FRANCO SOLO
Geheimauftrag in Marrakesch
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FRANCO SOLO
Geheimauftrag in Marrakesch
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ERICH PABEL VERLAG KG-RASTATT/BADEN Franco Solo machte sich nichts vor: So heiß wie dieser Auftrag und so unlösbar war noch keiner gewesen. Auch Colonel Warner wußte das. Kaum hatte Franco marokkanischen Boden betreten, begann das blutige Spiel. Auf dem Gauklermarkt von Marrakesch. Die Mafia verlor keine Zeit, denn Franco Solo war für sie zur tödlichen Gefahr geworden. Den größten, raffiniertesten und gefährlichsten Coup, den die Mafia je geplant hatte, drohte er zum Scheitern zu bringen. Der Jäger wurde zum Gejagten. Und dort, wo alles begonnen harte, kam es nach einer heißen Jagd durch die Berge zum blutigen Finale: in den schmutzigen Gassen der Altstadt von Marrakesch. (Backcover) FRANCO-SOLO-Taschenbuch erscheint vierwöchentlich im Erich Pabel Verlag KG, Pabelhaus, 7550 Rastatt Copyright © 1978 by Erich Pabel Verlag Deutsche Erstveröffentlichung Gesamtherstellung: Clausen & Bosse, Leck Unsere Romanserien dürfen in Leihbüchereien nicht verliehen und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden; der Wiederverkauf ist verboten. Alleinvertrieb und Auslieferung in Österreich: Waldbaur-Vertrieb, Franz-Josef-Straße 21, A-5020 Salzburg
Mit einem leichten Knirschen schob sich der flache Rumpf der Barkasse auf den welligen Sandstrand. Mit einem dumpfen Blubbern erstarb der Motor des Bootes, und die schwache Dünung des Atlantischen Ozeans spülte um die Planken. Es herrschte fast Windstille, und die Oberfläche des Wassers glitzerte wie geschmolzenes Blei. Aus der Dunkelheit des Strandes lösten sich mehrere Gestalten. Dunkelhäutige Männer in ausgebleichten blauen Anzügen. Die beiden Weißen, die das Boot an Land gesteuert hatten, richteten sich auf und blickten den Männern gespannt entgegen. In den Händen trugen sie kurzläufige Maschinenpistolen, deren Mündungen zum Land zeigten. Sie warfen sich einen raschen Blick zu und zogen fast gleichzeitig die Ladeschlitten ihrer Waffen nach hinten. Das metallische Geräusch, mit dem die Patronen in die Läufe glitten, war meterweit zu hören. Die Männer hatten das Boot fast erreicht. Einer von ihnen hob die Hand. Seine weißen Zähne schimmerten, als er den Mund öffnete. «Salaam. Allah sei mit euch.» «Das Kennwort!» knurrte einer der beiden Weißen im breiten Slang der amerikanischen Südstaaten. Der Dunkelhäutige lächelte leicht. «Freiheit und Rache.» Die beiden im Boot senkten ihre Maschinenpistolen. «Okay. Dann fangt mit dem Entladen an. Wir sind froh, wenn wir diese Küste wieder verlassen können.» Er deutete zur See hinaus, wo man den Schatten eines größeren Schiffes erkannte. «Unser Kapitän ist nicht scharf darauf, länger als unbedingt nötig innerhalb der Drei-Meilen-Zone zu bleiben.» «Wir werden uns beeilen», versprach der Dunkelhäutige. Er stieß einen scharfen Kommandolaut in arabischer Sprache aus, und die anderen Männer wateten ins Wasser. Sie wußten, was sie zu tun hatten, und verrichteten ihre Arbeit schweigend. Jeweils zu zweit wuchteten sie die schweren Kisten aus der Barkasse. Die beiden Weißen sahen ihnen -2 -
dabei zu, ohne einen Finger zu rühren. Die Maschinenpistolen lagen zu ihren Füßen. Die Arbeit ging zügig voran. Mindestens ein Dutzend Araber schleppten die länglichen Kisten an Land, wo sich bereits ein ziemlicher Stapel türmte. Neben dem Stapel standen zwei Wachen. Sie trugen uniformähnliche dunkelgrüne Kombinationen ohne Rangabzeichen und waren mit Schnellfeuergewehren bewaffnet. Ihre bronzefarbenen Gesichter verrieten keine Empfindung. Der Anführer zählte die Kisten und machte sich auf einem schmierigen Zettel Notizen. Buchführung war wichtig - selbst hierbei. Die Barkasse war jetzt deutlich leichter geworden, und das Heck ragte bereits hoch aus dem Wasser. Es schaukelte leicht, und die beiden Insassen versuchten, die Bewegungen auszubalancieren. Schließlich war die letzte Kiste ausgeladen, und der Motor wurde wieder angeworfen. Die Barkasse nahm Kurs auf das Schiff, das weiter draußen vor Anker lag. Die Araber hockten sich in den Sand und warteten. An Bord des Frachters herrschte eine rege Betriebsamkeit. Zwar waren die Positionslichter abgedunkelt, aber ständig huschten die Lichtstrahlen starker Taschenlampen über das Deck. Die Ladebäume knarrten und holten aus den Laderäumen weitere Kisten, die vorsichtig in die Barkasse gehievt wurden. Ab und zu wurden Flüche laut, wenn eine der Kisten an die Bordwand stieß, aber trotzdem ging die Arbeit reibungslos vonstatten. Das Schiff hatte den schönen Namen «Libertad». Es war ein 8000-Tonnen-Frachter, der im Jahre 1951 gebaut worden war. Seitdem hatte er eine wechselvolle Geschichte hinter sich gebracht. Kein Mensch konnte sich erinnern, unter wieviel Flaggen er schon gefahren war und welche Reedereien ihn bereits besessen hatten. Zur Zeit zeigte er die liberianische Flagge. Ein Amerikaner hatte das Schiff für 1500 Dollar pro Tag gechartert und einige Leute der Besatzung ausgewechselt. Den übrigen war es gleich, wohin sie fuhren und was sie geladen hatten. -3 -
Der Kapitän stand auf der Brücke und sah auf das Deck hinunter. Auch ihn störte die nächtliche Entladung nicht. Er war froh, wenigstens noch das Kommando über dieses Schiff zu haben, denn bei den meisten Reedereien dieser Welt stand er auf der schwarzen Liste. Ein großzügiges Sonderhonorar hatte seine restlichen Bedenken beseitigt. Hinter ihm stand ein Mann im weißen Tropenanzug. Er war ungeheuer dick und schwitzte. Eine riesige Zigarre klemmte zwischen seinen Zähnen. Noch nicht einmal beim Sprechen nahm er sie heraus, so daß seine Aussprache immer etwas undeutlich war. Er brauchte sich aber auch keine sonderliche Mühe zu geben, denn die Leute, mit denen er es zu tun hatte, lasen ihm seine Befehle notfalls von den Lippen ab. «Es wird unter Umständen länger dauern, als wir dachten, Mister Pavese», sagte der Kapitän. Allessandro Pavese wischte sich mit einem Spitzentüchlein den Schweiß von der Stirn. «Besteht die Gefahr, daß wir entdeckt werden?» nuschelte er. Der Kapitän schüttelte den Kopf. «Es befinden sich keine Patrouillenboote in dieser Gegend, und daß ein Flugzeug uns entdeckt, wäre ein großer Zufall.» «Aber es könnte passieren?» Der Kapitän hob die Schultern. «Wir können sehr schnell außerhalb der Drei-Meilen-Zone sein. Die Burschen an Land müssen dann eben sehen, wie sie zurechtkommen.» Pavese nahm die Zigarre aus dem Mund. «Das paßt mir nicht. Schließlich haben wir unsere Bezahlung noch nicht erhalten. Sorgen Sie dafür, daß der Austausch der Ware Zug um Zug erfolgt.» «So war es aber mit unseren Partnern nicht abgemacht», wandte der Kapitän ein. «Dann ist der Plan ab sofort geändert.» Der Kapitän verließ die Brücke und gab seine Anweisungen. Der Inhalt der Kisten war in den Frachtpapieren als Maschinenteile für Bewässerungsanlagen deklariert. Die Fracht -4 -
würde ihren eigentlichen Bestimmungshafen nie erreichen, was auch ziemlich sinnlos gewesen wäre, denn was hier an der marokkanischen Küste ausgeladen wurde, war unter keinen Umständen für Bewässerungsanlagen zu gebrauchen. Die beiden Männer in der Barkasse machten bereits ihre dritte Fahrt. Am Strand winkten sie den Anführer der Araber herbei. «Unser Boß möchte, daß wir jetzt langsam die Bezahlung zu sehen bekommen.» «Dagegen ist nichts einzuwenden», sagte der Araber. Das Englisch machte ihm sichtlich Mühe. Er drehte sich zu dem Kistenstapel um, der inzwischen schon wieder kleiner geworden war, denn weitere Männer verluden die Kisten auf Lastwagen mit verdreckten Nummernschildern. Zwei Araber in hellblauen Anzügen gaben hin und wieder Anweisung, eine der Kisten zu öffnen. Sie prüften kurz den Inhalt und schienen jedesmal außerordentlich befriedigt. Sie kamen langsam näher, als ihnen ein paar Worte zugerufen wurden. Die Araber unterhielten sich leise, während die Männer in der Barkasse ungeduldig warteten. «Wir werden die Ware mitnehmen», sagte der Wortführer. Er gab ein Zeichen, und aus der Dunkelheit löste sich ein altersschwacher Peugeot, der langsam über den welligen Sand rumpelte. Schnell waren die Säcke ausgeladen, die im Kofferraum und auf der hinteren Sitzbank verstaut waren. Dann stiegen die beiden Araber ebenfalls in die Barkasse. Einer trug ein kleines schwarzes Diplomatenköfferchen, so daß sie wie Geschäftsleute wirkten, die sich irgendwie verlaufen hatten. An Bord des Frachters wurden sie zur Brücke gebracht, wo Allessandro Pavese sie bereits erwartete. Sein Lächeln breitete sich über das ganze Gesicht aus. «Ich freue mich sehr, daß unser Geschäft so gut klappt», sagte er und streckte seine Hand aus. Die beiden Araber nickten schweigend. Der Kapitän überließ den drei Männern seine Kabine, und dort kam man dann zur Sache. Zwei Matrosen stapelten die Säcke -5 -
in der Kabine auf, und ein vierter Mann entnahm stichprobenartig mehrere kleine Beutel, die mit einer weißen Masse gefüllt waren. Pavese wedelte mit der Hand, und die beiden Matrosen verschwanden und bewachten die Tür von außen. «Sieh dir das Zeug genau an», befahl Pavese dem vierten Mann. Der setzte seine Brille auf und förderte aus seinen Taschen ein kleines chemisches Labor zutage. Reagenzröhrchen, Pipetten und Flaschen mit verschiedenfarbigen Flüssigkeiten. Pavese und die beiden Araber beobachteten ihn schweigend, wie er den Inhalt der Beutel prüfte. Schließlich hob er befriedigt den Kopf. «Es ist in Ordnung. Ich habe selten einen solchen Reinheitsgrad gesehen. Ich schätze, es dürfte 95 Prozent haben. Es ist eindeutig erstklassiges Heroin Nummer Vier.» «Danke», sagte Pavese, und der Mann verschwand rasch nach draußen. Pavese nahm einen Zettel aus seiner Tasche und entfaltete ihn sorgfältig. Mit leiser Stimme las er vor: «Fünfhundert automatische Gewehre zu 250 Dollar das Stück. Zehntausend Schuß Munition pro Gewehr zu 140 Dollar für jeweils tausend Schuß. Fünfzig Maschinengewehre Kaliber 0,762 zu 1200 Dollar das Stück. 100 000 Schuß Munition pro Maschinengewehr, Preis wie oben.» Er sah auf und blickte die beiden Araber fragend an. Einer von ihnen, der die Positionen mit seiner eigenen Liste verglichen hatte, nickte bestätigend. «Stimmt.» Pavese sah wieder auf seinen Zettel. «Zehn leichte Granatwerfer zu je 2400 Dollar. Tausend Werfergranaten zu 75 Dollar. Fünfzig Maschinenpistolen zu je 80 Dollar. 100 000 Schuß Munition pro MP zu 48 Dollar zu 1000 Schuß. Einhundert Bazookas zu je 1000 Dollar, 1000 Bazookagranaten zu je 48 Dollar.» Der Araber mit der Liste nickte wieder. Pavese steckte seinen Zettel in die Brusttasche. «Das ist das Material, das wir Ihnen heute übergeben. In drei Wochen -6 -
erhalten Sie den Rest der Schußwaffen und der Munition zuzüglich der leichten Flakgeschütze.» Sein Ton wurde geschäftsmäßiger. «Der Preis der heutigen Lieferung beläuft sich inklusive der zusätzlichen Frachtkosten und abzüglich eines geringen Mengenrabatts auf genau Eins Komma Neun Millionen Dollar. Zahlbar bei Lieferung in Form von Heroin erster Qualität.» Die Araber lächelten. «Die Qualität stimmt», sagte einer von ihnen. Pavese betrachtete sinnend die Säcke. «Wir müssen es nur noch wiegen, und unser Geschäft ist erledigt. Unsere nächste Lieferung erfolgt an der verabredeten Stelle.» Zwei Stunden später fuhr die Barkasse zum letzten Mal an den Strand. Es war schon weit nach Mitternacht, und die beiden Insassen fröstelten in der kühlen afrikanischen Nacht. Das Ausladen ging diesmal sehr schnell. Die Barkasse war nur zur Hälfte beladen. Rasch verschwanden die Kisten in den Lastwagen, die in der Dunkelheit verschwanden, sobald sie beladen waren. Als die Barkasse wieder ablegte, wurden auf der «Libertad» bereits die Anker gelichtet. Es gab keinen Grund, auch nur eine Minute länger als nötig zu bleiben. Die Barkasse wurde an Bord genommen, und der Frachter drehte zur offenen See. Niemand an Bord kümmerte es, was mit der gefährlichen Fracht geschah, die in den marokkanischen Bergen verschwand. *** Der dreieckige Kopf der Kobra pendelte langsam hin und her. Die Schlange hatte sich halb aufgerichtet, und ihre gespaltene Zunge züngelte blitzschnell durch die Luft. Franco Solo betrachtete das gefährliche Reptil fasziniert, wobei er sich eines leichten Schauderns nicht erwehren konnte.
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Der Schlangenbeschwörer beugte sich vor und packte die Kobra mit einem raschen Griff unmittelbar hinter dem Kopf. Sie wand sich sofort um seinen Arm und zischte wütend. Die Umstehenden wichen leicht zurück, als der Schlangenbeschwörer das Reptil mit ausgestrecktem Arm im Kreis herumschwenkte. Franco blieb stehen, und der Kopf der Kobra glitt dicht vor seinem Gesicht durch die Luft. Der alte Araber grinste durch seine Zahnlücken und begann mit seinen Kunststücken. Franco warf einen raschen Blick in die Runde, konnte aber in dem dichten Gewühl nichts Auffälliges entdecken. Er befand sich auf dem Platz der Gaukler in Marrakesch - eine völlig fremde Welt für ihn, für jeden, der zum ersten Mal dort war. Eine Vielfalt von exotischen Gerüchen erfüllte die Luft. Hunderte von Menschen drängten sich kreuz und quer, immer auf der Suche nach einer neuen Attraktion auf diesem Platz, der wie aus einem Märchen aus 1001 Nacht wirkte. Dazu kam der Lärm, und die Hitze und der Staub. Franco Solo, der Einzelkämpfer und unerbittliche Gegner der Mafia, Todfeind Nummer l für die Herren der Ehrenwerten Gesellschaft, kam sich auf dem großen Platz verloren vor, obwohl er von Menschen nahezu eingekeilt war, die sich keine Einzelheit der Vorführung des Schlangenbeschwörers entgehen lassen wollten. Er hatte noch keine Ahnung, weshalb man ihn hierher geschickt hatte - in diesen Teil Nordafrikas, der vom Mittelalter nicht allzuweit entfernt war. Franco war unruhig. Er war kein Freund von Ungewißheiten, und im Augenblick befand er sich in großer Ungewißheit. Er hätte gern gewußt, wie es weiterging. In den Vereinigten Staaten war er Hals über Kopf aufgebrochen. Der Auftrag war direkt von Colonel Warner gekommen, dem Leiter von Counter Syndicated Crime Service, der geheimnisvollen Dienststelle des Department of Justice, die sich ausschließlich mit der Bekämpfung des organisierten Verbrechens befaßte. Seit dem brutalen Mord an seinem Vater und seiner Schwester durch die Mafia hatte Franco Solo sein -8 -
Leben bedingungslos in den Dienst dieses nie endenden Kampfes gestellt. Mittlerweile war er einer der besten Agenten von Counter Mob, wie Colonel Warners Dienststelle kurz genannt wurde. Allerdings mußte er völlig auf sich allein gestellt operieren. Das brachte zwar manchmal Schwierigkeiten mit sich, war aber andererseits Teil seiner Lebensversicherung. Es hatte Situationen gegeben, bei denen Warner ihn in letzter Sekunde herausgepaukt hatte, aber Franco mußte immer damit rechnen, daß man im Ernstfall bei Counter Mob behaupten würde, seinen Namen noch nie gehört zu haben. Die absolute Geheimhaltung war eine der schärfsten Waffen im Kampf gegen die Mafia. Franco war von der langen Reise noch müde, und auch der Zeitunterschied machte ihm zu schaffen, vom heißen Klima gar nicht zu reden. Drei Stunden nach Erhalt des Telegramms mit dem Codewort hatte er bereits sein Ticket am Schalter der PanAm im Kennedy-Airport New York abgeholt. Eine weitere Stunde später saß er schon in der Linienmaschine nach Paris und befand sich hoch über dem Atlantik. In Paris war er in eine Maschine der Air France eingestiegen, die ihn über Tanger nach Casablanca brachte. Dann war es mit der Air Maroc nur noch ein Katzensprung bis Marrakesch. Und hier war er nun und wartete auf seinen Kontakt. Den ganzen Flug über hatte er schon gegrübelt, was er ausgerechnet in Marokko zu suchen hatte. Er konnte sich nicht vorstellen, wie dort die Mafia ins Spiel kam. Zum wiederholten Male sah er auf seine Uhr. Langsam wurde er ungeduldig. Die Sonne stand schon ziemlich tief. Auf dem Platz der Gaukler war es leerer geworden. Der Schlangenbeschwörer reizte immer noch seine Kobra, die sich kaum noch rührte. Ein paar Münzen flogen auf ein dreckiges Tuch, das er neben dem Korb ausgebreitet hatte. Umgerechnet war es sicherlich nicht mehr als ein, zwei Dollar. Aber davon konnte der Mann vermutlich ein paar Tage leben, dachte Franco. Er zog eine Münze aus der Tasche und warf sie auf das Tuch. Der Schlangenbeschwörer grinste ihn mit seinen schadhaften Zähnen freundlich an. -9 -
Etwas zupfte an Francos Ärmel. Er drehte sich rasch um. Ein kleiner Junge, vielleicht acht oder neun Jahre alt, sah ihn mit großen Augen an. Sein Gesicht starrte vor Schmutz, aber er machte einen aufgeweckten Eindruck. «Du kommen», radebrechte der kleine Araber in schwer verständlichem Englisch und deutete auf den Eingang zu den Souks, den verwinkelten Gassen des alten Marrakesch, in denen sich ein Fremder leicht verlaufen konnte. Franco wußte, daß Touristen besser einen Führer nahmen, wenn sie das Gewirr der Souks erkunden wollten. «Warum?» fragte Franco. Sollte das sein Kontakt sein? «Du kommen», wiederholte der Junge nur und zog ihn mit sich. Halb widerstrebend folgte Franco ihm. Es sah so aus, als würde das Abenteuer beginnen. In den teilweise überdachten schmalen Gassen herrschte Dämmerlicht. Zahllose Menschen drängten sich an den Verkaufsständen vorbei, in denen die Händler wortreich ihre Waren anboten. Franco wurde fast übel, als er die dicken Fliegentrauben auf den Hammelfleischkeulen bemerkte. Er schwor sich, mit dem Essen vorsichtig zu sein, aber offensichtlich war er hier der einzige, der sich daran störte. Die Menschen starrten ihn an, belästigten ihn aber nicht sonderlich. Sein kleiner Führer drängte die anderen rücksichtslos zur Seite und ließ sich von den Schimpfworten überhaupt nicht beeindrucken. Franco achtete auf seine Uhr und die anderen Wertsachen in den Taschen, denn Marrakesch war die Hochburg der Taschendiebe. Sie bogen in eine schmale Tordurchfahrt ein. Ein schattiger Innenhof verbreitete angenehme Kühle nach der drückenden Hitze der Souks. Der Junge war stehen geblieben und deutete auf eine hölzerne Tür. «Dort», sagte er und streckte seinen schmutzigen Finger aus. Im ersten Augenblick dachte Franco an eine Falle, sagte sich dann aber, daß ein eventueller Attentäter es im Gewühl der Straßen und Plätze leichter haben würde.
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Seine Augen hatten sich inzwischen an das Dämmerlicht gewöhnt. Ein Springbrunnen plätscherte im Hintergrund. An den Mauern rankten sich Bougainvillea. Langsam ging er auf die Holztür zu. Sie war handgeschnitzt und ziemlich alt. Alles machte einen gepflegten Eindruck. Es sah nach dezentem Reichtum aus. Nicht protzig, aber unübersehbar. Franco stieß die Tür auf. Überrascht hielt er den Atem an. Nach der Enge der Souks hätte er nie erwartet, hier eine solche riesige Halle zu finden. Ein Palast, wie er in alten Büchern zu finden war. Marmor, Stuck, Mosaikarbeiten und echte Teppiche. Im Mittelpunkt der unvermeidliche Brunnen. Ein Araber in weißer Dschellabah verneigte sich vor ihm und deutete wortlos ins Dunkel der gegenüberliegenden Wand. Auf der mit Kissen übersäten Sitzbank hockte ein Mann in europäischem Anzug und nuckelte an einer Wasserpfeife. Franco ging auf ihn zu, und seine Schritte hallten auf dem Marmor. Dann erkannte er den Mann endlich, und das war die nächste Überraschung des Tages. «Schön, daß Sie pünktlich sind», sagte Colonel Warner und nickte Franco freundlich zu. «Sie sparen in letzter Zeit nicht mit Überraschungen», antwortete Franco Solo und ließ sich ebenfalls auf der Sitzbank nieder. Ein eigentümlicher Geruch lag in der Luft: Lavendel, Thymian, Sandelholz, überlagert vom strengen Duft der Mottenkugeln. «Es ist wohl überflüssig zu fragen, weshalb wir uns gerade hier treffen.» «In der Tat.» Warner nickte und sog geräuschvoll an der Wasserpfeife. «Ich begreife jetzt, weshalb die Orientalen solchen Geschmack an diesem Rauchvergnügen haben. Es ist sehr erfrischend.» Franco wunderte sich immer mehr. Solche Abschweifungen waren sonst nicht Warners Art. Er war Franco immer als ein emotionsloser, kühl denkender Mann erschienen, der keine Zeit -1 1 -
für die angenehmen Seiten des Lebens hatte. Aber offenbar gab es auch solche Seiten, wenn auch nur in der fremdartigen Atmosphäre eines alten marokkanischen Palastes. Colonel Warner winkte den Araber heran. «Sie sollten den Pfefferminztee probieren, Franco. Hier trinkt ihn jeder, denn der Prophet hat schließlich den Alkohol verboten. Er ist sehr heiß und sehr süß. Wenn Sie lieber etwas Kaltes wollen, sollten Sie Mandelmilch kosten, ebenfalls eine Spezialität des Landes.» Franco lächelte. «Dann nehme ich beides.» Warner stutzte und lächelte dann ebenfalls. Er gab dem Araber einen kurzen Befehl. «Sie sprachen Arabisch?» erkundigte sich Franco. Der Colonel winkte ab. «Nur drei Brocken. Und um Ihre Neugier gleich zu befriedigen: das Haus gehört einem alten Freund von mir, dem ich einmal einen großen Gefallen getan habe. Er war sofort bereit, mir sein Haus für dieses Treffen zur Verfügung zu stellen. Taktvollerweise hat er sich zurückgezogen, denn er weiß, daß mein Job Vertraulichkeit verlangt. Wir sind hier völlig ungestört, und das ist etwas, was ich nicht überall in diesem Land behaupten könnte.» «Wollen Sie damit sagen, daß die Mafia auch hier ihre dreckigen Finger bei irgendwelchen Dingen im Spiel hat?» Colonel Warner antwortete nicht gleich. Dann legte er das Mundstück der Wasserpfeife zur Seite und blickte Franco scharf an. «Was wissen Sie über Waffenschmuggel?» Franco runzelte die Stirn. Diesmal wollte ihn der Colonel wirklich auf die Folter spannen. «Wenn ich ehrlich sein soll, weiß ich darüber nicht allzuviel. Es ist ein schwieriges und hartes Geschäft, und es bringt sehr viel Geld. Die besten Geschäfte werden bei Bürgerkriegen gemacht, wie in letzter Zeit im Libanon, oder vor Jahren im Krieg zwischen Nigeria und Biafra. Südamerika ist ein guter Markt, hauptsächlich von den Vereinigten Staaten beliefert, während Afrika vorwiegend von Europäern versorgt wird. Die internationale Gilde der Waffenschmuggler beliefert oft beide Seiten einer militärischen Auseinandersetzung, und immer mehr wird das Geschäft von -1 2 -
der hohen Politik bestimmt, das heißt, von den Interessen der Großmächte oder derer, die sich dafür halten.» Warner nickte langsam. «Das ist alles richtig, aber es reicht nicht, um sich ein genaues Bild zu machen. Ich werde Ihnen einige weitere Erklärungen geben.» Der Araber kam und brachte die Getränke. Warner unterbrach sich und wartete, bis Franco den ersten Schluck genommen hatte. «Waffenschmuggel ist ein riskantes Geschäft, denn es ist logischerweise mit dem Tod verknüpft. Es ist ein Geschäft, das in Bars und Hinterzimmern abgeschlossen wird. Es ist nicht zu vergleichen mit dem normalen Waffenhandel, der zwischen Staaten oder großen Waffenhändlern abgewickelt wird. Die Auswirkungen sind zwar die gleichen, aber die moralische Seite hat uns im Augenblick nicht zu interessieren. Man mag den Waffenhandel kritisieren, aber er ist in der Regel nicht geheim und fördert bei manchen Staaten die Außenhandelsbilanz ganz beträchtlich. Natürlich sind manchmal auch Staaten, beziehungsweise Regierungen oder Geheimdienste am Waffenschmuggel beteiligt, wenn die Waffen aus politischen Gründen nicht offen verkauft werden können, aber das soll uns auch nicht interessieren. Mir geht es um den verbrecherischen Aspekt der Sache.» Warner unterbrach sich für einen Moment und starrte auf seine blank polierten Schuhspitzen, als gäbe es dort etwas überaus Interessantes zu sehen. Franco sagte kein Wort. Erst wollte er wissen, worauf der Colonel eigentlich hinauswollte. «Wir wollen uns mit Leuten beschäftigen, die aus Profitgründen oder vielleicht auch aus politischen Gründen Kriegsmaterial in Krisengebiete schaffen und damit die Gefahr neuer militärischer Auseinandersetzungen erhöhen. Das sind Leute, die manchmal mit einem einzigen Schiff voller Waffen, die sie vielleicht gebraucht gekauft haben, das politische Gleichgewicht stören und damit auch die Politik unseres Landes beeinflussen. Wie man sich denken kann, ist diese Art von Geschäft unserer
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Regierung ein Dorn im Auge - jedenfalls solange sie nicht selbst am Waffenhandel beteiligt ist.» Franco war der letzte Satz mit seiner Ironie nicht entgangen, und er lächelte leicht. «Wäre das nicht Sache der CIA? Oder eines anderen unserer fabelhaften Geheimdienste?» Warner stoppte ihn mit einer Handbewegung. «Warten Sie ab. Sie werden verstehen, weshalb wir uns hier treffen. Eine Zentrale des Waffenhandels ist Brüssel. Dort können in bestimmten Lokalen die Waffensuchenden aus Afrika oder Asien erste Kontakte zu Waffenschmugglern herstellen. Belgien ist bei der Erteilung von Ausfuhrlizenzen nicht kleinlich, und das Geschäft kann reibungslos ablaufen. Der Handel ist zwar schnell perfekt, aber die Schwierigkeiten beginnen erst. Die erste Hürde, die der Waffenschmuggler nehmen muß, ist die Beschaffung der nötigen Dokumente. Insbesondere benötigt er das Endverwendungszertifikat, auf dem zum Beispiel das Empfängerland bestätigt, daß die Waffen nicht an Dritte weitergegeben werden. Da aber in Wirklichkeit die meisten Waffen für jemanden anders bestimmt sind, muß also ein Beamter bestochen werden, der die nötigen Papiere ausstellt. Man kann sie natürlich auch fälschen. Haben Sie das soweit verstanden?» Franco grinste. «Sie haben sich sehr deutlich ausgedrückt. Mich würde nur interessieren, wozu diese Vorlesung auf einem Spezialgebiet dienen soll. Sie machen es diesmal sehr spannend.» «Zum wesentlichen Punkt komme ich schon noch», knurrte Warner. «Wenn der Papierkram der Schmuggler erledigt ist, beginnt die zweite Schwierigkeit, der Transport. Im Gegensatz zu anderen Schmugglern können die Waffenschmuggler ihre Ware nicht in doppelten Böden oder unter dem Sitz ihres Wagens verstecken. Eine Million Schuß Handfeuerwaffenmunition wiegt dreißig Tonnen. Ein mittleres Transportflugzeug muß dafür mehrmals fliegen. Das treibt die Frachtkosten ziemlich in die Höhe. Als billigeres Transportmittel wird deshalb das Schiff bevorzugt. Meistens altersschwache Dampfer unter exotischer Flagge. Wenn Sie aber bedenken, -1 4 -
daß die komplette Ausrüstung eines modern ausgerüsteten Bataillons inklusive der Fahrzeuge und schweren Waffen einige Tausend Tonnen wiegt, können Sie sich vorstellen, daß für einen solchen Transport nur ein Schiff in Frage kommt. Wenn in diesen Größenordnungen geschmuggelt wird, geht es um Millionen von Dollar, vielleicht um Revolutionen, Staatsstreiche, Aufstände oder Stammeskriege, also um sehr unerfreuliche Dinge. Und damit sind wir beim Thema.» Franco räusperte sich. «Wenn ich Sie richtig interpretiere, sind Sie zur Zeit auf der Suche nach einem Schiff, das vollgepackt mit Waffen zu irgendeinem Krisenherd unterwegs ist.» Colonel Warner schüttelte den Kopf. «Leider ist das Schiff schon angekommen. Seine Fracht bestand aus zahlreichen Infanteriewaffen mit der dazugehörigen Munition, aus Granatwerfern und Bazookas. Gelandet ist es hier in Marokko, und kein Mensch weiß, wo die Waffen geblieben sind. Versuche eines Staatsstreichs und Attentate hat es in den letzten Jahren mehrfach gegeben, so daß wir uns nicht zu fragen brauchen, wozu die Waffen bestimmt sind. Die Möglichkeit eines Umsturzes wäre jedoch nichts für COUNTER MOB. Man hat uns die Lösung dieses Falles aus zwei Gründen übertragen. Erstens: Die Waffen stammen aus den Vereinigten Staaten. Zweitens: der Kaufpreis wird mit Rauschgift bezahlt, das in die USA zurückfließt. Es besteht begründeter Verdacht, daß die Mafia hinter diesem Geschäft steckt. Da es vermutlich noch weitere Waffentransporte geben wird, hat man uns beauftragt, die Hintermänner zu enttarnen, weitere Transporte zu unterbinden, das Rauschgift sicherzustellen und möglichst die bereits gelieferten Waffen unbrauchbar zu machen. Unser Geheimdienst wäre darüber hinaus interessiert zu erfahren, wofür die Waffen gedacht waren und wer in Marokko die Fäden in der Hand hält.» Franco lehnte sich erschüttert zurück. «Wäre das nicht eher eine Aufgabe für eine Brigade Ledernacken?» Warner lächelte grimmig. «Nein. Das ist eine Aufgabe nur für Sie. Ich weiß, daß die Lösung dieses Falles fast unmöglich ist, aber wenn es einer schaffen kann, dann Sie.» -1 5 -
Franco nippte an seinem Minztee, der in der Zwischenzeit kalt geworden war. «Wie stellt man sich denn vor, wie ein einzelner Mann diese Waffen unbrauchbar machen soll?» Warner zuckte mit den Achseln. «Machen Sie ein kleines Feuerwerk. Es ist genügend Munition dabei.» «Haben Sie Anhaltspunkte, wo ich ansetzen kann?» «Ja. Wir haben einen Informanten in Agadir. Ein Franzose, der dort schon seit vielen Jahren lebt. Er gibt hin und wieder einem unserer Geheimdienstagenten einen Tip. Auf diese Weise ist die ganze Geschichte ins Rollen gekommen. Sein Name ist Jacques Lapierre. Sie müssen sich sobald wie möglich mit ihm in Verbindung setzen. Von ihm wissen wir, daß der Frachter, der die Waffen transportierte, 'Libertad' heißt. An Bord war ein gewisser Allessandro Pavese, und das war für den Computer von COUNTER MOB kein Unbekannter.» «Ich habe mit ihm noch nicht zu tun gehabt», warf Franco ein. «Pavese ist Mitglied einer der New Yorker Familien. Dort hat er eine ziemlich hohe Position. Er war bereits früher in einschlägige Geschäfte verwickelt, gehört aber zu den Typen, denen nie etwas nachzuweisen war. Er muß sich in der Organisation hochgedient haben, und das kann man nur, wenn man auf erhebliche Verdienste hinweisen kann. Wir halten ihn für einen äußerst gefährlichen Mann, auch wenn er eher den Eindruck eines guten Onkels erweckt. Er gilt als Auftraggeber verschiedener Morde und muß während des Vietnamkrieges mit Schiebungen von Heeresgut Millionen von Dollar verdient haben. Ein feiner Zeitgenosse.» «Haben Sie ein Foto von ihm?» fragte Franco kurz. Innerlich begann er sich schon mit dem Fall zu beschäftigen. «Natürlich», entgegnete Warner und griff in seine Brusttasche. Franco betrachtete das Foto einige Sekunden lang und prägte sich das Gesicht des Mafioso ein. Er würde es so schnell nicht vergessen. Es war prägnant genug, um gespeichert zu werden. «Mit Pavese hat die Mafia den richtigen Mann für dieses Geschäft ausgesucht», erklärte Warner. «In Vietnam hat er sich mit Waffen und mit Rauschgift befaßt. Eine wahre -1 6 -
Doppelbegabung. Vermutlich war es seine Idee, bei diesem Geschäft doppelt zu kassieren. Es ist schon fast genial, sich den Kaufpreis der Waffen in Rauschgift bezahlen zu lassen, das dann noch einmal einen ordentlichen Profit bringt.» «Ich finde es ungewöhnlich, daß ein solcher Mann selbst auf dem Schiff ist. Normalerweise wird ein solches Geschäft doch über Strohmänner abgewickelt», meinte Franco Solo. «Wahrscheinlich hatte man hervorragende Papiere an Bord. Sie müssen ja auch einer Überprüfung bei der Beladung in einem amerikanischen Hafen standgehalten haben. Entweder sind sie gefälscht oder man hat jemanden bestochen. Das wäre der nächste Ansatzpunkt, aber darum werden sich andere Leute kümmern. Ihr Einsatzgebiet ist Marokko. Wahrscheinlich werden wir Ihnen mitteilen können, wann der nächste Transport kommt. Dann müssen Sie nach eigenem Ermessen handeln. Wir haben in diesem Land kaum Möglichkeiten, Sie zu unterstützen. Es ist noch schwieriger als in den USA.» «Daran habe ich mich langsam gewöhnt.» Warner hob die Schultern und griff wieder nach seiner Wasserpfeife. «Haben Sie sonst noch Fragen?» «Ich hätte gern noch einen Tee.» *** Jacques Lapierre saß in dem kleinen Café am Hafen von Agadir, in dem er sich fast jeden Tag zu dieser Stunde aufhielt. Die Sonne stand schon tief, und die Fischerboote lagen fast vollzählig an den Kais. Lapierre kannte sie fast alle, und sie kannten ihn. Er war schon seit zwanzig Jahren im Lande, aber das Leben und Treiben am Hafen faszinierte ihn wie am ersten Tag. Er schlürfte seinen eisgekühlten Pastis und sah den Männern zu, die die hölzernen Kisten mit den sorgsam sortierten Fischen in die Markthalle schleppten, wo sie versteigert wurden. Lapierre war zufrieden. Sein kleines Geschäft lief gut. Er bewohnte ein hübsches Haus am Stadtrand und hatte genügend Geld, sich das zu leisten, was er zum Leben -1 7 -
brauchte. Die Honorare, die er für seine Informationen von den Amerikanern erhielt, wurden auf eine Bank nach Frankreich überwiesen. Bald wollte er sich endgültig zur Ruhe setzen, nach Frankreich zurückkehren und sich ein Häuschen im Süden kaufen. Er hatte kein schlechtes Gewissen, wenn er an die Informationen dachte. Schließlich verriet er keine Staatsgeheimnisse. Er beobachtete nur und erfuhr viel, was so passierte. Die Leute mochten ihn und erzählten ihm viel. Agadir war ein beliebter Ferienort, und es kamen viele Ausländer her. Das meiste, was er weitergab, war belanglos, aber manches interessierte die Amerikaner. Lapierre schüttelte den Kopf. Es hatte ganz harmlos angefangen. Bei einem Empfang an der amerikanischen Botschaft in Rabat war er einem alten Freund aus dem Krieg begegnet. Damals war Lapierre in der Widerstandsbewegung aktiv gewesen. Sie sprachen über die alten Zeiten, sahen sich noch ein paarmal, und dann hatte Lapierre die ersten Informationen geliefert. In stillen Stunden gestand er sich ein, daß er eigentlich ein Spitzel des Geheimdienstes war, aber er verdrängte diesen Gedanken lieber. Unbewußt registrierte er den Araber und die beiden Weißen, die sich an den Nachbartisch setzten und Getränke bestellten. Seine Neugier erwachte, denn er kannte nur den Araber. Denn der verkörperte so ziemlich als einziger die Unterwelt von Agadir. Das war schließlich stadtbekannt. Man hatte ihn einige Male eingesperrt, aber nie wegen größerer Delikte. Die beiden anderen dagegen hatte er noch nie gesehen. Nach ihrer Kleidung zu schließen, mußten es Amerikaner sein. Allerdings sahen sie nicht wie Touristen aus. Ihre Gesichter waren hart und ihre Fäuste kantig. Schlägertypen. Lapierre nahm einen hastigen Schluck von seinem Pastis. In der letzten Zeit passierte hier tatsächlich etwas. Erst die Landung dieses Waffenschiffs, und jetzt diese Fremden. Ob beides etwas miteinander zu tun hatte? Er verwarf den Gedanken wieder. Für den kleinen arabischen Ganoven war Waffenschmuggel viel zu groß. Er konnte bestenfalls einer Touristin die Handtasche wegreißen. -1 8 -
Die drei nahmen ihn nicht zur Kenntnis. Die Amerikaner blickten gleichgültig aufs Meer hinaus, der Araber blickte sich ständig unruhig nach allen Seiten um. Die drei sprachen kein Wort miteinander und ließen ihre Drinks unberührt vor sich stehen. Lapierre sah auf seine Uhr. Er mußte gehen. Ausgerechnet heute war er mit einigen Freunden verabredet. Sie würden Karten spielen, Wein trinken und von den alten Freunden erzählen. Sein Auto stand etwa hundert Meter entfernt. Er konnte es ja erst holen und dann noch einen Blick auf die Fremden werfen. Lapierre bezahlte und stand auf. Die beiden Amerikaner erhoben sich ebenfalls, nur der Araber blieb sitzen und starrte plötzlich in Lapierres Richtung. Die beiden schienen ihm zu folgen. Lapierre beschleunigte seine Schritte. Das mußte er sich einbilden. Warum sollten ihn die beiden verfolgen? Er hatte niemandem etwas getan. Die beiden gingen jetzt rascher, und Lapierre rannte fast, um seinen Wagen zu erreichen. Dort war er in Sicherheit, obwohl er immer noch nicht glaubte, daß man es auf ihn abgesehen hatte. Lapierre schloß die Wagentür auf, und eine schwere Hand legte sich auf seinen Arm. Er zuckte zusammen und sah in die steinernen Gesichter der beiden Männer. Dann erst bemerkte er die Pistole, und eine eisige Hand griff nach seinem Herzen. Er spürte, wie er schwankte und ungläubig den Mund zu einem Schrei öffnen wollte. Eine Hand legte sich brutal auf seinen Mund und erstickte jeden Laut. «Einsteigen!» zischte einer der beiden. Es waren unverkennbar Amerikaner. Ein hilfloser Gedanke, wie sich Lapierre gleich darauf klarmachte. Was wollten sie von ihm? Sie kannten ihn doch gar nicht! Es mußte sich um eine Verwechslung handeln. Er stieg in den Wagen, mehr geschoben als freiwillig. Der kleinere von beiden setzte sich ans Steuer und drängte Lapierre auf den Beifahrersitz. Der größere setzte sich nach
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hinten und drückte die Pistolenmündung in Lapierres Genick. Eisige Wellen schienen von dieser Berührung auszugehen. «Sie müssen mich verwechseln», sagte er. «Ich habe Sie noch nie gesehen, ich kenne Sie nicht.» «Aber wir kennen Sie, Lapierre, und wir werden uns ein bißchen unterhalten. Es wird nicht lange dauern.» Der größere lachte meckernd, aber die Pistolenmündung rührte sich keinen Millimeter. Sie fuhren los, und Lapierre hatte den Eindruck, daß der Fahrer den Weg nicht besonders gut kannte. Er fuhr zweimal einen Umweg, um aus der Stadt herauszugelangen. Es ging nach Süden, aber sie bogen bald darauf von der Küste ab. Lapierre kannte den Weg. Er führte nach einigen Kilometern zu einem kleinen Dorf, in dem er schon des öfteren gewesen war. Seine erste Angst verschwand wieder. Sie wollten bloß mit ihm reden. Vielleicht wollten sie auch Informationen von ihm kaufen? Es wurde rasch dunkel, und der Fahrer betätigte die Scheinwerfer. Breite Lichtbahnen schnitten durch die Dämmerung. Rechts und links weideten Schafe auf den Anhöhen. Der Wagen rumpelte über den Schotter. Dann sprach der Große plötzlich. «Sie haben sich da in eine Sache eingemischt, die Sie nichts angeht. Vielleicht bekommen wir dadurch Unannehmlichkeiten, und das gefällt uns nicht.» «Ich weiß nicht, wovon Sie reden», sagte Lapierre. «Ich habe keinem Menschen irgendwelche Unannehmlichkeiten bereitet.» Sie mußten ihn verwechseln. Das alles war ein großes Mißverständnis! Wenn er die beiden doch bloß davon überzeugen könnte! Der Große lachte wieder. «Sie sind ein sehr bescheidener Mensch, Lapierre. Aber Sie haben ein kurzes Gedächtnis. Nur der Ordnung halber werden wir es kurz auffrischen. Vor einigen Tagen wurde ein bestimmtes Schiff südlich von Agadir entladen - unter Umständen, die für einen Außenstehenden vielleicht ungewöhnlich sind. Aber es handelte sich auch um eine Fracht, die nicht für jedermanns Auge bestimmt war. Unglücklicherweise blieb nicht alles so geheim, wie es geplant -2 0 -
war. Einer der Leute, die beim Entladen beschäftigt waren, konnte seinen Mund nicht halten. Er hat erzählt, was geschehen ist. Und dummerweise sind Sie derjenige, dem er es erzählt hat.» Lapierre war immer blasser geworden, als ihm klar wurde, worum es eigentlich ging. Er hatte nie damit gerechnet, daß es wegen der Informationen an die Amerikaner Schwierigkeiten geben könnte. Fieberhaft überlegte er, wie er sich herauswinden konnte. Trotz der Pistole drückte sich der Amerikaner hinter ihm recht gewählt aus. Vielleicht konnte man ein Geschäft mit ihm machen. Oder ihm Informationen versprechen. Schließlich war noch nichts Schlimmes passiert. Der andere sprach schon in kühlem geschäftsmäßigem Ton weiter: «Der schwatzhafte Kerl wird keinen Schaden mehr anrichten. Seine Kameraden haben ihm die Zunge abgeschnitten, nachdem er erzählt hat, daß Sie über alles Bescheid wissen. Da er nicht lesen und schreiben kann, ist der Fall damit erledigt. Bei Ihnen sieht die Sache allerdings anders aus. Wir haben inzwischen einige Erkundigungen eingezogen, und die Ergebnisse haben uns in dem Verdacht bestärkt, daß Sie die Informationen weitergegeben haben. Nun würde uns interessieren, wer inzwischen davon weiß. Habe ich mich verständlich ausgedrückt?» Lapierre drehte trotz der Pistole den Kopf und starrte den anderen entsetzt an, «Wie kommen Sie auf solche abenteuerliche Ideen?» Der Amerikaner lächelte milde. «Es ist völlig unnötig, daß Sie uns Theater vorspielen. Wir kennen die Kontoauszüge Ihrer französischen Bank, und wir wissen auch, wer das Geld überweist. Also?» Lapierre hob hilflos die Hände. «Was haben Sie mit mir vor, wenn ich Ihnen alles sage?» «Nichts. Aber wir haben nicht die ganze Nacht Zeit. Antworten Sie uns, oder wir werden es auf andere Weise aus Ihnen herausholen. Mein Kollege ist Spezialist für widerspenstige Fälle.» -2 1 -
Lapierre sah den Fahrer an, der rasch seinen Kopf wandte und ihn tückisch angrinste. Er haßte körperliche Gewalt, und schon bei dem Gedanken daran wurde ihm schlecht. «Also gut. Ich habe die Information an die Amerikaner weitergegeben, ohne jede Einzelheiten. Die weiß ich selbst nicht. Ich habe bisher noch keine Reaktion auf die Information bekommen. Wahrscheinlich hat es niemanden interessiert, und mein kurzer Bericht ist längst zu den anderen vergessenen in den Akten gewandert.» Die Pistole verschwand aus seinem Nacken. «Wir haben es vermutet, aber es ist nicht zu ändern», sagte der Amerikaner. «Schrecklich, daß sich manche Menschen immer in die Angelegenheiten anderer Leute einmischen müssen. Glücklicherweise kann man es auf Dauer bei einigen verhindern.» Der Wagen bremste in einer Staubwolke. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Es war fast völlig dunkel. «Steigen Sie aus!» Der größere stieß die Tür auf der Beifahrerseite auf. «Warum?» «Im Augenblick wollen wir nicht mehr von Ihnen wissen. Unsere kurze Bekanntschaft endet hier.» «Sie können mich doch nicht einfach hier auf die Straße setzen», stammelte Lapierre. «Mitten in der Einöde!» Der Amerikaner lachte wieder. «Es wird Sie nicht lange stören.» Der Fahrer stieß Lapierre mit einem kräftigen Stoß zur Tür hinaus, und der Franzose stolperte in den Staub. «Sie hätten bei Ihrem Geschäft bleiben sollen, Lapierre. Ihr Nebenberuf war nicht das Richtige.» Dann hob er die Pistole und schoß zweimal. Lapierre stürzte hintenüber in den kleinen Graben neben der Straße und blieb mit dem Gesicht nach unten regungslos liegen. Der Wagen wendete, ohne daß die Insassen ihm noch einen Blick schenkten.
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*** Franco Solo parkte seinen klapprigen Leihwagen im Schatten einer Pinie, schnappte sich seine Reisetasche und marschierte zum Hoteleingang. Zweifelnd blickte er an der schmutzig grauen Fassade aus Beton empor. Er hatte ein kleineres Hotel am Stadtrand von Agadir genommen und keines der großen Touristenhotels, die zum Teil außerhalb des Ortes lagen. Im Augenblick hatte er seine Bedenken, ob diese Wahl richtig war. Der grauhaarige Marokkaner an der Rezeption las in einem uralten Micky-Maus-Heft. Franco schlug mit der flachen Hand auf die Klingel am Tresen, und der Mann zuckte zusammen. «Ich habe ein Zimmer reservieren lassen. Jack Bentley ist mein Name. Aus Atlanta.» Der falsche Paß, den er von Colonel Warner erhalten hatte, war wie immer ausgezeichnet. «Einen Moment, Sir.» Der Alte blätterte in einem abgegriffenen Buch und nickte dann eifrig. «Zimmer 18. Es liegt im ersten Stock. Der Boy wird es Ihnen zeigen. Bitte füllen Sie noch den Meldezettel aus.» Franco Solo trug seinen falschen Namen in das Formular ein, ohne zu zögern. Der Boy hatte bereits nach seiner Tasche gegriffen und ging voraus. Sie stiegen die Treppe hoch und marschierten einen finsteren Gang entlang, bis der Boy vor Nummer 18 anhielt. Das Zimmer war winzig, aber relativ sauber, zumindest auf den ersten Blick. Franco drückte dem Boy einige Münzen in die schmutzige Hand und schloß hinter sich ab. Mühsam öffnete er das verzogene Fenster und riß sich die Kleider vom Leib. Das Duschen war langwierig, denn das Wasser kam nur tropfenweise. Trotzdem war es eine Wohltat nach der langen Autofahrt von Marrakesch bis Agadir. In dieser kleinen Hafenstadt hoffte er seine einzige Spur zu finden. Die jetzige Stadt war völlig neu, da ein Erdbeben die alte Stadt vor einigen Jahren völlig zerstört hatte. Damit fehlte Agadir der romantische Zauber eines orientalischen Ortes. Die zahlreichen
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Hotels taten ein übriges, einen fast europäischen Eindruck zu erwecken. Franco packte seine Reisetasche aus, die einen sehr geschickt angebrachten doppelten Boden besaß. Darin waren ein leistungsstarker Kurzwellensender sowie Revolver und Munition versteckt. Er nahm die fünfschüssige Smith & Wessen Bodyguard heraus und prüfte sie auf ihre Funktionsfähigkeit. Er schätzte die leichte Waffe mit dem extrem kurzen Lauf. Sie war ideal für schnelles Ziehen und Schießen. Der Schutzbügel vor dem Abzug hatte vorn eine Öffnung, das Korn war abgefeilt. Der Hahn lag so versenkt, daß er beim Ziehen nicht in der Kleidung hängenbleiben konnte. Er klappte die Trommel heraus und lud den Revolver mit der 38 special Munition. Dann schob er die Waffe in den quick-draw-holster an seiner rechten Hüfte. Er musterte sich in dem fleckigen Spiegel, aber die Ausbuchtung war unter der leichten Jacke nicht zu erkennen. Franco ging zum Fenster und sah hinaus. Links lag ein schmutziger Hof, der von einem morschen Bretterzaun umgeben war. Das Hotel stand frei. Die benachbarten Gebäude waren jeweils rund zwanzig Meter entfernt. Als er sich vorbeugte, runzelte er die Stirn. Ein geschickter Kletterer konnte ohne Schwierigkeiten in sein Zimmer gelangen. Er mußte unwillkürlich lächeln. Langsam sah er Gespenster. Aber die Vorsicht war ihm schon so in Fleisch und Blut übergegangen, daß er selbst in völlig harmlosen Situationen übervorsichtig war. Lieber vorsichtig als tot, dachte er. In einiger Entfernung konnte er das Meer erkennen. Zwischen Bäumen versteckt lag der Strand des Club Mediterranee. Dahinter befand sich eine riesige Hotelanlage neueren Datums. Zu dieser Jahreszeit war der größte Touristenansturm jedoch schon vorbei, und Agadir wirkte wie ein verschlafenes Provinzstädtchen. Franco ging zum Telefon und hob den Hörer ab. Nach wenigen Sekunden meldete sich der Mann an der Rezeption.
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«Verbinden Sie mich mit Monsieur Lapierre. Seine Nummer steht vermutlich im Telefonbuch.» «Ich kenne Monsieur Lapierre», antwortete der Araber beleidigt. «Um so besser», murmelte Franco. Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis sich am anderen Ende jemand meldete. Es war eine Frau. «Hallo?» «Ich möchte Monsieur Lapierre sprechen», sagte Franco, indem er seine paar Brocken Französisch zusammenkratzte. «Das geht nicht.» «Sprechen Sie englisch?» erkundigte sich Franco. «Ja.» Die Frau wechselte in einigermaßen verständliches Englisch. «Er ist nicht hier.» «Wann wird er denn zurückerwartet?» «Ich habe keine Ahnung. Er ist seit gestern abend verschwunden.» «Hat er keine Nachricht hinterlassen?» «Nein.» Franco wurde langsam wütend. Die wortkargen Antworten seiner Gesprächspartnerin verrieten ihm nichts. «Mit wem spreche ich eigentlich?» «Das könnte ich Sie auch fragen», kam es schnippisch zurück. «Ich werde mich später noch einmal melden», sagte Franco. «Ich werde Lapierre ausrichten, daß jemand nach ihm gefragt hat. Geben Sie mir Ihre Nummer, dann ruft er Sie zurück.» Franco gab ihr seinen falschen Namen und den Namen des Hotels und legte auf. Schließlich mußte es nichts zu bedeuten haben, wenn Lapierre einen Tag verschwunden war. Dafür konnte es viele Gründe geben. Allerdings hatte er ein Geschäft, das er nicht so ohne weiteres allein lassen konnte. Franco beschloß, dem Laden vorsichtshalber einen Besuch abzustatten. In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Franco starrte verwundert auf den Apparat. Konnte Lapierre so schnell -2 5 -
zurückrufen? Sonst gab es niemanden, der ihn hier kannte. Er nahm den Hörer ab. «Ja?» «Spreche ich mit Mister Bentley?» fragte eine flüsternde Stimme in schauderhaftem Englisch. «Ja. Der bin ich. Was wünschen Sie?» «Sie möchten Jacques Lapierre sprechen, habe ich gehört. Nun, ich könnte Ihnen vielleicht in dieser Angelegenheit weiterhelfen.» In Francos Kopf schrillten sämtliche Alarmklingeln. Äußerlich blieb er ganz ruhig. «Wer sind Sie und woher wissen Sie, daß ich Lapierre sprechen will?» «Mein Name tut nichts zur Sache. Im übrigen ist das keine Angelegenheit, die man am Telefon besprechen sollte. Ich schlage vor, daß wir uns heute abend treffen. Dann können Sie alles weitere erfahren.» «Ich wüßte nicht, was so schwierig sein sollte. Ich will weiter nichts, als Jacques Lapierre sprechen. Wenn er nicht zu erreichen ist, habe ich eben Pech gehabt. Dann muß ich es am nächsten Tag versuchen.» «So einfach ist die Sache nicht», drängte der andere. «Ich bin ganz sicher, daß meine Informationen für Sie wichtig sind.» Franco runzelte die Stirn. Der andere wollte ihn offenbar unbedingt sprechen. Das Risiko, daß es sich um eine Falle handelte, war groß. Aber Franco mußte darauf eingehen. Es war seine einzige Spur. Er hatte den Eindruck, daß er schon mitten in das Wespennest hineingestochen hatte. «Also gut. Treffen wir uns.» «Kommen Sie gegen sechs zum Hafen. Dort gibt es ein kleines Café. Sie können es nicht verfehlen.» «Und wie erkenne ich Sie?» Der andere lachte. «Machen Sie sich darüber keine Sorgen. Ich werde Sie erkennen.» Die Verbindung wurde unterbrochen. Franco betrachtete sinnend den Hörer in seiner Hand, ehe er ihn langsam auf die Gabel legte. Das Spiel hatte begonnen, und er hatte keine Ahnung, wer auf der anderen Seite stand. Allessandro Pavese befand sich zur Zeit in den Staaten. -2 6 -
Vermutlich bereitete er den nächsten Waffentransport vor. Sicher würde er aber rechtzeitig wieder hier sein. Natürlich war zu vermuten, daß er einen Verbindungsmann im Land hatte, der die Interessen der Mafia wahrte. Die Mafia hielt sich seit jeher getreulich an den Grundsatz Lenins: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Franco blickte auf seine Uhr. Er hatte noch ein wenig Zeit, sich den Ort anzusehen, an dem das Treffen stattfinden sollte. Wenn es eine Falle war, wollte er nicht unvorbereitet hineingehen. *** Der schlanke hochgewachsene Araber in der schneeweißen Dschellabah nippte an seinem Pfefferminztee. Gelangweilt betrachtete er seinen Gesprächspartner, der auf seinem Korbstuhl unruhig hin und her rutschte und sein Glas nervös zwischen den Händen drehte. Sie waren allein. Der gepflegte Bungalow lag in einer ruhigen Seitenstraße von Agadir. Die dichten Büsche und Hecken schützten vor direkter Sicht und hielten auch den größten Teil der Geräusche ab. Der Bungalow war dem klassischen arabischen Stil nachempfunden und mußte viel Geld gekostet haben. Die schlanken Säulen und die zierlichen Stuckarbeiten waren Handarbeit. Mohammed Al-Awni brauchte nicht zu sparen. Dieses war nur eines seiner Häuser. Sein Hauptwohnsitz befand sich in Rabat, der Hauptstadt. Und in Casablanca besaß er noch eine Stadtwohnung. Seine Familie gehörte schon seit Jahrzehnten zu den tausend Familien, denen das Land praktisch gehörte. Er besaß eine Hotelkette und Beteiligungen an zahlreichen Unternehmen, sogar im Ausland. Sein Bruder hatte einen hohen Posten in der Regierung, und auch seine anderen Familienmitglieder hatten zum Teil einflußreiche Stellungen im Behördenapparat. Aber all das genügte Al-Awni nicht. Sein Ehrgeiz trieb ihn zu Höherem. Hinzu kam, daß er aus persönlichen Gründen das -2 7 -
derzeit regierende Herrscherhaus nicht leiden konnte. Er wußte sehr genau, daß die bisherigen Umsturzversuche alle schief gegangen waren, und er hatte die Ursachen dafür sehr genau analysiert. In jahrelanger Arbeit hatte er seinen Plan entwickelt, und er war überzeugt, daß es unter seiner Leitung klappen würde. Die Zahl der Eingeweihten war sehr klein. Nur zwei hohe Offiziere wußten von seinem Plan. Sie würden im entscheidenden Augenblick die Armee still halten. Denn AlAwni hatte erkannt, daß ein Putsch gegen die Armee zum Scheitern verurteilt war, daß aber auch ein Putsch mit der Armee ein zweischneidiges Schwert war. Es gab zu viele Eingeweihte, und im letzten Moment wurde der Plan dann verraten. Am besten war es, wenn die Armee neutral blieb. Aus diesem Grunde hatte Al-Awni seine eigene Streitmacht aufgebaut. Es waren zwar nur ein paar hundert Mann, aber im entscheidenden Moment würden sie die Schlüssels tellungen besetzen und die Nation vor vollendete Tatsachen stellen. Diesmal würde der Putsch gelingen. Die Offiziere seiner Truppe waren Profis. Söldner, die zumeist schon in verschiedenen Ländern gekämpft hatten. Die Truppe selbst bestand zum größten Teil aus Berbern, arbeitslosen, entwurzelten Männern, die glaubten, mit diesem Putsch alles zum Besseren wenden zu können. Die Ausbildung der Männer war inzwischen schon weit vorgeschritten, der entscheidende Tag rückte näher. Die Übungswaffen wurden jetzt durch moderne Waffen ersetzt. Al-Awni besaß mit seiner kleinen, gut ausgebildeten und ausgerüsteten Truppe ein militärisches Potential, das sehr wohl in der Lage war, einen Staatsstreich durchzuführen. Al-Awni lächelte und nippte wieder an seinem Glas. «Berichten Sie.» Seine Stimme war leise und klang wie Samt. Sein Französisch war ohne jeden Akzent. Frank Wells blinzelte in die untergehende Sonne. Er war groß und massig und von der Sonne verbrannt. Über seine Stirn zog sich eine breite Narbe, Andenken an eine Auseinandersetzung in einer Hafenkneipe in Südafrika. Vor langer Zeit war er -2 8 -
während des Koreakrieges als junger Kerl von der amerikanischen Armee desertiert. Seitdem trieb er sich als Söldner, Leibwächter oder Berufskiller in der Welt herum. Er war zum Spezialisten für das Töten geworden, und er wußte, daß man Leute wie ihn brauchte. Er ließ sich gut bezahlen, denn es gab wenige wie ihn. Er hatte im Kongo gekämpft und im Sudan, in Biafra, Rhodesien und in Angola. Er kämpfte für den, der ihn gut bezahlte, und er kannte nur eines nicht: Skrupel. Irgendwann wollte er aufhören, sein Konto in der Schweiz war recht gut gefüllt, aber wie von einem unwiderstehlichen Zwang zog es ihn immer wieder an die gefährlichen Brennpunkte der Welt, wo man Spezialisten wie ihn brauchte. Vor einiger Zeit hatte er davon gehört, daß ein Mann in Marokko gute Leute suchte. Die Nachrichtenbörse der internationalen Söldnergilde funktionierte bestens. Über einen Kontaktmann in Casablanca war er dann an Mohammed Al-Awni geraten, ein Mann, der ihn sofort beeindruckt hatte. Manchmal spürte er sogar ein Gefühl wie Furcht in dessen Gegenwart, etwas, das er vorher noch nie gekannt hatte. Al-Awni seinerseits hatte sofort erkannt, daß Wells ein Mann war, wie er ihn nicht alle Tage fand. Er hatte ihn für ein hohes Honorar engagiert und zum militärischen Befehlshaber seiner Truppe gemacht. Ein eigenes Kommando hatte Wells noch nie besessen, und er war entschlossen zu beweisen, daß er dieser Aufgabe gerecht werden konnte. Dies war der Gipfel seiner langen Söldnerlaufbahn. Danach konnte er sich zurückziehen oder eine reine Beratungstätigkeit annehmen. «Die erste Waffenlieferung ist im Ausbildungslager angekommen», sagte Wells. «Die Ware ist in bestem Zustand. Es handelt sich um neuwertiges Material aus amerikanischen Heeresbeständen. In Kürze erwarten wir die nächste Lieferung. Die Truppe ist soweit ausgebildet, daß wir nur noch kurze Zeit an den neuen Waffen benötigen. Munition zum Üben steht ausreichend zur Verfügung. Ich werde Ihnen bald völlige Einsatzbereitschaft melden können.»
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Al-Awni nickte langsam. «Es war mühsam, bis zu diesem Punkt zu kommen. Aber es wird sich für alle Beteiligten lohnen. Es wird nicht mehr lange dauern. Der Plan steht bereits in allen Einzelheiten.» «Sie sollten ihn mir bald mitteilen, damit ich die entsprechenden Einsatzpläne ausarbeiten kann.» Al-Awni winkte ab. «Das hat noch Zeit. Sie werden alles rechtzeitig erfahren. Es ist besser, wenn außer mir noch niemand alle Einzelheiten weiß.» «Sie trauen mir nicht», brummte Wells mürrisch. «Nein. Und Sie werden zugeben, daß ich damit auch gut beraten bin. Sie bekommen alle Informationen, die Sie brauchen, und ich habe Ihnen immer wieder gesagt, daß ich Ihnen viel zu verdanken habe. Die Waffenbeschaffung wäre ohne Ihre Verbindungen vermutlich nicht ohne Schwierigkeiten über die Bühne gegangen.» Wells war es gewesen, der über seine Kontakte Verbindung zur Mafia aufgenommen hatte. Das sich dann anbahnende Geschäft sah auch für ihn noch einen netten Nebenverdienst vor, von dem Al-Awni nichts wußte. Das war einmal eine kleine Provision und zweitens eine kleine Zwischenspanne am Rauschgift, das zur Bezahlung der Waffen diente. Wells erhielt es aus Italien. Die Mafia war sehr dankbar, größere Mengen über neue Kanäle in die Staaten einschleusen zu können, seit eine ganze Reihe von Transportwegen aufgeflogen war. «Es gibt da noch eine kleine Schwierigkeit», gab Wells zu bedenken. Al-Awni zog die Augenbrauen zusammen. Seine Stimme bekam einen härteren Klang. «Was für Schwierigkeiten?» Wells zuckte unbehaglich mit den Schultern. «Es hat jemand von der Entladung des Frachtschiffs gehört und diese Information an die Amerikaner weitergegeben.» Al-Awni trommelte mit den Fingerspitzen auf der Lehne seines Sessels. «Wer ist dieser Informant?»
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«Ein Franzose. Er hatte einen tödlichen Unfall. Unsere amerikanischen Freunde haben dafür gesorgt, daß er den Mund nicht noch einmal aufreißt.» «Unsere amerikanischen Freunde, wie Sie sie nennen, gefallen mir nicht sonderlich, aber man kann sich seine Freunde nicht immer aussuchen. Ich hoffe nur, daß es beim bedauerlichen Ableben des Franzosen keine Spuren gegeben hat, die auf uns deuten. Es wäre sehr unangenehm, wenn wir ausgerechnet jetzt noch Unannehmlichkeiten hätten.» Wells schüttelte den Kopf. «Zwischen uns und den Mafialeuten besteht keine Verbindung. Pavese hat glücklicherweise ein Kommando hierher beordert, um sich den Rücken freizuhalten» - und um uns im Auge zu behalten, fügte er in Gedanken hinzu. «Das kommt uns jetzt gelegen. Im übrigen traue ich, mit Verlaub gesagt, der Polizei Ihres Landes nicht besonders große Fähigkeiten zu. Es ist völlig ausgeschlossen, daß irgend jemand Sie in Verdacht hat, hinter dieser Sache zu stecken.» Al-Awni lächelte, aber es war kein freundliches Lächeln. «Sie sollten nicht den Fehler machen, meine Landsleute zu unterschätzen. Sehr bald wird sich auch bei der Polizei eine Menge ändern. Es wird ohnehin Zeit, daß sich bei uns einiges ändert. Es gibt Leute, die schon viel zu lange an der Macht sind, und Macht verdirbt bekanntlich den Charakter.» Wells grinste. «Das haben Sie sehr schön gesagt. Mir ist es im Prinzip allerdings gleich, wer an der Macht ist. Mich interessiert, wer die Kasse hat, und die haben im Augenblick Sie.» «Ich möchte noch einmal auf diesen Franzosen zurückkommen. Sind Sie sicher, daß sein Tod die Probleme erledigt hat?» Wells griff nach einer Whiskyflasche und schenkte sich einen Drink ein. «Ich glaube nicht, daß wir aus dieser Richtung etwas zu befürchten haben. Dieser Franzose gibt schon seit Jahren irgendwelche Informationen an die Amerikaner weiter, vermutlich an einen Geheimdienst. Er ist mit Sicherheit kein amerikanischer Topagent. Im übrigen haben die Amerikaner im
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Augenblick andere Sorgen, als sich um ein paar Waffen an der Küste von Marokko zu kümmern.» Al-Awni starrte ihn an. «Sie machen schon wieder den Fehler, andere zu unterschätzen. Ich bin bei weitem nicht so sicher wie Sie. Vor allem dann nicht, wenn das organisierte Gangstertum mit von der Partie ist. Aber wir werden bald wissen, ob diese Information eine Reaktion ausgelöst hat. Ich habe mir nämlich erlaubt auch jemanden zu beauftragen, der sich um unsere Rückendeckung kümmert.» Wells verfärbte sich und stellte sein Glas hart auf den Tisch. «Was soll das bedeuten? Trauen Sie mir nicht zu, daß ich diese Sache allein erledigen kann?» «Wenn Sie schon so direkt fragen, sollen Sie auch eine direkte Antwort haben. Nein, ich traue Ihnen nicht. Selbstverständlich habe ich noch andere Quellen, die mich auf dem laufenden halten. Das Projekt, das wir durchführen, ist zu groß und zu wichtig, als daß ich es mir erlauben könnte, auch nur den kleinsten Fehler zu machen. Ich habe gern mehrere Eisen im Feuer. Sie würden es an meiner Stelle nicht anders tun. Das hat nichts damit zu tun, daß ich Ihre Fähigkeiten nicht hoch einschätze. Und dafür werden Sie auch bezahlt. Ich möchte nur, daß Klarheit herrscht.» Wells schwieg und starrte zu dem kleinen Swimmingpool hinüber, dessen klares Wasser zum Baden einlud. Selbst unter dem geschützten Dach der Veranda war es drückend heiß. Erst der Abend würde Abkühlung bringen. In diesem Augenblick klingelte das Telefon, das neben dem Araber auf einem kleinen Tisch stand. Er hatte es gern, wenn man ihn überall erreichen konnte. Al-Awni hob sofort ab, meldete sich und lauschte. Er antwortete mit einigen Worten in seiner Muttersprache, legte grußlos auf und wandte sich wieder an Wells. «Ich hatte mit meinem Verdacht recht. Heute ist ein Amerikaner in Agadir angekommen, der gleich nach seiner Ankunft versuchte, sich mit dem Franzosen in Verbindung zu setzen. Sein Name ist Bentley, aber das hat sicher nichts zu bedeuten. -3 2 -
Mein Kontaktmann wird sich heute abend mit diesem Amerikaner treffen. In einem Café am Hafen, und zwar in einer halben Stunde. Ich möchte, daß Sie sich diesen Amerikaner ebenfalls ansehen. Ich glaube nicht an Zufälle. Die weitergegebene Information hat doch Kreise gezogen. Wir müssen alles daransetzen, diese Unsicherheit zu beseitigen. Wenn es erforderlich sein sollte, diesen neuen Mann zu beseitigen, geben Sie einfach unseren Freunden aus den USA einen Tip. Die wissen sicher am besten, wie diese Sache zu lösen ist. Ich wünsche nicht, daß man uns mit hineinzieht. Wir dürfen niemals unsere wichtigen Ziele aus den Augen verlieren.» Wells kniff die Lippen zusammen. Er mochte es nicht besonders, wenn jemand besser geplant hatte als er selbst. Er hätte auch darauf kommen können, Lapierres Haus zu überwachen, um festzustellen, ob sein Tod irgendwelche Folgen nach sich zog. «Ich werde mich darum kümmern.» «Bevor Sie gehen, noch eine Frage. Wie stehen die Dinge im Lager?» Wells krampfte die Hände um die Sessellehnen. Er mußte sich seine Worte genau überlegen, denn er mußte davon ausgehen, daß Al-Awni auch im Lager seine eigenen Leute hatte, die ihm alles hinterbrachten. Wells hatte immer gedacht, daß er im Ausbildungslager unumschränkter Befehlshaber war, aber er mußte jetzt erkennen, daß man vermutlich all seine Worte und Handlungen Al-Awni mitgeteilt hatte. In Zukunft mußte er vorsichtiger sein. «Es fehlen noch ein paar der angeworbenen Söldner, aber die können nach einer Stabsbesprechung sofort in den Einsatz, denn wir brauchen sie nicht an den Waffen auszubilden. Ich habe bei der Auswahl aufgepaßt. Ich rechne damit, daß wir in zwei, drei Tagen komplett sind. Dann brauchen wir höchstens noch eine Woche, bis der Einsatzbefehl gegeben werden kann.» «Gut. Und wie verhalten sich die Mannschaften?»
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«Wir verfügen über gute Leute. Auch die Zusammenarbeit mit den Söldnern klappt recht gut. Das einzige Problem ist, daß wir noch zuwenig Männer haben.» «Das kann ich nicht ändern. Wir müssen die knappe Kopfzahl mit um so besserer Ausbildung wettmachen. Nach meinem Plan kommen wir mit den Leuten aus, wenn sich alle an ihre Befehle halten.» «Wie Sie meinen.» Wells erhob sich. «Ich werde mir jetzt ansehen, was für ein Vogel dieser Neuankömmling ist.» *** Franco Solo nagte unbewußt an seiner Unterlippe. Der Ausdruck Café war stark übertrieben. Es handelte sich um ein paar alte Holztische mit wackligen Stühlen darum. Ein paar Fischer saßen an einem der Tische und unterhielten sich leise. Die Umgebung war ideal für eine Falle. Unübersichtlich und dunkel. Der leichte Wind wehte einen durchdringenden Geruch nach Fischmehl herüber, und Franco verzog angewidert die Nase. Unmittelbar neben dem Café lag ein großer Platz mit Bootsruinen, Bretterstapeln, Schrotthaufen und allem möglichem anderen Zeug, das man in der Nähe eines Hafens findet. Dahinter glitzerte das Meer. Zur anderen Seite schlossen sich verschiedene Lagerschuppen und andere Gebäude an, deren Zweck nicht sofort ersichtlich war. Es war ziemlich einfach, sich dem Café von verschiedenen Seiten nahezu ungesehen zu nähern. Franco roch die Falle förmlich, aber es war nicht seine Art, den Rückzug anzutreten, bevor er sich nicht davon überzeugt hatte, wer so interessiert daran war, ihn hier zu treffen. Er schlug einen weiten Bogen um das Café und inspizierte die nähere Umgebung. Kein Mensch war zu sehen. In einiger Entfernung flickten einige Fischer ihre Netze. Sie beachteten
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ihn nicht und schienen harmlos zu sein. Es war wenige Minuten vor sechs Uhr. Es wurde Zeit, die Verabredung einzuhalten. Ein weiterer Gast saß an einem der Tische. Er hatte eine Tasse Kaffee vor sich stehen und blickte Franco gespannt entgegen. Seinen Gesichtsausdruck konnte man nur als verschlagen bezeichnen. Seine Nase war spitz und seine Hautfarbe sehr dunkel. Ohne Zweifel ein Marokkaner. Franco setzte sich an seinen Tisch, ohne eine Einladung abzuwarten. «Sie sind Mister Bentley?» fragte der Mann und beugte sich vor, so daß Franco den durchdringenden Knoblauchgeruch, der von dem Araber ausging, voll mitbekam. Franco nickte. «Sie behaupten also, Sie könnten mir wichtige Nachrichten über Jacques Lapierre geben. Warum kann er mir die nicht selbst geben, und wer sind Sie eigentlich?» «Ich bin ein Freund. Wenn Lapierre nicht in Agadir ist, vertrete ich ihn. Sie können mich ruhig fragen, was Sie von ihm wissen wollen. Ich bin über alles informiert.» Der Araber grinste frech. Die Unverschämtheit verschlug Franco fast die Sprache. Diesem Kerl würde er keinen Cent anvertrauen, und er konnte sich nicht vorstellen, daß Lapierre anderer Ansicht war. Der Kerl war oberfaul! «Es hat keinen Sinn, daß ich mit Ihnen rede. Ich hatte ein Geschäft mit Lapierre zu besprechen, und die Einzelheiten gehen nur ihn selbst etwas an.» «So?» fragte der Araber gedehnt. «Es wird aber eine ganze Zeit dauern, bis er wiederkommt. Was wollen Sie denn in dieser Zeit machen?» «Wo hält er sich eigentlich auf?» Der Araber zuckte mit den Achseln. «Das weiß nur Allah, sein Name sei gepriesen.» Franco hatte nicht übel Lust, mit etwas härteren Methoden die Wahrheit herauszubekommen, aber er beherrschte sich. Was konnte er schon tun? Zwei Polizisten bogen um die Ecke und marschierten mit ernsten Gesichtern auf den Wirt des Cafés zu, der vor die Tür -3 5 -
getreten war. Sie begannen einen raschen Wortwechsel, und der Wirt begann zu jammern und seine Hände ineinander zu winden. Es war klar, daß ihn die Worte der Polizisten so verändert hatten. Der Araber an Francos Tisch hatte dem Dialog aufmerksam gelauscht. Plötzlich sprang er auf und lief rasch davon. «Ich melde mich wieder», rief er über die Schulter zurück. Der Wirt deutete mit der Hand hinter dem Araber her und sagte ein paar Worte zu den Polizisten. Sie blickten dem Mann unschlüssig nach. Franco stand auf und sprach den Wirt an: «Was ist denn los?» «Einer meiner Stammgäste ist ermordet gefunden worden», radebrechte der Wirt in schlechtem Englisch. «Und der Mann, der bei Ihnen am Tisch saß, war gestern auch hier, als ich Lapierre zum letzten Mal gesehen habe.» Franco zuckte zusammen wie unter einem Peitschenhieb. Einer der Polizisten trat auf ihn zu. «Kannten Sie den Mann an Ihrem Tisch?» erkundigte er sich mit mißtrauischem Gesicht. Franco schüttelte den Kopf. «Nein. Ich habe mich zufällig an seinen Tisch gesetzt. Ich habe ihn noch nie vorher gesehen. Außerdem bin ich erst vor wenigen Stunden in Agadir angekommen.» Die Polizisten verloren ihr Interesse und gingen davon. Sie schienen es nicht sonderlich eilig zu haben, den Mann zu verfolgen. Franco dagegen hatte es jetzt sehr eilig. Die Gegenseite hatte also bereits zugeschlagen, und man hatte gegen ihn auch Verdacht geschöpft. Seine Mission war schon gefährdet, ehe sie überhaupt begonnen hatte. Der Araber hatte ein Streichholzbriefchen auf dem Tisch liegen lassen. Club Les Almohades stand darauf, und Franco ließ es rasch in seiner Tasche verschwinden. Betont langsam ging er davon, merkte aber schnell, daß ihm jemand folgte. Sein Instinkt für solche Dinge war sehr ausgeprägt, seit er seinen
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einsamen Kampf gegen die Mafia aufgenommen hatte. Es war eine Frage des Überlebens. Er schlenderte zum Ausgang des Hafengeländes und musterte unterwegs seinen Verfolger unauffällig. Es war ein bullig aussehender Europäer oder Amerikaner. Er machte ein finsteres Gesicht und hatte eine unübersehbare Narbe auf der Stirn. Es wurde langsam interessant. Die Frage war nur, ob dieser Mann zur gleichen Gruppe wie der Araber oder zu einer dritten Seite gehörte. Franco beschloß, das Rätsel zu lösen, denn er mußte allmählich weiterkommen. Bis jetzt hatte er noch keinen blassen Schimmer, wie er seinen Auftrag erledigen sollte. Colonel Warner hatte im sicheren Marrakesch gut reden. Francos Laune war nicht die allerbeste. Weshalb das so war, konnte er sich kaum erklären. Am Umgang mit gefährlichen Leuten konnte es wohl kaum liegen. Seit er seinen Kampf gegen die Mafia aufgenommen hatte, war die Gefahr sein ständiger Begleiter geworden. Es hatte zahlreiche Situationen gegeben, in denen er dem Tod buchstäblich in letzter Sekunde von der Schippe gesprungen war. Er verjagte die lästigen Gedanken, es hatte keinen Sinn, darüber nachzudenken, wann seine Stunde kommen würde. Jedenfalls hatte er hier in Marokko das Gefühl, als würde er mit einer Stange im Nebel herumrühren. Der Fall hatte noch keine Konturen angenommen. Unauffällig sah er sich um. Sein Verfolger klebte noch hinter ihm, wenn auch in gehörigem Abstand. Franco lächelte. Es dürfte eigentlich kein Problem sein, den Mann abzuhängen. Aber er war neugierig, wie das Spielchen weitergehen würde. Rasch bog er in eine kleine Seitenstraße ein, die vom Hafen wegführte. Dort hatte er seinen Wagen geparkt. Und dann sah er sich überrascht um - sein Verfolger war verschwunden, als hätte er sich in Luft aufgelöst. Franco schüttelte den Kopf und stieg ein. Am sinnvollsten war es, jetzt ins Hotel zurückzukehren. Hier am Hafen konnte er doch nichts mehr ausrichten. -3 7 -
Er hatte es nicht eilig und fuhr in langsamen Tempo zurück. Es war nicht weit, und er nutzte die Gelegenheit, einen Blick auf das Leben in der Stadt zu werfen. Kein Vergleich mit Marrakesch. Dort der bunte Orient, hier die kühle geschäftsmäßige Atmosphäre eines Touristenzentrums. Franco stellte den Wagen vor dem Hotel ab und verlangte an der Rezeption seinen Schlüssel. Dann warf er einen Blick in die winzige Bar daneben, aber es hielt sich niemand darin auf. Der Barkeeper lehnte an seiner Theke und schien im Stehen zu schlafen. Müde klappte er ein Auge auf, als er Franco bemerkte, und beäugte ihn mißtrauisch. Das blieb aber auch die einzige Reaktion. Wahrlich keine Ermunterung, noch einen Schluck zu trinken. Franco tastete sich die Treppe hinauf. Von Beleuchtung konnte keine Rede sein. Die Direktion wollte offenbar Strom sparen. Er bewegte sich ohne Eile über den Gang. Als er versuchte, das Türschloß zu finden, verspürte er plötzlich eine Ahnung drohender Gefahr. Er hatte sich schon manchmal gefragt, ob das bei ihm so eine Art Vorahnung war, oder ob es daran lag, daß er ständig in einer größeren Anspannung lebte als die meisten anderen Menschen. Vielleicht entwickelte der Organismus bei der häufigen Lebensgefahr einen Schutzmechanismus. Franco blieb erstarrt stehen. Sein Körper war gespannt wie eine Feder. Er wirkte wie ein Jagdhund, der Witterung aufnimmt. Ein Mann mit einem Job wie er ihn hatte, mußte so sein. Franco lauschte. Er filterte die verschiedenen Geräusche heraus, die im Haus entstanden und konzentrierte sich darauf, herauszufinden, was in seinem Zimmer vorging. Es war jemand darin. Er wußte es. Zwar war kein Geräusch zu hören, aber er spürte die Anwesenheit eines anderen durch die geschlossene Tür. Franco gab sich einen Ruck. Er konnte schließlich vor dem Zimmer nicht festwachsen. Lautlos zog er seinen Revolver. Dann steckte er den Schlüssel ins Schloß und drehte ihn herum. Die Tür schwang auf, und mit einem gewaltigen Satz -3 8 -
schoß er in den Raum. In einer einzigen fließenden Bewegung ging er in die Knie, der ausgestreckte rechte Arm beschrieb einen schnellen Halbkreis, bereit, sofort einem Angriff zu begegnen. Der Raum war leer. Franco war allein. Er starrte auf den Revolver in seiner Hand und steckte ihn mit einer schnellen Bewegung ein, ehe er sich selbst lächerlich vorkam. Die nackten Wände schienen ihn höhnisch anzugrinsen. Es schien nichts berührt. Der Raum sah noch genauso aus, wie er ihn verlassen hatte. Nur das Fenster stand offen. Vorsichtig schlich er auf die dunkle Öffnung zu, neben der sich die Gardinen in einem leichten Luftzug bauschten. Er blickte hinaus, aber in der mittlerweile hereingebrochenen Dunkelheit war nichts zu erkennen. Franco schloß das Fenster und machte Licht. Die grelle Deckenlampe riß die schäbige Einrichtung aus dem gnädigen Halbdunkel, das vorher geherrscht hatte. Auch jetzt war keine Veränderung zu erkennen. Franco war bereits wieder durchgeschwitzt. Er marschierte auf die Tür des Badezimmers zu und freute sich auf eine kühle Dusche. Als er die Tür aufdrückte, begriff er im Bruchteil einer Sekunde seinen Fehler, noch bevor er in die schwarze Mündung einer großkalibrigen Pistole blickte, die genau auf ihn gerichtet war. Franco hob langsam die Hände. Die Pistole, es war eine Commander .45 ACP, hergestellt von der wegen der Qualität ihrer Produkte berühmten Firma Colt, bewegte sich keinen Zoll. Der Mann dahinter blickte Franco schweigend an und lächelte böse. «Ich nehme an, Sie haben sich nur im Zimmer geirrt», sagte Franco ruhig. «Das kommt vor, die Zimmer sehen auch alle gleich aus. Solange Sie meine Handtücher nicht benutzen, macht es mir nichts aus. Auch bei meiner Zahnbürste bin ich eigen, aber sonst bedienen Sie sich.» Franco hatte den Mann sofort erkannt. Es war der Verfolger von vorhin. Es war ihm unerklärlich, wieso der Mann noch vor ihm -3 9 -
im Hotel war. Die Narbe auf der Stirn des Mannes glühte. Er gehörte auf jeden Fall nicht zu den angenehmen Zeitgenossen. Aber Franco hatte sich mittlerweile daran gewöhnen müssen, daß die Leute, mit denen er zu tun hatte, einer besonderen Sorte Spezies angehörten. Der Fremde hob die Pistole ein Stück und trieb Franco mit einer leichten Bewegung ins Zimmer zurück. «Ihre Entrüstung ist bühnenreif», entgegnete er, «fast hätte ich geklatscht.» Er war Amerikaner, der Slang war unverkennbar. Franco speicherte die Information. Der Fremde griff mit der linken Hand an Francos Hüfte und zog die Smith & Wesson aus der Halfter. Er schien nicht überrascht zu sein, daß Franco bewaffnet war, er verschwendete auch keinen Blick weiter auf den Revolver, der immerhin etwas aus dem Rahmen fiel. Dann trat er zwei Schritte zurück, ohne die Pistole zu senken. «Kann ich die Hände herunternehmen?» erkundigte sich Franco. Seine Stimme klang unverändert, obwohl er mittlerweile begriffen hatte, daß er einem Profi gegenüberstand. Mit billigen Tricks war diesem Mann nicht beizukommen. Franco betrachtete ihn aufmerksam. Er war groß und breitschultrig. Man sah ihm an, daß er lange in den Tropen gelebt haben mußte. Trotz seiner Bräune hatte er eine ungesunde Gesichtsfarbe. Sein Alter war schwer zu schätzen. Der Mann sah aus, als ob er eine Menge Tricks kannte. Franco hoffte nur, daß er nicht alle kannte. «Setzen Sie sich!» Der Mann deutete auf den einzigen Sessel im Zimmer, und Franco gehorchte ohne Widerspruch. Zur Zeit hatte der andere mit seiner großen Pistole das stärkere Argument. Ein Angriff in dieser Situation wäre Selbstmord gewesen. Aber Franco mußte ihn provozieren, um mehr zu erfahren. «Ich nehme an, Sie wollen einen kleinen Plausch mit mir halten.» Franco hatte die Hände vorsichtig heruntergenommen und sprach ruhig und ohne sich seine Gefühle anmerken zu lassen. «Ich bin noch nicht so lange im Land, daß ich die -4 0 -
örtlichen Gebräuche kenne. Deswegen ahnte ich auch nicht, daß die Gesprächseinladungen hier mit der Waffe in der Hand ausgesprochen werden. Aber man lernt ja nie aus. Ich würde Ihnen auch gerne etwas zu trinken anbieten, aber ich fürchte, dieses Zimmer enthält keine Hausbar. Ich konnte allerdings nicht voraussehen, daß ich heute noch Gäste bekomme.» «Ihre Witze werden Ihnen noch vergehen, Spaßvogel. Jetzt halten Sie mal die Luft an und hören mir zu. Angeblich sind Sie Geschäftsmann aus USA und heißen Bentley.» «Was heißt angeblich? Darf ich annehmen, daß Sie mit mir ein Geschäft abschließen wollen? Wollen Sie kaufen? Oder lieber verkaufen?» Der andere lief rot an. «Sie verkennen die Situation», stieß er wütend heraus. «Wir machen hier kein Kaffeekränzchen.» Franco sah die Hand kommen, wich aber nicht aus. Der andere hatte sich provozieren lassen und holte mit der Hand aus, in der er die Pistole trug. Die Waffe beschrieb einen kurzen Halbkreis durch die Luft, der Lauf schrammte über Francos Schläfe dann war seine Chance gekommen. Blitzschnell führte er mehrere Bewegungen gleichzeitig aus. Sein linker Arm schoß nach oben und drückte die Faust des anderen zur Seite, seine ausgestreckte Rechte zielte mit einem wuchtigen Karatestoß auf die Brust des Gegners, und sein rechter Fuß kickte nach vorn. Die Kombination war wirkungsvoll. Der Fremde schrie überrascht auf und stolperte mit den Armen rudernd rückwärts. Franco war sofort hoch, aber der andere war schon am Boden. Franco trat rasch auf das Armgelenk, denn sein Gegner umklammerte immer noch die Pistole. Zögernd löste sich der Griff. Der Mann stöhnte leise und hielt sich seine getroffene Kniescheibe. Franco schleuderte die Pistole unter das Bett und nahm seine eigene Waffe wieder an sich. Dann zerrte er den Mann hoch und setzte ihn in den Sessel. «Mein Bein», jammerte der andere. «Es ist gebrochen.» -4 1 -
Franco winkte nur ab. «Übertreiben Sie nicht. Ich weiß ganz genau, daß Ihnen nichts passiert ist. Spielen Sie kein Theater. Vielleicht können wir uns dann endlich einmal wie normale Menschen unterhalten. Zuerst nur eine ganz bescheidene Frage: Wie heißen Sie? Was wollen Sie von mir?» Der andere preßte wütend die Lippen zusammen und funkelte Franco Solo nur an. Freiwillig würde er nicht reden. Aber Franco war auch nicht der Mann, der zu harten Methoden griff. Er hatte sich geschworen, nicht die Methoden zu wählen, die seine Gegner bevorzugten. Er wollte sich nicht auf die gleiche Stufe stellen. Oft ging es auch anders. Franco tastete den Mann rasch ab und fand tatsächlich eine Brieftasche. Er trat wieder zurück und klappte sie auf. Er fand einen amerikanischen Paß und einen Führerschein. Beide Papiere waren abgewetzt und sahen echt aus. Franco wußte jedoch aus eigener reichhaltiger Erfahrung, welch gute Fälschungen es auf diesem Gebiet gab. Schließlich versorgte COUNTER MOB ihn oft genug mit falschen Papieren. Nach dem Paß hieß der Mann Frank Wells, geboren in Philadelphia. Vielleicht war es sogar sein richtiger Name. Die zahlreichen Stempel und Visa zeigten, daß Wells sich schon ziemlich lange in der ganzen Welt herumtrieb. Franco schätzte ihn aber als einen Mann ein, der die meisten Grenzen illegal überschritt. Ansonsten enthielt die Brieftasche zehn HundertDollar-Noten und ein Bündel einheimisches Geld. Franco warf Wells alles wieder in den Schoß. «Da ich jetzt weiß, wie Sie heißen, fehlt noch die Beantwortung der nächsten Frage: was wollen Sie von mir? Wer hat Sie geschickt?» «Das sind die Fragen, die man immer stellt, nicht wahr?» Wells grinste, was ihn nicht schöner machte. «Ich gebe Ihnen einen guten Rat. Hauen Sie ab, solange noch Zeit ist. Wir mögen es hier nicht, wenn jemand seine Nase ungefragt in unsere Angelegenheiten steckt. Wenn Sie meinen guten Rat nicht annehmen wollen - meine Freunde werden sich um Sie kümmern. Ich jedenfalls habe bereits erfahren, was ich von Ihnen wissen wollte. Sie sind nie und nimmer ein -4 2 -
Geschäftsmann namens Bentley. So wie Sie sich hier aufgeführt haben, sieht es nach FBI oder CIA aus.» Diesmal lächelte Franco. «Sie glauben gar nicht, wie oft ich schon die Drohung gehört habe, ich solle verschwinden. Das klingt wie das Geschwätz drittklassiger Gangster in schlechten Filmen. Es ist schon komisch, daß ausgerechnet Sie mich einschüchtern wollen, dabei könnte ich Sie still und leise aus dem Wege räumen.» Franco blickte nachdenklich auf seinen Revolver und bemerkte aus den Augenwinkeln, daß Wells noch blasser wurde als er ohnehin schon war. Er konnte nicht wissen, wer Franco wirklich war und daß er natürlich nur bluffte. Wenn Wells von seiner eigenen Einstellung ausging, wäre der Gegner schon längst aus dem Weg geräumt. Wells hob den Kopf. «Machen Sie, was Sie wollen», sagte er dumpf. «Ich sage kein Wort. Sie haben jedoch keine Chance. Das Hotel wird überwacht. Selbst wenn Sie mich töten, kommen Sie hier nicht heraus.» «Vielleicht gehen wir gemeinsam. Ganz dicht hintereinander. Dann wird uns beiden nichts passieren. Auf diese Weise können wir das Hotel ohne weiteres verlassen. Und wenn Ihre Leute schießen und irrtümlicherweise Sie treffen, wäre das doch sehr bedauerlich. Sie sollten laut und deutlich sagen, wie die Lage aussieht. Kommen Sie.» Franco zog Wells am Arm nach oben und zerrte ihn zur Tür. Den Lauf der Smith & Wesson preßte er gegen den Rücken, so daß Wells nicht auf dumme Gedanken kam. Auf dem Gang war niemand. Unangefochten erreichten sie die Treppe. Auch hier war kein Mensch zu sehen. Die Rezeption war nicht besetzt. Franco war sich nicht ganz klar darüber, wie er weiter vorgehen sollte. Bis jetzt hatte er nur improvisiert. Wells schien zu fürchten, daß Franco ihn jetzt aus dem Hotel schaffen und dann erschießen wollte. Sicherlich würde ein Mann wie Wells das nicht ohne Gegenwehr über sich ergehen lassen. Also plante er irgend etwas. -4 3 -
Doch alle weiteren Entscheidungen wurden Franco abgenommen. Als sie durch die Eingangstür traten, peitschte ein Schuß aus dem Dunkel, und das Geschoß riß Splitter aus dem Beton. Eine Stimme schrie in schönstem Amerikanisch: «Waffe fallen lassen!» Wells hatte sich sofort zur Seite geworfen, so daß Franco völlig deckungslos in der hell beleuchteten Eingangstür stand. Er wußte nicht, wo sich sein Gegner befand oder ob es sogar mehrere waren. Sie konnten ihn abknallen wie auf dem Schießstand. Mit klappernden Schritten verschwand Wells n i der Sicherheit der Nacht. Franco ließ die Waffe fallen und rechnete jeden Moment mit einem weiteren Schuß. Aber nichts geschah. Alles blieb ruhig. Nur in der Umgebung wurden allmählich Stimmen von Menschen laut, die den Schuß gehört hatten. Es wurde Zeit, zu verschwinden. Die andere Seite hatte sich offenbar bereits abgesetzt. Franco hob seinen Revolver auf und steckte ihn wieder ein. Wells war ihm durch die Lappen gegangen, aber das war nicht so schlimm, denn er wußte jetzt immerhin, daß er schon mitten ins Wespennest gestochen hatte. Die Gegner, wer auch immer sie waren, waren verunsichert. Und wer sich unsicher fühlte, machte Fehler. Ich habe heute allerdings auch ein paar Fehler gemacht, dachte Franco mit einem Anflug von Bitterkeit. Dann verschwand auch er, ehe jemand unangenehme Fragen stellen konnte. Schließlich hatte er noch eine weitere Spur. *** Der Club Les Almohades machte schon aus der Ferne nicht den Eindruck eines internationalen Spitzenlokals. Zwar war das Haus, in dem er sich befand, noch nicht sehr alt, aber über allem lag schon der Hauch schneller Vergänglichkeit. Das Grundstück war ungepflegt und mit einer Art Dschungel überwuchert. Der Club lag am Ortsrand in einem -4 4 -
alleinstehenden Haus im maurischen Stil. Die Einfahrt war beleuchtet, und auf dem Kiesweg standen ein paar Autos mit marokkanischen Kennzeichen. Der Duft von Jasmin lag in der Luft. Er war süß und betäubend. Kleine Jungen verkauften tagsüber Jasminblüten für ein paar Cent an Touristen. Manche steckten sich die weißen Blüten ins Haar, weil sie glaubten, es sei außerordentlich folkloristisch. Franco betrat den Club. Der erste Eindruck bestand aus Rauch und Stimmengewirr. Er blieb einen Augenblick stehen, um sich zu orientieren. Les Almohades war eine Mischung aus englischem Pub, amerikanischem Nachtklub und französischer Diskothek. Eine rot beleuchtete kreisförmige Tanzfläche lag in der Mitte des großen verwinkelten Raumes. Einige Leute tanzten zu der hämmernden Lärmorgie riesiger Lautsprecher. Links befand sich ein langer, leicht geschwungener Bartresen, hinter dem ein Barkeeper in verschmutzter Jacke die Flaschen ordnete. Rechterhand befanden sich winzige runde Tische, die nur zum Teil besetzt waren, dahinter waren auf einer Empore weitere Tische in Nischen. Überall brannten Kerzen. Das Publikum war gemischt - in verschiedener Beziehung. Es gab Touristen und Einheimische. Menschen aus verschiedenen Erdteilen und aus verschiedenen Einkommensstufen frönten in schöner Eintracht dem Alkohol. Einige der Araber hatten Gläser mit Cola oder Saft vor sich stehen, aber Franco war sicher, daß sich auch darin etwas anderes befand, jedenfalls ließ die Fröhlichkeit darauf schließen, daß die strengen Anordnungen des Propheten betreff Alkohol nicht so ernst genommen wurden. Man brauchte es ja nicht auffällig zu machen. Die Hocker an der Bar waren gut besetzt. Franco musterte die ihm zugewandten Rücken und steuerte dann auf eine kleine Lücke zu, in die gerade noch ein Barhocker paßte. Links von ihm saßen zwei Araber, die sich angeregt miteinander unterhielten. Sie nahmen keine Notiz von ihm. Rechts von ihm hockte ein offensichtlich stark angetrunkener -4 5 -
Europäer unbekannter Nationalität. Der Barkeeper schlurfte näher und erkundigte sich nach Francos Wünschen. Franco bestellte eine Cola. Der Keeper wartete, ob noch eine Ergänzung käme, schüttelte dann aber nur den Kopf und förderte die verlangte Flasche aus dem Kühlschrank. Immerhin ließ er sich dazu herab, eine Zitronenscheibe in das Glas zu tun. Das dunkle Getränk schäumte über die Eiswürfel. Franco nahm einen tiefen Schluck. Der einsame Trinker beäugte ihn mißtrauisch und murmelte dabei vor sich hin. Er sprach englisch. Franco dachte über das bisher Geschehene nach. Er tappte noch ziemlich im Dunklen, und Colonel Warners Informationen waren auch nur Bruchstücke. Bis jetzt hatte er noch keinen Kontakt mit der Mafia. Wells? Franco bezweifelte, daß Wells dazugehörte. Auf jeden Fall stand er auf der anderen Seite. Der geheimnisvolle Schütze vor dem Hotel. Auch das war ein Amerikaner gewesen. Ziemlich viele Landsleute traf er jedenfalls. Dann gab es noch den Araber vom Hafen, der ihn über Lapierre ausfragen wollte. Auch er schien zu der gleichen Organisation zu gehören. Franco wußte, daß es nicht ungewöhnlich war, wenn die Mafia für die Schmutzarbeit andere Ganoven anheuerte. Die «Ehrenwerte Gesellschaft», wie sie sich selbst nannte, zog lieber aus dem Hintergrund die Fäden der schmutzigen Geschäfte. Er schreckte aus seinen Gedanken auf, als ihn der Trunkenbold von nebenan ansprach: «Hey, Mister, hat man Ihnen auch so einen verdammt beschissenen Job angeboten?» «Wie meinen Sie das?» fragte Franco zögernd. «Von welchem Job sprechen Sie?» Der andere beugte sich vertraulich herüber, wobei er fast vom Hocker fiel. «Sie sehen so aus, Mister.» Franco wich ein Stück vor der Alkoholfahne zurück. «Wie sehe ich aus?» Der Betrunkene sah ihn mit Verschwörermiene an. -4 6 -
«Das sehe ich doch auf den ersten Blick, daß Sie dazugehören. Mir kann man nichts vormachen.» Franco hatte zwar keinen blassen Schimmer, wovon der andere sprach, aber er beschloß, auf das Gespräch einzugehen. Schließlich war dieser Club seine einzige Spur, und er hoffte, daß der Araber am Hafen das Streichholzbriefchen nicht aus purem Zufall bei sich hatte. «Sie sind aber noch nicht lange hier», fuhr der andere fort und musterte Franco von oben bis unten. «Wahrscheinlich haben Sie einen Fehler gemacht. Das Geld ist zwar verlockend, aber die Wirklichkeit sieht dann ganz anders aus als die Versprechungen vorher.» Er blickte trübsinnig in sein leeres Whiskyglas. Franco winkte den Barkeeper heran. «Geben Sie meinem Freund noch einen Drink auf meine Rechnung.» Er war hellhörig geworden und ahnte, daß er interessante Dinge erfahren konnte. Vielleicht hatte er endlich einmal Glück und kam weiter. Dieser Trunkenbold war mit Sicherheit kein Angestellter einer seriösen Firma. Er hatte das Gesicht eines kampferprobten Haudegens, dem man nichts mehr vormachen konnte. «In diesem verdammten Land kann ein Mann verdammt viel Geld verdienen, Mister. Aber das wissen Sie ja, sonst wären Sie nicht hier.» Er hob sein wieder gefülltes Glas und prostete Franco zu. «Besten Dank, Kumpel, finde ich hochanständig. Findet man heute nicht alle Tage, daß man einfach einen Drink bekommt. «Wo kommen Sie her, Kumpel? Ich bin aus Merry Old England, war aber schon verdammt lange nicht mehr dort. Wer weiß, ob sie mich überhaupt noch ins Land lassen. Es sind verfluchte Zeiten. Jeder muß sehen, daß er irgendwie auf einen grünen Zweig kommt.» Mit einem langen Zug leerte er das Glas. Die Stimme des Mannes war etwas melodramatisch geworden, aber Franco wollte mehr wissen. Er spürte, daß dieser Mann ihm ganz entscheidend weiterhelfen konnte. Er winkte den Keeper heran, und der füllte nach. -4 7 -
«Ich heiße Cory», sagte der Mann. «Einfach nur Cory. Meinen anderen Namen habe ich schon vergessen. Alle haben sie mich immer nur Cory genannt. Jetzt habe ich mich daran gewöhnt, daß ich keinen Vornamen mehr habe. Irgendwo auf dieser verdammten Welt ist er mir abhanden gekommen.» «Ich heiße Bentley», stellte Franco sich vor. Cory lachte glucksend. «Bentley, wie? Nur so? Auch keinen Vornamen, das ist gut.» Sie prosteten sich zu. «Ist nicht mein erster Job in diesem Kontinent», fuhr Cory fort. «Ich war noch nie kleinlich. Zuletzt in Angola. Ist ein verdammt beschissenes Land. Oder wenn ich noch an den Kongo denke, das waren noch Zeiten.» Ein Söldner, schoß es Franco durch den Kopf. Einer von denen, die für Geld überall auf der Welt ihre Haut zu Markte tragen. Er dachte sofort an die geschmuggelten Waffen, und der Zusammenhang war klar. Natürlich, für die Waffen brauchte man auch Männer, die sie bedienten. Wenn es ein Staatsstreich der Armee gewesen wäre, hätte man keine zusätzlichen Waffen gebraucht. Das hätte ihm auch eher einfallen können! Das bedeutete, daß irgend jemand eine kleine Privatarmee besaß, die er gerade mit den modernsten Waffen ausrüstete. Und die Mafia kassierte! «So viel habe ich noch nie verdient», meinte Cory. «Aber weshalb erzähle ich das. Sie wissen es ja selber.» Franco nickte nur, um den Redefluß nicht zu unterbrechen. Cory nahm einen kräftigen Schluck. «Alkohol ist doch das einzige, was einem noch Spaß macht in diesem Land. Und ausgerechnet hier bekommt man ihn kaum. Von den Moslems darf sich keiner erwischen lassen in der Öffentlichkeit. Ich schon!» Er zwinkerte Franco zu. «Ich muß auch aus gesundheitlichen Gründen trinken. Gin mit Tonic Water zum Beispiel. Da ist nämlich Chinin drin, und Chinin ist gut gegen die Malaria. Ich war in Gegenden, die waren richtig verseucht mit Malaria.» Er machte eine weit ausholende Handbewegung, die ihn fast vom Hocker warf. «Auf diesem verdammten Kontinent gibt es Gegenden, da sind -4 8 -
Dörfer, die sind voll mit Malariakranken. Und selbst manche Hauptstädte sind nicht besser als ein Sumpf voller Mücken. An den Nationalfeiertagen, wenn die ganze Stadt auf den Beinen ist, streuen sie vorher Desinfektionsmittel mit dem Hubschrauber.» Franco wußte nicht, was er sagen sollte, also schwieg er lieber. Sein neuer Freund würde die Unterhaltung schon bestreiten. Er ließ sich nochmals das Glas füllen. Die spendierten Drinks gefielen Cory. Er wischte sich über den Mund und beugte sich zu Franco hinüber. «Die haben mir 5000 Dollar im Monat geboten. Steuerfrei auf eine Bank meiner Wahl. Ich habe natürlich eine Bank in der Schweiz genommen. Mache ich immer. Es gibt nichts Zuverlässigeres als eine Schweizer Bank.» Franco nickte schweigend. «Soll ich bei einem solchen Angebot vielleicht ablehnen? In unserer Branche sitzen seit einiger Zeit auch die Buchhalter mit den spitzen Rechenstiften. Früher, da wurde jeder Betrag gezahlt! Aber heute ist die Konkurrenz groß. Und manche nehmen für wenig Geld lieber ein paar grüne Jungs und wundern sich dann, wenn alles schief geht. Profis sind nun mal teurer. Aber Angebote sind selten geworden. Da heißt es zugreifen. Ein, zwei Jahre noch, dann will ich mich zur Ruhe setzen. Ein schöner Landsitz in Südengland mit gewellten Wiesen...» «Warum gewellte Wiesen?» Cory sah Franco erstaunt an. «In Südengland sind die Wiesen immer gewellt.» Franco lachte. «Natürlich. Dumm von mir. Aber jetzt bleiben Sie noch in Marokko?» Eine mißtrauische Falte bildete sich auf Corys Stirn. «Wollen Sie mich ausfragen. Mein Job hier ist verdammt geheim, Mister. Heute ist mein letzter Abend in dieser verdammten Stadt, morgen geht's ab in die Berge bei Tafraout. Deshalb hebe ich heute noch ordentlich einen. Wer weiß, ob es dort unten überhaupt einen vernünftigen Schluck zu trinken gibt. Ist eine -4 9 -
verdammt trockene Gegend. Zum letzten Mal hat es dort vor drei Jahren geregnet. Da muß man sich wenigstens innerlich ein bißchen anfeuchten. Sie haben gesagt, uns würde es an nichts fehlen. Aber das habe ich schon so oft gehört, daß ich mich nicht mehr aufrege, wenn das alles ganz anders ist. Hauptsache, die Kontoauszüge stimmen.» Er sah Franco fragend an. «Wie ist's Kumpel, auch nach Tafraout?» Der Söldner hatte wohl schon wieder vergessen, daß er sich eigentlich nicht ausfragen lassen wollte. Franco beglückwünschte sich, daß der Zufall ihn auf eine so heiße Spur geführt hatte. Nicht ganz der Zufall, korrigierte er sich. Ohne das Streichholzbriefchen des Arabers würde er noch völlig im Dunkeln tappen. Aber jetzt hätte er ein Jahresgehalt verwettet, daß er dem Gegner schon ganz dicht im Nacken saß. «Ich weiß gar nicht, wo Tafraout überhaupt liegt.» «Sei froh, Kumpel», fiel Cory in einen vertraulicheren Ton. «Das verdammte Nest liegt irgendwo im Süden, dort wo es verdammt heiß und verdammt trocken ist.» Er strich sich gedankenlos über ein paar schlecht verheilte Narben im Gesicht. «Man ist immer so verdammt allein, wenn man in eine neue Gegend kommt. Sicher, wenn es dann losgegangen ist, findet man seine Freunde und Kameraden» - er machte eine nachdenkliche Pause - «und dann ist man plötzlich wieder allein. Ich habe schon verdammt viele Freunde verloren in den letzten Jahren. Nur ich habe immer Glück gehabt. Manchmal frage ich mich, wie lange noch.» Mit einer entschlossenen Bewegung schüttete er den Rest seines Drinks in die Kehle. «Wie lange werden Sie hierbleiben?» erkundigte sich Franco. Der Söldner zuckte mit den Achseln. «Das weiß man nie.» Er machte eine unbestimmte Handbewegung. «Vielleicht für immer.» Franco beschloß, das Gespräch langsam zu beenden. Es hatte keinen Sinn, mit seinen Fragen tiefer zu bohren. Einige Hinweise hatte er bekommen, sie mußten genügen. Zwar war der Söldner ziemlich betrunken, aber er war sicher nicht zu unterschätzen, wenn er Verdacht schöpfen sollte. -5 0 -
Franco spürte eine Bewegung hinter sich. Er wandte den Kopf leicht zur Seite. Es waren neue Gäste gekommen. Europäer. Die beiden waren schlank und etwa gleich groß. Ihre Kleidung bestand aus einem uniformähnlichen Khaki. Mit Stahlhelm und Revolvergurt hätten sie wie Militärpolizisten ausgesehen, die in Bars nach Soldaten fahndeten, die die Ausgehzeit überschritten hatten. Vielleicht waren sie etwas Ähnliches, schoß es ihm durch den Kopf. Mit wachen Blicken musterten sie das Innere des Lokals. Außer Franco schien niemand auf sie zu achten. Dann setzten sie sich gleichzeitig in Bewegung und kamen auf ihn zu. Franco stellte sein Glas ab und tastete unauffällig nach dem Revolvergriff. Aber nicht er war das Ziel, sondern Cory. Der Söldner hatte noch nichts gemerkt. Hingebungsvoll bemühte er sich, den letzten Tropfen aus seinem Glas herauszulocken. Er fuhr zusammen, als sich eine Hand auf seine Schulter legte. Aber dann reagierte er wie ein Roboter. Trotz seiner Trunkenheit fuhr er herum, packte die fremde Hand und schlug den Arm auf den Bartresen. Gleichzeitig drehte er den Arm herum, so daß sich der andere Mann nicht rühren konnte. Der Khakimann stöhnte leise und verzog sein schmerzverzerrtes Gesicht. Der zweite Mann griff nicht ein. Franco dachte daran, welch ein gefährlicher Gegner Cory in nüchternem Zustand sein mochte, wenn er bereits jetzt so schnell reagierte. Interessiert beobachtete er die weitere Entwicklung. Die beiden wollten offenbar jedes Aufsehen vermeiden, und bis jetzt hatte noch niemand den Zwischenfall bemerkt. Der zweite Mann trat jetzt auf Cory zu und redete leise auf ihn ein. Der Söldner schien zu begreifen, was man von ihm wollte und ließ den Arm des ersten los. Franco tat so, als ginge ihn das Ganze nichts an. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, wie Cory auf ihn deutete und daraufhin die beiden ihn anstarrten, wie ein seltenes Insekt. Er verspürte ein unangenehmes Kribbeln im Nacken. Der alte
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Trunkenbold mußte natürlich gleich erzählen, was für einen fabelhaften Freund er hier gefunden hatte. Einer der beiden Neuankömmlinge trat dicht an Franco heran. «Guten Abend, Sir. Sie müssen entschuldigen, wenn unser Freund Sie belästigt haben sollte. Er ist nicht ganz richtig im Kopf, und wenn er betrunken ist, erzählt er den Leuten immer wilde Geschichten, die alle seiner ausgeprägten Phantasie entstammen. Ich hoffe, Sie haben nicht allzu sehr auf ihn geachtet. Es täte uns leid, wenn Ihnen ein Betrunkener den Abend ruiniert hätte.» Franco hob die Schultern. «Ihr Freund hat mich überhaupt nicht belästigt. Er hat zwar vor sich hin gemurmelt, aber ich habe nicht zugehört. Er hat hier ganz ruhig gesessen und einige Gläschen getrunken. Ich habe ja kaum verstanden, was für ein Landsmann er ist, so undeutlich kamen seine Worte. Das einzige, was ich mitbekommen habe, war, daß es in diesem Erdteil viele Malariagegenden gibt.» «Damit hat er sogar recht gehabt», meinte der andere, nickte leicht und drehte sich zur Seite. Die beiden hoben Cory vom Hocker, bezahlten seine Rechnung und begleiteten ihn nach draußen, wobei Cory die Hände unwillig abschüttelte, die ihn zu stützen versuchten. Er hielt sich sehr aufrecht. Franco bezahlte ebenfalls und glitt dann rasch vom Hocker. Er wollte zu gerne beobachten, wohin die drei jetzt verschwanden. *** Der dicke Mann schwitzte, obwohl die Klimaanlage auf vollen Touren lief. Die drückende Schwüle des New Yorker Sommers war berüchtigt. Allessandro Pavese fuhr sich mit einem Tuch über die Stirn. Er haßte diese Hitze, obwohl sie für einen Sizilianer nicht ungewöhnlich sein dürfte. Aber es war lange her, seit er die Insel zum letzten Mal gesehen hatte. Allerdings wollte er auch gar nicht hin. In Amerika war alles größer und profitträchtiger. -5 2 -
Auch das Verbrechen. Und Pavese hatte sich vorgenommen, noch eine Menge Profit zu machen, bevor er seinen Platz räumte. Er hielt nicht viel von den Jüngeren, die nicht durch die harte Schule der Stadtviertel New Yorks gegangen waren, die man Klein-Italien nannte. Dort herrschte früher das Gesetz des Du-oder-Ich - und Pavese hatte dieses Gesetz befolgt. Zum Beispiel dieser Mann ihm gegenüber. Pavese mochte ihn nicht. Zwar stammte auch Rico Galeta von sizilianischen Vorfahren ab, aber er gehörte einer neuen Generation an. Er war ein Killer. Und zwar einer von der modernen Sorte. Er tötete kalt und ohne Emotionen. Er war eine menschliche Kampfmaschine. Nicht, daß Pavese etwas gegen das Töten gehabt hätte. Aber wenn er jemanden umbrachte, dann tat er es immer mit einem gewissen Bedauern. Und er versäumte nie, einen Kranz zur Beerdigung zu schicken. Er fand, das gehörte sich einfach. Galeta tat so etwas sicher nicht. Pavese schüttelte unbewußt den Kopf und biß auf seiner Zigarre herum. Nein, er mochte den Killer ganz und gar nicht. Aber er brauchte ihn. Rico Galeta war klein und untersetzt, aber er besaß kein Gramm überflüssiges Fett am Körper. Er trank und rauchte nicht, er hielt sich durch ständiges Expandertraining fit. In seinen Augen lag ein fanatischer Schimmer. Sein Ehrgeiz war, der Beste in seinem Job zu sein. Er wußte, daß dies schwierig war. Es herrschte Inflation bei Killern. Seit zahlreiche entwurzelte Soldaten aus Vietnam zurückgekommen waren, gab es ein Überangebot. Und das drückte auf die Preise. Es war gar nicht so einfach, zur Zeit einen guten Kontrakt zu bekommen. Es war gut, daß er sich rechtzeitig an die Familie gebunden hatte. Dort gab es immer Arbeit. Er wurde gut bezahlt und konnte sich seinem Job mit der nötigen Sorgfalt widmen. Er haßte Pfuscharbeit, wie sie von den vielen Amateuren betrieben wurde. Er betrachtete den Mord als Kunstform.
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Pavese nebelte sich in eine dicke Rauchwolke ein. «Der Job ist wichtig, Rico. Sogar sehr wichtig. Hinter mir stehen noch sehr bedeutende Leute, die ein Auge auf die Sache haben. Du wirst dir also große Mühe geben.» «Sie wissen, daß ich das immer tue, Don Pavese. Habe ich Sie jemals enttäuscht?» «Nein. Sonst hätte ich dich auch nicht ausgesucht für diesen Job. Es darf nichts schiefgehen. Es ist kein üblicher Job, denn diesmal hängt eine Menge daran - nicht nur Geld.» «Sie können sich auf mich verlassen.» «Du bekommst ein Team.» Galetas Kopf ruckte hoch. «Sie wissen, daß ich lieber allein arbeite, Don Pavese.» Pavese winkte ab. «Dazu ist die Sache zu groß. Es sind Leute, mit denen du bereits gearbeitet hast. Gute und zuverlässige Männer. Du wirst sie gut gebrauchen können. Colosimo und Annunzio. Zwei andere sind bereits in Marokko. Sie werden auch zu deinem Team kommen.» «Und die Aufgabe?» Pavese lachte, und sein dicker Bauch hüpfte. «Es ist die größte Aufgabe, die ich je hatte, und wenn alles klappt, werden die, die daran beteiligt waren, sehr wichtige Leute sein. Es muß alles klappen.» «Das wird es.» «Gut. Du fliegst mit deinen Leuten nach Marokko. Einzelheiten später. Dort wirst du Kontakt mit einem gewissen Mohammed Al-Awni aufnehmen. Für ihn sind die Waffen bestimmt, die wir liefern. Damit rüstet er eine Privatarmee aus, mit deren Hilfe demnächst ein kleiner Regierungswechsel stattfinden wird. Er bezahlt uns übrigens mit Rauschgift. Das war meine Idee.» Er lachte wieder glucksend. «Ihr werdet Al-Awni nicht eine Sekunde aus den Augen lassen. Denn wenn er sein Ziel erreicht hat, werden wir erst unsere richtige Rechnung präsentieren. Er wird uns gehören - und damit wird uns das Land gehören.» -5 4 -
«Marokko?» fragte Galeta zweifelnd. Pavese nickte. «Über die Häfen des Landes werden wir alles transportieren, was Profit bringt. Wir werden eine ideal gelegene internationale Drehscheibe besitzen, wo wir tun und lassen können, was wir wollen. Rauschgift, Gold, Waffen, Devisen. Wir werden Geschäfte machen können, wie wir sie uns immer erträumt haben. Hotelketten, Spielcasinos, Industrieanlagen mit Entwicklungshilfe finanziert.» Er schloß verzückt die Augen. Galeta nickte. Das waren wirklich überraschende Dimensionen, und er konnte sich vorstellen, daß Pavese nicht der Drahtzieher war. Vermutlich steckte die gesamte Commissione dahinter, denn dies war ein gewaltiges Projekt. Galeta war dankbar, daß man ihn beauftragt hatte, die Interessen der Familie vor Ort wahrzunehmen. Er würde niemanden enttäuschen. Dies war auch seine Chance. «Der nächste Waffentransport ist bereits unterwegs», sagte Pavese. «Auch ich selbst komme in Kürze nach. Du wirst dafür sorgen, daß die Waffen ungehindert ihren Bestimmungsort im Lande erreichen. Wer sich einmischt, muß ausgeschaltet werden. Du bist für die Abschirmung nach außen verantwortlich. Um den Transport und alles andere werden sich Al-Awnis Leute kümmern. Laßt euch nicht ausbooten, er hat eine Menge harte Burschen um sich versammelt, Leute, die wir nach dem Putsch nicht mehr benötigen. Wir können sie kaufen oder ausschalten. Das werden wir uns überlegen, wenn es soweit ist. Wichtig ist, daß ihr auf alles achtet, was Al-Awni tut.» «Was ist, wenn dieser Al-Awni Verdacht gegen uns schöpft?» Allessandro Pavese blickte Galeta nachdenklich an. Ein leichtes Lächeln lag auf seinem Gesicht. «Wenn das passiert, werde ich dich austauschen müssen, Rico, Bei diesem Geschäft können wir uns keine Versager leisten. Die obersten Bosse haben sich in dieser Beziehung ganz klar ausgedrückt. Du wirst verstehen, daß wir dir dann keine Gelegenheit mehr geben können, irgend etwas auszuplaudern.»
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Galeta krampfte die Hände um die Stuhllehne. Er hatte verstanden, was Pavese meinte, und für einen Augenblick spürte er ein würgendes Gefühl von Angst. Man würde ihm bei einem Fehler keine zweite Chance geben. Galeta schwor sich, die bisher beste Arbeit seines Lebens zu leisten. Auf die Helfer, die Pavese ihm mitgab, Colosimo und Annunzio, wollte er sich lieber nicht verlassen. Sicher, es waren gute Männer, aber bei dieser Sache ging es auch um seinen eigenen Kopf, und in einem solchen Falle verließ Galeta sich lieber nur auf sich. Er war der einzige, dem er wirklich trauen konnte. «Werden wir uns in Marokko treffen?» fragte Galeta. Pavese nickte. «Aber die Kontaktaufnahme wird in jedem Falle über mich erfolgen. Wenn du mich zufälligerweise treffen solltest, wirst du mich nicht kennen. Befehle erteile nur ich, und nur mir bist du verantwortlich. Damit du sicher bist, daß Befehle auch wirklich von mir kommen, werden wir ein Kennwort vereinbaren. Es lautet: Kobra.» «Kobra», murmelte Galeta. «Ich werde es mir merken.» *** Die beiden Khakimänner zogen Cory zu einem Landrover, der zwischen den geparkten Limousinen etwas deplaciert wirkte. Mit vereinten Kräften schoben sie den Söldner auf die hintere Sitzbank. Franco sah, daß Cory mit der Behandlung überhaupt nicht einverstanden war. Er protestierte geräuschvoll, aber die beiden ließen sich nicht beeindrucken. Sie erledigten ihren Job mit Routine. Mit einem Knall flog die hintere Tür zu, und Corys Geschimpfe klang nur noch sehr gedämpft durch die Nacht. Franco grinste und schlich zu seinem Wagen. Er hatte sich entschlossen, die Verfolgung aufzunehmen. Diese Spur schien heiß zu sein. Die Khakimänner schwangen sich auf die Vordersitze, und der Landrover setzte sich in Bewegung. Jetzt startete auch Franco seinen Wagen. Er fuhr ohne Licht, was die Angelegenheit bei -5 6 -
den schlechten Straßenverhältnissen nicht gerade erleichterte. Glücklicherweise fuhr der Landrover nicht sehr schnell, so daß Franco bequem dran bleiben konnte. Franco vergrößerte den Abstand, als sie Agadir verlassen hatten. Es ging nach Süden, zunächs t auf der gut ausgebauten Küstenstraße. Franco warf einen raschen Blick auf die Uhr. Es war schon weit nach Mitternacht. Trotzdem war er hellwach. Die Verfolgungsfahrt wirkte wie ein anregender Adrenalinstoß. Endlich kam er weiter, wenn er auch noch nicht wußte, wohin ihn die nächtliche Fahrt führte. Er war ziemlich sicher, daß man ihn noch nicht bemerkt hatte. Er fuhr in so großem Abstand, daß er gerade noch die Rücklichter des vorausfahrenden Wagens erkennen konnte. Franco hoffte nur, daß ihn nicht plötzlich eine Polizeistreife stoppte und ihn wegen der gelöschten Lampe befragte. Der Mond war ziemlich hell, so daß er keine Schwierigkeiten beim Fahren hatte, aber dieses Argument würde einen Polizisten nicht sonderlich beeindrucken. Sie fuhren in eine kleine Stadt, und Franco verringerte den Abstand wieder. Den Namen des Ortes hatte er nicht lesen können, so daß er nicht genau wußte, wo er sich befand. Am Horizont zeigte sich ein erster Lichtschimmer. Bald würde die Sonne aufgehen. Sie fuhren zum Hafen. Das heißt, Hafen war zu viel gesagt - es handelte sich um eine kleine Bucht, in der ein paar Fischerboote schaukelten. Das Meer glänzte wie flüssiges Blei. Der Landrover verschwand zwischen einigen niedrigen Schuppen. Franco hörte noch das Motorengeräusch. Er hatte angehalten und war ausgestiegen. Von seinem erhöhten Standpunkt konnte er die ganze Bucht recht gut überblicken. Das Motorengeräusch erstarb. Irgendwo im Gewirr der Häuser hatte der Landrover geparkt. Franco konnte die Stelle einigermaßen genau identifizieren. Es war unmittelbar am Hafen. Mit einem Male wurde es hell. Die Sonnenaufgänge gingen nach dem ersten Lichtschimmer sehr rasch. In kurzer Zeit -5 7 -
würde es auch warm werden. Franco hatte die Kühle der Nacht als angenehm empfunden. Noch war kein Mensch zu sehen, aber es würde nicht mehr lange dauern, bis überall orientalische Geschäftigkeit herrschte. Franco kletterte wieder in seinen Wagen und fuhr in die Richtung, in die der Landrover verschwunden war. Er mußte eine weitere Verfolgung riskieren, obwohl er sich in einer für ihn völlig fremden Umgebung befand. Ein eventueller Gegner hatte alle Vorteile auf seiner Seite. Franco parkte den Wagen und stieg aus. Die Szenerie wirkte wie die Kulisse eines Geisterdorfes aus einem Italo-Western. Die halb verfallenen Hütten sahen aus, als könnten sie höchstens eine Heimstatt für Ratten sein. Ein leichter Windstoß wirbelte Staub auf. Franco ging durch eine schmale Gasse, die direkt zum Wasser führte. Ein undefinierbarer Gestank lag wie eine Wolke über den Schuppen. Franco rümpfte die Nase, sah aber ein, daß er sich damit wohl abfinden mußte. Der Gestank gehörte zu Afrika wie die Sonne. Der Strand war schmal und mit Abfällen übersät. Einer der Schuppen war halb über das Wasser gebaut. Unter dem brüchigen Dach schaukelten einige unglaublich verkommene Boote auf dem ölverschmierten Wasser. Nur im allerdringendsten Notfall hätte Franco sich solch einem Kahn anvertraut. Sie sahen alle aus, als würden sie nach spätestens hundert Yard sinken. Einige der Boote waren mit Motoren ausgerüstet, die noch aus der Kolonialzeit zu stammen schienen. Franco marschierte zur Vorderseite des Schuppens und betrachtete den Eingang, über dem ein Schild mit einer verwaschenen und unleserlichen Aufschrift hing. Hier ganz in der Nähe mußte der Landrover sich befinden. Franco sah sich suchend um, aber weder Menschen noch Autos waren zu sehen. Mit einer ärgerlichen Handbewegung verscheuchte er die Fliegen und Mücken, die ihn umschwärmten. Eines war ihm -5 8 -
völlig klar: für einen zweiten Wohnsitz kam diese Gegend nicht in Frage. Franco zuckte die Achseln und umrundete den Schuppen auf der anderen Seite. Hier war ein Tor geöffnet, dessen Flügel schief in den Angeln hingen. Er trat in die Dunkelheit. Seine Augen mußten sich erst den veränderten Lichtverhältnissen anpassen, ehe er Einzelheiten erkennen konnte. Es handelte sich um eine Art Bootsschuppen mit Reparaturwerkstatt und Lagerraum. Rechts und links waren Motorboote älterer Bauart aufgebockt. Bei einem war der Motor auseinandergenommen. Im Hintergrund erkannte er weitere Boote in den verschiedensten Stadien des Verfalls. Die Werkstatt sah nicht so aus, als arbeite sie besonders gründlich. Vielleicht war alles auch nur Tarnung, schoß es Franco durch den Kopf. In diesem Augenblick bemerkte er die beiden Männer, die ihn offenbar schon seit einiger Zeit beobachtet hatten. Sie trugen blaue Overalls, Turnschuhe und Ballonmützen. Langsam kamen sie hinter einem der Boote hervor. Es waren Marokkaner. Franco schob die Hände in die Taschen und lächelte ihnen unbekümmert entgegen. Vielleicht klappte es ja mit der Nummer «verlaufener Tourist». Und im äußersten Falle hatte er noch seinen Revolver. Ein dritter Mann näherte sich von der anderen Seite. Sie sprachen kein Wort. Franco sah, wie einer sich einen riesigen Schraubenschlüssel von einem Tisch nahm. Der zweite griff sich ein gefährlich aussehendes Rundholz, und der dritte schwang ein dickes Tau in den Händen. Es begann ernst zu werden. Franco warf einen raschen Blick über die Schulter. Zum Ausgang würde er es nicht schnell genug schaffen. Sie konnten ihm leicht den Weg abschneiden. Wenn er den Revolver zog, hatte er keine Chance mehr, den Unverdächtigen zu spielen. Also ließ er die Hände in den Taschen und grinste die drei Männer unbekümmert an.
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«Ich suche einen Mann, der hier arbeiten soll», sagte Franco und blickte die drei der Reihe nach an. Sie hatten sich im Halbkreis aufgebaut. «Amerikaner?» fragte einer stockend. Franco nickte. Der Sprecher grinste, dann sagte er rasch ein paar Worte in arabisch. Er ließ das Tau kreisen. Seine beiden Kollegen setzten sich in Bewegung und versuchten Franco einzukreisen. Jetzt wurde es wirklich gefährlich. Franco zog die Hände aus den Taschen. Er hoffte immer noch, die Geschichte mit einer schnellen Absatzbewegung beenden zu können, aber dann erkannte er einen vierten Mann aus den Augenwinkeln, der einen großen Hammer in der Armbeuge trug. Vier gegen einen. Kein sehr gutes Verhältnis. Franco wich ein Stück zurück, bis er in einer etwas günstigeren Position stand, so daß man ihn wenigstens nicht von allen Seiten gleichzeitig angreifen konnte. Die vier Männer beobachteten ihn lauernd. Es gab keinen Zweifel mehr, sie wollten ihn hier fertigmachen, ohne daß sie wußten, um wen es sich eigentlich handelte. Vermutlich war er genau in einen Stützpunkt der geheimnisvollen Organisation geraten, und unerwünschte Besucher wurden kurzerhand ausgeschaltet. Die Marokkaner glaubten vermutlich, leichtes Spiel zu haben. Franco wirkte schon von seinem Äußeren her nicht so, als sei er ein gefährlicher Gegner. Die meisten unterschätzten ihn, und das war seine Stärke. Mit seinem jungenhaften Aussehen und seinen leicht schlaksigen Bewegungen wirkte er gewiß nicht wie der Mafiajäger Nummer 1. Zwar war in der letzten Zeit das allzu Unbekümmerte verschwunden, waren die Linien in seinem Gesicht härter geworden. Der ständige Kampf und die dauernde Anspannung hatten ihre Spuren hinterlassen, aber trotzdem war Franco Solo der alte geblieben. Er hatte Mühe, alle gleichzeitig im Auge zu behalten. Die völlige Lautlosigkeit der Männer wirkte erschreckend. Es war unpersönlich und roboterhaft. Franco spürte Zweifel, ob es ihm -6 0 -
gelingen konnte, diese Auseinandersetzung zu bestehen. Er entschloß sich, seine Waffe zu ziehen. Dieser Entschluß kam jedoch zu spät, denn in dieser Sekunde kam ohne jede Vorwarnung der erste Angriff. Mit einem panthergleichen Satz schoß einer der Männer nach vorn, und gefährlich nahe pfiff der Schraubenschlüssel durch die Luft. Franco warf sich im letzten Moment zur Seite und entging damit dem kiloschweren Stahl. Dieser Hieb hätte tödlich sein können - Franco Solo wußte jetzt endgültig, woran er war. Aus der Drehung heraus packte er den Angreifer am Arm, setzte einen Hebelgriff an, und der nächste Schraubenschlüssel klirrte auf den Boden. Der Mann schrie vor Schmerz auf und taumelte nach hinten. Franco hatte keine Zeit, sich über den Erfolg zu freuen. Aus den Augenwinkeln sah er plötzlich eine Messerklinge blitzen. Er konnte nicht mehr rechtzeitig ausweichen, und die Klinge ratschte leicht über seine Wange. Gleichzeitig traf ihn das geschwungene Tauende des anderen Angreifers mit der Wucht einer Dampframme am Hinterkopf. Franco taumelte durch den Schlag nach vorn und schüttelte benommen den Kopf. Den Kerl mit dem Rundholz konnte er über sein ausgestrecktes Bein stolpern lassen, aber schon war der Typ mit dem Messer wieder da. Den Hammer hatte er hinter sich auf den Boden gestellt. Das Messer war ihm wohl sympathischer. Franco brachte sich mit zwei raschen Schritten aus der unmittelbaren Gefahrenzone, aber damit stand er völlig deckungslos mitten im Raum. Die vier umkreisten ihn wie Raubkatzen. Er mußte sehen, daß er wegkam. Ein kleiner Fehler, ein Stolpern - und es war aus. Wieder warf sich der Mann mit dem Messer nach vorn, wieder entging Franco dem Stich nur um Haaresbreite, und auch diesmal traf ihn ein Hieb mit dem Tau. Er stand einem gut eingespielten Schlägerteam gegenüber, das jede Chance ausnutzte. Im letzten Moment sah er den Hammer fliegen. Er duckte sich, und das schwere Werkzeug krachte hinter ihm in eine -6 1 -
Bootswand. Seine Gegner verständigten sich jetzt durch Zurufe, die er nicht verstand. Er mußte ihnen unbedingt zuvorkommen. Franco täuschte einen Ausfall vor. Der Angreifer zur Linken wich zurück. Franco drehte sich blitzschnell um, und zwei Schritte brachten ihn zu dem Mann mit dem Tau. Seine rechte Fußspitze schoß hoch, traf mit Wucht den Brustkorb des Mannes. Der schrie auf und stürzte hintenüber. Schon hatte Franco sich wieder herumgeworfen. Aber zu spät für das Messer. Wieder spürte er die Klinge. Diesmal auf dem linken Handrücken. Die winzige Schrecksekunde genügte dem Kerl mit dem Rundholz. Ein mörderischer Schlag traf Francos Schulter, und er ging in die Knie. Der Arm war gelähmt und hing kraftlos herunter. Er würde ihn in den nächsten Minuten nicht gebrauchen können. Schon holte der andere Angreifer wieder aus. Einen Treffer auf den Kopf würde er nicht überleben. Er konnte jetzt keine Rücksichten mehr nehmen. Wie eine Feder schnellte er hoch, legte sein ganzes Körpergewicht in den Stoß der rechten Hand, deren ausgestreckte Fingerspitzen auf den Kehlkopf des Mannes zielten. Er traf nicht genau, aber es reichte, um den Mann wenigstens für kurze Zeit außer Gefecht zu setzen. Franco keuchte wie eine alte Dampflok. Lange konnte er nicht mehr durchhalten. Seine Hand zuckte zur Hüfte, aber die Fingerspitzen hatten den Kolben der Smith & Wesson Bodyguard noch nicht erreicht, als ein lautes Kommando hinter seinem Rücken erklang: «Schluß jetzt! Keine Bewegung mehr!» Francos Hand schwebte noch eine Sekunde reglos über der Waffe, dann zog er sie vorsichtig zurück und drehte sich langsam um. Der neue Gegner war einer der Männer in Khaki. Er grinste. In seinem Mundwinkel klebte eine erloschene Zigarette. Das überzeugendste an ihm war allerdings das moderne israelische Sturmgewehr, das er fachmännisch unter den rechten Arm geklemmt hatte. Es war ein Galil SAR, die kurzläufige -6 2 -
Ausführung der Waffe ohne Gabelstütze und Tragegriff. Das Gewehr war von den Israelis nach dem Sechs -Tage-Krieg entwickelt worden und gehörte heute in der normalen Version zur Standardausrüstung der israelischen Armee. Franco fragte sich, wie eine solche Waffe hierher kam. Aber schließlich hatte er es mit Waffenschmuggel zu tun. Es hatte keinen Sinn, sich über Dinge zu wundern, für die es im Augenblick keine Erklärung gab. Franco starrte auf die Mündung der Waffe, die direkt auf seinen Magen zeigte. Er wußte, daß die Galil sehr präzise schoß, da sie einen sehr geringen Rückstoß hatte, dank ihrer kleinkalibrigen Munition. Auf diese Entfernung war er ohnehin nicht zu verfehlen. Und bei einer theoretischen Feuergeschwindigkeit von 650 Schuß in der Minute blieb Franco Solo nur eine Möglichkeit: er hob die Hände. Einer der anderen kam von hinten heran und zog ihm den Revolver aus der Halfter. Ein Stoß zwischen die Schulterblätter trieb ihn vorwärts. Er mußte einen Schmerzensschrei unterdrücken, denn die Treffer, die er in den letzten Minuten eingesteckt hatte, waren noch nicht vergessen. Jetzt erst spürte er, daß Blut über seinen Handrücken sickerte. Aber die Wunde kam ihm nicht sonderlich gefährlich vor. Das Messer hatte ihn glücklicherweise nur gestreift. Der Mann mit dem Sturmgewehr machte eine Handbewegung. Man riß Franco die Hände nach hinten, und ein rauher Strick um die Handgelenke machte ihn wehrlos. Franco blinzelte, als er aus der Dunkelheit des Schuppens in das grelle Sonnenlicht geführt wurde. Gegenüber stand der Landrover. Cory und der zweite Khakimann waren nicht zu sehen. Franco stolperte, und die Männer hinter ihm lachten schadenfroh. Er biß die Zähne zusammen und beschloß, ihre Anwesenheit einfach nicht zur Kenntnis zu nehmen. Ein weiterer Stoß in den Rücken ließ ihn diesen Vorsatz vergessen, und er wälzte finstere Rachegedanken. -6 3 -
Einer der Typen fuhr den Landrover heran, und man verfrachtete ihn auf den Rücksitz, wo vor kurzer Zeit noch Cory gesessen haben mußte. Der Mann mit Sturmgewehr setzte sich hinter das Steuer. Er schob sich einen Kaugummi zwischen die Zähne und drehte sich grinsend um. «Ich hoffe, Sie sitzen bequem, Mister. Die Fahrt wird etwas dauern. Ich würde Ihnen aber trotzdem raten, unterwegs keine Aufmerksamkeit zu erregen, sonst müßten wir erheblich unsanfter mit Ihnen umgehen.» Franco grinste zurück. «Ihrer Aussprache nach zu urteilen haben Sie in den letzten Jahren einer Gang von Vorstadtgangstern an der amerikanischen Ostküste angehört. Dort sind Sie vermutlich nichts geworden, und jetzt versuchen Sie, hier den großen Mann zu spielen. Ich sage Ihnen, Sie werden es auch hier zu nichts bringen.» Das Gesicht des anderen lief rot an, und sein Grinsen war wie weggewischt. Aber er wollte sich wohl nicht provozieren lassen. Mit einer wütenden Handbewegung legte er den ersten Gang ein, und es krachte vernehmlich im Getriebe. Franco lächelte still vor sich hin. Zwei Männer in Overalls drängten sich rechts und links neben Franco auf den Rücksitz. Er verzog angewidert das Gesicht. Sie stanken nach Fisch und Schweiß. Mit einem scharfen Ruck fuhr der Wagen an, und Franco wurde in die Polster gepreßt. *** Der Sturm tobte mit unverminderter Wucht. Die «Libertad» holte schwer über. Immer wieder krachten gewaltige Sturzseen auf das Deck und drückten den Frachter tief in die See. Aus den unteren Tiefen des Rumpfes drangen verdächtige Geräusche. Das Schiff ächzte in seinen Verbänden, und manchmal knallte es, als ob ganze Reihen von Nieten absprangen.
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Die Atlantikstürme gehörten nicht gerade zu den erfreulichsten Ereignissen der Seefahrt, und jeder Kapitän war froh, wenn er seinen Kahn glücklich aus der Gefahrenzone gebracht hatte. Die «Libertad» gehörte nicht gerade zu den seetüchtigsten Schiffen der Handelsmarine. Die wechselnden Besitzer hatten nur soviel investiert, daß der Kahn nicht gleich bei der ersten Brise absoff, aber ansonsten war das Schiff in einem bedauernswerten Zustand. Kein Wunder, daß nur bestimmte Fracht in Frage kam. Aus den Laderäumen drang unheilvolles Poltern. Einige Frachtstücke hatten sich offenbar losgerissen und wurden hin und her geworfen. Aber es wäre Selbstmord gewesen, jetzt in den Laderaum zu steigen. Nur eine unerwartete Bö, und der Mann würde von den herumfliegenden Frachtstücken erschlagen. Hauptsache, der Rumpf hält es aus, dachten die Matrosen. Auf der Brücke war es verhältnismäßig ruhig. Der Erste Offizier behielt Kompaß und Radar im Auge. Der Rudergänger hielt stur den angegebenen Kurs, und der Kapitän hatte sich über die Karten gebeugt. Rasch hantierte er mit Zirkel und Lineal. Der Kapitän hob den Kopf. «Wir müssen den Kurs beibehalten, auch auf die Gefahr hin, anderen Schiffen zu begegnen. Der Sturm wird bald vorüber sein.» Der Erste Offizier hatte gar nicht hingehört. Gebannt starrte er auf den Radarschirm. Jedesmal, wenn der Leuchtstrahl seinen Kreis beschrieb, leuchtete an einer bestimmten Stelle ein Lichtpunkt auf. «Kapitän, wir halten genau Kurs auf ein anderes Schiff.» Der Kapitän fuhr herum. «Wie weit entfernt?» «Ziemlich nah. Vielleicht vier Seemeilen. Das Schiff wird unseren Kurs kreuzen. Wir müßten es schon bald sehen.» Die beiden Männer starrten in den Sturm hinaus. Schwere Regenböen klatschten gegen das Brückenhaus. Der Kapitän verschränkte die Arme hinter dem Rücken und marschierte nervös auf und ab. Er mußte sich entscheiden. Plötzlich blieb er stehen. «Wir ändern den Kurs.» -6 5 -
«Hoffentlich hält das Schiff es aus», sagte der Erste Offizier leise. «Jetzt wird uns der Sturm voll erwischen.» «Es ist die einzige Möglichkeit», antwortete der Kapitän hart. «Sie wissen, daß man uns nicht sehen darf. Ich nehme lieber den Sturm in Kauf. Es wird schon nicht so schlimm werden. Ich habe meine Erfahrungen mit Atlantikstürmen.» Hoffentlich positive, dachte der Erste Offizier. Der Kapitän gab dem Rudergänger neue Anweisungen. Das Schiff schwenkte unmerklich herum, und lag plötzlich anders im Wind. Der Sturm hatte jetzt eine wesentlich bessere Angriffsfläche. Die Männer auf der Brücke mußten sich festhalten, als die «Libertad» in ein Wellental tauchte und plötzlich von einer riesigen Woge wieder emporgetragen wurde. Das Schiff wirkte im Tosen der Elemente wie ein Spielzeug. Es knirschte bedenklich. Der Erste Offizier starrte wieder auf den Radarschirm. Schon nach wenigen Minuten konnte er das Ergebnis des Kurswechsels melden. «Das andere Schiff wandert aus. Es läuft sehr schnell. Fast dreißig Knoten. Das sieht mir nicht nach einem Handelsschiff aus.» Der Kapitän atmete tief durch und sah auf die Uhr. «Der Sturm kann nicht mehr lange dauern. Noch einen letzten Höhepunkt, dann dürfte es vorbei sein.» Plötzlich schrie der Erste Offizier überrascht auf. «Das andere Schiff hat ebenfalls den Kurs geändert. Es läuft mit voller Fahrt auf uns zu.» «Verdammter Mist.» Der Kapitän sah aufs Radar. «Ich möchte wissen, was das zu bedeuten hat. Wir sind doch noch in freien Gewässern?» «Sicher», entgegnete sein Erster und nickte. Der Kapitän ballte die Finger und fluchte still vor sich hin. Er änderte noch einmal den Kurs geringfügig. Jetzt lag die «Libertad» in einem ganz ungünstigen Winkel zum Sturm. Auch das andere Schiff folgte der Änderung. Es war weitaus schneller als die «Libertad». Die beiden Schiffsoffiziere starrten nach vorn, wo bald das andere Schiff auftauchen mußte. Beide hatten sie ein ungutes Gefühl, denn sie hatten keine Ahnung, was das zu -6 6 -
bedeuten hatte. Andererseits wußten sie, welch gefährliche Ladung sie an Bord hatten. Sie wußten, daß in diesem Geschäft eine Menge möglich war. Eine Menge unerfreulicher Dinge vor allem. Dann sahen sie beide gleichzeitig, wie der Sturm eine der riesigen Planen auf dem Deck wegriß. Die Fetzen der Plane flatterten knallend im Wind und lösten sich nach und nach von den Halteseilen, die ebenfalls wild über das Deck schlugen. Es schien völlig aussichtslos, etwas dagegen zu tun. Es wäre lebensgefährlich, sich in die Nähe der umherschlagenden Taue zu begeben. Das Schiff rollte und stampfte, und die Männer auf der Brücke mußten sich festhalten. Inzwischen war es draußen heller geworden. Dann sahen sie auch das andere Schiff. Der Kapitän stöhnte auf. Die Silhouette war unverkennbar. Ein Kriegsschiff. Es kam mit hoher Fahrt auf sie zugelaufen. Die schäumende Bugwelle verdeckte das gesamte Vorschiff. «Ein amerikanischer Zerstörer», flüsterte der Erste Offizier. Der Kapitän antwortete nicht. Er nahm ein Fernglas und richtete es auf das andere Schiff. «Möchte bloß wissen, was die hier wollen.» Ein Scheinwerfer flammte auf und tauchte die «Libertad» in helles Licht. Dann flackerte ein Signalscheinwerfer auf. Der Erste Offizier las die Signale mit. «Sie fragen an, ob wir Hilfe brauchen.» «Verdammt noch mal, nein», stieß der Kapitän heraus. «Sagen Sie ihnen, daß wir sehr gut selbst zurechtkommen.» Der Erste Offizier ging selbst zum Signalscheinwerfer und gab die Antwort. Von drüben kam das «Verstanden»- Signal. Der Kapitän starrte immer wieder auf das Deck der «Libertad», wo die Plane jetzt fast gänzlich weggerissen war. Die darunter festgezurrten Panzerwagen waren im Scheinwerferlicht deutlich zu erkennen. Der Stahl glänzte feucht, und von den Kanonen rann das Wasser. -6 7 -
«Verflucht! Warum drehen die nicht ab?» Der Kapitän musterte wieder den Zerstörer. Das Kriegsschiff hatte seine Fahrt herabgesetzt und schlug einen weiten Halbkreis um die «Libertad». Es war so dicht herangekommen, daß man auch mit bloßem Auge Einzelheiten erkennen konnte. Endlich drehte der Zerstörer ab und verschwand in westlicher Richtung. Erleichtert ließ der Kapitän das Glas sinken und atmete auf. Fast gleichzeitig ließ der Sturm nach. Der Kapitän sah seinen Ersten Offizier scharf an. «Wollen Sie nicht dafür sorgen, daß die Fracht wieder mit einer Plane bedeckt wird?» Der Angesprochene nickte hastig und verschwand von der Brücke. Der Kapitän gab dem Rudergänger neue Anweisungen, und das Schiff nahm wieder den Kurs, den er vor Ausbruch des Sturmes gehabt hatte. Es war alles wieder in Ordnung. Nicht ganz. Der Zerstörer schickte einen langen Funkspruch an das Flottenkommando. Sein Inhalt wurde schon Minuten später nach Washington weitergeleitet, und eine weitere Stunde später lag eine Telexmeldung in der Zentrale von COUNTER MOB. Die Räder der gut eingespielten Maschinerie setzten sich in Bewegung. Der Chef von COUNTER MOB, Colonel Warner, befand sich zwar in Marokko, aber auch für die Zeit seiner Abwesenheit waren alle Vorbereitungen getroffen worden. Funksprüche jagten über eine Satelliten-Relaisstation um den halben Erdball, seit Tagen vorbereitete Befehle wurden aus den Panzerschränken bestimmter Einheiten der US Navy geholt. Es wurden Marschbefehle ausgestellt und Code-Worte an Geheimagenten gefunkt. An den Schreibtischen der CIAZentrale in Langley, Virginia, und im FBI-Hauptquartier beugten sich hohe Beamte über die Kopien der Befehle und warteten auf das erlösende Stichwort. Sie alle waren abhängig von einem einzelnen Mann, der als einziger den Apparat in Bewegung setzen konnte - wenn es nötig war. Es war gut, daß all die Offiziere und Beamte nicht wußten, wo sich dieser Mann zur Zeit befand. Ein Mann namens Franco Solo. -6 8 -
*** Franco Solo hockte zu diesem Zeitpunkt auf einem brüchigen Korbstuhl, dessen Beine bedenklich knarrten, wenn er sich bewegte. Seine Hände und die Gelenke schmerzten, denn man hatte die Fesseln noch nicht gelöst. Er hatte versucht, die Fesseln abzustreifen, aber das einzige Ergebnis war abgeschürfte Haut. Mit ständigen Bewegungen versuchte er, wenigstens den Blutkreislauf in Gang zu halten, aber allmählich spürte er, wie seine Hände gefühllos wurden. Das Zimmer, in das man ihn gesperrt hatte, war völlig leer. Der Korbstuhl bildete die gesamte Einrichtung. Das einzige Fenster war klein und außerdem vergittert. Mit einem sehr soliden Gitter. Die Blumentapeten, die ehemals die Wände geschmückt hatten, waren ausgebleicht und teilweise abgerissen. Sie waren mit dem Landrover fast eine Stunde gefahren. Immer ins Landesinnere hinein. Die wilde und fast unberührte Landschaft hatte grandios gewirkt. Irgendwo in den Bergen des Atlas-Gebirges hatten sie ein winziges Dorf erreicht, das sich an den Hang eines steilen Felsens schmiegte. Endstation war eine halb verfallene Villa aus der französischen Kolonialzeit gewesen. Die Villa lag in einem Palmenhain und war von einer gut zwei Meter hohen Mauer umgeben, außerdem war sie bewacht. Das Grundstück war völlig verwildert, und auch das Dorf wirkte verlassen. Es sah so aus, als hätte man ihn in das Hauptquartier oder zumindest in einen wichtigen Stützpunkt seiner Gegner gebracht. Blieb nur die Frage offen, wer seine Gegner eigentlich waren. Bisher hatte er nur Araber und die beiden Weißen in der KhakiUniform zu Gesicht bekommen. Zu der feindlichen Streitmacht gehörte offensichtlich noch der Söldner Cory, mit dem er sich im Club Les Almohades unterhalten hatte, dann noch der Araber, der versucht hatte, ihn am Hafen auszufragen. Dieser Kerl hatte offensichtlich mit der Ermordung Jacques Lapierres -6 9 -
zu tun. Und dann war da noch dieser amerikanische Gangster, der ihm in seinem Hotelzimmer in Agadir aufgelauert hatte. Der Gegner verfügte also über eine ausreichende Truppenstärke. Nur die Befehlshaber wirkten noch im Hintergrund. Frank Wells war sicher einer der wichtigen Leute, aber nicht der Kopf. Franco hätte gern den Boß des Ganzen kennengelernt. Und irgendwo mußte es auch noch die Ma fia geben. Bisher hatte sie sich noch gut im Hintergrund gehalten, aber Franco zweifelte nicht daran, daß ihre Leute an den Fäden zogen. Pavese. Franco dachte an das Bild, das Colonel Warner ihm gezeigt hatte. Den dicken Mafioso würde er jederzeit wiedererkennen. Allerdings war zu befürchten, daß sich Pavese nicht gerade in die vorderste Frontlinie begab. Franco hatte keine Ahnung, daß das Vollstreckerkommando der Mafia schon unterwegs war, aber wenn er es gewußt hätte, hätte es ihn nicht gewundert. Seit zwei Stunden befand er sich nun schon in diesem Raum. Es war heiß, und er hatte Durst. Er ärgerte sich darüber, daß man ihn geschnappt hatte. Das hätte eigentlich nicht passieren dürfen. Er war sich nicht sicher, ob man ihn absichtlich in die Falle tappen ließ, oder ob es Zufall gewesen war. Vielleicht hatten die Männer im Landrover seine Verfolgung doch bemerkt. Wenn es so war, hatte er sich in der Tat wie ein Anfänger benommen. Franco war wütend auf sich selbst, und er wußte, daß die Schlinge um seinen Hals schon ziemlich fest geknüpft war. Wenn er jetzt versagte und keine Möglichkeit mehr hatte, seine bisherigen Informationen weiterzugeben, war die Sache vermutlich gelaufen. Es war zu spät, einen anderen Mann anzusetzen. Der Staatsstreich, oder was immer geplant war, schien kurz vor der Ausführung zu stehen, und wenn er erst einmal begonnen hatte, war ein Eingreifen nicht mehr möglich. Und er saß hier mit gefesselten Händen! Das würde Colonel Warner gar nicht gefallen.
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Ein Geräusch an der Tür unterbrach seine Gedanken. Er blickte hoch und sah, wie die Tür ganz vorsichtig geöffnet wurde. Ein Pistolenlauf erschien als erstes in dem breiter werdenden Spalt, dann wurde die Tür ganz aufgestoßen. Der Khakimann, der ihn gefangengenommen hatte, stand im Türrahmen und lächelte breit. Er schob seinen Kaugummi von einer Wange in die andere und zielte mit der Pistole auf Francos Kopf. «Man hat mir gesagt, ich soll mich vor Ihnen in acht nehmen», begann er. «Es hieß, Sie seien ein ganz gefährlicher Mensch.» Franco grinste zurück. «Die Leute müssen eben immer übertreiben. Wenn ich so gefährlich wäre, hätten Sie mich sicher nicht überrumpelt.» Der andere senkte die Pistole. «Das habe ich mir auch gesagt. Für mich sind Sie nämlich nur ein kleiner Wichtigtuer, dem wir jetzt das Fell über die Ohren ziehen werden.» «Sie sind ein kluger Mann», entgegnete Franco, «und mit so außerordentlichem Scharfsinn begabt, daß Sie eigentlich eine Führungsposition übernehmen müßten.» Der andere runzelte die Stirn, weil er nicht begriff, ob Franco es ernst meinte oder nicht. Schließlich beschloß er wohl, vorsichtshalber nicht darauf einzugehen. Seine Geistesgaben schienen in der Tat außerordentlich beschränkt zu sein. «Auch wenn Sie nicht so gefährlich sind, sollten Sie jetzt nicht zu nahe an mich herankommen», sagte der Ganove. «Sie stehen jetzt auf und gehen ganz langsam vor mir her. Der Boß will Sie nämlich sehen und Ihnen ein paar Fragen stellen. Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf: beantworten Sie die Fragen ganz schnell und ausführlich, sonst wird der Boß böse, und dann nimmt es kein gutes Ende mit Ihnen.» Franco Solo schob sich langsam aus dem Korbstuhl. Er antwortete nicht. Gehorsam ging er zur Tür. Der Khakimann war zur Seite gewichen und folgte Francos Bewegungen mit dem Pistolenlauf. Franco beobachtete den Mann scharf, um zu sehen, ob er einen Fehler machte. Leider machte er keinen. Franco hatte keine Chance, im Augenblick etwas zu seiner Befreiung zu tun. Außerdem war er auch auf den Boß -7 1 -
gespannt, der mit ihm reden wollte. Vielleicht erfuhr er jetzt endlich mehr über die Hintergründe. Franco marschierte einen schmalen Korridor entlang. Der andere blieb in geringem Abstand hinter ihm. Franco spürte den Atem im Nacken. Sie betraten einen großen Raum, der einigermaßen wohnlich eingerichtet war. Ein riesiger Berberteppich bedeckte den Fußboden, und auch die Wände waren mit Teppichen geschmückt. Die Möbel waren alt und wertvoll, paßten aber nicht zueinander. Es sah alles ziemlich provisorisch aus. Hinter einem Mahagoni-Schreibtisch saß ein Araber in europäischer Kleidung, die nach der letzten Mode geschnitten war. Der Mann war schlank und hochgewachsen und hatte scharf geschnittene Gesichtszüge. Der kleine Oberlippenbart hätte ihm fast ein sympathisches Aussehen gegeben, wenn nicht der Blick seiner Augen gewesen wäre. Sie glühten wie Kohlen in dem dunklen Gesicht und waren gleichzeitig kalt wie die Augen einer Schlange. Dieser Mann war von tödlicher Entschlossenheit. Er würde bedenkenlos über Leichen gehen, wenn es für seine Ziele erforderlich war. Franco begriff, daß dieser Mann sein eigentlicher Gegner war. Ein Mann, der ihm freiwillig keine Chance lassen würde. Rechts und links hinter dem Araber standen zwei weitere Männer, die nicht so aussahen, als seien sie zum Denken angestellt. Dafür konnten sie aber sicher hervorragend mit ihren Schießeisen umgehen. Zwar waren nirgends Waffen zu sehen, aber Franco zweifelte nicht daran, daß die Leibwächter ihre Pistolen im Bruchteil einer Sekunde ziehen konnten. Der Araber machte eine einladende Handbewegung in Richtung des gepolsterten Stuhls, der vor dem Schreibtisch stand. Franco setzte sich und streckte die Beine aus. Die Arme konnte er ohnehin kaum noch bewegen. Sie fühlten sich an wie abgestorben. Sein Gegenüber lehnte sich zurück und lächelte leicht, was ihn aber nicht freundlicher aussehen ließ. Franco dachte
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unwillkürlich an den Blick der Kobra in Marrakesch, wo alles begonnen hatte. «Mein Name ist Mohammed Al-Awni», stellte sich der Araber vor. «Ich bin ein sehr wichtiger Mann in diesem Land. Sie dagegen sind ein Fremder mit einem Paß, der vermutlich gefälscht ist. Sie haben grundlos eine Schlägerei mit friedlichen Bürgern dieses Landes angefangen und mehrere dieser Leute verletzt. Ehe Sie diese Leute auch noch niederschießen konnten, wurden Sie durch das beherzte Eingreifen eines meiner Mitarbeiter entwaffnet. Ein solches Verbrechen wird wie überall auch im Königreich Marokko bestraft. Oder sehen Sie die Sache anders?» «Sie haben sich sehr klar ausgedrückt, Mister Al-Awni, falls Sie tatsächlich so heißen sollten. Ich hätte es kaum präziser formulieren können. Im übrigen sprechen Sie ein ausgezeichnetes Englisch. Aber sicher wollten Sie mir nicht nur das sagen.» «Ich wollte Ihnen nur deutlich vor Augen führen, daß Sie in diesem Land keine Chancen haben. Selbst wenn Sie irgend etwas herausgefunden haben sollten - niemand wird Ihnen glauben. Sie sitzen eindeutig am kürzeren Hebel. Ich könnte Sie ganz legal einsperren lassen, und in einem marokkanischen Gefängnis können Sie bis ans Ende Ihrer Tage vermodern. Ich könnte Sie natürlich auch auf der Stelle erschießen, und niemand wird je erfahren, was aus Ihnen geworden ist.» «Im Augenblick kann ich Ihren Argumenten schwer widersprechen», antwortete Franco, «aber vielleicht sagen Sie mir jetzt, was Sie von mir wollen oder was Sie mit mir vorhaben.» Al-Awni lächelte böse. «Das werde ich Ihnen ganz gewiß nicht sagen. Ich brauche Sie sicher noch. Und solange werden Sie in meiner Gewalt bleiben. Ich will jetzt noch nicht einmal wissen, wer Sie in Wirklichkeit sind. Es interessiert mich nicht, weil Sie mir nicht schaden können. Sie sind höchstens eine lästige Mücke, die man notfalls zerquetscht.» Er machte eine entsprechende Bewegung mit den Fingerspitzen. -7 3 -
«Sie sind sehr von sich überzeugt», entgegnete Franco leise. «So etwas rächt sich manchmal.» Al-Awni blickte ihn starr an. «Sie sind einer von diesen Amerikanern, die glauben, daß die Welt ihnen gehört. Sie haben hier nichts verloren. Bleiben Sie doch in Ihrem verdammten reichen Land.» «Das würde ich auch gerne tun, wenn es nicht andere Amerikaner gäbe, die mit Ihnen schmutzige Geschäfte abwickelten. An diesen Leuten sind wir schon interessiert. Was auch immer Sie vorhaben, Sie werden scheitern, denn Sie haben sich mit der blutigsten und gierigsten Organisation der Welt eingelassen, und das wird Ihnen noch leid tun.» Al-Awni war blaß geworden, und Franco erkannte, daß sein Temperament mit ihm durchgegangen war. In diesem Augenblick hatte er dem Araber verraten, daß er mehr wußte, als der Gegenseite klar war. Das hieß, sein Leben war jetzt keinen Cent mehr wert. «Das ist sehr interessant, was Sie da sagen», zischte Al-Awni. «Ihnen war doch hoffentlich immer schon klar, daß Ihre Neugier eines Tages einmal tödlich enden wird. Ich werde darüber nachdenken, aber es ist anzunehmen, daß Sie heute noch sterben werden.» Franco Solo beugte sich vor. «Dann können Sie mir wenigstens die Fesseln abnehmen. Ich gebe zu, daß sie unangenehm sind.» Während er sich vorbeugte, erkannte er eine ausgebreitete Karte vor Al-Awni. Die allgemeine Aufmerksamkeit war auf seine Hände gerichtet, die er anklagend bewegte, soweit es möglich war. Francos Blick glitt fieberhaft über die Karte. Dabei prägte er sich genau die Position eines rot eingezeichneten Kreises ein. Die Stelle befand sich im Süden in unwegsamer Gebirgsgegend. Es mußte in der Nähe seines jetzigen Aufenthalts sein. Was immer auch dieser Kreis bedeutete, es war sicher interessant genug, sich die Stelle anzusehen. Al-Awni reagierte nicht auf seine Beschwerde. Er hob nur die Hand und wies zur Tür. «MacNally, bringen Sie ihn zurück. Er -7 4 -
wird hierbleiben, bis ich ihn abholen lasse. Sie sind mir persönlich dafür verantwortlich, daß er seine Zelle nicht verläßt.» MacNally, der Mann in Khaki, stieß sich von der Wand ab, an der er bisher gelehnt hatte, und zog Franco Solo vom Stuhl hoch. «Wird erledigt. Ich hatte sowieso vor, mich persönlich um die kleine Ratte zu kümmern.» «Aber lassen Sie sich nicht mit einem Trick hereinlegen. Dieser Kerl sieht so aus, als würde er das versuchen.» MacNally schüttelte den Kopf und erklärte: «Da haben wir früher ganz andere Burschen kleingekriegt.» Franco wurde zur Tür gestoßen und den Korridor entlang getrieben. Eine Minute später saß er wieder in seinem kahlen Gefängnis. Die Hände spürte er inzwischen schon nicht mehr. *** «Das ist vielleicht eine Affenhitze hier», knurrte Colosimo und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Annunzio spuckte seinen Kaugummi aus. «Ist ja noch schlimmer als in Texas», maulte er. «Haltet doch die Klappe», sagte Rico Galeta unwillig. «Für das Klima hier kann doch keiner was. Im übrigen solltet ihr euch gleich daran gewöhnen, denn es könnte ja sein, daß wir noch öfter hier zu tun haben.» «Wieso?» Colosimo starrte ihn fragend an. Galeta erinnerte sich an die Worte von Allessandro Pavese und beschloß, lieber den Mund zu halten. «Könnte ja sein», sagte er vage. «Ich denke, wir werden hier abgeholt», beschwerte sich Annunzio und sah sich suchend um. «Hätte ich mir ja denken können, daß in diesem Land nichts klappt.»
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«Beruhigt euch. Erst mal müssen wir durch die Paßkontrolle und durch den Zoll. Ich hoffe, ihr habt nichts dabei, was einen Zöllner irritieren könnte.» Galeta sah die beiden fragend an. Colosimo und Annunzio waren zwei alte Haudegen der Mafia. Sie waren beide Mitte Vierzig und schon etwas beleibt. Trotzdem konnten sie sich immer noch schnell bewegen, wenn es darauf ankam. Sie sahen aus wie amerikanische Touristen. Nur für einen Eingeweihten waren die kantigen Züge und die kontrollierten Bewegungen verräterisch. Man setzte die beiden gern in schwierigen Fällen ein, da sie außer einer ruhigen Hand auch ein bißchen Verstand besaßen. Sie arbeiteten meistens im Team und waren seit Jahren aufeinander eingespielt. Galeta war ganz froh, daß er die beiden mitbekommen hatte. Er kannte sie schon von früheren Aktionen und wußte, daß er sich auf sie verlassen konnte. Mit ihrer Art und ihrer ständigen Nörgelei mußte er sich eben abfinden. Colosimo hob unbehaglich die Schultern. «Meinst du, der Zoll prüft die Koffer sehr gründlich? Wir haben natürlich unsere Kanonen dabei. Ich kann doch nicht nackt in ein fremdes Land fahren.» Annunzio nickte bestätigend. Galeta schloß die Augen. «Ich hoffe, das geht gut», flüsterte er. «Wenn ihr mir mit einer solchen Nachlässigkeit den Einsatz versaut, schlage ich euch die Zähne ein.» Die beiden grinsten. «Die Dinger sind gut versteckt», erklärte Colosimo. «Die würde noch nicht einmal der amerikanische Zoll finden.» «Da kommt das Gepäck», sagte Annunzio. Kleinwüchsige Araber schleppten Koffer und Taschen auf einen niedrigen Tisch, hinter dem gelangweilt einige Zollbeamte standen, die von ihrer eigenen Wichtigkeit überzeugt waren. Die Kontrollen waren mehr als oberflächlich. Meistens beschränkten sich die Uniformierten darauf, ein Kreuz mit Kreide auf die Gepäckstücke zu malen, ohne einen Blick auf den Inhalt zu werfen. Nur Galeta mußte seinen Koffer öffnen, -7 6 -
aber der Zöllner hatte nichts zu beanstanden. Auch die Paßkontrolle durchquerten sie ohne Schwierigkeiten. «Na, was habe ich gesagt?» triumphierte Colosima. «Wir haben jetzt wenigstens unsere Kanonen dabei. Das beruhigt.» «Ich bekomme auch bald eine», knurrte Galeta giftig. «Unsere Freunde werden wohl eine übrig haben nach diesem Großeinkauf aus Onkel Sams Heeresbeständen. Aber jetzt wollen wir erst mal sehen, wo unser Empfangskomitee bleibt.» In der Halle des Flughafens herrschte unglaubliches Gedränge. Der ohrenbetäubende Lärm und der übliche orientalische Geruch zusammen mit der stickigen Luft machten den Aufenthalt nicht gerade angenehm. «Wahrscheinlich ist niemand hier», meinte Colosimo. «Die wissen doch, daß wir heute ankommen», erwiderte Galeta. «Ich bin sicher, daß jemand da ist. Wahrscheinlich draußen.» «Dann gehen wir doch mal nachsehen», sagte Annunzio und hob seinen Koffer auf. Vor dem Gebäude war die Luft wesentlich angenehmer. Die drei atmeten tief durch. «Ich bin zum ersten Mal in Afrika», bemerkte Annunzio, «aber ich weiß jetzt schon, daß es mir nicht besonders gefällt.» «Ist viel zu heiß», sinnierte Colosimo, «und von der Sprache versteht man kein Wort.» «Könntet ihr jetzt endlich mal die Schnauze halten.» Galeta blickte unruhig von einer Seite zur anderen. Dann hellte sich sein Gesicht auf. «Das muß er sein.» «Wo?» Colosimo und Annunzio drehten sich gleichzeitig herum. Der Mann, der ihnen entgegenkam, war offensichtlich auch Amerikaner. Irgendwie erkannte man das. Er war groß und massig, und sein Gesicht war von der Sonne verbrannt. Auf seiner Stirn erkannte man eine dunkelrote Narbe. Er versuchte, freundlich zu lächeln, was ihm aber gründlich mißlang.
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Er streckte die Hand aus. «Mein Name ist Frank Wells. Ihr seid sicher die Burschen, die ich hier abholen soll. Ich werde euch zu eurem Quartier bringen und stehe dann für Fragen zur Verfügung. Ich nehme an, daß ihr euch erst einmal ein bißchen umsehen wollt.» Galeta übersah die ausgestreckte Hand. «Wir haben unsere Anweisungen aus den Staaten mitgebracht. Wir möchten, daß Sie uns möglichst schnell zu Ihrem Boß bringen. Wenn wir mit ihm gesprochen haben, werden wir sehen, wie es weitergeht. Wir sind nämlich nicht als Touristen hier, sondern haben einen Auftrag zu erfüllen. Ab jetzt darf nämlich nichts mehr schiefgehen. Und dafür werden wir sorgen.» Das Lächeln verschwand langsam aus Wells' Gesicht. Sein Blick wurde kalt und starr. Er begriff, daß bei diesen Burschen Vorsicht angeraten war. Sie waren zur Überwachung hier, das war ganz klar. Entscheidend war, wie sich Al-Awni ihnen gegenüber verhielt. Noch brauchte man die Typen, aber eines Tages waren sie entbehrlich. Frank Wells freute sich auf diesen Tag. Aber bis dahin mußte er gute Miene zum bösen Spiel machen. Diese bornierten Killertypen bildeten sich wohl ein, daß ab jetzt alles nach ihrer Pfeife tanzen würde. Da hatten sie sich getäuscht. Er zwang sich zu einem Grinsen. «Wie Sie wünschen. Wir tun alles für unsere Gäste. Dies ist ein gastfreundliches Land.» Die Ironie entging den drei Mafiosi keineswegs, und Galeta wußte, daß er auf diesen Wells besonders aufpassen mußte. «Dort drüben steht mein Wagen», berichtete Wells. «Gehen wir.» Sie schnappten ihre Koffer und bewegten sich auf den Wagen zu. Es war ein Chevrolet Station Car älteren Jahrgangs. Wells schloß den Kofferraum auf und wartete, daß die drei ihr Gepäck verstaut hatten. «Ich heiße übrigens Galeta. Das da sind Colosimo und Annunzio. Wir werden schon miteinander auskommen.» Galetas Begleiter hatten ihre Koffer in den Kofferraum gehoben und fummelten mit gebeugten Rücken daran herum. -7 8 -
«Was machen die da?» fragte Wells und versuchte, an ihnen vorbeizusehen. «Wir können ja schon einsteigen.» Galeta zog ihn am Ärmel nach vorn. Aber das Ablenkungsmanöver klappte nicht ganz, denn Wells sah gerade noch, wie die beiden aus der Tiefe ihrer Koffer riesige Pistolen zutage förderten, die sie mit einem geübten Griff unter ihrer Kleidung verschwinden ließen. Dann saßen sie endlich alle im Wagen, und Wells startete den Motor. «Der Boß ist zur Zeit unten im Süden in einem unserer Stützpunkte. Er wird wohl erst in zwei, drei Tagen wieder hier sein. Ich kann Sie solange in einem guten Hotel hier in Casablanca unterbringen. Dann können Sie sich auch leichter an den Klimawechsel gewöhnen. Den meisten Europäern oder Amerikanern fällt der Wechsel nämlich schwer.» Galeta warf seinen beiden Begleitern einen raschen Blick zu. Dann sagte er mit einer Stimme, die wie Stahl klirrte. «Dann fahren wir nach Süden. Wenn Ihr Boß nicht hier ist, müssen wir eben zu ihm fahren. Das macht uns nichts aus.» Wells biß sich auf die Unterlippe. «Also gut. Ich fahre Sie, aber die Fahrt wird kein Vergnügen sein.» «Wir sind auch nicht zum Vergnügen hier», entgegnete Galeta kurz und blickte starr nach vorn. Wells fuhr los, und im Inneren des Wagens breitete sich Schweigen aus. *** Franco Solo ließ seinen Blick wohl zum tausendsten Mal durch das Zimmer schweifen. Aber er sah immer noch keine Möglichkeit, sich zu befreien. Das Zimmer war völlig kahl. Die einzige Einrichtung war der Stuhl, auf dem er saß. Der Stuhl? Franco stand rasch auf und warf dabei den Korbstuhl um. Er hätte eher darauf kommen müssen. Die Nägel, mit denen der Stuhl seine Haltbarkeit erzielte, waren zwar rostig, aber spitz.
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Franco suchte sich den größten Nagel aus und versuchte ihn zu lockern. Schon nach wenigen Minuten war er schweißüberströmt. Es war eine außerordentlich schwierige Arbeit, mit gefesselten Händen und ohne direkte Sicht auf den Nagel etwas auszurichten. Er biß die Zähne zusammen und ließ nicht nach. Inzwischen war er überzeugt davon, daß hier seine einzige Chance lag, ja, daß sein Leben an diesem Nagel hing. Mit fast unmenschlicher Energie zwang er seine tauben Fingerspitzen, das Holz auseinanderzuzerren. Er spürte, wie die Haut abgeschürft wurde und Blut über seine Finger rann. Allmählich hatte er den Eindruck, daß der Nagel sich lockerte. Das Holz war gesprungen, und der rostige Stift ließ sich immer leichter bewegen. Nach einem letzten Ruck klirrte er auf den Boden. Schwer atmend blieb Franco stehen. Erst nachdem sich sein fliegender Puls beruhigt hatte, beugte er sich nieder und hob den Nagel auf. Dann begann die mühselige Arbeit, den Nagel wieder so festzuklemmen, daß er stabil genug saß, um daran die Fesseln durchzuscheuern. Vor Erschöpfung mußte er seine Tätigkeit immer häufiger unterbrechen, und es dauerte fast eine Stunde, bis er den Strick so weit durchgescheuert hatte, daß er ihn endgültig zerreißen konnte. Einige Minuten lang konnte er die Hände und Fingerspitzen nicht bewegen. Sie waren völlig erstarrt. Vorsichtig begann er mit der Massage, um den Blutkreislauf allmählich wieder in Gang zu bringen. Es war, als ob tausend spitze Messer in seine Hände gestoßen würden, aber langsam kehrte die Farbe zurück. Franco tastete seine Taschen ab. Es fehlte nichts. Brieftasche, Wagenschlüssel, sogar ein paar Reservepatronen. Nur der Revolver war natürlich nicht da. In dieser Situation hatte er sich schon öfters befunden. Das war nicht weiter schlimm. Franco wandte sich wieder dem Korbstuhl zu. Mit einer entschlossenen Bewegung brach er ein Bein ab und wog es in -8 0 -
der Hand. Kein besonders gutes Verteidigungsinstrument, aber besser als gar nichts. Er schob den Stuhl zur Wand und lehnte ihn so dagegen, daß es nicht gleich auffiel, daß ein Bein fehlte. Franco lehnte sich nicht weit davon an die Wand und versteckte den zerrissenen Strick in der Tasche. Er nahm die Hände hinter den Rücken, so daß man auch seine provisorische Hiebwaffe nicht sehen konnte. Jetzt brauchte er nur noch zu warten. Er hatte Glück. Schon eine halbe Stunde später hörte er ein Geräusch von draußen. Schlurfende Schritte näherten sich und blieben vor seiner Tür stehen. Er hörte einige leise Worte. Also waren es mindestens zwei. Das erschwerte die Sache natürlich. Die Tür wurde wieder sehr vorsichtig geöffnet, und wie beim ersten Mal erschien zunächst ein Pistolenlauf. Dahinter lugte MacNally grinsend in den Raum. Hinter ihm stand ein weiterer Mann in einem blauen Overall. Er hatte ein spitzes Gesicht und blickte ängstlich in den Raum. «Ist unserem Freund das Sitzen zu langweilig geworden?» erkundigte sich MacNally. «Ich gebe zu, die Einrichtung ist etwas spartanisch, aber es ist eben ein Provisorium. Bald werden Sie ohnehin reichlich Zeit haben.» Er lachte herzlich über seinen Witz. Franco kniff die Lippen zusammen und sagte nichts. Er hielt seine Hände ruhig auf dem Rücken, um den Eindruck zu erwecken, als seien sie immer noch gefesselt. MacNally schöpfte offenbar noch keinen Verdacht. Er war so von sich eingenommen, daß er eine solche Möglichkeit überhaupt nicht in Betracht zog. MacNally gab die Tür frei und trat drei Schritte in den Raum hinein, die Pistole locker an der Seite herunter hängend. Sein Begleiter trug einen dampfenden Teller in der Hand, in der anderen ein Glas mit Tee. «Wir sind keine Unmenschen», erklärte MacNally. «Hier kommt Ihre Henkersmahlzeit. Kuskus, das Nationalgericht. Ich glaube
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zwar nicht, daß es Ihnen schmeckt, aber wir haben nichts anderes.» Der zweite Mann betrat vorsichtig den Raum und blickte sich hilflos um, da er nicht wußte, wohin mit dem Teller. «Dahin!» befahl MacNally und deutete auf den Fußboden in Francos Nähe. «Heute verzichten wir mal auf den gedeckten Tisch. In diesen ernsten Zeiten müssen wir uns alle am Riemen reißen.» Er grinste Franco herausfordernd an. Franco spannte sich und schob den linken Fuß leicht vor, Der Mann im Overall kam auf ihn zu. Franco machte einen Schritt zur Seite, so daß der Mann zwischen ihm und MacNally stand. «Zurück!» brüllte MacNally mit überschnappender Stimme. Der Mann im Overall blickte sich hilflos um, als ob er nicht wußte, wer nun gemeint sei. Franco machte einen weiteren Schritt zur Mitte des Raumes. «Du Mistkerl!» brüllte MacNally und machte einen Schritt vorwärts. Darauf hatte Franco gewartet, denn endlich befand sich der Ganove in Reichweite seiner provisorischen Waffe. Mit einer unglaublich schnellen Bewegung schoß Franco an dem Overall vorbei, der erschrocken den Teller mit Kuskus, dieser undefinierbaren Masse aus Gries, Hammelfleisch, Fischstücken und zerkochtem Gemüse, fallen ließ. Das Glas Tee klirrte hinterher. Gleichzeitig hatte Franco das abgebrochene Stuhlbein hinter dem Rücken hervorgerissen. Blitzschnell beschrieb das Holz einen halben Kreisbogen durch die Luft und landete präzise auf dem Unterarm von MacNally, der verzweifelt versuchte, seine Pistole in die richtige Schußposition zu bringen. Franco hatte alle Kraft in den Schlag gelegt, denn er hatte nur diese eine Chance. MacNally brüllte auf und ließ die Pistole fallen. Er wich zur Seite, ehe Franco ein zweites Mal ausholen konnte. Franco kickte die Pistole mit seinem Fuß zur Seite und warf sich mit ausgestreckten Fäusten auf seinen Gegner. Von der langen Fesselung waren seine Hände immer noch nicht voll -8 2 -
einsatzfähig, aber die Verzweiflung gab ihm Kraft genug, MacNally ausreichend hart zu erwischen. Der Hieb trieb den Gangster ein paar Schritte zurück, und Franco war bei ihm, noch ehe er das Gleichgewicht wieder erlangen konnte. Ein Täuschungsschlag - MacNally drehte den Kopf zur Seite - und Francos Handkante fand mit oft geübter Sicherheit ihr Ziel. MacNally stöhnte und sank in die Knie. Schwer kippte sein Körper zur Seite. Franco drehte sich herum, bereit zu einem neuen Angriff. Der Mann im Overall hatte sich keinen Zoll von der Stelle gerührt und blickte Franco schreckensstarr an. Offensichtlich gehörte er zum Hauspersonal und nicht zu AlAwnis Söldnertruppe. Der Mann wich zur Wand, als Franco auf ihn zukam. Franco beachtete ihn nicht weiter und hob MacNallys Pistole auf, eine Star im Kaliber 9 mm Para. Er prüfte die Waffe flüchtig auf ihre Funktion und steckte sie ein. MacNally rührte sich wieder. Schnell fesselte Franco ihn mit seinem eigenen Gürtel. Ein Halstuch diente als Knebel. Auch der zweite Mann wurde gefesselt. Franco war sich darüber im Klaren, daß die Fesseln nicht sehr lange halten würden, aber er hoffte, damit wenigstens einen kleinen Vorsprung erkauft zu haben. MacNally war inzwischen wieder zu sich gekommen und starrte ihn in ohnmächtiger Wut an. Franco grinste. «Sie sollten nächstes Mal darauf hören, wenn Ihr Boß Ihnen einen guten Rat gibt. Ich würde gern hören, was er Ihnen erzählt, wenn er Sie in dieser Zelle findet und nicht mich.» MacNally versuchte etwas zu sagen, aber durch den Knebel kam nur ein unverständliches dumpfes Gemurmel durch. Franco ging zur Tür und lauschte. Der Korridor war leer. Er huschte hinaus und schloß die Tür hinter sich. Der Schlüssel steckte. Er drehte ihn um und zog ihn ab. Wenn er Glück hatte, würde man die beiden nicht so schnell entdecken, vorausgesetzt, er kam unentdeckt aus dem Haus. -8 3 -
Vorsichtig schlich er den Korridor entlang, den er schon kannte. Er wußte, wo der Ausgang war. Im Haus war es ruhig. Es schien unbewohnt, aber mit Sicherheit waren noch weitere Wachen hier, selbst wenn Al-Awni das Haus inzwischen verlassen haben sollte. Er kam zur Treppe, die ins Erdgeschoß führte. Auch hier kein Laut. Die Haustür stand auf. Dann fiel ein Schatten von draußen in die Halle. Vor der Haustür ging jemand auf und ab. Franco lief rasch die Treppe hinunter, MacNallys Pistole in der Hand. Hinter der Haustür blieb er stehen. Von draußen drang ein gleichmäßiges Knarren herein. Franco runzelte die Stirn, da er sich das Geräusch nicht gleich erklären konnte. Langsam schob er sich an die Tür und blickte hinaus. Das Knarren kam von einem Schaukelstuhl. Ein Wächter hatte es sich bequem gemacht und genoß die schattige Kühle unter dem Vordach. Über seinen Knien lag ein Gewehr. Er blickte in die andere Richtung. Franco hatte keine Zeit, sich großartige Dinge einfallen zu lassen. Mit zwei Schritten war er bei dem Schaukelnden und schlug mit dem Pistolenkolben zu, ehe der Mann überhaupt bemerkte, daß ihm Gefahr drohte. Übergangslos versank der Wächter in Bewußtlosigkeit. Franco rannte über den kiesbestreuten Vorplatz und ging in Deckung eines dichten Gebüschs. Er drehte sich um. Der Schaukelstuhl knarrte immer noch, und wenn Franco nicht gewußt hätte, daß der Wächter wirklich bewußtlos war, hätte es so ausgesehen, als ob ihn der Mann beobachtete. Langsam pirschte er sich in Richtung Ausgang. Es war drückend heiß, und die Kleidung klebte an seinem Körper. Mit hastigen Handbewegungen verscheuchte er das Ungeziefer, das ihn umschwirrte. Endlich war er am Tor. Es schien nicht bewacht. Er vergewisserte sich einige Minuten gründlich, ob auch wirklich niemand in der Nähe war, dann hangelte er sich an der Mauer hoch. Auch auf der anderen Seite war kein Mensch zu sehen. Zu dieser Tageszeit zog jeder den kühleren Schatten vor. Und -8 4 -
dann glaubte er seinen Augen nicht zu trauen. Direkt vor ihm stand der Landrover! Unbewacht. Offenbar hatte er jetzt eine Glückssträhne zu fassen bekommen. Es machte ihm keine Schwierigkeiten, die Zündung des Wagens kurzzuschließen. Solche Dinge hatte er in der letzten Zeit lernen müssen. Es waren Praktiken, die ihm das Überleben ermöglichten. Für einen kurzen Augenblick dachte er daran, daß er vor nicht allzu langer Zeit noch in Denver Jura studierte. Damals lebten allerdings sein Vater und seine Schwester noch. Nach dem brutalen Mord war er von einem Tag zum andern zum Gejagten geworden - bis ihn Colonel Warner in seine Organisation aufgenommen hatte. Und dann wurde er selbst zum unerbittlichen Jäger, den die Mafia inzwischen mehr als alles andere fürchtete. Mit Recht, denn er hatte dieser größten Verbrecherorganisation der Welt schon eine Reihe entscheidender Niederlagen beigebracht. Und er war fest entschlossen, auch diesmal einen Erfolg zu erzielen. Nach einigem Stottern sprang der Motor an. Franco beschleunigte sofort mit Vollgas. Er hatte keine Lust, auch nur eine Sekunde länger als nötig in dieser gefährlichen Umgebung zu bleiben. Auf der Herfahrt hatte er sich den Weg recht gut gemerkt, so daß er keine Schwierigkeiten hatte, den gleichen Weg zurückzufahren. Er brauchte Stunden, bis er wieder in der Nähe von Agadir war. Zwar war diese Gegend auch nicht ungefährlich für ihn, aber jetzt benötigte er seine Sachen, vor allen Dingen das Funkgerät. Am Stadtrand von Agadir ließ er den Landrover stehen. Vielleicht war der Wagen bekannt, und er hatte keine Ahnung, wieviele Augen und Ohren in dieser Stadt für den Gegner arbeiteten. Er fuhr den Wagen in einen Olivenhain, wo er von der Straße nicht gleich zu entdecken war. Dann ging er zu Fuß weiter. Glücklicherweise war die Stadt nicht sehr groß, und er hatte sein Hotel bald erreicht. Der Mann an der Rezeption starrte überrascht auf Francos etwas mitgenommene Kleidung und auf das unrasierte Gesicht. -8 5 -
Er sagte aber keinen Ton, als Franco seinen Schlüssel verlangte. Er mußte gemerkt haben, daß sein Gast im Moment nicht in der Stimmung für ein Gespräch war. Das Zimmer schien unberührt. Er hatte ein paar Vorbereitungen getroffen, die ihm sofort verraten hätten, wenn jemand in seiner Abwesenheit das Zimmer durchsucht haben sollte. Eine Dusche machte ihn wieder zum Menschen. Anschließend zog er sich frische Sachen an und bestellte eine Kleinigkeit zu essen und trinken auf das Zimmer. Es war zwar nicht sonderlich wohlschmeckend, aber das störte ihn nicht weiter. Dann machte er sich ans Werk. Unter seinem Bett holte er den Koffer hervor und klappte ihn auf. Die nun folgenden Handgriffe hätte er auch mit geschlossenen Augen erledigen können, so lange hatte er sie geübt. Minuten später war das kleine Kurzwellengerät sendebereit. Er zog die Spezialantenne heraus und überzeugte sich davon, daß das Gerät unter Spannung stand. Er tippte ein Codewort ein, das nur ihm und Colonel Warner bekannt war. Dann wartete er auf Antwort. Es dauerte einige Minuten, dann rauschte und knisterte es im Empfängerteil. Er justierte die Antenne nach, dann hörte er die Stimme von Colonel Warner deutlich. «Höre Sie gut, bitte kommen.» «Ich habe einen ersten Überblick über unsere Freunde. Vermutlich wird es gelingen, die beteiligten Personen, die Verstecke und vielleicht auch die geplanten Termine zu ermitteln. Aber es ist, glaube ich, unmöglich, wiederhole, unmöglich, ohne Hilfe das Material zu vernichten. Selbst wenn es mir gelingt, das Camp zu erreichen - dort ist eine ganze Armee versammelt. Bitte kommen.» Für einen Augenblick herrschte Schweigen, dann war der Colonel wieder zu verstehen. Die Verbindung wurde wieder schlechter. «Zunächst eine Information. Eine neue Materiallieferung ist mit dem gleichen Schiff zum gleichen Ziel unterwegs. Ladung wurde durch Zufall von einem unserer eigenen Schiffe erkannt. Es handelt sich um größere Teile. Der Frachter wird voraussichtlich -8 6 -
morgen ankommen. Genauer Zeitpunkt ist nicht bekannt. Es muß unbedingt verhindert werden, daß die Fracht den Empfänger erreicht. Kommen.» Franco schüttelte den Kopf und fragte: «Wie soll ich das machen? Kommen.» Colonel Warners Stimme klang ein wenig ungehalten. «Sie bekommen jede Unterstützung, die Sie brauchen. Sobald Sie wissen, wo das geheime Lager ist, erwarte ich Ihre Nachricht. Es stehen Truppen bereit, die die Aktion zu Ende führen können. Versuchen Sie, soviel wie möglich zu erfahren. Ihre Frequenz wird Tag und Nacht abgehört. Sie können mich jederzeit erreichen. Und noch etwas: unsere amerikanischen Freunde haben ein gefährliches Trio in Marsch gesetzt. Sie sind inzwischen in Marokko, aber wir kennen den genauen Aufenthalt nicht. Wir vermuten, daß sie zur Absicherung der Aktion und zur Kontrolle hierher geschickt wurden. Passen Sie auf sich auf. Roger and over.» Franco lächelte schwach. «Over», antwortete er leise und schaltete das Gerät aus. Es war zumindest beruhigend, zu wissen, daß Colonel Warner in der Nähe war und ihn diesmal auch voll unterstützen würde, wenn es zum Äußersten kommen sollte. In den Staaten dagegen hatte Warner kaum eine Möglichkeit, ihm zu helfen, jedenfalls nicht offiziell. Denn Franco Solo wurde immer noch von der Polizei gesucht, da er in Notwehr einen im Solde der Mafia stehenden Polizisten erschossen hatte. Franco verstaute das Funkgerät wieder im doppelten Boden des Koffers. Er überlegte. Da war ein Marokkaner namens AlAwni, der einen Staatsstreich plante, der von der Mafia unterstützt wurde, da sich die Gangster handfeste Vorteile nach der Machtübernahme versprachen. Da war der Söldner Cory, der zu einem unbekannten Ziel verschwunden war. Da war der Amerikaner Frank Wells, der versucht hatte, ihn an weiteren Nachforschungen zu hindern. Da gab es den ermordeten Franzosen, der die ganze Sache ins Rollen gebracht hatte. Und da war ein Schiff voller Waffen, das in jeder Stunde ein paar Seemeilen näher kam. -8 7 -
Es war zu vermuten, daß die Verschwörer nur noch auf diese Waffenladung warteten, um dann loszuschlagen. Viel Zeit war also nicht mehr. Franco breitete eine Landkarte aus, die er ebenfalls im Gepäck hatte. Wo war der eingezeichnete Kreis gewesen, den er auf einer ähnlichen Karte auf dem Schreibtisch von Al-Awni entdeckt hatte? Suchend fuhr er mit dem Finger über die Karte. Dort mußte es sein. Er konnte sich gut daran erinnern. Nicht weit von dieser Stelle entfernt war auch der erste Waffentransport gelandet. Es lag auf der Hand, daß in dieser Gegend das geheime Camp lag. Franco stellte fest, daß der Ort seiner kurzen Gefangenschaft auch nicht weit entfernt war. Es sah so aus, als sollte sich der Schauplatz der Handlung jetzt in den Süden des Landes verlagern. Franco hatte keine Zeit mehr zu verlieren. Auf jeden Fall mußte er das Hotel schnell verlassen. Schließlich wußten sie, daß er hier wohnte. Wenn sie seine Flucht entdeckt hatten, konnten sie hier ihre Leute mobilisieren, um ihn abzufangen. Allerdings rechneten sie wohl kaum damit, daß er so unverschämt war, an diesen Platz zurückzukommen. Rasch packte er seine Sachen zusammen und verließ das Hotel. Der Mann an der Rezeption nahm seine Abreise kommentarlos zur Kenntnis und vertiefte sich gleich wieder in seinen Comic. Franco beschloß, den Landrover stehen zu lassen und lieber einen neuen Wagen zu mieten. Sein alter Leihwagen stand irgendwo im Süden in einem kleinen Küstenort. Aber auch diesen Wagen konnte er nicht mehr benutzen, da der Gegner ihn vermutlich kannte. Es störte Franco nicht, ständig neue Wagen zu fahren. Auch an diesen Zustand hatte er sich gewöhnen müssen. Er wechselte Wagen, Hotels und Ausrüstungsgegenstände wie andere Leute ihre Hemden. Eine Leihwagenfirma war nur einen Häuserblock entfernt. Glücklicherweise gab es in dieser Touristengegend solche Einrichtungen. -8 8 -
Der Händler rieb sich die Hände und grinste Franco mit einem zahnlosen Gebiß an. Die Wagen waren nicht im besten Zustand, und Franco entschied sich nach längerem Zögern für einen unauffälligen Renault, der noch einigermaßen fahrtüchtig aussah. Die Kreditkarte, mit der er bezahlen wollte, schien dem Araber aber nicht sonderlich zu gefallen. Franco mußte wohl oder übel Bargeld herausrücken. Mit einem ordentlichen Trinkgeld zerstreute er alle übrigen Bedenken des Mannes. Dann machte er sich auf den Weg nach Süden. *** Frank Wells saß auf einem Klappstuhl vor einem khakifarbenen Zelt, dessen Seitenwände hochgerollt waren. Mit einer raschen Bewegung schüttete er ein Glas Whisky in sich hinein. Angewidert verzog er das Gesicht. Der Whisky war viel zu warm, aber sie hatten natürlich kein Eis im Lager. Schließlich bestand auch nicht die Absicht, sich hier länger als nötig einzurichten. Dies hier war ein Ausbildungslager, provisorisch angelegt. Alle, die hier waren, hofften, in kurzer Zeit in der Hauptstadt zu sein. Alle hatten wohl auch recht konkrete Vorstellungen, was sie dort machen wollten. Jedenfalls waren sie überzeugt davon, daß sie dort als Sieger erschienen. Wells sah die Männer an, die sich um ihn versammelt hatten. Einige Araber und ein rundes Dutzend Weiße. Söldner aus allen möglichen Ländern. Wells hoffte, daß sie wirklich so gut waren, wie immer behauptet wurde. Von seiner arabischen Armee hielt er nicht sonderlich viel. Sicher, die Berber, die den größten Teil der Streitmacht bildeten, waren in der Vergangenheit immer gefürchtete Krieger gewesen. Aber gegen modern ausgerüstete Soldaten half Mut allein nicht viel. Sie mußten gut ausgebildet sein und entschlossen geführt sein. -8 9 -
Die Söldner waren die Speerspitzen des Angriffs. Wenn sie versagten, war alles verloren. Dann würden auch die Araber davonlaufen. Es kam alles darauf an, ob die erste Überraschung gelang. Wells zog die Stirn in Falten. Und dann kam es natürlich darauf an, daß die Armee solange stillhielt, bis der Putsch gelungen war. Frank Wells wußte, daß Al-Awni nur einige Offiziere auf seiner Seite hatte. Es war abzuwarten, ob sie wirklich in der Lage waren, die Armee in den entscheidenden ersten Stunden zu blockieren. Er riß sich von seinen Gedanken los und betrachtete erneut die Männer um ihn herum. Zwei Südafrikaner, die ihre Erfahrungen im Guerilla-Krieg gegen aufständische Schwarze gesammelt hatten. Zwei Belgier, die schon seit den blutigen Unruhen im ehemaligen Belgisch-Kongo ihre Haut zu Markte trugen. Sie waren erfahren und kannten alle Tricks. Das gleiche galt für den Franzosen und die beiden Deutschen. Sie waren schon jahrelang im Geschäft und würden alle Befehle ausführen, solange man sie gut bezahlte. Die übrigen konnte er schwer einschätzen. Ein Amerikaner, ein Schwede, ein Pole, ein Ire und ein Engländer. Der Engländer war zuletzt angekommen. Wells betrachtete ihn nachdenklich. Er machte einen erfahrenen Eindruck. Er gehörte zu den Piloten. Alles in allem war es eine recht gemischte Truppe. Die Marokkaner, die ebenfalls zu den Offizieren gehörten, standen etwas abseits. Es waren zum größten Teil Leute, die früher in der Armee gedient hatten. Die Söldner beachteten die Araber nicht und machten aus ihrer Abneigung keinen Hehl. Es war nur zu hoffen, daß im Ernstfall alle zusammenhielten. Wie auch immer, die Verantwortung lag bei Al-Awni. Es war sein Plan und sein Geld. Er mußte wissen, was er tat. Frank Wells goß sich noch einen Whisky ein und kniff leicht die Augen zusammen. Die afrikanische Sonne knallte gnadenlos vom Himmel. Es rührte sich nicht der leichteste Windhauch, und die Hitze stand wie eine feste Masse über der Ebene.
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Am Horizont flirrten die kahlen Gipfel des Hohen Atlas. Das Lager befand sich in einer sehr abgelegenen Gegend. Frank Wells stand auf und spürte, wie sein Bein schmerzte. Es erinnerte ihn an diesen verdammten Kerl in jenem Hotel in Agadir. Er hoffte, daß Al-Awni inzwischen mit ihm fertig geworden war. Allerdings hätte er ihn auch ganz gern in die Finger gekriegt. «Wann geht es denn nun endlich los?» fragte einer der Söldner und spuckte einen Kaugummi in den Staub. Wells machte eine vage Handbewegung. «Ihr werdet es früh genug erfahren. Aber es kann nicht mehr lange dauern. Der Rest der Waffen muß in Kürze eintreffen. Ich bekomme heute noch Nachricht über den genauen Termin.» «Diese Warterei ist immer das schlimmste», mischte sich ein anderer ein. «Auch die Warterei wird bezahlt», entgegnete Wells. Die Männer lachten. Wells humpelte zu einer Reihe primitiver Baracken hinüber, vor denen eine Einheit unter Aufsicht einiger Söldner den Umgang mit Schnellfeuergewehren übte. Er runzelte die Stirn, als er sah, wie ungeschickt einige sich immer noch anstellten. Hinter den Baracken hatte man ein provisorisches Flugfeld angelegt. Es war mühsam gewesen, den steinigen Boden einigermaßen zu glätten. Die Begrenzung des Rollfeldes bildeten einige leere Benzinkanister Die Landebahn war im Grunde zu kurz. Der Pilot mußte unmittelbar am Anfang aufsetzen, sonst schaffte er es nicht, den Vogel vor Ende der Piste zum Stehen zu bringen. Am Ende der Piste stand ihre Luftwaffe: ein Bomber und zwei Kampfflugzeuge. Frank Wells schüttelte den Kopf, als er die Maschinen betrachtete. Gegen die Mirages und Mysteres der marokkanischen Armee hatten sie eigentlich keine Chance. Hier konnte nur die Überraschung helfen.
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Der Bomber war ein Grumman OV-1 Mohawk. Er stammte aus dem Jahre 1966 und war für die amerikanische Armee entwickelt worden. Der einzige Vorteil der Maschine war, daß sie selbst auf Graspisten starten und landen konnte. Die Produktion der Maschine war bereits 1970 eingestellt worden, und Wells fragte sich, wie Al-Awni in den Besitz dieses seltenen Vogels gekommen war. Der Bomber war ziemlich langsam. Die beiden Lycoming Propellerturbinen brachten ihn auf eine Höchstgeschwindigkeit von knapp 500 Stundenkilometern. Bei dieser Maschine hatte man den torpedo-förmigen Behälter unter dem Rumpf, in dem sich normalerweise der Schrägsichtradar befand, durch zusätzliche Sprengbomben ersetzt. Die Mohawk hatte Platz für zwei Mann Besatzung. Der englische Söldner war als Pilot vorgesehen. Die beiden Kampfflugzeuge waren noch älter. Es waren North American T-28 A, die aus den frühen sechziger Jahren stammten. Der Typ war damals an verschiedene Länder geliefert worden. Diese beiden Maschinen waren französische Lizenzbauten, die vermutlich aus dem Algerienkrieg stammten, wo sie damals eingesetzt waren. Bewaffnet waren sie mit zwei Maschinengewehren und einigen Raketen unter den Tragflächen. Die Piloten, die diese Maschinen fliegen sollten, waren nur mit einer doppelten Prämie dazu zu bewegen gewesen, ihren Fuß in die Kanzel zu setzen. Bis jetzt war die eine der Maschinen überhaupt noch nicht geflogen. Immer noch waren die Mechaniker damit beschäftigt, sie zu überholen. Wells hatte den Verdacht, daß die seltenen Vögel jahrelang eingemottet irgendwo vor sich hin gemodert hatten. Die zweite Maschine hatte bereits einen Probeflug hinter sich gebracht, aber der Pilot hatte die Kiste so hart auf die Piste gesetzt, daß seit drei Tagen repariert werden mußte. Wells schüttelte den Kopf. Selbst für die dreifache Prämie wäre er nicht in diese Flugzeuge gestiegen. Er befürchtete, daß man sie bereits beim Anflug abschießen würde, noch ehe sie ihre Auf gaben erfüllt hatten. -9 2 -
Wells wanderte zu den Baracken zurück. Es war an der Zeit, seinen Gästen seine Aufwartung zu machen. Sie hatten schon nach ihm verlangt. Er hatte nur keine Lust, mit diesen arroganten Typen zu reden. Sollte sich doch Al-Awni mit ihnen herumschlagen. Eine kleinere Baracke, die von einem Posten bewacht war, lag etwas abseits. Dorthin lenkte er seine Schritte. Die drei Amerikaner erwarteten ihn bereits. Sie standen um einen provisorischen Tisch herum, auf dem einige Karten ausgebreitet waren. Schweigend starrten sie ihn an. Wells wurde es immer unbehaglich, wenn er in die dunklen Killeraugen blickte. «Nun, meine Herren, was kann ich für Sie tun?» fragte er betont forsch. «Wir wollen endlich Ihren Boß sprechen», sagte Galeta. Wells hob die Schultern. «Er kommt bestimmt heute noch. Wir hatten das Lager als Treffpunkt ausgemacht. Sie haben ja darauf bestanden, hierher zu kommen. Jetzt müssen Sie eben warten. Ich kann schließlich Al-Awni keine Vorschriften machen.» Colosimo stocherte in seinen Zähnen herum. «Es ist ein bißchen langweilig hier. Gibt's eigentlich keine Frauen? Eine nette kleine Kneipe wäre auch nicht schlecht. Seit Jahren habe ich nicht mehr in solchen Verhältnissen gelebt. Da kriegt man ja Depressionen.» Annunzio nickte bestätigend. «Es gibt weiß Gott bessere Jobs als diesen.» Galeta runzelte die Stirn. «Regt euch nicht auf. Bis heute abend geben wir seinem Boß noch Zeit. Dann suchen wir ihn selbst.» Wells antwortete nicht darauf. Galeta klopfte die Karten auf den Tisch. «Ich halte den Plan, soweit ich ihn übersehen kann, für ziemlich riskant. Glaubt ihr wirklich, daß er klappt?» «Wir werden es sehen, wenn es soweit ist», meinte Wells.
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Die drei Mafiosi sahen sich an. Colosimos räusperte sich. «Ich glaube, wir sollten hier mal etwas stärker eingreifen. Schließlich müssen wir auch die Interessen unseres Arbeitgebers vertreten. Unser Boß hat es nämlich nicht gern, wenn etwas schief geht.» «Al-Awni ist überzeugt davon, daß der Plan gut ist», entgegnete Wells. «Ich werde dafür bezahlt, daß ich seine Anordnungen ausführe. Nicht mehr und nicht weniger. Euer Boß schert mich einen Dreck.» Gefährliche Stille senkte sich über den Raum. Galeta leckte sich über die Lippen, und seine Augen wurden schmal. Colosimos rechte Hand glitt zur Hüfte. «Stop!» befahl Galeta. «Wir reden später darüber.» Wells atmete aus. Er begriff, daß er sich zu weit vorgewagt hatte. Diese Kerle verstanden keinen Spaß, und er wußte nicht, ob er ihnen gewachsen war. Irgendwann würde er das feststellen, aber erst, wenn er seinen Job zu Ende gebracht hatte. Wells drehte sich abrupt um und verließ die Baracke. Die dumpfe Hitze spürte er kaum. Mit einer achtlosen Bewegung wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Er ging auf sein Zelt zu, denn jetzt brauchte er dringend einen Whisky. Zwei der Piloten erwarteten ihn. «Die beiden Kampfflugzeuge sind fertig. Wir haben inzwischen alle Maschinen aufgetankt und könnten zu einem Probeflug starten.» Wells winkte müde ab. «Macht, was ihr wollt. Ich habe heute keine Lust mehr, mich auch noch um die fliegerische Ausbildung unserer Truppe zu kümmern. Seht zu, daß die Maschinen startklar sind, wenn sie gebraucht werden. Alles andere interessiert mich nicht.» Er verschwand in seinem Ze lt und ließ sich auf dem Feldbett nieder, nachdem er das Moskitonetz beiseite geschoben hatte. In dieser Gegend gab es ohnehin keine Moskitos. Die beiden Piloten sahen sich erstaunt an, zuckten die Achseln und machten, daß sie zu ihrem Quartier kamen. Ihr Geld bekamen sie auch ohne Probeflug. -9 4 -
Auch die anderen Söldner hatten sich zerstreut, als sie merkten, daß für heute keine weiteren Anweisungen zu erwarten waren. Im Camp kehrte relative Ruhe ein. Nur eine kleine Abteilung trainierte noch, und eine andere Gruppe war damit beschäftigt, Munitionskisten im Depot aufzustapeln. Es war die Ruhe vor dem Sturm. *** Franco Solo hatte angehalten und parkte im Schatten einer riesigen Pinie, deren breite Krone die Sonnenstrahlen abhielt. Er war jetzt schon mehrere Stunden gefahren und wollte sich und dem Wagen eine kleine Pause gönnen. Er spürte, daß er müde wurde. Franco zog die Karte heraus und stellte fest, wo er sich befand. Er war überraschend gut vorangekommen, denn die Straße befand sich in einem besseren Zustand, als er vermutet hatte. Er fuhr mit dem Finger über die Karte. Bis Ouarzazate, seinem nächsten Ziel, waren es nur noch dreißig Kilometer. Danach mußte er sich in westlicher Richtung halten. Ouarzazate war ursprünglich ein Militärstützpunkt und lag auf einer Hochebene. Der Ort war mittlerweile ein Touristenzentrum geworden, da die Landschaft in der Umgebung außerordentlich eindrucksvoll war. Franco befand sich auf der richtigen Spur. Irgendwo in der Einöde mußte das gesuchte Ziel liegen, südlich des kleinen Ortes Skoura, der an der Straße lag, die sich am Südhang des Hohen Atlas hinzog. Straßen waren in diesem Gelände nicht verzeichnet. Franco hoffte, daß sein Renault nicht unter ihm zusammenbrach. Er faltete die Karte wieder zusammen und startete den Motor wieder. Er mußte versuchen, noch eine möglichst große Strecke zu schaffen, ehe ihn die Dunkelheit einholte. Bei diesen Straßenverhältnissen war eine Nachtfahrt viel zu riskant. Er hatte keine Lust, seine Fahrt durch einen Achsenbruch in einem Schlagloch vorzeitig zu beenden. -9 5 -
Er fuhr trotzdem langsam. Auf der Straße war nur wenig Verkehr. Einmal überholte ihn ein Wagen mit französischer Nummer, sonst waren hauptsächlich klapprige Lastwagen und Esel oder Maultiere unterwegs. Durch Ouarzazate fuhr er rasch durch. In Skoura wollte er übernachten, das konnte er gerade noch schaffen. Der kleine Ort lag in einem riesigen Palmenhain. Die großen, schlanken Bäume trugen zahlreiche Dattelstauden. Im Ort herrschte lebhaftes Treiben. Jetzt gegen Abend begann das Leben erst. Die älteren Männer saßen in den Cafés und diskutierten, andere trieben die Tiere in die Ställe, Frauen machten ihre Einkäufe. Durch die farbenfrohen Kaftane wirkte das Straßenbild sehr bunt. Franco fuhr bis zur Ortsmitte, wo es sogar ein Hotel gab. Er fuhr neben den Eingang und stellte den Motor ab. Einige Kinder kamen näher und betrachteten fachmännisch das Auto. Franco wuchtete seinen Koffer aus dem Wagen, zog den Zündschlüssel ab und sah nach, ob er irgend etwas vergessen hatte. Dann schloß er sorgfältig die Türen ab und stieg leise pfeifend die Stufen zum Hoteleingang empor. Es war nicht gerade das, was man sich unter einem Luxushotel vorstellte, aber für eine Nacht mußte es reichen. Vermutlich war es sogar das beste Haus am Platz. Der junge Mann hinter dem Empfangstresen ließ seine Zeitung sinken und sah ihm neugierig entgegen. Dann sprang er auf und winkte einen kleinen Jungen heran, der Franco den Koffer aus der Hand riß. Es schien nicht viele Gäste zu geben. Franco verlangte ein Zimmer mit Dusche und füllte den Meldezettel aus. Der geforderte Preis war unverschämt, aber er hatte keine Lust zu diskutieren. Sein Zimmer lag im ersten Stock und war so stickig, als sei es noch nie gelüftet worden. Er riß das Fenster auf - und machte es sofort wieder zu, als ein Schwarm Ungeziefer hereindrang. Er brauchte gut zehn Minuten, bis er das lästige Viehzeug erlegt hatte. Dann inspizierte er das Bett. Es knarrte bei der
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geringsten Berührung und sah aus, als sei es von den ersten Afrikaforschern bereits mitgebracht worden. Die Dusche war durch einen Vorhang vom restlichen Zimmer getrennt. Es dauerte ein paar Minuten, bis er herausgefunden hatte, wie sie zu bedienen war. Trotzdem kam das Wasser nur tröpfchenweise. Er fluchte leise vor sich hin und spülte den Staub herunter, so gut es ging. Einigermaßen erfrischt, begab er sich wieder nach unten, denn er verspürte ein beträchtliches Hungergefühl. Im Speiseraum war er der einzige Gast. Eine Speisekarte gab es nicht, aber der Koch erschien höchstpersönlich und versprach ihm unter vielen Gesten, ganz besondere Köstlichkeiten herzustellen. Franco lehnte sich zurück und versuchte, den Geruch nach altem Hammelfett zu verdrängen. Wenig später erschien der Koch mit einigen dampfenden Schüsseln. Es gab Hammelfleisch am Spieß und das unvermeidliche Kuskus. Es war nicht gerade ungenießbar, aber für einen empfindlichen Magen wäre es doch eine ziemliche Zumutung gewesen. Hinterher gab es klebrige Süßigkeiten und einen sehr starken Kaffee. Immerhin, Franco war satt, aber nochmals würde er diese Gastlichkeit nicht in Anspruch nehmen wollen. Franco bezahlte die gesalzene Rechnung, die mindestens das Dreifache dessen betrug, was vermutlich ein Einheimischer zu bezahlen hatte, aber das war hier eben üblich. Er legte sogar noch ein ordentliches Trinkgeld in die schmutzige Hand des Wirtes, denn das wurde von einem Ausländer erwartet. Danach ging er wieder in sein Zimmer und klappte den Kurzwellensender aus dem Koffer. Die Verbindung war viel schlechter als beim letzten Mal, denn zwischen ihm und Colonel Warner befand sich der Hohe Atlas. Er erkundigte sich, ob es neue Informationen gäbe und gab einen kurzen Informationsbericht durch. Auf die Antwort brauchte er nicht lange zu warten. Sie war kurz und eindeutig und besagte, daß die Nachforschungen betreff Herkunft und Zielort des Frachters «Libertad» mit Hochdruck -9 7 -
betrieben würde und daß für Franco immer noch die höchste Dringlichkeitsstufe gelte. Es war also alles wie gehabt. Franco verstaute das Gerät wieder und trat ans Fenster, das auf den Hauptplatz des Dorfes führte. Eigentlich betrachtete er nur sinnend die Gegend, um sich auf seine Gedanken zu konzentrieren, deshalb dauerte es ein paar Sekunden, bis sein Gehirn die optische Information verarbeitet hatte. Dann aber durchzuckte es ihn wie von einem elektrischen Schlag. Er sah noch einmal genauer hin, aber es war kein Zweifel möglich. Auf der anderen Straßenseite spazierte ganz gemächlich seine Kneipenbekanntschaft aus dem Club Les Almohades: der englische Söldner Cory. Er war begleitet von zwei weiteren Weißen, die wie er khakifarbene Anzüge trugen. Die Anzüge hatten die merkwürdige Ähnlichkeit mit einer Uniform. Waffen waren allerdings nicht zu sehen. Die drei schlenderten zielgerecht auf ein Etablissement zu, das offenbar auch Alkoholika ausschenkte - keine Selbstverständlichkeit in diesem strenggläubigen Land. Franco wartete, bis die drei in dem Lokal verschwunden waren, dann hastete er die Treppen hinunter, nachdem er sich vergewissert hatte, daß er seine Waffe bei sich trug. Ein unwahrscheinlicher Glücksfall hatte ihm wieder einmal weitergeholfen. Die Sonne war inzwischen untergegangen, und es wurde sehr rasch dunkel. Eine nennenswerte Straßenbeleuchtung gab es natürlich nicht, so daß Franco Solo sich allein auf die Schärfe seiner Augen verlassen mußte. Die drei waren noch in dem Laden. Er baute sich gegenüber auf und beobachtete den Eingang. Im Inneren waren nur schattenhafte Bewegungen zu erkennen. Dann wurde plötzlich der Vorhang aus bunten Plastikstreifen beiseite geschoben, und Cory erschien im Eingang. Im Arm trug er eine große Papiertüte. Die anderen beiden folgten ihm, ebenfalls mit Tüten beladen. Die drei hatten offensichtlich ihren
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Einkaufstag. Sie lachten schallend und schienen an nichts Böses zu denken. Sie wandten sich nach rechts und gingen die Dorfstraße hinunter. Franco folgte ihnen in geringem Abstand. Sie bogen in eine winzige Seitenstraße ein. Franco beschleunigte seine Schritte und blickte vorsichtig um die Ecke. Etwa hundert Yard weiter stand ein unbeleuchteter Jeep. Von den drei Männern war nichts zu sehen. Langsam ging er weiter, dicht neben der Lehmmauer eines langgestreckten Gebäudes. Die Bewegung erkannte er gerade noch aus den Augenwinkeln, aber er konnte nicht mehr ausweichen. Der kraftvolle Hieb erwischte ihn seitlich am Kopf und schleuderte ihn zwei Schritte zurück. Wie Schemen tauchten plötzlich die drei Söldner rings um ihn auf. Sie hatten die Verfolgung offenbar doch bemerkt und ihm in einem schmalen Hauseingang aufgelauert. Es war so dunkel, daß er die Gesichter nicht erkennen konnte. Und dann mußte er sich wehren. Franco wußte, daß er es mit Profis, mit harten Burschen, zu tun hatte. Es ging um sein Leben. «Was soll das?» rief er in dem Versuch, alles als harmlosen Spaziergang hinzustellen. Einer lachte rauh auf. «Wir merken, wenn man uns verfolgt. Und das haben wir gar nicht gern. Wir werden dich erst auseinandernehmen und dann befragen.» Der nächste Angriff kam nicht so überraschend, wie er geplant war. Franco blockte den Schlag ab und konterte mit einer rechten Geraden. Er hatte so viel Wucht in den Konterschlag gelegt, daß er die Abwehr seines Gegners glatt durchbrach und ihn voll in die kurzen Rippen traf. Der Mann taumelte stöhnend zurück. Franco hatte jedoch keine Zeit, sich des Erfolges zu erfreuen. Der zweite versuchte einen gefährlichen Fußtritt anzubringen. Franco warf sich nach vorn, packte den hochgerissenen Fuß
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und drehte ihn ruckartig herum. Brüllend stürzte der Söldner in den Staub. Ein gewaltiger Fausthieb warf Franco zur Seite. Der dritte Mann hatte in die Auseinandersetzung eingegriffen. Franco wich ein Stück zurück. Rote Ringe kreisten vor seinen Augen. Er wußte, daß er diesen Kampf gegen drei erfahrene Männer nicht lange durchstehen konnte. Er wollte die Pistole ziehen, schaffte es aber nicht ganz. Schon warfen sich die ersten beiden Söldner wieder auf ihn. Die nächsten Sekunden waren ein Wirbel von Fäusten, Füßen und keuchenden Lauten. Endlich gelang Franco ein Befreiungsschlag. Sein rechter Ellenbogen zuckte nach oben und traf einen der Männer präzise auf den Punkt. Der Angreifer verdrehte die Augen und sank lautlos zusammen. Das verschaffte Franco Luft. Sofort nutzte er seine Chance, fintierte - und dann hatte es den zweiten erwischt, so daß er in den nächsten Minuten außer Gefecht war. Blieb noch einer, und der hatte ein blinkendes Messer in der Hand. Franco war völlig erschöpft. Er wich an die Hauswand zurück und erwartete den Angriff. Seine Hand tastete wieder nach dem Pistolengriff. «Finger weg!» rief der andere leise. Es war Cory. Franco erkannte die Stimme eindeutig wieder. «Ich kann mit dem Messer ausgezeichnet umgehen und dich aufspießen, ehe du nur einmal Luft geholt hast.» Franco startete einen überraschenden Angriff. Schon hatte er Corys Messerhand gepackt, als er spürte, wie er langsam, aber sicher, an die Wand zurückgedrückt wurde. Seine Kräfte reichten nicht mehr für einen Gegner, der ihm normalerweise gleichkam. Die scharfe Klinge näherte sich seiner Kehle, und nur mit letzter Anstrengung konnte er den Arm in der Schwebe halten. Sie rangen verbissen und lautlos. Plötzlich spürte Franco, wie der Druck nachließ, ohne daß sich der Griff gelockert hätte. «Dich kenne ich doch», knurrte Cory.
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«Schon möglich», entgegnete Franco. «Die Welt ist verflucht klein. Man läuft sich immer wieder über den Weg.» «Agadir», murmelte Cory. «Natürlich. Du hast mir ein paar Drinks gegen meinen verdammten Durst spendiert. Das fand ich übrigens ziemlich anständig von dir.» «Dann verstehe ich nicht, daß du mich jetzt umbringen willst.» Cory lachte. «Ich werde hier für einen ganz bestimmten Job bezahlt, und der schließt ein, daß ich mir neugierige Verfolger vom Hals halte.» Franco überlegte fieberhaft nach einer Erklärung. «Ich gehöre doch praktisch zu euch. Im Grunde soll ich aufpassen, daß ihr hier nichts anstellt. Der Boß sieht es nicht so gern, wenn ihr euch allein außerhalb des Lagers bewegt. Du weißt doch so gut wie ich, daß die Geheimhaltung das Wichtigste ist.» Er starrte Cory in die Augen, um zu sehen, ob seine Ausrede glaubwürdig wirkte. Offensichtlich. Cory zog die Klinge ein Stückchen zurück und lockerte seinen Griff, so daß Franco wieder Atem holen konnte. Er warf einen raschen Blick zur Seite, wo die beiden anderen langsam wieder zu sich kamen. «Na, schön», sagte Cory. «Ich laß dich laufen, und damit sind wir quitt. Möglich, daß du die Wahrheit gesagt hast. Das werde ich nachprüfen. Wenn nicht, rate ich dir, mir nicht noch einmal über den Weg zu laufen. Dann hast du nur noch eine Chance: so schnell wie möglich diese Gegend zu verlassen. Wir haben ein paar clevere Jungs im Lager. Sie werden dich jagen, sie werden dich auch kriegen. Und dann hast du endgültig verspielt.» Cory senkte die Klinge und trat einen Schritt zurück. «Ich wünsche dir, daß wir uns nicht wiedersehen.» «Die Welt ist klein», meinte Franco und ging. *** Rico Galeta nagte auf seiner Unterlippe herum und starrte auf den Fetzen Papier, den er in der Hand hielt. Die krakelige -1 0 1 -
Schrift war kaum zu entziffern, aber der Inhalt war eindeutig. Und der Absender auch. «Gib mal her», befahl Colosimo und riß ihm den Zettel aus der Hand. Halblaut las er den Zettel: «Hütet euch vor dem Biß der Kobra. Die zweite Ladung ist eingetroffen. Aktion muß beschleunigt werden. Alle störenden Faktoren sind auszuschalten. Nach Erfolg Übernahme der Kontrolle.» Er sah Galeta ein wenig hilflos an und gab den Zettel an Annunzio weiter, der ihn ebenfalls noch einmal las. «Was soll das bedeuten, und woher hast du den Zettel?» «Einer der Söldner hat ihn mir vorhin in die Hand gedrückt. Der Zettel kommt von unserem Boß. Der erste Satz beweist es. Unser Stichwort heißt Kobra. Offenbar steht die Aktion kurz bevor.» Er zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch in die Luft. «Pavese will, daß wir jetzt darauf drängen, die Aktion zu beginnen. Wir haben freie Hand, die Leute auszuschalten, die unseren Plänen gefährlich werden könnten. Ich denke da zum Beispiel an diesen Frank Wells. Noch brauchen wir ihn, aber sobald er seinen Zweck erfüllt hat, wird er nicht mehr benötigt.» Colosimo und Annunzio nickten verständnisvoll. Schließlich hatten sie vorher gewußt, weshalb man Spezialisten wie sie einsetzte. «Und was heißt: nach Erfolg Übernahme der Kontrolle?» erkundigte sich Annunzio. Galeta grinste. «Das heißt, daß wir Mister Al-Awni nicht mehr aus den Augen lassen und dafür sorgen, daß er nichts tut, was gegen unsere Interessen ist. Don Pavese möchte nicht, daß wir in letzter Sekunde übers Ohr gehauen werden. Die ganze Aktion ist sehr wichtig für ihn und uns alle. Wenn alles klappt, werden wir es nicht zu bereuen haben.» «Und wenn nicht?» fragte Colosimo. «Auch darüber hat sich Don Pavese ganz eindeutig geäußert», erklärte Galeta hart.
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«Warum soll es nicht klappen», meinte Annunzio achselzuckend. «Wir können doch jetzt nur abwarten, bis der Putsch gelungen ist. Die Leute hier scheinen in dieser Beziehung ziemlich zuversichtlich zu sein. Wenn alles gelaufen ist, macht es uns doch keine Schwierigkeiten, diesen aufgeblasenen Marokkaner unter Kontrolle zu halten. Wir werden schon dafür sorgen, daß seine ganzen Spezialisten ihn nicht mehr unterstützen können.» Colosimo nickte. «So sehe ich es auch. Wir haben doch schon schwierigere Aufgaben gelöst.» «Ich wäre froh, wenn ich euren Optimismus hätte», entgegnete Galeta. In diesem Augenblick klopfte es an die Tür der Baracke. Sie sahen alle drei gleichzeitig hin, und Colosimo hatte nach alter Gewohnheit den Revolver schon halb aus dem Halfter. «Ja, bitte», rief Galeta. Einer der Söldner trat ins Zimmer. «Cory ist mein Name», sagte er und ließ einen abschätzenden Blick über die drei Mafiosi gleiten. «Mister Wells meinte, ich sollte mich gleich an Sie wenden, da Sie hier sozusagen die Abteilung Abwehr seien.» «Und worum geht's?» fragte Galeta. «Im nächsten Ort treibt sich ein Kerl herum, der sich offensichtlich sehr für unsere Angelegenheiten interessiert. Er ist mir schon zum zweiten Mal über den Weg gelaufen. Diesmal behauptete er, er gehöre zu uns und sei zur Überwachung eingeteilt. Wells sagte mir allerdings, daß es so etwas nicht gäbe - außer Ihnen natürlich.» Galeta nahm den letzten Halbsatz nicht zur Kenntnis. Er wußte ohnehin, daß die Söldner ihn nicht besonders leiden konnten. «Warum haben Sie den Kerl denn nicht gleich mitgebracht?» «Er wollte nicht.» «Was heißt: er wollte nicht?» «Er hat sich gewehrt. Zwei meiner Kumpel hat er zusammengeschlagen, und mich hat er mit einer Pistole bedroht. Wir dürfen ja keine Waffen dabei haben, wenn wir -1 0 3 -
nicht im Einsatz sind. Vielleicht haben wir noch Glück gehabt, daß er uns nicht gleich umgelegt hat.» «Wie sieht dieser Typ denn aus?» erkundigte sich Colosimo. «Ist kein besonders auffallender Typ. Groß, schlank, dunkle Haare, Mitte bis Ende Zwanzig. Sieht aus wie ein Südländer, spricht aber wie ein Amerikaner.» Die drei Mafioso sahen sich erstaunt an. «Danke», sagte Galeta. «Wir werden uns darum kümmern.» Cory verschwand ohne einen Gruß. «Könnte es sein, daß Don Pavese einen weiteren Mann eingesetzt hat?» brach Colosimo das Schweigen. Galeta schüttelte den Kopf. «Es ist zwar alles möglich, aber ich kann es mir einfach nicht vorstellen. Eine feindliche Familie kommt auch nicht in Frage, denn ich weiß, daß hinter diesem Projekt die gesamte Commissione steht. Wir müssen uns diesen Kerl ansehen.» Die beiden anderen nickten. Annunzio ließ seine Pistole in die Hand gleiten und überprüfte das Magazin. Dann lud er mit einer raschen Bewegung die Waffe durch. «Dann sollten wir keine Zeit mehr verlieren.» *** Franco Solo war schon sehr früh aufgestanden. Seine Sachen lagen bereits wieder im Kofferraum des Wagens. Er selbst saß noch im Hotel und schlürfte einen heißen und starken Kaffee. Er hatte sich vorgenommen, heute das Camp zu finden, um die Angelegenheit zu Ende zu bringen. Nachdem man ihn schon wieder entdeckt hatte, wurde die Zeit immer knapper. Daß er in der Nähe des geheimen Lagers war, bewies die Anwesenheit von Cory und seiner Kumpane. Die nächtliche Auseinandersetzung war zwar noch einmal gutgegangen, aber es war nicht auszuschließen, daß man ihn jetzt suchte.
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Franco trank den Kaffee aus und verließ das Hotel. Seine Rechnung hatte er schon bezahlt. Die Höhe des Trinkgeldes hatte sogar ein Lächeln auf das Gesicht des Wirtes gezaubert. Franco stieg in den Wagen und wollte gerade den Motor anlassen, als er die drei Typen bemerkte. Er hatte in der letzten Zeit einen solchen Instinkt dafür entwickelt, daß er sie auch auf größere Entfernung erkannt hätte. Sie suchten jemanden. Und dieser Jemand konnte eigentlich nur Franco Solo sein. Franco rutschte tiefer hinter das Steuer. Sie standen am anderen Ende des Platzes und sahen sich suchend um. Dann entdeckte einer von ihnen das Hotelschild und deutete mit dem Finger darauf. Sie setzten sich in Bewegung. Franco überlegte. In wenigen Minuten würden die drei wissen, daß der Mann, den sie suchten, eben erst das Hotel verlassen hatte. Eine Auseinandersetzung mit ihnen konnte er nicht riskieren, denn im Gegensatz zu den drei Söldnern vom Vorabend waren sie mit Sicherheit bewaffnet. Zwei der Typen verschwanden im Hotel, der dritte baute sich vor der Tür auf, keine zehn Schritte von Franco entfernt. Der Blick des Mannes ging in die Runde, fiel auf Francos Renault und blieb daran hängen. Er setzte sich in Bewegung und kam langsam näher. Franco beobachtete den Mann zwischen halb geschlossenen Augenlidern. Die Pistole hatte er längst in der Hand. Er tat so, als bemerke er den Mann nicht. Dann ging alles sehr rasch. Der Mann beugte sich zu der halb geöffneten Scheibe herunter und öffnete gerade den Mund, als Franco mit einem heftigen Ruck die Wagentür auf stieß. Es knallte dumpf, als das Blech den Mann traf. Franco war mit einem Satz aus dem Wagen und preßte dem Überraschten den Pistolenlauf in den Magen. «Einsteigen!» befahl er. «Aber schnell!» Der Mann zögerte und biß die Zähne zusammen. In diesem Augenblick kamen die beiden anderen aus dem Hotel. Sie begriffen sofort die Situation. -1 0 5 -
Franco schleuderte den Mann zur Seite, sprang hinter das Steuer und zündete den Motor. Er sprang glücklicherweise sofort an. Mit durchdrehenden Rädern startete er, eine Staubwolke hinter sich aufwirbelnd. Im Rückspiegel sah er, wie die drei Männer die Waffen zogen, aber dann doch nicht wagten zu schießen. Es waren zu viele Leute auf der Straße. Statt dessen rannten sie ein Stück zurück, wo sie ihren eigenen Wagen geparkt hatten. Die Verfolgung begann, und Franco war wieder einmal der Gejagte. Ein Zustand, der ihm mittlerweile schon vertraut war. Der schlechte Straßenzustand verbot schnelles Fahren. Hier brauchte eine Verfolgung auch nicht zu dicht erfolgen, denn die Wagen erkannte man an ihrer Staubfahne, die sie hinter sich herzogen. Der Renault rumpelte über die holperige Strecke, und die Federn quietschten unter der ungewohnten Belastung. Er hätte lieber einen Jeep nehmen sollen. Der andere Wagen hatte ein Stück aufgeholt. Jetzt sah Franco es deutlich: die anderen hatten einen Jeep! Das hieß, er konnte ihnen auf Dauer nicht entkommen, denn sein Wagen war dem Jeep in dieser Gegend deutlich unterlegen. Rechts und links erstreckte sich ein Palmenhain, dazwischen verstreut ein paar Hütten. Franco wartete, bis der Weg eine Biegung machte. Schleudernd brachte er den Wagen zum Stehen, brach dann seitlich durch die Büsche, rollte über eine kleine Bodenwelle und zog den Zündschlüssel ab. Sofort hörte er das Motorengeräusch des Jeeps deutlich, der gerade an der Stelle vorüberfuhr, an der er abgebogen war. Sekunden später quietschten die Bremsen. Der Jeep wendete. Franco nahm die Pistole in die Hand und sprang aus dem Wagen. Sie waren auf den Trick nicht hereingefallen. Rasch spurtete Solo zwischen den glatten Stämmen der Palmen tiefer in die hohen Gräser, die glücklicherweise hier wuchsen. Die Dornen stachliger Büsche ritzten ihm die Haut auf.
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Seitlich stand eine halb verfallene Lehmhütte, die aber zu wenig Schutz zu bieten schien. Es wäre illusorisch, zu glauben, daß eine dünne Lehmwand ein Neun-Millimeter-Geschoß abhielt. Er lief weiter. Der Boden stieg leicht an und wurde felsiger. Die Palmen wuchsen hier nur noch in größeren Abständen, dafür wurde das Gestrüpp dichter, das aber eine viel bessere Deckung bot. Vielleicht hatte er in diesem Gewirr eine Chance, den Verfolgern zu entkommen, die sich hier sicher auch nicht auskannten. Links von Franco stieg eine ausgewaschene Sandsteinwand ziemlich senkrecht in die Höhe. Vor ihm fiel das Gelände wieder ab. Dort gab es wenig Deckung. Er lief zu der Felswand, die noch am ehesten Verstecke zu bieten schien. Die dichten Dornbüsche, durchsetzt mit großen Agaven, schützten ihn zunächst vor direkter Sicht. Die Verfolger hatten sich getrennt. Er hörte ihre Stimmen von verschiedenen Seiten und die Geräusche, die sie machten. Es waren Stadtmenschen. Sie waren nicht in der Lage, sich geräuschlos durch die Wildnis zu bewegen. Trotzdem waren sie gefährlich. Franco zog sich zwischen zwei vorspringende Felsen zurück und wartete. Die drei Verfolger schienen sich ein Stück entfernt zu haben, aber plötzlich klang eine Stimme ganz in der Nähe auf: «Der Kerl muß hier irgendwo sein. Und wenn wir jeden Stein umdrehen, wir müssen ihn finden.» «Er muß bei den Felsen stecken», kam eine Antwort. Franco umklammerte die Pistole. Es war heiß, und Fliegen umschwirrten ihn. Ein leises, schleifendes Geräusch ließ ihn zusammenzucken. Er fuhr herum - und erstarrte. Zuletzt hatte er eine solche Schlange auf dem Platz der Gaukler in Marrakesch gesehen; eine Kobra. Das giftige Reptil lag zusammengerollt auf einem flachen Felsen, der von der Sonne beschienen war. Die Schlange hatte sich etwas aufgerichtet und wiegte ihren Kopf hin und her. Sie -1 0 7 -
befand sich etwa in Brusthöhe und war höchstens vierzig Zentimeter von ihm entfernt. Franco hatte sie in ihrer Ruhe gestört, und das mochten diese Tiere nicht. Franco hob die Pistole ein wenig, aber einen Schuß konnte er jetzt nicht riskieren. Dann hatte er drei Kerle auf dem Hals, die noch viel gefährlicher als eine Giftschlange waren. Der Hals der Kobra blähte sich, die gespaltene Zunge fuhr durch die Luft. Franco hielt den Atem an. Er wußte, daß die Schlange bei der geringsten Bewegung zustoßen konnte. Der Schweiß lief ihm über den Rücken, und er bohrte seinen Blick in die kalten Augen der Schlange, als könnte er sie damit hypnotisieren. Vorsichtig öffnete Franco seine linke Hand. Jetzt kam es darauf an, wer schneller war: er oder die Kobra. Er hatte bei dem Schlangenbeschwörer genau darauf geachtet, wo er seine Schlangen festhielt. Er hatte keine Wahl, er mußte die gleiche Stelle treffen - und er hatte nur einen Versuch. Ohne noch länger zu überlegen, schoß seine Hand nach vorn, krallte sich unmittelbar hinter dem Kopf um den Schlangenleib und drückte zu. Sofort geriet die Kobra in wilde Zuckungen. Mit aufgerissenem Rachen versuchte sie, sich aus dem Griff zu winden. Franco hatte vorher nicht gewußt, welche Kraft in dem vergleichsweise kleinen Körper steckte. Aber jetzt durfte er nicht mehr loslassen, denn dann hätte die Kobra sofort zugebissen, und er wußte, daß ihr Biß ohne sofortiges Gegenmittel tödlich war. Er hob die Hand und schmetterte den Kopf der Kobra mit Wucht gegen den Felsen. Einmal, noch einmal und noch einmal. Unkontrollierte Zuckungen liefen durch den Schlangenleib, angeekelt schleuderte Franco den Körper von sich. Dann erst kam die Reaktion. Er lehnte sich gegen die Felsen und atmete tief durch. In fast jedem Menschen steckte eine tief verwurzelte Abscheu vor Schlangen und anderen Reptilien, die mit Logik nicht zu erklären war. Auch Franco Solo konnte sich von dieser Abneigung nicht ganz frei machen. -1 0 8 -
Doch noch war die Gefahr nicht vorüber. Die Auseinandersetzung mit den tödlichen Zweibeinern war noch nicht entschieden. Schräg über sich hörte er Geräusche. Er blickte nach oben und sie sahen sich gleichzeitig. Francos Reaktion war den Bruchteil einer Sekunde schneller. Die beiden Schüsse fielen fast gleichzeitig, aber Franco hatte sich hoch ein winziges Stück zur Seite werfen können, so daß die gegnerische Kugel nur den Felsen traf und als Querschläger durch die Luft pfiff. Auch Franco hatte natürlich nicht richtig zielen können, aber sein Schuß traf trotzdem. Der andere wurde halb herumgeworfen und verschwand mit einem Aufschrei hinter dem Felsen. «Das werde ich dir heimzahlen!» schrie er gleich darauf wütend. Franco achtete nicht weiter auf die Drohung. Rasch verließ er sein Versteck und bewegte sich im Schutze der Felswand wieder in die Richtung, aus der er gekommen war. Rechts von sich hörte er ebenfalls jemanden durch die Büsche brechen. «Was ist passiert?» schrie eine andere Stimme. «Der verdammte Hund hat mich erwischt!» brüllte der Angeschossene zurück. «Haltet ihn auf, er haut ab!» Franco schlug einen Haken und kauerte sich hinter einen niedrigen Erdwall. Dann sah er den zweiten Gegner. Er hielt eine große Armeepistole in der Hand und fuchtelte damit ziellos in der Gegend herum. Noch schien er nicht zu wissen, wo er Franco suchen sollte. Dann verschwand der Mann hinter Baumstämmen und bewegte sich anscheinend auf die Felswand zu. Franco sprang auf und lief weiter. Jetzt hielt er sich genau in Richtung seines Wagens. Er keuchte von dem schnellen Lauf, hatte aber bald den Rand des Palmenhains erreicht. Wenige Schritte weiter stand der Jeep, nur halb vom Weg heruntergefahren. Die Frontscheibe -1 0 9 -
war nach vorn geklappt, und der Zündschlüssel fehlte. Vor dem Beifahrersitz lag ein marokkanischer Dolch, mit reich verziertem Griff und leicht gebogener Klinge. Franco schnappte sich die Waffe mit raschem Griff, ging nach vorn und rammte die spitze Klinge mit aller Kraft in den rechten Vorderreifen. Zischend entwich die Luft. Solo versuchte, den Dolch wieder herauszuziehen, aber es gelang ihm nicht gleich. Er hatte auch nicht Zeit, sich lange damit abzumühen und ließ ihn einfach stecken. Er lief zu seinem eigenen Wagen und startete den Motor. Die Räder wühlten sich in den Sand, faßten dann aber, und er fuhr auf den Weg hinaus. Vermutlich hörten die drei Gangster seinen Wagen, aber das war nicht zu ändern. Bevor sie ihn weiter verfolgen konnten, mußten sie erst den Reifen wechseln. Das verschaffte Franco den Abstand, den er brauchte, denn jetzt hatte er die Absicht, den Spieß umzudrehen und zur Abwechslung einmal zum Verfolger zu werden. Er fuhr nicht sehr weit, bis er ein Versteck gefunden hatte, was ihm geeignet schien. Jetzt konnte er nur noch hoffen, daß der Jeep hier auch vorbeikam. Es war anzunehmen, denn er überzeugte sich auf der Karte davon, daß dieser Weg auf die Straße nach Ouarzazate führte, und in dieser Richtung lag das Camp sicher nicht. Er brauchte gar nicht lange zu warten. Die langgezogene Mauer, die einen Obstgarten umgab und hinter der er sich versteckt hatte, bot ausgezeichneten Schutz. Er hatte sich auf einen Stein gestellt und konnte gerade über die Mauer hinwegsehen. Er hörte das Geräusch des Jeeps, bevor er ihn sah. Der Wagen fuhr so dicht an ihm vorbei, daß er ihn fast berühren konnte. Die drei Figuren sahen ziemlich mißmutig in die Gegend. Einer von ihnen hatte einen provisorischen Verband um den linken Oberarm gewickelt. Sie unterhielten sich mit grimmigen Gesichtern, aber Franco konnte in der kurzen Zeit des Vorüberfahrens nur Bruchstücke hören, die keinen Sinn ergaben. Er kletterte in den Renault und
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wartete noch ein paar Sekunden, bis er die Verfolgung aufnahm. Noch vor dem Ort, in dem Franco übernachtet hatte, bogen die drei in einen weiteren Feldweg ein. Franco hielt großen Abstand. Die Staubfahne, die der Jeep hinter sich herzog, verriet ihm die Richtung. Der Weg schlängelte sich ein ganzes Stück zwischen einer niedrigen Hügelkette hindurch, kreuzte einen schmalen Bachlauf und stieg dann leicht an. Die Gegend wurde kahler und steiniger. Sie erreichten eine wellige Ebene, an deren rechter Begrenzung steile Felsen emporstiegen. Franco vergrößerte den Abstand noch mehr, denn er wollte nicht riskieren, daß man ihn wieder entdeckte. Sie fuhren eine gute halbe Stunde an der Felsenkette entlang. Der Weg war in eine Schotterpiste übergegangen, die für den Renault nicht einfach zu bewältigen war. Die Piste war von Lastwagenreifen ausgefahren, ein weiteres Indiz dafür, daß sie sich dem Camp näherten - denn wohin sonst sollten in dieser Einöde schwer beladene Lastwagen fahren? Es ging immer noch leicht aufwärts. Die Vegetation wurde immer spärlicher, und Franco lag mindestens einen halben Kilometer zurück. Der Jeep bog plötzlich ab und holperte auf die Felswand zu. Franco bremste und wartete ab. Eine Bodenwelle schützte ihn vor allzu direkter Sicht. Dann verschwand der Jeep zwischen den Felsen. Franco fuhr weiter, bis er den Einschnitt erreicht hatte, in dem der Jeep verschwunden war. Eine schmale Felsrampe, die mit Geröll übersät war, führte hinauf. Er stellte den Wagen ab und ging zunächst zu Fuß weiter. Seine Vorsicht war diesmal unbegründet, denn die Gegend sah nicht viel anders aus. Auch hier befand sich eine Hochebene wie in einem Kessel zwischen den steilen Gebirgszügen. Allerdings hatte die Ebene riesige Ausmaße. Sie war auch nicht ganz eben, sondern von zahlreichen Hügeln durchzogen. Die Fahrspuren der Lastwagen führten mitten hinein.
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Franco ging zum Wagen zurück und fuhr weiter, jetzt allerdings mit noch größerer Vorsicht. Wenn er sich tatsächlich dem Camp näherte, war damit zu rechnen, daß er auf Wachen stieß. Rechts und links wuchsen knorrige Bäume, die er nicht kannte. Kein Mensch war zu sehen, noch nicht einmal eine Ziege oder ein Esel. Diese Ebene schien unbewohnt zu sein. Der Boden sah auch nicht gerade besonders fruchtbar aus. Nach einer weiteren Viertelstunde Fahrt hörte er plötzlich Geräusche vor sich, die ihm bekannt vorkamen. Er hielt an, stellte den Motor ab und lauschte. Jetzt hörte er es deutlich: Schüsse - ganze Salven. Er war zwar noch ein ganzes Stück entfernt, aber die Gefahr einer Entdeckung wuchs mit jeder Minute. Er wagte es, noch ein Stück weiterzufahren, bis das Schießen so laut wurde, daß er in unmittelbarer Nähe der Schützen sein mußte. Eine kleine Gruppe von Pinien und Zypressen schien ihm als Versteck für den Wagen geeignet. Er fuhr den Renault zwischen die Bäume, so weit es eben ging, und stieg aus. In aller Ruhe traf er jetzt seine Vorbereitungen. Als er fertig war, hätte ihm wirklich niemand mehr den Touristen abgenommen. Seine leichte Sommerkleidung hatte er mit einer Art Kampfanzug vertauscht, der in seiner Farbe gut zum Gelände paßte. Seine Pistole versenkte er in einer der großen Taschen am Oberschenkel. Am Gürtel hing ein rasiermesserscharfes Vielzweckmesser in einer ledernen Scheide. Auf dem Rücken trug er einen olivfarbenen Leinenbeutel, der dem Sturmgepäck der amerikanischen Soldaten äußerst ähnlich sah. Darin beförderte er das Wichtigste: den Kurzwellensender sowie Proviant und Wasser. Er überlegte ein letztes Mal, ob er auch nichts vergessen hatte, dann setzte er sich in Bewegung. Vor ihm lag eine fast savannenähnliche Landschaft. Hohes Gras wogte unter einem leichten Windhauch. Vereinzelte Baumgruppen und niedriges Buschwerk lockerten das Gelände auf. Er hatte den Eindruck, als ob sich sogar das Klima geändert hätte, aber das lag wohl nur an dem plötzlich aufgekommenen Wind, der die drückende Hitze ein wenig -1 1 2 -
milderte. Das hohe Gras bot einen ausgezeichneten Schutz gegen Beobachter. Trotzdem pirschte sich Franco Solo mit aller Vorsicht weiter. Das Knattern von Schüssen drang immer noch herüber, war aber schwächer geworden. Hin und wieder rollte die Salve einer Maschinenwaffe dazwischen, oder das hellere Peitschen von Revolverschüssen war zu hören. Plötzlich endete das hohe Gras. Der Boden wurde wieder steiniger und fiel leicht ab. Einige verkrüppelte Bäume versperrten die Sicht. Franco duckte sich noch tiefer und schlich weiter vorwärts. Stimmenfetzen zu seiner Rechten ließen ihn bewegungslos erstarren. Offensichtlich war er gerade an einem Wachtposten vorbeigelaufen. Es waren mindestens zwei oder drei. Sie sprachen arabisch, und er konnte kein Wort verstehen. Sehen konnte er sie ebenfalls nicht, und er war auch gar nicht scharf darauf. Lautlos entfernte er sich von der gefährlichen Nachbarschaft, bis ihm die Entfernung groß genug schien. Dann schlug er wieder seine ursprüngliche Richtung ein. Und plötzlich sah er alles vor sich! Keine dreihundert Yard entfernt befand sich eine Reihe Baracken, die ziemlich primitiv zusammengehauen waren. Es handelte sich um große Hütten. Dazwischen waren größere und kleinere Zelte errichtet, das Schöpfwerk eines Brunnens sowie zahlreiche Schutzdächer für Fahrzeuge, die mit Tarnnetzen gegen Sicht nach oben abgedeckt waren. Zwischen den Baracken und Zelten wimmelten zahlreiche Menschen herum, in der Mehrzahl Araber. Franco förderte aus seinem Gepäck ein kleines, aber starkes Fernglas hervor und verschaffte sich einen gründlichen Überblick. Zuerst wollte er seinen Augen nicht trauen, als er die Leitwerke einiger Flugzeuge hinter den Baracken erkannte. Den Typ konnte er zwar nicht erkennen, es schien sich aber nicht um die neuesten Modelle zu handeln. Lastwagen und Jeeps gab es in größerer Menge.
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Unter einem offenen Schutzdach sah er vier Panzerwagen, Halbkettenfahrzeuge, die nur mit Maschinengewehren bewaffnet waren. Franco Solo hatte das geheime Camp gefunden. Die Frage war nur, was er jetzt tun sollte. Seine Anweisungen waren zwar klar und eindeutig, aber er hatte noch keine Ahnung, wie er sie ausführen sollte. Zunächst einmal brauchte er gründliche Informationen. Er zählte die Unterkünfte und kam zu dem Schluß, daß dieses Lager einige hundert Mann beherbergte. Er konnte es schwerlich mit allen aufnehmen. Einige Baracken standen abseits und hatten keine Fensteröffnungen. Das waren vermutlich die Lagerräume für Waffen und Munition. Franco merkte sich ihre Position genau. Ein Stückchen weiter befand sich die Rollbahn. Das Schießen hatte inzwischen aufgehört, und ein Trupp Araber kam in leidlicher Ordnung ins Lager marschiert. Jetzt erst erkannte Franco, daß auch einige Weiße sich im Camp aufhielten. Das waren offenbar die angeheuerten Söldner wie Cory, die Profis des Krieges. Die Sonne knallte unbarmherzig auf die Ebene, und Franco war bereits wieder in Schweiß gebadet. Mit der Hand verjagte er die Mücken. Er dachte an eine kühle Dusche, ein eiskaltes Getränk und ein klimatisiertes Zimmer. Wenn alles überstanden war, wollte er sich diese drei Dinge als erstes gönnen. Aber noch war die Erfüllung des Wunschtraums weit. Er beschloß, das Lager zu umgehen, um einmal aus der Nähe des Anfahrtweges zu kommen und zum anderen in die Nähe der Flugzeuge zu gelangen. Er wollte sich die Maschinen näher ansehen, denn langsam formte sich in ihm ein Plan. Geduckt huschte er von Deckung zu Deckung, bis er eine dichte Baumgruppe erreicht hatte, in deren Schutz er ein ganzes Stück näher an das Lager herangekommen war. Keine hundert Yard trennten ihn von der nächsten Hütte. Er kletterte auf einen verkrüppelten Baum, um von dort einen besseren
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Überblick zu haben. Als er einen Ast beiseite schob, hatte er ungehindertes Sichtfeld. «Das darf doch nicht wahr sein», murmelte er vor sich hin, als er die Flugzeuge aus der Nähe sah. Die Maschinen sahen eher aus, als gehörten sie in ein Luftfahrtmuseum. Aber diese hier sollten noch geflogen werden, was man aus der Tätigkeit einiger Mechaniker entnehmen konnte, die an den Maschinen herumbastelten. Der Grumman-Bomber schien sogar startklar zu sein. Unter den Tragflächen hingen Bomben. Es war zwar nicht zu glauben, aber es sah so aus, als planten die Rebellen einen Bombenangriff. Franco dachte nach. Der Plan war verwegen, aber er konnte klappen, wenn das Glück auf seiner Seite war. Und Colonel Warner würde zu seinem Feuerwerk kommen. Franco kletterte von seinem Baum herunter, um den Erkundungsgang fortzusetzen. Er mußte sich möglichst viele Einzelheiten einprägen. An die Flugzeuge kam er im Augenblick ohnehin nicht heran. Er wäre von etwa hundert Mann sofort entdeckt worden. Das waren doch zu viele. *** Mohammed Al-Awni sprang aus dem Jeep und eilte auf das Zelt zu. Frank Wells riß erstaunt die Augen auf und setzte rasch das Whisky-Glas ab. Al-Awni ließ sich in einen Klappstuhl sinken und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Den korrekten Anzug, den er sonst immer trug, hatte er mit einer Art Kampfanzug vertauscht. «Es ist soweit», sagte er. «Ich habe mit meinen Freunden die letzten Einzelheiten geklärt. Morgen abend werden unsere Einheiten das Lager verlassen und ihre Einsatzräume besetzen. Das restliche Material ist unterwegs, so daß wir genügend Transportkapazität haben.» «Ist mir recht, wenn's endlich losgeht», meinte Wells. «Mit dem Lagerleben habe ich mich noch nie so recht anfreunden -1 1 5 -
können. Ich hoffe nur, daß der Ausbildungsstand unserer Leute ausreicht.» «Dafür habe ich schließlich Sie und Ihre Kollegen engagiert», entgegnete Al-Awni. «Wenn Ihre Leute die Nerven behalten, ziehen auch die anderen mit. Aber Sie müssen die Truppe fest im Griff haben.» Wells grinste. «Da die Bezahlung gut ist, werden Sie sich auch über die Leistung nicht beklagen müssen.» «Na schön, ich verlasse mich auf Sie. Die Befehle kennen Sie. Unser Plan bleibt, wie er war. Ich wollte keine Änderungen in letzter Sekunde einbauen, und sie sind auch nicht notwendig. Aber nun etwas anderes. Was machen unsere Freunde aus den Staaten?» «Es sind drei Typen angekommen, die ich für ziemlich gefährliche Gangster halte. Die drei sind schon ganz scharf drauf, Sie endlich zu sehen. Ich habe versucht, sie im Norden zu lassen, aber sie haben darauf bestanden, mit ins Camp zu kommen.» Al-Awni zuckte mit den Achseln. «Man kann sich seine Freunde nicht immer aussuchen. Noch brauchen wir sie, aber der Zeitpunkt wird kommen, an dem wir sie nicht mehr benötigen. Sobald wir die Macht haben, werden wir uns um diesen Fall kümmern. Ich werde mich auf keinen Fall von amerikanischen Gangstern erpressen lassen.» «Sie haben doch ein Abkommen mit den Leuten.» «Na und? Wer sagt, daß ich mich daran halte.» Wells grinste befriedigt. «Das gefällt mir gut. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dann mir den Fall zur Erledigung überließen.» «Wenn Sie wollen, bitte.» «Noch eine Frage. Sie sagten vorhin, daß die Materiallieferung unterwegs ist. Wann werden die Wagen kommen?» Al-Awni sah auf seine Uhr. «Mein Jeep hat die Lastwagen überholt. Ich denke, daß sie in spätestens einer Stunde hier sein werden. Wir haben noch genügend Zeit, Waffen und Munition zu verteilen.» -1 1 6 -
«Ich werde mich darum kümmern», sagte Wells. *** Franco Solo hockte wieder hinter einem Baum und blinzelte mit zusammengekniffenen Augen über die Ebene. Ein Konvoi von Lastwagen war dort drüben sichtbar geworden und steuerte auf das Lager zu. Die LKWs schienen schon sehnsüchtig erwartet zu werden, denn sie wurden das letzte Stück von einer jubelnden Gruppe Araber begleitet. Franco konnte sich denken, was die Wagen geladen hatten. Die «Libertad» war offensichtlich unbehelligt gelandet und hatte ihre gefährliche Fracht gelöscht. Wenig später erkannte er, daß seine Vermutung richtig war. Seine Position war gut gewählt, und er konnte in aller Ruhe zusehen, wie die Lastwagen entladen wurden. Die meisten Dinge waren in Kisten gepackt, und er hatte keine Ahnung, was sie im einzelnen enthielten. Mit seinem Fernglas registrierte er jedoch alles andere. Zerlegte Flakgeschütze, schwere Zwillingsmaschinengewehre, die man auf Jeeps aufmontieren konnte, einige leichte Panzerwagen und anderes Kriegsgerät. Dann fesselte etwas anderes seine Aufmerksamkeit. Eine Gruppe Weißer war hinzugekommen und überwachte das Abladen. Er mußte unbedingt näher heran, um die Leute zu erkennen. In seiner Nähe befand sich niemand, da die meisten Leute um die Wagen wimmelten. Vorsichtig robbte sich Franco näher heran. Die Baracken, die ihm schon vorher aufgefallen waren, dienten tatsächlich als Arsenal. Das ganze Kriegsmaterial wurde in diese etwas abseits stehenden Hütten geschafft. Ein Laut in seiner Nähe ließ ihn zur Bewegungslosigkeit erstarren. Eine bewaffnete Streife näherte sich. Franco hatte sich schon gewundert, daß er bisher noch keine Wachen entdeckt hatte, bis er bemerkte, daß Patrouillen von drei oder vier Mann das Camp in weitem Abstand umkreisten. Bisher -1 1 7 -
hatte er Glück gehabt, daß man ihn nicht entdeckte, aber das war kein Grund, leichtsinnig zu werden. Die Patrouille war vorbei. Die Gesprächsfetzen verklangen in der Ferne. Er blieb aber noch ein paar Sekunden in voller Deckung, bis er sicher war, daß nicht etwa ein Nachzügler hinterher kam. Das Schlimme war, daß diese Streifen offenbar keinen festen Weg hatten und ziemlich unberechenbar durch das Gelände marschierten. Franco schob sich weiter vorwärts. Immer wieder setzten sich Insekten auf seine Haut, die an seinem Blut interessiert zu sein schienen. An ein Mittel zum Einreihen hatte er natürlich nicht gedacht. Eine Abwehr konnte er nur mit der flachen Hand versuchen. Das war aber in unmittelbarer Nähe seiner Gegner unmöglich, denn das Geräusch hätte ihn verraten. Als er nur noch zehn Yard von der letzten Hütte entfernt war, ging es nicht mehr weiter. Der übrige Raum war durch Fahrzeuge plattgewalzt oder teilweise niedergebrannt worden. Er hätte sich völlig ungeschützt bewegen müssen, und das war am hellen Tage zu riskant. Er mußte bis zum Einbruch der Dunkelheit warten, ehe er dem Depot einen Besuch abstatten konnte. Vielleicht gelang es ihm, dort einigen Schaden anzurichten. Immerhin sah er jetzt deutlicher, was bei der Entladung der Lastwagen vor sich ging. Franco wunderte sich, wieso so ein großer Konvoi ungehindert durch das Land fahren konnte. Aber wahrscheinlich ließ sich mit Bestechung manches Auge zudrücken. Die weißen Söldner standen herum und sahen den Arabern bei der Arbeit zu. Franco hatte sich nicht getäuscht. Frank Wells war auch dabei. Er machte ein steinernes Gesicht und nagte auf seiner Unterlippe. Und dann entdeckte Franco alle seine anderen Freunde. AlAwni, der Chef der Truppe, wippte auf den Zehenspitzen und strahlte über das ganze Gesicht. Offensichtlich fühlte er sich der Erfüllung seines Traumes deutlich näher.
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Cory, der Söldner, stand auch dabei, mitten in einer Gruppe anderer Weißer. Und dann waren da noch die drei Typen, mit denen Franco seinen letzten Zusammenstoß hatte. Sie hielten sich abseits, beobachteten aber alles genau. Sie schienen auch im Lager nicht viele Freunde zu haben. Das also war der Killertrupp der Mafia! Abgesandte der Verbrecherorganisation, die auch hier im fernen Nordafrika ihre schmutzigen Finger im dunklen Geschäft hatten. Die Dons wären wesentlich unruhiger, hätten sie gewußt, daß ihr Todfeind Franco Solo bereits in der Nähe war, um ihnen auch diesmal einen dicken Strich durch die Rechnung zu machen. Franco würde alles daran setzen, seinen Auftrag zu erfüllen. Frank Wells ging unruhig auf und ab, wobei er leicht humpelte. Die Auseinandersetzung mit Franco hatte immer noch ihre Spuren hinterlassen. Er hatte die Arme hinter dem Rücken verschränkt und warf den drei Mafiatypen immer wieder böse Blicke zu. Die drei reagierten aber nicht darauf. Die Atmosphäre wirkte leicht gespannt. Franco überlegte, ob das seinen Plänen nützen könnte, sagte sich dann aber, daß sie gegen ihn mit Sicherheit zusammenhalten würden. Die Fracht der Lastwagen war zum größten Teil in den Baracken verschwunden. Die Wagen und die anderen Fahrzeuge wurden unter Schutzdächern geparkt. Die Araber marschierten zu einer neuen Übung, während die meisten Söldner sich dem Whisky und dem Kartenspiel widmeten. Jetzt schien nichts mehr zu passieren, und Franco konnte am Tage nichts mehr tun. Er machte sich auf den Rückweg zu einem Versteck, in dem er die Zeit bis zum Einbruch der Dunkelheit verbringen konnte. Er entfernte sich eine ganze Strecke vom Camp, bis er sicher war, daß die Patrouillen ihn nicht entdecken würden. Er nahm sein Gepäck ab und zog das Funkgerät heraus. Die Handgriffe beherrschte er inzwischen im Schlaf, so daß das Gerät in wenigen Sekunden betriebsbereit war. Auch die Verbindung zu Colonel Warner war in kurzer Zeit hergestellt. Franco schilderte in wenigen Worten die Situation. Er gab seine Einschätzung der Lage durch, beschrieb die gelieferten Waffen -1 1 9 -
und die versammelten Truppen. Auch einen Hinweis auf die Söldner vergaß er nicht. Franco sprach rasch und unverschlüsselt, denn er wollte die Sendezeit so kurz wie möglich halten. Zwar war nicht zu befürchten, daß Peilgeräte in der Nähe waren, aber er hatte gelernt, das Risiko möglichst klein zu halten. Auch Colonel Warners Antwort war kurz und knapp. «Habe alles verstanden. Ich werde das Nötige veranlassen. Handeln Sie weiter nach eigenem Ermessen, aber lassen Sie sich weder von den Rebellen noch von anderen marokkanischen Truppen erwischen. Ich kann nichts für Sie tun. Eine baldige Beendigung des Auftrages ist erwünscht. Alles Gute.» Franco lächelte leicht. Der Colonel hatte ihm wieder in seiner typischen Art einen Tip gegeben, daß er nicht ganz allein war. Der Hinweis auf die marokkanischen Truppen konnte nur bedeuten, daß Warner sich mit den offiziellen Stellen in Verbindung gesetzt hatte, so daß der Putsch bereits jetzt zum Scheitern verurteilt war. Aber noch existierte die gefährliche Truppe, und Francos Auftrag war noch nicht erfüllt. *** Allessandro Pavese hätte eigentlich guter Laune sein müssen, aber er ärgerte sich über das Klima, das h i m nicht bekam. Außerdem hatte er keinen klimatisierten Wagen, wie er das aus den Staaten gewöhnt war. Sein blütenweißes Tuch war schon ganz naß vom ständigen Stirnabwischen. Sein heller Tropenanzug umspannte seine unförmige Figur wie ein Mehlsack. Die unvermeidliche Zigarre hing erloschen in seinem Mundwinkel. «Geht das nicht ein bißchen schneller!» herrschte er den Fahrer an, der daraufhin nervös das Gaspedal durchtrat. Pavese wollte unbedingt mit Al-Awni zusammentreffen. Der Putsch stand unmittelbar bevor, so daß jetzt nichts mehr dem Zufall überlassen werden durfte. Die drei Killer waren zwar am -1 2 0 -
richtigen Ort, aber Pavese war ein Mann, der sich nicht nur auf eine Vorsichtsmaßnahme verließ. Die ganze Angelegenheit war viel zu wichtig. Wenn der Plan gelang, würde er selbst zu einer großen Nummer in der Organisation werden. Vermutlich würde er auch Sitz und Stimme in der Commissione bekommen, der obersten Instanz der Mafia, in der die wirklich wichtigen Leute saßen. Dort fielen die Entscheidungen. Dort wurde das große Geld gemacht. Pavese hatte seine Leute informiert. Sie wußten Bescheid über das, was sie zu tun hatten. Der Zeitplan war auch klar. Pavese blickte auf seine Uhr. Er mußte in der Hauptstadt sein, wenn es losging. Schließlich hatte er keine Lust, sich in das Camp der Rebellen zu begeben. Das war ihm doch zu unbequem. Der Treffpunkt stand fest. Eigentlich konnte jetzt nichts mehr schiefgehen. Befriedigt lehnte er sich in die Polster zurück. *** Franco Solo lauschte dem Dröhnen des Dieselgenerators, der das Lager mit Strom versorgte. Es wäre gut, wenn er ihn - zumindest vorübergehend - ausschalten könnte. In der Dunkelheit und der Verwirrung wäre es leichter, in das Munitionsdepot zu gelangen. Der Rest des Tages war ohne Zwischenfall verlaufen. Er hatte in seinem Versteck gesessen und vor sich hin gedöst. Niemand war in seine Nähe gekommen. Jetzt war der Himmel sternenklar und die Temperatur sehr angenehm. Franco fröstelte sogar leicht, aber das kam sicher daher, daß er die ganze Zeit nahezu bewegungslos gewesen war. Er kroch aus seinem Versteck unter den Büschen und reckte sich. Im Camp war immer noch Betrieb. An verschiedenen Stellen brannten Lagerfeuer, an denen die Araber hockten. An einer Stelle wurden laute Lieder gegrölt. Das waren vermutlich die Söldner. Man schien sehr sorglos zu sein. Franco lächelte grimmig. Es würde eine böse Überraschung geben. Er sah auf
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seine Uhr. Es war kurz vor Mitternacht. Die richtige Zeit, an die Arbeit zu gehen. Er schlich näher an das Lager heran und duckte sich in einer leichten Bodenmulde nieder. Von hier aus hatte er einen guten Überblick. Die Baracken, in denen Waffen und Munition gelagert waren, standen keine fünfzig Yard entfernt. Hinter ihnen, dicht bei den Flugzeugen und für ihn jetzt unsichtbar, befand sich der Generator. Er blieb noch eine ganze Weile bewegungslos liegen, bis im Camp langsam Ruhe einkehrte. Dann überzeugte er sich nach allen Seiten, daß keine Wachen in der Nähe waren und rannte geduckt über die ebene Fläche zu den Baracken hinüber. Er preßte sich eng an die dünne Wand aus Baumstämmen und Bastmatten, er lauschte auf die Geräusche der Nacht. Ein leichter Wind raschelte in den Blättern. Die Eingänge zu den Hütten waren auf der anderen Seite, aber sie waren mit Sicherheit bewacht. Franco zerrte an den Befestigungen der Seitenwände und versuchte, eine Lücke zu schaffen, durch die er sich hindurchzwängen konnte. Es war kein Problem, eine der Querstreben soweit zu lockern, daß ein schmaler Durchschlupf entstand. Es war alles so leicht gebaut, daß beinahe die halbe Seitenwand herausfiel. Plötzlich war er innerhalb der Hütte und blieb wieder stehen. Sein Eindringen war offensichtlich nicht bemerkt worden. Er tastete sich vorwärts und unterdrückte einen Schmerzenslaut, als er mit dem Schienbein gegen eine Holzkiste stieß. Er mußte seine Augen an die Dunkelheit gewöhnen. Glücklicherweise fiel etwas Licht durch die Lücken im Dach und in den Wänden. Er konnte es nicht wagen, mit einer Taschenlampe zu arbeiten, da man den Schein von draußen bemerkt hätte. Franco stand in einem schmalen Durchgang zwischen zwei Kistenstapeln, die bis dicht unter das Dach reichten. Mit ausgestreckten Armen bewegte er sich weiter, um nicht über ein Hindernis zu stolpern und unnötigen Lärm zu verursachen. Neben dem Eingang standen in Reih und Glied zahlreiche Granatwerfer, dahinter schwere Maschinengewehre, auf -1 2 2 -
Dreibeinen montiert. Gegenüber waren die zugehörigen Munitionskisten gestapelt. Franco marschierte zwischen dem aufgehäuften Material herum, bis er fand, was er suchte. Nur manchmal ließ er in der hohlen Hand ein Feuerzeug aufflammen, wenn er die Aufschrift auf einer Kiste lesen mußte. Er lächelte befriedigt, als er schließlich den Deckel von einer Kiste nahm. Er griff hinein und holte ein paar der schweren Dinger heraus, die dort in Holzwolle gebettet lagen. Mit seinem Fund zog er sich an die Rückwand zurück. Hier gab es mehr Licht, das er jetzt dringend brauchte. Die stumpf glänzenden Metalldinger, die er aus der Kiste genommen hatte, waren Sprenggranaten mit einem empfindlichen Aufschlagzünder. Er wußte, wie man an den Zünder herankam, ohne daß die Granaten hochgingen. Seine Hände waren völlig ruhig, obwohl sein Herz doch etwas schneller als gewöhnlich schlug. Es dauerte eine ganze Zeit, bis er soweit war, daß er einige Manipulationen an den Zündern vornehmen konnte. Als er bei der ersten Granate sein Werk beendet hatte, sah er sich suchend um. Er öffnete schließlich eine der Gewehrkisten und nahm zwei der Schnellfeuergewehre heraus. Er klemmte sie unter den Arm und kletterte damit an den hoch aufgetürmten Munitionskisten hoch, wo er die Gewehre wie eine Art Brücke über den Durchgang legte. Dann nahm Franco die Granate, die er wie ein rohes Ei behandelte, und hängte sie mit ihren Stabilisierungsflossen zwischen den nebeneinander liegenden Gewehren auf. Ein unachtsamer Stoß gegen einen Kistenstapel würde genügen, und das schönste Feuerwerk begann. Franco bewegte sich so vorsichtig, wie er es selten getan hatte, und betrachtete sein Werk noch einmal. Die Granate würde spätestens herunterfallen, wenn im weiteren Umkreis eine Bombe explodierte. Und das sollte am nächsten Morgen geschehen, wenn es nach seinem Willen ging. Franco trat den Rückweg an und zwängte sich durch dieselbe Lücke, durch die er hereingekommen war. Er war erst halb -1 2 3 -
draußen, als er erstarrte. Ein Posten mit umgehängter Maschinenpistole stand keine fünf Yard von ihm entfernt und drehte sich gerade langsam um. Der Posten hatte ihn noch nicht gehört, aber er mußte ihn gleich sehen. Im Bruchteil von Sekunden mußte sich Franco für die richtige Lösung des Problems entscheiden. Wenn er in die Hütte zurückging, saß er möglicherweise in der Falle, aber er mußte sich unbedingt seine Bewegungsfreiheit erhalten. Er drückte sich eng an die Wand, atmete flach und verschmolz mit dem Schatten. In diesem Augenblick ging der Posten weiter. Dabei wandte er den Kopf und sah die hellere Stelle an der Wand. Er zögerte - und Franco reagierte. Ehe der Posten seine Waffe von der Schulter bekam oder einen Schrei ausstoßen konnte, hatte Franco ihn mit einem gewaltigen Satz erreicht. Noch aus der Wucht des Sprunges heraus führte er den Hieb. Der Posten gurgelte und brach zusammen. Rasch schleifte Franco den Bewußtlosen über die freie Fläche in Deckung, fesselte und knebelte ihn sorgfältig und nahm die Maschinenpistole an sich. Die Bewußtlosigkeit würde nicht lange anhalten. Franco mußte sich beeilen. Er huschte zu der zweiten Hütte, die ebenfalls bis unter das Dach mit Waffen und Munition gefüllt war. Er hatte nun schon Übung darin, sich Einlaß zu verschaffen, und diesmal ging es erheblich schneller. Nur bei der Bearbeitung der Granate ließ er sich Zeit. Ein Fehler wäre verhängnisvoll geworden. Er praktizierte sie genau wie die erste zwischen den Munitionskisten und war sicher, daß sie bei der geringsten Erschütterung herunterfallen mußte. Anschließend würde man nicht mehr viel Freude an dem aufgestapelten Kriegsmaterial haben. Als Franco nach Beendigung seiner Tätigkeit aus der Hütte kam, blinzelte er direkt in die aufgehende Sonne. Er hatte allerdings keine Zeit für die Schönheiten der Natur, sondern mußte zusehen, daß er rasch wieder in Deckung kam. Er
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hoffte, daß man den Posten nicht vermißte. Bis jetzt hatte es jedenfalls keinen Alarm gegeben. Der Mann war wieder zu sich gekommen, und Franco beförderte ihn mit einem gezielten Schlag wieder in das Reich der Träume. Dann nahm er den Bewußtlosen über die Schulter und schleppte ihn aus der Nähe der Hütten, bis er sicher war, daß der Mann von einer eventuellen Explosion nicht mehr getroffen werden konnte. In weitem Bogen schlich Franco dann zu den Flugzeugen hinüber, denn er wollte die frühe Stunde für seine Zwecke ausnutzen. Die Maschinen wurden nur von zwei Posten bewacht, die in einiger Entfernung am Boden hockten. Das Feuer, an dem sie sich wärmten, war schon fast erloschen. Aus dem Camp kamen die ersten Geräusche. Offenbar begann der Tag hier sehr früh. Irgendwo wurde ein Automotor gestartet, der stotternd ansprang. Eine Stimme brüllte unverständliche Worte. Franco konzentrierte sich auf die Flugzeuge. Aus der Nähe betrachtet war sein Plan lächerlich. Plötzlich erschien es ihm unmöglich, eine dieser Maschinen zu starten. Er brauchte unbedingt einen der Piloten. Er mußte nur so lange in der Nähe bleiben, bis jemand in die Kanzel stieg. Am besten war natürlich, er versteckte sich gleich in der Kanzel. Er war sicher, daß die Maschinen täglich überprüft wurden. Franco schlich auf die von den Wachen abgewandte Seite der Flugzeuge. Die drei Maschinen standen in einer Reihe, die Grumman war die erste. Er richtete sich auf und sah an dem Flugzeug hoch, als dicht hinter ihm plötzlich eine Stimme aufklang: «Dich kenne ich doch!» Auch Franco erkannte die Stimme sofort. Cory! Er drehte sich langsam herum. Cory stand drei Schritte entfernt, die Hände in den Hosentaschen. Er grinste über das ganze Gesicht. «Du bist unverbesserlich. Ich habe dich doch gewarnt, mir noch einmal über den Weg zu laufen. Unsere drei Freunde haben dich offenbar nicht aufhalten können. Wie gut, daß ich schon am frühen Morgen meine Maschine überprüfe.» -1 2 5 -
«Du bist der Pilot?» fragte Franco erstaunt. «Sicher. Deswegen bekomme ich eine Menge Geld. Der Vogel ist zwar nicht mehr ganz neu, aber immer noch zuverlässig.» Franco hielt die Maschinenpistole des Postens noch in der Hand. Der Lauf zeigte nach unten. Aber bevor sie schußfertig war, mußte die Waffe noch durchgeladen werden. Cory konnte alles mögliche in den Taschen haben. Waffen, mit denen er schneller war - nein, er mußte etwas anderes versuchen. «Hör zu, Kumpel», begann Franco. «Ich bin aus einem ganz bestimmten Grund hier, und der wird deinen Auftraggebern nicht gefallen.» «Das habe ich mir schon gedacht», erwiderte Cory. «Ich möchte die Story gern hören, andernfalls hätte ich schon etwas unternommen.» «Du sitzt auf dem verkehrten Dampfer, mein Freund. In wenigen Stunden ist der Spuk vorbei, noch ehe er angefangen hat. Die Regierung ist über alles informiert und wartet nur noch auf den richtigen Zeitpunkt zum Zuschlagen. Ihr habt nicht die Spur einer Chance.» Hinter Corys Stirn arbeitete es. Sein Grinsen war verschwunden. Franco hoffte, daß er das Richtige tat. Aber Cory war ein Söldner, er glaubte, ihn richtig eingeschätzt zu haben. «Soll das heißen, daß alles verraten wurde?» fragte Cory. Franco schüttelte den Kopf. «Der ganze Plan war von Anfang an hirnverbrannt und konnte nie klappen. Einige Leute haben sich Illusionen gemacht und geglaubt, sie könnten mit geringen Mitteln ein ganzes Land in die Tasche stecken. Sie haben sich getäuscht. Du bist im Moment der einzige, der noch eine Chance hat - wenn du zugreifst.» Franco hatte dick aufgetragen, aber das war bei seinem Gesprächspartner notwendig. Wenn er ihn überzeugen wollte, mußte er das glaubhaft tun und auf die richtige Weise. Cory trat einen Schritt näher, immer noch die Hände in den Taschen. Francos Hand mit der Maschinenpistole ließ er keine -1 2 6 -
Sekunde aus den Augen. «Erkläre mir das mit der Chance näher. Ich verstehe im Augenblick nicht, was du damit meinst.» Franco atmete insgeheim auf. Der Söldner hörte ihm wenigstens zu. Damit war schon die Hälfte gewonnen. «Es ist ganz einfach. Du hängst deinen Job an den Nagel und steigst bei mir ein. Der Job, den ich zu vergeben habe, ist ganz einfach, und er wird auch besser bezahlt.» «Was hätte ich zu tun?» «Wir steigen in die Maschine, du startest, drehst ein paar Platzrunden, und ich werfe die Bomben auf die Munition im Lager. Dann setzt du mich ab und kassierst 10.000 Dollar.» Cory runzelte die Stirn. «Der Vorschlag klingt nicht schlecht, da ich mich sowieso bald zur Ruhe setzen wollte. So ein kleines Sümmchen zum Abschluß wäre mir schon recht. Andererseits habe ich noch nie meinen Arbeitgeber im Stich gelassen, jedenfalls nicht, solange er noch zahlen konnte.» Franco lächelte freundlich. «Dann muß ich wohl etwas deutlicher werden. Du kommst hier nicht mehr lebend heraus. Entweder mußt du dran glauben, wenn die Armee das Nest aushebt, oder du bekommst von mir auf der Stelle eine Kugel verpaßt. Letzteres klappt ganz bestimmt.» Cory grinste. «Okay. Deine verdammten Argumente haben mich überzeugt. Ich bin dabei. Ich weiß zwar nicht, von welcher Firma du bist, aber ab sofort bist du der Boß. Es wäre natürlich gut, wenn du mal den Vorschuß sehen ließest. Das ist in unserer Branche so üblich.» Franco griff in seine Brusttasche und holte ein Bündel Scheine heraus. «Das dürfte als Anzahlung genügen.» Cory nahm die Scheine und ließ sie durch die Finger gleiten. «Gut. Die Sache wäre geklärt. Ich hole noch meine Sachen, und wir können anfangen.» Franco hob die Maschinenpistole. «Ein Schritt in der falschen Richtung, und du bist ein toter Mann. Wir steigen jetzt sofort ein und starten. Das einzige, was ich nicht habe, ist Zeit.»
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«Du bist ja ein ganz harter Typ.» Cory zuckte mit den Schultern. «Du hast Glück, daß die Maschinen startbereit sind. Also los!» Cory schwang sich auf die Tragfläche und öffnete den Einstieg. Schnell folgte ihm Franco und ließ sich in den Sitz des Copiloten fallen. Er betrachtete die verwirrende Vielfalt der Instrumente. Cory schnallte sich an und erklärte Franco, wie er die Waffen der Maschine zu bedienen hatte. Er zeigte ihm vor allem die Ziel- und Abwurfeinrichtung für die Bomben. «Wir müssen auf das Durchchecken verzichten. Ich kann die Motoren von hier aus starten und nur hoffen, daß alles in Ordnung ist. Aber ich habe erst gestern Nachmittag alles überprüft. Wenn ich zur Startbahn rolle, paß auf, daß kein Hindernis im Weg liegt. Der Motor wird zwar noch spucken, aber wir werden den Vogel schon hochkriegen.» Franco nickte, während Cory sich an den Armaturen zu schaffen machte. Die Motoren kamen überraschend schnell in Fahrt. Sofort gab Cory die Bremsen frei, und die Grumman rollte zum Ende der Startbahn. Die Maschine wurde auf dem unebenen Boden hin- und hergeschleudert, da Cory bereits ein ziemliches Tempo vorlegte. Die beiden Posten waren aufgesprungen und starrten dem Flugzeug mit offenem Mund nach. Sie machten aber keine Anstalten zu schießen. Der plötzliche Start hatte sie wohl zu sehr überrascht. Cory drückte die Gashebel bereits auf Vollschub, als man im Lager aufmerksam wurde. Winkend rannten einige Leute auf die Rollbahn zu. Von den Zelten starrten die Söldner herüber. «Halt die Bahn frei», knurrte Cory. Franco drückte auf die Knöpfe der Maschinengewehre, und rasend schnell sprangen Reihen von kleinen Erdfontänen hoch. Sie hatten schon fast die Hälfte der gerodeten Bahn hinter sich, als die Verantwortlichen begriffen hatten, daß hier nicht alles in Ordnung war. In diesem Moment hoben sie ab. Etwas unsicher und nicht ganz in der Trimmung - aber sie waren in der Luft. Wieder -1 2 8 -
hämmerten die schweren MG's los, und unten spritzte alles auseinander. Zwei oder drei vereinzelte Schüsse trafen auch das Flugzeug, richteten aber keinen Schaden an. Cory hob den Daumen. Franco nickte ihm zu. «Steig auf und komm in einer weiten Schleife zurück. Wir fliegen von der anderen Seite an und bombardieren das Munitionsdepot. Ich muß übrigens einen Funkspruch absetzen.» Cory beugte sich vor und legte einen Schalter um. «Hier. Du mußt nur die richtige Frequenz einstellen.» Franco drehte an der Skala, bis er die Verbindung hergestellt hatte. «Die Operation Vernichtung läuft an. Brauche bald Unterstützung. Ende.» Cory warf ihm einen schrägen Blick zu. «Zuerst dachte ich, du willst mich bluffen, aber es sieht so aus, als hättest du recht.» Aus dem Empfänger kam eine quäkende Stimme, die Franco nicht kannte. Es war jedenfalls nicht Colonel Warner. «Verstehe Sie gut. Wir starten ebenfalls. Ende.» Franco schaltete ab. Er hatte zwar keine Ahnung, was für eine Operation Colonel Warner jetzt in Gang setzte, aber es war nicht die Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Cory hatte gewendet und setzte zum Sturzflug an. «Du mußt tiefer gehen, sonst treffe ich die beiden Baracken nicht genau.» Cory antwortete nicht. Er mußte sich voll konzentrieren. Die Maschine kippte über die Tragfläche ab, und der Boden kam rasend schnell näher. Franco starrte auf das Fadenkreuz der Zielvorrichtung. Sein Finger schwebte über dem Auslöser. Sie wurden von irgendwoher beschossen, und die Kugeln schlugen in das Metall der Zelle. «Jetzt!» schrie Cory. Franco drückte auf die Knöpfe und klinkte damit zwei der Bomben unter den Tragflächen aus, unmittelbar bevor Cory die Maschine wieder abfing und hochzog. Sie waren so dicht über dem Boden, daß die Baracken nicht zu verfehlen waren. Die Explosionen kamen fast gleichzeitig und so schnell, daß die Maschine durchgeschüttelt wurde, so, als würden sie gleich -1 2 9 -
abstürzen. Cory gab Vollgas und schraubte den Vogel in einer Schleife höher. In rascher Folge kamen weitere Explosionen. Endlich konnte Franco aus der Kanzel den Erfolg seiner Bombardierung sehen. Eine dunkle Rauchwolke verhüllte das Munitionsdepot und breitete sich langsam über das ganze Camp aus. Ständig wurde die Wolke von roten und gelben Blitzen zerrissen, wenn die gelagerte Munition hochging. «Das war Präzisionsarbeit», meinte Cory. «Ich hätte nie geglaubt, daß du die Eier so genau auf die Baracken setzt. Die werden nicht mehr viel Freude an ihrem Material haben. Das sieht nach Totalschaden aus.» Franco nickte. «Die Jagdflugzeuge haben auch etwas abgekriegt. Das eine brennt bereits.» Jetzt schoß eine Stichflamme aus dem Heck der zweiten Maschine, und das Feuer breitete sich schnell über den ganzen Rumpf aus. Die erste Maschine lag halb auf der Seite. Eine Tragfläche war durch die Wucht der Explosionen abgerissen. «Die können uns nicht mehr gefährlich werden», schrie Cory lachend. Plötzlich erstarrte er. Die Hände umkrampften das Lenkrad. Auch Franco hatte die Veränderung im Unterbewußtsein registriert. Das Motorengeräusch hatte sich verändert. Dann fiel der Steuerbordmotor ganz aus, und die Maschine bockte in der Luft wie ein wildes Pferd. Franco klammerte sich fest und sah zu seinem neuen Partner, der mit fliegenden Fingern verschiedene Hebel und Knöpfe bediente. Er versuchte, die Maschine ruhig in der Luft zu halten, aber sie verloren rasch an Höhe. Der zweite Motor stotterte und setzte für Sekunden aus. Eine dünne schwarze Rauchfahne stieg aus dem Motorengehäuse. «Wir müssen runter», erklärte Cory. «Ich kann den Vogel nicht mehr lange in der Luft halten. Vielleicht fliegt auch gleich alles in die Luft.» Franco nickte nur und blickte aus der Kanzel. «Wo sind eigentlich die Fallschirme?» Cory drehte sich herum und lachte. «Fallschirme? Wie sollen wir zu Fallschirmen kommen. Es sind keine an Bord. Ich muß -1 3 0 -
versuchen zu landen. Eine andere Möglichkeit haben wir nicht. Der Boden ist ziemlich eben. Mit etwas Glück schaffen wir eine Landung, ohne daß der Vogel komplett zu Bruch geht.» «Was ist eigentlich passiert?» erkundigte sich Franco. «Was weiß ich! Ein paar Geschosse haben ausgerechnet die Motoren getroffen. Vielleicht haben wir auch noch ein paar Bombensplitter erwischt. Schließlich waren wir an der Explosion sehr dicht dran.» Sie verloren jetzt sehr rasch an Höhe. Der Boden kam schwankend auf sie zu, und Franco konnte Einzelheiten im Camp erkennen. Über dem Lager lagen dichte Rauchwolken. Einige Baracken brannten. Die Waffen- und Munitionsvorräte waren mit Sicherheit vernichtet. Zahlreiche schwarze Punkte bewegten sich nach allen Seiten vom Lager weg. Die Armee lief auseinander. Es sah so aus, als würde die Streitmacht Al-Awnis geschlossen desertieren. Cory hatte die Maschine kaum noch in der Gewalt. Sie flogen direkt auf das Camp zu. «Ich hoffe, daß wir nicht gerade mitten drin landen müssen», schrie Cory. «Solange die Motoren nicht brennen, haben wir noch eine Chance. Leider werden wir ganz in der Nähe des Lagers aufsetzen. Ich stelle dann die Benzinzufuhr ab und versuche eine Gleitlandung.» Sie flogen durch dichte Rauchschwaden und wurden wieder unter Feuer genommen. Das Einschlagen der Geschosse klang wie das Prasseln von Erbsen auf einem leeren Faß. Sie waren höchstens noch fünfzig Meter hoch. Der Boden raste unter ihnen vorbei. Franco beugte sich zur Seite und entdeckte die Maschinengewehre. Es waren zwei. Und sie waren auf Jeeps montiert, die über das Gelände kurvten. In den Jeeps saßen Weiße. Franco drückte auf die Knöpfe der Bordwaffen, um den Gegner zumindest in Abstand zu halten. Ein heftiger Stoß warf Franco hart nach vorn. Die Maschine hatte den Boden berührt. Sie kam noch einmal kurz hoch, wobei sie gefährlich schräg in der Luft lag, dann gab es wieder einen heftigen Ruck, und das Flugzeug bahnte sich seinen Weg durch niedriges Gebüsch und hartes Steppengras. Das Metall -1 3 1 -
kreischte, und das Glas der Kanzel splitterte. Eine Tragfläche berührte den Boden, die Maschine drehte sich um ihre Achse und prallte gegen ein Hindernis. Dann brach das Fahrwerk ab, und die Grumman, jetzt nur noch Schrott, blieb endgültig liegen. Cory schaltete alles aus, was am Armaturenbrett noch intakt war. «Raus hier!» brüllte er. «Der Vogel kann jeden Augenblick in die Luft fliegen.» Sie öffneten den Ausstieg, und Cory ließ sich als erster nach draußen fallen. Ein Maschinengewehr ratterte los. Cory fluchte in drei Sprachen und umklammerte seinen Arm. «Die Schweine haben mich getroffen.» Er schob seinen Ärmel hoch und betrachtete die Wunde. «Nur ein Kratzer. Das bringt mich nicht um.» Franco folgte ihm nach draußen, die Maschinenpistole in der Hand. Sie gingen sofort in Deckung, robbten aber von der Maschine weg. Die Jeeps kurvten näher, wobei die MG's ständig feuerten. Frank Wells bediente eines davon. Sein Jeep kam immer näher an das zerstörte Flugzeug. Franco Solo und Cory hatten inzwischen einen großen Abstand zwischen sich und der Maschine erreicht. In diesem Augenblick geschah es! Die Grumman explodierte! Eine gewaltige Feuersäule stieg in den blauen Himmel, und Trümmerstücke segelten weit durch die Luft. Der danebenstehende Jeep wurde wie von einer Riesenfaust gepackt und in die Luft gewirbelt. Sie sahen nicht, wie er aufprallte, aber sie hörten den dumpfen Aufschlag und einen Schrei, der plötzlich abbrach. Der zweite Jeep wendete und fuhr mit Vollgas davon. Das Flugzeug brannte wie eine Fackel. Sie sprangen auf und suchten den Jeep. Aber dort war nichts mehr zu retten. Nur der Lauf der MG's ragte anklagend in den Himmel. «Aber jetzt nichts wie weg», meinte Cory. Ein dumpfes Dröhnen erregte ihre Aufmerksamkeit. Mit zusammengekniffenen Augen starrte Franco in den Himmel. Große Transportflugzeuge kamen von Norden. Aus dem ersten
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löste sich ein schwarzer Punkt, dem viele andere folgten, und plötzlich erblühte ein Fallschirm nach dem anderen. Hubschrauber folgten und setzten in weitem Halbkreis zur Landung an. Nur vereinzelte Schüsse schlugen ihnen entgegen. Der Putsch war zu Ende, noch ehe er richtig begonnen hatte. Die Soldaten brauchten nur noch die kläglichen Reste einzusammeln. Franco und Cory marschierten auf das Lager zu, bis sie von einer erhöhten Stelle alles überblicken konnten. Das Camp bestand nur noch aus rauchenden Trümmern. Auf einem freien Platz hatte man die Gefangenen zusammengetrieben. Einige Verwundete lagen auf Tragbahren. Etwas abseits stand die Gruppe der Söldner mit mürrischen Gesichtern. Aber weder Al-Awni noch die drei Mafioso waren darunter. Sie schienen in letzter Minute geflohen zu sein. «Die wichtigsten Leute fehlen», murmelte Franco. Er sah Cory fragend an. Cory grinste breit. «Okay. Ich bin dabei. An welche Prämie ist denn diesmal gedacht?» Franco grinste zurück. «Sagen wir 5000 Dollar, wenn wir die Kameraden schnappen. Sonst die Hälfte.» «Worauf warten wir noch. Da drüben steht ein einsamer Jeep. Den schnappen wir uns, ehe die Soldaten blöde Fragen stellen.» «Dort vorn sind sie.» Cory deutete mit dem Finger über die Hochebene. Franco nickte. «Schon gesehen.» *** Es war glühend heiß. Seit Stunden waren sie auf der Spur eines Jeeps, in dem sie die Gesuchten vermuteten. Endlich sahen sie die Staubwolke in der Ferne.
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«Sie müssen es sein», rief Cory. «Ich kann mir nicht vorstellen, wer sich sonst noch in dieser gottverlassenen Gegend herumtreiben sollte.» Sie befanden sich wieder an den Ausläufern des Hochgebirges. Der Jeep vor ihnen verschwand hinter einem Felsausläufer. Bald erreichten sie die Stelle, wo die anderen abgebogen waren, und dann krachten auch schon Schüsse. «Verdammt, eine Falle!» keuchte Cory und ließ sich aus dem Wagen fallen. Franco bremste abrupt, und der Jeep kam in einer Staubwolke schleudernd zum Stehen. Er nahm die Maschinenpistole und sprang ebenfalls in Deckung. Cory rollte sich halb unter den Jeep. «Sie stecken irgendwo da oben in den Felsen. Sie können uns hier festnageln, bis wir schwarz werden. Wahrscheinlich haben sie schon vor einer ganzen Weile gemerkt, daß wir sie verfolgen.» «Vermutlich hätte das ein Blinder gemerkt. In dieser Gegend, die bisher flach wie ein Brett war», knurrte Franco. In dem trostlosen Felspanorama regte sich nichts. Doch dann entdeckte Franco ein kurzes Blitzen schräg über sich - vielleicht dreißig Yard entfernt. Die Sonne spiegelte sich im polierten Stahl einer Waffe. «Dort oben stecken sie», flüsterte er. «Zumindest einer», schränkte er ein. «Gib mir die Maschinenpistole», bat Cory. «Ich glaube, ich kann damit besser umgehen.» Wortlos reichte ihm Franco die Waffe. Wilde Schießereien lagen ihm ohnehin nicht. Ihm kam es darauf an, die Verantwortlichen zu stellen. Plötzlich richtete sich hinter einem Felsbrocken ein Mann auf, ein Schnellfeuergewehr an der Schulter. Ein Kugelregen schlug in die Karosserie des Jeeps und riß Steinsplitter aus dem felsigen Boden. Cory hatte jedoch ebenso schnell reagiert. Seine Maschinenpistole spuckte Feuer, und der Mann fiel wie in -1 3 4 -
Zeitlupe an der Felswand herunter. Sein Gewehr schlug noch vor ihm auf. Cory nickte befriedigt und stellte das Feuer ein. Dann prüfte er das Magazin. «Nur noch halbvoll», sagte er. «Wir müssen sparsam sein.» Franco hatte seinen Revolver in der Hand. «Mit geht es ähnlich. Auf ein längeres Feuergefecht können wir uns nicht einlassen.» Die Sonne brannte, und sie blieben schweigend liegen. «Sie haben Annunzio erwischt», sagte Galeta leise. «Was muß der blöde Hund sich auch so offen hinstellen. Wir haben ja inzwischen gemerkt, daß unser Gegner gefährlich ist.» Colosimo warf einen schrägen Blick auf Al-Awni, der hinter ihnen hockte und leise vor sich hin murmelte. Sein Gesicht war grau, und die Hände zuckten unkontrolliert. Er schien einen schweren Schock erlitten zu haben. «Was machen wir mit ihm?» flüsterte Colosimo. Galeta runzelte die Stirn. «Wir sollten erst mal überlegen, wie wir hier herauskommen.» «Es war eine idiotische Idee, hier auf die Kerle zu warten. Wir hätten weiterfahren sollen.» «Wir hätten sie nie abgeschüttelt», entgegnete Galeta. «Hier hatten wir wenigstens eine Chance.» «Schöne Chance», antwortete Colosimo wütend. «Unser Jeep steht dort unten, und wir kommen nicht ran. Die beiden Kerle halten uns hier ebenso fest wie wir sie. Die Chancen stehen gleich. Und wir sind auch nur noch zu zweit. Auf Al-Awni können wir wohl kaum zählen. Den hat's doch voll erwischt, als er begriff, daß sein schöner Plan ins Wasser gefallen ist. Wozu brauchen wir ihn eigentlich noch? Wir könnten ihn den beiden als Köder überlassen und in der Zeit die Kurve kratzen.» «Keine schlechte Idee», meinte Galeta. «Wir müssen nämlich Don Pavese unbedingt warnen, damit er nicht noch den Marokkanern in die Arme läuft. Wenn schon alles schief gegangen ist, brauchen wir nicht auch noch in einem Gefängnis
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zu verschimmeln. Ich fürchte nämlich, daß man uns die ganze Geschichte übel nehmen wird.» «Don Pavese wird nicht sehr glücklich sein über das, was passiert ist. Vermutlich weiß er noch nichts.» «Nein, sicher nicht. Wir haben einen Treffpunkt vereinbart. Dort müssen wir hin. Und dann wird es Zeit, daß wir das Land verlassen.» Colosimo nickte. Langsam wandten sie ihre Köpfe zu Al-Awni. «Wir schicken ihn dort rüber», sagte Colosimo leise und deutete auf ein schmales Felsband. «Dann müssen die beiden ihn sehen. Während sie sich mit ihm beschäftigen, klettern wir zu unserem Jeep.» Galeta nahm sein Schnellfeuergewehr von der steinernen Brüstung und richtete es wie zufällig auf den Marokkaner. «Wir müssen unsere Verfolger in die Zange nehmen», sagte er. «Gehen Sie dort rüber. Wir geben Ihnen Feuerschutz.» Al-Awni hob den Kopf und sah Galeta verwirrt an. «Na, los!» drängte Colosimo. «Ich gehe schon», sagte Al-Awni müde und tastete nach dem Gewehr, das zu seinen Füßen lag. Langsam kroch er zu der bezeichneten Stelle hinüber und schob sich wie in Trance auf das Felsband. Allmählich mußte er in das Blickfeld der Verfolger kommen. «Gehen wir», sagte Colosimo. «Noch nicht!» zischte Galeta und hielt ihn zurück. «Ich will erst sehen, was geschieht. Al-Awni darf auf keinen Fall lebend in die Hände unserer Freunde fallen. Wenn die ihn nicht erledigen, müssen wir das tun. Er weiß zuviel. Und Don Pavese würde es sehr übel nehmen, wenn er erfährt, daß wir ihn entkommen ließen.» «Okay. Aber dann hätten wir ihn auch gleich umlegen können.» Galeta grinste. «Deine Methoden waren immer schon zu plump. Ich betrachte mich mehr als Künstler.» Mohammed Al-Awni richtete sich plötzlich schwankend auf, ließ sein Gewehr achtlos fallen und ging langsam weiter. -1 3 6 -
«Der ist völlig durchgedreht», sagte Colosimo fassungslos. «Der weiß nicht mehr, was er tut.» «Verdammter Mist!» knurrte Galeta. Colosimo hob sein Gewehr und blickte Galeta fragend an. «Soll ich?» Galeta nickte. Der Feuerstoß warf Al-Awni gegen die Felswand. Seine Fingerspitzen krallten sich in den harten Stein, aber unaufhaltsam sank der Körper nach unten. Mohammed AlAwni, der die Macht über einen ganzen Staat schon zum Greifen nahe hatte, starb ohne einen Laut unter den Kugeln der Leute, die er für seine Freunde gehalten hatte. «Das war's», sagte Galeta. «Jetzt aber los.» «Diese verdammten Schweine», fluchte Cory mit zusammengebissenen Zähnen. «Legen ihn einfach um. Was sind das nur für Banditen!» «Es ist die Mafia», sagte Franco Solo leise. «Ich kenne sie nicht anders. Ein Menschenleben bedeutet nichts.» Die beiden drückten sich eng an den Felsen und sahen, wie AlAwni starb. In den letzten Minuten hatten sie ihre Position entscheidend verbessert, sie lagen jetzt nicht mehr im Feuerbereich der Gegner. «Ich fürchte, die hauen ab», sagte Cory wütend. «Ihr Jeep muß irgendwo weiter hinten stehen», meinte Franco. «Aber nur, um das herauszukriegen, möchte ich keine Kugel riskieren.» In diesem Augenblick sprang ein Motor an. «Also doch!» rief Cory und stürzte vorwärts. Franco folgte ihm, und sie kletterten durch das Gewirr der Felsen. Die Fahrspur war nur sehr schmal und nur für einen geländegängigen Wagen zu bewältigen. Sie erreichten den Weg, als der Jeep gerade anfuhr.
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Der Beifahrer drehte sich herum und feuerte sofort. Cory warf sich zur Seite und jagte einen langen Feuerstoß aus der Maschinenpistole. Der Fahrer schrie auf und kippte zur Seite. Der Jeep brach zur Seite aus und krachte gegen die Felswand. Langsam kippte er um. Der Motor lief auf vollen Touren, und die Räder drehten sich in der Luft. Der Beifahrer war herausgeschleudert worden. Ihm schien aber nichts passiert zu sein, denn er war sofort wieder auf den Beinen, immer noch sein Schnellfeuergewehr in der Hand. Hakenschlagend verschwand er hinter den Felsen. «Verdammt!» rief Cory und warf die Maschinenpistole wütend zu Boden. «Keine einzige Kugel mehr. Jetzt kann ich nur noch damit werfen.» Franco hob seine Waffe. «Das sind auch meine letzten Patronen. Aber ich muß diesen Kerl noch kriegen.» Sie liefen zu dem umgestürzten Jeep. Der Motor war inzwischen abgewürgt. Nur die Räder drehten sich noch. Der Fahrer hing mit dem Oberkörper aus dem Wagen. Der Kopf war in einem unnatürlichen Winkel zur Seite gedreht. Franco beugte sich zu ihm nieder und fühlte den Puls. Aber Colosimo war wirklich tot. Ein Mafiakiller hatte sein Ende gefunden in einer Gegend, von der er vorher nicht einmal den Namen kannte. Franco richtet sich auf. «Du wartest bei unserem Jeep. Der letzte Mann ist meine Sache.» Cory wollte protestieren, aber Franco schnitt ihm mit einer schroffen Handbewegung das Wort ab. Franco überprüfte seine Waffe und wandte sich zum Gehen, als ein schriller Schrei sie beide erstarren ließ. Gemeinsam rannten sie los, jede Vorsicht außer acht lassend. So einen Schrei konnte niemand imitieren. Er kam von einem Menschen in äußerster Todesnot.
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Felsbrocken spritzten unter ihren Füßen weg, als sie den steilen Abhang emporhasteten. Der letzte der drei Gangster war in dieser Richtung geflohen. Und dann sahen sie ihn. Der Mafioso sah fürchterlich aus. Seine Augen waren schreckgeweitet, die Gesichtsfarbe fast weiß. Schaum stand vor seinem Mund, der vor Entsetzen weit aufgerissen war. Er lehnte mit dem Rücken an einer Felswand, den rechten Arm weit von sich gestreckt. Das Gewehr lag ein paar Schritte weiter auf dem Boden. Franco konnte einen leichten Ekel nicht unterdrücken. Um den Arm des Gangsters hatte sich ein Schlangenleib gewickelt. Der Schwanz peitschte durch die Luft. «Eine Kobra», murmelte Cory. Franco war mit ein paar Schritten bei dem Gangster. Mit einer raschen Bewegung packte er den Körper des Reptils, das sich in den Arm verbissen hatte. Er riß die Schlange ab und schleuderte sie im Bogen von sich auf die Erde. Franco zielte kurz und drückte zweimal ab. Beide Geschosse trafen den Kopf der Kobra und zerschmetterten ihn. Die Schlange zuckte noch, und Franco stieß sie mit dem Fuß zur Seite. Galeta sank wimmernd in die Knie. Sein Arm war bereits blau angelaufen. Franco begriff, daß dem Mann nicht mehr zu helfen war. Das Schlangengift hatte zu lange gewirkt. Nur ein sofortiges Aussaugen oder noch besser Ausbrennen half in diesem Falle. Wenn das Gift sich in den Adern ausgebreitet hatte, war es zu spät. Franco sah Cory fragend an, aber der schüttelte langsam den Kopf. Der Gangster würde die Schmerzen an der Bißstelle spüren, dann kamen Schlappheit und Übelkeit. Die Muskeln wurden allmählich gelähmt, bis der Tod eintrat. Es würde nicht sehr lange dauern, bis das Nervengift seine volle Wirkung erreicht hatte. -1 3 9 -
«Tut doch etwas», wimmerte der Gangster und starrte auf seinen angeschwollenen Arm. Cory nahm schweigend seinen Gürtel ab und drehte ihn als Kompresse um den Oberarm des Mafioso. Er wußte ebensogut wie Franco Solo, daß diese Maßnahme sinnlos war, aber vielleicht beruhigte es den Sterbenden. «Wo ist Pavese?» fragte Franco. Galeta hob den Kopf. Er versuchte ein Grinsen, aber es wurde nur eine Grimasse. «Holt ihn euch.» Das Sprechen fiel ihm schwer. Die Lähmung breitete sich rasch aus. «Marrakesch. Hotel Mamounia. Fahrt alle gemeinsam zur Hölle.» Sein Körper bäumte sich auf, und er starb. *** Das Hotel Mamounia war ein Luxushotel. Es lag in einer parkähnlichen Anlage, umgeben von einer Mauer, die es vor neugierigen Blicken abschirmte. Es war ein ganzes Stück von der Altstadt entfernt. Franco betrachtete das Treiben in der Halle. Es herrschte ständiges Kommen und Gehen. Die Boys hatten mit Kofferschleppen alle Hände voll zu tun. Niemand nahm Notiz von ihm. Für einen Augenblick dachte er an Cory, den Söldner. Sie hatten sich inzwischen getrennt, nachdem er ihn ausgezahlt hatte. Ein zweiter Gedanke galt Colonel Warner. Es war möglich, daß er sich auch noch in Marrakesch aufhielt. Franco wollte aber erst wieder mit ihm Verbindung aufnehmen, wenn er seinen Auftrag zu Ende gebracht hatte. Und das war nicht der Fall, solange der Mann noch frei herumlief, der hinter allem steckte. Don Allessandro Pavese. Franco erinnerte sich gut an das Foto, das er von Colonel Warner erhalten hatte. Eben erst hatte er es sich noch einmal eingeprägt. Er würde das Gesicht nie vergessen. -1 4 0 -
Marrakesch. Hier hatte vor einigen Tagen alles begonnen, und hier würde es auch enden. Der letzte Akt des Dramas stand kurz bevor. Franco spürte, daß er nicht mehr lange warten mußte. Inzwischen hatte Pavese sicher auch im Rundfunk von dem mißglückten Putsch gehört. Zwar hatten die Nachrichten nur einen Teil der Wahrheit gebracht - es war die Rede von einigen Dutzend Leuten gewesen, die angeblich ein Attentat planten - aber Pavese würde wissen, was die Stunde geschlagen hatte. Die Commissione würde ihm den Mißerfolg nicht so leicht verzeihen. Er würde sich bewähren müssen. Und das hieß, daß er vermutlich jetzt schon neue und schlimmere Pläne schmiedete. Franco war entschlossen, das zu verhindern. Die mittlere Lifttür öffnete sich, und Pavese erschien inmitten einiger anderer Leute. Franco erkannte ihn sofort. Die fette Gestalt war unverkennbar. Pavese schwitzte. Dauernd wischte er sich mit einem weißen Tuch über die Stirn. In der linken Hand trug er eine teure Reisetasche. Offensichtlich hatte er die Absicht abzureisen. Pavese ging zur Rezeption und beglich seine Rechnung. Franco hatte sich ihm langsam genähert. Natürlich hatte es keinen Sinn, hier etwas zu unternehmen. Die marokkanischen Behörden hatten dafür sicher kein Verständnis. Der Auftrag mußte unauffällig erledigt werden. Wie immer. Ein Boy schleppte einen großen Lederkoffer heran, der auch Pavese zu gehören schien. Vermutlich wollte der Gangster zum Flughafen. Dort konnte er mit Maschinen der Royal Air Maroc nach Tanger oder Casablanca fliegen. Von dort aus waren internationale Anschlüsse möglich. Pavese verließ das Hotel und ging zum Taxistand. Franco folgte ihm langsam. Das war zu erwarten gewesen. Franco hatte in weiser Voraussicht bereits ein Taxi für eine eventuelle Verfolgung gemietet. Er schwang sich auf den Beifahrersitz. «Der dort ist es», sagte er nur. Der Fahrer wußte Bescheid. Das versprochene Trinkgeld würde ihn zu Höchstleistungen anspornen. -1 4 1 -
Die Fahrt ging außerhalb der alten Stadtmauern entlang. Der wuchtige Turm der Koutoubia-Moschee beherrschte die Silhouette der Stadt. Sie kreuzten den Place de la Liberte und bogen in die Avenue Mohammed V. ein. Damit schied der Bahnhof als Fahrtziel aus. Nach etwa 600 Metern bog das Taxi vor ihnen rechts ab. Jetzt war alles klar. Pavese wollte mit dem Wagen nach Casablanca. Es war eine Fahrt von einigen Stunden auf einer gut ausgebauten Straße, also kein Problem. «Überholen Sie den Wagen und stoppen Sie ihn», befahl Franco leise. Der Fahrer warf ihm einen raschen Seitenblick zu. Franco zog einen Schein aus der Tasche und klemmte ihn hinter die Blumenvase am Armaturenbrett. Der Fahrer grinste und zeigte dabei ein schadhaftes Gebiß. «Lenken Sie Ihren Kollegen irgendwie ab. Ich werde ihn entschädigen. Auf jeden Fall kommt der Mann dort vorn mit uns zurück.» Der Fahrer nickte und drückte aufs Gaspedal. Franco hatte sich seinen Fahrer vorher genau ausgesucht. Er hätte diesem Mann zwar nicht in den finsteren Souks von Marrakesch begegnen mögen, aber für seine Zwecke schien er genau der Richtige. Der Fahrer hupte und gestikulierte, bis der andere aufmerksam wurde. Sie verlangsamten beide die Fahrt, bis sie am Straßenrand zu stehen kamen, oder besser, bis Francos Fahrer den anderen zum Halten zwang. Franco stieg aus und ging nach hinten. In seiner Tasche umklammerte er den Griff seiner Waffe. Sie enthielt nur noch wenige Patronen. Franco riß die hintere Tür auf. Pavese hockte zusammengeduckt auf dem Sitz. Er zitterte, und sein Gesicht war leichenblaß. Wie eine fette Qualle, dachte Franco, er hat Angst, und er ist feige. «Was soll das?» stieß Pavese heraus. «Steigen Sie aus», sagte Franco ruhig. -1 4 2 -
«Ich denke nicht daran», zeterte der Mafioso. «Wer sind Sie überhaupt? Ich werde mich bei der Botschaft beschweren!» Franco lächelte sanft. «Eine gute Idee. Wir können gemeinsam hingehen.» Pavese klappte fast der Unterkiefer herunter. «Sind Sie Amerikaner?» Franco nickte. «Steigen Sie aus! Ich habe nicht mehr lange Geduld.» «Sie haben keine Rechte in diesem Land, falls Sie von irgendeiner Behörde sind. Das gibt einen Skandal. Das ist Menschenraub!» Franco zog seine Waffe. «Jetzt reicht's.» Pavese schrak zurück, kletterte aber wortlos aus dem Wagen. Er kannte das Spiel und wußte, wann Widerstand sinnlos war. Franco tastete ihn ab, aber er trug keine Waffe. Dann dirigierte er ihn zu seinem Taxi und beförderte ihn auf dem Rücksitz. Das Gepäck wurde inzwischen umgeladen, der andere Fahrer bekam ein großzügiges Trinkgeld. Dann fuhren sie zurück. «Was wollen Sie von mir?» fragte Pavese nach einer ganzen Zeit. Seine Stimme zitterte. «Wir werden uns unterhalten», sagte Franco, «und ich denke, daß Sie mir eine ganze Menge erzählen können. Sie haben verloren, Don Pavese, und es wird Zeit, daß Sie es einsehen.» «Wer sind Sie? FBI?» «Ich bin Franco Solo. Alle Ausreden, die Sie sich bisher ausgedacht haben, können Sie vergessen. Sie haben keine Chance mehr.» Pavese sank in die Polster zurück und schien zusammenzuschrumpfen. Diese Eröffnung hatte ihm den Rest gegeben. Er schien kurz vor einem Herzinfarkt zu stehen. Franco war sicher, daß er bekommen würde, was er wollte. ***
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Franco Solo hatte sich einige Male verlaufen, aber jetzt stand er schließlich doch vor dem Haus in der Altstadt von Marrakesch, in dem er Colonel Warner begegnet war. Er tastete mit der Hand nach dem dicken Päckchen in seiner Brusttasche. Das Geständnis von Allessandro Pavese war äußerst umfangreich. Der Mafiaboß hatte gesungen wie eine Nachtigall. Seite für Seite hatte er beschrieben, jede einzelne Seite unterzeichnet und mit Fingerabdrücken versehen. Mit diesem Material hatte das Justizministerium der USA sicher einige Zeit zu tun. Und gegen eine ganze Reihe von Leuten konnte man endlich Verfahren eröffnen. Pavese hatte viel gewußt... Franco hatte ihn laufen lassen. Es wäre ohnehin kaum möglich gewesen, ihn als Gefangenen außer Landes zu bringen. Pavese war trotzdem nicht zu beneiden. Sein Leben war ab sofort keinen Cent mehr wert. Für die Mafia galt er als Verräter. Und für Verräter gab es nur eine einzige Strafe. Man würde ihn erbarmungslos jagen, bis sich der teuflische Kreislauf von Gewalt und Tod schloß. Vielleicht kam Pavese eines Tages und stellte sich freiwillig. Er würde bald einsehen, daß es die einzige Chance war, die er noch hatte. Dann bekam er eine neue Identität, und die USMarshalls bewachten ihn rund um die Uhr. Es war zwar kein Leben in völliger Freiheit, aber immerhin besser als der Tod. Franco hatte kein Mitleid mit Paveses Schicksal. Wer sich einmal mit der Mafia eingelassen hatte, kam nicht wieder von ihr los. Das galt sogar für Franco Solo selbst. Die Mafia bestimmte sein Leben, und eines Tages würde ihn auch sein Schicksal einholen, aber es hatte keinen Sinn, sich jetzt darüber Gedanken zu machen. Franco durchquerte mit raschen Schritten den kühlen Innenhof. Der kleine Springbrunnen plätscherte wie damals, und es schien ihm, als sei es erst gestern gewesen. Es war ja immerhin möglich, daß man ihm hier sagen konnte, wo sich Colonel Warner aufhielt. Da Franco seine ganze Ausrüstung inklusive seines Funkgerätes bei seinem Einsatz -1 4 4 -
verloren hatte, konnte er keine Verbindung mit seinem Chef aufnehmen. Franco öffnete die holzgeschnitzte Tür und trat in die große Halle mit dem angenehmen Dämmerlicht. «Kommen Sie ruhig herein», sagte eine wohlbekannte Stimme. «Ich habe mir schon gedacht, daß Sie hierher kommen.» Franco lächelte. «Sie waren doch nur neugierig, was ich zu berichten habe. Aus Freundlichkeit haben Sie bestimmt nicht auf mich gewartet.» Colonel Warner kam aus dem Hintergrund näher. «Ob Sie es glauben oder nicht, ich freue mich trotzdem, Sie wiederzusehen.» Dann wurde seine Stimme ernst. «Was geschehen ist, habe ich inzwischen erfahren. Ich frage mich nur, was Sie in den letzten Tagen noch getrieben haben.» Franco zog das Päckchen aus der Tasche. «Hier steht alles drin. Mehr, als Sie erwartet haben.» Warner wog das Päckchen in der Hand. Ein Lächeln glitt über sein Gesicht. «Möchten Sie einen Tee?» «Ja, gern», antwortete Franco. ENDE
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