GEISTERPIRATEN Von Hai W. Leon
Dieser Roman erschien erstmals als VAMPIR-HORROR-Roman Nr. 167 Warum gibt es Geister, ru...
9 downloads
351 Views
967KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
GEISTERPIRATEN Von Hai W. Leon
Dieser Roman erschien erstmals als VAMPIR-HORROR-Roman Nr. 167 Warum gibt es Geister, ruhelose Seelen, die das Grauen über die Lebenden bringen? Bei Hai W. Leons »Geisterpiraten« ist der Grund ein unheiliger Pakt mit dem Satan. Kapitän Blackbeard und seine Mannschaft waren schon zu Lebzeiten wahre Teufel. Nun hat die Hölle sie wieder ausgespuckt. Stellen Sie sich diese grausige Situation vor: Sie treiben halb verdurstet im Pazifik, als plötzlich ein uraltes Segelschiff vor Ihnen auftaucht. An Bord keine Menschenseele, nur vermoderte Skelette in den Kojen. Schlafende Skelette, die erwachen werden, sobald die Sonne untergeht! Hat es da noch Sinn, Ihnen eine »Gute Nacht« zu wünschen? Auf jeden Fall wünsche ich ein gruseliges Lesevergnügen! Das Boot legte dort an, wo ein paar Felsklippen den weißen Sandstrand unterbrachen. Sechs zerlumpte Gestalten sprangen heraus und zogen die Jolle an Land. Dann duckten sie sich hinter die Klippen. Vor ihnen lag die Lagune, eine dunkel glänzende Wasserfläche, auf der sich der Mond spiegelte. Drüben, auf der anderen Seite, flackerte ein Feuer vor dem schwarzen Hintergrund der Kokospalmen, die sich im Nachtwind wiegten. Es beleuchtete ein Zelt, vor dem an einem Klapptisch zwei Menschen saßen und gebratenen Fisch zu sich nahmen. Der junge Mann trug nur eine Badehose. Sein sehniger Körper war sonnengebräunt, ebenso sein kantiges Gesicht. Viel seidig schimmernde nackte Haut präsentierte auch seine hübsche, höchstens zwanzigjährige Gefährtin. Ihr genügte ein sehr knappes BikiniHöschen. Um den Hals trug sie eine Muschelkette. Wer sollte die zwei Verliebten hier stören, an diesem einsamen Strand von Pitcairn? Das nächste Fischerdorf war mehr als fünf Kilometer entfernt, und man wußte dort nicht einmal, daß sie an dieser Stelle kampierten. Außerdem war den sehr freizügig eingestellten Insulanern kaum zuzutrauen, daß sie einem Liebespaar nachspionierten.
Für Alain Dubois und seine Freundin Clarice war mit der Südseereise ein langersehnter Wunsch in Erfüllung gegangen. Sie hatten jahrelang darauf gespart, und nun war ihr Traum endlich Wirklichkeit geworden. Ursprünglich wollten sie ihren Urlaub auf Hawaii verbringen. Doch dann hatten sie umgebucht, weil ihnen zu Ohren gekommen war, daß die verlockenden Prospekte nur zum Teil hielten, was sie in den herrlichsten Farben versprachen. Statt paradiesischer Unberührtheit wurde dort Touristenrummel geboten, wofür die zwei jungen Franzosen wenig übrig hatten. Aus diesem Grund hatten sie sich für Pitcairn entschieden, für dieses winzige Eiland im weiten Pazifik, wo der Massentourismus noch nicht Einzug gehalten hatte und Begriffe wie Streß, Wirtschaftswachstum und Umweltverschmutzung völlig unbekannt waren. Sie hatten ihren Entschluß nicht bereut. Hier, an dieser zauberhaften Lagune, war jeder Urlaubstag wie ein Traum. Sie waren glücklich und mochten gar nicht daran denken, schon in zwei Wochen in die Hektik des Alltags zurückkehren zu müssen. Die Nacht war heiß. Auch der Wind, der unablässig in den Palmenblättern rauschte, könnte keine Kühlung verschaffen. Am Himmel zogen einige Wolken dahin. »Schon satt, Cheri?« fragte das Mädchen. »Ja, mein Schatz.« Alain Dubois schlürfte den letzten Rest Fruchtmilch aus einer selbstgepflückten Kokosnuß, lehnte sich dann zurück und grinste seine Gefährtin herausfordernd an. »Das heißt, der Nachtisch ist noch fällig.« Sie verstand, was er meinte, und lächelte verführerisch. In ihren dunklen Augen spiegelten sich die Flammen des Feuers. Clarice war äußerst attraktiv, schlank, langbeinig, mit einer atemberaubenden Figur und blauschwarzen Haaren, in denen eine Blume befestigt war. Ihre gebräunte Haut war makellos. Sie hatte einen vollen Mund, der Leidenschaft verriet. Außerdem war sie intelligent und sehr selbstbewußt. »Ich schlage vor, wir machen noch einen Strandspaziergang«, sagte sie und erhob sich, um ihre aufregende Gestalt zu strecken. »Im Zelt ist es ja doch zu heiß.« »Einverstanden.« Alain stand ebenfalls auf und zündete sich eine Zigarette an. »Also komm, mein Schatz.« Hand in Hand traten sie hinaus in die Tropennacht. Das Zelt ließen sie offen zurück. Diebe gab es hier nicht. Außerdem hatte das junge Paar kein Vermögen bei sich. Für Robinsonferien zu zweit brauchte man nicht viel.
Unter ihren nackten Füßen knirschte leise der feinkörnige Sand, Lautlos huschende Krabben flohen vor ihren Schritten. In Claires langen Haaren spielte der Wind. Die beiden jungen Menschen legten einige hundert Meter zurück. Zu ihrer Linken lag das spiegelglatte Meer, rechts war die Kulisse des Dschungels, die sich wie ein schwarzer Scherenschnitt gegen den nächtlichen Himmel abhob. Hinter der Krümmung begannen die Klippen. Alain und Clarice hatten dort bei Tag nach seltenen Muscheln gesucht, die die letzte Flut angeschwemmt hatte. Plötzlich blieb das Mädchen stehen. »Der Mond«, sagte sie, seltsam berührt. »Sieht er heute nicht anders aus?« »Hm«, brummte Alain und warf einen kurzen Blick nach der leuchtenden Scheibe am Himmel, die gespenstisch durch die Palmwedel schimmerte. »Was soll anders an ihm sein?« »Seine Farbe, sie ist rot wie Blut. Heißt es nicht, daß in solchen Nächten die Teufelspiraten erscheinen und Jagd auf neue Opfer machen?« »Diese blöde Geschichte. Die hat man uns nur deshalb erzählt, weil man uns ein Hotelzimmer andrehen wollte. Geschäftstüchtige Leute kommen auf die verrücktesten Ideen. Aber da haben sie sich in den Finger geschnitten. Ich fühle mich in unserem Zelt ausgesprochen wohl.« »Ich auch«, stimmte Clarice zu und zog Alain weiter. »Aber wenn diese Geschichte nun doch wahr ist?« »Ausgeschlossen. Das einzige, was daran stimmen dürfte, ist, daß der berüchtigte Captain Blackbeard tatsächlich existiert hat. Aber das war im 18. Jahrhundert.« »Trotzdem gibt es Leute auf der Insel, die allen Ernstes behaupten, das Geisterschiff gesehen zu haben. Diese Berichte können doch nicht ganz aus der Luft gegriffen sein.« »Jetzt mach aber einen Punkt. Wenn die Inselbewohner an Gespenster glauben, ist es ihre Sache. Ich tue es jedenfalls nicht. Oder kannst du dir vorstellen, daß Tote wieder zum Leben erwachen und Morde begehen? Noch dazu, wo sie seit mehr als zweihundert Jahren in einem Schiffswrack unten am Meeresgrund liegen.« »Natürlich ist das Unsinn.« Clarice lachte, wobei ihre weißen Zahnreihen wie Perlmutt glänzten. »Ich glaube ja selbst nicht daran. Aber in dieser Umgebung geht eben manchmal die Phantasie mit einem durch. Sag mal, was haben denn diese berüchtigten Seeräuber mit ihren Gefangenen - mit den weiblichen - gemacht?« »Auf eine unbewohnte Insel haben sie sie verschleppt, angeblich nicht
weit von hier«, antwortete Alain Dubois. Er hatte sich, als sie im Fischerdorf waren, die unheimliche Geschichte im Gegensatz zu Clarice ganz angehört und wußte daher jetzt besser Bescheid. »Dort haben sie die bedauernswerten Geschöpfe mißbraucht, bis sie ihrer überdrüssig waren. Danach haben sie sie zu Tode gepeitscht.« »Einfach schrecklich, nicht wahr?« Clarice schüttelte sich. »Das müssen ja wahre Bestien gewesen sein.« »Allerdings«, erwiderte Alain und warf den Rest der Zigarette in den Sand »Komm, nun laß dieses Thema. Die Nacht ist viel zu schön, um sich mit solchen Dingen zu belasten. Außerdem bin ich im Moment nur an dir interessiert.« Er legte seinen Arm um ihre Hüften und wollte sie an sich ziehen und küssen. Doch sie entglitt ihm gewandt und lief hell auflachend davon. »Fang mich doch, Cheri! Oder denkst du, die Beute fällt dir so leicht in den Schoß?« »Na warte, das Biest!« Flink sprang er ihr nach. Sie hatte bereits mehrere Meter Vorsprung, doch er besaß die längeren Beine und holte rasch auf. Als er schon dicht hinter ihr war, schlug sie einen Haken. Alain verfehlte sie und stürzte dadurch beinahe in den Sand. Übermütig lachend rannte sie weiter, zuerst noch ein Stück am Strand entlang, dann hinein ins aufspritzende Wasser, das sogar nachts eine angenehme Temperatur hatte. Alain setzte ihr nach, war jetzt wieder dicht hinter ihr. Clarice quietschte. Er erwischte sie am linken Arm und riß sie mit sich, tiefer hinein in die salzigen Fluten, in denen ihre überhitzten Körper Kühlung fanden. Sie umklammerten einander, versuchten sich gegenseitig zu tauchen, küßten sich stürmisch. Danach schwammen sie ein Stück um die Wette. Und dann, als sie sich ausgetollt hatten, strebten sie ans Ufer und warfen sich in den glitzernden Sand. Ihr Atem ging heftig. Sie verschnauften ein wenig. Da plumpste in der Nähe etwas schwer zu Boden. Gestrüpp raschelte. »Was war das, Cheri?« »Eine Kokosnuß. Laß sie doch herunterfallen. Was geht uns das an? Hauptsache, wir sind hier allein.« Sie lachte leise auf. »Was würdest du tun, wenn jetzt die Geisterpiraten kämen? Was würdest du sagen?« »Fängst du schon wieder damit an?« fragte er etwas unwillig. »War nur ein Spaß. Trotzdem - was würdest du sagen, Cheri?« »Ich würde sagen: Stört uns nicht. Ihr seht ja, daß wir beschäftigt sind. Und du? Wie würdest du reagieren?« »Ich würde sie auslachen und fragen: Was wollt ihr von mir? Ich brauche
ganze Männer, nicht lächerliche Figuren, die nur aus morschen Knochen bestehen.« Alain grinste und küßte Clarice auf die Nasenspitze. Sie ahnten beide nicht, daß sie schon die ganze Zeit über beobachtet wurden. Erst ein verdächtiges Scharren im Sand ließ sie aufhorchen. »Das war aber keine Kokosnuß!« rief Clarice und wurde steif. Alain antwortete nicht, sondern lauschte. Das Scharren wiederholte sich. Im nächsten Moment fiel ein schwarzer Schatten auf ihn und das Mädchen. Sie fuhren erschrocken auseinander, erstarrten dann vor namenlosem Grauen. Rings um sie herum standen mehrere Gestalten, die die Hölle ausgespuckt zu haben schien. Gebleichte Totenschädel mit leeren Augenhöhlen, in denen unheimliche Lichtpunkte glommen. Hämisch bleckende Zähne. Schwärzliche Lumpen, die um teils bloßliegende Gerippe schlotterten. Rostige Messer und Degen in knöchernen Fäusten. Und Modergeruch, so stark, daß es einem den Atem raubte. Lähmendes Entsetzen legte sich wie eine eisige Hand auf Alains Brust. Die Teufelspiraten! fuhr es ihm durch den Sinn. Es gibt sie also doch. Weiter konnte er nicht mehr denken. Er sah nur noch, wie einer der Unholde auf ihn zusprang, und spürte den grausamen Schmerz, als ein verrosteter Degen sein Herz durchbohrte. Clarice schrie gellend auf. Lange Krallen griffen nach ihr und rissen ihr die Schulter auf. Schreiend wälzte sie sich herum, kam auf die Beine, versuchte zu fliehen. Doch eine Greuelgestalt mit schwarzer Augenbinde und umgebundenem Kopftuch verstellte ihr den Weg. Sie stieß das Monster zurück, schlug in das entsetzliche Gesicht. Ein unmenschliches Knurren ertönte. Wütend fletschte der Unheimliche die Zähne. Clarice sprang mit einem verzweifelten Satz an ihm vorbei und rannte los. Sie kam nur zehn oder zwölf Schritte weit. Dann stolperte sie und stürzte in den Sand. Wertvolle Sekunden gingen verloren. Ehe sie sich wieder aufrappeln konnte, packte eine kalte Knochenhand ihr linkes Bein und hielt es fest. Für die junge Französin gab es kein Entrinnen mehr. Zwei, drei dieser scheußlichen Knochenmänner warfen sich auf sie und begruben sie unter sich. Dann versank die Welt um sie herum. Ohnmacht erlöste Clarice von dem Grauen. Gleichzeitig war aber auch ihr Schicksal besiegelt.
* »Ein Amulett, Mister? Kaufen Sie ein Amulett«, sagte der kraushaarige Eingeborenenjunge und hielt Frank Farring ein paar seltsame Gebilde aus Kaurimuscheln und Tierzähnen entgegen, die an Schnüren aufgereiht waren. »Es ist nicht teuer.« »Wogegen hilft denn das Zeug?« erkundigte sich der schlaksige Amerikaner. »Es schützt Sie vor den Teufelspiraten.« »Was du nicht sagst.« Frank Farring wechselte einen bezeichnenden Blick mit seinem Begleiter, der nur widerwillig stehengeblieben war. »Hast du das gehört, Tom?« »Bin ja nicht taub«, meinte Tom Bixby, ein muskulöser, dunkelhaariger Mann mit bulligem Gesicht. »Laß dir von dem Bengel bloß nichts aufschwatzen, Frank. Wir wollen zusehen, daß wir endlich was zu trinken bekommen, sonst rostet uns noch die Kehle ein.« Sie waren erst vor einer Stunde mit einem Wasserflugzeug an der Küste von Pitcairn gelandet und hatten soeben im einzigen Hotel des Ortes ihr Gepäck verstaut. Nun plagte sie der Durst. Die drückende Hitze, die zur Zeit herrschte, war für einen Weißen alles andere als angenehm, besonders wenn man gerade keine Gelegenheit hatte, im nahen Meer ein erfrischendes Bad zu nehmen. Die beiden Amerikaner waren beruflich unterwegs, als Sensationsreporter. Frank war Journalist, Tom Fotograf. Sie leisteten Teamarbeit, ohne dabei in irgendeiner Weise gebunden zu sein. Feste Termine oder Verpflichtungen gab es für sie nicht. Ihre Bildreportagen fanden reißenden Absatz, und das nicht nur in den Staaten. Auch alle führenden Illustrierten Europas veröffentlichten ihre spannenden Berichte, was ihnen natürlich beachtliche Honorare eintrug. So waren sie finanziell in der Lage, in die entlegensten Winkel der Erde vorzudringen, wo es noch Interessantes und Unbekanntes zu finden gab. Zwangsläufig führten ihre Erfolge zu immer neuen Erfolgen. Zuletzt waren die zwei Freunde einige Wochen auf der Osterinsel gewesen. Dort hatten sie Material gesammelt für einen umfangreichen Bericht über jene gigantischen Steinskulpturen, die dort in grauer Vorzeit auf rätselhafte Weise entstanden waren. Während ihres Aufenthalts - es war in Hanga Roa - hatte ihnen ein ehemaliger Seemann von einem Gespensterschiff erzählt, dessen Besatzung aus lebenden Leichen bestand. Die gräßlichen Gestalten seien Seeräuber einer längst vergangenen Epoche, die unter ihrem Anführer Captain Blackbeard die Bewohner
zahlreicher Südseeinseln in Angst und Schrecken versetzten. Frank Farring und Tom Bixby wollten der unwahrscheinlich klingenden Geschichte zunächst keinen Glauben schenken. Doch da der alte Mann aus seinem Bericht kein Kapital zu schlagen gedachte und die Wahrheit seiner Worte bei allen Heiligen beschwor, hatten die Freunde ihre Meinung geändert und beschlossen, der Sache nachzugehen. Deshalb waren sie jetzt auf der Insel Pitcairn. In dieser Gegend nämlich traten die blutrünstigen Teufelspiraten angeblich sehr oft in Erscheinung. Außerdem sollten sie auf einem benachbarten, völlig unbewohnten Eiland ihren Unterschlupf haben. Bis zu ihrer Ankunft waren die beiden Amerikaner allerdings noch immer etwas skeptisch gewesen. Sie hatten damit gerechnet, daß sich das Gehörte als Legende entpuppen würde, die hier kein Mensch mehr ernst nahm. Nun wurde zumindest Frank sehr schnell vom Gegenteil überzeugt. »Vielleicht sind diese Amulette gar nicht so unnütz«, sagte er zu Tom. »Ich denke, ich werde eins kaufen.« »Deine Sache«, gab Tom Bixby zurück. »Ich lege auf solchen Schnickschnack keinen Wert. Ein Gin mit Tonic ist mir auf jeden Fall lieber.« »Den bekommst du schon noch.« Frank zog einen Dollar aus der Tasche und kaufte ein Amulett. Er wollte den dunkelhäutigen Jungen nicht enttäuschen. »Sie müssen es aber stets bei sich tragen, Mister«, sagte der Bursche, »sonst hat der Abwehrzauber keine Wirkung.« Nach diesen Worten wandte er sich an Tom Bixby und fügte ernst hinzu: »Wenn Sie kein Amulett kaufen wollen, ist es Ihre Sache. Aber Sie werden es vielleicht noch bereuen.« Tom ging grinsend weiter. Er war viel zu sehr Realist, um von solchen Warnungen etwas zu halten. »Und was willst du mit dem Ding anfangen?« fragte er, als er mit Frank etwas später in einem offenen Straßencafé saß. »Ich werde es als Andenken aufheben. Solange wir auf dieser Insel sind, werde ich es als Schmuck tragen. Schaden kann es auf keinen Fall.« »Aber nützen auch nicht«, meinte Tom und schlürfte aus seinem Glas. »Vielleicht doch. Hast du nicht bemerkt, daß hier fast jeder Eingeborene ein solches Amulett um den Hals hängen hat? Das beweist doch, daß die Leute an die Existenz der Teufelspiraten glauben und sich gegen sie zu schützen versuchen.« »Allerdings«, gab Tom zu. Er wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. »Wir können also hoffen, dem berüchtigten Captain Blackbeard tatsächlich auf die Spur zu kommen. Wenn nicht, haben wir
eben Pech gehabt. Ich schlage vor, wir bleiben hier eine Woche. Wenn sich bis dahin nichts tut, reisen wir ab. Eine spannende Story können wir ja trotzdem machen.« Frank nickte nur und blätterte in seinem Notizbuch, in dem er alles aufgeschrieben hatte, was ihm bis jetzt über die Teufelspiraten zu Ohren gekommen war. Demnach hatten Captain Blackbeard und seine Mannschaft Mitte des 18. Jahrhunderts in der Südsee ihr Unwesen getrieben. Sie überfielen Handelsschiffe und ermordeten die Besatzungen. Frauen und Mädchen verschleppten sie, um hohes Lösegeld zu erpressen, sofern die Bedauernswerten aus vermögenden Familien stammten. Die meisten Opfer verschwanden auf Nimmerwiedersehen auf einer öden Insel, nur einige Dutzend Seemeilen nordwestlich von Pitcairn. Blackbeard besaß nämlich eine Vorliebe für das weibliche Geschlecht. Hatte er genug von den geraubten Frauen, oder hatten sie sich zu sehr gegen seine Wünsche gesträubt, überließ er sie seinen Leuten, die ihm an Sadismus in keiner Weise nachstanden. Die meist betrunkenen Kerle vergewaltigten in ihrem Schlupfwinkel die Frauen und machten sich einen grausamen Spaß daraus, die gequälten Opfer nachher auszupeitschen. Früher oder später hatte das immer den Tod der Gefangenen zur Folge. Bald waren die entmenschten Piraten bei allen ehrsamen Kapitänen verhaßt. Die Regierungen aller Länder setzten auf ihren Kopf hohe Belohnungen aus. Ob Engländer, Franzosen oder Holländer, Spanier oder Portugiesen - sie alle schickten ganze Kriegsflotten aus, um Blackbeard das blutige Handwerk zu legen. So kam es, daß sich die Piraten oft monatelang in ihrem Schlupfwinkel versteckt halten mußten, wollten sie ihren übermächtigen Gegnern nicht irgendwo vor die Geschützrohre segeln. Das ging Captain Blackbeard gewaltig gegen den Strich. Als er wieder einmal sinnlos betrunken war, rief er den Teufel zu Hilfe. Der Satan zeigte sich und war bereit, ihn anzuhören. In jener Nacht - es soll damals ein furchtbarer Orkan gewütet haben schlossen die Seeräuber mit dem Teufel einen Pakt. Er versprach ihnen seinen Schutz bei ihren Beutezügen und völlige Unverwundbarkeit im Kampf mit gegnerischen Schiffen. Als Gegenleistung verschrieben sie ihm ihre Seelen. Der Teufel hielt sein Versprechen. Was auch immer sie von nun an begannen, stets hatten Blackbeard und seine Leute das Glück auf ihrer Seite. Sie kaperten Schiff um Schiff und plünderten und mordeten mehr denn je, ohne selbst die geringsten Verluste zu erleiden. Sie konnten sogar schwerbestückte Fregatten vernichten oder in die Flucht schlagen, oder es gelang ihnen, dem Gegner zu entwischen.
Ihre Erfolge trieben sie zur Tollkühnheit. Bald waren die Piraten so gefürchtet, daß kein Kriegsschiff es mehr wagte, ihre »Hellcat« anzugreifen. Vielmehr begannen alle Kapitäne, die Gewässer der Südsee zu meiden, oder durchsegelten sie nur noch in starken Verbänden. Die Teufelspiraten hatten in jenen Jahren unermeßliche Schätze zusammengeraubt und auf ihrer Insel versteckt. Ihre Beutegier war beispiellos. Doch dann schlug auch ihre Stunde. In einer Dezembernacht, im Jahre 1762, holte sich der Teufel seinen Lohn. Mit neuer Beute an Bord und trunken vom Sieg, segelten die Piraten damals bei schwerem Sturm ihrer Insel entgegen. Dabei zerschellten sie mit ihrem Schoner an einem Korallenriff und sanken mit Mann und Maus. Dennoch hörten die Überfälle nie auf, ganz im Gegenteil. Es wurden zwar keine großen Schiffe mehr gekapert, doch Fischerboote, die sich nachts auf See befanden, waren ständig in Gefahr. Ebenso erging es kleineren Eingeborenendörfern, die bereits früher häufig unter Massakern zu leiden gehabt hatten, wenn Blackbeards Leute in sie eindrangen, um junge Mädchen zu rauben. Das Morden ging weiter, und stets wurden die Teufelspiraten dafür verantwortlich gemacht. Ihre »Hellcat« wurde immer wieder gesehen, bis in die heutige Zeit. Ruhelos durchkreuzte der alte Segler die Südsee. Seine unheimliche Besatzung verstand es, allen Nachstellungen zu entgehen, zumal sie nur nachts in Erscheinung trat und tagsüber auf unerklärliche Weise unsichtbar blieb. Nur Todgeweihte, so hieß es, konnten das Schiff auch am Tage sehen. Man war machtlos gegen die Piraten, man konnte sie nicht vernichten. Die Amulette reichten wenigstens aus, sich die Teufelspiraten vom Leib zu halten. So sahen es die Bewohner von Pitcairn, Mangareva und den anderen betroffenen Inseln als Schicksalsfügung, in ständiger Angst leben zu müssen. Sie hatten sich damit abgefunden. Das alles hatte Frank Farring von dem alten Seemann in Hanga Roa erfahren, der die »Hellcat« ebenfalls mit eigenen Augen gesehen haben wollte. Allerdings war das schon mehr als zwanzig Jahre her, als er mit einem Korallenschiff unterwegs gewesen war. Daß er und seine Gefährten damals mit dem Leben davongekommen waren, verdankten sie nur dem Umstand, daß ihnen der alte Segler nicht schnell genug zu folgen vermochte. Von seinem Schrecken erholt hatte sich der einfache, gottesfürchtige Mann allerdings nie. Die gefährliche nächtliche Begegnung mit dem Geisterschiff hatte sich wie ein flammendes Schwert in sein Gedächtnis eingebrannt, so daß er noch heute unter Alpträumen litt. Frank Farring klappte das Notizbuch zu und verstaute es in der
Gesäßtasche seiner Leinenhose. Nachdenklich trank er dann aus seinem Glas, während Tom Bixby mit bewundernden Blicken einer einheimischen Schönen nachschaute, die in stolzer Haltung vorüberging. In diesem Moment entstand am Dorfeingang Tumult. Aufgeregte Stimmen erklangen. Im Nu bildete sich ein Menschenauflauf. »Da ist was passiert«, rief Frank und sprang auf. »Komm, wir sehen nach!« Die beiden Reporter spurteten trotz der Hitze los. Wenig später konnten sie über die versammelte Menge hinweg einen Blick auf den Toten werfen, den zwei Perltaucher ins Dorf gebracht und vor der hiesigen Polizeistation einfach auf die Straße gelegt hatten. Es war ein Weißer, ein junger Mann, der nur eine Badehose trug. In seiner linken Brust klaffte eine fingerdicke Stichwunde. Seine Gesichtszüge und die unnatürlich weit geöffneten Augen drückten noch im Tod Entsetzen aus. Die Eingeborenen schnatterten heftig gestikulierend durcheinander. Dennoch konnten die beiden Amerikaner immer wieder denselben Satz heraushören: »Die Teufelspiraten haben wieder zugeschlagen.« Der Polizeioffizier, ein drahtiger Mann in einer ausgebeulten Khakiuniform, brachte die Leute zum Schweigen. Mit ernster Miene beugte er sich über den Toten und sah ihn sich genau an. Dann sprach er mit einem der Perltaucher, die Alain Dubois in der einsamen Lagune aufgefunden hatten. Von der Begleiterin des Ermordeten hatten sie nur die Abdrücke ihrer nackten Füße entdeckt. Sie wußten nicht, was aus ihr geworden war. Natürlich vermuteten sie, daß die Teufelspiraten das Mädchen gekidnappt hatten. Dieser Ansicht war offenbar auch der Polizeibeamte. Er wollte sich den Fundort der Leiche ansehen und erklärte sich bereit, Frank und Tom in seinem Jeep mitzunehmen. Wahrscheinlich war er sogar froh, die kräftig aussehenden Amerikaner dabeizuhaben. Außer den beiden fuhr auch einer der Perltaucher mit. Ein junger Hilfspolizist übernahm das Steuer. Viel zu schnell ging es eine holperige Küstenstraße entlang, so daß eine Unterhaltung während der Fahrt unmöglich war. Das letzte Stück zur Lagune mußten sie zu Fuß laufen. Und dann erreichten die Männer jene Stelle, wo Alain Dubois den Tod gefunden hatte. Atemlos und mit ernsten Gesichtern blickten sie auf den braunen Fleck im Sand, der vom Blut des Ermordeten stammte. »Und Sie glauben wirklich, daß dieses Verbrechen auf das Konto der
Geisterpiraten geht?« fragte Frank Farring zweifelnd den Polizeioffizier. »Wer sollte es sonst gewesen sein? Ein Mörder, der aus Fleisch und Blut ist, kann sich wohl kaum in Luft auflösen.« »Aber es sind doch Fußabdrücke hier.« »Die stammen von mir und meinem Bruder«, erklärte der Perltaucher, der ebenfalls recht gut englisch sprach. Er wies den Strand entlang. »Wir sind hier weitergegangen, weil wir wissen wollten, wo die Spur des Mädchens hinführt. Aber sie endet dort vorn, ohne irgendwo eine Fortsetzung zu haben.« Die anderen Männer überzeugten sich, daß diese Behauptung stimmte. Clarice war noch ein Stück gelaufen und dann gestürzt, wie die Eindrücke im Boden deutlich zeigten. Irgend jemand muß sie danach weggeschleppt haben. Das konnten aber auf gar keinen Fall die Perltaucher gewesen sein, denn deren Fußabdrücke endeten bereits ein oder zwei Meter vor der Stelle, von der das Mädchen im wahrsten Sinne des Wortes spurlos verschwunden war. »Glauben Sie mir nun, daß hier Captain Blackbeard und seine Teufelsbande am Werk gewesen sind?« fragte Kiromo, der Polizeioffizier. Frank Farring nickte wie betäubt. »Es ist unglaublich«, flüsterte er. »Einfach unfaßbar.« Tom Bixby hatte inzwischen ein paar Aufnahmen vom Tatort gemacht. Nun wandte er sich an Kiromo. »Diese Kreaturen hinterlassen also keine Spuren?« fragte er. Kiromo schüttelte den Kopf. »Sie haben noch nie welche hinterlassen.« »Dann handelt es sich tatsächlich um Geister. Ich hätte nie gedacht, daß es so was gibt.« Hastig rauchte Tom eine Zigarette an. »Und was gedenken Sie jetzt zu tun?« »Nichts.« Kirqmo zuckte bedauernd die Schultern. »Und das ganz einfach aus dem Grund, weil man nichts tun kann.« Aus seiner Stimme klang Resignation. Dennoch schien er froh zu sein, daß sich die Teufelspiraten diesmal kein Opfer aus seinem Dorf gesucht hatten. »Aber es muß doch in Erfahrung gebracht werden, was aus dem Mädchen geworden ist«, entgegnete Tom. »Das kann ich Ihnen sogar sagen. Sie wurde entweder auf die Teufelsinsel verschleppt, oder Blackbeards Leute haben sie draußen im Meer über Bord geworfen. Es wäre nicht das erste Mal, daß eine verschwundene Frau später als Leiche an irgendeinen Strand gespült wird.« »Und wenn die doch noch lebt?« »Das halte ich für ausgeschlossen. Im übrigen hat man das junge Paar
eindringlich davor gewarnt, an diesem einsamen Platz zu kampieren. Aber die beiden wollten ja nicht hören.« »Trotzdem muß man nach dem Mädchen suchen«, meinte Frank Farring. »Wenn Sie es nicht tun wollen, werden mein Freund und ich das übernehmen.« »Ihr wollt auf die Teufelsinsel?« entfuhr es Kiromo erschrocken. »Um Himmels willen, schlagt euch das aus dem Kopf. Die junge Französin könnt ihr ohnehin nicht mehr retten.« »Vielleicht doch. Außerdem wollten wir uns diese Insel sowieso ansehen.« »Ihr müßt lebensmüde sein«, meinte der Polizeioffizier entsetzt. »Was ihr vorhabt, ist Wahnsinn.« »Vielleicht«, entgegnete Frank verwegen grinsend. »Trotzdem lassen wir uns nicht davon abbringen. Sagen Sie uns lieber, wie wir auf diese ominöse Insel gelangen. Im Dorf gibt es doch sicher ein Motorboot zu mieten?« »Ja, das gibt es. Aber nicht für eine Fahrt zur Teufelsinsel. Dieses Risiko nimmt niemand auf sich.« »Dann fahren wir eben auf eigene Faust.« »Da werdet ihr Pech haben«, sagte Kiromo. »Keiner wird euch sein Boot überlassen, wenn er schon im vorhinein weiß, daß er es abschreiben kann.« »Sie meinen, weil wir nicht mehr zurückkommen würden? Ist es denn bewiesen, daß jeder, der diese verdammte Insel besucht, dort vor die Hunde geht?« »Ja - und das nicht nur einmal, Mister.« »Dann waren also schon Leute dort?« »Ja.« Kiromo nickte. »Schatzsucher, die es auf Captain Blackbeards Beute abgesehen hatten. Aber von denen ist keiner lebend zurückgekehrt. Es gibt im ganzen Dorf nur einen einzigen Mann, der diesen verfluchten Ort jemals betreten und auch wieder verlassen hat, ohne daß ihm ein Haar gekrümmt wurde.« »Und wie heißt der?« fragte Tom Bixby gespannt. »Moru. Ihm gehört ein kleiner Fischkutter.« Kiromo fuhr sich nachdenklich über das Kinn. »Redet doch mal mit ihm. Wenn es überhaupt jemanden gibt, dann ist er es, der euch zur Teufelsinsel bringt.« * Der Mann in dem Schlauchboot war mehr tot als lebendig. Seit mehreren Tagen trieb er hilflos im offenen Meer und hatte längst jede Orientierung
verloren. Rings um ihn war die unendliche Wasserwüste, die in allen Richtungen bis zum Horizont reichte. Über ihm spannte sich ein strahlend blauer Himmel, von dem unbarmherzig die Sonne herabschien. Jack MacDevitt durchlitt tausend Qualen. Sein von einem blonden Vollbart umrahmtes Gesicht war mit Blasen bedeckt. Seine Augenlider waren entzündet und verschwollen, seine trockenen Lippen aufgeplatzt. In seinem Inneren wütete ein grausamer Durst. Er besaß seit vorgestern keinen Tropfen Trinkwasser mehr. Und er wußte nicht, auf welchem Kurs er war. Vom Fieber geschüttelt, lag er in dem Boot und rührte keinen Finger mehr. Jack MacDevitt hatte sich aufgegeben. Dabei hatte alles so hoffnungsvoll begonnen. Jack hatte in Oxford Psychologie studiert und seit Jahren jede freie Minute dazu verwendet, um an seinem Katamaran zu bauen, einem Segelboot aus Kunststoff, mit zwei Rümpfen, das mit einem Hilfsmotor ausgestattet war. Nach erfolgreichem Abschluß seines Examens war endlich auch das Schiff fertig. Jack wollte damit die Welt umsegeln, ehe er sich ins Berufsleben stürzte. Inzwischen waren seit seinem Aufbruch vier Monate vergangen. Von Liverpool aus war der junge Abenteurer voller Optimismus in See gestochen und zunächst an Afrikas Küsten gesegelt, wobei sein Katamaran die Fluten des Atlantik und des Indischen Ozeans durchschnitt. Er hatte Madagaskar besucht und war nach einer kurzen Erholungspause nach Indien und Ceylon weitergesegelt. Bei gutem Wind hatte er schließlich Indonesien erreicht und einen Abstecher zu den Philippinen gemacht. Danach war Australien an der Reihe gewesen und Neuguinea. Später kreuz und quer durch den Pazifik - Neuseeland und die melanesischen und polynesischen Inselgruppen. Sein nächstes Ziel wäre Amerika gewesen. Er wollte die Vereinigten Staaten und Mexiko sehen und Perus und Chiles Küsten entlangsegeln, hinunter nach Kap Hoorn, später um Brasilien herum, um dann, ehe er endlich nach England zurückkehrte, eine wohlverdiente Zwischenstation auf den Bermudas zu machen. Doch dazu würde es nun nicht mehr kommen. Denn hier in der Südsee hatte ihn das Glück verlassen, genau gesagt, südöstlich des Mururoa-Atolls. Nacht war es gewesen, Jack hatte in seiner Kajüte geschlafen, als ein gewaltiger Sturm losgebrochen war. Obwohl Jack alles Menschenmögliche versucht hatte, war es ihm nicht gelungen, sein Boot vor der Vernichtung zu retten. Eine haushohe Woge hatte es gegen ein Riff geschleudert und zerschmettert. Jack konnte sich mit knapper Not in das Schlauchboot retten und mußte alles Weitere dem Schicksal überlassen.
Aber seine Pechsträhne hatte angehalten. Die See hatte sich zwar schon am nächsten Tag wieder beruhigt, doch seine Hoffnung, er könnte von irgendeinem Schiff entdeckt und aufgelesen werden, hatte sich bis heute nicht erfüllt. Offenbar befand er sich weit abseits der befahrenen Routen. Ebensowenig war es ihm gelungen, Land zu sichten. Er wußte nicht einmal, in welche Richtung er trieb. Sein Kompaß war wie all seine andere Habe dem Orkan zum Opfer gefallen. Sein Schlauchboot war ein Spielzeug der Wellen. Völlig sich selbst überlassen, tanzte es auf der rollenden Dünung, während der Mann darin kaum noch richtig bei Bewußtsein war. Als Jack seinen geringen Trinkwasservorrat aufgebraucht hatte, war er in eine tiefe Lethargie verfallen. Er hatte begriffen, was auf ihn wartete. Nein, aus der nassen Hölle des Pazifiks gab es kein Entrinnen mehr. Wellenberge und Wellentäler in endloser Zahl, ätzendes Salzwasser, gnadenlose Sonne, Wind, Durst, Fieber, Angst, Stille und trostlose Einsamkeit - das alles hatte ihn zermürbt und ihm den letzten Funken Hoffnung geraubt. Kraftlos lag er da und dachte nur noch an den Tod. Plötzlich bekam das Schlauchboot einen heftigen Stoß. Wasser spritzte hoch, klatschte Jack ins Gesicht. Er stöhnte unbewußt auf. Doch dann begann sein Hirn zu schalten. Was war das eben? fragte er sich. Ein Zusammenstoß mit einem Riesenfisch? Vielleicht mit einem angriffslustigen Hai? Der junge Engländer aktivierte seine letzten Kräfte und setzte sich mühsam auf, blickte mit geröteten Augen forschend um sich. Da erkannte er die Ursache der Erschütterung. Es war eine morsche Schiffsplanke, die neben dem Schlauchboot im Wasser trieb und es vorhin gerammt haben mußte. Wenig später machte Jack eine weitere Entdeckung, die ihn so sehr überraschte, daß ihm unwillkürlich ein heiseres Krächzen entfuhr. Ein Schiff war in Sicht, doch was für eines! Jack fühlte sich bei seinem Anblick um einige Jahrhunderte zurückversetzt. Es war ein altertümlicher Dreimastschoner, ein richtiger Windjammer, wie sie einst die Meere beherrscht hatten. Der Schiffbrüchige wollte seinen Augen nicht trauen. Phantasierte er schon? Oder war er bereits wahnsinnig? Sah er Dinge, die es gar nicht gab? Nein, der alte Segler konnte keine Sinnestäuschung sein. Dazu sah Jack ihn viel zu deutlich. Soeben erhob sich das Schiff über einen Wellenkamm und ließ in seiner ganzen Länge den Rumpf erkennen. Unüberhörbar knarrte die Takelage. Wie kam der morsche Kahn hierher? Fanden hier Filmaufnahmen statt? Vielleicht wurde ein historischer Streifen gedreht, ein Piratenfilm.
Wie ein Piratenschiff sah der alte Segler jedenfalls aus. Er machte einen ziemlich verrotteten Eindruck, schien kaum noch seetüchtig zu sein. Alles an ihm wirkte brüchig, verwittert, morsch. Jack MacDevitt war das egal. Hauptsache, das Schiff war da. Denn wo ein Schiff war, da mußten auch Menschen sein, Menschen, die ihm helfen konnten. Angetrieben von frischer Zuversicht, paddelte er auf den Segler zu. Die Aussicht auf Rettung verlieh ihm neue Kräfte. Bald hatte er sich dem seltsamen Schiff bis auf zwanzig Meter genähert. Da sich an der kunstvoll verzierten Reling noch immer niemand zeigte, versuchte er durch Rufe auf sich aufmerksam zu machen. Doch er strapazierte seine Lungen vergeblich. Kein Mensch schien ihn zu hören. Gab es auf diesem Schiff gar keine Menschen? War es etwa herrenlos? Sein jämmerlicher Zustand ließ fast darauf schließen. Jetzt, aus der Nähe, konnte Jack sehen, daß der Rumpf des uralten Schoners mit unzähligen Muscheln bedeckt war, ebenso die vom Rost zerfressene Ankerkette, von der auch Seetang in langen Büscheln herabhing. Die Segel waren zerfetzt. Auf der Steuerbordseite klaffte über der Kiellinie ein großes Leck in den Planken. Auch ein Teil der Reling war zertrümmert. Das Schiff war ein Wrack. Jack zweifelte plötzlich daran, hier eine Menschenseele anzutreffen. Dennoch war er entschlossen, an Bord dieses rätselhaften Schiffes zu kommen. Kurz darauf erreichte er den Bug, der mit einer prächtigen Galionsfigur verziert war. Sie stellte eine Meerjungfrau dar, mit wallendem Haar. Darunter verkündeten rote, kaum noch leserliche Lettern den Namen des Schiffes: »Hellcat«. »Höllenkatze«, sagte der Engländer vor sich hin, während er das Paddel wieder in Bewegung setzte. »Welch entsetzlicher Name.« Er kam zur Backbordseite, wo von der Reling einladend eine Jakobsleiter herabhing. So schnell er konnte, ruderte er darauf zu und machte das Schlauchboot daran fest. Dann kletterte er an der Jakobsleiter hoch. Als er oben war und sich über die Reling schwang, war er am Ende seiner Kraft. Er taumelte, rang keuchend nach Luft. Ein Fieberschauer jagte durch seinen ausgemergelten Körper. Doch er bezwang seine Not und blickte sich suchend um. Wie befürchtet, war nicht ein einziger Mann an Bord. Verlassen lagen die schmutzigen Decks in der prallen Sonnenglut. Alles befand sich in einem furchtbaren Zustand. Überall sah man
zerrissene Taue und Segeltuchfetzen. Reste von morscher Leinwand hingen noch an den Rahen. Am Großmast flatterte eine zerschlissene Totenkopfflagge. Jack MacDevitt beschlich ein seltsames Gefühl. Dumpfe Angst packte ihn. Er spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. »Ist denn niemand hier?« schrie er heiser. Kein Mensch antwortete ihm. Nur die Taue knarrten, die zerfledderte Leinwand knallte hin und wieder kurz und trocken, wenn ein Windstoß sich in ihr verfing, und die Hölzer ächzten höhnisch. Jack begriff, daß die »Hellcat« ein Geisterschiff war, ein Wrack, das schon vor langer Zeit gesunken sein mußte. Hatte der alte Schoner auf irgendeine Weise wieder Auftrieb erhalten? Hatte eine Strömung ihn nach oben gespült? Wie konnte sich das morsche Wrack, das jeden Moment auseinanderzufallen drohte, über Wasser halten? Jack stand vor einem Rätsel. Er war entschlossen, unter Deck nachzusehen. Nach kurzem Zögern ging er auf eine Luke zu und stieg eine knarrende Treppe hinab. Dämmerlicht umfing ihn unten im Schiffsbauch. Er sah vor sich eine mit Schimmel überzogene Tür. Langsam drückte er sie auf, setzte seinen Fuß über die Schwelle. Moderige Luft schlug ihm entgegen. Der junge Engländer erkannte sofort, daß hier die Kapitänskajüte war. Sein Blick streifte eine große Seemannskiste. Vorn, unter dem Bullauge, das etwas Licht hereinließ, befand sich ein festgeschraubter Tisch, auf dem eine bauchige Flasche stand. Etwas Trinkbares? Der Schiffbrüchige zog den Korken aus der Öffnung und roch daran. Rum! Gierig setzte Jack die Flasche an den Mund und nahm einen ausgiebigen Schluck. Ihm war jetzt jede Flüssigkeit recht. Hauptsache, es war kein Meerwasser. Als er seinen ärgsten Durst gelöscht hatte, fiel sein Blick auf ein geöffnetes Buch. Es mußte sich um das Logbuch handeln. Die letzte Eintragung stammte vom 13. Dezember 1762. Mit Mühe entzifferte Jack den mit steiler, seltsam verschnörkelter Schrift verfaßten Text: »Position 24 Grad 2 Minuten Süd, 123 Grad 3 Minuten Ost. Befinden uns seit Sonnenuntergang in einem schweren Orkan. Vorhin haben wir ein Riff gerammt. Haben Leck auf Steuerbord und starke Schlagseite. Wenn kein Wunder geschieht, sind wir verloren. Wahrscheinlich holt uns diese Nacht alle der Teufel.«
Die letzten Worte waren äußerst hastig geschrieben. Ein Beweis, daß die Lage tatsächlich sehr ernst gewesen war. Kurz darauf mußte der Tod seine nassen Krallen nach der »Hellcat« und ihrer Mannschaft ausgestreckt haben. Jack wollte noch mehr erfahren. Von einer seltsamen Erregung gepackt, begann er das Buch vorn aufzuschlagen und fand auf der ersten Seite den Namen des Kapitäns: Blackbeard. Zu weiteren Nachforschungen kam er nicht mehr. Hinter seinem Rücken ertönte ein durchdringendes Knarren. Erschrocken fuhr er herum und sah gerade noch, wie die Tür ins Schloß fiel. Der junge Engländer stand wie erstarrt. Im nächsten Moment spürte er, wie sich seine Haare sträubten. Entsetzt blickte er zu der Koje hinüber, die er beim Betreten des Raumes nicht gesehen hatte, da sie sich im toten Winkel befand. In ihr lag ein menschliches Skelett, die Leiche von Captain Blackbeard. Ein langer, zu dünnen Zöpfen geflochtener Bart stand vom Kinn des verwitterten Totenschädels ab. Die Augenhöhlen waren leer, die Nase fehlte ganz. Nur noch die Ohren konnte man in mumifiziertem Zustand erkennen. In sie waren goldene Ringe eingezogen, wie sie einst von Piratenkapitänen getragen worden waren. Der Tote hatte lange, krallenartige Fingernägel. Seine Zähne waren schwarz. Noch immer lag ein grausamer Zug in seinem Gesicht, das längst kein Gesicht mehr war. Es war eine Fratze. Der Leichnam war bekleidet mit Hose, weitärmeligem Hemd und Stulpenstiefeln, oder besser gesagt, mit dem, was davon noch übrig war. Leder und Stoff waren völlig vermodert und an vielen Stellen aufgerissen. Durch die Löcher sahen blanke Knochen. Um die Mitte trug Captain Blackbeard einen breiten Gürtel mit großer Silberschnalle, in dem ein Dolch und eine Peitsche steckten. Vor der Koje lagen unzählige Flaschen am Boden. Der Seeräuberchef mußte den Rum gallonenweise getrunken haben. Was Jack MacDevitt mit wenigen Blicken gesehen hatte, genügte ihm vollauf. Bleich vor Entsetzen stürzte er auf die Tür zu und versuchte, sie zu öffnen. Sie gab zum Glück nach. Jack hatte schon befürchtet, in der Kapitanskajüte gefangen zu sein. Hastig riß er die Tür auf und entfloh dem grausigen Ort. Doch in der Aufregung wählte er den falschen Weg, lief nicht zur Treppe, sondern in den Mannschaftsraum. Hier erwartete ihn erst recht das Grauen. Von allen Seiten grinsten ihm aus den Kojen schwärzliche Totenschädel
entgegen. Die ganze Mannschaft lag hier versammelt. Mindestens fünfzehn skelettierte, mit vermoderten Lumpen bekleidete Piraten, die einen beklemmenden Fäulnisgeruch verströmten. Jack wich schaudernd zurück, wandte sich um und jagte an der Kapitänskajüte vorbei die Treppe hinauf. Oben angekommen, warf er eilig die Luke zu. Dann atmete er gierig die frische Seeluft ein. Er war froh darüber, wieder im Tageslicht zu sein. Er fühlte sich benommen. Der genossene Alkohol tat bereits seine Wirkung. Wahrscheinlich war der starke Rum für Jacks leeren Magen nicht das Richtige gewesen. Schwankend ging der Engländer über das Deck und bemühte sich, einen klaren Gedanken zu fassen, doch es wollte ihm nicht gelingen. Sein umnebeltes Gehirn war zu keiner vernünftigen Überlegung fähig. Er begriff nur, daß mit diesem verrottetem Schiff vieles nicht stimmte, vor allem, was die toten Seeräuber betraf. Die lagen in ihren Kojen, als würden sie schlafen. Plötzlich packte den Engländer neuerlich das Grauen. Er hatte den Vordermast erreicht und hielt entsetzt inne. Mit schreckgeweiteten Augen blickte er auf das nackte Mädchen, das mit einer eisernen Kette an den Mast gefesselt war. Sie war tot, aber noch nicht lange, höchstens einen halben Tag. Ihr ursprünglich sehr hübsches Gesicht war von Angst, Grauen und Schmerz gezeichnet. Ihr Rücken sah furchtbar aus. Dicke Striemen bedeckten ihn kreuz und quer. Jacks Magen rebellierte. Würgend übergab er sich. Als er sich etwas erholt hatte, nahm er sich vor, dieses Totenschiff so schnell wie möglich zu verlassen. Er torkelte zur Reling - und sah, daß sein Boot nicht mehr da war. Es mußte sich losgerissen haben, denn es trieb weit draußen im Meer. Verzweifelt fragte sich Jack, ob es ihm gelingen konnte, das Schlauchboot schwimmend einzuholen. Aber ein Blick ins Wasser enthob ihn auf drastische Weise der Antwort. Ein riesiger Hai durchfurchte in nächster Nähe der »Hellcat« die blaugrünen Fluten. Deutlich sah Jack die große, dreieckige Rückenflosse. Nun war er gezwungen, auf dem Totenschiff zu bleiben. Er spürte plötzlich eine unendliche Müdigkeit, die seine Angst noch überwog. Zwischen Holztrümmern und Taustücken entdeckte er einen verrosteten Enterhaken. Sicherheitshalber nahm er ihn an sich. Dann kroch er in eines der verrotteten Beiboote. Nach kurzer Zeit sank er in einen tiefen Schlaf.
* Der alte Fischkutter war unwahrscheinlich verdreckt. Aber er war noch gut in Schuß und besaß einen kräftigen Motor. Außerdem verstand Moru sein Handwerk. Frank Farring und Tom Bixby saßen unter dem Sonnensegel auf umgestülpten Kisten und blickten auf die weite Wasserwüste, die der Kutter gleichmäßig tuckernd durchpflügte. Beide dachten sie an die Teufelsinsel, das Ziel ihrer Reise. Zuerst hatte Moru von dieser Fahrt nichts wissen wollen. Sie hatten ihn noch am Vortag aufgestöbert und ihm ohne Umschweife erklärt, was sie wollten. Der Polynesier war entsetzt gewesen, hatte sich gegen ihr Anliegen mit Händen und Füßen gewehrt. Erst als sie ihm eine fürstliche Bezahlung versprachen, war er bereit gewesen, den gefährlichen Auftrag zu übernehmen. Allerdings hatte er darauf bestanden, seinen Lohn im vorhinein zu kassieren. Moru hielt die zwei Amerikaner für Selbstmordkandidaten und ging deshalb kein Risiko ein. Er war ein nicht mehr ganz junger Mann mit dichtem Kraushaar und plattgedrückter Nase. So schmutzig wie sein Schiff war auch er selbst. Er roch penetrant nach Fisch. Moru war bereits zweimal auf der Teufelsinsel gewesen. Beim erstenmal hatte er eine Gruppe junger Europäer hergebracht, die es auf Captain Blackbeards sagenhaften Schatz abgesehen hatten. Das zweitemal war er hingefahren, um diese Männer abzuholen. Aber er hatte am Strand nur ihre verstümmelten Leichen gefunden. Aus diesem Grund wäre er um nichts auf der Welt bereit gewesen, länger als unbedingt nötig auf der Insel zu bleiben. Er wollte Tom und Frank dort abliefern und danach sofort nach Pitcairn zurückfahren. Obwohl seine letzte Fahrt zu diesem verfluchten Eiland bereits einige Jahre zurücklag, kannte er noch genau den richtigen Kurs. Außer ihm und den zwei waghalsigen Reportern war auch sein Sohn an Bord, der als Helfer fungierte. Sie waren bei Tagesanbruch losgefahren. Nach mehrstündiger Fahrt kam endlich der spannende Augenblick: die Teufelsinsel lag vor ihnen. Es schien ein Eiland wie jedes andere zu sein, hier im tropischen Pazifik. Vielleicht, daß die Küste etwas felsiger war. Die üppige Vegetation war jedenfalls dieselbe. Moru mußte sich jetzt voll auf das Steuer konzentrieren. Die Insel war
von einem dichten Gürtel gefährlicher Riffe umlagert, die die Anfahrt zur Küste sogar bei hellichtem Tag zu einem äußerst riskanten Unternehmen machte. Es schien, als wollte sie sich dagegen wehren, daß ein Mensch seinen Fuß auf sie setzte. »Seht ihr, wie schwarz hier das Wasser ist?« rief Moru seinen Fahrgästen zu, als er mit viel Geschick eine der tückischen Klippen passiert hatte. »Hier irgendwo soll die >Hellcat< damals gesunken sein.« »So dicht an der Insel?« fragte Frank Farring. Er mußte brüllen, um sich verständlich zu machen. »Ja. Die Besatzung einer englischen Fregatte hat hier einen Tag später Wrackteile gefunden, die nur von Blackbeards Schoner stammen konnten. Die Piraten müssen völlig verrückt gewesen sein, nachts und noch dazu bei schwerem Sturm ihren Schlupfwinkel anzusteuern.« Dann machte die ohrenbetäubend laute Meeresbrandung jede weitere Unterhaltung unmöglich. Die See gebärdete sich hier wie ein wildes Tier. Schroffe Korallenbänke ragten überall aus der schäumenden Flut und bedrohten den kleinen Fischkutter, der wie ein Flaschenkorken auf den bis zu fünf Meter hohen Wellen auf und ab tanzte. Morus Gesicht war bleich und angespannt. Schweiß floß in Bächen über seinen nackten Oberkörper. Krampfhaft hielt er das Steuerrad umfaßt. Jetzt waren übermenschliche Anstrengungen nötig, um nicht die Kontrolle über das Schiff zu verlieren, das mehrmals bedenklich ins Schlingern geriet. Doch dann - nach einer endlos langen Nervenprobe - war die Gefahr endlich vorbei. Aufatmend und sichtlich erschöpft steuerte der stämmige Polynesier seinen jetzt blitzsauberen Kutter in eine ruhige Bucht und legte an einer ziemlich steilabfallenden Sandbank an. »Geschafft!« rief er und stellte den Motor ab. Sein Sohn warf ein Tau über einen Felszacken und zerrte es fest. Danach schob er die Landeplanke über die Bordwand ans Ufer. Alle waren bis auf die Haut durchnäßt. Frank und Tom sahen sich erleichtert an. Dann wandte sich Tom an Moru. »Alle Achtung«, sagte er. »Das war wirklich ein Kunststück. Sie haben sich Ihr Geld redlich verdient.« Der Polynesier grinste geschmeichelt. Wortlos half er den beiden Freunden, ihr Gepäck an Land zu bringen. Tom und Frank hatten eine ziemlich umfangreiche Ausrüstung bei sich, die ihnen die Annehmlichkeiten der Zivilisation einigermaßen ersetzen sollte, außerdem Proviant für eine Woche und eine Menge Filmmaterial. »Was ist das für ein Hügel?« fragte Frank Farring und zeigte auf eine künstliche Anhäufung von Steinen, vor der sie die Gepäckstücke abgestellt
hatten. »Das sieht doch wie ein Grab aus.« »Ist es auch«, antwortete Moru. »Hier habe ich damals die Schatzsucher begraben. Sie lagen im Sand, alle mit durchschnittener Kehle. Glaubt mir, ich werde diesen Anblick nie vergessen.« Ernst schaute er die beiden Amerikaner an, die einen betroffenen Blick wechselten. Dann fuhr er fort: »Ihre Fußspuren kamen aus dem Dschungel. Sie müssen schnell gerannt sein und wollten wohl das Wasser erreichen. Doch hier am Strand wurden sie von den Teufelspiraten eingeholt und niedergemacht. So geht es allen, die Captain Blackbeards Beute haben wollen. Jeder muß sterben, der den Schatz anrührt.« »Haben diese Männer ihn denn gefunden?« forschte Tom Bixby gespannt. »Wahrscheinlich nicht. Soviel ich weiß, hat den Schatz noch kein Mensch gesehen. Auch ihr werdet ihn nicht zu Gesicht bekommen.« »Deshalb haben wir diese Insel auch gar nicht aufgesucht«, beeilte sich Frank Farring zu versichern. »Mag sein«, entgegnete Moru. »Aber Blackbeards Leute töten jeden Eindringling, den sie auf ihrer Insel erwischen können. Nur bei Tag ist man vor ihnen sicher. Wer ihnen nachts begegnet, ist rettungslos verloren.« »Abwarten.« Tom lachte verwegen. »Vielleicht haben wir doch eine Chance, dieses Abenteuer heil zu überstehen.« »Ihr Freund vielleicht«, gab Moru mit einer gewissen Einschränkung zu, »weil er einen Abwehrzauber trägt. Was Sie betrifft, garantiere ich für nichts. Sie sollten es sich nochmals überlegen, ob Sie wirklich auf dieser Insel bleiben wollen. An Ihrer Stelle würde ich darauf verzichten und so schnell wie möglich nach Pitcairn zurückfahren.« »Kommt überhaupt nicht in Frage. Und wenn der Teufel persönlich hier wäre, mich könnte das nicht abschrecken.« Tom zündete sich eine Zigarette an und erkundigte sich dann: »Es soll auf der Insel eine Felsengrotte geben, in der die Teufelspiraten ihre nächtlichen Orgien feiern. Können Sie uns sagen, wo das ist?« »Dort irgendwo.« Moru wies mit ausgestreckter Hand zu einem felsigen Hügel, der sich am Rand des Dschungels erhob. »Es ist nicht weit.« »Würden Sie uns hinführen?« »Nein, nicht für tausend Dollar!« rief der Polynesier entsetzt. Er hatte es plötzlich sehr eilig, von hier wegzukommen. Wie er erklärte, wollte er noch mit der Flut aufs offene Meer hinausgelangen, um vor Einbruch der Nacht wieder in Pitcairn zu sein. »Also dann, in einer Woche«, sagte er zum Abschied. »Hier an dieser Stelle.«
Dabei streifte er Tom und Frank mit einem mitleidigen Blick. Er schien überzeugt zu sein, die beiden nicht lebend wiederzusehen. Kurz darauf fuhr der Fischkutter ab. Die zwei Amerikaner blickten ihm nach, bis er zwischen den mörderischen Klippen ihren Augen entschwand. Dann waren sie allein, allein auf der berüchtigten Teufelsinsel, die schon so vielen zum Verhängnis geworden war. »Wie fühlst du dich, Frank?« fragte Tom, der auf einer wasserdichten Proviantkiste saß und rauchte. »Wie ein Strafgefangener, den man auf Gedeih und Verderb hier ausgesetzt hat. Ich frage mich, ob Moru auch wirklich wiederkommen wird.« »Warum sollte er nicht?« »Weil er überzeugt ist, daß wir hier ins Gras beißen werden. In diesem Fall würde er für die zweite Fahrt kein Geld bekommen.« »Dafür unsere Ausrüstung, Frank. Hast du nicht gesehen, wie sein Sohn nach meiner Kamera geschielt hat? Verlaß dich darauf, die kommen schon wieder.« Nach diesen Worten warf Tom seine aufgerauchte Zigarette in den Sand und erhob sich. »Ich bin dafür, wir bringen jetzt das Gepäck in den Schatten. Anschließend machen wir uns auf die Suche nach dem Schlupfwinkel der Teufelspiraten.« * Ein Geräusch, das er sich zuerst nicht erklären konnte, ließ Jack MacDevitt aus dem Schlaf hochfahren. Er schaute benommen um sich. Es war dunkel geworden. Auch der Mond stand bereits am Himmel, halb verdeckt von vermoderten Segeltuchfetzen, die im Wind knatterten. Jack begriff, wo er war. Obwohl er sich noch immer sehr müde fühlte, versuchte er zu überlegen und nachzudenken. Da drang abermals ein Geräusch an sein Ohr. Es hörte sich an, als würde ei neTürz uges c hl agen.Unt eni m Sc hi f f s bauc h… Jack erschrak furchtbar. Er mußte jetzt an die Leichen in den Kojen denk en.Waresmögl i c h,daßs i e… Er mochte diesen Gedanken nicht zu Ende denken. Schaudernd umklammerte er den rostigen Enterhaken, der ihm im Notfall als Waffe dienen konnte, kletterte aus dem Beiboot und duckte sich dahinter. Dann spähte er zu der Luke hinüber, durch die man unter Deck gelangen konnte. Schon ertönte aus dieser Richtung ein durchdringendes Knarren. Von
einer bleich schimmernden Knochenhand bewegt, schwang die Falltür auf und schlug polternd auf die morschen Decksplanken. Im nächsten Moment tauchte in der quadratischen Öffnung ein Totenschädel auf. Ein von schwarzen Lumpen umschlotterter Körper folgte. Goldene Ohrringe funkelten im Mondlicht. Es war Blackbeard, der Teufelskapitän. Schon stieg er aus der Luke, gefolgt von seinen schrecklichen Kumpanen, unter deren Schritten die Treppe ächzte. Dazwischen war das Klappern von Knochen zu hören. Jack zitterte vor Angst am ganzen Körper. Was er hier sah, ließ ihn an seinem Verstand zweifeln und jagte ihm eisige Schauer über den Rücken. Die Hölle selbst schien diese Gestalten auszuspucken, die da dem Schiffsbauch entquollen, getrieben von einer dämonischen Macht, die ihnen neues Leben eingehaucht hatte. Ihre leeren Augenhöhlen schienen jetzt von innen her zu leuchten. Die Kiefer klappten auf und zu. Schwarze Zähne zeigten ein satanisches Grinsen. Schweigend scharten sich die Monster um ihren Führer und blickten eine volle Minute lang zum Mond hinauf, vor dem dunkle Wolkenfetzen trieben. Dann verteilten sie sich über das ganze Schiff. Jack mußte befürchten, entdeckt zu werden. Er war drauf und dran, ins Meer zu springen. Doch der Gedanke an die Haie hielt ihn zurück. Nein, er hatte es nicht eilig, den gefräßigen Raubfischen zum Opfer zu fallen. Seine Deckung war nicht schlecht. Er verharrte zusammengekauert hinter dem Boot und beobachtete besorgt das weitere Geschehen. Einige der Teufelspiraten gingen zum Vordermast und machten das zu Tode gepeitschte Mädchen los. Sie trugen es zur Backbordreling, schwangen es ein paarmal hin und her und warfen es mit Schwung ins Meer. Ein paar andere Knochenmänner lichteten den Anker. Eine Winde quietschte und knarrte. Rasselnd rollte sich die schwere Eisenkette auf. Tock! Tock! Tock! Was war das? Jacks Kopf fuhr herum. In geringer Entfernung ging ein Skelett vorbei, das ein Holzbein hatte. Es war der Steuermann der »Hellcat«. Ohne Jack zu bemerken, hinkte er über das Deck und stieg die Treppe zur Kommandobrücke hinauf. Seine knöchernen Hände packten das verwitterte Steuerrad. Der alte Schoner setzte sich in Bewegung. Jack konnte nicht begreifen, daß dieses Wrack noch seetüchtig war. Voller Entsetzen fragte er sich, wohin die Reise gehen würde. Welchen Kurs nahmen diese unheimlichen Seeräubergestalten, deren unfreiwilliger
Passagier er geworden war? Und was stand ihm noch alles bevor? Von Durst und entsetzlicher Angst gepeinigt, kauerte er in seinem Versteck und rührte sich nicht, während das Geisterschiff durch die Wogen des nächtlichen Ozeans glitt. Alles geschah schweigend. Die Teufelspiraten schienen entweder genau zu wissen, was sie zu tun hatten, oder sie gehorchten Befehlen, die Jack MacDevitt nicht hören konnte. Die einen beschäftigten sich auf Deck, andere turnten trotz Dunkelheit und hohem Seegang mit traumwandlerischer Sicherheit im brüchigen Gestänge der Takelage herum, als gäbe es für sie überhaupt keine Gefahr. Plötzlich näherte sich einer der Untoten Jack MacDevitts Versteck. Fünf Schritte vor dem Boot bückte sich das Monster und hob eine Seilrolle auf. Jack hielt den Atem an, sank völlig in sich zusammen. Alles Weitere hing jetzt vom Zufall ab. Der Teufelspirat war ahnungslos. Schon sah es so aus, als bemerkte er den Lebenden nicht. Er wollte bereits kehrtmachen. Da ließ ihn doch etwas stutzig werden. Ruckartig blieb er stehen und drehte forschend den gräßlichen Schädel. Hatte er das Klappern von Jacks Zähnen gehört, die im Fieber aufeinanderschlugen? Oder hatte er von dem Lebenden Witterung erhalten? Er wandte sich jedenfalls um - und eine Sekunde später entdeckte er Jack. Ein unmenschliches Knurren drang aus seiner Kehle. Drohend fletschte das Monster die Zähne. Das unheimliche Glühen in seinen Augenhöhlen verstärkte sich, und ein rötlicher Lichtstrahl traf den jungen Engländer, der vor Entsetzen wie gelähmt war. Schon griff der Teufelspirat an. Während er vorwärtssprang, riß er einen Dolch aus dem Gürtel. Das Seil ließ er fallen. Ein scheußlicher Gestank wehte Jack entgegen. Im letzten Moment konnte er seine Erstarrung überwinden. Er sprang auf, riß den Enterhaken hoch. Da war das Messer schon heran. Ein Dolchstoß ging nur knapp an Jack vorbei. Das Ungetüm fauchte wütend. Ehe es noch einmal zustechen konnte, schlug Jack ihm den Enterhaken über den Schädel. Der Schlag betäubte das Monster, und es sank in sich zusammen. Diese Runde hatte Jack gewonnen. Doch er machte sich keine großen Hoffnungen. Von Grauen geschüttelt, schaute er auf die anderen Teufelspiraten, die durch den Zwischenfall auf ihn aufmerksam geworden waren und sich ihm drohend von allen Seiten näherten. Ihr haßvolles Knurren war unbeschreiblich. Der Mond beleuchtete gespenstisch ihre knöchernen Fratzen.
Jacks Kopfhaut spannte - sich schmerzhaft. Angst schnürte ihm die Kehle zu. Er blickte gehetzt um sich, suchte verzweifelt nach einem Fluchtweg. Wenn die Knochenmänner ihn erst eingekreist hatten, gab es keine Chance mehr für ihn. Richtung Steuerbord war noch eine Lücke offen. Entschlossen sprang Jack darauf zu, war mit wenigen Sätzen an der Reling und raste zum Achterdeck. Hinter ihm dröhnten die Planken unter den eiligen Schritten der Verfolger. Vor sich sah er einen Mast. Zum Glück warf er einen Blick nach oben. So bemerkte er gerade noch rechtzeitig die auf einer Rahe kauernde, zum Absprung bereite Gestalt. Jack warf sich zur Seite. Es geschah keine Sekunde zu früh. Schon löste sich der Teufelspirat von der Rahe, verfehlte aber sein Opfer und sauste mit lautem Krach durch die morschen Bretter des Decks. Mit schaurigem Gebrüll verschwand er im Rumpf der »Hellcat«. Zurück blieb ein gezacktes Loch. Jack rannte daran vorbei, auf den Mast zu, und hörte dicht hinter sich die schrecklichen Gegner. Die Spitze hielt jetzt ein Knochenmann, der irgendwann einen Arm verloren hatte. Anstelle seiner rechten Hand war ein eiserner Haken. Damit holte er aus zu einem mörderischen Hieb, der Jack jedoch verfehlte und den Segelmast traf. Tief bohrte sich der gekrümmte Haken in das Holz. Der Teufelspirat brüllte vor Wut auf. Er hatte sich selbst festgenagelt. Schon hetzten seine Kumpane heran. Jack besann sich im letzten Augenblick auf den rostigen Enterhaken, der ihm als Waffe bereits einmal gute Dienste geleistet hatte. Verzweifelt schleuderte er ihn den Angreifern entgegen. Eines der Scheusale ging getroffen zu Boden, riß im Stürzen ein paar andere mit sich. Der Rest stürmte weiter, Jack ebenfalls. Mit Riesensprüngen erreichte er den nächsten Mast, von dem eine Strickleiter herabhing, die zum Ausguck hinaufführte. In Windeseile kletterte er die Wanten hinauf. Die Angst verlieh ihm die nötige Kraft. Doch als er oben im Mastkorb war, begriff er, daß er hier in der Falle saß. Eines der Monster stieg die Strickleiter herauf, den Dolch zwischen den Zähnen. Es war Captain Blackbeard persönlich. Nun gab es kein Entrinnen mehr - und auch keine Verteidigung. Denn Jack MacDevitt war unbewaffnet. Mit vor Entsetzen geweiteten Augen wartete er auf den Tod.
* »Hier ist es!« rief Frank Farring erregt. »Ich habe die Höhle gefunden!« »Na, endlich«, antwortete Tom und eilte keuchend herbei. »Ich dachte schon, wir schaffen es heute nicht mehr.« Ein Vorhang aus üppig wuchernden Lianen war der Grund, daß sie den Höhleneingang nicht eher bemerkt hatten, obwohl sie noch bei Tageslicht wiederholt an dieser Stelle vorbeigelaufen waren. Daß Frank ihn überhaupt entdecken konnte, verdankte er den Fledermäusen, die jetzt am Abend ihr Versteck verließen. Er hatte die Schlingpflanzen zur Seite geschoben und leuchtete mit einer Stablampe in die dunkle Grotte hinein, die sich am Westhang des Hügels in den Felsen zog. In seiner Rechten lag eine entsicherte Browning-Pistole. Er sah, daß die Höhle ziemlich hoch war. Vorn war sie schmal, nach hinten zu erweiterte sie sich birnenförmig. Der Lichtkegel der Taschenlampe erfaßte einen langen, klobigen Tisch, auf dem einige Laternen und mindestens ein Dutzend Trinkgefäße standen. Zu beiden Seiten standen Sitzbänke. Am Boden lag altes Gerumpel herum, auch vermoderte Kleiderfetzen. In einem Winkel standen morsche Fässer. »Ja, hier sind wir an der richtigen Adresse«, sagte Tom heiser. »Komm, laß uns reingehen, Frank.« Mit schußbereiten Pistolen betraten sie den Schlupfwinkel der Teufelspiraten, ließen ihre Stablampen nach allen Richtungen kreisen. Über ihren Köpfen flatterten aufgescheuchte Fledermäuse. »Kein Nebenausgang«, stellte Frank fest, »Was sagst du zu den vielen Fässern? Captain Blackbeard und seine Spießgesellen müssen ganz schön gesoffen haben.« Da keine Gefahr bestand, steckten sie die Waffen wieder ein. Tom ging zum Tisch, nahm grinsend Platz und griff nach einem der Trinkgefäße, um daran zu schnuppern. »Das Ding riecht ja immer noch nach Rum!« entfuhr es ihm verblüfft. »Mich überrascht das nicht«, bemerkte Frank. »Es beweist, daß Blackbeard und seine Leute tatsächlich noch immer hierherkommen, um ihre Gelage abzuhalten.« »Und wo sind sie jetzt?« »Das weiß ich ebensowenig wie du. Komm und sieh dir an, was ich entdeckt habe.« Frank leuchtete auf mehrere ziemlich große Eisenringe, die in zwei Metern Höhe in die Felswand eingelassen waren. »Wozu mögen die wohl gedient haben?« fragte Tom Bixby. »Das kann ich dir sagen. Man hat die Gefangenen daran gekettet, und
das scheint man noch immer zu tun. Es ist nämlich nicht eine Spur von Rost zu sehen.« »Dann ist es also wahr, daß von den Südseeinseln laufend Menschen verschwinden.« »Ja, und hier finden sie ein grausiges Ende«, meinte Frank und bekam plötzlich eine Gänsehaut. »Ich bin dafür, wir gehen wieder nach draußen.« »Ja, das wird das beste sein. Hier säßen wir wie Ratten in der Falle, wenn die Teufelspiraten plötzlich aufkreuzen sollten.« Tom schoß einige Blitzlichtfotos, dann verließ er hinter Frank die Höhle. Draußen umfing sie die schwüle Tropennacht. Aus dem nahen Dschungel meldeten sich geheimnisvolle Tierstimmen. Sie wandten sich nach links. Dort war in einiger Entfernung ein brusthoher, von Buschwerk umgebener Felsen, hinter den sie sich niederkauerten, um geduldig zu warten. Die beiden Amerikaner waren mit der Entwicklung der Dinge sehr zufrieden. Alles hatte bisher reibungslos geklappt. Nur das Wichtigste fehlte jetzt noch: die Teufelspiraten. »Werden sie kommen?« fragte Tom, ohne den Blick vom Zugang zur Höhle zu wenden. »Davon bin ich überzeugt«, antwortete Frank. »Es fragt sich nur, wann.« »Hoffentlich bald.« Tom zündete sich eine Zigarette an, rauchte hinter vorgehaltener Hand. »Weißt du was, Frank? Ich glaube, wir haben mit dieser Reise das große Los gezogen.« »Oder unser Schicksal besiegelt«, fügte Frank hinzu, der in diesem Moment an das einsame Grab unten am Strand denken mußte. Er fühlte sich plötzlich sehr mulmig. * Jack MacDevitt hockte im Mastkorb und wagte trotz seiner Erschöpfung nicht, die Augen zu schließen. Daß er überhaupt noch lebte, verdankte er einem äußerst seltsamen Umstand, genauer gesagt einem kleinen Silberkreuz, das er an einem Kettchen um den Hals trug. Er hatte sich bereits verloren geglaubt, als Captain Blackbeard den Großmast hochgeklettert war. Doch als der blutrünstige Teufelspirat mit seinem Dolch zustechen wollte, war ein Strahl bleichen Mondlichtes auf das Silberkreuz gefallen und hatte es aufblitzen lassen. Blackbeard war darüber so erschrocken, daß er beinahe vom Mast gestürzt wäre. Er hatte Jack nicht weiter bedrängt, sondern war schleunigst auf Deck zurückgekehrt,
um sich mit seinen Kumpanen aufgeregt zu unterhalten. Seitdem war Jack keinem neuen Angriff mehr ausgesetzt gewesen. Allerdings ließen die Teufelspiraten kein Auge von ihm. Wie eine Meute hungriger Wölfe belagerten sie den Mast und schienen darauf zu warten, daß Jack einschlafen würde. Der Engländer wußte nicht, wie lange er noch durchhalten würde. Verbissen kämpfte er gegen die Müdigkeit an und rang mit dem Fieber, das ihn unaufhörlich schüttelte. Seine Haut schien zu glühen. In seinen Eingeweiden brannte ein entsetzlicher Durst. Außerdem litt er unter Übelkeit und heftigem Schwindelgefühl. Endlich, nach einer langen grauenvollen Nacht, verkündete ein heller Streifen am östlichen Horizont die Morgendämmerung. Der Wind ließ spürbar nach. Jack merkte, daß die Teufelspiraten unruhig wurden. Schuld daran war offenbar das zunehmende Tageslicht. Während die einen auf das Achterdeck eilten, um den Anker auszuwerfen, standen die anderen noch immer um den Hauptmast herum. Sie hatten aber nichts Lauerndes mehr an sich, sondern wirkten eher unschlüssig. Wenig später verloren sie jedes Interesse an Jack. Sie wandten sich ab, gingen mit hölzernen Schritten zur Treppe, um sie nacheinander hinabzusteigen. Es geschah wie unter einem Zwang, so als hätten die Knochenmänner plötzlich keinen eigenen Willen mehr. Als Geschöpfe der Dunkelheit waren sie eigenen Gesetzen unterworfen. Dann waren sie verschwunden. Der letzte von ihnen schloß hinter sich die Luke. Jack schickte einen Stoßseufzer zum Himmel. Er hätte nie gedacht, diese Nacht zu überleben, doch das Silberkreuz hatte ihn vor den bösen Mächten der Finsternis beschützt. Ringsum war es bereits heller geworden. Der Übergang zwischen Tag und Nacht vollzog sich in den Tropen sehr rasch. Erleichtert über seine Rettung hielt Jack Ausschau nach Land. Er wurde bitter enttäuscht. So weit das Auge reichte, war nur Wasser zu sehen. Aber er verzweifelte nicht. Vielleicht tröstete er sich mit dem Gedanken, daß im Laufe des Tages irgendein Schiff den Kurs der »Hellcat« kreuzen würde. Ein Schiff, auf dem es Menschen gab, die ihm helfen würden. Er beschloß, sich auf Deck zu begeben. Von den Teufelspiraten drohte jetzt keine Gefahr. Sie würden wie am Vortag wieder in ihren Kojen liegen, in totenähnlicher Starre.
Vorsichtig kletterte er nach unten. Als er auf Deck ankam, schlotterten ihm die Knie. Er war so erschöpft, daß er sich am Mast festhalten mußte. Er blickte zur Luke hinüber. Hatte es einen Sinn, sie zu verrammeln? Wohl kaum. Wenn er vor den Bestien sicher sein wollte, mußte er sie vernichten! Vernichten, ja, das war es. Jetzt hatte er die Möglichkeit dazu, denn jetzt waren die Monster wehrlos. Diese Chance mußte er nutzen. Entschlossen torkelte er auf die Falltür zu. Er brauchte seine ganze Kraft, um sie zu öffnen. Dann stieg er die Treppe hinab, Schritt für Schritt. Zwischendurch blieb er stehen und lauschte mit klopfendem Herzen. Nichts. In der Kajüte war es still. Die Teufelspiraten lagen bereits im Tiefschlaf. Jack tastete sich im Dämmerlicht weiter, stieß schließlich die Tür zur Kombüse auf. Hier fand er, was er brauchte: ein Küchenbeil. Mit ihm wollte er den Bes t i endi eKöpf eabs c hl agen.Zuer s tCapt ai nBl ac k bear d… Das Beil in der Rechten, schlich der Engländer zur Kapitänskajüte, öffnete die knarrende Tür. Vorsichtig trat er ein, warf einen Blick zur Koje. Ja, dort lag er, der Teufelskapitän, genauso wie gestern, furchtbar anzusehen, im Moment aber ungefährlich. Zwei, drei Schritte, dann stand Jack vor der Koje. Langsam hob er das Beil. Er zögerte. Schweiß brach ihm aus. Es fiel ihm schwer, sein Vorhaben durchzuführen. Aber dann sagte er sich, daß das hier kein Mensch war. Nein, es war ein Dämon. Er mußte ihn vernichten, zuerst ihn und dann die anderen. Nein, er hatte keine Wahl. Entschlossen schwang Jack das Beil. Doch es schien plötzlich viele Zentner zu wiegen. Eine unendliche Müdigkeit überkam Jack und nahm ihm jede Kraft. Vor seinen Augen verschwamm alles. Unter seinen Füßen schien der Boden wegzusacken. Jack hatte das Gefühl, in einen schwarzen Schacht zu stürzen. Wenig später wurde die gähnende Leere von Kälte abgelöst. Jack konnte wieder klar denken. Er hatte grelles Licht um sich und die Meeresoberfläche und merkte, daß er verzweifelt mit Armen und Beinen strampelte. Er befand sich im Wasser, sah im Licht der aufgehenden Sonne sein Schlauchboot vor sich. Mühsam zog er sich hinein, schüttelte benommen den Kopf.
Was war geschehen? Wo war die »Hellcat« geblieben? Jack entdeckte von ihr weit und breit keine Spur. War sein schreckliches Erlebnis nur ein Alptraum gewesen? War er in einem Fieberanfall aus dem Boot gestürzt? Jack MacDevitt fand keine Erklärung. Er begriff nur, daß seine Lage hoffnungslos war. Erschöpft schloß er die Augen, um einer neuen Ohnmacht entgegenzudämmern. * Ein durchdringendes Kreischen ließ Frank Farring hochfahren und veranlaßte ihn, nach seiner Browning zu greifen. Doch Sekunden später zog er die Hand zurück. Es war nur ein papageienartiger Vogel gewesen, der ihn mit seinem Geschrei erschreckt hatte. Frank war im Sitzen eingeschlafen. Nun sah er, daß es bereits Tag geworden war. Neben ihm kauerte Tom Bixby und machte ein verdrießliches Gesicht. »Ich habe wohl nichts versäumt?« sagte Frank gähnend. »Nein«, bemerkte Tom. »Von den Teufelspiraten hat sich keiner gezeigt. Möchte nur wissen, wo sie stecken.« »Wahrscheinlich sind sie auf See.« »Ja, das ist möglich. Hoffen wir, daß sie nächste Nacht kommen. Jetzt noch länger hier zu warten hat wirklich keinen Sinn.« »Nein.« Frank rieb sich die Augen, erhob sich und streckte seine Glieder. »Ich schlage vor, wir nehmen ein Bad. Und danach möchte ich was Ordentliches futtern.« Auch Tom hatte Hunger bekommen. Er verstaute sein Blitzgerät in einer Tasche, hängte sich die Kamera um den Hals und folgte Frank in die Piratenhöhle, um sich diese bei Tageslicht nochmals anzusehen. Bald darauf verließen die beiden Amerikaner den Hügel und gingen hinunter zum Strand, wo sie im Schutz von Kokospalmen ihren Lagerplatz aufgeschlagen hatten. Etwa hundert Meter von hier befand sich die Stelle, wo Moru sie am Vortag abgesetzt hatte. Am Gepäck hatte sich inzwischen niemand zu schaffen gemacht. Alles lag noch so, wie es die beiden Freunde hingelegt hatten. Sie suchten sich ihr Badezeug heraus und nahmen im nahen Meer ein morgendliches Erfrischungsbad. Danach frühstückten sie. »Und nun wollen wir unser Zelt aufstellen«, sagte Frank, als sein Hunger gestillt war. »Faulenzen können wir später noch genug.« Dieser Meinung war auch Tom. Gemeinsam errichteten sie ihr Zelt und
bauten auch ein Sonnensegel, unter dem sie ihre Vorräte verstauten. Als sie mit der Arbeit fertig waren, legten sie sich im Schatten der Palmen auf ihre Luftmatratzen und schlossen die Augen, um den versäumten Schlaf nachzuholen. Sie wollten am Abend unbedingt wieder fit sein. Die erste Nacht auf der Teufelsinsel war wider Erwarten völlig gefahrlos und undramatisch verlaufen. Deshalb neigte besonders Tom zu der Ansicht, daß die schrecklichen Berichte, die sie auf Pitcairn gehört hatten, doch etwas übertrieben waren. Hätte er gewußt, wie sehr er sich da irrte, hätte er bestimmt alles versucht, das verfluchte Eiland so schnell wie möglich zu verlassen. Aber er ahnte nicht mal, was ihm noch bevorstand. * Die »Mauritius« war eine schneeweiße Hochseejacht, elegant und sehr schnittig in der Form. Sie verfügte über jeden Luxus, den man sich nur vorstellen konnte. Sie gehörte Hugh Miller, dem exzentrischen Ölmilliardär eines texanischen Konzerns, ein trotz seiner Körperfülle äußerst vitaler Endvierziger, der keine Kosten scheute, wenn es ums Vergnügen ging. Diesmal stand eine Kreuzfahrt durch die Südsee auf dem Plan, wozu Miller seine besten Freunde und ein paar nette Mädchen eingeladen hatte. Alle versprachen sich sehr viel von dieser Reise, besonders die männlichen Gäste, die durchwegs erheblich älter als die weiblichen waren. Das nächtliche Bordfest hatte erst vor einer Stunde begonnen. Trotzdem war die Stimmung schon sehr ausgelassen. Champagner und Whisky flossen in Strömen. Miller hatte eine Drei-Mann-Band engagiert, die für heiße Tanzmusik sorgte. Getanzt wurde im Freien, auf dem spiegelblanken Deck, über dem bunte Lampions aufgehängt waren. Die Kleidung war spärlich. Faye Hunnicut trug lediglich einen winzigen Bikini und wußte, wie rasend Hugh Miller das machte. Sie war ein skandalumwitterter Filmstar, wasserstoffblond, mit riesigem Busen und langen, unheimlich aufregenden Beinen. Was ihr an Intelligenz fehlte, machte sie durch Raffinesse und ihren natürlichen Sex wett. Loulou, das Fotomodell, kümmerte sich um den Playboy Rick Fisher. Sie war ein schnatterndes Gänschen, das alle paar Sekunden albern lachte. Aber Rick Fisher störte das nicht. Sharon Lester hielt sich an einen ergrauten Jüngling, einen
Spielbankbesitzer aus Las Vegas, dessen Bauch genauso dick wie sein Bankkonto war. Hingebungsvoll drückte sie sich an ihn und tanzte mit geschlossenen Augen. Und dann war da noch Maggie Wakefield, ein gertenschlankes Mannequin. Sie war offenbar die einzige, die sich an diesem Abend nicht gut unterhielt. Ihr Partner, der Automobilkönig Harry Bickford, war erstens nicht ihr Typ und zweitens für ihren Geschmack viel zu aufdringlich. Ihre Zurückhaltung enttäuschte ihn. Der Industrielle hatte sich die Sache ganz anders vorgestellt. Ein flüchtiger Kuß war alles, was ihm bis jetzt gewährt worden war. Maggie vermied es selbst beim Tanzen, auf Tuchfühlung zu kommen. Auch jetzt, als Harry Bickford sie abermals an sich drücken wollte, schob sie ihn fast heftig zurück. »Du benimmst dich, als wärst du aus Stein«, meinte er verärgert. »Was ist denn los mit dir, Maggie?« »Ach nichts«, antwortete sie. »Ich fühle mich nur nicht besonders.« Ihre Worte stimmten ihn wieder freundlich. Sichtlich besorgt musterte er das hübsche Mannequin. »Du bist doch nicht etwa seekrank? Komm, wir nehmen einen Drink. Das möbelt dich bestimmt etwas auf.« Maggie wollte Bickford die Laune nicht gänzlich verderben und ging daher auf seinen Vorschlag ein. Grinsend führte er sie in die kleine, recht gemütlich eingerichtete Schiffsbar und bestellte bei einem weißbefrackten Keeper zwei doppelte Whiskys. »Nein, für mich keinen Whisky«, sagte das Mädchen. »Ich trinke lieber Fruchtsaft.« »Wie du willst.« Bickford war neuerlich verstimmt, denn er hatte gehofft, das Mädchen durch Alkohol in die gewünschte Stimmung zu bringen. Verdrossen kippte er den Inhalt seines Glases in sich hinein und ließ sich nachschenken. Maggie nippte an ihrem Fruchtsaft und rauchte eine Zigarette. Von draußen kam Rick Fisher herein, der inzwischen die Partnerin gewechselt hatte. Anstatt der schwarzhaarigen Loulou war nun Faye Hunnicut bei ihm. Er nahm auf einem Barhocker Platz, sie auf seinem Schoß. Dann küßten sie sich ungeniert. »Ich möchte an die frische Luft«, sagte Maggie und erhob sich. Ohne auf Bickford zu warten, verließ sie die Bar. Der Industrielle folgte ihr treu wie ein Hund. Er konnte und wollte nicht einsehen, daß er bei dem Mannequin nicht zum Zug kommen würde. Soeben verschwand Hugh Miller mit der affektiert kichernden Loulou in seine Kabine. Die besitzergreifende Art, wie er das Mädchen vor sich
herschob, ließ unschwer seine Absicht erraten. Maggie widerte diese Hemmungslosigkeit an. Sie bereute längst, daß sie Millers Einladung angenommen hatte. Immerhin hätte sie wissen müssen, was hier gespielt wurde. Aber das Angebot zur Teilnahme an der Kreuzfahrt war so verlockend gewesen, daß es ihrer Freundin Sharon Lester nicht viel Mühe gemacht hatte, sie zum Mitkommen zu bewegen. Das hatte sie nun davon. Sie kam sich wie jemand vor, der die Zeche prellen wollte. Penn Hugh Miller erwartete trotz seiner sprichwörtlichen Großzügigkeit eine bestimmte Gegengabe für sich und seine Freunde. Mit ihrem Körper wollte Maggie das Vergnügen der Südseereise jedoch auf keinen Fall bezahlen. Sie trat an die Reling und blickte ernst auf das nächtliche Meer hinaus. In ihren dunklen Haaren spielte der Wind. Ein seltsames Gefühl war auf einmal in ihr, eine dumpfe Angst, die sie sich nicht erklären konnte. Sie nahm sich vor, ihre Reisegefährten im nächsten Hafen zu verlassen und auf eigene Faust nach Amerika zurückzukehren. Plötzlich erfaßte ihr Blick ein fremdes, völlig unbeleuchtetes Schiff, das nahezu lautlos auf die Luxusjacht zuhielt. Es war ein großes Segelschiff, wie sie es nur aus Piratenfilmen kannte. Masten, Taue und zerschlissene Leinwand schälten sich aus der Nacht, und an Bord eine Anzahl dunkler Gestalten, die, soweit Maggie das feststellen konnte, sehr abenteuerlich aussahen. »Da!« rief sie erschrocken. »Was ist das für ein Schiff?« »Donnerwetter«, entfuhr es Harry Bickford verblüfft. »Das ist ja ein echter Windjammer aus alten Zeiten. - He, Freunde, kommt her und seht euch das an!« Die illustre Gesellschaft drängte sich samt der Dienerschaft an die Reling der »Mauritius« und blickte neugierig auf das merkwürdige Schiff, das sich von Steuerbord ziemlich rasch näherte. »Das sind ja Piraten«, rief Rick Fisher überrascht, »richtige Seeräuber! Ist das nicht eine verrückte Idee? Unser Freund Hugh läßt uns glatt kapern, während er sich mit Loulou in seiner Kabine vergnügt.« Er lachte schallend. »Du meinst, diese Sache ist ein Gag von ihm?« fragte Faye Hunnicut, die sich einer Gänsehaut nicht erwehren konnte. »Was denn sonst? Hugh hatte doch schon immer eine Vorliebe für schwarzen Humor. Er hat den alten Kahn bestimmt in Hollywood bestellt, um uns einen Schrecken einzujagen.« »Sollen wir Hugh nicht rufen?« »Nein, den dürfen wir jetzt nicht stören, mein Schatz. Der alte Schuft wird es schon merken, wenn der Radau losgeht.«
Gespannt harrten die Passagiere der »Mauritius« der kommenden Dinge. Keiner von ihnen dachte an eine ernste Gefahr. Sie genossen den Grusel und machten dumme Scherze. Nur Maggie Wakefield verhielt sich ruhig. Sie glaubte zwar auch nicht an eine Bedrohung, doch war ihr der alte Schoner keineswegs geheuer. »Wer seid ihr?« schrie Rick Fisher, als der seltsame Segler bis auf wenige Meter herankommen war. »Gebt euch zu erkennen, ihr Piraten! Wer ist euer Kapitän?« Als eine Antwort ausblieb, rief Harry Bickford lachend: »Das ist bestimmt Captain Bligh mit seiner >Bounty<. Laßt mich mit ihm verhandeln.« Wieder kam keine Antwort. Das Schweigen der fremden Besatzung begann unheimlich zu werden. Kurz darauf ging der Dreimaster bei der »Mauritius« hart längsseits. Die Schiffsleiber berührten sich mit dumpfem Krach. Eine heftige Erschütterung ging durch die Luxusjacht, nach deren Reling rostige Enterhaken griffen. Nun wurde es den Leuten auf der »Mauritius« doch etwas mulmig. Sekunden später packte sie nacktes Entsetzen. Denn die wilden Gestalten, die jetzt die Hochseejacht stürmten, waren keine Menschen. Es waren Skelette, Knochenmänner mit bleichen Schädeln, mit schwarzen Lumpen behangen. Sie hatten Dolche, Degen und in den Fäusten Beile. Die vor Schreck bleichen Männer wichen zitternd zurück. Ihr Verstand konnte nicht fassen, was sie sahen. Sie begriffen nur, daß aus dem vermeintlichen Spaß blutiger Ernst geworden war. Fauchend und knurrend tappten die Monster näher, fletschten ihre schrecklichen Zähne. Ihre unheimlich glühenden Augen richteten sich auf die spärlich bekleideten Mädchen, die sich angstvoll an ihre Begleiter drängten. Doch Rock Fisher und den anderen Playboys saß selbst der Schreck in den Gliedern. Keiner von ihnen hatte eine Waffe bei sich und sah sich imstande, sich und die Mädchen zu schützen. Maggie Wakefield zitterte wie Espenlaub. Der Anführer der Untoten war offensichtlich sehr an ihr interessiert. Schon streckte Captain Blackbeard eine Hand nach ihr aus, wollte sie mit seinen Krallen an der Schulter packen. Da raffte sich Harry Bickford zu einem Protest auf. »L aßdi eL adyi nRuhe! «br ül l t eerhei s er .»Was …« Weiter kam er nicht, denn der Knochenmann holte zum tödlichen Hieb aus. Bickford brach lautlos zusammen. Maggie schrie gellend auf. Abwehrend hob sie die Hände. Doch da wurde sie vom Teufelskapitän bereits um die Mitte gepackt und zur Reling gezerrt. Die eiskalte Berührung der Knochenhände und der faulige Geruch, der
dem Monster entströmte, waren für Maggie zuviel. Das Mannequin verlor das Bewußtsein. Während Blackbeard die Ohnmächtige auf die »Hellcat« schleppte, metzelten seine Kumpane alle Männer der »Mauritius« nieder und griffen sich die übrigen Mädchen. Es spielten sich furchtbare Szenen ab. Sharon Lester schrie wie am Spieß. Einer der Teufelspiraten hatte sich das verzweifelt zappelnde Mädchen über die Schulter geworfen und wollte sie auf das Totenschiff bringen. Dabei konnte sie sich befreien. Doch sie kam nur wenige Schritte weit. Dann sackte sie leblos zusammen und stürzte schwer auf die Deckbretter der Luxusjacht. Ihr Verfolger warf die Tote wie einen unnützen Ballast über Bord. Gleichzeitig gellten aus einem der Räume des Schiffes markerschütternde Entsetzensschreie. Einige Knochenmänner waren in Hugh Millers Kabine eingedrungen und hatten den Milliardär erbarmungslos niedergestreckt. Jetzt kamen sie aufs Deck zurück. Einer von ihnen schleifte die wie irr schreiende Loulou an ihren langen Haaren hinter sich her. Die anderen folgten mit blutigen Waffen. Auch Faye Hunnicut kreischte, als sei sie wahnsinnig geworden. Die Teufelspiraten hatten sie bereits auf ihren Schoner gebracht und stießen sie nun die Treppe in den dunklen Schiffsbauch hinunter. Kurz darauf befand sich der letzte Knochenmann wieder an Bord der »Hellcat«, die sich von der »Mauritius« abstieß und mit geschwellten Segeln Ostkurs aufnahm. Ein letzter Schrei aus weiblicher Kehle klang noch auf, dann verschwand das Totenschiff samt seiner Beute in der Nacht. * Tom Bixby war ziemlich sauer. Er hatte sich nun schon die zweite Nacht um die Ohren geschlagen, ohne von den Teufelspiraten auch nur das geringste zu erblicken. »Noch immer nichts im Kasten, was man als Sensation bezeichnen könnte«, meinte er enttäuscht. »Ich frage mich, wie lange wir noch warten müssen, bis sich diese mordenden Skelette endlich zeigen.« »Wir haben ja noch fünf Nächte vor uns«, sagte Frank tröstend. »Du wirst sehen, morgen klappt es bestimmt.« »Hoffen wir es.« Der Starfotograf verließ seinen Beobachtungsplatz und zündete sich mürrisch eine Zigarette an, ehe er den Rückweg ins Camp antrat.
Frank Farring warf noch einen Blick auf die Fledermäuse, die jetzt, in der Morgendämmerung, scharenweise in die Piratenhöhle zurückkehrten. Dann schloß er sich Tom Bixby an. Als sie den Strand erreichten, erhob sich die Sonne am Himmel. Es wurde fast ohne Übergang heiß. »Was frühstücken wir?« fragte Frank. »Wenn's geht, keine Konserven.« »Also gut, dann Fisch. Ich will versuchen, ob ich was fangen kann. Du machst inzwischen Feuer und kochst Kaffee.« »Geht in Ordnung, Frank. Aber beeil dich.« »Sag das den Fischen. Ich weiß aber nicht, ob es was nützt. Wer hat schon Lust, in einer Bratpfanne zu landen?« Grinsend ging Frank zur nahen Bucht hinüber, um dort sein Glück als Angler zu versuchen. Der erste Fisch war schnell an Land geholt. Besonders groß war er nicht. Wenn sie beide satt werden wollten, mußte Frank unbedingt noch einen erwischen. So warf er neuerlich die Angelschnur aus. Da erblickte er das Schlauchboot. Schaukelnd bewegte es sich auf der Dünung, die von den Klippen hereinrollte und sich in der Bucht verlief. Es erreichte bereits' ruhigeres Wasser. Im ersten Moment glaubte Jack, das Boot wäre leer. Erst als die Strömung es noch näher herantrieb, sah er den Mann, der reglos darin lag. »Hallo!« schrie Frank. »He, Mister!« Die Zurufe blieben ohne Echo. Falls der Unbekannte noch lebte, war er nicht fähig, ein Zeichen zu geben, oder er hatte Franks Stimme gar nicht gehört. Der Amerikaner überlegte nicht lange. Er warf sein Angelzeug ans Ufer, riß sich das Hemd vom Körper und sprang kopfüber ins Wasser, um sich dem Schlauchboot mit kräftigen Bewegungen zu nähern. Wenig später erreichte er das Boot und schob es schwimmend vor sich her zum Ufer, zog es an Land und beugte sich dann über den jungen blonden Mann, dessen Aussehen ihn erschrecken ließ. Jack McDevitts Gesicht war von Sonne und Salzwasser zerfressen. Seine Augen waren zugeschwollen. Aber er lebte noch. Kurz darauf erschien Tom, alarmiert durch Franks Rufe. »Das nenne ich eine Überraschung«, sagte er. »Wer hätte gedacht, daß wir auf der Teufelsinsel Besuch kriegen würden?« »Der Mann muß Schreckliches durchgemacht haben«, entgegnete Frank. »Wir müssen ihn auf schnellstem Weg ins Lager bringen. Komm, faß mit an.«
Sie hoben den in der Ohnmacht Stöhnenden auf und trugen ihn ins Camp, wo sie ihn unter das Sonnensegel auf eine Luftmatratze legten. Tom hielt ihm einen Trinkbecher mit frischer Kokosmilch an die mit Blasen bedeckten Lippen. Der Fiebernde schluckte, ohne es zu wissen. Danach wurde sein Gesicht mit einer Wundsalbe behandelt. Das war eine äußerst schmerzhafte - Prozedur, bei der der junge Engländer halb aus seiner Bewußtlosigkeit erwachte. »Geht weg, ihr Teufel!« schrie er außer sich. »Rührt mich nicht an!« Tom und Frank wechselten einen überraschten Blick. »Vor wem haben Sie Angst?« forschte Frank. »Sagen Sie es uns.« Jack McDevitt verstand ihn nicht. Er schrie wie von Sinnen: »Ihr habt das Mädchen zu Tode gepeitscht! Ihr Ausgeburten der Hölle! Aber ich werde euch allen die Schädel abhacken! Zuerst dir, Captain Bl ac k bear d,unddann…« Die beiden Amerikaner zuckten wie elektrisiert zusammen, als sie den Namen des Teufelskapitäns hörten. »Was ist mit Captain Blackbeard?« rief Frank und rüttelte Jack heftig an der Schulter. »Los, Mann, reden Sie!« Jack kam jetzt erstmals richtig zu sich. Mit weit aufgerissenen Augen schaute er Frank erschrocken an. Doch dann glättete sich seine Miene, und ers t ammel t e:»Wer … wers i ndSi e? « »Mein Name ist Frank Farring. Das hier ist mein Freund Tom Bixby. Und wer sind Sie?« »I c h hei ße J ac k Mc Dev i t t . Aus L i v er pool …«, ant wor t et e der Schiffbrüchige mühsam. »Bitte, gebt mir zu trinken.« Er bekam wieder Kokosmilch verabreicht. Danach fragte Frank ihn drängend: »Sie haben vorhin von Captain Blackbeard gesprochen. Was wissen Sie über ihn und seine Bande?« »Es sind Teufel«, erklärte Jack mit fieberglänzenden Augen. »Lebende L ei c hen,di e gr auenhaf t e Mor de begehen!Dasv er s t ümmel t e Mädc hen… Blackbeards Leute haben es den Haien zum Fraß vorgeworfen.« »Sie haben das gesehen?« entfuhr es Frank Farring erregt. »Ja, mit meinen eigenen Augen«, sagte der Schiffbrüchige, den jetzt wieder das Grauen zu packen schien. »Ich war eine ganze Nacht auf der >Hellcat< und wäre diesen schrecklichen Knochenmännern selbst fast zum Opf ergef al l en.Nurdass i l ber neKr euzhatmi c hger et t et …« Nach diesen Worten wurde seine Stimme leiser. Jack murmelte nur noch zusammenhanglose Sätze, aus denen sich die zwei Freunde keinen Reim machen konnten.
Wenig später verlor er abermals die Besinnung. Die beiden Reporter schauten sich betreten an. »Was sagst du dazu?« wollte Tom wissen. »Hat er nun phantasiert oder die Wahrheit gesagt?« »Ich glaube, die Wahrheit«, entgegnete Frank ernst. »Wahrscheinlich hat er von der vermißten Französin gesprochen. Wenn er wieder zu sich kommt, wird er uns bestimmt mehr erzählen. Im übrigen befürchte ich, daß wir uns auf einiges gefaßt machen können. Ein inneres Gefühl sagt mir nämlich, daß die Teufelspiraten nächste Nacht auf die Insel kommen werden.« * Als Jack die Augen aufschlug, war es dunkel um ihn. Nur durch den Zelteingang fiel ein schwacher Schimmer silbrigen Lichts. Er blieb liegen und horchte ins Freie, hörte aber nichts, was darauf hingewiesen hätte, daß seine beiden Retter in der Nähe waren. Der Brite stemmte sich hoch und kroch nach draußen. Er stellte fest, daß das Camp tatsächlich verlassen war. Es mußte bereits gegen Mitternacht sein. Demnach hatte Jack fast eine Ewigkeit geschlafen. Er war schon um die Mittagszeit einmal erwacht und hatte entsetzlichen Hunger gehabt. Nach dem Essen hatte er den zwei Amerikanern von seinen schrecklichen Erlebnissen erzählt. Anschließend war er wieder eingeschlafen. Nun verspürte er keine Müdigkeit mehr. Er fühlte sich zwar noch etwas schwach, aber das Fieber war abgeklungen. Jack McDevitt besaß eine eiserne Natur. Er blieb vor dem Zelt stehen und sah sich forschend um. Wo waren die zwei Männer, die durch eine glückliche Fügung des Schicksals seinen Weg gekreuzt hatten? Als sie sich auf sein Rufen nicht meldeten, beschloß Jack, sie zu suchen. Vielleicht waren sie irgendwo am Strand. Doch der Strand war leer. Schon wollte Jack umkehren, da machte er eine Entdeckung, die ihm fast das Blut gerinnen ließ. Draußen in der Bucht tauchte ein zerfleddertes Segelschiff auf. Es konnte nur die »Hellcat« sein. Riß das Grauen denn gar nicht ab? Jack fror plötzlich bis ins Mark. Der Gedanke, abermals in die Hände von Captain Blackbeard zu geraten,
brachte ihn fast um den Verstand. Doch dann erinnerte er sich an sein Silberkreuz. Er griff danach und merkte, daß es noch da war. Das beruhigte ihn. Trotzdem: am Strand durfte er nicht bleiben. Er mußte sich rasch eine Deckung suchen. Zwanzig Meter weit entfernt ragte ein Felsblock aus dem Sand. Jack McDevitt lief zu ihm hin und versteckte sich. Es war ein guter Beobachtungsplatz. Jack spähte in die Bucht hinaus, in der die »Hellcat« vor Anker ging. Einige Boote wurden zu Wasser gelassen. Mehr als ein Dutzend dunkler Gestalten stieg die Jakobsleiter herab und besetzte die Boote. Wenige Minuten später legten die Jollen am Ufer an. Die unheimlichen Knochenmänner sprangen an Land und zerrten drei Gefangene aus den Booten. Es waren an Händen und Füßen gefesselte Frauen, von denen jetzt eine gellend um Hilfe schrie. Jack durchfuhr es heiß und kalt. Ohne sich zu rühren, beobachtete er das weitere Geschehen. Drei der Teufelspiraten luden sich die verzweifelt zappelnden Opfer auf die Schulter und stapften dann landeinwärts. Voran ging Captain Blackbeard und am Schluß eine besonders scheußlich aussehende Gestalt, die ein Rumfaß mit sich schleppte. Ohne Jack zu bemerken, trottete die unheimliche Kolonne auf den Hügel am Dschungelrand zu. * »Nein!« schrie die wei bl i c heSt i mme.»I c h wi l lni c ht …!Nei i i n…! « Fr ank Farring und Tom Bixby, die nun die dritte Nacht auf der Lauer lagen, fuhren in ihrer Deckung hoch. Beide wußten sofort, daß der ersehnte Augenblick endlich gekommen war. Ein kurzer Blick genügte ihnen zur Verständigung. Ohne sich zu rühren, lauschten sie. Nach wenigen Sekunden hörten die beiden Männer das Schlurfen nahender Schritte. Gleichzeitig wehte ihnen ein widerlicher Gestank entgegen, so bestialisch, daß es ihnen den Atem verschlug. Und dann tauchten die Teufelspiraten zwischen dem Buschwerk auf, zuerst Captain Blackbeard, anschließend seine Spießgesellen. Schweigend zogen sie an der Deckung der beiden Amerikaner vorbei. Nur ihre Schritte waren zu hören und das Klappern ihrer Gebeine, die beim Gehen aneinanderschlugen.
Von den drei Gefangenen schrie keine mehr. Sie schienen jetzt alle ohnmächtig zu sein. Frank und Tom sträubten sich die Nackenhaare. Was sie sahen, war einfach zu schrecklich. Tom, der förmlich darauf gebrannt hatte, die Monster auf Film zu bannen, dachte jetzt, da sich endlich eine Gelegenheit bot, überhaupt nicht daran, auf den Auslöser zu drücken. So mutig er sich bisher gegeben hatte, so sehr hoffte er jetzt, nicht entdeckt zu werden. Der Mond beleuchtete gespenstisch die Szene. Er ließ die gebleichten Knochen der Untoten schimmern. In seinem Licht warfen die zusammengekrümmten Körper der gefangenen Mädchen groteske Schatten. Von den Knochenmännern hingegen gab es überhaupt kein Schattenbild, ebensowenig von dem Rumfaß, das die zerlumpte Schauergestalt am Schluß des makabren Zuges schleppte. Bange Minuten vergingen. Tom und Frank mußten jeden Moment befürchteten, von den Schreckensgestalten bemerkt zu werden. Nur wenige Meter lagen zwischen Blackbeards Leuten und der Felsendeckung, hinter der sich die zwei Menschen zusammenkauerten. Doch die Freunde hatten Glück. Ohne daß die Besatzung des Totenschiffes mißtrauisch wurde, passierte sie das Versteck. Schon erreichte der bärtige Teufelskapitän den Eingang der Felsenhöhle. Seine Knochenhand schob den lebenden Vorhang aus Schlingpflanzen zur Seite. Dann betrat das Scheusal den unterirdischen Raum. Kurz darauf war auch der letzte Teufelspirat von der Bildfläche verschwunden. Der Lianenvorhang schloß sich, und der in der Luft hängende Fäulnisgeruch verflüchtigte sich mit dem Wind, der vom Meer heraufkam und schwarze Wolken über den Himmel jagte. Frank und Tom waren in Schweiß gebadet. Mit bleichen Gesichtern blickten sie sich an. »Einfach grauenhaft, was?« flüsterte Frank. Tom konnte nur nicken. Seine Kehle war wie zugeschnürt. Mit zitternden Fingern griff er nach einer kleinen Whiskyflasche, schraubte sie auf und genehmigte sich einen ausgiebigen Schluck. Dann gab er die Flasche an Frank weiter. Frank verschluckte sich fast. Denn genau in dem Moment, als er trank, hörte man aus der Piratenhöhle einen wilden Schrei aus weiblicher Kehle. Erschrocken setzte der Amerikaner die Flasche ab und lauschte. »Was machen diese Scheusale mit den Mädchen?« fragte Tom heiser. Frank zuckte mit den Schultern. »Weiß der Teufel. Komm, wir schauen nach.« »Dubi s twohlv er r üc k t .Wennunsdi es eSat ans br utbemer k t …«
»Wir müssen eben vorsichtig sein«, unterbrach Frank mit gedämpfter Stimme. »Vielleicht bekommen wir sogar eine Chance, den Mädchen zu helfen. Also los, komm.« Nur widerwillig folgte Tom Bixby seinem Freund, der plötzlich überraschend viel Mut bewies. Beide hatten ihre Pistolen aus der Tasche gezogen. Zum Höhleneingang war es nicht weit. Sie näherten sich ihm mit äußerster Vorsicht und fanden Deckung hinter dem Lianenvorhang, dessen Lücken ihnen Einblick in die Höhle gewährten. Die unterirdische Felsenkammer war jetzt in rotes, unwirkliches Licht getaucht. Es wurde ausgestrahlt von den rostigen Lampen, die teils auf dem Tisch standen, teils an den Wänden aufgehängt waren. Sie mußten beim Eintritt der Teufelspiraten auf geheimnisvolle Weise von selbst zu brennen begonnen haben. Die drei Mädchen hatte man mittlerweile angekettet. Schwere Glieder aus geschmiedetem Eisen spannen sich um ihre Handgelenke und verbanden sie mit den im Fels eingelassenen Ringen. Nur Loulou war bei Sinnen. Ihr irrer Blick verriet jedoch, daß sie sich bereits in geistiger Umnachtung befand. Ihr nackter Körper zeigte die Spuren brutaler Behandlung. Maggie Wakefield und Faye Hunnicut hingen bewußtlos in ihren Fesseln. Ihre Gesichter waren totenblaß. Die Haut der Mädchen wies Schrammen und Blutergüsse auf, ihre spärliche Kleidung war zerrissen. Im Moment schenkten die Teufelspiraten ihren hübschen Gefangenen keinerlei Beachtung. Sie hatten um den klobigen Tisch Platz genommen und mit einem wüsten Saufgelage begonnen. Am unteren Tischende saß Captain Blackbeard, dessen Bartzöpfe wie monströse Auswüchse von seinem Kinn abstanden. Seine goldenen Ohrringe funkelten im Lampenschein. Der Unhold krallte die Knochenfinger seiner Rechten um ein mit Rum gefülltes Trinkgefäß, hob es hoch und prostete seinen Kumpanen zu. Dabei grölte er etwas, das sich wie eine Gotteslästerung anhörte. Dann leerte er den Becher auf einen Zug, um sich anschließend Nachschub aus dem Faß zu holen, das mit eingeschlagenem Deckel mitten auf dem Tisch stand. Auch die anderen Knochenmänner soffen, was das Zeug hielt. Da ihre Lippen längst verfault waren und sie daher nicht normal trinken konnten, ließen sie einfach ihre Kiefer aufklappen und schütteten den Inhalt der Becher zwischen die Zähne. Wohin der Rum verschwand, blieb ein Rätsel. Blackbeard und seine Kumpane hatten keinen Schlund mehr, um zu schlucken, und auch keinen
Magen, der den Alkohol aufgenommen hätte. Nur eines war sicher: er tat seine Wirkung. Nachdem die unheimlichen Gestalten je einige Becher Rum intus hatten, begannen sie sichtlich zu schwanken. Ihre knöchernen Fratzen wurden noch abscheulicher, noch abstoßender. Entsetzliche Flüche wurden laut. Einige der Monster stimmten einen schaurigen Gesang an. Andere krächzten, grölten, brüllten und fuchtelten mit ihren Messern herum. Es war eine Orgie, wie sie höllischer nicht sein konnte. Sie mitzuerleben, mußte einen Normalsterblichen an seinem Verstand zweifeln lassen. Tom und Frank verharrten noch immer an ihrem Beobachtungsplatz bleich und von Schauern geschüttelt. Der makabre Anblick der Rum saufenden Dämonen strapazierte ihre Nerven und ließ ihnen die Haare zu Berge stehen. Nicht minder entsetzlich war der infernalische Lärm, der sich schaurig an den Höhlenwänden brach. Links von Captain Blackbeard hockte der einarmige Teufelspirat. Sein Schädel pendelte hin und her, daß die Wirbelknochen knackten. Dann kippte das besoffene Monster vornüber. Krachend schlug sein Schädel auf den Tisch. Fast gleichzeitig stürzte ein anderer Teufelspirat rücklings von der Bank, auf der er saß. Schwer prallte er auf den Felsboden der Höhle. Ein Grunzen kam noch aus seiner Brust, dann stieß er dumpfe Schnarchgeräusche aus. Er war eingeschlafen, genauso wie sein einarmiger Kumpan, betäubt vom vielen Alkohol, den sie wie Wasser in sich hineingeschüttet hatten. Wie es schien, konnte es nicht mehr lange dauern, bis noch einige Teufelspiraten ihr Quantum erreicht haben würden. Betrunken gähnend klafften da und dort knackende Kiefer auseinander. Ein Trinkgefäß fiel scheppernd zu Boden. Frank Farring registrierte die Entwicklung der Dinge mit einer wachsenden Befriedigung. Er zog Tom ein Stück zur Seite und raunte ihm ins Ohr: »Wir müssen die Mädchen befreien. Bald haben wir eine Chance.« »Du meinst, wenn die Knochenmänner alle ihren Rausch ausschlafen?« wisperte Tom Bixby erregt. »Ja. Dann schleichen wir uns in die Höhle und holen die Gefangenen raus.« »Und wenn eines dieser Scheusale wieder zu sich kommt?« »Das müssen wir in Kauf nehmen, Tom. Vielleicht haben wir Glück. Auf keinen Fall dürfen wir diese armen Dinger einfach ihrem Schicksal überlassen.« »Nein, natürlich nicht. Ich hab' aber gar kein gutes Gefühl.« »Wir werden es schon schaffen. Laß uns nur noch etwas warten. Wir
haben ja Zeit.« Eine Viertelstunde verging, eine halbe Stunde. Fünf Teufelspiraten lagen bereits reglos am Boden ausgestreckt oder waren am Tisch zusammengesackt. Die anderen feierten noch. Ihr unverständliches Grölen klang jetzt noch schauriger als zuvor. Plötzlich ertönte ein durchdringender Schrei, schrill, angstvoll, nervenzerfetzend. Loulou. Sie hatte die weit aufgerissenen Augen auf die unheimliche Tischrunde gerichtet und zerrte an den klirrenden Ketten. Die verwitterten Knochenschädel der Teufelspiraten fuhren herum. Ein ungehaltenes Knurren drang aus ihren Kehlen. Offenbar fühlten sie sich durch das Geschrei des vor Angst halb wahnsinnigen Mädchens gestört. Plötzlich stand Captain Blackbeard auf. Seine Rechte griff zur Peitsche, riß sie aus dem Gürtel. Dann näherte sich der Unhold mit unsicheren Schritten dem nackten Fotomodell. Als das Mädchen ihn auf sich zukommen sah, schrie es noch mehr. Schwankend blieb der Teufelskapitän vor seinem Opfer stehen und starrte es wütend an. Im nächsten Moment schwang er die Peitsche hoch und holte aus zu einem furchtbaren Hieb. Loulou schrie gequält auf. Ihr nackter Körper zuckte unter dem grausamen Schmerz. Schon traf sie ein neuer Hieb. Erbarmungslos drosch der Teufelspirat auf das Mädchen ein. Er schien wie von einem Wahn besessen. Frank Farring konnte den Anblick des sich vor Schmerzen krümmenden Mädchens nicht mehr länger ertragen. Entschlossen riß er den Vorhang aus Schlingpflanzen zur Seite und sprang mit schußbereiter Pistole in die Höhle. Dumpf bellte die Browning auf. Eine gezielte Kugel verschwand in Captain Blackbeards Brust und stieß ihn einen halben Schritt zurück. Aber er fiel nicht, sondern fing sich wieder und gab ein furchtbares Fauchen von sich. Mit drohend gefletschten Zähnen tappte er auf den Widersacher zu. Frank schoß abermals. Diesmal zielte er auf Blackbeards Schädel. Doch den Teufelskapitän konnte auch das nicht aufhalten. Im Gegenteil, es steigerte nur noch mehr seine Wut. Wie ein Roboter ging er weiter. Seine Kumpane hatten sich ebenfalls erhoben. Sogar die am Boden liegenden Teufelspiraten rappelten sich auf und griffen zu ihren Waffen, um den unerwarteten Feind anzugreifen. Frank Farring feuerte das ganze Magazin leer, unterstützt von Tom Bixby, der ebenfalls Schuß um Schuß aus seiner Browning jagte. Doch die Kugeln erwiesen sich als wirkungslos. Sie gingen durch die
skelettierten Seeräuber hindurch und klatschten im Hintergrund der Höhle an die Felswand. Wie es schien, bereitete das Blei den Monstern nicht einmal Schmerzen. Sie knurrten nur böse und rückten als geschlossene Mauer näher. Die beiden Amerikaner wurden von Panik gepackt. Sie warfen die leergeschossenen Waffen weg und ergriffen die Flucht. Frank hatte aus einem unerfindlichen Grund nicht die Richtung zum Strand eingeschlagen, sondern lief auf den dunklen Dschungel zu. Tom rannte ihm mit großen Sprüngen nach, ohne zu überlegen, wohin die Flucht ging. Die Knochenmänner folgten ihnen geschlossen. Sie waren zwar nicht besonders schnell, doch war ihr Tempo gleichmäßig, egal, wie das Gelände beschaffen war. Schon nahm der Dschungel die beiden Freunde auf. Mühsam kämpften sie sich durch das schwarze Dickicht und stießen auf einen schmalen Pfad, dem sie keuchend folgten. Irgendwo hinter sich hörten sie die Teufelspiraten. Brechende Zweige knackten, Blattwerk raschelte. Doch die Freunde rannten weiter, ohne sich umzublicken. Plötzlich stolperte Tom Bixby. Er war in eine Bodenvertiefung getreten, die er in der Dunkelheit übersehen hatte. Einen Sturz konnte er zwar vermeiden, doch spürte er, wie ein stechender Schmerz durch seinen linken Knöchel zuckte. Er stöhnte laut auf. »Was ist?« erkundigte Frank sich besorgt. »Mei nFuß… I c hgl aube,ich habe mir den Knöchel verstaucht.« »Verdammt, das hat uns noch gefehlt. Ist es schlimm?« »Ich hoffe es nicht«, antwortete Tom und horchte auf die Geräusche der unheimlichen Verfolger, die bereits ein Stück aufgeholt hatten. »Dann komm, wir müssen weiter«, forderte Frank ihn auf. Hinkend setzte Tom die Flucht fort und biß die Zähne zusammen. Dennoch blieb er immer mehr hinter Frank Farring zurück. Der verletzte Fuß machte ihm schwer zu schaffen. »Frank«, rief er verzweifelt. »Ich kann nicht mehr. Du mußt mir helfen!« Frank wandte sich um und lief zurück. Er wollte seinen Freund nicht im Stich lassen. »Stütz dich auf mich«, sagte er keuchend. »Und reiß dich zusammen. Wir müssen es schaffen.« Ihr Vorsprung war bereits stark zusammengeschrumpft. Einige der Verfolger konnten höchstens noch zehn oder zwölf Meter entfernt sein. Wenn kein Wunder geschah, würden sie den Teufelspiraten nicht entkommen.
Ihre Befürchtung traf zu. Denn bald holten Captain Blackbeard und seine Kumpane noch weiter auf. Triumphierend heulten die Unholde. * Maggie Wakefield und Faye Hunnicut waren vor einer Weile wieder zu sich gekommen. Sie hatten gerade noch miterlebt, wie die Teufelspiraten hinter den zwei fremden jungen Männern her aus der Höhle gestürmt waren. Jetzt waren sie allein, allein mit ihrer Angst und der Ungewißheit. Um sie war es still. Loulous Kopf war nach vorn gesunken. Das Mädchen hatte die grausame Züchtigung nicht überlebt. Maggie und Faye blickten sich schaudernd an. Sie beide waren noch am Leben. Wann würden diese grauenhaften Knochenmänner auch ihnen ein unmenschliches Ende bereiten? Das Aussichtslose ihrer Lage kam Faye Hunnicut klar zum Bewußtsein. Nein, es gab bestimmt keine Rettung mehr. Faye begann hysterisch zu schluchzen. Maggie hatte sich etwas besser in der Gewalt, obwohl sie nicht weniger verzweifelt war. Sie weinte vor sich hin. Plötzlich erklangen draußen Schritte. Jemand näherte sich der Höhle. Kamen die Teufelspiraten zurück? Die Mädchen waren auf das Schlimmste gefaßt. Zitternd vor Angst blickten sie zum Höhleneingang. Dort wurde jetzt der Lianenvorhang zur Seite geschoben. Ein Gesicht, das nichts Furchterregendes an sich hatte, wurde sichtbar. Zwei graublaue Augen blickten forschend in den unterirdischen Raum und erfaßten die gefesselten Mädchen. Im nächsten Moment trat der junge Mann ein. Es war Jack McDevitt. »Nur keine Angst«, sagte er. »Ich will euch helfen. Hoffentlich kriege ich die Ketten auf.« Die Gefangenen konnten an eine Wende ihres Schicksals kaum glauben. Das Erscheinen des Fremden erschien ihnen wie ein Wunder. Jack ging zuerst zu Maggie, nickte ihr aufmunternd zu und machte sich dann an der Kette zu schaffen. Zum Glück ließen sich die Fesseln schnell lösen. Während Maggie ihre wundgescheuerten Handgelenke rieb, begab sich Jack zu Faye und befreite auch sie. Daß Loulou nicht mehr zu helfen war, sah er sofort. So verzichtete er
darauf, sie loszuketten, denn Eile tat not. »Folgt mir!« rief er hastig. »Wir haben keine Zeit zu verlieren. Die Teufelspiraten können jeden Moment zurückkommen.« Bedenkenlos vertrauten sich die beiden Mädchen ihrem Retter an. Sie warfen einen letzten Blick auf ihre tote Gefährtin, dann verließen sie die Felsengrotte. »Beeilt euch!« drängte Jack. »Ihr müßt laufen, so schnell ihr könnt.« Kaum hatte er das gesagt, als aus der Schwärze des nahen Dschungels ein Entsetzensschrei gellte. Wie von Furien gejagt, rannten Faye und Maggie hinter Jack her zum Strand. * Tom war abermals gestürzt und hatte Frank mit sich zu Boden gerissen. Frank kam schnell wieder hoch, aber als er Tom auf die Beine gezerrt hatte, waren die ersten Verfolger bereits bis auf wenige Meter heran. Waffenlos standen die Freunde den zerlumpten Knochenmännern gegenüber, spürten ihren höllischen Odem. Wir sind verloren, dachte Frank, während Tom gellend aufschrie. Jetzt gi btesk ei nEnt k ommenmehrf üruns … Doch dann besann er sich des Abwehrzaubers, den er bei dem Eingeborenenjungen in Pitcairn erstanden hatte. Er riß das Amulett vom Hals und hielt es Captain Blackbeard entgegen. Viel Hoffnung hatte er nicht. Aber es war die einzige Möglichkeit, die ihm noch geblieben war. Doch das Wunder geschah! Der Teufelskapitän stieß beim Anblick des Amuletts ein ärgerliches Knurren aus und blieb stehen, als hätte er eine Wand vor sich. Und als Frank einen Schritt auf ihn zu machte, wich er sogar zurück, ebenso seine Kumpane, die hinter ihm auf dem Dschungelpfad aufgetaucht waren. Frank faßte einen Plan, den er sofort in die Tat umsetzte: er befestigte das Amulett an einem Ast, der von der Seite in den Pfad hereinstand. Auf diese Weise hoffte er, den Teufelspiraten den Weg zu versperren. »Komm!« sagte er drängend zu seinem Freund. Bixby verstand. Gemeinsam mit Frank zog er sich ein Stück zurück. Als sie nach einigen Metern anhielten, sahen sie, daß die Knochenmänner noch immer dort standen, wo sie stehengeblieben waren. Eine geheimnisvolle Kraft hielt die Monster offenbar davon ab, die Stelle mit dem Amulett zu überschreiten. »Dieser Abwehrzauber ist tatsächlich wirksam«, meinte Tom überrascht.
»Wer hätte das gedacht? Ich hätte mir auch so ein Ding kaufen sollen.« »Ja«, stimmte Frank ernst zu. »Es ist wirklich schade, daß du es nicht getan hast. Denn mein Amulett müssen wir hier zurücklassen, wenn wir uns die Bestien vom Leib halten wollen. Zum Glück haben sie hier keine Ausweichmöglichkeiten. Sie müssen sich einen neuen Weg suchen, wenn sie uns folgen wollen. Das verschafft uns Vorsprung. Komm, laß uns die Zeit nützen.« Die Freunde liefen weiter. Sie kamen wegen Toms verletztem Bein zwar nicht besonders schnell voran, doch sie hatten wieder Hoffnung geschöpft. Nach einigen hundert Metern lichtete sich der Dschungel. Die beiden Männer konnten einen Blick ins Innere der Insel werfen. »Wohin jetzt?« fragte Tom. »Dorthin, wo sie uns am wenigsten vermuten: zu ihrem Schlupfwinkel also.« »Du denkst wohl an die Mädchen?« »Ja, Tom. Wir müssen ihnen helfen. Jetzt ist die günstigste Gelegenheit.« »Du hast recht. Weiß der Teufel, was die Monster in ihrer Wut mit ihnen machen, wenn sie uns nicht finden können.« In einem weiten Bogen näherten sich die Freunde dem Hügel, in dem sich die Höhle von Blackbeards Bande befand. Doch als sie die Höhle erreichten, war in ihr nur noch die tote Loulou. »Verstehst du das?« fragte Frank und schüttelte verwundert den Kopf. »Die beiden müssen geflohen sein«, entgegnete Tom. »Sie haben sich ent weders el bs tbef r ei t …« »… oderderj unge Br i t e hati hnen gehol f en«,er gänz t e Fr ankFar r i ng. »Ja, das ist möglich. Komm, wir laufen zum Strand. Vielleicht finden wir die drei dort.« Sie verließen die Höhle, vor der Toms zertrümmerte Kamera lag. Er streifte sie mit einem wehmütigen Blick, dann folgte er Frank, der bereits einige Schritte vorausgegangen war. Plötzlich erstarrten sie vor Schreck. Denn vor ihnen, wie aus dem Erdboden gewachsen, tauchten die Teufelspiraten auf. Als die Untoten ihre verhaßten Gegner bemerkten, brachen sie in ein begeistertes Geheul aus. Wie auf Kommando sprangen sie von mehreren Seiten auf Tom und Frank zu. Nur noch ein Fluchtweg war offen: der zur Kuppe des Hügels. Ohne sich lange zu besinnen, machten die beiden Freunde davon Gebrauch. Sie rannten, was ihre Beine hergeben konnten. Sogar Tom schaffte jetzt ein erstaunliches Tempo, trotz seines verstauchten Knöchels. Tapfer verbiß er die stechenden Schmerzen und sprang humpelnd die Anhöhe hinauf. Die Geisterpiraten folgten in dichtem Abstand. Dennoch gelang es den
Freunden, ihren geringen Vorsprung zu halten. Frank erreichte die Anhöhe als erster und streckte Tom die Hand entgegen, um ihm mit einem kräftigen Ruck nach oben zu helfen. Das letzte Wegstück war besonders anstrengend gewesen. Es bestand aus einer steilen, von Felswänden gesäumten Rinne, die so schmal war, daß sie nur hintereinander passiert werden konnte. Oben auf der Hügelkuppe lagen große Felsblöcke, zwischen denen Buschwerk wuchs. Die Beschaffenheit des Geländes ließ in Frank eine winzige Hoffnung keimen. Wenn es gelang, Feuer zu legen, gab es vielleicht noch eine Chance, sich die mordgierigen Knochenmänner vom Leib zu halten. »Wir brauchen Holz«, rief er Tom zu, während er einen zentnerschweren Felsbrocken packte und keuchend in die Rinne hinabwälzte. »Los, reiß Büsche aus!« Tom begriff, was sein Freund vorhatte, und ging in fieberhafter Eile daran, kleine Büsche aus dem Boden zu reißen und von größeren dürre Äste abzubrechen. Der Felsbrocken hatte sich mittlerweile selbständig gemacht. Polternd rollte er die Steilrinne hinab und trieb die unheimlichen Angreifer zurück. Dadurch gewannen die Freunde etwas Zeit. Mit vereinten Kräften beschafften sie Brennmaterial. »Fürs erste reicht es«, sagte Tom keuchend, als sich am oberen Ende der Rinne ein hüfthoher Haufen aus Gestrüpp angesammelt hatte. »Nun wollen wir hoffen, daß das Zeug auch brennt.« Er holte Streichhölzer aus der Tasche und nahm eines aus der Schachtel, hielt dabei voller Besorgnis Ausschau nach den Teufelspiraten. Schon kamen die Monster die Rinne herauf, an der Spitze Captain Blackbeard. »Beeil dich!« rief Tom drängend. »Um Himmels willen, so mach doch schon! Die Bestien sind gleich da!« Mit zitternden Fingern zündete Frank ein Streichholz an, doch das Holz wollte nicht gleich brennen. Nur zögernd leckte die Flamme danach. Die Knochenmänner waren nur noch wenige Meter entfernt. Ein paar Sekunden noch, und sie würden Frank Farring und Tom Bixby erreichen. Da fing das Gestrüpp endlich Feuer. Helle Flammen züngelten empor und fraßen sich prasselnd in das Astwerk, das ihnen reichlich Nahrung bot. Captain Blackbeard und seine Kumpane prallten erschrocken zurück. Ihre knöchernen Fratzen verzerrten sich angstvoll. Sie fürchteten das Feuer, wie alle Dämonen, und wußten instinktiv, daß es sie vernichten würde, falls sie damit in Berührung kamen. Sie wichen zurück, bis sie vor den Flammen in Sicherheit waren.
Nervös, aber sichtlich erleichtert, blickten die beiden Amerikaner sich an. »Wir haben nochmals Schwein gehabt«, sagte Frank Farring. »Vorläufig haben wir nichts zu befürchten. Wir müssen jetzt nur darauf achten, daß wir genug Holz zum Nachlegen haben.« Gemeinsam besorgten sie Nachschub. Das Feuer - durfte auf keinen Fall ausgehen. Leider war der Vorrat an Brennstoff begrenzt. * Atemlos erreichten Jack und die beiden Mädchen das Camp, das verlassen in der Dunkelheit lag. Nichts deutete auf eine Gefahr hin. »Fühlt euch ganz wie zu Hause«, sagte er zu seinen Schützlingen. Faye Hunnicut bekam seine Worte kaum mit. Aufschluchzend warf sie sich auf eine Luftmatratze. Auch Maggie Wakefield hatte einen argen Schock erlitten. Trotzdem war sie einigermaßen ansprechbar. »Sind wir hier sicher?« fragte sie besorgt. »Ich hoffe es jedenfalls. Die Knochenmänner sind jetzt hinter Tom und Frank her. Das lenkt sie von uns ab.« »Aber wie lange? Ich fürchte fast, Ihre Freunde leben nicht mehr.« »Das glaube ich nicht. Sehen Sie doch mal zu dem Hügel hinauf.« Maggie befolgte Jacks Aufforderung und sah auf der Hügelkuppe rötlichen Feuerschein. »Da oben ist ein Brand ausgebrochen.« »Von selbst? Nein, da wurde nachgeholfen.« »Von Ihren Freunden? Sie glauben also, die beiden stecken da oben?« »Ja, und sie haben offensichtlich das einzig Richtige getan. Ich denke, wir werden auch ein Feuer anzünden. Dann können wir uns gleich etwas zum Essen wärmen.« »Für mich nicht«, meinte Maggie. »Ich könnte jetzt keinen Bissen hinunterbringen.« »Aber Durst haben Sie bestimmt?« »Und wie! Ich habe seit gestern nichts mehr getrunken.« Jack sorgte für die beiden Mädchen, dann schickte er sie zum Schlafen ins Zelt. Er sammelte Holz für ein Feuer. Aber er zündete es nicht an, weil er nicht wollte, daß der Schein den Lagerplatz verriet. Allerdings legte er Streichhölzer bereit, um das Holz im Falle einer Gefahr sofort in Brand stecken zu können.
Er setzte sich so, daß er freie Sicht zu dem Hügel hatte, auf dem Tom und Frank von den Geisterpiraten belagert wurden. Das Feuer auf dem Hügel brannte gleichmäßig stark, etwa zwei oder drei Stunden lang. Dann wurde der Feuerschein zunehmend schwächer. * Das letzte Holz war verbrannt. Noch zuckten ein paar Flammen aus der Glut, dann fiel das Feuer in sich zusammen. Tom und Frank blickten sich mutlos an. Sie hatten in stundenlanger Arbeit sämtliche Büsche im Umkreis ausgerissen oder abgebrochen und zuletzt sogar die Wurzeln ausgegraben. Doch nun gab es nichts mehr, womit man das Feuer nähren konnte. War die ganze Mühe umsonst gewesen? Hatten sie ihren Tod lediglich hinausgezögert? Die Knochenmänner wagten sich bereits näher heran. Sie hatten die ganze Zeit über geduldig gewartet, wie Raubtiere, die auf eine Beute lauerten. Nun schienen sie zu wissen, daß der Augenblick, wo sie ihre Chance bekommen würden, nicht mehr fern war. Drei Meter vor der Feuerstelle verharrten sie, ganz vorn Captain Blackbeard. Noch hielt die heiße, kirschrot leuchtende Glut ihn und seine Gefährten davor zurück, die Gegner anzugreifen. »Warte hier auf mich«, sagte Frank. »Ich will nachsehen, ob es nirgends eine Abstiegsmöglichkeit gibt.« »Es gibt keine, das haben wir doch schon festgestellt«, entgegnete Tom heiser. »Trotzdem will ich das Gelände nochmals untersuchen.« Nach diesen Worten verschwand Frank in der Dunkelheit. Tom blieb beim sterbenden Feuer zurück. Sein verstauchter Fuß schmerzte, war angeschwollen. Tom zog den Schuh aus, hielt ihn sekundenlang unschlüssig in der Hand und warf ihn dann auf die Glut. Neue Flammen leckten hoch. Das bedeutete einen weiteren, wenn auch nur geringen Aufschub. Genug, um Tom Bixby wieder etwas Hoffnung schöpfen zu lassen. Sofort zog er auch den zweiten Schuh aus und legte ihn auf die Glut, als der andere verbrannt war. Dennoch wagte sich Captain Blackbeard abermals etwas näher heran. Hinter ihm rückten die anderen Monster nach. Die Geisterpiraten
schienen genau zu wissen, daß der kümmerliche Rest des Feuers keine große Gefahr mehr darstellte. Schritte. Tom wandte den Kopf und sah Frank zurückkommen. »Was gefunden?« fragte er hoffnungsvoll. »Nichts. Wir müßten Flügel haben. Diese Rinne ist der einzige Aufstieg. An jeder anderen Stelle würden wir uns sämtliche Knochen brechen.« »Ist das nicht immer noch besser, als uns von diesen Bestien massakrieren zu lassen?« »Du meinst, wir sollen uns einfach in die Tiefe stürzen, Selbstmord begehen?« Tom zuckte die Schultern, schaute mit gesenktem Kopf auf die Überreste seines Schuhwerks, das er den Flammen geopfert hatte. Wenig später waren die Schuhe verkohlt. Die von Frank kamen nun an die Reihe. Doch bald waren auch sie verbrannt. Die Teufelspiraten schoben sich triumphierend vorwärts. Entsetzt wichen die beiden Amerikaner zurück. Schon stand der bärtige Geisterkapitän vor der verlöschenden Feuerstelle. Schon sah es so aus, als würde er den Platz, der ihm so lange ein Hindernis war, überschreiten. Doch da zögerte er. Waren die noch schwach glimmenden Glutreste die Ursache, die ihn und seine Getreuen zurückhielten? Nein, ihr Zögern hatte einen anderen Grund. Im Osten, noch kaum sichtbar, zeigte sich ein schwacher Lichtschimmer am Horizont, ein fahler Streifen, der den neuen Tag ahnen ließ. Die Monster wurden nervös. Offenbar spürten sie, daß die Zeit der Finsternis, die ihnen die Kraft zu einem zweifelhaften Leben gab, in Kürze ablaufen würde. Plötzlich verloren sie an den beiden Amerikanern jegliches Interesse. Ruckartig wandten sie sich um und kletterten eilig die Rinne hinab. * Jack McDevitt hatte kein Auge geschlossen, sondern den Schlaf der beiden Mädchen bewacht. Als nun der Morgen zu dämmern begann, drohte der Engländer doch einzunicken. Da drangen knirschende Geräusche an sein Ohr. Erschrocken fuhr er hoch, blickte lauschend um sich. Er erhob sich, verließ vorsichtig das Lager und ging wenig später im schwarzen Schatten einer einzeln stehenden Palme in Deckung. Von hier aus hatte er einen guten Ausblick auf den Strand. Im ersten
Morgendämmern sah er dort eine Gruppe dunkler, völlig zerlumpter Gestalten. Es waren die Teufelspiraten. Eilig liefen sie über den Strand zu ihren Booten, sprangen hinein und stießen vom Ufer ab, um zur »Hellcat« zurückzurudern. Der Engländer wußte aus Erfahrung, daß sie sich jetzt auf ihr Schiff begaben, um in ihren Kojen in eine totenähnliche Starre zu fallen. Inzwischen war die Morgendämmerung ziemlich weit fortgeschritten. Sogar Einzelheiten des alten Seglers waren bereits gut zu erkennen. Doch da wurden die Konturen des Schoners plötzlich unscharf, und die »Hellcat« verschwand. Jack hatte atemlos zugesehen. Er begriff nun, daß sich die »Hellcat« auch damals, als er sich völlig verwirrt in den Fluten des Ozeans wiedergefunden hatte, auf dieselbe Weise aufgelöst haben mußte. Noch immer gefesselt von dem unheimlichen Geschehen, blickte er auf die Stelle, wo der Windjammer samt seiner schrecklichen Besatzung spurlos verschwunden war. Wasser und freier Himmel hatten seinen Platz eingenommen. Die Gefahr war vorbei. Erleichtert atmete der junge Engländer auf. Doch dann mußte er an Frank Farring und Tom Bixby denken. Was war aus den beiden geworden? Lebten sie noch? Oder waren sie den Teufelspiraten zum Opfer gefallen? Ein Geräusch ließ Jack aufhorchen und zum Felsenhügel blicken. Im nächsten Moment grinste er zufrieden. Die beiden Amerikaner kamen im Zwielicht des Morgens auf ihn zu, barfuß und ziemlich erschöpft, aber heil, wenn man von Toms verstauchtem Knöchel absah. Ihre Gesichter waren vom überstandenen Schrecken gezeichnet. »Hallo, Freunde!« rief Jack erfreut. »Ich bin wirklich froh, euch lebend wiederzusehen. Dachte schon, die verdammten Knochenmänner hätten euch erwischt.« »Viel hat auch wirklich nicht gefehlt, und sie hätten uns ins Jenseits befördert«, erklärte Frank mit schwachem Grinsen. »Nicht wahr, Tom, es war sehr knapp?« Tom nickte ernst und sah Jack dabei an. »Hast du die Mädchen gesehen?« »Die sind im Camp. Ich habe ihnen erlaubt, im Zelt zu schlafen.« Die zwei Amerikaner wechselten einen Blick, aus dem Erleichterung sprach. »Und wo sind die Teufelspiraten?« fragte dann Frank. »Die sind auf ihren morschen Kahn zurückgekehrt und haben sich samt
diesem in Luft aufgelöst.« »Was du nicht sagst.« Frank starrte den jungen Briten verblüfft an. »Es ist wahr. Ich habe es gesehen.« Jack wies in die Bucht hinaus. »Da draußen war es, dort ist das Schiff verschwunden. Da die Knochenmänner weder ihre Boote eingeholt noch Anker gelichtet haben, ist anzunehmen, daß sie nächste Nacht nicht in See stechen, sondern auf die Insel zurückkommen werden.« »Dann können wir uns auf einiges gefaßt machen«, meinte Frank besorgt. »Sicher. Aber bis dahin haben wir zum Glück genug Zeit, um uns in Ruhe darauf vorzubereiten.« »Das stimmt. Kommt, wir gehen ins Lager und machen Kaffee. Danach legen wir uns aufs Ohr, um frische Kräfte zu sammeln. Die haben wir alle nötig.« Ehe sich die drei Männer im Freien zur Ruhe legten, warfen sie noch einen Blick in das Zelt. Die beiden Mädchen schliefen, bewegten sich aber unruhig und stöhnten immer wieder auf. Offensichtlich wurden sie von schlimmen Träumen geplagt. Auch für Jack und die zwei Amerikaner war der Schlaf nicht sehr erholsam. Sie wurden zwar von niemandem gestört, schreckten aber mehrmals hoch. Als sie erwachten, war es Mittag. Frank Farring kümmerte sich um das Essen. Die Geräusche und die Kochdüfte weckten auch die Mädchen. Sie kamen aus dem Zelt. »Hallo, Ladies«, rief Tom vergnügt. »Wieder so halbwegs auf dem Damm?« »Ich fühle mich wie gerädert«, antwortete Maggie. »Wo können wir uns waschen?« »Im Meer, wo denn sonst? Wasserleitung gibt es hier keine. Wagt euch aber nicht zu weit hinaus.« »Wir bleiben ganz bestimmt in Ufernähe«, versprach Faye Hunnicut, die ihren Schock noch immer nicht ganz überwunden hatte. Ihr Gesicht war bleich, die Schminke völlig verschmiert. Tom gab den beiden Seife und Handtuch, dann zogen sie ab. Grinsend blickte er ihnen nach. »Wer hätte gedacht, daß wir auf dieser verfluchten Insel so hübsche Gesellschaft bekommen würden? Jetzt gefällt es mir hier schon viel besser.« »Ich wünschte, die beiden wären nicht hier«, entgegnete Frank ernst. »Denn nun haben wir doppelte Sorgen. Wir müssen nicht nur auf uns,
sondern auch auf die Mädchen aufpassen.« »Da hast du recht«, gab Tom zu. »Wir tragen für die beiden die Verantwortung. Werden die Proviantvorräte reichen?« »Wir wollen es hoffen. Wenn nicht, hilft uns Mutter Natur. Fische und Kokosnüsse gibt es hier im Überfluß. Nein, verhungern werden wir bestimmt nicht. Das ist meine geringste Sorge.« Als die Mädchen vom Strand zurückkamen, wirkten sie bedeutend frischer. Maggie brachte sogar ein Lächeln zustande. Wie es schien, hatten die beiden keinen seelischen Schaden genommen. Sie waren jung und besaßen gute Nerven, so daß sie auch mit schrecklichen Erlebnissen fertig werden konnten. Was die beiden am Leib trugen, konnte kaum noch als Kleidung bezeichnet werden. Tom und Frank stellten ihnen Hemden und Jeans zur Verfügung. Nach dem Essen begann ein gegenseitiges Erzählen. Jeder der fünf Menschen, die das Schicksal auf der Teufelsinsel zusammengeführt hatte, konnte mit unglaublichen Berichten aufwarten, die jedoch Wort für Wort der Wahrheit entsprachen. »Fassen wir noch mal zusammen«, sagte schließlich Jack McDevitt. »Bei Tag ist das Piratenschiff unsichtbar. Jeder, der sich auf der >Hellcat< befindet, verschwindet mit von der Bildfläche, sobald die Morgendämmerung kommt. Auf diese Weise schützen sich die tagsüber wehrlosen Teufelspiraten davor, entdeckt zu werden.« »Aber du hast doch selbst gesagt, du hättest sie auch bei Tageslicht gesehen«, wandte Frank zweifelnd ein. »Das stimmt. Aber hast du nicht vorhin selbst gesagt, daß Todgeweihte das Schiff sehen könnten?« entgegnete Jack. »So sagt es die Legende.« »Nun, ich war so gut wie tot, als ich auf die >Hellcat< stieß - halb verdurstet und mit hohem Fieber«, fuhr der junge Engländer fort. »Und das würde auch erklären, warum sich das Schiff in Luft auflöste, als ich die Piraten in ihren Kojen vernichten wollte. In diesem Moment war ich außer Gefahr. Ich bin mir ziemlich sicher, daß diese Bastarde genau wissen, was um sie herum passiert, wenn sie in Starre liegen.« »Die >Hellcat< schützt sie also vor dem Tageslicht«, meinte Frank nachdenklich. »Glaubst du, daß sie ohne sie verloren wären?« »Davon bin ich sogar überzeugt. Sie brauchen einander, um existieren zu können, jedenfalls, was die zweite Garnitur betrifft.« »Zweite Garnitur - was meinst du damit?« »Die >Hellcat< und ihre Besatzung existieren doppelt: einmal als Wrack auf dem Meeresgrund, in dem die Gebeine der ertrunkenen Seeräuber
liegen, und dann als Gespensterschiff, mit ihren Geistern bemannt. Was wir von Captain Blackbeard und seinen Kumpanen zu sehen bekommen, ist ihr Astralleib.« »Du scheinst von diesen Dingen eine Menge zu verstehen«, bemerkte Frank beeindruckt. Der junge Brite zuckte mit den Schultern. »Ich befasse mich schon seit Jahren mit Parapsychologie. Dieses Gebiet interessiert mich ungemein. Allerdings hatte ich vorher nie die Gelegenheit, echten Dämonen zu begegnen. Und jetzt kann diese Begegnung für uns alle tödlich enden. Wenn wir wenigstens eine wirksame Waffe hätten, um uns gegen die Knochenmänner verteidigen zu können. Ich habe ja mein Silberkreuz. Aber i hr …? « »Mein Amulett«, rief Frank. »Ich muß es suchen.« »Ja, tu das«, bekräftigte Tom. »Aber zuvor haben wir noch eine traurige Pflicht zu erledigen.« »Du meinst Loulou? Ja, wir müssen sie begraben.« Die beiden Amerikaner verließen das Lager und stiegen den Felsenhügel hinauf, um aus dem Schlupfwinkel der Teufelspiraten den Leichnam des Fotomodells zu holen. Inzwischen leistete der Brite Maggie und Faye Gesellschaft. Er mußte ohnehin die Sonne meiden, da die Wunden in seinem Gesicht noch längst nicht verheilt waren. Tom und Frank beerdigten Loulou. Dann forschten sie nach dem Amulett, konnten es in dem unwegsamen Gelände aber nicht mehr finden. Enttäuscht kehrten sie ins Camp zurück. Der Rest des Tages verging mit der Beschaffung von Brennmaterial, das rings um das Lager zu mehreren großen Haufen aufgetürmt wurde. Schließlich war der Holzvorrat so groß, daß er für eine ganze Nacht ausreichen mußte. Mit Spannung fieberten die drei Männer und ihre Schicksalsgefährtinnen dem Abend entgegen. Keiner von ihnen zweifelte daran, daß die Knochenmänner alles daransetzen würden, um furchtbare Rache zu üben. * Blutrot versank die Sonne im Meer. Ein letzter feuriger Schein streifte mit langen Fingern die Wasseroberfläche, dann erlosch er, und das Wasser wurde blauschwarz. Die Nacht war da. Es war fast ohne Übergang dunkel geworden. Der Wechsel zwischen Tag und Nacht vollzog sich in den tropischen
Breitengraden binnen weniger Minuten. Die kleine Menschengruppe kauerte hinter einer Felsenklippe in Deckung, so daß sie die Bucht vor Augen hatte. Was auch immer da draußen geschehen würde, den Beobachtern konnte es nicht entgehen. Denn über ihnen stand der Mond, der zusehends an Leuchtkraft gewann. Die Männer hatten die Mädchen in die Mitte genommen. Rechts neben Jack war Maggie. Er spürte, daß sie vor Erregung zitterte. Aber auch er war nervös, obwohl er es nicht zeigte. Plötzlich packte sie ihn am Arm. Schmerzhaft bohrten sich die Nägel ihrer Finger in seine Haut. »Da«, flüsterte sie. Eine neblige Substanz bildete sich in der Bucht, wurde dichter und nahm immer mehr die Form eines großen Segelschiffes an. Zunächst war es eine verschwommene Silhouette, dann wurden die Konturen scharf und plastisch. Für die fünf Menschen war es ein phänomenales Schauspiel. Atemlos verfolgten sie, wie die »Hellcat« vor ihren Augen neu erstand, sich völlig lautlos materialisierte. Schon wurden auf Deck dunkle Gestalten sichtbar. Es waren die Knochenmänner, die nach dem totenähnlichen Schlaf ihre blanken Gebeine streckten, ehe sie sich über die Reling schwangen und an der zerfransten Strickleiter in die morschen Jollen hinabkletterten. Die Boote stießen ab. Plätschernde Geräusche erklangen unter den kräftigen Schlägen der Ruder. Wenige Minuten später erreichten die Teufelspiraten den Strand. Sie versammelten sich um Captain Blackbeard. Was würde nun geschehen? Fünf Menschen stellten sich mit banger Sorge diese Frage. Sie verharrten sprungbereit, entschlossen, sofort ins Lager zu fliehen, falls sich die lebenden Skelette in ihre Richtung wenden sollten. Doch nichts dergleichen geschah. Ohne daß sie die Nähe von Menschen zu ahnen schienen, formierten sich die Monster zu einer Kolonne und marschierten landeinwärts auf den Felsenhügel zu. Kurz darauf waren sie in der Dunkelheit verschwunden. Jack McDevitt und seine Gefährten atmeten befreit auf. Eine ungeheure Nervenanspannung fiel wie ein Zentnergewicht von ihnen ab. Doch sie wußten, die Gefahr war keineswegs gebannt. »Es ist wohl am besten, wir warten die Entwicklung der Dinge im Lager ab«, sagte Frank Farring. »Allerdings halte ich es für angebracht, wenn einer von uns als Aufpasser hier zurückbleibt, damit wir vor Überraschungen sicher sind.«
»Das übernehme ich«, erbot sich Jack. »Sollte ich etwas Verdächtiges bemerken, stoße ich einen Warnschrei aus. Dann müßt ihr sofort die Feuer anzünden.« »Ist gut. Paß auf dich auf, Jack. Du mußt schnell sein, wenn eine Gefahr auftaucht.« »Keine Sorge«, erwiderte der Brite grinsend. »Ich war schon immer ein ausgezeichneter Läufer.« Er blickte seinen Freunden eine Weile nach. Dann hockte er sich in den Sand und beobachtete den Dschungelrand. Tom und Frank und die beiden Mädchen postierten sich im Camp. Jeder stand vor einem Holzhaufen und hatte eine Streichholzschachtel in der Hand. Da auch Papier zum Anheizen zur Verfügung stand, würde man, wenn nötig, innerhalb von Sekunden ohne Schwierigkeiten Feuer machen können. Doch eine halbe Stunde verging, ohne daß etwas geschah. Plötzlich erklang von dem Hügel her Lärm, ein wüstes Grölen, so unmenschlich und schaurig, daß Maggie und Faye eine Gänsehaut bekamen. »Was sagt ihr dazu?« rief Frank, ziemlich verblüfft. »Die Knochenmänner saufen wieder.« Wenig später kam Jack ins Camp. Er zeigte überhaupt keine Eile, sondern grinste breit. »Unsere Befürchtungen waren unnötig«, sagte er. »Wie ihr deutlich genug hören könnt, haben unsere lieben Freunde nichts anderes im Sinn, als sich wieder sinnlos zu besaufen. Sie scheinen uns ganz vergessen zu haben.« »Wie ist das möglich?« fragte Tom verwundert. »Wahrscheinlich hat ihr Erinnerungsvermögen im Lauf der Jahrhunderte gelitten. Möglicherweise haben sie überhaupt keines mehr, und sie können sich nur solche Dinge merken, die sich in eben dieser Nacht abgespielt haben. Wäre ja auch kein Wunder bei den riesigen Mengen von Alkohol, die sie andauernd in sich hineinschütten.« »Wo haben sie den Rum bloß her?« fragte Frank kopfschüttelnd. »Vielleicht erbeuten sie ihn bei Überfällen«, antwortete Jack. »Eher aber glaube ich, daß es sich um einen imaginären Stoff handelt. Aber wie dem auch sei, sie saufen jedenfalls, was das Zeug hält.« »Ein wahres Glück für uns«, warf Maggie Wakefield erleichtert ein. »Wir dürfen also hoffen, daß wir von den Unholden gar nicht entdeckt werden?« Jack nickte. »Ja, hoffen dürfen wir es, aber sicher ist es nicht. Wir müssen auf jeden Fall in Bereitschaft bleiben.« »Sollen wir denn die ganze Nacht hier herumhocken?« meinte Tom.
»Du kannst dich ja aufs Ohr legen«, erwiderte Frank. »Wir anderen passen schon auf.« »Das habe ich nicht gemeint.« »Was dann?« »Ich möchte einen Ausflug auf die >Hellcat< unternehmen.« »Du bist wohl verrückt?« »Wieso? Die Teufelspiraten sind jetzt nicht an Bord. Das ist doch eine prima Gelegenheit, uns den alten Kasten mal aus der Nähe anzusehen.« Frank musterte seinen Freund forschend. »Du bist wohl auf etwas Bestimmtes aus, wie?« »Kann sein.« Tom grinste vage. »Kommst du nun mit?« »Nein! Ich will das Schicksal nicht herausfordern. Du kannst ja tun, was du willst.« Da wandte sich Tom an den Briten. »Würdest du mich begleiten, Jack?« »Hm, sag mir zuerst, was du auf der >Hellcat< willst. Einen Schatz suchen?« »Zumindest einen Plan, mit dessen Hilfe man einen finden kann. Ich meine den, der auf der Insel hier versteckt sein soll. Der Anführer der Teufelspiraten hat von diesem Ort bestimmt eine Skizze angefertigt.« »Eigentlich solle man das annehmen«, stimmte Jack nachdenklich zu. Der Gedanke an den nächtlichen Ausflug reizte ihn, obwohl er sich der Gefährlichkeit des Unternehmens vollauf bewußt war. Doch ihn ritt der Teufel. »Ja, ich komme mit«, sagte er. »Wir nehmen mein Schlauchboot.« Mit starken Taschenlampen ausgerüstet, verließen die beiden Männer trotz Franks Protest das Camp. Sie schleppten das Schlauchboot zum Strand, ließen es zu Wasser und schwangen sich hinein, um zur »Hellcat« hinauszurudern. Kurz darauf machten sie das Boot am alten Piratenschoner fest. Jack griff als erster nach der Strickleiter und zog sich hinauf. Tom folgte ihm in kurzem Abstand. Schon kletterte der Brite über die wackelige, stellenweise unterbrochene Reling, faßte Fuß auf den morschen Planken des Decks. Da glitt vom Fockmast her ein dunkler Schatten auf ihn zu. Es war ein Teufelspirat, ein auffallend großer Knochenmann, der als Wächter auf der »Hellcat« zurückgeblieben war. Aus seiner Kehle drang ein gefährliches Knurren. In seinen Augenhohlen leuchtete es tückisch auf. Jack packte sein Silberkreuz. Mit der anderen Hand knipste er die Taschenlampe an und blendete das Monster. »Bleib dicht neben mir!« rief er Tom Bixby zu, der inzwischen ebenfalls
über die Reling geklettert war. »Und leuchte auf mein Kreuz!« Der Amerikaner behielt die Nerven und kam Jacks Aufforderung nach. Als das kleine Kreuz im Lichtschein silbern auffunkelte, gab der Untote ein erschrockenes Brüllen von sich. Voller Entsetzen wich er zurück, und der Brite folgte ihm ohne Zögern und trieb ihn noch weiter zurück - genau auf die offene Luke zu, von der aus die Treppe in den Schiffsbauch führte. Vor panischer Angst völlig außer sich, übersah der Knochenmann die neue Gefahr. Schon trat er ins Leere, verlor jeden Halt und stürzte mit lautem Gepolter die Treppe hinab. Dann war es still. Zwei Lichtkegel richteten sich auf die reglose Gestalt am unteren Ende der Treppe, schweiften dann ab und glitten suchend über das Deck, ohne etwas Verdächtiges auszumachen. »Wir haben es nur mit dem einen zu tun«, sagte Jack erleichtert. »Komm.« Vorsichtig stiegen sie hintereinander die knarrenden Stufen hinab. Unten angekommen, leuchteten sie nochmals auf den Wächter und sahen, daß er sich bei dem Sturz das Rückgrat gebrochen hatte. Außerdem hatte sein morscher Totenschädel einen Sprung erhalten. »Der wird nie mehr erwachen«, sagte Jack schaudernd. »Los, weiter.« Die beiden Männer stiegen über das Skelett hinweg und gingen den nach Moder riechenden Gang hinunter. Jack kannte sich hier aus. Er fand sofort die Kapitänskajüte, stieß mit dem Fuß die Tür auf und trat ein. Tom folgte ihm. Die Lichtkegel der Stablampen huschten durch den verwahrlosten Raum, erfaßten Captain Blackbeards Seemannskiste. Mit einem Sprung war Tom an der Truhe, hob den Deckel an und leuchtete hinein. Die Kiste enthielt vermoderten Plunder, unter anderem etliche Frauenkleider, die im 18. Jahrhundert modern gewesen sein mochten. Vermutlich hatten sie jungen Mädchen und Frauen gehört, die Captain Blackbeard einst entführt und ermordet hatte. Der brüchig gewordene Stoff zerriß, als Tom die Kleider herauszerrte. Er räumte die ganze Kiste aus, doch das, was er zu finden gehofft hatte, war nicht darunter. »Nichts«, sagte er enttäuscht. »Vielleicht hat die Kiste ein Geheimfach«, meinte Jack. »Du mußt sie genauer untersuchen.« »Du hast recht.« Sorgfältig tastete Tom die Innenseiten der Truhe ab und fand tatsächlich ein verborgenes Fach, das eine dünne Pergamentrolle enthielt. Er grinste triumphierend. »Das muß der Schatzplan sein!« rief er heiser, rollte das Pergament auf und sah, daß es mit verschiedenen Linien und Zeichen bedeckt war. »Ja,
das ist er.« Er ließ Jack nur einen kurzen Blick darauf werfen, dann rollte er das Pergament wieder ein und schob es unter sein Hemd. Anschließend stopfte er die verschimmelten Kleidungsfetzen in die Truhe zurück und schloß den Deckel. Jack stand mittlerweile über das Logbuch gebeugt, das noch genau dort lag, wo er es schon einmal gesehen hatte. »Das Schiffstagebuch?« fragte hinter ihm Tom. »Mann, das ist ja eine Wucht. Da steht bestimmt jede Schandtat drin, die die Teufelspiraten auf ihre schwarzen Seelen geladen haben. Frank wird mich umarmen, wenn ich ihm das Buch bringe.« »Wir lassen es hier«, sagte Jack. »Aber warum denn?« »Weil es Captain Blackbeard auffallen würde, wenn es plötzlich nicht mehr da wäre. Er würde dann um so schneller merken, daß auch der Schatzplan fehlt.« Tom leuchtete das ein. »Du hast wieder mal recht. Seien wir zufrieden mit dem, was wir haben. Die Knochenmänner müssen ja nicht wissen, daß jemand auf ihrem Schiff war. Aber was ist mit dem, der da draußen liegt?« »Der kann ja von selbst die Treppe hinuntergestürzt sein. Oder nein, wir werfen ihn besser über Bord. Und dann verlassen wir diesen Kasten. Ich komme mir hier vor wie auf einem Pulverfaß, das jeden Moment in die Luft fliegen kann.« * Frank und die beiden Mädchen saßen im Dunkeln und lauschten dem unheimlichen Grölen, das aus dem Schlupfwinkel der Teufelspiraten an ihre Ohren drang. Es war bereits Mitternacht vorbei, und der Mond war längst untergegangen. Aber Tom und Jack ließen auf sich warten. War den beiden etwas zugestoßen? Die Sorge der Zurückgebliebenen wuchs. Als sie es vor Ungeduld kaum noch aushielten, näherten sich endlich Schritte. Die Vermißten schälten sich aus der Dunkelheit. »Gott sei Dank!« rief Maggie erleichtert. »Wir dachten schon, ihr kommt nicht mehr zurück.« Wie es schien, hatte ihre Sorge hauptsächlich Jack McDevitt gegolten. Sie hatte für den jungen Engländer trotz ihrer kurzen Bekanntschaft eine
starke Zuneigung gefaßt, die von ihm fast automatisch erwidert wurde. Es mochte daran liegen, daß sie von sehr ähnlicher Wesensart waren. »Habt ihr das Gesuchte gefunden?« fragte Frank Farring gespannt. »Ja«, antwortete Tom stolz. »Du wirst staunen, mein Junge.« Er zog die Pergamentrolle aus dem Hemd, breitete sie am Boden aus und beschwerte sie an den Ecken mit Kieselsteinen. Dann schaltete er seine Taschenlampe ein. Die anderen scharten sich um ihn. Sie blickten neugierig auf den uralten Schatzplan. Die mit Blut gezeichnete Karte zeigte den Grundriß der Teufelsinsel. Sie war mit den vier Himmelsrichtungen versehen und enthielt die markantesten Landschaftsmerkmale. »Hier muß die Höhle sein, in der die Monster ihre Orgien feiern«, sagte Tom und wies auf den an der Südküste eingezeichneten Felsenhügel. »Und da ungefähr befinden wir uns.« Sein rechter Zeigefinger umkreiste eine bestimmte Stelle des Strandes. »Und wo liegt der Schatz versteckt?« wollte Frank wissen. »Hier.« Tom tippte mit der Fingerkuppe auf ein schräges Kreuz inmitten der Insel. Nicht weit östlich davon waren drei Felsen eingezeichnet, die wie Schildkröten aussahen. Ein vergrößerter Ausschnitt in der rechten unteren Kartenhälfte gab die drei Felsen sehr anschaulich wieder. Gestrichelte Linien trafen sich, wo das Beuteversteck durch ein Kreuz gekennzeichnet war. »Vierzig Schritte aus Norden, fünfundsechzig aus Osten und zweiundfünfzig aus Süden«, las Tom die Zeichen. »Donnerwetter, das sieht ja kinderleicht aus. Was haltet ihr davon, wenn wir den Schatz bergen?« »Ich bin sofort dabei«, rief Faye Hunnicut begeistert. »Ich auch«, sagte Frank. »Das heißt, wenn wir dazu noch Gelegenheit haben.« »Wieso sollten wir keine haben? Noch ist es den Knochenmännern nicht gelungen, uns den Garaus zu machen. Wenn wir diese Nacht hinter uns bringen, ohne daß sie uns bemerken, haben wir so gut wie gewonnen.« Dieser Meinung schloß man sich allgemein an. Der Schatzplan wurde noch eingehend studiert. Schließlich aber zogen sich Jack, Frank und die beiden Mädchen zurück, um wieder ihre Posten zu beziehen. Nur Tom brütete weiterhin über der vergilbten Karte, bis ihn Jack aufforderte, die Lampe auszuschalten. »In einer halben Stunde beginnt es zu dämmern«, sagte der Brite ernst. »Wir müssen jetzt äußerst vorsichtig sein.« Von da an wurde kein Wort mehr gesprochen. Lauschend spähten die
fünf Menschen hinaus in die Nacht, deren Ende sie kaum noch erwarten konnten. Endlich - es war kurz vor Morgengrauen - kämen die Teufelspiraten von der Höhle zurück. Mit schaurigem Geschrei torkelten sie über den Strand, wobei mehrmals einer hinfiel. Dann hatten sie ihre Boote erreicht. Sie kletterten hinein, stießen vom Ufer ab und ruderten zu dem Schoner zurück. Die fünf Menschen wagten es, das Camp zu verlassen. Sie alle wollten Zeuge sein, wenn das Totenschiff auf geheimnisvolle Weise von der Bildfläche verschwand. Bald darauf erlebten sie es. Genauso, wie einen Tag zuvor, löste sich die »Hellcat« wie eine Luftspiegelung auf. Nicht das geringste blieb von ihr und ihrer unheimlichen Besatzung zurück. »Der Spuk ist vorbei«, sagte Tom Bixby und atmete tief auf. »Wir legen uns jetzt für ein paar Stunden aufs Ohr. Danach suchen wir gemeinsam den Schatz.« * Später Vormittag war es, die Sonne brannte unbarmherzig vom wolkenlosen Tropenhimmel und trieb den fünf Menschen Bäche von Schweiß aus dem Körper. Sie waren vor einer Stunde aufgebrochen. Bis dahin hatten sie geschlafen. Der Marsch war beschwerlich. Oft konnten sich die fünf nur mit Mühe einen Weg durch das Dickicht bahnen. Allen machte die Hitze schwer zu schaffen. Tom Bixby schritt unermüdlich voran. In der einen Hand hatte er einen Kompaß, in der anderen den Schatzplan. Hinter Tom gingen Faye und Frank. Maggie und Jack machten den Schluß. Obwohl die Mädchen kein Gepäck zu schleppen hatten, wurde ihnen das von Tom bestimmte Tempo bald zu anstrengend. »Nicht so schnell!« rief Jack daher nach vorn. »Wir kommen noch früh genug ans Ziel. Besonders weit kann es ja sowieso nicht mehr sein.« Tom blieb stehen, wandte sich um. »Nein«, gab er zurück. »Wir müssen bald da sein. Wartet hier auf mich, ich halte mal Ausschau.« Während seine Gefährten ein wenig verschnauften, stieg Tom einen Hügel hinauf, der vor ihm lag.
Wenig später meldete er: »Da vorn sind die drei Schildkrötenfelsen. Es sind nur noch ein paar hundert Meter.« Diese Nachricht vertrieb alle Müdigkeit. Ohne Rücksicht auf ihre Kleidung zu nehmen, eilten die Schatzsucher durch das verfilzte Buschwerk dem Ziel entgegen. Bald darauf hatten sie es geschafft. Vor ihnen ragte der erste der drei Felsen auf, die sie als Anhaltspunkte für ihre weitere Suche brauchten. Doch ihre Begeisterung wurde rasch gedämpft. Das Gelände, auf dem die Beute der Geisterpiraten irgendwo versteckt sein mußte, war nämlich dicht von hartem Gestrüpp überwuchert. »Wie sollen wir hier die Schritte ausmessen?« fragte Frank ernüchtert. »Das gibt ja Arbeit für mehrere Stunden.« »Und wenn schon«, entgegnete Tom. »Ist das der Schatz nicht wert? Ich schlage vor, wir ruhen uns etwas aus, und dann geht jeder von uns Männern zu einem der drei Felsen und macht sich von dort aus auf den Weg. Irgendwie werden wir es schon schaffen.« Sie setzten sich in den spärlichen Schatten des Felsens und schlugen mitgebrachte Kokosnüssen auf, um ihren Durst zu löschen. Danach bot Tom Zigaretten an. Doch kaum hatten die Männer zu Ende geraucht, waren sie schon wieder auf den Beinen, gepackt von Ungeduld und Tatendrang. Frank begab sich zum nördlichen Felsen. Tom ging zu dem im Osten, während Jack bei dem südlichen Felsen blieb. Aber Jack wartete hier noch weiterhin, denn man hatte während der Rast vereinbart, daß Tom zunächst allein ins Gelände vordringen würde. Mühsam arbeitete sich Bixby nach Westen durchs Gestrüpp. Es war nicht leicht, gleich große Schritte zu machen. Oft war ihm ein mannshoher Busch im Weg, der ihn zu einem kleinen Umweg zwang. Als er glaubte, die nach der Karte vorgeschriebenen fünfundsechzig Schritte zurückgelegt zu haben, schnitt er einen langen Ast von einem Strauch und rammte ihn als Markierung in den Boden. »Nun seid ihr an der Reihe!« rief er dann seinen Gefährten zu. Daraufhin gingen die beiden ebenfalls los. Frank hatte vierzig Schritte zu machen, Jack zweiundfünfzig. Dabei steuerten sie jene Stelle an, wo Tom hoffnungsvoll wartete. Aber sie erreichten ihn nicht. Jack hatte die erforderliche Strecke bereits hinter sich gebracht, als er noch acht Meter von Tom entfernt war. Frank hingegen ging im Abstand von einigen Metern an Tom vorbei und hatte dann noch immer zehn Schritte zurückzulegen. »Wir versuchen es noch mal«, schlug Tom vor. »Diesmal halten wir uns alle mehr nach links.«
Auch Frank und Jack stießen Stangen in die Erde, dann kehrten sie zu den Felsen zurück und schritten die Strecke mit leicht geänderter Richtung abermals ab. Doch sie trafen auch diesmal nicht an einer Stelle zusammen. Der Abstand von einem zum anderen war zwar etwas kleiner geworden, aber das Resultat war nicht sehr ermutigend. »Verdammter Mist«, fluchte Tom. »Wenn bloß dieses Gestrüpp nicht wäre. Ich hätte gute Lust, es abzubrennen.« »Nein«, rief Jack, »das dürfen wir nicht! Das Feuer würde sich über die ganze Insel ausbreiten. Willst du wie ein Spanferkel schmoren?« »Er hat recht«, sagte Frank. »Wir würden in den Flammen alle umkommen. Dann hat keiner etwas von dem Schatz.« »Aber wenn wir so wie bisher weitermachen, ebenfalls nicht«, stellte Tom fest und wischte sich den Schweiß aus dem Nacken. »Denkt mal nach, woran es liegen kann, daß wir einfach nicht am selben Punkt zusammentreffen.« »Vielleicht stimmt unsere Schrittlänge nicht überein«, meinte Jack. »Ja, das könnte es sein. Wir werden beim nächsten Mal die Routen tauschen.« Tom übernahm nun Jacks Strecke, Jack die von Frank, und Frank die von Tom. Dabei zeigte sich tatsächlich ein anderes Ergebnis. Dennoch mußten die drei Männer den Weg zu den Felsen und zurück noch weitere vier Male machen, bis der gesuchte Platz so weit eingeengt war, daß sich ein Aufgraben des Bodens lohnen konnte. Mittlerweile war es vier Uhr nachmittags geworden. Die Männer waren erschöpft und in Schweiß gebadet. Dennoch dachten sie nicht daran, sich auszuruhen. »Jetzt müssen wir das Gelände roden«, sagte Jack keuchend. »Wenn wir bloß geeignetes Werkzeug hätten.« Sie besaßen nur ihre Messer. Damit schnitten sie die zähen Büsche ab und warfen sie hinter sich ins Gestrüpp. Schließlich - nach einer weiteren Stunde - hatten sie den Platz vom hinderlichen Pflanzenbewuchs gesäubert. Er maß drei Meter im Quadrat und sah eigentlich gar nicht so aus, als könnte sich darunter etwas verbergen. Aber das spielte ja keine Rolle. Immerhin waren mehr als zwei Jahrhunderte vergangen, seitdem Captain Blackbeard und seine Mannen die erbeuteten Schätze der Erde anvertraut hatten. Zeit genug, daß die Natur einen schützenden Teppich darüber breiten konnte. »Nun müssen wir noch das Wurzelzeug entfernen«, sagte Tom, als er kurz verschnaufte. »Wenn wir das geschafft haben, ist die Hauptarbeit getan. Hoffentlich liegt der Schatz nicht allzutief.«
»Und hoffentlich ist er überhaupt drin«, fügte Frank hinzu. »Davon bin ich überzeugt. Ich spüre, daß er da ist. Kommt, laßt uns weitermachen.« Mit Messern und mit bloßen Händen gruben die Männer die Wurzelstöcke aus. Sogar die Mädchen halfen jetzt mit, sie hatten bisher nur zugesehen. Plötzlich stieß Tom auf Scherben aus Ton, Scherben, die von einer Flasche stammen mochten. »Da, seht her!« rief er triumphierend. »Ich habe es ja gewußt. Wir sind an der richtigen Stelle.« Der Fund gab Ansporn. Mit vereinten Kräften wühlten sich die Schatzsucher in den Boden, daß Sand und Steine nur so flogen. Eine der eifrigsten war Faye Hunnicut. Obwohl körperliche Arbeit bisher ein fremder Begriff für sie gewesen war, grub sie nun wie besessen - ohne Rücksicht darauf, daß ihre Hände Risse bekamen und ihre lackierten Nägel abbrachen. Das Schatzfieber hatte sie gepackt, das sah man schon an ihren Augen. Und dann stießen sie endlich auf das Gesuchte: auf den gewölbten Deckel einer großen Truhe. Die Männer und ihre Gefährtinnen blickten sich vielsagend an. Dann legten sie die Truhe im Eiltempo frei. Ihr Gewicht war beachtlich. Alle fünf mußten zupacken, um sie aus der Grube zu heben. Das Holz der Truhe war durch das Alter morsch. Nur noch die schweren Stahlbänder, mit denen sie beschlagen war, hielten sie zusammen. Sie besaß ein Schloß, das Tom mit einem Stein zertrümmerte. Dann konnte er den Deckel öffnen. Im nächsten Moment gaben die fünf Menschen Rufe des Entzückens von sich. Was sie sahen, übertraf ihre kühnsten Erwartungen bei weitem. Die Truhe war bis zum Rand mit funkelnden Goldmünzen, Perlen und glitzernden Juwelen gefüllt. Sprachlos vor Staunen starrten sie auf diese Pracht, die ihre Augen zu blenden drohte. »Mein Gott!« entfuhr es Jack schließlich. »Das ist ja ein unvorstellbares Vermögen!« »Ja, dafür könnte man halb Amerika kaufen«, pflichtete Tom Bixby ihm bei. Faye konnte nicht widerstehen, in die Truhe zu greifen. Mit verklärtem Gesicht nahm sie einen taubeneigroßen Rubin an sich, der im Schein der untergehenden Sonne blutrot funkelte. »Leg ihn zurück«, befahl Tom. »Vorläufig bleibt alles in der Truhe. Wir bringen sie zum mittleren Felsen und warten dort die Nacht ab. Ich glaube,
das ist auch ein sicherer Platz vor den Teufelspiraten.« Er konnte in diesem Moment noch nicht wissen, wie sehr er sich da irrte. * Frank Farring saß rauchend am Feuer, das sie zu ihrem Schutz entzündet hatten. Er hatte um Mitternacht die Wache übernommen und sollte um drei Uhr morgens von Tom abgelöst werden. Jetzt war es knapp vor eins. Noch mehr als zwei Stunden also, die Frank überstehen mußte. Dabei konnte er kaum die Augen offenhalten. Die anstrengende Schatzgräberarbeit hatte ihn ungewöhnlich ermüdet. Sein Blick streifte seine schlafenden Gefährten und glitt dann zu der Truhe hinüber, die sie am Felsen abgestellt hatten. Ob er wollte oder nicht, seine Gedanken beschäftigten sich unaufhörlich mit dem Schatz. Vielleicht war das sogar das einzige, was ihn trotz seiner Müdigkeit wach hielt. Er malte sich aus, wenn der Inhalt der Truhe ganz ihm gehören würde. Nur ihm allein! Was hätte er da für ungeahnt eMögl i c hk ei t en… In ihm regte sich ein menschliches Bedürfnis. Er warf den Rest seiner Zigarette ins Feuer, legte Holz nach und ging dann hinter den Felsen. Da hörte er ein verdächtiges Knacken im Gebüsch. Erschrocken wandte er den Kopf und bemerkte zwei unheimlich leuchtende Punkte, die anderthalb Meter über dem Boden zu schweben schienen. Im nächsten Moment nahm er eine silhouettenhafte Gestalt wahr, die geduckt auf ihn zusprang. Ein eisiger Schauer jagte über seinen Rücken, denn er begriff, mit wem er es zu tun hatte. Aber für eine Flucht war es zu spät. Er konnte nur noch einen Schrei ausstoßen, dann hatte ihn der Teufelspirat schon erreicht. Lange, dolchspitze Krallen schlugen in seinen Hals, gleichzeitig fuhr ein gewaltiger, rostiger Säbel auf Frank nieder. Er brach tot zusammen. Doch sein Warnschrei blieb nicht ungehört. Jack fuhr aus dem Schlaf hoch und schaute sich forschend um. Frank war nirgends zu sehen. Statt dessen erblickte der Brite mehrere abscheuliche Gestalten, die aus dem Dunkel der Nacht ringsum aufgetaucht waren. »Die Teufelspiraten!« schrie er entsetzt. Tom und die Mädchen sprangen ebenfalls hoch. Geistesgegenwärtig
rissen die beiden Männer brennende Äste aus dem Feuer, um gegen die Knochenmänner eine Waffe zu haben. Die Monster knurrten wütend. Sie hatten offenbar gehofft, ihre Gegner im Schlaf überraschen zu können. Nun waren die vier Menschen gewarnt. Außerdem flackerten die Flammen des Feuers jetzt höher empor, da Faye und Maggie rasch Holz nachgelegt hatten. Dennoch wichen die Teufelspiraten nicht einen einzigen Schritt zurück, im Gegenteil: sie kamen sogar noch näher. Und dann griffen sie an. Zwei, drei von ihnen sprangen gleichzeitig vor, auf Tom zu, der dem einen den brennenden Ast auf die Knochenhand schlug und einem anderen den Ast in den skelettierten Körper stieß. Den dritten wehrte Jack mit einem Hieb über den Schädel ab. Die Monster brüllten und wichen zurück. Doch schon glitten andere drohend heran. Die Mädchen schrien gellend. Sie hatten zwar ebenfalls brennende Holzstücke in den Händen, brachten aber nicht den Mut auf, damit gegen die unheimlichen Feinde zu kämpfen. Während Jack erneut einen Angreifer abwehrte, riß er sich das Silberkreuz vom Hals und reichte es Maggie, die es schützend vor ihren Körper hielt. Faye drängte sich an sie, um durch das Kreuz ebenfalls Sicherheit zu haben. Es geschah keine Sekunde zu früh. Captain Blackbeard hatte nämlich die Absicht gehabt, sich auf die Mädchen zu stürzen. Mit einem unmenschlichen Knurren, das wie eine wüste Verwünschung klang, sprang er zur Seite und geriet so in die Reichweite von Jack, der mit dem flammenden Holzstück nach ihm schlug. Der Schlag streifte Blackbeards Schädel und versengte ihm den Bart. Sekunden später stieß Jack mit dem brennenden Ast einen anderen Knochenmann nieder. Das Monster ließ seinen Degen fallen. Geistesgegenwärtig bückte sich Jack danach, schwang die Waffe hoch und durchbohrte die Brust eines weiteren Gegners. Der Erfolg war verblüffend. So wirkungslos Pistolenkugeln im Kampf gegen die Teufelspiraten gewesen waren, so sehr wirkte nun der Stich mit dem uralten Degen. Der Getroffene preßte seine Knochenhände gegen die Rippen, krümmte sich zusammen und stürzte zu Boden. Reglos blieb er liegen. Jack ging zum Angriff über. In der Linken das brennende Holz, in der Rechten den erbeuteten Degen, stellte er sich der Übermacht zum Kampf. Er hatte in seiner Studentenzeit fechten gelernt, was ihm jetzt sehr zugute kam.
Wie sich bald zeigte, focht er sogar besser als die aus der Übung geratenen Teufelspiraten. Ohne selbst auch nur einen einzigen Kratzer abzubekommen, gelang es ihm, drei weitere Gegner zu erledigen und einen zu verwunden. Der Verletzte stürzte ins Feuer. Er wälzte sich aus den Flammen, kam wieder auf die Beine und rannte als lodernde Fackel ins nahe Gebüsch. Er kam nur wenige Schritte weit. Dann zerschmolz er, als bestünde er aus Wachs. Nicht einmal Asche blieb von ihm übrig. Die anderen Knochenmänner hatten dieses Schauspiel mitangesehen. Und das nahm ihnen plötzlich jeden Mut. Eilig zogen sie sich zurück und verschwanden in der Nacht. * Der Morgen dämmerte. Jack, Tom und die Mädchen hatten kein Auge mehr geschlossen. Jack hatte sich ins Gebüsch vorgewagt, um nach Farring zu suchen. Er war mit totenbleichem Gesicht zurückgekehrt und hatte nur wortlos den Kopf geschüttelt. Die Geisterpiraten hatten sich nicht mehr gezeigt. Sicher waren sie nun gerade im Begriff, auf die »Hellcat« zurückzukehren. Die von Jack mit dem Degen niedergestreckten Knochenmänner lagen noch dort, wo sie hingestürzt waren. Jack hatte ihnen lediglich die Waffen abgenommen: Degen und Dolche, die man für den Fall eines neuen Angriffs brauchen konnte. Die Mädchen vermieden es, die schrecklichen Skelette anzusehen. Maggie kauerte an der Seite von Jack, während Faye neben Tom Bixby saß. Plötzlich geschah etwas Seltsames. Der Brite bemerkte es zuerst. »Seht nur«, rief er erregt. »Die Waffen lösen sich auf.« Die Degen und Dolche zerbröckelten, zerfielen zu Staub, der wie Rost aussah. Gleichzeitig zersetzten sich auch die Skelette der im Kampf gefallenen Geisterpiraten. Zuerst löste sich die zerlumpte Kleidung auf, dann zerfielen die Knochen. Ein Vorgang der jahrhundertelang hinausgezögert worden war, vollzog sich nun in wenigen Sekunden. »Jetzt sind sie endgültig gestorben«, sagte Jack ernst. »Aber neun oder zehn andere leben«, gab Tom zu bedenken. »Die werden uns den Schatz bestimmt noch streitig machen. Oder glaubst du,
daß sie uns einfach so entkommen lassen?« »Nein, Tom. Ich vermute, die >Hellcat< liegt noch immer unten in der Bucht vor Anker. Komm jetzt, wir müssen Frank begraben.« Sie bestatteten Frank Farring dort, wo die Schatztruhe vergraben gewesen war. Tom sprach ein Gebet. Dann machten sich die vier Überlebenden auf den Rückweg zum Strand. Nach mehrstündigem Marsch - sie mußten wegen der schweren Truhe immer wieder rasten - erreichten sie endlich den alten Lagerplatz. Keuchend setzten sie sich in den Schatten der Palmen. »Ich bin gespannt, wieviel wir an Finderlohn kriegen«, sagte Jack etwas später. »Finderlohn?« fragte Tom Bixby und schaute den Briten entgeistert an. »Du denkst doch nicht etwa daran, daß wir den Schatz abliefern werden?« »Doch. Er gehört uns nicht. Wir haben lediglich Anspruch auf Finderlohn, der bestimmt so hoch ist, daß wir alle ausgesorgt haben. Was wollen wir mehr?« Der bullige Amerikaner blickte Jack an, als hätte er einen Irren vor sich. »Das kann doch nicht dein Ernst sein. Kein Mensch außer uns weiß, daß wir den Schatz gefunden haben.« »Trotzdem, wir dürfen ihn nicht behalten. Der rechtmäßige Besitzer ist die polynesische Regierung. Wir haben die Pflicht, unseren Fund zu melden. Und selbst dann, wenn wir das nicht täten: wie stellst du dir die Sache überhaupt vor?« »Du meinst, wie wir den Schatz fortschaffen sollen? Wir würden schon Wege finden, ihn außer Landes zu schmuggeln. Wenn nötig, durch Bestechung der zuständigen Beamten.« »Da mache ich nicht mit«, erklärte Jack sehr entschieden. »Dann wollen wir abstimmen«, schlug Tom vor. »Die Mädchen haben schließlich auch ein Wort mitzureden.« Erwartungsvoll blickte er die beiden an. Doch nur Faye war seiner Meinung. Maggie stellte sich auf die Seite von Jack und machte sehr deutlich klar, daß sie in nichts einwilligen würde, was illegal war. Daraufhin verließ Tom wütend das Lager. Er hatte sich zweifellos verändert, wurde jetzt von nackter Gier beherrscht. Als er ein Stück am Strand entlanggelaufen war, blieb er vor einer Felsenklippe stehen und zündete sich eine Zigarette an. Da merkte er, daß ihm jemand folgte. Es war Faye Hunnicut. »Was willst du?« fragte er unwillig. »Dir Gesellschaft leisten.« Sie lächelte verführerisch, näherte ihr Gesicht
dem seinen und bot ihm die leicht geöffneten Lippen. Der Amerikaner konnte ihr nicht widerstehen. Er ließ seine Zigarette fallen, schloß Faye ungestüm in die Arme und küßte sie. »Ich finde, daß wir gut zusammenpassen«, sagte sie, als sich ihr Mund von seinem löste. »Haben wir nicht gemeinsame Interessen?« »Du meinst wohl den Schatz?« »Ja, Darling. Wir wären blöd, wenn wir ihn abliefern würden.« »Das denke ich auch. Aber du hast ja gehört, was Jack und Maggie gesagt haben. Die beiden sind imstande und vermasseln uns die Sache.« »Daran müssen wir sie eben hindern. Du kannst voll und ganz auf mich zählen, wenn du mir versprichst, den Schatz mit mir zu teilen.« »Darauf gebe ich dir mein Wort. Und weißt du was, ich habe auch schon einen Plan. Wir müssen nur warten, bis Moru kommt.« * Der Polynesier kam zu ihrer Überraschung schon eine knappe Stunde später, also einen Tag vor der vereinbarten Zeit. Er schien sich entweder geirrt zu haben, oder er hatte es nicht mehr erwarten können, sich die Ausrüstung der beiden Amerikaner zu holen, denen er keinerlei Überlebenschancen eingeräumt hatte. Als er sah, daß zumindest Tom noch lebte und sich in Gesellschaft von drei anderen Menschen befand, staunte er sehr. Noch mehr aber staunte er, als man ihm die Schatztruhe zeigte. Tom hatte nichts dagegen gehabt, Moru einzuweihen. Es gehörte sogar zu seinem Plan. Jack und Maggie sollten glauben, daß er seine Absicht geändert hatte und bereit war, den Schatzfund zu melden. Auch Jack hatte einen Plan, der allerdings ganz anderer Natur war. Ihm ging es darum, die restlichen Teufelspiraten zu vernichten. »Wieviel Benzin haben Sie in Reserve?« fragte er Moru. »Drei Kanister«, antwortete der Besitzer des Kutters. »Ich führe immer mehr mit, als ich voraussichtlich brauche. Man kann ja nie wissen.« »Und wieviel brauchen Sie für die Rückfahrt nach Pitcairn?« »Ein Kanister genügt.« »Fein. Dann bleiben zwei übrig. Das reicht, um den Knochenmännern den Garaus zu machen.« Als der Polynesier hörte, was Jack sich ausgedacht hatte, ließ er sich überreden, bis zum nächsten Tag auf der Insel zu bleiben. Er brachte den Kutter an einen versteckten Platz und nahm die Schatztruhe an Bord. Dann wartete man auf den Abend.
Die »Hellcat« erschien wieder pünktlich. Wie in den Nächten zuvor ruderte der mittlerweile etwas dezimierte Haufen der Teufelspiraten an Land und verschwand bald darauf im Dschungel. Einige Stunden vergingen. Dann, gegen drei Uhr morgens, verlud Moru einen Kanister Benzin in sein Beiboot und ruderte mit Jack zur »Hellcat« hinaus. In dieser Nacht war an Bord des alten Piratenschoners kein Wächter zurückgeblieben. Jack verschüttete das mitgebrachte Benzin. Er goß es auf Deck aus, in den Kajüten, und er besprühte auch Segel und Masten. Dann wartete er auf die Rückkehr der Teufelspiraten. Die Knochenmänner kamen im ersten Morgengrauen. Ahnungslos nahmen sie mit ihren Jollen Kurs auf die »Hellcat«. Doch plötzlich stutzten sie. Ein fremder Geruch wehte ihnen entgegen, der Geruch von Benzin. Sekunden später schossen von dem Schoner hohe Flammen empor, breitete sich ein loderndes Feuermeer aus, das im Nu auf das ganze Schiff übergriff. Captain Blackbeard und seine Mannen brüllten entsetzt auf. Ratlos starrten sie auf den lichterloh brennenden Segler, der mehr als zwei Jahrhunderte lang ihre abscheuliche Existenz gesichert hatte. Dann wendeten sie ihre Boote, ruderten in fieberhafter Eile an Land zurück. Als sie das Ufer erreichten, dämmerte es bereits. Ohne die Boote festzumachen, hasteten sie in wilder Panik auf den Felsenhügel zu, um in der Höhle Schutz vor dem Tageslicht zu suchen. Da schlugen auch in dieser Richtung rote Flammen zum Himmel. Tom Bixby und Morus Sohn waren mit dem zweiten Benzinkanister zur Höhle gelaufen und hatten dort ebenfalls Feuer gelegt. Jetzt war die Panik der lebenden Skelette perfekt, denn sie begriffen, daß sie rettungslos verloren waren. Hilflos irrten sie am Strand hin und her, dem rasch zunehmenden Licht ausgesetzt, gegen das es für sie keinen Schutz mehr gab. Und dann verließ einen nach dem anderen die Kraft. Wimmernd stürzten die Monster zu Boden. Kurz darauf erhob sich die Sonne aus dem Meer und traf mit ihren goldenen Strahlen die im Sand liegenden Knochenmänner. Der zerstörende Einfluß des Tageslichts ließ die morschen Gerippe in Stücke zerfallen und dann zu Staub, den der vom Meer kommende Morgenwind verwehte. Die Geisterpiraten waren vernichtet, sie würden nie mehr Angst und
Schrecken verbreiten. Die Bewohner der Südseeinseln würden endlich aufatmen können. Auch Maggie atmete auf, als sie Jack gesund wiedersah. Sie wußte längst, daß sie den jungen Engländer liebte. Eine Stunde später war der Fischkutter für die Rückfahrt nach Pitcairn bereit. Tom Bixby und Faye Hunnicut waren bereits an Bord. Als Jack und Maggie ebenfalls an Bord klettern wollten, zogen Moru und sein Sohn rasch die Landeplanke ein. »He, was soll das?« rief der Brite befremdet. Da hörte er Tom höhnisch lachen. »Es bedeutet, daß ihr hier zurückbleiben müßt. Tut mir leid, aber es geht nicht anders. Ich lasse mich durch euch nicht um den Piratenschatz bringen.« »Aber ihr könnt uns hier doch nicht aussetzen!« rief Jack erschrocken. »Das kann nicht dein Ernst sein.« »Doch«, erklärte Tom hart und richtete seine Browning auf den Briten. »Ich denke nicht daran, euch auf meine Kosten mitzunehmen. Ich schieße euch nieder, wenn ihr versucht, an Bord zu kommen.« Moru hatte bereits den Motor angelassen. Schon setzte sich der wendige Kutter in Bewegung, drehte vom Ufer ab und nahm Kurs auf die Korallenbänke draußen vor der Bucht. »Die sind wir los«, sagte Bixby zufrieden. Er stand neben seiner Komplizin und winkte den Zurückbleibenden mit höhnischem Grinsen zu. »Da niemand erfahren wird, daß die Teufelspiraten ausgerottet sind, wird sich auch niemand auf diese Insel wagen, der die beiden mitnehmen könnte. Das bedeutet, daß sie uns keinen Schaden bringen können.« Wenig später tauchten vor dem Kutter die gefährlichen Felsklippen auf. Der Polynesier würde wieder seine ganze Geschicklichkeit aufwenden müssen, um sie zu meistern. Er drehte den Kopf nach seinen Passagieren und wollte ihnen zurufen, daß sie sich nun gut festhalten müßten. Da bemerkte er den seltsamen Blick, den sie sich hinter seinem Rücken zuwarfen. Es war ein Blick, der nackte Furcht in ihm aufsteigen ließ, denn er begriff sofort, daß Tom Bixby eine schreckliche Absicht hatte. Er würde den Piratenschatz nicht, wie unter vier Augen versprochen, mit ihm teilen, sondern ihn und seinen Sohn ermorden, sobald sie die Klippen hinter sich hatten. Im Moment konnte Moru nichts unternehmen. Er mußte seine ganze Aufmerksamkeit den mörderischen Riffen schenken. Dennoch war er nicht richtig bei der Sache.
Ohne daß er es verhindern konnte, geriet der Kutter in einen gefährlichen Strudel. Und da verlor Moru die Kontrolle über das Schiff. Es drehte sich im Kreis, krachte Sekunden später gegen ein Riff, dessen scharfe Felszacken es der Länge nach aufschlitzten. Schreiend stürzten die vier Menschen in die tobende Flut. Moru und sein Sohn versanken, ohne wieder zum Vorschein zu kommen. Nur Tom und Faye gelangten wieder an die Oberfläche. Während hinter ihnen das Wrack des Fischkutters samt der Schatztruhe in den wild schäumenden Fluten verschwand, versuchten sie verzweifelt, schwimmend ihr Leben zu retten. Tom kämpfte sich wenige Armlängen vor dem Mädchen durch das klippenreiche Wasser. Er dachte jetzt nur an sich selbst. Die Bucht erreichen - das war der einzige Gedanke, der wie rasend in seinem Kopf hämmerte. Plötzlich hörte er hinter sich einen irrsinnigen Schrei, einen Schrei, den er sofort zu deuten verstand. Faye hatte all ihre Kräfte verbraucht. Er sah sie noch kurz aus einem Wellental auftauchen, bevor die wilde See sie packte und gegen eine Klippe warf. Tom kämpfte noch Minuten verbissen gegen das längst besiegelte Schicksal an. Dann erlahmten auch seine Kräfte. Die Wellen schlugen über ihm zusammen, als er Faye in den Tod folgte. Jack und Maggie hatten die Schiffskatastrophe und das schreckliche Ende ihrer Gefährten aus der Ferne miterlebt. Mit versteinert wirkenden Gesichtern blickten sie sich jetzt an. »Vielleicht mußte es so kommen«, sagte er leise. »Die Insulaner haben stets behauptet, daß jeder den Tod finden wird, der Captain Blackbeards Beute an sich bringen will. Nun ist der Schatz wohl für immer verloren.« »Ich trauere ihm nicht nach«, erklärte Maggie mit ehrlicher Überzeugung. »Aber was wird jetzt aus uns beiden?« »Wir haben keine andere Wahl, als hierzubleiben und zu hoffen, daß eines Tages doch irgendein Schiff vorbeikommt und uns mitnimmt. Andernfalls müssen wir den Rest unserer Tage auf dieser Insel verbringen.« »Findest du diesen Gedanken sehr schlimm?« »Nein«, antwortete er, zog das Mädchen an sich und küßte es. »Nicht, wenn du bei mir bist. In dir habe ich nämlich wirklich einen Schatz gefunden.« In Maggies Gesicht stahl sich ein Lächeln. Ihre Augen leuchteten glücklich. »O Jack, ich glaube, wir werden die Zivilisation nicht vermissen. Jetzt, da
es hier keine Gefahr mehr gibt, wird diese Insel das Paradies für uns sein.« Eng umschlungen schritt das junge Paar auf die schlanken Palmen zu, deren Häupter sich im Wind wiegten.
ENDE Nicht immer muß sich der Horror um Vampire, Werwölfe und Ghouls drehen. Auch aus Unvernunft und Rüstungswahn gedeihen Katastrophen, die dem fiktiven Horror in nichts nachstehen. Der Mensch als Schöpfer seiner eigenen Geißel - ein Thema, das der bekannte und preisgekrönte Autor Wolfgang Hohlbein schon vor 9 Jahren in einem Roman verarbeitete. Ein Killersatellit stürzt ab, mitten im tiefsten südamerikanischen Dschungel. Und plötzlich geschehen Dinge, die den Menschen das Blut in den Adern gefrieren lassen. Der Wald stirbt, in einem Umkreis von zehn Meilen. Ein Pesthauch des Todes vernichtet Pflanzen und Tiere. Die meisten jedenfalls. Doch einige Arten passen sich an. Und verändern sich.
DER ACHTBEINIGE TOD Ein Roman von Wolfgang Hohlbein, den Sie sich nicht entgehen lassen sollten! Erleben Sie einen der ersten Romane des großen Autors neu exklusiv im DÄMONEN-LAND!