden, wenn zwischen Vorstandsmitglied und juristischer Person eine „wirtschaftliche Identität“ bestehe. Denn eine Kongruenz der wirtschaftlichen Interessenlagen in einem derartigen Falle berge die Gefahr, dass die Entscheidungsfindung auf Seiten der Aktiengesellschaft nicht unbefangen 12
So BGH NJW 1988, 1384 (1385). Vgl. BGH AG 1991, 269 (270); Hüffer (o. Fußn. 1), § 112 Rdnr. 1. 14 Vgl. LG Koblenz ZNotP 2002, 322; LG Köln, Urteil vom 13.11.2000 – 85 U 186/01 (unveröffentlicht); Werner, ZGR 1989, 369 (372 f.); Mertens, in: Kölner Komm. z. AktG (o. Fußn. 1), § 112 Rdnr. 14; Semler, in: MünchKomm-AktG (o. Fußn. 1), § 112 Rdnr. 37; offenlassend OLG Saarbrücken AG 2001, 483; LG Verden, Urteil vom 18.10.2001 – 5 O 367/01 (unveröffentlicht); wohl ablehnend Hopt/Roth, in: Großkomm AktG (o. Fußn. 4), § 112 Rdnr. 43; Fischer, ZNotP 2002, 297 (300 ff.). 13
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und nicht unter ausschließlicher Orientierung an deren Interessen verlaufe. Deshalb könne es „… hierbei … keinen Unterschied machen, ob die Gesellschaft mit dem Vorstandsmitglied selbst oder einer juristischen Person kontrahiert, die von dem Vorstandsmitglied völlig beherrscht und mit ihm wirtschaftlich identisch ist.“ In einem solchen Fall „… liegt die Vertretungskompetenz beim Aufsichtsrat, wenn zwischen dem Dritten und dem Vorstand wirtschaftliche Identität besteht, insbesondere wenn es sich bei dem Dritten um die Einmann-Gesellschaft eines Vorstandsmitglieds handelt.“ 15 Das Landgericht Köln schloss sich in einer Parallelentscheidung (mit parallelem Sachverhalt und denselben Parteien) „was die analoge Anwendbarkeit des § 112 AktG angeht und was die Nichtigkeit eines unter Verstoß gegen diese Vorschrift vorgenommenen Rechtsgeschäfts betrifft“ den Entscheidungsgründen des Landgerichts Koblenz an.16 Das Landgericht Verden – ebenfalls in einem Fall mit parallelem Sachverhalt und denselben Parteien – ließ die Frage, ob die Aktiengesellschaft durch ihren Vorstand oder Aufsichtsrat hätte vertreten werden müssen, offen. Es vertrat die Auffassung, dass eine etwa unzulässige Vertretung der Aktiengesellschaft durch den Vorstand jedenfalls durch das dann zuständige Vertretungsorgan – den Aufsichtsrat – genehmigt werden könne. Da eine solche Genehmigung vorlag, konnte das Landgericht Verden die Frage der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 112 AktG auf Fälle der „wirtschaftlichen Identität“ des Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft mit deren Vertragspartner unbeantwortet lassen.17 Über die Möglichkeit einer solchen Erstreckung des Anwendungsbereichs des § 112 AktG auf dritte (wirtschaftlich identische) Personen mag man durchaus kontrovers diskutieren. Der Verfasser stritt in einem Beitrag aus dem Jahre 2002 noch gegen eine solche erweiternde Auslegung des § 112 AktG.18 Für sämtliche praktische Zwecke ist ein solcher Streit indes müßig. Nachdem das Landgericht Koblenz, das Landgericht Köln sowie diesen folgend die herrschende Meinung in der – auch neueren 19 – Literatur § 112 AktG auf Fälle „wirtschaftlicher Identität“ anwenden, hat der Rechtsanwender in der Praxis diese herrschende Meinung zu beachten. 15
LG Koblenz ZNotP 2002, 322. LG Köln, Urteil vom 13.11.2001 – 85 O 186/01 (unveröffentlicht). 17 LG Verden, Urteil vom 18.10.2001 – 5 O 367/01 (unveröffentlicht). 18 Fischer, ZNotP 2002, 297 ff. 19 Vgl. Spindler, in: Spindler/Stilz (o. Fußn. 1), § 112 Rdnr. 8; Drygala, in: K. Schmidt/ Lutter (o. Fußn. 1), § 112 Rdnr. 11 (die Anwendbarkeit von § 112 AktG bejahend allerdings nur für den Fall einer „wirtschaftlichen Identität“, nicht bereits bei einer maßgeblichen Beteiligung des Vorstandsmitglieds an dem Vertragspartner der Aktiengesellschaft). 16
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IV. Anwendbarkeit von § 112 AktG und 181 BGB in Konzernsachverhalten Von besonderer, gleichsam entscheidender Bedeutung für die ordnungsgemäße Vertretung einer Aktiengesellschaft ist diese erweiternde Auslegung des § 112 AktG in Konzernsachverhalten. Denn wenn § 112 AktG auch auf Fälle „wirtschaftlicher Identität“ Anwendung findet, ist in diesen Konstellationen eine Befreiung des Vorstands vom Verbot des Selbstkontrahierens nicht möglich. Welche Folgen für die Vertretungsberechtigung in Konzernsachverhalten dies hat, wird nachfolgend aufzuzeigen sein.
1. Keine Gestattung des Selbstkontrahierens Legt man die Auffassung des Landgerichts Koblenz der Rechtsanwendung zu Grunde, so hat dies einschränkende Folgen für die Möglichkeit der Befreiung eines Vorstandsmitglieds von dem Verbot des § 181 BGB. Nach dieser Vorschrift kann ein Vertreter mit sich im eigenen Namen (erste Alternative: Selbstkontrahieren) oder als Vertreter eines Dritten (zweite Alternative: Mehrfachvertretung) ein Rechtsgeschäft nur vornehmen, wenn dieses ausschließlich in der Erfüllung einer Verbindlichkeit besteht oder ihm ein solches ausdrücklich gestattet wird. Die erste Alternative des Selbstkontrahierens ist bei dem Vorstand einer Aktiengesellschaft – wie aufgezeigt – von vornherein ausgeschlossen, weil nach § 112 AktG zwingend der Aufsichtsrat die Gesellschaft bei Rechtsgeschäften mit Vorstandsmitgliedern vertritt. Dem Vorstand fehlt insoweit die Vertretungsmacht; eine Befreiung von § 181 1. Alt BGB ist nicht möglich. Die Mehrfachvertretung durch Vorstandsmitglieder unterliegt demgegenüber (nur) den Schranken des § 181 BGB; sie ist daher grundsätzlich zulässig, wenn und solange das Vorstandsmitglied ausschließlich in der Erfüllung einer Verbindlichkeit handelt oder die Handlung dem Vorstandsmitglied gestattet ist. Nur und soweit ausschließlich die zweite Alternative des § 181 BGB betroffen ist, kann der Vorstand einer Aktiengesellschaft mithin von den Beschränkungen dieser Norm befreit werden. Mit anderen Worten: Die dem Aufsichtsrat nach § 112 AktG gesetzlich zugeordnete Zuständigkeit kann nicht durch eine dem Vorstand gestattete Mehrfachvertretung nach § 181 BGB beseitigt oder gar in ihr Gegenteil verkehrt werden. Dies hat zur zwingenden Konsequenz, dass in Fällen, in denen ein Vorstand einer Aktiengesellschaft zulässigerweise von den Beschränkungen des § 181 2. Alt. BGB (Mehrfachvertretung) befreit ist, er gleichwohl nicht zur Vertretung seiner eigenen Person oder einer von ihm beherrschten („wirtschaftlich identischen“) Gesellschaft gegenüber der Aktiengesellschaft befugt ist. Die Gestattung nach § 181 2. Alt BGB ändert hieran nichts; die zwingende Zuständigkeitsnorm des § 112 AktG weist die Vertretungsmacht in Selbstkontrahierungskonstellationen ausschließlich dem Aufsichtsrat zu.
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2. Beispielsfälle Zur Verdeutlichung sollen nachfolgend einige Grundkonstellationen aufgezeigt werden. Dies soll geschehen anhand des Abschlusses eines Rechtsgeschäfts zwischen einer AG und einer GmbH (bei letzterer könnte es sich auch um eine juristische Person anderer Rechtsform handeln). Das Vorstandsmitglied der AG wird mit V bezeichnet; X und Y sind jeweils mit V nicht personenidentische Dritte. Fall 1: Klassischer Fall des § 181 1. Alt. BGB (Selbstkontrahieren) – Anwendbarkeit des § 112 AktG
AG (Vorstand V)
Rechtsgeschäft
V (in Person)
Hier handelt es sich um den klassischen Fall, dass V als Vorstand der AG mit sich selbst ein Rechtsgeschäft abschließen will. Dieser Fall ist grundsätzlich durch § 181 1. Alt. BGB geregelt. Im Recht der Aktiengesellschaft ist eine Gestattung des Selbstkontrahierens indes nicht möglich. § 112 AktG steht dem entgegen. Die AG muss zwingend vom Aufsichtsrat vertreten werden. Fall 2: Fall des § 181 1. Alt. BGB (Selbstkontrahieren) – Fall der „wirtschaftlichen Identität“ – Anwendbarkeit des § 112 AktG V (als beherrschender Gesellschafter der GmbH)
AG (Vorstand V)
Rechtsgeschäft
GmbH (vertreten durch Geschäftsführer V oder Y)
Hier tritt nicht V als natürliche Person, sondern eine von V beherrschte juristische Person als Vertragspartner der AG in Erscheinung. Auch dies ist kein Fall der Mehrfachvertretung (§ 181 2. Alt. BGB), sondern des Selbstkontrahierens (§ 181 1. Alt. BGB); denn die GmbH als Vertragspartner der AG ist mit V „wirtschaftlich identisch“. Dementsprechend greift wiederum
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§ 112 AktG. Irrelevant ist hierbei, ob die GmbH von V oder Y als Geschäftsführer vertreten wird. Folglich kann die AG gegenüber der von V beherrschten GmbH nur von ihrem Aufsichtsrat vertreten werden. Fall 3: Klassischer Fall des § 181 2. Alt. BGB (Mehrfachvertretung) X
AG (Vorstand V)
Rechtsgeschäft
GmbH (vertreten durch Geschäftsführer V)
In diesem Fall hält V sowohl die Position eines Vorstands bei der AG als auch eines Geschäftsführers bei der kontrahierenden GmbH; letztere wird hierbei allerdings nicht von V, sondern von X beherrscht. Dies ist der klassische Fall des § 181 2. Alt. BGB (Mehrfachvertretung), der oftmals im Konzern zur Verwirklichung einer einheitlichen Leitungsmacht zu finden ist. V wird in diesem Kontext auch als Doppelmandatar bezeichnet. Wenn und soweit V sowohl bei der AG wie auch bei der GmbH zulässigerweise durch den Aufsichtsrat bzw. die Gesellschafterversammlung von den Beschränkungen des § 181 2. Alt. BGB befreit ist, steht es V frei, beide Gesellschaften im Rahmen eines Rechtsgeschäfts zu vertreten. Fall 4: „Konzernsachverhalt“ ohne Mehrfachvertretung V (als beherrschender Gesellschafter sowohl der AG als auch der GmbH)
AG (Vorstand V)
Rechtsgeschäft
GmbH (vertreten durch Geschäftsführer Y)
In dieser Konstellation wird die AG durch ihr Vorstandsmitglied V und die GmbH durch einen Drittgeschäftsführer Y vertreten. V ist beherrschender Ge-
Zusammenwirken von § 112 AktG und § 181 BGB
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sellschafter sowohl der AG als auch der GmbH. Im Verhältnis zwischen V und Y stellt sich das Problem des § 181 BGB mangels Personenidentität nicht. Es stellt sich indes im Verhältnis zwischen V als Vorstand der AG und V als beherrschendem Gesellschafter der GmbH. Angesichts der „wirtschaftlichen Identität“ zwischen V und der GmbH stellt diese Konstellation wirtschaftlich einen Fall des Selbstkontrahierens dar. Dementsprechend findet § 112 AktG hierauf Anwendung. Berechtigt, die AG zu vertreten, ist mithin allein deren Aufsichtsrat. Diese Konstellation entspricht dem vom Landgericht Koblenz entschiedenen Fall. Fall 5: „Konzernsachverhalt“ mit Mehrfachvertretung V (als beherrschender Gesellschafter sowohl der AG als auch der GmbH)
AG (Vorstand V)
Rechtsgeschäft
GmbH (vertreten durch Geschäftsführer V)
Diese Konstellation entspricht Fall 4; jedoch wird hier auch die GmbH durch V und nicht durch einen Fremdgeschäftsführer vertreten. Es gelten insoweit dieselben Wertungen wie bei Fall 4. Selbst wenn hier V bei der AG und der GmbH jeweils von den Beschränkungen des § 181 2. Alt. BGB befreit worden sein sollte, hebelte dies die Anwendbarkeit von § 112 AktG nicht aus. Denn wiederum entscheidend ist, dass V die GmbH beherrscht und somit eine „wirtschaftliche Identität“ zwischen ihm und der GmbH und mithin ein Anwendungsfall des § 181 1. Alt. BGB vorliegt. Von den Beschränkungen dieser Vorschrift kann im Recht der Aktiengesellschaft angesichts der zwingenden Norm des § 112 AktG keine Befreiung erteilt werden. Ganz im Gegenteil muss im Vergleich zu Fall 4 (Fall des Landgerichts Koblenz) ein „Erst recht – Schluss“ gelten; denn die abstrakte Gefährdungslage ist in Fall 5 angesichts der nicht nur wirtschaftlichen Identität des V mit der GmbH, sondern auch angesichts der Mehrfachvertretung erst recht gegeben. Es wäre wenig wertungsgerecht, wenn im Vergleich zu der in Fall 4 gegebenen Konstellation (mit der Folge der Anwendbarkeit des § 112 AktG und der Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts) in Fall 5 angesichts einer noch stärkeren abstrakten Gefährdung das Rechtsgeschäft zwischen AG und
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GmbH Bestand hätte. Eine grundsätzlich zulässige Befreiung von den Beschränkungen des § 181 2. Alt. BGB vermag das Verbot des Selbstkontrahierens (§ 181 1. Alt. BGB) im Recht der Aktiengesellschaft aufgrund der zwingenden Vorschrift des § 112 AktG auch in Konzernsachverhalten nicht auszuhebeln. In einer Konstellation wie in Fall 5 gegeben, müsste der Vorstand der Aktiengesellschaft rechtswirksam sowohl von dem Verbot des Selbstkontrahierens wie auch vom Verbot der Mehrfachvertretung freigestellt sein. Diese gleichsam „doppelte Hürde“ lässt sich indes nur bei der Mehrfachvertretung, wegen der Existenz des § 112 AktG indes nicht beim Verbot des Selbstkontrahierens überspringen.
3. Fazit Die den vorgenannten Fällen 2, 4 und 5 zu Grunde liegenden Konstellationen sind in der Praxis recht häufig anzutreffen. Nicht immer wird hierbei dem Zusammenspiel zwischen § 112 AktG und § 181 BGB Rechnung getragen. Es reicht eben insbesondere in den Fällen 4 und 5 nicht, das handelnde Vorstandsmitglied nur von den Beschränkungen des § 181 2. Alt. BGB zu befreien; vielmehr gilt es, in diesen Konstellationen die als Konsequenz der erweiterten Auslegung des § 112 AktG sich ergebende, unabdingbare Zuständigkeit des Aufsichtsrats zur Vertretung der Aktiengesellschaft zu beachten.
V. Verstoß gegen § 112 AktG: Nichtigkeit oder Genehmigungsfähigkeit? Die Bedeutung eines Handelns durch das (allein) zuständige Vertretungsorgan wird deutlich, wenn man sich die Rechtsfolgen eines Mangels der Vertretungsmacht bei – unberechtigter – Vertretung der Aktiengesellschaft durch ein Vorstandsmitglied vergegenwärtigt. Nach bislang herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur führen Verstöße gegen § 112 AktG zur Nichtigkeit von Rechtsgeschäften, welche auf Seiten der Aktiengesellschaft fälschlicherweise vom Vorstand und nicht vom zuständigen Aufsichtsrat abgeschlossen wurden.20 Dementsprechend sind Willenserklärungen Dritter,
20 OLG Stuttgart AG 1993, 85 (86); OLG Hamburg WM 1986, 172 (174); LG Berlin NJW-RR 1977, 1534 (1535); LG Koblenz ZNotP 2002, 322 ff.; Semler, in: MünchKommAktG (o. Fußn. 1), § 112 Rdnr. 70 ff.; Mertens, in: Kölner Komm. z. AktG (o. Fußn. 1), § 112 Rdnr. 5; Hopt/Hehl, in: Großkomm AktG (o. Fußn. 4), § 112 Rdnr. 109; Bachmann, NZG 2001, 961 (965); Ekkenga, AG 1985, 40 (41 ff.); Schmits, AG 1992, 149 (155); Semler, in: Festschrift für Rowedder, 1994, S. 441 (456); Stein, AG 1999, 28 (39 f.); Steiner, BB 1998, 1910; Giesen, Organhandeln und Interessenkonflikt 1984, S. 79.
Zusammenwirken von § 112 AktG und § 181 BGB
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die gegen § 112 AktG verstoßen, von vornherein nichtig und können vom Aufsichtsrat nicht genehmigt werden. Begründet wird dies mit dem zwingenden Charakter des § 112 AktG und der ebenfalls zwingenden aktienrechtlichen Kompetenzzuweisung: § 112 AktG regele die Vertretung der Gesellschaft abweichend von § 78 AktG, um Insichgeschäfte und die damit verbundene Interessenkollision zu vermeiden. Dieser Schutzzweck wäre verletzt, wenn durch nachträgliche Beschlussfassungen Genehmigungen nach § 177 BGB oder § 181 BGB zugelassen würden, mit denen über § 184 BGB dasselbe Ergebnis erreicht würde wie mit einer nach § 112 AktG unzulässigen ursprünglichen Bevollmächtigung.21 Ferner wird ausgeführt, dass ein Verstoß gegen § 112 AktG nach § 134 BGB zur Nichtigkeit des Geschäfts führen müsse, da die Zuständigkeitsverteilung innerhalb der Aktiengesellschaft zwingend sei und hiervon weder durch die Satzung abgewichen werden könne (arg. § 23 Abs. 5 AktG) noch es im Gutdünken des Aufsichtsrats stehe, ob er im Einzelfall vom Gesetz abweichen will.22 Dem wird unter Verweis auf die allgemein gültigen Vertretungsregelungen des BGB entgegengehalten, dass ein gemäß § 112 AktG vollmachtloses Handeln des Vorstands einer Aktiengesellschaft nicht nach § 134 BGB zur Nichtigkeit des betreffenden Rechtsgeschäfts führen müsse; vielmehr sei ein solches Rechtsgeschäft zunächst (nur) schwebend unwirksam und grundsätzlich einer Genehmigung nach § 177 Abs. 1 BGB zugänglich.23 So wünschenswert in der Rechtspraxis oftmals das Bestehen einer Genehmigungsmöglichkeit sein könnte, so wenig lassen sich die Argumente der vorgenannten herrschenden Meinung einfach beiseite schieben. Es reicht bei der aktienrechtlichen Vorschrift des § 112 AktG nicht aus, sich ohne weitere Begründung auf die Anwendbarkeit der bürgerlich-rechtlichen Vorschriften der §§ 177 ff. BGB zu berufen. Eine solche Berufung übersähe in der Tat den von der herrschenden Meinung in den Vordergrund gestellten Sinn und Zweck des § 112 AktG. Die aus gutem Grunde – Vermeidung von Insichgeschäften und den damit verbundenen Interessenkollisionen – durch § 112 AktG angeordnete Zuständigkeitsverteilung innerhalb der Aktiengesellschaft ist zwingend. Diese zwingende Regelung geht nicht nur – wie gezeigt – der Vorschrift des § 181 BGB, sondern auch den (anderen) allgemeinen Bestimmungen der §§ 177 ff. BGB vor.
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OLG Stuttgart AG 1993, 85 (86). OLG Hamburg WM 1986, 972 (974). 23 So neuestens OLG München DStR 2008, XI (nicht rechtskräftig, Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt – BGH II ZR 250/07); vgl. auch OLG Celle AG 2003, 433; Werner, ZGR 1989, 369 (392 ff.); Nägele/Böhm, BB 2005, 2197 (2199); Spindler, in: Spindler/Stilz (o. Fußn. 1), § 112 Rdnr. 43 f.; vgl. auch Kipper, Rechtliche Interessenkonflikte beim Willensbildungsprozess in der GmbH, 2006, S. 158 f. 22
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Dieses zwingende Zuständigkeitsregime verbietet indes nicht eine in der Literatur in jüngster Zeit aufkommende differenzierende Betrachtungsweise. Danach soll bei Geschäften mit Vorstandsmitgliedern wegen der Besorgnis der Befangenheit zwar – entsprechend der vorgeschilderten herrschenden Meinung – allein der Aufsichtsrat für die Gesellschaft tätig und der Geschäftserfolg so dem Einflussbereich des Vorstands entzogen werden; in diesen Fällen sei die Nichtigkeit die geeignete Sanktion, insbesondere bedürfe der Vertragspartner nicht des durch § 179 BGB vermittelten Schutzes. Werde hingegen ein Aufsichtsratsmitglied, namentlich der Vorsitzende, für den Aufsichtsrat als vollmachtloser Vertreter tätig, so spreche nichts dagegen, diesem die Möglichkeit zu eröffnen, dem Geschäft durch Genehmigung zur Wirksamkeit zu verhelfen.24 Selbst wenn man diese differenzierende Betrachtungsweise für richtig hält – wofür vieles spricht –, bleibt es indes dabei, dass die bei Vertretung der Aktiengesellschaft durch ein wegen § 112 AktG nicht zuständiges Vorstandsmitglied zustande gekommenen Rechtsgeschäfte nichtig und nicht genehmigungsfähig sind. Umso wichtiger ist – insbesondere in Konzernsachverhalten – die Beachtung der – ggf. erweiterten – Anwendbarkeit des § 112 AktG sowie der Tatsache, dass § 112 AktG die Möglichkeit der Befreiung eines Vorstands von den Beschränkungen des § 181 BGB vorgibt (einschränkt) und nicht umgekehrt eine solche Befreiung die Reichweite des § 112 AktG einzuschränken vermag.
24 So Drygala, in: K. Schmidt/Lutter (o. Fußn. 1), § 112 Rdnr. 19; wohl auch Hüffer (o. Fußn. 1), § 112 Rdnr. 7; Hopt/Roth, in: Großkomm AktG (o. Fußn. 4), § 112 Rdnr. 108.
Der Verkauf der Landesbank Berlin (früher: Bankgesellschaft Berlin) im Jahre 2007 Hans-Michael Giesen Michael Gruson, bei dem der Verfasser 1985/1986 in New York seine erste Prägung als internationaler Wirtschaftsanwalt erfuhr, zeigte Zeit seines Lebens starkes Interesse am öffentlich-rechtlichen Bankensektor, namentlich den deutschen Landesbanken. Er verstand wie wenige deren ungewöhnliche Struktur und die über lange Zeit prägenden Grundlagen, nämlich Anstaltslast und Gewährträgerhaftung und konnte diese auch gegenüber ausländischen Gesprächspartnern verständlich erklären.1 Michael Gruson hat die Gründung und spätere Krise des damaligen Konzerns Bankgesellschaft Berlin mit großem Interesse verfolgt und wir dürfen unterstellen, dass dies auch für den Verkauf der Beteiligung des Landes Berlin und dessen strukturelle Vorbereitungen gegolten hätte, wenn es ihm vergönnt gewesen wäre, diese Phasen noch zu erleben. So liegt es nahe für den Verfasser, der das Land Berlin bei diesem Verfahren anwaltlich begleitet hat, diese Transaktion zum Gegenstand seines Beitrages in der vorliegenden Gedächtnisschrift zu machen. Dabei soll besonderes Augenmerk darauf gelegt werden, welche strukturellen Voraussetzungen im Vorfeld geschaffen wurden, um ein den EU-Vorgaben entsprechendes und im Ergebnis erfolgreiches Verfahren sicherzustellen.
I. Die Gründung des Konzerns Bankgesellschaft Hier ist nicht der Ort, die schon im Vorfeld ihrer Gründung unrühmliche Vorgeschichte des zum 1. Januar 1994 entstandenen Konzerns Bankgesellschaft und seiner wesentlichen Teile (insbesondere die drei Vorgängerinstitute Berliner Sparkasse/Landesbank Berlin, Berliner Bank und Berlin-Hannoversche Hypothekenbank) nachzuzeichnen. Dies ist schon an anderen Stellen ausführlich geschehen.2 1 Vgl. zum Beispiel Gruson/Schneider, The German Landesbanken, Columbia Business Law Review 1995, 337 ff.; Gruson, Zur Subsidiarität der Gewährträgerhaftung bei öffentlich-rechtlichen Banken, WM 2003, 321 ff. 2 Zu Sachverhalt und Schlussfolgerungen vgl. insbesondere den mit Anlagen ca. 1.000 Seiten umfassenden Abschlussbericht des einschlägigen Untersuchungsausschusses vom
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Hans-Michael Giesen
Der Konzern war im Gefolge der deutschen Wiedervereinigung und in Erwartung einer schnellen Entwicklung Berlins zu einem bedeutenden Wirtschaftszentrum durch Zusammenführung mehrerer Kreditinstitute gegründet worden. Die damalige Bankgesellschaft Berlin AG (im Folgenden: Bankgesellschaft) fungierte als börsennotierte Holding, war aber auch selbst als Kreditinstitut am Markt tätig. Sie war wirtschaftlich alleinige Anteilseignerin der Landesbank Berlin – Girozentrale – (im Folgenden: LBB), einer Anstalt des öffentlichen Rechts, an der die Bankgesellschaft eine atypische stille Beteiligung von 75,01 % hielt. Die verbleibende wirtschaftliche Restbeteiligung des Landes Berlin von 24,09 % hatte die Bankgesellschaft diesem im Jahre 1998 abgekauft. Darüber hinaus war die LBB der Bankgesellschaft aufgrund eines Unternehmensvertrages zur einheitlichen Leitung unterstellt. Zur Wahrung des Demokratieprinzips wurde festgelegt, dass Weisungen des herrschenden Unternehmens Bankgesellschaft nur mit einstimmiger Zustimmung eines Aufsichtsratsausschusses der Bankgesellschaft erfolgen dürften, in dem vom Land Berlin bestimmte Aufsichtsratsmitglieder mehrheitlich vertreten waren. Die Unterstellung der LBB als Anstalt des öffentlichen Rechts unter die Leitung der privatrechtlich organisierten Bankgesellschaft wurde weiterhin durch einen Interessenwahrungsvertrag abgesichert, mit dem die Bankgesellschaft dem Land Berlin bestimmte Mitwirkungsrechte einräumte.3 Die Berliner Sparkasse, deren „Privatisierungsgeeignetheit“ eine wesentliche Herausforderung in dem Verkaufsverfahren darstellen sollte 4, war in dieser bis Ende des Jahres 2005 einschlägigen Konstruktion als unselbständige Abteilung Teil der LBB.5 Das Land Berlin hielt zum Zeitpunkt des Verkaufs ca. 81 % der Anteile an der Bankgesellschaft; diese Beteiligung war im Rahmen der Rettungskapitalerhöhung im August 2001 von zuvor 56,6 % erhöht worden. Neben der oben beschriebenen Beteiligung an der LBB hielt die Bankgesellschaft ca. 89,9% an der Berlin-Hannoverschen Hypothekenbank AG (im Folgenden: BerlinHyp). Weitere wesentliche Bestandteile des Konzerns Bankgesellschaft waren der Teilkonzern IBAG Immobilien und Beteiligung Aktiengesellschaft (im
5.5.2006, Drucks. 15/4900 Abgeordnetenhaus von Berlin. Für eine journalistisch pointierte Darstellung vgl. auch Rose, Eine ehrenwerte Gesellschaft – Die Bankgesellschaft Berlin, 3. Aufl. (2003) oder die diversen (teils stark subjektiv geprägten) Internetdokumentationen wie z.B. www.khd-research.net/Politik/Bank/GesBerlin_3.html.#2008. 3 Vgl. zur Beschreibung der Struktur und Zulässigkeit des „Berliner Banken-Modells“ Bezzenberger/Schuster, Die öffentliche Anstalt als abhängiges Konzernunternehmen“, ZGR 1996, 481 (493 ff.); Schuster/Sohns, Zur Veräußerung von Sparkassen, ZBB 2006, 342 (349). 4 S.u. S. 174 ff. 5 § 1 Abs. 6 des Gesetzes über die Errichtung der Landesbank Berlin – Girozentrale – (LBB-G) i.d.F. vom 3.12.1993, GVBl. Berlin, S. 626 ff.
Der Verkauf der Landesbank Berlin (früher: Bankgesellschaft Berlin)
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Folgenden: IBAG) im Geschäftsfeld Immobiliendienstleistungen, der später zum wesentlichen Mitverursacher der existenzbedrohenden Krise wurde, und eine Reihe weiterer Beteiligungen an Kreditinstituten und anderen Unternehmen im In- und Ausland.6
II. Die Krise des Jahres 2001 Im Jahre 2001 trat die schon längere Zeit schwelende Krise des Konzerns Bankgesellschaft offen zutage. Die Ursachen lagen zum Einen im Bereich der gewerblichen Immobilienfinanzierung, wo der Konzern hohe Risken eingegangen und stark von der Abkühlung des Immobilienmarktes (und zwar mit besonderem Schwerpunkt in Berlin und den neuen Bundesländern) betroffen war. Viel schlimmer noch kam es im sogenannten Immobiliendienstleistungsgeschäft, bestehend aus dem Fondsgeschäft und dem Projektentwicklungsbzw. Bauträgergeschäft. Bei den in großem Stil aufgelegten Immobilienfonds waren den Anlegern umfassende langfristige Garantien gewährt worden (sog. „Rundum-Sorglos-Pakete“), die vor dem Hintergrund sinkender Immobilienpreise und Mieten zu dramatischen Verlusten des Konzerns führten. Der geradezu verzweifelte Versuch im Dezember 2000, durch Übertragung dieses Bereiches auf die IBAG und deren Verkauf mindestens die bilanziellen Folgen dieser katastrophalen Situation zu beseitigen, scheiterte Anfang des Jahres 2001. Damit fielen die haftenden Eigenmittel des Konzerns Bankgesellschaft unter die erforderlichen Mindestwerte. Der erst im Juli 2001 festgestellte Konzernabschluss 2000 wies einen Jahresfehlbetrag von EUR 1,648 Mrd. und einen Konzernverlust von EUR 1,471 Mrd. auf. Im Jahr 2001 wurde der notwendige Kapitalbedarf auf EUR 2 Mrd. geschätzt, weshalb sich das Land Berlin gezwungen sah, eine Kapitalzuführung in dieser Höhe zuzusichern. Nach der (vorläufigen) Genehmigung dieser Rettungsbeihilfe durch die EU-Kommission am 25. Juli 2001 7 erhielt die Bankgesellschaft im August 2001 per Kapitalerhöhung weitere Eigenmittel von EUR 2 Mrd., wovon ca. EUR 1,755 Mrd. vom Land Berlin aufgebracht wurden.8 Entgegen den Erwartungen bei dieser ersten Rettungsaktion reichten diese neuen Mittel jedoch nicht aus. Vielmehr wurden im Laufe des Jahres 2001 weitere Risiken (insbesondere im Immobilien-Fondsgeschäft) offenbar, für
6 Vgl. Darstellung der Beteiligungsstruktur in der Entscheidung der EU-Kommission vom 18.2.2004 über eine Umstrukturierungsbeihilfe Deutschlands zugunsten der Bankgesellschaft Berlin AG (2005/345/EG), ABlEU vom 4.5.2005 Nr. L 116, S. 1 (im Folgenden: Beihilfeentscheidung), Rdnrn. 10 ff. 7 ABlEU vom 1.6.2002 Nr. C 130, S. 5. 8 Vgl. die kurze Zusammenfassung dieses in der Presse ausführlich beschriebenen Sachverhalts in der Beihilfeentscheidung, Rdnrn. 17 ff.
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die die Bankgesellschaft aufgrund der bestehenden Verflechtungen haften musste. Da das Kapital trotz der gerade erfolgten Zuführung erneut unter die erforderlichen Werte zu sinken drohte, kündigte die Bankenaufsicht im November 2001 die Schließung der Bank für den Fall an, dass nicht bis zum Ende des Jahres ausreichende Maßnahmen zur Deckung dieser Risken ergriffen würden. Das Land Berlin kam, nicht zuletzt aufgrund seiner eigenen für die Verpflichtungen der LBB bestehenden Gewährträgerhaftung, zu der Auffassung, dass es keine vertretbare Alternative, insbesondere auch nicht in Form einer Insolvenz der wesentlichen Gesellschaften des Bankkonzerns, gab. Es unterzeichnete daher am 20. Dezember 2001 eine Grundsatzvereinbarung mit der Bankgesellschaft, der LBB und weiteren Konzerngesellschaften, mit der die Risken aus dem Immobiliendienstleistungsgeschäft durch umfassende Garantien des Landes Berlin abgedeckt wurden 9. Diese sogenannte Risikoabschirmung wurde durch die Detailvereinbarung vom 16. April 2002 10 weiter spezifiziert. Ihre Abwicklung wird das Land Berlin noch über viele Jahre beschäftigen und die damit verbundene finanzielle Belastung lässt sich auch heute nur schwer vorhersagen.11 In dem Beihilfeverfahren hatte die Bundesregierung als realistisches Basisszenario EUR 3,7 Mrd. und im pessimistischen Fall EUR 6,1 Mrd. genannt.12
III. Die EU-Beihilfeentscheidung vom 18. Februar 2004 Im April 2002 hatte die Kommission ein Beihilfeprüfungsverfahren gegen Deutschland nach Artikel 88 Abs. 2 EG-Vertrag eröffnet.13 Es folgten umfangreiche Prüfungen und Verhandlungen, insbesondere zu den von Brüssel verlangten Kompensationsmaßnahmen. Der Durchbruch gelang am 18. De-
9
Beihilfeentscheidung (o. Fußn. 6), Rdnrn. 10 ff. Grundlage ist das Gesetz über die Ermächtigung des Senats zur Übernahme einer Landesgarantie für Risiken aus dem Immobiliendienstleistungsgeschäft der Bankgesellschaft Berlin AG und einiger ihrer Tochtergesellschaften vom 16.4.2002, GVBl., S. 121 (im Folgenden: RisikoabschirmungsG). 11 Nach einem Bericht des Tagesspiegel v. 3.6.2008 schätzte die Berliner Finanzverwaltung zu diesem Zeitpunkt den Gesamtaufwand bis 2032 auf insgesamt EUR 4,7 Mrd. 12 Beihilfeentscheidung, Rdnr. 136; die häufig in der Presse genannte Zahl von EUR 21,6 Mrd. ist demgegenüber fern jeglicher Realität. Sie beruht auf unvertretbar pessimistischen Annahmen und Mehrfachberücksichtungen von Risiken, die sich auch im ungünstigsten Fall nur einmal realisieren könnten. Hintergrund war, dass das Land Berlin aus haushaltsrechtlichen Gründen auf einer betragsmäßigen Obergrenze bestanden hatte (vgl. § 1 Abs. 2 RisikoabschirmungsG), umgekehrt aber aus aufsichtsrechtlichen Gründen (insbesondere Nullgewichtung der Kredite an Immobiliendienstleistungsgesellschaften) auch nur theoretische Risken von der Abschirmung erfasst werden mussten (Beihilfeentscheidung (o. Fußn. 6), Rdnrn. 139 f.). 13 ABlEU vom 1.6.2002 Nr. C 130, S. 5. 10
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zember 2003 in Brüssel bei einer Verhandlung zwischen dem EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti, Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit, Finanzsenator Thilo Sarrazin und dem Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, Caio Koch-Weser. In Übereinstimmung mit den Absichten des Landes Berlins und dem vorgelegten Restrukturierungsplan der Bank wurde zugesagt, dass sich das Land Berlin von seiner gesamten Beteiligung am Konzern Bankgesellschaft trennt 14 und der Konzern neben der geschäftlichen Neuausrichtung eine Reihe von Beteiligungen abgibt bzw. Aktivitäten einstellt (z.B. Ausgliederung der Investitionsbank Berlin, Verkauf der Weberbank, der Allbank und weiterer in- und ausländischer Beteiligungen, Veräußerung oder Liquidation der Immobiliendienstleistungsgesellschaften). Besonders bitter an dem Kompromiss war für den Konzern Bankgesellschaft, dass abweichend von dem vorgelegten Restrukturierungskonzept die erst zum 1. Juli 2003 von der Bankgesellschaft auf die LBB übertragene Berliner Bank wieder ausgegliedert und an einen Dritten verkauft werden musste. Umgekehrt konnten andere Maßnahmen (z.B. eine separate Trennung von der BerlinHyp) vermieden und ein großzügigerer Zeitrahmen für die diversen Veräußerungen erreicht werden.15 Ein erster Versuch, die Landesbeteiligung während des laufenden Sanierungsprozesses zu verkaufen, war schon im März 2003 gescheitert. Angesichts des Zeitpunktes und der Datenlage (so lag zum Beispiel noch kein Jahresabschluss 2002 vor und das Beihilfeprüfverfahren befand sich noch in einem frühen Stadium) war nicht überraschend, dass sich das Bieterinteresse bei diesem im Frühjahr 2002 begonnenen Prozess in engen Grenzen hielt. Am Ende gab es nur noch ein Angebot einer Bietergemeinschaft der Finanzinvestoren Christopher Flowers und Texas Pacific Group. Sie hatten vorgeschlagen, einen Kaufpreis von EUR 10 Mio. an das Land zu zahlen und eine Kapitalerhöhung von EUR 400 Mio. vorzunehmen. Allerdings sollte sich das Land Berlin an künftig realisierenden Risiken (insbesondere aus dem Kreditportfolio) bis zu EUR 3,5 Mrd. mit 80 % beteiligen und darüber hinaus gehende Risiken voll übernehmen. Da derartige Risiken in erheblichem Maße in der Mittelfristplanung des Konzerns Bankgesellschaft vorgesehen waren, hätte aus diesem „risk sharing“ ein erheblich negativer Kaufpreis zu Lasten des Landes resultiert. Nach eingehender Analyse und insbesondere, nachdem sich der Vorstand der Bank noch einmal deutlich hinter sein Restrukturierungsprogramm gestellt hatte, entschied das Land, dieses Angebot abzulehnen und den Verkaufsprozess zunächst zu beenden. Gleichzeitig bestätigte es
14 Schon § 2 Abs. 2 S. 1 RisikoabschirmungsG hatte vorgesehen, die Landesbeteiligung „schnellstmöglich zu für das Land Berlin vertretbaren Bedingungen zu veräußern“. 15 Handelsblatt v. 19.12.2003; Beihilfeentscheidung (o. Fußn. 6), Rdnr. 8 und Art. 2 (1), Anhang, ABlEU Nr. L 116, S. 52 ff.
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seine Absicht, sich in der Zukunft von seiner Beteiligung zu trennen und auch eine entsprechende Zusage gegenüber der Kommission abzugeben.16 Auch wenn sich diese Entscheidung im Lichte des Ergebnisses des Verkaufsverfahrens des Jahres 2007 als völlig richtig herausgestellt hat, war sie damals doch ausgesprochen mutig und beinhaltete ein starkes Vertrauensvotum gegenüber dem Bankvorstand. Denn es gab nicht nur die damals bekannten offenen Baustellen der Gegenwart, sondern es war insbesondere unklar, wie der Konzern Bankgesellschaft ohne wesentliche Reserven die zu erwartenden Belastungen aus dem Wegfall von Anstaltslast und Gewährträgerhaftung ab dem 19. Juli 2005 17 verkraften würde.
IV. Das neue Berliner Sparkassengesetz und die Umwandlung der LBB in eine Aktiengesellschaft Der Gesetzentwurf für ein neues Berliner Sparkassengesetz, der am 22. März 2005 vom Berliner Senat verabschiedet wurde 18, führte zu einer heftigen öffentlichen Debatte über Inhalt und Intentionen der geplanten Änderungen. So hieß es z.B., das Land „rüttelt an den in Deutschland bisher strikt getrennten drei Bankensäulen – an der Aufteilung in privat, öffentlich und genossenschaftlich organisierte Kreditinstitute“ 19. „Ausgerechnet ein Plan der Berliner Koalitionsregierung von SPD und PDS erschüttert den Deutschen Sparkassen- und Giroverband bis ins Mark: Nach einem Gesetzentwurf kann die Berliner Sparkasse ab 2007 theoretisch auch von einem privaten Investor erworben und sogar als Sparkasse weiter betrieben werden“.20 Der DSGV reagierte dann auch prompt, lehnte das Vorhaben ab und beschwor die eingängige Formel „Wo Sparkasse draufsteht, muss auch künftig Sparkasse drin sein“.21 Was war der Hintergrund für diese Entscheidung des Berliner Senats, die am 28. Juni 2005 in fast unveränderter Fassung zur Verabschiedung des
16 Pressemitteilung des Senats von Berlin vom 25.3.2003 www.berlin.de/landespressestelle/ archiv/2003/03/25/11549/index.html. 17 Vgl. Zusammenfassung der Einigung zwischen Bundesregierung und EU-Kommission in der Pressemitteilung von Kommissar Monti v. 26.4.2002, IP 02/634; siehe auch Quardt, Zur Abschaffung von Anstaltslast und Gewährträgerhaftung, EuZW 2002, 424 ff. 18 Vorlage für „Gesetz über der Berliner Sparkasse und die Umwandlung der Landesbank Berlin – Girozentrale – in eine Aktiengesellschaft (Berliner Sparkassengesetz – SpkG), Drucks. 15/3802 v. 29.3.2005; teilweise kritisch Preussner, Der Gesetzentwurf über die Berliner Sparkasse und die Umwandlung der Landesbank Berlin – Girozentrale –, BKR 2005, 309 ff. 19 FAZ v. 24.3.2005. 20 Handelsblatt v. 12.4.2005. 21 Pressemitteilung 27/2005 des DSGV v. 12.8.2005.
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neuen Berliner Sparkassengesetzes durch das Abgeordnetenhaus von Berlin 22 führte? Letztlich waren dafür drei Gesichtspunkte entscheidend 23. Ganz im Vordergrund stand die Notwendigkeit, die Veräußerung der Landesbeteiligung am Konzern Bankgesellschaft in einem diskriminierungsfreien Verfahren zu ermöglichen. Wie oben schon beschrieben 24 beruhte die bestehende Gesetzes- und Vertragsstruktur auf einer Mehrheitsbeteiligung des Landes an dem Gesamtkonzern und musste daher ohnehin für den Verkaufsfall neu gestaltet werden. Unter Strukturierungsgesichtspunkten wäre es am einfachsten gewesen, dabei alle öffentlich-rechtlichen Bindungen aufzugeben, nämlich die (in einem Stadtstaat ohnehin nicht besonders gewichtige) Funktion der Landesbank Berlin als Girozentrale und Sparkassenzentralbank/Sparkassenverband 25 sowie die (politisch und wirtschaftlich äußerst bedeutsame) Funktion und Bezeichnung als Sparkasse 26. Statt diesen Weg zu beschreiten und Berlin kurzer Hand zur „sparkassenfreien Zone“ zu machen, war es der klare politische Wille des Berliner Senats und der Koalitionsfraktionen, die öffentlich-rechtliche Struktur und die gemeinwohlorientierten Aufgaben der Berliner Sparkasse (Förderung des Sparens, Befriedigung des örtlichen Kreditbedarfs, insbesondere des Mittelstandes und wirtschaftlich schwächerer Bevölkerungskreise, Erzielung von Gewinn nicht Hauptzweck des Geschäftsbetriebes) langfristig zu wahren. Aufgrund der Vorgabe in der Beihilfeentscheidung (aber auch um dieses politische Ziel unabhängig davon umzusetzen, wer das wirtschaftlich beste Angebot abgeben würde) musste diese Grundsatzentscheidung für die Erhaltung der Sparkasse gerade auch dann Bestand haben, wenn ein Bieter aus dem privaten Sektor in dem Verkaufsverfahren obsiegte. Der „Tabubruch“ (noch dazu „ausgerechnet durch eine rot-rote Landesregierung“) war damit kein bankenstrukturpolitisch motivierter Angriff auf die Drei-Säulen-Struktur des Bankwesens in Deutschland, sondern vielmehr der Versuch, nach traditioneller Analyse zunächst unvereinbar erscheinende Ziele in Einklang zu bringen, um die Sparkasse in Berlin zu erhalten. Als drittes, aber wirtschaftlich nicht minder
22
GVBl. v. 5.7.2005, S. 346 ff. Pressemitteilung Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen v. 22.3.2005; Börsen-Zeitung v. 23.3.2005; FAZ v. 24.3.2005; Stellungnahme Wirtschaftssenator Wolf im Ausschuss für Wirtschaft, Betriebe und Technologie des Abgeordnetenhauses von Berlin am 25.4.2005, Wortprotokoll 15/55, S. 1 ff. 24 S.o. S. 164. 25 § 3 Abs. 4 und 5 LBB-G 1993. 26 Bei dem ersten Verkaufsverfahren im Jahre 2002/03 waren die Beteiligten noch davon ausgegangen, dass jedenfalls bei Verkauf an einen privaten Bieter die Qualifizierung der Berliner Sparkasse als öffentlich-rechtlich im Sinne des § 40 KWG wegfallen würde und damit die Bezeichnung Sparkasse nicht mehr hätte verwendet werden dürfen. Dagegen soll sich der Bieter Flowers mit einer Beschwerde in Brüssel gewandt haben (vgl. Tagesspiegel v. 2.4.2006). 23
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bedeutendes Ziel wurde das sogenannte „Eine Bank“ Konzept verfolgt: Das gesamte operative Bankgeschäft sollte in einer rechtlichen Einheit bleiben (also das bisherige Geschäft der Landesbank Berlin einschließlich der Berliner Sparkasse, die eine rechtlich nicht verselbständigte Abteilung der LBB war) bzw. dorthin übertragen werden (also das bisherige Geschäft der Bankgesellschaft Berlin); ausgenommen von dieser Zusammenführung sollte das Geschäft der BerlinHyp sein. Damit sollten die Transparenz der bisher unübersichtlichen und schwer steuerbaren Konstruktion und ihre betriebswirtschaftliche und auch steuerliche Effizienz gesteigert werden. Diese Überlegung lag auch dem Restrukturierungskonzept des Bankkonzerns und damit der Beihilfeentscheidung zu Grunde.27 Aus einer Vielzahl von Gründen lag es nahe, das operative Geschäft in der LBB zusammenzuführen, die ohnehin schon den Schwerpunkt der geschäftlichen Aktivitäten (insbesondere der langfristig weiterzuführenden) des Konzerns bildete. Wenn hier auch nicht die Details der denkbaren Alternativen und der Entscheidungsparameter beschrieben werden können, mussten doch im Wesentlichen zwei Fragen beantwortet werden: Soll die Landesbank Berlin weiterhin als Anstalt des öffentlichen Rechts oder stattdessen in privatrechtlicher Form geführt werden? Welche Struktur ist für die Berliner Sparkasse vorzusehen, damit diese den gesetzlichen Anforderungen des § 40 KWG (und den verbandsrechtlichen Vorgaben zum Erhalt der Mitgliedschaft im öffentlich-rechtlichen Sektor) genügt? Für die schon im bisherigen LBB-Gesetz (§ 14 Ziff. 4 LBB-G 1993) vorgesehene Möglichkeit der Umwandlung der Landesbank Berlin von einer Anstalt des öffentlichen Rechts in eine Aktiengesellschaft (theoretisch auch andere Formen der Kapitalgesellschaft, aber aus praktischen Gründen kam letztlich nur eine Aktiengesellschaft in Betracht) sprachen viele Gründe: Dies ist die im Bankgeschäft weitgehend übliche Rechtsform und sie erlaubt auch Umstrukturierungen unter Nutzung des Umwandlungsgesetzes (hier ganz konkret relevant wegen der geplanten Ausgliederung des operativen Geschäfts der Bankgesellschaft Berlin auf die Landesbank Berlin, aber auch zwecks entsprechender Flexibilität in der Zukunft) und den Abschluss von Unternehmensverträgen 28, was bei der Rechtsform der Anstalt des öffentlichen Rechts gerade nicht möglich ist. Daneben hätte eine Anstalt des öffentlichen Rechts nur begrenzte Möglichkeiten der Eigenkapitalbeschaffung im Markt gehabt. Außerdem war zu befürchten, dass die sich auf die gesamte Rechtseinheit erstreckenden öffentlich-rechtlichen Bindungen einer Anstalt des öffentlichen Rechts sowohl gegenüber potenziellen Bietern im Verkaufsverfahren als auch 27
Vgl. Geschäftsbericht LBB Holding AG, S. 61 f. So in 2006 geschehen, um in der Bankgesellschaft Berlin angefallene Verlustvorträge zu nutzen; vgl. Rede des Vorstandsvorsitzenden Vetter auf der Hauptversammlung am 14.7.2006, S. 19 des veröffentlichten Textes. 28
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gegenüber dem Kapitalmarkt nur schwer vermittelbar gewesen wären. Möglicherweise hätte dies auch Fragen nach der Diskriminierungsfreiheit des Verkaufsverfahrens aufgeworfen. Bei einer Entscheidung für die Rechtsform der Aktiengesellschaft bei der Landesbank Berlin stellte sich die Frage der künftigen Struktur der Berliner Sparkasse umso deutlicher. Um die zu entwickelnde neue Struktur nicht mit unnötigen Risiken zu belasten, war das Land Berlin gut beraten, sich zur Erfüllung der Anforderungen des § 40 KWG nicht nur auf die sparkassentypische Aufgabenstellung und staatliche Aufsicht als Wesensmerkmale der Sparkasse zu beschränken, sondern darüber hinaus eine (wie auch immer im Detail ausgestaltete) öffentlich-rechtliche Rechtsform für die Berliner Sparkasse vorzusehen. Eine Möglichkeit hätte darin bestanden, die Berliner Sparkasse in Form einer vollrechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts zu organisieren und die Landesbank Berlin AG mit der Trägerschaft an dieser Anstalt zu beleihen. Es hätte sich dann – mit Ausnahme der Trägerschaft in den Händen einer privatrechtlichen Kapitalgesellschaft – um eine „klassische Sparkasse“ mit eigener Bankerlaubnis, eigener Rechtspersönlichkeit und eigenem Vermögen, einem vom Träger unabhängigen Vorstand usw. gehandelt. Das wichtige Ziel der Herstellung einer integrierten „Eine Bank“ Struktur wäre damit aber verfehlt worden, denn es hätte weiterhin zwei selbständige Rechtseinheiten und aufsichtsrechtlich gesondert zu betrachtende Kreditinstitute Landesbank Berlin AG und Berliner Sparkasse Anstalt des öffentlichen Rechts mit getrennten Vermögensmassen, aufsichtsrechtlichen Kapital-, Risiko- und Berichtsstrukturen und Gremien gegeben. Auch wäre die gewünschte Flexibilität im Hinblick auf steuerliche Verhältnisse und umwandlungsrechtliche Umstrukturierungen nicht erreicht worden. Außerdem hätte eine solche Struktur eine hohe strukturelle Sprengkraft gehabt, denn sie wäre recht einfach auf konventionelle Sparkassen übertragbar gewesen, wenn die Träger (typischerweise Kommunen und Landkreise) sich zum „Verkauf“ ihrer Sparkasse entschieden und der jeweilige Landesgesetzgeber dies durch Änderung des Sparkassengesetzes ermöglichte.29 Vor diesem Hintergrund entschieden sich der Senat und sodann das Abgeordnetenhaus von Berlin, die Berliner Sparkasse als teilrechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts zu organisieren. Ganz bewusst und im Sinne der Kontinuität wurden viele Elemente betreffend die Berliner Sparkasse aus 29 Es ist schwer nachvollziehbar, warum der DSGV gerade dieses Modell der vollrechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts empfahl (vgl. die Stellungnahme des Geschäftsführenden Vorstandsmitgliedes des DSGV Schackmann-Fallis im Ausschuss für Wirtschaft, Betriebe und Technologie des Abgeordnetenhauses von Berlin am 25.4.2005, Wortprotokoll S. 4 f.), denn der DSGV konnte an einer solchen Präzedenzwirkung kein Interesse haben. Möglicherweise hatte er diese Alternative ins Gespräch gebracht, da er sich sicher war, dass diese aufgrund der betriebswirtschaftlichen Nachteile für den Bankkonzern nicht wirklich in Betracht kam.
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dem bisherigen Landesbankgesetz in das neue Berliner Sparkassengesetz übernommen: So wurden die Aufgaben der Berliner Sparkasse (Förderung des Sparens und der Befriedigung des örtlichen Kreditbedarfs, insbesondere des Mittelstandes und der wirtschaftlich schwächeren Bevölkerungskreise 30 und die Führung der Geschäfte nach kaufmännischen Grundsätzen unter Beachtung allgemeinwirtschaftlicher Gesichtspunkte, wobei die Erzielung von Gewinn nicht Hauptzweck des Geschäftsbetriebs ist 31) praktisch unverändert übernommen. Auch der Unternehmensgegenstand wurde unverändert übernommen.32 Die Bestimmungen über die Staatsaufsicht wurden leicht präzisiert.33 Das Regionalprinzip, wonach der Geschäftsbereich der Berliner Sparkasse auf das Land Berlin auszurichten ist, wurde erstmals ausdrücklich gesetzlich geregelt.34 Außerdem beinhaltet die neue Struktur naturgemäß eine stärkere rechtliche Verselbständigung der Berliner Sparkasse als teilrechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts im Vergleich zu der alten Struktur, in der die Sparkasse lediglich als „besondere Abteilung“ organisiert gewesen war35. Mit der Trägerschaft an dieser teilrechtsfähigen Anstalt wurde zunächst die Landesbank Berlin – Girozentrale – und nach Wirksamwerden der formwechselnden Umwandlung in eine Aktiengesellschaft die Landesbank Berlin AG beliehen.36 Der jeweilige Träger ist verpflichtet, die Berliner Sparkasse im Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften und Weisungen der Aufsichtsbehörde zu betreiben und ihr die zur Durchführung des Geschäfts erforderlichen, finanziellen, personellen und sachlichen Mittel zur Verfügung zu stellen. Jedoch bleiben das Eigentum des Trägers an den diesbezüglichen Vermögensgegenständen sowie seine Verpflichtungen für im Namen der Berliner Sparkasse bekundete Verbindlichkeiten unberührt, wenn auch eine gesonderte Rechnungslegung vorgesehen ist.37 Der Träger (also bis zu ihrer Umwandlung die Landesbank Berlin – Girozentrale – und danach die Landesbank Berlin AG) hat die Aufgabe einer Sparkassenzentralbank und gilt als eigener Sparkassenverband.38 Zusätzlich wurde vorgesehen, dass weitere Einzelheiten der Beleihung durch einen öffentlich-rechtlichen Vertrag zwischen dem Land Berlin und dem Träger vereinbart werden können 39, wozu es jedoch weder im Rahmen der Umwandlung der Landesbank Berlin noch im Rahmen des Verkaufs der Landesbeteiligung kam. 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39
§ 2 Abs. 1 S. 1 SpkG; entspricht § 3 Abs. 6 S. 1 LBB-G 1993. § 4 SpkG; entspricht § 4 Abs. 1 LBB-G 1993. § 2 Abs. 2 SpkG; entspricht § 3 Abs. 2 LBB-G 1993. § 9 SpkG; entspricht weitgehend § 13 LBB-G 1993. § 1 Abs. 2 S. 1 SpkG. § 3 Abs. 6 LBB-G 1993. § 3 Abs. 2 SpkG. § 3 Abs. 3 SpkG. § 3 Abs. 4 und 5 SpkG. § 3 Abs. 7 SpkG.
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Die gegenüber der alten Rechtslage stärkere rechtliche Verselbständigung der Berliner Sparkasse findet ihren Ausdruck auch darin, dass sie über eigene Organe, nämlich den Vorstand und den Sparkassenbeirat, verfügt.40 Um dem verfassungsrechtlichen Demokratieprinzip Rechnung zu tragen, wurde dem Land Berlin ein Zustimmungsvorbehalt für die Bestellung der Vorstände der Berliner Sparkasse eingeräumt.41 Aus den gleichen Gründen kann das Land Berlin ein Mitglied des Vorstandes der Berliner Sparkasse abberufen, wenn es keine ausreichende Gewähr dafür bietet, dass es die Vorschriften des Sparkassengesetzes oder die Weisungen der Aufsichtsbehörde erfüllt.42 Unabhängig davon kann aber der Träger Mitglieder des Vorstandes der Berliner Sparkasse jederzeit abberufen, ohne dass dafür eine Zustimmung des Landes Berlin erforderlich wäre.43 Denn aus verfassungsrechtlichen Gründen (das Demokratieprinzip des Art. 20 GG verlangt bei öffentlich-rechtlichen Anstalten eine ununterbrochene Legitimationskette vom Volk zu deren Vertretungsorganen) muss nur sichergestellt sein, dass die jeweils amtierenden Mitglieder des Vorstandes mit Zustimmung des Landes Berlin bestellt werden.44 Umgekehrt ordnet das Gesetz eine Personenidentität zwischen dem Vorstand oder der Geschäftsführung des Trägers und dem Vorstand der Berliner Sparkasse an.45 Damit wird die einheitliche Leitung des in bankaufsichtsrechtlichem Sinne einheitlichen Kreditinstituts gewährleistet, d.h. die Berliner Sparkasse ist zwar soweit rechtlich verselbständigt, dass sie im sparkassenrechtlichen Sinne eine eigene Einheit darstellt, umgekehrt geht sie aber im bankaufsichtsrechtlichen Sinne in dem Kreditinstitut Landesbank Berlin (sowohl vor als auch nach deren Rechtsformwechsel) auf.46 Die Gesetzesbegründung stellt ausdrücklich klar, dass die gesetzlichen und satzungsmäßigen Befugnisse und Pflichten eines Aufsichts- oder Verwaltungsrates des Trägers (im Falle der Landesbank Berlin AG also von deren Aufsichtsrat) und insbesondere dessen Befugnis, deren Vorstand oder Geschäftsführung zu bestellen, unberührt bleiben. Dies ist wichtig, da landesgesetzliche Regelungen im Hinblick auf den Träger bzw. die teilrechtsfähige Anstalt die einschlägigen bundesrechtlichen Regelungen, hier insbesondere die §§ 84 ff. AktG, nicht aushebeln dürfen. Die Regelungen über den Vorstand, insbesondere der Zustimmungsvorbehalt des Landes Berlin und die angeordnete Personenidentität, haben zuvor im Gesetzgebungsverfahren eine gewisse, teilweise kritische Be-
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§§ 5–7 SpkG. § 6 Abs. 2 S. 1 erster Halbsatz SpkG. § 6 Abs. 3 S. 1 SpkG. § 6 Abs. 3 S. 2 SpkG. Vgl. Gesetzesbegründung Drucks. 15/3802 v. 29.03.2005, 10. § 6 Abs. 2 S. 1 2. Halbsatz SpkG. Vgl. Gesetzesbegründung Drucks. 15/3802 v. 29.03.2005, 10.
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achtung gefunden 47. Soweit bekannt, sind sie jedoch weder aufsichtsrechtlich noch landesrechtlich, noch im Zusammenhang mit der rechtsformwahrenden Umwandlung der Landesbank Berlin beanstandet worden. Soweit es ein Spannungsverhältnis zwischen verschiedenen einschlägigen Rechtsgrundsätzen gibt, lässt sich dieses sachgerecht auflösen.48 Gemäß § 10 SpkG wurde die Landesbank Berlin – Girozentrale – durch Gesetz zum 1. Januar 2006 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Die Bankgesellschaft Berlin AG fungierte als Gründerin und übernahm das Grundkapital, das durch ihre bereits bestehende wirtschaftliche Beteiligung an der Landesbank Berlin – Girozentrale – erbracht war. Die Zustimmung zur Bestellung des Vorstandes und die Feststellung der Gründungssatzung erfolgten durch Verwaltungsakt der zuständigen Senatsverwaltung 49. Nach Vornahme der weiteren aktien- und umwandlungsrechtlich erforderlichen Rechtsakte (insbesondere Bestellung des ersten Aufsichtsrates, Bestellung des Vorstandes, Gründungsprüfung, Handelsregisteranmeldung) erfolgte am 21. Dezember 2005 die Eintragung in das Handelsregister beim Amtsgericht Charlottenburg „mit Wirkung zum 1. Januar 2006“.
V. Die Auseinandersetzungen mit BaFin und DSGV im Zusammenhang mit dem Rechtsformwechsel Nachdem schon das neue Berliner Sparkassengesetz und seine Umsetzung von scharfen Angriffen aus dem öffentlich-rechtlichen Lager und auch Gegenwind der BaFin 50 begleitet worden waren, war das Jahr 2006 wesentlich von der Auseinandersetzung darüber geprägt, ob der so neu verfasste Konzern Landesbank Berlin ohne weitere Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen verkäuflich sein würde, insbesondere ob die Berliner Sparkasse diese Bezeichnung auch nach Verkauf der Landesbeteiligung an einen privaten Dritten weiterführen könnte. Die gleiche (wenn auch nicht in allen Nuancen parallel laufende) Frage stellte sich im Hinblick auf den Fortbestand der Mitgliedschaft der LBB in den verschiedenen Einrichtungen des öffentlich-rechtlichen Sektors. Die BaFin hatte zwar schon im Gesetzgebungsverfahren die Auffassung vertreten, künftige Ausschüttungen des Sparkassengewinns an private Dritte 47 Vgl. insbesondere die Diskussionen der Abgeordneten und Beiträge von Sachverständigen in der Sitzung des Ausschusses für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten des Abgeordnetenhauses von Berlin, Wortprotokoll 15/55 v. 26.5.2005. 48 Umfassend zum Thema vgl. Huber, öffentlich-rechtliche Sparkassen in Privatrechtsform, in: FS Reiner Schmidt, 2006; Schuster/Sohns, Zur Veräußerung von Sparkassen, ZBB 2006, 342 ff. 49 ABl. Nr. 11 v. 11.3.2006, S. 870. 50 FAZ v. 14.4.2005, Handelsblatt v. 15.4.2005, Börsen-Zeitung v. 19.4.2005, Berliner Morgenpost v. 27.4.2005, Berliner Morgenpost v. 10.6.2005.
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verstießen aufgrund fehlender Gemeinnützigkeitsbindung gegen § 40 KWG.51 Sie hatte diese Bedenken aber im Rahmen des Rechtsformwechsels der Landesbank Berlin in eine AG zunächst zurückgestellt.52 Der DSGV vertrat mit einer noch deutlich breiter angelegten Begründung die Auffassung, „eine solche Konstellation … [sei] keine Sparkasse mehr“.53 Abgesehen davon, dass die BaFin die bisherige Rechtslage und Praxis, bei der Gewinne aus der Berliner Sparkasse ohne entsprechende Einschränkung an die Bankgesellschaft Berlin AG und damit auch deren außenstehende Aktionäre geflossen waren, nie beanstandet hatte, brachte diese Sichtweise erhebliche Gefahren für den Verkaufsprozess mit sich. Zum Einen war zu befürchten, dass ein Wegfall der Sparkassenbezeichnung bei Verkauf der Landesbeteiligung an einen privaten Dritten (jedoch Erhalt dieser Bezeichnung bei einem Verkauf an eine öffentlich-rechtliche Adresse) als Verstoß gegen die beihilferechtliche Bedingung eines diskriminierungsfreien Verfahrens angesehen würde – letztendlich mit der Gefahr eines Widerrufs der Beihilfegenehmigung und damit einer die Existenz des Bankkonzerns bedrohenden Rückforderung der Beihilfe. Außerdem wäre bei einem Verzicht auf die Bezeichnung „Sparkasse“ durch das Land Berlin (sei es allgemein oder, soweit überhaupt möglich, nur bei einem Verkauf an einen privaten Dritten) eine deutliche Reduzierung des Verkaufserlöses zu erwarten gewesen. Die EU-Kommission, die die Verkaufsvorbereitungen ohnehin aufmerksam beobachtete, nahm die teilweise öffentlich geführten Auseinandersetzungen zwischen dem Land Berlin, der Bundesregierung, dem DSGV und dem privaten Bankgewerbe 54 zum Anlass, das zwischenzeitlich ruhende Beschwerdeverfahren (vermutlich des Bieters Flowers) aus dem ersten Privatisierungsversuch 2002/2003 wieder aufzunehmen 55. Nachdem sich keine einvernehmliche Lösung abzeichnete, griff die EUKommission zu einem drastischen Mittel und forderte Deutschland am 28. Juni 2006 in einer sog. begründeten Stellungnahme auf, den § 40 KWG so an europäisches Recht anzupassen, dass er nicht mehr gegen die Niederlassungsfreiheit und den freien Kapitalverkehr verstoße. Dies sei kein Eingriff in die Eigentumsordnung, denn es stehe Deutschland frei zu entscheiden, ob es Sparkassen privatisieren wolle. Auch sei der mit § 40 KWG bezweckte Gemeinwohlschutz grundsätzlich gerechtfertigt. Wenn aber eine Privatisierung erfolge (wie z.B. im Fall der Landesbank Berlin und sei es auch aufgrund der Beihilfeentscheidung), dann müsse diese in Übereinstimmung mit
51
Berliner Morgenpost v. 10.6.2005; Börsen-Zeitung v. 17.6.2005; FAZ v. 18.06.2005. So Senator Sarrazin in einem Gespräch mit dem Handelsblatt, 11.1.2006. 53 DSGV Pressemitteilung 44/2005 v. 16.6.2005. 54 Siehe z.B. Namensartikel Senator Sarrazin in Börsen-Zeitung v. 8.4.2006; Interview des DSGV-Präsidenten Haasis in Tagesspiegel v. 6.6.2006. 55 Handelsblatt v. 13.3.2006 und 16.3.2006. 52
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EU-Recht vollzogen werden. Das Verbot der Weiterführung der Bezeichnung „Sparkasse“ durch einen privaten Dritten – dies wäre die praktische Konsequenz der Auslegung des § 40 KWG durch die deutschen Behörden gewesen – verstoße dagegen und der Schutz berechtigter Gemeinwohlbelange könne auch durch andere Maßnahmen, z.B. die Bindung an die Erfüllung entsprechender Gemeinwohlverpflichtungen, erreicht werden.56 Durch das Verlangen einer Änderung des § 40 KWG und die Androhung eines Klageverfahrens nach Art. 226 des EG-Vertrages gab die Kommission dem Streit eine völlig andere Dimension. Denn nun ging es nicht mehr in erster Linie um den „Sonderfall Berlin“, sondern der rechtliche Rahmen für den öffentlich-rechtlichen Bankensektor war insgesamt in Frage gestellt. Obwohl schon die begründete Stellungnahme selbst einen ausdrücklichen Hinweis darauf enthielt, dass eine einvernehmliche Lösung angestrebt werde, gestalteten sich die Verhandlungen schwierig. Ein Vorschlag der Bundesregierung, zwar auch privaten Investoren die Führung der Bezeichnung nach dem Kauf einer Sparkasse zu erlauben, aber im Rahmen einer Änderung von § 40 KWG die Regionalbindung und die Verpflichtung zur gemeinnützigen Gemeinverwendung zu verschärfen,57 wurde von der EU-Kommission abgelehnt.58 Erst Ende November 2006 kam es zu einer Einigung zwischen Bundesregierung und Kommission.59 Danach blieb der Wortlaut von § 40 KWG unangetastet und es wurde klargestellt, dass die Landesbeteiligung sämtlichen potenziellen (privaten, öffentlichen, in- und ausländischen) Investoren so angeboten werden muss, dass es ihnen möglich ist, die Berliner Sparkasse unter dieser Bezeichnung fortzuführen. Der Bezeichnungsschutz des § 40 KWG werde durch höherrangiges und unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht, namentlich die Beihilfeentscheidung der Kommission, überlagert, wobei die Anforderungen des Berliner Sparkassengesetzes einzuhalten seien. Dieses Ergebnis wurde sogleich durch ein Schreiben der BaFin an das Land Berlin umgesetzt, womit die BaFin ihre frühere entgegenstehende Ansicht für „obsolet“ erklärte. Die Berliner Senatsverwaltung für Finanzen begrüßte dieses Ergebnis und veröffentlichte das Schreiben der BaFin im Wortlaut.60 Diese Einigung war sicherlich auch dadurch befördert worden, dass nochmals betont wurde, dass die Entscheidung über einen Verkauf allein beim Mitgliedsstaat liege und § 40 KWG nicht geändert werden müsse, solange er im Falle einer Privatisierung europarechtskonform angewendet wird. Damit war die EU-Kommission von ihrer Maximalposition aus dem Sommer
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Pressemitteilung der EU-Kommission, Nr. IP/06/870 v. 28.6.2006. FAZ v. 9.8.2006. 58 Kommentar der Börsen-Zeitung v. 9.8.2006 („Ohrfeige aus Brüssel“). 59 Am 6.6.2006 von der Kommission akzeptiert und in ihrer Pressemitteilung Nr. IP/06/ 1962 vom gleichen Tage dokumentiert. 60 Presseerklärung Nr. 06-076 v. 4.12.2006. 57
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abgerückt, mit der sie eine grundlegende Überarbeitung des § 40 KWG gefordert hatte.61 Umgekehrt hatte sie sich im Hinblick auf den konkreten Fall in vollem Umfang durchgesetzt und die Bresche für ein diskriminierungsfreies Verfahren geschlagen, an dessen Ende auch ein privater Investor den Bankkonzern einschließlich der Berliner Sparkasse unter Weiterführung der Bezeichnung übernehmen könnte. Der Kompromiss war so ausgewogen (man könnte auch sagen: geschickt) formuliert, dass der DSGV ausführen konnte, er betreffe lediglich den Sonderfall Berlin vor dem Hintergrund des Beihilfeverfahrens und könne nicht zum Präzedenzfall für (andere) Privatisierungen werden 62, während umgekehrt der Bundesverband deutscher Banken meinte, damit sei auch bei anderen etwaigen Sparkassen-Privatisierungen die Fortführung der Bezeichnung durch private Gesellschafter zu ermöglichen, auch wenn kein Beihilfefall vorliege 63. Der Berliner Senat musste sich dazu nicht positionieren. Ihm war es ohnehin nicht darum gegangen, grundlegende Änderungen am Drei-Säulen-Modell herbeizuführen, aber er hatte sein wichtigstes Ziel erreicht: eine belastbare Grundlage für das Bieterverfahren zum Verkauf seiner Beteiligung am Bankkonzern zu schaffen, die sowohl den Anforderungen an die Diskriminierungsfreiheit genügt als auch einen effektiven Bieterwettbewerb zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Bietern zum Zwecke eines erfolgreichen Verfahrens mit dem bestmöglichen wirtschaftlichen Ergebnis ermöglicht. Parallel zu den Auseinandersetzungen um § 40 KWG kam es zu einem Rechtsstreit zwischen dem DSGV und dem Bankkonzern um den Fortbestand von dessen Mitgliedschaft im öffentlich-rechtlichen Verbund und der künftigen Nutzung der Markenrechte – sowohl bezüglich der Bezeichnung „Sparkasse“ als auch insbesondere an dem „roten S“. Kurz vor Jahresende 2006 verkündete das Landgericht Berlin sein Urteil in diesem sogenannten Markenstreit.64 Die Widerklage des DSGV, der die Feststellung begehrt hatte, die Mitgliedschaft des Landesbank Berlin AG im DSGV sei mit ihrer Umwandlung erloschen, wurde von dem Gericht zurückgewiesen. Für die von der Satzung des DSGV geforderte „öffentlich-rechtliche Eigenschaft“ sei die Beleihung der Landesbank Berlin AG mit der Trägerschaft an der teilrechts61
Börsen-Zeitung v. 25.11.2006. Pressemitteilung DSGV Nr. 91/2006 v. 27.11.2006. 63 Gespräch mit Manfred Weber, Hauptgeschäftsführer des BdB, FAZ v. 6.12.2006; so auch Witte/Gregoritza, Der Bezeichnungsschutz öffentlich-rechtlicher Sparkassen nach § 40 KWG auf dem Prüfstand des Europarechts – unter besonderer Berücksichtigung der geplanten Veräußerung der Landesbank Berlin Holding AG (vormals Bankgesellschaft Berlin AG), WM 2007, 151 ff.; vgl. auch Geschwandtner/Bach, Bezeichnungsschutz für Sparkassen, quo vadis?, NJW 2007, 129 ff.; Brenncke, Nomen est omen? – Zur Europarechtskonfomität des Bezeichnungsschutzes für Sparkassen, ZBB 2007, 1 ff. und Replik Vogel, ZBB 2007, 130 ff. 64 Urteil v. 19.12.2006, BeckRS 2007, 10253. 62
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fähigen Anstalt „Berliner Sparkasse“ (§ 3 Abs. 2 S. 2 SpkG) und mit den Aufgaben als Sparkassenzentralbank (Girozentrale) und der Funktion eines Sparkassenverbandes (§§ 3 Abs. 4 und 5 S. 1 SpkG) ausreichend. Außerdem erklärte das Landgericht einen Beschluss der Mitgliederversammlung des DSGV vom 1. Dezember 2005 für nichtig, der wohl im Hinblick auf die Strukturänderungen im Konzern Bankgesellschaft/Landesbank Berlin getroffen worden war. Danach sollte die letztlich für den gesamten öffentlich-rechtlichen Verbund maßgebliche Markensatzung dahingehend geändert werden, dass die Landesbank Berlin die Kollektivmarken im Retailgeschäft, also gerade im Bereich der Berliner Sparkasse, nicht mehr würde frei nutzen dürfen; mit der danach künftig erforderlichen Zustimmung des Vorstandes des DSGV hätte sie nicht rechnen können. Das Landgericht konnte keinen sachlichen Grund für den darin liegenden Verstoß gegen das Gebot der Gleichbehandlung der Mitglieder des DSGV zulasten der Landesbank Berlin erkennen und bestätigte ausdrücklich das Recht der Landesbank Berlin zur Nutzung der Kollektivmarken auch im Retailbereich. Damit war auch in diesem für das Verkaufsverfahren äußerst wichtigen Bereich Klarheit geschaffen. Allerdings blieb die Frage, ob eine wesentliche Beteiligung eines Privaten Auswirkungen auf den Fortbestand der Mitgliedschaft und damit der Markennutzungsbefugnis haben würde, in dem Urteil ausdrücklich offen.
VI. Die Durchführung des Verkaufsverfahrens Mit den hier skizzierten Schritten und Klärungen war die Grundlage für ein erfolgreiches Verkaufsverfahren geschaffen: Die Sanierung des Geschäfts des Bankkonzerns und die Umsetzung der Auflagen aus der Beihilfeentscheidung 65 sowie die strukturellen Änderungen wie insbesondere die Bündelung des operativen Bankgeschäfts in der Landesbank Berlin wurden durch das innovative, aber auch sachlich angemessene Berliner Sparkassengesetz flankiert. Der Widerstand gegen den so geschaffenen Rahmen, der sowohl aus dem öffentlich-rechtlichen Bankensektor als teilweise auch der Bankenaufsicht kam, konnte unter Wahrung der Interessen des Landes Berlin zu einer vernünftigen Lösung geführt werden, ohne sich am Ende in unnötigen Grundsatzstreitigkeiten zu verlieren. Auch die EU-Kommission, die sowohl die strukturellen Vorbereitungen als auch die Durchführung des Verkaufsverfahrens mit Argusaugen verfolgt hatte, verhielt sich an den entscheidenden Punkten konstruktiv und pragmatisch.
65 Wichtige Meilensteine waren die Verkäufe der Weberbank an die WestLB (31.8.2005), der Immobiliendienstleistungsgesellschaften an das Land Berlin (rückwirkend zum 1.1.2006) und der Berliner Bank an die Deutsche Bank (31.12.2006).
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So konnte das mit der öffentlichen Ausschreibung am 19. Januar 2007 66 begonnene Verkaufsverfahren mit der Unterzeichnung des Kaufvertrages am 15. Juni 2007 und dem Vollzug am 8. August 2007 erfolgreich abgeschlossen werden. Aus dem Feld von zunächst 19 in- und ausländischen Interessenten, von denen 15 für den weiteren Prozess zugelassen wurden, reichten neun Bieter bis zum 22. März 2007 indikative Angebote ein. Sieben von ihnen wurden zur Datenraumphase zugelassen und drei legten bis zum 1. Juni 2007 verbindliche Angebote vor. Nach Presseberichten 67 waren dies neben der am Ende erfolgreichen Erwerbsgesellschaft der deutschen Sparkassen, die der DSGV organisiert hatte, die Commerzbank AG und die Landesbank BadenWürttemberg. Von großer praktischer Bedeutung war sicherlich, dass parallel zum Bieterverfahren eine Platzierung der Anteile des Landes an der Börse vorbereitet worden war (sog. „Secondary Public Offering“ in einem „Dual Track“ Verfahren) 68. Damit wurde sowohl der Wettbewerbsdruck aufrechterhalten als auch der Börsenspekulation auf ein Pflichtangebot bezüglich der Aktien der Landesbank Berlin Holding AG und der BerlinHyp entgegengewirkt 69. Das Ergebnis des Verfahrens, wonach die durch den DSGV vertretene Erwerbsgesellschaft der deutschen Sparkassen insgesamt EUR 5,345 Mrd. an das Land Berlin zahlte 70, lag deutlich über den konkurrierenden Angeboten der beiden anderen Bieter 71. Damit war die Entscheidung für den DSGV auf
66 Entsprechende Anzeigen wurden am 19.1.2007 in der FAZ und der FT veröffentlicht; siehe auch Prieß/Gabriel, M&A-Verfahrensrecht – EG-rechtliche Verfahrensvorgaben bei staatlichen Beteiligungsveräußerungen, NZBau 2007, 617 ff. 67 Börsen-Zeitung v. 13.6.2007; FTD v. 15.6.2007. 68 Siehe die Zusammenfassung des Verkaufsverfahrens in der Presseerklärung des Landes Berlin v. 15.6.2007. 69 Der Kurs der Landesbank Berlin Holding AG hatte zum Jahreswechsel 2006/07 einen Höchststand von ca. EUR 8 erreicht und fiel trotz kräftiger spekulativer Aktivitäten im Markt (FAZ v. 6.3.2007; Börsen-Zeitung v. 16.6.2007) auf ein deutlich niedrigeres Niveau. Dies resultierte in einem Angebotspreis von EUR 6,81 (Drei-Monats-Durchschnittskurs gem. § 31 Abs. 1 und 7 WpÜG i.V.m. §§ 4 und 5 WpÜG-AV zum Stichtag 14.6.2007) im Rahmen des „befreienden Übernahmeangebotes“, das die Käuferin den außenstehenden Aktionären am 15.6.2007 (Angebotsunterlage am 1.8.2007 veröffentlicht) unterbreite. Demgegenüber erteilte die BaFin am 19.6.2007 eine Befreiung vom Pflichtangebot an die außenstehenden Aktionäre der BerlinHyp, da der Buchwert der Beteiligung der LBB an der BerlinHyp weniger als 20 % des buchmäßigen Aktivvermögens betrug (§ 37 Abs. 1 u. 2 WpÜG i.V.m. § 9 Abs. 2 WpÜG-AV). 70 Lt. Presseerklärung des Landes v. 15.6.2007 und Pressemitteilung 47/2007 des DSGV setzte sich dieser Betrag aus EUR 4,475 Mrd. als Kaufpreis für die Aktien, EUR 147 Mio. für die Ablösung des Provisionsanspruchs und des Besserungsrechts im Zusammenhang mit der Risikoabschirmung der Immobiliendienstleitungsrisiken und EUR 723 Mio. für eine stille Einlage des Landes zusammen. 71 Lt. Börsen-Zeitung v. 16.6.2007 sprach Senator Sarrazin von einem „deutlichen Sicherheitsabstand“ zu Commerzbank und LBBW.
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Basis der Wirtschaftlichkeit der Angebote eindeutig und die Börsenplatzierung konnte ebenfalls abgesagt werden. Im Übrigen hat das Land, das nach der Beihilfeentscheidung bis Ende 2007 Zeit für den Verkauf gehabt hätte, mit seinem Zeitplan eine äußerst glückliche Hand bewiesen. Denn schon im Spätsommer 2007 begann die sog. Subprime Krise mit erheblichen Auswirkungen sowohl auf die Finanzwelt als auch den Markt für Unternehmensübernahmen 72. So fand die böse Geschichte der Bankgesellschaft Berlin und der Belastung des Landes Berlin durch die Sanierungsmaßnahmen der Jahre 2001 und 2002 zumindest insoweit noch ein gutes Ende, als sich die Entscheidung zum Abbruch des ersten Verkaufsverfahrens im März 2003 als richtig erwies und nach dem erfolgreichen Verkauf im Sommer 2007 erhebliche Mittel zur Verfügung stehen, um die vom Land Berlin übernommene Risikoabschirmung zu finanzieren.
72 „Heute wäre der Preis von 5,3 Mrd. Euro wegen der Finanzmarktkrise nicht mehr erzielbar“, sagte Senator Sarrazin dem Tagesspiegel (20.4.2008).
Kapitalmarktrechtliche und gesellschaftsrechtliche Aspekte des German Real Estate Investment Trust (G-REIT) Herbert Harrer I. Einführung Das Gesetz zur Schaffung deutscher Immobilien-Aktiengesellschaften mit börsennotierten Anteilen ist nach mehrjähriger lebhafter Diskussion zum 1. Januar 2007 in Kraft getreten 1. REIT AGs im Sinne des Gesetzes sind nach § 1 Abs. 1 REITG Aktiengesellschaften mit Sitz in Deutschland, die im REIT-Gesetz konkretisierten besonderen Qualifikationen erfüllen und deren Unternehmensgegenstand sich im Wesentlichen darauf beschränkt, Eigentum oder dingliche Nutzungsrechte an inländischem unbeweglichen Vermögen mit Ausnahme von Bestandsmietwohnimmobilien 2, an bestimmten Auslandsimmobilien und an bestimmten anderen Vermögensgegenständen zu erwerben, zu halten, im Rahmen der Vermietung, der Verpachtung und des Leasings einschließlich notwendiger immobiliennaher Hilfstätigkeiten zu verwalten und zu veräußern. Das REIT-Gesetz führt in Deutschland ein international bereits anerkanntes Instrument zur indirekten Immobilienanlage mit transparenter Besteuerung ein. Deutschland verfügt aufgrund seiner Größe und Wirtschaftskraft über den größten Immobilienmarkt in Europa. Als Folge der Einführung von REITs in Deutschland wird allgemein eine erhebliche Mobilisierung von Immobilienvermögen und eine Stärkung der Immobilie als eigene Anlageklasse erwartet. Real Estate Investment Trusts (REITs) existieren in den USA 3 seit Jahrzehnten. In Europa gibt es REITs unter anderem in Belgien (SICAFI), Frankreich (SIIC), Italien (FII), den Niederlanden (BI) und in Großbritannien 1 Gesetz zur Schaffung deutscher Immobilien-Aktiengesellschaften mit börsennotierten Anteilen (Real Estate Investment Trust-Gesetz, REIT-Gesetz oder REITG), BGBI 2007 I, S. 914 ff. 2 Bestandsimmobilien sind Immobilien, die überwiegend Wohnzwecken dienen, sofern diese vor dem 1. Januar 2007 erbaut wurden (§ 3 Abs. 9 REITG). 3 Vgl. zur internationalen Besteuerung Stoschek/Dammann, IStR 2006, 403 ff.; zum US REIT Volckens/Panzer, IStR 2005, 104 ff.; Gesetzliche Regelung in § 856 Internal Revenue Code, 26 USCS § 85b, 2005.
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(UK-REITs), in Asien, in Australien, Hongkong, Japan und Singapur 4. Die konkrete Ausgestaltung der jeweiligen REITs hinsichtlich Rechtsform, Steuerkonzept, Geschäftstätigkeit, Bestimmungen über Gewinnausschüttung und Besteuerung von beteiligten Rechtssubjekten sowie Erfordernis einer Börseneinführung ist von Land zu Land unterschiedlich.
1. Steuerrechtliche und regulatorische Bestimmungen Die steuerlichen Rahmenbedingungen 5 sind für die REIT AG von wesentlicher Bedeutung. Hinsichtlich der Besteuerung ist zwischen der Ebene der REIT AG und der Ebene der Aktionäre zu unterscheiden. Erfüllt eine REIT Gesellschaft die Voraussetzungen der §§ 8–15 REITG, ist sie unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig und gilt sie nicht i.S. eines Doppelbesteuerungsabkommens als in einem anderen Vertragstaat ansässig, wird die REIT AG nach § 16 Abs. 1 REITG vollständig von der Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer befreit. Es erfolgt jedoch keine Befreiung von der Grunderwerbsteuer und der Grundsteuer. Die REIT AG behält nach § 20 Abs. 1 REITG auf alle Ausschüttungen an die Anteilseigner eine Quellensteuer von 25 % zzgl. des Solidaritätszuschlags ein. Für die laufende Besteuerung der Aktionäre der REIT AG gilt nach § 19 Abs. 1 REITG das sogenannte Dividendenmodell, d.h. Ausschüttungen des G-REIT sind wie üblich Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Mangels einer Vorbelastung auf Gesellschaftsebene sind die Ausschüttungen der REIT AG auf der Ebene des Anteilseigners voll zu versteuern. Das Halbeinkünfteverfahren des § 3 Nr. 40 EStG oder die 95 %ige Steuerfreistellung nach § 8b Abs. 1 KStG für Kapitalgesellschaften finden nach § 19 Abs. 3 REITG grundsätzlich keine Anwendung, es sei denn, die Ausschüttungen stammen aus vorbelasteten Teilen des Gremiums (neuer § 19a REITG) 5a. 4 Einen weltweiten Überblick geben European Public Real Estate Association (EPRA) Global REIT Survey, 9. September 2004, www.epra.com; HSBC Trinkaus & Burkhardt, Shaping the REIT (März 2005), S. 36 ff.; M. M. Warburg & Co., Einführung von REITs in Deutschland (Juli 2006); HSH Nordbank, Deutsche Immobilienunternehmen am Kapitalmarkt, (Juni 2007); Deutsche Bank, Der deutsche REIT (Februar 2005), S. 24 ff.; Stock/ Teske, DB 2005, 187. Zu ausländischen REITs auch Rehm/Lindauer, IStR 2002, 253 ff.; Stoschek/Dammann, IStR 2006, 403 ff.; Schimmelschmidt/Tauser, IStR 2006, 120 ff.; Fabry/ Riha, RIW 2006, 528 ff. 5 Vgl. Schultz/Thießen, DB 2006, 2144 ff.; Schultz/Thießen, International Investor Real Estate Magazin – Sonderausgabe REITs 2/2007, 42 ff.; Sieker/Göckeler/Köster, DB 2007, 933 ff.; Klühs/Schmidtbleicher, IStR 2007, 16 ff.; Dettmeier/Gemmel/Kaiser, BB 2007, 1191 ff.; Schmidt/Behnes, BB 2006, 2329 ff.; Dettmeier/Pöschke, BB 2006, 1731 ff.; Schacht/Gänsler, DStR 2006, 1518 ff.; Teske/Stock/Küppers, DB 2005, 906 ff.; Pluskat/Rogall, RIW 2005, 253 ff.; Pluskat/Rogall, WM 2006, 889 ff.; Pluskat/Rogall, BB 2005, 1251 ff.; Busching/Trompeter, IStR 2005, 510 ff.; Wagner, StuB 2006, 591 ff.; Stoschek/Dammann, IStR 2006, 403 ff.; Quass/ Becker, AG 2007, 421 ff.; Frey/Harbarth, ZIP 2007, 1177 ff. 5a § 19a REITG, ausgeführt durch Jahressteuergesetz 2009, vgl. hierzu Schultz SiR 6/2008, S. 219/220.
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Für die REIT AG bestehen eine Reihe von regulatorischen Beschränkungen u.a. hinsichtlich (1) der Zusammensetzung des Vermögens und des Ertrags 6, (2) der Ausschüttungsquote 7, (3) des Umfangs des Mindesteigenkapitals 8 und (4) des Verbots des Handels von unbeweglichem Vermögen 9. Hierbei ist – soweit nichts anderes bestimmt ist – nach § 12 Abs. 1 REITG für den Fall, dass die REIT-Aktiengesellschaft zur Aufstellung eines Konzernabschlusses gemäß § 315a HGB verpflichtet ist, auf den Konzernabschluss abzustellen, anderenfalls auf den Einzelabschluss gemäß § 325 Abs. 2a HGB und für das als Finanzinvestition gehaltene unbewegliche Vermögen ist nach § 12 Abs. 1 REITG der beizulegende Zeitwert im Sinne des IAS 40 maßgebend 10.
II. Kapitalmarktrechtliche Aspekte Das REIT-Gesetz hat eine Reihe von kapitalmarktrechtlichen Themen geschaffen, von denen einige nachfolgend dargestellt werden.
1. Börseneinführungspflicht Das REIT-Gesetz sieht nach § 10 Abs. 1 REITG vor, dass die Aktien der REIT AG zum Handel an einem organisierten Markt im Sinne von § 2 Abs. 5 WpHG in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum zugelassen sein müssen. Einen organisierten Markt stellt hierbei der seit 1. November 2007 neu geschaffene Regulierte Markt, nicht jedoch der Freiverkehr einer deutschen Wertpapierbörse dar. Der Antrag auf Zulassung muss im Regelfall nach § 10 Abs. 2 REITG jedoch erst innerhalb von drei Jahren nach Anmeldung der REIT AG als Vor-REIT gestellt werden. Wird innerhalb der Frist kein Antrag gestellt oder wird ein innerhalb dieser Frist gestellter Antrag bestandskräftig abgelehnt, so verliert die Gesellschaft ihren Status als Vor-REIT. Da die Aktien der REIT AG gem. §§ 1 Abs. 2, 10 Abs. 1 REITG zwingend zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sein müssen, wird die Börsenzulassung noch durch eine „gewöhnliche“ Aktiengesellschaft beantragt und die Eintragung der Satzungsänderung hinsichtlich
6 § 12 Abs. 2 REITG (mindestens 75 % der Aktiva unbewegliches Vermögen, höchstens 20 % der Aktiva von REIT-Dienstleistungsgesellschaften, mindestens 75 % der Umsatzerlöse aus Vermietung, Leasing, Verpachtung einschließlich immobiliennaher Tätigkeiten oder Veräußerung von unbeweglichem Vermögen). 7 § 13 Abs. 1 REITG (mindestens 90 % des um bestimmte Anpassungen veränderten Jahresüberschusses). 8 § 15 Abs. 1 REITG (mindestens 45 % des im Abschluss ausgewiesenen Eigenkapitals). 9 § 14 Abs. 1 Satz 1 REITG. 10 § 12 Abs. 1 REITG.
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des Firmenzusatzes „REIT Aktiengesellschaft“ oder „REIT AG“ nach §§ 6, 8 REITG kann erst anschließend erfolgen 11.
2. Mindeststreubesitz Im Zeitpunkt der Börsenzulassung müssen sich entsprechend dem in § 9 Abs. 1 BörsZulVO geregelten Regelfall nach § 11 Abs. 1 Satz 2 REITG mindestens 25 % der REIT-Aktien im Streubesitz befinden. Als Besonderheit müssen sich bei einer REIT AG jedoch nach § 11 Abs. 1 Satz 1 REITG als neu geschaffene „Zulassungsfolgepflicht“ mindestens 15 % der REIT-Aktien dauerhaft im Streubesitz befinden. Im Streubesitz befinden sich die Aktien derjenigen Aktionäre, denen jeweils weniger als 3 % der Stimmrechte zustehen. §§ 22, 23 WpHG gelten nach § 11 Abs. 1 Sätze 3 und 4 REITG entsprechend. Obwohl der Wortlaut einen Streubesitz von mindestens 25 % „im Zeitpunkt der Börsenzulassung“ verlangt, sprechen strukturelle Überlegungen und Praktikabilitätserwägungen dafür, dass der erforderliche Streubesitz erst nach Übereignung der Aktien an die Anleger im Rahmen des Börsengangs vorliegen muss 12. Bei einer Platzierung von Aktien im Rahmen eines Börsengangs erfolgt die Eigentumsübertragung der zu platzierenden Aktien generell erst nach der Börsenzulassung zum Zeitpunkt der Abrechnung 13. Eine dem Wortlaut des Gesetzes entsprechende Eigentumsübertragung bereits vor Zulassung der Aktien und anschließender Notierungsaufnahme würde den Marktgepflogenheiten widersprechen. Es gibt jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber diese allgemein übliche und vom Kapitalmarkt erwartete Emissionsstruktur ändern und dadurch die Durchführung von Börsengängen erheblich belasten wollte. Es sprechen auch gute Gründe dafür, die Streubesitzanforderungen für die Zulassung nicht auf bereits seit längerem börsennotierte Gesellschaften anzuwenden, die zu einem späteren Zeitpunkt in eine REIT AG transformiert werden 14. Die REIT AG hat nach § 11 Abs. 2 Satz 4 REITG jährlich zum 31. Dezember gegenüber der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht die Streubesitzquote ihrer Aktionäre mitzuteilen, die wiederum dem Bundeszentralamt für Steuern mitteilt, wenn die Quote von 15 % unterschritten wird.
3. Beteiligungshöchstgrenze Als Besonderheit von REITS darf nach § 11 Abs. 4 Satz 1 REITG kein Anleger direkt 10 % oder mehr der REIT-Aktien oder REIT-Aktien in einem 11
Vgl. dazu auch Götze/Hütte, NZG 2007, 332 ff. Vgl. dazu auch Götze/Hütte, NZG 2007, 332 (336); Quass/Becker, AG 2007, 421 (432). 13 Sogenanntes „Settlement“. 14 Vgl. Götze/Hütte, NZG 2007, 332 (337); Quass/Becker, AG 2007, 421 (433); Ziemons, DB 2007, 449 (450). 12
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Umfang halten, dass er über 10 % oder mehr der Stimmrechte verfügt, um eine Benachteiligung von inländischen Anlegern gegenüber ausländischen Anteilsinhabern im Falle einer Anwendung von begünstigenden Doppelbesteuerungsabkommen zu vermeiden. Aktien, die für Rechnung eines Dritten gehalten werden, gelten nach § 11 Abs. 4 Satz 2 REITG als direkt durch den Dritten gehalten. Die Kontrolle erfolgt über eine Ausweitung der für börsennotierte Unternehmen ohnehin bestehenden Mitteilungspflichten nach §§ 21 Abs. 1, 25 Abs. 1 WpHG. Diese gelten nach § 11 Abs. 5 REITG auch dann, wenn ein Meldepflichtiger durch Erwerb, Veräußerung oder auf sonstige Weise 3 %, 80 % oder 85 % der Stimmrechte an einer REIT AG erreicht, überschreitet oder unterschreitet.
4. Opinions, Comfort Letters, Sachverständigengutachten und Reliance Letters Als Teil der Dokumentation und unter anderem als Verteidigungsinstrument im Fall von Prospekthaftungsklagen werden von den beteiligten Rechtsanwälten sog. Opinions und von dem Abschlussprüfer der Gesellschaft sog. Comfort Letters abgegeben. Dabei werden von den Sachverständigen, welche Bewertungsgutachten erstellen, die in den Prospekt aufgenommen werden, zunehmend auch sog. Reliance Letters gegenüber den Banken abgegeben. Legal Opinions sind Rechtsgutachten 15 zu bestimmten Rechtsfragen wie z.B. der Wirksamkeit einer Kapitalerhöhung und einzelnen aktienrechtlichen Maßnahmen, während sog. Disclosure Letters eine Aussage zur inhaltlichen Richtigkeit und Vollständigkeit des Prospekts beinhalten. Von dem Abschlussprüfer der Gesellschaft werden Aussagen zur Übereinstimmung von bestimmten im Prospekt, insbesondere im Teil „Analyse der Finanz- und Ertragslage“ (MD&A), enthaltenen Finanzzahlen mit im Prospekt im Finanzteil abgedruckten Jahresabschlüssen in Form von sog. Comfort Letters 16 abgegeben.
15 Vgl. dazu Gruson/Hutter/Kutschera, Legal Opinions in International Transactions, 4. Aufl. (2004); Adolff, Die zivilrechtliche Verantwortlichkeit deutscher Anwälte bei Abgabe von Third Party Legal Opinions, 1997, S. 5 ff.; Seiler, in: Habersack/Mülbert/Schlitt (Hrsg.) 2. Aufl., 2008, § 29; Krämer, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. (2009), § 10 Rdnrn. 98 ff.; Gruson, RIW 2002, 596 ff. 16 Vgl. Kunold, in: Habersack/Mülbert/Schlitt (Hrsg.), (o. Fußn. 15, § 28; Kunold, NZG 2003, 320 ff., Krämer, in: Marsch-Barner/Schäfer, (o. Fußn. 15, § 10, Rdnrn. 209 ff.; Schäfer/Hamann, Kapitalmarktgesetz, 2. Aufl. (2006), §§ 44, 45 BörsG, Rdnrn. 246 ff.; Schanz, Börseneinführung: Recht und Praxis des Börsengangs, 3. Aufl. (2007), § 8 Rdnrn. 46 ff.; Ebke/Siegel, WM Sonderbeilage Nr. 2/2001, 1 ff.; Ostrowski/Sommerhäuser, WPg 2000, 961 (968); Schindler/Böttcher/Roß, WPg 2001, 477 ff.; Köhler/Weiser, DB 2003, 565 ff.
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Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht macht von ihrer nach Art. 23 der Durchführungsverordnung 17 bestehenden Ermächtigung Gebrauch, bei Immobiliengesellschaften besondere zusätzliche Informationen zur Aufnahme in den Prospekt zu verlangen und schreibt eine Bewertung des Vermögens des Emittenten und die Aufnahme des Bewertungsgutachtens eines Sachverständigen in den Wertpapierprospekt vor 18. Nach den Empfehlungen von CESR 19 muss der Bericht u.a. von einem unabhängigen Sachverständigen verfasst sein, alle relevanten Informationen, die für die Bewertung wesentlicher Immobilien notwendig waren, enthalten, eine Zusammenfassung über die Anzahl der Immobilien, die Eigentumsverhältnisse sowie die entsprechenden Bewertungsergebnisse angeben und gegebenenfalls eine Erklärung zu den Unterschieden der Bewertungsergebnisse und den entsprechenden, in den letzten vom Emittenten veröffentlichten Jahresabschlüssen enthaltenen Zahlen enthalten. Im Hinblick auf die im Prospekt gemäß den CESR-Empfehlungen aufzunehmenden Sachverständigengutachten der Immobilienbewerter werden häufig von den Bewertern Bestätigungsschreiben (sog. Reliance Letters) gegenüber der das Börsenzulassungsverfahren begleitenden Bank abgegeben, in denen ausdrücklich bestätigt wird, dass die Bank auf den Inhalt des Sachverständigengutachtens vertrauen darf. Daneben werden darin häufig unter anderem Haftungsregelungen aufgenommen.
III. Gesellschaftsrechtliche Anforderungen 20 Die Einführung des REIT-Gesetzes führt zu einer Reihe von gesellschaftsrechtlichen Themen, von denen einige nachfolgend dargestellt werden.
1. Allgemeines REIT Aktiengesellschaften unterliegen nach § 1 Abs. 3 REITG den allgemeinen für Aktiengesellschaften geltenden Vorschriften, soweit das REITGesetz nichts Abweichendes bestimmt. Die REIT AG muss ihren Sitz und 17 Anhang XIX Durchführungsverordnung nennt ausdrücklich Immobiliengesellschaften. Vgl. dazu Götze/Hütte, NZG 2007, 332; Vaupel/Ries, Going Public Sonderheft G-REITS, 2007, 60 ff. 18 Derartige Bewertungsgutachten enthalten u.a. die Wertpapierprospekte der alstria Office AG vom 20. März 2007, der Colonia Real Estate AG vom 25. April 2007 und der Fair Value AG vom 14. November 2007. 19 CESR Empfehlung Nr. 128 ff. 20 Vgl. allgemein zu gesellschaftsrechtlichen Aspekten Ziemons, BB 2007, 449 ff.; Hahn, ZGR 2006, 805 (822 ff.); Pluskat/Rogall, RIW 2006, 253 ff.; Quass/Becker, AG 2007, 421 ff.; Frey/Harbarth, ZIP 2007, 1177 ff.; Kollmorgen/Hoppe/Feldhaus, BB 2007, 1345 ff.
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ihre Geschäftsleitung nach § 19 REITG in Deutschland haben und die Firma einer REIT AG muss nach § 6 REITG die Bezeichnung „REIT-Aktiengesellschaft“ oder „REIT AG“ enthalten. Der Mindestnennbetrag des Grundkapitals einer REIT AG ist nach § 4 REITG € 15 Mio. Sämtliche Aktien der REIT AG müssen nach § 5 Abs. 1 REITG als stimmberechtigte Aktien gleicher Gattung begründet werden und dürfen nur gegen volle Leistung des Ausgabebetrages ausgegeben werden. Ein Anspruch des Aktionärs auf Verbriefung seines Anteils besteht nach § 5 Abs. 2 REITG nicht.
2. Prüfungsumfang des Handelsregisters Nach § 8 REITG ist die Firma der REIT AG beim zuständigen Gericht zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. Der Prüfungsumfang des Handelsregisters zur Eintragung der Firmenänderung ist im REIT-Gesetz nicht klar geregelt 21 und wird derzeit kontrovers diskutiert 22. Überwiegend 23 wird die Ansicht vertreten, dass bei der Firmenänderung vom Registergericht die typisierenden Merkmale eines REITs geprüft werden müssen. Dabei handelt es sich gemäß § 1 Abs. 1 REITG um die Anforderungen an den Unternehmensgegenstand und das Bestehen der Börsenzulassung, aber auch die Voraussetzungen hinsichtlich des Grundkapitals (§ 4 REITG), die Form der Aktien (§ 5 REITG), die Firma (§ 6 REITG) und den Sitz (§ 9 REITG). Demgegenüber wird nach dieser Ansicht 24 eine Pflicht zur Prüfung anderer Voraussetzungen wie die Streuung der Aktien (§ 11 Abs. 1 REITG), die Höchstbeteiligung (§ 11 Abs. 4 REITG) oder die wirtschaftlichen Anforderungen hinsichtlich Vermögen und Ertrag (§ 12 REITG), Ausschüttung an Anleger (§ 13 REITG), Ausschluss des Immobilienhandels (§ 14 REITG) und Mindesteigenkapital (§ 15 REITG) im Eintragungsverfahren abgelehnt. Nach § 6 REITG ist nämlich jede REIT AG zur Führung des Firmenzusatzes verpflichtet, unabhängig davon, ob die Voraussetzungen der §§ 11–15 REITG erfüllt sind. Insoweit hat § 6 REITG Vorrang vor § 7 REITG, unabhängig von einer Bestätigung, dass eine Gesellschaft die Firmierung REIT führen darf, wenn die Voraussetzungen der §§ 8–15 REITG erfüllt sind. Hierfür spricht auch, dass eine REIT AG auch bei (vorübergehender) Nichterfüllung der Voraussetzungen der §§ 11–15 REITG den REIT-Status beibehält 25.
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Ebenso BR-Drucks. 779/06, 34. Vgl. Ziemons, DB 2007, 449 ff.; Götze/Hütte, NZG 2007, 332 (333); a.A. Merker, STuB 2006, 971 (972). 23 Vgl. Götze/Hütte, NZG 2007, 332 (333). 24 Vgl. Götze/Hütte, NZG 2007, 332 (333); Ziemons, BB 2007, 449 (450). 25 Ebenso Götze/Hütte, NZG 2007, 332 (333). 22
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3. Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen zur Absicherung des Streubesitzes Für die Aufrechterhaltung des Streubesitzes von mindestens 15 % gem. § 15 Abs. 1 REITG und der Einhaltung der Höchstbeteiligungsgrenze von weniger als 10 % der Aktien oder Stimmrechte nach § 11 Abs. 4 REITG stehen der Gesellschaft insbesondere die nachfolgend dargestellten Möglichkeiten (1) vinkulierte Namensaktien, (2) Kapitalerhöhung unter Bezugsrechtsausschluss, (3) Erwerb eigener Aktien oder (4) Einziehung von Aktien zur Verfügung. a) Vinkulierte Namensaktien Durch die Verwendung sog. vinkulierter Namensaktien 26 wird die Transparenz des Aktionärskreises einer Gesellschaft erhöht und es kann die Einhaltung der Vorgaben des REIT-Gesetzes erleichtert werden. Bei Namensaktien sind gemäß § 67 Abs. 1 AktG Angabe des Namens, des Geburtsdatums und der Adresse des Inhabers sowie der Stückzahl oder der Aktiennummer und bei Nennbetragsaktien des Betrages in das Aktienregister der Gesellschaft einzutragen. Nach § 67 Abs. 2 AktG gilt im Verhältnis zur Gesellschaft als Aktionär nur, wer als solcher im Aktienregister eingetragen ist. Gemäß § 68 Abs. 2 Satz 1 AktG kann die Satzung die Übertragung der Aktien an die Zustimmung der Gesellschaft binden, wobei die Zustimmung im Regelfall vom Vorstand erteilt wird. Diese auf den ersten Blick bestehende Kontrollmöglichkeit hat jedoch praktische Grenzen. Vinkulierte Namensaktien werden in Deutschland nur in wenigen Fällen z.B. von Versicherungsgesellschaften (z.B. Allianz, Münchner Rück) oder in anderen Sonderfällen bei anderen Gesellschaften (z.B. Deutsche Börse, Lufthansa) 27 verwendet. In der Praxis führt die Einführung von Namensaktien aufgrund der häufigen Einschaltung von Depotbanken oder Treuhändern zu keiner vollständigen Transparenz des Aktienregisters, da z.B. bei der Vollrechtstreuhand der Treuhänder als formal berechtigter Aktionär im Aktienregister eingetragen wird und nicht der wirtschaftlich berechtigte Treugeber 28. Zudem bringt die Schaffung vinkulierter Namensaktien für den Aktionär einer REIT AG insbesondere bei Aktienübertragungen mit der möglichen Folge eines Überschreitens relevanter Beteiligungsschwellenwerte das Risiko der Nichteintragung der Aktienübertragung in das Aktienregister mit sich und reduziert deshalb erfahrungsgemäß die Attraktivität dieser Aktiengattung für den Anleger und beeinträchtigt ggf. 26 Vgl. dazu Hüffer, Aktiengesetz, 8. Aufl. (2008), § 67 Rdnrn. 1 ff.; Schanz (o. Fußn. 16, § 3 Rdnrn. 102 ff. 27 Bei der Lufthansa AG erfolgt eine Überwachung des Anteilsbesitzes der Aktionäre aufgrund möglicher Sanktionen nach den LuftNaSiG. 28 Vgl. dazu Schneider/Müller-v. Pilchau, AG 2007, 181 ff.; Klühs/Schmidtbleicher, ZIP 2006, 1805 (1808 ff.); Wienecke/Fett, NZG 2007, 774 (776).
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auch den Wert der Aktien nachteilig 29. Eine während des Gesetzgebungsverfahrens in einem inoffiziellen Vorentwurf 30 vorgesehene zwingende Verwendung vinkulierter Namensaktien für REIT-Gesellschaften zur Erleichterung der Feststellung der Identität der Aktionäre wurde wieder verworfen, da diese nur für den Fall einer Neugründung einer REIT AG praktikabel gewesen wäre, aber wegen des Erfordernisses der Zustimmung aller betroffenen Aktionäre durch Sonderbeschluss 31 für die nachträgliche Schaffung einer Vinkulierung gemäß § 180 Abs. 2 AktG praktisch nicht möglich gewesen wäre 32. b) Kapitalerhöhung unter Bezugsrechtsausschluss Beim Überschreiten der zulässigen Höchstbeteiligungsquote von 10 % der Aktien oder Stimmrechte oder des Unterschreitens des Mindeststreubesitzes von 15 % kann die Gesellschaft eine Kapitalerhöhung unter Bezugsrechtsausschluss durchführen und die Beteiligungsquote der Altaktionäre verwässern, sofern die Voraussetzungen hierfür erfüllt sind 33. Bei Vorliegen einer entsprechenden Ermächtigung durch die Hauptversammlung ist gemäß § 202 AktG die Durchführung einer Kapitalerhöhung unter Ausschluss des Bezugsrechts aus genehmigtem Kapital durch Beschluss des Vorstands mit Zustimmung des Aufsichtsrates möglich. Wegen der Schwere des Eingriffs in die Rechtsposition des einzelnen Aktionärs und des erheblichen Einflusses auf die Beteiligungsposition der Aktionäre ist für den Bezugsrechtsausschluss neben formellen Voraussetzungen als materielle Voraussetzung auch eine sachliche Rechtfertigung erforderlich 34, d.h. er muss im Gesellschaftsinteresse liegen, geeignet sowie erforderlich und verhältnismäßig sein. Das Bezugsrecht kann gemäß § 186 Abs. 3 AktG nur im Beschluss über die Erhöhung des Grundkapitals ausgeschlossen werden und der Beschluss bedarf neben den im Gesetz oder Satzung für die Kapitalerhöhung aufgestellten Erfordernissen einer Mehrheit, die mindestens drei Viertel des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals umfasst. Eine den Bezugsrechtsausschluss gestattende Rechtfertigung liegt nach ü.M.35 vor, wenn ohne die 29 Vgl. ebenso Schroeder, AG 2007, 531 (535); Quass/Becker, AG 2007, 421 (430); Hahn, ZGR 2006, 805 (829); Stock/Kleppe/Teske, Going Public 10/2006, 62 ff. 30 Vgl. dazu § 5 Abs. 2 Vorentwurf REIT-G. Dazu auch Klühs/Schmidtbleicher, ZIP 2006, 1805 ff.; Stock/Klappe/Teske, Going Public 10/2006, 62 ff. 31 Vgl. Kollmorgen/Hoppe/Feldhaus, BB 2007, 1345 (1349); Hüffer (o. Fußn. 26), § 68 Rdnr. 13. 32 Zur Möglichkeit der Schaffung einer Nebenpflicht i.S.v. § 55 AktG bei vinkulierten Namensaktien Wienecke/Fett, NZG 2007, 774 (778). 33 Vgl. auch Schroeder, AG 2007, 531 (536); Quass/Becker, AG 2007, 421 (430); Wienecke/Fett, NZG 2007, 774 (776); Volckens, in: Schäfer (Hrsg.), REITS, 2007, S. 140. 34 Vgl. nur Hüffer (o. Fußn. 26), § 186 Rdnrn. 20 ff. 35 Vgl. ebenso Wienecke/Fett, NZG 2007, 774 (776); Sieker/Göckeler/Köster, DB 2007, 933 (936); Quass/Becker, AG 2007, 421 (430); Weber/Polte, Going Public, Sonderausgabe G-REIT 2007, 50 (51); Schroeder, AG 2007, 531 (537).
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beabsichtigte Kapitalmaßnahme zu befürchten wäre, dass bei Fortbestand der den REIT-Status verletzenden Beteiligungsverhältnisse der Sonderstatus als steuerbefreite REIT AG beendet, die Entschädigungspflicht für die Gesellschaft für Streubesitzaktionäre nach § 18 Abs. 3 REITG ausgelöst und damit die Interessen der Gesellschaft erheblich verletzt würden. Der vereinfachte Bezugsrechtsausschluss gemäß § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG ist unter geringeren Voraussetzungen zulässig, wenn die Kapitalerhöhung gegen Bareinlagen 10 % des Grundkapitals nicht übersteigt und der Ausgabebetrag den Börsenkurs nicht wesentlich unterschreitet 36. c) Erwerb eigener Aktien Das Aktienrecht sieht unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit des Erwerbs eigener Aktien vor. Die Gesellschaft darf eigene Aktien nur erwerben, wenn eine von den in § 71 Abs. 1 AktG abschließend genannten acht Alternativen vorliegt. Ein Erwerb eigener Aktien ist nach § 71 Abs. 1 Nr. 1 AktG zulässig, wenn der Erwerb notwendig ist, um einen schweren, unmittelbar bevorstehenden Schaden von der Gesellschaft abzuwenden. Aufgrund einer höchstens 18 Monate geltenden Ermächtigung der Hauptversammlung, die den niedrigsten und höchsten Gegenwert sowie den Anteil am Grundkapital, der 10 % nicht übersteigen darf, festlegt, ist der Erwerb eigener Aktien ebenfalls zulässig, wobei der Handel in eigenen Aktien als Zweck ausgeschlossen ist und das Gleichbehandlungsgebot nach § 53a AktG auf Erwerb und Veräußerung anzuwenden ist. Auf die zu den Zwecken nach § 71 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, 7 und 8 AktG erworbenen Aktien dürfen zusammen mit anderen Aktien der Gesellschaft, welche die Gesellschaft bereits erworben hat und noch besitzt, nicht mehr als 10 % des Grundkapitals entfallen. Im Einzelfall werden bei Existenz eines veräußerungswilligen Aktionärs, der nicht bereit ist, seine Aktien über die Börse zu verkaufen, die Voraussetzungen für den Rückerwerb eigener Aktien zur Wiederherstellung der Beteiligungshöchstgrenzen nach § 10 Abs. 4 REITG oder des Mindeststreubesitzes nach § 11 Abs. 1 REITG entsprechend den Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 8 AktG vorliegen 37. Es ist eine Frage des Einzelfalls, ob die Wiederherstellung der Beteiligungsgrenzen des § 11 REITG und die damit verbundene Vermeidung des Verlusts des Steuerprivilegs und des Erfordernisses der Entschädigung der Streubesitzaktionäre nach § 11 Abs. 3 REITG die Voraussetzungen für das Vorliegen der Notwendigkeit zur Ab-
36 Vgl. Hüffer (o. Fußn. 26), § 186 Rdnrn. 39a ff.; Krause, in: Habersack/Mülbert/ Schlitt (o. Fußn. 15), § 5 Rdnrn. 27 ff.; Busch, AG 2002, 230 ff.; Schlitt/Schäfer, AG 2005, 67 ff.; Schlitt/Schäfer, WM 2003, 2175 ff.; Groß, AG 1993, 449 ff. 37 Ebenso Schroeder, AG 2007, 531 (537); zu § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG auch Wieneke/Fett, NZG 2007, 774 (776); Kollmorgen/Hoppe/Feldhaus, BB 2007, 1345 (1352).
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wendung eines schweren unmittelbaren Schadens im Sinne von § 71 Abs. 1 Nr. 1 AktG erfüllt 38. Bejaht man die Zulässigkeit des Rückerwerbs eigener Aktien nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG 39 und werden die Aktien nach dem Erwerb zu einem geeigneten Zeitpunkt über die Börse oder bei Vorliegen einer entsprechenden Ermächtigung mit Ausschluss des Bezugsrechts an Dritte wieder veräußert, liegt auch kein verbotener Aktienhandel im Sinne des § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 2 AktG und bei Vorliegen einer sachgerechten Differenzierung entsprechend den Vorgaben des § 11 REITG kein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot der § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 3 AktG vor 40. Zusätzliche Probleme bereitet beim Erwerb eigener Aktien einer REIT AG die erforderliche bilanzielle Neutralisierung i.S.v. § 71 Abs. 2 Satz 2 AktG, da der Erwerb nur zulässig ist, wenn die Gesellschaft die nach § 272 Abs. 4 HGB vorgeschriebenen Rücklagen für eigene Aktien bilden kann und dies in Konflikt zu der Ausschüttungsverpflichtung der REIT AG von 90 % des Bilanzgewinns nach § 13 Abs. 1 REITG steht 41. d) Zwangseinziehung Schließlich kommt eine Kapitalherabsetzung durch Einziehung von Aktien nach § 237 AktG in Betracht, um eine Verletzung der Vorschriften über den Mindeststreubesitz oder die Höchstbeteiligung zu beenden42. Nach § 237 Abs. 1 AktG können Aktien zwangsweise oder nach Erwerb durch die Gesellschaft eingezogen werden. Eine Zwangeinziehung ist nach § 237 Abs. 2 AktG nur zulässig, wenn sie in der ursprünglichen Satzung oder durch eine Satzungsänderung vor Übernahme oder Zeichnung der Aktien angeordnet oder gestattet war. Eine Satzungsänderung mit Zustimmung der Aktionäre ist insbesondere bei börsennotierten Gesellschaften nicht durchführbar 43. Bei der Zwangeinziehung ist zwischen der angeordneten Zwangseinziehung und der gestatteten Zwangseinziehung zu unterscheiden. Im Falle einer angeordneten Einziehung müssen die Voraussetzungen der Einziehung, die Bestimmung des Einziehungsentgelts sowie die Durchführung der Zwangseinziehung in der Satzung der REIT AG so genau festgelegt werden, dass der Vorstand keinen Ermessensspielraum über die Auswahlentscheidung hat 44. Im 38 Bejahend Schroeder, AG 2007, 531 (537); Wieneke/Fett, NZG 2007, 774 (776); Kollmorgen/Hoppe/Feldhaus, BB 2007, 1345 (1352); ablehnend Ziemons, BB 2007, 449 (452). 39 So Schroeder, AG 2007, 531 (538). 40 Vgl. Schroeder, AG 2007, 531 (538). 41 Dazu Schroeder, AG 2007, 531 (535); Ziemons, BB 2007, 449 (452). 42 Vgl. Schroeder, AG 2007, 531 (538); Wieneke/Fett, NZG 2007, 774 (776); Kollmorgen/Hoppe/Feldhaus, BB 2007, 1345 (1351); Sieker/Göckeler/Köster, DB 2007, 933 (936); Volckens, in: Schäfer (o. Fußn. 33), S. 140, 141. So auch die Satzung der Fair Value AG; vgl. Wertpapierprospekt vom 14. November 2007, S. 145. 43 Vgl. Hüffer (o. Fußn. 26), § 237 Rdnr. 8. 44 Vgl. Schroeder, AG 2007, 531 (539); Hüffer (o. Fußn. 26), § 237 Rdnr. 10.
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Falle des Vorliegens der angeordneten Einziehungsvoraussetzungen muss die Einziehung durchgeführt werden, ohne dass der Vorstand auf die Durchführung verzichten kann 45. Einer am Gesellschaftsinteresse ausgerichteten sachlichen Rechtfertigung bedarf es wegen der Interessenbewertung durch § 237 Abs. 1 AktG nicht 46. Wegen der Notwendigkeit der Bestimmtheit der Satzungsbestimmungen und deren Umsetzbarkeit ist in der Praxis eine angeordnete Zwangseinziehung wohl nur für den Fall der Überschreitung der Höchstbeteiligungsgrenze gem. § 11 Abs. 4 REITG möglich, wegen der Individualität und Vielzahl von Fallvarianten jedoch nicht für das Unterschreiten des Streubesitzes von 15 % der Aktien gem. § 11 Abs. 1 REITG 47. Bei der gestatteten Zwangseinziehung nach § 237 Abs. 2 Satz 2 AktG erfolgt die Einziehung durch Beschluss der Hauptversammlung, der das Verfahren und die weiteren Voraussetzungen der Zwangseinziehung festlegt. Die Einziehung durch die Hauptversammlung bedarf jedoch einer sachlichen Rechtfertigung der Einziehung im konkreten Einzelfall nach den Maßstäben der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit und muss unter Berücksichtigung der Grundsätze der Gleichbehandlung nach § 53a AktG willkürfrei erfolgen 48. Aus diesem Grund erscheint eine Zwangseinziehung erst zulässig, wenn geringere Eingriffe wie z.B. eine Kapitalerhöhung unter Bezugsrechtsausschluss oder der Erwerb eigener Aktien nicht zur Verfügung stehen 49. Unterschiedlich beurteilt wird, ob die Einziehung ohne Entgelt in der Satzung der REIT AG zulässig ist 50, so dass es sinnvoll erscheint, ein marktübliches Entgelt, z.B. einen Durchschnittskurs während einer bestimmten Referenzperiode, als Entschädigung vorzusehen. Zusammenfassend ist festzustellen, dass die dargestellten Möglichkeiten im Einzelfall geeignete Maßnahmen zur Erhaltung des Mindeststreubesitzes und zur Einhaltung der Höchstbeteiligungsgrenze darstellen können, keine dieser Alternativen jedoch eine generelle Lösung dieser Problematik ermöglicht.
4. Entschädigungsregelung nach § 18 Abs. 3 REITG Die REIT AG hat in ihrer Satzung nach § 11 Abs. 3 REITG für den Fall der Beendigung der Steuerbefreiung gemäß § 18 Abs. 3 REITG eine Entschädigung aller Aktionäre vorzusehen, denen weniger als 3 % der Stimmrechte
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Schroeder, AG 2007, 531 (539); Hüffer (o. Fußn. 26), § 237 Rdnr. 10. Vgl. Hüffer (o. Fußn. 26), § 237 Rdnr. 11. 47 Ebenso Schroeder, AG 2007, 531 (539). 48 Vgl. Hüffer (o. Fußn. 26), § 237 Rdnr. 16. 49 Ebenso Schroeder, AG 2007, 531 (540). 50 So Wieneke/Fett, NZ 2007, 774 (777); a.A. Kollmorgen/Hoppe/Feldhaus, BB 2007, 1345 (1350); Hüffer (o. Fußn. 26), § 237 Rdnr. 17. 46
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zustehen 51. Der Gesetzgeber hat bewusst auf eine gesetzliche Regelung der Höhe der Entschädigung verzichtet, um den einzelnen REIT AGs hierbei einen breiten Freiraum zu gewähren. Durch das Erfordernis einer Regelung in der Satzung wird andererseits sichergestellt, dass die aus Sicht des Gesetzgebers schutzwürdigen Interessen von Streubesitzaktionären gewahrt bleiben, die die im Einzelfall gewährte Regelung über die Ausgestaltung der Entschädigung vor dem Erwerb der Aktien kennen und für sich selbst entscheiden können, ob sie den durch die konkrete Entschädigungsregelung gewährten Schutz für ausreichend halten 52. Nach überwiegender Meinung 53 ist diese dem Verbot der Einlagenrückgewähr des § 57 AktG vorgehende Spezialregelung im Rahmen der Vorgaben von Art. 15 der 2. gesellschaftsrechtlichen EU-Richtlinie 54 auch mit EU-Recht vereinbar. Bei der Ausgestaltung der Entschädigungsregelung gemäß § 11 Abs. 3 REITG gibt es bisher nur geringe praktische Erfahrungen. Die Gesellschaft hat bei der Ausgestaltung der Entschädigungsregelung ein breites Spektrum an möglichen Gestaltungsformen und einen weiten Ermessensspielraum und kann zwischen einer – schwierig zu ermittelnden – an den tatsächlichen Nachteil anknüpfenden Regelung oder einer abstrakt pauschalierenden Regelung wählen 55. Der Streubesitzaktionär soll dafür entschädigt werden, dass er im Falle von § 18 Abs. 3 REITG Aktionär einer nicht mehr steuerbefreiten Gesellschaft ist und daher weniger Ausschüttungen enthält und er seine Aktien nur noch zu einem geringeren Preis veräußern kann 56. Eine konkrete Schadensberechnung ist jedoch schwierig, da mit dem Verlust des Steuerprivilegs für die REIT AG die Anrechnung des Halbeinkünfteverfahrens auf Ebene des Aktionärs ebenfalls entfällt. Deshalb wird überwiegend 57 eine Pauschalierung der Entschädigungsansprüche vorgeschlagen 58. Die Satzung der alstria Office AG sieht vor, dass die Entschädigung dem Ausschüttungsnachteil entspricht, der – unter Berücksichtigung der Steuervorteile der Aktionäre auf pauschaler Basis – 51 Vgl. dazu auch Quass/Becker, AG 2007, 421 (429); Wieneke/Fett, NZG 2007, 774 (775); Kollmorgen/Hoppe/Feldhaus, BB 2007, 1345 (1353); Sieker/Göckeler/Köster, DB 2007, 933 (936); Volckens, in: Schäfer (o. Fußn. 33), S. 119, 120. Anders als der Gesetzestext sieht die Begründung zum Gesetzesentwurf (Reg. Begr. BR-Drucks. 779/06, 33) einen Schadensersatzanspruch nach § 18 Abs. 3 REITG nur für den Fall der Nichteinhaltung der Mindeststreubesitzquote, nicht aber für das Überschreiten der Höchstbeteiligungsquote vor. 52 Vgl. Reg. Begr. BR-Drucks. 776/06, 34. 53 Vgl. Wieneke/Fett, NZG 2007, 774 (775). Dazu auch Ziemons, BB 2007, 449 (452). 54 ABlEG vom 31.01.1977 Nr. L 26, S. 1. 55 Ebenso Sieker/Göckeler/Köster, DB 2007, 933 (936); Quass/Becker, AG 2007, 421 (429); Volckens, in Schäfer (o. Fußn. 33), S. 122, 139, 140. 56 Vgl. Reg. Begr. BR-Drucks. 779/06, 34. 57 Vgl. Kollmorgen/Hoppe/Feldhaus, BB 2007, 1345 (1353); Wieneke/Fett, NZG 2007, 774 (775); Sieker/Göckeler/Köster, DB 2007, 933 (936); Volckens, in: Schäfer (o. Fußn. 33), S. 122, 139, 140. 58 Ebenso eine Pauschalierung sieht die Satzung der Fair Value AG vor; vgl. Wertpapierprospekt vom 14. November 2007, S. 146.
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durch die Beendigung der Steuerbefreiung gemäß § 18 Abs. 3 REITG entsteht, und sie wird für die Aktionäre durch einen auf Antrag der Gesellschaft durch das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. (IDW) zu bestimmenden Wirtschaftsprüfer unter Berücksichtigung der Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S. 1) des Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. verbindlich bestimmt. Die Entschädigungsklausel kann bestimmte Voraussetzungen für eine Entschädigungspflicht vorsehen und die Höhe der Entschädigung betragsmäßig begrenzen 59. Um einen Missbrauch einer Entschädigungsregelung zu vermeiden kann es auch sachgerecht sein, Streubesitzaktionäre von der Entschädigungsberechtigung auszuschließen, soweit sie in Kenntnis der konkreten Gefährdung des Streubesitzes Aktien erworben haben 60. Fraglich ist, ob der gestattete Spielraum der Gesellschaft überschritten wird, wenn für den Streubesitzaktionär keinerlei Entschädigung gewährt wird 61. Als Ausfluss der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht wird auch eine nachrangige oder kumulative Entschädigungspflicht des Aktionärs, der das Entfallen des privilegierten Steuerstatus durch ein Überschreiten der Höchstbeteiligungsgrenze zurechenbar verursacht hat, vorgeschlagen 62.
IV. Ausblick Das neue REIT Gesetz bringt eine Reihe von reizvollen Aspekten u.a. aus den Bereichen des Kapitalmarktrechts und Gesellschaftsrechts mit sich, die vorstehend auszugsweise dargestellt wurden. Sie sind sowohl aus rechtstheoretischer, als auch aus praktischer Sicht von großem Reiz. Dr. Michael Gruson hätte an diesen Fragestellungen zur REIT AG und seiner juristischen Aufarbeitung seine Freude gehabt.
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Vgl. Quass/Becker, AG 2007, 421 (429). So Kollmorgen/Hoppe/Feldhaus, BB 2007, 1345 (1354). So die Satzung der Fair Value AG; vgl. Wertpapierprospekt vom 14. November 2007, S. 146. 61 So Volckens, in: Schäfer (o. Fußn. 33), S. 120; dazu auch Quass/Becker, AG 2007, 421 (429). 62 Dazu auch Quass/Becker, AG 2007, 421 (429); Wieneke/Fett, NZG 2007, 774 (778); Volckens, in: Schäfer (o. Fußn. 33), S. 140. 60
Forum-Selection and Choice-of-Law Clauses in American Conflicts Law Peter Hay
Forum-selection and choice-of-law clauses are important in commercial contracts. American courts, originally reluctant to honor the parties’ selection of another forum (derogation),1 have now become quite open to such stipulations. Choice-of-law clauses sometimes do not fare that well: older notions requiring a connection of some kind between the transaction and the chosen law still linger and local law, perceived as mandatory for public policy reasons, may deny them effect. The following sketches the current state of American case law; it limits itself to contract cases and does not explore the extent to which these clauses can be or are used in tort, nor whether tort claims are encompassed by a clause in a contract relationship. Since, with few exceptions, American conflicts law analysis does not distinguish between interstate and international situations, much of the case law used in the subsequent discussion arose in the interstate context.
Forum-Selection Clauses 2 Since the United States Supreme Court’s decision in The Bremen,3 forumselection clauses (in favor of a court other than the forum 4) have been honored in a wide variety of cases – including those involving private claims 1
See 31 ALR 4th 409 (1984, with 2007 Pocket Part). For early discussion, see Gruson Forum-Selection Clauses in International and Interstate Commercial Agreements, U. Ill. L. Rev. 1982, 133. For additional references, see Hay/ Weintraub/Borchers Conflict of Laws – Cases and Materials12 (2004, with 2008 Supp.), 171 n. 3, and infra nn. 4, 6. For the 2005 Hague Convention on Choice of Court Agreements (I.L.M. 44 (2005), 1294, not yet in force), see Thiele The Hague Convention on Choice-ofCourt Agreements: Was it Worth the Effort?, in Gottschalk, Michaels, Rühl (eds.), Conflict of Laws in a Globalized World 63 (2007); Nanda The Landmark 2005 Hague Convention on Choice of Court Agreements, Tex. Int’l L.J. 42 (2007), 773. 3 M/S Bremen v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S. 1 (1972). 4 Assuming the chosen court has subject matter jurisdiction under its law and the forum-selection clause is valid as a matter of contract law, prorogation raises no problems of personal jurisdiction. See Scoles/Hay/Borchers/Symeonides Conflict of Laws4 (2004) § 6.3, at p. 341. 2
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arising under public regulatory law 5 – both in federal and in state courts.6 In federal court, an issue has been whether the Bremen decision, rendered in an admiralty case – a subject matter within the exclusive jurisdiction of the federal courts –, would bind federal courts in private law disputes arising under state law (diversity jurisdiction7) or whether the validity and effectiveness of the clause was then also a question of state law.8 Especially when the stipulation selects another federal or a foreign country court, there is now substantial agreement that the federal standard applies.9 The effectiveness of a forum-selection clause can be in issue in a number of situations. (1) In judgment recognition, a foreign default judgment may be questioned when the rendering court asserted jurisdiction on the basis of such a clause.10 (2) In reverse, a foreign judgment might be questioned when it was rendered in disregard of an exclusive stipulation in favor of another court. (3) In an action on a claim, the clause may be invoked to seek dismissal in favor of another court or, in federal court, in support of a motion to transfer to another federal court.11 The validity of the clause in cases in which 5 See Scherck v. Alberto-Culver Co., 417 U.S. 506 (1974); Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614 (1985); Lim v. Offshore Specialty Fabricators, Inc., 404 F.3d 898 (5th Cir. 2005), cert. denied, 546 U.S. 826 (2005). See also N.Y. CPLR 501, as cited in Fear & Fear, Inc. v. N.I.I. Brokerage, LCC, 851 N.Y.S. 2d 311 (N.Y. App. Div. 2008), 6 Two states disallow forum-selection clauses outright. Idaho: Idaho Code § 29–110(1); but see: Fisk v. Royal Caribbean Cruises Ltd., 108 P.3d 990 (Idaho 2005) (case governed by federal maritime law). Montana: Keystone, Inc. v. Triad Sys. Corp., 292 Mont. 229, 971 P.2d 1240 (1998); Polzin v. Appleway Equipment Leasing, Inc., 2007 Mont. Dist. LEXIS 113 (Mont. Dist. Ct., 10th Dist., 2007). In some other states, the situation is less clear, with some of them perhaps limiting the parties’ freedom, without disallowing forum selection altogether: Scoles/Hay/Borchers/Symeonides, supra n. 4, § 11.5 nn. 5–6. Iowa disfavors forum-selection clauses depriving Iowa courts of jurisdiction, but may consider them as part of a forum non conveniens-determination. Davenport Machine & Foundry Co. v. Adolph Coors Co., 314 N.W. 2d 432, 437 (Iowa 1982). 7 Federal courts have jurisdiction in claims arising under state law (which includes most civil and commercial law matters) when the parties are citizens/residents of different states or countries and the amount in controversy exceeds $ 75,000. 28 U.S.C.A. § 1332. 8 The United States Supreme Court held in Erie Railroad Co. v. Tompkins, 304 U.S. 64 (1938), that federal courts hearing cases not based on federal law (i.e., when exercising their “diversity jurisdiction”) lacked power to declare federal common law and, in the interest of intrastate uniformity, must therefore apply to apply local state law to all issue affecting the outcome of the case. The question is particularly important in cases in which the federal court hearing the case is in a state that not only employs different standards in evaluating forum-selection clauses, but disapproves of them altogether: n. 6 supra. 9 For further details, see infra n. 26. 10 If the parties participated in the proceeding, the jurisdictional issue will be res judicata, except when the recognizing forum (or another court) had exclusive jurisdiction in the matter. 11 For federal transfer see 28 U.S.C.A. § 1404(a). The transfer and dismissal (on the basis of a forum-selection clause or for reasons of forum non conveniens) are not the same. When an action is dismissed, the second court will entertain the case as an original matter and
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dismissal is sought is further complicated when (4) alternative fora have been selected, i.e., when the stipulation is a “floating clause.” (5) Further, particularly with respect to Nos. 3 and 4, what law governs the validity of the clause? (6) Also: if a contract contains both forum-selection and choice-oflaw clauses, does the presence of one affect the effectiveness of the other, for instance in answer to No. 5? What if the choice-of-law clause is also a “floating clause”? The following comments pursue some of these themes. A foreign-country judgment based on jurisdiction pursuant to a choiceof-court agreement is no different, in principle, from any other foreign judgment: the exercise of jurisdiction must have been proper, sufficient notice must have enabled the defendant to prepare and present a defense, and it must not offend the forum’s public policy.12 The jurisdictional issue is relatively easy to resolve: the recognizing court is not being asked to enforce the stipulation by dismissing a local action (i.e., give effect to a derogation) but to give effect to jurisdiction exercised on the basis of submission, a basis accepted by all courts, assuming they have proper subject matter jurisdiction. It is at most the circumstances of the submission that may give rise to question. Such concern overlaps with the concern for proper notice (here not only of the proceeding, but also of the existence of the stipulation) and with the public-policy exception if the stipulation was not the result of an arm’s length transaction.13 Both concerns, however, do not change the conclusion that the exercise of jurisdiction based on prorogation is acceptable for recognition purposes. It is another question whether the effect of prorogation is so strong as to bar recognition of a judgment rendered by a different court, i.e. in breach of the contractual forum selection. The 1962 Uniform Money-Judgments Recognimake its own determination with respect to the applicable law. In the case of a transfer between federal courts in the United States, the second court applies the same law as the transferring court would have. Van Dusen v. Barrack, 376 U.S. 612 (1964); Ferens v. John Deere Co., 494 U.S. 516 (1990). Enforcement of a forum-selection clause by transfer therefore puts the moving party in a different position than if a dismissal had been obtained. To prevent such a change in the applicable law, the forum-selection clause would have had to be accompanied by a choice-of-law clause. For the latter, see infra at nn. 79, 92. 12 See Hay Comments on Public Policy in Current American Conflicts Law, in Baettge/ von Hein/von Hinden (eds.), Festschrift für Jan Kropholler (2008), 89. Reciprocity is not an issue in the recognition practice of all but seven states in the United States. The exceptions are: Colorado, Florida, Georgia, Idaho, Massachusetts, North Carolina, and Texas. Scoles/Hay/Borchers/Symeonides, supra n. 4, § 24.36 n. 1. In addition, see Ohio Rev. Code Ann. § 2329.92(B) (giving discretion to recognize – or not – when the foreign legal system does not have “substantially similar” recognition legislation). But see the American Law Institute’s proposed federal recognition statute which would posit such a requirement. See American Law Institute, Recognition and Enforcement of Foreign Judgments – Proposed Federal Statute § 7(a) (2005). For criticism of the proposal, see Note, Shaky Foundations: Criticism of Reciprocity and the Distinction Between Public and Private International Law, N.Y.U. J. Int’l & L. Pol. 38 (2006), 221. 13 See infra at n. 18, 28, 87, with respect to standard-form contracts.
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tion Act, adopted by 30 states, provides in its § 4(b)(5) that such a judgment “need not” be recognized. This provision, though only making non-recognition discretionary with the court, indicates strong support for the enforcement of forum selection clauses by envisioning a high price for non-compliances. Yet there is not a single reported decision denying recognition on this ground. Nonetheless, the drafters of the 2005 revision – Uniform ForeignCountry Money Judgment Recognition Act –, so far adopted by five states, retained the provision. They apparently only sought to clarify ambiguities in the 1962 Act, without revisiting other provisions.14 The Act’s forum-selectionfriendly orientation, in the judgment recognition context, thus continues.15 When a forum selection clause is invoked in opposition to a suit on an original claim brought in a court other than the one prorogated by the parties, the court must squarely face the issue whether it will permit, and enforce, derogation. Regardless of whether the clause stipulates the jurisdiction of another American court (i.e., in an interstate context) or of a foreign country court (international context), the great majority of the modern decisions will enforce it by dismissing the local suit.16 As one federal appeals court put it in a prorogation case, but referring to earlier federal cases involving both prorogation and derogation, “[T]hose decisions bury the outmoded judicial hostility to forum selection clauses. They make clear that … a potential defendant can waive [jurisdictional] objections in advance … . Their approach is to treat [such a] clause like any other contractual provision and hence to enforce it unless it is subject to any of the sorts of infirmity, such as fraud and mistake, that justify a court’s refusing to enforce a contract.” Freedom of contract requires no less.17 14 E-mail of March 17, 2008, from staff attorney of National Conference of Commissioners on Uniform State Laws; on file. 15 The American Law Institute’s proposed federal statute, supra n. 12, would mandate non-recognition (“shall not … recognize…”) of foreign-country judgments rendered in violation of a forum-selection clause, unless the clause was raised and the objection adversely determined in the foreign proceeding. The latter possibility would be subject to the exception, in turn, that the foreign system did not disapprove of such clauses altogether (making an objection pointless) or that its determination was “manifestly unreasonable:” § 5(b). As in the case of the Uniform Act, neither the comments to the proposed statute nor the Reporters’ Notes rely on decisional authority. 16 See, e.g., Abbott Laboratories v. Takeda, 476 F.3d 421 (7th Cir. 2007) (Japan); Phillips v. Audio Active, Ltd., 494 F.3d 378 (2d Cir. 2007) (England); Hellenic Investment Fund, Inc. v. Det Norske Veritas, 464 F.3d 514 (5th Cir. 2006) (Norway, third party bound by forum selection clause on the basis of “direct benefit estoppel”). See also Pee Dee Health Care v. Sanford, 509 F.3d 204 (4th Cir. 2007) (interstate). For states disapproving of forum-selection clauses, see supra n. 6. 17 IFC Credit Corp. v. Aliano, 437 F.3d 606, 610 (7th Cir. 2006), citing from Northwestern National Ins. Co. v. Donovan, 916 F.2d 372, 375 (7th Cir. 1990) and referring to The Bremen, supra n. 3.
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The United States Supreme Court upheld a forum selection clause – in a case arising under federal admiralty jurisdiction – that appeared in a standardform contract which had been offered consumers on a take-it-or-leave-it basis. Such clauses were to be subject to “judicial scrutiny [only] for fundamental fairness.” 18 These statements raise the question: what law applies, what law provides the standards for the judicial scrutiny? When a forum-selection clause is accompanied by a choice of law, the applicable standard is usually that provided by the chosen law; absent a choice, it will usually be the applicable law as selected by the forum’s conflicts law.19 This assumes that the lex fori does not disapprove of forum selection clauses altogether and that the choice-of-law clause itself will be honored (see below). Courts that proceed from a lex fori-perspective nonetheless give prominent weight to the existence of a parallel choice of law by the parties.20 A more difficult question arises when a federal court hears a case arising under state law and federal and state law standards differ: which applies? In some cases, the question can be avoided – left unanswered – by showing that both standards would lead to the same result. For instance: “[W]hile there are differences of nuance between the federal and Illinois standards for determining the validity of a forum selection clause, there is agreement between the jurisdictions that ordinarily the parties’ … choice … should be over18 Carnival Cruise Lines, Inc. v. Shute, 499 U.S. 585, 595 (1991). A state court decision held the same clause to be unenforceable in a case in which it was clear that the plaintiffs had had no notice of the clause: Carnival Cruise Lines v. Superior Court, 234 Cal.App.3d 1019, 286 Cal. Rptr. 323 (Cal. App. 2d Dist. 1991). Notice had not been an issue in Shute. In upholding a forum-selection clause in a standard-form contract – such as in a party’s “General Conditions” – , the Shute decision goes beyond what the European Community’s Brussels-I Regulation seems to sanction: the Italian Corte Suprema di Cassazione indicated in 2006 (obiter dictum) that Art. 23(1)(a) Brussels-Regulation (requiring forum-selection clauses to be in writing) is not satisfied if it is contained in one party’s General Conditions but the document containing the General Conditions is only signed by the other party. In the Court’s view, incorporation through trade usage (Art. 23(1)(c)) also did not apply. Cassazione civile sezioni unite, Sept. 27, 2006, No. 20887 (Toscoline s.r.l. v. Saneco S.A.), Riv. Dir. Int. priv. proc. 2007, I, 1393; see anno. Rüfner ZEuP 2008, 165, 171–172. See also infra at nn. 28, 87. 19 Aliano, supra n. 17, at 423 with references; Yavuz v. 61 MM, Ltd., 465 F.3 418, 427 et seq. (10th Cir. 2006); Pioneer Commer. Funding Corp. v. Norick, 2006 U.S. Dist. LEXIS 84728 (E.D. Pa. 2006). For support of this approach, see Yackee Choice of Law Considerations in the Validity and Enforcement of International Forum Selection Agreements: Whose Law Applies?, UCLA J. Int’l L. & For. Aff. 9 (2004), 43, 83. See also Abbot Laboratories, supra n. 16, restated in IFC Credit Corp. v. United Bus. & Indus. Fed. Credit, 512 F. 3d 989, 991 (7th Cir. 2008). 20 See, e.g., for Illinois: Yamada Corp. v. Yasuda Fire and Marine Ins. Co., Ltd., 305 Ill. App. 3d 362, 368, 712 N.E. 2d 926, 931 (Ill. App. 2d Dist. 1999); Derrick v. Frank Foundation Child Assistance International, Inc., 2004 U.S. Dist. LEXIS 9736, at *3 (N.D. Ill. 2004); Compass Environmental, Inc. v. Polu Kai Services, L.L.C., 379 Ill. App. 3d 549, 554 et seq., 882 N.E. 2d 1149, 1156 et seq. (Ill. App. 1st Dist. 2008). Cf. also Schwan’s Sales Enterprises, Inc. v. SIG Pack, Inc., 476 F.3d 594 (8th Cir. 2007).
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ridden only if [it] would impose significant costs on third parties or the judicial system … . Neither basis … is present in this case … .” 21 When a choice between federal and state law arises, the answer to the search for the applicable standard may depend on the context in which the question arises. When a party seeks a transfer from one federal court to another by invoking a forum-selection clause, the context is the federal transfer statute and the powers it confers on the court: to “transfer or not” is thus a federal question and the effect to be given a forum-selection clause must therefore be answered on the basis of federal law (Stewart Organization).22 When the case presents no issue of federal law and the claim seeks to vindicate state-law based claims, there is now a split of authority: Justice Kennedy stated in his concurrence in Stewart that the reasoning of Supreme Court decisions on forum-selection clauses “applies with as much force to federal courts sitting in diversity. … [A] valid forum-selection clause [should] be given controlling weight in all but the most exceptional cases.” 23 A number of decisions have adopted that view and have honored such clauses as a matter of federal law.24 Another view, perhaps now receding, sees the Erie command and policy implicated:25 a federal court should apply state law and decide the way a court of the forum state would.26 Forum-selection clauses, just as choice-of-law clauses, will often be part of a standard-form contract, constituting one of a party’s “General Conditions.” Contrary perhaps to European law,27 these clauses become part of the contract like any of its other provisions: prerequisites are notice of their existence at the point of contract formation and absence of unfairness, the latter particularly important of course in a consumer context.28 No separate 21
Abbot Laboratories, supra n. 16, at 423; similarly, IFC Credit, supra n. 17, at 608 et seq. Stewart Organization, Inc. v. Ricoh Corp., 487 U.S. 22, 32 (1988). The federal transfer statute is 28 U.S.C.A. § 1404(a). For discussion of the weight to be given, in federal court, to forum-selection clauses in the context of a motion to dismiss for forum non conveniens, see also Outek Caribbean Distribs. v. Echo, Inc., 206 F. Supp. 2d 263 (D.P.R. 2002). 23 487 U.S. at 33. 24 See, e.g., Manetti-Farrow, Inc. v. Gucci America, Inc., 858 F.2d 509, 513 (9th Cir. 1988). 25 Supra n. 8. 26 See Conference on Jurisdiction, Justice and Conflict of Laws for the Twenty-First Century, New England L. Rev. 29 (1995), 517, 531–576. At present, the federal courts of appeal are divided as follows: federal law applies – 2nd, 5th, 9th, and 11th Circuits; leaning toward the application of federal law – 6th and 10th Circuits; state law applies – 3rd Circuit; not yet considered or decided the issue – 1st, 7th, and 8th Circuits. In the 4th Circuit, a lower court has adopted the federal view: GITA Sports Ltd. v. SG Sensortechnik GmbH & Co. KG, 560 F. Supp. 2d 432 (W.D.N.C. 2008). For a review of the federal cases, see ADT Security Services, Inc. v. Apex Alarm, LLC, 430 F. Supp.2d 1199 (D.Colo. 2006); for the Sixth Circuit, see Kerobo v. Southwestern Clean Fuels Corp., 285 F.3d 531 (6th Cir. 2002). For application of a federal standard in a forum non conveniens context, see Esfeld v. Costa Crociere, S.P.A., 289 F.3d 1300 (11th Cir. 2002). 27 Supra n. 18. 28 See Shute, supra n. 18, and infra at n. 41. 22
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writing or signing requirement applies. The combination of both clauses, especially in an international context, greatly serves to reduce uncertainty as to the jurisdiction of courts an the applicable law and, with it, of forum shopping. The choice may select one party’s courts and law, opt in favor of a neutral third state, or provide alternatively for the jurisdiction of the courts and of the law of the (as yet undetermined) defendant’s state (so-called “floating clauses” 29). As a general matter, “floating clauses” are no longer problematical today: the place of suit and the applicable law are known as alternatives when the contract is made, they become identified at the time of suit, and the validity of the clauses will be determined by the chosen law or the lex fori, as previously discussed. The matter is more problematical when the potential forum or fora and the law they will apply are not known when the contract is made. This may be the case when a contract provides for the jurisdiction and the application of the law of a party or of its assignee. The other party, whether ultimately the plaintiff or the defendant in a dispute, will not know at the time of contract formation whether its contracting party will assign the contract in the future nor to whom. As a result, the forum in which to sue or to defend after an assignment no longer floats between knowable alternatives, but mysteriously. This was the case in IFC Credit Corp. v. Aliano Bros.,30 in which a rental agreement of telecommunications equipment specified the court and law of the lessor or its assignee(s). The same clause was contained in about 11,000 such rental agreements and gave rise to suit in several states. A number of lower state and federal courts in Illinois had held the clause to be invalid – because not specific enough – in suits brought by an assignee.31 In Aliano, the federal appeals court upheld it, applying both federal and state law standards.32 In an opinion written by Judge Posner, one of the major modern proponents of the application of economic theory and analysis to legal problems,33 the Court found the clause justified on economic grounds: if 29 For comprehensive treatment, see Rasmussen-Bonne Alternative Rechts- und Forumswahlklauseln (1999). 30 Supra n. 17 31 For references, see 437 F.3d at 607–608. 32 By finding the result to be the same under either standard, the Court avoided having to commit to either side of the controversy described at nn. 24, 26. A lower federal court in Illinois has questioned the correctness of the appellate court’s view of Illinois state law: IFC Credit Corp. v. Century Realty Funds, Inc., 2005 U.S. Dist. LEXIS 39969 at *8 n. 2 (N.D. Ill. 2005), citing to Whirlpool Corp. v. Certain Underwriters at Lloyd’s London, 278 Ill. App. 3d 175, 662 N.E.2d 467, appeal denied, 667 N.E.2d 1063 (Ill. 1996). To the same effect, see IFC v. Main Street Mortgage, No. 04 M3 2649, slip. Op. at 15–19 (Ill. Cook Cty. Cir. Ct., March 30, 2005): “Non-specific forum selection clauses or more accurately post transaction forum selection clauses in and of themselves seem to violate the most basic tenets of proper due process [and] offend the public policy of fundamental fairness … and therefore cannot subject the Defendant to jurisdiction of this Court.” 33 See Posner Economic Analysis of Law (1st ed. 1973, 7th ed. 2007).
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forum selection were limited to the places of business of the immediate parties to the lease, “the assignment of contracts would be impeded because the assignee would have to litigate in a state specified in the [main] contract [which] might be inconvenient for it. Parties to a contract are not benefited by rules that make assignment burdensome. If assignors [had] to compensate their assignees for having to litigate in an inconvenient forum, they will have to charge a higher price to their customers, such as Aliano.” 34 With its focus on the plaintiff and its assignor, the Court bypassed the defendant’s objection that the clause lacked the required specificity.35 Judge Posner’s economic analysis in Aliano, of course, is fine as far as it goes. It does not answer, as a matter of principle and guideline for future cases, whether the result is reasonable and fair for defendant Aliano who could not foresee its future adversary nor the place of suit. Under the circumstances, the outcome may make sense because Aliano was a “business firm, not a hapless consumer … [which] has been in the construction business for a quarter of a century… .” 36 But what about a floating clause in favor of an assignee in a consumer transaction? The quoted language and the concern raised above suggest that (the unquestioned) economic desirability – from a lessor/seller’s perspective – alone may not be enough. The U.S. Supreme Court’s liberal view (in Shute 37) of forum-selection clauses in a consumer standard-form contract, on which the Aliano-Court relies for the federal standard for such clauses,38 does not answer the question: Shute arose between the original parties, no downstream party, such as an assignee, was involved. The clause involved in Aliano has been upheld by the majority of courts that have addressed it.39 One state supreme court considered the clause unreason34
437 F.3d at 612–613. “The purpose of requiring … a … clause [to] be ‘clear and specific’ is to head off disputes over where the … clause directs that the suit be brought. There was no possibility of such a dispute here, because the … clause designates the state of suit unequivocally … [as either the state of the lessor or of its assignee].” 437 F.3d at 612. This begs the question. The quoted passage equates clear language with specific designation of a court. The language of the clause is indeed clear enough in this case. However, unlike in other floating clauses, no alternative courts have been specifically designated. Indeed, they could not be designated inasmuch as the beneficiary of the clause was itself still unknown at the time of contract formation. See also supra n. 32. 36 Id. at 610–611. 37 Supra n. 18. 38 437 F.3d at 610. 39 For discussion and further review of case law, see Cross and Oxford IV “Floating” Forum Selection and Choice of Law Clauses, S. Tex. L. Rev. 48 (2006), 125, 135 et seq.; Silverman and O’Doherty, Float Like a Butterfly, Sting Like a Bee: The Lore of Floating Forum Selection Clauses, Franchise L. J. 27 (2007), 119, 123. See also Studebaker-Worthington Leasing Corp. v. New Concept Realty, Inc., 14 Misc.3d 1233A, 836 N.Y.S.2d 503 (N.Y. Dist. Ct., 3d Dist., 2007); Edge Telekom, Inc. v. Sterling Bank, 143 P.3d 1155, 1162 (Colo. App. 2006); Liberty Bank F.S.B. v. Best Litho, Inc. et al., 737 N.W.2d 312 (Iowa App. 2007). A similar floating clause was held to be unenforceable (for lack of foreseeability of 35
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able and a violation of the public policy of the forum when the assignor-to-be already had the (undisclosed) intent, at the time of contracting, to assign the contract immediately thereafter, thereby subjecting its contracting party to jurisdiction in another forum.40 In some jurisdictions the situation remains unclear.41 Outlook. Current federal and state practice readily recognizes forumselection clauses; judgment recognition practice, under the Uniform Act and the proposed federal statute, even endorses non-recognition of judgments obtained in breach of an exclusive clause. The question arises how this practice might be affected by the adoption of the 2005 Hague Convention or the passage of the proposed federal statute.42 Substantively, probably very little. As federal law, a treaty or federal statute would provide uniform standards. However, they would ensure minimum standards, rather than impose restrictions. Exceptions would be the contemplated reciprocity requirement for judgment recognition under the proposed federal act and the Convention’s prescription of resort to forum non conveniens dismissals by the prorogated forum. The former would indeed restrict current judgment recognition practice 43 but, given the context, would have only minimal impact on forumselection clauses. The latter can be made the subject of a reservation under the Convention’s Art. 19: in such a case, current practice would be unaffected;44 if a reservation is not invoked, the effectiveness of forum-selection clauses would be strengthened. the place of suit) in Copelco Capital, Inc. v. Shapiro, 331 N.J. Super. 1, 750 A.2d 773 (N.J. Super. App. Div. 2000); AT&T Capital Leasing Servs. v. CJP, Inc., 1997 Mass. Super. LEXIS 181 (Mass. Super. Ct. 1997). 40 Preferred Capital, Inc. v. Power Engineering Group, Inc., 112 Ohio St. 3d 429, 860 N.E.2d 741 (Ohio 2007), followed by: National City Commercial Corp. v. Gateway Pacific Contractors, slip op., 2007 WL 3232440 (S.D. Ohio 2007). It remains unclear why it matters when the intent to make an actual assignment was formed since the possibility of a future assignment of the contract clearly appears from the clause. In Aliano, the assignor made the assignment immediately upon Aliano’s signing. 437 F.3d at 607. See n. 35 supra. 41 See, for instance, Preferred Capital, Inc. v. Aetna Maintenance, Inc., 2007 Fed. Appx 562, 2006 U.S. App. LEXIS 29420 (6th Cir. 2006). The court noted that the assignee had been given notice of the assignment the day after the contract was executed. It did not address the question how subsequent notice would overcome any defect at the time of contract formation. To the extent that state law standards should apply in federal diversity cases (supra at n. 26), this decision might now have been superseded by the contrary decision of the Ohio Supreme Court (previous n.). In Texas, § 35.53 Tex. Bus. & Com. Code provided that forum-selection clauses in sales, leases, and other exchanges, valued at less than $ 50,000, are voidable unless “set out conspicuously in print, type, … [so that] a reasonable person would notice.” This provision seemed to address clearness of language (supra n. 35) and notice rather than the identity of the court that may be chosen. The section was repealed in 2007, effective April 1, 2009. 42 Supra nn. 2 and 12, respectively, with references. 43 Supra at n. 12. 44 See Note, American Forum Non Conveniens in Light of the Hague Convention on Choice of Court Agreements, U. Pitt. L. Rev. 69 (2007), 165.
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Choice-of-Law Clauses 45 A court’s jurisdiction and the law that it will apply are separate questions. This means that the applicable law does not follow from a forum-selection clause,46 nor does the applicability of a state’s substantive law automatically allow its courts to exercise jurisdiction.47 Parties frequently stipulate the applicable law; they may do this in combination with a forum selection or by itself.48 Party autonomy in contract choice of law 49 has had support in American case law since early times, but both § 187 of the Restatement (Second) of Conflict of Laws and § 1-105 of the Uniform Commercial Code (prior to its proposed revision) impose limitations: the chosen law must bear a reasonable relationship to the parties or the transaction.50 Absent a party stipulation, § 188 of the Restatement (Second) calls for the application of law of the state with the “most significant relationship” to the issue, while § 1-105 of the UCC calls for the application of the lex fori if it bears an “appropriate relationship” to the “transaction.” 51 The “pro-forum bias” of this UCC provision dates to the days of its introduction, when the 45 For a comprehensive review, see Gruson International Agreements, in: Moskin (ed.), Commercial Contracts (2002, 2003-2 Supplement), chapter 6; Rühl, Party Autonomy in the Private International Law of Contracts, in: Gottschalk/Michaels/Rühl/von Hein (eds.), Conflict of Laws in a Globalized World (2007), 153. 46 The maxim qui elegit iudicem, elegit ius is not followed. However, the lex fori-orientation of modern American approaches to choice of law may well lead a court with jurisdiction to select its own as the applicable law. See Scoles/Hay/Borchers/Symeonides, supra n. 4, § 18.1. 47 See Algemene Bank Nederland, M.V. v. Mattox, 611 F.Supp. 144 (N.D.Ga. 1985); Dent-Air, Inc. v. Beech Mountain Air Service, 322 N.W.2d 904 (Minn. 1983). See also Hanson v. Denckla, 357 U.S. 235, 254 (1958): “The issue is personal jurisdiction, not choice of law” (forum law applied as a matter of conflicts law, but the forum lacked requisite contacts for jurisdiction). However, the presence of choice-of-law clause may be a factor in the determination whether a party has “purposefully invoked” the benefits of a state to satisfy the minimum-contacts requirement for personal jurisdiction. Burger King Corp. v. Rudzewicz, 471 U.S. 462, 482 (1985); see infra at nn. 80–84. 48 Surprisingly, a study of such clauses in corporate merger agreements found “that although a governing law is specified in every contract in our data set, a litigation forum was specified in only slightly more than half of the contracts. … What leads so many … attorneys to fail to specify one of the most important legal terms in a contract …[?]” Eisenberg and Miller, Ex Ante Choice of Law and Forum: An Empirical Analysis of Corporate Merger Agreements, Vand. L. Rev. 59 (2006), 1975, 2012. 49 With respect to tort, see Scoles/Hay/Borchers/Symeonides, supra n. 4, § 17.40 at p. 809; for marital property, see id. § 14.12. For tort, see also Hudson v. ConAgra Poultry Co., 484 F.3d 496 (8th Cir. 2007). The subsequent discussion is limited to contract cases. 50 Scoles/Hay/Borchers/Symeonides, supra n. 4, § 18.2 et seq. 51 Both §§ 187 and 188 of the Restatement (Second) focus on the “particular issue,” the UCC provision refers to the “transaction” (as a whole). The issue-by-issue approach (dépeçage) is very much part of modern American conflicts methodology and, while not expressly stated, will therefore also influence the application of the UCC provision. Cf. Hay, supra n. 12.
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UCC was not yet uniformly adopted and when there was uncertainty about a possibly strange applicable law.52 In fact, however, the case law tends to apply the UCC section in a fashion similar to the Restatement (Second).53 The requirement of a “reasonable connection” to the chosen law when the parties have made a choice has not proved to be a significant impediment. The provision owes its existence to the concern that foreign law might be chosen for wholly local transactions;54 however, mandatory rules of law, rules protective of weaker parties, and the public policy defense provide sufficient means to guard against abuse. The result of the generally very favorable reception of choice-of-law clauses has been documented in detail in the annual surveys of American conflicts case law by Symeonides.55 Nonetheless, it is also true that, with respect to some subjects – for instance, in employment-related contracts –, “choice-of-law clauses fare significantly better in the courts of the state whose law is chosen by the clause than in other states.” 56 A likely reason is that a party stipulation in these areas may well run counter to “mandatory rules” of local law (in European parlance) that are protective of particular groups and their interests (employees, in the example mentioned).57 “Mandatory rules,” as a concept, receive mention 52 See § 1-301 UCC (2001 Revision), Official Comment 7. For further discussion of this provision, see infra at n. 63. 53 Scoles/Hay/Borchers/Symeonides, supra n. 4, §§ 18.12 at p. 986, 18.24. In this connection, however, it is important to recall that modern American choice-of-law methodology – whether based on interest analysis or on the Restatement (Second) factors – often displays a homeward trend. See generally Hay Flexibility versus Predictability and Uniformity in Choice of Law, Recueil des cours 226 (1991-I), 281, 350 et seq. 54 Scoles/Hay/Borchers/Symeonides, supra n. 4, § 18.6 et seq. 55 Am J. Comp. L. 56 (2008), 243, 287; 54 (2006), 697, 742; 53 (2005), 559, 628; 52 (2004), 919, 967; 51 (2003) 1, 55. See also Rühl, supra n. 45, at 158 n. 26. 56 Symeonides, previous n., (2008) at 287. For an example, see Brenner vo. Oppenheimer & Co., 273 Kan. 525, 44 P.3d 364 (2002), discussed in Hay, supra n. 12, at n. 66 et seq. But see infra at n. 76 et seq. 57 Mandatory rules of law express public policy concerns and therefore are not subject to variation by the parties. Not all mandatory rules of local law necessarily also restrict the parties’ freedom of choice in international contexts. European law refers to rules of law with such far-reaching effect as “overriding mandatory rules.” See Art. 9(1), “Rome-I” Regulation on the Law Applicable to Contractual Obligations, (EC) No. 593/2008, [2008] O.J. L 177/6, and the Position of the European Parliament, TC-0560/2007 (“… provisions … which [are] … crucial for safeguarding [a state’s] public interests, such as its political, social or economic organization … applicable … irrespective of the law otherwise applicable …”). See Borchers Categorical Exceptions to Party Autonomy in Private International Law, Tul. L. Rev. 82 (2008), 1645. See also Stoffel Corporate Autonomy and Market Regulations, in Nafziger and Symeonides, Law and Justice in a Multistate World – Essays in Honor of Arthur T. von Mehren (2002), 399, 403: “Such internationally mandatory rules are the expression of a particularly pro-active (‘positive’) legislative policy” (original emphasis); Vischer New Tendencies in European Conflict of Laws and the Influence of U.S. Doctrine – A Short Survey, in Nafziger and Symeonides (eds.), supra, 459, 461–63. For an illustration, see infra n. 76 et seq.
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only recently in American conflicts law.58 The underlying policies have traditionally been effectuated in application of a general public policy exception: the otherwise applicable law was displaced by a mandatory rule, i.e. the rule did not apply directly, of its own force, but only after a determination of the otherwise applicable law had been made.59 Several states have, by statute, dispensed with prerequisites when the parties chose the lex fori and the transaction was in excess of $ 250,000;60 others went further and dropped the “reasonable connection” requirement altogether;61 and Texas law even validates the parties’ choice in transactions over a million dollars, when the transaction bears a reasonable relation to the state of the chosen law, “regardless of whether the application of [the chosen] law is contrary to a fundamental or public policy of this state or of any other jurisdiction.” 62 The revision of the UCC provision proposed in 2001 – now § 1-301 – expressly abandoned the requirement of a connection to the chosen law, except when the contract involves a consumer transaction.63 A general 64 58 § 1-301 UCC (proposed 2001 Revision), Official Comment 6. The text of § 1-301(f), to which the comment refers, did not use the term but rather dealt with public policy generally; the comment, in using it, thus commingled the two concepts. In contrast, no mention was made of mandatory rules in Comment 3 with respect to consumer-protective rules in consumer transactions under subsec. (e). See text following and infra at n. 63. The 2002 Uniform Computer Information Transaction Act does the same in its § 109 (a), but also provides, in the direct manner of a mandatory rule, that “consumer protection law governs” (§ 104), defining the latter’s applicability by “that law as it would have applied in the absence of this act” (§ 104(f)). By 2008, the Act had been adopted only by Maryland and Virginia. 59 See further Hay, supra n. 12. 60 Cal. Civ. Code § 1646.5; Ill. Comp. Stat c. 735, § 105/5-5; N.Y. Gen. Obl. L. § 5-1401. 61 La. Civ. Code Art. 3540; Or. Rev. Stat. § 81.120. 62 Tex. Bus. & Com. C. § 35.51(c), until April 1, 2009; thereafter as § 271.005(b) in connection with § 271.001. For other transactions, the traditional UCC provision applies, now renumbered as § 1-301. 63 The provision distinguished between “domestic” (interstate) and international transactions, permitting the choice of the law of any “State” (of the United States) for the former and of any “State or country” for the latter, in both cases “whether or not the transaction bears a reasonable relation” to the state or country involved. § 1-301(a) and (b). To qualify as an “international transaction,” the transaction must bear a reasonable relation to a foreign country, but not necessarily to that whose law was chosen; the definition thus posits an “internationality” requirement. In a consumer transaction, the chosen law did have to have such a relation and, moreover, could not deprive the consumer of a rule of his law of residence or, if different, of the law of the place of sale and delivery, that is both “protective of consumers and may not be varied by agreement.” § 1-301(e)(1) and (2). 64 Symeonides regarded this exception as applicable only to non-consumer agreements, while consumer transactions are governed by the particular rules of subsec. (e), supra, previous n. Scoles/Hay/Borchers/Symeonides, supra n. 4, § 18.12, at p. 987. This interpretation can draw support from the structure of the Official Comments, supra n. 56. The text of subsec.(e)(1) and (2), however, makes it clear that its consumer-protective rules were limitations on subsec. (c) which posits the general validity of choice-of-law clauses (“any agree-
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public policy exception (§ 1-301(f)) was as broad as Art. 9(2) and (3) of the EC Rome-I Regulation 65 but, because of its generality, went beyond “mandatory rules:” the parties’ choice is not effective if “contrary to a fundamental policy of the State or country whose law would govern in the absence of agreement [under the forum’s conflicts rules].” Moreover, and while not in the choice-of-law provision, another Code revision permits the choice of “bodies of rules or principles … that are promulgated by intergovernmental authorities such as UNCITRAL or Unidroit …, or non-legal codes such as trade codes.” 66 The revised UCC section, despite some of the structural problems noted, placed very few limits on party autonomy. Its consumer-protective and public policy limitations were consistent with similar limitations elsewhere. Whether its reference to public policy concerns of countries other than the forum was appropriate, or even practical, is perhaps debatable, the same as it was in the context of Art. 7(1) of the Rome Convention and Art. 9 of the Rome-I Regulation. Its break with prior law was also signaled by § 1-301(d): in the absence of an effective choice by the parties, the forum’s conflicts law was to determine the applicable law. The express forum-bias of the original § 1-105 was abandoned, although general forum conflicts law may of course have an inward-looking orientation. All this said, it is perhaps surprising to note that, since the revision of Art. 1 was proposed in 2001, only the Virgin Islands 67 had adopted § 1-301 by spring 2008, while over twenty states had expressly retained the original § 1-105. Reasons for this disappointing record seem to include opposition by internet and catalog sellers to the limitation on choice of law imposed by the new provisions consumer-protective rules and a general fear of a “race to the bottom.” 68 The latter addressed the parties’ ability to ment referred to in subsection (c) is not effective unless …”, § 1-301((e)(1)) and did not displace other limitations. Subsection (g) particularized further: when the Code specifies the applicable law (in a number of specifically listed sections), the parties’ choice is effective only to the extent permitted by that law. To the extent that subsec. (f) already encompassed public policy concerns of the forum as well as of other jurisdictions and particular reference was made to mandatory rules in the consumer context in subsec. (e), this provision was perhaps unnecessary as redundant. But, given the structure of Sec. 1-310 – addressing public policy concerns in different and overlapping subsections –, clarifying this particular point as well was perhaps helpful. 65 The earlier EC “Rome” Convention on the Law Applicable to Contractual Obligations, O.J. 1998, C 27/34: Art. 7(1) referred to the mandatory rules of another country “with which the situation has a close connection if … under the rules of [that] country those rules must be applied” regardless of the otherwise applicable law. Art. 7(2) refers to the mandatory rules of the forum. The Convention was replaced by the Rome-I Regulation, supra n. 57. 66 § 1-302, Official Comment 2. The text of the provision itself merely states laconically: “[T]he effect of provision [of the Code] may be varied by agreement.” 67 11A V.I.C. 301. 68 See White, Out with the Old, In with the New?: Articles 2 and 2A of the Uniform Commercial Code, DePaul Bus. & Comm. L.J. 3 (2005), 519.
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choose unknown, unrelated, and possibly burdensome law and expressed the concern that the first state to adopt the new provision would thereby encourage forum shopping in its favor.69 There were answers to each of these concerns, chief among them that much of what was feared could happen under the liberal rules of the original provision as well and that the new provision also had a public policy exception (supra). Nonetheless, it became clear by 2007 that no new “uniform” rule would emerge. Indeed, the old rule remained the uniform rule. Consequently, the two sponsoring organizations resurrected § 1-105 in 2008, styled it § 1-301, and replaced the 2001 revision with it.70 To be sure, the case law has been increasingly choice-friendly; it is nevertheless regrettable that the effort to modernize, in a major way, both text and content of the provision itself proved unsuccessful.
Interaction of Forum-Selection and Choice-of-Law Clauses Courts have emphasized, time and again, that the jurisdictional and choiceof-law inquires are not the same, that they must be undertaken separately 71 – notwithstanding forceful suggestions by some that the inquiries should be collapsed or the distinction at least be fluid.72 Indeed, the different standards that define a state’s power to exercise jurisdiction and to apply its own law underscore the conceptual difference.73 Nonetheless, it is also true that a clause can have an effect beyond its scope. Two cases serve to illustrate. Covenants not to compete with the employer, for a stated time in a designated area, after the termination of the employment relation. In Texas, non-competition clauses are considered to be in restraint of trade and unenforceable unless reasonable. An employment contract, covering services 69 Cf. New Jersey Law Review Commission, Draft Final Report and Recommendations – UCC Article 1, accessible at: www.lawrev.state.nj.us/ucc1/ucc1DFR090605.pdf. See also, American Law Institute, 85th Annual Meeting Program 10–12 (2008). 70 American Law Institute, May 21, 2008, supra n. 69. The other sponsor, the Uniform Law Commission (previously named the National Conference of Commissioners on Uniform State Laws), had approved the change in late 2007. 71 Supra n. 47. 72 See especially the dissents by Justice Brennan in: Shaffer v. Heitner, 433 U.S. 186, 225 (1977) (“I believe that practical considerations argue in favor of seeking to bridge the distance between the choice-of-law and jurisdictional inquiries”); Hanson v. Denckla, 357 U.S. 235, 256 (1958) (dissenting with Justices Black and Burton: “…when the transaction has as much a relationship to a State [as in this case] its courts ought to have power to adjudicate controversies arising out of that transaction …”. For his dissents urging broad jurisdictional state, see Kulko v. California Superior Court, 436 U.S. 84, 101 (1978), and Helicopteros Nacionales De Colombia S.A. v. Hall, 466 U.S. 408, 419 (1984). 73 Jurisdiction: Shaffer, previous n., at 212 (minimum contacts). Applicable Law: Allstate Insurance Co. v. Hague, 449 U.S. 302, 313 (1981) (“significant contact or significant aggregation of contacts,” emphasis added).
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in Texas and elsewhere, contained such a clause and stipulated the law of Florida, the employer’s headquarter and place the contract recited as its place of making. The Texas Supreme Court held the choice-of-law clause to be unenforceable – as violative of Texas’ fundamental policy –, then applied Texas law, and held the non-competition clause unenforceable (DeSantis).74 In another case, the parties had additionally stipulated Florida courts, an action had been filed in Florida, and the employee and his new employer now sought declaratory relief in Texas that the non-competition clause was void. DeSantis seemed applicable, despite Texas’ strong general policy in favor of forum-selection clauses.75 The Texas Supreme Court found an accommodation: “[E]ven if DeSantis requires Texas courts to apply Texas law to certain employment disputes, it does not require suit to be in Texas when the forumselection clause mandates venue elsewhere. No Texas precedent compels us to enjoin a party from asking a Florida court to honor the parties’ express agreement to litigate a non-compete agreement in Florida, the employer’s headquarters and principal place of business.” 76 The fact that litigation was already pending in Florida lent additional support to the conclusion: while American law does not have a developed doctrine of lis pendens,77 Texas, as do many jurisdictions, follows a “first filed”-rule in practice, staying an action in its courts in favor of a court first seized.78 In effect, the forum-selection clause in favor of another state served to limit the scope of Texas’ regulation of non-competition clauses: the fact that the other forum (Florida) would apply its (presumably different) law, as a result of the choice-of-law clause, in a case involving a Texas employee, employed in Texas, was not an obstacle to the enforcement of the forum-selection clause. Without expressing it in European terms, the Court thus construed the Texas approach to non-competition agreements to be only internally mandatory, but not mandatory in an international sense (AutoNation).79 74 DeSantis v. Wackenhut Corporation, 793 S.W.2d 670, cert. denied, 498 U.S. 1048 (1991). The contract recited Florida as its place of making, but was actually signed in Texas, but the decision did not turn on this. 75 See In re Automated Collection Technologies, Inc., 156 S.W.3d 557, 558 (Tex. 2004): failure to enforce contractual forum-selection clauses “constitutes a clear abuse of discretion.” 76 In re AutoNation, 228 S.W.3d 663, 669 (Tex. 2007). The expansive Texas statutory provision (supra n. 62, since repealed) was not applicable by its terms. 77 Hay Law of the United States2 (2005), nos. 147–148. 78 228 S.W.3d at 670. 79 See supra n. 76. California courts have also reached this result: Biosense Webster, Inc. v. Superior Court, 37 Cal. Rptr.3d 759 (Cal. App. 2 Dist. 2006), relying on Advanced Bionics Corp. v. Medtronic, Inc., 59 P.3d 231 (Cal. 2002) and expressly addressing the difference in applicable law, both discussed by Symeonides, supra n. 54, (2006) at 742–48. For a similar decision, also involving an employment contract and factually close to DeSantis, supra n. 74, see Cour d’Appel Paris, March 22, 1990, D. 1990, 176. On internationally mandatory rules in a different context, see also Gruson, supra n. 45 (2003-2 Supp.), § 6.04 at 6–17. For the European perspective, see supra n. 57.
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Similarly, a choice-of-law clause can have an effect on the jurisdictional inquiry, as the U.S. Supreme Court’s decision in Burger King 80 shows. The franchise agreement had stipulated the application of Florida law. At issue was the jurisdiction of Florida courts over a Michigan franchisee of the Florida franchisor. For a valid assertion of jurisdiction, “the constitutional touchstone remains whether the defendant purposefully established ‘minimum contacts’ in the forum State …” 81 The Court acknowledge that “no physical ties to Florida can be attributed” to the defendant 82 and “that the ‘center of gravity for choice-of-law purposes does not necessarily confer the sovereign prerogative to assert jurisdiction’.” 83 But, “although [a choice-of-law] provision standing alone would be insufficient to confer jurisdiction, … when combined with the 20-year interdependent relationship [defendant] established with [plaintiff’s] Miami headquarters, it reinforced his deliberate affiliation with the forum State and the reasonable foreseeability of possible litigation there.” 84 In AutoNation, the forum-selection clause helped to validate the parties’ choice of law: party autonomy was served on both counts. In Burger King, it is much less clear that the parties shared a jurisdictional objective or expectation, and no specific acts or conduct affiliated the defendant with Florida. Jurisdiction at its headquarters was no doubt in the plaintiff’s economic interest (as was the stipulated application of its home law). From the defendant’s vantage, it is perhaps only the foreseeability factor that makes the case different from Aliano.85
Conclusion The earlier reluctance to honor forum-selection clauses that point away from the forum has now largely disappeared. Acceptance is case-law based; there are few legislative directives.86 Indeed, some decisions now seem to give 80
Supra n. 46. 471 U.S. at 474. 82 Id. at 479. 83 Id. at 481, citing from the lower court’s opinion (Burger King Corp. v. Macshara, 724 F.2d 1505, 1511–14 n. 10 (1984)) which, in turn, had relied on Hanson, supra n. 47, at 254. 84 Id. at 482. Justice Brennan, who authored the majority opinion in this case, had unsuccessfully urged a closer tie-in between jurisdiction and applicable law in earlier cases. Supra n. 72. He nudged closer to his goal in Burger King. 85 Supra nn. 17, 30–41. 86 See, e.g., N.Y. Gen. Oblig. L. § 5-1402, prescribing a dismissal for forum non conveniens when the contract, in a transaction in excess of $ 1 million, selects New York as the forum and stipulates the application of the New York law. For comment see Gruson, Choice of a Law not Reasonably Related to the Transaction – Section 5-1401 of the General Obligations Law of New York, in: Rasmussen-Bonne, Freer, Lüke, Weitnauer (eds.), Balancing of Interests – Liber Amicorum Peter Hay (2005), 191. 81
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insufficient attention to questions that may give rise to concern, suggesting the need for some controls. Examples are not sufficiently conspicuous forumselection clauses in standard-form contracts 87 and the effect of floating clauses on assignees of lessees or franchisees, in other words, strangers to the original transaction.88 With respect to choice of law, American case law continues to require a reasonable connection of the transaction to the chosen law but, in practice, is far more liberal than the still somewhat inward-looking formulation of the Uniform Commercial Code would lead one to expect. At the same time, efforts to free non-consumer transactions from virtually all constraints, save for mandatory rules, so far proved to be asking too much and were unsuccessful.89 Interest analysis in choice of law may furthermore confuse, in the sense of commingle, the search for the law applicable in the absence of a party stipulation with the existence of a mandatory rule of forum law that displaces the parties’ choice.90 A beginning acceptance of the concept of mandatory rules91 may then lead, as in the AutoNation decision, to a differentiation between local and international mandatory rules: with some mandatory rules recognized as “local,” the parties’ choice of non-forum law may be honored, especially if additional reasons support that result. In AutoNation, the accompanying forum-selection clause supplied that additional reason.92 Thus, while American conflicts methodology in choice of law may have a bearing on choice-of-law clauses, the combination of forum-selection and choice-of-law clauses assures far-reaching party autonomy.
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For European controls, see supra n. 18. Supra at nn. 30–41. Limits are sometimes stated more clearly with respect to choiceof-law clauses. Or. Rev. Stats. § 81.120(2) (2007), for instance, provides that a choice “must be express or clearly demonstrated from the terms of the contract. In a standard-form contract drafted primarily by only one of the parties, any choice of law must be express and conspicuous.” 89 Supra at nn. 63–70. 90 See supra at n. 59. 91 Supra n. 58. 92 Supra at n. 79. 88
Die Verwendung von Total Return Equity Swaps bei feindlichen Übernahmen Eine Analyse nach deutschem und US-amerikanischem Wertpapier- und Übernahmerecht Stephan Hutter * / Katja Kaulamo / Marc O. Plepelits I. Einführung Am 15. Juli 2008 erregte der deutsche Wälzlager-Hersteller Schaeffler KG mit einer Pressemitteilung 1 in deutschen und internationalen Unternehmensund Finanzkreisen großes Aufsehen: Schaeffler verkündete darin die Absicht, eine strategische Beteiligung von über 30 Prozent an dem deutlich größeren Reifenhersteller und Automobilzulieferer Continental Aktiengesellschaft anzustreben und an die Aktionäre von Continental ein freiwilliges öffentliches Übernahmeangebot abgeben zu wollen. Was bei deutschen Juristen auf zumindest genauso großes Interesse stieß, war die Aussage in der Pressemitteilung, dass Schaeffler nicht nur über eine direkte Beteiligung von 2,97 Prozent in Form von Continental-Aktien sowie über Finanzinstrumente, die zum Erwerb von weiteren Continental-Aktien in Höhe von 4,95 Prozent berechtigen, verfüge, sondern auch „Swap-Geschäfte über etwa 28 Prozent der Continental-Aktien abgeschlossen“ habe. Da diese Swap-Geschäfte „in Geld zu erfüllen“ seien, wären sie „nach dem Wertpapierhandelsgesetz nicht meldepflichtig“, hieß es weiter.2 In der Folge entbrannte unter Juristen und in den Medien eine heftige Debatte darüber, ob und unter welchen Umständen Swap-Geschäfte, ge* Die Autoren danken Herrn Rechtsanwalt Tobias Riethmüller für seine wertvolle Mitarbeit bei der Erstellung dieses Beitrags. 1 „Schaeffler Gruppe strebt strategische Beteiligung an der Continental AG an“, 15.7.2008, veröffentlicht unter http://www.fag.de/content.fag.de/de/press/press-releases/ press-details.jsp?id=2922880. 2 Die Pressemitteilung stellte auch klar, dass die Swap-Geschäfte von Schaeffler jederzeit gekündigt werden können, und dass, obwohl noch keine Entscheidung darüber gefallen sei, ob und wann eine Kündigung erfolgen soll, im Falle einer Kündigung während der Annahmefrist oder der erweiterten Annahmefrist Schaeffler „hieraus bis zu 28 Prozent der Aktien der Continental AG im Rahmen des Übernahmeangebots angedient werden“ könnten. Sicherlich ein Wink mit dem Zaunpfahl an das Continental-Management, das den Übernahmeplänen Schaefflers zu diesem Zeitpunkt ablehnend gegenüber stand.
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nauer sog. Cash-Settled Total Return Equity Swaps, zur Anbahnung einer feindlichen Übernahme eingesetzt werden können, ohne Meldepflichten unter dem Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) oder die Pflicht zur Abgabe eines Übernahmeangebots nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) auszulösen. Am 21. August 2008 erklärte schließlich die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in einer Pressemitteilung 3, dass sie nach gründlicher Untersuchung nicht feststellen konnte, dass bei der Übernahme von Continental durch Schaeffler Meldepflichten des WpÜG oder des WpHG verletzt worden wären. Kern der BaFin Untersuchung sei gewesen, ob sich Schaeffler Stimmrechte aus Aktien hätte zurechnen lassen müssen, die Dritte im Zusammenhang mit Swap-Geschäften gehalten haben.4 Nur zweieinhalb Monate vor der BaFin Pressemitteilung in Sachen Schaeffler/Continental fällte Richter Lewis A. Kaplan vom United States District Court für den Southern District of New York in der Rechtssache CSX Corporation v. The Children’s Investment Fund Management (UK) LLP, et. al.5 ein erstinstanzliches 6 Urteil, das sich mit einem ähnlich gelagerten Sachverhalt und vergleichbaren Rechtsfragen auseinander setzte, aber zu einem gegenteiligen Ergebnis kam. Die beklagten Hedge Fonds TCI und 3G 7 strebten im Rahmen eines Proxy Contest 8 mit der Klägerin CSX Corp., einer der größten Eisenbahngesellschaften der USA, an, insgesamt fünf Vertreter in den Board of Directors der CSX Corp. zu entsenden. Im Laufe des Jahres
3 „BaFin: Keine Verletzung von Meldepflichten bei Übernahmeverfahren Continental AG festgestellt“, 21.8.2008, veröffentlicht unter http://www.bafin.de/cln_116/nn_722758/ SharedDocs/Mitteilungen/DE/Service/PM_2008/pm_080821_conti.html. 4 Vergleiche dazu auch die Aussage von Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen, wonach nach „heutiger Rechtslage – auch unter Berücksichtigung des neuen Risikobegrenzungsgesetzes“ keine Meldepflichten verletzt worden seien. „Das Anliegen, Anschleichen zu verhindern, ist korrekt“, Börsen-Zeitung vom 12.9.2008. 5 CSX Corporation v. The Children’s Investment Fund Management (UK) LLP, et. al., No. 08-Civ. 2764 (LAK) (S.D.N.Y. June 11, 2008); verfügbar unter http://www1.nysd. uscourts.gov/cases/show.php?db=special&id=79. 6 Sowohl die Klägerin CSX Corp. als auch die beklagten Hedge Fonds und deren Manager haben gegen das Urteil Berufung eingelegt. 7 The Children’s Investment Fund Management (UK) LLP sowie ihr nahestehende Fonds-Gesellschaften und Fonds-Manager, die in dem Rechtsstreit als Beklagte benannt wurden, werden in diesem Artikel unter dem Sammelbegriff „TCI“ zusammengefasst. Ebenso werden 3G Fund L.P. und die ihr nahestehenden beklagten Fonds-Gesellschaften und Fonds-Manager unter dem Sammelbegriff „3G“ zusammengefasst. 8 In einem Proxy Contest, der nach US Bundesrecht weitgehenden Publizitäts- und Verfahrensvorschriften unterliegt, versuchen einzelne Aktionäre bzw. die Gesellschaft selbst, von den übrigen Aktionären Stimmrechtsvollmachten einzuholen, um damit in der Hauptversammlung (Shareholders’ Meeting) bestimmte Entscheidungen, insbesondere etwa die Bestellung oder Abberufung von Mitgliedern des Board of Directors der Gesellschaft, herbeizuführen.
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2006 und Anfang 2007 hatte TCI rund 4 Prozent der CSX Aktien erworben und zusätzlich Cash-Settled Total Return Equity Swaps in Bezug auf rund 11 Prozent der CSX Aktien mit verschiedenen Banken abgeschlossen, diese Positionen aber erst im Dezember 2007 gemäß § 13(d) des US Securities Exchange Act von 1934 („Exchange Act“ oder „SEA“) 9 gemeldet. Richter Kaplan kam in seinem Urteil zu dem Schluss, dass TCI die Total Return Swaps benutzt hatte, um die Meldepflichten des § 13(d) SEA zu umgehen. Er sah dadurch einen in den Ausführungsvorschriften zum Exchange Act enthaltenen Umgehungstatbestand verwirklicht und entschied daher, dass die den Total Return Swaps unterliegenden CSX Aktien TCI für Zwecke der Meldepflichten zuzurechnen waren. Vor dem Hintergrund des Übernahmekampfes zwischen Schaeffler und Continental und dem CSX Corp. Urteil soll im Folgenden analysiert werden, ob nach deutschem bzw. US-amerikanischem Bundesrecht Cash-Settled Total Return Equity Swaps ein „Anschleichen“ im Vorfeld einer feindlichen Übernahme ermöglichen, indem dadurch grundsätzlich anwendbare Meldevorschriften zulässigerweise umgangen werden können.
II. Die Funktionsweise von Total Return Equity Swaps Mit einem Cash-Settled Total Return Equity Swap, wie er sowohl im Vorfeld des Übernahmeangebots von Schaeffler für Continental 10 als auch im Zusammenhang mit dem Proxy Contest bei CSX Corp.11 eingesetzt wurde, ist es möglich, das Ergebnis eines direkten Investments in eine Aktie wirtschaftlich nach zu vollziehen. Dies wird dadurch erreicht, dass ein Vertragspartner – der Total Return Receiver oder Sicherungsnehmer – die aus der betreffenden Aktie resultierenden Chancen und Risiken während einer bestimmten Laufzeit vom anderen Vertragspartner – dem Total Return Payer oder Sicherungsgeber – im Rahmen eines Swap-Geschäftes übernimmt.12
9 Der Exchange Act ist neben dem Securities Act von 1933 („Securities Act“ oder „SA“) eines von zwei grundlegenden Bundesgesetzen, die die Ausgabe von und den Handel mit Wertpapieren in den USA regeln. Er regelt u.a. den Sekundärhandel mit bereits ausgegebenen und in Umlauf befindlichen Wertpapieren, einschließlich der sich daraus ergebenden Meldepflichten, sowie die Publizitäts-, Verfahrens- und Betrugsbekämpfungsvorschriften im Zusammenhang mit öffentlichen Unternehmensübernahmen (sog. Tender Offers). Im Gegensatz dazu ist der Hauptanwendungsbereich des Securities Act primär das erstmalige öffentliche Angebot bzw. generell die Ausgabe von Wertpapieren. Vgl. auch Hutter, in: Semler/Volhard, Arbeitshandbuch für Unternehmensübernahmen I, 2001, § 23 Rdnr. 147. 10 Angebotsunterlage für das freiwillige öffentliche Übernahmeangebot der Schaeffler KG an die Aktionäre der Continental Aktiengesellschaft vom 29. Juli 2008, S. 15 f. 11 CSX Corp. v. TCI, No. 08-Civ. 2764, S. 9. 12 Von Bülow, in: Kölner Komm. z. WpHG, § 22 Rdnr. 87.
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Der Total Return Payer verpflichtet sich in dem Swap-Geschäft 13, dem Total Return Receiver alle auf die Aktie ausgeschütteten Dividenden sowie (einmal am Laufzeitende oder periodisch zu festgesetzten Zeitpunkten, den sog. Refixing Dates) einen allfälligen Wertzuwachs der Aktien zwischen Abschluss des Swap-Geschäfts (bzw. im Falle periodischer Zahlungen, dem letzten Refixing Date) und Ablauf bzw. Beendigung des Swaps zu zahlen. Im Gegenzug verpflichtet sich der Total Return Receiver zur Zahlung eines vereinbarten Zinses auf einen bestimmten Nominalwert 14, sowie zum Ausgleich eines allfälligen, während der Laufzeit des Swaps eingetretenen Wertverlusts. Durch einen Total Return Equity Swap werden also die Vertragsparteien wirtschaftlich in die gleiche Lage versetzt, als hätte der Total Return Receiver die gegenständlichen Aktien erworben und sich den Kaufpreis dafür vom Total Return Payer geliehen. Üblicherweise sind Total Return Equity Swaps so ausgestaltet, dass zwischen den Vertragsparteien ausschließlich die Zahlung eines Barausgleichs (sog. Cash Settlement) vereinbart ist, wobei die wechselseitig geschuldeten Zahlungen verrechnet werden (sog. Netting). Eine Lieferung der lediglich als Referenzaktivum in Bezug genommenen Aktien ist dann nicht geschuldet.15,16 Die untenstehende Grafik verdeutlicht die Zahlungsströme bei einem typischen Cash-Settled Total Return Equity Return Swap.
13 Üblicherweise werden solche Swap-Geschäfte auf der Grundlage eines von der International Swaps and Derivatives Association (ISDA) entwickelten standardisierten Vertragsformulars, dem sog. ISDA Master Agreement, und den dazugehörigen Standarddefinitionen für Equity Swaps, den 2002 ISDA Equity Derivatives Definitions, abgeschlossen. Das ISDA Master Agreement enthält grundlegende Vertragsbestimmungen für allgemeine Swap- und Derivat-Geschäfte, wie Zusicherungen und Gewährleistungen der Vertragsparteien, Tax Gross-up Klauseln oder Bestimmungen zur Aufrechnung von Zahlungen. Die Equity Derivatives Definitions enthalten Bestimmungen und Definitionen, die für Equity Swaps generell anwendbar sind. Die Details des einzelnen Swap- oder Derivat-Geschäfts werden zwischen den Vertragsparteien in einer sog. Confirmation vereinbart, die auf Grundlage des ISDA Master Agreements und der Equity Derivatives Definitions erstellt wird. 14 Der Nominalwert entspricht üblicherweise dem Marktwert der gegenständlichen Aktie zum Zeitpunkt des Abschlusses des Swap-Geschäfts. Der Zinssatz wird typischerweise als Basiszinssatz, wie EURIBOR oder LIBOR, zuzüglich einer Marge vereinbart, wobei die Marge u.a. von der Bonität der Vertragsparteien abhängt. 15 Von Bülow, in: Kölner Komm. z. WpHG, § 22 Rdnr. 87. 16 Alternativ kann ein Total Return Equity Swap allerdings auch eine Verpflichtung des Total Return Payer vorsehen, bei Ablauf bzw. Beendigung des Swaps die Referenzaktien gegen Zahlung des Marktwertes der Referenzaktien zum Zeitpunkt des Abschlusses des Swap-Geschäfts (bzw. des letzten Refixing Date) zu liefern. In diesem Falle spricht man von einem Physical Settlement. In diesem Beitrag steht jedoch die Behandlung von Cash-Settled Total Return Equity Swaps im Vordergrund.
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Total Return Payer (Sicherungsgeber)
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Total Return Receiver (Sicherungsnehmer)
Referenzaktien (Absicherungsgeschäft)
Total Return Swaps werden aus unterschiedlichen Beweggründen abgeschlossen. So ermöglicht ein Total Return Swap einem Total Return Receiver, der ein bestimmtes Aktivum aus steuerlichen, rechtlichen, regulatorischen oder bilanziellen Gründen nicht im Bestand halten darf oder möchte, die wirtschaftlichen Konsequenzen des Eigentums des Aktivums auf synthetischem Weg nach zu vollziehen. Auch kann durch einen Total Return Swap der wirtschaftliche Ertrag aus einem Referenzaktivum mit einem geringeren Kapitaleinsatz erzielt werden, als dies im Falle des direkten Erwerbs des Aktivums möglich wäre, weshalb Total Return Swaps insbesondere auch von Hedge Fonds häufig genutzt werden, um bei ihren Investitionen einen größeren Hebel zu erreichen. Andererseits kann eine Partei das Kredit- und Marktpreisrisiko von Aktiva, die sie im Bestand hält, dadurch absichern, dass sie als Total Return Payer in einem Swap auftritt. Vielfach ist die Motivation, einen Swap als Total Return Payer abzuschließen, die Generierung von Zinseinkommen. Gerade wenn für einen Total Return Payer die Generierung von Zinseinkommen der primäre Beweggrund für den Abschluss eines Total Return Swaps ist, wird er sich häufig dazu entschließen, das Risiko einer Wertsteigerung der Referenzaktien, die er ja unter dem Swap an den Total Return Receiver in Form einer Barzahlung weitergeben muss, durch den Erwerb dieser Referenzaktien abzusichern. Der Total Return Payer ist jedoch nicht verpflichtet, solche Deckungskäufe zu tätigen 17; er kann seine Verpflichtung aus dem Swap entweder als offene Short Position bestehen lassen oder sich auch auf andere Weise gegen das Kursrisiko absichern, etwa durch WertpapierTermin- oder Optionsgeschäfte oder wiederum durch den Abschluss von 17
Vgl. § 13.2. der 2002 ISDA Equity Derivatives Definitions.
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Total Return Equity Swaps, in denen er dann als Total Return Receiver auftritt. Im Falle eines Deckungskaufs verbleiben die Stimmrechte aus den erworbenen Aktien typischerweise beim Total Return Payer und werden im Rahmen des Swap-Geschäfts nicht an den Total Return Receiver übertragen. Am Ende der Laufzeit des Swaps bzw. bei dessen vorzeitiger Beendigung wird der Total Return Payer die zur Absicherung des Swaps erworbenen Aktien in der Regel wieder veräußern. Dies einerseits, um aus dem Veräußerungserlös eine allfällige, sich aus dem Swap ergebende Zahlungsverpflichtung zu begleichen (im Falle einer Kurssteigerung der dem Swap zugrunde liegenden Aktien), und andererseits, um nach Beendigung des Swaps nicht dem Kursrisiko der Aktien ausgesetzt zu sein.
III. Die rechtliche Beurteilung von Total Return Equity Swaps nach deutschem Recht Nach deutschem Recht stehen die Fragen im Vordergrund, ob die Verwendung von Cash-Settled Total Return Equity Swaps Meldepflichten nach dem Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) oder die Pflicht zur Veröffentlichung der Angebotsabsicht beziehungsweise zur Abgabe eines Übernahmeangebotes nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) auslöst.
1. Meldepflichten nach dem Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) a) Überblick Die Meldepflicht nach WpHG zielt in Umsetzung der EU-Transparenzrichtlinien 18 darauf ab, durch die Stärkung von Markttransparenz dem Missbrauch von Insiderinformationen entgegen zu wirken und so die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts und den Schutz der (Minderheits-)Anleger zu fördern.19 Die Veränderung maßgeblicher Aktienbeteiligungen hat unmittelbare Auswirkung auf die Kursentwicklung: Da ein strategischer Investor in der Regel gezwungen sein wird, im Rahmen einer avisierten Übernahme einen Aufschlag auf den Marktpreis zu zahlen, steigt der Kurs der Aktie nach dem Bekanntwerden von Übernahmeabsichten an. An dieser sog. Übernahme- bzw. Kontrollprämie können Kleinanleger nur dann partizipieren, wenn sie rechtzeitig über den Aufbau einer maßgeblichen Beteiligung informiert werden. Die Minderheitsanleger sind weiterhin insoweit schutzwürdig, als sie ihre Investitionsentscheidung unter der Prämisse der wirtschaftlichen 18 Richtlinie 88/627/EWG vom 12. Dezember 1988, ABl. Nr. L 348 vom 17.12.1988, und Richtlinie 2004/109/EG vom 15. Dezember 2004, ABl. Nr. L 390 vom 31.12.2004, S. 38. 19 Begr. RegE zu § 21 I WpHG, BT-Drucks. 12/6679, S. 52.
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Unabhängigkeit der Gesellschaft getroffen haben. In diesem Sinne dient die Aufdeckung von Informationsasymmetrien auch der Gleichbehandlung der Aktionäre. Ziel der Regelung ist es also, ein unlauteres „Anschleichen“ an eine Zielgesellschaft zu erschweren. Daneben soll auch die Gesellschaft selbst einen Überblick über die Aktionärsstruktur und die Beherrschungsverhältnisse erhalten.20 Ausgangspunkt der Meldepflichten bei Veränderungen des Stimmrechtsanteils an börsennotierten Gesellschaften ist § 21 I WpHG, nach dessen aktueller Fassung in der Form der Änderung durch das TransparenzrichtlinieUmsetzungsgesetz21 das Erreichen, Überschreiten oder Unterschreiten einer Stimmrechtsbeteiligung von 3, 5, 10, 15, 20, 25, 30, 50 oder 75 Prozent durch Mitteilung an den betroffenen Emittenten und die BaFin offen gelegt werden müssen. Die Mitteilung muss unverzüglich, spätestens aber innerhalb von vier Handelstagen erfolgen. Daneben besteht die durch das Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz in § 25 WpHG neu eingeführte Meldepflicht für das Halten von Finanzinstrumenten, die ihrem Inhaber das Recht verleihen, einseitig im Rahmen einer rechtlich bindenden Vereinbarung mit Stimmrechten verbundene Aktien des Emittenten zu erwerben. Die maßgeblichen Schwellenwerte entsprechen denen der §§ 21, 22 WpHG mit Ausnahme der Eingangsmeldeschwelle, die im Rahmen von § 25 WpHG bei 5 % liegt. Grund für diese Diskrepanz ist ausweislich der Gesetzesbegründung, dass der Gesetzgeber die Belastung der Beteiligten auf das für die Transparenz notwendige Maß reduzieren wollte.22 Die eigentliche Unterrichtung des Publikums erfolgt in beiden Fällen durch den Emittenten, dem nach § 26 I 1 WpHG die Pflicht obliegt, die mitgeteilten Kapitalbewegungen unverzüglich, spätestens innerhalb von drei Handelstagen nach Zugang der Mitteilung zu veröffentlichen. Verstößt der Erwerber gegen die Mitteilungspflicht, stellt dies nach § 39 II Nr. 2e WpHG eine Ordnungswidrigkeit dar. Daneben dürfen für die Dauer des Verstoßes die Mitverwaltungsrechte aus den betroffenen Aktien nicht ausgeübt werden, § 28 WpHG. Diese Vorschrift wurde durch das sog. Risikobegrenzungsgesetz 23 mit Wirkung zum 1. März 2009 dahingehend erweitert, dass der Rechtsverlust bei vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verstößen nach der Nachholung der Meldung noch für weitere sechs Monate andauert. Durch diese Verschärfung der gesellschaftsrechtlichen Folgen einer Verletzung soll verhindert werden, dass zwischen zwei Hauptversammlungen
20
Begr. RegE zu § 21 I WpHG, BT-Drucks. 12/6679, S. 52. Vgl. dazu Hutter/Kaulamo, NJW 2007, 471 ff. 22 Begr. RegE zu § 25 WpHG, BT-Drucks. 16/2498, S. 37. 23 Gesetz zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken vom 12. August 2008, BGBl. I 2008, S. 1666. 21
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unter Unterlassung einer Meldung ein Paket aufgebaut und der Verstoß dann pünktlich zum Stichtag geheilt wird.24 b) Zurechnung von Stimmrechten aus Aktien, die einem Dritten gehören, § 22 WpHG § 22 WpHG dient dazu, verschiedene Umgehungsgestaltungen zu erfassen 25, und begründet hierzu unter bestimmten Voraussetzungen die Zurechnung von Stimmrechten aus Aktien, die einem Dritten gehören. Hinsichtlich der Verwendung von Cash-Settled Total Return Equity Swaps im Vorfeld einer Übernahme stellt sich insbesondere die Frage, ob die Voraussetzungen des Haltens für Rechnung des Meldepflichtigen im Sinne von § 22 I 1 Nr. 2 WpHG oder des sog. abgestimmten Verhaltens („Acting in Concert“) gemäß § 22 II WpHG erfüllt sind. aa) Zurechnung über § 22 I Nr. 2 WpHG – Halten für Rechnung des Meldepflichtigen Nach § 22 I 1 Nr. 2 WpHG werden dem Meldepflichtigen Stimmrechte zugerechnet, die einem Dritten gehören (gemeint ist das zivilrechtliche Eigentum an den Aktien26) und von diesem für Rechnung des Meldepflichtigen gehalten werden. „Für Rechnung des Meldepflichtigen“ hält der Dritte die Stimmrechte, wenn der Meldepflichtige die wirtschaftlichen Chancen und Risiken der Beteiligung trägt, womit sowohl das Kursrisiko als auch die Chance auf die Auszahlung von Dividenden angesprochen ist.27 Orientiert man sich ausschließlich am Wortlaut der Vorschrift, so könnte man diese Voraussetzung immer dann als erfüllt ansehen, wenn der Total Return Payer zur Absicherung des Kursrisikos die Aktien tatsächlich selbst erwirbt. Denn es ist gerade der Zweck des Total Return Equity Swaps, den Total Return Receiver wirtschaftlich so zu stellen, als sei er selbst Eigentümer der Aktien (vgl. bereits oben B.). Allerdings ist die Vorschrift insoweit einschränkend auszulegen, als zusätzlich zu fordern ist, dass der Meldepflichtige auch zumindest faktischen Einfluss auf die Ausübung der Stimmrechte aus den be-
24
Begr. RegE, BT-Drucks. 16/7438, S. 13. Burgard, BB 1995, 2069 (2072); von Bülow, in: Kölner Komm. z. WpHG, 2007, § 22 Rdnr. 3; Opitz, in: Schäfer/Hamann, Kapitalmarktgesetze, 2. Aufl. (2006), § 22 WpHG Rdnr. 1; Uwe H. Schneider, in: Assmann/Schneider, WpHG, 4. Aufl. (2006), § 22 Rdnr. 4; Schwark, Kapitalmarktrechtskommentar, 3. Aufl. (2004), vor § 21 WpHG Rdnr. 4. 26 Von Bülow, in: Kölner Komm. z. WpHG, 2007, § 22 Rdnr. 63; Opitz, in: Schäfer/ Hamann, Kapitalmarktgesetze, 2. Aufl. (2006), § 22 WpHG Rdnr. 28; Schwark, Kapitalmarktrechtskommentar, 3. Aufl. (2004), § 22 WpHG Rdnr. 3. 27 Von Bülow, in: Kölner Komm. z. WpHG, 2007, § 22 Rdnr. 65; Uwe H. Schneider, in: Assmann/Schneider, WpHG, 4. Aufl. (2006), § 22 Rdnr. 45; Schwark, Kapitalmarktrechtskommentar, 3. Aufl. (2004), § 22 WpHG Rdnr. 4. 25
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troffenen Aktien hat.28 Insoweit wird richtigerweise darauf verwiesen, dass § 22 WpHG seinem Zweck nach die Zuordnung von Stimmrechtsherrschaft, mithin gesellschaftsrechtlich vermittelte Einflussmöglichkeiten erfassen soll, so dass ein rein wirtschaftliches Verständnis nicht maßgeblich sein kann.29 Die Gegenansicht verweist demgegenüber auf die Situation bei der Verwaltungstreuhand, die den klassischen, vom Gesetzgeber vorgesehenen Anwendungsfall von § 22 I 1 Nr. 2 WpHG darstelle.30 Bei der zivilrechtlichen Treuhand (§§ 675, 663 ff. BGB) komme es nicht darauf an, inwieweit der Treuhänder dem Treugeber gebunden sei. Ausschlaggebend sei vielmehr ausschließlich, ob den Treugeber im Ergebnis die wirtschaftlichen Folgen treffen; dieses Verständnis sei auf § 22 I 1 Nr. 2 WpHG zu übertragen.31 Wiederum andere sehen in der Zuordnung der wirtschaftlichen Chancen und Risiken zumindest ein Indiz für eine Einflussnahme auf das Stimmverhalten, so dass eine tatsächliche Vermutung für die Zurechnung spreche.32 In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, es sei üblich, dass die Banken, die sich durch Ankauf der Aktien abgesichert haben, bereit seien, das Stimmrecht im Sinne des Swapgebers auszuüben, da sie selbst kein erkennbares
28 So die wohl herrschende Meinung; siehe Burgard, BB 1995, 2069 (2072); von Bülow, in: Kölner Komm. z. WpHG, 2007, § 22 Rdnr. 66; Habersack, AG 2008, 817 (818); Opitz, in: Schäfer/Hamann, Kapitalmarktgesetze, 2. Aufl. (2006), § 22 WpHG Rdnr. 30. Uwe H. Schneider, in: Assmann/Schneider, WpHG, 4. Aufl. (2006), § 22 Rdnr. 47 präzisiert dies dahingehend, dass es auf die tatsächliche Möglichkeit ankomme, Weisungen hinsichtlich der Stimmrechtsausübung zu erteilen, nicht aber auf die Fragen, ob ein Weisungsrecht besteht oder ob auch wirklich Weisungen erteilt werden. 29 Von Bülow, in: Kölner Komm. z. WpHG, 2007, § 22 Rdnr. 66. Weiterhin ist nach dem Wortlaut von Art. 7 Satz 1 Teilziff. 1 der Transparenzrichtlinie 1988, der der Vorschrift zugrunde liegt, allein das Halten von Stimmrechtsbeteiligungen maßgeblich. Siehe dazu Burgard, BB 1995, 2069 (2072); von Bülow, in: Kölner Komm. z.WpHG, 2007, § 22 Rdnr. 66; Opitz, in: Schäfer/Hamann, Kapitalmarktgesetze, 2. Aufl. (2006), § 22 WpHG Rdnr. 30. 30 Vgl. Begr RegE zum Zweiten Finanzmarktförderungsgesetz zu § 22 Nr. 1 WpHG a.F., BT-Drucks. 12/6679, S. 53. 31 Siehe Schanz/Schalast, Frankfurt School of Finance & Management – Working Paper Series No. 100, „Schaeffler KG/Continental AG im Lichte der CSX Corp.-Entscheidung des US District Court for the Southern District of New York“, Juli 2008, abzurufen unter http://www.frankfurt-school.de/dms/Arbeitsberichte/Arbeits100.pdf, S. 17; Schanz, DB 2008, 1899 (1902); jeweils unter Verweis auf Bayer, in: MünchKomm-AktG, § 16 Rdnr. 47. 32 So zum wortgleichen § 30 I Nr. 2 WpÜG Oechsler, in: Ehricke/Ekkenga/Oechsler, WpÜG, 2003, § 30 Rdnr. 7. In diesem Sinne wohl jetzt auch Uwe H. Schneider/Brouwer, AG 2008, 557 (564) im Kontext von § 25 WpHG: „Geht es nämlich dem Inhaber nicht um den wirtschaftlichen Spekulationsgewinn, steht regelmäßig der (verschleierte) Beteiligungserwerb im Mittelpunkt des Vorhabens.“ Siehe auch Habersack, AG 2008, 817 (818), der im Zusammenhang mit dem Fall Schaeffler/Continental den die Zurechnung gemäß § 22 I 1 Nr. 2 WpHG begründenden faktischen Einfluss aus der Erwägung herleitet, dass die Total Return Payer zwar nicht rechtlich, wohl aber wirtschaftlich de facto gezwungen wären, die von ihnen gehaltenen Aktien in das Übernahmeangebot der Bieterin einzuliefern.
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wirtschaftliches Interesse daran hätten – sie trügen ja nicht das Kurs- und Dividendenrisiko.33 Andere widersprechen diesem Argumentationsansatz mit Hinweis auf die Geschäftspolitik der Banken, die in solchen Fällen häufig eine „No Voting Policy“ oder andere Gestaltungen vorsehe, die im Ergebnis dazu führten, dass für eine tatsächliche Vermutung die empirische Basis fehle.34 De lege lata verbietet sich aber eine Zurechnung über die immerhin bußgeldbewehrte Vorschrift des § 22 I 1 Nr. 2 WpHG schon aufgrund der Tatsache, dass es für den Total Return Receiver regelmäßig nicht ersichtlich sein wird, ob tatsächlich Aktien „für seine Rechnung gehalten“ werden, ob also die Gegenpartei ihr Risiko durch den Erwerb der Aktien abgesichert hat oder nicht. Aus seiner Sicht stellt dieser Umstand eine reine Zufälligkeit dar, auf die er grundsätzlich (d.h. mangels einer gesonderten Abrede) keinerlei Einfluss hat, so dass er schon rein tatsächlich nicht abschätzen könnte, ob er bei einem solchen Verständnis der Norm zur Meldung der entsprechenden Positionen verpflichtet wäre. Kommen nicht weitere Umstände hinzu, die im Einzelfall eine Zurechnung begründen, so verbietet sich dieses Ergebnis auch vor dem Hintergrund des Analogieverbotes, Art. 103 II GG, § 3 OWiG, das vorliegend zu wortlautgetreuer Auslegung zwingt.35 Anders wäre die Situation möglicherweise zu beurteilen, wenn zwischen dem Total Return Receiver und dem Total Return Payer ein gemeinsames Verständnis besteht, wonach der Total Return Payer seine Positionen durch Deckungskäufe von Referenzaktien absichert. In der Praxis wird sich in der Regel jedoch die Frage nach der Beweisbarkeit des Vorliegens eines solchen Verständnisses stellen. Stellt man allerdings die oben geschilderte rechtspolitische Zielrichtung der Vorschrift in den Vordergrund, das unlautere „Anschleichen“ zu verhindern, so spricht im Ergebnis vieles dafür, de lege ferenda eine Zurechnung der Stimmrechte in der vorliegenden Konstellation zu ermöglichen. Insoweit geht es nämlich nicht ausschließlich darum, lediglich die missbräuchliche Aus-
33 Hu/Black, 79 S. Cal. L. Rev. 2005–2006, 811 (837); Engert, ZIP 2006, 2105 (2108); Schanz, DB 2008, 1899 (1902); sowie Weber/Meckbach, BB 2008, 2022 (2028), die vor diesem Hintergrund darauf abstellen wollen, „ob bei abstrakter Betrachtung ein ‚vorauseilender Gehorsam‘ der Stillhalterbank ausgeschlossen werden kann“. 34 So mit ausführlichen Nachweisen zu empirischen Erkenntnissen im angloamerikanischen Raum Fleischer/Schmolke, ZIP 2008, 1501 (1504 ff.). 35 So zu § 30 WpÜG der BGH, Urteil vom 18.9.2006 (II ZR 137/05), BGHZ 169, 98 (104); von Bülow, in: Kölner Komm. z. WpHG, 2007, § 22 Rdnr. 34; Fleischer/Schmolke, ZIP 2008, 1501 (1506); jeweils m.w.N. auch zur Gegenauffassung, die eine sog. „gespaltene Auslegung“ für möglich hält. Für eine Zurechnung der Referenzaktien der Total Return Equity Swaps im Fall Schaeffler/Continental Habersack, AG 2008, 817 ff.; Schanz, DB 2008, 1899 ff.; Uwe H. Schneider/Brouwer, AG 2008, 557 ff.; Weber/Meckbach, BB 2008, 2022 ff.; a.A. Fleischer/Schmolke, ZIP 2008, 1501 ff.
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übung von Mitgliedschaftsrechten in der Situation zu verhindern, dass eine verdeckte Beteiligung bereits gehalten wird. Vielmehr muss auch hier die zukünftige Möglichkeit, Stimmrechtseinfluss zu erwerben, mit einbezogen werden, denn dem Angreifer muss während der Vorbereitungsphase des Aktienerwerbs noch gar nicht daran gelegen sein, bereits Mitgliedschaftsrechte auszuüben. Konsequenterweise dürfte eine auf diesen Schutzzweck ausgerichtete Regelung nicht einzig und allein an den gegenwärtigen Einflussmöglichkeiten orientiert sein. bb) Zurechnung über § 22 II WpHG – Abgestimmtes Verhalten („Acting in Concert“) Die Regelung des § 22 II WpHG knüpft die Zurechnung von Stimmrechten an abgestimmtes Verhalten mehrerer Marktteilnehmer, das sog. „Acting in Concert“. Dem Meldepflichtigen werden nach dieser Vorschrift Stimmrechte eines Dritten zugerechnet, mit dem der Meldepflichtige oder sein Tochterunternehmen sein Verhalten in Bezug auf die börsennotierte Gesellschaft auf Grund einer Vereinbarung oder in sonstiger Weise abstimmt. Mit der Wendung „in sonstiger Weise“ erfasst die Regelung auch außervertragliche Absprachen und Koordinierungsmaßnahmen jedweder Art; lediglich das unkoordinierte Parallelverhalten löst naturgemäß keine Zurechnung aus.36 Insoweit ist allerdings schon äußerst fraglich, ob Vereinbarungen, die sich auf den gemeinsamen Erwerb von Aktien richten, von § 22 II WpHG überhaupt erfasst werden können. Nach der Änderung des § 22 II WpHG durch das Risikobegrenzungsgesetz 37 enthält die Vorschrift in § 22 II 2 WpHG nunmehr eine Legaldefinition des Terminus „abgestimmtes Verhalten“. Danach setzt ein abgestimmtes Verhalten voraus, „dass der Meldepflichtige oder sein Tochterunternehmen und der Dritte sich über die Ausübung von Stimmrechten verständigen oder mit dem Ziel einer dauerhaften und erheblichen Änderung der unternehmerischen Ausrichtung des Emittenten in sonstiger Weise zusammenwirken“. Der Entwurf der Bundesregierung zum Risikobegrenzungsgesetz sah dagegen außerdem noch vor, in § 22 II 1 WpHG einen Passus einzufügen, der ausdrücklich eine Vereinbarung über den Erwerb von Aktien des Emittenten mit einbezogen hätte. Die Regierungsbegründung führt hierzu aus, mit der Neufassung von § 22 II WpHG solle der restriktiven Auslegung der Parallelnorm des § 30 II WpÜG durch den Bundesgerichtshof entgegengetreten werden.38 Dieser hatte entschieden, dass § 30 II
36 Von Bülow, in: Kölner Komm. z. WpHG, 2007, § 22 Rdnr. 154; Opitz, in: Schäfer/ Hamann, Kapitalmarktgesetze, 2. Aufl. (2006), § 22 WpHG Rdnr. 83a; Schwark, Kapitalmarktrechtskommentar, 3. Aufl. (2004), § 22 WpHG Rdnr. 20. 37 O. Fußn. 23. 38 BT-Drucks. 16/7438, S. 11.
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WpÜG nur solche Vereinbarungen erfasst, die sich auf die Stimmrechtsausübung in der Hauptversammlung beziehen.39 Das Risikobegrenzungsgesetz enthält die genannte Änderung allerdings nicht mehr. Aus dieser dokumentierten Änderung des gesetzgeberischen Willens während des Gesetzgebungsverfahrens schließen einige, dass § 22 II WpHG jedenfalls in seiner geänderten Fassung keine Vereinbarungen erfassen kann, die sich auf den bloßen Erwerb von Aktien richten.40 Andere weisen unabhängig von der Neufassung der Vorschrift durch das Risikobegrenzungsgesetz darauf hin, dass die Regierungsbegründung zur Parallelnorm § 30 II WpÜG 41 den § 2 V WpÜG in Bezug nehme, der ausdrücklich auch den Erwerb von Aktien der Zielgesellschaft erfasst 42. Des Weiteren soll auch das Erfordernis einer richtlinienkonformen Auslegung im Fall von § 30 II WpÜG dazu führen, dass der abgestimmte Aktienerwerb als „Acting in Concert“ beachtlich sein muss: Die in Art. 5 I 1 i.V.m. Art. 2 I lit. d der Übernahmerichtlinie 43 getroffene Regelung beziehe sich auf den Erwerb eines ausreichend großen Stimmrechtsanteils und damit auch auf den koordinierten Erwerb von Aktien.44 Befürwortet man darüber hinaus eine inhaltlich gleichlaufende Auslegung von § 30 II WpÜG und § 22 II WpHG45, so wäre diese Wertung auf § 22 II WpHG zu übertragen. Angesichts der Uneinheitlichkeit von erklärter gesetzgeberischer Intention, höchstrichterlicher Rechtsprechung und Wortlaut der gesetzten Regelungen kann nach alledem die Rechtslage in diesem Bereich als unklar bezeichnet werden. Sieht man das abgestimmte Verhalten beim Aktienerwerb als grundsätzlich von § 22 II WpHG erfasst an, so kann je nach Ausgestaltung der konkreten Vereinbarungen eine Konstellation wie im Fall Schaeffler/Continental im Einzelfall als „Acting in Concert“ im Sinne der Vorschrift zu werten sein. Dies setzt in Abgrenzung zum bloßen Parallelerwerb zunächst voraus, dass (in irgendeiner, nicht notwendigerweise rechtlich bindenden Form) ein Einverständnis über das Ziel des Aktienerwerbs herbeigeführt wurde, dass es also für den einzelnen Total Return Payer zumindest ersichtlich war, dass die mit ihm durchgeführte Transaktion Teil eines größeren Gesamtplanes war,
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Urteil vom 18.9.2006 – II ZR 137/05 = BGHZ 169, 98 ff. König, BB 2008, 1910 (1911); Weber/Meckbach, BB 2008, 2022 (2025 f.). 41 BT-Drucks. 14/7034, S. 54, 34. 42 Schanz/Schalast (o. Fußn. 31), S. 22. 43 Richtlinie 2004/25/EG v. 21.4.2004, ABl. Nr. L 142 vom 30.4.2004, S. 12 ff. 44 Berger/Filgut, AG 2004, 592 (600); Mülbert, NZG 2004, 633 (637, 641); Engert, ZIP 2006, 2105 (2111). 45 So die Begr. zum RegE des WpÜG, BT-Drucks. 14/7034, S. 53, 70, mit dem Argument, auf diese Weise würden „Irritationen am Kapitalmarkt vermieden, die bei unterschiedlichen Zurechnungsmethoden auftreten würden“. Dagegen Uwe H. Schneider, in: Assmann/Schneider, WpHG, 4. Aufl. (2006), § 22 Rdnr. 12, mit Verweis auf unterschiedliche Schutzzwecke und mit weiteren Nachweisen zum Meinungsstand. 40
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und dass es weiterhin dem Total Return Receiver darauf ankam, mit Hilfe der Transaktion einen Kontrollanteil an der Zielgesellschaft zu erlangen.46 Freilich sollte unter anderem genau diese Erkennbarkeit (oder zumindest ihr Nachweis) offenbar durch die gewählte Konstruktion der Einbindung mehrere einzelner, voneinander unabhängiger Banken verhindert werden.47 Insoweit stellen sich in der Praxis schwierige Beweisprobleme. Unter anderem wurde in diesem Zusammenhang allerdings darauf hingewiesen, dass eine Transaktion von dieser Gesamt-Größenordnung notwendigerweise eine gewisse Koordinierung, insbesondere im Sinne einer zeitlichen Streckung, erfordert, weil ansonsten merkliche Preiseffekte auftreten würden.48 Zumindest die Aktien, die von denjenigen Beteiligten gehalten werden, die diese Verfahrensherrschaft ausüben oder von ihr Kenntnis haben, wären demnach im Rahmen von § 22 II WpHG wechselseitig zuzurechnen. c) Halten von Finanzinstrumenten, § 25 WpHG § 25 WpHG sieht Meldepflichten für das Halten von Finanzinstrumenten vor, die ihrem Inhaber das Recht verleihen, einseitig im Rahmen einer rechtlich bindenden Vereinbarung mit Stimmrechten verbundene und bereits ausgegebene Aktien eines Emittenten zu erwerben. Die Vorschrift bildet einen eigenständigen, die Meldepflicht auslösenden Tatbestand und keine Zurechnungsnorm. Sie zielt aber wie § 22 WpHG darauf ab, Umgehungsgestaltungen zu erfassen sowie sicher zu stellen, dass der Emittent und die (Minderheits-)Anleger ausreichend informiert werden.49 In der noch gültigen Fassung der Vorschrift steht die Mitteilungspflicht aus § 25 WpHG selbstständig neben der aus den §§ 21, 22 WpHG, so dass grundsätzlich keine Zusammenrechnung mit Beteiligungen nach §§ 21, 22 WpHG stattfindet.50 Nach der Änderung des § 25 WpHG durch das Risikobegrenzungsgesetz, die am 1. März 2009 in Kraft tritt, ist demgegenüber eine Aggregation beider Tatbestände vorgesehen, § 25 I 3 1. Hs. n.F. WpHG. Werden also sowohl Aktien als auch sonstige Finanzinstrumente gehalten, so 46 Vgl. Weber/Meckbach, BB 2008, 2022 (2028 f.), die diese Fragen allerdings im Kontext von § 22 I Nr. 2 WpHG diskutieren. 47 In diesem Zusammenhang weisen Weber/Meckbach, BB 2008, 2022 (2024) darauf hin, dass die gewählte Gestaltung offensichtlich allein dem einen Zweck dienen kann, unter Nichterfüllung des Wortlauts der einschlägigen Normen den nach dem Gesetz maßgeblichen wirtschaftlichen Erfolg herbeizuführen, und diskutieren, ob demnach die gewählte Gestaltung unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Umgehungsverbotes unzulässig ist. 48 Weber/Meckbach, BB 2008, 2022 (2026). 49 Begr. RegE zu § 25 WpHG, BT-Drucks. 16/2498, S. 37. 50 Dies hat momentan noch zur Konsequenz, dass der Erwerb von 2,99 % der stimmrechtsberechtigten Aktien und der zeitgleiche Erwerb von Finanzinstrumenten, die das Recht zum Erwerb von 4,99 % an stimmrechtsberechtigten Aktien ermöglichen, noch keine Mitteilungspflicht auslösen. Vgl. Hutter/Kaulamo, NJW 2007, 471 (476).
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findet in Zukunft eine Zusammenrechnung der mit diesen Beständen verbundenen Stimmrechte statt. Dadurch soll die Eingangsmeldeschwelle früher erreicht und die Meldedichte erhöht werden 51. Der ebenfalls ab diesem Zeitpunkt geltende neu gefasste § 25 I 3 2. Hs. WpHG stellt sicher, dass dinglich ausgestaltete Optionen, die neben § 25 I WpHG auch § 22 I 1 Nr. 5 WpHG unterfallen, bei der Berechnung des Stimmrechtsanteils nicht doppelt gezählt werden 52. Im Übrigen sieht der neue § 25 I 4 WpHG vor, dass die Meldepflicht aufgrund der Aggregation auf die Fälle beschränkt ist, in denen durch die Zusammenrechnung erneut eine gesetzliche Meldeschwelle erreicht, überschritten oder unterschritten wird, so dass eine doppelte Mitteilung nicht erfolgen muss.53 § 25 WpHG stellt maßgeblich darauf ab, dass ein rechtsverbindlicher Anspruch auf Erwerb der zugrunde liegenden Aktie gegeben ist.54 Der Erwerb darf nicht von äußeren Umständen abhängen, sondern muss im alleinigen Ermessen des Inhabers des Finanzinstruments stehen. Der Begriff der „sonstigen Finanzinstrumente“ umfasst insbesondere als Kauf, Tausch oder durch anderweitigen Bezug auf den Basiswert ausgestaltete Festgeschäfte mit Aktien als Basiswert 55, zu denen auch Equity Swaps gehören. Sind diese allerdings „cash settled“, also mittels einer Ausgleichszahlung abzuwickeln, so fehlt es gerade am erforderlichen rechtsverbindlichen Anspruch auf Erwerb der Aktie.56 Zu diskutieren ist insoweit lediglich, ob eine analoge Anwendung der Vorschrift in Betracht kommt, wenn Gestaltungen gewählt werden, die im Ergebnis zu einer wirtschaftlichen Lage führen, die es dem Total Return Receiver ermöglicht, dem Total Return Payer nach der Kündigung des Swaps einen Verkauf an ihn geradezu aufzuzwingen – bei denen er im wirtschaft51
Begr. RegE zum Risikobegrenzungsgesetz, BT-Drucks. 16/7438, S. 12. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/7438, S. 12. Die Regierungsbegründung zum Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz erwähnt im Kontext von § 25 WpHG, dass der Begriff „Erwerb“ im Sinne von § 22 I Nr. 5 WpHG dahingehend zu verstehen sei, dass ausschließlich ein dinglicher Anspruch auf Erlangung des Eigentums an einer Aktie erfasst ist, Begr. RegE zu § 25, BT-Drucks. 16/2498, S. 37. Zu der Streitfrage, ob schuldrechtliche Verträge ohne dingliche Verankerung, die einen Anspruch auf Abschluss des Erwerbsgeschäftes begründen, zur Zurechnung nach § 22 I Nr. 5 WpHG führen ausführlich Uwe H. Schneider, in: Assmann/Schneider, WpHG, 4. Aufl. (2006), § 22 Rdnrn. 89 ff. m.w.N. zum Meinungsstand vor Umsetzung der Transparenzrichtlinie. 53 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/7438, S. 12. 54 Begr. RegE zum Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz, § 25 WpHG, BT-Drucks. 16/2498, S. 36; Hutter/Kaulamo, NJW 2007, 471 (475). 55 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/2498, S. 36. 56 Hutter/Kaulamo, NJW 2007, 471 (475); Fleischer/Schmolke, ZIP 2008, 1501 (1504); Weber/Meckbach, BB 2008, 2022 (2024); dezidiert a.A. jetzt Uwe H. Schneider/Brouwer, AG 2008, 557 (562 ff.), die unter Verweis auf Umgehungsgesichtspunkte und Beweisschwierigkeiten auch „Gentlemen’s Agreements“ bzw. „das Verständnis beider Parteien, dass mit Aktien erfüllt werden soll“, ausreichen lassen wollen; a.A. offenbar auch Schanz, DB 2008, 1901 (1905). 52
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lichen Ergebnis aufgrund der faktischen Lage des Total Return Payers also genauso gestellt ist, als hätte er gegen diesen einen rechtswirksamen Anspruch auf Erwerb der Aktie.57 Für das Vorliegen einer solchen Konstellation spricht – unter der Voraussetzung, dass sich der Total Return Payer durch den Erwerb der Aktie gesichert hat, was unsicher ist – folgendes: Der Angreifer kann vor dem Zeitpunkt der Kündigung des Swaps bereits das öffentliche Angebot stellen. Der Angebotspreis wird dabei notwendigerweise über dem Marktpreis der Aktie liegen. Zwar könnte der Total Return Payer die Aktien trotzdem am Markt verkaufen, das wäre aber offensichtlich wirtschaftlich unsinnig. Er könnte auch die Aktie halten, trüge aber aufgrund der Kündigung des Swaps nun selbst das wirtschaftliche Risiko aus der Aktie und liefe Gefahr, nach erfolgreicher Übernahme einen wesentlich niedrigeren Preis zu erzielen – außer, er machte von der „Zaunkönigregelung“ des § 16 II WpÜG Gebrauch. Jedenfalls ist nicht plausibel, aus welchen Gründen er sich bei Kündigung des Swaps gleichwohl entschließen sollte, die Aktie zu halten, so dass er aller Wahrscheinlichkeit nach in das Angebot hinein verkaufen würde. Eine Analogie wäre demnach denkbar, muss letztendlich aber aus vergleichbaren Erwägungen scheitern, wie sie vorstehend schon im Rahmen der Überlegungen zu § 22 I 1 Nr. 2 WpHG angestellt wurden: Das Verhalten des Total Return Payers ist für den Total Return Receiver nicht einschätzbar. Daneben ist auch ein Verstoß gegen § 25 I WpHG bußgeldbewehrt 58, so dass auch insoweit die Wortlautgrenze maßgeblich ist. Auch die BaFin hat sich gegen eine solche Analogie ausgesprochen 59.
2. Pflicht zur Veröffentlichung der Angebotsabsicht oder zur Abgabe eines Übernahmeangebotes nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) a) Pflicht zur Abgabe eines Übernahmeangebotes, § 35 I WpÜG Im Rahmen des Übernahmerechts ist zunächst auf die Frage einzugehen, ob bereits aufgrund des Abschlusses der Swaps die mittelbare Kontrolle über die Zielgesellschaft erworben wurde, was den Angreifer nach § 35 I, II WpÜG zur Abgabe eines Übernahmeangebotes und Abfindung aller Min57 Vgl. zum Folgenden Hu/Black, 79 S. Cal. L. Rev. 2005–2006, 811 (837 f.); Zetzsche, Universität Düsseldorf Center for Business and Corporate Law Research Paper Series (CBC-RPS) No. 0039 (07/2008), „Continental AG vs. Schaeffler, Hidden Ownership and European Law – Matter of Law, or Enforcement?“, abrufbar unter http://papers.ssrn.com/ sol3/papers.cfm?abstract_id=1170987, S. 13 ff.; Weber/Meckbach, BB 2008, 2022 (2023). 58 Vgl. § 39 II Nr. 2f WpHG. 59 Pressemitteilung „BaFin: Keine Verletzung von Meldepflichten bei Übernahmeverfahren Continental AG festgestellt“, 21.8.2008, veröffentlicht unter http://www.bafin.de/ cln_116/nn_722758/SharedDocs/Mitteilungen/DE/Service/PM_2008/pm_080821_conti.html.
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derheitsaktionäre verpflichtet hätte. Die „Kontrolle über eine Zielgesellschaft“ wird durch § 29 II WpÜG als das Halten von mindestens 30 % der Stimmrechte an der Zielgesellschaft definiert. Ein unmittelbarer Erwerb der Kontrolle erfolgt in der Regel durch den Erwerb von stimmberechtigten Aktien. Der mittelbare Kontrollerwerb erfolgt durch die Verwirklichung des Zurechnungstatbestandes des § 30 WpÜG, der inhaltlich im Wesentlichen § 22 WpHG entspricht.60 Die oben zu § 22 I 1 Nr. 2 und II WpHG angestellten Überlegungen können daher grundsätzlich auf § 30 I Nr. 2 und II WpÜG übertragen werden mit dem Ergebnis, dass auch insoweit eine Zurechnung allein aufgrund des Abschlusses der Swapgeschäfte ausscheiden muss.61 b) Pflicht zur Veröffentlichung der Angebotsabsicht, § 10 WpÜG Fraglich ist weiterhin, zu welchem Zeitpunkt ein Bieter, der ein Angebot mit Hilfe von Total Return Equity Swaps vorbereiten möchte, verpflichtet ist, seine Entscheidung zur Abgabe eines Übernahmeangebotes zu veröffentlichen und der Zielgesellschaft mitzuteilen (§ 10 I, V WpÜG; die sog. Vorankündigung). Insoweit wird vereinzelt vertreten, eine solche Pflicht bestünde bereits im Zeitpunkt des ersten Auftrags an die Banken, die Swap-Geschäfte abzuschließen, da spätestens in diesem Zeitpunkt die Übernahmeabsicht nach außen erkennbar manifestiert war.62 Der Gesetzestext enthält zu der Frage, wann eine „Entscheidung“ im Sinne der Vorschrift vorliegt, keine konkreten Vorgaben. Zweck der Regelung ist es, die Öffentlichkeit frühzeitig über marktrelevante Daten zu informieren und damit das Ausnutzen von Spezialwissen zu verhindern.63 Zugleich soll es den Aktionären der Zielgesellschaft durch die Einräumung einer gewissen Karenzzeit ermöglicht werden, sich auf den Übernahmeversuch einzustellen; die Vermeidung eines Informationsgefälles erfolgt auch mit Blick auf die Gleichbehandlung der Aktionäre (§ 3 I WpÜG).64 Nach gängiger Lesart liegt eine „Entscheidung“ 60 Gegen eine inhaltlich gleichlaufende Auslegung der beiden Vorschriften Uwe H. Schneider, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, 2006, § 30 Rdnr. 8; vgl. auch o. Fußn. 45. Die Bußgeldbewehrung ergibt sich hier aus § 60 I Nr. 1a WpÜG. 61 BaFin, Pressemitteilung v. 21.8.2008; differenzierend Schanz/Schalast (o. Fußn. 31), S. 25 und Weber/Meckbach, BB 2008, 2022 (2030). Die BaFin hat die Frage des Kontrollerwerbs aufgrund der Zurechnung der Swaps im Fall Schaeffler/Continental bereits dadurch implizit verneint, dass sie im Rahmen ihrer Prüfung der Angebotsunterlage (vom 30. Juli 2008, abrufbar unter http://www.schaeffler-angebot.de/index.php?id=65) das Angebot als freiwilliges öffentliches Übernahmeangebot zugelassen hat, vgl. §§ 14 II, 15 I Nr. 2 WpÜG. 62 Schanz/Schalast (o. Fußn. 31), S. 28 f.; Schanz, DB 2008, 1899 (1905). 63 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 39; Thoma/Stöcker, in: Baums/Thoma, WpÜG, Stand Mai 2007, § 10 Rdnr. 7; Hirte, in: Kölner Komm. z. WpÜG, 2003, § 10 Rdnr. 2. 64 Liebscher, ZIP 2001, 853 (860); Thoma/Stöcker, in: Baums/Thoma, WpÜG, Stand Mai 2007, § 10 Rdnr. 7; Noack, in: Schwark, Kapitalmarktrechtskommentar, 3. Aufl. (2004), § 10 WpÜG Rdnr. 1; zu weiteren Schutzrichtungen Oechsler, in: Ehricke/Ekkenga/Oechsler, WpÜG, 2003, § 10 Rdnr. 3.
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in diesem Sinne grundsätzlich dann vor, wenn die Meinungsbildung des Bieters am Ende eines mehrstufigen Analyse- und Willensbildungsprozesses ihren Abschluss gefunden hat; solange Prüfungs- und Beratungsaktivitäten andauern, ist die Phase der Entscheidungsvorbereitung noch nicht beendet 65. Bei Kapitalgesellschaften in der Rolle des Bieters stellt sich ähnlich wie im Recht der ad-hoc-Publizität (§ 15 WpHG) das Problem der rechtlichen Würdigung mehrstufiger Entscheidungsfindungsprozesse. § 10 I 2 WpÜG stellt insoweit klar, dass jedenfalls die Entscheidung der Gesellschafterversammlung nicht abgewartet werden darf; die gegebenenfalls erforderliche Zustimmung des Aufsichtsrates soll hingegen nach überwiegender Auffassung zuerst herbeigeführt werden dürfen.66 Letztlich muss es darauf ankommen, ob sich die Angebotsabsicht des Bieters so weit verdichtet hat, dass gerade auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ein Abrücken vom Plan der Abgabe eines Angebots nicht mehr ernstlich in Betracht kommt.67 Umfangreiche Paketerwerbe im Vorfeld der späteren Entscheidung bilden nach verbreiteter Auffassung ein Indiz dafür, dass diese Voraussetzung erfüllt ist und die formale Entscheidungsfindung allenfalls noch verzögert wird.68
IV. Die rechtliche Beurteilung von Total Return Equity Swaps nach US Recht 1. Meldepflichten nach dem Securities Exchange Act a) Rechtsgrundlagen der Meldepflichten Die Meldepflichten im Falle eines Aktienerwerbs, bei dem eine bestimmte Beteiligungsquote überschritten wird, wurden in den USA im Jahr 1968 als Bundesgesetz durch den sog. Williams Act 69 eingeführt. Der Williams Act
65 Liebscher, ZIP 2001, 853 (859); Thoma/Stöcker, in: Baums/Thoma, WpÜG, Stand Mai 2007, § 10 Rdnr. 11; Noack, in: Schwark, Kapitalmarktrechtskommentar, 3. Aufl. (2004), § 10 WpÜG Rdnr. 6; vgl. Hirte, in: Kölner Komm. z. WpÜG, 2003, § 10 Rdnrn. 26 ff. 66 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 39; Assmann, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, 2006, § 10 Rdnr. 16 m.w.N. 67 Liebscher, ZIP 2001, 853 (860); Thoma/Stöcker, in: Baums/Thoma, WpÜG, Stand Mai 2007, § 10 Rdnr. 17 m.w.N. 68 Liebscher, ZIP 2001, 853 (860 f.); Noack, in: Schwark, Kapitalmarktrechtskommentar, 3. Aufl. (2004), § 10 WpÜG Rdnr. 7; Hirte, in: Kölner Komm. z. WpÜG, 2003, § 10 Rdnr. 27. 69 Der Williams Act (82 Stat. 454 (1968)), der auch die Durchführung öffentlicher Übernahmeangebote regelt, ist nach Senator Harrison A. Williams benannt, der den Gesetzesvorschlag erarbeitet hat. Hauptanliegen des Williams Act ist der Schutz der Anteilseigner einer Zielgesellschaft durch Statuierung einer vollen Publizitätsgewährung, insbesondere
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fügte in den Exchange Act einen neuen § 13(d) ein, zu dem in den Folgejahren von der US Wertpapieraufsichtsbehörde Securities and Exchange Commission („SEC“) zahlreiche Ausführungsvorschriften, sog. Rules, erlassen wurden. Gemäß § 13(d) und dem im Jahr 1977 neu hinzugefügten § 13(g) SEA70 unterliegen Aktionäre einer Gesellschaft, deren Aktien gemäß § 12 SEA registriert sind 71, die direkt oder indirekt wirtschaftliche Eigentümer (Beneficial Owners) von mehr als 5 % der ausstehenden Aktien solcher Gesellschaft werden, bestimmten Meldepflichten.72 Zielsetzung von
über die Hintergründe des Aktienerwerbs bzw. der Übernahme, die Absichten des Erwerbers bzw. Bieters und seine finanzielle Situation. Aus den Gesetzesmaterialien des Williams Act ergibt sich, dass beim Entwurf des Gesetzes großer Wert darauf gelegt wurde, weder das Management der Zielgesellschaft noch den Erwerber bzw. Bieter zu übervorteilen. Siehe S. Rep. No. 550, 90th Cong., 1st Sess. 3 (1967); H.R. Rep. No. 1711, 90th Cong., 2d Sess. 4 (1968); Rondeau v. Mosinee Paper Corp., 422 U.S. 49, 58–59 (1975). 70 § 13(g) SEA wurde durch den Domestic and Foreign Investment Disclosure Act von 1977 (91 Stat. 1498 (1977)) in den Exchange Act eingefügt, um formelle Regelungslücken in § 13(d) SEA zu schließen. 71 Gemäß § 12 SEA müssen Gesellschaften ihre Aktien mit der SEC registrieren, wenn entweder die Aktien an einer US Börse notieren (§ 12(b) SEA) oder die Gesellschaft eine Bilanzsumme von mehr als $ 1 Million hat und ihre Aktien weltweit von mehr als 500 Aktionären gehalten werden (§ 12(g) SEA). In Ausführungsvorschriften zu § 12(g) SEA hat die SEC den Schwellwert für die Bilanzsumme auf $ 10 Millionen angehoben und, insbesondere für ausländische Emittenten, Ausnahmen von der Registrierungspflicht eingeführt. Die wesentlichsten Ausnahmebestimmungen für ausländische Emittenten finden sich in SEA Rule 12g3-2: gemäß Absatz (a) sind all jene Gesellschaften von der Registrierungspflicht ausgenommen, die weniger als 300 US-Aktionäre haben; gemäß Absatz (b) sind selbst Gesellschaften mit mehr als 300 US-Aktionären ausgenommen, wenn sie jene wesentlichen Informationen, die sie in ihrem Heimatstaat veröffentlichen oder an ihre Aktionären verteilen, auch in englischer Übersetzung bzw. Zusammenfassung auf Ihrer Internet Webseite zugänglich machen. 72 Zusätzlich zu § 13(d) und (g) SEA sehen § 16(a) SEA sowie darunter erlassene Ausführungsvorschriften Meldepflichten für bestimmte, in § 16(a) aufgezählte „Insider“ von Gesellschaften vor, deren Aktien gemäß § 12 SEA registriert sind; anders als nach § 13(d) und (g) SEA ist § 16 SEA jedoch nicht auf sog. Foreign Private Issuers anwendbar, d.h. auf ausländische Gesellschaften, die zu weniger als der Hälfte von Personen mit Wohnsitz in den USA gehalten werden und deren Geschäft und Vermögen schwerpunktmäßig außerhalb der USA anzusiedeln sind. Als Insider gelten neben Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern sowie Geschäftsführern (Officers and Directors) auch Beneficial Owners von mehr als 10 % der ausstehenden Aktien der jeweiligen Zielgesellschaft. Zusätzlich zu den Meldepflichten des § 16(a) SEA sieht § 16(b) SEA vor, dass die in § 16(a) SEA genannten Insider jene Gewinne, die sie aus dem Handel mit Aktien der Zielgesellschaft innerhalb einer Spekulationsfrist von sechs Monaten erzielen (sog. Short-Swing Profits) an die Gesellschaft abführen müssen. Für die Frage, ob ein Aktionär als Insider i.S. des § 16(a) SEA gilt, ist der Beneficial Ownership Begriff von § 13(d) SEA maßgeblich. Sobald ein Insider grundsätzlich von § 16 SEA erfasst ist, beziehen sich die Melde- und Gewinnabführungspflichten auf alle finanziellen Interessen (Pecuniary Interests) des Insiders an Aktien der Zielgesellschaft. Vom Begriff der Pecuniary Interests sind unstrittig auch die Positionen eines Total Return Receivers aus einem Total Return Equity Swap erfasst.
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§ 13(d) und (g) ist es, ein „Anschleichen“ an eine Zielgesellschaft im Vorfeld eines Kontrollwechsels in Form einer heimlichen Akkumulation von Aktienbeständen durch Publizität gegenüber dem Markt und dem Zielunternehmen zu verhindern.73 Meldepflichtige Aktionäre müssen innerhalb von 10 Tagen nach Überschreitung einer Beteiligungsquote von 5 % einen sog. Schedule 13D bei der SEC einreichen 74; zusätzlich muss der Schedule 13D auch an die Gesellschaft und die US-Börse, an der die Aktien notieren, übermittelt werden. Schedule 13D verlangt vom Aktionär zahlreiche Angaben, u.a. zur Stückzahl der erworbenen Aktien, der Identität des Aktionärs, der Herkunft und Höhe der für den Erwerb aufgewendeten Mittel, zu Transaktionen des Aktionärs in den Aktien der Zielgesellschaft während der letzten 60 Tage und den Absichten, die der Aktionär mit dem Erwerb der Beteiligung verfolgt. Weiterhin müssen allfällige bestehende Verträge oder Abreden mit Dritten bezüglich der erworbenen Aktien im Schedule 13D offen gelegt werden.75 Kommt es zu einer wesentlichen Änderung der in Schedule 13D enthaltenen Angaben, so muss unverzüglich (promptly) 76 ein abgeänderter Schedule 13D bei der SEC eingereicht und dem Emittenten sowie der relevanten Börse übermittelt werden. Der Erwerb oder die Veräußerung von 1 % oder mehr der ausstehenden Aktien der Zielgesellschaft gilt dabei jedenfalls als eine wesentliche Änderung, welche die Pflicht zur Einreichung eines abgeänderten Schedule 13D auslöst.77 73 Vgl. Treadway Cos., Inc. v. Care Corp., 638 F.2d 357, 380 (2d Cir. 1980): das Ziel von § 13(d) SEA „is to alert the marketplace to every large, rapid aggregation or accumulation of securities … which might represent a potential shift in corporate control.“ 74 Bestimmte qualifizierte institutionelle Investoren, wie Banken oder Investmentgesellschaften, und passive Investoren, deren Beteiligungsquote an der Zielgesellschaft weniger als 20 % beträgt, können den Aktienerwerb anstatt auf Schedule 13D auf dem einfacheren Schedule 13G melden, sofern die Aktien nicht mit dem Effekt oder in der Absicht erworben wurden, die Kontrolle der Zielgesellschaft zu ändern oder zu beeinflussen (SEA Rule 13d-1(b)(1); SEA Rule 13d-1(c)). Qualifizierte institutionelle Investoren müssen die Meldung auf Schedule 13G auch erst innerhalb von 45 Tagen nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Aktienerwerb erfolgt ist, und nicht bereits innerhalb von 10 Tagen nach dem Erwerb, bei der SEC einreichen bzw. der Zielgesellschaft übermitteln (SEA Rule 13d1(b)(2)). Vgl. auch Hutter, in: Semler/Volhard, Arbeitshandbuch für Unternehmensübernahmen I, 2001, § 23 Rdnrn. 260, 261. 75 § 13(d) SEA; Schedule 13D SEA. In Deutschland wurden durch das Risikobegrenzungsgesetz ähnlich weitgehende Offenlegungspflichten, allerdings nur für Meldepflichtige, die die Schwelle von 10 % der Stimmrechte aus Aktien erreichen oder überschreiten, eingeführt; vgl. § 27a WpHG, der mit 31. Mai 2009 in Kraft tritt. 76 Wie zeitnah ein abgeänderter Schedule 13D eingereicht werden muss, um das Erfordernis der Unverzüglichkeit (Promptness) zu erfüllen, richtet sich im Einzelfall nach der erwarteten Auswirkung der Information auf den Markt. Unter Umständen kann es erforderlich sein, einen abgeänderten Schedule 13D noch an dem Tag einzureichen, an dem das Ereignis eingetreten ist, das die Änderung notwendig gemacht hat. Siehe dazu Bartos, United States Securities Law: A Practical Guide, 3rd Ed., S. 164. 77 SEA Rule 13d-2(a).
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b) Das „Beneficial Ownership“ Konzept Das „Beneficial Ownership“ Konzept im Allgemeinen Der Begriff der Beneficial Ownership ist von zentraler Bedeutung für die Meldepflichten nach § 13(d) und (g) SEA und für den Williams Act insgesamt.78 Die Meldepflichten nach § 13(d) und (g) SEA treffen grundsätzlich den Beneficial Owner von Aktien. Nach SEA Rule 13d-3(a) ist Beneficial Owner von Aktien, wer, direkt oder indirekt, sei es auf Grundlage eines Vertrages, einer Abmachung, einer Absprache, eines Verhältnisses oder auf sonstige Weise (i) die mit den Aktien verbundenen Stimmrechte ausüben oder über die Stimmrechtsausübung verfügen (Voting Power) oder (ii) über die Veräußerung der Aktien entscheiden kann (Investment Power).79 Für das Vorliegen von Beneficial Ownership ist rechtliches Eigentum an den Aktien nicht erforderlich 80; es reicht die faktische Kontrolle über die Ausübung der Voting oder Investment Power bezüglich der Aktien.81 Durch die weite Begriffsdefinition und -auslegung soll vermieden werden, dass sich jene Person, die faktisch Stimmrechts- oder Investitionsentscheidungen bezüglich Aktien trifft, hinter dem rein sachenrechtlichen Eigentümer der Aktien versteckt. Es sollen dadurch all jene Personen identifiziert werden, die in der Lage sind, die Kontrolle über die Zielgesellschaft zu ändern oder zu beeinflussen.82 Aus der Definition von Beneficial Owner ergibt sich, dass auch mehrere Personen gleichzeitig wirtschaftliches Eigentum an denselben Aktien haben und daher gegebenenfalls gemäß § 13(d) bzw. (g) meldepflichtig sein können:
78 „[B]eneficial ownership is the test. [The acquiring entity] might try to get around it, and that would be a violation of law, but the legal requirement is beneficial ownership.“ Aussage von Manuel F. Cohen, Chairman der SEC, in einer Anhörung vor dem Subcommittee on Commerce and Finance of the House Committee on Interstate and Foreign Commerce, 90th Cong., 2d Sess. 40–41 (1968), zitiert u.a. in CSX Corp. v. TCI, No. 08-Civ. 2764, Fußn. 153. 79 Der englische Originaltext von Rule 13d-3(a) lautet: „For the purposes of Sections 13(d) and 13(g) of the [Exchange] Act a beneficial owner of a security includes any person who, directly or indirectly, through any contract, arrangement, understanding, relationship, or otherwise has or shares: (1) Voting power which includes the power to vote, or to direct the voting of, such security; and/or (2) Investment power which includes the power to dispose, or to direct the disposition of, such security.“ 80 SEC v. Drexel Burnham Lambert Inc., 837 F. Supp. 587, 607 (S.D.N.Y. 1993), aff’d sub nom. SEC v. Posner, 16 F.3d 520 (2d Cir. 1994), cert. denied, 513 U.S. 1077 (1995). 81 Wellman v. Dickinson, 682 F.2d 355, 366–367 (2d Cir. 1982), cert. denied, 460 U.S. 1069 (1983). 82 Adoption of Beneficial Ownership Disclosure Requirements, Exchange Act Release No. 33-5808, 34-13291, 42 Fed. Reg. 12,342, 12,346 (March 3, 1977); Filing and Disclosure Requirements Relating to Beneficial Ownership, Exchange Act Release No. 33-5925, 34-14692, 43 Fed. Reg 18,484, 18,489 (April 28, 1978).
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Einerseits können Voting Power und Investment Power bezüglich derselben Aktien jeweils unterschiedlichen Personen zustehen 83, andererseits kann es auch sein, dass sich mehrere Personen Voting Power und/oder Investment Power teilen, etwa auf Grundlage einer vertraglichen Vereinbarung, wonach Stimmrechts- und/oder Dispositionsentscheidungen durch mehrere Personen nur gemeinsam getroffen werden können.84 Nach den Ausführungsvorschriften der SEC zu § 13(d) gilt auch als Beneficial Owner von Aktien, wer das Recht hat, die Aktien innerhalb von 60 Tagen zu erwerben.85 Die Ausführungsvorschriften enthalten eine nicht abschließende Aufzählung, woraus sich ein solches Recht auf den Erwerb von Aktien ergeben kann, nämlich aus Optionen oder Bezugsrechten, aus Wandlungsrechten, aus dem Recht, eine Treuhandschaft (trust), ein treuhänderisch verwaltetes Konto oder eine ähnliche Vereinbarung zu beenden bzw. aufzulösen oder aus der automatischen Beendigung bzw. Auflösung solcher Vereinbarungen.86 Die Behandlung von Total Return Equity Swaps nach dem „Beneficial Ownership“ Konzept Die Frage, ob dem Total Return Receiver unter einem Cash-Settled Total Return Equity Swap die Beneficial Ownership der Referenzaktien für Zwecke von § 13(d) und (g) SEA zurechenbar sein kann, ist insbesondere seit dem CSX Corp. Urteil offen.87 Jedenfalls bis zur CSX Corp. Entscheidung ging die Praxis davon aus, dass die Existenz eines Cash-Settled Total Return Swaps alleine beim Total Return Receiver noch keine Meldepflichten bezüglich der Referenzaktien auslöst. Untermauert wurde diese Auffassung unter anderem durch eine SEC Interpretation, wonach Erwerber von in bar abzuwickelnden Wertpapier-Terminkontrakten die zugrunde liegenden Wertpapiere für Zwecke der Feststellung ihrer Meldepflichten nach § 13(d) und (g) SEA nicht berücksichtigen müssen.88 Im Zusammenhang mit dem Rechts83 Etwa bei einem Investmentfonds, der zwar die Stimmrechte an Aktien selbst ausübt, die Investitionsentscheidungen aber an einen anderen Fondsmanager delegiert. 84 Siehe dazu auch die Erläuterungen zum Konzept der „Gruppe“ (Group) unter IV.1.b). 85 SEA Rule 13d-3(d)(1)(i). 86 Werden Rechte, die zum Erwerb von Aktien berechtigen, in der Absicht oder mit dem Effekt angeschafft, die Kontrolle der Zielgesellschaft zu ändern oder zu beeinflussen, so wird der Rechteinhaber sofort mit deren Anschaffung zum Beneficial Owner der gegenständlichen Aktien, auch wenn die Rechte nicht innerhalb von 60 Tagen ausgeübt werden können. SEA Rule 13d-3(1)(i). 87 Hingegen wird im Falle eines Total Return Equity Swaps, in dem Physical Settlement vereinbart ist (d.h. bei Ablauf oder Beendigung des Swaps sind die Referenzaktien zu liefern), aufgrund der Zurechnungsregel von SEA Rule 13d-3(d)(1)(i) eine solche Zurechnung generell erfolgen müssen. 88 Commission Guidance on the Application of Certain Provisions to Trading in Security Futures Products, 67 Fed. Reg. 43, 234, 43, 240 (June 27, 2002).
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streit CSX Corp. v. TCI erweiterte die Division of Corporation Finance der SEC diese Interpretation effektiv auf Cash-Settled Total Return Equity Swaps: In einer Stellungnahme als Amicus Curiae vertrat sie die Auffassung, dass ein typischer Cash-Settled Total Return Equity Swap für sich betrachtet dem Total Return Receiver noch nicht die erforderliche Investment oder Voting Power über die vom Total Return Payer im Rahmen von Deckungsgeschäften erworbenen Referenzaktien verschafft. Um Beneficial Ownership an den Referenzaktien zu begründen, sei ein Vertrag, Übereinkommen oder gemeinsames Verständnis bezüglich der Ausübung von Investment oder Voting Power erforderlich; die Schaffung eines rein wirtschaftlichen Anreizes, die Investment oder Voting Power in einer bestimmten Weise auszuüben, sei hingegen nicht ausreichend.89 Dieser Auffassung der SEC Division of Corporation Finance als Amicus Curiae schloss sich das Gericht in CSX Corp. nicht an.90 Zwar traf das Gericht zur Frage, ob TCI die Beneficial Ownership der von den SwapCounterparties gehaltenen Referenzaktien gemäß SEA Rule 13d-3(a) zuzurechnen war, keine rechtsverbindliche Aussage, doch äußerte sich Richter Kaplan im Rahmen der Dicta 91 dahingehend, dass es im konkreten Fall „erhebliche Gründe“ (Substantial Reasons) gäbe, die für eine solche Zurechnung sprechen.92 Insbesondere habe TCI faktisch einen wesentlichen Ein89 Amicus Curiae Stellungnahme der SEC Division of Corporation Finance in CSX Corp. v. TCI vom 4. Juni 2008. In einem Begleitschreiben wies der General Counsel der SEC, Brian G. Cartwright, das Gericht darauf hin, dass die Amicus Curiae Stellungnahme die Auffassung der Mitarbeiter der Division of Corporation Finance, aber nicht notwendigerweise auch die der SEC, widerspiegele, da aus Zeitgründen keine formelle Abstimmung unter den Kommissionsmitgliedern erfolgen konnte. 90 Nach dem Prinzip der sog. Deference ist die Auslegung einer Ausführungsvorschrift in Amicus Curiae Stellungnahmen durch jene Behörde, welche die Ausführungsvorschrift erlassen hat, für Gerichte verbindlich, außer die Auslegung ist eindeutig fehlerhaft oder mit den Ausführungsvorschriften unvereinbar; siehe Auer v. Robbins, 519 U.S. 452, 461 (1997). Im CSX Corp. Rechtsstreit sah das Gericht die Auslegung von SEA Rule 13d-3 in der Amicus Curiae Stellungnahme der SEC Division of Corporation Finance allerdings nicht als verbindlich an, weil die Amicus Curiae Stellungnahme nur von den Mitarbeitern einer Abteilung der SEC und nicht von der SEC insgesamt verfasst wurde; siehe CSX Corp. v. TCI, No. 08-Civ. 2764, Fußn. 205. Vor dem Hintergrund anderer Präzedenzfälle ist diese Auffassung des Gerichts jedoch fragwürdig; siehe Long Island Care at Home v. Coke, 127 S. Ct. 2339, 2349 (2007); Taylor v. Vermont Dep’t of Educ., 313 F.3d 768, 780 n. 7 (2d Cir. 2002). 91 „Dicta“ ist der in der US-amerikanischen Rechtssprache gebräuchliche Ausdruck für Obiter Dicta, die in einer Entscheidung eines Gerichts geäußerten Rechtsansichten, welche die gefällte Entscheidung nicht tragen, sondern nur geäußert wurden, weil sich die Gelegenheit dazu bot. Dicta entfalten keine präjudizielle Bindungswirkung, sind aber ein Indikator dafür, wie das Gericht eine Rechtsfrage entscheiden würde. 92 Vgl. CSX Corp. v. TCI, No. 08-Civ. 2764, S. 60 ff. Die Entscheidung des Gerichts in CSX Corp., TCI die Beneficial Ownership der Referenzaktien zuzurechnen, gründete sich hingegen darauf, dass das Gericht den unter D.1.c. näher erläuterten Umgehungstatbestand von SEA Rule 13d-3(b) verwirklicht sah.
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fluss auf die Entscheidung der Banken, die als Swap-Counterparties agierten, ausgeübt, CSX Corp. Aktien zu kaufen bzw. zu verkaufen und damit Investment Power besessen; es sei nämlich zu erwarten gewesen, dass die Banken das Kursrisiko der CSX Corp. Aktien auf marktübliche Weise – durch den Erwerb der Referenzaktien bei Abschluss des Swaps und Verkauf derselben bei Beendigung des Swaps – absichern würden.93 Die SEC Interpretation betreffend die Behandlung von Wertpapier-Terminkontrakten 94 hielt das Gericht für die Beantwortung der Frage nach der Zurechenbarkeit von Referenzaktien, die Cash-Settled Total Return Equity Swaps unterliegen, für nicht einschlägig, da es sich bei Wertpapier-Terminkontrakten, im Gegensatz zu Total Return Equity Swaps, um „unpersönliche, börsengehandelte Transaktionen“ handle.95 Folgt man der – fraglichen – Auffassung des Gerichts, wonach die Schaffung eines rein wirtschaftlichen Anreizes für die Begründung von Beneficial Ownership ausreicht, ist diese Differenzierung zwischen Wertpapier-Terminkontrakten und Total Return Equity Swaps im Ergebnis durchaus richtig. Allerdings ist wohl eher die jederzeitige Beendbarkeit von Total Return Equity Swaps das relevante Unterscheidungsmerkmal. Nur durch die frühzeitige Beendigung des Swaps hat es nämlich der Total Return Receiver in der Hand, von sich aus einen wirtschaftlichen Anreiz für den Total Return Payer zu schaffen, die zu Absicherungszwecken erworbenen Referenzaktien wieder zu veräußern. Auch dafür, dass TCI in einer Position war, zumindest einige ihrer SwapCounterparties in deren Ausübung der Stimmrechte bezüglich der CSX Corp. Aktien zu beeinflussen, sah das Gericht Anhaltspunkte.96 Diese knüpften jedoch sehr stark am konkreten Sachverhalt an – insbesondere bemerkte das Gericht, dass TCI ihre Swap Positionen bei jenen Banken konsolidierte, von denen TCI erwartete, dass sie ihre Stimmrechte im Proxy Contest entsprechend den Vorstellungen von TCI ausüben oder sich zumindest der Stimme enthalten würden 97 – und ergaben sich nicht unmittelbar aus der Ausgestaltung oder Funktionsweise der Total Return Equity Swaps. Letztendlich hängt also die Beurteilung von Cash-Settled Total Return Equity Swaps unter SEA Rule 13d-3(a) von der Rechtsfrage ab, ob eine Person Investment Power in Bezug auf Aktien allein dadurch erwirbt, dass sie gegenüber dem sachenrechtlichen Eigentümer einen wirtschaftlichen Anreiz schafft, die Aktien zu veräußern. Vieles spricht gegen eine derart weite Auslegung der Ausführungsvorschrift, wie sie das Gericht in CSX Corp. vorgenommen hat. 93 „… TCI manifestly had the economic ability to cause its short counterparties to buy and sell CSX shares.“ CSX Corp. v. TCI, No. 08-Civ. 2764, S. 60 f. 94 Siehe o. Fußn. 88. 95 CSX Corp. v. TCI, No. 08-Civ. 2764, Fußn. 189. 96 CSX Corp. v. TCI, No. 08-Civ. 2764, S. 61. 97 CSX Corp. v. TCI, No. 08-Civ. 2764, S. 55 ff.
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Gemäß SEA Rule 13d-3(a) gilt als Beneficial Owner von Aktien unter anderem, wer die Veräußerung der Aktien „bestimmen“ (direct) kann.98 Obwohl sowohl die SEC als auch die Rechtsprechung klargestellt haben, dass hierfür kein ausdrücklicher Rechtsanspruch, wie etwa rechtliches Eigentum an den Aktien oder ein rechtsgültiger Vertrag mit dem sachenrechtlichen Eigentümer der Aktien, notwendig ist, sondern die faktische Kontrolle über die Dispositionsentscheidung ausreicht 99, so ist doch ein „Bestimmen-Können“ bzw. „Kontrollieren“ – also die Möglichkeit, die Veräußerung von Aktien durch einen autoritativen Akt herbeizuführen – erforderlich, um in den Anwendungsbereich von Rule 13d-3(a) zu fallen.100 Ein „BestimmenKönnen“ setzt voraus, dass der Bestimmungsempfänger sich gegenüber der bestimmenden Person verpflichtet fühlt, bestimmungsgemäß zu handeln, und nicht frei zwischen mehreren Handlungsalternativen entscheiden kann. Dieses Erfordernis wird jedoch durch einen typischen Total Return Equity Swap nicht erfüllt. Im Falle eines Total Return Equity Swaps wird zwar mit Beendigung des Swaps ein wirtschaftlicher Anreiz für den Total Return Payer geschaffen, die Referenzaktien, die er im Rahmen eines Deckungsgeschäfts erworben hat, wieder zu veräußern, doch dieser Anreiz basiert ausschließlich auf der wirtschaftlichen Situation des Total Return Payers – der Total Return Payer würde mit Wegfall des Swap-Geschäfts das Kursrisiko der Referenzaktien übernehmen, was in der Regel nicht gewünscht ist – und nicht auf einer wie immer gearteten Verpflichtung des Total Return Payers gegenüber dem Total Return Receiver. Das Gericht baute seine Argumentation im CSX Corp. Urteil hingegen auf der dem Wortlaut von Rule 13d-3(a) entgegenstehenden Prämisse auf, wonach bereits ein bloßer „Einfluss“ (Influence) auf die Entscheidung über die Veräußerung von Aktien ausreicht, um Investment Power, und damit Beneficial Ownership, zu begründen.101 Das Gericht stützt diese Prämisse auf Aussagen in Veröffentlichungen der SEC und in einem Urteil 102. Dabei über-
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Siehe o. Fußn. 79. Siehe o. Fußn. 80 und 81. 100 Siehe dazu auch amicus curiae Stellungnahme der SEC Division of Corporation Finance in CSX Corp. v. TCI, S. 2. „[t]he terms ,voting power‘ and ,investment power‘ […] are based on the concept of the actual authority to vote or dispose or the authority ,to direct‘ the voting or disposition“. 101 Vgl. etwa CSX Corp. v. TCI, No. 08-Civ. 2764, S. 51, 61. 102 Vgl. CSX Corp. v. TCI, No. 08-Civ. 2764, Fußn. 160. Darin werden zitiert: SEC v. Drexel Burnham Lambert Inc., 837 F. Supp. 587, 607 (S.D.N.Y. 1993), aff’d sub nom. SEC v. Posner, 16 F.3d 520 (2d Cir. 1994), cert. denied, 513 U.S. 1077 (1995); Filing and Disclosure Requirements Relating to Beneficial Ownership, Exchange Act Release Nos. 33-5925, 34-14692, 43 Fed. Reg. 18,484, 18,489 (Apr. 28, 1978); Interpretive Release on Rules Applicable to Insider Reporting and Trading, Exchange Act Release No. 34-18114, 46 Fed. Reg. 48,147 (Oct. 1, 1981). 99
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sah das Gericht jedoch, dass die relevante Veröffentlichung der SEC nicht vom Einfluss auf die Veräußerung der Aktien spricht, sondern vom Einfluss auf die Kontrolle über die Zielgesellschaft.103 Das zitierte Urteil hingegen zitiert selbst nur einen Kommentar zu den US-amerikanischen Kapitalmarktgesetzen, ohne darüber jedoch weiter zu reflektieren oder das Zitat der Entscheidung zugrunde zu legen.104 Mit der Prämisse steht jedoch auch die gesamte weitere Argumentationsreihe im CSX Corp. Urteil in Bezug auf die Behandlung von Total Return Equity Swaps nach SEA Rule 13d-3(a) auf wackeligen Beinen. Auch würde die Zurechnung von Investment Power bereits bei Vorliegen eines rein wirtschaftlichen Anreizes zu absurden und vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten Ergebnissen führen. Wer ein Kaufangebot für Aktien abgibt, schafft dadurch zwangsläufig einen wirtschaftlichen Anreiz für die Aktionäre, an die sich das Angebot richtet, die Aktien zu verkaufen. Folgt man der Argumentation des Gerichts in CSX Corp., wäre der potentielle Käufer konsequenterweise bereits bei Angebotsabgabe – also noch bevor die Aktionäre, an die sich das Angebot richtet, über die Annahme des Angebots entschieden haben – der Beneficial Owner der Aktien. Aber auch Research Analysten schaffen durch ihre Handlungen – die positive oder negative Bewertung eines Unternehmens – wirtschaftliche Anreize für Marktteilnehmer, Aktien zu kaufen oder zu verkaufen. Ebenso die Wettbewerber einer „Zielgesellschaft“, wenn sie wichtige Kunden der Zielgesellschaft abwerben. Eine klare Trennlinie, wann ein wirtschaftlicher Anreiz Beneficial Ownership begründen soll und wann nicht, ist nicht erkennbar und weder durch die Gesetzeslage noch durch die Rechtsprechung vorgegeben. Eine derart weite Auslegung des Beneficial Ownership Begriffs würde daher zu enormer Rechtsunsicherheit 103 In der vom Gericht zitierten SEC Release „Filing and Disclosure Requirements Relating to Beneficial Ownership“, ebenso wie in einer früheren SEC Release (Adoption of Beneficial Ownership Disclosure Requirements, Exchange Act Release No. 33-5808, 34-13291, 42 Fed. Reg. 12,342, (March 3, 1977)), begründete die SEC die weite Formulierung des Begriffs der Beneficial Ownership in SEA Rule 13d-3(a) damit, dass durch ihn all jene Personen erfasst sein sollen, welche die Kontrolle der Zielgesellschaft ändern oder beeinflussen können („change or influence control of the issuer“). Die ebenfalls vom Gericht zitierte „Interpretive Release on Rules Applicable to Insider Reporting and Trading“ spricht in der Tat davon, dass der beneficial ownership Begriff in SEA Rule 13d-3 den Einfluss auf die Stimmrechtsausübung oder die Veräußerung von Wertpapieren („control or influence the voting or disposition of the securities“) betone. Jedoch befasst sich diese Release, im Gegensatz zu den beiden vorgenannten, nicht vorwiegend mit § 13(d) und (g) SEA, sondern mit einer anderen Vorschrift, § 16(a) SEA, und die zitierte Aussage wird von der SEC nur beiläufig, in einer Fußnote, im Rahmen eines Vergleichs gemacht. Es ist daher wohl davon auszugehen, dass die SEC durch diesen beiläufigen Vergleich nicht eine Ausweitung des Begriffs der Beneficial Ownership in SEA Rule 13d-3 beabsichtigt hat. 104 Siehe SEC v. Drexel Burnham Lambert Inc., 837 F. Supp. 587, 607 (S.D.N.Y. 1993), aff’d sub nom. SEC v. Posner, 16 F.3d 520 (2d Cir. 1994), cert. denied, 513 U.S. 1077 (1995), worin zitiert wird aus 3 Securities Law Techniques § 70.07[2][c] (A.A. Sommer, Jr. ed., 1987).
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führen – genau das Gegenteil dessen, was die SEC mit der Definition des Beneficial Ownership Begriffs in SEA Rule 13d-3 eigentlich beabsichtigte 105 – und durch die Überschwemmung der Märkte mit Informationen zu deutlich weniger, nicht mehr, Transparenz beitragen. Daher ist wohl richtigerweise der Meinung der SEC und der bisherigen Praxis zu folgen, wonach ein typischer Cash-Settled Total Return Equity Swap für sich genommen, also ohne Nebenabsprachen oder Verständigungen bezüglich der Stimmrechtsausübung oder der Veräußerung von Referenzaktien, keine Beneficial Ownership des Total Return Receivers an den Referenzaktien gemäß SEA Rule 13d-3(a) und damit keine Meldepflichten gemäß § 13(d) bzw. (g) begründet. c) Eine „Gruppe“ als Beneficial Owner Vereinbaren mehrere (natürliche oder juristische) Personen im Hinblick auf den Erwerb, das Halten oder die Veräußerung von, oder die Stimmrechtsausübung in Bezug auf, Aktien einer Zielgesellschaft zusammenzuwirken, so werden diese Personen im Zusammenhang mit § 13(d) und (g) SEA als Gruppe (Group) angesehen. Die Konsequenz daraus ist, dass der Gruppe die Beneficial Ownership aller Aktien, die von den einzelnen Gruppenmitgliedern gehalten werden, zugerechnet werden.106 Überschreitet die Gruppe aufgrund dieser Zurechnungskriterien die Beteiligungsquote von 5 % an der Zielgesellschaft, so kann die Gruppe ihrer Meldepflicht dadurch nachkommen, dass entweder ein Schedule 13D von allen Gruppenmitgliedern gemeinsam oder von jedem Gruppenmitglied einzeln ein Schedule 13D eingereicht wird; in der zweiten Alternative müssen in den einzelnen Schedules 13D jeweils die übrigen Gruppenmitglieder identifiziert werden.107 In der Praxis wirft das unbestimmte Tatbestandsmerkmal einer „Gruppe“ bei der Feststellung, welche Personen meldepflichtig sind, mitunter Probleme auf. Einigkeit herrscht darüber, dass für das Bestehen einer Gruppe keine schriftliche Vereinbarung erforderlich ist.108 Vielmehr kommt es darauf an, dass die Gruppenmitglieder zur Förderung eines gemeinsamen Ziels zusammenwirken.109 Ein solches zielgerichtetes Zusammenwirken haben die
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Vgl. die Begründung der SEC für die beneficial ownership Definition in SEA Rule 13d3(a): „In order to provide more objective standards for the application of [§ 13(d) reporting] requirement[s].“ Adoption of Beneficial Ownership Disclosure Requirements, Exchange Act Release No. 33-5808, 34-13291, 42 Fed. Reg. 12,342 (March 3, 1977). 106 § 13(d)(3) SEA; SEA Rule 13d-5(b). 107 Schedule 13D SEA. 108 Hallwood Realty Partners, L.P. v. Gotham Partners, L.P., 286 F.3d 613, 617 (2d Cir. 2002). 109 „… members combined in furtherance of a common objective.“ Wellman v. Dickinson, 682 F.2d 355, 363 (2d Cir. 1982), cert. denied, 460 U.S. 1069 (1983).
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SEC und Gerichte in der Vergangenheit etwa aus gleichgerichteten Handlungen der Gruppenmitglieder abgeleitet.110 Im Zusammenhang mit der Verwendung von Total Return Equity Swaps im Vorfeld von Übernahmeangeboten oder Proxy Contests stellt sich die Frage, ob Total Return Receiver und Total Return Payer in Bezug auf die vom Total Return Payer zu Deckungszwecken erworbenen Referenzaktien eine Gruppe i.S. von § 13(d)(3) SEA bilden, und damit dem Total Return Receiver die Referenzaktien für Zwecke der Meldepflichten nach § 13(d) und (g) SEA zuzurechnen sind.111 In der Judikatur wurde diese Frage bisher noch nicht behandelt.112 Jedenfalls entsteht eine Gruppe durch den bloßen Abschluss eines Total Return Equity Swaps dann nicht, wenn der oder die Total Return Payer die tatsächlichen Beweggründe des Total Return Receivers für den Abschluss des Swap-Geschäfts, etwa das Akkumulieren von Aktien im Hinblick auf einen Kontrollwechsel bei der Zielgesellschaft oder auf ein Übernahmeangebot, nicht kennen. Es mangelt dann nämlich bereits am gemeinsamen Ziel i.S. von Wellman v. Dickinson 113, zu dessen Beförderung die Swap-Counterparties zusammenwirken könnten. Wie aber verhält es sich, wenn dem Total Return Payer die tatsächlichen Beweggründe des Total Return Receivers für den Abschluss des SwapGeschäfts bekannt sind, entweder weil der Total Return Receiver seine Absichten gegenüber dem Total Return Payer offen gelegt hat oder weil diese auf sonstige Weise an die Öffentlichkeit gelangt sind? Dieses Wissen allein wird wohl auch noch zu keiner Gruppenbildung führen. Es fehlt auch in diesem Fall das gemeinsame Ziel, das von allen Gruppenmitgliedern verfolgt wird: Während der Total Return Receiver auf den Kontrollerwerb bei der Zielgesellschaft abzielen mag, so ist das Interesse des Total Return Payers, was den Erwerb bzw. die Veräußerung von Referenzaktien betrifft, primär auf die Absicherung von Kursrisiken gerichtet. Erst wenn der Total Return Payer durch den Erwerb oder die Veräußerung von Referenzaktien oder, wahrscheinlicher, durch die Stimmrechtsausübung bezüglich der Referenz-
110 Siehe etwa GAF Corp. v. Milstein, 453 F.2d 709 (2d Cir. 1971), cert. denied, 406. U.S. 910 (1972); SEC v. Savoy Industries, Inc., 587 F.2d 1149 (D.C. Cir. 1978), cert. denied, 440 U.S. 913 (1979); Morales v. Quintel Entertainment, Inc., 249 F.3d 115 (2d Cir. 2001). 111 Dies würde nicht nur bedeuten, dass dem Total Return Receiver die Referenzaktienbestände aller Total Return Payer zuzurechnen wären, sondern auch jedem einzelnen Total Return Payer die Bestände der jeweils anderen Total Return Payer. 112 In CSX Corp. musste sich das Gericht zwar auch mit der Frage des Bestehens einer „Gruppe“ auseinandersetzen, deren Mitglieder waren jedoch nicht die Swap Counterparties, sondern TCI und der zweite beklagte Hedge Fonds, 3G. Nach der Ansicht des Gerichts haben TCI und 3G im Hinblick auf den Kontrollerwerb bei CSX Corp. zusammengewirkt. Siehe CSX Corp. v. TCI, No. 08-Civ. 2764, S. 72 ff. 113 Siehe o. Fußn. 109.
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aktien die Ziele des Total Return Receivers befördert und zu den eigenen macht, wird eine Gruppe i.S. von § 13(d)(3) SEA und SEA Rule 13d-5(b) entstehen. In der Praxis ist dies primär eine Beweisfrage. Es bleibt daher abzuwarten, ob in zukünftigen Rechtsstreitigkeiten, die auf einer ähnlichen Faktenlage wie der CSX Corp. Proxy Contest basieren, auch mit dem Konzept der „Gruppe“ argumentiert wird und wie ein Gericht in einem solchen Fall entscheiden würde. d) Erfassung von Umgehungstatbeständen In einer Ausführungsvorschrift hat die SEC einen Umgehungstatbestand in Bezug auf die Meldepflichten von § 13(d) und (g) SEA geschaffen. Gemäß SEA Rule 13d-3(b) wird nämlich einer Person die Beneficial Ownership von Aktien auch dann zugerechnet, wenn sie, direkt oder indirekt, einen Vertrag, eine Vereinbarung oder andere Mittel schafft oder nutzt, mit dem Ziel oder dem Effekt, sich der Beneficial Ownership von Aktien zu entledigen oder die Übertragung der Beneficial Ownership auf sie zu verhindern, sofern dies als Teil eines Plans geschieht, die Meldepflichten von § 13(d) und (g) zu umgehen.114 Im CSX Corp. Urteil entschied das Gericht, dass TCI gemäß SEA Rule 13d-3(b) Beneficial Ownership an den CSX Corp. Aktien hatte, die von den als Total Return Payers agierenden Banken in Deckungskäufen erworben wurden. Begründet wurde die Entscheidung damit, dass es überwältigende Beweise dafür gebe, dass TCI die Total Return Equity Swaps benutzt habe, „um den Übergang von Beneficial Ownership an den CSX Corp. Aktien als Teil eines Plans zur Umgehung der Meldepflichten zu verhindern.“ Als Beispiel verwies das Gericht in der Urteilsbegründung auf TCI eMails, in denen auf die Notwendigkeit hingewiesen wurde, die Swap-Geschäfte mit Banken so zu platzieren, dass von den einzelnen Banken die meldepflichtige 5 %Schwelle nicht überschritten werden, um keine Meldepflichten der Banken auszulösen.115 In seiner Entscheidung setzte sich das Gericht weitgehend über die Amicus Curiae Stellungnahme der SEC Division of Corporation Finance 116 hinweg. Diese hatte nämlich den Standpunkt vertreten, dass der Beweggrund des Total Return Receivers für den Abschluss des Swap-Geschäfts – also die 114
„Any person who, directly or indirectly, creates or uses a trust, proxy, power of attorney, pooling arrangement or any other contract, arrangement or device with the purpose or effect of divesting such person of beneficial ownership of a security or preventing the vesting of such beneficial ownership as part of a plan or scheme to evade the reporting requirements of section 13(d) or 13(g) of the [Exchange] Act shall be deemed for purposes of such sections to be the beneficial owner of such security.“ 115 CSX Corp. v. TCI, No. 08-Civ. 2764, S. 65 f. 116 Siehe dazu o. Fußn. 89.
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Vermeidung der Meldepflichten – für die Frage, ob ein „Plan or Scheme to Evade“ i.S. von SEA Rule 13d-3(b) vorliege, irrelevant sei 117, wohingegen das Gericht in seiner Urteilsbegründung gerade diesen Beweggrund in den Vordergrund stellte. Nach Meinung der Division of Corporation Finance ist für die Verwirklichung des Umgehungstatbestandes vielmehr entscheidend, ob durch eine Transaktion der falsche Anschein erweckt wird, dass eine Person keine Beneficial Ownership an Aktien habe, obwohl sie tatsächlich der Beneficial Owner der Aktien ist. Nach Auffassung der Division of Corporation Finance sollen durch den Umgehungstatbestand daher primär reine Scheintransaktionen zur Verschleierung der tatsächlichen Beneficial Ownership erfasst werden.118 Total Return Equity Swaps für sich genommen erfüllen dieses Erfordernis nach Meinung der Division of Corporation Finance im Allgemeinen jedoch nicht und stellen daher eine zulässige Vermeidung, nicht eine verbotene Umgehung, der Meldepflichten dar.119 Das Gericht argumentierte allerdings, dass SEA Rule 13d-3(b) aufgrund Rule 13d-3(a) redundant wäre, würde man der Auffassung der Division of Corporation Finance folgen. Wenn es nämlich für die Verwirklichung des Umgehungstatbestandes erforderlich sein soll, dass eine tatsächlich bestehende Beneficial Ownership verschleiert wird, so würde diese tatsächlich bestehende Beneficial Ownership bereits durch SEA Rule 13d-3(a) erfasst und der Umgehungstatbestand von Rule 13d3-(b) wäre überflüssig.120 Das Gericht argumentierte auf Grundlage der von einem Berufungsgericht formulierten Zielsetzung von Section 13(d) 121 weiter, dass SEA Rule 13d-3(b) immer dann anzuwenden sei, wenn eine Person eine Transaktion mit dem Vorsatz abschließe, durch die Verhinderung des Übergangs von Beneficial Ownership den falschen Anschein zu erwecken, dass es zu keiner Akkumulation von Aktien komme, die das Potential habe, einen Kontrollwechsel bei der Zielgesellschaft herbeizuführen.122 117 Amicus curiae Stellungnahme der SEC Division of Corporation Finance in CSX Corp. v. TCI, No. 08-Civ. 2764, S. 3. 118 In ihrer Stellungnahme verweist die Division of Corporation Finance auf eine frühere amicus curiae Stellungnahme, in der die SEC, allerdings nicht im Zusammenhang mit SEA Rule 13d-3(b), den Begriff „plan or scheme to evade“ dahingehend interpretierte, dass eine Scheintransaktion (a sham) vorliegen muss, durch die ein falscher Anschein erweckt wird; siehe amicus curiae Stellungnahme In re HealthSouth Corp. Sec. Litig., No. CV-03-BE1500-S (N.D. Ala.). 119 Vgl. amicus curiae Stellungnahme der SEC Division of Corporation Finance in CSX Corp. v. TCI, No. 08-Civ. 2764, S. 4. 120 CSX Corp. v. TCI, No. 08-Civ. 2764, S. 68. 121 Siehe dazu o. Fußn. 73. 122 „Put another way, Rule 13d-3(b) applies where one enters into a transaction with the intent to create the false appearance that there is no large accumulation of securities that might have a potential for shifting corporate control by evading the disclosure requirements of Section 13(d) or 13(g) through preventing the vesting of beneficial ownership in the actor.“ CSX Corp. v. TCI, No. 08-Civ. 2764, S. 69.
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Das Gericht erläuterte jedoch nicht, wie durch den Abschluss des Total Return Equity Swaps „der Übergang von Beneficial Ownership verhindert“ wurde. Nach SEA Rule 13d-3(b) ist der Umgehungstatbestand verwirklicht, wenn ein Vertrag, eine Vereinbarung oder andere Mittel geschaffen oder genutzt werden, mit dem Ziel oder Effekt sich der Beneficial Ownership von Aktien zu entledigen oder die Übertragung der Beneficial Ownership zu verhindern. Mit anderen Worten: Ohne Vertrag, Vereinbarung oder andere Mittel – im konkreten Fall also ohne Swap-Geschäft – würde Beneficial Ownership an den Aktien be- oder entstehen. Dafür gab es jedoch im Fall CSX Corp. keine Anhaltspunkte und es ist auch schwer vorstellbar, wie der Abschluss eines Total Return Equity Swaps unter ähnlichen Umständen diese Tatbestandsvoraussetzung erfüllen kann. Vielmehr ergibt sich aus dem Wortlaut von SEA Rule 13d-3(b), dass der typische Anwendungsfall der Ausführungsvorschrift in der Tat, wie von der Division of Corporation Finance ausgeführt, eine Scheintransaktion ist, in der Aktien einem Strohmann übereignet werden, die tatsächlich Kontrolle über die Stimmrechte und/oder die Dispositionsentscheidung jedoch bei einer anderen Person verbleibt. Dass die SEC bei der Formulierung von SEA Rule 13d-3(b) genau diesen Anwendungsfall vor Augen hatte, ergibt sich auch aus einer Stellungnahme im Rahmen der Veröffentlichung von SEA Rule 13d-3(b) im Jahr 1977, in der die SEC das „Parken“ von Aktien als typisches Beispiel für deren Anwendung nannte.123 Die Ausdehnung der Anwendbarkeit von Rule 13d-3(b) auf die indirekte Akkumulation einer Aktienposition in Form von Total Return Equity Swaps im Vorfeld eines Proxy Contests oder eines Übernahmeangebots mag dem Gericht in CSX Corp. rechtspolitisch erstrebenswert erschienen sein, im Wortlaut der Ausführungsvorschrift findet diese Auslegung aber wohl keine Deckung. Abzuwarten bleibt allerdings noch, wie das Berufungsgericht diese Rechtsfrage entscheidet. e) Die Rechtsfolgen von Verstößen gegen die Meldepflichten Die Rechtsfolgen von Verstößen gegen die Meldepflichten nach § 13(d) und (g) SEA ergeben sich insbesondere aus §§ 21(d) und 32(a) SEA. § 32(a) SEA ist eine strafrechtliche Vorschrift, wonach vorsätzliche (willful) Verstöße gegen Bestimmungen des Exchange Act, einschließlich der Meldepflichten nach § 13(d) und (g) SEA, sowie darunter erlassene Ausführungsvorschriften mit Geldstrafen von bis zu $ 5 Millionen (für natürliche Personen) bzw. $ 25 Millionen (für juristische Personen) und/oder Haftstrafen von bis zu 20 Jahren zu bestrafen sind. Zuständig für die Strafverfolgung nach dieser Vorschrift ist die US Staatsanwaltschaft. 123 Siehe Adoption of Beneficial Ownership Disclosure Requirements, Exchange Act Release No. 33-5808, 34-13291, 42 Fed. Reg. 12,342, 12,347 (March 3, 1977).
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§ 21(d) SEA hingegen erlaubt es der SEC, bei Verstößen gegen Bestimmungen des Exchange Act oder darunter erlassenen Ausführungsvorschriften beim zuständigen Bundesgericht eine Verfügung (Injunction) oder ein Unterlassungsurteil (Restraining Order) zu beantragen. Obwohl der Exchange Act ausdrücklich nur der SEC ein solches Antragsrecht einräumt, hat die Rechtssprechung aus § 13(d) bzw. (g) SEA auch ein Klagerecht der Zielgesellschaft auf Erlass einer gerichtlichen Verfügung abgeleitet.124 Die SEC muss in ihrem Antrag auf eine Verfügung oder ein Unterlassungsurteil gemäß § 21(d) SEA das Fortbestehen des Gesetzesverstoßes bzw. die ausreichende Wahrscheinlichkeit zukünftiger weiterer Verstöße darlegen.125 Für Zivilklagen unter § 13(d) bzw. (g) SEA hingegen bestehen höhere Anforderungen. Wer in einer Zivilklage eine gerichtliche Verfügung anstrebt, muss nachweisen, dass ohne Verfügung ein nicht wieder gutzumachender Nachteil (Irreparable Harm) entstehen würde und dass andere Rechtsmittel unzulänglich wären, diesen Nachteil abzuwenden.126 Der Nachteil muss dabei jenes Rechtsgut betreffen, das durch die verletzte Rechtsnorm geschützt werden soll. Im Fall von § 13(d) bzw. (g) SEA ist dies der Anspruch der Investoren darauf, über einen möglichen Kontrollwechsel bei der Zielgesellschaft informiert zu werden 127; nicht vom Schutzzweck von § 13(d) bzw. (g) SEA erfasst ist hingegen das Interesse des Managements der Zielgesellschaft, sich gegen einen bevorstehenden Kontrollwechsel zu verteidigen. Der mögliche Inhalt einer Verfügung ist nicht auf bestimmte vorgegebene Maßnahmen beschränkt, sondern umfasst all jene Mittel, die zur Abwendung des drohenden Nachteils geeignet und notwendig sind. Im Falle einer Verletzung von § 13(d) oder (g) SEA wird dies primär die Anordnung sein, die Öffentlichkeit nachträglich durch Einreichen einer Meldung auf Schedule 13D bzw. 13G über den erfolgten Aktienerwerb zu informieren. In Einzelfällen kann aber auch das Verbot des Erwerbs weiterer Aktien der Zielgesellschaft, die Untersagung der Stimmrechtsausübung oder die Anordnung der Veräußerung von Aktien der Zielgesellschaft Gegenstand einer Verfügung sein.128 Wurde hingegen der Verstoß gegen die Meldepflichten zwischenzeitlich durch Einreichen eines Schedule 13D bzw. 13G behoben, so kommt als 124
Siehe etwa Rondeau v. Mosinee Paper Corp., 422 U.S. 49 (1975). Vgl. SEC v. Cavanagh, 155 F.3d 129, 135 (2d Cir. 1988), worin zitiert wird aus SEC v. Unifund SAL, 910 F.2d 1028, 1040 (2d Cir. 1990); Rondeau v. Mosinee Paper Corp., 422 U.S. 49 (1975), worin zitiert wird aus United States v. W. T. Grant Co., 345 U.S. 629, 633 (1953). 126 Siehe etwa Rondeau v. Mosinee Paper Corp., 422 U.S. 49, 57–65 (1975); Beacon Theatres, Inc. v. Westover, 359 U.S. 500, 506–507 (1959). 127 GAF Corp. v. Milstein, 453 F.2d 709, 720 (2d Cir. 1971), cert. denied, 406. U.S. 910 (1972). 128 Siehe L. Loss, J. Seligman, Fundamentals of Securities Regulation, 5th Ed., S. 654, mit Judikaturnachweisen. 125
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Verfügungsinhalt in den meisten Fällen wohl nur die Unterlassung zukünftiger Verstöße gegen die Meldepflichten in Frage, wie auch im Fall CSX Corp.129
2. Pflichtangebote Im Gegensatz zum deutschen Recht sieht das US-amerikanische Bundesrecht keine Verpflichtung vor, ein Übernahmeangebot abzugeben, wenn eine bestimmte Beteiligungsquote erreicht oder überschritten wird.130 Auch steht es einem Erwerber in jedem Fall frei, ein Übernahmeangebot nur für einen Teil der ausstehenden Aktien der Zielgesellschaft zu legen (sog. Partial Bid), wobei für den Fall, dass mehr Aktien angeboten werden als im Übernahmeangebot vorgesehen, die Aktionäre anteilig (pro rata) zu bedienen sind.131 Pflichtangebote sind allerdings in den Aktiengesetzen dreier US Bundesstaaten – Maine, Pennsylvania und South Dakota – vorgesehen.132 Danach müssen Personen, die zumindest 20 % (in Pennsylvania und South Dakota) bzw. 25 % (in Maine) der Stimmrechte einer Aktiengesellschaft (Corporation), die nach dem Recht eines dieser Bundesstaaten organisiert ist, erwerben, ein Übernahmeangebot für die verbleibenden Aktien zum Marktwert (der von einem Gericht zu bestimmen ist) legen.133 Die Aktiengesetze zahlreicher weiterer US Bundesstaaten verbieten Aktionären, die eine bestimmte Beteiligungsquote an einer in dem jeweiligen Bundesstaat organisierten Aktiengesellschaften erreichen oder überschreiten, die Ausübung ihrer Stimm-
129 Vgl. CSX Corp. v. TCI, No. 08-Civ. 2764, S. 107 ff mit Verweisen auf ICN Pharm., Inc. v. Khan, 2 F.3d 484, 489 (2d Cir. 1993) und Treadway Cos., Inc. v. Care Corp., 638 F.2d 357, 380 (2d Cir. 1980). In Treadway Cos. ließ das Gericht jedoch auch die Möglichkeit offen, die Ausübung der mit den Aktien verbundenen Rechten zu untersagen bzw. die Veräußerung der Aktien anzuordnen, wenn der Beklagte als Resultat des Erwerbs der Aktien vor Einhaltung der Meldepflichten effektive Kontrolle über die Zielgesellschaft erworben hat. 130 Wenn das US Bundesrecht auch kein Pflichtangebot kennt, so ist dennoch zu beachten, dass der Begriff „Übernahmeangebot“ (Tender Offer) von der SEC und den US-amerikanischen Gerichten verhältnismäßig weit ausgelegt wird und durch den Erwerb eines größeren Aktienpakets im Markt oder von einer Vielzahl bestehender Aktionäre unter Umständen „versehentlich“ ein Übernahmeangebot ausgelöst werden könnte, bei dem dann gegebenenfalls weitgehende Publizitäts-, Verfahrens- und Betrugsvermeidungsvorschriften des § 14(d)–(f) SEA zu beachten sind. Siehe dazu etwa Greene et al., U.S. Regulation of the International Securities and Derivatives Markets, 8th Ed., § 8.01, S. 8-5. 131 § 14(d)(6) SEA i.V.m. Rule 14d-8. 132 Me. Rev. Stat. Ann. Tit. 13-C, § 1110 (West Supp. 2003); 15 Pa. Cons. Stat. Ann. §§ 2541–2548 (West 1995); S.D. Codified Laws Ann. §§ 47-33-8 to 47-33-16 (Michie 2002). 133 Die Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmungen unter der US Bundesverfassung ist allerdings zweifelhaft. Siehe dazu Greene et al., U.S. Regulation of the International Securities and Derivatives Markets, 8th Ed., § 8.03[12], S. 8–77.
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rechte ohne die Zustimmung der übrigen Aktionäre. Dadurch, und durch ähnliche Bestimmungen in anderen Bundesstaaten, sollen feindliche Übernahmen erschwert werden.134 Obwohl sich auch bei diesen einzelstaatlichen Bestimmungen grundsätzlich die Frage nach der Behandlung von Total Return Equity Swaps stellt, würde eine solche Darstellung aufgrund der in den 50 Bundesstaaten jeweils unterschiedlichen Gesetzeslage und Judikatur den Rahmen dieses Artikels sprengen.
V. Zusammenfassung und Fazit Durch den Übernahmekampf von Schaeffler für Continental und den Proxy Contest um CSX Corp. wurde deutlich, dass weder die Verfasser der deutschen Melde- bzw. übernahmerechtlichen Vorschriften nach dem WpHG bzw. dem WpÜG noch die der US-amerikanischen Meldevorschriften unter dem Exchange Act die Verwendung von Cash-Settled Total Return Equity Swaps als Mittel zum „Anschleichen“ an eine Zielgesellschaft vor Augen hatten. Während die BaFin im Fall Schaeffler/Continental trotz großer Irritationen am Kapitalmarkt keine Verletzung des WpHG oder des WpÜG feststellen konnte, entschied das New Yorker Bundesgericht im Fall CSX Corp. in erster Instanz, dass der beklagte Hedge Fonds durch die Verwendung von Equity Swaps den Tatbestand der Umgehung von Meldepflichten nach dem Exchange Act verwirklicht hatte. Sein Urteil, das die Marktteilnehmer und Rechtsberater gleichermaßen überraschte, gründete das Gericht primär auf die allgemeine Zielsetzung (nicht: den Wortlaut) des Gesetzes, Informationsungleichgewichte am Kapitalmarkt durch Umgehung von Meldepflichten zu vermeiden. Die Entscheidung der US-amerikanischen Berufungsinstanz steht zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Beitrags noch aus. Sowohl in Deutschland als auch in den USA wurde nach diesen beiden Anlassfällen der Ruf nach einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung der Behandlung von Cash-Settled Total Return Equity Swaps laut. So eröffnete etwa die SEC Division of Corporation Finance bereits in ihrer Amicus Curiae Stellungnahme im CSX Corp. Rechtsstreit, dass zu dieser Rechtsfrage wahrscheinlich in naher Zukunft seitens der SEC spezifische Ausführungsvorschriften zu erlassen sein werden.135 In einem Brief vom 17. Juni 2008 forderte darüberhinaus der New Yorker Senator Charles Schumer den Vorsitzenden der SEC auf, die Behandlung von Total Return Equity Swaps 134 Ein Übersicht über diese sog. State Anti-Takeover Statutes findet sich etwa in Bartos, United States Securities Law: A Practical Guide, 3rd Ed., S. 198 f. 135 Amicus Curiae Stellungnahme der SEC Division of Corporation Finance in CSX Corp. v. TCI, No. 08-Civ. 2764, S. 4.
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durch Ausführungsvorschriften zu regeln und setzte sich gleichzeitig für höhere Strafen im Falle der Verletzung von Meldepflichten ein.136 Auch in Deutschland wurde in den letzten Monaten von verschiedenen Seiten gefordert, die wegen der Regelungslücke in Bezug auf Cash-Settled Equity Swaps bestehende Intransparenz am Kapitalmarkt zu beseitigen. Dies erscheint ganz allgemein vor dem Hintergrund des dem WpHG, der europäischen Transparenzrichtlinie und dem WpÜG strukturell zugrunde liegenden Gebots eines Level Playing Field of Information geboten. Insbesondere bei Unternehmensübernahmen muss gewährleistet sein, dass den bestehenden Aktionären einer Zielgesellschaft der Anspruch auf eine Kontrollprämie nicht durch innovative derivate Strukturen verloren geht. Um das Informationsgleichgewicht wieder herzustellen, sollte der deutsche Gesetzgeber einen weiten Kontrollbegriff und/oder einen weit gefassten Zurechnungstatbestand als Grundsatz festschreiben – sei es durch die Einführung eines allgemeinen Umgehungstatbestandes oder durch eine ausdrückliche Erweiterung des Zurechnungstatbestandes in § 20 I 1 Nr. 2 WpHG – und dadurch die einem Equity Swap unterliegenden Referenzaktien für die Ermittlung der Meldepflichten nach dem WpHG und die Feststellung, ob ein Pflichtangebot nach dem WpÜG gelegt werden muss, mit erfassen. Denn nur durch eine ergebnisorientierte und nicht rechtstechnisch allzu leicht abgrenzbare Neuregelung kann vor dem Hintergrund der auch in Zukunft zu erwartenden Weiterentwicklung von Derivaten und synthetischen Produkten die Gefahr reduziert werden, dass die für einen funktionierenden Kapitalmarkt so wichtigen Transparenzbestimmungen alsbald wieder durch neue innovative Strukturen ausgehöhlt und umgangen werden.
136 „UPDATE 1-US Senator Urges Bill to Punish Funds Hiding Stakes“, Reuters, 17. Juni 2008, verfügbar unter http://www.reuters.com/article/rbssRailsRoadsFreights/ idUSN1735731020080617.
Die Gewährträgerhaftung für öffentlich-rechtliche Kreditinstitute im Stresstest Beobachtungen zu einem höchst aktuellen Auslaufmodell Roger Kiem * I. Einführung Die Herausforderungen der aktuellen Finanzmarktkrise 1 haben mehr Fragen und Probleme aufgeworfen, als in einer Gedächtnisschrift, geschweige denn einem Beitrag zu einer solchen, angesprochen werden könnten. Der folgende, Michael Gruson zugedachte Beitrag will einen Aspekt beleuchten, der unter dem Eindruck der Finanzmarktkrise wieder verstärkt in das Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt ist. Es geht um die Einstandspflicht des Staates für Verpflichtungen öffentlich-rechtlicher Kreditinstitute. Nach der im Folgenden noch einmal kurz nachzuzeichnenden Entscheidung der Europäischen Kommission und dem in deren Folge vereinbarten Auslaufen der Gewährträgerhaftung schien dieses Konstrukt zum Auslaufmodell zu werden. Seine Aktualität verdankt die Gewährträgerhaftung insbesondere dem Umstand, dass die finanziellen Schwierigkeiten verschiedener öffentlich-rechtlicher Institute noch einmal in Erinnerung gerufen haben, dass die öffentliche Hand für zum Teil ganz exorbitante Summen einzustehen hat. Das Inanspruchnahmerisiko wird dabei häufig als theoretisch bezeichnet, was angesichts der zum Teil astronomischen Beträge, die in diesem Zusammenhang genannt werden, beruhigen mag. Fakt ist indessen, dass rein praktisch die öffentliche Hand sich seit Ausbruch der Finanzmarktkrise sowohl innerhalb des Anwendungsbereichs der Gewährträgerhaftung als auch unabhängig vom Eingreifen der Gewährträgerhaftung mit Milliardenbeträgen an der Stützung öffentlich-rechtlicher Kreditinstitute bzw. staatsnaher Institute beteiligt hat. Michael Gruson hat sich über viele Jahrzehnte mit dem Institut der Gewährträgerhaftung beschäftigt, was vor dem Hintergrund, dass er viele Landesbanken als Emittenten am Kapitalmarkt begleitet hat, nicht verwundern mag. Und es hat sich für diejenigen, die Gelegenheit und zugleich die Ehre * Gedankt sei Herrn Rechtsanwalt Winfried Carli, LL.M. (NYU), München, für die angeregte Diskussion und die wertvollen Hinweise aus der Anwendungspraxis. 1 Das Manuskript wurde im Juli 2008 abgeschlossen.
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hatten, mit ihm zusammen zu arbeiten, der Eindruck eingestellt, dass für ihn von der Gewährträgerhaftung ein gewisses Faszinosum ausging.2 Es steht außer Zweifel, dass er sich in diesen stürmischen Tagen mit der ihm eigenen akademischen Leidenschaft auch den Auswirkungen der Finanzmarktkrise auf die Gewährträgerhaftung gewidmet hätte. Mit diesen Gedanken seien ihm die folgenden Zeilen gewidmet.
II. Die Gewährträgerhaftung im Abriss 1. Gewährträgerhaftung und Anstaltslast Zunächst soll das Institut der Gewährträgerhaftung, das bis zur so genannten Brüsseler Verständigung – dazu sogleich – in den Sparkassen- und Landesbankgesetzen ausdrücklich geregelt war,3 kurz vorgestellt werden. Die Gewährträgerhaftung ist dabei stets zusammen mit ihrem Schwesterinstitut – der Anstaltslast – zu betrachten. Unter Anstaltslast wird gemeinhin die Verpflichtung des Trägers, also der Errichtungskörperschaft (Land, Kreis, Verband oder Gemeinde), verstanden, die Erfüllung der Aufgaben durch die Anstalt – also hier die Aufgaben eines Kreditinstitutes – sicherzustellen. In dieser Ausformung hat die Anstaltslast ihren Niederschlag in den einschlägigen Gesetzen und Satzungen gefunden.4 Für die Aufgabenerfüllung ist es erforderlich, die wirtschaftliche Basis der Anstalt zu sichern und sie für die gesamte Dauer ihres Bestehens funktionsfähig zu halten. Damit ist der Träger der Anstaltslast im Innenverhältnis verpflichtet, etwaige der Anstalt entstandenen Verluste auszugleichen.5 Praktisch hatte dies zur Folge, dass öffentlich-rechtliche Kreditinstitute nicht insolvent werden konnten, da die Anstaltslast die Erfüllung der Eigenkapitalvorschriften des KWG und der EU-Richtlinien erforderte und dies über die bloße Verpflichtung zur Erfüllung der Verbindlichkeiten wesentlich hinausgeht.6 Damit ist auch bereits der Kern der Auseinandersetzung beschrieben, der dann zur Brüsseler Verständigung führte. Das nach außen gerichtete Gegenstück der Anstaltslast ist die besagte Gewährträgerhaftung. Im Außenverhältnis ist der Anstaltsträger als Gewährträger auf Grund entsprechender gesetzlicher oder satzungsmäßiger Anord2 Dies zeigen auch seine Veröffentlichungen zu dem Thema, vgl. CBLR 1995, 337 ff. (mit Uwe H. Schneider); EuZW 1997, 357 ff. und 429; I.F.L. Rev, 1998, 17 (1), 39 f.; WM 2003, 321 ff. 3 Eine Auflistung der Wortlaute der Landesgesetze findet sich bei Gruson, WM 2003, 321 (322). 4 Vgl. unten, § 6 SpKG NW. 5 BGH NJW 1984, 1681 (1683). 6 Gerick, BB 1998, 494 (495); Möschel, WM 2001, 1895.
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nung unbeschränkt für die Verbindlichkeiten der Landesbank oder Sparkasse haftbar. Die Gewährträgerhaftung setzt also zwingend die Anstaltslast voraus, während die Anstaltslast auch ohne die Gewährträgerhaftung bestehen kann. Die Anstaltslast setzt entsprechend ihrer Funktion früher an als die Gewährträgerhaftung: Sie greift bereits dann, wenn die Aufgabenerfüllung ernsthaft gefährdet ist. Auf die Anstaltslast können sich die Gläubiger des Kreditinstitutes nach allgemeiner Auffassung jedoch nicht berufen.7 Es handelt sich um eine Ausstattungspflicht im Innenverhältnis. Durch eine Außenhaftung würde insbesondere das für diese Zwecke geltende Institut der Gewährträgerhaftung überflüssig. Die Gewährträgerhaftung war teils gesetzlich geregelt, teils in den jeweiligen Satzungen der öffentlichen Banken verankert.8 Beispielhaft sei die alte Fassung des § 6 SpKG NW zitiert: „Für die Verbindlichkeiten der Sparkasse haftet die Gemeinde oder der Gemeindeverband als Gewährträger unbeschränkt. Die Gläubiger der Sparkasse können den Gewährträger nur in Anspruch nehmen, soweit sie aus dem Vermögen der Sparkasse nicht befriedigt werden. Der Gewährträger stellt sicher, dass die Sparkasse ihre Aufgaben erfüllen kann (Anstaltslast).“
2. Das Verfahren bei der Europäischen Kommission Den Anfang vom Ende der Rechtsinstitute der Anstaltslast und Gewährträgerhaftung für öffentlich-rechtliche Kreditinstitute markierte eine im Dezember 1999 eingelegte Beihilfebeschwerde der Europäischen Bankenvereinigung gegen das System von Anstaltslast und Gewährträgerhaftung. Die Kommission der Europäischen Union hatte die Bundesrepublik Deutschland daraufhin im Zuge des Beschwerdeverfahrens im Jahre 2000 aufgefordert, diese Haftungsinstrumente abzuschaffen. Bis zu diesem Verfahren hatte die Kommission die Vereinbarkeit der Anstaltslast und der Gewährträgerhaftung mit den beihilferechtlichen Regelungen des EG-Vertrages, namentlich der Art. 87 und 88, lediglich angezweifelt, aber die bestehenden Regelungen im Ergebnis unbeanstandet gelassen. In dem Beihilfebeschwerdeverfahren vertrat die Kommission nunmehr aber die Auffassung, dass Anstaltslast und Gewährträgerhaftung eine unzulässige Beihilfe darstellten.9 Unter einer Beihilfe ist bekanntlich jede staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Begünstigung eines Unternehmens zu verstehen, der keine angemessene Kom7
Gerick, BB 1998, 494 (495); Koenig, WM 1995, 821 (822). Ein Überblick findet sich bei Gruson/Schneider, CBLR 1995, 337 (396). 9 Im Schrifttum wurde die Frage schon länger kontrovers diskutiert: vgl. die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit bejahend Koenig/Sander, EuZW 1997, 363 ff.; Schmid/Vollmöller, NJW 1998, 716 (719 f.); verneinend Gruson, EuZW 1997, 357; Thode/Peres, BB 1997, 1749 ff. 8
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pensation gegenübersteht.10 Die Kommission hat die Rechtsinstitute der Anstaltslast und der Gewährträgerhaftung dabei als staatliche Bürgschaften eingeordnet, die den Bürgschaftsschuldner begünstigten. Die Einstandspflicht entfalte beihilfeartige Wirkung aufgrund der dadurch bewirkten Verbesserung des Ratings des begünstigten Kreditinstitutes und der daraus folgenden günstigeren Refinanzierungsmöglichkeiten am Kapitalmarkt. Das hervorragende Rating und Kredit-Standing des Staates strahle unmittelbar auf die durch die Einstandspflicht begünstigten Kreditinstitute ab. Die Einstufung als Beihilfe verstößt nach Auffassung der Kommission auch nicht gegen die Eigentumsgarantie des Art. 295 EGV. Die Staaten könnten Kreditinstitute auch durch öffentliche Eigentümer betreiben lassen, dürfen jedoch dabei in den Bereichen, in denen Wettbewerb besteht, durch Beihilfen keine Wettbewerbsverzerrungen bewirken. Die Beihilfen könnten auch nicht unter Hinweis auf Art. 86 Abs. 2 EGV (Öffentliche und monopolartige Unternehmen) gerechtfertigt werden. Die Kommission zweifelt bereits daran, dass öffentliche Kreditinstitute im Sinne von Art. 86 Abs. 2 EGV mit einer öffentlichen Aufgabe betraut sind. Im konkreten Verfahren hat die Kommission zu dieser Frage nicht Stellung bezogen, da die Bundesregierung nicht dargetan habe, wie hoch die Kosten der Erledigung der öffentlichen Aufgabe sind und inwieweit diese Kosten durch Anstaltslast und Gewährträgerhaftung kompensiert werden.
3. Die Brüsseler Verständigung Während des laufenden Beihilfebeschwerdeverfahrens haben sich die EUKommission und die Bundesregierung bekanntlich über die beihilferechtliche Behandlung von Anstaltslast und Gewährträgerhaftung für die öffentlich-rechtlich organisierten Kreditinstitute geeinigt. Sie erzielten am 17. Juli 2001 eine Verständigung, mit der die Bundesrepublik Deutschland im Zuge des Beschwerdeverfahrens die Annahme des im Vorprüfungsverfahrens nach Art. 88 Abs. 1 EGV von der Kommission nach Art. 18 der VO (EG) Nr. 659/ 1999 unterbreiteten Vorschlags zweckdienlicher Maßnahmen vom 8. Mai 2001 erklärte („Brüsseler Verständigung“).11 Die gesamte Vereinbarung hatte die Kommission in einem Brief vom 27. März 2002 an das Auswärtige Amt dargelegt, der von der Bundesregierung am 11. April 2002 angenommen wurde. Kernpunkt dieser außergerichtlichen Verständigung ist, dass die Rechtsform der öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute unangetastet bleibt. Des Wei10 Mederer/van Ysendyck, in: von der Groeben/Schwarze, EGV, 6. Aufl. (2003), Art. 87 Rdnrn. 4 ff. 11 Vgl. hierzu ausführlich Seubert, Die Brüsseler „Verständigung“ zu Anstaltslast und Gewährträgerhaftung, Dissertation, 2004, S. 81 ff.
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teren wurde das Auslaufen von Anstaltslast und Gewährträgerhaftung in den Bereichen, in denen Wettbewerb besteht, bis zum 18. Juli 2005 vereinbart. Von der Abschaffung der Gewährträgerhaftung und der Anstaltslast in ihrer bisherigen Form blieben gewisse, staatlich delegierte Aufgaben unberührt. Der Einsatz von Förderinstituten, wie z.B. der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) oder der nach Landesrecht errichteten Förderinstitute, war damit auch zukünftig zulässig, wenn und soweit diese im staatlichen Auftrag in Förderbereichen wie z.B. Mittelstands-, Infrastruktur-, Umweltschutzfinanzierungen, Wohnungswirtschaft sowie Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern tätig wurden. Die Verständigung zwischen Kommission und Bundesregierung lief im Ergebnis auf eine stufenweise Abschaffung inklusive einer Übergangsfrist hinaus. Die vierjährige Übergangsfrist wurde aus Gründen des Vertrauensschutzes und zur Vermeidung eines Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot vereinbart. Für Verbindlichkeiten, die bis zum und einschließlich am 18. Juli 2001 eingegangen wurden, gilt danach die Gewährträgerhaftung unabhängig von der vereinbarten Laufzeit der Verbindlichkeit, während für nach dem 18. Juli 2001 und bis zum und einschließlich am 18. Juli 2005 eingegangene Verbindlichkeiten die Gewährträgerhaftung nur dann eingreift, wenn die vertraglich vereinbarte Laufzeit der Verbindlichkeit nicht über den 31. Dezember 2015 hinausgeht. Der 18. Juli 2001 markiert mithin eine Zeitenwende bei der Beurteilung des Eingreifens der Gewährträgerhaftung: Vor diesem Termin entstandene Verbindlichkeiten unterliegen in jedem Fall der Gewährträgerhaftung; danach eingegangene Verbindlichkeiten nur in Abhängigkeit von der vertraglich vereinbarten Laufzeit. Seit dem 19. Juli 2005 darf der Träger das Kreditinstitut bei der Erfüllung seiner Aufgaben bloß noch mit der Maßgabe „unterstützen“, dass ein Anspruch des Kreditinstitutes gegen den Träger oder eine sonstige Verpflichtung des Trägers, dem Institut Mittel zur Verfügung zu stellen, nicht (mehr) besteht.12 Die Sparkassen- und Landesbankgesetze sind entsprechend geändert worden. Unbenommen bleibt die Möglichkeit der Übernahme einer Bürgschaft oder der Abgabe eines Garantieversprechens im Einzelfall. Solche Maßnahmen sind dann jeweils beihilferechtlich zu prüfen.
12 Vgl. die entsprechende Regelung in § 6 SpKG NW n.F.: „Der Träger unterstützt die Sparkasse bei der Erfüllung ihrer Aufgaben mit der Maßgabe, dass ein Anspruch der Sparkasse gegen den Träger oder eine sonstige Verpflichtung des Trägers, der Sparkasse Mittel zur Verfügung zu stellen, nicht besteht. Die Sparkasse haftet für ihre Verbindlichkeiten mit ihrem gesamten Vermögen. Der Träger der Sparkasse haftet nicht für deren Verbindlichkeiten.“
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III. Ausgewählte Problembereiche 1. Praktische Relevanz und Gang der Darstellung Mit der Brüsseler Verständigung wurde ein Paradigmenwechsel bewirkt: Seit dem 19. Juli 2005 müssen sich öffentlich-rechtliche Kreditinstitute zu denselben Konditionen refinanzieren wie private Kreditinstitute. Gleichwohl hat das Institut der Gewährträgerhaftung für öffentlich-rechtliche Kreditinstitute nach wie vor eine immense praktische Bedeutung. Nach den Bestimmungen des Übergangsregimes gilt sie für die bis zum 19. Juli 2005 begründeten Verbindlichkeiten fort. Die praktische Bedeutung leitet sich dabei nicht nur aus den im gewöhnlichen Geschäftsgang vor dem Auslaufen der Gewährträgerhaftung begründeten Geschäftsvorfällen ab. Mit dem nahenden Ende der Gewährträgerhaftung haben viele öffentlich-rechtliche Kreditinstitute ihren damals noch bestehenden Ratingvorteil genutzt und sind langfristige Verbindlichkeiten nicht zuletzt auch zum Zwecke der Refinanzierung eingegangen. Nachfolgend sollen die Voraussetzungen beleuchtet werden, die an das Eingreifen der Gewährträgerhaftung für in der bis zum 19. Juli 2005 geltenden Übergangsphase begründete Verbindlichkeiten zu stellen sind. Darauf aufbauend soll dann der Frage nachgegangen werden, welche Anforderungen zu beachten sind, wenn die betreffenden Rechtsverhältnisse Änderungen unterworfen sind. Gerade vor dem Hintergrund der durch die Subprime-Krise ausgelösten tiefgreifenden Marktverwerfungen hat sich nicht selten die Notwendigkeit für Vertragsanpassungen ergeben, die dann regelmäßig die Frage nach dem Fortbestand der Gewährträgerhaftung ausgelöst haben.
2. Voraussetzungen für ein Eingreifen der Gewährträgerhaftung Bevor man sich dem möglichen späteren Wegfall der einmal begründeten Gewährträgerhaftung zuwendet, sind zunächst noch einmal die einzelnen Voraussetzungen für das Eingreifen der Gewährträgerhaftung zu beleuchten. Im Übergangsregime bis zum 31. Dezember 2015 müssen die Verbindlichkeiten die nachfolgenden Voraussetzungen erfüllen, um der Gewährträgerhaftung zu unterfallen. Es muss sich zunächst um eine Verbindlichkeit handeln, die bis einschließlich 18. Juli 2005 begründet wurde. Neue Verbindlichkeiten sind damit nicht erfasst. Es muss sich vielmehr um eine am 18. Juli 2005 bestehende bzw. begründete Verbindlichkeit handeln, deren Laufzeit nicht über den 31. Dezember 2015 hinausgehen darf. Für Verbindlichkeiten, die vor dem 18. Juli 2001 begründet wurden, gilt dies unabhängig von der Laufzeit der Verbindlichkeiten und deren Fälligkeitsdatum und folglich ohne zeitliche Begrenzung. Unter dem in den einschlägigen Gesetzen und Satzungen verwendeten Begriff der Verbindlichkeit ist eine Verbindlichkeit im zivilrechtlichen Sinne
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zu verstehen. So wird der Begriff Verbindlichkeit z.B. in §§ 257, 364 Abs. 2 oder § 762 BGB verwendet und dort synonym für den Begriff Schuld als Pflicht des Schuldners aus einem Schuldverhältnis verwendet und stellt die Gegenposition zur Forderung dar.13 Durch die Bezugnahme auf zivilrechtlich-technische Begrifflichkeiten wie bestehende bzw. begründete Verbindlichkeit wird deutlich, dass die jeweiligen Gesetz- bzw. Satzungsgeber den Begriff Verbindlichkeit im zivilrechtlichen Sinne verwenden.14 In den Gesetzen oder Satzungen ist von vereinbarten Verbindlichkeiten die Rede. Dies macht deutlich, dass nur rechtsgeschäftlich begründete Verbindlichkeiten erfasst sind. Der Terminus einer begründeten Verbindlichkeit findet sich in einigen Normen des Zivilrechts, so im Zusammenhang mit der Haftung von Gesellschaftern unter anderem in den §§ 130 Abs. 1, 160 Abs. 1 HGB. Zu den dortigen Auslegungsansätzen kann eine Parallele gezogen werden, schließlich handelt es sich auch hier um eine Haftung für Verbindlichkeiten eines anderen, die vor einem bestimmten Stichtag begründet sein müssen. Das führt zu einer Übertragbarkeit der folgenden Überlegungen: Die Begründung der Verbindlichkeit ist weder mit dem Entstehen noch mit dem Fälligwerden der Verbindlichkeit gleichzusetzen.15 Es kommt vielmehr darauf an, wann die Rechtsgrundlage gelegt worden ist.16 Bei rechtsgeschäftlichen Verbindlichkeiten ist die Rechtsgrundlage gelegt, wenn der Vertrag vor dem Ausscheiden abgeschlossen wurde.17 Als bestehend bzw. begründet ist eine Forderung also dann anzusehen, wenn sie am Stichtag bereits vereinbart ist. Bei einem mehraktigen Entstehungstatbestand genügt es, wenn ein hinreichend konkreter und verpflichtender Begründungsakt erfolgt ist, ohne dass der Entstehungstatbestand der Forderung bereits vollständig abgeschlossen sein muss. Damit genügt es also, dass die Forderung nicht als Vollrecht, sondern lediglich als Anwartschaftsrecht entstanden ist. Bei Dauerschuldverhältnissen ist die Rechtsgrundlage bereits im Vertrag angelegt, so dass ein vor dem Stichtag begründeter Vertrag fortlaufend neue gedeckte Verbindlichkeiten zustande bringt.18 Eine laufende Geschäftsbeziehung genügt hingegen nicht, um alle
13 Vgl. Creifelds, Rechtswörterbuch, 17. Aufl., S. 1207; Palandt/Heinrichs, BGB, 67. Aufl. (2008), vor § 241 Rdnr. 3. 14 Vgl. z.B. die Ausführungen zum Anwartschaftsrecht bei einem mehraktigen Entstehungstatbestand bei Palandt/Heinrichs (o. Fußn. 13), Einf. vor § 158 Rdnr. 9. 15 Habersack, in: Großkomm HGB, 4. Aufl. (2004), § 128 Rdnr. 63. 16 K. Schmidt, in: MünchKomm-HGB, 2. Aufl. (2006), § 128 Rdnr. 49; Hillmann, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. Aufl. (2008), § 128 Rdnr. 46. 17 K. Schmidt, in: MünchKomm-HGB (o. Fußn. 16), § 128 Rdnr. 49; Hopt, in: Baumbach/Hopt, HGB, 33. Aufl. (2008), § 128 Rdnr. 29; Hillmann, in: Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn (o. Fußn. 16), § 128 Rdnr. 46. 18 Vgl. BGH NJW 2000, 208 (209); NJW 2002, 2170 (2171); BAG NJW 2004, 3287 (3288); Habersack, in: Großkomm HGB (o. Fußn. 15), § 128 Rdnr. 63.
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daraus resultierenden Vertragsansprüche als Altverbindlichkeiten zusammenzufassen.19 Die Haftung der Gewährträger für die betreffende Verbindlichkeit setzt weiter voraus, dass der Umfang der Verbindlichkeit bestimmt bzw. bestimmbar ist. Dies folgt aus einer entsprechenden Anwendung der Grundsätze, die für die zivilrechtliche Bürgschaft gelten.20 Die zivilrechtlichen Normen des Bürgschaftsrechts lassen sich zwar nicht in Gänze und schon gar nicht ungeprüft übernehmen. Vielmehr ist im Einzelfall zu untersuchen, ob die jeweilige Bestimmung von Wertungen getragen ist, die auch der staatlichen Gewährträgerhaftung immanent sind.21 Für die Frage der Bestimmtheit bzw. Bestimmbarkeit einer Verbindlichkeit lässt sich dies indessen bejahen. Im Bürgschaftsrecht gilt, dass Hauptschuldner und Gläubiger feststehen müssen. Ferner muss die Hauptschuld nach Art und Umfang bestimmt, gegebenenfalls durch Auslegung, bestimmbar sein. Die Auslegung hat dann im Einzelfall nach den bekannten Auslegungsgrundsätzen zu erfolgen, hinsichtlich Art und Umfang der Hauptschuld also vorrangig nach dem Wortsinn der Vereinbarung sowie nach ihrem Sinn und Zweck. Weitere Voraussetzung ist der Ausfall des Gläubigers mit seiner Forderung beim Kreditinstitut und die Geltendmachung der Forderung gegenüber den Gewährträgern unter Hinweis auf seinen Ausfall. In den entsprechenden Regelungen der Gesetze und Satzungen heißt es dazu, dass die Gläubiger bei Fälligkeit der Forderung schriftlich geltend machen, aus dem Vermögen des jeweiligen Instituts nicht befriedigt werden zu können.22 Ihrem Wesen nach handelt es sich bei der Gewährträgerhaftung damit um eine Ausfallbürgschaft,23 d.h. der Gewährträger kann von einem Gläubiger des öffentlichrechtlichen Kreditinstitutes nur in Anspruch genommen werden, wenn der Gläubiger nicht aus dem Vermögen des Kreditinstitutes Befriedigung erlangen kann.24 Die zivilrechtlichen Vorschriften über die Bürgschaft (§§ 765 ff. BGB) sind daher auf sie zumindest ihrem Rechtsgedanken nach entsprechend anzuwenden.25 Der Gewährträger haftet unmittelbar und unbeschränkt, soweit nicht die Befriedigung aus dem Vermögen des Kreditinstitutes zu er-
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K. Schmidt, in: MünchKomm-HGB (o. Fußn. 16), § 128 Rdnr. 54. Vgl. hierzu Palandt/Sprau (o. Fußn. 13), § 765 Rdnr. 6 f.; zur Einordnung als Ausfallbürgschaft siehe Gruson, EuZW 1997, 357. 21 Gruson, WM 2003, 321 (322 f.); Schmid/Vollmöller, NJW 1998, 716 (717). 22 Vgl. § 44 Abs. 1 SpkG NW. 23 So auch Gruson, EuZW 1997, 357; Jarass, WM 2002, 941 (942); Möschel, WM 2001, 1895; Schmid/Vollmöller, NJW 1998, 716 (717) und die Wettbewerbsenquete BT-Drucks. V/3500, 49. 24 Eine Klage gegen die Anstalt ist nicht Voraussetzung einer Inanspruchnahme der Gewährträger: vgl. Gruson, CBLR 1995, 337 (397); ders., WM 2003, 321 (322); kritisch hierzu Füßer, ZBB 2002, 300 (303 ff.); a.A. Jarass, WM 2002, 941 (943 ff.). 25 Gruson, WM 2003, 321 (322); Schmid/Vollmöller, NJW 1998, 716 (717). 20
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langen ist.26 Unstreitig ist die Haftung der Gewährträger damit eine subsidiäre.27 Sie ist zudem akzessorisch, d.h. dem Gewährträger stehen dieselben Einreden und Einwendungen zu wie dem Kreditinstitut.28 Mehrere Gewährträger haften gegenüber dem Gläubiger gesamtschuldnerisch.
3. Späterer Wegfall und Begrenzung der Gewährträgerhaftung Mit diesen eher grundsätzlichen Betrachtungen zu den Voraussetzungen des Eingreifens der Gewährträgerhaftung kann man sich nun der Frage zuwenden, welche Ereignisse oder Entwicklungen zu einem Wegfall oder zu einer Einschränkung der bereits begründeten Gewährträgerhaftung führen können. Anlass hierzu gibt aktuell die infolge der Subprime-Krise ausgelöste Marktsituation, die der Gewährträgerhaftung wieder verstärkt Aufmerksamkeit zukommen lässt. Die öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute sind in der Übergangsphase zu Refinanzierungszwecken vielfach langfristige Verbindlichkeiten eingegangen. Gerade bei einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Kreditinstitute stellt sich daher die Frage, inwiefern z.B. Anleihebedingungen geändert werden können, ohne die Deckung durch die Gewährträgerhaftung zu verlieren. Ähnliche Fragen stellen sich, wenn im Hinblick auf den zum Teil drastischen Bonitätsverfall von Anleiheversicherern (Monoliner) Änderungen an der Vertragsdokumentation erwogen werden. Unabhängig davon stellt sich die Frage, ob das Kreditinstitut bestehende Gestaltungsrechte auszuüben hat, wenn sich dadurch das potentielle Inanspruchnahmerisiko des Gewährträgers beschränken lässt. Nachfolgend sollen die rechtlichen Grenzen der Änderung von Verbindlichkeiten im Hinblick auf die Fortgeltung der Gewährträgerhaftung in der Praxis untersucht werden. a) Gestaltungsrechte und Optionen Sofern dem Kreditinstitut oder dem Gläubiger Gestaltungsrechte zustehen, die Einfluss auf die Laufzeit der Verbindlichkeit haben, bedarf es der Klärung, welche Auswirkungen die Ausübung oder Nichtausübung eines solchen Rechts hat. aa. Nichtausübung von Kündigungsrechten Grundsätzlich lässt die Nichtausübung eines Gestaltungsrechts die ursprünglich vereinbarte Verbindlichkeit in unveränderter Form weiter beste26 Eine Auflistung der Wortlaute der Landesgesetze findet sich bei Gruson, WM 2003, 321 (322). 27 BGH ZIP 1984, 688 (691); Füßer, ZBB 2002, 300 (306); Gruson, WM 2003, 321 (322); Jarass, WM 2002, 941; Rümker, in: Festschrift Stiefel, S. 607, 619. 28 Füßer, ZBB 2002, 300 (306); Rümker, in: Festschrift Stiefel, S. 607, 619.
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hen.29 Weder auf Seiten des Kreditinstitutes noch auf Seiten des Gläubigers besteht eine Pflicht zur Kündigung. Der Grundsatz der Privatautonomie verbietet – zumindest beim Gläubiger – eine andere Betrachtung. Aber auch das Kreditinstitut kann eine Pflicht zur Kündigung nicht treffen. Dazu fehlt es bereits an einer entsprechenden Regelung in den Landesbankgesetzen. Auch der Geist der Brüsseler Verständigung gebietet nicht, dass ein Kreditinstitut vertragliche Möglichkeiten zur Haftungsreduzierung nutzt. Die Übergangsregelungen bis zum 18. Juli 2005 sollten es den betroffenen Kreditinstituten ermöglichen, ihre Geschäftstätigkeit und Organisation zu restrukturieren, um sich dem veränderten rechtlichen und wirtschaftlichen Umfeld anzupassen.30 Dazu wurde die Möglichkeit geschaffen, sogar neue, durch die Gewährträgerhaftung gedeckte Verbindlichkeiten mit einer Laufzeit bis 2015 einzugehen. Auch bei einer wesentlichen Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Kreditinstitutes kann aus dem Rechtsgedanken des § 775 Abs. 1 Nr. 1 BGB eine Pflicht zur Haftungsreduzierung oder gar Befreiung des Bürgen nicht hergeleitet werden, zumal diese Vorschrift nur für den Auftragsbürgen gilt 31 und deshalb nicht in das durch Gesetz begründete Haftungsregime der Gewährträgerhaftung passt. Das Kreditinstitut hat gegenüber dem Gewährträger keine über die Vorschriften des KWG hinausgehende Verpflichtung zur Risiko- und damit Haftungsminimierung. Jedenfalls verbietet aber der gebotene Vertrauensschutz des Gläubigers eine andere Beurteilung. Denn ihm darf nicht einseitig durch die Ausübung eines Gestaltungsrechts des Kreditinstitutes die Haftung der Gewährträger entzogen werden können. Auch bei einer Bürgschaft verliert der Gläubiger durch die Nichtausübung einer Kündigungsmöglichkeit nicht die Haftung des Bürgen.32 Die Nichtausübung von Kündigungsrechten ändert daher weder die Verbindlichkeit noch führt sie zum Wegfall der Gewährträgerhaftung. bb. Verlängerungsoptionen Insbesondere Anleihebedingungen sehen häufig Verlängerungsoptionen vor. Daher stellt sich die Frage, ob eine Verbindlichkeit auch nach Ausübung einer Verlängerungsoption noch von der Gewährträgerhaftung gedeckt sein kann. Wurde eine Anleihe vor dem 19. Juli 2001 begeben und besteht unter den Anleihebedingungen eine einseitige Möglichkeit zur Verlängerung, so kann die Ausübung der Verlängerungsoption keine Auswirkung auf die 29 Vgl. Kramer, in: MünchKomm-BGB, 5. Aufl. (2007), Einleitung zu §§ 241–432 Rdnr. 13. 30 Siehe Bericht der Kommission vom 29.04.2002, SEK (2002) 462 endgültig, S. 124. 31 Habersack, in: MünchKomm-BGB, 4. Aufl. (2004), § 775 Rdnr. 1. 32 Palandt/Sprau (o. Fußn. 13), § 767 Rdnr. 3; Staudinger/Horn, BGB, 13. Aufl. (1997), § 767 Rdnr. 42.
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Deckung durch die Gewährträgerhaftung haben. Dies muss auch für eine Verlängerung über das Jahr 2015 hinaus gelten. Mit Blick auf das Rechtsstaatsprinzip und dem daraus folgenden Vertrauensschutz sowie das Rückwirkungsverbot 33 musste man die Gewährträgerhaftung für die vor dem 19. Juli 2001 vereinbarten Verbindlichkeiten unbegrenzt weitergelten lassen.34 So werden im Brief der Europäischen Kommission vom 27. März 2002 35 als Legitimation für die Erlaubnis zur Fortführung der Gewährträgerhaftung ausdrücklich Gründe des Gläubigerschutzes genannt. Dabei kann es nicht darauf ankommen, ob die Verlängerungsoption dem Kreditinstitut, dem Gläubiger oder beiden Parteien zusteht. Das Vertrauen des Gläubigers in den Fortbestand der Gewährträgerhaftung für bis zum 18. Juli 2001 vereinbarte Verbindlichkeiten – mit allen Options- und sonstigen Rechten 36 – ist schutzwürdig. Denn mit einem Wegfall der bereits vor dem 19. Juli 2001 bestehenden Gewährträgerhaftung brauchte der Gläubiger nicht zu rechnen. Anders gestaltet sich die Lage, wenn die Anleihe nach dem 18. Juli 2001 begeben wurde, etwa mit einer ursprünglichen Laufzeit bis 2010. Ermöglicht die – anfänglich vereinbarte – Option eine Verlängerung der Laufzeit bis längstens 31. Dezember 2015, so ist zu überlegen, ob im Falle der Optionsausübung die Anleihe über die ursprüngliche Laufzeit hinaus unter die Gewährträgerhaftung fällt. Zwar mag der Gläubiger, der nach dem 18. Juli 2001 eine Anleihe gezeichnet hat, in seinem Vertrauen auf den unveränderten Fortbestand der Gewährträgerhaftung – insbesondere im Hinblick auf ihm zustehende Gestaltungsrechte – weniger schutzwürdig sein. Andererseits hätte die bis zum 18. Juli 2005 begebene Anleihe auch von vornherein mit einer längeren Laufzeit ausgestattet sein können. Diese längere Laufzeit war auch bei einer Ausgestaltung als Verlängerungsoption bereits vertraglich angelegt. Zumindest dann, wenn die Option dem Gläubiger zusteht, hat sich das Kreditinstitut bereits für die längere Laufzeit verpflichtet. Aber auch wenn die Verlängerungsoption dem Kreditinstitut zusteht, darf der Gläubiger – ohne seine Kontrolle – die Deckung durch die Gewährträgerhaftung nicht verlieren. Auch § 767 Abs. 1 S. 3 BGB schützt den Bürgen nicht vor Haftungserweiterungen, die das Ergebnis einseitiger, vertraglich angelegter Gestaltungsbefugnis sind, unabhängig davon, welcher Partei das Gestaltungsrecht
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Vgl. BVerfG NJW 1977, 2024 (2025 f.); BVerfG DtZ 1993, 275 (276). Gruson, Zum Fortbestehen von Anstaltslast und Gewährträgerhaftung zur Sicherung der Anleihen der Landesbanken, EuZW 1997, 357 (359). 35 Brief vom 27. März 2002, S. 2, im Internet abrufbar unter http://www.voeb.de/ download/gesetzestext_verstaendigung. 36 So auch die Gesetzesbegründung zum Gesetz zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse der öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute in Nordrhein-Westfalen, Anhang 1 zu Drucks. 13/2743 vom 20. Juni 2002, 5 f. 34
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zusteht.37 Das bis zum 18. Juli 2005 vereinbarte Optionsrecht ist daher von der Gewährträgerhaftung erfasst. Die durch Ausübung des Optionsrechts in ihrer Laufzeit verlängerte Anleihe ist damit insgesamt von der Gewährträgerhaftung gedeckt. Anders zu beurteilen ist jedoch die Vereinbarung einer Option, durch welche die Laufzeit über den 31. Dezember 2015 hinaus verlängert werden kann. Liegt es einseitig in der Hand des Gläubigers, die Laufzeit über den 31. Dezember 2015 hinaus zu verlängern, hat sich das Kreditinstitut bereits zu Beginn für eine aus dem Rahmen des Übergangsregimes fallende Laufzeit verpflichtet.38 Steht die Option allein dem Kreditinstitut zu, hat sich dieses zunächst zwar nur hinsichtlich einer Verbindlichkeit mit einer Fälligkeit vor dem 31. Dezember 2015 gebunden. Allerdings hat es dann das Kreditinstitut einseitig in der Hand, durch die Ausübung der Option die Anleihe aus dem Haftungsrahmen herausfallen zu lassen. Der Gläubiger kann hier nicht darauf vertrauen, dass bei Fälligkeit der Anleihe die Gewährträgerhaftung noch besteht. cc. Unbefristete Laufzeit und stillschweigende Verlängerung Statt mit einer Verlängerungsoption sind Anleihen oder auch Letters of Credit mitunter so ausgestaltet, dass sich die Laufzeit automatisch verlängert, wenn keine Kündigung des Vertrags erfolgt. Unproblematisch von der Gewährträgerhaftung erfasst sind die Fälle, wo die Verbindlichkeit bereits vor dem 19. Juli 2001 eingegangen wurde oder die vertraglich festgelegte Höchstlaufzeit vor dem 31. Dezember 2015 endet. Ist die Laufzeit dagegen zeitlich unbegrenzt (sog. evergreen commitments) oder endet der Verlängerungsautomatismus erst nach dem Jahr 2015, wurde eine Verbindlichkeit mit einer Laufzeit über den 31. Dezember 2015 hinaus vereinbart.39 Denn entscheidend ist nicht die tatsächliche, gegebenenfalls durch eine Kündigung verkürzte Laufzeit, sondern die ursprünglich vereinbarte Laufzeit.40 Eine zu-
37 Für den Gläubiger: Habersack, in: MünchKomm-BGB (o. Fußn. 31), 4. Aufl. (2004), § 767 Rdnr. 10; für den Hauptschuldner: Palandt/Sprau (o. Fußn. 13), § 767 Rdnr. 3; Staudinger/Horn (o. Fußn. 32), § 767 Rdnr. 42. 38 So z.B. Artikel 1 § 11 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse der öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute in Nordrhein-Westfalen: „Für solche Verbindlichkeiten, die bis zum 18. Juli 2001 vereinbart waren, gilt dies zeitlich unbegrenzt; für danach bis zum 18. Juli 2005 vereinbarte Verbindlichkeiten nur, wenn deren Laufzeit nicht über den 31. Dezember 2015 hinausgeht“ oder § 4 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über die Bayerische Landesbank: „Für solche Verbindlichkeiten, die bis zum 18. Juli 2005 vereinbart waren, gilt dies zeitlich unbegrenzt; für danach bis zum 18. Juli 2005 vereinbarte Verbindlichkeiten nur, wenn deren Laufzeit nicht über den 31. Dezember 2015 hinausgeht“. 39 Etwas anderes kann aber gelten, wenn sich eine Partei bereits bei Abschluss des evergreen unwiderruflich zur Kündigung vor dem 31. Dezember 2015 verpflichtet hat. 40 Vgl. Gesetzesbegründung zum Gesetz zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse der öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute in Nordrhein-Westfalen, Anhang 1 zu Drucks. 13/2743
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nächst über den 31. Dezember 2015 hinausgehende, aber vor dem 31. Dezember 2015 gekündigte Verbindlichkeit ist damit von Anfang an nicht von der Gewährträgerhaftung umfasst. Auch mit Blick auf den Schutz des Gläubigers gibt es keinen Grund, einer zunächst nicht von der Gewährträgerhaftung gedeckten Verbindlichkeit durch eine vorzeitige Kündigung nachträglich diese Deckung zukommen zu lassen.41 b) Vertragsänderungen Von den Auswirkungen einseitiger Gestaltungsrechte auf eine Verbindlichkeit sind Änderungen durch Vertrag zu unterscheiden.42 Da die Gewährträgerhaftung grundsätzlich nur die am 18. Juli 2005 bestehenden Verbindlichkeiten des Kreditinstitutes umfasst, ist zu untersuchen, ob durch eine Vertragsänderung nach diesem Stichtag die Gewährträgerhaftung erlischt, unverändert fortbesteht oder sich auf die Verbindlichkeit in ihrer nunmehr geänderten Form erstreckt. aa. Erlöschen der Gewährträgerhaftung Die Haftung des Bürgen entfällt, wenn eine Schuldumschaffung (Novation) stattfindet oder die Verbindlichkeit inhaltlich in einer der Ersetzung gleichkommenden Weise geändert wird.43 Wegen der weitreichenden Folgen einer Novation muss ein dahingehender Vertragswille allerdings deutlich erkennbar zum Ausdruck kommen.44 Aber auch außerhalb der Novation können Änderungen der Verbindlichkeit diese so stark verändern, dass bei einer wirtschaftlichen, auf das Bürgenrisiko abstellenden Betrachtungsweise von einem identitätsgleichen Fortbestehen der Hauptschuld nicht mehr ausgegangen werden kann.45 Anzunehmen ist dies, wenn durch die rechtsgeschäftliche Vereinbarung für den Haftenden grundlegende Voraussetzungen seiner übernommenen Haftung entfallen.46 Wo genau die Grenze zwischen einer noch identitätserhaltenden Änderung und einem Identitätsverlust der ur-
vom 20. Juni 2002, S. 5. Danach sollen Anleihen, deren ursprüngliche Laufzeit über das Jahr 2015 hinaus reicht, nicht in die Haftung einbezogen sein. 41 Deshalb erscheint eine andere Beurteilung auch dann nicht geboten, wenn das Kreditinstitut eine Einwirkungsmöglichkeit wie Rücktritt oder vorbehaltlose Kündigung der Verbindlichkeit hat. 42 Vgl. hierzu Emmerich, in: MünchKomm-BGB, 5. Aufl. (2007), § 311 Rdnrn. 28 f. 43 So zur Bürgschaft Palandt/Sprau (o. Fußn. 13), § 765 Rdnr. 29; Habersack, in: MünchKomm-BGB (o. Fußn. 31), § 767 Rdnr. 3. 44 St. Rechtspr., siehe z.B. BGH NJW 1980, 2412 (2413); BGH NJW 1986, 1490; BGH NJW 1999, 3708 (3709); Palandt/Grüneberg (o. Fußn. 13), § 311 Rdnr. 8. 45 RGZ 53, 356 (357); BGH WM 1962, 700 (701); WM 1978, 31 (32); BGH NJW 1980, 2412; Habersack, in: MünchKomm-BGB (o. Fußn. 31), § 767 Rdnr. 11. 46 Staudinger/Horn (o. Fußn. 32), § 767 Rdnr. 41.
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sprünglichen Verbindlichkeit liegt, ist eine Frage des Einzelfalles und in der Praxis häufig schwer zu bestimmen. bb. Keine Haftungserweiterung Auch wenn die vertragliche Änderung einer Verbindlichkeit nach dem 18. Juli 2005 nicht zum Identitätsverlust und damit Wegfall der Gewährträgerhaftung führt, bleibt zu prüfen, inwieweit Erweiterungen der Verpflichtungen des Kreditinstitutes von der Gewährträgerhaftung gedeckt sind. Wie bereits festgestellt, können die Vorschriften über die zivilrechtliche Bürgschaft – zumindest ihren Rechtsgedanken nach entsprechend – auf die Gewährträgerhaftung angewandt werden.47 Damit liegt es auch nahe, den Regelungsgedanken des § 767 Abs. 1 S. 3 BGB heranzuziehen, wonach sich die Haftung des Bürgen durch eine rechtsgeschäftliche Änderung der Hauptschuld nach Übernahme der Bürgschaft nicht erweitert. Zwar ist der dieser Vorschrift zugrunde liegende Gedanke des Verbots der Fremddisposition nicht unmittelbar auf die durch Gesetz begründete Gewährträgerhaftung übertragbar. Denn dieses trägt dem Umstand Rechnung, dass der Bürge das von ihm übernommene Risiko vertraglich begrenzt hat.48 Ein Vergleich der Stellung des Bürgen zum Zeitpunkt der Übernahme der Bürgschaft mit der Stellung der Gewährträger am 18. Juli 2005 erscheint dennoch sinnvoll: In beiden Fällen soll, wenn auch aus verschiedenen Gründen, eine Grenze für den Haftungsumfang gezogen werden. Aus diesem Grund ist zumindest ein Blick in die Kasuistik des § 767 Abs. 1 S. 3 BGB sachgerecht. Eine Erhöhung der Haftung der Gewährträger durch Vertrag nach dem 18. Juli 2005 wäre überdies auch nicht mit dem Sinn und Zweck der Regelung vereinbar. Dafür gibt es weder ein Schutzbedürfnis der Gläubiger noch ein Schutzbedürfnis des Kreditinstitutes. Die Gesetzgeber der jeweiligen Landesbankengesetze haben klar zum Ausdruck gebracht, dass die Haftung der Gewährträger auf die am 18. Juli 2005 bestehenden bzw. bis dahin vereinbarten Verbindlichkeiten begrenzt sein soll.49 Im Ergebnis ist es damit sachgerecht, dass sich die Gewährträgerhaftung nicht auf rechtsgeschäftliche Erweiterungen der gedeckten Verbindlichkeiten nach dem 18. Juli 2005 erstreckt, im Grundsatz aber im Umfang der ur47
Siehe oben S. 254. Habersack, in: MünchKomm-BGB (o. Fußn. 31), § 767 Rdnr. 10; vgl. Staudinger/Horn (o. Fußn. 32), § 767 Rdnrn. 36 ff. 49 So z.B. Artikel 1 § 11 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse der öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute in Nordrhein-Westfalen: „Die Gewährträger der Landesbank Nordrhein-Westfalen haften für die Erfüllung sämtlicher bis zum 18. Juli 2005 vereinbarten Verbindlichkeiten der WestLB AG“ oder § 4 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Bayerische Landesbank: „Der Freistaat Bayern und der Sparkassenverband Bayern haften für die Erfüllung sämtlicher am 18. Juli 2005 bestehenden Verbindlichkeiten der Bank“. 48
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sprünglich garantierten Verbindlichkeit erhalten bleibt.50 Eine andere Frage ist freilich, ob eine konkrete Änderung der von der Gewährträgerhaftung gedeckten Verbindlichkeit im Einzelfall auch tatsächlich haftungserweiternd ist. cc. Anleihen Insbesondere bei Anleihen ist in der Praxis regelmäßig zu klären, welche Auswirkung die rechtsgeschäftliche Änderung von Laufzeit und Verzinsung auf die Deckung durch die Gewährträgerhaftung hat. Bei einer laufzeitverlängernden Änderung der Tilgungsbestimmung einer Verbindlichkeit handelt es sich grundsätzlich um eine haftungserweiternde Abrede, die aber vor dem Hintergrund des tatsächlich eingetretenen Sachverhalts im Einzelfall zu prüfen ist.51 Unproblematisch stellt auch eine Erhöhung der Verzinsung einer Anleihe durch Vertragsänderung eine – nicht von der Gewährträgerhaftung gedeckte – Erweiterung der Verbindlichkeit dar. Anders gestaltet sich die Lage allerdings dann, wenn die Befugnis zu Konditionsänderungen, z.B. im Rahmen einer Zinsänderungsklausel, bereits im ursprünglichen Vertrag als einseitiges Leistungsbestimmungsrecht i.S.d. § 315 BGB angelegt war.52 Denn dann handelt es nicht um eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung der Vertragsänderung, sondern um die Ausübung eines Gestaltungsrechts.53 Eine rechtsgeschäftliche Reduzierung des Umfangs der Verbindlichkeit, wie eine Herabsetzung der Verzinsung, führt auch zu einer Reduzierung der Haftung der Gewährträger. Eine andere Frage jedoch ist, ob eine spätere Erhöhung der Zinsen auf das Ausgangsniveau von der Gewährträgerhaftung umfasst ist.54 dd. Letters of Credit Einige öffentlich-rechtliche Kreditinstitute haben sich besonders im Bereich des Credit Enhancement, d.h. der Ratingverbesserung von Wertpapieren, z.B. durch Stellung von Akkreditiven (meist in Form von Letters of Credit), engagiert.55 Hier besteht in der Praxis gelegentlich der Wunsch, die 50 Etwas anderes kann freilich gelten, wenn nach dem 18. Juli 2005 die ursprünglich vor dem 31. Dezember 2015 endende Laufzeit einer Verbindlichkeit über diesen 31. Dezember 2015 hinaus verlängert wird. 51 Vgl. BGH NJW 2000, 2580 (2582 f.); zur Verlängerung von Ausführungsfristen bei einer Erfüllungsbürgschaft OLG Hamm NZBau 2002, 471; anders bei Stundung: Habersack, in: MünchKomm-BGB (o. Fußn. 31), § 767 Rdnr. 13. 52 BGH NJW 2000, 2580 (2581 f.); Habersack, in: MünchKomm-BGB (o. Fußn. 31), § 767 Rdnr. 10. 53 Staudinger/Rieble, BGB, Neubearbeitung 2004, § 315 Rdnr. 73; Gottwald, in: MünchKomm-BGB, 5. Aufl. (2007), § 315 Rdnr. 34. 54 Dies wird mit Blick auf die zivilrechtliche Bürgschaft zu verneinen sein, vgl. Habersack, in: MünchKomm-BGB (o. Fußn. 31), § 767 Rdnr. 16 m.w.Nachw. 55 Zur Einstufung des Akkreditivs nach Kriterien nationaler Rechtsordnungen siehe Nielsen, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 3. Aufl. (2007), § 120 Rdnrn. 76 f.
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bisher besicherten Wertpapiere gegen andere auszutauschen und den Letter of Credit so weiter zu verwenden. Inwieweit ein solcher Forderungsaustausch die Deckung der Zahlungsverpflichtung des Kreditinstitutes unter der Gewährträgerhaftung berührt, hängt zunächst von der rechtlichen Natur des Sicherungsinstruments ab. Bei einem akzessorischen Sicherungsinstrument, wie einer Bürgschaft, erlischt mit der Auswechslung der zu sichernden Forderung auch das Sicherungsinstrument.56 Die Vereinbarung mit dem Bürgen, die Bürgschaft für eine neue Forderung zu verwenden, stellt eine neue Bürgschaft dar. Die Rechtsnatur des Sicherungsinstrumentes muss freilich nach dem diesem Instrument zugrunde liegenden Recht beurteilt werden. Ein Letter of Credit ist als dokumentäres Zahlungsversprechen abstrakt ausgestaltet und wird als Akkreditiv oder Garantie verwandt, ist also nicht an die zu sichernde Forderung geknüpft.57 Ein Austausch der dem Letter of Credit wirtschaftlich zugrunde liegenden Forderung führt damit nicht automatisch zum Erlöschen des Letters of Credit. Es wird aber im Einzelfall zu prüfen sein, ob eine solche Forderungsauswechslung die Identität des Letters of Credit so stark verändert, dass ein Erlöschen der Gewährträgerhaftung anzunehmen ist.58
IV. Zusammenfassung und Ausblick Das Auslaufen von Anstaltslast und Gewährträgerhaftung hat bereits deutliche Auswirkungen gezeigt und wird auch in Zukunft die Praxis von Landesbanken und Sparkassen beeinflussen. Die entsprechenden Landesgesetze und Satzungen wurden angepasst. Nunmehr unterstützen die Träger nur noch mit der Maßgabe, dass eine Pflicht zur finanziellen Ausstattung und eine Außenhaftung nicht mehr bestehen. In der Konsequenz hat sich das Rating der Landesbanken und Sparkassen sowie ihrer Kreditengagements bereits verändert. Die Finanzinstitute selbst müssen zudem eingegangene Kreditengagements risikosensitiver bewerten. In der zurzeit laufenden Übergangsphase sind Änderungen der von der Gewährträgerhaftung gedeckten Verbindlichkeiten immer im Hinblick darauf zu untersuchen, ob durch die faktische oder rechtliche Änderung nicht die bestehende Gewährträgerhaf56 Allstadt-Schmitz, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB II, 1. Aufl. (2001), BankR IV Rdnr. 450; Forderungsauswechslung ist bei akzessorischen Rechten grundsätzlich nicht möglich: Für das Pfandrecht: Palandt/Bassenge (o. Fußn. 13), § 1204 Rdnr. 10; siehe auch die Ausnahmevorschrift bei der Hypothek, § 1180 BGB, die deswegen aber die Zustimmung des Hypothekenschuldners verlangt. 57 Zur rechtlichen Einordnung des Letter of Credit siehe Nielsen, in: Schimansky/ Bunte/Lwowski (o. Fußn. 55), § 120 Rdnrn. 2 ff. und 25. 58 Zur Auslegung eines (deutschem Recht unterliegenden) Standby Letter of Credit über dessen Wortlaut hinaus vgl. BGH NJW 1994, 2018 f.
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tung gefährdet wird. Das gilt entsprechend bei der Ausübung oder Nichtausübung von Gestaltungsrechten, die dem Kreditinstitut oder dem Gläubiger zustehen. Durch die aktuelle Marktsituation haben sich diese Fragestellungen noch verschärft. Es ist mithin damit zu rechnen, dass Fragen rund um die Gewährträgerhaftung für Verbindlichkeiten von öffentlich-rechtlichen Kreditinstituten Praxis und Wissenschaft noch eine Weile beschäftigen werden.
Das auf den Verschmelzungsplan nach § 122c UmwG anwendbare Recht Spannungsfeld zwischen Europarecht und IPR Astrid Krüger A. Einleitung Bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung bestimmt sich – aus Sicht des deutschen Rechts – das auf den Verschmelzungsvertrag oder -plan anwendbare Recht nach ganz herrschender Meinung nach der internationalprivatrechtlichen so genannten modifizierten Vereinigungstheorie.1 Nach dieser modifizierten Vereinigungstheorie ist bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung das Recht sämtlicher an der grenzüberschreitenden Verschmelzung beteiligten Unternehmen zu berücksichtigen.2 Für den Verschmelzungsvertrag oder -plan bedeutet dies, dass alle diese Rechtsordnungen kumulativ anzuwenden sind. Kommt es dabei zu Abweichungen zwischen den Rechtsordnungen, soll zunächst die strengste Regelung anzuwenden sein.3 Ggf. bestehende Normwidersprüche sollen als ultima ratio durch Anpassung zu lösen, d.h. nach dem sachlichen Interesse anzugleichen oder auszuweiten sein. Mit der im am 7.1.2008 vorgelegten Referentenentwurf für ein Gesetz zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen vorgeschlagenen Regelung des Art. 10a EGBGB würde dieses Prinzip erstmals gesetzlich kodifiziert. Der Vorschlag des Art. 10a EGBGB enthält gegenüber der bisher geltenden modifizierten Vereinigungstheorie keine offensichtlichen Abweichungen.
1 Ausführlich zur Vereinigungstheorie jeweils m.w.N. vgl. Engert, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaft im deutschen Recht, 2004, § 4 Rdnrn. 100 ff.; Kieninger, EWS 2006, 49 (50 f.); Kindler, in: MünchKomm-BGB, IntGesR Rdnrn. 848 ff.; Krause/Kulpa, ZHR 171 (2007), 38 (50); Michalski/Leible, GmbHG, 2002, Syst.-Darst. 2 Rdnrn. 150 ff.; unter Bezugnahme auf die SEVIC-Entscheidung auch OLG München, Beschluss v. 2.5.2006, 31 Wx 9/06 = NZG 2006, 513 (514). 2 Überblick bei: Bungert, BB 2006, 53 (55); Altmeppen, in: MünchKomm-AktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rdnr. 6; Staudinger/Großfeld, BGB, 1998, IntGesR Rdnr. 683; Kindler, in: MünchKomm-BGB, IntGesR Rdnrn. 848 ff.; Klein, RNotZ 2007, 565 (577). 3 Vgl. z.B. Krause/Kulpa, ZHR 171 (2007), 38 (50); Spahlinger/Wegen, NZG 2006, 721 (722); dies., Internationales Gesellschaftsrecht in der Praxis, 2005, Rdnr. 507 m.w.N.
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Die modifizierte Vereinigungstheorie ist entwickelt worden, um mit dem Problem der nicht gesetzlich geregelten grenzüberschreitenden Verschmelzung umgehen zu können.4 In diesem Kontext stellt die parallele Anwendung mehrerer Rechtsordnungen einen sinnvollen Kompromiss dar, um das Fortbestehen ursprünglich mehreren Rechtsordnungen unterliegender Gesellschaften in einer Gesellschaft zu regeln. Inzwischen ist die grenzüberschreitende Verschmelzung jedoch für Gesellschaften aus der EU und dem EWR auf der Basis der Verschmelzungs-Richtlinie 5 in den § 122a ff. UmwG und entsprechenden Regelungen ausländischer Rechtsordnungen gesetzlich geregelt. Gleichwohl geht der überwiegende Teil der Literatur weiterhin davon aus, dass allgemein bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung innerhalb der EU und des EWR die Vereinigungstheorie fort gilt 6 und nimmt teilweise auch ausdrücklich an, dass das auf den Verschmelzungsplan anwendbare Recht nach der modifizierten Vereinigungstheorie bestimmt wird, d.h. die Rechtsordnungen aller an der grenzüberschreitenden Verschmelzung beteiligten Gesellschaften kumulativ mit allen praktischen Unwägbarkeiten einer solchen kumulativen Anwendung anwendbar sind 7. Der folgende Beitrag untersucht, ob das Europarecht für die Frage der auf die grenzüberschreitende Verschmelzung anwendbaren Rechtsordnungen von 4 Zur umstrittenen Frage der Zulässigkeit der grenzüberschreitenden Verschmelzung ohne gesetzliche Regelung, die inzwischen nur noch außerhalb des Schutzbereichs des Europarechts von Bedeutung ist, vgl. gegen eine Zulässigkeit: LG Koblenz, Beschluss v. 16.9.2003, 4 HK T 1/03 = NZG 2003, 1124 (sonst wäre die Vorlage für die SEVIC-Entscheidung nicht möglich gewesen); von Busekist, GmbHR 2004, 650 (652); Heckschen, in: Widmann/Meyer, UmwG, § 1 Rdnr. 108; Süß/Wachter/Hoffmann, Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, § 5 Rdnr. 8, allerdings unter Bezugnahme auf § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 UmwG statt § 1 Abs. 1 UmwG; Staudinger/Großfeld, BGB, 1998, IntGesR Rdnr. 699 mit dem Argument, die grenzüberschreitende Verschmelzung sei in § 1 Abs. 1 UmwG nicht vorgesehen (nicht: verboten) und daher wegen des Analogieverbots unzulässig; Kallmeyer, in: Kallmeyer, UmwG § 1 Rdnr. 10; Kindler, in: MünchKomm-BGB, IntGesR Rdnrn. 872 und 868 ff. m.w.N.; Paefgen, GmbHR 2004, 463 (464); Drinhausen, in: Semler/Stengel, UmwG, Einl. C Rdnr. 26; wohl auch Spahlinger/Wegen, in: dies., Internationales Gesellschaftsrecht, Rdnr. 509; Drygala, in: Lutter, UmwG, § 1 Rdnr. 11 und Stratz, in: SHS, § 1 Rdnrn. 22, 42 und noch in der 1. Aufl. Semler/Stengel, in: dies., UmwG, Einl. A Rdnrn. 104, 110 und möglicherweise immer noch in der 2. Aufl. in § 1 Rdnr. 41, jeweils mit dem Argument, die Verschmelzung über die Grenze unmöglich sei, wenn die übertragende Gesellschaft bei der Herausverschmelzung erlösche; und für eine Zulässigkeit: SHS/Stratz § 1 Rdnrn. 22, 42. 5 Sog. 10. gesellschaftsrechtliche Richtlinie, Richtlinie 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.10.2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedsstaaten, ABlEU vom 25.11.2005 Nr. L 310, S. 1. 6 Krause/Kulpa, ZHR 171 (2007), 38 (52, 54); Leible/Hoffmann, RIW 2006, 161 (167); Simon/Rubner, Der Konzern 2006, 835 (836); Winter, GmbHR 2008, 532 (533). 7 Bayer/Schmidt, NJW 2006, 401 (402); Frenzel, RIW 2008, 12 (16); wohl auch Simon/ Rubner, Der Konzern 2006, 835 (837).
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der internationalprivatrechtlich herrschenden modifizierten Vereinigungstheorie abweichen kann und ob dies für das auf den Verschmelzungsplan nach § 122c UmwG der Fall ist. Die Frage nach dem anwendbaren Recht ist auch nicht dadurch unerheblich geworden, dass die Regelungen zum Verschmelzungsplan innerhalb der Mitgliedstaaten vereinheitlicht sind.8 Die Vereinheitlichung bezieht sich nämlich nicht auf den gesamten Ablauf der Verschmelzung, sondern lässt über den 3. Erwägungsgrund der Verschmelzungs-Richtlinie, umgesetzt in § 122a Abs. 2 UmwG, die ergänzende Anwendung nationalen Rechts zu. Um die praktische Relevanz dieser Fragen zu verdeutlichen, soll der folgende Fall als Beispiel dienen: Um die über die Jahre gewachsene Konzernstruktur zu vereinfachen und an die tatsächliche Handhabung der Geschäftsführung anzupassen, möchte die deutsche A-Gruppe ihre westeuropäischen Vertriebsgesellschaften in England, Frankreich und Spanien auf eine deutsche Vertriebstochter und ihre osteuropäischen Vertriebsgesellschaften in Polen, Slowenien und Tschechien auf eine österreichische Vertriebstochter verschmelzen. Alle betroffenen Gesellschaften sind Kapitalgesellschaften. Muss die A-Gruppe für die Aufstellung der beiden dafür erforderlichen Verschmelzungspläne jeweils englisches, französisches, spanisches und deutsches bzw. polnisches, slowenisches, tschechisches und österreichisches Recht kumulativ anwenden – mit allen Konsequenzen z.B. für die Fragen der Form, des ergänzenden Inhalts oder der Auslegung von Begriffen wie „Auswirkung auf die Beschäftigung“ 9 – oder genügt es, den Verschmelzungsplan für die erste Verschmelzung nach deutschem Recht aufzustellen und den für die zweite Verschmelzung nach österreichischem Recht? Die Frage stellt sich entsprechend, wenn die A-Gruppe, wie es in der Praxis wohl üblicher wäre, die jeweiligen Verschmelzungen unabhängig voneinander vornehmen würde: Müsste sie dann sechs verschiedene, jeweils nach zwei unterschiedlichen Rechtsordnungen kumulierte Verschmelzungspläne aufstellen oder könnten ihr ein deutscher und ein österreichischer Verschmelzungsplan jeweils als Ausgangspunkt für drei Verschmelzungen dienen?
8
Vgl. zu dieser Problematik auch: Basedow, NJW 1996, 1921. Diese hat rechtlich natürlich europarechtskonform zu erfolgen; praktisch wird man sich aber auf die Erwartungshaltung der prüfenden Behörde nach dem parallelen nationalen Recht einstellen müssen; vgl. zu diesem Problem auch v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht I, 2003, § 2 Rdnr. 56. 9
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B. Verhältnis von Europarecht zu IPR I. Abgrenzung von Kollisions- und Sachrecht 1. IPR als Kollisionsrecht Zur Einordnung des Problems des Verhältnisses von IPR zu Europarecht ist zunächst festzuhalten, dass das Internationale Privatrecht (IPR) ein Kollisionsrecht ist. Dies bedeutet, dass das IPR entscheidet, welches materielle Recht in der Sache anzuwenden ist.10 Es setzt selbst keine Sachnormen.11 Auf das Beispiel bezogen heißt das, dass das IPR nicht die Anforderungen an den Verschmelzungsplan regelt, sondern nur, nach welchem Recht (oder im Fall der Vereinigungstheorie, nach welchen Rechten) sich diese Anforderungen richten. Nach deutschem Verständnis handelt es sich dabei im Regelfall um geographisches Kollisionsrecht, d.h. um die Frage, die Rechtsnormen welches geographischen Gebiets anzuwenden sind. Personales und zeitliches Kollisionsrecht spielen eine untergeordnete Rolle. Um geographisches Kollisionsrecht geht es auch bei der Frage, welche Rechtsordnung auf den Verschmelzungsplan einer grenzüberschreitenden Verschmelzung von Kapitalgesellschaften innerhalb der EU und des EWR anzuwenden ist.
2. Europarecht als Sachrecht? Demgegenüber erwartet man im Allgemeinen, dass das Europarecht Sachnormen setzt, d.h. also regelt, was materiell gilt, wie etwas zu geschehen hat. Das trifft auf die meisten Teile des unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechts zu.12 Das unmittelbar anwendbare Gemeinschaftsrecht, welches neben dem primären Gemeinschaftsrecht, d.h. den Gründungsverträgen, auch sekundäres Gemeinschaftsrecht, wie z.B. Verordnungen, enthält, umfasst das durch die europäischen Organe gesetzte, ohne Umsetzung in den Mitgliedsstaaten anwendbare Recht. Dieses regelt im Wesentlichen, was materiell für bestimmte Sachverhalte gilt. Es ist aber auch möglich und kommt zunehmend vor, dass das unmittelbar anwendbare Gemeinschaftsrecht Kollisionsnormen enthält. So ist zum Beispiel geplant, das Römische Schuldvertragsübereinkommen, welches Regelungen zum auf Schuldverhältnisse anwend-
10 V. Bar/Mankowski (o. Fußn. 9), § 4 Rdnr. 2; Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. (2004), § 1 VII, S. 25 ff. 11 Zur Beschreibung der Unterschiede zwischen Kollisions- und Sachrecht vgl. Kegel/ Schurig (o. Fußn. 10), § 1 VIII, S. 53 ff. 12 Kegel/Schurig (o. Fußn. 10), § 1 IV, S. 14.
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baren Recht enthält, in eine – unmittelbar anwendbare –Verordnung zu überführen.13 Davon zu unterscheiden ist das sekundäre Gemeinschaftsrecht in Richtlinien, welches durch die nationalen Organe erst noch umzusetzen ist. Unmittelbare Wirkung entfaltet dieses europäische Recht nur durch seine Wirkung auf die Auslegung aufgrund europarechtlicher Vorgaben umgesetzten nationalen Rechts.14 Es enthält jedoch im Übrigen kein unmittelbares Sachrecht. Es ist damit aber auch noch nicht Kollisionsrecht, denn es regelt nicht mit Wirkung für die Rechtsteilnehmer, welches materielle Recht anzuwenden ist. Allerdings kann es Vorgaben für die Umsetzung von Kollisionsregelungen im nationalen Recht machen: ein Beispiel dafür ist die Kollisionsnorm des Art. 29a EGBGB, der aufgrund europarechtlicher Vorgaben in das deutsche Recht aufgenommen wurde. Es lässt sich also festhalten, dass das Europarecht Kollisionsnormen enthalten kann.15
II. Rangverhältnis zwischen europarechtlichen und IPR-rechtlichen Kollisionsnormen 1. Verhältnis bei unmittelbar anwendbarem Europarecht Auch wenn die IPR-Literatur die Eingriffe des europäischen Rechts in das Gebiet des IPR beklagt,16 ist allgemein anerkannt, dass unmittelbar anwendbares Europarecht als supranationales Recht dem IPR als innerstaatlichem Recht vorgeht.17 Das ergibt sich grundsätzlich aus dem Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts und ist in Art. 3 Abs. 2 S. 2 EGBGB auch ausdrücklich geregelt. Danach bleiben europarechtliche Regelungen von den Regelungen des EGBGB, welches die Hauptquelle für IPR Regelungen im deutschen
13
Vgl. Kegel/Schurig (o. Fußn. 10), § 4 II, S. 220. Teichmann, FS Zivilrechtslehrer 1934/37, 1999, S. 929 ff.; im Einzelfall kann es auch dann unmittelbar wirken, wenn es nicht rechtzeitig umgesetzt wird: vgl. nur: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 249 EGV Rdnrn. 158 ff. m.w.N.; am Beispiel der Verschmelzungs-Richtlinie: Gsell/Krömker, DB 2006, 519 (520); Lutter/ Drygala, JZ 2006, 770 (773); Oechsler, NJW 2006, 812 (813). 15 Dies voraussetzend auch: Kegel/Schurig (o. Fußn. 10), § 1 IV, S. 14 und § 4 II, S. 220; Palandt/Heldrich, EGBGB 3, Rdnrn. 11 f. 16 Vgl. nur Kegel/Schurig (o. Fußn. 10), § 1 IV, S. 13 f. und § 4 II, S. 218 ff. 17 Vgl. LG Frankfurt/Main, Urteil v. 29.4.1998, 2 – 1 S 45/96 = NJW-RR 1998, 1589; Basedow, NJW 1996, 1921 (1924); Palandt/Heldrich, EGBGB, Art. 3 Rdnr. 11; Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. (2006), § 10, S. 73 ff.; Bamberger/Roth/Lorenz, BeckOK, EGBGB, Art. 3 Rdnrn. 4 und 9; Kegel/Schurig (o. Fußn. 10, § 2 IV, S. 13; Sonnenberger, in: MünchKomm-BGB, EGBGB, Art. 3 Rdnrn. 11 ff. und 40. 14
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Recht ist, unberührt, d.h. sie gelten weiter, auch wenn das EGBGB etwas anderes regelt 18. Dementsprechend gilt: Wenn das primäre unmittelbar anwendbare Europarecht Kollisionsnormen enthält, so gehen diese den Kollisionsnormen des IPR vor.
2. Verhältnis bei nicht unmittelbar anwendbarem Europarecht Dies lässt sich nicht uneingeschränkt auf das sekundäre Gemeinschaftsrecht in Richtlinien übertragen. Da Richtlinien erst in nationales Recht umgesetzt werden müssen, hat das umgesetzte nationale Recht grundsätzlich den gleichen Rang wie sonstiges nationales Recht.19 Die europarechtlichen Vorgaben können jedoch nationale Kollisionsnormen vorgeben oder Auswirkungen auf die Auslegung des nationalen Rechts haben.20 Für die hier untersuchte Frage bedeutet dies also, dass das umgesetzte nationale Recht der allgemeinen IPR Regelung dann vorgeht, wenn es ausdrücklich oder aufgrund der europarechtlich gebotenen Auslegung eine gegenüber der allgemeinen Kollisionsnorm speziellere Kollisionsnorm enthält. Teilweise wird auch angenommen, dass aufgrund europarechtlicher Vorgaben umgesetztes Kollisionsrecht dem allgemeinen Kollisionsrecht wegen des gemeinschaftsrechtlichen Charakters und des Anwendungsvorrangs von Europarecht immer vorgeht.21
III. Auswirkung des geplanten IPR Gesetzes? An dieser Hierarchie ändert sich durch das In-Kraft-Treten der geplanten Änderung des EGBGB durch das Gesetz zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen nichts. Der neue Art. 10a EGBGB wäre nationales Recht, der unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht nachgeht. Er enthielte eine allgemeine Kollisionsnorm, der eine spezielle Kollisionsnorm vorgehen könnte.
18
Palandt/Heldrich, EGBGB, Art. 3 Rdnr. 11. Kegel/Schurig (o. Fußn. 10), § 1 IV, S. 14 und § 4 II, S. 220; Michaels/Kamann, JZ 1997, 601 mit Hinweis auf die sog. Gran Canaria Fälle des BGH. 20 EuGH, Urteil v. 9.11.2000, Rs. C-381/98 (Ingmar GB Ltd./Eaton Leonard Technologies Inc.) = IPrax 2001, 225 (227); Basedow, NJW 1996, 1921; Brödermann/Iversen, Europäisches Gemeinschaftsrecht und Internationales Privatrecht, 1994, § 5 Rdnr. 659; Jayme, IPrax 2001, 190; Kegel/Schurig (o. Fußn. 10), § 4 II, S. 220 f.; Sonnenberger, in: MünchKomm-BGB, EGBGB, Art. 3, Rdnrn. 7, 16 und 40. 21 Brödermann/Iversen, (o. Fußn. 20) § 5 Rdnr. 659; ähnlich v. Bar/Mankowski (o. Fußn. 9), § 2 Rdnrn. 55 und 62 ff. 19
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C. Auf den Verschmelzungsplan nach § 122c UmwG anwendbares Recht Aus dem Vorstehenden ergibt sich also, dass § 122c UmwG, ggf. unter Berücksichtigung einer europarechtlich gebotenen Auslegung, eine gegenüber der Vereinigungstheorie oder zukünftig evtl. Art 10a EGBGB speziellere Kollisionsnorm enthalten könnte. Entscheidende Frage für die Bestimmung des auf den Verschmelzungsplan nach § 122c UmwG anwendbaren Rechts ist demnach, ob das aufgrund der europarechtlichen Vorgaben umgesetzte deutsche Recht in § 122c UmwG für den Verschmelzungsvertrag tatsächlich eine spezielle Kollisionsnorm enthält oder nicht. Enthält es sie nicht, gelten die allgemeinen Regeln des deutschen IPR, die für die Frage des in einer grenzüberschreitenden Verschmelzung auf einen Verschmelzungsvertrag oder -plan anwendbaren Rechts bestimmen, dass kumulativ die Rechtsordnungen aller beteiligten Rechtsträger anwendbar sind.
I. Herrschende Meinung: Fortgeltung der Vereinigungstheorie Soweit erkennbar, geht der überwiegende Teil der Literatur zu §§ 122a ff. UmwG davon aus, dass sich der kollisionsrechtliche Inhalt der §§ 122a ff. UmwG darauf beschränkt, in § 122a Abs. 2 UmwG die Vereinigungstheorie festzulegen oder vorauszusetzen.22 Daraus wird gefolgert, dass sich das Verfahren für jede an der grenzüberschreitenden Verschmelzung nach § 122a Abs. 1 UmwG beteiligte Gesellschaft nach der auf sie anwendbaren Rechtsordnung richtet und auf den Verschmelzungsplan beide Rechtsordnungen anwendbar sind.23 Soweit ersichtlich, spricht sich nur Kallmeyer 24 dafür aus, den Verschmelzungsplan lediglich einer Rechtsordnung, nämlich der des übernehmenden Rechtsträgers, zu unterstellen. Er argumentiert dabei, dass es sich bei dem Verschmelzungsplan nach § 122c UmwG um einen einheitlichen Rechtsakt handele, auf den nur eine Rechtsordnung anwendbar sein könne. Der überwiegende Teil der Literatur stellt dagegen das Konzept der Vereinigungstheorie, welches für die Verschmelzung zwischen nicht harmonisierten Rechtsordnungen entwickelt wurde, nicht in Frage. Dabei gibt es gute Argumente, die dafür sprechen, dass die §§ 122a ff. UmwG kollisionsrechtlichen Inhalt haben, der über die „normale“ Vereinigungstheorie hinausgeht.
22 23 24
Vgl. oben Fn. 6. Vgl. oben Fn. 7. AG 2007, 472 (474).
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II. Argumente für einen spezielleren kollisionsrechtlichen Inhalt des § 122c UmwG Zunächst ist festzuhalten, dass eine Kollisionsnorm nicht ausdrücklich festlegen muss, welche Rechtsordnung auf einen bestimmten Sachverhalt anzuwenden ist.25 Es steht der Annahme einer speziellen Kollisionsnorm daher nicht entgegen, dass § 122c UmwG nicht ausdrücklich regelt, welche Rechtsordnung auf den Verschmelzungsplan anzuwenden ist. Der kollisionsrechtliche Charakter kann vielmehr auch durch Auslegung ermittelt werden.
1. Auslegung nach dem Wortlaut Die Auslegung nach dem Wortlaut scheint zunächst nichts herzugeben. § 122c Abs. 1 UmwG formuliert ausdrücklich „das Vertretungsorgan einer beteiligten Gesellschaft stellt […] einen gemeinsamen Verschmelzungsplan“ auf. Da die „beteiligte Gesellschaft“, nach dem Verständnis der §§ 122a ff. UmwG die deutsche Kapitalgesellschaft, unabhängig von ihrer Rolle als übertragende oder übernehmende Gesellschaft ist, erscheint die Vorschrift nach ihrem Wortlaut sowohl dann anwendbar, wenn die deutsche Gesellschaft übertragende Gesellschaft ist, als auch dann, wenn sie übernehmende Gesellschaft ist. Das steht der Anwendung nur einer Rechtsordnung auf den Verschmelzungsplan jedoch nicht entgegen. § 122c Abs. 1 UmwG kann auch nur als Aufstellungsgebot verstanden werden. Dieses kann und muss sich sowohl an die übernehmende als auch die übertragende Gesellschaft richten, auch dann, wenn der Verschmelzungsplan nur einer Rechtsordnung unterliegt. § 122 Abs. 2 UmwG regelt nur den Inhalt des Verschmelzungsplans und schweigt zu seinem Anwendungsbereich. Aus beiden Absätzen des § 122c UmwG wird jedoch deutlich, dass es sich um einen einzigen Verschmelzungsplan handeln muss. Das wird auch – anders als beim Verschmelzungsplan für die Gründung einer Societas Europaea 26 – allgemein so angenommen.27 Dabei ist zwar noch nicht abschließend
25 Kegel/Schurig (o. Fußn. 10), § 6 III, S. 317; Kropholler (o. Fußn. 17), § 13 IV, S. 107 ff.; einschränkend: v. Bar/Mankowski (o. Fußn. 9), § 4 Rdnr. 13; ebenso sind auch die modifizierte Vereinigungstheorie und das gesamte internationale Gesellschaftsrecht (noch) nicht ausdrücklich kodifiziert. 26 Für einen Plan: Schwarz, SE-VO, Art. 20 Rdnr. 10; für individuelle Pläne: Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, SE, Art. 20 SE-VO Rdnr. 2; Heckschen, DNotZ 2003, 251 (257); Teichmann, ZGR 2002, 383 (417). 27 Drinhausen, in: Semler/Stengel, UmwG, § 122 Rdnr. 5; Mayer, in: Widmann/Meyer, UmwG, § 122c Rdnrn. 19 f.; Kallmeyer, AG 2007, 472 (473); Tebben/Tebben, DB 2007, 2355 (2356).
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geklärt, ob dieser einheitliche Verschmelzungsplan ein schuldrechtlicher Vertrag (mit gesellschaftsrechtlichem Organisationscharakter) ist oder ausschließlich ein gesellschaftsrechtlicher Organisationsakt.28 In beiden Fällen leuchtet es jedoch ein, dass der Vertrag oder Organisationsakt nur einer Rechtsordnung unterliegt.29 So geht das IPR bei der Frage der Bestimmung des auf einen schuldrechtlichen Vertrag anwendbaren Rechts in Art. 27 ff. EGBGB immer davon aus, dass auf den Vertrag nur eine Rechtsordnung anwendbar ist. Ebenso geht das internationale Gesellschaftsrecht davon aus, dass auf einen Organisationsakt, z.B. einen Gesellschafterbeschluss, nur eine Rechtsordnung anwendbar ist.
2. Historische und teleologische Auslegung § 122c UmwG ist in Umsetzung der Verschmelzungs-Richtlinie und darin insbesondere Art. 5 erlassen worden. Weder Art. 5 der Verschmelzungs-Richtlinie noch die Erwägungsgründe nehmen ausdrücklich zur Frage des auf den Verschmelzungsplan anwendbaren Rechts Stellung. Aus Art. 11 Abs. 1 S. 2 der Verschmelzungs-Richtlinie ergibt sich jedoch, dass der Verschmelzungsplan nur von der Behörde des Aufnahmestaates geprüft werden soll. Nach Art. 10 der Verschmelzungs-Richtlinie – und § 122k UmwG für die deutsche übertragende Gesellschaft 30 – muss zunächst jede beteiligte Gesellschaft für die sie betreffenden Verfahrensschritte eine Verschmelzungsbescheinigung einholen. Diese Verfahrensschritte richten sich nach dem Konzept der Verschmelzungsrichtlinie, welches für Deutschland in § 122a Abs. 2 UmwG umgesetzt ist, nach der jeweils auf die Gesellschaft anwendbaren Rechtsordnung. Das bedeutet, die jeweils zuständige Behörde prüft für die Verschmelzungsbescheinigung – bzw. in Deutschland für die
28 Für schuldrechtlichen Vertrag: Kallmeyer, AG 2007, 472 (474); Krause/Kulpa, ZHR 171 (2007), 38 (56); Forsthoff, DStR 2006, 613 (614); Müller, ZIP 2007, 1081 (1083); Simon/Rubner, Der Konzern 2006, 835 (837); Vetter, AG 2006, 613 (617); für reinen Organisationsakt: DNotV Stellungnahme zum Referentenentwurf www.dnotv.de, S. 6; Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltsvereins, NZG 2006, 737 (740); Mayer, in: Widmann/ Meyer, UmwG, § 122c Rdnr. 15; Kallmeyer, AG 2007, 472 (474); Kiem, WM 2006, 1091 (1094). 29 AA., allerdings damit faktisch zwei Verschmelzungspläne schaffend, ausdrücklich: Frenzel, RIW 2008, 12 (16). 30 Zur Diskussion, die für die hier diskutierte Frage keine Rolle spielt, ob diese Umsetzung in Deutschland nur für die übertragende Gesellschaft ausreichend ist, vgl. Bayer/ Schmidt, NZG 2006, 841 (843); dies., NJW 2006, 201 (404); Drinhausen, in: Semler/Stengel, UmwG, § 122k Rdnrn. 5 f.; Haritz/von Wolf, GmbHR 2006, 340 (343 f.); Kallmeyer, GmbHR 2006, 418 (420); Krause/Kulpa, ZHR 181 (2007), 38 (67 f.); Louven, ZIP 2006, 1021 (1027); Müller, ZIP 2007, 1081 (1088); Vossius, in: Widmann/Meyer, UmwG, § 122k Rdnr. 54.
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Handelsregistereintragung bei der übertragenden Gesellschaft – nur nach dem in ihrem Land anwendbaren Recht. In Bezug auf den Verschmelzungsplan kann sich diese Prüfung darauf beschränken, ob er vom zuständigen Organ aufgestellt und bekannt gemacht worden ist. Es ist daher konsequent, wenn die im zweiten Schritt für den Vollzug und die Wirksamkeit der grenzüberschreitenden Verschmelzung zuständige Behörde, die nun nach Art. 11 Abs. 1 S. 2 der Verschmelzungs-Richtlinie – und bei einer deutschen übernehmenden Gesellschaft nach § 122l UmwG – den Verschmelzungsplan prüft, ebenfalls nur das in ihrem Land anwendbare Recht prüfen muss. Für den Fall des oben genannten Beispiels würde dies andernfalls bedeuten, dass Deutschland und Österreich als Aufnahmeländer nicht nur deutsches Recht, sondern auch die Übereinstimmung des Verschmelzungsplans mit den Rechtsordnungen der übertragenden Gesellschaften prüfen müssten. Da die Behörden die ausländischen Rechtsordnungen nicht kennen, müssten sie dazu ausländischen Rechtsrat einholen. Diese Erwägungen würden nur dann keine Rolle spielen, wenn man annähme, dass der Verschmelzungsplan bereits für die Vorabbescheinigung im Sinne des Art. 10 der Verschmelzungs-Richtlinie – bzw. in Deutschland die Eintragung bei der übertragenden Gesellschaft – vollständig zu prüfen wäre.31 Würde man dies, d.h. die doppelte Prüfung des Inhalts des Verschmelzungsplans bei Erteilung der Vorabbescheinigung nach Art. 10 der Verschmelzungs-Richtlinie und bei Prüfung der Rechtmäßigkeit nach Art. 11 der Verschmelzungs-Richtlinie, annehmen, würde aber die Vorgabe von Art. 11 Abs. 1 S. 2 der Verschmelzungs-Richtlinie und § 122l Abs. 2 UmwG, die Prüfung, „ob die Anteilsinhaber […] einem gemeinsamen, gleichlautenden Verschmelzungsplan zugestimmt haben“, ihre Bedeutung verlieren. Außerdem könnte die Rechtmäßigkeit des einzigen (!) Verschmelzungsplans von den prüfenden Behörden unterschiedlich beurteilt werden. Ein solches doppeltes Prüfungskonzept überzeugt daher nicht. Die einmalige inhaltliche Prüfung des Verschmelzungsplans nach nur einer Rechtsordnung führt zu einer höheren Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Es kann nicht zu kollidierenden Einschätzungen der unterschiedlichen beteiligten Behörden kommen. Eine ggf. erwünschte Abhilfe kann nicht dazu führen, dass eine andere Behörde mit der Veränderung nicht einverstanden wäre. Das würde auch dem in den Erwägungsgründen (2) und (3) der Verschmelzungs-Richtlinie festgelegten Ziel der Erleichterung der grenzüberschreitenden Verschmelzung entsprechen. Schließlich ist es auch nicht erforderlich, die für Verschmelzungsvorgänge zwischen unterschiedlichen Rechtsordnungen entwickelte Vereinigungstheo31 So Vossius, in: Widmann/Meyer, UmwG, § 122k Rdnr. 14; Louven, ZIP 2006, 1021 (1027); Drinhausen, in: Semler/Stengel, UmwG, § 122k Rdnr. 5, spricht nur von „Erstellung“.
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rie für die grenzüberschreitende Verschmelzung nach der VerschmelzungsRichtlinie aufrecht zu erhalten. Aufgrund der Rechtsvereinheitlichung durch die Verschmelzungs-Richtlinie ist gewährleistet, dass der Verschmelzungsplan, für den Art. 5 der Verschmelzungs-Richtlinie sehr detaillierte Vorgaben macht, den Schutzbedürfnissen in allen Ländern gleich nachkommt. Für eine kumulative Anwendung mehrere Rechtsordnungen besteht kein Bedürfnis mehr.
D. Zusammenfassung Das allgemeine deutsche Kollisionsrecht ordnet nach herrschender Meinung für grenzüberschreitende Verschmelzungen die Geltung der Vereinigungstheorie an. Das bedeutet, dass der Verschmelzungsvertrag oder -plan bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung den Rechtsordnungen aller beteiligten Rechtsträger entsprechen muss. Das auf die grenzüberschreitende Verschmelzung nach §§ 122a ff. UmwG anwendbare Recht kann auch ohne ausdrückliche Regelung eine davon abweichende Kollisionsnorm enthalten. Bei der Auslegung, ob dem so ist, ist auch der europarechtliche Hintergrund der Regelung zu beachten. Eine Auslegung von § 122c UmwG führt zu dem Ergebnis, dass auf den Verschmelzungsplan bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung nach §§ 122a ff. UmwG nur eine Rechtsordnung, nämlich die des Aufnahmestaates, anzuwenden ist. Dafür spricht, dass es sich um einen einzigen Verschmelzungsplan handeln muss. Verträge oder Organisationsakte, auf die mehrere Rechtsordnungen anwendbar sind, sind dem IPR fremd. Außerdem spricht dafür das Prüfungskonzept der Art. 10 und 12 der Verschmelzungsrichtlinie. Nach dieser sind auf der ersten Stufe für jede Gesellschaft die Verschmelzungsvoraussetzungen einschließlich des formellen Akts der Aufstellung eines Verschmelzungsplans nach der auf sie anwendbaren Rechtsordnung und auf der zweiten Stufe der materielle Inhalt des Verschmelzungsplans zu prüfen. Dieses Ergebnis dient auch der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Schließlich ist vor dem Hintergrund der Rechtsvereinheitlichung auf der Basis der Verschmelzungsrichtlinie eine Anwendung von zwei Rechtsordnungen auf einen Verschmelzungsplan nicht mehr erforderlich.
Zur Genehmigungspflicht für Geschäfte zwischen Aktiengesellschaften und deren Aufsichtsräten sowie diesen gleichzuhaltende Geschäfte nach österreichischem Recht 1 Michael Kutschera 1. Einleitung Durch das mit 1. Jänner 2006 in Kraft getretene Gesellschaftsrechtsänderungsgesetz (GesRÄG 2005) wurde eine neue Bestimmung in das österreichische Aktiengesetz (AktG) aufgenommen. Gemäß dem neu eingefügten § 95 Abs. 5 Zif. 12 AktG unterliegen Verträge von Mitgliedern des Aufsichtrats (nachstehend „AR“), durch die sich diese außerhalb ihrer Tätigkeit im AR gegenüber der Gesellschaft oder einem Tochterunternehmen zu einer Leistung gegen ein nicht bloß geringfügiges Entgelt verpflichten, der Zustimmung des AR. Die Zustimmungspflicht gilt kraft Gesetz auch für Verträge mit Unternehmen, an denen ein AR-Mitglied ein erhebliches wirtschaftliches Interesse hat. Vorbild für diese Regelung war gemäß den Gesetzesmaterialien neben Regel 49 des Corporate-Governance-Kodex (ÖCGK) 2 § 114 Abs. 1 des deutschen Aktiengesetzes (dAktG).3 Ziel sei vor allem, die Problematik der mit AR-Mitgliedern häufig geschlossenen Beratungsverträge einer befriedigenden Regelung zuzuführen. Auch ohne die ausdrückliche Bestimmung des § 95 Abs. 5 Z. 12 AktG waren schon nach bisherigem Recht Beratungsverträge zwischen der Gesellschaft und einem AR-Mitglied zulässig, sofern diese außerhalb der gewöhnlichen Aufsichtstätigkeit zu erbringende Leistungen betrafen.4 Dieser Grundsatz wurde auch auf materiell gleichgelagerte Fälle ausgedehnt, z.B. Beratungsleistungen, die eine im alleinigen Anteilsbesitz des 1 Besonderer Dank gebührt Herrn RA Mag. Uwe Rautner, LL.M. (LSE) für seinen wesentlichen Beitrag zu diesem Artikel, der ohne sein Mitwirken nicht geschrieben worden wäre. 2 Siehe Österreichischer Corporate-Governance-Kodex, abrufbar unter http://www. corporate-governance.at/, betrifft die L-Regel 48 und die C-Regel 49 in der aktuellen Fassung vom Juni 2007. 3 927 BlgNR 22. GP 8. 4 Kalss, in: Doralt/Nowotny/Kalss, AktG, § 98 Rdnr. 30.
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AR-Mietglieds stehende oder beherrschte Gesellschaft erbrachte.5 Anders als nach der neuen Rechtslage wurde jedoch keine Zustimmung des Aufsichtrats zu solchen Geschäften verlangt, sondern lediglich eine Offenlegung.6 Ziel dieser Untersuchung ist, die rechtlichen Auswirkungen des GesRÄG 2005 auf zwischen der Gesellschaft und ihren AR-Mitgliedern i.S.d. § 95 Abs. 5 Zif. 12 AktG geschlossenen Beratungsverträge zu untersuchen.
2. Zu den Materialien des GesRÄG 2005 Der Text der Regierungsvorlage lautet vollständig: „Vorbild für diese Bestimmung, durch die vor allem die Problematik der mit Aufsichtsratsmitgliedern häufig geschlossenen Beratungsverträge einer befriedigenden Regelung zugeführt werden soll, ist einerseits Regel 49 des ÖCGK, andererseits § 114 Abs. 1 dAktG. Ob ein Vertrag der Zustimmung bedarf, soll allerdings nicht von der Art der Gegenleistung, sondern von der Höhe des vereinbarten Entgelts abhängig sein. Entscheidend wird letztlich sein, ob durch diesen Vertrag und die wirtschaftliche Bedeutung des Entgelts für das jeweilige AR-Mitglied der Anschein einer Befangenheit entstehen könnte. Dieser Maßstab wird auch auf den wirtschaftlichen Vorteil anzulegen sein, wenn der Vertrag nicht mit dem AR-Mitglied, sondern im Sinn des letzten Satzes mit einem Unternehmen geschlossen wird, von dessen Geschäftstätigkeit das AR-Mitglied wirtschaftlich profitiert. Im Zweifel wird es sich für den Vorstand und das jeweilige Mitglied des AR empfehlen, die Zustimmung des AR einzuholen, um sich gegenüber der Gesellschaft nicht schadenersatzpflichtig zu machen.“ 7 Die Materialien knüpfen also an die deutsche Rechtslage an. Dort erstreckt sich § 114 dAktG wörtlich zwar nicht auf Verträge mit Unternehmen, an denen das AR-Mitglied ein erhebliches wirtschaftliches Interesse hat, sondern nur auf mit dem AR-Mitglied selbst geschlossene. Die herrschende Meinung nimmt jedoch an, dass auch solche Verträge erfasst sind, soweit die Gefahr einer Beeinflussung durch ungerechtfertige oder überhöhte Vergütungen besteht.8 Eine derartige Gefahr ist nach deutscher Lehre jedenfalls bei Verträgen mit Unternehmen anzunehmen, deren alleiniger Gesellschafter oder Geschäftsführer das AR-Mitglied ist. Sie kann sich aber gerade auch bei Ver5
Kalss, in: Doralt/Nowotny/Kalss, AktG, § 98 Rdnr. 30. Kalss, Die Zustimmungspflicht des Aufsichtsrats zu Verträgen mit Unternehmen seiner Mitglieder, SWK 2006, W 17 (W 18). 7 927 BlgNR 22. GP 8. Die Erläuterungen zum Ministerialentwurf sind etwas weiter gefasst als die Materialien zur Regierungsvorlage. So enthalten die Erläuterung zum Ministerialentwurf etwa weitere Vorschläge zur Bestimmung der Geringfügigkeitsgrenze. Vgl. 237/ME BlgNR 22. GP 24. 8 Semler, in: MünchKomm-AktG, 2. Aufl., § 114 Rdrn. 41 ff. m.w.N. 6
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trägen mit Anwalts- oder Steuerberatungssozietäten, Wirtschaftprüfungsgesellschaften oder Investmentbanken ergeben, denen das AR-Mitglied angehört. Dies gilt auch dann, wenn der Vertrag mit einem anderen Mitglied der Sozietät geschlossen wurde, sofern die Gefahr der Beeinflussung besteht.9 Rechtsvergleichend ist aber hervorzuheben, dass die deutsche Bestimmung ausdrücklich nur Werk- oder Dienstverträge betrifft, in der Regel also nur Beratungsleistungen erfasst, während die österreichische Norm nach ihrem Wortlaut „Leistungen“ zum Gegenstand hat und damit über § 114 dAktG hinauszugehen scheint.10 Die Materialien lassen eine Reihe von Fragen offen; namentlich, ob die Bestimmung primär dem Schutz der Gesellschaft vor treuwidrig geschlossenen und für die Gesellschaft wirtschaftlich nachteiligen Geschäften, dem Schutz der Organisationsstruktur vor Kontrollverlusten oder beiden Schutzzwecken dient.
3. Zum Schutzzweck Die Materialien stellen auf den „Anschein der Befangenheit“ als wesentliches Kriterium ab, das die Vorlagepflicht und damit das Zustimmungserfordernis des AR entscheidet.11 Die Mitglieder des AR sollen sich bei ihrer Tätigkeit im AR nicht von sachfremden Überlegungen leiten lassen. So soll insbesondere verhindert werden, dass sie gegenüber dem Vorstand weniger kritisch eingestellt sind, weil dieser Einfluss auf andere Geschäftsbeziehungen mit wirtschaftlichem Gehalt nehmen könnte.12 Demnach wird ein AR-Mitglied dann als befangen anzusehen sein, wenn es aufgrund eigener Interessen bzw. der Gefährdung eigener Interessen an der Wahrnehmung seiner Aufgabe im Unternehmen, nämlich zur unbefangenen Überwachung der Unternehmensleitung, nicht mehr im Stande ist. Primär scheint die neue Bestimmung daher nicht auf eine Umgehung gesetzlicher Vergütungsregelungen für den AR und dem damit verbundenen Vermögensschutz der Gesellschaft, sondern auf den Schutz der korporativen Organisationsstruktur und die Verhinderung von Kontrollverlusten abzuzielen, wenn sich AR-Mitglieder wirtschaftliche Vorteile aus Vertragsschlüssen mit der Gesellschaft zuwenden können. Nicht im Vordergrund steht daher die Prüfung solcher Verträge betreffend die Angemessenheit ihrer Konditionen. Abzulehnen ist uE die Auffassung, dass der Zweck der neuen Regelung primär darin besteht, direkte Vermö-
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Semler, in: MünchKomm-AktG, 2. Aufl., § 114 Rdnrn. 41 ff. Vgl. § 114 Abs. 1 dAktG. 927 BlgNR 22. GP 8. Nowotny, Neues zum Aufsichtsrat, RdW 2005, 658 (659).
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gensnachteile der Gesellschaft durch verdeckte Sonderzuwendungen der Gesellschaft an den AR zu unterbinden.13 Vielmehr sollen durch die neue Regelung drohende Interessenskonflikte zwischen der Gesellschaft und dem AR-Mitglied durch Befassung des AR und der damit verbundenen Kontrolle erkennbar und der Aufsichtsratstätigkeit abträgliche Interessenkonflikte und damit Befangenheit oder Abhängigkeit des AR-Mitgliedes vermieden werden.14 Ein Vertrag zwischen der Gesellschaft und dem AR-Mitglied bzw. einem Unternehmen, an dem das AR-Mitglied ein erhebliches wirtschaftliches Interesse hat, zu für die Gesellschaft ungünstigeren Bedingungen als sie mit Dritten erzielbar wären, war ebenso schon ohne die neue Bestimmung stets unzulässig wie der Abschluss eines solchen Vertrages, der für die Gesellschaft ohne Nutzen ist.15 Das gleiche würde für die gesonderte Remunerierung einer Tätigkeit gelten, die Teil der Aufgabe eines AR-Mitgliedes ist. Sofern der Vorstand erklärt, dass die Konditionen der betroffenen Verträge einem Drittvergleich standhalten und die Erbringung der vertragsgegenständlichen Leistung der Gesellschaft auch wirklich notwendig ist, erübrigt sich eine besondere Nachprüfung dieser Kriterien solange, als dem AR nicht Umstände zur Kenntnis gelangen, die die Angemessenheit der Vertragsbedingungen und die Sinnhaftigkeit des Vertragsschlusses in Zweifel ziehen. Ein AR kann sich grundsätzlich auf die Wahrheit und Vollständigkeit von Vorstandsberichten verlassen.16 Die Norm hat also primär den Schutz der Organisationsverfassung und die Unbefangenheit der AR-Mitglieder im Auge.
4. Anwendungsbereich 4.1 Verträge mit dem AR-Mitglied § 95 Abs. 5 Zif. 12 AktG sieht zwei alternative Tatbestandsmerkmale vor, die das Zustimmungserfordernis (gemeinsam mit anderen) auslösen. Zum einen werden Verträge zwischen AR-Mitgliedern und der jeweiligen Gesellschaft einer Genehmigungspflicht unterzogen, die von AR-Mitgliedern persönlich und außerhalb ihrer Aufsichtsratstätigkeit abgeschlossen werden und in denen sich das AR-Mitglied zu einer „Leistung“ verpflichtet. Nach dem Gesetzeswortlaut wird die Genehmigungspflicht des AR in diesen Fällen
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A.A. Kalss, SWK 2006, W 17 (W 18). Vgl. Fida, Zur Genehmigungspflicht von Sonderverträgen mit Aufsichtsratsmitgliedern, wbl 2006, 357; Kalss, SWK 2006, W 17 (W 18). 15 Scheitert das Geschäft am Drittvergleich, dann ist dessen Abschluss schon von vornherein nicht mit der Sorgfaltspflicht des Vorstands zu vereinen. 16 Siehe Kapitel 5. 14
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dann ausgelöst, wenn für die Leistung ein nicht bloß geringfügiges Entgelt gewährt wird.17 Nach Nowotny 18 erfasst die neue Bestimmung nicht nur Gutachtens- und Beratungstätigkeiten sondern alle Verträge, die mit einem Leistungsaustausch verbunden sind. Darunter sollen auch Werklieferungsverträge und Kaufverträge fallen. Vor Augen stand dem Gesetzgeber jedenfalls primär die Problematik der mit AR-Mitgliedern häufig geschlossenen Beratungsverträge.19 Durchdacht dürfte der Gesetzgebers somit lediglich die Erfassung von Vertragsbeziehungen haben, die der Gutachtens- und Beratungstätigkeit gleich oder nahe kommen. Für diese Annahme sprechen wie erwähnt die Materialien 20, auch wenn es dort heißt, dass es bei der Ermittlung von § 95 Abs. 5 Zif. 12 AktG unterfallenden Verträgen nicht auf die Art der Gegenleistung sondern auf die Höhe des vereinbarten Entgelts dafür ankomme. Sie verweisen zudem auf § 114 dAktG, der lediglich (freie) Dienstverträge oder Werkverträge umfasst.21 Da der Gesetzeswortlaut nur Verträge über Leistungen (aber nicht über Lieferungen und auch nicht wie die Materialien sagen für Gegenleistungen) erfasst und im primären Fall des ersten Satzes von § 95 Abs. 5 Zif. 12 AktG diese (Dienst-)Leistungen von einem AR-Mitglied, also einer physischen Person (und nicht von einem Unternehmen), erbracht werden sollen, ist zu erwägen, dass zunächst die Fälle des § 95 Abs. 2 Zif. 12 S. 1 AktG zumindest auf Verträge über Werk- und Dienstleistungen von AR-Mitgliedern zu reduzieren sind. Angesichts der dem Gesetzgeber vor Augen gestandenen Fälle der Beratungstätigkeit spricht manches darüber hinaus dafür, dass lediglich Werkund Dienstleistungen beratender oder gutachtlicher Natur erfasst sein sollen. Es liegt daher nahe, dass der Anwendungsbereich der Bestimmung teleologisch überhaupt auf solche Verträge zu reduzieren ist. Gegenstand dieser Untersuchung sind daher ausschließlich Leistungen gutachtlicher oder beratender Natur. Wird der hier erwogenen Ansicht gefolgt und blieben damit alle Rechtsgeschäfte ausgenommen solche über beratende und gutachtliche Werk- und Dienstleistungen außerhalb des Anwendungsbereichs von § 95 Abs. 5 Zif. 12 AktG, bestünde für solche Geschäfte allerdings die bisherige Rechtslage (bloße Offenlegungspflicht) fort. Folgt man dagegen der bisher überwiegend vertretenen Ansicht, dass alle Verträge, die mit einem Leistungsaustausch verbunden sind, unter den Anwendungsbereich des § 95 Abs. 5 Zif. 12 AktG fallen, sind die hier vertretenen Ansichten kritisch darauf zu prüfen, ob sie auch bei anderen Vertragstypen sachgerecht sind. 17 18 19 20 21
Siehe dazu Kapitel 4.3. Nowotny, RdW 2005, 658 (660). 927 BlgNR 22. GP 8. 927 BlgNR 22. GP 8. Semler, in: MünchKomm-AktG, 2. Aufl., § 114 Rdnrn. 41 ff.
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4.2. Geringfügigkeitsgrenze 4.2.1. Direkte Geschäfte 4.2.1.1. Das Einkommen als Vergleichsgröße § 95 Abs. 5 Zif. 12 S. 1 AktG stellt als weiteres Tatbestandmerkmal darauf ab, dass die Leistung gegen ein nicht bloß geringfügiges Entgelt zu erbringen ist. Die Materialien 22 bemerken, dass entscheidend sei, ob durch den Vertrag und die wirtschaftliche Bedeutung des Entgelts für das jeweilige AR-Mitglied der Anschein einer Befangenheit entstehen könnte. Dies scheint auf eine Einzelfallprüfung hinzudeuten. Nach dem Ministerialentwurf 23 soll die Bedeutung des Vorteils aus dem Vertrag entsprechend der AR-Vergütung und nicht nach der Bedeutung des Entgelts am Gesamteinkommen für das jeweilige AR-Mitglied zu bestimmen sein und einen Maßstab für die Geringfügigkeitsgrenze bilden.24 Egermann 25 lehnt eine relative Berechnungsmethode unter Verweis darauf ab, dass in diesem Fall in Unternehmen, in denen die AR ein höheres Entgelt erhalten, weniger Verträge offen zulegen wären als in anderen Unternehmen und dass dies auch zu einer ungerechtfertigten Differenzierung zwischen einfachen AR-Mitgliedern und dem AR-Vorsitzenden kommen könnte, wenn dieser ein höheres Entgelt erhält. Dieser Argumentation ist grundsätzlich zuzustimmen. UE scheidet eine relative Berechnungsmethode, basierend auf der Vergütung des AR-Mitgliedes als Vergleichsgröße schon deshalb aus, weil die AR-Tätigkeit zumeist nicht haupt- sondern bloß nebenberuflich ausgeübt wird und die AR-Vergütung im Verhältnis zum Gesamteinkommen daher oft gering ist. Die Vergütung macht in der Regel wohl auch nicht den entscheidenden Umstand zur Übernahme der Mitgliedschaft im AR aus. Ist Anlass für die Mitgliedschaft im AR einer Gesellschaft etwa die Beteiligung einer anderen Gesellschaft, deren Leitungsorgan der AR angehört, wird die AR-Vergütung häufig auf die Remuneration angerechnet, die der AR als Mitglied dieses Leitungsorgans erhält. Daraus ergibt sich, dass die AR-Vergütung für sich genommen nicht die geeignete Vergleichsgröße für die Beurteilung der Bagatellgrenze nach § 95 Abs. 5 Zif. 12 AktG sein kann.26 Das aus diesem Blickwinkel aussagekräftigere Gesamteinkommen des AR-Mitgliedes wird im Regelfall schon aus dem Grund als Vergleichsgröße ausscheiden, weil es nicht offen zu legen und damit kaum überprüfbar ist.27 22
927 BlgNR 22. GP 8. 237/ME BlgNR 22. GP 24. 24 Vgl. dazu auch Egermann, GesRÄG – Zu den geplanten Änderungen beim Aufsichtsrat, RdW 2005, 66 (70). 25 Egermann, RdW 2005, 66 (70). 26 A.A. Egermann, RdW 2005, 66 (70). 27 Dies nicht einmal dann, wenn das AR-Mitglied Vorstandsmitglied des kontrahierenden Unternehmens ist; anderes gilt nur wenn die Bezüge nach Punkt 31 des österreichischer 23
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4.2.1.2. Fixe Grenze? Egermann 28 schlägt weiter vor, die Bestimmung entgegen den Materialien so zu verstehen, dass lediglich eine absolute Mindestgrenze normiert werden soll, die bei höchstens 500 € anzusiedeln sei. Auch Nowotny 29 schlägt in eine ähnliche Kerbe, wenn er den Mindestbetrag des § 28 Abs. 2 Zif. 2 BWG 30 von 5.000 € für das Verständnis der Geringfügigkeitsgrenze nutzbar machen will. Eine Mindestgrenze von 500 € geht u.E. am Normzweck vorbei, weil ein solches Verständnis der Norm zu einer Befassung des AR mit Verträgen von vernachlässigbarer Bedeutung führen würde, es sei denn es ginge nicht um einzelne Leistungen sondern um ganze Blöcke von „Kleingeschäften“, die miteinander in Zusammenhang stehen und als eine Transaktion angesehen werden müssten.31 Die Materialien sehen als entscheidend an, „ob durch diesen Vertrag und die wirtschaftliche Bedeutung des Entgelts für das jeweilige Aufsichtsratsmitglied der Anschein der Befangenheit bestehen könnte.“32 Obwohl der Gesetzgeber für die Bestimmung der Geringfügigkeitsgrenze offenbar eine Einzelfallprüfung im Auge hatte, erscheint diese aus den hier genannten Gründen nicht praktikabel und ihr Ergebnis auch meist nicht aussagekräftig. Sofern aus den Umständen des Einzelfalls keine Klarheit über die Bedeutung des Entgelts für ein AR-Mitglied gewonnen werden kann, (was wohl der Regel entspricht, zumal die wirtschaftlichen Verhältnisse einzelner AR-Mitglieder dem Vorstand und den anderen AR-Mitgliedern üblicherweise nicht offen liegen) spricht viel für eine Betrachtungsweise, nach der solche Geschäfte erfasst sein sollen, deren Umfang in einer Höhe liegt, die typischerweise erwarten lassen muss, dass das davon begünstigte AR-Mitglied Gefahr laufen könnte, in der Wahrnehmung seiner Aufgaben als kritisches AR-Mitglied nicht mehr völlig unbefangen zu sein. § 28 BWG sieht für Geschäfte zwischen Kreditinstituten und deren Organen bzw. mit „nahe stehenden“ Gesellschaften eine zu § 95 Abs. 5 Zif. 12 AktG ähnlich gelagerte Regelung vor. Gemäß § 28 Abs. 1 BWG darf ein Kreditinstitut mit seinen Geschäftsleitern, Vorstandsmitgliedern oder AR-MitCorporate-Governance-Kodex veröffentlicht werden. Aber auch dann wären sonstige Einkünfte nicht offen zu legen. 28 Egermann, RdW 2005, 66 (70). 29 Nowotny, RdW 2005, 658 (660). 30 Regelungsgegenstand sind „sonstige Rechtsgeschäfte“ – insbesondere also nicht Kredite oder Vorschüsse – die ein Kreditinstitut mit den in Abs Z 1–6 aufgezählten Personen schließt, also auch mit Organmitgliedern. 31 A.A. Egermann, RdW 2005, 66 (70), der den Gegenwert mehrer Verträge, die (inhaltlich) eine Einheit bilden oder innerhalb derselben Betrachtungsperiode abgeschlossen werden, zusammenrechnen will. 32 927 BlgNR 22. GP 8.
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gliedern u.a. Rechtsgeschäfte bei denen das angemessene Entgelt nicht weniger als 5.000 € beträgt, direkt oder indirekt nur auf Grund eines einstimmigen Beschlusses aller Geschäftsleiter und mit Zustimmung des AR oder des sonst nach Gesetz oder Satzung zuständigen Aufsichtsorgans schließen. Auch wenn die Vermutung eines gewissen wirtschaftlichen Status für größere Gruppen von Personen (einerseits die von § 28 Abs. 1 BWG erfasste, andererseits jene, der sämtliche Aufsichtsratsmitglieder österreichischer Aktiengesellschaften angehören) die Gefahr einer jeden Generalisierung mit sich bringt, dürfte die wirtschaftliche Position der von § 28 BWG erfassten Personen, mit jener von AR-Mitgliedern einer österreichischen Aktiengesellschaft typischerweise vergleichbar sein und daher die Betragsgrenze des § 28 Abs. 2 Zif. 2 BWG eine gewisse Orientierung für die Geringfügigkeitsgrenze des § 95 Abs. 5 Zif. 12 AktG bieten.33 Eine absolute Grenze von 5.000 € erscheint unter diesem Gesichtspunkt jedenfalls dann sachgerecht, wenn dem Vorstand die wirtschaftlichen Verhältnisse des AR-Mitgliedes nicht als schlechter als allgemein zu erwarten bekannt sind. Ist letzteres doch der Fall, wird eine niedrigere Schwelle geboten sein und Befangenheit schon bei Verträgen gegen geringeres Entgelt als denkbar erachtet werden müssen. Hat der Vorstand Bedenken, dass die absolute Grenze von 5.000 € zu hoch angesetzt ist, müsste er Erkundigungen dazu einholen oder das Geschäft unterlassen. 4.2.2 Gleichzuhaltende Geschäfte In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die Geringfügigkeitsgrenze auch für Geschäfte zwischen der Gesellschaft und einem Unternehmen gilt, an dem das AR-Mitglied ein erhebliches wirtschaftliches Interesse hat. Dem Gesetz kann zwar nicht eindeutig entnommen werden, ob die Wendung „Dies gilt auch …“ die Geringfügigkeitsgrenze des § 95 Abs. 5 Zif. 12 S. 1 AktG einschließt. Dazu stellen die Materialien 34 aber eindeutig (und im Einklang mit dem Telos der Norm) fest, dass die Geringfügigkeitsgrenze auch im Anwendungsbereich des § 95 Abs. 5 Zif. 12 S. 2 AktG heranzuziehen ist. Die Geringfügigkeitsgrenze des § 95 Abs. 5 Zif. 12 S. 1 AktG gilt also nicht nur für Fälle, in denen das AR-Mitglied selbst einen Vertrag schließt, sondern auch für solche, in denen ein Vertrag mit einem Unternehmen geschlossen wird, an dem das AR-Mitglied ein erhebliches wirtschaftliches Interesse hat.35 Andernfalls müsste jedes mit einem solchen Unternehmen abgeschlossene Geschäft dem AR zur Genehmigung vorgelegt werden, gleichgültig, ob Befangenheitsgefahr besteht oder nicht.
33 34 35
Vgl. Nowotny, RdW 2005, 658 (660). 927 BlgNR 22. GP 8. Nowotny, RdW 2005, 658 (660); Egermann, RdW 2005, 66 (70).
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4.3 Gleichzuhaltende Geschäfte Die neue Reglung gilt gemäß § 95 Abs. 5 Zif. 12 S. 2 AktG auch für Verträge mit Unternehmen, an denen ein AR-Mitglied ein erhebliches wirtschaftliches Interesse hat. Diese Erweiterung des Anwendungsbereichs von § 95 Abs. 5 Zif. 12 S. 1 AktG zielt auf Konstellationen ab, in denen zwar formell ein anderes Rechtssubjekt Vertragspartner der Gesellschaft ist, die jedoch wirtschaftlich dem Grundfall nahe, wenn nicht gleich kommen.36 Typische Beispiele wären der Vertrag mit einer Rechtsanwaltsgesellschaft oder einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, deren Partner dem AR der Gesellschaft angehört. Obwohl § 95 Abs. 5 Zif. 12 S. 2 AktG lediglich von Verträgen spricht, kann davon ausgegangen werden, dass die in Satz 2 erfassten Verträge vom Typus mit jenen des Satz 1 gleichzusetzen sind und nicht auch andere Vertragstypen beinhalten. Ansonsten wären Verträge denkbar, die zwar dem Kontrollmechanismus des § 95 Abs. 5 Zif. 12 AktG unterliegen, wenn sie von einem Unternehmen gemäß dessen Satz 2 geschlossen würden, nicht aber, wenn das AR-Mitglied direkt Partei ist. Das kann nicht die Intention des Gesetzgebers gewesen sein. Allerdings dürfen bestimmte Geschäfte gar nicht von physischen Personen betrieben werden, z.B. Bank- oder Versicherungsgeschäfte. Bei der hier skeptisch beurteilten weiten Interpretation von § 95 Abs. 5 Zif. 12 AktG, nach der diese Bestimmung alle Arten von Verträgen meint, wären bestimmte Verträge nur vom zweiten Satz dieser Bestimmung erfasst, da sie von physischen Personen gar nicht geschlossen werden dürften. Ob dies der Intention des Gesetzgebers entsprach, muss unklar bleiben. UE ist dies ein weiteres Argument dafür, § 95 Abs. 2 Zif. 12 AktG von vornherein einschränkend und damit nur auf Dienst- und Werkleistungsverträge beratender oder gutachtlicher Natur anzuwenden. Als weiteres Tatbestandsmerkmal tritt das „erhebliche wirtschaftliche Interesse“ des AR-Mitgliedes hinzu. Nach Kalss 37 bedeutet erhebliches wirtschaftliches Interesse einen unmittelbar oder mittelbar zu ziehenden vermögensmäßigen Vorteil des AR-Mitgliedes. Auch aus den Materialien 38 ergibt sich der Anschein der Befangenheit des AR-Mitgliedes aus dem wirtschaftlichen Vorteil, der dem AR-Mitglied aus einem Geschäft der Gesellschaft mit dem Unternehmen zufließt. Um in den Anwendungsbereich des § 95 Abs. 5 Zif. 12 S. 2 AktG zu gelangen, muss folglich der oder zumindest ein erheblicher wirtschaftlicher Vorteil aus einem solchen Geschäft dem AR-Mitglied persönlich zufließen.39 Dies kann dann der Fall sein, wenn sich erstens der 36 37 38 39
Vgl. Kalss, SWK 2006, W 17 (W 19); Nowotny, RdW, 658 (660). Kalss, SWK 2006, W 17 (W 20). 927 BlgNR 22. GP 9. Vgl. Kalss, SWK 2006, W 17 (W 20) m.w.N.
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wirtschaftliche Erfolg des Unternehmens generell oder zweitens ein vom Unternehmen aus dem Geschäft erzielter Vorteil individuell in der Einkommenssituation des AR-Mitgliedes widerspiegelt. In den bisherigen Kommentierungen zu § 95 Abs. 5 Zif. 12 AktG wird vertreten, dass das erste etwa der Fall wäre, wenn das AR-Mitglied eine wesentliche Beteiligung am Unternehmen hielte oder wenn das AR-Mitglied eine Geschäftsführungsfunktion ausübte und die Remuneration dafür erfolgsabhängig sei. Zusammenfassend ließen sich daher hierfür zwei wesentliche Gruppen unterscheiden. Ein erhebliches wirtschaftliches Interesse könne am Unternehmen entweder durch eine Organfunktion oder durch eine maßgebliche Beteiligung begründet werden.40 Der zweite Fall wäre etwa dann gegeben, wenn das AR-Mitglied mit einem Unternehmen eine Abrede schließt, aufgrund derer es seine Leistung indirekt an die Gesellschaft über das Unternehmen erbringt, das als Strohmann fungiert und dem AR-Mitglied den wirtschaftlichen Vorteil zuwendet. Nach Nowotny 41 ist auf Organträgerebene sinnvollerweise nur auf den Vorstand oder die Geschäftsführung abzustellen, weil AR-Mitglieder eines Unternehmens von diesem in der Regel nicht mit einem Vergütungsniveau ausgestattet sind, das eine Entscheidungsfindung bei der Gesellschaft tatsächlich beeinflussen könnte. Dem ist zuzustimmen. Ein erhebliches wirtschaftliches Interesse kann bei AR-Mitgliedern eines mit der Gesellschaft kontrahierenden Unternehmens in der Regel verneint werden. Auch bei Vorständen und Geschäftsführern in solchen Unternehmen ist dies der Ausnahmefall.42 Naheliegend sei ein erhebliches wirtschaftliches Interesse dann, wenn das AR-Mitglied im kontrahierenden Unternehmen die alleinige Geschäftsführung innehabe oder der Vorsitzende der Geschäftsführung mit weitreichender Führungskompetenz ausgestattet sei und wenn sich der konkrete Vertragsabschluss in einem persönlichen Vermögensvorteil auswirke.43 Es müsse sich dabei also um eine maßgebliche Organfunktion handeln. Beispiele für einen persönlichen Vermögensvorteil wären z.B. Erfolgsprämien, Aktienoptionen oder eine Verlängerung des Mandats beim kontrahierenden Unternehmen. So könnte auch das Nichtzustandekommen oder die Beendigung einer Geschäftsbeziehung zwischen der Gesellschaft und dem Unternehmen dazu führen, dass das AR-Mitglied seine Position z.B. als Vorstand im kontrahierenden Unternehmen verliert, wenn solches von ihm zu verantworten sei.44 Umgekehrt sei grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Vertragsabschluss
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Vgl. Novotny, RdW 2005, 658 (660); Kalss, SWK 2006, W 17 (W 21). Nowotny, RdW 2005, 658 (660). Vgl. Kalss, SWK 2006, W 17 (W 20) m.w.N. Kalss, SWK 2006, W 17 (W 21). Vgl. Egermann, RdW 2005, 66 (70).
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der Gesellschaft mit einem Unternehmen nicht unter den Anwendungsbereich des § 95 Abs. 5 Zif. 12 S. 2 AktG falle, wenn das betroffene AR-Mitglied bei diesem Unternehmen mit fixer Entlohnung ohne jeden weiteren persönlichen wirtschaftlichen Vorteil tätig ist.45 Auf Eigentümerebene ist nach Kalss 46 ein erhebliches wirtschaftliches Interesse bei alleiniger Inhaberschaft der Anteile, Mehrheitsbesitz oder auch bei einer sonstigen erheblichen Beteiligung gegeben. Nowotny 47 will hier auf eine Beteiligung i.S.d. § 228 Abs. 1 UGB abstellen. Eine kontrollierende oder beherrschende Beteiligung scheint in diesem Sinne für eine Begründung der Zustimmungspflicht des AR nicht vorliegen zu müssen.48 Auch die herrschende Meinung in Deutschland bezieht Geschäfte ein, die eine Umgehung des § 114 Abs. 1 dAktG darstellen.49 Dabei werden typischerweise nur Verträge erfasst, deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer das AR-Mitglied ist.50 Hervorgehoben wird in diesem Zusammenhang, dass allein aufgrund der Tatsache, dass das AR-Mitglied die gesetzliche Vertretung in einem solchen Unternehmen innehat, Verträge mit diesem Unternehmen nicht unter § 114 dAktG fallen.51 Auch nach der deutschen Rechtslage führt die Organstellung nur in Ausnahmefällen zu einer Zurechnung und zwar dann, wenn das AR-Mitglied der einzige gesetzliche Vertreter oder Vorstandsvorsitzende mit weitreichenden Entscheidungsbefugnissen ist und durch das Geschäft ein persönlicher vermögensmäßiger Vorteil des ARMitgliedes gegeben ist.52 Dies wird etwa nur bei einer erfolgsabhängigen Remuneration so gesehen, die wesentlich vom Gestaltungsmoment des Vorstands abhängt.53 Die genannten Kriterien betreffend das Verhältnis des AR-Mitgliedes zum vertragschließenden Unternehmen würden aber dazu führen, dass Verträge mit größeren Wirtschaftsprüfungs- oder Rechtsanwaltssozietäten bzw. -gesellschaften, die Leistungen für die Gesellschaft erbringen, deren AR einer ihrer Partner angehört, selten von der Bestimmung des § 95 Abs. 5 Zif. 12 S. 2 AktG erfasst wären. Dies wäre nur dann der Fall, wenn deren Gewinnverteilungsregeln so ausgestaltet wären, dass sie stärker von der Akquisition oder der individuellen Leistungserbringung abhängen als etwa in einem klassischen Lockstep-System. Schließlich wird in solchen freiberuflichen Sozietäten oder Gesellschaften auch weder ein alleiniger Geschäftsführer be45 46 47 48 49 50 51 52 53
Vgl. Kalss, SWK 2006, W 17 (W 21). Kalss, SWK 2006, W 17 (W 20); ähnlich Egermann, RdW 2005, 66 (70). Nowotny, RdW 2005, 658 (660). Vgl. dazu auch Egermann, RdW 2005, 66 (70). Kalss, SWK 2006, W 17 (W 20) m.w.N. Kalss, SWK 2006, W 17 (W 20) m.w.N. Semler, in: MünchKomm-AktG, 2. Aufl., § 114 Rdnrn. 41 ff. Kalss, SWK 2006, W 17 (W 20). Kalss, SWK 2006, W 17 (W 20).
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stellt sein (dürfen) noch weit reichende Führungskompetenz gegeben sein. Damit würde aber gerade jener Kreis von Fällen aus dem Anwendungsbereich des § 95 Abs. 5 Zif. 12 AktG eliminiert, für den diese Bestimmung überhaupt eingeführt wurde. Für derlei Fälle bedarf es offenbar anderer Kriterien als die zuvor referierten. UE ist die Anwendung des § 95 Abs. 5 Zif. 12 S. 2 AktG geboten, wenn das aus dem Geschäft erzielte Entgelt dem Partner, der dem AR der Gesellschaft angehört, letztlich in einem die Geringfügigkeit überschreitenden Ausmaß zufließt. Die Geringfügigkeit (siehe 4.2. oben) bezieht sich jedoch in solchen Fällen nicht auf das Entgelt, das dem Unternehmen für die Erbringung der Leistung zugewendet werden soll, sondern auf den Teil dieses Entgelts, das dem ARMitglied zufließt 54 oder damit vergleichbare Fälle in denen ein nicht geringfügiger, vermögenswerter Vorteil aus dem Geschäft dem AR-Mitglied zu Gute kommt. Dies ergibt sich daraus, dass zur Begründung der Genehmigungspflicht darauf abzustellen ist, ob das einzelne AR-Mitglied einen nicht bloß geringfügigen wirtschaftlichen Vorteil für sich selbst aus dem Vertragsabschluss der beiden Unternehmen ziehen kann.55 Die Beurteilung ist deshalb an die Vorteilszuwendung an das AR-Mitglied zuknüpfen. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass § 95 Abs. 5 Zif. 12 S. 2 AktG mit Verträgen über beratende und gutachtliche Dienstleistungen mit Unternehmen, an denen ein AR-Mitglied ein erhebliches wirtschaftliches Interesse hat, nur solche Verträge meint, deren wirtschaftliche Auswirkung einem direkt zwischen dem AR-Mitglied und der Gesellschaft geschlossenen Vertrag gleich oder nahe kommt. Es geht also zumindest nicht primär darum, in welchem konkreten Umfang dem Unternehmen Entgelt zugewendet wird, sondern welcher Teil des erbrachten Entgelts direkt oder indirekt an das AR-Mitglied abfließt, allenfalls auch darum, ob das AR-Mitglied einen sonstigen, nicht geringfügigen Vorteil daraus zieht.56 Ergibt sich ein solcher nicht bloß geringfügiger persönlicher wirtschaftlicher Vorteil für das AR-Mitglied anders (z.B. durch eine besondere Abrede mit einem Unternehmen, an dem das AR-Mitglied weder beteiligt ist noch eine Organfunktion innehat), ist § 95 Abs. 5 Z. 12 S. 2 AktG gleichfalls anzuwenden. Die nähere Untersuchung der Kriterien für die Anwendung von § 95 Abs. 2 Zif. 12 S. 2 AktG auf andere Verträge als Dienstleistungen beratender oder gutachtlicher Natur würde den Umfang dieser Arbeit sprengen.
54 55 56
Vgl. Kalss, SWK 2006, W 17 (W 21). Kalss, SWK 2006, W 17 (W 21). Kalss, SWK 2006, W 17 (W 21).
Genehmigungspflicht für Geschäfte zwischen Aktiengesellschaften
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5. Reichweite und Methode der Prüfung Entsprechend dem Zweck der neuen Bestimmung hat die Prüfung des AR primär darauf abzuzielen, ob durch den Abschluss des zustimmungspflichtigen Geschäfts eine Gefahr von Befangenheit beim betroffenen AR-Mitglied geschaffen wird. Sowohl die Materialien als auch der Gesetzeswortlaut geben jedoch keinen Hinweis darauf, wie der AR dabei vorzugehen hat, ist doch das Kalkül (Befangenheitsrisiko bei einem AR-Mitglied) ein völlig anderes als bei der Prüfung sonstiger Geschäfte der Gesellschaft. Nach der herrschenden Meinung im deutschen Schrifttum zu § 114 dAktG ist wesentlicher Gegenstand und Inhalt der Prüfung, dass sich der AR bei seiner Beschlussfassung über den wesentlichen Inhalt des Leistungsvertrages informiert, namentlich über die Art und den Gegenstand der Tätigkeit sowie die Höhe der Vergütung.57 Der AR muss in der Lage sein, sich ein eigenes Urteil über Art und Umfang der Leistung, ihre Notwendigkeit sowie die Höhe der Gegenleistung zu bilden.58 Allerdings wird sich aus dieser Prüfung alleine ergeben, ob das Geschäft einem Drittvergleich standhält. Hinsichtlich der Angemessenheit der Konditionen des zwischen dem ARMitglied bzw. dem Unternehmen, an dem das AR-Mitglied ein erhebliches wirtschaftliches Interesse hat, und der Gesellschaft geschlossenen Rechtsgeschäftes sowie dessen Notwendigkeit für die Gesellschaft kann sich der AR in der Regel auf die Angaben des Vorstands verlassen.59 Auch wenn das Unternehmensrechtsänderungsgesetz 2008 (URÄG 2008) die Aufgaben des AR betreffend die Abschlussprüfung erweitert hat,60 kann die dem genannten Grundsatz unterliegende Wertung bei der vorliegenden Frage weiterhin herangezogen werden. In den Fällen des § 95 Abs. 5 Zif. 12 AktG geht es darum, Geschäfte mit einem Mitglied des AR zu verhindern, die dessen Unbefangenheit als AR-Mitglied beeinträchtigen könnten. Wenn der Vorstand einen Antrag auf Genehmigung des Rechtsgeschäfts an den AR stellt, wird er das Rechtsgeschäft grundsätzlich auch für die Gesellschaft als notwendig erachten. Wenn das Geschäft einem Drittvergleich nicht standhält oder nicht notwendig ist, darf es schon aus diesem Grund nicht geschlossen und dem AR zur Genehmigung vorgelegt werden. Hinsichtlich des Geschäftsinhalts braucht sich der AR nur über die, für den Anschein der Befangenheit wesentlichstenVertragsinhalte, insbesondere das gewährte Entgelt, zu informieren.61 57
Semler, in: MünchKomm-AktG, 2. Aufl., § 114 Rdnr. 77 und Rdnr. 84. Semler, in: MünchKomm-AktG, 2. Aufl., § 114 Rdnr. 84. 59 OGH 22.5.2003, 8 Ob 262/02s, ecolex 2003, 313 m.w.N., vgl. Strasser, in Jabornegg/ Strasser, AktG4, § 95 Rdnr. 11. 60 Vgl. Napokoj/Hehenberger, Änderungen für die Abschlussprüfung durch das URÄG 2008, GeS 2008, 48 (53). 61 Vgl. auch Hüffer, AktG, 2. Aufl., § 114 Rdnr. 6. Zwar hat die dem kontrahierenden Unternehmen gewährte Gegenleistung keine direkte Bedeutung für die Relevanzgrenze, ist aber aufgrund ihres Indiziencharakters für die Geringfügigkeitsgrenze wesentlich. 58
290
Michael Kutschera
Ergeben sich aufgrund des Vertragsinhalts keine Bedenken hinsichtlich eines Drittvergleichs, hat sich der AR der Beantwortung der Kernfrage zu widmen, nämlich, ob das AR-Mitglied durch den Vertragsabschluss tatsächlich befangen wird bzw. dies ernstlich befürchtet werden muss. Eine abschließende Beantwortung dieser Frage, die sich im subjektiv-persönlichen Bereich des AR-Mitgliedes abspielt, ist nicht möglich, da sich die innere Haltung des AR-Mitglieds bestenfalls erahnen lassen wird. Der AR wird dabei möglicherweise widerstreitende Indizien gegeneinander abzuwägen haben.62 Dazu wird jedenfalls einerseits das Volumen des Vertrages, also die Intensität der Befassung des AR-Mitglieds zählen. Mit anderen Worten, „lebt“ das ARMitglied wirtschaftlich so gut wie allein von Aufträgen der Gesellschaft. Andererseits wird auch das Interesse zu berücksichtigen sein, eine beratende oder gutachtliche Tätigkeit von oder unter Einbindung einer sachkundigen Person vornehmen zu lassen, die bestens mit den Interna der Auftrag gebenden Gesellschaft vertraut ist. Der Ermessensspielraum des AR ist erdenklich weit, eine pflichtwidrige Ausschöpfung durch Genehmigung nur bei besonderen Umständen denkbar. Noch schwerer wird in der Realität je ein Schaden nachweisbar sein, für den eine Fehlentscheidung (bei richtiger Annahme betreffend Drittvergleich) ursächlich sein soll. Im Falle von Bedenken ist das geeignete Mittel zur Prüfung der Befangenheitsgefahr die Befragung des betroffenen AR-Mitgliedes durch den AR. Der AR kann sich dabei auf die Aussagen des betroffenen AR-Mitgliedes soweit verlassen, als diese nicht offensichtlich falsch, unvollständig oder widersprüchlich sind. Wenn die Umstände sich als unverdächtig erweisen, dann wird die Genehmigungspflicht in der Realität einer besonders informativen Offenlegung nahe kommen. Die Überlegungen zu Punkt 5. gelten unabhängig von der Art des zu genehmigenden Geschäfts.
6. Ergebnis Im Ergebnis ist festzuhalten, dass der Schutzzweck des § 95 Abs. 5 Zif. 12 AktG nicht primär darauf abzielt, eine ungerechtfertigte Vermögensverschiebung zwischen der Gesellschaft und dem AR-Mitglied zu verhindern, sondern den Schutz der Organisationsverfassung und die Unbefangenheit der AR-Mitglieder ins Auge fasst. Durch die neue Regelung sollen drohende Interessenskonflikte zwischen der Gesellschaft und dem AR-Mitglied durch Befassung des AR und der damit verbundenen Kontrolle erkennbar und der 62 22.5.2003, 8 Ob 262/02s, ecolex 2003, 313 mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus Österreich und Deutschland.
Genehmigungspflicht für Geschäfte zwischen Aktiengesellschaften
291
Aufsichtsratstätigkeit abträgliche Interessenskonflikte und damit Befangenheit oder Abhängigkeit des AR-Mitgliedes vermieden werden. Primäres Ziel des Gesetzgebers war, trotz teilweise anderer Hinweise in den Gesetzesmaterialien, die Erfassung von Vertragsbeziehungen, die der Gutachtens- und Beratungstätigkeit gleich oder nahe kommen, namentlich (freie) Dienstverträge oder Werkverträge. Wird der hier erwogenen Ansicht gefolgt, würde für alle anderen Rechtsgeschäfte zwischen dem AR-Mitglied und der Gesellschaft die bisherige Rechtslage (bloße Offenlegungspflicht) fortbestehen. Letzteres würde auch für Geschäfte gelten, die von der Gesellschaft mit einem Unternehmen geschlossen werden, an dem das AR-Mitglied ein erhebliches wirtschaftliches Interesse hat. Wird die Ansicht vertreten, dass neben beratenden und gutachtlichen Dienstleistungen auch alle anderen Rechtsgeschäfte zwischen dem AR-Mitglied und der Gesellschaft bzw. gleichzuhaltende Geschäfte in den Anwendungsbereich von § 95 Abs. 5 Zif. 12 AktG fallen, sind die hier ermittelten Prüfungskriterien nur bedingt anwendbar. Die neue Bestimmung des § 95 Abs. 5 Zif. 12 AktG erfasst sowohl Fälle unmittelbarer als auch mittelbarer Vergütung. Letzteres liegt vor, wenn ein mit einem Unternehmen geschlossenes Geschäft dem Grundtatbestand nahe, wenn nicht gleich kommt, d.h. das AR-Mitglied einen persönlichen, vermögensmäßigen und nicht geringfügigen Vorteil aus diesem Geschäft hat, der den Anschein der Befangenheit nach sich zieht. Obwohl der Gesetzgeber für die Bestimmung der Geringfügigkeitsgrenze offenbar eine Einzelfallprüfung im Auge hatte, erscheint diese weder generell praktikabel noch wäre ihr Ergebnis aussagekräftig. Aus diesem Grund empfiehlt sich die analoge Anwendung der Betragsgrenze des § 28 BWG von 5.000 €. Hat der Vorstand jedoch Bedenken, dass die absolute Grenze von 5.000 € im Einzelfall zu hoch angesetzt ist, so hat er nach allfälligen Erkundigungen einen niedrigeren Betrag als Grenze heranzuziehen oder das Geschäft zu unterlassen. Bei der Prüfung des zwischen dem AR-Mitglied bzw. einem Unternehmen und der Gesellschaft geschlossenen Rechtsgeschäfts gemäß § 95 Abs. 5 Zif. 12 AktG kann sich der AR hinsichtlich der Angemessenheit der Konditionen sowie dessen Notwendigkeit für die Gesellschaft grundsätzlich auf die Angaben des Vorstands verlassen. Im Übrigen werden die Argumente, die eine Befangenheit befürchten lassen, und jene, die für die Beauftragung des ARMitgliedes sprechen, gegeneinander abzuwägen sein. Der dabei bestehende Ermessenspielraum ist weit, ein Schaden aus Fehlentscheidungen (ausgenommen betreffend Drittvergleich) wohl kaum je nachweisbar. Wenn die Umstände sich als unverdächtig erweisen, wird die Genehmigungspflicht in der Realität einer besonders informativen Offenlegung nahe kommen.
Die Rechtsprechung des EuGH zum Ertragsteuerrecht Rückblick und Ausblick (dargestellt am EuGH-Urt. v. 06.03.2007, Rs. C-292/04 – Meilicke) Ein Erfahrungsbericht aus der Praxis für die Praxis Wienand Meilicke
In meiner juristischen Ausbildung habe ich wenigen so viel zu Verdanken wie Michael Gruson. Er hat mein Auge für eine internationale Sichtweise des Rechts geschärft. Ihm zu Ehren möchte ich meine Erfahrungen zu dem EuGH-Urteil in der Rs. C-292/04 schildern, durch welches der EuGH für Deutschland die Einbeziehung ausländischer Körperschaftsteuern in das körperschaftsteuerliche Anrechnungsverfahren bestätigt hat 1.
I. Zur Entstehung des körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahrens Die Entstehung des körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahrens lässt sich am besten anhand nachstehender Tabelle erläutern. Vor 1977 war die Ertragsteuerbelastung in Deutschland rechtsformabhängig höchst unterschiedlich. Zwar wurden Einzelkaufleute, Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften zunächst mit dem gleichen Spitzensteuersatz belegt. Schüttete die Kapitalgesellschaft ihre Gewinne jedoch aus, so kam es zu einer Doppelbelastung mit Ertragssteuern. Wurde sofort ausgeschüttet, stieg die Belastung von 50 % um 12,5 % auf 37,5 %. Wurden zunächst thesaurierte Gewinne erst später ausgeschüttet, so stieg die Steuerbelastung (ohne Gewerbesteuer) sogar auf 75 %. Das körperschaftsteuerliche Anrechnungsverfahren diente einer Vermeidung dieser Belastungsunterschiede. Erfunden wurde es von Frankreich, welches 1965 ein Teilanrechnungsverfahren einführte. Die Hälfte der von der Kapitalgesellschaft gezahlten Körperschaftsteuer wurde auf die Einkommen1
Für Finnland schon EuGH, Urt. v. 07.09.2004, Rs. C-319/02, Manninen, Slg. 2004, I-7063.
50
* alle Steuersätze gerundet
Verbleibendes Einkommen beim Dividendenempfänger
50
Entnahme steuerfrei
25
–25
Entnahme steuerfrei
50
Steuer des Dividendenempfängers (Steuersatz 50 %)
50
Steuerpflichtiges Einkommen des Dividendenempfängers
50
–50
37,5
–37,5
75
0
75
–25
100
Ausschüttungssteuersatz
Thesaurierung 100
Kapitalgesellschaft
Kapitalgesellschaft
0
50
Gewinn nach Steuern
–50
100
Personengesellschaft
Körperschaftsteuergutschrift/ Avoir fiscal
100
–50
Gewinn nach GewSt
ESt/KSt*
Einzelkaufmann
Situation in Deutschland vor 1977
37,5
–37,5
75
+25
50
–50
100
Französ. Avoir fiscal ab 1965
50
–50
100
+30
70
–30
100
Inländische Aktionäre von inländischer Kapitalgesellschaft
35
–35
70
0
70
–30
100
Ausländische Aktionäre von inländischer Kapitalgesellschaft
35
–35
70
0
70
–30
100
Inländische Aktionäre von ausländischer Kapitalgesellschaft
Situation in Deutschland von 1977 bis 2001
294 Wienand Meilicke
Die Rechtsprechung des EuGH zum Ertragsteuerrecht
295
steuer des Dividendenempfängers angerechnet. Lag dieser in einer niedrigen Steuerprogression, so wurde Körperschaftsteuer als avoir fiscal sogar erstattet. Der französische avoir fiscal führte zu einer Steuerbelastung, welche exakt der deutschen Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften bei sofortiger Ausschüttung entsprach. Der Vorteil des avoir fiscal gegenüber dem vor 1977 anwendbaren deutschen System lag darin, dass der avoir fiscal auch gewährt wurde, wenn die Kapitalgesellschaft sich erst einige Jahre später zur Ausschüttung entschloss. Das vermied den Ausschüttungszwang des damaligen deutschen Körperschaftsteuerrechts. Ab 1. Januar 1977 ging Deutschland dann zum Vollanrechnungssystem über und stellte damit die Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften der Steuerbelastung von Einzelunternehmern und Personengesellschaften vollständig gleich, weil die gesamte Körperschaftsteuer bei Ausschüttung auf die Einkommensteuer der Anteilseigner angerechnet wurde. Die Anrechenbarkeit wurde aber auf inländische Anteilseigner und inländische Kapitalgesellschaften beschränkt. Ausländische Aktionäre von inländischen Kapitalgesellschaften und inländische Aktionäre von ausländischen Kapitalgesellschaften wurden weiterhin doppelt besteuert, weil weder ausländischen Aktionären für inländische Dividenden noch inländischen Aktionären für ausländische Dividenden eine Körperschaftsteuergutschrift gewährt wurde. Bemerkenswert ist in dem Zusammenhang, dass nur Deutschland eine so radikale Ausländerdiskriminierung durchführte. Frankreich gewährte den avoir fiscal auch über die Grenze, z.B. nach dem DBA zwischen Deutschland und Frankreich von 1967. Großbritannien führte 1973 den ATC-Credit ein und gewährte ebenfalls auf Basis der Gegenseitigkeit eine Steuergutschrift über die Grenze.
II. Warum darf oder muss der EuGH sich in die Ertragsteuersysteme der Mitgliedstaaten einmischen? Die Ertragssteuerhoheit liegt bei den Mitgliedstaaten. Darum wird häufig die Frage gestellt, warum der EuGH sich überhaupt in die Ertragsteuersysteme der Mitgliedstaaten einmischen muss. Das soll an drei Beispielen dargelegt werden:
1. Waren- und Dienstleistungsfreiheit Die Art. 23, 25, 28, 49 EGV gewährleisten die Freiheit des Waren- und Dienstleistungsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten. Importverbote und Zölle sind abgeschafft. Die Ertragsteuerhoheit kann aber ebenso wie Zölle und Importverbote zur Abschottung von nationalen Märkten eingesetzt werden. Das sei an einem Beispiel dargelegt:
296
Wienand Meilicke
Beispiel: Nehmen Sie an, Frankreich würde anordnen, dass die Kosten für LKW als Betriebsausgaben von der französischen Einkommensteuer nur abgezogen werden können, wenn der LKW in Frankreich hergestellt ist. Die Kosten für in Deutschland hergestellte LKW wären in Frankreich nicht als Betriebsausgaben bei der Einkommensteuer absetzbar. Eine solche Regelung hätte dieselbe Wirkung wie ein französischer Zoll auf deutsche LKW in Höhe des Einkommensteuersatzes. Obwohl mancher Deutsche unseren westlichen Nachbarn derartige Regelungen wohl zutrauen würde, muss zu deren Ehrenrettung gesagt werden: Frankreich hat eine solche Regelung nicht. Eine solche Regelung gab es aber in Deutschland: Miet- und Leasingraten waren nach § 8 Nr. 7 GewStG nur abzugsfähig, wenn die Mieten oder Leasingraten an einen inländischen Gewerbetreibenden gezahlt werden. Mieten und Leasingraten an europäische gewerbliche Vermieter oder Leasinggeber sind nicht abzugsfähig. Die Wirkung dieser Regelung ist: § 8 Nr. 7 GewStG wirkt – in Höhe des Gewerbesteuersatzes – wie ein Zoll auf Mieten und Leasingraten an ausländische Vermieter und Leasinggeber. Ich selbst bin auf dieses Problem erstmals im Rahmen einer steuerlichen Betriebsprüfung für einen Mandanten für das Steuerjahr 1982 aufmerksam geworden und habe dagegen damals auch einen Aufsatz veröffentlicht 2. Der Mandant wollte die Sache aber nicht durchfechten, weil es „nur“ um DM 32.000 Gewerbesteuer ging. Für die Zukunft würde er das Problem vermeiden, weil er dann eben nur noch von inländischen Leasinggebern mietet. Auf diese Weise hat der deutsche Gesetzgeber das Diskriminierungsziel des § 8 Nr. 7 GewStG jahrzehntelang erreicht. Die Zeit war damals wohl auch noch nicht reif dafür. Mein damaliger Aufsatz ist völlig unbeachtet geblieben. Erst im Jahr 1999 hat der EuGH den Verstoß von § 8 Nr. 7 GewStG gegen das Europäische Gemeinschaftsrecht bestätigt 3.
2. Niederlassungsfreiheit im Zuzugsstaat Art. 43 EGV (früher Art. 52) erlaubt natürlichen Personen und Gesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten, sich in jedem Mitgliedstaat niederzulassen. Einem Niederlassungsverbot steht es aber praktisch gleich, wenn die Niederlassung durch ertragsteuerliche Diskriminierung so unattraktiv gestaltet wird, dass kein ökonomisch denkender Ausländer davon Gebrauch machen wird. 2 Meilicke, Unzulässige Diskriminierung ausländischer Leasinggeber durch § 8 Nr. 7 GewStG, RIW 1985, 801. 3 EuGH, Urt. v. 26.10.1999, Rs. C-294/97 – Eurowings.
Die Rechtsprechung des EuGH zum Ertragsteuerrecht
297
Beispiel: Frankreich sah vor, dass der avoir fiscal auf von französischen Gesellschaften ausgeschüttete Dividenden nur französischen Gesellschaften gewährt wird (vorbehaltlich einer Sonderregelung durch DBA). Den französischen Niederlassungen italienischer Versicherungsgesellschaften wurde in Frankreich der avoir fiscal verwehrt. Das führte zu folgender Besteuerungsdifferenz:
Einkommen der franz. Gesellschaft vor Steuern
Französischer Aktionär
Italienischer Aktionär mit französischer Niederlassung
100
100
Impôt sur les sociétés
–50
–50
Dividende
50
50
Avoir fiscal
+25
0
Steuerpflichtiges Einkommen beim Aktionär
75
50
50 % Steuersatz des Aktionärs
–37,5
–25
Einkommen nach Steuern
37,5
25
Die deswegen von italienischen Versicherungsgesellschaften eingelegte Beschwerde führte zu einem Vertragsverletzungsverfahren der Kommission gegen Frankreich und zu der berühmten Avoir-Fiscal-Entscheidung des EuGH 4: „Die Niederlassungsfreiheit verbietet jedem Mitgliedstaat, in seinen Rechtsvorschriften für die Personen, die von der Freiheit Gebrauch machen, sich in diesem Staat niederzulassen, andere Bedingungen für die Ausübung ihrer Tätigkeit vorzusehen, als sie für seine eigenen Staatsangehörigen festgelegt sind.“ Frankreich hatte in dem Vertragsverletzungsverfahren argumentiert, die Diskriminierung von beschränkt steuerpflichtigen Ausländern sei international üblich und darum zulässig 5. Dem hatte die Kommission entgegengehalten, es sei Sache aller Mitgliedstaaten und insbesondere Frankreichs, aus einem Urteil des Gerichtshofs alle notwendigen Konsequenzen zu ziehen, auch auf anderen Gebieten 6. Der EuGH stellte fest, es sei „bedauerlich“, dass die vor4 5 6
EuGH, Urt. v. 16.10.1985, Rs. C-270/83, Kommission gegen Frankreich, Slg. 1986, 273. Rdnr. 17 der Entscheidungsgründe. Rdnr. 7 der Entscheidungsgründe.
298
Wienand Meilicke
liegende Klage nur einen Teil des Anwendungsbereiches der fraglichen französischen Rechtsvorschriften abdeckt 7. Lange Jahre lang wurde das Avoir-Fiscal-Urteil in Deutschland nicht beachtet. Das war auch nicht verwunderlich, da die deutschen Fachzeitschriften EuGH-Urteile nicht abzudrucken pflegten. Ich selbst bin von meinem Vater, der das Amtsblatt der EG zu lesen pflegte, auf das Urteil aufmerksam gemacht worden und habe dazu einen Aufsatz veröffentlicht 8. Das Avoir-FiscalUrteil ist in Deutschland aber erst Jahrzehnte später umgesetzt worden. Der Ausschluss von Zweigniederlassungen vom vermögenssteuerlichen und ertragsteuerlichen Schachtelprivileg verstieß gegen Europarecht 9. Gegen Europarecht verstößt, eine Zweigniederlassung einer EU-ausländischen Gesellschaft mit einem höheren Steuersatz zu besteuern als mit dem Ausschüttungssteuersatz für inländische Gesellschaften 10.
3. Niederlassungsfreiheit als Wegzugsfreiheit (Art. 43 EGV) und Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 56 EGV) Die Niederlassungsfreiheit ist nichts wert, wenn man zwar hinzuziehen, aber nicht wegziehen darf. Darum gehört zur Niederlassungsfreiheit auch die Wegzugsfreiheit. Daneben sind mit Wirkung ab 1990 innerhalb der EU Kapitalverkehrskontrollen abgeschafft und die Kapitalverkehrsfreiheit eingeführt worden. Seit dem 1. Januar 1994 gilt die Kapitalverkehrsfreiheit auch gegenüber Drittstaaten. Dementsprechend wurde schon in dem sogenannten Ruding-Bericht von März 1992 festgestellt, dass das körperschaftsteuerliche Anrechnungsverfahren gegen Europarecht verstößt, wenn nur Inländer einbezogen werden. Hohe Beamte aus dem Bundesfinanzministerium haben schon 1993 darauf hingewiesen, dass das körperschaftsteuerliche Anrechnungsverfahren gemeinschaftswidrig ist und haben ein europataugliches Anrechnungsverfahren vorgeschlagen 11. Am 31. Oktober 1995 hat die Kommission gegen Deutschland die förmliche Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens wegen des körperschaftsteurlichen Anrechnungsverfahrens beschlossen und der Bundesregierung bekannt gemacht. Trotzdem stellte das Finanzgericht München sich noch am 26. Januar 1998 auf den Standpunkt, dass ausländische Dividenden nicht in das deutsche An7
Rdnr. 9 der Entscheidungsgründe. Meilicke, Diskriminierung beschränkt steuerpflichtiger EG-Ausländer und Niederlassungsfreiheit, RIW 1989, 640. 9 EuGH, Urt. v. 21.09.1999, Rs. C-307/97, Saint Gobain, Slg. 1999, I-6161. 10 EuGH, Urt. v. 23.02.2006, Rs. C-243/03, CLT-UFA. 11 Zeidler/Krebs, Europataugliches Anrechnungsverfahren, Der Betrieb 1993, 1051. 8
Die Rechtsprechung des EuGH zum Ertragsteuerrecht
299
rechnungsverfahren einbezogen werden 12. Die Revision gegen dieses Urteil wurde vom BFH mit der zweifelhaften Begründung zurückgewiesen, der Kläger (Prof. Dr. Albert Rädler, Mitglied des Ruding-Komitees, welches den Ruding-Bericht verfasst hat) habe die falschen Anträge gestellt, sodass seine Klage als unzulässig zurückzuweisen sei 13. Anstatt den Antrag zu stellen, dass das steuerpflichtige Einkommen um die ausländische Körperschaftsteuergutschrift erhöht wird, um dann die so angerechnete Körperschaftsteuer auf die Einkommensteuer anzurechnen (unzulässig), habe Prof. Rädler den Antrag stellen müssen, die Körperschaftsteuer anzurechnen, damit anschließend die angerechnete Körperschaftsteuer in eine geänderte Steuerfestsetzung einfließt. Am 15. Februar 2000 leitete die Bundesregierung ihren Gesetzentwurf zur Einführung des Halbeinkünfteverfahrens dem Bundestag zu, weil „die EUKommission die Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit und Niederlassungsfreiheit durch das deutsche Vollanrechnungsverfahren beanstandet.“ Am 6. Juni 2000 entschied der EuGH erstmals, dass es gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstößt, wenn die Niederlande ausländische Dividenden früher besteuern als niederländische Dividenden14. In seiner Urteilsanmerkung formuliert Wassermeyer: „Versucht man die Entscheidung gedanklich auf die deutsche Dividendenbesteuerung zu übertragen, so liegt es eigentlich auf der Hand, dass die in § 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG vorgeschriebene Nichtanrechnung ausländischer Körperschaftsteuer auf die von einem unbeschränkt Steuerpflichtigen aus einem EG-Mitgliedstaat bezogene Dividende EG-rechtswidrig ist.“ Am 30. Oktober 2000 stellten die Erben von Heinz Meilicke den Antrag auf Anrechnung von 3/7 der Dividendeneinnahmen der niederländischen und dänischen Aktien in den Jahren 1995 bis 1997 und erhoben dann Einspruch und Klage vor dem Finanzgericht Köln. Am 12. September 2002 erging der Vorlagebeschluss eines finnischen Gerichts in Sachen Manninen wegen der Unvereinbarkeit des finnischen körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahrens mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht. Am 18. März 2004 veröffentlichte die deutsche Generalanwälting Kokott in Sachen Manninen ihre Schlussanträge, wonach das finnische körperschaftsteuerliche Anrechnungsverfahren mit der Kapitalverkehrsfreiheit unvereinbar ist. Am 20. Juni 2004 erging der Vorlagebeschluss des Finanzgerichts Köln zum deutschen körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahren 15. 12 13 14 15
FG München EFG 1998, 1076. BFH, Az. I R 47/98, damals noch unter dem Vorsitz von Dr. Widmann. EuGH, Urt. v. 06.06.2000, Rs. C-35/98, Der Betrieb 2000, 1373 m. Anm. Wassermeyer. Der Betrieb 2004, 1865 m. Anm. W. Meilicke.
300
Wienand Meilicke
Am 7. September 2004 fällte die Große Kammer des EuGH das Urteil Manninen, wonach das finnische körperschaftsteuerliche Anrechnungsverfahren gegen Europarecht verstößt und Finnland Körperschaftsteuergutschrift auf Dividenden aus Schweden gewähren muss 16.
III. Zur Rückwirkungsproblematik In dem Vorlageverfahren zum deutschen körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahren gab die deutsche Regierung schon in der ersten mündlichen Verhandlung am 8. September 2005 den Versuch auf, das deutsche körperschaftsteuerliche Anrechnungsverfahren gegen das Manninen-Urteil zu verteidigen. Stattdessen verlegte die deutsche Regierung sich nunmehr ausschließlich auf das Argument einer Begrenzung der zeitlichen Rückwirkung. Im Hinblick auf die Erfordernisse verlässlicher Finanz- und Haushaltsplanung sowie eines gleichmäßigen Verwaltungsvollzuges müsse den Mitgliedstaaten ermöglicht werden, einen etwa angenommenen Missstand innerhalb einer angemessenen vom Gericht zu setzenden Frist in der Zukunft zu beseitigen. Die Stimmung in der ersten mündlichen Verhandlung war spürbar für eine Beschränkung der zeitlichen Wirkung 17. Dementsprechend plädierte auch Generalanwalt Tizzano in seinen Schlussanträgen vom 10. November 2005 für eine Beschränkung der zeitlichen Wirkung des Urteils. Diese Schlussanträge wurden von der Bundesregierung als „Etappensieg“ gefeiert 18. Einen Stimmungsumschwung gab es beim EuGH erst in der mündlichen Verhandlung vom 29. November 2005 in der Sache Test Claimants for the FII Group Litigation, Rs. C-446/04. Manche hatten sich schon gewundert, warum die englische Regierung der mündlichen Verhandlung zum deutschen körperschaftsteuerlichen Verfahren am 8. September 2005 beigetreten und für die Beschränkung der zeitlichen Wirkungen des Urteils auf Deutschland plädiert hatte. Das wurde in der mündlichen Verhandlung vom 29. November 2005 klar, weil die britische Regierung nun auch für das britische ATCVerfahren eine zeitliche Beschränkung des Urteils begehrte. Daraufhin wurde das Meilicke-Verfahren an die Große Kammer des EuGH verwiesen und die mündliche Verhandlung wiedereröffnet. Am 6. April 2006 schlug Generalanwalt Geelhoed im Verfahren C-446/04 dem Gerichtshof vor, den Antrag der englischen Regierung auf Begrenzung der zeitlichen Wirkung für die Gemeinschaftswidrigkeit des britischen ATCVerfahrens als verspätet zurückzuweisen. 16
a.a.O. (Fn 1). Portner, IStR-Länderbericht 2005, Heft 19. 18 Kritisch Thömmes, IWB Nr. 22 v. 23.11.2005, 1089; Meilicke, DB 2005, 2658; Kokott/ Henze, NJW 2006, 177. 17
Die Rechtsprechung des EuGH zum Ertragsteuerrecht
301
Durch Beschluss vom 7. April 2006 stellte die Große Kammer im MeilickeVerfahren die Frage, welche Auswirkungen es auf eine etwaige Begrenzung der zeitlichen Wirkungen des zu erlassenden Urteils hat, dass der Gerichtshof in früheren Urteilen die in der vorliegenden Rechtssache einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften im Hinblick auf nationale Rechtsvorschriften wie in der vorliegenden Rechtssache in Rede stehenden bereits ausgelegt hat und in diesen Urteilen deren zeitliche Wirkung nicht begrenzt hat. In der zweiten mündlichen Verhandlung in der Rs. C-292/04, diesmal vor der Großen Kammer des EuGH, plädierten zehn Regierungen und die Kommissin dafür, Deutschland die beantragte Beschränkung der zeitlichen Wirkung des Urteils zu gewähren. Der EuGH stand vor einer Grundsatzfrage. Ist ein souveränes Volk, vertreten durch seine demokratisch gewählten Politiker, wie der römische Kaiser „Imperator legibus absolutus“? Ist es „summum ius, summum iniuria“ die Kindergeneration zu verpflichten, die Steuerschulden der Eltern zu tilgen? Oder ist ein Volk wie eine große Aktiengesellschaft, die für Gebührenüberhebungen auch dann verantwortlich ist, wenn der von der Hauptversammlung demokratisch gewählte Vorstand den von den Kunden unrechtmäßig bezogenen Gewinn schon als Dividende an die Aktionäre ausgeschüttet hat? Das deutsche Bundesverfassungsgericht neigt bekanntlich zu der ersteren Auffassung. Der EuGH ist da weniger frei, weil er nicht nur die Interessen einzelner Mitgliedstaaten, sondern auch die Interessen der anderen Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft als solcher im Auge behalten muss. Hätte der EuGH sich auf das von Generalanwalt Geelhoed zum britischen ATC-Verfahren vorgetragene Argument eingelassen und den Antrag aus einem verfahrensmäßigen Grund als verspätet oder sonst unsubstantiiert zurückgewiesen, so hätte der EuGH für zukünftige Verfahren dadurch lediglich provoziert, dass die Mitgliedstaaten noch früher und detaillierter ihre Haushaltsbelastungen vortragen, um sich der Anwendung des Gemeinschaftsrechts zu entziehen. Außerdem hätte die Gefahr bestanden, dass nun die nationalen Finanzgerichte von einer Vorlage an den EuGH schon absehen mit dem Argument, die Haushaltsbelastung sei so groß, dass nach Auffassung des sonst vorlagepflichtigen nationalen Gerichts eine Gemeinschaftswidrigkeit für die Vergangenheit jedenfalls auszuschließen ist. Da Gerichte immer nur über vergangene Fälle entscheiden, würde es zur Vorlage an den EuGH gar nicht mehr kommen, weil die Gerichte der Mitgliedstaaten sich ihrer Vorlagepflicht durch Hinweis auf die nationale Haushaltslage entziehen könnten. Der EuGH hat deshalb gut daran getan, sich auf das Argument zurückzuziehen, dass schon wegen der Gleichbehandlung der Mitgliedstaaten eine zeitliche Beschränkung des Urteils nur ausgesprochen werden kann, wenn
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Wienand Meilicke
eine Rechtsfrage des Gemeinschaftsrechts erstmals entschieden wird. Hat ein anderer Mitgliedstaat bereits eine Entscheidung ohne Beschränkung der zeitlichen Wirkungen des Urteils hingenommen, so ist eine zeitliche Beschränkung für einzelne Mitgliedstaaten nicht mehr möglich. Den von einem Verfahren nicht unmittelbar betroffenen Mitgliedstaaten ist es unbenommen, den für andere Mitgliedstaaten schwebenden Verfahren beizutreten und dort die Auswirkungen, welche ein Urteil über den unmittelbar betroffenen Mitgliedstaat hinaus für andere Mitgliedstaaten hat, dem EuGH deutlich zu machen.
UNIDROIT – Entwurf einer Wertpapier-Konvention Peter Pöch 1 I. Einleitung 1. UNIDROIT: Organisation und Aufgaben Das International Institute for the Unification of Private Law/Institut International Pour L’Unification Du Droit Privé (UNIDROIT) 2 hat seinen Sitz in Rom. Es ist eine unabhängige zwischenstaatliche Organisation, die 1926 als Hilfsorgan des Völkerbundes gegründet wurde. Nach dessen Auflösung ist das Institut 1940 auf Basis eines multilateralen Vertrages, der UNIDROIT-Satzung, neu gegründet worden. Mitglieder können nur Staaten sein (zurzeit 61 Staaten aus allen Erdteilen). Grundsätzlich wird UNIDROIT durch Beiträge der Mitgliedstaaten finanziert. So leistet Italien einen jährlichen fixen Beitrag. Darüber hinaus können Dritte zweckgebundene Spenden vornehmen, die UNIDROIT als Treuhandgelder zur Verfügung stehen. Aufgabe der Generalversammlung ist neben der Budgetfestlegung die Wahl einer Art von Aufsichtsrat, der die Arbeiten des Sekretariats, geleitet von einem Generalsekretär, zurzeit Prof. Dr. Herbert Kronke 3, Deutschland, mitbestimmt. Arbeitsgebiete von UNIDROIT sind das Zivil- und Handelsrecht unter Ausschluss des Familienrechts und des Internationalen Privatrechts, das ausnahmsweise punktuell zum Tragen kommen kann. Ähnliches gilt im Hin1 Das Manuskript war im Wesentlichen Mitte Juni 2008 abgeschlossen. Der Aufsatz stellt die persönliche Meinung des Autors dar. Diese Feststellung ist zu treffen, da der Autor als Syndikus der Oesterreichischen Kontrollbank Aktiengesellschaft, welche die Wertpapiersammelbank („CSD.A“) betreibt, an den Verhandlungen der Regierungssachverständigen zur Vorbereitung des Entwurfs teilgenommen hat und in jenen Verhandlungsrunden, an denen kein Vertreter des Bundesministerium für Justiz teilnahm, dieses vertrat. 2 www.unidroit.org. 3 Allgemein ist auf Kronke/Melis/Schnyder, Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, 2005 zu verweisen, indem Kronke/Haubold den Teil L Börsen- und Kapitalmarktrecht behandeln. Dort findet sich im Abschnitt 2, Verwahrung und Verwaltung von Effekten, S. 1462 ff. unter Rdnrn. 147 ff. eine kurze Darstellung des UNIDROIT Projekts unter Verwendung des vorläufigen Entwurfs 2004.
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blick auf öffentliches und Verfahrensrecht. UNIDROITs Bestreben geht dahin, Handelspraktiken, neue Technologien etc., die neue, hauptsächlich zwischenstaatliche, Regelungen erfordern, weltweit zu regeln oder die existierenden Regelungen zu harmonisieren. Die Instrumente, um diese Ziele zu erreichen, sind zwischenstaatliche Konventionen, Modellgesetze und allgemeine Grundsätze; je nachdem, welches Mittel im Einzelnen für die Effektivität angemessen erscheint. Erfahrungsgemäß ist es oft schwierig, Konventionen auch zu ratifizieren und umzusetzen, sodass Modellgesetze und allgemeine Grundsätze an Bedeutung gewonnen haben. Die Teilnahme an Verhandlungen steht nicht nur Mitgliedstaaten offen, sondern auch anderen interessierten Staaten sowie internationalen Organisationen, Berufs-, Handels- und Gewerbevertretungen, die über Einladung des Sekretariats als Beobachter teilnehmen können. Eine enge Zusammenarbeit besteht mit der Haager Konferenz für internationales Privatrecht und UNCITRAL (United Nations Commission on International Trade Law). UNIDROIT hat im Lauf der Jahrzehnte mehr als 70 Studien und Entwürfe vorbereitet, die zum Teil in Konventionen, Modellgesetzen und allgemeinen Grundsätzen mündeten.4
2. Das Projekt einer materiellrechtlichen Wertpapier-Konvention Das Projekt einer materiellrechtlichen Wertpapier-Konvention wurde als Studie 78 im Jahr 2002 gebilligt, worauf das UNIDROIT-Sekretariat eine Studiengruppe einberief. Nach fünf Sitzungen der Studiengruppe und Beratungen mit Praktikern und Akademikern aus 20 Ländern legte das UNIDROIT-Sekretariat am 23. Dezember 2004 den Mitgliedstaaten einen vorläufigen Entwurf vor.5 Ziel der Studie war, die in den einzelnen Ländern historisch gewachsenen Wertpapier(„WP“)-Verwahr-, Übertragungs- und Liefersysteme (künftig: „Abwicklungssysteme“) zu modernisieren und zu harmonisieren. Damit soll der WP-Verkehr effizienter, vor allem in rechtlicher Hinsicht sicherer und wohl auch kostengünstiger werden. Vielfältige internationale Bemühungen waren und sind zu beobachten, die sich mit unterschiedlichen Akzenten und Arbeitsgebieten um Lösungen dieser Aufgaben bemühen.6 Der vorläufige Konventionsentwurf war Grundlage eines 4
Im Detail zu Vorstehendem vergleiche www.unidroit.org\english\presentation\main.
htm. 5 Unter www.unidroit.org\english\workprogramme\study078\item1\overview.htm findet sich ein Überblick über Ziele und Entstehen des Entwurfs. 6 Aus der Vielzahl der Aufsätze und Dokumente darf hier nur Pöch, Die Regelung des internationalen Wertpapierverkehrs ist in Bewegung – aber wohin?, Bankarchiv 2004, 507 ff., wo auch ein eigener Lösungsansatz unter dem Schlagwort „Systemrechte“ angeboten wird, zitiert werden. Die zehn Thesen für Systemrechte weisen einen ähnlichen Ansatz auf, wie das UNIDROIT-(und EU-Legal Certainty-)Projekt, nämlich die Maßgeblichkeit der Kontobuchung.
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internationalen Verhandlungsprozesses, der im Mai 2005 mit der 1. Sitzung des Komitees von Regierungsexperten begann. Insgesamt gab es vier derartige Sitzungen, die letzte im Mai 2007. Einzelne Themen waren Gegenstand von vier gesonderten Beratungen. Am Ende der 4. Komitee-Sitzung verkündeten der Vorsitz und das UNIDROIT-Sekretariat, dass die damals vorliegende Fassung 7, sowie die Ergebnisse von drei Studiengruppen, die im Rahmen des Komitees gebildet wurden, Grundlage für eine diplomatische Konferenz sein würde, die mit dem Ziel der Unterzeichnung der Konvention für den 1. bis 13. September 2008 nach Genf einberufen wurde. Die dort zu verhandelnde Fassung der Konvention, die der vom Mai 2007 mit geringfügigen sprachlichen und formalen Änderungen entspricht, findet sich ebenso wie die sonstigen Konferenzunterlagen auf der UNIDROIT-Website 8. Die in diesem Aufsatz besprochene Fassung ist die vom Mai 2007 (der „Entwurf“) und ist er nur unter gleichzeitiger Verwendung des Entwurfs zu lesen. Zitate von Artikeln ohne Angabe des Regelungswerks beziehen sich auf den Entwurf. Zur Erleichterung des Verständnisses von Entwurfstext und Präsentation werden vielfach, auch wiederholend, sowohl die englischen als auch die korrespondierenden deutschen Worte und Begriffe verwendet.
3. Struktur, funktionaler Ansatz und Terminologie des Entwurfs Der Entwurf gliedert sich in die folgenden sechs Kapitel (übersetzt): I. Definitionen, Anwendungsbereich und Auslegung, II. Rechte des Kontoinhabers, III. Übertragung depotverwahrter WP, IV. Integrität des konto-basierten Verwahrsystems, V. Verhältnis zu den WP-Emittenten, VI. Besondere Regelungen für Sicherheiten und VII. Schlussbestimmungen. Der Entwurf will keineswegs als umfassende Regelung des materiellen WP-Rechts gesehen werden.9 Die vorstehende Aufzählung der Inhalte der einzelnen Kapitel zeigt gleich ein grundlegendes, nicht unbekanntes Problem internationaler Regelungswerke auf: Arbeitssprachen bei UNIDROIT sind Englisch und Französisch, wobei der weitaus überwiegende Teil der Wortmeldungen in den Sitzungen auf Englisch erfolgten. Der Autor ist von der englischen Fassung des Ent-
7 UNIDROIT 2007 Study LXXVIII – Doc. 94 Original: English/French July 2007, zu finden unter www.unidroit.org. 8 www.unidroit.org\english\workprogramme\study078\item1\main.htm. 9 Thevenoz, Intermediated Securities, Legal Risk, and the International Harmonisation of Commercial Law, 2007, S. 32, abrufbar unter http://ssrn.com/abstract=1008859. Der Autor war Mitglied der Studiengruppe, welche den Erstentwurf erarbeitete. Als Professor für Bank- und Finanzrecht in Genf sowie hervorragenden Kenntnissen auch ausländischen, insbesondere amerikanischen WP-Rechts ist er als mehrsprachiger Fachmann geradezu Kristallisationspunkt des Projekts.
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wurfs ausgegangen und hat für diesen Aufsatz selbst übersetzt. In der Auseinandersetzung mit dem Entwurfstext ist der Autor vom österreichischen Rechtsverständnis (das dem deutschen in vielen Belangen entspricht) ausgegangen und hat sich bemüht, die Regelungsinhalte des englischsprachigen Entwurfs dem österreichisch/deutschen Juristenverständnis sprachlich anzupassen. Die Kapitelüberschriften zeigen bereits ein wesentliches Selbstverständnis des Entwurfes: Er möchte die Regelungsinhalte funktional umschreiben, sodass sie auf alle Verwahr- und Abwicklungssysteme von WP anwendbar sind, mögen diese auch auf unterschiedlichsten Rechtsgrundlagen beruhen und sehr unterschiedliche Strukturen aufweisen. Der funktionale Ansatz (functional approach) 10 ist eine schwierige und auch heikle Aufgabe, wenn man die unterschiedlichen Vorstellungen bedenkt, was ein WP ist 11, welche Funktion es hat und wie es verwahrt werden soll. Die wesentlichen Unterschiede im hier behandelten Rechtsbereich sind die Ausprägungen, die sich auf kontinentaleuropäischem und angloamerikanischem Raum herausgebildet haben. Hinzu kommen Verwahrsysteme, welche darauf aufbauen, dass jeder Anleger ein Depot beim Zentralverwahrer unterhält (transparent systems) 12, wie dies für Skandinavien, Brasilien und China, um nur die wichtigsten Beispiele zu nennen, zutrifft. Grundlegend auch der Unterschied zwischen dem kontinentaleuropäischen Verständnis, dass das einem Anleger gehörende WP für ihn von seiner Bank (Zwischenverwahrer im Sinne von § 3 Abs. 3 österreichisches Depotgesetz – „DepG“) einem anderen Verwahrer (§ 3 Abs. 1 DepG – Drittverwahrer), letztlich dem Zentralverwahrer, zur Verwahrung überlassen wird, während nach dem angloamerikanischen Verständnis nur der erste Verwahrer, dem der Emittent die WP übergeben hat, als Verwahrer anzusehen ist, während alle weiteren Verwahrer (intermediaries) in der Verwahrkette eine Summe von Rechten halten (hold a bundle of rights, securities entitlement), die sie für ihre Kunden
10 Siehe auch dessen Befürwortung in Micheler, Doctrinal Path Dependence and Functional Covergence: The Case of Investment Securities, 2006, abrufbar unter http://ssrn. com/abstract=880110, auf Grundlage einer Analyse des englischen und deutsch/österreichischen Wertpapierrechts. Der funktionale Ansatz wird auch in den Arbeiten der EU-Legal Certainty Group (http://ec.europa.eu/internal_market/financial-markets/clearing/certainty_ de.htm) verwendet, die sich dem gleichen Thema wie der Entwurf widmet. 11 Die klassische WP-Definition der Lehre jüngst in Micheler, Wertpapierrecht zwischen Schuld- und Sachenrecht, 2004. Das Buch enthält eine rechtsvergleichende Studie von Effekten nach österreichischem, deutschem, englischem und russischem Recht. „Wertpapiere werden als Urkunden definiert, die ein Privatrecht in der Weise verbriefen, dass zur Ausübung des Rechts die Innehabung der Urkunde erforderlich ist“, S. 13 mit weiteren Zitaten. Thevenoz (o. Fußn. 9), S. 38 ff.; Heinsius/Horn/Than, (deutsches) Depotgesetz – Kommentar, 1975 zu § 1. 12 Report of the Transparent Systems Working Group, vorgelegt der 4. Sitzung der Regierungssachverständigen im Mai 2007 – Unidroit 2007-Study LXXVIII – Doc. 95.
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(Bank, WP-Händler oder Anleger) innehaben. Der Vorsatz, bei den einzelnen Regelungen nach einem funktionalen Ansatz vorzugehen, sollte auch in der Terminologie zum Ausdruck kommen. Mit anderen Worten, ein Ausdruck, der in einem Rechtskreis eine bestimmte rechtliche Bedeutung hat, sollte nicht verwendet werden. Dies ist dem Entwurf teilweise gelungen, wie z.B. beim Kontoinhaber (account holder), der ein Anleger aber auch ein (Zwischen-)Verwahrer sein kann. Kein funktionaler Begriff wurde bedauerlicherweise für den Verwahrer verwendet, der als Intermediär (intermediary) des US-amerikanischen Rechtsbereichs 13 bezeichnet wird. Im englischen Recht herrscht das gleiche Verständnis von Intermediär 14. Der hier fehlende funktionale Zugang kann nicht dadurch ersetzt werden, dass der Entwurf in Art. 1(d) eine Definition von „intermediary“ enthält (die übrigens im Wesentlichen auf der Definition des UCC unter (ii) aufbaut – s. Fn. 13). Trotz dieser Definition wird im täglichen Sprachgebrauch jeder Praktiker, der eine angloamerikanische Berufsausbildung erhalten hat, an das Verwahrkonzept dieses Rechtsraums denken, das die Gesamtheit von Rechten (bundle of rights, securities entitlement) bedeutet. Dieses Ergebnis kann nicht befriedigen, weil der Entwurf damit in den Köpfen zahlreicher Anwender fälschlicherweise das angloamerikanische Konzept auf Verwahrsysteme überträgt, denen es fremd ist. Die von der EU-Kommission eingesetzte Arbeitsgruppe, die für den EU-Bereich an der Lösung von im Wesentlichen gleichen Problemen arbeitet wie das UNIDROIT-Projekt, hat einen einfachen und dem zentralen Lösungsansatz der Depotkonto-Buchung entsprechenden, funktionalen Begriff angenommen, indem sie von „account provider“ (Kontoführer) spricht. Ein neutraler Ansatz sollte auch für alle vom Intermediär (intermediary) abgeleiteten Wortbildungen gelten. Dementsprechend wäre anstelle von „intermediatisierten“ WP von „kontoverwahrten“ (account held) WP zu sprechen („zwischenverwahrt“ wäre eine nicht-funktionale Ausdrucksweise, die auf den österreichischen / deutschen Rechtsbereich verweist) und überdies zu kurz greift. Demgemäß könnten unter den Definitionen des Art. 1 an Stelle von „intermediated securities“ „account held securities“ definiert werden: „credit of a security to a securities account and thereby conveying the rights described in Art. 7, 9 and 10“. Die folgende Präsentation und teilweise kritische Beleuchtung der Eckpfeiler des Entwurfs wird einen funktionalen Ansatz der Regelungen und eine ebensolche Terminologie anstreben.
13 UNIFORM COMMERCIAL CODE (UCC) der USA § 8-102 (a) (14) “securities intermediary” means: (i) a clearing corporation; or (ii) a person, including a bank or broker, that in the ordinary course of its business maintains securities accounts for others and is acting in that capacity. 14 Ausführlich zum deutsch/österreichischen und englischem Wertpapierverständnis und den Verwahr- und Abwicklungssystemen Micheler (o. Fußn. 11) und Pöch (o. Fußn. 6), Punkt 2.1.
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II. Eckpfeiler des Entwurfs 1. Zentraler Ansatz Der zentrale Ansatzpunkt des Entwurfs ist die Maßgeblichkeit der Buchung am WP-Depotkonto, das der Einfachheit halber in der Folge als „Konto“ bezeichnet wird. Gutschriften und Lastschriften (credits and debits) haben grundsätzlich die gleiche Wirkung und bedeuten einerseits die Gutschrift und den Erwerb bestimmter Rechte sowie andererseits die Lastschrift und die Verfügung, damit den Verlust von WP. Das Konto hat nach herrschender österreichischer Auffassung eine bloße Hilfsfunktion beim Eigentumserwerb 15. Art. 9 des Entwurfes bestimmt, dass vorbehaltlich der Regelungen des Art. 13 (über die Ungültigkeit und das Storno/die Rückbelastung (invalidity and reversal), worauf noch zurück zu kommen ist), kontoverwahrte (intermediated) WP vom Kontoinhaber durch Gutschrift auf seinem WP-Konto erworben werden. Ausdrücklich sagt Abs. 2 von Art. 9, dass kein weiterer Schritt erforderlich ist oder vom Nicht-Konventionsrecht (non-Convention law) verlangt werden darf, um den Erwerb von kontoverwahrten WP gegenüber Dritten wirksam zu machen. Das NichtKonventionsrecht ist in Art. 1(m) als das Recht definiert, das in dem Staat gilt, dessen Recht gemäß Art. 3 anwendbar ist (abgesehen von den Regelungen der Konvention). Art. 3 wiederum bestimmt, dass die Konvention anzuwenden ist, wenn (a) die anwendbaren Regeln des IPR auf das Recht eines Vertragsstaates verweisen oder (b) die Umstände keine Wahl eines anderen Rechts bewirken, als das Recht eines Vertragsstaates 16. Wiederum vorbehaltlich von Art. 13 besagt Abs. 3 des Art. 9, dass ein Kontoinhaber über kontoverwahrte WP durch Lastschrift/Abbuchung (debit) verfügt. Abs. 4 des Art. 9 bestimmt weiter, dass eine Sicherheit (security interest) oder ein begrenztes Recht (limited interest), das keine Sicherheit darstellt, durch Gutschrift (credit) erworben (acquired) und hierüber durch Lastschrift (debit) verfügt (disposed) wird. Während die ersten drei Absätze des Art. 9 klare Aussagen treffen, erscheint der Inhalt von Abs. 4 unklar. Hierauf wird unter Punkt II.3. zurück zu kommen sein. Zusammenfassend ist hier festzuhalten, dass nur die Buchung den Erwerb/Besitz oder die Verfügung/den Verlust der mit verbuchten WP verbundenen Rechte bewirkt.
15 Jüngst Iro, in: Apathy/Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht II2, S. 306 ff. der in Rdnr. 4/115 der Buchung insoweit konstitutive Wirkung zuspricht, als sie notwendiger Teil des Rechtserwerbstatbestandes ist. 16 Der Wortlaut dieser beiden Bestimmungen wurde in der 4. Komitee-Sitzung im Mai 2007 geändert, was auf eine Initiative Österreichs zurückging.
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Um welche Rechte es sich handelt, die ein Kontoinhaber durch die Gutschrift von WP auf seinem Konto erhält, ist in Art. 7 des Entwurfs festgehalten, der die Überschrift „Kontoverwahrte Wertpapiere“ („Intermediated securities“) trägt. Diese Rechte sind in Abs 1 des Art. 7 in lit (a) bis (c) aufgezählt, während lit (d) (vorbehaltlich von Bestimmungen der Konvention) alle sonstigen Rechte, inklusive Rechten und Interessen an WP betrifft, die möglicherweise vom Nicht-Konventionsrecht übertragen werden. Diese Generalklausel scheint unglücklich formuliert, weil sie sich auf die Einleitung des Absatzes bezieht, wonach die Gutschrift die dann aufgezählten Rechte überträgt, aber das Nicht-Konventionsrecht, wenn es z.B. österreichisches Recht ist, durch Gutschrift alleine keine Rechte auf den Kontoinhaber überträgt. Lit. (d) zielt offenbar darauf ab, weitere durch den Eigentumsbegriff einer Rechtsordnung bestimmte Rechte durch die Buchung übergehen zu lassen. Art. 11 verunsichert in diesem Zusammenhang, indem er normiert, dass die Konvention keine andere Methode des Nicht-Konventionsrechts ausschließt, womit WP erworben, über sie verfügt oder belastet werden können. Hat nun der Kontoinhaber, dessen Konto WPe gutgeschrieben werden nur die in Art. 7 aufgezählten Rechte oder volles Eigentum im Sinne des österreichischen/deutschen Zivilrechts erworben? Die Antwort scheint in Art. 9 zu liegen, der von Erwerb (acquisition) spricht. Hier muss aber systemkonform vom Erwerb von Rechten gemäß der Konvention ausgegangen werden, wenn nichts anderes gesagt wird. Wollte man die wahrscheinliche Absicht des Entwurfs umsetzen, dass damit der nach der jeweiligen nationalen Rechtsordnung mögliche Erwerb des Maximums an Rechten gemeint ist, die das Eigentum, beneficial ownership etc vermitteln, wäre dies zu sagen. Entweder in Art. 7 Abs. 1 lit (d) oder in Art. 9 mit einem Verweis auf Art. 7 und unter Anführen von Beispielen. Die unter lit (a) bis (c) des Abs. 1 von Art. 7 übertragenen Rechte sind allerdings bereits so weitgehend, dass lit (d) eher den Charakter eines Fangnetzes hat: Lit. (a) überträgt das Recht, die mit den WP verbundenen Rechte zu erhalten und auszuüben, insb. Dividenden, andere Ausschüttungen und Stimmrechte, falls (i) der Kontoinhaber kein Kontoführer (intermediary) ist oder wenn er ein Kontoführer ist, er für eigene Rechnung handelt (also selbst Inhaber der WP ist – Eigenbesitz) und (ii) in jedem anderen Fall, wenn dies vom Nicht-Konventionsrecht vorgesehen ist. Gemäß lit (b) erhält der Kontoinhaber durch die Gutschrift das Recht, durch Beauftragung seines Kontoführers eine Verfügung (disposition) vorzunehmen oder ein Recht gemäß Art. 10 (interests/Besicherung) einzuräumen. Schließlich wird unter lit (c) das Recht übertragen, die WP durch Auftrag an den Kontoführer anders als über ein WP-Konto zu besitzen, falls dies das Recht, unter dem die WP begründet wurden, die WP-Bedingungen, das Nicht-Konventionsrecht und im Ausmaß, wie dies durch das Nicht-Konventionsrecht gestattet ist, der
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Kontovertrag oder die Geschäftsbedingungen eines WP-Abwicklungssystems (securities settlement system) gestatten. Art. 7 Abs. 2 bestimmt, dass (vorbehaltlich der Regelungen der Konvention) die im Abs. 1 genannten Rechte Dritten gegenüber wirksam sind und die im Abs. 1 (a) genannten Rechte gegen den Kontoführer oder den Emittenten der WP oder beide ausgeübt werden können, jeweils gemäß der Konvention, den WP-Bedingungen und dem Recht, unter dem die WP begründet wurden, sowie dass die in Abs. 1 (b) und (c) genannten Rechte nur gegen den Kontoführer ausgeübt werden können. Abs. 3 des Art. 7 bestimmt schließlich, dass dann, wenn der Kontoinhaber ein Besicherungsrecht oder ein anderes begrenztes Recht gemäß Art. 9 Abs. 4 durch die Gutschrift von WP auf seinem Konto erhalten hat, das Nicht-Konventionsrecht Beschränkungen der im Abs. 1 genannten Rechte vorsehen kann. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass der Erwerb der genannten Besicherungs- und sonstigen Rechte durch eine Kontogutschrift erfolgen muss, worauf noch unter Punkt II.3. zurück zu kommen ist. Abschließend zwei Gedanken zur Maßgeblichkeit der Buchung: Der Entwurf unterscheidet nicht, auf welchem Konto der Verwahrkette die Buchung erfolgt. Die Regelungen beziehen sich daher auf jede Buchung, gleichgültig, um welches WP-Depot es sich handelt. Dies ist in Ordnung, wenn die Buchungen dynamisch, also als Rechte begründende Gutschriften oder als Rechte vernichtende Lastschriften gesehen werden. Anders die Situation bei statischer Betrachtung der Verwahrkette: Jede Buchung in der Verwahrkette bedeutet, dass der jeweilige Kontoinhaber die mit der Buchung verbundenen Rechte erhalten hat, womit – theoretisch – eine „Vermehrung“ der vom Emittenten begebenen WP stattfindet. Tatsächlich gibt es eine höhere Zahl verbuchter als begebener WP. Es erscheint daher erforderlich, dass der Entwurf, möglichst im Konventionstext selbst, klar sagt, dass diese Rechte originär nur auf dem Konto eines bestimmten Kontoführers entstehen können und Buchungen auf anderen Konten von dieser Buchung abgeleitet sind. Im Sinne des funktionalen Ansatzes wird es nicht erforderlich sein, festzulegen, ob das Konto mit der originären Buchung an der Spitze der Verwahrkette (üblicherweise beim Zentralverwahrer) oder an deren Ende geführt wird, wo der Anleger (investor, owner, beneficial owner) sein Depot unterhält. Im ersten Fall wäre das angloamerikanische Verwahrmodell angedacht, im zweiten Fall das kontinentaleuropäische. Die funktionale Regelung würde darin bestehen, entweder jenes Konto als originär zu bezeichnen, auf das die WP vom Emittenten anlässlich der Emission geliefert wurden oder aber jenes Konto, dessen Inhaber keinen Weisungen eines anderen Kontoinhabers unterliegt. Die Signatarstaaten hätten zu erklären, ob in ihrem Bereich die eine oder andere Variante zutrifft (declaration mechanism). Eines der Bindeglieder zwischen den Kontoführern in der Verwahrkette ist der in allen Verwahrverträgen zumindest stillschweigend enthaltene Auftrag zur Verwah-
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rung und Verwaltung der WP für den Inhaber des untersten Kontos der Verwahrpyramide.
2. Endgültigkeit der Buchung Da mit der Buchung, wie oben unter II.1. beschrieben, der Erwerb eines WPs oder die Verfügung über ein WP abgeschlossen sind, stellt sich die Frage, wie mit fehlerhaften Buchungen umzugehen ist. Im Hintergrund steht die Gefahr, dass es durch formal korrekte Buchungsvorgänge zu einer „Vermehrung“ der Wertpapiere kommt, die vom Emittenten ausgegeben wurden (siehe oben, letzter Absatz von II.1.). Auch eine sachlich nicht gerechtfertigte Reduktion dieser Menge wäre denkbar. Die Gründe, warum eine Buchung inhaltlich unrichtig sein kann, erscheinen vielfältig: Angefangen von Irrtümern bei der Eingabe von Ziffern, über Maschinendefekte bis zu fehlerhaften Rechtsgeschäften (beispielsweise Zwang, Irrtum, Minderjährigkeit einer Partei) können die Ursachen in den verschiedensten Bereichen der Buchungs- und Übertragungsvorgänge liegen. Hinzu kommt, dass es sich bei den Buchungen um Massenvorgänge handelt, die innerhalb kürzester Frist so abzuwickeln sind, dass Rechtssicherheit über die Wirksamkeit der Buchung besteht. Zu bedenken ist weiter, dass die Rückverfolgung der Gutschrift eines WPs zu einem Konto, von dem es abdisponiert wurde (tracing), in der Regel faktisch nicht möglich ist. Dies scheint jedenfalls beim Börsehandel so zu sein. Beim außerbörslichen Handel dürfte diese Unmöglichkeit in der Regel gleichfalls gegeben sein, insb. wenn mehrere Transaktionen in derselben Kategorie erfolgen (wegen der auch im Entwurf anerkannten Aufrechnung (netting) bei der Abwicklung der Geschäfte). Bei Kapitalmaßnahmen (beispielsweise Ausübung von Bezugsrechten, Splitting inklusive Reverse-Splitting, Umtausch) ist hingegen vorstellbar, dass fehlerhafte Buchungen zwischen den betroffenen Parteien bereinigt werden können. Diesfalls bleibt die Frage, wie eine weitere Verfügung über ein fehlerhaft gutgeschriebenes WP zu behandeln ist. Zentral ist in allen Fällen die Frage, welche Wirkung die Gutschrift auf dem Konto eines Kontoinhabers hat, der WP dieser Kategorie und in dieser Zahl erwartet, falls die WP von einer fehlerhaften Buchung betroffen sind. Vorweg wird festzuhalten sein, dass vergleichbare Fragestellungen in der Vergangenheit selten und nicht beunruhigend waren, da fehlerhafte Buchungen im Kreis der Betroffenen bereinigt wurden. Wie die Situation künftig sein wird, wenn die Buchung den in II.1. beschriebenen Stellenwert erhält, ist eine offene Frage. Tendenziell wird wohl von einem vermehrten Auftreten des Problems auszugehen sein. Wie geht der Entwurf mit diesen Fragen um? Wie in II.1. ausgeführt, erfolgt der Erwerb von und die Verfügung über kontoverwahrte WP gemäß Art. 9 Abs. 1 und 3 vorbehaltlich des Art. 13 des Entwurfs. Dieser ist vorläufig mit der Überschrift „Invalidity and reversal“ versehen. Die Übersetzung von „reversal“ bedeutet insoweit ein Problem, als
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im Wesentlichen die Worte „Rückbelastung, Storno, Aufhebung“ zur Verfügung stehen und aus dem Entwurfstext nicht zu erschließen ist, welche dieser Möglichkeiten richtig ist: Bei „Rückbelastung“ wäre miteingeschlossen, dass die WP dorthin rückgebucht werden, woher sie kamen. Das wird in den seltensten Fällen möglich sein. „Storno“ und „Aufhebung“ ist synonym und bedeutet die Beseitigung der Buchung, ohne dass gesagt wird, ob die stornierten WP auf einem anderen Konto (z.B. des Kontoführers oder eines anderen Kontoinhabers) gutgeschrieben werden. Art. 13 Abs. 1 bestimmt, dass eine Belastung von WP oder ein Vermerk unwirksam sind, falls der Kontoführer hiezu nicht ermächtigt war, sei es (a) durch den Kontoinhaber oder falls es sich um eine Belastung oder einen Vermerk handelt, die/der Gegenstand eines unter Art. 10 gewährten Rechtes ist, durch die Person, der das Recht eingeräumt wurde, oder (b) durch das Nicht-Konventionsrecht. Diese Regel ist einfach und erklärt eine Belastung für unwirksam, wenn sie weder von der berechtigten Person noch vom anwendbaren Nicht-Konventionsrecht autorisiert war. Eine zeitliche Begrenzung dieser Regel ist nicht erkennbar. Es kann daher der Fall eintreten, dass die Belastung dazu geführt hat, dass die WP in den Abwicklungsprozess gelangt sind und dies zu einer Gutschrift auf einem oder mehreren anderen, nicht bekannten Konten geführt hat. Kommt es dann zu einem Storno der Lastschrift, hat sich damit die Zahl der die Rechte aus den WP vermittelnden Buchungen erhöht. Art. 13 Abs. 2 regelt, dass vorbehaltlich Art. 14 (acquisition by an innocent person) und möglicherweise Art. 15 (priority among competing interests), was noch zu verhandeln ist, das Nicht-Konventionsrecht und soweit nach diesem zulässig, ein Kontovertrag oder die Geschäftsbedingungen eines WPAbwicklungssystems Folgendes bestimmen: (a) vorbehaltlich Art. 13 Abs. 1 (a) die Gültigkeit einer Belastung, einer Gutschrift oder eines Vermerks; (b) ob eine Belastung, eine Gutschrift oder ein Vermerk einem Storno/einer Rückbelastung unterliegt; (c) falls eine Belastung, eine Gutschrift oder ein Vermerk einem Storno/einer Rückbelastung unterliegt, deren Auswirkung, wenn überhaupt, gegenüber Dritten und die Folgen des Storno/der Rückbelastung; (d) ob und unter welchen Umständen eine Belastung, eine Gutschrift oder ein Vermerk bedingt erfolgen können; und (e) falls eine Belastung, eine Gutschrift oder ein Vermerk bedingt erfolgen, ihre Auswirkung, wenn überhaupt, gegen Dritte, bevor die Bedingung erfüllt ist und die Folgen der Erfüllung oder Nichterfüllung der Bedingung. Für die hier untersuchten Fragen ist festzuhalten, dass abgesehen von der fehlenden Ermächtigung durch die berechtigte Person alle offenen Fragen nach dem Nicht-Konventionsrecht und den möglicherweise anwendbaren Regeln von Abwicklungssystemen und Verträgen zu beantworten sind. Dieser Befund ist sehr unerfreulich, da in einer so wichtigen Frage keine Harmonisierung gegeben ist. Ausgenommen ist der Fall, dass Art. 14 (und allenfalls Art. 15) greift. Art. 14 ist vorläufig überschrieben mit (übersetzt) „Erwerb
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von kontoverwahrten WP durch eine gutgläubige (innocent) Person“. Hiezu ist zu sagen, dass die herkömmlichen Konzepte von gutgläubigem Eigentumserwerb, die sich in den verschiedenen Rechtsordnungen entwickelt haben, nicht greifen können 17. Der gutgläubige Eigentumserwerb spielt sich in seiner hergebrachten Grundstruktur so ab, dass eine körperliche Sache von Hand zu Hand dem Käufer übergeben wird, der unter bestimmten Voraussetzungen Eigentum erwirbt, auch wenn der Verkäufer keines besaß (und auch nicht verfügungsberechtigt war). Dieses Bild ist mit dem elektronischen Massenverkehr in Form von Zigtausenden täglichen Buchungen in keiner Weise vergleichbar. Anstelle des traditionellen Konzepts hat im Sinne des funktionalen Ansatzes eine Festlegung der Voraussetzungen zu erfolgen, unter denen die Buchung Rechtserwerb bedeutet, auch wenn sie fehlerbehaftet war. Die Verwendung des in praktisch allen Rechtsordnungen vorkommenden Begriffs des „gutgläubigen Erwerbs“ sollte demnach, in welcher Ausprägung auch immer, unterbleiben. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Entwurf zu prüfen 18. Abs. 1 des Art. 14 bestimmt, dass dann, wenn WP einem Konto gutgeschrieben werden, dessen Inhaber nicht weiß, dass jemand anderer ein Recht an WP oder kontoverwahrten WP hat, und dass die Gutschrift diese Rechte verletzt, dann (a) ist der Kontoinhaber nicht den Rechten der anderen Person unterworfen; (b) ist der Kontoinhaber dieser anderen Person nicht haftbar und (c) ist die Gutschrift nicht unwirksam oder einem Storno/einer Rückbelastung unterworfen, weil die Rechte dieser anderen Person irgendeine vorangegangene Belastung oder Gutschrift auf einem anderen WP-Konto unwirksam machen. Diese Regelung ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: Der Kontoinhaber darf (nur) nicht wissen, dass eine andere Person Rechte an den WP hat, die ihm gutgeschrieben werden, er braucht aber nicht gutgläubig sein, was die Gutschrift an sich anlangt. Mit anderen Worten, dann, wenn er keine Gutschrift erwartet hat, sie ihm also „aus heiterem Himmel in den Schoß fällt“, hat dies keine rechtliche Konsequenz, solange er nicht weiß (s. weiter unten), dass diese WP mit Rechten anderer belastet sind. Andererseits schadet diesem Kontoinhaber auch nicht eine nachträgliche Aufklärung über die Rechte Dritter, weil gemäß Art. 14 Abs. 1 lit (c) ein Storno nicht möglich ist. Hiezu kommt, dass der Nachweis, dass die gutgeschriebenen WP gerade diejenigen sind, an denen ein Dritter Rechte hat, regelmäßig auszuschließen ist. Als Zwischenergebnis ist festzu17 Der Bericht der diesbezüglichen Arbeitsgruppe enthält hiezu keine eindeutige Aussage. Das Thema des gutgläubigen Erwerbs ist daher weiterer Verhandlungsgegenstand. 18 Karner, Der redliche Mobiliarerwerb aus rechtsvergleichender und rechtsgeschichtlicher Perspektive, Zeitschrift für Rechtsvergleichung 2004, 83 ff. schreibt schon einleitend, dass kaum eine Rechtsfrage des Privatrechts so heftig umstritten und so unterschiedlich geregelt ist wie die Problematik redlichen Mobiliarerwerbs. Als Konstante erweise sich dabei das Bedürfnis nach Verkehrsschutz, was eine umfassende Prinzipienabwägung erforderlich mache. – Dem ist auch für das Unidroit – Projekt voll zuzustimmen.
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halten, dass es in zwei Fällen zu einer Erhöhung der Zahl der Buchungen von WP gegenüber der Zahl der ausgegebenen WP kommen kann: nach Art. 13 Abs. 1 kann es zum Storno einer Lastschrift (debit) kommen, weil der Kontoinhaber der Lastschrift nicht zugestimmt hat (was in den Fällen irrtümlicher Buchungen durch den Kontoführer stets der Fall sein wird) und andererseits durch den gutgläubigen Erwerb gemäß Art. 14 Abs. 1. Ähnlich wie Art. 14 Abs. 1 regelt Abs. 2 die Lage, wenn der Kontoinhaber oder die Person, der ein gegen Dritte wirksames Recht gemäß Art. 10 eingeräumt ist, von einer vorhergehenden fehlerhaften Buchung nicht wissen. Diesfalls ist (a) die Gutschrift oder das Recht – auch Dritten gegenüber – wirksam und kann nicht storniert/rückbelastet werden und (b) ist der Kontoinhaber oder der Berechtigte niemandem gegenüber verpflichtet, der aus der Unwirksamkeit oder dem Storno/der Rückbelastung dieser fehlerhaften Buchung begünstigt wäre. Abs. 3 des Art. 14 besagt, dass die Abs. 1 und 2 nicht auf den Erwerb von WP anzuwenden sind, die geschenkt oder sonst unentgeltlich erworben sind. Abs. 4 von Art. 14 definiert „defective entry“ (fehlerhafte Buchung) und andererseits das Wissen einer Person von einem Recht oder einer Tatsache, worunter auch die Kenntnis von Tatsachen fällt, die mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit darauf hinweisen, dass das Recht oder die Tatsache besteht und bewusst Informationen vermieden werden, welche dies beweisen. Während die „Wissens“ Definition noch zu verhandeln ist (da für viele Staaten ungewöhnlich und aus dem US-Recht kommend nicht funktional), ist die fehlerhafte Buchung dahingehend definiert, dass es sich um eine WP-Gutschrift oder einen Vermerk handelt, die bzw. der unwirksam oder einem Storno/einer Rückbelastung unterliegt, inklusive einer bedingten Gutschrift oder eines bedingten Vermerks. Schließlich bestimmt Abs. 5 des Art. 14, dass nach Maßgabe des Nicht-Konventionsrechts der Abs. 2 (also der Erwerb in Unkenntnis einer vorangegangenen mangelhaften Buchung) abhängig von den Geschäftsbedingungen eines WP-Abwicklungssystems oder vom Kontovertrag ist. Nicht nachvollziehbar erscheint, warum diese Abschwächung des möglichen Erwerbs sich nur auf die Kenntnis einer fehlerhaften Buchung bezieht, nicht aber auch auf Abs. 1, das heißt, die Kenntnis von den Rechten Dritter. Hier scheint ein unbegründeter Wertungswiderspruch vorzuliegen. Bleibt die vordringliche Frage, was der Konventionsentwurf vorsieht, um der festgestellten unerwünschten „Vermehrung“ von WP Gutschriften entgegenzuwirken? 19 19 Schon in der ersten – soweit überblickt – Veröffentlichung zum UNIDROIT Projekt als Problem behandelt: Paech, Grenzüberschreitende Wertpapierverfügungen – Rechtssicherheit und Effizienz durch Kompatibilität des Depotrechts, WM 2005, 1105 ff. zu den Art. 3, 5 und 10 der damaligen Entwurfsfassung (S. auch allgemein zum Entwurf Einsele, WM 2005, 1109 ff.).
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Zunächst ist festzuhalten, dass der Entwurf diese Frage nicht direkt anspricht. Die Regelung, von der Abhilfe, wenn auch, wie sich herausstellt, nur in unzulänglicher Weise, erwartet werden kann, ist der Art. 21 der (übersetzt) mit ,Halten oder Verfügbarkeit von genügend WP‘ überschrieben ist. Abs. 1 legt fest, dass ein Kontoführer zugunsten seiner Kontoinhaber – ausgenommen er selbst – für jede Kategorie von WP eine solche Zahl an WP halten oder verfügbar haben muss, die der Summe der WP entspricht, die den Konten gutgeschrieben sind, die er führt. Abs. 2 des Art. 21 sagt dem Kontoführer, wie er Abs. 1 erfüllen kann, nämlich durch (a) Vorsorge, dass nicht – kontoverwahrte WP im Register des Emittenten im Namen oder für Rechnung seiner Kontoinhaber geführt werden; (b) das Halten von nichtkontoverwahrten WP als im Register des Emittenten eingetragener Inhaber; (c) Besitz von WP-Urkunden (certificates) oder anderen Eigentumsurkunden (documents of title); (d) das Halten kontoverwahrter WP bei einem anderen Kontoführer; oder (e) jede andere geeignete Methode. Abgesehen davon, dass es befremdlich ist, eine Aufzählung vorzufinden, wie ein Kontoführer für Deckung der verbuchten Bestände einer Kategorie sorgen kann, muss man sich im Einzelfall fragen, ob die jeweilige Methode, die gemäß (e) zulässig ist, tatsächlich auch ,geeignet‘ ist, zumal die WP offenbar außerhalb des Liefersystems verwahrt werden. Jedenfalls bedeutet (e) ein Unsicherheitselement, weil die Frage, was eine ,geeignete Methode‘ ist, erst im Konkurs des Kontoführers durch ein Gericht entschieden wird. Entscheidet das Gericht negativ, erhöht sich das Volumen des Verlusts, der von den Kontoinhabern zu tragen ist 20. Abs. 3 von Art. 21 verpflichtet den Kontoführer, die erforderlichen Handlungen innerhalb einer vom Nicht-Konventionsrecht gesetzten Frist zu setzen, um die Erfordernisse des Abs. 1, also das Vorhandensein ausreichender Mengen an WP, jederzeit sicherzustellen. Abs. 4 bestimmt schließlich, dass Art. 21 keine Bestimmung des Nicht-Konventionsrechts berührt, oder nach dessen Maßgabe eine Bestimmung der Geschäftsbedingungen von WP-Abwicklungssystemen oder von Kontoverträgen, die sich mit der Art, wie den Erfordernissen dieses Artikels zu entsprechen ist, befassen oder die Kosten hiefür verteilen oder sonst die Folgen einer Verletzung dieser Erfordernisse regeln. Festzuhalten ist, dass der Entwurf abgesehen von dem Grundsatz, dass der Kontoführer jederzeit Deckung für die von ihm zugunsten seiner Kontoinhaber verbuchten WP haben muss, alles Andere dem jeweils anwendbaren Nicht-Konventionsrecht überlässt. Sofern im Einzelfall vorhanden, ist eine breite Palette von gesetzlichen Regelungen auf einzelstaatlicher Ebene, AGBRegelungen von WP-Abwicklungssystemen und einzelnen Kontoverträgen
20 Die Verlustbeteiligung ist in Art. 23 geregelt, auf den in diesem Aufsatz nicht eingegangen wird.
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vorstellbar. Das mit dieser Vorstellung verknüpfte Unbehagen einer rechtlichen Unsicherheit wird noch dadurch verstärkt, dass jedenfalls in der Übergangszeit, wenn die Maßgeblichkeit der Buchung eingeführt werden sollte, die entsprechenden innerstaatlichen Regelungen meist nicht vorhanden sein werden. Das ,jederzeit‘ des Art. 21 Abs. 3 kann nur als frommer Wunsch gesehen werden, der solange nicht erfüllt wird, als nicht einheitliche Regelungen mit angemessenen Folgen bei ihrer Nicht-Einhaltung eingeführt werden. Die Dringlichkeit einer einheitlichen Regelung im Detail, anstelle sie der – unterschiedlichen – Sicht und Regelung der Einzelstaaten überlassen, ist erkennbar, wenn an Ausschüttungen (Kupons, Dividenden), Versammlungen von WP-Inhabern (Hauptversammlungen, Versammlungen von Anleiheinhabern), Kapitalmaßnahmen (Bezugsrechte, Kapitalerhöhungen) gedacht wird, die jederzeit auftreten können. Wer ist bezugs- oder stimmberechtigt? Die Nicht-Regelung durch die Konvention dürfte zwangsläufig ein Durcheinander und entsprechende Rechtsunsicherheit nach sich ziehen. Die weiteren Verhandlungen des Entwurfes sind aufgerufen, hier eine einheitliche und praxisbezogene Lösung zu finden. Abgesehen von aufsichtsrechtlichen Maßnahmen, die nicht Gegenstand der Konvention sein können, ist an eine vertragliche Verpflichtung des Kontoführers gegenüber dem Kontoinhaber zu denken, die Bestände der Konten, welche er seinen Kunden zur Verfügung stellt, täglich abzugleichen und sofort für den Ausgleich von Fehl- oder Überbeständen zu sorgen. Hierbei müsste sichergestellt sein, dass das „zu sorgen“ den sofortigen stückemäßigen Ausgleich bedeutet, ohne dass auf die Klärung des Zustandekommens des Fehl- oder Überbestandes oder von Verschuldensfragen gewartet wird. Der tägliche Abgleich hätte auf jeder Verwahrstufe, also bei jedem Kontoführer (account provider) aber auch vertikal in der Verwahrkette stattzufinden, wobei wohl von dem(n) Kontoführer(n) auszugehen ist, welche(r) die WP vom Emittenten als erste(r) übertragen erhielten (meist Zentralverwahrer), um die korrekte Stückzahl festzustellen.
3. Sicherheiten Sicherheiten werden gemäß Art. 9 Abs. 4 durch Gutschrift und Lastschrift auf WP-Konten erworben. Nicht hinreichend klar und demnach schwer zu übersetzen scheint der Unterschied zwischen „security interest, or a limited interest other than a security interest“. Neben der Begründung und Verfügung durch Buchung, können Sicherheiten auch durch andere Methoden eingeräumt werden. Art. 10 Abs. 1 sieht hiefür in (a) eine Vereinbarung mit dem Sicherungsnehmer oder zu dessen Gunsten vor und unter (b), das Zutreffen einer der im Abs. 2 angeführten Bedingungen und der Erklärung des betreffenden Signatarstaats gemäß Abs. 4 zu dieser Bedingung. Liegen die unter (a) und (b) genannten Bedingungen vor, darf das Nicht-Konventionsrecht kein
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weiteres Erfordernis verlangen, um die Sicherheit Dritten gegenüber wirksam zu machen. Die in Abs. 2 vorgesehenen Bedingungen sind (a) dass der Sicherheitennehmer der Kontoführer ist; (b) dass ein Vermerk zugunsten des Sicherheitennehmers gemacht wurde; (c) dass eine Kontrollvereinbarung zugunsten des Sicherheitennehmers vorliegt (hier ist an Vereinbarungen zu denken, wonach Verfügungen nur mit Zustimmung einer anderen Person als dem Kontoinhaber erfolgen dürfen). Abs. 3 bestimmt, dass die einem Dritten gegenüber wirksame Besicherung (a) in Bezug auf ein WP-Konto oder (b) auf eine bestimmte Kategorie, Menge, ein bestimmtes Verhältnis oder einen bestimmten Wert der kontoverwahrten WP eingeräumt werden kann. In Abs. 4 sind die Erklärungen aufgelistet, wonach ein Signatarstaat bestimmen kann, dass nach seinem Recht (a) die in einer oder mehreren unter Abs. 2 angeführten lit (a) bis (c) genannten Bedingungen ausreichend sind, um eine Besicherung Dritten gegenüber wirksam zu machen; (b) dieser Artikel auf Sicherheiten nicht anzuwenden ist, die von Parteien oder für Parteien eingeräumt werden, die in der Erklärung aufgezählt sind; (c) Abs. 3 oder einer seiner Unterabsätze nicht anzuwenden ist; (d) Abs. 3 (b) mit solchen Änderungen anzuwenden ist, wie sie in der Erklärung aufgezählt sind. Abs. 5 bestimmt, dass eine Erklärung gemäß Abs. 2 (b) angeben muss, ob der Vermerk die Wirkung gemäß Art. 1 (l) (i) – dass der Kontoführer keinen Aufträgen des Kontoinhabers folgen darf, ohne die Zustimmung des durch den Vermerk Begünstigten erhalten zu haben – oder gemäß Art. 1 (l) (ii) beinhaltet – dass der Kontoführer verpflichtet ist, den Anweisungen der anderen Person – ohne weitere Zustimmung des Kontoinhabers – zu folgen, wie es im Kontovertrag, einer Kontrollvereinbarung, den AGB eines WP-Abwicklungssystems oder dem Nicht-Konventionsrecht entspricht, oder ob beide Wirkungen gegeben sind. Abs. 6 bestimmt, dass eine Erklärung gemäß Abs. 2 (c) angeben muss, ob eine Kontrollvereinbarung die Regelung gemäß Art. 1 (k) (i) – dass der Kontoführer keinen Aufträgen des Kontoinhabers folgen darf, ohne die Zustimmung der begünstigten Person erhalten zu haben – oder Art. 1 (k) (ii) beinhaltet – dass der Kontoführer verpflichtet ist – ohne weitere Zustimmung des Kontoinhabers – Aufträgen der begünstigten Person zu folgen, die in der Vereinbarung umschrieben sind oder gemäß dem NichtKonventionsrecht, zulässig sind – oder ob beide Wirkungen gegeben sind. Schließlich bestimmt Abs. 7, dass das Nicht-Konventionsrecht regelt, unter welchen Umständen eine nicht vertragliche Sicherheit entstehen und Dritten gegenüber wirksam werden kann (z.B. gesetzliche Pfandrechte). Der bereits erwähnte Art. 11 bestimmt, dass durch die Konvention keine andere Methode ausgeschlossen wird, die nach dem Nicht-Konventionsrecht (a) für den Erwerb oder die Verfügung von depotverwahrten WP oder einer Sicherheit an ihnen; (b) für die Begründung einer Sicherheit an depotverwahrten WP und für das Wirksamwerden einer solchen Sicherheit gegenüber dritten Personen, außer den in den Art. 9 und 10 vorgesehenen Methoden,
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vorgesehen ist. Art. 12 besagt schließlich, dass das Nicht-Konventionsrecht die Beweisanforderungen für Angelegenheiten der Art. 9 und 10 regelt. Im Zusammenhang mit Besicherungen ist darauf hinzuweisen, dass im Kapitel VI noch spezielle Regelungen für Besicherungsgeschäfte (collateral transactions) vorgesehen sind. Diese Regelungen sind auf spezifische Sicherungsvereinbarungen gemünzt, wie sie insbesondere in international üblichen Rahmenverträgen vorkommen 21. Es würde zu weit gehen, auch diese Regelungen näher zu untersuchen, die darauf abzielen, rechtliche Unsicherheiten wie beispielsweise die Umdeutung (recharacterisation) zu beseitigen. Zum Abschluss noch ein Blick auf die Vorrangregelungen für Sicherheiten: Art. 15 bestimmt den Vorrang zwischen konventionsgemäß nach Art. 10 bestellten Sicherheiten und solchen, die nach anderen Methoden des NichtKonventionsrechts begründet sind. Ersteren gebührt vorbehaltlich außervertraglicher (gesetzlicher) Sicherheitenbegründung und des Art. 16 der Vorrang. Dem ist grundsätzlich zuzustimmen. Für die konventionsgemäßen Sicherheitenbestellungen sieht Abs. 3 des Art. 15 untereinander gleiche Qualität vor und gilt folgende Zeitregelung: (a) falls der Kontoführer selbst Begünstigter ist, mit Abschluss der Sicherheitenvereinbarung; (b) sobald ein Vermerk gemacht wird; (c) sobald eine Kontrollvereinbarung abgeschlossen wird oder, falls zutreffend, sobald der Kontoführer eine Verständigung erhält. Aus österreichischer Sicht scheint die Gleichbehandlung der drei Arten eine Sicherheit zu begründen unbefriedigend. Angemessener schiene es, dem Kontovermerk ein stärkeres Gewicht zu geben, zumal es gängige Praxis ist, Kontoauszüge zu erhalten, auf denen die Sicherungs-WP ausgewiesen sind. Ein dort aufscheinender Vermerk sollte gegenüber den nicht erkennbaren Besicherungen den Vorrang haben. Was den Kontoführer anlangt, sieht Abs. 4 des Art. 15 vor, dass dann, wenn der Kontoführer einen Vermerk vornimmt, oder eine Kontrollvereinbarung abschließt, wonach die Besicherung einer anderen Person Dritten gegenüber wirksam wird, die Besicherung dieses Dritten vor der Besicherung des Kontoführers Vorrang hat, sofern der Dritte und der Kontoführer nicht ausdrücklich Anderes vorsehen. Abs. 6 sieht schließlich vor, dass die Rangordnungen vertraglich, allerdings ohne Wirkung gegen dritte Personen, geändert werden dürfen. Etwas im Dunkeln bleibt die Bedeutung von Art. 16, der den Vorrang von Besicherungen regelt, die vom Kontoführer eingeräumt werden. Abs. 1 hält vorbehaltlich Abs. 2 fest, dass die Konvention keine Vorrangregelung für die Rechte und Besicherungen zwischen den Rechten von Kontoinhabern dieses Kontoführers gegenüber Sicherungen enthält, die dieser Kontoführer mit Wirksamkeit gegenüber Dritten gemäß Art. 10 eingeräumt hat. Die Ausnahme des
21 Von ISDA angefangen über EMA bis zu den nationalen Rahmenverträgen für derivative Finanzgeschäfte.
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Abs. 2 besteht darin, dass vom Kontoführer gemäß Art. 10 eingeräumte Sicherheiten Vorrang gegenüber den Rechten von Kontoinhabern dieses Kontoführers haben, falls zum Zeitpunkt, da die Sicherheitenbestellung wirksam wird, der Test gemäß Art. 14 (gutgläubiger Erwerb) befriedigend war. Die auf den Test bezughabenden Worte sind noch in eckigen Klammern, da die Art. 14-Regelung selbst noch teilweise in eckigen Klammern steht, das heißt vorbehaltlich weiterer Verhandlungen aufgenommen ist. Den kommenden Verhandlungen ist zu wünschen, dass sie die für die praktische Anwendung erforderliche Klarheit von Art. 16 bringen.
III. Schlussbetrachtung Der Entwurf stellt über weite Passagen schwer leserliche Regeln auf. Der Vorbehalt des Nicht-Konventionsrechts ist derart häufig, dass die Frage, ob mit diesem Entwurf der gewünschte Fortschritt einer Harmonisierung des Rechts der Verwahrung und Übertragung von WP erreicht wird, berechtigt erscheint. Aus heutiger Sicht wird man sagen müssen, dass er das gesteckte Ziel nicht erreicht. Bei all der Arbeit, welche bisher in den Entwurf geflossen ist, wäre zu wünschen, dass die kommenden Verhandlungen ein besseres Ergebnis für Harmonisierung und Rechtssicherheit bringen. Andernfalls wäre zu wünschen, dass das dann vorliegende Arbeitsergebnis in anderer Form, sei es als Modellgesetz oder allgemeine Regeln, harmonisierend und mehr Rechtssicherheit verschaffend auf den internationalen WP-Verkehr wirkt. Sollte eine Konvention unterschrieben und – da auch den europarechtlichen Vorgaben entsprechend – umgesetzt werden, wäre Österreich gehalten, ein Wertpapierrecht einzuführen, das insbesondere keine Spaltung in titulus und modus kennt (die primär schuldrechtliche Konvention hat für ihren Regelungsbereich auch sachenrechtliche Auswirkungen, deren mögliche Überschneidungen mit dem sonst geltenden Zivilrecht nicht aus den Augen zu verlieren sind). Diese fundamentale Änderung sollte keineswegs abschrecken, aber nur dann gemacht werden, wenn sie Bestandteil einer weltweiten Harmonisierung ist.
Erfahrungen mit der Societas Europaea (SE) in Deutschland Jochem Reichert 1 I. Einleitung „Die SE soll nicht als feste Insel europäischen Rechts im Wasser der sie umgebenden nationalen Rechte schwimmen, sondern ein selbständiges Schiff sein mit unterschiedlichen Erscheinungsformen und Farben, je nachdem welcher Heimathafen an seinem Schornstein vermerkt ist.“ 2 Mit diesen Worten beschrieb Marcus Lutter im Jahre 1990 seine Vision der Societas Europaea (SE).3 Die Analogie veranschaulicht den „Charakter“ der SE sehr treffend. Der vorliegende Beitrag konzentriert sich darauf darzulegen, welche Eigenschaften den „Charakter“ einer in Deutschland gegründeten SE prägen und welche praktischen Erfahrungen hiermit bereits gemacht wurden. Dabei wird insbesondere darauf eingegangen, wie nationales und europäisches Recht zusammenspielen, welche Möglichkeiten und Einschränkungen aus dem nationalen Recht für die SE erwachsen und welche Nachteile der nationalen Gesellschaftsformen tatsächlich Unternehmen veranlassen und veranlasst haben, eine europäische Gesellschaft zu gründen.4
II. SE-Gründungen in Deutschland Nach den zur Verfügung stehenden Daten wurden bislang in Europa über 216 SEs gegründet 5; die meisten SE-Gründungen entfallen mit 74 auf Deutsch1 Prof. Dr. Jochem Reichert ist Rechtsanwalt und Partner der Anwaltssozietät Schilling, Zutt & Anschütz, Mannheim. 2 Lutter, AG 1990, 413 (414). 3 Zur über 50-jährigen Entstehungsgeschichte der SE vgl. Theisen/Wenz (Hrsg.), Die Europäische Aktiengesellschaft: Recht, Steuern und Betriebswirtschaft der Societas Europaea (SE), 2. Aufl. (2005), S. 27 ff.; Lutter, BB 2002, 1 ff. 4 Das Gründungsverfahren ist in der SE-VO detailliert geregelt. Zum Gründungsverfahren einer SE bzw. Umwandlung einer AG in eine SE vgl. Brandes, AG 2005, 177 (179 ff.); Seibt/Reinhard, Der Konzern 2005, 407 (413). 5 Vgl. Eidenmüller/Engert/Hornuf, AG 2008, 721 (725); siehe auch die Untersuchung von Bayer/Schmidt, AnwBl 5/2008, 327 f. mit einer Übersicht über die Situation in den EGMitgliedsstaaten. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass von den bis Juli 2007 gegründeten
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land, gefolgt von Tschechien mit 62 gegründeten SEs.6 Diese Zahlen offenbaren, dass die SE als Gesellschaftsform insbesondere in Deutschland wachsenden Zuspruch erfährt. Überraschend ist dies deshalb, da vor Inkrafttreten der SE-VO prophezeit worden war, dass Deutschland aufgrund seiner Mitbestimmungsregeln und der Art der Umsetzung des monistischen Systems als SE-Standort unattraktiv sei.7 Nicht nur Großunternehmen, sondern auch viele kleine und mittelständische Unternehmen unterschiedlichster Geschäftszweige, die sich durch das vergleichsweise hohe Mindestkapital in Höhe von € 120.000 gem. Art. 4 Abs. 2 SE-VO nicht abhalten ließen, haben sich für die Gründung einer SE entschieden.8 Bei der ersten deutschen SE beispielsweise handelte es sich um eine kleine Consultingfirma in Berlin, die „Go East Invest SE“.9 Der Schwerpunkt des öffentlichen Interesses konzentriert sich jedoch auf die großen Unternehmensgruppen, welche mittlerweile als SE organisiert sind: die MAN Diesel SE (01. September 2006), gefolgt von der Allianz SE (13. Oktober 2006) und der Fresenius SE (13. Juli 2007) sowie nun auch von der Porsche Automobil Holding SE (13. November 2007) und der BASF SE (14. Januar 2008).
III. Überblick über die rechtlichen Grundlagen der SE Sowohl das europäische als auch das deutsche Recht sehen Regelungen vor, welche die SE betreffen. Zunächst sind hier die europäischen Rechtsgrundlagen zu nennen, die SE-VO 10 (welche die wesentlichen gesellschaftsrechtlichen Regelungen beinhaltet) sowie die SE-RL11 (betreffend die Mitbedeutschen SEs wenigstens 11 als sog. Vorratsgesellschaften gegründet wurden, was bedeutet, dass sie als solche zunächst nicht aktiv genutzt werden, vgl. Schmidt, „Going European“ – Die Europäische Aktiengesellschaft (SE) als attraktive Alternative, in: Bayer (Hrsg.), Die Aktiengesellschaft im Spiegel der Rechtstatsachenforschung, 2007, S. 51, 56 f. 6 Vgl. Eidenmüller/Engert/Hornuf, (o. Fußn. 5) 721 (725). 7 Vgl. etwa Bundesrat, Stellungnahme zum SEEG-RegE, BT-Drucks. 15/3656, 1 (4); Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft, Stellungnahme zum SEEG-RefE, 3.5.2004, 1 (2 f., 5 f.) (Zugriff am 22.12.2008 unter: http://www.bda-online.de/www/bdaonline.nsf/id/ 6A574521EFDC690AC1256E8B00546B80/$file/SEEG.pdf). 8 ETUI, SE Fact Sheet Overview (Zugriff am 22.12.2008 unter: http://www.ecdb. worker-participation.eu). 9 Handelsregister beim Amtsgericht Berlin, HRB 96289 B. Es handelt sich um eine Beratungsfirma für Investitionen in Osteuropa, vgl. FAZ vom 5.8.2005, S. 11. 10 Verordnung (EG) Nr. 2157/01 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABlEU vom 10.11.2001 Nr. L 294, S. 1, nachfolgend SE-VO. 11 Richtlinie 2001/86/EG, des Rates vom 8. Oktober 2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligungen der Arbeitnehmer, ABlEU vom 10.11.2001 Nr. L 294, S. 22, nachfolgend SE-RL.
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stimmung der Arbeitnehmer). Die Umsetzung erfolgte in Deutschland durch das SE-Ausführungsgesetz (SEAG) 12, das die zentralen gesellschaftsrechtlichen Regelungen beinhaltet, und das SE-Beteiligungsgesetz (SEBG) 13, das die SE-RL umsetzt 14. Hieraus ergibt sich eine Normenhierarchie, die bei der Ermittlung des für die SE im Einzelfall maßgeblichen Rechts von Bedeutung ist.
1. Normenhierarchie Durch die Verknüpfungen der europäischen und der deutschen Rechtsebenen kommt es angesichts der durch die SE-VO etablierten Normen zu einer „kunstvoll aufgeschichteten Rechtsquellenpyramide“ 15, welche das Auffinden der jeweils anwendbaren Regelungen – selbst für den Experten – mitunter schwierig gestaltet.16 Grundsätzlich hat gemäß Artikel 9 Abs. 1a) SE-VO die SE-VO stets Vorrang. Die Vorschriften der SE-Verordnung verdrängen mithin jedes nationale Recht innerhalb ihres Anwendungsbereichs. Gemäß Artikel 9 Abs. 1b) SE-VO stehen auf zweiter Ebene die nationalen Umsetzungsvorschriften. Deutschland verabschiedete diesbezüglich das Gesetz zur Einführung der Europäischen Gesellschaft (SEEG), welches am 8. Oktober 2004 parallel mit der SE-Verordnung in Kraft getreten ist. Dieses Gesetz zur Einführung der Europäischen Gesellschaft ist in zwei Teile gegliedert: Das Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EG) 2157/01 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaften (SE) – das bereits erwähnte SEAusführungsgesetz – und das ebenfalls bereits erwähnte Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft – das SEBeteiligungsgesetz. Das SEBG setzt die Richtlinie der Arbeitnehmerbeteiligung, die sog. SE-Richtlinie, in deutsches Recht um. Artikel 9 Abs. 1c) i) SE-VO sieht vor, dass diese innerstaatlichen Rechtsnormen, die in Anwendung der speziell die SE betreffenden Gemeinschaftsunternehmen erlassen wurden, neben dem nationalen Aktienrecht (Artikel 9 Abs. 1 ii) SE-VO) auf der dritten Ebene der Normenhierarchie stehen. Als Konsequenz dieser 12 Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), BGBl. I v. 28.12.2004, S. 3675. 13 Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft, BGBl. I v. 28.12.2004, S. 3686. 14 Eine synoptische Darstellung der Entwurfsgeschichte findet sich bei Brandt, BB-Spezial 2/2005, 1 ff. 15 Hommelhoff, AG 2001, 279 (285). 16 Schmidt (o. Fußn. 5), S. 51, 54; ausführlich zur Rechtsquellensystematik etwa Hommelhoff, in: Lutter/Hommelhoff, SE Kommentar, 2008, S. 5 ff.; Schäfer, in: MünchKommAktG, 2. Aufl. (2006), Art. 9 SE-VO Rdnrn. 21 ff. (jeweils m.w.N.); Theisen/Wenz (o. Fußn. 3), S. 50 ff.
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Regelungssystematik, welche sich durch eine Verzahnung von europäischem und mitgliedstaatlichem Recht auszeichnet, gibt es mithin nicht „die“ SE, sondern jede SE tritt je nach Sitz der Gesellschaft in unterschiedlichem Gewand auf. Im Ergebnis gibt es daher ebenso viele, in der Einzelausgestaltung variierende Formen der Europäischen Aktiengesellschaft wie Mitgliedstaaten, in denen SE-VO und SE-RL gelten, d.h. gegenwärtig 30.17
2. Der numerus clausus der Gründungsvarianten Die SE-Verordnung gibt einen numerus clausus von Gründungsformen vor, wobei zwischen primärer und sekundärer SE-Gründung zu differenzieren ist.18 Die vier originären Gründungsformen sind: 1. Gründung durch Verschmelzung mehrerer Aktiengesellschaften durch Aufnahme oder Neugründung (Art. 2 Abs. 1, 17–31 SE-VO); 2. Gründung einer Holding-SE aus Kapitalgesellschaften (Art. 2 Abs. 2, 32–34 SE-VO); 3. Gründung einer Tochter-SE durch mehrere juristische Personen (Art. 2 Abs. 3, 35 f. SE-VO); 4. Gründung durch formwechselnde Umwandlung einer Aktiengesellschaft in eine SE (Art. 2 Abs. 4, 37 SE-VO). Neben diesen originären Gründungsformen sieht Art. 3 Abs. 2 SE-VO als fünfte Gründungsvariante die Möglichkeit einer sog. sekundären SE-Gründung, d.h. die Gründung einer Tochter-SE durch eine bereits bestehende Mutter-SE vor. Diese zeichnet sich in erster Linie dadurch aus, dass hier eine Ausnahme vom Grundsatz der obligatorischen Mehrstaatlichkeit besteht, mithin also das Erfordernis, dass die Gründung einer SE mindestens zwei Mitgliedstaaten berühren muss, wegfällt. Der geforderte „Europäische Tatbestand“ 19 liegt hier darin begründet, dass als Gründerin eine SE, also wenn man so will eine Europäerin per se, auftritt. Alle fünf Gründungsvarianten sind bereits praktisch erprobt worden. Da die gewählte Gründungsvariante allerdings nicht unbedingt aus dem Eintrag im Register bzw. der Bekanntmachung im nationalen Amtsblatt oder im Amtsblatt der Europäischen Union 20 ersichtlich wird, können über die genaue Verteilung keine exakten Angaben gemacht werden. Soweit die gewählte Grün-
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Somit 27 EU-Staaten plus 3 EWR-Staaten; vgl. Schmidt (o. Fußn. 5), S. 51, 54. Bayer, in: Lutter/Hommelhoff (o. Fußn. 16), Art. 2 SE-VO Rdnrn. 1 ff. 19 Lutter, BB 2002, 1 (4). 20 Gemäß Art. 14 SE-VO wird die Eintragung zu Informationszwecken auch im ABlEU (Teil S) bekannt gemacht. Zur Datenproblematik im Zusammenhang mit dem ABlEU vgl. Bayer/Schmidt, AG 2007, 192 ff. 18
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dungsvariante aus anderen Quellen bekannt ist, fällt aber auf, dass die Gründung bisher zumeist entweder als gemeinsame Tochter-SE, durch Verschmelzung oder durch formwechselnde Umwandlung erfolgte.21
IV. Die Vorteile der SE Obgleich das anspruchsvolle Projekt der Schaffung einer Europäischen Gesellschaft schon im Oktober 2001 nach langjährigem Bemühen 22 verwirklicht wurde, steckt die Gesellschaftsform der SE noch immer in ihren Kinderschuhen. Daher sind bislang hauptsächlich Erfahrungswerte im Zusammenhang mit der Gründung einer SE bekannt. Im Hinblick auf die praktische Relevanz der SE in Deutschland soll diesbezüglich einmal den Motiven nachgegangen werden, welche für deutsche Unternehmen ausschlaggebend dafür sind, eine SE zu gründen. Insbesondere der Umstand, dass durch die Umsetzung der Verschmelzungsrichtlinie in das deutsche Umwandlungsgesetz 23 auch jenseits der SE ein Instrumentarium zur Ermöglichung der grenzüberschreitenden Verschmelzung zur Verfügung steht, hat zur Folge, dass die Entscheidung für eine SE nicht allein, bzw. nicht einmal in erster Linie an ihrer Eignung als Wegbereiterin einer Grenzüberschreitung zu messen ist. Vielmehr ist zu untersuchen, welche Gründe für die SE gerade ihrer selbst Willen sprechen. Es geht mithin darum, diejenigen SE-spezifischen Eigenschaften zu ermitteln, die dazu führen können, die SE als Gesellschaftsform zu wählen und als Konsequenz hiervon letztlich auch grenzüberschreitende Umstrukturierungen zu bewältigen. Somit ist bereits an dieser Stelle festzuhalten, dass die Vor- und Nachteile der SE als Gestaltungsform zunächst einmal jenseits der Möglichkeit des Grenzübertritts liegen. Die wachsende Anzahl an SE-Gründungen offenbart zwar, dass die Gesellschaftsform SE nunmehr auf breite Anerkennung stößt. Jedoch steht kein verlässliches statistisches Material einer diesbezüglichen rechtstatsächlichen Untersuchung hinsichtlich der Gründe zur Verfügung, die deutsche Unternehmen bewogen haben und bewegen, sich für eine SE zu entscheiden. Ob21 Vgl. hierzu Schmidt (o. Fußn. 5), S. 51, 58; Eidenmüller/Engert/Hornuf, (o.Fußn. 5), 721 (729). 22 Gescheitert waren zuvor die Verordnungsvorschläge der Kommission vom 30.06. 1970, vom 10.04.1975, vom 25.08.1989 und vom 16.05.1991. Vgl. zum Ganzen Taschner, in: Jannott/Frodermann (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft – Societas Europaea, 2005, 1. Kapitel Rdnrn. 15 ff. 23 Richtlinie 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten (ABlEU Nr. L 310, S. 1). Vgl. ferner §§ 122a ff. UmwG. Die Ermöglichung oder zumindest die Erleichterung der Fusion der deutschen Allianz AG mit ihrer italienischen Tochter Riunione Adriatica di Sicurtà (RAS) im Jahre 2006 war infolgedessen eines der vorherrschenden Motive für die Allianz, sich für die Gesellschaftsform der SE zu entscheiden.
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gleich sie ständig wächst, ist die Anzahl der Unternehmen, die sich für diese Gesellschaftsform entschieden haben, immer noch relativ klein. Die bislang wohl wichtigsten SE-Gründungen in Deutschland waren die bereits erwähnten der Allianz 24 und von Fresenius. Aber auch die erst kürzlich vollzogenen SE-Gründungen von Porsche und BASF veranschaulichen die Attraktivität der SE als Gesellschaftsform.
1. Die europäische Identität durch Wahl der SE Ein denkbares Motiv für die Gründung einer SE mag zunächst ihre zumindest scheinbare Supranationalität sein. Sie ist, auch wenn sie erhebliche Anleihen am jeweiligen nationalen Recht zu machen hat, eine grenzüberschreitende europäische Gesellschaftsform. Entscheidet sich ein Unternehmen für diese Gesellschaftsform, so bringt es damit zum Ausdruck, dass es sich bei dem Unternehmen um einen europäischen Konzern handelt, der kein nationales, sondern ein europäisches Selbstverständnis hat.25 Diese European Corporate Identity wird vielfach vom Kapitalmarkt und von den Kunden eines Unternehmens, aber auch vom Markt für Führungskräfte und sonstigen Angestellten als sehr modern und fortschrittlich empfunden.26 Eine europäische Corporate Identity und nicht eine vorrangig deutsche Identität ist insbesondere dann wichtig, wenn es um ein Kräftegleichgewicht im Rahmen eines Zusammenschlusses geht bzw. wenn es gilt, Erwartungen an eine zukünftige Führung nach einem Zusammenschluss zu kanalisieren. Gerade wenn zwei Gesellschaften aus unterschiedlichen Staaten fusionieren, ist es unwahrscheinlich, dass die Transaktion als eine Übernahme aufgefasst wird, wenn sie in eine SE verschmelzen. Vor allem Arbeitnehmer sehen einen sol24 Dabei handelt es sich um das aus deutscher Sicht wohl interessanteste Projekt. Die Allianz SE entstand durch eine Verschmelzung der Allianz AG mit ihrer italienischen Tochter Riunione Adriatica di Sicurtà (RAS) S.p.A. Nach der ersten Ankündigung der Verschmelzung im September 2005 stimmten die Aktionäre beider Gesellschaften dem Verschmelzungsplan bereits im Februar 2006 zu. Damit war die Allianz das erste Unternehmen des DJ EURO STOXX 50 Index, welches die neue Rechtsform der SE annahm. Vgl. zu den weiteren Hintergründen: Schmidt (o. Fußn. 5), S. 51, 61; Zur Umwandlung der Allianz vgl. Hemeling, in: von Rosen (Hrsg.), Die Societas Europaea (SE), Studien des Deutschen Aktieninstituts, Heft 28, 2007, S. 38, 48. 25 Vgl. Seibt/Reinhard, Der Konzern 2005, 407 (408). So beschrieb Allianz-Vorstandschef Michael Diekmann „Die Allianz ist im Kern ein europäisches Unternehmen, dessen Einnahmen zu 75 % aus Europa stammen.“ Vgl. Interview vom 16.10.2006, abrufbar unter http://www.allianz.com/de/allianz_gruppe/presse/newsdossiers/allianz_se/index1.html (Zugriff am 22.12.2008); auch im Geschäftsbericht der Fresenius SE, abrufbar unter www. fresenius.de, S. 90, wird darauf hingewiesen, dass die moderne Gesellschaftsform SE der internationalen Ausrichtung des Fresenius-Konzerns und der Förderung einer internationalen und offenen Unternehmenskultur besser gerecht wird. 26 Vgl. Wollburg/Banerjea, ZIP 2005, 277.
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chen Prozess eher als Fusion unter Gleichen an. Die Konzeption als eine europäische Einheit kann zudem helfen, nationalen Vorbehalten in der öffentlichen Meinung entgegenzuwirken, wenn eine traditionsreiche Gesellschaft in einem ausländischen Staat fusioniert. Die Fusion von Hoechst und RhônePoulenc veranschaulicht die Bedeutung dieses Motivs.27 Die Gründungsurkunde dieser Zusammenlegung offenbart, dass man damals anstrebte, in eine europäische Gesellschaftsform umzuwandeln, wenn das möglich ist.28
2. Flexibilität im Rahmen der Corporate Governance der SE Ein weiterer Anreiz, sich der Rechtsform der SE zu bedienen, ist für Unternehmen darin zu erblicken, dass sie – anders als die deutsche AG – das Wahlrecht bereithält, statt der in der AG zwingenden dualistischen Verfassung eine monistische Corporate Governance zu verwirklichen.29 Oftmals taucht in diesem Zusammenhang auch der Wunsch nach einer (grenzüberschreitenden) Reorganisation der Konzernstruktur auf.30 Die Gesellschaftsform der SE eröffnet diesbezüglich Gestaltungsmöglichkeiten in mehrfacher Hinsicht: Zum einen kann eine SE hinsichtlich ihrer Leitungsstruktur entweder monistisch oder dualistisch verfasst sein. Zum anderen bietet die SE mehr Flexibilität hinsichtlich der Mitbestimmung von Arbeitnehmern als dies bei einer deutschen Aktiengesellschaft möglich ist. Ferner sieht Art. 8 der SE-Verordnung die Möglichkeit einer identitätswahrenden Sitzverlegung vor und schließlich ebnet die SE-Verordnung den Weg für die Gründung einer Holding im Rahmen eines Prozesses, den das deutsche Recht nicht kennt: Die Gründung einer Holding-SE, deren Charakteristikum nach Art. 32 ff. SE-VO darin liegt, dass die Gesellschafter der Gründungsgesellschaften ihre Anteile mehrheitlich in die neue SE einbringen und hierfür im Tausch Aktien an der SE erhalten. Diese Aspekte gilt es nachfolgend näher zu beleuchten: a) Reorganisation der Konzernstruktur Eine große Bedeutung kommt häufig den mit der SE verbundenen Reorganisationsmöglichkeiten zu, insbesondere bei grenzüberschreitenden Sachverhalten.31 Dies lässt sich sehr anschaulich am Beispiel der Allianz SE verdeut-
27 Näheres dazu Arens, Hoechst AG geht mit Rhône-Poulenc zusammen, abrufbar unter http://www.wsws.org/de/1999/mar1999/aven-m05.shtml (Zugriff am 22. 12.2008). 28 Brandes, AG 2005, 177. 29 Überblick bei Ihrig/Wagner, BB 2004, 1749 (1756 ff.); Teichmann, BB 2004, 53 ff.; Merkt, ZGR 2003, 650 (651). 30 Vgl. Schmidt (o. Fußn. 5), S. 51, 74. 31 Vgl. zu diesem Motiv Schmidt (o. Fußn. 5), S. 51, 74.
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lichen. Der Wechsel in die SE war hier nur ein – wenn auch wesentlicher – Baustein einer vollständigen und europaweiten Restrukturierung des Konzerns. Stellt man die Konzernstruktur vor und nach der Transaktion gegenüber, so lässt sich das Projekt Allianz SE 32 als bester Beweis dafür anführen, dass die SE tatsächlich ein exzellentes Instrument zur Vereinfachung europaweit komplexer verflochtener Konzernstrukturen ist: Anstelle des vormals recht komplizierten Geflechts existiert nach Durchführung der Reorganisation eine deutlich einfachere Struktur, bei der die neue Allianz SE als einheitliche europäische Holding für die Konzerngesellschaften in Österreich, der Schweiz, Spanien und Portugal fungiert.33 b) Auswahlmöglichkeit zwischen monistischem und dualistischem System Ein maßgeblicher Anreiz für die Wahl der Gesellschaftsform der SE ist ihre Flexibilität bei der Ausgestaltung der Leitungsstruktur. Die SE eröffnet anders als die deutsche AG ein Wahlrecht zwischen dualistischem und monistischem System.34 Eine deutsche dualistische SE ist weitgehend so ausgestaltet wie eine deutsche AG. Abgesehen von einigen wenigen Vorschriften 35 wird hinsichtlich der dualistischen Struktur von Vorstand und Aufsichtsrat im Wesentlichen auf das deutsche Aktienrecht, insbesondere die §§ 76 ff. AktG verwiesen. Jedoch ergeben sich für die SE zwei Abweichungen, die hervorzuheben sind: Zunächst erlaubt Art. 50 der SE-Verordnung eine Bestimmung in der Gesellschaftssatzung, welche höhere Mehrheitserfordernisse für Entscheidungen des Aufsichtsrats festlegt als die in der AG zwingende einfache Mehrheit. Verbunden mit Entscheidungsrechten zugunsten einer gewissen Gesellschaftergruppe und entsprechenden Zustimmungsvorbehalten im Aufsichtsrat können dadurch „Quasi-Vetopositionen“ geschaffen werden, die in einer AG nicht möglich sind. Auf diesem Weg lassen sich Minderheitspositionen sichern; auch wäre es auf diesem Weg etwa möglich, einen gewissen Einfluss des Staates als Minderheitsaktionär in sensiblen Bereichen zu sichern. Eine SE mit monistischem Leitungssystem verfügt im Grundsatz über lediglich ein Verwaltungsorgan (Art. 38b) SE-VO), welches in Deutschland als Verwaltungsrat bezeichnet wird und das oberste Geschäftsführungsorgan darstellt. Der Verwaltungsrat trägt die Gesamtverantwortung für die Unternehmensleitung, legt die Grundlinien der Unternehmenspolitik fest und ist
32
Weitere Beispiele, vgl. Schmidt (o. Fußn. 5), S. 51, 75. Hemeling, in: von Rosen (o. Fußn. 24), S. 38, 39; vgl. zur Holding- SE auch Teil IV f). 34 Überblick bei Ihrig/Wagner, BB 2004, 1749 (1756 ff.); Teichmann, BB 2004, 53 ff.; Merkt, ZGR 2003, 650 (651). 35 Vgl. etwa §§ 15 bis 19 SEAG. 33
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mit einem Weisungsrecht gegenüber den geschäftsführenden Direktoren ausgestattet, welche er zugleich zu überwachen hat.36 Die SE-Verordnung schränkt dieses Konzept allerdings ihrerseits ein, indem sie die Mitgliedstaaten ermächtigt, die laufenden Geschäfte unter denselben Voraussetzungen, wie sie für eine AG oder eine ihr entsprechende Rechtsform im Sitzstaat der SE gelten, zur eigenverantwortlichen Erledigung in die Hand eines oder mehrerer Geschäftsführer zu legen (vgl. Art. 43 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 SEVO).37 Der Verwaltungsrat wird, wie in der Aktiengesellschaft der Aufsichtsrat, von der Hauptversammlung bestellt.38 Er wiederum bestellt gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 SEAG einen oder mehrere geschäftsführende Direktoren. Diese können als executive directors auch gleichzeitig dem Verwaltungsrat angehören, obgleich die nicht geschäftsführenden Direktoren, die non executive directors, im Verwaltungsrat die Mehrheit haben müssen. Die geschäftsführenden Direktoren führen die Geschäfte der Gesellschaft und vertreten diese gerichtlich und außergerichtlich (§ 40 Abs. 2 Satz 1 SEAG). Während der Verwaltungsrat die langfristige Geschäftsstrategie und Firmenpolitik festlegt, ist das Tagesgeschäft Sache der geschäftsführenden Direktoren. Sie haben unbegrenzte Vertretungsmacht für die Gesellschaft gegenüber Dritten (§ 43 SEAG). Im Innenverhältnis sind sie von den Weisungen des Verwaltungsrats abhängig 39, § 44 Abs. 2 SEAG, und können von diesem jederzeit abberufen werden, § 40 Abs. 5 SEAG. Die monistische Ausgestaltung der SE ermöglicht ferner die Einführung eines CEO-Modells US-amerikanischer Prägung, in dem der Vorsitzende des Verwaltungsrats gleichzeitig als executive director den Vorsitz in der Geschäftsführung übernehmen kann. Sofern der Vorsitzende des Verwaltungsrats gleichzeitig die Funktion des geschäftsführenden Direktors wahrnimmt, kann er nämlich nach dem Vorbild des französischen président directeur général (PDG) oder des US-amerikanischen chief executive officer (CEO) einen rechtlichen Einfluss gewinnen, der über den eines Vorstands- oder Aufsichtsratsvorsitzenden im dualistischen System hinausgeht.40 Die Position des CEO oder PDG kann sogar noch durch ein Zweitstimmrecht bei Stimmengleichheit verstärkt werden.41 Es kann ihm darüber hinaus ein Vorschlagsrecht bezüglich der übrigen geschäftsführenden Direktoren eingeräumt werden.
36 Vgl. dazu insgesamt Reichert/Brandes, in: MünchKomm-AktG, 2. Aufl. (2006), Art. 43 SE-VO Rdnrn. 80 ff. 37 Kritisch hierzu die Stellungnahme des DAV, NZG 2004, 75 (82) („verdecktes dualistisches System“); Teichmann, BB 2004, 53 (58 ff.). 38 Vgl. Art. 43 Abs. 3 S. 1 SE-VO. 39 Vgl. hierzu insgesamt Reichert/Brandes, in: MünchKomm-AktG (o. Fußn. 36), Art. 43 SE-VO Rdnrn. 80 ff. 40 Vgl. Brandt, BB-Spezial 3/2005, 1 (3); Ihrig/Wagner, BB 2004, 1749 (1758). 41 Vgl. Art . 50 Abs. 2 Satz 1 SE-VO.
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Eine weitere Gestaltungsmöglichkeit schafft Art. 50 der SE-Verordnung. Nach dieser Bestimmung kann das Mehrheitserfordernis für Beschlussfassungen im einheitlichen Leitungsorgan oder auch – beim dualistischem System – im Aufsichtsrat bis hin zur Einstimmigkeit verschärft werden.42 Schon die Einführung qualifizierter Mehrheiten ermöglicht es, einem Minderheitsgesellschafter zumindest der Sache nach weitreichende Vetorechte bei der Leitung der SE einzuräumen. So kann vorgesehen werden, dass er Benennungsrechte für ein Drittel der Organmitglieder erhält und die von ihm benannten Board-Mitglieder durch qualifizierte Mehrheitserfordernisse faktisch ein Vetorecht bei allen weitreichenden Entscheidungen erhalten. Eine solche Struktur wäre in einer Aktiengesellschaft nicht zu realisieren. Dort lassen sich neben der einfachen Stimmenmehrheit im Aufsichtsrat bei Entscheidungen kraft Gesetzes keine weiteren Verschärfungen anordnen.43 Durch eine entsprechende Satzungsänderung kann von dem einmal gewählten System zu dem jeweils anderen System gewechselt werden.44 Damit geht ein weiterer Flexibilitätszuwachs einher, der sich insbesondere bei Umstrukturierungsmaßnahmen auswirken kann. Dies eröffnet Konzernen die Möglichkeit, ihre Tochtergesellschaften innerhalb Europas einheitlich zu organisieren. Ein monistisches System mit einer sehr starken Position des CEO/ PDG kann insbesondere sehr vorteilhaft für Familiengesellschaften mit einem starken Familienoberhaupt sein.45 Dieses kann als Vorsitzender des Verwaltungsrats zugleich Vorsitzender der Geschäftsführung sein und somit die Funktionen eines Chairman und eines CEO im angelsächsischen Sinne miteinander verbinden. Es kann dabei eine Machtkonzentration etabliert werden, wie sie bei der Aktiengesellschaft nicht möglich ist. Jedenfalls die Freiheit, ein solches Modell einzuführen, ist ein Vorteil der SE. Die Flexibilität, auf ein monistisches Board-System wechseln zu können, war für die mittelständische Mensch und Maschine (MuM) Software SE das entscheidende Motiv.46 Unumschränkt vorteilhaft ist die Freiheit, ein solches Modell einzuführen jedoch nur für diejenigen Gesellschaften, die nicht oder jedenfalls noch nicht unternehmerischer Mitbestimmung unterliegen. Kritisch wird der Einsatz des monistischen Systems nämlich dann, wenn es gilt,
42
Vgl. Reichert/Brandes, in: MünchKomm-AktG (o. Fußn. 36), Art. 50 SE-VO Rdnrn.
22 ff. 43 Vgl. Hüffer, AktG, 8. Aufl. (2008), § 108 Rdnr. 8; Semler, in: MünchKomm-AktG, 2. Aufl. (2006), § 108 Rdnr. 132. 44 Hommelhoff, AG 2001, 279 (282); Hirte, NZG 2002, 1 (5). 45 Vgl. Reichert, Der Konzern 2006, 821 (823). 46 Bei der MuM SE handelt es sich um das erste mittelständische börsennotiertere Unternehmen, das den Formwechsel vollzog. Vgl. Drotleff, Praxisbeispiel: Mensch und Maschine Software, in: von Rosen (o. Fußn. 24), S. 173, 180.
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die Mitbestimmung, insbesondere gar eine paritätische Mitbestimmung, umzusetzen.47 c) Arbeitnehmermitbestimmung in der SE Dies leitet zu einem für die SE zentralen Thema, der Mitbestimmung, über. Das deutsche Recht sieht eine weitreichende Mitbestimmung von Arbeitnehmern in nationalen Gesellschaften durch zahlreiche Informations- und Mitbestimmungsrechte im Betriebsverfassungsgesetz und in den verschiedenen Mitbestimmungsgesetzen vor: das Mitbestimmungsgesetz, das Drittelbeteiligungsgesetz und das Montan-Mitbestimmungsgesetz. Gemäß §§ 1 Abs. 1, 4 Abs. 1 des Drittelbeteiligungsgesetzes müssen im Aufsichtsrat einer AG mit mehr als 500 Arbeitnehmern ein Drittel der Mitglieder gewählte Arbeitnehmervertreter sein. Der Anteil der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat wächst gemäß §§ 1 Abs. 1, 7 des Mitbestimmungsgesetzes sogar auf 50 % an, sofern die Gesellschaft mehr als 2000 Arbeitnehmer beschäftigt. Die durch die SE-RL angebotene Vereinbarungslösung eröffnet im Gegensatz zu den Regelungen im deutschen Recht ein flexibleres Spektrum von Möglichkeiten, die Mitbestimmung nach dem Drittelbeteiligungsgesetz oder dem Mitbestimmungsgesetz zu modifizieren oder durch ein anderes Modell zu ersetzen.48 Vorrangig soll eine Verhandlungslösung zwischen den Arbeitnehmervertretern und den zuständigen Organen der beteiligten Gesellschaften angestrebt werden (Art. 3–6 SE-RL). Zu diesem Zweck wird in einem komplizierten Verfahren ein besonderes Verhandlungsgremium der Arbeitnehmer eingesetzt (§§ 4 ff. SEBG). Die SE kann erst eingetragen werden, wenn die Verhandlungen durch Einigung oder durch Zeitablauf abgeschlossen sind (Art. 12 Abs. 2 SE-VO). Sofern eine Vereinbarung nicht erzielt werden kann, kommt eine Auffanglösung zum Zuge, die einerseits die Einrichtung eines besonderen SE-Betriebsrates vorsieht (§§ 22 ff. SEBG), andererseits in Abhängigkeit von der Gründungsform und der relativen Mitarbeiterzahl der beteiligten Unternehmen dem höchsten Mitbestimmungsstandard zum Durchbruch verhilft (§§ 34 ff. SEBG). Dieser Rahmen eröffnet zumindest die Chance, ein für das jeweilige Unternehmen angepasstes Mitbestimmungsregime individueller Prägung zu verwirklichen. Ob und inwieweit sich eine solche Aussicht realisieren lässt, ist derzeit schwer abzusehen. Jedenfalls für deutsche Unternehmen sind die Chancen dadurch stark eingeschränkt, da für den Fall, dass man nicht zu einer anderweitigen Lösung
47 Vgl. dazu Reichert/Brandes, ZGR 2003, 767 ff.; Gruber/Weller, NZG 2003, 297 ff.; Niklas, NZA 2004, 1200 ff. 48 Zur Arbeitnehmerbeteiligung in der SE siehe etwa Krause, BB 2005, 1221; MüllerBonanni/Melot de Beauregard, GmbHR 2005, 195 (200); Kübler, in FS Raiser, 2005, S. 247 (258); Wollburg/Banerjea, ZIP 2005, 277.
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gelangt, das jeweils strengste Mitbestimmungsregime, damit letztlich das deutsche, zur Anwendung kommen wird.49 Damit ist für eine deutsche Gesellschaft hinsichtlich der Arbeitnehmermitbestimmung letztlich nichts gewonnen – auf der anderen Seite aber auch nichts verloren. Für deutsche Gesellschaften sind im Wesentlichen vier Vorteile festzuhalten: aa. Verhandlungslösung Selbst wenn das Niveau der Mitbestimmung dasselbe bleibt, eröffnet die SE die Möglichkeit, die Ausformung der Arbeitnehmermitbestimmung so auszuhandeln, dass sie auf die besondere Struktur und die Bedürfnisse der jeweiligen Gesellschaft oder des Konzerns zugeschnitten ist und nicht die Bürde einer zwingenden Anwendung einer allgemeinen gesetzlichen Lösung auferlegt.50 bb. Europäisierung der Mitbestimmung Ferner ist es im Hinblick auf die Verwirklichung der Idee einer European Corporate Governance von großer Bedeutung, dass die Arbeitnehmervertreter aus verschiedenen Ländern kommen. Unter diesem Gesichtspunkt hat die BASF hervorgehoben, dass ihre Umwandlung in eine SE die Einbindung europäischer Arbeitnehmer in die Gesellschaft verstärkt hat. Auch in der Allianz SE sind heute im Aufsichtsrat Arbeitnehmer aus verschiedenen Ländern vertreten 51 und der Aufsichtsrat der Fresenius SE ist in der Zwischenzeit ebenfalls europäisch ausgerichtet. Eine Mischung von Vertretern verschiedener Mitgliedstaaten kann insbesondere für europaweite Konzernstrukturen vorteilhaft sein. cc. Flexibilisierung der Größe des Aufsichtsrats Hinzu kommt, dass mitbestimmungsrechtlich vorgeschriebene Mindestgrößen für den Aufsichtsrat einer SE mit Sitz in Deutschland keine Geltung haben.52 Nach Art. 40 Abs. 3 SE-VO ist die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder in der Satzung festzulegen. Die Mitgliedstaaten können jedoch für die in ihrem Hoheitsgebiet eingetragenen SEs Mindest- und/oder Höchstgrenzen oder sogar die genaue Anzahl der Aufsichtsratsmitglieder festlegen. Für in Deutschland eingetragene SEs sind nur die vom deutschen Ausführungsgesetz in § 17 Abs. 1 bestimmten Mindest- und Höchstgrenzen zu berück-
49
Vgl. Thoma/Leuering, NJW 2002, 1449 (1454). Vgl. Binder/Jünemann/Merz/Sinewe, Die Europäische Aktiengesellschaft (SE), 2007, § 1 Rdnr. 22. 51 Vgl. Allianz AG, Investor Relations Release v. 11.9.2005, S. 2. 52 Vgl. Reichert/Brandes, in: MünchKomm-AktG (o. Fußn. 36), Art. 40 SE-VO Rdnr. 5. 50
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sichtigen.53 Der Aufsichtsrat besteht demnach mindestens aus drei Personen. Eine höhere Anzahl muss durch drei teilbar sein 54, wobei eine vom Grundkapital abhängige Staffelung der Höchstanzahl von 9 bis zu 21 Mitgliedern reicht.55 Insoweit konnte die Allianz SE ihren Aufsichtsrat auf zwölf Mitglieder verkleinern. Sie hatte lediglich Sorge zu tragen, dass er nach Anzahl seiner Mitglieder eine paritätische Mitbestimmung ermöglicht und die Anzahl der Mitglieder durch drei teilbar ist. Ebenso hat die BASF ihren Aufsichtsrat auf 12 Mitglieder verkleinert. Fresenius betont, dass es ohne die Umwandlung in eine SE, insbesondere als Konsequenz der steigenden Zahl an inländischen Arbeitnehmern durch die Akquisition der Helios Kliniken, erforderlich gewesen wäre, den Aufsichtsrat von 12 auf 20 Mitglieder zu vergrößern.56 In einem kleineren Gremium wurde aufgrund der höheren Effektivität von Fresenius ein Wettbewerbsvorteil gesehen, weshalb die Größe beibehalten werden sollte. Dies konnte letztlich durch eine Umwandlung in eine SE ermöglicht werden.57 dd. Zementierung des Mitbestimmungsregimes Ein entscheidender Vorteil der SE liegt ferner darin, dass die einmal etablierte Mitbestimmung nicht mehr anzupassen ist, auch wenn die Gesellschaft als AG und GmbH in ein anderes Mitbestimmungsregime zu überführen wäre. Das bei Gründung der SE im Aufsichtsorgan bestehende Mitbestimmungsniveau wird nach oben und unten hin gewissermaßen eingefroren, einzige Ausnahme bildet § 18 Abs. 3 SEBG. Nach dieser Vorschrift sind auch nach der Gründung der SE erneut Verhandlungen zwischen der Leitung und dem Betriebsrat der SE durchzuführen, falls „strukturelle Änderungen“ geplant sind, die „geeignet sind, Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer zu mindern“. Scheitern die Verhandlungen, finden nach § 18 Abs. 3 Satz 3 SEBG die Auffangregelungen der §§ 34 ff. SEBG Anwendung, nach denen das Mitbestimmungsniveau erhalten bleibt, das für die neuen Arbeitnehmer der SE zuvor galt. Mithin ist es möglich, das Mitbestimmungsniveau in der SE einzufrieren. Gerade für Aktiengesellschaften aus dem Mittelstand kann
53 Vgl. hierzu insgesamt Reichert/Brandes, in: MünchKomm-AktG (o. Fußn. 36), Art. 40 SE-VO Rdnr. 68 ff. 54 Vgl. Kolster, in: Jannott/Frodermann (o. Fußn. 22), S. 128 Rdnr. 64. 55 Auch im Fall der gesetzlichen Auffanglösung für die unternehmerische Mitbestimmung ändert sich hieran nichts, da sich die Regelung in § 35 Abs. 1 SEBG nur auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrates bezieht, nicht jedoch auf seine Größe. Dies ergibt sich aus Teil 3a des Anhangs zu Art. 7 der Richtlinie über die Beteiligung der Arbeitnehmer i.V.m. Teil 3b des Anhangs. 56 Götz, Praxisbeispiel: Die Umwandlung der Fresenius AG in eine SE, 2007, in: von Rosen (o. Fußn. 24), S. 148 (158). 57 Götz, in: von Rosen (o. Fußn. 24), S. 148.
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dies das ausschlaggebende Motiv für die Gründung einer SE sein, da oft nicht gewünscht ist, dass die Arbeitnehmer durch ihre Vertreter im Aufsichtsorgan über die Geschicke der Gesellschaft mitentscheiden können.58 Die Anforderungen an die im Rahmen des § 18 Abs. 3 SEBG erforderliche strukturelle Maßnahme sind hoch anzusetzen. Ansonsten droht nicht nur jede Veränderung innerhalb der SE die Pflicht zu Nachverhandlungen auszulösen, sondern es führt auch zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen nicht auf wenige klar zu definierende Fälle eingegrenzt werden können. Zu Recht wird das Vorliegen eines „gründungsähnlichen Vorgangs“ oder eines „korporativen Aktes von einigem Gewicht“ gefordert.59 Der Gesetzgeber führt in der Gesetzesbegründung zu § 18 Abs. 3 SEBG das Beispiel an, dass eine mitbestimmte Gesellschaft auf eine nicht mitbestimmte SE verschmolzen wird.60 In diesem Fall sind zum einen die bestehenden Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer der Gesellschaft, die auf die SE verschmolzen werden soll, gefährdet, da ohne Nachverhandlungen ihre Mitbestimmungsrechte erlöschen. Zum anderen liegt unzweifelhaft eine strukturelle Maßnahme im Sinne eines korporativen Aktes von einigem Gewicht und ein gründungsähnlicher Vorgang vor, da die SE im Wege der Verschmelzung eine ganze Gesellschaft aufnimmt und letztere als eigene Rechtspersönlichkeit erlischt. Der Gesetzgeber selbst stellt somit hohe Anforderungen an die Erfüllung des Tatbestands des § 18 Abs. 3 SEBG. Eindeutig nicht erfasst ist nach zutreffender Auffassung das bloß quantitative Ansteigen der Arbeitnehmerzahlen, etwa über die relevanten Schwellen der deutschen Mitbestimmungsgesetze. Dies zeigt sich vor allem an § 5 Abs. 4 SEBG, der ausdrücklich zwischen „Änderung der Struktur“ und der Änderung der Arbeitnehmerzahlen unterscheidet.61 Hinzu kommt, dass keine strukturähnliche Maßnahme stattfindet, die für ein Eingreifen des § 18 Abs. 3 SEBG in gesellschaftsrechtlicher Hinsicht notwendig wäre. Weitere Anwendungsfälle, die genannt werden, sind die Verlegung des Sitzes in einen anderen Mitgliedsstaat 62, der Wechsel von einem dualistischen zu einem monistischen System 63 oder die Stilllegung von Unternehmen und Betrieben der SE 64. Dies würde allerdings zu weit führen. Die Stilllegung einzelner Unternehmen oder Betriebe ist kein korporativer Akt von einigem Gewicht und 58 Zur Frage, ob die SE als Rechtsform für den Mittelstand attraktiv ist, vgl. Bayer/ Schmidt, AnwBl 5/2008, 328 f. 59 Vgl. zu dieser Definition Seibt, AG 2005, 413 (427); Wollburg/Banerjea, ZIP 2005, 277 (278 f.). 60 BT-Drucks. 15/3405, 50. 61 Vgl. Jacobs, in: MünchKomm-AktG, 2. Auflage (2006), § 18 SEBG Rdnr. 18. 62 Vgl. Oetker, in: Lutter/Hommelhoff (o. Fußn. 16), § 18 SEBG Rdnr. 16. 63 Vgl. Jacobs, in: MünchKomm-AktG (o. Fußn. 61), § 18 SEBG Rdnr. 16 am Ende. 64 Vgl. Müller-Bonanni/de Beauregard, GmbHR 2005, 195 (198).
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kann auch nicht als gründungsähnlich bezeichnet werden. Es handelt es hierbei um Maßnahmen, die bei größeren Gesellschaften alltäglich sind. Zudem ist nicht ersichtlich, worin dabei die Minderung von Mitbestimmungsrechten liegen sein soll. Die Schließung eines einzelnen Betriebes hat keine direkten Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Aufsichtsorgans der Gesellschaft, auch der Betriebsrat, der bei einer SE zwingend existieren muss, wird nicht angetastet. Ähnlich verhält es sich bei einem Wechsel von einem dualistischen zu einem monistischen System. Für den Wechsel ist nach Art. 38 b) SE-VO ein satzungsändernder Hauptversammlungsbeschluss notwendig. Die Hauptversammlung bestellt dann die Mitglieder des neuen Verwaltungsrats, wobei sich an dem Verhältnis von Arbeitnehmervertretern und Vertretern der Anteilseigner nichts ändert. Eine Gefährdung oder Minderung von Mitbestimmungsrechten der Arbeitnehmer, wie von § 18 Abs. 3 SEBG vorausgesetzt, ist nicht feststellbar. Nichts anders gilt für die Sitzverlegung einer SE. An dem Mitbestimmungsniveau in der SE, das nach der Gründung zementiert wurde, ändert eine Sitzverlagerung nichts. Zudem wird die Rechtspersönlichkeit der SE durch eine Sitzverlagerung nicht verändert.65 Es zeigt sich somit, dass letztlich nicht viele Fälle in der Praxis die Nachverhandlungspflicht auszulösen vermögen. d) Sitzverlegung Ein weiterer, beträchtlicher Vorteil der SE ist in der Option der – bereits erwähnten – grenzüberschreitenden Sitzverlegung zu sehen.66 Nach bislang überwiegender Auffassung kann die Verlegung des (tatsächlichen oder statutarischen) Sitzes einer deutschen Kapitalgesellschaft in das Ausland nach deutschem Recht nur durch Auflösung und Neugründung im Zuzugsstaat erreicht werden.67 Für die SE sieht Art. 8 SE-VO demgegenüber die Möglichkeit einer identitätswahrenden Sitzverlegung in einen anderen Mitgliedsstaat vor, wobei der Sitz stets in dem Mitgliedstaat liegen muss, in dem sich die Hauptverwaltung befindet (Art. 7 SE-VO). Die Vorschrift bringt dabei zwei wirtschaftliche Vorteile mit sich: Erstens ermöglicht sie eine Sitzverlegung aus gegenwärtigen wirtschaftlichen Erwägungen. Zweitens bringt eine 65
Vgl. Jacobs, in: MünchKomm-AktG (o. Fußn. 61), § 18 SEBG Rdnr. 17. Die grenzüberschreitende Sitzverlegung wurde bereits von 7 Gesellschaften erfolgreich erprobt: Der BIBO Zweite Vermögensverwaltungsgesellschaft SE und der BOLBU Beteiligungsgesellschaft SE, der Graphisoft SE, der Joh. A. Benckiser SE, der Narada Europe SE der Tetra Laval Capital SE und der Tetra Laval Finance & Treasury SE – vgl. Schmidt (o. Fußn. 5), 51, 72. 67 Vgl. BayObLG GmbHR 2004, 490; OLG Brandenburg DB 2005, 604 jeweils m.w.N.; kritisch etwa Eidenmüller, JZ 2004, 29; Wälzholz, RNotZ 2004, 408 (410); siehe ferner EuGH in Sachen de Lasteyrie du Saillant GmbHR 2004, 504 sowie den Entwurf für die geplante Sitzverlegungsrichtlinie unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/ seat-transfer/index_de.htm. 66
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Sitzverlegung in einen anderen Mitgliedstaat die Möglichkeit der Anwendung eines anderen nationalen Gesellschafts- und Steuerrechts 68 trotz der Aufrechterhaltung der Gesellschaft und ihrer Haupteigenschaften. Eine Sitzverlegung anlässlich einer Umwandlung ist zwar gem. Art. 37 Abs. 3 SE-VO nicht möglich. Eine Sitzverlegung nach dem Wirksamwerden der Umwandlung ist jedoch nicht ausgeschlossen.69 e) Möglichkeit der Schaffung einer Holding-SE Angesichts ihrer Besonderheit ist noch auf die Möglichkeit der Gründung einer Holding- Gesellschaft durch den Austausch eines bestimmten Anteils 70 an Aktien verschiedener Gründungsgesellschaften hinzuweisen. Die von den Anteilseignern eingebrachten Anteile bilden dann das Grundkapital der „Holding-SE“. Diese Möglichkeit stellt innerhalb des deutschen Rechtssystems eine Neuerung dar 71 und ist deshalb als ein weiterer Vorteil der SE zu begrüßen. Allerdings ist sie als Gründungsvariante weniger beliebt. Dies ist wohl unter anderem auf ihre rechtliche Komplexität zurückzuführen. Es werden etwa verschiedene Probleme kontrovers diskutiert, insbesondere der Ablauf des Anteilsaustauschs und die Kapitalaufbringung bei Gründung einer deutschen Holding-SE 72 sowie das Verhältnis von SE und Übernahmerecht.73 Die Art. 32, 33 SE-VO bestimmen die Grundstruktur des Ablaufplanes einer Holding-SE-Gründung und werden durch die allgemeine Verweisung des Art. 15 SE-VO ergänzt. Problematisch hierbei ist, dass es oftmals keine nationalen Regelungen für die Art der Gründung gibt.74 Beispielhaft für die Gründung einer Holding-SE anführen lässt sich die jüngst gegründete Porsche Automobil Holding SE. Diese ermöglichte es dem Unternehmen, seine Beteiligungen an VW vom operativen Geschäft des Sportwagenherstellers zu trennen. Das operative Geschäft wurde hierfür in die 100%ige Tochtergesellschaft – die unter dem bisherigen Firmennamen Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG besteht – ausgegliedert. Die Aktionäre der frühe-
68 Diesbezüglich ist allerdings darauf hinzuweisen, dass dem in der Praxis steuerliche Erwägungen entgegenstehen können, da die Grenzüberschreitung nach derzeitigem Stand wohl noch der Schlussbesteuerung gemäß §§ 11, 12 KStG unterfällt – vgl. hierzu Horn, DB 2005, 147 (153). 69 Marsch-Barner, Was spricht für die Gründung einer SE, 2007, in: von Rosen (o. Fußn. 24), S. 90 (94). 70 Mind. 50 % vgl. Art. 32 Abs. 2 Satz 4 SE-VO. 71 Das Verfahren ließe sich hypothetisch – da in Deutschland nicht zugelassen – am ehesten mit einer „verschmelzenden Ausgliederung“ vergleichen vgl. Heckschen, a.a.O., S. 251, 260. 72 Vgl. hierzu Bayer, in: Lutter/Hommelhoff (o. Fußn. 16), S. 25, 55 ff. 73 Vgl. hierzu Bayer, in: Lutter/Hommelhoff (o. Fußn. 16), S. 25, 55 ff.; Oechsler, in: MünchKomm-AktG, 2. Aufl. (2006), Art. 2 SE-VO Rdnrn. 20 ff. 74 Heckschen, a.a.O., S. 251, 260; Theisen/Wenz (o. Fußn. 3), S. 142.
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ren Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG wurden durch den Formwechsel zu Anteilseignern der Porsche Automobil Holding SE. Die neue Holding-SE wird damit zur Muttergesellschaft der Gründungsgesellschaften.
3. Fazit Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die SE eine gegenwärtige Gesellschaftsform mit verschiedenen Anwendungsbereichen im Rahmen grenzüberschreitender Strukturmaßnahmen bietet, die durchaus Gestaltungsvorteile mit sich bringt. Während ehemalige Vorteile der SE – wie die einfache Realisierung grenzüberschreitender Strukturmaßnahmen – nunmehr auch durch neue Regelungen innerhalb des Umwandlungsgesetzes im Rahmen des deutschen Rechts etabliert sind, bietet die SE darüber hinausgehende interessante Vorteile. Hierbei spielte die Vielfalt der Varianten im Rahmen der Corporate Governance eine Rolle. Aber auch die Möglichkeiten, die sich in Zukunft aus der Rechtsform der SE noch ergeben können, müssen berücksichtigt werden. Durch die Möglichkeit einer Sitzverlegung nach Art. 8 SEVerordnung gewährt die SE ein hohes Maß an Flexibilität. Gleichzeitig wird hierdurch die Wahl einer für den jeweiligen Zweck optimalen Rechtsordnung ermöglicht. Ein maßgeblicher Vorteil der SE liegt auch in der Gründung einer European Corporate Identity, welche die SE im Hinblick auf die Gründung neuer europäischer Konzerne als besonders geeignet auszeichnet. Die Flexibilität in der Führung ermöglicht dabei die Einführung einfacher Führungsstrukturen in verschiedenen Mitgliedstaaten. Schließlich lassen sich Mitbestimmungsstrukturen durch die SE zementieren; damit wird sie gerade für Mitbestimmungsaspekte attraktiv, was eigentlich angesichts der unerlässlichen „Verhandlungslösung“ bei ihrem Stapellauf kaum jemand erwartet hätte.
V. Ausblick Letztlich bleibt aufgrund der bereits erfolgten über 216 SE-Gründungen festzuhalten, dass sich die SE keinesfalls als die „praxisuntaugliche Fehlkonstruktion“ 75 erwiesen hat, wie dies von einigen Kritikern befürchtet worden war. Das „Flagschiff des Europäischen Gesellschaftsrechts“ 76 ist vielmehr erfolgreich vom Stapel gelaufen. Bleibt nur, auch weiterhin auf gute Winde zu hoffen. 75 Siehe Manz, in: Schwarze (Hrsg.): Wirtschaftsverfassungsrechtliche Garantien für Unternehmen im Binnenmarkt, Baden-Baden 2001, S. 141. Wirklich fehlgeschlagen ist die SE-Gründung bislang nur im Falle der Zoll Pool Hafen Hamburg SE – vgl. hierzu Schmidt (o. Fußn. 5), S. 51, 69. 76 Vgl. Hommelhoff/Teichmann, SZW 2002, 1 (12).
Legal Professional Privilege: Anmerkungen zu AKZO NOBEL Dietrich Rethorn
Michael Gruson beschäftigte neben vielem anderen die rechtliche Position der Unternehmensjuristen im grenzüberschreitenden Zusammenhang. Sie sind im anwaltlichen Transaktionsgeschäft ja die „geborenen“ Ansprechpartner des externen Rechtsberaters und z.B. dort unerlässlich, wo eine legal opinion aus dem Unternehmen benötigt wird. Zur Rechtsposition speziell der deutschen Unternehmensjuristen hat sich Gruson mit einer wichtigen Untersuchung im Jahre 2002 geäußert.1 Sie ergänzt seine vielfältigen Beiträge und Veröffentlichungen zur legal opinion im Allgemeinen.2 Vor diesem Hintergrund wäre die Entscheidung des Europäischen Gerichts erster Instanz vom 17. September 2007 in den verbundenen Rechtssachen Akzo Nobel und Akcros 3 seiner wissenschaftlichen wie anwaltlichen Aufmerksamkeit würdig gewesen, zumal sie – leider nur am Rande – auch die Rechtsposition des in USA zugelassenen in Europa tätigen Rechtsanwalts streift. Diese Anmerkungen gehen nach einem knappen Bericht über das Akzo Nobel-Urteil (Abschnitt 1) auf die Begründung des EuG für das Prozedere beim Geltendmachen des Legal Professional Privilege für Rechtsanwälte im europäischen Wettbewerbsrecht (Abschnitt 2) sowie auf die Gründe für den inhaltlichen Geltungsbereich des Legal Professional Privilege ein (Abschnitt 3). Im Mittelpunkt der Anmerkungen sollen danach die Methoden stehen, welche das Gericht verwendet, um den Unternehmensjuristen das Legal Professional Privilege zu versagen (Abschnitt 4). Dabei wird sich erweisen, dass zwischen den beiden ersten Teilen der Begründung und dem letzten nicht nur im Ergebnis sondern auch methodisch ein eklatanter Bruch besteht.
1 Gruson, Persönliche Haftung deutscher Unternehmensjuristen für die Richtigkeit einer legal opinion nach US-amerikanischem Recht, RIW 2002, 596. 2 Gruson/Hutter/Kutschera, Legal Opinions in International Transactions, 4. Aufl. (2003). 3 Akzo Nobel Chemicals Ltd und Akcros Chemicals Ltd / Kommission der Europäischen Gemeinschaften, EuG, verbundene Rechtssachen T-125/03 und T-253/03, Urteil vom 17.9.2007. – Die Sprache der Rechtssachen ist Englisch. Zur Fertigstellung des Manuskriptes lagen zahlreiche Übersetzungen vor, z.B. eine französische, maltesische und lettische, aber noch keine deutsche.
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1. Das Akzo Nobel-Urteil des EuG und seine Vorgeschichte Der Vertraulichkeitsschutz jeder Korrespondenz mit Anwälten im europäischen Wettbewerbsrecht (das Legal Professional Privilege – kurz: LPP – oder anwaltliches Berufsgeheimnis) wurde im Kern durch die Entscheidung des EuGH in der Sache AM&S geformt.4 Durch den EuGH-Beschluss Hilti, die Kommissionsentscheidungen John Deere und Sabena sowie die Gerichtsentscheide Carlsen und Interporc wurde es partiell fortentwickelt.5 Das Akzo Nobel-Urteil führt diese Rechtsentwicklung fort. Es betrifft fünf Schriftstücke, die von der Kommission im Rahmen einer Durchsuchung nach Art. 14 der europäischen Verordnung Nr. 17 des Rates von 1962 (sog. KartellVO) beschlagnahmt wurden: Dabei handelt es sich um ein maschinengeschriebenes Memorandum des General Managers von Akcros (einer Konzerngesellschaft von Akzo Nobel) an seinen Vorgesetzten. Dies Memorandum sammelt Informationen aus dem Unternehmen zu dem Zweck, externen Rechtsrat einzuholen. Das zweite Schriftstück ist eine Kopie des ersten mit zusätzlichen handschriftlichen Notizen, die auf den (externen) Rechtsanwalt des Unternehmens hinweisen. Ferner geht es um handgeschriebene Notizen des General Managers von Akcros, zur Vorbereitung des erwähnten Memorandums. Die beiden letzten Schriftstücke sind E-mails zwischen dem General Manager von Akcros und dem Unternehmensjuristen. Das Gericht hatte zu entscheiden, ob eines dieser fünf Schriftstücke dem LPP unterliegt und deshalb nicht von der Kommission gelesen und beschlagnahmt werden durfte. Wie mit Schriftstücken, für die gegenüber der ermittelnden Kommission das anwaltliche Berufsgeheimnis geltend gemacht wird, umzugehen sei, war bislang nicht erschöpfend geregelt. Deshalb hat das Urteil eine vielgestaltige prozessuale Vorgeschichte.6 Daran ist von Interesse, dass der EuG-Präsident in einer einstweiligen Verfügung 7 verlauten ließ, es könne im Hauptverfahren der Rechtssachen Akzo Nobel und Akcros zu einer Neubestimmung des
4 AM&S Europe Limited/Kommission der Europäischen Gemeinschaften, EuGH, Rechtssache 155/79, Urteil vom 18.5.1982, Slg. 1982, 1575. 5 Hilti AG/Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Rechtssache T-30/89A, Beschluss vom 4.4.1990, Slg. 1990, II-163; John Deere Limited, Entscheidung der Kommission 85/79/EWG vom 14.12.1984, ABl 1985, L 35/58; London European – Sabena, Entscheidung der Kommission 88/589/EWG vom 4.11.1988, ABl 1988, L 317/47; Hanne Norup Carlsen u.a. Rat der Europäischen Union, Beschluss vom 3.3.1998, Rechtssache T-610/97 R, Slg. 1998, II-485; Interporc Im-und Export GmbH/Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Rechtssache T-92/98, Urteil vom 7.12.1999, Slg. 1999, II-3521. 6 Akzo Nobel (o. Fußn. 3), Rdnrn. 1–31. 7 Akzo Nobel Chemicals Ltd und Akcros Chemicals Ltd./Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Präsident des EuG, verbundene Rechtssachen T-125/03 R und T-253/03 R, Beschluss vom 30.10.2003, Slg. 2003, II-4771.
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anwaltlichen Berufsgeheimnisses im europäischen Wettbewerbsverfahren kommen.8 Insbesondere gab er der Überlegung Raum, das anwaltliche Berufsgeheimnis auch auf diejenigen Schriftstücke zu erstrecken, die zwischen dem Unternehmen und seinen internen Rechtsberatern gewechselt werden.9 Der Fortgang dieses Verfahrens wurde umgehend allen im Wettbewerbsrecht tätigen Juristen zur Aufmerksamkeit anempfohlen 10, die es rasch auch gefunden hat.11 Dem Verfahren traten mehrere Nebenintervenienten bei, denen es hauptsächlich um den personalen Schutzumfang des LPP ging: The Council of the Bars and Law Societies of the European Union (CCBE), der Algemene Raad van de Nederlandse Orde van Advocaten, die European Company Lawyers Association (ECLA), die American Corporate Counsel Association (ACCA) – European Chapter und nicht zuletzt die International Bar Association (IBA). Alle Nebenintervenienten unterstützten die Klägerseite, um – mit im Einzelnen unterschiedlicher Begründung und Reichweite – eine Ausweitung des LPP auf Unternehmensjuristen zu erreichen. Neben dem Abschnitt der Begründung, welcher den Verfahrensgang zum Inhalt hat 12 und der hier unkommentiert bleiben soll, enthält das Hauptsache-Urteil drei Regelungskerne: Zum ersten Klagantrag die Festlegung des Prozedere, welches bei Geltendmachung des LPP vom Unternehmen und von der Kommission einzuhalten ist, und der dabei zulässigen Rechtsbehelfe.13 Zum zweiten Klagantrag die Definition der vom LPP geschützten Schriftstücke nach seinem inhaltlichen Geltungsbereich 14 und nach seiner persönlichen Erstreckung auf Unternehmensjuristen.15 Zum dritten Klagantrag die (Nicht-) Verletzung von Grundrechten. Zum ersten Klagantrag hat das Gericht Rechtsverletzungen darin gesehen, dass die Kommission • die Kläger zwang, ihr einen Blick auf alle Schriftstücke zu gestatten, und • drei der Schriftstücke gelesen hat, ohne vorher den Klägern Gelegenheit zu geben, die Zurückweisung ihres Antrages auf Vertraulichkeit gerichtlich anzufechten.
8
Akzo Nobel (o. Fußn. 7), Rdnr. 98. Akzo Nobel (o. Fußn. 7), Rdnrn. 125–129. 10 Schnichels, NJW-aktuell Heft 49/2003, S. IV. 11 Siehe z.B. Murphy, CFI Signals Possible Extension of Professional Privilege to Inhouse Lawyers, European Competition Law Review 2004, S. 447–454; Burholt, Einen Schritt vor, zwei Schritte zurück – Gilt das Anwaltsprivileg im europäischen Kartellrecht auch für Syndikusanwälte?, BRAK-Mitteilungen 2004, S. 100–103; neuestens: McDougall, Akzo Nobel: the worst decision in legal history, The European Lawyer 2008, 3, 53. 12 Akzo Nobel (o. Fußn. 3), Rdnrn. 40–57. 13 Akzo Nobel (o. Fußn. 3), Rdnrn. 76–101. 14 Akzo Nobel (o. Fußn. 3), Rdnrn. 117–140. 15 Akzo Nobel (o. Fußn. 3), Rdnrn. 165–180. 9
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Zum zweiten Klagantrag hat das EuG alle Schriftstücke dem LPP unterstellt, die ausschließlich zum Zweck der Einholung von anwaltlichem Rechtsrat in Ausübung des Verteidigungsrechts verfasst wurden.16 Die darüber hinaus geltend gemachte Ausdehnung des LPP auf Unternehmensjuristen wurde abgelehnt.17 Der dritte Klagantrag wurde ebenfalls zurückgewiesen.18 Er richtete sich auf die Verletzung der Grundrechte ( fundamental rights), welche dem LPP zugrunde liegen. Gegen die Entscheidung wurde gemäß Art. 56 EuGH-Satzung von den Klägern sowie von allen Nebenintervenienten fristgemäß Rechtsmittel beim EuGH eingelegt. Für die zweite Instanz haben u.a. auch die Law Society of England and Wales eine Zulassung als Nebenintervenienten beantragt.
2. Das Prozedere beim Geltendmachen des LPP Für das Prozedere, wenn sich ein Unternehmen im Zuge einer Überprüfungsmaßnahme der Kommission bei bestimmten Schriftstücken auf das LPP beruft, hat das Akzo Nobel-Gericht wichtige Regeln neu festgelegt: Die Kommission darf im Interesse des Unternehmens und seiner prozessualen Integrität die Schriftstücke, für die das LPP geltend gemacht wird, nicht lesen bzw. beschlagnahmen, bis der Schutz geklärt ist. Das Unternehmen ist berechtigt, die Zurückweisung seines Schutzantrages vor dem EuG anzufechten; und die Kommission muss ihm dazu im Rahmen seiner Nachprüfung Gelegenheit geben.19 Zur Ableitung dieses Ergebnisses unternimmt das Gericht zunächst eine detaillierte Analyse der Abläufe in der Beschlagnahmesituation.20 Sodann tritt es in eine sorgfältige Bewertung der Rechtspositionen ein. Dabei finden der Vertrauensschutz zugunsten des von der Kommission überprüften Unternehmens, der Zeitfaktor, die Konsequenzen eines denkbaren Rechtsmissbrauches sowie die Möglichkeit für das Unternehmen selbst (als vom LPP geschützter Mandant), ein vertrauliches Schriftstück offen zu legen, ausdrückliche Berücksichtigung.21 Hierbei beruft sich das EuG zwar immer wieder auf die Begründung in AM&S; das Ergebnis beruht letztlich aber auf einer Analyse und sachlogischen Abwägung der Situation aller Beteiligten und stellt damit eine eigene Rechtsschöpfung dar. Eigene rechtsvergleichende Feststellungen spielen für das Gericht dabei keine Rolle. 16 17 18 19 20 21
Akzo Nobel (o. Fußn. 3), Rdnr. 123. Akzo Nobel (o. Fußn. 3), Rdnr. 177. Akzo Nobel (o. Fußn. 3), Rdnrn. 181–184. Akzo Nobel (o. Fußn. 3), Rdnr. 88. Akzo Nobel (o. Fußn. 3), Rdnrn. 80–82. Akzo Nobel (o. Fußn. 3), Rdnrn. 85–87 und 89 f.
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3. Der inhaltliche Geltungsbereich des LPP Im inhaltlichen Schutzbereich des LPP liegen seit Akzo Nobel alle, aber auch nur diejenigen für Anwälte bestimmten Schriftstücke, welche allein zu dem Zweck verfasst wurden, das Unternehmen in einem Kartellverfahren zu verteidigen.22 Nur wenn sich diese Zweckbestimmung aus dem Schriftstück selbst ergibt oder aber vom Unternehmen dargetan werden kann, ist die Kommission daran gehindert, das Schriftstück zu lesen oder zu beschlagnahmen. Künftig wird es für Unternehmen, die sich mit Kartellthemen auseinandersetzen, besonders darauf ankommen, dass die internen Papiere folgende Voraussetzungen erfüllen: • • • •
Entstehung ausschließlich zu dem Zweck, rechtlichen Rat einzuholen; Der Rechtsrat muss von einem (externen) Rechtsanwalt gesucht werden; Entstehung in Ausübung des Verteidigungsrechts des Unternehmens; Das Abzielen auf (externen) Rechtsrat im Rahmen der Verteidigung muss der alleinige Zweck des Schriftstückes sein; • Es geht um europäisches Wettbewerbsrecht; • Die Zweckbestimmung muss im Schriftstück offenkundig sein, ohne dass es einer eingehenden Lektüre bedarf; • Nicht nötig ist, dass das Schriftstück mit dem Anwalt ausgetauscht oder ihm physisch übermittelt wird. Das Gericht stützt sich auch hier im Ausgangspunkt auf AM&S und dessen „Auslegung“ der Kartellverordnung sowie auf Hilti 23 und auf anderweitiges Fallrecht.24 Immer wieder werden die Kernaussagen von AM&S (zumeist wortwörtlich) zitiert. Die Ausdehnung des sachlichen Schutzbereiches von LPP wird jedoch unmittelbar aus der Effizienz des Rechtsschutzes begründet.25 Dabei bezieht sich das Gericht konkret abwägend auf die Bedürfnisse des Unternehmens, welches einer Überprüfung durch die Kommission unterworfen ist.26 Neben solchen sachlogischen Erwägungen kommt in der Begründung keinerlei Rechtsvergleichung oder sonstige Methode zum Einsatz.
4. Das LPP und die Syndikusanwälte Die Ausführungen in Akzo Nobel zur Erstreckung des LPP im europäischen Wettbewerbsrecht auf die Korrespondenz des Unternehmens mit seinen Syndikusanwälten waren im Vorverfahren (Beschluss des EuG-Präsi22 23 24 25 26
Akzo Nobel (o. Fußn. 3), Rdnr. 123. Akzo Nobel (o. Fußn. 3), Rdnr. 117. Akzo Nobel (o. Fußn. 3), Rdnr. 120. Akzo Nobel (o. Fußn. 3), Rdnrn. 117, 120, 122. Akzo Nobel (o. Fußn. 3), Rdnr. 121.
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denten vom 30.10.2003) breit angekündigt.27 Sie sind im Rahmen dieser Urteilsgründe die methodisch interessantesten und beziehen sich auf die zwei E-mails, die zwischen einem Manager und dem internen Rechtsberater von Akzo Nobel ausgetauscht wurden. Dieser interne Rechtsberater war zugleich in den Niederlanden als Anwalt zugelassen. Nach seiner beruflichen Stellung erfüllt er demnach die Kriterien eines Syndikusanwaltes 28 gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 BRAO. Mit Blick auf ihn ist deshalb im Folgenden von „Syndikusanwälten“ die Rede. – Im Ergebnis hat das Gericht den zwei Schriftstücken den Schutz des LPP versagt.29 a) Seine Begründung hierfür setzt ein mit der Feststellung, dass die E-mail-Korrespondenz zwischen dem Akcros-Manager und dem Syndikusanwalt nicht von dem LPP gedeckt sei, wie es vom AM&S-Gericht definiert wurde.30 Denn AM&S habe angestellte Juristen ausdrücklich ausgeschlossen. Bei den weiteren Urteilsgründen in Akzo Nobel geht es also darum, ob eine Änderung dieses Fallrechts zu rechtfertigen ist. Das Gericht untersucht fünf mögliche Gründe: (1) Als erstes geht das Gericht der Frage nach, ob sich seit AM&S für das LPP eine Ausweitung des Schutzes in den Mitgliedstaaten feststellen lässt. Nach seiner Meinung sind in den Mitgliedstaaten jedoch weder einheitliche noch überwiegende Tendenzen für die personale Ausweitung des LPP feststellbar. Ein im Vergleich zur Rechtslage bei AM&S bloß häufigeres Vorkommen des erweiterten LPP reicht dem Gericht nicht aus. Um diese Feststellungen zu treffen, nimmt es – in verallgemeinernder Weise – auf die Unterschiede der nationalen Rechte eingehend Bezug. Seine Überlegungen gestatten in methodischer Hinsicht folgende Schlüsse: Außerhalb einer ausdrücklichen Änderung des gesetzten Rechts – hier z.B. KartellVO oder Verordnung Nr. 1/2003 – kann sich europäisches Wettbewerbs(Verfahrens-)recht auch dadurch ändern, dass sich das einschlägige Recht in den Mitgliedstaaten wandelt und ein europäisches Gericht dies aufgreift. Das Gericht baut zwar gewaltige Hürden auf (einheitliche Tendenzen „tendencies which are uniform“ oder zumindest überwiegende Tendenzen „tendencies which … have a clear majority support“, keinesfalls: bloß eine relative Zunahme „relatively more common today than …“); es scheint für eine Änderung seiner Rechtsprechung unter solchen Voraussetzungen aber grundsätzlich offen zu sein. Insoweit befindet sich das Gericht methodisch im Einklang mit den Entscheidungsgründen von AM&S. Denn – was auch immer die wirklichen Gründe gewesen sein mögen – auch das AM&S27
Akzo Nobel (o. Fußn. 7), Rdnrn. 125–129. Creifelds, Rechtswörterbuch, 19. Aufl. (2007), „Syndikusanwalt“; Koch/Kilian, Anwaltliches Berufsrecht, 2007, S. 185 ff. Rdnrn. 682 ff. 29 Akzo Nobel (o. Fußn. 3), Rdnr. 179. 30 Akzo Nobel (o. Fußn. 3), Rdnr. 169. 28
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Gericht beruft sich in erster Linie auf einen in den Mitgliedstaaten aufzufindenden allgemeinen Rechtsgrundsatz.31 Freilich sticht ins Auge, dass das EuG in Akzo Nobel einen solchen rechtsvergleichenden Rekurs nur beim LPP für Syndikusanwälte, aber weder für seine Weiterentwicklung des Verfahrensrechts 32 noch bei der Ausweitung des inhaltlichen Schutzumfanges von LPP 33 für notwendig erachtet hat. (2) Als zweites überprüft das Gericht, ob die Reform des europäischen Wettbewerbsrechts seit der AM&S-Entscheidung eine Neuorientierung auch des formalen Schutzumfanges erfordert. Dabei kommt es sehr schnell zu dem Ergebnis, die Entwicklung des materiellen Rechts habe keine Relevanz für das Problemfeld des LPP.34 Denn zum Einen könnten externe Anwälte die notwendige Versorgung der Unternehmen durchaus leisten 35; zum Zweiten habe sich die Rolle der internen Juristen seit AM&S nicht gewandelt.36 Wenn man Rolle und Aufgabenerfüllung externer und interner Juristen solcherart gegeneinander hält, hätte bei der Musterung der Nebenintervenienten allerdings ein Umstand ins Auge fallen müssen: Nicht nur die Seite der Unternehmensjuristen ist dort vertreten, vielmehr hat die Rechtsanwaltschaft insgesamt vehement Partei ergriffen. Allein dieses Faktum belegt, dass es bei dem Legal Professional Privilege für Syndikusanwälte keinesfalls um ein Partikularinteresse geht, sondern um einen Kernbereich der Rechtsberatung für den Mandanten. Außerdem fällt auf, dass das Gericht nicht diese Gelegenheit wahrnimmt, den Grundsachverhalt anzusprechen. Der Grundsachverhalt, dass nämlich das LPP kein Privileg der Anwaltschaft sein kann, ist aus der Urteilsbegründung allenfalls zu vermuten. Wenn es sich eigentlich um eine Rechtsposition des Mandanten, also des von der Kommission jeweils überprüften Unternehmens handelt, hätten die verschiedentlichen Aussagen des Gerichts über Regel und Ausnahme im Nachprüfungsrecht der Kommission 37 doch auf ihre Konsequenzen näher überprüft werden müssen. Völlig unabhängig vom Inhalt und von der Reichweite des Parteivortrags hätte an dieser Stelle das Gericht aus seiner eigenen Kompetenz die Stellung der Kommission als rechtsverfolgende Behörde und die Verteidigungschancen des Unternehmens als Rechtsunterworfenem abwägend gegenüberstellen können. Ob die „notwendige Versorgung“ durch externe Anwälte wirklich sichergestellt ist und welche Rolle dem Syndikusanwalt vor dem Hintergrund des derzeitigen
31 32 33 34 35 36 37
AM&S (Fn. 4), Rdnr. 21. Siehe oben Abschnitt 2. Siehe oben Abschnitt 3. Akzo Nobel (o. Fußn. 3), Rdnr. 172. Gerade hierzu meldet McDougall (o. Fußn. 11) begründete Zweifel an. Akzo Nobel (o. Fußn. 3), Rdnr. 173. Akzo Nobel (o. Fußn. 3), Rdnrn. 124, 172.
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materiellen europäischen Wettbewerbsrechts zukommt, wäre dabei im Einzelnen darzulegen gewesen. Dass normativ ein Regel-Ausnahme-Verhältnis besteht und das LPP folglich eng verstanden werden muss, bietet einen lediglich formalen Grund, der die inhaltliche Entscheidung zugunsten der Regel schon voraussetzt. Solche Äußerungen des Gerichts lassen sich leicht als Parteinahme für die Verfolgungsinteressen der Kommission lesen. (3) Die dritte Argumentationslinie folgt einer möglichen Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes. Hierzu beruft sich das Gericht schlicht auf die Pflicht, nur Gleiches gleich behandeln zu müssen. Die Unternehmensjuristen seien aber infolge ihrer strukturellen, hierarchischen und funktionalen Eingliederung in das Unternehmen etwas völlig anderes als externe Anwälte.38 Damit macht es sich das Gericht einfach. Drängt sich doch die Frage auf, was genau an der strukturellen, hierarchischen und funktionalen Eingliederung – dem Anstellungsverhältnis also – ausschlaggebend sein könnte für die behauptete unterschiedliche Rechtsposition. Die bereits vom AM&S-Gericht benutzte Formel, es gehe um die anwaltliche Rolle bei der Mitgestaltung der Rechtspflege („the lawyer’s role as collaborating in the administration of justice by the courts“) 39 lässt allenfalls vermuten, was gemeint sein könnte. Etwas deutlicher ist die Bezugnahme beider Gerichte auf die anwaltliche Unabhängigkeit.40 Entgegen dem Anschein benutzt übrigens das AM&SGericht die Begrifflichkeit der strukturellen, hierarchischen und funktionalen Eingliederung nicht. Sie wird in Akzo Nobel quasi als Gegenmodell zum Anspruch einer vollständigen Unabhängigkeit eingeführt, bleibt aber Leerformel. Denn das Gericht lässt rechtliche Aspekte ausdrücklich nicht gelten, die dem niedergelassenen Anwalt und dem Syndikusanwalt gemeinsam sind. Der entscheidende Aspekt dieser Art ist die Bindung beider an denselben Pflichtenkreis, der eben aus ihrer anwaltlichen Zulassung resultiert. AM&S hatte hierauf unter dem Stichwort „rules of professional ethics and discipline“ explizit Bezug genommen;41 damit war ein Anknüpfungspunkt für das, was Unabhängigkeit bedeuten könnte, wenigstens benannt. Auch das EuG erwähnt den Ethik Kodex; aber dies geschieht an anderer Stelle 42 und nicht im Zusammenhang der Gleichbehandlungspflicht. In diesem Zusammenhang hat es mit der schlichten Erwähnung formaler Unterschiede sein Bewenden. Die Wiederaufnahme des Themas wurde bereits an einer früheren Stelle der Begründung ausdrücklich unter Berufung auf AM&S sowie das 38
Akzo Nobel (o. Fußn. 3), Rdnr. 174. AM&S (o. Fußn. 4), Rdnr. 24. 40 „In full independence“ AM&S (o. Fußn. 4), Rdnr. 24; Akzo Nobel (o. Fußn. 3), Rdnr. 166. 41 AM&S (o. Fußn. 4), Rdnr. 24. 42 Akzo Nobel (o. Fußn. 3), Rdnr. 167. 39
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damalige Plädoyer des Generalanwaltes Gordon Slynn abgelehnt.43 und auch hier am passenden methodischen Anknüpfungspunkt nicht gewagt. Vielleicht wollte das Gericht diese Überprüfung von AM&S deshalb vermeiden, weil sie zu dem Eingeständnis hätte führen müssen, dass das Anstellungsverhältnis allenfalls eine formale Abgrenzung erlaubt. Sie trägt eine unterschiedliche rechtliche Behandlung der Rechtsberater nicht – insbesondere dann nicht, wenn die Angestellten zugleich als Anwälte zugelassen sind. Diesem Dilemma der falschen Abgrenzung („Anstellung“ statt „Zulassung“) sind die europäischen Gerichte so lange ausgesetzt, wie eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Frage unterbleibt, was an der Anstellung – oder in der Begrifflichkeit des Akzo Nobel-Gerichts: an der strukturellen, hierarchischen und funktionalen Eingliederung – denn so nachteilig sein mag, dass es die durch eine Zulassung begründete völlig gleiche Pflichtenstellung der Anwälte quasi aufhebt. Hier hätte z.B. eine vergleichende Untersuchung von einerseits Mandatsvertrag und andererseits Anstellungsvertrag weiterführen können. Vielleicht ließen sich dabei Gesichtspunkte aufspüren, die den externen Rechtsanwalt für die Rolle der Mitgestaltung der Rechtspflege („role of collaborating in the administration of justice by the courts“) als tauglicher erweisen als den internen Rechtsanwalt. Es sei an dieser Stelle vorsorglich bezweifelt. Mangels jeder Art von inhaltlicher Überprüfung bleibt folglich auch unklar, in welcher Beziehung denn die (Gleichartigkeit bzw.) Andersartigkeit der angestellten Anwälte zu bemessen und zu bewerten sei: im Blick (abstrakt) auf die Aufgaben der Rechtspflege oder auf die Rolle des Anwaltes in seiner Funktion als Rechtsberater oder auf das Durchsetzungsinteresse der Kommission oder gar auf das Schutzbedürfnis der Unternehmen als Mandanten bzw. als Rechtsunterworfene. Dass das Gericht in der Sache Akzo Nobel sich dieser inhaltlichen Auseinandersetzung nicht stellt, verblüfft deshalb besonders, weil der EuG-Präsident in einer der einstweiligen Verfügungen noch den Eindruck erweckt hatte, angesichts der von den Klägern vorgetragenen Gesichtspunkte sei nun die Gelegenheit für eine materielle Überprüfung des AM&S-Urteils gekommen.44 In der Entscheidung zur Hauptsache bleibt es dann jedoch bei dem Hinweis, das AM&S-Urteil gelte noch; AM&S habe mit dem Kriterium des Anstellungsverhältnisses lediglich eine negative Abgrenzung vorgenommen und sich im Übrigen die Sache schon sehr gut überlegt gehabt.45 Warum sich das EuG zwar im Bereich der Verfahrensregeln und des Dokumentenschutzes, nicht aber hier auf die materiellen Rechtspositionen der Beteiligten einlässt, bleibt auch methodisch eine Ungereimtheit. 43 44 45
Akzo Nobel (o. Fußn. 3), Rdnr. 167. Akzo Nobel (o. Fußn. 7). Akzo Nobel (o. Fußn. 3), Rdnr. 167.
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In diesem Abschnitt seiner Entscheidung geht das Gericht am Rande auf die Argumentation der Nebenintervenientin ACCA ein. Die ACCA hatte geltend gemacht, die AM&S-Entscheidung diskriminiere ausdrücklich 46 Rechtsanwälte, die nicht in der EU zugelassen sind; damit sei der Gleichbehandlungsgrundsatz auch unter den Aspekten der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit verletzt. Die Beschwer von Unternehmen, die sich innerhalb der EU von in den USA zugelassenen Anwälten beraten lassen – unabhängig davon, ob diese im Unternehmen selbst (inhouse counsel) oder außerhalb tätig sind (outside counsel) – ist augenscheinlich. Das EuG weist diese Argumentation knapp als nicht zur Sache gehörig zurück und vergibt damit eine weitere Chance für eine über das Formalkriterium „Anstellungsvertrag“ hinausreichende Diskussion. Denn auch in diesem Beschwerdepunkt wäre eine inhaltliche Befassung mit dem tatsächlichen Schutzbedürfnis der von einer Überprüfungsmaßnahme der Kommission Betroffenen bzw. – weiter noch – aller Akteure im europäischen Wettbewerbsrecht als naheliegend erschienen. Das aber hätte vorausgesetzt, dass sich das Gericht nicht nur nationalen Rechten innerhalb der EU, sondern rechtsvergleichenden Überlegungen jenseits der EU-Grenzen öffnet. Dies wäre vielleicht gerade hier besonders fruchtbar gewesen, weil die USA nicht allein ein modernes, ausgeformtes anwaltliches Berufsrecht sondern auch ein wirksames (Bundes-)Wettbewerbsrecht aufweisen. (4) An vierter Stelle geht es um die Berufung von Klägern und Nebenintervenienten auf die Entscheidung in der Sache Interporc.47 Diese Entscheidung anerkennt die Vertraulichkeit der Korrespondenz zwischen der Kommission und den Mitgliedern ihres Rechtsdienstes; das professional privilege for lawyers wird dabei ausdrücklich erwähnt.48 Nach Meinung des Gerichts steht es dem in der Klage geforderten Zugang der Öffentlichkeit zu internen Dokumenten entgegen.49 Da das Akzo Nobel-Gericht seine Begründung so stark auf das europäische Fallrecht stützt, hat es sich natürlich mit einem Urteil auseinander zu setzen, welches AM&S relativieren könnte; trotz aller methodischen Konsequenz ist gerade Interporc dafür allerdings nur mittelbar geeignet. Denn für eine Anwendung dieses Urteils hätten die Voraussetzungen einer effizienten (unternehmens- wie auch behördeninternen) Rechtsberatung sehr viel weitergehend hinterfragt werden müssen. Diesen Schritt wollte das Gericht offenbar für die Unternehmensjuristen – oder auch nur eingeschränkt für die Syndikusanwälte – weder bei den übrigen Argumenten noch gar bei diesem Präjudiz gehen.
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AM&S (o. Fußn. 4), Rdnr. 25. Akzo Nobel (o. Fußn. 3), Rdnr. 175. Interporc (o. Fußn. 5), Rdnr. 41. Interporc (o. Fußn. 5), Rdnr. 42.
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(5) Schließlich wird auch der fünfte Vorschlag, nämlich die Anwendung des jeweiligen nationalen Rechts zuzulassen, vom Gericht zurückgewiesen. Dies geschieht letztlich wieder unter Berufung auf geltendes Fallrecht, hat hier aber einen speziellen Zungenschlag. An dieser Stelle der Begründung bleiben nämlich alle methodischen Erwägungen rechtsvergleichender Art ganz außen vor. Sie werden ersetzt durch methodische Erwägungen der Rechtsdurchsetzung der Kommission.50 Das Gericht zieht sich – insgesamt gesehen in diesem Punkt vielleicht sinnvollerweise – auf die Einheitlichkeit des europäischen Wettbewerbs(Verfahrens-)rechts zurück: Die Kommission sei zur Umsetzung des gemeinsamen Marktes verpflichtet, und die Mühen der europäischen Gerichte, das Konzept der Gemeinschaft und die einheitliche Anwendung der Befugnisse der Kommission herauszubilden, sollten nicht vergebens gewesen sein.51 Im Ergebnis ist dies eine sachliche und nachvollziehbare Begründung. Doch ist das EuG nicht bereit zu anzuerkennen, welches Dilemma, um nicht zu sagen welche Notlage, die Kläger und Nebenintervenienten im Interesse aller betroffenen Unternehmen veranlassen mochte, eine solche Lösung überhaupt vorzuschlagen. Eine Auseinandersetzung des Gerichts mit dem Verhältnis zwischen der Durchsetzungskompetenz der Kommission einerseits und der Dezentralisierung andererseits, die mit der Reformation des europäischen Wettbewerbsrechts im Jahre 2003 einhergeht, hätte an dieser Stelle vielleicht zu weit geführt. Aber dieser Antrag, der unbefriedigenden (gesamt)europäischen Rechtslage eine Form der Rechtszersplitterung vorzuziehen, hätte zumindest Anlass sein müssen, auf die tatsächliche Situation der Verfahrensbeteiligten spätestens in diesem Punkt sehr viel näher einzugehen. b) Am Ende seiner materiellen Entscheidungsgründe befasst sich das Gericht sehr knapp mit der als drittem Klagepunkt geltend gemachten Verletzung von denjenigen Grundrechten („ fundamental rights“), welche die Basis des LPP ausmachen.52 Diesen Klagepunkt weist es als unsubstantiiert zurück. Bereits im Sachverhaltsabschnitt des Urteils wird auf dieses Vorbringen nicht eingegangen, und das Gericht erwähnt in der Begründung lediglich, dass dieser Punkt mit denselben Argumenten dargetan worden sei wie die anderen.53 Immerhin lassen die wiedergegebenen Stichworte erkennen, dass hier nicht ein Recht der Anwaltschaft, sondern das Recht der Unternehmen selbst in Rede stehen muss. Zu deren Rechtsposition hat das EuG in dem Entscheidungsteil, der sich mit der inhaltlichen Schutzwürdigkeit bestimmter Schriftstücke befasst, Einzelheiten ausgeführt 54 und daraus recht weit50 51 52 53 54
Akzo Nobel (o. Fußn. 3), Rdnr. 176. Akzo Nobel (o. Fußn. 3), Rdnr. 176. Akzo Nobel (o. Fußn. 3), Rdnrn. 181 ff. Akzo Nobel (o. Fußn. 3), Rdnr. 182. Siehe oben Abschnitt 3.
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gehende Konsequenzen gezogen. Aber eine solchen Erwägungen methodisch vergleichbare Überprüfung und Bewertung der Korrespondenz zwischen dem Unternehmen und seinen Syndikusanwälten findet nicht statt. (c) In den die Syndikusanwälte betreffenden Entscheidungsgründen werden somit bestimmte Erwägungen förmlich abgeschnitten, obwohl nach den dazu geltend gemachten Argumenten eine vertiefte Erörterung unausweichlich scheint. Der Vergleich aller fünf Argumentationspunkte und ihrer Erledigung zeigt sodann, dass der Grund für dieses Manko – nicht in der systematischen Abhandlung aller Aufgreifaspekte, sondern – gerade in ihrer methodisch strikten Trennung liegt. Das Gericht unterlässt es nämlich, die Aspekte inhaltlich so miteinander zu verknüpfen, dass die jeweilige methodenreine Erörterung auch zu einer vertieften Begründung führen muss. Dieser Umstand wird am deutlichsten in den Ausführungen zum dritten Klagantrag, der Verletzung von „fundamental rights“: “The Court considers that this third plea cannot be considered to be independent from the two pleas examined earlier. In fact the applicants’ claim that fundamental rights were infringed is not based on grounds of complaint different from those made to establish the alleged infringement of the principle of protection of LPP. However, those complaints have already been analysed in the context of the first and second pleas in this case.” 55 Unbeabsichtigt erweckt das Gericht hier den Eindruck einer gewissen Hilflosigkeit. Denn in der Tat hängen alle Klagepunkte bzw. ihre Begründungen eng miteinander zusammen. Das Gericht ist diesem Zusammenhang, der selbstverständlich im Schutz für das Unternehmen liegen muss, aber nicht nachgegangen; es hat sich durch eine formalistische Methodik jeweils auf Pfade begeben, die aus dem Kern des Problems hinausführen. d) Bei den erörterten fünf Argumenten und dem Klagantrag wegen Grundrechtsverletzung handelt es sich um einen wohl erschöpfenden Katalog rechtlicher Anknüpfungspunkte für eine Entscheidung der europäischen Gerichte – jedenfalls in solchen Fällen, in denen keine klassische Auslegung von Rechtsnormen möglich ist. Dieser Katalog von Methoden führt besonders anschaulich das Instrumentarium eines Gerichtes vor Augen, dessen Aufgabe und erklärtes Ziel es ist, im Sinne einer Rechtsfortbildung „nach der für das konkrete Problem ‚besten‘ und ‚zweckmäßigsten‘ Lösung zu suchen“.56 Das Erstaunliche an dem hier in Abschnitt 4 kommentierten Teil der Entscheidung ist allein der Umstand, dass das Gericht trotz aller Methodenvielfalt nicht von der Leerformel „Anstellungsverhältnis“ zum Kern des Problems
55
Akzo Nobel (o. Fußn. 3), Rdnr. 182. Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, aus der Sicht eines Richters, in: Begegnung von Justiz und Hochschule, 1976, S. I-30 unter B.b). 56
Legal Professional Privilege: Anmerkungen zu Akzo Nobel
351
vordringt. Dies ist deshalb erstaunlich, weil es in den beiden anderen Begründungsteilen keinerlei Mühe hat, ohne Rechtsvergleichung und ohne wirkliche Stütze im Fallrecht sowie ohne Grundrechtserwägungen diesen Kern, nämlich die Effizienz des Rechtsschutzes bei Unternehmen, direkt anzusprechen. Paradoxerweise verbinden sich somit methodische Breite und fehlende Tiefe der Auseinandersetzung. Das von Kutscher formulierte Ziel zu erreichen, ist demnach hier wohl nur in Teilen geglückt und bedarf hinsichtlich des LPP der Syndikusanwälte einer nochmaligen und eingehenderen methodischen Anstrengung. Gerade in rechtsvergleichender Hinsicht geht es aber sicherlich etwas zu weit, das Akzo Nobel-Urteil von 2007 deshalb zur „worst decision in legal history“ zu nominieren.57
57
McDougall (o. Fußn. 11), im Titel.
“The Fight against Art-Laundering” Isabelle Roesle I. Introduction Illicit trade in cultural property was a well-known phenomenon already back in the days of antiquity. Never in the past, however, had the criminal trade in cultural property – which is nowadays mentioned in the same breath as illicit drug trade or weapons trade – assumed the dimensions that it has achieved during the past decades. The continually increasing demand for art objects, more efficient transport systems and open borders have led to illegal art trade, in particular, developing into a lucrative business and to its being taken over, all too often, by organized crime. No one knows, of course, how many art works make their way into illicit trade. The turnovers in illegal art trade, however, are estimated at several billion US dollars per year. The method of proceeding on the illegal art market is similar to that in the case of money laundering: cultural property of criminal original, too, must be “laundered”.1 In connection therewith, the property changes hand numerous times in order to obstruct the establishment of provenance, the identification or the confiscation of the property 2 before it surfaces again one day in museums, galleries, collections and international exhibitions or unfathomably vanishes into thin air forever. For this reason, one also speaks of “art laundering” in connection with the illicit trade in cultural property, by way of analogy to money laundering.3
II. The Consequences of Art Laundering Art laundering leads not only to the disappearance of many objects whose value is scarcely capable of being measured monetarily in view of their cultural and historical significance. At the same time, it also impairs the credibility of the players participating in art trade and the reputation of affected art trade markets. For this reason, countries with large art trade markets, in
1
Message UNESCO-Convention and CPTA, 540. Article 305bis of the Swiss Penal Code. 3 Müller-Chen, Markus, Die Crux mit dem Eigentum an Kunst, in: AJP 11 (2003), 1267–1279, 1268. 2
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particular, need effective instruments to combat art laundering and the negative impact on the art trade thereby entailed. The United States, England, France, Germany and Switzerland belong to the most significant art trade markets; they are not spared the illegal criminal activities of the illicit trade in cultural property. Using Switzerland as an example, this article will present the means that are used to combat art laundering.
III. Legal Basis for the Combat Against Art Laundering under Swiss Law 1. In General At the international level, an initial basis for the combat against art laundering was created in 1970, with the adoption of the UNESCO Convention on the Means of Prohibiting and Preventing the Illicit Import, Export and Transfer of Ownership of Cultural Property (UNESCO Convention 1970). This Convention is a State treaty that does not apply directly, whose effectiveness requires a statutory framework through the individual member States and that is intended to promote an increased awareness of responsibility in trade in cultural property through strict standards.
2. The Act on the International Transfer of Cultural Property (CPTA) With the Federal Act on the International Transfer of Cultural Property that entered into force on June 1, 2005 (Cultural Property Transfer Act; CPTA) and the corresponding implementing ordinance, the Swiss legislator implemented the UNESCO Convention 1970 into national law and thereby created an instrument to combat art laundering on the Swiss cultural property market. The duties of diligence represent a central element that is intended to stem the trade in cultural property and combat art laundering. Therefore, the players in the cultural property trade are forced to exhibit due diligence that permits the hindrance of illicit trade in cultural property.
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IV. The Duties of Diligence in Swiss Cultural Property Trade 1. The Scope of Applicability of the Diligence Duties a) Personal Scope The diligence obligations 4 apply to all persons active in the art trade and auctioning business, to the extent that such persons transfer cultural property in Switzerland.5 “Persons active in the art trade and auctioning business” are deemed to include natural persons resident in Switzerland as well as companies headquartered in Switzerland that are under a duty to register in the Commercial Register and, have gross earnings of at least 100,000 Swiss francs.6 The due diligence obligations further apply to natural persons domiciled abroad and companies headquartered abroad that are active in more than ten transactions with cultural property and sales in excess of 100,000 Swiss francs in one calendar year.7 It is irrelevant whether the person who is active in the art trade or auctioning business transfers the cultural property as owner or as intermediary.8 In each case, however, commercial trading in connection with the transfer is required, i.e., the cultural property must be acquired either for the purpose of resale, for one’s own account, or be acquired in trade for third party accounts.9 Antique dealers, gallery owners and art traders qualify without a doubt as persons active in the art trade. It is contested, however, whether private collectors also must be deemed to be persons active in the art trade. According to the Federal Office for Culture, the due diligence obligations “do not apply to the normal collecting activities of private persons.” 10 What is meant by “normal collecting activities”, however, is unclear. In the literature, opinions are divided as to whether art collectors must also observe the statutory due diligence obligations.11 In assessing the collecting activity, a distinction must be drawn based on whether the collector acts as seller or acquirer. If the collector acts as acquirer, he must fulfill the due diligence obligations in the case of acquisitions as well if he disposes over the corresponding market
4
Article 16 of the Cultural Property Transfer Act (CPTA). Article 16 of the Cultural Property Transfer Ordinance (CPTO). 6 Article 52 in conjunction with Article 54 of the Commercial Register Ordinance. 7 Article 1(e) clause 2 of the CPTO. 8 Gabus, Pierre / Renold, Marc-André, Commentaire LTBC, Geneva/Zurich/Basel 2006, Article 16 N 8. 9 Cf. Grell, Boris / Plutschow, Mathias, Sorgfaltspflichten gemäss Kulturgütertransfergesetz (KGTG), Zurich/Basel/Geneva 2005, 20. 10 Federal Office of Culture, Guide on the CPTA for the art trade, 2 (retrievable online at <www.bak.admin.ch>). 11 Cf., e.g., Grell / Plutschow, NZZ of May 30, 2005, 10. 5
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knowledge and expertise.12 If the collector, on the other hand, acts as the seller of cultural property, he must observe the due diligence obligations only to the extent that he is to be classified as a person active in the art trade or auctioning business.13 b) Territorial and Subject Matter Scope of Application From a territorial perspective, the Swiss due diligence obligations apply only if the transfer of the cultural property occurs in Switzerland.14 This means that foreign art dealers must also comply with these obligations to the extent that they engage in business in Switzerland. If the preparations for the transfer of the cultural property take place in Switzerland, but the transfer itself occurs abroad, the due diligence obligations do not apply.15 This results from the fact alone that, based on the Swiss legal view, Swiss law cannot apply to transactions engaged in abroad. In any case, however, the due diligence obligations must be taken into account only if the purchase price or, in the case of transactions for third party accounts, the estimated value of the cultural property to be transferred, amounts to at least 5,000.– Swiss francs.16
2. The General Due Diligence Obligations Cultural property may be transferred in the Swiss art trade and auctioning business only if the person transferring is entitled to assume, under the circumstances, that the cultural property was not stolen, not lost against the will of the owner, not illegally excavated and not illicitly exported and is therefore not of illicit origin.17 a) The “Transfer” under Article 16 of the CPTA One prerequisite for application of the due diligence obligations is therefore the “transfer” of cultural property. A “transfer” exists to the extent as there is a legal transaction against payment in the art trade or auctioning 12 Uhlmann, Felix / Mosimann, Peter / Müller-Chen, Markus, Privatrechtliche Bestimmungen des neuen KGTG, in: Jusletter of May 30, 2005 (retrievable online at ), 2. 13 Article 1 lit. 3 clause 1 and 2 of the CPTO. 14 Article 16 para. 1(b) of the CPTO. 15 Gabus / Renold, loc. cit., Article 2 N 96 and Article 15 N 11; the Federal Office of Culture, however, is of a different opinion and views the due diligence obligations as applicable even if the cultural property is merely offered for sale in Switzerland (FAQ – Art trade, 3, retrievable online at <www.bak.admin.ch>). 16 Article 16 para. 2 of the CPTO. 17 Article 16 para. 1 of the CPTA.
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business that transfers ownership of the cultural property to a person.18 This means that the statutory due diligence obligations must not be taken into account in connection with a gift or an inheritance, due to the lack of payment. Further, the transfer of an object within the scope of a rental, lease, deposit or pledge does not qualify as a “transfer” because the transfer of ownership is missing.19 The situation is different if the purpose of such a legal transaction is to circumvent the due diligence obligations and procures de facto ownership of the object to the third party, while the seller merely continues to dispose over a legal ownership shell.20 In any case, the due diligence obligations are to be taken into account only to the extent that the cultural property is transferred in Switzerland.21 The Act and Ordinance, however remain silent on the question of when a transfer that demonstrates points of contact with at least one other national legal system is deemed to have been consummated in Switzerland. If the purchase agreement for the cultural property was concluded in Switzerland, but the transfer of ownership is planned to take place abroad, it is to be assumed that the due diligence obligations must, notwithstanding, be observed. It is unclear why a seller who transfers the cultural property in a foreign country should be privileged, especially if the transfer was, under the circumstances, only shifted to a foreign country in order to circumvent the due diligence obligations. The due diligence obligations should be adhered to regardless of the place of the transfer if the act of transferring is carried out in Switzerland. In the opposite situation, where the purchase agreement for the cultural property is concluded abroad and the property is first transferred to the acquirer in Switzerland, the due diligence obligations are to be observed in connection with the transfer of possession as well. Otherwise, it would be a simple matter to circumvent the due diligence obligations by shifting the contractual relationship to a different State in which no corresponding rules must be observed. This would contradict the efforts to combat art laundering not only in Switzerland, but globally as well. b) Restrictions on the Transfer The transfer of cultural property is illicit if the cultural property was stolen or lost by the owner against his will, and the original owner may sue the new possessor for restitution of the property. Therefore, cultural property that was originally stolen, but that has in the meantime been acquired in good faith, may be transferred because the object is no longer deemed to have been stolen. 18 19 20 21
Article 1(f) of the CPTO. Gabus / Renold, loc. cit., Article 2 N 93; Grell / Plutschow, loc. cit., 28. Federal Department for Home Affairs, Report CPTO, 12 f. Article 16 para. 1(b) of the CPTO.
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Further, the transfer of cultural property is prohibited if the cultural property was illegally excavated or illicitly exported. The import of cultural property is deemed to be illicit if it breaches an agreement within the meaning of Article 7 or a measure in terms of Article 8 para. 1(a) of the CPTA.22 Thus, the transferring person is required to find out whether, in the case of foreign cultural property, a State treaty exists within the meaning of Article 7 of the CPTA or whether the Swiss Federal Council has ordered temporary measures with respect to the relevant object. c) Taking into Account the Circumstances The transferring person may transfer the cultural property only if he “is permitted to assume, under the circumstances,” that he is not violating any of the prohibitions on transfer. He must exercise heightened due diligence in connection with the transfer of cultural property and cannot rely on his lack of knowledge as to the defect of title if he should have recognized the same in the exercise of the required due diligence.23 The knowledge that the transferring person must be held to is determined based on the availability of information, the value of the cultural property, the reasonableness of further clarifications as well as the results of searches already made and, accordingly, varies from case to case.24 The consultation of registers open to the general public such as, e.g., the internationally known Art Loss Register,25 however, should be expected of every seller.26 If the seller has taken all measures that can be expected of him and nonetheless continues to entertain suspicions with respect to the existence of a transfer prohibition, he is not permitted, under the circumstances, to assume that the transfer of the cultural property is legal. If the transferring person is convinced, however, of the permissibility of the transfer, the retention of all documents useful in clarifying this, such as evidence of ownership and provenance, authenticity certificates or professional valuations, is recommended, as is the written notation of information obtained orally. The absence of documents will not only arouse suspicion, but also, depending on the circumstances, lead to evidentiary problems of the transferring person who is under the obligation of furnishing proof.
22 23 24 25 26
107.
Article 2 para. 5 of the CPTA. Message UNESCO Convention and CPTA, 590. Grell / Plutschow, loc. cit., 29. Cf. The Art Loss Register (retrievable online at ). Cf. Weber, Marc, New Swiss Law on Cultural Property, in: IJCP 13 (2006), 99–113,
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d) Practical Questions and Implications The statutory due diligence obligations influence the international trade in cultural property and place high demands, in practice, on the players involved. aa. Consequences of Due Diligence Violations for the Buyer The position of the acquirer in good faith, who acquires cultural property that, without his knowledge, was stolen, lost against the will of the owner or illegally excavated or imported and is intended to be laundered through the sale to the acquirer, is particularly precarious. Namely, those persons who intentionally or negligently acquire cultural property that was stolen or lost against the will of the owner become liable to punishment.27 It is a prerequisite that the acquirer knew about the theft 28 or at least should have known of the theft 29, if he had exercised the required due diligence. According to the wording of the statute and the literature, this applies to everyone, even to persons who are not active in the art trade or auctioning business. bb. Transfer of Cultural Property by a Person Not Subject to Due Diligence Obligations Under the Act, only a limited set of persons is required to comply with the due diligence obligations.30 Nonetheless, anyone who intentionally or negligently sells cultural property that was stolen or lost against the will of the owner makes himself liable to punishment.31 In this manner, the constriction of the personal scope of applicability of the due diligence obligations is lifted in full. Because anyone who makes himself liable to punishment through the transfer of cultural property that was stolen or lost against the will of the owner will be indirectly forced to satisfy the obligations in terms of Article 16 para. 1 of the CPTA and decline to make the transfer, as the case may be. It is justified to expect compliance with the obligations in terms of Article 16 para. 1 of the CPTA from persons in the industry as well as experts and to impose on them a formidable standard of due diligence. The expansion of the personal scope of application of the obligations under Article 16 para. 1 of the CPTA to anyone who transfers cultural property, however, is contrary not only to the attempt to impose stricter standards only on the art trade and
27 28 29 30 31
Article 24 para. 1(a) and para. 2 of the CPTA. Article 24 para. 1 of the CPTA. Article 24 para. 2 of the CPTA. Cf. section IV.1.a. Article 24 para. 1 of the CPTA.
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auctioning business, but also appears to be an unreasonable measure for an individual acting privately that is carried much too far to excess. cc. Legal Remedy of the Purchaser in the Event of a Due Diligence Violation If the purchaser has acquired cultural property, the transfer of which was prohibited based on the CPTA, the valid acquisition does not collapse and the acquirer remains the legal owner of the newly acquired cultural property. Nonetheless, he may not resell the acquired cultural property; otherwise, he will make himself liable to punishment. Thus, the only possibility left for him is to retain his ownership without disposing of the property or to challenge the acquisition, provided that the statutory period 32 has not expired, based on a fundamental mistake 33 or intentional deception 34. Alternatively, if the acquirer withdrew the object from someone with a better entitlement, the acquirer has the possibility of bringing an action under warranty of title against the seller.35 In the case of an illicitly exported object, however, that can be reclaimed at any time by the State of provenance based on a State treaty,36 the purchaser can only bring an action under warranty of fitness,37 but cannot bring an action under warranty of title pursuant to Article 192 ff. of the Swiss Code of Obligations. The question of which legal remedy is most likely to help get the purchaser’s claim accepted must be clarified in the individual case. dd. Applicability of the Due Diligence Obligations in an International Context The due diligence obligations are to be taken into account primarily in connection with the conclusion of the agreement and, on a secondary basis, in connection with the transfer of possession. Despite this expanded scope of application of the due diligence obligations, constellations with a domestic contact exist that do not trigger taking into account the due diligence obligations.38 This applies, e.g., in the following situation: a Swiss art dealer concludes a purchase contract by phone with a London gallery for a work by Edgar Degas that is exhibited in the London gallery. The parties then agree 32
Article 31 of the CO. Article 24 para. 1 Ziff. 4 of the Swiss Code of Obligations (CO). 34 Article 28 of the CO. 35 Article 192 ff. of the CO; vgl. Foëx, loc. cit., 22. 36 Article 9 of the CPTA. 37 Article 197 ff. of the CO. 38 Cf. in this regard von Von Segesser, Georg / Jolles, Alexander, Switzerland’s New Federal Act on the International Transfer of Cultural Property, in: Art Antiquity and Law, Vol. X, Issue 2, June 2005, 181. 33
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that the art dealer will leave the picture with the gallery owner, as a loan,39 for six months from the date of purchase. It is true that the purchaser has become the owner based on a valid purchase agreement and based on the possession constitution that takes the place of the transfer of possession; however, because neither the legal transaction nor the act of transferring took place in Switzerland, the Swiss art dealer is not required to observe the due diligence obligations. On the other hand, if the gallery owner had promptly sent the object to the art dealer in Switzerland, the due diligence obligations would have applied because the act of transferring would have taken place in Switzerland in the form of the transfer of possession.
3. The Special Due Diligence Obligations The general due diligence obligations are supplemented by further-reaching special due diligence obligations.40 These apply primarily to persons active in the art trade and auctioning business and serve, on the one hand, to establish whether cultural property was stolen, was lost by the owner or was illegally excavated or exported.41 On the other hand, a duty to inform the customer is imposed. These further-reaching obligations will be discussed below. a) Duty to Identify and Obtain Declaration of Right to Dispose Persons active in the art trade or auctioning business are obligated to establish the identity of the supplier or seller in connection with the first contact.42 In the case of individuals and owners of sole proprietorships or firms, the last name, first name, date of birth, residential address and citizenship are to be recorded; in the case of legal entities and partnerships, the company name and address of domicile are to be recorded.43 In the event of later transfers by the same person, reference need only be made to the data that was originally recorded, provided that this data is confirmed by the seller or otherwise verified.44 If there are indications that place in question the accuracy of the information or of the relationship of trust built up in previous transactions, the information given must be reviewed based on a 39
Article 305 ff. of the CO. Article 16 para. 2 of the CPTA. 41 Röthlisberger, Regula, Die Informationspflichten nach Art. 16 Abs. 2 Bst. b KGTG. Privatrechtliche Aspekte, in: Jusletter of May 30, 2005 (retrievable online at ), 2. 42 Article 16 para. 2(a) of the CPTA in conjunction with Article 17 para. 3 of the CPTO; Gabus / Renold, loc. cit., Article 16 N 17, have expressed the opinion that the identification of either the supplier or the seller is sufficient. 43 Article 17 para. 1 of the CPTO. 44 Grell / Plutschow, loc. cit., 31. 40
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probative document.45 If a seller does not, under any circumstances, want to disclose his identity, he can readily commission a third party to carry out the sale in his own name.46 This circumvention of identification could be prevented if the beneficial owner had to be established in the case of doubt as to the actual entitlement of the person concluding the agreement, similar to the duty of identification applicable in the financial sector 47 under the Act on the Prevention of Money Laundering. Further, persons active in the art trade or auctioning business must, upon the transfer of cultural property, request a written declaration from the supplier or seller as to his right to dispose of the cultural property.48 The corresponding document must be signed by the seller or supplier.49 In this regard, the acquiring person is required to obtain the corresponding declaration only upon the conclusion of the agreement. A false declaration of the transferring person will prove to be the undoing not of the acquirer but rather, at most, of the seller.50 Generally, it must be assumed that neither the duty to identify nor the duty to obtain a declaration as to the right to dispose arises until the conclusion of a legal transaction with the supplier or seller for a sale or the commissioning for the transfer. Carrying out these duties at an earlier point in time does not appear meaningful because persons active in the art trade or auctioning business would be required to carry out the clarifications, which are in part cumbersome, in practice, even in cases in which no transaction is concluded. b) Duty to Inform about Existing Import or Export Regulations Persons active in the art trade or auctioning business are required to inform 51 their customers about existing import and export regulations of the Contracting States. In order to comply with this due diligence obligation, the expert must make inquiries about the current import and export regulations of all contracting States as well as under the State treaties concluded by Switzerland in this respect, and obtain corresponding information.52 If the informing person contacts the sources described above and informs his customers about the legal situation, to the extent determined, it is re45 Probative documents are deemed to include a passport, identity card and driver’s license, in original (Federal Office of Culture, FAQ – Art trade, 3, retrievable online at <www.bak.admin.ch>). 46 Cf. Gabus / Renold, loc. cit., Article 16 N 18. 47 Article 4 of the Swiss Act on Money Laundering. 48 Article 16 para. 2 lit. 1 of the CPTA. 49 Article 18 of the CPTO. 50 Grell / Plutschow, loc. cit., 34. 51 Article 16 para. 2(b) of the CPTA. 52 Cf. Röthlisberger, loc. cit., 3.
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commended that he set down the information communicated in writing and have the document signed by the customers. Namely, if the person required to inform is unable to subsequently prove that he has fulfilled his duty to inform, he might possibly be accused of a lack of diligence or a failure to make inquiries and risk having to bear the consequences under criminal law. c) Duty to Maintain Written Records Persons active in the art trade or auctioning business are further subject to the obligation under Article 16 para. 2(c) of the CPTA to maintain written records on the acquisition of cultural property and to specifically record the provenance of the cultural property, a description of the cultural property, the identity of the supplier or seller, the declaration as to the right to dispose, the date of the actual transfer as well as the purchase price or, in the case of transactions for the account of a third party, the estimated value of the cultural property. The fulfillment of this due diligence obligation is intended to permit one to retrace the tracks of cultural property that was illegally brought onto the market or was illegally imported.53 d) Duty to Provide Information to the Specialized Body In connection with the regulation of the Swiss transfer of cultural property, the “Specialized Body for the International Transfer of Cultural Property”, which is operated by the Federal Office of Culture, was established in Switzerland. According to Article 16 para. 2(d) of the CPTA, persons active in the art trade or auctioning business are required to provide to the specialized body all necessary information on fulfilling the duty of due diligence. This provision is for the purpose of making available to the specialized body all information that it needs to control adherence to the due diligence obligations and that permit it to retrace the tracks of art laundering that lead into Switzerland.54 e) Civil Law Consequences of Violating a Special Due Diligence Obligation A violation of one of the special due diligence obligations does not impair the validity of the legal transaction between the supplier or seller and the obligated person. This is justified, because the supplier or seller should not suffer the disadvantages resulting from invalidity of the legal transaction due to the illegal conduct of his contracting partner. Because the violation of a special due diligence obligation does not represent any defect in the cultural 53 54
Gabus / Renold, loc. cit., Article 16 N 25. Article 17 para. 1 and Article 18(i) of the CPTA.
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property sold, the seller does not have to fear any warranty claims on the part of the purchaser.55 f) Criminal Law Consequences of the Violation of a Special Due Diligence Obligation Anyone who disregards the special due diligence obligations, contrary to duty, may be punished with a fine of up to 20,000. – Swiss francs, provided that no higher penalties are provided for. In minor cases, however, the judge may refrain entirely from imposing a penalty.56
4. Adjustment of Civil Law Periods a) Problem Prior to the effective date of the CPTA, ownership of cultural property in Switzerland that was stolen or lost against the will of the owner could be acquired already after the lapse of ten years, provided that the acquirer was in good faith. In an international comparison, this period proved to be too short. With a prolongation of the periods to thirty years, for the acquisition by adverse possession as well as for the good faith acquisition, Switzerland adjusted its legislation to international standards. b) Period for Reclaiming Property under Article 934 para. 1bis of the Swiss Civil Code (“SCC”) aa. Rule The claim to restitution of the original owner, whose cultural property was lost against his will, is not time-barred in Switzerland, under Article 934 para. 1bis, one year after the owner learns of the whereabouts and the new possessor of the property, but no later than 30 years after the object was lost.57 The good faith 58 acquirer of cultural property is now definitely protected in Switzerland in terms of his ownership only 30 years after the property was lost.59 This does not mean, however, that the acquirer must produce evidence of thirty year’s uninterrupted good faith possession of the property.60 In-
55
Cf. Gabus/Renold, loc. cit., Article 32 N 5 and 42. Article 25 para. 3 of the CPTA. 57 Article 934 para. 1bis of the SCC. 58 Good faith under Article 3 of the SCC can, according to the Swiss Federal Tribunal, only be affirmed “if an idea as to a set of facts or a right is incorrect and this was not recognizable in the exercise of the required due diligence” (BGE 70 II 103, consid. 2). 59 Cf. in this regard Foëx, loc. cit., 24. 60 Müller-Chen, loc. cit., 1274. 56
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stead, it means that the current possessor must be in good faith at the time the period expires in order for his right to the property to be protected within the meaning of Article 714 para. 2 of the SCC. If the acquirer of the cultural property, however, was in bad faith already prior to the time-bar of the claim to restitution, his ownership of the property continues to not be protected, as before, and he may be sued for restitution at any time based on Article 936 para. 1 of the SCC.61 If the prior possessor was also in bad faith, however, the acquiter is not permitted to demand restitution of the cultural property from the new possessor. bb. Good Faith Acquisition of Swiss Cultural Property Abroad An interesting situation arises if Swiss cultural property is brought back again to Switzerland after a third party in good faith acquired ownership of the property abroad based on foreign law.62 According to the Swiss Code on Private International Law (CPIL), the acquisition of interests in movable property is subject to the law of the place where the property was located at the time of the acquisition.63 If the legal system at the place where Swiss property is located provides for the good faith acquisition of property, this will also be recognized in Switzerland. The originally authorized person loses his rights to the cultural property in question.64 c) Period for Acquisition by Adverse Possession under Article 728 para. 1ter of the SCC Now, anyone who holds in his own possession within the meaning of Article 2 para. 1 of the CPTA cultural property that qualifies for adverse possession for an uninterrupted period of thirty years and was always in good faith as to his entitlement to possession has acquired the object by adverse possession within the meaning of Article 728 para. 1ter of the SCC and has acquired original ownership. The ownership of the previously entitled party is destroyed, and all claims to restitution, if any, lapse. Cultural property that is registered in the Federal Registry or that is otherwise classified as cultural 61
Article 936 para. 2 of the SCC. Cf. Siehr, Kurt, Das Sachenrecht der Kulturgüter. Kulturgütertransfergesetz und das schweizerische Sachenrecht, in: Honsell, Heinrich / Portmann, Wolfgang / Zäch, Roger / Zobl, Dieter (Editors), Aktuelle Aspekte des Schuld- und Sachenrechts, FS für Heinz Rey zum 60. Geburtstag, Zurich/Basel/Geneva, 127–140, 135. 63 Article 100 para. 1 of the Code on Private International Law (CPIL). 64 However, if the foreign legal rule that applies is contrary to the Swiss public policy under Article 17 of the CPIL, the foreign provision may not be applied. Such a violation of Swiss public policy does not exist to the extent that the property can also be acquired in good faith in Switzerland, even if the periods provided therefore abroad are shorter (Siehr, loc. cit., 135). 62
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Isabelle Roesle
property that qualifies rex extra commercium, however, cannot be the object of adverse possession within the meaning of Article 728 para. 1ter of the SCC.65
5. Adjustment of the Commercial Warranty Periods Through the prolongation of the absolute period for adverse possession within the meaning of Article 728 para. 1ter of the SCC and of the time-bar period for the right to restitution under Article 934 para. 1bis of the SCC, the legislators granted heightened property law protection to the person with a better entitlement to the cultural property. The good faith purchaser who must hand over the cultural property to the person with a better entitlement should have the option, within the same time framework, of being able to assert warranty claims as a matter of commercial law against the seller of the cultural property. This rule, which is detrimental to the seller, is intended to diminish the attractiveness of the illicit trade in cultural property and motivate the sellers to make diligent clarifications in advance of the sale. For this reason, the periods for the assertion of claims for warranty of title and warranty of quality were adjusted. a. Period for Warranty of Title Claim Under Article 196a of the Swiss Code of Obligations (“CO”) The seller is basically obligated to procure for the purchaser unrestricted ownership of the purchased object.66 If a third party, however, deprives the purchase of the object, in whole or in part, based on a legal reason that already existed in connection with the conclusion of the agreement, and of which the purchaser was unaware, a defect in title exists.67 Because good faith acquisition precludes the eviction, an eviction only exists if the property is either stolen or lost against the will of the owner, and restitution of the property is demanded by the person with a better entitlement within 30 years 68 or if the original owner demands restitution of the property from an acquirer in bad faith based on the latter’s negligent lack of knowledge. In these cases, the purchased object has defective title. The purchaser may make a claim based on warranty of title.
65 66 67 68
Cf. Siehr, loc. cit., 132. Article 184 para. 1 of the CO. Article 192 para. 1 of the CO. Article 934 para. 1bis of the SCC.
“The Fight against Art-Laundering”
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b) Period for Warranty of Proper Quality under Article 210 para. 1bis of the CO The legislators prolonged not only the time-bar period in connection with the warranty as to title, but also prolonged the period for the assertion of a claim as to defective quality for cultural property. A defect of quality exists if the property lacks a characteristic that was promised or if it suffers from physical or legal defects that destroy or considerably lessen the value or fitness of the property for the contemplated use.69 Anyone who has purchased cultural property within the meaning of Article 2 para. 1 of the CPTA that has a defect of quality is permitted to sue the seller for warranty of proper quality within the meaning of Article 197 ff. of the CO during a one-year period following discovery of the defect, but no later than the expiration of the thirty-year period as from the conclusion of the agreement.70 Further, cultural property has a legal defect of quality if the cultural property was transferred in violation of the due diligence obligations within the meaning of Article 16 para. 1 of the CPTA.71 This is the case if the transferring person should have assumed, under the circumstances, that the cultural property was stolen, lost against the will of the owner or illegally excavated or imported.
V. Conclusion Switzerland is one of the most important and popular art dealing markets in the world. The most important art dealer firms as well as globally renowned, leading galleries are represented in Switzerland. In the wake of globalization, the international trade in cultural property is taking on new dimensions in terms of size, speed of transactions and different type of participants. With the adoption of the Cultural Property Transfer Act, Switzerland has succeeded in creating an instrument to satisfy international standards, ensure the “cleanliness” of the international trade in cultural property in the best manner possible and permit the effective combat of proscribed art laundering.
69 70 71
Article 195 para. 1 of the CO. Article 210 para. 1bis of the CO. Gabus / Renold, loc. cit., Article 32 N 41.
Kapitalmarktrecht – Principles-Based – oder Rules-Based Regulation? Uwe H. Schneider
„Mit dem Wissen kommt das Denken und mit dem Denken der Ernst und die Kraft in die Menge.“ Wilhelm von Humboldt Michael Gruson war ein Wanderer zwischen zwei Rechtskulturen, im amerikanischen Rechtskreis ebenso zu Hause wie im deutschen Recht, ein „pioneer in international law“ und ein gefragter Berater im Bank- und Kapitalmarktrecht, ein charismatischer Redner und als Anwalt klientenorientiert und zugleich wissenschaftlich interessiert. Der Erinnerung an diesen eindrucksvollen Juristen und wunderbaren Menschen sind diese Überlegungen gewidmet. Hätte man Michael Gruson die hier zu behandelnde Frage gestellt: Kapitalmarktrecht – Principles-based oder Rules-based Regulation, so hätte er nicht mit dem Hinweis abgewunken, das haben wir doch schon zweihundert Jahre, jedenfalls in allgemeiner Form diskutiert, sondern er hätte zunächst gefragt, was diese Frage für die Praxis bedeutet, und er hätte auf die unterschiedlichen Rechtstraditionen und Rechtserfahrungen in der Gesetzgebung, der Aufsicht und der Tagespraxis hingewiesen, er hätte auf die Besonderheiten im Kapitalmarktrecht gedeutet und auf die Folgen für den nationalen und internationalen Wettbewerb der Standorte und Systeme hingewiesen.
I. Nur eine anglo-amerikanische Diskussion? Worum geht es? Im anglo-amerikanischen Rechtskreis 1 gibt es seit einiger Zeit eine höchst kontroverse Diskussion über die Form der Rechtsetzung. Sie hat im Bilanzrecht 2 ihren Anfang genommen. Nach den unschönen Erfahrungen mit Bilanzmanipulationen wurde nicht nur nach den Ursachen ge1 Siehe anstelle vieler: Ford, American Business Law Journal, 45 (2008), 1 ff.; Black/Hopper/Band, Law and Financial Markets Review 2007, 191 ff.; Kaplow, Duke Law Journal 42 (1992), 557 ff. 2 Zur Diskussion in den USA: Gill, Principles-Based Accounting Principles, NCJInt’L L. & Com. Reg. 2003, 967.
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fragt, sondern auch überlegt, welche Folgerungen daraus zu ziehen sind. Gescholten wurde insbesondere das „cook-book-accounting“, also die Lückenhaftigkeit der Regelungen und die Umgehungsstrategien, also letztlich das „rules-based accounting“. Was bedeutet das? Worin zeigen sich die schweren Mängel des Rules-based Accounting? Hätten sich die Manipulationen durch ein Principles-based Accounting vermeiden lassen? Und handelt es sich um ein spezielles Problem des Bilanzrechts oder finden sich entsprechende Entwicklungen im Bank-, Börsen- und Kapitalmarktrecht? Dort lauten die Fragen: Wie kann man die Akzeptanz der Regelungen durch die Marktteilnehmer sicherstellen? Wie erreicht man, dass die Anforderungen der Aufsicht und die Interessen der Beaufsichtigten auf angemessene Weise ausbalanciert werden? Und auf welche Weise kann man mit den heutigen Regeln auch künftige Entwicklungen und Vermeidungsstrategien einfangen? Eine Illusion? Jedenfalls eine Herausforderung! Die Fragen erinnern an die Diskussionen deutscher Juristen im 18. und 19. Jahrhundert, die über die großen Kodifikationen handelten. Sollten sie juristisch-technisch ausgestaltet werden oder brauchte es einen Bürgerkathechismus? 3 Sollte die Prinzipienbildung der Wissenschaft und der Praxis überlassen bleiben 4 oder bedürfte es der Ausbildung von Prinzipien durch den Gesetzgeber, um zu einer umfassenden lückenlosen Regelung zu gelangen? 5 Diese kontroverse Diskussion soll hier im Blick behalten, aber nicht wiederholt werden. Die Fragen bleiben und sind aktuell. Dabei sollte man sich auch die jüngsten Entwicklungen vergegenwärtigen. In den USA ist eine Flucht aus dem Finanzplatz New York nach Europa, vor allem nach London, zu beobachten. Es geht um Geld, um sehr viel Geld. Im Jahr 2001 kontrollierten die USA – wie eine Studie von McKinsey aus dem Jahr 2006/2007 zeigt – 57 % des „globalstock-offering-volume“. In den ersten 10 Monaten des Jahres 2006 waren es noch 16 %! Der Anteil Europas wuchs im selben Zeitraum von 33 % auf 63 %6. Verantwortlich gemacht für diese Verlagerung werden neben anderen Ursachen die Unterschiede in Recht und Praxis der Aufsicht. So erklärte Clara Furse, Chief Executive Officer der London Stock Exchange, dass „London’s principle-based regime, rather than a more prescriptive rulesbased approach, continues to prove itself as a model that facilitates pro-competitive innovation in a tough but sensible regulatory environment. All the 3 Zu dieser Diskussion: Staudinger/Coing/Honsell, BGB, 2004, Einl. zum BGB, Rdnrn. 49 ff. 4 Kohler, Eine Stimme jenseits des Atlantischen Ozeans in der Kodifikationsfrage, Archiv für Bürgerliches Recht, 2 (1889) 5. 5 Zitelmann, Die Rechtsgeschäfte im Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, I. Teil, 1889, S. 1 ff. 6 Zitiert nach Anderson, New York Times vom 22.1.2007.
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important independent corporate governance surveys confirm that the U.K. is number one for corporate governance standards.“ 7 Wenn man dies liest, so überlegt man zweimal, ob die Grundaussage stimmt. Hat man nicht das englische Recht ganz anders gesehen und erlebt? Streicht man sodann von dieser Aussage die im Markt übliche MarketingKolorierung im Interesse des Finanzplatzes London ab, bleibt die Aussage, dass sich das „principle-based regime“ als überlegen erweise. Auch die Financial Services Authority – im Folgenden FSA – hat sich im Jahr 2005 in ihrem „Better Regulation Service Plan“ 8 und wiederholt in ihrem Business Plan 9 für 2007/2008 ausdrücklich zu einer „more principles-based regulation“ bekannt. Begründet wird dies von John Tiner 10, dem vormaligen Chief Executive der FSA, damit, Principles-based regulation führe zu „(1) A stronger probability that statutory outcomes are secured; (2) Lower cost; and (3) More stimulus to competition and innovation“. Erinnert sei freilich auch an gegenteilige Äußerungen. So hat der Beobachter noch die Klagen im Ohr, die im Zusammenhang mit der jüngsten Bankenkrise geäußert werden. Jetzt lautet der Vorwurf, die Bilanzierungsregeln seien viel zu unbestimmt. Sie seien lediglich an Prinzipien orientiert. Und deshalb wurde wiederum die Frage gestellt, ob das Bilanzrecht versagt hat. Fehlte es an hinreichend konkreten Normen, um die Risiken in den Jahresabschlüssen angemessen abzubilden? Wurden die Konsolidierungskreise zu wenig griffig bestimmt? Oder waren sie so definiert, dass die Grenzen der Konsolidierung zu leicht übersprungen werden konnten? Ist demgegenüber die Kritik von Hennrichs 11 berechtigt, der Versuch, alle Einzelheiten der Bilanzierung konkret erfassen zu wollen, um möglichst eindeutige Handlungsanweisungen zu geben, erinnerten an Don Quichotte. „Selbst ein noch so ausführlicher Text kann nicht wirklich abschließend und eindeutig gelingen. Wo Worte verwendet werden, stellen sich zwangsläufig Zweifelsfragen.“ Was nun? Principles-based oder Rules-based Regulation?
7
Furse, Financial Times, 17.9.2006, S. 19. Financial Services Authority, Better Regulation Action Plan: What we have done and what we are doing, 2005; zuletzt etwa FSA, Platforms and more Principles-based-regulation, März 2008, S. 5. 9 Der Begriff ist kennzeichnend für das Selbstverständnis der FSA. 10 Remarks at the S II Annual Conference: Better Regulation: Objective or Oxymoron, 9.5.2006, verfügbar unter: http://www.fsa.gov.uk/pages/library/communication/Speeches/ 2006/0509_jt.shtml. 11 Hennrichs, Status: Recht 2007, 312 (313); ders., Status: Recht 2008, 64. 8
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II. Was bedeutet Principles-based und Rules-based Regulation? Wer sich auf den Weg macht herauszufinden, was die Beteiligten unter Principles-based und Rules-based Regulation verstehen, findet zwar Hinweise auf die Bindungswirkung und wortreiche Lobpreisungen der Folgen des einen oder anderen Systems aber keine klare abstrakte Definition. Notwendig ist diese Definition nicht aus normativen Gründen, sondern damit man weiß, wovon hier gehandelt wird. In der Stellungnahme der FSA zur Principles-based Regulation heißt es nur: „Principle-based regulation means, where possible, moving away from dictating through detailed, prescriptive rules and supervisory actions how firms should operate their business. We want to give firms the responsibility to decide how best to align their business objectives and processes with the regulatory outcomes we have specified …“ 12. Soll das bedeuten, dass „Prinzipien“ nicht zwingend seien – im Gegensatz zu den „Rules“? Oder geht es nur um eingeschränkte Bindungswirkung? So heißt es bei der FSA auch, man werde auf die Einhaltung der Rules nicht dringen, wenn das unverhältnismäßig hohe Kosten verursache. Ist das die alte und jetzt wieder entdeckte de minimis-Regel oder handelt es sich um eine neue Schranke für die Anwendbarkeit von Regeln: Sie werden ausgesetzt, wenn die Befolgung zu hohe Kosten verursacht. Da wird man nachdenklich. Teilweise spricht man in Bildern und Beispielen. Eine „rule“ liege vor, wenn eine Regel laute: „Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 55 Meilen“. Dagegen würde ein „principle“ lauten: „Die Geschwindigkeit soll angemessen und den Umständen angepasst sein“ 12a. Im Verhältnis der FSA zur Finanzindustrie werden im Blick hierauf drei Elemente einer Principles-based-Regulation identifiziert: – broad based standards in preference to detailed rules; – outcomes-based regulation; – increasing senior management responsibility. Wenn man hiervon ausgeht, so liegt der Unterschied in der Formulierung des Tatbestands: Eine Rules-based Regulierung greift jeden Einzelfall auf, ist kasuistisch und hat daher im Tatbestand sehr konkrete Tatbestandsmerkmale. Eine Principles-based Regulierung enthält nur abstrakt-generell formulierte Grundsätze, die im Einzelfall konkretisiert werden müssen („Grundsatz der originären Prinzipien“). Der Rechtsanwender, der Bürger, die Gerichte und die Verwaltung sind aufgefordert, die Konkretisierung für jeden Einzelfall vorzunehmen: „Everybody is his own lawyer.“ Nur die Grenzen sind durch die Rechtsprechung festgelegt, wobei die Wissenschaft daraus
12 12a
Financial Services Authority, Principles-based regulation, April 2007, S. 4. Vgl. Black/Hopper/Band, Law and Financial Markets Review 2007, 191, 194.
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Fallgruppen bildet („Grundsatz der abgeleiteten Prinzipien“) 13. Eine solche abgeleitete Prinzipienbildung ist zwar hilfreich und deckt Regelungswidersprüche und Zielkonflikte auf. Lücken können in der kasuistischen gesetzlichen Regelung im Wege der Analogie geschlossen werden. Vorausgesetzt ist aber, dass im konkreten Fall eine Regelungslücke besteht.
III. Vor- oder Nachteile? Normative Anorexia nervosa oder adipöse Gesetzgebung Versucht man die Vor- und Nachteile der jeweiligen Regelungsform, nämlich einer Principles-based oder Rules-based Regulation, abzugreifen, so zeigt sich, dass in jeder Aussage zugleich ihr Gegenteil ruht 14. Deshalb ist die Aussage, Principles-based Regulation hätte „better and more effective outcomes“ 15, nicht wirklich überzeugend. Rechtsprinzipien sind klar und einfach, überschaubar und vielfach verständlich. Kein Wunder, dass solche Regeln auch der Wunschvorstellung von Thibaut entsprachen: „Man kann und muss an jede Gesetzgebung zwei Forderungen machen: dass sie formel und materiel vollkommen sei; also dass sie ihre Bestimmungen klar, unzweideutig und erschöpfend aufstelle, und dass sie die bürgerlichen Einrichtungen weise und zweckmäßig, ganz nach den Bedürfnissen bei Unterthanen anordne.“ 16 Richtig ist zudem, dass durch Rechtsprinzipien auch künftige Entwicklungen eingefangen werden und nicht ein ständiger Wettlauf zwischen Norm und Wirklichkeit stattfindet; denn weil im Gegensatz dazu kasuistische Regelungen künftige Entwicklungen nicht vorweg nehmen, ist der Normgeber bei einer Rules-based Regulierung ständig dabei, die neuen Sachverhalte einzufangen. Ein zweiter Blick zeigt freilich auch, dass Rechtsprinzipien und die damit verbundenen unbestimmten Rechtsbegriffe der Konkretisierung bedürfen. Und dies wiederum führt zur schrittweisen Bildung von Fallgruppen, was keineswegs zur Vereinfachung der Rechtsanwendung führt. Demnach lassen sich zwei Entwicklungsstufen unterscheiden. In der ersten Phase ist lediglich das Rechtsprinzip formuliert. Es bestehen Unsicherheiten bei der Aus13 Siehe dazu Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, 1996, S. 23 ff. Das Buch von Bydlinski enthält im Anhang eine Prinzipienliste des gesamten Privatrechts und der einzelnen Privatrechtsmaterien. 14 Siehe auch Baetge/Zülch, Rechnungslegungsgrundsätze nach HGB und IFRS, in: Handbuch des Jahresabschlusses, Abt. I/2, 2006, Rdnrn. 303 ff.; Hennrichs, Status: Recht 2008, 64. 15 Financial Services Authority, Principles-based regulation, 2007, S. 2. 16 Thibaut, Über die Notwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland; wieder abgedr. in: Thibaut’s civilistischen Abhandlungen, 1814, S. 404 ff.
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legung und es herrscht Kampf mit den Grenzfällen. In der zweiten Phase haben sich durch Ausführungsverordnungen, Richtlinien, durch die Rechtsprechung, durch Erfahrungen in der Rechtspraxis und Kommentare Fallgruppen herausgebildet, so das sich ein kasuistisches Recht entwickeln konnte. Die Bewertung von John Tiner 17, Principles würden zu „lower costs“ führen, ist nicht nachvollziehbar. Kasuistische Regelungen schaffen zwar von Anfang im Einzelfall Rechtssicherheit. Bildhaft heißt dies für den Anwender im amerikanischen Bilanzrecht: „cook-book-accounting“. Sie führen aber zu einer unerfreulichen Regelungsfülle und Regelungsdichte. Exemplarisch für eine solche kasuistische Regelung steht etwa im elften Titel § 90f des Preußischen Allgemeinen Landrechts: „Bey einem auch in Pausch und Bogen verkauften Kramladen, sind dennoch die Waarenvorräthe, im zweifelhaften Falle, nicht für mitverkauft anzusehen. Dagegen werden zu einer solcher Gestalt verkauften Bibliothek oder Naturaliensammlung auch Bildsäulen und andere Sachen, die bisher zur Auszierung der Bücherschränke und Naturalienbehältnisse gebraucht worden, mit gerechnet.“ Diese Definitionsnorm sorgt in einem ganz konkreten Fall für Sicherheit. Aber ängstliche Kasuistik sucht verzweifelt nach Vollständigkeit und sie führt dazu, dass das Gesetz im Ergebnis auf nahezu 22.000 Paragraphen anwächst. Die Anwendbarkeit der einzelnen Normen ist im konkreten Fall voraussehbar. Daher erleichtern kasuistische Regelungen auch die Rechtsberatung. Sie erlauben andererseits Vermeidungsstrategien, sie fördern die Lückenjäger („loophole chasing“), die sich am Wortlaut einer Norm entlang hangeln und versuchen, die Rechtsfolgen zu vermeiden. Das gilt nicht nur im Steuerrecht, im Kartellrecht, im Bilanzrecht, sondern das gilt heute in nahezu allen Rechtsbereichen 17a. Kasuistische Regelungen zwingen daher in die Prinzipienbildung, wenn nicht ein paternalistisches System jede Rechtsfortbildung, ja sogar eine Auslegung, die sich am Wortlaut reibt, verbietet.18 Allgemein formuliert: Auch bei der Rules-based Regulierung lassen sich zwei Phasen unterscheiden: In der ersten Phase gibt es, man möchte beinahe sagen naturgemäß, eine Fülle von Einzelfallregelungen. Daraus werden dann in der zweiten Phase Rechtsprinzipien abgeleitet („Grundsatz der abgeleiteten Prinzipien“). Sie ermöglichen auch Sachverhalte, die von den Einzelfallregelungen nicht eingefangen sind, zu ordnen.
17 Tiner, in: Remarks at the S II Annual Conference: Better Regulation: Objective or Oxymoron, 9.5.2006, verfügbar unter: http://www.fsa.gov.uk/pages/library/communication/ Speeches/2006/0509_jt.shtml. 17a Uwe H. Schneider/Anzinger, Umgehung und mißbräuchliche Gestaltung im Kapitalmarktrecht, ZIP 2009 (im Druck). 18 So für das Preußische Allgemeine Landrecht: Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1967, S. 332.
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Kasuistische Regelungen sichern daher nur langfristig eine Gleichbehandlung der Fallgestaltungen. Wer nur den Wortlaut betrachtet, stellt aber fest, dass jedenfalls beim Fehlen von abgeleiteten Rechtsprinzipien eine materielle Gleichbehandlung von Sachverhalten nicht erreicht wird; denn vergleichbare Sachverhalte werden ungleich behandelt, wenn sie vom Wortlaut nicht erfasst sind. Kasuistische Regelungen sollen endlich „demokratischer“ sein; denn sie zwingen den Gesetzgeber, Farbe zu bekennen, also auch den Einzelfall in den Blick zu nehmen. Sie verbieten die Flucht in die Verantwortungslosigkeit. Wer ist schon gegen unlautere Werbung? Niemand. Das Problem heißt doch für den Anwender: Was ist unlautere Werbung? Was ist das Ergebnis? Jede Form der Regulierung hat ihre Vorzüge und ihre Nachteile. Die Aufgabe des Gesetzgebers ist es, die Vorzüge miteinander zu verknüpfen und die jeweiligen Nachteile zu vermeiden. Eine schlanke Gesetzgebung darf nicht magersüchtig sein. Normative Anorexia nervosa ist ebenso wenig gesund wie eine adipöse Gesetzgebung. Letztere bedarf der Abmagerung. Deregulierung kann daher auch zweierlei bedeuten, nämlich einerseits die Aufgabe von normativen Prinzipien und andererseits die Rückführung von kasuistischen Regelungen auf Prinzipien. Beides wird als Deregulierung bezeichnet – und ist doch so unterschiedlich.
IV. Was bedeutet das für das Kapitalmarktrecht? Das Kapitalmarktrecht ist heute in weiten Bereichen eine Mischung einer Principles-based und einer Rules-based Regulation. Das ist auch in Großbritannien nicht anders. Anspruch und Wirklichkeit fallen weit auseinander. Wer sich die vor allem am Finanzplatz London gelobten Principles der Aufsicht ansieht, ist durch ihre Stringenz gewiss nicht beeindruckt. Sie enthalten manche Selbstverständlichkeiten. Das mag der Leser aber besser selbst beurteilen: A firm must conduct its business with integrity. A firm must conduct its business with due skill, care and diligence. A firm must take reasonable care to organise and control its affairs responsibly and effectively, with adequate risk management systems. A firm must maintain adequate financial resources. A firm must observe proper standards of market conduct. A firm must pay due regard to the interests of its customers and treat them fairly. A firm must pay due regard to the information needs of its clients, and communicate information to them in a way which is clear, fair and not misleading. A firm must manage conflicts of interest fairly, both between itself and its customers and between a customer and another client.
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A firm must take reasonable care to ensure the suitability of its advice and discretionary decisions for any customer who is entitled to rely upon its judgement. A firm must arrange adequate protection for clients’ assets when it is responsible for them. A firm must deal with its regulators in an open co-operative way, and must disclose to the FSA appropriately anything relating to the firm of which the FSA would reasonably expect notice. Diese Prinzipien sind so allgemein gehalten, dass man in der täglichen Praxis der Aufsicht gewiss nicht weit kommt. Und deshalb verwundert es nicht, dass die Principles in einem Rule-Book mit 8.500 Seiten (!) konkretisiert werden. Was in diesem Rule-Book niedergelegt ist, wird ständig überarbeitet, fortgeschrieben und an die Entwicklungen in der Praxis angepasst. Das schafft Rechtssicherheit. Und deshalb heißt es: “We will never get away from detailed rules entirely and believe they have an important continuing role in certain aspects of our regime.“ 19 Ist das im deutschen Kapitalmarktrecht anders? Zunächst sollte man sich vor Augen führen, dass das Kapitalmarktrecht ein Querschnittsrecht ist. Es ist nicht nur Aufsichtsrecht, sondern auch Privatrecht und Strafrecht, Bilanzrecht und Steuerrecht, usw. Da sind die Anforderungen an die Bestimmtheit der Norm unterschiedlich hoch. Im Kapitalmarktstrafrecht gehört der Grundsatz von der Bestimmtheit der Norm und vom Analogieverbot zu den verfassungsrechtlich verankerten Grundfesten. Deshalb ist es nicht unproblematisch, dass zwar die Verletzung des Insiderhandelsverbots ein Vergehen darstellt, zugleich aber die Auslegung des Begriffs „Insiderinformation“ im Einzelfall höchst zweifelhaft ist. Das deutsche Kapitalmarktaufsichtsrecht enthält eine Mischung von originären Leitgrundsätzen und eine Vielzahl von sehr konkreten Normen. Dabei ist in jüngerer Zeit eine deutliche Entwicklung im gesamten Aufsichtsrecht, also nicht nur im Kapitalmarktaufsichtsrecht, sondern auch im Banken- und Versicherungsaufsichtsrecht hin zur originären Principles-based Regulierung zu beobachten. Zwei Beispiele stehen für andere: Ein allgemeines Prinzip enthält § 31 Abs. 1 WpHG. Hiernach ist ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen verpflichtet (1), Wertpapierdienstleistungen mit der erforderlichen Sachkenntnis, Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit im Interesse seiner Kunden zu erbringen und (2) sich um die Vermeidung von Interessenkonflikten zu bemühen. In diesem Fall bedarf der Konkretisierung, wie die unbestimmten Rechtsbegriffe „Sachkenntnis“, „Sorgfalt“ und „Gewissenhaftigkeit“ auszulegen sind.
19
Financial Services Authority, Principles-based regulation, 2007, S. 4.
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Ein weiteres Beispiel für eine Umstellung auf Rechtsprinzipien findet sich in der Verordnung über die Anlage des gebundenen Vermögens von Versicherungsunternehmen.20 In § 1 der genannten Verordnung wurde vor ihrer Änderung im Jahr 2007 dabei im Einzelnen aufgelistet, wie das gebundene Vermögen von Versicherungsunternehmen angelegt werden kann, nämlich in Forderungen, Darlehen, Pfandbriefen, Schuldverschreibungen usw., die sodann näher gekennzeichnet werden. In der 2. Verordnung zur Änderung der Anlageverordnung vom 21.12.2007 21 werden demgegenüber allgemeine Anlagegrundsätze aufgestellt und hiernach heißt es in § 1 Abs. 2 der geänderten Anlageverordnung nur noch: „Die Anlage des gebundenen Vermögens hat mit der gebotenen Sachkenntnis und Sorgfalt zu erfolgen.“ Und sodann wird in § 1 Abs. 3 der genannten Verordnung weiter ausgeführt, dass Versicherungsunternehmen sicherzustellen haben, „dass sie jederzeit auf sich wandelnde wirtschaftliche und rechtliche Bedingungen, insbesondere Veränderungen auf den Finanz- und Immobilienmärkten, auf Katastrophenereignisse mit Schadensfällen großen Ausmaßes oder auf sonstige ungewöhnliche Marktsituationen angemessen reagieren können.“ Konkretisiert werden die Begriffe gebotene Sachkenntnis und Sorgfalt, Gewissenhaftigkeit und Interessenkonflikte durch die Aufsichtsbehörde und gegebenenfalls durch die Gerichte. Für Wertpapierdienstleistungsunternehmen und Versicherungsunternehmen besteht daher jedenfalls in der Anfangszeit, bis Fallgruppen gebildet sind oder das Amt eine offizielle Auslegungshilfe gibt, keine Rechtssicherheit. Da helfen auch keine guten Ratschläge durch Anwälte oder Universitätsprofessoren, die überzeugende Rechtsgutachten anfertigen, wenn die Aufsicht dem nicht folgt. Und wo endet das? Es endet in Ausführungsverordnungen, Richtlinien – oder in einem Emittentenleitfaden, der sich als „amtlicher“ Kommentar zum Wertpapierhandelsgesetz erweist. Und das ist keine auf das Kapitalmarktrecht beschränkte Entwicklung. Sie ist noch sehr viel auffälliger im Banken- und Versicherungsaufsichtsrecht. Das deutsche Rule-Book zum Bankenaufsichtsrecht ist die Sammlung von Consbruch/Müller/Bähre/Schneider. Da werden auch Schreiben zu Auslegungshilfen, die zwar nicht rechtlich, wohl aber faktisch verbindlich sind. Teilweise gibt es auch sehr konkrete gesetzliche Normen. Das gilt etwa für die Mitteilungspflichten des Meldepflichtigen, der bei Überschreiten von 3 %, 5 %, 10 %, 25 %, usw. der Stimmrechte meldepflichtig ist. Eine Regelung, dass „wesentliche Beteiligungen“ mitzuteilen sind, wäre wenig hilfreich; denn es gälte auszulegen, was „wesentliche Beteiligungen“ sind. Und das gilt für die Veröffentlichung und Mitteilung von Geschäften durch Perso20 In der Fassung der Bekanntmachung vom 20.12.2001 (BGBl. I, S. 3913) zuletzt geändert durch Art. 13 des Gesetzes vom 22.05.2005 (BGBl. I, S. 1373). 21 BGBl. I, S. 3278.
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nen, die bei einem Emittenten von Aktien Führungsaufgaben wahrnehmen. Dazu heißt es in § 15a Abs. 1 Satz 5 WpHG, dass die Veröffentlichungs- und Mitteilungspflicht entfällt, wenn die Gesamtsumme der Geschäfte einer Person mit Führungsaufgaben und der mit dieser Person in einer engen Beziehung stehenden Personen insgesamt einen Betrag von 5000 Euro bis zum Ende des Kalenderjahres nicht erreicht. Das ist eine sehr kasuistische Regel, die aber zugleich unbestimmte Rechtsbegriffe enthält; denn was ist eine Person mit Führungsaufgaben? Und mit welchen Personen steht man in enger Beziehung?
V. Sind wir auf dem richtigen Weg? Die Antwort auf die Frage, welchen Weg man gehen soll, ergibt sich aus der Aufgabe und den Erwartungen an ein modernes Kapitalmarktrecht. Zu befriedigen sind die Erwartungen der Marktteilnehmer, angefangen bei den Emittenten bis hin zu den Investoren. Da sind allgemeine Leitgrundsätze und Prinzipien erforderlich und willkommen. Sie helfen für eine gleichmäßige Anwendung des Rechts und sorgen für eine lückenlose Ordnung der Sachverhalte. Die Praxis aber erwartet mehr. Sie erwartet, dass die Pflichten und Anforderungen vollständig und so bestimmt sind, dass man klare Antworten bekommt. Das verlangt nicht nur Leitprinzipien sondern auch kasuistische Regelungen, also eine Rules-based Regulation. Die unvermeidlichen Lücken lassen sich durch Blankettregeln und deren zeitnahe Ausfüllung durch die Verwaltung schließen. Deshalb sind Richtlinien, Verordnungen aber auch Emittentenleitfäden zu begrüßen – vor allem, wenn an deren Ausarbeitung die Praxis beteiligt wird. Was also ist der richtige Weg im Kapitalmarktrecht? Wir brauchen beides, nämlich originäre Prinzipien und für die wichtigsten Fälle kasuistische Regelungen. Und endlich: Es hätte großes Vergnügen gemacht, diese Fragen mit Michael Gruson zu diskutieren.
Global Convergence of Hedge Fund Standards * Markus Sgouridis 1. Introduction 1 Hedge funds have become a prominent feature of the modern dynamic global economy 2, contributing to efficient capital and risk allocation, providing liquidity to the international financial markets and facilitating general financial stability.3 They are present in all financial markets, but have particular relevance to equities and debt markets as well as public sector debt management. It is recognised that hedge funds can make important contributions to corporate governance and the boardroom behaviour of large corporates.4 Despite the benefits contributed by hedge fund activities to the efficiencies of the financial markets, a common perception of hedge funds is, however, focused on the risks associated with the activities of hedge funds – in particular, systemic risks.5 Some even, consider hedge funds to be a threat * Mein aufrichtiger Dank gilt meinem beruflichen Mentor und Lehrer, Dr. Michael Gruson. Seine fachliche Kompetenz, Hilfsbereitschaft sowie seine enthusiastische und geistreiche Persönlichkeit haben mich stets beeindruckt und waren mir ein Vorbild. 1 This article considers legal and financial market developments only until March 2008 and in very few instances makes reference to the events in the financial markets in September 2008. 2 There is no set definition of what constitutes a hedge fund. Various authors have attempted to find a definition, but due to the variety of strategies and investment approach no clear definition has been established. The United Kingdom’s Hedge Fund Working Group (“HFWG”) described hedge funds in its final report dated January 2008 (“Final Report”) as a type of private investment fund that charges investors a performance fee, uses leverage to magnify returns, uses short selling to limit market risk, employs derivatives to generate returns and/or reduce risk and trades much more actively than traditional managers (HFWG, The Hedge Fund sector: History and present context, http://hfsb.org/ sites/10109/files/what_is_a_hedge_fund.pdf). However, this description fits many hedge funds but not all. Not all hedge funds use leverage and short selling, and some are now even listed and open to retail investors. A feature that is virtually common to all hedge funds is the fee structure. Usually hedge funds charge investors a management fee of 1.5 %–2 % p.a. and a performance fee of 20 %. 3 Position paper of the German Banking Association, Transparenz der Hedge-Fonds erhöhen, page 2, http://www.bankenverband.de/pic/artikelpic/052007/sp0705_vw_hedge_ fonds_dt.pdf. 4 Christoph Kumpan, Hedge Fonds – Neuere Entwicklungen in den USA, DAJV Newsletter, 4/2007, page 166. 5 Systemic risks are the possibility that losses at one or more entities could threaten the
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to corporates, national and international economies, and to the international financial markets in general. This mindset was especially prevalent among politicians and financial markets regulators, where uncertainty is still felt about the impact of hedge funds on financial markets worldwide.6 It is thought that one way to diminish the perceived risks that hedge fund operations pose to the financial markets would be to implement a legal framework with regard to certain activities of the hedge fund industry. Transparency provisions in particular would play an important role within such framework. There has been a call for transparency in the hedge fund business, following the increasing interest of investors and the public in the activities of hedge funds. Generally, the disclosure of relevant information is regarded as being the basis for, and likely to enhance, the efficiency of financial markets.7 Recent liquidity issues in the credit markets have also highlighted the need for sufficient transparency of market participants in general. Driven by the recent market turbulence, national regulators and industry groups, and international initiatives have increasingly engaged in the debate on how – if at all – to regulate hedge funds and their activities.8 The global investment banking sector, which has long been considered sufficiently transparent and regulated, suffered in 2007 and continued to stability of the broader financial system, see among others the Agreement among PWG and US Agency Principals on Principles and Guidelines regarding private pools of capital, 22 February 2007, Principle 6, http://www.ustreas.gov/press/releases/hp272.htm; and Statement by E. Gerald Corrigan, Managing Director, Goldman, Sachs & Co. before the Committee on Financial Services, US House of Representatives, 13 March 2007, Washington, DC, http://www.house.gov/apps/list/hearing/financialsvcs_dem/htcorrigan031307.pdf. 6 As the continued credit crisis has shown in 2008, the impact of hedge funds was considered less prevalent than the impact of other financial institutions on the financial markets worldwide. 7 Frank H. Easterbrook/Daniel R. Fischel, Mandatory Disclosure and the Protection of Investors, 70 Va.L.Rev. 669–715 (1984); Eugene F. Fama, Efficient Capital Markets: A review of Theory and Empirical Work, 25 J.Fin. 383–417 (1970). 8 It should be noted that in its policy statement dated March 2008, the US President’s Working Group on Financial Markets diagnosed (albeit incompletely, since the global market turmoil has not yet abated) that the principal underlying causes of the turmoil in financial markets were: (i) a breakdown in underwriting standards for sub-prime mortgages, (ii) a significant erosion of market discipline by those involved in the securitisation process, including originators, underwriters, rating agencies, and global investors, related in part to failures to provide or obtain adequate risk disclosures, (iii) flaws in credit rating agencies’ assessments of sub-prime residential mortgage-backed securities (RMBS) and other complex structured credit products, especially collateralised debt obligations (CDOs) that held RMBS and other asset backed securities (CDOs of ABS), (iv) risk management weakness at some large US and European financial institutions, and (v) regulatory policies, including capital and disclosure requirements, that failed to mitigate risk management weaknesses. The policy statement did not identify a particular issue associated with the behaviour of hedge funds as a cause for the financial markets turmoil. http://www.ustreas.gov/press/ releases/reports/pwgpolicystatemktturmoil_03122008.pdf.
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suffer in 2008 from the credit crisis mounting in the insolvency of Lehman Brothers and other investment banks losing their independence or changing their status. This experience will potentially give rise to a stricter transparency and disclosure regime, although it is the opinion of the industry that sufficient levels of disclosure and regulation could still be achieved through self-regulation.9 As restrictions and specific disclosure requirements regarding short sales have been introduced (in some cases on a temporary basis) in the wake of the collapse of Lehman Brothers in September 2008, such restrictions are a clear sign for potential new regulations in this area. In June 2007, the G8 summit in Heiligendamm focused on the topic of hedge funds. The governments represented at this summit did not agree on the general necessity for regulation, but concluded that the impact of hedge funds’ behaviour on the financial markets would continue to be monitored by the G8 with a view to releasing recommendations – in particular with regard to risk management, valuation, and disclosure to investors and counterparties.10 Similarly, the U.S. President’s Working Group has identified in its policy statement that, among other things, regulatory policies, including existing capital and disclosure requirements, have failed to mitigate risk management weaknesses.11 The US and the UK, being those countries where the majority of hedge fund managers are located, have called for a quick solution, starting their own initiatives such as implementing standards of best practice for hedge fund managers and other industry participants. Although the approaches differ, the focus on transparency, disclosure, valuation, risk management and governance, including compliance, are common to both. The approaches in the UK and US are compared here against the codified approach taken in Dubai. Although Dubai is currently not considered to be an established hedge fund manager location, it is one of the few countries that have been proactive in providing a framework for hedge fund managers, enhancing investor and hedge fund manager confidence. As a result, from a aimed at regulatory perspective, Dubai could soon augment its position as a location for hedge fund managers.
9 See Financial Times of 9 April 2008, “Banks take blame for credit crisis” http://www. ft.com/cms/s/0/0d7c533e-0664-11dd-802c-0000779fd2ac.html. 10 G8 Summit Heiligendamm, Growth and Responsibility in the Global Economy, Declaration of 7 June 2007, page 3, http://www.g-8.de/Content/EN/Artikel/_g8-summit/ anlagen/2007-06-07-gipfeldokument-wirtschaft-eng,templateId=raw,property=publication File.pdf/2007-06-07-gipfeldokument-wirtschaft-eng. 11 US President’s Working Group on Financial Markets, March 2008, http://www. ustreas.gov/press/releases/reports/pwgpolicystatemktturmoil_03122008.pdf.
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2. United States In April 1999, the President’s Working Group on Financial Markets (the “PWG”) was formed 12 in the United States after the breakdown of Long Term Capital Management.13 The stated goals of the PWG were to create the world’s highest investor protection standards, to guard against systemic risk, and to keep the United States the most competitive financial marketplace in the world. As a consequence, the PWG’s Principles and Guidelines Regarding Private Pools of Capital, issued on 22 February 2007 (the “Principles and Guidelines”), particularly addressed investor protection, limitation of systemic risk, and participant awareness of risk. In the PWG’s opinion these goals could be achieved by sufficient disclosure of the investment manager’s activity and control possibilities over the funds by investors, creditors, and counterparties. The PWG subsequently established two private sector committees – the Asset Managers’ Committee and the Investors’ Committee – tasked to develop best practices for market participants. The Asset Managers’ Committee consists of a group of fund managers, and was formed with a view to developing best practice standards for managers of alternative investment products, including hedge funds.14 The Investors’ Committee consists of representatives of institutional investors and has developed best practice standards for investors in hedge fund products. On 15 April 2008, the two committees released separate but complementary sets of proposed best practices for the hedge fund industry, including 12 President’s Working Group on Financial Markets, Hedge Funds, Leverage, and the Lessons of Long Term Capital Management, April 1999, http://www.ustreas.gov/press/ releases/reports/hedgfund.pdf. 13 Long Term Capital Management (“LTCM”) was a hedge fund founded in 1994. LTCM had initially annualised returns of over 40 % in its first years. In 1998 it lost $ 4.6 billion in less than four months and became an example of the risk potential in the hedge fund industry. Initially, the hedge fund took advantage of fixed income arbitrage deals with US, Japanese, and European government bonds. As LTCM’s capital base grew, LTCM needed to invest in different assets. This led LTCM to undertake trading strategies outside their expertise. By 1998, LTCM had extremely large positions in areas such as merger arbitrage and S&P 500 options. In May and June 1998, in light of the East Asian crisis, returns from the fund were –6.42 % and –10.14 % respectively, reducing LTCM’s capital by $ 461 million. Such losses were accentuated through the Russian Financial Crises in August and September of 1998, when the Russian Government defaulted on their government bonds. Panicked investors sold Japanese and European bonds to buy US treasury bonds. By the end of August, the fund had lost $ 1.85 billion in capital and experienced a flight-to-liquidity with the consequence of a massive equity reduction without shrinking the portfolio. Consequently, this lead to a significant elevation of the already high leverage ending with the winding up of the fund. 14 President’s Working Group in Financial Markets – Asset Managers’ Committee, Mission Statement, 25 September 2007, www.treas.gov/press/release/hp575htm.
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hedge fund managers and investors 15, designed to incorporate the Principles and Guidelines.16 In their reports both committees acknowledge that both the hedge fund manager and the investor should implement appropriate practices to maintain strong controls and infrastructure to support their activities. Consistent with the goal of the PWG to improve current investor protection standards, these recommendations go beyond existing industry standards. They require hedge fund managers and investors to assess their own specific practices and decide whether they should follow practices suggested by these committees. Best practices are not binding and do not have the force of law or regulation. However, as it has already proved to be the case in many other instances, best practice recommendations such as these could ultimately serve as the basis for a legal framework. The Investors’ Committee, in particular, recognises that the recommendations have a role to play in influencing the substantial and ongoing debate among policymakers as to how to address the challenges that the financial markets currently face. The PWG’s Principles and Guidelines The Principles and Guidelines apply to activities not only of investment managers but also of investors, fiduciaries, fund-of-fund managers, creditors, counterparties and regulators. In acknowledging the significant benefit that hedge funds bring to the financial markets, the Principles and Guidelines call for co-operation among market participants and policymakers to address remaining challenges in the financial markets. Supervisors should exercise their existing authority with regard to creditors, counterparties, investors and fiduciaries to foster market discipline on private pools of assets. The PWG considers investor protection concerns to be best addressed through a combination of market discipline and regulatory policies (focusing on disclosure, transparency and risk management) that limit direct investment in such pools to more sophisticated investors.17 One of the overarching objectives of the PWG is to promote public policies that support market discipline, participant awareness of risk, and prudent risk management, which should be the best means of protecting investors and limiting systemic risk according to PWG.18 In achieving investor protection, investments in hedge funds should be conducted by more sophisticated investors who can identify and bear risks, 15 At the time of writing, both the report by the Asset Managers’ Committee and the Investors’ Committee were still subject to public comments and, therefore, might be revised accordingly. 16 Agreement among PWG and US Agency Principals on Principles and Guidelines regarding private pools of capital, 22 February 2007, http://www.ustreas.gov/press/ releases/hp272.htm. 17 PWG Principle 2. 18 PWG Principle 1.
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as hedge funds may be involved in complex, illiquid or opaque investments or strategies which are not fully disclosed.19 This means that less sophisticated investors, including retail investors, would not be permitted to invest in hedge funds. Investors should be in a position to carefully evaluate the strategies and risk management capabilities of hedge funds to ensure that the hedge fund’s risk profile is compatible with their own appetite for risk.20 The production of accurate and timely historical and ongoing material information is therefore necessary to perform due diligence and evaluate an investment in, and the commercial terms of, the hedge fund.21 Less sophisticated investors who are exposed indirectly to hedge funds through holdings of pension funds, funds of funds, or other similar pooled investment vehicles can best be addressed through sound practices on the part of the fiduciaries that manage those funds and investment vehicles.22 Those fiduciaries have an ongoing responsibility to perform due diligence to ensure that their investments are prudent and conform to sound practices for fiduciaries.23 In order to conduct adequate due diligence, fiduciaries, in the same way as other investors, require information such as details of periodic performance and reports on the risks of the fund. In order to mitigate systemic risks, hedge fund managers should have information, valuation and risk management systems that meet sound practices and enable them to provide accurate information to creditors, counterparties, and investors with appropriate frequency, breadth and detail.24 Hedge fund managers generally must devote sufficient resources, provide material information in a timely fashion, and comply with the industry sound practices on valuation, risk management, and use of derivatives. Market discipline by creditors, counterparties, and investors 25 is regarded as the most effective mechanism for limiting systemic risk resulting from the activities of hedge funds. Key creditors and counterparties must commit resources and maintain appropriate policies, procedures, and protocols to define, implement and continually enhance best practices on risk management. These policies, procedures and protocols should address how the quality of information from a hedge fund may affect margin, collateral and other credit terms as well as other aspects of counterparty risk management.26
19 20 21 22 23 24 25 26
PWG Principle 3. PWG Principle 8. PWG Principle 4. PWG Principle 5. PWG Principle 5. PWG Principle 9. PWG Principle 6. PWG Principle 6.
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The Best Practices Recommended by the Asset Managers’ Committee The Asset Managers’ Committee proposes a framework and related best practices for hedge fund managers in five key areas: (i) disclosure; (ii) valuation; (iii) risk management; (iv) trading and business operations; and (v) compliance, conflicts and business practices. Each framework sets out best practices for its implementation and recommends measures to minimise conflicts of interest and assess counterparty risk. (i) Disclosure A manager should establish a disclosure framework to provide material information to investors with sufficient frequency and detail to allow investors to make informed investment decisions and monitor the risks associated with their investments. To develop best practices regarding disclosure, the committee adapted some of the core principles of the US public company disclosure regime, which is designed to provide investors with material information at the time of making their investment and with ongoing updates throughout the life of their investment. Managers should further provide periodic performance information to investors – an investor letter 27 (or similar communication), a risk report 28 and a qualitative discussion of performance information 29 (in addition to quantitative data) – on at least a quarterly basis with which investors are able to make informed decisions about the performance of an investment in a fund. In addition to disclosure to investors, managers should direct their disclosure to counterparties, such as banks and broker-dealers.30 Most of the information that will be material to a potential investor when making his investment decision should be contained in the private placement memorandum, which should be reviewed and updated, as appropriate, at least annually.31 (ii) Valuation In respect of valuations, the manager should establish a comprehensive and integrated valuation framework which will enable consistent and documented policies and appropriate controls for segregation of responsibilities between portfolio managers and those responsible for valuations. In particular, the manager should establish a governance function, such as a valuation committee 32, which will have ultimate responsibility for estab27 Asset Managers’ Committee Report (hereinafter referred to as the “AMCR”) Disclosure, section II 2(a). 28 AMCR, Disclosure, section II 2(b). 29 AMCR, Disclosure, section II 2(c). 30 AMCR, Disclosure, section V. 31 AMCR, Disclosure, section I. 32 AMCR, Valuation, section I.
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lishing and reviewing compliance with the manager’s valuation policies. Independent personnel should be responsible for the valuation of the fund’s investment positions. It is necessary for the manager to be involved in the valuation process, especially where it invests in hard-to-value assets, given that it is likely the manager has the most knowledge about the assets in question. The report further recommends that managers use certain specified considerations in valuing the assets in the side pocket 33, and in determining both fees and any associated investment/redemption restrictions 34 before deciding whether to move an investment into or out of a side pocket. (iii) Risk Management The Asset Managers’ Committee recommends that a manager should establish a comprehensive and integrated risk management framework that is suited to the size, portfolio management process and investment strategies of its funds. Thereby the manager should be able to identify the risks inherent in its chosen investment strategies, and measure and monitor its exposure to these risks against its intended risk profile. The risk management framework should be communicated to investors to help them to assess whether the fund’s risk profile is appropriate for them and how the investment is performing against that profile. Since hedge funds deal with many counterparties (including prime brokers, derivatives dealers and lending, trading, cash management and depositor counterparties), a manager should take care to monitor its fund’s exposure to such counterparty credit risk 35 and understand the impact of potential counterparty loss of liquidity or failure on his investment. In order to minimise such risk, the manager should take steps to increase access to liquidity by opening cash and custody accounts at financial institutions other than its prime brokers.36 (iv) Trading and Business Operations A manager should develop a comprehensive and integrated framework to manage trading and business operations, taking into account the size and complexity of its activities, the nature of its investment, and the requirements of its investment strategies.37 Such framework should include: (a) policies and 33 Which, in the essence, are segregated illiquid portions of the portfolio which are not regularly valued and to the performance of which only those investors are entitled to who were invested in the fund at the time of acquisition of those illiquid assets. 34 AMCR, Valuation, section III C. 35 AMCR, Risk Management, section II D 1. 36 AMCR, Risk Management, section II D 2(b). 37 AMCR, Trading and Business Operations.
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procedures for significant operational and accounting controls; (b) adequate management of cash, margin and collateral requirements; (c) careful selection of key service providers; (d) appropriate segregation of business operations and portfolio management personnel; (e) systems, infrastructure and automation; and (f) the appointment of a member of senior management, such as a chief operating officer, with responsibility for the manager’s operations. (v) Compliance, Conflicts and Business Practices A comprehensive and integrated compliance, conflicts and business practices framework should also be established by a manager. It is considered critical to the success of the framework that a strong culture of compliance should exist at the manager. The framework should include: (a) a written code of ethics that establishes principles governing the conduct of the manager’s personnel 38; (b) a written compliance manual 39; (c) the establishment of a committee to review conflicts 40; (d) regular training of personnel on the material elements of the compliance programme 41; and (e) a compliance function42 that includes a chief compliance officer, appropriate discipline and sanctions and an annual review of the compliance framework. In particular, the need for each manager to have a chief compliance officer is emphasised. The Best Practices Recommended by the Investors’ Committee 43 The Investors’ Committee sets new standards to address the decisions by potential investors to invest in hedge funds and the management and oversight of hedge fund investments. Two guides assist the investor community in applying best practice to their investment considerations: Firstly, the Fiduciary’s Guide defines a set of practice standards and guidelines for fiduciaries considering or already investing in hedge funds. It recommends that fiduciaries take appropriate steps to determine whether an allocation of assets to hedge funds contributes to an institution’s investment objectives, and whether internal staff or agents of the institution have sufficient resources and expertise to effectively manage a hedge fund component in their investment portfolio. Fiduciaries are those tasked with portfolio oversight responsibilities, such as plan trustees, banks or consultants.44 38
AMCR, Compliance, Conflicts and Business Practices, section II. AMCR, Compliance, Conflicts and Business Practices, section III. 40 AMCR, Compliance, Conflicts and Business Practices, section III C 3. 41 AMCR, Compliance, Conflicts and Business Practices, section III D. 42 AMCR, Compliance, Conflicts and Business Practices, section IV. 43 The Investors’ Committee comprises senior representatives from major classes of institutional investors including public and private pension funds, foundations, endowments, organised labour, non-US institutions, funds of hedge funds, and the consulting community. 44 Investors’ Committee Report (hereinafter referred to as the “ICR”) section III. 39
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Secondly, the Investor’s Guide provides recommendations to those charged with executing and administering a hedge fund investment once a hedge fund has been added to the investment portfolio. The guide deals with best practices for responsible investment in hedge funds, with particular focus on the areas of: (i) due diligence; (ii) risk management; (iii) legal and regulatory issues; (iv) valuation; (v) fees and expenses; (vi) reporting; and (vii) taxation. (i) Due Diligence The Investor’s Guide sets out a number of specific best practices and related guidance notes with regard to proper due diligence and monitoring responsibilities. According to this guide, investors should conduct thorough due diligence in the marketplace on the reputation, experience, and background of hedge fund managers and the key principals in the firm. They should also consider the investment risk associated with the loss of a key person or persons.45 Investors should obtain information from the hedge fund manager regarding a fund’s governance and compensation structure. The stability of a fund’s client base and the manager’s overall business should also form an important component of due diligence. Investors need to understand the manager’s historical performance and the factors contributing to that performance.46 Such manager’s ability to operate a fund successfully in varying market environments should be carefully assessed. Investors should employ regular and frequent risk monitoring and actively analyse a hedge fund’s risk exposure as a means of evaluating potential style drift. They should also obtain appropriate risk reports, with sufficient frequency, to monitor potential style drift and to confirm that the hedge fund continues to meet the investors’ objectives. A hedge fund manager’s reliance on models, including assumptions, model inputs, and risks associated with the models should be carefully assessed. In particular, investors should analyse the expected frequency of material and substantive model changes, and whether the manager intends to notify investors when such changes are made.47 (ii) Risk Management Investors should establish their own risk management framework and best practice with regard to evaluating the risk management framework employed by a hedge fund manager. The report goes on to recommend best practice regarding the monitoring and management of various risks. For example, 45 46 47
ICR, section IV A 1. ICR, section IV A 3. ICR, section IV A 5.
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investors should establish formal written policies and supervisory procedures designed to meet the risk management objectives of a hedge fund investment. Such investors’ risk management programmes should be independent of the hedge fund manager selection process and the process for monitoring investment performance.48 The understanding of a hedge fund manager’s risk management philosophy and processes is important to an investor’s risk management framework and should enable the investor to conclude that the manager has an independent risk management function whose compensation is not directly tied to portfolio performance. Investors need to understand the principles of underlying liquidity and leverage in a hedge fund, including the risk posed by the behaviour of other investors.49 They also need to be comfortable that the manager selects prime brokers with adequate liquidity, that counterparty credit risk is otherwise managed appropriately, and that prime brokers and other important trading counterparties have the ability to perform their duties effectively.50 In order for the investor to establish the suggested risk management framework it requires detailed information from the hedge fund manager as set out in the recommendations of the Asset Managers’ Committee. (iii) Legal and Regulatory Issues Investors need to confirm that the hedge funds in which they invest prepare audited financial statements in accordance with acceptable accounting standards, such as generally accepted accounting principles or international financial reporting standards. Further, they should understand the nature, depth, maturity and stability of the legal system in the jurisdiction where the hedge fund is domiciled 51, and be comfortable with their ability to vindicate their legal rights as an investor in the fund. The potential for disputes regarding the appropriate jurisdiction in which fund related claims would or could be brought should also be considered by investors. They should seek to understand the risk a fund faces from potential tax, legal or other regulatory changes 52 and the fund’s strategy for mitigating those risks when possible. (iv) Valuation Investors should verify that a fund’s manager has established a written valuation policy 53 and procedures to assure that the fund’s portfolio is con48 49 50 51 52 53
ICR, section IV B 1. ICR, section IV B 4. ICR, section IV B 9. ICR, section IV C 2. ICR, section IV C 5. ICR, section IV D 1.
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sistently valued according to GAAP (or other relevant standards), including those provisions requiring fair value valuation. They should also determine whether proper oversight of the entire valuation process exists, especially the pricing of illiquid and other investments that are difficult to price. Further, investors should understand the functioning of the valuation committee or other governance structures of the hedge fund, and assess whether there is sufficient oversight of the valuation process, including a mechanism to resolve conflicts relative to the pricing of investments that are difficult to value.54 Investors should seek confirmation that whenever possible the manager uses additional secondary sources to enhance the reasonableness of pricing and valuation estimates and that it uses multiple sources for dealer quotes (if available). Any models the manager uses to determine position prices should be independently tested and verified. Investors should also check that the manager applies a consistent approach to valuing side-pocket or illiquid and hard-to-value positions.55 (v) Fees and Expenses The Investor’s Guide indicates that investors should determine the overall percentage of total and excess return they are willing to pay to their respective investment managers.56 Further, the report recommends numerous detailed best practice guidelines as to how the investor should consider fees and expenses relative to the returns sought and risks taken by an investment strategy. The liquidity offered by the investment manager, and the appropriate sharing ratio of alpha generated by the investment manager, are also addressed by best practices. (vi) Reporting Investors are advised to seek sufficient reporting and transparency regarding a fund’s performance.57 In particular, the report suggests that investors should periodically seek confirmation from the manager as to the percentage of the hedge fund portfolio that the manager considers illiquid. In relation to funds of hedge funds, the report recommends that investors should be informed of the fees and expenses charged by such funds of hedge funds managers as well as of the fees charged by the managers of the underlying hedge funds.58 54 55 56 57 58
ICR, section IV D 2. ICR, section IV D 4. ICR, section IV E. ICR, section IV F 1. ICR, section IV F 3.
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(vii) Taxation In relation to taxation, the Investor’s Guide recommends that investors should consult with their tax advisors and carefully review the tax-related disclosures provided by a hedge fund prior to investing.59 Investors should seek an explanation in the disclosure document of all tax considerations that may impact a hedge fund’s returns. Detailed best practices in relation to the content of the tax disclosure are recommended. This should include disclosure on taxation resulting from foreign investment or from status as a passive foreign investment company, or any tax loss carry-forward to which the hedge fund may be entitled. Tax disclosures should also discuss the effect of any phasing out of certain exemptions, deductions, and credits utilised by the hedge fund. Application of the Asset Managers’ Committee and Investors’ Committee Best Practices These best practices appear to impose the framework which currently exists for US-registered investment managers on managers which operate exempt from such registration. In the US, hedge fund managers typically operate in an environment exempt from regulation. Hedge fund managers employ the “private adviser exemption” from registration with the Securities and Exchange Commission. Such exemption is available provided the hedge fund manager (i) had fewer than 15 clients during the preceeding 12 months 60, (ii) does not hold itself out generally to the public as an investment adviser, and (iii) is not an adviser to any registered investment company. The scope of obligations that the Asset Managers’ Committee’s best practices recommend, would impose obligations on hedge fund managers (who operate exempt from registration) similar to those imposed on registered investment advisers. Although both committees are US-sponsored and seem to address US participants only, there is no clear geographical limitation as to the proposed application of the best practices. Thus, they have potential to apply to nonUS investment managers and investors. 59
ICR, section IV G. For purposes of determining whether the adviser qualifies for the private adviser exemption, a legal entity that received investment advice based on its investment objectives can be counted as one client. Hence, a hedge fund manager can count a hedge fund as one client regardless of the number of investors that hold beneficial interests in the fund. The Securities and Exchange Commission attempted to change the method of counting towards the 15-client threshold by the adoption of rule 203(b)(3)-2 in December 2004 that would have required hedge fund managers to look through the fund and count every investors as client. The effect of this rule would have been that most managers would have been unable to rely on the private adviser exemption. However, the rule was vacated and remanded by the US Court of Appeal in June 2006. 60
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As noted previously the best practices adapt some core principles of the US public company disclosure regime, but at the same time they suggest that hedge fund investments should only be made by sophisticated investors.
3. United Kingdom In the United Kingdom, the Hedge Fund Working Group 61 (the “HFWG”) published its final report on best practice standards for hedge fund managers on 22 January 2008 (the “Final Report”).62 Following an industry consultation 63, the Final Report sets out 28 best practice standards (the “Standards”) which the HFWG believes reflect best practice in the hedge fund industry.64 The Standards have been prepared in light of the UK Financial Service Authority’s (the “FSA”) 11 principles of good business conduct (the “FSA Principles”) applicable to FSA authorised and regulated hedge fund managers. They have been published because hedge funds are increasingly in the public eye and have become seen as mainstream businesses.65 By publicising the Standards and guidance related thereto the HFWG aimed at providing a tool for due diligence to members of the public, investors and other market participants when considering investing or contracting with a hedge fund. The HFWG Standards were designed not only for application by UKbased hedge fund managers but also beyond the UK, and irrespective of their size.66 The hedge fund managers who form part of the HFWG all have in excess of $ 4bn under management. However, the Standards apply to both smaller and larger firms 67 and solely in respect of firms’ management activities in relation to hedge funds. They do not apply to other activities (including management activities) in relation to segregated accounts or funds of hedge funds. The Final Report notes, however, that certain of the Standards might be appropriate for managers carrying out such other activities. The Standards will be applicable and constitute best practice to those hedge fund managers who become signatories 68 to the Standards and thereby commit themselves to their adherence on the basis of the “comply or explain” approach.69 Going 61 The Hedge Fund Working Group was formed in July 2007 and consists of 14 hedge fund managers. 62 Hedge Fund Working Group, Hedge Fund Standards: Final Report, http://www. hfsb.org. 63 Hedge Fund Working Group, Hedge Fund Standards: Consultation Paper, October 2007, http://www.hfwg.co.uk/?section=10365. 64 Final Report, section 3.7, page 10. 65 Final Report, section 2.2, page 5. 66 Final Report, section 6.1, page 18. 67 Final Report, section 6.1, page 18. 68 Final Report, section 7.5.1, page 30. 69 Final Report, section 7.5.1, page 30.
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forward, the Standards are considered to be the beginning rather than the end of the process of developing standards for the hedge fund industry. In particular, the Hedge Fund Standards Board (“HFSB”) has to maintain the Standards and keep them up to date. The HFSB will be staffed by trustees composed of those hedge fund managers that are signatories to the HFWG Standards. The trustees will act as guardians or custodians of the Standards and will not interpose themselves in any way between the hedge fund managers and the regulators. The trustees will publish an annual report on the industry’s conformity with the Standards, but they will have no regulatory authority or power. From a regulatory point of view, the Standards constitute unconfirmed industry guidance and will not be binding on the FSA or on market participants.70 The HFWG considers them standard for their purpose and as an interpretation of what the FSA Principles require from any UK-based investment manager. The HFWG has not applied for confirmed industry guidance due to the fact that the FSA could consider the Standards as a minimum threshold for hedge fund managers’ behaviour. However, in the view of the industry they are best practice and, thus, of a much higher standard than the minimum threshold. In addition, the HFWG did not consider the FSA confirmation process to be the appropriate route because of the diverse and flexible nature of hedge fund managers. In order to accommodate such diversity and flexibility the Standards should be applied by signatories on a “comply or explain” basis.71 Despite the fact that the Standards theoretically only apply to signatories, the HFWG considers them to reflect the standard of reasonable skill and care and likely to be applied by the English courts in civil negligence claims.72 The HFWG Standards have been created to ensure investor protection and awareness. The ultimate responsibility for such matters and the actions of a 70 The UK regulatory regime recognises “confirmed” and “unconfirmed” industry guidance. Confirmed guidance has “sturdy breakwater” status which means that the guidance is binding on the FSA. The Final Report notes that although the HFWG has been in contact with the FSA during the development of the Final Report and its Standards, the FSA has not reviewed or approved the Final Report or its Standards. The FSA has also not indicated that it will take any of its contents into account when exercising its regulatory function, see Final Report, section 3.7, page 10. 71 The “comply or explain” regime accommodated the dynamic industry covering a diverse range of types of sizes of managers. This regime requires the manager to either comply with the Standard or explain why managers choose not to comply with such Standard. The Final Report notes that the “comply or explain” approach may be less understood outside the UK, but it has the advantage of allowing non-UK based managers who become signatories to the Standards the flexibility to explain in the event that any action required by the Standards is inconsistent with local laws and regulations. See Final Report, section 7.2, page 28. 72 Final Report, section 7.5.1, page 30.
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fund generally rests with the fund’s governing body 73 rather than with the fund managers. Nevertheless, there may be an incentive for hedge fund managers to comply with the Standards as they appreciate that public understanding of the hedge fund industry is still limited and the public’s perception of the industry can be negative.74 The Standards may generally contribute to an increased transparency and compliance regime and thereby benefit the public perception of hedge funds globally. The Standards address five core areas which have been identified by the HFWG as areas of particular concern for the hedge fund industry: (i) disclosure; (ii) valuation; (iii) risk management; (iv) fund governance; and (v) shareholder conduct and activism. (i) Disclosure The Standards require transparency about fees payable by the fund (such as the management fee, performance fee, hurdle rates, and exact cost for maintenance and other services) and appropriate investor disclosure of a fund’s investment policy, associated risks and commercial terms (including certain important side-letter terms).75 There should also be appropriate disclosure of information to a fund’s counterparty such as lenders, prime brokers, or dealers. Furthermore, in cases where, in the view of the manager, the fund has a material exposure to assets that are difficult to value (know as hardto-value assets), any disclosure of the fund’s performance should refer to the factors which may be material to the robustness of the performance calculation.76 (ii) Valuation The HFWG has identified two sets of issues in relation to valuation arrangements: (a) the segregation of valuation and portfolio management functions; and (b) how to deal with hard-to-value assets.77 Valuation arrangements should aim at addressing and mitigating conflicts of interest in relation to asset valuation.78 73 The fund’s governing body is typically the board of directors of the fund or in case of a fund partnership, the general partner. 74 Final Report, page 5. It can therefore be expected that hedge fund managers will make efforts to follow and apply such Standards. 75 See also AIMA guidance Note on Industry Letters and Supplement No 1 thereto www.aima.org/uploads/aimaindustryguidancenotesidelettersmembers.pdf. 76 Final Report, Standards 1–4, pages 45–53. 77 Final Report, B, Valuation [5]–[9], page 54. 78 Final Report, Standard 5, page 45. The Final Report notes that the HFSB believes that the most satisfactory way to achieve this is to appoint an independent and competent thirdparty valuation service provider. However, the HFSB acknowledges that it will not always
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In cases where a manager determines the value of any of a fund’s assets (whether by performing valuations in-house or providing final prices to a valuation service provider), the manager should operate a valuation function which is segregated from the portfolio management function and should explain its approach to investors.79 Hedge fund managers should further do what they reasonably can to encourage the fund’s governing body (depending on the type of legal entity, e.g., the fund’s board of directors) to prepare and adopt a valuation policy which covers all material aspects of the valuation process and valuation procedures and controls in respect of a fund including, among other things, valuation procedures aimed at ensuring a consistent approach to determining fair value.80 The valuation policy should be disclosed to the hedge fund. It would also be good practice to set out a summary of the valuation policy in the fund’s offering memorandum. In particular, where a hedge fund manager performs valuations of hard-tovalue assets in-house, the consistent approach to determining fair value should be set out in the valuation policy.81 From the HFWG Standards it is not exactly clear what “hard-to-value assets” means. Although the HFWG makes reference to the Statement of Financial Accounting Standards No. 157, the fund governing body may face situations where there is no reference value of the asset to be valued. Also, different accounting regimes provide that fair value of a security does not need to be based on the liquidation of an entire position. In addition to the regular disclosure on positions within the fund’s portfolio, the hedge fund manager should periodically disclose the percentage of a fund’s portfolio that is invested in what the manager considers hard-tovalue assets. This could be disclosed, for example, via newsletters. The extent to which internal pricing models or assumptions are used to value certain
be possible in practice to achieve both independence and the required level of competence by appointing a third-party valuation service provider. In such a case, the involvement of the hedge fund manager in the asset valuation process will, to a greater or lesser extent, be unavoidable. 79 The Final Report notes that this will include, inter alia, ensuring that (i) the relevant employees operate independently from the portfolio management team, (ii) the remuneration of the valuation team is not directly linked to fund performance, (iii) in cases where the portfolio management team has necessary expertise and understanding, ensure that information provided by that team in connection with the valuation process is properly documented and recorded. See Final Report, Standard 5, page 56. The Final Report makes specific reference to the AIMA’s Guide to Sound Practices for Hedge Fund Valuations (03/2007) (www.aima.org) and IOSCO’s Principles for the Valuation of Hedge Fund Portfolios (11/2007) (http://www.iosco.org/library/pubdocs/pdf/IOSCOPD253.pdf), for further guidance regarding valuations. 80 Final Report, Standards 6–7, pages 57–61. 81 Final Report, Standard 7, page 61.
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components of the fund’s portfolio invested in hard-to-value assets should also be disclosed, where meaningful and applicable.82 In cases where a hedge fund manager makes use of side pockets, he should ensure that the fund governing body has approved the circumstances in which they may be used. Suitable procedures and practices should be adopted in relation to the use of side pockets and the assets within those side pockets.83 (iii) Risk Management The manager should establish a risk framework which sets out the governance structure for its risk management activities and specifies the respective reporting lines, responsibilities and control mechanisms intended to ensure that risks remain within the manager’s risk tolerance as conveyed and discussed with the fund governing body. The framework should cover all relevant categories of risk including portfolio, operational and outsourcing risks. A hedge fund manager should explain its approach to risk to the fund governing body (its board of directors) and encourage the fund to explain such approach to risk in the fund’s offering memorandum.84 (iv) Governance The fund’s governance structure should be suitable and robust enough to oversee and handle potential conflicts of interest. Prior to the establishment of a fund, the hedge fund managers should seek to encourage and assist the fund governing body to identify and recruit members with suitable experience and integrity to enable it to discharge its role independently. Throughout the life of a fund, the hedge fund manager should be aware of the need for the fund’s governing body and governance processes. The hedge fund manager should advise the fund governing body accordingly and encourage and 82 Final Report, Standard 8, page 63. The Final Report suggests adopting the fair value hierarchy used in FAS 157 (http://www.fasb.org/pdf/fas157.pdf, p.22.) for enhanced clarity and consistency. FAS 157 could be adopted even if IFRS or local GAAP accounting rules have been adopted by a fund. 83 Final Report, Standard 7, page 62. In contrast to the other Standards, Standard 7 on side pockets is very prescriptive as to the disclosure, valuation, associated management fees, etc. 84 Final Report, Standards 9–10, pages 65–66. In developing and enhancing the hedge fund managers portfolio risk management, the HFWG recommends materials prepared in this respect by AIMA (Sound Practices for European Hedge Fund Managers (2007), available at http://www.aima.org/uploads/guidetosoundpracticesforeuropeanhfmmay2007.pdf; Managed Future’s Association’s 2007 Sound Practices for Hedge Fund Managers, available at http://www.managedfunds.org; and the Risk Standards Working Group’s Risk Standards for Institutional Investment Managers and Institutional Investors; http://www.cmra.com/ risk.pdf.
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assist it to make any changes which, in light of such advice, it considers to be necessary or desirable. The hedge fund manager should also ensure that the fund’s governing body has adequate resources to comply with any corporate governance code or director guidance.85 (v) Shareholder Conduct and Activism 86 The hedge fund manager should ensure that it has internal compliance arrangements which are designed to identify, detect and prevent breaches of market abuse laws and regulations, e.g., when acting as a shareholder or creditor. As such, a hedge fund manager should disclose that it has a policy to prevent market abuse. Managers should also have a proxy-voting policy which allows investors to evaluate the general approach the manager takes towards proxy voting. Such proxy-voting policy should be made available to investors upon request.87 Further, a hedge fund manager should not borrow stock in order to vote.88 The HFWG acknowledges, however, that there might be situations where it should be acceptable to vote on borrowed stock, for example when a fund invests in shares (and the trade has settled), but the shares have not been transferred into their name.89 The HFWG encourages convergence of standards and has considered existing regimes in other main hedge fund centres such as the US where borrowing shares to vote is precluded by a combination of regulation and local market practice; however, proxies may still be voted. The HFWG Standards do not expressly preclude the borrowing of shares to vote the proxies. The HFWG leaves it open as to whether it considers that there has been abuse regarding the borrowing of stock for voting purposes. Ownership of a stock usually passes on to the borrower of the stock. The borrower, i.e. the hedge fund manager, could be viewed as being obliged to vote those proxies in accordance with its proxy-voting policy and its obligation to its clients. In the absence of abuse it is unclear why this restriction should be implemented for hedge funds when it is not an obligation for other international (non-UK) institutions.
85
Final Report, Standard 21, pages 88–90. The Final Report notes that while the term activism is often used to describe hedge fund managers, an overwhelmingly large number of activist investors are clearly not hedge fund managers, and most hedge fund managers are not pursuing activist strategies. Even if a manager is called activist, it does not mean that it engages actively with the companies in which it invests, see Final Report, page 92. 87 Final Report, Standards 23–25, pages 93–96. 88 Final Report, Standard 28, page 98. 89 HFWG Principle 28, annotation, page 38. 86
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4. Dubai On 11 December 2007, the Dubai Financial Services Authority (the “DFSA”) issued the Hedge Fund Code of Practice (the “Code”) following consultation with the industry. When the DFSA issued the Collective Investment Law 2006 and the Collective Investment Rules (the “CIF Regime”) in April 2006, it indicated that it expected hedge fund operators (i.e. hedge fund managers) to show proper regard to guidance and best practice standards issued by the DFSA and leading industry bodies.90 The Code, which came into force on 20 January 2008, sets out best practice standards for hedge fund managers in the Dubai International Financial Centre (the “DIFC”). The Code applies to authorised firms managing public or private hedge funds in the DIFC and to their third-party service providers such as persons undertaking the investment management, asset valuation, prime broking and other services for hedge funds.91 Although the Code does not further specify the particular service providers, this provision could technically even include legal advisors to the fund. The consultation in Dubai was prompted by the collapse of some large hedge funds which indicated the significant impact that hedge funds may potentially have, not only on investors, but also on market integrity and market confidence.92 The Code is the first of its kind to be issued by a regulator and is considered a landmark code in the regulation of the hedge fund industry. It consists of high-level principles which cover areas of key operational, management and market-related risks, particularly in areas such as valuation of assets, backoffice procedures and exposure to market risks. Instead of explicit and prescriptive rules, the Code follows a principlebased approach for best practice standards.93 The principle-based approach has been chosen to promote certainty while, at the same time, allowing industry participants a degree of flexibility to adapt the standards to suit their particular business in light of changing market conditions and other emerging issues.94 Comparable to the situation in the UK, the Code complements the existing CIF Regime and covers the aspects of it which apply to a hedge fund. Compliance with the Code is not a substitute for full compliance with the CIF Regime; however, it provides strong evidence for compliance with the CIF requirements.95 90 Consultation Paper No 50, Proposed Hedge Fund Code of Practice, 3 July 2007, paragraph 1, http://www.complinet.com/file_store/pdf/rulebooks/DFSA_CP50.pdf. 91 Consultation Paper No 50, paragraph 2. 92 Consultation Paper No 50, paragraph 2. 93 Hedge Fund Code of Practice (hereinafter referred to as the “Code”), page 2. 94 Code, page 2. 95 Code, page 3.
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The high-level principles cover the following areas: (i) managing operational risks; (ii) back-office procedures; (iii) portfolio risk management; (iv) fund valuation; (v) conflicts of interests; and (vi) fund-of-hedge-funds investments. (i) Managing Operational Risks Managers should have, or have access to, appropriate skills and resources to operate the hedge fund. There should be a robust and flexible investment process to suit the objectives and risk profile of the chosen investment strategy. There should be systems and controls in place to mitigate tradingrelated risks such as price overrides and failed trades.96 (ii) Back-Office Procedures There should be adequate back-office systems and controls to avoid backlogs in trade confirmations. (iii) Portfolio Risk Management The hedge fund manager should have appropriate measures in place to identify and manage portfolio risks, such as market risk, liquidity risks, counterparty credit risks, leverage and derivative-related risks.97 (iv) Fund Valuation There should also be adequate valuation policies and procedures in place to ensure integrity, accuracy and timeliness of the valuation process. To address these risks, a hedge fund manager should have comprehensive and documented valuation policies and procedures in place.98 (v) Conflicts of Interests There should be no arrangements that could provide material benefit to some investors that would not be available to, or be unfair on, others.99 This follows the general principle of equal treatment of investors in the same class of shares and fair treatment of those investors who hold shares in different classes (i.e. across the classes).100 There should also be adequate systems and controls in place to deal with market-sensitive information.101 96 97 98 99 100 101
Code, Principles 1–3. Code, Principle 5. Code, Principle 6. Code, Principle 7. Code, Principle 7, annotation 27. Code, Principle 8.
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(vi) Fund-of-Hedge Funds Managers of a fund-of-hedge funds must undertake appropriate due diligence on a potential hedge fund to ensure that such fund’s profile fits within the investment strategy of the fund-of-hedge funds.102
5. Global Convergence It is generally recognised that activities of hedge funds and the frameworks in which they operate have a global dimension since the hedge fund industry operates worldwide. While hedge funds contribute to and are important for the efficiencies of the global financial markets, a global consensus on issues affecting the hedge fund industry is particularly important. The concentration risk and the potential for such concentrations to be unwound in times of market stress may pose a concern to the stability of certain assets or classes.103 However, it should be noted that, this is not a risk special to hedge funds but to all market participants active in the relevant asset class. As shown by the liquidity crisis, which started in July 2007 and further escalated in autumn 2008, liquidity risk management and stress-testing scenarios need to be carefully reviewed on a global basis. The HFWG’s Final Report stresses that the significance of the Standards and the behaviours they require are relevant beyond the UK,104 because of the global nature of the hedge fund industry, its activities and assets under management. It encourages and promotes global convergence of hedge fund standards with a view to improving clarity for stakeholders and confidence in the industry globally.105 Similarly, the PWG Principles in the US point out that international policy collaboration and coordination are essential.106 The Dubai Code also promotes global convergence by stating that the DFSA will cooperate with any manager who seeks to follow the “comply or explain” approach taken by the HFWG, whether only for the purposes of the CIF Regime, or as part of a global convergence strategy in light of the recommendations by the HFWG in the UK.107
102
Code, Principle 9, annotation 30. This has also been identified by the G8 Summit in Heiligendamm and the Final Report, among others, see e.g. Final Report, section 9.5, page 37. 104 Final Report, section 9.4, page 36. The HFSB, for example, is charged to engage with similar hedge fund groups worldwide with a view of converging standards. 105 Final Report, section 9.1, page 35. 106 In addition to the areas of regulating counterparty credit risk exposures, leveraged counterparties, OTC derivatives, structured securities such as CDOs in the fields of hedge funds, PWG Principle 10. 107 Code, page 3. 103
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The HFWG has identified valuation, risk management and disclosure as the core areas of particular importance to international convergence.108 The reports by the Asset Managers’ Committee and the Investors’ Committee in the US have identified the same key principles and areas of concern as the HFWG. In this respect the best practice standards set out in the reports of each of the Asset Managers’ Committee and Investors’ Committee are broadly consistent with the work done in the UK by the HFWG. Both the UK and the US best practices have taken each other’s approaches to best practice and regulatory regimes into account. In many aspects, such as in the areas of risk management and compliance, the Asset Managers’ Committee and Investors’ Committee have been more prescriptive than the HFWG Standards. The Code in Dubai has followed the UK and the US approach and focused also on the key principles of risk management, disclosure and valuation, though in less prescriptive detail. In implementing the PWG Principles, neither the Asset Managers’ Committee nor the Investors’ Committee limit the geographical application of their recommendations whether expressly or implied. The recommendations have the potential to apply to the hedge fund industry globally although both committees are US-sponsored and the best practices address US market participants most prominently. The best practices also appear to apply the US framework that already exists for registered (and, therefore, regulated) US investment managers to those US investment managers that operate exempt from regulation (typically, hedge fund managers). In contrast to the US, hedge fund managers in the UK need to be authorised and are directly regulated by the Financial Services Authority. Hedge fund managers must be considered by the FSA as fit and proper to conduct investment business. Conducting investment business further involves an obligation to comply with the FSA Principles, rules and guidance. This applies to all hedge fund managers operating in the UK regardless of whether they manage money for UK or non-UK investors. Therefore, in the UK, hedge fund managers are not faced with the application of a regulatory framework from which they were previously exempt. Thus, one consistent regulatory regime applies to all UK investment managers, including hedge fund managers. The HFWG Standards provide additional guidance as to determents of good business for hedge fund managers. Regarding the scope of application the reports of the Asset Managers’ Committee and the Investors’ Committee, are designed for hedge fund managers, investors and other market participants, whereas the HFWG Standards address hedge fund managers only. As previously noted segregated accounts and funds-of-funds managers are excluded from the scope of the
108
Final Report, page 115.
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HFWG Standards. This is the main difference to the best practices recommended in the US. In addition, the US approach takes into account that investor and other market participant’s behaviour has the potential to influence the global hedge fund industry, as investors are guided in their investment process and decisions. In the UK, there is currently no industry-led investor group that similarly focuses on influencing hedge fund managers’ behaviour through investors. By recommending best practices for investors, the Investors’ Committee is setting out standards for behaviour which apply also to investors who are not otherwise “regulated” in the way they invest. Investors that are already regulated become subject to additional standards which may be more prescriptive than their applicable current legal framework. The US best practices are designed for sophisticated investors. Providing best practice for sophisticated investors implies that such category of investors has a need for guidance regarding their investment process and decision-making. On that basis, it can be argued that with such a level of public guidance available, retail investors also would be in a position to make informed investment decisions. It would therefore seem consistent to generally permit retail investors to invest in hedge funds. Implementing the best practices for investors means that investors will face higher costs and increased burden for their business infrastructure and due diligence on hedge funds. This requires investors, who might have otherwise followed a lean investment approach, to provide for extra resources. Investors could, on the one hand, favour investments which require a less cost and time intensive investment process than hedge fund investments. On the other hand investors might benefit from the recommended due diligence process which would require them to apply more cautious principles on their investment process. Such due diligence process also has the potential to influence hedge funds in their behaviour. The most authoritative approach, however, was taken in Dubai where the best practices have been codified by the DFSA. There, the best practices complement the existing regulation for hedge fund managers and provide regulatory guidance in the form of voluntary best practice. The Asset Managers’ Committee and the Investors’ Committee in the US clearly follow the approach of voluntary conformity and set out best practices without a system of adherence. They do not provide for a flexible “comply or explain” approach as do the Standards of the HFWG in the UK. The adoption of the Standards is designed to be voluntary for hedge fund managers on a global basis; they provide a clear option for managers to sign up. For signatories, this “comply or explain” approach provides flexibility and enables fund managers to offer reasons as to why they cannot comply with the Standards in certain cases, such as the application of a different regulatory regime in
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their home jurisdiction. Due to its flexibility this approach is an incentive to hedge fund managers to sign up to the Standards and, thus, contribute to the credibility of the hedge fund industry. It may lead to a more diligent application of the best practices, due to the need for hedge fund managers to explain why they cannot comply. In addition, the “comply or explain” approach was felt to cater best for the challenges that smaller managers and start-ups may face in complying with the Standards.109 Consequently, this approach made a two tier approach for larger and smaller managers unnecessary. Recommending best practices to market participants without the system for a “comply or explain” approach could suggest that the market either adopts the best practices or, otherwise, faces the promulgation of the best practices into law or regulation. Industry perception and practice in the US will prove if the US recommendations will provide the same level of incentive or will make the provision of binding rules necessary. By establishing the Hedge Fund Standards Board, the Standards will continue to be independently monitored and sponsored by industry specialists. The best practices in Dubai and in the US currently do not include the establishment of a monitoring body. The HFWG Standards recognise that hedge funds are legal entities independent from the hedge fund manager. Thus, they require the hedge fund manager to encourage a fund’s governing body to take certain actions, since the hedge fund manager usually does not have the power of a fund’s governing body. The recommendations by the Asset Managers’ Committee and the Investors’ Committee do not make such a clear distinction, however they also recognise the fact of legal independence of the fund’s governing body. Although one of the goals of the PWG Principles and Guidelines was to provide less prescriptive best practices, the recommendations by the Asset Managers’ Committee and the Investors’ Committee are more detailed and prescriptive than the HFWG Standards. Since the majority of hedge fund managers are currently UK and US based, the differences of their hedge fund standards will be a decisive aspect of the global convergence in practice. As pointed out, the key principles of both sets of best practices are the same, with differences in prescription and detail. However, some aspects, especially those relating to the implementation by market participants and the scope of application, remain to be resolved.
6. Conclusion In the UK, the period up to the year end of 2008 (which is the deadline for signing up to the Standards) will show how receptive the hedge fund man109
Final Report, section 6.1, page 19.
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agers are to the Standards. Certainly, compliance with the Standards will have a cost and administrative impact on the hedge fund managers and on the funds they manage. Investors on one hand may gain additional confidence because a hedge fund manager has signed up to the Standards. On the other hand, some investors may particularly value a manager’s niche expertise and cost-efficient corporate structure which allow them to generate above-average returns. If the Standards are not broadly assimilated by hedge fund managers they may also simply become irrelevant or be replaced by regulation. Given the shift of focus on banks and mortgage lenders in light of the credit crisis, the priority of potential regulation in the hedge fund industry may be reconsidered with a view to potential improvements in bank regulation. However, looking at the credit crisis and its impact on financial stability, worldwide regulators may generally choose a stricter approach to regulation of the global financial markets than they did before. In many other areas industry-initiated best practice approaches have led to legislation. In some cases they have even been promulgated into criminal law (e.g., in the area of insider dealing). Whether industry-led with a quasi-self regulatory “comply or explain” approach or entirely voluntary, the practicability, cost-benefit-analysis and overall industry reception of such best practices will be important factors in determining whether they are successful in contributing to financial stability and the public perception of hedge funds or simply provide the basis for detailed regulation.
REIT-AG Die Haftung des Sachverständigen für fehlerhaftes Wertgutachten im Prospekt Michael Thoma I. Einführung Mit dem REIT-Gesetz vom 28. Mai 2007 (BGBl. I S. 914) hat der deutsche Gesetzgeber nach heftigen politischen Auseinandersetzungen eine gesetzliche Grundlage für steuerlich privilegierte Immobilien-Aktiengesellschaften mit börsennotierten Anteilen (REITs) 1 geschaffen. Im Rahmen des Börsenzulassungsverfahrens erstellt die REIT-AG einen Prospekt. Teil des Prospekts ist ein Wertgutachten eines Sachverständigen, das die Immobilien der REIT-AG bewertet. Der nachfolgende Beitrag geht der Frage nach, welche Ansprüche bestehen, wenn das Wertgutachten fehlerhaft ist.
II. Wertgutachten als Teil des Prospekts Dass sich in Prospekten Wertgutachten Sachverständiger finden, ist relativ neu und hat seine Ursache in europarechtlichen Vorgaben. § 7 WpPG verweist hinsichtlich der Mindestangaben, die in einen Prospekt aufzunehmen sind, auf die EG-Prospektverordnung 2, die – wie das WpPG selbst – der Umsetzung der EG-Prospektrichtlinie 3 dient. In Art. 23 Abs. 1 der Verordnung heißt es: „Unbeschadet des Artikels 3 Unterabsatz 2 und des Artikels 22 Absatz 1 Unterabsatz 2 kann die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats [in Deutschland die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
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Die Abkürzung REIT steht für Real Estate Investment Trust. Verordnung (EG) Nr. 809/2004 der Kommission vom 29. April 2004; berichtigte Fassung ABl Nr. L 186, S. 3. 3 Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die in Prospekten enthaltenen Angaben sowie die Aufmachung, die Aufnahme von Angaben in Form eines Verweises und die Veröffentlichung solcher Prospekte sowie die Verbreitung von Werbung. 2
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(BaFin), der Verf.] in Fällen, in denen die Tätigkeiten des Emittenten unter eine der in Anhang XIX genannten Kategorien fallen, aufgrund der besonderen Art dieser Tätigkeiten zusätzlich zu den Informationsbestandteilen der in den Artikeln 4 bis 20 genannten Module und Schemata besondere Angaben verlangen sowie gegebenenfalls eine Bewertung des Vermögens des Emittenten oder einen diesbezüglichen Bericht eines anderen Sachverständigen vorschreiben, um der in Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 2003/ 71/EG festgelegten Verpflichtung nachzukommen. Die zuständige Behörde setzt die Kommission unverzüglich hiervon in Kenntnis.“ In Anhang XIX werden u.a. Immobiliengesellschaften genannt. Damit die zuständigen Behörden in den Mitgliedstaaten von der ihnen durch Art. 23 Abs. 1 eingeräumten Befugnis einheitlichen Gebrauch machen, hat das Committee of European Securities Regulators (CESR) – der von der EU-Kommission gegründete Ausschuss der Europäischen Wertpapierregulierungsbehörden, in dem Deutschland durch die BaFin vertreten wird 4 – Empfehlungen für den übereinstimmenden Vollzug der Prospektrichtlinie verabschiedet.5 In § 128 dieses Regelwerks vom Januar 2005 wird für Immobiliengesellschaften („Property Companies“) festgelegt: „Considering the specific features of property companies and Article 23 of the Regulation, CESR proposes that property companies, when preparing a prospectus for a public offer or admission to trading of shares, debt securities with a denomination of less than EUR 50.000 secured by the properties (including convertible debt securities) and depository receipts issued over shares with a denomination of less than EUR 50.000, include a valuation report. Only a condensed report needs to be included in the prospectus.“ (Hervorhebung durch den Verfasser) Das bedeutet: Trotz der rechtlichen Unverbindlichkeit der CERS’s recommendations wird eine Billigung des Prospekts einer REIT-AG durch die BaFin (§ 13 WpPG) in der Praxis nur erfolgen, wenn der Prospekt ein Gutachten enthält, in dem die Grundstücke der Gesellschaft bewertet werden.
III. Haftung gegenüber dem Emittenten Bei dem privatrechtlichen Vertrag, den der Emittent mit einem Sachverständigen zur Erstellung eines den CESR’s recommendations genügenden 4 Informationen finden sich auf der Homepage der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht: http://www.bafin.de/cln_011/nn_722882/DE/BaFin/Internationales/ InternationaleZusammenarbeit/CESR/cesr_node.html?_nnn=true. 5 CESR’s recommendations for the consistent implementation of the European Commission’s Regulation on Prospectuses nº 809/2004.
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Wertgutachtens abschließt, handelt es sich um einen Werkvertrag (§ 631 BGB): Geschuldeter Erfolg ist das Gutachten.6
1. Werkvertragliche Gewährleistungsrechte des Emittenten (§ 634 BGB) Weist das Gutachten einen Mangel i.S.d. § 633 Abs. 2 BGB auf, stehen dem Besteller die in § 634 BGB benannten Rechte zu.7 Er kann – soweit dies für ihn noch sinnvoll ist, also keine Mangelfolgeschäden eingetreten sind – Nacherfüllung verlangen (§§ 634 Nr. 1, 635 BGB), wobei das Wahlrecht zwischen Mangelbeseitigung und Erstattung eines neuen Gutachtens beim Sachverständigen liegt; ferner kann er vom Vertrag zurücktreten oder nach § 638 BGB die Vergütung mindern (§ 634 Nr. 3 BGB). Die Beseitigung des Mangels durch den Emittenten selbst (§ 634 Nr. 2 BGB) kommt nicht in Betracht, da der Emittent das Gutachten des Sachverständigen nicht verändern darf; denkbar ist jedoch die Beauftragung eines anderen Sachverständigen. Für die Praxis am bedeutendsten ist der Anspruch auf Schadensersatz gem. § 634 Nr. 4 BGB, der auf die allgemeinen Schadensersatznormen der §§ 280 ff. BGB verweist.
2. Deliktsrechtliche Ansprüche des Emittenten Ein deliktsrechtlicher Anspruch des Bestellers eines Gutachtens wird im Regelfall an den Voraussetzungen der §§ 823 ff. BGB scheitern. Bei den durch fehlerhafte Gutachten entstehenden Schäden handelt es sich stets um reine Vermögensschäden. Das Vermögen ist aber kein „sonstiges Recht“ i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB und gehört damit nicht zum Kreis der absolut geschützten Rechtsgüter.8 Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB setzt die Verletzung eines Schutzgesetzes durch das fehlerhafte Gutachten voraus. Teilweise wird vorgeschlagen, Berufspflichten für Experten zu entwickeln und diese als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB zu interpretieren.9 Die Konstruktion einer Gutachterhaftung über § 823 Abs. 2 BGB mag zwar mit Blick auf die Dritthaftungsproblematik verführerisch sein; ihre Konsequenz wäre jedoch eine
6 BGHZ 127, 378 (384); Bremer, Der Sachverständige, S. 31; Busche, in: MünchKommBGB, § 631 Rdnrn. 2, 261 ff. m.w.N; Palandt/Sprau, BGB, vor § 631 Rdnr. 24. 7 Vgl. zum Folgenden Brückner/Neumann, MDR 2003, 906 (909 ff.). 8 Wagner, in: MünchKomm-BGB, § 823 Rdnrn. 176 ff.; Canaris, in: FS Larenz, 1983, S. 27 (36 ff.); so auch die Rspr. seit RGZ 51, 92 (93). 9 Brüggemeier, AcP 182 (1982), 385 (423) spricht von „Sonderdeliktsrecht“; K. Huber, in: FS v. Caemmerer, 1978, S. 359 (377 ff.); Mertens, AcP 178 (1978), 227 (248 f.).
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uferlose Haftung des Sachverständigen gegenüber allen für (fast) alles.10 Dazu würde auch die vage und generalklauselartige Formulierung der wenigen kodifizierten Berufsvorschriften beitragen. Gute Gründe sprechen daher für die Zurückhaltung der Rechtsprechung, welche die Schutzgesetzeigenschaft sowohl für § 43 WPO 11 als auch für die Sachverständigenordnung einer Industrie- und Handelskammer12 abgelehnt hat. Der Vorsatz einer sittenwidrigen Schädigung des Bestellers, wie ihn § 826 BGB fordert, wird dem Sachverständigen nur in Ausnahmefällen nachweisbar sein.13 In den Fällen, in denen die Rechtsprechung einen Anspruch aus § 826 BGB bejaht hat, war sie zu einer sehr extensiven Interpretation des Begriffs der Sittenwidrigkeit gezwungen; eine sittenwidrige Schädigung wurde schon bejaht, wenn im Grunde nur grob sorgfaltswidrig gehandelt wurde.14 Die heutige Formel der Rechtsprechung lautet: „Erforderlich ist, dass sich der Sachverständige etwa durch nachlässige Ermittlungen zu den Grundlagen seines Auftrages oder gar durch ,ins Blaue‘ gemachte Angaben der Gutachtenaufgabe leichtfertig entledigt und damit eine Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Adressaten des Gutachtens oder den in seinem Informationsbereich stehenden Dritten an den Tag gelegt hat, die angesichts der Bedeutung, die das Gutachten für deren Entschließungen hatte, und der von ihm in Anspruch genommenen Kompetenz als gewissenlos bezeichnet werden muss.“ 15 Diese Formulierung ist weniger streng und noch dehnbarer als der sonst für die Bejahung der Sittenwidrigkeit geforderte Verstoß gegen das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ 16 und insofern nicht unbedenklich.
IV. Haftung gegenüber Anlegern Während der Emittent durch seine werkvertraglichen Gewährleistungsrechte, insbesondere durch den Schadensersatzanspruch, hinreichend geschützt ist, bereiten die Ansprüche geschädigter Anleger erhebliche Probleme. 10
Grunewald, AcP 187 (1987), 285 (297). OLG Saarbrücken BB 1978, 1434 (1436); der BGH zieht eine Schutzgesetzeigenschaft des § 43 WPO in NJW 1973, 321 nicht einmal in Erwägung. 12 BGH WM 1966, 1148 (1150). 13 Die Beschränkung des § 826 BGB auf vorsätzliche Schädigungen wird in der Literatur kritisiert, vgl. Wagner, in: MünchKomm-BGB; § 823 Rdnr. 178 („folgenschwerer Fehler“, „Prokrustesbett“); Schäfer, AcP 202 (2002), 808 (836). 14 Vgl. BGH WM 1966, 1148 (1150); zur Kritik an der Ausweitung von § 826 vgl. Ebke, Wirtschaftsprüfer und Dritthaftung, S. 55 f.; Grunewald, AcP 187 (1987), 285 (306); Honsell, JZ 1985, 952 (953). 15 BGH NJW 2004, 3035 (3038); NJW 2003, 2825 (2826); NJW 1991, 3282 (3283). 16 Vgl. nur Mayer-Maly/Armbrüster, in: MünchKomm-BGB, § 138 Rdnrn. 14 f. m.w.N. 11
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Bei ihnen scheiden vertragliche Ansprüche mangels vertraglichen Kontakts zu dem Sachverständigen von vornherein aus.
1. § 44 BörsG als mögliche Anspruchsgrundlage Die zentrale Anspruchsgrundlage für Ansprüche des Erwerbers von Wertpapieren wegen Fehlern im Prospekt ist § 44 Abs. 1 BörsG.17 Demnach haftet für unrichtige oder unvollständige Angaben im Prospekt derjenige, der für den Prospekt die Verantwortung übernommen hat (Var. 1) oder von dem der Erlass des Prospekts ausgeht (Var. 2). Im Einzelfall kann die Abgrenzung der Varianten Schwierigkeiten bereiten.18 Die Rechtsfolge ist ein besonders ausgestalteter gesetzlicher Anspruch des Anlegers auf den ersatzfähigen Schaden, auch wenn der Wortlaut des § 44 BörsG zunächst an eine Art Rücktrittsrecht denken lässt. Ein Anspruch gegen Sachverständige lässt sich allerdings nach ganz herrschender Auffassung auch dann nicht auf § 44 BörsG stützen, wenn diese mit eigenen Aussagen im Prospekt in Erscheinung treten.19 a) Sachverständige als Prospektverantwortliche Ein Sachverständiger, dessen Gutachten Eingang in den Prospekt (etwa einer REIT-AG) gefunden hat, könnte zunächst i.S.v. § 44 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 BörsG für den Prospekt „die Verantwortung übernommen“ haben. Die Verantwortung trägt jedoch nur, wer für den gesamten Prospekt und nicht lediglich für einzelne Abschnitte verantwortlich ist.20 Das sind diejenigen, die den Prospekt erlassen und nach außen erkennbar die Verantwortung für ihn übernommen haben, also der Emittent und die emissionsbegleitenden Banken.21 Vereinzelt wird vertreten, die börsengesetzliche Prospekthaftung solle „richtigerweise“ im Wege extensiver Auslegung auch auf denjenigen ausgedehnt werden, von dem nur Teile des Prospekts stammen; dessen Haftung müsse sich aber auf diese Teile beschränken.22 Begründet wird dies mit dem Wegfall von § 45 Abs. 2 BörsG a.F. und rechtsvergleichenden Betrachtungen. 17 § 44 BörsG gilt für Wertpapiere, die zum amtlichen Handel zugelassen sind. Für Wertpapiere, die zum geregelten Markt (§ 49 BörsG) zugelassen sind, enthält § 55 BörsG eine Verweisung auf § 44 BörsG. 18 Hamann, in: Schäfer/Hamann, Kapitalmarktgesetze, §§ 44, 45 BörsG Rdnr. 95 m.w.N. 19 Vortmann, Prospekthaftung und Anlageberatung, 2000, § 3 Rdnrn. 54, 55. 20 Assmann, AG 2004, 435 (436); Vortmann (o. Fußn. 19), § 3 Rdnrn. 54, 55. 21 Vortmann (o. Fußn. 19), § 3 Rdnr. 50; Lenenbach, Kapitalmarkt- und Börsenrecht, 2000, S. 433; Schwark, Kapitalmarktrechtskommentar, 3. Aufl. (2004), § 45 BörsG Rdnr. 8. 22 Bosch, ZHR 163 (1999), 274 (281 f.).
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Gleichwohl ist dieser Auffassung nicht zu folgen, da sie im Gesetz keine Stütze findet; es handelt sich somit um eine rein rechtspolitische Erwägung. Die Verantwortlichkeit für Teile des Prospekts ist eine Besonderheit der allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftung. b) Sachverständige als Personen, von denen der Prospekt ausgeht Sachverständige könnten jedoch zu den Personen zählen, von denen der Prospekt ausgeht.23 Bei diesen handelt es sich um Unternehmen oder Einzelpersonen, die wegen eines eigenen wirtschaftlichen Interesses an der Emission als eigentliche Urheber des Prospekts gelten und daher ebenfalls die Gesamtverantwortung für diesen tragen. Beispiele sind Großaktionäre oder Mitglieder der Verwaltungsorgane von emittierenden Unternehmen.24 Von diesem Personenkreis unterscheiden sich Sachverständige jedoch grundlegend: Sie haben regelmäßig gerade kein eigenes Interesse an der Emission, sondern sind ausschließlich an der Vergütung ihrer Arbeit interessiert; das bloße Vergütungsinteresse vermag jedoch keine börsenrechtliche Haftung zu begründen.25 Auch ist der Einfluss Sachverständiger zu gering, als dass man eine Gesamtverantwortung für den Prospekt annehmen könnte.26 Nicht die Sachverständigen veranlassen den Prospekt, sondern der Emittent. c) Anspruch des Anlegers aus § 44 Abs. 1 BörsG analog? Kann die börsengesetzliche Prospekthaftung nach alldem einen Anspruch des Anlegers gegen den Sachverständigen nicht begründen, käme allenfalls eine analoge Anwendung des § 44 Abs. 1 BörsG in Betracht. Eine Analogie setzt das Bestehen einer planwidrigen Regelungslücke voraus. Planwidrig ist eine Regelungslücke, wenn sie dem Gesetzgeber nicht bewusst war.27 Dies kann man bei der Haftung von Sachverständigen wohl kaum annehmen: Die Prospekthaftung war wiederholt Gegenstand legislativer Reformvorhaben, sodass der Gesetzgeber zu einer Einbeziehung der Expertenhaftung mehrfach Gelegenheit gehabt hätte.28
23 Dies nimmt offenbar Groß, Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. (2006), §§ 45, 46 BörsG, Rdnr. 37 an. 24 Hamann, in: Schäfer/Hamann (o. Fußn. 18), §§ 44, 45 BörsG Rdnrn. 91 f.; Lenenbach (o. Fußn. 21), S. 433; Schwark (o. Fußn. 21), § 45 BörsG Rdnr. 9. 25 Hamann, in: Schäfer/Hamann (o. Fußn. 18), §§ 44, 45 BörsG Rdnr. 93 für Wirtschaftsprüfer. 26 Assmann, AG 2004, 435 (437). 27 Schmalz, Methodenlehre, S. 140. 28 Assmann, AG 2004, 435 (436), der u.a. auf das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz vom 24.3.1998 verweist; ebenso Meyer, WM 2003, 1301 (1309).
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d) Zwischenergebnis Eine Haftung des Sachverständigen gegenüber dem Anleger nach § 44 Abs. 1 BörsG scheidet somit sowohl in direkter als auch in analoger Anwendung der Vorschrift aus; sie kann sich ausschließlich aus anderen Anspruchsgrundlagen ergeben.
2. Allgemeine zivilrechtliche Prospekthaftung a) Zweck und Rechtsgrundlage Ein Anspruch des Anlegers gegen den Sachverständigen kann sich nach den Grundsätzen der allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftung ergeben. Diese Haftung wurde insbesondere für den Anlegerschutz in PublikumsKGs entwickelt 29; Haftungsgrund ist das typisierte, auf einer besonderen beruflichen Stellung beruhende Vertrauen, das Anleger oder Beitrittsinteressenten den Haftungsadressaten (z.B. der Unternehmensleitung, aber auch Sachverständigen) entgegenbringen.30 Rechtsgrundlage der allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftung dürfte nunmehr der durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz neu eingefügte § 311 Abs. 3 BGB sein. § 311 Abs. 3 BGB statuiert eine vorvertragliche Vertrauenshaftung: Er knüpft an den intendierten Aktienkaufvertrag an und begründet die Haftung des Sachverständigen mit der Inanspruchnahme von Vertrauen in seine Sachkunde im Vorfeld der Anlageentscheidung. Damit kodifiziert er die von der Rechtsprechung entwickelte Sachwalterhaftung.31 In der Begründung des Regierungsentwurfs heißt es dazu: „Angesprochen ist damit auch die Sachwalterhaftung. Es handelt sich um die Haftung von Sachverständigen oder anderer ,Auskunftspersonen‘, die nicht selbst ein Eigeninteresse an einem Abschluss des Vertrags haben, dennoch aber durch ihre Äußerungen entscheidend zum Vertragsschluss beitragen, weil sich ein Vertragspartner auf ihre Objektivität und Neutralität verlässt. Hierfür hat sich der Begriff Sachwalter eingebürgert.“ b. Anwendbarkeit der allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftung Möglicherweise ist die allgemeine zivilrechtliche Prospekthaftung bei Ansprüchen gegen Sachverständige, deren Gutachten Teil eines Prospekts sind, 29 BGHZ 71, 284; Einsele, Bank- und Kapitalmarktrecht, S. 334; v. Stebut, ZIP 1992, 1698 ff. 30 Bamberger, in: Derleder/Knops/Bamberger (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, § 44 Rdnr. 37; v. Stebut, ZIP 1992, 1698 (1698 f.). 31 BT-Drucks. 14/6040, 163; Pinger/Behme, JuS 2008, 675 (678); Emmerich, in: MünchKomm-BGB, § 311 Rdnr. 234; Henssler, in: Henssler (Hrsg.), Praxis der Schuldrechtsreform, S. 28.
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jedoch nicht anwendbar. Dies wäre der Fall, wenn aus § 47 Abs. 2 BörsG folgen würden, dass sie im Anwendungsbereich der börsengesetzlichen Prospekthaftung generell ausgeschlossen ist. In der Literatur wird die Frage insbesondere in Bezug auf die Haftung von Wirtschaftsprüfern für ihre in den Prospekt aufgenommenen Testate erörtert. Die Erwägungen zur Haftung von Wirtschafsprüfern lassen sich grundsätzlich ohne weiteres auf die Haftung sonstiger Experten übertragen. Die börsengesetzliche Prospekthaftung nach § 44 Abs. 1 BörsG enthält eine Haftungsprivilegierung – der Anspruchsgegner hat lediglich den Erwerbspreis zu erstatten; überdies ist die Haftung gem. § 45 Abs. 1 BörsG auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt. Für den Wirtschaftsprüfer ist es somit günstiger, einem Anspruch aus § 44 Abs. 1 BörsG ausgesetzt zu sein als der allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftung: Denn danach würde er auch für leichte Fahrlässigkeit haften (§ 276 Abs. 1 Satz 1 BGB), und zwar in dem durch § 249 BGB vorgesehenen weiteren Umfang (Naturalrestitution). Der Wirtschaftsprüfer würde somit einer schärferen Haftung unterliegen als der Emittent und die emissionsbegleitenden Banken. Deren Haftung richtet sich nämlich ausschließlich nach § 44 Abs. 1 BörsG. Eine darüber hinausgehende Haftung von Wirtschaftsprüfern soll angeblich deren berufstypisches Haftungsrisiko überschreiten; „daher“ wird sie abgelehnt.32 So plausibel diese Auffassung auf den ersten Blick erscheint, so wenig vermag sie letztlich zu überzeugen. Sie würde bedeuten, dass ein Wirtschaftsprüfer grundsätzlich zwar nach allgemeinem Zivilrecht haften würde; durch die Aufnahme des Testates in den Prospekt würde diese Haftung jedoch ausgeschlossen und der Anleger auf den Anspruch aus § 44 Abs. 1 BörsG beschränkt. Mit anderen Worten: Der Wirtschaftsprüfer würde durch die Aufnahme des Testates in den Prospekt privilegiert. Dafür besteht allerdings kein Anlass – die an den Wirtschafsprüfer zu stellenden Sorgfaltsanforderungen mindern sich nicht etwa dadurch, dass sein Testat für eine Vielzahl von Anlegern Bedeutung erlangt. Zudem lässt es sich durchaus begründen, dass die Prospektverantwortlichen einer weniger scharfen Haftung ausgesetzt sind als Wirtschaftsprüfer oder Sachverständige: Sie, die Prospektverantwortlichen, haben gar keine andere Wahl als sich auf deren Expertise zu verlassen. Ließe man die Prospektverantwortlichen schon für bloße Fahrlässigkeit haften, würden ihnen Überprüfungspflichten aufgebürdet, die sie praktisch nicht erfüllen könnten. Damit würden sie im Ergebnis stets auch für solche Fehler des Prospekts haften, die sie gar nicht zu verantworten haben. Aus diesem Grunde spricht nichts dagegen, Wirtschaftsprüfer für ihre in den Prospekt aufgenommenen Testate nach den Grundsätzen der allgemei-
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Hamann, in: Schäfer/Hamann (o. Fußn. 18), §§ 44, 45 BörsG Rdnr. 103.
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nen zivilrechtlichen Prospekthaftung, also nach § 311 Abs. 3 BGB haften zu lassen. Gleiches muss grundsätzlich auch für Sachverständige gelten, deren Gutachten in einen Prospekt integriert wurden. Eine praktisch sehr bedeutende und in der Literatur bislang nicht erkannte Ausnahme muss allerdings für die Haftung für Gutachten anerkannt werden, die bei Gründung einer REIT-AG von vornherein ausschließlich erstellt werden, um in den REIT-Prospekt aufgenommen zu werden. Die Erstellung von Gutachten, die den Wert der Immobilien der REIT-AG ermitteln, wird regelmäßig notwendig sein, um den CERS’s recommendations Rechnung zu tragen; fehlt das Gutachten, wird die BaFin den Prospekt nicht billigen (s.o.). Hier besteht ein gewichtiger Unterschied zum Wirtschaftsprüfertestat, das unabhängig von der Börsennotierung und dem Unternehmensgegenstand zu erstellen ist: Bei Sachverständigen, die von vornherein nur im Rahmen der Prospekterstellung tätig werden, kann von einer „Privilegierung“ durch Aufnahme des Wertgutachtens in den Prospekt nicht die Rede sein, da das Wertgutachten ohne den Prospekt gar nicht erstellt würde. In diesem Fall muss man davon ausgehen, dass die §§ 44, 45 BörsG mit ihrer Haftungsprivilegierung eine abschliessende Regelung enthalten. Das bedeutet: Die allgemeine zivilrechtliche Prospekthaftung ist ausgeschlossen, ein Anspruch gegen den Sachverständigen aus § 311 Abs. 3 BGB kommt auch nicht in Betracht.
3. Haftung nach den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter Deliktsrechtliche Ansprüche des Anlegers gegen den Sachverständigen scheitern aus denselben Gründen wie solche des Emittenten: Die Voraussetzungen der deliktsrechtlichen Tatbestände sind zu eng; insbesondere wird sich der Vorsatz einer sittenwidrigen Schädigung von Anlegern (§ 826 BGB) so gut wie nie nachweisen lassen. Es bleibt damit nur die Möglichkeit einer Haftung des Sachverständigen gegenüber dem Anleger aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB in Verbindung mit den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Dabei wird an den auf Herstellung des Gutachtens gerichteten Werkvertrag zwischen dem Emittenten und dem Sachverständigen angeknüpft. Ihre Grundlage findet die Schutzwirkung zugunsten Dritter nach der Rechtsprechung in einer ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB).33 Die Literatur erblickt die Rechtsgrundlage des vertraglichen Drittschutzes dagegen in einer auf dem Prinzip von Treu und Glauben (§ 242 BGB) be33 Zustimmend Dahm, JZ 1992, 1167 (1169 f.); Palandt/Heinrichs, BGB, § 328 Rdnr. 14; RGZ 127, 218 (222); BGHZ 56, 269 (273); BGH NJW 1984, 355 (356); BGH NJW 2004, 3025 (3036).
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ruhenden richterlichen Rechtsfortbildung.34 Für die Praxis ist die Frage letztlich irrelevant.35 Wenngleich die Befürchtung auf den ersten Blick nachvollziehbar scheint, dass mit der Bejahung eines solchen Anspruchs das Haftungsrisiko für den Sachverständigen wegen der Fülle der Schutzbegünstigten unübersehbar wird,36 deutet vieles darauf hin, dass der Anleger in der Praxis Ansprüche gegen den Sachverständigen am ehesten auf diese Grundlage stützen kann.37 Im Folgenden sollen die Voraussetzungen des vertraglichen Drittschutzes daher näher beleuchtet werden. a) Leistungsnähe Um in den Schutzbereich des Vertrages einbezogen zu werden, muss sich der Anleger zunächst in Leistungsnähe befinden, d.h. den Gefahren des Schuldverhältnisses in gleichem Maße ausgesetzt sein wie der Gläubiger.38 Gutachten Sachverständiger, die in den Prospekt einer REIT-AG aufgenommen werden, dienen der Information von Anlegern über die Vermögensverhältnisse der REIT-AG; sie sollen ihnen ermöglichen, das Risiko einer Investition in Aktien der REIT-AG realistisch einzuschätzen und sie letztlich dazu bewegen, Aktien zu erwerben. Es ist gerade das Vermögen der Anleger, das durch Bewertungsfehler gefährdet wird; das Kriterium der Leistungsnähe ist mithin erfüllt. b) Einbeziehungsinteresse des Emittenten Der Emittent muss zudem ein besonderes Interesse am Schutz des Anlegers haben.39 Die ältere Rechtsprechung hat hierfür verlangt, dass der Gläubiger für das „Wohl und Wehe“ des Dritten verantwortlich ist; bejaht wurde dies bei Rechtsverhältnissen mit personenrechtlichem Einschlag zwischen Gläubiger und Drittem.40 Ein solches besteht zwischen Emittent und Anleger nicht. Der BGH musste jedoch erkennen, dass Fälle, in denen es um die Haftung von Sachverständigen geht, mit der Wohl und Wehe-Formel nicht zu bewältigen sind. Inzwischen bejaht er das Einbeziehungsinteresse des 34 Larenz, Allgemeines Schuldrecht, S. 227; ihm folgend Assmann, JuS 1986, 885 (887); Bayer, JuS 1996, 473 (475 f.); Gottwald, in: MünchKomm-BGB, § 328 Rdnr. 102. 35 Vgl. BGHZ 56, 269 (273); BGH NJW 1975, 867 (868). 36 Assmann, AG 2004, 435 (437 f.); Schwark (o. Fußn. 21), § 45 BörsG Rdnr. 12; positiver äußert sich Mülbert, JZ 2002, 826 (833). 37 Die Möglichkeit eines solchen Anspruchs erkennen auch Hamann, in: Schäfer/ Hamann, §§ 44, 45 BörsG Rdnr. 95; Zimmer/Binder, WM 2005, 577 (579). 38 BGHZ 70, 329; Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, S. 356 f.; Looschelders, Allgemeines Schuldrecht, Rn. 205; Medicus, Schuldrecht I, Rdnr. 774. 39 Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, S. 357; Looschelders, Allgemeines Schuldrecht, Rn. 206 f.; Medicus, Schuldrecht I, Rdnr. 775. 40 Siehe nur BGHZ 56, 269 (273); Palandt/Grüneberg, § 328 Rdnr. 17.
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Gläubigers sogar dann, wenn die Interessen von Gläubiger und Drittem gegenläufig sind. Wer bei einer Person, die über eine besondere, vom Staat anerkannte Sachkunde verfügt (z.B. öffentlich bestellter Sachverständiger, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater), ein Gutachten oder eine gutachtliche Äußerung bestelle, um davon gegenüber einem Dritten Gebrauch zu machen, sei in der Regel daran interessiert, dass die Ausarbeitung die entsprechende Beweiskraft besitzt. Dies sei jedoch nur dann gewährleistet, wenn der Verfasser sie objektiv nach bestem Wissen und Gewissen erstelle und auch dem Dritten gegenüber dafür einstehe.41 Auf diese Weise lässt sich das Interesse des Emittenten an der Einbeziehung des Anlegers in den Schutzbereich des Gutachtervertrags unproblematisch bejahen: Der Emittent bestellt das Gutachten ausschließlich zum dem Zweck, es gegenüber dem Anleger als Adressaten des Prospekts zu verwenden; er hat ein Interesse daran, dass sich der Anleger auf die Angaben im Prospekt verlässt und in die Aktien der REITAG investiert. Beim Emittenten selbst kann durch Fehler des Gutachtens kein Schaden auftreten; einen Vermögensnachteil kann vielmehr nur der Anleger erleiden, der bei Kenntnis der wahren Grundstückswerte keine Anteile des Emittenten erworben hätte. Unlängst hat der BGH in einem ähnlichen Fall die Einbeziehung einer namentlich nicht bekannten Vielzahl von Kapitalanlegern in den Schutzbereich des Gutachtervertrags zwischen dem Emittenten von Anleihen und dem Sachverständigen bejaht. Eine Ausweitung der Gutachterhaftung gegenüber Dritten sei damit nicht verbunden, weil durch ihre Einbeziehung eine Ausweitung des Haftungsrisikos nicht eintrete. Das Risiko des Sachverständigen werde vielmehr durch den von ihm in seinem Gutachten festgestellten Wert des Grundstücks begrenzt.42 Es ist nicht davon auszugehen, dass der BGH bei der Einbeziehung von Aktionären einer REIT-AG anders entscheiden würde als bei der Einbeziehung einer Vielzahl privater Kreditgeber. Die Entscheidung überzeugt sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung; die vereinzelt vorgebrachte Kritik, wonach derartige Fälle mit dem Institut der Drittschadensliquidation zu lösen seien,43 ist zweifelhaft, da der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter der Drittschadensliquidation nach richtiger Auffassung vorgeht.44 c) Erkennbarkeit für den Sachverständigen Eine Haftung des Sachverständigen setzt voraus, dass dieser die Drittbezogenheit der Leistung und das Einbeziehungsinteresse des Dritten 41 BGH JZ 1995, 306 mit Anmerkung Medicus; bestätigt in BGH NJW 1998, 1059 (1060). 42 BGHZ 159, 1 (10). 43 Oechsler, LMK 2004, 178 (179). 44 Gottwald, in: MünchKomm-BGB, § 328 Rdnr. 29.
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kennt.45 Namen und Anzahl der in den Schutzbereich des Vertrags einbezogenen Dritten brauchen ihm nicht bekannt zu sein.46 Wenn ein Wertgutachten zur Aufnahme in den Prospekt einer REIT-AG erstellt wird, bereitet diese Voraussetzung keine Probleme; der Vertrag zwischen dem Sachverständigen und der REIT-AG wird regelmäßig eine entsprechende Zweckbestimmung enthalten. d) Schutzbedürftigkeit des Anlegers Ein Anspruch des Anlegers gegen den Sachverständigen nach den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter setzt schließlich voraus, dass er schutzbedürftig ist. Diese Voraussetzung beruht auf der Annahme der Subsidiarität des vertraglichen Drittschutzes, die ihren Grund darin hat, dass seine einzige gesetzliche Grundlage im Prinzip von Treu und Glauben (§ 242 BGB) liegt. Die Schutzbedürftigkeit des Anlegers hängt von seinen sonstigen Ansprüchen ab: Ein Anspruch nach den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter soll ausscheiden, wenn der Dritte eigene vertragliche Ansprüche gegen den Gläubiger oder einen anderen hat.47 Deliktsrechtliche Ansprüche sollen dagegen unbeachtlich sein.48 Vertragliche Ansprüche des Anlegers kommen regelmäßig nicht in Betracht. Zu dem Sachverständigen besteht keinerlei vertragliche Beziehung. Ansprüche können daher allenfalls aus dem Aktienkaufvertrag gegen den Veräußerer der Anteile abgeleitet werden. Der Verkäufer (das ist nur ausnahmsweise der Emittent oder die emissionsbegleitenden Banken) haftet gem. §§ 453, 433 Abs. 1 Satz 2 analog, 437 BGB dafür, dass die Aktien frei von Rechten Dritter sind.49 Fehlerhafte Angaben im Prospekt können aber weder einen Rechts- noch einen Sachmangel der Aktie darstellen.50 Ansprüche des Anlegers wegen der Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten durch Verbreitung des Prospekts würden einen besonderen vorvertraglichen Kontakt voraussetzen, der zu dem Sachverständigen nie und zu den Prospektverantwortlichen jedenfalls nur ganz ausnahmsweise besteht.51 Ein vorvertraglicher Kontakt kommt lediglich zwischen dem Anleger und seiner anlagevermittelnden Bank zustande. Gegen diese wird man aber kaum einen Verschuldensvorwurf erheben können, der Voraussetzung
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BGHZ 49, 350 (354); BGHZ 75, 321 (323); Palandt/Grüneberg, § 328 Rdnr. 18. BGH NJW 1995, 51 (53); Gottwald, in: MünchKomm-BGB, § 328 Rdnr. 126; Looschelders, AS, Rdnr. 208. 47 BGH NJW 1996, 2927 (2929). 48 BGHZ 133, 168 (173); kritisch Schwarz, AcP 203 (2003), 348 (349 ff., 364). 49 Zum Ganzen Schwark, Kapitalmarktrechtskommentar, § 47 BörsG Rdnr. 3. 50 Schwark, Kapitalmarktrechtskommentar, § 47 BörsG Rdnr. 3 Fußn. 4, Rdnr. 4. 51 Hamann, in: Schäfer/Hamann, § 47 BörsG Rdnr. 6; Waldeck/Süßmann, WM 1993, 361 (367); v. Westphalen, BB 1994, 85 (88). 46
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einer vorvertraglichen Haftung wäre (§§ 280 Abs. 1 Satz 2, 276 BGB): Selbst wenn man eine Pflicht der beratenden Bank zur Prüfung des Prospekts bejaht,52 deren Verletzung dementsprechend einen Schadensersatzanspruch des Anlegers begründen würde, kann man ihr jedenfalls nicht die Verifizierung von Sachverständigengutachten abverlangen, die Teil des Prospekts sind. Der Anleger hat also keine vertraglichen oder vorvertraglichen Ansprüche gegen den Sachverständigen, die Prospektverantwortlichen oder seine vermittelnde Bank. Die Frage nach der Schutzbedürftigkeit stellt sich somit nur in zwei Konstellationen: (1) Der Anleger hat ausnahmsweise einmal einen deliktsrechtlichen Anspruch, weil die Voraussetzungen des § 826 BGB erfüllt sind. (2) Der Anleger hat einen Anspruch gegen die Prospektverantwortlichen aus § 44 Abs. 1 BörsG. Die erste Konstellation bereitet unter Zugrundelegung der herrschenden Meinung keine Probleme: Der Anspruch aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB in Verbindung mit den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter soll unabhängig von deliktsrechtlichen Ansprüchen bestehen (s.o.). Die zivilrechtsdogmatische Frage, ob für ein Nebeneinander dieser Ansprüche ein Bedürfnis bzw. eine Rechtfertigung besteht, kann an dieser Stelle nicht vertieft werden.52a Bei der zweiten Konstellation stellt sich die ansonsten kaum je praxisrelevante Frage nach der Rechtsnatur von Ansprüchen aus § 44 Abs. 1 BörsG: Sind diese eher den vertraglichen oder eher den deliktsrechtlichen Ansprüchen vergleichbar? Eine vertragliche Einordnung der Prospekthaftung wird – soweit ersichtlich – nur von Köndgen postuliert. Er interpretiert den Prospekt als rechtsgeschäftliche Erklärung des Prospektherausgebers.53 Das hätte zur Folge, dass ein Anspruch gegen den Sachverständigen nach den Grundsätzen des vertraglichen Drittschutzes ausscheiden würde, wenn zugleich ein Anspruch aus § 44 Abs. 1 BörsG gegen die Prospektverantwortlichen besteht. Jedoch besteht zwischen den Prospektverantwortlichen und dem Anleger gerade keine rechtsgeschäftliche Beziehung: Die Aussagen im Prospekt, die allesamt nur informatorischen Charakter haben, können nicht als Ausdruck eines rechtsgeschäftlichen Bindungswillens aufgefasst werden.54 Eine Qualifikation des Anspruchs aus § 44 Abs. 1 BörsG als deliktsrechtlich 55 würde bedeuten, dass daneben ein Anspruch nach den Grundsätzen 52 In BGH BB 1993, 1903 bejaht der BGH eine Prüfpflicht der Bank bei der Empfehlung ausländischer Wertpapiere; v. Westphalen, BB 1994, 85 (89) will sie im Zweifel auch bei der Empfehlung inländischer Wertpapiere bejahen. 52a Dagegen ausführlich Pinger/Behme, JuS 2008, 675 (677). 53 Köndgen, AG. AG 1983, 85 (90 ff.). 54 Canaris, FS Larenz, 1983, S. 25 (92); Hamann, in: Schäfer/Hamann, §§ 44, 45 BörsG Rdnr. 35. 55 Dafür Assmann, Prospekthaftung, S. 377 Fn. 1; v.Bar, ZGR 1983, 476 (496 ff.).
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des vertraglichen Drittschutzes in Betracht kommt. Allerdings würde auf diese Weise eine deliktsrechtliche Haftung für fahrlässig verursachte bloße Vermögensschädigungen bejaht; mit der Systematik des deutschen Deliktsrechts, welches das Vermögen nur unter den strengen Voraussetzungen der §§ 823 Abs. 2, 826 BGB schützt, wäre dies nicht zu vereinbaren.56 Letztlich sprechen gegen die Annahme einer deliktsrechtlichen Haftung für die Verletzung vertragsunabhängiger Informationspflichten dieselben Argumente, mit denen bereits die Anerkennung von Berufspflichten als Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB abgelehnt wurde (s.o.): Die deliktsrechtliche Haftung würde in systemwidriger Weise ausgedehnt. Als einzig gangbarer Weg erscheint die Einordnung als eine kraft Gesetzes eintretende Vertrauenshaftung,57 zumal diese Erklärung am ehesten mit der Rechtsnatur der allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftung in Einklang steht.58 Über das Verhältnis zum vertraglichen Drittschutz ist mit einer solchen Einordnung jedoch noch keine Aussage getroffen. Es ist daher durch einen Vergleich der beiden Ansprüche zu ermitteln; mit anderen Worten ist danach zu fragen, ob ein Bedürfnis danach besteht, neben der gesetzlich verankerten börsengesetzlichen Prospekthaftung einen Anspruch anzuerkennen, der seine Grundlage in einer bloßen richterlichen Rechtsfortbildung hat und daher subsidiär ist (s.o.). Diese Frage wird von der Rechtsprechung für das Verhältnis von allgemeiner zivilrechtlicher Prospekthaftung und vertraglichem Drittschutz bejaht.59 Auch wenn das Subsidiaritätsargument gegenüber der nicht kodifizierten Prospekthaftung nicht dieselbe Überzeugungskraft besitzt wie gegenüber dem Anspruch aus § 44 Abs. 1 BörsG, sind die Erwägungen des BGH doch auf das Verhältnis von börsengesetzlicher Prospekthaftung und vertraglichem Drittschutz übertragbar. Für letzteren bleibt deshalb Raum, weil die Ansprüche nicht gleichwertig sind. Zum einen greift § 44 Abs. 1 BörsG nur bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit (§ 45 Abs. 1 BörsG) und ist nur auf Übernahme der Wertpapiere Zug um Zug gegen Erstattung des Erwerbspreises gerichtet; insofern bleibt er hinter der Naturalrestitution (§ 249 BGB) zurück. Zum anderen verjährt er gem. § 46 BörsG in einem Jahr seit dem Zeitpunkt, zu dem der Erwerber von der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben des Prospekts Kenntnis erlangt hat, spätestens jedoch in drei Jahren seit der Veröffentlichung des Prospekts. Demgegenüber unterliegt der Anspruch aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB in Verbindung mit den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zuguns-
56 Canaris, FS Larenz, 1983, S. 25 (92 f.); Hamann, in: Schäfer/Hamann, §§ 44, 45 BörsG Rdnr. 34. 57 Canaris, FS Larenz, 1983, S. 25 (93); zust. Groß, Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. (2006), §§ 45, 46 BörsG, Rdnr. 9; Hamann, in: Schäfer/Hamann, §§ 44, 45 BörsG Rdnr. 36. 58 Schwark, Kapitalmarktrechtskommentar, § 47 BörsG Rdnr. 3 59 BGH NJW 2004, 3420 (3421).
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ten Dritter der regelmäßigen Verjährung von drei Jahren (§ 195 BGB). Die Verjährung ist ein ganz entscheidender Gesichtspunkt: Auch das Nebeneinander von deliktsrechtlichen Ansprüchen und vertraglichem Drittschutz wurde vor der Angleichung der Verjährungsvorschriften im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung damit begründet, dass deliktsrechtliche Schadensersatzansprüche gem. § 852 BGB a.F. einer Verjährungsfrist von drei Jahren unterlagen, während für vertragliche Ansprüche die regelmäßige Verjährung von damals noch 30 Jahren galt.60
4. Ergebnis Wenn ein in den Prospekt einer REIT-AG integriertes Wertgutachten fehlerhaft ist, besteht ein Anspruch des Anlegers gegen den Sachverständigen nach den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Dieser Anspruch besteht unabhängig von deliktsrechtlichen Ansprüchen des Anlegers und ist auch dann zu bejahen, wenn der Anleger zugleich einen Anspruch gegen die Prospektverantwortlichen aus § 44 BörsG hat.
60 Siehe BGHZ 56, 269 (271) unter Verweis auf BGH VersR 1956, 500. Ein bekannten „Gemüseblattfall“ (BGHZ 66, 51) bestand ein Anspruch der Klägerin, die in einem Selbstbedienungsladen auf einem Gemüseblatt ausrutschte und zu Schaden kam, wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten; er wäre aber nach § 852 BGB verjährt gewesen. Daher bezog der BGH die Klägerin in den Schutzbereich der vorvertraglichen Sonderverbindung der einkaufenden Mutter zum Ladeninhaber ein und gewährte Schadensersatz; vgl. auch Pinger/Behme, JuS 2008, 675 (677).
„Acting in Concert“ im deutschen Kapitalmarkt- und Gesellschaftsrecht Richtungsänderung durch das Risikobegrenzungsgesetz 2008? Claus Wecker und Sorika Pluskat I. Einleitung Das Rechtsinstitut des sogenannten „Acting in Concert“ (also des abgestimmten Verhaltens) von Gesellschaftern/Aktionären, das auch in anderen Rechtsordnungen wie beispielsweise in den USA, in Großbritannien und in Frankreich 1 bekannt ist, aber keinen fest definierten Rechtsbegriff hervorgebracht hat, gibt es im deutschen Kapitalmarkt- und Gesellschaftsrecht in zweierlei Ausprägung. Zum einen gibt es dieses Rechtsinstitut als wertpapierhandelsrechtlichen Zurechnungstatbestand in § 22 Abs. 2 WpHG mit der Folge entsprechender Mitteilungspflichten des Meldepflichtigen nach §§ 21 ff. WpHG und der entsprechenden Veröffentlichungspflicht des Emittenten nach § 26 WpHG. § 22 Abs. 1 WpHG enthält bestimmte Zurechnungstatbestände, die relativ eng umgrenzt sind. § 22 Abs. 2 WpHG enthält zudem eine Zurechnungsvorschrift, die das abgestimmte Verhalten als Zurechnungstatbestand umschreibt. Bei Verstoß gegen die Mitteilungspflichten unterliegt der Meldepflichtige gemäß § 28 WpHG solange einem Rechtsverlust hinsichtlich der aus den betreffenden Aktien resultierenden Mitgliedschaftsrechte, wie er der Mitteilungspflicht nicht nachkommt. Zudem ist ein Verstoß durch bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeit nach § 39 Abs. 2 Nr. 2e) WpHG sanktioniert. Zum anderen gibt es das Rechtsinstitut des Acting in Concert als übernahmerechtlichen Zurechnungstatbestand in § 30 Abs. 2 WpÜG. Ein Aktionär, der die Kontrolle (= Halten von mindestens 30 % der Stimmrechte, vgl. § 29 Abs. 2 WpÜG) über eine (deutsche) börsennotierte Gesellschaft (Zielgesellschaft) erlangt hat, muss ein Pflichtangebot abgeben (§ 35 Abs. 1 S. 1 WpÜG) und damit allen übrigen Aktionären ein Angebot auf Übernahme ihrer Aktien machen. Bei den für die Kontrollerlangung maßgeblichen Stimmrechten werden nicht nur die Stimmrechte aus von ihm selbst gehaltenen Aktien gezählt, 1 Näher Spindler, WM 2007, 2357 (2363) zur Regelung des Acting in Concert in den USA und Großbritannien.
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sondern auch solche aus von Dritten gehaltenen Aktien, die dem Bieter aus bestimmten Gründen zugerechnet werden. § 30 Abs. 1 WpÜG enthält solche Zurechnungstatbestände, die allerdings relativ eng umgrenzt sind. § 30 Abs. 2 WpÜG enthält zudem eine Zurechnungsvorschrift, die das abgestimmte Verhalten als Zurechnungstatbestand umschreibt. Bei einem Verstoß gegen die mit einem Pflichtangebot nach § 35 Abs. 1 Satz 1 WpÜG verbundenen Pflichten drohen öffentlich-rechtliche und zivilrechtliche Sanktionen. Der Verstoß ist auch hier mit dem Ruhen der Stimmrechte nach § 59 WpÜG und als bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeit nach § 60 WpÜG sanktioniert. Ferner droht bei der Nichtabgabe des Pflichtangebots die Verzinsungspflicht gemäß § 38 WpÜG, die den Aktionären der Zielgesellschaft einen entsprechenden Anspruch einräumt. Die Auslegung der beiden parallelen Vorschriften in § 22 Abs. 2 WpHG und § 30 Abs. 2 WpÜG ist eines der praxisrelevantesten und schwierigsten Probleme des deutschen Kapitalmarkt- und Gesellschaftsrechts, welches das Schrifttum 2 und die Rechtsprechung 3 seit Einführung dieser Vorschriften beschäftigt. Der Erfüllung des Tatbestands des Acting in Concert nach diesen beiden Vorschriften hat für die davon betroffenen Personen als Meldepflichtige bzw. Bieter angesichts der aus diesem Tatbestand resultierenden Rechtsfolgen gravierende Auswirkungen. Es gilt, den möglicherweise unbemerkten Eintritt eines abgestimmten Verhaltens und damit eine Zwangslage zu vermeiden. Während ein etwaiger Rechtsverlust nach § 28 WpHG noch durch die Nachholung der Mitteilung nach §§ 21, 22 Abs. 2 WpHG behoben werden kann, ist dies bei der übernahmerechtlichen Zuordnung nach § 30 Abs. 2 WpÜG nicht so einfach. Hier steht nämlich die Abgabe des einen erheblichen Finanzierungsbedarf mit sich bringenden Pflichtangebots selbst im Raum, für das möglicherweise wegen zwischenzeitlich abgelaufener Antragsfrist (§ 8 S. 2 WpÜG-AngebotsVO) keine Befreiung (§§ 36 WpÜG i.V.m. § 9 WpÜG-AngebotsVO) mehr bei der BaFin beantragt und erreicht werden kann.
II. Risikobegrenzungsgesetz 2008 Mit dem „Gesetz zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken (Risikobegrenzungsgesetz)“, das weitreichende punktuelle Ge2 Siehe nur von Bülow, in: Kölner Komm. z. WpÜG, 2003, § 30 WpÜG Rdnrn. 1 ff; ders., in: Kölner Komm. z. WpHG, 2007, § 22 WpHG Rdnrn. 1 ff.; Diekmann, in: Baums/ Thoma, Loseblatt, § 30 WpHG Rdnrn. 1 ff.; Schneider, in: Assmann/Schneider, 4. Aufl. (2006), § 22 WpHG Rdnrn. 1 ff.; ders., in: Assmann/Pötzsch/Schneider, 2005, § 30 WpÜG Rdnrn. 1 ff. 3 BGHZ 169, 98 = NZG 2006, 945 (WMF); OLG München AG 2005, 482; OLG Frankfurt am Main AG 2004, 617; OLG Stuttgart AG 2005, 125; LG Hamburg AG 2007, 177; siehe dazu auch Engert JZ 2007, 314; Hamann ZIP 2007, 1088; Wackerbarth ZIP 2007, 2340; Diekmann DStR 2007, 445.
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setzesänderungen – unter anderem auch hinsichtlich der Regelung des Acting in Concert in § 22 Abs. 2 WpHG bzw. § 30 Abs. 2 WpÜG – mit sich bringen soll, strebt der deutsche Gesetzgeber eine Begrenzung der Risiken aus Finanzinvestitionen an.4
1. Gesetzgebungsstand Der Referentenentwurf vom 13. September 2007 5, der am 24. Oktober 2007 von der Bundesregierung als Regierungsentwurf 6 verabschiedet worden ist, wurde vom Bundesfinanzministerium erarbeitet. Der Bundesrat hat zu diesem Gesetzesentwurf am 30. November 2007 kritisch Stellung genommen.7 Am 13. Dezember 2007 fand die erste Lesung des Gesetzesentwurfs im Deutschen Bundestag statt. Sodann wurde der Gesetzesentwurf in die Ausschüsse verwiesen. Am 23. Januar 2008 fand eine Anhörung von Experten vor dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestags statt.8 Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Expertenanhörung erfolgte am 13. Februar 2008 eine weitere Beratung im Finanzausschuss. Die abschließende Beratung im Finanzausschuss war auf den 5. März 2008 angesetzt. Die zweite und dritte Lesung des Gesetzesentwurfs im Deutschen Bundestag sollte Mitte März 2008 stattfinden. Da der Gesetzesentwurf aber hinsichtlich seiner verschiedenen Änderungsansätze in der Regierungskoalition von CDU und SPD umstritten ist, wurde die Verabschiedung des Gesetzes durch den Deutschen Bundestag auf April 2008 verschoben. Das Risikobegrenzungsgesetz 2008 soll am Tag nach seiner Verkündung (Art. 6) in Kraft treten. Mit der Verkündung ist unter der Voraussetzung des erfolgreichen Durchlaufens des Gesetzgebungsverfahrens voraussichtlich im Sommer 2008 zu rechnen. Mit dem Gesetzentwurf sollen die am 15. August 2007 vom Bundeskabinett verabschiedeten Eckpunkte eines Risikobegrenzungsgesetzes 9 umge-
4 Zum Risikobegrenzungsgesetz siehe Diekmann/Merkner, NZG 2007, 921; Eidenmüller, DStR 2007, 2116; Kaserer, BB, Die erste Seite 2007, Nr. 44 (Heft 51), 2749; Leuering, NJW-Spezial 2007, 607; Schmidtbleicher, AG 2008, 73; Schneider, NZG 2007, 888; ders., BB – Die erste Seite 2007, Nr. 51; Spindler, WM 2007, 2357; Timmann/Birkholz, BB 2007, 2749; Thüsing, ZIP 2008, 106; Watrin/Wittkowski/Pott, DB 2007, 1939; Weitnauer, BKR 2007, 521; Wilsing/Goslar, DB 2007, 2467. 5 Der Referentenentwurf vom 13.9.2007 ist einsehbar unter http://www. bundesfinanzministerium.de. 6 Regierungsentwurf vom 24.10.2007 (BT-Drucks 16/7438 vom 7.12.2007). 7 Stellungnahme des Bundesrats vom 30. November 2007 (BR-Drucks. 763/07) nach Abgabe der Empfehlungen der Ausschüsse (BR-Drucks. 763/1/07) vom 16. November 2007. 8 Siehe dazu das Wortprotokoll (Protokoll Nr. 16/82) (BT-Drucks. 16/7438). 9 Eckpunkte eines Gesetzes zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken, einsehbar unter http://www.bundesfinanzministerium.de.
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setzt werden. Ziel des Gesetzentwurfs ist es, Maßnahmen zu treffen, die unerwünschten Entwicklungen in den Bereichen, in denen Finanzinvestoren tätig sind, entgegenwirken. Die Bundesregierung bezweckt „die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass gesamtwirtschaftlich unerwünschte Aktivitäten von Finanzinvestoren erschwert oder möglicherweise sogar verhindert werden, ohne zugleich Finanz- und Unternehmenstransaktionen, die effizienzfördernd wirken, zu beeinträchtigen.“ 10 Maßnahmen, welche die Finanzinvestoren direkt adressieren und deren Handlungsmöglichkeiten einschränken, werden jedenfalls im nationalen Rahmen nicht für zielführend gehalten. Die Finanzmärkte und die Zielgesellschaften sollen vielmehr durch die Herstellung von Transparenz in die Lage versetzt werden, im Hinblick auf die Aktivitäten von Finanzinvestoren sachgerechte Entscheidungen zu treffen. Das Risikobegrenzungsgesetz ergänzt den vom Bundeskabinett am 15. August 2007 verabschiedeten Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Rahmenbedingungen für Kapitalbeteiligungen (MoRaKG).11 Mit diesem Gesetz soll, neben der Reform des Gesetzes über Unternehmensbeteiligungsgesellschaften, ein neues Wagniskapitalbeteiligungsgesetz (WKBG) geschaffen werden, das einer Verbesserung der Rahmenbedingungen für Kapitalbeteiligungen an deutschen Kapitalgesellschaften, insbesondere jungen und mittelständischen Unternehmen, dienen soll.
2. Inhalt des Gesetzesentwurfs Der Referentenentwurf des Risikobegrenzungsgesetzes vom 13. September 2007 sieht unter Orientierung an den von der Bundesregierung beschlossenen Eckpunkten die folgenden sechs konkreten Maßnahmen vor: • Erweiterung des Anwendungsbereichs des Acting in Concert (§§ 22 Abs. 2 WpHG, 30 Abs. 2 WpÜG), • Erweiterung der Stimmrechtszurechnung bei Finanzinstrumenten (§ 25 WpHG), • Erweiterung der Informationen zu den Zielen der Inhaber wesentlicher Beteiligungen und der Herkunft ihrer Finanzmittel (§ 27 WpHG), • Verschärfung der Rechtsfolgen bei der Verletzung von gesetzlichen Mitteilungspflichten (§ 28 WpHG), • Verbesserung der Identifizierung der Inhaber von Namensaktien (§ 67 AktG) sowie
10 11
Auszug aus der Begründung des Referentenentwurfs unter Ziffer A. Dieser Gesetzesentwurf ist einsehbar unter http://www.bundesfinanzministerium.de.
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• Konkretisierung der Informationsrechte der Belegschaften beim Kontrollwechsel (§ 106 BetrVG).
3. Gesetzesänderung beim Acting in Concert Der Entwurf des Risikobegrenzungsgesetzes bringt inhaltsgleiche Änderungen der beiden parallelen Vorschriften in §§ 22 Abs. 2 WpHG 12 und 30 Abs. 2 WpÜG13 mit sich, die im Ergebnis zu einer Erweiterung des Anwendungsbereichs des Acting in Concert führen. In Satz 1 der jeweiligen Vorschrift werden nach den Wörtern „auf diesen Emittenten“ die Wörter „oder den Erwerb von dessen Aktien“ eingefügt, zudem wird der die Einzelfallausnahme enthaltende 2. Halbsatz gestrichen. Ferner wird jeweils der folgende zweite Satz ergänzt: „Ein abgestimmtes Verhalten liegt vor, wenn der Meldepflichtige oder sein Tochterunternehmen und der Dritte in einer Weise zusammenwirken, die geeignet ist, die unternehmerische Ausrichtung des Emittenten dauerhaft oder erheblich zu beeinflussen.“ Für diese beiden parallelen Gesetzesänderungen, die zu gleichlautenden Vorschriften führen, wird eine einheitliche Begründung durch den Gesetzgeber wie folgt angeführt. Mit der Änderung des § 22 Abs. 2 WpHG soll demnach der Tatsache Rechnung getragen werden, dass der bisherige Tatbestand für die Zurechnung der Stimmrechte Dritter in der Praxis zu zahlreichen Auslegungsund Nachweisproblemen geführt hat. Insbesondere wird aber auch auf die restriktive Auslegung der Parallelnorm des § 30 Abs. 2 S. 1 WpÜG durch den BGH mit dessen Entscheidung vom 18. September 2006 (II ZR
12 § 22 Abs. 2 WpHG-E: „Dem Meldepflichtigen werden auch Stimmrechte eines Dritten aus Aktien des Emittenten, für den die Bundesrepublik Deutschland der Herkunftsstaat ist, in voller Höhe zugerechnet, mit dem der Meldepflichtige oder sein Tochterunternehmen sein Verhalten in Bezug auf diesen Emittenten oder den Erwerb von dessen Aktien auf Grund einer Vereinbarung oder in sonstiger Weise abstimmt. Ein abgestimmtes Verhalten liegt vor, wenn der Meldepflichtige oder sein Tochterunternehmen und der Dritte in einer Weise zusammenwirken, die geeignet ist, die unternehmerische Ausrichtung des Emittenten dauerhaft oder erheblich zu beeinflussen. Für die Berechnung des Stimmrechtsanteils des Dritten gilt Absatz 1 entsprechend.“ 13 § 30 Abs. 2 WpÜG-E: „Dem Bieter werden auch Stimmrechte eines Dritten aus Aktien der Zielgesellschaft in voller Höhe zugerechnet, mit dem der Bieter oder sein Tochterunternehmen sein Verhalten in Bezug auf die Zielgesellschaft oder den Erwerb von deren Aktien auf Grund einer Vereinbarung oder in sonstiger Weise abstimmt. Ein abgestimmtes Verhalten liegt vor, wenn der Bieter oder sein Tochterunternehmen und der Dritte in einer Weise zusammenwirken, die geeignet ist, die unternehmerische Ausrichtung der Zielgesellschaft dauerhaft oder erheblich zu beeinflussen. Für die Berechnung des Stimmrechtsanteils des Dritten gilt Absatz 1 entsprechend.“
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137/05) 14 reagiert und diese Rechtsprechung korrigiert. Der Gesetzgeber plädiert zudem für eine gleichlaufende Auslegung der beiden parallelen Vorschriften in §§ 22 Abs. 2 WpHG und § 30 Abs. 2 WpÜG, um Irritationen am Kapitalmarkt zu vermeiden. Die Änderung der Zurechnungsregel des § 22 Abs. 2 WpHG modifiziert und konkretisiert den Anwendungsbereich des Acting in Concert in dreifacher Hinsicht. So sollen nicht nur, wie bislang, Verhaltensabstimmungen in Bezug auf den Emittenten, sondern auch in Bezug auf den Erwerb von Aktien des Emittenten erfasst werden, sofern die beteiligten Aktionäre hinsichtlich des Aktienerwerbs bewusst übereinstimmende Interessen verfolgen. Ferner soll die bisher geltende Einzelfallausnahme durch ein Korrektiv ersetzt werden, das auf die Wirkungen des abgestimmten Verhaltens abstellt, so dass die Stimmrechtszurechnung nicht ausschließlich nach der Häufigkeit des abgestimmten Abstimmungsverhaltens entschieden wird. Schließlich soll das abgestimmte Abstimmungsverhalten zukünftig nicht mehr nur durch Stimmrechtsausübung in der Hauptversammlung gegeben sein. Damit wird die Rechtsprechung des BGH korrigiert, wonach das Acting in Concert bisher – dem Wortlaut der Norm entsprechend – ausdrücklich auf Absprachen über die Stimmrechtsausübung in der Hauptversammlung beschränkt ist und daher außerhalb der Hauptversammlung stattfindende Abstimmungen (wie beispielsweise Abstimmungsvorgänge im Aufsichtsrat) nicht erfasst. Auch die Abstimmung im Vorfeld der Hauptversammlung kann somit künftig ein relevantes Zusammenwirken darstellen. Der Gesetzgeber führt an, der neue § 22 Abs. 2 S. 2 WpHG konkretisiere den Inhalt der Vereinbarung zwischen dem Meldepflichtigen oder seinem Tochterunternehmen und dem Dritten und diene gleichzeitig als Korrektiv für die Erweiterung des Tatbestands in Satz 1. Eine Zurechnung von Stimmrechten geschehe demnach dann, wenn eine Abstimmung erfolge und diese entweder auf Grund ihrer nachhaltigen Wirkung oder auf Grund ihres Inhalts für die Zielsetzung des Unternehmens bedeutsam sei. Bloßes gleichgerichtetes Stimmverhalten erfülle die Voraussetzungen des Acting in Concert dagegen noch nicht. Ein lediglich paralleles Abstimmungsverhalten in der Hauptversammlung habe keine Zurechnung zur Folge, es bleibe dem einzelnen Aktionär unbenommen, das öffentlich bekannte Stimmverhalten anderer Aktionäre in die Überlegungen über sein Abstimmungsverhalten mit einzubeziehen. Die Neuregelung bewirkt, dass der Zurechnungstatbestand nicht jede Abstimmung, sondern nur die Fälle einer dauerhaften oder erheblichen Be14 BGHZ 169, 98 = NZG 2006, 945 (WMF) mit Anmerkungen von Kocher, BB 2006, 2436; Riehmer, BGHReport 2006, 1540; Halasz/Kloster, Der Konzern 2007, 344; Engert, JZ 2007, 314; Noack, LMK 2006, 204721; Lenenbach, WuB I G 10 § 30 WpÜG 1.07; Schneider, ZGR 2007, 440; Borges, ZIP 2007, 357.
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einflussung der unternehmerischen Ausrichtung des Emittenten erfasst. Eine Absprache über die Besetzung des Aufsichtsrats spreche beispielsweise dann für ein Acting in Concert, wenn eine größere Zahl von Aufsichtsratsmitgliedern ausgewechselt werde oder eine Absprache über die Wahl des Vorsitzenden mit besonderen Umständen verbunden sei, die über den Normalfall hinausgehen. Entscheidend sei jeweils, ob mit dieser Maßnahme eine bestimmte unternehmerische und/oder oder finanzwirtschaftliche Neuausrichtung der Gesellschaft verbunden sei.
III. Einwände gegen die Gesetzesänderung beim Acting in Concert Die mit dem Risikobegrenzungsgesetz angestrebte Änderung der bisherigen gesetzlichen Bestimmungen des Acting in Concert, die unter ausdrücklicher Abkehr von der Rechtsprechung des BGH eine Ausweitung des Tatbestands mit sich bringen soll, greift zu weit und schafft neue Unklarheiten.15
1. Gleichlauf der Auslegung des abgestimmten Verhaltens in WpHG und WpÜG Ausweislich der Gesetzesbegründung geht der Gesetzgeber – angesichts des vorgesehenen parallelen Wortlauts der beiden Vorschriften in §§ 22 Abs. 2 WpHG und 30 Abs. 2 WpÜG – von einem Gleichlauf der Zurechnungsvorschriften nach WpHG und WpÜG aus. Diese Schlussfolgerung ist jedoch keinesfalls zwingend. Im Gegenteil, die beiden Vorschriften haben wegen verschiedener Gesetzeszwecke auch unterschiedliche Funktionen. Während das WpHG nämlich auf die Transparenz der Beteiligungsverhältnisse abzielt, bezweckt das WpÜG den materiellen Schutz der außenstehenden Aktionäre und ordnet im Sinne eines Konzerneingangsschutzes für den Fall des Kontrollerwerbs das Pflichtangebot mit weitreichenden Folgen für den Bieter an. Diese unterschiedlichen Gesetzeszwecke sind durch die verschiedene Herkunft der Vorschriften, nämlich zum einen die Transparenzrichtlinie und
15 Dies wurde im Schrifttum und im Rahmen der Anhörung vor dem Finanzausschuss bereits heftig kritisiert, siehe dazu vor allem die Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins (DAV) vom Dezember 2007, die Stellungnahme der Allianz SE vom 18.1.2008, die Stellungnahme von Prof. Dr. Theodor Baums vom 23.1.2008, die Stellungnahme des Bundesverbands Investment und Asset Management e.V. (BVI) vom 17.1.2008, die Stellungnahme von Christian Stenger vom Januar 2008, Positionspapier der Europäischen Investorenschutzvereinigung e.V. (egip) zum Risikobegrenzungsgesetz sowie die Stellungnahme von Prof. Dr. Mülbert vom 16.1.2008.
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zum anderen die Übernahmerichtlinie, begründet. Die Differenzierung ist daher bereits historisch, aber auch systematisch berechtigt. Das vom Gesetzgeber im Zusammenhang mit dem Risikobegrenzungsgesetz hochgehaltene Argument, mit einem Gleichlauf der Auslegung des abgestimmten Verhaltens in WpHG und WpÜG wolle man etwaige Irritationen am Kapitalmarkt vermeiden, zieht daher nicht. Der deutsche Kapitalmarkt hat sich seit Beginn der Ausweitung der gesetzlichen Regulierung Mitte der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts auf diversifizierte gesetzliche Vorschriften mit unterschiedlichster Zweckrichtung eingestellt und ist daher ohne weiteres in der Lage, den unterschiedlichen Gesetzeszweck von §§ 22 Abs. 2 WpHG und 30 Abs. 2 WpÜG zu erkennen.
2. Unscharfe Abgrenzung des abgestimmten vom nicht abgestimmten Verhalten Der geänderte Tatbestand des abgestimmten Verhaltens ist zudem unscharf umrissen, was in der Praxis zu schwierigen Abgrenzungsfragen führen wird. a) Zusammenwirken von Aktionären und Eignung zur Beeinflussung der unternehmerischen Ausrichtung Der geänderte Tatbestand des abgestimmten Verhaltens führt zu, dass die Aktionärskommunikation stark eingeschränkt, wenn nicht sogar ganz unterbunden wird. Das ist kontraproduktiv und eigentlich auch nicht im Sinne des deutschen bzw. europäischen Gesetzgebers. Zwar räumt der deutsche Gesetzgeber in seiner Gesetzesbegründung ein, dem Aktionär müsse es unbenommen bleiben, das öffentlich bekannte Stimmverhalten anderer Aktionäre in die Überlegungen über sein eigenes Stimmverhalten einzubeziehen. Darüber hinaus darf es ihm aber auch nicht verboten sein, aktiv auf andere Aktionäre zuzugehen und im Hinblick auf eine anstehende wichtige Entscheidung der Gesellschaft, in welche Richtung sie auch weisen mag, ein abgestimmtes Verhalten mit anderen Aktionären hinsichtlich der Stimmrechtsausübung für oder gegen die beabsichtigte Maßnahme zu erreichen. Zukünftig würde aber potentiell jedes Verhalten von Aktionären mit Auswirkungen innerhalb und auch außerhalb der Hauptversammlung unter dem Damoklesschwert der gesetzlichen Folgen des novellierten Acting in Concert stehen. Unter Umständen könnte jede einmalig ad hoc gebildete Koalition von Aktionären, die im Hinblick auf die Verhinderung oder Unterstützung der von der Geschäftsführung geplanten Maßnahme der Gesellschaft zusammenwirkt, zur wechselseitigen Zurechnung der Stimmrechte mit der Folge der Mitteilungspflicht nach §§ 21 ff. WpHG und zur Verpflichtung aller beteiligten Aktionäre zur Unterbreitung eines
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Übernahmeangebots nach § 35 WpÜG führen. Die offene Diskussion unter Aktionären über das Schicksal der Gesellschaft sowie die Bildung und Änderung von Mehrheiten wäre vor diesem Hintergrund faktisch nicht mehr möglich, würde es doch kein Aktionär mehr wagen, sein Abstimmungsverhalten bzw. seine Haltung zu den die Gesellschaft betreffenden Themen kundzutun, da er die einschneidenden Folgen des WpHG und des WpÜG fürchten müsste. Gespräche zwischen Aktionären würden zukünftig – wenn überhaupt – nur noch heimlich stattfinden. Einen vernünftigen Grund für eine solch starke Einschränkung der Aktionärskommunikation und damit der Aktionärsdemokratie als solcher gibt es nicht. Im Gegenteil, grundsätzlich dürfte angesichts der grundgesetzlich geschützten Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG), unter welche der Aktienbesitz fällt, außer Frage stehen, dass es Aktionären möglich sein muss, untereinander auch im Hinblick auf die weitere Entwicklung der Gesellschaft zu kommunizieren, ohne dass dies mit dem Zwang verbunden ist, nach außen hin als Aktionärsgruppe mit einheitlichem Willen zu gelten oder die Aktien sämtlicher übrigen Mitaktionäre erwerben zu müssen. Abgesehen davon ist die Aktionärsdemokratie mit dem ihr innewohnenden Potential, durch abgestimmte Beschlüsse Änderungen bei der Gesellschaft herbeizuführen, auch volkswirtschaftlich sinnvoll. Das Stillhalten bzw. der Rückzug langfristig und auf nachhaltige Unternehmensführung orientierter Investoren würden der Entwicklung des Unternehmens nämlich schaden. Die mit dem Risikobegrenzungsgesetz im Rahmen der Änderung des Acting in Concert geäußerten Absichten des deutschen Gesetzgebers konterkarieren die erst kürzlich manifestierten Bestrebungen im Hinblick auf die Förderung der Aktionärsdemokratie in Deutschland und auf europäischer und sogar internationaler Ebene. Das erst kürzlich eingeführte Aktionärsforum (§ 127a AktG) sollte nämlich gerade die Möglichkeiten der Aktionärskommunikation erweitern und verbessern.16 Auch wenn das Institut des Aktionärsforums wohl eher zur Unterstützung der Kommunikation zwischen Minderheitsaktionären eingeführt wurde und tatsächlich gar nicht genutzt wird, weil sich die Minderheitsaktionäre untereinander kennen und ggfs. Absprachen nicht auf solch einer Plattform öffentlich treffen wollen, so ist doch offensichtlich, dass bei der Kommunikation der Aktionäre untereinander nicht danach unterschieden werden kann, ob es sich nun um Minderheitsaktionäre oder Aktionäre mit Mehrheitsbeteiligung oder nennenswerten Aktienpaketen handelt, da eine solche Unterscheidung einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz darstellen würde (§ 53a AktG). 16 Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) vom 22. September 2005. Zum Aktionärsforum siehe Noack, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel II, 2007, S. 660 (670 ff.).
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Auf europäischer Ebene hat es ebenfalls bereits Aktivitäten zur Stärkung des Shareholder Activism bzw. der horizontalen Binnenkommunikation gegeben.17 Auch auf internationaler Ebene ist Aktionärsdemokratie ein wichtiges Thema. Die United Nations Principles for Responsible Investment (UN-PRI) 18 wurden im April 2006 erarbeitet und stützen das Investment internationaler Investoren, die eine langfristige Förderung von Nachhaltigkeitszielen im Umwelt-, Sozial- und Corporate Governance-Bereich verfolgen. In den UN-PRI ist eine Aufforderung enthalten, durch aktive Eigentümerschaft einen Beitrag zur Kontrolle von Aktiengesellschaften zu leisten und so die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, die Erhaltung von Arbeitsplätzen und ultimativ einen an Nachhaltigkeit ausgerichteten Erfolg der Volkswirtschaft sicherzustellen. Zudem besteht die Verpflichtung der Investoren, als aktive Eigentümer Umwelt-, Sozial- und Corporate GovernanceThemen in die Investmententscheidungen und Aktivitäten als Eigentümer einzubringen (Principle 2).19 Darüber hinaus verpflichten sich Investoren damit sogar, für eine effektive Durchsetzung dieser Nachhaltigkeitsziele gegenüber Vorständen von Aktiengesellschaften zusammenzuarbeiten (Principle 5).20 Ein solcher konstruktiver Dialog von Investoren, zwischen Investoren und mit dem betreffenden Unternehmen wäre wohl unter Geltung der geänderten deutschen Regelung zum Acting in Concert kaum noch möglich. In den im Jahre 2004 ergänzten „OECD Principles of Corporate Governance“ 21, zu deren Verabschiedung Deutschland als OECD-Mitglied beigetragen hat, ist zudem festgehalten, dass institutionelle Investoren ihrer Ver17 Grünbuch der Europäischen Kommission von 2001 über „Europaïsche Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen“, S. 23. Siehe auch Noack, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel II, 2007, S. 660 (662). 18 Die Principles for Responsible Investment sind einsehbar unter http://www. unpri.org/principles/. 19 UN-PRI Principle 2: „We will be active owners and incorporate ESG issues into our ownership policies and practices. Possible actions: – Develop and disclose an active ownership policy consistent with the Principles. – Exercise voting rights or monitor compliance with voting policy (if outsourced). – Develop an engagement capability (either directly or through outsourcing). – Participate in the development of policy, regulation and standard setting (such as promoting and protecting shareholder rights). – File shareholder resolutions consistent with long-term ESG considerations. – Engage with companies on ESG issues. – Participate in collaborative engagement initiatives. – Ask investment managers to undertake and report on ESG-related engagement.“ 20 UN-PRI Principle 5: „We will work together to enhance our effectiveness in implementing the Principles. Possible actions: Support/participate in networks and information platforms to share tools, pool resources, and make use of investor reporting as a source of learning. Collectively address relevant emerging issues. Develop or support appropriate collaborative initiatives.“ 21 Die OECD Principles of Corporate Governance sind einsehbar unter http://www. oecd.org/dataoecd/32/18/31557724.pdf.
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antwortung für Millionen von Pensions- und Versicherungsberechtigten durch aktives Verfolgen langfristiger Interessen nachkommen sollen,22 was aber die aktive Aktionärskommunikation untereinander und mit der Verwaltung der Gesellschaft voraussetzt. Schließlich ist zweifelhaft, warum bereits die bloße Eignung des Zusammenwirkens zur Beeinflussung der unternehmerischen Ausrichtung ausreichen soll. Damit sind mithin auch Fälle erfasst, bei denen ein tatsächliches Zusammenwirken mit der Folge einer gemeinsamen Einflussnahme auf die Gesellschaft gar nicht gewollt und möglicherweise auch gar nicht einmal möglich ist. Durch das Abstellen auf die bloße Eignung der dauerhaften oder erheblichen Einflussnahme greift der Tatbestand des abgestimmten Verhaltens sehr weit bzw. bereits sehr früh. Dies trägt wiederum dazu bei, dass jeglicher Kontakt zwischen Aktionären verdächtig ist und zu interessengeleitetem Denunziantentum verleitet. Im Ergebnis führt das Abstellen auf eine bloße potenzielle Geeignetheit zu einer faktischen Beweislastumkehr. Die einzelnen Aktionäre werden im Prinzip verpflichtet, den Beweis zu führen, dass ihr Zusammenwirken eben nicht geeignet war, um entsprechende Beeinflussungen des Unternehmens herbeizuführen. b) Alternative dauerhafte bzw. erhebliche Einflussnahme Nach dem Konzept des Gesetzgebers für das zukünftige abgestimmte Verhalten, das sich in § 22 Abs. 2 S. 2 WpHG und § 30 Abs. 2 S. 2 WpÜG manifestiert, soll für den Tatbestand des Acting in Concert bereits ein einmaliges abgestimmtes Verhalten ausreichen, vorausgesetzt, dieses ist geeignet, die unternehmerische Ausrichtung des Emittenten dauerhaft oder erheblich zu beeinflussen. Der vom Gesetzgeber gewählte Bezugspunkt für das dauerhafte bzw. erhebliche Verhalten ist zudem irreführend. Nach § 22 Abs. 2 S. 2 WpHG bzw. § 30 Abs. 2 S. 2 WpÜG ist Voraussetzung für das abgestimmte Verhalten die Eignung des Zusammenwirkens, die unternehmerische Ausrichtung des Emittenten dauerhaft oder erheblich zu beeinflussen. So muss demnach nicht das Zusammenwirken an sich dauerhaft bzw. erheblich sein, sondern über das Merkmal der Eignung letztlich die Einflussnahme auf die unternehmerische Ausrichtung der Gesellschaft. Die Einflussnahme auf die Gesellschaft an sich, also der Erfolg des Zusammenwirkens der Aktionäre, ist dagegen nicht Merkmal des geänderten Tatbestands des abgestimmten Verhaltens. In diesem Zusammenhang ist aber zu bedenken, dass der betreffende 22
OECD Principles of Corporate Governance, S. 19, Punkt G: „Shareholders, including institutional shareholders, should be allowed to consult with each other on issues concerning their basic shareholder rights as defined in the Principles, subject to exceptions to prevent abuse.“
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Aktionär – wenn überhaupt – lediglich das Zusammenwirken auf Aktionärsebene direkt durch sein Verhalten steuern kann, während er dies womöglich bei der tatsächlichen Einflussnahme auf die Gesellschaft nicht kann. Er kann also nicht steuern, wie und ob kurzfristig oder langfristig bzw. erheblich oder unerheblich sich sein Verhalten auf Gesellschaftsebene auswirkt, weil er dort (in aller Regel) nicht handlungsbefugt ist. Sein eigenes Verhalten im Rahmen des Zusammenwirkens kann der betreffende Aktionär zwar kontrollieren, die Folgen dieses Zusammenwirkens auf Gesellschaftsebene dagegen nicht. Die Abwägung, ob ein Zusammenwirken wirklich zu einer dauerhaften bzw. erheblichen Einflussnahme auf die Ausrichtung des Emittenten geeignet ist, ist daher höchst spekulativ und macht den Tatbestand des abgestimmten Verhaltens alles andere als einfach handhabbar. Naheliegender wäre es daher, nicht auf die dauerhafte Wirkung der beeinflussten unternehmerischen Maßnahme, sondern auf die Dauerhaftigkeit des (abgestimmten) Verhaltens selbst abzustellen. In diesem Rahmen wäre es auch sinnvoll, die bereits nach bisherigem Recht anhand der Ausnahmeregelung für den Einzelfall bekannte Unterscheidung zwischen dauerhaftem und einmaligem Verhalten aufrechtzuerhalten – dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass im Einzelfall gebildete Ad hoc-Koalitionen von Aktionären auch weiterhin nicht sanktioniert werden dürf(t)en, weil dies ansonsten jegliche Kommunikation unter Aktionären absterben ließe. Hinzu kommt, dass im Hinblick auf die Qualität der Einflussnahme am Sinn der vom Gesetzgeber angestrebten alternativen Aufzählung „dauerhaft“ oder „erheblich“ gezweifelt werden muss. Diese Alternativität führt dazu, dass eine „dauerhafte“ Beeinflussung auch dann ausreichen würde, wenn sie nicht „erheblich“ ist, und umgekehrt eine „erhebliche“ Beeinflussung auch dann genügen soll, wenn feststeht, dass der damit verbundene Effekt nur einmalig ohne Nachwirkung bleibt und daher nicht „dauerhaft“ ist. Angesichts der dargestellten Unschärfen geht der geänderte Tatbestand des Acting in Concert viel zu weit, eine Einschränkung des Tatbestands wäre im Sinne der Rechtssicherheit und der praktischen Handhabbarkeit dringend erforderlich.
3. Erhöhung des Risikos der Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen Bereits nach bislang geltender Rechtslage war die Abgabe von Beteiligungsmitteilungen nach §§ 21 ff. WpHG für börsennotierte Unternehmen, vor allem mit Blick auf den Tatbestand des Acting in Concert (§ 22 Abs. 2 WpHG), mitunter nicht einfach. Das deutsche System der Zurechnung von fremden Stimmrechten ist so kompliziert, dass sich die Aktionäre selbst bei sorgfältiger Vorbereitung nicht sicher sein können, in den Mitteilungen wirk-
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lich alle relevanten Stimmrechtszurechnungen erfasst zu haben und zudem allen gesetzlichen Formalitäten für die erforderlichen Formulierungen, die dem strengen Auge der BaFin unterliegen, entsprochen zu haben. Selbst bei entsprechend positivem Testat der BaFin für die Erfüllung der Mitteilungspflichten besteht trotzdem kein Schutz vor einer anderweitigen richterlichen Entscheidung.23 Ebenso wenig eindeutig war bisher das zur Kontrollerlangung führende Acting in Concert (§ 30 Abs. 2 WpÜG). Im Rahmen der Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen über Strukturänderungen, Umstrukturierungsmaßnahmen und sonstige zustimmungsbedürftige Themen haben sich die Berufsopponenten 24 und Aktionärsvereinigungen unter Berücksichtigung dieser Gegebenheiten in letzter Zeit mitunter darauf konzentriert, die Verletzung von kapitalmarktrechtlichen und übernahmerechtlichen Pflichten im Hinblick auf die Existenz von Stimmverboten nach § 28 WpHG und § 59 WpÜG zu rügen.25 Zu diesem Problemkreis gibt es bereits einschlägige Rechtsprechung.26 Es hat sich gezeigt, dass sich diese Rüge im Freigabeverfahren (§§ 246a AktG, 16 Abs. 3 UmwG), das der Gesellschaft zur Überwindung der Sperrwirkung der Anfechtungsklagen verhelfen kann, in der Regel kaum zugunsten der Gesellschaft erledigen lässt und die Erfolgsaussichten im Freigabeverfahren aufgrund dieser von Anfechtungsklägern erhobenen Rüge erheblich reduziert sind. Mit Blick auf die beabsichtigte Ausdehnung des Tatbestands des Acting in Concert und die entstehenden Unschärfen des Tatbestands wird das ohnehin bestehende Risiko, dass Hauptversammlungsbeschlüsse angesichts angeblich unterlassener oder unvollständiger Mitteilungen mit dem Argument der Verletzung von kapitalmarktrechtlichen und übernahmerechtlichen Pflichten angefochten werden, noch weiter erhöht, weil sich – angesichts der mit der Gesetzesänderung einhergehenden Rechtsunsicherheit – die Erfolgsaussichten der diesbezüglichen Rüge vergrößern. 23 LG Köln, Urteil vom 5.10.2007 (Az: 82 O 114/06), BB 2008, 245 mit kritischer Anmerkung von Bedkowski/Widder, BB 2008, 245. Diese Entscheidung ist allerdings noch nicht rechtskräftig; das Verfahren ist derzeit vor dem OLG Köln (Az: 18 U 182/07) anhängig. 24 Fischer/Herold, Berufsopponenten – einer Spezies auf der Spur, Going Public 4/2007, 50; Theisen/Raßhofer, Der Aufsichtsrat 2007, 107; Baums/Keinath/Gajek, Fortschritte bei Klagen gegen Hauptversammlungsbeschlüsse – Eine empirische Studie, veröffentlicht unter http://www.ilf-frankfurt.com/uploads/media/ILF_WP_065.pdf. 25 Die Rüge des Verstoßes gegen die Meldepflicht nach §§ 21, 22 WpHG gehört zu den am häufigsten vorgebrachten Anfechtungsgründen bei Klagen gegen Hauptversammlungsbeschlüsse gemäß § 243 AktG; siehe dazu näher Baums/Keinath/Gajek, ZIP 2007, 1629. 26 Zu § 28 WpHG: LG Hamburg AG 2002, 525; LG München II AG 2005, 52; OLG Stuttgart AG 2005, 125; LG Mannheim AG 2005, 780; LG Köln AG 2005, 696; OLG Düsseldorf AG 2006, 202; LG Düsseldorf EWiR 2007, 419. Zu § 59 WpÜG: LG München I BKR 2003, 810; OLG Frankfurt am Main AG 2004, 617 (Pixelpark); OLG Frankfurt am Main AG 2007, 592; OLG Frankfurt am Main Der Konzern 2007, 749. Siehe dazu auch Schneider/Schneider, ZIP 2006, 493.
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Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass durch das Risikobegrenzungsgesetz gleichzeitig eine erhebliche Verschärfung des § 28 WpHG eingeführt werden soll, die darin besteht, dass die Sanktion des Stimmverbots zeitlich erheblich ausgedehnt werden soll, nämlich auf sechs Monate nach dem Nachholen der Meldung, wiegt dies umso schwerer, als dass die erwähnte Rüge der Verletzung von kapitalmarktrechtlichen Mitteilungspflichten eine bisher ungeahnte Schlagkraft erhält und dass dies die durch Anfechtungsund Nichtigkeitsklagen in Bedrängnis geratenen Unternehmen womöglich noch eher zu einem kostenträchtigen Vergleich zwingt, als dies bislang ohnehin schon der Fall war. Mit Blick auf die geplante verschärfte Vorschrift des § 28 WpHG-E hat die Rüge angesichts der Dauer des Stimmverbots nämlich unvermeidlich eine längere zeitliche Wirkung, mit der potentiell weitere Auseinandersetzungen über das Ob und das Wie sowie den Termin der Nachholung und das Ende des Stimmverbots einhergehen können, die vor dem Hintergrund etwaig dringend benötigter Rechte aus den Aktien ggfs. für den Aktionär und auch die Gesellschaft unerträglich werden können.
4. Spannungsverhältnis zum Europarecht Mit Blick auf die europäischen Richtlinienvorgaben und die Kapitalverkehrsfreiheit ist zweifelhaft, ob die geänderten Vorschriften des Acting in Concert in §§ 22 Abs. 2 WpHG und 30 Abs. 2 WpÜG europarechtsgemäß sind. a) Überschießende Richtlinienumsetzung Die Regelungen der §§ 22 Abs. 2 WpHG, 30 Abs. 2 WpÜG haben ihre europarechtliche Grundlagen jeweils in europäischen Richtlinien, nämlich der Transparenzrichtlinie 27 und der Übernahmerichtlinie 28, die der deutsche Gesetzgeber ins deutsche Recht umgesetzt hat. Die Regelung des § 22 Abs. 2 WpHG basiert auf Art. 10 a) Transparenzrichtlinie,29 während § 30 Abs. 2 WpÜG seinen Ursprung in Art. 2 (1) d) 27 Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG (Transparenzrichtlinie), (ABlEG Nr. L 390 vom 31.12.2004). 28 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote (Übernahmerichtlinie) (ABlEG vom 30.4.2004 Nr. L 142, S. 12). 29 Art. 10 a) Transparenzrichtlinie lautet: „Die Mitteilungspflicht nach Artikel 9 Absätze 1 und 2 gilt auch für eine natürliche oder juristische Person, sofern sie in einem oder mehreren der folgenden Fälle zum Erwerb, zur Veräußerung oder zur Ausübung von Stimmrechten
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Übernahmerichtlinie 30 hat. In beiden Vorschriften ist die Definition des abgestimmten Verhaltens erheblich enger gefasst, als dies bereits nach den beiden geltenden deutschen Vorschriften der Fall ist 31 und erst recht, als dies die zukünftig geltenden deutschen Vorschriften vorsehen sollen. Europarechtlich vorgegeben ist das Vorliegen einer Vereinbarung, die auf eine langfristige Einflussnahme auf die Geschäftsführung durch einvernehmliche Stimmrechtsausübung abzielt (vgl. Art. 10 a) Transparenzrichtlinie) bzw. der Erlangung der Kontrolle oder Vereitelung des Übernahmeangebots dient (vgl. Art. 2 Abs. 1 d) Übernahmerichtlinie). Die geänderte deutsche Regelung des Acting in Concert, wonach das Acting in Concert auch Abstimmungen in Einzelfällen bzw. außerhalb der Hauptversammlung umfassen und gar abgestimmte Parallelkäufe von Aktien einbeziehen soll, geht deutlich über die europäischen Richtlinienvorgaben hinaus. Es handelt sich also in beiden Fällen um eine überschießende Richtlinienumsetzung durch den deutschen Gesetzgeber. Die Ausweitung des Anwendungsbereichs des abgestimmten Verhaltens mit der Folge einer entsprechenden Meldepflicht (§ 22 Abs. 2 WpHG) ist mit Blick auf die Transparenzrichtlinie, deren Erlass im sog. Lamfalussy-Verfahren eine konsistente Umsetzung und Anwendung auf nationaler Ebene sicherstellen sollte, wegen der durch das Risikoabgrenzungsgesetz drohenden Ausweitung der Regelung zum Acting in Concert besonders problematisch. Die Transparenzrichtlinie enthält keine Öffnungsklausel zugunsten strengerer oder milderer mitgliedstaatlicher Regelungen. Stattdessen ist in Art. 27 Abs. 2, 12 Abs. 8, 9 Abs. 7 Transparenzrichtlinie eben auf den Erlass von Durchführungsbestimmungen verwiesen, welche die einheitliche Anwendung der Meldepflichten in allen Mitgliedstaaten sicherstellen sollen. Dies deutet stark darauf hin, dass ein nationaler Sonderweg demnach nicht gestattet sein soll. Zudem ist die Ausweitung des Anwendungsbereichs des abgestimmten Verhaltens mit der Folge der Auslösung eines Pflichtangebots (§ 30 Abs. 2 WpÜG) mit Blick auf die Übernahmerichtlinie problematisch. Fraglich ist auch hier, ob die Richtlinienüberschreitung durch den deutschen Gesetzgeber
berechtigt ist: a) Stimmrechte, die von einem Dritten gehalten werden, mit dem diese natürliche oder juristische Person eine Vereinbarung getroffen hat, die beide verpflichtet, langfristig eine gemeinsame Politik bezüglich der Geschäftsführung des betreffenden Emittenten zu verfolgen, indem sie die von ihnen gehaltenen Stimmrechte einvernehmlich ausüben; …“ 30 Art. 2 (1) d) Übernahmerichtlinie lautet: „(1) Im Sinne dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen: d) „Gemeinsam handelnde Personen“ sind natürliche oder juristische Personen, die mit dem Bieter oder der Zielgesellschaft auf der Grundlage einer ausdrücklichen oder stillschweigenden, mündlich oder schriftlich getroffenen Vereinbarung zusammenarbeiten, um die Kontrolle über die Zielgesellschaft zu erhalten bzw. den Erfolg des Übernahmeangebots zu vereiteln.“ 31 Seibt/Heiser, ZGR 2005, 200 (215); dieselben, AG 2006, 301 (307, 308); Hamann, ZIP 2007, 1088 (1095).
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zulässig ist. Eine Öffnung in dieser Hinsicht könnte sich aus der Regelung des Art. 5 Abs. 6 Übernahmerichtlinie 32 ergeben,33 wonach die Mitgliedstaaten weitere Instrumente – abgesehen von dem Pflichtangebot nach Art. 5 Abs. 1 Übernahmerichtlinie – vorsehen können, sofern diese Instrumente den Lauf des Angebotsverfahrens nicht beeinträchtigen. In Art. 5 Abs. 6 Übernahmerichtlinie sind aber wohl eher zusätzliche verfahrensrechtliche Schutzmechanismen angesprochen als eine Ausdehnung des die Kontrollerlangung begründenden, materiellen Tatbestands. Ferner könnte die für strengere mitgliedstaatliche Vorschriften eingefügte Öffnungsklausel des Art. 3 Abs. 2 b) Übernahmerichtlinie 34 herangezogen werden. Die Mitgliedstaaten können danach strengere Vorschriften, die wohl auch die Zurechnung beim Acting in Concert erfassen können, festlegen, dies allerdings nur zu dem Zwecke, die in Art. 3 Abs. 1 Übernahmerichtlinie aufgeführten sechs allgemeinen Grundsätze zu fördern. Unter anderem gehört zu diesen Grundsätzen der Schutz der Aktionäre der Zielgesellschaft (vgl. Art. 3 Abs. 1 a) Übernahmerichtlinie) und der Schutz der Zielgesellschaft vor der Behinderung in ihrer Geschäftstätigkeit durch das Übernahmeangebot über einen angemessenen Zeitraum hinaus (vgl. Art. 3 Abs. 1 f) Übernahmerichtlinie). Der in der Regierungsbegründung betonte Schutz der Zielgesellschaft als solcher gegen unerwünschte Aktivitäten von Finanzinvestoren ist aber nicht als legitimer Zweck in Art. 3 Abs. 1 Übernahmerichtlinie genannt. Daher ist eine Verschärfung des § 30 Abs. 2 WpÜG über den eigentlichen Anwendungsbereichs des Art. 2 Abs. 1 d) Übernahmerichtlinie hinaus mit Blick auf die „gemeinsam handelnden Personen“ nicht von der Öffnungsklausel des Art. 3 Abs. 2 Übernahmerichtlinie gedeckt und folglich nicht zulässig.35 b) Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit Bei der Richtlinienumsetzung sind zudem die durch die von der Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 56 EGV gezogenen Grenzen einzuhalten.36 Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH verbietet Art. 56 Abs. 1 EGV ganz allgemein Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern. Direktinvestitionen sind demnach vom gesetz32 Art. 5 Abs. 6 Übernahmerichtlinie: „Zusätzlich zu dem Schutz gemäß Absatz 1 können die Mitgliedstaaten weitere Instrumente zum Schutz der Interessen der Wertpapierinhaber vorsehen, sofern diese Instrumente den normalen Gang eines Angebots nicht behindern.“ 33 Schmidtbleicher, AG 2008, 74 (75). 34 Art. 3 Abs. 2b) Übernahmerichtlinie: „Um die Beachtung der in Absatz 1 aufgeführten Grundsätze sicherzustellen, … b) können die Mitgliedstaaten für Angebote zusätzliche Bedingungen und strengere Bestimmungen als in dieser Richtlinie festlegen.“ 35 A.A. Schmidtbleicher, AG 2008, 74 (75), der allerdings lediglich Art. 5 Abs. 6 Übernahmerichtlinie und nicht Art. 3 Abs. 2 Übernahmerichtlinie berücksichtigt. 36 Schmidtbleicher, AG 2008, 74 (76).
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lich nicht definierten, aber von der Rechtsprechung unter Heranziehung der Kapitalverkehrsrichtlinie 37 geprägten Begriff des Kapitalverkehrs i.S.v. Art. 56 Abs. 1 EGV erfasst.38 Von der Kapitalverkehrsfreiheit umfasst ist auch die Beteiligung eines ausländischen Investors an einer deutschen Aktiengesellschaft. Mitgliedstaatliche Maßnahmen stellen Beschränkungen des Kapitalverkehrs dar, wenn sie geeignet sind, den Erwerb von Aktien der betreffenden Unternehmen zu verhindern, zu beschränken oder Investoren aus den Mitgliedstaaten von Investitionen abzuhalten.39 In diesem Zusammenhang ist fraglich, ob der ausgeweitete Zurechnungstatbestand des § 30 Abs. 2 WpÜG mit Blick auf das dadurch ausgelöste Pflichtangebot bzw. der ausgeweitete Zurechnungstatbestand des § 22 Abs. 2 WpHG mit Blick auf die dadurch ausgelöste Meldepflicht als Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit anzusehen ist. Angesichts des ausgeweiteten und unscharf abgegrenzten Tatbestands des Acting in Concert (s.o.), der zu einer Ungewissheit ob der Erfassung von einzelnen Verhaltensweisen führt, ist wohl zumindest eine faktische Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit anzunehmen. Es fragt sich allerdings, ob es für diese Beschränkung einen Rechtsfertigungsgrund gibt. Die Rechtsfertigungsgründe der Art. 57, 58 EGV sind hier – wegen anders gelagerter Sachverhalte – nicht einschlägig. In der Rechtsprechung des EuGH wird allerdings zusätzlich eine weite Rechtsfertigungsmöglichkeit zugelassen.40 Demnach können Beschränkungen der Kapitalverkehrsfreiheit aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, soweit keine gemeinschaftliche Harmonisierungsmaßnahme vorliegt, die bereits zur Gewährung des Schutzes dieser Interessen erforderliche Maßnahmen vorsieht, und die Maßnahme nicht diskriminierender Natur ist sowie geeignet und angemessen erscheint. Ein solcher zwingender Grund des Allgemeininteresses, der die Erweiterung der Regelungen zum abgestimmten Verhalten rechtfertigen könnte, ist aber hier nicht ersichtlich. Der in der Regierungsbegründung betonte Schutz der Zielgesellschaft als solcher gegen unerwünschte Aktivitäten von Finanzinvestoren ist jedenfalls kein solches auf europäischer Ebene als förderungswürdig anerkanntes Allgemeininteresse, sondern scheint eher einem nationalen Schutzbedürfnis zu entsprechen. Denkbar wäre noch, dass die neue Regelung des Acting in Concert dem Minderheitenschutz dienen könnte bzw. sollte. Dieser Gesichtspunkt wird allerdings vom deutschen Gesetzgeber in dem Entwurf des Risikoabgrenzungs37 Richtlinie 88/361/EWG zur Durchführung von Art. 67 des Vertrags (ABlEG 1988 Nr. L 178, S. 5 ff., Anhang). 38 EuGH, Urteil vom 23.10.2007 (Rs. C-112/05), BB 2007, 2423 (VW-Urteil). 39 EuGH BB 2007, 2423. Dieser weite Beschränkungsbegriff erinnert an die Dassonville-Formel. 40 EuGH BB 2007, 2423 (2427).
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gesetzes und dessen Motiven gar nicht angeführt. Zudem ist nicht erkennbar, welche Gründe des Minderheitenschutzes gerade für die Ausweitung des Acting in Concert sprechen würden.41
5. Notwendigkeit der Einschränkung des geänderten Tatbestands des abgestimmten Verhaltens Angesichts der übermäßigen Ausweitung des Tatbestands des abgestimmten Verhaltens und der damit verbundenen Rechtsunsicherheit ist eine Einschränkung dringend notwendig. Hier wären verschiedene Ansätze denkbar. Im Hinblick auf die faktische Beweislastumkehr (s.o.) könnte stattdessen ein Regelausnahmetatbestand geschaffen werden, bei dem zum einen die allgemeine Regel des abgestimmten Verhaltens umschrieben ist, zum anderen aber die Ausnahmen von der Regel aufgezählt sind. Dies würde zwar die Handhabe des Tatbestands des abgestimmten Verhaltens auf den ersten Blick erleichtern, allerdings bestünde die Gefahr der Unvollständigkeit der aufgezählten Ausnahmen. Denkbar wäre zudem, die Oder-Verknüfung durch eine Und-Verknüpfung zu ersetzen. Eine dahingehende Korrektur hat auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme vorgeschlagen.42 Ob dies allerdings zur Einschränkung des Tatbestands ausreicht, scheint fraglich. Schließlich wäre die Beibehaltung der Ausnahme der Einzelfallregelung dringend in Betracht zu ziehen, weil dies im Sinne der Verhältnismäßigkeit ein notwendiges Korrektiv zu dem weiten Tatbestand bilden würde. Schließlich sollte auch an eine Übergangsregelung gedacht werden, um den zeitlichen Anwendungsbereich der geänderten Vorschriften klarzustellen.
IV. Fazit und Ausblick Die vom deutschen Gesetzgeber angestrebte Änderung der Regelung des Acting in Concert in § 22 Abs. 2 WpHG und § 30 Abs. 2 WpÜG, die aufgrund des neuen ausgeweiteten, aber unscharf abgegrenzten Tatbestands gravierende Konsequenzen für die Praxis haben wird, ist getrieben von einem grundsätzlichen Misstrauen gegenüber Finanzinvestoren.43 Abgesehen davon 41
Schmidtbleicher, AG 2008, 74 (77). Die vom Bundesrat vorgeschlagene Bestimmung lautet (BR-Drucks. 763/07, Ziff. 3): „Ein abgestimmtes Verhalten liegt vor, wenn der Meldepflichtige [/der Bieter] oder sein Tochterunternehmen und der Dritte in der Weise zusammenwirken, die geeignet ist, eine erhebliche Änderung der unternehmerischen Ausrichtung der Zielgesellschaft dauerhaft herbeizuführen.“ 43 Eidenmüller, DStR 2007, 2116. 42
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ist die geänderte Regelung des Acting in Concert mit Blick auf die Vorgaben der Transparenz- bzw. Übernahmerichtlinie und die Kapitalverkehrsfreiheit auch europarechtlich bedenklich. Die mit dem Gesetzesentwurf zum Risikobegrenzungsgesetz im Hinblick auf das Acting in Concert beabsichtigten Ziele des deutschen Gesetzgebers haben bereits die EU-Kommission auf den Plan gerufen. Die EU-Kommission hat sich bereits über die aus der beabsichtigten Gesetzesänderung folgenden möglichen Behinderungen von legitimen Aktionärsabsprachen besorgt geäußert.44 Es ist nicht ausgeschlossen, dass die EU-Kommission nach Verabschiedung des Gesetzes wegen eines Verstoßes gegen die Kapitalverkehrsfreiheit (s.o.) ein Vertragsverletzungsverfahren (Art. 226 f. EGV) einleiten wird. Dass gerade auch die deutschen Gesetze im kritischen Fokus des EuGH stehen und dort zu Fall gebracht werden können, hat sich erst kürzlich im VW-Urteil 45 gezeigt, wo das VW-Gesetz 46 als europarechtswidrig angesehen wurde. Dadurch ist deutlich hervorgetreten, dass der EuGH durchaus nicht abgeneigt ist, das nationale Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht auf seine kapitalverkehrsbeschränkende Wirkung zu überprüfen. Vor diesem Hintergrund wäre dem deutschen Gesetzgeber dringend anzuraten, die beabsichtigte novellierte Regelung des Acting in Concert in §§ 22 Abs. 2 WpHG und 30 Abs. 2 WpÜG nochmals zu überdenken.
44 Siehe die Rede des EU-Binnenmarktkommissars Charlie McCreevy zu Corporate Governance vom 6. Dezember 2007 vor dem britischen Oberhaus, abrufbar unter www. europa.eu.int. Darin äußerte McCreevy Bedenken darüber, dass einige Mitgliedstaaten dem Konzept des abgestimmten Verhaltens einen erheblich zu weit gefassten Inhalt geben und so eine legitime Zusammenarbeit zwischen Aktionären verhindern. 45 EuGH BB 2007, 2423 (VW-Urteil). Demnach hat die BRD durch die Beibehaltung der Bestimmungen des Volkswagengesetzes über die Begrenzung des Stimmrechts auf 20 %, über die Festlegung der Sperrminorität auf 20 % und über das Recht des Bundes und des Landes Niedersachsen, je zwei Vertreter in den Aufsichtsrat zu entsenden, gegen ihre Verpflichtungen verstoßen. 46 Gesetz über die Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung in private Hand vom 21. Juli 1960 (VW-Gesetz) (BGBl. I, 585). Zur Vereinbarkeit des VW-Gesetzes mit Europarecht siehe Endell, NZG 2000, 1160; Kilian, NJW 2002, 3599; Krause, NJW 2002, 2747; Ruge, EuZW 2002, 421; Grundmann/Möslein, ZGR 2003, 317; Armbrüster, JuS 2003, 224; Sander, EuZW 2005, 106; Pießkalla, Goldene Aktien aus EG-rechtlicher Sicht, 2006; Reich, EuZW 2007, 132; Kilian, NJW 2007, 3469; Sander, EuZW 2008, 33.
Die Mieterdienstbarkeit – ein Finanzierungshindernis? Martin Wiemann I. Einleitung Zur Sicherung der langfristigen Nutzungsmöglichkeit einer Immobilie zugunsten des Mieters finden sich im gewerblichen Mietrecht sogenannte „Mieterdienstbarkeiten“.1 Eine verdinglichte Standortsicherung verlangen vor allem sogenannte Ankermieter, die als Großnutzer innerhalb einer gewerblich genutzten Immobilie mit entsprechender Marktmacht ihr besonderes Schutzinteresse geltend machen. Sie wollen sich für die Laufzeit ihres Mietverhältnisses vor der Insolvenz des Vermieters und einer daraus folgenden vorzeitigen Beendigung des Mietverhältnisses schützen. Das gilt umso mehr, wenn der Mieter – teils erhebliche – Investitionen in den Mietgegenstand gemacht hat, die sich erst im Rahmen einer längerfristigen Nutzung amortisieren. Zwar hat der Mieter bereits kraft Gesetzes eine gewisse Standortsicherung, da bei einem Weiterverkauf der Immobilie der Mietvertrag auf den Erwerber übergeht (vgl. §§ 566, 578 BGB – Kauf bricht nicht Miete). Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Mietsache dem Mieter bereits zum Gebrauch überlassen wurde und Vermieter und Eigentümer identisch sind. Wird die Mietsache vor der Übergabe an den Mieter veräußert, zeigen sich erste Schutzlücken zulasten des Nutzungsrechts des Mieters. Die Anwendbarkeit von § 566 BGB ist ebenfalls unklar, wenn der Vermieter den Mietvertrag zu einem Zeitpunkt, zu dem er noch nicht als Eigentümer im Grundbuch eingetragen ist (Vermietung „vom Reißbrett“) 2 oder – nach seiner Eintragung – über einen 1 Vgl. empirische Nachweise bei Stiegele, Mietsicherungsdienstbarkeit, 1995, S. 77 ff. und 253 ff. 2 Vgl. hierzu die divergierende obergerichtliche Rechtsprechung OLG Naumburg (9.12. 2004, 2 U 101/04) und OLG Köln ZMR 2001, 967 (§ 566 BGB gilt nur, wenn Vermieter schon im Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrags Eigentümer war, so auch Börstinghaus, NZM 2004, 481 f.); zur überwiegenden Gegenansicht OLG Rostock NZM 2006, 262 und OLG Dresden ZMR 2005, 41 (§ 566 BGB gilt auch, wenn Vermieter bei Mietvertragsschluss noch nicht Eigentümer war; so auch u.a. Staudinger/Emmerich, BGB, Neubearbeitung 2006, § 566 Rdnr. 21; Häublein, in: MünchKomm-BGB, 5. Aufl. (2008), § 566 Rdnr. 19). Der BGH hat sich – soweit ersichtlich – mit dieser Frage noch nicht beschäftigt.
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Verwalter als verdeckten Stellvertreter abschließt 3. Bei Verschlechterung der Finanzlage des Vermieters zeigen sich weitere Lücken: Zwar tritt der Erwerber auch bei Zwangsversteigerung und freihändigem Grundstücksverkauf durch den Insolvenzverwalter in den Mietvertrag kraft Gesetzes ein, doch kann er das gewerbliche Mietverhältnis in diesen Fällen aufgrund der Sonderkündigungsrechte gemäß § 111 InsO bzw. § 57a ZVG beenden. Wegen der Relativität der Schuldverhältnisse und der damit verbundenen Begrenzung der Vertragswirkungen auf die Vertragsparteien ist der Mieter bei Wegfall des Mietvertrags – auch wenn ihn kein eigenes Verschulden trifft – schutzlos.4 Zur Sicherung ihres Nutzungsrechts fordern Mieter deshalb zusätzlich die Einräumung einer dinglich – also gegen jedermann – wirkenden Mieterdienstbarkeit.5 Das kann für den Vermieter problematisch sein, wenn Finanzierungsbanken erstrangige Sicherheiten verlangen. Im Folgenden wird deshalb nach der Darstellung der dinglichen Sicherungsrechte im Allgemeinen und der Mieterdienstbarkeit im Besonderen (II.) untersucht, welchen Schutz eine dingliche Sicherung im Rahmen der Zwangsversteigerung bzw. Insolvenz des Vermieters bietet (III. und IV.) und wie der Interessenkonflikt zwischen finanzierenden Banken und Mieter zu beurteilen und zu lösen ist (V.). Am Ende folgen Formulierungsbeispiele (VI.).
II. Darstellung dinglicher Sicherungsrechte 1. Eignung dinglicher Rechte zum Mieterschutz Von den im Gesetz vorgesehenen Varianten von Dienstbarkeiten (vgl. §§ 1018 ff. BGB – Grunddienstbarkeit, Nießbrauch und beschränkte persönliche Dienstbarkeit) kommt in der Regel nur die beschränkte persönliche Dienstbarkeit in Betracht.6 Denn der Schutz der im Mietvertrag vorgesehenen Grundstücksnutzung soll im Normalfall an die Person des Mieters gekoppelt 7 und der Eigentümer zumeist nicht vollständig von der Grundstücks3 Vgl. zum Streitstand über die Anwendbarkeit von § 566 BGB, wenn Vermieter und Veräußerer nicht identisch sind Häublein, in: MünchKomm-BGB, 5. Aufl. (2008), § 566 Rdnr. 21 m.w.N. 4 Allenfalls steht dem Mieter ein Schadenersatzanspruch zu (siehe dazu unten Fußn. 43 und 55), der – schon mangels Werthaltigkeit – regelmäßig uninteressant ist. 5 Vgl. allgemein zur Zulässigkeit der Bestellung von Dienstbarkeiten zur Sicherung eines schuldrechtlichen Anspruchs BGH NJW 1974, 2123; BGH NJW 1988, 2364; BGH NJWRR 1992, 593 (594); BayOblG NJW-RR 1990, 208 f. 6 Nachfolgend wird einheitlich der Begriff Mieterdienstbarkeit verwendet und meint damit die beschränkte persönliche Dienstbarkeit zur Absicherung des Nutzungsrechts des Mieters. 7 Damit kommt eine Grunddienstbarkeit zugunsten des jeweiligen Eigentümers eines herrschenden Grundstücks nicht in Betracht.
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nutzung ausgeschlossen 8 werden. Üblicherweise wird dem Mieter dabei die (teilweise) Grundstücksnutzung in bestimmter Weise gestattet. Alternativ zur beschränkten persönlichen Dienstbarkeit – und zum Mietvertrag 9 – kann dem Mieter auch ein dingliches Dauernutzungsrecht nach §§ 31 ff. WEG eingeräumt werden. Die Vorschriften des Mietrechts sind, soweit nicht ausdrücklich im WEG vorgesehen, dann nicht entsprechend anwendbar.10 Das Dauernutzungsrecht als „verdinglichte Miete“ ist zwingend vererblich und grundsätzlich veräußerlich 11 und kann gemäß § 39 Abs. 1 WEG sogar gegen ein Erlöschen in der durch nachrangige Grundpfandrechtsgläubiger betriebenen Zwangsversteigerung abgesichert werden. Es spielt vor allem eine Rolle, wenn die Vertragsparteien einen Nutzungsvertrag mit einer festen Laufzeit von mehr als 30 Jahren abschließen und seine Kündbarkeit nach § 544 BGB vermeiden wollen. Die Bedeutung des Dauernutzungsrechts in der Praxis scheint aber eher begrenzt zu sein – auch wenn es als Alternative zur Dienstbarkeit wahrgenommen wird –12, was zumeist darauf zurückgeführt wird, dass das Dauernutzungsrecht wegen seiner sachenrechtlichen Typenfixierung dem Mietvertrag mit seinen schuldrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten unterlegen sei.13 Demgegenüber sind Grundpfandrechte keine Alternative zur beschränkten persönlichen Dienstbarkeit. Mit ihrer Hilfe ließe sich zwar theoretisch ein finanzieller Verlust von Investitionen abfedern, etwa über eine (Sicherungs-)Hypothek 14 oder – jenseits der Abhängigkeit von einer Forderung – über eine Grundschuld. Unabhängig von dem Umstand, dass die finanzie8 Sollen dem Eigentümer keinerlei Eigentümerbefugnisse mehr bleiben, wäre ein Nießbrauch zu gewähren. Da es aber eine Tendenz in der Rechtsprechung zu geben scheint, wonach für die beschränkte persönliche Dienstbarkeit die theoretisch (rechtlich) mögliche Nutzung durch den Eigentümer ausreicht, ist der Anwendungsbereich für die beschränkte persönliche Dienstbarkeit weitreichend, vgl. dazu Stapenhorst/Voß, NZM 2003, 873 (875) m.w.N. 9 Mietvertrag und Dauernutzungsrecht schließen einander grundsätzlich aus, beide können aber gleiche wirtschaftliche Zwecke verfolgen. Vgl. dazu allgemein sowie zu den Unterschieden beider Rechtsinstitute OLG Nürnberg ZMR 1961, 196 ff. 10 Vgl. BGH NJW 1969, 1850; LG Frankfurt NZM 2000, 877. 11 Für den Nutzer ist das ein Vorzug gegenüber dem Mietrecht, doch muss der Eigentümer im Einzelfall abwägen, ob das auch mit seinen Interessen in Einklang zu bringen ist. 12 Vgl. Grziwotz, in: Jennißen, WEG, 2008, § 31 Rdnr. 2 m.w.N. 13 Vgl. Stapenhorst/Voß, NZM 2003, 873 f. Das Dauernutzungsrecht lässt sich gleichwohl ähnlich einem Mietvertrag ausgestalten: Der zwingende Inhalt des Dauernutzungsrechts umfasst nur wenige Punkte, im übrigen können schuldrechtliche Vereinbarungen – mietvertraglichen Regelungen vergleichbar – getroffen und im Rahmen des § 33 Abs. 4 WEG zum Inhalt des Dauernutzungsrechts gemacht werden, vgl. Mansel, in: Weitnauer, WEG, 9. Aufl. (2005), § 33 Rdnr. 11. Eine Hürde kann die notwendige Abgeschlossenheitsbescheinigung darstellen, je nachdem wie zügig sie zu erlangen ist; um die Überlassung der Räume schon vor Eintragung des Dauernutzungsrechts zu ermöglichen, kann ein auflösend bedingter Mietvertrag vorgeschaltet werden, vgl. dazu Maaß/Oprée, ZNotP 1997, 9 (11). 14 Vgl. zu diesem Vorschlag etwa Wolfsteiner, ZNotP 1997, 88 (89).
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renden Banken vorrangige Finanzierungsgrundpfandrechte verlangen und ein nachrangiges Grundpfandrecht für den Mieter regelmäßig wertlos ist, wird dadurch sein Nutzungsrecht nicht geschützt.
2. Rechtsverhältnisse zwischen den Mietvertragsparteien und Inhalt der Sicherungsabrede a) Rechtsverhältnisse Die Mieterdienstbarkeit beruht auf einer schuldrechtlichen Bestellungsverpflichtung im Mietvertrag 15 und steht rechtlich eigenständig neben diesem. Sie ist aber inhaltlich über eine Sicherungsabrede an das gekoppelt, was im Mietvertrag als Nutzung eingeräumt wird. Somit besteht ein Dreiecksverhältnis von schuldrechtlichem Rechtsgeschäft (Mietvertrag), dinglichem Rechtsgeschäft (Einräumung der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit, flankiert von einem gesetzlichen Begleitschuldverhältnis) und der (schuldrechtlichen) Sicherungsabrede, die Mietvertrag und Mieterdienstbarkeit verknüpft. Die Mieterdienstbarkeit ist demnach ein fiduziarisches Sicherungsrecht, das dem Mieter mit der vollen Rechtsinhaberschaft am Sicherungsrecht (Mieterdienstbarkeit) nach außen mehr einräumt als er nach der im Innenverhältnis getroffenen schuldrechtlichen Abrede tun darf.16 Die Sicherungsabrede ist wirtschaftlich mit dem Mietvertrag verbunden, wird in der Regel auch gleichzeitig mit ihm abgeschlossen und in eine einzige Urkunde aufgenommen.17 Lassen die Vertragsparteien nicht klar erkennen, dass die Sicherheit neben dem Mietvertrag ernstlich gewollt ist, könnte die Verbindung zu einem „Gesamtvertrag“ angenommen werden mit der Folge, dass die Sicherungsabrede das rechtliche Schicksal des Mietvertrags teilen würde und bei dessen Beendigung entfiele bzw. bei einer Grundstücksveräußerung gemäß §§ 566, 578 BGB mit ihm überginge.18 Um Zweifel an der Reichweite der Verbindung der Rechtsverhältnisse auszuschließen, muss deshalb klar ge15
Vgl. Joost, in: MünchKomm-BGB, 4. Aufl, (2004), § 1090 Rdnr. 39. Vgl. zu den Rechtsverhältnissen bei fiduziarischen Sicherungsrechten Palandt/Heinrichs/Ellenberger, BGB, 67. Aufl. (2008), Überblick vor § 104 Rdnr. 25. 17 Formerfordernisse können sich aus §§ 550, 311b BGB ergeben. Sollte § 311b BGB eine Rolle spielen, weil der Mietvertrag wesentlicher Bestandteil eines Grundstückskaufvertrags ist, ersetzt die notarielle Beurkundung auch eine etwa notwendige Schriftform. § 550 BGB wird sich zwar kaum auf die Sicherungsabrede samt Bewilligung erstrecken, da der BGH vom Eintritt des Grundstückserwerbers nur in solche Rechte und Pflichten ausgeht, die im Mietvertrag selbst festgelegt sind oder mit ihm in unlösbarem Zusammenhang stehen; der wirtschaftliche Zusammenhang zwischen Mietvertrag und einer weiteren Vereinbarung reicht gerade nicht aus, vgl. BGH NJW 2006, 1800 (1801). Demgegenüber muss die Pflicht zur Bestellung der Dienstbarkeit Gegenstand des schriftlichen Mietvertrags sein, da sie für den potenziellen Erwerber bis zur Eintragung der Mieterdienstbarkeit relevant ist. 18 Vgl. dazu Stiegele, Die Mietsicherungsdienstbarkeit, 1995, S. 158 f. 16
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regelt werden, dass es bei vorzeitiger Mietvertragsbeendigung aus vom Mieter nicht zu vertretenden Gründen (oder – enger – vom Vermieter zu vertretenden Gründen) und dem damit verbundenen Eintritt des Sicherungsfalls gerade keine Verbindung zwischen Sicherungsabrede und Mietvertrag gibt. Zur Begrenzung von Regelungslücken muss der Sicherungsabrede – in Verbindung mit der Eintragungsbewilligung – im Rahmen der Vertragsgestaltung besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Der wesentliche Inhalt sollte folgende Punkte umfassen, die sich entweder rein schuldrechtlich vereinbaren oder großenteils – je nach Parteiwunsch – auch verdinglichen lassen: b) Pflicht zur Bestellung der Dienstbarkeit und Eintragungsbewilligung Zunächst muss die Verpflichtung des Vermieters begründet werden, die Dienstbarkeit – an bestimmter Rangstelle – zu bestellen. Infolge des Risikos der Ausübung eines Sonderkündigungsrechts durch den Erwerber nach ZVG und InsO hat der Mieter im Vorfeld zum Abschluss des Mietvertrags das Recht, das Grundbuch des anzumietenden Grundstücks einzusehen.19 Als weitere Sicherung kann die Fälligkeit seiner ersten Mietzahlung davon abhängig gemacht werden, dass die Mieterdienstbarkeit ranggerecht eingetragen (oder ihre Eintragung durch Notarbestätigung sichergestellt) ist. Erteilt der Vermieter allerdings bereits bei Mietvertragsschluss die Bewilligung, kann der Mieter selbst den Eintragungsantrag beim Grundbuchamt stellen, so dass ein weiterer Nachweis entbehrlich ist. Die notwendige Eintragungsbewilligung mit -antrag sollte – in grundbuchmäßiger Form (§ 29 GBO) – gesondert erteilt werden und ist beim Grundbuchamt zwecks Eintragung einzureichen. In ihr ist der gesamte gewünschte dingliche Inhalt der Mieterdienstbarkeit wiederzugeben. Um nicht Gefahr zu laufen, dass die Eintragung abgelehnt wird, ist der dienstbarkeitsrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz 20 zu beachten. Das betrifft zuerst die Benennung des Nutzungsrechts im vereinbarten Umfang. Ein Eintragungshindernis läge beispielsweise bei Dienstbarkeiten vor, die dem Eigentümer keinerlei Eigentümerbefugnisse beließen.21 Wenn nicht das gesamte Grundstück belastet werden soll, ist zudem die zu belastende Teilfläche genau zu bezeichnen (vgl. § 7 Abs. 2 GBO).22 19 Vgl. OLG Hamm Rechtspfleger 1986, 128; BayOblG NJW 1993, 1142. Die Einsichtnahme wird vor allem der Frage dienen, wie wahrscheinlich eine vorzeitige Vertragsbeendigung erscheint. Die Darlegung des berechtigten Interesses für die Grundbucheinsicht erübrigt sich, wenn der Eigentümer dem künftigen Mieter – wie in der Praxis üblich – Vollmacht zur Einsichtnahme erteilt. 20 Vgl. RGZ 117, 323 (327). 21 Vgl. Joost, in: MünchKomm-BGB, 4. Aufl. (2004), § 1090 Rdnr. 10. 22 Die Ausübungsbefugnis des Mieters kann wirksam auf einen Teil der Grundstücksfläche beschränkt werden, selbst wenn der Eigentümer insoweit von jeglicher Mitbenutzung des betroffenen Grundstücksteils ausgeschlossen ist, vgl. BGH ZMR 1992, 100.
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Als dinglicher Inhalt der Mieterdienstbarkeit kann auch – unabhängig vom wahren Dienstbarkeitswert – ein Höchstbetrag des Wertersatzes für den Fall ihres Erlöschens im Rahmen der Zwangsversteigerung gemäß § 882 BGB i.V.m. § 92 ZVG bestimmt werden,23 was dem Vermieter unter Umständen erleichtert, das Grundstück zugunsten Dritter weiter zu belasten. Denn dadurch können gleich- oder nachrangig gesicherte Gläubiger verlässlich auf ihre Befriedigungsaussichten im Zwangsversteigerungsverfahren schließen,24 weil feststeht, wieviel der Mieter aus dem Versteigerungserlös höchstens erhält. Zudem muss der Dienstbarkeitsberechtigte den Kapitalwert seines Rechts im Zwangsversteigerungsverfahren nicht mehr nach §§ 45 Abs. 1, 37 Nr. 4 ZVG anmelden und sichert so seine Aufnahme in den Teilungsplan nach § 114 ZVG.25 Die Wertersatzfestlegung ist deshalb bei einer erstrangigen Mieterdienstbarkeit im Hinblick auf die Beleihbarkeit des Grundstücks insbesondere für nachrangige finanzierende Banken essentiell.26 Sie ist aber auch bei ihrer Eintragung im Rang nach Grundpfandrechten sinnvoll, wenn die Mieterdienstbarkeit mit Zuschlag im Rahmen der Zwangsversteigerung auf das Betreiben einer vorrangig gesicherten Bank tatsächlich erlischt. c) Sicherungsfall und Ausübungsverbot Der Mieter darf die beschränkte persönliche Dienstbarkeit nicht vor Eintritt des Sicherungsfalls ausüben. Klarzustellen ist, ob der Mieter lediglich 23 Nicht zu verwechseln ist die Ausweisung des Höchstbetrags gemäß § 882 BGB i.V.m. § 92 ZVG mit der Wertangabe der Dienstbarkeit zwecks Ermittlung der Notar- und Grundbuchgebühren (Geschäftswert nach KostO), die ebenfalls möglich und sinnvoll ist. Der Geschäftswert, der auch Rückschlüsse auf die wirtschaftliche Bedeutung des zu sichernden Mietverhältnisses zulässt, ist grundsätzlich nach § 24 KostO zu bestimmen; auszugehen ist nach dieser Norm für die vereinbarte Vertragslaufzeit vom Nutzungswert, also der Jahresmiete, begrenzt auf das 25-fache. Vgl. dazu Schwarz, in: Korintenberg/Lappe/Bengel/ Reimann, KostO, 16. Aufl. (2005), § 24 Rdnr. 14 (§ 24 KostO als lex specialis zu § 30 KostO bei „Nutzungsdienstbarkeit“); vgl. weiterhin zur Ermittlung des Geschäftswerts mit empirischen Nachweisen aus der Praxis Stiegele, Mietsicherungsdienstbarkeit, 1995, S. 87 ff. Dass es richtig ist, vom Wert der Nutzung auszugehen und nicht etwa von einem bloßen Sicherungsinteresse, ergibt sich aus dem in § 23 KostO verankerten Prinzip, die Sicherungsrechte nach der zu sichernden Forderung zu bewerten. 24 Vgl. zum Normzweck und zur praktischen Relevanz der Norm Wacke, in: MünchKomm-BGB, 4. Aufl. (2004), § 882 Rdnr. 1 m.w.N. Hintergrund für die offenbar eher geringe Bedeutung in der Praxis ist der Folgende: Der Höchstbetrag ist frei wählbar, kann sich aber nachträglich ändern. Zum einen haben die Beteiligten im Zwangsversteigerungsverfahren die Möglichkeit, zu Lasten des Mieters gemäß § 115 ZVG die Herabsetzung einer gemessen an § 92 Abs. 2 ZVG überhöhten Wertangabe auf den wirklichen Wert zu beantragen. Zum anderen könnten die Mietvertragsparteien nach Eintragung eine Änderung anstreben, wobei eine Erhöhung die Zustimmung von gleich- oder nachrangigen Grundbuchgläubigern erfordert (vgl. DNotI-Report 2006, S. 55). 25 Vgl. Wacke, in: MünchKomm-BGB, 4. Aufl. (2004), § 882 Rdnr. 1 m.w.N. 26 Siehe dazu weiter unter V. unten.
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vor der vorzeitigen Beendigung des Mietvertrags geschützt werden soll oder auch vor anderen Beeinträchtigungen seines Nutzungsrechts, etwa durch Vertragsverletzungen des Vermieters vor Übergabe (Doppelvermietung oder Weiterveräußerung). d) Ausübungsregeln, insbesondere Ausübungsentgelt Die Inanspruchnahme der Mieterdienstbarkeit hilft in der Situation, in der die mietvertraglichen Regelungen infolge Kündigung gemäß § 57a ZVG bzw. § 111 InsO wegfallen. In der Sicherungsabrede sind deshalb (neue) schuldrechtliche Begrenzungen für die Ausübung der Dienstbarkeit zu bestimmen,27 soweit es dem Interesse der Vertragsparteien entspricht. Nach dem Zweck der Mieterdienstbarkeit – Schutz des Nutzungsrechts und damit vor Kündigung – liegt es nahe, auf weitgehende schuldrechtliche Regelungen für die Zeit der Ausübung der Mieterdienstbarkeit zu verzichten. Grundsätzlich richtet sich der Inhalt der schuldrechtlichen Beziehungen zwischen neuem Eigentümer und Mieter nach den Regelungen zum gesetzlichen Begleitschuldverhältnis gemäß §§ 1093 Abs. 1 Satz 2, 1090 Abs. 2 BGB; unter Umständen kommt auch ein Rückgriff auf einzelne mietrechtliche Regelungen in Betracht.28 Die Mietzahlungspflicht des Mieters würde mangels gesetzlicher Regelung in den §§ 1018 ff. BGB ersatzlos entfallen, wenn die Parteien nicht ausdrücklich für den Sicherungsfall die weitere Entgeltlichkeit vereinbaren.29 Gelegentlich wird daher die Pflicht zur Zahlung eines Entgelts (Ausübungsentgelt genannt) vorgesehen,30 die jedoch nicht zum dinglichen Inhalt der Mieterdienstbarkeit gemacht werden kann.31 Seine Höhe kann sich an der Miete orientieren. Um sicherzustellen, dass das Ausübungsentgelt tatsächlich fließt, kann man die Ausübung der Dienstbarkeit auch auflösend bedingt von der Erbringung der geschuldeten fortlaufenden Zahlungen abhängig machen.32 Es wird auch vorgeschlagen, ein niedrigeres Entgelt oder gar nichts zu vereinbaren, um den Vermieter – vergleichbar einer Vertragsstrafe – wirtschaftlich
27 Der Mietvertrag darf nämlich wegen des Strukturunterschieds von Mietvertrag und Dienstbarkeit nicht durch bloße Bezugnahme zum Inhalt der Dienstbarkeit gemacht werden, vgl. Staudinger/Mayer, BGB, Neubearbeitung 2002, § 1093 Rdnr. 9 m.w.N. 28 Vgl. hierzu Stapenhorst/Voß, NZM 2003, 873 (880) m.w.N. 29 Bei fehlender Vereinbarung dürfte es schwierig sein, über Auslegung – notfalls über ergänzende Vertragsauslegung – einen Parteiwillen zur weiteren Zahlungspflicht nachzuweisen. 30 Periodische Zahlungsverpflichtung in „mietzinsähnlicher Form“, vgl. BGH WM 1966, 1088 (1089). 31 Vgl. BGH WM 1966, 1088 (1089); BGH WM 1965, 649 (651). 32 Nach h.M. ist diese Gestaltung zulässig, vgl. Staudinger/Mayer, BGB, Neubearbeitung 2002, § 1090 Rdnr. 32 und § 1093 Rdnr. 14 m.w.N.
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unter Druck zu setzen.33 Nach dem Zweck der Mieterdienstbarkeit erscheint eine Entgeltvereinbarung tatsächlich nicht sinnvoll, denn der Mieter will den Kündigungsschutz gerade für den Fall der Insolvenz des Vermieters erreichen. Und der Erwerber hat es in der Hand, die entgeltliche Nutzung auf Basis des Mietvertrags weiterhin zu ermöglichen. Zudem kann – auch dinglich – die Ausübung der Dienstbarkeit Dritten überlassen werden, etwa in Verbindung mit der Berechtigung zur Untervermietung. e) Rückgewähranspruch bzw. Laufzeit der Dienstbarkeit Das dingliche Recht des Mieters muss entsprechend seinem Schutzbedürfnis an die Laufzeit des Mietvertrags gekoppelt werden, d.h. er muss zumindest verpflichtet sein, die Mieterdienstbarkeit nach Erledigung des Sicherungszwecks an den Vermieter gemäß § 875 BGB zurückzugewähren. Die Mieterdienstbarkeit kann hierzu bedingt oder befristet werden.34 So kann die Dauer der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit vom Bestehen des schuldrechtlichen Nutzungsvertrags abhängig gemacht werden, d.h. sie kann entweder befristet auf das vereinbarte Mietvertragsende, auflösend bedingt auf die Dauer des Nutzungsverhältnisses oder aufschiebend bedingt bestellt werden.35 Zu unterscheiden ist damit zwischen folgenden Varianten: Vorzugswürdig – da am praktischsten und dem Schutzzweck angemessen – ist es, die Mieterdienstbarkeit aufschiebend oder auflösend bedingt auf ein bestimmtes Ereignis zu bestellen,36 etwa aufschiebend bedingt auf die Beendigung des Mietverhältnisses durch eine Kündigung nach § 57a ZVG bzw. § 111 InsO. Der gewünschte Rang der Mieterdienstbarkeit ist im Fall der aufschiebenden Bedingung auch gesichert, da die Eintragung gemäß § 879 Abs. 2 BGB unabhängig vom Bedingungseintritt rangbestimmend wirkt.37 Problematisch ist allerdings, wie der Eintritt einer – ins Grundbuch eingetragenen – aufschiebenden oder auflösenden Bedingung in der Form des § 29 GBO nachgewiesen werden kann. Bei der auflösenden Bedingung kann man dieser 33 Vgl. Stapenhorst/Voß, NZM 2003, 873 (880); zur Funktion der Mieterdienstbarkeit als wirtschaftliches Druckmittel gegenüber dem Vermieter Stiegele, Die Mietsicherungsdienstbarkeit, 1995, S. 81 und 152 ff. 34 Vgl. BGH NJW 1974, 2123 (2124); BGH NJW 1979, 2149 (2150); BayOblG MDR 1981, 759; BayOblG NJW-RR 1990, 208; Joost, in: MünchKomm-BGB, 4. Aufl. (2004), § 1080 Rdnr. 33 m.w.N. 35 Vgl. BGH NJW-RR 1992, 593 (594 f.). 36 Vgl. BayOblG NJW-RR 1990, 208 f.; OLG Köln DNotZ 1963, 48. Nach dem BayOblG kann die Dauer der Mieterdienstbarkeit allgemein vom Bestehen des schuldrechtlichen Vertrags auflösend bedingt abhängig gemacht werden, was bei einer Kündigung nach § 57a ZVG zur Folge haben soll, dass die auflösende Bedingung entfiele und sich die Dienstbarkeit in ein Recht von unbestimmter Dauer verwandele. 37 Vgl. Wacke, in: MünchKomm-BGB, 4. Aufl. (2004), § 879 Rdnr. 27 m.w.N.
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Schwierigkeit ausweichen und den Mieter bei Abschluss des Mietvertrages dazu verpflichten, eine Löschungsbewilligung in grundbuchmäßiger Form zu erteilen, die bei dem Notar, der die Unterschrift unter der Dienstbarkeitsbewilligung beglaubigt, zu treuen Händen zu hinterlegen ist. Der Notar wird ermächtigt, die Löschungsbewilligung beim Grundbuchamt einzureichen, wenn der Vermieter ihn entsprechend schriftlich beauftragt und eine bestimmte Frist verstrichen ist, seit der Notar den Mieter hiervon in Kenntnis gesetzt hat. Hält der Mieter die Löschung für unberechtigt und will er die Einreichung der Löschungsbewilligung verhindern, kann er innerhalb der Frist eine einstweilige Verfügung gegen den Notar erwirken.
III. Mieterdienstbarkeit in der Zwangsversteigerung 1. Notwendigkeit der erstrangigen Sicherung Will der Mieter seine Rechte effizient wahren, muss die Mieterdienstbarkeit erstrangig 38 bestellt werden, um zu vermeiden, dass sie durch Zwangsversteigerung eines vorrangigen Gläubigers mit Zuschlag gemäß § 52 Abs. 1 Satz 2 ZVG erlischt. Kündigt der Ersteher in diesem Fall den Mietvertrag gemäß § 57a ZVG, ist der Mieter ungeschützt. Mit Erlöschen der Mieterdienstbarkeit haftet dem Mieter nicht mehr das Grundstück, sondern nur noch der Versteigerungserlös. Sein Ersatzanspruch nach § 92 ZVG tritt an die Stelle der erloschenen Mieterdienstbarkeit in deren Rang und setzt sich am Versteigerungserlös fort.39 Haben die Parteien keinen Wertersatz gemäß § 882 BGB festgelegt, wird der schuldrechtliche Ersatzanspruch nach § 92 Abs. 2 ZVG berechnet. Seine Höhe ist gemäß §§ 92 Abs. 2 Satz 1, 121 Abs. 1 ZVG auf den 25-fachen Jahreswert „des Rechtes“ beschränkt. Der Jahreswert bestimmt sich nach den ortsüblichen Entgelten,40 also der Miete, wobei hinsichtlich der Gesamthöhe – wie bei allen befristeten Rechten – von der Restlaufzeit auszugehen ist. Allerdings ist nach Befriedigung des die Zwangsversteigerung betreibenden Gläubigers ein umfangreicher Versteigerungserlös regelmäßig nicht mehr zu erwarten. Zudem ist der Mieter gezwungen, einen anderen Standort zu finden; auf den damit verbundenen Folgekosten bleibt er in jedem Fall sitzen. 38 Gemeint ist hierbei das Rangverhältnis zwischen Mieterdienstbarkeit als Recht in Abteilung II des Grundbuchs und etwaigen den Grundstückswert mindernden Rechten in Abt. II und III, wie z.B. Auflassungsvormerkungen und Grundpfandrechte. Unschädlich hingegen wäre die vorrangige Eintragung von Leitungsrechten o.Ä. in Abteilung II des Grundbuchs, die den Schutzzweck der Mieterdienstbarkeit nicht gefährden können. 39 Vgl. dazu Storz, Praxis des Zwangsversteigerungsverfahrens, 10. Aufl. (2007), B 6.2.4.2. 40 Vgl. Böttcher, ZVG, 4. Aufl. (2005), § 92 Rdnr. 20.
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2. Ausschluss des Sonderkündigungsrechts nach § 57a ZVG Betreibt hingegen ein nachrangiger Gläubiger die Zwangsversteigerung, fällt die Mieterdienstbarkeit gemäß § 44 Abs. 1 ZVG ins geringste Gebot und bleibt damit bestehen. Der Mietvertrag geht (unter Umständen ohne Sicherungsabrede) 41 auf den Erwerber über. § 57a ZVG ermöglicht dem Erwerber die Kündigung des Mietverhältnisses „unter Einhaltung der gesetzlichen Frist“, aber nur zum „ersten Termin …, für den sie zulässig ist“.42 Macht der Erwerber von seinem Kündigungsrecht Gebrauch 43, tritt der Sicherungsfall ein und der Mieter kann sich auf sein Nutzungsrecht kraft Mieterdienstbarkeit berufen, gegebenenfalls gegen Zahlung eines vereinbarten Ausübungsentgelts. Die Dienstbarkeit schaltet also faktisch das Sonderkündigungsrecht des Erwerbers aus. Nach überwiegender Auffassung ist diese Gestaltung gleichwohl zulässig und stellt kein Wirksamkeitshindernis für die Dienstbarkeit dar.44
3. Vorrangige Sicherung von Gläubigern außerhalb des Grundbuchs Eine besondere Problematik stellt sich, wenn nicht ein grundbuchlich gesicherter nachrangiger Gläubiger die Zwangsversteigerung betreibt, sondern der Gläubiger einer Forderung auf die Entrichtung öffentlicher Grundstückslasten.45 Gemäß § 10 Abs. 1 Ziff. 3 ZVG gehen derartige Vorzugsansprüche in Rangklasse 3 Ansprüchen aus Rechten an dem Grundstück, die in Rangklasse 4 folgen, im Rahmen der Befriedigung vor. 41 Es ist noch einmal zu betonen, dass es zwar den wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen Mietvertrag und Sicherungsabrede gibt und beides gewöhnlich in einer Urkunde zu finden ist. Das ändert aber nichts an der rechtlichen Eigenständigkeit der Sicherungsabrede, vgl. dazu bereits oben unter II.2.a). Stiegele zeigt Wege auf, wie der Ersteher auf die sicherungsvertraglichen Ansprüche zugreifen kann, etwa durch deren Pfändung durch den betreibenden Gläubiger, vgl. Stiegele, Mietsicherungsdienstbarkeit, 1995, S. 216 f. 42 Für gewerbliche Mietverhältnisse gilt § 580a Abs. 2 BGB, d.h. Kündigung bis zum 3. Werktag des – soweit noch möglich – aktuellen, sonst des folgenden Kalendervierteljahres zum Ende des nächsten Kalendervierteljahres. Der Schutz des Wohnraummieters bleibt demgegenüber vom Sonderkündigungsrecht des Erwerbers wegen der auch hier geltenden gesetzlichen Kündigungsbeschränkungen gemäß §§ 573 ff. BGB nahezu unberührt; die Wirkung des § 57a ZVG besteht nur darin, dass eine vereinbarte längere Kündigungsfrist auf die gesetzliche verkürzt wird. 43 Dem Mieter steht nach einer vorzeitigen Vertragsbeendigung Schadenersatz zu, da sein Anspruch auf Gebrauchsgewährung während der unkündbaren Vertragszeit nicht ersatzlos entfallen kann, vgl. dazu RGZ 63, 66 ff.; Eckert, in: MünchKomm-InsO, 2. Aufl. (2008), § 111 Rdnr. 28. 44 Vgl. BayOblG NJW-RR 1990, 208 (209); Staudinger/Mayer, BGB, 4. Aufl. (2004), § 1093 Rdnr. 12 m.w.N.; Stapenhorst/Voß, NZM 2003, 873 (876) m.w.N.; Bedenken äußert hingegen Wolfsteiner, ZNotP 1997, 88 (89). 45 Auch wenn ein grundbuchlich gesicherter Gläubiger die Zwangsversteigerung betreibt, müssen die öffentlichen Grundstückslasten – weil sie aus dem Grundbuch nicht ersichtlich sind – angemeldet werden (vgl. §§ 37 Nr. 4, 45 Abs. 1, 114 Abs. 1 ZVG).
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Öffentliche Grundstückslast ist eine im öffentlichen Recht kraft Gesetzes oder Satzung geschaffene Abgabenverpflichtung, die in Geld durch wiederkehrende oder einmalige Leistungen zu erfüllen ist und für die das Grundstück dinglich haftet.46 Hierunter fallen insbesondere Erschließungsbeiträge gemäß § 134 Abs. 2 BauGB (wegen der aus den letzten vier Jahren rückständigen Beträge), ein vom Eigentümer zu zahlender Wertausgleich für Maßnahmen zur Erfüllung boden- und altlastenbezogener Pflichten gemäß § 25 Abs. 6 BBodschG wie auch festgesetzte Geldleistungen in Umlegungsverfahren gemäß § 64 Abs. 3 BauGB, Grundsteuer gemäß § 12 GrStG, Gebühren für die Müllabfuhr, Straßenreinigung und Schornsteinfeger.47 Ein Gläubiger von öffentlichen Grundstückslasten kann die Zwangsversteigerung betreiben,48 ohne dass ein grundbuchlich gesicherter Gläubiger sich hiervor schützen kann. Grundbuchlich gesicherte Gläubiger sind gemäß § 9 ZVG Beteiligte des Zwangsversteigerungsverfahrens und erhalten somit spätestens mit der Zustellung der Terminsbestimmung für die Versteigerung gemäß § 41 Abs. 1 ZVG Kenntnis von der – im Grundbuch bereits eingetragenen – Grundstücksbeschlagnahme. In diesem Fall können die grundbuchlich gesicherten Gläubiger den Ausfall mit dem eigenen Recht nur verhindern, wenn sie die ausstehende Forderung begleichen und damit die Zwangsversteigerung abwenden. Dieses Ablösungsrecht ergibt sich aus §§ 268 Abs. 1, 1142 ff., 1150 BGB, denn die Geldforderung, deretwegen die Zwangsvollstreckung betrieben wird, kann auch auf öffentlichem Recht beruhen.49 Das Ablösungsrecht entsteht bereits im Zeitpunkt, in dem der Gläubiger den Vollstreckungsantrag stellt und entfällt erst mit Beendigung der Zwangsvollstreckung, d.h. in der Regel mit Erteilung des Zuschlags.50 Je nach Höhe des geforderten Betrags und der noch offenen Laufzeit des Mietvertrags kann sich eine Ablösung auch für den dinglich gesicherten Mieter lohnen.51
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Vgl. BGH NJW 1981, 2127. Nicht hingegen fallen beispielsweise darunter: Grunderwerbsteuer, die persönlichen Steuern des Eigentümers wie auch Entgelte, die kommunalen Versorgungsunternehmen auf privatrechtlicher Grundlage gezahlt werden, Versicherungsbeiträge für Brandversicherung bei privatrechtlichen Versicherungsgesellschaften, Feuerwehrbeiträge, Ausgleichsbeträge nach Abschluss städtebaulicher Sanierungsmaßnahmen und der Geldbetrag zur Ablösung der Herstellungspflicht für Kfz-Stellplätze. Vgl. Stöber, ZVG, 18. Aufl. (2006), § 10 Ziff. 6; Ganter, in: MünchKomm-InsO, 2. Aufl. (2007), § 49 Rdnr. 53. 48 Vgl. zur Möglichkeit der Vollstreckung im Verwaltungsweg nach ZVG Stöber, ZVG, 18. Aufl. (2006), § 15 Rdnr. 38. 49 Vgl. dazu BGH NJW 1956, 1197; Krüger, in: MünchKomm-BGB, 5. Aufl. (2007), § 268 Rdnr. 4. 50 Vgl. Krüger, in: MünchKomm-BGB, 5. Aufl. (2007), § 268 Rdnr. 3; siehe auch § 75 ZVG für die Zeit nach Versteigerungsbeginn (= Aufruf der Sache). 51 Löst der Mieter tatsächlich ab, geht die Forderung kraft Gesetzes auf ihn über, wird damit zu einem privatrechtlichen Anspruch, und der Mieter kann grundsätzlich mit den gegen ihn gerichteten Mietforderungen aufrechnen, vgl. zur weiten Aufrechnungsmöglich47
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IV. Mieterdienstbarkeit in der Insolvenz des Vermieters 1. Ausschluss des Sonderkündigungsrechts nach § 111 InsO Der Bestand des vollzogenen Mietvertrags bleibt von der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermietervermögen unberührt (vgl. § 108 InsO); Sonderkündigungsrechte bestehen zunächst nicht. Nach § 165 InsO kann der Insolvenzverwalter beim zuständigen Gericht die Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung des Grundstücks betreiben. Bei der Zwangsversteigerung gelten gemäß § 172 ZVG die Vorschriften des ersten und zweiten Abschnitts des ZVG. Das geringste Gebot wird dabei so aufgestellt, als ob ein persönlich vollstreckender Gläubiger – dessen Recht gemäß § 10 Abs. 1 Ziff. 5 ZVG der Rangklasse 5 zuzuordnen wäre – das Verfahren betreibt; mithin werden alle existierenden Belastungen als bestehen bleibend in das geringste Gebot aufgenommen.52 Veräußert der Insolvenzverwalter demgegenüber mit Zustimmung der Gläubigerversammlung das Grundstück freihändig, ergibt sich aus § 111 InsO ein dem § 57a ZVG gleichgelagertes Sonderkündigungsrecht des Grundstückserwerbers.53 Die Kündigung gemäß § 111 InsO ist zwar nur zum ersten gesetzlich zulässigen Termin ab Eigentumsumschreibung auf den Erwerber möglich.54 Diese Frist ist professionellen Erstehern aber bekannt und wird deshalb regelmäßig gewahrt werden.55 Anders als das ZVG bestimmt § 119 InsO ausdrücklich, dass alle der Kündigung entgegenstehenden vertraglichen Vereinbarungen unwirksam sind, die die Anwendung der §§ 103–108 InsO beschränken. Potentielle Erwerber
keit v. Brunn, in: Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Aufl. (1999), III. Rdnr. 125. Die vertragliche Vereinbarung, wonach nur mit unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Forderungen aufgerechnet werden kann, dürfte dem nicht entgegenstehen, wenn der gegen den Vermieter gerichtete Abgabenbescheid mit Ablauf der Rechtsmittelfrist bestandskräftig wird. Hat aber der Vermieter gegen den Bescheid Widerspruch eingelegt, der die Behörde mangels aufschiebender Wirkung nicht an der Vollstreckung hindert, muss der Mieter abwägen, ob er trotzdem ablöst, auch wenn die Aufrechnung zunächst nicht in Betracht kommt. 52 Vgl. Lwowski/Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, 2. Aufl. (2008), § 165 Rdnrn. 26 f.; Stöber, ZVG, 18. Aufl. (2006), § 174 Rdnr. 2. 53 Auch hier ist der Wohnungsmieter nur insofern berührt, als eine im Einzelfall vereinbarte längere Kündigungsfrist auf die gesetzliche reduziert wird, vgl. dazu oben unter III.2., weiterhin Eckert, in: MünchKomm-InsO, 2. Aufl. (2008), § 111 Rdnrn. 21 ff. 54 Kündigung unter Einhaltung der gesetzlichen Frist, vgl. dazu oben unter III.2. 55 Nach Ausübung des Kündigungsrechts hat der Mieter einen Schadenersatzanspruch. Der Inhalt des Anspruchs und die Frage, ob der Anspruch gegen die Masse gerichtet ist oder nur als Insolvenzforderung geltend gemacht werden kann, sind allerdings umstritten, vgl. zum Streitstand und zur Herleitung des Anspruchs Eckert, in: MünchKomm-InsO, 2. Aufl. (2008), § 111 Rdnr. 28 ff. m.w.N.
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sollen nicht von vornherein abgeschreckt werden oder ihr Gebot reduzieren, wenn ihren Plänen zur künftigen Grundstücksnutzung langfristige Mietverträge im Wege stehen; sie können deshalb gemäß § 111 InsO nach dem Erwerb entscheiden, ob der Mietvertrag bestehen bleibt. Der Mieter kann sich wegen § 119 InsO nicht darauf berufen, die ordentliche Kündigung sei durch die vereinbarte feste Vertragslaufzeit ausgeschlossen. Zudem ist fraglich, ob der faktische Ausschluss des Sonderkündigungsrechts durch die Mieterdienstbarkeit nicht auch unter § 119 InsO fällt und die Dienstbarkeitsbestellung unwirksam macht. Rechtsprechung zu dieser Frage liegt – soweit ersichtlich – noch nicht vor, was damit zusammenhängen mag, dass es eine dem § 119 InsO entsprechende Norm in der bis zum 31.12.1998 geltenden Konkursordnung nicht gab. In der Literatur wird zur Frage, ob mit Eintragung der Mieterdienstbarkeit insolvenzrechtliche Vorschriften umgangen werden, kaum konkret Stellung genommen. Soweit sich Autoren mit der Thematik befassen, halten sie die Mieterdienstbarkeit ganz überwiegend für mit § 111 InsO vereinbar, so dass sie also nicht gegen § 119 InsO verstößt und das Sonderkündigungsrecht wirksam ausschließt.56 Die faktische Vereitelung des Sonderkündigungsrechts durch die Mieterdienstbarkeit sei kein größeres Verwertungshindernis als ein bestehendes Grundpfandrecht und beeinträchtige die Verfahrensabwicklung im Sinne der InsO nicht; zudem wäre die Mieterdienstbarkeit nur wirtschaftlich nachteilig, wenn das Grundstück nach Erwerb sofort und ohne Probleme zu einer höheren Miete vermietet werden könnte. Aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte von § 119 InsO sei auch kein Grund ersichtlich, dass dingliche Sicherungsrechte unwirksam sein sollen, wenn sie die Anwendung des § 111 InsO vereiteln; vielmehr zeigten die §§ 47, 49 InsO (Recht zu Aussonderung oder abgesonderter Befriedigung) die Bedeutung von dinglichen Rechten (an einem Grundstück), indem ihre Inhaber im Insolvenzfall einen besonderen Schutz genießen. Schließlich zähle die Mieterdienstbarkeit zu den von der Insolvenzordnung anerkannten Sicherungsrechten i.S.d. §§ 47, 49 InsO. Eine Durchbrechung des Grundsatzes, dass dingliche Nutzungsrechte durch die Insolvenz des Vertragspartners nicht beeinträchtigt werden dürfen, hätte daher einer ausdrücklichen Regelung bedurft.57 Demgegenüber hat sich schon vor Inkrafttreten der Insolvenzordnung Wolfsteiner dafür ausgesprochen, dass die Sonderkündigungsrechte nur dann keine Wirkung haben, wenn der Mieterdienstbarkeit eine vom Mietverhältnis völlig unabhängige Causa unterlegt wird; wird „nur“ das Nutzungsrecht gesichert, hätte die Beendigung des Mietverhältnisses durch Ausübung eines Sonderkündi-
56 Vgl. Stapenhorst/Voß, NZM 2003, 873 (878 f.); zurückhaltend Reul/Heckschen/Wienberg, Insolvenzrecht in der Kautelarpraxis, 2006, S. 43 f. 57 Vgl. zu den einzelnen Argumenten Stapenhorst/Voß, NZM 2003, 873 (878 f.).
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gungsrechts nach Wolfsteiner zur Folge, dass der Mieter zur Aufgabe seiner Mieterdienstbarkeit verpflichtet wäre.58 Entgegen der Auffassung von Wolfsteiner widerspräche es Sinn und Zweck der Verdinglichung eines Nutzungsrechts – die von der Rechtsprechung klar anerkannt ist 59 –, wenn das dingliche Recht in der Insolvenz des Vertragspartners keinen Bestand hätte. Die Mieterdienstbarkeit ist abstrakt und soll den schuldrechtlichen Überlassungsvertrag im Fall der Sonderkündigung nach § 111 InsO ersetzen. Sie ist im Sicherungsfall ein dingliches Substitut für den Mietvertrag und stellt gerade keine schuldrechtliche Vereinbarung im Sinne des § 119 InsO dar. Hätte der Gesetzgeber regeln wollen, dass auch Mieterdienstbarkeiten der Kündigung eines Erwerbers in der Insolvenz des Vermieters entgegen der bisherigen Praxis bei § 57a ZVG nicht entgegenstehen sollen, wäre eine ausdrückliche Regelung notwendig gewesen. Im übrigen zeigt auch das in der Zwangsversteigerung bestehen bleibende vorrangige (oder bei Vereinbarung gemäß § 39 Abs. 1 ZVG sogar nachrangige) Dauernutzungsrecht, dass ein so „verdinglichter Mietvertrag“ nicht gekündigt werden kann. Die Mieterdienstbarkeit als verdinglichtes Nutzungsrecht ist aber dem Dauernutzungsrecht insoweit gleichartig. Sie sollte deshalb auch gleich behandelt werden, in der Zwangsvollstreckung also ebenfalls bestehen bleiben.
2. Aussonderungsrecht Grundsätzlich begründen sämtliche beschränkten dinglichen Rechte ein Aussonderungsrecht nach § 47 InsO.60 Das meint nicht die Aussonderung des gesamten belasteten Gegenstands, sondern lediglich des Nutzungsrechts im vorgegebenen Umfang.61 Auch wenn demgegenüber für Sicherungsrechte, zu denen die Mieterdienstbarkeit zählt, der Grundsatz entwickelt wurde, dass dem Sicherungsnehmer nur ein Absonderungsrecht zum Zwecke der 58 Vgl. Wolfsteiner, ZNotP 1997, 88 f., der das Mieterinteresse auf den Schutz von Investitionen reduziert und den Mieter insoweit auf einen Vergütungsanspruch gegenüber dem Vermieter verweist, der sich durch ein Grundpfandrecht dinglich sichern ließe. Die Bestellung einer Dienstbarkeit lässt er nur zu, wenn sie eine „primäre“ Dienstbarkeit ist, die nicht nur der Sicherung des Mietverhältnisses dient. Diese Unterscheidung ist praktisch aber nicht immer durchzuführen, wie z.B. die Dienstbarkeit mit Ausübungsentgelt zeigt, die einem schuldrechtlichen Nutzungsverhältnis angenähert ist. Darüber hinaus wird damit gerade der Schutz verweigert, den die Verdinglichung eines schuldrechtlichen Anspruchs bieten soll. 59 Vgl. oben die Nachweise in Fn. 4. 60 Vgl. Ganter, in: MünchKomm-InsO, 2. Aufl. (2007), § 47 Rdnr. 328. 61 Vgl. dazu allgemein RGZ 98, 143 (145); Ganter, in: MünchKomm-InsO, 2. Aufl. (2007), § 47 Rdnr. 328; Uhlenbruck, in: Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. (2003), § 47 Rdnr. 66; Reul/Heckschen/Wienberg, Insolvenzrecht in der Kautelarpraxis, 2006, S. 42.
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Vorzugsbefriedigung nach § 49 InsO zustehen soll,62 muss es bei einem Aussonderungsrecht des Mieters bleiben. Alles andere würde der Funktion der Mieterdienstbarkeit als dingliches Nutzungsrecht – im Gegensatz zu einem dinglichen Verwertungsrecht – nicht gerecht.63 Sie muss als beschränktes dingliches Recht im Sinne der Aussonderung selbst „herausverlangt“ werden können, d.h. von jedermann ist zu respektieren, dass dem Mieter das ihm eingeräumte Nutzungsrecht während der vereinbarten Laufzeit zusteht.
3. Insolvenzanfechtung In der Insolvenz des Vermieters könnte die Mieterdienstbarkeit schließlich noch über eine Anfechtung ihrer Bestellung gemäß §§ 129 ff. InsO zu Fall gebracht werden. Der Insolvenzverwalter kann Vereinbarungen, die einem Beteiligten für den Fall seiner Insolvenz Vermögensnachteile zufügen, die über die gesetzlichen Folgen hinausgehen und zur Erreichung des Vertragszwecks nicht vorrangig geboten sind, grundsätzlich innerhalb der gesetzlichen Fristen anfechten.64 Da diese Fristen allerdings recht kurz bemessen sind, ist ein Anfechtungsrecht wenig wahrscheinlich, da die Dienstbarkeit meist schon einige Zeit vor Eintritt der Insolvenz bestellt worden sein dürfte. Es ist aber auch nicht ersichtlich, weshalb Insolvenzgläubiger durch Bestellung einer Mieterdienstbarkeit benachteiligt werden: Leistung und Gegenleistung gemäß Mietvertrag stehen (jedenfalls dann) in einem ausgewogenen Verhältnis, wenn der Mieter zur Nutzung gegen Zahlung eines angemessenen Entgelts berechtigt ist; diese Leistungsbeziehung soll durch die Mieterdienstbarkeit lediglich gesichert werden. Auch das Anfechtungsrecht nach § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO dürfte in der Praxis nicht greifen, weil die Dienstbarkeitsbestellung kaum als nachweislich vorsätzliche Benachteiligung anderer Gläubiger einzustufen sein wird.
V. Praktische Handhabung Wie oben unter III. und IV. ausgeführt, kann die Mieterdienstbarkeit ihre volle Schutzwirkung nur entfalten, wenn sie gegenüber anderen den Grundstückswert beeinträchtigenden Grundbuchrechten den Vorrang genießt. In der Praxis kommt es allerdings häufig vor, dass die Mieterinteressen mit denen von finanzierenden Banken konkurrieren, die erstrangige Grundpfand62
Vgl. zur Abgrenzung Aussonderungs- oder Absonderungsrecht Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl. (2007); Stiegele, Mietsicherungsdienstbarkeit, 1995, S. 225 f.; Stapenhorst/Voß, NZM 2003, 873 (878). 63 Vgl. Stiegele, Mietsicherungsdienstbarkeit, 1995, S. 225 f.; Stapenhorst/Voß, NZM 2003, 873 (878 f.). 64 Vgl. BGHZ 124, 76 (81).
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rechte am Mietgrundstück beanspruchen. Der Vermieter wird daher entweder versuchen, den Mieter auf einen Rang nach den für seine Finanzierung benötigten Grundpfandrechten zu verweisen und ihn dafür zusätzlich schuldrechtlich absichern (dazu unter 1.), oder er wird den Mieter bevorzugen, was ihm später die Überzeugung der Banken abverlangt, dass die Mieterdienstbarkeit der Beleihung nicht entgegensteht (dazu unter 2.).
1. Mieterdienstbarkeit im Nachrang zu Grundpfandrechten Die Finanzierungsbanken bestehen in der Regel auf vorrangiger Sicherung. Durch eine von der Bank betriebene Zwangsversteigerung würde die nachrangige Mieterdienstbarkeit – wie oben näher ausgeführt – erlöschen und der Mieter wäre wieder dem Sonderkündigungsrecht des Erwerbers gemäß § 57a ZVG ausgesetzt. Auch in der Insolvenz hat die Bank als Grundpfandrechtsgläubigerin ein Recht zur abgesonderten Befriedigung, das ebenfalls regelmäßig durch Zwangsversteigerung realisiert wird. Der einzige zusätzliche Mieterschutz bei vorrangigen Grundpfandrechten ist mit einer sogenannten Liegenlassenvereinbarung zwischen Vermieter, Mieter und Bank zu erreichen. Danach ist die Bank verpflichtet, den Fortbestand der Mieterdienstbarkeit als Versteigerungsbedingung gemäß § 59 ZVG feststellen zu lassen. So würden Bieter ferngehalten, für deren weitere Planung die Mietvertragskündigung Voraussetzung wäre. Im Gegenzug müssten sich die Mietvertragsparteien verpflichten, den Mietvertrag nicht ohne Zustimmung der Bank zu ändern sowie den Inhalt der Mieterdienstbarkeit nicht ohne ihre Zustimmung abzuwandeln. Wegen der nur schuldrechtlichen Wirkung sollte auch eine Rechtsnachfolgeklausel eingebaut werden. Der Mieter hätte bei einem Verstoß der Bank gegen diese Vereinbarung lediglich einen ihn regelmäßig wenig interessierenden Schadenersatzanspruch, zumal sich Kausalität und Schadenhöhe unter Umständen nicht ohne weiteres begründen lassen. Allerdings ist davon auszugehen, dass sich seriöse Banken an die Liegenlassenvereinbarung halten.
2. Mieterdienstbarkeit im Vorrang zu Grundpfandrechten Im umgekehrten Fall sind Finanzierungsbanken mit einer vorrangigen Mieterdienstbarkeit konfrontiert und müssen abwägen, ob und in welchem Umfang eine Grundstücksbeleihung möglich ist. Rechtliche Vorgaben existieren nur für Pfandbriefbanken, die unter das Pfandbriefgesetz fallen.65 Sie dürfen ein Grundstücks nur bis zur Höhe der 65 Pfandbriefe als festverzinsliche Anleihen, die durch gewerbliche oder private Immobilienkredite oder Kredite an die öffentliche Hand gesichert sind, waren im Dezember 2005 immerhin mit etwa 1 Billion Euro im Umlauf, was rund 30 % des gesamten inländischen
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ersten 60 % des von der Pfandbriefbank festgesetzten Grundstücksbeleihungswertes beleihen (vgl. § 14 Pfandbriefgesetz). Nach § 16 Abs. 2 Pfandbriefgesetz darf dieser Grundstücksbeleihungswert den Wert nicht überschreiten, der sich im Rahmen einer vorsichtigen Bewertung der zukünftigen Verkäuflichkeit einer Immobilie und unter Berücksichtigung der Merkmale des Objektes, der normalen regionalen Marktlage und der möglichen Nutzung ergibt und den nach anerkannten Bewertungsverfahren ermittelten Marktwert nicht übersteigen. Daneben gibt es keine gesetzliche Regelung, wonach Banken gezwungen wären, Kredite nur gegen erstrangige Grundpfandrechte zu vergeben. Eine vorrangige Mieterdienstbarkeit – oder auch ein anderes vorrangiges dingliches Recht – stellt also nach der Gesetzeslage kein Hindernis für die Finanzierung durch eine Bank dar, solange bei Pfandbriefbanken der innerhalb der 60 %-Grenze verbleibende Spielraum nicht überschritten wird. Die Bank muss zur Beurteilung des für die Beleihung verfügbaren Grundstückswertes im Einzelfall prüfen, ob sich aus einer vorrangigen Mieterdienstbarkeit eine Wertminderung ergibt und wie hoch diese gegebenenfalls ist. Sie ist deshalb – wie oben unter II.2.b) ausgeführt – an einer Wertersatzfestlegung als Inhalt der Dienstbarkeit sehr interessiert. Denn Banken verlangen regelmäßig, dass den Grundpfandrechten entweder gar keine oder zumindest keine wertmindernden Rechte vorausgehen dürfen. Das ist zum einen dem Umstand geschuldet, dass sich der Aufwand für die Banken anderenfalls wegen der weiteren Bewertungserfordernisse erhöht. Außerdem gibt es einige Faktoren – etwa die Mietmarktentwicklung und die späteren Versteigerungsaussichten bei einem Grundstück mit langfristigem Mietvertrag 66 –, deren Entwicklung die Bank nicht beeinflussen bzw. nur begrenzt abschätzen kann und daher weitestgehend ausschalten möchte. Andererseits hat gerade die Bank ein Interesse an einem langfristig bindenden Mietverhältnis, denn sie orientiert sich bei der Kreditvergabeentscheidung primär an den für die Zukunft erwarteten Einnahmen, die sich bei der Grundstücksfinanzierung aus den abgeschlossenen Mieterträgen ergeben. Ein ausgewogener Mietvertrag mit einem attraktiven und angesehenen Mieter lässt sich aber mit der Sicherung über eine Mieterdienstbarkeit besser abschließen. Das Nutzungsrecht steht dem Mieter in der Folge auch nur solange zu, wie er die geschuldete Miete vereinbarungsgemäß zahlt; anderenfalls hätte der Vermieter ein Kündigungsrecht, mit dessen Ausübung auch die Mieterdienstbarkeit erlöschen würde. Wertpapierumlaufs ausmacht. Diese Zahlen entsprechen Angaben des Verbands deutscher Pfandbriefbanken, die auf dessen Homepage unter http://www.hypverband.de veröffentlicht sind. 66 Zur Begründung des Sonderkündigungsrechts wird oft pauschal angeführt, dass sich ein Grundstück schlechter versteigern lässt, wenn ein langfristiger Mietvertrag besteht, vgl. nur Stöber, ZVG, 18. Aufl. (2006), § 57a Rdnr. 2; Eckert, in: MünchKomm-InsO, 2. Aufl. (2008), § 111 Rdnr. 2.
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Dies führt zu der Frage, ob trotz dieser wirtschaftlichen Vorteile einer Mieterdienstbarkeit auch aus Sicht der finanzierenden Bank ein Grundstück mit einer vorrangigen Mieterdienstbarkeit ohne dingliche Wertersatzfestlegung nicht finanzierbar ist, wenn der ausgereichte Kredit durch Ausgabe von Pfandbriefen refinanziert werden soll. Denn dann müssten die Kreditkonditionen unter Berücksichtigung anderer, für den Kreditnehmer ungünstigerer Refinanzierungsmöglichkeiten festgelegt werden. Da es keine gesetzlichen Vorgaben gibt, wonach Banken Kredite zwingend nur gegen Gewährung ausschließlich erstrangiger Grundpfandrechte vergeben dürfen, kann eine Beschränkung nur aus der Ermittlung des Grundstücksbeleihungswertes folgen. Eine solche vorrangige und dem Wert nach unbeschränkte Mieterdienstbarkeit müsste also den Beleihungswert des Grundstücks so erheblich senken, dass dieser entweder auf Null sinkt oder doch zumindest so gering ist, dass eine Beleihung in Höhe von nur 60 % dieses Wertes wirtschaftlich nicht sinnvoll ist. Dienstbarkeiten werden bei der Ermittlung des Beleihungswertes nur in § 5 Abs. 4 der Beleihungswertverordnung erwähnt. Dieser legt im allgemeinen Teil der Verordnung sehr generell für das zu erstellende Gutachten fest, dass Dienstbarkeiten zu nennen, zu beachten und gegebenenfalls wertmindernd zu berücksichtigen sind. Dienstbarkeiten sind bei der Ermittlung des Beleihungswertes also nur zu berücksichtigen, sofern sie überhaupt als wertmindernd anzusehen sind und dann auch nur in der Höhe, in der sie den Beleihungswert des Grundstücks tatsächlich mindern. Wie bereits ausgeführt, mindert eine Mieterdienstbarkeit – anders als zum Beispiel eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit zur Sicherung eines unentgeltlichen Wohnrechts auf Lebenszeit – nicht aus ihrer Natur heraus den Wert eines Grundstücks. Es kann damit nur um die Ermittlung und Abwägung der Wahrscheinlichkeit bestimmter Situationen gehen, in welchen sich die Existenz einer Mieterdienstbarkeit negativ auf den Wert des Grundstücks auswirken kann. Dies widerspricht auch nicht § 16 Abs. 2 Satz 1 Pfandbriefgesetz, wonach die Verkäuflichkeit der Immobilie nach dem Vorsichtsprinzip berücksichtigt werden soll. Denn es handelt sich hierbei um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der nicht gebietet, eine Mieterdienstbarkeit per se als wertmindernd anzusehen. Auch in § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB ist für das Handelsrecht als allgemeiner Bewertungsgrundsatz festgeschrieben, dass bei einer vorsichtigen Bewertung vorhersehbare Risiken zu berücksichtigen sind. Nicht erforderlich ist jedoch, dass der Kaufmann die Realisierung jedes denkbaren Risikos berücksichtigt. Unter Einbeziehung aller möglichen Gestaltungen sieht das konkrete Risiko für die Bank wie folgt aus: Betriebe die Bank selbst die Zwangsversteigerung, bliebe die vorrangige Mieterdienstbarkeit bestehen. Sie wäre vom geringsten Gebot umfasst, wobei sie nicht durch Zahlung zu decken, sondern vom Ersteher zu übernehmen wäre (vgl. §§ 44 Abs. 1, 52 Abs. 1 ZVG). Der Ersteher muss seinem Gebot also den
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Kapitalwert der Mieterdienstbarkeit „im Geiste“ hinzurechnen.67 Die Höhe des Werts, den er hier – sein Bargebot zur Befriedigung nachfolgender Rechte mindernd – ansetzen wird, hängt davon ab, welche Bedeutung das Mietverhältnis für den potentiellen Erwerber hat und wie es nach dem aktuellen Markt zu beurteilen ist.68 Das sind Faktoren, die die Bank bei Kreditvergabe nicht vorhersehen kann; es besteht immer das allgemeine Risiko, dass der Bieterkreis angesichts eines bestehenden – zum Zeitpunkt der Versteigerung nicht (mehr) besonders lukrativen – Mietvertrags eingeschränkt wird bzw. die Marktentwicklung dazu führt, dass zwischenzeitlich eine höhere Miete gefordert werden könnte. Worauf sich die Bank umgekehrt über die gesamte Laufzeit des Mietvertrags bzw. bis zur Zwangsversteigerung verlassen kann, ist der Zufluss der vom Mieter zu zahlenden Miete beim Vermieter, aus dem auch ihr Kredit bedient wird und der ihrer Kreditzusage zugrunde lag. Kommt es auf Betreiben eines nicht grundbuchlich gesicherten Gläubigers eines Vorzugsanspruchs der Rangklasse 3 zur Zwangsversteigerung des Grundstücks, droht zwar ein Ausfall der Bank, umso mehr, wenn die Mieterdienstbarkeit ihren Rechten vorgeht. Denn der Mieter ist in Höhe des eingetragenen Höchstbetrags für den Wertersatz oder des nach § 92 Abs. 2 ZVG ermittelten Werts vorab zu befriedigen. Allerdings kann die Bank die Zwangsversteigerung durch Ablösung gemäß § 268 Abs. 1 BGB – wie oben unter III.3. ausgeführt – verhindern. Zudem kann sie im Vorfeld im Wege der Vertragsgestaltung Vorsorge treffen, dass sie anderen Gläubigern mit ihrer Sicherungsrechtsverwertung zuvorkommt, indem der Kreditvertrag sie bei Verzug des Kreditnehmers gegenüber anderen Gläubigern zur Fälligstellung des Kredits und im weiteren zur Zwangsversteigerung berechtigt. Gegen letztere Position ließe sich einwenden, dass vertragliche Regelungen keinen ausreichenden Schutz bieten und allein die dingliche Position der Bank bei der Risikoermittlung in Betracht zu ziehen ist. Das Ablösungsrecht nach § 268 Abs. 1 BGB ist aber kein vertragliches, sondern ein gesetzliches Recht. Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten wird die finanzierende Bank immer ihre Ablösemöglichkeit wahrnehmen, statt einen Totalausfall zu riskieren, solange dies wirtschaftlich zu rechtfertigen ist. Weil der Kreis der nicht grundbuchlich gesicherten Gläubiger eines Vorzugsanspruchs der Rangklasse 3 überschaubar ist, sollte bei der Risikobewertung einer Mieterdienstbarkeit daher regelmäßig auf den konkreten Einzel67
Vgl. Storz, Praxis des Zwangsversteigerungsverfahrens, 10. Aufl. (2007), B 6.2.5.2. Im Grunde werden mit der Zwangsversteigerung einer mit Mieterdienstbarkeit belasteten Gewerbeimmobilie nur solche Bieter angesprochen, die den Mietvertrag weiterhin erfüllen wollen; in diesem Fall ist eine Wertminderung durch Mieterdienstbarkeit nicht ersichtlich. Sollte ein Ersteher gleichwohl sein Sonderkündigungsrecht ausüben, wäre der Kapitalwert der Mieterdienstbarkeit wohl in der Differenz zwischen vereinbartem Ausübungsentgelt und vereinbarter Miete bzw. aktueller Marktmiete für die Restlaufzeit zu sehen. 68
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fall abgestellt werden. Handelt es sich um ein vollständig entwickeltes Objekt, bei dem zum Beispiel keine Erschließungskosten mehr zu erwarten sind und die wesentliche öffentliche Last in der fortlaufenden Entrichtung der Grundsteuer besteht, wird die finanzierende Bank in aller Regel ihr gesetzliches Ablösungsrecht ausüben, um ihre Grundbuchposition nicht zu gefährden. Eine vorrangige Mieterdienstbarkeit ohne Wertfestsetzung wäre dann wohl als nicht wertmindernd anzusetzen. In der Insolvenz des Vermieters kann der Insolvenzverwalter die Zwangsversteigerung des Grundstücks beantragen (§§ 165 InsO, 172 ff. ZVG), wobei sowohl die Mieterdienstbarkeit als auch das Grundpfandrecht ins geringste Gebot fallen. Die Bank kann aber als Absonderungsberechtigte im Sinne von § 49 InsO die Zwangsversteigerung auch selbst beantragen, selbst nach Einleitung des Insolvenzverfahrens 69. Um zu verhindern, dass anstelle des Darlehensnehmers der Insolvenzverwalter gegenüber der Bank auftritt, wird sie den Sicherungsfall im Kreditvertrag möglichst so gestalten, dass sie ihr Sicherungsrecht rechtzeitig (etwa bei Verzug des Kreditnehmers, auch gegenüber anderen Gläubigern) ausüben kann, bevor der Insolvenzverwalter auf das Grundstück zugreifen und es verwerten kann.
3. Ergebnis Die Mieterdienstbarkeit ist ein geeignetes Instrument zur Sicherung des vertragstreuen Mieters vor einer vorzeitigen Vertragsbeendigung, auf die er keinen Einfluss hat. Der Sicherungszweck wird allerdings nur erfüllt, wenn die Mieterdienstbarkeit erstrangig oder sonst versteigerungsfest eingetragen wird. Eine erstrangige Mieterdienstbarkeit stellt im Zeitpunkt der weiteren Grundstücksbelastung zur Kreditsicherung regelmäßig keine konkret bezifferbare Wertminderung des belasteten Grundstücks dar, zumal die Nutzungsüberlassung an den Mieter die Rückzahlung des von der finanzierenden Bank gewährten Kredites sichert. Schließlich kann eine etwa anzunehmende Wertminderung durch eine (möglichst geringe) Wertersatzfestsetzung gemäß § 882 BGB in engen Grenzen gehalten werden.
VI. Formulierungsbeispiele 1. Sicherungsabrede und Eintragungsbewilligung Ziel des Mieters wird es immer sein, für seine Mieterdienstbarkeit den ersten Rang – bzw. den Rang vor den Grundpfandrechten – zu erhalten. Unter Einbeziehung der vorstehenden Ausführungen wären die Sicherungsabrede und 69
Vgl. Lwowski/Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, 2. Aufl. (2008), § 165 Rdnr. 28.
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die Eintragungsbewilligung im Mietvertrag beispielsweise wie folgt zu formulieren: Sicherungsabrede 1. Der Vermieter verpflichtet sich, zugunsten des Mieters zur Ausübung des nach diesem Vertrag vereinbarten Nutzungszwecks [gegen Zahlung des in diesem Vertrag vereinbarten Ausübungsentgelts] eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit mit dem Inhalt gemäß Anlage …zu bestellen. Die Dienstbarkeit ist so zu bewilligen, dass die Eintragung bei Übergabe an den Mieter sichergestellt ist, was durch Notarbescheinigung nachgewiesen werden kann. Ist die Bewilligung nicht rechtzeitig erfolgt, ist der Mieter bis zur ordnungsgemäßen Eintragung zur Zurückhaltung der geschuldeten Miete berechtigt. 2. Die Dienstbarkeit darf erst ausgeübt werden (Sicherungsfall), wenn der Mietvertrag durch Kündigung gemäß § 57a ZVG oder § 111 InsO vorzeitig beendet wird. 3. Die Ausübung der Dienstbarkeit darf Dritten in dem Umfang überlassen werden, wie der Mieter nach diesem Vertrag zur Gebrauchsüberlassung an Dritte berechtigt ist. 4. Vermieter und Mieter verpflichten sich gegenüber nachrangigen Grundpfandrechtsgläubigern, den Inhalt der Dienstbarkeit nebst Wertersatzbestimmung nicht zu ändern. 5. Der Mieter ist verpflichtet, dem beglaubigenden Notar vor Stellung des Antrags auf Eintragung der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit eine notariell beglaubigte Löschungsbewilligung [nach angehängtem Muster] mit folgender treuhänderischer Auflage zu überlassen: Der Notar ist berechtigt und verpflichtet, die Löschungsbewilligung beim zuständigen Grundbuchamt einzureichen, sobald ihm der Eintritt einer der als Inhalt der persönlichen Dienstbarkeit vereinbarten auflösenden Bedingungen vom Vermieter schriftlich mitgeteilt worden ist, der Notar dem Mieter eine Kopie dieser Mitteilung übersandt hat und seit deren Zugang beim Mieter 4 Wochen vergangen sind. 5. Die Parteien bestätigen das von ihnen ernstlich gewollte Nebeneinander von Mietvertrag und Dienstbarkeit auf Basis dieser Sicherungsabrede. Sollten gegen die Besicherung des Mietverhältnisses entgegen der Erwartung der Parteien rechtliche Bedenken bestehen, sind die Parteien sich einig, dass das Mietverhältnis in jedem Fall in seinem Charakter und mit all seinen Vorschriften unverändert Bestand haben soll und eine Umdeutung nicht in Betracht kommt. 6. Die Parteien sind verpflichtet, alle Rechte und Pflichten aus dieser Vereinbarung (einschließlich dieser Verpflichtung) mit Weitergabeverpflichtung auf eventuelle Rechtsnachfolger in vollem Umfang zu übertragen.
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Anlage … (Dienstbarkeit) 1. Zu Lasten des in … bezeichneten und in beiliegendem Lageplan rot umrandeten Grundstücksteils und zugunsten des Mieters bewilligt und beantragt der Vermieter die Eintragung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit folgenden Inhalts nebst Wertersatzbestimmung gemäß nachstehender Ziff. 5.: Der Mieter ist berechtigt, den vorstehend bezeichneten Grundstücksteil zum … zu nutzen. 2. Die Dienstbarkeit ist im Grundbuch in Abteilung II im Range nur nach nicht wertmindernden Rechten und vor allen Rechten in Abteilung III einzutragen. 3. Die beschränkte persönliche Dienstbarkeit erlischt, wenn eine der folgenden auflösenden Bedingungen eingetreten ist: a) das zwischen dem Vermieter und dem Mieter bestehende Mietverhältnis ist von dem Mieter gekündigt; b) das zwischen dem Vermieter und dem Mieter bestehende Mietverhältnis ist von dem Vermieter aus Gründen, die der Mieter zu vertreten hat, gekündigt; c) das zwischen dem Vermieter und dem Mieter bestehende Mietverhältnis ist infolge Zeitablaufs oder einvernehmlicher Aufhebung beendet. Die auflösenden Bedingungen sind als Inhalt der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit in das Grundbuch einzutragen. 4. Für den Fall des Erlöschens der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit durch Zuschlag in der Zwangsversteigerung wird als Wertersatz ein Höchstbetrag von € … vereinbart. 5. Der Wert der Dienstbarkeit wird zwecks Ermittlung der Notar- und Grundbuchgebühren mit € … angegeben.
2. Liegenlassenvereinbarung Hat der Mieter im Einzelfall das Nachsehen und muss sich im Rang auf die den Finanzierungsgrundpfandrechten folgende Rangstelle verweisen lassen, bleibt ihm nur der Abschluss einer dreiseitigen Liegenlassenvereinbarung zwischen Bank, Vermieter und ihm mit dem oben dargestellten Inhalt. Auch hierfür soll ein Formulierungsbeispiel gegeben werden: Zwischen Vermieter und Mieter besteht ein Mietvertrag vom … über … . Gemäß § … dieses Mietvertrags soll zugunsten des Mieters eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit in das Grundbuch eingetragen werden. Vorrangig zu dieser Dienstbarkeit soll zugunsten der Bank eine Grundschuld über maximal € … zzgl. … % Jahreszinsen und einer einmaligen Nebenleistung von … % eingetragen werden.
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1. Dies vorausgeschickt verpflichten sich Vermieter und Mieter gegenüber der Bank, nicht ohne vorherige Zustimmung der Bank den o.g. Mietvertrag zu ändern und den Inhalt der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit, insbesondere den Höchstbetrag gemäß § 882 BGB in Höhe von € … nicht zu ändern. 2. Die Bank verpflichtet sich gegenüber dem Mieter, im Falle der Zwangsversteigerung das Fortbestehen der o.g. beschränkten persönlichen Dienstbarkeit als Versteigerungsbedingung gemäß § 59 ZVG feststellen zu lassen. Die Verpflichtung der Bank steht unter der Bedingung, dass die Dienstbarkeit im Nachrang zur Grundschuld der Bank eingetragen und dieses Rangverhältnis nicht geändert wird. 3. Die Verpflichtung der Bank nach vorstehender Ziff. 2 erlischt, wenn a) das zwischen dem Vermieter und dem Mieter bestehende Mietverhältnis vom Mieter gekündigt ist; b) das zwischen dem Vermieter und dem Mieter bestehende Mietverhältnis vom Vermieter aus Gründen, die der Mieter zu vertreten hat, gekündigt ist; c) der zwischen dem Vermieter und dem Mieter bestehende Mietvertrag hinsichtlich Laufzeit und Miete ohne Zustimmung der Bank geändert wird; d) der Inhalt der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit, insbesondere der Höchstbetrag gemäß § 882 BGB in Höhe von € … geändert wird. 4. Die Bank verpflichtet sich, die Rechte und Pflichten aus dieser Vereinbarung im Fall der Abtretung der o.g. Grundschuld mit Weitergabeverpflichtung an den neuen Grundschuldinhaber in vollem Umfang zu übertragen.
Die ordnungsgemäße Geschäftsorganisation einer Versicherung Daniel Wilm Einleitung* Im Jahr 2002 wurden die bis dahin selbständigen Aufsichtsbehörden aus den Bereichen der Wertpapieraufsicht, der Bankenaufsicht und der Versicherungsaufsicht zur Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) zusammengelegt. Ohne die Besonderheiten der einzelnen Bereiche außer Acht zu lassen, führte dies in Teilbereichen zu einer Annäherung der aufsichtsrechtlichen Anforderungen. Zum Teil gibt es – insbesondere bedingt durch die Vorgaben der Europäischen Union – auch übergreifende Themen, wie die Aufsicht über Finanzkonglomerate, mit der sich auch Michael Gruson einmal publizistisch beschäftigte 1. Ein weiterer Themenbereich, in dem der Gesetzgeber jüngst auch die Regelungen aus dem bankaufsichtsrechtlichen Bereich zum Vorbild für eine entsprechende Regelung im versicherungsaufsichtsrechtlichen Bereich nahm, ist die durch die 9. VAG-Novelle vom 23. Dezember 2007 eingeführte Regelung über die Geschäftsorganisation von Versicherungsunternehmen (§ 64a VAG). Hier hat der Gesetzgeber „inhaltlich in weiten Teilen die entsprechenden Regelungen des Kreditwesengesetzes“ übernommen, mit dem Ziel, dadurch „ein kohärentes Vorgehen der Aufsichtsbehörde im Rahmen qualitativer Aufsichtsnormen“ zu ermöglichen 2. Dies soll Anlass sein, sich im Rahmen dieser Gedächtnisschrift mit der Neuregelung des § 64a VAG zu befassen.
1. Hintergrund der Neuregelung Im Juli 2007 hat die Europäische Kommission ihren Vorschlag einer Solvency II-Rahmenrichtlinie veröffentlicht.3 Dieser Vorschlag beruht – wie auch * Der Beitrag wurde vor der Veröffentlichung des Konsultations-Entwurfs eines Rundschreibens Aufsichtsrechtliche Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk VA) abgeschlossen. 1 Gruson, Consolidated and Supplementary Supervision of Financial groups in the European Union, Der Konzern 2004, 65 ff., 249 ff. 2 Begr. RegE zur 9. VAG-Novelle, BT-Drucks. 16/6518, 15. 3 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend
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bereits Basel II für die Kreditwirtschaft – wesentlich auf dem sog. Drei-Säulen-Konzept, nämlich den quantitativen Kapitalanforderungen (Säule 1), den qualitativen Anforderungen an die Organisation eines Versicherungsunternehmens und die aufsichtsrechtliche Überprüfung (Säule 2) sowie den Offenlegungs- und Transparenzvorschriften – mit dem Ziel einer gewissen Disziplinierung durch den Markt (Säule 3).4 Mit der Einführung der Regelung über die ordnungsgemäße Geschäftsorganisation eines Versicherungsunternehmens durch die 9. VAG-Novelle bezweckt der Gesetzgeber einerseits, nunmehr auch gewisse kodifizierte Mindestanforderungen für die immer wichtiger werdende Aufgabe des Risikomanagements zu schaffen. Zum anderen soll dadurch die deutsche Versicherungswirtschaft auf das künftige Aufsichtssystem (Solvency II) vorbereitet werden.5 Andererseits beschränkt sich der Gesetzgeber nach seiner Einschätzung zum jetzigen Zeitpunkt darauf, einen Rahmen für eine sachgerechte Unternehmenssteuerung vorzugeben, wie er von allen Versicherungsunternehmen erfüllt werden muss.6 Die Neuregelung ist damit zwar deutlich detaillierter als das, was bisher an Vorgaben für eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation für Versicherungsunternehmen bestand. Andererseits bleiben bei der Ausgestaltung erhebliche Spielräume, die die Unternehmen auch unter Berücksichtigung von Komplexität und Umfang ihres Geschäfts nach pflichtgemäßem Ermessen auszufüllen haben, und für die weitergehende Ausgestaltungshinweise durch die BaFin in Form eines ebenfalls aus dem Bankenbereich bereits bekannten MaRisk-Rundschreibens (Mindestanforderungen an das Risikomanagement) 7 erfolgen sollen.
2. Bisherige Regelungen Derart detaillierte Anforderungen an die Geschäftsorganisation eines Versicherungsunternehmens hat es bisher jedenfalls nicht in kodifizierter Form gegeben. Andererseits wird mit den nunmehr kodifizierten Regelungen auch kein völliges Neuland betreten. Bereits aufgrund der Regelungen in den §§ 76 Abs. 1, 91 und 93 Abs. 1 AktG hatte der Vorstand einer Versicherungs-AG für eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation zu sorgen und ein geeignetes, an der konkreten Geschäftstätigkeit ausgerichtetes Risikomanagement- und Überwachungssystem einzurichten. Diese Regelungen gelten für VVaG entsprechend (§ 34 VAG). Und auch eine gewisse Compliance-Organisation, wie sie nunmehr in § 64a Abs. 1 Satz 1 VAG angesprochen ist, wird aktiendie Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit – Solvabilität II, vom 10.07.2007, KOM(2007) 361 endgültig; überarbeiteter Entwurf vom 26.02.2008, KOM(2008) 119 endgültig. 4 Vgl. auch die Darstellung der BaFin unter www.bafin.de, „Solvency II“. 5 Begr. RegE zur 9. VAG-Novelle, BT-Drucks. 16/6518, 15. 6 Begr. RegE zur 9. VAG-Novelle, BT-Drucks. 16/6518, 15. 7 BaFin Rundschreiben 5/2007.
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rechtlich zu den aus den §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG abgeleiteten Vorstandspflichten gezählt.8 Flankierend dazu hieß es bereits bisher in § 81 Abs. 1 Satz 5 VAG, dass Gegenstand der Aufsicht u.a. auch die Einhaltung der kaufmännischen Grundsätze einschließlich einer ordnungsgemäßen Verwaltung, Buchhaltung und angemessener interner Kontrollverfahren sei. Für einzelne Bereiche sah das Versicherungsaufsichtsrecht bereits weitergehend konkretisierte Anforderungen vor. Beispielhaft seien hier die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an die nunmehr in § 64a Abs. 4 VAG geregelten Funktionsausgliederungen erwähnt.9 Und sehr detaillierte Regelungen zu den organisatorischen Pflichten und auch zum Risikomanagement gab es bereits im Bereich der Kapitalanlagetätigkeit der Versicherungen.10 Die Neuregelung durch die 9. VAG-Novelle stellt daher aus diesseitiger Sicht in erster Linie eine Konkretisierung und Aktualisierung der – z.B. auch durch die jüngsten Entwicklungen an den Finanzmärkten (vgl. hierzu auch § 1 Abs. 3 AnlV) – ständig steigenden Anforderungen an das Risikomanagement dar. Bezeichnenderweise tauchte das Wort „Risikomanagement“ selbst im VAG bisher allerdings nur in den Vorschriften über die Beaufsichtigung von Versicherungsgruppen (§ 104e Abs. 4 VAG) sowie über die Beaufsichtigung von Versicherungsunternehmen, die einem Finanzkonglomerat angehören (§ 123c Abs. 1 Nr. 2 VAG), auf. Beide Vorschriften beruhen auf Vorgaben aus EU-Richtlinien.11
3. Anforderungen an eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation Die wesentlichen Kernelemente einer ordnungsgemäßen Geschäftsorganisation sind nunmehr in § 64a VAG genannt. Als erstes Element nennt das Gesetz eine Organisation, die die Einhaltung der zu beachtenden rechtlichen Vorschriften sowie aufsichtsbehördlichen Anforderungen gewährleistet (Compliance-Organisation) (§ 64a Abs. 1 Satz 1 VAG). Weitere Elemente sind gemäß § 64a Abs. 1 Satz 3 VAG eine dem Geschäftsbetrieb angemessene ordnungsgemäße Verwaltung und Buchhaltung sowie insbesondere ein angemessenes Risikomanagement. Die Anforderungen an das Risikomanagement werden durch die weiteren Regelungen des § 64a VAG näher konkretisiert. 8
Vgl. Ziff. 3.4 Abs. 2 Deutscher Corporate Governance Kodex (DCGK); ferner z.B. Hüffer, AktG, 8. Aufl. (2008), § 76 Rdnr. 8. 9 BAV Rundschreiben R 6/76, VerBAV 1976, 211; BAV VerBAV 1985, 169 ff.; BAV VerBAV 2001, 118. 10 Bisher § 6 AnlV, nunmehr § 1 Abs. 2, 3 AnlV; ferner BaFin Rundschreiben 15/2005 (VA) unter A.IX. 11 Sog. Versicherungsgruppen-Richtlinie, 98/78/EG vom 27.10.1998, ABl 1998 Nr. L 330, S. 1; sog. Finanzkonglomerate-Richtlinie, 2002/87/EG vom 16.12.2002, ABl 2003 Nr. L 35, S. 1.
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Darin liegt neben der Festschreibung, dass auch eine sog. Compliance-Organisation zur ordnungsgemäßen Geschäftsorganisation gehört, die wesentliche Neuerung der gesetzlichen Regelung. Die an die ordnungsgemäße Geschäftsorganisation gestellten Anforderungen gelten grundsätzlich für alle Versicherungsunternehmen. Mit Blick auf den geringen Geschäftsumfang sind kleinere Pensionskassen in der Rechtsform eines VVaG, Sterbekassen sowie kleinere Schaden-, Unfall- und Krankenversicherungsvereine aber von einzelnen Regelungen – dem Erfordernis zur Erstellung eines Risikoberichts und der Einrichtung einer internen Revision – ausgenommen (§ 64a Abs. 5 Satz 1 VAG). Darüber hinaus soll die Aufsichtsbehörde auch andere Unternehmen auf Antrag von diesen Pflichten befreien, sofern sie nachweisen, dass der geforderte Aufwand in Anbetracht der Art, des Umfangs und des Zeithorizonts des betriebenen Geschäfts und der damit verbundenen Risiken unverhältnismäßig wäre (§ 64a Abs. 5 Satz 2 VAG). Auch für die konkrete Ausgestaltung der einzelnen Bestandteile der ordnungsgemäßen Geschäftsorganisation gilt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Dies ergibt sich aus dem Kriterium der Angemessenheit. D.h. die erforderliche Organisation muss Art und Umfang des Geschäfts sowie etwaigen Besonderheiten des jeweiligen Unternehmens gerecht werden. Dies dürfte insbesondere kleineren Unternehmen oder Unternehmen mit eingeschränktem Tätigkeitsfeld zugute kommen. Darüber hinaus verschafft es den Unternehmen die notwendige Flexibilität, innerhalb gewisser Rahmenvorgaben Modelle zu entwickeln, die die Besonderheiten ihres Geschäfts am besten berücksichtigen.12 a) Insbesondere: Anforderungen an das Risikomanagement Kernstück der gesetzlichen Neuregelung sind die kodifizierten Mindestanforderungen an das Risikomanagementsystem. Als wesentliche Elemente dieses Systems nennt § 64a Abs. 1 Satz 4 VAG: • eine auf die Steuerung des Unternehmens abgestimmte Risikostrategie; • organisatorische Regelungen zur Überwachung und Kontrolle der wesentlichen Abläufe; • ein geeignetes internes Steuerungs- und Kontrollsystem; • eine ausreichende unternehmensinterne Kommunikation über die als wesentlich eingestuften Risiken; • eine aussagekräftige Berichterstattung gegenüber der Geschäftsleitung; • eine interne Revision zur Überprüfung der gesamten Geschäftsorganisation.
12 Vgl. hierzu auch Bürkle, VW 2008, 212 (212); ferner Begr. RegE zur 9. VAG-Novelle, BT-Drucks. 16/6518, 16.
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Auch hier kommt in den sehr allgemein gehaltenen Vorgaben wieder die Flexibilität zum Ausdruck, die den Unternehmen erhalten bleiben soll. Andererseits bedingt dies naturgemäß auch gewisse Auslegungsunsicherheiten. Der erwarteten Konkretisierung der neuen Regelung durch ein Rundschreiben der BaFin (MaRisk (VA)) wird daher jedenfalls in einigen Bereichen eine erhebliche Bedeutung zukommen. Solange das erwartete Rundschreiben der BaFin noch nicht veröffentlich ist, liefert die Gesetzesbegründung erste weitergehende Interpretationshilfen.13 Und – da sich § 64a VAG an der Regelung des § 25a KWG orientiert – ergeben sich für die Auslegung der einzelnen Begriffe und der daraus resultierenden Verpflichtungen auch Anhaltspunkte aus dem Rundschreiben der BaFin R 5/2007, der sog. MaRisk für Kreditinstitute 14 („MaRisk Banken“). Dies gilt jedenfalls für diejenigen Vorschriften der MaRisk Banken, die allgemeiner Art sind, also nicht konkret auf bankenspezifische Risiken oder Sachverhalte bezogen sind (beispielsweise der überwiegende Teil des Teils AT sowie des Teils BT2 [Besondere Anforderungen an die Ausgestaltung der internen Revision]).15 Als erstes Element eines angemessenen Risikomanagementsystems nennt das Gesetz die Entwicklung einer Risikostrategie. Diese muss konsistent zur Geschäftsstrategie festgelegt werden und alle wesentlichen Aspekte des betriebenen Geschäfts sowie alle wesentlichen damit verbundenen Risiken berücksichtigen (§ 64a Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 VAG). Dies ist für ein Versicherungsunternehmen, dessen Geschäftsmodell es ist, seinen Kunden Schutz gegen Risiken zu gewähren, und damit seinerseits Risiken einzugehen und mit diesen umzugehen, eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Ebenso selbstverständlich sollte es daher sein, dass die Festlegung der Geschäfts- und Risikostrategie eine originäre Aufgabe der Geschäftsleitung ist. Sie ist also auch nicht delegierbar. Die Geschäftsleitung hat sie außerdem regelmäßig zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen.16 Versicherungsunternehmen müssen daneben über eine geeignete Aufbauund Ablauforganisation verfügen, die es ihnen ermöglicht, alle risikorelevanten Geschäftsabläufe in angemessener Weise zu überwachen und zu kontrollieren. Hierunter sind die organisatorischen Vorgaben zur Überwachung und Kontrolle der wesentlichen Prozesse zu verstehen. Gemäß der MaRisk Banken (Ziff. AT 4.3.1) sind die Prozesse und die damit verbundenen Aufgaben, Kompetenzen, Verantwortlichkeiten, Kontrollen sowie Kommunikations13
Vgl. Begr. RegE zur 9. VAG-Novelle, BT-Drucks. 16/6518, 15 ff. Vgl. BaFin Rundschreiben 5/2007, abgedruckt unter www.bafin.de. Dies gilt ungeachtet der erfolgten Änderungen des § 25a KWG. 15 So z.B. VG Frankfurt a.M. VersR 2005, 57 (59), abl. Bürkle, WM 2005, 1496 (1497 ff.); vgl. auch Faber-Graw, BaFin Journal 06/2007, 13 (14). 16 Vgl. dazu MaRisk Banken (BaFin Rundschreiben 5/2007) unter AT 4.2; ferner Fopma/ Klingeler, VW 2007, 2045 (2045). 14
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wege zu definieren und aufeinander abzustimmen. Auch ist sicherzustellen, dass miteinander unvereinbare Tätigkeiten durch unterschiedliche Personen ausgeführt werden. Beides sind letztlich Selbstverständlichkeiten, können aber bei Unternehmen, bei denen dies noch nicht entsprechend dokumentiert ist, den Formalaufwand deutlich erhöhen. Im Übrigen verdeutlicht dies, in welchem Umfang bereits jetzt auf die entsprechenden Regelungen für die Banken als Interpretationshilfe zurückgegriffen werden kann. Ein besonders wichtiges Element ist das sog. interne Steuerungs- und Kontrollsystem. Es umfasst neben der Entwicklung eines Risikotragfähigkeitskonzepts das Risikomanagement im engeren Sinne (Identifikation, Analyse, Bewertung, Steuerung und Überwachung von Risiken) sowie die Risikoberichterstattung. Als erstes Element des internen Steuerungs- und Kontrollsystems nennt das Gesetz ein angemessenes Risikotragfähigkeitskonzept. Nach der Gesetzesbegründung soll dies für jedes Unternehmen individuell wiedergeben, mit welchen Methoden die unternehmensinternen Kapitalziele abgeleitet werden, welche Verluste das Unternehmen höchstens über welche Planungshorizonte eingehen will, wie sich die vorhandenen Eigenmittel zur Verlustdeckung zusammensetzen und wie sich deren Auskömmlichkeit und Verzinsung aufgrund der getroffenen Steuerungsmaßnahmen beim Vergleich mit den Kapitalzielen darstellt.17 Das Gesetz benennt das Risikotragfähigkeitskonzept als Teil des internen Steuerungs- und Kontrollsystems und verweist lediglich darauf, dass es die Risikostrategie angemessen berücksichtigen müsse (§ 64a Abs. 1 Satz 4 Nr. 3 Buchst. a) VAG). Tatsächlich ist die Wechselwirkung zwischen Risikostrategie und Risikotragfähigkeitskonzept so groß, dass man diese wohl gar nicht voneinander trennen kann. Vielmehr ist die Risikotragfähigkeit eines der wesentlichen Aspekte bei der Bestimmung der Risikostrategie. Das eigentliche Steuerungsinstrument ist daher das „geeignete Limitsystem“, das aus Risikostrategie und Risikotragfähigkeitskonzept abzuleiten ist (vgl. § 64a Abs. 1 Satz 4 Nr. 3 Buchst. a) VAG). Kern des internen Steuerungs- und Kontrollsystems ist der Risikomanagementprozess im engeren Sinne.18 Es umfasst gemäß § 64a Abs. 1 Satz 4 Nr. 3 VAG die Elemente Risikoidentifikation, -analyse, -bewertung, -steuerung und -überwachung. Die Risikoidentifikation zielt darauf ab, alle Gefahrenquellen, Schadenursachen und Störpotentiale, die für den Erfolg und den Fortbestand des Unternehmens von Bedeutung sein können, möglichst frühzeitig zu erkennen und vollständig zu erfassen. Ferner gehört hierzu die fortlaufende Bestandsaufnahme darüber, welche der definierten Risiken in welchem Umfang tatsächlich bestehen. Im Anschluss an die Risikoidentifikation 17 18
Begr. RegE zur 9. VAG-Novelle, BT-Drucks. 16/6518, 16. Vgl. hierzu Nguyen, ZRFG 2008, 5 ff.
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erfolgt die Risikoanalyse. Hierbei geht es um die Ermittlung und Feststellung der Ursachen und Wirkungen der erkannten Risiken. Im Rahmen der Risikobewertung geht es um die Quantifizierung der identifizierten Risiken, insbesondere unter Berücksichtigung von Schadenseintrittswahrscheinlichkeiten und der Höhe möglicher Schäden sowie gegebenenfalls weiterer Risikomaße. Außerdem sind die Abhängigkeiten und Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Risiken zu berücksichtigen.19 Die Risikobewertung zielt darauf ab, die Risiken hinsichtlich ihres Gefahrpotentials und ihrer Relevanz zu kategorisieren und in eine Rangordnung zu bringen. Außerdem dient sie dazu, die gesamte Risikoposition eines Unternehmens zu ermitteln und gegebenenfalls einer Kumulation von Risiken entgegenwirken zu können. Aufgabe der Risikosteuerung ist zu entscheiden, in welcher Art und Weise auf erkannte Risiken oder deren Verwirklichung zu reagieren ist. Neben einem Krisenmanagement und etwa erforderlichen Sofortmaßnahmen zur Risikoabwehr oder -begrenzung geht es hier insbesondere um vorbeugende Maßnahmen und Strategien zur langfristigen Risikovermeidung und -begrenzung. Dazu gehören z.B. die Diversifizierung von Risiken (etwa durch entsprechende Kapitalanlage- oder Zeichnungsstrategien oder Verlagerung von Risiken durch Rückversicherung), aber auch allgemeine organisatorische Maßnahmen, wie z.B. die Aufgaben- und Kompetenzverteilung oder besondere Überwachungs- oder Kontrollmaßnahmen bei ausgelagerten Tätigkeiten.20 Die Risikoüberwachung dient zunächst der Kontrolle des Verlaufs der Risiken, auch mit dem Ziel, gegebenenfalls Gegenmaßnahmen ergreifen zu können. Ferner soll dadurch festgestellt werden, wie gut das Risikomanagementsystem als solches funktioniert. Die Risikoüberwachung dient daher auch dazu, etwaige Schwachstellen des Risikomanagementsystems zu erkennen und gegebenenfalls zu beheben. Entscheidend für das ordnungsgemäße Funktionieren des Risikomanagementsystems ist schließlich die ausreichende Risikokommunikation. Diese umfasst einerseits die interne Kommunikation der als wesentlich eingestuften Risiken mit dem Ziel, ein entsprechendes Risikobewusstsein zu schaffen, sowie andererseits die Notwendigkeit, alle relevanten Risiken rechtzeitig und in geeigneter Weise an die jeweils verantwortlichen Stellen mitzuteilen. Hierfür sind die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen. Daneben verlangt das Gesetz eine aussagekräftige regelmäßige Risikoberichterstattung gegenüber der Geschäftsleitung. Mit Hilfe der Risikoberichte soll die Geschäftsleitung alle wichtigen Risikoinformationen erhalten. Die Risikoberichte sollen daher gemäß § 64a Abs. 1 Satz 4 Nr. 3 Buchst. d) VAG Auskunft darüber geben, 19 20
Vgl. hierzu auch Nguyen, ZRFG 2008, 5 (6 f.). Vgl. auch Nguyen, ZRFG 2008, 5 (7).
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• was die wesentlichen Ziele des Risikomanagements sind, • mit welchen Methoden die Risiken bewertet werden und was getan wurde, um die Risiken zu begrenzen, • inwieweit sich die Maßnahmen zur Risikobegrenzung ausgewirkt haben und • inwieweit die Ziele des Risikomanagements erreicht und gesteuert wurden. Der Risikobericht soll der Geschäftsleitung eine Einschätzung des unternehmensindividuellen Risikos, der Sensibilität des Unternehmens gegenüber Änderungen des Umfelds sowie eine realistische Beurteilung der aus etwaigen Veränderungen erwachsenden neuen Risikosituationen ermöglichen. Ziel des Risikoberichts ist daher auch, gegebenenfalls Schwachstellen zu erkennen und Korrekturmaßnahmen zu ergreifen, sowie der Geschäftsleitung eine Grundlage für eine Überprüfung der Risikostrategie zu verschaffen.21 Gemäß § 55c Abs. 1 Nr. 1 VAG ist der Risikobericht der BaFin einzureichen. Gemäß § 64a Abs. 3 VAG müssen die Risikostrategie, die aufbau- und ablauforganisatorischen Regelungen sowie das interne Steuerungs- und Kontrollsystem des Unternehmens in geeigneter Weise dokumentiert werden. Diese Dokumentation umfasst nach der Gesetzesbegründung alle wesentlichen Handlungen, Festlegungen, Entscheidungen und gegebenenfalls Begründungen sowie festgestellte Mängel und daraus gezogene Schlussfolgerungen. Sie muss für einen sachverständigen Dritten nachvollziehbar gestaltet sein und damit gegebenenfalls auch eine Überprüfung durch die BaFin ermöglichen.22 b) Insbesondere: Interne Revision Etwas missverständlich ist die interne Revision in die gesetzliche Neuregelung aufgenommen worden. Nach dem Wortlaut des § 64a Abs. 1 VAG scheint sie ein Bestandteil des Risikomanagementsystems zu sein, da sie unter den vier Voraussetzungen aufgelistet ist, aus denen ein angemessenes Risikomanagement gemäß § 64a Abs. 1 Satz 4 VAG zu bestehen hat. Richtigerweise ist sie davon jedoch unabhängig. Dies ergibt sich schon daraus, dass sie sich gemäß § 64a Abs. 1 Satz 4 Nr. 4 VAG nicht nur auf das Risikomanagementsystem, sondern auf die gesamte Geschäftsorganisation bezieht und diese zu überprüfen hat. In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es ebenfalls, dass die interne Revision ein Instrument der Geschäftsleitung sei, das sich auf die gesamte Geschäftsorganisation und nicht nur auf das Risikomanagement beziehe.23 21 So Begr. RegE zur 9. VAG-Novelle, BT-Drucks. 16/6518, 16; Faber-Graw, BaFin Journal 06/2007, 13 (15). 22 Begr. RegE zur 9. VAG-Novelle, BT-Drucks. 16/6518, 17. 23 Begr. RegE zur 9. VAG-Novelle, BT-Drucks. 16/6518, 16; ferner Faber-Graw, BaFin Journal 06/2007, 13 (15); Bürkle, VW 2008, 212 (213).
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Die Untersuchungs- und Prüfungsaufgaben der internen Revision erstrecken sich auf alle Aktivitäten und Prozesse eines Unternehmens und können sowohl ergebnisorientiert (z.B. Ordnungsmäßigkeit des Finanz- und Rechnungswesens) als auch verfahrensorientiert (z.B. Organisations- und Systemprüfung, Ablaufprüfung) ausgestaltet sein. Ein essentielles Merkmal der Ausgestaltung der Tätigkeit der internen Revision ist die strikte Trennung der von ihr auszuübenden Überwachungstätigkeit und der Bearbeitung der von ihr überwachten Aufgaben. Das Tätigkeitsfeld der Mitarbeiter der internen Revision muss daher so organisiert sein, dass sie neben ihrer Revisionstätigkeit keine zusätzlichen Aufgaben wahrnehmen, deren Recht- oder Ordnungsmäßigkeit sie anschließend selbst überprüfen (Grundsatz der Funktionstrennung). Dies ist ein allgemeiner Grundsatz, der auch ohne ausdrückliche Regelung im Gesetz gilt.24 Gleiches gilt für den Grundsatz der Unabhängigkeit der Revisionstätigkeit, d.h. die Revision hat ihre Aufgaben selbständig und frei von Weisungen, insbesondere hinsichtlich der Berichterstattung und Wertung der Prüfungsergebnisse, wahrzunehmen.25 Weitergehende Hinweise zur Ausgestaltung der Tätigkeit der internen Revision ergeben sich aus der MaRisk Banken.26 Die dort wiedergegebenen Hinweise sind allgemeiner Natur und daher auch auf die Revisionstätigkeit bei einem Versicherungsunternehmen übertragbar. Die interne Revision hat einen schriftlichen Revisionsbericht zu erstatten, der die wesentlichen Prüfungsfeststellungen des vergangenen Geschäftsjahres sowie die geplanten Prüfungsthemen des laufenden Geschäftsjahres aufzeigt. Dieser Bericht ist der BaFin ebenfalls für Prüfungszwecke einzureichen (§ 55c Abs. 1 Nr. 2 VAG). c) Insbesondere: Compliance Aufgewertet durch die Neuregelung der Anforderungen an eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation wird auch die Compliance-Verantwortung der Unternehmensführung. Nach § 64a Abs. 1 Satz 1 VAG ist die Gewährleistung der Einhaltung der zu beachtenden Gesetze und Verordnungen sowie der aufsichtsbehördlichen Anforderungen eines der Wesensmerkmale einer ordnungsgemäßen Geschäftsorganisation eines Versicherungsunternehmens. Für diese ist die Geschäftsleitung insgesamt verantwortlich (§ 64a Abs. 1 Satz 2 VAG). D.h. es ist eine nicht delegierbare Aufgabe der gesamten Geschäfts24 So auch bereits BaFin Rundschreiben R 15/2005 (VA) unter A.IX.4. zur Tätigkeit der internen Revision im Rahmen der Überprüfung der Kapitalanlagetätigkeit von Versicherungsunternehmen. 25 Vgl. BaFin Rundschreiben R 5/2007 (MaRisk Banken), unter BT 2.2.1; ferner BaFin Rundschreiben R 15/2005 (VA) unter A.IX.4. zur Tätigkeit der internen Revision im Rahmen der Überprüfung der Kapitalanlagetätigkeit von Versicherungsunternehmen. 26 BaFin Rundschreiben 5/2007, unter BT 2.
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leitung, für eine entsprechende Compliance-Organisation im Unternehmen zu sorgen.27 Gegenstand der Compliance ist nicht nur die Einhaltung der zu beachtenden Gesetze und Verordnungen, sondern auch die der entsprechenden aufsichtsbehördlichen Anforderungen. Faktisch ist zwar auch dies nichts Neues. Tatsächlich war ein Versicherungsunternehmen natürlich auch bisher schon gehalten, die aufsichtsbehördlichen Anforderungen zu erfüllen. Rein rechtlich ist die Aufnahme der „aufsichtsbehördlichen Anforderungen“ in den Gesetzestext jedoch eine deutliche Aufwertung der Qualität dieser Anforderungen, zumal nicht immer ganz zweifelsfrei sein dürfte, was alles dazu gehört.28 d) Insbesondere: Outsourcing Die Auslagerung von Funktionen des Versicherungsgeschäfts insbesondere durch Bündelung innerhalb eines Konzerns auf einen konzerninternen Dienstleister, aber auch auf konzernexterne Dienstleister, nimmt eine immer größere Bedeutung an. Fast umgekehrt proportional zu der Bedeutung scheint dagegen der Umfang der dazu bestehenden Regelungen. Wirklich geändert hat sich dies auch durch die Neuregelung in § 64a Abs. 4 VAG nicht. Vielmehr werden dadurch nur einige der Eckpunkte, die bisher in aufsichtsbehördlichen Verlautbarungen enthalten waren, kodifiziert.29 Der wichtigste Grundsatz ist nunmehr allerdings in der Tat gesetzlich geregelt. Gemäß § 64a Abs. 4 Satz 1 VAG darf eine Auslagerung von Funktionen oder Aufgaben die ordnungsgemäße Ausführung dieser Funktionen oder Aufgaben, die Steuerungs- und Kontrollmöglichkeiten der Geschäftsleitung sowie die Prüfungs- und Kontrollrechte der Aufsichtsbehörde nicht beeinträchtigen. D.h. die Geschäftsleitung bleibt insbesondere uneingeschränkt verantwortlich für die ordnungsgemäße Ausführung der übertragenen Funktionen und Aufgaben.30 Ist dies nicht gewährleistet, darf die entsprechende Aufgabe nicht übertragen werden.31 Zu diesem Zweck muss sich das Versicherungsunternehmen insbesondere die erforderlichen Auskunftsund Weisungsbefugnisse sichern; ferner muss es die ausgegliederten Funktionen und übertragenen Aufgaben in sein Risikomanagement einbeziehen (§ 64 Abs. 4 Satz 2 VAG). D.h. es muss insbesondere auch die Risiken der Auslagerung selbst überwachen und geeignete Vorkehrungen treffen, um daraus resultierende Risiken begrenzen und steuern zu können. 27
Vgl. Bürkle, VW 2008, 212 (212). Generell zu den Compliance-Aufgaben: Bürkle, BB 2005, 565 ff.; Hauschka, AG 2004, 461 ff.; ferner für Versicherungen: Bürkle, VW 2004, 830 ff. 29 Vgl. generell zu den aufsichtsrechtlichen Anforderungen bei Funktionsausgliederungen: Michels/Langheid, VW 2004, 800 ff. 30 So schon bisher BAV VerBAV 2001, 118. 31 Vgl. Begr. RegE zur 9. VAG-Novelle, BT-Drucks. 16/6518, 17. 28
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Dies bedeutet vor allem, das Versicherungsunternehmen muss bereits bei der Entscheidung über die Auslagerung von Funktionen und Dienstleistungen auch berücksichtigen, welche zusätzlichen Risiken durch die Auslagerung entstehen und wie es diese kontrollieren und sich dagegen absichern kann. Hierzu sind die erforderlichen vertraglichen Vereinbarungen und gegebenenfalls weitergehende organisatorische Vorkehrungen zu treffen. Dazu gehört jedenfalls bei wesentlichen Funktionen auch die früher zuweilen vernachlässigte Frage, wie geeignete Vorkehrungen für den Fall einer Beendigung der Auslagerungsvereinbarung getroffen werden können (z.B. durch Überleitungs- und Übergangsregelungen).32
4. Versicherungsgruppen Für Versicherungsgruppen enthält die Neuregelung lediglich den Hinweis, dass die Obergesellschaft der Gruppe, auch wenn sie kein Versicherungsunternehmen, sondern eine Versicherungs-Holdinggesellschaft im Sinne von § 1b Abs. 1 VAG ist, ein gruppenbezogenes Risikomanagementsystem für die wesentlichen Risiken der Versicherungsgruppe einrichten muss (§ 64a Abs. 2 VAG). Dies ist allerdings nur ein kleiner Ausschnitt der bestehenden Verpflichtungen. Bereits aus aktienrechtlichen Gesichtspunkten heraus, die für einen VVaG als Konzernobergesellschaft gemäß § 34 VAG entsprechend gelten, hat der Vorstand der Konzernobergesellschaft eine konzernbezogene Führungsverantwortung.33 Im Rahmen dieser Führungsverantwortung hat der Vorstand der Konzernobergesellschaft auch die konzernverbundenen Unternehmen zu kontrollieren. Hierzu hat er ein konzernweites Informations- und Kontrollsystem zu errichten, das jedenfalls aus den folgenden Bestandteilen bestehen muss: • • • • •
konzernweites Berichtswesen, konzernweites Controlling, konzernweites Risikomanagement, konzernweite Compliance-Organisation und konzernweite interne Revision.
Aufgabe des konzernweiten Risikomanagements ist es insbesondere, die Obergesellschaft – und damit mittelbar auch die gesamte Gruppe – vor für den Gesamtverbund relevanten Risiken zu schützen, bzw. diese zu kontrollieren und zu steuern. Hierbei gelten grundsätzlich die gleichen Gesichtspunkte wie für das Risikomanagement auf der Ebene eines einzelnen Ver32
Vgl. dazu auch für den Bankenbereich: BaFin Rundschreiben 5/2007, unter AT 9.5. Vgl. hierzu z.B. Fleischer, DB 2005, 759 (762); J. Semler, ZGR 2004, 631 (657 ff.); Kleindiek, in: Handbuch Corporate Governance, 2003, S. 571 (580 ff.). 33
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sicherungsunternehmens.34 Allerdings werden sich aus der Gruppenstruktur heraus andere Risiken ergeben. Auch ist darauf zu achten, dass es nicht zu einer zu großen gruppeninternen Kumulation von Risiken kommt. Schließlich wird die Konzernobergesellschaft im Rahmen ihrer rechtlichen Möglichkeiten darauf zu achten haben, dass die wesentlichen Tochtergesellschaften über geeignete eigene Risikomanagementsysteme verfügen, und zwar auch dann, wenn sie ihren Sitz nicht im Geltungsbereich des VAG haben.35
Fazit Die Einfügung des § 64a in das VAG stellt einen wichtigen Schritt zur Vorbereitung der deutschen Versicherungswirtschaft auf Solvency II dar. Über den eigentlichen Inhalt der gesetzlichen Regelung hinaus dürfte sie insbesondere dazu beitragen, den Versicherungsunternehmen den Stellenwert der Aufgabe des Risikomanagements zu verdeutlichen. Angesichts sich immer schneller verändernder Rahmenbedingungen und einer zunehmenden Komplexität der Märkte wachsen auch die Anforderungen an ein angemessenes Risikomanagement ständig. Dies zeigt nicht zuletzt auch die aktuelle Krise an den Finanzmärkten. In ihrem ureigensten Interesse sollten sich die Versicherungsunternehmen daher mit der Einrichtung und Ausgestaltung ihrer Risikomanagementsysteme beschäftigen. Wie Nguyen/Stehr zutreffend ausführen, sollten die Versicherungsunternehmen die neuen Anforderungen daher nicht lediglich als lästige Pflichterfüllung betrachten, sondern als Chance für eine verbesserte risiko- und wertorientierte Unternehmenssteuerung. Und: Wer sich frühzeitig darauf vorbereitet, dem werden sich auch Vorteile im Wettbewerb daraus eröffnen.36
34
Vgl. dazu oben, unter 3. Dies folgt aus der aus deutschem Recht abzuleitenden Verpflichtung der Obergesellschaft, von der Tochtergesellschaft ausgehende Gefahren für die Obergesellschaft abzuwenden. 36 Nguyen/Stehr, ZRFG 2008, 64 (69). 35
Verzeichnis der Schriften von Michael Gruson „Die Regelungszuständigkeit der Vereinigten Staaten für ausländische Dollar-Überweisungen und Dollar-Konten“, Recht der internationalen Wirtschaft (RIW) 2006, S. 241–251. Regulation of Foreign Banks: Banking Laws of Major Countries and the European Union, Band 2 und 3, 1. Aufl. 1991, 2. Aufl. 1995, 3. Aufl. 2000, 4. Aufl. 2005 (hrsg. v. Michael Gruson und Ralph Reisner). • “Banking Regulation of the European Union”, Band 2, Kapitel 5, S. 455–816. • “Banking Regulation in Germany”, Band 3, Kapitel 7, S. 1–271. “Choice of a Law not Reasonably Related to the Transaction – Section 5-1401 of the General Obligations Law of New York”, in: Erich Rasmussen-Bonne; Richard Freer; Wolfgang Lüke (Hrsg.), Balancing of Interests, Liber Amicorum Peter Hay, Frankfurt 2005, S. 191–218. „Die Doppelnotierung von Aktien deutscher Gesellschaften an der New Yorker und Frankfurter Börse: die sogenannte Globale Aktie“, Die Aktiengesellschaft (AG) 2004, S. 358–382. “Consolidated and Supplementary Supervision of Financial Groups in the European Union”, Der Konzern 2004, Teil I, S. 65–93, Teil II, S. 249–265. “Supervision of Financial Conglomerates in the European Union”, 19 Journal of International Banking Law and Regulation 2004, S. 263–381. “The U.S. Jurisdiction over Transfers of U.S. Dollars between Foreigners and over Ownership of U.S. Dollar Accounts in Foreign Banks”, Columbia Business Law Review 2004, S. 721–772. “Liability of Inside Counsel for Legal Opinions”, 19 Journal of International Banking Law and Regulation 2004, S. 143–145. “Recommendations for Temporary Cross-Border Commercial Practice”, International Bar Association Section on Business Law, Task Force on International Multijurisdictional Commercial Practice, London Januar 2004. German License Requirement for Cross-Border Banking and Financial Services, Shearman & Sterling, März 2004. “Governing Law Clauses Excluding Principles of Conflict of Laws”, 37 The International Lawyer Winter 2003, S. 1023–1036. „Der Sarbanes-Oxley Act, Corporate Governance und das deutsche Aktienrecht“, Die Aktiengesellschaft (AG) 2003, Teil I, S. 337–352, Teil II, S. 393–406 (mit Matthias Kubicek). Regulation of Foreign Banks: United States and International, Band 1, 4. Aufl. 2003 (hrsg. v. Michael Gruson und Ralph Reisner). • “Issuance and Listing of Securities by Foreign Banks and the U.S. Securities Laws”, Band 1, Kapitel 7, S. 353–505 (mit Andrew B. Jánszky und Jonathan M. Weid).
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Verzeichnis der Schriften von Michael Gruson
• “Foreign Banks as Investment Companies under the Investment Company Act of 1940”, Band 1, Kapitel 8, S. 507–616. • “Nonbanking Activities of Foreign Banks Operating in the United States”, Band 1, Kapitel 9, S. 617–871. • “Foreign Banks and the Financial Holding Company”, Band 1, Kapitel 10, S. 873– 1054. Kapitel 29 (USA), in: Gwendoline Griffiths (Hrsg.), Neate, Bank Confidentiality, 3. Aufl. 2003 (mit Danforth Newcomb). „Zur Subsidiarität der Gewährträgerhaftung bei öffentlich-rechtlichen Banken“, Wertpapier-Mitteilungen – Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht (WM) 2003, S. 321–325. “Dollarization and Euroization”, 2 International Monetary Fund, Current Developments, Monetary and Financial Law 2003, S. 629–640. “International Opinions”, in: M. John Sterba, Jr. (Hrsg.), Legal Opinion Letters, a Comprehensive Guide to Opinion Letters Practice, Kapitel 11, § 11.1–§ 11.34, 3. Aufl. 2003, Loseblatt. Consolidated and Supplementary Supervision of Financial Groups in the European Union, Shearman & Sterling, November 2003. Guide to the Regulation of Financial Holding Companies, LexisNexis Special Banking Law Pamphlet, 2002. „Persönliche Haftung deutscher Unternehmensjuristen für die Richtigkeit einer legal opinion nach US-amerikanischen Recht“, Recht der Internationalen Wirtschaft (RIW) 2002, S. 596–608. “Civil Asset Forfeiture under the Patriot Act and the Effect on Foreign Banks”, Shearman & Sterling, 2002. “Dollarization and Euroization”, 13 European Business Law Review 2002, S. 103–122. „Die Gründung einer Niederlassung einer ausländischen Bank in den USA“, Shearman & Sterling, 2002. “International Agreements – The Application of a Law Other Than the Law Stipulated in the Agreement”, in: Morton Moskin (Hrsg.), Commercial Contracts: Strategies for Drafting and Negotiating, Kapitel 6, S. 6-1 bis 6-98, 2003, Loseblatt. Legal Opinions in International Transactions, Report of the Subcommittee on Legal Opinions of the Committee on Banking Law of the Section on Business Law of the International Bar Association, 1. Aufl. 1987, 2. Aufl. 1989, 3. Aufl. 1997, 4. Aufl. 2003 (mit Stephan Hutter und Michael Kutschera). “Foreign Banks and the Regulation of Financial Holding Companies”, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Institut für Bankrecht, Working Paper Nr. 92, 2002. “Supervision of Financial Holding Companies in Europe: The EU Directive on Supplementary Supervision of Financial Conglomerates”, 36 The International Lawyer 2002, S. 1229–1260. Foreign Banks and the Regulation of Financial Holding Companies, Shearman & Sterling, Februar 2002. “Global Shares of German Corporations and their Dual Listing on the Frankfurt and New York Stock Exchanges”, 22 University of Pennsylvania Journal of International Economic Law 2001, S. 185–283.
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“Global Shares of German Corporations and their Dual Listing on the Frankfurt and New York Stock Exchanges”, in: Norbert Horn (Hrsg.), 15 Studies in Transnational Economic Law, Cross-Border Mergers and Acquisitions and the Law, 2001, S. 163–232. Regulation of Foreign Banks: United States and International, Band 1 und 2, 3. Aufl. 2000, hrsg. v. Michael Gruson; Ralph Reisner. • “Issuance and Listing of Securities by Foreign Banks and the U.S. Securities Laws”, Band 1, Kapitel 7, S. 337–492 (mit Andrew B. Jánszky und Jonathan M. Weid). • “Foreign Banks as Investment Companies under the Investment Company Act of 1940”, Band 1, Kapitel 8, S. 493–592. • “Nonbanking and Financial Activities of Foreign Banks Operating in the United States”, Band 1, Kapitel 10, S. 657–955. • “Prudential Regulation by the European Union”, Band 2, Kapitel 6, S. 215–286. • “Banking Regulation and Treatment of Foreign Banks in Germany”, Band 2, Kapitel 8, S. 339–462. „Die Reform des Trennbanksystems in den USA“, Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft (ZBB) 2000, S. 153–163. “The Scope of Lex Monetae in International Transactions – A United States Perspective”, in: Mario Giovanoli (Hrsg.), International Monetary Law: Issues for the New Millenium, 2000, Kapitel 23, S. 433–456. “Restructuring Syndicated Loans: The Effect of Restructuring Negotiations on the Rights of the Parties to the Loan Agreement”, in: Norbert Horn; Joseph J. Norton (Hrsg.), 13 Studies in Transnational Economic Law, Nonjudicial Dispute Settlement in International Financial Transactions, 2000, S. 277–288. “The 1999 U.S Banking Law Reform and Foreign Banks”, in: Joseph J. Norton (Hrsg.), Yearbook of International Financial and Economic Law 1999, S. 97–145. “The Fate of Obligations Denominated in Currencies Replaced by the Euro: An American Perspective”, in: Joseph J. Norton (Hrsg.), Yearbook of International Financial and Economic Law 1998, S. 277–316. “Redenomination in Euro of Debt Securities Governed by a Non-Member State Law”, 14 Journal of International Banking Law März 1999, S. 72–80. “Landesbank State Guarantees Should Survive EU Challenge”, International Financial Law Review Januar 1998, S. 39–40. „Die Einführung des Euro und DM-Auslandsanleihen – Zugleich ein Beitrag zum deutschen Gesetz zur Umstellung von Schuldverschreibungen“, Wertpapier-Mitteilungen – Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht (WM) 1998, S. 1474–1480. Regulation of Foreign Banks: United States and International, Band 1, 2. Aufl. 1999, Cumulative Supplement, hrsg. v. Michael Gruson und Ralph Reisner. • “Issuance and Listing of Securities by Foreign Banks and the U.S. Securities Laws”, Band 1, Kapitel 7, S. 125–186 (mit Jonathan M. Weid). • “Nonbanking and Financial Activities of Foreign Banks Operating in the United States”, Band 1, Kapitel 9, S. 199–267. “Deutsche Mark-Denominated Debt Securities of Non-German Issuers and the Introduction of the Euro”, in: Joseph J. Norton (Hrsg.), Yearbook of International Financial and Economic Law 1997, S. 65–90. “The Introduction of the Euro and its Implications for Obligations Denominated in Currencies Replaced by the Euro”, 21 Fordham International Law Journal 1997, S. 65–107.
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Verzeichnis der Schriften von Michael Gruson
„Zum Fortbestehen von Anstaltslast und Gewährträgerhaftung zur Sicherung der Anleihen der Landesbanken“, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (EuZW) 1997, S. 357– 363. „Noch einmal zum Fortbestehen von Anstaltslast und Gewährträgerhaftung für die Sicherung von Anleihen der Landesbanken“, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (EuZW) 1997, S. 429. „Altwährungsforderungen vor US-Gerichten nach Einführung des Euro“, Wertpapier-Mitteilungen – Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht (WM) 1997, S. 699–707. “Opinions in International Transactions”, Kapitel 11, in: M. John Sterba, Jr. (Hrsg.), Drafting Legal Opinion Letters, 1996/1997. “Nonbanking Investments and Activities of Foreign Banks in the United States”, in: Anthony Saunders; Ingo Walter (Hrsg.), Universal Banking, 1996, Kapitel 15, S. 431–527. “DM-Denominated Bond Issues by Foreign Issuers in Germany”, 10 Emory International Law Review 1996, S. 195–253 (mit Herbert Harrer). “Management of Legal Risks in International Agreements”, 4 Willamette Bulletin of International Law and Policy 1996, S. 27–41. „Rechtswahl- und Gerichtsstandsvereinbarungen sowie Bedeutung des AGB-Gesetzes bei DM-Auslandsanleihen auf dem deutschen Markt“, Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft (ZBB) 1996, S. 37–46 (mit Herbert Harrer). “Letters of Credit: The Independence Principle Vindicated”, 113 The Banking Law Journal 1996, S. 614–621 (mit Hartwin Bungert). “The German Landesbanken”, Columbia Business Law Review 1995, S. 337–452 (mit Uwe H. Schneider). “Daiwa Bank’s Ouster from the United States: The Aftermath (So Far)”, 15 Banking Policy Report, Nr. 4 1996, S. 1 (mit Jonathan M. Weid). Securities Laws for German Issues Accessing the U.S. Capital Markets, Shearman & Sterling, Oktober 1996. Regulation of Foreign Banks: United States and International, Band 1 und 2, 1. Aufl. 1991, 2. Aufl. 1995, hrsg. v. Michael Gruson und Ralph Reisner. • “Issuance and Listing of Securities by Foreign Banks and the U.S. Securities Laws”, Kapitel 7, S. 7-1 bis 7-269 (mit Jonathan M. Weid). • “Nonbanking Activities of Foreign Banks Operating in the United States”, Kapitel 9, S. 9-1 bis 9-191. • “Prudential Regulation by the European Union”, Kapitel 13, S. 13-1 bis 13-59 (mit Nikolaus Bömcke). • “Banking Regulation and Treatment of Foreign Banks in Germany”, Kapitel 15, S. 15-1 bis 15-113. “Retaining and Relying Upon Foreign Counsel: Issue of Ethics and Professional Liability”, Gremiumsdiskussion, in: Mary C. Daly; Roger J. Goebel (Hrsg.), Rights, Liability, and Ethics in International Legal Practice, 1995, S. 349–354. „Die Ad-hoc-Publizitätspflicht nach amerikanischem Recht und die Auslegung des § 15 WpHG“, Die Aktiengesellschaft (AG) 1995, S. 173–181 (mit William J. Wiegmann). „Prospekterfordernisse und Prospekthaftung bei unterschiedlichen Anlageformen nach amerikanischem und deutschem Recht“, Wertpapier-Mitteilungen – Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht (WM) 1995, S. 89–98.
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„Neue Aussichten für Bankreformgesetzgebung in den USA“, BankArchiv, Zeitschrift für das gesamte Bank- und Börsenwesen 1995, S. 306–307. Securities Laws for South African Issuers Accessing the U.S. Capital Markets, Shearman & Sterling, Oktober 1995. “Voidness of Guaranty by Telefax under German Law”, 22 International Business Lawyer 1994, S. 101–102 (mit Hartwin Bungert). Regulation of Foreign Banks: United States and International, 1993 Cumulative Supplement, hrsg. v. Michael Gruson und Ralph Reisner. • “FDIC Insurance of U.S. Branches of Foreign Banks”, Kapitel 6, S. 79–81 (mit Edward Bransilver). • “Issuance and Listing of Securities by Foreign Banks and the U.S. Securities Laws”, Kapitel 7, S. 83–153 (mit Jonathan M. Weid und Lawrence S. Brandman). • “Nonbanking Activities of Foreign Banks Operating in the United States”, Kapitel 9, S. 155–223. “The Remedies Opinion in International Transactions”, 27 The International Laywer 1993, S. 911–939. “Legal Opinions: Response to the American Bar Association’s Opinion Accord”, 21 The International Business Lawyer 1993, S. 125–132. “The German Banking System – System of the Future?”, 19 Brooklyn Journal of International Law 1993, S. 101–129 (mit Theodor Baums). Acquisition of Shares in a Foreign Country – Substantive Law and Legal Opinions, 1993 (mit Stephan Hutter). „Neue Beschränkungen für ausländische Banken in den USA“, Wertpapier-Mitteilungen – Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht (WM) 1992, S. 1757–1766. “Is One-Year-Old FBSEA Good Public Policy or Undue Hardship?”, 11 Banking Policy Report, Nr. 21 1992, S. 24–26 (mit Jonathan M. Weid). “Are Foreign Banks Still Welcome in the United States”, The Bankers Magazine, September/Oktober 1992, S. 16–21. “Offers and Sales of Securities by a Non-US Company in the United States”, in: Peter Farmery; Michael Gruson (Hrsg.), United States Securities and Investments Regulation Handbook, 1992, Kapitel 1, S. 1–101 (mit Tom Joyce und Patricia O. Jungreis). “Foreign Bank Supervision: Impact of Interim Rules Depends on Fed’s Execution”, 11 Banking Policy Report, Nr. 10 1992, S. 1 (mit Jonathan M. Weid). “Privatization in the Former German Democratic Republic”, 12 New York Law School Journal of International and Comparative Law 1991, S. 347–356. “Foreign Banks Are No Longer Welcome in the United States”, 10 Banking Policy Report, Nr. 23 1991, S. 5–10. „Ausländische und inländische Banken gleichgestellt?“, Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (EWS) 1991, S. 374–376. „Investitionen in den neuen Bundesländern nach dem Investitionsförderungsgesetz“, Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 1991, S. 234–239 (mit Georg F. Thoma). “Investments in the Territory of the Former German Democratic Republic – A Change of Direction”, 14 Fordham International Law Journal 1990/91, S. 1139–1158; nochmals abgedruckt in: 4 International Quarterly 1992, S. 80–99 (mit Georg F. Thoma).
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Verzeichnis der Schriften von Michael Gruson
“Investments in the Territory of the Former German Democratic Republic”, 14 Fordham International Law Journal 1990/91, S. 540–577 (mit Georg F. Thoma). „The New Banking Law of the European Economic Community”, 25 The International Lawyer 1991, S. 1–40 (1991); nochmals abgedruckt in modifizierter und aktualisierter Form in: Joseph J. Norton (Hrsg.), Bank Regulation and Supervision in the 1990s, 1991, Kapitel 4, S. 44–66; und in: Ross Cranston (Hrsg.), The Single Market and the Law of Banking, 1. Aufl. 1991, 2. Aufl. 1995, Kapitel 2, S. 19–49 (1. Aufl.), S. 25–58 (2. Aufl.) (mit Wolfgang Feuring). „Die Rule 144A“, BankArchiv, Zeitschrift für das gesamte Bank- und Börsenwesen 1990, S. 718–720. „Erleichterter Zugang zum amerikanischen Kapitalmarkt durch die neue Rechtsverordnung Rule 144A“, Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (EWS) 1990, S. 32. „Prinzipien des US-Bankrechts“, BankArchiv, Zeitschrift für das gesamte Bank- und Börsenwesen 1990, S. 6–18 (mit Thomas Herndl). “Reciprocal National Treatment: Comparing EC Plan to Riegle-Garn Bill”, 9 Banking Expansion Reporter 1990, No. 7, S. 2–4. “The Second Banking European Banking Directive”, 5 The Review of Banking & Financial Services, Nr. 16 1989, S. 159–169. “The Reciprocity Requirement of the Second Banking Directive of the European Economic Community Revisited”, 12 Fordham International Law Journal 1989, S. 452–458 (mit Werner Nikowitz). “The Second Banking Directive of the European Economic Community and its Importance for Non-EEC Banks”, 12 Fordham International Law Journal 1989, S. 205–241 (mit Werner Nikowitz). “Legal Opinions of New York Counsel in International Transactions”, Columbia Business Law Review 1989, S. 365–412. Legal Opinions in International Transactions, Report of the Subcommittee on Legal Opinions of the Committee on Banking Law of the Section on Business Law of the International Bar Association, 1. Aufl. 1987, 2. Aufl. 1989 (mit Stephan Hutter und Michael Kutschera). „Die Risiko- und Verlustverteilung bei Scheckfälschungen im US-amerikanischen Recht“, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht (ZHR) 1989, S. 643–680 (mit Klaus Fischer). “Issuance of Securities by Foreign Banks and their Finance Subsidiaries Under the Investment Company Act of 1940 and Rule 6c–9”, Report of the New York State Bar Association, Committee on International Banking, Securities & Financial Transactions, 2 New York International Law Review 1988/89, S. 29–45 (mit Elliot Gewirtz). “The Act of State Doctrine in Contract Cases as a Conflict-of-Laws Rule”, University of Illinois Law Review 1988, S. 519–561. “International Bar Association Project on Legal Opinions in International Business Transactions”, 10 University of Pennsylvania Journal of International Business Law 1988, S. 71–87 (mit Stephan Hutter). “Investment in Foreign Equity Securities and Debt-Equity Conversion by U.S. Banks, Bank Holding Companies, and Foreign Bank Holding Companies”, Columbia Business Law Review 1988, S. 441–504.
Verzeichnis der Schriften von Michael Gruson
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“Legal Aspects of International Lending”, in: Ingo Walter (Hrsg.), Handbook of International Management, 1988, Abschnitt 20, Section 20, S. 20-1 bis 20-24. Aktualisierte Fassung von “Legal Aspects of International Lending”, in: Ingo Walter (Hrsg.), Handbook of International Business, 1982, Abschnitt 27, S. 27-1 bis 27-21. “Sovereign Debt Exchanges”, University of Illinois Law Review 1988, S. 415–480; nochmals abgedruckt in: Ralph Reisner; Emilio J. Cardenas; Antonio Mendes (Hrsg.), Latin American Sovereign Debt Management, 1990, S. 111–173 (mit Michael Chamberlin und Paul Weltchek). Credit Agreement Commentary, Shearman & Sterling, 3. Aufl. Juni 1990. “Foreword to International Banking Symposium”, University of Illinois Law Review 1988, S. 219–224 (mit Ralph Reisner und Roger W. Thomas). „Gründung und Erwerb von Wirtschaftsunternehmen in den USA“, in: Henning von Boehmer; German Group of the ICC (Hrsg.), Deutsche Unternehmen auf dem amerikanischen Markt, 1988, Kapitel 1, S. 1–22 (mit Burkhardt Meister). “The Breaux Amendment: A Severe Limitation on Foreign Investments”, 6 Banking Expansion Reporter, Nr. 9 1987, S. 1 (mit Timothy E. Flaniga). “Contractual Choice of Law & Choice of Forum: Unresolved Issues”, Kapitel 1, in: David M. Sassoon; Daniel D. Bradlow (Hrsg.), Judicial Enforcement of International Debt Obligations, 1987, S. 1–40. “The Global Securities Market: Introductory Remarks”, Columbia Business Law Review 1987, S. 303–308. “Opinion of Counsel on Agreements Governed by Foreign Law”, 19 Vanderbilt Journal of Transnational Law 1986, S. 515–531 (mit Michael Kutschera). Wertpapier-Börsentermingeschäft in den USA und in Großbritannien und der Begriff des offiziellen Börsenterminhandels, Heidelberg 1985 (mit Michael H. Carl). “Establishing a U.S. Commercial Paper Programme”, 4 International Financial Law Review April 1985, S. 8–12 (mit Peter V. Darrow). „Börsenzugelassene Optionen auf Aktien in den Vereinigten Staaten“, Abhandlungen aus dem gesamten Bürgerlichen Recht, Handelsrecht und Wirtschaftsrecht 1985, S. 16–39. “The Documentations for the IDB Complementary Financing Program”, in: Mojmir Mrak; Maja Kosak (Hrsg.), Challenges of Co-Financing, 1985, S. 125–131 (1985). Sovereign Lending: Managing Legal Risk, hrsg. v. Michael Gruson und Ralph Reisner, 1984. • “Controlling Choice of Law”, Kapitel 5, S. 51–67, • “Controlling Site of Litigation”, Kapitel 4, S. 29–50, • “The Johnson Debt Default Act and U.S. Banks”, Kapitel 2, S. 13–20, • “Acts of Foreign Governments Affecting Borrowers’ Obligations: Recent Developments”, Kapitel 19, S. 241–243 (mit Ralph Reisner). “Proposal for Mandatory Enforcement of Governing-Law Clauses and Related Clauses in Significant Commercial Agreements”, The Association of the Bar of The City of New York, Committee on Foreign and Comparative Law, 38 The Record of the Association of the Bar of The City of New York 1983, S. 537–554. „Rechtswahlklauseln in Handelsverträgen in New York“, Recht der Internationalen Wirtschaft (RIW) 1983, S. 393–401. “Forum-Selection Clauses in International and Interstate Commercial Agreements”, University of Illinois Law Review 1982, S. 133–205.
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Verzeichnis der Schriften von Michael Gruson
“Governing-Law Clauses in International and Interstate Loan Agreements – New York’s Approach”, University of Illinois Law Review 1982, S. 207–228. “Issuance of Securities by Foreign Banks and the Investment Company Act of 1940”, University of Illinois Law Forum 1980, S. 185–229; nochmals abgedruckt in: 13 Securities Law Review 1981, S. 609–653 (mit Philip L. Jackson). “Nonbanking Activities of Foreign Banks Operating in the United States”, University of Illinois Law Forum 1980, S. 129–162 (mit Jonathan M. Weld). „Beschränkungen der nicht bankgeschäftlichen Aktivitäten ausländischer Banken in den Vereinigten Staaten“, Recht der Internationalen Wirtschaft (RIW) 1980, S. 457– 467 (mit Matthias Abrell). “Governing Law Clauses in Commercial Agreements – New York’s Approach”, 18 Columbia Journal of Transnational Law 1980, S. 323–379. „Investitionen im Staate New York“, Internationale Wirtschaftsbriefe 1978, S. 641–652 (mit Herta Lande Seidman). “The New Co-Determination Law in Germany”, 32 The Business Lawyer 1977, S. 571–589 (mit Wienand Meilicke). “American Lawyers and Legal Opinions of Foreign Counsel”, in: Annual Proceedings of the Fordham Corporate Law Institute 1975, 1976, S. 296–305. Die Bedürfniskompetenz, Inhalt und Justitiabilität des Art. 72 Abs. 2 des Grundgesetzes, Berlin 1967. “Lawyers and the Foreign Agents Registration Act”, 1 Columbia Journal of Law and Social Problems 1965, S. 68–80.