Alexander Calhoun
Gefährlich wie ein Vipernbiß
Apache Cochise
Band Nr. 1
Version 1.0
Prolog
Als die weißen A...
194 downloads
676 Views
765KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Alexander Calhoun
Gefährlich wie ein Vipernbiß
Apache Cochise
Band Nr. 1
Version 1.0
Prolog
Als die weißen Amerikaner Mitte des 19. Jahrhunderts den Südwesten der USA zu besiedeln begannen, stießen sie auf ein indianisches Volk, das bereits die Spanier und Mexikaner hatte teuer dafür bezahlen lassen, daß sie unbefugt in ihre Jagdgründe eingedrungen waren. Die etwa ein Dutzend umfassenden Apachen-Gruppen und Großsippen, am gefürchtetsten die Chiricahua-Apachen, widersetzten sich der Niederwerfung durch die Weißen mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln. Sie überfielen zunächst Postkutschen, Frachtwagenzüge, Armeepatrouillen, Farmen, abseits gelegene Ranches und kehrten anschließend wieder zu ihren Stützpunkten in den Bergen zurück, den sogenannten »Apacherias«, die bei den Weißen der damaligen Zeit als uneinnehmbar galten. Der Widerstand flammte zum blutigsten und grausamsten Grenzkrieg der Indianergeschichte auf, als Cochise von Mangas Colorados die Führung der Stämme übernahm. Cochises Weitblick ließ ihn letztlich erkennen, daß der Untergang der roten Rasse eine von den Weißen beschlossene Sache war, die Anspruch erhoben auf alles Land zwischen den Dragoon Mountains im Südosten, dem Mogollon-Rim im Westen und der Gran Desierto im Süden. Cochises Chiricahuas, die Kerntruppe seiner Streitmacht, blieb im Angesicht der unaufhaltsamen Flut weißer Siedler, Goldgräber und Desperados nur noch eine Devise: Raube, ohne erwischt zu werden, töte, ohne getötet zu werden. Ein Kampf ohne Erbarmen entflammte in den Canyons, Tälern und Wüsten. Ein Kampf, dessen Schilderung in dieser Serie nicht die ganze Brutalität wiedergeben kann, wie sie uns die Geschichte überliefert hat.
1871 gelang es Cochise, die meisten Stämme der Apachen zu einer einzigen Widerstandsfront gegen die Eindringlinge aus Nord und Süd, Weiße und Mexikaner, zu vereinen. Die blutigsten Massaker auf beiden Seiten waren die Folge. Auf ihren flinken Ponys überfielen die Krieger in kleinen Gruppen Wagenzüge und Posthaltereien im Norden, um am nächsten Tag schon Farmer und Goldgräber im Süden oder eine Patrouille der Army im Westen anzugreifen. Militär und Siedler waren macht- und hilflos und ohne eine Möglichkeit gezielten Widerstandes den ständigen Apachenangriffen ausgesetzt. Wenn 1870 General Sherman nach Washington schrieb: »Wir führten einen Krieg gegen Mexiko, um Arizona zu bekommen, wir sollten jetzt einen Krieg führen, um dieses Land wieder loszuwerden«, so kennzeichnen diese Worte die verzweifelte Hilflosigkeit des Militärs. Diese nach authentischen Überlieferungen verfaßte Serie soll dem größten aller indianischen Führer ein Denkmal setzen: Cochise. Dem Wirken dieses Mannes und seinem Weitblick für politische Veränderungen ist es zu verdanken, daß diese Story mit ihrer ganzen Dramatik wahrheitsnah niedergeschrieben werden kann. Unsere Autoren fühlen sich verpflichtet, neben der Herausstellung der abenteuerlichen Charaktere, die in jener Zeit Geschichte machten, auch der historischen Wahrheit die Ehre zu geben. Nichts soll verschwiegen, nichts hinzugefügt oder entstellt werden. Ihr Martin Kelter Verlag
***
Der Wind frischte auf, als der Reiter von der Mesa herunterkam zu der Schlucht, die sich am Fuße der Anhöhe hinzog. Er spähte mit entzündeten Augen zur anderen Seite des Canyons hinüber, sah aber nichts, was Gefahr für ihn bedeutet hätte. Der Reiter sah gut aus. Hochgewachsen und breitschultrig saß er gerade im Sattel und stemmte die Stiefel mit den kleinen Radsporen fest gegen die Steigbügel. Mit der Linken hielt er sich am Sattelhorn fest, die Rechte führte die Zügel. John Haggerty wußte, daß er nicht allein in der abgelegenen Bergwildnis war. Abgesehen von den beiden anderen Scouts, die weiter westlich ritten, folgten ihm Chiricahuas, unsichtbar und lautlos wie Panther auf der Jagd. John hielt seinen Wallach mit einem Zungenschnalzen an und blickte nach Westen in die Sonne hinein. Wie ein purpurner Gong hing sie über dem Mogollon Rim und drückte den Tagesdunst tiefer in die Täler. Von Bill Harwig und Lefty Roman, dem Halbindianer, war nichts zu sehen. Waren sie von den Apachen weiter nach Westen abgedrängt worden? Oder hatten sie sich einfach nur verirrt, darauf hoffend, irgendwann auf eine Schlucht zu stoßen, die aus dem Gebirge führte? John lauschte. Es war still hier oben am Mesarand, einfach zu still, um natürlich zu wirken. Nichts bewegte sich. Es war direkt unheimlich. Er wußte, was dies zu bedeuten hatte. Er wußte es nur zu genau. Sie hatten ihn eingeholt und beobachteten jede seiner Bewegungen aus sicheren Verstecken. Fünf waren es vermutlich, oder auch mehr. So sicher konnte man bei Chiricahuas nie sein. Vielleicht noch einmal fünf bei Harwig und weitere bei Roman. Im günstigsten Falle also 15.
Die fünffache Übermacht. John registrierte Bewegung da draußen, aber sie war kaum zu erkennen. Nach einer Weile konnte er das verstaubte Blau von Uniformen ausmachen. Er lächelte. Sie hatten die Patrouille gefunden, die seit zwei Wochen überfällig war. Haggerty ritt bis an den Canyon und starrte hinab. Trübe spiegelte das Wasser einer Tinaja, in deren Nähe zwei Antilopen grasten. Wenigstens dort unten waren keine Apachen. Links von dem Wasserbecken sah er die seltsame Steinformation, die von oben aussah, als hätten Giganten vor Jahrtausenden im lässigen Spiel tonnenschwere Quader aufgetürmt. Die Schlucht war etwa 100 Yards breit. Kein Licht fiel von Westen dort hinein. Breite Schatten glitten an den Felshängen entlang, stauten sich am Ende, um dann den Weg wieder zurückzufließen. Ein Geräusch ließ Haggerty aufblicken. Drüben hielt ein einzelner Indianer auf einem Pinto. Nur die Schluchtbreite trennte die beiden Erzfeinde. Gekleidet war er wie alle Apachen in diesem Land: graues Calicohemd, wollene Hosen, kniehohe Wüstenmokassins. Um die Stirn trug er das farbige Schweißtuch wie einen dünngewickelten Turban. Die beiden Männer blickten sich über die Distanz hinweg finster an. Der Indianer, hochgewachsen, schlank, mit einem mächtigen Brustkorb und einer großen Adlernase, saß unbewegt auf seinem Pferd und starrte herüber. John Haggerty unterließ jede verdächtige Bewegung. 100 Yards waren für eine Sharps oder eine Winchester keine Entfernung, und an einem Mann seiner Größe und Breite konnte selbst der einfältigste Indianer kaum vorbeischießen. Hinter sich vernahm John ebenfalls Geräusche, auch zu seiner Rechten. Sie waren da und lauerten auf eine günstige Gelegenheit. Er trieb seinen Wallach vorwärts, aber das große, starke Tier kam ihm seltsam matt vor.
John wischte sich den Schweiß von der Stirn und verteilte den Staub gleichmäßig über die gesamte Gesichtspartie. Dabei beobachtete er die schnellen, kaum wahrnehmbaren Bewegungen drüben bei den Klippen. Wilde Tiere? Wölfe? Nein. Die zeigten sich nicht am hellen Tag und schon gar nicht so dicht bei den Menschen. Nun sah er die Patrouille wieder. Sie war vollzählig. 12 Dragoner mit einem Lieutenant an der Spitze. Ein Scout in Zivil sicherte die rechte Flanke. Nach einigen Sekunden verschwand die Patrouille wieder in einer Wolke aus Staub. Unablässig belauerten sich der fremde Indianer und Haggerty. Die Rothaut machte keine Anstalten, zum Gewehr zu greifen. Sie hielt mitten im Sonnenlicht, umflossen von den roten Strahlen, wie ein Standbild aus Bronze. Der Indianer war kein einfacher Krieger, darüber war sich John klar. Er mußte eine Führerrolle innehaben, wenn er nicht gar Cochise selbst war. John kannte den legendären Häuptling nicht persönlich. Aber der Gestalt nach konnte er recht gut jener Mann sein, der seit Jahren die Grenze in Atem hielt und alle Sippen der Apachen vereinigte. Dies war nicht einmal Mangas Coloradas gelungen, weder ihm noch einem anderen vor ihm. In diesem Augenblick wurde John durch eine Salve abgelenkt. Die Hälfte der Patrouille sank in den Staub. Trotz der dicken Schwaden, die über die Ebene hinwegzogen, konnte er jede Einzelheit dort unten erkennen. Plötzlich sah er Harwig und Roman aus den Klippen jagen. Aber kurz darauf zügelten beide ihre Pferde und kehrten wieder in den Schutz der Felsen zurück. Eine zweite Salve hatte auch den Rest der Dragoner aus den Sätteln geholt. Von drei Seiten glitten dort unten Chiricahuas an die Gefallenen heran, skalpierten und plünderten sie. Herumirrende Pferde wurden eingefangen, Waffen verteilt. Und als John
aufblickte, saß der Indianer noch immer unbeweglich auf seinem Pferd und verfolgte mit stoischer Gelassenheit das grausame Treiben. Durch den Canyon preschten im Galopp zwei Reiter. Bill Harwig und Lefty Roman. Sie sahen herauf und winkten. Als sie um die Kehre preschten, bemerkten sie auch die Rothaut auf der anderen Schluchtseite. Nach Osten hin stieg der Canyon und endete auf der Mesa. Hier angelangt, hatten die beiden Scouts jetzt zwei Ziele. Sie konnten sich mit John vereinen oder den Indianer angreifen. Sie zogen es vor, den anderen Weg zu wählen, um sich zu ihrem Gefährten zu gesellen. »Schweinerei, was?« rief Roman schon von weitem. »Wie konnte das nur geschehen?« Bill Harwig parierte sein Pferd vor John. Seine Rechte machte eine wischende Bewegung in Richtung des Indianers auf dem gegenüberliegenden Canyonrand. »Am liebsten würde ich mir den Burschen kaufen, John. Muß ein Häuptling von den roten Kerlen sein. Soll ich?« John erwiderte: »Laß es bleiben. Sie sind hinter uns in den Klippen, Jungs. Paßt auf, daß sie nicht zu nahe an uns herankommen. Warum habt ihr euch aus meiner Sichtweite entfernt?« Roman wischte sich Staub und Schweiß aus dem Gesicht und schob den grauen Feldhut in den Nacken. »Ging nicht anders, Amigo. Wir mußten einem Trupp Chiricahuas zu Fuß ausweichen. Willst du die verdammte Rothaut dort drüben laufenlassen?« »Geht nicht anders, wir müssen zum Camp zurück, um zu melden, was mit der Patrouille geschah.« »Teufel!« fluchte Harwig. »Verdammtes, mörderisches Pack!« »Spar deinen Atem, Bill. Sinnlos. Der Krieg ist an der Indianerfront zur vollen Heftigkeit entbrannt. Wir werden noch
einiges mitmachen, bevor der Aufstand niedergeschlagen ist.« Lefty Roman warf einen letzten Blick über die Schlucht und zog sein Pferd am Zügel in die neue Richtung. »Es würde mich interessieren, was der Kerl dort drüben vorhat.« Harwig folgte ihm grinsend. »Das müßtest du eigentlich wissen, Lefty. Er ist doch dein Blutsbruder.« Roman drehte sich im Sattel um. »Ich bin zur Hälfte Yuma, Bruderherz, und kein Apache. Mein Vater soll ein Bastard gewesen sein, die eine Hälfte Mex, die andere New Orleans. Im alten Europa nennt man das Franzose.« Bill Harwig lachte. Selbst John Haggerty konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Die beiden Scouts frotzelten gern. Das lockerte die Verkrampfung und hob die Stimmung. Ein Hohlweg nahm sie auf. Links und rechts stiegen die Felswände 30 Fuß und mehr in die Höhe. Es war dämmerig hier unten und kühl. John hatte die Mitte der aufwärts führenden Klamm fast erreicht, als es begann… * Graue Schatten überall. Wolfsgleich stürzten sie sich auf die berittenen Weißen. Halbnackte Gestalten, tief auf den Hals ihrer Ponys gebeugt, stoben den Hohlweg herab, drangen von hinten in ihn ein. »Stehen und kämpfen!« schrie John und riß den Revolver aus dem Halfter. »Runter von den Gäulen!« brüllte Roman. »Treibt sie den Weg zurück, das verwirrt sie.« John schoß auf einen angreifenden Apachen. Der ließ seine Streitaxt fallen und legte sich still aufs Gesicht. Ein anderer
Krieger sprang über ihn hinweg und stürzte sich auf Haggerty. Wieder krachte ein Schuß. Die Rothaut wurde halb herumgerissen und gegen die Felswand geschleudert. Auch Bill und Lefty feuerten, was die Läufe hergaben. Pulverdampf zog träge durch den Hohlweg und verdeckte die Sicht. Es half nichts. Panik hatte die Scouts gepackt, ließ sie zurückweichen. Die Chiricahuas brachen über sie herein. »Bleibt stehen und kämpft!« schrie John. »Wenn nicht, machen sie euch fertig!« Er drückte erneut ab, traf einen Krieger tödlich. Einem anderen war es gelungen, so nahe an Lefty Roman heranzukommen, daß er ihn packen konnte. Der Scout schlug mit dem Revolverkolben zu und stieß ihn von sich. In einer zweiten Welle griffen die Chiricahuas von vorn und hinten gleichzeitig an. John warf einem Krieger den abgeschossenen Colt an den Kopf und griff zum Gewehr. Der Henry-Stutzen war kurzläufiger als die Enfields oder eine Sharps. Er umklammerte den Lauf der Waffe und ließ sie wie eine Keule über seinem Kopf kreisen. Die Rothaut, die von dem stählernen Geschoß getroffen worden war, richtete sich mit schmerzverzerrtem Gesicht hinter einem Felsen auf, zog die Sehne des kurzen Bogens aus dem Holz des Maulbeerbaums bis ans Ohr zurück und ließ den Pfeil schwirren. Der bohrte sich in die rechte Brustseite des Halbindianers, blieb zitternd stecken und riß den Mann von den Beinen. John wollte sich über ihn beugen, den Verwundeten schützen. Aber Lefty stieß ihn zurück. »Hau ab, Mann, bevor sie auch dich massakrieren.« John und Bill machten sich auf die nächste Attacke gefaßt. Sie kam und überrollte die beiden Army-Scouts. Bill Harwig wurde von einer Kriegskeule an der Schläfe getroffen und brach zusammen. John erwischte ein geschleuderter Stein. Er taumelte.
Beinahe müde und wie gleichgültig gegen alles, was um sie herum geschah, legte er sich neben Roman und schloß die Augen. Als er wieder zu sich kam, lag er gefesselt neben einem Feuer, das Wärme und einen harzigen Geruch verbreitete. Mehr als 20 Chiricahuas befanden sich im Lager. Sie trugen die Trophäen mit Stolz, die sie der hingemetzelten Patrouille abgenommen hatten: Militärjacken, Feldhüte, Stiefel, Waffen. Neben John stöhnte Roman. Der Pfeil ragte noch immer aus seiner Brust und bewegte sich zitternd bei jedem Atemzug. Bill war ebenfalls wieder bei Bewußtsein. Er fluchte mörderisch und ununterbrochen. Ein Apache kam vorbei, trat ihm in die Seite und schleuderte ihm höhnisch mit dem Mokassin Sand ins Gesicht. Alle waren sie gefesselt. An einem Nachbarfeuer brieten die Apachen Pferdefleisch. Der süßliche Duft zog zusammen mit einem Schwarm schwarzer Fliegen über die Mesa, trieb ab und verteilte sich in den Canyons. Es ging auf den Abend zu. Schatten fielen und krochen wie müde Schlangen aus den Klippen. Die Chiricahuas schwatzten, lachten und brüsteten sich mit ihren Heldentaten. Plötzlich wurde es still. Ein hochgewachsener Indianer näherte sich den Feuern und blieb vor den Gefangenen stehen. Lange starrte er auf John Haggerty. »Wer bist du?« »Du kennst mich. Wir sahen uns drüben beim Canyon. Bist du der Anführer dieser Rotte?« »Ich bin Cochise«, erklärte der Indianer ohne Pathos in der Stimme. »Und du?« »John Haggerty. Was hast du mit uns vor?« »Wir werden euch töten, weißer Mann. Wir werden es langsam tun und mit Bedacht. Unsere Weiber werden euch ins Gesicht spucken, unsere Kinder mit Steinen auf euch werfen,
und wenn ihr auf der Schwelle des Todes steht, werden wir euch den Alten überlassen.« Das war also Cochise, der berühmte und gefürchtete Häuptling. John starrte den Mann an, lange, eindringlich, ohne Unterlaß. Cochise war schlank, trotz seines mächtigen Brustkorbs. Die kühne Adlernase wirkte nicht entstellend, eher aristokratisch. Unter den Wangenknochen zeichneten sich starke Muskeln ab, die ständig zuckten und wellenartige Bewegungen auf dem braunen Gesicht hervorriefen. Der Häuptling war etwas größer als John, ungefähr einsachtzig. »Das hast du gut gesagt, Cochise«, erwiderte John und verzog die Lippen zu einem Grinsen. »Für jeden von uns, den ihr umbringt, werden zehn, hundert, tausend von euch sterben.« »Wie bei Pinos Altos?« fragte Cochise grimmig. »Oder wie im Camino des Diablo, Bleichgesicht?« »Das war nicht die Armee«, antwortete John kühn. »Die Chiricahuas begannen mit dem sinnlosen Kampf. Denk an das Gemetzel von Tubac am Santa Cruz. Nicht mal Frauen und Kinder wurden von deinen Kriegern verschont.« »Hundert Pesos für einen Chiricahua-Skalp, fünfzig für den einer Frau, fünfundzwanzig für die Kopfhaare eines Kindes. Was willst du, Bleichgesicht? Winselst du um dein Leben?« Cochise wandte sich ab, aber Johns Zuruf hielt ihn zurück. »Was haben wir mit dem Kopfgeld zu tun, Häuptling? Die Armee nimmt keine Skalps. Du mußt dich an die Mexikaner halten, wenn du uns das ankreiden willst. Vergiß nicht, wie deine Krieger bei Signal Crossing wüteten.« Cochise schüttelte den Kopf. »Chiricahuas waren nie so weit im Norden.« Er wollte sich wieder umdrehen, aber Johns Zuruf hielt ihn ein zweites Mal zurück. »Willst du den Verwundeten neben mir mit einem Pfeil in der Brust krepieren lassen, Cochise?«
»Er stirbt so oder so. Weshalb also die Mühe?« »Mit dem Sterben hat's noch 'ne Weile«, sagte John wegwerfend. »Binde mir die Hände los, daß ich diesem tapferen Krieger helfen kann.« Der Häuptling zögerte. Schließlich murmelte er etwas in seiner Sprache und gab zwei Kriegern einen Wink. Sie kamen herbei und lösten die Fesseln von Johns Händen. Haggerty stand auf, rieb sich die Handgelenke und sagte: »Danke, Cochise. Wo habt ihr mein Pferd? Ich brauche die Satteltaschen.« »Wozu?« »In ihnen ist gute Medizin, die dem Scout hilft.« »Einem Hund von einem Yuma«, entgegnete Cochise und spuckte aus. Trotz seiner Verachtung für den Halbindianer gab er den Befehl, Haggertys Satteltaschen zu bringen. Von mehr als 40 Argusaugen bewacht, packte der Scout den Inhalt auf eine Decke. Das Feuer flackerte, zauberte zuckende Lichtreflexe auf den sandigen Boden. John wischte sich den Schweiß aus den Augen, griff dann nach dem schmalen Stilett und hielt die Klinge in die Flammen. Als sie heiß wurde, legte er das Stilett auf ein sauberes weißes Leinentuch und griff nach einer kleinen Flasche. Er schüttelte sie. Enttäuscht legte er sie zur Seite und griff zum Messer. »Nicht zu tief, John, um Himmels Willen!« krächzte Lefty. »Du roter Bastard hast gestern nacht den Alkohol gesoffen«, knurrte Haggerty und grinste dabei. »Jetzt mußt du's eben ohne Betäubung aushalten. Halt still!« »Ein Mann in dieser Situation braucht dann und wann mal 'n Schnaps.« Haggerty setzte sich auf Leftys Brust und machte mit dem Messer einen Schnitt nach unten. Das Stilett drang in das Fleisch und trennte die Muskeln. Lefty stöhnte, blieb aber bei Bewußtsein.
Beifällig grunzten die Apachen. Blut lief über Johns Hände, als er einen weiteren Querschnitt machte und den Pfeil packte. Mit einem kurzen Ruck riß er ihn heraus. Lefty fiel in Ohnmacht. Die Chiricahuas traten näher und tuschelten. Mit Wasserspeiergesichtern starrten sie aus der sie einhüllenden Dunkelheit in das Feuerlicht und nickten. »Mensch, John, mach schon«, drängte Harwig aufgeregt. »Er stirbt dir unter den Händen.« »Ist schon raus.« John hielt den Pfeil hoch und warf ihn Cochise mit der blutigen Feuersteinspitze zuerst vor die Füße. »Ist noch mal gutgegangen«, sagte er und fing an, die Wunde mit dem Rest Alkohol aus der Flasche zu desinfizieren. Schließlich verband er die Schulter und richtete sich auf. »Wird er's überleben?« »Wenn keine Blutvergiftung eintritt, bestimmt.« »Genug«, brummte Cochise. Er gab in seiner Sprache Befehle und wandte sich ab. Zwei Krieger stürzten sich auf John Haggerty und warfen ihn zu Boden. Er wehrte sich nicht, weil es angesichts der Übermacht sinnlos gewesen wäre. Im Nu war er wieder gefesselt. Mitten in der Nacht erwachte John. Roman hatte so laut gestöhnt, daß er sich trotz seiner Hand- und Fußfesseln aufrichtete. Sofort stand ein Krieger neben ihm und stieß ihn wieder zurück. »Laß mich los, verdammter roter Bastard!« Ein Schlag ins Genick warf John wieder auf den harten Boden. Die Sinne schwanden ihm, Stille und Vergessen hüllten ihn ein. * Um das Jahr 1870 bestand Santa Magdalena am Oberlauf des
San Pedro, aber noch diesseits der mexikanischen Grenze, aus nicht mehr als zehn armseligen Hütten aus Adobeziegeln, wovon die Hälfte Cantinas und Bars waren. Im ›Gouadeloupe‹, einer armseligen Spelunke aus wackligen Tischen und Reihenbänken, ging es jede Nacht hoch her. Baconora und Whisky flossen in Strömen, und wenn nicht gerade ein großes Spiel im Gange war, prügelten sich die Männer aus reinem Übermut und schlugen alles kurz und klein. Nicht selten fielen auch Revolverschüsse. Und jedesmal, wenn eine Schießerei stattgefunden hatte, trug man einen Mann oder mehrere mit den Füßen zuerst hinaus auf den Boot Hill mit seiner winzigen Kapelle und den verdorrten und verwitterten Grabkreuzen. Einige waren aus Stein gemeißelt, aber es war immer dasselbe, was man auf ihnen der Ewigkeit anvertraut hatte. Der Name, geboren am… Gestorben durch eine Kugel am… In dieser Vollmondnacht ging es wieder einmal tüchtig rund. Tabakschwaden drangen durch die doppelteilige Schwingtür und zerwehten rasch im kalten Mesawind. Ein Mann betrat den halbverfaulten Gehsteig, fluchte wegen des Windes, der ihm feinen Sand ins Gesicht schleuderte, und betrat die Kneipe. Insgesamt gab es acht Tische mit je fünf Stühlen. Ganz hinten war die Bar. Bar? Jedenfalls etwas, was man bei einiger Phantasie Ausschank nennen konnte. Leere Bierfässer, darüber eine zollstarke Bohle, davor eine rostige Stange zum Aufstützen, Gläser, Flaschen, Flaschen und wieder Flaschen. Gut und gerne 30 Männer aller Hautfarben und Rassen waren anwesend, zum Teil bereits betrunken, zum Teil stocknüchtern und mit kalten Augen. An zwei Tischen wurde gespielt. Der Fremde ging, verfolgt von den Augen der Nüchternen, bis zu einem Mitteltisch und blieb hinter einem Spieler stehen. Dieser Mann war besser gekleidet als die anderen. Eine geblümte Weste spannte sich über einen Bauchansatz, eine
Weste mit einer dicken goldenen Uhrkette und Knöpfen aus Perlmutt. Er hielt eine Zigarre zwischen den fleischigen Lippen und musterte mit wasserhellen Augen den Kartenfächer in seiner Linken. Als er die Hand auf seiner Schulter spürte, schob er den breitrandigen Stetson in den Nacken und sah auf. »Ich muß dich sprechen, Hank.« »Doch nicht jetzt. Siehst du nicht, daß ich ein Bombenspiel habe?« »Unwichtig. Komm mit!« Das war ein unmißverständlicher Befehl. Der füllige Typ warf seine Karten mit einem unwilligen Schnaufen auf den Tisch und erhob sich. Er war unbewaffnet, was in diesem Land schon eine Menge bedeutete. Der andere, der ihn zum Mitkommen aufgefordert hatte, trug seinen Revolver tief an der Hüfte und das Halfter mit einem Riemen am Knie befestigt. Sie gingen zur Hintertür hinaus. Lauernde Blicke folgten ihnen, bis sich die Tür in ihrem Rücken schloß. Es war sternenhell auf dem unkrautbewachsenen freien Platz zwischen Kneipe und Toilette. »Hank, Mercroft ist tot. Apachen schnappten ihn beim Leguan Arroyo und brachten ihn um.« »Der arme Kerl. Was jetzt?« »Du bist der Boß, ich dein Segundo. Was sollen wir tun?« Hank Doolin zuckte mit den Achseln. Sein Gesicht drückte alles und nichts aus. Pokerface. »Was wir tun sollen? Einen neuen Mercroft finden. Die Welt ist voller Mercrofts, und ich denke, die Welt wird uns einen zur Verfügung stellen. Wo sind die Jungs?« »Im Lager.« »Gut, da sollen sie auch bleiben, bis von mir neue Order kommt. So, Mercroft hat's also erwischt? Passiert uns alles früher oder später. Woher weißt du es?«
»Ich war im Heereslager. Auch die Armee hatte starke Verluste in den letzten Wochen. Cochise geht ganz schön ran. Alle Wetter, der versteht sein Handwerk.« »Kein Wunder«, sagte Hank Doolin mit einem schmelzenden Lächeln auf den Zügen. »Was man den Chiricahuas so alles an Greueltaten anlastet, macht selbst einen kaltblütigen Häuptling nervös.« Er lachte ein fettes Lachen und stieß Elvis Wash hart gegen die Brust. »Du reitest zurück, El. Ich komme ins Lager. Wir besprechen die Details für den nächsten Coup und suchen gemeinsam einen neuen Mercroft. Alles klar?« »Okay. Bis morgen also. Good bye, Boß.« Wash ging um das Haus herum und knüpfte die Zügel seines Pferdes vom Hitchrail los. Seine Vorsicht, das Pferd nicht unmittelbar vor der Kneipe anzubinden, in der er sich gerade aufhielt, hatte sich schon oft bezahlt gemacht. Er stieg auf und ritt in die Nacht hinein. Hank Doolin ging zum Spieltisch zurück und verlangte ein neues Päckchen Karten. Hier an der Grenze hielten sich nicht nur Engel auf, und ein vorsichtiger Spieler kalkulierte das ein. Bis Mitternacht ging das Spiel ohne Höhepunkte weiter. Gäste kamen und gingen. Kurz nach Mitternacht ritt ein größerer Trupp in das Nest und hielt vor der Kneipe nebenan. Fluchend polterten Männer in die Bar und ließen ihre müden Pferde stehen, wo sie gerade standen. Hank Doolin hob den Kopf und lauschte. Drüben ging es zu wie bei einem Scharmützel. Als kurz darauf ein Schuß fiel, warf Doolin die Karten hin und erhob sich. »Bin müde, Freunde. Ein andermal geht's weiter. Adios, Hombres!« Er ging. * Die Wüste sah im Sternenlicht aus wie satiniert. Alles glänzte
und funkelte, wirkte glatt wie ein poliertes Brett. Das Zeltlager zwischen den Hügeln machte einen verlassenen Eindruck. Alles schlief, nur die Posten gingen ihre Runden und wurden alle zwei Stunden durch andere abgelöst. Aus einem flachen Zelt trat ein Zivilist und ging bis in die Mitte des Lagers. Vor einem mittelgroßen Zelt blieb er stehen. Die Pferde im nahen Seil-Corral äugten neugierig herüber, blieben aber ruhig. Um die Zeltgruppe herum kam der Posten mit geschultertem Gewehr, und als er den Scout erkannte, nickte er. »Noch unterwegs, Mr. Miller? Bei dieser Schwüle kann man auch keinen Schlaf finden, was?« »Das ist es nicht, Ed. Major Tanner will mit mir die morgige Route der Patrouille besprechen. Schließlich kenne nur ich die Wege bis hinüber zu den Chiricahua Mountains.« Der Posten ging weiter. Miller betrat das Zelt und blieb stehen. Es war still und heiß. Kein Luftzug bewegte die Plane. Das Zelt hatte zwei Räume, die von einer Zwischenplane getrennt wurden. Das hintere Abteil diente dem Offizier als Schlafraum, das vordere als Besprechungszimmer. Ein Tisch und mehrere Feldstühle standen dort, bedeckt mit Karten dieses Gebietes. »Major Tanner! Ich bin's, Miller!« Keine Antwort. Die beinahe absolute Lautlosigkeit legte sich bedrückend auf die Seele des Scouts. Nur der Sand knisterte draußen, und wenn ein Posten vorbeischlenderte, knirschte es. »Hallo, Major Tanner!« Am liebsten hätte er noch gesagt: Verdammt noch mal, Sir! Er wartete ein paar Minuten, dann öffnete er die Zeltklappe. Es stank nach Schnaps und Schweiß und nach noch ein paar anderen Dingen. Eine Kerze steckte im Hals einer Flasche. Ihr Licht fiel auf einen Klapptisch und ein zerwühltes Lager. Der Offizier lag quer über der Bettstatt, mit dem Rücken auf dem
Kissen, die Hände flach an den Schenkeln. Seine braunen Augen starrten unentwegt geradeaus. Sein schütteres Haar hing ihm wirr durcheinander in die schweißnasse Stirn. Er trug seine Dragonerhosen und die Stiefel, aber von der Hüfte an aufwärts war er nackt. Schweiß rann ihm durch die spärlichen dunklen Haare auf der Brust. »Major Tanner, Sir!« Die dunklen Augen sahen Miller an, erkannten ihn aber nicht. Der Scout schaute sich im Raum um. Flaschen lagen am Boden, Whiskyflaschen. Eine weitere stand halbvoll auf dem Tisch, angestrahlt vom Kerzenlicht. Daneben ein umgeworfenes Glas in einer Schnapslache. »Mr. Tanner, Sir!« »Was wollen Sie, Scout?« »Sie haben mich rufen lassen, Sir. Es ist wegen der Patrouille morgen, Erinnern Sie sich?« »Deswegen stören Sie mich? Scheißleben hier draußen… Sand, Hitze, Staub und – Chiricahuas. Wie soll das ein Mensch nur aushalten?« »Sie haben mich bestellt, Sir. Lieutenant Smith' Patrouille ist seit Tagen überfällig. Colonel Richard krank, die Männer sind übermüdet. Disziplinlosigkeit macht sich in der Truppe breit…« »Ist das alles, Mann? Was denken Sie, warum ich mich besaufe? Hier draußen ist das Leben nur im Suff auszuhalten. Noch was?« »Die Scouts Haggerty, Roman und Harwig sind ebenfalls seit drei Tagen überfällig. Major, wir müssen die Route für die morgige Patrouille besprechen.« »Gehen Sie zum Teufel!« Plötzlich richtete sich Tanner auf. »Geben Sie mir die Flasche, Mann!« Miller widerstand einer plötzlichen Regung, den Offizier vom Bett hochzureißen und ihm in seine betrunkene Visage zu
schlagen. »Du irischer Scheißkerl, gib mir die Flasche!« fauchte Tanner wütend. »Major Tanner, Sie sind jetzt Kommandant des Lagers und der einzige Offizier, der noch diensttauglich ist. Die anderen sind entweder krank oder auf Patrouille.« Müde fügte er hinzu: »Sie sollten aufstehen und das Trinken sein lassen.« Tanner bewegte sich blitzschnell. Seine rechte Hand zuckte mit dem gespannten Dienstrevolver hoch. Die Mündung kam Miller mächtig groß vor. »Her mit der Flasche, Scout!« Miller rührte sich nicht. »Sie müssen jetzt das Kommando übernehmen, Major.« Die dunklen Augen blickten abwesend, drückten Verständnislosigkeit aus. »Die Flasche, Mann!« Miller hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. Er nahm die Flasche beim Hals und trat ans Bett. Tanner richtete den Revolver auf Millers Bauch. »Ich sollte dich wegen Ungehorsam im Dienst töten, du irischer Scheißkerl. Du dämliches, loyales, patriotisches Stinktier!« »Ich bin kein Ire, Sir. Meine Eltern kamen aus Old Germany.« »Aha, ein Dutchman.« »Nein, ein Deutscher.« »Alle gleich, die verdammten Schlauberger, die von drüben kommen und die Armee auf den Kopf stellen wollen. Hau ab!« »Die Route, Sir.« »Weißt du was, German? Leute wie du sind Pack, Pöbel, Abschaum. Dreck aus allen Gossen Europas.« »Dreck und Unflat kommt nur aus den Gossen Amerikas, Sir.« »Wie? Was hast du gesagt? Wurm, das kommt dir teuer zu
stehen.« Es gelang ihm mühsam, auf die Füße zu kommen. Schwankend stand er vor dem Scout, die geballte Rechte zum Schlag erhoben. Miller war aber schneller. Seine Faust traf den Major aufs Kinn. Genau auf den Punkt. Mit einem Röcheln fiel der Offizier zurück, verdrehte die Augen und begab sich in das Reich der süßen Träume. Miller stand da, als hätte sich nichts ereignet. Seine großen Hände ballten sich wieder, öffneten sich, dann ging er hinaus und blieb im Wüstenwind stehen, um sich umfächeln zu lassen. Der glutheiße Gilawind wütete über dem Zeltlager. Bis zum nächsten Fort, über dem das Sternenbanner wehte, waren es lange und tödliche Meilen. Ein unheimliches Gefühl beschlich den Scout. Er hatte einen Offizier besinnungslos geschlagen, und was das hieß, wußte er nur zu gut. Er mußte weg, sein Leben retten. Aber wohin? Das Land ringsum wurde von den Apachen aller Stämme abgeriegelt. Er würde nicht weit kommen, keine zehn Meilen. Trotzdem, sie würden ihn vor ein Feldgericht und dann an die Wand stellen. In diesem Fall war es ein Pfahl. Aber was machte das schon aus? Er ging zu seinem Zelt, packte alles zusammen, was seine Habe betraf. Proviant hatte er als Scout genug, auch Konserven. Aber Wasser brauchte er. Die nächste Quelle war am Apache-Paß, 20 Meilen vom Lager entfernt. Nachdem er alles beisammen hatte, ging er mit knirschenden Schritten zum Corral, sattelte sein Pferd und belud es. Als er aus dem Zeltlager ritt, stieß er auf den Posten. Der Mann hob seine Hand und rief: »Ich beneide Sie wirklich nicht, Mr. Miller. Guten Ritt und gesunde Rückkehr!« *
Am Abend des zweiten Tages – sie ritten über die Mesa mit einem Ziel, das nur Cochise zu kennen schien – erreichten sie eine breite Schlucht. Johns Pferd hob den Kopf und witterte Wasser. Aber wo? Lefty Roman, den man quer zum Sattel auf sein Pferd gebunden hatte, war schon wieder ohne Bewußtsein. Haltlos pendelte sein Kopf hin und her. Die Chiricahuas teilten sich. Vor dem Canyon zog die eine Gruppe nach rechts, nach Osten weiter, die andere, unter Führung des berühmten Häuptlings, nach Westen. Am Ende der Schlucht überbrückte eine Felsenrampe den Höhenunterschied. Cochise gab das Zeichen, in die Tiefe zu reiten. Langsam folgte er dem Trupp. Nachdem sie alle den Grund des Canyons erreicht hatten, sah John Haggerty die Wickiups. Aus dem Grüngürtel stacheliger Büsche hoben sie sich wie graue Elefantenrücken ab und verstärkten mit ihren Ausmaßen und ihrem Aussehen den gefährlichen Eindruck der Landschaft. Rauch hob sich träge über die Jacales und hing wie eine Dunstglocke über der Apacheria. Ein Wall aus Steinen umgab das Lager. Sie durchritten diesen Wall an einer offenen Stelle, die durch sehr dichtes Strauchwerk besonders gut geschützt wurde. Erstmalig in seinem Leben sah John eine der Hochgebirgsfestungen der Chiricahuas. Er wußte von ihnen nur durch Erzählungen der Scouts und von Indianern anderer Stämme, die die Apacherias mehr als die Pest fürchteten. Der Trupp hielt an. Man löste die Fußfesseln der Gefangenen und riß sie brutal von den Pferden. Bill Harwig fiel so unglücklich, daß seine ganze rechte Seite taub wurde. Er fluchte in allen Tonarten und spuckte einem Krieger ins Gesicht. »Mach keinen Blödsinn, Bill, sie mißhandeln dich sonst.« »Sauhunde! Kein Funken Menschlichkeit in ihren…« »Mensch, sei still!«
Cochise kam heran. Lautlos wie eine große Katze bewegte er sich auf den dicken Sohlen der Mokassins. Sein Gesicht wirkte verschlossen, abweisend. Er wandte sich an John Haggerty: »Deine Stunden sind gezählt, Bleichgesicht. Meine Krieger werden dich morgen bei Sonnenuntergang töten und…« »Warum nicht gleich, Häuptling?« unterbrach John ihn. »Nicht alle meine Krieger sind anwesend. Sie müssen erst verständigt werden. Hast du einen Wunsch?« Humane Seiten bei einem Chiricahua? John traute seinen Ohren kaum. »Well, ich habe einen Wunsch. Behandelt meinen schwerverwundeten Gefährten etwas menschlicher. Siehst du nicht, daß er am Verbluten ist?« Cochise zuckte mit den Achseln. »Es wird ihm tausend Martern und Qualen ersparen. Laß ihn sterben.« »Ich will nicht, daß er stirbt. Ich will, daß er am Leben bleibt. Gib mir ein Wickiup.« »Du wirst im Freien übernachten, es ist so oder so egal.« »Ich verlange ein Wickiup! Oder soll später die Kunde umgehen, daß der große Häuptling der Chiricahuas einem Sterbenden eine letzte Bitte abschlug?« »Kunde? Von was? Von wem?« »Vom Krieg an der Grenze. Vom großen Kampf der roten gegen die weiße Rasse. Von einem Indianerführer, der weit über diesen Kontinent hinaus bekannt ist, vor dem sich die Weißen fürchten und vor dem sie zittern.« »Du zitterst nicht, obwohl der sichere Tod neben dir steht.« »Ich habe das Zittern und Fürchten verlernt, Cochise. Wer die Wüsten und die Gebirge dieses Landes kennt, braucht sich nicht zu fürchten. Der Tod sagt mir nichts, er stand immer an meiner Seite, seit ich das Gebiet der Chiricahuas betrat.« Cochises Kopf hatte sich gesenkt. Er dachte nach und wurde sich nicht darüber schlüssig, ob es Mut oder Angst war, was
aus dem Weißen sprach. Langsam wandte er sich ab. John blickte ihm nach. Eine wahrhaft fürstliche Erscheinung, die sich mit einer sanften Handbewegung und ruhiger Stimme an die Krieger wandte. Cochise sprach eine Weile auf seine Leute ein, die ihm mit stoischem Gleichmut zuhörten. Dann verschwand er im wallenden Bodennebel. Abseits von den anderen Jacales, aber noch im geschlossenen Ring des Steinwalls, bauten Frauen und Halbwüchsige in aller Eile ein kleines Wickiup. Als es errichtet war, brachte man die Gefangenen und den Verwundeten hinein. Ein Feuer wurde entzündet, Decken und Felle wurden gebracht. Kurz darauf erschien eine alte Squaw mit einem tönernen Gefäß und stellte es auf die Flammen. Alles das geschah völlig lautlos und schweigend. John bemühte sich um Lefty Roman. Er war noch ohne Bewußtsein und lag wie tot auf den Decken. Sein bleiches Gesicht mit der spitzen Nase verriet, wie sehr ihm der Transport auf dem harten Pferderücken zugesetzt hatte. John Haggerty gab keinen Nickel mehr für Leftys Leben. »Wird er diese Tortur durchhalten?« fragte Bill Harwig. »Keine Ahnung, schließlich bin ich kein Arzt. Nur weiß ich, zu welchen Strapazen Menschen fähig sind, wenn sie überleben wollen und noch einen Funken Hoffnung haben.« »Besteht eine?« »Sieht nicht so aus, Bill. Sie werden uns martern und schließlich das Herz bei lebendigem Leib aus der Brust reißen. Oder sie nehmen uns den Skalp bei vollem Bewußtsein. Ich kann dir nicht sagen, was sie tun werden.« »Tolle Aussichten! Sag mal, kocht das alte Schreckgespenst etwa für uns? Riecht appetitlich. Was ist das?« Die Alte war fertig, nahm den Topf vom Feuer, stellte ihn auf einen erhitzten Stein und verließ das Wickiup. Nach ein paar Minuten kam ein Junge und stellte mit scheuen Seitenblicken auf die Weißen Holzteller und ebenso viele
Holzlöffel neben das Tongefäß. Auch er verschwand ohne einen Laut. Harwig ging zum Feuer, hob den Topf hoch und schnüffelte. »Fleisch«, sagte er. »Mann, Fleisch, und noch etwas. Aber ich finde nicht heraus, was es ist. Gemüse?« »Gemüsepflanzen. Sie kennen sich da aus und verstehen es, schmackhafte Gerichte aus Wildgemüse herzustellen. Probier mal.« Bill tauchte einen Löffel in das Gefäß und kostete. »Großartig! Komm zum Feuer, John.« John Haggerty warf einen letzten Blick auf den Verwundeten. Lefty war noch immer ohne Bewußtsein. John ließ sich neben Bill im Schneidersitz nieder, direkt am ersterbenden Feuer. Sie aßen. Es schmeckte wirklich ausgezeichnet. Ein leichter Luftzug strich durch den Jacale. John Haggerty sah auf, aber niemand hatte die Behausung betreten. Sein zweiter Blick streifte Roman. Lefty war tot, gestorben, während sie gegessen hatten. Still und heimlich war er hinübergegangen. Seine mageren, abgezehrten Hände hatten sich in die schmutzigen Decken verkrallt, die weit offenen Augen starrten nach oben. Auf seinem schmalen, eingefallenen braunen Gesicht lag ein sonderbarer Ausdruck, fast wie Erleichterung, denn das Halbblut war für immer fertig mit dem Schnaps und der unverstandenen Welt. »Lefty ist tot«, sagte John Haggerty zu Bill. »Einer weniger, den sie nicht mehr martern können.« »Es ist so unheimlich hier drin. Bringen wir ihn hinaus.« Haggerty sagte: »Er war unser Kamerad, ein guter Kamerad, der zwar den Schnaps mehr liebte als sich selbst… Trotzdem: Lefty war neben dir mein bester Kumpel und ein ausgezeichneter Scout.«
»Danke«, murmelte Bill Harwig. »Verdammt, John, ich kann seine toten Augen nicht mehr sehen. Bring ihn raus.« John stand auf, und dann ging er zum Eingang, der mit einer zerschlissenen Armeedecke verhängt worden war. Als er ins Freie trat, streckte sich ihm eine federgeschmückte Lanzenspitze entgegen. John faßte zu, riß die Lanze samt Rothaut zu sich heran und stieß den polierten Schaft wieder von sich. Der Krieger fiel nach hinten, stolperte und stürzte. Mit einem Wutschrei sprang er wieder auf die Füße und warf sich mit gezücktem Messer auf den Weißen. Der Scout ließ ihn kommen. Als die Klinge vor ihm hochzuckte, wich er einen Schritt zurück, dann zur Seite. Die Rothaut sauste an ihm vorbei. John schlug ihm die Handkante in den Nacken und die geballte Rechte gegen die Schläfe. Mit einem abgrundtiefen Grunzen fiel der Apache auf die Knie und schließlich flach auf den Boden. Jemand trat aus dem Schatten. Mit einem Wutschrei stürmte er auf John Haggerty zu und zückte ein Messer. »Verdammter Hund!« John wich aus, hob die Hand. »Ich hatte nichts Böses vor, Cochise«, sagte er und wich immer mehr vor den wütenden Angriffen zurück. »Der Yuma ist gestorben. Ich wollte dich nur bitten, den Leichnam aus dem Jacale tragen zu dürfen.« »Kojote! Lügner!« »Ich lüge nicht, Apache.« Wieder drang Cochise auf den Weißen ein. John Haggerty machte eine Finte, sprang zurück zur Seite, dann wieder vor, und im hohen Bogen wurde das Messer aus Cochises Hand geschleudert. Waffenlos standen sich beide gegenüber. »Rufe nach deinen Kriegern und laß mich jetzt in Stücke reißen.« »Ich brauche keine Krieger, um mit dir fertig zu werden«,
sagte Cochise ohne den gewohnten Pathos seiner Rasse. Der zu Boden gegangene Apache erhob sich wieder und wollte auf den verhaßten Weißen eindringen. Ein Zuruf stoppte ihn. Cochise sagte etwas in seiner Sprache. Der Angesprochene brummelte eine Antwort und verschwand in der armseligen indianischen Behausung. Schon bald darauf kam er zurück. Der kurze Dialog der beiden Rothäute sagte John nichts, er hörte aber aus dem Tonfall heraus, daß sich der Apache vom Tode eines der drei Scouts überzeugt hatte. Cochise wandte sich ihm wieder zu. »Du hast die Wahrheit gesagt, der Yuma ist tot. Geh und setz dich beim Feuer nieder. Kommst du noch einmal heraus, ist es um dich geschehen. Der Tote wird durch meine Krieger abgeholt.« Stolz wandte er sich um und verschwand in der Dunkelheit. * Hank Doolin verließ Santa Magdalena im Morgengrauen. Er tat es heimlich und verstohlen wie ein Dieb. Als die Ansiedlung hinter ihm lag, schlug er den Weg nach Westen ein. Die Pahute Range war sein Ziel. Langsam stahl sich das erste schüchterne Grau im Osten über die Wüste. Licht folgte, zuerst zaghaft, dann stärker, drängender. Aus dem hellen Grau wurden Spektralfarben, die sich fächerartig über die Ebene ausbreiteten und die Nachtkonturen verschwinden ließen. Als sich der Reiter einmal umblickte, entdeckte er im Nordwesten einen dunklen Punkt, der sich im spitzen Winkel näherte. Doolin war sich im ersten Augenblick nicht sicher, ob er einen Weißen oder eine Rothaut vor sich hatte. Erst eine Weile später konnte er feststellen, daß es ein Weißer war. Der Mann mußte ihn erkannt haben, denn er streckte sich in
den Steigbügeln und winkte. Doolin winkte zurück. Es dauerte noch eine Viertelstunde, bevor sie zusammentrafen. Hank Doolin musterte den anderen eingehend, während der ihn freundlich grüßte. Der Mann trug Wildlederkleidung, hohe Stiefel und einen Militärhut. »Hallo, Sir! Ich bin Curt Miller, Scout der Armee in Arizona. Wohin des Weges, und warum so früh am Tag?« Doolin lächelte und zeigte sein prächtiges Gebiß. »Hank Doolin, Händler, Mister. Und warum so früh? Hm, Morgenstund' hat Gold im Mund. Oder ist es nicht so?« Miller nickte, ritt neben Doolin her, der sein Pferd wieder in Bewegung gesetzt hatte. »Ein Händler also? Mit was handeln Sie? Waffen?« »Warum ausgerechnet Warfen? Nein. Ich tausche bei den indianischen Stämmen alles nur Mögliche gegen Felle und Landesprodukte ein, die ich gewinnbringend an die Weißen verkaufe. Man muß leben, Mr. Miller. Sagen Sie, sind Sie Deutscher oder so was?« Miller lachte. »Meine Eltern kamen 1824 über den großen Teich. In Old Germany hießen wir Müller. Sind Sie ebenfalls deutscher Abstammung?« Hank Doolin lachte ebenfalls und zwinkerte mit einem Auge. »Keine Spur. Meine Großeltern kamen aus dem alten Irland, und ich, mein Freund, bin mittlerweile ein waschechter Yankee geworden. Wohin reiten Sie?« »Irgendwohin.« »Sie haben kein festes Ziel?« »Nicht unbedingt. Die Armee hat mich entlassen, weil sie keine Scouts in dieser Region mehr benötigt. Macht nichts, irgendeinen Job finde ich bestimmt.« Doolin wußte sehr genau, daß die Arizona-Army knapp an guten Scouts war und kaum einen entlassen würde, wenn nicht ein zwingender Grund vorlag. Dieser Miller mußte etwas
ausgefressen haben, was ihm die Armee ankreidete. Mercroft fiel Doolin ein, der alte Mercroft, den die Apachen getötet und dann skalpiert hatten. Mercroft war ein guter Scout gewesen, für seine, Doolins Zwecke. Der neue Mercroft stand vor ihm. Er mußte es nur geschickt anfangen. »Sie suchen einen Job, Mister?« »Sicher, wenn ich nicht verhungern will.« »Ich könnte Ihnen etwas Geeignetes anbieten, Mr. Miller. Kennen Sie die Paßstraßen nach Mexiko?« »Wie meine leeren Hosentaschen, Sir. Als aufrechter Mann und Bürger dieses Staates kann und darf ich Ihnen nicht verheimlichen, daß ich von der Armee gesucht werde. Wenn ich der Feldgendarmerie in die Hände falle, rettet mich keine Macht der Welt vor dem Erschießungskommando.« »Ehrlichkeit hilft immer weiter, Mr. Miller. Was haben Sie ausgefressen?« »Eigentlich gar nichts. Ein betrunkener Offizier wollte mich schlagen. Ich kam ihm zuvor und legte ihn bewußtlos auf die Bretter.« »Und dann türmten Sie?« »Genauso war es.« »Okay, Sie sind eingestellt. Zweihundert im Monat und für jeden Coup einen fetten Bonus.« »Coup?« echote Miller gedehnt. »Was bezeichnen Sie als Coup?« Doolins Gesicht wurde abweisend kalt. Er sah geradeaus und ließ keinen Blick von der Range, die wie eine feste Wand aus dem Morgendunst wuchtete. »Jedes gelungene gute Geschäft ist für mich ein Coup«, antwortete er ausweichend. »Nun, einverstanden?« »Ich müßte noch etwas mehr wissen, bevor ich mich entscheide, Sir. Sie sprachen von den Paßstraßen nach Mexiko und in diesem Zusammenhang von Geschäften. Schmuggeln Sie?«
Doolin nickte. »So ungefähr, Miller.« Aus seiner Stimme klang eine gewisse Erleichterung. »Wir schleusen Dinge nach Sonora, die es drüben nicht gibt. Dafür bringen wir andere Waren herüber, die in den Staaten teuer sind. Meine Freunde und ich organisierten das Geschäft vor rund fünf Jahren. Bis heute sind uns weder die Rurales drüben noch die Armee hier auf die Schliche gekommen. Nun?« »Wenn das so ist, mache ich mit. Wohin reiten wir jetzt?« »In unser Versteck. Ich mache dich dort mit den anderen Jungs bekannt. Etwas einzuwenden?« »Nein, Boß, absolut nichts. Du erwähntest gerade die Armee. Seit wann ist sie hinter Schmugglern her?« Doolin machte eine vage Handbewegung. »Da ist noch eine andere Sache, die ich erwähnen muß. Die Army interessiert sich selbstverständlich nicht für illegale Grenzgänger, das ist Sache des US-Marshals von Arizona und seinen Deputys. In diesem Land existiert eine Bande, die unter verschiedenen Verkleidungen einmal Weiße und dann wieder Indianer überfällt. Die Kerle treiben ein seltsames, unerkanntes Spiel. Die Armee nimmt an, daß sie Weiße gegen Rothäute hetzen, um im Trüben fischen zu können. Eine sehr gewagte Sache in einem Land, das vollständig von Cochise beherrscht wird.« »Weiß er von den Machenschaften dieser Bande?« »Glaube ich nicht. Er hält die Bleichgesichter im Allgemeinen für die Übeltäter, besonders die Army. Umgekehrt sieht's ebenso aus. Was man wirklich denkt, ist mir nicht bekannt.« »Wer sind diese anderen? Kennst du sie, Boß?« Doolin lachte herb und sarkastisch. »Dann wäre ich wohl nicht mehr am Leben. Nein, Junge, niemand kennt sie. Die Armee würde wahrscheinlich ein Vermögen für einen heißen Tip zahlen, aber die Burschen sind
zu schlau und zu gut organisiert, um in eine Falle zu gehen.« Miller sagte nichts mehr. Sein Gehirn lief auf Hochtouren. Durch einen puren Zufall war er an die richtige Stelle gelangt, die für ihn richtungsweisend sein konnte. Doolin hielt sein Pferd an, zog ein Fernglas aus der Satteltasche und justierte es auf eine gewisse Stelle weit draußen in der Wüste. »Wir bekommen Besuch«, sagte er. »Patrouillen im Norden, Osten und Westen. Sie kämmen das Land durch.« Miller wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Das gilt mir«, sagte er und stieß einen Seufzer aus. »Was jetzt? Sie werden mich fassen.« »Es sind nur noch zwei Meilen bis zur Range. Wenn wir uns beeilen und du deiner Rosinante kräftig die Flanken kitzelst, schaffen wir es und lachen sie aus – Adelante!« * Ein gewaltiges Dröhnen weckte die beiden Scouts. Setzte das Wummern kurzweilig aus, füllten dumpfer Gesang und das Klirren von Rasseln und Tamburins die Pausen. »Allmächtiger! Was geht dort draußen vor?« Bills Stimme klang belegt, mit einem bangen Unterton. »Ist's eigentlich schon Tag?« John warf die Decken ab und erhob sich. Auf nackten Füßen schlich er zum Eingang und spähte durch ein handtellergroßes Loch in der Decke. Im gleichen Augenblick setzte das Dröhnen der großen Baumtrommeln wieder ein. Der Erdboden zitterte, die Schallwellen wurden von den Felswänden zurückgeworfen. Draußen graute der Morgen. Es mochte gegen fünf Uhr früh sein. Durch den Canyon zogen dünne Nebel wie Geisterarme. »Siehst du was?« »Nichts Genaues, Bill. Eine Zeremonie oder etwas Ähnliches. Was, zum Teufel, treiben die Kerle nur?«
»Geh doch mal hin und frag' sie.« Bill kam zur Öffnung, spähte über Johns Schulter und sah nichts als Nebelschwaden und sich bewegende Silhouetten. Plötzlich verstummten die Trommeln. Eine Stille trat ein, die die Weißen fast lähmte. »Vorsicht, da kommt jemand!« rief Bill und zog sich zurück. Cochise trat ein. Er mußte sich bücken, um nicht mit dem Kopf gegen das starke Geäst der Zweighütte zu stoßen. Er ging gemessenen Schrittes zum Feuer und schob mit der Mokassinspitze die kalte Asche zur Seite. »Er war ein Yuma«, erklärte er. »Wir bestatteten ihn nach indianischer Sitte.« Die beiden Weißen schwiegen. Sie musterten den hochgewachsenen Häuptling und warteten darauf, daß er noch etwas sagte. »Ein Yuma und ein Feind der Chiricahuas. Dazu stand er im Dienst der Weißen.« »Macht das einen Unterschied?« fragte John Haggerty vorsichtig. »Ein Feind, rot oder weiß, bleibt immer ein Feind.« »Aber wenn der Feind tot ist, ist er kein Feind mehr, Bleichgesicht. Bei Sonnenuntergang werdet ihr ihm folgen.« »Mann, hau bloß ab!« brummte Bill Harwig angewidert und spuckte aus. »Ich hielt die Chiricahuas immer für tapfere Krieger, die einen gefangenen Gegner ehren und achten, aber ich habe feststellen müssen, daß sie feige, hinterhältige und blutgierige Mörder sind, die sich an Wehrlosen vergreifen. Wenn ihr Mut habt, Cochise, dann laßt uns um unser Leben kämpfen.« »Gib dir keine Mühe, Bill«, flüsterte John. »Sie können nicht anders handeln, weil ihr Leben von der Region diktiert und bestimmt wird, in der sie leben.« »Zastee!« sagte Cochise kalt. »Töte!« »Ja, töte und fahr anschließend zur Hölle«, sagte der Scout und wandte sich ab.
Cochise und John Haggerty musterten sich lauernd. Stechende schwarze Augen starrten in Haggertys braune. Ihre Blicke schienen aneinander zu klirren wie sich kreuzende Degenklingen. Dann glitt der Blick des Chiricahuas zur Seite, zum erkalteten Feuer hin, und der Häuptling setzte einen Fuß auf einen Stein. Eine Sekunde lang überlegte sich John, ob er Cochise kurz entschlossen in seine Gewalt bringen sollte. Aber schließlich sagte er sich, daß Krieger draußen standen und nur darauf lauerten, ihnen bei einer solchen Gelegenheit das Fell zu gerben. Als hätte Cochise Haggertys Gedanken erraten, ging er zur Öffnung und hob die Decke. John erstarrte. Sie waren nackt, ungeachtet der kühlen Morgenluft, und trugen nur einen Lendenschurz aus Wildleder und hohe Wüstenmokassins, fest um ihre sehnigen Waden geschnürt. Ihre breiten, flachen Gesichter wirkten leer und ausdruckslos, und ihre Kohlenaugen bewegten sich kaum. »Sie warten auf dich, Bleichgesicht«, warnte Cochise. »Riskiere nichts, was du nicht verantworten kannst.« Ein weiterer Krieger betrat den Jacale. Er war kleiner als der Häuptling, aber breitschultriger und stämmiger. John erkannte ihn. Er war der Indianer, den er zu Boden geworfen hatte. Cochise deutete auf ihn. »Das ist Wakashi, ein Unterhäuptling der Mimbrenjos. Du hast ihn vor seinen Kriegern lächerlich gemacht, weißer Mann, und das ist nur mit Blut abzuwaschen. Du wirst mit ihm kämpfen!« John rührte sich nicht. Er suchte nach einer körperlichen Schwäche bei der Rothaut, fand aber keine. Einhundertachtzig Pfund Muskeln und Sehnen, kein Gramm Fett unter der braunen Haut, dafür Hinterlist, Tücke und Haß in den glimmenden Teufelsaugen. »Ich werde dich töten, Bleichgesicht«, stieß Wakashi
grimmig hervor. John schien so in seine Gedanken versunken zu sein, daß man hätte denken können, er wäre allein in der Zweighütte und es gäbe keine Solovorstellung für einen erbarmungslosen Häuptling und ein halbes Dutzend der blutgierigsten Krieger im ganzen Südwesten. »Du gibst keine Antwort«, zischelte der Mimbrenjo haßerfüllt. »Ist dir das Herz in die Hosen gerutscht, Bleichgesicht?« Bill Harwig schob sich ein Stück näher heran. Er wußte nicht, was in diesen Sekunden in John Haggerty vorging, aber er war gewappnet, zu allem bereit. Waffen hatten sie nicht, dafür verfügten die beiden Rothäute über ein ganzes Arsenal. John reagierte nicht auf das gehässige Gezischel des Indianers. Er sah Cochise an, als wartete er auf eine Entgegnung des Häuptlings. Achselzuckend wandte er sich an den Mimbrenjo: »Ich bin einverstanden. Wann? Mit welchen Waffen und zu welchen Bedingungen?« Cochise antwortete statt des Unterhäuptlings. Er sagte: »Gekämpft wird um die Mittagszeit, wenn die Sonne am höchsten steht. Niemand soll einen Vorteil haben. So ist es bei uns Sitte und Brauch«, fügte er hinzu, beeindruckt von der Gelassenheit des Weißen. »Zastee!« krächzte Wakashi, diesmal schon ungeduldiger. Cochise beachtete ihn nicht. »Gekämpft wird mit Messer, Beil, Lanze und Schleuder. Jeder nimmt die Waffe, die er am besten beherrscht… Eine Waffe.« Draußen schallte Geschrei durch das Tal. Frauen kreischten, riefen Cochises Namen. Er neigte den Kopf, als lauschte er einer inneren Stimme. Spontan drehte er sich um und verließ die Buschhütte. Wakashi folgte. »Warum schreien die Weiber so laut?« wollte Bill wissen. »Bleib vom Eingang weg«, gab John Haggerty zurück.
»Möglicherweise ist tatsächlich etwas passiert.« Klagerufe, jammernde Schreie vieler Squaws, zitterten durch die indianische Siedlung. Männer versorgten sich lauthals mit Informationen. Unerwartet schnell öffnete sich der Eingang wieder. Cochise stand in der Öffnung. Die strenge indianische Fassung war von ihm abgefallen. Er fixierte John Haggerty. »Bist du ein Medizinmann bei den Weißen?« »Nein. Ist jemand erkrankt?« »Tla-ina wurde von der Peitschenspinne gestochen.« »Wer ist Tla-ina?« »Meine Schwester. Rette sie!« John stutzte. Ein Skorpion hier oben in der kalten Bergwildnis? Etwas stimmte nicht. »Komm!« sagte er nur und verließ das Wickiup. Cochise übernahm die Führung und steuerte den großen HäuptlingJacale an. Niemand hinderte Bill, ihnen zu folgen. Die Behausung wurde von Fackeln und einem hell brennenden Feuer erleuchtet. Auf einem Lager kauerte ein junges Mädchen und hielt mit der Linken das rechte Handgelenk umklammert. Rauch stieg zwischen den Flammen auf und drang durch eine Deckenöffnung ins Freie. John schnüffelte wie ein Jagdhund. Ein strenger Essiggestank wehte durch den Jacale. Er wußte, was der Geruch zu bedeuten hatte. Sie hatten den Skorpion zertreten und einfach liegengelassen, weil sie dem Mädchen helfen wollten. Mehr als zehn anwesende Frauen wichen vor dem Scout zurück. Sie bedeckten ihre Gesichter mit den Händen, stießen leise, wimmernde Töne aus und wiegten ihre Oberkörper. John wunderte es, daß kein Medizinmann zugegen war. Die Schamanen waren sonst erpicht darauf, sich bei solchen Gelegenheiten zu produzieren. John nahm die schmale braune Hand zwischen seine starken Finger und betrachtete sie. Vom Gelenk an war sie rot und
geschwollen. Die Einstichstelle sah seltsam weiß und gelb aus, wie tätowiert. Haggerty sah hoch. Ängstliche Blicke streiften ihn. Dunkle Augen, sanft und vertrauensselig in ihrer Jugend. Sie konnte höchstens zwanzig sein, war schlank, nicht größer als einssechzig, und sie trug das schwarze Haar lang bis auf die runden Schultern. Ihr graziler Körper steckte in gebleichtem Wildleder. An den Füßen trug sie perlenverzierte Mokassins. John ließ die Hand sinken und wandte sich hastig an Cochise. »Ich brauche dein Messer. Glüh es im Feuer aus!« Der Häuptling verstand und handelte ohne Umschweife. Er hielt die scharfe Klinge über die Flammen und wischte sie schließlich an seinem Jagdrock ab, den er wegen der Morgenkühle über das Hemd gezogen hatte. John nahm das Messer aus seiner Hand und setzte die Spitze an. Bevor er schnitt, warf er einen beruhigenden Blick auf das schöne Gesicht des Apachenmädchens. Rehbraune Augen musterten ihn stumm, vielleicht fragend, aber ohne Angst. »Bill, halt ihre Hand fest – ganz fest, am Gelenk. Ja, so ist's gut. Jetzt!« Johns Stimme klang heiser und erregt. Er machte einen Kreuzschnitt, drang tiefer mit der Messerspitze ein. Das Blut kam in dicken Tropfen und floß in der Hand zusammen. Er hob die Hand an seinen Mund und saugte das Gift aus der tiefen Wunde. »Pressen, Bill, pressen!« keuchte er und saugte wieder, als hinge sein eigenes Leben davon ab. Hin und wieder spuckte er Blut und Gift zur Seite, während Bill das Handgelenk zu den Fingern hin massierte. Cochise und die Weiber standen still dabei. Selbst Wakashi machte ein Gesicht, als wäre es ihm beim Anblick des leidenden Mädchens übel geworden. John spuckte Blut aus und saugte wieder und immer wieder, bis das Fleisch schon fast
weiß wirkte. Dann stand er abrupt auf und sah Bill Harwig an. »Gib mir deinen Tabak.« Er schob sich eine dicke Prise in den Mund und kaute den bitteren Tabak. Dann packte er wieder die willenlose Hand, zog die Wundränder auseinander, spuckte die Tabakbrühe hinein und preßte die Wunde wieder zusammen, bis Blut und Tabaksaft durch die braunen Finger tropften. Schließlich erhob er sich von den Knien und drehte sich zu dem Chiricahua um. »Meine Satteltaschen! Cochise, schnell, schnell!« Der Häuptling gab Befehle. Jemand verließ den Jacale und kam nach kurzer Zeit schon wieder zurück. John warf die Taschen auf die Erde, wühlte in ihren Fächern. Er zog ein Leinentuch heraus und zerriß es in Streifen. Mit flinken Bewegungen verband er die Hand. Tla-ina sah ihn dabei forschend an. Ihre großen, sanften Augen blickten wie abwesend auf den Weißen vor ihr, in sein schweißnasses Gesicht, auf das verklebte braune Haar, das sich in weichen Wellen an seinen Kopf schmiegte. Und in diesen sonst so unergründlichen indianischen Augen erkannte er ein so starkes Mitleid und eine so bedingungslose Liebe, wie er es nie in seinem Leben bei einer anderen Frau erlebt hatte. Ein Mitleid, das sie für sich selbst und nicht für den fremden weißen Mann hätte empfinden müssen. John Haggerty wußte, woran sie dachte und was sie empfand. Es war nicht nur Dankbarkeit. * In Santa Magdalena ging es wieder einmal hoch her. Im ›Gouadeloupe‹ blieb es in dieser Nacht zwar ruhig, aber gleich nebenan war der Teufel los. Das ›Galiuro‹ war brechend voll und kein freier Stuhl mehr
zu haben. Das ohrenbetäubende Tosen und Brüllen füllte die Town bis in ihren letzten Winkel. Der Saloon war voll von Männern aller Altersstufen und Rassen. Mischlinge wie Mestizen und Mulatten, Weiße, Mexikaner und zivilisierte Indianer saßen an den Tischen oder standen vor dem Tresen. Sie diskutierten, lachten, schwatzten, tranken Bier, Whisky oder Baconora. Nur an einem Ecktisch war es nicht so lautstark. Sechs kaltgesichtige Hombres ließen die Flasche kreisen, trugen ihre Hüte verwegen nach hinten geschoben und jene Lässigkeit zur Schau, die Männern eigen war, die sich in der Wildnis bewegten und auf ihre Waffen verließen. Über den Bergen ging der Mond auf, färbte den Himmel quecksilberfarben, und die Sterne, die nach und nach hervortraten, wirkten wie glitzernde Punkte hinter einer Mattglasscheibe. Wind trieb Tumbleweed durch die Gassen und fegte Staub und Unrat über die Gehsteige. Die Stimmung im ›Galiuro‹ steigerte sich von Stunde zu Stunde, wurde ausgelassener und lauter. Nach der zweiten Flasche drehten sich die Gespräche an dem Ecktisch um ganz bestimmte Dinge. Ein hochgewachsener Blondhaariger ergriff das Wort und murmelte, ohne kaum die Lippen zu bewegen: »Wieder die gleiche Art, wie schon so oft. Überfall auf ein indianisches Lager, Tote, keine Zeugen… Zum Teufel, Gilbert, wenn jetzt nicht die Hölle losbricht, dann sind die Chiricahuas alle Engel.« Gilbert Davis nickte. Der Mann mit dem gelben Gesicht und den verschwommenen Augen wirkte desinteressiert. Aber wer ihn kannte, wußte, daß sein Desinteresse nur wie eine Maske war, hinter der er geschickt seine Gedanken verbarg. »Richtig, immer die gleiche Art. Eine höllische Methode, verdammt schwer durchschaubar. Was meinst du, Mort? Wer steckt hinter der ganzen Sache?« Mortimer Gale wies mit dem Daumen über die Schulter.
»Du findest sie alle im ›Gouadeloupe‹, Gil. Ausgekochte Typen und skrupellos wie Banditen. Die nehmen einem blinden Hund noch den Knochen weg.« Während sich die beiden im Flüsterton unterhielten, schwiegen die anderen, beobachteten lauernd die Gäste. Gilbert Davis nahm das Gespräch wieder auf und stieß Mort leicht mit dem Ellbogen in die Seite. »Bist du da sicher? Ich glaube, du meinst den Kerl mit der geblümten Weste und der dicken Uhrkette. Kennst du ihn?« »Er fiel mir nur auf. Überlegen, dieser Mann, dazu selbstherrlich und… Nun ja, der Hombre weiß, was er will. Da steckt mehr hinter, ich fühle es. Ein durchtriebener Kerl treibt ein teuflisches Spiel an der Grenze, um sich die Taschen zu füllen.« »Aber doch nicht mit dem armseligen Krimskrams, den die Rothäute besitzen. Was haben die denn schon an Wertgegenständen?« »Darum geht's nicht. Der wahre Grund für die Überfälle ist mir leider nicht bekannt, Gilbert. Okay, wenn wir davon ausgehen, daß sie außer Schmuck, primitiven Waffen und ein paar Pferden nichts besitzen, muß man doch vermuten, daß es um ganz andere Dinge geht.« »Wir müssen es herausbekommen, Mort. Wenn wir die Zügel schleifen lassen, graben wir uns selbst das Wasser ab. Und wenn die Regierung noch mehr Militär und Sternträger in dieses Land schickt, können wir uns mitsamt unseren Geschäften begraben lassen.« Gilbert Davis warf einen erwartungsvollen Blick auf Mortimer Gale und griff nach der Flasche, die ihm sein Nachbar zuschob. Er füllte sein Glas, gab die Flasche weiter. »Diese verfluchte Bande! Abschaum der Grenze!« fauchte Gale. »Wir leben ebenfalls von den anderen, aber wir halten uns an die Weißen und lassen die Indianer in Ruhe. Wenn wir Wagenzüge, Postkutschen und ein paar Banken überfallen, so
sind es immer nur Weiße, die darunter leiden müssen. Wir leben auf diese Art nicht schlecht, Gil. Wenn wir jedoch diesen Höllenhunden nicht bald das Fell über die Ohren ziehen, sind wir erledigt.« »Man müßte feststellen, wo sie ihr Hauptquartier haben. Dann können wir mit denen kurzen Prozeß machen. Überfall – aus!« »So einfach ist das nicht, Gilbert. Unser Verdacht stützt sich nur auf Vermutungen. Wenn der Kerl mit der bunten Weste tatsächlich etwas damit zu tun hat, wird es nicht leicht sein, an die Bande heranzukommen oder ihre wahren Absichten zu erfahren. Ein ganz ausgekochter Hund.« Gil ließ der eigene Einfall keine Ruhe. Er bohrte weiter. »Man müßte in Erfahrung bringen, wo das Zeug bleibt, das sie den Rothäuten klauen. Pferde – hm, die kann man verscheuern. Aber für Steinbeile und Feuersteinmesser zahlt doch niemand auch nur einen Penny. Interessant ist, daß die Überfälle in einem Gebiet stattfinden, das nur von den Chiricahuas besiedelt ist.« »Ja«, sagte Gale und krauste seine Stirn. »Es fängt in den Mogollons an und endet im zerklüfteten Gebiet der Chiricahua Mountains im Osten. Im Norden ist der Gila die Grenze, im Süden der Camino del Diablo. Aufgefallen ist mir noch, daß die Überfälle manchmal an zwei Stellen gleichzeitig stattfinden. Die Bande muß mit Leuten der gleichen Art ganz gut bestückt sein, mindestens dreißig. Meinst du nicht auch?« Gil zuckte mit den Achseln und schwieg. Dafür schaltete sich Howard Lee ein. Howard war der Spezialist der Bande – mit dem Revolver und mit Dynamit. Dynamit brauchte er, wenn er den Safe einer Bank knackte, den Revolver, um TownMarshals, Sheriffs und Bankangestellte umzulegen. »Das sind dreißig Meilen nach Süden«, sagte Lee näselnd. »Was ist das schon? Unser Operationsgebiet erstreckt sich bis nach Tombstone hinauf.«
»Well, und weitere dreißig bis zu den Emery-Plains und Animas in Neu-Mexiko«, warf Gilbert Davis ein. »Mann, ist das vielleicht nichts?« Er erhielt keine Antwort. Die Schwingtür schlug auf. Ein kühngesichtiger Mann, nicht sehr groß, dafür aber breitschultrig, trat ein. Seine Kleidung war von Staub bedeckt und wirkte abgerissen. Er blieb an der Tür stehen und ließ seine Blicke kreisen. Dunkle, stechende Augen unter dichten Brauen, gebräunte Haut, kantiges Kinn, schmale Lippen und eine gerade Nase. Diese Augen waren etwas länger auf die sechs Männer am Ecktisch gerichtet. Etwas wie Vorsicht glitt über seine Züge, und sein Körper spannte sich wachsam. »Wer ist der Mann?« fragte Gil seinen Kumpel Mort. Mort erwiderte: »Ich sah ihn einmal zusammen mit dem Kerl, der die bunte Weste trägt.« Howard Lee murmelte: »Ein Hombre, der wie alle Sterblichen kein heißes Blei verträgt.« Zwei Desperados lachten, die anderen blieben ernst und zurückhaltend. Sie alle fühlten, daß sich etwas anbahnte, was sie nicht mehr im Griff hatten. Ihre Blicke folgten instinktiv dem Fremden, der sich mit klirrenden Sporen in Bewegung setzte. Er trug seinen Revolver links, den Kolben nach vorn gedreht, und das Halfter hing tief am Schenkel. »Dieser Typ gefällt mir nicht«, brummte Gale. »Zu gelassen und selbstsicher, zu – zu…« »Wie ein Revolvermann«, unterbrach Howard Lee ihn. »Ja, wie ein Revolvermann. Könnte ein Sternträger sein«, folgerte Mortimer Gale grübelnd. »Wir müssen es genau wissen«, sagte Gil und stand auf. »Der Boß spießt uns auf, wenn wir einen Blechschlepper in der Stadt dulden.«
Mort hielt ihn fest. »Laß mich's machen«, sagte er. »Besser noch, wenn Howard hingeht.« Lee erhob sich sofort, ging mit wiegendem Schritt zum Tresen. Urplötzlich schien sich eine düstere Wolke in der Kneipe auszubreiten und sich beklemmend auf die Gemüter aller Anwesenden zu legen. Mit dem feinen Instinkt aufmerksamer Beobachter ahnten sie, daß es hier Stunk geben mußte. Karten fielen klatschend auf die Tische. Gläser standen leer und unbeachtet in Lachen verschütteten Alkohols. Der Stranger stand an der Theke und beobachtete Howard im Spiegel über dem Gläserschrank. Lee tippte ihm auf die Schulter, aber der Fremde drehte sich nicht um. Howard Lee tippte noch einmal. »Ist was? Spuck's aus und verschwinde, Mann!« »Auf ein Wort, Fremder.« Langsam drehte sich der Mann um. »Ja?« »In dieses Kaff verirren sich selten Fremde. Wir wollen wissen, wer du bist.« »Wer – wir?« »Die Gentlemen am letzten Tisch in der Ecke.« Der Fremde warf einen gleichgültigen Blick nach hinten. »Interessieren mich nicht. Verschwinde!« Howard Lee machte den ersten Fehler. Er legte gönnerhaft die rechte Hand auf die Schulter des kleineren Mannes und drückte leicht zu. Der andere wirbelte zur Seite. Seine Faust schoß hoch und landete auf dem Punkt, der alle geschwungenen Fäuste magisch anzuziehen schien. Lee wurde nach hinten geschleudert und landete zwischen den Tischen. Im Saloon wurde es so still wie in einer Kirche vor dem Vaterunser. Gil und Mortimer Gale sprangen gleichzeitig auf und rissen ihre Revolver aus den Halftern. Aber sie waren bei weitem nicht schnell genug. Der Fremde
zog und schoß. Drei Schüsse krachten. Drei Lampen zersplitterten an der Decke und gossen brennendes Kerosin über die Gäste. Es wurde dunkel, und als schließlich die Hintertür klappte, wußte jeder, daß der Fremde entkommen war. Der Keeper brachte neue Zylinder und zündete die Lampen wieder an. Als das gelbliche Licht den Raum mehr schlecht als recht ausleuchtete, kam Lee langsam in die Senkrechte. Er bedachte Gil, Mortimer und die anderen mit einem wütenden Grunzen. Mortimer schrie: »Los, hinter ihm her! Alle Mann! Worauf wartet ihr Holzböcke? Der Kerl ist ein Spitzel, und wenn wir ihn entwischen lassen, bricht uns der Boß alle Knochen im Leib.« Sechs Männer verließen in aller Eile den Saloon durch die Vorder- und Hintertür. Alle redeten aufgeregt durcheinander. Die Gemüter erhitzten sich, aber niemand war da, der sich hätte einen Reim auf das Geschehene machen können. * Eine Stunde vor Mittag. Sie starrten sich an, als hätten sie sich nie im Leben gesehen. Cochises Gesichtsausdruck wirkte unsicher, verursacht durch die Schuld, die er neuerdings John Haggerty gegenüber empfand. Im Hintergrund kauerten Sho-shu-li, seine Squaw und seine Schwester. Das Mädchen lag mit verbundener Hand auf dem Lager und ließ keinen Blick von den beiden Weißen. John Haggerty machte einen erschöpften und ausgebrannten Eindruck. Die Operation hatte ihn mehr mitgenommen, als er sich zugestehen wollte. Stille herrschte im Jacale. Die anderen Squaws waren nach draußen gegangen und tuschelten hier und da. Nicht ein
einziger Krieger ließ sich sehen. »Am Abend muß ich den Verband erneuern«, sagte Haggerty mit schwerer Zunge. »Einverstanden?« Cochise blickte ihn ernst und sehr nachdenklich an. »Wird Tla-ina nicht wieder ohne deine Hilfe gesund?« John zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es nicht. Der Verband muß regelmäßig erneuert werden, sonst tritt eine Blutvergiftung ein. Kein Mensch könnte deine Schwester dann noch retten.« »Wakashi ist ein großer und starker Krieger, Bleichgesicht. Er wird dich besiegen und töten.« Ein leiser Schreckensruf ertönte hinter dem Häuptling. Bevor John Haggerty antworten konnte, schlug die Decke beim Eingang zurück. Ein junger Krieger betrat den Raum. Seine Ähnlichkeit mit Cochise war verblüffend. Die gleiche Adlernase, den gewölbten Brustkorb, die hochgewachsene Gestalt… Cochise drehte sich zu ihm um, deutete auf John Haggerty und sagte in spanischer Sprache: »Das ist der weiße Mann, der die zweite Tochter meines Vaters vor dem Stich der Peitschenspinne rettete. Mein Sohn Naiche.« Der junge Krieger, höchstens 18 Jahre alt, trat mit ernstem Gesicht vor und reichte John nach europäischer Sitte die Hand. »Ich bin Naiche«, sagte er, drückte die dargebotene Rechte und wies auf die ältere Squaw. »Meine Mutter Sho-shu-li. In deiner Sprache heißt das ›Regenbogen‹. Wir alle stehen in deiner Schuld, Weißauge.« Haggerty sagte: »Niemand schuldet mir etwas, Naiche. Was in meinen bescheidenen Kräften steht, werde ich tun, um ›Sanfter Wind‹ zu retten.« Cochises Miene drückte Zweifel aus. »Vielleicht bist du in einer Stunde tot, Bleichgesicht.«
In seinen Worten lag etwas, das Antwort von Haggerty forderte. John erwiderte: »Ich fürchte den Mimbrenjo nicht, und er wird mich auch nicht besiegen. Was meinst du, Bill? Schafft er es?« »Du bist im Gebrauch ihrer Waffen ungeübt, mein Junge. Nimm dich in acht. Zu große Selbstsicherheit ist hier nicht angebracht.« Naiche ließ den Scout keine Sekunde aus den Augen. Wenn er nach einem Anzeichen von Furcht in Johns Zügen suchte, sah er sich getäuscht. Dieser weiße Mann war so furchtlos wie ein Apache. Er legte Haggerty eine Hand auf die Schulter und sagte leise: »Ich schulde dir das Leben Tla-inas, Weißauge. Ich werde für dich kämpfen.« Wieder ein erstickter Schreckensruf aus dem Hintergrund. ›Sanfter Wind‹ richtete sich auf dem Ellbogen auf und suchte den Blick Cochises. Der Häuptling stand mit gesenktem Kopf und wiegte leicht seinen Oberkörper. Mit belegter Stimme sagte er: »Ein Chiricahua kämpft nicht mit einem Mimbrenjo, kein Apache kämpft gegen einen anderen Apachen. Das wäre der Untergang unseres Volkes.« Nach diesen Worten verließ er den Jacale. Die beiden Frauen und Naiche starrten ihm nach. Nach einer Weile wandte sich der Häuptlingssohn wieder an John. »Mein Vater hat entschieden. Ich werde dem Großen Geist ein Opfer bringen und für dich beten, Weißauge.« Er schien nachzudenken und fügte hinzu: »Sei auf der Hut, Wakashi ist heimtückisch und gemein wie eine Klapperschlange.« »Ich werde auf mich aufpassen, Naiche. Wann bringt man mir die Waffen zur Auswahl?« »Du wirst es rechtzeitig erfahren.« Naiche wandte sich ab, kehrte aber noch einmal um. »Wenn du zu ›Sanfter Wind‹
mußt, dann gehe hin. Niemand wird dich belästigen.« »Danke«, sagte John Haggerty und gab Bill einen verstohlenen Wink. * Sie verließen das Wickiup hinter dem Häuptlingssohn und gingen zu ihrem eigenen Jacale. Bill fiel Johns tiefer Ernst auf und blieb stehen. Sofort spürte er die Lanzenspitze seines Bewachers in seinem Rücken. Aufgebracht drehte er sich um. »Hau ab, du Laus!« schrie er unbeherrscht. Die Rothaut wich tatsächlich ein paar Schritte zurück. Bill ging weiter. Unentwegt schaute er den Freund an. »Was ist mit dir, John? Angst vor dem Kampf?« »Quatsch! Ich denke nach.« »Ist das jetzt der richtige Zeitpunkt dafür? Mann, konzentriere dich auf den Kampf! He, worüber denkst du nach?« »Über die Tatsache, wie ein Skorpion in die Berge kommt. Ich meine, es lohnt sich, darüber nachzudenken.« »Finde ich nicht. Warum soll es hier keine Skorpione geben?« John Haggerty kicherte. »Der Mangel an Schlaf hat deinen Geist lahmgelegt, wie? Skorpione sind Wüstenspinnen, die Wärme und ihre gewohnte Umgebung brauchen. Fällt bei dir jetzt der Nickel?« »Gar nichts fällt. Tu mir den Gefallen, John. Hör auf mit dem Unsinn. Skorpione leben überall, auch hier im Gebirge.« »Idiot«, sagte der Scout aufgebracht. »Ich sage dir, es gibt keine Skorpione hier oben. Viel zu kalt.« Sie betraten ihr Wickiup und unterhielten sich am brennenden Feuer weiter. Irgend jemand, wahrscheinlich die alte Squaw, hatte inzwischen das Frühstück hingestellt. Auf einem Stein lagen flache Brotkuchen, sogenannte Tortillas,
gebratene Fleischscheiben und ein Topf mit einem Brei, der ausgezeichnet duftete und noch besser schmeckte. Während sie sich über das Essen hermachten, dabei klares Quellwasser tranken, dachten sie beide über ihr Gespräch nach. Bill Harwig kapierte allmählich. Er runzelte die Brauen und schob sich grübelnd zwei Stücke Fleisch gleichzeitig in den Mund. »Well, was meinst du zu der Sache?« John verstand sofort. »Ein Attentat«, sagte er. »Wieso? So was gibt es doch nur unter den Weißen.« »Nahm ich bisher auch an. Aber ein hochgiftiger Skorpion in dieser Bergwildnis läßt mich jetzt anders denken.« Bill Harwig mußte das erst verarbeiten und brummte ein paar Töne vor sich hin, die ebensogut der Ausdruck einer Begeisterung über das Essen sein konnten. Nach einer Weile fragte er: »Wer?« John zuckte mit den Achseln. »Wenn ich das nur wüßte. Unter den Chiricahuas wird es auch schlechte Charaktereigenschaften wie Haß, Neid, Ärger wegen verschmähter Liebe und Ähnliches geben.« »Wer, zum Teufel, tut so was? Dieses unschuldige Mädchen – so hübsch, so…« »Vorsicht, Bill! Keine Schwärmereien. Wir können nicht mal ahnen, wie sie so etwas auffassen. Möglicherweise…« Wieder wurden sie gestört. Cochise trat ein und blieb hinter John stehen. Er trug die traditionelle Wüstenkleidung der Apachen, ohne die Wildlederjacke. Draußen war es inzwischen wärmer geworden. Als John Haggerty sich weder umdrehte noch sonst zu erkennen gab, daß er die Anwesenheit des Häuptlings bemerkt hatte, setzte sich Cochise schweigend beim Feuer nieder und starrte in die Flammen.
»Du hast alles überlegt, weißer Mann. Zu welchem Resultat bist du gekommen?« John wußte, was er meinte. »Der Anschlag auf das Leben deiner Schwester wird sich wiederholen. Aber dann wird es kein Skorpion sein.« Cochise nickte. Bill Harwig stieß die Arme in die Höhe und fragte laut: »Bei allen Dämonen dieser Erde, wovon redet ihr?« »Wir unterhalten uns über das Attentat. ›Sanfter Wind‹, hoffe ich, wird mit dem Leben davonkommen. Das schließt natürlich einen weiteren Mordversuch nicht aus. Cochise weiß das so gut wie ich.« Der Häuptling nickte mit ernstem Gesicht. Tiefe Falten hatten sich um seine Nasenflügel eingegraben, und unter seinen Augen lagen braune Schatten. »Du sprichst klug, Bleichgesicht. Rede weiter! Wen hast du im Verdacht?« John Haggerty wehrte ab. »Ich bin ein Weißer, Cochise, deshalb kenne ich eure Sitten und Gebräuche nicht. Für mich steht fest, daß man die Peitschenspinne aus der Ebene heraufgebracht und in den Jacale der Frauen geschmuggelt hat. Der Grund ist mir allerdings nicht klar, und wen sie stechen sollte, kann ich dir auch nicht sagen.« Cochise hob den Kopf. Seine dunklen Augen funkelten. Die Hand, die er gegen den Scout ausstreckte, zitterte. »Töte ihn, Bleichgesicht! Töte ihn! Zastee!« Mit einem Sprung stand er auf den Beinen und verließ die Laubhütte. Wie benommen blickten ihm die beiden Weißen nach. * Der Reiter paßte sich der Dunkelheit der Nacht an und trieb
sein Pferd unbarmherzig durch die Canyons der Pahute Range. Lange nach Mitternacht tauchte er in eine langgezogene, gewundene Schlucht ein und parierte dort sein Tier. Er gönnte dem Pferd eine Verschnaufpause von einer halben Stunde, stieg dann wieder auf und ritt im gemäßigten Tempo weiter. Als die ersten Bodennebel durch die Täler zogen, lenkte er sein Pferd in einen engen Canyon und gelangte schließlich in ein grasbewachsenes breites Tal, das von einem Wasserlauf durchquert wurde. Drei Blockhäuser standen so trutzig unter Hickorybäumen, als wollten sie der ganzen Welt Widerstand bieten. Der Reiter glitt aus dem Sattel, brachte sein Pferd in einen Stallanbau, rieb es gründlich ab und warf ihm Hafer und Heu vor. Zu trinken bekam es nichts. Der Mann verließ den Stall, steuerte die linke der drei Blockhütten an und drückte die Tür auf. Stille empfing ihn, Dunkelheit und der scharfe Geruch von Whisky. »Du bist schon zurück, Elvis?« Die Stimme klang weder trunken noch müde. Wash blieb stehen und gewöhnte seine Augen an die Dunkelheit. »Warum machst du kein Licht, Boß?« »So kann ich besser denken. Warum bist du schon wieder zurückgekommen? Du solltest herausfinden, was man in der Stadt über den Überfall auf die Indianer erzählt. Warum…« »Moment, Boß, sachte! Hör mich erst mal an.« Elvis Wash konnte Hank Doolins Kopf und die Schultern in der Finsternis ausmachen. »Sie wollten mich umbringen. Wahrscheinlich erkannten sie mich.« »Wer?« »Die andere Bande.« »Verdammt! Schon wieder? Du bist getürmt. Wie ich dich kenne, hast du wie ein Dieb in der Nacht Reißaus genommen, als sie dich anpöbelten.« »Das mußte ich, wenn ich am Leben bleiben wollte«,
verteidigte sich Wash. »Wenn ich nicht die Lampen ausgeschossen und durch die Hintertür geflüchtet wäre, stünde ich jetzt nicht hier.« »Okay, setz dich!« Wash nahm Platz. Seine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt und erkannten nun Einzelheiten. Doolin schob sich ein bißchen zur Seite. »Weiter!« »Was weiter? Ich habe dir alles gesagt.« »Du hattest einen Auftrag. Was hast du in Erfahrung bringen können?« »Nichts. Es blieb keine Zeit dazu. Du mußt einen anderen schicken, Boß, den man in Santa Magdalena nicht kennt. Das verdammte Nest ist das reinste Tollhaus. Wenn die mich noch einmal sehen, lynchen sie mich.« »Ich schicke den Neuen oder reite selbst hin«, sagte Doolin, kaum beeindruckt von Elvis' Selbstverteidigung. »Morgen früh breche ich auf. Hau dich jetzt in die Falle, Elvis.« Wash stand auf und verschwand so lautlos wie ein Gespenst. Doolin schenkte sich ein Glas voll und trank genüßlich. Er war allein in der Hütte, und nur wenn er allein war und sich unbeobachtet fühlte, trank er. Seine Leute schliefen alle – dachte er. Er sah nicht, wie draußen eine Gestalt um die Blockhütte strich und schließlich das Ohr an den Fensterladen legte. Der Mann hatte schon vorher gelauscht, als Wash seinen Bericht abgegeben hatte. Er war lediglich in die schützende Dunkelheit zurückgewichen, als der Outlaw die Blockhütte verließ und zu seiner Unterkunft schlenderte. Als der heimliche Lauscher nichts vernahm, verließ er seinen Horchposten und öffnete die Tür des nächsten Blockhauses. Elvis Wash stand vor seiner Koje und kleidete sich aus. »Hey!« sagte Curt Miller, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich an den Tisch. »Wo bist du gewesen, El?«
»In Santa Magdalena. Spezialauftrag vom Boß. Nichts draus geworden. Mist! Man erkannte mich, und ich mußte flüchten.« »Ganz schön sauer, wie?« »Der Boß? Klar, der ist sauer. Gesagt hat er allerdings nichts.« »Besinn dich!« »Wozu?« fragte Wash mißmutig. »Warum sich anstrengen? Ist doch alles egal, oder nicht? Er reitet bei Tagesanbruch selbst in die Stadt. Soll er doch. Ihm geht es mehr um die andere Bande. Er will feststellen, was man über unseren letzten Coup redet. Ich weiß wirklich nicht, was er sich bei der ganzen Sache denkt.« »Wann habt ihr denn das Ding gedreht?« »In der Nacht vor vier Tagen. Du warst noch nicht hier. Hat nicht 'ne Bohne eingebracht. Nur Plunder, sage ich dir. Da sind die anderen besser dran. Die nehmen jeden Monat eine Postkutsche aus oder eine Bank. Und glaub's mir, dieses Geschäft lohnt sich.« Miller begriff. Er drehte sich eine Zigarette und zündete sie über der Kerosinlampe an. In der hinteren Doppelkoje schnarchte ein Mann mit offenem Mund. Sonst war es still in der Blockhütte, wie in einer Gruft. Miller wollte nicht mit der Tür ins Haus fallen und Wash mit gezielten Fragen hellhörig machen, aber er konnte sich die nächste Frage nicht verkneifen. »Ihr überfielt ein Indianerlager, machtet die Leute nieder und… ja, was denn noch? Zum Teufel, das bringt doch nichts ein. Doolin sagte mir, er brauche einen Scout, der die Pässe nach Sonora kennt.« »Das ist es doch. Wir könnten leben wie Gott in Frankreich, wenn Doolin nur etwas vernünftiger wäre. Was er mit dem Krimskrams anfängt, den wir erbeuten, weiß der liebe Himmel.« Wash war ehrlich entrüstet. Er starrte Miller an und machte
eine höhnische Grimasse. »Ich nahm an, daß er die Beute nach Mexiko bringt und dort verscheuert. Wozu braucht er sonst einen Scout?« Wash lächelte höhnisch. »Was sollen wohl die armen Schweine von Peone mit dem indianischen Plunder anfangen? Sie sind so arm, daß sie sich nicht mal 'ne Hand voll Mais kaufen können. Alles Unsinn.« »Dann kapiere ich das Ganze nicht«, sagte Miller und drehte sich eine neue Zigarette. »Wir schon lange nicht, Hombre. Einer hatte mal 'ne Idee. Als er sie lautwerden ließ, holte Doolin ihn aus den Stiefeln.« »Was für eine Idee?« »Ach, nur so. Ich rede nicht gern darüber. Man weiß nie, auf welchem Weg es wieder zu Doolin gelangt.« Miller tat gleichgültig. »Du kannst mir vertrauen, El. Die Armee sucht mich, und wenn sie mich kriegt, stellt sie mich an die Wand. Bis nicht Gras über die Sache gewachsen ist, habe ich draußen keine Chance.« Wash kam zum Tisch und setzte sich im Unterzeug auf einen Stuhl. »Er machte mich zu seinem Segundo, weil ich eine ziemlich schnelle Hand habe. Aber ich bin ihm weniger wert als ein Hund, dem man einen Fußtritt gibt. Buster Liven erzählte damals jedem, der ihm zuhörte, Doolin gäbe die Beute der anderen Bande. Keine Ahnung, ob da was dran ist. Kannst dir selbst einen Reim darauf machen.« Miller dachte darüber nach. Nach einer Weile sagte er: »Das hätte nur Sinn, wenn die anderen den Plunder gebrauchen können. Zum Beispiel bei einem Postkutschenüberfall oder auf einen Wagenzug. Die Beutestücke als Hinweis auf den Täter bei einem gesprengten Tresor zurückzulassen, wäre des Guten zuviel getan. Niemand würde das glauben.«
»Das war auch Busters Meinung«, entgegnete Wash, stand auf, setzte sich auf die Bettkante und zog die Wollsocken aus. »Deswegen mußte er sterben«, sinnierte Miller. »Okay, gehen wir schlafen. Morgen ist auch noch ein Tag.« * Die Sonne stand genau im Zenit. Schatten gab es nicht. Sogar der Wind war eingeschlafen. Wakashi stand John Haggerty gegenüber. Beide waren bis zum Gürtel nackt. Die Auswahl der Waffen war ihnen nicht schwergefallen. Der Indianer hatte die Lanze gewählt, John den Tomahawk. Mit dem Kriegsbeil konnte er zur Not umgehen, die anderen Waffen waren ihm weniger vertraut. In einem weiten Kreis standen Krieger, Frauen und Kinder. Schweigend sahen sie zu, wie sich die Gegner umkreisten. John hielt Ausschau nach ›Sanfter Wind‹, aber er sah sie nirgendwo. Auch Cochise und Naiche konnte er nicht entdecken. Der Apache griff an. Er sprang vor und wieder zurück, fintete mit der Lanze, wich einem Beilhieb aus und sprang mit einem Riesensatz aus dem Gefahrenbereich. Krieger murmelten beifällig. Wieder stieß Wakashi mit der Lanze vor. John drehte sich um seine Achse und drückte den Speer zur Seite. Unmittelbar vor ihm bewegte sich Wakashis schwarzhaariger Kopf. Ehe John die Streitaxt heben und zuschlagen konnte, war Wakashi schon wieder blitzschnell ausgewichen. Lange Zeit ging der Kampf so weiter. Dann und wann kamen Zurufe der umstehenden Krieger, sonst war kein Laut zu hören. John wußte, daß es ein Kampf auf Leben und Tod war, und daß er nicht die geringste Rücksicht zu erwarten hatte. Er war auf der Hut, beging nicht den kleinsten Fehler und ließ den
Indianer kommen. Wakashi kam. Tödliche Entschlossenheit strahlte aus seinen Augen, trieb ihn an. Die Lanze zuckte vor, wurde am Armriemen zurückgerissen. John war mit einem tänzelnden Schritt zur Seite geglitten und versuchte, einen Beilhieb anzubringen. Das mißlang. Als er sich halb umdrehte, sah er Naiche neben dem Häuptlingsjacale stehen. Der junge Chiricahua schien sehr besorgt zu sein. John wußte, warum. Mit seiner hellen Haut machte er nicht gerade eine gute Figur neben dem Indianer. Wieder griff Wakashi wütend an. Die Lanze zuckte vor, zur Seite und zurück. Die Apachen konnten es fast so gut wie die Comanchen in den Plains, obwohl die Lanze nicht ihre Hauptwaffe war. Wakashi tänzelte auf seinen kniehohen Wüstenmokassins heran und fintete wieder. Diesmal fiel John nicht auf ihn herein. Er blieb seelenruhig stehen und ließ die scharfe Feuersteinspitze an seiner Brust vorüberzischen. Dann schlug er zu. Knirschend brach das Eschenholz. Ein lauter Schrei aus mehr als 40 Männerkehlen toste zu den Hängen empor. Wakashi war waffenlos. John hatte mit einem Schlag den Schaft seiner Lanze gebrochen. Aber die Rothaut gab keineswegs auf. Den Rest des Lanzenschaftes wie einen Knüppel schwenkend, stürzte er sich auf den verhaßten Weißen. Wieder war es John Haggerty, der die Nerven behielt. Der Unterhäuptling griff mit seinen plumpen Händen nach ihm und versuchte, dem Gegner den zersplitterten Schaft ins Gesicht zu stoßen. John war schneller. Er wirbelte herum, Wakashi entgegen. Seine Rechte traf seinen Gegner am Kinn, trieb ihn gegen den Ring aus Menschenleibern zurück. Ein tiefes Knurren
entrang sich Johns Kehle, und er schlug wieder zu. Wakashi sackte auf die Knie, packte einen Stein und schleuderte ihn mit aller Kraft auf den Weißen. Der Stein traf John Haggerty am Kopf, betäubte ihn fast, und dann stürzte sich der Apache auf den großen Scout, trat mit den Füßen nach ihm, schlug auf ihn ein, keuchte wie verrückt. »Hau mit der Axt zu!« schrie Bill Harwig wütend. »Mäh ihn einfach um!« Die Apachen brüllten: »Zastee! Töte!« John hieb nach den Beinen des Gegners, aber Wakashi sprang wie eine Feder über das gefährliche Kriegsbeil hinweg. Der Indianer war stark, hatte Muskeln so hart wie Stahl. Er drängte Haggerty bis zu einem Felsbrocken, der auf der Grasnarbe lag. John berührte den Felsen mit seinem Rücken. Wakashi kam auf ihn zu, trat nach ihm und wollte sich von der Seite her auf den verhaßten Weißen stürzen. Da stieß sich der Scout mit dem Rücken ab, gab sich einen Vorwärtsschwung und legte alle Kraft in den vorschnellenden Arm. Seine geballte Hand erwischte den Indianer voll. Blut rann ihm aus der Nase. Er schüttelte sich wie ein Bison, an dessen Flanken Wölfe hingen. John setzte nach, drosch mit schwingenden Fäusten wild auf den Chiricahua ein. Das Beil lag vergessen am Boden. Wakashi schnappte röchelnd nach Luft, flog gegen den Fels. Mit glasigen Augen stand er vornübergebeugt, und als ihn Johns Faust voll auf den Punkt traf, rutschte er an dem Stein herab, blieb liegen, rührte sich nicht mehr. »Mach ihn fertig!« rief Bill Harwig und gestikulierte wie wild mit den Armen. »Zastee!« schrien die Rothäute voller Zorn.
Dann wieder der Scout: »Töte ihn, John, bevor er dich später umbringt!« John hatte genug vom Kampf, trat zurück, gab dem Tomahawk einen verächtlichen Tritt und ging auf die festgeschlossene Mauer der Krieger zu. Naiche trat ihm entgegen. »Du darfst ihn nicht am Leben lassen, Hellauge. Das ist gegen das Gesetz der Chiricahua. Töte ihn!« »Ich schenke ihm sein Leben«, sagte John Haggerty einfach. »Er wird es dir kaum danken«, flüsterte Naiche ihm zu. »Töte ihn, noch ist's Zeit!« John schüttelte den Kopf, ging mit raumgreifenden Schritten zu seinem Wickiup und verschwand darin. Bill folgte ihm und hielt ihn am nackten, schweißnassen Arm fest. »Mensch, bist du von Sinnen? Wie kannst du nur die Rothaut am Leben lassen? Los, Mann, schnapp ihn dir und schick ihn zum alten Manitu!« John blieb beim erkalteten Feuer stehen. Er sah Bill an, lange, wie geistesabwesend. »Ist nicht schon an der Grenze getötet worden?« fragte er. »Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun«, herrschte Harwig ihn an. »Wenn er sich eines Tages deine Haare um die Finger wickelt und sein Skalpmesser an deiner Kopfhaut ansetzt, weißt du, was du falsch gemacht hast.« John Haggerty setzte sich auf sein Lager, drehte sich eine Zigarette und zündete sie mit dem letzten Streichholz an. »Ich bin Sieger geblieben. Mal sehen, was jetzt kommt. Irgendwie befriedigt mich der Kampfabschluß nicht.« »Kein Wunder, Mann. Du hättest ihn umbringen sollen. Einer weniger – was macht das schon aus?« »Viel«, antwortete John ernst, lehnte sich zurück und schloß die Augen. *
Am Abend wurde John Haggerty von Cochise abgeholt. Der Jacale war hellerleuchtet. Ein großes Feuer brannte in seiner Mitte, und über den Flammen briet das Viertel einer Antilope. Tla-ina, ›Sanfter Wind‹, blickte ihm entgegen. Ihr Gesicht war gerötet, tiefe Schatten lagen unter ihren sanften Augen. John erschrak. Mit einem langen Schritt stand er bei ihrem Lager, ergriff ihre Hand. Das letzte Stück war festgeklebt. Mit einem kurzen Ruck riß er das Leinen von der Wunde. Die sah nicht gut aus. Tabaksaft war scheinbar doch nicht das richtige Desinfektionsmittel. Noch war keine Blutvergiftung eingetreten, aber wenn John die Wunde richtig beurteilte, konnte sie noch während der Nacht eintreten. Als er sich aufrichtete, stand Naiche neben ihm. Der junge Mann machte eine besorgte Miene. Er sagte etwas zu Cochise, und der Häuptling sagte: »Unsere Medizinmänner kennen Kräuter, die Entzündungen hemmen, Weißauge. Dürfen sie sich um die kranke Hand von ›Sanfter Wind‹ kümmern?« John Haggerty nickte. »Ich glaube, ich bin mit meinem Latein am Ende. Laß den Medizinmann herkommen.« »Was ist das, Latein?« John machte eine vage Handbewegung. »Eine Sprache unserer Gelehrten. Naiche, hol den Heilkundigen deines Volkes.« Der junge Krieger ging vor das Wickiup, sprach draußen mit jemand und kam sofort darauf zurück. John setzte sich auf Tla inas Lager und hielt die kranke Hand in seinen Händen. »Wir kriegen das schon wieder hin, keine Angst«, sagte er in spanischer Sprache. »Ich habe keine Angst, wenn du in meiner Nähe bist«, flüsterte das Mädchen. Cochise saß beim Feuer und drehte die Astgabel mit dem Fleisch. Er warf einen seltsamen Blick herüber, schwieg sich
jedoch aus. Was er dachte, darüber war sich John klar. Die Klappe beim Eingang wurde zur Seite geschlagen. Ein alter Apache trat ein und murmelte einen Gruß. Naiche erklärte ihm, worum es ging. Der alte Mann setzte sich ans Feuer, zog ein Rohledersäckchen aus den Falten seines Jagdrocks, öffnete es und nahm eine Prise grauen Pulvers heraus. Er schüttete das Zeug in ein Tongefäß und gab Wasser zu. Langsam verrührte er das Ganze über dem Feuer zu einem Brei. Die Mischung stank bestialisch. John hätte sich am liebsten die Nase zugehalten, wagte es aber nicht. Die schmale Hand in der seinen zuckte. Aber kein Klagelaut kam über die Lippen des Mädchens. Endlich war der Schamane fertig, kam mit dem Gefäß herüber. Während er die heiße Salbe auf die Wunde strich, beachtete er den Weißen nicht. Als er fertig war, sagte er etwas in seiner Sprache zu Naiche, der die Worte übersetzte. »Büffelhorn sagt, die Wunde muß wieder verbunden werden, Weißauge. Hast du noch Stoff?« John nickte, stand auf und ging zu seinen Satteltaschen, die unbeachtet in einer Ecke des Wickiups lagen. Er nahm das Leinen heraus, riß einen langen Streifen ab und machte sich daran, die kranke Hand des Mädchens frisch zu verbinden. Dann stand er auf und warf den alten Verband ins Feuer. Der Medizinmann murmelte etwas Unverständliches, packte sein Pflanzenpulver ein und verließ die Behausung. John setzte sich zu Cochise und Naiche ans Feuer. ›Regenbogen‹ schnitt von der Antilope Scheiben ab und servierte sie auf kleinen Brettern. Jeder zerteilte sein Fleisch mit dem Messer und benutzte die Spitze als Gabel. Es gab frisch gebackene Brotfladen dazu, Tortillas. Nach dem Essen reichte der Häuptling kleine Holzschalen mit Tizwin herum, einem gegorenen Getränk aus Agave. John nippte daran und fand das Zeug nicht einmal schlecht. »Ich habe Washaki besiegt«, sagte John Haggerty auf
spanisch. »Wann werde ich gemartert?« Die tönernen Wasserspeiergesichter des Häuptlings und seines Sohnes starrten ihn ausdruckslos an. »Morgen. So verlangt es das Gesetz der Chiricahuas«, antwortete Cochise mit tiefem Ernst. »Morgen«, wiederholte John Haggerty und nickte zu seinen Worten. »Morgen also? Okay, Jefe, dann eben morgen. Ein guter Tag zum Sterben, wie jeder andere.« Cochise und Naiche warfen sich einen langen Blick zu. Naiche schüttelte leicht den Kopf, aber Cochise ignorierte das Zeichen. Tla-ina sprach zu ihrem Bruder, doch John verstand sie nicht. Er hörte lediglich den drängenden Ton in ihrer Stimme. Naiche übersetzte die Worte des Mädchens, und in jedes Wort, das er sagte, legte er ein besonderes Gewicht. »›Sanfter Wind‹ bat soeben um dein Leben, Hellauge, aber der Jefe verschließt sein Ohr gegen ihre Stimme. Wir werden sehen…« Naiche ließ den letzten Satz ausklingen und beschäftigte sich mit einer zweiten Fleischportion, die er sich von dem Wildbret abschnitt. War es eine Verlegenheitsgeste? »Was tut Wakashi?« fragte John Haggerty interessiert. »Sinnt er auf Rache?« Cochise nickte. »Sein Haß wird ihn eines Tages töten – oder der Stachel einer Peitschenspinne.« »Oder der Biß einer Klapperschlange dich, der einer Sandviper deinen zweiten Sohn«, entgegnete John gefühllos. Er mußte deutlicher werden, um den Chiricahua aus der Reserve zu locken. »Ich rieche Schlangen«, sagte Cochise düster. »Keinem wird es gelingen, mich umzubringen.« »Der Mimbrenjo?« »Ich habe nicht behauptet, daß Washaki ein Mörder ist.«
Naiche fügte hinzu: »Ich bin der zweite Sohn. Tonka, der Erstgeborene, fiel im Kampf gegen die Gelbhäutigen.« Gemeint waren Mexikaner. Naiche sprach noch einmal den Weißen an: »Du meintest mich?« Unglauben lag in seiner Stimme. John antwortete: »Dich, Naiche. Der Jefe hat keine weiteren Söhne mehr.« Der junge Krieger erhob sich, strich sich die Leggins glatt und wandte sich schweigend ab. Als er das Wickiup verlassen hatte, herrschte Stille beim Feuer. »Du hast ihn verletzt«, sagte Cochise. »Das wollte ich nicht, bei Gott, das wollte ich wirklich nicht. Es war nur als Warnung gemeint, Jefe.« »Ich weiß es, und Naiche weiß es morgen auch.« Als John den Kopf einmal wandte, sah er den flehenden Blick des jungen Indianermädchens. Er verstand nicht, was sich abspielte, was die Rothäute dachten und fühlten. Er wischte sich die fettigen Hände an den Hosenbeinen ab und ging zum Ausgang. Niemand hielt ihn auf. * Durch die Gran Desierto schleppte sich mühsam ein Zug von vier hochbeladenen Murphis. Flaniert wurde er von drei blau gekleideten Reitern auf jeder Seite, angeführt von einem Sergeant, dem ein Scout in Zivil voranritt. Der ständige Kampf gegen Hitze, Treibhausluft, Reptilien und wehenden Sandteufeln hatte die Männer zermürbt und bis auf die Knochen ausgelaugt. Am meisten aber machten ihnen die Fata Morganen zu schaffen, die während der größten Tageshitze um die Mittagszeit auftauchten, sie narrten, ihnen Trugbilder vorgaukelten und schließlich hinter den nächsten Sanddünen verschwanden. Sergeant Bill McCleff hielt sein stolperndes Pferd an und
wartete. Auch der Scout konnte nicht mehr weiter. Er glitt vom Sattel, ließ sich in den Schatten sinken. Seine haarige Hand fuhr sich über das heiße, verschwitzte Gesicht. Langsam näherten sich die schwerbeladenen Fahrzeuge. Von je sechs stämmigen Gäulen gezogen, mahlten sich ihre Räder durch den pulverfeinen Sand und ließen lediglich zwei breite Reifenspuren zurück. Sergeant McCleff ritt noch die wenigen Yards bis zu dem Scout und ließ sich ebenfalls wie tot aus dem Sattel fallen. »Hast du schon mal solch eine Hitze erlebt, Horus?« »Nein«, erwiderte der Scout. »Die Hölle kann nicht schlimmer sein. Wieviel Wasser haben wir noch?« »So gut wie nichts mehr, Horus. Was wir noch haben, ist für die Pferde.« »Wir Menschen können verrecken, wie?« »Uns fragt niemand, ob wir's wollen. Man sagt uns nur: ›Sergeant McCleff, Sie bringen den Wagenzug sicher nach Fort Apache‹. Die haben ja am grünen Tisch keine Ahnung, wie die Wüste aussieht. Die Gila ist schon schlimm, aber die Desierto ist schlimmer als die Hölle. Ich komme mir vor, als würde ich täglich aufs Neue geröstet.« »Wirklich kein Wasser, Bill? Nicht einen einzigen Tropfen?« »Nicht mal die Hälfte eines Tropfens, Horus. Tut mir leid, ich habe meine Befehle.« »Befehl hin, Befehl her. Wenn wir hier krepieren, ist dem Fort auch nicht mehr zu helfen. Wir müssen mehr an uns denken, Sergeant.« Bill McCleff zuckte mit den Achseln. »Du solltest eigentlich wissen, daß unsere Chancen, hier herauszukommen, so gut wie Null sind. Du kannst dich mit deinem Zossen in Sicherheit bringen und morgen das Gebirge erreichen. Ich kann's nicht. Mir sind die Männer und die Frachten anvertraut.« »Ohne Wasser hält mein Gaul keine drei Stunden mehr
durch. Wie soll ich unter diesen Umständen die Berge erreichen?« »Beim Camino del Diablo gibt es mehrere Quellen. Die Indianer kennen sie, und die Scouts kennen sie teilweise auch. Horus, hau ab. Ich schaff's schon mit den Jungs.« Der Scout warf einen sehnsüchtigen Blick nach Norden, zuckte zusammen, bedeckte dann die Augen mit der Hand gegen die starke Sonnenblendung. »Indianer!« stieß er hervor. »Mehr als zehn.« Bill McCleff fuhr hoch. Weggewischt waren Müdigkeit und Durst. Er sah sie in einem langen Zug hintereinander herankommen. »Apachen«, sagte er. »Chiricahuas oder Tontos. Wenn sie uns zu dicht auf die Pelle rücken, fassen sie uns aus der Flanke.« »Die Wagen sollen schneller aufrücken.« Der Sergeant drehte sich um und winkte mit dem grauen Feldhut. Die Fahrer und das Begleitpersonal hatten die Indianer bereits gesehen und trieben ihre Zugtiere mit lauten Zurufen an. Aber es half nichts. Die Rothäute auf ihren flinken Ponys waren schneller als die schwerfälligen Murphys. McCleff erkannte, was ihnen drohte. Sie waren so nahe gekommen, so daß er ihre Kriegsbemalung erkennen konnte. Ocker, gelb und erdrot. »Es sind Chiricahuas«, sagte er. »Und ein Unterhäuptling führt sie an.« »Ein Häuptling«, bemerkte Horus trocken. »Vielleicht Victorio oder Nana?« »Oder Cochise selbst.« »Ausgeschlossen. Cochise ist der Stammesführer, der Jefe. Wenn er Krieger anführt, ziehen sie einen schwarzen Streifen quer durch die Kriegsbemalung. Was befiehlst du, Bill?« »Kugelspritzen raus und drauf! Sobald sie angreifen, muß jeder Schuß sitzen. Wenn nur die Wagen schneller fahren
würden.« Die Indianer griffen nicht an. Außer Schußweite ritten sie an den Fahrzeugen vorbei und sammelten sich hinter dem Treck. »Allmächtiger!« stieß Bill entsetzt hervor. »Diese feigen Schweine rollen die Murphys von hinten her auf. Warum unternimmt Corporal Nubock nichts?« In diesem Augenblick ging der Zauber eine Viertelmeile entfernt los. Die Apachen ritten an, feuerten eine Salve auf die Soldaten ab, die die Hälfte der Männer aus den Sätteln riß, und dann jagten sie auf ihren flinken Ponys an der rechten Seite der Kolonne vorbei und schossen auf alles, was Zügel hielt. »Schießen, Nabock!« brüllte McCleff. »Ich bringe dich vor ein Kriegsgericht, du Höllenhund, wenn du nicht den Befehl zum Feuern gibst.« Corporal Nubock sollte nie mehr ein Kriegsgericht erleben. Die erste Salve hatte ihn bereits aus dem Sattel geholt. Er lag auf dem glutheißen Boden und starrte aus blicklosen Augen in den messingfarbenen Himmel. Wehender Sand deckte ihn zu. Der Kampf war bald entschieden. Die sporadischen Schüsse der wenigen Dragoner verstummten. Es wurde so still in der Wüste, daß Bill McCleff sie hören zu können glaubte. »Das ist das Ende, Bill«, sagte Horus. »Bereite dich auf den Tod vor.« »Den Teufel werde ich. Laß sie nur kommen. In meinem Colt stecken sechs Kugeln, in der Enfield eine weitere.« Wie hüpfende Buschgeister stoben sie erneut auf ihren Ponys heran. Bevor Horus und Bill zum Zielen kamen, schmetterte die Salve aus ihren weittragenden Gewehren zwischen die beiden Männer. Bill starb in den Stiefeln. Als er in den Sand fiel, war er schon tot. Horus gab noch einen Schuß ab, der aber nicht traf. Dann schickte ein Querschläger auch ihn auf den letzten Trail. Horus Darris erstickte an seinem eigenen Blut. Er merkte nicht mehr, wie die Rothäute abdrehten und sich an den Wagen
zu schaffen machten, die Pferde ausschirrten und die Planen von den Aufbauten rissen. Er hörte auch den schrillen Pfiff nicht mehr, mit dem der Anführer seinen Leuten ein bestimmtes Zeichen gab oder eine Nachricht vermittelte. Und wenn er gesehen hätte, wie ein Indianer die Stätte des ungleichen Kampfes abritt und wahllos Pfeile, zersplitterte Bogen und beschädigte Streitäxte auf den Boden warf, hätte sein Verstand vollends ausgesetzt. * Nacht. Bill Harwig schnarchte leise, aber nervenzerfetzend. John konnte nicht schlafen. Er mußte immerzu an den Skorpion und an den Kampf mit dem Mimbrenjo denken. Auch die steinerne Miene Cochises drängte sich in seine Vorstellung, und John fragte sich, weshalb der Jefe die leisen Zurufe seiner Schwester mißbilligt hatte. Auch Naiche erschien in dem ständigen Wechsel von Schlaf und Wachträumen. Er nickte ihm wiederholt zu. Seine Lippen bewegten sich, doch John vernahm keinen Laut. Tief in seinem Unterbewußtsein rangen verschiedene Gefühle miteinander. Am stärksten war bei ihm der Drang, zu seiner Einheit zurückzukehren. Zu vieles war geschehen, worüber sich das Oberkommando Gedanken machen mußte, und mehr noch, wovon er nichts wußte, weil ihn die lange Isolation im Chiricahua-Lager davon abhielt, seine Pflicht zu tun. Ein Geräusch vor der Laubhütte schreckte ihn auf. Er tappte zum Eingang und spähte hinaus. Der Platz vor dem Jacale war leer, aber er hätte schwören mögen, daß er gesehen hatte, wie sich etwas bei Cochises Wickiup bewegte. Ein Knistern in seinem Rücken ließ ihn sich umwenden. Bill Harwig war erwacht und richtete sich auf. Verschlafen rieb er
sich die Augen. »Still!« zischte John Haggerty. »Keinen Mucks!« Bill erhob sich von seinem Lager, ging zu Haggerty. Wie ein Hauch klang seine Stimme an Johns Ohr: »Ist da was?« »Keine Ahnung. Wir müssen fliehen. Wenn sie uns wieder schnappen, werden sie uns nicht gleich die Ohren abschneiden. Cochise will nicht mehr unbedingt unser Blut.« Bills Augen funkelten wild. »Uns nichts tun? Wenn sie uns fangen, John, ziehen sie uns den Skalp bei lebendigem Leib ab. Diese roten Teufel sind die Verderbtheit selbst.« John grinste. »Gesprochen wie ein Bronco.« Noch leiser fügte er hinzu: »Ich werde mich draußen ein wenig umsehen. Wir müssen wissen, wo sie Posten aufgestellt haben.« »Ich lasse dich nicht allein gehen«, flüsterte Bill grimmig entschlossen. John Haggerty nickte, schob sich durch den Vorhangspalt hinaus und drückte sich eng an die Hüttenwand. Es war keine Menschenseele zu sehen. Trotzdem hatte er das Gefühl, von hundert Augen beobachtet zu werden. John hatte alle Möglichkeiten einer Flucht und ihre Chancen einkalkuliert. Aber etwas hatte er vergessen: die Person eines einzigen Mannes im Camp. Wie eine große Katze glitt er zu dem großen Wickiup hinüber. Rauch drang aus der Deckenöffnung. Zu hören war nichts. Er spähte zurück. Bill stand draußen und beobachtete ihn. Plötzlich meldete Johns Instinkt eine drohende Gefahr. Er blieb stehen und kauerte sich zusammen. Eine Gestalt wuchtete vor ihm hoch. Stahl blitzte im verschwommenen Sternenlicht. Die Masse eines Menschen fiel auf ihn, und als er die Hand zur Abwehr hob, griff er mitten hinein in das herabzuckende Messer.
Der Scout riß die Beine in die Höhe, traf den Gegner in der Magengegend. Keuchen, gedämpfter Schmerzenslaut. Und dann sah er den hellen Fleck einer Holzperlenkette mit dem Medaillon auf der nackten Brust. Wakashi! Zähnefletschend stürzte sich der Mimbrenjo erneut auf den verhaßten Weißen. John bekam ihn an der Schulter zu fassen, wälzte sich auf ihn und drückte ihn mit der Last seines Körpers gegen den Boden. »Verdammter weißer Hund!« John hielt dem Indianer den Mund zu, aber Wakashi biß ihn so fest, daß der Scout seine Hand wieder lösen mußte. Der Mimbrenjo versuchte einen Messerstoß von unten nach oben. Wenn er getroffen hätte… John Haggerty hatte keine Zeit, sich das auszumalen. Seine Hand packte das Messer mitsamt den Fingern, die das Heft umschlossen, und drückten es nach außen. Mit einem Schmerzensschrei ließ Wakashi die Waffe fahren. Schnell griff John danach. Er hob die Klinge, und als der Indianer sich unter ihm aufbäumte, stieß er zu. Unter ihm erschlaffte der sehnige Körper, streckte sich, lag dann ruhig. Gebrochene Augen starrten zu den Sternen. Müde richtete John Haggerty sich auf. Bill stand immer noch dort drüben und blickte herüber. Eine Hand legte sich auf Johns Schulter. Er wirbelte herum, das Messer zum Stoß erhoben. »Willst du mich ebenfalls töten?« fragte Cochise gelassen. Der Scout ließ das Messer fallen, gab ihm einen Stoß mit dem Fuß. »Nein, Jefe, dafür gäbe es keinen Grund.« Cochise starrte auf den Leichnam. »Du hast nachgeholt, was du versäumtest.« »Er griff mich an, ich mußte ihn töten. Sein Geschrei machte
das Lager rebellisch.« Über die harten Züge des Häuptlings glitt es wie Verstehen. »Du wolltest dich davon überzeugen, wieviel Wachen um das Lager postiert sind?« Cochise schüttelte den Kopf. »Du wärest niemals entkommen, weißer Mann.« »Kann ich mir denken«, brummte John und wurde hellhörig. Füße knirschten im Sand. Jemand kam um das Wickiup. Das Gesicht der Wache verzerrte sich auf eine schreckliche Weise, als sie den Toten erkannte, und dann stieß der Indianer einen Schrei aus, der Tote hätte aufwecken können. »Allmächtiger Gott im Himmel!« keuchte Haggerty heiser. Er wollte sich umdrehen, zu seiner Behausung zurückkehren, aber er konnte nicht. Ein Gewehrlauf bohrte sich in seine Brust, ließ ihn mitten in der Bewegung erstarren. Die flammende Wut in den Augen des Indianers und die Gnadenlosigkeit verhießen nichts Gutes. Immer mehr Rothäute tauchten auf. Sie beobachteten den Weißen kalt und teilnahmslos, als nähmen sie Maß für die bevorstehende Marter. Johns Zeit war abgelaufen. * Im großen Armeelager östlich von Tucson donnerte der einarmige General Oliver O. Howard mit der Faust auf den Tisch. Howard war ein Mann, den nichts aus der Ruhe bringen konnte, aber die Nachricht, die ein indianischer Scout überbracht hatte, erschütterte ihn. Howard runzelte die Stirn, starrte die beiden Colonels finster und abschätzend an, als wollte er in ihren Gehirnen nachlesen, was sich dort unten in der Gran Desierto abgespielt hatte. Es gelang ihm nicht. Colonel White senkte den Blick. Colonel Gary Walberg starrte auf die gegenüberliegende Zeltwand, an Howard vorbei. Wenn sein Vorgesetzter in dieser
Form die Stirn runzelte, braute sich allemal ein Hurrican zusammen. »Was haben Sie dazu zu sagen, meine Herren?« White antwortete: »General… Sir. Ich kann nur das wiederholen, was ich immer festgestellt habe: wir sind zu schwach. Um diesen Cochise in seine Schranken zu verweisen, benötigen wir ein weiteres Truppenkontingent von 4000 Infanteristen, Dragonern und Haubitzen. Der Train müßte verstärkt werden, der Nachschub besser organisiert und auf einen moderneren Stand gebracht…« »Ach was!« unterbrach Howard ihn schnarrend. »Sie wissen doch, daß Washington uns keinen einzigen Mann mehr zur Verfügung stellt. Sie halten uns vor, wir könnten nicht mal die San Carlos Reservation im Griff halten, und, das soll in diesem illustren Kreis ruhig einmal ausgesprochen werden, sie halten mich für einen Tölpel.« »Sir!« »Es ist so. Ihre Empörung hilft uns nicht weiter. Sherman ließ es unmißverständlich durchblicken. Schwamm drüber, Gentlemen. Wir sind in einer prekären Lage, die fast an Ausweglosigkeit grenzt.« Er klatschte die flache Hand auf den Tisch, daß Tintenfaß und Federkiel einen Luftsprung machten. »Jeder Tag bringt uns Meldungen dieser Art, lesen Sie selbst.« Howard schob den beiden Offizieren ein Stück Papier über den Tisch. »Das war vorgestern. Was gestern geschah, wissen wir noch nicht, und was morgen geschieht, noch weniger.« Die Offiziere beugten sich über die Meldung. Ihre Lippen bewegten sich beim Lesen, Walberg sprach den Text sogar halblaut vor sich hin. »Camp San Carlos/Arizona, 6. Mai 1870. Aufgenommen von Lieutenant Stephan O'Neil, Wachoffizier. Zur Sache: Kurz vor
Mitternacht kehrte eine drei Mann starke Apachen-Patrouille aus dem südlichen Teil des Territoriums zurück. Die Apachen sagten einstimmig aus, in der wasserlosen Wüste Gran Desierto auf einen ausgebrannten und beraubten Wagenzug der Armee gestoßen zu sein, von dem der Brand nichts weiter übriggelassen hatte, als die schwer brennbaren dicken Wagenbohlen und die eisenbeschlagenen Reifen. Fahrer und der militärische Begleitschutz unter der Führung des fronterfahrenen Sergeant Bill McCleff und des weißen Scouts Horus Darris, wurden allesamt tot, von Raubvögeln völlig verstümmelt, vorgefunden. Den äußeren Umständen nach zu schließen, war der Treck, der die Forts Buchanan und Apache mit Nachschub versorgen sollte, von Chiricahuas angegriffen und vernichtet worden. gez.: Lieutenant O'Neil Offizier der Wache.« Walberg und White hoben die Köpfe gleichzeitig und blickten sich betreten an. Colonel White faßte sich zuerst. »Dort unten, so weit im Süden, also auch.« »Nun?« fragte Oliver O. Howard gereizt, »ist das etwa nichts? Hat's Ihnen die Sprache verschlagen, oder was ist mit Ihnen los?« White faßte sich ein Herz, ging zum Kartentisch und zog den Plan des südlichen Territoriums aus dem Stapel. Seine Fingerkuppe blieb auf einem bestimmten Punkt liegen. Als er sich umdrehte, stand eine steile Falte auf seiner Stirn. »Sir, ich halte es für unwahrscheinlich, daß hier Apachen am Werk waren. Wie schon so oft wird Cochise eine Sache in die Schuhe geschoben, die er nicht beging. Sehen wir uns gemeinsam die Karte an, Gentlemen. Hier und hier…«, er tippte auf das steife Papier, »ja, und hier kann der Überfall stattgefunden haben. Drei Stellen, die so unübersichtlich sind, daß nur sie in der ganzen Wüste in Frage kommen.« »Na also«, murmelte der General lustlos. White hob die Hand, wechselte einen schnellen Blick mit
Colonel Walberg. »Nein«, sagte er. »General… Sir. Ich verwette meinen Kopf, daß der Apache mit dieser Sache nichts zu tun hat.« »Andere Indianer etwa? Die Utes oder Yumas?« »Wenn ja, nur in Verbindung mit Weißen. Damit komme ich schon zu dem, was ich sagen will. Weiße und Indianer, Weiße und Utes oder Yumas. Wir wissen, daß gerade die Yumas gern mit den Weißen zusammenarbeiten. Alle anderen Stämme sind untereinander verfeindet und schließen keine Bündnisse untereinander ab.« »Danke«, sagte Oliver O. Howard nachdenklich. »Ich glaube, Sir, ich verstehe Sie immer noch nicht.« White hob den Kopf und streckte ein wenig die Brust heraus. »Desperados«, sagte er leise. Dann mit mehr Festigkeit in der Stimme: »Seit langem habe ich den Verdacht, daß eine Bande von Outlaws sich der indianischen Tarnung bedient, um ihre Verbrechen zu kaschieren und den Verdacht auf die Apachen zu lenken. Es kann nicht anders sein.« »Nun gut. Was schlagen Sie vor?« »Eine Garnison am Camino del Diablo, die in der Lage ist, alle Wege nach Mexiko zu kontrollieren und auch die Gran Desertio mit Patrouillen beschicken kann.« »Und woher soll ich die Garnison nehmen, Colonel White?« Der schwieg resigniert. Walberg hatte eine spontane Idee. »Sie können sich direkt mit diesem Vorschlag an General Philip Sheridan wenden, Sir. Die California Volunteers unter General James Carleton beteiligen sich brennend gern an der Jagd auf Cochise.« Vor dem Zelt knirschten die Stiefel zweier Posten. Staub rieselte an der Westseite des Leinenzelts. Das waren die einzigen Geräusche. »Wir können es versuchen«, sagte Howard nach einer Weile schleppend. »Ich werde Ihrem Rat folgen, Gentlemen. Gute
Nacht.« * Der nächste Tag verging in quälender Langeweile. John hatte am Morgen Tla-inas Wunde untersucht und festgestellt, daß die Entzündung zurückgegangen war. Die erwartete Marterung war ausgeblieben, und außer einem langatmigen Palaver war nichts geschehen. John Haggerty beobachtete die Alte, die unter asthmatischem Schnauben und Prusten das Feuer entfachte und aufgespießte Fleischstücke über den Flammen briet. Ihre braunen Wurzelknotenhände bewegten sich dabei flink und zielstrebig. Zu dem gerösteten Fleisch gab es gebackene Tomaten und süße mexikanische Kartoffeln, die in der heißen Asche gedämpft wurden. Sie lebten gar nicht schlecht in ihren Apacherias, die Chiricahuas. Nach dem Abendessen kam Naiche. Er schleppte eine Decke an den verknüpften Enden zum Feuer und schlug die Zipfel zurück. John bekam Stielaugen. Seine und Bills Waffen, die Satteltaschen und alles, was ihnen gehört hatte, lag säuberlich verpackt auf der Decke. »Heute nacht ist Vollmond«, sagte Naiche. »Die Krieger der Chiricahuas haben sich entschlossen, euch die Freiheit zu geben. Cochise fühlt sich zu Dank verpflichtet und…« John unterbrach ihn mit einem Zischen und deutete auf die Alte. Naiche hob beide Finger an die Ohren und schüttelte den Kopf. Die Squaw war taub. »Die Chiricahuas lassen euch ziehen, aber nehmt euch vor den Mimbrenjos in acht. Was hast du nun vor, Hellauge?« »Ich bin Scout der Army, Naiche, das erklärt alles.« »Dann werden wir uns eines Tages als Feinde gegenüberstehen. How!« Er griff in sein Calicohemd, nahm etwas Weißes heraus, ein Amulett, und reichte es Haggerty.
»›Sanfter Wind‹ schickt es dir als Zeichen ihrer Dankbarkeit. Meine Mutter Sho-shu-li schließt dich in ihre Gebete an den Großen Geist ein und erbittet sichere Wege für dich. Ich gehe jetzt.« »Stop!« sagte John mit einem leichten Kratzen im Hals. »Und du, Naiche? Wie denkst du über mich?« Naiches Augen blieben ausdruckslos. »Drei Tage bleiben wir Freunde, Hellauge. Danach wird es wieder so sein wie zuvor. Wenn wir uns mit der Waffe gegenüberstehen, wird einer von uns beiden sterben. How!« Er verließ den Jacale. Bill trat näher, starrte auf sein Eigentum. »So viel Menschlichkeit und Entgegenkommen hätte ich von diesen Armabschneidern wirklich nicht erwartet. Im Geist sah ich meinen schönen Skalp schon vor einem Jacale trocknen.« »Laß das, was du gerade sagtest, keinen Apachen hören, Bill.« »Was denn?« »Armabschneider. Nur die Cheyennes schneiden den Toten nach einem Kampf die Arme als Trophäe ab, dafür skalpieren sie nicht. Los, nimm deine Sachen zu dir!« »Verschwinden wir jetzt schon?« »Wir warten, bis der Mond aufgeht. Ohne Pferde kommen wir sowieso nicht weit. Ich bin sicher, daß die Mimbrenjos eine regelrechte Treibjagd auf uns veranstalten. Well, lassen wir uns überraschen.« * Zwei Stunden vor Mitternacht fingen im Lager die Baumtrommeln an zu wummern. Zahllose Stimmen schrien durcheinander. Das »Zastee! Zastee!« wurde immer wieder gebrüllt. Bill warf einen kurzen Blick auf Haggertys sorgenvolles
Gesicht und fragte: »Was hat das zu bedeuten, John?« »Schlechte Medizin für uns, denke ich. Irgend etwas ist den Leuten wie eine Laus über die Leber gelaufen.« »Haben wir einen Fehler gemacht?« »Warten wir's ab, ich weiß es nicht. Pst, da kommt jemand!« Cochise trat ein. Sein Gesichtsausdruck wirkte düster. Eine tiefe Nachdenklichkeit beschattete auch seine Augen. Er setzte sich auf Haggertys Lager. »Du kennst die große Wüste im Süden, weißer Mann?« »Die Gran Desierto? Ja.« John wartete ab. Er mußte nun vorsichtig, wachsam und zu allem bereit sein. »Was ist mit ihr?« »Frachtwagen der Blauhemden wurden vernichtet – von Chiricahuas. Nur, kein Chiricahua betritt je dieses wasserlose Land, das den Utes und Yumas gehört.« »Du willst damit sagen, daß es nicht die Chiricahuas waren?« Cochise nickte. »Ich bin für Frieden, Bleichgesicht. Für jeden Weißen, den wir töten, treten zehn, hundert, tausend andere an seine Stelle. Wir Indianer sind wie Inseln in einem Meer von Weißen.« John Haggerty gab keine Antwort. Er wußte von alledem und rechnete mit dem Untergang der roten Rasse. Durch die Auflehnung der Indianer wurde er aufgehalten, aber nicht aus der Welt geschafft. Im Norden kämpften sie gegen die Armee und die weißen Eindringlinge, im Süden gegen die expandierenden Mexikaner. Ein hoffnungsloser Kampf. »Was kann ich für dein Volk tun, Jefe?« fragte John Haggerty mit einem Würgen in der Kehle. »Nichts«, antwortete der Häuptling. »Du allein bist zu schwach.« Er stand auf, streifte Haggerty noch einmal mit einem kurzen Blick und ging zum Hüttenausgang. Dort blieb er stehen und sagte über die Schulter: »›Sanfter Wind‹ wird sich von dir mit zwei Pferden verabschieden. Nehmt euch in acht,
Bleichgesichter!« Und weg war er. Was er zurückließ, war der bittere Geschmack der Hilflosigkeit auf Johns Zunge. Der Scout stand neben dem Feuer, den Kopf gesenkt, die Augen halb geschlossen. Ein Frosthauch lief über seinen Rücken, und die Kälte, die da heraufkroch, nahm auch Besitz von seinem Denken und Fühlen. Das Wummern der großen Trommeln hallte wieder durch die Nacht. Es brach ab, begann von neuem, um dann vom scharfen Keckern der Rasseln und Kürbiskerne kurz unterbrochen zu werden. Bill Harwig schlich zum Eingang, lüftete die Decke etwas. Ihm verschlug es die Sprache. »Allmächtiger!« stöhnte er. »Jesusmariaundjoseph! Hast du so was schon gesehen, John? Das ist Höllenphantasie, eine Ausgeburt des Jenseits, eine – eine… Mensch, mir verschlägt's die Sprache.« »Was ist los?« »Komm her und sieh dir das an!« John ging hin, starrte auf eine Szene, die dem Inferno von Dante entnommen sein konnte. Zwischen den Hütten brannte ein riesiges Feuer. Um die Flammen tanzte eine Kriegerhorde, halbnackt, die Oberkörper mit Fett eingerieben. Stahl blitzte im züngelnden Flammenschein. Kalter Stahl, mit Bärenfett eingerieben und an einem Sandstein geschärft. Ein Heulen und animalisches Brüllen brauste durch das Tal, daß die beiden Weißen glaubten, die Erde berste, und die Hänge glitten donnernd und brausend den aufgestülpten Erdmassen entgegen. Die Nacht war keine Nacht mehr, sie wurde zu einem grellbeleuchteten Winkel von Luzifers Reich, zu einem Inferno von Flammen und Heulen. Satans Horden waren losgelassen
und steigerten sich durch den Kriegstanz in eine ekstatische Raserei, für die es nicht genügend Worte gab, um sie zu beschreiben. »Großer Gott«, flüsterte Bill Harwig entsetzt. »Wenn die über uns herfallen…« John sprach mit leiser, drohender Stimme. »Sie sollen uns ja vom Hals bleiben, oder der alte Spinner da vorn hat eine Kugel in seinem feisten Wanst.« »Wer ist der alte Geißbock?« »Einer ihrer Schamanen, was weiß ich. Er schürt zum Krieg gegen die Weißen, Bruderherz. Das kann uns beiden das Leben kosten, noch ehe der Zauber zu Ende geht.« »Um Gottes willen, John«, murmelte Bill wie gelähmt. »Ich habe ja schon mehr als einmal erlebt, daß sie uns an den Kragen wollten, aber so doch noch nicht.« John Haggerty grinste. »Bis jetzt hatten wir immer Schwein gehabt. Wird schon weiterhin klappen.« Draußen schnaubte ein Pferd. Es klang von der Rückseite der Hütte. Ein Huf stampfte, ein zweiter. Das kurze Schnaufen klang aus, eine Gebißkette klirrte. Bevor sich die beiden Weißen umdrehen konnten, ratschte etwas durch die dünnen Zweige der hinteren Wand und teilte sie. Eine Hand winkte. Diese Hand trug einen weißen Verband. John lief hin, sprang über das inzwischen erkaltete Feuer und – starrte in Tla-inas Gesicht. Große Augen sahen ihn an. »Komm«, hauchte das Mädchen, »komm schnell!« John war verwirrt. Die drängende Stimme verriet höchste Gefahr. »Schichobe«, fragte sie, »alter Freund, erkennst du mich?« Er nickte. Bill drängte an ihm vorbei, war schon draußen, als John immer noch im Jacale stand und dem mörderischen Gebrülle lauschte. »Sikisn«, sagte John leise. »Ich bin dein Bruder.«
Sie nickte, ergriff seine Hand, zerrte ihn heraus. Als er sie streifte, fühlte er ihre festen Brüste unter der Felljacke. Die Nacht war kalt und dunstig. Den tanzenden Chiricahua schien das nichts auszumachen. Als John Haggerty aufblickte, sah er die gesattelten Pferde vor sich. Ihre eigenen Pferde. ›Sanfter Wind‹ drängte sich an ihn, schob ihre gesunde Hand unter sein Hemd. Ihre Finger berührten das Amulett. Sie lächelte und schien befriedigt. »Komm!« hauchte sie. »Du mußt fort. Sie betrinken sich mit Tizwin, Cochise wird sie nicht lange zurückhalten können.« Das war es. John Haggerty hatte es gewußt. Etwas war eingetreten, was die Rothäute völlig aus dem Häuschen trieb. Die Dunkelheit nahm sie auf und hängte ihren mitleidigen Umhang vor die grausige Szene beim Feuer. Halbblind tappte John in die Finsternis und betete still in sich hinein, daß bald der Mond aufgehen möge. ›Sanfter Wind‹ sprach ein leidliches Spanisch. Ihre Stimme klang wie das Geläut von Glocken in einem Kirchenstuhl. Sie drängte weiter, weg von dem unheimlichen Platz. Ein schmaler Canyon nahm sie auf, der auf die Mesa führte. Nach einer halben Stunde waren sie oben und rangen schweißgebadet nach Luft. Das Mädchen stand so nahe neben dem Scout, daß er ihren Herzschlag fühlte. »Du mußt nach Westen, immer nach Westen, Schichobe. Werden wir uns wiedersehen?« Er drehte sich zu ihr herum, nahm ihre Oberarme zwischen seine Hände. Sanft zog er sie an sich. Eine elementare Gewalt ging unvermittelt von ihr aus. Sie schlang ihre Arme um seinen Nacken und küßte ihn. John Haggerty fühlte sich plötzlich in den Mittelpunkt ungewollter Geschehnisse gerissen, die ein heftiges Verlangen in ihm auslösten, ein Verlangen nach diesem schönen Indianermädchen. Sie küßten sich wieder und wieder, während Bill grinsend aber diskret sich abwandte und die Pferde mit
blinkenden Augen zusahen. Als sie beide Atem schöpfen mußten, hielt der Scout das Mädchen von sich ab. »Wir sehen uns wieder, das verspreche ich. Ich habe dir und Naiche mein Leben zu verdanken, dafür erhaltet ihr…« Sie schüttelte den Kopf. »Nicht mir und Naiche, sondern Cochise. Danke ihm, nicht uns.« »Wie kann ich das?« »Indem du den Krieg verhinderst.« »Großer Gott, dafür bin ich nicht der richtige Mann«, sagte er in bescheidener Selbsteinschätzung. »Du mußt reiten, Schichobe. Schnell reiten. Der Große Geist sei mit dir.« Plötzlich war sie fort, als hätte der Erdboden sie verschluckt. John wollte ihr folgen, sie noch einmal in seine Arme schließen, ihren Herzschlag, ihre Lippen spüren. Aber Bills Zuruf hielt ihn zurück. »Benimm dich nicht wie ein balzender Auerhahn, Mensch. Ein Squawman hat in diesem Land noch nie viel gegolten. Los, reiten wir!« Sie schwangen sich in die Sättel und stoben in die Nacht hinein. * Santa Magdalena kurz vor Mitternacht. In den beiden führenden Bars stieg die Stimmung auf den Höhepunkt und schien mehr und mehr auszuufern, zu entgleisen. Es regnete immer noch. Kalter, ekelhafter Regen, der den Schlamm auf der Main Street peitschte, als hätte er eine persönliche Wut auf all dieses baufällige Mauerwerk, das sich hinter den falschen Fassaden versteckte. Aber niemand betrat die Straße. Die ›Gouadeloupe‹, und die
›Galiuro‹ waren bis auf den letzten Sitzplatz gefüllt. Selbst vor den primitiven Theken standen die Durstigen in Dreierreihe und verlangten nach Bier und Schnaps. Hank Doolins Hauptquartier war das ›Gouadeloupe‹. Nebenan residierte die andere Bande, die Männer, die die großen Coups landeten und mit dem Geld nur so um sich warfen. Doolin störte das nicht. Neben ihm saßen Elvis Wash, Fred Honda, Hugh McDonnel und Curt Miller. Sie alle tranken übermäßig, nur Miller nicht. Wachsam beobachtete er alles, was um ihn herum vorging. Er beteiligte sich auch nicht an dem mäßigen Pokerspiel. Er nahm nur die Kommenden und Gehenden unter die Lupe, die Kaltäugigen mit den tiefgeschnallten Revolvern. Sie kamen herein, naß wie gebadete Katzen, schüttelten sich die Nässe aus den Jacken, schlurften sporenklirrend zum Tresen, genehmigten sich dort einen und verschwanden wieder, um nebenan Bericht zu erstatten. Doolin machte das genauso. Einmal stand Elvis Wash auf, um der Nachbarkneipe einen Besuch abzustatten, dann Honda oder McDonnel. Nur Miller blieb sitzen und beobachtete. Jetzt war McDonnel dran. Er verließ den Saloon, tastete sich draußen durch den Regen und stieß die Schwingtür zum ›Galiuro‹ auf. Rauch schlug ihm wie eine Brandwolke entgegen. Am Hintertisch saßen die Figuren, die seinem Stammlokal regelmäßig Besuche abstatteten. Mortimer Gale führte das Kommando. In seinem Rücken stand Wade Grey, der Mann mit den harten Fäusten und einem schnellen Revolver. Als McDonnel das Lokal betrat, schlossen sich seine Augen zu Schlitzen. Er tippte Mort auf die Schulter und wies zu dem Eintretenden hinüber. »Schon gesehen«, brummte Gale. Seine Stimme klang
angetrunken und gereizt. »Wenn er frech wird, gib's ihm, Wade.« »Okay, Boß, wird gemacht. Der verdammte Spitzel will doch nur schnüffeln.« »Tun wir doch auch.« Buck Daniels lachte. »Der verdammte Kleinkrieg gegen die anderen macht doch Spaß, oder nicht?« Mort fauchte: »Armleuchter, Mann. Du kriegst was auf dein großes Maul.« McDonnel kam durch den Mittelgang, stolperte über Greys vorgestellten Fuß und kam fluchend wieder auf die Beine. Mortimer Gale blickte an ihm vorbei auf Grey. Der wartete auf Befehle, die Hände schon geballt. Er wippte auf den Zehen, entspannt, aber wachsam. Die Beine leicht gespreizt und gut ausbalanciert. Schlägerstellung. Er war bereit, brutal loszulegen, wenn Mort das Zeichen gab. In dieser Nacht sollte ein neuer Coup besprochen werden, dazu konnte man unangenehme Mithörer nicht gebrauchen. Die anderen Gäste, Peone, Vaqueros, kleine Tagediebe und anderes Gesindel, waren harmlos. »Hau ab!« sagte Grey frostig. »Du hast hier nichts zu suchen. Verdufte, Junge!« »Ich will einen Drink«, sagte McDonnel widerspenstig. »Und ich nehme einen Drink. Basta!« Mortimer Gale stemmte die Hände auf die Tischplatte und stand auf. Kalte, unpersönliche Augen musterten den Mann frecher Antworten. »Gib's ihm, Wade!« zischelte er. »Heute können wir keinen von drüben gebrauchen.« Wade Grey trat breitbeinig, gewichtig wie ein Bison, auf Hugh McDonnel zu. »Verdufte!« wiederholte er krächzend. »Du hast die Wahl. Du kannst rausgehen oder rausfliegen. Na, wie möchtest du's haben? Du kannst auch rausgetragen werden, mit den Füßen zuerst. Willst du das?«
McDonnel ließ sich keinen Augenblick einschüchtern. Er lächelte und stieß sich von der Tresenstange ab. »Okay, Gartenzwerg, dann fang mal an!« Er sah die Faust kommen, aber es gelang ihm nicht, ihr auszuweichen. Der Schlag ließ ihn gegen die Theke prallen. Es gab ein dumpfes Geräusch, und er rutschte zu Boden. Zu zweit stürzten sie sich auf den Hilflosen, traten ihn, bearbeiteten ihn mit den Fäusten, wenn er versuchte, sich zu erheben. Als McDonnel nur noch röchelte, blutig am Boden lag, gab Mortimer Gale den Leuten einen Wink. »Los, raus mit ihm! Schmeißt ihn einfach auf die Straße. Wenn der Boß kommt, weiß er, daß wir für Ruhe und Ordnung in diesem Kaff sorgen. Los, feuert ihn durch die Tür!« Drei Mann packten McDonnel, wuchteten ihn hoch, und unter dem Johlen der anderen Gäste warfen sie ihn einfach durch die aufgehende Schwingtür in den Straßenschlamm. Mort Gale stellte sich auf den Tisch, warf die Hände empor und brüllte: »Eine Runde für alle! He, Keeper, schenk die Gläser voll! Eine Runde für jeden Mann, der für uns ist!« * Cochise hockte mit gekreuzten Beinen am Feuer. Der Höllenlärm draußen hatte sich gelegt. Nach und nach waren seine Krieger, voll mit Tizwin, ins feuchte Gras gesunken. Im Morgengrauen würden sie aufwachen, verkatert und mit bleischweren Köpfen. Still würden sie sich dann in ihre Wickiups verdrücken und weiterschlafen bis zum Abend. Inzwischen aber waren die beiden Weißen in Sicherheit. Das hatte Cochise gewollt, und Naiche, sein Sohn, unterstützte ihn dabei. Der Scout würde seinen Bericht abgeben. Der Chief der Blauhemden mußte irgendwann erkennen, daß er, der Jefe, den Frieden wollte.
Friede? Was bedeutete dieses Wort in einer Zeit, die darauf abgestellt war, Land zu gewinnen, eine Bonanza zu finden oder Schollen zu brechen? Mit gefurchter Stirn überdachte der Führer der Chiricahuas die Gesamtlage. Sie waren weniger geworden, seine Chiricahua-Krieger. Die ständigen Kämpfe gegen Mexikaner und Weiße rieben sie langsam auf. Die Sippen zogen sich immer tiefer in die schützenden Berge zurück, verkrochen sich in die entlegensten Canyons, wurden immer schwerer erreichbar und des ständigen Kampfes langsam müde. In der Nacht kam ein zurückkehrender Späher in die Apacheria geritten. Er berichtete Cochise von dem ständigen weiteren Vordringen der Armee, von neuen Stützpunkten, die wie Pilze aus dem Boden wuchsen. Cochise entließ ihn, schickte drei andere Krieger los, die halbwegs nüchtern geblieben waren, und riet ihnen, sich in keinen Kampf mit den Weißen einzulassen. Der Zeitpunkt für die große Auseinandersetzung war noch nicht da. Er brauchte die Unterstützung anderer Apachenstämme, wenn er erfolgreich gegen die Armee der Amerikaner antreten wollte. Auch bei den Weißen gab es kluge und weiterdenkende Köpfe, die irgendwann erkennen mußten, daß der rote Mann ein Anrecht auf die ererbten Jagdgründe hatte. Weiß und Rot konnten miteinander leben, wenn sie sich gegenseitig respektierten. Naiche trat ein. Der junge Indianer hatte sich am Feuertanz der Krieger nicht beteiligt. Er setzte sich neben Cochise. »Sorgen quälen dich, Vater?« »Ja, Naiche. Ich fühle mich ohne Beine und ohne Wasser in einer gluterfüllten Wüste. Die Zeit des roten Mannes ist vorbei.«
Der junge Indianer nickte. Sein Gesicht wirkte so düster wie das seines Vaters. Die große Ähnlichkeit zwischen den beiden war unverkennbar. Von beiden ging eine Ausstrahlung aus, die kein Indianer der westlichen Region besaß. »Es sind die Soldaten, die dir Kummer bereiten?« »Sie und die anderen Weißen, die unser Land überschwemmen. Mit den Gelbhäutigen im Süden können wir fertig werden, nicht aber mit den Helläugigen, die unser Land wie Heuschreckenschwärme überfallen.« »Wir werden sie vernichten.« »Die Chiricahuas sind zu schwach, Sohn.« »Mit den anderen Sippen zusammen schaffen wir es. Die Tontos sind gute Krieger, die Mimbrenjos, die Mescaleros im Osten und unsere Vettern, die Yaquis, im Süden.« Cochise schwieg. Lange saß er im tiefen Nachdenken versunken. Als er wieder zu sprechen begann, klangen seine Worte sachlich. »Wir werden sie angreifen, wo wir sie treffen, Sohn. Wir sind die Herren der Berge, der Wüsten und der Canyons. Niemand kann unserer Kampfesleidenschaft widerstehen. Wir kennen die Wasserstellen und brauchen sie, den Mesquite, den fruchtbaren Boden für den Mais. Wir müssen von den Tieren der Berge leben, von den Pflanzen in den Tälern. Wir müssen kämpfen. Es ist unser Land, von unseren Vätern vererbt. Die Wüste gehört uns, die Quellen, Tinajas und die Pozitos. Alles Land von Nord nach Süd, Ost nach West, alle Flüsse gehören uns – alles, alles, was wir sehen, die Berge, die Täler, alles gehört den Chiricahuas. Wir lassen uns nicht vertreiben.« Er schwieg, rieb sich die Augen. Seine Hände sanken und legten sich flach auf die Oberschenkel. »Wie und wo willst du sie angreifen, Vater?« »In der Ebene, in der Wüste, dort, wo wir sie einzeln oder in kleinen Gruppen antreffen. Da unten, wo wir immer gelebt haben, sind wir ihnen überlegen. Es sind ihre Postkutschen, die
mehr und mehr Weiße in unser Land bringen. Wir vernichten sie. Es sind die Wagenzüge, die Massen von Einwanderer bringen. Wir vernichten sie. Es sind die Soldaten, die sie beschützen, die Festungen bauen, die wir nicht angreifen können. Wir vernichten sie.« Cochise stand auf und ging hinaus. Naiche blickte ihm nach. Ihm wurde bewußt, daß in diesem Moment der grausamste aller Guerillakriege begonnen hatte. Ein Guerillakrieg, der keinen Pardon kannte und keinen verlangte. * Der neue Tag graute bereits, als die beiden Scouts auf der Flucht vor den rachebrütenden Mimbrenjos über die Mesa peitschten und nach einem abwärtsführenden Canyon suchten, der nach Westen oder Norden führte. Pfeilschnell zogen regenschwarze Wolken von Westen, zerteilten sich an den weißen Gipfeln der Dragoons und luden dort den Regen ab, auf den man in der Wüste so dringend wartete. John drängte es, seinen Vorgesetzten so schnell wie möglich Bericht zu erstatten. Der sinnlose Kampf mußte ein Ende nehmen, damit das Land zur Ruhe kommen und aufgebaut werden konnte. Cochises Taktik war nicht zu durchschauen. Auf Massenunternehmungen ließ er sich nicht ein. Statt dessen überfielen seine kleinen Kriegsgruppen Reisende, Prospektoren und Siedler. Truppen, die ihre Verfolgung aufnahmen, mußten, wenn sie zu ihrem Stützpunkt zurückkehrten, erfahren, daß die Chiricahuas mittlerweile ein halbes Dutzend Orte in der entgegengesetzten Richtung heimgesucht hatten. Offensichtlich wußten sie über die Stationierung und die Bewegungen beinahe aller Soldaten und Zivilisten auf ihrem Territorium bestens Bescheid. Ihre Späher waren überall
unsichtbar zugegen. Und zweifellos war Cochise auch bei vielen dieser Beutezüge mit von der Partie. Cochise handelte nicht planlos oder gar spontan. Er ließ sich Zeit, hörte sich stundenlang geduldig die Berichte der Späher an, bevor er Entscheidungen traf. Aber nicht alle Massaker, die die Weißen so in Rage brachten, gingen von ihm aus. John Haggerty dämmerte es, was Cochise mit ihrer Freilassung bezweckt hatte. Zwei Gründe drängten sich zuerst in seine Überlegungen. Der erste Grund: Dankbarkeit. Der zweite: Übermittlung selbstgefaßter Meinungen und eigener Anschauungen über den sinnlosen Krieg in den Bergen. Cochise ging mit einer Schlauheit vor, die einem General der amerikanischen Armee alle Ehre gemacht hätte. Dieser Mann wußte, was er wollte. Er wußte es sogar haargenau. Scheinbar verstand er es, jeden seiner Gegenspieler genau einzuschätzen, nachdem er ihn lange genug taxiert hatte. Und John Haggerty war ja eine ganze Woche in seiner Gewalt gewesen. Cochise ahnte, daß der Scout schnurstracks zu seinem Kommando reiten würde, um Bericht zu erstatten. Und genau das lag in seinem Sinne. Ausgekochter Bursche, dachte John und ließ keinen Blick von der Hochebene. Bill Harwig, der vorausritt, zügelte so plötzlich sein Pferd, daß John beinahe aufgeritten wäre. Zehn Yards vor ihnen fiel die Mesa so steil in die Tiefe, daß sie bei dem milchigen Grau dort unten so gut wie nichts erkennen konnten. John kratzte sich unschlüssig seinen tagealten Bart. Von hier aus gab es keinen Weg in die Ebene. Mit einem Mal sah er eine Bewegung. Er gab Bill, der ständig über die Schulter schaute, einen Wink. Gemeinsam zogen sie sich in den Schutz einiger Klippen zurück. Ein Bär tappte am Mesarand entlang. Der Bär war es, der John stutzig machte. Bären waren keine Nachtjäger. Während dieser Zeit schliefen sie im Gebüsch oder in abgelegenen Höhlen. Etwas mußte das Raubtier
aufgescheucht haben. Der Bär war verschwunden. Etwas anderes trat an seine Stelle, bewegte sich vorsichtig weiter, hielt an, um gleich darauf wieder auf den Abgrund zuzugehen. Zwei Menschen. Apachen. Chiricahuas? John und Bill hätten es nicht zu behaupten gewagt. Auch die anderen Stämme zogen sich mehr und mehr zu Cochise hin, weil sie sich von ihm Hilfe und Schutz versprachen. Es konnten Mimbrenjos sein, aber auch Tontos oder Krieger eines anderen Stammes. Als sich einer der beiden einmal umdrehte und der Wind ihm ins Gesicht blies, sah Bill die Kriegsbemalung! Mimbrenjos! Sie hatten die Verfolgung aufgenommen und jagten auf ihrer Fährte. Cochise hatte es angedeutet und mit seiner Warnung bekräftigt. Sie kauerten sich tiefer in den Schatten und hielten ihren Pferden die Nüstern zu, damit ihr Schnauben sie nicht verriet. Mit ihren Blicken suchten sie die flache Strecke ab, die sich am Canyon entlang hinzog. John zuckte mit den Achseln. Nur zwei, damit wäre fertig zu werden. Aber wie viele waren noch in der Nähe? Er wußte es nicht und gebrauchte wieder seine breiten Schultern, um seine Resignation auszudrücken. Bis zum Camp der Dragoner waren es noch etwa zwölf Meilen, wenn er richtig schätzte. Aber selbst diese kurze Strecke konnte eine todbringende Strecke sein, wenn die Mimbrenjos hinter ihnen her waren. Er sah sie wieder. Sie kamen zurück. Anscheinend hatten sie ihre Spur verloren und liefen zum Ausgangspunkt zurück. Lautlos wie große Katzen glitten sie heran. Und ebenso lautlos waren sie plötzlich verschwunden. John ließ sich nicht täuschen. Er kannte ihre Art, sich unsichtbar zu machen, wenn sie etwas Feindliches bemerkt
oder Verdacht geschöpft hatten. Langsam zog er den Colt, spannte aber den Hahn nicht, dessen Klicken sie verraten hätte. Da waren sie wieder. Tief gebückt schlichen sie auf die Gruppe der Klippen zu. John gab Bill einen Rippenstoß und zeigte mit dem Kopf die Richtung. Bill stieß den Hauch über die Lippen. So leise das Geräusch war, John zuckte trotzdem zusammen. Apachen hatten scharfe Ohren. Sie konnten noch Geräusche wahrnehmen, die Weiße nie gehört hätten, außerdem waren sie mit der Wildnis besser vertraut. Bill Harwig brachte seinen Mund dicht an Johns Ohr. »Wo sind sie?« flüsterte er. John zog kurz die Schultern hoch. Er sah sie nicht mehr. Keine Bewegung verriet den Standort der Indianer. Seinen Körper stemmte er gegen den Pferdeleib, damit sich das Tier nicht bewegte. Dunst zog von der Ebene herauf, kroch wie Geisterfinger über die Mesa, verdeckte teilweise die Sicht. John und Bill starrten sich die Augen aus dem Kopf, sahen die Mimbrenjos jedoch nicht. Plötzlich steilte Bills Pferd und wieherte voller Angst. Der Scout wurde vorwärtsgestoßen und stolperte genau in das geschwungene Messer, das sein Leben abrupt beendete. Mit einem Röcheln sackte er in die Knie. John Haggerty zog den Hahn mit dem Daumen zurück und ließ ihn wieder vorschnappen. Die Feder riß den Schlagbolzen nach unten, der auf die Zündkappe der Patrone schlug. Ein blaugelber Strahl schoß donnernd aus dem Revolverlauf. Der erste Angreifer riß die Arme in die Höhe und stürzte auf Bill. Der zweite sprang über die beiden Toten hinweg und warf sich auf den verhaßten Weißen. Klinge prallte gegen Revolverlauf. Es gelang dem Scout, das Knie hochzureißen und dem Mimbrenjo in den Magen zu
rammen. Mit einem Schmerzensschrei krümmte die Rothaut sich zusammen. John hob die Waffe und schlug mit dem langen Lauf zu. Es klang dumpf und trocken. Der Indianer brach unmittelbar vor dem Scout zusammen und starb. Haggerty bückte sich, drehte Bill auf den Rücken. Gebrochene Augen starrten ihn an. Eine kalte Wut kroch in John empor, eine Wut, die keine Grenzen und keine humanen Gefühle mehr zu kennen schien. Zuerst Lefty Roman, das Halbblut, nun Bill Harwig. Wenn das sinnlose Morden so weiterging, würde es bald keinen Weißen und keinen Indianer mehr in den Dragoons geben. John konnte für seinen Freund nichts mehr tun. Er mußte weg. Möglicherweise schlängelten sich weitere Apachengruppen an ihn heran, um auch ihn zu töten. Er konnte Bill nicht mal ein anständiges Grab bereiten. Das mußte eine Patrouille später tun und Bill beerdigen. Er schwang sich auf sein Pferd, nahm Bills Tier am Zügel und ritt an. * Leute, die von diesen Dingen nichts verstehen, behaupten immer, daß das Erwachen aus einem Niederschlag nicht schmerzhaft sei. Hugh McDonnel hätte dies in diesem Augenblick nicht beschworen. Es wäre ein glatter Meineid gewesen. Als er sich im Straßenschlamm wälzte, um auf die Beine zu kommen, war so etwas wie wirbelnde Dunkelheit um ihn. Eine Schwärze, von bunten Lichtern durchwirkt. Ein seltsames Zerren zwischen seinen Rippen ließ ihn kurz und krampfhaft atmen. Und als er schließlich auf seinen Füßen stand und der Schlamm von seinem Körper zu Boden floß,
wurde ihm erst klar, daß er wieder bei Bewußtsein war. Wie eine riesige Erdkröte suchte er händerudernd und nach Gleichgewicht ringend die Tür zum ›Gouadeloupe‹. Als er eintrat, verstummten alle Gespräche sofort. Hank Doolin sprang trotz seines Flush, das er im Poker hatte, vom Stuhl auf und eilte ihm entgegen. »Verdammt, wer hat dich so zugerichtet?« »Die anderen, wer denn sonst. Ihnen paßt es nicht, wenn wir ihnen so auf die Zehen treten.« »Wer war es? Genau!« »Gale und dieser Grey, zwei ganz harte Brocken. Ich bringe sie um. Du kannst dich drauf verlassen, Boß.« »Schon gut, schon gut«, sagte Doolin beschwichtigend. »He, Miller, nimm ihn mit durch die Hintertür und reinige seine Kleider. Draußen ist ein Brunnen.« Miller erhob sich, warf McDonnels Arm über seine Schulter und schleppte den schwer Angeschlagenen hinaus. Es war tatsächlich ein Brunnen da. Mit der Winde zog Miller den vollen Eimer hoch, spreizte die Beine und brachte sich in Position. Zu all dem Regen, den der nachtdunkle Himmel auf die Erde schleuderte, kam nun die kalte Dusche über Hugh, der sich schnaufend und prustend nach hinten warf, um dem zweiten Schwall aus dem Eimer zu entgehen. »Ich bring sie um!« schrie er. »Ich bring sie beide um!« tönte es in die Regennacht hinaus, während seine Hände von oben nach unten glitten und den Schlamm von seiner Kleidung schabten. »Ich reiße ihnen die Haare einzeln aus, die Zähne schlage ich ihnen ein. Diese verdammten Hunde!« »Sei still!« sagte Miller und hing den Eimer wieder an den Haken. »Reg dich doch nicht auf, Hombre. Was wollten sie denn von dir?« »Mich nicht reinlassen, was denn sonst. Du weißt, was der Boß befahl: um jeden Preis herausbekommen, was sie tun, was
sie vorhaben, was sie…« »Geschenkt. Komm, gehen wir rein, der Regen ist scheußlich.« Miller öffnete die Hintertür, ließ Hugh vorgehen und ignorierte dessen ständiges Schimpfen. Wärme, Tabakqualm und Fuselduft schlugen ihnen entgegen. Mit einem Blick stellte Miller fest, daß Hank Doolin nicht mehr anwesend war. Er wandte sich an Wash: »Wollte Hank mit uns heute nacht nicht über den nächsten Coup sprechen?« Wash nickte. »Kommt noch, Curt, nur Geduld. Er ist mal kurz rausgegangen.« »Wohin, bei diesem Sauwetter?« Wash zuckte mit den Achseln. »Geheimnisvoll sind die Wege des Herrn.« »Schöner Herr«, maulte McDonnel. »Sieht seelenruhig mit zu, wie man mich verprügelt und rührt keinen Finger.« Wash fixierte ihn kurz. Das hämische Lächeln verriet nicht seine wahren Gedanken. Miller war es, als hätte Doolins Segundo etwas vor den anderen zu verbergen. Ein kühner Gedanke dämmerte ihm. Mit einem Ruck wandte er sich wieder der Hintertür zu. »Wo willst du hin?« fragte Wash. »Wo wir alle mal hin müssen, wenn's drückt.« Und schon war er draußen. Das freistehende Toilettenhäuschen beachtete er nicht. Eng an die Hauswand gepreßt lief er durch den Schlamm, stolperte über Unrat und leere Flaschen. Die Hinterfront des ›Galiuro‹ war hellerleuchtet. Grölender Gesang und das melodische Klimpern und Zupfen einer Gitarre drangen weit hinaus in die Dunkelheit. Die Kneipe hatte ein winziges Hinterzimmer, in dem gewöhnlich Flaschenreserven aufgestapelt waren. Das war
auch an diesem Tag so. Curt Miller warf einen Blick durch das schmutzblinde Fenster – und zuckte zurück. Auf einem Regal stand eine leere Flasche mit einer brennenden Kerze. Zwei Männer saßen auf Kisten, unterhielten sich, gestikulierten dabei. Der eine war Mortimer Gale, der andere… Miller sah noch einmal hin. Er kannte den Mann und doch wieder nicht. Ein gelber Regenumhang, wie ihn Cowboys zum Schutz gegen schlechtes Wetter trugen, bedeckte seinen Oberkörper bis zu den Füßen. Ein betrunkener Kerl kam durch die Hintertür, um zum Toilettenhäuschen zu gehen. Curt duckte sich hinter einen Stapel leerer Flaschen und verhielt sich still. Als das Planschen schwerer Stiefel auf morastigem Grund verstummte, wagte sich Miller wieder ans Fenster. Der Fremde mit dem tief herabhängenden Schlapphut, dem gelben Umhang und den Handschuhen an den Händen, redete unermüdlich und geduldig auf Mortimer Gale ein. Curt legte sein Ohr gegen das Fensterholz, aber verstehen konnte er nichts. Deshalb sah er den Burschen, der zur Toilette gegangen war, erst dann, als er weniger als drei Yards entfernt war und auf ihn zugestürmt kam. Er hatte sein Gesicht in den aufgeschlagenen Kragen einer dicken Wolljacke vergraben und fummelte mit einem nassen Streichholz herum, um sich eine angerauchte Zigarette anzuzünden. Dabei stand er schwankend auf den Beinen. Er rammte Miller, öffnete den Mund und sagte: »Wer, zum Teufel…« Er verlor im selben Augenblick seine Zigarette, starrte ihr nach, wie sie im Schlamm versank, und schimpfte: »Verfluchter Mist!« schaute dann hoch, grinste blöde und brabbelte: »Sorry, Mister, ich – ich habe dich nicht gesehen.«
»Schon gut.« »Scheißwetter, was?« Während dieser Bemerkung nestelte er in seinen Taschen herum. »Ja«, sagte Miller und versuchte ein Grinsen, während ihn die Ungeduld plagte. »So was nennt man Indianerwetter.« Um ihn loszuwerden, hätte ihm Miller gern zugestimmt. Aber in diesem Moment krachte das zusammenstürzende Haus auf seinen Kopf und drückte ihn mit dem Gesicht in den Matsch. * Die Sonne sank hinter die Felsen. Die Mulden in der Wüste und die Täler in den Bergen hatten sich mit dunklen Schatten gefüllt. Die grauen, kahlen Steinwände schienen jeden Weg aus dieser trostlosen Einöde zu versperren. Bis auf den einsamen Mann, der sein großes braunes Pferd am Zügel führte, war nirgendwo in dieser unermeßlichen Eintönigkeit eine Spur von Leben zu entdecken. Der heiße, trockene Wüstenwind fegte diesem Mann Sand und Unrat ins Gesicht, aber er störte sich nicht daran. Er wußte, daß er sich verirrt hatte, daß es von dieser Stelle aus keinen Weg in die Ebene gab. Die vergangene Nacht, den ganzen Tag war er geritten, verfolgt von Mimbrenjos, getrieben vom Verlangen, dem Armeeoberkommando seine Meldung zu überbringen. Nun war John Haggerty ziemlich am Ende. Durst peinigte ihn, quälender Durst und bleierne Müdigkeit. Aber er durfte sich nicht ausruhen. Sie waren ihm ganz dicht auf den Fersen. Vor einem Erdspalt blieb er noch einmal stehen und drehte sich suchend um. Die untergehende Sonne bestrahlte eine Klippenkette und tauchte sie in ein Blutrot. Dort oben bewegte
sich etwas. John kniff die Augen zusammen, fixierte die Gestalt, die hell und leuchtend vor dem purpurnen Himmel stand und die Arme ausbreitete. Ein Indianer. Cochise! Betete der Jefe? Nein, er signalisierte. Seine Arme hoben sich, der rechte winkelte ab, der linke schlug einen Kreis. Und schließlich sah der Scout, wem Cochise Befehle übermittelte. Jenseits der Erdspalte, weit hinten vor der Basis der Mesa, ritt eine Patrouille der Army. Staub wallte über der reitenden Truppe, zog mit ihr, leuchtete in den Strahlen des Sonnenuntergangs. Und dieser Staub war es, der die Patrouille nicht mehr aus Cochises Klauen ließ. John Haggerty sondierte das Gelände. Wild, zerklüftet und zersplittert schob es sich in eine Wüstenvegetation hinein, die aus Stachelgewächsen und Riesenkakteen bestand. Die gelben und roten Blüten der Ocatillobüsche klebten wie farbige Tupfer in der monotonen Landschaft. Haggerty sah Cochise immer noch hoch oben auf der Klippe stehen und mit den Armen rudern. Aber wo waren die Mimbrenjos? Er zog den Henry-Stutzen aus dem Scabbard, tätschelte dem erschöpften Wallach den Hals und entsicherte das Gewehr. Hier konnte er nicht weiter. Der Erdspalt war mindestens drei Yards breit und 350 Fuß tief. John mußte zurück, um sich einen anderen Abstieg zu suchen. Und das wiederum ging nicht, weil ihm die Mimbrenjos den Weg versperrten. Die Patrouille im Westen war verschwunden. Von Cochise sah John nichts mehr. Nur der ewig wehende Wind jaulte und warf Sand und Tumbleweed gegen die Dragoons. Langsam verlöschte das rote Himmelslicht. John zerrte sein müdes Pferd weiter, das entsicherte Gewehr in der Armbeuge. Er behielt die Richtung nach Westen bei und blickte sich immer wieder um, um nach den Mimbrenjos
Ausschau zu halten. Nach einer Viertelstunde geriet er in ein verwirrendes Labyrinth aus mächtigen Felsbrocken, die sich wie Türme aufeinanderstapelten. Speerdornbüsche und Manzanitas wuchsen in den Spalten. John musterte die wirre Ansammlung von Felsen und stacheliger Vegetation. Sie bot Schutz vor der anbrechenden Nacht und den Mimbrenjos. Kurz entschlossen bahnte er sich einen Weg in das Innere der Felsenburg. Seltsam, der Weg führte plötzlich abwärts. John zögerte einige Sekunden lang, dann ging er langsam weiter. Der Wallach hinter ihm schnaubte leise, aber unwillig. John wußte, was dem Tier fehlte. »Sei still«, sagte er. »Ich habe genauso Durst wie du.« Es ging abwärts. Zerklüftete, zerrissene Wände strebten seitlich empor. Der Boden der finsteren Klamm war geborsten. Handbreite Spalten klafften, ließen Mann und Pferd stolpern. Die Echos seiner Schritte und die der klirrenden Eisen des Pferdes schallten wie Hammerschläge auf einem Amboß. Der große Mann, der sein Pferd führte, war allein in dieser abgeschiedenen Ecke der Welt, wo die Einsamkeit schon manchen Weißen in den Wahnsinn getrieben hatte. Schüsse! Unvermittelt blieb der Scout stehen. Eine ganze Salve donnerte und brachte die Wände des natürlichen Kamins zum Zittern. Sand rieselte. Nagetiere huschten zu Johns Füßen und verkrochen sich ängstlich quietschend. Wieder eine Salve, die in sporadisch gelenktes Gewehrfeuer überging. Der Scout wußte, was die Knallerei zu bedeuten hatte. Cochise griff die Patrouille an, die sich heftig wehrte. Und er wußte noch etwas. Wenn er weiter in die Tiefe kam, würde er mitten in das Kampfgeschehen hineinplatzen. Der Wind sprang um, wurde kälter, hüllte Roß und Reiter erbarmungslos in beißenden Staub. Die Nacht brach an, und bis der Mond aufging, würde es sehr dunkel werden. John mußte
weiter, der Patrouille zu Hilfe eilen. Heftig zerrte er am Zügel, aber das Pferd blieb störrisch und wollte keinen Schritt mehr machen. Vielleicht hatte es auch Angst vor dem steil nach unten führenden Weg und vor dem Schießen. John zwang ihm seinen Willen auf, zog es förmlich. Es war dämmerig, als er auf die breite Schlucht stieß, die in die Wüste hinausführte, und der wehende scharfkörnige Sand griff mit rauhen Fingern nach ihm. Die Hufe des Wallachs schlugen gegen den Fels und hallten durch den Abend wie die Glocken einer Kathedrale. Ununterbrochen krachten Gewehr- und Pistolenschüsse. Vorn im Canyon sah John Rauch. Etwas brannte. Die schwarzhaarigen Teufel hatten mit ihren Brandpfeilen irgend etwas in Flammen gesetzt. John ließ das bockende Pferd stehen und rannte weiter. Vor der Kehre verhielt er, um sich zu orientieren. Hinter der Krümmung breitete sich der Canyon zu einem ovalen Rund aus. Trockene Büsche und verdorrte Kakteen brannten lichterloh und schickten einen beißenden Rauch zum Himmel. Mitten in einer Insel aus Steinen und klobigen Felsen hatte sich die Patrouille verschanzt. Sie schoß, was die Läufe hergaben. Aber auf was schossen die Soldaten? Kein Apache war zu sehen, nichts rührte sich im Dickicht an den Canyonwänden. Trotzdem: die Uniformierten waren eingeschlossen und konnten weder vorwärts noch rückwärts. Ihre Pferde steilten und wieherten aus Angst. Wieder krachte es, als wäre der Weltuntergang angebrochen. Vereinzelte Schreie hallten herüber. Und dann brandete ein Geheul auf, daß es John eiskalt über den Rücken rieselte. Von allen Seiten brachen graue Gestalten wie Dämonen aus einem unbekannten Reich über die Soldaten herein. Messer blitzten, Pfeile schwirrten, fanden ihre Ziele, löschten Leben aus.
In wenigen Minuten war alles vorbei. John Haggerty, den das Entsetzen gepackt hatte, lag hinter dem Stacheldickicht und starrte ungläubig auf das tanzende, schreiende Hölleninferno, das sich vor dem brennenden Hintergrund abspielte. Und dann floh er, die Angst einer möglichen Entdeckung im Nacken. * Sein Pferd stolperte vor Schwäche. John sprang ab, nahm die Feldflasche vom Sattelhorn und schüttelte sie. Eine Handvoll brackigen Wassers, mehr nicht. Er setzte seinen Feldhut ab, schüttete das Wasser in die Krone und ließ das Pferd saufen. »So, mein Alter, mehr kann ich nicht für dich tun. Nur noch fünf Meilen, die mußt du aushalten.« Der Wallach warf den Kopf in die Höhe, blähte die Nüstern. Das bißchen Feuchtigkeit hatte ihn sichtlich belebt. Dann schnaubte er warnend. John wirbelte herum – und stand wie versteinert. Keine halbe Meile vor ihm schnellte eine sechsspännig gezogene Postkutsche der Butterfield Overland aus einem Canyon und folgte einem unsichtbaren Weg. Schüsse fielen. Der Fahrer hieb mit der langen Peitsche unermüdlich auf die Gäule ein, um das Letzte aus ihnen herauszuholen. Auf dem Bock schoß der Begleitmann – grimmig, in Panik. Schuß auf Schuß fegte in den dichtgeschlossenen Pulk verfolgender Apachen. Allen Rothäuten voran preschte ein hochgewachsener Indianer in der traditionellen Wüstenkleidung der Chiricahuas. Cochise. Hinter ihm ritt Naiche, sein zweiter Sohn, auf einem Pony, das Gewehr in der freien Hand. Aus dieser Distanz sah es aus, als folgte dem Jefe ein zweiter Cochise, so groß war die Ähnlichkeit zwischen den beiden
Apachen. Der Braune an Johns Seite wieherte leise. Ahnte er, was sich dort vorn abzuspielen begann? Das grelle Kriegsgeschrei der Chiricahuas klang grauenerregend, untermalt von den Schüssen der Reisenden aus der Kutsche. John Haggerty wunderte sich nicht wenig und schüttelte mehrfach den Kopf. Chiricahuas kämpften nicht in der Nacht. Dort drüben aber wurde gekämpft. Zwei Rothäute stürzten von ihren Ponys und blieben liegen. Aber auch in der Kutsche gab es Verluste. Aus dem rechten Wagenfenster hing der Oberkörper eines Mannes, einen gefiederten Pfeil im Rücken. Im gleichen Augenblick sank auch der Begleitmann auf dem Bock zusammen. Die hochbordige Concord kam näher, beschrieb eine Schleife, dem unsichtbaren Weg folgend, und hielt dann direkt auf den Scout zu. Mierda! Das fehlt mir gerade noch, dachte John und fluchte lautlos. Die Stagecoach drehte nach Nordosten ab und änderte die Richtung. Wie ein Kometenschweif galoppierten die Ponys hinter dem Fahrzeug her. Was der Fahrer auch anstellte, den brüllenden Teufeln zu entkommen, es gelang ihm nicht. Sie holten mehr und mehr auf, ritten bereits im toten Winkel hinter der Kutsche. Einer schwang sich auf das Kastengestell, kletterte nach oben und warf sein Kriegsbeil. Tödlich getroffen, fiel der Fahrer seitlich vom Sitzbock. Noch ein paar Schüsse fielen aus dem Innern der Kutsche, aber sie verstummten gleich darauf. Verwehende Schreie. Richtige Todesschreie. Die Pferde wurden von braunen Fäusten angehalten, ausgeschirrt und von zwei anderen Kriegern übernommen. Noch einmal peitschte ein Revolverschuß durch die Nacht. Kein Indianer griff sich an die Brust und stürzte. John wußte,
was der einzelne Schuß zu bedeuten hatte. Lieber tot, als den Rothäuten in die Finger fallen. So dachten die meisten Weißen. Ein Apache schoß einen Brandpfeil auf das Fahrzeug ab, das daraufhin sofort lichterloh zu brennen begann. Zähneknirschend verfolgte John Haggerty das blutige Schauspiel, ohne helfen zu können. Es wäre auch sinnlos gewesen. Gegen zwanzig Chiricahuas hätte er keine Chancen gehabt. Das Drama neigte sich drüben seinem Ende zu. Wie eine riesige Fackel brannte die Concord lodernd zum Himmel. John konnte jede Einzelheit erkennen. Cochise bestieg einen Hügel, blieb mit verschränkten Armen stehen, während seine Krieger die Toten skalpierten und ausplünderten. Schließlich war auch dieses Kapitel eines gnadenlosen Kampfes abgeschlossen. Die Apachen scharten sich um den Hügel, schwangen triumphierend die blutigen Skalps. Als Cochise die Arme hob und zu reden begann, verstummte das Geschrei. Ehrfürchtiges Schweigen ließ die Stimme des Häuptlings weithin erschallen. Der Jefe sprach lange und eindringlich. John Haggerty hätte wer weiß was dafür gegeben, wenn ihm die Rolle eines unbemerkten Lauschers vergönnt gewesen wäre. Als Cochise schwieg, den rechten Arm ausstreckte und nach Südwesten wies, wurde John klar, daß in dieser Nacht weitere Brandfackeln zum Himmel lodern und zahllose Weiße ihr Leben lassen sollten. »Koh Cheez!« schrien die Chiricahuas. »Koh Cheez!« Danach kam das »Zastee! Töte!« * »Mr. Haggerty, Sie waren eine Woche lang Cochises Gefangener?« fragte General Oliver O. Howard ziemlich
maliziös. »Wie Sie sagten, sind Sie ihm nicht entkommen, sondern er ließ Sie und den Scout Harwig frei? Ist das nicht ein wenig zu außergewöhnlich, um glaubhaft zu klingen?« John Haggerty rieb sich die übermüdeten Augen, nahm kurz Haltung an, während er den Grimm hinunterschluckte. »Sir, ich bin Scout und kein Fabulierer. Was ich sagte, stimmt wie der Punkt auf dem i. Cochise ließ uns frei.« Colonel White räusperte sich und warf Haggerty einen warnenden Blick zu, den dieser mit einem Schulterzucken beantwortete. »Sie können sich keinen besonderen Grund erklären?« bohrte Howard weiter. »Doch, Sir. Zwei Gründe. Der erste ist eine gewisse Dankbarkeit, weil ich seiner Schwester half. Der zweite kann wohl in der Tatsache gesehen werden, daß der Jefe durch mich eine Nachricht an das Oberkommando in Arizona übermitteln will.« »Wie lautet die Nachricht?« »Friede, Sir. Friede, bevor der letzte Weiße und der letzte Indianer sich gegenseitig umgebracht haben.« »Friede?« Howard lachte verächtlich. »Mann, wissen Sie überhaupt, was Sie da reden? Die Apachen überfielen in den letzten drei Tagen vier Patrouillen, zwei Farmer, einen Wagenzug und zwei Postkutschen. Nichts als Tote und Asche blieben zurück. Und da sprechen Sie von Frieden?« »Ja, Sir, ganz bewußt. Berücksichtigen Sie ihre Mentalität, Sir, dann wissen Sie, warum sie die Weißen angreifen. Cochise will den Krieg nicht, er wird ihm von den Kriegern aufgezwungen. Wenn er nichts tut, um sie bei Laune zu halten, schlagen sie ungezielt los. Apachen fühlen sich nicht unbedingt an einen bestimmten Häuptling gebunden, sie schulden ihren Führern keinen blinden Gehorsam und keine Gefolgschaftstreue.« Howard erwiderte:
»Ich kann Sie nur schwer verstehen, Haggerty. Tut mir leid. Trotzdem, was schlagen Sie vor?« Johns Hand strich über den wochenalten Stoppelbart. »Ich schlage eine Unterredung mit dem Jefe vor, Sir. Sie und er, sonst niemand. Wenn Sie es geschickt anfangen, General, kann's zum Erfolg führen.« »Ich soll bei einer Rothaut um Frieden nachsuchen? Sind Sie des Teufels?« »Er ist kein gewöhnlicher Indianer, Sir… General. Sprechen Sie mit ihm, und Sie werden verstehen, was ich meine.« Howard ging im Zelt auf und ab. Mitunter warf er unruhige Blicke auf die beiden Colonels, die sich mit keinem Wort äußerten. »Sie meinen wirklich…?« setzte Howard noch einmal an. Und als Haggerty nickte, fuhr er mißmutig fort: »Also, meinetwegen. Wie wollen Sie die Besprechung zusammenbringen und wo?« »Ich reite morgen zu Cochise zurück und werde ihn darum bitten. Termin und Ort werde ich von ihm erfahren. Nur Sie und er«, fügte er noch einmal warnend hinzu. White trat vor. »Pardon, General, darf ich eine Frage an den Scout richten?« »Bitte.« White fixierte Haggerty. Als er zu sprechen begann, klang Sarkasmus aus seinen Worten. »Was eigentlich macht Sie so sicher, Mr. Haggerty, daß Cochise wirklich Wert darauf legt, sich mit der Armee über einen Frieden zu unterhalten? Steht er so hoch in Ihrer Wertschätzung, Scout, oder ist es das Mädchen, von dem Sie sprachen? Sie haben es doch geheilt, nicht wahr?« Johns Augen verengten sich. »Colonel, was wollen Sie damit sagen?« »Sie ist eine Wilde, Mr. Haggerty.« »So, eine Wilde?« John räusperte sich. Nur der Anstand
verbot ihm, dem Offizier ins Gesicht zu schlagen. »Colonel White, ich habe unter den Weißen mehr Wilde kennengelernt als unter den Apachen. Gehen Sie doch mal nach Tucson, Tombstone oder Sentinel, besuchen Sie die Kneipen, die Tingeltangels und die Hurenhäuser, und wenn Sie dann noch der Meinung sind, daß dort keine Wilden verkehren, wird Ihnen der Begriff Wilder niemals klarwerden.« White wurde rot. Er hatte eine scharfe Erwiderung auf der Zunge, aber Howards eisige Miene ließ ihn verstummen. »Das war nicht wörtlich zu verstehen«, räumte er widerwillig ein. »Nicht in diesem Sinne. Ich meine, sie haben keine Religion, keinen Gott…« »Ach, schweigen Sie!« unterbrach Haggerty ihn grimmig. »Sie haben sehr wohl eine Religion, und sie haben einen Gott, den sie den Großen Geist nennen. Er hat nur einen anderen Namen, aber er ist der gleiche Gott.« Er drehte sich um, salutierte vor General Howard. »Ich darf mich empfehlen, General… Sir. Sobald ich Cochises Zusage habe, melde ich mich. Guten Abend, Gentlemen.« Die Zeltklappe fiel mit einem seltsamen Schmatzen hinter ihm zu. * Der Regen kühlte seine Stirn und durchnäßte gleichzeitig seine Kleidung. Mühsam raffte er sich auf, stützte sich mit gespreizten Händen gegen die Hauswand. Es fiel Miller schwer, seine Gedanken zu ordnen und herauszufinden, was geschehen war. Etwas war auf seinen Kopf gekracht. Hatte der Kerl, der ständig an seiner Hose herumgefummelt hatte, ihn niedergeschlagen, oder war es durch die offene Hintertür geschehen?
Langsam bekam er wieder Gewalt über seinen Körper. Das Drehen vor seinen Augen hörte auf und wich mehr und mehr einem Übelkeitsgefühl, das über den Magen heraufzog. Miller seufzte, erbrach sich und lehnte sich schließlich mit dem Rücken an das Haus. Es gelang ihm nicht, die Dinge in den Griff zu kriegen. Schließlich fiel ihm sein Lauscherposten bei der anderen Kneipe ein. Er schleppte sich hin und warf einen Blick durchs Fenster. Die beiden Männer saßen immer noch dort, redeten und tranken. Lange konnte er also nicht ohne Bewußtsein gewesen sein. In diesem Moment sah er den Mann im Schlapphut von der Seite. Er trug die Bandana bis zu den Augen hochgezogen und die Hutkrempe so tief in der Stirn, daß von seinem Gesicht nichts zu erkennen war. Auch zu hören war nichts. Die beiden sprachen so leise, daß ihre Worte kaum bis zum Fenster drangen. Aber dann erhob sich Mortimer Gale, stieß versehentlich gegen das Regal. Flaschen klirrten und ergaben einen seltsamen hellen Unterton zu den murmelnden Stimmen der beiden Männer. »Du wirst dich also darum kümmern«, sagte der Maskierte dumpf. »Die Beute muß morgen nach Mexiko gebracht und dort bei Alfonzo Spade abgegeben werden. Alles Weitere ist dann nicht mehr deine Sache.« Miller wagte einen kurzen Blick durchs Fenster. Als sich Gale zufällig herumdrehte, zuckte er zurück. »Hast du vergessen, daß wir die Gran Desierto durchqueren müssen, Boß, wenn wir Nogales erreichen wollen?« »Und?« »Gegen einen Trupp räuberische Apachen habe ich mit den paar Leuten keine Chance. Kürzlich wurde wieder ein Wagenzug der Armee aufgerieben.« »Die Indianer werden dich in Ruhe lassen, dafür garantiere ich«, entgegnete der Maskierte. »Du kennst doch den Weg durch den Camino del Diablo?«
»Mir wäre es lieber, du würdest mir diesen Scout mitgeben, der sich bei dir vor der Armee verkriecht.« Der Maskierte winkte ab. »Das geht nicht, Mort. Ausgeschlossen. Ich traue dem Kerl immer noch nicht ganz. Er schnüffelt mir einfach zuviel herum. Überall steckt er seine Nase rein und kümmert sich um jeden Dreck, der ihn nichts angeht. Also, kennst du den Weg?« Gale nickte. Miller sah die Kopfbewegung und konzentrierte sich nun voll auf das Gespräch. Der Maskierte erhob sich ebenfalls und machte ein paar Schritte zur Tür. Dort blieb er stehen. »Sechzehn Maultiere«, sagte er. »Sechzehn hochbeladene Packmulis. Das wird nicht einfach werden, Mort. Schaffst du das?« Gale zuckte mit den Achseln. »Wir sind zu sechst, es müßte eigentlich zu schaffen sein. Mir machen nur die Apachen Sorgen.« »Ich sagte, die kannst du vergessen. Also, in acht Tagen sehen wir uns wieder. Vaya con dios!« Er verließ den Raum. Miller zog sich hastig zurück. Es regnete immer noch Bindfäden, hinzu war ein kalter Wind gekommen, der vom Gebirge herunterfegte. Als er die ›Gouadeloupe‹-Bar erreicht hatte, öffnete er vorsichtig die Hintertür. Seine durchnäßten Stiefel quietschten, als er eintrat und die Tür hinter sich schloß. Zahlreiche Augen starrten ihn an. Miller setzte sich auf seinen alten Platz und krümmte sich ein wenig zusammen. Doolin war noch nicht zurückgekehrt, dafür waren die anderen alle da. Fred Honda warf ihm einen nachdenklichen Blick zu und fragte: »Lange weggeblieben, wie? War's schön?« Miller wußte nicht, was der Outlaw meinte. Ausweichend antwortete er: »Es ging. Muß was Verkehrtes gegessen haben. Na, wird
schon wieder.« Er nahm sein Bierglas in die Hand und trank. Gleichzeitig schlug die Tür auf und Hank Doolin trat ein. Er schüttelte das Wasser aus dem Wolfsfellmantel, den er wegen der nächtlichen Kühle übergezogen hatte, und kam an den Tisch. Sein Blick fiel zufällig auf den Boden. Ein schmales Rinnsal schlängelte sich unter dem Tisch hervor, ausgehend von einem Paar durchweichter Stiefel und nasser Hosenbeine. Doolin stutzte. »Wo bist du gewesen?« fragte er mißtrauisch. Honda lachte. »Er hat's in den Därmen«, krächzte er und schniefte. »Und wenn's bei einem Mann da zwickt, muß er, ob's nun regnet oder nicht.« Doolin verzog seinen Mund. »Halt's Maul, Fred! Ich habe euch allen eingetrichtert, nur zu reden, wenn ihr gefragt werdet. Von mir gefragt. Verstanden?« »Okay, Boß, war nicht so gemeint.« Curt Miller sah sich in der Runde um. Von diesen Männern hatte ihn keiner niedergeschlagen, das war sicher. Sie alle hatten ihre Plätze nicht verlassen, während er draußen gewesen war. Und Doolin? Nein, der auch nicht. Es mußte ein kleinerer und schwächlicherer Typ gewesen sein, der ihn ins Reich der Träume geschickt hatte. Mit einem harten Gegenstand, der jedoch nicht so hart gewesen war, um seinen Schädel zu verletzen. Miller fiel ein, daß er Doolin eine Antwort schuldig war. Er sah auf und sagte mit betonter Sicherheit: »Muß was mit dem Magen sein, Boß. War schon zum zweitenmal draußen, aber…« Doolin hatte sich gesetzt und einen langen Schluck aus
seinem Glas genommen. Unwirsch winkte er ab. »Hört mal her, Jungs«, sagte er. »Morgen reiten wir nach Westen und kümmern uns ein bißchen um den Camino del Diablo. Freunde von mir brauchen ein sicheres Geleit bis zur Wüste. Wir reiten alle, ohne Ausnahme, auch diejenigen, denen es in den Därmen rumort. Kapiert?« Elvis Wash nickte. »Okay, Boß. Darf man fragen, was das für Freunde sind?« »Freunde«, erwiderte Doolin und warf einen finsteren Blick zu Wash hinüber. »Gute Freunde. Noch was?« Wash schüttelte den Kopf. »Was machen wir, wenn uns Apachen angreifen? Im Augenblick ist dort unten der Teufel los. Cochise fällt über alles her, was eine weiße Haut hat und…« »Sie greifen uns nicht an«, unterbrach Doolin ihn hart. »Kümmert euch um eure Angelegenheiten und überlaßt die Führung der Bande mir. Noch etwas: In der Nähe von Nogales gibt's 'ne Pferderanch. Alles ausgesuchte Zuchttiere. Ich denke, wir nehmen das Geschäft mit, wenn wir schon so weit im Süden sind.« Elvis Wash und Hugh McDonnel wechselten einen schnellen Blick. Miller sah die stummen Zeichen der Augen und erkannte ihren Sinn. Wenn er sie nicht zu deuten gewußt hätte, wären sie ihm spätestens bei Hugs Worten klargeworden. »Zuchtpferde sind aber 'ne Menge mehr wert als der Krimskrams, den wir bei den Rothäuten einheimsen, Boß. Ich denke, du erhöhst unseren Anteil um ein Beträchtliches. Immerhin ist auch das Risiko für die Bande größer und die Abwicklung der Geschäfte gefährlicher. Die geringste Unaufmerksamkeit, und wir haben einen Sternschlepper auf unserer Fährte. Wie siehst du die Sache, Boß?« Doolin schien sie anders zu sehen, nicht als gutes Recht seiner Männer, von einer größeren Beute auch mehr Anteil zu erhalten. Sein Gesicht überzog sich wie mit Gewitterwolken.
»Wir teilen immer ehrlich«, antwortete er. »Zwei Fünftel für mich, der Rest für euch. So war's vereinbart. Schließlich muß ich alles planen und mir Gedanken darüber machen, wo sich der nächste Coup lohnt…« »Großer Gott!« unterbrach Fred Honda ihn mit gespieltem ehrfürchtigem Staunen und heuchlerischer Einfalt in der Stimme. »Diese Masche – nein!« Seine Hand fiel klatschend auf den Tisch. »Haben wir jemals einen lohnenden Coup ausgeführt, der was einbrachte?« fragte er mit beißender Ironie. »Plunder! Flitterkram und Glasperlen, wertloses Zeug, das sich nicht einmal mitzunehmen lohnte. Wie du das Zeug an den Mann bringen und dafür noch gute Dollars bekommen konntest, wird für alle Zeiten dein Geheimnis bleiben.« »Werde nicht unverschämt, Fred.« Aber Honda ließ sich nicht einschüchtern. »Coup? Pah! Mich und die Jungs würde interessieren, von welchem lohnenden Unternehmen du überhaupt sprichst.« Doolin stand auf und stemmte die Fäuste auf den Tisch. »Hört zu«, knurrte er wütend, »ihr könnt jederzeit aussteigen – alle! Solche Schlappschwänze wie euch kriege ich überall. Los, haut ab! Verduftet, wenn euch meine Anordnungen nicht mehr gefallen!« Betretenes Schweigen. Zurückhaltung. Sie hätten sich absetzen und verschwinden können, und niemand hätte sie vermutlich daran gehindert. Aber wohin? Die andere Bande wollte sie nicht. Sie, die Geldschrankknacker, Posträuber und Waffenhändler lebten im Überfluß, wären aber nie bereit gewesen, einen Anteil ihrer Beute abzugeben. Millers Blicke glitten an den Gesichtern der Männer entlang, die die Köpfe hängen ließen. Doolin hatte sich wieder in der Gewalt, pochte hohnvoll und siegessicher mit den Knöcheln auf den Tisch und ging. Niemand rief ihm etwas nach. Eine lange Weile schwiegen die Banditen, grübelten vor sich hin. Curt Miller berichtigte
seinen anfänglichen Verdacht. Doolin war nicht gleichzeitig auch der Boß der anderen Bande, wie er draußen vor dem Fenster vermutet hatte. Er hatte den Maskierten mit dem Halstuch und im gelben Mantel gesehen. Doolin aber war mit einem Pelzmantel hereingekommen. Er stand auf. »Ich muß schon wieder«, sagte Miller und verließ den Saloon durch die Hintertür. * Der Mond ging auf, als John Haggerty den westlichen Teil des Passes erreichte. Eine weite, ebene Fläche lag vor ihm, und an ihrem Rand erhoben sich die Berge gegen den Nachthimmel. Seit drei Tagen war er unterwegs, um Cochise zu finden. Schlucht für Schlucht, Ebene für Ebene hatte er abgesucht. Aber der Jefe blieb mit seinen Kriegern wie vom Erdboden verschluckt. Der Wallach wieherte verhalten. Haggerty hob schnell den Kopf. »Witterst du etwas, Junge?« Da vorn ragte irgend etwas dunkel auf. »Bäume, bei Gott!« murmelte der Scout. »Tatsächlich Bäume.« Wo es die gab, war vermutlich auch Wasser. Aber wo Wasser war, da hielten sich womöglich auch Apachen auf. Sie kannten die Gewohnheiten der Weißen. Die liefen durstig wie Schafe zum Wasser, und sie blieben auch beim Wasser und lagerten dort. Deshalb waren sie auch so leicht wie Schafe zu erledigen. John wollte weiter, aber ein erneutes Schnauben hielt ihn wieder auf. Seine Augen suchten in der Finsternis. Bewegung, unklare Laute. Eine Glocke läutete. Stimmen.
Und dann sah er sie. Die Maultiere kamen aus der Ebene und zogen zum Wasser. Flankiert von sechs Reitern, die wie nasse Säcke auf ihren Pferden saßen, schlichen die müden Maulesel durch den Sand, der erste mit dem Schwanz an das Zaumzeug des zweiten gebunden und so fort. John schwang sich aus dem Sattel. Zu Fuß war ein Mann in der Wüste schlechter zu erkennen als hoch zu Pferd – Apachen hatten scharfe Augen und ein feines Gehör. Dem Scout war es klar, daß die Chiricahuas die Maultierkarawane beobachteten. In der Nacht griffen sie zwar nicht an, aber sobald das erste Grau des neuen Tages über den Horizont zuckte, dann waren sie da. Und sie würden sich erinnern, in der Nacht einen einzelnen Reiter gesehen zu haben. Mit dem Pferd am Zügel zog er sich tiefer in die Klippen zurück, durch die er vor wenigen Minuten geritten war. Im Schatten einiger zerklüfteter ›Haifischzähne‹ blieb er stehen, beschwerte die Zügel mit einem Stein und wandte sich dann wieder der Wasserstelle dort draußen zu. Die Reiter hatten die Maultiere inzwischen in einen Kreis laufen lassen und die Lasten von ihren Rücken genommen. Einzeln führten sie die Tiere zur Tränke. Zwei andere zogen einen Seil-Corral zwischen flachkronigen Bäumen und trieben die getränkten Tiere hinein. Ein Feuer flammte auf. Ein mächtiges Feuer. Idioten! dachte John und schüttelte den Kopf. Kein Indianer würde ein solches Feuer abbrennen und sich dann noch gut sichtbar vor die Flammen setzen. Nach einer Weile sah John Haggerty wieder hinüber und wunderte sich über das lautstarke Lagerleben. Das Feuer knackte und prasselte, Stimmen brüllten förmlich, um sich verständlich zu machen. Man aß, trank, lachte und schrie in die Nacht, daß jeder Apache in 30 Meilen Umkreis hellhörig werden mußte.
Plötzlich bemerkte John einen huschenden Schatten. Weg war er. Da, jetzt wieder. In dieser Sekunde wußte der Scout, daß er Cochise gefunden hatte. Er ließ sein Pferd zurück, lief los, tief geduckt. Er blickte sich ununterbrochen um – nach links und rechts, nach vorn und hinten, und hörte nicht auf damit. Wer aufhörte, sich umzusehen, starb sehr schnell. Hinter einem Steinhaufen kauerte er sich nieder. Deutlich konnte er das Camp vor sich sehen. Die sechs Kerle tranken Whisky und ließen die Flasche kreisen. Dann sah er auch den Späher wieder. Der Apache kroch auf Händen und Füßen näher zum Feuer heran. In einem Tamariskendickicht blieb er liegen und verhielt sich still. John sah nichts mehr von ihm. Langsam brannten die Flammen nieder, und die Flasche kreiste nicht mehr. Stille zog beim Lager ein. John sah den Indianer aus dem Gebüsch huschen und das Weite gewinnen. Er zog sich ebenfalls zu seinem Pferd zurück, setzte sich auf einen Stein und drehte sich eine Zigarette. Als er sie hinter der vorgehaltenen Hand anzündete, schloß er die Augen, um nicht geblendet zu werden. Das Tier hinter ihm verhielt sich still. John stand auf, nahm die Wasserflasche vom Sattelhorn und schüttete den Rest in seinen Hut. Er ließ das Pferd saufen, anschließend band er ihm den Futtersack um. Die Nacht schleppte sich in monotoner Gleichmäßigkeit dahin, und während die Sterne zu verblassen begannen, erhob sich John und kletterte den Hang hinauf. Als er auf dem Kamm stand, erkannte er die Bewegung ein Stück weiter rechts. Das erste schwache Grau stahl sich über die Berge. Wieder eine Bewegung. John legte sich auf den Boden und robbte dichter heran. Sein Gewehr zog er immer ruckartig mit. Keuchend blieb er liegen. Er traute seinen Augen kaum, als sich die Gestalt vor ihm aufrichtete und die Arme ausbreitete.
Nackt, wie sie war, nur mit einem gefleckten Lendenschurz aus Pantherfell bekleidet, wirkte sie wie eine heidnische Gottheit. John kroch näher. Vor dem Indianer fiel der Gebirgskamm in langen Terrassen in die Ebene hinab, und dort unten war das Lager der Maultierkarawane. In diesem Augenblick strahlte das erste Morgenlicht über den Gebirgszug. Der Indianer trat vor bis an die erste Terrasse, starrte herab. Da erkannte ihn John Haggerty. Cochise! John blickte hinüber zu den anderen Felsformationen. Bewegung überall. Seine Kehle war trocken und wund, wie mit Sand geschmirgelt, und er hätte keinen Ton hervorgebracht, wenn er dies gewollt hätte. Cochise hob die rechte Hand, gab ein Zeichen. Dann nahm er das Kriegsbeil aus der Linken und schwang es hoch über seinem Kopf. Er befahl den Angriff. John mußte die Leute dort unten im Lager retten. Leise stand er auf, nahm den Henry-Stutzen beim Lauf und schlug mit dem Kolben zu. Cochise brach wie vom Blitz getroffen zusammen. Ein gleitendes Kratzen, Schaben neben John. Ein zweiter Krieger stürzte sich auf ihn. John fiel ihm in den Arm, wehrte die zum Stoß erhobene Messerhand ab und stieß den Chiricahuas zurück. Ganz plötzlich wurde es taghell. John erkannte den jungen Krieger: Naiche. Er warf sich wieder auf den Weißen, dabei stieß er einen wütenden Schrei aus. Sie rangen miteinander, versuchten sich gegenseitig mit dem Knie in den Magen zu treten. John bekam allmählich die Oberhand, aber sein Sieg war so weit entfernt wie der Mond. Hinter ihm richtete sich der Jefe wieder auf und sprang hoch. Tödlich wie ein Vipernbiß warf er sich auf John Haggerty und schlug mit der Streitaxt zu.
Johns Hände verkrampften sich in das graue Hemd Naiches, riß es ihm fast vom Körper. Und als er fiel, zerrte er den jungen Krieger mit zum harten Felsboden. Cochise schwang die Axt, die den Scout niedergeschlagen hatte. Mit einem gellenden Schrei gab er das Zeichen zum Angriff. * Sie kamen den langen Hang herunter und bogen in das steinige Tal ein, das, wasser- und vegetationslos, zwei Gebirgsstöcke miteinander verband. Elvis Wash führte den Trupp. Hinter ihm ritten Fred Honda, Hugh McDonnel und Hank Doolin. Curt Miller machte den Schluß. Unten angelangt, übernahm Doolin die Führung und ritt einen gewundenen Canyon an, der in das Tal mündete. Der Weg führte bergauf, um auf der Höhe des Kammes wieder sanft nach unten zu fallen. Miller hielt immer noch den Schluß. Gedanken glitten wie bunte Lichter durch seinen Kopf. Doolin hatte kein Vertrauen zu ihm und machte dies bei jeder Gelegenheit deutlich. Curt Miller seinerseits grübelte ständig über die vergangenen Tage nach und wurde sich mehr und mehr bewußt, daß sein Leben in Gefahr war. Doolin würde ihn ermorden lassen, wie es mit Buster Liven geschehen war, der zuviel gewußt hatte. Auch er wußte einiges, jedoch konnte er sich noch kein klares Bild von der Gesamtsituation machen. Doolin überfiel am liebsten Indianerdörfer, ließ Frauen, Kinder und alte Leute töten, raubte wertlosen Plunder, wie Gebrauchsgegenstände, Pfeile und Lanzenspitzen, und erhielt von irgendwoher Geld dafür. Eine andere Bande von Outlaws, die sich ebenfalls in Santa Magdalena eingerichtet hatte, überfiel Wagenzüge, Posthaltereien und Banken. Sie machten das große Geld.
Miller gelang es trotz intensiven Nachdenkens nicht, etwas Verbindendes zwischen den beiden Banden zu finden, und doch mußte es dasein, weil sich zu viele Dinge glichen. Den Boß der anderen, den er bei seiner Lauschaktion gesehen hatte, kannte er nicht. Aber Doolin mußte ihn kennen, und das brachte ihn selbst immer näher an jene Situation heran, die binnen Sekunden sein Leben auslöschen konnte. Für Curt Miller war es sonnenklar geworden, daß nicht der betrunkene Hosenfummler ihn niedergeschlagen hatte. Der Hieb war aus der offenen Hintertür abgegeben worden. Doolin oder der Boß der anderen Bande? Womöglich arbeiteten die beiden zusammen und teilten sich den Löwenanteil der Beute, während Wash mit seinen Männern fast leer ausging. Ein kaltes Rieseln glitt Miller über den Rücken. Den Tod aus seinen Überlegungen so nahe vor den Augen, beschloß er, in der kommenden Nacht seinem Gaul die Sporen zu geben, um sich abzusetzen. Als die Kavalkade die Ebene erreichte, war es bereits dunkel. Unvermittelt hob Hank Doolin die linke Hand und zügelte sein Pferd. Von Nordosten her schob sich eine langgezogene Maultierkarawane durch die Dämmerung und näherte sich einem schmal aus der Ebene tretenden Grüngürtel. Alle sahen sie hinüber. Wash wandte sich an Hugh McDonnel: »Ganz schön beladen, was? Die hochzunehmen würde sich bestimmt mehr lohnen, als ein Wickiup zu überfallen.« McDonnel reagierte nicht. Nur Doolin blickte zurück und brummte: »Halt dein großes Maul, El! Wir haben anderes zu tun, als uns mit reisenden Händlern abzugeben.« Wash schwieg, blickte Miller an und dann wieder weg. Doolin sah sich um. Weiter hinten in der Ebene gab es ein wildes Felsengebiet mit etwas Vegetation. Er ritt an und hielt
darauf zu. Die Klippen boten ausgezeichneten Schutz für die Nacht, Futter für die Pferde und Gelegenheit, die müden Knochen auszuruhen. Doolin ließ absitzen und ein Feuer anzünden. Wenn er gewußt hätte, daß ihn zwei Augen haßerfüllt beobachteten, hätte er es sicherlich unterlassen und wäre schnell weitergeritten. Miller bekam die letzte Wache zugeteilt. Die Ebene mit dem Flußlauf lag noch im tiefsten Dunkel, als er sich auf einen Stein setzte und zu grübeln begann. Er brauchte nicht lange, die Situation, seine Chancen und Nöte auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Der Gedanke, fliehen zu müssen, drängte sich von Minute zu Minute mehr in seine Überlegungen. Kurz entschlossen erhob er sich, ging zu den Pferden hinüber und sattelte sein Tier. Am Zügel zog er es aus dem Lagerkreis und stieg erst auf, als er weit genug entfernt war, damit ihn die Schlafenden nicht hören konnten. Fern im Osten graute der neue Tag und sandte sein erstes Licht über das Gebirge. Miller wollte seinem Pferd die Zügel freigeben, als in seinem Rücken ein furchtbares Geheul laut wurde. Schüsse hallten durch den frühen Morgen. Curt parierte sein Pferd und zog es herum. Im Süden sah er eine Staubwolke, die der Wind weitertrieb. Staub überall, dazu die gellenden Kriegsschreie der angreifenden Apachen, die Schüsse der Überfallenen… Miller wußte, was sich abspielte. Er riß sein Pferd in die alte Richtung und gab ihm die Sporen zu fühlen. Als wäre der Satan hinter ihm her, stob er im wilden Galopp nach Norden. *
John Haggerty kam zu sich. Er war an Händen und Füßen gefesselt, lag aber allein auf einer mittelgroßen Felsplatte in der grellen Sonne. Noch war es früh und nicht heiß. Er drehte den Kopf. Niemand war zu sehen. Die Schatten der schrecklichen Nacht waren einem strahlenden Tag gewichen, der heiß zu werden versprach. John hatte Durst. Seine Zunge klebte förmlich am Gaumen, aber keiner gab ihm Wasser. Er hob die gefesselten Füße an und ließ sie mit den Sporen auf den Stein fallen. Es gab ein knirschendes Geräusch. Hinter einem Felsen lugte ein Kopf hervor, blickte herüber. John sah das helle Stirnband und die dunklen Augen. Hinter ihm knirschten leichte Schritte auf Sand und Geröll. Ein Schatten fiel über ihn. John blickte hoch und erkannte Cochise. Zwei weitere Apachen kamen heran: Naiche und ein Krieger. Naiches Augen blitzten wütend. Er trat John Haggerty in die Rippen, aber Cochise schüttelte den Kopf. »Warum bist du zurückgekehrt?« »Ich überbringe eine Botschaft des großen weißen Häuptlings, Jefe.« Naiche spuckte aus, der Krieger in seiner Nähe grollte, nur Cochise blieb ruhig. »Welche Botschaft?« »Friede, Cochise. Kein Kampf mehr zwischen weißen und roten Männern. General Howard bittet dich um eine Unterredung unter vier Augen.« »Nur er und ich?« »So ist es. Was darf ich ihm melden?« Cochise sagte: »Du lügst, Scout. Du willst dich mit einer Lüge freikaufen.« Haggerty richtete sich halb auf. »Ich sage die Wahrheit, nichts als die Wahrheit. Der Krieg bringt keiner Seite etwas. Weiße und Rote können
nebeneinander leben, wenn sie sich gegenseitig respektieren. Wenn du mich jetzt töten läßt, wird es nie Frieden an der Grenze geben, und ihr, die Apachen, seid in einem Jahr ausgelöscht.« »Schöne Worte«, sagte der Jefe, aber seine Stimme klang nachdenklich. Nach einer Weile wandte er sich an seinen Sohn. Er sagte ein paar Worte, die John nicht verstand. Mißmutig beugte sich Naiche zu Haggerty und zerschnitt dessen Fesseln. John stand auf, rieb sich die schmerzenden Gelenke. »Reite«, sagte Cochise mit seiner tiefen Stimme. »Reite, weißer Mann! Ich erwarte General Howard in der Nacht zum Vollmond im San Pedro-Tal. Allein und ohne Waffen.« Vollmond war in zwei Wochen. John Haggerty hatte sein Ziel erreicht. Ein Glücksgefühl durchströmte ihn. Bevor er sich abwandte, um zu seinem Pferd zu gehen, das ein Indianer heranbrachte, fragte er: »Was geschah mit der Maultierkarawane, Jefe?« Cochises Finger glitt über seine Kehle. »Tot«, antwortete er darauf. »Vernichtet.« Haggerty nickte. Das hatte er sich gedacht. Trotzdem fragte er: »War die Beute groß?« Ein triumphierendes Lächeln glitt über Cochises Züge. »Gewehre, Pulver und Blei. Sie war groß. Jetzt reite, bevor ich meinen Großmut bereue.« John Haggerty drehte sich um und ging zu seinem Pferd.
ENDE