DER AUTOR
DIE SERIE
R. L. Stine wurde 1943 in einem kleinen Vorort von Columbus/Ohio geboren. Bereits mit 9 Jahren en...
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DER AUTOR
DIE SERIE
R. L. Stine wurde 1943 in einem kleinen Vorort von Columbus/Ohio geboren. Bereits mit 9 Jahren entdeckte er seine Liebe zum Schreiben. Seit 1965 lebt er in New York City, wo er zunächst als Lektor tätig wurde. Seine ersten Bücher waren im Bereich Humor angesiedelt. Seit 1986 hat er sich jedoch ganz den Gruselgeschichten verschrieben.
Der Autor selbst sagt: »Das Lesen eines Gruselbuchs ist wie eine Fahrt mit der Achterbahn: Kinder haben gerne Angst, wenn sie wissen, was sie erwartet; sie wissen, dass sie unterwegs fürchterlich schreien werden, aber sie wissen auch, dass sie am Ende der Fahrt wieder sicher am Boden ankommen werden.« Seit 1992 der erste Band von GÄNSEHAUT (GOOSEBUMPS) in Amerika erschienen ist, hat sich die Serie binnen kürzester Zeit zu dem Renner entwickelt. Durch GÄNSEHAUT sind - das belegen zahlreiche Briefe an den Autor - viele Kinder, die sich bis dato nicht sonderlich für Bücher interessiert haben, zu Lesern geworden.
R. L Stine
Das Geisterpiano
Aus dem Amerikanischen von Günter W. Kienitz
Band 20932
Der Taschenbuchverlag für Kinder und Jugendliche von C. Bertelsmann,
Siehe Anzeigenteil am Ende des Buches für eine Aufstellung der bei OMNIBUS erschienenen Titel der Serie.
Erstmals als OMNIBUS Taschenbuch Februar 2001 Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Goosebumps # 13: Piano Lessons can be Murder« bei Scholastic, Inc., New York © 1993 byThe Parachute Press, Inc. All rights reserved Published by arrangement with Scholastic, Inc., 555 Broadway, New York, NY 10012, USA »Goosebumps«™ and »Gänsehaut«™ and its logos are registered trademarks of The Parachute Press, Inc. © 1998 für die deutsche Übersetzung C. Bertelsmann Jugendbuch Verlag, München in der Verlagsgruppe Bertelsmann GmbH Alle deutschsprachigen Rechte, insbesondere auch am Serientitel »Gänsehaut«, vorbehalten durch C. Bertelsmann Jugendbuch Verlag, München Übersetzung: Günter W. Kienitz Umschlagkonzeption: Klaus Renner Ht Herstellung: Stefan Hansen Satz: Uhl + Massopust, Aalen Druck: Presse-Druck Augsburg ISBN 3-570-20932-6 • Printed in Germany 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1
Eigentlich hatte ich gedacht, ich würde es hassen, in ein neues Haus zu ziehen. Aber dann machte es sogar Spaß. Ich spielte meinen Eltern einen ganz schön fiesen Streich. Während sie in einem der zur Straße hin gelegenen Zimmer den Möbelpackern zeigten, wo sie unsere Sachen hinstellen sollten, zog ich los, um das Haus unter die Lupe zu nehmen. Neben dem Esszimmer fand ich einen ziemlich hübschen Raum. Er hatte an zwei Seiten große Fenster, von denen man auf den Garten hinterm Haus schaute. Das Sonnenlicht fiel ins Zimmer und machte es heller und um einiges freundlicher als den Rest des alten Hauses. Der Raum sollte unser neues Allzweckzimmer werden. Mit einem Fernseher, einem CD-Player und vielleicht einer Tischtennisplatte und solchen Sachen. Aber im Augenblick stand er noch völlig leer. Abgesehen von zwei dicken, grauen Staubkugeln in einer Ecke, die mich auf eine Idee brachten. Vor mich hin kichernd, bückte ich mich und formte die beiden Staubkugeln mit den Händen zurecht. Dann brüllte ich in gespielter Panik los: »Mäuse! Mäuse! Hilfe! Mäuse!« Meine Eltern kamen gleichzeitig ins Zimmer geschossen. Der Mund blieb ihnen vor Erstaunen weit offen stehen, als sie die beiden grauen Staubmäuse sahen. Ich hörte nicht auf zu brüllen: »Mäuse, Mäuse!«, und dazu tat ich so, als fürchtete ich mich vor ihnen. Dabei gab ich mir große Mühe, mich nicht durch ein Grinsen zu verraten. Meine Mutter blieb mit weit aufgerissenem Mund im Türrahmen stehen. Ich befürchtete echt schon, sie würde jeden Moment ihre Zähne verlieren. Dad gerät immer viel mehr in Panik als Mom. Er schnappte sich einen Besen, der an der Wand lehnte, lief durchs Zimmer und 5
fing an, damit auf die armen, wehrlosen Staubmäuse einzuschlagen. In diesem Moment prustete ich laut los. Dad blickte auf den Staubklumpen hinunter, der am Besenende hing, und kapierte endlich, dass das Ganze ein Streich war. Sein Gesicht wurde knallrot und ich dachte schon, seine Augen würden hinter seiner Brille hervorspringen. »Sehr komisch, Jerome«, sagte Mom ruhig und verdrehte die Augen. Normalerweise nennen mich alle Jerry, aber wenn Mom sauer auf mich ist, nennt sie mich Jerome. »Dein Vater und ich wissen es wirklich zu schätzen, dass du uns zu Tode erschreckst, wo wir sowieso schon nervös und überarbeitet sind und alle Hände voll damit zu tun haben, unseren Umzug in das neue Haus zu regeln.« Mom ist immer echt sarkastisch - so wie in jenem Moment. Ich denke, ich habe meinen Sinn für Humor wahrscheinlich von ihr geerbt. Dad kratzte sich an der kahlen Stelle an seinem Hinterkopf. »Sie haben wirklich wie echte Mäuse ausgesehen«, murmelte er. Er war nicht sauer. Er ist an meine Streiche gewöhnt. Das sind sie beide. »Warum kannst du dich nicht deinem Alter entsprechend benehmen?«, fragte Mom und schüttelte den Kopf. »Aber das tu ich doch!«, sagte ich nachdrücklich. Ich bin zwölf. Also benahm ich mich doch meinem Alter entsprechend, oder? Wenn man mit zwölf seinen Eltern keine Streiche spielen und versuchen darf, ein bisschen Spaß zu haben, wann denn dann? »Sei nicht immer so naseweis«, sagte Dad und warf mir einen ernsten Blick zu. »Dir ist doch klar, dass es hier noch eine ganze Menge zu tun gibt, Jerry. Du könntest uns dabei ruhig ein wenig zur Hand gehen.« Er schob mir den Besen zu. Ich hob beide Hände, als wollte ich eine drohende Gefahr abwehren, und wich zurück. »Dad, du weißt doch, dass ich allergisch bin«, rief ich. »Allergisch gegen Staub?«, fragte er. »Nein. Allergisch gegen Arbeit!«
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Ich erwartete eigentlich, dass sie lachen würden, aber sie stürmten einfach aus dem Zimmer und maulten vor sich hin. »Du könntest dich wenigstens um Bonkers kümmern«, rief Mom zu mir zurück. »Sorg dafür, dass sie den Möbelpackern nicht zwischen den Beinen herumläuft.« »Klar. Sicher«, antwortete ich. Bonkers ist unsere Katze und es ist völlig unmöglich, sie von irgendetwas abzuhalten, was sie wirklich tun möchte. Ich sage am besten gleich ganz direkt, dass Bonkers nicht gerade mein Lieblingsfamilienmitglied ist. Genau genommen gehe ich Bonkers nach Möglichkeit aus dem Weg. Offensichtlich hat dieser doofen Katze nie jemand beigebracht, dass sie eigentlich ein Haustier ist. Stattdessen denkt sie wohl, sie wäre ein wilder, Menschen fressender Tiger. Oder vielleicht eine Vampirfledermaus. Ihr Lieblingstrick besteht darin, auf eine Stuhllehne oder ein hohes Regal zu klettern - und einem dann mit ausgefahrenen Krallen auf die Schulter zu springen. Ich kann gar nicht sagen, wie viele meiner T-Shirts sie mit diesem Trick bereits zerfetzt hat. Oder wie viel Blut ich dadurch verloren habe. Diese Katze ist schlimm - durch und durch bösartig. Abgesehen von einem runden, weißen Fleck, der sich über ihre Stirn und eines ihrer Augen zieht, ist sie völlig schwarz. Mom und Dad finden sie einfach wunderbar. Sie nehmen sie ständig auf den Arm, streicheln sie und flüstern ihr zu, wie anbetungswürdig sie doch sei. Bonkers kratzt sie dann gewöhnlich so sehr, dass sie bluten. Aber sie lernen nie daraus. Als wir in dieses neue Haus umzogen, hoffte ich, dass Bonkers vielleicht vergessen werden würde. Aber von wegen! Mom sorgte persönlich dafür, dass das blöde Vieh als Allererstes im Auto war. Und natürlich kotzte die dämliche Katze auf den Rücksitz. Wer hat schon mal von einer Katze gehört, die das Autofahren nicht verträgt? Sie machte das absichtlich, aus purer Bosheit. Da bin ich mir sicher. Wie auch immer. - Ich ignorierte Moms Aufforderung, ein Auge auf Bonkers zu haben. Stattdessen schlich ich in die Küche, öffnete 7
die Hintertür und hoffte, dass sie vielleicht weglaufen und sich verirren würde. Dann machte ich mit meiner Hauserkundung weiter. Unser früheres Haus war klein, aber neu gewesen. Dieses hier war alt. Die Bodendielen knarrten. Die Fenster klapperten. Das ganze Haus schien zu stöhnen, wenn man darin herumging. Aber es war riesig. Ich entdeckte viele kleine Zimmer und tiefe Wandschränke, von denen einer doch glatt so groß war wie meine frühere Bude! Mein neues Reich lag am Ende des Flurs im ersten Stock. Es gab da oben noch drei weitere Schlafzimmer und ein Bad. Ich fragte mich, was Mom und Dad mit dem ganzen Platz wohl vorhatten. Ich beschloss, ihnen vorzuschlagen, aus einem der Zimmer einen Nintendo- Raum zu machen. Wir könnten einen Großbildfernseher aufstellen und Videogames darauf spielen. Das würde mir gefallen. Während ich die Pläne für mein neues Videospielzimmer schmiedete, stieg meine Stimmung gleich ein bisschen. Es ist ja nicht gerade leicht, in ein neues Haus in einer neuen Stadt zu ziehen. Ich gehöre zwar nicht zu der Sorte Kinder, die häufig weinen. Aber ich muss gestehen, dass mir oft zum Heulen zu Mute war, als meine Eltern beschlossen, von Cedarville wegzuziehen. Vor allem, als ich mich von meinen Freunden verabschieden musste. Am schlimmsten war der Abschied von Sean. Sean ist ein toller Typ. Mom und Dad mögen ihn nicht besonders, weil er gerne Lärm macht und laut rülpst. Aber Sean ist mein bester Freund. Ich meine, er war mein bester Freund. Hier in New Goshen habe ich überhaupt keine Freunde. Mom hat gesagt, Sean könnte im Sommer ein paar Wochen zu uns kommen. Es war wirklich nett von ihr, ihn einzuladen, obwohl sie seine Rülpserei so hasst. Aber deswegen fühlte ich mich noch lange nicht besser. Doch während ich so das neue Haus erforschte, stieg meine Stimmung. Aus dem Zimmer neben meinem könnte man einen 8
Trainingsraum machen, entschied ich. Wir würden uns all diese toll aussehenden Fitnessgeräte kaufen, die sie immer im Fernsehen zeigen. Die Möbelpacker schleppten gerade meine Sachen in mein neues Zimmer, deshalb konnte ich da nicht rein. Ich öffnete eine Tür, hinter der ich einen Wandschrank vermutete. Doch zu meiner Überraschung entdeckte ich eine enge Holztreppe. Eine Holztreppe, die allem Anschein nach auf einen Speicher führte. Ein Speicher! Noch nie zuvor hatten wir einen Speicher gehabt. Wahrscheinlich ist er mit allen möglichen tollen, alten Sachen voll gestopft, dachte ich aufgeregt. Vielleicht haben die Leute, die früher hier lebten, ihre Sammlung alter Comichefte hier gelassen - und die ist jetzt Millionen wert! Ich war schon auf halbem Weg nach oben, als ich Dads Stimme hinter mir hörte. »Jerry, wo gehst du hin?« »Auf den Speicher«, antwortete ich. Das war doch eigentlich ziemlich offensichtlich. »Du solltest da wirklich nicht alleine hinaufgehen«, warnte er mich. »Warum denn nicht? Gibt's da oben Gespenster oder so was?«, fragte ich. Ich konnte schwere Schritte auf der Holztreppe hören. Er kam mir hinterher. »Heiß hier oben«, murmelte er, während er die Brille auf seiner Nase zurechtrückte. »Hier ist es aber schrecklich stickig.« Er zog an einer Kette, die von der Decke herabhing. Eine Deckenlampe ging an und warf ein fahles, gelbliches Licht auf uns herunter. Ich sah mich rasch um. Der ganze Speicher bestand aus einem einzigen langen, niedrigen Raum, dessen Decke zu beiden Seiten unter dem Dach schräg abfiel. Ich bin nicht sehr groß, aber als ich meinen Arm hochstreckte, berührte ich mit den Fingerspitzen die Deckenbalken. An beiden Giebelseiten gab es ein winziges, rundes Fenster. Aber die Scheiben waren mit Staub bedeckt und ließen nicht viel Licht herein. 9
»Er ist leer«, murmelte ich enttäuscht. »Wir können hier oben eine Menge Zeug abstellen«, sagte Dad, während er sich umsah. »He - was ist das denn?« Ich hatte etwas an der gegenüberliegenden Wand entdeckt und ging rasch darauf zu. Die Dielen quietschten und knarrten unter den Sohlen meiner Turnschuhe. Ich sah eine graue Steppdecke, die über irgendetwas Großem lag. Vielleicht eine Schatztruhe, dachte ich. Mir hat noch nie jemand vorgeworfen, dass ich zu wenig Vorstellungskraft besäße. Dad war dicht hinter mir, als ich die schwere Decke packte und sie wegzog. Ein glänzender schwarzer Flügel kam zum Vorschein. »Wow«, murmelte Dad und während er voller Überraschung den Flügel anstarrte, kratzte er sich am Hinterkopf. »Warum haben sie den denn nur zurückgelassen?« Ich zuckte die Achseln. »Er sieht wie neu aus«, sagte ich und schlug mit dem Zeigefinger ein paar Tasten an. »Klingt gut.« Dad klimperte ebenfalls ein bisschen herum. »Das ist ein wirklich hervorragender Flügel«, sagte er und strich mit der Hand sanft über die Tastatur. »Ich frage mich bloß, warum er so versteckt hier oben auf dem Speicher steht...« »Da steckt bestimmt ein Geheimnis dahinter«, stimmte ich ihm zu. Doch ich hatte nicht die leiseste Ahnung. In dieser Nacht konnte ich nicht einschlafen. Es war einfach unmöglich. Ich lag zwar in meinem vertrauten, alten Bett, aber es stand in der falschen Richtung. Und an einer anderen Wand. Und das Licht von der Veranda der Nachbarn schien durchs Fenster. Und der Fensterrahmen klapperte im Wind. Und allerhand unheimliche Schatten bewegten sich an der Zimmerdecke hin und her. Ich werde in diesem neuen Zimmer niemals einschlafen können, redete ich mir ein. Es ist so anders. So unheimlich. So riesengroß. Ich werde wohl für den Rest meines Lebens wach bleiben. 10
So lag ich da mit weit geöffneten Augen und starrte zu den seltsamen Schatten hinauf. Ich hatte mich gerade ein wenig entspannt und war kurz davor, einzuschlafen, als ich die Musik hörte. Klaviermusik. Zuerst dachte ich, sie käme von draußen. Doch dann stellte ich rasch fest, dass sie von über mir kam. Vom Speicher! Ich setzte mich auf und lauschte. Ja. Irgendeine Art klassischer Musik. Direkt über meinem Kopf. Ich strampelte die Decke zur Seite und setzte die Füße auf den Boden. Wer konnte bloß mitten in der Nacht oben auf dem Speicher sein und Klavier spielen?, fragte ich mich. Dad bestimmt nicht. Schließlich kannte er nicht eine einzige Note. Und das Einzige, was Mom spielen konnte, war »Für Elise«, und das auch nicht besonders gut. Vielleicht ist es Bonkers, sagte ich mir. Ich stand auf und lauschte. Die Musik spielte weiter. Ganz leise. Aber ich konnte sie deutlich hören. Jeden einzelnen Ton. Ich ging in Richtung Tür und stieß mit dem großen Zeh gegen einen Umzugskarton, der noch nicht ausgepackt war. »Au!«, schrie ich auf, hielt meinen Fuß und hüpfte auf einem Bein herum, bis der Schmerz nachließ. Ich wusste, dass Mom und Dad mich nicht hören konnten. Ihr Schlafzimmer befand sich im Erdgeschoss. Ich hielt den Atem an und lauschte. Die Klaviermusik über meinem Kopf war immer noch zu hören. Langsam und vorsichtig trat ich aus meinem Zimmer auf den Flur hinaus. Die Dielen knarrten unter meinen nackten Füßen. Der Boden war kalt. Ich öffnete die Speichertür und tastete mich in die Dunkelheit. Die Musik drang leise zu mir herunter. Es war ein sehr langsames, ein sehr trauriges Stück. »Wer - wer ist da oben?«, fragte ich stotternd.
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Die traurige Musik spielte weiter und schwebte über die dunkle, enge Treppe zu mir herab. »Wer ist da oben?«, wiederholte ich und meine Stimme bebte ein bisschen. Wieder gab es keine Antwort. Ich reckte mich in die Dunkelheit und spähte zum Speicher hinauf. »Mom, bist du das? Dad?« Keine Antwort. Die Melodie klang schrecklich traurig und war sehr getragen. Bevor mir selbst richtig klar wurde, was ich da tat, stieg ich die Stufen hinauf. Sie ächzten laut unter meinen nackten Füßen. Die Luft wurde heiß und stickig, als ich das obere Ende der Treppe erreichte und in den dunklen Speicher trat. Die Klaviermusik umgab mich jetzt. Die Töne schienen von allen Seiten gleichzeitig zu kommen. »Wer ist da?«, wollte ich mit schriller, hoher Stimme wissen. Ich hatte Angst. »Wer ist hier oben?« Etwas streifte mein Gesicht und ich machte erschrocken einen Sprung zurück. Ich brauchte einen langen, schaurigen Moment, bis mir klar wurde, dass es die Kette der Lampe war. Ich tastete in der Dunkelheit und zog daran. Fahles, gelbliches Licht breitete sich in dem lang gezogenen, schmalen Raum aus. Die Musik verstummte. »Wer ist hier oben?«, rief ich und blinzelte zu dem Flügel an der gegenüberliegenden Wand hinüber. Niemand. Dort war niemand. Niemand saß am Klavier. Stille. Abgesehen vom Knarren der Bodenbretter unter meinen Füßen, als ich hinüberging. Ich starrte das Instrument an, starrte auf die Tasten.
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Ich weiß nicht, was ich zu sehen erwartet hatte. Irgendjemand hatte Klavier gespielt. Irgendjemand hatte bis zu genau dem Augenblick, als das Licht anging, gespielt. Wo war er jetzt? Ich bückte mich und sah unter dem Flügel nach. Ich weiß, das war doof, aber ich konnte nicht ganz klar denken. Mein Herz schlug heftig und in meinem Kopf wirbelten alle möglichen verrückten Gedanken durcheinander. Ich beugte mich über das Piano und betrachtete die Tastatur. Vielleicht war es ja eines dieser altmodischen Instrumente, die von ganz alleine spielten. Ein Pianola. So eins, wie man es manchmal in Comics sieht. Aber es sah wie ein ganz gewöhnlicher Flügel aus. Ich konnte nichts Besonderes daran entdecken. Ich setzte mich auf die Bank. Und sprang hoch. Die Klavierbank war warm! Als hätte jemand gerade eben noch darauf gesessen! »Oh!«, entfuhr es mir überrascht und ich glotzte auf die glänzende, schwarze Bank. Ich langte hinunter und strich mit der Hand über die Sitzfläche. Sie war tatsächlich warm. Aber dann sagte ich mir, dass schließlich der ganze Speicher ziemlich warm war, viel wärmer als das übrige Haus. Die Hitze schien hierherauf zu strömen und hängen zu bleiben. Ich setzte mich wieder hin und wartete darauf, dass mein rasender Herzschlag wieder zum normalen Rhythmus zurückfand. Was geht hier vor sich?, fragte ich mich, wandte mich wieder dem Flügel zu und starrte ihn an. Das schwarze Holz war so gründlich poliert, dass ich das Spiegelbild meines Gesichtes sehen konnte, das mir entgegenstarrte. Mein Spiegelbild sah ganz schön verschreckt aus. Ich senkte meinen Blick auf die Tastatur und schlug dann ein paar leise Töne an. Jemand hatte bis vor wenigen Augenblicken auf diesem Instrument gespielt. Das war klar. Aber wie hatte er sich in Luft auflösen können, ohne dass ich ihn gesehen hatte? Ich schlug noch einen Ton an und dann noch einen. Der Klang hallte in dem lang gestreckten, leeren Raum wider. 13
Dann hörte ich ein lautes Knarren. Vom unteren Ende der Treppe. Eine Hand noch immer auf den Klaviertasten, erstarrte ich. Noch ein Knarren. Das Geräusch eines Schrittes. Ich stand auf. Meine Beine fühlten sich schrecklich zittrig an. Ich lauschte. Ich lauschte so angestrengt, dass ich meinte, die Bewegung der Luft hören zu können. Noch ein Schritt. Lauter. Näher. Jemand war auf der Treppe. Jemand kam auf den Speicher heraufgestiegen. Jemand war hinter mir her.
Knarrend gaben die Stufen unter schweren Schritten nach. Mir stockte der Atem. Ich hatte das Gefühl zu ersticken. Während ich wie erstarrt vor dem Piano stand, sah ich mich nach einer Stelle um, wo ich mich verstecken konnte. Aber natürlich gab es keine. Wieder knarrte es. Und dann, während ich voller Entsetzen zur Tür starrte, kam am Treppenabsatz ein Kopf zum Vorschein. »Dad!«, schrie ich. »Jerry, was um alles in der Welt machst du hier oben?« Er trat in den fahlen Lichtschein. Seine spärlichen Haare standen ihm rundherum vom Kopf ab. Seine Schlafanzughose war verdreht. Eines der Beine war bis zum Knie hochgerollt. Verschlafen blinzelte er mich an. Er hatte seine Brille nicht auf. »Dad... ich... ich dachte...«, stotterte ich. Mir war klar dass ich mich wie ein kompletter Idiot anhörte. Na ja schließlich war ich vor Schreck ja auch wie gelähmt!
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»Weißt du eigentlich, wie spät es ist?«, wollte Dad wütend wissen. Er warf einen Blick auf sein Handgelenk, doch er hatte seine Uhr nicht um. »Es ist mitten in der Nacht, Jerry!« »Ich... ich weiß, Dad«, sagte ich und begann mich schon wieder ein bisschen besser zu fühlen. Ich ging auf ihn zu. »Ich habe Klaviermusik gehört, weißt du. Und da dachte ich...« »Du hast was?« Er riss Augen und Mund weit auf. »Was hast du gehört?« »Klaviermusik«, wiederholte ich. »Von hier oben. Deshalb bin ich heraufgekommen, um nachzusehen und ...« »Jerry!«, explodierte Dad. Sein Gesicht färbte sich knallrot. »Es ist nicht die Uhrzeit für dämliche Streiche!« »Aber Dad ...«, begann ich zu protestieren. »Deine Mutter und ich haben den ganzen Tag ausgepackt und Möbel bewegt und uns damit fast umgebracht«, fiel er mir ins Wort und seufzte müde. »Wir sind beide fix und fertig, Jerry. Eigentlich sollte ich dir nicht sagen müssen, dass ich für Streiche im Augenblick nicht in der Stimmung bin. Ich muss morgen früh wieder an die Arbeit. Ich brauche ein bisschen Schlaf.« »Tut mir Leid, Dad«, sagte ich kleinlaut. Mir war klar, dass ich ihn unmöglich dazu bringen konnte, mir das mit der Klaviermusik zu glauben. »Ich weiß, dass es aufregend für dich ist, in einem neuen Haus zu sein«, sagte Dad und legte mir eine Hand auf die Schulter, »aber komm jetzt. Zurück in dein Zimmer. Du brauchst deinen Schlaf genauso wie wir.« Ich warf einen letzten Blick auf den Flügel. Er schimmerte dunkel im bleichen Lichtschein. Er sah aus, als würde er atmen. Als wäre er lebendig. Ich stellte mir vor, wie er hinter mir herrumpelte und mich die Treppe hinunter jagte. Verrückte, unheimliche Gedanken. Ich war wohl müder, als ich gemeint hatte! »Würdest du gerne lernen, darauf zu spielen?«, fragte Dad plötzlich. »Was?« Seine Frage kam ziemlich überraschend für mich.
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»Würdest du gerne Klavierstunden nehmen? Wir könnten den Flügel nach unten bringen lassen. Im Wohnzimmer ist genug Platz dafür.« »Na ja ... vielleicht«, antwortete ich. »Ja. Das wäre bestimmt toll.« Er nahm seine Hand von meiner Schulter. Dann zupfte er seine Schlafanzughose zurecht und ging die ersten Stufen der Treppe hinunter. »Ich werde das mit deiner Mutter besprechen«, sagte er. »Ich bin sicher, es würde ihr gefallen. Sie hat sich schon immer gewünscht, dass wenigstens einer in der Familie musikalisch ist. Zieh an der Lampenkette, ja?« Gehorsam langte ich nach oben und schaltete das Licht aus. Die plötzliche Dunkelheit war so tief, dass sie mich erschreckte. Ich blieb dicht hinter meinem Vater, als wir die knarrenden Stufen hinunter stiegen. Zurück in meinem Bett, zog ich mir die Decke bis ans Kinn hoch. Es war eiskalt in meinem Zimmer. Draußen stürmte der Winterwind und rüttelte an den Fensterläden. Das Fenster klapperte, als zitterte es vor Kälte. Klavierstunden könnten Spaß machen, dachte ich. Aber nur, wenn sie mich etwas Rockiges auf dem Klavier lernen lassen würden, nicht dieses schmalzige, langweilige Klassikzeug. Nach ein paar Unterrichtsstunden konnte ich vielleicht einen Synthesizer bekommen. Und zwei oder drei verschiedene Keyboards, die ich an meinen Computer anschließen könnte. Dann würde ich ein bisschen komponieren. Vielleicht eine Band zusammenbekommen. Ja. Das könnte echt ganz toll werden. Ich schloss die Augen. Das Fenster klapperte wieder. Das alte Haus schien zu stöhnen. Ich werde mich an diese Geräusche schon noch gewöhnen, versuchte ich mich selbst zu beruhigen. Ich werde mich an dieses alte Haus gewöhnen. Nach ein paar Nächten werden mir die Geräusche gar nicht weiter auffallen. Ich war beinahe eingeschlafen, als die leise, traurige Klaviermusik von neuem erklang.
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Am Montagmorgen wachte ich sehr früh auf. Mein Katzenwecker, dessen Schwanz und Augen sich bewegten, war noch nicht ausgepackt. Aber am bleichen, grauen Licht, das durch mein Fenster fiel, erkannte ich, dass es noch recht früh war. Ich zog mir rasch eine saubere, verwaschene Jeans und ein dunkelgrünes Sweatshirt, das nicht allzu verknautscht war, an. Dies war mein erster Tag in meiner neuen Schule und ich war ganz schön hippelig deswegen. Ich verbrachte mehr Zeit mit meinen Haaren als sonst. Mein Haar ist braun und dicht und drahtig und ich brauche immer lange dazu, es glatt und so in Form zu bekommen, wie es mir am besten gefällt. Als es schließlich richtig lag, ging ich den Flur entlang zur Treppe. Im Haus war es noch still und dunkel. Vor der Tür zum Speicher hielt ich an. Sie stand weit offen. Hatte ich sie etwa nicht zugemacht, als ich letzte Nacht mit meinem Vater von oben heruntergekommen war? Doch. Ich erinnere mich daran, dass ich sie fest zugezogen hatte. Und nun stand sie auf einmal sperrangelweit offen. Ich spürte einen kalten Schauer im Nacken. Ich machte die Tür zu und achtete darauf, dass das Schloss einschnappte. Jerry, reg dich nicht auf, beschwichtigte ich mich selbst. Vielleicht rastet der Riegel nicht richtig ein. Vielleicht geht die Speichertür immer von ganz alleine auf. Das hier ist ein altes Haus, schon vergessen? Ich hatte über die Klaviermusik nachgegrübelt. Vielleicht war es nur der Wind, der über die Saiten gestrichen hatte, sagte ich mir. Vielleicht gab es ja ein Loch oder so etwas in einem der Speicherfenster. Und da blies der Wind hindurch und verursachte etwas, das so klang, als spielte jemand auf dem Flügel. Ich wollte gerne glauben, dass der Wind die langsame, traurige Musik hatte ertönen lassen. Ich wollte das gerne glauben, also tat ich es auch.
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Ich guckte mir die Tür zum Speicher noch einmal genau an, um sicherzugehen, dass das Schloss auch wirklich richtig eingeschnappt war. Dann ging ich hinunter in die Küche. Meine Eltern waren noch immer in ihrem Zimmer. Ich konnte hören, dass sie sich fürs Frühstück fertig machten. In der Küche war es dunkel und ein bisschen kalt. Ich hätte die Heizung gerne höher gedreht, wusste aber nicht, wo sich der Thermostat befand. Die Küchensachen waren noch nicht alle ausgepackt. An der Wand standen aufeinander gestapelte Kartons voll mit Gläsern und Tellern und allerlei anderem Zeug. Ich hörte jemanden den Flur entlangkommen. Ein großer, leerer Karton neben dem Kühlschrank brachte mich auf eine Idee. Vor mich hin kichernd, sprang ich hinein und zog den Deckel über mir zu. Ich hielt den Atem an und wartete. Schritte kamen in die Küche. Ich konnte nicht feststellen, ob es die von meiner Mutter oder von meinem Vater waren. Mein Herz schlug heftig. Ich hielt weiterhin den Atem an. Hätte ich das nicht getan, da war ich mir sicher, hätte ich schallend losgelacht. Die Schritte gingen direkt an meinem Karton vorbei zur Spüle. Wer auch immer das war, füllte den Wasserkessel. Die Schritte gingen zum Herd. Ich konnte nicht mehr länger abwarten. »ÜBERRASCHUNG!«, brüllte ich und sprang im Karton auf. Dad kreischte erschrocken auf und ließ den Wasserkessel fallen. Der landete mit einem lauten platsch auf seinem Fuß und kippte dann auf dem Boden um. Das Wasser schwappte um Dads Füße herum. Der Wasserkessel rollte bis zum Herd. Dad heulte auf, hielt seinen schmerzenden Fuß und hüpfte dabei auf dem anderen Bein auf und ab. Ich lachte wie ein Verrückter. Du hättest Dads Gesicht sehen sollen, als ich aus dem Karton hervorsprang. Ich dachte echt, ihm würden glatt die Augen aus dem Kopf fallen! Mom kam in den Raum gestürmt, während sie noch dabei war, die Manschetten ihrer Ärmel zuzuknöpfen. »Was ist denn hier los?«, rief sie. 18
»Es ist nur Jerry und einer seiner albernen Späße«, brummte Dad. »Jerome!«, schrie Mom, als sie all das verschüttete Wasser auf dem Linoleum sah. »Kannst du nicht aufhören, auf unseren Nerven herumzutrampeln?« »Ich versuche nur, euch beim Wachwerden zu helfen«, sagte ich und grinste. Sie beklagen sich zwar oft, aber sie sind langsam an meinen schrägen Humor gewöhnt. In dieser Nacht hörte ich wieder die Klaviermusik. Das war eindeutig nicht der Wind. Ich erkannte dieselbe traurige Melodie wie in der Nacht zuvor. Ich lauschte ein paar Augenblicke lang. Sie kam von direkt über meinem Zimmer. Wer ist da oben? Wer kann da spielen?, fragte ich mich. Ich war drauf und dran, aus dem Bett zu steigen und der Sache auf den Grund zu gehen. Aber in meinem Zimmer war es kalt und ich war von meinem ersten Tag in der neuen Schule hundemüde. Deshalb zog ich mir die Decke über den Kopf, um die Musik abzuschalten, und schlief rasch ein. »Hast du gestern Nacht die Klaviermusik gehört?«, fragte ich beim Frühstück meine Mutter. »Iss deine Cornflakes«, antwortete sie. Sie zog den Gürtel ihres Bademantels fester zusammen und beugte sich über den Küchentisch zu mir herüber. »Wie kommt's, dass ich Cornflakes essen muss?«, maulte ich und spielte mit meinem Löffel in der Schale herum. »Du kennst die Regel«, sagte sie stirnrunzelnd. »Das überzuckerte Zeug gibt's nur an Wochenenden.« »Blöde Regel«, meckerte ich. »Ich finde, Cornflakes sind auch nicht gesünder.« »Hör auf mich zu nerven«, sagte Mom und rieb sich die Schläfen. »Ich hab heute Morgen Kopfschmerzen.« »Von der Klaviermusik in der letzten Nacht?«, fragte ich. »Was für eine Klaviermusik?«, wollte sie irritiert wissen. »Was faselst du da andauernd?« 19
»Hast du es denn nicht gehört? Den Flügel auf dem Speicher? Jemand hat letzte Nacht daraufgespielt.« Sie sprang auf. »Oh Jerry, bitte. Keine albernen Späßchen heute Morgen, ja? Ich hab dir doch gesagt, dass ich Kopfschmerzen habe.« »Hab ich euch über den Flügel sprechen gehört?« Dad kam mit der Morgenzeitung in der Hand in die Küche. »Diese Leute werden heute Nachmittag kommen, um ihn ins Wohnzimmer herunterzuschaffen.« Er lächelte mich an. »Du kannst schon einmal deine Finger locker machen.« Mom war zur Anrichte gegangen, um sich eine Tasse Kaffee einzuschenken. »Bist du wirklich an diesem Flügel interessiert?«, wollte sie wissen und guckte mich dabei skeptisch an. »Wirst du dann auch wirklich darauf üben und dich richtig reinknien?« »Natürlich«, antwortete ich. »Vielleicht.« Die beiden Klavierträger waren gerade da, als ich von der Schule nach Hause kam. Sie waren nicht besonders groß, aber dafür hatten sie umso mehr Muskeln. Ich ging auf den Speicher und sah ihnen zu, während Mom Kartons aus dem Wohnzimmer schleppte, um Platz für den Flügel zu machen. Die beiden Männer benutzten Gurte und eine spezielle Transportkarre. Sie kippten den Flügel auf die Seite und hievten ihn dann auf die Karre. Es war eine ziemliche Plackerei, das Instrument die enge Treppe hinunterzuschaffen. Es stieß ein paar Mal gegen die Wand, obwohl sie es sehr langsam und vorsichtig bewegten. Beide Möbelpacker hatten knallrote Gesichter und waren durchgeschwitzt, als sie mit dem Flügel schließlich unten angekommen waren. Ich folgte ihnen, als sie ihn durch das Esszimmer rollten. Mom kam, die Hände in die Taschen ihrer Jeans gesteckt, aus der Küche und sah vom Türrahmen aus zu, wie sie den Karren mit dem Piano ins Wohnzimmer schoben. Die Männer mühten sich damit ab, ihn aufrecht zu stellen. Das schwarze, polierte Holz glänzte toll im hellen Licht der 20
Nachmittagssonne, das durch das Zimmerfenster hereinfiel. Dann, als die Männer sich anschickten, den Flügel auf den Boden abzusenken, öffnete Mom den Mund und fing an zu schreien.
»Die Katze! Die Katze!«, kreischte Mom mit schreckverzerrtem Gesicht. Tatsächlich, Bonkers stand genau an der Stelle, wo sie das Piano absetzen wollten. Der Flügel rumste schwer auf den Boden. Bonkers schoss gerade noch rechtzeitig darunter hervor. Zu dumm!, dachte ich und schüttelte den Kopf. Beinahe hätte die doofe Katze bekommen, was sie verdiente. Die Männer entschuldigten sich, während sie keuchend nach Luft rangen und sich mit ihren rot-weißen Halstüchern die Stirn abwischten. Mom lief zu Bonkers und hob sie hoch. »Mein armes, kleines Kätzchen.« Natürlich schlug Bonkers mit der Pfote nach Moms Arm und ihre Krallen rissen ein paar Fäden aus dem Pulloverärmel. Mom setzte die Katze auf den Boden ab und das kleine Ungeheuer huschte blitzschnell aus dem Zimmer»Sie ist ein bisschen daneben, weil sie in einem neuen Haus ist«, erklärte Mom den beiden Arbeitern. »Sie benimmt sich immer so«, erklärte ich ihnen. Ein paar Minuten später waren die Möbelpacker gegangen. Mom war in ihrem Zimmer und bemühte sich, ihren Pullover wieder in Ordnung zu bringen. Und ich war mit meinem Flügel im Wohnzimmer alleine. Ich setzte mich auf die Bank und rutschte darauf ein wenig hin und her. Die Bank war auf Hochglanz poliert. Sie war richtig glatt. 21
Ich dachte mir eine witzige Szene aus: Ich setze mich hin, um für Mom und Dad auf dem Klavier zu spielen, doch die Bank ist so rutschig, dass ich ständig zu Boden falle. Eine Zeit lang übte ich, abzurutschen und hinzufallen. Das machte Spaß. Hinzufallen ist eines meiner Hobbys. Das ist gar nicht so leicht, wie es aussieht. Nach einer Weile hatte ich vom Herunterfallen genug. Ich saß einfach so auf der Bank und starrte auf die Tasten. Ich versuchte ein Lied zu klimpern und schlug so lange Töne an, bis ich die richtigen fand. Langsam fand ich die Vorstellung, Klavier spielen zu lernen, richtig aufregend. Es würde Spaß machen. Doch mit dieser Vorstellung lag ich daneben. Total daneben. Am Samstagnachmittag stand ich am Wohnzimmerfenster und starrte hinaus. Es war ein stürmischer, grauer Tag. Es sah ganz danach aus, als würde es bald schneien. Der Klavierlehrer ging die Einfahrt herauf. Er kam pünktlich. Zwei Uhr. Mein Gesicht gegen die Fensterscheibe gedrückt, musterte ich ihn. Er war kräftig gebaut, ja, fast schon fett, trug einen langen, pludrigen Mantel und hatte buschiges weißes Haar. Aus der Entfernung sah er ein bisschen wie der Nikolaus aus. Er ging ziemlich steif, so, als machten ihm seine Knie Probleme. Wahrscheinlich Arthritis oder so was, dachte ich. Dad hatte seinen Namen in einer winzigen Anzeige hinten in der Zeitung von New Goshen gefunden. Er hatte sie mir gezeigt. Sie lautete: DIE SCHREIER-SCHULE Klavierunterricht nach neuartiger Methode Weil es die einzige Anzeige eines Klavierlehrers in der Zeitung war, hatte Dad ihn angerufen. Und nun begrüßten Mom und Dad den Lehrer an der Tür und nahmen ihm seinen schweren, roten Mantel ab. 22
»Jerry, das ist Dr. Schreier«, sagte Dad und winkte mich zu sich. Dr. Schreier lächelte mir entgegen. »Hallo, Jerry.« Abgesehen davon, dass er nur einen weißen Schnurrbart, aber keinen Rauschebart hatte, sah er wirklich wie der Nikolaus aus. Er hatte runde, rote Backen und ein freundliches Lächeln und seine blauen Augen glitzerten sonderbar, als er mich begrüßte. Er trug ein weißes Hemd, das um seinen dicken Bauch herum aus dem Hosenbund heraushing, und eine ausgebeulte, graue Hose. Ich ging zu ihm und schüttelte ihm die Hand. Seine Hand war rot und irgendwie schwammig. »Ich freue mich, Sie kennen zu lernen, Dr. Schreier«, sagte ich höflich. Mom und Dad grinsten sich gegenseitig an. Sie konnten es jedes Mal kaum glauben, wenn ich mich höflich benahm. Dr. Schreier legte mir seine schwammige Hand auf die Schulter. »Ich weiß, ich habe einen komischen Namen«, sagte er kichernd. »Ich sollte ihn wahrscheinlich ändern. Aber du musst zugeben, dass er Aufmerksamkeit erregt.« Wir lachten alle. Dr. Schreiers Miene wurde ernst. »Hast du schon einmal irgendein Instrument gespielt, Jerry?« Ich dachte angestrengt nach. »Also, ich hatte früher mal eine Blockflöte.« Wieder lachten alle. »Ein Klavier ist ein bisschen schwieriger zu spielen als eine Blockflöte«, sagte Dr. Schreier, der noch immer kicherte. »Lass mich deinen Flügel doch einmal sehen.« Ich führte ihn durchs Esszimmer. Er ging steif, aber das schien ihn nicht langsamer zu machen. Mom und Dad entschuldigten sich und verschwanden nach oben, um weiter auszupacken. Dr. Schreier sah sich die Tasten des Flügels an. Dann hob er den Deckel an und ließ seine Augen prüfend über die Saiten wandern. »Ein sehr gutes Instrument«, murmelte er. » Sehr gut.« »Wir haben ihn hier gefunden«, erklärte ich ihm. Sein Mund öffnete sich und bildete ein überraschtes kleines »O«. »Ihr habt ihn gefunden?« 23
»Auf dem Speicher. Jemand hat ihn da oben stehen lassen«, sagte ich. »Wie seltsam«, antwortete er, während er sich sein schwabbeliges Kinn rieb. Er zwirbelte seinen weißen Schnurrbart und starrte unverwandt auf die Tasten. »Fragst du dich nicht, wer vor dir auf diesem Flügel gespielt hat?«, wollte er mit leiser Stimme wissen. »Fragst du dich nicht, wessen Finger diese Tasten früher berührt haben?« »Na ja ...« Ich wusste echt nicht, was ich darauf sagen sollte. »Wie geheimnisvoll«, sagte er fast flüsternd. Dann forderte er mich mit einer Handbewegung auf, auf der Klavierbank Platz zu nehmen. Ich war versucht, meine witzige Nummer abzuziehen und sofort herunterzurutschen und zu Boden zu fallen. Doch ich entschied, den Gag für später aufzuheben, wenn ich den Lehrer besser kennen gelernt hatte. Er schien ein netter, lustiger Kerl zu sein. Aber ich wollte nicht, dass er glaubte, es wäre mir nicht ernst damit, Klavierspielen zu lernen. Er ließ sich neben mir auf der Bank nieder. Er war so breit, dass zwischen uns kaum Platz blieb. »Werden Sie mir jede Woche hier bei mir zu Hause Stunden geben?«, fragte ich und schob mich so weit ich konnte zur Seite, um Platz zu haben. »Anfangs werde ich dir zu Hause Stunden geben«, antwortete er und seine blauen Augen blitzten mir entgegen. »Aber später, wenn du Talent zeigst, Jerry, kannst du in meine Schule kommen.« Ich wollte etwas sagen, aber da nahm er meine Hände. »Lass mich mal sehen«, sagte er und hob sie dicht vor sein Gesicht. Er drehte sie hin und her und musterte sie von allen Seiten. Dann untersuchte er aufmerksam meine Finger. »Was für wunderschöne Hände!«, rief er atemlos aus. »Ausgezeichnete Hände!« Ich starrte auf meine Hände hinab. Für mich sahen sie überhaupt nicht besonders aus. Ganz normale Hände eben. »Ausgezeichnete Hände«, wiederholte Dr. Schreier. Er legte sie behutsam auf die Tasten. Beginnend mit dem C zeigte er mir, wo 24
jede Note lag, und er ließ mich jede mit dem richtigen Finger anschlagen. »Nächste Woche werden wir richtig loslegen«, erklärte er mir, während er sich von der Klavierbank erhob. »Ich wollte dich heute nur einmal kennen lernen.« Suchend kramte er in seiner kleinen Tasche herum, die er an die Wand gelehnt hatte. Er zog ein Übungsstück hervor und reichte es mir. Es hieß: Klavierspielen für Anfänger - Eine praktische Einführung. »Guck dir das mal an, Jerry. Versuch die Noten auf den Seiten zwei und drei zu lernen.« Er steuerte auf seinen Mantel zu, den Dad über die Rückenlehne der Couch gelegt hatte. »Dann bis nächsten Samstag«, sagte ich. Ich war ein bisschen enttäuscht, dass der Unterricht so kurz ausgefallen war. Ich hatte eigentlich gedacht, ich würde jetzt schon ein paar tolle Melodien spielen können. Er zog seinen Mantel an und kam dann dahin zurück, wo ich saß. »Ich denke, du wirst ein hervorragender Schüler sein, Jerry«, sagte er lächelnd. Ich murmelte ein Dankeschön. Es überraschte mich zu sehen, dass sein Blick noch immer an meinen Händen hing. »Ausgezeichnet. Ausgezeichnet«, flüsterte er. Plötzlich überlief mich ein kaltes Schauern. Ich schätze, das lag an seinem gierigen Gesichtsausdruck. Was ist so Besonderes an meinen Händen?, fragte ich mich. Warum ist er so versessen auf sie? Das war unheimlich. Eindeutig unheimlich. Aber natürlich hatte ich keine Ahnung, wie unheimlich...
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CDEFGAHC. Ich übte die Noten auf den Seiten zwei und drei des Lehrbuches. Das zeigte genau, welchen Finger man für welche Taste benutzen musste. Das ist einfach, dachte ich. Also, wann kann ich damit anfangen, ein bisschen Rock 'n' Roll zu spielen? Ich spielte noch immer meine Noten, als Mom aus dem Keller nach oben kam und ihren Kopf zum Zimmer hereinstreckte. Ihre Haare waren unter dem Tuch, das sie sich umgebunden hatte, hervorgerutscht und sie hatte Schmutzflecke auf der Stirn. »Ist Dr. Schreier schon gegangen?«, fragte sie überrascht. »Ja. Er hat gesagt, er hat mich nur mal kennen lernen wollen«, erklärte ich ihr. »Er kommt am nächsten Samstag wieder. Er hat gesagt, ich hätte ausgezeichnete Hände.« »Hast du?« Sie strich ihre Haare aus den Augen. »Nun, vielleicht kannst du diese ausgezeichneten Hände mit in den Keller hinunternehmen und sie dazu einsetzen, uns beim Auspacken einiger Kisten zu helfen.« »O nein!«, schrie ich, rutschte von der Klavierbank hinunter und stürzte zu Boden. Sie lachte nicht. In dieser Nacht hörte ich wieder Klaviermusik. Ich setzte mich im Bett auf und lauschte. Die Musik erklang von unten herauf. Ich kletterte aus dem Bett. Die Dielen unter meinen nackten Füßen waren kalt. Eigentlich sollte ich in meinem Zimmer einen Teppich haben, aber Dad war noch nicht dazu gekommen, ihn auszulegen. Im Haus war es still. Durch das Fenster meines Zimmers konnte ich leichten Schnee in winzigen, zarten Flocken fallen sehen, die sich hell vor dem schwarzen Himmel abhoben. »Jemand spielt auf dem Flügel«, sagte ich laut und war überrascht über den rauen Klang meiner verschlafenen Stimme. 26
»Jemand ist da unten und spielt auf meinem Flügel.« Das müssen Mom und Dad doch hören, dachte ich. Ihr Zimmer liegt zwar am anderen Ende des Hauses, aber sie sind im Erdgeschoss. Sie müssen es hören. Ich schlich zur Zimmertür. Dieselbe langsame, traurige Melodie. Ich hatte sie kurz vor dem Abendessen noch vor mich hin gesummt. Mom hatte mich gefragt, wo ich sie gehört hätte, aber ich hatte mich nicht erinnern können. Ich lehnte mich mit pochendem Herzen gegen den Türrahmen und lauschte. Die Musik klang so klar herauf, dass ich jeden einzelnen Ton hören konnte. Wer spielte da? Wer? Ich musste es herausfinden. Mit der Hand an der Wand entlangtastend, lief ich eilig durch den dunklen Flur. An der Treppe gab es ein Nachtlicht, aber ich vergaß immer, es anzuschalten. Ich huschte zur Treppe. Dann schlich ich, das hölzerne Geländer fest umklammernd, hinunter und bemühte mich, dabei möglichst leise zu sein. Ich gab mir alle Mühe, den Klavierspieler nicht zu verscheuchen. Die Holzstufen knarrten leise unter meinem Gewicht. Aber die Musik erklang weiter. Leise und melancholisch. Auf Zehenspitzen und mit angehaltenem Atem durchquerte ich das Wohnzimmer. Eine Straßenlaterne warf einen fahlen Lichtschein über den Boden. Durch das große Fenster konnte ich winzige Schneeflocken herabschweben sehen. Beinahe wäre ich über eine unausgepackte Kiste mit Vasen, die neben dem Wohnzimmertisch stand, gestürzt. Aber ich packte die Rückenlehne der Couch und konnte so gerade noch verhindern, dass ich der Länge nach hinfiel. Die Musik verstummte. Dann fing sie wieder an. Ich lehnte mich gegen die Couch und wartete darauf, dass mein heftig pochendes Herz sich wieder beruhigte. Wo sind Mom und Dad?, fragte ich mich und blickte zum Ende des Ganges, wo sich ihr Schlafzimmer befand. 27
Können Sie das Klavier denn nicht auch hören? Sind sie nicht neugierig? Wollen sie nicht wissen, wer da mitten in der Nacht in unserem Haus sitzt und ein derartig trauriges Lied spielt? Ich holte tief Luft und stieß mich von der Couch ab. Leise schlich ich durchs Esszimmer. Hier hinten war es dunkler. Es fiel kein Licht von der Straße herein. Ich bewegte mich vorsichtig, um nicht über einen der Stühle oder ein Tischbein zu stolpern. Die Tür zum Wohnzimmer war jetzt nur noch wenige Meter entfernt. Die Musik wurde lauter. Ich machte einen Schritt. Dann noch einen. Ich schob mich durch die offene Tür. Wer ist das? Wer ist das? Ich spähte in die Dunkelheit hinein. Doch bevor ich etwas sehen konnte, stieß jemand hinter mir ein entsetzliches Kreischen aus - und schubste mich so heftig, dass ich auf den Boden knallte.
Ich schlug mit Ellenbogen und Knien hart auf dem Boden auf. Noch ein lautes Kreischen - direkt an meinem Ohr. Ein heftiger Schmerz fuhr mir durch die Schulter. Das Licht ging an. »Bonkers!«, brüllte ich. Die Katze sprang von meiner Schulter herunter und huschte aus dem Zimmer. »Jerry - was tust du hier? Was ist los?«, wollte Mom wütend wissen, als sie ins Zimmer stürmte. »Was ist das für ein Spektakel?« Dad war direkt hinter ihr und kniff die Augen angestrengt zusammen, weil er seine Brille nicht aufhatte. »Bonkers hat mich angesprungen!«, brüllte ich, noch immer auf dem Boden sitzend. »Au, meine Schulter! Diese dämliche Katze!« 28
»Aber, Jerry ...«, begann Mom. Sie bückte sich, um mir aufzuhelfen. »Diese blöde Katze!« Ich kochte. »Sie ist von diesem Regal hier heruntergesprungen. Sie hat mich zu Tode erschreckt. Und sieh nur - sieh dir bloß mal mein Schlafanzugoberteil an!« Die Krallen der Katze hatten sich durch den Stoff an der Schulter gebohrt. »Bist du verletzt? Blutest du?«, fragte Mom und zog den Kragen meines Oberteils herunter, um sich meine Schulter anzusehen. »Wir müssen wirklich etwas wegen dieser Katze unternehmen«, sagte Dad mürrisch. »Jerry hat Recht. Sie stellt eine echte Bedrohung dar.« Sofort ergriff Mom Bonkers' Partei. »Sie hat sich nur gefürchtet, das ist alles. Wahrscheinlich dachte sie, Jerry wäre ein Einbrecher.« »Ein Einbrecher?«, kreischte ich empört. »Wie hätte sie denken können, ich wäre ein Einbrecher? Eigentlich sollten Katzen in der Dunkelheit doch sehen können, oder?« »Also, was wolltest du überhaupt hier unten, Jerry?«, fragte Mom und zupfte den Kragen meines Schlafanzugobteils zurecht. Sie tätschelte mir die Schulter. Als ob mir das irgendwas geholfen hätte. »Stimmt. Wozu treibst du dich hier unten herum?«, wollte nun auch Dad wissen und starrte mich mit zusammengekniffenen Augen an. Ohne seine Brille konnte er kaum etwas sehen. »Ich hab mich nicht herumgetrieben«, antwortete ich ärgerlich. »Ich habe Klaviermusik gehört und ...« »Du hast was?«, unterbrach mich Mom. »Ich habe Klaviermusik gehört. Aus dem Wohnzimmer. Deshalb bin ich heruntergekommen, um nachzusehen, wer da spielt.« Meine Eltern glotzten mich beide an, als wäre ich ein Marsmensch. »Habt ihr's denn nicht gehört?«, rief ich. Sie schüttelten den Kopf. Ich drehte mich zum Flügel um. Da war niemand. Natürlich nicht. 29
Ich eilte zur Klavierbank, beugte mich darüber und strich mit der Hand über ihre Oberfläche. Sie war warm. »Hier hat jemand gesessen. Das kann ich fühlen!«, rief ich aus. »Das ist nicht witzig«, sagte Mom und verzog das Gesicht. »Gar nicht witzig, Jerry«, echote Dad. »Du bist hierherunter gekommen, um uns wieder mal einen Streich zu spielen - stimmt's etwa nicht?«, sagte er vorwurfsvoll. »Ich?« »Jetzt spiel bloß nicht das Unschuldslamm, Jerome«, sagte meine Mutter und verdrehte die Augen. »Wir kennen dich doch. Du bist nie unschuldig.« »Ich habe keinen Streich gespielt!«, schrie ich zornig. »Ich habe Musik gehört. Jemand spielte -« »Wer?«, fiel mir Dad ins Wort. »Wer hat gespielt?« »Vielleicht ist es Bonkers gewesen«, scherzte Mom. Dad lachte, ich aber nicht. »Was für ein Streich sollte das werden, Jerry? Was hattest du vor?«, fragte Dad. »Wolltest du etwas mit dem Flügel anstellen?«, wollte Mom wissen und schaute mich dabei so durchdringend an, dass ich ihren Blick buchstäblich spüren konnte. »Das ist ein wertvolles Instrument, das weißt du.« Ich seufzte müde. Ich war schrecklich frustriert und ich wollte schreien, brüllen, vor Wut platzen und den beiden vielleicht sogar eine knallen. »Das Klavier ist verhext!«, schrie ich. Der Satz war mir einfach so in den Sinn gekommen. »Was soll das denn nun wieder heißen?« Jetzt war Dad an der Reihe, mich durchdringend anzustarren. »Es muss verhext sein!«, meinte ich hartnäckig mit bebender Stimme. »Es spielt ständig - aber es gibt niemanden, der darauf spielt!« »Ich hab genug gehört!« Mom schüttelte den Kopf. »Ich geh wieder ins Bett.« »Gespenster, ja?«, fragte Dad und rieb sich nachdenklich das Kinn. Er trat vor mich hin und senkte den Kopf, so, wie er das 30
immer tut, wenn er etwas Ernstes zu sagen hat. »Hör mal zu, Jerry. Ich weiß, dass dieses Haus womöglich alt und ein bisschen unheimlich wirkt. Ich weiß, wie schwer es für dich war, dich von deinen Freunden zu trennen und wegzuziehen.« »Dad, bitte ...«, unterbrach ich ihn. Aber er fuhr unbeirrt fort. »Dieses Haus ist einfach nur alt, Jerry. Alt und ein bisschen heruntergekommen. Deine Gespenster verstehst du das nicht? – sind nichts anderes als Trugbilder deiner Phantasie.« Dad hatte am College Psychologie als Hauptfach belegt. »Spar dir die Lektion, Dad«, sagte ich zu ihm. »Ich geh ins Bett.« »Gut, Jerry«, sagte er und klopfte mir auf die Schulter. »Denk dran - in ein paar Wochen wirst du sehen, dass ich Recht habe. In ein paar Wochen werden dir diese Gespenstergeschichten selbst doof vorkommen.« Junge, Junge, damit lag er aber gründlich daneben! Ich knallte die Tür meines Schrankfaches zu und schlüpfte in meine Jacke. Der lange Flur der Schule war erfüllt vom Lachen, Rufen und Schreien und dem Zuschlagen von Schränken. Am Freitagnachmittag war es auf den Gängen immer ganz besonders laut. Die Schule war vorbei und das Wochenende brach an! »Ooch, was mieft denn hier so?«, rief ich und verzog angewidert das Gesicht. Neben mir wühlte sich ein Mädchen, das auf den Knien hockte, durch einen Haufen Plunder, der auf dem Boden ihres Schrankfaches lag. »Ich hab mich schon gefragt, wohin dieser Apfel verschwunden war!«, rief sie aus. Sie stand auf und hielt in einer Hand einen verschrumpelten, braunen Apfel. Der faulige Geruch stach mir in die Nase. Ich dachte, ich müsste jeden Moment kotzen! Ich muss ein komisches Gesicht gezogen haben, denn sie brach in schallendes Gelächter aus. »Hungrig?« Sie hielt mir das ekelhafte Ding unter die Nase. »Nein, danke schön.« Ich schob ihn zu ihr zurück. »Du kannst ihn behalten.« 31
Sie lachte wieder. Sie war irgendwie hübsch. Sie hatte langes, glattes schwarzes Haar und grüne Augen. Sie legte den vergammelten Apfel auf den Boden »Du bist der Neue, stimmt's?«, fragte sie. »Ich heiße Kim. Kim Li Chin.« »Hi«, antwortete ich. Ich nannte ihr meinen Namen. »Du bist in meinem Mathekurs. Und in Physik«, plauderte ich. Sie wandte sich wieder ihrem Schrankfach zu und suchte nach etwas anderem. »Ich weiß«, antwortete sie. »Ich hab gesehen, wie du vom Stuhl gefallen bist, als Mrs. Klein dich aufgerufen hat.« »Das hab ich nur so aus Jux gemacht«, erklärte ich ihr rasch. »Ich bin nicht wirklich gefallen.« »Ich weiß«, sagte sie. Sie zog einen dicken, grauen Wollpullover über ihren dünnen Pulli. Dann langte sie nach unten und holte einen schwarzen Geigenkasten aus ihrem Fach. »Hast du da dein Pausenbrot drin?«, alberte ich. »Ich bin zu meiner Geigenstunde spät dran«, antwortete sie und knallte die Tür zu ihrem Schrankfach zu. Sie mühte sich mit dem Vorhängeschloss ab, um es zuzubekommen. »Ich nehme Klavierunterricht«, erzählte ich ihr. »Na ja, also eigentlich habe ich gerade erst damit angefangen.« »Weißt du, ich wohne gegenüber von dir auf der anderen Straßenseite«, sagte sie, während sie die Träger ihres Rucksacks überstreifte. »Ich habe gesehen, wie du eingezogen bist.« »Echt?«, antwortete ich überrascht. »Na ja, vielleicht kannst du ja mal rüberkommen und wir spielen zusammen. Ich meine: Musik. Du weißt schon. Ich habe jeden Samstag eine Klavierstunde bei Dr. Schreier.« Ihr Mund klappte entsetzt auf, während sie mich anglotzte. »Du hast was?«, rief sie. »Ich nehme Klavierstunden bei Dr. Schreier«, wiederholte ich. »Oh!« Sie stieß einen leisen Schrei aus, fuhr herum und rannte in Richtung Hauptausgang. »He, Kim!«, rief ich ihr nach. »Kim - was hast du denn!« Aber sie war bereits zur Tür hinaus.
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»Ausgezeichnete Hände. Ganz ausgezeichnet!«, verkündete Dr. Schreier. »Danke«, antwortete ich verlegen. Ich saß über das Klavier gebeugt auf der Klavierbank und meine Hände lagen ausgebreitet auf den Tasten. Dr. Schreier stand neben mir und starrte auf sie herab. »Nun spiel das Stück noch einmal«, wies er mich an und schaute mir mit seinen blauen Augen ins Gesicht. Sein Lächeln verschwand unter seinem weißen Schnurrbart, als seine Miene wieder ernst wurde. »Spiel es sorgfältig, mein Junge. Langsam und sorgfältig. Konzentriere dich auf deine Finger. Jeder Finger ist lebendig, denk dran - lebendig!« »Meine Finger sind lebendig«, wiederholte ich und blickte unverwandt auf sie hinunter. Was für ein unheimlicher Gedanke, sagte ich zu mir selbst. Ich begann zu spielen und konzentrierte mich auf die Noten auf dem Notenblatt, das über der Tastatur aufgestellt war. Es handelte sich um eine einfache Melodie, ein Stück für Anfänger von Bach. Ich fand, es klang jetzt ganz gut. »Die Finger! Die Finger!«, rief Dr. Schreier. Er beugte sich nach vorne über die Tastatur und brachte sein Gesicht dicht an meines heran. »Vergiss nicht, deine Finger sind lebendig!« Was macht der Typ bloß ständig so ein Gedöns um meine Finger?, fragte ich mich. Ich beendete das Stück. Ich warf einen Blick zu ihm hoch und sah, wie sich sein Gesicht verfinsterte. »Ganz gut, Jerry«, sagte er sanft. »Dann lass es uns jetzt mal etwas schneller versuchen.« »Ich habe den Mittelteil vermasselt«, gestand ich. »Du hast deine Konzentration verloren«, antwortete er. Er langte nach unten und spreizte meine Finger über die Tasten. »Noch einmal«, wies er mich an. »Aber schneller. Und konzentriere dich. Konzentriere dich auf deine Hände.« Ich holte tief Luft und begann das Stück noch einmal. Doch dieses Mal geriet ich sofort ins Schleudern. 33
Ich fing noch einmal an. Es klang ganz gut. Nur wenige Patzer. Ich fragte mich, ob Mom und Dad es hören konnten. Doch dann fiel mir wieder ein, dass sie unterwegs waren, um Lebensmittel einzukaufen. Dr. Schreier und ich waren allein im Haus. Ich beendete das Stück und legte danach meine Hände mit einem Seufzer in den Schoß. »Gar nicht so übel. Und jetzt noch schneller«, befahl Dr. Schreier. »Vielleicht sollten wir es einmal mit einem anderen Stück versuchen«, schlug ich vor. »Das hier wird langsam ein bisschen langweilig.« »Diesmal schneller«, antwortete er und ignorierte meinen Einwand völlig. »Die Hände, Jerry. Denk an deine Hände. Sie sind lebendig. Lass sie atmen!« Lass sie atmen? Ich starrte auf meine Hände hinunter, als erwartete ich, dass sie mir darauf antworteten. »Fang jetzt an«, wies Dr. Schreier mich streng an und beugte sich über mich. »Schneller.« Mit einem Seufzer begann ich wieder zu spielen. Dasselbe langweilige Stück. »Schneller!«, schrie mein Lehrer. »Schneller, Jerry!« Ich spielte schneller. Meine Finger glitten über die Tasten und schlugen sie kräftig an. Ich versuchte mich auf die Noten zu konzentrieren, aber ich spielte zu schnell, als dass meine Augen hätten Schritt halten können. »Schneller!«, schrie Dr. Schreier aufgeregt und blickte angespannt auf die Tastatur hinunter. »Es wird ja! Schneller, Jerry!« Meine Finger bewegten sich so schnell, dass sie vor meinen Augen verschwammen! »Schneller! Schneller!« Spielte ich überhaupt noch die richtigen Töne? Ich konnte es nicht sagen. Ich war zu schnell, viel zu schnell, als dass ich das hätte hören können! »Schneller, Jerry!«, befahl Dr. Schreier, aus Leibeskräften brüllend. »Schneller! Deine Hände sind lebendig! Lebendig!« 34
»Das kann ich nicht!«, rief ich. »Bitte!« »Schneller! Schneller!« »Ich kann nicht mehr!«, rief ich hartnäckig. Das war zu schnell. Zu schnell zum Spielen. Zu schnell zum Hören. Ich versuchte aufzuhören. Aber meine Hände bewegten sich einfach weiter! »Stop! Stop!«, brüllte ich entsetzt zu ihnen hinunter. »Schneller! Spielt schneller!«, befahl Dr. Schreier. Vor Begeisterung waren seine Augen weit aufgerissen und sein Gesicht knallrot. »Deine Hände sind lebendig!« »Nein - bitte! Hört auf!«, rief ich meinen Händen zu. »Hört auf zu spielen!« Doch sie waren wirklich lebendig. Sie hörten nicht auf. Meine Finger flogen über die Tasten. Eine verrückte Woge von Tönen durchflutete das ganze Haus. »Schneller! Schneller!«, befahl mein Lehrer. Und trotz meiner verzweifelten Rufe aufzuhören gehorchten ihm meine Hände fröhlich und spielten weiter, schneller und schneller und schneller.
Schneller und schneller wirbelte die Musik um mich herum. Sie erstickt mich, dachte ich und rang nach Atem. Ich bekomme keine Luft mehr. Ich gab mir größte Mühe, meine Hände wieder unter Kontrolle zu bringen. Doch die bewegten sich wild entschlossen über die Tastatur und spielten lauter. Und lauter. Meine Hände fingen an mir wehzutun. Pochende Schmerzen. Aber sie spielten noch immer. Schneller. Lauter. Bis ich aufwachte. Ich setzte mich im Bett auf und war hellwach. Und stellte fest, dass ich auf meinen Händen saß. 35
Sie kribbelten beide schmerzhaft. Wie von Nägeln und Nadeln. Meine Hände waren eingeschlafen. Ich hatte geträumt. Die unheimliche Klavierstunde war nur ein Traum gewesen. Ein seltsamer Alptraum. »Es ist noch immer Freitagnacht«, sagte ich laut. Der Klang meiner Stimme half mir, mich aus meinem Traum zu lösen. Ich schüttelte meine Hände aus, um den Blutkreislauf wieder in Schwung zu bringen und das unangenehme Prickeln verschwinden zu lassen. Auf meiner Stirn stand Schweiß, kalter Schweiß. Mein ganzer Körper fühlte sich feucht an. Das Oberteil meines Schlafanzuges klebte mir durchgeschwitzt am Rücken. Ich schauderte, weil mir plötzlich kalt war. Und stellte fest, dass die Klaviermusik nicht aufgehört hatte. Keuchend krallte ich meine Finger in die Bettdecke und lauschte mit angehaltenem Atem. Die Töne schwebten in mein dunkles Zimmer. Nicht das wilde Dröhnen der Töne aus meinem Traum. Es war die langsame, traurige Melodie, die ich früher schon gehört hatte. Immer noch zitternd wegen meines schrecklichen Alptraumes, kletterte ich leise aus dem Bett. Die Musik klang aus dem Wohnzimmer herauf, sehr leise, sehr traurig. Wie in der Nacht zuvor. Wer spielt da unten? Meine Hände bebten noch immer, als ich über die kalten Dielen auf die Tür zuging. Im Flur blieb ich stehen und lauschte. Die Melodie endete und begann dann von neuem. Heute Nacht werde ich das Geheimnis aufdecken, redete ich mir selbst zu. Mein Herz hämmerte. Jetzt kribbelte es mich am ganzen Körper. Mein Rücken prickelte von oben bis unten, als steckte er voller Nadeln. Ohne mich um meine schreckliche Angst zu kümmern, ging ich rasch den Flur entlang zur Treppe. Das schwache Nachtlicht knapp 36
über dem Boden ließ meinen Schatten an der Wand riesenhaft wachsen. Einen kurzen Augenblick erschreckte er mich. Ich blieb zögernd stehen. Aber dann eilte ich die Treppe hinunter und stützte mich dabei schwer aufs Geländer, um zu vermeiden, dass die Stufen knarrten. Die Klaviermusik wurde lauter, als ich in das dunkle Esszimmer trat. Heute wird mich nichts aufhalten, sagte ich mir. Nichts. Heute Nacht werde ich sehen, wer da am Klavier sitzt. Die Musik spielte weiter, weiche, hohe Töne, sehr einfach und melancholisch. Auf Zehenspitzen schlich ich vorsichtig durchs Esszimmer, hielt den Atem an und lauschte der Musik. Ich erreichte die Tür zum Wohnzimmer. Die Musik spielte weiter, ein bisschen lauter. Dieselbe Melodie, wieder und wieder. Ich spähte in die Dunkelheit und trat in den Raum. Ein Schritt. Noch einen. Der Flügel stand nur wenige Meter von mir entfernt. Die Musik war ganz deutlich, ganz nah. Doch ich konnte niemanden auf der Klavierbank sitzen sehen. Ich konnte überhaupt niemanden sehen. Wer spielt da? Wer spielt in der Dunkelheit diese schrecklich traurige Musik? Am ganzen Körper zitternd, trat ich noch einen Schritt näher. Und noch einen Schritt. »Wer - wer ist da?«, rief ich in ersticktem Flüsterton. Ich blieb stehen und ballte meine Hände auf beiden Seiten angespannt zu Fäusten. Ich starrte angestrengt in die Dunkelheit und strengte mich an, etwas zu erkennen. Die Musik spielte weiter. Ich konnte Finger auf den Tasten hören, vernahm das Geräusch von Füßen auf den Pedalen. »Wer ist da? Wer spielt da?« Meine Stimme klang schwach und schrill. Da ist niemand, stellte ich zu meinem Entsetzen fest. Das Klavier spielt, aber es ist niemand hier. 37
Dann, langsam, ganz langsam, wie eine graue Wolke, die sich am Nachthimmel bildet, begann ein Gespenst zu erscheinen.
Zuerst konnte ich nur schwache Umrisse sehen, blassgraue Linien, die sich vor der umgebenden Schwärze bewegten. Mir stockte der Atem. Mein Herz hämmerte so heftig, dass ich schon dachte, es würde jeden Moment zerplatzen. Die grauen Linien bildeten eine Form, die sich zu füllen begann. Ich stand vor Schreck wie erstarrt und war zu entsetzt, um wegzulaufen oder auch nur wegzusehen. Vor meinen Augen wurde eine Frauengestalt sichtbar. Ich konnte nicht erkennen, ob sie jung oder alt war. Sie hielt ihren Kopf nach unten geneigt, ihre Augen waren geschlossen und sie konzentrierte sich auf die Klaviertasten. Langes gewelltes Haar fiel ihr offen auf die Schulter. Sie trug ein kurzärmeliges Oberteil und einen langen Rock. Ihr Gesicht, ihre Haut, ihr Haar - es war grau. Alles an ihr war grau. Sie spielte weiter, als stünde ich gar nicht da. Ihre Augen waren geschlossen. Ihre Lippen bildeten ein trauriges Lächeln. Irgendwie war sie hübsch, stellte ich fest. Aber sie war ein Geist. Ein Geist, der in unserem Wohnzimmer auf dem Flügel spielte. »Wer sind Sie? Was machen Sie hier?« Meine schrille, gepresste Stimme erschreckte mich selbst. Die Worte kamen fast ohne mein Zutun über meine Lippen. Sie hörte auf zu spielen und öffnete die Augen. Sie starrte mich durchdringend an und musterte mich. Ihr Lächeln verschwand im Handumdrehen. Ihr Gesicht zeigte keinerlei Regung mehr. 38
Ich starrte zurück, ins Grau hinein. Es war so, wie wenn man etwas ansieht, das in dichtem, dunklem Nebel liegt. Nun, da die Musik aufgehört hatte, war es still im Haus, Furcht erregend still. »Wer ... wer sind Sie?«, wiederholte ich stotternd mit kläglicher Stimme. Ihre Augen verengten sich voller Trauer. »Dies ist mein Haus«, sagte sie. Ihre Stimme kam als trockenes Wispern heraus, so trocken wie abgestorbene Blätter. So trocken wie der Tod. »Dies ist mein Haus.« Die geflüsterten Worte schienen von sehr weit zu kommen, so leise, dass ich nicht sicher war, sie wirklich gehört zu haben. »Ich ... verstehe nicht«, brachte ich erstickt heraus und spürte einen kalten Schauer in meinem Nacken. »Was tun Sie hier?« »Mein Haus«, kam die geflüsterte Antwort. »Mein Flügel.« »Aber wer sind Sie?«, wiederholte ich. »Sind Sie ein Geist?« Als ich meine ängstliche Frage aussprach, stieß sie ein lautes Seufzen aus. Und während ich in das Grau hineinstarrte, sah ich, wie sich ihr Gesicht zu verändern begann. Ihre Augen schlössen sich und ihre Wangen erschlafften. Ihre graue Haut schien abzufallen, wegzuschmelzen. Sie rann herab wie Kuchenteig, wie weicher Ton. Sie fiel auf ihre Schultern und tropfte dann auf den Boden. Ihr Haar folgte und fiel in dicken Büscheln hinunter. Mir entfuhr ein leiser Schrei, als sich ihr Schädelknochen zeigte. Ihr grauer, knochiger Schädel! Von ihrem Gesicht blieb nichts als die Augen, ihre grauen Augen, die aus den freiliegenden Höhlen hervortraten und mich durch die Dunkelheit hindurch anstarrten. »Rühr meinen Flügel nicht an!«, schnarrte sie. »Ich warne dich - rühr ihn nicht an!« Ich wich zurück und wandte mich von dem grässlichen, krächzenden Totenschädel ab. Ich versuchte wegzulaufen, aber meine Beine wollten nicht mitspielen. Ich stürzte. Knallte mit den Knien auf den Boden. Ich bemühte mich, wieder auf die Beine zu kommen, aber ich zitterte und bebte viel zu sehr. 39
»Rühr meinen Flügel nicht an!« Der graue Totenschädel funkelte mich mit seinen hervorquellenden Augen böse an. »Mom! Dad!« Ich wollte schreien, aber es kam nur ein gedämpftes Flüstern heraus. Ich rappelte mich hoch. Mein Herz hämmerte und mein Hals war vor Angst wie zugeschnürt. »Dies ist mein Haus! Mein Flügel! Rühr ihn nicht an!« »Mom! Hilf mir! Dad!« Diesmal schaffte ich es, laut zu schreien. »Mom - Dad - Hilfe!« Zu meiner Erleichterung hörte ich im Flur ein Rumpeln und Trampeln. Schwere Schritte. »Jerry? Jerry? Wo bist du?«, rief Mom. »Au!« Ich hörte, wie sie gegen irgendetwas im Esszimmer stieß. Dad erreichte das Wohnzimmer als Erster. Ich packte ihn bei den Schultern und deutete mit der Hand. »Dad - sieh nur! Ein Geist! Da ist ein GEIST!«
Dad knipste das Licht an. Mom humpelte ins Zimmer und hielt sich ein Knie. Ich deutete voller Entsetzen auf die Klavierbank. Die jetzt leer war. »Der Geist - eine Frau - ich hab sie gesehen!«, rief ich und zitterte am ganzen Körper. Ich wandte mich zu meinen Eltern um. »Habt ihr sie gehört? Habt ihr?« »Jerry, beruhige dich.« Dad legte mir seine Hände auf die bebenden Schultern. »Beruhige dich. Alles in Ordnung. Es ist alles in Ordnung.« »Aber habt ihr sie gesehen?«, wollte ich wissen. »Sie saß hier, spielte Klavier und ...«
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»Au! Ich habe mir das Knie angestoßen«, stöhnte Mom. »Ich bin gegen die Kommode gerannt. Auu!« »Ihre Haut ist abgefallen. Ihre Augen sind aus ihrem Totenschädel hervorgetreten!«, berichtete ich atemlos. Ich konnte den grinsenden Schädel nicht aus dem Kopf bekommen. Sobald ich die Augen schloss, konnte ich sie noch immer vor mir sehen. »Hier ist niemand«, sagte Dad leise und hielt mich an der Schulter. »Siehst du? Niemand.« »Hast du einen Alptraum gehabt?«, fragte Mom und bückte sich, um ihr Knie zu massieren. »Das war kein Alptraum!«, brüllte ich. »Ich habe sie gesehen! Das hab ich wirklich! Sie hat mit mir gesprochen! Sie hat mir erzählt, dass das ihr Flügel sei und ihr Haus.« »Lasst uns uns hinsetzen und über die Sache reden«, schlug Mom vor. »Hättest du gerne eine Tasse heißen Kakao?« »Ihr glaubt mir nicht - stimmt's?«, schrie ich zornig. »Ich erzähle euch die Wahrheit!« »Wir glauben einfach nicht an Geister und Gespenster«, sagte Dad ruhig. Er führte mich zu der roten Ledercouch, die an der Wand stand, und setzte sich neben mich. Mom folgte uns gähnend und ließ sich auf der weichen Armlehne der Couch nieder. »Du glaubst doch nicht etwa an Gespenster, Jerry, oder?«, fragte Mom. »Jetzt schon!«, rief ich aus. »Warum hört ihr mir nicht zu? Ich habe sie Klavier spielen gehört. Ich bin heruntergekommen und habe sie gesehen. Es war eine Frau. Sie war ganz grau. Und ihr Gesicht ist abgefallen. Und dann kam ihr Totenschädel zum Vorschein. Und...« Ich sah, wie Mom Dad einen viel sagenden Blick zuwarf. Warum wollten sie mir bloß nicht glauben? »Eine Frau bei der Arbeit hat mir von einem Arzt erzählt«, sagte Mom sanft, fasste nach unten und nahm meine Hand. »Ein netter Arzt, der mit jungen Menschen spricht. Ich denke, sein Name war Dr. Frye.« »Was soll das? Redest du von einem Psychologen?«, schrie ich schrill. »Denkst du etwa, ich bin verrückt?« 41
»Nein, natürlich nicht«, antwortete Mom, immer noch meine Hand haltend, rasch. »Ich denke, irgendetwas hat dich ziemlich nervös gemacht, Jerry. Und ich glaube nicht, dass es schaden würde, mit jemandem darüber zu sprechen.« »Weswegen bist du denn so nervös, Jerry?«, fragte Dad und rückte den Kragen seiner Schlafanzugjacke zurecht. »Liegt es an dem neuen Haus? Oder daran, dass du auf eine neue Schule gehst?« »Liegt es an den Klavierstunden?«, fragte Mom. »Machst du dir wegen des Klavierunterrichts Sorgen?« Sie warf einen Blick auf den Flügel, der im Licht der Deckenlampe schwarz und glänzend schimmerte. »Nein. Ich mach mir keine Sorgen wegen der Klavierstunden«, murmelte ich missmutig. »Ich hab's euch doch gesagt - ich mache mir Sorgen wegen des Geistes!« »Ich werde bei Dr. Frye einen Termin vereinbaren«, sagte Mom ruhig. »Erzähl ihm von dem Geist, Jerry. Ich wette, er kann dir das alles besser erklären als dein Vater und ich.« »Ich bin nicht verrückt«, maulte ich. »Irgendetwas hat dich durcheinander gebracht. Irgendetwas verursacht dir schlechte Träume«, sagte Dad. »Dieser Arzt wird dir alles erklären können.« Er gähnte, stand auf und streckte die Arme über dem Kopf aus. »Ich muss jetzt wieder ins Bett.« »Ich auch«, sagte Mom, ließ meine Hand los und erhob sich von der Armlehne der Couch. »Meinst du, dass du jetzt schlafen kannst, Jerry?« Ich schüttelte den Kopf und murmelte: »Weiß nicht.« »Möchtest du, dass wir dich zu deinem Zimmer begleiten?«, fragte sie. »Ich bin doch kein kleines Baby!«, schrie ich. Ich war wütend und frustriert. Am liebsten hätte ich gebrüllt und gebrüllt, so lange, bis sie mir glaubten. »Na ja, dann gute Nacht, Jerry«, sagte Dad. »Morgen ist Samstag. Da kannst du länger schlafen.« »Ja. Klar«, antwortete ich mürrisch. »Wenn du noch einmal schlecht träumst, dann komm zu uns«, sagte Mom. 42
Dad schaltete das Licht aus. Sie gingen den Flug hinunter zu ihrem Zimmer. Ich marschierte durchs Wohnzimmer zur vorderen Treppe. Ich war so wütend, dass ich am liebsten gegen irgendetwas geschlagen oder getreten hätte. Und zutiefst beleidigt war ich obendrein. Doch als ich in der Dunkelheit die knarrende Treppe hinaufstieg, verwandelte sich meine Wut in Furcht. Die Geisterfrau war aus dem Wohnzimmer verschwunden. Was wäre, wenn sie jetzt oben in meinem Zimmer auf mich wartete? Was, wenn ich in mein Zimmer trat und der widerliche Totenkopf mit den hervortretenden Augen starrte mir aus meinem Bett entgegen? Die Dielen quietschten und ächzten unter mir, als ich langsam den Gang entlang zu meinem Zimmer ging. Plötzlich war mir von Kopf bis Fuß kalt. Mein Hals war wie zugeschnürt. Ich rang nach Atem. Sie ist da drinnen. Sie ist da drinnen und wartet auf mich. Ich wusste es einfach. Ich wusste, sie würde da sein. Und wenn ich schrie, wenn ich um Hilfe rief, dachten Mom und Dad nur, ich wäre verrückt. Was will die Geisterfrau bloß von mir? Warum spielt sie jede Nacht Klavier? Warum versucht sie mir Angst einzujagen? Warum erzählt sie mir, ich solle mich von dem Flügel fern halten? Diese Fragen gingen mir wieder und wieder durch den Kopf. Ich wusste keine Antwort. Ich war zu müde und hatte zu viel Angst, als dass ich hätte klar denken können. Vor meinem Zimmer zögerte ich und atmete heftig. Dann nahm ich, an die Wand gepresst, all meinen Mut zusammen und ging hinein. Als ich in die Dunkelheit trat, erhob sich vor meinem Bett die Geisterfrau.
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Ich stieß einen erstickten Schrei aus und taumelte zur Tür zurück. Doch dann dämmerte mir, dass ich lediglich auf meine Bettdecke starrte. Ich musste sie während meines Alptraumes von Dr. Schreier wohl über das Fußende des Bettes gestrampelt haben. Dort lag sie nun aufgetürmt am Boden. Mit klopfendem Herzen schlich ich in mein Zimmer z urück, schnappte mir Decke und Laken und legte sie über das Bett. Vielleicht bin ich ja tatsächlich dabei durchzudrehen, dachte ich. Niemals, versicherte ich mir selbst. Ich mochte ja verängstigt und frustriert und wütend sein - aber auf meine Sinne konnte ich mich hundertprozentig verlassen. Zitternd kroch ich ins Bett und zog mir die Decke bis ans Kinn hoch. Ich schloss die Augen und bemühte mich, das Bild des hässlichen Totenkopfes vor meinem inneren Auge loszuwerden. Als ich endlich in Schlaf fiel, hörte ich, wie die Klaviermusik aufs Neue erklang. Dr. Schreier kam pünktlich um zwei Uhr nachmittags. Mom und Dad waren draußen in der Garage und packten weitere Kisten aus. Ich nahm Dr. Schreier den Mantel ab und führte ihn dann ins Wohnzimmer. Es war ein kalter Tag. Draußen stürmte es und Schnee lag in der Luft. Dr. Schreiers Wangen waren von der Kälte rosa gefärbt. Mit seinen weißen Haaren und dem Schnurrbart und dem Kugelbauch unter seinem weiten, weißen Hemd sah er dem Nikolaus noch ähnlicher als sonst. Er rieb sich seine schwammigen Hände, um sie zu wärmen, und bedeutete mir, auf der Klavierbank Platz zu nehmen. »So ein wunderbares Instrument«, meinte er fröhlich und strich mit einer Hand über den glänzenden, schwarzen Deckel des Flügels. »Du musst sehr glücklich sein, junger Mann, dass du das hier vorgefunden hast.« »Hmhm«, machte ich ohne Begeisterung.
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Ich hatte bis elf geschlafen, aber ich war immer noch müde. Und ich konnte die Geisterfrau und ihre Warnung nicht aus meinen Gedanken vertreiben. »Hast du fleißig geübt?«, fragte Dr. Schreier. Er lehnte sich an den Flügel und blätterte die Seiten des Übungsbuches um. »Ein bisschen«, antwortete ich. »Dann lass mich mal sehen, was du gelernt hast. Hier.« Er setzte meine Finger einen nach dem anderen auf die Tasten. »Erinnerst du dich noch? Das ist die Stellung, in der du anfängst.« Ich spielte eine Tonleiter. »Ausgezeichnete Hände«, sagte Dr. Schreier und lächelte. »Wiederhole das immer wieder, bitte.« Die Klavierstunde lief ganz gut. Er erzählte mir ständig, wie gut ich wäre, obwohl ich doch nur ein paar Töne und eine einfache Tonleiter spielte. Vielleicht habe ich wirklich Talent, ging es mir durch den Kopf. Ich fragte ihn, wann ich anfangen konnte, ein paar Rockriffs zu lernen. Aus irgendeinem Grund kicherte er. »Alles zu seiner Zeit«, antwortete er und starrte auf meine Hände. Ich hörte Mom und Dad durch die Küchentür hereinkommen. Wenig später erschien Mom im Wohnzimmer und rieb sich durch den Pullover hindurch die Arme. »Langsam wird's draußen richtig kalt«, sagte sie und lächelte Dr. Schreier an. »Ich denke, es wird bald schneien.« »Hier drinnen ist es hübsch warm«, antwortete er und erwiderte ihr Lächeln. »Wie kommt der Unterricht voran?«, fragte ihn meine Mutter. »Sehr gut«, erklärte ihr Dr. Schreier und zwinkerte mir zu. »Ich finde, Jerry ist sehr viel versprechend. Ich bin sehr dankbar, dass er von nun an zum Unterricht in meine Schule kommt.« »Das ist ja wunderbar!« rief Mom aus. »Denken Sie wirklich, dass er Talent hat?« »Er hat ausgezeichnete Hände«, antwortete Dr. Schreier. Irgendetwas an der Art, wie er das sagte, jagte mir einen kalten Schauer über den Rücken. »Lehren Sie in Ihrer Schule auch Rockmusik?«, fragte ich. 45
Er klopfte mir auf die Schulter. »Wir lehren alle Arten von Musik. Meine Schule ist sehr groß und wir haben viele hervorragende Lehrer. Wir unterrichten dort Schüler jeden Alters. Meinst du, du könntest jeden Freitag nach der Schule kommen?« »Das passt sehr gut«, sagte Mom. Dr. Schreier durchquerte den Raum und reichte meiner Mutter eine Visitenkarte. »Hier ist die Adresse meiner Schule. Leider liegt sie am anderen Ende der Stadt.« »Kein Problem«, sagte Mom und betrachtete die Karte. »Freitags habe ich früher frei. Da kann ich ihn fahren.« »Damit ist deine heutige Stunde beendet, Jerry«, sagte Dr. Schreier. »Übe die neuen Noten. Und wir sehen uns dann am Freitag.« Er folgte meiner Mutter nach draußen. Es hatte zu schneien begonnen und riesige Flocken fielen dicht an dicht vom Himmel. Der Schnee fing bereits an, liegen zu bleiben. Ich blickte zum Fenster in den Garten hinterm Haus hinaus und fragte mich, ob es in New Goshen wohl ein paar gute Hügel gab, auf denen man Schlitten fahren konnte. Und ich fragte mich außerdem, ob mein Schlitten wohl schon ausgepackt war. Ich schrie auf, als das Piano plötzlich zu spielen begann. Ein lautes, wüstes Geklimper. So, als hämmerte jemand mit schweren Fäusten wild auf die Tasten. »Jerry - hör sofort auf damit!«, rief Mom aus dem Wohnzimmer. »Das bin ich nicht!«, schrie ich.
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Dr. Fryes Praxis sah überhaupt nicht so aus, wie ich mir die Praxis eines Psychologen vorgestellt hatte. Sie war klein und hell. Die Wände waren gelb gestrichen und überall hingen farbenprächtige Bilder von Papageien und Tukanen und anderen Vögeln. Es gab auch keine schwarze Ledercouch, wie sie Psychologen im Fernsehen und im Kino immer haben. Stattdessen gab es zwei bequem aussehende grüne Sessel. Es gab noch nicht einmal einen Schreibtisch. Nur die beiden Sessel. Dr. Frye saß in dem einen und ich saß in dem anderen. Er war viel jünger, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Er sah jünger aus als mein Vater. Er hatte gewelltes rotes Haar, das mit irgendeinem Gel oder so was glatt frisiert war. Und sein Gesicht war voller Sommersprossen. Er sah einfach überhaupt nicht wie ein Psychologe aus. »Erzähl mir etwas über euer neues Haus«, sagte er. Er hatte seine Beine übereinander geschlagen und legte seinen großen Notizblock auf ihnen ab, während er mich musterte. »Es ist ein großes, altes Haus«, erklärte ich ihm. »Das ist eigentlich schon alles.« Er bat mich, ihm mein Zimmer zu beschreiben. Also tat ich das. Dann unterhielten wir uns über das Haus, aus dem wir ausgezogen waren; und über mein früheres Zimmer Anschließend redeten wir über meine alten Freunde. Danach sprachen wir über meine neue Schule. Als wir anfingen, war ich etwas nervös. Aber er schien ganz in Ordnung zu sein. Er hörte aufmerksam zu. Und er sah mich nicht seltsam an, als ob ich verrückt wäre oder so was. Selbst dann nicht, als ich ihm von der Geisterfrau erzählte. Er kritzelte ein paar Notizen aufs Papier, als ich ihm berichtete, wie der Flügel spät in der Nacht spielte. Er hörte auf zu schreiben, als ich ihm erzählte, dass ich die Geisterfrau gesehen hatte und dass zuerst ihre Haare und dann ihr Gesicht abgefallen waren und dass sie mich angeschrien hatte, ich solle den Flügel nicht anrühren. 47
»Meine Eltern haben mir das nicht geglaubt«, sagte ich und drückte die weichen Armlehnen des Sessels zusammen. Meine Hände waren schweißnass. »Das ist eine ganz schön unheimliche Geschichte«, antwortete Dr. Frye. »Wenn du dein Vater oder deine Mutter wärst und dein Kind würde dir die Geschichte erzählen, würdest du ihm glauben?« »Sicher«, sagte ich. »Wenn sie wahr wäre.« Er kaute auf dem Radiergummi an seinem Bleistift herum und blickte mich an. »Denken Sie, ich bin verrückt?«, fragte ich ihn. Er senkte seinen Notizblock, verzog aber keine Miene bei meiner Frage. »Nein. Ich denke nicht, dass du verrückt bist, Jerry. Aber der menschliche Verstand kann sich manchmal recht seltsam benehmen.« Dann begann er mit einer langen Erklärung darüber, dass wir manchmal vor etwas Angst haben, aber uns selbst nicht eingestehen wollen, dass wir uns fürchten. Deshalb veranstaltet unser Verstand alle möglichen seltsamen Dinge, um uns klarzumachen, dass wir uns fürchten, obwohl wir uns ständig einreden, dass wir uns nicht fürchten. In anderen Worten: Er glaubte mir auch nicht. »In ein neues Haus umzuziehen verursacht eine Menge Stress«, sagte er. »Dann kann es passieren, dass wir uns einbilden, Dinge zu sehen oder zu hören - bloß, damit wir uns nicht eingestehen müssen, wovor wir wirklich Angst haben.« »Ich habe mir die Klaviermusik nicht eingebildet«, sagte ich. »Ich kann Ihnen die Melodie vorsummen. Und ich habe mir auch die Geisterfrau nicht eingebildet. Ich kann Ihnen genau beschreiben, wie sie aussah.« »Lass uns nächste Woche darüber reden«, sagte er und stand auf. »Unsere Zeit ist um. Aber bis zu unserem nächsten Treffen möchte ich dir jedenfalls versichern, dass dein Verstand völlig normal arbeitet. Du bist nicht verrückt, Jerry. Du solltest das keine Sekunde lang denken.«
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Er schüttelte mir die Hand. »Du wirst schon sehen«, sagte er und öffnete die Tür für mich, »du wirst verblüfft darüber sein, was wir herausfinden, was hinter deinem Geist steckt.« Ich murmelte ein Danke und marschierte aus seinem Büro hinaus. Ich ging durch das Wartezimmer und trat auf den Flur. Und da spürte ich den eiskalten Griff der Geisterfrau, der sich um meinen Nacken schloss.
Die Kälte aus dem Jenseits durchzuckte meinen ganzen Körper. Ich stieß einen entsetzten Schrei aus, machte einen Sprung und fuhr herum, um der Geisterfrau entgegenzutreten. »Mom!«, schrie ich und meine Stimme klang schrill und kläglich. »Tut mir Leid, dass meine Hände so kalt sind«, antwortete sie ruhig, ohne sich darüber im Klaren zu sein, was für eine schreckliche Angst sie mir gerade eingejagt hatte. »Draußen ist es eiskalt. Hast du nicht gehört, wie ich dich gerufen habe?« »Nein«, sagte ich. Mein Nacken prickelte noch immer. Ich versuchte die Kälte fortzureiben. »Ich ... ehm ... war gerade völlig in Gedanken und ...« »Na, ich wollte dich nicht erschrecken«, sagte sie und ging mir voraus über den kleinen Parkplatz zum Auto. Sie blieb stehen, um die Autoschlüssel aus ihrer Tasche zu fischen. »Hast du dich mit Dr. Frye gut unterhalten?« »Es ging so«, sagte ich. Diese Geisterfrau hat mich völlig aus dem Häuschen gebracht, stellte ich fest, als ich ins Auto stieg. Jetzt sah ich schon überall Gespenster. Ich muss mich beruhigen, sagte ich mir. Das muss ich unbedingt. Ich muss aufhören zu denken, die Geisterfrau würde mich verfolgen. 49
Aber wie? Am Freitag fuhr mich Mom nach der Schule zu Dr. Schreiers Musikschule. Es war ein kalter, grauer Tag. Ich starrte auf meinen Atem, der das Fenster auf der Beifahrerseite beim Fahren anlaufen ließ. Am Tag zuvor hatte es geschneit und die Straßen waren immer noch eisig und glatt. »Ich hoffe, wir kommen nicht zu spät«, sagte Mom besorgt. Wir hielten an einer roten Ampel an. Sie wischte die Windschutzscheibe mit dem Rücken ihres Handschuhs frei. »Ich traue mich nicht, noch schneller zu fahren.« Die Autos bewegten sich alle im Schneckentempo. Wir fuhren an einer Gruppe von Kindern vorbei, die im Garten vor einem Haus einen Schneemann bauten. Ein kleines Kind mit rotem Gesicht weinte, weil die anderen es nicht mitmachen lassen wollten. »Die Schule liegt ja fast im nächsten Ort«, bemerkte Mom, die stotternd auf die Bremse trat, als wir auf eine Kreuzung zuschlitterten. »Ich frage mich, warum Dr. Schreiers Schule so weitab von allem liegt.« »Ich weiß es nicht«, antwortete ich abwesend. Ich war ein bisschen nervös. »Glaubst du, dass Dr. Schreier selbst mein Lehrer sein wird? Oder denkst du, dass ich jemand anderen bekomme?« Mom zuckte die Achseln. Sie beugte sich weit nach vorn über das Lenkrad, um durch die angelaufene Windschutzscheibe besser sehen zu können. Schließlich bogen wir in die Straße ein, in der die Schule lag. Ich starrte auf eine Ansammlung dunkler, alter Häuser. Hinter den Häusern lag ein kleines Wäldchen, dessen Bäume sich unter der weißen Schneedecke beugten. Gegenüber des Wäldchens stand, halb verborgen hinter einer hohen Hecke, ein Backsteingebäude. »Das muss die Schule sein«, sagte Mom, die den Wagen mitten auf der Straße anhielt und zu dem alten Haus hinaufblickte. »Es gibt kein Schild oder so was. Aber es ist weit und breit das einzige Gebäude, das überhaupt dafür in Frage kommt.« »Es sieht unheimlich aus«, sagte ich.
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Sie blinzelte durch die Windschutzscheibe und steuerte den Wagen in eine schmale, gekieste Auffahrt, die fast vollständig hinter der hohen, schneebedeckten Hecke verborgen lag. »Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?«, fragte ich. Ich rieb mit der Hand auf der Fensterscheibe einen kleinen Fleck frei und spähte hindurch. Das alte Gemäuer sah eher aus wie ein Gefängnis als wie eine Schule. Über dem Erdgeschoss gab es eine Reihe winziger Fenster und diese Fenster waren alle vergittert. Dichter Efeu bedeckte die Front des Gebäudes und ließ sie noch dunkler aussehen, als sie sowieso schon war. »Ich bin mir ziemlich sicher«, sagte Mom und biss sich auf die Unterlippe. Sie kurbelte das Fenster herunter, streckte den Kopf hinaus und blickte auf das riesige, alte Haus. Der Klang von Klaviermusik drang in den Wagen. Einzelne Töne und Tonleitern und Melodien - alles durcheinander. »Ja. Wir haben es gefunden!«, verkündete Mom freudestrahlend. »Nun mach schon, Jerry. Beeil dich. Du bist spät dran. Ich kaufe inzwischen etwas fürs Abendessen ein. In einer Stunde bin ich wieder zurück.« Ich öffnete die Wagentür und trat auf die verschneite Auffahrt hinaus. Der Schnee unter meinen Stiefeln knirschte laut, als ich in Richtung des Gebäudes ging. Die Klaviermusik wurde lauter. Tonleitern und Lieder vermischten sich zu einer ohrenbetäubenden Geräuschkulisse. Ein schmaler Weg führte zur Vortreppe. Er war nicht geräumt und unter dem Schnee hatte sich eine Eisschicht gebildet. Ich rutschte aus und wäre beinahe hingefallen, als ich mich dem Eingang näherte. Ich blieb stehen und schaute nach oben. Es sieht aus wie ein Spukschloss, nicht wie eine Musikschule, dachte ich mit einem Schauder. Warum hatte ich bloß so ein schrecklich ungutes Gefühl? Du bist nur nervös, versuchte ich mich selbst zu beruhigen. Ich verscheuchte die trüben Gedanken, drehte den kalten Messingtürknopf und drückte gegen die schwere Tür. Sie schwang langsam und knarrend auf. Ich holte tief Luft und betrat die Schule. 51
Ein langer, schmaler Flur streckte sich vor mir aus. Er war überraschend dunkel. Nach dem blendend weißen Schnee draußen brauchten meine Augen eine Zeit lang, bis sie sich umgestellt hatten. Die Wände waren dunkel gekachelt. Meine Stiefel dröhnten laut auf dem harten Boden. Klaviertöne hallten durch den Korridor. Die Musik schien aus allen Richtungen gleichzeitig zu erklingen. Wo ist Dr. Schreiers Büro?, fragte ich mich. Ich ging den Flur entlang. Das Licht wurde noch schwächer. Ich bog in einen anderen langen Korridor ab und die Klaviermusik wurde lauter. Zu beiden Seiten dieses Korridors gab es dunkle, braune Türen. In die Türen waren kleine, runde Fenster eingelassen. Während ich weiterging, warf ich Blicke durch die Fenster. In jedem Raum konnte ich lächelnde Lehrer sehen, die im Rhythmus der Klaviermusik mit ihren Köpfen nickten. Auf der Suche nach dem Büro passierte ich eine Tür nach der anderen. In jedem Raum waren ein Schüler und ein Lehrer. Die Klavierklänge wurden zu einem Dröhnen, als brandete ein Meer von Musik gegen die dunklen Kachelwände. Dr. Schreier hat wirklich eine Menge Schüler, dachte ich. Das mussten mindestens hundert Klaviere sein, die hier alle gleichzeitig spielten! Ich bog um eine Ecke und dann um noch eine. Plötzlich stellte ich fest, dass ich völlig die Orientierung verloren hatte. Ich hatte keinen blassen Schimmer, wo ich war. Ich hätte nicht einmal zum Eingangsportal zurückfinden können, wenn ich das gewollt hätte! »Dr. Schreier, wo sind Sie?«, murmelte ich vor mich hin. Meine Stimme ging in der dröhnenden Klaviermusik unter, die von den Wänden und der niedrigen Decke widerhallte. Langsam bekam ich es ein wenig mit der Angst zu tun. Was, wenn sich diese dunklen Gänge für immer ineinander 52
schlangen? Ich stellte mir bildlich vor, wie ich den Rest meines Lebens wanderte und wanderte, ohne den Ausgang zu finden, und von der dröhnenden Klaviermusik taub wurde. »Jerry, hör auf dir selbst Angst zu machen«, schimpfte ich mich laut. Da stach mir etwas ins Auge. Ich hielt an und blickte zur Decke hinauf. Da oben, direkt über meinem Kopf, war eine kleine schwarze Kamera angebracht. Es schien so eine Videokamera zu sein, wie man sie zur Überwachung in Banken und Kaufhäusern manchmal sieht. Beobachtete mich irgendjemand irgendwo auf einem Monitor? Und wenn dem so war, wieso kam dann niemand, um mir zu helfen, den Weg zu Dr. Schreier zu finden? Langsam wurde ich sauer. Was für eine Art Schule war das denn? Keine Hinweisschilder. Kein Büro. Niemand, der die Leute empfing. Als ich um die nächste Ecke bog, hörte ich ein sonderbares regelmäßiges, dumpfes Geräusch. Zuerst dachte ich, es käme von irgendeinem Klavier in einem der Übungsräume. Das Geräusch wurde lauter und kam näher. Ich blieb mitten im Gang stehen und lauschte. Ein schrilles Heulen erhob sich über das dumpfe Dröhnen. Lauter. Lauter. Der Boden schien zu beben. Und als ich den düsteren Gang hinunterstarrte, kam ein riesiges Monster um die Ecke. Sein gewaltiger kantiger Körper schimmerte im dämmrigen Licht, als wäre er aus Metall gemacht. Sein eckiger Kopf nickte und streifte fast die Decke. Seine Füße krachten auf den harten Boden, als es näher kam, um mich anzugreifen. Die Augen an beiden Seiten des Kopfes blitzten zornig rot. »Nein!«, schrie ich und schluckte mühsam. Als Antwort ließ es ein schrilles Heulen ertönen. Dann senkte es den Kopf, als würde es sich für einen Kampf bereit machen. Ich fuhr herum, um schleunigst davonzulaufen. Zu meinem Schrecken sah ich mich Dr. Schreier gegenüber.
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Er stand nur ein paar Schritte entfernt im selben Korridor. Dr. Schreier sah zu, wie das riesige Ungetüm auf mich losging, und auf seinem Gesicht lag ein zufriedenes Grinsen.
Laut keuchend blieb ich wie angewurzelt stehen. Hinter mir kam das Ungetüm näher gestampft und stieß dabei sein wütendes Heulen aus. Vor mir versperrte Dr. Schreier, dessen blaue Augen vor Vergnügen leuchteten, den Fluchtweg. Ich schrie auf und machte mich darauf gefasst, von dem silbrig glänzenden Monster von hinten gepackt zu werden. Doch es blieb stehen. Stille. Kein Stampfen seiner metallischen Füße mehr. Kein schrilles Heulen. »Hallo, Jerry«, sagte Dr. Schreier, der noch immer grinste, ruhig. »Was machst du denn hier so weit hinten?« Heftig atmend deutete ich auf das Monster, das schweigend dastand und auf mich herabstarrte. »Ich ... ich ...« »Du bewunderst unsere Bodenreinigungsmaschine?«, fragte Dr. Schreier. »Ihre was?«, brachte ich mit Mühe heraus. »Unsere Bodenreinigungsmaschine. Sie ist etwas ganz Besonderes«, sagte Dr. Schreier. Er ging an mir vorbei und legte eine Hand vorne auf das Ding. »Es ... es ist eine Maschine?«, stotterte ich. Er lachte. »Du hast doch nicht etwa gedacht, es wäre lebendig, oder?« Ich glotzte es einfach nur an. Ich war zu verblüfft, als dass ich etwas hätte sagen können. »Mr. Knebel, unser Hausmeister, hat sie für uns gebaut«, sagte
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Dr. Schreier und strich mit der Hand über die rechteckige Metallfront der Maschine. »Sie arbeitet traumhaft gut. Mr. Knebel kann einfach alles bauen. Er ist ein Genie, ein wahres Genie.« »Wa- warum hat sie ein Gesicht?«, fragte ich und drückte mich noch immer gegen die Wand. »Warum hat sie Augen, die aufleuchten?« »Das liegt an Mr. Knebels seltsamem Humor«, antwortete Dr. Schreier kichernd. »Er hat auch diese Kameras hier angebracht.« Er deutete auf die Videokamera, die an der Decke befestigt war. »Mr. Knebel ist ein Genie, wenn es um mechanische Dinge geht. Ohne ihn wären wir völlig aufgeschmissen. Wirklich völlig.« Ich machte ein paar zögernde Schritte vorwärts und bestaunte die Bodenreinigungsmaschine aus der Nähe. »Ich... ich konnte das Büro nicht finden«, erklärte ich Dr. Schreier. »Ich ging und ging ...« »Dafür muss ich mich entschuldigen«, antwortete er rasch. »Nun lass uns mit dem Unterricht anfangen. Komm.« Ich folgte ihm, während er mich in die Richtung zurückführte, aus der ich gekommen war. Er ging steifbeinig, aber schnell. Sein weißes Hemd hing vorne an seinem Bauch aus dem Hosenbund. Beim Gehen schwang er seine Arme steif und ungelenk. Ich kam mir echt doof vor. Wenn ich mir vorstellte, dass ich mich von einer Bodenreinigungsmaschine ins Bockshorn hatte jagen lassen! Er stieß eine der braunen Türen mit einem runden Fenster auf und ich folgte ihm in das Zimmer hinein. Ich sah mich rasch um. Der Raum war klein und quadratisch und wurde von zwei Neonröhren an der Decke beleuchtet. Es gab kein Fenster. Die einzigen Möbelstücke waren ein kleines braunes Klavier, eine schmale Klavierbank und ein Notenständer. Dr. Schreier forderte mich auf, mich auf die Klavierbank zu setzen, und wir fingen mit dem Unterricht an. Er stand hinter mir und legte meine Finger behutsam auf die Tasten, obwohl ich mittlerweile selbst wusste, wohin sie gehörten. Wir übten verschiedene Töne. Ich schlug Cs und Ds an. Dann probierten wir es mit Es und Es. Er zeigte mir meinen ersten 55
Akkord. Dann ließ er mich wieder und wieder Tonleitern spielen. »Ausgezeichnet!«, verkündete er, kurz bevor die Stunde zu Ende ging. »Ausgezeichnete Arbeit, Jerry. Ich bin höchst zufrieden.« Seine Nikolausbacken unter seinem weißen Schnurrbart waren knallrot. Ich presste meine Hände zusammen, um einen Krampf loszuwerden. »Werden Sie mein Lehrer sein?«, fragte ich. Er nickte. »Ja, ich werde dir die Grundkenntnisse beibringen«, antwortete er. »Sobald deine Hände so weit sind, wirst du von einem unserer hervorragenden Lehrer weiterunterrichtet.« »Wenn meine Hände so weit sind?« Was genau meinte er wohl damit? »Lass es uns mit einem kleinen Stück versuchen«, sagte er, langte hinunter und blätterte die Seiten des Übungsbuches um. »Nun, dieses Stück besteht nur aus drei verschiedenen Tönen. Aber du musst auf die Viertel- und die Halbnoten achten. Weißt du noch, wie lange eine ganze Note angehalten wird?« Ich führte es ihm auf dem Klavier vor. Dann versuchte ich die kurze Melodie zu spielen. Das klappte ganz gut. Ich machte nur wenige Patzer. »Wunderbar! Wunderbar!«, verkündete Dr. Schreier, der während des Stücks auf meine Hände gestarrt hatte. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Ich fürchte, unsere Zeit ist um. Ich seh dich dann nächsten Freitag wieder, Jerry. Denk dran, das zu üben, was ich dir gezeigt habe.« Ich bedankte mich bei ihm und stand auf. Ich war froh, dass der Unterricht zu Ende war. Sich so stark zu konzentrieren machte echt müde. Ich schwitzte an beiden Händen und hatte in der einen noch immer einen Krampf. Ich ging auf die Tür zu, blieb dann aber noch einmal stehen. »In welche Richtung muss ich?«, fragte ich. »Wie komme ich zum Ausgang zurück?« Dr. Schreier war damit beschäftigt, die Notenblätter, die wir benutzt hatten, in das Musikbuch zurückzustecken. »Halte dich immer links«, sagte er, ohne aufzublicken. »Dann kannst du ihn gar nicht verfehlen.« Ich verabschiedete mich und trat in den dunklen Gang hinaus. Augenblicklich drang mir dröhnende Klaviermusik in die Ohren. 56
Sind die anderen Klavierstunden noch nicht zu Ende?, fragte ich mich. Warum spielen die anderen denn weiter, obwohl die Stunde vorbei ist? Ich schaute in beide Richtungen, um sicherzugehen, dass mir keine Bodenreinigungsmaschine folgte. Dann wandte ich mich nach links, wie Dr. Schreier mich angewiesen hatte, und ging den Korridor in Richtung Ausgang hinunter. Als ich an einer Tür nach der anderen vorbeikam, konnte ich in jedem Zimmer strahlende Lehrer sehen, die die Köpfe im Takt der Klaviermusik bewegten. Die meisten Schüler in diesen Zimmern waren schon weiter fortgeschritten als ich, stellte ich fest. Die übten keine einzelnen Töne und Tonleitern mehr. Die spielten lange, komplizierte Stücke. Ich bog nach links ab und, als der Korridor endete, noch einmal nach links. Ich brauchte eine Weile, bis mir klar wurde, dass ich mich schon wieder verlaufen hatte. Hatte ich irgendwo eine Abzweigung nach links übersehen? Die dunklen Gänge mit den braunen Türen zu beiden Seiten sahen alle gleich aus. Ich bog noch einmal nach links ab. Mein Herz begann zu pochen. Warum befand sich sonst niemand auf den Gängen? Dann sah ich geradeaus eine Doppeltür. Der Ausgang muss sich hinter dieser Tür befinden, sagte ich mir. Ich steuerte eifrig auf die Doppeltür zu und wollte gerade hindurchgehen, als mich kräftige Hände von hinten packten und eine schroffe Stimme in mein Ohr schnarrte: »Nein, das tust du nicht!«
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Ich stieß einen verblüfften Schrei aus. Die Hände zogen mich zurück und ließen dann meine Schulter los. Die Flügel der Doppeltür schwangen wieder zu. Ich fuhr herum und sah mich einem großen, drahtigen Mann mit ungepflegten, langen schwarzen Haaren und einem schwarzen Stoppelbart gegenüber. Er trug eine Jeans-Latzhose und darunter ein gelbes T-Shirt. »Nicht hier entlang«, sagte er leise. »Du suchst nach dem Ausgang? Der ist dort hinten.« Er deutete den Gang nach links hinunter. »Oh. Entschuldigen Sie«, sagte ich heftig atmend. »Sie ... Sie haben mich erschreckt.« Der Mann entschuldigte sich. »Ich bringe dich zum Ausgang«, bot er mir an und kratzte sich an seiner stoppligen Wange. »Darf ich mich vorstellen. Knebel ist mein Name.« »Hallo«, sagte ich. »Ich bin Jerry Hawkins. Dr. Schreier hat mir schon von Ihnen erzählt. Ich ... ich habe Ihre Bodenreinigungsmaschine gesehen.« Er lächelte. Seine schwarzen Augen funkelten wie glühende Kohlen. »Sie ist wunderschön, stimmt's? Ich habe noch ein paar andere Schöpfungen. Einige sind sogar noch besser.« »Dr. Schreier sagte, Sie sind ein Genie, wenn es um mechanische Dinge geht«, meinte ich anerkennend. Der Hausmeister kicherte vor sich hin. »Ja. Ich habe ihn darauf programmiert, das zu sagen!«, scherzte er. Wir lachten beide. »Wenn du das nächste Mal in die Schule kommst, zeige ich dir ein paar meiner anderen Erfindungen«, bot Mr. Knebel mir an, während er die Träger seiner Latzhose über seinen schmalen Schultern zurechtrückte. »Danke«, antwortete ich. Der Ausgang lag jetzt direkt vor uns. Ich war noch nie so glücklich gewesen, eine Tür zu sehen. »Ich 58
bin sicher, dass ich mich irgendwann mit all den Gängen hier zurechtfinden werde«, sagte ich. Er schien mich nicht zu hören. »Dr. Schreier hat mir erzählt, du hättest ausgezeichnete Hände«, sagte er und unter seinem Stoppelbart bildete sich ein seltsames Lächeln. »Das ist, wonach wir hier suchen, Jerry. Das ist es, woran wir interessiert sind.« Ich fühlte mich ein bisschen verlegen und bedankte mich bei ihm. Was kann man schon sagen, wenn einem jemand erzählt, man hätte ausgezeichnete Hände? Ich öffnete die schwere Eingangstür und sah Mom im Auto warten. »Auf Wiedersehen!«, rief ich und rannte erleichtert aus der Schule hinaus in den verschneiten Abend. Nach dem Abendessen bestanden Mom und Dad darauf, dass ich ihnen vorführte, was ich in der Klavierstunde gelernt hatte. Ich hatte nicht die geringste Lust dazu. Ich hatte doch nur dieses eine einfache Lied gelernt und hatte es noch nicht einmal von Anfang bis Ende gespielt, ohne dabei zu patzen. Aber sie drängten mich ins Wohnzimmer und setzten mich auf die Klavierbank. »Wenn ich für den Klavierunterricht bezahle, will ich auch hören, was du da lernst«, sagte Dad. Er setzte sich neben Mom auf die Couch, die dem hinteren Ende des Flügels gegenüberstand. »Wir haben nur ein einziges Lied ausprobiert«, sagte ich. »Können wir nicht warten, bis ich mehr gelernt habe?« »Spiel schon«, verlangte Dad. Ich seufzte. »Ich habe einen Krampf in der Hand.« »Nun komm schon, Jerry. Keine Ausflüchte«, drängte Mom ungeduldig. »Spiel uns einfach dieses Lied vor, ja? Dann werden wir dich heute Abend auch nicht mehr damit nerven.« »Wie sieht die Schule denn aus?«, fragte mein Vater. »Sie liegt mehr oder weniger am anderen Ende der Stadt, stimmt's?« »Sie liegt genau genommen außerhalb der Stadt«, erklärte Mom ihm. »Sie ist in einem sehr alten Gebäude untergebracht. Sieht ziemlich heruntergekommen aus. Aber Jerry hat mir erzählt, dass sie innen ganz gut in Schuss ist.« »Nein, das habe ich nicht«, unterbrach ich sie. »Ich sagte, sie ist groß. Ich habe nicht gesagt, dass sie gut aussieht. Ich habe mich 59
in den Gängen zweimal verlaufen!« Dad lachte. »Ich seh schon, du hast deinen Orientierungssinn von deiner Mutter geerbt!« Mom knuffte Dad freundschaftlich. »Nun spiel das Stück schon«, sagte er zu mir. Ich schlug mein Notenheft auf und stellte es vor mir auf den Flügel. Dann legte ich meine Finger auf die Tasten und machte mich bereit zu spielen. Doch bevor ich die erste Taste anschlagen konnte, ertönte ein Schwall tiefer Töne. Es klang, als hämmerte jemand mit beiden Fäusten auf die Tastatur. »Jerry - hör auf damit«, sagte Mom streng. »Das ist zu laut.« »Das kann doch nicht das sein, was du gelernt hast«, fügte Dad hinzu. Ich legte meine Finger zurecht und begann zu spielen. Doch meine Melodie wurde von dem entsetzlich lauten Hämmern, das nun wieder einsetzte, übertönt. Es klang, als schlüge ein kleines Kind, so fest es konnte, auf die Tasten ein. »Jerry - jetzt reicht's aber wirklich!«, schrie Mom und hielt sich die Ohren zu. »Aber das bin ich gar nicht!«, brüllte ich. »Das bin ich nicht!«
Sie glaubten mir nicht. Stattdessen wurden sie wütend. Sie warfen mir vor, dass ich nie etwas ernst nähme, und schickten mich auf mein Zimmer. Im Grunde genommen war ich froh, aus dem Wohnzimmer heraus und von dem verhexten Klavier wegzukommen. Mir war klar, wer auf die Tasten gehämmert und das Spektakel veranstaltet hatte. Das war die Geisterfrau. Warum? Was wollte sie damit beweisen? 60
Was wollte sie mit mir anstellen? Alles Fragen, die ich nicht beantworten konnte ... noch nicht. Am darauf folgenden Freitagnachmittag hielt Mr. Knebel sein Versprechen. Er begrüßte mich am Eingang der Klavierschule, nachdem mich meine Mutter abgesetzt hatte, und führte mich durch die verschlungenen Gänge in eine riesige Werkstatt. Sie hatte etwa die Größe eines kleinen Theaters. Der gewaltige Raum war mit Maschinen und elektronischen Geräten voll gestopft. Ein riesiges metallenes Ungeheuer mit zwei Köpfen, mindestens dreimal größer als die enorme Bodenreinigungsmaschine, die mir in der vergangenen Woche einen solchen Schrecken eingejagt hatte, stand in der Mitte. Es war von Tonbandgeräten, Stapeln von Elektromotoren, Kisten voller Werkzeug und seltsam aussehender Bauteile einer Videoausrüstung, einem Stapel Fahrradreifen, diversen Klaviergehäusen ohne Innenleben, Tierkäfigen und einem alten Auto, aus dem die Sitze entfernt waren, umgeben. Eine komplette Wand schien eine Art Kontrolltafel darzustellen. Da gab es etwa ein Dutzend Bildschirme, alle eingeschaltet, und alle zeigten verschiedene Klassenzimmer der Schule. Drum herum waren tausende von Skalen und Knöpfen, rot und grün blinkenden Lämpchen, Lautsprechern und Mikrofonen angeordnet. Unter der Kontrolltafel stand eine Theke, die die ganze Breite des Raumes einnahm, auf der mindestens zehn Computer standen. Und sie schienen alle in Betrieb zu sein. »Wow!«, rief ich aus. Meine Augen schössen von einem erstaunlichen Gegenstand zum anderen. »Das ist ja kaum zu glauben!« Mr. Knebel kicherte. Seine dunklen Augen leuchteten auf. »Ich finde immer etwas, womit ich mich beschäftigen kann«, sagte er. Er führte mich in eine Ecke des riesigen Raumes, die nicht voll gestellt war. »Wenn du willst, zeige ich dir ein paar meiner Musikinstrumente.« Er marschierte zu einer Reihe hoher grauer Metallschränke an der gegenüberliegenden Wand. Er holte ein paar Teile aus einem der Schränke heraus und kam eilig damit zurück. 61
»Weißt du, was das ist, Jerry?« Er hielt ein glänzendes Messinginstrument in die Höhe, das mit einer Art Flasche verbunden war. »Ein Saxofon?«, riet ich. »Ein sehr spezielles Saxofon«, sagte er grinsend. »Siehst du? Es ist mit dieser Flasche verbunden, die Druckluft enthält. Das bedeutet, dass man es nicht blasen muss. Man braucht sich nur auf die Fingerarbeit zu konzentrieren. »Wow«, sagte ich. »Das ist echt toll.« »Hier. Setz sie mal auf«, forderte Mr. Knebel mich auf. Er stülpte mir eine braune lederne Kappe über den Kopf. Aus der Rückseite der Kappe kamen einige Drähte heraus, die mit einem kleinen Keyboard verbunden waren. »Was ist das?«, fragte ich und rückte die Kappe über meinen Ohren zurecht. »Zwinkere mit den Augen«, wies mich Mr. Knebel an. Ich zwinkerte mit den Augen und das Keyboard spielte einen Akkord. Ich bewegte meine Augen von rechts nach links. Das Keyboard spielte einen anderen Akkord. Ich blinzelte mit einem Auge. Das Keyboard ließ einen einzelnen Ton erklingen. »Es wird vollständig mit den Augen bedient«, sagte Mr. Knebel voller Stolz. »Hände sind dafür überhaupt nicht nötig.« »Wow«, wiederholte ich. Ich wusste nicht, was ich sonst hätte sagen sollen. Dieses Ding war echt erstaunlich! Der Hausmeister warf einen Blick auf eine Reihe von Uhren an der Kontrolltafel an der Wand. »Du kommst zu spät zum Unterricht, Jerry. Dr. Schreier wird schon auf dich warten. Sag ihm, es ist meine Schuld, ja?« »Mach ich«, antwortete ich. »Danke, dass Sie mir alles gezeigt haben.« Er lachte. »Ich habe dir noch lange nicht alles gezeigt«, meinte er. »Es gibt noch viel mehr.« Er strich über seinen Stoppelbart. »Aber du wirst es noch zu sehen bekommen - alles zu seiner Zeit.« Ich bedankte mich noch einmal bei ihm und lief eilig in Richtung Tür. Es war bereits beinahe Viertel nach zwei. Ich hoffte, dass Dr. Schreier nicht sauer sein würde, weil ich eine Viertelstunde zu spät kam. 62
Als ich durch die riesige Werkstatt trabte, rannte ich beinahe gegen eine Reihe dunkler Metallschränke, die mit Vorhängeschlössern versehen waren. Gerade als ich ihnen auswich, hörte ich plötzlich eine Stimme. »Hilfe!« Ein schwacher Schrei. Ich hielt neben dem Schrank an und lauschte angestrengt. Und da hörte ich sie wieder. Eine schwache Stimme, sehr leise. »Hilf mir, bitte!«
»Mr. Knebel - was ist das?«, rief ich. Er hatte angefangen an den Drähten an der braunen Lederkappe herumzufummeln. »Was ist was?« »Dieser Schrei«, erklärte ich ihm und deutete auf den Schrank. »Ich habe eine Stimme gehört.« Er runzelte die Stirn. »Das sind kaputte Geräte«, murmelte er und wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Drähten zu. »Kaputte Geräte?« Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich ihn richtig verstanden hatte. »Ja. Nur kaputte Geräte«, wiederholte er ungeduldig. »Du beeilst dich besser, Jerry. Dr. Schreier wundert sich bestimmt schon, dass du noch nicht da bist.« Ich hörte einen zweiten Schrei. Eine Stimme, sehr schwach und leise. »Hilf mir - bitte!« Ich zögerte. Mr. Knebel sah mich ungeduldig an. Mir blieb keine andere Wahl. Ich drehte mich um und rannte aus dem Raum hinaus und die schwachen Schreie klangen mir in den Ohren nach. Am Samstagnachmittag ging ich nach draußen, um den Schnee von unserer Auffahrt zu schippen. In der Nacht zuvor hatte es geschneit, nur ein paar Zentimeter. Nun hatten wir einen dieser 63
klaren Wintertage mit einem strahlend blauen Himmel. Es tat gut, draußen an der frischen Luft zu sein und etwas Bewegung zu bekommen. Alles war so sauber und wie neu. Ich war gerade dabei, unten an der Einfahrt den letzten Schnee zu entfernen, und meine Arme taten mir bereits vom Schaufeln weh, als ich Kim Li Chin sah. Sie stieg aus dem schwarzen Honda ihrer Mutter und hatte ihren Geigenkasten unterm Arm. Es sah ganz danach aus, als käme sie gerade vom Geigenunterricht. Ich hatte sie ein paar Mal in der Schule getroffen, aber seit dem Tag, als sie auf dem Schulkorridor davongelaufen war, hatte ich mich nicht mehr richtig mit ihr unterhalten. »Hallo!«, rief ich auf die Schaufel gestützt und ein bisschen außer Atem quer über die Straße. »HÜ« Sie drückte ihrer Mutter den Geigenkasten in die Hand und winkte zurück. Dann lief sie zu mir herüber. Ihre schwarzen Stiefel knirschten im Schnee. »Wie geht's?«, fragte sie. »Ganz schön Schnee, was?« Ich nickte »Ja. Willst du mal schippen? Ich muss noch den Gehweg machen.« Sie lachte. »Nein, danke.« Ihr Lachen klang hoch und glockenrein, wie zwei Gläser, die aneinander gestoßen werden. »Kommst du von der Geigenstunde?«, fragte ich, noch immer auf meine Schaufel gelehnt. »Ja. Ich lerne gerade ein Stück von Bach. Das ist ganz schön schwierig.« »Du bist mir ziemlich weit voraus«, sagte ich. »Ich bin immer noch hauptsächlich mit einzelnen Tönen und Tonleitern zugange.« Ihr Lächeln verschwand. Ihre grauen Augen wurden nachdenklich. Wir unterhielten uns ein Weilchen über die Schule. Dann fragte ich sie, ob sie nicht Lust hätte, auf einen Kakao hereinzukommen. »Und was ist mit dem Bürgersteig?«, fragte sie und deutete darauf. »Ich dachte, du musst den auch noch freischippen.« »Dad wäre bestimmt enttäuscht, wenn ich ihm nichts übrig lassen würde«, scherzte ich.
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Mom füllte zwei große Trinkpötte mit heißem Kakao. Natürlich verbrannte ich mir beim ersten Schluck die Zunge. Kim und ich waren im Wohnzimmer. Kim saß auf der Klavierbank und schlug leise ein paar Tasten an. »Er hat einen echt guten Klang«, sagte sie und ihr Gesicht wurde ernst. »Besser als der Flügel meiner Mutter.« »Warum bist du damals am Nachmittag davongelaufen?«, platzte ich heraus. Das war mir im Kopf herumgespukt, seit es passiert war. Ich musste einfach eine Antwort darauf bekommen. Sie senkte die Augen auf die Tasten des Pianos und tat so, als hätte sie mich nicht gehört. Also fragte ich sie noch einmal. »Warum bist du damals einfach so davongelaufen, Kim?« »Das bin ich nicht«, antwortete sie schließlich, sah mich aber noch immer nicht an. »Ich war nur spät dran für meine Geigenstunde. Das ist alles.« Ich stellte meinen Kakao auf dem Couchtisch ab und lehnte mich an das Seitenteil der Couch zurück. »Ich hab dir erzählt, dass ich in der Schreier-Schule Klavierunterricht nehme. Erinnerst du dich? Daraufhin hast du so ein komisches Gesicht gezogen und bist davongelaufen.« Kim seufzte. Sie hielt den weißen Kakaobecher auf ihrem Schoß. Ich sah, dass sie ihn mit beiden Händen fest umklammerte. »Jerry, ich will wirklich nicht darüber reden«, sagte sie sanft. »Die Sache ist zu ... zu unheimlich.« »Unheimlich?«, fragte ich. »Kennst du denn die Geschichten nicht, die man sich über die Schreier-Schule erzählt?«, fragte sie.
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Ich lachte. Mir war nicht ganz klar, warum. Vielleicht lag es an Kims ernster Miene. »Geschichten? Was denn für Geschichten?« »Wenn du sie nicht kennst, dann möchte ich sie dir wirklich nicht erzählen«, sagte sie. Sie nahm einen großen Schluck aus ihrem weißen Pott und stellte ihn dann wieder auf ihren Schoß. »Ich bin erst vor kurzem hierher gezogen, schon vergessen?«, erklärte ich ihr. »Deshalb habe ich noch keine dieser Geschichten gehört. Worum geht's denn dabei?« »So Sachen über die Schule«, murmelte sie. Sie stieg von der Klavierbank herunter und spazierte zum Fenster hinüber. »Was denn für Sachen?«, wollte ich wissen. »Komm schon, Kim - erzähl mir davon!« »Na ja ... zum Beispiel, dass es da Monster gibt«, antwortete sie und blickte zum Fenster hinaus auf den verschneiten Garten hinterm Haus. »Echte Monster, die da im Keller leben.« »Monster?« Ich lachte. Kim fuhr herum. »Das ist nicht witzig«, schnauzte sie. »Ich habe die Monster gesehen«, erklärte ich ihr kopfschüttelnd. Ihr Gesicht nahm einen überraschten Ausdruck an. »Du hast was?« »Ich habe die Monster gesehen«, wiederholte ich. »Das sind Bodenreinigungsmaschinen.« »Was?« Ihr Mund klappte weit auf. Beinahe hätte sie sich ihren Kakao über den Pullover geschüttet. »Bodenreinigungsmaschinen?« »Klar. Mr. Knebel hat sie gebaut. Er arbeitet in der Schule. Er ist so 'ne Art genialer Erfinder. Er baut alle möglichen Sachen zusammen.« »Aber...«, begann sie. »Ich habe eine von ihnen an meinem ersten Tag in dieser Schule gesehen«, unterbrach ich sie. »Ich dachte auch sie wäre ein Monster. Sie gab unheimliche heulende Töne von sich und kam genau auf mich zu. Ich habe mir fast ins Hemd gemacht! Dabei war es nur eine von Mr. Knebels Reinigungsmaschinen.« 66
Kim legte ihren Kopf zur Seite und blickte mich nachdenklich an. »Na ja, du weißt ja, wie solche Geschichten entstehen«, sagte sie. »Mir war klar, dass sie wahrscheinlich nicht wahr waren. Vermutlich gibt es für alle anderen Dinge genauso einfache Erklärungen.« »Für alle anderen?«, fragte ich. »Es gibt also noch mehr davon?« »Nun...« Sie druckste herum. »Es gibt Geschichten über Kinder, die in diese Schule zur Klavierstunde gingen und nie wieder herauskamen. Sie verschwanden, tauchten einfach nie wieder auf.« »Das ist doch unmöglich«, sagte ich. »Ja, das schätze ich auch«, stimmte sie mir rasch zu. Doch dann fiel mir die leise Stimme aus dem Schrank wieder ein, die um Hilfe gerufen hatte. Das musste eine von Mr. Knebels Erfindungen gewesen sein, sagte ich mir. Das musste es einfach. Kaputte Geräte, hatte er gesagt. Er hatte nicht so gewirkt, als wäre er deswegen auch nur das kleinste bisschen aufgeregt oder durcheinander. »Es ist schon komisch, wie solche Schauergeschichten entstehen«, sagte Kim und spazierte zur Klavierbank zurück. »Na ja, das Gebäude der Klavierschule ist unheimlich und alt«, sagte ich. »Es sieht echt wie ein Spukhaus aus. Ich schätze, das ist wahrscheinlich der Grund dafür, dass einige der Schauergeschichten entstanden sind.« »Vermutlich«, stimmte sie mir zu. »Die Schule ist nicht verhext, aber dieser Flügel hier ist es!«, erklärte ich ihr. Keine Ahnung, was mich veranlasste, das zu sagen. Ich hatte noch mit niemandem über die Geisterfrau und das Klavier gesprochen. Mir war klar, dass mir keiner glauben würde. Kim zuckte ein wenig zusammen und starrte den Flügel an. »Der Flügel ist verhext? Was meinst du damit? Wie kommst du darauf?« »Spät in der Nacht höre ich, wie jemand darauf spielt«, erzählte ich ihr. »Eine Frau. Einmal habe ich sie sogar gesehen.« Kim lachte. »Du willst mich auf die Schippe nehmen – stimmt's?« 67
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, im Ernst, Kim. Ich habe 'diese Frau gesehen. Spät in der Nacht. Sie spielt wieder und wieder dieselbe traurige Melodie.« »Jetzt mach aber mal 'nen Punkt, Jerry!«, meinte Kim und verdrehte die Augen. »Die Frau hat mit mir gesprochen. Ihre Haut fiel ab. Es... es war echt schauerlich, Kim. Ihr Gesicht verschwand. Ihr knochiger Schädel, er starrte mich an. Und sie hat mich gewarnt, ich solle mich fern halten. Fern halten von diesem Flügel hier.« Ich spürte einen Schauder. Irgendwie hatte ich diese schaurige Szene für ein paar Tage aus meiner Erinnerung verbannt. Aber jetzt, als ich Kim davon erzählte, kam alles wieder zurück. Kim hatte ein breites Grinsen auf dem Gesicht. »Du bist ein besserer Geschichtenerzähler als ich«, sagte sie. »Kennst du viele Gespenstergeschichten?« »Das ist keine Geschichte!«, schrie ich. Plötzlich wünschte ich mir sehnlichst, sie würde mir glauben. Kim wollte gerade antworten, doch da streckte meine Mutter den Kopf ins Wohnzimmer und unterbrach mich. »Kim, deine Mutter hat eben angerufen. Sie braucht dich und du sollst gleich nach Hause kommen.« »Tja, dann geh ich jetzt besser«, sagte Kim und stellte ihren Becher mit der heißen Schokolade ab. Ich folgte ihr hinaus. Wir hatten das Wohnzimmer gerade verlassen, als der Flügel zu spielen begann. Ein wildes Durcheinander von Tönen. »Siehst du?«, rief ich Kim aufgeregt zu. »Siehst du? Glaubst du mir jetzt?«
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Wir drehten uns beide um und schauten zum Flügel zurück. Bonkers stolzierte, den Schwanz steil in die Höhe gestreckt, über die Tasten. Kim lachte. »Jerry, du bist witzig! Ich hätte dir beinahe geglaubt!« »Aber... aber... aber ...«, stotterte ich. Diese dämliche Katze hatte mich schon wieder einmal total lächerlich gemacht. »Wir sehen uns dann in der Schule«, sagte Kim. »Deine Gespenstergeschichte hat mir wirklich gut gefallen.« »Danke«, sagte ich lau. Dann lief ich schnell durch das Zimmer, um Bonkers vom Flügel herunterzuscheuchen. Spät in dieser Nacht hörte ich das Piano wieder spielen. Ich setzte mich im Bett auf. Die Schatten an der Zimmerdecke schienen sich im Takt der Musik zu bewegen. Ich hatte leicht und unruhig geschlafen. Ich musste im Schlaf wohl meine Decke abgestrampelt haben, denn sie lag zusammengeknautscht am Fußende. Nun, während ich der vertrauten langsamen Melodie lauschte, war ich hellwach. Das war nicht etwa Bonkers, die da über die Tasten marschierte. Das war die Geisterfrau. Ich stand auf. Die Dielenbretter waren eiskalt. Draußen vor dem Fenster konnte ich die winterlich kahlen Bäume sehen, die sich unter einem böigen Wind beugten. Als ich zur Tür meines Zimmers schlich, wurde die Musik lauter. Soll ich wirklich hinuntergehen?, fragte ich mich. Wird die gespenstische Frau in dem Augenblick verschwinden, wenn ich meinen Kopf durch die Tür des Wohnzimmers strecke? Will ich sie wirklich noch einmal sehen? Ich hatte keine große Lust, ihren grässlichen, grinsenden Totenschädel wieder zu sehen.
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Doch mir war irgendwie klar, dass ich nicht nur einfach so im Türrahmen stehen bleiben konnte. Ich konnte auch nicht zurück in mein Bett. Ich konnte die Sache nicht ignorieren. Ich musste ihr nachgehen. Ich wurde förmlich nach unten gezogen, wie von einem unsichtbaren Seil. Vielleicht werden Mom und Dad sie diesmal ebenfalls hören, dachte ich, während ich den Flur entlangschlich. Vielleicht werden sie sie auch sehen. Vielleicht werden sie mir endlich glauben. Als ich die knarrenden Stufen nach unten stieg, kam mir Kim wieder in den Sinn. Sie glaubte, ich hätte mir eine Gespenstergeschichte ausgedacht. Sie glaubte, ich wollte witzig sein. Dabei gab es wirklich einen Geist in meinem Haus, einen Geist, der auf meinem Flügel spielte. Und ich war der Einzige, dem das klar war. In die Küche hinein. Über den abgelatschten Teppich zum Esszimmer. Die Musik klang so sanft, so ruhig. So eine geisterhafte Musik, dachte ich. Kurz vor der Tür zum Wohnzimmer zögerte ich. Würde sie im selben Augenblick, in dem ich hineinspähte, verschwinden? Oder wartete sie sogar auf mich? Ich holte tief Luft und trat ins Wohnzimmer.
Sie hielt ihren Kopf gesenkt und ihr langes Haar hing ihr ins Gesicht. Ich konnte ihre Augen nicht sehen. Die Klaviermusik schien um mich herumzuwirbeln und mich trotz meiner Angst näher zu ziehen. Meine Beine zitterten, doch ich machte trotzdem einen Schritt ins Zimmer hinein. Dann noch einen. 70
Die Geisterfrau war völlig grau. Ein grauer Schatten vor der Schwärze des Nachthimmels draußen vor dem Fenster. Ihr Kopf nickte und wiegte sich im Rhythmus der Musik. Die Ärmel ihrer Bluse blähten sich auf, während sich ihre Arme über die Tasten bewegten. Ich konnte ihre Augen nicht sehen. Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen. Ihr langes Haar verdeckte sie, als würde sie sich hinter einem Vorhang verstecken. Die Musik klang so traurig, so unglaublich traurig. Ich trat einen Schritt näher. Plötzlich fiel mir auf, dass ich ganz vergessen hatte zu atmen. Ich ließ meinen Atem mit einem lauten Seufzen ausströmen. Sie hörte auf zu spielen. Vielleicht hatte ihr das Geräusch meines Atems bewusst gemacht, dass ich da war. Als sie ihren Kopf hob, konnte ich ihre bleichen Augen sehen, die durch ihre Haare hindurchspähten. Ich bewegte mich nicht. Ich atmete nicht. Ich machte kein Geräusch. »Die Geschichten sind wahr«, wisperte sie. Ein trockenes Flüstern, das von weit herzukommen schien. Ich war mir nicht sicher, ob ich sie richtig verstanden hatte. Ich versuchte etwas zu sagen, aber meine Stimme blieb mir im Hals stecken. Ich brachte keinen einzigen Ton heraus. »Die Geschichten sind wahr«, wiederholte sie. Ihre Stimme war wie Luft, ein Zischen von Luft. Ich glotzte sie an. »W-was für Geschichten?«, brachte ich schließlich mit Mühe heraus. »Die Geschichten über die Schule«, antwortete sie und ihre Haare fielen ihr ins Gesicht. Dann hob sie ihre Arme von den Klaviertasten. »Sie sind wahr«, raunte sie. »Die Geschichten sind wahr.« Sie streckte mir ihre Arme entgegen. Ich starrte sie voller Entsetzen an, schrie auf und -musste würgen. Ihre Arme endeten in Stümpfen. Sie hatte keine Hände. 71
Das Nächste, woran ich mich erinnern kann, war, dass meine Mutter ihre Arme um mich gelegt hatte. »Jerry, beruhige dich. Jerry, es ist alles in Ordnung. Alles in Ordnung«, wiederholte sie immer wieder. »Mom?« Ich schnappte keuchend nach Luft. Meine Brust hob und senkte sich heftig. Meine Beine fühlten sich wie Wackelpudding an. »Mom? Wo...? Wie?« Ich schaute hoch und sah meinen Vater, der nur zwei, drei Schritte entfernt stand, die Arme vor der Brust seines Morgenmantels verschränkt hatte und mich durch seine Brille hindurch mit zusammengekniffenen Augen anstarrte. »Jerry, du hast laut genug gebrüllt, um die ganze Stadt aufzuwecken!« Ich blickte ihn ungläubig an. Ich hatte noch nicht einmal mitbekommen, dass ich überhaupt geschrien hatte. »Jetzt ist alles in Ordnung«, sagte Mom beruhigend. »Alles in Ordnung, Jerry. Mit dir ist alles in Ordnung.« Alles in Ordnung? Schon hatte ich wieder die Geisterfrau vor Augen, ganz in Grau, und ihr herabfallendes Haar, das einen Vorhang vor ihrem Gesicht bildete. Wieder sah ich, wie sie ihre Arme hob, um sie mir zu zeigen. Wieder sah ich die entsetzlichen Stümpfe, wo eigentlich ihre Hände hätten sein müssen. Und wieder hörte ich ihr raschelndes Wispern: »Die Geschichten sind wahr.« Warum hatte sie keine Hände? Warum? Wie konnte sie ohne Hände Klavier spielen? Warum hatte sie meinen Flügel verhext? Warum wollte sie mir Angst einjagen? Die Fragen wirbelten so schnell in meinem Kopf herum, dass ich am liebsten gebrüllt und gebrüllt und gebrüllt hätte. Aber ich konnte nicht mehr; ich hatte schon viel zu viel geschrien. 72
»Deine Mom und ich haben tief und fest geschlafen. Du hast uns zu Tode erschreckt«, sagte Dad. »Ich habe noch nie ein solches Heulen gehört.« Ich konnte mich nicht daran erinnern, gebrüllt zu haben. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wie die Geisterfrau verschwunden und wie Mom und Dad ins Zimmer gestürmt waren. Das Ganze war zu schrecklich. Ich schätze, mein Verstand hatte sich einfach ausgeklinkt. »Ich mache dir einen heißen Kakao«, sagte Mom, die mich noch immer fest in den Armen hielt. »Versuche mit dem Zittern aufzuhören.« »Ich ... ich versuch's ja«, stotterte ich. »Ich schätze, das war wieder ein Alptraum«, hörte ich Dad zu Mom sagen. »Er muss sehr lebhaft gewesen sein.« »Das war kein Alptraum!«, kreischte ich. »Tut mir Leid«, sagte Dad rasch. Er wollte nicht schuld daran sein, dass ich wieder zu schreien begann. Aber es war bereits zu spät. Bevor ich es selbst richtig mitbekam, was passierte, fing ich zu brüllen an. »Ich will auf dem Klavier nicht mehr spielen! Schafft es hier raus! Schafft es weg!« »Jerry, bitte...«, flehte Mom mit tief besorgtem Gesicht. Doch ich konnte nicht mehr aufhören. »Ich will nicht mehr spielen! Ich will keinen Unterricht! Ich werde nicht mehr in die Klavierschule gehen! Nie mehr, nie mehr!« »Schon gut, schon gut!«, schrie Dad laut, um trotz meines Gebrülls gehört zu werden. »Schon gut, Jerry. Keiner hat vor, dich dazu zu zwingen.« »Ja?« Ich ließ den Blick zwischen meinen Eltern hin und her wandern, um zu sehen, ob sie das ernst meinten. »Wenn du keine Klavierstunden mehr nehmen willst, dann musst du das auch nicht«, sagte Mom mit leiser, beruhigender Stimme. »Du bist sowieso nur für eine weitere Stunde angemeldet.« »Ja«, pflichtete Dad ihr rasch bei. »Wenn du am Freitag in die Schule gehst, sagst du Dr. Schreier einfach, dass das deine letzte Stunde ist.« 73
»Aber ich will nicht...«, begann ich. Mom legte mir sanft ihre Hand über den Mund. »Du musst Dr. Schreier schon Bescheid sagen, Jerry. Du kannst dich nicht mir nichts, dir nichts einfach nicht mehr blicken lassen.« »Sag ihm am Freitag Bescheid«, sagte Dad eindringlich. »Du musst nicht Klavier spielen, wenn du das nicht möchtest. Ehrlich.« Moms Blick suchte meinen. »Fühlst du dich damit besser, Jerry?« Ich warf einen Blick auf den Flügel, der matt im Schein der Deckenlampe schimmerte. »Ja, ich glaube schon«, murmelte ich unsicher. »Ja, ich glaube schon.« Am Freitag, einem grauen, stürmischen Tag mit dunklen Schneewolken, die tief am Himmel hingen, fuhr Mom mich nachmittags nach der Schule zur Klavierschule. Sie bog in die lange Auffahrt zwischen den hohen Hecken ein und hielt vor dem Eingang zu dem dunklen, alten Gebäude an. Ich zögerte. »Kann ich nicht einfach rasch hineinlaufen und Dr. Schreier Bescheid sagen, dass ich aufhöre, und dann sofort wieder zurückkommen?« Mom warf einen Blick auf die Uhr am Armaturenbrett. »Nimm die eine Stunde noch, Jerry. Das wird dich nicht umbringen. Wir haben bereits dafür bezahlt.« Ich seufzte missmutig. »Kommst du mit hinein? Oder kannst du hier draußen auf mich warten?« Mom runzelte die Stirn. »Jerry, ich habe verschiedene Dinge zu erledigen. Aber in einer Stunde bin ich wieder da. Das verspreche ich.« Zögernd öffnete ich die Wagentür. »Tschüs, Mom.« »Wenn Dr. Schreier dich fragt, warum du aufhörst, sag ihm einfach, dass dir der Klavierunterricht zusätzlich zu dem, was du für die Schule tun musst, zu viel wird.« »Gut. Bis in einer Stunde«, sagte ich. Ich schlug die Autotür zu. Dann sah ich ihr zu, wie sie davonfuhr. Die Reifen knirschten über den Kies der Auffahrt. Ich drehte mich um und trottete auf das Schulgebäude zu.
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Die Sohlen meiner Turnschuhe machten ein lautes Geräusch, als ich durch die dunklen Gänge zu Dr. Schreiers Zimmer marschierte. Dabei hielt ich nach Mr. Knebel Ausschau, konnte ihn aber nirgends entdecken. Vielleicht war er in seiner riesigen Werkstatt und erfand noch mehr erstaunliche Dinge. Das übliche laute Durcheinander von Klaviertönen erklang aus den Übungsräumen, an denen ich vorbeikam. Durch die kleinen, runden Fenster konnte ich die lächelnden Lehrer sehen, die mit ihren Händen winkten, den Takt angaben und mit den Köpfen zur Musik ihrer Schüler nickten. Als ich um eine Ecke bog und einem weiteren langen, dunklen Korridor folgte, schoss mir ein seltsamer Gedanke durch den Kopf. Mir fiel plötzlich auf, dass ich noch nie einen anderen Schüler auf den Gängen getroffen hatte. Durch die Fenster zu den Räumen hatte ich Lehrer gesehen. Und ich hatte das laute Klavierspiel ihrer Schüler gehört. Aber ich hatte niemals einen anderen Schüler gesehen. Keinen einzigen. Mir blieb nicht lange Zeit, darüber nachzudenken. Dr. Schreier begrüßte mich lächelnd vor unserem Übungsraum. »Na, wie geht's uns heute, Jerry?« »Gut«, antwortete ich und folgte ihm in das Zimmer hinein. Er trug eine weite graue Hose, die von knallroten Hosenträgern über seinem zerknitterten weißen Hemd gehalten wurde. Seine weißen Haare sahen aus, als hätten sie schon seit Tagen keine Bürste mehr gesehen. Mit einer Handbewegung forderte er mich auf, auf der Klavierbank Platz zu nehmen. Ich setzte mich rasch hin und verschränkte meine Hände nervös im Schoß. Ich wollte das, was ich zu sagen hatte, rasch hinter mich bringen, bevor wir mit dem Unterricht begannen. »Ehm... Dr. Schreier?« Er kam steifbeinig durch den Raum auf mich zu, bis er direkt vor mir stand. »Ja, mein Junge?« Er strahlte mich an und seine Nikolausbacken leuchteten rosig. »Nun... ich... dies wird meine letzte Klavierstunde sein«, brachte ich mühsam heraus. »Ich habe beschlossen, ich ... ehm ... ich muss damit aufhören.« 75
Sein Lächeln verschwand. Er packte mich am Handgelenk. »O nein«, sagte er und seine Stimme wurde zu einem Knurren. »Nein. Du wirst nicht aufhören, Jerry.« »Was?«, rief ich. Er verstärkte seinen Griff um mein Handgelenk. Er tat mir richtig weh. »Aufhören?«, rief er außer sich. »Nicht mit diesen Händen.« Sein Gesicht verzog sich zu einer hässlichen Grimasse. »Du kannst nicht aufhören, Jerry. Ich brauche diese wundervollen Hände.«
»Lassen Sie mich los!«, brüllte ich. Er ignorierte mich einfach, verstärkte seinen Griff und kniff die Augen bedrohlich zusammen. »So ausgezeichnete Hände«, murmelte er. »Ausgezeichnet.« »Nein!« Mit einem schrillen Schrei riss ich mich los. Ich sprang von der Klavierbank auf und sprintete in Richtung Tür. »Komm zurück, Jerry!«, rief Dr. Schreier zornig. »Du kommst hier nicht raus!« Mit großen Schritten kam er hinter mir her, steifbeinig, aber unaufhaltsam. Ich riss die Tür auf und schoss in den Flur hinaus. Sofort drang mir hämmernde Klaviermusik in die Ohren. Der lange, dunkle Gang war wie immer leer. »Komm zurück, Jerry!«, rief Dr. Schreier, der mir dicht auf den Fersen war. »Nein!«, schrie ich noch einmal. Ich hielt kurz inne, um mich zu orientieren. Dann senkte ich den Kopf und rannte los. Meine Turnschuhe dröhnten über den harten Boden. Ich lief, so schnell ich konnte, schneller, als ich in meinem ganzen Leben 76
gerannt war. Die Türen zu den Übungsräumen wischten dunkel und verschwommen an mir vorbei. Doch zu meiner Überraschung blieb Dr. Schreier dicht hinter mir. »Komm zurück, Jerry«, rief er und klang überhaupt nicht außer Atem. »Komm zurück. Du kannst mir nicht entkommen.« Ich warf einen Blick zurück und sah, dass er aufholte. Panik stieg mir im Hals hoch und schnürte mir die Luft ab. Meine Beine schmerzten. Mein Herz pochte so heftig, als wollte es mir jeden Moment die Brust zerreißen. Ich bog um eine Ecke und lief einen weiteren Gang entlang. Wo war ich? War ich auf dem richtigen Weg zum Ausgang? Ich war mir nicht sicher. Dieser düstere Gang sah wie all die anderen aus. Vielleicht hat Dr. Schreier Recht. Vielleicht kann ich nicht entkommen, dachte ich und spürte meinen Puls in meinen Schläfen pochen, als ich um die nächste Ecke bog. Ich hielt nach Mr. Knebel Ausschau. Vielleicht konnte er mich ja retten. Doch die Gänge waren leer. Aus jedem Raum erklang Klaviermusik, aber niemand befand sich auf dem Korridor. »Komm zurück, Jerry! Wegzulaufen ist völlig zwecklos!« »Mr. Knebel!«, brüllte ich heiser. »Mr. Knebel - helfen Sie mir! Helfen Sie mir, bitte!« Ich bog wieder um eine Ecke. Meine Turnschuhe schlitterten über den blank gebohnerten Boden. Ich rang jetzt um Atem. Meine Brust hob und senkte sich wie wild. Vor mir sah ich eine Doppeltür. Führte sie zum Hauptportal? Ich konnte mich nicht erinnern. Mit einem tiefen Stöhnen streckte ich beide Hände nach vorne und stieß die Türen auf. »Nein!«, hörte ich Dr. Schreier hinter mir rufen. »Nein, Jerry! Geh nicht in den Konzertsaal!« Zu spät. Ich flitzte durch die Tür und düste hinein. Ich befand mich in einem riesigen, hell erleuchteten Saal. Ich lief noch ein paar Schritte - dann blieb ich voller Entsetzen stehen. Die Klaviermusik war ohrenbetäubend - wie ein nie verklingendes Donnergrollen. 77
Anfangs sah ich den Raum völlig verschwommen. Doch nach und nach wurde alles schärfer und klar. Hier standen reihenweise schwarze Flügel. Neben jedem Flügel stand ein lächelnder Lehrer. Die Lehrer sahen alle gleich aus. Sie hoben und senkten die Köpfe im Takt der Musik. Die Musik wurde gespielt von ... Sie wurde gespielt von ... Ich atmete heftig und starrte von einer Reihe zur anderen. Die Musik wurde gespielt von ... HÄNDEN! Menschliche Hände, die über die Tastaturen huschten. Ohne Menschen dran. Einfach nur HÄNDE!
Meine Augen wanderten die Reihen von Flügeln ab. Über jedem Piano schwebte ein Paar Hände. Die Lehrer waren alle kahlköpfige Männer in grauen Anzügen mit aufgesetztem Lächeln' im Gesicht. Ihre Köpfe nickten und wiegten sich und ihre grauen Augen öffneten und schlössen sich im Takt der Musik, die die Hände auf den Tastaturen spielten. Hände. Lediglich Hände. Während ich wie gelähmt glotzte und versuchte das, was ich sah, auf die Reihe zu bekommen, platzte hinter mir Dr. Schreier in den Saal. Er hechtete auf meine Beine los, um mich zu Fall zu bringen. Irgendwie gelang es mir, seinen ausgestreckten Händen zu entschlüpfen. Stöhnend knallte er bäuchlings auf den gewienerten Boden und schlitterte mit vor Wut gerötetem Gesicht ein paar Meter weiter. Dann drehte ich mich rasch herum, weg von den dutzenden von Händen, weg von den hämmernden Flügeln, und rannte los zurück zur Tür. 78
Doch Dr. Schreier war schneller, als ich dachte. Zu meiner Überraschung war er in Sekundenschnelle wieder auf den Beinen und bewegte sich blitzschnell, um mir den Fluchtweg zu versperren. Rutschend kam ich zum Stehen. Ich wollte mich umdrehen, um ihm zu entkommen. Doch ich verlor das Gleichgewicht und fiel hin. Die Klaviermusik toste um mich herum. Ich blickte hoch und sah die Reihen von Händen, die auf ihre Tasten hämmerten. Vor Entsetzen keuchend, versuchte ich mich aufzurappeln. Zu spät. Dr. Schreier hatte mich erreicht und auf seinem roten, runden Gesicht machte sich ein hämisches, triumphierendes Lächeln breit.
»Nein!«, schrie ich und versuchte auf die Beine zu kommen. Doch Dr. Schreier beugte sich herunter, packte meinen linken Knöchel und hielt ihn fest. »Du kannst nicht entkommen, Jerry«, sagte er ruhig und nicht im Geringsten außer Atem. »Lassen Sie mich los! Lassen Sie mich los!« Ich versuchte mich aus seinem Griff zu winden. Aber er war überraschend kräftig. Ich konnte mich nicht befreien. »Hilfe! Irgendjemand - Hilfe!«, schrie ich, das Getöse der Klaviere übertönend. »Ich brauche deine Hände, Jerry«, sagte Dr. Schreier. »Solch wunderschöne Hände.« »Das können Sie nicht! Das können Sie nicht!«, kreischte ich. Die Doppeltür schwang auf. Mr. Knebel kam mit bestürzter Miene hereingerannt. Seine Augen wanderten rasch durch den riesigen Raum. »Mr. Knebel!«, rief ich erleichtert. »Mr. Knebel - helfen Sie mir! Er ist verrückt! Helfen Sie mir!« 79
Mr. Knebels Mund klappte vor Überraschung sperrangelweit auf. »Keine Sorge, Jerry!«, rief er. »Helfen Sie mir! Schnell!«, brüllte ich. »Keine Sorge!«, wiederholte er. »Jerry, du kannst nicht entkommen!«, drohte Dr. Schreier und hielt mich am Boden fest. Während ich wie wild darum kämpfte, freizukommen, beobachtete ich, wie Mr. Knebel auf die hintere Wand zulief. Er öffnete eine graue Metalltüre, hinter der eine Art Kontrolltafel zum Vorschein kam. »Keine Sorge!«, rief er mir zu. Ich sah, wie er an der Kontrolltafel einen Schalter umlegte. Im selben Augenblick ließ Dr. Schreiers Hand los. Ich zog mein Bein heraus und rappelte mich heftig keuchend hoch. Dr. Schreier sank in sich zusammen. Seine Arme baumelten leblos an seinen Seiten. Seine Augen schlössen sich. Sein Kopf sank herab, bis sein Kinn seine Brust berührte. Er bewegte sich nicht mehr. Er ist so etwas wie ein Roboter, stellte ich zu meiner Verwunderung fest. »Alles in Ordnung mit dir, Jerry!« Mr. Knebel war eilig zu mir gekommen. Ich zitterte am ganzen Körper und die Klaviermusik dröhnte in meinem Kopf. Der Raum begann sich zu drehen. Ich presste die Hände auf meine Ohren, um den hämmernden Lärm auszuschalten. »Lassen Sie sie aufhören! Sagen Sie ihnen, sie sollen aufhören!«, schrie ich. Mr. Knebel lief zur Schalttafel zurück und legte einen anderen Hebel um. Die Musik setzte aus. Die Hände erstarrten über den Tastaturen. Die Lehrer hörten auf mit den Köpfen zu nicken. »Roboter. Alles Roboter«, murmelte ich immer noch zitternd. Der Hausmeister kam eilig zu mir zurück und seine grauen Augen musterten mich aufmerksam. »Ist mit dir alles in Ordnung?«
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»Dr. Schreier - er ist ein Roboter«, stieß ich in zittrigem Flüstern hervor. Wenn ich doch nur meine Knie dazu bringen könnte, mit dem Zittern aufzuhören, dachte ich. »Ja, er ist meine gelungenste Schöpfung«, bekannte Mr. Knebel lächelnd. Er legte eine Hand auf Dr. Schreiers bewegungslose Schulter. »Er sieht ziemlich echt aus, stimmt's?« »Das - das sind alles Roboter«, flüsterte ich und deutete auf die Klavierlehrer, die alle wie erstarrt neben den Instrumenten standen. Mr. Knebel nickte. »Aber nur primitive«, sagte er, noch immer auf Dr. Schreier gestützt. »Sie sind lange nicht so ausgereift wie mein Freund Dr. Schreier hier.« »Sie - haben Sie die alle gebaut?», fragte ich. Mr. Knebel nickte lächelnd. »Jeden einzelnen von ihnen.« Ich konnte nicht aufhören zu zittern. Langsam wurde mir richtig übel. »Danke, dass Sie ihn angehalten haben. Ich schätze, Dr. Schreier ist außer Kontrolle geraten oder so. Ich ... ich muss jetzt gehen«, sagte ich erschöpft. Langsam ging ich auf die Doppeltür zu und zwang meine Knie, dabei mitzuspielen. »Jetzt noch nicht«, sagte Mr. Knebel und legte mir sanft eine Hand auf die Schulter. »Warum?« Ich wandte mich zu ihm um. »Du kannst jetzt noch nicht gehen«, sagte er und sein Lächeln verschwand. »Ich brauche deine Hände, verstehst du?« »Was?« Er deutete auf einen Flügel an der Wand. Ein Lehrer in grauem Anzug stand bewegungslos mit einem eingefrorenen Lächeln auf dem Gesicht daneben. Über der Tastatur hingen keine Hände. »Das wird dein Flügel werden, Jerry.«
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Im Zeitlupentempo wich ich in Richtung Doppeltür zurück. »Wo-wozu?«, stotterte ich. »Wozu brauchen Sie meine Hände?« »Menschliche Hände sind sehr kompliziert und aus vielen Teilen zusammengesetzt, und es ist deshalb so schwierig, sie nachzubauen«, antwortete Mr. Knebel. Er kratzte sich mit einer Hand seinen schwarzen Stoppelbart, während er auf mich zukam. »Aber...«, begann ich, während ich einen weiteren Schritt rückwärts machte. »Ich kann die Hände wundervoll spielen lassen«, erklärte er weiter, seine Augen auf mich gerichtet. »Ich habe Computerprogramme entwickelt, mit deren Hilfe die Hände viel besser spielen, als echte Menschen das können. Aber ich kann keine Hände bauen. Deshalb müssen die Schüler ihre Hände beisteuern.« »Aber wieso?«, wollte ich wissen. »Wieso tun Sie das?« »Um wunderbare Musik zu machen natürlich«, sagte Mr. Knebel und kam einen Schritt näher. »Ich liebe wundervolle Musik, Jerry. Und Musik ist noch viel schöner, wenn keine menschlichen Fehler sie entstellen.« Er machte einen weiteren Schritt auf mich zu. Dann noch einen. »Das verstehst du doch, oder?« Seine dunklen Augen brannten sich in meine. »Nein!«, brüllte ich. »Nein, das verstehe ich nicht! Sie können mir meine Hände nicht nehmen! Das können Sie doch nicht tun!« Ich machte einen weiteren Schritt rückwärts. Meine Beine zitterten noch immer. Wenn ich es nur schaffe, durch diese Tür zu kommen, dachte ich, dann habe ich vielleicht eine Chance. Vielleicht kann ich ihm davonlaufen. Vielleicht kann ich es schaffen, aus diesem verrückten Gebäude herauszukommen. Das war meine einzige Hoffnung. Ich nahm meine ganze Kraft zusammen, kümmerte mich nicht um mein wildes Herzklopfen und drehte mich um. Ich rannte auf die Tür zu. 82
»Oh!«, schrie ich, als die Geisterfrau direkt vor mir auftauchte. Die Frau aus meinem Haus, von meinem Flügel. Sie wuchs in die Höhe, ganz in Grau, mit Ausnahme der Augen. Die glühten rot wie Feuer. Ihr Mund war vor Wut hässlich verzerrt. Sie schwebte auf mich zu und versperrte mir den Weg zur Tür. Ich sitze in der Falle, schoss es mir durch den Kopf. In der Falle zwischen Mr. Knebel und der Geisterfrau. Jetzt gibt es keinen Ausweg mehr.
»Ich habe dich gewarnt!«, heulte die Geisterfrau und ihre roten Augen glühten wild auf. »Ich habe dich gewarnt!« »Nein, bitte ...«, brachte ich mit erstickter Stimme heraus. Ich hob die Hände abwehrend vor mir in die Höhe, versuchte mich vor ihr zu schützen. »Bitte - lassen Sie mich gehen!« Zu meiner Überraschung schwebte sie an mir vorbei. Sie funkelt Herrn Knebel an, stellte ich fest. Er taumelte zurück und sein Gesicht verzerrte sich vor Entsetzen. Die Geisterfrau hob die Arme. »Wacht auf!«, heulte sie. »Wacht auf!« Und während sie wild in der Luft gestikulierte, nahm ich Bewegung bei den Flügeln wahr. Die Bewegung verwandelte sich in dünnen Nebel. Fetzen grauer Wolken wuchsen aus jedem Flügel hervor. Ich wich mit weit aufgerissenen Augen zur Tür zurück. An jedem einzelnen Flügel begannen die dunklen Nebelschwaden Form anzunehmen. Das sind Geister, sagte ich mir. Geister von Jungen und Mädchen, von Männern und Frauen.
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Starr vor Entsetzen sah ich zu, wie sie in die Höhe wuchsen und ihre Hände wieder in Besitz nahmen. Sie bewegten ihre Finger, probierten ihre Hände aus. Und dann schwebten die Geister mit ausgestreckten Armen und winkenden Händen von ihren Klavieren weg, bildeten eine Reihe und bewegten sich drohend auf Mr. Knebel zu. »Nein! Verschwindet! Verschwindet!«, kreischte dieser. Er wandte sich um und versuchte durch die Tür zu fliehen. Doch ich versperrte ihm den Weg. Und die Geister fielen über ihn her. Ihre Hände zerrten ihn hinab. Ihre Hände drückten ihn gegen den Boden. Er strampelte, schlug um sich und brüllte. »Lasst mich los! Runter von mir! Verschwindet!« Doch die Hände, dutzende und aberdutzende von Händen, legten sich über ihn, hielten ihn fest und drückten ihn mit dem Gesicht nach unten gegen den Boden. Die graue Geisterfrau wandte sich mir zu. »Ich habe versucht dich zu warnen!«, rief sie über Mr. Knebels wildes Brüllen hinweg. »Ich habe versucht dich abzuschrecken! Ich habe in deinem Haus gelebt. Ich war ein Opfer dieser Schule! Ich habe versucht dir Angst zu machen, damit du nicht auch zu einem Opfer wirst!« »Ich... ich...« »Lauf!«, befahl sie mir. »Beeil dich - hol Hilfe!« Aber ich blieb wie angewurzelt stehen. Ich war von dem, was ich sah, zu schockiert, als dass ich mich hätte bewegen können. Während ich ungläubig zuschaute, verteilten sich die Hände um Mr. Knebel und hoben ihn vom Boden hoch. Er wand und wehrte sich, aber er konnte sich nicht aus ihrem kräftigen Griff befreien. Sie schleppten ihn zur Tür und dann hinaus. Ich folgte ihnen, um zu sehen, was sie mit ihm machten. Mr. Knebel schien zu schweben. Er schwebte in den dichten Wald neben der Schule. Die Hände schleppten ihn fort. Er verschwand zwischen den eng stehenden Bäumen. Mir war klar, dass ich ihn nie wieder sehen würde. 84
Ich wandte mich um, um mich bei der Geisterfrau zu bedanken, dass sie versucht hatte mich zu warnen. Doch sie war ebenfalls verschwunden. Ich war jetzt ganz allein. Der Korridor hinter mir erstreckte sich in unheimlichem Schweigen. In geisterhafter Stille. Die Klaviermusik hatte aufgehört... für immer. Das Ganze ist jetzt einige Wochen her und mein Leben ist wieder so ziemlich zu seinem Normalzustand zurückgekehrt. Dad setzte eine Anzeige in die Zeitung und verkaufte den Flügel im Handumdrehen an eine Familie am anderen Ende der Stadt. Nachdem dadurch im Wohnzimmer Platz frei geworden war, kauften Mom und Dad einen Großbildfernseher! Die Geisterfrau habe ich nie mehr wieder gesehen. Vielleicht ist sie mit dem Flügel mitgegangen. Ich habe keine Ahnung. Ich habe Freunde gefunden und mich mittlerweile an die neue Schule gewöhnt. Ich denke ernsthaft daran, mich versuchsweise der Baseballmannschaft anzuschließen. Ich bin kein besonders toller Schlagmann, aber ein ganz guter Feldspieler. Und alle sagen, ich hätte großartige Hände.
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1. Der Spiegel des Schreckens 2. Willkommen im Haus der Toten 3. Das unheimliche Labor 4. Es wächst und wächst und wächst... 5. Der Fluch des Mumiengrabs 6. Der Geist von nebenan 7. Es summt und brummt — und sticht! 8. Die Puppe mit dem starren Blick 9. Nachts, wenn alles schläft 10. Der Gruselzauberer 11. Die unheimliche Kuckucksuhr 12. Die Nacht im Turm der Schrecken 13. Meister der Mutanten 14. Die Geistermaske 15. Die unheimliche Kamera 16. ... und der Schneemensch geht um 17. Der Schrecken, der aus der Tiefe kam 18. Endstation Gruseln 19. Die Rache der Gartenzwerge 20. Der Geisterhund 21. Die Wut der unheimlichen Puppe 22. Mein haarigstes Abenteuer 23. Gib Acht, die Mumie erwacht 24. Wer die Geistermaske trägt 25. Der Werwolf aus den Fiebersümpfen 26. Die unheimliche Puppe kehrt zurück 27. Es wächst weiter 28. Der Kopf mit den glühenden Augen
29. Hühnerzauber 30. Wenn das Morgengrauen kommt 31. Ich kann fliegen! 32. Mein unsichtbarer Freund 33. Der Schreckensfisch 34. Die Geisterschule 35. Das verwunschene Wolfsfell 36. Um Mitternacht, wenn die Vogelscheuche erwacht 37. Der Vampir aus der Flasche 38. Der Schneemann geht um 39. Die Geisterhöhle 40. Panikpark 41. Bei Anruf Monster 42. Die Monster vom Fluss 43. Fünf x ich 44. Rache ist... 45. Spürst du die Angst 46. Der Ring des Bösen 47. Der Werwolf ist unter uns 48. Das Versteck der Mumie 49. Bitte lächeln! 50. Das Geisterauto 51. Der Geist ohne Kopf 52. Das Geisterpiano 53. Es atmet 54. Fürchte dich sehr 55. Der Geist im Spiegel 56. Das Biest kommt in der Nacht