Gefahr vom Jupiter von HANS KNEIFEL
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mit anderen Rechnern und deren Sendern, ohne daß es jemand hörte. Der Jet flog...
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Gefahr vom Jupiter von HANS KNEIFEL
1.
mit anderen Rechnern und deren Sendern, ohne daß es jemand hörte. Der Jet flog Die Dienstgipfelhöhe war jetzt erreicht; sozusagen an einem dicken Seil, das sich Kommandant Skapa Shaharak schaltete zwischen Start und Landung spannte. das Mikrophon ab und lehnte sich zurück. Während Shaharak mit gespannter Seit einer Stunde lief der Flug KopenhaAufmerksamkeit, seine Nervosität gen - San Francisco. Skapa dunkelte die unterdrückend, die Uhren, DatensichtKabinenluken ab und studierte das Suschirme, Farbleitlinien und die ständig perradarbild. Einsam und nur von Funkwechselnden Zahlen betrachtete, dachte er leitstellen, geostatischen Stationen und an die auffälligen und in geradezu beängeinigen Satelliten beobachtet, jagte die stigender Schnelligkeit ablaufenden VerStratosphärenmaschine dahin. Über änderungen der politischen Strukturen, die zweihundert Passagiere, fünfzehn Mann in den letzten Wochen stattgefunden Besatzung und nahezu hatten. Er selbst Die Hauptpersonen des Romans: Mach Sieben - ein glaubte nicht an die Pierre Denis — Minister für Innere AnRoutineflug in großer Fähigkeit einer so kleigelegenheiten des Solsystems. Höhe, der in siebzig nen Gruppe, derart Cliff, Mario, Atan, Hasso, Helga und Minuten mit der gewaltige Änderungen Arlene — Die ORION-Crew wird Instrumentenlandung in herbeiführen zu auf ein Geheimnis angesetzt. SanFran sein Ende können, aber tatsächHan Tsu-Gol — Ministerpräsident der haben würde. lich war die Rückkehr Erde. Trotz aller Routine eines schon fast Big Canoe — Ein exzellenter Testpilot. und entgegen jede legendären, historiAdmiral Mahavira — Kommandeur Vernunft hatte den schen Raumschiffs der der Vierten Strategischen Flotte. Kommandanten bereits Schnittpunkt gewesen. bei der FlugbespreEine Serie rot aufchung ein Gefühl beschlichen, das eine leuchtender Felder drängte sich zwischen Mischung aus Hilflosigkeit, Unruhe und seine Gedanken, die ihn allmählich hätten Wut auf sich selbst war. Alles andere als beruhigen können. die richtige Verfassung, in der Shaharak Augenblicklich war Skapa hellwach und sein sollte, wenn er rund zweihunderthochkonzentriert. zwanzig Menschen und die wertvolle, fast Er beugte sich so weit nach vorn, wie es neue Maschine sicher wieder hindie straff gespannten Gurte erlaubten. unterbringen sollte! Automatisch drückten seine Finger den Und was ihn besonders intensiv ärgerte: Rufknopf. Sofort antwortete der BordFür dieses Gefühl gab es nicht den rechner. Ein schriller Summton schreckte geringsten Grund. auch den Kopiloten hoch. Wachsam huschten seine Blicke über die Wie zwei lauernde Jäger warfen sich vielen Anzeigen. Der Bordrechner arbeitet beide Männer einen schnellen Blick zu. leise summend und mit gewohnter Sie verstanden einander wortlos und dachhundertprozentiger Zuverlässigkeit. Die ten in denselben Kategorien. Sender und Peilantennen korrespondierten „Technische Panne. Vorbereiten für
manuelle Steuerung!" sagte Skapa kurz und mit gepreßter Stimme. „Verstanden." Die unbetonte, aber hervorragend verständliche Stimme des Bordrechners unterbrach ihre Überlegungen und die ersten Notschaltungen. „Vor drei Sekunden wurden sämtliche Positionssender und alle Empfangsverstärker gestört, eine Sekunde später fielen sie vollständig aus. Die Maschine bewegt sich im Augenblick vollkommen blind. Es besteht kein funkund ortungstechnischer Kontakt mit der Außenwelt." Sofort fragte der Kommandant zurück: „Ist der Schaden zu beheben?" „Es ist kein Schaden feststellbar. Ich diagnostiziere Totalausfall." „Fremdeinwirkung?" „Ist zu vermuten, aber es ist erkennbar, daß auch Radar nicht mehr zeichnet." „Wir sind also elektronisch blind, taub und stumm?" „Diese Formulierung entspricht dem gegenwärtigen Zustand." Der Rechner blinkte noch mehrmals und verstummte völlig. Über den Analogbildschirm flimmerten, sich in wirren Farbspielen auflösend, die Worte: „Vorübergehende Störung!" Pilot und Kopilot setzten die Brillen mit den dunklen Gläsern auf. Der Kurs der Maschine in neunzehntausend Metern Höhe führte direkt in die Sonne hinein, die, hier in der Stratosphäre, mit greller Intensität durch die getönten Scheiben flutete. Aus der anfänglichen Unruhe war Angst geworden. Aber noch funktionierte die Handsteuerung. Die Maschine gehorchte den leichtesten Ausschlägen. Beide Männer waren Professionals und würden den Jet sicher auf die Landepiste von San Francisco bringen, das stand fest. „Wo sind wir jetzt?" Während der Kommandant fragte, begann er schon zu rechnen. Die Quarzuhr lief, der Geschwindigkeitsanzeiger arbeitete, der Kurs schien
sich seit Anfang der Störung nicht verändert zu haben. Aus den Lautsprechern der Kopfhörer kam nicht einmal mehr das Rauschen der Statik. „Etwa genau dreißig Grad nördlicher Breite, rund siebzig Grad westlicher Länge, südwestlich der BermudaInselgruppe." Wieder sahen sich der Kommandant und sein zweiter Mann an. Sie befanden sich allein im abgeschlossenen Cockpit, zusammen mit einem Arsenal teurer elektronischer Werkzeuge, die bis auf einen winzigen Rest unbrauchbar geworden waren. Weder das Kabinenpersonal noch die Fluggäste hatten bisher etwas gemerkt. Aber jede Sekunde mußten sich Navigator und Bordingenieur melden, denen der Alarm ebenfalls einige Sekunden voller tödlichen Schreckens beschert hatte. Ganz plötzlich überschlugen sich die Vorgänge. Es war keine logische Entwicklung festzustellen, sondern sämtliche noch funktionierenden Instrumente schlugen wild nach beiden Endpunkten aus. Die Zahlen in den Komputerfeldern wechselten in solch raschem Tempo, daß sie nur noch Lichtwirbel bildeten. Skapa schrie vor Furcht und Verblüffung auf, als er plötzlich glaubte, sein Verstand habe sich verwirrt, denn er sah durch die Vorderfronten der Instrumentenpaneele hindurch, erblickte die wenigen Drähte und Kabelstränge, konnte die einzelnen Bausteine und Moduln unterscheiden und glaubte schließlich, die Außenhaut der Maschine von innen grünlich oder bläulich als eine Art farbiges Glas zu sehen. Mit einem Fluch riß sich der Kopilot die Brille von der Stirn und warf sie gegen die gekrümmte Frontscheibe. Der Jet raste noch immer annähernd geradeaus, seine Maschinen rissen ihn mit der mehrfachen Geschwindigkeit des Schalls einem Ziel entgegen, das überall liegen mochte, nur nicht in San Francisco.
Eben noch strahlte die Sonne in die Kanzel. Der automatische Alarm riß ab und machte einer tiefen, entsetzlichen Stille Platz. Aber das Erlebnis der Todesruhe drang nicht in den Verstand der Menschen ein, denn ein anderes, noch schrecklicheres Erlebnis löste diesen widersinnigen Eindruck ab. Die Sonne verschwand von einem Augenblick zum anderen. Die Triebwerke wisperten nicht einmal mehr, als eine tiefe, intensive Dunkelheit über dem Stratosphärenjet zusammenschlug. Skapa Shaharak erlebte diese Steigerung der Schrecken bei vollem Bewußtsein mit. Sein letzter Gedanke war: Was mit uns passiert, muß ein ungewöhnliches Geschehen sein, etwas, das es noch niemals gab in der Geschichte der Passagierluftfahrt. Er irrte mit dieser Annahme, aber es gab niemanden, der ihn über diesen Irrtum aufklärte... * Cliff Alistair McLanes Stimme klang irgendwie melancholisch, als er das Wispern, Summen und das trockene Klicken der arbeitenden Geräte unterbrach. „Nicht erst seit heute ziehe ich den einzigen Mechanismus vor, der lautlos, wenn auch nicht immer zufriedenstellend arbeitet, nämlich das menschliche Gehirn, den Verstand des Homo sapiens." Han Tsu-Gol, der ehemalige Orcast, verneigte sich spöttisch um eine Handbreit. „Wir ziehen es vor, beides als integriertes System zu benutzen. Zuerst lassen wir rechnen, sammeln und vordenken, dann denken wir nach und handeln." Hasso Sigbjörnson, dessen schmales Gesicht ein paar neue Falten bekommen hatte, bemerkte trocken: „Und wenn dann noch jemand riskiert,
sich gegen die Logik und für rasches Handeln zu entscheiden, nach gebührend langem Nachdenken, dann können Sie sich unsere Situation in prähistorischer Zeit vorstellen." Hasso brauchte es nicht auszusprechen; die Crew dachte die Antwort fast synchron. Sie würden auch heute, als Veteranen und nahezu sagenhaft stilisierte Vorbilder der raumfahrenden Jugend, nicht anders handeln. Sie befanden sich in TECOM, einer Weiterentwicklung der Großrechner der realen Erde. Die Minister hatten die ORION-Crew eingeladen, um ihnen das Verständnis zu erleichtern. Sie hatten bereits eine Unzahl von Einrichtungen gesehen und in Aktion erlebt, mit denen sie später arbeiten mußten. So auch hier die Zentrale aller TErranischen COMputereinheiten. Tausende verschiedener Kommunkationskanäle, die eine ungeheure Datenflut in beide Richtungen transportierten, mündeten in diese Maschinen und Speicher, von denen man allerdings an dieser Stelle nur die externen Elemente sah: Bildschirme, die dreidimensionale und holographische Projektionen spiegelten, Datensichtschirme, Schnelldrucker, Blitzkopierer, Lesegeräte, Linsen und Mikrophone, Lautsprecher und eine an sich verwirrende Vielzahl von Bedienungselementen, die aber, leicht erkennbar, einem Schema strenger Logik gehorchten. „Eine Frage", schaltete sich Helga Legrelle ein und deutete auf die amphitheatralisch ansteigende Barriere, von der die Personengruppe zu dreihundertzehn Grad umgeben wurde, „kontrolliert dieses unsichtbare Monstrum auch die Einsätze von T.R.A.V.?" „Sicher. Ebenso werden über ein gewaltiges Netz von Satelliten und Bodenstationen sämtliche bemannten und unbemannten Objekte innerhalb der Lufthülle kontrolliert. Die betreffende Sektion
befindet sich hier." Pierre Denis, der Minister für Innere Angelegenheiten der Erde und der bewohnten Himmelskörper des Sonnensystems, deutete ein wenig herablassend auf einen Teil der Anlage, der volle Aktivität zeigte. Er schien diese Demonstration zu genießen; immerhin konnte er den Verschollenen zeigen, wie weit man es inzwischen gebracht hatte. Trotzdem standen die Verantwortlichen unter dem Eindruck dessen, was ihnen Cliff und seine Mannschaft klargemacht hatten - und was durch bestürzende Vorfälle zur Wahrheit geworden war. Mit deutlichem Sarkasmus bemerkte Mario de Monti: „Die betreffende Sektion, Herr Exorcast, scheint Alarmzeichen zu deuten, wenn ich die roten Signale richtig deute." Als Spezialist für Bordelektronik und ausgerüstet mit einem Wissen, das weit über den Ausbildungsstand Denis' hinausging, erlaubte er sich diese kecke Bemerkung. „In der Tat!" pflichtete ihm Atan Shubashi bei. Neun Personen, unter ihnen der Leitende Verwalter von TECOM stürzten in die Richtung des Segments. Auf einer riesigen Mercator-projektion der Luftlinien und Flugverbindungen zeichneten sich Zehntausende feiner Linien ab. Sie blinkten und zitterten ununterbrochen. Farbige Pünktchen und Gruppierungen zeigten Standorte an. Auf großen Bildschirmen entstanden fortlaufend neue Zeilen und verschwanden wieder. Unübersehbar waren in diesem Augenblick drei verschiedene Markierungen. Sie entsprachen drei Objekten, die sich in einem eng zusammenstehenden unregelmäßigen Dreieck befanden. Drei Zeilen auf den Bildschirmen flackerten in loderndem Rot der Alarmfarbe auf. „Was bedeutet das?" erkundigte sich Han Tsu-Gol mühsam beherrscht. „Alarm!" sagte der Verwalter. „Drei
Objekte sind in Schwierigkeiten. Gestatten Sie, Herr Minister?" Er schwang sich in einen Spezialsessel, zog ein Kommunikatorpult zu sich heran, befestigte den Bügel mit Mikrophon und Lautsprechern an seinem Kopf und hämmerte wie ein Rasender auf die Tasten. Ein zusätzlicher Bildschirm sprach an. Das Gebiet, in dem jene drei Objekte in Schwierigkeiten geraten waren, wurde herausvergrößert. Eine ferne Idee entstand in Cliffs Gedächtnis, aber sie war so schwach, daß er sie nicht fassen konnte und wieder vergaß. Abgebildet wurde die östliche Küstenlinie des nordamerikanischen Kontinents, das Karibische Meer bis zu den Inseln unter dem Winde einschließlich des Seegebiets östlich der Bermudas. Drei der sich an verschiedenen Stellen kreuzenden fadendünnen Striche leuchteten jetzt rot auf. Die Positionen von drei verschiedenen Objekten blinkten. „Das sind die letzten Positionen, die TECOM besitzt!" sagte der Ingenieur. „Es gibt keine neuen Informationen. Die Rechner sagen, daß zu diesen drei Maschinen kein Funkkontakt mehr bestand und daß sie etwa fünfzehn Sekunden nach dieser Unterbrechung verschwanden." „Unsinn! Heutzutage verschwindet nichts mehr", sagte Pierre Denis laut. „Sie sind ausgefallen, vom Kurs abgekommen, möglicherweise abgestürzt, was weiß ich!" „Was wissen Sie?" fragte Cliff McLane mit gespielter Höflichkeit. Überrascht drehte sich der Minister um und musterte den Commander. „Glauben Sie, daß drei ununterbrochen überwachte Objekte verschwinden?" Cliff hob die Schultern und bemühte sich, ein kluges Gesicht zu machen. „Ich glaube gar nichts. Noch nicht. Ich warte erst einmal, was die keineswegs stumme Unterhaltung mit den Rechnern ergibt."
Ein Schnelldrucker lief mit rasendem Ticken an und warf einen Kunststoffstreifen aus. Gleichzeitig erschien auf einem Monitor der Text. Objekt 1: Interkontinental-Stratosphärenjet Kopenhagen - San Francisco Objekt 2: Robotgesteuerter, funkgestützter Luftkissentransporter HC/sm 660 800, Zielhafen Nassau Objekt 3: Robotgesteuerter, funkgestützter Luftkissenschwertransporter HC/rinf. 023 91, Zielhafen Camagüey Letzte Meldung: Sämtliche Überwachungsstationen melden übereinstimmend und gleichzeitig, daß oben genannte Objekte von den Überwachungsschirmen verschwunden sind. Satellit „Stellarnare" bestätigt Tatsache, Ortsbestimmungen und Zeitpunkt. „Sie scheinen tatsächlich verschwunden zu sein", murmelte Hasso. „Das erinnert mich an bestimmte Bücher, die ich in meiner Jugend las." Cliffs Augen hefteten sich auf die Serien von Informationen, die mehr oder weniger aufgeregt hier eintrafen; selbstverständlich schaltete sich der Leitende Ingenieur direkt in die Überwachungsstationen und korrespondierte mit den Frauen und Männern an den Kontrollpulten. Aber trotzdem hörte der Commander den leisen Einwurf Hassos. „Würdest du das noch einmal wiederholen?" bat er. „Es wiederholen? Was meinst du?" fragte der Bordingenieuer leise zurück. „Deine letzte Bemerkung. Ich glaube, ich weiß auch etwas zu diesem Thema. Meine Erinnerung muß nur noch gestartet werden. Mein Langzeitgedächtnis ist in der letzten Zeit etwas brüchig." Hasso wiegte unschlüssig den Kopf. „Ohne jede Gewähr, Cliff. Ich kann mich undeutlich entsinnen, ein Buch gelesen zu haben ..." „Nur eines?" warf Helga scherzhaft ein. Hasso und Cliff lächelten gequält, und der
Ingenieur redete weiter. „Ich weiß nicht mehr, war es ein Erlebnisbericht, eine Tatsachensammlung oder reine Fiktion. Jedenfalls war das Buch sehr alt und erschien ein halbes Jahrhundert vor den Klassikern von Pieter-Paul Ibsen. Der Inhalt besagte, daß es zwischen drei einzelnen Punkten dort südlich der Bermudas ein Dreieck gäbe, ohne exakt zu ziehende Grenzen. Es erhielt von irgendeiner offiziellen Stelle den Namen BermudaDreieck." Mit Gesichtern, die Anspannung, aber auch ein deutliches Maß Skepsis zeigten, hörten alle Anwesenden zu, sogar der Techniker, der inzwischen seine Versuche, detaillierte Informationen zu bekommen, aufgegeben hatte. Was die Maschinen von TECOM betraf, so existierten die drei Objekte nicht mehr. „Jetzt erinnere ich mich auch!' pflichtete Cliff Hasso bei. „Dort sollen unerklärliche Phänomene vorgekommen sein. Man ging sogar so weit, das Dreieck als Teufelsdreieck oder als Bullauge des Kosmos zu bezeichnen." Pierre Denis erkundigte sich wegwerfend: „Eine Frage ist gestattet: Wo soll sich dieses ominöse Dreieck befinden?" „Südöstliche Atlantikküste", entgegnete Cliff. „Ehemalige Vereinigte Staaten. Ihr Gesicht, Denis, ist eine Studie des Unglaubens. Ich weiß, daß immer wieder hartnäckige Meldungen herausgegeben wurden. Immer verschwanden Fischerboote, Flugzeuge, kleinere und größere Boote, von einzelnen Menschen ganz zu schweigen. Ein Geschwader von Kampfflugzeugen, damals, als sie noch mit Ultraschall flogen, einige der Suchflugzeuge, die man nach diesem verschwundenen Pulk ausschickte. Auch wurden Zeitanomalien beobachtet. Richtig, Hasso?" „Ja, das etwa las ich in diesem Buch. Nicht ein einziges Mal fanden sich Leichen, Wrackteile, Rettungsringe oder
auch nur Ölflecke. Ein Funkamateur behauptete sogar, er habe den Funkspruch eines Verschwindenden aufgefangen, der aufgeregt schrie, es wären Wesen hinter ihnen her, die aussahen, als kämen sie aus dem Weltraum." Triumphierend deutete Mario de Monti auf das maschinelle Panorama der Anlage und rief: „Sehen Sie, Tsu-Gol, das gibt es nicht in Ihrer klugen Maschine. Solche Erinnerungen hat nur die ORION-Crew!" „Aber ich bitte Sie! Das sind doch Hypothesen, Spekulationen und an den Haaren herbeigezogene Phantasiegeschichten für eine bestimmte Art von inzwischen nicht mehr existenten Presseerzeugnissen." Cliff hob den Arm und sagte laut und deutlich: „Nein!" Überrascht sahen ihm Denis und Han in die Augen. Langsam schüttelte Cliff den Kopf und sagte im Ton der uneingeschränkten Autorität: „Mehr als hundertfünfzig einwandfrei als ,verschwunden' deklarierte Fälle in einem Seegebiet - beziehungsweise im Luftraum über diesem Dreieck -, das sich zwischen den Eckpunkten Miami, den Bermuda-Inseln und San Juan in Puerto Rico befindet. Das sind keine Phantasiegeschichten. Sicher haben Sie recht, Minister Denis, wenn Sie sagen, daß es auch dafür eine Erklärung gibt. Aber ich bin dafür, einen Versuch zu riskieren. Gehen wir hin, sehen wir nach, und heute sind wir in der Lage, ein riesiges Instrumentarium einzusetzen. Wir werden den haltlosen Hypothesen den Garaus machen. Oder uns überzeugen lassen, daß es wirklich etwas sehr Rätselhaftes im Bermuda-Dreieck gibt." Noch war nichts entschieden. Noch befanden sie sich hier im tief unter der Erde gelegenen Zentrum von TECOM. Aber jeder Angehörige der ORION-Crew
war innerlich davon überzeugt, daß dort im Dreieck ein reales, herausforderndes Geheimnis nur auf sie und niemand sonst wartete. Sie hüteten sich, auch nur ein Wort zu sagen. Jeder von ihnen war in der Lage, eine deutliche Herausforderung zu erkennen. Und keiner würde diese Herausforderung ausschlagen.
2. Etwa zwei Stunden später befanden sich die sechs Mitglieder der Crew im Arbeitszimmer des Ministers. Er schien ihre Unruhe zu spüren, aber vermutlich dachte auch er, wie viele andere, daß das Team für eine solche Aufgabe entweder noch nicht gerüstet oder zu gut war. Er beugte sich über seinen Tisch, wischte ein Goldstäubchen von seiner Nase und vollführte eine beschwichtigende Handbewegung. „Sie brauchen mir gar nicht so sehr zuzusetzen, Shubashi. Ich weiß selbst, daß ich für diesen schwerwiegenden Vorfall zuständig bin, beziehungsweise für dessen Klärung. Inzwischen laufen die Vorbereitungen an. Ich gestehe, daß ich mit all Ihren Erinnerungsinhalten über dieses mysteriöse Gebiet nichts anfangen kann, aber wir gehen dem Verschwinden der drei Objekte selbstverständlich nach. Vor einigen Minuten ist ein meteorologisches Forschungsschiff ausgelaufen, mit Kurs auf die Schnittlinien der drei letzten Positionen. Es ist das modernste seiner Art, und wenn es etwas zu finden gibt, wird die Mannschaft der MARCO POLO dies auch finden können." Im Augenblick sah sich die Crew um ihre schweigenden Hoffnungen betrogen, aber andererseits wußte sie, daß ihre Stunde nur noch nicht gekommen war. „Ich bin nicht befugt, Ihnen einen Rat zu
geben", begann Cliff in gespieltem Zögern, „trotzdem würde ich vorschlagen, mehr zu tun. Letzten Endes vielleicht auch nur deswegen, weil Sie sich sonst die Chance verderben, ein uraltes Geheimnis ein für allemal zu entschleiern." Arlene stand auf, ging hinter der Sesselreihe zum Fenster und blickte auf die Wellen des Carpentaria-Golfes hinunter. „Schicken Sie Beobachtungsflugzeuge", sagte sie. „Erinnern Sie sich, daß selbst die Satelliten von einem Sekundenbruchteil zum anderen nichts anderes als das plötzliche Verschwinden registrierten? Lassen Sie einige schnelle, atomar betriebene Unterseeboote starten. Nur mit einem Netz von speziell auf diesen Fall angesetzten Teams werden Sie ein Ergebnis erzielen. Welches Ergebnis auch immer: Sie sollten sich schon jetzt auf erstaunliche Resultate vorbereiten!" Cliff warf ihr einen bewundernden und amüsierten Blick zu. Sie hatte in Worte gekleidet, was die Crew dachte, jeder einzelne von ihnen. Denis blieb unschlüssig. Er fürchtete sich davor, irrationale Dinge anzunehmen. In seinen Überlegungen und in denen der Terraner dieses Jahrhunderts gab es nicht viel Raum für unerklärliche, unbegreifliche oder übersinnliche Vorgänge oder auch nur Gedanken. Sie alle waren dazu erzogen worden, stets eine nächstliegende, wissenschaftlich präzise beschreibbare Erklärung zu finden. Aus diesem Grund wurde auch in den meisten Gesprächen zwischen Angehörigen der ORION-Crew und den verantwortlichen Ministern eine tief ergehende Erörterung über Vh'aruna und U'rudra vermieden. „Obwohl ich nicht daran glaube, daß die drei vermißten Objekte wirklich in der Weise verschwunden sind, wie Sie es glauben - vielleicht sollte ich tatsächlich Ihrem Rat folgen, McLane?" murmelte Denis und schaltete einen Bildschirm ein. Bevor das Gespräch an diesem Punkt
angelangt war, hatten Han und Denis alle nur vorstellbaren „natürlichen" Ursachen diskutiert. Flutwellen von Seebeben, also Tsunamis, die unberechenbar auftauchten, Jetstreams und Störungen des irdischen Magnetfeldes, Stürme und selbstverständlich alle Arten technischer Störungen waren als vermutete oder mehr oder weniger sichere Gründe für den dreifachen Verlust angegeben worden. Aber Mario de Monti, Atan Shubashi und Hasso Sigbjörnson hatten mit Hilfe der Informationen, die TECOM von über hundert verschiedenen Meßpunkten blitzschnell abfragte, jeden dieser Erklärungsversuche förmlich zertrümmert und die winzigen Reste verstreut. „Sie sollten nicht vielleicht unseren Anregungen nachgeben, Sir", entgegnete Cliff zurückhaltend, „sondern bestimmt. Ihr Kommunikator ist eingeschaltet. Geben Sie Ihre Anordnungen. Hoffentlich gehen nicht auch noch Einheiten der Suchkommandos auf solch unerklärliche Weise verloren." „Ich sehe, daß Ihr Drängen aus einer Reihe von positiven Motivationen kommt", schloß Pierre Denis. „Nehmen Sie bitte nicht an, daß ich Ihre Überzeugung teilen könnte! Aber als Minister Innerer Angelegenheiten des Sonnensystems bin ich wohl gut beraten, mehr zu tun, als ich für nötig erachte. Sie sind anschließend in Ihren Wohnungen zu erreichen?" Bis auf Cliff und Hasso bestätigten dies die ORION-Angehörigen. „Wir sind, mit einiger Sicherheit jedenfalls in den nächsten Stunden, in der Werft zu finden", erklärte der Commander. „Gut. Ich danke Ihnen. Hoffentlich stellt sich alles als eine Kette durchaus erklärlicher Vorgänge heraus." Noch während sie das Büro verließen, hörten sie, wie der Minister jeweils ein halbes Dutzend von speziell ausgerüsteten Flugzeugen und schweren Unterseebooten
anforderte. * „Irgendwie", meinte Cliff McLane, „komme ich mir vor wie ein MiniaturDiktator, der aus dem Urlaub zurück ist und sieht, daß während seiner Abwesenheit geputscht und eine neue Regierung eingesetzt worden ist. Alles hat sich verändert, und trotzdem ist es begreifbar geblieben." „Zugegeben", antwortete Hasso und sah sich nachdenklich auf dem Werftgelände um. „Eine Überlegung, die desillusionierend und gleichermaßen reizvoll ist. Die Menschheit hat ihren kühnen Schwung verloren. Wenn ich an unsere jungen, wilden Jahre denke ... Jeder von uns hätte sich auf ein solch rätselhaftes Ereignis mit der Ausschließlichkeit eines Kampfstiers gestürzt." Cliff deutete auf die Tore einer Halle, die sich langsam auseinanderschoben. „Wir werden es noch erleben, daß sich die Menschheit ändert. Notfalls helfen wir ein wenig nach. Ein Team, das einst erfolgreich mit Wamsler focht, wird auch die Nachwehen eines Fluidum Pax überstehen. Was mich schmerzt, ist nur der Anblick der zerbeulten ORION VIII." Hasso erinnerte ihn: „Auch die ORION VIII wird eine Nachfolgerin haben. Deswegen sind wir hier. In kurzer Zeit beherrschen wir dieses neue Schiff ebenso souverän wie unseren alten Kreuzer." „Wir wollen es hoffen!" Obwohl sie angemeldet waren, beachtete sie noch niemand. Flüchtig dachten sie an die Aktivitäten, die jetzt um das BermudaDreieck stattfanden. Die Unterseeboote rasten in Überwasserfahrt auf die fraglichen Stellen zu, die Flugzeuge kreisten, unzählige Instrumente und Empfänger aller nur denkbaren Energieformen versuchten, eine winzige Spur der Ver-
schwundenen zu finden. Die beiden Robotfrachter waren von sekundärem Interesse; die eigentliche Suche galt dem Stratosphärenjet mit den vielen Passagieren. „Was meinst du Cliff ?" fragte Hasso leise und ging neben dem Commander auf ein Elektrofahrzeug zu, das durch breite, auffallende Farbstreifen als Teil der Werftverwaltung gekennzeichnet war. Cliff wußte, was Hasso dachte. Ihm erging es nicht anders. Ob nun eine gemäßigte Diktatur oder eine Interimsregierung der ehemaligen Orcasten diese Menschen waren von ihrer Erziehung geprägt und von den vielen Jahren des Verwaltens und Regierens. Aber die sechs der ORION-Crew waren aufgeschlossen und abenteuerlustig geblieben, bei aller Reife, die sie in den letzten, vergessenen Jahren erlangt hatten. Sie akzeptierten das Unmögliche, Unerwartete, auch wenn es viele Generationen lang keine derartigen Vorkommnisse im Bermuda-Dreieck gegeben haben mochte! Sie wußten mit verblüffender Sicherheit, daß sie sich um diesen Vorfall kümmern würden. Im Augenblick allerdings besaßen sie nicht einmal ein Ruderboot, um dorthin zu gelangen. Cliff hob die Hand und winkte den zwei Männern in dem schnittigen kleinen Werksfahrzeug. Die Maschine drehte sich und wieselte leise heran. Die breiten Türen klappten auf. „Was ich meine?" beantwortete nach langem Zögern Cliff die Frage seines Freundes. „Ich meine, daß unsere letzten Erlebnisse und die Rätsel des Dreiecks irgendwie zusammenhängen. Frage mich nicht, wie und wie eng. Es ist nicht mehr als ein vages Gefühl." Hasso blieb stehen, als das Fahrzeug vor ihnen bremste. „Unsere sogenannten ,vagen Gefühle' haben uns schon Dutzende Male in
unmittelbare Nähe des Todes gebracht!" sagte er warnend. Ein Mann mit silbern getöntem Gesicht, lackierten Haarspitzen und einer blütenweißen Technikeruniform sprang hinter dem Steuer hervor und musterte Cliff. „Sie sind Commander McLane? Und Sie sind Hasso Sigbjörnson? Wir wurden geschickt, um Ihnen das neue Schiff zu zeigen!" Cliff und Hasso wechselten einen bezeichnenden Blick. Han Tsu-Gol hatte sehr schnell und vor allem richtig gehandelt. „Ihre Worte berühren uns seltsam, Freund", entgegnete Cliff würdevoll. „Wir sind geneigt, Freude zu empfinden." Der Techniker blinzelte verwirrt. Lo Tifilt lasen Hasso und Cliff an dem schmalen Namensschild unterhalb seines linken Schlüsselbeins. Jetzt kletterte der zweite Mann aus dem Fahrzeug; ein langer, hagerer Bursche mit millimeterkurz geschnittenem Haar, einer Adlernase und schmalem, faltenreichen Gesicht. Etwa vierzig Jahre alt, aber er wirkte zehn Jahre älter und erfahrener. „Ich darf Ihnen Ahoa ,Big Canoe' Uruarua vorstellen. Es ist der Testpilot unserer Regierungswerft", meinte Tifilt und deutete auf den Piloten, der augenscheinlich hawaiianische Vorfahren hatte. Hasso und Cliff schüttelten die Hand des hageren Mannes. „Sind Sie gekommen, um Ihr neues Boot zu besichtigen?" erkundigte sich Big Canoe mit schleppender Stimme. Cliff runzelte die Stirn. „Neues Boot? Ich hörte von Han TsuGol, daß man uns ein neues Schiff stellen würde. Aber so schnell...?" „Wir haben Anordnung, das zuletzt fertig gewordene Boot für Sie und Ihr Team vorzubereiten. Wollen Sie es sich ansehen?" fragte Tifilt aufgeregt. „Gern. Mit Vergnügen", antworteten Hasso und Cliff fast gleichzeitig Ein merkwürdiges Gefühl erfaßte sie, als sie in
den kleinen Wagen stiegen und in die riesige Werfthalle gefahren wurden. Sie kannten dieses Gelände - von hier aus waren viele Planungen gemacht und Einzelteile für das Sternenschiff hergestellt worden. Nun bot sich ihren Augen ein anderes Bild. Fast alles war moderner, ging ruhiger vor sich, aber trotz Miniaturisierung und Anwendung besserer Techniken stellte diese Werft noch immer diskusförmige Schnelle Kreuzer her, die der zerbeulten und zerschrammten ORION äußerlich aufs Haar glichen. Der Wagen bremste neben einem einzeln stehenden, bereits vom Montagegerüst befreiten Raumschiff ab. Die Säule der hydraulischen Schleuse war ausgefahren, der Diskus ruhte auf vier schweren Stützen und sah nicht nur neu aus, er roch förmlich wie ein brandneues Schiff. Auf den ersten Blick erkannten die beiden erfahrenen Raumfahrer die vielen kleinen Einzelheiten, die dieses Meisterstück kennzeichneten. „Hat dieser Kreuzer schon einen Namen?" erkundigte sich Cliff und fühlte den kurzen Schauder einer vorübergehenden Erregung. „Nein. Nur eine Seriennummer." „Welche Anordnungen oder Hinweise haben Sie, daß wir dieses Schiff übernehmen sollen?" Überall wurde schnell, aber mit überraschend geringem Lärmaufwand gearbeitet. Schiffe in sämtlichen Stadien der Fertigung standen in drei langen Hallenabteilungen. Die unzähligen Lichtstrahlen schwerer Tiefstrahler brachen sich an den Bauteilen und an den hochpolierten Sektoren der Hüllen. Cliff wartete auf die Auskunft Tifilts, als sich das schmale Armbandgerät mit einem durchdringenden Summton meldete. Wieder handelte Cliff und Hasso blitzschnell und nahezu synchron. Sie winkelten die linken Arme an, schalteten das spangenförmige Vielzweckgerät ein und sahen auf dem
winzigen Bildschirm den Kopf Tsu-Gols. „Minister Tsu-Gol?" fragte Cliff scharf. „Sie scheinen erregt zu sein!" Die Stimme des mehr als sechzigjährigen Asiaten klang keineswegs aufgeregt, als er antwortete: „Ich bin sicher, daß Ihre Anwesenheit bei unserer Sitzung erforderlich ist. Es handelt sich um das fragliche Gebiet. Kommen Sie zu mir, so schnell es Ihnen möglich ist, ja?" „Selbstverständlich. Überraschende Vorkommnisse?" Das Unerklärliche verwirrte die Minister tatsächlich. Es war ihnen nichts vorzuwerfen, denn sie waren Geschöpfe ihrer Erziehung. In diesem Fall würden sie leicht in Panik geraten. Cliff nickte kurz und hörte: „Sie scheinen sich anzubahnen. Werfen Sie einen letzten Blick auf Ihr neues Schiff und kommen Sie hierher!" Das Gerät schaltete sich ab. Cliff und Hasso sahen sich um. Einen Augenblick lang wirkten sie etwas verwirrt, denn sie kannten den schnellsten Weg in das karg ausgestattete Büro des Ministers für Verteidigung und Raumflotte nicht. Cliff faßte Uruarua am Arm und bat: „Zeigen Sie uns den schnellsten Weg zu Han?" „Klar. Kommen Sie mit." Dreißig Sekunden später zischte der kleine Wagen in einer Geraden aus der Halle hinaus, quer über das Freigelände und auf einen runden Stahlturm zu. Vor einer Lifttür hielt er an. Leise schoben sich mächtige Stahltore zur Seite. Die Plattform eines mechanischen Lastenaufzugs mit einer eigenen Steuersäule erschien im Licht einer strahlenden Deckenfläche. „Hinein und hinunter!" sagte Big Canoe und betätigte einige Schalter. Die Tore glitten zu, die Plattform fiel mit überraschender Schnelligkeit abwärts. Die zwei Raumfahrer hatten sekundenlang den Eindruck, als würden die stahlgrauen
Augen des Testpiloten sie durchdringen. Dann stahl sich die Andeutung eines flüchtigen Lächelns in Big Canoes Gesicht. „Sie sind also die berühmten Männer, von denen die Minister das Fürchten lernen wollen?" bemerkte er knapp. „Sie wollen nicht. Aber sie sind noch nicht soweit, einige zugegebenermaßen kühne Überlegungen nachzuvollziehen", erläuterte der Bordingenieur. „Wissen Sie", sprach Uruarua weiter, und es schien, als müsse er jedem Wort einen Stoß geben, „Sie sind so etwas wie eine Legende. Nach Ihrem Auftauchen kannte jeder von uns eine Geschichte, die ihm sein Großvater erzählt hat. Die fabelhaften Leute von der ORION VII und VIII. Sind Sie wirklich so fabelhaft?" Cliff lachte sarkastisch und antwortete in bewußter Ironie : „Meine Mannschaft und ich sind offensichtlich Begünstigte des Schicksals oder so etwas Ähnliches. Wir suchten nicht die Abenteuer, sondern die aufregenden Dinge zogen uns an wie Magneten. Wir überstanden Hunderte von lebensgefährlichen Aktionen. Ich weiß nicht, ob wir deshalb, weil wir so gut waren, diese tödlichen Attraktionen überlebten, oder deshalb, weil wir ein gewisses Gefühl für Gefahren und ungewöhnliche Vorfälle hatten. Eines ist für uns sicher: Wir sind keine Frauen und Männer, die irgendwann im Schreibtischsessel sterben. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, zuerst zu denken, dann zu handeln, und beim Handeln eine Handvoll Risiko einzugehen. Beantwortet dies Ihre Frage, Big Canoe?" Der Testpilot nickte intensiv. McLane schien seine Sprache gesprochen zu haben. Im gleichen Augenblick hielt der Lift nach einer langen Fahrt bis auf den Grund des Labyrinths der unterirdischen Anlagen von Carpentaria-Golf an. Die Schiebetore glitten zur Seite. „Ich akzeptiere Ihre Erklärung, Com-
mander McLane. Wir alle - damit meine ich die echten, nicht denaturierten Raumfahrer - hoffen, daß Sie und Ihre Crew nicht nur persönliche Erfolge haben, sondern auch unseren Laden in Schwung bringen werden." Hasso Sigbjörnson grinste breit und versicherte wahrheitsgemäß: „Wir sind gerade dabei, uns in ein vages, aufregendes und in jeder Hinsicht ungewöhnliches Abenteuer zu stürzen. Wir sind überzeugt, daß wir gerade dabei sind, etwas am sichtbaren Teil eines Eisbergs zu kratzen und zu schaben wie ein durstiger Schlittenhund." „Unsere guten Wünsche begleiten Sie alle!" sagte Uruarua deutlich. „Zeigen Sie unseren Ministern, daß es zwischen der Tiefsee und den fernen Sternenarchipelen viel mehr Dinge gibt, die für unsere Gesellschaft unvorstellbar sind." Cliff bemerkte sardonisch: „Wir brauchen uns deswegen nicht sonderlich zu bemühen." „Auf eine unbegreifliche Weise wird dafür gesorgt, daß wir nicht auf den Gedanken kommen, der Kosmos sei langweilig", fügte Hasso hinzu. Sie tauschten einen harten Händedruck mit Uruarua und gingen in die Richtung, die ihnen der Testpilot wies. Wie an allen anderen Orten, so hatten sich auch hier, tief unter den Wogen des Golfs, die Dinge verändert. Aus dem labyrinthischen Gewirr von Gängen, Treppen, Rampen und submarinen Anlagen aller Art war eine warme, moderne Zone von Eleganz und Schönheit geworden. Zwei Generationen hatten das, was vor Wamslers und Cliffs Zeit begonnen worden war, zur Vollkommenheit gebracht. Nach einem Marsch von zehn Minuten - immer wieder blieben Hasso und Cliff kurz stehen und machten sich gegenseitig auf neue Anblicke und Einrichtungen aufmerksam - befanden sie sich vor dem kleinen Sitzungssaal, der an Han Tsu-Gols Büro anschloß.
Nicht nur der Rest der ORION-Crew, sondern einige andere Minister beziehungsweise Ex-Orcasten waren anwesend. Sie alle wirkten angespannt und zeigten ungläubige Gesichter. „Am Staunen erkennt man den Verblüfften!" war Cliffs Begrüßung. „Die Dinge im Bermuda-Dreieck scheinen sich auf wohltuend und beunruhigend fremdartige Weise zu entwickeln, oder irrten wir?" Ein aufgeregtes Kichern Atan Shubashis war die Antwort. Mit großen Augen starrten ihn Han Tsu-Gol, Pierre Denis und Peter Sobolew an. Auf den Bildschirmen und der Mercator-Projektion der Erdoberfläche schienen sich erstaunliche Dinge abzuzeichnen. Cliff brauchte eine Minute, um sich zu orientieren. Dann wußte er, was geschehen war. Suchschiffe, Beobachtungsflugzeuge und Unterseeboote befanden sich in ernsten Schwierigkeiten. Dies alles passierte im BermudaDreieck, rund hundertfünfzig Seemeilen vom theoretischen Mittelpunkt dieser geometrischen Form entfernt. Cliff fühlte ein Ungewisses Mitleid mit den Männern, die versuchten, unerklärliche oder zumindest wissenschaftlich nicht exakt faßbare Dinge verstehen zu müssen, obwohl sie es nicht konnten. Es schien, als ob die ORION-Crew handeln mußte ...
3. „Was Sie dort sehen, sind die Echos der verschiedenen Schiffe und Flugzeuge. Sie werden ununterbrochen fernbeobachtet. Auf den Monitoren haben wir die Funkkabinen der einzelnen Einheiten!" stellte Denis fest. „Übereinstimmend sagen die Männer an den Geräten aus, daß zwei Drittel ihrer Meßinstrumente sich wie irrsinnig gebärden." „Was sie nicht tun würden, die In-
strumente meine ich", unterbrach Mario de Monti leise, „wenn es sich um meteorologische oder meinethalben tektonische Effekte handelte." „Ganz sicher nicht", bekannte Sobolew. Han Tsu-Gol saß da und wartete. Auf diesem Bildschirm zitterten zwischen den feinen Linien eines engen Koordinatennetzes jene drei Signale, die den letzten ermittelten Standort der zunächst auf unerklärliche Weise verschwundenen Flugkörper kennzeichneten. Ein unregelmäßiger Ring anderer, pulsierender Funken lag um diese drei Echos. Dies waren die Suchkommandos. Sämtliche Meldungen, die ununterbrochen über die Monitore eintrafen, ließen die Ratlosigkeit und die Verzweiflung der Besatzjungen erkennen. „Wie lauten die letzten Meldungen, bevor diese Störungen eintraten?" erkundigte sich der Bordingenieur. „Alle Einheiten haben so ziemlich zur gleichen Zeit das Suchgebiet erreicht. Sie meldeten vor neunzig Minuten, daß sie mit ihrer Suche beginnen. Vor neunundvierzig Minuten fragten wir zurück, ob eine Spur gefunden wurde." Helga Legrelle hob die Schultern und sah von einem Gesicht zum anderen, schließlich äußerte sie abwägend ihre Mutmaßung. „Natürlich wurde keine Spur gefunden, nicht wahr?" „Woher glauben Sie das zu wissen, Funkerin?" schnappte Denis ärgerlich. Helga schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Es war fast so wie früher: Die Erde und ihre Vollzugsbeamten waren sich treu geblieben. „Ich weiß es nicht, ich vermute es mit großer Sicherheit", bekannte sie fröhlich. „Ich glaube, wir sollten unser Schiff nehmen und einmal hinfliegen, um nachzusehen. Was meinst du, Cliff?" „Ich bin uneingeschränkt dafür", sagte der Commander deutlich. „Und was
geschah weiter, Tsu-Gol?" „Es wurde buchstäblich nichts gefunden. Sämtliche Versuche waren in schöner Gleichmäßigkeit hundertprozentig negativ. Und jetzt... sehen und hören Sie selbst." Im gleichen Moment flackerte einer der Monitoren grell auf und erlosch. Das rote Kontrollicht bewies, daß das Gerät in Betrieb war und störungsfrei lief. Aber der Sender hatte aufgehört zu arbeiten. Augenblicklich schaltete sich Denis in das Kommunikationsnetz ein und schrie aufgeregt: „Unterseeboot STAVANGER! Melden Sie sich! Wir haben Bildausfall." Ironisch murmelte Atan Shubashi: „Wir haben vielmehr einen Unterseeboot-Ausfall. Es wird sich nimmermehr melden." Weder Cliff noch ein anderer Angehöriger der Crew zuckte auch nur zusammen, als nach einer grellen Bildstörung nacheinander vier weitere Monitore ausfielen. Sie alle hatten erwartet, daß genau dies geschehen würde. Abermals, nach einer unbekannten Zahl von ereignislosen Jahren, hatte das Bermuda- Dreieck nun insgesamt vier neue Opfer gefunden. Und sofort erloschen zwei weitere Kommunikationsschirme. „Sie verschwinden!" schrie Denis auf. „Sie verschwinden tatsächlich", murmelte Sobolew mit rauher Stimme. Auch er war erschüttert und sah ein, daß alle bisherigen Methoden zu keinem Ziel und keiner Erkenntnis geführt hatten. Aber auch Cliff McLane, der den kalten Schrecken einer unerwarteten Wendung schon so oft erlebt hatte, konnte sich einigermaßen gut vorstellen, welche tiefgreifende Panik die Frauen und Männer an Bord der Sucheinheiten bisher gefoltert hatte. Und jetzt verschwanden sie. Dies konnte bedeuten, daß sie alle jetzt schon tot waren. Aber es galt für ihn als ebenso wahrscheinlich - und wenn er nachdachte, dann nahm diese Wahrscheinlichkeit noch
zu -, daß sie sich auf einer anderen Ebene, in einer anderen Dimension oder auf alle Fälle an einem anderen Ort befanden, wo auch immer das sein mochte. „Es kann sich um keine zufällige Kette von Unfällen handeln", knurrte Sobolew und umklammerte aufgeregt die Lehnen seines Sessels. „Ich bin tatsächlich geneigt", ließ sich Han Tsu-Gol vernehmen, „es auch für eine Aktion einer unbekannten Macht zu halten." „Sie glauben es wirklich?" fragte Hasso mit erzwungener Ruhe. „Es fällt mir schwer, aber ich habe tatsächlich keine andere Erklärung", meinte Denis. „Ich könnte mir gut vorstellen, daß sich die verschwundenen Objekte irgendwo im Weltraum befinden", schaltete sich Atan ein. „Vermutlich im Orbit, vielleicht auf einem anderen Planeten des Sonnensystems, obwohl ich dies für fast unmöglich halte." „Ich auch. Denn die Planeten sind zumindest dort, wo sich Lebensmöglichkeiten boten, gründlichst erforscht worden", wehrte Denis ab, und Han nickte bekräftigend. „Der Weltraum ist ziemlich groß", warf Hasso ein. „Und selbst der erdnahe Raum ist nicht überall und jederzeit kontrollierbar. Geschweige denn die einzelnen Bezirke der Neunhundert-ParsekRaumkugel." „Wir sollten nun wirklich nachsehen", unterbrach Arlene und legte Cliff die Hand auf den Unterarm, „wo alle diese Schiffe und Flugzeuge geblieben sind." „Sollten wir nicht warten, bis die Vierte Strategische Flotte und Admiral Mahavira zurückgekommen sind?" gab Han Tsu-Gol zu bedenken. „Wir sprachen nicht davon, einen Raumkrieg zu gewinnen, sondern wollten einen Kontroll- und Inspektionsflug unternehmen", erklärte der Erste Offizier
de Monti. „Ein harmloser Flug mit einem neuen Schiff, vielleicht auch noch mit dem Testpiloten an Bord, der uns die vielen kleinen Hebel und Schalter erklärt!" „Sie sehen, wir sind bereit", sagte Cliff. Sämtliche Kommunikationsbildschirme waren jetzt ausgefallen. Die Signale blinkten wie rasend. Immer wieder versuchten sämtliche Überwachungsstellen, die Verschwundenen über Funk zu erreichen. Aber niemand antwortete. Alle Menschen und sämtliche Sucheinheiten waren ohne jede Spur innerhalb eines Zeitraums von nicht ganz sechzig Sekunden verschwunden. In das lähmende Schweigen hinein meldete sich der Leiter der Suchaktion. „Meine Herren", stotterte er und schüttelte den Kopf, „ich weiß nicht, was ich sagen soll... es gibt keine denkbare Erklärung ... wir alle hier in der Zentrale haben nicht die geringste Vorstellung..." Pierre Denis erhob sich halb aus dem Sessel und hob beschwichtigend beide Hände. Seine Stimme klang völlig verändert, als er antwortete: „Sie brauchen nichts zu erklären. Wir haben alles gesehen, was passiert ist. Wir sind ebenso ratlos wie Sie. Ich denke, unsere Freunde von der ORION werden mit viel Glück ein wenig Licht in dieses Dunkel bringen können." „Setzen Sie nicht allzu viele Hoffnungen in unser segensreiches Wirken", erklärte Helga Legrelle. Mit kaltem Pragmatismus, aber mit ruhiger und schmeichelnder Stimme meinte der Minister für Verteidigung und Raumflotte: „Sechs Prozent Hoffnung sind besser als null Prozent. Ich stimme Denis zu! Nehmen Sie Ihre neue ORION und unseren besten Testpiloten, und dann versuchen Sie, ob sie diese Unglücklichen irgendwo finden können." „Wir sind in einer Stunde startbereit", sagte Cliff.
„Sie können sich sicher innerhalb von vierundzwanzig Stunden mit dem neuen Schiff vertraut machen?" erkundigte sich Sobolew voller Skepsis. „Ich bin ziemlich davon überzeugt. Die äußere Form ist wohl identisch mit der ORION VIII, wie ich sehen konnte." Cliff hob fragend die Brauen. Die Crewmitglieder machten sich bereit, in ihre jeweiligen Quartiere zurückzukehren und jene alten Bordtaschen zu holen, die sie in der vergangenen Zeit voller Optimismus gar nicht erst richtig ausgepackt hatten. „Jetzt nicht mehr ganz, denke ich", sagte Han Tsu-Gol mit einem feinen Lächeln. „Wie dürfen wir das verstehen?" Mario erstarrte mitten in der Bewegung. „Ihr Schiff war derart mitgenommen, daß wir es ausschlachten ließen. Es befindet sich mit einiger Sicherheit schon jetzt auf dem Weg in die Schmelzöfen." Cliff holte tief Atem und setzte zu einer Entgegnung an. Aber dann verstand er die Beweggründe dieses klugen, ruhigen Mannes ihm gegenüber. Ein kurzer Abschiedsschock war wohl die beste und schmerzloseste Lösung, die es gab. Obwohl die ORION für sie mehr als ein Symbol war, denn viele zum Teil vergessene Erinnerungen hafteten sozusagen an den Wänden des Schiffes, würde das neue Schiff ihnen ebenso gehorchen. Es war besser so. Cliff sah, daß Mario auffahren wollte, stoppte ihn mit einer Handbewegung und sagte leise: „Ich habe verstanden. Wir werden alle tun, was wir können. Dürfen wir gehen?" Pierre Denis schüttelte seine Hand. „Wir bitten Sie darum. Versuchen Sie Ihr Bestes, ja?" Der Commander nickte nachdenklich. „Wir melden uns wieder von Bord der neuen ORION. Bis dahin - machen Sie sich einige Gedanken über die veränderte Lage." Die Verabschiedung war wenig persön-
lich; sie hatten auch nichts anderes erwartet. Abgesehen von der veränderten Mode, der Kleidung und den teilweise recht auffallend geschminkten Mädchen, die sie rund um die Basis trafen, war bereits dieses Auseinandergehen mit dem Ziel, sich an Bord zu treffen, für sie alle noch immer ein routinemäßiger Vorgang. Dies waren Dinge, die man sozusagen im Blut hatte und niemals vergessen konnte. Und genau siebzig Minuten später saßen sie bereits in ihrem neuen Raumschiff. * Genau hier hörte die Routine auf! Cliffs erster Eindruck, nachdem er im Kommandantensitz Platz genommen hatte, war unzweifelhaft derjenige, daß die Technik in den verstrichenen Jahrzehnten noch mehr vereinfacht und automatisiert, gleichzeitig miniaturisiert und übersichtlicher gemacht worden war. Big Canoe Uruarua sagte fast herausfordernd gleichgültig: „Ich habe Ihren fliegenden Haufen Schrott genau inspiziert. Sie werden hier, verglichen mit der achten ORION, eine weitere Perfektionierung finden. Wie ist Ihr erster Eindruck, Kommandant?" „Hervorragend!" bekannte Cliff wahrheitsgemäß. Er drehte seinen Sessel und sah zu, wie die Besatzung ihre ebenfalls umgestalteten „Arbeitsplätze", einnahm. Auf allen Gesichtern zeigten sich echte Begeisterung und der dringende Wunsch, alles auszuprobieren, zu testen und jede einzelne Schaltung ebenso in Fleisch und Blut übergehen zu lassen, wie es vorher gewesen war. Die Erkenntnis, die er aus diesen Überlegungen blitzschnell ziehen konnte, war keineswegs neu und aufregend: Sie alle waren mit dem Bazillus Weltraum unheilbar infiziert. „Das gleiche gilt für mich, und darüber hinaus wohl auch für alle anderen in dieser Pilotenkanzel", erklärte Mario de Monti
dröhnend. „Ihr habt ganz gute Gedanken gehabt, während wir auf unserem Ausflug waren!" Gemessenes Gelächter quittierte diese Äußerung. Der Testpilot hielt sich an der Rückenlehne von Cliffs Sessel fest und zog eine Grimasse. Er hatte sich wohl einen lauteren Begeisterungsausbruch erwartet. „Heute beginnen wir, liebe Schülerinnen und Schüler", erklärte er, „mit einem einfachen Oberflächenstart. Vergessen Sie die Tiefseeschleuse und den Wasserwirbel, den Sie gewohnt waren. Ich darf - und muß - Sie einweisen. Das hier ist..." Sie brauchten nicht mehr als fünfzehn Minuten, um die neue Routine des Startens einzuüben. Indem sie die betreffenden Geräte und Schaltungen benutzten, machten sie sich mit ihnen vertraut. Uruarua entwickelte eine hektische, aber mit kalter Präzision ausgeführte Betriebsamkeit, um Mario mit der Handhabung des Bordkomputers, Helga mit dem umfangreichen Cockpit der verschiedenen Funkanlagen, Atan Shubashi mit den Ortungs- und Sichtinstrumenten und der Astrogation vertraut zu machen. Er fuhr dreimal hinunter in den Maschinenleitstand und erklärte Hasso (er begriff von ihnen mit der Intuition des geborenen Technikers die Veränderungen und Neuerungen anscheinend am schnellsten und gründlichsten) die Handhabung sämtlicher Kraftanlagen des Schiffes. Cliff führte die einzelnen Schaltungen durch, und kurz darauf schwebte der Diskus aus der Halle hinaus auf den freien Platz der Raumschiffswerft. Arlene, der sämtliche Inneneinrichtungen der nicht unmittelbar zum Raumflug gehörenden Bezirke des Diskusschiffs unterstanden, blieb vorläufig unberücksichtigt. „Wie handhabt sich unsere Schöpfung?" fragte Uruarua, als er wieder auf seinen Platz hinter dem Commander stand. „Schneller, leichter und einfacher",
entgegnete Cliff. „Nur mit der zentralen Bildplatte komme ich noch nicht ganz zurecht." „Das gibt sich in dem Augenblick, in dem wir eine bestimmte Höhe erreicht haben", tröstete ihn Big Canoe und wandte sich an Helga. „Haben Sie die Schaltungen begriffen?" „Ich denke schon", antwortete die Funkerin. „Dann können Sie uns abmelden. Starterlaubnis, Zweck, Richtung und so weiter." Sie wollten zunächst einen Zehnstundenflug senkrecht zur Ebene der Ekliptik der Planetenbahnen durchführen. Das Schiff war, wenn sie Big Canoe glaubten, bis hinunter zur Seife in den Duschen der Kabinen voll ausgerüstet worden. Trotz der vielfältigen Gedanken an die veränderte Umwelt vergaß Cliff keine Sekunde lang, weswegen sie sich eigentlich hier an Bord befanden. Sie sollten, wollten und mußten das Geheimnis des Bermuda-Dreiecks entschleiern. Helga sprach ein wenig zu hastig und aufgeregt mit der Funkstation des Carpentaria-Golfs und erhielt schließlich die offizielle Starterlaubnis. Langsam ließ Cliff das Schiff höher schweben und entfernte sich mehr und mehr vom Erdboden. Mit Argusaugen beobachtete Uruarua jeden einzelnen Handgriff, korrigierte hier eine Einstellung, murmelte mit leiser Stimme dort Korrekturen, war einfach überall und entpuppte sich in diesen anstrengenden Minuten als hervorragender Fachmann mit unzweifelhaft pädagogischen Fähigkeiten. Er nutzte die Befangenheit und Unsicherheit der fünf Personen keine Sekunde lang aus, um sich zu profilieren. Das Raumschiff befand sich noch immer innerhalb der Atomsphäre, bewegte sich durch die Helligkeit des planetaren Mittags und drang in den Weltraum im
erdnahen Bereich vor. Ganz langsam, Sekunde nach Sekunde, Schaltung nach Schaltung, stellte sich bei den Raumfahrern das alte Gefühl der Vertrautheit ein. Noch keineswegs völlig. Sie besaßen noch keine Sicherheit. Sie waren bei zwei Dritteln ihrer vielen Handgriffe versucht, sich umzudrehen, und den Testpiloten zu fragen, ob es richtig war, was sie halb instinktiv, halb aus Überlegung heraus taten. „Die ORION ist auf dem Weg", erklärte Cliff nach einer Weile. „Ich sehe, daß Sie recht hatten, Big Canoe!" Voller Selbstbewußtsein entgegnete Uruarua: „In derlei Dingen habe ich immer recht; nämlich deswegen, weil ich diesen Typ Raumschiff seit knapp einem Jahrzehnt mitentwickelt habe." Mario brummte von seinem Programmierpult her: „Du sagtest vorhin, die ORION wäre auf dem Weg, Cliff. Ich nehme mir das Recht heraus, einen Vorschlag laut auszusprechen. Selbst Han Tsu-Gol wird sich unserer Meinung anschließen müssen!" Cliff murmelte leidenschaftslos: „Die lauteste Stimme ist nicht immer die beste. Sprich, Erster Offizier, Freund und Kybernetiker." Uruarua, der diese Art der Unterhaltung an Bord von Raumschiffen offensichtlich nicht gewohnt war, stand kerzengerade hinter Cliff McLane und hörte zu. „Wir steuerten die ORION VII in eine Art Nova. Wir lenkten die ORION VIII durch Tausende von Abenteuern und belasteten sie bis weit über ihre technischen Grenzen hinaus. Was liegt näher, als dieses Diskusschiff ORION IX, zu nennen?" „Etwa zehn Minuten später hätte ich diesen Vorschlag gebracht", erklärte Hasso Sigbjörnson über die Bildschirmanlage, die ihn im Maschinenleitstand mit der Kommandokanzel verband. Die ORION
raste jetzt gerade im senkrechten Steigflug aus der Lufthülle hinaus in den freien Weltraum hinein. Das Licht auf den vielen Schirmen und Monitoren begann sich zu verändern. Auf der runden Bildplatte vor Cliff zeigten sich gestochen scharf und darüber hinaus auch dreidimensional die Umrisse von Küsten und dem Australischen Kontinent. „Ich bin uneingeschränkt dafür, bestehe aber darauf, die offizielle Taufe mit einer kleinen Flasche Champagner durchzuführen", sagte der Commander. „ORION IX! Das ist es!" ließ sich Helga von ihrem Funkpult vernehmen. Mario de Monti kratzte sich im Nacken und rief: „Einstimmig angenommen? Atan, deine Meinung? Wir taufen dieses prächtige Schiff jetzt und hier, bei Erreichen des Weltraums, auf ORION IX?" Atan sprang auf, hob beide Arme und rief voller Enthusiasmus: „Angesichts der dunklen, mysteriösen Geheimnisse des Bermuda-Dreiecks, in Gedanken an eine unendlich lange Kette von Abenteuern, im Hinblick auf all die Vorfälle, die man uns gnädig vergessen ließ, in der Summe aller dieser Dinge steht es außer Zweifel, daß wir unser neues Schiff auf diesen Namen taufen. Es zeugt indessen von geringem Einfallsreichtum, aber von ungebrochener Tradition. ORION IX! Nichts anderes." „Ich schließe mich an!" rief Arlene, und der aufflammende Bildschirm zeigte, daß sie sich in der Bordküche befand und zumindest die Geheimnisse der neuen Kaffeemaschine einwandfrei gelöst hatte. Die Crew glaubte, den überzeugenden Duft eines frisch gekochten Kaffees via Bildschirm riechen zu können, was ein Trugschluß war, aber eindeutig für die Ausstattung der ORION IX sprach. „Und was sagen Sie, Testpilot?" fragte Cliff, während das Diskusschiff, auf den von Mario programmierten Autopilot
geschaltet, durch die letzten Spuren der irdischen Gashülle dem Weltraum entgegenfegte. „Von mir werden Sie alle diesbezüglich keine Einwände hören!" erklärte Big Canoe mit seiner schnarrenden, leidenschaftslosen Stimme. Der Testflug ging weiter.
4. Länger als einen halben Tag vollführte die ORION IX eine Anzahl von Manövern, die ausnahmslos alle dazu dienten, die Mannschaft mit den neuen und geänderten Einrichtungen des Schiffes vertraut zu machen. Sie rasten auf der Strecke Erde - Jupiter hin und her, flogen einen Scheinangriff auf einen riesigen Asteroiden, vernichteten einen zweiten, um die Overkillwerfer auszuprobieren, standen in Funkverkehr mit allen denkbaren Stationen des Sonnensystems und führten einen längeren und zwei blitzschnelle Hyperraumsprünge durch. Die Mannschaft gewöhnte sich an die neuen Instrumente und an die geänderte Anordnung. Jetzt, rund zwanzig Stunden nach dem Start, befand sich die ORION IX auf dem Rückflug quer durch die Hälfte des Solarsystems. In einem weiten Bogen war das Schiff um den riesigen Planeten Jupiter herumgerast, hatte sich in einem schnellen Zickzackkurs zwischen den vielen Monden hindurchgeschlängelt und nahm jetzt, nachdem sämtliche Funkstationen verständigt worden waren, Kurs auf die gute alte Erde, die irgendwo dort vorn blau und verziert mit den weißen Strukturen der Wolken sich durch den Raum drehte. Die wirkliche Erde, keine trügerische Parallelwelt. Big Canoe kam hinauf in die Kommandokabine und machte zuerst einen langen und schweigenden Rundgang, in
dessen Verlauf er jedes einzelne Instrument genau beobachtete und sorgfältig die Werte ablas. Auf eine merkwürdige Weise klang durch seine Worte eine gewisse Hochachtung hindurch. „Ich sehe, daß Sie sich alle viel schneller mit Ihrer neunten ORION vertraut gemacht haben als alle anderen Mannschaften, die auf neue Schiffe umgewechselt sind", sagte er halblaut. „Vielleicht liegt es daran", erinnerte ihn Cliff, „daß wir erstens hervorragend geübte Raumfahrer sind und zweitens einen Auftrag zu erledigen haben." „Auch Sie werden die Vorkommnisse im Bermuda-Dreieck nicht binnen Minuten aufklären können", widersprach Uruarua kopfschüttelnd. „Das nicht", warf Mario ein und gähnte. „Aber wenn überhaupt jemand eine solch mysteriöse Sache erkennen und lösen kann, dann sind wir es." Big Canoe lachte sarkastisch auf. „Wenn ich nur wüßte, von woher Sie Ihr unerschütterliches Selbstvertrauen beziehen?" Helga lächelte ihn schmelzend an und erklärte: „Von den Sternen, Testpilot! Von den geheimnisvollen Sternen der Galaxis!" Uruarua verzichtete klugerweise auf eine Fortführung dieses Dialogs. Zwei Stunden später landeten sie wieder. Diesmal wurden sie durch den riesigen Strudel eingeschleust, und auch hierbei erwies sich die neue ORION so leicht zu steuern wie das alte Modell. In einem Nebenraum der Personalschleuse erwartete Han Tsu-Gol die Mannschaft. Er sagte: „Wir alle wissen, daß die Wirkung von Fluidum Pax langsam abklingt. Die Menschen der Erde werden wieder ihre Entschlußfreudigkeit und ihren - wie Sie es zu nennen belieben - Schwung wiederbekommen. Trotzdem bitte ich Sie, bei Ihrem Einsatz keine Ihrer gefürchteten
Disziplinlosigkeiten zu begehen. Sie sehen, ich habe mir einen Blick in die alten Archive verschaffen können, McLane!" Cliff musterte den kleineren Mann mit den unerschütterlichen Gesichtszügen und erwiderte dann: „Keine Sorge. Wir werden Ihren Adrenalinhaushalt nicht strapazieren. Gibt es gute oder schlechte Neuigkeiten vom Bermuda-Dreieck?" „Wir haben vorläufig allen Flugzeugen und Schiffen untersagt, dieses Gebiet zu durchqueren oder zu überfliegen." „Das heißt", schaltete sich Mario ein, „daß wir den Auftrag haben, dort nachzusehen?" „Nach Ihrer Ruhepause, ja. Hier ist der Dienstplan." Cliff nahm die eingeschlagene Folie entgegen und schob sie in die Brusttasche der neuen Bordkombination. „Danke. In etwa zwölf Stunden." „Und was geschieht, wenn wir ebenso verschwinden wie die anderen Einheiten bisher?" wollte die dunkelhäutige Arlene wissen. Han zog die Schultern hoch und sah einen Augenblick lang aus wie ein kranker Vogel. „Fragen Sie mich das nicht! Ich bin hoffnungslos überfordert", bekannte er. „Ich kann nur erwarten, daß Sie, Cliff, und Ihre Mannschaft uns erklären, was dort wirklich vorgefallen ist. Ich ahne, daß wir uns an der Schwelle eines schrecklichen Verhängnisses befinden, das uns alle umbringen oder zumindest gefährden kann." „Ganz so dramatisch wird's wohl kaum werden", versuchte ihn Hasso zu trösten. Auch er zeigte starke Müdigkeit und sehnte sich nach Ruhe und Schlaf. „Ich hoffe immer, daß die Optimisten recht bekommen!" Cliff grinste säuerlich und meinte leise: „Ein Optimist ist meist ein Pessimist, der zu feige ist, seine Befürchtungen laut
auszusprechen. In dieser Beziehung, ich meine das Dreieck, habe ich keine bestimmte Meinung. Warten wir ab, was wirklich geschieht." „Etwas anderes", sagte der Astrogator und gähnte ungeniert, „bleibt uns wohl kaum übrig." Es war auch teilweise ihre eigene Unsicherheit in der Welt, die für sie zwar nicht grundsätzlich neu, aber stark verändert war. Sie versuchten mit aller Kraft, ihre eigene Art und Arbeitsweise auch hier und jetzt durchzusetzen. Sie waren sich durchaus darüber klar, daß nur dumme Menschen wirklich selbstsicher waren. Sie alle hatten so oft Gelegenheit gehabt, an sich und ihrer Leistungsfähigkeit zweifeln zu müssen, daß sie innerlich nur sehr gedämpft und behutsam vorgingen. Aber sie waren viel zu stolz auf ihre Erfolge, als daß sie andere an ihrer Unsicherheit hätten teilhaben lassen. Nicht einmal Han Tsu-Gol, der den in ihrem Sinn besten und entschlossensten Eindruck machte. Sie schüttelten seine Hand und zerstreuten sich dann in verschiedene Richtungen, um ihre Quartiere aufzusuchen. Innerlich aber fieberten sie dem nächsten Tag entgegen. Kurz vor dem Einschlafen saßen sich Cliff und Arlene in hochlehnigen und sehr bequemen Sesseln gegenüber. Bedächtig hob Cliff sein Glas; uralter Whisky ohne Eis schaukelte darin. Das hatten die Menschen selbst unter der Diktatur Orcanas nicht vergessen. „Mir ist, hochgeschätzte Arlene", begann der Commander nachdenklich und zupfte am Ärmel seines weißen Bademantels, „ganz eigentümlich zumute." „Zweifellos für dich und uns keine sonderlich neue Empfindung", sagte sie. Der Raum lag im Halbdunkel. Leise Musik flutete aus versteckten Lautsprechern. „Worum geht es jetzt?" „Ich müßte eigentlich Entrüstung dar-
über verspüren, daß sie die alte ORION einfach verschrottet haben. Sie hätte in ein Museum gehört, geputzt, geölt und mit den Narben weiter Sternenflüge." Arlene stand auf und setzte sich auf seine Knie. „Ich sehe das ein wenig anders", erklärte sie und trank einen Schluck aus seinem Glas. „Han Tsu-Gol hat pragmatisch gehandelt. So wie er versuchte, uns schnellstmöglich wieder in die Teams der Raumpatrouille einzugliedern, so wollte er uns mit dem Verschrotten der alten ORION wohl zeigen, daß in unserem Leben und unserer Entwicklung ein harter, endgültiger Schnitt stattgefunden hat." „Das habe ich bisher tatsächlich nicht bedacht", entgegnete er. „Zusammen mit dem, was wir vom Wirken irgendwelcher dubioser kosmischer Mächte wissen, ergibt dies einen neuen Aspekt." „Und ich wenigstens bin sicher, daß unter diesem Aspekt auch die wieder zurückgekehrte Aktivität jenes Fensters zum Weltraum, des Bermuda-Dreiecks, zu sehen ist. Ich bin Spezialistin für geheimnisvolle und kaum zu erklärende Dinge, denn schließlich, wie nicht jedermann weiß, kreist das Blut von Medizinmännern und überaus mächtigen Stammeshäuptlingen In meinen Adern." Cliff küßte sie auf den Nacken und murmelte: „Wo sonst?" Nach einer Weile, in der er nachdachte, Whisky trank und Arlene streichelte, sagte der Commander: „Wäre es so, würden die verschwundenen Schiffe und Flugzeuge tatsächlich mit irgendwelchen Nachwirkungen der großen, kosmischen und geschichtlichen Auseinandersetzungen zusammenhängen - würden alle Ereignisse notwendigerweise zusammenhängen. Jene, die uns wieder auf die originale Erde zurückgebracht und jene, die die neue ORION wieder in Aktion gebracht haben."
„Ich weiß nicht, warum ich so sicher bin", bekannte Arlene, „aber ich glaube, es zu wissen." „Wissen und Glauben sind verschiedene Dinge", erklärte Cliff. „Früher oder später werden wir es unzweifelhaft erfahren. Jedenfalls freue ich mich auf den ersten neuen Start mit dem neuen Schiff und der alten Mannschaft!" sagte Arlene und legte ihre Arme um Cliffs Hals, „Ich auch!" versicherte der Kommandant. Auf dem großen, runden Bildschirm vor Cliff zeichnete sich eine scheinbar unendliche blaue Fläche ab, versehen nur mit den verschwimmenden Schatten einiger späten Wolken. Ganz langsam griff die schwarze Nacht nach dieser Zone der Erdkugel. Die ORION IX schwebte in rund viertausend Metern Höhe. „Die neue Technik, mit der die Linseneindrücke umgesetzt werden, ist faszinierend!" murmelte Mario, der hinter Cliff stand und das Bild betrachtete. Es gab so gut wie keinen optischen Verlust, das Bild wirkte noch schärfer als das, was ein Beobachter mit dem bloßen Auge sehen würde. Die dreidimensionale Wiedergabe war im Augenblick gegenstandslos; es gab nichts zu erkennen außer einer Wasserfläche mit den verwirrenden, wie vom Komputer gezeichneten Strukturen der Wellen und der Schatten. „Richtig. Wir sind auf Autopilot, Mario?" fragte Cliff. „Ja, wie angeordnet." „Elektronisches Bordbuch läuft", meinte Helga vom Funkpult her. Sie kontrollierte den Flug der ORION über die halbautomatischen Funkverbindungen mit den Bodenstellen und mit zwei stationären Satelliten. „Danke", sagte Cliff. Er warf einen Blick auf den Höhenmesser. Dreitausend Meter über Null. „Wir sind fast im Zentrum des fragli-
chen Gebiets", meinte Mario. „Verstanden." Absolut nichts war passiert. Bisher waren Start, Flug und Zielanflug ohne den geringsten Zwischenfall verlaufen. Die Mannschaft handhabte die Schaltungen noch nicht ganz mit der alten Souveränität, aber sah keine Schwierigkeiten. Jede Sekunde diente dem Training. „Und hier sind sie alle verschwunden. Hier, rund um uns. Wir befinden uns im Mittelpunkt des lautlosen Schreckens", erklärte Shubashi. „Es gibt nur ein einziges Energieecho." „Bitte definieren", sagte Cliff. Plötzlich merkte er, wie sich sein Haar im Nacken und über den Handgelenken aufstellte. Ein Warnzeichen? Es gab keinen Grund und keine erkennbare Ursache dafür. „Laut Auskunft Satellit ein Stratojet auf dem geänderten Kurs nach Nassau, gestartet in Bimini", antwortete die Funkerin. Cliff beugte sich in seinem Sessel vor, starrte das Bild an und versuchte, zu erkennen, was ihn so seltsam berührt hatte. Seine unausgesprochene Anspannung hatte sich längst der Mannschaft mitgeteilt. Sie alle schwiegen und ließen ihre Augen über die Anzeichen und Instrumente gleiten. Aber überzeugender als der Schauer waren jene Detektoren - sie zeigten ausnahmslos normale Werte an. Nicht der geringste Hinweis darauf, daß sich in und über diesem Seegebiet merkwürdige Dinge abgespielt hatten. Der Autopilot steuerte das Schiff sehr langsam in einer flach verlaufenden Kurve genau in den rechnerischen Mittelpunkt des ungleichmäßigen Dreiecks hinein. Die Höhe betrug jetzt zweieinhalbtausend und ein paar Meter über den Wellen, deren Wasser sich jetzt, als der Terminator darübergewandert war, dunkler und schließlich schwarz färbte. Nur die ORION befand sich noch im Bereich der Sonne.
„Ich glaube, ich habe etwas an den Augen", meinte der Commander plötzlich. Auf dem Schirm vor ihm begann die Farbe zu wechseln. Eben noch sahen die Wellen, die Oberfläche des Meeres, dunkelblau mit vereinzelten, winzigen Schaumkämmen in gebrochenem Weiß, gleichmäßig dunkel aus. Jetzt plötzlich durchzogen ganz schwache, blaugrüne Schlieren das runde Bild. „Keineswegs. Ich definiere eine Farbänderung. Hitzeschlieren, Effekte der leuchtenden Nachtwolken?" flüsterte de Monti. „Unsinn. Einen solchen Effekt haben wir noch niemals beobachtet. Jetzt, da, er wird stärker!" Cliff handelte halb unbewußt und schaltete mit zwei Fingern gleichzeitig Linsensätze ein, die Teilausschnitte der Schiffshülle zeigten. Zwei Bildschirme klickten und bauten Bilder auf. „Hier! Dieselbe Farbe!" Zehn Sekunden waren seit dem ersten abweichenden Eindruck vergangen. Atan verließ sein Pult und schob sich zwischen Arlene und Mario, die hinter Cliff standen und die zitternden, pulsierenden Farbänderungen auf dem Bildschirm und der Außenhülle des Schiffes betrachteten. „Eindeutig Fremdeinwirkung!" sagte Cliff. „Helga, dieser Stratojet ... noch immer auf seinem Kurs?" „Augenblick Cliff - laut Distanzradar der ORION, Auskunft des Satelliten und der Bodenstationen und jetzt auch automatischer Auskunft von Bord des Jets selbst befindet er sich unverändert auf dem programmierten Kurs." „Klar verstanden." Mario de Monti sagte unverkennbar gespannt und nervös: „Es wird doch nicht etwa mit uns ebenso anfangen wie mit den Verschwundenen ?" „Niemand weiß, ob die Hüllen der betreffenden Objekte blaugrün zu leuchten begonnen haben. Warten wir es ab."
Einige Sekunden vergingen, während die Besatzung schweigend auf die Bildschirme starrte. Alle fühlten eine unsichtbare Drohung näher kommen und größer werden. Hasso Sigbjörnson sprach aus, was sie dachten. „Ich glaube, Freunde, der unbekannte, fremde Einfluß verstärkt sich. Seht die Außenhülle an!" Über die Funkverbindung mit dem Satelliten erlebten Han Tsu-Gol und Pierre Denis mit, was innerhalb und außerhalb der ORION vorging. Die Bilder trogen nicht. Der Diskus, etwas weniger als zweieinhalbtausend Meter hoch, begann zu flimmern und schwach zu leuchten. Es war, als würde die Hülle in rauchiges, blaugrün leuchtendes Glas verwandelt. Ganz langsam wurde sie durchsichtig. Die Verstrebungen und Kabelschächte, die Einbauten der Schutzschirme wurden deutlich sichtbar. Das Raumschiff begann leicht zu schwanken, aber der Autopilot glich die Bewegungen augenblicklich aus. Das Leuchten wurde auf gespenstische Art stärker und intensiver. Es war, als durchdringe eine nicht festzustellende Energie den Körper des Schiffes. Keine fünfzehn Sekunden später schrie Atan Shubashi in mühsam unterdrückter Panik auf. „An alle! Meine Instrumente spielen verrückt! Sie zeigen unmögliche Werte an, und keine einzige Anzeige bleibt konstant." „Verstanden. Schalte dein Pult ab, ehe die Sicherungen herausknallen", sagte der Commander. Wieder schaukelte das Schiff, sackte um einige hundert Meter durch und fing sich wieder. Dann schoß es plötzlich einige Kilometer geradeaus und bog von selbst in eine enge Kurve, wobei es sich schräg legte. Cliff streckte den Arm aus und kippte den schweren Schalter. Mit einem harten Geräusch arbeitete die Umschaltung. Der Autopilot wurde aus dem Bordnetz genommen; sämtliche Steuerimpulse
liefen jetzt direkt über Cliffs Pult. Wie in der alten ORION. „Tatsächlich. Es geschieht etwas mit uns", flüsterte Cliff. Das Bild auf dem Schirm zeigte nichts mehr an, nur das kalte Glühen, das den Diskus umgab wie ein leuchtender Nebel. Noch immer rasten Zeiger und Zahlen auf den Peilinstrumenten und den Ortungseinrichtungen an Shubashis Pult vom Minimum ins Maximum und umgekehrt. Mit einem entschlossenen Ruck legte Atan den Hauptschalter um. Die ORION bewegte sich jetzt in den Schaltungen der Manuellsteuerung. Cliffs Hände lagen ganz leicht auf den Griffen der Steuerung. Er fühlte, wie der technische Organismus des Schiffes ihm perfekt gehorchte und wie sich jeder Impuls durch seine Finger augenblicklich übertrug. Aber da spürte er ein ständiges Zerren und Ziehen; offensichtlich versuchte eine fremde, starke Kraft; das Schiff zu beeinflussen. Schweigend reagierte Cliff auf jede Störung. Er steuerte vorsichtig und achtete darauf, daß das Schiff einigermaßen auf dem geplanten Kurs blieb. Er lenkte und steuerte sozusagen gegen den unbekannten Einfluß an. Helgas Stimme kam leise aus den Kommunikationslautsprechern. „Mir erscheint sicher, daß die vergessenen Berichte von den Wirkungen des Bermuda-Dreiecks einen realen Hintergrund hatten!" „Wir alle sind sicher", erklärte Kommandant McLane und verstärkte den Druck auf die Hebel. „Nicht nur du. Wir erleben gerade einen solchen Effekt." Er dachte flüchtig daran, ob dieses Erlebnis mit der gewaltigen kosmischen Auseinandersetzung zusammenhing. Mitten in seine Überlegungen hinein heulte eine Warnsirene auf. Das Schiff fiel wie ein Felsblock völlig übergangslos um vierhundert Meter, wie ein noch funktionierendes Instrument anzeigte. Blitzschnell und nur durch Handzeichen verständigte
sich Cliff mit Hasso, der die Energieerzeuger augenblicklich hochfuhr und in höhere Umdrehungszahlen brachte. Aber je mehr Energie erzeugt wurde, desto mehr floß ab, ohne daß die Maschinen des Schiffes sie in Leistung umsetzen konnten. Mario klammerte sich an die Lehne von Cliffs Sessel und stöhnte auf. „Jemand oder etwas zapft unsere Energie ab! Hier, wirf einen Blick auf das Potentiometer." Cliff ordnete sofort an: „Hasso, bitte sofort die Schlafende Energie ins Bordnetz einspeisen!" Drei oder vier Sekunden verstrichen ereignislos und in höchster Spannung. In der Erwartung eines Schocks verkrampften sich die Insassen der ORION. Schaukelnd fiel das Schiff wie ein welkes Blatt. Mit tonloser Stimme meldete der Bordingenieur über den Bildschirm: „Schlafende Energie auf Wert Null abgesunken. Wir sind nicht mehr aktionsfähig! Energieerzeugung läuft mit Nennkapazität." Die Auskunft ließ an brutaler Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Die Energie dieses hochmodernen Schiffes floß irgendwohin ab, ohne daß ein bemerkenswerter Bruchteil von ihr von den Maschinen verbraucht und genutzt werden konnte. Das Diskusschiff sackte noch immer unkontrolliert der Wasseroberfläche entgegen. Es befand sich im kritischen Bereich, und es war nur noch eine Frage von Sekunden, bis aus der Störung des Kurses ein Desaster geworden war. Die unbekannte Macht, die Flugzeuge und Schiffe spurlos verschwinden ließ, manipulierte jetzt auch das Raumschiff. Kaum hatten sie ihr neues Schiff kennengelernt, wurden sie schon in den Wirbel der Ereignisse gerissen. Es war ganz wie in alten Zeiten. Die ORION kippte und trudelte den schwarzen Wellenkämmen entgegen.
Für einen kurzen Augenblick, der sich in seiner Erinnerung endlos ausdehnte, kämpfte Cliff gegen Panik und Todesfurcht an. Dann versuchte er, durch schnelles Handeln das Verhängnis aufzuhalten. Er nahm für einen Moment die Hand von der Steuerung und wartete ab, was geschah. Die Besatzung erkannte, was er vorhatte und schwieg atemlos. „Entweder bringt es uns um, oder wir überleben es ..." murmelte er, ohne es zu wissen, daß er sprach. Außenhülle und Teile der Schale leuchteten noch immer wie sonnendurchflutetes Glas. Die ORION fiel weiter, die Maschinen heulten grell auf, dann schwang das Schiff sich knirschend und knisternd in eine flache Kurve hinein. Der Sturz hatte sich in ein Dahingleiten verwandelt. Aber mehr hatte der Commander nicht tun können; die Steuerung gehorchte ihm nur zu wenigen Prozenten. Der Diskus glitt jetzt wieder aus dem Kurs, blieb ungefähr auf der Höhe von fünfzehnhundert Metern und legte sich schräg in eine Kurve. Die Instrumente und Geräte, die bisher noch einigermaßen wenig gestört funktioniert hatten, fielen ganz aus oder bewegten sich in geradezu abstrusen Schwankungen. „Wir werden gesteuert!" sagte Arlene zähneknirschend. „Und wir können nicht feststellen, was oder wer uns steuert!" fluchte Mario und schlug mit der Faust gegen eine beschwungene Verstrebung, die das externe Element des Bordrechners hielt. „Jedenfalls ist eben der Impuls des Stratojets von meinem Bildschirm verschwunden", rief Helga. Die Maschine hatte in der Zeit, in der die rätselhaften und gefährlichen Phänomene aufgetaucht waren, auf dem geänderten Kurs ihren Landeanflug auf Ziel Nassau eingeleitet. Jetzt war auch sie verschwunden.
„Läßt sich der Vorgang rekonstruieren?" erkundigte sich Cliff leise. „Ja. Aufnahmegeräte liefen mit. Später, ja ...?" „Neue Anzeige auf dem Teilbildschirm!" schrie Atan Subashi laut dazwischen. „Neue Sterne, seltsame Lichterscheinungen. Ich überspiele ..." Die einzelnen Schläge folgten dicht aufeinander. Auf der runden Bildplatte erschien der Nachthimmel über der See mit den vielen Sternen und dem schillernden Band der Milchstraße. Aber dazwischen glühten seltsame Lichter, die wie riesige Augen kleiner und größer wurden, sich öffneten und schlossen. Sie bewegten sich und glitten zwischen den scharfen Leuchtpunkten der fernen Sonnen hin und her. Atemlos starrte die Crew diese Erscheinung an. „Das ist total unverständlich", krächzte Hasse über die Kommunikationsanlage. „Energieschwund, selbstleuchtendes und durchscheinendes Metall, neue Sterne und Fernsteuerung aus dem Unsichtbaren." Mit einem Fingerdruck schaltete Cliff das eben beobachtete Bild auf einen Sekundärmonitor. Sofort erschien wieder das runde Bild der dunklen Wellen. Und im Zentrum des Bildschirms kondensierte sich augenblicklich eine neue, rätselhafte Erscheinung. Auf dem Meer, deutlich die Wellen modellierend und das Wasser bis in eine bestimmte Tiefe erleuchtend, breitete sich ein riesiger Fleck Licht aus. Es war ebenso blaugrün wie der selbstleuchtende Rumpf der ORION IX. Der Lichtfleck bewegte sich wie eine Amöbe unter dem Mikroskop - er dehnte sich hier, zog sich dort zusammen, veränderte ununterbrochen seine Umrisse. Cliffs Augen pendelten blitzschnell zwischen der Bildplatte und dem Monitor hin und her. Er mußte sehen, daß sich die Leuchtpunkte in oder oberhalb der irdischen Lufthülle im selben Rhythmus, aber nicht in den gleichen Richtungen bewegten, wie sich
die Formen des Lichtflecks veränderten. „Wir befinden uns an der Schwelle zu ...", begann Arlene, aber ein grauenhaftes Knirschen, das übergangslos in ein Chaos aus tausend verschiedenen Geräuschen überging, schnitt ihr die Rede ab. Die fremdartigen Lichter erloschen von einem Sekundenbruchteil zum anderen. Der gläserne leuchtende, sich zusammenziehende Fleck im Meer wurde in rasender Geschwindigkeit kleiner und fahler. Klickend, summend und schnarrend normalisierten sich die Instrumente der Steuerkanzel. Das Leuchten der Diskusschale erlosch, gleichzeitig heulten die Maschinen und die Energieerzeuger auf. Die verschiedenen Meldungen von den Arbeitspulten gingen in diesem Getöse unter. Nach etwa zwei Sekunden dieses Tohuwabohus gab es einen schweren Ruck, und der Diskus fing sich mit eigener Kraft rund tausend Meter über dem Meeresspiegel. Schalter klickten, Lautsprecher zischten auf. Cliff ließ seinen Blick über die Instrumente gleiten und stellte fest, daß sich sämtliche einsehbare Systeme wieder normalisierten. Er hob den Arm, bewegte die Steuerung und rief: „Freunde! Wir kontrollieren unsere ORION wieder. Schnell, einen Test. Helga, wie geht es deinen Funkgeräten?" Legrelle führte einige Testschaltungen durch und sagte dann aufatmend: „Offenbar arbeiten die Empfänger und Sender wieder. Ich stelle nur fest, daß die Relais zu unseren Vorgesetzten nicht funktionieren. Die Bildübertragung arbeitet ohne Ton." „Unwichtig. Hasso?" „Ich habe das Schiff im Griff. Nur die Schlafende Energie ist restlos verschwunden. Unser Reserve-Energievorrat ist weg. Gestohlen." „Bringe Ordnung in deinen Maschinenraum und liefere genügend Kraft
für meine Steuerung. Ich habe noch einiges vor." „Alles klar, Cliff." Deutlich sprach abgrundtiefe Erleichterung aus Sigbjörnsons Antwort. Auch Mario, der schnell das Testband ablaufen ließ und mit schweigender Spannung die Reaktionen des Rechners feststellte, schlug mit der Faust in die flache Hand und schrie begeistert auf: „Auch mein Schmuckstück summt wieder rechnend und analysierend vor sich hin. Es scheint, daß unsere Freunde es aufgegeben haben, uns zu kidnappen." „Aber sie hatten mit dem Stratojet Erfolg", schränkte Atan ein. „So wie mit den anderen Objekten auch." „Ich weiß. Das ist auch der Grund, weswegen ich dringend eine Verbindung mit Han Tsu-Gol brauche. Ich habe einen bestimmten Verdacht." „Ich versuche es, Cliff." Sie waren darauf trainiert, blitzschnell zu handeln und sich nicht lange mit Erinnerungen an die eben überstandenen Momente des Schreckens aufzuhalten. Sie würden sich später damit beschäftigen. Jetzt verdrängte Cliff alle Empfindungen und brachte die ORION erst einmal mit einigen kurzen Schaltungen aus dem Zentrum des Dreiecks heraus, ließ den Diskus höher steigen und raste hinaus in den freien Weltraum. Stark gedämpft prasselten aus den Lautsprechern über Helgas Pult die aufgeregten Worte zahlloser Funkunterhaltungen, die nichts anderes darstellten als die Spannung, die sich allerorten in auffälligen Ausrufen Luft machte. Sämtliche Beobachtungsstellen hatten aufgefangen, wie der Stratojet verschwand, wie die ORION hilflos herumgewirbelt wurde und überraschenderweise noch immer auf dem Bildschirm der Überwachung zu sehen war. „Helga, versuche eine Verbindung mit Han Tsu-Gol herzustellen. Arlene! Hast du einen Kaffee fertig?"
Beide Mädchen bejahten. Auch sie gestatteten dem Schrecken nicht, sie zu überwältigen. Die Reaktion würde viel später kommen. Kurze Zeit danach - die anderen drei Männer der Besatzung waren noch damit beschäftigt, jedes einzelne ihrer Systeme zu überprüfen - erschien der Oberkörper des Ministers auf dem Bildschirm schräg über Cliffs Pult. Schweigend schüttelte Han den runden Kopf. „Sie haben alles mitbekommen, Chef?" erkundigte sich Cliff und spürte ein merkwürdiges, bekanntes Gefühl in den Kniekehlen. „Sie brauchen mir nichts zu sagen. Wir haben zahllose Meldungen über die aufgetretenen Vorfälle. Aber es gibt etwas, das Sie selbst nicht wissen können. EOS XXI hat innerhalb des fraglichen Dreiecks einen fünf-dimensionalen Impuls angemessen. Er besaß sein Maximum nahe der Stelle, an der die Passagiermaschine verschwand." Cliff nickte und glaubte, starken Kaffeegeruch wahrzunehmen. „Es überrascht mich, daß es ein fünfdimensionaler Impuls war. Daß ein solcher Engergieschock angemessen wurde, verblüfft keinen von uns." EOS Einundzwanzig war eine Station, die stets über demselben Punkt der Erdoberfläche im Raum schwebte, Aber der nächste Satz des Ministers elektrisierte Cliff und seine Freunde. „Und SSVS Zwei hat zur gleichen Zeit einen ebensolchen Schock in Jupiternähe festgestellt. Wir haben einen absolut gültigen Zeitvergleich angestellt. Für knapp zwanzig Sekunden wurde hier und beim Jupiter das Gefüge der Dimensionen aufgerissen." „Das ist ein klarer Grund für uns", meinte der Commander, nachdem er verblüfft durch die Zähne gepfiffen hatte und an Hassos abirrenden Augen merkte, daß Arlene mit Kaffee die Steuerkanzel
betrat, „uns dort umzusehen und den Verursacher des Schocks zu suchen." Han Tsu-Gol hob die Hand und kehrte ihnen abwehrend die offene Handfläche entgegen. „Kommt gar nicht in Frage. Viel zu riskant für ein einzelnes Schiff, selbst mit einer Mannschaft von Ihrer Erfahrung und Routine. Warten Sie auf Mahavira!" „Auf wen sollen wir warten?" fragte Mario vorwurfsvoll und laut vom Programmierpult her. Im Befehlston rief Han Tsu-Gol: „Auf die Vierte Strategische Raumflotte unter Admiral Mahavira. Sie ist eben von ihrem Bereitstellungsraum im Sektor Wega abberufen worden. Die Flotte befindet sich bereits im Eilflug zur Erde." „Minister", sagte Cliff und versuchte, die bisweiligen blumige Ausdrucksweise seines Vorgesetzten nachzuahmen und zu parodieren, „nur derjenige, der rasch handelt, kommt dem Gegner zuvor. Entschlußkraft zeichnet den Raumfahrer aus." „Und bedachtsames Überlegen den klugen Raumfahrer. Ich weiß um Ihre Gedanken, Commander. Handeln Sie keineswegs so voreilig wie damals. Ich kenne den Grad Ihrer Unbeliebtheit aus den Flottenarchiven." „Herr Tausender schneller Schiffe", Cliff schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und führte eine Serie schneller Schaltungen durch, „wenn Sie die Archive gelesen hätten, würden Sie festgestellt haben, daß wir jedesmal mit überzeugenden Erfolgen zurückgekehrt sind. Das, was in der Nähe des gestreiften Riesenplaneten lauert, kann schneller und machtvoller zuschlagen, als wir es uns vorstellen können." Die ORION schlug einen neuen Kurs ein. Zunächst stieg sie nur schneller auf und raste auf den erdferneren Satelliten zu. SSVS, Space Super Vision Satellit, würde in den ersten Minuten keine absolute Kursänderung, sondern nur eine Annäherung registrieren.
„Gerade deswegen sollen Sie sich und das neue Schiff nicht gefährden." Han wurde mißtrauisch. Er hatte Aufbegehren oder einen Anfall von Resignation erwartet, aber nicht mit Cliffs vorgeblicher Gleichgültigkeit gerechnet. Cliff nahm den heißen, dickwandigen Becher von Arlene entgegen und erwiderte halblaut, die Lippen dicht am Mikrophon: „Wir haben nicht die Absicht, Menschen und Gerät zu gefährden!" betonte Cliff. „Der Trank ist himmlisch, Arlene." Von der Erde zum Gebiet des Jupiter mit seinen zwölf Monden war es für Schiffe wie die ORION buchstäblich nicht mehr als ein Katzensprung, selbst wenn der Flug unterlichtschnell ausgeführt wurde. Sui-sing, der Planet des Jahres, der Ordnende", deklamierte Cliff und winkte Han Tsu-Gol zu, der erstaunt über die geschichtliche Bildung des Raumfahrers war und vorübergehend schwieg. „Planet der Isis der alten Ägypter, Megenstiarna bei den Wikingern der Erde - wie lange waren wir schon nicht mehr jenseits des Asteroidengürtels, Freunde?" Hasso, Atan und Mario antworteten im Chor: „Viel zu lange nicht, Kommandant!" Mario programmierte völlig ungefragt und selbständig aus dem Gedächtnis einen Direktkurs zum Jupiter und fuhr das Programm in den Speicher des Autopiloten hinüber. Han wurde jetzt deutlich mißtrauisch. „Cliff McLane! Ich verbiete Ihnen, auf eigene Faust zu handeln!" Cliff nickte, dann zuckte er zusammen und setzte den Becher ab. Er schien mit größter Verwirrung seine Anzeigen, Uhren und Instrumente anzusehen. Der Minister rief: „Ich ahnte, was Sie vorhaben! Was immer es ist - unterlassen Sie es! Denken Sie an meine Warnungen. Das ist ein Befehl, McLane." Cliff versicherte mit allen Zeichen der
Panik: „Ich bin sicher, daß das elektronische Bordbuch jeden Vorgang präzise aufzeichnen wird. Aber diejenige Kraft, die alle die anderen Objekte verschwinden ließ, zieht uns mit unwiderstehlicher Gewalt in Richtung auf den Jupiter. Es ist keine Eigenmächtigkeit von uns." Die Funkerin begriff spätestens jetzt. Ihre Finger riefen dadurch, daß sie nach einem bestimmten Muster Knöpfe drückten und an Reglern spielten, Bildstörungen und Tonausfälle hervor. Gleichzeitig setzte Helga die Sendeleistung der Bordantennen herunter, so daß alle orbitalen Stationen und die Empfänger der Erde schwindende Signale hereinbekamen. Die ORION wurde schneller und bewegte sich auf einem weit ausgeschwungenem Bogen aus dem bisherigen Kurs heraus. Zuerst war er senkrecht zur Ebene der Ekliptik verlaufen, jetzt änderte er sich und deutete in die Nähe des augenblicklichen Standorts des Jupiter. „Ich lasse mir eine besondere Belohnung einfallen ... Eigenmächtigkeit ... keiner vernünftigen Überlegung zugänglich... ich hätte durch die alten Archive genügend gewarnt sein müssen ...", kam die immer leiser werdende Stimme Han Tsu-Gols aus den Lautsprechern. Durch die produzierten Bildstörungen wechselte sein Gesicht ununterbrochen die Farbe. Cliff rief unterdrückt und stockend ins Mikrophon: „ .. .können uns nicht wehren .. .-die mysteriöse Macht zieht und zerrt... wir werden für die Erde kämpfen ... Beschleunigung nicht von uns programmiert... Funkgeräte gestört." Klick. Helga Legrelle schaltete alle Kanäle, die sie mit irdischen Behörden verbanden, mit dem Sammelschalter aus. Die ORION-Crew war sozusagen unter sich. Der Diskus wurde schneller. Die Maschinen begannen zuverlässig in niedrigen Drehzahlen zu arbeiten. Die
Schlafende Energie wurde ganz langsam aufgebaut. Hasso kam aus dem Maschinenstand heraus und setzte sich zu ihnen. „Han Tsu-Gol wird uns nicht ein Wort von all dem glauben", sagte er und nahm sich einen Becher Kaffee. „Nein. Aber wir haben ihm geholfen, sein Gesicht zu wahren. Ich möchte nicht in seinem Büro sein und zuhören, mit welch blumigen Flüchen er uns bedenkt." Ihr Gelächter war kurz und leise, denn jetzt griff die Reaktion des überstandenen Schreckens nach ihnen. Schweigend tranken sie den starken Kaffee. Das Schiff befand sich auf direktem Kurs und war bereits so weit entfernt, daß der halb ausgeleuchtete Planet kleiner zu werden und die charakteristischen Muster aus Blau und Weiß zu zeigen begann. „Im Ernst, Cliff. Was können wir vermuten?" Der Commander zog die Schultern hoch und musterte die Gesichter seiner Freunde über den Rand des Bechers hinweg. Es war deutlich, daß ihm in seiner Haut nicht besonders wohl war. Der eben gestartete Versuch würde keineswegs ein übermütiges Spiel werden, sondern sie hatten ein Gefühl kommender Gefahren, die größer sein würden, als ihre Kraft, mit ihnen fertig zu werden. „Ich denke vage an eine Basis unter der atmosphärischen Hülle des Jupiter", erklärte Cliff. „Die Monde sind erst in zweiter Linie interessant. Schließlich waren sie ein Teil der ersten Versuche wirklicher Raumfahrt in den Jahren nach Zweitausend." „Das denke ich auch. Sind uns die Informationsspeicher von SSVS zugänglich?" „Natürlich!" sagte Helga nachdrücklich. „Dann rufe den Satelliten und hole uns die Koordinaten des jupiternahen fünfdimensionalen Impulses, so schnell wie möglich, ehe Han sie uns sperrt!"
„Schon an der Arbeit", versicherte die Funkerin. „Eine Suche im Hexenkessel der Jupiteratmosphäre", meinte Mario nach einer Weile, „kann Wochen dauern." „Darüber bin ich mir klar. Aber unser Admiral kann uns ja suchen helfen. Außerdem rechne ich mit einem zufälligen, überraschenden Zwischenfall." „Aha!" Cliff warf Atan einen schweigenden Blick zu, biß sich auf die Unterlippe und erklärte dann: „Ich werde euch sagen, was ich denke: Bisher hat der Unbekannte mehrmals zugeschlagen. Jedesmal gab es solche Impulse. Nur eben, weil SSVS eingeschaltet war, wurden beide Echos registriert. Bis zum Jupiter vergeht einige Zeit, und wenn wir dort sind, greift unser unsichtbarer Freund garantiert abermals nach Schiffen oder Flugzeugen im BermudaDreieck. Und dann werden wir unsere Antennen ausfahren und alle Kanäle offenhalten. Der Jupiter wird uns seinen Schrecken via Fünf-D-Impuls verraten." „Das ist eine Ansicht, die ich teilen kann!" pflichtete Mario bei. „Ich habe einen vierzehn Stunden langen Flug programmiert. Ich übernehme die erste Wache; ihr solltet euch ausruhen. Noch einen Funktionsscheck, Kommandant?" Cliff deutete auf die Zahlen des Chronometers. „Ja. Fünfhundert Sekunden lang!" Sie machten sich an die Arbeit und prüften die ORION IX abermals in allen Abteilungen durch. Das Schiff funktionierte wie ein völlig zuverlässiger, einfacher Apparat. Nach Ablauf dieser Zeit schwenkte Helga einen Notizblock und erklärte kopfschüttelnd: „Die Meßeinrichtungen des Satelliten sind zu grob gerastert. Es ist unmöglich, aus dieser Distanz, immerhin vier Astronomische Einheiten und ein paar Lichtsekunden im Augenblick von der Erde
entfernt, einen genauen Wert zu erhalten. Der Impuls kann ebensogut von einer der zwölf Mondbahnen kommen wie auch von der Planetenoberfläche." Cliff nickte grimmig und lachte kurz. Klickend sprang das Schloß der Gurte auf, als er aufstand. „Es wäre auch das erstemal in der überaus langen und ruhmreichen Geschichte der ORION gewesen, daß wir mit exakten Daten ausgestattet würden. Schon gut - wir finden den Fremden auch ohne SSVS!" Damit verließ er die Kontrollkanzel.
6. Han Tsu-Gol, Minister beziehungsweise Ministerpräsident der Übergangszeit zwischen der Semidiktatur des Orcana und den vorbereiteten freien Gesamtwahlen, würde sie verstehen können. Er mußte sie verstehen, denn sie waren in der Lage, ohne die einschränkenden Wirkungen der Droge Pax zu handeln. Nachdem das Schiff gegen Ende der Wegstrecke Erde Jupiter seinen Flug verlangsamt hatte und jetzt direkt vor der vollen, an den Polen abgeplatteten Kugel mit den atmosphärischen Bändern hing, faßten sie alle Informationen zusammen, die sie auf den Erfolg ihrer Mission anwenden konnten. Nach einigen Stunden der Überlegungen, in denen sie sämtliche Suchinstrumente des Schiffes justiert und vorbereitet hatten, setzte sich Cliff wieder an die Steuerung. Sie würden nach Streustrahlungen oder Aktivitätsimpulsen suchen, wie sie jede größere technische Anlage abstrahlte. Und nur eine vergleichsweise gigantische Station konnte Dinge verschwinden lassen, die die Masse eines vollbeladenen Frachters oder eines mehr als hundert Tonnen schweren Stratojets besaßen. Cliff sagte, nachdem die Crew sozusagen voller Spannung vor ihren
Geräten saß: „Ich sehe, daß Helga eine EinwegVerbindung mit Han aufgebaut hat. Wir sehen und hören ihn, umgekehrt ist für ihn augenblicklich nichts wahrzunehmen. Schalte uns ein, Helgamädchen, wenn er etwas Dramatisches zu verkünden hat, ja?" „Selbstverständlich, Chef." Cliff beschleunigte den Diskus. Die ORION machte einen langen Satz und stürzte sich förmlich auf die gewaltige Kugel des Jupiter. Vergrößerungen erschienen auf den Schirmen und zeigten die kochende Flut des atmosphärischen Mahlstroms. Mit Hyperradar, Infrarot, ultravioletten Strahlen, mit Detektoren für ein weiteres Dutzend verschiedener Forschungsgebiete untersuchten sie das, was vor ihnen und unter ihnen lag, auf die Ebene des Diskus bezogen. Langsam drangen sie weiter vor, und dann befanden sie sich in den ersten nebligen Ausläufern der Gashülle, unter der die eigentliche Oberfläche des Riesenplaneten verborgen lag. Aber die verschiedenen Bilder in fahlen Farben und aus Linien, Schattierungen und Rastern bestehend, zeigten übereinander geschaltet eine nur von Fachleuten erkennbare Oberflächenstruktur. „Wir bleiben in diesem Abstand, Freunde", sagte Cliff, als sie einen bestimmten Bereich der atmosphärischen Dichte erreicht hatten. „Ich halte nichts davon, die zu untersuchende Zone zu verkleinern, indem wir tiefer gehen." „Keine dumme Entscheidung", bestätigte der schwarzhaarige Astrogator und kümmerte sich wieder um seine Anzeigen. Um sie herum kochte und brodelte die Atmosphäre des Jupiter. Stürmische Vorgänge gewaltiger Ausmaße und die schrägen, säulenartigen Aufwindzonen der Eruptionen rüttelten das Schiff immer wieder durch. Kochendheiße Gasmassen schössen in den Weltraum hinaus, kühlten an der Grenze der hohen Lufthülle ab und
wurden in Form von Passatwinden um den Planeten gewirbelt. Aschepartikel vermischten sich mit den heißen Massen und färbten sie dunkel. Methan und Ammoniak, Wasserstoff und Helium, mit verschiedenen Aschen und Resten des kochenden Planetenkerns eingefärbt, bildeten hoch über der dünnen Eisschicht jene Bänder, die von der Südlichen Arktischen Zone über das Äquatorialband bis zum Nördlichen Pol reichten. Jetzt, da sich der Diskus mitten in den Gas- und Aschemassen befand, war von der auffallenden Musterung nichts mehr zu sehen. Auch nichts vom Großen Roten Fleck, jener auffälligen Erscheinung, vierzigtausend Kilometer lang und zwölftausend breit, der in rund zehn Stunden einmal rund um den Planeten driftete, in den Bändern der Südlichen Tropischen Zone. Dieses halb lebende, halb von undefinierbaren Intelligenzäußerungen erfüllte Gebilde, dessen wahre Natur nicht einmal heute enträtselt war, entzog sich jeder Forschung - niemand war in der Lage, die Gesetzmäßigkeiten der KohlenwasserstoffPolymer-Wolke zu erkennen. Sie blieb so deutlich sichtbar und so vollkommen unverständlich wie die Träume einer gigantischen Amöbe. Nach vierstündiger Suche, in der die eisige, zerklüftete, von Kratern und Vulkanspalten durchfurchte Planetenoberfläche sich unter der ORION hinweggedreht hatte, massierte Cliff seinen Nacken und stand auf. „Nichts. Nicht der geringste Hinweis!" sagte er. „Das gilt für uns alle", bestätigte Atan. „Machen wir weiter?" erkundigte sich Mario. Es war deutlich, daß er von dieser Suche nichts hielt. „Selbstverständlich!" erklärte Cliff. „Wenn wir es schon wagen, den kahlköpfigen Ministerpräsidenten zu verärgern, müssen wir auch zur Rechtfertigung
schuften. Ans Werk, Freunde." Helga schob wieder den bohnengroßen Lautsprecher ins Ohr und blickte Han TsuGol an, der wieder auf dem Bildschirm von TECOM erschienen war. Er gestikulierte wild, und als Helga deutlich hörte, was er sagte, schrak sie zusammen. „Cliff!" rief sie in das angespannte Schweigen hinein. „Han sagt, daß wieder ein Impuls erwartet wird." Cliff begriff und handelte augenblicklich. Mit einem Sprung war er in seinem Sessel. „Dann sind wir hier an der falschen Stelle!" schrie er. „Festhalten, alle! Wir gehen zurück in den jupiternahen Raum. Äußerste Achtung an den Instrumenten!" Die Maschinen heulten im Unterschiff auf, der Diskus verließ augenblicklich seinen Platz und stemmte sich gegen die Anziehungskraft des Planeten und die Turbulenzen der Gashülle. Mit wild arbeitenden Projektoren schob sich die ORION höher und höher. Die Nebel und Aschewirbel jagten zerfetzt an den Linsen vorbei. Das trügerische Licht der verschiedenfarbigen Nebel wich. Mit einem gewaltigen Schwung schwang das Raumschiff aus den letzten dünnen Schleiern der Zone heraus, die sich zwischen dem freien Weltraum und der Gashülle erstreckten. Ein Schauer von Partikeln brach sich an dem Schutzschirm der ORION. Wie ein Geschoß raste der Diskus in den Raum hinaus. Sämtliche elektrische Augen und Ohren waren weit geöffnet. In der Kanzel gab es nur die Geräusche der Instrumente und die schweren Atemzüge der Besatzung. Cliff kalkulierte den Zeitverlust ein und wußte, daß der fünfdimensionale Schock unmittelbar bevorstand. Zuerst hatte es jene Lichterscheinungen gegeben, dort, im Bermuda-Dreieck, und dann würden jene rund zwanzig Sekunden folgen. „Achtung!" flüsterte er konzentriert.
Atan saß scheinbar entspannt zurückgelehnt in seinem Sessel und starrte seine Instrumente an. Linien und Punkte huschten über die Schirme. Hasso kontrollierte die Maschinen und verglich mit Hilfe des kleinen Pultrechners die Soll- und Istwerte. Mario hielt sämtliche Kanäle offen, die von den Instrumenten in die leeren Speicher des Rechners führten. Helga drehte die Antennenschirme und hörte zu, was Han Tsu-Gol sagte; auch auf der Erde warteten sie alle zitternd vor Eifer und Spannung auf den Impuls, der abermals ein geraubtes Schiff oder Flugzeug bedeutete. Cliff sah vor sich auf der großen, völlig flachen Bildscheibe die dreidimensionale Wiedergabe des Sternenhimmels. Am Bildrand, scheinbar einige Fingerbreit über dem festen Kunstglas, leuchtete stechend die Sonne. Der kurze Summton, mit der sich drei oder vier Detektoren einschalteten, war wie der schmetternde Schlag einer Detonation in der Stille. „Impuls angemessen. Klar zu definieren!" krächzte Atan. „Mitschneiden. Wir müssen den Punkt genau bestimmen können!" flüsterte Cliff und verlangsamte den rasenden Flug des Schiffes. Schräg vor ihnen tauchte einer der fünf großen Monde des Jupiter auf, entpuppte sich als kalter Gesteinsbrocken und drehte sich rechts von der Flugbahn vorbei. Mit einem metallischen Ticken lief ein Kurzzeitmesser ab. Dann, nach schätzungsweise fünfzehn Sekunden ertönte wieder der schnarrende Summer. „In Ordnung. Wir haben den Impuls angemessen", erklärte Shubashi maßlos erleichtert. „Mario? Hast du die Informationen?" „Natürlich. Wollt ihr wissen, woher der Impuls kam?"
„Laß die unqualifizierten Scherze", rügte der Commander. „Weswegen sind wir wohl hier, du Witzbold?" „Um den Jupiter-Kidnappern das energieaufwendige Handwerk zu legen", erwiderte der Erste Offizier. „Was sicher nicht lange auf sich warten lassen wird." Sein Rechner arbeitete bereits und druckte schließlich das Ergebnis aus. „Fertig!" sagte Mario zufrieden. Dann weiteten sich seine Augen. Er stieß einen Laut der Überraschung aus. Gleichzeitig schaltete er das Komputerergebnis auf die Monitore der einzelnen Pulte. Die Crew erkannte auf den ersten Blick, daß das Ergebnis nichts anderes war als ein Punkt auf einer der Mondbahnen. „Welcher Mond?" fragte Cliff gespannt. Mario drückte eine weitere Taste. GANYMED schrieb der Rechner. „Und wo befindet sich der Mond gegenwärtig? Auf welchem Punkt der Bahn?" stieß Hasso nach. Der Komputer ließ Zahlen und Symbole erscheinen, druckte eine Kursanweisung aus und den Hinweis, daß dieser Kurs bereits im Autopiloten sei, löschte die Zahlen und Buchstaben und spiegelte ein Diagramm der Jupiterbahn ein, die von der Bahn des Mondes gekreuzt wurde, dazu den augenblicklichen Standort des vergleichsweise riesigen Mondes und, nach Intensitätszonen gegliedert, den Kernpunkt, von dem der fünfdimensionale Schock ausgegangen war. „Tatsächlich. Ganymed, der Jupitermond Ganymed." Cliff betrachtete nachdenklich das Bild auf dem Schirm. „Helga?" „Ja, Chef?" „Erlöse unseren Präsidenten vorübergehend aus seiner funktechnischen Isolation. Ich möchte gern mit ihm sprechen." „Geht in Ordnung." Eine Sekunde später waren sie beide
sprechbereit, Han Tsu-Gol und Cliff McLane. Übergangslos begann der kahlköpfige Minister: „Soeben haben wir im Bermuda-Dreieck zwei robotgesteuerte Unterseefrachter verloren. Wir maßen den Schock an. Was haben Sie herausgefunden?" Cliff log mit ausdruckslosem Gesicht und erwiderte: „Wir kamen in Planetennähe frei und versuchten, eine Station oder ähnliches zu finden. Als wir nach einigen Stunden ergebnisloser Suche wieder das freie All erreichten, fingen unsere Instrumente den eben erwähnten Schock auf. Halten Sie sich fest, Han - der Impuls ging von Ganymed aus." „Der Mond? Sie meinen, der Fremde sitzt auf Ganymed?" schrie Han. „Auf Ganymed, innerhalb des Mondes, neben dem Mond ... das werden wir in Kürze herausfinden", bestätigte der Commander ruhig. „Sie haben den Ort lokalisiert! Lassen Sie es damit gut sein!" War es echte Sorge um das Leben der Crew? Oder dachte Han daran, daß die Besatzung eines einzelnen Schiffes nicht in der Lage sein würde, weiter auf der Spur des Geheimnisses zu bleiben? Die Größe und Wichtigkeit dieser Entdeckung war für alle Beteiligten klar. Cliff sah in die aufgeregten Augen des Mannes mit dem chinesischen Gesicht und antwortete ruhig: „Ich glaube nicht, Han, daß Sie und wir es verantworten können, noch lange zu warten. Irgend etwas geht dort bei Ganymed vor." „Aber Sie müssen sich doch nicht wie die Selbstmörder mitten in die Gefahren stürzen!" rief Han aufgeregt. „Warten Sie auf die Flotte." „Darf ich daran erinnern, daß dieser verdammte Mordroboter - dem Sie indirekt Ihren Posten zu verdanken haben versucht hat, die kosmischen. Koordinaten
der Erde und des Sonnensystems zu ermitteln?" „Sie lenken ab, McLane. Was hat der Robot mit dem Jupitermond zu tun?" Die Crew verfolgte die Auseinandersetzung zwischen den beiden Männern. Alle Argumente, die benutzt wurden, besaßen kein geringes Gewicht. Aber die ORION-Crew war hier, und ganz in ihrer Nähe befand sich auch der Mond. Der Vorteil und die Verpflichtung lagen bei ihnen. „Unter Umständen hängen diese beiden Dinge sehr eng zusammen", erwiderte der Kommandant. „Vielleicht ist die rätselhafte Station, oder was immer es ist, von den Aktivitäten des Robots beeinflußt worden?" „Ein ernsthafter Grund mehr, auf die Flotte und auf eine Menge Unterstützung zu warten!" „Die Flotte wird erst in einigen Tagen eintreffen. Wir sind nur Minuten vom fraglichen Punkt entfernt!" antwortete Cliff, noch immer ruhig. Er, für seinen Teil, war entschlossen, das GanymedGeheimnis zu lüften. „Aber was haben Sie davon, ohne Rükkendeckung vorzugehen?" Cliff blickte Han fast mitleidig an. „Es wäre nicht das erstemal. Außerdem liegt uns alles andere näher als ein selbstmörderischer Einsatz." „Aber Sie werden sich alle umbringen, wenn Sie die Fremden aufspüren wollen!" beharrte der Minister. „Keineswegs. Wenn es nicht der Mordroboter geschafft hat, die Koordinaten der Erde und mit ihnen die des Zentrums der Neunhundert-Parsek-Raumkugel an unsere Feinde weiterzugeben, dann könnte es diese Station tun. Es ist sicherer, wenn wir uns auf den Weg machen ... was übrigens bereits geschehen ist." Während der Unterhaltung hatte Cliff die Geschwindigkeit der ORION herabgesetzt, auf einen konstanten Wert gebracht
und den Autopiloten eingeschaltet. Das Schiff nahm Direktkurs auf die Bahn des Jupitersatelliten. „Sie sind verrückt! Alle sechs. Außerdem reißen Sie unsere Nerven und die Ruhe des Planeten mit sich ins unkontrollierbare Abenteuer." Cliff antwortete mit großem Ernst: „Ihre Nerven gehören sozusagen der Erde. Und der Erdbevölkerung wird es nicht schaden, ein wenig aus dem eintönigen und gleichförmigen Leben herausgerissen zu werden!" Han Tsu-Gol tobte. „Aber das muß doch auch nicht noch Ihre Sache sein, die Aufgabe der ORIONCrew! Sie übernehmen sich!" „Keineswegs. Wir denken daran, daß die, etwas dramatisch ausgedrückt, Macht des Bösen auf uns Menschen aufmerksam wird. Wir verhindern dies, wenn es irgend geht. Zu diesem Zweck müssen wir uns allerdings Ganymed näher ansehen." „Wie kann ich Sie zurückhalten? Ich kann Sie nicht zurückhalten! Niemand kann euch dort beim Jupiter zurückhalten!" Cliff breitete die Arme aus und schloß: „Sie haben vollkommen recht, Han." Sie starrten einander an wie zwei aufgebäumte Königskobras. Während auf der Bildplatte aus einem kleinen, fahlgelben Impuls eine winzige Scheibe wurde, während das Raumschiff sich also direkt dem Mond näherte, sagte Han Tsu-Gol zähneknirschend und gefährlich leise: „Ich bin durch meine Position verpflichtet, Ihren Versuch zu mißbilligen und zu verbieten. Dadurch, daß Sie sich dort an Ort und Stelle und ich mich hier unter dem Carpentaria-Golf befinde, sind mir administrativ die Hände gebunden. Aber Sie können sicher sein, Cliff Alistair McLane, daß ich mich für diese Insubordination auf meine eigene Weise revanchieren werde. Stets findet der Weise einen Weg, den Tugendlosen zu strafen."
Cliff grinste kalt und fand einen entsprechenden Aphorismus. „Indessen der Weise schweigend grübelt, handelt der Entschlossene. Und siehe, der Erfolg gibt jedem recht, der auf dem Tiger reitet. Wir reiten den Tiger, Han Tsu-Gol." „Der langsame Elefant wird das Rückgrat des Tigers brechen." Hinter Cliff lächelte Arlene den Ministerpräsidenten der Interimsregierung an und entgegnete voller Würde: „Bevor dies geschieht, ist der schnelle und listenreiche Tiger längst im Bambusdschungel verschwunden und verzehrt ruhig seine Beute. Wir halten Sie und die Erde auf dem laufenden." „Dankeschön", meinte Han bitter und schoß ihr einen Blick zu, der eigentlich ein Loch durch die Schiffshülle hätte stanzen müssen. Helga produzierte flink eine Ton- und dann eine Bildstörung und stellte den vorherigen Zustand wieder her. Die Crew war, als aus der weißen Scheibe eine winzige Kugel wurde, wieder unter sich. Bei der Annäherung an Ganymed entschlossen sich unabhängig voneinander Cliff, Atan und Mario, sich als Freiwillige für einen Einsatz außerhalb der schützenden Hülle zu melden. Aber noch schwebten sie im Schutz des unsichtbaren Abwehrschirms der ORION auf den Mond zu. Auf normaloptischem Weg war nichts zu sehen, und auch die Instrumente reagierten normal und zeigten nichts anderes an als die Nähe eines Mondes des Jupiter. Einige Minuten vergingen. Das Schiff schlich sich förmlich an; langsam, unsichtbar und lautlos. Aus der winzigen Kugel, die halb von der fernen Sonne und zur anderen Hälfte von den reflektierenden Gasmassen des Jupiter beleuchtet wurde, entstand im Zentrum von Cliffs zentraler Bildplatte ein kugelförmiger Mond. „Ganymed", sagte Arlene. „Eigentlich unvorstellbar, daß es ausgerechnet hier
eine geheimnisvolle Station oder dergleichen geben sollte. Immerhin sind eine Handvoll Jahre seit der ersten Jupitersonde vergangen." Cliff entgegnete einschränkend: „Der Mond diente nur, soviel ich weiß, als Relaisstation und gelegentlich als Zwischenlandeplatz. Niemand hat sich für diesen Brocken interessiert. Trotzdem, Mario, rufe für uns einmal den Speicher an. Stichwort GANYMED." „Ich ahnte es bereits. Ein Lob Han TsuGol; die Speicher scheinen mit einem kompletten Programm ausgestattet zu sein. Ich habe den schlauen Sohn der Mitte in Verdacht, daß er die Speicher der alten ORION-Rechensklaven hierher überspielt hat." Vermutlich würde sich irgendwann zeigen, daß Marios Vermutung richtig war. Falls sie überlebten und bestimmte Fragen stellen konnten. „Fabelhaft!" sagte Helga. „Richtig aufregend, unser erster Flug nach dem Desaster des Vergessens." Auf fünf Monitorschirmen schrieb der Bordrechner folgenden Text aus: „GANYMED, 1610 gleichzeitig von Simon Marius und Galileo Galilei entdeckt, benannt von Marius gegen die späteren Einsprüche der G.-Anhänger. Alle Namen sind der griechischen Mythologie entnommen. Mittlere Entfernung von Jupiter: 15 planetare Radien, gleich 1 Mio 70 000 km. Bahnneigung 3 Grad, Umlaufzeit 7 d 03 h 43 m. Durchmesser 5.730 km, Albedo 0.35, wenn Erdmond Masse ist 1, dann G. ist 2,119. Binder und Cruikshank haben 1964 Lufthülle nachgewiesen. (Kohlendioxid, Methan, Neon, Argon, Oberflächengestalt wie Erdmond, jedoch Ammoniakschnee, mit Silikatstaubarten vermengt. Für Terra und Raumfahrt ohne große Bedeutung. Relaispunkt, 2004 astronomische und jovianische Forschungsstation. Hinterlassenschaften befinden sich auf Rasterkoordinaten ..."
„Was habe ich gesagt? Wer auch immer sich im Mond verbirgt, hat immer Ruhe gehabt. Kein Mensch grub in diesem öden Mond herum." Mario nickte Cliff zu. „Was ein Fehler war. Vielleicht hätten sie die Zauberhöhle entdeckt, in der jener böse Geist Schiffchen verschwinden läßt." „Aber erst heute verfügen wir über Methoden, diesen bösen Geist entsprechend bekämpfen zu können", verkündete Mario und rieb sich voller Vorfreude die Hände. „Abwarten ..." warnte der Commander. Inzwischen standen sie rund hundert Kilometer vor dem Mond oder über seiner runzligen, mattweiß bestäubten Oberfläche. Sie wirkte tatsächlich wie eine überzuckerte Kraterlandschaft. Das Licht der Sterne, die fast hinter dem Rand des Mondes verschwanden, wurde diffus gebrochen. Also doch eine dünne, ständig neu entstehende Gashülle. Auch die Instrumente sagten dies deutlich. „Nicht noch näher, Cliff", warnte Atan. „Wir sind die eigentlichen Fremden hier. Was immer hier landet, es hatte Jahrhunderte oder noch länger Zeit, sich zu verstecken. Warte darauf, was unsere Detektoren sagen." Es würde, verglichen mit dem unterbrochenen Versuch in der Jupitergashülle, nur eine kurze Verzögerung sein. Cliff nickte dem Astrogator beschwichtigend zu. Er stützte den Kopf in beide Hände und legte die Ellbogen auf den Rand der Bildplatte. Im Mittelpunkt des Schirms schwebte plastisch der Ball und füllte mehr als die Hälfte des Kreises aus. Die Augen des Commanders glitten über die kantige, von Kratern, Zentralbergen, Meteorspuren und Brüchen durchzogene Oberfläche. Jemand oder etwas verbarg sich dort... Im selben Moment erloschen die tausend Lichter der Sterne. Auch der fahle Glanz des Jupiter spiegelte sich nicht mehr. Die
Sonne und die anderen Planeten waren verschwunden. Die ORION und Ganymed waren in einem fremden Universum allein. Dunkelheit breitete sich aus, nicht nur auf den Schirmen. Auch die Crew ahnte, daß der geheimnisvolle Gegner den Kampf aufgenommen hatte. Bisher war es intellektuelles Spiel gewesen - jetzt wurde es tödlich ernst. „Verdammt!" sagte Hasso in die Stille hinein. „Jetzt haben wir die Quittung für unsere Risikobereitschaft." Die Zone der sternenlosen Dunkelheit gab keine Antwort...
7. „Der Gegner muß also hier auf Ganymed zu finden sein", sagte der Commander. Er war trotz der entsetzlichen kosmischen Einsamkeit nicht stark beunruhigt. Für ihn stellte diese optische Falle nur ein weiteres Beweismittel dar. „Was wollen sie mit diesem Verschwindenlassen von Jupiter, der Sonne und den Sternen bewirken?" murmelte Mario. „Keine Ahnung", gab Cliff zurück. Die Sterne waren verschwunden, aber trotzdem lag der große Mond mit der dünnen Gashülle und der ebenfalls dünnen Schicht aus Ammoniak-Methan-Eis über seinen Kratern in einem hellen, schattenlosen Licht. Sämtliche normaloptischen Systeme zeigten nur Ganymed. Die ORION driftete ganz langsam näher. Die Massenanziehung des Mondes war gering, und die Maschinen summten leise vor sich hin. Alle Augen hefteten sich auf das Bild. Noch immer waren die Spezialantennen auf das Ziel gerichtet, aber auch sie nahmen keine Impulse auf, die sich in Informationen hätten verwandeln lassen. Das Ergebnis aller Untersuchungen war gleich: ein planetarer Mond, unbewohnt
und ohne jegliches Echo, das auf jene unheimliche Macht hinwies. „Was suchen wir eigentlich?" fragte Arlene. Sie saß auf der rechten Armlehne von McLanes Sessel und sah Cliff über die Schulter. „Normalerweise würden wir nach dem Eingang zu einer sublunaren Basis suchen müssen", flüsterte Atan. „Aber hier gelten sicher andere Verhältnisse." „Beides ist möglich", erklärte Mario. „Wagen wir es, Cliff, näher herunterzugehen? Oder schleusen wir die LANCET aus?" Glanskis wäre ein hervorragender Partner für dieses Unternehmen gewesen, jener uralte Raumfahrer, der sich ohne Schutzkleidung im freien Raum bewegen konnte, dachte Cliff wehmütig. „Keine LANCET", sagte er. „Wir riskieren eine normale Landung auf der Mondoberfläche." Helga meldete sich vom Pult aus und hob resignierend die Hände. „Ich habe es jetzt zwanzig Minuten lang versucht, Freunde. Zwischen der Erde und der ORION ist Funkverkehr absolut unmöglich. Jeder Punkt der breiten Frequenzen bleibt tot. Wir scheinen in einer Art Kugel gefangen zu sein, weil ich Echos unserer eigenen Sendungen mit minimaler Verzögerung hereinbekomme. Was hier passiert, wird Han niemals erfahren." Keiner von ihnen brauchte sich das Chaos aus Aufregung und Ratlosigkeit vorzustellen, das aufgrund des totalen Informationsausfalls jetzt in den Büros und Stationen des Carpentaria-Golfs herrschte. Vermutlich war für Terras Beobachtungsanlagen das Trio ORION, Jupiter und Ganymed verschwunden. Oder nur Ganymed und die ORION? Unwichtig. „Es passiert trotzdem", murmelte Cliff. Jetzt füllte die Masse des Mondes den gesamten runden Bildschirm aus und überflutete dessen Ränder.
„Abstand?" „Hundertdrei Kilometer", echote Atan. „Nehmen wir die schweren Raumanzüge oder nur die leichten Overalls?" „Auf alle Fälle die schweren, einschließlich schwerer Bewaffnung und entsprechender Ausrüstung. Du gehst mit, Atan?" „Ebenso wie ich", dröhnte de Monti. „Wir brauchen keinen Komputer, sondern entschlossene Männer." Abermals sank die ORION um mehr als fünfzig Kilometer. Die Krater und die Schneeverwehungen wurden schärfer und deutlicher. Ununterbrochen bewegten sich die Linsen und lieferten stärkste Vergrößerungen. Kleine und große, regelmäßig geformte und irreguläre Krater und Flächen zogen auf den Schirmen vorbei. Atemlos stieß nach einer Weile Hasso hervor: „Nicht einmal Spuren. Keine liegengelassenen Gegenstände, die Echos geben. Keine Wege, Pfade oder Straßen. Ich ahne, daß wir den Eingang nur schwer oder gar nicht finden werden." „Und wieder wird uns ein Zufall helfen oder das inzwischen sprichwörtlich gewordene Glück der ORION-Crew." Der Commander lächelte. „Ich rechne nicht damit", sagte Atan. „Ich auch nicht", antwortete Mario. Vier Stunden vergingen schleichend langsam. Zweihundertvierzig Minuten lang setzte die Mannschaft des Raumschiffs alle Möglichkeiten ein, um einen Hinweis zu finden. Das Schiff bewegte sich einmal entlang der Äquatoriallinie und untersuchte jeden Quadratmeter des weißgelben Bodens. Die hochentwickelten Such- und Ortungsinstrumente gestatteten diese Eile und Schnelligkeit - frühere Astronomen hätten Jahre gebraucht, um denselben Effekt zu erreichen. Die sechs Menschen waren hundertprozentig davon überzeugt, daß das Geheimnis dicht unter ihren
Augen lag, aber sie fanden nicht den geringsten Hinweis auf eine unterirdische Basis. „Ich habe mehrmals versucht, Sonne und Planeten mit Hilfe unserer Ortungsgeräte zu finden", erklärte Atan Shubashi übergangslos. „Auch diese Instrumente versagen. Der Mond und wir sind tatsächlich eingeschlossen oder in einem anderen Universum." „Das setzt die Gefahr keineswegs herunter!" erklärte Cliff. „Wie lange wollen wir noch nach einem versteckten Eingang oder derlei suchen?" „Kein Kommentar, Commander", sagte Mario. Wieder verging eine Stunde in quälender Langsamkeit. Nicht einmal der Spezialtestschirm, der an die Infrarotanlage angeschlossen war, zeigte etwas an. Selbst die bestisolierte Schleusenanlage würde sich gegen die eisige Kälte der Mondoberfläche abheben, denn schon ein winziger Temperaturunterschied rief auf dem Bildschirm deutliche Helligkeitslinien und -felder hervor. Die ORION beendete den Flug rund um den Äquator und schlug eine Pol-zu-Pol-Bahn ein. Hin und wieder verschwand eines der Besatzungsmitglieder aus der Steuerkanzel, um in der Kombüse ein paar Bissen herunterzuschlingen. Eine atemlose Spannung hatte sie alle ergriffen. Hier stellte sich ihnen wieder eine Aufgabe, die relativ scharf umrissen war. Ihr Verstand kämpfte gegen die Materie. Die Materie bestand aus einer geradezu perfekten Tarnung. Es galt, diese Tarnung zu durchschauen. Der versteckte Gegner griff nicht an. Es hätte ihn verraten. Sie suchten weiter. Ihre Augen begannen zu tränen, Müdigkeit machte sich breit und erste Konzentrationsschwäche. Allein mit dem hellen Mond, ohne Gewißheit, daß sie jemals wieder aus dieser Zone der Dunkelheit herauskommen würden, abgeschnitten von der Erde und
vom übrigen Teil des Kosmos, tasteten sie sich über die Mondoberfläche. Eine qualvolle Suche und ohne einen Hinweis darauf, ob sie überhaupt jemals Erfolg haben würden. Als sie zum viertenmal den nördlichen Pol hinter sich gelassen hatten, nahm Cliff am oberen Rand des Infrarotschirms eine Veränderung der Intensität wahr. Er wußte, daß ihn seine übermüdeten Augen trogen. Er glaubte fast nicht mehr an diese Entdeckung. „Atan. Planquadrat Dora sieben. Ist dort etwas?" In fünfundzwanzigtausend Meter Höhe glitt der Diskus mit der Schiffsebene parallel zur Mondoberfläche dahin. Atan führte einige schnelle Schaltungen aus. Das Bild schob sich immer mehr in den Mittelpunkt des Schirms, je näher die Orion dem fraglichen Punkt kam. „Ich glaube, es besteht eine wärmere Zone", gab der Astrogator zurück. „Wenn wir noch einige Minuten warten, sehen wir mehr und Genaueres." „Es sollte uns nicht schwerfallen", murmelte Helga und gähnte. Sechshundert Sekunden später hielt Cliff das Raumschiff an. Sie waren viel zu müde und erschöpft, um richtige Freude zu empfinden. Unter ihnen lag ein riesiger Meteoritenkrater mit zerfransten Rändern. „Durchmesser viertausend Meter, zahlreiche überdeckende Einschläge neueren Datums", erklärte der Astrogator. „Der gesamte Krater ist ,warm'." „Erstaunlicher Effekt." Wieder wurden sie unsicher. Eine Schleusenanlage mußte sich nach allen ihren keineswegs geringen Erfahrungen relativ scharf und abgegrenzt von der Umgebung abheben. Das war hier nicht der Fall. Auch jetzt wieder versuchten sie mit ihren Augen und der Unterstützung der Instrumente, etwas mehr zu erkennen. Abermals steuerte Cliff den Diskus tiefer.
Das Schiff schwebte zuletzt in einer immer enger werdenden Spirale über dem Kessel des Kraters. Der Temperaturunterschied zur Umgebung betrug etwas mehr als ein Grad Kelvin; eine erstaunlich geringe Differenz. Sie konnte auch von einem Gebiet sublunarer Wärme stammen, die nichts mit dem verborgenen Gegner zu tun hatte. „Freunde", sagte Cliff, nachdem sie ihren langwierigen Weg beendet hatten und sich wieder im Zentrum des lunaren Kraters befanden., „wir steigen aus. Wir sehen uns selbst um. Die Sicht senkrecht nach unten kann nicht alles zeigen." Die ORION blieb hundert Meter über dem Zentrum stehen. Der Schutzschirm hüllte den Diskus ein, es gab keinerlei Anzeichen einer drohenden Gefahr. Die wenigen Steinspitzen, die aus der dünnen, weißen, stellenweise kristallen glitzernden Oberfläche hervorstachen, warfen keinen Schatten. „Wer ist wir?" fragte Mario und sah zusammen mit den anderen auf das scharfe Bild. Es gab nicht einmal einen Windstoß, der, die oberste Schicht des Schnees bewegte. „Mario, Atan und ich", ordnete Cliff an. „Aber vorher eine Stunde Ruhe für uns. Hasso und Helga - übernehmt ihr die Wache, während wir uns fertigmachen?" „Ja, natürlich. Soll die ORION an Ort und Stelle bleiben?" „Wenn möglich, ja!" murmelte Cliff und bewegte ächzend seine Arme. „Bis jetzt hat sich unser geheimnisvoller Freund jedenfalls nicht gemeldet. Es ist kaum denkbar, daß er dies tut. Und wenn, dann nur, um wieder im Bermuda-Dreieck zuzuschlagen." „Das erscheint wahrscheinlich", antwortete Hasso und schwang sich in Cliffs leeren Sessel. „Geht nur. Ich weiß mir schon zu helfen. Und wenn ich Alarm geben muß, dann werdet ihr dies schon deutlich hören."
„Danke, Hasso." Nacheinander verließen sie die Kabine. Arlene folgte ihnen. Hasso blieb mit Helga zurück. Das Schiff schwebte unverändert an der alten Stelle. Nichts veränderte sich. Der Mond blieb schweigend und leer unter dem Schiff, wie seit Jahrhunderttausenden. Hasso sah unendliche Schwierigkeiten voraus, was den Versuch der drei Freunde betraf, Eingang in den Fels unterhalb der Eiskruste zu finden. Und noch immer umschloß den Mond und die ORION jene mit den vorhandenen Instrumenten nicht zu entschlüsselnde Barriere vor der Sonne und den Sternen ... * In der Bodenkammer der Schleuse, die sich wie ein Teleskop aus dem Mittelteil der ORION hervorschob und leicht auf den Panzer des Eises aufsetzte, fanden alle drei Männer Platz. Sie gleichen in ihren metallverstärkten Raumanzügen den Rittern vergangener Zeitalter. Das Segment der äußeren Schleuse schob sich zur Seite, und Mario trat als erster ins Freie. Er legte mit einigen Schwierigkeiten den Kopf in den Nacken und sah zur silberglänzenden Hülle der Diskus-Unterschale hinauf. Langsam bewegte er sich vorwärts. „Nicht unangenehm. Die Oberflächenschwerebeschleunigung gestattet ein relativ bequemes Sich-Bewegen." „Wir werden trotzdem die Triebwerke benutzen müssen." Cliffs Stimme bewies, daß er nervös, gespannt und etwas ängstlich war. Er trat neben Atan aus der Schleuse, wartete, bis sich die glänzende Platte wieder geschlossen hatte, und sagte leise: „Hasso, bitte schalte einen Positionsscheinwerfer ein. Wir melden uns, wenn wir Unterstützung oder Hilfe brauchen." „Verstanden!" Augenblicklich schaltete sich über ihnen
einer der schweren Landescheinwerfer ein und leuchtete schräg in die eisige Wildnis hinaus. Der Himmel über den weißen Verwehungen und Spitzen war pechschwarz, trotzdem wurde auf geheimnisvolle Weise das Antlitz des Mondes beleuchtet. „Jeder Richtungsvorschlag ist so gut oder so schlecht wie der andere", meinte Atan. „Trotzdem sollten wir die nähere Umgebung des Schiffes besonders intensiv untersuchen." „Du meinst, weil die ORION im Zentrum des warmen Kraters steht?" „Aus diesem und keinem anderen Grund." Sie knipsten ihre schweren Handscheinwerfer an und gingen zwanzig Schritte geradeaus. Jeder Schritt trug sie in einem flachen Bogen vorwärts. Die harten Sohlen der stahlgewebeverstärkten Stiefel wirbelten Schleier und Fahnen winziger Kristalle hoch, die im Scheinwerferlicht wie Diamantenstaub schimmerten. Schweigend tappten die drei Raumfahrer über eine harte, völlig ebene Fläche, ungefähr hundert Meter weit. Das Ammoniakeis leuchtete auf, wenn die Lichtkreise darauf fielen. Die Männer schwiegen, bis Mario schließlich anhielt und murmelte: „Suchen wir in einem Kreis ums Schiff." „Wir können uns bei der nächsten Umkreisung an unsere Spuren halten." „In Ordnung. Los!" Langsam und systematisch bewegten sie sich in einem Abstand von zehn Metern nebeneinander in einem riesigen Kreis um das Schiff. Immer wieder wurden die glatten Eisflächen von einer schmalen Spalte unterbrochen oder von einem Magmablock oder Felsen, von einem kleineren Krater mit schärferen Konturen, aber grundsätzlich zeigte sich das Gelände als ziemlich ebene Fläche. Von einem Eingang gab es nicht die geringste Spur. „Und wir finden ihn trotzdem!" sagte Cliff hartnäckig nach rund neunzig Minuten Suche.
Die anderen schwiegen und suchten weiter. In immer größer werdenden Kreisen entfernten sie sich vom Schiff, dem Zentrum der mühseligen Suchaktion. Und schließlich, genau an dem Punkt, wo sie müde und derart verärgert waren, daß sie in wenigen Minuten ihre Suche abgebrochen hätten, senkte sich der Boden ganz leicht und verwandelte sich in eine halbmondförmige Zone, die offensichtlich an einer geraden Felswand, von weißem Eis überkrustet, endete. „Das ist zu schön, um Wahrheit zu sein", sagte Atan leise. „Hierher, Freunde!" Er ging in der Mitte und rutschte nun die schräge Fläche hinunter. Bis zur senkrechten Wand waren es etwa hundert Meter. „Hasso!" „Ich höre?" „Atan spricht. Bitte, richte das Infrarotgerät auf das Gelände rund um uns. Versuche, festzustellen, ob hier eine höhere Temperatur herrscht. Konzentriere die Suche auf die vom Schiff aus gesehen. senkrechte Fläche." „Ich sehe keine Senkrechte. Wo soll sie sein?" „Aha, jetzt verstehe ich. Direkt vor mir, in Marschrichtung der drei frierenden und frustrierten Raumfahrer. Etwa dreißig, fünfundzwanzig Meter." Die Scheinwerfer der drei strahlten eine Wand an, die künstlich oder natürlich sein konnte; eine elliptische Fläche, in der Mitte, an der Stelle der höchsten Höhe, von Eisverwehungen oder Schneepackungen dick verkleidet, so daß eine Art bizarre Treppe entstanden war. „Noch nichts?" Hassos Stimme klang unzufrieden, als er entgegnete: „Ich bin nicht sicher. Von hier aus mißt das Gerät einen Streifen an, der einen halben Grad Kelvin wärmer, in der Mitte jedoch zwei Grad wärmer ist. Aber das ist eine Einstellung, die wir noch nicht benutzt haben. Schärfste Auflösung."
„Danke. Das war die Bestätigung." Das Nonplusultra der Tarnung. Es stand für die Freunde fest, daß dieser Eingang auf keinen Fall oft benutzt wurde. Vermutlich, und das war die Überlegung, die sich förmlich aufdrängte, gab es hier Maschinen und automatische Anlagen, die Jahrtausende alt waren und noch immer funktionierten. Und jetzt mit verstärkter Intensität und in schnellerem Rhythmus. „Cliff! Hier ist es!" rief der Erste Offizier. „Gut versteckt hinter einer Masse tiefstgefrorenen Ammoniaks." „Und schon", sagte der Commander, nur mühsam beruhigt, „erhebt sich die Frage, wie wir dieses Eis wegbekommen. Mit unseren Waffen?" „Könnte gehen. Ein Schuß vom Schiff würde vermutlich die Schleuse oder das Portal zusammenschmelzen." „Einverstanden. Schmelzen wir uns durch, Kameraden!" Sie standen keine zwanzig Schritte vom Mittelpunkt der Wand entfernt. Sie maß an ihrer mittleren Stelle rund zwanzig Meter. Dicke Schichten Eis in verschiedenen Weiß- und Grautönungen bedeckten den Abriß, der mit großer Sicherheit aus Gestein bestand. Langsam zogen die drei Männer die schweren Weiterentwicklungen der HM-4 aus den Führungshaken und packten sie mit beiden Händen. „Nehmen wir an, der Eingang sei in der Mitte; dann müssen wir dort und dort herumschmelzen", erklärte Cliff und gab jedesmal einen kurzen, gutgezielten Feuerstoß ab. Da, wo die Energie auftraf, verkochte und verdampfte das Eis. Darunter erschien blanker, bearbeiteter Fels. Sie verständigten Hasso im Schiff. Er versprach, sie zu warnen, wenn etwas geschah, was nur er sehen und die drei Freunde gefährden konnte. Mario blieb ruhig und entspannt, denn er sah Aktionen vor sich, die das erschöpfende Warten
ablösen würden. Warnend warf er ein: „Vorsicht, Freunde. Wir dürfen die uns unbekannte Schleusenanlage nicht beschädigen. Achtet also darauf, wohin ihr schießt." „Alles klar", entgegnete Atan. Sie streckten die Scheinwerfer in einfache Haltebügel ihrer Schulterteile, so daß sie die Lichtstrahlen mit Körperbewegungen dirigieren konnten. Dann stellten sie den Abstrahlwinkel der Energiewaffen auf größere Streuung und schossen auf die Eisbarriere. Ununterbrochen traf die Energie an drei verschiedenen Stellen auf den verdampfenden und sich verflüssigenden Stoff. Die drei Lichtstrahlen schnitten durch den hochwallenden Nebel und zeigten deutlich Bearbeitungsspuren am Fels, die aber sehr alt sein mußten. Jahrtausende? Oder noch älter? Vorsichtig näherten sich die Einschläge einem gemeinsamen Mittelpunkt. Die ersten Stellen, an denen der Fels durch eine dunkelbraune Füllmasse ersetzt worden war, zeigten sich. Schließlich befand sich der klobige Eisrest nur noch in einer kreisförmigen Zone, unter der Metall lag. Die Männer schmolzen unterhalb dieses Kreises das dickste Stück der Eisbarriere weg, dann lagen die Konturen des Eingangs klar vor ihnen. „Es ist eine runde Schleuse. Vermutlich ein Verschluß mit Gewinde. „Es wird nicht schaden, wenn wir ihm mit Hitze zu Leibe rücken." „Sicher nicht. Eine annähernd irdische Technologie vorausgesetzt, mußten unsere unbekannten Gegner dieselben Hilfsmittel anwenden, also Hitze auf diesem kalten Jupitermond." „Also! Der letzte Schritt. Feuer!" Kurze Zeit später lag eine plangearbeitete, runde Fläche vor ihnen. Sie schloß wie eine dicke Platte einen Metallstutzen ab, der aus dem freigeschmolzenen Felsen hervorragte. Sämtliches Metall leuchtete goldfarben und warf im Licht der
Scheinwerferblitzende Reflexe. „Wir haben es geschafft!" bemerkte Cliff tief befriedigt. „Gratulation!" kam es über Helmfunk aus dem Schiff. „Wir haben euch zugesehen. Ihr wart wie immer bühnenreif." „Noch fehlt der letzte Akt. Das kosmische Rätsel, wie wir in die Basis eindringen können, ohne die Schleuse zu sprengen." Lebte die Anlage? Wer oder was wartete auf sie? Mit Sicherheit waren dort Fallen gegen Eindringlinge! Würden sich irgendwelche robotischen Truppen gegen Cliff und seine Freunde wehren? Zögernd ging Cliff an die glänzende Metallplatte heran. Sie besaß einen Durchmesser von rund zehn Metern, also hatte sie bestimmt auch als Materialschleuse gedient. Cliff senkte die schwere Waffe in der Beuge des rechten Armes und tastete mit der Hand nach dem Metall. Er suchte lange nach einem Hebel, einem Schalter oder einer Möglichkeit, den versteckten Mechanismus zu aktivieren. Erst als Atan herangekommen war und das Licht seines Scheinwerfers fast parallel zur Ebene der Platte fiel, leuchtete außerhalb des Zentrums ein winziger Kristall auf, tiefrot, wie eine vorspringende Linse. Sie war halb so groß wie der Nagel des kleinen Fingers. Die drei Männer verständigten sich und richteten das Licht der Scheinwerfer darauf, schalteten ein und aus. Dann warteten sie. Die Scheibe bewegte sich. Sie drehte sich immer schneller wie ein Rohrverschluß. Die Linse, die nun selbst leuchtete, wirbelte im Kreis herum. Die Vibrationen der Bewegung setzten sich durch Fels und Eis bis in die Raumanzüge der Männer fort, ein schwach rumpelndes Geräusch ertönte. Etwa dreißigmal drehte sich die Schleuse, dabei schob sie sich langsam vor. Cliff, Atan und Mario traten vorsichtig zur Seite und hoben die Waffen. Die Bewegung hörte auf, die Platte wurde
langsam nach vorn geschoben und nach links gedreht. Dann erschien ein hydraulisches System, kippte die Platte in den rechten Winkel und dann flach an die Felswand. Eine von rot und gelb flackerndem Licht erfüllte Schleusenkammer, geformt wie ein Zylinderschnitt, aber am untersten Punkt durch eine waagrechte Gitterplatte geteilt, lag vor den Männern. „Eine nur rhetorische Frage", sagte Cliff halblaut und gespannt. „Wir dringen natürlich sofort ein?" „Ja. Und an dem Punkt, wo es gefährlich wird, drehen wir um und kommen mit Verstärkung wieder." „Worauf warten wir noch?" fragte der Astrogator Mario de Monti. Sie betraten die Schleuse. Sie erkannten, daß sie sich auf gefährliches Gebiet begeben hatten. Mit großer Wahrscheinlichkeit war diese Höhle hier das Zentrum, von dem aus die mysteriösen Vorgänge im Bermuda-Dreieck gesteuert wurden. Und wenn schon der technisch verhältnismäßig simple Mechanismus des äußeren Schleusentors nach der langen Zeit so gut funktionierte, dann war zu erwarten, daß höher organisierte Geräte noch besser ihren Dienst taten. Besonders die Fallen, die unzweifelhaft auf die Eindringlinge warteten. Sie untersuchten mit Scheinwerfern, Augen und den Fingerspitzen die Schleuse. Sie schalteten die einfachen Strahlenindikatoren ein, die sich an den Handgelenken der Anzüge befanden, Sie erinnerten sich aller Arten von Fallen und Sperren, die sie im Lauf langer Jahre erlebt hatten. „Nichts?" kommentierte Atan Shubashi schließlich. „Klopfen wir an. Vielleicht bewirtet man uns mit Köstlichkeiten hinter dieser zweiten Tür." „Wohl kaum. Man wird uns mit Strahlen beschießen." Während sich die äußere Schleu-
senpforte geräuschlos zu schließen begann, ertönten hinter der nur ein wenig kleineren Innentür summende, knackende und winselnde Geräusche. Das Licht in der Schleuse flackerte aufgeregter und verwandelte den Raum in eine Zone, die auf schlimmere Dinge vorbereitete. Gespannt und mit erhobenen Waffen und eingeschalteten Scheinwerfern warteten die drei Männer aus der ORION-Crew.
8. „Die Verbindung ist miserabel. Aber wir hören euch gerade noch!" schrie, von prasselnden Störungen begleitet, Hassos Stimme in den Helmlautsprechern. „Geht keine sinnlosen Risiken ein, Cliff!" „Wir ziehen uns zurück, wenn es gefährlich wird!" schrie Cliff zurück. Hasso zog die Schultern hoch und fuhr mit allen zehn Fingern durch sein weißes Haar. Er wußte, wie Cliff Gefahr definierte; andere Männer wären vor Schrecken davongerannt, wo er sich noch neugierig mit der Erscheinungsform beschäftigte. Cliffs ausgestreckter Arm deutete nach vorn. „Weiter. Hinein ins Geheimnis", sagte er und verließ die Schleuse auf der Fortführung des Gitterrostes. Schwarze, lichtschluckende Wände waren vor ihnen und bildeten Ecken und Kanten. Über ihnen schloß eine phosphoreszierende Decke diesen verwinkelten Korridor ab. Schweigend gingen die Männer zwischen den Wänden geradeaus, nach rechts und links, nahmen eine Treppe mit verdächtig niedrigen, aber großen Stufen, wanderten immer tiefer und schräg abwärts in die Höhle des Mondes hinein. In zwölf Minuten legten sie mehr als fünfzehnhundert Meter zurück, immer noch zwischen den lichtschluckenden Wänden und auf dem Metallrost, der ihre Schritte klirrend weitergab. Nachdem sich die innere
Schleusentür hinter ihnen wieder geschlossen hatte, schien eine relativ dichte Atmosphäre aufgebaut worden zu sein. Der Druck entsprach etwa der Gashülle Terras auf Nullhöhe, aber die Zusammensetzung war anders; das ständige Blinken des Prüfgeräts zeigte an, daß einige Bestandteile nicht analysiert werden konnten. Als sich weit vor ihnen ein rotes Flackern zeigte, hielt Cliff an und sagte: „Wir bleiben in den Anzügen. Mir scheint, es wird gefährlicher." Sie hatten die ersten hundert Meter des Zickzackkorridors ganz genau abgesucht und waren nur Schritt um Schritt vorgedrungen. Je länger der Marsch dauerte, desto sorgloser waren sie geworden. Und jetzt mußte ihrer Erfahrung nach eine Falle kommen - sie wurden gleichzeitig unruhig und wieder unsicher, das beste oder vielmehr schlechteste Zeichen. Am Ende des Tunnels blieben sie überrascht stehen. Der Anblick überwältigte sie. Er war großartig und von tödlicher Schönheit. Der letzte Teil des Tunnels ragte weit über den weiß und rot glühenden, blasenwerfenden und rauchenden Boden einer gewaltigen Halle aus Fels. Gewaltige Stalaktiten, mit triefenden Rußschichten bedeckt, hingen in breiten Bändern von der Felsendecke. Trotz der schützenden Raumanzüge glaubten die Männer, die ungeheure Hitze des Lavasees zu spüren. „Daran hat nun keiner von uns gedacht!" faßte Cliff den Gedanken der Freunde zusammen. „Ein See aus Lava in einer Höhle im Jupitermond! Ich glaube, wir sind auf der richtigen Spur, wie?" „Das kann man wohl sagen!" Die Höhle war einige Kilometer lang und mindestens tausend Meter breit. Von einem Rand zum anderen war sie von einer gewaltigen Flut kochender Lava gefüllt. Oder einer zähen Flüssigkeit, die genauso wie Lava aussah - und ganz bestimmt dieselben Eigenschaften besaß.
Der ovale Lavasee war von einem Raster unterbrochen - eine Art Mauer, etwa einen halben Meter breit. Sie teilte den See in Hunderte von einzelnen Kammern ein. Je länger die Männer diese kühne Konstruktion betrachteten, desto genauer erkannten sie, was diese Mauer eigentlich bedeutete. Vom Metallraster des Tunnels bis zum ersten, längeren Mauerstück führte eine bizarr geschwungene Metallader hinunter. „Diese Mauern bilden ein Labyrinth. Wir sollten auf ihrer Oberkante gehen und den jenseitigen Ausgang oder Eingang erreichen", sagte Cliff. „Dabei handelte es sich nicht einfach um einen Balanceakt, sondern um die Wahrscheinlichkeit, daß wir uns auf der Mauerkrone verirren und in diesen heißen Brei stürzen." „Glücklicherweise haben wir unsere Flugaggregate", meinte der Commander. „Sie haben nicht damit gerechnet, daß hier motorisierte Eindringlinge auftauchen können. Es liegt eine ungeheuer starke psychologische Herausforderung in dieser Labyrinthanordnung." Die Mauern verliefen in tausend Winkeln. Immer wieder versuchten Atan, Mario und Cliff, einer der Linien zu folgen, die sich alsbald verzweigten und immer wieder im Leeren endeten. Cliff befand sich in Gedanken bereits im zweiten Drittel dieses eckigen Wirrwarrs und suchte einen möglichen Weg über den kochenden See. Und wieder würde er sich verirrt haben. Seine Finger glitten an den Gürtel und schalteten das in die Rückenfront des Raumanzugs eingebaute Kleinaggregat ein. Eine Lampe leuchtete auf. „Es sieht danach aus, als würden die konstruktive Phantasie und die Intelligenz durch diese tödliche Mauer geprüft. Wer überlebt, darf eine Station weiter. Warum? Was hat das für einen Sinn? Eine wirksame Verteidigungsanlage wäre besser!" meinte Mario. „Halten wir uns nicht länger auf", sagte
Cliff leise. „Wir testen unsere Aggregate und überqueren diesen glühenden See." „Okay!" Cliff schaltete auf Leistung, erhob sich einen halben Meter vom Boden und schwebte nach vorn. Er fing den Fall gekonnt ab, steuerte auf den Verbindungspunkt zwischen Verbindungssteg und Mauer zu - und begann in einer Höhe von zehn Metern zu trudeln und durchzusakken. „Cliff!" schrie Mario. Cliff breitete die Beine aus, riß den Leistungshebel bis zum Anschlag durch und ruderte konzentriert mit dem freien Arm, um die Balance nicht zu verlieren. Im selben Moment begannen die roten Kontrolleuchten an den Geräten der beiden anderen Männer aufzuflackern, Summer ertönten. Die Geräte oder die Steuerungen versagten. Etwas in dieser Halle des Schreckens hatte es auf ihren Tod abgesehen. Cliff begann sich zu drehen. Das Triebwerk des Schwebeaggregats arbeitete mit höchster Leistung, und das rettete Cliff davor, in die kochende Lava zu stürzen. Er landete dicht bei der Verbindungstreppe auf der Mauer, rutschte aus und schlug im letzten Reflex beide Arme um das Material des Steges. Sein rechter Fuß schrammte über die Oberfläche der Mauer und erstarrte einen Meter über der Glut. „Bleibt ja, wo ihr seid!" keuchte er und zog sich vorsichtig hoch. Als Raumfahrer war er in jeder nur denkbaren Situation absolut schwindelfrei, „raumfest", aber hier drohte ein qualvoller Tod. Schließlich stand er am Fuß des Steges auf der Mauerkrone und sagte mit rauher Stimme: „Wir sind zu Fußgängern geworden. Bleibt oben und findet einen Weg, Freunde." Sie schalteten alle drei ihre nutzlos gewordenen Aggregate aus. Atan und Mario standen am Ausgang des Tunnels und starrten das Labyrinth an.
Cliff kletterte langsam den geschwungenen, geländerlosen Steg hinauf. Es gab einen Weg über das kochende Labyrinth, den sie gemeinsam finden mußten. Cliff fluchte, als er zu den Freunden hochkletterte. Oben angekommen, bot sich ihm ein fast lächerliches Bild: Atan und Mario standen da und verfolgten mit ausgestreckten Zeigefingern die verwirrenden Linien. Dabei murmelten sie vor sich hin. Je genauer sie sich die vielfältigen Links-Rechts-GeradeausKombination merkten, desto ungefährdeter würden sie die Passage bewältigen. Schließlich, als sie sicher waren, sich den richtigen Weg entlang der labyrinthischen Mauerkrone gemerkt zu haben, meinte der Commander: „Die erste Falle hätte mich beinahe umgebracht. Ich bin sicher, daß auf diesem Weg andere Fallen eingebaut sind." „Können wir gehen?" erkundigte sich Atan. „Wir sollten Hasso und Arlene nicht über Gebühr warten lassen." „In Ordnung. Wer führt an?" meinte der Commander. „Zuerst ich. Dann wechseln wir, Cliff", entgegnete Mario. Sie nickten sich zu und begannen mit dem beschwerlichen Abstieg. Sie balancierten den geschwungenen Steg hinunter und betraten das erste Stück der Mauerkrone. Rechts und links befand sich die strahlende, kochende Masse, in der immer wieder träge Blasen platzten, die dünne, schwarze Rauchschleier freigaben. Die Männer schwiegen und konzentrierten sich darauf, nur die Anordnung der Mauern im Auge zu behalten und nicht in das Magma oder die Lava zu blicken. Dreißig Schritte geradeaus, im Gänsemarsch, dann im rechten Winkel nach links und den dritten Lauf gang wieder nach rechts, also in die ursprüngliche Richtung. Sie tasteten sich Schritt um Schritt vorwärts. Noch immer, jetzt, nach einer
Stunde, führte Mario de Monti. Sie hatten kaum ein Viertel der realen Entfernung hinter sich gebracht. Von allen Seiten waren sie jetzt von Lava eingeschlossen. „Einen Augenblick", sagte Cliff und blieb stehen. „Ich traue dem Frieden nicht. Ich habe da so ein Gefühl ..." Er gehorchte dem irrationalen Impuls und stellte die Innenanlage des Anzugs um einige Grade kälter. Dann klappte er eine Tasche am rechten Oberschenkel des Anzugs auf und nahm das Spezialseil hervor, das aus einer großen Anzahl einzelner Glieder bestand. Er aktivierte die submolekulare Adhäsion und verwandelte ein zwei Meter langes Seilstück in einen dünnen, leicht federnden Stock. Die einzelnen Glieder schlossen sich eng zusammen. „Was soll das?" erkundigte sich Atan, ohne sich umzudrehen. Immer wieder bewegten sich seine Lippen. Er memorierte die Abfolge der einzelnen Richtungsänderungen. „Jeder Schritt, den wir machen, muß vorher getestet werden. Mir zittern jetzt die Knie, weil wir es bisher versäumt haben. Hier, Mario!" „Meinetwegen." Wie ein Blinder setzte Mario den Seilstock schräg auf den Boden der Mauerkrone, dann ging er weiter und achtete darauf, daß das Ende des Stockes genügend weit entfernt war. Cliff rechnete also damit, daß ein Teil der Laufgänge Projektion war und die Gefahr der Falle noch vergrößerte. Aber während der nächsten hundert Schritte geschah nichts. Geradeaus, rechts, links, wieder geradeaus, einmal zurück, links und rechts... Sie gelangten bis zur Mitte der Labyrinthanlage. „Übernimmst du die Führung, Cliff", sagte Mario und gab ihm den Stab. Cliff nickte. Er schob sich auf einem Kreuzungspunkt, der ein wenig mehr Platz bot,
an Mario vorbei und fragte leise: „Wie geht es weiter?" Vor ihnen unterbrach eine flach geschwungene Brücke das System der Mauern. Atan murmelte: „Geradeaus, vierte links, dritte rechts, geradeaus." Cliff wiederholte laut und bewegte sich vorwärts. Nach fünf Schritten spürte er, daß der Stab sich senkte und in ein Loch fiel. Die Brücke war fast in der Mitte unterbrochen. „Halt!" schrie er. Dann tastete er systematisch mit geschlossenen Augen die Umrisse der Unterbrechung ab. Dicht vor ihm hörte die Brücke auf. Der Einschnitt ging über die gesamte Breite. Bis zur Kante waren es eineinhalb Meter. Vorsichtig ging der Commander einen Meter weiter und streckte dann den Arm aus. Der leichte Stab bewegte sich im leeren Raum. Noch ein Schritt, wieder ein Versuch - der Zwischenraum betrug mehr als zweieinhalb Meter. Es war unmöglich, ihn trotz der geringeren Schwerkraft im Sprung zu überwinden. Cliff drehte sich um und musterte die Gesichter seiner Freunde, die im rötlichen Licht der Lava angespannt und müde wirkten. „Der erste Umweg. Hoffentlich bringt er uns nicht aus dem Konzept. Ein Teil der Brücke ist eine Projektion. Jetzt forcieren sie die Schwierigkeiten" Sie drehten um und versuchten, auf dem kürzesten Weg die Brücke zu umgehen. Sie mußten den jenseitigen Ausgang erreichen, der als glasartige Konstruktion immer wieder sichtbar wurde, zwischen Felsen, Lava und den rußbeschichteten Stalaktiten. Sie schafften es, die Brücke zu umgehen und sich auf ihrem Zickzackweg weiter dem Ausgang zu nähern. Feste Materie wechselte immer, wieder mit Projektionen ab, die relativ leicht zu entdecken waren, aber das Fortkommen unendlich erschwer-
ten. Minute um Minute verging, die drei Männer schwiegen und tappten über die schwarze Oberfläche der Mauerkrone weiter. Funkverbindung mit der ORION bestand nicht mehr; die Abschirmung war vollkommen. Schaudernd warf Cliff ab und zu einen blitzschnellen Blick auf die kochende, brodelnde Umgebung, tastete mit dem Stock vor sich her, stellte immer wieder breitere oder schmalere Unterbrechungen fest, die durch eine täuschende Projektion „ausgefüllt" waren. Bisher hatten sie einundzwanzig solcher angeblich fester Mauerstücke entdeckt - aber jede Lücke war tödlich. „Ich finde in allem noch kein Konzept", sagte Cliff. „Sie hätten damit rechnen müssen, daß eine Gruppe hier eindringt, die technisch so gut ausgestattet ist, daß für sie die Lavaüberwindung lächerlich einfach wäre." Mario gab mürrisch zurück: „Sei sicher, daß sie auch für noch besser ausgerüstete Eindringlinge ein Konzept entwickelt haben." „Oder besser: gegen solche Entdecker!" murmelte Atan und trottete hinter ihnen her. Zwischen der breiten Rampe, die vom letzten Teil der Mauerkrone zum Ausgang hinaufführte, gab es nur noch zwanzig Meter Luftlinie. In erstaunlich kurzer Zeit schafften sie diese Strecke und kletterten zuerst einmal die Rampe hinauf, die in einen anderen Teil der Anlage führte. Die Männer blieben stehen und sahen zum Eingang der Höhle zurück. „Geschafft. Es geht weiter!" sagte der Commander. „Wie lange sind wir unterwegs?" „Neun Stunden", erwiderte Atan. „Darum also die Müdigkeit. Versuchen wir, mit Aktion dagegen anzukämpfen. Ein paar Stunden lang können wir noch weitermachen." Nach einem Stück Tunnel erreichten sie eine Halle, ziemlich hoch und voller silberner, dünner Säulen, mit selbstleuch-
tendem Boden und einer Decke, die sich in der Dunkelheit verlor, mit glatten Wänden und einer Art Kanzel am anderen Ende. Sie wirkte völlig harmlos in ihrer Helligkeit und direkt einladend. Die drei Männer gingen hinein und blieben nach zwanzig Schritten stehen. Sie schalteten alle Warngeräte ein, die sie mit sich führten. Wo versteckten sich hier die gefährlichen Geheimnisse ?
9. Sie durchquerten die Halle nicht, sondern hielten sich dicht an der rechten Wand. Keines der Geräte hatte auch nur eine Winzigkeit ausgeschlagen. Das Licht veränderte sich nicht, als die Männer langsam weitergingen, immer wieder nach Hindernissen oder winzigen Zeichen blickten, aber völlig unbelästigt blieben. „Ich bin ernsthaft besorgt", sagte Cliff mit vor Aufregung rauher Stimme. „Es lauert etwas, zweifellos!" Mario blieb stehen und drehte sich um. Sein erschreckter, halb erstaunter Schrei erschreckte die Männer. „Dort hinten, schaut genau hin!" keuchte er. Cliff und Atan fuhren herum und hefteten ihre Blicke auf das, was sie zwischen den glänzenden Säulen des Eingangs erkannten. Dort standen im hellen Licht zwei Gestalten. Als die Männer sahen, um wen es sich handelte, wußten sie ganz genau, daß etwas Furchtbares geschehen sein mußte. * Helga Legrelle schaltete die Mikrophone des elektrischen Bordbuchs ein, nannte Datum und exakte Uhrzeit und begann zu sprechen. Sie wußte genau, was sie zu sagen hatte.
„Die ORION ist vor siebenunddreißig Stunden, abgeschnitten vom Rest des Universums, auf dem Jupitermond gelandet und steht seit dieser Zeit mit ausgefahrener Schleusenhydraulik im Zentrum des Kraterkessels. Vor sechsundzwanzig Stunden haben Kommandant McLane, Mario de Monti und Atan Shubashi in schweren Raumkampfanzügen das Schiff verlassen. Sie fanden nach intensiver Suche den Eingang in eine sublunare Anlage und betraten eine Schleuse, die seit sehr langer Zeit nicht benutzt worden war. Die Funkverbindung zwischen der Gruppe und dem Schiff wurde durch die Gesteinsmassen und mit Sicherheit auch durch eine spezielle Isolierung unterbrochen. Wir - hier handelt es sich um Legrelle, Arlene Mayogah und Hasso Sigbjörnson wurden nach knapp zehn Stunden, nachdem wir ausgeruht hatten, stark unruhig. Nach entsprechender Beratung entschieden sich Sigbjörnson und Mayogah, zu versuchen, die Gruppe um Cliff zu erreichen. Es wird angenommen, daß sie Hilfe braucht. Arlene und Hasso sind jetzt, zum Zeitpunkt der Eintragung, fünfundzwanzig Stunden und dreißig Minuten unterwegs. Ich vermute, daß sie auf eine noch unbekannte Weise festgehalten worden sind. Ich rechne angesichts der großen Erfahrung unserer Crew mit Gefährdungen aller Art keineswegs damit, daß den Vermißten etwas Ernsthaftes zugestoßen ist. Ich bleibe weiterhin hier und warte, zumal es im Augenblick keine Chance gibt, aus der Isolation zu entkommen, in der sich das Schiff befindet. Ende der Schilderung. Helga desaktivierte das Bordbuch und lehnte sich zurück. Hasso Sigbjörnson und Arlene hatten zugesehen, wie die erste Gruppe in der Schleuse verschwunden war. Nach einer Wartezeit, die, je länger sie
wurde, desto mehr an den Nerven der Zurückgebliebenen zerrte, entschlossen sie sich, den Freunden zu folgen. Sie brauchten Gewißheit. Sie ließen als Funkbrücke eine kleine Relaispackung in der Schleuse zurück, mußten aber feststellen, daß die Verbindung mit jedem Schritt schlechter wurde. Dann kämpften sie sich über das Labyrinth, versuchten glücklicherweise rechtzeitig die Schwebeeinrichtung und arbeiteten sich nach deren Versagen über die Mauerkronen. Sie dachten, im Gegensatz zu Cliff, schon vor Betreten des ersten Stückes an die Möglichkeit von Illusionsfallen und erreichten nach einem erschöpfenden Marsch die Halle. Dort blieben sie im Eingang stehen. Hasso riß den Arm hoch und deutete nach vorn. „Dort sind sie! Sie stehen da und..." „Siehst du, was ich sehe?" fuhr Arlene fort. Ihnen war gleichzeitig die unnatürliche Haltung der drei Männer aufgefallen. „Stehenbleiben, Hasso!" flüsterte Arlene. Brennende Sorge um Cliff erfüllte sie. Er stand da wie eine Statue, kenntlich am Raumanzug mit der großen Nummer I an Brust und Rücken. „Ja. Sie sind erstarrt. Irgendein Feld, das sie in dieser Haltung festgehalten hat." Hasso überlegte, während er Arlene am Arm zurückhielt. Schließlich sagte er in seinem bedächtigen Tonfall: „Hör zu, Arlene - es ist wichtig. Von hier aus erscheinen die drei unbeweglich. Ich bin sicher, daß sie nicht plötzlich erstarrt sind. Sie stehen in Stellungen, die unnatürlich sind; sie würden umfallen, wenn sie nicht mitten in einer Bewegung wären. Stelle dir vor, diese Drehung nachzumachen, die Mario gerade ausführt. An dem Punkt, an dem er erstarrt ist, verlierst du garantiert das Übergewicht und fällst um. Richtig?" „Ja, richtig. Das könnte bedeuten ... ein Feld, das die Zeit subjektiv manipuliert?"
„Erinnere dich an die Berichte vom Bermuda-Dreieck. Auch dort gingen Borduhren nach oder vor, waren Maschinen früher am Ziel, als es technisch möglich gewesen wäre - unsere Freunde hier scheinen ein Verfahren dieser Art zu beherrschen." Obwohl beide Gruppen ihre Funkgeräte niemals ausgeschaltet hatten, hörten Hasso und Arlene nichts von Cliff, Mario und Atan. Dies wiederum sagte ihnen, daß sie die Lavahöhle erst betreten hatten, als Cliff und die Freunde bereits in den Klauen der Zeitveränderung steckten. „Wenn du dich erinnerst", fuhr Hasso fort, der die Gruppe keine Sekunde lang aus den Augen gelassen hatte, „dann deutete die Spitze der Antenne an Cliffs Schulter vor einigen Minuten einen Fingerbreit mehr nach links, in die Richtung auf Mario zu." „Ja", erwiderte Arlene, obwohl sie nicht ganz sicher war. „So sieht es aus. Wenn wir ihnen folgen, gehen wir ebenfalls in das Feld hinein." „Unzweifelhaft. Es gibt zwei Systeme. Eines, das die Zeit verlangsamt - für uns. Für unsere Augen. In unserer Betrachtung würden Cliff und die Freunde eine sicher außerordentlich lange Zeit brauchen, bis sie die Halle durchquert haben oder zu uns zurückgekommen sind. „Und wenn wir jetzt loslaufen, begeben wir uns in Cliffs Zeitgefüge hinein. Dann vergeht für uns die Zeit zwar ebenso schnell wie für Cliff, aber Helga würde uns ebenfalls nur als Statuen sehen. Richtig, Hasso?" Er nickte. „Vollkommen richtig. Wir können uns entscheiden. Entweder wir warten ein Jahrhundert auf Cliff, oder Helga wartet ein Jahrhundert auf uns alle, aber dann befinden sich fünf ORION-Leute in der gleichen Situation. Mir scheint, die Entscheidung sollte nicht lange aufgeschoben werden."
Arlene murmelte: „Cliff würde sagen: »Fatales Desaster, kaum zu umgehen!' Was wir tun, ist riskant für uns und andere." „Wie entscheidest du?" „Ich gehe zu Cliff und sage ihm was los ist." „In Ordnung. Ich gehe mit dir." „Es ist besser, einer von uns bleibt einige Meter hinter dem anderen. Dann kann der Effekt vielleicht neutralisiert werden." „Meinetwegen." Sie gaben sich innnerlich einen Ruck und gingen los. Zuerst Arlene, dann Hasso. Das Mädchen ging ziemlich schnell quer durch die Halle auf die Statuen zu. Hasso wartete ab, bis sie etwa zwanzig Meter entfernt war, dann folgte er. Nach einigen Schritten blieb er probeweise stehen und merkte, wie sein Rücken an eine unsichtbare Barriere stieß. Er konnte nicht, auch wenn er es vorgehabt hätte, rückwärts gehen oder, wie ein weiterer Versuch zeigte, sich gegen die Barriere stemmen. „Arlene! Wir werden nach vorn geschoben." Sie antwortete unerträglich langsam und mit einer tiefen Baßstimme: „Ich habe es mir gedacht. Wie sehe ich aus?" „Von mir aus gesehen, wirst du immer langsamer. Aber wenn ich schneller gehe, dann neutralisiere ich den Effekt." Es war wie eine makabre Roboterpantomime. Je mehr sich Arlene von Hasso entfernte und den Statuen näherte, desto langsamer wurden ihre Bewegungen. Als Hasso schneller ging, wurden auch ihre Bewegungen in einem seltsamen, gleitenden Prozeß schneller. Auf diese verblüffende Weise erreichten sie Cliff, Mario und Atan die sich zusehends aus statuenhaft wirkenden Gestalten in lebende Raumfahrer verwandelten. Und auch die Helmfunkanlagen funktionierten wieder.
Sie blieben in einer kleinen Gruppe stehen. Noch ehe sich die freudige Verblüffung richtig zeigen konnte, unterbrach Hasso und schilderte mit technischer Exaktheit, was geschehen war. „Also sind wir doch noch ein Opfer der hoffentlich letzten Falle geworden. Mir tut im Augenblick nur Helga leid, die sich natürlich ernsthafte Sorgen macht", kommentierte Cliff. Arlene deutete nach vorn, zur Kanzel, dann sagte sie: „Meint ihr nicht, daß wir versuchen sollten, wieder einen normalen Zeitablauf zu erreichen, ein anderes Gebiet?" Sie wußten, daß Jahre vergehen konnten - für jeden Außenstehenden!-, bis sie zum Ausgang kamen. Also taten sie, was sie konnten. Jede Sekunde Aufenthalt in dieser zeitverschobenen Zone, diesem Stasisfeld, kostete eine kleine Ewigkeit dort draußen. Sie packten einander an den Händen und rannten, so schnell sie konnten, auf den Ausgang zu. Nach einem Spurt, der sie durch ein Zwanzigstel der Halle brachte, gab es eine ungeheure Detonation. Ein peitschender Knall, der jede einzelne Zelle ihres Organismus erschütterte, tobte durch die Säulenhalle. Sie stolperten, verloren den Boden unter den Sohlen und rutschten in die Laufrichtung weiter, als die unkontrollierbaren Bewegungen aufhörten, Mario landete mit einem gewaltigen Krach an einer der leuchtenden Säulen, sahen Cliff, Arlene, Hasso und Atan eine mehr als merkwürdige Erscheinung. Sie lagen zu Füßen einer schlanken, jungen Frau. Zuerst sahen sie nur Sandalen mit hohen Absätzen und die goldfarbenen Kreuzbänder, mit denen sie an den Waden gehalten wurden. Dann ungeheuer lange Beine, wohlgeformt und proportioniert, eine Haut, die weiß war wie altes Porzellan. Mit einem Maß an Verwirrung, die ihn erschrecken ließ und sprachlos machte,
sah Cliff, der langsam auf die Beine kam, den Saum mit der Mäanderverzierung eines Kleidungsstücks, das knapp zwei Handbreit über den Knien endete. „Ich träume!" keuchte er. In seinen Ohren gellte plötzlich ein schriller Sinuston. Erst nach drei Sekunden verstand der Commander, daß es Mario gewesen war, der anerkennend gepfiffen hatte. Er mußte lange geübt haben, denn Pfeifen im geschlossenen Raumhelm war so gut wie unmöglich. „Das ist ein erholsamer Anblick", sagte Mario schnoddrig. „Eine Göttin!" flüsterte Arlene. Sie war hingerissen von dieser Erscheinung und vergaß die Situation, in der sie sich befanden. Das Stasisfeld ist aufgelöst. Normale Zeitverhältnisse herrschen! Die Stimme war plötzlich in ihren Gedanken. Oder hatte die junge Frau, die mit selbstbewußtem Lächeln vor ihnen stand, tatsächlich gesprochen, und die Lautsprecher hatten es wiedergegeben? „Wer bist du?" fragte Atan ruhig. Die Mannschaft versammelte sich in einem Halbkreis um die Fremde. „Ich bin Vvhaako", lautete die Antwort. So klang der Name. Vermutlich wurde er V'aco geschrieben, falls solche Augenblicksüberlegungen noch galten. Die Verwirrung der Terraner war vollkommen. „Ich bin V'aco, und ich habe bis zu dem Augenblick geschlafen, als Licht die Linse der Schleusentür traf." Mario und Cliff warfen sich einen bezeichnenden Blick zu. Mario erklärte in seinem schönsten Bariton: „V'aco, die schlafende Göttin. Laß dich genau anschauen Mädchen!" Die Zeit lief wieder normal. Was jetzt in diesem Kavernensystem folgte, konnte nur noch vergleichsweise harmlos sein. Aber was hatte diese nicht-irdische Erscheinung zu bedeuten? V'aco glich einer bezaubernden Terranerin. Sie war unzweifelhaft
jahrtausendealt und auf eine gekonnte Weise konserviert, aber die Erscheinungsform schlug alle Rekorde. Das hochgesteckte Haar war von schweren, augenscheinlich goldenen Nadeln mit Kugelköpfen gehalten. Die Augäpfel, Arlene bemerkte es zuerst, waren von einem intensiv strahlenden Hellblau, während die grüne Iris mit golden blitzenden Pünktchen durchsetzt war. Mit diesen herrlichen, fremdartigen Augen blickte die schlafende Göttin nacheinander durch die Helmscheiben der ORION-Crew und sagte schließlich auf ihre merkwürdige Weise: „Ihr könnt die Helme abnehmen. Es herrschen Verhältnisse, die denjenigen des dritten Planeten dieses Systems entsprechen. Ich bin sicher, ihr kommt von dort her." „So ist es, gnädiges Fräulein", entgegnete Mario. Bisher hatte er sich nur mit ihrer aufregenden Figur beschäftigt, jetzt erst bemerkte er die breiten Armbänder voller Schaltsensoren und Kontrolleuchten, die schwerer und differenzierter erschienen als die Armbandgeräte der Crew. Wie auf Kommando schlugen, nach einem prüfenden Blick auf die eigenen Indikatoren, die in stetem Grün leuchteten, die ORION-Leute die Helme zurück und atmeten frische, kühle Luft. „Ja, wir kommen von der Erde. Wir wurden auf Ganymed, so nennen wir diesen Mond, durch gewisse Vorgänge an einem bestimmten Punkt unseres Planeten höchst nachdrücklich aufmerksam gemacht", erklärte Cliff, sicherte seine Waffe und befestigte sie hinter der Hüfte. „Ich kam in der Endphase des Kosmischen Kampfes hierher. Varunja und Rudraja kämpften gegeneinander." Diesmal hatte sie wirklich die Lippen bewegt und gesprochen. Aber wie kam es, daß sie die heutige Planetensprache der Erde sprach und verstand? „Warum bist du hier? Wie kam es, daß du bisher geschlafen hast?" fragte Hasso
und schaute die spitzen, silbernen Fingernägel V'acos an. „Ich war ausersehen, den Stützpunkt des Rudraja auszuschalten." Ihre Armbewegung umfaßte den Raum und offensichtlich ganz Ganymed. Sie lächelte freundlich und fuhr fort: „Es gelang mir, aber ich setzte irrtümlich einen energetischen Blitzkonservator in Funktion. Ich lag im Tiefschlaf, aber meine Rezeptoren blieben eingeschaltet, allerdings weiß ich nur Teile der Geschichte, die sich zwischen damals und heute zutrug. Als das Lichtsignal die Station wieder aktivierte, desaktivierte die Station den Konservator. Es war leicht, euch zuzusehen und zu erkennen, daß ich eingreifen mußte." „Du gehörst dem Varunja an?" fragte Atan leise. V'aco nickte. „Ja. Euer Hiersein scheint zu beweisen, daß der Kampf zwischen Varunja und den anderen wieder begonnen hat!" „So ist es", sagte Arlene. „Wir kennen die Mächte nicht, aber wir wissen, wie stark sie sind." V'aco senkte den Kopf und begann mit den Armbändern an ihren makellosen Armen zu spielen. „Das ist richtig. Ich brauche euch also vor der parasitären Macht des Rudraja nicht mehr zu warnen. Schließt euch den positiven Kräften des Varunja an. Zuerst wird es ein Kampf werden, der mithelfen soll, diesen geheimen Stützpunkt auszuschalten und meinetwegen für euch vom dritten Planeten nutzbar zu machen." Der Commander bemerkte etwas steif: „Es herrscht Uneinigkeit darüber, ob wir, die Menschen, uns in den Kampf einschalten sollen. Wir besitzen zu wenig Informationen. Im Augenblick erscheint eine abwartende Haltung sinnvoller. Ein Kampf der Giganten zermalmt oft den Kleinen, der zu mutig oder fanatisch wurde." „Eine wesentliche Einsicht. Aber ihr
werdet um eine Stellungnahme nicht herum können." „Nein", sagte Hasso kopfschüttelnd. „Auf die Dauer kann dies niemand. Aber du sprachst von einer Kontrollstelle?" „Ja. Ich führe euch. Ich öffne alle Türen. Aber ich kenne nicht alle Einzelheiten des Verteidigungssystems ... ich hoffe, ich kann sie mit eurer Hilfe ausschalten. Dann wird ein großer Teil der Macht der dunklen Kraft für immer beseitigt sein." „Schon allein unseretwegen helfen wir natürlich", erklärte der Commander. „Wie kommen wir in die Zentrale?" „Folgt mir." Die Entwicklung hatte eine unerwartete Richtung genommen. Mißtrauen und Hoffnung kämpften in den Überlegungen der Crew. Einerseits hatte V'aco sie befreit, andererseits war es alles andere als sicher, ob sie wirklich die „gute" Komponente der kämpfenden Mächte des Kosmos vertrat. Die Erzählung vom Konservierungsfeld war glaubhaft; wenn es auf Ganymed eine Gruppe Lebender gegeben hätte, würden sie sich schon früher und auf andere Weise gezeigt haben. Cliff drehte den Kopf und versuchte, die Reaktionen seiner Freunde zu erkennen. Sie waren ausnahmslos dafür, V'aco und somit sich selbst zu helfen. Mit schnellen Schritten verließen die sechs Personen den Saal der Zeitanomalie. Später würden sie über ihre phantastischen Erlebnisse nachdenken können.
10. Leichtfüßig lief V'aco vor ihnen her. Unterhalb der Kanzel passierten sie den Ausgang des Saales und hasteten auf einen breiten Steg hinaus, von dem mehrere Treppen und Rampen rechts abzweigten. Am Ende der vorspringenden geländerlosen Platte befand sich eine große Kugel aus einem rauchfarbenen, nur halb-
transparenten Material. „Mit dem V'acora, diesem Gerät hier, kann ich eine Menge von Funktionen der Geheimstation beherrschen. Axer, die Zentrale ist auf eine merkwürdige, kaum zu bezwingende Weise gesichert. Noch befinden wir uns in relativ gefahrlosem Gebiet. Ihr seid gut bewaffnet?" „Ausreichend", sagte Mario. „Und unser Mut gleicht dem von hungrigen Löwen." „Wo liegt die kritische Zone, V'aco?" „Eine Ebene tiefer als der Hallenboden, den wir gleich erreichen werden", erklärte die schlafende Göttin. Wieder waren sie in einem Bezirk ausgehöhlten Mondfelsens. Von der Kugel aus führte eine Röhre aus demselben Material senkrecht in die Tiefe. Tausende kleiner, scharfer Scheinwerfer leuchteten jeden Punkt der Halle aus. Die Wände waren voller Rohre und Kabel in schreienden Farben. Die Luft roch trocken und staubfrei, und in die Frische mischte sich jetzt der Geruch laufender Maschinen, die niemand sah oder hörte. V'aco blieb vor der Kugel stehen und drückte einige Kontakte des breiten Armbands, das wie ein seltsames, übertrieben breites Schmuckstück wirkte. „Wir müssen nach unten." In der Kugel öffnete sich ein Loch, glitt auseinander und vergrößerte sich gleichmäßig. Eine Plattform in der Höhe des Steges war zu sehen. Auf einen Wink der Göttin nahmen die Männer und schließlich auch Arlene die schweren Waffen von den Schultern. Wieder eine Schaltung, lautlos sank die Plattform nach unten. Auch auf dem Boden der Halle, die voller fremdartiger Pulte und Aggregate war, öffnete sich eine Kugel. Dicht vor ihr führte eine schräge Rampe in ein Untergeschoß. „Bis hier kontrolliere ich alle wichtigen Dinge. Dort hinten ist der Raum, in den mich die Roboter brachten, als ich schlief." V'aco deutete auf einen weiteren
Ausgang im Fels. „Und jetzt wird es wichtig. Ein einzelner hat, selbst wenn seine Reflexe lichtschnell sind, keine Chance. Wenn ein lebender Organismus eine bestimmte Schwelle erreicht, oder wenn er sie überschreitet, setzt er den Verteidigungsmechanismus in Bewegung. Ich habe mindestens hundert Roboter abgeschossen, aber sie scheinen sich selbst zu erneuern." „Ich verstehe. Machen wir eine Probe!" schlug Cliff vor. „Wie sieht das Ziel aus?" Ein nervöses Lächeln stahl sich in das vollkommene Gesicht V'acos. „Im Zentrum der Zentrale befindet sich ein Schaltpult. Wer es erreicht, ist geschützt. Das bedeutet, daß ein lebender Organismus gleich welcher Art über die Station herrscht, wenn er an den Knöpfen sitzt. Dies soll unser Ziel sein." „Wir kämpfen gegen Roboter?" erkundigte sich Mario de Monti und klappte seinen Helm herunter. „So ist es, Freunde. Können wir es wagen?" Zwei Minuten später waren die fünf Besatzungsmitglieder der ORION IX fertig. Die Trennungslinie verlief genau an der Stelle, wo die Rampe in den ebenen Boden überging. Zwei Versionen der Auseinandersetzung boten sich an - eine bedächtige, sichere und ein Blitzüberfall, der schneller und risikoreicher war. Mario übertrat als erster die magische Schwelle. V'aco, völlig unbewaffnet, hielt sich hinter Arlene. In dem Augenblick, als Cliff die unsichtbare Linie übertrat, flammte gleißendes Licht vor ihm auf. Er schloß die Augen zwei Sekunden lang und sah sich in einem runden Saal, dessen Boden aus einer großen Anzahl stufenförmiger Plattformen bestand, wie ein Schachbrett, dessen einzelne Felder unterschiedlich hoch waren. In der Mitte sah er das erwähnte Schaltpult; eine hufeisenförmige Anlage von der Größe der LANCET. Gleichzeitig sah er, wie sich in
der Decke und in den Wänden Hunderte von Luken öffneten. Ein Schwarm von etwa zwei Dutzend fliegender, eiförmiger Roboter schoß aus zehn verschiedenen Richtungen auf Cliff zu. Er hob die Waffe, zielte kurz und feuerte dreimal, dann sprang er mit einem mächtigen Satz zurück hinter die Trennlinie. Zwei der eiförmigen Maschinen mit eckigen und röhrenförmigen Fortsätzen detonierten in der Luft, die dritte schwebte zurück zu ihrer Luke, eine schwarze Qualmwolke hinter sich herziehend. Die anderen blieben in der Luft, griffen nicht an, zogen aber wirre Kreise rund um den Thron. „Ein Fall für Chefkybernetiker!" brummte Atan. „Los. Dasselbe noch einmal. Wir sollten uns auf einen Abnützungskampf vorbereiten." Fünf Männer feuerten jetzt, hinter der Schaltlinie stehend, auf die Maschinen und zerstörten in einem wütenden Schußhagel etwa zwei Drittel von ihnen. Dann sprang Atan vorwärts, worauf sich abermals ein neuer Schwarm aktivierte. Ein einzelner Mann wäre tatsächlich verloren gewesen. „Ich verstehe", sagte Mario zwischen einzelnen Schüssen, die er diesmal nicht auf die Wachroboter richtete, sondern in die Öffnungen, soweit es sinnvoll erschien, aus diesem Winkel zu schießen. „Wir haben es einfach, wenn es nur diese Maschinen gibt." Wieder zogen sie sich zurück und dezimierten den kreisenden Schwarm. Abermals glaubten sie nicht daran, daß die fliegenden Maschinen die einzige Sicherheitseinrichtung darstellten. Diesmal sprang Mario vor, rannte zwanzig Meter weit und übersprang drei verschieden hohe Ebenen. Die eiförmigen, schwarzen Maschinen begann zu rasen. Sie feuerten lange, glühende Strahlen ab. Aber Mario bewegte sich tatsächlich wie ein Blitz, sprang einen nicht berechenbaren Kurs und schoß seinerseits im Laufen auf die
Maschinen in seiner Nähe. Rund um ihn explodierten Robots, pfiffen heulend die langen Feuerstrahlen aus den schweren HM-4-Projektoren, schmorte der Belag, wenn millimeternah die Strahlen der Maschinen an seinem Raumanzug vorbeiröhrten. Mit einem riesigen Sprung rettete er sich über die Linie. Er wandte sich an V'aco. „Die Programmierung der fliegenden Wächter kenne ich jetzt. Weißt du etwas über zusätzliche Sicherungen?" Inzwischen rauchte und brannte der Hallenboden an zwanzig Stellen. Überall lagen die glühenden und brennenden Trümmer der mehr als fünfzig abgeschossenen Maschinen. Wieder schoß Atan und zerstörte nacheinander vier Roboter, die dicht vor der Rampe kreisten. „Nein. Ich weiß nichts. Seht ihr jetzt, daß ich allein keine Chance habe?" „Ja. Und auch keiner von uns. Cliff ... die Auswurfschächte, ja?" „Gute Idee." Sie kümmerten sich nicht um die Maschinen, sondern schossen in alle erreichbaren Luken hinein. Mehrmals bewiesen ungeheure Detonationen, daß sie wichtige Robotgeräte getroffen hatten. „Das Ganze noch einmal!" rief Hasso. Er sprang vorwärts und rannte in die Halle hinein. Er näherte sich bis auf die Hälfte der Distanz dem Schaltpult. Diesmal geschah zweierlei: Die Maschinen verdoppelten ihren Eifer und die Frequenz ihrer Einzelschüsse. Und aus den intakten Luken kam ein wahrer Hornissenschwarm dieser Geräte. Sie definierten Sigbjörnson klar als den Eindringling und behinderten sich in ihrem elektronischen Eifer gegenseitig, wurden ihrerseits durch Qualmwolken und Feuer abgelenkt und von den wilden Schußserien der Crew massenhaft vernichtet. Hasso kehrte zurück, sein Raumhelm wies einen Streifschuß auf, und an einigen Stellen war der metallverstärkte Stoff weißglühend.
Arlene sprang hinzu und löschte die Stellen mit dem flachen Gerät des NotSets aus ihrem Gürtel. „Irre ich mich", fragte Cliff laut durch die Geräusche der Schüsse, „oder werden die Roboter weniger?" In der Zwischenzeit hatten sie eine Unmenge von Maschinen vernichtet. Sie lagen rauchend oder zerfetzt buchstäblich überall. Nur die Zone dicht um das Schaltpult war frei von Bruchstücken und den tiefen, eingesengten Schußspuren. „Ich glaube, ihre Anzahl nimmt ab. Wir können daran denken, einen Durchbruch zu riskieren", meinte Mario. Unschlüssig und nervös ging V'aco hinter Arlene hin und her. Sie schien den letzten Rest Geduld zu verlieren, hier, in Sichtweite ihres Zieles. „Warten wir noch etwas. Noch einmal versuchen wir, die Maschinen aus der Reserve zu locken." „Gut, Fertig ihr alle?" Sie hoben die Waffen, gingen nebeneinander drei Meter weit in die Zentrale hinein und schossen auf alles, was sich bewegte. Klirrend krachten Roboter in der Luft zusammen, flammten auf und zerbarsten. Ununterbrochen zuckten die Angriffsstrahlen der Maschinen nach der Crew. Hin und wieder schlug ein dünner Strahl in einen Raumanzug ein, aber die Intensität dieser Schüsse schien ebenso nachzulassen wie die Anzahl der Robots abnahm. Hunderte von hellen Feuerstrahlen kreuzten sich. Einige Maschinen summten blind durch die Halle und krachten schmetternd gegen die Wände. Der glühende Schrott am Boden häufte sich. Träge zog der Qualm in die Höhe und wurde von unsichtbaren Öffnungen abgesaugt. Plötzlich bewegte sich V'aco. Sie sprang zwischen Hasso und Atan hindurch, warf sich vorwärts und überquerte den Wall aus Flammen und Rauch vor den Männern. Sie rannte wie eine
Besessene, übersprang die verschiedenen Ebenen und wich leichtfüßig den Schrottstücken aus. Hinter ihr zischten einige Schüsse wirkungslos ins Bodenmaterial. „Paßt auf sie auf!" heulte Mario und begann, in noch kürzeren Abständen zu schießen. Obwohl er erschöpft war, traf er mit jedem Schuß eine Maschine. Dann begann er langsam, sich drehend und Sperrfeuer schießend, hinter der schlafenden Göttin herzurennen. „Achtung, Deckung!" Drei Maschinen stürzten sich auf de Monti; er schoß sie nacheinander ab, erhielt aber einen Treffer. Eine vierte, eine Rauchfahne hinter sich herschleppende Maschine, rammte seinen Raumhelm, der wie eine Glocke aufdröhnte. Die anderen schossen der Göttin einen Weg frei. Jetzt schwang sich V'aco auf die vorletzte Plattform, wirbelte herum, hetzte weiter und erreichte den höchsten Punkt der Anlage. Sie schien genau zu wissen, was zu tun war, aber die Männer und Arlene konnten sich nicht um sie kümmern. Sie hatten damit zu tun, die angreifenden Roboter zu vernichten. V'aco ergriff einen wuchtigen Schalter und drehte ihn um neunzig Grad. Noch während der Schalter in Bewegung war, stieß einer der Robots wie ein Raubvogel durch den Qualm und tötete sie durch einen Feuerstrahl. Augenblicklich verließ - das Knacken des Schalters und den Todesschrei der schlafenden Göttin hörte keiner - sämtliche Energie die Maschinen. Sie regneten förmlich aus der raucherfüllten Luft. Verwirrt hörte die Crew zu feuern auf und ging verwundert und schweigend näher. Sie sahen, was geschehen war. „Es war ein kurzes Leben nach ihrem Erwachen", flüsterte Mario. Cliff streifte das V'acora ohne Mühe von dem schmalen Handgelenk und steckte es in die Brusttasche. Hasso hustete und sicherte die Waffe. Arlene bückte sich und schloß
V'aco die Augen. „Die Station ist unter Kontrolle. Hoffentlich gibt es nicht noch Reserveschaltungen", sagte Cliff. „Ich denke, jetzt ist auch der Spuk mit den verschwundenen Sternen vorbei. Vorläufig lassen wir alles so, wie es ist - suchen wir einen Weg zur Oberfläche." Sie fanden keinen. Aber sämtliche Sperren, Fallen und Felder waren ausgeschaltet worden. Die Crew schloß, nachdem sie einige Konzentratwürfel gegessen und etwas getrunken hatte, die geschwärzten und angesengten Raumanzüge und schaltete die Schwebeaggregate ein. Sie nahmen den Lift, rasten nacheinander durch die Stasisfeld-Halle und kamen unbelästigt über den Lavasee, der zu erkalten begann. Dabei sahen sie auch die unzähligen Unterbrechungen in der Mauer des Labyrinths. Schließlich kamen sie in die erste Schleuse und alarmierten Helga. Zehn Minuten später befanden sie sich in der Kabine - todmüde und taumelnd vor Erschöpfung. * Der Jupiter schwebte wie eine riesige Kulisse über ihnen. Vor seiner Kugel zeichneten sich viele Schatten und Silhouetten ab. „Sie werden vermutlich sehen, daß die Vierte Strategische Flotte bei Ihnen ist. Sie wird Ihnen helfen, die Station zu untersuchen", sagte Han Tsu-Gol. Ihm war nicht anzumerken, ob er erleichtert war oder sich ärgerte. Vermutlich traf letzteres zu. Cliff gähnte und fragte: „Admiral Mahavira scheint wütend zu sein, wie mir unsere Funkerin berichtete?" Han nickte nachdrücklich. „Wütend? Kein Ausdruck. Er kochte! Und er kochte noch mehr, als er den Ganymed suchte und nicht fand. Ich habe Sie verteidigen müssen." Eine Störung prasselte, dann schaltete
sich der Admiral in die Sendung und brüllte: „ . . . mir ganz egal, ob Sie berühmt sind, Commander. Sie kassieren den ganzen Ruhm, denn schließlich haben Sie im Alleingang die Station ausgeschaltet. Ich werde auf keinen Fall..." Cliff sah mit spöttischem Interesse zu, wie sich die stereoskopischen Bilder von Mahavira und Han ständig übereinanderschoben. Einmal war jener, dann wieder dieser deutlicher zu sehen. Belustigt vermerkte die Crew den Effekt. Schließlich dippte Helga einen Schalter, und Han Tsu-Gol sprach weiter. „Ich mißbillige des Admirals Erregung, Cliff. Wir sind froh, daß die ORION die selbstgewählte Aufgabe so souverän gelöst hat. Natürlich unterhalten wir uns über alles noch eingehend. Schlafen Sie sich erst einmal aus." Cliff hob das breite Armband hoch und drehte es direkt vor den Linsen. „Wir haben von dieser unvergleichlichen Agentin aus der Vergangenheit nur dieses Kommandogerät bekommen. Es ist das V'acora.. Ich bin sicher, daß wir mit Hilfe dieses Geräts noch weitere Relikte des Kosmischen Infernos aufspüren werden." „Auch darüber wird noch zu sprechen sein. Bleiben Sie vorläufig dort, ja?" Cliff nickte. „Wir sind so müde, daß keiner von uns das Schiff steuern könnte. Weisen Sie den kochenden Admiral an, uns nicht zu wecken - darauf reagiert jeder von uns ausgesprochen allergisch." „Ich versuche es." Das war, erkannten sie alle, nur eine Art dramatischer Auftakt gewesen. Die beiden Mächte des Kosmischen Infernos waren so gigantisch, daß einem Staubkörnchen wie der ORION nichts anderes übrigblieb, als sich den Herausforderungen zu stellen. Diesmal war es glimpflich abgelaufen, aber das Glück konnte nicht unendlich lange überstrapaziert werden. Die ORION-
Crew verschob jeden Gedanken auf einen späteren Zeitpunkt. Sie nahmen alle ein
leichtes Schlafmittel und schliefen wenigstens fünfzehn Stunden lang.
ENDE