M. Wegener
Band 23
Gefahr durch Becon Die Zeitlosen warnten umsonst! Keine der beteiligten Parteien gibt die gefährli...
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M. Wegener
Band 23
Gefahr durch Becon Die Zeitlosen warnten umsonst! Keine der beteiligten Parteien gibt die gefährlichen Versuche mit BECON auf. Wie befürchtet, hat die „Nadel" durch ihre Impulssendungen außerirdische Mächte auf das Geschehen auf der Erde aufmerksam gemacht. Die Orathonen erscheinen über Terra und reißen die „Nadel" an sich. Sie stehen unter dem Kommando von Sigam Agelon, dem Mann, der im Terra-System seine bitterste Niederlage einstecken mußte. Während Agelon in das Terra-System einbricht, gelingt es zehn „Veränderten", von der Erde zu flüchten. Und es ist durchaus kein Zufall, daß alle Parteien jetzt nach Swamp vorstoßen. Auf diesem Planeten ist Rex Corda mit 35 laktonischen Wissenschaftlern gestrandet. Er
konnte diese Wissenschaftler aus ihrem goldenen Gefängnis TECKAN befreien, doch hat er jetzt keine Möglichkeit mehr, sie zur Erde zu bringen. Das Raumschiff Rex Cordas, die COROCON III, fällt den fremdartigen Bedingungen Swamps zum Opfer. Die Laktonen rüsten zum Aufbruch. Samar Tarkannt, der Terraner, der sich für einen hochgeborenen Laktonen hält, kümmert sich nicht mehr um die COROCON III. Er bricht auf, um das laktonische Reich an sich zu reißen. Es sieht so aus, als könnte die Lage für Rex Corda und seine Begleiter kaum noch aussichtsloser werden, als orathonische Raumschiffe über Swamp erscheinen und auch Cordas letzte Hoffnungen zunichte machen.
Die wichtigsten Personen: Rex Corda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . terranischer Präsident Kim Corda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . sein Bruder Will Rimson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . kommissarischer Präsident Terras Fan Kar Kont . . . . . . . . . . . . . . . . . . . laktonischer Spitzenwissenschaftler Latak Decimo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . laktonischer Synoptiker Bekoval . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . staatenloser Laktone Percip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ebenfalls staatenlos Ga-Venga . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kynother, wäre gern staatenlos Sigam Agelon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . orathonischer Flottenbefehlshaber Wabash . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . telepathisch begabter Delphin
Das gallertartige Biest kam blitzschnell von rechts. Es wollte Rex Corda den Weg abschneiden. Solange es nicht auf Jagd nach Beute war, sah es harmlos und friedlich aus. Jetzt war es ein Monstrum an Häßlichkeit, ein biologisches Extrem schlimmsten Ausmaßes. Sein faltiger Hohlkörper pumpte sich voll Luft. Es war unwahrscheinlich, wieviel Kubikmeter in dem sonst winzigen Körper Platz fanden. Gleichzeitig rollte es seine Nesselarme aus. Von den Enden, die gierig den Boden abtasteten, tropfte ätzende Säure. Der Geruch nach Schwefel verstärkte sich. Anschließend öffnete sich in dem Biest ein halbmeterbreiter Spalt, von dessen Enden ebenfalls tropfende Nesselarme herabhingen. Dann rollte das Ding über den Sumpf. Es hatte die Angewohnheit, sein Opfer zu überrollen und es mit dem breiten Maul zu verschlingen, wobei es sich hin und her wälzte. Den Rest besorgten dann jeweils die Nesselarme. Diesmal hieß das Opfer Rex Corda. Lauernd schob das Monstrum seine Arme vor. Sechzehn dicke schenkelstarke Hohlkörper, die eine Beute zu Fall brachten und sie umklammerten. Das zweibeinige Wesen rannte gerade geduckt vorbei. Noch schien es die Gefahr ganz offensichtlich nicht bemerkt zu haben. Es übersprang einen kleinen Busch, griff gleichzeitig an die rechte Körperseite und holte einen flachen Gegenstand hervor, der funkelnd blitzte. Das Biest holte zum tödlichen Schlag gegen den Präsidenten der Erde aus. Säure verdampfte zischend auf dem morastigen Boden. Zwei Nesselarme hieben durch die verseuchte Luft. Die anderen vier Arme waren zu einer Falle ausgelegt. Das Untier von Swamp schmatzte laut. Dann schlug es
mit wirbelnden Armen zu. * Ein verwegenes Lächeln umspielte die schmalen Lippen Rex Cordas. Der dunkelblonde Mann mit den breiten Schultern hastete weiter über den morastigen Untergrund. Sein Raumanzug behinderte ihn merklich bei der Verfolgung. Aber hier auf Swamp ging es nicht ohne körperschützenden Anzug. Die Atmosphäre war durch kleine, kaum sichtbare Fadenpilze verseucht. Rex Corda hastete weiter. Unter ihm gurgelte und schmatzte der Sumpf. Dunkle Blasen stiegen aus dem morastigen Untergrund. Sie zerplatzten an der Oberfläche mit schmatzenden, saugenden Geräuschen. Und die Entfernung zu dem Veränderten, den Corda verfolgte, wurde immer größer. Rex Corda sprang auf eines jener Grasbüschel, die wie Höcker aus dem Sumpf wuchsen und ein Vorwärtskommen ermöglichten. Swamp hatte seinen Namen nicht zu Unrecht erhalten. Es war ein sumpfiger, morastiger Planet, auf dem tausend unbekannte Gefahren lauerten. Die kleine Insel vibrierte unter seinen Füßen leicht. Sie schwankte und drohte jeden Augenblick tiefer abzusinken. Corda sprang noch einen Hügel weiter. Neben ihm zerplatzte gurgelnd eine schwarze Blase, die aus dem Sumpf gestiegen war. Ein Geruch nach verwesten Leichenteilen begleitete das Schmatzen und Gurgeln. Im gleichen Augenblick erblickte Rex Corda das Ding. Aus dem Pilzdickicht kam ein ekelerregender Geruch, und ein lautes Schmatzen ertönte. Rex Corda zögerte nur den Bruchteil einer Sekunde. Dann hatte er die Gefahr
erkannt. Noch im Sprung riß er die Waffe hervor. Da schlug der Nesselarm mit verheerender Gewalt zu. Der erste Schlag traf den ausweichenden Terraner nicht mehr. Seine Reaktion war einfach zu schnell gewesen. Herumschnellend drückte er auf den Auslöseknopf der Strahlwaffe. Eine gleißende Lichtbahn fraß sich durch den schenkelstarken Arm und trennte ihn im Bruchteil einer Sekunde ab. Der unartikulierte Schrei kam sofort danach. Neben Rex Corda blitzte es erneut auf. Der zweite Arm schlug zu. Doch er traf nicht. Der plötzliche Schmerz hatte das Monstrum halb wahnsinnig gemacht. Der monströse Körper schob sich jetzt aus dem Dickicht, das aus verflochtenen Pilzen bestand. Mit grell pfeifenden Geräuschen entwich ihm die Luft. Er sackte in sich zusammen und schrumpfte dann ein, bis er einem eingefallenen Ballon glich. Dem Präsidenten der Erde blieb keine Zeit mehr, sich um die Monstrosität von Swamp zu kümmern. Der Veränderte war wichtiger! Geduckt rannte der Beconbeeinflußte auf den weiter vorn liegenden LaktonKreuzer zu. Unter dem Arm trug er den VITAS-Helm, den er vorhin beim Sturz einmal verloren hatte. Jetzt blieb er stehen, setzte sich den Helm wieder auf, rannte weiter. Rex Corda stieß eine lautlose Verwünschung aus. Der VITAS-Helm, die Abkürzung für visual target synchronizer, war ein Pilotenhelm, von dessen Stirnseite ein kurzer Metallarm mit einer Doppeloptik ausging. Die Optik synchronisierte das Waffensystem eines Raumers mit der Blickrichtung des Helmträgers. Die innen angebrachte Kontaktplatte sorgte
dafür, daß man mit einem kurzen Gedankenimpuls ein Ziel treffen konnte. Man blickte lediglich auf das zu beschießende Objekt und dachte an „Feuer". Alles andere löste die hochwertige Doppeloptik aus. Und diesen Helm hatte der Veränderte auf einer wilden Verfolgungsjagd an sich genommen. Nur bei ihm bewirkte er eine Umkehrung. Samar Tarkannt konnte durch visuelle Wahrnehmung keine Waffensysteme in Gang setzen, aber er konnte die Gedanken anderer „sehen" und auch richtig verstehen. Damit war er jedermann überlegen! Die zweite, wesentlich schlimmere Tatsache war seine Beeinflussung durch Becon. Samar Tarkannt war durch eine in sein Hirn verpflanzte Beconschale zum Übermenschen geworden. Er war so gut wie unbesiegbar! Während der junge Präsident weiterlief, gingen ihm die Gedanken durch den Kopf. Er mußte versuchen, den Beeinflußten unter allen Umständen zu erreichen. Aber das schien schon jetzt aussichtslos zu sein. Der andere war durch seine körperliche Überlegenheit schneller. Zudem warteten die Laktonen auf ihn. Sie würden ihm unter allen Umständen helfen. In seinem Blickfeld tauchte jetzt der laktonische Kreuzer auf. Rex Corda blieb abrupt stehen. Er sah die Sinnlosigkeit einer weiteren Verfolgung ein. Es war zu spät. Der Veränderte war so gut wie in Sicherheit. Er hatte es geschafft! Mit einem bitteren Auflachen sah der junge Präsident der Erde zu dem Kreuzer hinüber, dessen Schotten sich in rasender Eile schlossen, nachdem Tarkannt mit einem wilden Satz die offenklaffenden Schleusen erreicht hatte. Rex Corda begriff diese wahnsinnige
Eile noch nicht, doch das änderte sich schon zehn Sekunden später. Die Ereignisse überstürzten sich. Dumpfes Brummen, das rasch anschwoll und in ein ungemein grelles Fauchen überging, drang lautstark herüber. Drüben liefen die Triebwerke des Lakton-Riesen mit aller Gewalt. Das Brüllen wurde zu einem Orkan, der jedes andere Geräusch nichtig machte. Rex Corda wandte sich um und wollte den Weg wieder zurücklaufen. Da blitzte es hoch über ihm auf. Sein erster Gedanke galt einem weiteren Ungeheuer, das sich auf ihn herabsenken wollte. Aber es war etwas anderes. Es war schlimmer als eine intelligenzlose Swamp-Kreatur. Vier gewaltige Schiffsriesen erschienen unvermittelt aus dem Nichts. Das Heulen und Krachen der zusammenstürzenden Luftmassen nahm kein Ende. Dazwischen drang das Orgeln des Lakton-Kreuzers herüber, der ganz offensichtlich mit einem Blitzstart zu entkommen suchte. Rex Corda sah hoch. Sekundenlang verschlug es ihm den Atem. Deutlich waren die tiefblauen Kugeln zu erkennen. Die roten Schriftzeichen auf den runden Titankörpern glänzten wie todbringende Fanale. Rex Corda kroch in sich zusammen. Er wußte genau, was gleich folgen würde. Jede einzelne Kugel der Riesen maß zweitausend Meter. Es waren die gewaltigsten Schlachtschiffe, die die Orathonen besaßen. Superschlachtschiffe der ArcaKlasse! Sie waren ein Triumph der Technik, und sie verbreiteten allein durch ihre bloße Anwesenheit ein beklemmendes Gefühl. Aber wo kamen sie so plötzlich her? Weiter kam Rex Corda mit seinen Gedanken nicht. Er konnte sich nur
noch blitzschnell zu Boden werfen. Da schlug es drüben auch schon mit unerhörter Wucht ein. Im gleichen Augenblick, als der erste energetische Strahleneinschlag erfolgte, startete der laktonische Kreuzer. Daher die rasende Eile, dachte Corda. Anschließend schien der Planet unterzugehen. Die fauchenden Druckwellen, hervorgerufen durch den thermischen Abstrahlungseffekt aus schwarzverbrannten Düsen, wirbelten ihn hilflos davon. Er versuchte noch verzweifelt, gegen die maßlosen Gewalten anzukämpfen, aber das war sinnlos. Er überschlug sich ein paarmal, verkrallte sich in höherstehenden Grashöckern, riß sie mit ihren langen Wurzeln aus dem Boden. Er wußte nicht, wie lange dieser alptraumhafte Zustand schon anhielt. Erst als das urweltliche Brüllen verhallte, kam er taumelnd auf die Beine. Er sah sich um. Der Lakton-Kreuzer mit dem Veränderten an Bord war entkommen. Lediglich hoch oben lag ein nachglühendes Leuchten in der Luft, das von dem wilden Start herrührte. Und weiter links brannte die Erde in schwachem, bläulichem Feuer. An dieser Stelle war es zweimal mit maßloser Gewalt eingeschlagen. Die Superschlachtschiffe der Orathonen waren nicht mehr zu sehen. Aber ihr plötzliches Erscheinen auf dieser Welt hatte fraglos dem Lakton-Kreuzer gegolten. Beunruhigt durch das plötzliche Erscheinen der Grünhäutigen machte Rex Corda sich auf den Rückweg zur Corocon III. In den äußeren Ausläufern der Atmosphäre von Swamp, zuckten noch minutenlang lohende Strahlbahnen auf. Die Schiffe waren nicht mehr zu sehen. Und der Veränderte war entkommen. Der Mann, der sich Samar Tarkannt nannte, plante, das laktonische Reich
aufzurollen, um Schenna zu werden. * Der schwarzhaarige Mann mit den hochstehenden Backenknochen und der scharfgebogenen Nase lachte leise vor sich hin. Er trug immer noch den VITAS-Helm. Die Laktonen standen ehrfürchtig um ihn herum. Er ignorierte die Blicke, die voller Achtung und Respekt waren. Kühl und herablassend sah er sich in der Zentrale um. Sie war von hektischem Leben erfüllt. Das Schiff versuchte mit einem Katastrophenstart einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr zu entkommen. In Tarkannts Gesicht zuckte kein Muskel, als die schweren Meiler urweltlich aufbrüllten. Er hörte wildes Rufen und pausenlos gebrüllte Befehle einer Lautsprecherstimme. Samar Tarkannt kümmerte sich nicht darum. Unaufgefordert setzte er sich in einen schwenkbaren Sessel und sah ruhig hinaus. Die anwesenden laktonischen Offiziere sprachen seit seinem Erscheinen nur noch flüsternd und gedämpft. Das Schiff hob ab und toste mit wahnwitziger Geschwindigkeit in den dunstigen Himmel. Es raste genau auf den sterbenden roten Riesen zu, der Swamp beschien und ein diffuses Halblicht spendete. Auf den riesigen Instrumententafeln zuckten die Lichter. Warnklingeln schrillten ununterbrochen, und ein dumpfes Brausen machte vorerst jede Unterhaltung unmöglich. Die Laktonen verständigten sich nur noch schreiend miteinander. Dann griffen unvermittelt die Raumer an! Vier orathonische Hantelraumer der Arca-Klasse entfesselten eine Hölle.
Der angebliche Mardurane, wie Samar Tarkannt sich selber bezeichnete, hatte immer noch kein Wort gesprochen. Ebensowenig schien er sich um die hektische Betriebsamkeit zu kümmern. Er strahlte eine Würde und Gelassenheit aus, die den Laktonen den Atem nahm. Die achtungsvollen Blicke der anderen ignorierte er ebenso wie das zuvorkommende Lächeln des Kommandanten. Tarkannt, der die zufällige Ähnlichkeit mit einem Marduranen geschickt auszunutzen verstand, erhob sich gelangweilt. Die anderen machten sofort Platz und verneigten sich. Ein Mardurane war der direkte Nachkomme eines Schenna, der fast göttliche Verehrung genoß. Tarkannts Lächeln hatte sich wieder vertieft. Sein kleiner energisch wirkender Mund, die schmalen braunen Hände und seine athletische Erscheinung täuschten die Laktonen. In Wirklichkeit war er ein Terraner, der Scott Cloud hieß. Die unter seiner Kopfhaut eingepflanzte Beconschale hatte seinen Geist verwirrt, und gerade deshalb war er gefährlich. Dazu kamen seine unheimlichen Eigenschaften. Tarkannt konnte Atombrände entfesseln und Schwerkraftzentren unbegrenzter Intensität errichten. Und das alles hatte eine kleine flache Schale aus einem grauen Stoff bewirkt! Der Stoff hieß Becon! Als er sich umwandte, sah er das helle Aufblitzen der Waffentürme. Der Kreuzer wehrte sich mit zäher Verbissenheit gegen einen Gegner, der mehr als übermächtig war. Doch selbst wenn die angreifenden Orathonen den Lakton-Kreuzer vernichten würden, konnten ihm die frei werdenden Energien nichts anhaben. Im Gegenteil: Je mehr sie feuerten und je mehr Energien er selbst in sich auf-
nahm, um so größer wurde seine Widerstandskraft. Er war unbesiegbar! Mit federnden Schritten ging er auf den laktonischen Kommandanten zu. Zwei tiefliegende Augen starrten den zurückweichenden Laktonen zwingend an. „Ich übernehme von jetzt an das Kommando!" Seine Worte hatten nicht das geringste mit einer Bitte zu tun. Sie waren eine eindeutige Forderung, der niemand widersprechen würde. Dazu standen die Marduranen in ihrem Ansehen zu hoch. Der Kommandant trat schweigend zurück. Er wäre nie auf den Gedanken gekommen, zu widersprechen. Mit einem Kopfneigen machte er dem Nachkommen der höchsten laktonischen Würdenträger Platz. Tarkannt warf einen auffordernden Blick auf die Gunner im Feuerleitstand. Der abweisende Energieschirm war längst erstellt. Der Kreuzer wehrte sich verbissen, als die Gunner dem lautlosen Befehl Tarkannts gehorchten. Die Zielstachel der Erfassungsoptik wanderten ruhelos über die Holografen. Aber der Kampf dauerte nicht lange. Nachdem ein paar Schüsse gewechselt waren, stoben die vier Superschlachtschiffe der Arca-Klasse plötzlich auseinander und bildeten eine breite Lücke. Samar Tarkannt hob die schmale braune Hand. „Beschleunigen!" befahl er. „Klar zum Umlenkmanöver um hundertachtzig Grad." Der Raumer zog mit lohenden Hecktriebwerken durch die scheinbar zufällig entstandene Lücke und raste in die pechschwarze Nacht hinaus. Swamp fiel immer mehr zurück. Tarkannt sann über die orathonische Taktik nach. Er kam zu keinem befriedigenden Resultat. Vier Schlachtschiffe
der Superklasse gegen einen relativ kleinen Kreuzer! Es war ganz offensichtlich, daß die Orathonen sie absichtlich entkommen ließen. Folglich hatten sie etwas anderes im Sinn, und dieses Schiff war ihnen nicht wichtig genug. Tarkannt wußte auch schon, was sie beabsichtigten. Er ließ sich jedoch nichts anmerken. „Wir fliegen jetzt nach Oldur", teilte er mit. Dem erblassenden Kommandanten schenkte er keinen Blick. „Nach Oldur?" wagte der Kommandant schließlich eine Gegenfrage. „So sagte ich. Programmieren Sie den Kurs." Niemand widersprach, obwohl sich der Ärger im Gesicht des Kommandanten deutlich abzeichnete. Aber er wagte aus Angst vor dem allmächtigen Marduranen keinen Widerspruch. Tarkannt registrierte befriedigt, daß man seinen Befehlen sofort nachkam. Er hatte es auch nicht anders erwartet. Er trat zurück und ließ sich in den Sessel sinken. Sein Gesicht sank wieder in den unwirklichen Abgrund hinab. Schon einmal war das geschehen, und er hatte seltsame Bilder gesehen. Diesmal kam es wieder. Doch er fing sich sofort. Niemand sah ihm an, was er dachte. Was er plante, ließ sich jedoch mit einem einfachen Satz sagen. Er wollte die Herrschaft über das Universum antreten! So einfach und lapidar, wie dieser Satz klang, sosehr war Tarkannt davon überzeugt, seine Pläne auch zu verwirklichen. Er war stärker als alle anderen. Er konnte Planeten einäschern! Es gab für ihn keinen ernsthaften Gegner! Er war durch die laktonischen Experimente mit Becon zu einem unbezwingbaren Titanen geworden! Unter dieser Voraussetzung klang
sein Plan längst nicht mehr so phantastisch. Der erste Schritt war bereits getan. Das Schiff flog nach Oldur! Dort befand sich der Sitz des echten Marduranen Samar Tarkannt. Der Veränderte wollte dort die Herrschaft an sich reißen, wobei ihm seine Ähnlichkeit mit dem Marduranen zugute kam. War er erst einmal der unumschränkte Herrscher von Oldur, so war es bis zu seinem Hauptziel nur noch ein ganz kleiner Schritt. Mehr nicht. Das laktonische Reich mußte noch aufgerollt werden, dann ... Tarkannt lächelte in Gedanken an die Männer, die ihm entgegentreten würden. Mit einer einzigen Handbewegung würde er sie hinwegwischen. Es gab niemanden in der ganzen Galaxis, der ihn bezwingen konnte. Er vergewisserte sich nochmals, daß der Kurs des Kreuzers stimmte. Dann erst ließ er sich zu einem freudlosen Grinsen herab. Die anwesenden Laktonen schluckten schwer. Der Mardurane sah wie ein bösartiger Dämon aus, der sie alle in seinem Bann hielt. Längst war Swamp zu einem bedeutungslosen Nichts in der Schwärze geworden. Der Lakton-Kreuzer beschleunigte mit fünfhundert Metern im Sekundenquadrat, bis er die Lichtgeschwindigkeit erreichte. Dann stießen ihn die im Einsteinschen Kontinuum herrschenden Gesetze ab. Er verschwand lautlos im Hyperraum. Der Kurs wies nach Oldur, dem Sitz des echten Marduranen Samar Tarkannt. * Corda zuckte zurück. Ein langer, schleimiger Pilz mit meterlangen Saugfäden schob sich wabbelnd über den Sumpf und griff nach ihm.
Die Fäden tasteten nach seinen Beinen. Rex Corda schoß nicht. Es war unnötig, die herabschießenden Orathonen aufmerksam zu machen. In rasendem Gleitflug kamen die Diskusraumer herunter. Sie kesselten das ganze Gebiet ein. Corda wich dem schleimigen Biest aus, das sich nur langsam bewegen konnte. Aus den Lautsprechern der Coro-con III dröhnte eine tiefe Stimme auf. „Kommen Sie schnell an Bord. Wir werden angegriffen!" Corda erkannte Latak Decimos Stimme. Er nickte verbissen. Hoch über ihm verstärkte sich das Jaulen der heranrasenden Schiffe. Sie kannten die genaue Position der Corocon III nicht. Sie mußten erst suchen, und das würde immerhin einige Zeit in Anspruch nehmen. Swamp — teuflische Sumpf weit, dachte Corda im Laufen. Sie hätte Devils-Swamp heißen sollen, denn der Planet war die Hölle. Eine Hölle aus Sumpf und brodelndem Morast, die keine Gnade gegen fremde Eindringlinge kannte. Immer noch orgelten die Diskusraumer durch die Atmosphäre. Sie waren schon bedrohlich nahe an den Standort des kleinen Schiffes herangekommen. Nicht mehr lange, und sie würden es finden. Der Schlamm spritzte nach allen Seiten. Endlich erreichte Corda festeren Untergrund, der ein schnelles Vorwärtskommen ermöglichte. Vor ihm lag das kleine Schiff. Schon von weitem waren die Beschädigungen zu erkennen, die Samar Tarkannt mit bloßen Händen verursacht hatte. Das Metall war an einzelnen Stellen verbogen. Mehrere Löcher ließen sich in der Außenhaut des Schiffes erkennen. Die Schleuse war weit offen. Mit
einem leisen Schauder sah Corda die Fadenpilze, die sich auf dem Boden der Schleuse auszubreiten begannen. Hier auf Swamp waren sie die von allem Besitz ergreifenden Schmarotzer, die sich an alles hefteten. Er schüttelte sich. Dann hastete er in die Schleuse und knallte das Schott zu. Die anderen Männer befanden sich bereits alle an Bord. Es stellte sich heraus, daß die Schleuse nicht mehr hermetisch abschloß. Tarkannt hatte den oberen Wulstrand der Metalleinfassung verbogen, als handele es sich um schwaches Holz. Dabei bestand die Einfassung aus hochverdichtetem Panzerplast! Latak Decimo grinste anerkennend, als Corda die Zentrale betrat. „Nett sehen Sie aus. Auf Terra würde man wohl sagen, Sie haben ein Schlammbad genommen, nicht wahr?" „Das habe ich auch", brummte Rex. „Starten Sie jetzt lieber. Über die Vorzüge von Schlammbädern kläre ich Sie später einmal auf." Latak Decimo, der Synoptiker, lachte leise. Dann wurde er wieder ernst. „Wieso kommen diese grünen Teufel so plötzlich nach Swamp?" Corda zuckte die breiten Schultern. Etwas mußte sie angelockt haben. Aber was? Die von den Kampfschiffen ausgeschleusten Diskusraumer pfiffen in großer Höhe durch die Atmosphäre. Sie versuchten, den Planeten abzuriegeln, damit niemand mehr entkommen konnte. Die großen Hantelraumer waren zur Zeit nicht zu sehen. Sie standen im Kernschatten des Planeten auf der Lauer. Die Laktonen hatten das schnell erkannt. Auch die Tatsache, daß es vorerst kein Entkommen von Swamp mehr gab. „Wir müssen von hier so schnell wie möglich verschwinden", sagte Rex
Corda. Latak Decimo deutete schweigend nach oben. Ein Diskusraumer verschwand gerade hinter dem diffus leuchtenden Horizont. „Wie denn? Es besteht die Möglichkeit, daß sie uns jeden Augenblick orten. Schließlich sind die Featherheads nicht von gestern. Sie haben ebenso gute und empfindliche Geräte wie wir." „Das meinte ich auch nicht. Natürlich können wir nicht mehr in den Raum hinaus. Wir sollten die Corocon III nur hier wegbringen. Ich habe weiter vorn in der Schlucht ein vorzügliches Versteck gefunden. Darin sind wir vorerst vor der Ortung sicher." Latak Decimo nickte sinnend. „Hoffentlich haben Sie recht. Zumindest werden wir es versuchen, obschon die Corocon III nur noch ein besseres Wrack ist." Der zweiunddreißigjährige, einsfünfundachtzig große Laktone wirkte schlank, obwohl er sehr kräftig war. Der Synoptiker bekleidete den Rang eines Oberwissenschaftlers mit einer Spezialausbildung. Er gehörte zur wissenschaftlichen Führungselite Laktons. Die Männer hasteten ins Schiff. Wenig später begann das Triebwerk stotternd und unregelmäßig anzulaufen. Die Corocon III war tatsächlich nur noch ein besseres Wrack. Schwerfällig hob sie vom Boden ab. Dicht über dem gurgelnden Untergrund schob sie sich wie ein torkelndes Flugzeug in Richtung der Schlucht, die Rex Corda entdeckt hatte. Latak Decimo warf einen Blick auf den kleinen Holografen. Ein orathonischer Diskusraumer schoß auf sie zu und näherte sich in rasendem Flug. „Sie haben uns entdeckt. Jetzt wird es langsam ungemütlich. Wo ist denn nun die Schlucht?" Corda wies mit dem ausgestreckten Finger nach vorn.
„Nicht mehr weit. Fliegen Sie dicht an den Bäumen vorbei. Dann erfaßt die Feindortung uns vielleicht nicht auf Anhieb." Das Panorama wechselte jäh. Blaue, weitausladende Bäume tauchten auf. Sie standen auf kleinen Inseln, um die es schmatzte und gurgelte. Ihre Peitschenarme ragten ins Moor und fischten unermüdlich nach kleineren Tieren. Im Vorbeiflug sah Corda, wie etliche Schnüre aus der trüben Brühe auftauchten und wild zappelnde, fischähnliche Gebilde umklammerten. Sie wanderten in die ätzenden Verdauungsorgane der freßgierigen Riesen und wurden verschlungen. Das diffuse Halblicht wirkte gespenstisch und unheimlich. Matte Strahlen der roten Sonne spiegelten sich auf dem Sumpf und tauchten ihn in ein kochendes Meer roter dunkler Brühe. Der Anblick war nichts für schwache Nerven. Endlich wurde die Schlucht sichtbar. Die Diskus-Raumer kreisten immer noch weiter hinten am felsigen Ufer eines Schlammgürtels. Die Corocon III flog jetzt so niedrig, daß sie fast die Ausläufer hoher Farnbäume streifte. Gefährlich nahe rauschten die Riesenpflanzen vorbei. Der Luftzug drückte ihre Kronen tief auf den Boden herab. Die Schlucht nahm sie auf. Sie erstreckte sich auf eine Länge von annähernd drei Kilometern. Latak Decimo ging noch tiefer, um nicht im letzten Augenblick von der Optik der orathonischen Diskusraumer erfaßt zu werden. „Noch etwas weiter", drängte Corda. „Dort vorn gibt es einen leichten Überhang. Trauen Sie sich zu, das Schiff dort hineinzumanövrieren?" Der Synoptiker sah zweifelnd auf die scharfkantigen Felsspitzen, die wie Stalagmiten aus dem Boden wuchsen.
In der Schlucht herrschte ein dunkles Zwielicht. So schnell würde man sie hier nicht entdecken. „Ich weiß nicht", meinte er nach einer Weile, in der die Corocon III fast den Boden berührte. „Das Schiff wird sicherlich schwer beschädigt, wenn wir dort aufsetzen." „Viel schlimmer kann es nicht mehr werden. Aber wir müssen dort landen. Nur dort sind wir vor den Orathonen sicher." Grelles Kreischen klang auf, das sich durch den ganzen Kleinraumer fortpflanzte. Das Schiff kratzte über den Boden. Emporwuchtende Felszacken knirschten unter dem absinkenden Rumpf. Steine und Geröll donnerten an die ohnehin schwer beschädigte Außenhaut. Holpernd und schlitternd setzte der Raumer auf. Noch einmal klang ein nervtötendes Kreischen nach zerfetztem Metall auf, dann gab es einen gewaltigen Ruck. Die Corocon klemmte sich zwischen die Felsen und rammte sich durch ihr Eigengewicht fest. Die Männer wurden nach vorn geschleudert, als der Raumer so jäh stoppte. Jetzt war das Schiff nach einhelliger Meinung restlos fluguntüchtig. Es würde sich nie mehr in die Luft erheben. Die Flucht von Teckan und der Energieschock, der die Corocon III auf Swamp geschleudert hatte, waren schuld daran. Den Rest hatte Samar Tarkannt besorgt, der den Kleinraumer mit bloßen Fäusten angegriffen hatte. Und hoch über ihnen kreisten die Orathonen! Niemand unterschätzte die gefährlichsten Gegner der Laktonen, die seit Jahrhunderten mit Lakton im Krieg lagen. Das Hologrammbild stand noch. Corda sah hinaus. In der Schlucht herrschte vielfältiges
Leben. Riesenpflanzen mit tückisch glitzernden Augen wandten ihre Blätter dem Schiff zu. Latak Decimo schüttelte sich. „Schon wieder ein Sumpf. Dort drüben beginnt er. Ich möchte schwören, daß diese Pflanzen nicht an feste Standorte gebunden sind. Sehen Sie nur, wie sie die Blätter in unsere Richtung drehen." Dje Männer verharrten schweigend. Hoch über ihnen zogen zwei Diskusraumer dahin. Ihr hellklingender Antrieb wirkte beunruhigend. Corda blickte immer noch fasziniert auf die Pflanzen. Sekundenlang vergaß er die Gefahr, in der sie schwebten, so faszinierend wirkten sie. Die vielfältige Flora auf Swamp wirkte erschreckend. Dort stand ein kleiner, dicht zusammengedrängter Wald von seltsam hellblauen Pflanzen. Ihre breitausladenden Blätter drehten sich immer noch. Die Radars peilten das Schiff an! „Unglaublich", hauchte Corda. „Das muß ich mir näher ansehen." „Ich komme mit, Rex", ließ sich der schwarzhaarige John Haick vernehmen, der sich aus dem Sessel schwang und sofort lebhaftes Interesse bekundete. Der Synoptiker machte eine unbestimmte Handbewegung. Sein Gesicht wirkte ernst und verschlossen. „Entfernen Sie sich nicht zu weit von dem Schiff. Wir können jeden Augenblick in die Ortung der Diskusraumer gelangen. Sie wissen, was uns blüht, wenn die Orathonen uns entdecken." „Natürlich", erwiderte Corda ruhig. „Augenblicklich dürfte jedoch keine Gefahr bestehen, wenn wir uns in der Nähe aufhalten." Rex Corda lächelte über das väterlich besorgte Gesicht des Laktonen. Die anderen Wissenschaftler, die sich an Bord befanden, hielten sich im Maschinenraum auf. In der Zentrale waren nur einige Männer anwesend. Decimo konnte es nicht lassen, noch-
mals sein Unbehagen auszudrücken. „Gehen Sie nicht zu dicht an die Pflanzen heran. Wir wissen nicht, welche Kräfte sie besitzen." „Kommen Sie doch mit", riet Corda. „Wir müssen vorerst ohnehin abwarten, was die Orathonen unternehmen. Solange wir uns in unmittelbarer Nähe des Schiffes bewegen, wird man kaum auf uns aufmerksam werden." Der Wissenschaftler mit einer speziellen Universalausbildung stimmte zu. Die drei Männer begaben sich zur Schleuse. Die Laktonen hatten Anweisung erhalten, vorerst nichts zu unternehmen. Man wollte noch eine halbe Stunde Standardzeit abwarten. Ein Druckausgleich fand nicht mehr statt. Das äußere Schleusenschott war beim Aufprall aus den Halterungen gerissen und hing zerfetzt neben dem Schiff. Decimo trat gegen die nur noch angelehnte Stahlplasttür. Sie fiel sofort um. „Jetzt kommen wir aus unseren Anzügen überhaupt nicht mehr heraus", beklagte er sich. „Eine Reparatur erscheint vorläufig aussichtslos." Sie hatten gerade den felsigen Boden der Schlucht betreten, als es hoch über ihnen in der Luft aufheulte. Ein Diskus schoß mit hoher Fahrt heran. „Deckung!" brüllte Haick noch, dann kam das Brüllen der verdrängten Luftmassen. Die Männer ließen sich fallen. Gerade rechtzeitig, denn der Raumer flog sehr niedrig. Sie verkrallten sich in dem felsigen Gestein und zogen die Köpfe ein. Der Diskus raste mit atemberaubenden Werten geradeaus. Weiter hinten, dort wo die Schlucht breiter wurde, mäßigte sich das Donnern. Er setzte zur Landung an. Corda kroch auf allen vieren wieder
zum Schiff zurück. Haick und der Laktone folgten sofort. „Noch haben sie uns nicht entdeckt. Hoffentlich laden sie keine Bronzeroboter aus. Dann sind wir erledigt", flüsterte der terranische Antriebsspezialist und Atomwissenschaftler. „Sie stehen nicht weit von dem Trichter entfernt, von wo der Energieschock ausgelöst wurde", meinte Corda. Er hob langsam den Kopf und sah hinüber. Der erste, der den Diskus verließ, war ein Bronzeroboter. Metallisch blitzte es auf, als die Gestalt sich mit geschmeidigen Bewegungen um das Schiff herumschob. Haicks Befürchtungen begannen sich zu bewahrheiten. Die Pflanzen drehten ihre weit ausladenden Blätter sofort in die andere Richtung. Es war schockierend, wie schnell sie den landenden Diskus geortet hatten. Tausend glitzernde Augen sahen auf den Bronzeroboter, der suchend näher kam. Corda zog seine Waffe. Immer näher kam der Roboter auf das Versteck zu. Noch konnte er sie nicht sehen, aber das war nur eine Frage der Zeit. Überdeutlich sahen sie, wie er vor der Ansammlung der Radars stehenblieb. Die Pflanzen waren in lebhafter Bewegung. Sie veränderten ihre Farbe und schillerten nun in einem satten Dunkelblau. Die Männer hielten den Atem an. Was würde geschehen? Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Die Radars verschwanden zur Verblüffung der Männer plötzlich im Boden. Sie schraubten sich unter die Oberfläche und waren in wenigen Sekunden spurlos verschwunden. Alles geschah in rasender Schnelligkeit. Wenn der Ausdruck Verblüffung bei einem Roboter Gültigkeit gehabt
hätte, dann war er hier unbedingt angebracht. Der Bronzeroboter sah wie ein Mensch aus. Seine beweglichen Gesichtszüge wurden durch ein spezielles Energiefeld gesteuert. Er konnte sogar lachen! Doch diesmal lachte er nicht. Es war ohnehin zermürbend, einen Roboter lachen zu sehen. Er blickte suchend umher, als die Radars so plötzlich aus seinem Gesichtskreis verschwanden. Dabei befand er sich längst in der tödlichen Falle der unheimlichen Pflanzen. Er wußte es nur noch nicht. Als die Radars mit verblüffender Schnelligkeit wieder aus dem Boden wuchsen, war der Roboter bereits eingekreist. Latak Decimo sah verblüfft zu, wie die Bronzegestalt ihr Energiefeld errichtete. Aber irgend etwas klappte nicht. Der Schutzschirm entstand flimmernd, verlöschte aber sogleich wieder. Als der Roboter es ein zweites Mai versuchte, schlugen die Pflanzen erbarmungslos zu. Von allen Seiten hieben sie auf ihn ein, drängten ihn immer enger in den Kreis. Der Bronzeroboter hatte die Gefahr, in der er schwebte, längst erkannt. Noch einmal aktivierte er sein abweisendes Energiefeld. Es flimmerte bläulich, erlosch dann wieder. Ein paar Pflanzen krümmten sich unter der Einwirkung der leuchtenden Energie. Klagende Töne schallten herüber und vermittelten ein schauriges Gefühl. Zu weiteren Aktionen kam der ansonsten wieselflinke Roboter nicht mehr. Wie eine Woge aus zuckenden Leibern schlug es über ihm zusammen. Unglaubliche Kräfte rissen und zerrten mit unerhörter Gewalt an den flexiblen Metallteilen. Der schwere Körper wurde zu Boden gerissen. Es gab einen dumpfen Ton.
„Um Gottes willen", keuchte John Haick. „Und wir wollten uns diese Biester aus der Nähe ansehen. Es ist nicht zu fassen! Aber das Metall wird ihnen Widerstand entgegensetzen." Er täuschte sich. Das Metall setzte den Radars keinerlei Widerstand entgegen. Innerhalb kurzer Zeit war der Roboter zerkleinert, als sei er in ein titanisches Mahlwerk geraten. Die gierigen Hornschnäbel am unteren Ende der Pflanzen bissen krachend zu. Metall splitterte. Brocken fetzten aus dem Körper heraus und verschwanden in den unersättlichen Schlünden der Radars. Der Roboter war spurlos verschwunden. Die drei Männer sahen sich schweigend an. In ihren Gesichtern stand das Entsetzen über das soeben Geschehene. Aus dem orathonischen Diskus kamen zwei weitere Bronzeroboter. Sie rannten, näherten sich jedoch nur bis zu einer gewissen Stelle den Pflanzen. Der eben zerstörte Robot mußte noch einen Warnimpuls abgestrahlt haben, als sein Energieschirm nicht mehr funktionierte. Die drei Männer krochen fast in den schlammigen Boden. Doch die Bronzenen kümmerten sich nicht um sie. Sie hatten die Männer auch noch nicht bemerkt. Drüben, in dem gelandeten Diskus, ruckte ein langes Abstrahlrohr herum. Die Roboter hatten in Sekundenbruchteilen den Vorgang erfaßt und genauestens analysiert. Sie gaben ihre Meldung an die Orathonen weiter. Das Abstrahlrohr der Energiekanone schwenkte jetzt noch weiter herum. Es zeigte genau in die Ansammlung der Radars hinein. Die Roboter spritzten zur Seite. Ein kurzer Blitz schlug ein. Die Pflanzen lösten sich in Rauch auf. Die Roboter hasteten ins Schiff, das sofort abhob und mit lohenden Düsen verschwand. Rex Corda stieß pfeifend die Luft
aus. In den Membranen der Helme gellte es auf. Die erschrockenen Männer drehten hastig am Tonregler. „Entschuldigung!" Corda lächelte gequält. Das, was sie eben gesehen hatten, war von erschreckender Brutalität. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn sie sich den tückischen Pflanzen genähert hätten! Die Männer standen auf. Aus dem Schiff kamen laute Anfragen. Alles sprach durcheinander. Corda faßte seine Überlegungen, mit wenigen Worten zusammen. „Äußerste Vorsicht ist bei diesen Pflanzen geboten. Wo eine einzelne steht, kann sich ein ganzer Ringwald verbergen. Sie haben selbst gesehen, was eben passierte. Gehen Sie also nicht näher als bis auf hundert Meter an die Dinger heran. Die Toleranzgrenze dürfte ungefähr in dieser Entfernung liegen." Corda sah hoch. An den Überhängen der Schlucht, schimmerte es feucht und fleckig. Latak Decimo hatte plötzlich sehr sinnende Augen. „Schon wieder diese tödliche Pest, die den ganzen Planeten verseucht. Nicht mehr lange, und sie haben den ganzen Raumer erobert." Der Laktone schüttelte sich. Die Fadenpilze schoben sich auf tausend kleinen Tastorganen heran. Die Wand sah aus, als wäre sie verschimmelt. Unaufhaltsam näherten sie sich dem Metall. Schon jetzt wurde es an einigen Stellen fleckig. Auch über den Boden krochen sie. Sie witterten eine sichere Beute, die ihnen nicht mehr entgehen konnte. Weiter drüben schmatzte der Sumpf. Der Felsen, auf dem die Corocon III lag, endete hundert Meter weiter links abrupt. Dahinter lauerte das Moor mit seiner unergründlichen Tiefe.
Decimo wandte sich an zwei laktonische Techniker, die augenblicklich nichts zu tun hatten. „Versuchen Sie mit allen Mitteln, die Fadenpilze aufzuhalten. Je schneller sie sich auf dem Schiff niederlassen, desto eher müssen war den Raumer verlassen. Verbrennen Sie sie oder schaben Sie sie ab, so gut es geht. Niemand von uns wird sich ernstlich wünschen, im Freien übernachten zu müssen. Hier lauern auf jedem Zentimeter Boden neue tückische Gefahren." Vier Männer begannen mit einem hoffnungslosen Kampf gegen einen unüberwindbaren Gegner. Er war nur klein und unscheinbar, aber er hatte es in sich. Die Pest schlich heran! Millimeterweise schob sie sich vor. Gierige kleine Phagozyten, Freßzellen, die vor nichts haltmachten und alles auflösten, was sie bedeckten. Sie waren schlimmer als die großen sichtbaren Gegner, die man offen bekämpfen konnte. Corda, der schwarzhaarige John Haick und Latak Decimo versorgten sich aus den Nachfülltanks mit Sauerstoffvorräten. Swamps Atmosphäre war atembar, aber sie war durch die schleichende Pest der kleinen Fadenpilze verseucht. Niemand konnte sie unbeschadet einatmen, wenn er nicht gerade ein Veränderter war. Eine halbe Stunde später brachen die drei Männer auf. Ihr Ziel war der riesige Trichter im Boden. Den von dort ausgelösten Energieschock hatte man bereits im All beobachtet. Der Körper, den man dann treibend im All aufgefischt hatte, war niemand anders als Samar Tarkarmt gewesen. Auf Swamp hatte eine ungeheure Explosion stattgefunden, den Boden aufgerissen und Tarkannt dann ins All geschleudert, wo man ihn an Bord nahm. Dort, in der Kühlkammer, war der
klinisch Tote wieder erwacht, hatte dem Schiff die Energien entzogen und in sich aufgenommen. Das Schiff rettete sich durch eine Landung auf Swamp. Blitzartig tauchten diese Erinnerungen vor Cordas geistigem Auge auf. Jetzt wollte man den Trichter suchen, um das Rätsel zu lösen. Rex Corda erwartete einige unangenehme Überraschungen. Er sollte recht behalten. * Swamp war restlos eingekesselt. Oben im All lauerten die schweren Schlachtschiffe der Grünhäutigen. Niemand würde den Planeten ungesehen verlassen können. Die überall herumfliegenden Diskusraumer konzentrierten sich auf die Suche nach den unterirdischen Hohlräumen auf Swamp, wo sich die zerstörten Anlagen der Laktonen befanden. Einige der Versuchslabors wurden schon bald entdeckt. Die Grünhäutigen gingen systematisch vor. Ihre Kenntnisse über die geheimnisvollen Vorgänge auf Swamp waren fast vollständig. Die zehn ausgebrochenen Veränderten redeten eine deutliche Sprache. Einige Stunden später waren die teilweise zerstörten Laboratorien von den Orathonen besetzt. Nur das kleine Schiff hatte man nicht gefunden. Aber das war jetzt ein sekundärer Nebenfaktor. Wichtiger waren die geheimnisvollen Anlagen, die den Planeten durchzogen. * Die Lage des Explosionsherdes war den Männern ungefähr bekannt. Eine halbe Stunde nach ihrem Fortgang fanden sie den Trichter. Er besaß einen Durchmesser von an-
nähernd hundertundfünfzig Metern. Die steilaufragenden Ränder waren glasig zusammengeschmolzen. Spitze Zacken und Schroffen hatten sich gebildet. Der Atomwissenschaftler John Haick beobachtete aus den Augenwinkeln unauffällig die Umgebung. „Niemand zu sehen", teilte er mit. „Hast du schon etwas entdeckt, Rex?" fragte er den Freund. Rex Corda stieg langsam an der Innenseite des Trichters nach unten. Latak Decimo folgte ihm. Er klammerte sich fest, um nicht unversehens abzurutschen. „Bis jetzt noch nicht", ertönte es aus der Tiefe. „Aber ich habe auch noch nicht den ganzen Trichter abgesucht." Rex Corda fragte sich, was er wohl dort unten erwarten konnte. Bisher sah es nicht so aus, als ließe sich hier eine Spur finden, die sie dem Rätsel näherbrachte. Zumindest nicht der Lösung des Rätsels. Während er weiter nach unten stieg, wartete Haick immer noch oben am Rand. Die Gefahr einer plötzlichen Entdeckung durch Orathonen war immer noch groß. Sie durften nicht leichtsinnig sein. Vor Rex Corda gähnte es schwarz und dunkel. Undeutliche und verzerrte Schatten, die die trübrote Sonnte warf, verschoben die Konturen und ließen alles undeutlich und gespenstisch erscheinen. Loses Groll polterte nach unten und schlug auf dem Grund mit hohlem Klang auf. Rex Corda glitt plötzlich aus. Er hatte sich an einem hervorstehenden Zacken festgehalten, der jetzt unter seinem Gewicht nachgab und abbrach. Cordas Sturz in die Tiefe ließ sich nicht mehr aufhalten. Er riß Felsen und Geröll mit, rutschte ab und schlitterte immer weiter den Abhang hinab. Der Krater war tiefer, als er zuerst
angenommen hatte. Rex taumelte hoch und sah sich benommen um. Latak Decimo rutschte genau auf ihn zu. Ihm folgte John Haick, der sich ebenfalls an den Abstieg machte. Ein meterhoher Steinbrocken versperrte Rex Corda den Weg. Er versuchte ihn zu umgehen, aber auf der anderen Seite befand sich nichts anderes als die glatte Wand. Corda blieb nichts anderes übrig, als mit einem schnellen Satz auf den kleinen Felsbrocken zu springen. Der große Stein lag nur lose auf einem Vorsprung. Er wankte, und Corda konnte sich nur mit einem schnellen Satz retten, indem er wieder zurücksprang. Da setzte sich der Brocken unvermittelt in Bewegung. Er raste die letzten Meter polternd hinunter und krachte an die gegenüberliegende Wand des unteren Abgrundes. Eine dunkel gähnende Öffnung kam zum Vorschein. Der Felsen hatte die Wand eingerammt und kam auf der untersten Sohle endgültig zum Stillstand. Rex Corda lächelte. Der Zufall hatte ihm geholfen. Er hatte nicht erwartet, so schnell etwas Positives zu entdecken, Er rutschte langsam hinab und leuchtete mit dem Helmscheinwerfer in die soeben entstandene Öffnung hinein. Ein halbverschütteter Gang reflektierte das Licht seiner Halogenlampe. Der Synoptiker und John Haick kamen fast gleichzeitig unten an. Sie sahen sich verwirrt um. „Donnerwetter", staunte Haick. „Was kann das sein?" „Ein Gang, der halb verschüttet ist", erklärte Corda trocken. „Du meinst doch nicht etwa, daß wir es hier mit den Laboratorien zu tun haben?" fragte Haick ungläubig. „Doch, genau das glaube ich. Von hier aus fand der Energieausbruch statt,
der Tarkannt ins All schleuderte. Dieser Trichter war vermutlich ein Teil einer geheimnisvollen Forschungsstätte, der in die Luft geflogen ist. Es muß von hier aus einen Weg geben, der uns weiter in die Anlagen bringt." „Wenn er nicht verschüttet ist", meinte Haick unerschütterlich. „Das wird sich herausstellen. Bis jetzt sehe ich nur, daß hier eine Menge Trümmer herumliegen." Corda warf noch einen prüfenden Blick nach oben zum Kraterrand. Aber dort war alles ruhig. Niemand zeigte sich. Die beiden anderen Helmscheinwerfer blitzten auf. Rex Corda zwängte sich durch einen Spalt, der gerade groß genug war, um einen erwachsenen Mann hindurchzulassen. Überall lagen Felsbrocken herum. Der Ausbruch der plötzlich freigewordenen Energie hatte größte Verheerungen angerichtet. Doch schon nach einigen Metern vergrößerte sich der Gang. Corda konnte fast aufrecht darin stehen. Lediglich den Kopf hielt er etwas schief, weil die Decke bis fast an den Raumhelm reichte. Die Außenlautsprecher übertrugen keine Geräusche. Hier unten war alles unheimlich ruhig und still. „Was machen wir jetzt?" fragte Haick in das lastende Schweigen hinein. Er erhielt keine Antwort. Latak Decimo sah sich interessiert um, und Corda spähte angestrengt in das vor ihm liegende Dunkel. Es gab vorerst keine Abzweigungen. Der Stollen war glatt und endlos, jedenfalls erweckte er diesen Eindruck, denn er schien kein Ende nehmen zu wollen. Weiter vorn wurde plötzlich ein Geräusch laut. Die Männer blieben abrupt stehen. Tiefe Finsternis befand sich vor ihnen.
Weiter nichts. „Hoffentlich sind unsere olivgrünen Freunde nicht auch hier eingedrungen", meinte Haick. Corda schüttelte lächelnd den Kopf. „Das glaube ich kaum. Eher wird es sich um herabfallendes Gestein handeln. Die Erschütterung durch den Felsblock war ziemlich groß. Das sind die Auswirkungen, die jetzt noch kleine Felsmassen in Bewegung setzen." Das Geräusch hörte abrupt auf. Ein langer Staubvorhang sperrte den Weg plötzlich ab. Die drei Männer warteten eine Weile, bis sich der Staub verzogen hatte. Cordas Vermutung war richtig. Irgendwo war lose herabhängendes Gestein zu Boden gepoltert. Latak Decimo versuchte sich zu orientieren. Ihm war seit langem bekannt, daß die Laboratorien weitverzweigt, und durch viele Gänge getrennt, Swamps Erdreich durchzogen. „Dies hier müßte einer der Wege sein, die genau auf die Kammern zuführen. Wenn wir Glück haben, dann können wir noch ein paar wertvolle Geräte bergen. Es wäre schade darum, daß alles nach und nach vernichtet wird", meinte der große Laktone. Corda schwieg. Er glaubte nicht daran. Der ganze Gang war beschädigt. In den geheimen Forschungsstätten würde es vermutlich nicht viel anders aussehen. Es waren gewaltige Forschungsstätten, die die Laktonen hier angelegt hatten. Es mußte Lakton viel Zeit und Geld gekostet haben, die geheimen Anlagen zu erbauen. Zwanzig Minuten vergingen. Dann verspürte Rex Corda einen feinen Luftzug. Der Strahl der Scheinwerfer verlor sich plötzlich in endloser Ferne. Die absolute Finsternis, die sich auszubreiten begann, verschluckte das Licht.
Vor ihnen lag ein größerer Raum. Es war mehr ein Saal, der eine Ausdehnung von einigen hundert Quadratmetern besaß. Auf den ersten Blick ließ sich erkennen, daß hier alles restlos zerstört war. Die ehemalige Einrichtung bestand nur noch aus einem wüsten Trümmerhaufen. Überall lagen zerstörte Geräte herum. Keines der gewaltsam beschädigten Instrumente ließ mehr seinen Verwendungszweck erkennen. Der Saal war restlos verwüstet. „Dort vorn geht es weiter", sagte John Haick und deutete mit der ausgestreckten Hand auf eine neue schwarze Öffnung. Corda leuchtete hinüber. In dem mit meterhohen Fragmenten bedeckten Saal ließ sich ein weiterer Eingang erkennen. Er war ebenfalls dunkel. Der laktonische Wissenschaftler warf noch einen prüfenden Blick auf die Stätte der Verwüstung. Dann schüttelte er bedauernd den Kopf. Hier gab es nichts mehr, was eine Bergung lohnenswert erscheinen ließ. Die Leute hatten ganze Arbeit geleistet. Die Männer schritten durch den Staub und lose herumliegende Steine bis zum anderen Ende des großen Saales. Dort erwartete sie ein neuer Gang, der aber nur eine Länge von zwanzig Metern aufwies. Von hier ab verzweigte sich auch erstmals der Gang. Links gab es eine Öffnung, die total verschüttet war, aber einwandfrei erkennen ließ, daß ein weiterer Gang in sie hineinführte. „Links oder rechts?" fragte Haick stirnrunzelnd. „Geradeaus!" bestimmte Corda. „Später können wir immer noch zurück, wenn wir nichts entdecken. Vorläufig wählen wir den einfachen Weg." Latak Decimo blieb stehen und schal-
tete seinen Helmscheinwerfer aus. „Warten Sie einen Moment", bat er. „Ich kann ein helles Licht erkennen, oder täusche ich mich? Nein, dort vorn schimmert es tatsächlich." Corda folgte dem Beispiel des aufmerksamen Laktonen. Er gab dem Freund einen Wink. John Haick begriff sofort. Der Strahl seiner Lampe erlosch ebenfalls. Weit vor ihnen schimmerte diffuses Halblicht. Genaueres ließ sich nicht erkennen. „Vermutlich ist die Anlage doch noch nicht restlos zerstört", mutmaßte Corda. „Oder aber es handelt sich um Orathonen, die den Ort ebenfalls entdeckt haben." „Keinerlei Geräusche zu hören", stellte Latak Decimo fest. „Es ist zu ruhig. Orathonen würden Krach verursachen." Das Licht wurde heller, je mehr sie sich dem neuen Raum näherten. Schon jetzt ließen sich undeutlich ein paar verschwommene Konturen erkennen. Dann tat sich der neue Raum urplötzlich vor ihnen auf. Corda starrte überrascht auf die Anlage. Sie war noch zu einem großen Teil unversehrt. Aber noch etwas anderes überraschte ihn. Am Boden kauerte sprungbereit eine grauenhafte Bestie. Corda glaubte, noch nie etwas derart Abstoßendes gesehen zu haben. Sechs tückische glitzernde Augen funkelten die Männer an. * Der Chefwissenschaftler Fan Kar Kont blieb an der offenen Schleuse der Corocon III stehen. Die kühlen Augen blickten hinüber zu dem Sumpf, aus dem es in lautloser Hast hervorkroch.
Die hochempfindlichen Tastorgane der Radars peilten unermüdlich das kleine beschädigte Raumschiff an. In zähen Tropfen floß der Schlamm an ihnen herunter, wenn sie sich aus dem Moor schoben. Kein Muskel regte sich in Fan Kar Konts fremdartigem Gesicht. Der Mann von FAR war ein Kolonial-Laktone. über dessen Gesicht sich weiße und braune Streifen zogen. Diese eigentümliche Zebrazeichnung machte es schwer, die Formen in diesem Gesicht zu bestimmen. Immer mehr Pflanzen krochen aus dem Boden. Ein paar Laktonen waren immer noch damit beschäftigt, die überall eindringenden Fadenpilze zu vernichten. Hier, in diesem Teil der Schlucht, war die Invasion der schleichenden Pest besonders schlimm. Auf ganz Swamp gab es nicht soviel Fadenpilze zusammengenommen wie an diesem Ort. Sie schienen eine Vorliebe für dieses Tal zu haben. Fan Kar Kont rief dem Laktonen, der sechs Meter von der Corocon III entfernt die Fadenpilze mit einem Strahler vernichtete, eine scharfe Warnung zu. Carcol Varno zuckte zusammen. Er erhob sich aus seiner knieenden Stellung und kam näher. „Es ist zwecklos", sagte Fan Kar Kont über den Helmsprech. „Wir können immer nur einen kleinen Teil ausrotten. Ich habe inzwischen festgestellt, daß ihre Zellteilung mit unglaublicher Schnelligkeit fortschreitet." Der Blick des Chefwissenschaftlers wanderte über die Außenhülle der Corocon III. Die Pilze wucherten wie häßliche Krebsgeschwüre. Schon jetzt hatten sie einen großen Teil des Schiffes überzogen. Schimmelartige Flecken bedeckten außerdem weite Teile des Kreuz-
ganges, der zur Zentrale führte. Die Pilze fraßen — für menschliche Augen unsichtbar — das Metall. Sie zersetzten es und saugten es in sich auf. Zurück blieb an einigen Stellen ein brüchiger Metallboden, der bei der geringsten Belastung zusammenbrach. Als Carcol Varno ins Schiff zurückkam, sah er, daß die gestreifte Haut in Fan Kar Konts Gesicht zuckte. Er wollte etwas fragen, doch die dunklen Augen in dem faszinierenden Gesicht blieben kühl und distanziert. Varno schluckte schwer. Dann wandte er sich ab. Es war schwer, dem Blick des Chefwissenschaftlers auch nur einige Sekunden standzuhalten. Fan Kar Kont hatte indessen eine seltsame Beobachtung gemacht. Die Radars konnten fliegen! Jedenfalls nahm er das an. Eben betrug ihre Distanz von dem Schiff noch fast hundert Meter, und jetzt standen sie bereits in einer erschreckend kurzen Entfernung davor. Niemand hatte gesehen, wie sie sich so schnell bewegten. Fan Kar Kont löste einen kurzen Alarm aus. Die aufgeregt wedelnden Pflanzen rückten nun gegen das Schiff vor. Diesmal sah er deutlich, wie sich ihre Drehwurzeln aus dem Boden schoben und sich vorwärtsbewegten. Zwei weitere Laktonen erschienen. „Beobachten Sie die Pflanzen", befahl der Chef Wissenschaftler. „Vermutlich sind sie in der Lage, kurze Teleportationssprünge auszuführen. Ich weiß es nicht genau. Plötzlich hatten sie eine Distanz überwunden, die sie in einem normalen Zeitraum niemals durch bloße Bewegungen schaffen können. Wir müssen sie vernichten. Halten Sie ebenfalls Ihre Strahlwaffen bereit. Ich werde in den Feuerleitstand gehen." Fan Kar Kont lief den Mittelgang entlang, bis er die Feuerleitzentrale er-
reichte. Ein Blick auf den Holografen ließ ihn erkennen, daß die Pflanzen sich noch näher heranschoben. Er ließ den Zielstachel über die Optik wandern, bis die Pflanzen genau im Visier lagen. Ihre fleischigen Blätter wedelten immer aufgeregter. Fan Kar Kont zögerte nicht länger. Die akute Gefahr mußte beseitigt werden. Zu sehr lastete noch auf ihm die Erinnerung an den Bronzeroboter. Er löste den Impuls aus und erlebte dabei eine unangenehme Überraschung. Irgend etwas an dem kleinen Geschütz versagte. Bevor ein ungemein grellweißer Blitz alles einhüllte, sah Fan Kar Kont noch den schimmelartigen Überzug an dem Abstrahlrohr. Dann kam das ultrahelle Lohen wie eine Energiewand auf ihn zu. Eine brüllende Entladung schoß mit einer halbmeterlangen Flammenzunge quer durch den Raum. Sie zerschmolz das Panzerplast an der hinteren Wand und röhrte harmlos in den dahinter liegenden Felsüberhang. Fan Kar Kont wurde zurückgeschleudert. Sekundenlang glaubte er, die maßlose Hitzeentfaltung würde ihn verbrennen. Als er sich schließlich mühsam erhob, stand der Raum hinter ihm in hellen Flammen. Anschließend kam das unerhört scharfe Zischen der automatischen Löschanlage. Das Feuer erstickte schwelend. Fan Kar Konts Anzug war mit weißen Flokken übersät. Er lief den Weg wieder zurück zur Schleuse. Die Fadenpilze hatten das Metall der Energiekanone soweit zerfressen, daß die Energien nach innen losgingen. Das Geschütz war wertlos geworden. Fan Kar Kont lief mit einem wüten-
den Ausruf weiter. Unterwegs hörte er das grelle Fauchen der Dienstwaffen. Draußen knisterte die Luft. Übelriechende Dämpfe waren alles, was von den Pflanzen übrig geblieben war. Die Männer hatten ganze Arbeit geleistet. Er nickte ihnen zu. „Sehr gut. Sie haben vermutlich gemerkt, was eben passierte?" „Ja", sagte der eine. Er hielt die Dienstwaffe noch immer in der Hand. Sein Gesicht hatte eine schmutziggraue Farbe angenommen. „Ihre Theorie hat sich als richtig erwiesen. Die Pflanzen können kurze Teleportsprünge ausführen. Wir haben es deutlich gesehen." Fan Kar Kont nickte schweigend. Genau das hatte er befürchtet. * Rex Corda staunte über die Schnelligkeit, mit der Decimo reagierte. Der Synoptiker fuhr wieselflink herum und landete in einem weiten Hechtsprung drei Meter weiter zwischen den Trümmern. Da kam das wilde Fauchen über die Außenlautsprecher. Das Biest schoß vor. Mit einem wahnsinnigen Aufbrüllen raste es auf John Haick zu. Corda versuchte noch zu schießen, aber alles spielte sich in einem Zeitraum von Sekundenbruchteilen ab. Außerdem gestattete das Dämmerlicht keine genaue Orientierung. Haick blieb stehen, bis der Anprall erfolgen mußte. Erst dann schnellte sein Körper herum. Er warf sich unter den Angreifer und wälzte sich mit einem blitzschnellen Satz zur Seite. Das unbekannte Tier konnte seinen rasenden Sprung nicht mehr abbremsen. Vier Meter weiter kam es auf rutschenden Pfoten zum Stillstand. Es schien unsäglich verblüfft zu sein, denn
sekundenlang rührte sich der geschmeidige Körper nicht. Sechs Augen auf einem quadratischen Schädel, der noch einen spitzen Anhang zum Hals aufwies, sprühten Blitze. Der Rumpf des Monstrums bestand aus einem tonnenförmigen schleimigen Gebilde, aus dem sechs dünne Pfoten ragten. Sie schienen aus Gummi zu sein, so geschmeidig waren sie. Die sechs Augen, würfelförmig angeordnet, schlossen sich. Da wußte Corda, daß die Bestie gleich springen würde. Ihm blieb nicht mehr viel Zeit. Er mußte sofort handeln. „Bleib liegen, John", kam sein wilder Schrei über den Helmsprech. Haick konnte keine Antwort mehr geben. Seine Lungen keuchten, sein Herz klopfte wie rasend. Er war ohnehin nicht mehr fähig aufzustehen. Corda schoß aus der Drehung heraus. Die Waffe war auf Maximalleistung justiert. Eine sonnenheiße Strahlbahn fuhr durch den Gang. Das springende Monstrum wurde unterhalb des Halses getroffen und löste sich in Rauch und Feuer auf. Der Schuß hatte es voll erwischt. Noch einmal blitzte es auf. Dicht an Cordas Helmscheibe vorbei raste der brüllende Energiestrahl in den halbzerstörten Raum. Latak Decimo hatte geschossen. Corda wollte sich den Schweiß von der Stirn wischen, aber die Helmscheibe hinderte ihn daran. „Danke", sagte er einfach. „Aber das war nicht mehr nötig. Das Monstrum kann uns nicht mehr schaden." „Das stimmt", entgegnete der Laktone trocken. „Aber sein Junges hatte ebenfalls etwas gegen uns. Es liegt dort drüben. Ich habe mir gestattet, es ebenfalls zu töten." Corda sah sich verblüfft um. Tat-
sächlich. Sechs Meter weiter lag ein deformierter Klumpen am Boden. Er besaß nur die halbe Größe des eben getöteten Tieres, aber es war zweifellos ebenso gefährlich. Corda nickte dem gleichgültig schauenden Synoptiker dankend zu. Er bewunderte den trockenen Humor des Laktonen. Latak Decimo hatte sich eben nur mal so gestattet, das kleine Kätzchen zu erschießen, das immerhin die Größe eines ausgewachsenen irdischen Tigers aufwies. Als er leise lachte, sah der Laktone verwundert hoch. Fragend blickte er Rex Corda an. „Habe ich etwas falsch gemacht?" erkundigte er sich. ,,Sie lachen — warum?" „Nur so. Sie besitzen einen trockenen Humor." „Das liegt daran, daß ich in letzter Zeit häufig mit terranischen Halbwilden zusammen bin. Diese Geschöpfe grinsen selbst dann noch, wenn es einem eigentlich eiskalt über den Rücken laufen sollte. Nun, wie fühlen Sie sich?" fragte er gleich darauf John Haick, der nachdenklich auf die zerschossenen Überreste blickte. „Prächtig. Nur das Rauchen ist auf dieser Höllenwelt nicht gestattet. Sagen wir also lieber mittelprächtig." Vorsichtig schoben sie sich in den Raum. Es gab keine weiteren Überraschungen mehr, was angreifende Tiere betraf. Dafür gab es andere, nicht minder erstaunliche Dinge. Verschiedene Apparate waren noch intakt. Aus der Tiefe war ein leises Rumoren zu vernehmen. „Unter uns befindet sich vermutlich ein Meiler, der Arbeitsstrom liefert", vermutete Decimo. „Aber das wird sich später noch herausstellen. Zuerst werden wir versuchen, ob wir von den wertvollen Geräten noch etwas verwenden können."
Der Raum besaß eine Verbindung zu einer anderen großen Kammer. Die Wand war eingestürzt, wie sich gleich darauf herausstellte. Auch hier befanden sich noch betriebsbereite Geräte. „Dies hier war ein wissenschaftliches Labor zur Überwachung biomedizinischer Versuche", erläuterte Latak Decimo. „Hier wurden die ersten Versuche an lebenden Objekten unternommen. Die Leute wurden hier verändert." Eine kleine Schalttafel stand vor ihnen. Einige der Kontrollampen zeigten noch Grünwerte. Decirno fuhr herum, als er ein polterndes Geräusch vernahm. „Machen Sie die Scheinwerfer aus", befahl er leise. „Haben Sie das nicht gehört", vergewisserte er sich, als weitere Geräusche ausblieben. Haick und Corda bejahten. „Natürlich", meinte der junge Präsident leise über den Helmspruch. „Ich nehme an, es wird sich wieder um herabfallendes Gestein handeln. Wir hatten das vorhin bereits erlebt." Latak Decimo wehrte entschieden ab. „Nein, das war etwas anderes. Bleiben Sie so stehen. Wir müssen darauf achten, ob sich das Geräusch noch einmal wiederholt." Den Männern lief es unangenehm kalt über den Rücken. Waren die Orathonen ihnen schon auf den Fersen? John Haick nickte, als wolle er dadurch seine eigenen Gedanken bestätigen. Die Geräusche wiederholten sich nicht. Die Helmscheinwerfer flammten wieder auf. Die Männer bewegten sich weiter in dem Raum. Corda entfernte sich ein Stück von dem Laktonen, um einen weiteren Gang näher in Augenschein zu nehmen. Er hatte gerade die noch gut erhaltene Tür der Anlage durchschritten, als er hinter sich ein schleifendes Geräusch
hörte. Schnell fuhr er herum, aber doch nicht schnell genug, um der vorschießenden Hand des Synoptikers Latak Decimo auszuweichen. Corda sah seine Faust immer größer werden, die genau auf ihn zukam. Er begriff überhaupt nichts mehr. Er sah nur den geballten Raumhandschuh, der schon im nächsten Augenblick an seinen Raumhelm schmetterte. War LatakDecimo wahnsinnig? dachte er noch. Dann warf es ihn zu Boden. Der Raumhelm schien unter dem plötzlichen Hieb bersten zu wollen. Es knirschte hörbar, und Corda glaubte, zerfetzte Kunststoff Splitter durch die Gegend spritzen zu sehen. Der Laktone besaß eine unwahrscheinliche Kraft und einen Hieb, der jeden ausgewachsenen Mann umgerissen hätte. Corda stöhnte laut auf. Vor seinen Augen funkelte es. Gerade, als er durch die Wucht des Schlages zu Boden ging, klang das leise Zischen auf. Latak Decimo warf sich auf ihn. Corda stöhnte unter dem Anprall des Gewichtes. Mühsam versuchte er, sich zu befreien, aber der Laktone stand nach unglaublich kurzer Zeit schon wieder auf den Beinen. Er half dem verblüfften Terraner hoch. „Mußte das sein?" fluchte Corda wütend. Noch immer war ihm nicht klar, was der plötzliche Angriff bezweckte. „Wenn Sie nicht wollen, daß ich einen bestimmten Raum betrete, können Sie mir künftig einen kleinen Hinweis geben. Oder schlagen Sie immer erst zu und denken dann nach?" Decimos gesunde Gesichtsfarbe kehrte allmählich wieder zurück. Seine ausgestreckte rechte Hand deutete stumm an die Wand. Hinter der Tür klaffte in Mannhöhe
ein Loch. Corda sah auf Anhieb, daß hier ein Energiestrahl hineingefahren war. „Das hat Ihnen gegolten", erklärte der Laktone. „Ich sah zufällig an dem kleinen Schaltpult das Aufleuchten einer Zündmarke. Der Energiewerfer ist mit einem Apparat parallel geschaltet, der auf Gehirnwellenmuster reagiert. Da Sie das vorgezeichnete Muster nicht besaßen, schloß sich, der Stromkreis und löste den Impuls aus. Sie sehen, man hat sich gegen alle Eventualitäten abgesichert. Kein Unbefugter kann diesen Raum betreten, ohne vernichtet zu werden." Corda blickte sich um. Schaudernd sah er auf die Stelle, die der Lichtstrahl in die Wand geschmolzen hatte. Sie besaß nur einen kleinen Durchmesser, etwa fünf Zentimeter, aber der Strahl hätte seinen Zweck vollkommen erfüllt, wenn Decimo nicht so erstaunlich schnell reagiert hätte. Anschließend stieß Corda pfeifend die Luft aus. Er nickte dem Laktonen dankbar zu und wollte etwas sagen. Latak Decimo winkte hastig ab. „Geschenkt. Hören Sie bloß auf, jetzt eine Dankrede zu beginnen." Er sah sich nach dem blaß gewordenen John Haick um. „Sie wissen jetzt also Bescheid. Das war nur eine kleine Warnung. Es ist noch einmal gutgegangen. Passen Sie aber auf, wenn Sie einen anderen Raum betreten." Haick schluckte krampfhaft. Er nickte. „So, jetzt werden wir zuerst die Sicherheitsschaltung beseitigen", verkündete Decimo, als handele es sich um eine ganz alltägliche Sache. Mit zwei Handgriffen klappte er das in Scharnierein aufgehängte Schaltpult zurück. Ein Wust von Drahtverbindungen und Halbleitern kam zum Vorschein.
Corda schüttelte verständnislos den Kopf. Er hätte die Anlage selbst nach intensivem Studium nicht begriffen. Dazu mußte man schon ein Synoptiker sein. Fasziniert sahen die beiden Männer zu. Latak Decimo bewegte seine Hände mit einer verblüffenden Sicherheit in dem Wald von Drähten. Schon ein paar Sekunden später flammte die blaue Kontrollbirne erneut auf. Der Laktone lächelte zufrieden. Der Zeigefinger in dem schmiegsamen Handschuh stieß vor und riß eine Verbindung auseinander. Ein kleines Relais mußte ebenfalls abgekniffen werden. Oben erlosch die blaue Birne. Die tödliche Lichtfalle existierte nicht mehr. Decimo klappte die Platte wieder zurück. Haick betrat unterdessen den Raum, der Corda fast zum Verhängnis geworden wäre. Ein Ausruf des Erstaunens kam über seine Lippen. „Kommen Sie her!" flüstterte er über den Helmsprech. „Ich habe soeben etwas Phantastisches entdeckt." In dem Raum flammte nach Haicks Eintritt ein schwaches Rotlicht auf. Es verzerrte die Konturen der Gegenstände. Aber sie waren dennoch deutlich zu erkennen. Der kleine Raum glich einem Spiegelsaal. An den vier Wanden brach sich tausendfältig das schwache Licht. Es funkelte und blitzte. Corda lehnte überrascht am Eingang. Sein Körper verdeckte genau das Einschußloch der Laser. „Eine große Kommunikationsanlage", hauchte er überrascht. „Ob sie noch in Betrieb ist?" Auch Latak Decimo hatte mit zwei schnellen Schritten den Raum erreicht.
Überrascht sah er auf. „Das wird sich gleich herausstellen", meinte er. In die Wände eingelassene Schirme wiesen unterteilte Sektoren auf, die mit einigen Symbolen bezeichnet waren. Der Synoptiker schritt unbeirrbar auf die Wand zu. Vor ihm blinkten im schwachen Widerschein der roten Lampen komplizierte Holografen, die dreidimensionale Bilder lieferten. Verschiedenfarbige Kippschalter am unteren Ende der Einfassungsbegrenzung wiesen auf die Einsteuerungsmöglichkeiten der hochwertigen Optik hin. Decimo drückte den Kommandoschalter. Augenblicklich flammte der große Schirm auf. Das Bild, das sie ansprang, ließ die überraschten Männer zusammenfahren. Greifbar nahe vor ihnen bewegte sich ein bullig wirkender Orathone in einem Raum, der mit Gerümpel übersät war. Er sah ahnungslos in die Aufnahmeoptik der versteckten Kamera. Das olivgrüne Gesicht mit den messerscharfen Lippen zuckte. Mißtrauisch sah er sich um. Dann wandte er sich ab und schritt zu einem anderen hinüber. Sein ausgestreckter Zeigefinger wies in die Optik und wurde ins Riesenhafte verzerrt. Corda hatte das Gefühl, als könne er diesen Finger greifen. „Man hat die Aufnahmekamera entdeckt", vermutete er sofort. „Das ist unmöglich." Latak Decimo winkte ab. „Eine laktonische Überwachungskamera entdecken sie nicht, wenn sie nicht in das Geheimnis eingeweiht sind." „Aber die Orathonen kennen es sicher." Decimo reckte sich. „Das ist ausgeschlossen", behauptete er. „Es ist nichts weiter als ein Zufall, der ihn vor die Optik geführt hat. Sehen Sie, er wendet sich bereits ab. Hätte er sie entdeckt,
dann wäre seine Reaktion ein Schuß in das Linsensystem gewesen." Corda sah das ein. Der bullig wirkende Grünhäutige bückte sich und hob etwas vom Boden auf. Anschließend schleuderte er es an die gegenüberliegende Wand. Seine Lippen bewegten sich, während er mit dem anderen Orathonen sprach. Allerdings vernahmen die Männer keinen Laut. Decimo drehte an einem Tonregler. Aber nur ein kurzes Knirschen kam aus der Anlage, dann schwieg der Empfänger. „Die akustische Anlage ist beschädigt. Schade, wir können nicht hören, was sie sprechen. Es wäre sicher interessant geworden." Bedauernd mit dem Kopf schüttelnd, machte er noch einige weitere Versuche. Danach stellte sich heraus, daß die gesamte Akustik-Anlage durch die Auswirkungen des Energieschocks zerstört war. Ein Abhören war also nicht mehr möglich. Dafür setzte der Laktone weitere Bildschirme in Betrieb. An den Wänden flammte es auf. Einige, noch teilweise erhaltene Räume erschienen als dreidimensionales, farbgetreues Abbild, das ungemein lebensecht und natürlich wirkte. Bronzeroboter und Orathonen durchkämmten die ganze Anlage. Die Gefahr einer Entdeckung wurde mit jeder verstreichenden Minute größer. Decimo hatte jetzt alle noch erreichbaren Stationen eingeschaltet. Das ganze unterirdische System konnte von hier aus beobachtet werden. Einige Schirme blieben dunkel. Andere zeigten nur flimmernde Linien. Die jeweils mit den Holografen synchron geschalteten Optiken mußten zerstört sein. „Können Sie versuchen, den Orathonen mit dem Holografen zu folgen?"
vergewisserte sich Corda. „Leider nein. Die Optik überwacht jeweils nur einen Raum. Das Gangsystem kann nicht mehr erreicht werden. Wir wissen also nicht, wohin die Orathonen sich wenden, wenn sie einen Raum verlassen und in keinem anderen wieder auftauchen. Wir müssen aber damit rechnen,- daß sie auch die Kommunikationsanlage finden werden. Das kann gleich geschehen, es kann aber auch noch eine Weile dauern. Zwangsläufig finden sie uns aber ganz von selbst." „Was mögen sie nur vorhaben?" sinnierte Corda laut. „Sie sind doch mit einer ganz bestimmten Absicht gekommen." Darauf wußte der Synoptiker auch keine Antwort. Man sah ihm an, wie es hinter seiner hohen Stirn arbeitete. Er kam indes zu keinem Resultat. Mit einem Achselzucken tat er die Frage schließlich ab. Er wußte es nicht. Corda wandte sich um. Da vernahm er zum erstenmal seit seinem Hiersein auf Swamp die Impulse. Sehr nachdenklich verharrte er mitten in seiner Bewegung und lauschte. Die Impulse waren unklar, schwach und verzerrt. Sekundenlang glaubte er, jemand wolle ihm eine telepathische Botschaft zukommen lassen. Dann verwarf er den Gedanken. Wer hätte es auf Swamp schon sein sollen? Seine Sondersinne waren weit geöffnet. Immer noch verkrampft auf der Stelle stehend, wartete er ab. Die Impulse verschwanden. Ganz langsam klangen sie ab. Gerade als er sich entsparmte, kamen sie wieder. Emotionelle Strömungen, die keinen vernünftigen Sinn ergaben. Abstrakt, undeutlich und verwirrt sprangen sie ihn sekundenlang an. In seinem Kopf hämmerte es. Ob sie von einem unbekannten Gerät
ausgingen? Corda glaubte es nicht. Andererseits war diese Möglichkeit nicht total auszuschließen. Es konnte sich unter Umständen um einen Gehirnfrequenz-Sucher handeln, der fremde Lebewesen aufspürte und ihren Aufenthaltsort verriet. Als er noch darüber nachsann, verschwanden sie blitzartig, als hätten sie nie existiert. Corda sah immer noch geistesabwesend auf den Bildschirm. Ein Orathone erteilte einem Bronzeroboter irgendwelche Befehle. Dabei stahl sich ein Grinsen auf das olivgrüne Gesicht. Der Bronzeroboter verschwand aus seinem Gesichtskreis. Latak Decimo wurde unruhig. Er räusperte sich ein paarmal. Endlich stieß er Corda an. „Wir sollten uns jetzt zurückziehen, Mister Corda. Ich werde das Gefühl nicht los, daß hier jeden Augenblick Orathonen auftauchen werden. Ganz offensichtlich suchen sie jetzt jeden Winkel ab und werden uns dann auch finden. Das Grinsen hat mir eben zu denken gegeben." „Genau das ist auch meine Ansicht", ließ sich John Haick vernehmen. „Erstens vergrößern wir mit jeder Sekunde das Risiko, entdeckt zu werden, und zweitens haben wir gegen diese orathonische Übermacht nicht die geringste Chance. Laß uns fortgehen, Rex. Wir sollten es nicht auf die Spitze treiben." Corda sah seinen Freund an. Anschließend fiel sein Blick auf Latak Decimo, der jetzt energisch zum Aufbruch aufforderte. „Na schön. Versuchen wir, ungesehen die Anlage zu verlassen." Decimo nickte befreit. Er schaltete die ersten beiden Schirme aus, damit nichts mehr auf ihr Hiersein hinwies. Corda sah ihm zu. In einem weit entfernten Raum öffnete sich eine Tür. Ein Orathone er-
schien. Er war in schreiend rote Gewänder gehüllt. Decimos Hand schoß vor. Er wollte auf den Kippschalter drücken. Da wurde er sanft beiseite geschoben. Cordas Gesicht wurde dunkel vor Erregung. Die Gestalt wandte sich jetzt voll der Aufnahmeoptik zu. Corda hatte das Gesicht im selben Moment erkannt. Wer es einmal aus der Nähe gesehen hatte, würde es auch nicht mehr vergessen. Sigam Agelon hatte den Raum betreten ! * Decimo war so verblüfft, daß er sekundenlang nach Worten suchte. „Das kann nicht sein", ächzte er. Die Tatsachen bewiesen aber das genaue Gegenteil. Der Agelon stand hochaufgerichtet im Raum und blickte sich prüfend um. Mit einer herrischen Bewegung scheuchte er zwei Orathonen aus seiner Nähe. Seine ungemein kräftige Gestalt schob sich jetzt von der Optik weg. Man sah nur den breiten Rücken des orathonischen Flottenkommandeurs, der im heimatlichen Sol-System seine erste Niederlage eingesteckt hatte. Seine Bewegungen und Gesten waren knapp und sparsam, aber sie wirkten herrisch und unnachgiebig. Der Agelon hatte nichts von seiner Kraft und Energie eingebüßt. Sekundenlang war Rex Corda wie erstarrt. Nicht weit vor ihm stand einer der bedeutendsten Männer des Orathonen-Reiches. Cordas Augen verfolgten die Gestalt. Sigam Agelon hatte ihm einen semibiotischen Conductor einpflanzen lassen, der seinen Willen steuern sollte. Dieser operative Eingriff war zum Leidwesen des Agelon mißglückt. Er hatte alles versucht, um den Terraner Corda in
seine Hände zu bekommen, aber der junge Präsident hatte es geschafft, dem Zugriff des Grünhäutigen, der aus den wichtigsten und gesellschaftlich höchsten Kreisen Orathons stammte, zu entkommen. Und jetzt sah er ihn wieder! Was wollte der Agelon hier, sann Corda. Es mußte von ungeheurer Wichtigkeit sein, folgerte er weiter, wenn er hier auf Swamp persönlich erschien. Die drei Männer waren so in ihre Gedanken vertieft, daß sie nicht mehr hörten und sahen, was um sie herum vorging. Auch die gedrungene Gestalt nicht, die sich im Schutz der Dunkelheit voranschob. Jetzt blieb sie stehen. Sie hatte die drei Beobachter entdeckt! Der Lichtreflex beleuchtete für den Bruchteil einer Sekunde das Gesicht. Es war ein grünes Gesicht mit schmalen Lippen. Bläuliche Federn auf einem breiten Schädel hoben sich etwas. Dann legten sie sich wieder eng an den Kopf an. Der Orathone lächelte verzerrt. Sein massiger Körper verschmolz mit der Wand. Er konnte warten. Decimo wischte sich aufgeregt mit der Hand über den Helm. Dann merkte ler, daß er sein schweißnasses Gesicht nicht erreichen konnte. Mit zuckenden Lippen sah er, wie weitere Leute den Raum betraten, den sie beobachteten. „Laktonen kommen", hauchte er. „Es ist nicht zu fassen. Vermutlich werden sie von den Orathonen zu ganz bestimmten Dingen gezwungen." Der Synoptiker sprach nicht weiter. Er hatte noch keine Ahnung, was das Ganze bezweckte. Rex Corda hörte kaum auf die Worte des Laktonen. Seine Gedanken kreisten unaufhörlich um den Agelon. Er hatte nicht die geringste Vorstellung, was der dritte und edle Sohn des großen Moga hier
wollte. Er stieß den Synoptiker an, der plötzlich ein erschrockenes Gesicht machte. „Haben Sie eine Vorstellung, was hier passieren wird?" fragte er erregt. „Nicht die geringste", erwiderte Decimo. Er war genauso fassungslos. Corda deutete auf die Gestalt des Agelon, die in schreiend rote Gewänder gehüllt war. „Versuchen Sie, zur Corocon III zu kommen", raunte er dem Laktonen zu, dessen Augen mißtrauisch das Dunkel durchforschten. „Es ist wichtig, daß die Leute erfahren, wer sich hier auf Swamp aufhält. Was haben Sie denn?" fragte Rex Corda stockend, als er die zusammengekniffenen Augen sah. „Still", flüsterte der Laktone. „Verhalten Sie sich absolut ruhig." Sein rechter Arm fuhr hoch. Corda sah für einen Moment das Aufblitzen eines kleinen Gegenstandes. Das Ding sah nach einer Armbanduhr aus. Jetzt bewegte sich der kleine Zeiger zitternd, und schwaches rotes Licht ging von einem Zifferblatt aus, das in kleine Sektoren unterteilt war. „Der Energietaster zeigt an, daß sich in unmittelbarer Nähe ein Orathone aufhält", erläuterte der Synoptiker. Haick schüttelte verwundert den Kopf. Sein schwarzes, weiches Haar war ihm in die Stirn gefallen. Zwei Strähnen wurden in der Helmscheibe sichtbar. „Hier sind doch mehrere von den Burschen. Wenn das Gerät funktioniert, dürfte man erwarten, daß es den Energieumsatz eines Orathonen anzeigt." Latak Decimo schüttelte den Kopf. „Hier in unserer unmittelbaren Nähe hält sich jemand auf. Sonst wäre das Warnlicht nicht so stark. Ich weiß nicht, ob ich unter diesen Umständen noch hinauskomme." „Das sind ja nette Aussichten",
brummte Haick. Er hatte kaum zu Ende gesprochen, als weit vor ihnen ein leises Poltern erklang. Gleich darauf trat wieder Ruhe ein. Corda war sehr nachdenklich geworden. Wenn im Gang tatsächlich ein Orathone steckte, waren sie erledigt. Der Olivgrüne brauchte nur seinen Strahler abzufeuern. Den Rest würde die Hitze besorgen. Auch Latak Decimo suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Das Risiko, den Orathonen einfach zu vernichten, war zu groß. Die anderen würden es hören. Sie saßen in der Falle! Corda lächelte plötzlich. Den verweisenden Blick des Laktonen übersah er. Ganz deutlich hatte er eben schwache Impulse vernommen, die von der Gestalt ausgingen. Es waren Eindrücke, die rasch wieder verschwanden. Aber die kurze Konzentration hatte sich gelohnt. Corda wußte nun, wo der Grüne steckte. Das war immerhin ein Vorteil, den er dem Orathonen gegenüber besaß. Haick wußte sofort, was der Freund vorhatte. Er wollte Corda folgen, doch der junge Präsident winkte energisch ab. „Ich habe das Überraschungsmoment auf meiner Seite", erklärte er. „Zu dritt würden wir vielleicht gar nichts ausrichten." Haick schüttelte den Kopf. Er wußte, daß jede Widerrede sinnlos war. Corda schlich leise den Gang zurück, bis er die Impulse deutlicher vernahm. Er vermochte sie nicht zu definieren, aber er kannte den genauen Standort des Featherheads jetzt. Der gedrungene Orathone lehnte mit dem Rücken an der Wand und spähte angestrengt in den kleinen Gang zurück. Er war völlig ahnungslos. Corda trat dicht an den atemlos lau-
schenden Featherhead heran. Er konnte es nicht riskieren, sich auf einen Kampf mit dem körperlich überlegenen Orathonen einzulassen. Andererseits brachte er es nicht fertig, den Mann einfach zu überfallen. So räusperte er sich kurz. Es war erstaunlich, mit welch verblüffender Schnelligkeit der Featherhead reagierte. Er sprang sofort mit einem gewaltigen Satz zurück, duckte sich und ging dann mit wirbelnden Fäusten auf den Terraner los. Er schießt nicht, dachte Corda nüchtern. Der Orathone wußte genau, wie verheerend sich ein Strahlschuß in dem engen Gang auswirken mußte. Thermische Nebeneffekte konnten auftreten und ihn selbst in Gefahr bringen. Ehe Corda noch einen weiteren Gedanken fassen konnte, schmetterte die Faust vor. Der Orathone schlug mit der Wucht einer altertümlichen Dampframme zu. Rex Corda verlor keinen Augenblick die Nerven. Er sah den wuchtigen Hieb kommen, wartete, bis die gewaltige Faust sein Gesicht in dem Raumhelm erreichte, und ließ sich dann blitzschnell fallen. Der Orathone vermochte seinen Schlag nicht mehr abzufangen. Die Wucht riß ihn herum, schleuderte seinen ungemein kräftigen Körper auf Corda zu und drückte ihn an die Wand. Corda ließ sich noch immer Zeit. Er durfte nicht blindlings zuschlagen. Er war sicher, daß ein einziger Schlag des Featherheads genügte, um seinen Raumhelm zu zerschmettern. Erneut duckte er sich unter dem Gewicht des Grünhäutigen weg. Eine kräftige Hand streifte ihn und warf ihn herum. Das war genau der Augenblick, auf den Rex Corda gewartet hatte. Die längst geballte Faust im Raumhandschuh schoß vor. Der junge Präsi-
dent legte sein ganzes Gewicht in diesen Schlag. Die behandschuhte Rechte traf haargenau den Solarplexus seines Gegners. Corda schlug sofort nach. Noch einmal derselbe Schlag, ausgeführt mit der Wut der Verzweiflung und dem Gedanken, daß er nicht unterliegen durfte. Der Orathone blickte ungläubig auf. Dann verdrehten sich die Augen unter den gestreiften Lidern, und er sank langsam in sich zusammen. Corda atmete hörbar aus. Er war sich nicht sicher, ob der Solarplexus bei einem Orathonen an genau der gleichen Stelle lag wie beim Menschen. Das Resultat überraschte ihn jedoch. Er mußte eine höchst empfindliche Stelle getroffen haben. Mit verzerrtem Gesicht lag der Grünhäutige auf dem Boden. Er rührte sich nicht mehr. Nur seine Augen lebten noch. Sie drohten Corda unheilverkündend entgegen. Aber er war machtlos. Gelähmt durch den wuchtigen Schlag in sein empfindliches Nervenzentrum. Corda rieb sich die schmerzende Hand. Kalt lächelnd sah er auf den Orathonen. Er faßte ihn an den Armen und zog ihn mit sich fort. Decimo und Haick stürzten herbei. In den Augen des Atomwissenschaftlers blitzte es auf. Latak Decimo warf ihm einen undefinierbaren Blick zu. Schnell schaltete er das Helmfunkgerät aus. „Alle Achtung", knurrte er widerwillig. „Wie haben Sie das so schnell geschafft?" Corda zuckte die Schultern. Er zeigte auf die Stelle am Körper, die er getroffen hatte. „Woher wußten Sie das?" fragte der Synoptiker. „Seltsam. Sie haben genau den wunden Punkt getroffen, wenn ich mich in Ihrer Sprache ausdrücken darf. Dieser Mann ist für die nächsten Stunden außer Gefecht gesetzt. Er kann alles sehen und hören, was um ihn herum
vorgeht, aber er wird zu keiner Handlung mehr fähig sein. Ich muß mich sehr wundern." „Ich wundere mich selbst", sagte Corda. „Es war wohl auch mehr ein Zufall, sonst hätte ich ihn nie so schnell erledigen können." Latak Decimo suchte nach einem Platz. Er deutete in eine Ecke des anderen Raumes. „Dort können wir ihn liegenlassen, ohne ihn zu fesseln. Er ist völlig kraftlos. Wenn der Nervenreflex wieder anspricht, kommt er ohnehin allein weiter." Rex Corda warf noch einen Blick auf das leblos scheinende Bündel. Er war immer noch erstaunt über sich selbst und die Tatsache, daß er den Grünen so schnell außer Gefecht gesetzt hatte. Auf den Schirmen tat sich gerade etwas Entscheidendes. Immer mehr Bronzeroboter erschienen. Ihre flexiblen Gesichter wirkten außerordentlich lebendig. Sie lächelten sogar. Aber Corda fand es unerträglich, metallene Roboterlippen lächeln zu sehen. Sie schleppten Maschinen und eine Unmenge kleinerer Geräte in das nur teilweise verwüstete Laboratorium. Einige andere waren damit beschäftigt, die letzten Trümmer beiseite zu räumen. In erstaunlich kurzer Zeit verwandelte sich der Raum. Latak Decimo räusperte sich nach einer endlos scheinenden Zeit. Irgend etwas schien dem Laktonen die Kehle zuzuschnüren, während er sprach. „Haben Sie schon gemerkt, was die Grünen hier planen?" fragte er rauh und krächzend. Corda sann schon die ganze Zeit darüber nach. Es wurde immer offensichtlicher, daß man hier eine äußerst komplizierte Operation vorbereitete. Er legte Decimo die Hand auf die Schulter. „Ich ahne bereits, daß hier etwas un-
geheuer Wichtiges geschieht. Der Raum verwandelt sich in einen Operationssaal. Was aber haben die anwesenden Laktonen damit zu tun?" „Sie werden operieren. Man zwingt sie dazu. Sie wollen Veränderte schaffen." Rex Corda ruckte hoch. In seinen seltsam blauen Augen leuchtete ein gefährliches Feuer. „Den Agelon etwa?" fragte er fassungslos. „Will man ihn verändern?" „Vermutlich ja. Aber das werden wir gleich sehen. Sie wissen, was dann mit dem orathonischen Flottenbefehlshaber geschieht?" „Natürlich." Corda nickte abwesend. Aus seinem Gesicht war die gesunde Farbe gewichen. Als er zu Haick hinübersah, war das Grinsen aus dem Gesicht des jungen Atomwissenschaftlers ebenfalls verschwunden. Er starrte den Freund entgeistert an. Ein beklemmendes Gefühl legte sich auf ihn und ließ ihn nicht mehr los. Wenn die Operation glückte, wurde der Agelon zu einem der gefährlichsten Männer, die es je gab. Er wurde ein Veränderter, der unbezwingbar wurde! Corda sah aus schmalen Augen, wie die letzten Vorbereitungen abgeschlossen wurden. Die Operation konnte beginnen. Die Laktonen warteten schweigend und mit grimmigen Gesichtern. Rex Corda zuckte zusammen. Sie begannen! Noch nie hatte ein Terraner einer Operation dieser Art zugesehen. Er vergaß fast das Atmen, so sehr bannte ihn dieser einmalige Anblick. * In den Lautsprechern der Anzüge war nur das schwere Atmen des laktongeschulten Chirurgen zu hören. In seinem Gesicht bewegte sich kein einziger Muskel. Es schien seltsam leblos und
starr zu sein, so als stände er unter einem fremden Einfluß. Aber das war nicht der Fall. Tac Torma war Herr über seinen Geist. Sein Verstand arbeitete klar und logisch. Hinter ihm standen zwei Bronzeroboter. Ihre kalten Linsen sahen interessiert zu. Auf dem Antigravpolster ruhte der Leichnam eines Veränderten. Sein Schädel war bereits von dem laktonischen Assistenten geöffnet worden. Der Operateur entfernte eine kleine halbmondförmige Schale aus dem Hinterkopf des Toten und legte sie in ein vorbereitetes Gefäß. Die unscheinbare Schale war grau. Niemand sah ihr die Möglichkeiten an, die sie barg. Die Bronzeroboter trugen den Toten hinaus. Ein neuer folgte, bei dem man die gleiche Prozedur vornahm. Sigam Agelon hatte kalte Augen. Ironisch lächelnd, sah er auf den Veränderten hinab, der wieder hinausgetragen wurde. Er sah sich ans Ziel seiner Wünsche gekommen. Als der letzte Tote hinausgetragen wurde, unterzog man den Operationssaal einer peinlich genauen Säuberung. Er wurde desinfiziert und jeder Winkel des Raumes mit Bio-Sprühern abgeduscht. Anschließend nahmen die Orathonen noch einige Veränderungen vor. Weitere Maschinen wurden hereingetragen. Der Agelon deutete mit einer herrischen Geste auf die Orathonen. „Legen Sie die Anzüge ab. Sie ebenfalls!" wurden die anwesenden Laktonen aufgefordert. Der laktongeschulte Operateur ließ sich Zeit. Man sah ihm an, daß er dieser Aufforderung nur unter dem Druck der Bronzeroboter und der Grünhäutigen nachkam. Endlich hatte er den Schutzanzug abgelegt. Schwer atmend sah er auf den gedrungenen Agelon herab.
Sigam Agelon legte mit feierlichen Gesten sein rotes Gewand ab. Die Orathonen standen in einiger Entfernung stumm daneben. Zwei Minuten später ruhte er ebenfalls auf dem antigravitationsmechanischen Polster. Ein ungemein kalter Blick traf Tac Torma. der als Operateur füngierte. „Sie können anfangen. Vergessen Sie nicht, wen Sie zur Zeit behandeln. Meine Leute werden jeden Ihrer Handgriffe beobachten. Eine falsche Bewegung, und die Roboter reißen Sie in Stücke. Haben Sie mich verstanden?" Tac Torma nickte widerwillig. Der Agelon hatte ihn in Orathonisch angeredet. Torma hatte verstanden. Jeder verstand die Sprache seines Todfeindes, Laktonen wie Orathonen. Torma nickte noch einmal stumm, als ihn der flammende Blick traf. Sein Gesicht wirkte alt und zerfallen. Er war sich über die Konsequenzen völlig im klaren. Und auch über die erstaunlichen Fähigkeiten, die der Agelon nach der Operation besitzen würde. Noch einmal sah er hoch. Drüben standen die stummen Orathonen. Ihre Hände ruhten an der Hüfte, dicht neben den schweren Dienstwaffen. Die Bronzeroboter grinsten dünn. Ihre Lippen hatten sich verzogen. Nur die kalten Augen drohten stumm herüber. Die Operationstechnik hätte auf jeden terranischen Arzt ungemein befremdend gewirkt. Schon das Narkosegerät war ein Meisterwerk laktonischer Positronik. Es war nur handtellergroß. Agelons Hinterkopf war bereits geöffnet. Tac Torma hatte den UltraschallMeißel angesetzt und lediglich auf den Knopf gedrückt. Das graue, halbmondförmige Stück, das er dann aus dem Gefäß zog, wirkte zu unscheinbar, um eine Operation von diesen Ausmaßen zu rechtfertigen.
Aber hier wurde nicht mit terranischen Maßstäben gemessen. Hier galten andere Gesetze. Tormas Hände begannen zu arbeiten. Seine Fähigkeiten als Operateur waren hervorragend. Aber hier schwitzte er. Er zitterte bei dem Gedanken, dem großen Agelon könnte etwas zustoßen. Vorsichtig hob er das graue Ding hoch und setzte es mit einem gekonnten Griff ein. Aus der Wunde trat grünliches Blut. Tac Torma verzog angewidert das Gesicht. Laktonen besaßen rotes Blut. Das globine Eiweiß der Orathonen dagegen war grünlich. Lediglich das Häm stimmte als Sauerstoffbinder bei Laktonen und Orathonen überein. Es besorgte den Transport und die Abgabe. Einen kurzen Augenblick war Tac Torma versucht, einen bewußten Fehlgriff zu tun. Ärztliche Fehlgriffe passierten zu jeder Zeit. Aber das würde bei den Orathonen eine billige Entschuldigung sein. Der Bronzeroboter, der hart neben ihm stand, stieß ihn unsanft an. Er hatte das kurze Zögern bemerkt. „Weitermachen", drängte er. „Oder dachten Sie eben daran, einen Funktionsträger aus Versehen zu durchschneiden?" Der Operateur gab keine Antwort. Er warf nur einen verächtlichen Blick auf den Roboter, der äußerst mißtrauisch jede Bewegung verfolgte. Torma wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Der Kontakt mit dem Blutkreislauf wurde ohne Zutun des verantwortlichen Operateurs hergestellt. Der Prozeß dauerte nicht länger als acht Minuten. Von da an hatte sich das graue Etwas unlöslich mit den Nervenenden verbunden. Sigam Agelons rechter Arm begann zu zucken. Die Orathonen warfen wütende Blik-
ke herüber. Tac Torma hob die breiten Schultern. Jetzt mußte er sich auch noch bei diesen Kerlen entschuldigen, dachte er ärgerlich. Als die schwere Dienstwaffe des einen hochruckte, wurde er blaß. Der Agelon zuckte jetzt am ganzen Körper. Sein Gesicht nahm eine unnatürlich wirkende Gelbfärbung an, die sich mit dem Olivgrün vermischte. „Das sind die Nerven", erläuterte Torma. „Das neue Gewebe garantiert eine völlig gefahrlose Transplantation. Es ist nicht körperfremd im Sinne anderer plastischer Übertragungen. Damit dürfte wohl alles erklärt sein." „Wie kann man es herstellen?" erkundigte sich ein behäbig wirkender Orathone. Er lachte selbstgefällig und deutete auf das graue Etwas. „Keine Ahnung", lehnte Torma schroff ab. „Sie haben noch mehr von den Dingern da?" erkundigte er sich anschließend. „Ich bin nicht gewillt, weitere Operationen vorzunehmen. Wenden Sie sich an Ihren Oberbefehlshaber, wenn Sie eine Transplantation wünschen. Er wird gleich erwachen." Sarkastisch fügte er hinzu: „Ich werde ihm Ihren versteckten Vorschlag unterbreiten, sowie er wieder bei vollem Bewußtsein ist." Der Gefiederte wurde blaß. Seine grüne Hautfarbe nahm eine schmutziggraue Trübung an. „Wenn Sie das tun, kommen Sie hier nicht mehr lebend heraus. Ich habe keine Übertragung gewünscht, wenn Sie das meinen." „Dann lassen Sie mich gefälligst in Ruhe." Agelons Gesichtsfarbe kehrte allmählich wieder zurück. Das Zucken hörte auf. Sein Körper entspannte sich. Das künstliche Zellgewebe verwuchs bereits mit der Kopfhaut. Agelon würde
nicht einmal eine Narbe zurückbehalten. Es dauerte nochmals eine ganze Weile, ehe der Flottenkommandeur vollständig das Bewußtsein zurückerlangte. Seine erste Reaktion war verständlich. Er betastete seinen Hinterkopf. Als er nichts fühlte, sah er den Operateur drohend an. Tac Torma lächelte herablassend und etwas verächtlich. „Die Übertragung ist beendet", sagte er kalt und verletzend. „Wenn Sie noch einen Wunsch haben, äußern Sie ihn bitte." Der Agelon sah sich befriedigt um. Die Worte des Laktonen überhörte er. Ganz dicht trat er an Torma heran. „Ich bin jetzt verändert?" fragte er. „Merkwürdig, bisher spüre ich nichts davon. Was haben Sie gemacht?" „Ich habe lediglich unter dem ausgeübten Druck Ihre Anordnungen befolgt. Weiter nichts. In spätestens sechs Zeiteinheiten werden Sie merken, was in Ihnen vorgeht." Agelons Blick fiel auf die umstehenden Orathonen. Seine Hand kroch langsam an der Hüfte hoch, wo die verzierte Dienstwaffe hing. Tac Torma trat erblassend zurück. Jetzt erst erfaßte er die ganze Tragweite. Der Agelon wollte keine Zeugen haben. Er wollte nach orathonischer Strategie seine unerwünschten Mitwisser einfach erschießen. „Das können Sie nicht tun", stammelte der Laktone fassungslos. Blitzschnell überlegte er. Dann kam ihm ein genialer Einfall. Es blieb nur zu hoffen, daß der Bluff zog. Der Agelon war unberechenbar. „Oder doch, tun Sie, was Sie nicht lassen können", sagte er rasch. Sigam Agelon wurde stutzig. Aus engen Augen sah er den jetzt wieder lächelnden Laktonen an. „Schießen Sie, Agelon", forderte der
Operateur den verblüfften Befehlshaber auf. „Was soll das?" fragte der Agelon drohend. Tac-Torma reckte sich. Seine breiten Schultern drohten das silbern schimmernde Hemd zu sprengen. „Sie glauben doch nicht, daß wir uns nicht abgesichert haben." Er lachte laut auf. „Sie haben mich gezwungen, die Übertragung vorzunehmen. Daß Sie mich danach erschießen würden, war mir völlig klar. Tun Sie es, Orathone, und Sie werden im selben Moment sterben, ohne daß Sie jemand anrührt. Ich habe mir gestattet, dem grauen Etwas eine Parallel-Schwingung meines Neutronen-Musters einzugraben. Das geschah natürlich ganz unauffällig, aber jeder von meinen Assistenten wird es Ihnen gern bestätigen. Töten Sie mich, so erlischt mein Schwingungssystem. Es ist so geschaltet, daß ein kurzer Impuls ausgelöst wird. Sowie das erfolgt, detoniert die graue Schale, Damit habe ich alles gesagt." Tac Torma trat lächelnd zurück. Er sah kalte Wut in den Augen des anderen aufflammen. Da wußte er, daß der Agelon auf den Bluff hereingefallen war. Der dritte und edle Sohn war machtlos. „Sie sind eine erbärmliche Kreatur", fauchte er. „Aber ich werde Sie zwingen, Ihr Muster wieder zu löschen." Der Laktone sah stolz hoch. „Sie können mich jetzt nicht mehr zwingen", erklärte er kalt. „Eher lasse ich mich töten. Versuchen Sie es doch!" Sigam Agelon wandte sich zornbebend ab. Er wußte nur zu genau, daß die Laktonen kalte Rechner waren. Deshalb glaubte er auch jedes Wort. Jeder sicherte sich gegen jeden ab. Das war schon seit Jahrtausenden der Fall. Aber er besaß jetzt die überragenden Fähigkeiten eines Veränderten!
Sigam Agelon wußte nicht, daß bisher noch keine einzige Operation hundertprozentig geglückt war. Jede Veränderung barg einen gewissen Risikofaktor, der sich nicht auf Anhieb erkennen ließ. Der Agelon dachte zwar voller Unbehagen an die Unsicherheitsfaktoren in einem großen Spiel, dann aber gewann sein Triumph die Oberhand. Er brauchte weiter vorerst nichts zu tun, als Tac Torma am Leben zu lassen. Dann war auch sein eigenes Leben gesichert. Es war nur bedauerlich, daß die Orathonen selbst noch nicht in der Lage waren, diese äußerst komplizierten Eingriffe vorzunehmen, dachte er. Doch das war jetzt nicht zu ändern. Er gab den anderen einen Wink. Dem still vor sich hin grinsenden Chirurgen schenkte er keinen einzigen Blick mehr. Hochaufgerichtet verließen sie den Raum. * Rex Cordas Wangenmuskeln traten scharf hervor, als er die Geschehnisse verfolgte. Einiges blieb seinen Blicken verborgen. Unter anderem hatte er die Leichen der Veränderten nicht sehen können. Ebensowenig war ihm klar, was den operierenden Arzt dazu bewogen hatte, derart kaltblütig gegen den Agelon aufzutreten. Es gab für Rex Corda keine Möglichkeiten, den Prozeß der Veränderung zu unterbrechen. Der Agelon hatte sich mit unwahrscheinlich anmutenden Fähigkeiten ausgerüstet, die den Rahmen des normalen Sterblichen sprengten. Diese Fähigkeiten würden dien Agelon zu einem unbesiegbaren Gegner machen! John Haick verfolgte die gleichen Gedankengänge. „Ich möchte eine Zigarette rauchen",
knirschte er erbittert. „Aber das dürfte dann vermutlich die letzte meines Lebens sein. Verdammter Planet! Was machen wir jetzt, Rex?" „Wir können nichts mehr tun. Der Augenblick ist vorbei. Dieser orathonische Teufel wird von nun an die gleichen Ziele verfolgen wie Samar Tarkannt. Ihr einziges Streben wird es sein, die Galaxis zu unterwerfen. Ja, ich weiß, das hört sich größenwahnsinnig an", sagte er, als Haick eine rasche Bewegung machte. „Dennoch stimmt es. Überlege dir nur die Fähigkeiten eines Veränderten. Wir haben es ja selbst erlebt." Haick dachte an den Riesen, der mit bloßen Fäusten ihr Raumschiff verwüstet und beschädigt hatte. Und diese Riesenkräfte waren nur ein sekundärer Nebenfaktor. Wesentlich gefährlicher waren die anderen erstaunlichen Fähigkeiten. Er schüttelte sich, als er daran dachte. Gleich darauf unterbrach ein donnernder Knall ihr Gespräch. Stimmen wurden laut, die sich rasch näherten. „Die Orathonen kommen", hauchte Haick. „Wir kommen nicht mehr heraus. Achtung! Dort vorn taucht etwas auf!" Die beiden Männer zogen sich hastig zurück. Latak Decimo war bereits weiter nach vorn gegangen. Er wollte zur Corocon III. Corda schaltete den Schirm aus. Das lebensecht wirkende Hologramm erlosch. Weiter hinten klangen Schritte auf. Dumpfes Gepolter begleitete sie. Es schienen mehrere Orathonen zu sein, die jetzt die ganze Anlage durchkämmten. John Haick entdeckte einen zerstörten Computer in einem Raum, der sich im selben Gang befand. Die Vorderfront war groß genug, um
einen Mann aufzunehmen. Ein Gewirr von Drähten und Spulen hing aus der Vorderseite heraus. Weiter drüben war noch ein schrankähnliches Gebilde. Es hatte vormals anderen Zwecken gedient. Aber jetzt erschien es ihnen wie ein Geschenk des Himmels. Die Schritte kamen näher. Rex Corda schraubte am Tonregler des Mikrofons herum. So konnte er annähernd verfolgen, in welcher Richtung sich die Fremden bewegten. Jetzt hatten sie bereits den Saal erreicht, von dem aus sie alles beobachten konnten. Außer, daß die Schritte plötzlich verklangen, war nichts zu hören. Die Orathonen besaßen ebenfalls eine abhörsichere Frequenz, auf der sie sich unterhielten. Corda konnte sich lebhaft vorstellen, daß sie jetzt die Anlage erprobten. Wieder klang ein peitschender Knall auf. Es hörte sich an, als wenn schwere Strahler abgeschossen wurden. Wahrscheinlich waren die Featherheads auf Tiere gestoßen, die sich in der Anlage verirrt oder eingenistet hatten. Die Schritte klangen jetzt ganz nahe. Dann sah Corda den Orathonen. Hinter der Helmscheibe sah ein Gesicht hervor. Kalte Augen suchten jeden Zentimeter Boden ab. Hatten sie etwas bemerkt? Corda fiel plötzlich siedendheiß ein, daß sie den bewegungslosen Ortahonen finden konnten. Ebensogut konnte das schrankähnliche Gebilde ihre Aufmerksamkeit erwecken. Sie saßen in einer Falle, die nicht mehr den geringsten Ausweg frei ließ. Entsetzlich lange Minuten vergingen. Einmal waren die Stiefel eines Orathonen so dicht vor Haicks Gesicht, daß er sie mühelos hätte greifen können. Der schwarzhaarige Mann lächelte grimmig mit zusammengebissenen Zäh-
nen. Seine Hand umkrampfte den Strahler. Aber der Featherhead sah nicht in den schmalen Spalt hinein. Dafür stieß sein Fuß an die zerstörte Frontseite des Computers. In Cordas Lautsprecher klang ein grelles Geräusch auf. Er hatte sich halb erhoben und lauerte in geduckter Stellung. Der Gefiederte schlenderte weiter. Ganz offensichtlich suchten sie nach weiteren Tieren. Als sie keine mehr fanden, verhallten ihre Schritte. Nach einer Weile übermittelte das hochwertige Aufnahmemikrofon nur noch leise Töne, die sich immer mehr entfernten. John Haick stieß hörbar die Luft aus. Die letzten Minuten waren alles andere als nett. „Jetzt aber nichts wie hier heraus", flüsterte er. „Sie sind in entgegengesetzter Richtung gelaufen. Wenn wir uns beeilen, kommen wir ungesehen an ihnen vorbei." Die beiden Männer zögerten nicht länger. Die Gefahr einer Entdeckung war immer noch groß. Die Orathonen konnten zurückkommen. Corda zwängte sich aus den Kabelsträngen hervor. Geduckt liefen sie durch den Raum. Bald hatten sie den Gang erreicht, der wieder nach draußen führte. Oben am Trichter entstand eine Bewegung. Haick ließ sich zu Boden fallen und preßte sich eng an das Gestein. Dann erkannte er Latak Decimo, der unruhig in die Tiefe sah. „Schnell, schnell", drängte der Laktone. „Wir haben keine Zeit zu verlieren. Die Orathonen können jeden Augenblick wiederkommen." Corda kletterte langsam nach oben. „Was haben die anderen gesagt?" fragte er. Decimo hob die Schultern. Ärgerlich spreizte er die Hände in den flexiblen
Raumhandschuhen. „Ich bin noch nicht durchgekommen", bekannte er. „Jeder Quadratzentimeter wird schärfstens überwacht. Sie haben einen Bronzeroboter zurückgelassen, der seit einer ganzen Weile die Umgebung beobachtet. Ich sehe keine Möglichkeit, wie wir zum Schiff kommen sollen." „Wo steht er jetzt?" „Dort vorn. Hundert Meter weiter von hier. Aber er hält sich ausgerechnet in dem schmalen Durchlaß auf, der zum Schiff führt. Er blockiert die Passage." „Hm. Das ist schlecht. Hat jemand einen guten Gedanken?" Decimo schüttelte wieder den Kopf. „Zerstören können wir ihn nicht, sonst wäre sofort die ganze Flotte alarmiert. Wir müssen abwarten." Sie saßen oben am Trichter, der Dekkung gegen eine Beobachtung bot. Kurze Zeit später erschien der Bronzeroboter. Immer wieder warf er einen Blick über die Schulter zurück. Corda sah, daß sein schwenkbarer Waffendrehkranz am oberen Kopfteil rotierte. In dieser Stellung konnten die Roboter gedankenschnell schießen und auch treffen. Der Roboter war angelegentlich damit beschäftigt, eine Pflanze zu beobachten, die sein Interesse erweckt haben mußte. Immer wieder bückte er sich und sah sich das Ding aus der Nähe an. Schließlich war sein Interesse erloschen. Er trat ein paar Schritte zurück. Der Drehkranz rotierte schneller. Anscheinend kam das grelle Fauchen eines Impulsschusses durch. Eine sonnenhelle Strahlbahn fraß sich in den Boden. Die Pflanze, oder was immer es sein mochte — verdampfte und löste sich in einer Glutwolke auf. Der Roboter marschierte den Weg zurück. Die Corocon III hatte er noch nicht entdeckt. Rex Corda schob sich ein Stück wei-
ter über den Trichterrand. Weiter hinten war ein mittelschwerer Hantelraumer gelandet. Die Landung mußte schon vor einer ganzen Weile erfolgt sein, während sie sich in den unteren Räumen aufgehalten hatten. „Wir müssen an Bord", drängte der Laktone. „Schließlich können wir nicht ewig hier liegenbleiben. Wer weiß, wann es dem Burschen gefällt, seinen Platz zu verlassen." „Können wir das Schiff nicht einmal kurz anfunken?" fragte Haick. Der Synoptiker wehrte ab. „Lieber nicht", meinte er. „Das Risiko ist zu groß. Wir müßten die Kapazität der Sendeenergie vergrößern. Man würde es sofort merken, obschon die Frequenz abhörsicher ist." Eine Viertelstunde verging. Untätig lagen die Männer am oberen Trichterrand und warteten auf ein Wunder. Ganz plötzlich drehte sich der Roboter herum. Im Schein der trüben Sonne glänzte sein Metall wie ein lohendes Fanal aus rotem Feuer. Er vollführte noch eine Drehung und kam dann beängstigend schnell auf den Trichter zu. Eine Flucht war aussichtslos. Sie würden nie mehr bis nach unten kommen. Das Monstrum war einfach zu schnell. Latak Decimo griff seufzend zur Waffe. „Überlassen Sie mir das", sagte er zu Corda, der seine Waffe bereits gezogen hatte. „Wenn ich schieße, dann laufen Sie so schnell wie möglich zum Schiff." Er winkte hastig ab, als Corda Einwände erheben wollte. Kurz vor dem Trichter stoppte der Roboter. Dann bog er hart nach links ab und verschwand hinter hohen Büschen. Offensichtlich hatte er einen Funkimpuls aus dem gelandeten Hantelraumer erhalten. Unter Beachtung aller Vorsicht liefen die Männer geduckt aus dem Trichter. Decimo blieb stehen und hielt die anderen mit einer Handbewegung zurück.
Sein Energietaster hatte schon wieder angesprochen. „Zurück. Dort vorn treiben sich Orathonen herum. Mindestens zwei oder drei. Sie stehen dort drüben am Sumpf." Der Laktone stieß einen leisen Fluch aus. Corda lächelte leicht. Es war das erste Mal, daß er den Synoptiker fluchen hörte. „Wir werden eben einen Umweg wählen, der uns in einem großen Bogen wieder zurückführt", sann Corda. Deutlich waren jetzt die Olivgrünen zu erkennen. Es handelte sich um drei Orathonen. Sie standen dicht nebeneinander und zeigten immer wieder auf den kraterförmig nach oben gewölbten Trichter. „Dann müssen wir aber an dem Hantelraumer vorbei", meldete Haick seine Bedenken an. „Das dürfte etwas riskant sein, oder?" Corda zuckte gleichgültig die Schultern. „Bisher war alles auf Swamp riskant. Achtung! Sie kommen wieder." Die drei Orathonen hatten ihre Dienstwaffen gezogen und näherten sich dem Trichter. Hastig kletterten die Männer an der anderen Seite hinunter. Kleine glitschige Schlangen, eher weiße Würmer, schoben ihre ekelerregenden Köpfe aus dem Boden. Ihre roten Augen glotzten auffordernd nach oben. Für eine kurze Zeit waren die Gefiederten außer Sichtweite. Aber das konnte sich jetzt schnell ändern, wenn sie ihr Tempo beibehielten. Wenig später mußten sie an dem gigantischen Hantelraumer vorbei. Stumm sahen sich die Männer an. Wenn kein Wunder geschah, kamen sie niemals ungesehen an dem Giganten aus Metall vorbei. Corda hob die Hand. Die drei Männer begannen zu laufen.
* Auf der Corocon III wurde eine Entdeckung durch die Orathonen mit jeder Minute wahrscheinlicher. Bronzeroboter tauchten auf und verschwanden wieder, nachdem sie sich eine Zeitlang im Gelände getummelt hatten. Entweder suchten sie planmäßig nach Überresten des so plötzlich vernichteten anderen Roboters, oder etwas anderes hatte ihre Aufmerksamkeit geweckt. Die in der Corocon III anwesenden Laktonen fieberten einer Entdeckung durch die Roboter entgegen. Schwitzende Männer beobachteten pausenlos die Gestalten, die im trüben Rotlicht der Riesensonne irgendwelche Untersuchungen anstellten. Federnder Torf ließ sie wie auf Gummi gehen. Die verringerte Schwerkraft von 0,79 g wirkte sich selbst auf die kybernetischen Gebilde aus. Ihre Masse war leichter geworden. Aber ihre Bewegungen paßten sich erstaunlich schnell den Umweltsbedingungen an. Fan Kar Kont kam zu keinem befriedigenden Ergebnis. Er fragte sich zum wiederholten Male, was die Roboter hier suchten. Bestand eine Verbindung zu dem vorhin gelandeten Hantelraumer? Der Chefwissenschaftler wandte sich ab. Er sollte erst viel später erfahren, aus welchem Grund sich die Roboter so merkwürdig benahmen. * Die Hantel war ein Raumer der Alakim-Klasse. Die silbrig schimmernden Kugeln besaßen einen Durchmesser von vierhundert Metern. Der Verbindungsarm wirkte schlank. Er war mit einer Unzahl von Sondersensoren besetzt, die für spezielle Forschungsaufgaben von den Orathonen eingesetzt wurden.
Flammendrote Symbole in Orathonisch ließen den Hantelraumer unsagbar fremd und abweisend erscheinen. John Haick schluckte krampfhaft. Wenn sie jetzt entdeckt wurden ... Auf dem Bauch liegend robbten sie weiter. Links von ihnen wurde eine Färbung sichtbar. „Wenn wir bis dorthin gekommen sind, haben wir gewonnen", flüsterte Latak Decimo. Seine Helmscheibe war mit unzähligen kleinen Schlammspritzern übersät. Auf dem Verbindungsarm der Hantel spielten unzählige kleine Antennen. Sie beschrieben einen Halbkreis und wanderten wieder zurück, während sie sich gleichzeitig nach oben bogen. Ein anderer Sondersensor schickte violette Lichtblitze aus. Sie erloschen schon wenige Zentimeter, nachdem sie die Abstrahlpole verlassen hatten. Haick wurde ständig von dem Gefühl geplagt, daß gleich ein schwenkbares Laserrohr auftauchen würde. Während er noch überlegte, was ihnen bei einer Entdeckung alles bevorstand, flammte drüben ein kleiner Lichtblitz auf. Ihm folgten in rascher Folge weitere Blitze. Eine große Antenne drehte sich rasend schnell und kam dann mit einem harten Ruck zum Stillstand. Auf der oberen Polkuppel tauchte ein kleines Rohr auf. Unverkennbar eine orathonische Lichtkanone mit unbegrenzter Impulsdauer. Sie bezog ihre Energie aus der trübroten Sonne. „Also doch", murmelte John Haick entsagungsvoll. „Das war ja auch vorauszusehen." Corda sagte nichts. Unverwandt blieb sein Blick auf den Alakim-Raumer geheftet, der sich jetzt in eine feuerspeiende Festung zu verwandeln schien. Ein paar Bronzeroboter rasten in wahnsinnigem Tempo in die offenklaffende Schleuse.
Ein grelles Winseln klang auf. Mit höllischem Tempo wurden zwei Diskus-Kleinraumer ausgeschleust. Sie verschwanden Bruchteile von Sekunden danach im düsteren Grau des Himmels. „Glaubst du immer noch, daß sie dieses Alarmmanöver wegen uns veranstalten?" fragte Rex Corda ruhig. Haick atmete befreit auf. Er lachte leise. „Nein, jetzt bestimmt nicht mehr. Sie haben sich um andere Dinge zu kümmern. Aber was mag es nur sein?" Darauf wußten die beiden anderen Männer auch keine Antwort. Sie sollten es bald erfahren. Irgendwoher kam ein grelles Lohen. Lautlos schlug es auf Swamp ein. Feurige Protuberanzen spritzten nach oben und schleuderten eruptive Fackeln bis hinauf in die dünne Wolkenschicht. Das harte Rütteln und Vibrieren kam sofort danach. Der Planet bäumte sich gegen die maßlosen Gewalten auf und schüttelte sich. Die Oberfläche zuckte und bebte. Und irgendwo dort oben huschte ein gewaltiges Schemen vorbei. Der drohende Schatten nahm den Männern den Atem. Der Hantelraumer verschwand so schnell, wie er gekommen war. Zurück blieb ein Vakuum, in das die Luft nun mit aller Gewalt hineindrängte. Es krachte und donnerte, als wolle Swamp in tausend Stücke besrsten. Die Männer krochen fast in den sumpfigen Boden hinein. Ein neues Geräusch drohte ihre Trommelfelle zu sprengen. Der Hantelraumer der Alakim-Klasse feuerte kurz zurück. Das sonst nur für Forschungszwecke eingesetzte Raumschiff bewies, daß es außerordentlich stark armiert war. Latak Decimo gab diese Tatsache zu denken. Ansonsten waren Forschungsschiffe nur schwache Gegner. Der Han-
telraumer eben aber war fraglos geflüchtet. Das bewiesen die Geräusche seines Katastrophenslarts. Und hoch über Swamp mußten sich laktonische Kriegsschiffe befinden, die das Feuer eröffnet hatten. Der Alakim-Gigant begann ebenfalls das Feuer auf einen unsichtbaren Gegner zu eröffnen. Vier kurze Imputestöße verließen die Abstrahlrohre und röhrten unerhört schnell in den Himmel. Ein Erfolg war jedoch nicht auszumachen. Kurz darauf wurde das Feuer eingestellt. Nur das dumpfte Orgeln in der Stratosphäre blieb. Grelle Lichtbahnen zuckten herab und hieben irgendwo mit maßloser Wucht in den Boden. Immer noch zitterte und bebte der ganze Planet. „Schnell, das ist unsere Chance", brüllte Corda, um sich in dem Lärm verständlich zu machen. Die Männer rannten los. Aber sie hatten nicht mit der tückischen Welt Swamps gerechnet. Was vormals wie eine Ebene aussah, entpuppte sich jetzt als Sumpfgelände. Und weiter drüben gab es keine Hügel mehr. Die Welt hörte auf wie abgeschnitten. „Schon wieder ein Sumpf", meuterte Haick. „Und dabei hat es vorhin ausgesehen wie eine hügelige Landschaft, die in eine Ebene übergeht." „Wir werden schon durchkommen", murmelte Rex, der erbittert mit den Zähnen knirschte. Das Rumoren hoch über ihnen wurde lauter. Das Raumgefecht — denn um ein solches konnte es sich nur handeln — näherte sich wieder der alten Stelle. Ab und zu tauchte ein langgestreckter Schatten auf, feuerte ein paar ultragrelle Lichtblitze auf Swamp herunter — und verschwand dann wieder unter lautem Getöse. Corda blieb stehen und sah zurück.
Weiter hinten schickte sich ein gigantischer Hantelraumer an zu landen. Jenseits einer langgezogenen Hügelkette setzte er auf. Das Donnern der Triebwerke erstarb. Für Sekunden herrschte tiefe Ruhe auf Swamp. „Was ist — weshalb zögerst du?" fragte Haick, als er sah, wie Corda immer noch stehenblieb. „Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren." „Das sagtest du heute schon einmal", erwiderte Rex trocken. „Dort hinten geht etwas vor sich, das interessant zu werden scheint. Paß gut auf, John: Ihr werdet jetzt versuchen, zur Corocon III durchzukommen. Unter den jetzigen Umständen dürfte das nicht allzu schwierig sein. Vermutlich werden sie von laktonischen Einheiten aus dem Raum angegriffen. Sie werden euch daher keine Beachtung schenken." „Und was hast du vor?" erkundigte sich John Haick besorgt. Corda lächelte. Seine athletische Gestalt hob sich scharf gegen den düsteren Horizont ab. Die faszinierend blauen Augen sahen durch den Freund hindurch. „Ich werde versuchen, an den eben gelandeten Hantelraumer heranzukommen. Ich möchte wissen, was da passiert." „Verrückt. Sie werden dich entdekken. Was dir dann bevorsteht, brauche ich dir nicht zu erklären, oder?" „Bestimmt nicht. Mein Entschluß ist nicht zu ändern. Ich gehe jetzt. Später — sagen wir in einer Stunde — werde ich mich bei der Corocon einfinden." Latak Decimo sah dem hochgewachsenen Mann sinnend in die Augen. „Sie sind ein sehr impulsiver Mensch", sagte er. „Ich an Ihrer Stelle würde weniger leichtsinnig mit dem Leben umgehen. Man hat nur eines." Corda verschwand, ohne ein Wort zu sagen. Haick sah ihm betrübt nach. „Was sagen Sie nun? Er hat eben sei-
nen eigenen Kopf, und kein Argument hält ihn von seinem einmal gefaßten Vorsatz ab. Wissen möchte ich nur, was er jetzt wieder entdeckt hat." Der Synoptiker sah der entschwindenden Gestalt lange nach. Corda verschwand gerade hinter einer kleinen Senke. Gleich darauf schien er nicht mehr zu existieren. Der dunkle Schatten des orathonischen Raumers hatte ihn verschluckt. „Achten Sie jetzt auf den Sumpf", warnte Latak Decimo. „Er ist tückisch und gefährlich. Niemand kann genau sagen, was sich in ihm verbirgt." Haick nickte. Sie schickten sich an, das federnde Gelände zu betreten. Der Boden war nachgiebig und ungemein elastisch. Die Füße sanken wohl ein, aber sie federten auch sofort wieder zurück. Es war ein unheimliches Gefühl. Die Beklemmung wuchs mit jeder Minute. Der Laktone sollte recht behalten. Der Sumpf war mehr als tückisch. Er merkte es, als er eine glatt aussehende Stelle passierte. Haick achtete nicht auf ihn. Er hatte mit sich selbst genug zu tun, um nicht unversehens an einigen trügerischen Stellen einzusinken. Er fuhr erst von dunkler Ahnung erfüllt herum, als er den markerschütternden Schrei über die Helmfrequenz hörte. Was er dann sah, ließ sein Herz für einige Sekunden stillstehen. Latak Decimo schrie noch immer. Das Etwas, das hart hinter ihm stand, sah auf den. ersten Blick aus wie ein Mensch. Aber ihm fehlten der Kopf und die Beine. Und es war aus Schlamm. Es besaß keine Augen und keine anderen Wahrnehmungsorgatne. Dennoch hatte es seine Beute zielsicher erfaßt. Die Monstrosität war unvermittelt aus dem Schlamm gewachsen. Sie war
urplötzlich aufgetaucht und griff nun von hinten zu. Starke Arme hatten sich geformt. Sie umklammerten den entsetzten Synoptiker und würgten ihn. Dabei sank die Gestalt ganz unmerklich in den Sumpf zurück. Ihre Taktik war klar ersichtlich. Sie versuchte, den heftig um sich schlagenden Synoptiker mit in die unbekannte Tiefe zu zerren. * Auf Swamp begann die Nacht Sie unterschied sich nicht allzuviel vom Tage. Dasselbe trübe Licht herrschte noch immer. Es hatte nur ein wenig die Farbe geändert. Und es war nicht mehr die Sonne, die herabschien, sondern Swamps einziger Trabant. Blasses, fahles Licht beleuchtete gespenstisch Rex Cordas Gesicht als er den zweiten Hantelraumer erreichte Er stand dreieinhalb Kilometer von dem Alakim-Raumer entfernt und war ein Gigant. Die schwarzen Kugeln der Hantel lagen wie gewaltige Titanenhügel inmitten einer wildwuchernden Pflanzensiedlung. Die Flora hatte dem Druck des Titanen nachgegeben. Zerfetzt und schwarz verbrannt bildeten die Pflanzen ein schier undurchdringliches Dickicht. Corda benötigte eine ganze Weile, um zu erkennen, um welches Schiff es sich handelte. Erst nach langen Beobachtungen kam er zu dem Schluß, daß es nur ein ganz bestimmter Raumer sein konnte. Das Flaggschiff Sigam Agelons! Hinter einem hohen gelblichroten Busch legte er sich auf den Boden. Der Hantelraumer war hell erleuchtet. Deutlich waren im Verbindungsarm Gestalten zu erkennen, die sich an der Transmitteranlage bewegten und dann darin verschwanden.
Gleich darauf tauchten sie am anderen Ende der großen Kugel auf. Das Schiff war von hektischem Leben erfüllt. Corda konnte sich keine Vorstellung machen, was die Orathonen beabsichtigten. Aber etwas ungemein Wichtiges ging hier vor. Er griff zum Kopf, der plötzlich wieder zu schmerzen begann. Sinneseindrücke, für die er keine Erklärung fand, sprangen ihn an und überschwemmten sein Denken mit einer wilden Flut. Und wieder, wie vorhin schon, ließen sich diese Eindrücke nicht analysieren. Der Ansturm hielt nur ein paar Sekunden an. Dann folgten noch einige ebenso undeutliche Impulse. Sie waren äußerst scharf und fordernd, doch Corda wußte sie nicht zu deuten. Urplötzlich war alles vorbei. Der Mond wanderte weiter und beschien einen Landstrich, der bisher im Dunkel lag. Felsige Zacken verbargen alles vor seinen Blicken. Jetzt aber wurde es unversehens hell. Rex Corda entdeckte einen zweiten Hantelraumer! Bis auf einen schmalen Spalt, aus dem gelbliches Licht fiel, war alles dunkel. Aber ein paar schattenhafte Gestalten bewegten sich lautlos. Corda erkannte einen Bronzeroboter, der grell aufleuchtete, als das Mondlicht ihn traf. Er stand hart vor einem riesigen Pilz, der annähernd sechs Meter in den Himmel wuchtete. Seine Lamellen waren von einem blaßrosa fluoreszierenden Licht umgeben. Als der Roboter näher trat, schlossen sich die Lamellen des Riesenpilzes und spien einen Schauer grüner Körner aus. Sofort begann der Boden zu dampfen, und Phosphordämpfe breiteten sich aus. Der Bronzeroboter ging in Deckung. Er hätte den Pilz ebensogut vernichten können, aber vermutlich durfte er nicht schießen, um kein unnötiges Aufsehen
zu erregen. Ein neuerlicher, ungemein greller und fast schmerzhafter Impuls erreichte Rex Cordas Sondersinne. Er taumelte unter dem plötzlichen Ansturm. Rasende Kopfschmerzen ließen ihn seine Umgebung nur noch verwaschen und undeutlich erkennen. Er wollte schreien und mußte alle Willenskräfte mobilisieren, um es nicht zu tun. Der Schmerz verklang diesmal nur zögernd. Er schwächte deutlich ab, war aber immer noch vorhanden. Corda fand zum wiederholten Mal keine Erklärung für den merkwürdigen Vorgang. Unterdessen arbeitete er sich immer näher an den Hantelraumer heran. Er lag jetzt auf einer kleinen Lichtung, von der aus er die beiden Schiffe besser beobachten konnte. Dunkle Gestalten eilten hin und her. Der gelbe Schein aus der offenen Schleuse des Flaggschiffes wurde breiter und gleichzeitig heller. Über Cordas Rücken rieselten kalte Schauer. Er hatte die Augen zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen, um besser sehen zu können. Das dumpfe Gefühl lastete wie ein Felsen auf ihm. Und es wich nicht. So sehr er sich auch anstrengte, es zu vertreiben. Es blieb. Er bemerkte das helle Flimmern eines Schwerkraftfeldes, das ein Generator aus dem Innern des Flaggschiffes erstellte. Ein langer dunkler Gegenstand wurde plötzlich gewichtslos und schwebte in einem Meter Höhe über dem Boden auf die offene Schleuse zu. Das beklemmende Gefühl verstärkte sich jetzt noch. Die Sekunden, die verrannen, wurden zu Alpträumen für den beobachtenden Mann. Seine Lippen zuckten, und geisterhafte Reflexe huschten über sein Gesicht.
Das dunkle Etwas, das auf die Schleuse zuschwebte, verharrte einen Moment bewegungslos. Erst als ein dumpfviolettes Glühen aufzuckte und unbestimmbare Impulse mit aller Macht in Cordas Hirn hämmerten, erfaßte er mit einem Schlag, worum es sich handelte. Die Erkenntnis entlockte ihm ein heiseres Stöhnen. Das, was hier von einem Raumer in das Flaggschiff verladen wurde, war die „Nadel", die umgewandelte terranische Parallelmutantin Virginia Matson! Vor Cordas geistigem Auge zogen blitzschnell die Ereignisse der vergangenen Wochen wie ein schneilaufender Film ab. Damals hatte der Mutant Fred Matson den energetischen Schirm um das Sonnensystem durchbrochen und der laktonischen Flotte den Ausbruch und die Vernichtung der orathonischen Außenbasen ermöglicht. Dabei war Matson zu einem Strukturveränderten geworden, der sich verformte und durch eine maßlose kinetische Energieentfaltung davongeschleudert wurde. Schließlich schlug er auf 499 Hidalgo ein. Der in Wirklichkeit künstliche Planetoid, die „Raumstation Schalmirane", war durch die Erschütterung jählings auf geheimnisvolle Weise aus dem System verschwunden. Gleichzeitig ging auf der Erde ein unerklärlicher Vorgang mit Mastons Frau Virginia vor. Während er zu einem steinähnlichen Gebilde schrumpfte, veränderte sie sich gleichzeitig und wurde größer. Sie nahm die Form eines Nadelfelsens an und begann erste Impulse auf einer übergeordneten hyperenergetischen Basis auszulösen. Matson konnte diese Symbole empfangen und auch entziffern. Niemand wußte jedoch, wo er sich aufhielt. Die sogenannte „Nadel" löste auf den orathonischen Schiffen Verwirrung aus. Ihre Impulse konnten selbst von po-
sitronischen Gehirnen nicht entziffert werden. Corda hatte damals die erste Botschaft aus dem System der Dunkelsterne erhalten. Er war der einzige Terraner, der in der Lage war, die Impulse zu verstehen, die die Nadel aussandte. Schuld daran waren seine Sondersinne. Rex Corda war ein Empath, der sich in die Gefühlssphäre anderer hineintasten konnte. Corda sah mit plötzlicher Klarheit, was hier vorging, wenn er sich auch vorerst nur auf Vermutungen stützen konnte. Die Hyperimpulse, die Virginia Matson aussandte, hatten die Orathonen angelockt. Sie waren vermutlich überraschend auf Terra erschienen und hatten die im Boden verankerte „Nadel" entführt. Und jetzt lud man sie in das Flottenflaggschiff des Sigam Agelon um! Corda sann verzweifelt und angestrengt über das Geschehnis nach. Was hatte Sigam Agelon mit der lebenden, aber erstarrten Mumie vor? Dann fiel ihm ein weiterer ungemein wichtiger Faktor auf. Die Zeitlosen! Die unbekannten Geschöpfe aus dem System der Dunkelsterne. War es den Orathonen gelungen, eine von ihnen über Matson abgestrahlte Nachricht und Warnung zu entziffern? Hier ging es um ein großes galaktisches Spiel, in dem die Orathonen unbedingt und mit aller Gewalt mitmischen wollten. Cordas Vermutung resultierte schließlich in einem Satz. Man hatte die Nadel entführt, um durch sie dem Geheimnis des Energieumwandlers Matson auf die Spur zu kommen! Man suchte ihn und wollte seiner habhaft werden! Die Überlegungen rissen jäh ab. Corda kehrte wieder in die Wirklichkeit
zurück. Er verstand plötzlich die rätselhaften Impulse und die Schmerzen, die sich seit einiger Zeit ständig bemerkbar gemacht hatten. Virginia Matson hatte ihm etwas mitteilen wollen. Sie mußte seine Anwesenheit auf Swamp erfaßt haben. Oder sie hatte versucht, Matson zu erreichen. Das war immerhin eine Erklärung, weshalb es Corda nicht gelungen war, die Impulse zu entziffern. Sie waren fremd und übergeordnet. Noch immer stand die Schleuse einen Spalt offen. Die Sphäre, die die Nadel errichtet hatte, wechselte die Farbe, wobei sie das gesamte Spektrum durchlief. Auf dem Flaggschiff des Agelon herrschte ganz offensichtlich große Erregung. Keiner der anwesenden Orathonen fand eine Erklärung für den seltsamen Vorgang. Erstmals waren die Gefiederten auf etwas gestoßen, das ihnen Unbehagen einflößte. Bevor sich die Schleuse schloß, konzentrierte Corda seine Gedanken. Intensiv versuchte er, mit der Parallel-Mutantin in Kontakt zu kommen. Der Schweiß lief ihm in Bächen über das Gesicht. Die Umwelt versank um ihn. Immer mehr richtete er seine emotionelle Sphäre auf die „Nadel" aus. Dann hob er lauschend den Kopf. Ein kurzer, greller Impuls kam durch. Aber er war nicht für ihn bestimmt. Genauso schnell, wie er den Impuls mit seinen Sondersinnen ordnete, verklang er auch wieder. Dann herrschte Stille. Es gelang ihm nicht, mit Virginia Matson in Kontakt zu kommen. Da schloß sich die Schleuse. Die schwerkraftaufhebenden Felder erloschen. Die Nadel befand sich nun im Schiff. Es war zu spät. Corda erhob sich enttäuscht. Sinnend
sah er auf den weißen Faden, der vor ihm am Boden lag. Er schien zu leben, denn deutlich zuckte sein verdünntes Ende hin und her. Corda wandte sich ab. Er war machtlos. Er konnte nicht helfen, genauso wenig wie er die Orathonen an der Entführung der „Nadel" hindern konnte. Hoch über ihm rumorte es noch immer in den äußeren Ausläufern der Stratosphäre. Als er nach oben blickte, kam das wilde Brüllen über den Helmlautsprecher. Jenseits der Hügel, durch eine schmale Passage gerade noch erkennbar, erhob sich ein Hantelraumer. Tosende Gasmassen ließen die Nacht zum Tage werden. Ultrahelles Glühen begleitete den Start des Schiffes. In einer gewaltigen Leuchterscheinung verschwand es. Voller Erbitterung wandte Corda sich um. Er verspürte eine nie gekannte Wut, die einer grenzenlosen Enttäuschung Platz machte. Als er den ersten Schritt vorwärts machte, hatte er das Gefühl, in eine Falle gelaufen zu sein. Der weiße Faden hatte sich vervierfacht. Er war stärker als vorhin und befand sich nun in wilder zuckender Bewegung. Corda wich in einer blitzschnellen Drehung aus. Da peitschten die Fäden hoch. Sie erreichten ihn noch im Sprung. Sie brachten ihn zu Fall und rissen ihn herum. Gleichzeitig erschien aus dem Nichts ein häßlicher weißer Kopf, der blitzschnell nach seinem Gesicht stieß. Der Überfall erfolgte schlagartig. Ebenso schnell kam Cordas Reaktion. Dennoch kam sie um einen Sekundenbruchteil zu spät. Der gierig zuschnappende Hornschnabel stieß ins Leere. Knirschend bohrte er sich in den hellen Sand.
Aber die Fäden griffen mit unerhörter Schnelligkeit zu. Sie verstrickten den hilflos um sich schlagenden Mann und hielten ihn unbarmherzig am Boden fest. Corda sah die weißen Fäden — jeder mehr als vier Meter lang — nach seiner Helmscheibe tasten. Die Strahlwaffe wurde ihm entrissen und in hohem Bogen davongewirbelt. Und wieder tauchte das ballonartig aufgeblähte Gesicht auf. Es gab einen hallenden Schlag, als der Hornschnabel nach seinem Anzug stieß. Corda spürte den Hieb mit aller Stärke, als wäre er nicht durch den Anzug geschützt. Ein harter Stoß warf ihn nach vorn. Dort lauerten bereits weitere weiße Arme. Sie preßten ihn an den Boden. Unerbittliche Gewalten drückten zu. Rex Corda wurde über den Boden gerollt. Die Umgebung rotierte und überschlug sich scheinbar. Dann gelang es ihm, einen der weißen Fäden zu packen. Mit der Kraft der Verzweiflung riß und zerrte er daran. Der Arm brach mit einem knirschenden Geräusch ab. Wild zuckend wand er sich am Boden und tastete sich wieder an den entsetzten Mann heran. Ein paarmal war das häßliche Gesicht über ihm. Aber dadurch, daß er immer wieder mit aller Erbitterung auf den Ballon einhieb, kam der Hornschnabel zu keinem Erfolg. Corda kroch auf eine kleine Senke zu, die wenige Meter entfernt in die Tiefe führte. Ein Aufprall aus zwei Metern Höhe würde ihm nicht viel schaden, aber er konnte das Biest mit hinunterziehen. Vielleicht ließ es dann endlich von ihm ab. Mensch und Fremdpflanze vom Planeten Swamp rollten in einem verstrickten Knäuel über den Boden. Immer wieder hieb der gierige Schnabel zu. Wenn er traf, würde er die
Kombination zerfetzen. Darüber war Corda sich klar. Dann gelang es ihm, sich bis an die Senke zu rollen. Sein Fuß streifte den Strahler. Die Waffe kollerte den Abhang hinunter und verschwand in einem grelleuchtenden Busch mit spitzen Blättern. Rex Corda ließ sich einfach fallen. Den Rest besorgte die Schwerkraft. Der fremde Labyrinth-Körper wurde durch Cordas Eigengewicht in die Tiefe gerissen. Hart schlug er unten auf. Sein Rükken schmerzte, aber die Pflanze, oder das Tier, lag halb zerdrückt unter seinem Körper. Mit den Beinen hieb er nach den restlichen Schnüren, die ihn im Fall umklammert hielten. Zwei weitere Arme brachen ab, als Corda sein Gewicht verlagerte. Der Rest wand sich in wilden, zuckenden Bewegungen am Boden. Der ballonartige Schädel stieß hohe Pfeiflaute aus, die fast an der Ultraschallgrenze lagen. Dann war Rex Corda frei. Hastig bückte er sich und tastete nach seiner Strahlwaffe. Als er das leuchtende Dickicht berührte, schloß sich die Pflanze gierig um seine Hand. Scharfe Dornen traten aus den Blättern hervor. Ihre Enden spien eine dicke, grünliche Flüssigkeit aus. Corda befreite sich mit einem schnellen Ruck. Sein Fuß fetzte das Buschwerk auseinander. Ein paar Blätter rissen ab. Sie fielen aber nicht zu Boden, sondern schwebten plötzlich davon. Er starrte ihnen verwundert nach. Auf Swamp geschahen so viele rätselhafte Dinge, daß es unmöglich war, sie alle zu ergründen. Er sah hoch. Die Blätter entwickelten ein rasendes Tempo. Pfeilschnell schossen sie davon und entschwanden seinen Blicken.
Corda hob die Waffe auf. Dann machte er sich auf den Rückweg. Überall standen seltsame Gittermuster über dem Boden. Sie waren kreuzförmig angeordnet und schwebten einen halben Meter über dem Untergrund. Auf den ersten Blick sahen sie wie riesige Spinnennetze aus. Nur war ihre Struktur anders angeordnet. Fallen! Lebende Fallen, in denen sich Tiere fingen oder Menschen, die ahnungslos darauf zuliefen. Rex Corda wich ihnen in weitem Bogen aus. Er hatte die Bekanntschaft dieser Kreaturen gemacht und hielt es für besser, ihnen nicht ein zweites Mal in die Fänge zu laufen. Eine Viertelstunde später erreichte er den Sumpf, wobei er den OrathonenRaumer nochmals in einem weiten Bogen umging. An Bord rührte sich nichts. Ebenso waren keine orathonischen Hilfsvölker zu entdecken. Dafür sah Rex Corda etwas anderes. Der Sumpf schien zu brennen. Tausend kleine Feuerteufel zuckten über die morastige Fläche. Die Elmsfeuerchen stießen leise, klagende Laute aus, als hätte ihnen jemand Schmerzen zugefügt. * Decimo hatte sich von dem Ungeheuer befreit, das so unvermittelt aus dem Nichts gewachsen war. Es war nach einem Strahlschuß wieder in den Boden eingesunken und darin verschwunden. „Geben Sie doch zu, daß wir uns verirrt haben", sagte Haick. „Wir haben diesen Sumpf bereits dreimal umrundet, nicht wahr?" Der Synoptiker winkte müde ab. Sein Sauerstoffgerät hatte schon zweimal ausgesetzt. Die Flaschen waren nahezu leer.
„Niemand meldet sich auf den Funkimpuls hin. Vermutlich hat Fan Kar Kont strengste Funkstille angeordnet, damit wir von den Orathonen nicht entdeckt werden. Ja — wir haben uns verirrt", gab er anschließend zu. „Dieses höllische Feuer, das jetzt über dem Moor steht, trägt die Schuld daran. Alles sieht gleich aus." Sie blieben stehen und lauschten. Die Geräusche, die herüberklangen, wirkten zermürbend. Der Sumpf heulte und zischte. Leises Brausen, von gurgelnden Tönen untermalt, wirkte nicht gerade beruhigend. „Der Sumpf heult jetzt, weil ihm ein laktonischer Bissen entgangen ist", bemerkte John Haick spöttelnd. Aber er konnte mit seiner Bemerkung die Stimmung nicht aufheitern. „Sehr witzig", knurrte der Synoptiker. „An Ihnen ist ja auch nicht viel dran. Vielleicht heult er vor Freude, daß er Sie nicht verschlingen mußte." „Gelegentlich lache ich mal darüber", knirschte Haick erbittert. „Gehen wir nun wieder denselben Weg zurück? Allmählich macht mir diese nächtliche Wanderung Freude. Was gäbe ich jetzt für ein warmes Bett!" „Primitivling! Eine Antigrav-Koje wäre mir lieber, wenn ..." Latak Decimo unterbrach sich. Von weiter drüben kam ein knackendes Geräusch. Es ging in dem Klagen und Winseln des Sumpfes fast unter, aber der Laktone besaß ein überaus feines Gehör. „Hören Sie nichts?" fragte er. „Nur den Wind", brummte John Haick. Er blieb so abrupt stehen, daß er unsanft gegen den Laktonen prallte. Das knackende Geräusch wiederholte sich noch einmal. Jetzt vernahm man weiter drüben schleichende Schritte. „Ein Orathone", hauchte Haick. „Ob er uns bemerkt hat?" Decimo gab keine Antwort. Dafür
zog er den Strahler und richtete ihn in die Richtung, aus der das Geräusch kam. „Wir können uns jetzt keine humanitären Anwandlungen erlauben. Wir müssen zuerst schießen. Im anderen Fall tut er es." Plötzlich war eine brüllende Stimme in ihren Helmlautsprechern. Die beiden Männer zuckten erschrokken zurück. „Erst denken und dann schießen, Freund. Außerdem schießt man nicht auf nächtliche Spaziergänger." „Rex", flüsterte Haick ungläubig. „Und wir hätten beinahe.." „Sprich nur weiter", forderte die Stimme ihn auf. Sie war immer noch erschreckend laut. „Wenn du weiterhin redest, kann ich wenigstens euren Standort feststellen." „Wir sind hier drüben. Ich sehe dich, Rex. Genau geradeaus!" Ein Schatten tauchte vor ihnen auf, der rasch größer wurde. Weiter als sechs Meter kam er jedoch nicht heran. Ein sumpfiger Graben trennte sie voneinander. „Wie kommt ihr denn auf diese Feuerinsel?" erkundigte sich Rex Corda besorgt. Er sah die beiden Gestalten in heller Lohe stehen. Tausend kleine Feuer umtanzten sie. „Verdammt!" John Haick fluchte ausgiebig und lange. „Deshalb sind wir ständig im Kreis gelaufen. Die Insel muß sich erst in den letzten Minuten gebildet haben. Vorher war sie noch nicht da." „Versuchen wir es doch einmal mit Schwimmen", riet der Laktone trocken. „Eine andere Möglichkeit sehe ich leider nicht." Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, sprang der Laktone in den gurgelnden Schlamm. Mit wenigen kräftigen Stößen erreichte er das andere Ufer. Corda half ihm auf das festere Land hinüber. Anschließend folgte John
Haick, der seine Enttäuschung immer noch nicht überwunden hatte. „Da hätten wir noch lange laufen können", meinte er. „Komisch, von uns aus war das gar nicht zu sehen. Vermutlich weil wir vom Hellen ins Dunkle geblickt haben." Von hier aus ließ sich der Weg zur Corocon III weitaus besser verfolgen. Der Hantelraumer lag weiter hinter ihnen. Von den Orathonen hatte sie niemand bemerkt. Latak Decimo trieb zur Eile an. Sein Sauerstoffgerät setzte schon wieder aus. Es wurde höchste Zeit, daß sie das Schiff erreichten. Corda schilderte in knappen Worten sein Erlebnis. „Und du bist sicher, daß es sich einwandfrei um die Mutantin handelt?" fragte John Haick erregt. „Sie war es. Es ist kein Zweifel möglich. Für uns wirft sich nur die Frage auf, was sie mit der ,Nadel' vorhaben. Ihre Hypersphäre muß sie außerordentlich neugierig gemacht haben. Ich habe immer noch keine Erklärung für das Vorgehen der Featherheads gefunden." Sie waren jetzt in der Passage, die in einer gewundenen Schlucht dahinlief. Es war nicht mehr weit bis zur Corocon III. Bevor sie das Schiff erreicht hatten, kamen ihnen die ersten Gestalten entgegen. Vier Laktonen liefen auf die Ankömmlinge zu. Dann wurde urplötzlich die Nacht zum Tag, und Swamp schien in einem Feuermeer auseinanderbersten zu wollen. Die Köpfe ruckten nach oben. Die Schwärze des Himmels war aufgerissen und hatte einem lohenden Fanal Platz gemacht, das sich jetzt von Horizont zu Horizont ausbreitete. Immer strahlender und heller wurde es, als gingen über Swamp etliche Son-
nen auf. Ein ultragreller Blitz entstand. Lange Flammenbahnen fraßen sich durch die Finsternis. Ihre sonnenhellen Protuberanzen glichen langen Wasserstofffackeln, die sich schlangengleich durch das All fraßen. Der ganze Planet wurde in seinen Grundfesten erschüttert. Sekundenlang gleißte die Corocon III wie eine Magnesiumfackel auf. Dann verschmolz der Schiffskörper wieder untrennbar mit der Felswand. Die Männer hatten sich beim ersten Erscheinen der grellen Leuchtbalken zu Boden geworfen. Niemand hatte eine Erklärung. Dann kam das unerhört harte Rütteln und Vibrieren. Der Sumpf blähte sich eruptiv nach oben. Schlamm und Wassermassen spritzten zum Himmel. Sie kamen sofort als feiner Regen wieder herab. Maßlose Gewalten rissen und zerrten die versteckt unter der Oberfläche lauernden Pflanzen hoch und schleuderten sie mehrere hundert Meter weit weg. Feuer kroch über den Boden. Kugelblitze und helles Knallen wechselten miteinander ab. Die Hölle selbst mußte sich aufgetan haben, um alles zu verschlingen, was sich in greifbarer Nähe befand. Erst allmählich klang das Inferno ab. Jenseits der Hügel hüpfte eine rote Riesenkugel über den Boden. Sie überschlug sich etliche Male und platzte dann auseinander. Die letzten Ausläufer der ungeheuren Vibration klangen langsam ab. Deutlich war zu sehen, daß es sich bei dem hüpfenden Feuerball um Überreste eines orathonischen Raumers handelte, dessen glühende Fragmente kilometerweit durch die Luft spritzten. Der Kampf, der zwischen Orathonen und Laktonen hoch oben im Raum tobte, entfernte sich wieder und verlagerte
sich nach draußen in die unergründliche Schwärze des Alls. Die Laktonen hatten einen Raumer abgeschossen, der auf Swamp niedergegangen war und dort explodierte. Die Männer starrten immer noch nach oben. Bis hierher waren keinerlei Bruchstücke der zerplatzenden Riesenkugel geflogen. Latak Decimo nickte anerkennend. Seine rosa Zähne wurden sekundenlang sichtbar, als er leise auflachte. „Sehr gut. Sie haben wieder einen Hantelraumer verloren. Können Sie verstehen, daß ich mich über jedes abgeschossene Schiff der anderen freue, Rex Corda?" Der junge Präsident nickte. Sekundenlang glaubte er den Haß in den Augen des Laktonen sprühen zu sehen. Dann wandte der Synoptiker sich hart ab und betrat das Schiff. Er konnte jetzt endlich seine Sauerstoffflaschen auswechseln. Fan Kar Kont nahm Rex Corda beiseite. Seine ausgestreckte Rechte wies auf die Corocon III. Mit einem bösen Auflachen deutete er auf den Schiffsboden und die Außenwandungen. „Sehen Sie sich das bitte an. Wissen Sie, was es zu bedeuten hat?" Corda konnte nur stumm nicken. In den Wandungen klaffte ein mehr als metergroßes Loch. Die Fadenpilze hatten das Panzerplast aufgelöst und zerfressen. Der Boden rings um den Schiffskörper sah genauso aus. Der Kleinraumer glich einem mürben Stück Blech, durch das man mit dem Fuß hindurchtreten konnte. „Ich verstehe", sagte Corda langsam. „Wir werden diese schöne Welt nicht mehr verlassen können, nicht wahr?" „Genauso ist es. Wir sind auf Swamp gefangen. Ein Start ist unmöglich geworden. Aber erzählen Sie bitte, was passiert ist." Corda tat es der Reihe nach. Als er
mit seiner knappen Schilderung fertig war, sah er, wie sich die Streifen in Fan Kar Konts Gesicht veränderten. Der Chefwissenschaftler war stark erregt.
* 236 Lichtjahre von Swamp entfernt, auf Terra, standen die beiden Laktonen Percip und Fatlo Bekoval zusammen mit Ga-Venga in dem Arbeitszimmer des terranischen Vizepräsidenten Will Rimson. Ga-Venga, der kleine Kynother, sah neidvoll zu, wie Rimson den beiden Laktonen die Staatsbürgerurkunden überreichte. Sir K. Enschko, der offizielle Vertreter Laktons auf der Erde, hatte Percip und Bekoval die laktonische Staatszugehörigkeit aberkannt. Die beiden Laktonen waren in die von K. Enschko raffiniert vorbereitete Falle gelaufen. Man warf ihnen Kollaboration mit der Erde vor. Das hatte genügt, um die beiden Laktonen zu degradieren. Jetzt zeigte sich Terra erkenntlich, indem man ihnen die terranische Staatszugehörigkeit anbot. Der kleine Kynother, der danebenstand und gebannt zusah, trug wieder seine Lieblingsuniform. Eine schwarze Kombination mit einem schreiend roten Brustkeil. Seine Augen saugten sich an den Urkunden fest. „Ist etwas?" fragte William Rimson. Der Kynother mit dem zwergenhaften Wuchs und dem riesigen Kopf verneinte. Nachdenklich betrachtete er jetzt den weißen Haarkranz, der Rimsons Glatze umgab. „Der laktonische Beobachter, K. Enschko hat mich nicht aus den Diensten Laktons entlassen. Ich hätte aber auch gern die terranische Staatsangehörigkeit."
„Das geht leider nicht", versetzte Rimson ernst. „Bekoval und Percip sind degradiert worden. Sie sind Ausgestoßene, und wir haben uns entschlossen, sie künftig als terranische Staatsbürger zu registrieren." „Kann ich denn vielleicht wenigstens einen terranischen Orden bekommen?" fragte Ga-Venga. Der Vizepräsident lachte leise. „Wofür denn?" „Für besondere Verdienste etwa. Ich sah mal einen, der mir gut gefiel. Honi soit qui mal y pense, stand darauf." „Hm. Ein Schelm, wer Arges dabei denkt", erklärte Rimson. Nur mit Mühe unterdrückte er seine aufkommende Heiterkeit. „Das geht leider nicht. Vielleicht langt es mal zu einem Orden wider den tierischen Ernst. Doch darüber reden wir später." Die beiden Laktonen hatten sich nicht gerührt. Bekoval, 69 Jahre alt, fett wirkend, aber ungeheuer kraftvoll, sah sich stolz um. Neben ihm stand der Lithalon-Geborene Percip. Er maß 2,04 m. Will Rimson reichte dem ehemaligen Spezialagenten mit der roten Kerbe im Kinn nur bis ans Brustbein. „Wir danken Ihnen", sagte Fatlo Bekoval nach einer Weile und streckte Rimson die Hand hin. Als er zudrückte, verzog der Vizepräsident schmerzhaft das Gesicht. Er nickte den beiden Männern freundlich zu. Sie hatten schon viel für die Erde getan. Rimson drängte zur Eile. Die Geschehnisse der letzten Tage lasteten wie ein Zentnergewicht auf seinen Schultern. Auf Terra war wieder einmal die Hölle los. Zehn Veränderte, denen man die grauen Schalen aus Becon eingepflanzt hatte, waren aus der laktonischen Botschaft ausgebrochen. Sie hatten ein
Raumschiff gekapert und sich in Richtung Orathon abgesetzt. Sie waren der laktonischen Kontrolle entglitten. Das Experiment war ein einziger Fehlschlag gewesen. Ihre Flucht wurde durch das plötzliche Erscheinen von tausend orathonischen Hantelraumern begünstigt, die auf Terra erschienen waren. Die Hypersphäre der Parallel-Mutantin Virginia Matson hatte sie angelockt. Sie hatten die „Nadel" aus dem Boden gerissen und sie entführt. Niemand wußte, wohin sie geflogen waren. Rimsons Gesicht überschattete sich. Seine Gedanken kehrten wieder zurück. Die Laktonen Percip und Bekoval sollten nun ihren Sondereinsatz erhalten. Rimson knirschte unhörbar mit den Zähnen. Die umwälzende Erfindung Walter Becketts befand sich bereits in den Händen der Laktonen. Aber glücklicherweise nicht vollständig. Es war klar, daß alle Experimente mit Becon scheitern mußten. Die vergangenen Tage hatten das deutlich bewiesen. „Ga-Venga! Sie sind vom laktonischen Beobachter K. Enschko freigestellt worden, nicht wahr?" vergewisserte er sich. Der Kynother hatte gerade an den Orden gedacht. Er zuckte zusammen. „Ja, ich kann augenblicklich tun und lassen, was ich will." „Sehr schön. Dann werden Sie Bekoval und Percip auf ihrer Reise begleiten." Der blauhaarige kleine Mann mit dem viel zu großen Kopf rieb sich vergnügt die Hände. Dann stieß er einen freudigen Pfiff aus. Anschließend entschuldigte er sich verlegen. „Schon gut", sagte Rimson lächelnd. Neben ihm flammte der Schirm auf, und der Summer ertönte. Das kleine Gerät erhellte sich. Es war
ein normaler Fernsehschirm, der den laktonischen Beobachter Enschko mit William Rimson direkt verband. Ein hagerer, schlanker Mann tauchte auf. Er besaß eine schmale, sehr scharfe Nase und schwarzes Haar. Der schmale verkniffene Mund gab ihm ein strenges Aussehen. K. Enschko, der offizielle Vertreter Laktons, Beobachter auf Terra, grüßte förmlich. Rosa Zähne wurden sichtbar, als er sprach. Er hatte in einem HypnoSchulgang die terranische Sprache erlernt. Rimson dachte flüchtig daran, daß er gerade den ganzen Plan mit den beiden Laktonen und Ga-Venga besprochen hatte. Aus den Worten des Beobachters und seinen ganzen Gesten sprach eitles Stutzertum. Rimson hatte, selbst beim besten Willen, noch keine Sympathien für den laktonischen Beobachter bei sich entdecken können. Der schmale Mund Enschkos wurde zu zwei feinen Strichen. Hochmütig legte sich der Kopf in den Nacken. „Ich bedaure, Sir. Doch das, was Sie beabsichtigen, kann ich auf gar keinen Fall gestatten. Die beiden Laktonen werden nicht an Ihrer Aktion teilnehmen. Sie werden hier auf Terra bleiben, oder ich sehe mich gezwungen, eine mündliche Meldung nach Lakton durchzugeben?" „Welche Aktion meinen Sie?" fragte Rimson erregt. „Ich habe in Erfahrung gebracht, für welche Zwecke Sie die beiden Laktonen einzusetzen gedenken. Außerdem sind Sie nicht kompetent, an laktonische Angehörige Staatsbürgerurkunden zu verteilen." Rimson schluckte. Er erhob sich hinter seinem Schreibtisch und sah starr auf den kleinen Schirm.
Auch der Beobachter hatte sich wieder gesetzt. Er sah aus schmalen Augen direkt in die Aufnahmeoptik der Kamera. „Ich weiß, daß Sie das Raumschiff ,Walter Beckett' starklar haben. Es wartet nur darauf, daß die beiden Laktonen an Bord gehen. Mir ist auch bekannt, daß sich an Bord dieses Schiffes ein terranischer Wasserbewohner befindet. Ich glaube, Sie nennen diese Kreaturen Delphine." In Rimsons Gesicht zuckten die Muskeln. Der alte Wissenschaftler, jetzt terranischer Vizepräsident, wollte aufbrausen. Doch dann zwang er sich gewaltsam zur Ruhe. „Woher haben Sie diese Informationen, wenn ich fragen darf?" erkundigte er sich. „Sie dürfen natürlich fragen", sagte der Botschafter gnädig. „Allerdings werden Sie nicht erwarten, daß ich Ihnen meine Informationsquelle zugänglich mache." Einen Augenblick lang hegte Will Rimson einen fürchterlichen Verdacht. Trieb man hier ein Spiel, bei dem er die lächerliche Figur abgeben sollte! Die Laktonen hatten in letzter Zeit sogar Zugang zu Becon gefunden und damit experimentiert. Jetzt waren sie bereits über alle Einzelheiten eines noch geheimen Planes informiert. Wie kam das? fragte sich Rimson. Waren die beiden Laktonen Percip und Bekoval etwa nicht „sauber"? Oder GaVenga? Rimson preßte die Lippen noch fester zusammen. „Wir unterhalten uns später", kündigte er in Richtung des Schirmes an. „Augenblicklich habe ich wichtige Regierungsgeschäfte zu erledigen." „Sir! Ich protestiere in meiner Eigenschaft als Vertreter Laktons, der ..." Rimson schaltete ab. Er funkelte die blaß gewordenen Laktonen an.
„Nun — haben Sie eine Ahnung, woher Sir Enschko diese Informationen hat?" fragte er drohend. Bekoval und Percip verneinten erschrocken. Ihnen war der ganze Vorfall unsagbar peinlich. Percips Kerbe am Kinn leuchtete in tiefem Rot. Ga-Venga wackelte mit dem Kopf. Der Zwerg vergaß fast das Atmen. „Ich weiß es auch nicht", sagte er nach einer Weile, als Rimson die Männer musterte. Auf seiner Stirn hatte sich eine steile Falte gebildet. „Sie glauben doch nicht etwa, daß wir ... Sir ..." Percip brach hilflos ab, als Rimson mit einer Handbewegung Schweigen gebot. „Der Beobachter weiß, daß Sie starten sollen! Er weiß, daß sich Wabash, der Delphin, an Bord der ,Walter Bekkett' befindet. Und er weiß, daß Sie soeben die terranische Staatsangehörigkeit erhielten." Rimson stand auf und trat näher heran. „Weshalb weiß er das?" fragte er scharf und drohend. Die sonst so selbstsicheren Laktonen wichen vor dem zornfunkelnden Mann zurück. Sie fühlten sich unschuldig. Rimson drehte sich um, als er keine Antwort erhielt. Er drückte auf eine Taste an seinem Schreibtisch. Eine helle Frauenstimme meldete sich. „Schicken Sie mir einen UNITERMann herauf", ordnete er an. Anschließend beugte er sich über einen Zettel und begann eifrig zu schreiben. Lonway kam bereits vier Minuten später. Er hielt sich seit fünf Tagen in Den Haag auf. Der ehemalige CIA-Agent war klein und schmächtig, hatte dichte dunkle Augenbrauen, die sich bis dicht an die
Schläfen heran zogen, und dunkelblonde Haare. Alles in allem sah er recht unscheinbar aus. Es gab nur wenige, die seine wahren Qualitäten kannten. Aber es gab auch Männer, die krampfhaft schluckten, wenn sein Name fiel. Rimson schob ihm den Zettel hin, über den er schützend die Hand hielt. Der Agent begann stirnrunzelnd zu lesen. Dann sah er die beiden Laktonen kalt an. Ga-Venga schenkte er einen nachdenklichen Blick. „Mitkommen!" befahl er. Sein Zeigefinger deutete auf Percip. Bekoval setzte sich ebenfalls in Bewegung. „Sie bleiben hier", ordnete der unscheinbar wirkende Mann an. Bekoval wollte empört aufbrausen, beruhigte sich dann aber, als er Rimsons verweisenden Blick sah. Die beiden Männer verließen den Raum. Ga-Venga und Bekoval blieben zurück. Sie wußten nicht, was sie von der ganzen Sache halten sollten. Lonway ging nur ein paar Räume weiter. Er komplimentierte Percip in das fast kahle Zimmer, das nur einen Schreibtisch und zwei Schränke sowie drei Sitzgelegenheiten enthielt. „Ziehen Sie sich aus", befahl der UNITER-Agent. „Können Sie mir sagen, was das alles zu bedeuten hat", wollte Percip empört wissen. „Kaum ist man terranischer Staatsbürger geworden, dann muß man sich der Willkür einiger Beamter unterwerfen. Das nennt man Freiheitsberaubung." „Sie können sich anschließend beschweren", sagte Longway verletzend. „Jetzt tun Sie gefälligst das, was ich Ihnen sage, klar?" Er trat ganz dicht an den Laktonen heran. „Ich habe persönlich nichts gegen Sie, damit Sie klarsehen. Aber ich habe auch keine Angst vor euch. Auch die
Orathonen fürchte ich nicht. Ich habe gelernt, meinen sogenannten Selbsterhaltungstrieb in gewissen Lagen konsequent zu verleugnen. Versuchen Sie nicht, mich zu übertölpeln. Ich habe begründeten Verdacht, daß Sie ein ..." Lonway schwieg plötzlich. „Ach, so ist das", sagte Percip gedehnt. „Sie werden eine Enttäuschung erleben, das verspreche ich Ihnen." „Versprechen Sie nichts. Machen Sie weiter." Der Laktone zog sich aus. Lonway nahm gewissenhaft jedes Kleidungsstück und untersuchte es mit gekonnter Routine. Zehn Minuten später konnte - Percip sich wieder anziehen. Er fluchte leise. „Das hätte ich Ihnen gleich sagen können", brummte er. „Wir sind noch nicht fertig", versetzte der Agent trocken. Der Nächste war Ga-Venga. Auch das Ergebnis verlief negativ. Der kleine Kynother war der einzige, der seinen Humor nicht verlor. „Jetzt sind Sie dran, Bekoval", lachte er, als er wiederkam. „Sie geben bestimmt eine prächtige Figur beim Striptease ab." Sein großer Kopf wackelte. Die blauen Haare leuchteten im Widerschein der Schreibtischbeleuchtung. „Halt den Mund, Giftzwerg", knurrte der breitgebaute Laktone. Er zog sich aus und warf die Kleidungsstücke wütend auf den Boden. Sein endloses Fluchen ließ Lonway kalt. Er war solche Sachen gewöhnt. Der Agent begann sich ausschließlich für die Dienstmütze des Laktonerr, zu interessieren. Das darin eingebaute Emblem erregte seine Aufmerksamkeit. Wenig später hielt er ein kleines unscheinbares Ding in Händen. Es war nicht größer als eine Erbse und es funkelte wie ein Diamant. Die Mütze war restlos zerfetzt.
Lonway warf den Gegenstand in ein mit Wasser gefülltes Glas. Anschließend stülpte er seinen Hut darüber. Er lachte leise, aber Bekoval hörte genau den feindseligen Unterton heraus. „Nun, alter Freund — haben Sie mir etwas zu sagen?" Bekoval starrte den Agenten an. „Ich... ich... weiß wirklich nicht", sagte er fassungslos. „Das ist auch gleichgültig. Bei uns nennt man das Spionage. Wenn Sie Pech haben, macht man sogar einen Hochverrat daraus." Er trat dicht vor den bebenden Laktonen. „Sie halten uns wohl für komplette Idioten, wie?" erkundigte er sich freundlich. „Primitivlinge, die knapp über das Steinzeitalter hinaus sind. Entweder ist Ihr laktonischer Beobachter eine geistige Flachniete, oder aber er ist mit einer geradezu beleidigenden Frechheit ausgerüstet." Seine Stimme wurde hart und verletzend. „Sie sind verhaftet. Sie fallen unter die terranische Gerichtsbarkeit und werden dementsprechend verurteilt werden. Kommen Sie jetzt mit." Er schob den völlig verdutzten Laktonen vor sich her. Bekovals gewaltige Kräfte schienen ihm in keiner Weise zu imponieren. Allerdings dachte der Laktone auch nicht daran, sich zu wehren. „Da haben Sie ihn", bellte Lonway. „Wir können jetzt offen reden. Der Bursche hatte ein Mikrogerät in seiner Mütze, das sowohl Bilder als auch jedes Wort übermittelte, das hier in dem Gebäude gesprochen wurde. Kein Wunder, daß Enschko sofort Bescheid wußte. Mich wundert nur, daß der Beobachter so prompt reagierte. Er hält uns für ausgesprochene Schlafmützen." „Stimmt das?" fragte Will Rimson scharf.
Bekoval war blaß. Seine gesunde Gesichtsfarbe hatte sich in ein schmutziges Grau verwandelt. „Sir, ich versichere Ihnen, daß ich nichts damit zu tun hatte. Ich kann mir nicht erklären, wie das Spionagegerät in meine Dienstmütze kam." William Rimson sah den Laktonen eine ganze Weile lang an. Sein Gesicht hatte einen abwesenden Ausdruck angenommen. Er überlegte. „Sie sind degradiert worden", begann er dann. „Wie ging das vor sich? Schildern Sie uns den Hergang." Bekoval tat es. Als er fertig war, fragte der Vizepräsident: „Und Sie sind sicher, daß Sie Ihre Dienstmütze erst später wieder erhalten haben?" „Ganz sicher, Sir. Bitte, glauben Sie mir. Nichts läge mir ferner, als der Erde jetzt einen schlechten Dienst zu erweisen, wo sie mich so anständig behandelt hat. Ich wurde von Enschko noch einmal zurückgerufen, als die Degradierung erfolgt war. Er sagte, meine Mütze könne ich wieder aufsetzen, ich hätte sie vergessen. Das tat ich. Und das war alles, Sir." „Hm. Das Mikrogerät behalten wir. Wir werden es von unseren Spezialisten untersuchen lassen. Oder haben Sie Einwände?" „Keine Einwände, Sir. Ich werde Ihnen behilflich sein. Ich kenne mich in Spionagegeräten aus, ebenso Percip, der darauf geschult ist." „Gut. Ich hoffe, Sie entschuldigen unser Vorgehen. Der Beobachter hat Sie zur Spionage mißbraucht. Ich traue Ihnen in jeder Hinsicht." Rimson stand auf und gab den Laktonen die Hand. Er sah in strahlende Gesichter. „Ich danke Ihnen, Lonway. Für mich liegt dieser Fall klar. Ich hatte von Anfang an so etwas vermutet." „Keine Ursache", sagte der Agent. Er
warf den Laktonen einen Blick zu. „Entschuldigen Sie. Ich tat nur meine Pflicht. Wir müssen mißtrauisch sein." „Ich verstehe", sagte Bekoval gepreßt. „Mir wird immer mehr klar, weshalb die Orathonen hier auf Terra einen so schweren Stand hatten. Sie trauen grundsätzlich nur sich selbst." „Und auch das nur selten", sagte Rimson. Er grinste leicht. „Aber bisher war gesundes Mißtrauen immer angebracht." „Können wir jetzt gehen?" fragte GaVenga, der darauf brannte, wieder etwas zu erleben. „Ja. Die ,Walter Beckett' ist startbereit. Ist noch etwas?" Percip druckste herum. „Was machen Sie mit Enschko, Sir? Der Mann ist in der Lage, Ihnen eine Menge Schwierigkeiten zu bereiten." „Oh, ich auch", versicherte Rimson trocken. „Sie glauben gar nicht, wie sehr ihm diese Geschichte Abbruch getan hat. Schließlich ist Sir Enschko auch nicht der liebe Gott. Machen Sie's gut. Alles andere wissen Sie ja." Die Männer verabschiedeten sich. Rimson dachte daran, daß jetzt irgendwo zehn Veränderte in einem Raumschiff durch das All rasten. Sie waren die größte Gefahr, die es zur Zeit gab. Sie stellten durch ihre unheimlichen Fähigkeiten die Existenz sämtlicher galaktischer Völker in Frage. Und sie hatten einen geistigen Schaden erlitten, der nicht immer auf Anhieb erkennbar war. Rimson wandte sich ab. Das beklemmende Gefühl der Angst blieb. Es ließ sich nicht vertreiben. * Die „Walter Beckett" war startbereit. Der Biologe Professor Sam McClude sah in das sommersprossige Gesicht Kim Cordas. Sie standen in der Spezial-
kabine, in die die Techniker ein Wasserbecken eingebaut hatten. Es war groß genug, um dem Delphin Wabash ausreichend Bewegungsraum zu geben. Der schwarzhaarige Bruder des Terrapräsidenten Rex Corda reichte dem Biologen die Hand. „Ich bleibe hier unten bei Wabash, Sir, wenn Sie erlauben. Ich möchte ihn nicht allein lassen. Wir haben gerade in den letzten Tagen sehr große Fortschritte gemacht. Ich kann seine Gedanken schon ganz gut verstehen, wenngleich ich natürlich immer noch kein Telepath bin." „Kannst du meine Gedanken erfassen, Kim?" Der Junge schüttelte den Kopf. „Überhaupt nicht, Sir. Nicht ein bißchen." Er grinste. „Glauben Sie wirklich, daß Wabash ein besonderes Talent für Mathematik hat?" Kim strich sich die schwarzen Haare zurück, die ihm in die Stirn gefallen waren. Interessiert folgte er den Worten des Biologen, der nicht viel Zeit gehabt hatte, sich mit dem Delphin zu beschäftigen. In den letzten Tagen überstürzten sich die Ereignisse auf der Erde. Die modernen Computer hatten wesentlich dazu beigetragen, die komplizierte Sprache der Delphine verständlicher zu machen. Die elektronischen Dolmetscher der Laktonen hatten erstaunlicherweise nicht so helfen können, wie Sam McClude gehofft hatte. In den Augen Kims blitzte es auf. Er trat auf den kleinen Steg, der über das Bassin führte. Sofort tauchte der schlanke Körper des weißen Delphins aus dem Wasser und schoß heran. Wabash meldete sich mit einer Serie schneller Pfiffe und Knarrlaute. Kim Corda versuchte zu antworten, aber es gelang ihm nicht, die Pfiffe richtig nachzuahmen. Sam McClude lachte leise. Kim versuchte, sich zu konzentrieren.
Wie immer erschrak er ein wenig, als er den geistigen Druck des telepathisch begabten Delphins in seinem Kopf fühlte. Dann tauchte eine Serie von Begriffen auf, deren Sinn Kim schnell erfaßte. „He, Professor!" lachte Kim. „Wabash meinte, Sie sollten ruhig ein bißchen baden gehen. Biologen braucht man jetzt in der Startphase sowieso nicht!" Wabash schnellte sich mit einem weiten Satz aus dem Wasser. Als er in das Bassin zurückfiel, peitschte er das Wasser auf und übergoß Sam McClude mit einer kalten Dusche. Kim Corda lachte übermütig. Er sprang mit einem schnellen Satz ins Wasser zu dem Delphin. Und abermals gab es eine kleine respektlose Dusche für den Biologen. Sam McClude zog sich hastig zurück. Er sah noch, daß Kim Corda und der Delphin im Wasser herumtollten. Er lachte. Nur übermütige Streiche hatte Kim im Kopf. Es war sein besonderes Glück gewesen, daß er der einzige war, der die Gedanken des Delphins enträtseln konnte. Sonst wäre er bestimmt nicht an Bord der „Walter Beckett" gekommen. Doch Sam McClude wußte den Delphin bei Kim in besten Händen. * Die „Walter Beckett" startete. Die orathonischen Raumschiffe, die die „Nadel" entführt hatten, befanden sich bereits hinter dem neunten Planeten. Ebenso war das Schiff mit den Veränderten an Bord noch im Erfassungsstadium der „Walter Beckett". Auf der Erde hatte man schnell reagiert und den Ausbruch der Veränderten nicht einfach hingenommen. Man war sich der ungeheuren Verantwortung bewußt. Jetzt begann die Verfolgung.
Die „Walter Beckett" stob durch den Raum und beschleunigte mit Höchstwerten. Bekoval hatte Kim Corda mehrmals aufgefordert, doch nach oben in die Zentrale zu kommen. Dort konnte er die Sterne sehen und auch die Sonnen, die auf der Erde nur kleine Punkte waren. Aber Kim wollte nicht. Er blieb lieber hier unten bei seinem Freund. Er brachte es nicht übers Herz, Wabash allein zu lassen. Er kletterte aus dem Bassin und trocknete sich ab. Die Kabine glich einem großen Aquarium. Eine umlaufende Galerie war der einzige freie Platz, wo ein Mensch sich bewegen konnte. Den übrigen Raum nahm das große Becken ein. Es war geheizt, jedoch nicht übermäßig. Wabash fühlte sich in dem Wasser wohl. Kim blieb am Rand sitzen und sah auf den Delphin, der dicht vor ihm den Kopf aus dem Wasser streckte. Kim wußte, daß der Delphin telepathische Fähigkeiten besaß. Er war Sender und Empfänger zugleich, vermochte jedoch nicht, einem Menschen eine direkte telepathische Mitteilung zukommen zu lassen. Niemand verstand ihn. Aber die Gedanken anderer lagen klar und offen vor ihm. Das Schiff beschleunigte weiter. Kim merkte nichts davon. Die Antigravitationsautomaten verhinderten, daß der Beharrungseffekt durchbrach. Kim stieg wieder auf den breiten Rücken des Tieres und ließ sich durch das Wasser tragen. Er wußte nicht, daß man ihn von oben in der Zentrale beobachtete. * „So etwas hat es an Bord eines Raumschiffes auch noch nicht gegeben", sagte Bekoval. Sein massiger
Kopf deutete auf die Aufnahmekamera. Auf der stumpfen, für einen Laktonen ungewöhnlich breiten Nase bildete sich eine kleine Falte. Die Spezialkabine lag ebenso im Erfassungsbild des Kontrollschirmes wie jeder andere Raum, in den man von hier sehen konnte. Nachdenklich schaltete der wuchtig gebaute Laktone wieder ab. Die Lautsprecher drohten von dem höllischen Gekreische zu bersten, das aus der Kabine drang. Der Delphin und Kim Corda tollten wie die Wilden im Wasser umher. „Jetzt reitet er sogar auf dem Ding", meinte Percip. „Es ist erstaunlich, daß diese Wesen sich so mit einem Terraner anfreunden. Außerdem soll es rechnerische Probleme lösen können. Es ist ein mathematisches Genie, sagte Mac Clude." Percip blickte nachdenklich auf den Holografen. Ga-Venga hockte in einem schalenförmigen Sitz. Heimlich schaltete er den Schirm wieder ein und beobachtete die beiden so grundverschiedenen Wesen. Am liebsten wäre er ebenfalls ins Wasser gesprungen. Aber er traute sich nicht, Bekoval diesen Vorschlag zu unterbreiten. Der Laktone hätte ihn todsicher vernichtend angesehen und anschließend ausgelacht. Auf dem Holografen tauchte urplötzlich ein rotierender Wirbel auf. Dann stabilisierte sich das Bild und zeigte das gekaperte Raumschiff mit den Veränderten. Im Backbordsektor wurden die orathonischen Hantelraumer sichtbar. Zangenförmig schoben sie sich an das laktonische Schiff heran und versuchten, es einzukreisen. Pluto verschwand aus dem Bereich der optischen Beobachtung. Vor den Schiffen lag jetzt ein schwei-
gendes Meer der Unendlichkeit. Die sternenlose Straße nach Alpha Centauri tat sich wie ein gigantischer Abgrund auf. „Sie müssen die Veränderten jeden Moment erreichen", ließ sich Percip vernehmen. „Ich frage mich, weshalb sie nicht längst das Feuer eröffnet haben. Für die Hanteln dürfte das doch kein Problem mehr sein." Immer näher schoben sich die Hantelraumer an den Flüchtling heran. Aber niemand schoß! Kein Lichtblitz erhellte die schweigende Finsternis des Kosmos. Plötzlich verschwand das laktonische Schiff in einer hellen Leuchterscheinung. „Beobachtung aufpassen!" rief Bekoval. „Sie gehen in den Hyperraum. Hast du verstanden, Ga-Venga?" brüllte er. Der kleine Kynother ruckte hoch. Sein großer Kopf wackelte. Er drohte jeden Moment von den schmalen Schultern zu fallen. Auf den Ortern gab es sekundenlang einen hellen Blitz. Lange Zacken liefen undeutlich sichtbar über das Gerät. Erneut fuhr der kleine Kynother zusammen. Dann überzog ein Grinsen das pausbäckige Engelsgesicht. Solche Situationen liebte er! Die Hantelraumer waren ebenfalls in den Hyperraum geglitten und bewegten sich jetzt auf ein fernes Ziel zu. „Achtung! Wir folgen!" sagte Bekoval. Tief im Leib des Schiffes veränderte sich das helle Klingen des normalen Antriebs. Augenblicke später kam ein helles Winseln durch, das rasch erstarb. Die „Walter Beckett" verschwand ebenfalls im Hyperraum. Die weiter vorn eben noch sichtbaren Sternbilder verfärbten sich und wurden streifig. Auf den Holografen schwamm eine zähe graue Masse. Sie verschwand so schnell, wie sie gekommen war.
Danach war alles wieder normal. „Hundertvierzig Lichtjahre", staunte der Kynother, nachdem sie den dritten Übergang in den Hyperraum hinter sich hatten. „So weit sind wir jetzt von Terra weg. Und es ist noch kein Ende abzusehen." Percip war angestrengt mit Auswertungen beschäftigt. Er blickte kaum hoch. „Hat sich der Kurs bereits geändert?" fragte er ruhig. „Nur unwesentlich." Bekoval wandte sich um, ohne zu antworten. Da war sie wieder, die alte Arroganz, dachte der Kleine wütend. Sekundenlang stand das Bild seines Heimatplaneten vor seinem geistigen Auge. Er schwieg verbittert, taute dann aber langsam wieder auf, als Bekoval ihm auf die Schulter klopfte. Das Schiff der Veränderten bewegte sich mit annähernder Lichtgeschwindigkeit vor ihnen durch das All. Hart an Steuerbord leuchtete eine gelbe Riesensonne, um die elf Planeten kreisten. Jeder einzelne war größer als Jupiter, der als Riese unter den Solar-Planeten galt. „Was machen wir jetzt?" fragte GaVenga. Sein Eifer kannte keine Grenzen. Er hatte schon fast die Anwesenheit des Delphins an Bord vergessen. „Wir werden ihnen den Weg abschneiden", erläuterte Percip. „Die Orathonen sind verschwunden. Vermutlich sind sie noch weit vor uns. Jetzt werden wir uns vor das Schiff der Veränderten setzen und ihnen entgegenfliegen, nachdem wir einen großen Bogen beschrieben haben. Sie werden überrascht sein, wenn wir so plötzlich und unerwartet auftauchen." Die Distanz wurde sorgfältig angemessen. Das elektronische Gehirn zur genauen Anmessung einer zu bewältigenden Distanz gab wenig später die Daten durch. Sie wurden in die Automatik getastet
und ausgewertet. Die nochmalige Überprüfung bewies, daß keine Fehler auftreten konnten. Die „Walter Beckett" würde rund sechzig Millionen Kilometer vor dem anderen Schiff auftauchen. Die eben noch sichtbare gelbe Riesensonne mit ihrer Planetenfamilie wanderte im Steuerbordsektor weiter, bis sie aus dem Blickwinkel der Optik verschwand. Bekoval schaltete noch einmal die Optik ein. Die Aufnahmekamera zeigte Kim Corda, der noch immer unermüdlich mit dem Delphin herumtollte. „Hallo, Kim", dröhnte Bekovals Stimme durch den Lautsprecher. „Du solltest jetzt nach oben in die Zentrale kommen. Es kann sein, daß wir bald in ein Raumgefecht verwickelt werden." Kim Corda sah hoch. Sein sommersprossiges Gesicht grinste in die Kamera. „Laßt euch nicht stören. Ich bleibe hier." Bekoval grinste erleichtert. Unten war alles in bester Ordnung. „Achtung! Es geht los!" teilte Bekoval noch mit, dann versanken die Sterne zu wirbelnden Mustern. Im Kommandantenstand jagten sich die Befehle. Laktonen hasteten hin und her. Die vollautomatisch feuernde Waffenzentrale wurde von zwei Männern besetzt, die die Anlage überwachen sollten. Wenn es zum Kampf mit den Veränderten kommen würde, stand den Männern der „Walter Beckett" noch einiges bevor. Die Flüchtlinge würden sich mit aller Verbissenheit wehren. Deshalb hatte Percip zu einer List gegriffen. Als die Sternbilder wieder sichtbar wurden, war weit und breit von den Flüchtlingen nichts zu sehen. Die „Walter Beckett" stand zur Zeit zweihundertundsechs Lichtjahre tief im Raum. Die Sterne bildeten ein funkelndes Meer. Querab, im Backbord-Sektor,
leuchtete der kugelförmige Sternhaufen Herkules mit seinen Tausenden von Sonnen. „Magnetfelder aktivieren", befahl Percip. „Schirmfeld errichten. An Maschinenraum: Volle Energieleistung bereitstellen." Er drehte sich zu dem Kynother um. „Genaue Position und Geschwindigkeit anmessen, sobald das Schiff auftaucht. Noch keine Feuereröffnung!" Über die Zusatzschirme krochen die Erschütterungen. Sie verrieten genau den Punkt, an dem das Schiff auftauchen würde. Die „Walter Beckett" wendete in einem materialerschütternden Manöver. Bei ihrer hohen Geschwindigkeit wurde es immerhin eine Kurve von mehreren Millionen von Kilometern. Dann lag der Raumer auf Gegenkurs. Die Wendung um hundertachtzig Grad war erfolgt. Die Geschütze waren feuerbereit. Einige Sekunden später wurde das flüchtende Schiff optisch sichtbar. Auf dem Holografen tauchte es zuerst auf. Dann konnte man den Widerschein der spiegelnden Hülle mit bloßem Auge erkennen. Noch immer war von den Orathonen weit und breit keine Spur zu sehen. Das magnetische Fangfeld lohte wie eine Riesenfackel. „Achtung!" brüllte jemand. „Es rast genau auf uns zu." Mit wahnwitzigen Werten tobte der Raumer heran. Die Insassen waren völlig ahnungslos. Aus dem blitzenden Etwas wurde eine irrlichternde Leuchterscheinung, die sich wie eine gigantische Riesenblase auf die „Walter Beckett" stürzte. Alles ging so schnell, daß sich mit bloßem Auge nichts mehr erkennen ließ. Ein titanischer Hammer, der aus dem Nichts kam, schlug nach den Män-
nern, als der Raumer die gestaffelten Fangfelder streifte. Im Schutzschirm tobten tausend Meter lange Flammen, die sich nach allen Seiten unerhört rasch ausbreiteten. Das harte Rütteln und Vibrieren erschütterte die Zelle des Raumers, der sich plötzlich haltlos überschlug. Ga-Venga wurde aus dem Sessel gerissen. Unsanft knallte er gegen den lauthals fluchenden Bekoval, der sich mit allen Kräften an seinem Sitz festklammerte. Die „Walter Beckett" rotierte anschließend um ihre Längsachse, bis die Antigravitationsautomaten wieder voll leistungsfähig waren und den starken Rammstoß ausglichen. Langsam normalisierte sich die Lage wieder. Das flüchtige Schiff schien gegen eine glühende Mauer gerast zu sein. Weiter vorn flammte es auf. Die Reibungshitze des Schirmes brachte unangenehme Begleiterscheinungen mit sich. Thermische Nebeneffekte waren aufgetreten und hatten die Schiffshülle am Heck in helle Rotglut versetzt. Das Schiff sprang aus dem bisherigen geraden Kurs und raste mit irrsinnigem Tempo in eine blau strahlende Sonne hinein, die es mit magischer Gewalt anzog. „Da können wir nichts mehr machen", sagte Percip. „Wenn es erst in die Gravitation dieses Riesen gerät, kann es sich aus eigener Kraft nicht mehr befreien." Er irrte sich. Drüben hatte man sehr schnell begriffen, was passiert war. Aus den Abalrahldüsen lohten violette Partikel. Im FünfundvierziggradWinkel scherte der leicht beschädigte Raumer aus seinem Kurs. Mit einer angemessenen Geschwindigkeit von siebenhundert Metern im Sekundenquadrat flüchtete er vor der
blauen Riesensonne. Das Unwahrscheinliche gelang. Zuerst nur zögernd, dann immer schneller werdend, entkam er der gigantischen Masse der Riesensonne und strebte weiter in den Raum hinaus. Percip hatte nur noch Augen für das fremde Schiff. Er erkannte die Qualitäten des drüben arbeitenden Navigators neidlos an. Für die „Walter Beckett" wäre es jetzt ein Leichtes gewesen, den Raumer mit ein paar gezielten Energiesalven auszulöschen. Percip fand diese Methode unfair. Er wartete ab, bis sich der Raumer aus der Gewalt der nach ihm greifenden Masse befreit hatte. Dann erst gab er das Signal zum Angriff. Es kam fast zu spät. Der Gegner drüben reagierte mit erstaunlicher Kaltblütigkeit. Während auf der „Walter Beckett" das gravitationsmechanische Fangfeld erlosch, um dem Schirm mehr Energie zuzuführen, handelten die Veränderten. Lange Flammenzungen tasteten nach dem Raumschiff. Bekoval begann ausgiebig zu fluchen. „Wir hätten nicht so lange warten sollen. Verdammt. Fairneß ist in diesem Fall keinesfalls angebracht." In den Schirmfeldern begann es zu knistern. Meterlange Entladungen tobten und färbten die Energieblase blutigrot. Die Veränderten trafen mit beängstigender Sicherheit. „Feuer frei!" donnerte Bekoval. Aus der vollautomatischen Waffenzentrale rauschte es heraus. Hochglühende Lichtblitze, im Zielbrennpunkt sonnenheiß, knallten in die Abwehrschirme des Gegners. Im gleichen Augenblick, als die lohenden Fackeln sichtbar wurden, schlug es drüben mit maßloser Gewalt
ein. Die achtschüssige Ouvertüre aus der sogenannten „Feuerorgel" warf den Raumer erneut aus dem Kurs, ohne ihn jedoch zu beschädigen. Aber der Zweck war erreicht. Der Lakton-Raumer konnte sich nicht mehr auf sein Ziel konzentrieren. Er hatte genug zu tun, um wieder den Kurs beizubehalten. Ga-Venga feuchtete mit der Zungenspitze seine Lippen an. Wie immer in extremen Situationen, stimmte der zwergenhafte Kynother seinen seltsamen Singsang an. Eine neue Salve erschütterte die „Walter Beckett". Sie lag zu kurz und verpuffte wirkungslos in der ungeheuren Weite des Alls, ohne Schaden anzurichten. Als Bekoval zufällig einen Blick auf den Holografen warf, entfuhr ihm ein überraschter Ausruf. „Verdammt. Die Gefiederten tauchen schon wieder auf. Achtung! Notleistung auf die Schirme. Katastrophenmanöver!" Die „Walter Beckett" hatte der Übermacht von Orathonen, die plötzlich aus dem Nichts kamen, kaum etwas entgegenzusetzen. Immer mehr Schiffe tauchten auf. Sie mußten gewendet haben und auf dem bisherigen Kurs zurückgeflogen sein. Percip hieb auf die Schalter. Mit annähernder Lichtgeschwindigkeit stob die „Walter Beckett" davon; hinaus in den leeren Raum. Ein Kursmanöver um hundertachtzig Grad folgte. Percip bekam plötzlich sehr sinnende Augen. „Sie haben es offenbar nicht auf uns abgesehen, sondern auf das Schiff der Veränderten. Seltsam", meinte er nachdenklich. Es stimmte. Die Orathonen schenkten ihnen keine Beachtung. Ihre Manöver galten dem anderen Lakton-Raumer.
Drüben begriff man wieder sehr schnell. Percip wunderte sich über die unerhört schnelle Reaktion der Veränderten. Sie konnten sich im Sekundenbruchteil auf eine neue Situation umstellen — und handeln. Das bewiesen die nächsten Minuten mit erschreckender Klarheit. Das Schiff raste der rasch näherkommenden Flotte in einem mörderischen Anflug entgegen. Ehe die überraschten Orathonen zur Besinnung kamen, schlug es achtzigtausend Kilometer weiter lautlos ein. Gleich die erste Salve aus den Geschützen traf mit traumwandlerischer Sicherheit. Die Abwehrschirme des Hantelraumers brachen sofort zusammen. Offenbar hatte man drüben nicht schnell genug reagiert. Die Veränderten schickten die Quittung für einen Sekundenbruchteil Unaufmerksamkeit. Jetzt stand die rechte Kugel der Hantel bereits in heller Weißglut. Der Brand fraß sich in rasender Eile am Verbindungsarm entlang und erreichte die andere Kugel. Die restlichen Orathonen griffen nun von allen Seiten an. Aber das Schiff der Veränderten schien sich vorerst um die Übermacht nicht zu kümmern. Es beschleunigte in einem Manöver, das selbst Bekoval neidlos anerkennen mußte. Einigen gezielten Salven wich es aus. Dann traf der zweite Schuß den todwunden Hantelraumer, der in zähen Tropfen auseinanderfloß. Anschließend verschwand das Schiff im Hyperraum. Diesmal reagierten die Orathonen schneller als erwartet. Sie verließen das Einstem-Kontinuum ebenfalls. „Anmessen und sofort hinterher!" befahl Percip. „Ich möchte gern wissen, wie das ausgeht." Die Strukturerschütterung war nur
gering. Minuten danach war die „Walter Beckett" ebenfalls verschwunden. An der Stelle, an der eben noch der wilde Kampf getobt hatte, gähnte nun der leere Raum. Und eine verwehende Gaswolke. Das war alles, was von den Orathonen übrig blieb. Das Schiff ging mit der Fahrt herunter. Percip verzögerte mit Extrem-Werten, die die ganze Hülle vibrieren ließen. Weit vor ihnen stand ein roter Riese im Raum, um den drei Planeten ihre Bahn zogen. Um den zweiten Planeten kreisten die orathonischen Raumschiffe. „Mir geht ein Licht auf", knurrte Bekoval mißmutig. „Auf dem zweiten Planeten tut sich etwas. Die anderen beiden dürften für uns uninteressant sein. Ah — da sind ja auch unsere Freunde wieder." Die Veränderten waren in die Falle gelaufen. Jedenfalls sah es auf Anhieb so aus. Eingekesselt von Orathonen, schien es diesmal kein Entkommen mehr zu geben. Percip überlegte sekundenlang. Dann schob er langsam den stufenlosen Schubhebel nach vorn. Aber im gleichen Augenblick griff eine breite Hand über seine Schulter. Bekoval zog den Hebel wieder zurück. „Ich denke, wir überlassen sie den Orathonen. Sie kommen ohnehin nicht mehr aus der Falle heraus. Wir bleiben weiterhin auf Nullfahrt und warten ab, was geschieht." Percip widersprach nicht. Bekoval stand ohnehin einen Rang höher als er. „Merkwürdig. Die Featherheads bewegen sich nur in einer bestimmten Richtung vom zweiten Planeten fort. Wenn sie so weitermachen, haben die Veränderten noch eine Chance. Wir sollten ihnen lieber keine lassen." „Wir bleiben hier", sagte Bekoval hart. „Ich glaubte das schon einmal ge-
sagt zu haben." Ga-Venga grinste still vor sich hin. Immer wenn die beiden Laktonen miteinander stritten, was nur höchst selten vorkam, freute sich der kleine Kynother diebisch. Im stillen erwartete er immer eine handfeste Prügelei. Aber bisher war er immer enttäuscht worden. In der Nähe des zweiten Planeten blitzte es wieder grell auf. Eine lange Flammenbahn raste ins All hinaus. Wabernde Gaszungen griffen wie Riesenfinger nach dem kleinen Schiff. Die Veränderten schossen sofort zurück. Ihr Mut erschien den beobachtenden Männern einfach unheimlich. Dann begingen die Orathonen einen entscheidenden Fehler. Niemand vermochte zu sagen, ob sie es absichtlich taten, oder ob sie sich so grenzenlos überlegen glaubten. Ein Teil der Flotte verschwand und stieß dichter an den zweiten Planeten heran. Der Rest verteilte sich zu einem gigantischen Ring, der sich um die Veränderten gruppierte. „Diese Narren", fluchte Bekoval. „Anstatt sofort anzugreifen, begehen sie einen Fehler, der taktisch nicht mehr gutzumachen ist. Wenn ich das kleine Schiff befehligen würde, dann ..." Er ließ den Rest offen, aber die anderen wußten auch so, was er dann tun würde. Die Veränderten taten dasselbe. Wieder ignorierten sie die langen Flammenbahnen, die ihre Abwehrschirme blutrot aufleuchten ließen. Sie nahmen sogar einen lohenden Energieausbruch in Kauf, der sie eine Sekunde lang völlig schutzlos machte. Jeder kleinste Treffer mußte jetzt verheerende Auswirkungen haben. Und dann gelang ihnen das Unwahrscheinliche. Sie schossen noch einen Hantelraumer ab!
Er zerbarst in zwei Teile. Die rotglühenden Riesenbruchstücke schlugen in die Atmosphäre des zweiten Planeten ein. Der zerschossene Hantelraumer stürzte ab und schlug irgendwo da unten lohend auf. Das Schiff der Veränderten aber war so plötzlich verschwunden, als habe es die ewige Schwärze verschluckt. Bekoval ballte grimmig die Fäuste. „Genau das habe ich vorausgesehen. In ihrer grenzenlosen Überheblichkeit unterschätzen sie ihren Gegner. Sie müßten doch bereits im Terra-System bittere Erfahrungen gesammelt haben. Raumstrategische Versager", knurrte er. „Oder sollte das Absicht gewesen sein? Nein", entschied er dann. „Das kann ich nicht glauben." Auf dem Holografen war deutlich zu erkennen, daß einige Hantelraumer bereits in die oberen Schichten der Atmosphäre des zweiten Planeten eintauchten. Vermutlich setzten sie zur Landung an. „Was sollen wir jetzt tun?" fragte GaVenga. „Verfolgen wir die Veränderten weiter?" „Nein, das ist zwecklos. Oder hast du gesehen, wohin sie verschwanden?" „Leider nein", mußte der Kynother zugeben. „Na also. Dann überlege gefälligst, ehe du dumme Fragen stellst, die sich von selbst beantworten." Der kleine Kynother schwieg beleidigt. „Der dicke Knabe ist sauer", brummte er so leise, daß es nur Percip hören konnte. Die Lippen des Lithalon-Geborenen zuckten nur kurz. Ga-Venga aber war sicher, daß Percip eben gelacht halte. Ein einzelner Hantelraumer scherte aus seinem Kurs und näherte sich der „Walter Beckett". Es war ein Großkämpf schiff, dessen Geschütztürm stumm herüberdrohten. Mit schwächster Fahrt trieb es immer näher heran. Die
„Walter Beckett" mußte auf den Schirmen des Riesen bereits deutlich auszumachen sein. Ga-Venga blickte auffordernd auf den Schubhebel. Dann sah er Bekoval an, der sinnend einen Punkt an der Wand fixierte. Ga-Venga räusperte sich verstohlen. „Da kommt jemand", konnte er sich nicht verkneifen zu sagen. Percip wartete erst gar kein Kommando ab. Es war sinnlos, sich mit diesem Giganten auf einen Kampf einzulassen. Ein Schuß aus den mehr als mannstarken Rohren hätte die „Walter Beckett" zu Staub zerblasen. Da halfen selbst keine Energieschirme mehr. Das Schiff wurde durchgeschüttelt, als es sich mit plötzlicher Geschwindigkeit entfernte. Die Neutralisatoren heulten laut auf, als sie den starken Andruck kompensierten. Eine Lichtminute weiter befahl Bekoval das Schiff zu stoppen. Der Riese war optisch nicht mehr erkennbar. Nur auf den Schirmen geisterte er noch als Refleximpuls umher. Er kam indessen nicht näher, sondern ging wieder auf seinen alten Kurs, der ihn zum zweiten Planeten führte. Ga-Venga atmete sichtbar auf. Er, der Gefahrenmomente als angenehmen Nervenkitzel betrachtete, war froh, daß der Gigant in sicherer Entfernung stand. „Wir bleiben hier liegen", ordnete Bekoval an. „Beobachter bleiben auf dem Posten. Jeder Raumer, der vom zweiten Planeten startet, wird mir gemeldet." „Haben Sie eine bestimmte Vermutung?" fragte Ga-Venga neugierig. „Eine Vermutung? Hm — ich glaube, daß die Corocon III dort liegt. Aber das ist eine reine Annahme", schloß er, als er die aufgerissenen Augen des Kleinen sah. *
Zweimal vierundzwanzig Stunden lag die „Walter Beckett" auf der Lauer und beobachtete jeden Raumer, der vom zweiten Planeten startete. Als letzter erhob sich ein Ungetüm mit flammend roter Aufschrift. Es war das orathonische Flottenflaggschiff unter Sigam Agelon. Das Schiff tobte mit atemberaubenden Werten in die Schwärze hinaus, beschrieb einen großen Bogen und verschwand in einer funkelnden Lichtkaskade, als es den Schwerebereich des Systems hinter sich gelassen hatte. Bekoval war zufrieden. Die meisten Leute hatten die unfreiwillige Pause zu einem ausgiebigen Schlaf genutzt. Aber noch etwas Merkwürdiges geschah, für das niemand eine Erklärung hatte. Bevor das Flaggschiff in Richtung galaktisches Zentrum verschwand, erschien auf dem Hyperempfänger ein heller Streifen, der auf einer Lochkarte gespeichert wurde. Das Hypersignal gab allerdings keinen Sinn. Es war ein völlig undeutbarer Impuls, den selbst das halbpositronische Gehirn nicht entziffern konnte. Bekoval hatte nur stumm die breiten Schultern gezuckt. Damit war das Problem vorläufig für ihn erledigt. Vorsichtig schob sich die „Walter Beckett" dem zweiten Planeten entgegen. Es gab kein fremdes Raumschiff mehr, soviel stand für den Augenblick fest. Dennoch mußte man vorsichtig sein. Die Orathonen hatten schon mit mancher Überraschung aufgewartet. „Wir strahlen ein kurzes Signal ab", sagte Bekoval. „Gleichzeitig alle Sensoren einsetzen. Auf Energieortung achten." Das Signal wurde abgestrahlt. Es war ein Ton, der bei einem anderen laktonischen Raumschiff einen kurzen Licht-
blitz auslösen würde. Weiter nichts. Vier Sekunden später kam derselbe Ton zurück. Bekoval rieb sich die Hände. „Sagte ich es nicht? Die Hyperantenne reflektiert das Signal. Folglich befindet sich auf dem zweiten Planeten ein laktonischer Raumer. Es ist also als sicher anzunehmen, daß wir die Corocon III gefunden haben." Im gleichen Augenblick sprachen die hochwertigen Masse- und Energietaster an. „Wir landen. Dort auf der Fläche. Vorsicht, es kann ein Sumpf sein." Bekovals Mundwinkel zuckten. Er fuhr sich ein paarmal mit der Zunge über die Lippen. Die „Walter Beckett" setzte zur Landung an. Schwarze Pflanzen schoben ihre Stiele aus dem Boden. Aufgeregt zitternd, sahen sie zu, wie die lohenden Gasmassen den Sumpf peitschten und zur Seite schleuderten. * Rex Corda war es, als habe er einen Schlag ins Gesicht erhalten. Seine Blikke hingen an Percips Lippen, als könne er die ungeheuren Worte nicht begreifen. „Becon hat man ihnen eingepflanzt?" Er schrie es fast. „Die Veränderten haben alle eine Beconschale im Schädel? Um Gottes willen, Mann. Wissen Sie, was Sie da sagen?" Percip nickte schweigend. Er wußte es sehr genau. „Es tut mir außerordentlich leid, Sir", sagte er flüsternd. Cordas Schultern sanken nach vorn. Plötzlich sah er müde und abgespannt aus. In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Er sah kaum auf, als sein Bruder Kim ihn mit lautem Freudengeheul begrüßte. Der Junge wandte
sich schließlich enttäuscht ab. „Was haben Sie, Sir?" erkundigte sich Percip teilnahmsvoll. „Ist Ihnen nicht gut?" „Nein, mir ist nicht gut", sagte Corda tonlos. „Man hat Sigam Agelon ebenfalls eine Beconschale eingesetzt. Es geschah hier auf Swamp. Laktonen haben als Chirurgen gedient. Können Sie ermessen, was jetzt aus dem Agelon wird? Er ist ein Veränderter, der die Galaxis bedroht und alle Völker, die es gibt." Die anderen Laktonen hörten stumm zu. Corda wandte sich erbittert ab. Alles bekam jetzt einen Sinn. Die Laktonen experimentierten mit Becon, dem Stoff, dessen Geheimnis in drei Teilen in den Hirnen Rex, Kim und Velda Cordas verankert war. In drei Teilen? Corda schrak aus seinen Gedanken. Ein tiefer Zug der Bitterkeit legte sich um seinen schmalen Mund. Er hatte noch einen Triumph. Besaßen sie wirklich alle drei Teile des Geheimnisses? Wenn ja, warum waren dann die Experimente mit Becon gescheitert? Viele Fragen warfen sich auf, für die Rex Corda keine Erklärung fand. Er konnte nur Vermutungen anstellen, weiter nichts. Was würde aus Sigam Agelon, wenn die Operation nicht hundertprozentig geglückt war? Kim stieß den großen Bruder sanft an. „Nun sage doch etwas, Rex. Du starrst Löcher in den Sumpf. Sie wollen starten. Willst du dich hier auf Swamp — ein prächtiger passender Name übrigens — häuslich einrichten? Rex, he, ich habe dich etwas gefragt!" Corda schrak hoch. „Wie bitte? Ach so, ja. Entschuldige, Kim. Ich bin fassungslos. Verstehst
du?" Kim lachte. „Nee. Ich denke, du bist der terranische Präsident. Hm. Es gab einmal Zeiten, wo du sogar lachen konntest. Wir haben einen Delphin an Bord. Er kann rechnen. Prächtiger Bursche, sage ich dir. Aber du hörst ja schon wieder nicht zu, Rex, komm jetzt!" Nachdenklich bestieg Rex Corda die „Walter Beckett". Die Laktonen schwiegen beschämt, als sie den großen breitschultrigen Mann sahen, der gebeugt die Zentrale betrat. In vierhundert Metern Höhe ließ Bekoval die Energiegeschütze herumschwenken. Die Corocon III, oder das, was von ihr noch übrig war, lag im Zielstachel der Erfassungsoptik. Dann traf ein heller Lichtblitz das Schiff. Es löste sich auf, glühte wie eine violette Wolke und verdampfte. Die Corocon III existierte nicht mehr. An ihrer Stelle kochte und brodelte jetzt eine Lache aus geschmolzenem Metall, das sich mit Sand und Schlamm vermischte. Rex Corda stand sinnend am Beobachtungsschirm. Die Laktonen hatten mehr über Be-
con erfahren, als Terra angenommen hatte. Und die gescheiterten Versuche an den Veränderten bewiesen eindeutig, daß sie noch zu wenig über den neuen Stoff wußten. Corda wußte noch nicht, wie die Laktonen hinter das Geheimnis gekommen waren. Fest stand jedoch, daß die Versuche geglückt wären, hätten sie alle Informationen über Becon gehabt. Er wandte sich ab. Swamp fiel wie ein Ball in die Tiefe. Der Sumpfplanet wurde kleiner und kleiner. Eine tükkische Welt, die sich gegen alles Fremde wehrte und die mit unberechenbaren Überraschungen aufgewartet hatte. Weit voraus leuchteten die Sterne. Wie ein Kissen aus schwarzem Samt erwartete ihn die Unendlichkeit. Nachdenklich setzte er sich in einen Sessel. Seine Gedanken galten den Veränderten, den Bedauernswerten. Er wußte nicht, was sie vorhatten. Er wußte nur, daß sich etwas Entscheidendes anbahnte. Und das würde nicht mehr lange dauern.
ENDE