Springer-Lehrbuch
Friedrich Breyer Peter Zweifel Mathias Kifmann
Gesundheitsökonomik Fünfte, überarbeitete Auflage mit 60 Abbildungen und 47 Tabellen
123
Professor Dr. Friedrich Breyer Universität Konstanz Fachbereich Wirtschaftwissenschaften, Fach D135 78457 Konstanz e-mail:
[email protected] Professor Dr. Peter Zweifel Universität Zürich Sozioökonomisches Institut, Hottingerstraße 10 CH-8032 Zürich e-mail:
[email protected] Dr. rer. pol. Mathias Kifmann Universität Konstanz Fachbereich Wirtschaftwissenschaften, Fach D136 78457 Konstanz e-mail:
[email protected]
Ursprünglich erschienen unter dem Titel: Gesundheitsökonomie
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
ISBN 3-540-22816-0 5.Auflage Springer Berlin Heidelberg New York ISBN 3-540-44067-4 4. Auflage Springer Berlin Heidelberg New York
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Gedruckt auf säurefreiem Papier – 43/3130 – 5 4 3 2 1 0
Vorwort
Vorwort zur 5. Auflage Zu unserer großen Freude war die 4. Auflage bereits nach kurzer Zeit vergriffen. Wir nutzen diese Chance, um das Buch emeut zu verbessern und zu aktualisieren. Eine Änderung wird dem mit vorigen Auflagen vertrauten Leser sofort ins Auge fallen. Mit dem neuen Titel „Gesundheitsökonomik" (statt „Gesundheitsökonomie") machen wir deutlich, dass wir Gesundheit und das Gesundheitswesen mit wirtschaftswissenschaftlichen Methoden untersuchen. Eine weitere Änderung betrifft das Schriftbild. Diese Auflage wurde mit L5TpX gestaltet. Wir hoffen, dass das Lesen, insbesondere der Abschnitte mit Formeln, dadurch angenehmer geworden ist. Inhaltlich haben wir dieses Buch an vielen Stellen überarbeitet. Auf vielfachen Wunsch haben wir auch die Anzahl der Übungsaufgaben erheblich ausgeweitet. Hervorheben möchten wir die neuen Abschnitte 5.5 und 14.4.3, die sich mit der Reform des deutschen Krankenversicherungssystems befassen. Wir erörtern dabei verschiedene Reformvorschläge für die gesetzliche Krankenversicherung wie die Ausweitung des Versichertenkreises im Rahmen einer Bürgerversicherung, den Umstieg auf „Kopfpauschalen" und die Einführung von Kapitaldeckung. Wertvolle Hinweise zur Überarbeitung dieses Buchs erhielten wir diesmal von Stefan Felder, Laszlo Goerke, Andreas Haufler, Tobias Laun, Normann Lorenz, Maximilian Rüger, Florian Scheuer, Carlo Schultheiss, Sven Stöwhase, Maurizio Tagli, Silke Übelmesser und Matthias Wrede. Besonders möchten wir Kristin Grabe für ihre Verbesserungsvorschläge danken. Großen Anteil an der technischen Anfertigung des Manuskripts hatten Christine Holzem, Tobias Laun und Maximilian Rüger.
Konstanz und Zürich, Juli 2004
Friedrich Breyer Peter Zweifel Mathias Kifinann
vi
Vorwort
Vorwort zur 1. Auflage Zur Thematik Seit den sechziger Jahren ist die Gesundheitsökonomie als Teildisziplin der Wirtschaftswissenschaften in den angelsächsischen Ländern wohletabliert, und im letzten Jahrzehnt sind in englischer Sprache mindestens ein Dutzend Gesamtdarstellungen dieses Gebiets, meist als Lehrbücher, erschienen. Im deutschen Sprachraum ist der Beginn etwa ein Jahrzehnt später anzusetzen, und eine umfassende LehrbuchDarstellung der Gesundheitsökonomie fehlt noch. Die Abhandlung gesundheitsökonomischer Probleme in Lehrbüchern der Sozialpolitik ist in der Regel recht kurz und beschränkt sich fast ausschließlich auf eine Beschreibung des Systems der Gesetzlichen Krankenversicherung. Mit diesem Lehrbuch wird also in doppelter Hinsicht Neuland betreten: Zum einen werden immer wieder alternative denkbare institutionelle Arrangements - ob sie in der Realität bereits vorkommen oder nicht - miteinander verglichen. Zum anderen steht die problemorientierte Anwendung des mikroökonomischen Instrumentariums auf Fragen des Gesundheitswesens im Vordergrand, wobei auch immer wieder empirische Evidenz zur Überprüfung der Ergebnisse herangezogen wird. Zu den Lemzielen Unter Gesundheitsökonomie verstehen die Autoren dieses Lehrbuches die systematische Anwendung ökonomischer Analysekonzepte - vor allem aus der mikroökonomischen Theorie - auf Probleme der Aufteilung von knappen Produktionsfaktoren innerhalb des Gesundheitswesens sowie zwischen diesem und anderen Wirtschaftsbereichen. Es soll gezeigt werden, wie man mit ökonomischen Begriffen wie Angebot und Nachfrage, Geldwert oder Produktionsfunktion auch Phänomene wie Gesundheit und Länge des Lebens erfassen kann, von denen vielfach geglaubt wird, daß sie sich ökonomischen Kategorien entziehen. Damit sind gleichzeitig auch die Lernziele dieses Lehrbuches umrissen: Nach der Lektüre soll der Leser in der Lage sein, durch Anwendung des in der (mikro)ökonomischen Theorie erlernten Instrumentariums auf Entscheidungssituationen, die mit Gesundheit und Gesundheitsleistungen zu tun haben, die Besonderheiten der betreffenden Güter und Märkte herauszuarbeiten, aber auch das Vergleichbare zu erkennen und entsprechende Wohlfahrtsaussagen abzuleiten. Der systematische Einsatz der mikroökonomischen Theorie verlangt dabei auch die Kenntnis der entsprechenden formal-mathematischen Hilfsmittel, wie sie in den Lehrbüchern zur Mathematik für Wirtschaftswissenschaftler dargestellt werden.
Vorwort
vii
Zu den Autoren Wie ein Blick ins Inhaltsverzeichnis dem Leser sofort deutlich macht, hat sich die Gesundheitsökonomie inzwischen zu einem recht großen und heterogenen Gebiet entwickelt. Daher ist es für den einzelnen Wissenschaftler heute schwer, auf jedem einzelnen der Teilbereiche ein Experte zu sein. Aus diesem Grand erwies es sich als hilfreich, daß dieses Lehrbuch von zwei Autoren mit unterschiedlichen Forschungsschwerpunkten in Kooperation verfaßt wurde. Prof. Dr. Peter Zweifel (Universität Ziirich) hat die Kapitel 3, 4, 8, 10 und 11 geschrieben, Prof. Dr. Friedrich Breyer die Kapitel 2, 5, 6, 7 und 9, und die Kapitel 1 und 12 sind Ergebnis einer echten Gemeinschaftsarbeit. Jeder Autor hat jedoch auch die Kapitel des anderen mehrmals sorgfältig und kritisch gelesen, und der hier präsentierte Text ist das Ergebnis intensiver Diskussionen darüber. Insofern fühlen sich beide Autoren für das gesamte Lehrbuch verantwortlich, während die Reihenfolge ihrer Nennung im Titel des Werks das Ergebnis eines Zufallsmechanismus ist. Die gemeinsame Produktion durch einen schweizerischen und einen deutschen Autor bringt es auch mit sich, daß statistische Daten und institutionelle Details vorwiegend aus dem Gesundheitswesen dieser beiden Länder entnommen wurden. Die österreichischen (und alle übrigen) Leser dieses Lehrbuches mögen uns dies nicht als Geringschätzung ihres Landes auslegen. Danksagungen Zahlreiche Personen haben maßgeblich am Entstehen dieses Lehrbuchs mitgewirkt. Unser Kollege Prof. Dr. J.-Matthias Graf v. d. Schulenburg (Hannover) hat sich die Mühe genommen, das ganze Manuskript im letzten Stadium vor dem Erscheinen gründlich durchzusehen und zahlreiche Verbesserungsvorschläge zu formulieren. Wertvolle Hinweise zu Teilen des Werks erhielten wir von Frau Dipl.-Vw. Anette Boom (Konstanz), Herrn Dr. Peter F. Clever (Hagen), Herrn lic.oec. Matteo Ferrari (Zürich), Herrn Dr. Massimo Filippini (Zürich), Prof. Dr. Robert E. Leu (Bern), Prof. Dr. Carl Hampus Lyttkens (Lund) und Frau Dipl.-Kffr. Birgit Sudhoff (Hagen). Die mühselige Arbeit der technischen Herstellung des mit FrameMaker ®, einer NeXTstation druckfertig vorbereiteten Textes oblag Herrn lic.oec. Luca Crivelli, Herrn Dipl.-Kfm. Stefan Illmer, Frau Hanni Jeggli, Herrn stud.oec. Markus B. Meier, Frau lic.oec. Sandra Nocera und Herrn stud.oec. Jean-Robert Tyran, (alle Zürich). Ihnen allen gilt unser herzlicher Dank.
Konstanz und Zürich, Mai 1992
Friedrich Breyer PeterZweifel
Inhaltsübersicht
Vorwort Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis Tabellenverzeichnis
v xi xxv xxix
1
Einleitung
1
2
Zur ökonomischen Bewertung von Leben und Gesundheit
3 4 5 6
Das Individuum als Produzent seiner Gesundheit Empirische Untersuchungen zur Gesundheitsproduktion Besonderheiten von Gesundheitsgiitern und ihre allokativen Konsequenzen Optimale Ausgestaltung von Krankenversicherungsverträgen
173 221
7 8
Risikoselektion im Krankenversicherungswettbewerb Der Arzt als Anbieter medizinischer Leistungen
273 331
19 73 127
9 Krankenhausleistungen 10 Optimale Vergütung von Leistungserbringern
353 381
11 Organisationsformen der medizinischen Versorgung
431
12 13 14 15
451 485 507 549
Der Arzneimittelmarkt Die Politische Ökonomie des Gesundheitswesens Herausforderungen an das Gesundheitswesen Wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen
Literaturverzeichnis Autorenverzeichnis Sachverzeichnis
559 577 585
Inhaltsverzeichnis
1
Vorwort
v
Inhaltsübersicht
ix
Abbildungsverzeichnis
xxv
Tabellenverzeichnis
xxix
Einleitung
1
1.1
Gesundheit - ein unbezahlbares Gut?
1
1.2
Einzel- und gesamtwirtschaftliche Betrachtungsweisen der Gesundheit
4
1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.3
Eine vereinfachte einzelwirtschaftliche Sicht der Gesundheit
4
Das Gesundheitswesen auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene
7
Die Problematik der Globalsteuerung: Das Beispiel der gesamtwirtschaftlichen Gesundheitsquote
8
„Ökonomik der Gesundheit" vs. „Ökonomik des Gesundheitswesens": ein erster Überblick
11
1.3.1
Ökonomik der Gesundheit
11
1.3.2
Gesundheit und Konsum von Gesundheitsleistungen
12
1.3.3
Ökonomik des Gesundheitswesens
13
1.4
Eine Systemanalyse des Gesundheitswesens
14
1.5
Zusammenfassung des Kapitels
17
Inhaltsverzeichnis
Zur ökonomischen Bewertung von Leben und Gesundheit
19
2.1
Anwendungsbereiche der Bewertung von Leben und Gesundheit...
19
2.2
Verfahren der Evaluation im Gesundheitsbereich
21
2.3
Kosten-Nutzwert-Analyse
25
2.3.1
Konzepte der Nutzenmessung
25
2.3.2
Das Konzept der QALYs
26
2.3.2.1
Die Berechnung der QALYs
26
2.3.2.2
Entscheidungstheoretische Fundierung
28
2.3.2.3
QALYs und Konsum
31
2.3.2.4
Aggregation der QALYs und Prinzipien der kollektiven Entscheidung
33
2.3.3
2.4
Zur Nutzenbewertung der Gesundheitszustände
35
2.3.3.1
Die Bewertungsskala
35
2.3.3.2
Die Methode der zeitlichen Abwägung
36
2.3.3.3
Die Methode der Standard-Lotterie
37
Kosten-Nutzen-Analyse 2.4.1
Zur monetären Bewertung der Lebensdauer: Ethische Einwände und Rechtfertigungen 2.4.1.1 2.4.1.2
38 39
Einwände gegen die Aufrechnung des Lebens in Geld
39
Argumente gegen die Endlichkeit des Wertes des Lebens
41
2.4.2
Der Humankapitalansatz
43
2.4.3
Der Ansatz der Zahlungsbereitschaft
44
2.4.4
Aggregation der Zahlungsbereitschaften und Prinzipien der kollektiven Entscheidung
46
2.4.4.1
2.4.5
Kosten-Nutzen-Analyse und das potentielle Pareto-Kriterium
48
2.4.4.2
Kosten-Nutzen-Analyse bei vielen Maßnahmen...
48
2.4.4.3
Kosten-Nutzen-Analyse und gesellschaftliche Wohlfahrtsfunktionen
49
Die direkte Methode der Messung der Zahlungsbereitschaft: Fragebogenstudien
53
2.4.5.1
53
Grundsätzliche Probleme von Fragebogenstudien .
Inhaltsverzeichnis
2.4.6
xiii
2.4.5.2
Die Contingent-Valuation-Methode
55
2.4.5.3
Discrete-Choice-Experimente
59
Die indirekte Methode der Messung der Zahlungsbereitschaft: Auswertung von Marktdaten
62
2.5
Kosten-Nutzwert-Analyse und Kosten-Nutzen-Analyse im Vergleich 64
2.6
Zusammenfassung des Kapitels
67
2.7
Lektürevorschläge
69
2.Ü Übungsaufgaben
70
Das Individuum als Produzent seiner Gesundheit
73
3.1
Problemstellung
73
3.2
Zum Konzept der Gesundheitsproduktion
75
3.2.1
75
3.3
Grundsätzliche Betrachtungen
Die Gesundheit als Teil des Humankapitals
77
3.3.1
Darstellung
78
3.3.2
Die Nachfrage nach Gesundheit und medizinischen Leistungen
82
3.3.2.1 3.3.2.2 3.3.3 3.4
Die Nachfragefunktionen im reinen Investitionsgut-Modell
82
Die Nachfragefunktionen im reinen KonsumgutModell
84
Empirische Überprüfung
85
Gesundheitsproduktion als Einflussnahme auf einen Zufallsprozess
88
3.4.1
Unabhängigkeit von Nachfrage und Angebot?
89
3.4.2
Kurzfristige Optimierang und Zahlungsbereitschaft für Gesundheit
90
Ein Modell mit zustandsabhängigen Produktionsmöglichkeiten: die kurze Frist
94
3.4.3
3.4.3.1
Zustandsabhängige Optimierung in Zufallsprozess
94
3.4.3.2
Die Bestandteile des Modells
96
3.4.3.3
Bedingte Grenzen der kurzfristigen Produktionsmöglichkeiten
98
3.4.3.4
Zur Instabilität des Gesundheitsverhaltens
102
Inhaltsverzeichnis 3.4.4
3.4.5
Ein Modell mit zustandsabhängigen Produktionsmöglichkeiten: die längere Frist
104
3.4.4.1
Der längerfristige Trade-off bei guter Gesundheit . 105
3.4.4.2
Der längerfristige Trade-off bei schlechter Gesundheit
108
Komplementarität oder Substitutionalität in der Gesundheitsproduktion?
108
3.4.5.1
Bedeutung der Fragestellung
108
3.4.5.2
Substitutionalität im gesunden Zustand
109
3.4.5.3
Komplementarität im kranken Zustand
110
3.5
Zusammenfassung des Kapitels
111
3.6
Lektürevorschläge
112
3.A Anhang zu Kapitel 3
113
3.A.1 Anhang zu Abschnitt 3.3
113
3.A.2 Anhang zu Abschnitt 3.4
120
3.Ü Übungsaufgaben
125
Empirische Untersuchungen zur Gesundheitsproduktion
127
4.1
Überblick über die Fragestellungen
127
4.2
Untersuchungen anhand von aggregierten Daten
129
4.2.1
Mortalitätsraten als Erfolgsmaßstab?
129
4.2.2
Die Grenzproduktivität des Gesundheitswesens
130
4.2.2.1
Erste Evidenz aus den USA
130
4.2.2.2
Evidenz aus dem Vergleich von Industrieländern I
136
4.2.2.3
Evidenz aus dem Vergleich von Industrieländern II 139
4.2.2.4
Evidenz aus dem Vergleich von zwei Nachbarregionen
141
Gesundheitsproduktion in den schweizerischen Kantonen
143
4.2.2.5 4.2.3
Die Grenzproduktivität einzelner medizinischer Maßnahmen 145
4.2.4
Umwelt- und Konjunktureinflüsse auf den Gesundheitszustand
147
Inhaltsverzeichnis 4.3
Untersuchungen anhand von Individualdaten
151
4.3.1
Zur Messung des Gesundheitszustandes
151
4.3.2
Die Grenzproduktivität der medizinischen Infrastruktur auf individueller Ebene
152
Der Einfluss medizinischer Interventionen auf individueller Ebene
154
Umweltqualität und Gesundheitszustand
155
4.3.3 4.3.4
4.4
4.3.4.1
Luftqualität und Rauchen als exogene Faktoren . . . 155
4.3.4.2
Rauchen als endogener Faktor
158
Nachfrage nach Gesundheit, Nachfrage nach Gesundheitsleistungen 161 4.4.1
Wie sind individuelle Beobachtungen zu interpretieren? . . . . 161
4.4.2
Nachfrage nach medizinischen Leistungen als abgeleitete Nachfrage
163
4.5
Zusammenfassung des Kapitels
169
4.6
Lektürevorschläge
170
4.Ü Übungsaufgaben 5
xv
171
Besonderheiten von Gesundheitsgütern und ihre allokativen Konsequenzen
173
5.1
Problemstellung
173
5.2
Marktversagen auf den Märkten für Gesundheitsgüter 5.2.1 Externe Effekte, Kollektivgutproblematik und zunehmende Skalenerträge
175 175
5.2.2
Optionsgutcharakter medizinischer Leistungen
178
5.2.3
Gründe für das Fehlen von Konsumentensouveränität
179
5.2.3.1
Unfähigkeit zu rationaler Entscheidung
179
5.2.3.2
Minderschätzung zukünftiger Bedürfnisse
180
5.2.4 5.3
5.4
Unvollkommene Information auf Gesundheitsmärkten
181
Marktversagen auf den Märkten für Krankenversicherung
183
5.3.1
Trittbrettfahrerverhalten
183
5.3.2
Asymmetrische Information über das Krankheitsrisiko . . . . 185
Gerechtigkeit als Begründung für staatliche Eingriffe im Gesundheitswesen 5.4.1
Zahlungsfähigkeit und -willigkeit und der Zugang zu Gesundheitsgütern
187 188
xvi
Inhaltsverzeichnis 5.4.2
5.5
Angeborene Unterschiede in den Krankheitskosten und der Zugang zu Gesundheitsgütern 5.4.2.1
Umverteilung und der Schleier des Nichtwissens . 191
5.4.2.2
Möglichkeiten eines Ausgleichs zwischen niedrigen und hohen Risiken
Zur Gestaltung einer Sozialen Krankenversicherung 5.5.1 5.5.2
5.5.3 5.5.4
191
192 195
Die Soziale Krankenversicherung in Deutschland und der Schweiz
195
Zur Beitragsgestaltung in einer Sozialen Krankenversicherung
196
5.5.2.1
Die Beitragsbemessung in Deutschland
196
5.5.2.2
Die Beitragsbemessung in der Schweiz
198
Zum Versichertenkreis in einer Sozialen Krankenversicherung
198
Die Reform der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland
199
5.6
Zusammenfassung des Kapitels
203
5.7
Lektürevorschläge
204
5.A Anhang zu Kapitel 5 - Märkte für Krankenversicherung mit asymmetrischer Information
205
5.A.1 Modellannahmen
205
5.A.2 Heterogenes Krankheitsrisiko und öffentliche Information .. 206 5.A.3 Heterogenes Krankheitsrisiko und private Information
6
211
5.Ü Übungsaufgaben
218
Optimale Ausgestaltung von Krankenversicherungsverträgen
221
6.1
Problemstellung
221
6.2
Typen von Krankenversicherungsverträgen und ihre Anreizwirkungen
224
6.3
Optimaler Versicherangsschutz bei Abwesenheit von Moral Hazard 227 6.3.1
Rein finanzielle Krankheitsfolgen
227
6.3.1.1
Ein Modell mit nur zwei Gesundheitszuständen .. 229
6.3.1.2
Ein Modell mit beliebig vielen Gesundheitszuständen
232
6.3.2
Direkte Nutzenwirkungen der Krankheit
240
6.3.3
Fazit
243
Inhaltsverzeichnis 6.4
Optimaler Versicherungsschutz bei Ex-ante Moral Hazard
244
6.4.1
Optimale Vorbeugung ohne Versicherungsmöglichkeit
245
6.4.2
Optimum des Versicherten bei beobachtbarer Vorbeugung .. 247
6.4.3
Optimum des Versicherten bei nicht beobachtbarer Vorbeugung
248
Fazit
252
6.4.4 6.5
Optimaler Versicherangsschutz bei Ex-post Moral Hazard
253
6.5.1
Modellannahmen
253
6.5.2
Optimaler Versicherungsschutz bei beobachtbarem Gesundheitszustand
254
Optimaler Versicherungsschutz bei nicht beobachtbarem Gesundheitszustand
257
6.5.3.1
Ex-post Optimierung
258
6.5.3.2
Ex-ante Optimierung
259
6.5.3
6.5.4 6.6
Fazit
263
Der empirische Zusammenhang zwischen Versicherungsdeckung und Inanspruchnahme medizinischer Leistungen
264
Schlussfolgerungen für die Gestaltung einer sozialen Krankenversicherung
266
6.8
Zusammenfassung des Kapitels
268
6.9
Lektürevorschläge
269
6.7
7
xvii
6.Ü Übungsaufgaben
270
Risikoselektion im Krankenversicherungswettbewerb
273
7.1
Problemstellung
273
7.2
Risikoselektion
276
7.2.1
Direkte Risikoselektion
276
7.2.2
Indirekte Risikoselektion
278
7.2.2.1
Grundsätzliche Überlegungen
278
7.2.2.2
Indirekte Risikoselektion über den Leistungsumfang
279
Risikoselektion über die Leistungsstruktur
291
7.2.2.3
Inhaltsverzeichnis 7.3
7.4
Weitere Argumente fiir einen finanziellen Ausgleich zwischen Krankenversicherungen
297
7.3.1
Vermeidung von Prämienunterschieden
297
7.3.2
ChancengleichheitaufdemKrankenversicherungsmarkt . . . 298
7.3.3
Stabilisierung des Krankenversicherungsmarktes
Zur Ausgestaltung von Finanzausgleichssystemen
299
7.4.1
Grundsätzliche Anforderungen
299
7.4.2
Zur Ausgestaltung des Risikostrukturausgleichs
300
7.4.2.1
Zur Auswahl der Ausgleichsvariablen
300
7.4.2.2
Die Berechnung der Ausgleichszahlungen
304
7.4.3
7.5
298
Zur Ausgestaltung des Ausgabenausgleichs
309
7.4.3.1
Grundsätzliche Beurteilung
309
7.4.3.2
Die Bemessungsgrundlage des Ausgabenausgleichs
310
7.4.3.3
Die Form des Ausgabenausgleichs
310
7.4.3.4
Ergebnisse von empirischen Studien
315
Vermeidung von Risikoselektion in Deutschland und der Schweiz . 316 7.5.1
Gesetzliche Regelung des Aufnahmeprozesses
316
7.5.2
Regulierung des Leistungspakets
317
7.5.3
Finanzausgleichssysteme
319
7.5.4
Beurteilung
321
7.6
Zusammenfassung des Kapitels
323
7.7
Lektürevorschläge
325
7.Ü Übungsaufgaben
326
Der Arzt als Anbieter medizinischer Leistungen
331
8.1
Einleitung
331
8.2
Der Zusammenhang von Ärztedichte und Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen
332
Die These von der angebotsinduzierten Nachfrage nach ambulanten Arztleistungen
334
8.3
Inhaltsverzeichnis 8.4
8.5
xix
Nutzenmaximierung des Arztes und die ZieleinkommensHypothese
337
8.4.1
Ein Modell des ärztlichen Verhaltens
337
8.4.2
Komparative Statik des Modells
340
8.4.3
Einführung der Zieleinkommens-Hypothese
341
8.4.4
Reaktion auf eine Erhöhung der Ärztedichte in drei Situationen
342
Ärztedichte und Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen: alternative Erklärangen
345
8.6
Empirische Überprüfung der Hypothesen
347
8.7
Zusammenfassung des Kapitels
350
8.8
Lektürevorschläge
350
8.Ü Übungsaufgaben
351
Krankenhausleistungen
353
9.1
Problemstellung
353
9.2
Das Krankenhaus als Produktionsbetrieb
355
9.3
9.2.1
Der Krankenhaus-„Output": Gesundheit als latente Größe . 355
9.2.2
Der mehrstufige Charakter der Produktion im Krankenhaus
357
9.2.3
Die Heterogenität des Krankenhaus-Outputs
360
Der Krankenhausbetriebsvergleich
362
9.3.1
Regulierung bei asymmetrischer Information
362
9.3.2
Parametrische Krankenhaus-Kostenfunktionen
363
9.3.3
Nichtparametrische KrankenhausProduktionskorrespondenz
369
9.3.3.1
Data Envelopment Analysis
369
9.3.3.2
Effizienzvergleich schweizerischer Krankenhäuser
372
9.3.4
Abschließende Bemerkungen zum Krankenhausbetriebsvergleich
377
9.4
Zusammenfassung des Kapitels
378
9.5
Lektürevorschläge
378
9.Ü Übungsaufgaben
379
xx
10
Inhaltsverzeichnis
Optimale Vergütung von Leistungserbringern
381
10.1 Problemstellung
381
10.2 Ökonomische Theorie der Vergütung
383
10.2.1 Das Prinzip der vollständigen Kostenverantwortung
383
10.2.1.1 Das Grundmodell
383
10.2.1.2 Das first-best Vergütungssystem
384
10.2.1.3 Implementierung des first-best Vergütungssystems
385
10.2.2 Optimale Vergütung von risikoaversen Leistungserbringern
387
10.2.2.1 Beobachtbare Anstrengung
388
10.2.2.2 Nicht beobachtbare Anstrengung
390
10.2.3 Optimale Vergütung bei asymmetrischer Information über die Fallmischung 10.2.4 Optimale Vergütung und Qualitätsbereitstellung 10.2.4.1 Das Modell 10.2.4.2 Verifizierbare Qualität oder verifizierbarer Behandlungserfolg 10.2.4.3 Nicht verifizierbare Qualität und nicht verifizierbarer Behandlungserfolg 10.2.5 Optimale Vergütung und Selektion von Patienten 10.2.5.1 Das Modell
393 397 397 398 400 404 405
10.2.5.2 Optimale Vergütung bei symmetrischer Information über den Kostentyp des Patienten . . . . 408 10.2.5.3 Optimale Vergütung bei asymmetrischer Information über den Kostentyp des Patienten . . . . 409 10.2.6 Folgerungen für die Ausgestaltung von Vergütungssystemen 10.3 Die Vergütung von Ärzten
414 416
10.3.1 Ausgestaltungsformen von Honorierungssystemen
416
10.3.2 Optimale Vergütung von Ärzten
418
10.3.3 Die Vergütung von Ärzten in der Praxis
420
10.4 Die Vergütung von Krankenhäusern
420
10.4.1 Ausgestaltungsformen von Vergütungssystemen
420
10.4.2 Optimale Vergütung von Krankenhäusern
421
10.4.3 Die Vergütung von Krankenhäusern in der Praxis
422
Inhaltsverzeichnis
xxi
10.5 Zusammenfassung
424
10.6 Lektürevorschläge
425
10.Ü Übungsaufgaben
426
11 Organisationsformen der medizinischen Versorgung
431
11.1 Fragestellung
431
11.2 Der Arzt als Sachwalter des Patienten
435
11.3 Ergänzende Sachwalterbeziehungen im Gesundheitswesen
436
11.3.1 Der Arbeitgeber als ergänzender Sachwalter
436
11.3.2 Der Staat als ergänzender Sachwalter
437
11.3.2.1 Nationaler Gesundheitsdienst
437
11.3.2.2 Nationale Krankenversicherang
438
11.3.3 Der private Krankenversicherer als ergänzender Sachwalter 11.4 Die Health Maintenance Organization als altemative Form der Versorgung
439 440
11.4.1 Die HMO als ergänzender Sachwalter im Gesundheitswesen 440 11.4.2 Kostenvorteile der HMOs
441
11.4.3 Kostenwirkungen der HMOs auf der Ebene des Gesamtsystems
443
11.4.4 Abschließende Würdigung der HMOs
448
11.5 Zusammenfassung des Kapitels
449
11.6 Lektürevorschläge
449
1 l.Ü Übungsaufgaben
450
12 Der Arzneimittelmarkt
451
12.1 Problemstellung
451
12.2 Die Entwicklung eines neuen Arzneimittels
453
12.2.1 Die Konsumtechnologie eines Arzneimittels
454
12.2.2 Regulierung des Marktzutritts durch die Zulassungsbehörde 454 12.2.3 Einfluss einer Kostenbeteiligung des Patienten 12.3 Die Innovation als Investition
456 458
12.3.1 Der zeitliche Ablauf einer Arzneimittelinnovation
458
12.3.2 Erfolgswahrscheinlichkeiten und Innovationsausgaben
460
12.3.3 Lohnen sich pharmazeutische Innovationen?
461
xxii
Inhaltsverzeichnis 12.4 Die Rolle des Patentschutzes
464
12.4.1 Wozu ein Patentschutz?
464
12.4.2 Die Entscheidungssituation des Innovators
465
12.4.3 Die Patentschutzdauer aus der Sicht der Behörde
468
12.5 Preisregulierung der Arzneimittel
471
12.5.1 Gründe für eine Preisregulierung
471
12.5.2 Nationale Regulierungen im Konflikt mit globaler Optimierung
472
12.5.3 Arten der Preisregulierung und ihre Nebenwirkungen
474
12.5.3.1 Direkte Preisregulierung
474
12.5.3.2 Referenzpreise
474
12.5.3.3 Renditeregulierang
475
12.5.3.4 Arzneimittelbudgets
476
12.6 Der Preiswettbewerb bei Arzneimitteln
476
12.6.1 Preiswettbewerb trotz Versicherungsdeckung und Marktabschottung
477
12.6.2 Fallstudie: Die Festbeträge des Gesundheitsreformgesetzes 1989 in Deutschland
479
12.7 Zusammenfassung des Kapitels
482
12.8 Lektürevorschläge
483
12.Ü Übungsaufgaben
484
13 Die Politische Ökonomie des Gesundheitswesens 13.1 Problemstellung
485 485
13.2 Kollektiv finanzierte Gesundheitsversorgung in der Demokratie . . . 486 13.2.1 Modellannahmen
487
13.2.2 Die Entscheidung über privaten Zukauf
489
13.2.3 Entscheidungen über staatlichen Versicherungsschutz bei gegebenem Regime
490
13.2.3.1 Finanzierungsform K: Einheitliche Kopfpauschale
490
13.2.3.2 Finanzierungsform E: Einkommensproportionale Beiträge
491
13.2.4 Die Wahl der Finanzierungsform
492
13.2.5 Empirische Bedeutung der Modellergebnisse
493
Inhaltsverzeichnis 13.3 Die Rolle der Verbände im Gesundheitswesen
xxiii 495
13.3.1 Waram sind Berufsverbände im Gesundheitswesen so wichtig?
495
13.3.2 Funktionen der Verbände im Gesundheitswesen
497
13.3.2.1 Sicherang der Behandlungsqualität
498
13.3.2.2 Wahrnehmung von Aufgaben im Interesse politischer Entscheidungsträger
498
13.3.2.3 Sicherang der Einkommenschancen der Mitglieder
499
13.3.3 Wettbewerb der Leistungsanbieter, Wettbewerb der Verbände
501
13.4 Zusammenfassung des Kapitels
503
13.5 Lektürevorschläge
504
13.Ü Übungsaufgaben
505
14 Herausforderungen an das Gesundheitswesen
507
14.1 Fragestellung
507
14.2 Die technologische Herausfordemng
509
14.2.1 Die drei Arten von Innovation
509
14.2.2 Kriterien für eine optimale Allokation der Innovation
512
14.2.3 Verzerrungen der Kriterien auf aggregierter Ebene
515
14.3 Die demographische Herausforderung 14.3.1 Alterung der Bevölkerang
518 518
14.3.1.1 Verbesserte Kontrolle über den Gesundheitszustand als Aufgabe der Medizin?
518
14.3.1.2 Umverteilungswirkungen der Alterung
521
14.3.2 Veränderte Familienstruktur 14.4 Gesundheitsausgaben, Alter und medizinischer Fortschritt 14.4.1 Das „Sisyphus-Syndrom"
522 524 525
14.4.1.1 Ein einfaches dynamisches Modell
525
14.4.1.2 Zur empirischen Relevanz des SisyphusSyndroms
527
14.4.2 Prognose der Gesundheitsausgaben und Beitragssätze
530
xxiv
Inhaltsverzeichnis 14.4.3 Kapitaldeckung in der Krankenversicherung
534
14.4.3.1 Kapitaldeckung und Nachhaltigkeit
534
14.4.3.2 Kapitaldeckung in der Privaten Krankenversicherung in Deutschland
535
14.4.3.3 Kapitaldeckung in der Gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland?
539
14.5 Internationale Herausforderungen
540
14.5.1 Die Integration der Versicherungsmärkte
540
14.5.2 Migration von Beschäftigten des Gesundheitswesens
541
14.5.3 Internationale Direktinvestitionen in Krankenhäuser
542
14.6 Zusammenfassung des Kapitels
544
14.Ü Übungsaufgaben
546
15 Wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen
549
15.1 Gesundheit als ökonomisches Gut
549
15.2 Wettbewerb oder Regulierung im Gesundheitswesen?
550
15.3 Gesundheitspolitische Empfehlungen im einzelnen
552
15.3.1 Versicherte und Patienten
552
15.3.2 Gestaltung der Krankenversicherung
553
15.3.3 Der Markt für ärztliche Leistungen
555
15.3.4 Der Markt für Krankenhausleistungen
556
15.3.5 Der Markt für Arzneimittel
557
15.4 Reformprogramme aus einem Guss?
557
Literaturverzeichnis
559
Autorenverzeichnis
577
Sachverzeichnis
585
Abbildungsverzeichnis
1.1
Gesundheit, Konsum und optimale Gesundheitsquote
5
1.2
Technologischer Wandel in der Medizin und Veränderung der optimalen Gesundheitsquote
9
1.3
Eine Systemanalyse des Gesundheitswesens
15
2.1
QALYs als Bindeglied zwischen Lebenslänge und-qualität
27
2.2
Der Zielkonflikt zwischen Gleichverteilung und Gesamtzahl an QALYs
35
2.3
Zeitliche Abwägung zur Bewertung von Gesundheitszuständen . . . .
36
2.4
Standard-Lotterie zur Bewertung von Gesundheitszuständen
37
2.5
Kosten-Nutzen-Analyse und Nettovorteile
47
2.6
Zeitliche Abwägung zur Bewertung von Gesundheitszuständen . . . .
52
2.7
Berechnung der Zahlungsbereitschaft aus einer Anteilsfunktion . . . .
56
3.1
Marginale Zahlungsbereitschaft für Gesundheit (kurzfristig)
93
3.2
Abfolge von Gesundheitszuständen als beeinflussbarer Zufallsprozess
95
Trade-offs zwischen Konsum und Gesundheit unter dem Einfluss exogener Veränderangen
99
3.3 3.4
„Instabilität" des Gesundheitsverhaltens
103
3.5
Längerfristige Trade-offs zwischen Konsum und gesund verbrachter Zeit
107
xxvi 4.1
Abbildungsverzeichnis Produktionsfunktion mit latenten Inputs und Outputs, 25 Schweizer Kantone
144
Der Gesundheitszustand als latente, endogene Bestimmungsgröße der Nachfrage nach medizinischen Leistungen
165
Darstellung von Versicherungsverträgen in einem Modell mit bedingten Ansprüchen
210
5.2
Vereinendes Gleichgewicht auf einem Versicherungsmarkt
213
5.3
Trennendes Gleichgewicht mit zwei Risikogruppen
214
5.4
Pareto-Verbesserung durch staatliche Zwangsversicherang und trennende Verträge
216
Überblick über Annahmen in der Theorie optimaler Krankenversicherungsverträge
223
6.2
Versicherangsleistung: Typen von Optima
230
6.3
Der optimale Versicherungsvertrag bei vielen möglichen Gesundheitszuständen
237
6.4
Ex-ante Moral Hazard I
251
6.5
Ex-ante Moral Hazard II
251
7.1
Versicherungsmarktgleichgewicht bei Risikodiskriminierung
281
7.2
Unmöglichkeit eines vereinenden Gleichgewichts
283
7.3
Existenz eines trennenden Gleichgewichts
285
7.4
Festlegung der Prämienhöhe
286
7.5
Gleichgewicht auf einem unregulierten Versicherungsmarkt
293
7.6
Risikoselektion über die Leistungsstruktur
295
8.1
Auswirkungen einer Zunahme des Ärzteangebots im „Normalfall" . 333
8.2
Angebotsinduzierte Nachfrage als Reaktion auf eine Angebotszunahme
335
Ärztedichte und Leistungsmenge pro Kopf bei Gültigkeit der Zieleinkommens-Hypothese
344
Auswirkungen einer Angebotsausweitung bei reguliertem Preis und Nachfrageüberhang
346
Pflegetage und Behandlungsfälle als Zwischenprodukte des Krankenhauses
358
Pflegetage als Input des Behandlungsprozesses
359
4.2 5.1
6.1
8.3 8.4 9.1 9.2
Abbildungsverzeichnis 9.3
xxvii
Die Vorhaltung von Betten als zusätzlicher Output des Krankenhauses
360
Verteilung der relativen Abweichungen der Kosten von den Normkosten
368
9.5
Grafische Erläuterung der DEA
371
9.6
Skalenineffizienz und reine technische Ineffizienz
372
9.7
Histogramm der DEA-Ineffizienz schweizerischer Krankenhäuser .. 373
9.4
10.1 Optimales Anstrengungsniveau des Leistungserbringers
385
10.2 Die kritische Behandlungsgrenze des Sachwalters
407
10.3 Die Behandlungsentscheidung des Leistungserbringers
411
11.1 Sachwalterbeziehungen als Organisationsmerkmal des Gesundheitswesens
433
11.2 Verwendung der Beitragseinnahmen einer typischen HMO vom Vertragsnetztyp
442
12.1 Konsumtechnologie von drei Rheumamitteln
455
12.2 Pharmakologische und wirtschaftliche Aspekte einer pharmazeutischen Innovation
457
12.3 Der Werdegang eines Arzneimittels
459
12.4 Wahre und beobachtbare Zahlungsbereitschaft
463
12.5 Iso-Gewinnkurve, Grenzkosten der Innovationsanstrengungen und Herleitung der Reaktionsfunktion des Innovators
468
12.6 Optimale Patentschutzdauer im Gleichgewicht
470
13.1 Entwicklung der Ärztedichte und der relativen Ärzteeinkommen . . . . 500 14.1 Veränderang der Überlebenskurve am Beispiel Deutschlands (Männer)
518
14.2 Veränderung der Überlebenskurve am Beispiel Deutschlands (Frauen)
519
14.3 Kinder, Erwerbstätige und Rentner in der deutschen Gesetzlichen Krankenversicherung
521
14.4 Prognostizierte Entwicklung des Beitragssatzes
533
14.5 Durchschnittseinkommen von Allgemeinpraktikern in Deutschland, Frankreich und England sowie von Ärzten in Kanada und USA . . . . 543
Tabellenverzeichnis
1.1
Gesundheitsausgaben als Anteil am Bruttoinlandsprodukt (in Prozent)
2.1
Hitliste medizinischer Interventionen: Kosten je gewonnenem QALY (Großbritannien, Preise in £ von 1990)
23
3.1
Das Grossman-Modell
81
3.2
Übergangswahrscheinlichkeiten und Zustandswahrscheinlichkeiten .
89
3.3
Ein Modell der zustandsabhängigen Gesundheitsproduktion
97
4.1
Entwicklung der Lebenserwartung bei Geburt in einigen Ländern . . . 128
4.2
Bestimmungsgründe der Sterblichkeit in 48 US-Bundesstaaten, 1960 133
4.3
Eine einfache Produktionsfunktion für Gesundheit und ihre empirische Schätzung, Teil 1
134
Eine einfache Produktionsfunktion für Gesundheit und ihre empirische Schätzung, Teil 2
135
Bestimmungsgründe spezifischer Mortalitätsraten in 18 Industrieländern, um 1970
137
Geschätzte Gesundheitsproduktionsfunktionen mit konstanter Elastizität, 1985
140
4.4 4.5 4.6 4.7
2
Sterblichkeit und einige mögliche Einflussfaktoren in Nevada und Utah, 1970
142
4.8
Mortalitätsraten in England und Wales sowie Schottland, 1954-76 .. 149
4.9
Geschätzte Einflüsse auf klinische Gesundheitsindikatoren, USA um 1960
153
4.10 Einfluss der Luftqualität auf den Gesundheitszustand, USA 1976 . . . 156 4.11 Luftqualität und Rauchen in der Gesundheitsproduktion, USA 1979 . 159 4.12 Gesundheitsproduktion in der Schweiz, 1980
166
c
Tabellenverzeichnis
5.1
Die Reformvorschläge im Überblick
201
5.2
Modell eines Versicherungsmarktes mit heterogenen Krankheitsrisiken
206
Das Grundmodell der optimalen Krankenversicherung bei Abwesenheit von Moral Hazard
228
6.2
Optimale Versicherung und Kosten der Versicherung
240
6.3
Ein Modell der optimalen Vorbeugung und des optimalen Versicherungsschutzes
246
Optimaler Versicherungsschutz und optimale Nachfrage nach medizinischen Leistungen
255
7.1
Beispiel zur Berechnung der RSA-Zahlungen
305
7.2
Durchschnittsausgaben der RSA-Zellen
306
7.3
Ausgaben der Personen ohne und mit RSA
308
8.1
Ein Modell des Arztverhaltens
339
9.1
Krankenhausausgaben als Anteil an den gesamten Gesundheitsausgaben (in Prozent)
354
9.2
OLS-Schätzergebnisse für Krankenhauskosten
366
9.3
Random-Effects-Schätzung der Ineffizienz, Schweizerische Krankenhäuser 1993-1996
374
6.1
6.4
9.4
Schätzmethoden bei kombinierten Längs- und Querschnittsdaten . . . 376
10.1 Das Grundmodell der Vergütung
386
10.2 Optimale Vergütung von risikoaversen Leistungserbringern bei nicht beobachtbaren Anstrengungen
388
10.3 Optimale Vergütung bei asymmetrischer Information über die Fallmischung
394
10.4 Optimale Vergütung und Qualitätsbereitstellung
399
10.5 Optimale Vergütung und Selektion von Patienten
406
11.1 Struktur der medizinischen Leistungen und der Ausgaben im Vergleich, 1983
443
11.2 Verschiebung der Kosten durch das Krankenhaus
445
12.1 Innovationsaufwand und Patentschutzdauer als simultan zu bestimmende Entscheidungsvariablen
467
13.1 Verteilung der Haushaltstypen
488
Tabellenverzeichnis
xxxi
14.1 Die drei Innovationsarten in einem Zweiperioden-Modell
513
14.2 Kosten pro gewonnene QALY in £, verschiedene Innovationen
515
14.3 Durchschnittlicher Lebensnettotransfer der Mitglieder der Gesetzlichen Krankenversicherung seit 1900 (Modellrechnungen), in konstanten DM
523
14.4 Anteil von Einpersonen-Haushalten in ausgewählten Industrieländern 524 14.5 Modell des Sisyphus-Syndroms im Gesundheitswesen
526
14.6 OLS-Schätzung der Determinanten der Gesundheitsausgaben (alte Bundesländer 1970-95)
531
14.7 Prognostizierte Entwicklung der erklärenden Variablen (alte Bundesländer 2000-2040)
532
Einleitung
1.1 Gesundheit - ein unbezahlbares Gut? Wenn man versucht, zwischen den Begriffen „Gesundheit" und „Ökonomik" eine Verbindung herzustellen, so fallen einem wohl als erstes zwei Allgemeinplätze ein: 1. „Gesundheit ist das höchste Gut, und um die Gesundheit zu erhalten, ist nichts zu teuer." 2. „Das Gesundheitswesen ist in einer Krise: Wenn die Kosten weiter im bisherigen Tempo steigen, können wir uns die Gesundheit bald nicht mehr leisten." Beide Aussagen, so konträr sie auf den ersten Blick erscheinen, stimmen doch in einem Punkt überein, denn beide behaupten, dass Gesundheit „unbezahlbar" sei. Nun hat das Wort „unbezahlbar" zwei Bedeutungen, und in jeder der beiden Aussagen steht eine andere Bedeutung im Vordergrund, nämlich 1. „unendlich wertvoll" und 2. „sehr teuer". Wenn man fragt, warum sich Ökonomen mit dem Thema „Gesundheit" beschäftigen sollten, dann steht vermutlich bei den meisten der zweite Aspekt im Vordergrund, und in der Tat liefert dieser allein schon ausreichenden Anlass, das Gesundheitswesen näher unter die Lupe zu nehmen: In allen westlichen Industrieländern haben die Ausgaben für Gesundheit in den vier zurückliegenden Jahrzehnten (also den 60er bis 90er Jahren) stark expandiert - nicht nur in absoluten Zahlen, sondern auch als Anteil amjeweiligen Bruttosozialprodukt (vgl. Tabelle 1.1). Eine 1975 in Deutschland vom damaligen rheinland-pfälzischen Sozialminister Heiner Geißler vorgenommene Modellrechnung zeigte, dass bei ungebrochenem Wachstumstrend noch vor Ende des 21. Jahrhunderts das gesamte deutsche Sozialprodukt vom Gesundheitswesen aufgezehrt werden würde. Diese sogenannte „Kostenexplosion" hat in der Folgezeit in Deutschland zu einer Reihe von gesetzgeberischen Maßnahmen - vom „KrankenversicherungsKostendämpfungsgesetz" (1977) bis zum „Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz" (2003) - geführt, die alle das erklärte Ziel hatten, den Anstieg des „Beitrags-
1 Einleitung Tabelle 1.1. Gesundheitsausgaben als Anteil am Bruttoinlandsprodukt (in Prozent) Jahr Bundesrepublik Deutschland Frankreich Großbritannien Italien Japan Kanada Österreich Schweden Schweiz USA
1960 4,8 4,1 3,9 3,6 3,0 5,4 4,3 4,5 4,9 5,0
1970 6,2 5,7 4,5 5,1 4,5 7,0 5,3 6,7 5,6 6,9
1980 8,7 7,4 5,6 7,0 6,4 7,1 7,6 8,8 7,6 8,7
1990 8,5 8,6 6,0 8,0 5,9 9,0 7,1 8,2 8,5 11,9
2000 10,6 9,3 7,3 8,2 7,7 9,2 7,7 8,4 10,7 13,1
Quelle: OECD (2001,2002,2003)
satzes", also des Anteils des Lohneinkommens, den abhängig Beschäftigte zur sozialen Krankenversicherung abführen müssen, zu bremsen. Das Problem eines rasanten Anstiegs der Ausgaben für Gesundheit und das Bewusstsein einer „Krise" des Gesundheitswesens mit der Konsequenz staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung dieser Entwicklung hat aber auch vor anderen Ländern wie den USA nicht Halt gemacht, in denen eine soziale Krankenversicherung für die Gesamtbevölkerung gar nicht existiert.' Nun ist die Gesundheitsversorgung nicht das einzige Beispiel für Gtiter, die sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verteuert haben. Man denke etwa an ein Paar Schuhe oder an einen Haarschnitt. Dennoch hat man bis heute noch nichts von einer „Krise in der Haarpflege" gehört, und die Medien haben der Gefahr, dass wir vielleicht eines Tages barfuß laufen müssen, längst nicht die gleiche Aufmerksamkeit gewidmet wie dem Schreckensbild, dass wir uns die Rrankenhausbehandlung nicht mehr leisten können. Versucht man, das Besondere an der Gesundheitsversorgung aufzuspüren, das solche Vergleiche (zumindest bisher) verhindert hat, so stößt man vor allem auf die folgenden drei Merkmale. 1. Größe des Gesundheitswesens: Das Gesundheitswesen ist ein Wirtschaftszweig von beträchtlicher Größe. Sein Anteil am Bruttoinlandsprodukt liegt (abhängig vom Messverfahren und von der Abgrenzung) in den meisten westlichen Industrieländern heute bei knapp 10% (vgl. Tabelle 1.1). Dies bedeutet auf der anderen Seite, dass eine große Zahl von Menschen diesem Wirtschaftszweig ihr Einkommen verdanken. Diese Tatsache allein mag schon als Argument dafür gelten, dass einige Ökonomen sich auf diesem Gebiet Fachkenntnisse erwerben und diesen Wirtschaftszweig näher untersuchen. Vorbilder hierfür sind etwa die Agrar-, Energie-, Verkehrs- und neuerdings die Tourismusökonomik. 'ln den USA existieren dafür direkt aus dem Staatshaushalt finanzierte Programme für die medizinische Versorgung der Rentner („Medicare") und der Sozialhilfeempfänger („Medicaid").
1.1 Gesundheit - ein unbezahlbares Gut?
3
2. Staatliche Regulierung des Gesundheitswesens: Wichtiger noch als der Hinweis auf die Größe scheint uns der Umstand zu sein, dass dieser Wirtschaftszweig in erheblichem Umfang staatlich reguliert ist. Man denke an die in vielen Ländern bestehende Versicherungspflicht, an die durch den Gesetzgeber vorgeschriebenen Leistungskataloge der sozialen Krankenversicherung, an die z.T. staatlich verordneten Gebührenordnungen sowie an die in Großbritannien und Italien existierenden nationalen Gesundheitsdienste, wo nahezu sämtliche Gesundheitsleistungen von festbesoldeten Angestellten des Staates erbracht werden. Diese weitgehende Ausschaltung der Marktkräfte wirft unmittelbar die Frage auf, ob auf diese Weise eine optimale Allokation knapper Ressourcen erreicht werden kann. 3. Konflikte zwischen verschiedenen Betrachtungsweisen: Schließlich erweckt Gesundheit und alles, was mit ihr zusammenhängt, in weit größerem Maße Emotionen als andere menschliche Bedürfnisse, womit wiederum die erste der beiden oben genannten Bedeutungen des Begriffs „unbezahlbar" angesprochen ist. Damit sind Ökonomen aufgefordert zu untersuchen, welche Allokationsregeln dem speziellen Charakter dieser Gruppe von Bedürfnissen am ehesten gerecht werden. Insbesondere geht es hier um die Frage, ob es einen Konflikt zwischen der ökonomischen und der ethischen Betrachtungsweise gibt, wenn iiber die Aufteilung knapper Ressourcen innerhalb des Gesundheitswesens sowie zwischen Gesundheit und anderen Bedürfnissen entschieden werden muss. Man sollte sich dennoch durch den Begriff der „Kostenexplosion" im Gesundheitswesen - zutreffender wäre „Ausgabenexplosion", da es sich nicht um ein immer gleiches Güterbündel handelt - den Blick nicht zu stark verengen lassen. Nicht die Entwicklung der Ausgaben in diesem Wirtschaftssektor ist das aus wohlfahrtstheoretischer Sicht Problematische, sondern allenfalls ihre absolute Höhe, eher noch ihre Struktur: Das ökonomische Prinzip verlangt allgemein, dass ein gegebenes Maß an Bedürfnisbefriedigung mit möglichst geringem Aufwand an knappen Ressourcen erreicht wird. Wenn nun die Bedürfnisse nach einer Gruppe von Gütern oder Leistungen stark steigen - wie es bei Dienstleistungen in den letzten Jahrzehnten ganz allgemein der Fall war -, so ist es möglich, dass trotz eines hohen Grades an Wirtschaftlichkeit der Gesamtaufwand an Ressourcen und damit die Gesamtausgaben stark expandieren. Umgekehrt folgt aus dem Schrumpfen eines Wirtschaftssektors noch lange nicht, dass dort effizient produziert wird. Folgerung 1.1 Aus ökonomischer Perspektive wird man sich weniger mit Ausgabengrößen beschäftigen als mit den Regeln, nach denen die Mittelverteilung im Gesundheitswesen erfolgt. Denn diese lassen Schlüsse darauf zu, ob die beteiligten Akteure - sowohl Anbieter als auch Nachfrager von Gesundheitsgütern - Anreize zur wirtschaftlichen Verwendung knapper Ressourcen haben. Einer der Gründe, die häufig für die Betrachtung der Ausgabenentwicklung angeführt werden, hat mit dem in Europa verbreiteten System der Sozialversicherung
4
1 Einleitung
zu tun, bei dem dem Arbeitnehmer u.a. ein Beitrag zur Krankenversicherung als Zwangsabgabe vom Gehalt abgezogen wird. Bei diesem Verfahren wird unterstellt, dass mit zunehmender Abgabenbelastung der Widerstand des Lohnempfängers gegen das System der sozialen Sicherung wächst und ein Anreiz zur Abwanderung in die „Schattenwirtschaft" entsteht bzw. verstärkt wird. Diesem auf den ersten Blick einleuchtenden Argument kann entgegengehalten werden, dass es bei einer solchen Betrachtung immer auf das Verhältnis von Leistung zu Gegenleistung ankommt. Solange dem Sozialversicherungsbeitrag ein aus der Sicht des einzelnen gleichwertiger Leistungsanspruch gegenübersteht, entsteht der beschriebene Anreiz nicht - auch dann nicht, wenn der Beitragssatz über die Zeit angehoben wird.
1.2 Einzel- und gesamtwirtschaftliche Betrachtungsweisen der Gesundheit In diesem Lehrbuch wird das Schwergewicht auf die einzelwirtschaftliche Betrachtungsweise gelegt: Das Verhalten des einzelnen Versicherten, eines Arztes, der Leitung eines Krankenhauses oder eines pharmazeutischen Unternehmens steht im Vordergrund. Demgegenüber herrscht in der öffentlichen Diskussion die gesamtwirtschaftliche Betrachtungsweise vor, wobei die Gesundheitsquote, d.h. der Anteil der Gesundheitsausgaben am Sozialprodukt, häufig als Referenzgröße dient. Deshalb erscheint es angebracht, die Verbindung zwischen beiden Betrachtungsweisen herzustellen und die oben formulierte Kritik an einer Festschreibung solcher Quoten zu verdeutlichen. 1.2.1 Eine vereinfachte einzelwirtschaftliche Sicht der Gesundheit Für den einzelnen hat gute Gesundheit eine doppelte Funktion. Einerseits stellt sie einen Wert an sich dar, ein Ziel, das man in möglichst hohem Maße erreichen möchte. Nun gibt es aber auch andere Ziele im Leben, und allein schon das Verhalten des Gourmets, der die (fette) Gänseleber einem bekömmlichen Salat vorzieht, lässt vermuten, dass auch im Umgang mit der Gesundheit ein Abwägen zwischen verschiedenen Zielen stattflndet. Und wer hat nicht schon eine befahrene Straße überquert, statt die Fußgänger-Unterführung zu benutzen, nur um ein wenig Zeit zu sparen? Diese Verhaltensweisen strafen die Behauptung von der Gesundheit als höchstem Gut Lügen (vgl. Aussage Nr. 1 zu Beginn des Abschnitts 1.1). Der Widerspruch tritt deshalb selten offen zu Tage, weil niemand seine Gesundheit in einem unmittelbaren Sinne opfert, sondern lediglich zulässt, dass die Wahrscheinlichkeit, nachfolgende Zeitperioden gesund zu verleben, etwas kleiner ist, als sie sein könnte. Diese Besonderheit des Gesundheitsverhaltens wird im 3. Kapitel zur Sprache kommen. Für eine erste Einführung genügt es festzuhalten, dass die Individuen letztlich zwischen „Gesundheit" (G) und allen anderen Zielen, die kurzerhand
1.2 Einzel- und gesamtwirtschaftliche Betrachtungsweisen der Gesundheit Abb. 1.1. Gesundheit, Konsum und optimale Gesundheitsquote
II C = C(X)
Y(G) = pX+qM
Y(G) = pX + qM
III
unter dem Schlagwort „Konsum" (C) zusammengefasst werden sollen, abwägen. Dieses Abwägen wird - wie in der Mikroökonomik üblich - durch ein Indifferenzkurvenschema symbolisiert (vgl. den I. Quadranten der Abbildung 1.1). Gesundheit hat jedoch zwei weitere Eigenschaften, die sie in den Augen der meisten Menschen zu einem besonders wichtigen Mittel machen: 1. Nur wer gesund ist, kann auf dem Arbeitsmarkt ein Einkommen erzielen, und 2. der konsumtive Nutzen, den man aus seinem Einkommen ziehen kann, hängt vom Gesundheitszustand ab: So macht es die Depression als die am meisten verbreitete psychische Krankheit dem Betroffenen unmöglich, die schönen Dinge des Lebens zu genießen; im Falle einer Erkrankung der Verdauungsorgane wird auch der Gourmet mit einer Gänseleber nicht viel anfangen können. Diese zweite Eigenschaft lässt sich im I. Quadranten der Abbildung 1.1 durch die Form der Indifferenzkurven abbilden: Ist das Verhältnis von Gesundheit zu Konsum
6
1 Einleitung
gering, so stiftet zusätzlicher Konsum keinen positiven Grenznutzen mehr, so dass im linken oberen Bereich dieses Quadranten die Indifferenzkurven keine negative Steigung mehr aufweisen, sondern senkrecht verlaufen. Die erstgenannte Eigenschaft wiederam lässt sich im III. Quadranten darstellen, wo gezeigt wird, wie das Individuum sein Budget (verfügbares Einkommen, Y) auf medizinische Leistungen (M) und Konsumgüter (X) aufteilen kann. Dabei sind die Preise für medizinische Leistungen (Nettopreis q nach Abzug der Versicherungsleistungen) und Konsumgüter (p) exogen gegeben. Die Besonderheit an der Budgetrestriktion des III. Quadranten, Y{G) = pX + qM
(1.1)
besteht darin, dass das zur Verfügung stehende Einkommen Y vom Gesundheitszustand G abhängt. Wäre das Einkommen vom Gesundheitszustand unabhängig, so verliefe die Budgetgerade linear, wie die gestrichelte Linie A'B zeigt. Punkt B ist dabei der Punkt, an dem das gesamte Einkommen für medizinische Leistungen ausgegeben wird. Der IV. Quadrant zeigt, welche Menge medizinischer Leistungen M die Gewährleistung eines bestimmten Gesundheitszustandes benötigt: je mehr medizinische Leistungen (kurativer Art), desto besser die Gesundheit. Die eigenen Anstrengungen der Individuen zur Erhaltung ihrer Gesundheit (Prävention) werden hier nicht berücksichtigt (siehe hierzu das 3. Kapitel). Werden nun, von Punkt B ausgehend, die Ausgaben für medizinische Leistungen verringert, so geht gemäß der Beziehung G = G{M) der Gesundheitszustand G und somit auch das Einkommen Y(G) im III. Quadranten zurück. Damit steigt die Menge an Konsumgütern, die sich das Individuum kaufen kann, mit abnehmenden Raten bis zum Punkt A. An diesem Wendepunkt senkt jede weitere Reduktion der Menge medizinischer Leistungen das Einkommen über den verschlechterten Gesundheitszustand in genau dem Umfang der Einsparung von Gesundheitsausgaben, so dass kein Mehr an Konsumgütern daraus resultiert. Oberhalb von Punkt A sinkt das Einkommen bei einer weiteren Senkung von M sogar so stark, dass für den Konsum immer weniger übrig bleibt, bis schließlich bei einer Menge M = 0 das Einkommen auf Y = 0 sinken würde und somit auch kein Konsum möglich wäre (Punkt O). Der II. Quadrant zeigt den positiven Zusammenhang zwischen Konsumgütern (X) und konsumierbarer Leistung („Konsum", C) gemäß der Gleichung C = C(X). Diese Beziehung und die im IV. Quadranten dargestellte Beziehung G = G(M) erlauben es nun, jedem Punkt auf der Budgetkurve einen Punkt im (C, G)-Diagramm des I. Quadranten zuzuordnen (vgl. die gestrichelten Pfeile in Abbildung 1.1). Die Menge aller dieser Punkte gibt dann die Grenze der Wahlmöglichkeiten des Individuums an. Diese verläuft - anders als wir es aus anderen ökonomischen Anwendungen kennen - durch den Ursprung, weil, wie oben begründet worden ist, ein ganz schlechter Gesundheitszustand (G = 0) mit einem Einkommen von Null und damit auch mit einem Konsum von C = 0 verbunden ist. Mit zunehmendem Wert von G steigt diese Grenze zunächst an, d.h. verbesserte Gesundheit ermöglicht anfänglich mehr und nicht weniger Konsum (eine ausführliche Begründung dafür wird im 3. Kapitel gegeben).
1.2 Einzel- und gesamtwirtschaftliche Betrachtungsweisen der Gesundheit
7
Der Tangentialpunkt der höchsten erreichbaren Indifferenzkurve an diese Kurve der Wahlmöglichkeiten gibt dann das individuelle Nutzenmaximum (C*,G*) an. In Quadrant IV kann der zugehörige optimale Aufwand für medizinische Leistungen, M*, gefunden werden, und in Quadrant II die optimalen Konsumgüterkäufe X*. Schließlich zeigt der Punkt Q* auf der Budgetkurve in Quadrant III die fiir das betrachtete Individuum optimale Aufteilung seines Budgets an. Verbindet man ihn mit dem Ursprung, so lässt sich die Steigung dieser Geraden als seine „optimale Gesundheitsquote" interpretieren: Je steiler sie verläuft, desto größer ist der Anteil an seinem Einkommen, den er im Optimum für medizinische Leistungen ausgibt. Diese Betrachtungen lassen sich zusammenfassen in der Folgerung 1.2 Das Abwägen zwischen den Zielen „Konsum" und ,,Gesundheit" lässtsich als konventionelles einzelwirtschaftliches Optimierungsproblem darstellen. Bei dessen Lösung ist zu berücksichtigen, dass die Gesundheit ihrerseits ein produktiver Faktor bei der Erzielung von Einkommen ist, mit dem Konsumgüter gekauft werden. 1.2.2 Das Gesundheitswesen auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene Die in der Abbildung 1.1 gezeigten Größen und Zusammenhänge lassen sich grundsätzlich aggregieren. Sie haben deshalb auch auf gesamtwirtschaftlicher Ebene Gültigkeit, lassen sich aber nur noch zum Teil beobachten. Ausgerechnet jene beiden Größen, die für das Individuum von zentraler Bedeutung sind - der Gesundheitszustand G und die Konsumleistungen C - werden von den amtlichen Statistiken höchstens rudimentär erfasst. Recht gut bekannt sind hingegen die durch die individuellen Entscheidungen induzierten medizinischen Leistungen (M* bzw. deren Geldwert qM*) und Käufe von Konsumgütern (X* bzw. pX*). Versuche, das Gesundheitswesen zu steuern, setzen auch regelmäßig an diesen Größen an. Wie kommt es überhaupt zu einem Steuerungsbedarf im Gesundheitswesen, der soeben als gegeben vorausgesetzt wurde? Auf diese Frage wird im 5. Kapitel eine Antwort gegeben. Begründet wird dort vor allem eine staatliche Subventionierung der Krankenversicherung, ggf. ein Versicherungszwang der Individuen und ein Kontrahierungszwang der Versicherer. Vorgaben wie die Stabilisierung des Anteils der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP), die Begrenzung des Kostenanstiegs auf einen bestimmten Prozentwert oder die Festschreibung des Beitragssatzes in der deutschen Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)2 lassen sich demgegenüber nur schwer begründen. Wie wir im Folgenden zeigen, können sie mit Effizienzverlusten verbunden sein, die sich im Verlauf der Zeit kumulieren.
2
In der Bundesrepublik Deutschland werden die Beiträge zur Gesetzlichen Krankenversicherung in Prozenten des Lohneinkommens festgelegt, dies im Gegensatz zu den schweizerischen Krankenkassen, die einkommensunabhängige Beiträge erheben.
8
1 Einleitung
Sobald sich der Staat in irgendeiner Weise an den Kosten des Gesundheitswesens beteiligt, haben die individuellen Entscheidungen im Umgang mit der Gesundheit Rückwirkungen auf das öffentliche Budget. Je mehr der Einzelne medizinische Leistungen in Anspruch nimmt, desto größere Ausgaben fallen zumindest längerfristig für den Staat an: Neue Ausbildungsplätze für Medizinstudenten, erhöhte Zuschüsse für Investitionsvorhaben der Krankenhäuser, erhöhte Subventionen der Gemeinden (und der Kantone in der Schweiz) zur Deckung der Betriebsdefizite der Krankenhäuser, Anpassung der Zahlungen für die Gesundheitsversorgung der Rentner im Falle Deutschlands, um nur einige der Rückwirkungen auf das öffentliche Budget zu nennen. Diese Rückwirkungen existieren auch beim Kauf und der Nutzung von Konsumgütern (Müllabfuhr, Straßenbau), doch fallen sie dort weniger ins Gewicht als im Falle des Gesundheitswesens. Andererseits bringen öffentliche Ausgaben auch Wählerstimmen und sind insofern für die Politiker ein Mittel zur Sicherung ihrer Wiederwahl. Auf diese Zusammenhänge wird im 13. Kapitel näher eingegangen; an dieser Stelle ist lediglich die Einsicht von Bedeutung, dass Politiker eine bestimmte Aufteilung des öffentlichen Budgets allen anderen Aufteilungen vorziehen, so wie das Individuum der Abbildung 1.1 die Aufteilung seines Budgets gemäß Punkt Q* den anderen Aufteilungen vorzieht. Setzt aber eine Regierung ihre Präferenzen in Bezug auf das öffentliche Budget durch, so legt sie damit näherungsweise auch die gesamtwirtschaftliche Gesundheitsquote fest. Die Konsequenzen dieser Festlegung werden im nachfolgenden Teilabschnitt herausgearbeitet.
1.2.3 Die Problematik der Globalsteuerung: Das Beispiel der gesamtwirtschaftlichen Gesundheitsquote In ihrem Kampf gegen die „Kostenexplosion" im Gesundheitswesen argumentieren die Regierungen bevorzugt mit den Angaben der Tabelle 1.1, um zu begründen, dass die nationale Gesundheitsquote am Bruttosozialprodukt zu hoch sei. Angenommen, es würde nun gelingen, diese Quote auf einem bestimmten Prozentsatz zu stabilisieren: Was wäre damit gewonnen? Zur Beantwortung dieser Frage wird der Schritt von der einzel- zur gesamtwirtschaftlichen Ebene auf einfachste Art vollzogen, indem die Zusammenhänge der Abbildung 1.1 fiir die Gesamtheit aller Menschen eines Landes gelten sollen, die zudem identisch seien. In der Abbildung 1.2 steht dann G für die Zahl gesund verbrachter Personen-Jahre qM, für die gesamtwirtschaftlichen Gesundheitsausgaben und pX für die Konsumausgaben. Die Aufteilung des BSP auf die beiden Ausgabenkategorien sei in der Ausgangssituation durch den Punkt Q* im III. Quadranten gegeben, der das aggregierte Ergebnis der individuellen Entscheidungen symbolisiert. Einfachheitshalber soll in der Ausgangssituation die von der Regierung angestrebte Gesundheitsquote gerade mit dem Optimalwert Q* übereinstimmen. Diese Übereinstimmung werde nun aber durch eine Veränderung, beispielsweise eine Verbesserung der medizinischen Technologie, gestört. Entsprechend verschiebt
1.2 Einzel- und gesamtwirtschaftliche Betrachtungsweisen der Gesundheit
9
Abb. 1.2. Technologischer Wandel in der Medizin und Veränderung der optimalen Gesundheitsquote
II
I C
C = C(X)
» • G
III sich im IV. Quadranten der Abbildung 1.2 die Funktion G(M) zu G' (M), d.h. eine gegebene Versorgung mit medizinischen Leistungen gewährleistet im oberen Bereich jetzt einen besseren Gesundheitszustand als zuvor. Dadurch verschiebt sich die Budgetkurve nach außen, und unter Berücksichtigung der Zusammenhänge im II. und III. Quadranten verschiebt sich auch die Grenze der Wahlmöglichkeiten im I. Quadranten nach außen, so dass die Gesamtheit der Individuen neue, rechts und oberhalb vom alten Optimum R* liegende (C, G)-Kombinationen erreichen könnte. Angenommen, die Regierang erhalte Kenntnis von der verbesserten medizinischen Technologie, wolle aber die Gesundheitsquote konstant halten. Dies bedeutet, dass sie anstrebt, die Aufteilung des Budgets nicht zu ändern, so dass im III. Quadranten eine Verschiebung von Punkt Q* zu Q' resultieren würde, der auf demselben Fahrstrahl vom Ursprung liegt wie Q*. Dadurch würde eine (C, G)-Kombination erreicht, die durch Punkt R' in Quadrant I symbolisiert wird (vgl. die durchgezogenen Pfeile in Abbildung 1.2).
10
1 Einleitung
Falls die (identischen) Mitglieder der betrachteten Gesellschaft jedoch ihrer Gesundheit einen so hohen Wert beimessen, wie es die im I. Quadranten eingezeichneten relativ steilen Indifferenzkurven andeuten, so wünschen sie stattdessen die Realisierung des Punktes /?**, mit dem die folgenden Änderungen verbunden sind: 1. Die Ausweitung des Wahlmöglichkeitsraumes wird ausschließlich für eine Verbesserang des Gesundheitszustandes genutzt (vgl. den Übergang von R* zu R**).3 2. Dazu wird die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen (jetzt: M**) verstärkt,
nicht nur im Vergleich zum Ausgangsoptimum M*, sondern auch im Vergleich zum vom Staat festgelegten Wert M'. 3. Dank des verbesserten Gesundheitszustands nehmen die Arbeitseinkommen und damit die verfügbaren Einkommen zu, so dass diese Ausweitung von M bei unveränderten Konsumausgaben X** = X* möglich ist. 4. Die neue für die Individuen optimale Budgetaufteilung Q** (in Quadrant III) entspricht einer Steigerung der optimalen Gesundheitsquote, denn verbindet man Q** mit dem Ursprung, so ist diese Gerade steiler als die Linie OQ*Q'. Wenn jetzt die Politiker an der vorherigen Aufteilung des öffentlichen Budgets festhalten, so zwingen sie die Individuen als Gruppe, den Punkt Q' bzw. R' zu realisieren. Das heißt konkret, dass z.B. ärztliche Leistungen nicht zur Verfügung stehen, weil der numerus clausus im Medizinstudium nicht gelockert wird, oder dass Krankenhausleistungen nicht angeboten werden, weil die Investitionsmittel in diesem Bereich nicht ausgeweitet werden. Dadurch erreichen die Individuen, wie in Quadrant I ersichtlich, ein geringeres Nutzenniveau als das maximal mögliche, das sie in Punkt R** haben könnten. Das Beispiel des technologischen Wandels in der Medizin steht jedoch nur für eine von vielen möglichen Veränderungen, die zu Diskrepanzen zwischen der optimalen Gesundheitsquote aus der Sicht der Individuen und einer politisch festgeschriebenen Gesundheitsquote führen können. Geht man die vier Quadranten der Abbildung 1.2 der Reihe nach durch, so stößt man auf die folgenden Punkte: a) Die Präferenzen zwischen Gesundheit und Konsum können sich ändern, z.B. im Zuge einer Fitnesswelle. b) Der Zusammenhang zwischen Konsumgütereinsatz und konsumierbaren Leistungen bleibt nicht konstant. Je besser z.B. die Ausbildung eines Individuums, desto höher ist die Ausbeute an Konsumleistungen aus einem gegebenen Quantum von Konsumgütern.
3
Dieser Fall wird hier einzig und allein mit dem Ziel vorausgesetzt, die Zeichnung nicht noch mehr zu komplizieren. Die gleichen Folgerungen ergeben sich auch bei einer nur überwiegenden Nutzung zur Verbesserung der Gesundheit.
1.3 „Ökonomik der Gesundheit" vs. „Ökonomik des Gesundheitswesens"
11
c) Die Budgetrestriktion ist immer wieder Veränderangen unterworfen. Steigende Lohnsätze und Vermögenseinkommen verschieben sie nach außen, steigende Preise der Konsumgüter lassen sie steiler verlaufen. d) Der Zusammenhang zwischen der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen und dem Gesundheitszustand wird nicht nur durch technologischen Wandel in der Medizin modifiziert. Zu denken ist an Umwelteinflüsse, aber auch an eine Verstärkung oder Abschwächung der präventiven Anstrengungen auf Seiten der Individuen selbst, insbesondere in Abhängigkeit von der Versicherungsdeckung (vgl. dazu das 6. Kapitel). Außerdem bleiben die Leistungen der Ärzte und Krankenhäuser je nach Ausgestaltung des Honorierungssystems mehr oder weniger unterhalb des effizienten Niveaus, so dass sich der realisierte Zusammenhang G = G(M) mit dem Honorierungssystem wandelt (vgl. dazu das 10. Kapitel). Diese Überlegungen zeigen, dass es viele Gründe dafür gibt, dass eine politisch angestrebte Gesundheitsquote von der optimalen abweicht. Sie geben Anlass zur Folgerung 1.3 Viele Gründe sprechen gegen die Vorgabe einer bestimmten Quote der Gesundheitsausgaben am Bruttosozialprodukt. Sie läuft Gefahr, Effizienzverluste zu verursachen, die im Verlaufder Zeit zunehmen dürften.
1.3 „Ökonomik der Gesundheit" vs. „Ökonomik des Gesundheitswesens": ein erster Überblick Bis zu diesem Punkt wurde begründet, warum es eine spezielle „Gesundheitsökonomik" gibt. Zudem wurde die Beziehung zwischen der einzel- und der gesamtwirtschaftlichen Betrachtungsweise von Gesundheit und Gesundheitswesen beleuchtet. Jetzt wollen wir eine ganz grobe Klassifikation dieses Gebiets vornehmen, die uns später dazu dienen wird, einige der wichtigsten Fragestellungen zu erwähnen und einzuordnen.
1.3.1 Ökonomik der Gesundheit Betrachtet man die Titel der inzwischen schon recht zahlreichen englischsprachigen Gesamtdarstellungen dieses Gebiets (in Lehrbüchern und Sammelbänden), so fällt auf, dass in manchen von der Ökonomik der Gesundheit („economics of health"), in anderen wiederam von der Ökonomik des Gesundheitswesens bzw. der medizinischen Leistungen („economics of health care", „economics of medical care") die Rede ist.4 Diese Unterscheidung weist darauf hin, dass zunächst Gesundheit als solche ein interessantes Anwendungsfeld für die Wirtschaftswissenschaften ist und dass 4
Beispiele hierfür sind FELDSTEIN (1999), FOLLAND ET AL. (2001), FUCHS (1986), (1988), MOONEY (1992), NEWHOUSE (1978) und PHELPS (1997).
MCGUIRE ET AL.
12
1 Einleitung
es eine Reihe von Fragestellungen im Zusammenhang mit der Gesundheit gibt, die noch gar nichts mit dem zu tun haben, was wir das „Gesundheitswesen" nennen, also mit der Erbringung medizinischer Leistungen durch Ärzte und andere professionelle Anbieter. Darunter sind sowohl positive als auch normative Problemstellungen. Zu den wichtigsten normativen Fragen der Ökonomik der Gesundheit dürfte die nach der Bewertung der Gesundheit in Geld, d.h. der Abwägung zwischen Gesundheit und anderen menschlichen Zielsetzungen, z.B. dem Konsum „sonstiger" Güter zählen. Diese normative Frage („Auf wie viel Konsum sollte die Gesellschaft bereit sein zu verzichten dafür, dass die Lebenserwartung um durchschnittlich ein Jahr erhöht wird? Wie viel sollte ihr eine Verbesserung des Gesundheitszustands, gemessen durch einen geeigneten Indikator, wert sein? ") stellt sich vor allem im Zusammenhang mit öffentlichen Projekten, die aus Steuern oder Sozialversicherungsbeiträgen, also Zwangsabgaben, finanziert werden und die Auswirkungen auf die Lebenserwartung oder die Gesundheit von Bürgern haben. Da es in diesen Situationen typischerweise nicht möglich ist, dass jeder eine Abwägung zwischen Gesundheit und Konsum für sich selbst vornimmt, sondern Regierung und Parlament Entscheidungen für die Bürger treffen müssen, ist es eine Aufgabe der Gesundheitsökonomik, ihnen sinnvolle, d.h. wohlfahrtstheoretisch begründete Regeln für diese Entscheidungen in die Hand zu geben. Dies wird Gegenstand von Kapitel 2 sein. Der positive Zweig der Gesundheitsökonomik beschäftigt sich dagegen damit, das Gesundheitsverhalten der Konsumenten mit Hilfe des Instrumentariums der modemen einzelwirtschaftlichen Theorie zu erklären. Dabei wird das Grundparadigma des Rationalverhaltens angewandt, d.h. das Individuum wird als rationaler Nutzenmaximierer angesehen, in dessen Nutzenfunktion u.a. materieller Konsum und Gesundheit eingehen. Im Rahmen eines solchen Modells (vgl. Kapitel 3) kann dann untersucht werden, wie sich z.B. eine Änderung der Budgetrestriktion, d.h. des Einkommens, oder eine Änderung der relativen Preise - etwa durch Änderungen im Krankenversicherungsschutz - auf die „Nachfrage" des Individuums nach Gesundheit, sprich: auf sein Gesundheitsverhalten auswirken.
1.3.2 Gesundheit und Konsum von Gesundheitsleistungen Die Brücke zwischen der „Ökonomik der Gesundheit" und der „Ökonomik des Gesundheitswesens" bilden die Beziehungen, die zwischen dem Gesundheitszustand eines Individuums (oder der Bevölkerung insgesamt) und seiner (bzw. ihrer) Inanspruchnahme medizinischer Leistungen bestehen. Man kann zwei solcher Beziehungen unterscheiden, für die die Stichworte „Gesundheits-Produktionsfunktion" und „Nachfragefunktion nach medizinischen Leistungen" stehen. Im ersten Fall geht es um die Fragestellung, welchen Beitrag medizinische Leistungen zur Erhaltung bzw. Verbesserung der Gesundheit leisten. Diese zunächst trivial klingende Frage erscheint durchaus berechtigt, wenn man etwa die enormen Ausgabensteigerungen im Gesundheitswesen über die vergangenen Jahrzehnte mit dem gleichzeitig beobachteten und relativ bescheiden anmutenden Zuwachs der Lebens-
1.3 „Ökonomik der Gesundheit" vs. „Ökonomik des Gesundheitswesens"
13
erwartung vergleicht. So ist auch nicht verwunderlich, dass immer mehr Menschen gegenüber der Schulmedizin skeptisch werden und sich alternativen Richtungen wie der Heilpraktik oder der Laienmedizin zuwenden.5 Eine empirische Erfassung und Quantifizierung des Einflusses der medizinischen Versorgung auf die Gesundheit (vgl. Kapitel 4) fällt ebenfalls in das Arbeitsgebiet von Ökonomen, Statistikern und Ökonometrikern. Trotz der genannten Einwände wird man bei dieser Wirkungsrichtung allgemein unterstellen können, a) dass es sich um einen positiven Zusammenhang handelt: Ein höherer Konsum medizinischer Leistungen führt zu besserer Gesundheit. Ferner gilt aus logischen Gründen, b) dass diese Wirkung mit einer zeitlichen Verzögerung eintritt: In empirischen Arbeiten ist daher zu erwarten, dass der Konsum von medizinischen Leistungen in einer Periode t sich erst in einer späteren Periode (etwa t + 1) in einer besseren Gesundheit bemerkbar macht. Eine zweite Wirkungsrichtung geht vom Gesundheitszustand zur Inanspruchnahme medizinischer Leistungen, der sog. Nachfragefunktion nach medizinischen Leistungen. In dieser Funktion erscheint der Gesundheitszustand als erklärende Variable, wobei a) die theoretisch plausible Wirkungsrichtung negativ ist (schlechtere Gesundheit höhere Inanspruchnahme medizinischer Leistungen) und b) diese Beziehung für gleichzeitig gemessene Werte der beiden Größen gilt.6 1.3.3 Ökonomik des Gesundheitswesens Die zuletzt genannte Beziehung ist bereits Gegenstand der Ökonomik des Gesundheitswesens: Sie nimmt die Produktivität der medizinischen Leistungen als gegeben hin und fragt - in ihrem positiven Zweig - danach, wodurch die Menge und Qualität medizinischer Leistungen determiniert werden, die in einer Gesellschaft erbracht werden. In ihrem normativen Zweig geht es dann darum, Mechanismen der Erbringung dieser Leistungen und ihrer Aufteilung auf die Nachfrager zu untersuchen, die angesichts der Knappheit der zu ihrer Herstellung benötigten Ressourcen 5
Besonders vehement wird die Kritik an der Schulmedizin von ILLICH (1975) vorgetra-
gen.
6
Wenn es möglich wäre, angestrebten und realisierten Gesundheitszustand stets in Übereinstimmung zu halten, so wäre allerdings die Nachfragefunktion nach medizinischen Leistungen lediglich die Umkehrfunktion der Gesundheits-Produktionsfunktion, so wie eine FaktorNachfragefunktion aus einer Produktionsfunktion hergeleitet werden kann (vgl. dazu Abschnitt 4.4).
14
1 Einleitung
ökonomisch zweckmäßig sind. Damit ist das System der Organisation und der Finanzierang von medizinischen Leistungen angesprochen, und die einzelwirtschaftliche Analyse ist geeignet, mit ihrem Instrumentarium der Anreize die Wirkungen alternativer Regelungen zu untersuchen. Dabei sind die Begriffe „Finanzierung" und „Anreize" mit einer Medaille zu vergleichen, die zwei Seiten hat: 1. Auf der einen Seite geht es darum, auf welche Weise die Empfänger medizinischer Leistungen (die „Patienten") für diese Leistungen zahlen. Hier ist das System der Krankenversicherung mit seinen Anreizwirkungen auf die Versicherten angesprochen, das uns in den Kapiteln 5, 6 und 7 beschäftigen wird. 2. Auf der anderen Seite geht es darum, auf welche Weise das Geld an die Leistungserbringer weiterverteilt wird. Die ökonomische Analyse beschäftigt sich also mit den Anreizwirkungen altemativer Honorierungssysteme für Leistungsanbieter (Kapitel 10) sowie mit den Herstellern von Arzneimitteln (Kapitel 12).
1.4 Eine Systemanalyse des Gesundheitswesens Zum Abschluss dieser Einleitung sollen die meisten der Fragestellungen, die in diesem Buch behandelt werden, noch einmal an einem Ablaufdiagramm verdeutlicht werden, das als eine stark vereinfachte Systemanalyse angesehen werden kann (Abbildung 1.3). Am Anfang dieses Diagramms steht das Individuum mit seinen Zielen, möglichst lange und gesund zu leben und dabei möglichst viel zu konsumieren. Es wird in seinem gesundheitsrelevanten Verhalten von einer Reihe von Anreizen geleitet, die insbesondere von der Ausgestaltung seiner Krankenversicherung (vgl. Kapitel 5, 7) determiniert werden. Zwar wird der Gesundheitszustand vom Individuum nicht völlig festgelegt; der Zufall spielt auch hinein (vgl. Kapitel 3). Doch das schließt nicht aus, dass sich bei der Betrachtung ganzer Bevölkerungsgruppen systematische Einflüsse herausschälen, welche die Individuen für mehr oder weniger Gesundheit optieren lassen. Denn ein zusätzlicher gesund verbrachter Tag hat seinen „Preis", auch wenn er nicht auf dem Markt gehandelt wird. Dieser Preis besteht in dem Verzicht auf eine Alternative, welche ebenfalls Kosten verursacht und die in dem Mehr an Konsum zusammengefasst ist, das sich das Individuum leisten könnte. Gleichzeitig mit der Option für einen bestimmten Gesundheitszustand muss auch eine Entscheidung fallen, wie man diesen Zustand erreichen will (vgl. Kapitel 3; empirische Evidenz dazu in Kapitel 4). Sehr oft entscheiden sich die Leute dafür, eine Krankheitsepisode mit einem minimalen Einsatz von Medikamenten, im übrigen jedoch ohne medizinische Leistungen, sondern vielmehr mit Hilfe eigener Zeit durchzustehen, und unsere Vermutung geht dahin, dass auch materielle Anreize die Wahl zwischen eigenen und fremden Inputs beeinflussen. Geht diese Wahl immer mehr in Richtung fremder Inputs, also zum Einsatz von Leistungen des Gesundheitswesens, so kann das Ergebnis eine Ausgabenexplosion im Gesundheitswesen sein.
1.4 Eine Systemanalyse des Gesundheitswesens Abb. 1.3. Eine Systemanalyse des Gesundheitswesens
Ziele: Konsum, Gesunde Tage Preisrelationen (beeinflusst durch Versicherungen) J Individueller \ Zeitaufwand
el
§ene
Ziele: Einkommen, Sicherheit f Preisrelationen ^ (beeinflusst durch l Versicherungen) J
15
16
1 Einleitung
Wie stark etwaige Änderungen im individuellen Gesundheitsverhalten auf die Ausgabenentwicklung im Gesundheitswesen durchschlagen, hängt jedoch nicht zuletzt vom Arzt ab, der in Abbildung 1.3 unmittelbar unter dem Patienten steht, also eine Funktion als „Türhüter" zum Gesundheitswesen wahrnimmt. Seine Entscheidung für ambulante oder stationäre Behandlung hat massive Folgen fiir die aufgewendeten Kosten, da ein Krankenhausaufenthalt heute typischerweise mit dem Einsatz sehr teurer Technologie verbunden ist. Wiederum werden wir nach materiellen Anreizen suchen, welche das Verhalten des Arztes im Hinblick auf den Einsatz seiner eigenen Leistungen (Kapitel 8, 10) steuern. Diese Auffassung steht natürlich in einem eklatanten Widerspruch zur traditionellen ärztlichen Ideologie, wonach die Wahl der Behandlungsmethode allein nach medizinischen Erfordernissen erfolge. Durch eine Überweisung ins Krankenhaus gibt der Arzt einen Teil der Nachfrage nach medizinischen Leistungen an dieses weiter. Auch im Krankenhaus existieren bei näherem Hinsehen eine ganze Reihe von materiellen Anreizen, die das Verhalten besonders der Chefärzte steuern können (Vgl. Kapitel 9, 10). Über die Art und Weise, wie gewinnmaximierende Unternehmungen auf Änderungen der Außenwelt reagieren, ist von der traditionellen ökonomischen Theorie her einiges bekannt. Wir werden sehen, in welchem Maße sich diese Erkenntnisse auf die in der Regel nicht gewinnorientierten Krankenhäuser übertragen lassen. Schließlich bestimmen sowohl Ärzte als auch Krankenhäuser die Nachfrage des Patienten nach Arzneimitteln als weitere Inputs in den Behandlungsprozess. In diesem Zusammenhang wird uns (in Kapitel 12) vor allem interessieren, wie die Preise auf den Märkten für Arzneimittel zustandekommen, mit welchen Mitteln vor allem der Preiswettbewerb gefördert werden kann und welchen Einfluss dies auf den technischen Fortschritt, also auf die Erweiterang der Therapiemöglichkeiten hat. Neben den Märkten für Arzneimittel könnten an dieser Stelle auch andere nachgeordnete Märkte untersucht werden, so beispielsweise jene für Hilfsmittel, psychiatrische Beratung, medizinische Apparate, aber auch die Arbeitsmärkte im Gesundheitswesen. Um den Umfang dieses Werkes in Grenzen zu halten, wird auf eine Behandlung dieser nachgeordneten Märkte verzichtet. Die Kreise in unserem Ablaufdiagramm stehen für den Ressourcenaufwand, der im Gesundheitswesen verursacht wird. Wenn die Steuerung so funktioniert, dass individueller Zeitaufwand zugunsten der Gesundheit immer mehr durch ärztliche Arbeitszeit, Arzneimittel und Leistungen der Krankenhäuser ersetzt wird, so ist das nicht zu gleichbleibenden Kosten möglich. Ein Mehr an Leistungen ist in allen Wirtschaftsbereichen typischerweise mit einem Zuwachs der Kosten verbunden. Das Besondere am Gesundheitswesen nicht nur in der Schweiz und in der Bundesrepublik Deutschland ist die Tatsache, dass auch die einzelne Arztstunde und der einzelne Krankenhaustag so viel teurer geworden sind, wodurch die Kostensteigerung erst zu einer eigentlichen „Explosion" geworden ist. Auch dieser Aspekt des Problems geht auf die Eigenheiten der Steuerung im Gesundheitswesen zurück, die wir in diesem Buch darstellen möchten. Dabei wird die Frage der Organisation des Gesundheitswesens in allgemeiner Form in Kapitel 11 aufgegriffen. Ferner untersuchen wir in Kapitel 13 den Prozess der politischen Willensbildung über die Gestaltung des Ge-
1.5 Zusammenfassung des Kapitels
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sundheitssystems. Die zukünftigen Herausforderungen an diese Steuerung wie Alterung der Bevölkerung und rascher technologischer Wandel in der Medizin kommen im Kapitel 14 zur Sprache. Das Buch schließt mit einigen eher grundsätzlichen Empfehlungen zur Gesundheitspolitik (Kapitel 15).
1.5 Zusammenfassung des Kapitels 1. Aus ökonomischer Perspektive wird man sich weniger mit Ausgabengrößen beschäftigen als mit den Regeln, nach denen die Mittelverteilung im Gesundheitswesen erfolgt. Denn diese lassen Schlüsse darauf zu, ob die beteiligten Akteure - sowohl Anbieter als auch Nachfrager von Gesundheitsgütern - Anreize zur wirtschaftlichen Verwendung knapper Ressourcen haben. 2. Das Abwägen zwischen den Zielen „Konsum" und „Gesundheit" lässt sich als konventionelles einzelwirtschaftliches Optimierungsproblem darstellen. Bei dessen Lösung ist zu berücksichtigen, dass die Gesundheit ihrerseits ein produktiver Faktor bei der Erzielung von Einkommen ist, mit dem Konsumgüter gekauft werden. 3. Viele Gründe sprechen gegen die Vorgabe einer bestimmten Quote der Gesundheitsausgaben am Bruttosozialprodukt. Sie läuft Gefahr, Effizienzverluste zu verursachen, die im Verlauf der Zeit zunehmen dürften. 4. „Gesundheitsökonomik" lässt sich in die beiden Teilbereiche „Ökonomik der Gesundheit" und „Ökonomik des Gesundheitswesens" unterteilen. Die Brücke zwischen beiden Teilbereichen bilden die Beziehungen, die zwischen dem Gesundheitszustand und der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen bestehen. 5. Der normative Zweig der „Ökonomik der Gesundheit" untersucht, wie sich Gesundheit im Vergleich zu anderen Gütern bewerten lässt. Ziel ist es dabei, wohlfahrtstheoretisch begründete Regeln für öffentliche Entscheidungen zu entwickeln. Der positive Zweig der Gesundheitsökonomik beschäftigt sich dagegen damit, das Gesundheitsverhalten der Konsumenten mit Hilfe des Instrumentariums der modernen einzelwirtschaftlichen Theorie zu erklären. 6. Die „Ökonomik des Gesundheitswesens" fragt in ihrem positiven Zweig danach, wodurch die Menge und Qualität medizinischer Leistungen determiniert werden, die in einer Gesellschaft erbracht werden. In ihrem normativen Zweig geht es dann darum, Anreizmechanismen der Erbringung dieser Leistungen und ihrer Aufteilung auf die Nachfrager zu untersuchen, die angesichts der Knappheit der zu ihrer Herstellung benötigten Ressourcen ökonomisch zweckmäßig sind.
Zur ökonomischen Bewertung von Leben und Gesundheit
2.1 Anwendungsbereiche der Bewertung von Leben und Gesundheit „Das Leben ist das höchste Gut und lässt sich nicht in Geld aufwiegen." Dies ist ein Grundsatz, dem wohl die meisten Menschen zustimmen würden. Auf der anderen Seite werden (notwendigerweise!) nicht nur von Individuen, sondern auch von Parlamenten und Behörden regelmäßig Entscheidungen getroffen, die eine Abwägung zwischen der Erhaltung und Verlängerung menschlichen Lebens und dem Einsatz knapper Mittel (Geld) beinhalten. Beispiele für solche Entscheidungen im öffentlichen Bereich lassen sich sowohl im Gesundheitswesen selbst finden als auch in vielen anderen Bereichen, vor allem in der Verkehrs- und in der Umweltpolitik. In allen Ländern, in denen entweder ein nationaler Gesundheitsdienst oder eine gesetzliche Krankenversicherung besteht, entscheiden politische oder zumindest politisch legitimierte Gremien von Zeit zu Zeit über die Aufnahme neuer Arzneimittel, neuer Heilverfahren und neuer medizintechnischer Geräte in den Katalog der innerhalb dieses Gesundheitssystems finanzierten Leistungen. In aller Regel sind solche neuen Verfahren mit zusätzlichem finanziellen Aufwand verbunden - es handelt sich also nicht um kostensparende „Prozessinnovationen" - und versprechen therapeutische Vorteile, oft in Form einer Reduktion der Gefahr vorzeitigen Todes einer bestimmten Risikopopulation. So kann die Bereitstellung einer mobilen Herzinfarkt-Einheit mit Gesamtkosten von mehreren Millionen € dazu dienen, bei Herzinfarkt-Patienten bereits an Ort und Stelle Maßnahmen zur Wiederherstellung der Herzfunktion zu ergreifen und somit das Risiko, noch vor Erreichen des nächstgelegenen Krankenhauses zu sterben, erheblich vermindern. Ebenso kann eine medikamentöse Dauertherapie von Hypertonikern mit blutdrucksenkenden Präparaten dem Risiko eines Herzinfarkts wirksam vorbeugen. Auch hier stehen dem verminderten Todesrisiko erhebliche volkswirtschaftliche Kosten der Entwicklung und Herstellung der Medikamente gegenüber.
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2 Zur ökonomischen Bewertung von Leben und Gesundheit
Ein nicht weniger bekannter Anwendungsbereich ist die Vorhaltung und der Betrieb von Dialysegeräten für Patienten mit chronischem Nierenversagen. Außerhalb des Gesundheitsbereichs sind die Beispiele, in denen „Leben" gegen „Kosten" abgewogen werden müssen, nicht weniger zahlreich. So müssen Gemeinden und Landkreise entscheiden, ob sie bestimmte notorische Unfallschwerpunkte (z.B. enge, unübersichtliche Kurven) durch Begradigung oder Verbreiterung der Straße entschärfen sollen. In Wohngebieten kann umgekehrt gerade durch das Pflanzen von Bäumen und das Einziehen von Schwellen und anderen Hindernissen das Fahrtempo gesenkt und somit die Lebensgefahr für spielende Kinder verringert werden. Alle diese Maßnahmen sind mit zusätzlichen Ausgaben für die öffentlichen Haushalte verbunden. Auch im Umweltbereich ist es nicht schwer, ähnliche Beispiele zu finden. So vermindert der Einbau kostspieliger „redundanter" Sicherheitssysteme in Kernkraftwerken nicht nur die Gefahr einer Katastrophe mit Tausenden von Todesfällen, wie sie sich 1986 in Tschernobyl ereignet hat, sondern reduziert auch die Abgabe radioaktiver Strahlung, die die exponierte Bevölkerang einem erhöhten Risiko, an Leukämie zu erkranken, aussetzt. Aufwendige Filteranlagen zur Rückhaltung von Schwefeldioxid und anderen Schadstoffen aus Kohlekraftwerken verbessern die Luftqualität und senken damit u.a. das Risiko, an Atemwegsleiden zu erkranken. In allen genannten Anwendungsgebieten kann eine rationale Entscheidung der öffentlichen Instanzen nur dann getroffen werden, wenn eine umfassende und präzise Bewertung der mit einer Maßnahme verbundenen zukünftigen Vorteile (und gegebenenfalls Nachteile) vorgenommen wird, damit diese den Projekt- und Folgekosten gegenübergestellt werden können. Dabei leuchtet es sofort ein, dass eine derartige Kosten-Nutzen-Analyse die Entscheidungsbildung vor allem dann erleichtern kann, wenn die in die Berechnung eingehenden Größen kommensurabel sind, d.h. in einer gemeinsamen Recheneinheit ausgedrückt werden können. Da die Projektkosten generell in Geldeinheiten gemessen werden, erscheint es wünschenswert, auch alle Vorteile in Geldwerten auszudrücken. Dies gilt dann natürlich auch für die Verlängerung menschlichen Lebens oder die Verbesserung des Gesundheitszustandes, die mit der Realisierung eines Projekts verbunden sind. Da einer monetären Bewertung der Gesundheit und erst recht des Lebens vielfältige Bedenken entgegengebracht werden, sind von Ökonomen alternative Evaluationsverfahren entwickelt worden, die ohne eine solche monetäre Bewertung auskommen. Auch diese Ansätze sollen im Folgenden auf ihre Möglichkeiten und Grenzen untersucht werden. Dieses Kapitel ist wie folgt gegliedert. In Abschnitt 2.2 wird ein allgemeiner Überblick über verschiedene Ansätze der Evaluation im Gesundheitsbereich gegeben. Anschließend werden in Abschnitt 2.3 die Kosten-Nutzwert-Analyse und in Abschnitt 2.4 die Kosten-Nutzen-Analyse ausführlich dargestellt. Diese beide Methoden werden schließlich in Abschnitt 2.5 verglichen.
2.2 Verfahren der Evaluation im Gesundheitsbereich
21
2.2 Verfahren der Evaluation im Gesundheitsbereich Die unterschiedlichen Verfahren der Evaluation im Gesundheitsbereich lassen sich danach unterscheiden, in welchen Einheiten die positiven bzw. negativen Wirkungen einer medizinischen oder sonstigen Maßnahme gemessen werden. Zur Übersichtlichkeit der Darstellung diskutieren wir die in Frage kommenden Alternativen am Beispiel einer medizinischen Intervention, deren „negative Wirkungen" einzig und allein darin bestehen, dass bei ihrer Durchführung knappe Ressourcen (Arbeitsstunden, Rohstoffe etc.) verbraucht werden. Es sei weiter angenommen, dass diese Ressourcen einen Marktpreis haben, so dass die entstehenden Kosten in Geldgrößen messbar sind. Bezüglich der positiven Wirkungen werden die drei folgenden Möglichkeiten der Messung unterschieden: a) in natürlichen Einheiten auf einer eindimensionalen Skala, b) in Einheiten einer kardinalen Nutzenfunktion, mit der das mehrdimensionale Konzept der Gesundheit in einen skalaren Index abgebildet wird, c) in Geldeinheiten. Ad a): Bei der angesprochenen „natürlichen" Skala kann es sich (i) um einen klinischen Parameter handeln, z.B. die Senkung des Blutdrucks um x mm Hg, oder (ii) um die Länge des Lebens in Jahren. Diese Messmethode ist nur dann sinnvoll anwendbar, wenn die zu vergleichenden Altemativen (z.B. Durchführung einer bestimmten Intervention oder Verzicht auf sie) lediglich eine einzige, qualitativ identische spezifische Wirkung und keine Nebenwirkungen haben. Im ersten Beispiel könnte es sich um zwei verschiedene (nebenwirkungsfreie) Medikamente zur Senkung des Blutdrucks handeln, im zweiten Beispiel um zwei sicherheitstechnische Maßnahmen zur Vermeidung tödlicher Verkehrsunfälle. Das zugehörige Evaluationsverfahren heißt Kosten-Effektivitäts-Analyse (engl. „cost-effectiveness analysis", CEA). Es ist prinzipiell nur für den Vergleich zweier sich gegenseitig ausschließender Maßnahmen geeignet, und das Vergleichskriterium lautet für das erste Beispiel: Kosten in Geldeinheiten tCEA =
^ —
:
TZ
Ertrage m mm Hg bzw. für das zweite Beispiel: tCEA =
in Geldeinheiten ErträgeKosten in gewonnenen Lebensjahren
Von den beiden Maßnahmen ist dann diejenige vorzuziehen, die einen geringeren aufweist.
22
2 Zur ökonomischen Bewertung von Leben und Gesundheit Die Grenzen der Kosten-Effektivitäts-Analyse sind offensichtlich:
1. Ihre Anwendung setzt voraus, dass es ethisch nicht von Bedeutung ist, bei welchen Personen die Lebensverlängerung eintritt und wie sich die Gesamtzahl von gewonnenen Lebensjahren auf Individuen verteilt. Dieser Kritikpunkt trifft allerdings auf alle hier und im folgenden dargestellten Evaluationsverfahren zu. 2. Sie ist nicht geeignet zur Bewertung von Maßnahmen mit mehreren verschiedenartigen Wirkungen. Wenn etwa durch die angesprochene sicherheitstechnische Maßnahme nicht nur Todesfälle, sondern auch Körperverletzungen vermieden werden, versagt die CEA, weil sie keine Möglichkeit der Aggregation mehrdimensionaler Effekte vorsieht. 3. Sie liefert zwar eine Rangordnung der relativen Vorzugswürdigkeit von sich gegenseitig ausschließenden Maßnahmen, gibt aber keine Antwort auf die Frage, welche Maßnahmen überhaupt durchgeführt werden sollten. Insbesondere erfolgt keine Bewertung der einzelnen Maßnahmen. Der einzige praktikable Fall, für den die CEA eine sinnvolle Antwort liefert, ist der eines fest vorgegebenen Budgets, das auf eine ebenfalls fest vorgegebene Menge möglicher Maßnahmen aufgeteilt werden soll. In diesem Fall ist mit jener Maßnahme zu beginnen, die den niedrigsten ?c£A-Wert aufweist, und so lange fortzufahren, bis das Budget aufgebraucht ist. Die Problematik dabei liegt aber darin, dass die Frage offen bleibt, wie die Höhe des Budgets selbst auf rationale Weise bestimmt werden kann. Ad b): Hierbei trägt man der Mehrdimensionalität des Gesundheitsbegriffs Rechnung und versucht, alle Wirkungen einer Maßnahme - Lebensverlängerung und Änderung des Gesundheitszustands - durch ein geeignetes Gewichtungsschema bei der Bewertung zu berücksichtigen. Hierzu sind verschiedene Methoden entwickelt worden, die wir in Abschnitt 2.3 ausführlicher vorstellen. Das bekannteste und am häufigsten verwendete Nutzenmaß sind die „qualitätsbereinigten Lebensjahre" (kurz: QALYs für quality-adjusted life years). Bei dieser Methode werden alle denkbaren Gesundheitszustände auf einer Skala bewertet, auf der der Tod den Nullpunkt und der Zustand vollkommener Gesundheit den Wert 1 einnimmt. Die Werte dieser Nutzenfunktion sind so definiert, dass ein repräsentatives Individuum z.B. zwischen den beiden folgenden Szenarien indifferent wäre: „Überlebe ein Jahr lang bei einem Zustand mit dem Nutzenwert 0,5" und „Überlebe ein halbes Jahr lang im Zustand vollkommener Gesundheit" (zu den Einzelheiten der Bewertung vgl. Abschnitt 2.3). Auf diese Weise werden alle gesundheitlichen Auswirkungen einer Maßnahme vergleichbar gemacht, so dass man sie zu einem Index aufsummieren kann. Den Wert dieses Indexes kann man als Zuwachs an QALYs interpretieren. Das darauf aufbauende Evaluationsverfahren wird als Kosten-Nutzwert-Analyse (engl. „cost-utility analysis", CUA) bezeichnet. Es ist wie die Kosten-EffektivitätsAnalyse (CEA) zunächst nur für den Vergleich zweier sich gegenseitig ausschließender Maßnahmen geeignet,1 und das Vergleichskriterium lautet hier: ^Die Ausschließung kann auch durch eine Budgetbeschränkung begründet sein.
2.2 Verfahren der Evaluation im Gesundheitsbereich
23
Tabelle 2.1. Hitliste medizinischer Interventionen: Kosten je gewonnenem QALY (Großbritannien, Preise in £ von 1990) Neurochirurgischer Eingriff bei einer Kopfverletzung Rat des Hausarztes, das Rauchen einzustellen Schrittmacherimplantation Herzklappen-Ersatz bei einer Aortenstenose Hüftendoprothese Koronare Bypass-Operation wegen schwerer Angina Pectoris mit Links-Herzinsuffizienz Nierentransplantation Brustkrebs-Reihenuntersuchung Herztransplantation Koronare Bypass-Operation wegen leichter Angina Pectoris mit Ein-Gefäß-Leiden Hämodialyse im Krankenhaus Neurochirurgischer Eingriff bei bösartigen intrakraniellen Tumoren Quelle:
MAYNARD
240 270 1.100 1.140 1.180 2.090 4.710 5.780 7.840 18.830 21.970 107.780
(1991)
Kosten in Geldeinheiten Erträge in Nutzeneinheiten Von zwei Maßnahmen ist diejenige vorzuziehen, die einen geringeren aufweist. Gegenüber der CEA besitzt die CUA den Vorteil, dass der Vergleich auch auf medizinische Interventionen unterschiedlicher Art und darüber hinaus auf medizinische und sonstige Maßnahmen anwendbar ist. Denn jetzt werden Wirkungen auf unterschiedlichen (z.B. klinischen) Ebenen durch die Nutzenbewertung kommensurabel gemacht. Kosten-Nutzwert-Analysen können dazu dienen, sog. „Hitlisten" (engl. „league tables") medizinischer Interventionen aufzustellen, die dem Betrachter - und dem politischen Entscheidungsträger, der für die Ressourcenvergabe im Gesundheitswesen verantwortlich ist - vor Augen führen sollen, mit welch unterschiedlichem Aufwand ein vergleichbarer Zuwachs an Lebensqualität in verschiedenen Bereichen der Medizin erkauft wird. Ein Beispiel für eine solche Hitliste findet sich in Tabelle 2.1. Auch dieser Ansatz hat jedoch seine Grenzen, zusätzlich zu dem oben unter 1. genannten Einwand, dass es von Bedeutung sein könnte, wie sich die gewonnene Lebensqualität auf die Individuen verteilt: (i) Es muss festgelegt werden, wessen Nutzenfunktion zur relativen Bewertung der verschiedenen Gesundheitszustände herangezogen werden soll. (ii) Auch die CUA liefert lediglich eine Rangordnung der relativen Vorzugswürdigkeit von sich gegenseitig ausschließenden Maßnahmen, trifft aber keine Aussage darüber, bis zu welchem rcc/A-Wert eine Maßnahme noch durchgeführt werden
24
2 Zur ökonomischen Bewertung von Leben und Gesundheit sollte. Diese Frage lässt sich wiederam bei vorgegebenem Budget beantworten, wobei wie bei der CEA die Frage nach der optimalen Höhe des Budgets offen bleibt.
Ad c): Hier wird jeder Verlängerung des Lebens und jeder Änderung des Gesundheitszustandes ein monetäres Äquivalent zugeordnet (zur Problematik und den Methoden dieser Bewertung vgl. Abschnitt 2.4). Hat man auf diese Weise sowohl die negativen als auch die positiven Wirkungen einer Maßnahme in Geldwerten ausgedrückt, so lässt sich die Kosten-Nutzen-Analyse (engl. „cost-benefit analysis", CBA) anwenden. Als einzige der hier betrachteten Evaluationsverfahren ist sie dazu geeignet, jede einzelne in Frage stehende Maßnahme für sich genommen zu bewerten. Das Entscheidungskriterium lautet dabei: Kosten in Geldeinheiten Nutzen in Geldeinheiten und eine Maßnahme wird zur Durchführung empfohlen, sofern tcBA < 1 güt. Äquivalent dazu ist die Regel, eine Maßnahme zu empfehlen, sofern TCBA > 0 gilt, wobei TCBA durch
tcBA = geldwerter Nutzen — Kosten definiert ist. Die Anwendung dieser Regel wird wohlfahrtsökonomisch durch das Kriterium der „potentiellen Pareto-Verbesserung" („Kaldor-Hicks-Kriterium") begründet, das wir in Abschnitt 2.4.3 ausführlich diskutieren. Im Gegensatz zur Kosten-Effektivitäts-Analyse und Kosten-Nutzwert-Analyse beantwortet die Kosten-Nutzen-Analyse somit die Frage, welche Mittel insgesamt für Maßnahmen zur Erhöhung der Lebensdauer und -qualität ausgegeben werden sollen. Dieses wichtige Ergebnis fassen wir zusammen in Folgerung 2.1 Die Kosten-Effektivitäts-Analyse (CEA) eignet sich nurfür den Vergleich zweier sich gegenseitig ausschließender Maßnahmen mit einer eindimensionalen Wirkung. Die Kosten-Nutzwert-Analyse (CUA) hingegen erlaubt auch eine Bewertung von Maßnahmen mit mehreren verschiedenartigen Wirkungen. Ohne Vorgabe eines Budgets trijft sie jedoch keine Aussage darüber, ob eine Maßnahme auch durchgefilhrt werden sollte. Die Kosten-Nutzen-Analyse (CBA) nimmt eine monetäre Bewertung von Leben und Gesundheit vor und ermöglicht deshalb die Bewertung jedes einzelnen Projekts. Fiir die Kosten-Nutzen-Analyse spricht somit, dass sie eine klare Handlungsempfehlung gibt. Allerdings beruht sie auf einem anderen Konzept der Messung der Wirkungen einer Maßnahme. In der Regel geht sie vom subjektiven Nutzenkonzept aus und verwendet die Summe der Zahlungsbereitschaften der betroffenen
2.3 Kosten-Nutzwert-Analyse
25
Personen als Maß für den geldwerten Nutzen (siehe Abschnitt 2.4). Bei der KostenEffektivitäts-Analyse und der Kosten-Nutzwert-Analyse stehen jedoch Wirkungen auf den Gesundheitszustand im Mittelpunkt. Es handelt sich um eine grundsätzlich andere Herangehensweise an die Bewertung von Maßnahmen. Im Rest dieses Kapitels möchten wir deshalb die grundlegenden Unterschiede der beiden häufigsten angewandten Methoden - der Kosten-Nutzwert-Analyse und der Kosten-Nutzen-Analyse - erörtern. 2 In Abschnitt 2.3 diskutieren wir die Kosten-Nutzwert-Analyse. Dabei erläutern wir insbesondere das Konzept der QALYs. Abschnitt 2.4 stellt die Kosten-Nutzen-Analyse dar. In beiden Abschnitten untersuchen wir insbesondere die wohlfahrtstheoretischen Grandlagen der beiden Methoden. In Abschnitt 2.5 werden schließlich die Kosten-Nutzwert-Analyse und die Kosten-Nutzen-Analyse miteinander verglichen.
2.3 Kosten-Nutzwert-Analyse 2.3.1 Konzepte der Nutzenmessung Verschiedene Nutzenkonzepte sind entwickelt worden, um die mehrdimensionalen Wirkungen einer Maßnahme in einem Index zusammenzufassen. Zu den bekanntesten gehören: 1. Behinderungsbereinigte Jahre (Disability-Adjusted Life Years, DALYs) Dieses Konzept wurde zum ersten Mal 1993 im Weltentwicklungsbericht der Weltbank verwendet (vgl. WELTBANK (1993), für eine detaillierte Darstellung MURRAY (1994)). DALYs geben den Verlust an Jahren in voller Gesundheit ausgehend von standardisierten Lebenserwartungen (80 Jahre für Männer, 82,5 Jahre für Frauen) an. Von Experten festgelegte Morbiditätsgewichte werden verwendet, um Zustände mit eingeschränkter Gesundheit zu bewerten. Zudem werden die Jahre unterschiedlich gewichtet, je nach dem, in welchem Alter sie verbracht werden. Ein gesund verbrachtes Jahr im Alter von 25 Jahren wird am höchsten bewertet. Der Nutzen von Maßnahmen lässt sich anhand der durch sie eingesparten DALYs messen. DALYs werden z.B. von der WHO zum Vergleich der Gesundheit der Bevölkerung in unterschiedlichen Ländern verwendet. 2. Qualitätsbereinigte Jahre (Quality-Adjusted Life Years, QALYs) Das QALY-Konzept geht zuriick auf eine Arbeit von KLARMAN ET AL. (1968), in der zum ersten Mal explizit gewonnene Lebensjahre und Veränderungen der Lebensqualität in einem Index dargestellt wurden. Wie bei den DALYs wird jedem Gesundheitszustand ein Morbiditätsgewicht zugeordnet. Allerdings werden diese Werte in der Regel durch Befragung potentiell Betroffener ermittelt. 2
Die Kosten-Effektivitäts-Analyse stellen wir nicht weiter dar, da sie nur sehr begrenzt anwendbar ist.
26
2 Zur ökonomischen Bewertung von Leben und Gesundheit Die QALYs einer Person werden bestimmt, indem man die erwartete Dauer jedes Gesundheitszustandes mit der Bewertung dieses Zustandes gewichtet. Der Nutzen einer Maßnahme ergibt sich durch den von ihr erreichten Zugewinn an QALYs.
3. Äquivalente gesunde Jahre (Healthy-Years Equivalents, HYEs) Bei diesem von M E H R E Z UND GAFNI (1989) entwickelten Konzept werden Individuen befragt, wie sie das durch eine Maßnahme hervorgerufene Gesundheitsprofil, d.h. die möglichen Entwicklungen des Gesundheitszustandes als Folge der Maßnahme, bewerten. Konkret sollen Individuen angeben, wie viele Jahre in perfekter Gesundheit dem Profil entsprechen. Diese Konzepte unterscheiden sich darin, (i) wer die Bewertung der Lebensqualität vornimmt und (ii) ob die Reihenfolge der Gesundheitszustände berücksichtigt wird. Ad (i): Bei dem DALY-Konzept wird die Lebensqualität von Experten bewertet, während sie bei den anderen beiden Konzepten in der Regel durch Befragung ermittelt wird. Die letztere Vorgehensweise erscheint insofern angemessen, als die Frage, wie ein Zustand zu bewerten ist, letztlich nur von den Betroffenen selbst entschieden werden kann. Experten haben lediglich eine höhere Kompetenz in technischen Aspekten. Das DALY-Konzept erscheint deshalb als Entscheidungsgrundlage wenig geeignet. Es wird entsprechend hauptsächlich für ländervergleichende Studien eingesetzt. Ad (ii): bei den DALYs und QALYs spielt die Reihenfolge, in der Gesundheitszustände auftreten können, keine Rolle. Bei den HYEs hingegen wird das gesamte Gesundheitsprofil, d.h. die möglichen Entwicklungen des Gesundheitszustandes als Folge der Maßnahme, von den Individuen bewertet. HYEs sind deswegen grundsätzlich vorzuziehen, zugleich aber auch wesentlich aufwändiger, weil ein vollständiges Gesundheitsprofil eine umfangreiche Beschreibung verlangt. Deshalb sind HYEs bislang auch kaum in der Praxis angewendet worden. Im Folgenden untersuchen wir mit den QALYs die bei weitem populärste Methode näher. Insbesondere die Annahmen an die Nutzenfunktion stehen dabei im Mittelpunkt. 2.3.2 Das Konzept der QALYs 2.3.2.1 Die Berechnung der QALYs Bei der Bestimmung der QALYs werden zunächst die Nutzengewichte für die verschiedenen Gesundheitszustände aus einer Befragung gewonnen (vgl. hierzu Abschnitt 2.3.3). Das Gewicht für den Zustand bei perfekter Gesundheit wird dabei auf 1 normiert; dem Zustand „Tod" wird das Gewicht 0 zugeordnet. Mit diesen Gewichten wird dann die Qualitätsanpassung vorgenommen, indem die erwartete Dauer jedes möglichen Gesundheitszustandes mit dem entsprechenden Nutzengewicht
2.3 Kosten-Nutzwert-Analyse
27
Abb. 2.1. QALYs als Bindeglied zwischen Lebenslänge und -qualität b) Umrechnung einer Änderung des Gesundheitszustandes in QALYs
a) Umrechnung von Lebensjahren in QALYs
Nutzen pro Periode
u(G*)=1 M(G*)=1
G*
Nutzen pro Periode
D
u(G*)=1
u(G3)
0
u(G2)
A
u(G1) B
C t(x,Gv1)) QALYs
x
Zeit
0
G*
K
K'
E'
F'
E
F
J t(x,G22)) QALYs
J' t(x,G /(x,G3) QALYs
x
Zeit
multipliziert wird. Durch Addition der entstehenden Produkte erhält man die QALYs. Abbildung 2.1 illustriert, wie sich mit dem QALY-Modell a) eine Lebensverlängerung um x Jahre, die in einem schlechteren Gesundheitszustand, z.B. G\, verbracht werden müssen, oder b) eine für x Jahre andauernde Veränderung des Gesundheitszustandes, z.B. von G2 zuG 3 bewerten lassen. Das Problem a) wird in Abbildung 2.1a illustriert. Der Nutzen daraus, x Jahre im Gesundheitszustand G\ zu verbringen, ist durch die Fläche des Rechtecks OxAB gegeben. Der gleiche Nutzen kann dadurch erreicht werden, dass t(x, G\) Jahre in vollkommener Gesundheit durchlebt werden (OCDG* = OxAB). Die Anzahl der QALYs, die x Jahre im Zustand G\ entsprechen, ist somit durch t(x,G\) < x gegeben. Zur Lösung eines Problems vom Typ b) ist dann nur noch ein kleiner Schritt: Sei t(x,G2) die Anzahl der QALYs, die x Jahre in Zustand G2 entsprechen, und t(x,G3) die entsprechende Anzahl für den Zustand G3, dann gibt die Differenz t(x, G3) - t(x, G2) die Anzahl von gewonnenen Lebensjahren im Idealzustand an, die der zugrunde liegenden Änderung des Gesundheitszustandes für x Jahre von G2 auf G3 wertmäßig äquivalent sind. Abbildung 2.1 illustriert diese Beziehung: Zunächst
28
2 Zur ökonomischen Bewertung von Leben und Gesundheit
werden x im Zustand Gi verbrachte Jahre in t(x, G2) QALYs umgerechnet, wobei die Gleichheit der Flächen OxFE und OJKG* verwendet wird. Anschließend werden x Jahre im Zustand G3 in t(x,Gi) QALYs umgerechnet. Die Differenz an QALYs gibt dann die Änderung des Gesundheitszustandes an, wie das betroffene Individuum sie bewertet. Folgerung 2.2 Das Konzept der qualitätsbereinigten Lebensjahre (QALYs) erlaubt es aufeinfache Weise, Änderungen der Lebensqualität mit Änderungen der Lebensdauer vergleichbar zu machen. 2.3.2.2 Entscheidungstheoretische Fundierung Das Konzept der QALYs zeichnet sich durch seine einfache Anwendbarkeit aus. Insbesondere wenn die Nutzengewichte bereits erfasst sind, lässt sich eine Maßnahme unkompliziert bewerten. Da QALYs jedoch Grandlage einer Entscheidung über die Finanzierung von Maßnahmen bilden sollen, sollten sie auch entscheidungstheoretisch fundiert sein. Wir untersuchen deshalb im Folgenden, wie die QALYs vor dem Hintergrund der bekanntesten Entscheidungstheorie bei Unsicherheit, der Erwartungsnutzen-Theorie, zu beurteilen sind.3 Dabei gehen wir zunächst von der geläufigsten Form des QALY-Modells ohne Diskontierung und ohne Risikoaversion bezüglich der Lebensdauer aus. Wie sich diese Faktoren einbeziehen lassen, diskutieren wir im Anschluss an die Darstellung des Modells. Um die Präferenzen der von der Maßnahme betroffenen Individuen durch ihren Erwartungsnutzen beschreiben zu können, nehmen wir im Folgenden an, dass ihre Präferenzordnung die von-Neumann-Morgenstern-Axiome erfüllt.4 Der Einfachheit halber gehen wir von chronischen Gesundheitszuständen aus, d.h. alle möglichen Gesundheitszustände Gh,h= l,...,H, bleiben unverändert während der Restlebensdauer T/,.5 Die Kombination (G/,,7),) trete mit der Wahrscheinlichkeit 71/, ein. Ein Individuum sieht sich somit einer Lotterie von chronischen Krankheiten (G/,, 7),) gegenüber. Bezeichnet man den Nutzen bei dieser chronischen Krankheit mit w(G/,, 7J,), so beträgt der Erwartungsnutzen des Individuums
Y,(Th).
(2.1)
h=\
3
Ein Charakterisierung von QALYs auf Grundlage einer alternativen Entscheidungstheoriefindetsich in BLEICHRODT UND QUIGGIN (1997). 4 Eine Darstellung der von-Neumann-Morgenstern-Axiome findet sich z.B. in LAFFONT (1989, Kapitel 1). 5 Diese Annahme wird lediglich getroffen, um die Darstellung zu vereinfachen und stellt keine Anforderung des QALY-Modells dar.
2.3 Kosten-Nutzwert-Analyse
29
Damit sich der Erwartungsnutzen auf QALYs reduzieren lässt, muss die Nutzenfunktion folgende Form annehmen: u{GhJh) = u{Gh)Th.
(2.2)
Unter Verwendung von (2.2) vereinfacht sich (2.1) dann zu EU = QALYs = £ nhThu(Gh),
(2.3)
d.h. der Erwartungsnutzen entspricht den mit ihrer erwarteten Dauer gewichteten Nutzen der einzelnen Gesundheitszustände. Da sich in der Erwartungsnutzentheorie die Nutzenfunktion M(.) mit einer positiven Konstanten multiplizieren lässt, kann man w(.) ohne Beschränkung der Allgemeinheit so festlegen, dass im Idealzustand G* bei perfekter Gesundheit u(G*) = 1 ist und der Tod u(.) = 0 entspricht. Der Erwartungsnutzen des Individuums lässt sich dann als Zahl der qualitätsbereinigten Lebensjahre interpretieren. Aus entscheidungstheoretischer Perspektive gründet die Einfachheit der QALYBerechnung auf der speziellen Form der Nutzenfunktion in Gleichung (2.2). Diese Form unterstellt zunächst, dass die Präferenzen über Gesundheitszustände Uber das ganze Leben stabil sind, d.h. dass sich M(G/J) nicht mit dem Alter ändert. Des Weiteren folgt aus Gleichung (2.2), dass das Individuum risikoneutral in Bezug aufdie Lebensdauer ist, d.h. für einen gegebenen Gesundheitszustand ist es indifferent zwischen einer Lotterie mit sicherer Lebensspanne T und einer Lotterie mit unsicherer Lebensdauer, aber gleicher Lebenserwartung T. Risikoneutralität im Bezug auf die Lebensdauer allein charakterisiert aber noch nicht die Form der Nutzenfunktion (2.2). Allgemein impliziert dies lediglich, dass die Nutzenfunktion in Abwesenheit von Diskontierung folgende Form annimmt: u(GJ)=c(G) + v(G)T
mit
v(G) > 0.
(2.4)
Gleichung (2.2) verlangt zusätzlich, dass «(G/,,0) für alle Gesundheitszustände gleich ist. Weitere Annahmen sind deshalb nötig. In der Literatur sind hierzu zwei Ansätze beschritten worden. Die einfachste Lösung stammt von BLEICHRODT ET AL. (1997). Sie unterstellten eine ihrer Ansicht nach plausible Null-Bedingung, nach der bei einer Dauer von Null Lebensjahren alle Gesundheitszustände äquivalent sind. Dies heißt formal, dass VG/, M(GA, 0) =const. Das bedeutet bei Risikoneutralität, dass die Funktion c(G) eine konstante Funktion ist. Da man bei einer von-Neumann-Morgenstern-Nutzenfunktion ohne Beschränkung der Allgemeinheit eine beliebige Konstante hinzuaddieren kann, lässt sich c(G) = 0 setzen und man erhält Gleichung (2.2).
30
2 Zur ökonomischen Bewertung von Leben und Gesundheit
Eine andere Begründung des QALY-Modells unterstellt neben der Risikoneutralität bezüglich der Lebensdauer folgende Eigenschaft der Nutzenfunktion: VG, G' existiert ein q > 0 : u{G, T) = u(G',qT) V7\ Diese Eigenschaft wird als konstanter proportionaler Trade-off bezeichnet und besagt, dass der Anteil an Lebensjahren, die ein Individuum bereit ist, für eine Gesundheitsverbesserung aufzugeben, unabhängig von der Restlebensdauer ist. Setzt man T = 0, so erhält man, wie vom QALY-Modell verlangt, dass u(G,0) für alle Gesundheitszustände gleich ist.6 In zwei Erweiterungen lassen sich die einschränkenden Annahmen des QALYModells etwas lockern. Zum einen lässt sich eine Diskontierung des zukünftigen Nutzens berücksichtigen, indem man anstatt von (2.2) von folgender Form der Nutzenfunktion ausgeht: Th
uD{GhJh)
= ^%~lu{Gh).
(2.5)
t=\
Dabei beschreibt ß, < 1 den Diskontfaktor in Periode t. Die QALYs betragen dann H
Th
h=\
t=\
QALYsD = £ nh £ %-lu[Gh).
(2.6)
Im Gegensatz zum Modell ohne Diskontierung unterstellt dieser Ansatz, dass die Individuen risikoneutral bezüglich der diskontierten Lebensdauer sind [vgl. JOHANNESSON ET AL. (1994)]. Zum anderen kann Risikoaversion bezüglich der Lebensdauer einbezogen werden, indem man die Nutzenfunktion folgendermaßen formuliert: UR(GH,TH)=U(GH)T£.
(2.7)
Entsprechend erhalten wir für die QALYs
QALYsÄ = f > h r ; K ( G A ) .
(2.8)
Darin ist r ein Maß der Risikoaversion [vgl. P L I S K I N E T A L . (1980)]. Das Individuum ist risikoavers, falls r < 1. Bei gleicher Lebenserwartung bevorzugt es in diesem Fall immer eine sichere Lebensdauer. Die Annahme der Risikoneutralität 6
Die Eigenschaft des konstanten proportionalen Trade-offs ist von PLISKIN ET AL. (1980) noch weiter begründet worden. Sie zeigen, dass sie zutrifft, wenn zum einen wechselseitige Nutzenunabhängigkeit (siehe BLEICHRODT ET AL. (1997, S.lll) vorliegt und zum anderen wenn lediglich unterstellt wird, dass ein konstanter proportionaler Trade-off für den besten und schlechtesten Gesundheitszustand gilt. Deshalb werden häufig Risikoneutralität bzgl. der Lebensdauer, wechselseitige Nutzenabhängigkeit und konstanter proportionaler Trade-off als Annahmen des QALY-Modells bezeichnet (vgl. DOLAN (2000, S.1730)).
2.3 Kosten-Nutzwert-Analyse
31
bezüglich der Lebensdauer lässt sich dann lockern. Allerdings ist die Nutzenfunktion (2.7) nicht mit allen möglichen Risikopräferenzen vereinbar, sondern unterstellt eine konstante Risikoaversion bezüglich der Lebensdauer.7 Auch bei Berücksichtigung von Diskontierung und Risikoaversion stellt das QALY-Modell somit relativ starke Annahmen an die Struktur der Nutzenfunktion. Wir können daher unsere bisherigen Überlegungen zusammenfassen in Folgerung 2.3 Eine entscheidungstheoretische Analyse auf der Basis der Erwartungsnutzentheorie zeigt, dass das Konzept der QALYs auf mehreren einschränkenden Annahmen beruht. So müssen die Präferenzen über Gesundheitszustände Uber das ganze Leben stabil sein. Bezüglich der Lebensdauer muss konstante proportionale Risikoaversion vorliegen. Des Weiteren miissen die Präferenzen die ,,Null-Bedingung" erfüllen oder durch einen „konstanten proportionalen Trade-off" gekennzeich.net sein. Empirische Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Anforderungen des QALY-Modells im Allgemeinen nicht erfüllt sind [vgl. DOLAN (2000) für einen Überblick]. Es stellt sich somit die Frage, ob die Hauptalternative zu den QALYs, die HYEs, vorzuziehen sind. Diese Methode stellt bei weitem weniger starke Annahmen an die Nutzenfunktion. So müssen z.B. die Präferenzen über Gesundheitszustände nicht über das ganze Leben stabil sein. Allerdings leidet diese Methode daranter, dass sie äußerst aufwändig zu erheben ist, da den Betroffenen sämtliche mögliche Gesundheitsprofile vorgelegt werden müssen. Bei der Ermittlung des Nutzens einer Maßnahme besteht somit ein Zielkonflikt zwischen einer möglichst realitätsnahen Erhebung der Präferenzen und dem Umfang der Erhebung. Die QALY-Methode stellt eine pragmatische Lösung dieses Konflikts dar. Ob andere Methoden wie die HYEs, die weniger starke Annahmen an die Nutzenfunktion stellen, eine wesentlich bessere Erfassung der Präferenzen erreichten, ist ein wichtiges Thema für die zukünftige Forschung.
2.3.2.3 QALYs und Konsum Bislang haben wir angenommen, dass der Nutzen des Individuums nur auf gesundheitsbezogenen Größen beruht. Er wird jedoch auch von anderen Faktoren beeinflusst. Dazu gehört insbesondere der Konsum, der sonst in der Nutzentheorie eine zentrale Rolle spielt. Damit der Erwartungsnutzen ceteris paribus durch die QALYs erfasst wird, muss folgender Zusammenhang für den Nutzen in der Periode t vorliegen: U, (ct,Gh) = at(ct) +b{c,)u(Gh), bt(ct) >0yc,. (2.9)
7
Dies liegt vor, falls R(T) = T"JT,^1'^ konstant ist. Bei der Nutzenfunktion (2.7) beträgt
R(T) = l-r.
32
2 Zur ökonomischen Bewertung von Leben und Gesundheit
Eine hinreichende Bedingung für den Zusammenhang (2.9) liegt vor, wenn die Bewertung des Gesundheitszustandes unabhängig vom Konsum ist.8 Unterstellt man wie BLEICHRODT UND QUIGGIN (1999) die Bedingung, dass im Todesfall der Nutzen unabhängig von c Null sein muss, dann gilt at(ct) = 0 und (2.9) vereinfacht sich zu U,{ct,Gh)=bt{ct)u(Gh),bt(ct)>O,Vct.
(2.10)
Sei %h)t die Wahrscheinlichkeit die Periode t im Gesundheitszustand h zu verbringen, t die maximale Lebensdauer und ct der Konsum in Periode t. Des Weiteren ergebe sich der intertemporale Nutzen aus der Summe der Periodennutzen und es finde keine Diskontierung statt. Dann beträgt der Erwartungsnutzen eines Individuums (2.11)
Bei einer in allen Perioden identischen Periodennutzenfunktion b{ct)u(Gh) und konstantem Konsum c vereinfacht sich Gleichung (2.11) zu H t EU = b(c)Y,Y,nh,tu(Gh).
(2.12)
h=lt=l
f Der Term ^ %h,t ist die erwartete Zeit, die das Individuum im Gesundheitszustands t=i
H f
h verbringt. Entsprechend lässt sich ^ 'Yith,tu(Gh) als QALYs interpretieren und wir erhalten EU = b(c)QALYs.
(2.13)
Damit wird deutlich, dass QALYs grundsätzlich ein eigenständiges Argument einer herkömmlichen Nutzenfunktion unabhängig vom Einkommen sein können. Hierfür sind aber eine Reihe restriktiver Annahmen nötig. Gilt z.B. der Zusammenhang (2.9) nicht, ändert sich die Periodennutzenfunktion im Zeitablauf oder ist der Konsum nicht konstant, dann lassen sich Veränderungen gesundheitsbezogener Größen im allgemeinen nicht durch QALYs erfassen. Eine Erhöhung bzw. Verringerung der QALYs einer Person muss dann nicht automatisch eine Nutzenverbesserung bzw. -verschlechterung bedeuten, da bei einer Bewertung von Gesundheitsänderungen nicht getrennt vom Konsumverhalten bewertet werden kann (siehe hierzu auch Übungsaufgabe 2.2). 8
Siehe KEENEY UND RAIFFA (1976, S.226) zur Definition der Nutzenunabhängigkeit. Eine detaillierte Herleitung der Zusammenhänge dieses Abschnitts findet sich in dem Beitrag von BLEICHRODT UND QUIGGIN (1999).
2.3 Kosten-Nutzwert-Analyse
33
Folgerung 2.4 Berücksichtigt man, dass derNutzen außer von der Gesundheit auch vom Konsum abhängt, dann sind weitere restriktive Annahmen nötig, damit durch QALYs alle gesundheitsrelevanten Faktoren in einem Index erfasst werden. 2.3.2.4 Aggregation der QALYs und Prinzipien der kollektiven Entscheidung Die Kosten-Nutzwert-Analyse dient dazu, eine kollektive Entscheidung zu treffen. Unter Verwendung der QALYs lautet dabei die Regel, dass aus einer Menge möglicher Maßnahmen diejenigen ausgewählt werden sollen, die bei einem gegebenen Budget die Summe der QALYs maximieren. Diese Regel beraht auf zwei grundlegenden Werturteilen: 1. Die Wohlfahrt einer betroffenen Person geht ausschließlich in Form ihrer QALYs in die kollektive Entscheidungsregel ein. 2. Es ist irrelevant, bei wem die QALY-Erhöhung eintritt. Welche Argumente lassen sich für und gegen diese Werturteile anführen? Wenden wir uns zunächst dem ersten Punkt zu: Wie wir schon im ersten Kapitel ausgeführt haben, hängt die Wohlfahrt einer Person nicht allein von ihrer Gesundheit, sondern auch von anderen Gütern ab. Diesem Punkt wird Rechnung getragen, wenn man bei einer kollektiven Entscheidung die gesamte Wohlfahrt einer Person einfließen lässt. In der Wohlfahrtsökonomik wird hier vom Prinzip des Welfarismus ausgegangen, nach dem jedes Individuum mit seinem individuellen Nutzen in die kollektive Entscheidung eingeht.9 Ausgehend von dieser Sichtweise greift das QALYKonzept zu kurz. Stattdessen fordert der Welfarismus, den gesamten Nutzen der Person als Grundlage zu verwenden. Wie wir im vorhergehenden Abschnitt gezeigt haben, sind QALYs jedoch nur ein Argument des gesamten Nutzen einer Person und auch dies nur, wenn die Nutzenfunktion eine bestimmte Struktur besitzt. Gegen die Berücksichtigung des gesamten Nutzens wenden sich die sogenannten Extra-Welfaristen.10 Sie argumentieren, dass der individuelle Nutzen keine geeignete Basis für kollektive Entscheidungen ist, sondern dass es vielmehr darauf ankommt, die Voraussetzungen für ein gutes Leben zu schaffen. Eine zentrale Komponente ist dabei die Gesundheit. Deshalb sollten lediglich QALYs als präferenzbasiertes Gesundheitsmaß verwendet werden, während weitere Faktoren nicht berücksichtigt werden sollen. Gegen das zweite Werturteil lässt sich einwenden, dass auch die Verteilung der QALYs in die Bewertung mit eingehen sollte. Die extreme Gegenposition zur Maximierung der Summe der QALYs wäre das Maximin-Prinzip, nach dem die QALYs derjenigen Person mit den geringsten QALYs maximiert werden sollte. Eine mittlere Position würde die Anzahl der QALYs und eine mögliche ungleiche Verteilung gegeneinander abwägen. 9
Siehe BREYER UND KOLMAR (2001, Kapitel 2).
10
Siehe CULYER (1989,1990).
34
2 Zur ökonomischen Bewertung von Leben und Gesundheit
Die verschiedenen Positionen lassen sich mit Hilfe einer gesundheitsbezogenen Wohlfahrtsfunktion = GW{QALYsi,...,QALYs„}
(2.14)
darstellen, die von den QALYs der betroffenen Personen / = 1,...,« bei Geburt abhängt.11 In Abbildung 2.2 wird dies für den Zwei-Personen-Fall illustriert. In der Ausgangssituation seien die QALYs bei der Geburt QALYs*. Die konkav zum Ursprang verlaufende Kurve QMK gibt die mögliche QALY-Verteilung auf beide Personen durch gesundheitsverbessemde Maßnahmen für ein vorgegebenes Budget an. Bei QALY-Maximierung verlaufen die Indifferenzkurven der Wohlfahrtsfunktion mit der Steigung -1. Entsprechend ist der Punkt A optimal. In diesem Beispiel führt dies zu einer ungleichen Verteilung der QALYs. Person 2 würde über mehr QALYs verfügen als Person 1. Sollen hingegen nach dem Maximin-Prinzip die QALYs der Person mit den geringsten QALYs maximiert werden, dann verlaufen die Indifferenzkurven L-förmig. Dies führt zu dem optimalen Punkt C, in dem beide Personen über gleich viele QALYs verfügen.12 Bei einer mittleren Position verlaufen die Indifferenzkurven konvex zum Ursprung. Folglich ist der Punkt B optimal, der zwischen den Punkten A und C liegt. Abbildung 2.2 zeigt, dass es grundsätzlich möglich ist, die Verteilung der QALYs in einer erweiterten Kosten-Nutzwert-Analyse zu berücksichtigen. Allerdings werden hierzu erheblich mehr Informationen benötigt als bei einer herkömmlichen Kosten-Nutzwert-Analyse. Zum einen muss der genaue Verlauf der QALY-Möglichkeitskurve bestimmt werden. Dies ist in der herkömmlichen Kosten-Nutzwert-Analyse nicht nötig, da nur der Zugewinn an QALYs bekannt sein muss, nicht aber die QALYs in der Ausgangssituation. Zum anderen muss eine gesundheitsbezogene Wohlfahrtsfunktion bestimmt werden, welche die Präferenzen der Gesellschaft bezüglich der QALYs ausdrückt. Unsere Überlegungen fassen wir zusammen in Folgerung 2.5 Die Kosten-Nutzwert-Analyse ist nicht mit einer welfaristischen Position vereinbar, nach der der gesamte Nutzen einer Person in die kollektive Entscheidung eingehen sollte. Verteidigen lässt sich die Verwendung von QALYs aber mit einer extra-welfaristischen Position, nach der allein die durch QALYs gemessene Gesundheit für die kollektive Entscheidung von Bedeutung ist. Gegen das Prinzip der QALY-Maximierung lässt sich einwenden, dass die Verteilung der QALYs ebenfalls berücksichtigt werden sollte.
u
Dieser Vorschlag geht zurück auf WAGSTAFF (1991). Siehe auch WlLLlAMS UND
COOKSON (2000). 12
Das Maximin-Kriterium führt jedoch nicht immer zu einer Gleichverteilung. Weist die QMK-Kurve bei einer Gleichverteilung der QALYs eine positive Steigung auf, so liegt das Maximum der schlechter gestellten Person bei einer Ungleichverteilung.
2.3 Kosten-Nutzwert-Analyse
35
Abb. 2.2. Der Zielkonflikt zwischen Gleichverteilung und Gesamtzahl an QALYs
QALYs2 =QALYs2
QALY-Maximin
QALY-mittlere Position QALY-Maximierung QALYs
2
.
QALYs
2.3.3 Zur Nutzenbewertung der Gesundheitszustände Um die QALYs konkret zu bestimmen, müssen neben der erwarteten Dauer aller Gesundheitszustände die Präferenzen der Individuen gemessen werden. Hierzu sind mehrere Methoden entwickelt worden. Die am häufigsten verwendeten Verfahren sind die Bewertungsskala (engl. Rating Scale), die Methode der zeitlichen Abwägung (Time Trade-off) und die Standard-Lotterie (Standard Gamble).13 2.3.3.1 Die Bewertungsskala Eine Bewertungsskala besteht aus einer Linie mit eindeutig definierten Endpunkten, die den schlechtesten Gesundheitszustand (normalerweise den Tod) und den besten Gesundheitszustand beschreiben. Die befragte Person soll einen bestimmten Gesundheitszustand bewerten, indem sie einen Punkt auf der Linie angibt, der diesem Gesundheitszustand entspricht. Die Linie wird anschließend auf eins normiert. Der Gewichtungsfaktor für die Berechnung der QALYs entspricht dann dem Wert, bei welchem der Gesundheitszustand eingezeichnet wurde. Der Vorteil von Bewertungsskalen ist ihre einfache Anwendbarkeit. Die Methode liefert jedoch lediglich eine ordinale Rangordnung von Gesundheitszuständen. Dies reicht für einen Qualitätsindex nicht aus. Es sollten auch die Differenzen zwischen 13
Für weitere Methoden siehe DRUMMOND ET AL. (1997, Kapitel 6).
36 36
22 Zur Zurökonomischen ökonomischenBewertung Bewertungvon vonLeben Lebenund undGesundheit Gesundheit Abb. Abb. 2.3. 2.3.Zeitliche ZeitlicheAbwägung Abwägungzur zurBewertung Bewertungvon vonGesundheitszuständen Gesundheitszuständen
Nutzen Nutzen pro pro Periode Periode
GG* G 1== (G*) =uuu(G*) (G*)
D
B
u (Gh)
0
A
t*t*
T
t tt Zeit Zeit Zeit
den deneinzelnen einzelnenNutzenniveaus Nutzenniveausbekannt bekanntsein. sein.Zudem Zudemist istdie dieMethode Methodeder derBewertungsBewertungsskala skalaanfällig anfälligfür fürverschiedene verschiedeneVerzerrungen. Verzerrungen.So Soschrecken schreckenIndividuen Individuendavor davorzurück, zurück, Gesundheitszustände Gesundheitszustände ininder derNähe Näheder derEndpunkte Endpunkteanzusiedeln anzusiedeln (End-of-Scale (End-of-Scale Bias), Bias), oder odersie siebewerten bewertenmehrere mehrereGesundheitszustände Gesundheitszustände so, so,dass dasssie sieetwa etwagleichmäßig gleichmäßigauf auf 14 der derganzen ganzenSkala Skalaverteilt verteiltsind sind(Spacing-Out (Spacing-OutBias). Bias).14 2.3.3.2 2.3.3.2 Die DieMethode Methodeder derzeitlichen zeitlichenAbwägung Abwägung Bei Beidieser dieserMethode Methodewird wirdfolgende folgendeFrage Fragegestellt: gestellt: „Nehmen „Nehmensie siean, an,Sie Siehätten hätteneine eineKrankheit, Krankheit,die dieSie Sieohne ohneBehandlung Behandlungfür fürdie dierestrestliche licheLebensdauer Lebensdauervon vonTTJahren Jahrenininden denGesundheitszustand Gesundheitszustand G/, G/,versetzt. versetzt.Die Dieeinzig einzig mögliche möglicheBehandlung Behandlungist istfür fürSie Siekostenlos kostenlosund undwürde würdeSie Sievollständig vollständigheilen, heilen,verkürzt verkürzt aber aberihre ihreLebensdauer Lebensdauerauf auft tJahre. Jahre.Bei Beiwelcher welcherLebensdauer Lebensdauert tsind sindSie Sie indifferent indifferent zwischen zwischenden denbeiden beidenAlternativen Alternativen„Behandlung" „Behandlung"und und„keine „keineBehandlung"? Behandlung"? Die t*{T,Gh), ,lässt lässtsich sichininder dereinfachen einfachen Version Versiondes des DieAntwort Antwortauf aufdiese dieseFrage, Frage,t*{T,Gh) QALY-Modells QALY-Modellsohne ohneDiskontierung Diskontierungund undRisikoaversion Risikoaversionfolgendermaßen folgendermaßeninterpretieinterpretieren: mit Behandlung aber ren:Ohne OhneBehandlung Behandlungbeträgt beträgtder derErwartungsnutzen Erwartungsnutzen TTu(Gf,), u(Gf,), mit Behandlung aber t*(T,Gh)u{G*) t*(T,Gh)u{G*) ==t*(T,G t*(T,Gh),h), da dader derNutzen Nutzenbei beiperfekter perfekter Gesundheit, Gesundheit, u(G*), u(G*), auf auf11 normiert normiertist. ist.Folglich Folglicherhalten erhaltenwir wiraus ausder derIndifferenz Indifferenz t*(T,G t*(T,Gh)h) 1414 Vgl.
Vgl.BLEICHRODT BLEICHRODTUND UNDJOHANNESSON JOHANNESSON(1997). (1997).
(2.15) (2.15)
2.3 Kosten-Nutzwert-Analyse
37
Abb. 2.4. Standard-Lotterie zur Bewertung von Gesundheitszuständen u(G h )
u (G*) = 1
(1-71) ^ ^
0
d.h. die Bewertung des Gesundheitszustandes entspricht dem Verhältnis t*/7\15 Dadurch, dass diese Methode auf der Erwartungsnutzentheorie aufbaut, ist sie im Gegensatz zur Bewertungsskala theoretisch fundiert. Abbildung 2.3 illustriert die Vorgehensweise graphisch. Dabei wird analog zu einer Umrechnung von Jahren in einem nicht perfekten Gesundheitszustand in QALYs vorgegangen (vgl. Abbildung 2.1a). Die einzige Modifikation ist, dass als Vergleichszeitraum x die restliche Lebensdauer T gewählt wird. Der Wert t*{T,Gh) in Abbildung 2.3 wird so bestimmt, dass die Flächen OTAB und Ot*DG* gleich groß sind. Die Relation t*(T,Gi,)/T wird dann als Nutzengewicht UZA(GII) interpretiert, mit dem der Gesundheitszustand G/, gewichtet wird. 2.3.3.3 Die Methode der Standard-Lotterie Hier lautet das Szenario (vgl. Abbildung 2.4): „Nehmen Sie an, Sie hätten eine Krankheit, die Sie ohne Behandlung permanent in den Zustand G/, versetzt. Die einzige mögliche Behandlung ist für sie kostenlos und würde Sie mit Wahrscheinlichkeit n vollständig heilen, mit der Wahrscheinlichkeit 1 — 7C aber zum sofortigen Tod führen. Bei welcher Wahrscheinlichkeit n sind sie indifferent zwischen den beiden Alternativen „Behandlung" und „keine Behandlung" ? " Die Antwort auf diese Frage, n*(Gh), lässt sich in der einfachen Version des QALY-Modells ohne Diskontierung und Risikoaversion folgendermaßen interpretie-
15
Bei Berücksichtigung von Diskontierung und Risikoaversion müssen noch der Diskontfaktor bzw. der Risikoaversionsparameter berücksichtigt werden (vgl. JOHANNESSON ET AL. (1994)).
38
2 Zur ökonomischen Bewertung von Leben und Gesundheit
ren:16 Bei einer restlichen Lebensdauer T beträgt der Erwartungsnutzen ohne Behandlung u(Gh)T. Mit Behandlung erhalten wir (1 -7t) x 0 + n*(Gh) x 1 x T = n*(Gh)T, da der Nutzen bei Tod auf 0 und der Nutzen bei perfekter Gesundheit auf 1 normiert ist. Folglich erhält man für den Nutzen des Gesundheitszustands G/, USL(GH) =
%{G h)T T
= JC*(GA),
(2.16)
d.h. der Wert des Gesundheitszustandes entspricht einfach der Wahrscheinlichkeit TC*(G/,).17 Wie die Methode der zeitlichen Abwägung ist sie durch die Erwartungsnutzentheorie theoretisch fundiert. Unsere Ergebnisse können wir somit zusammenfassen Folgerung 2.6 Falls die Präferenzen der Befragten die Annahmen des QALYModells erfüllen, soführen sowohl die Methode der zeitlichen Abwägung als auch die der Standard-Lotterie zu denselben Ergebnis, indem sie das Nutzengewicht des betrejfenden Gesundheitszustandes aufeiner Skala zwischen 0 (Tod) und 1 (perfekte Gesundheit) messen. Die Methode der Bewertungsskala eignet sich dagegen nicht zu einer Erhebung der Nutzengewichte, da sie nicht nutzentheoretisch fundiert ist. In der tatsächlichen Anwendung führen die Methode der zeitlichen Abwägung und der Standard-Lotterie allerdings zu unterschiedlichen Ergebnissen. Einerseits gelingt es nicht immer, die Gesundheitszustände G/, so zu definieren, dass alle Befragten darunter das Gleiche verstehen. Andererseits gibt es eine ganze Reihe experimenteller Forschungsergebnisse, welche die Gültigkeit der ErwartungsnutzenTheorie in Frage stellen [KAHNEMAN UND TVERSKY (1979), POMMEREHNE ET AL. (1982)]. Die Schwierigkeiten bei der Anwendung der beiden Methoden dürfen demnach nicht unterschätzt werden.
2.4 Kosten-Nutzen-Analyse Bei der Kosten-Nutzen-Analyse wird jeder Verbesserung bzw. der Lebensdauer der Gesundheit ein Geldwert zugeordnet. Hierzu sind in der Literatur mit dem Humankapital-Ansatz und dem Ansatz der Zahlungsbereitschaft zwei vollkommen unterschiedliche Konzeptionen entwickelt worden. Wir diskutieren in Abschnitt 2.4.2 16
Dies setzt allerdings voraus, dass der Befragte den beschriebenen Gesundheitszustand G/, dem sofortigen Tod vorzieht. Für Zustände, die das Individuum schlimmer findet als den Tod, kann jedoch eine leicht veränderte Lotterie konstruiert werden. Vgl. dazu TORRANCE (1986, S.21f.). 17 Bei Berücksichtigung von Diskontierung und Risikoaversion müssen wie bei der Methode der zeitlichen Abwägung ebenfalls der Diskontfaktor bzw. der Risikoaversionsparameter berücksichtigt werden (vgl. JOHANNESSON ET AL. (1994)).
2.4 Kosten-Nutzen-Analyse
39
zunächst kurz den Humankapital-Ansatz, den wir aufgrund seiner ökonomischen und ethischen Mängel nicht für geeignet halten. Unser Hauptaugenmerk gilt dann in Abschnitt 2.4.3 dem Ansatz der Zahlungsbereitschaft. Zunächst widmen wir uns jedoch in Abschnitt 2.4.1 grundsätzlichen Einwänden gegen die monetäre Bewertung menschlichen Lebens. 2.4.1 Zur monetären Bewertung der Lebensdauer: Ethische Einwände und Rechtfertigungen Ökonomen gelten frei nach Oscar Wilde als Leute, „die von allem den Preis kennen, aber von nichts den Wert". Dementsprechend begegnet die Idee, auch dem menschlichen Leben einen in Geld gemessenen Wert zuzuordnen, einer weit verbreiteten Ablehnung. Die dagegen erhobenen Einwände liegen auf zwei verschiedenen Ebenen: Auf einer grundsätzlichen Ebene wird allein schon der Versuch, Leben mit Geld zu vergleichen, als moralisch verwerflich angesehen. Auf einer mehr pragmatischen Ebene wird die Notwendigkeit solcher Bewertungen zwar akzeptiert, es werden aber Zweifel daran geäußert, ob eine akzeptable Vorgehensweise einen anderen Wert als „unendlich" liefern könne. Im Folgenden setzen wir uns zunächst mit der ersten und dann mit der zweiten Argumentationslinie auseinander.
2.4.1.1 Einwände gegen die Aufrechnung des Lebens in Geld Moralischen Rigoristen, seien sie durch den christlichen Glauben, durch den Eid des Hippokrates oder durch die humanistische Weltanschauung inspiriert, erscheint es als frevelhaft, das Leben und die Unversehrtheit von Menschen gegen profane Dinge wie Geld oder den dadurch symbolisierten Konsum von Gütern abzuwägen. Im extremsten Fall werden ökonomische Ansätze zu einer derartigen Bewertung mit Euthanasie-Programmen der Nationalsozialisten in einen logischen Zusammenhang gebracht: Folgt nicht aus einer solchen Bewertung notwendigerweise, dass es gesellschaftlich akzeptabel wäre, diejenigen Menschen zu töten, deren „Wert" die Kosten der Erhaltung des Lebens durch Ernährang und medizinische Versorgung nicht mehr deckt? Diese Schlussfolgerung verkennt zunächst den auch moralisch relevanten Unterschied zwischen Tun und Unterlassen, zwischen dem „Töten" und dem „Verzicht auf künstliche Lebensverlängerung" etwa bei unheilbar Kranken durch zunehmend komplizierte Medizintechnik - eine Unterscheidung, die auch in der Diskussion über „humanes Sterben" eine wichtige Rolle spielt. Es kann zwar durchaus argumentiert werden, dass die Weigerung, einem Menschen die zum Überleben notwendige Nahrung kostenlos zur Verfügung zu stellen, dem „Töten" moralisch gleichkommt. Diese Gleichsetzung ist aber umso weniger gerechtfertigt, je größere Aufwendungen erforderlich sind, um das betrachtete Menschenleben zu erhalten. Nehmen wir etwa an, der Geldaufwand zur Rettung einiger nach einem Grubenunglück eingeschlossener
40
2 Zur ökonomischen Bewertung von Leben und Gesundheit
Bergleute betrüge 2 Bio. € (also etwas weniger als das Bruttosozialprodukt der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2003 - gerade so viel, dass alle übrigen Bürger „bei Wasser und Brot" überleben könnten.) Kann dann die Weigerung der Rettung mit der Aufforderung gleichgesetzt werden, die Betroffenen umzubringen? Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass bei vielen öffentlichen Entscheidungen nicht „identifizierte", sondern „statistische Leben" auf dem Spiel stehen. Im Falle einer akuten Lebensgefahr für bestimmte, also identifizierte Menschen wie in dem Grubenunglück-Beispiel wird von den verantwortlichen Politikern allgemein verlangt, keinen Aufwand zur Rettung der Verunglückten zu scheuen - vermutlich in dem Bewusstsein, dass selbst der maximal mögliche (erfolgversprechende) Aufwand nur einen geringen Prozentsatz des Sozialprodukts aufzehren kann. Nehmen wir an, er betrage 10 Millionen € pro Eingeschlossenen. Dann folgt daraus nicht zwingend, dass die Bevölkerung damit einverstanden wäre, dass die Regierung den gleichen Betrag ausgibt, um z.B. ein Risiko von 1 zu einer Million von einer exponierten Einwohnerzahl von einer Million Personen abzuwenden. „Statistische" Leben erregen nämlich weitaus weniger Emotionen als identifizierte. Einen weiteren Beitrag zum Abbau von Emotionen könnte auch die Überlegung leisten, dass es hier nicht darum geht, „das Leben" mit Geld aufzuwiegen, sondern vielmehr dessen Dauer. Es entspricht zwar dem üblichen Sprachgebrauch, dass medizinische Eingriffe oder öffentliche Sicherheitsmaßnahmen Menschenleben „retten", in Wahrheit verlängern sie sie jedoch lediglich (bei manchen heroischen Anstrengungen der hochtechnisierten Medizin bisweilen nur um wenige Monate), da jeder Mensch schließlich einmal sterben muss. Berücksichtigt man ferner, dass sich hinter dem Konzept des „Geldes" eine Erweiterung der Konsummöglichkeiten und damit eine Erhöhung der Lebensqualität verbergen, so geht es eigentlich um die Abwägung von Lebensdauer und Lebensqualität, und da ist die moralische Unzulässigkeit schon weit weniger offensichtlich. Das wichtigste Argument für die Erarbeitung und Anwendung eines expliziten ökonomischen Bewertungskalküls basiert jedoch auf der Beobachtung, dass politische Entscheidungen, wie sie in Abschnitt 2.1 aufgeführt wurden, ohnedies regelmäßig getroffen werden (und getroffen werden müssen) - sei es in Form eines Tuns oder eines Nicht-Tuns. Implizit werden damit auch immer wieder Abwägungen zwischen (der Verlängerung von statistischen) Menschenleben und Geld getroffen, und das ökonomische Kalkül ermöglicht es erst, diese Entscheidungen den Politikern bewusst zu machen und damit mehr Konsistenz in ihre Entscheidungen zu bringen. Verzichtet man auf eine ökonomische Bewertung des gewonnenem Lebensjahr, so besteht die Gefahr, dass im gleichen Land Maßnahmen (wie die Einführung neuer medizinischer Geräte) ergriffen werden, durch die mit einem Kostenaufwand von 1 Million € pro „Leben" vorzeitige Todesfälle vermieden werden, andere mögliche Maßnahmen (z.B. im Straßenbau) jedoch unterbleiben, mit denen die erwartete Zahl von Unfallopfern für 50.000 € pro Lebensjahr reduziert werden könnten. Da-
2.4 Kosten-Nutzen-Analyse
41
mit begibt sich die betrachtete Gesellschaft der Möglichkeit, sowohl eine längere durchschnittliche Lebenserwartung als auch mehr Konsum zu erreichen.18 Zudem ist es seit einigen Jahrzehnten in zahlreichen Ländern einschließlich der Bundesrepublik Deutschland üblich, dass öffentliche Großprojekte von den Parlamenten erst nach einer eingehenden Kosten-Nutzen-Bewertung bewilligt werden. In Ermangelung eines anerkannten Verfahrens zur Bewertung menschlichen Lebens in Geldgrößen hat es sich dabei eingebürgert, solche als „intangibel" bezeichneten Kosten und Benefits allenfalls zu erwähnen, nicht aber in das eigentliche Kalkül der Netto-Vorteile einzubeziehen. Die Konsequenz ist, dass Projekte, die die Sicherheit von Menschen gefährden, zu leicht bewilligt und solche, die sie erhöhen, zu leicht abgelehnt werden. Ironischerweise führt damit die Ablehnung einer Bewertung des Lebens in Geld zu dem Gegenteil dessen, was diejenigen intendieren, die sich gegen sie sträuben. Schließlich kann man von öffentlichen Entscheidungen in einem demokratischen Gemeinwesen nicht nur verlangen, dass sie im oben genannten Sinne in sich konsistent sind, sondern auch, dass sie die Präferenzen der von ihnen betroffenen Bürger widerspiegeln. Der moralischen Verurteilung einer Abwägung zwischen Leben und Geld steht also das demokratische Prinzip entgegen, dass eine solche Abwägung insofern geboten ist, als sie den Präferenzen der Betroffenen Ausdruck verleiht.19 Zielsetzung der ökonomischen Analyse muss es demnach sein, die Präferenzen der Bürger bezüglich der Dauer und der Qualität ihres Lebens zu ermitteln. Folgerung 2.7 Da viele öffentliche Entscheidungen zwangsläufig eine Abwägung zwischen der Verlängerung statistischer Menschenleben und anderen Gütern implizieren, istesfürdie Wohlfahrt der Gesellschaft besser, wenn eine Bewertung explizit vorgenommen wird. Diese sollte die Präferenzen der Bürger widerspiegeln. 2.4.1.2 Argumente gegen die Endlichkeit des Wertes des Lebens An dem zuletzt genannten Punkt, den Präferenzen der Individuen, knüpft eine weitere Kritik an, die zwar nicht die Idee einer ökonomischen Bewertung des Lebens an sich ablehnt, sondern lediglich die Möglichkeit leugnet, dass dabei ein anderer Wert als „unendlich" resultieren kann. Sie geht von der Überlegung aus, dass es im
18
Diese Aussage setzt allerdings voraus, dass es bei gewonnenen Lebensjahren bzw. vermiedenen vorzeitigen Todesfällen nicht darauf ankommt, wer sie erhält. Vgl. dazu Abschnitt 2.4.2.4. 19 Unter den Betroffenen ist die Gesamtheit der handlungsfähigen Personen zu verstehen, die mit einer positiven Wahrscheinlichkeit an der Krankheit leiden bzw. leiden werden. Für nicht handlungsfähige Personen (Jugendliche, Geisteskranke) gelten die Präferenzangaben geeigneter Sachverwalter.
42
2 Zur ökonomischen Bewertung von Leben und Gesundheit
Prinzip nur zwei denkbare Definitionen dafür gibt, wie viel Geld einem Individuum sein eigenes Leben wert ist, nämlich20 a) den Geldbetrag, den es bereit wäre zu bezahlen, um den sicheren (und sofortigen) Tod zu vermeiden, und b) den Geldbetrag, den man ihm als Entschädigung dafür bieten müsste, dass es seinen eigenen (sofortigen) Tod freiwillig in Kauf nimmt. Der unter a) genannte Betrag ist jedoch wenig informativ, da die meisten Menschen zur Abwendung einer unmittelbaren Lebensgefahr bereit sein dürften, ihr gesamtes Vermögen einschließlich ihres verpfändbaren zukünftigen Einkommens vielleicht abzüglich einer geringen Reserve zur Aufrechterhaltung des Existenzminimums - zu opfern, und daher sagt er mehr über ihr Vermögen und ihre Verschuldungsmöglichkeiten aus als über ihre Präferenzen. Die Regel b) wird dagegen bei den meisten Menschen - zumindest in Abwesenheit eines Vererbungsmotivs - kein endlicher Betrag erfüllen, und zwar allein schon deshalb, weil man, wenn man tot ist, mit Geld nichts mehr anfangen kann. Die beiden alternativen Definitionen der Zahlungsbereitschaft unterscheiden sich voneinander in der Verteilung der „Eigentumsrechte", denn (nur) der Fragestellung in b) liegt der Gedanke zugrunde, dass das Individuum ein Anrecht zu leben hat, das es freiwillig aufgeben kann. Bejaht man ein solches Recht auf Leben, so ist der korrekte „Wert eines identifizierten Lebens" unendlich groß. John Broome, von dem diese Argumentation stammt, wendet sich nun gegen die oben eingeführte Unterscheidung zwischen identifiziertem und statistischem Leben, da das zweite Konzept lediglich auf der unvollkommenen Information darüber basiere, welche Person ihr Leben verlieren werde [vgl. BROOME (1982a, 1982b)]. Ist etwa (aufgrund von Erfahrungswerten) bekannt, dass bei einer staatlichen Baumaßnahme ein Arbeiter getötet werden wird und steht es lediglich noch nicht fest, welcher, so ist dieses „statistische Leben" unendlich hoch zu bewerten, denn sobald der Schleier der Unwissenheit gelüftet und der Name des Opfers preisgegeben würde, würde dieses gemäß Regel b) eine unendlich hohe Kompensation für den Verlust seines Lebens verlangen. Der Mangel an der Broomeschen Argumentation liegt darin, dass der von ihm geschilderte Fall sich bei näherem Hinsehen als konstruiert erweist. Es ist schwer, sich ein Risiko vorzustellen, bei dem die Anzahl der Opfer vorher mit Sicherheit bekannt ist. Nicht einmal, dass es überhaupt Todesopfer geben wird, kann typischerweise als sicher gelten. Betrachten wir etwa eine Straßenkurve, der in der Vergangenheit im Durchschnitt jährlich ein Menschenleben zum Opfer gefallen ist. Hier kann man keinesfalls sicher sein, dass die Zahl der Opfer im kommenden Jahr wieder genau 1 betragen wird. Vielmehr unterliegt jeder Verkehrsteilnehmer, der diese Straße benutzt, einem gewissen (kleinen) Risiko, dort tödlich zu verunglücken, sa20 Beides sind alternative Formulierungen im Rahmen des Ansatzes der Zahlungsbereitschaft, auf den Abschnitt 2.4.3 im Detail eingeht.
2.4 Kosten-Nutzen-Analyse
43
gen wir es seien 100.000 Personen mit einem Risiko von 1 zu 100.000 für jeden. Diese Wahrscheinlichkeiten zu addieren, hieße jedoch, eine (negative) Abhängigkeit zwischen den Einzelrisiken zu unterstellen. Nimmt man dagegen realistischerweise stochastische Unabhängigkeit oder gar - was bei Unfällen plausibler ist - positive Korrelation an, so bewirken die Gesetze des Zufalls, dass mit gewisser, strikt positiver Wahrscheinlichkeit niemand, mit einer ebenfalls positiven, wenn auch extrem kleinen Wahrscheinlichkeit sogar alle 100.000 Personen verunglücken werden. Die Gesamtzahl ist also unbekannt, und daher ist das „statistische Leben" das relevante Konzept für eine ökonomische Bewertung des Nutzens von Sicherheitsmaßnahmen. Geht es für jeden einzelnen jedoch um die Beseitigung (oder Inkaufnahme) kleiner Risiken für das eigene Leben, so ist durchaus damit zu rechnen, dass endliche Geldbeträge ausreichen, das Individuum für die Übernahme des Risikos zu kompensieren. So gibt es genügend Beispiele dafür, dass Menschen um ihres Genusses, ihrer Bequemlichkeit oder sogar um des Nervenkitzels willen Lebensgefahren freiwillig auf sich nehmen und damit zeigen, dass ihnen die Ausschaltung kleiner Risiken nicht unendlich viel wert ist. Bekannte Beispiele sind Rauchen, Autofahren ohne Sicherheitsgurt, Reisen mit Auto oder Flugzeug anstatt mit der Bahn, das Fahren mit Looping-Bahnen auf dem Rummelplatz. Verhalten sich jedoch Individuen in ihrem Privatleben so, als ob sie ihrem Leben einen endlich hohen Wert beimessen, dann sollte auch der Staat bei öffentlichen Entscheidungen keinen (implizit oder explizit) unendlichen Wert des Lebens zugrundelegen. Andernfalls würden sich, wenn man von externen Effekten der staatlichen Entscheidung absieht, Ineffizienzen durch eine Diskrepanz zwischen den Grenzkosten der Sicherheit im privaten und im öffentlichen Bereich ergeben. 2.4.2 Der Humankapitalansatz Den Wert einer Sache kann man daran bemessen, welche finanzielle Einbuße der Eigentümer erleidet, wenn er sie verliert. Diese wiederum bemisst sich an der Summe der Erträge, die er mit ihrer Hilfe hätte erwirtschaften können. Eine Anwendung dieser einfachen buchhalterischen Regel („Ertragswertprinzip") auf den Menschen führt zur Definition des Wertes des Lebens, basierend auf dem Verlust an Humankapital, der mit dem Tod des Menschen verbunden wäre: Der Wert des Lebens ist demnach gleich der diskontierten Summe seiner zukünftigen (marginalen) Beiträge zum Sozialprodukt oder, was bei einer Entlohnung nach dem Wertgrenzprodukt gleichbedeutend ist, seiner zukünftigen Arbeitseinkommen. Diese Definition ergibt einen Sinn, wenn man sich vorstellt, dass ein Mensch Opfer eines Arbeitsunfalls wurde und nun die Schadensersatzansprüche seiner Angehörigen festgestellt werden sollen. Noch einen Schritt weiter als diese Aufrechnung der gesamten entgangenen Verdienste („Bnjtto-Humankapital") geht die Berechnung des „Netto-Humankapitals", bei dem von den Verdiensten der zukünftige Konsum des Verstorbenen selbst abgezogen wird. Es verbleibt dann der materielle Verlust, den andere durch seinen Tod erleiden.
44
2 Zur ökonomischen Bewertung von Leben und Gesundheit Implizit verbergen sich in dem Humankapital-Ansatz zwei Postulate:
1. Die Wertschätzung des einzelnen wird durch den Beitrag bestimmt, den er zum Wohlergehen seiner Mitbürger leistet. 2. Das geeignete Kriterium für das Wohlergehen der Gesellschaft ist das Brattosozialprodukt. Postulat 1 passt eher zu einer Sklavenhalter-Gesellschaft als zu einer freiheitlichen Demokratie des 21. Jahrhunderts. Zwischen einem Menschen und einer Maschine wird hier kein fundamentaler Unterschied gemacht. Darüber hinaus impliziert der Netto-Ansatz, dass das Individuum selbst nicht einmal als Mitglied der Gesellschaft gezählt wird, da sein eigener Verlust (an zukünftigem Konsum) nicht in die Berechnung des Wertes seines Lebens einbezogen wird. Der Humankapitalansatz hat den Vorzug relativ leicht operationalisierbar zu sein und ist daher bei Kosten-Nutzen-Untersuchungen in der Vergangenheit häufig angewendet worden.21 Er stellt jedoch in der ökonomischen Theorie, die sonst durchweg auf individuelle Wertungen abstellt, einen Fremdkörper dar. Zudem ist seine ethische Fundierung sehr angreifbar. Eine Stoßrichtung der Kritik setzt dabei am Ergebnis einer solchen Berechnung an, das viele für unakzeptabel halten: Danach wäre der Wert des Lebens von Rentnern und anderen Nicht-Arbeitsfähigen immer Null (nach der Netto-Methode sogar negativ)! Von noch grundsätzlicherer Natur ist der Einwand gegen das 2. Postulat, dass die Freude am Leben als solchem vollkommen vernachlässigt wird. Dieser Einwand hat den Humankapitalansatz nach der Auffassung der meisten Experten trotz seiner Anwendungsvorteile diskreditiert. Zusammenfassend ziehen wir die Folgerung 2.8 Nach dem Humankapitalansatz ist der Wert des Lebens durch den Beitrag gegeben, den der Mensch noch zum Sozialprodukt leisten könnte. Seiner relativ leichten Anwendbarkeit stehen jedoch schwerwiegende ökonomische wie auch ethische Mängel gegenüber.
2.4.3 Der Ansatz der Zahlungsbereitschaft Der Ansatz der Zahlungsbereitschaft geht davon aus, dass der Nutzen einer Person einerseits von seinem verfügbaren Einkommen und andererseits von seiner Lebensdauer und seiner Lebensqualität abhängt. In die Lebensqualität können dabei z.B. die möglichen Gesundheitszustände, die Wahrscheinlichkeiten, mit denen sie eintreten, und ihre Reihenfolge einfließen. Im Gegensatz zum QALY-Modell werden damit keine einschränkenden Annahmen an die Nutzenfunktion gemacht. 21
Es verbleiben allerdings die bekannten Probleme der Berechnung des Beitrags von Hausfrauen und -männern zum Sozialprodukt sowie etwaige Diskrepanzen zwischen Lohn und Grenzproduktivität der Arbeit aufgrund unvollkommener Arbeitsmärkte.
2.4 Kosten-Nutzen-Analyse
45
Da eine genauere Spezifikation aller Faktoren, welche die Lebensdauer und -qualität betreffen, nicht nötig ist, fassen wir diese Größen in einem Vektor 0,- zusammen. y sei das verfügbare Einkommen. Der Nutzen einer Person i ist somit Ui = Ui(Bi,yi).
(2.17)
In der Referenzsituation seien die Lebensdauer und -qualität durch den Vektor Qj beschrieben. Eine Maßnahme, die Kosten in Höhe von K verursacht, kann die Situation 0? herbeiführen. Die Zahlungsbereitschaft Z,- der Person / für diese Maßnahme ist definiert durch die Gleichung I/,-(el,3'.-) = I/i(e? ) y I --Zi).
(2.18)
Durch Z, wird damit der Geldbetrag erfasst, den die Person i maximal zahlen würde, damit die Maßnahme durchgeführt wird.22 Die Entscheidungsregel der KostenNutzen-Analyse besagt, dass die Maßnahme genau dann durchgeführt werden sollte, wenn
£Z«>*,
(2.19)
i
d.h. wenn die Summe der Zahlungsbereitschaften die Kosten der Maßnahme übersteigt. Wir erhalten somit Folgerung 2.9 Der Ansatz der Zahlungsbereitschaft basiert auf dem subjektiven Nutzenkonzept. Im Gegensatz zum QALY-Modell macht er keine einschränkenden Annahmen bezüglich der Struktur der Nutzenfunktion. Falls sich die Wirkungen auf die Gesundheit in einer stetigen Größe wie etwa der Lebensdauer erfassen lassen, so kann eine marginale Zahlungsbereitschaft MZB, bestimmt werden. In diesem Fall ist 0, eine Zahl und wir erhalten
MZB,- = -
d0,
(2.20) d£/,-=0
Handelt es sich bei 0,- z.B. um die restliche Lebenserwartung in Monaten, so gibt diese Größe approximativ wieder, wie viel die Person für eine erwartete Lebensverlängerung um einen Monat bereit ist zu zahlen. 22 Die hier verwendete Definition der Zahlungsbereitschaft wird auch als „kompensierende Variation" bezeichnet. Ein alternatives Konzept ist die „äquivalente Variation" £V,-. Sie ist definiert durch f/,(9',iy,- + EVf) = Ui(QJ,yi) und gibt den Geldbetrag wieder, der dem Individuum gezahlt werden müsste, damit er auf die Maßnahme verzichtet [vgl. hierzu BREYER UND KOLMAR (2001, S.73-74)].
46
2 Zur ökonomischen Bewertung von Leben und Gesundheit
Erfüllen die Präferenzen des Individuums die Axiome der Erwartungsnutzentheorie, dann lässt sich für die Reduktion des Sterberisikos die marginale Zahlungsbereitschaft genauer bestimmen. Hierbei sei 7t,- die Wahrscheinlichkeit, mit der das Individuum überlebt. Die Nutzenfunktion sei zustandsabhängig und lautet u(T,yi) im Todesfall und u{L,y{), falls das Individuum lebt. Der Erwartungsnutzen des Individuums beträgt dann Ui=E[u(yi)} = (l-mWT^+Kiiimyi).
(2.21)
Die Senkung des Sterberisikos entspricht einer Erhöhung der Überlebenswahrscheinlichkeit 7t,-. Entsprechend erhalten wir für die marginale Zahlungsbereitschaft für die Reduktion des Sterberisikos MZB,= - -
(2.22)
Sie ist damit umso höher, je mehr das Individuum das Leben dem Tod vorzieht und je geringer der erwartete Grenznutzen des Geldes E[u'(yi)] ist. 2.4.4 Aggregation der Zahlungsbereitschaften und Prinzipien der kollektiven Entscheidung Die Kosten-Nutzen-Analyse befürwortet eine Maßnahme, wenn die Summe der Zahlungsbereitschaften höher ist als die Kosten der Maßnahme. Diese Regel beruht insbesondere auf zwei Werturteilen: 1. Allein die subjektiven Zahlungsbereitschaften sind relevant bei der Messung des Vorteils einer Maßnahme. 2. Es ist irrelevant, wer welche Zahlungsbereitschaft hat. Allein die Summe der Zahlungsbereitschaften ist von Interesse. Im ersten Werturteil liegt der fundamentale Unterschied zur Kosten-NutzwertAnalyse. Die Hypothese, dass Zahlungsbereitschaften Vorteile aus gesundheitsverbessernden Maßnahme messen, basiert auf der subjektiven Nutzenlehre. Da die Kosten-Nutzen-Analyse ausschließlich Zahlungsbereitschaften als Informationsgrundlage verwendet, handelt es sich um einen welfaristischen Ansatz. Extra-Welfaristen würden dagegen einwenden, dass es nicht auf die Zahlungsbereitschaft ankommt, sondern auf die Verbesserung der Gesundheit durch die Maßnahme. Das zweite Werturteil ist auf den ersten Blick attraktiv, weil die Zahlungsbereitschaft aller betroffenen Personen gleich in die Entscheidung einfließt. Ob eine Person von einer Maßnahme profitiert, hängt jedoch ebenso davon ab, welchen Finanzierungsbeitrag sie leistet. Ein Maß, das beide Aspekte berücksichtigt, ist der Nettovorteil einer Person. Dieser ist definiert durch NVt = Zi - <XiK.
(2.23)
2.4 Kosten-Nutzen-Analyse
v
47
Abb. 2.5. Kosten-Nutzen-Analyse und Nettovorteile NVAA NV
I NVA +NVB = =0 NV A +NV B
i IIl l
NVBB NV III
Das zweite Werturteil ist auf den ersten Blick attraktiv weil die Zahlungsbereitschaft
Hierbei sind K die Kosten der Maßnahme. a,- gibt den Finanzierungsanteil von Person i wieder, wobei £,- ai = 1 • Es ist leicht ersichtlich, dass aus der Bedingung der Kosten-Nutzen-Analyse
£Z; > K & Y,NVi > °
( 2 - 24 )
nicht folgt, dass alle betroffenen Personen einen positiven Nettovorteil haben. Die Kosten-Nutzen-Analyse lässt sich deshalb nicht mit dem Pareto-Kriterium rechtfertigen. Dies wird in Abbildung 2.5 für den Fall zweier Personen A und B illustriert. Der schraffierte Bereich gibt alle Kombinationen der Nettovorteile wieder, bei denen die Kosten-Nutzen-Analyse eine Maßnahme befürwortet. Nur im Bereich II findet jedoch eine Pareto-Verbesserung statt. In Bereich I wird Person A besser gestellt auf Kosten von Person B, in Bereich III ist es umgekehrt. Wie lässt sich die Kosten-Nutzen-Analyse trotzdem rechtfertigen? Wir untersuchen im Folgenden zwei Argumente, die für sie angeführt werden. Zum einen berufen sich die Befürworter der Kosten-Nutzen-Analyse auf das potentielle ParetoKriterium. Zum anderen wird behauptet, dass bei der Bewertung vieler Maßnahmen es letztlich doch zu einer Pareto-Verbesserung kommt. Anschließend untersuchen wir, inwieweit die Kosten-Nutzen-Analyse mit einer gesellschaftlichen Wohlfahrtsanalyse vereinbar ist.
48
2 Zur ökonomischen Bewertung von Leben und Gesundheit
2.4.4.1 Kosten-Nutzen-Analyse und das potentielle Pareto-Kriterium Das potentielle Pareto-Kriterium wird in der Wohlfahrtsökonomik häufig verwendet. Es besagt, dass eine Maßnahme durchgeführt werden sollte, wenn sie zu einer Pareto-Verbesserung führt oder wenn mögliche Verlierer durch die Gewinner der Maßnahme so entschädigt werden können, dass es zu einer Pareto-Verbesserung kommt. Ob die Entschädigung tatsächlich stattfindet, ist dabei irrelevant. Dies entspricht dem Kriterium der Kosten-Nutzen-Analyse. Ist zum Beispiel NVA < 0, dann könnte Individuum B einen Transfer in Höhe von T = — NVA an Individuum A leisten. Dieses wäre dann so gestellt wie ohne Durchführung des Projekts. Individuum B wäre besser gestellt, da NVB - T = NVB+NVA > 0. Von Erich Kästner stammt das berühmte Zitat „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es". Das potentielle Pareto-Kriterium hingegen behauptet, dass schon die Möglichkeit, etwas Gutes zu tun, gut ist und es nicht darauf ankommt, ob man es tut oder nicht. Dies erscheint uns wenig überzeugend. Insbesondere ist es kein besonderer Trost, dass man alle hätte besser stellen können, falls tatsächlich einige Personen große Nutzeneinbuße hinnehmen müssen. Wenn man einige Personen auf Kosten anderer besser stellt, dann ist unserer Ansicht nach eine bessere Begründung nötig als das Argument, dass dies hypothetisch auch anders sein könnte.23
2.4.4.2 Kosten-Nutzen-Analyse bei vielen Maßnahmen Nach diesem Argument führt die Kosten-Nutzen-Analyse letztendlich doch zu einer Pareto-Verbesserung, weil sich bei vielen Maßnahmen die Fälle, in denen eine Person sich auf Kosten anderer besser stellt, und die Fälle, in denen ihr Nettovorteil negativ ist, neutralisieren. In Abbildung 2.5 würde dies bedeuten, dass Person A genauso häufig damit rechnen kann, dass die Bewertung in Bereich I liegt wie in Bereich III. Somit sind im Schnitt nur die Fälle zu berücksichtigen, die im Bereich II liegen und bei denen sich beide Individuen besser stellen. Das Problem dieser Begründung ist, dass sich die Höhe der Nettovorteile nicht systematisch bei den befragten Personen unterscheiden darf. Andernfalls ist sie nicht stichhaltig. Hängt zum Beispiel die Zahlungsbereitschaft für gesundheitsverbessernde Maßnahmen nicht vom Einkommen ab, aber der Finanzierungsbeitrag, dann sind die Nettovorteile negativ mit dem Einkommen korreliert. Entsprechend befürwortet die Kosten-Nutzen-Maßnahme systematisch Maßnahmen, die Personen mit niedrigem Einkommen auf Kosten von Personen mit hohem Einkommen besser stellen. Wäre z.B. Person A die Person mit dem niedrigen Einkommen, dann würden viele 23 Hinzu kommt, dass unter Berücksichtigung von Gleichgewichtseffekten der Zusammenhang zwischen der Kosten-Nutzen-Analyse und dem potentiellen Pareto-Kriterium nicht eindeutig sein muss. Unter Umständen kann die Kosten-Nutzen-Analyse ein Projekt befürworten, obwohl eine potentielle Pareto-Verbesserung nicht möglich ist [vgl. hierzu BLACKORBY UND DONALDSON (1990)].
2.4 Kosten-Nutzen-Analyse
49
Bewertungen in Bereich I fallen, aber nur wenige in Bereich III. Ob dies wünschenswert sein kann, wollen wir offen lassen. In jedem Fall kann man sich auch hier nicht auf das Pareto-Kriterium berufen. 2.4.4.3 Kosten-Nutzen-Analyse und gesellschaftliche Wohlfahrtsfunktionen In der Wohlfahrtsökonomik ist das Konzept der gesellschaftlichen Wohlfahrtsfunktion entwickelt worden. Ziel dieses Konzeptes ist es, die Wohlfahrt der Gesellschaft in einem Index W zu erfassen und dadurch alle möglichen Allokationen vergleichen zu können. Drei Anforderungen werden in der Regel an eine soziale Wohlfahrtsfunktion gestellt [vgl. BREYER UND KOLMAR (2001, S.42)]:
1. Welfarismus: W hängt allein vom Vektor der Nutzen ab, die mit einer Allokation verbunden sind, nicht jedoch vom Prozess der Allokation. 2. Individualismus: Maßstab fiir den Nutzen sind einzig und allein der vom Individuum selbst geäußerte Nutzen [/,-. 3. Starkes Pareto-Prinzip: Der Nutzenindex W nimmt zu, wenn ceteris paribus das Nutzenniveau eines Haushalts erhöht wird. Aus diesen Anforderungen folgt, dass sich die gesellschaftliche Wohlfahrt in einer Bergson-Samuelson-Wohlfahrtsfunktion W = W(UU...,U„)
dW mit ^ > 0
(2.25)
erfassen lässt. Je nach dem, inwieweit eine Gesellschaft Ungleichheiten in der Nutzenverteilung für zulässig hält, kann diese Funktion unterschiedliche Formen annehmen. Bekannte Beispiele sind die utilitaristische Wohlfahrtsfunktion W = £Ui
(2.26)
und die Maximin-Wohlfahrtsfunktion W = mm[UU-,Un],
(2.27)
nach der die gesellschaftliche Wohlfahrtsfunktion dem Nutzen der am schlechtesten gestellten Person entspricht.24 24 Die Maximin-Wohlfahrtsfunktion verletzt allerdings das starke Pareto-Prinzip, da die Erhöhung des Nutzens einer Person nur dann die Wohlfahrt erhöht, wenn sie am schlechtesten gestellt ist. Das schwache Pareto-Prinzip wird jedoch von der Maximin-Wohlfahrtsfunktion erfüllt. Es besagt, dass die Wohlfahrt zunehmen muss, wenn sich der Nutzen aller Personen erhöht [vgl. BOADWAY UND BRUCE (1984, S. 146.)].
50
2 Zur ökonomischen Bewertung von Leben und Gesundheit
Die verschiedenen Wohlfahrtsfunktionen unterscheiden sich in ihrer gerechtigkeitstheoretischen Begründung und ihren Informationserfordernissen [vgl. hierzu BREYER UND KOLMAR (2001, Kapitel 2)]. Ohne eine bestimmte Wohlfahrtsfunktion zu postulieren, gehen wir im Folgenden davon aus, dass eine Funktion (2.25) existiert. Der Einfachheit beschränken wir uns auf den Fall mit zwei Personen i = A,B. Im Ausgangspunkt sei die gesundheitsrelevante Situation dieser Person durch den Vektor 9 1 beschrieben. Die gesellschaftliche Wohlfahrt ist somit Wl =W(UA(QlA,yA),UB(QlB,yB)).
(2.28)
Eine Maßnahme, die Kosten in Höhe von K verursacht, kann die Situation 9? herbeiführen. Die Zahlungsbereitschaft der Individuen für diese Maßnahme ist definiert durch Ui(tf,yi-Zi) = Ui(B},yi). (2.29) Trägtjedes Individuum einen Anteil oc,- der Kosten, wobei a^ +otg = 1, dann beträgt die gesellschaftliche Wohlfahrt bei Durchführang der Maßnahme W2 = W(UA(e2A,yA-aAK),UB(B2,yB-aBK)).
(2.30)
Die Änderung der gesellschaftlichen Wohlfahrt lässt sich folgendermaßen approximieren 2
-Wl =AW^^-AUA + ^-AUB. dU ÖU auA auB Für die Änderung des Nutzens ergibt sich unter Verwendung von (2.29) W
(2.31)
MJi = Ui(Qf,yi - M O - Ui(6j ,yi)
(2.32)
= Ui(tf,yi - cnK) - Ui(Bf,yi - Z,).
(2.33)
Approximativ gilt,
Mit y2 = y, — (X{K und yj = y,- — Z,- erhalten wir folglich AU{ « -^- (Z; - öiiK) = -^-NVi
(2.35)
und durch Einsetzen in (2.31) somit mit GNi = ^ - ^ - .
(2.36)
D.h. die Veränderung der Wohlfahrt entspricht approximativ der Summe der mit dem gesellschaftlichen Grenznutzen des Einkommens GNt gewichteten Nettovorteilen der Maßnahme.
2.4 Kosten-Nutzen-Analyse
51
Aus dieser Bedingung wird ersichtlich, dass die Kosten-Nutzen-Analyse nur dann mit Sicherheit zu einer Wohlfahrtserhöhung führt, falls der gesellschaftliche Grenznutzen des Einkommens von beiden Individuen gleich ist. Dann ergibt sich AW « GNi(NVA +NVB),
i = A,B
(2.37)
und folglich AW>0-&NVA+NVB>0-&ZA+ZB>K.
(2.38)
Die Gleichheit der gesellschaftlichen Grenznutzen der Einkommen resultiert aus folgendem Problem
msKW=W(UA(QA,yA)+UB{QB,yB))
u.d.Nb.
yA+yB=y.
(2.39)
yACB
Bei einer optimalen Einkommensverteilung stimmen somit die gesellschaftlichen Grenznutzen überein, d.h. eine Entscheidung gemäß der Kosten-Nutzen-Analyse führt genau dann immer zu einer Erhöhung der gesellschaftlichen Wohlfahrt, wenn das Einkommen optimal verteilt ist. Ist dies jedoch nicht der Fall, dann kann eine von der Kosten-Nutzen-Analyse befürwortete Maßnahme die gesellschaftliche Wohlfahrt senken, falls für ein Individuum Z, < (XjK ist. Dann besagt Gleichung (2.36), dass der Nettovorteil der Personen mit hohem gesellschaftlichen Grenznutzen des Einkommens höher gewichtet werden sollte. Die Kosten-Nutzen-Analyse hingegen gewichtet die Nettovorteile aller Personen gleich und führt deshalb nicht generell zu einer Erhöhung der gesellschaftlichen Wohlfahrt. Abbildung 2.6 zeigt die unterschiedlichen Empfehlungen der Kosten-Nutzen-Analyse und der gesellschaftlichen Wohlfahrtsanalyse. Dort ist neben der Bedingung NVA + NVB > 0 auch Gleichung (2.36) für AW = 0 abgetragen. Wir nehmen dabei an, dass GNA > GNB, d.h. dass der gesellschaftliche Grenznutzen des Einkommens bei Person A größer ist als bei Person B. Deshalb erhalten wir ANVA dNVB AW=0
dGNB dGNA
d.h. die Grenze für eine Verbesserung der gesellschaftlichen Wohlfahrt verläuft (absolut) flacher als die Bedingung der Kosten-Nutzen-Analyse. Die schraffierten Flächen zeigen die Bereiche, in denen sich die Kosten-Nutzen-Analyse und die gesellschaftliche Wohlfahrtsanalyse in ihren Empfehlungen unterscheiden. Im Bereich I ist die gesellschaftliche Wohlfahrtsanalyse im Gegensatz zur Kosten-NutzenAnalyse für eine Durchführung der Maßnahme. Dies liegt daran, dass Person A einen höheren gesellschaftlichen Grenznutzen des Einkommens hat und deshalb ihr Nettovorteil höher gewichtet wird als der von Person B. Aus dem gleichen Grund lehnt die gesellschaftliche Wohlfahrtsanalyse im Bereich II eine Maßnahme ab, während sie die Kosten-Nutzen-Analyse befürwortet.
52
2 Zur ökonomischen Bewertung von Leben und Gesundheit Abb. 2.6. Zeitliche Abwägung zur Bewertung von Gesundheitszuständen
NVÄA NV
I
NVB ∂U A UB ∂W- ∂--------∂W- ---------------- NVA + -------- = 0 ⋅ ⋅ ∂V A ∂y A ∂VB ∂y B = o
NV A + NVB = 0
II
Aus Sicht der gesellschaftlichen Wohlfahrtsanalyse ist somit die entscheidende Frage für die Anwendbarkeit der Kosten-Nutzen-Analyse, ob das Einkommen optimal verteilt ist. Ist dies nicht der Fall, dann fordert die gesellschaftliche Wohlfahrtsanalyse, dass eine Maßnahme nur dann durchgeführt wird, wenn AW RJ GNANVA + GNBNVB > 0,
(2.40)
d.h. falls die Summe der mit dem gesellschaftlichen Grenznutzen des Einkommens gewichten Nettovorteile der einzelnen Personen positiv ist.25 Für diese Entscheidungsregel, die auf WEISBROD (1968) zurückgeht, muss im Gegensatz zur KostenNutzen-Analyse neben der Zahlungsbereitschaft auch der Finanzierungsbeitrag a^K sowie der Grenznutzen des Einkommens bestimmt werden. Des Weiteren muss sich die Gesellschaft auf eine gesellschaftliche Wohlfahrtsfunktion einigen, um den gesellschaftlichen Grenznutzen zu ermitteln. In der Praxis wird es hier sicherlich unterschiedliche Meinungen geben und es ist unklar, ob sich ein Konsens finden lässt. Dies ist jedoch kein Problem der gesellschaftlichen Wohlfahrtsanalyse, sondern der Tatsache, dass die Bewertung von medizinischen Maßnahmen grundsätzlich mit Werturteilen verbunden ist. Die Kosten-Nutzen-Analyse umgeht dieses Problem nur scheinbar, indem sie implizit unterstellt, dass die Einkommen in der Gesellschaft optimal verteilt sind.
25
Hierfür lassen sich auch die sich zu eins summierenden Gewichte w,- =
verwenden.
GNA+GNB
2.4 Kosten-Nutzen-Analyse
53
Unsere Überlegungen fassen wir zusammen in Folgerung 2.10 Die Kosten-Nutzen-Analyse lässt sich mit dem potentiellen Pareto-Kriterium rechtfertigen. Dieses leidet jedoch darunter, dass ParetoVerbessemngen nur hypothetisch möglich sein müssen. Wenn viele Maßnahmen bewertet werden, kann es insgesamt zu einer Pareto-Verbesserung kommen, wenn die Nettovorteile sich nicht systematisch bei den befragten Personen unterscheiden. Aus Sicht einer gesellschaftlichen Wohlfahrtsfunktion kann die Kosten-Nutzen-Analyse nur befürwortet werden, wenn das Einkommen optimal verteilt ist. Ansonsten müssen die Nettovorteile im Gegensatz zur Kosten-Nutzen-Analyse unterschiedlich gewichtet werden.
2.4.5 Die direkte Methode der Messung der Zahlungsbereitschaft: Fragebogenstudien Generell gibt es zwei alternative Ansätze der Erfassung von Präferenzen: Man kann einerseits die Individuen nach Ihrer Zahlungsbereitschaft fragen. Dieser direkten Methode (auch als Stated Preference-Methode bezeichnet) steht die indirekte Methode gegenüber, bei der man - im Sinne einer „revealed preference" - versucht, die Zahlungsbereitschaft aus dem Verhalten der Individuen abzuleiten. Beide Methoden haben ihre spezifischen Vorzüge und Probleme, die im Folgenden für unsere Fragestellung erörtert werden sollen. In diesem Abschnitt befassen wir uns dabei mit der direkten Methode. Der indirekten Methode ist Abschnitt 2.4.6 gewidmet. Bei der direkten Ermittlung der Zahlungsbereitschaft stehen zwei Ansätze zur Verfügung. Bei der Conüngent-Valuation-Methode werden Personen mittels Fragebogen oder persönlichen Interviews direkt nach ihrer Zahlungsbereitschaft für ein Gut oder Programm befragt. Den befragten Personen wird dabei ein hypothetisches Szenario über das zu evaluierende Programm oder Gut vorgelegt. Für dieses Szenario wird mittels unterschiedlicher Techniken die maximale Zahlungsbereitschaft erfragt. Discrete-Choice-Experimente hingegen versuchen auf der Basis diskreter Entscheidungen der betroffenen Personen deren Präferenzen für Produkteigenschaften zu erklären und vorauszusagen. Bevor wir diese Methoden im Einzelnen vorstellen, erörtern wir zunächst die grundsätzlichen Probleme bei einer Ermittlung der Zahlungsbereitschaft durch Befragung. 2.4.5.1 Grundsätzliche Probleme von Fragebogenstudien Die Befragung ist nicht nur die direkteste, sondern auch die transparenteste Methode zur Ermittlung von Präferenzen. So hat es schon umfangreiche und sorgfältige Fragebogenstudien mit über 1.000 Interviewten zum Thema „Zahlungsbereitschaft für
54
2 Zur ökonomischen Bewertung von Leben und Gesundheit
Risikoänderungen" gegeben (vgl. dazu Abschnitt 2.4.5.1). Mögliche Schwierigkeiten können allerdings in dem Maße bestehen, wie die Befragten entweder die Fragen nicht richtig verstehen oder - da es sich ja um hypothetische Situationen handelt Gründe haben, sich entweder nicht ernsthaft genug über ihre Antwort Gedanken zu machen oder sogar absichtlich ihre wahren Präferenzen verschleiern. Im Einzelnen treten bei dem hier behandelten Thema folgende Probleme auf. 1. Umgang mit kleinen Wahrscheinlichkeiten: Sollen die in den Fragebögen dargestellten Szenarien reale Entscheidungen annähernd widerspiegeln, so müssen sie sehr kleine Wahrscheinlichkeiten und -differenzen enthalten. Der explizite Umgang mit kleinen Wahrscheinlichkeiten ist jedoch für die meisten Menschen vollkommen ungewohnt, und es besteht die Gefahr, dass die Befragten zwischen mehreren Zehnerpotenzen keinen (wesentlichen) Unterschied machen.26 Die Antworten sind in diesem Fall wenig verlässlich, und es fällt dem Interviewer nicht schwer, bei Konstruktion mehrerer ähnlicher Fragen mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten, Widersprüche gegen die Transitivität der Präferenzen oder gegen die Axiome der Erwartungsnutzen-Maximierung zu entdecken. Liegen diese jedoch vor, so ist der in Abschnitt 2.3.2.2 entwickelte theoretische Rahmen nicht mehr anwendbar. 2. Emotionale Abwehr gegenüber der Fragestellung: Ein weiteres Problem besteht in der Bereitschaft, Fragen zu beantworten, die ein so heikles Thema wie den Vergleich von Leben und Vermögen berühren. Allein schon die offene Weigerung eines Teils der (in der Regel zufällig ausgewählten) Testpersonen, die Fragen zu beantworten, könnte die Repräsentativität der Ergebnisse gefährden, wenn dies z.B. überwiegend Personen mit besonders hoher Einschätzung des Wertes des eigenen Lebens sind. Die emotionale Abwehr gegen eine solche Befragung könnte sich natürlich auch in einer bewussten oder unbewussten Verfälschung der Präferenzen äußern. 3. Fehlende Motivation der Befragten: Auch bei grundsätzlicher Bereitschaft, die Fragen zu beantworten, fehlt - wie generell bei der Befassung mit hypothetischen Situationen - die Motivation, sich ernsthaft genug darüber Gedanken zu machen, wie man sich verhalten würde, wenn die hypothetische Situation eine reale wäre, und diese Präferenzen auch zu äußern. Die Individuen könnten versucht sein, stattdessen etwas zu äußern, wovon sie glauben, dass der Interviewer oder der Auftraggeber der Studie es gern als Antwort erhält, oder das ihnen selbst ein erwünschtes „Image" verleiht. 4. Strategisches Verhalten: Dient die Fragebogenstudie erkennbar als Entscheidungsgrundlage für ein Projekt, dann besteht für die Befragten der Anreiz, sich strategisch zu verhalten. So kann eine Person, die Vorteile von dem Projekt erwartet, durch eine Übertreibung ihrer Zahlungsbereitschaft die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass die Fragebogenstudie das Projekt positiv beurteilt. Entspre26
Dies wurde in einem anderen Zusammenhang bereits von KAHNEMAN (1979) festgestellt.
UND TVERSKY
2.4 Kosten-Nutzen-Analyse
55
chend kann eine Untertreibung der eigenen Zahlungsbereitschaft dazu dienen, das Projekt zu verhindern.
2.4.5.2 Die Contingent-Valuation-Methode Die Contingent-Valuation-Methode (CV-Methode) ist bislang das vorherrschende Verfahren bei der Ermittlung von Zahlungsbereitschaften. Sie wurde in der Umweltökonomik entwickelt, um öffentliche Güter zu bewerten. 27 Im Gesundheitswesen wird die CV-Methode seit Mitte der 70er-Jahre angewendet. Bis heute wurden weit über hundert Studien durchgeführt.28 Dabei werden die Individuen mit einem hypothetischen Szenario über das zu evaluierende Programm oder Gut konfrontiert. Es lassen sich zwei Vorgehensweisen unterscheiden: 1. Bei der Verwendung offener Fragen (englisch „Open-Ended Technique") wird das Individuum direkt gefragt, wie viel es maximal für das hypothetische Szenario bezahlen würde. Die Befragten sind bei dieser Art Fragestellung allerdings häufig kognitiv überfordert. Deswegen wird meistens auf Hilfsmittel zurückgegriffen, um die Situation vertrauter zu machen. So versucht man z.B., die maximale Zahlungsbereitschaft mit einem sogenannten Bidding Game einzukreisen. Dabei wird das Individuum gefragt, ob es bereit ist, für das hypothetische Szenario einen bestimmten Betrag zu bezahlen. Bei einer positiven Antwort wird der Betrag so lange erhöht, bis die Person den Betrag nicht mehr akzeptiert. Bei einer negativen Antwort wird der Betrag so lange verringert, bis die Person ihn akzeptiert. Der resultierende Wert ist die maximale Zahlungsbereitschaft. Ein anderes Hilfsmittel sind die sogenannten Zahlungskarten (Payment Cards). Der Person werden mehrere Karten mit verschiedenen Geldbeträgen gezeigt. Sie muss sich dann für diejenige Karte entscheiden, welche am nächsten bei ihrer maximalen Zahlungsbereitschaft liegt. 2. Mit Ja-Nein-Fragen bzw. binären Fragen (englisch „Closed-Ended Technique") wird versucht, eine für die Befragten vertraute Situation nachzubilden, indem nur danach gefragt wird, ob die Person einen bestimmten Geldbetrag zu zahlen bereit wäre oder nicht. Der Geldbetrag wird von Person zu Person variiert. Mit diesem Vorgehen ist es möglich, den Anteil Ja-Stimmen als Funktion des Preises zu berechnen. Wenn dieser Anteil mit der Anzahl der befragten Personen multipliziert wird, kann die Funktion als aggregierte Nachfragefunktion für das beschriebene Gut interpretiert werden. Abbildung 2.7 zeigt, wie man aufgrund einer solchen Anteilsfunktion die Zahlungsbereitschaft berechnen kann.29 Während die durchschnittliche Zahlungsbereitschaft auf dem arithmeti27
Eine Übersicht zu diversen Anwendungen in diesem Bereichfindetsich bei CUMMINGS (1986) und MITCHELL UND CARSON (1989). 28 Für eine Übersicht über gesundheitsökonomische Contingent-Valuation-Studien siehe
ET AL.
KLOSE (1999). 29 Für einen Überblick iiber verschiedene Methoden zur Schätzung der Anteilsfunktion (englisch: survival function) siehe NOCERA ET AL. (2003).
56
2 Zur ökonomischen Bewertung von Leben und Gesundheit Abb. 2.7. Berechnung der Zahlungsbereitschaft aus einer Anteilsfunktion
Anteil Ja-Stimmen Ja-Stimmen Anteil
1.0 1.0
Durchschnittliche ZB ZB Durchschnittliche
0.5 0.5
Median-ZB Median-ZB
Geldbetrag Geldbetrag
schen Mittel beruht und somit das Integral unter der Anteilsfunktion ist, stellt die Median-Zahlungsbereitschaft denjenigen Geldbetrag dar, den fünfzig Prozent der Befragten gerade noch akzeptieren. Die Frage, ob bei einer CV-Studie offene oder Ja-Nein-Fragen verwendet werden sollen, ist noch nicht abschließend geklärt. Für die binäre Fragestellung spricht allerdings, dass die Entscheidung für die Befragten näher an einer alltäglichen Marktsituation ist. Ein genereller Nachteil der CV-Methode ist die Anfälligkeit für Verzerrungen. Insbesondere treten folgende Probleme auf:30 •
Verzerrung durch Referenzwerte und die Reihenfolge der Fragen: In CV-Studien besteht die Gefahr, dass die befragten Personen ihre Zahlungsbereitschaft aufgrund eines Referenzwertes angeben, der nichts mit ihrer eigentlichen Zahlungsbereitschaft zu tun hat (sogenanntes Anchoring). So ist z.B. in einem Bidding Game die Zahlungsbereitschaft häufig von den Startwerten abhängig (Starting Point Bias). Bei der Methode der Zahlungskarten kann die Zahlungsbereitschaft aufgrund der Beträge auf den Karten verzerrt sein (Range Bias). Ein Problem besteht auch, wenn nach der Zahlungsbereitschaft für mehrere Programme gefragt wird. In diesem Fall kann die Beantwortung der ersten Frage die weiteren Antworten beeinflussen (Question Order Bias).
•
Anfälligkeit für Fehlspezifikationen: Die Resultate einer CV-Studie reagieren äußerst anfällig auf Fehlspezifikationen. So ist es möglich, dass die Befragten das präsentierte Gut oder Programm anders verstehen, als dies vom Forscher beabsichtigt ist. Des Weiteren können kontext-spezifische Missverständnisse auftreten. Insbesondere die Eigentumsrechte oder das verwendete Zahlungsmedium können Verzerrungen der Zahlungsbereitschaft zur Folge haben. 30
Vgl. MITCHELL UND CARSON (1989, Kapitel 11) für eine ausführliche Darstellung möglicher Verzerrangen bei der Verwendung der Contingent-Valuation-Methode.
2.4 Kosten-Nutzen-Analyse
•
57
Einfluss der Einstellung zum Untersuchungsgegenstand: Vor allem bei binären Fragen besteht die Gefahr, dass die befragten Individuen Geldbeträge oberhalb ihrer Zahlungsbereitschaft akzeptieren, um eine prinzipielle Zustimmung zum Untersuchungsgegenstand auszudrücken [sogenanntes „Yea-Saying"; vgl. dazu auch BLAMEY ET AL. (1999)].
Berücksichtigt man zusätzlich die grundsätzlichen Probleme bei Fragebogenstudien, so scheint es fraglich zu sein, ob eine CV-Studie durchgeführt werden kann, die valide und zuverlässige Zahlungsbereitschaften ermittelt. Im Gesundheitswesen hat sich aber zumindest gezeigt, dass die CV-Methode theoretisch plausible Resultate liefert.31 Insbesondere haben Individuen mit einem höheren Einkommen auch eine höhere Zahlungsbereitschaft, und die Zahlungsbereitschaft steigt mit der Menge an Gesundheitsleistungen, die ein Programm anbietet. Es konnte aber bislang nicht nachgewiesen werden, dass die geäußerten Zahlungsbereitschaften mit tatsächlichen Kaufentscheidungen übereinstimmen (sogenannte Kriteriumsvalidität). Auch bei der Verlässlichkeit der Methode gibt es bisher nur Evidenz für eine mittelmäßige Reproduzierbarkeit der durch die CV-Methode erhaltenen Ergebnisse. Wir ziehen als Fazit die Folgerung 2.11 Bei der Contingent-Valuation-Methode werden die Individuen anhand offener oder Ja-Nein-Fragen mit einem hypothetischen Szenario über das zu evaluierende Programm oder Gut konfrontiert. Die Methodeführt zwar zu theoretisch plausiblen Ergebnissen, istjedoch anfälligfür mehrere Arten von Verzerrungen. Ob die geäußerten Zahlungsbereitschaften mit tatsächlichen Entscheidungen übereinstimmen, konnte noch nicht nachgewiesen werden. In den letzten drei Jahrzehnten wurde eine Vielzahl von Studien durchgeführt, die sich mit dem Wert des statistischen Lebens beschäftigen. In Überblicksartikeln von VISCUSI (1993) und neuerdings HAMMITT UND GRAHAM (1999) wird über gut zwei Dutzend von Fragebogenstudien mit unterschiedlichem Stichprobenumfang (30 bis über 1.000 Testpersonen) - meist aus den USA oder aus Großbritannien - berichtet. In einigen Fällen wurden Studenten befragt, die die Kurse der Autoren besucht hatten, in anderen handelte es sich um repräsentative Stichproben der Wohnbevölkerung im betreffenden Land. Alle Fragebögen waren mit realistischen „Szenarien" versehen, d.h. den hypothetischen Risikoänderungen wurden plausible Begründungen wie zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen im Straßenverkehr, beim Betrieb von Kernkraftwerken oder bei der Beseitigung gefährlicher Abfälle beigefügt. Damit sollte den Testpersonen eine Motivation vermittelt werden, sich ernsthaft mit den Fragen auseinanderzusetzen. Auffällig an den Ergebnissen ist die außerordentlich große Streuung der aus den Mittelwerten errechneten „Werte des Lebens" und ein recht enger Zusammenhang zwischen diesen Werten und der Größenordnung der unterstellten Risikoänderung: 31
Vgl. KLOSE (1999).
58
2 Zur ökonomischen Bewertung von Leben und Gesundheit
Für vergleichsweise beträchtliche Risikosenkungen in der Größenordnung von l:10 3 ist die mittlere geäußerte Zahlungsbereitschaft nicht wesentlich höher als für Reduktionen im Bereich von l:10 5 bis 1:106, so dass sich aus den Studien des ersten Typs ein um mehrere Zehnerpotenzen geringerer Wert des „statistischen Lebens" errechnen lässt. So ermittelte FRANKEL (1979) in ein und derselben Studie Werte des Lebens zwischen 57.000 und 3,37 Mio. US-Dollar je nach Größenordnung der unterstellten Risikoreduktion. Diese Ergebnisse bestätigen die oben genannte Vermutung, dass die meisten Befragten im Umgang mit sehr kleinen Wahrscheinlichkeiten Schwierigkeiten haben, und daher auch bei hypothetischen Fragen mit explizit genannten Größen Werte unterhalb einer bestimmten Schwelle (die etwa bei 1:1.000 liegen könnte) im Geiste nach oben „korrigieren". JONES-LEE ET AL. (1985) berichten allerdings auch, dass der von ihnen gefundene (arithmetische) Mittelwert stark durch einige Ausreißer nach oben beeinflusst worden ist. Würde man statt des Mittelwerts den Median nehmen, so läge der Wert nicht mehr bei 1,5 Mio., sondern nur noch bei 800.000 Pfund. Das nach dem potentiellen Pareto-Kriterium korrekte Vorgehen verlangt zwar als Basis den Mittelwert, aber der Median lässt sich durch das Mehrheitsprinzip rechtfertigen, wenn man sich vorstellt, dass über eine staatliche Maßnahme zur Risikoreduktion demokratisch abgestimmt werden soll.
Neben dem aufgezeigten Zusammenhang zwischen dem Messergebnis und der Größenordnung der hypothetischen Risikoänderang geben eine ganze Reihe weiterer bemerkenswerter Feststellungen Anlass, an der Deutung dieser Resultate als „wahre" Zahlungsbereitschaft zu zweifeln: •
•
Ein beträchtlicher Prozentsatz der Befragten gibt für unterschiedlich hohe Risikoänderungen beim selben Ausgangsniveau den gleichen Betrag für ihre Zahlungsbereitschaft an; einige geben sogar für größere Risikosenkungen geringere Beträge an [vgl. (1985), SMITH UND DESVOUSGES (1987)];
J O N E S - L E E ET AL.
•
ferner bestehen in derselben Studie beträchtliche Unterschiede zwischen der Zahlungsbereitschaft für kleine Risikominderungen und den Kompensationsforderungen für kleine Risikoerhöhungen.
Schließlich scheint auch die Art des in den Szenarien beschriebenen Todes (z.B. durch Krebserkrankung versus Verkehrsunfall) für die Höhe der geäußerten Zahlungsbereitschaft eine Rolle zu spielen. Da im ersten Beispiel in dem Gesamtbetrag auch die Zahlungsbereitschaft für die Vermeidung des mit Krebs assoziierten langen Leidens enthalten sein dürfte, ist bei der Interpretation der Ergebnisse solcher Fragebogenstudien zusätzliche Vorsicht geboten.
2.4 Kosten-Nutzen-Analyse
59
Wir ziehen daraus die
Folgerung 2.12 Die erhebliche Streubreite in den Ergebnissen und die verbreiteten Inkonsistenzen in den Antworten auf hypothetische Fragen bestätigen die Zweifel an der Verlässlichkeit der „direkten Methode " der Messung der Zahlungsbereitschaft für Risikoreduktionen. 2.4.5.3 Discrete-Choice-Experimente Discrete-Choice-Experimente (DCEs) sind eine Variante der Conjoint-Analyse, welche Ende der 60er-Jahre im Bereich der Psychologie entwickelt wurde [vgl. LUCE UND TUKEY (1964)]. Diese versucht, das Verhalten von Konsumenten aufgrund ihrer Präferenzen für Produkteigenschaften zu erklären und vorauszusagen. Bei DCE bilden dabei diskrete Entscheidungen der Individuen die Grundlage. Seit Anfang der 80er-Jahre werden DCEs im Bereich der Verkehrs- und seit etwa zehn Jahren auch in der Umweltökonomik eingesetzt [vgl. z.B. HENSHER (1997); BENNETT UND BLAMEY (2001)]. In der Gesundheitsökonomik wurden DCE Mitte der 90er-Jahre eingeführt [RYAN (1995); RYAN UND HUGHES (1997)]. Mittlerweile liegen bereits eine Vielzahl von Studien vor.32 Um ein DCE durchzuführen, müssen zunächst die Eigenschaften einer Maßnahme beschrieben werden. Folgende Eigenschaften können z.B. eine Knieoperation charakterisieren: •
Erwünschte Wirkung
•
mögliche Komplikationen
•
Wartezeit bis zur Operation
•
Dauer des Krankenhausaufenthaltes
•
Kosten der Operation.
Durch verschiedene Ausprägungen lassen sich diese Eigenschaften zu unterschiedlichen (hypothetischen) Produkten kombinieren. Jedes Produkt oder Programm wird somit durch einen Vektor von Eigenschaftsausprägungen charakterisiert. Das Experiment wird so gestaltet, dass die hypothetischen Alternativen in mehreren Teilmengen zusammengefasst werden, wobei jede aus mindestens zwei Alternativen besteht. Den befragten Personen werden anschließend die Teilmengen der Reihe nach vorgelegt, und bei jede Teilmenge muss das Individuum diejenige Alternative bezeichnen, für die es sich entscheiden würde. Die diskreten Entscheidungen über die Teilmengen bilden die Grundlage für die statistische Auswertung. Hierzu wird ein entscheidungstheoretisches Modell ver32
Vgl. z.B: BRYAN ET AL. (1998); JOHNSON ET AL. (2000); RATCLIFFE UND BUXTON (1999); TELSER UND ZWEIFEL (2002); VlCK UND SCOTT (1998). Eine vorläufige Übersicht über die Anwendungen im Gesundheitsbereich geben RYAN UND GERARD (2004).
60
2 Zur ökonomischen Bewertung von Leben und Gesundheit
wendet, aufgrund dessen sich Individuen zwischen verschiedenen Alternativen entscheiden, indem sie die Nutzen aus den Alternativen miteinander vergleichen. Dieses Verfahren ist in der neuen Nachfragetheorie von LANCASTER (1966,1971) verankert, in welcher ein Individuum Nutzen aus den Eigenschaften zieht, mit welchen ein Gut ausgestattet ist (vgl. dazu auch Teilabschnitte 12.2 und 12.3). Beziiglich der Präferenzen der untersuchten Bevölkerungsgruppe trifft die DCE die folgenden Annahmen: 1. Existenz eines repräsentativen Konsumenten: Diese Annahme besagt, dass sich die aggregierten Präferenzen der untersuchten Bevölkerungsgruppe durch eine Nutzenfunktion darstellen lassen. Unterschiede in den Präferenzen der einzelnen Individuen lassen sich aber durch einen Vektor mit sozioökonomischen Merkmalen in der Nutzenfunktion berücksichtigen. 2. Strukturannahmen an die Nutzenfunktion: In fast allen Anwendungen wird eine lineare Nutzenfunktion verwendet. Diese impliziert, dass die Grenznutzen der Eigenschaften der Maßnahme konstant sind. In vielen Situationen ist diese Annahme jedoch zu restriktiv. Als Altemative bietet sich eine quadratische Nutzenfunktion an, die allerdings immer noch relativ starke Annahmen beinhaltet.33 Formal lässt sich das entscheidungstheoretische Modell folgendermaßen darstellen:34 Die Alternative j sei durch den Preis pj und den Charakteristikavektor b\ = (£>•',•••,bJk) gekennzeichnet. yi bezeichne das Einkommen des Individuums i. Der indirekte Nutzen des Individuums i bei Alternative j lautet dann Vij^vipj&jjMj).
(2.41)
Der Vektor e,;- ist dabei für das Individuum eine bekannte Größe, für den Beobachter stellt er aber eine Zufallsvariable dar. Er erfasst insbesondere nicht entscheidungsrelevante Eigenschaften des Individuums, die nur dieses selbst kennt. Das Individuum wird sich für die Alternative j entscheiden, wenn der Nutzen in diesem Fall größer ist als für alle anderen Alternative innerhalb des Teilmenge, wenn also gilt v(pj,bJ,yi,eij) > v(pi,b',yi,eu),Vl ± j .
(2.42)
Für den Beobachter sind die Entscheidungen der Individuen jedoch Zufallsvariablen. Auf Grundlage der Theorie des stochastischen Nutzens können deshalb Wahrscheinlichkeit angegeben werden, mit der die Alternative j gewählt wird: ipj^ijj^ij) 33
> v(pi,bl,yhea),Vl ± j].
(2.43)
Eine quadratische Nutzenfunktion wird u.a. von GEGAX UND STANLEY (1997) sowie von PECKELMAN UND SEN (1979) verwendet. 34 Eine ausführliche Beschreibung der Methode mit dem zugrundeliegenden theoretischen Modell findet sich z.B. bei LOUVIERE ET AL. (2000) und TELSER (2002).
2.4 Kosten-Nutzen-Analyse
61
Nachdem man Annahmen über die funktionale Form der indirekten Nutzenfunktion und über die Verteilung der Störterme 8 getroffen hat, lässt sich Gleichung (2.43) mit einem Probit- oder Logit-Modell schätzen. Mit den Schätzergebnissen kann die Grenzrate der Substitution (GRS) zwischen zwei beliebigen Charakteristika berechnet werden. Sie gibt an, wie viel man von einem Charakteristikum aufzugeben bereit ist, um von einem anderen Charakteristikum eine Einheit mehr zu bekommen. Mathematisch lässt sich die GRS zwischen zwei Produktattributen k und m als Verhältnis der beiden partiellen Ableitungen der indirekten Nutzenfunktion aus Gleichung (2.41) nach den Attributen k und m ausdrücken:
(2.44)
Die GRS zwischen dem Produktattribut k und dem Preis pj zeigt an, wie viel mehr man zu zahlen bereit wäre, um eine Einheit mehr vom Charakteristikum k zu erhalten. Das ist aber nichts anderes als die marginale Zahlungsbereitschaft (MZB) für das Produktattribut k:
MZB, =
db
j
.
(2.45)
Auf diese Weise lassen sich für alle Eigenschaften die marginalen Zahlungsbereitschaften bestimmen. Im linearen Modell sind diese konstant, so dass sich die Zahlungsbereitschaften für nichtmarginale Änderungen berechnen lassen, indem man die GRS mit den jeweiligen Änderungen der Eigenschaften multipliziert. Ein großer Vorteil von DCE - im Vergleich zu CV-Studien ist, dass sie weniger anfälliger für strategisches Verhalten der Befragten sind, da der Zusammenhang zwischen dem durchzuführenden Projekten und den vorgelegten Alternativenmengen für die Befragten in der Regel nicht ersichtlich ist. Zudem lassen sich die Ergebnisse eines DC-Experiments durch die Konstruktion einer Nutzenfunktion auf eine Vielzahl möglicher Projekte anwenden. Demgegenüber stehen allerdings, ähnlich wie beim QALY-Modell in der Kosten-Nutzwert-Analyse, relativ einschränkende Annahmen bezüglich der Präferenzstruktur der Betroffenen. Bezüglich der Validität und Reliabilität der Methode sind in der Gesundheitsökonomik erst wenige Studien durchgeführt worden. Erste Ergebnisse von BRYAN ET AL. (2000), RYAN ET AL. (1998); TELSER (2002) und TELSER UND ZWEIFEL (2002) deuten jedoch darauf hin, dass DCE auch im Gesundheitsbereich grundsätzlich eine valide und zuverlässige Methode zur Ermittlung der Zahlungsbereitschaft sind.
62
2 Zur ökonomischen Bewertung von Leben und Gesundheit Wir fassen unsere Ergebnisse zu den Discrete-Choice-Experimenten zusammen
m Folgerung 2.13 Discrete-Choice-Experimente (DCEs) versuchen auf der Basis diskreter Entscheidungen der betroffenen Personen, deren Präferenzen filr Produkteigenschaften zu erklären und vorauszusagen. Die großen Vorteile der DCEs sind ihre geringe Anfälligkeit fiir strategisches Verhalten der Befragten und die Anwendbarkeit der Ergebnisse auf eine Vielzahl möglicher Projekte. Bezüglich der Präferenzstruktur der Betroffenen treffen DCEs allerdings relativ einschränkende Annahmen.
2.4.6 Die indirekte Methode der Messung der Zahlungsbereitschaft: Auswertung von Marktdaten Der große Vorteil der indirekten Methode im Gegensatz zu Befragungen ist, dass sie nicht auf hypothetische, sondern auf reale Situationen Bezug nimmt. Daher ist es prinzipiell möglich, die Risikopräferenzen von Individuen aus ihren Entscheidungen bezüglich der Vermeidung von Risiken abzulesen. Das bekannteste Beispiel hierfür ist die Wahl bzw. Nichtwahl eines Berufs, dessen Ausübung mit einer erhöhten Gefährdung von Leben und Gesundheit verbunden ist (z.B. Rennfahrer, Lkw-Fahrer, Stuntman, Bergmann, Elektriker). Aber auch alltägliche Situationen wie das Anlegen von Sicherheitsgurten können der Ableitung von Risikopräferenzen aus beobachtetem Verhalten dienen. Jedoch ist auch die Methode der Messung „offenbarter Präferenzen" mit einer Reihe von Problemen behaftet, die hier am Beispiel der Berufswahl aufgezeigt werden sollen. Grundidee ist es, die Kompensationsforderungen von Individuen für die Übernahme eines erhöhten Risikos für das eigene Leben an der Differenz der Lohnsätze eines Berufes mit und eines ohne berufsbedingte Lebensgefahr abzulesen. Die dabei auftretenden Schwierigkeiten sind die folgenden: 1. Trennung des Risikos von anderen Einflüssen: Anders als bei der Skizzierung hypothetischer Situationen in Fragebögen spielen bei realen Entscheidungen immer mehrere Aspekte eine Rolle, und der Einfluss einer einzelnen Größe lässt sich im Nachhinein nicht leicht isolieren. Denn man wird keine zwei Berufe finden, die sich nur im Risiko für Leben oder Gesundheit unterscheiden, ansonsten aber völlig gleich sind. So spiegeln Lohnsatzdifferenzen sicher auch Unterschiede in den Anforderungen an die Ausbildung, in der körperlichen und seelischen Belastung und in vielen anderen Merkmalen der Tätigkeiten wider. Solange man diese übrigen Charakteristika nicht konstant halten kann, ist es sehr gewagt, die Lohndifferenz allein als Risikoprämie zu interpretieren. 2. Diskrepanz zwischen subjektivem Risiko und relativer Häufigkeit: Selbst wenn die Lohndifferenz eine reine Risikoprämie wäre, ist daraus die Grenzrate der
2.4 Kosten-Nutzen-Analyse
63
Substitution des Arbeitnehmers zwischen Risiko und Vermögen nur dann ablesbar, wenn man dessen subjektive Einschätzung der relevanten Wahrscheinlichkeiten kennt, denn nach der Erwartungsnutzen-Theorie geht diese in seine Entscheidung ein. Was man statt dessen in der Regel beobachten kann, sind relative Häufigkeiten von berufsbedingten Todesfällen (z.B. Arbeitsunfällen). Gerade bei relativ geringen Werten dieser Größen ist keinesfalls sichergestellt, dass die betroffenen Arbeitnehmer diese Häufigkeiten kennen, geschweige denn, dass sie sie als Grundlage ihrer eigenen Wahrscheinlichkeits-Schätzungen verwenden. So ist aus Umfragen bei Autofahrern bekannt, dass nahezu jeder sein eigenes Unfallrisiko geringer einschätzt als die entsprechende relative Häufigkeit der Gesamtbevölkerang. Hinzu kommt die Frage, ob das beobachtete Verhalten tatsächlich als Maximierung des Erwartungsnutzens gedeutet werden kann, wie es die Theorie verlangt. Empirische Beobachtungen [z.B. schon von EisNER UND STROTZ (1961)] deuten darauf hin, dass Individuen beim Umgang mit relativ kleinen Risiken - ähnlich wie bei der Beantwortung hypothetischer Fragen - auch in realen Situationen systematisch gegen diese Handlungsmaxime verstoßen. 3. Repräsentativität von Personen mit riskanten Berufen: Schließlich muss man in Zweifel ziehen, ob Personen in riskanten Berufen für die Gesamtbevölkerung repräsentativ sein können. Allein schon die Tatsache, dass sie einen solchen Beruf gewählt haben und die anderen nicht, impliziert, dass selbst bei Außerachtlassung der unter 1. und 2. genannten Einwände die Lohnsatzdifferenz gleichzeitig eine Obergrenze für die Grenzrate der Substitution zwischen Leben und Vermögen (d.h. für die Zahlungsbereitschaft für eine Risikoreduktion) bei den betreffenden Personen und eine Untergrenze bei der restlichen (im Prinzip für den Beruf geeigneten) Bevölkerung darstellt. Eine solche Aussage hilft aber vor allem dann nicht weiter, wenn sich die „kompensierende Lohnsatzdifferenz" als sehr klein oder sogar negativ erweist. Dann bleibt nur der Schluss, dass die Angehörigen dieses Berufes eine besondere Vorliebe für riskante Situationen (etwa den damit verbundenen Nervenkitzel) haben, die in der Bevölkerung insgesamt nicht verbreitet ist.35 Wir fassen unsere Überlegungen zusammen zur Folgerung 2.14 Auch die Messung der Zahlungsbereitschaft anhand ,,offenbarter Präferenzen " ist mit einer Reihe von Problemen behaftet. Es muss u.a. sichergestellt sein, dass dem Individuum die relevanten Risiken genau bekannt waren und dass dies das einzige Motivfür sein beobachtbares Verhalten war.
35
Es ist allerdings fraglich, ob Personen, die beruflich oder privat wegen des „Nervenkitzels" hohe Risiken eingehen (Stuntmen, Fallschirmspringer), denselben Nervenkitzel auch bei einem gleich hohen, aber weniger spektakulären Risiko (z.B. einer Vergiftung durch Schadstoffe) verspüren.
64
2 Zur ökonomischen Bewertung von Leben und Gesundheit
Die erste umfangreiche empirische Untersuchung von Lohnsatzdifferenzen zwischen Berufen mit unterschiedlicher Lebensgefahr stammt von THALER UND R O SEN (1975), und die zugrundeliegenden Daten beziehen sich auf 900 Arbeiter in 37 risikoträchtigen Berufen. In einer multiplen Regressionsanalyse versuchen die Autoren, das Lohneinkommen dieser Arbeiter auf seine diversen Bestimmungsgründe zurückzuführen und dabei den Einfluss des berufsspezifischen Risikos zu isolieren. Die Risikowerte stammen aus Statistiken von Lebensversicherungen. Aus dem entsprechenden Regressionskoeffizienten lässt sich - je nach Spezifikation der Schätzgleichung - ein „Wert des statistischen Lebens" zwischen 136.000 und 260.000 USDollar (bezogen auf das Jahr 1967) ablesen. Spätere Studien mit Daten aus den USA oder Großbritannien ermittelten größere Lohnsatzdifferenzen, bezogen auf das gleiche zusätzliche Risiko, wobei die Größenordnung des daraus errechneten Wertes eines statistischen Lebens oftmals über 1 Mio. Dollar liegt. Jedoch liefert auch dieser Typ von Studien eine recht breite Streuung der Ergebnisse um bis zu zwei Zehnerpotenzen. Eine weitere Gruppe von empirischen Untersuchungen zielt darauf ab, den „Wert des Lebens" aus beobachtetem Verhalten von Konsumenten abzuleiten. Die verwendeten Daten beziehen sich u.a. •
auf den erhöhten Marktpreis von Häusern in Gegenden mit besserer Luftqualität,
•
auf den Kauf und Einbau von Rauch-Detektoren in Holzhäusern,
•
auf die Benutzung von Sicherheitsgurten und die Wahl der Geschwindigkeit beim Autofahren oder
•
auf die Benutzung von Fußgängertunneln zur Überquerung vielbefahrener Straßen.
Erstaunlicherweise liegen die Ergebnisse dieser völlig unterschiedlichen Studien dichter beisammen als diejenigen aus dem Vergleich von Lohnsätzen und implizieren einen Wert des Lebens zwischen 200.000 und 600.000 US-Dollar, bezogen auf 1983 [vgl. JONES-LEE ET AL. (1985)]. Aufgrund der oben diskutierten Vorbehalte sowohl gegen direkte als auch gegen indirekte Methoden der Messung der Zahlungsbereitschaft für Änderangen des Todesrisikos lässt sich daraus jedoch keineswegs der Schluss ziehen, der „Wert des statistischen Lebens" falle mit Sicherheit in den angegebenen Bereich.
2.5 Kosten-Nutzwert-Analyse und Kosten-Nutzen-Analyse im Vergleich Vergleicht man die Kosten-Nutzwert-Analyse und die Kosten-Nutzen-Analyse, so fallen eine Gemeinsamkeit und zwei grandlegende Unterschiede auf. Beide Methoden teilen die Eigenschaft, dass sie bei der Verteilung der Vorteile einer Maßnahme keinen Unterschied machen, bei wem diese anfallen. Dies ist jedoch dann
2.5 Kosten-Nutzwert-Analyse und Kosten-Nutzen-Analyse im Vergleich
65
fragwürdig, wenn man der Ansicht ist, dass die Vorteile nicht zu ungleich auf die Betroffenen verteilt werden sollten. Wie wir gezeigt haben, lässt sich dieser Aspekt durch die Verwendung einer gesundheitsbezogenen bzw. gesellschaftlichen Wohlfahrtsfunktion berücksichtigen. Der erste grundlegende Unterschied besteht darin, dass die Kosten-NutzwertAnalyse im Gegensatz zur Kosten-Nutzen-Analyse allein noch keine Entscheidung darüber trifft, ob ein Projekt durchgeführt werden sollte. Erst die Festlegung eines Budgets macht dies möglich. Es bleibt jedoch offen, nach welchen Kriterien dieses Budget bestimmt werden sollte. Zweitens unterscheiden sich beide Methoden in der Frage, wie die Wohlfahrt der betroffenen Personen in die Entscheidung einfließen sollte. Die Kosten-NutzwertAnalyse stellt hier das extra-welfaristische Konzept der Gesundheit in den Mittelpunkt. Die Kosten-Nutzen-Analyse hingegen beruht auf dem in der Wohlfahrtsökonomik üblichen Nutzenkonzept. Die beiden Methoden gehen somit von unterschiedlichen Werturteilen aus und es handelt sich nicht um einen rein technischen Unterschied. Entsprechend wird mit der Verwendung einer Methode implizit eine Entscheidung darüber getroffen, welche Faktoren für die Wohlfahrt der Betroffenen als wichtig erachtet werden und welche nicht. Der Wissenschaftler kann hier nur versuchen, Klarheit über die wohlfahrtstheoretischen Zusammenhänge zu schaffen. Die Entscheidung darüber, welche Methode angewendet werden sollte, kann aber letztlich nur im gesellschaftlichen Diskurs getroffen werden. Folgerung 2.15 Die Kosten-Nutzwert-Analyse und die Kosten-NutzenAnalyse unterscheiden sich nicht nur in ihrem technischen Vorgehen, sondern vor allem in der Frage, wie die Wohlfahrt der Betroffenen berücksichtigt wird. Bei der Kosten-Nutzwert-Analyse steht die Gesundheit im Mittelpunkt, bei der Kosten-Nutzen-Analyse der Nutzen. Die Methoden beruhen daher auf unterschiedlichen Werturteilen, über die nur im gesellschaftlichen Diskurs entschieden werden kann. Aus Sicht eines Vertreters der Kosten-Nutzen-Analyse stellt sich noch eine interessante Frage bezüglich der Vereinbarkeit der beiden Methoden: Lassen sich die Ergebnisse einer Kosten-Nutzwert-Analyse für eine Kosten-Nutzen-Analyse nutzbar machen? Insbesondere möchten wir zum Abschluss dieses Kapitels untersuchen, ob QALYs mit einem Geldwert belegt werden können, so dass sie Grundlage einer Kosten-Nutzen-Analyse sein können.36 Hierzu müssen zunächst einmal die Annahmen des QALY-Modells erfüllt sein (siehe Abschnitt 2.3.2.2). Wie wir in Abschnitt 2.3.2.3 gezeigt haben, sind QALYs unabhängig vom Konsum c nur ein Argument einer herkömmlichen Erwartungsnutzenfunktion, falls einige restriktive Annahmen erfüllt sind. Der Erwartungsnutzen des Individuums beträgt dann EU = b(c)QALYs. 36
Vgl. hierzu auch BLEICHRODT
UND QUIGGIN
(1999).
(2.13)
66
2 Zur ökonomischen Bewertung von Leben und Gesundheit
In diesem Fall lässt sich eine marginale Zahlungsbereitschaft für ein QALY ableiten:
dQALYs
EUy
b{c) ~ b'(c)QALYs-
(2.46)
Bei einem positiven Grenznutzen ist diese marginale Zahlungsbereitschaft positiv. Folglich lässt sich für jedes einzelne Individuum die Zahlungsbereitschaft für eine Maßnahme ermitteln, indem man seine QALY-Veränderung mit seiner Zahlungsbereitschaft für ein QALY multipliziert. Auf Grandlage dieser Zahlungsbereitschaften lässt sich dann eine Kosten-Nutzen-Analyse (oder auch eine gesellschaftliche Wohlfahrtsanalyse) erstellen. Da man auf die Ergebnisse der Kosten-NutzwertAnalyse bzw. auf die aus Befragung gewonnenen Bewertungen der Gesundheitszustände zurückgreifen kann, wäre diese Analyse relativ einfach durchzuführen. Allerdings sind hierbei folgende Punkte zu beachten: •
Gleichung (2.13) gilt nur unter sehr einschränkenden Annahmen, die in der Praxis kaum erfüllt sein dürften.
•
Gleichung (2.46) zeigt, dass die Zahlungsbereitschaft einer Person für ein QALY von ihrem verfügbaren Einkommen und ihren QALYs in der Ausgangssituation abhängig ist. Die Zahlungsbereitschaft für ein QALY ist deshalb voraussichtlich von Person zu Person verschieden und müsste entsprechend getrennt erhoben werden.
Die Verwendung der durchschnittlichen Zahlungsbereitschaft für ein QALY ist problematisch. Sind die unterschiedlichen Einkommensgruppen in der Bevölkerung in unterschiedlichem Maße von der zu bewertenden Maßnahme betroffen, dann kommt es zu Verzerrungen. Profitieren z.B. hauptsächlich Personen mit niedrigem Einkommen von der Maßnahme und steigt die Zahlungsbereitschaft für ein QALY mit dem verfügbaren Einkommen, dann kommt es bei Anwendung der durchschnittlichen QALY-Zahlungsbereitschaft zu einer Überschätzung der gesamten Zahlungsbereitschaft. Aus diesen Überlegungen geht auch hervor, dass es äußerst unrealistisch ist, dass die Kosten-Nutzwert-Analyse und die Kosten-Nutzen-Analyse zum gleichen Ergebnis führen. Hierfür müssen nicht nur die Annahmen des QALY-Modells erfüllt sein und sich die Präferenzen durch Gleichung (2.13) erfassen lassen. Des Weiteren muss die Zahlungsbereitschaft für ein QALY für alle Personen gleich sein, da die KostenNutzen-Analyse sonst die QALY-Veränderungen unterschiedlich gewichtet. Schließlich muss noch das Budget der Kosten-Nutzwert-Analyse den optimalen Ausgaben bei der Kosten-Nutzen-Analyse entsprechen, damit beide Methoden auch zum gleichen Leistungsniveau führen.
2.6 Zusammenfassung des Kapitels
67
Wir ziehen folgendes Fazit:
Folgerung 2.16 Sind QALYs unabhängig vom Konsum ein Argument einer herkömmlichen Erwartungsnutzenfunktion, dann lassen sich die Ergebnisse von Kosten-Nutzwert-Analysen auch fiir Kosten-Nutzen- und gesellschaftliche Wohlfahrtsanalysen verwenden. Hierbei müssen die Zahlungsbereitschaftenfür ein QALY einzeln erhoben werden, da sie vom verfügbaren Einkommen und den QALYs in der Ausgangssituation abhängen. In der Regel wird die Kosten-Nutzen-Analyse zu einem anderen Ergebnis führen als die Kosten-Nutzwert-Analyse. Die Methoden unterscheiden sich somit nicht nur in ihren Werturteilen, sondern es ist auch schwierig, die Ergebnisse der Kosten-Nutzwert-Analyse für die KostenNutzen-Analyse zu verwenden. Letztlich handelt es sich um zwei grundsätzlich unterschiedliche Methoden der Bewertung von Gesundheitsmaßnahmen. Der große praktische Vorteil der Kosten-Nutzen-Analyse ist dabei, dass sie die Frage beantwortet, ob eine bestimmte Gesundheitsmaßnahme überhaupt durchgeführt werden soll. Die Kosten-Nutzwert-Analyse hingegen bleibt insofern unbefriedigend, dass sie auf die Festlegung eines Budgets angewiesen ist. Die Frage, wie dieses Budget festgelegt werden soll, beantwortet sie nicht.
2.6 Zusammenfassung des Kapitels 1. Während die Kosten-Effektivitäts-Analyse sich nur auf Maßnahmen mit einer eindimensionalen Wirkung anwenden lässt, erlaubt die Kosten-NutzwertAnalyse auch eine Bewertung von Maßnahmen mit mehreren verschiedenartigen Wirkungen. Ohne Vorgabe eines Budgets treffen jedoch beide Methoden keine Aussage darüber, ob eine Maßnahme auch durchgeführt werden sollte. Die Kosten-Nutzen-Analyse hingegen nimmt eine monetäre Bewertung von Leben und Gesundheit vor und ermöglicht deshalb die Bewertung jedes einzelnen Projekts. 2. Das Konzept der qualitätsbereinigten Lebensjahre (QALYs) erlaubt es, auf einfache Weise Änderungen der Lebensqualität mit Änderungen der Lebensdauer vergleichbar zu machen. Allerdings beraht dieses Konzept auf mehreren einschränkenden Annahmen. So miissen die Präferenzen über Gesundheitszustände über das ganze Leben stabil sein. Bezüglich der Lebensdauer muss konstante proportionale Risikoaversion vorliegen und die Präferenzen müssen eine „NullBedingung" erfüllen oder durch einen „konstanten proportionalen Trade-off' gekennzeichnet sein. Berücksichtigt man des Weiteren, dass der Nutzen außer von der Gesundheit auch vom Konsum abhängt, dann sind weitere restriktive Annahmen nötig, damit durch QALYs alle gesundheitsrelevanten Faktoren in einem Index erfasst werden.
68
2 Zur ökonomischen Bewertung von Leben und Gesundheit
3. Die Kosten-Nutzwert-Analyse ist nicht mit einer welfaristischen Position vereinbar, nach der der gesamte Nutzen einer Person in die kollektive Entscheidung eingehen sollte. Verteidigen lässt sich die Verwendung von QALYs aber mit einer extra-welfaristischen Position, nach der allein die durch QALYs gemessene Gesundheit für die kollektive Entscheidung von Bedeutung ist. Gegen das Prinzip der QALY-Maximierung kann eingewendet werden, dass die Verteilung der QALYs ebenfalls berücksichtigt werden sollte. 4. Falls die Präferenzen der Befragten die Annahmen des QALY-Modells erfüllen, so führen sowohl die Methode der zeitlichen Abwägung als auch die der StandardLotterie zu demselben Ergebnis, indem sie das Nutzengewicht des betreffenden Gesundheitszustandes auf einer Skala zwischen 0 (Tod) und 1 (perfekte Gesundheit) messen. Die Methode der Bewertungsskala eignet sich jedoch nicht zu einer Erhebung der Nutzengewichte, da sie nicht theoretisch fundiert ist. 5. Viele öffentliche Entscheidungen implizieren zwangsläufig eine Abwägung zwischen der Verlängerung statistischer Menschenleben und anderen Gütern. Für die Wohlfahrt der Gesellschaft ist es deshalb besser, wenn eine Bewertung explizit vorgenommen wird. Diese sollte die Präferenzen der Bürger widerspiegeln. 6. Der Humankapitalansatz misst den Wert des Lebens durch den Beitrag, den der Mensch noch zum Sozialprodukt leisten könnte. Seiner relativ leichten Anwendbarkeit stehen jedoch schwerwiegende ökonomische wie auch ethische Mängel gegenüber. Deshalb ist der Ansatz der Zahlungsbereitschaft vorziehenswert. Er basiert auf dem subjektiven Nutzenkonzept und trifft keine einschränkenden Annahmen an die Struktur der Nutzenfunktion. 7. Die Zahlungsbereitschaft lässt sich grundsätzlich mit zwei altemativen Ansätzen ermitteln. Einerseits kann man die Individuen nach Ihrer Zahlungsbereitschaft fragen. Dieser direkten Stated Preference-Methode steht die indirekte Methode gegenüber, bei der man - im Sinne einer „offenbarten Präferenz" - versucht, die Zahlungsbereitschaft aus dem Verhalten der Individuen abzuleiten. 8. Bei der direkten Ermittlung der Zahlungsbereitschaft stehen zwei Ansätze zur Verfügung. Bei der Contingent-Valuation-Methode werden Personen mittels Fragebogen oder persönlichen Interviews direkt nach ihrer Zahlungsbereitschaft für ein Gut oder Programm befragt. Discrete-Choice-Experimente hingegen versuchen auf der Basis diskreter Entscheidungen der betroffenen Personen deren Präferenzen für Produkteigenschaften zu erklären und vorauszusagen. 9. Die erhebliche Streubreite in den Ergebnissen und die verbreiteten Inkonsistenzen in den Antworten auf hypothetische Fragen bestätigen die Zweifel an der Verlässlichkeit der „direkten Methode" der Messung der Zahlungsbereitschaft für Risikoreduktionen. 10. Auch die Messung der Zahlungsbereitschaft anhand „offenbarter Präferenzen" ist mit einer Reihe von Problemen behaftet. Es muss u.a. sichergestellt sein, dass dem Individuum die relevanten Risiken genau bekannt waren und dass dies das einzige Motiv für sein beobachtetes Verhalten war.
2.7 Lektürevorschläge
69
11. Die Kosten-Nutzwert-Analyse und die Kosten-Nutzen-Analyse unterscheiden sich nicht nur in ihrem technischen Vorgehen, sondern vor allem in der Frage, wie die Wohlfahrt der Betroffenen berücksichtigt wird. Bei der KostenNutzwert-Analyse steht die Gesundheit im Mittelpunkt, bei der Kosten-NutzenAnalyse der Nutzen. Die Methoden beruhen daher auf unterschiedlichen Werturteilen, über die nur im gesellschaftlichen Diskurs entschieden werden kann. Sind QALYs unabhängig vom Konsum ein Argument einer herkömmlichen Erwartungsnutzenfunktion, dann lassen sich jedoch die Ergebnisse von KostenNutzwert-Analysen auch für Kosten-Nutzen- und gesellschaftliche Wohlfahrtsanalysen verwenden. Hierbei müssen die Zahlungsbereitschaften für ein QALY einzeln erhoben werden, da sie vom verfügbaren Einkommen und den QALYs in der Ausgangssituation abhängen. In der Regel wird die Kosten-Nutzen-Analyse zu einem anderen Ergebnis führen als die Kosten-Nutzwert-Analyse.
2.7 Lektürevorschläge Für eine vertiefende Beschäftigung mit den Evaluationsmethoden in der Gesundheitsökonomik empfehlen wir die Fachbücher zu diesem Thema von DRUMMOND ET AL. (1997), JOHANNESSON (1996) und SCHÖFFSKI UND SCHULENBURG (2000). Im HANDBOOK OF HEALTH ECONOMICS befassen sich die Beiträge von HURLEY (2000), GARBER (2000), DOLAN (2000) und WILLIAMS UND COOKSON (2000) mit den in diesem Kapitel behandelten Themen.
70
2 Zur ökonomischen Bewertung von Leben und Gesundheit
2.Ü Übungsaufgaben 2.1. Ein Individuum habe eine Erwartungsnutzenfunktion gemäß des QALY-Modells. Seine Gesundheit kann drei Zustände h = 1,2,3 annehmen, die mit der Wahrscheinlichkeit h eintreten. Der Gesundheitszustand h führe zu einem Nutzen w(G/j) und dauere bis ans Lebensende, das nach 7), Perioden eintritt. Die Tabelle fasst die Ausgangssituation zusammen: h 1 2 3
u(Gh) 0,2 0,5 0,8
0,1 0,2 0,7
3 5 7
a) Bestimmen Sie die QALYs und die Lebenserwartung in der Ausgangssituation. b) Ermitteln Sie jeweils die Änderung der QALYs für drei Maßnahmen A, B und C mit folgenden Wirkungen: A: Senkung der Lebenserwartung im Zustand 1 um 2 Perioden, im Zustand 2 um 1 Periode, Erhöhung der Lebenserwartung in Zustand 3 um 2 Perioden. B: Senkung der Wahrscheinlichkeit der Zustände 1 und 3 um jeweils 0,05. Erhöhung der Wahrscheinlichkeit von Zustand 2 um 0,1. C: Senkung der Lebenserwartung im Zustand 1 um 2 Perioden, Erhöhung der Lebenserwartung in Zustand 3 um 1 Periode; Senkung der Wahrscheinlichkeit von Zustand 1 um 0,05, von Zustand 3 um 0,15, Erhöhung der Wahrscheinlichkeit von Zustand 2 um 0,2. 2.2. Der Erwartungsnutzen eines Individuum lasse sich durch
°5 erfassen. Dabei sei c\ = 25, c^ = 4, u{G\) = 0,4 und u^G^) = 0,6. a) Bestimmen Sie fiir 7Ci,i = 0 , 5 und 7ti2 = 0 , 5 den Erwartungsnutzen und die QALYs des Individuums. b) Gehen Sie jetzt von JC^I = 0 , 6 und %\ß = 0,3 aus. Bestimmen Sie emeut den Erwartungsnutzen und die QALYs des Individuums. Vergleichen Sie ihr Ergebnis mit dem aus a) und erläutern Sie den Unterschied.
2.Ü Übungsaufgaben
71
2.3. Der Erwartungsnutzen eines Individuums i mit der Überlebenswahrscheinlichkeit % sei
d.h. im Todesfall ist sein Nutzen gleich Null. Es gebe zwei Individuen A und B, die sich nur durch ihr Einkommen unterscheiden. Individuum A habe ein Einkommen yA = 1000, Individuum B ein Einkommen yg = 500. Die für beide gleiche Überlebenswahrscheinlichkeit in der Ausgangssituation sei 90%. Eine Maßnahme, die Kosten in Höhe von 64 verursacht, kann jedoch die Überlebenswahrscheinlichkeit auf 92% anheben. a) Führen Sie eine ungewichtete Kosten-Nutzen-Analyse durch und stellen Sie fest, ob sie die Maßnahme befürwortet. b) Wie müsste die Maßnahme finanziert werden, damit sie zu einer Pareto-Verbesserung führt? c) Nehmen Sie an, die gesellschaftliche Wohlfahrt sei W = EUA viduum trage die Hälfte der Kosten der Maßnahme.
+EUB-
Jedes Indi-
cl) Bestimmen Sie die gesellschaftliche Wohlfahrt mit und ohne die Maßnahme. c2) Ermitteln Sie approximativ die Gewichte für eine Kosten-Nutzen-Analyse, die eine Erhöhung der gesellschaftlichen Wohlfahrt genau dann anzeigt, wenn sie tatsächlich vorliegt.
Das Individuum als Produzent seiner Gesundheit
3.1 Problemstellung Als Ausgangspunkt der Überlegungen eignet sich das bekannte Sprichwort: „Gesundheit ist nicht alles im Leben, doch ohne Gesundheit ist alles Nichts". Dieses Sprichwort weist auf zwei Besonderheiten der Gesundheit hin. •
Gesundheit als besonders hoch geschätztes Gut: Manchmal wird sogar behauptet, nur die Gesundheit zähle im Leben. Das Sprichwort erinnert in seinem ersten Teil daran, dass es auch andere Güter und Ziele im Leben gibt, die allerdings im Vergleich mit der Gesundheit ein kleineres Gewicht in der Präferenzstruktur der allermeisten Menschen haben. Diese Ansicht soll im Folgenden als ein Faktum akzeptiert werden, schließt sie doch nicht aus, dass zumindest Gesundheitsrisiken (also die erhöhte Wahrscheinlichkeit einer schlechten Gesundheit) in Kauf genommen werden, um andere Ziele zu erreichen.
•
Gesundheit als Voraussetzungfür andere Aktivitäten: Der zweite Teil des Sprichworts stellt Gesundheit als zentrale Vörbedingung für den Erfolg anderer Aktivitäten heraus. Eine schlechte Gesundheit beschränkt die Produktionsmöglichkeiten des Betroffenen in einem umfassenden Sinn. Dazu gehören letztlich auch die Möglichkeiten, andere schöne Dinge des Lebens zu genießen, geben doch Konsumgüter ihre Leistungen nicht automatisch ab. Ihre Nutzung erfordert vielmehr Zeit, Wissen und Können, alles Dinge, die von einem schlechten Gesundheitszustand beeinträchtigt werden.
Nicht im Sprichwort enthalten ist dagegen die Idee, dass Gesundheit „machbar" sei, die auch der Gesundheitsökonomik nahezuliegen scheint, ist doch in der Überschrift des Kapitels von einem „Produzenten der Gesundheit" die Rede. Tatsächlich ist die Zeit noch nicht lange her, da man gute Gesundheit als Gottesgabe und schlechte Gesundheit als Schicksal auffasste. Die Erfolge der modernen Medizin haben demgegenüber der Überzeugung Vorschub geleistet, beinahe jedermann könne bei entsprechendem Aufwand von Mitteln einen beinahe beliebig guten Gesundheitszu-
74
3 Das Individuum als Produzent seiner Gesundheit
stand erreichen. Wenn aber Gesundheit grundsätzlich als herstellbar aufgefasst wird, so stellt sich umgehend die Frage nach dem Hersteller. Auch wenn heute noch vielfach von einer Heilung des Patienten durch seinen Arzt gesprochen wird, so setzt sich in letzter Zeit vermehrt die Erkenntnis durch, dass jeder Gesundungsprozess letztlich in der Psyche und im Körper des betroffenen Individuums abläuft. Allein schon die Tatsache, dass viele Krankheiten von selbst ausheilen, weist darauf hin, dass der Einzelne selber als Produzent seiner Gesundheit aufgefasst werden muss. Die Kurzformel „Produzent seiner Gesundheit" oder sogar „Gesundheitsproduktion" soll allerdings nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass der einzelne (mit oder ohne Konsultation eines Arztes) seinen Gesundheitszustand zwar beeinflussen, nicht aber effektiv bestimmen kann. Vererbung und Umwelteinflüsse üben stets ihre Wirkungen aus, und zwischen den Anstrengungen zur Erhaltung bzw. Verbesserung der Gesundheit und den Ergebnissen steht der Zufall, der jederzeit massive Veränderungen des Gesundheitszustandes bewirken kann. Wenn auch beides, Gesundheit und Konsumleistungen, als produzierte Güter aufgefasst werden können, so erinnert der zweite Teil des eingangs zitierten Sprichworts an eine zweite Besonderheit der Gesundheit: Eine gute Gesundheit ist eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg anderer Tätigkeiten; „ohne sie ist alles Nichts". Insbesondere trägt die Gesundheit ihrerseits zur Herstellung konsumierbarer Leistungen bei. Je besser der Gesundheitszustand, desto mehr Zeit steht für produktive Tätigkeiten - darunter die Pflege der Gesundheit - zur Verfügung. Die Gesundheit erinnert hier an ein Kapitalgut: Je größer der Bestand an Kapitalgütern, desto mehr Güter und Leistungen lassen sich herstellen, die ihrerseits wieder für Investitionszwecke verwendet werden können. Das Ziel dieses Kapitels besteht darin, die besonderen Bedingungen herauszuarbeiten, unter denen das Individuum als Produzent seiner Gesundheit handelt. Insbesondere geht es darum, die situationsbedingten Trade-offs zu bestimmen, d.h. herauszufinden, was an andere Gütern aufgegeben werden muss, um eine Verbesserung der Gesundheit zu erreichen. Die Beantwortung der folgenden Fragen steht im Vordergrund: 1. Was sind aus der Sicht des Individuums die Bedingungen, die eine optimale Aufteilung seiner Ressourcen auf Gesundheit und andere Güter bestimmen? 2. Können die oft sprunghaft erscheinenden Verhaltensweisen („Sündigen gegen die Gesundheit" so lange es gut geht, extreme Opferbereitschaft im Krankheitsfall) noch mit rationaler Entscheidungsfindung in Übereinstimmung gebracht werden? Oder sind die Präferenzen der Individuen inkonsistent, so dass vielleicht medizinische Experten z.B. den richtigen Umfang präventiver Anstrengungen festlegen sollten? 3. Lässt sich das ökonomische Konzept der Substitution auf die Gesundheitsproduktion übertragen, dass also medizinische Leistungen zumindest teilweise durch andere Leistungen ersetzt werden können, auch wenn man sich leicht Si-
3.2 Zum Konzept der Gesundheitsproduktion
75
tuationen vorstellen kann, in denen einzig medizinische Leistungen Aussicht auf Heilung gewähren? Vor dem Hintergrund dieser Fragen soll in diesem Kapitel versucht werden, eine Produktionsfunktion für Gesundheit zu entwickeln, die dann im 4. Kapitel als Grundlage zur Interpretation von empirischen Untersuchungen dient. Abschnitt 3.2 geht auf kritische Einwendungen gegen die Übertragung des ökonomischen Produktionskonzepts auf die Gesundheit ein. In Abschnitt 3.3 behandeln wir den Fall einer deterministischen Beeinflussung der Gesundheit. In einem Versuch, die genannten Bedenken zu vermindern, wird in Abschnitt 3.4 ein stochastisches Konzept vorgeschlagen, bei dem sich dem Individuum (und seinem Arzt) nicht mehr Möglichkeiten bieten, als die Übergangswahrscheinlichkeit von einem Gesundheitszustand zu einem anderen nur marginal zu beeinflussen. Zunächst wird hergeleitet, dass eine Bereitschaft, für Änderungen zur Verbesserung der Gesundheit zu zahlen, in der kurzen Frist existiert. Anschließend kommt ein Modell der situationsabhängigen Produktion zur Darstellung. Ist das Individuum in der laufenden Periode gesund, steht ihm die Möglichkeit eigener gesundheitsfördemder Tätigkeiten offen; ist es dagegen krank, bleiben nur medizinische Leistungen zur Verbesserung der Genesungschancen. Dabei stellt sich heraus, dass die Alternativkosten von „mehr Gesundheit" ausgesprochen situationsabhängig sind, was auch die oben angesprochene Wechselhaftigkeit im Gesundheitsverhalten erklären könnte.
3.2 Zum Konzept der Gesundheitsproduktion 3.2.1 Grundsätzliche Betrachtungen Für den ökonomischen Laien ist es zumindest seltsam, vielleicht sogar anstößig, von einer Produktion der Gesundheit zu sprechen. Er bringt den Begriff der Produktion mit Anbaumethoden in der Landwirtschaft und insbesondere Herstellungsverfahren in der Industrie in Verbindung und stellt sofort mindestens zwei schwerwiegende Unterschiede fest, die einer Übertragung des Produktionsbegriffs auf die Gesundheit entgegenstehen. •
Mangelnde Steuerbarkeit: Produktionsprozesse in Landwirtschaft und Industrie lassen sich in hohem Maße steuern. Erwartet der Produzent eine Zunahme der Nachfrage in der Zukunft, so kann er auf Lager produzieren; rechnet er mit einem Nachfragerückgang, so wird er die Produktion einschränken oder Lagerbestände abbauen. Diese Möglichkeiten scheint es im Falle der Gesundheit nicht zu geben.
•
Mangelnde Handelbarkeit: Das Ergebnis der Produktion wird an Dritte verkauft. Ein solcher Verkauf wäre im Falle der Gesundheit höchstens in einer Wirtschaft mit Sklavenhaltung denkbar, indem ein gesunder Sklave auf dem Markt einen höheren Preis erzielt als ein kranker. In der heutigen Gesellschaft kann ein gesunder Erwerbstätiger zwar ein höheres Arbeitseinkommen erzielen (vgl. BARTEL UND TAUBMAN (1979)), doch spielen dabei auch andere Eigenschaften, wie
76
3 Das Individuum als Produzent seiner Gesundheit beispielsweise seine Fähigkeiten, eine wichtige Rolle. Diese Fähigkeiten sind ihrerseits auch nicht handelbar, und so widerstrebt es dem Nicht-Ökonomen auch, von Bildungsproduktion zu sprechen.
Diese Einwendungen lassen sich wenn nicht vollständig entkräften, so doch erheblich relativieren. Zum einen bedeutet eine unvollständige Kontrolle über den Produktionsprozess noch nicht, dass kein systematischer Zusammenhang zwischen Inputs und Outputs besteht. Die Tatsache, dass der Ernteertrag in der Landwirtschaft in einem gegebenen Jahr erheblich vom Wetter abhängt, schließt ja auch nicht aus, dass der Mehreinsatz von Dünger den Ertrag in der Regel steigert, und die Bauern verhalten sich auch danach. Ebenso kann man Vorkehrungen zur Erhaltung der Gesundheit als Inputs in einem Produktionsprozess betrachten, die zwar nicht immer Krankheiten vermeiden helfen, aber doch übers Ganze gesehen zu einem besseren Gesundheitszustand beitragen. Auch die mangelnde Lagerfähigkeit des Fertigprodukts „Gesundheit" tut dem Konzept eines Produktionsprozesses keinen Abbruch. Man könnte Gesundheit und Bildung als unsichtbare Kapitalbestände auffassen, in die investiert wird, die Leistungen abgeben und die einem Kapitalverzehr unterliegen [vgl. dazu folgenden Unterabschnitt]. Die Leistung des Gesundheitskapitals kann man sich beispielsweise als die Quality-Adjusted Life Years (QALYs) des Abschnitts 2.3.2 vorstellen, diejenige des Bildungskapitals als erhöhtes Arbeitseinkommen. Der jährliche Urlaub, aber auch ein gesundheitsfördernder allgemeiner Lebensstil würden Investitionen in einen erhöhten Vorrat an Gesundheit entsprechen. Tritt danach ein Verlust an Gesundheitskapital („Abschreibung") infolge einer Krankheit auf, so ist der Restvorrat an Gesundheit bei einem Individuum, das zuvor investiert hat, immer noch größer als bei einem anderen. Und tatsächlich überstehen erholte Menschen die meisten Krankheiten besser als übermüdete, Nichtraucher besser als Raucher, Normalgewichtige besser als Übergewichtige. „Gesundheit auf Vorrat" lässt sich zwar nicht direkt beobachten und auch nicht an einen Dritten veräußern, ist aber dennoch als Konzept nicht von vomeherein von der Hand zu weisen. Ebenso wenig stellt die mangelnde Handelbarkeit des produzierten Gutes einen Hinderungsgrund dar, vom Konzept eines Produktionsprozesses bzw. einer Produktionsfunktion auszugehen. Das Individuum handelt sozusagen mit sich selbst, insofern als es zur Erreichung eines verbesserten Gesundheitszustandes auf andere Dinge verzichten muss. Zugegebenermaßen sind in den meisten Industrieländern von heute dank umfassender Krankenversicherung medizinische Leistungen beinahe gratis; dennoch stellen sie aus ökonomischer Sicht Inputs dar, und ihre Inanspruchnahme kostet Zeit, die im Haushalt fehlt. Umgekehrt hat die Anwendung des Konzepts der Produktion und konkret der Produktionsfunktion im Bereich der Gesundheit ganz erhebliche Vorteile: 1. Eindeutige Optimalbedingungen als Referenzpunkt: Produktion kostet etwas, und die Kosten zusätzlich produzierter Gesundheit stehen in einem bestimmten Verhältnis zu den Grenzkosten anderer Leistungen, insbesondere von Konsumleistungen. In einem optimalen Zustand müssten die Grenzkosten der Gesund-
3.3 Die Gesundheit als Teil des Humankapitals
77
heit im Vergleich zu den Grenzkosten des Konsums der marginalen Zahlungsbereitschaft für Gesundheit im Vergleich zu jener für Konsum entsprechen. Die relative (marginale) Zahlungsbereitschaft für Gesundheit lässt sich aber mit Hilfe der in Abschnitt 2.4.3 dargestellten Instrumente grundsätzlich ermitteln und mit den relativen Grenzkosten vergleichen. Es besteht einiger Anlass dazu, hier eine Diskrepanz zu erwarten, wird doch die marginale Zahlungsbereitschaft im Gesundheitswesen durch den Versicherungsschutz und das Dazwischentreten von Ärzten verzerrt, während die ausgehandelten Tarife für medizinische Leistungen mit ihren wahren Grenzkosten nicht viel gemein haben. 2. Frage nach der relativen Grenzproduktivität der Inputs: Das Konzept der Produktionsfunktion erinnert daran, dass verschiedene Inputs unterschiedliche Beiträge zum Produktionsergebnis leisten. Einerseits gibt es die medizinischen Leistungen, deren wahre Grenzkosten im heutigen Gesundheitswesen sehr hoch sind. Der große Aufwand zu Gunsten der Medizin lässt sich aus gesamtwirtschaftlicher Sicht nur dann rechtfertigen, wenn ihm eine entsprechend hohe Grenzproduktivität im Vergleich zu alternativen Inputs der Gesundheitsproduktion gegenübersteht. In diesem Zusammenhang ist daran zu denken, dass z.B. eine Verbesserung der Umweltqualität heute vielleicht eine größere Grenzproduktivität [gemessen beispielsweise in QALYs, vgl. Abschnitt 2.3.2] aufweisen könnte als ein weiter zunehmender Aufwand an medizinischen Leistungen. Insgesamt scheinen diese gewichtigen Vorteile für die theoretische Analyse den Versuch zu rechtfertigen, das ökonomische Konzept der Produktionsfunktion auf die Gesundheit zu übertragen. Diese Überlegungen lassen sich zusammenfassen in der Folgerung 3.1 Die Tatsache, dass der Gesundheitszustand des Menschen mit vom Zufall bestimmt ist, sowie die mangelnde Lagerfähigkeit und Handelbarkeit der Gesundheit schließen nicht aus, den Gesundheitszustand als Ergebnis eines Pwduktionsprozesses aufzufassen. Darüber hinaus ist das Konzept einer Produktionsfunktion der Schlüssel zur Bewertung der Optimalität des Verhaltens eines Individuums sowie des effizienten Einsatzes von knappen Ressourcen.
3.3 Die Gesundheit als Teil des Humankapitals Akzeptiert man die ökonomische Sicht der Gesundheit als eines produzierten Aktivums, dann lässt sich die Gesundheitsproduktion als eine Investition auffassen, die den Kapitalverzehr infolge von Alterung und Lebensstil wieder wettmacht und sogar zu einem Nettoanstieg des Kapitalbestandes „Gesundheit" führen kann. Die Investition kommt dabei durch den Einsatz (kurativer) medizinischer Leistungen und durch die Aufwendung eigener Zeit für präventive Anstrengungen zustande. Der Ertrag des Gesundheitskapitalbestandes besteht in weniger krank verbrachter Zeit. Diese kann einerseits den Nutzen direkt erhöhen, andererseits kann die gewonnene Zeit auch für
78
3 Das Individuum als Produzent seiner Gesundheit
die Erhöhung des Einkommens und einen damit verbundenen höheren Nutzen aus Konsum eingesetzt werden. Ein rationales Individuum wird versuchen, seinen Gesundheitskapitalbestand über sein gesamtes Leben optimal zu steuern, so dass sein Nutzen maximal wird. Dieses dynamische Optimierungsproblem wurde von GROSSMAN (1972a) untersucht. Wir stellen im Folgenden das „Grossman-Modell" angelehnt an die von WAGSTAFF (1986) formulierte Fassung dar. Anschließend diskutieren wir, wie sich dieses Modell in empirischen Studien bewährt hat. 3.3.1 Darstellung Betrachtet wird ein Individuum, dessen Planungshorizont bis zur Periode T, seinem Lebensende, reicht. In jeder Periode x verbringt es eine nichtnegative Zeitspanne tk im Zustand der Krankheit. Diese Spanne ist umso kiirzer, je größer sein Bestand an Gesundheitskapital, H, ist. Anders ausgedrückt ist die Zeitspanne der Gesundheit eine nicht handelbare Leistung, die der (unbeobachtbare) Gesundheitskapitalbestand abgibt. Das Individuum zieht positiven Nutzen aus dem Konsum von Gütern, X, und negativen aus der Dauer der krank verbrachten Zeit, tk(H(z)). Die Nutzenfunktion mit diesen Argumenten bleibt über die Zeit dieselbe, d.h. die Grenzrate der Substitution zwischen Gesundheit(szeit) und Konsum ändert sich nicht mit dem Lebensalter. Bei stetiger Diskontierang eines zukünftigen Nutzenstroms mit der subjektiven Zeitpräferenzrate p ergeben sich exponentiell abnehmende Gewichte. Folglich ist die vom Individuum zu maximierende Zielgröße gegeben durch (einen Überblick über sämtliche Modellgleichungen gibt Tabelle 3.1): -T
w= 1) du
(tk(H(x)) ;X(x ))dx,
d2u
dtk ° d(tk)2
du y
a2t/
- 0
dtk
(3.1)
' dx > u, dX2 -, u,
Das entscheidende Element des Grossman-Modells ist die folgende Gleichung, die die Veränderung des Gesundheitskapitalbestandes über die Zeit beschreibt. Einerseits schreibt sich das Gesundheitskapital mit der Rate 8 ab, was, für sich genommen, zu einer ständigen Verringerung des Bestands H führt, so dass das Individuum mit der Zeit immer kranker wird. Die Abschreibungsrate 8 ist übrigens keine Konstante, sondern nimmt mit dem Lebensalter x zu.1 Andererseits kann das Individuum sein Gesundheitskapital durch eine Investition / erhöhen, indem es medizinische Leistungen M(x) kauft und indem es tl(t) Zeiteinheiten für präventive Anstrengungen einsetzt. Die beschriebene Gleichung für die Veränderung des Gesundheitskapitals stellt für das Individuum eine Restriktion dar, die in die Lagrangefunktion für sein
'Des Weiteren kann die Abschreibungsrate, je nach Lebensstil, positiv oder negativ vom Konsum abhängen.
3.3 Die Gesundheit als Teil des Humankapitals
79
Maximierungsproblem mit dem zeitabhängigen Multiplikator /u(x) eingeht: H(x)=I(M(x),t'(x))-5(x)H(x) 3/ 3M>0' 82/
dl 37>0'
38 3x
32/
0
(MX)}
0
., . Ä()
(3.2) 37/
Trotz des Bestehens einer Krankenversicherung haben Investitionen in Gesundheit einen positiven Effektiv-Preis q. Dieser setzt sich zusammen aus dem Preis medizinischer Leistungen P und dem entgangenen Arbeitseinkommen durch die für präventive Anstrengungen eingesetzte Zeit t' (x). Eine Einheit des Konsumguts kostet D. Die Ausgaben für medizinische Leistungen und den Konsum werden aus Arbeits- und Vermögenseinkommen finanziert. Das Arbeitseinkommen Y ist umso höher, je weniger Krankheitszeit anfällt und je weniger Zeit für die Investition in Gesundheit aufgewendet wird. Das Vermögenseinkommen fließt mit der Rate r, dem realen Zinssatz, aus dem Vermögensbestand A. Insgesamt lautet die Gleichung für die Veränderung des Vermögensbestandes [mit dem Lagrange-Multiplikator \(i)]:
Ä(x) = rA(x) + Y(tk(x) +t'(x)) -P(x)M(x) -D(x)X(x),
{X(x)}
Dynamische Optimierungsprobleme dieses Typs erfordern Randbedingungen sowohl für die Anfangs- als auch für die Endperiode [dazu genauer HOY ET AL. (2001, Kapitel 25)]. Im hier betrachteten Problem muss der Bestand an Gesundheitskapital und Vermögen am Anfang des Planungshorizonts positiv sein. Am Ende darf das Gesundheitskapital eine untere Grenze H', die den Tod symbolisiert, nicht unterschreiten, und der Vermögensbestand darf nicht negativ sein: H[0] > 0,
A[0] > 0,
H[T] > H',
A[T] > 0.
(3.4)
Das durch die Gleichung (3.1) bis (3.4) beschriebene Maximierungsproblem kann mit dem Verfahren der Kontrolltheorie gelöst werden. Dazu werden die Nebenbedingungen (3.2) und (3.3), gewichtet mit ihren Lagrange-Multiplikatoren p(x) und X(x), zur Zielfunktion (3.1) addiert. Die Multiplikatoren lassen sich hierbei als Grenznutzen interpretieren: Sie geben den Wert einer marginalen Investitions- bzw. Vermögenseinheit zum Zeitpunkt x in Nutzeneinheiten zum Zeitpunkt x = 0 wieder. Anders als in statischen Optimierungsproblemen ändern sich die Werte der Multiplikatoren im Zeitablauf, was die Tatsache widerspiegelt, dass die Entscheidungen der einzelnen Perioden die betreffenden Nebenbedingungen verschärfen oder lockern können. Beispielsweise erhöht eine Investition in die Gesundheit ceteris paribus sowohl den gegenwärtigen als auch den zukünftigen Gesundheits-Bestand, so
80
3 Das Individuum als Produzent seiner Gesundheit
dass zusätzliche Erhöhungen von H sich auf den (optimalen) Wert der Zielfunktion weniger stark auswirken - was sich wiederum in einem geringen Wert des LagrangeMultiplikators /j(x) äußert. Die Lagrange-Funktion wird an einem bestimmten Zeitpunkt x durch Wahl von / und X maximiert, wobei die Optimierung im Hinblick auf den gesamten in (3.1) beschriebenen Nutzenstrom vorgenommen wird. Dieser Strom wird zum Zeitpunkt x = 0 bewertet, was an der unteren Integrationsgrenze in Gleichung (3.1) sichtbar wird. Im Anhang zeigen wir, wie das dynamische Optimierungsproblem im Einzelnen gelöst wird. Aus den notwendigen Maximalbedingungen ergibt sich hierbei:
-n
V -s /, i ^—7T = r + o(x) w dtk(x)\dH(x) [
)-z\ci(x). q(x)\
(3.5)
Diese Bedingung verlangt, dass der Grenzertrag einer Investition in die Gesundheit ihren Grenzkosten entspricht. Die linke (Grenzertrag-)Seite der Gleichung kann wie folgt interpretiert werden: •
Effektivität als Vorbedingung: Damit eine Investition in die Gesundheit einen positiven Ertrag hat, muss sie die krank verbrachte Zeit verringern. Ein negativer Wert von dtk(x)/dH(x) ergibt, in Verbindung mit negativen Werten der Ausdrücke in der Klammer, einen positiven Wert der linken Seite von (3.5) und damit einen positiven Grenzertrag.
•
Bewertung der Gesundheit als Konsumgut: Die Verringerung der krank (und somit die Zunahme der gesund) verbrachten Zeit erhöht den Nutzen direkt wegen dU/dtk(x) < 0. Mittels der subjektiven Diskontierung auf den Entscheidungszeitpunkt x = 0 beläuft sich dieser Nutzengewinn auf dU/dtk(x)e~p%. Teilt man diese Größe durch den Grenznutzen des Vermögens zum Zeitpunkt x = 0, A,[0]e-rT, so erhält man den direkten Nutzengewinn einer Gesundheitsverbesserang in Geldeinheiten zum Zeitpunkt x. Versionen der Bedingung (3.5), die nur diese erste Komponente des Grenznutzens einer Investition in Gesundheit enthalten, werden üblicherweise reine Konsumgut-Modelle genannt.
•
Bewertung der Gesundheit als Investitionsgut: Die Verringerung der krank verbrachten Zeit hat einen unmittelbaren Einfluss auf das Arbeitseinkommen in Höhe von dY(x)/dtk(x).2 Daher hätte eine Investition in die Gesundheit auch dann einen Ertrag, wenn krank verbrachte Zeit als solche nicht nutzenvermindernd wäre. Da in diesem Fall Gesundheit ein Gut wäre, das nicht um seiner selbst willen geschätzt würde, sondern lediglich aufgrund eines Effektes auf das Vermögen des Individuums, sind Versionen der Bedingung (3.5), die nur diese zweite Komponente enthalten, als reine Investitionsgut-Modelle bekannt.
Die rechte Seite der Bedingung (3.5) misst die Grenzkosten, die mit dem Halten einer zusätzlichen Einheit des Gesundheitskapitals verbunden sind. Da der Gesundheitskapitalbestand als dauerhaft angesehen wird, sind diese Grenzkosten geringer 2 DieserfinanzielleErtrag kann in Grenznutzen zum Zeitpunkt T = 0 transformiert werden, indem man Gleichung (3.5) mit X[0], dem Grenznutzen des Vermögens, multipliziert.
3.3 Die Gesundheit als Teil des Humankapitals
81
Tabelle 3.1. Das Grossman-Modell
W= / du ^
e~pTf/(r(//(x));X(x))dx, d2u ^ du ^ d2u _
3/
3/
35
32/
32/
dM
dt'
3x
3M2
d(t )
dtk
} dH 3x
Ä (x) = rA (x) + Y [tk (X) +1' (x)] - P(x)M(x) - D(x)X (x), 37
37
.
[ W: U: H:
5: A: r. Y: X: D: M: P: I: q:
x: t k: t':
p:
(3.3)
A[0]>0, 1
X.[0]e~"
0.2)
{X(T)}
dA
H[0]>0, 1
(3.1)
1
H[T]>H',
dtk(x)\ dH{x)
—
A[T}>0.
1 1* 1 rt f T i
L
?( x )J
(3.4) (x)
1 C
(3.5)
Wohlfahrt des Einzelnen Nutzen pro Periode Kapitalbestand Gesundheit Abschreibungsrate des Gesundheitskapitalbestandes finanzieller Vermögensbestand Zinssatz Arbeitseinkommen Konsumgüter Preis der Konsumgüter pro Einheit Medizinische Leistungen Preis der medizinischen Leistungen pro Einheit Investitionen in Gesundheit (Mengeneinheiten) Netto-Preis der Investitionen in Gesundheit, pro Einheit Zeit Zeit, die im Zustand der Krankheit verbracht wird Zeit für präventive Anstrengungen Zeitpräferenzrate Lagrange-Multiplikatoren (Grenznutzen des Vermögens bzw. des Gesundheitskapitals in Nutzeneinheiten zum Zeitpunkt x = 0)
Ein Punkt über einer Variablen gibt deren Veränderung über die Zeit an, z.B. H = 3H/3x.
82
3 Das Individuum als Produzent seiner Gesundheit
als die Ausgaben für die dazu notwendige Investition in die Gesundheit [nämlich deren Einheitspreis q(x)]. Vielmehr umfassen die Grenzkosten die entgangenen Zinsen (in Höhe von r je Geldeinheit) und die Abschreibungen (in Höhe von 8(x) je Einheit). Schließlich nehmen in einem dynamischen Kontext die Kosten des Haltens eines Kapitalguts ab, wenn sein Marktpreis über die Zeit zunimmt [q(x) > 0]. In diesem Fall ist der Konsument froh, das Gut frühzeitig gekauft zu haben. Umgekehrt kann das Halten des Kapitalguts teuer werden, wenn sein Wert im Zeitablauf abnimmt [q(i) < 0]. Diese Überlegungen gelten auch für das Kapitalgut „Gesundheit", dessen marginaler Wert durch den Preis des Investitionsguts zu dessen Auffüllung bestimmt ist, der wiederum vom Ejfektivpreis der Investitionen in Gesundheit abhängt. Dieser Effektivpreis wird zum einen durch den Preis medizinischer Leistungen bestimmt. Zum anderen hängt er vom Preis der Zeit des Individuums, d.h. von seinem entgangenen Einkommen ab, sofern dessen eigene präventive Anstrengungen ein Input in die Produktion der Investition I sind. Folgerung 3.2 Im Grossman-Modell stellen Gesundheit und Vermögen zwei miteinander verbundene Aktiva dar, deren Werte im Zeitablauf vom Individuum optimal gesteuert werden. In Bezug aufdie Gesundheit gilt, dass der Grenznutzen des Haltens einer zusätzlichen Einheit seines Bestands eine konsumtive und eine investive Komponente enthält, die wiederum aus Zins, Abschreibung undeiner möglichen Wertänderung des Kapitalguts „Gesundheit" im Zeitablauf bestehen. 3.3.2 Die Nachfrage nach Gesundheit und medizinischen Leistungen Auf Grundlage der Gleichungen (3.2) und (3.5) lassen sich logarithmische Nachfragefunktionen nach Gesundheit und nach medizinischen Leistungen ableiten. Für tk(H{%)), 5(x), Y(H(i)) und die Nutzenfunktion werden hierfür spezifische funktionale Formen unterstellt. Des Weiteren wird angenommen, dass die Gesundheitsinvestitionen /(x) gemäß einer Cobb-Douglas-Technologie mit medizinischen Leistungen M(x) und eigenem Zeitaufwand t'{x) des Individuums erstellt werden. Ein höherer Bildungsgrad E erhöht dabei die Produktivität der Investition. Schließlich wird unterstellt, dass r - q(x)/q{x) gleich null oder eine Funktion der Zeit ist. Im Anhang leiten wir exemplarisch Nachfragefunktionen sowohl für das reine Investitionsals auch für das reine Konsumgut-Modell her. 3.3.2.1 Die Nachfragefunktionen im reinen Investitionsgut-Modell Für das reine Investitionsgut-Modell erhalten wir folgende Nachfragefunktion nach Gesundheit (siehe Anhang, S. 115 ff.):
x) = zi + ß^eln W(x) + ßMelnP(x) - ß5ex + ß £ e£ (3.6)
3.3 Die Gesundheit als Teil des Humankapitals
83
wobei die Elastizität 8 misst, wie stark der Grenzertrag des Gesundheitskapitals mit H(x) variiert. W(x) ist der Lohnsatz und %\ eine Konstante. Der Parameter ß M gibt die Produktionselastizität medizinischer Leistungen bei der Gesundheitsproduktion wieder und sollte kleiner als eins sein. ßg misst den Effekt der Alterung auf die Abschreibung des Gesundheitskapitals, ß^ ist die Produktivitätselastizität der Bildung bei der Produktion von Gesundheit. Die für das reine Investitionsgut-Modell vorausgesagten partiellen Korrelationen in Gleichung (3.6) lassen sich folgendermaßen erklären: •
Ein höherer Lohnsatz W (x) erhöht den Ertrag des Investionsguts Gesundheitskapital. Dieser Effekt dominiert die Zeitkosten, die bei der Gesundheitsproduktion entstehen, da der Zeitverbrauch durch den Einsatz medizinischer Leistungen hier geringer ist als der Arbeitszeitgewinn. Deshalb führt ein Lohnanstieg zu einer höheren optimalen Menge von H(T).
•
Ein Anstieg des Preises P(x) für medizinische Leistungen verteuert Investitionen in H(z) und senkt deshalb die optimale Menge von H(x).
•
Mit zunehmendem Alter t steigt die Abschreibungsrate und Investitionen in H(x) lohnen sich deshalb weniger.
•
Ein höherer Bildungsgrad erhöht der Produktivität der Investitionen /(x). Folglich steigt die optimale Menge von H(i).
Um die Nachfrage nach medizinischen Leistungen für das reine InvestitionsgutModell zu ermitteln, wird die Investitionsidentität (3.2) logarithmiert. Man erhält 8(x))].
(3.7)
Der Term in der eckigen Klammern wird dabei in der Regel nicht weiter berücksichtigt. So geht Grossman davon aus, dass dieser Term null ist. MUURINEN (1982) unterstellt, dass er in der untersuchten Gruppen konstant ist. WAGSTAFF (1986) behandelt ihn als Störterm. Die Nachfragefunktion nach medizinischen Leistungen für das reine Investitionsgut-Modell erhält man, in dem man Gleichung (3.7) mit der Kostenminimierangsbedingung aus dem Investitionsproblem kombiniert. Dies führt zu der strukturellen Nachfragefunktion nach medizinischen Leistungen lnM(x) = %2 + lnff(x) + (1 - ß M )lnW(x) - (1 - ß M )lnP(x) + ß s x - ß £ £ .
(3.8)
Diese Gleichung besagt, dass eine Erhöhung des optimalen Gesundheitskapitals eine Zunahme der Nachfrage nach medizinischen Leistungen nach sich ziehen sollte. Die Wirkungen der exogenen Größen lassen sich folgendermaßen erläutern (hierbei wird die endogene Größe H(x) konstant gehalten): •
Eine Erhöhung des Lohnsatzes W(x) erhöht die Kosten der für präventive Anstrengungen verwendeten Zeit und führt zu einer Substitution zu medizinischen Leistungen.
84
3 Das Individuum als Produzent seiner Gesundheit
•
Steigt der Preis P(x) der medizinischen Leistungen, dann werden diese durch einen höheren eigenen Zeitaufwand t'(z) für Gesundheit substituiert.
•
Mit zunehmenden Alter x werden mehr medizinische Leistungen nachgefragt, um die höhere Abschreibung zu kompensieren.
•
Ein höherer Bildungsgrad erhöht die Produktivität der medizinischen Leistungen. Für einen vorgegebenen Gesundheitskapitalbestand sind deshalb weniger medizinische Leistungen notwendig.
Die Nachfragefunktion nach medizinischen Leistungen lässt sich in einer reduzierten Form auch ausschließlich in Abhängigkeit von den exogenen Größen darstellen. Hierzu setzt man Gleichung (3.6) in Gleichung (3.8) ein. Für das reine Investitionsgut-Modell erhalten wir dann die reduzierte Nachfragefunktion nach medizinischen Leistungen lnM(x) = X3 + [ßM(e - 1) + 1] lnW(x) - [ßM(e - 1) + +ß8(l-e)T-ߣ(l-e)£.
(3.9)
Die Wirkungen der exogenen Größen haben dabei das gleiche Vorzeichen wie in der strukturellen Nachfragefunktion. Für den Preis der medizinischen Leistungen P(x), das Alter x und den Bildungsgrad E fallen die Effekte durch die Nachfragefunktion nach Gesundheit (3.6) jedoch schwächer aus. 3.3.2.2 Die Nachfragefunktionen im reinen Konsumgut-Modell Für das reine Konsumgut-Modell ist die Vorgehensweise analog. Man erhält ebenfalls eine Nachfragefunktion nach Gesundheit und, durch Einsetzen in Gleichung (3.8), eine reduzierte Nachfragefunktion nach medizinischen Leistungen. In der Spezifikation von WAGSTAFF (1986) (siehe Anhang, S. 118 ff.) erhält man beispielsweise folgende Nachfragefunktion nach Gesundheit: = %4 - (1 - ßM)KlnW(x) - ßMKlnP(x) - ß5KX + ß £ ic£ -KlnA,(0). (3.10) wobei 0 < K < 1. Die Elastizität K misst hierbei, wie stark der Grenznutzen des Gesundheitskapitals mit H(i) variiert. Die vorhergesagten partiellen Korrelationen für den Preis der medizinischen Leistungen P(x), das Alter x und den Bildungsgrad E lassen sich genauso interpretieren wie im reinen Investitionsgut-Modell. Ein höherer Lohnsatz W(x) geht im reinen Konsumgut-Modell lediglich als Kostenfaktor bei der Gesundheitsproduktion ein. Das Vorzeichen für den Lohnsatz ist im Gegensatz zum reinen Investitionsgut-Modell daher negativ. Zusätzlich beeinflusst schließlich noch ein Vermögenseffekt in Form des Lagrange-Multiplikators X[0] die Nachfrage, der dem Grenznutzen des Vermögens entspricht.3 Da der Zusammenhang zwischen X[0] und dem Vermögen wegen des abnehmenden Grenznutzens des Vermögens invers 3
Nachfragefunktionen, bei denen der Grenznutzen des Vermögens konstant gehalten wird, werden auch als Frisch-Nachfragefunktionen bezeichnet.
3.3 Die Gesundheit als Teil des Humankapitals
85
ist, bedeutet dies, dass die partielle Korrelation von A,[0] mit der Nachfrage nach Gesundheit sowie medizinischen Leistungen negativ sein sollte. Gesundheit ist somit ein normales Gut. Für die reduzierte Nachfragefunktion nach medizinischen Leistungen erhält man durch Einsetzen von Gleichung (3.10) in die strukturelle Nachfragefunktion nach medizinischen Leistungen (3.8) für das reine Konsumgut-Modell
+ß8(l-K)T-ߣ(l-K)£-KlnA.(0). Die Wirkungen der exogenen Größen W(x), P(x), x und E haben dabei eraeut das gleiche Vorzeichen wie in der strukturellen Nachfragefunktion. Durch die Nachfragefunktion nach Gesundheit (3.10) fallen sie jedoch geringer aus. Durch diese Funktion tritt in der reduzierten Nachfragefunktion nach medizinischen Leistungen jetzt auch ein Vermögenseffekt mit positivem Vorzeichen auf. Unsere Ergebnisse fassen wir zusammen in Folgerung 3.3 Aus dem Grossman-Modell lassen sich Nachfrageflmktionen nach Gesundheit und medizinischen Leistungen ableiten. Hierfür miissen die allgemeinen Funktionszusammenhänge spezifiziert werden. Die Nachfrage lässt sich dann aufdas Lohnniveau, den Preisfür medizinische Leistungen, das Alter, den Bildungsgrad und das Vermögen zurückführen.
3.3.3 Empirische Überprüfung Das Grossman-Modell ist in mehreren empirischen Studien untersucht worden [vgl. GROSSMAN (1972b), MUURINEN (1982) und WAGSTAFF (1986)]. Grundlage waren hierbei Nachfragefunktionen, wie wir sie im vorherigen Abschnitt abgeleitet haben. Die vorhergesagten Vorzeichen unterscheiden sich dabei teilweise, da die Autoren die Funktionszusammenhänge des Grossman-Modells unterschiedlich spezifizieren. Viele der vorhergesagten Zusammenhänge des Grossman-Modells sind bestätigt worden. Allerdings weisen einige Koeffizienten auch ein falsches Vorzeichen auf. Insbesondere bezüglich der folgenden Variablen sind Probleme aufgetreten: •
Gesundheit: Eine wichtige Implikation der strukturellen Nachfragefunktion nach Gesundheit ist, dass ein besserer Gesundheitszustand und die Nachfrage nach medizinischen Leistungen positiv korreliert sind. Die Studien von WAGSTAFF (1986) und L E U UND GERFIN (1992) kommen jedoch zu einem gegenteiligen Ergebnis: Wenn der Gesundheitszustand mittels simultaner Indikatoren als latente Variable eingeführt wird, so weisen alle Komponenten der medizinischen Leistungen eine ausgeprägte und hochsignifikante negative partielle Korrelation mit der Gesundheit auf.
86
3 Das Individuum als Produzent seiner Gesundheit
•
Alter: Das Grossman-Modell sagt voraus, dass die Nachfrage nach Gesundheit mit dem Lebensalter abnimmt, die Nachfrage nach medizinischen Leistungen jedoch zunimmt, da es für das Individuum nicht optimal ist, das Gesundheitskapital parallel zum Anstieg der Abschreibung absinken zu lassen. Was die Empirie angeht, so wird die Vorhersage eines Absinkens des Gesundheitskapitals im Alter zwar bestätigt [LEU UND DOPPMANN (1986b), LEU UND GERFIN (1992)]. Die Vorhersage bezüglich einer steigenden Nachfrage nach medizinischen Leistungen wird jedoch im Falle ambulanter ärztlicher Leistungen durchgängig widerlegt, vor allem wenn man die Wahrscheinlichkeit eines Arztkontakts als Indikator für die Nachfrage nach ähnlichen Leistungen heranzieht, die noch nicht durch den medizinischen Rat eines eigennützigen Arztes verzerrt ist [DUAN ET AL. (1984), NEWHOUSE UND PHELPS (1976), ZWEIFEL (1985)].
•
Bildung: Das Modell sagt voraus, dass die Nachfrage nach medizinischen Leistungen bei einem höheren Bildungsgrad sinken sollte. Bei einer Schätzung der strukturellen Nachfragefunktion fand WAGSTAFF (1986) allerdings, dass höhere Bildung die Nachfrage nach medizinischen Leistungen erhöht, d.h. dass ß# < 0. Da das Vorzeichen der Elastizität in der reduzierten Nachfragefunktion jedoch richtig war, impliziert dies, dass e entgegen den Anforderungen des Modells größer als eins war (vgl. Gleichungen (3.8) und (3.9)).
Aus diesen Ergebnissen lassen sich unterschiedliche Schlüsse ziehen. Eine Möglichkeit besteht darin, nicht das Grossman-Modell selbst, sondern die unterstellten funktionalen Zusammenhänge sowie die verwendeten ökonometrischen Schätzverfahren zu kritisieren. Des Weiteren lässt sich die These vertreten, dass lediglich einzelne Annahmen des Grossman-Modells leicht modifiziert werden müssen. So entwickelt z.B. WAGSTAFF (1993) eine Variante des Modells, in dem der gewünschte Gesundheitskapitalbestand nicht sofort an das gewünschte Niveau angepasst werden kann. Er findet dann eine signifikant positive partielle Korrelation der Nachfrage nach medizinischen Leistungen und Gesundheit. Ebenso hat der Bildungsgrad das vorhergesagte Vorzeichen in der strukturellen Nachfragefunktion nach Gesundheit. Schließlich kann die empirische Evidenz auch als Indiz dafür gewertet werden, dass das Grossman-Modell das Gesundheitsverhalten nur eingeschränkt erklärt und dass weitere Faktoren zur Erklärung bei der Nachfrage nach Gesundheit und medizinischen Leistungen herangezogen werden müssen. Wir ziehen als Fazit die Folgerung 3.4 Das Grossman-Modell hat sich in empirischen Untersuchungen eingeschränkt bewährt. Studien, die zeigen, dass der Gesundheitszustand und die Nachfrage nach medizinischen Leistungen negativ und nicht positiv korreliert sind, stellen insbesondere die Vorstellung in Frage, dass Ausgaben fiir medizinische Leistungen eine abgeleitete Nachfrage darstellen, die aufeine zugrundeliegende Nachfrage nach Gesundheit zurückgeht.
3.3 Die Gesundheit als Teil des Humankapitals
87
Das letzte Wort über das Grossman-Modell ist noch nicht gesprochen. Mehr Aufschluss kann man sich von der Analyse von Panel-Daten versprechen, in denen Individuen über die Zeit in ihrem Versuch verfolgt werden, ihren Gesundheitskapitalbestand auf dem Zeitpfad der dynamischen Optimallösung zu halten. Gegenwärtig kann man allerdings sagen, dass die Betonung der langfristigen Optimierung ganz allgemein die Unsicherheit vernachlässigt, die mit dem Überleben und dem Gesundheitszustand verbunden ist. Daher läuft man mit ihr Gefahr, die Steuerbarkeit des Gesundheitszustands durch das Individuum selbst zu übertreiben. Insbesondere könnte die Vemachlässigung der Unsicherheit zwei Schwächen des Grossman-Modells erklären: 1. Die Abschreibungsrate 8(x) ist in Gleichung (3.2) als deterministisch definiert. Folglich gibt es keine stochastischen Schocks wie z.B. Unfälle oder schwere Erkrankungen, die für sehr große Werte von 8(x) verantwortlich sein können. Tatsächlich kann 8(x) einen so großen Wert annehmen, dass das Individuum in der laufenden Periode nicht mehr zum Optimalwert des Gesundheitskapitalbestandes zurückkehren kann, weil die medizinischen Leistungen einfach nicht wirkungsvoll genug sind, um einen so großen Verlust an Gesundheitskapital auszugleichen. Daher könnte der momentane Gesundheitszustand vom optimalen nach unten abweichen - ein Fall, der im Grossman-Modell ausgeschlossen ist. 2. Die Abschreibungsrate und folglich der Verlust an Gesundheitskapital kann so lebensbedrohlich werden, dass der Planungshorizont T auf wenige Tage oder sogar Stunden zusammenschrumpfen kann. In einem solchen Fall verlieren Regeln der langfristigen intertemporalen Optimalität, wie sie durch Bedingungen (3.5) beschrieben sind, viel von ihrer Relevanz. Aus diesen Gründen wird im Folgenden ein alternativer Ansatz untersucht, der im Gegensatz zum Grossman-Modell gerade die mangelnde Kontrolle des Individuums über seinen Gesundheitszustand betont. Dazu wird angenommen, dass der Gesundheitszustand durch einen stochastischen Prozess bestimmt wird. Das einzige, was das Individuum an diesem Prozess beeinflussen kann, sind die Übergangswahrscheinlichkeiten von einem Zustand zum anderen. Diese Sichtweise eröffnet die Möglichkeit, die Zahlungsbereitschaft für Gesundheit als zustandsabhängig zu erklären (Abschnitt 3.4.2). Darüber hinaus können auch die Produktionsmöglichkeiten des Individuums als zustandsabhängig dargestellt werden, wobei eine Technologie, die auf Präventionsanstrengungen beruht, im Zustand der Gesundheit gültig ist und eine andere, die auf kurativen Leistungen beruht, im Zustand der Krankheit. Das betreffende Modell wird in den Abschnitten 3.4.3 und 3.4.4 dargestellt. Ein Überblick über die empirische Erforschung der Gesundheits-Produktion im Lichte der beiden hier besprochenen Ansätze wird in Kapitel 4 gegeben.
88
3 Das Individuum als Produzent seiner Gesundheit
3.4 Gesundheitsproduktion als Einflussnahme auf einen Zufallsprozess Der Gesundheitszustand einer bestimmten Periode (z.B. eines Tages) kann als Ausschnitt aus einer langen Abfolge von Zuständen aufgefasst werden. Das Individuum ist grandsätzlich dem Zufall ausgeliefert, kann also nicht zwischen zwei Abfolgen wählen. Unterscheidet man einfachheitshalber lediglich zwischen „gesund" (g) und „krank" (k), so besteht keine Freiheit der Wahl zwischen den Sequenzen ...und... Das Individuum kann lediglich auf die Übergangswahrscheinlichkeiten Einfluss nehmen und insofern das Eintreten einer gewünschten Abfolge begünstigen. Aus einer solchen Kette sollen im Folgenden nur zwei aufeinander folgende Perioden herausgegriffen werden. Beim Übergang von einer Periode 1 zur nachfolgenden Periode 2 sind vier Möglichkeiten denkbar: gg,gk,kg,kk (vgl. Tabelle 3.2). Entsprechend steht beispielsweise
g£ für die Wahrscheinlichkeit, die Periode 2 krank zu verbringen, nachdem man in der Periode 1 gesund war. Bleiben die in der Tabelle 3.2 eingetragenen Wahrscheinlichkeiten im Verlauf der Zeit konstant, spricht man von einem Markov-Prozess. Im Folgenden interessiert vor allem die Wahrscheinlichkeit, in der Periode 2 gesund zu sein, %g^- Sie ist gemäß Tabelle 3.2 gegeben durch (3.12)
Der erste Summand steht für die Möglichkeit, den Zustand guter Gesundheit in die Periode 2 hinüberzuretten; dabei symbolisiert (1 —§gk) die Wahrscheinlichkeit, gesund zu bleiben. Der zweite Summand erinnert daran, dass es eine Gegenwahrscheinlichkeit (1 — fe) zur Wahrscheinlichkeit fak gibt, krank zu bleiben, so dass ein in Periode 1 Kranker die Chance hat, in der Periode 2 wieder gesund zu sein. Im Folgenden soll dem Individuum zu Beginn der Periode 1 bekannt sein, in welchem Gesundheitszustand es sich befindet. Ist es gesund, so gilt n^i = 0, und es kann nur über ^ auf ngt2 Einfluss nehmen. Dabei stehen ihm die Mittel eines Gesunden zur Verfügung, also eine breite Palette von präventiven Maßnahmen von der Ernährung bis hin zum entspannenden Urlaub. Diese Altemativen haben gemeinsam, dass sie Zeitaufwand zu Gunsten der Gesundheit kosten, der mit tG symbolisiert wird. Im Krankheitsfall hingegen ist 7Cgii = 0, und laut Annahme können nur medizinische Leistungen (mit M bezeichnet), die Wahrscheinlichkeit §i± senken und so die Wahrscheinlichkeit ngt2 erhöhen. Damit hängt die Wahrscheinlichkeit, die Periode 2 gesund zu verbringen, von jeweils unterschiedlichen Faktoren ab, je nach dem in Periode 1 gegebenen Gesundheitszustand.
{
ng,2[$gk{tG, •••)} bei Gesundheit in Periode 1; K[§kk(M,...)]
bei Krankheit in Periode 1.
(3.13)
3.4 Gesundheitsproduktion als Einflussnahme auf einen Zufallsprozess
89
Tabelle 3.2. Übergangswahrscheinlichkeiten und Zustandswahrscheinlichkeiten Periode 1
Periode 2 gesund(g) 1-
gesund(g) krank (k) gi2
( = 1 - 7t)
tygk
1 - §kk
krank (k) <$>gk §kk
7tÄ,i (1
Wahrscheinlichkeit, beim Übergang zu Periode 2 krank zu werden Wahrscheinlichkeit, beim Übergang zu Periode 2 krank zu bleiben Wahrscheinlichkeit, in der Periode 2 gesund zu sein; „Gesundheitschance" Wahrscheinlichkeit, in der Periode 2 krank zu sein; „Krankheitsrisiko" (vereinfachte Notation ab Abschnitt 3.5:71)
Wir fassen diese Überlegungen zusammen in Folgerung 3.5 In einem Konzept, das mit der alltäglichen Erfahrung übereinzustimmen scheint, ist die Produktionsfunktion für Gesundheit von dem Gesundheitszustand abhängig, der während der Entscheidungsperiode vorherrscht. Die Gesundheitspmduktion besteht in der Einflussnahme auf die Übergangswahrscheinlichkeiten in einer Abfolge von Gesundheitszuständen, die im wesentlichen durch den Zufall bestimmt wird. Im Gegensatz zu dem Grossman-Modell ist die Produktion von Gesundheit also nicht durch Ausdrücke der medizinischen Leistung (möglicherweise in Verbindung mit Vorsorge) uneingeschränkt bestimmt. Sie umfasst jeweils nur einen der zwei Inputs in Abhängigkeit von dem vorherrschenden Gesundheitszustand. Hinzu kommt, dass der Output dieses Prozesses kein Bestand an Gesundheit ist, sondern nur eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, in der nächsten Periode sich in einem besseren Gesundheitszustand zu befinden. 3.4.1 Unabhängigkeit von Nachfrage und Angebot? Für die Gesundheitspolitik ist die Frage, ob die Nachfrage nach Gesundheit vom (selbstproduzierten) Angebot getrennt werden kann, von grundlegender Bedeutung. Als Beispiel diene die Diskussion um eine „Rationierung medizinischer Leistungen" [vgl. CALLAHAN (1987)]. Eine solche Rationierung läuft darauf hinaus, teure medizinische Eingriffe jenseits einer bestimmten Altersgrenze nicht mehr zu Lasten der Sozialversicherung anzubieten. Damit würden die Produktionsmöglichkeiten der Betagten im kranken Zustand, der für sie eine erhebliche Wahrscheinlichkeit hat, entscheidend eingeschränkt. Sollte mit zunehmendem Alter lediglich der eigene Einfluss auf das Krankheitsrisiko abnehmen, so sind Vorkehrungen wie z.B. die Betreuung im eigenen Heim denkbar, welche diese Tendenz zumindest abschwächen.
90
3 Das Individuum als Produzent seiner Gesundheit
Der durch die Rationierung erlittene Wohlfahrtsverlust kann so wenigstens im Erwartungswert in Grenzen gehalten werden. Sollte sich aber auch die Präferenz für Gesundheit mit zunehmendem Alter verstärken, so würde man den Betroffenen einen besonders schwerwiegenden Wohlfahrtsverlust aufbürden. Die aus ökonomischer Sicht wünschbare Trennung der Nachfrage- von der Angebotsseite wird allerdings durch den Umstand erschwert, dass im Krankheitsfall der Patient häufig auf Informationen des Arztes angewiesen ist. Der Arzt könnte jedoch versucht sein, seinen Informationsvorsprung auszunutzen und durch entsprechende Schilderung der Krankheitsrisiken 71^2 mit und ohne Behandlung die marginale Zahlungsbereitschaft des Patienten für Gesundheit (und damit auch für seine eigenen Leistungen) zu erhöhen. Bei risikoaversen Personen dürfte aber eine Erhöhung des Sterberisikos die marginale Zahlungsbereitschaft für eine Reduktion dieses Risikos erhöhen. Die angebotene Leistung des Arztes besteht aber gerade in einer solchen Risikoreduktion, senkt sie doch im Krankheitsfall die Wahrscheinlichkeit einer (weiteren) Verschlechterung des Gesundheitszustandes. Indem er diese Wahrscheinlichkeit dem Patienten gegenüber überzeichnet, kann der Arzt mithin Nachfrage nach seinen Leistungen schaffen. Insofern diese angebotsinduzierte Nachfrage auf eine Beeinflussung der Präferenz für Gesundheit hinausläuft, lassen sich Nachfrage- und Produktionsseite überhaupt nicht mehr voneinander trennen [vgl. EVANS (1974); REINHARDT(1985)].
Eine andere Interpretation der angebotsinduzierten Nachfrage geht allerdings dahin, dass es dem Arzt gelingt, seinen Beitrag zur Wiederherstellung der Gesundheit zu übertreiben; ob er zu diesem Mittel greift, wird im Abschnitt 8.4 näher untersucht. Dabei würden die zugrundeliegenden Präferenzen des Patienten nicht verändert, sondern es entstünde eine Diskrepanz zwischen wahrgenommener und tatsächlicher Form der unten in Abbildung 3.3 gezeigten Transformationskurven. In diesem Kapitel soll nur diese zweite Spielart der angebotsinduzierten Nachfrage zugelassen sein, so dass wenigstens im Grundsatz eine Analyse der Gesundheitsproduktion losgelöst von den Präferenzen möglich bleibt.
3.4.2 Kurzfristige Optimierung und Zahlungsbereitschaft für Gesundheit Im 2. Kapitel kamen Methoden zur Abschätzung der (marginalen) Zahlungsbereitschaft für Verbesserungen des Gesundheitszustandes zur Sprache. Diese Zahlungsbereitschaft bedeutet nichts anderes als die Bereitschaft, zu Gunsten der Gesundheit auf andere Güter zu verzichten. Fasst man diese anderen Güter zu den Konsumleistungen oder kurz zum „Konsum" zusammen, so spiegelt diese Zahlungsbereitschaft das Grenznutzenverhältnis zwischen Konsum C und Gesundheit G wider und würde somit über die Steigung der Indifferenzkurven in einem (G,C)-Raum Auskunft geben, so wie dies im 1. Kapitel summarisch dargestellt wurde. Die Betrachtungen des vorhergehenden Abschnitts führten zum Ergebnis, dass sich die Gesundheit selbst nicht steuern lässt, sondern lediglich die Wahrscheinlichkeit, in der darauffolgenden Periode einen bestimmten Gesundheitszustand zu
3.4 Gesundheitsproduktion als Einflussnahme auf einen Zufallsprozess
91
erreichen. In Analogie zur Gleichung (3.13), welche die Produktionsfunktion zustandsabhängig macht, kann man auch den Nutzen aus der Versorgung mit Konsumleistungen zustandsabhängig machen. Die Zielfunktion eines langfristig planenden Individuums könnte mithin lauten
t=0
Die Gleichung besagt, dass das Individuum zukünftige Nutzenströme mit einer subjektiven Rate der Gegenwartspräferenz 8 diskontiert und addiert. Der in jeder Periode erreichbare Erwartungsnutzen hängt dabei ab vom Konsum {Cgtt bzw. Q if ), wobei u[Cgtt,g] > u[Ckj,k] mit Cgtt = Ck,t = C für alle Werte von C und t gelten soll: Ein gegebener Umfang von Konsumleistungen stiftet in gesundem Zustand stets einen größeren Nutzen als bei Krankheit. Dies bedeutet, dass die Nutzenfunktion je nach Gesundheitszustand eine andere ist. Dies wird durch den Einschluss einer Klassifikationsvariablen bewerkstelligt, welche die Werte g und k annehmen kann. Schließlich steht %t für die Wahrscheinlichkeit, die Periode t krank zu verbringen. Im Folgenden soll der Planungszeitraum auf die Perioden 1 und 2 eingeschränkt werden. Weil die Periode sehr kurz definiert ist als jener Zeitraum, in welchem eine Einflussnahme auf die Übergangswahrscheinlichkeiten der Tabelle 3.2 möglich wird, kann man von einer Diskontierung absehen (8 = 0) und Gleichung (3.14) vereinfachen zu Ctl2)*].
(3.15)
Wie bei der Herleitung der Gleichung (3.13) soll in der Periode 1 der Gesundheitszustand schon feststehen, so dass beispielsweise %\ = 0 (gesund in der Periode 1). Damit bleibt nur der Konsum dieser Periode Cgt\ als Entscheidungsvariable übrig. Wie im Abschnitt 3.4.3 gezeigt werden wird, bewirkt ein Verzicht auf Konsum in der Periode 1, dass die Wahrscheinlichkeit %i, die Folgeperiode krank zu verbringen, zurückgeht. Insofern ist es sinnvoll, nach jener Reduktion von %i zu fragen, die einen Verzicht auf eine Einheit von Cg}\ bzw. C^\ (Konsum in Periode 1) kompensieren würde. Dabei wird außer dem Gesundheitszustand der Periode 1 auch der Konsum der Periode 2 konstant gehalten, also Cg)2 = Ck,i = C2 gesetzt. Diese Kompensationsbeziehung kann dazu verwendet werden, die marginale Zahlungsbereitschaft fiir verbesserte Gesundheit im Sinne einer Reduktion des Krankheitsrisikos 712 herzuleiten. Die Konstanz des Erwartungsnutzens bedingt dEU = 0 =
fc
dCgli - {u[C2,g} - u[C2,k]}dn2.
(3.16)
Diese Gleichung definiert eine Indifferenzkurve im (Cgt\, 7t2)-Raum. Um das subjektive Abwägen zwischen Konsum und verbesserten Gesundheitschancen als zwei Güter darzustellen, wird %2 durch die Gegenwahrscheinlichkeit ersetzt und aus der
92
3 Das Individuum als Produzent seiner Gesundheit
Gleichung (3.16) die Steigung der Indifferenzkurve im (Cg)i, 1 -7t2)-Raumhergeleitet: dQ.i _ dCg,i _ u[C2,g]-u[C2,k] (3.17) — JC2)
Der Ausgangspunkt dieser Überlegung hätte auch die Situation eines Individuums sein können, das in Periode 1 krank ist. Es würde sich dann die Frage stellen, welche Veränderung d (1 - n2) einen Verzicht auf Konsum in krankem Zustand dC^ i kompensieren könnte. Indem man in der Gleichung (3.15) %\ = 1 setzt, erhält man über die Bedingung dEU = 0 die Steigung dieser Indifferenzkurve:
dQj
dQi —
u[C2,g]-u[C2,k] —
(JIÖ;
Die Gleichungen (3.17) und (3.18) lassen sich wie folgt interpretieren: •
Beide Gleichungen geben Grenzraten der Substitution (GRS) zwischen Konsum und der Wahrscheinlichkeit, gesund zu sein, an. Das Individuum ist bereit, für eine marginale Verbesserung der Chance, den folgenden Tag gesund zu verleben, mit einem Verzicht auf Konsum während des laufenden Tages zu bezahlen.
•
Die GRS ist wie üblich durch das Verhältnis zweier Nutzendifferenzen (die im Grenzübergang zum marginalen Nutzen werden) gegeben. Je größer der nutzenmäßige Unterschied zwischen „gesund" und ,,krank" im Zähler der Gleichungen (3.17) und (3.18), desto größer der Absolutwert der GRS und damit die marginale Zahlungsbereitschaft für Gesundheit. Je größer umgekehrt der Nutzenverlust, der mit dem Verzicht auf Konsumleistungen jetzt und heute einhergeht (im Nenner der Gleichungen), desto geringer fällt die Zahlungsbereitschaft für eine Verbesserung der Gesundheitschancen aus.
•
Die GRS ist möglicherweise zustandsabhängig. Der Grund dafür ist darin zu sehen, dass der Grenznutzen des Konsums je nach Gesundheitszustand einen anderen Wert annehmen könnte: Hoch bei guter Gesundheit [Nenner der Gleichung (3.17)], niedrig im Krankheitsfall [Nenner der Gleichung (3.18)].
Der letzte Punkt wird in der Abbildung 3.1 illustriert. Zur Vereinfachung wird die Periodenunterscheidung fallengelassen und eine Einheit zusätzlicher Konsumleistungen zustandsunabhängig mit demselben Symbol C gekennzeichnet. Entsprechend verlaufen die eingetragenen Indifferenzkurven in einem [C, (1 — Jt)]-Raum, die eine mit Index g, die andere mit Index k. Beide spiegeln durch ihren steilen Verlauf eine hohe marginale Zahlungsbereitschaft für Gesundheit wider. Die Kurve mit Index k (kranker Ausgangszustand) hat aber eine noch größere (negative) Steigung, reflektiert also eine nochmals gesteigerte Zahlungsbereitschaft für Gesundheit, weil der Grenznutzen zusätzlichen Konsums im Nenner der Gleichung (3.18) geringer ausfällt als in Gleichung (3.17). Damit kann das Verhalten abgebildet werden, das
3.4 Gesundheitsproduktion als Einflussnahme auf einen Zufallsprozess
93
Abb. 3.1. Marginale Zahlungsbereitschaft für Gesundheit (kurzfristig)
c dEU = 0
dEU = 0
- • 1-71
0
1
C: Konsum in der Periode 1 (= Cg j , C^\) 1 - 7t: Wahrscheinlichkeit, die Periode 2 gesund zu verbringen (= 1 viele Ärzte ihren Patienten ankreiden: „Sich mäßig um die Gesundheit kümmern, solange es gut geht, alles für die Gesundheit hergeben wollen, wenn sie verloren gegangen ist". Im Rest dieses Kapitels soll aber von dieser möglichen Instabilität der Präferenzen abstrahiert werden, vor allem aus drei Gründen: 1. Das Argument, dass der Grenznutzen des Konsums im kranken Zustand kleiner sei als im gesunden, ist zwar einleuchtend, aber nicht zwingend. Möglicherweise ist gerade der Kranke auf gute Unterbringung und Verpflegung besonders angewiesen, so dass zusätzliche Konsumleistungen für ihn einen besonders großen Nutzen haben (vgl. dazu Abschnitt 6.3.2). 2. Die Krankenversicherung ermöglicht es dem Individuum, das verfügbare Einkommen auf die beiden Zustände zu verteilen, so dass sich der jeweilige Grenznutzen zusätzlichen Einkommens bzw. Konsums angleicht und unter gewissen Bedingungen sogar gleich groß wird (vgl. dazu wieder Abschnitt 6.3.2). 3. Die GRS variiert auch entlang einer unveränderten Indifferenzkurve: Es genügt, dass bei guter Gesundheit ein Punkt wie Q* in Abbildung 3.1 realisiert wird, im Krankheitsfall dagegen ein Punkt wie Q*k, um den Eindruck einer schwankenden Wertschätzung der Gesundheit hervorzurufen.
94
3 Das Individuum als Produzent seiner Gesundheit Die vorstehenden Gedankengänge lassen sich zusammenfassen in der Folgerung 3.6 Die kurzfristige marginale Zahlungsbereitschaftfür Gesundheit lässt sich darstellen als ein subjektives Abwägen von „Konsum in der laufenden Periode" gegen „Wahrscheinlichkeit, in der Folgeperiode gesund zu sein ". Sie kann, muss aber nicht als zustandsabhängig und somit instabil aufgefasst werden.
Da sich dieses Kapitel vorwiegend mit dem Individuum als Produzent und weniger als Nachfrager von Gesundheit befasst, soll im Folgenden der Nachweis erbracht werden, dass die scheinbar instabile Wertschätzung der Gesundheit auf die objektiven, unter dem Einfluss des Zufalls schwankenden Produktionsmöglichkeiten des Individuums zurückgeführt werden kann. 3.4.3 Ein Modell mit zustandsabhängigen Produktionsmöglichkeiten: die kurze Frist 3.4.3.1 Zustandsabhängige Optimierung in Zufallsprozess Oben wurde Gesundheitsproduktion als Einflussnahme auf Wahrscheinlichkeiten in einem zufallsgesteuerten Prozess definiert und dann die subjektive Wertung verbesserter Gesundheitschancen eingeführt. Dabei kamen Begriffe wie Übergangswahrscheinlichkeiten, Zustandswahrscheinlichkeiten und Erwartungsnutzen zur Sprache. Diese Begriffe sollen hier nochmals mit der kurzfristigen Entscheidungssituation eines Individuums in Verbindung gebracht werden. Vor diesem Hintergrand lassen sich dann die zustandsbedingten Handlungsmöglichkeiten als Trade-offs untersuchen. Der betrachtete Ausschnitt aus einer Abfolge von Gesundheitszuständen ist in der Abbildung 3.2 dargestellt. In einer Vorperiode 0 entscheidet sich, ob das Individuum gesund oder krank ist. Damit sind seine Möglichkeiten festgelegt, während der Periode 1 auf die Übergangswahrscheinlichkeiten Einfluss zu nehmen und damit die Zustandswahrscheinlichkeiten in der Periode 2 zu steuern. Ist das Individuum gesund (oberer Ast der Abbildung 3.2), so kann es über den Aufwand von Zeit zu Gunsten der Gesundheit (tG) selbst auf die Erkrankungswahrscheinlichkeit ^ einwirken und so die Wahrscheinlichkeit JC festlegen, in der Periode 2 krank zu sein (vgl. Tabelle 3.2). Mit Wahrscheinlichkeit [1 -n(tG)} kann es dann bei guter Gesundheit das Nutzenniveau u(Cg,g) erreichen, mit Wahrscheinlichkeit %(tG) hingegen das niedrigere Niveau u(Ck,k). Das kurzfristige Ziel besteht darin, tG so zu wählen, dass der Erwartungsnutzen EU, gebildet aus den bedingten Nutzenwerten der Periode 2, maximal wird. Ist der Zustand zu Beginn der Periode 1 „krank", so geht es darum, die Wahrscheinlichkeit (J)« zu senken, um möglichst die Periode 2 nicht auch in krankem Zustand zu verbringen. Damit die Unterschiede zwischen den beiden Zuständen in der
3.4 Gesundheitsproduktion als Einflussnahme auf einen Zufallsprozess
95
Abb. 3.2. Abfolge von Gesundheitszuständen als beeinflussbarer Zufallsprozess
EU
Perioden
Periode 1 klar zu Tage treten, soll dies nicht durch eigenen Zeitaufwand tG, sondern nur durch die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen M möglich sein. Entsprechend beträgt die Wahrscheinlichkeit [1 — n(M)}, dass in der Periode 2 dennoch ein Nutzen in der Höhe von u(Cg, g) erreicht werden kann. Mit Wahrscheinlichkeit n(M) dagegen winkt am Ende der Periode 2 lediglich der Nutzen aus Konsum in krankem Zustand, u(Ck,k). Das Bestreben des Individuums soll wiederum dahin gehen, durch Inanspruchnahme medizinischer Leistungen in optimalem Umfang den Erwartungsnutzen zu maximieren. Die Besonderheiten des in Abbildung 3.2 dargestellten Produktionsprozesses können in den folgenden drei Punkten gesehen werden: •
Die Rolle des Individuums als des Produzenten seiner Gesundheit beschränkt sich auf die Beeinflussung von Wahrscheinlichkeiten.
•
Nur im gesunden Zustand kann es diesen Einfluss durch den Einsatz eigener Mittel ausüben; im Krankheitsfall ist es auf Leistungen Dritter angewiesen.
•
Der Gesundheitszustand ist nicht nur ein Ergebnis des Produktionsprozesses, sondern wirkt auch wie ein zufallsbestimmter Inputfaktor, der die jeweils gültige Produktionsfunktion festlegt.
96
3 Das Individuum als Produzent seiner Gesundheit
Mit dem in Abbildung 3.2 dargestellten Produktionsprozess lässt sich somit die „Andersartigkeit" der Gesundheit aus der Sicht des Individuums in ökonomischen Begriffen darstellen. Zusammenfassend ergibt sich die Folgerung 3.7 Das Besondere an der Gesundheit kann darin gesehen werden, dass sie einerseits das vom Zufall beeinflusste Ziel eines Produktionsprozesses darstellt, andererseits aber die Möglichkeiten des Individuums festlegt, zu diesem Produktionsprozess beizutragen.
3.4.3.2 Die Bestandteile des Modells Das Individuum soll grundsätzlich zwei Zustände, „gesund" und „krank" kennen und beschränkt seinen Planungshorizont auf die laufende und eine Folgeperiode. Während sich die Produktionsmöglichkeiten zwischen den Situationen erheblich unterscheiden, wird eine gemeinsame, die beiden Zustände übergreifende Zielfunktion postuliert, wie sie in der Gleichung (3.15) hergeleitet wurde. Damit steht das in Tabelle 3.3 formulierte Modell in der Tradition der „bedingten Güter" (contingent claims), deren Analyse von ARROW (1951) und DEBREU (1959, Kapitel 7) entwickelt wurde. Solange das Individuum gesund ist, hat es selbst Einfluss auf die Gesundheitschancen, während annahmegemäß medizinische Leistungen keine Wirkung haben. Insbesondere kann es durch den Aufwand von Zeit zu Gunsten der Gesundheit tG die Erkrankungswahrscheinlichkeit % senken (symbolisiert durch das Minuszeichen in Klammern). Dabei bleibt TC allerdings strikt positiv: 7C = 7t(fG)
mit d%/dtG < 0 und n> 0.
(3.19)
Die produzierten Konsumleistungen hängen ihrerseits vom Zeitaufwand für den Konsum tc, daneben aber natürlich auch vom Einsatz von Konsumgütern X ab. Das Modell folgt hier den Gedanken insbesondere von BECKER (1965): Cg = Cg(X,tc)
mit dCg/dX > 0, dCjdf
> 0.
(3.20)
Im gesunden (und erwerbstätigen) Zustand erzielt das Individuum ein Arbeitseinkommen, das sich durch Multiplikation seiner Arbeitszeit tw mit dem Lohnsatz w ergibt und gerade für die Finanzierang der Käufe von Konsumgütern (deren Preis p beträgt) ausreichen soll: wtw=pXg. (3.21) Schließlich steht insgesamt ein Zeitbudget im Umfang einer (1) Periode zur Verfügung, das durch den Zeitaufwand zu Gunsten des Konsums tc, der Gesundheitserhaltung tG und der Arbeit tw gerade ausgeschöpft wird: \=tc
+
tG+tw.
(3.22)
3.4 Gesundheitsproduktion als Einflussnahme auf einen Zufallsprozess
97
Tabelle 3.3. Ein Modell der zustandsabhängigen Gesundheitsproduktion Ausgangssituation
Ausgangssituation
gesund(l-7i)
krank7i
7C = 7t(fG)
mit
dnßtG < 0 und n > 0 C g =C g (X,f c )
mit
dCgßX > 0, dCgßf
>0
wf"'^^ l=tC + tG + tW C: 8-
k: M: ju:
P-
n: q-
f:G
t : tw:
w: X: Y:
(3.19)
(3.20) (3.21) (322)
7t = 7l(M)
mit
dn/dM < 0 und n > 0 Q=Q(X,fc)
(3.23)
mit
8Q/8X > 0, dCkßf
>0
Y = pXk + qM l=?f+^M
(3.24) (3.25) (3.26)
Konsumleistungen Zustand der Gesundheit (Subskript) Zustand der Krankheit (Subskript) Medizinische Leistungen Zeitaufwand je Einheit medizinischer Leistungen Preis der Konsumgüter Wahrscheinlichkeit, die Folgeperiode krank zu verbringen Nettopreis der medizinischen Leistungen Zeitaufwand zugunsten des Konsums Zeitaufwand zugunsten der Gesundheit Arbeitszeit Lohnsatz Konsumgüter Durch Sozialversicherung gewährleistetes Einkommen im Krankheitsfall
Demgegenüber gestalten sich die Produktionsmöglichkeiten im Krankheitsfall deutlich anders. Als erstes wird unterstellt, dass die Wahrscheinlichkeit TT, die Folgeperiode krank zu verbringen, nicht mehr durch eigene Mittel, sondern nur durch den Einsatz medizinischer Leistungen M verringert werden kann, wobei es wiederum nicht gelingt, die zugrundeliegende Wahrscheinlichkeit n auf Null zu reduzieren:
n = n(M) mit dn/dM < 0 und n > 0.
(3.23)
Was die Konsumleistungen anbetrifft, so sind sie wie im gesunden Zustand das Ergebnis von Zeit- und Güteraufwand, doch ist damit zu rechnen, dass sie einen niedrigeren Wert annehmen, weil die Krankheit die produktiven Fähigkeiten gerade auch im Haushaltsbereich beeinträchtigt: Ck = Ck(X,tc
mit
0, dCkßtc > 0.
(3.24)
98
3 Das Individuum als Produzent seiner Gesundheit
Ganz entscheidend ist der Umstand, dass das Einkommen bei Krankheit in den heutigen Industrieländern nicht mehr von der Arbeitszeit abhängt, sondern aufgrund der Leistungen der Sozialversicherungen einen festen Wert Y annimmt. Aus diesem Ersatzeinkommen muss andererseits nicht nur der Aufwand für Konsumgüter, sondern auch für medizinische Leistungen (deren Preis q beträgt) gedeckt werden. Y = pXk + qM.
(3.25)
Das Zeitbudget umfasst nur noch den Zeitaufwand für den Konsum und für die Inanspruchnahme medizinischer Hilfe, wobei das Individuum als Patient je Arztstunde oder Krankenhaustag selber /j Stunden bzw. Tage aufwenden muss. Die Arbeitszeit (tw) wie auch der eigene Zeitaufwand zu Gunsten der Gesundheit (tG) fallen dahin, erstere wegen der Sozialversicherung, letzterer wegen mangelnder Wirksamkeit: l=t£+iiM.
(3.26)
Diese Annahmen [(3.19) - (3.22), (3.23) - (3.26)] überzeichnen zugegebenermaßen die Unterschiede zwischen den beiden Zuständen. So suchen auch Gesunde den Arzt auf, um eine mögliche Gefährdung ihrer Gesundheit möglichst früh zu entdecken. Die Erkrankungswahrscheinlichkeit §gk und damit n hängt ihrer Einschätzung zufolge auch im gesunden Zustand von den medizinischen Leistungen M ab. Umgekehrt ist der Kranke öfter in der Lage, mit eigenen Anstrengungen tG zur Verbesserung der Genesungsaussichten (Senkung von §kk und damit TC) beizutragen. Vielfach arbeiten auch Selbständige trotz Krankheit weiter, so dass in ihrem Zeitbudget tw unabhängig vom Gesundheitszustand erscheint. Auf diese Differenzierang wird aber im Folgenden verzichtet, um die Kernaussagen umso klarer hervortreten zu lassen in der Folgerung 3.8 Die produktiven Möglichkeiten eines Individuums erscheinen in verschiedener Hinsicht vom gerade herrschenden Gesundheitszustand abhängig. Bei guter Gesundheit kann es selber einen Beitrag zur Verlängerung der gesunden Phase leisten und erzielt ein Arbeitseinkommen, das für den Kauf von Konsumgütern verwendet werden kann. Bei schlechter Gesundheit ist es auf medizinische Hilfe angewiesen, arbeitet nicht und erhält ein Transfereinkommen, das nicht nur die Ausgabenfür Konsumgüter, sondern auch die Nettoaufwendungen für medizinische Leistungen decken muss. 3.4.3.3 Bedingte Grenzen der kurzfristigen Produktionsmöglichkeiten Dieser Abschnitt ist der Untersuchung der beiden folgenden Grenzen der Produktionsmöglichkeiten (Trade-offs) gewidmet: 1. Trade-off zwischen Konsum und Wahrscheinlichkeit, die Folgeperiode gesund zu verbringen; guter Gesundheitszustand in der laufenden Periode. 2. Trade-off zwischen Konsum und Wahrscheinlichkeit, die Folgeperiode gesund zu verbringen; Krankheit in der laufenden Periode.
3.4 Gesundheitsproduktion als Einflussnahme auf einen Zufallsprozess
99
Abb. 3.3. Trade-offs zwischen Konsum und Gesundheit unter dem Einfluss exogener Veränderungen a. gesunder Zustand b. kranker Zustand
Der kurzfristige Trade-off bei guter Gesundheit Den Trade-off zwischen Konsum und Gesundheit kann man sich am Beispiel eines Fußgängers, der bei Rot über die Straße geht, vorstellen. Er oder sie optiert damit nicht unmittelbar für einen schlechteren Gesundheitszustand, sondern für eine Verteilung mit erhöhter Wahrscheinlichkeit ungünstiger Zustände, im einfachsten Fall mit einer erhöhten Erkrankungs- bzw. Unfallwahrscheinlichkeit ( ^ , die gemäß Tabelle 3.2 eine kleinere Wahrscheinlichkeit (1 — 7t) zur Folge hat, die nächste Periode gesund zu verleben. Dafür steht die eingesparte Wartezeit vor dem Rotlicht tG den Individuen für zusätzlichen Konsum Cg zur Verfügung. Dieser Trade-off lässt sich als Transformationskurve in einem (Cg, 1 — 7c)-Raum darstellen, vgl. Abbildung 3.3a. Die Form der Transformationskurve ist durch ihre Steigung - die Grenzrate der Transformation (GRT) - gegeben. Mittels totaler Differenzierang der Gleichungen (3.19) bis (3.22) kann diese Steigung hergeleitet werden [vgl. den Anhang 3.A.2 zu diesem Kapitel, Gleichung (A.44)]: 3C <0
(3.27)
Der in der Abbildung 3.3a gezeigte, von unten konkave Verlauf der Grenze der Produktionsmöglichkeiten wird im Anhang [Gleichung (A.45)] nachgewiesen. Die beiden eingezeichneten Indifferenzkurven könnten grundsätzlich unterschiedlichen Familien entstammen, vgl. die Gleichungen (3.17) und (3.18). Um die Auswirkungen der bedingten Produktionsmöglichkeiten hervorzuheben, sollen sie jedoch der gleichen Familie entstammen und überdies homothetisch sein, d.h. an einem Strahl
100
3 Das Individuum als Produzent seiner Gesundheit
durch den Ursprung jeweils gleiche Steigung (GRS) haben. Ist das Individuum gesund, wird es den Punkt Q* als bestmögliche Lösung anstreben, wo die Grenzraten der Transformation GRT und der Substitution GRS gleich groß sind. Die folgenden Parameter der Gleichung (3.19) sollen kurz zur Sprache kommen. •
Zunahme des Reallohnsatzes (w/p): In erster Näherang hat diese Veränderung keinen unmittelbaren Einfluss auf die Transformationskurve [vgl. die Erklärung zur Gleichung (A.44) im Anhang für eine Begründung]. Grundsätzlich treibt eine Zunahme des Reallohnsatzes sowohl Arbeitseinkommen als auch die Zeitkosten des Konsums in diesem vereinfachten Modell in die Höhe, was zur Folge hat, dass sich beide Effekte aufheben.4 Der Trade-off zwischen Konsum und gesund verlebter Zeit stellt sich in diesem Modell für „Arm" und „Reich" gleich dar.
•
Technologischer Wandel im Haushaltsbereich: Er ist in der Hauptsache arbeitssparend, führt also zu einer Zunahme von dC/dtc. Unter der Annahme, dass die Grenzproduktivität dn/dtG davon nicht berührt wird, fällt die Transformationskurve steiler ab, von A'g zu Bg (vgl. Abbildung 3.3a). Falls die marginale Zahlungsbereitschaft für verbesserte Gesundheitschancen hoch ist, befindet sich das Optimum vor der Veränderung nahe beim Punkt Bg. Der Bereich der Produktionsmöglichkeiten wird sich somit von Q* vergleichsweise wenig in horizontaler Richtung ausweiten. Als neues Optimum ergibt sich z.B. Q**. Die Ausbreitung zeitsparender Konsumtechnologie dürfte demnach keine durchgreifende Wirkung auf das Gesundheitsverhalten der Individuen haben - solange sie gesund sind.
Der kurzfristige Trade-off bei schlechter Gesundheit Aufgrund der Gleichungen (3.23) bis (3.26) ergibt sich für die Grenze der Produktionsmöglichkeiten [vgl. Gleichung (A.51) im Anhang]
dck
d(l-Jl)
=
dCk °ck q ^c f ^ dx ~p ^ Q
d% dM H
d% dM H
(3.28)
Die Gleichung (3.28) macht klar, dass eine Verbesserang der Chancen, die Folgeperiode gesund zu verbringen, wiederum nur über den Verzicht auf Konsumleistungen zu erreichen ist, indem beide Summanden eindeutig ein negatives Vorzeichen haben. Einerseits kostet der Einsatz medizinischer Leistungen einigen Zeitaufwand 4
Dies steht im Gegensatz zu dem Grossman-Modell, das einen negativen Effekt des Lohnsatzes auf die Nachfrage nach dem Bestand an Gesundheitskapital in seinem reinen „Konsumgut-Modell" von einem positiven Effekt des Lohnsatzes in seinem „reinen Investitionsgut-ModeH"unterscheidet.
3.4 Gesundheitsproduktion als Einflussnahme auf einen Zufallsprozess
101
und schränkt von daher die Konsummöglichkeiten ein (erster Summand); andererseits konkurrieren die beiden Güter um das fest vorgegebene Einkommen (zweiter Summand). Die Opportunitätskosten verbesserter Gesundheitschancen hängen maßgeblich von dCk/dtc und dCk/dX ab. Die erste Größe (Eigenproduktivität bei der Bereitstellung von Konsumleistungen) ist im kranken Zustand klein, dafür ist möglicherweise die zweite (Produktivität eingekaufter Güter bzw. Dienstleistungen) umso größer. Der Verlauf der Transformationskurve ist in der Abbildung 3.3b dargestellt. Er wird von den folgenden Parametern beeinflusst. •
Technologischer Wandel im Haushaltsbereich: Er bewirkt wie im Zustand „gesund" einen steileren Verlauf der Transformationskurve (in der Abbildung 3.3b nicht eingezeichnet).
•
Behandlungsfortschritte in der Medizin: Sie können durch einen erhöhten Absolutwert von dn/dM dargestellt werden. Beide Summanden der Gleichung (3.28) nehmen dadurch im Absolutwert ab, was zur Folge hat, dass die Grenze der individuellen Produktionsmöglichkeiten flacher verläuft, dargestellt durch Veränderung von A^Bk nach A]ß'k in Abbildung 3.3b. Der Extrempunkt auf der C-Achse bleibt dabei der gleiche, weil die Konsummöglichkeiten der laufenden Periode vom technologischen Wandel in der Medizin nicht berührt werden. Der Extrempunkt auf der (1 — 7t)-Achse hingegen verschiebt sich nach außen, da angenommen werden kann, dass sich auch die maximal erreichbare Wahrscheinlichkeit, die Folgeperiode gesund zu verbringen, erhöht. Insgesamt ergibt sich die Verschiebung zur Grenze A\ß'k, i.d.R. verbunden mit einer fühlbaren Verbesserang der Gesundheitschancen, wie in der Abbildung durch den neuen Optimalpunkt Q$* dargestellt.
•
Erhöhte Anbieterdichte: Sie schlägt sich in einem Rückgang von n, dem vom Patienten zu leistenden Zeitaufwand für die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen, nieder. Aufgrund des Zeitbudgets (3.28) können tc und/oder M höhere Werte annehmen, so dass sich beide Extrempunkte nach außen verschieben. Der Mehreinsatz medizinischer Leistungen bei unverändertem Stand der medizinischen Technik stößt jedoch an abnehmende Grenzerträge, so dass der neue Endpunkt der Grenze bei Bk, innerhalb von B'k (Fall des Behandlungsfortschritts) liegt. Da gemäß Gleichung (3.28) die neue Transformationskurve flacher verläuft, entspricht die neue Grenze der Produktionsmöglichkeiten der Kurve A"kB'k' in Abbildung 3.3b. Es wird eine gewisse Verbesserung der Gesundheitschancen erreicht, verbunden mit einem Mehraufwand medizinischer Leistungen.
•
Ausweitung des Krankenversicherungsschutzes: Sie bewirkt einen Rückgang von q/p, weil der Versicherte einen geringeren Anteil der Kosten einer Arztstunde, eines Arzneimittels oder eines Krankenhaustages selbst tragen muss. Sein Einkommen reicht also für mehr Konsumgüter und/oder medizinische Leistungen aus, was ebenfalls eine Verschiebung der Transformationskurve nach außen bewirkt (Abbildung 3.3b). Da aber bei unverändertem Stand der medizinischen
102
3 Das Individuum als Produzent seiner Gesundheit Technik abnehmende Grenzerträge gleich rasch einsetzen wie zuvor, verläuft die neue Grenze der Produktionsmöglichkeiten wiederam wie A"kB"k. Diese Gedankengänge führen zur Folgerung 3.9 Sowohl im Zustand„gesund" wie ,,krank" verläuft die kurzfristige Transformationskurve fallend und von unten konkav. Technologischer Wandel im Haushaltsbereich lässt sie in beiden Zuständen steiler verlaufen. Medizinisch-technologischer Wandel, erhöhte Anbieterdichte in der Medizin sowie derAusbau des Krankenversicherungsschutzes verflachen sie und verschieben sie nach außen, verbunden mit einer Verbesserung der Gesundheitschancen im Zustand „krank".
3.4.3.4 Zur Instabüität des Gesundheitsverhaltens Im Abschnitt 3.4.2 wurde die vermutete Instabilität des Gesundheitsverhaltens angesprochen und dabei die Behauptung aufgestellt, diese gehe nicht auf eine wechselhafte Wertschätzung der Gesundheit zurück, sondern liege in der Zufallsbestimmtheit der individuellen Produktionsmöglichkeiten begründet. Diese Behauptung soll jetzt unter zwei Annahmen bewiesen werden: Annahme 3.1 Die Erwartungsnutzen-Funktion ist homothetisch in (C, 1 — n), d.h. die Indifferenzkurven weisen entlang eines Strahls durch den Ursprung gleiche Steigungen auf. Annahme 3.2 Der Unterschied zwischen „gesund" und„krank" wirkt sich stärker aufdie maximal erreichbare Wahrscheinlichkeit (1 — 7i) aus, die Folgeperiode gesund zu verbringen, als auf das maximal erreichbare Niveau der Konsumleistungen (C). Unter diesen beiden Annahmen erreicht das Individuum im Zuge seiner kurzfristigen Optimierung z.B. den Punkt Q* der Abbildung 3.4, wenn es gesund ist; in diesem Punkt sind GRSg und GRTg einander gleich. Im Krankheitsfall wird es zurückgeworfen auf Punkt Q*k, wo GRSk und GRT^ wiederam gleich groß sind. Das neue Optimum muss allerdings in der Mehrzahl der Fälle oberhalb des Fahrstrahls OQg liegen (wie in Abbildung 3.4 eingetragen), weil die Transformationskurve A^Bk gemäß Annahme 3.2 im Durchschnitt steiler verläuft als AgBg. Der Punkt Qk, der auf dem gleichen Fahrstrahl liegt wie Punkt Q*, kommt als Optimum nicht in Frage; die GRS muss einen höheren Wert annehmen, um die Bedingung GRS^ = GRT^ zu erfüllen. QED. Diese Gegenüberstellung der zustandsabhängigen Produktionsmöglichkeiten führt also zum Ergebnis, dass im Krankheitsfall oft ein höherer Wert sowohl der Grenzrate der Substitution GRS wie auch der Transformation GRT realisiert wird.
3.4 Gesundheitsproduktion als Einflussnahme auf einen Zufallsprozess
103
Abb. 3.4. „Instabilität" des Gesundheitsverhaltens
1-71
Das beobachtbare Gesundheitsverhalten der Individuen würde somit den Schluss nahelegen, dass eine Verbesserung der Gesundheitschancen im Krankheitsfall höher bewertet wird als bei guter Gesundheit. Diese Instabilität konnte im Abschnitt 3.4.2 durchaus ökonomisch begründet werden. Die gewöhnliche Erklärung der Ärzte, die von den meisten Ökonomen geteilt wird, weist auf die bereits erwähnte Inkonsistenz der Präferenzen hin. Man kümmere sich zu wenig um die Gesundheit, solange man gesund sei und dann würde man plötzlich alles für die Gesundheit hingeben, sobald eine Krankheit eingetreten ist. Die erhöhte beobachtbare Wertschätzung der Gesundheitschance im Krankheitsfall ist in Abbildung 3.4 jedoch nicht Ausdruck einer Inkonsistenz der Präferenzen, sondern geht auf die objektiven Produktionsmöglichkeiten und letztlich auf die durch den Einfluss des Zufalls bedingte Instabilität der Gesundheit selber zurück. Genau genommen beobachten die Ärzte überdies nur die Zahlungsbereitschaft für medizinische Leistungen. Wenn es näherungsweise zutreffen sollte, dass medizinische Leistungen zur Verbesserung der Gesundheitschancen wenig oder nichts beitragen, solange der Gesundheitszustand gut ist, bleibt auch die Zahlungsbereitschaft für solche Leistungen gering. Die Nachfrage nach medizinischen Leistungen wird so zustandsabhängig, auch wenn die Nachfrage nach Gesundheit selber stabil ist, ein Umstand, der für die empirischen Untersuchungen der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen von zentraler Bedeutung ist, wie im Abschnitt 4.4 dargelegt wird.
104
3 Das Individuum als Produzent seiner Gesundheit Unsere Überlegungen münden in die
Folgerung 3.10 Die von den Ärzten vermutete Instabilität des individuellen Gesundheitsverhaltens erlaubt keinen Rückschluss aufeinen Mangel an Rationalität aufSeiten des einzelnen. Ebenso gut kann sie durch unterschiedliche zustandsabhängige Produktionsmöglichkeiten verursacht werden. Diese Folgerung ist deshalb von Bedeutung, weil die Gesundheit ein nicht handelbares Gut darstellt, bei dem die Trennung der subjektiven Präferenzen von den objektiven Produktionsmöglichkeiten besonders schwer fällt. Könnten Gesundheitschancen zwischen Käufern und Verkäufern gehandelt werden, so wären nicht nur Optimalpunkte wie Q* und Q*k der Abbildung 3.4, sondern auch das jeweilige Austauschverhältnis (also ein Preisverhältnis) zu beobachten. Solche Preisverhältnisse könnten unmittelbar mit der GRT, also dem Grenzkostenverhältnis in der Produktion von Gesundheit und Konsum verglichen werden, um herauszufinden, ob sich die Individuen in der Nähe des Optimums befinden und welche Faktoren für systematische Abweichungen davon verantwortlich sind. Die mangelnde Handelbarkeit der Gesundheit verhindert jedoch die Beobachtung solcher Preisverhältnisse, die eine objektive Information darstellen und Anhaltspunkte für die Beurteilung gesundheitspolitischer Maßnahmen abgeben würden.
3.4.4 Ein Modell mit zustandsabhängigen Produktionsmöglichkeiten: die längere Frist Wenn es einem Individuum gelingt, seine Gesundheitschancen bleibend zu verbessern, so hat dies wichtige Konsequenzen für die Zeit, die ihm zur Verfügung steht. Eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, die jeweils folgende Periode gesund zu verbringen, schlägt sich nämlich längerfristig in einer Häufung gesunder Perioden nieder. Die so gewonnene gesunde Zeit kann ihrerseits dazu verwendet werden, mehr Konsumleistungen zu produzieren und/ oder weiterhin zu Gunsten der Gesundheit aufzuwenden. Diese Vorstellung liegt auch dem Grossman-Modell zugrunde (vgl. Gleichung (3.2) im Abschnitt 3.3.1). Umgekehrt führt eine Zunahme der Wahrscheinlichkeit, die Folgeperiode krank zu verbringen, zu einer erhöhten Zahl von Perioden mit schlechter Gesundheit. Zur Vereinfachung wird im Folgenden angenommen, das Individuum extrapoliere seinen derzeitigen Gesundheitszustand und richte sich auf die entsprechenden Produktionsmöglichkeiten ein. Seine Optimierung bleibe aber insofern kurzsichtig, als es sich keine Strategie zurechtlegt für den Fall, dass sich nach Ablauf der gegenwärtigen Gesundheits- bzw. Krankheitsphase der Gesundheitszustand wieder ändert. Ein Kranker würde dieser Annahme zufolge keine Vörsätze darüber fassen, wie viel Präventionsaufwand er treiben werde, sobald seine Gesundheit wiederhergestellt ist. Entsprechend geht es hier lediglich darum, durch Extrapolation der beiden kurzfristigen zwei längerfristige Trade-offs herzuleiten:
3.4 Gesundheitsproduktion als Einflussnahme auf einen Zufallsprozess
105
1. Trade-off zwischen Konsum und mittlerer Dauer einer anschließenden Phase der Gesundheit; laufende Periode „gesund". 2. Trade-off zwischen Konsum und mittlerer Dauer einer anschließenden Krankheitsphase; laufende Periode „krank". 3.4.4.1 Der längerfristige Trade-off bei guter Gesundheit Für eine langfristige Analyse soll der in Tabelle 3.2 beschriebene Markov-Prozess jetzt iiber mehr als zwei Perioden ablaufen. Nimmt man an, die Zustandswahrscheinlichkeit 7t (das Krankheitsrisiko) bleibe nach einer einmaligen Beeinflussung durch das Individuum eine Konstante, so wird der Markov-Prozess mit nur zwei Zuständen zum Binomialprozess. Der Binomialprozess [krank mit Wahrscheinlichkeit 7t, gesund mit Wahrscheinlichkeit (1 -7t) ] kann auch als sog. geometrische Verteilung formuliert werden, die darüber Auskunft gibt, wie viele Perioden man durchschnittlich warten muss, bis das Ereignis „Krankheit" eintritt. Da diese Perioden gesund verlebt werden, gilt [vgl. BHATTACHARYYA UND JOHNSON (1977, S. 154)] Tg = —
Tg : mittlere Zahl der gesund verlebten Perioden.
(3.29)
7t
Damit ändert sich aber zumindest längerfristig die Zeitrestriktion: tG ,tG und tw werden nicht mehr durch die eine laufende Periode begrenzt wie in der Gleichung (3.22) der Tabelle 3.2, sondern durch Tg:
Tg=tcg+tG + tw.
(3.30)
Mittels totaler Differenzierung der Gleichungen (3.19) bis (3.21) sowie (3.30) lässt sich die Steigung der Transformationskurve bestimmen, die jetzt nicht mehr im (Cg,l -7t)-Raum, sondern im (Cg,rg)-Raum verläuft [vgl. den Anhang zu diesem Kapitel, Gleichung (A.57)]:
dTe dn dCG
dtc
~dndtG~
dTg (3.31) Diese Transformationskurve hat für niedrige Werte von Tg eine positive Steigung. Dann ist der Zeitaufwand zu Gunsten der Gesundheit noch gering, seine Grenzproduktivität dn/dtG dagegen (im Absolutwert) groß. Das Produkt aus dTg/d% und dn/dtG in der Klammer der Gleichung (3.31) zeigt nun an, ob eine zusätzliche Stunde Zeitaufwand im Erwartungswert mehr oder weniger als eine Stunde gesund verbrachter Zeit einbringt. Solange sie zu mehr als einer Stunde gesund verbrachter Zeit
106
3 Das Individuum als Produzent seiner Gesundheit
führt, ist der Zähler und damit der Wert der Gleichung (3.31) positiv, und die Transformationskurve hat eine positive Steigung. Anstrengungen zur Erhaltung der Gesundheit haben den Charakter eines Investitionsgutes: Sie machen gleichzeitig mehr Gesundheit und mehr Konsum möglich. Dies entsprach übrigens der ursprünglichen Sichtweise der Gesundheitsökonomik, besonders im Falle der Entwicklungsländer [vgl. MUSHKIN (1962)]. Der in Abbildung 3.5a gezeigte Verlauf der Transformationskurve kann auch als jener Trade-off gelten, der auf aggregierter Ebene zutrifft. Denn in jedem Zeitpunkt ist die Mehrheit der Bevölkerung gesund und hat die Möglichkeit, durch Einsatz von Zeit für präventive Anstrengungen während der laufenden Periode die Dauer der Gesundheitsphase zu verlängern. Dadurch erhöht sich die gesamtwirtschaftliche Produktivität, und somit können zunächst sowohl Gesundheit als auch Konsum gesteigert werden. Aus diesem Grunde entspricht der im 1. Kapitel charakterisierte Trade-off zwischen Konsum und Gesundheit dem in der Abbildung 3.5a dargestellten. Entlang dieser Transformationskurve wird sich allerdings das Gesetz des abnehmenden Grenzertrags früher oder später durchsetzen und die Grenzproduktivität zusätzlicher Zeit zu Gunsten der Gesundheit unter den Grenzwert 1 zurückgehen. Dieser Punkt lässt sich bestimmen, indem man den Zähler der Gleichung (3.31) gleich Null setzt und aus Gleichung (3.29) den Ausdruck für dTg/dn herleitet:
dTg
3 r 11
1
dTg
1
—^ = — - =—=-,Z bzw. ——^— = -5-. 6% a% [itj TC d(l—7C) 7tz
/ o
„^
(3.32)
Eingesetzt in Gleichung (3.31) ergibt sich ein kritischer Wert für die Grenzproduktivität dn/dtG: dC, I-TC2 (3.33) 0, falls Dieser kritische Wert entspricht dem Maximumpunkt Ag der Abbildung 3.5a: Jenseits von Ag ist ein Einfluss auf die Erkrankungswahrscheinlichkeit zwar noch vorhanden, aber zu gering (zu nahe bei null), um zusätzlich aufgewendete Zeit zu Gunsten der Gesundheit noch durch eine Verlängerung der mittleren Gesundheitsphase wettzumachen. Der von unten konkave Verlauf der Grenze der Produktionsmöglichkeiten wird im Anhang [ Gleichung (A.45)] begründet. Was die Darstellung der Präferenzen betrifft, so können die Indifferenzkurven der Abbildung 3.1 bzw. Abbildung 3.3 in den (Cg,Tg)-Raum der Abbildung 3.5a überführt werden, nimmt doch Tg mit (1 — TC) monoton zu [vgl. Gleichung (3.32)]. Dies bedeutet, dass ein Optimalpunkt Q*g notwendig jenseits des Maximumpunkts Ag liegt: Die Gesundheit wird zum Konsumgut. Eine Situation, in der Gesundheit immer noch ein Investitionsgut darstellt, kann mithin kein Optimum sein (Punkt Qg in Abbildung 3.5a kommt nicht in Frage): Niemand strebt freiwillig eine kurze Phase der Gesundheit mit T„ < A' an. 6
6
Schließlich müsste die Bedingung (3.33) |37i:/3fG| < —7i2| auch für den ersten kurzfristigen Trade-qff des Abschnitts 3.4.3.3 gelten: Dies bedeutet, dass die Grenz-
3.4 Gesundheitsproduktion als Einflussnahme auf einen Zufallsprozess
107
Abb. 3.5. Längerfristige Trade-offs zwischen Konsum und gesund verbrachter Zeit a. in der laufenden Periode gesund
b. in der laufenden Periode krank
-TV
produktivität präventiver Anstrengungen in gesundem Zustand im allgemeinen einen niedrigen Wert annehmen wird. Die Opportunitätskosten einer zusätzlichen Verbesserung der Gesundheitschancen erscheinen dann wegen Gleichung (3.27) hoch. Entsprechend wurde für das kurzfristige Optimum Q* der Abbildung 3.3a eine Lage gewählt, die durch einen hohen Absolutwert der GRT und damit der Opportunitätskosten der Gesundheitschancen gekennzeichnet ist. Insgesamt kommt man zur Folgerung 3.11 Auf individueller Ebene hat gesund verbrachte Zeit im Optimum den Charakter eines Konsumguts, nicht eines Investitionsguts. Zugleich führt ihre Eigenschaft als Input in die Pwduktion von Konsumleistungen und Gesundheit dazu, dass stets lange Phasen der Gesundheit angestrebt werden. Die Tatsache, dass die Transformationskurve in Abbildung 3.5a ein Maximum wie den Punkt Ag aufweist, hat noch eine andere Konsequenz. Präferenzunterschiede dürften tendenziell weniger Einfluss auf das beobachtete Gesundheitsverhalten haben als Unterschiede in den Produktionsmöglichkeiten. Denn Präferenzunterschiede können nur zu Verschiebungen der Optimalpunkte zwischen Ag und Bg (und damit zwischen A' und Be auf der T„-Achse) führen, während unterschiedliche individuelle Produktionsmöglichkeiten die Punkte A'g und Bg selber verschieben. Da die Obergrenze von Tg durch „Gesundheit für die gesamte restliche Lebensdauer" (T in Abbildung 3.5a) gegeben ist, bestehen hier erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Menschen, die unmittelbar von ihrem Alter herrühren.
108
3 Das Individuum als Produzent seiner Gesundheit
3.4.4.2 Der Iängerfristige Trade-off bei schlechter Gesundheit Ist das Individuum in der laufenden Periode krank, so muss es sich auf eine Krankheitsphase einstellen, deren Dauer im Erwartungswert analog zur Gleichung (3.29) gegeben ist durch Tk =
Tk : mittlere Zahl der krank verlebten Perioden. (3.34) 1 —% Das auf eine Periode bezogene Zeitbudget der Gleichung (3.26) der Tabelle 3.3 muss entsprechend ersetzt werden durch
Tk = t£+nM.
(3.35)
Das Interesse des Individuums wird sich darauf richten, diese Krankheitsphase tnöglichst abzukürzen. Deshalb wird der nachstehende Trade-off in einem (Q, — 7^)Raum eingetragen (vgl. Abbildung 3.5b). Seine Steigung ist entsprechend gegeben durch [vgl. Anhang, Gleichung (A.61)] dX -dTk dT^ön^ öTk ön dn dM dn dM Diese Steigung ist durchweg negativ, und die Transformationskurve der Abbildung 3.5b verläuft striktfallend. Eine Verbesserung der Gesundheitschancen hat in dieser Situation nie Investitionscharakter, denn sie kann nur durch den Einsatz medizinischer Leistungen bewerkstelligt werden. Diese tragen zwar in durchaus erwünschter Weise zur Verkürzung der Krankheitsphase bei, schmälern dadurch jedoch das Zeitbudget, das für Konsumleistungen zur Verfügung steht und kosten überdies ihrerseits Zeit [nach Maßgabe des Parameters n im Zähler des ersten Summanden der Gleichung (3.36)]. Je nach Höhe des relativen Preises (q/p) kosten die medizinischen Leistungen auch mehr oder weniger viel Geld, das beim Kauf von Konsumgütern fehlt [zweiter Summand der Gleichung (3.36)]. Im übrigen entspricht die Gleichung (3.36) weitgehend der Gleichung (3.28), und aus diesem Grunde müssen die im Teilabschnitt 3.4.3.3 besprochenen Einflüsse auf Lage und Form der Transformationskurve nicht nochmals erörtert werden. 3.4.5 Komplementarität oder Substitutionalität in der Gesundheitsproduktion? 3.4.5.1 Bedeutung der Fragestellung Wichtige Aussagen der Produktionstheorie beziehen sich auf die Beziehungen zwischen den Inputs: Wenn ein Faktor teurer wird und deshalb sparsamer eingesetzt werden muss, führt dies notwendigerweise zu einem Mehreinsatz aller anderen Produktionsfaktoren? Bei nur zwei Produktionsfaktoren und der Annahme der Gewinnmaximierung durch eine Unternehmung lautet die Antwort auf diese Frage eindeutig ja,
3.4 Gesundheitsproduktion als Einflussnahme auf einen Zufallsprozess
109
d.h. es herrscht Substitutionalität. Bei drei und mehr Produktionsfaktoren hingegen werden immer mehr auch Komplementaritätsbeziehungen möglich. So spricht einiges dafiir, dass die Verteuerung der Energie in den siebziger Jahren einerseits zu einer ceteris paribus etwas arbeitsintensiveren Produktionsweise geführt hat, gleichzeitig aber die Einführung neuer Technologien und die damit verbundenen Investitionen behinderte, so dass zwischen Energie und Arbeit eine Substitutionsbeziehung, zwischen Energie und Kapital dagegen eher Komplementarität herrscht [vgl. MAGNUS (1979)]. Eine analoge Fragestellung ist auch im Bereich der Gesundheitsproduktion von erheblichem politischen Interesse. Eine Möglichkeit, die Kostenexpansion im Gesundheitswesen einzudämmen, besteht darin, die Nachfrage nach medizinischen Leistungen zu reduzieren, indem man ihren Nettopreis durch eine Verstärkung der Kostenbeteiligung in der Krankenversicherung anhebt. Da diese Maßnahme auf den Widerstand insbesondere älterer Bevölkerungsgruppen stößt, die in den heutigen Industrieländern die Mehrheit der Stimmbürger ausmachen, bietet sich als möglicher Ausweg die Substitution medizinischer Leistungen durch eigene (insbesondere präventive) Anstrengungen an. Eine Verbilligung dieser Anstrengungen kommt unmittelbar nicht in Frage, müsste sie doch bei der erwerbstätigen Bevölkerung auf eine Senkung des Lohnsatzes hinauslaufen, was einer Umkehr des bisherigen Wirtschaftswachstums gleichkäme. Zudem würde dieses Instrument bei den Rentnern nicht wirken, obschon gerade sie zu den wichtigen Nachfragern medizinischer Leistungen gehören. Der Einsatz eines Produktionsfaktors kann jedoch nicht nur durch eine Verbilligung seines Preises, sondern auch durch eine Erhöhung seiner (marginalen) Produktivität gefördert werden. Es stellt sich also die Frage, ob mit einer verbesserten Produktivität eigener Anstrengungen zur Erhaltung der Gesundheit medizinische Leistungen eingespart werden könnten. Auf den ersten Blick scheint das im Abschnitt 3.4.4 entwickelte Modell auf eine solche Fragestellung keine Antwort zu liefern. Durch die Annahme, dass die Konsumgüter X keinen Einfluss auf den Gesundheitszustand haben, bleibt in der Gesundheitsproduktionyewei'/s nur ein einziger Faktor übrig: Bei guter Gesundheit der Einsatz eigener Zeit tG, bei schlechter Gesundheit die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen M [vgl. Tabelle 3.3, Gleichungen (3.19) und (3.23)]. Zwischen den beiden Inputs scheint mithin überhaupt keine Beziehung zu bestehen. Indirekt besteht jedoch sehr wohl eine Beziehung, die zudem je nach Ausgangssituation einen anderen Charakter annimmt.
3.4.5.2 Substitutionalität im gesunden Zustand Im vorhergehenden Unterabschnitt wurde davon ausgegangen, dass es möglich sei, gezielt die marginale Produktivität eigener Anstrengungen zur Verbesserung der Gesundheitschancen zu erhöhen. Traditionell steht dabei eine verbesserte Ausbildung als Maßnahme im Vordergrund. Sie erhöht aber typischerweise die Produktivität im Markt- wie im Nichtmarktbereich. Auch wenn es gelingen würde, die Wirkung der
110
3 Das Individuum als Produzent seiner Gesundheit
Maßnahme auf den Nichtmarktbereich zu beschränken, so macht die Zeitrestriktion (3.22) des Modells darauf aufmerksam, dass das Zeitbudget nicht so sehr zu Gunsten von tG, sondern von tc, d.h. zu Gunsten der Produktion von Konsumleistungen umgestellt werden könnte. Sobald zudem auch marktfähige Kenntnisse vermittelt werden, kann das erwerbstätige Individuum auf dem Arbeitsmarkt einen höheren Lohnsatz erzielen, was den Eintritt z.B. von Frauen in den Arbeitsmarkt begünstigt und insofern zu einer Umstellung des Zeitbudgets zu Gunsten von tw und möglicherweise zu Lasten von tG führt. Sollte es aber trotz dieser Vorbehalte zu einer Erhöhung von tG kommen, sinkt die Krankheitswahrscheinlichkeit 7t und damit die Wahrscheinlichkeit, in Zukunft medizinische Leistungen in Anspruch zu nehmen. Zudem würden die Phasen der Gesundheit verlängert und insofern die Nachfrage nach medizinischen Leistungen zeitlich hinausgeschoben. Weil aber damit die Lebenserwartung insgesamt vergrößert wird, braucht über den ganzen Lebenszyklus betrachtet die Summe der konsumierten medizinischen Leistungen dadurch nicht notwendig abzunehmen, ein Effekt, der an das sog. Sisyphus-Syndrom im Gesundheitswesen erinnert (vgl. dazu das 14. Kapitel). Kurz- bis mittelfristig hingegen wiirde die Nachfrage nach medizinischen Leistungen gedämpft, und es kommt zur angestrebten Substitution.
3.4.5.3 Komplementarität im kranken Zustand Bildet Krankheit die Ausgangssituation, so fruchtet die Verbesserung der eigenen Produktivität annahmegemäß nichts. Man kann sich aber umgekehrt fragen, welche längerfristigen Auswirkungen eine Intensivierung der medizinischen Behandlung hätte. Sie würde die Genesungswahrscheinlichkeit erhöhen und damit die Voraussetzungen schaffen, dass das Individuum nachher seinen eigenen Beitrag tG zur Erhaltung der Gesundheit leisten kann. In zeitlicher Hinsicht würde die Dauer der Erkrankung im Mittel reduziert, so dass die eigenen Anstrengungen zur Gesundheitserhaltung rascher zum Zuge kommen können. Aus dieser Sicht erweisen sich tG und M plötzlich als Komplemente und nicht Substitute. Diese Überlegungen münden in die Folgerung 3.12 Die Beziehung zwischen eigenen und medizinischen Inputs in die Gesundheitsproduktion ist zustandsabhängig. In gesundem Zustand sind die beiden Inputs Substitute und werden sehr langfristig zu Komplementen. In krankem Zustand sind sie Komplemente. Mit Blick auf die im 4. Kapitel darzustellende empirische Untersuchungen der Gesundheitsproduktion ergeben sich hieraus sehr differenzierte Voraussagen. Fiir grundsätzlich gesunde, junge Gruppen müsste sich zwischen eigenen präventiven Anstrengungen und der Nachfrage nach medizinischen Leistungen eine einigermaßen klare Substitutionsbeziehung ergeben. Je mehr aber eine Stichprobe auch ältere und weniger gesunde Individuen enthält, desto mehr dürften sich Komplementaritätsbeziehungen zwischen den beiden Inputs durchsetzen. Auch auf der regionalen
3.5 Zusammenfassung des Kapitels
111
und nationalen Aggregationsebene müsste die Komplementarität überwiegen, enthalten doch die ausgewiesenen Zahlen auch Fälle höchst intensiver Behandlung, die in Stichproben mit Individualdaten fehlen.
3.5 Zusammenfassung des Kapitels In diesem Kapitel wurden Bedingungen herausgearbeitet, unter denen das Individuum als Produzent seiner Gesundheit handelt. Es wurde der Versuch untemommen, eine Produktionsfunktion für Gesundheit zu entwickeln, die dann im 4. Kapitel als Grundlage zur Interpretation von empirischen Untersuchungen dient. Unsere Hauptergebnisse sind: 1. Das Konzept einer Produktionsfunktion ist der Schlüssel zur Bewertung der Optimalität des Verhaltens eines Individuums sowie des effizienten Einsatzes von knappen Ressourcen. Der Gesundheitszustand des Menschen wird vom Zufall mitbestimmt und ist zudem weder lagerfähig noch handelbar. Dies schließt nicht aus, dass der Gesundheitszustand als Ergebnis eines Produktionsprozesses aufgefasst werden kann. 2. Im Grossman-Modell stellen Gesundheit und Vermögen zwei miteinander verbundene Aktiva dar, deren Werte im Zeitablauf vom Individuum optimal gesteuert werden. In Bezug auf die Gesundheit gilt, dass der Grenznutzen des Haltens einer zusätzlichen Einheit seines Bestands eine konsumtive und eine investive Komponente enthält, die wiederum aus Zins, Abschreibung und einer möglichen Wertänderung des Kapitalguts „Gesundheit" im Zeitablauf bestehen. 3. Aus dem Grossman-Modell lassen sich Nachfragefunktionen nach Gesundheit und medizinischen Leistungen ableiten. Hierfür müssen die allgemeinen Funktionszusammenhänge spezifiziert werden. Die Nachfrage lässt sich dann auf das Lohnniveau, den Preis für medizinische Leistungen, das Alter, den Bildungsgrad und das Vermögen zurückführen. 4. Das Grossman-Modell hat sich in empirischen Studien jedoch lediglich eingeschränkt bewährt. Empirische Studien zeigen, dass der Gesundheitszustand und die Nachfrage nach medizinischen Leistungen negativ und nicht positiv korreliert sind. Somit wird insbesondere die Vorstellung in Frage gestellt, wonach Ausgaben für medizinische Leistungen eine abgeleitete Nachfrage darstellen, die auf eine zugrunde liegende Nachfrage nach Gesundheit zurückgeht. 5. In einem Konzept, bei dem das Individuum durch sein Verhalten Einfluss auf die Übergangswahrscheinlichkeit nimmt, in der Folgeperiode entweder gesund zu bleiben bzw. gesund zu werden, ist die Produktionsfunktion für Gesundheit von dem Gesundheitszustand abhängig, der während der Entscheidungsperiode vorherrscht. Die Gesundheitsproduktion besteht in der Einflussnahme auf die Übergangswahrscheinlichkeiten durch die Wahl der in die Gesundheit investier-
112
3 Das Individuum als Produzent seiner Gesundheit ten Zeit (in der Ausgangslage „gesund") bzw. der nachgefragten medizinischen Leistungen (in der Ausgangslage „krank")-
6. Die kurzfristige marginale Zahlungsbereitschaft für Gesundheit lässt sich darstellen als ein subjektives Abwägen von „Konsum in der laufenden Periode" gegen „Wahrscheinlichkeit, in der Folgeperiode gesund zu sein". 7. Das Besondere an der Gesundheit kann darin gesehen werden, dass sie einerseits das vom Zufall beeinflusste Ziel eines Produktionsprozesses darstellt, andererseits aber die Möglichkeiten des Individuums festlegt, zu diesem Produktionsprozess beizutragen. 8. Die produktiven Möglichkeiten eines Individuums erscheinen in verschiedener Hinsicht vom gerade herrschenden Gesundheitszustand abhängig. Bei guter Gesundheit kann es selber einen Beitrag zur Verlängerung der gesunden Phase leisten und erzielt ein Arbeitseinkommen, das für den Kauf von Konsumgütern verwendet werden kann. Bei schlechter Gesundheit ist es auf medizinische Hilfe angewiesen, arbeitet nicht und erhält ein Transfereinkommen, das nicht nur die Ausgaben für Konsumgüter, sondern auch die Nettoaufwendungen für medizinische Leistungen decken muss. 9. Sowohl im Zustand „gesund" wie „krank" verläuft die kurzfristige Transformationskurve fallend und von unten konkav. Technologischer Wandel im Haushaltsbereich lässt sie in beiden Zuständen steiler verlaufen. Medizinisch-technologischer Wandel, erhöhte Anbieterdichte in der Medizin sowie der Ausbau des Krankenversicherungsschutzes verflachen sie und verschieben sie nach außen, verbunden mit einer Verbesserang der Gesundheitschancen im Zustand „krank". 10. Die von den Ärzten vermutete Instabilität des individuellen Gesundheitsverhaltens erlaubt keinen Rückschluss auf einen Mangel an Rationalität auf Seiten des einzelnen, sondern kann ebenso gut unterschiedliche zustandsabhängige Produktionsmöglichkeiten widerspiegeln. 11. Auf individueller Ebene hat gesund verbrachte Zeit im Optimum den Charakter eines Konsumguts, nicht eines Investitionsguts. Zugleich führt ihre Eigenschaft als Input in die Produktion von Konsumleistungen und Gesundheit dazu, dass stets lange Phasen der Gesundheit angestrebt werden. 12. Die Beziehung zwischen eigenen und medizinischen Inputs in die Gesundheitsproduktion ist zustandsabhängig. In gesundem Zustand sind die beiden Inputs Substitute und werden sehr langfristig zu Komplementen. In krankem Zustand sind sie Komplemente.
3.6 Lektürevorschläge Der Beitrag von GROSSMAN (2000) im HANDBOOK OF HEALTH ECONOMICS befasst sich mit der intra- und intertemporalen Allokation der Zeit und des Vermögens.
3.A Anhang zu Kapitel 3
113
3.A Anhang zu Kapitel 3 In diesem Anhang werden einerseits die zentrale Gleichung (3.5) des GrossmanModells und die Nachfragefunktionen für das reine Investitionsgut-Modell und für das reine Konsumgut-Modell hergeleitet. Andererseits wird für das Modell aus Abschnitt 3.4 der Verlauf der Grenze der Produktionsmöglichkeiten dargestellt. Dies geschieht zuerst kurzfristig für den Zustand der Gesundheit, dann für den der Krankheit, und schließlich längerfristig unter der Annahme einer Extrapolation des geltenden Zustands. 3.A.1 Anhang zu Abschnitt 3.3 Herleitung von Gleichung (3.5) Das Problem lautet
max W= /(•c),x(x)
JJo
e-p%u(tk(H(x)),X(x))dx V
(A.l)
'
unter der Nebenbedingung H(x) = 7[M(x)/(x)] - 5(x)//(x)
(A.2)
und
Ä(x) = rA(x)+Y[tk(H(x))+t'(x)}-P{x)M(x)-D(x)X(x).
(A.3)
Zusätzlich müssen die Nebenbedingungen H[Q]>0
(A.4)
A[0] > 0 H[T] > H' A[T] > 0
(A.5) (A.6) (A.7)
berücksichtigt werden. Hierbei handelt es sich um ein Problem dynamischer Optimierung, das sich unter Verwendung einer Hamilton-Funktion lösen lässt (vgl. z.B. DIXIT (1990, S. 145ff.), BARRO UND SALA I MARTIN (1995, S.498ff.), HOY ET AL. (2001, Kapitel 25)). Die Lagrange-Funktion lautet:
Jo f
r
f[()
/ ( T ) ]
-5(T)H(X)
-H(x))}dx
Y[tk(H(x))+t'(x)}-P(x)M(x)-D(x)X(x)-Ä(x))}dx
vl(H(T)-H')+V2A(T).
114
3 Das Individuum als Produzent seiner Gesundheit
Folglich ist fi(x) der Schattenpreis bzw. Grenznutzen einer Investitionseinheit I(x) in Nutzeneinheiten zum Zeitpunkt 0. X(x) ist der Schattenpreis bzw. Grenznutzen einer Vermögenseinheit zum Zeitpunkt x. Die dazu korrespondierende Hamilton-Funktion, welche die statischen Komponenten vereinigt, ist * =
+
e-<"U(tk(H(x)),X(x))
X(x)[rA(x)+Y{tk(H(x))+t'(x)}-P(x)M(x)-D(x)X(x)}.
Man erhält folgende Bedingungen erster Ordnung: (A.8)
J
dM(x)
dt'(x) v
' Da die Ableitung der Hamilton-Funktion nach den Variablen, die sich verändern, die Veränderung der dazugehörigen Lagrange-Multiplikatoren ergibt,5 gilt zudem 3X(T)
(A.ll)
Die so genannten Transversalitätsbedingungen stellen sicher, dass am Ende des Planungshorizonts der Vermögensbestand nicht negativ ist und das Gesundheitskapital die untere Grenze H' nicht unterschreitet: A[T]X[T}=0
(A.13)
(H[T]-H'W]=0.
(A.14)
Aus dem Envelope-Theorem erhalten wir für die Lagrangemultiplikatoren ^u(x) und X(x) £ f ( x ) = zr-T--
u n d Xx = ......
und somit dU 3/(x)' 3A(x) 5
Vgl. HOY ET AL. (2001, S.1004).
3.A Anhang zu Kapitel 3
115
Der Term 3A(x)/3/(x) entspricht der Vermögensänderung bei einer Erhöhung der Investitionen in Gesundheit um eine Einheit und damit dem Effektiv-Preis der Investitionen in Gesundheit, q(x). Somit gilt die Beziehung /u(x) = X(x)q(x).
(A.16)
Bedingung (A.ll) ist eine Nicht-Arbitrage-Bedingung: Links steht der diskontierte Kapitalgewinn aus Vermögenshaltung in Nutzeneinheiten, rechts der Nutzenverlust aus Erhöhung der Ersparnis. Sie impliziert (A.17) Bedingung (A.12) ist ebenfalls eine Nicht-Arbitrage-Bedingung: Links steht der diskontierte Nutzengewinn aus einem verbesserten Gesundheitszustand zum Zeitpunkt x, rechts der Nutzenverlust aus Erhöhung der Bruttoinvestitionen in Gesundheit. Durch Umformen und Einsetzen von (A.17) erhalten wir
du dtk(x)
dH(x)
(A.18)
Ableiten von (A.16) nach der Zeit und Einsetzen von (A.l 1) führt zu
= X(x)(-rq(x)+q(x)).
(A.19)
Setzt man (A.16) und (A.19) in die rechte Seite von (A.18) ein, so erhalten wir schließlich Gleichung (3.5): dU Ä,[0]e-
• +
dtk(x) dtk{x)
Herleitung der Nachfragefunktionen für das reine Investitionsgut-Modell Für das reine Investitionsgut-Modell vereinfacht sich Gleichung (3.5) zu
dtk(x) dY(x) = q(x)[r-q(x)/q(x)+5(x)}. dH(x) dtk{x)
(A.20)
116
3 Das Individuum als Produzent seiner Gesundheit
Sinkt die krank verbrachte Zeit, so erhöht sich das Einkommen um den Lohnsatz W(x), d.h. dY/dtk(x) = -W(x). Setzt man diese Beziehung in (A.20) ein und teilt beide Seiten durch q(x), so ergibt sich
Die linke Seite dieser Gleichung wird auch als „marginal efficiency of capital" (MEC)-Kurve bezeichnet. Die rechte Seite gibt die Kosten weiterer Einheiten von Gesundheitskapital H{x) wieder. Aus der Bedingung (A.21) lassen sich die Nachfrage nach Gesundheit H(x) sowie die medizinischen Leistungen M{x) ableiten. Die Nachfrage nach Gesundheit Für die Funktion tk{H{x)) wird folgende Form unterstellt: )=ei(tf(T)r92,
e^Gz^O.
(A.22)
Ableiten nach H(x) ergibt
|g|
=
-e1e2(//(x)r^+1).
(A.23)
Einsetzen in (A.21) und Logarithmieren führt zu lny{x) = -(82 + l)lnH(x) + lnW(x) -lnq(x).
(A.24)
(Konstante Terme werden im Folgenden der Einfachheit halber weggelassen). Durch Umformen und Verwendung von e = 1/(62 + 1) < 1 erhalten wir lnH(x) = -e\ny(x)+z\nW(x) -e\nq(x).
(A.25)
Die Elastizität der MEC-Kurve ist somit e < 1. Der Effektiv-Preis der Investitionen in Gesundheit q(x) wird mit Hilfe einer Investitionsfunktion I(x) vom Cobb-Douglas-Typ bestimmt: I(x) = (M(x))p*(//(x))1-P*'ePÄ£,
0 < ßM < 1
(A.26)
Logarithmieren führt zu = ß M lnM(x) + (1 - ßM)lnf7(x) + ß £ £
(A.27)
M(x) entspricht der Menge an medizinischen Leistungen, t'(x) der für Gesundheit aufgewendeten Zeit. ßM>(l —$M),$E sind die Produktionselastizitäten von M(x),t!(x) und dem Bildungsgrad E. Es werden somit konstante Skalenerträge für einen gegebenen Bildungsgrad unterstellt.
3.A Anhang zu Kapitel 3
117
Für ein gegebenes Investitionsniveau werden die Inputs M(x) und t'(x) kostenminimal kombiniert. Die Preise dieser Inputs sind P(x) bzw. W(x). Das zugehörige Kostenminimierungsproblem lautet: min P(x)M(x) + W(x)t!(x) unter der Nebenbedingung (A.26). M(x),t'(x)
Als Bedingung erster Ordnung ergibt sich P{x)
ßM
f;(x)
(A.28)
Daraus folgt die Kostenfunktion
mit einer Konstanten a. Die Stückkosten sind somit konstant. Wir erhalten für die Kosten einer Investitionseinheit: \nq{x) = ß M lnP(x) + (1 - ß M )lnW(x) - ß £ £ .
(A.29)
Durch Einsetzen von (A.29) in (A.25) ergibt sich lnH(x) = -elnY(x) + eß M lnW(x)-eß M lnP(x)+eß £ £'.
(A.30)
Des Weiteren wird angenommen, dass die Abschreibungsrate der Gesundheit sich im Zeitablauf wie folgt ändert: In5(x)=ln5 o + ß8x.
50,ß5>0.
(A.31)
ßs misst den Effekt der Alterung auf die Abschreibung des Gesundheitskapitals. Trifft man die Annahme, dass r - q(%)/q{x) = 0, dann vereinfacht sich Gleichung (A.21) zu y(x) = 8(x). Einsetzen von (A.31) in (A.30) ergibt dann die Nachfragefunktion nach Gesundheit lnH(x) = ß M eln W(i) - ß M elnP(x) - ß 8 ex+ ß £ e£.
(3.6)
Die Nachfrage nach medizinischen Leistungen Die Bedingung erster Ordnung aus dem Kostenminimierungsproblem (A.28) lässt sich umformen zu lnf 7 (x)=lnM(x)+lnP(x)-lnW(x). Einsetzen in (A.27) ergibt ln/(x) = lnM(x) + (1 - ßM) lnP(x) - (1 - ßM) ln W(x) + ß £ £ .
(A.32)
118
3 Das Individuum als Produzent seiner Gesundheit
Auflösen von (A.32) nach M(x) führt zu lnM(x) = ln/(x) - (1 - ß M )lnP(x) + (1 - ßw)lnW(x) - ß £ £ .
(A.33)
Schließlich lässt sich (3.2) umformen zu
Logarithmieren führt zu 8(x))].
(3.7)
Vernachlässigt man den Term ln[l -f//(x)/(//(x)8(x))] und setzt man die Gleichungen (A.31) und (3.7) in (A.33) ein, so ergibt sich die strukturelle Nachfragefunktion nach medizinischen Leistungen lnM(x) = ln//(x) + (1 - ßM) lnW(x) - (1 - ßM) lnP(x) + ßsx - ß £ £ .
(3.8)
Unter Verwendung von (3.6) erhält man schließlich die reduzierte Nachfragefunktion nach medizinischen Leistungen für das reine Investitionsgut-Modell:
Herleitung der Nachfragefunktionen fiir das reine Konsumgut-Modell Für das reine Konsumgut-Modell vereinfacht sich Gleichung (3.5) zu
(A.34, ?(*) Teilt man beide Seiten durch q(%) und nimmt man an, dass r = p [vgl. GROSSMAN (2000, S.374)], so ergibt sich dU (A.35) Wie bei der Herleitung der Nachfragen beim reinen Investitionsgut-Modell gibt die rechte Seite die Kosten weiterer Einheiten von Gesundheitskapital //(x) wieder. Auf der linken Seite steht \|/(x) für den in Geldeinheiten gemessenen Grenznutzen des Gesundheitskapitals.
3.A Anhang zu Kapitel 3
119
Die Nachfrage nach Gesundheit Zur exemplarischen Herleitung der Nachfragefunktionen unterstellen wir wie WAGSTAFF (1986) eine Nutzenfunktion der Form U{i) = ai^{z)^+g{X{x)),
ai<0,00,g"<0.6
(A.36)
Durch Logarithmieren von (A.35) und Verwendung von (A.22) und (A.36) erhält man
= - ( 0 2 + 1) ln//(x) - 9 2 (a 2 - 1) lntf(x) - ln A,(0) - ln^(x) = -(l+a292)ln//(x)-ln?L(0)-ln^(x). Durch Umformen und Verwendung von K = l/(oc292 + 1) < 1 erhalten wir ln#(x) = -Kln\|/(x)-KlnX(O)-Kln(x).
(A.37)
Die Elastizität der Grenznutzen-Kurve ist somit K < 1. Wir unterstellen die gleiche Investitionsfunktion /(x) wie beim reinen Investitionsgut-Modell. Daher können wir lng(x) aus Gleichung (A.29) einsetzen und erhalten ln//(x) = -Kln\)/(x)-KlnX(O)-KßMlnP(x)-K(l-ßM)lnW(x)+Kߣ£. (A.38) Die Abschreibungsrate der Gesundheit entwickle sich gemäß Gleichung (A.31). Erneut verwenden wir die vereinfachende Annahme, dass r — q(x)/q(x) = 0. Folglich ist \|/(x) = 8(x). Einsetzen in (A.38) ergibt dann die Nachfragefunktion nach Gesundheit ln//(x) = - ( 1 - ßM)KlnW(x) - ßMKlnP(x) - ß8KX +
$EKE
- Kln^(0).
(3.10)
Die Nachfrage nach medizinischen Leistungen Die strukturelle Nachfragefunktion (3.8) nach medizinischen Leistungen ist die gleiche wie im reinen Investitionsgut-Modell. Durch Einsetzen von Gleichung (3.10) in (3.8) erhalten wir die reduzierte Nachfragefunktion nach medizinischen Leistungen
(l-ß M )(l-K)lnW(x)-(l-(l-K)ß M )lnP(x) +ß s (l-K)x-ß £ (l-K)£-Kln?i(0). 6
Bei dieser Nutzenfunktion ist zu beachten, dass die Kreuzableitung UXtk Null ist. Bei einer positiven Kreuzableitung ist das Vorzeichen des Lohnsatzes in der Nachfragefunktion nach Gesundheit nicht mehr eindeutig [vgl. GROSSMAN (2000, S.376)].
120
3 Das Individuum als Produzent seiner Gesundheit
3.A.2 Anhang zu Abschnitt 3.4 Produktion im gesunden Zustand, kurzfristig In diesem Abschnitt geht es um die Bestimmung des Vorzeichens von dCg/d{\ — n). Zu diesem Zweck wird zuerst die Gleichung (3.19) differenziert: d ( l - 7 t ) = -d7t = - ^ d /
G
(A.39)
Die totale Differenzierung der Konsum-Produktionsfunktion (3.20) ergibt (einfachheitshalber z.T. ohne das Subskript g)
dCg = | | d X
+
§ldrc
(A.40)
Aus der Budgetbedingung der Gleichung (3.21) geht hervor, dass zusätzliche Konsumgüter nur durch zusätzliche Arbeitszeit finanziert werden können: dX =
-dtw.
Was die Änderung der für den Konsum verfügbaren Zeit (dtc) betrifft, so ergibt sich aufgrund der Zeitrestriktion (3.22) der Ausdruck df =-dtG - dtw.
(A.42)
Setzt man die Ausdrücke (A.41) und (A.42) in die Gleichung (A.40) für ACg ein, so erhält man
Si w
dCg
dtw.
(A.43)
Falls das Individuum Zeit und Güter in der Herstellung von Konsumleistungen optimal einsetzt, entspricht das Verhältnis der Grenzproduktivitäten [(dC/dtc)/(dC/dX)} dem Preisverhältnis w/p, wobei w den sog. Schattenpreis der Zeit (die zur Vergrößerang des Arbeitseinkommens verwendet werden könnte) angibt. Unter dieser Annahme beträgt der zweite Summand von (A.43) Null, und nach Division durch Gleichung (A.39) folgt der im Text [Gleichung (3.27)] besprochene Ausdrack
d(l-7t)
^f- < 0. 3£ dtG
(A.44)
3.A Anhang zu Kapitel 3
121
Die Krümmung der Transformationskurve ist durch das Vorzeichen der zweiten Ableitung d 2 C g /d(l — 7t)2 gegeben. Behandelt man dC/dtc als Konstante, so erhält man mit Hilfe von (A.39) und (A.44)
d(l-7i)
2
G
df
OX
dtG dCe [d(l-7t)J d(l-Tt)
dn ^r-T? dtG
G
dtc
(-1)
df
dCg d2n -
dtc (3rG)2 (-1) G
dt
dtG\
dn]3 dtG\ (-)
(A.45)
Damit ist der von unten konkave Verlauf der Transformationskurve nachgewiesen. Produktion im kranken Zustand, kurzfristig Annahmegemäß kann die Genesungswahrscheinlichkeit nur durch den Einsatz medizinischer Leistungen erhöht werden. Die Differenzierang der Gleichung (3.23) ergibt somit oM
(A.46)
In der Konsum-Produktionsfunktion ergeben sich keine Änderungen, außer dass die marginalen Produktivitäten sowohl der Konsumgüter wie auch der eingesetzten Zeit im Vergleich zur Situation im gesunden Zustand kleinere Werte annehmen dürften dCk — —-dX H
§dtc.
(A.47)
Aufgrund der krankheitsbedingten Budgetrestriktion der Gleichung (3.25) bedingt der Kauf zusätzlicher Konsumgüter einen Verzicht auf medizinische Leistungen: = — dAf. P
(A.48)
Die totale Differenzierang der Zeitrestriktion (3.26) ergibt schließlich: dfc = -fjdM.
(A.49)
Jetzt können die beiden Ausdrücke (A.48) und (A.49) in die Gleichung (A.47) eingesetzt werden, mit dem Ergebnis (A.50)
122
3 Das Individuum als Produzent seiner Gesundheit
Die Division durch Gleichung (A.46) ergibt die Gleichung (3.23) im Text:
dCk dCk
dX p
d(l-Jt) dM
dM (A.51)
Das Vorzeichen dieses Ausdrucks ist eindeutig negativ. Behandelt man dC/dX,q/p und dC/dtc als von M unabhängig, so kann analog zur Gleichung (A.45) gezeigt werden, dass „dC\i
< 0;
(A.52)
die Transformationskurve verläuft wiederum konkav von unten.
Produktion im gesunden Zustand, längerfristig In längerfristiger Betrachtung wird die Zeitrestriktion (3.22) durch (3.30) ersetzt, die ausgeschrieben lautet Tg{%{tG)}=fg+tG + tw. (A.53) Die mittlere Dauer der Phase in gutem Gesundheitszustand kann durch einen Mehraufwand von Zeit tG verlängert werden. Diese Verlängerung ist gegeben durch dTg =-^--^dtG.
(A.54)
Die totale Differenzierung der Gleichung (A.53) und ihre Auflösung nach dtc (mit Subskript g zur Vereinfachung weggelassen) ergibt aufgrand von (A.54) dtc =
1
- dtG - dtw = dTe -
- dt w
'dfi dT„ - dtw
(A.55)
Setzt man die Ausdrücke (A.41) und (A.55) in die Gleichung (A.40) für dCg ein, erhält man 37t
-dTe-dt w a
~3n dt dtc \~SKdtG
(A.56)
3.A Anhang zu Kapitel 3
123
In der Umgebung eines Optimums kann der Summand in dtw vernachlässigt werden [vgl. die Begründung zu Gleichung (A.44)], so dass das Ergebnis lautet [vgl. Gleichung (3.31) im Text]
3Q -1 dCG __ dtc [ dn dtG dTg dTg 3?t 3TI (-)
3fG
(A.57)
(-)•
Die Krümmung dieser Transformationskurve ist durch das Vorzeichen von d2Cg/dTg2 gegeben. Behandelt man trotz der Veränderung der Zeitrestriktion dC/dtc als unabhängig von tG, verwendet Gleichung (A.54) und setzt gemäß Gleichung (3.32) dTg/dn = — 1/JT2 ein, so erhält man d C
dC„l dtG
8
dTg\ dTg dtC
7t2 dtG
- 1 37t
dtc dtG
1 dTg dn
1 + dn 37t
23
dTg
2
7C]
1 <0 - 1 37t (A.58)
(+)
Damit ist der von unten konkave Verlauf auch dieser Transformationskurve nachgewiesen. Produktion im kranken Zustand, längerfristig Da die Zeitrestriktion (3.26) durch (3.35) ersetzt wird, ergibt ihre Differenzierung dTk = -^—dM.
(A.59)
Die zweite Modifikation betrifft die für den Konsum verfügbare Zeit; hier wird die
124
3 Das Individuum als Produzent seiner Gesundheit
Gleichung (A.49) unter Verwendung von (A.59) ersetzt durch
dTk dn
(A.60)
~d%dM
Im Verein mit (A.48) für dX ergibt sich für den Konsum [vgl. Gleichung (A.47)]: dCk \dTk dn
(A.61)
Die Division dieses Ausdrucks durch die Gleichung (A.59) ergibt
dCk ldTk dn dCk -ATk
dtc [ d% dM dTk dn
1 ^\
dCkq dX p dTk dn ~dndM (A.62)
Im Nenner erscheint der Negativwert von Tk, um den Vergleich mit dem Ausdruck (A.57) für den Fall der Gesundheit zu erleichtern.
3.Ü Übungsaufgaben
125
3.Ü Übungsaufgaben 3.1. Beantworten Sie folgende Fragen zum Grossman-Modell: a) Erläutern Sie den Unterschied zwischen Gesundheit als (i) Investitions- und (ii) Konsumgut. b) Aus dem Grossman-Modell lassen sich Nachfragefunktionen nach Gesundheit und nach medizinischen Leistungen ableiten. Erläutern Sie den Unterschied zwischen beiden Nachfragefunktionen. Warum hängt die Nachfrage nach Gesundheit und medizinischen Leistungen vom Alter ab? c) Wie lässt sich mit dem Grossman-Modell erklären, dass in reicheren Gesellschaften die Ausgaben für medizinische Leistungen höher sind? 3.2. Ein Individuum, auf das die Annahmen des Grossman-Modells zutreffen, ist durch folgende Funktionen gekennzeichnet:
tk{H{x)) = Bestimmen Sie, wie sich H{%) und M(x) gemäß der Nachfragekurven nach Gesundheit bzw. nach medizinischen Leistungen ceteris paribus im Zeitablauf entwickeln, falls das Individuum Gesundheit als reines Investitionsgut oder reines Konsumgut betrachtet. Erläutern Sie, waram die beiden Fälle sich unterscheiden. 3.3. Interpretieren Sie folgende Funktionen:
U(x) = aitk(x)a2 +g(X(x)),
ai < 0,0 < oc2 < l.g' > 0 , / < 0,
tI(T))1-toeP*E, In5(t) = l n 5 0 + ß5x.
0 < ß M < 1,
50,ß6>0.
3.4. Bestimmen Sie für das reine Investitionsgut- und das reine Konsumgut-Modell die Nachfragefunktionen nach Gesundheit im Grossman-Modell, wenn die Gesundheitsinvestitionen (i) ausschließlich durch medizinische Leistungen und (ii) ausschließlich durch eigenen Zeiteinsatz erfolgen können. Interpretieren Sie Ihr Ergebnis.
126
3 Das Individuum als Produzent seiner Gesundheit
3.5. Betrachten Sie Abbildung 3.1. 1. Geben Sie die Bedingung dafür an, dass die gezeigte Indifferenzkurve vollkommen senkrecht verläuft. Ist es auch denkbar, dass sie vollkommen waagerecht verläuft? 2. Was für Konsequenzen hätten diese beiden Extremfälle für das beobachtete Verhalten? 3.6. Ein Sozialpolitiker macht den Vorschlag, durch einen Abzug vom Lohn der Erwerbstätigen das Krankengeld zu erhöhen. Was sind die zu erwartenden Auswirkungen in Bezug auf das Gesundheitsverhalten und die Gesundheit der Bevölkerung?
Empirische Untersuchungen zur Gesundheitsproduktion
4.1 Überblick über die Fragestellungen Das im vorhergehenden Kapitel eingeführte Konzept der Transformationskurve für Konsumleistungen und Gesundheit legt eine Reihe von Fragestellungen nahe, die für die Gesundheitspolitik von erheblicher Bedeutung sind. Zur Illustration sei die Zunahme der Lebenserwartung in verschiedenen Industrieländern herausgegriffen (vgl. Tabelle4.1). Während zwischen 1900 und 1930 die mittlere Lebenserwartung (gemessen am Alter der damals Verstorbenen) z.B. in Deutschland jedes Jahr beinahe um 0,5 Jahre zunahm, betrug der Zugewinn zwischen 1930 und 1950 nur noch etwa 0,25 Jahre. Interessanterweise nahm für den Zeitraum zwischen 1950 und 1980 die Lebenserwartung der Frauen in den alten Bundesländern Deutschlands wieder etwas beschleunigt zu - eine Beobachtung, die unter den Industrieländern nur noch für die Frauen Neuseelands zutraf. In den darauf folgenden Jahrzehnten kam es wieder zu einer Verlangsamung der Zunahme der Lebenserwartung, eine Entwicklung, die in den übrigen Industrieländern bereits früher eingetreten ist. In den USA beispielsweise wächst sie jährlich nur noch um 0,139 Jahre bei den Männern und 0,071 Jahre bei den Frauen. Da in allen OECD-Ländern in der Zeit zwischen 1950 und 1998 die realen Gesundheitsaufwendungen je Kopf der Bevölkerung angestiegen sind, haben viele Beobachter aus diesen Daten den Schluss gezogen, dass der marginale Beitrag der Medizin zur Gesundheit gegen null gehe („flat of the curve medicine"). Lässt sich dieser Schluss aufrechterhalten, wenn das ökonomische Konzept der Gesundheitsproduktion zur Anwendung gelangt? Insbesondere die Transformationskurve erinnert daran, dass fiir die eingetretene Entwicklung auch andere Gründe verantwortlich sein könnten, und zwar auf der Output- wie auch auf der Inputseite.
128
4 Empirische Untersuchungen zur Gesundheitsproduktion Tabelle 4.1. Entwicklung der Lebenserwartung bei Geburt in einigen Ländern Jährliche Zunahme (in Jahren) 1900-1930 1930-1950 1950-1980 1980-1998 0,503 0,225 0,164 Deutschlanda) M 0,203 F 0,303 0,483 0,275 0,139 Frankreich 0,300 0,480 0,226 M 0,157 F 0,136 0,343 0,535 0,303 0,343 0,385 Großbritannien M 0,136 0,150 0,350 0,420 0,188 0,096 F 0,027 0,635 0,509 0,136 Japan M 0,057 0,186 F 0,715 0,585 Schweiz M 0,330 0,385 0,203 0,150 0,132 F 0,363 0,410 0,279 USA M 0,327 0,395 0,166 0,139 F 0,343 0,510 0,225 0,071 a) Bis 1991: Alte Bundesländer, danach vereinigtes Deutschland. Quelle: OECD (1987, S.39), OECD (2001)
1. Wahl des Outputindikators: Weder die Lebenserwartung noch die Sterblichkeit der Bevölkerung (ein anderer häufig verwendeter Indikator) gibt unmittelbar Auskunft über den Gesundheitszustand, d.h. jene Größe, die den einzelnen in diesem Zusammenhang interessiert. Nimmt man die im Abschnitt 2.3.2 beschriebenen QALYs zum Maßstab, so tragen zusätzliche Lebensjahre nur dann in vollem Ausmaß zur Zielerreichung bei, wenn sie bei guter Gesundheit verlebt werden. Genau dies wird von manchen Epidemiologen bestritten, indem sie auf den Vormarsch chronischer Krankheiten bei zunehmender Lebensdauer verweisen [vgl. VERBRUGGE (1984)]. Rheumatische Erkrankungen beispielsweise verlaufen selten tödlich, vermindern aber die Lebensqualität und verursachen darüber hinaus viele Absenzen vom Arbeitsplatz und damit erhebliche gesamtwirtschaftliche Kosten. Umgekehrt kann sich nach der gleichen Überlegung auch dann, wenn die Lebenserwartung nicht mehr oder nur mehr verlangsamt zunimmt, der Gesundheitszustand der Bevölkerung dennoch verbessert haben. 2. Konsum und Gesundheit als Output: Falls die Individuen ihre Präferenzen auch nur einigermaßen durchsetzen können, müssen zusätzliche Konsumleistungen letztlich zu Lasten der Gesundheit gehen (vgl. Abbildung 3.5 im Abschnitt 3.4.4). Dieser Zusammenhang wird in jenen Fällen besonders deutlich, wo die zusätzliche Konsumleistung mit einem Mehreinsatz von gesundheitsschädigenden Gütern wie Alkohol und Tabak einhergeht.1 Falls beim Vergleich verschiedener Zeitperioden oder Individuen die Struktur der Präferenzen mitvariiert, besteht die Gefahr der falschen Zurechnung: Eine beobachtete Verschlechterung des Gesundheitszustands kann die Folge einer verstärkten Hinwendung zu 'lm Modell des Abschnitts 3.4.3 sind die Konsumgüter ohne Wirkung auf die Gesundheit. Diese Annahme vereinfacht die mathematische Analyse beträchtlich.
4.2 Untersuchungen anhand von aggregierten Daten
129
Konsumzielen sein, deren negative Auswirkungen nicht vollständig durch eine Zunahme der Produktivität der medizinischen Leistungen ausgeglichen werden konnte. 3. Relative Produktivität der Inputs: Auch wenn die Verlangsamung der Zunahme der Lebenserwartung mit erheblichem Mehraufwand zu Gunsten der Medizin einherging, ist der Rückschluss auf eine abnehmende Grenzproduktivität medizinischer Leistungen nicht zwingend. Nachlassende eigene Anstrengungen zur Krankheitsvermeidung oder andere, bislang noch nicht betrachtete Faktoren (insbesondere Umwelteinflüsse) können für das beobachtete Gesamtergebnis verantwortlich sein. Dieses Argument erinnert daran, dass die relative Grenzproduktivität (zusammen mit den relativen Grenzkosten) über den optimalen Faktoreinsatz in der Produktion entscheidet: In den letzten Jahren könnte insbesondere die Grenzproduktivität einer verbesserten Verkehrssicherheit oder Luftqualität zugenommen haben. 4. Zusammensetzung der Bevölkerung: Je größer der Anteil von betagten Personen mit einer vergleichsweise hohen Erkrankungswahrscheinlichkeit, desto mehr setzen sich die für den Zustand der Krankheit gültigen Trade-offs durch, in denen die Produktivität medizinischer Leistungen relativ zu ihren Alternativen sehr hoch, absolut jedoch eher gering ist. Im Zuge der Alterung der Bevölkerung ist eine verstärkte Konzentration der medizinischen Aufwendungen in den oberen Altersklassen die Folge, also gerade dort, wo zumindest der in zusätzlicher Lebenserwartung gemessene Ertrag gering sein dürfte. Im Folgenden sollen anhand einiger empirischer Untersuchungen diese Fragestellungen wenigstens zum Teil beantwortet werden. Dabei kommen zuerst die Untersuchungen mit Hilfe aggregierter Daten zur Darstellung, weil sie früher entstanden sind, aber auch weil sie einige Fragen aufwerfen, die dann an individuellen Daten besser abgeklärt werden können.
4.2 Untersuchungen anhand von aggregierten Daten 4.2.1 Mortalitätsraten als Erfolgsmaßstab? Weil die amtliche Bevölkerungsstatistik Sterbefälle, aber keine Krankheitsfälle zählt, ist die Auswahl an Indikatoren zur Beschreibung des aggregierten „Outputs" der Gesundheitsproduktion gering: Es handelt sich um (alters- und geschlechtsspezifische) Sterblichkeits- bzw. Mortalitätsraten sowie Lebenserwartungen, die aus der Absterbeordnung berechnet werden können. Aus der Sicht des Individuums macht eine Mortalitätsrate als Outputgröße wenig Sinn, ist doch die Sterbewahrscheinlichkeit langfristig gleich eins. Bezogen auf ein Kollektiv und eine bestimmte Zeitperiode ist sie nur wenig informativ: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein beliebig herausgegriffener Einwohner eines Gebiets das Ende
130
4 Empirische Untersuchungen zur Gesundheitsproduktion
des laufenden Jahres nicht mehr erleben wird, hat fiir die Mehrheit der Bevölkerung kaum Relevanz, weil fast jeder in einem oder mehreren persönlichen Merkmalen vom statistischen Durchschnitt abweicht. Dieser Einwand trifft auf Säuglinge weniger zu als auf ältere Gruppen der Bevölkerung, weil ihre Merkmale noch nicht ausgeprägt sind. Insofern entbehrt die Gewohnheit, die Säuglingssterblichkeit für den Vergleich nationaler Gesundheitssysteme heranzuziehen, nicht einer gewissen Logik. Die Definition des Gesundheitszustandes mit Hilfe von QALYs gemäß Abschnitt 2.3.2 macht aber - auch für den Fall des Säuglings - klar, dass eine Mortalitätsrate stets nur einen extremen „Gesundheitszustand" herausgreift und überdies lediglich über das Wahrscheinlichkeitsgewicht JC/, dieses Zustands Auskunft gibt. Trotz dieser Mängel dienen Mortalitätsraten immer wieder als Outputindikator für empirische Untersuchungen zur Gesundheitsproduktion, weil sie von der amtlichen Statistik erhoben werden und zwischen Regionen und Ländern vergleichbar sind. Als Alternative bietet sich die Lebenserwartung, insbesondere im Zeitpunkt der Geburt, an. Dieser Indikator fasst alle möglichen Gesundheitszustände mit Ausnahme des Todes zu einem einzigen zusammen und misst die Zeitdauer, während der sich das Individuum in diesen Zuständen befindet. Er spiegelt also die Tatsache wider, dass das Erleben eines bestimmten Alters nicht von der aktuellen Überlebenswahrscheinlichkeit, sondern von der gesamten Folge von Überlebenswahrscheinlichkeiten seit der Geburt abhängt. Die Lebenserwartung unterliegt damit notwendigerweise auch weit zurückliegenden Einflüssen auf den Gesundheitszustand, und bei ihrer Bestimmung müssen in besonderem Maße verzögerte Ursache-WirkungsBeziehungen berücksichtigt werden. 4.2.2 Die Grenzproduktivität des Gesundheitswesens Für die ökonomischen Klassiker lag es auf der Hand, dass der Gesundheitszustand sowie insbesondere die Mortalität einer Bevölkerung ganz maßgeblich von wirtschaftlichen Einflüssen abhängen [vgl. MALTHUS (1798)]. Erst gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts erhielt die Medizin die wissenschaftliche Grundlegung, welche ihre ersten Erfolge bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten ermöglichte. Doch erst in den 30er-Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts, als mit den Sulfanomiden die ersten kausal wirkenden Arzneimittel auf den Markt kamen und innerhalb weniger Jahre die Tuberkulose weitgehend zum Verschwinden brachten, begann sich die Auffassung durchzusetzen, dass medizinische Maßnahmen den Gesundheitszustand breiter Bevölkerungsschichten zu verbessern vermögen. 4.2.2.1 Erste Evidenz aus den USA Der Glaube an den entscheidenden Einfluss der Medizin wurde erstmals von AusTER ET AL. (1969) einer Überprüfung aus gesundheitsökonomischer Sicht unterzogen. Die Autoren wählten den amerikanischen Bundesstaat als Beobachtungseinheit
4.2 Untersuchungen anhand von aggregierten Daten
131
und ersetzten vorab die gemessenen Mortalitätsraten durch jene Werte, die sich ergeben würden, wenn ein Bundesstaat die für die ganzen USA gültige Alters- und Geschlechtsstruktur aufweisen würde. Damit trugen sie dem 4. Punkt (Zusammensetzung der Bevölkerung), der im Abschnitt 4.1 genannt wurde, Rechnung. Ohne eine solche Standardisierung würde z.B. Florida mit seinem großen Anteil von Rentnern an der Bevölkerung von vorneherein schlecht abschneiden. Insgesamt wurden vier Gruppen von Faktoren herangezogen, um im Rahmen einer erweiterten CobbDouglas-Produktionsfunktion die verbleibenden Unterschiede der Sterblichkeit (S) zu erklären. Die Autoren unterstellen, dass die standardisierte Sterblichkeitsrate des rten Bundesstaates gegeben sei durch (vgl. Tabelle 4.2):
f f
i
.
i
(4.1)
Darin steht Z,- für wirtschaftliche, X,- für konsumbezogene und M, für medizinische Inputfaktoren, während D, zusätzliche Einflussgrößen symbolisiert, die mit der Organisation der Gesundheitsversorgung zu tun haben (eine Konkretisierung dieser Faktoren folgt in Tabelle 4.2). Die Variable w, schließlich ist eine Zufallsvariable, die die Gesamtheit aller derjenigen Einflüsse auf den „Output" S,- in einem bestimmten Bundesstaat widerspiegelt, die vom Forscher nicht erfasst wurden. Die kompliziert erscheinende Form der Funktion (4.1) löst sich nach Logarithmierung auf in die lineare Gleichung Mi-, mit(zB)
^
(4.2)
^
Mit dem Parameter a kann die Elastizität der Sterblichkeit bezüglich wirtschaftlicher Einflüsse (z.B. bezüglich des Einkommens) geschätzt werden. Die Variablengruppe Di erscheint im Gegensatz zu den übrigen in arithmetischer Form, weil sie auch eine sog. Dummyvariable oder kategorische Variable enthält, die nur die Werte 1 (Merkmal in einem Bundesstaat vorhanden) und 0 (Merkmal nicht vorhanden) annehmen kann. Die Variablen der Gleichung (4.2) wurden von AUSTER ET AL. (1969) weiter differenziert in insgesamt zwölf erklärende Variablen, auch Regressoren genannt (vgl. Tabelle 4.2). •
Wirtschaftliche Faktoren Z,-: Das Einkommen pro Kopf steht für ein Bündel von Einflussfaktoren. Einerseits könnte es Präferenzunterschiede, d.h. einkommensabhängige Grenzraten der Substitution zwischen Konsum und Gesundheit, abbilden. Andererseits beeinflusst das Einkommen auch die aggregierte Grenzrate der Transformation zwischen Konsum und Gesundheit (vgl. Abschnitt 1.2.2). Die mittlere Zahl der Schuljahre spielt deshalb eine Rolle, weil eine verbesserte Ausbildung vermutlich die Produktivität der Individuen nicht nur im Marktbereich, sondern auch im nichtmarktlichen Bereich, und dort insbesondere in der Erhaltung ihrer Gesundheit, steigert. Mit dem Grad der Verstädterung und der
132
4 Empirische Untersuchungen zur Gesundheitsproduktion Industrialisierang werden zwei Indikatoren der Umwelteinflüsse auf die Gesundheit in der Gleichung aufgenommen.
•
Konsumbezogene Faktoren X,: Aus der Menge der konsumierbaren Güter und Leistungen werden jene beiden herausgegriffen, deren gesundheitsschädigende Auswirkungen auf der Aggregatebene am meisten ins Gewicht fallen: Alkoholkonsum und Zigarettenkonsum je Kopf der Bevölkerung.2
•
Medizinische Faktoren M,-; Aufgrund der in den 30er-Jahren einsetzenden Erfolge der medikamentösen Therapie wäre zu erwarten, dass die Arzneimittelausgaben je Kopf der Bevölkerung zu einer besonders niedrigen Mortalitätsrate des Bundesstaates beitragen. Der zweite Faktor ist die Ärztedichte, der international gebräuchlichste Indikator der (potentiellen) Versorgung mit medizinischen Leistungen. Die Autoren führen zudem das medizinische Hilfspersonal als Input in die Produktionsfunktion ein, werden doch viele Verrichtungen in den Praxen und Krankenhäusern von Schwestern und Pflegern wahrgenommen. Der vierte Faktor besteht im Pro-Kopf-Wert von Kapital, das den Krankenhäusern des betreffenden Bundesstaates zur Verfügung steht. Nach weitverbreiteter Auffassung entscheidet die Ausrüstung mit Kapitalgütern über die Möglichkeit, Spitzenmedizin zu betreiben und damit qualitativ hochstehende Behandlung anzubieten.
•
Organisatorische Faktoren /),: Neben den vier medizinischen Inputs werden auch zwei Aspekte der Organisation der medizinischen Versorgung berücksichtigt. Insbesondere verspricht man sich von Gruppenpraxen einen verbesserten Austausch der Information zwischen den Ärzten verschiedener Fachgebiete und auch eine gewisse gegenseitige Qualitätskontrolle. Entsprechend erscheint ihr Anteil am Total der Praxen als erklärende Variable. Der letzte Regressor ist eine Dummyvariable und zeigt an, ob im betreffenden Bundesstaat eine medizinische Fakultät existiert (= 1) oder nicht (= 0).
Eine Kleinstquadrate-Schätzung der in dieser Weise erweiterten Gleichung (4.2) ergab erstaunliche Resultate (vgl. erste Spalte der Tabelle 4.2; für Erläuterungen zu den statistischen Tests vgl. Tabelle 4.3 und 4.4): •
Entgegen herkömmlichen Vorstellungen aus der Entwicklungsökonomik trägt ein erhöhtes Durchschnittseinkommen möglicherweise nicht zu einer niedrigeren, sondern im Gegenteil zu einer höheren Sterblichkeit bei. Die Elastizität ist mit 0,105 vergleichsweise bedeutend, lässt sich aber auf Grund des Standardfehlers von 0,079 nicht eindeutig von null unterscheiden.
•
Eine verlängerte schulische Ausbildung scheint mit einer Elastizität von -0,16 zur Reduktion der Sterblichkeit beizutragen; auch diese Schätzung ist allerdings
2 Damit wird versucht, dem Punkt Nr. 2 des Abschnitts 4.1 Rechnung zu tragen: Konsum (und damit Konsumgüter X{) und Gesundheit sind zwei vom Individuum gleichzeitig festgelegte Größen. Dies bedeutet aber auch, dass die Xj streng genommen keine exogenen, sondern wie Si selbst endogene, von einem zufälligen Fehler abhängige Variablen darstellen. Diese Komplikation wird im Teilabschnitt 4.3.4 aufgegriffen.
4.2 Untersuchungen anhand von aggregierten Daten
133
Tabelle 4.2. Bestimmungsgründe der Sterblichkeit in 48 US-Bundesstaaten, 1960 a) Erklärende Variabaleb' Konstante Pro-Kopf-Einkommen Mittlere Zahl der Schuljahre Bevölkerungsanteil in städtischen Agglomerationen Beschäftigungsanteil Industrie Alkoholkonsum pro Kopf Zigarettenkonsum pro Kopf Arzneimittelausgaben je Kopf d^ ZahlderÄrztejeKopf d) Medizinisches Hilfspersonal je Kopf d ' Kapitalbestand der Krankenhäuser je Kopf d ' Anteil der Gruppenpraxen Existenz einer med. Fakultät (l=ja, 0=nein) Rl Elastizität in Bezug auf medizinische Leistungen (Arzneimittelausgaben, Zahl der Ärzte, medizinisches Hilfspersonal und Kapitalbestand, jeweils pro Kopf)
Kleinste Quadrate0^ -0,065 (0,157) 0,105 (0,079) -0,161 (0,121)
Zweist. Schätzung0) 0,037 (0,251) 0,183 (0,116) -0,288 (0,216)
-0,001 0,051* -0,002 0,094 -0,070 0,143* -0,190** -0,004 0,007 -0,034** 0,639 -0,121
-0,001 0,042 0,013 -0,097 -0,076 0,044 -0,031 -0,109 0,007 -0,024 0,586 -0,172
(0,005) (0,023) (0,037) (0,053) (0,040) (0,064) (0,076) (0,048) (0,012) (0,012)
(0,005) (0,040) (0,044) (0,058) (0,066) (0,111) (0,195) (0,141) (0,021) (0,019)
a) Natürlicher Logarithmus der alters- und geschlechtsstandardisierten Mortalitätsraten b) Natürlicher Logarithmus, ausgenommen die Dummyvariable „Existenz einer Fakultät"; die ausgewiesenen Koeffizienten sind also Elastizitäten [vgl. auch Gleichung (4.2)] c) Die Werte in Klammern geben die Standardfehler der geschätzten Koeffizienten an d) Diese Regressoren gelten als endogen und werden im zweistufigen Verfahren durch ihre geschätzten Wert ersetzt (vgl. auch Tabelle 4.4). Quelle: AUSTER ET AL. (1969)
nicht gut gegen null gesichert. Die beiden anderen Variablen, die zu den Umwelteinflüssen im weiteren Sinne gezählt werden können, der Grad der Verstädterung und der Industrialisierung, ergeben sich widersprechende Resultate. •
Man könnte erstaunlicherweise behaupten, dass im „Kampf gegen den Tod" nur gerade das medizinische Hilfspersonal mit einer Elastizität von -0,19 erkennbar Erfolg hat, während eine erhöhte Ärztedichte die Sterblichkeit im betreffenden Bundesstaat unter sonst gleichen Umständen nicht niedriger, sondern höher ausfallen lässt.
Solche überraschenden Schätzresultate geben Anlass zu kritischen Einwendungen. Ein Einwand ergibt sich unmittelbar aus dem Teilabschnitt 4.2.1, wo darauf hingewiesen wurde, dass die in der laufenden Periode gemessene Lebenserwartung (und damit auch die aktuelle Mortalitätsrate) von Einflüssen abhängen, die mehr oder weniger weit zuriick im Lebenslauf der Verstorbenen zu suchen sind. Die Mor-
134
4 Empirische Untersuchungen zur Gesundheitsproduktion
Tabelle 4.3. Eine einfache Produktionsfunktion für Gesundheit und ihre empirische Schätzung, Teil 1
Kleinstquadrate-Schätzung (ordinary least squares, OLS) st = c' + azi + ßx; + ymi + 8Dj + ut mit
(4.2)
st s lnSi,c' = lnc,zi = lnZ,-,jc; = lnX, und m; = lnM,-.
«;: Zufallsvariable. Annahme: u, ist normalverteilt mit Erwartungswert E(ui) = 0 und konstanter Varianz Var(uj) in jedem Bundesstaat i, unabhängig von allen Regressoren (zi,Xi,mi,Di). •
Die gesuchten Parameterwerte c,ä, ß,y, 5 werden so bestimmt, dass die Summe der quadrierten Abweichungen zwischen beobachteten (s,-) und berechneten Werten (f,) der abhängigen Variablen minimal wird:
i — c' — äii — ßxi — 'wii — SDi) —» min.
Da s,- die Zufallsvariable w,- enthält, sind auch die Schätzwerte c,a, ß,y,8 Zufallsvariablen und haben eine Varianz bzw. einen Standardfehler (o&)> der seinerseits geschätzt werden kann. Beispiel in Tabelle 4.2: a = 0,105,6 a = 0,079 für die Variable „ProKopf-Einkommen". Die normierten Schätzkoeffizienten (z.B. ä/üä) sind f-verteilt. Dies bedeutet, dass eine Abweichung vom Nullwert im Betrage von |a/6&l — 0 > 1,96 höchstens in 5% aller Fälle vorkommen wird, wenn tatsächlich zutrifft, dass oc = 0. Abweichungen im Betrag von | a / 6 a | - 0 > 2,58 sollten sogar höchstens in 1% und solche von | ä / 6 a | - 0 > 3,29 in 0,1% aller Fälle auftreten (Signifikanzniveau von 5%, 1%, 0,1%). Beispiel in Tabelle 4.2: ä/&& = 0,105/0,079 < 2; der Koeffizient der Variablen „Pro-Kopf-Einkommen" ist (mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5%) nicht von null verschieden. Die Güte der erreichten Anpassung an die beobachteten Werte der abhängigen Variablen wird ausgedrückt durch den Bestimmtheitskoeffizienten R , d.h. den Anteil an der Varianz der abhängigen Variablen, der nicht der Zufallsvariablen M,- zugeschrieben werden muss ( = 0,639 oder 64% in Tabelle 4.2).
talitätsraten eines amerikanischen Bundesstaates des Jahres 1960 dürften mithin von Verhältnissen bestimmt sein, die viele Jahre zurückliegen (über die jedoch kaum Daten vorhanden sind). Ein zweiter wichtiger Einwand betrifft die angenommene Richtung der Kausalität. Die Kleinstquadrate-Schätzung der Tabelle 4.2 legt die Interpretation nahe, dass zusätzliche Ärzte die Mortalität erhöhen, beispielsweise durch eine zu hohe Behandlungsintensität im Sinne der angebotsinduzierten Nachfrage (vgl. dazu Abschnitt 8.3). Die Kausalität könnte aber ebenso gut umgekehrt verlaufen: Dort, wo sich die Menschen einem erhöhten Sterberisiko ausgesetzt sehen, ist die Nachfrage nach ärztlichen Leistungen besonders groß, was die Ärzte veranlasst, sich vermehrt
4.2 Untersuchungen anhand von aggregierten Daten
135
Tabelle 4.4. Eine einfache Produktionsfunktion für Gesundheit und ihre empirische Schätzung, Teil 2
Zweistufige Schätzung (two stage least squares, 2SLS) m,- = c" + a"zi + Kn + isi{ui) + u't •
• •
Diese Gleichung stellt den vermuteten umgekehrten Einfluss der Sterblichkeit auf mi (z.B. die Ärztedichte) dar, wobei r, für andere Bestimmungsfaktoren von m,- und wj für eine andere Zufallsvariable steht. Damit ist m; ein Regressor, der über si vom Störterm ui der Gleichung (4.2) abhängt und damit endogen ist. Eine Fehlerbereinigung von m; kann mit einer Vorregression (1. Stufe) erfolgen, die OLS-geschätzten Parameterwerte c",a"zi und k ergibt. Die bereinigten Werte von m, sind dann gegeben durch m , = c " + a'z, + Kr,-.
•
(4.3)
Die Gleichung (4.2) wird in der 2. Stufe mit m, statt m, als Regressor geschätzt, wiederum mit OLS.
Weitergehende Erläuterungen finden sich in Lehrbüchern der Ökonometrie [vgl. z.B. GREENE (2000).].
im betreffenden Bundesstaat niederzulassen. Eine ähnliche Umkehr der Kausalitätsbeziehung könnte auch auf die übrigen drei Komponenten der medizinischen Leistungen zutreffen. Für die Variablen der medizinischen Leistungen (Arzneimittelausgaben, Zahl der Ärzte, medizinisches Hilfspersonal und Kapitalbestand, jeweils pro Kopf) sind also zusätzliche Regressionsgleichungen zu postulieren, die - unter anderen Faktoren auch die Mortalitätsrate als erklärende Variable enthalten. Diese Regressoren werden damit vom gleichen zufälligen Störterm beeinflusst, der in der zu schätzenden Gleichung erscheint. Sie können mit Hilfe einer Vörregression auf sämtliche exogenen Größen der Tabelle 4.2 (und einige zusätzliche als exogen aufgefasste Größen) von ihrem sog. Endogenitätsfehler bereinigt werden (vgl. dazu Tabelle 4.3 und 4.4). Erst nach dieser Bereinigung gehen sie in einer zweiten Stufe als erklärende Variable in die Schätzgleichung ein (rechte Spalte der Tabelle 4.2). Dieses zweistufige Schätzverfahren führt zu den folgenden Ergebnissen: •
Der Unterschied zwischen dem (gesundheitsschädigenden) Einkommen und der (gesundheitsfördemden) schulischen Ausbildung tritt noch stärker zu Tage, wobei beide Elastizitäten die üblichen Signifikanzgrenzen nicht ganz erreichen.
•
Die beiden Umweltvariablen (Verstädterung, Industrialisierung) bleiben ohne statistisch gesicherten Einfluss.
136
4 Empirische Untersuchungen zur Gesundheitsproduktion
•
Die am stärksten mit dem individuellen Gesundheitsverhalten verbundenen Größen - der Alkoholkonsum und der Zigarettenkonsum - tragen nach wie vor nicht statistisch erkennbar zur Erklärung der Mortalitätsunterschiede bei.
•
Drei von vier Komponenten der medizinischen Infrastruktur stehen in einer negativen Beziehung zur Mortalität, mit Ausnahme wiederum der Ärztedichte, deren Elastizität allerdings nicht von null unterscheidbar ist.
•
Auf Grand der Summe der Koeffizienten der Variablen der medizinischen Faktoren würde eine durchgängige Verstärkung der medizinischen Infrastruktur um 10% die Sterblichkeit um rund 1,7% reduzieren (gegenüber nur 1,2% in der Kleinstquadrate-Schätzung), während man mit einer 10% längeren Schuldauer die Sterblichkeit um bis zu 2,9% senken könnte. Die „Gefahr" dieser zweiten Alternative bestünde darin, dass die verbesserte Ausbildung zu einem erhöhten Einkommen führt, was dem Koeffizienten des Pro-Kopf-Einkommens zufolge einem gesunden Lebensstil abträglich ist.
Die bisherigen Erkenntnisse lassen sich zusammenfassen in der Folgerung 4.1 Misst man den Beitrag verschiedener Inputs zur Gesundheitsproduktion an der Senkung der Mortalitätsrate, so gibt es Anzeichen dafiir, dass die Grenzproduktivität der medizinischen Infrastruktur in den USA kleiner sein könnte als diejenige einer verlängerten Schulbildung. Einschränkend ist allerdings festzuhalten, dass diese Folgerung auf Beobachtungen basiert, die mehr als dreißig Jahre zurückliegen und somit die Entwicklung der Spitzenmedizin noch nicht wiedergeben. 4.2.2.2 Evidenz aus dem Vergleich von Industrieländern I Die Arbeit von AUSTER ET AL. (1969) führte zu ähnlichen Untersuchungen an Daten der in der OECD (Organization for Economic Cooperation and Development) zusammengeschlossenen Industrieländer. Unter ihnen ist diejenige von COCHRANE ET AL. (1978) besonders erwähnenswert, weil sie statt altersbereinigter globaler Mortalitätsraten altersspezifische Mortalitätsraten als abhängige Variablen verwendet, was die statistischen Testmöglichkeiten vervielfacht. Die sieben in Tabelle 4.5 aufgeführten erklärenden Variablen sind aus 17 Regressoren aufgrund von Einfachkorrelationen ausgewählt worden: Sie wiesen stabile und statistisch signifikante Korrelationskoeffizienten in den meisten Altersgruppen und bezüglich dreier spezifischer Sterblichkeiten (Mütter, Geburten, Säuglinge) auf. Tabelle 4.5 basiert also auf Regressionen des Typs St = C+aXu + ßZ2,,- +... + q>X7i,- + uh
(4.4)
wobei Si die gruppenspezifische Mortalitätsrate im OECD Land i,Xij,X2ti,...,Xjti die sieben ausgewählten Regressoren in Tabelle 4.5 und oc,ß, ...(p die zu schätzenden Parameter darstellen.
4.2 Untersuchungen anhand von aggregierten Daten
137
Tabelle 4.5. Bestimmungsgriinde spezifischer Mortalitätsraten in 18 Industrieländern, um 1970 Veränderung der Mortalitätsrate in % Einflussfaktor (Erhöhung um Altersgruppen 1 Standardabweichung) Müt- Gebur- Säugter ten linge 1-4 5-14 15-24 25-34 35-44 45-54 55-64 17* 1 8* -1 Ärzte a) 1 4 -3 -3 0 3 _9* BSP a ) -11* 1 -16* -8* 1* -7 -15 -5 0 Zigaretten a) 7 25 8* 10* 4 2 1 5 5 7 Alkohol a) 18 0 -3 5* 0 -3 1 -1 -1 0 _9* 0 Bev. Dichte -2 -3 -7* -7 -1 1 -2 -2 Öff. Anteil b) 2 0 -3 -2 -16* -10* -9 -6 Zucker a) -29 -8* -A -3 -8 -11 -8 -3 -5 -6 0,72 R2 0,90 0,97 0,55 0,42 0,79 0,65 0,57 0,55 0,62 *: Schätzung beruht auf einem Regressionskoeffizienten mit einem Signifikanzniveau von mindestens 5% a) Werte pro Kopf der Bevölkerung b) Anteil der öffentlichen Gesundheitsausgaben am Total, „Interventionsindex". Quelle: COCHRANE ET AL. (1978)
Um die relative Wichtigkeit von Einflüssen zu berechnen, müssen Veränderungen in X normiert werden. Eine Möglichkeit besteht darin, prozentuale Änderungen zu vergleichen. Beginnend mit ^r-=a>
also
^
/J
=a-^=Ti,-(5f,Xi)
kann man den Koeffizienten a der Regression in eine Elastizität r\i(S,Xi) transformieren. Im Gegensatz zur konstanten Elastizität, die aus der doppelt logarithmierten Formulierung von Gleichung (4.2) abgeleitet wurde, variiert diese Elastizität über die Beobachtungen. Um eine Schätzung fi(5,Xi) der Elastizität zu bekommen, die für die gesamte Stichprobe repräsentativ ist, wird häufig mit den Stichprobenmittelwerten (S,X\) gearbeitet. Damit ergibt sich:
Hat man also z.B. ein OLS-Schätzung von a, so kann man die Elastizität fj (S, X\) an der Stelle {S,X\} berechnen. Sie gibt eine Schätzung dafür an, um wie viel Prozent sich die Mortalität verändert, wenn sich Xi um ein Prozent verändert. Eine andere Möglichkeit, die in der Psychologie und in der Soziologie häufig angewandt wird, besteht darin, die Variablen durch ihre Standardabweichungen zu normieren.
138
4 Empirische Untersuchungen zur Gesundheitsproduktion
Man erhält dann, indem man nicht wie in Gleichung (4.5) durch S sondern durch ö$ dividiert:
*?>=ä^ =(&)?* mit
a s = [Var(S)]1/2
und
(4.6)
6X] = [Var(Xi)]1/2.
Der Regressionskoeffizient, um das Verhältnis der Standardabweichung des Regressors und der abhängigen Variablen (auch „Beta Koeffizient" genannt) bereinigt, gibt dann an, um das wievielfache der Standardabweichung sich die Schätzung der Mortalität ändert, wenn X\ um eine Standardabweichung verändert wird. Wie in Tabelle 4.5 gezeigt, benutzen COCHRANE ET AL. (1978) eine Mischung der beiden in Gleichung (4.5) bzw. (4.6) definierten Ansätze. Während Veränderungen der erklärenden Variablen normiert wurden, um Zunahmen in Form einer Standardabweichung auszudrücken (z. B. durch Setzen von BX^/dx, = 1), wird die induzierte Veränderung der abhängigen Variablen in Prozent ausgedrückt (dSi/dS aus Gleichung (4.5), was durch Multiplikation von dSi/das mit ös/S erreicht wird). Die erklärenden Variablen Bevölkerungsdichte und öffentlicher Anteil sind gegenüber der Untersuchung von AUSTER ET AL. (1969) fiir die USA neu. Bei Infektionskrankheiten insbesondere der Atemwege geht man traditionell von der Vermutung aus, dass eine hohe Bevölkerungsdichte die Ausbreitung von Epidemien begünstige (vgl. auch Teilabschnitt 4.3.4). Die fast durchwegs negativen Vorzeichen der entsprechenden Zeile weisen allerdings darauf hin, dass diese Erwartung durch die Erfahrang der Industrieländer um 1970 nicht bestätigt wird. Der Anteil, der durch öffentliche Mittel gedeckten Gesundheitsaufwendungen (Variable öffentlicher Anteil; von den Autoren Interventionsindex genannt), beruht auf der Vorstellung, dass die Öffentliche Hand ihren finanziellen Einfluss zu Gunsten von Gesundheitsleistungen geltend macht, die weniger bloßen Komfortansprüchen genügen, sondern zur Senkung der Sterblichkeit beitragen. Die Schätzresultate lassen sich wie folgt charakterisieren: •
Die Rolle des realen Sozialprodukts je Kopf (BSP) entspricht den herkömmlichen Vorstellungen. Eine Erhöhung des BSP um eine Standardabweichung ist mit einem Rückgang der Sterblichkeit bei der Geburt (11%), in den ersten vier Lebensjahren und in den letzten zehn Jahren des Erwerbslebens (9%) verbunden (Zeile 2 der Tabelle 4.5).
•
Im internationalen Vergleich ergeben sich vermehrt Hinweise auf mortalitätssteigernde Wirkungen von Zigarettenkonsum und Alkoholkonsum (Zeilen 3 und 4).
•
Ein hoher Anteil der von der Öffentlichen Hand finanzierten Gesundheitsausgaben scheint mindestens in den Altersklassen der 15-24-jährigen und der 25-34jährigen, möglicherweise auch in den übrigen Altersklassen, die Sterblichkeit zu senken.
4.2 Untersuchungen anhand von aggregierten Daten •
139
Von den geprüften ernährungsbezogenen Variablen (Aufnahme von Kalorien, von Protein, von Fett und Zucker pro Kopf und Tag) entfaltet am ehesten der Zuckerkonsum eine Wirkung auf die Mortalität, die erstaunlicherweise negativ ausfällt (vgl. Zeile 7).
Doch eines der „Rätsel" aus der Studie von AUSTER ET AL. (1969) bleibt bestehen: Länder mit einer hohen Ärztedichte weisen unter sonst gleichen Umständen eine höhere Geburten- und Säuglingssterblichkeit auf (Zeile 1 der Tabelle 4.5). Die These von der Umkehr der Kausalitätsrichtung, wonach höhere Sterblichkeit die Einkommenschancen im Gesundheitswesen verbessert und so eine höhere Ärztedichte nach sich zieht, kann in diesem Zusammenhang kaum überzeugen. Zum einen fallen Migrationen von Ärzten zwischen den OECD-Ländern im Gegensatz zu den Bundesstaaten der USA (mit Ausnahme britischer Ärzte in die USA) kaum ins Gewicht. Zum anderen müssten hohe Sterblichkeitsraten in den einkommensstarken mittleren Altersklassen die Ärzte besonders stark anziehen - gerade dort ist aber der geschätzte partielle Zusammenhang eher negativ statt positiv. Eine alternative Erklärung könnte auf der Substitutionsbeziehung zwischen eigenen gesundheitsfördernden Leistungen und medizinischen Leistungen beruhen. Entgegen den in Abschnitt 3.4.3 entwickelten Modellvorstellungen ist denkbar, dass z.B. im „kranken" Zustand der ersten Monate des Lebens nicht die medizinische Betreuung (M), sondern die Fürsorge der Mutter für das Wohlergehen des Kindes entscheidend ist. Dann kann ein hoher Wert von M (ermöglicht durch eine entsprechend hohe Ärztedichte) das Zeichen einer Substitution mütterlicher Zuwendung sein, die der Gesundheit des (vielleicht unerwünschten) Säuglings abträglich ist [vgl. die Untersuchung von GROSSMAN UND JACOBOWITZ (1981) für Hinweise in diese Richtung].
4.2.2.3 Evidenz aus dem Vergleich von Industrieländern II MlLLER UND FRECH (2000) untersuchen die Einflussfaktoren der Gesundheitsproduktion in 21 Industrieländern für das Jahr 1985. Mittels einer Regressionsanalyse wird die Restlebenserwartung (als Indikator der Gesundheit) bei Geburt im Alter von 40 und von 60 Jahren anhand von aggregierten OECD Daten erklärt. Dabei steht die Wirkung der pharmazeutischen Gesundheitsausgaben im Zentrum der Fragestellung. In Tabelle 4.6 sind die Resultate der doppelt logarithmischen Schätzung aufgeführt.3 Folgende Schlüsse in Bezug auf die pharmazeutischen Gesundheitsausgaben lassen sich ziehen:
3 Ursprünglich haben die Autoren die Schätzungen der Gesundheitsproduktion getrennt für beide Geschlechter durchgeführt. Es hat sich gezeigt, dass die Daten zusammengefasst und gemeinsam analysiert werden können. Die Dummyvariable Frauen ermöglicht die Schätzung eines geschlechterspezifischen Achsenabschnittes: Die Summe der Konstanten und des Koeffizienten der Variablen Frauen bilden zusammen den Achsenabschnitt, d.h. die Konstante der Restlebenserwartungen der Frauen.
140
4 Empirische Untersuchungen zur Gesundheitsproduktion
Tabelle 4.6. Geschätzte Gesundheitsproduktionsfunktionen mit konstanter Elastizitäta) 1985 Restlebenserwartung im Alter im Alter von 40 von 60 bei Geburt -0,026 -0,534* -0,895 Konstante 0,039** Frauen 0,100** 0,137** 0,017* Pharmazeutische Gesundheitsausgabenb) 0,005 0,040** -0,011 -0,015 Nichtpharmazeutische Gesundheitsausgaben0^ 0,005 0,012 0,057** 0,088** Pro-Kopf-Einkommen 0,002 -0,007 Anteil Raucher -0,010 -0,009" -0,019 -0,014 Alkohol pro Kopf, in Liter (Alkohol) x (Frauen) 0,017** 0,015** 0,031** 1,404** 0,955** 0,910** Konsum tierischer Fette, pro Kopf -0,105** -0,073** -0,071** Konsum tierischer Fette, quadriert 0,952 0,911 0,909 Adjustiertes R2 42 42 42 Stichprobengröße *,**: Koeffizient mit Irrtumswahrscheinlichkeit von 10% bzw. 5% von null verschieden. a) Alle Variablen gehen in logarithmierter Forrn in die Schätzung ein (außer Dummy variable Frauen). b) Die pharmazeutischen Gesundheitsausgaben wurden gemäß pharmazeutischer Kaufkraftparität in US $ transformiert. c) Die übrigen Gesundheitsausgaben wurden gemäß medizinischer Kaufkraftparität in US $ transformiert. Regressor
Quelle: MILLER UND FRECH (2000)
•
Die pharmazeutischen medizinischen Leistungen haben eine ausgesprochen produktive Wirkung auf die Restlebenserwartung. Eine Verdoppelung der pharmazeutischen Ausgaben würde die Restlebenserwartung im Alter von 40 Jahren um 2, im Alter von 60 gar um 4 Prozent erhöhen (wobei die Fehlerwahrscheinlichkeiten unter 10 bzw. 5 Prozent liegen). Bezogen auf die Lebenserwartung bei Geburt weisen die pharmazeutischen Ausgaben jedoch keinen statistisch signifikanten Einfluss auf.
•
Die marginalen Effekte einer Erhöhung der pharmazeutischen Ausgaben um eine Einheit (d.h. um einen US $), gemessen in gewonnenen erwarteten Lebenstagen, ist in Ländern mit relativ niedrigen (hohen) pharmazeutischen Gesundheitsausgaben am höchsten (geringsten). Dies ist allerdings ein Resultat der doppelt logarithmischen Schätzgleichung, die per Definition abnehmende marginale Effekte postuliert (nicht aus der Tabelle 4.6 ersichtlich).
•
Die marginalen Effekte auf die erwartete Restlebenserwartung sind bei den 60jährigen größer als bei den 40-jährigen. Zudem scheinen die Frauen stärker von einer Erhöhung der pharmazeutischen Ausgaben profitieren zu können (nicht aus der Tabelle 4.6 ersichtlich).
4.2 Untersuchungen anhand von aggregierten Daten
141
Die Wirkung der übrigen Regressoren lassen sich wie folgt zusammenfassen: •
Das Einkommen pro Kopf hat einen positiven und signifikanten Einfluss (außer bei der Lebenserwartung bei Geburt) auf die Restlebenserwartung. Eine Verdoppelung des Einkommens führt zu einer sechsprozentigen Erhöhung der Restlebenserwartung bei den 40-jährigen, während der erwartete Zuwachs bei den 60jährigen gar 9 Prozent beträgt.
•
Nichtpharmazeutische Gesundheitsausgaben haben dagegen in jeder der drei Schätzgleichungen keinen statistisch relevanten Einfluss auf die Restlebenserwartung. Miller und Frech schließen aus diesem Ergebnis, dass (1) die OECDLänder der Stichprobe „on the flat of the curve medicine", d.h. in einem Bereich sind, wo zusätzliche Ausgaben effektiv keinen marginalen Einfluss mehr haben, oder (2) die Gesundheitsausgaben pro Kopf endogen sind, d.h. ihrerseits von der Gesundheit abhängig sind.
•
Die übrigen den Konsum erfassenden Variablen weisen mehrheitlich das erwartete Vorzeichen auf, sind aber nicht durchwegs signifikant von null verschieden.
Der Erklärungsgehalt der Schätzungen, quantifiziert mit dem Anteil der erklärten Varianz an der Gesamtvarianz, liegt bei jeder der drei Schätzgleichungen über 90 Prozent. 4.2.2.4 Evidenz aus dem Vergleich von zwei Nachbarregionen Manchmal lässt sich aus dem direkten Vergleich zweier Gebiete, die in fast allen Merkmalen übereinstimmen, viel lernen [vgl. FUCHS (1974)]. Utah und Nevada eignen sich für einen solchen Vergleich, sind sie doch zwei aneinandergrenzende Bundesstaaten der USA, beide dünn besiedelt und mit demselben Wüstenklima, so dass Umwelteinflüsse auf die Gesundheit von Anfang an vernachlässigt werden können. Trotzdem unterschieden sich ihre Mortalitätsraten des Jahres 1970 ganz erheblich: Schon die Säuglingssterblichkeit lag in Nevada um 42% (Knaben) bzw. 35% (Mädchen) über dem Wert Utahs (vgl. Teil A der Tabelle 4.7). In der Altersklasse der 40-49-jährigen war die Sterblichkeit in Nevada sogar 54% (Männer) bzw. 69% (Frauen) höher. Anstelle der globalen Sterblichkeit können die Mortalitäten infolge bestimmter Todesursachen betrachtet werden (Teil B der Tabelle 4.7). Dabei fällt auf, dass 3039-jährige Männer in Nevada beinahe siebenmal so häufig an den Folgen einer Leberzirrhose oder eines Lungenkrebses (sog. „bösartiger Neubildungen in den Atemwegen") starben. An einer Unterversorgung mit medizinischen Leistungen in Nevada kann es kaum liegen, wiesen doch die beiden Gebiete eine vergleichbare Ausstattung mit Ärzten und anderen Beschäftigten im Gesundheitswesen auf (Variablen Nr. 1 und 2, Teil C der Tabelle 4.7).
142
4 Empirische Untersuchungen zur Gesundheitsproduktion
Tabelle 4.7. Sterblichkeit und einige mögliche Einflussfaktoren in Nevada und Utah, 1970 Altersklassen < 1 1-19 20-29 30-39 40-49 50-59 60-69 A. Sterblichkeit in Nevada M 142 116 144 137 154 138 126 (Utah=100) F 135 126 142 148 169 128 117 B. Sterblichkeit infolge Leber- M 690 211 306 217 zirrhose und Lungenkrebs F 543 396 305 327 (Utah=100) C. Mögliche Einflussfaktoren Nevada Utah 1. Ärzte je 10.000 Einwohner FÜ3 13^8 2. Nichtärztliches Personal je 10.000 Einwohner 161 180 3. Medianwert des Pro-Kopf-Einkommens (US$) 10.942 9.356 4. Medianwert der Schuljahre 12,4 12,5 5. Anteil der ländlichen Bevölkerung in % 19,1 19,4 6. Anteil der über 20-jährigen, die im gleichen Staat 10 63 geboren sind, in % 7. Anteil der über 5-jährigen, die 1970 den gleichen Wohnort 36 54 hatten wie 1965, in % 8. Anteil der 35-64-jährigen, die ledig, geschieden oder wie47,4 25,5 der verheiratet waren, in % Quelle: FUCHS (1974)
Was die wirtschaftlichen Faktoren betrifft, so war zwar das durchschnittliche Einkommen (Variable Nr. 3) in Nevada 16% höher als in Utah, doch auf Grund der in Tabelle 4.2 vorgestellten Elastizitätsschätzungen könnte dieser Umstand die Mortalitätsrate um 1,6 bis höchstens 2,9% anheben, was bei weitem nicht genügen würde, um den Unterschied zwischen Utah und Nevada zu erklären. Die Dauer der schulischen Ausbildung schließlich war in beiden Bundesstaaten die gleiche (Variable Nr. 4, Medianwert der Schuljahre), und von den Vorzügen des Lebens auf dem Lande profitierten die Bewohner der beiden Bundesstaaten in gleichem Maße (Variable Nr. 5, Anteil der ländlichen Bevölkerung). Auf der Suche nach Erklärangen stößt man schließlich auf Dinge, die einen sehr unterschiedlichen Lebensstil in den beiden Bundesstaaten verraten. So war Nevada offenbar zumindest bis in die siebziger Jahre von einer außerordentlich starken Zuwanderung geprägt, betrug doch der Anteil der Erwachsenen, die in Nevada selbst geboren sind, nur gerade 10%, in Utah immerhin 63% (vgl. Variable Nr. 6). Nach fünf Jahren wohnten in Nevada lediglich 36% am selben Ort (Variable Nr. 7), beinahe die Hälfte der 35-64-jährigen Männer war dort ledig oder aber nicht mehr mit der ersten Ehefrau verheiratet (Variable Nr. 8). Diese Angaben zeichnen das Bild einer außerordentlich mobilen, ja instabüen Gesellschaft in Nevada - und tatsächlich liegen ja Las Vegas und Reno mit ihren Spielkasinos in Nevada, während im benachbarten Utah die Mormonen mit ihren Abstinenzgeboten den Ton angeben. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass die Lebensgewohnheiten einen vielfach größeren Einfluss auf die Sterblichkeit haben als die medizinische Versorgung.
4.2 Untersuchungen anhand von aggregierten Daten
143
4.2.2.5 Gesundheitsproduktion in den schweizerischen Kantonen Auf regionalen Daten beruht auch eine Untersuchung über die Produktion der Gesundheit in der Schweiz, welche den Gesundheitszustand als theoretische, nicht unmittelbar messbare Größe auffasst, die mithin auch durch mehrere Indikatoren repräsentiert werden kann. Durch die gleichzeitige Verwendung mehrerer (wenn auch für sich genommen jedesmal ungenauer) Indikatoren lassen sich insbesondere die Nachteile der Sterblichkeit als Maß der Gesundheit auf aggregierter Ebene etwas mildern, auf die im Teilabschnitt 4.2.1 hingewiesen wurde. Im Rahmen der sog. strukturellen Kovarianzanalyse [vgl. JÖRESKOG (1973)] wird zusätzlich zum strukturellen Kern ein lineares Messmodell mitgeschätzt. Eine frühe Anwendung der strukturellen Kovarianzanalyse ist in Abbildung 4.1 illustriert. Im Zentrum der Abbildung 4.1 befindet sich eine sehr rudimentäre Produktionsfunktion, welche die Gesundheit (G) von der Produktivität der Individuen (P) einerseits und dem Einsatz medizinischer Mittel (M) andererseits abhängig macht. Alle drei Größen (G,P,M) sind latente Variablen, die sich in Indikatoren niederschlagen, welche ihrerseits durch Messfehler verwischt sind. Der Gesundheitszustand (G) der Bevölkerung eines Kantons wird zum einen durch die Mortalitätsrate, standardisiert auf die Altersstruktur der gesamtschweizerischen Bevölkerung (MORT) repräsentiert.4 Den zweiten Indikator bilden die Ergebnisse der Gesundheitsprüfung bei der militärischen Musterung. Es handelt sich um den Anteil der Stellungspflichtigen ohne negativen Befund (ANTLG). Da sich dieser Indikator ausschließlich auf knapp 20-jährige Männer bezieht, müsste er im Rahmen des postulierten Zusammenhangs weniger zuverlässig sein, d.h. einen größeren Messfehleranteil an der Gesamtvarianz als MORT aufweisen. Auch zur Messung der Produktivität der Individuen (P) stehen nur gerade zwei Indikatoren zur Verfügung, einerseits das Pro-Kopf-Einkommen (YPKOPF), andererseits die Zahl der Diplomempfänger von höheren Fach- und Berufsprüfungen je Kopf der Wohnbevölkerung (DIPLOMD). Besonders der Indikator (YPKOPF) könnte auf Grund der Ergebnisse von AUSTER ET AL. (1969) und des Vergleichs zwischen Nevada und Utah auch Aspekte des Lebensstils abbilden, die nicht unbedingt gesundheitsfördemd zu sein brauchen. Auch hier ist also mit Messfehlern im Rahmen des zugrundegelegten Modells zu rechnen. Die medizinischen Leistungen (M) schließlich werden durch die gesamte Ärztedichte ohne Unterscheidung zwischen Allgemein- und Fachärzten (ARZTD) sowie durch die Bettendichte im Kanton (BETTEND) gespiegelt. Die Modellbildung mit latenten Variablen wirft oft Probleme der statistischen Identifikation auf [vgl. GOLDBERGER (1974)]. Im vorliegenden Fall lassen die Pfade der Abbildung 4.1 vermuten, dass z.B. ein besonders hoher Wert von MORT auf vier verschiedene Arten zustandekommen kann, zwischen denen sich nicht von vornherein unterscheiden lässt: (1) ein hoher positiver Messfehler (Pfeil von links); 4
So wie in den USA der Bundesstaat Florida, so zeichnet sich in der Schweiz z.B. der Kanton Tessin durch eine besonders hohe Sterblichkeit aus, die zum Teil auf seine Eigenschaft als „Rentnerparadies" zurückzuführen ist.
144
4 Empirische Untersuchungen zur Gesundheitsproduktion
Abb. 4.1. Produktionsfunktion mit latenten Inputs und Outputs, 25 Schweizer Kantone 0,918 (0,39) 0,382 (0,31)
(2) eine Verbindung zwischen latenter Variable und Indikator (Pfeil von G auf MORT), die Unterschiede in G überzeichnet; (3) ein starker Einfluss auf die latente abhängige Variable (z.B. Pfeil von M auf G); (4) ein hoher Wert der latenten exogenen Variablen (z.B. M), der anhand der Indikatoren nicht als solcher erkannt zu werden braucht. Die hier gewählte Normierung besteht darin, die Beziehungen zwischen latenten Größen und Indikatoren auf 1:1 festzulegen und sie lediglich durch Messfehler verfälschen zu lassen. Auf diese Weise entspricht eine Logarithmierung der Indikatoren zwingend einem Kernmodell von der Form
= alnP+ßlnM, mit
r\(G,P)
mit
(4.7)
ß = r|(G,M).
Da zu jedem geschätzten Parameter Standardfehler gehören (in der Abbildung 4.1 in Klammern eingetragen), lassen sich die Schätzergebnisse wie folgt interpretieren: •
Am ehesten in die Nähe statistischer Signifikanz kommt d = r\(G,P) = 0 , 5 8 , während zwischen M und G ein statistisch gesicherter Zusammenhang fehlt, ist doch ß = f|(G,M) = 0,38 kleiner als sein Standardfehler.
•
Das Verhältnis von r\(G,P) zu fj(G,M) fällt mit 0,58/0,38 = 1,5 etwa gleich hoch aus wie das Verhältnis der Produktivitäten zusätzlicher Ausbildung und medizinischer Inputs bei AUSTER ET AL. (1969) von 1,6 (= 0,288/0,172, vgl. Tabelle 4.2).
•
Die negative Kovarianz zwischen den latenten Größen P und M von -0,47 deutet darauf hin, dass auf aggregierter Ebene die Substitutionalität zwischen eigenen
4.2 Untersuchungen anhand von aggregierten Daten
145
und medizinischen Aufwendungen zur Erhaltung der Gesundheit den Ausschlag geben könnte (vgl. Abschnitt 3.4.5.2). Abschließend muss im Falle der Schweizer Kantone auf die unbefriedigende Qualität der zur Verfügung stehenden Indikatoren hingewiesen werden. Die Varianz von MORT beträgt insgesamt 0,33 in der Stichprobe, diejenige des Messfehlers 0,146 (= 0,382 2 , vgl. den auf MORT gerichteten Messfehlerpfeil in Abbildung 4.1). Etwa 44% der Varianz von MORT sind im Rahmen dieses einfachen Modells demnach auf Messfehler zurückzuführen; dieser Anteil steigt sogar auf über 90% im Falle von ANTLG, dem sehr partiellen, für militärische Zwecke geschaffenen Indikator. Ähnlich ungünstig liegen auch die Verhältnisse bei den Indikatoren der exogenen Variablen, erweisen sich doch die Messfehlereinflüsse auf deren Varianz als die Parameter mit der höchsten statistischen Signifikanz. Versuche, vor allem auch Veränderungen des Lebensstils durch Indikatoren zu erfassen und mit der Veränderung der Lebenserwartung in Verbindung zu bringen, wurden von WOLFE (1986) sowie WOLFE UND GABAY (1987) unternommen. Die Beobachtungseinheiten bildeten 7 bzw. 22 OECD-Länder, deren Daten ebenfalls der strukturellen Kovarianzanalyse unterworfen wurden. Da die Koeffizienten des Kernmodells durchwegs die üblichen Signifikanzgrenzen nicht erreichen, müssen Fragen bezüglich des Zusammenhangs zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und den dazugehörigen Anpassungen des Lebensstils einerseits und dem Gesundheitszustand andererseits immer noch als nicht vollständig geklärt gelten. Untersuchungen anhand von Individualdaten könnten dazu weitergehende Aufschlüsse liefern (vgl. Abschnitt 4.3). Die Ergebnisse der vier letzten Teilabschnitte lassen sich zusammenfassen in der Folgerung 4.2 Untersuchungen sowohl mit nationalen wie auch kleinräumlichen regionalen Daten bestätigen die Auffassung, dass Unterschiede in den Mortalitätsraten vergleichsweise wenig auf die medizinische Infrastruktur (und insbesondere die Ärztedichte) zurückgeführt werden können. Entscheidend scheint vielmehr die Produktivität der Individuen bei der Sicherung ihrer Gesundheit zu sein. 4.2.3 Die Grenzproduktivität einzelner medizinischer Maßnahmen Die gesundheitsökonomische Forschung hat sich vergleichsweise wenig mit dem Beitrag einzelner medizinischer Maßnahmen zum Gesundheitszustand der Behandelten befasst, wohl aus zwei Gründen. Erstens gab die international beobachtete „Kostenexplosion" Anlass zum Verdacht, dass der Aufwand im Gesundheitswesen ganz generell ein das Optimum übersteigendes Ausmaß angenommen habe. Zweitens erhielten die Ökonomen selten Zugang zu klinischen Daten, es sei denn, das Ziel der Untersuchung bestand darin, für eine bestimmte pharmazeutische oder medizintechnologische Innovation den Nachweis eines vorteilhaften Kosten-Nutzen-Verhältnisses zu erbringen.
146
4 Empirische Untersuchungen zur Gesundheitsproduktion
Die Lücke zwischen der Betrachtung auf Makroebene und spezifischen, jedoch nicht produktbezogenen Untersuchungen ist überwiegend von Epidemiologen und Medizinsoziologen geschlossen worden. Sie untergliedern die globale Mortalität nach Sterbeursachen, schätzen den jeweils möglichen Beitrag einzelner medizinischer Maßnahmen zu ihrem Rückgang ab und aggregieren die so erhaltenen Effekte zu einer Gesamtwirkung. So hat beispielsweise M C K E O W N (1976) insbesondere den historischen Verlauf der Sterblichkeit infolge von Infektionskrankheiten untersucht und nachgewiesen, dass zu einer Zeit, als die entsprechenden Krankheiten (Typhus, Pocken, Scharlach bis hin zur Tuberkulose und Lungenentzündung) noch gar nicht medizinisch behandelt werden konnten, die entsprechenden Mortalitätsraten in einer Reihe von Industrieländern bereits im Sinken begriffen waren. MCKINLAY ET AL. (1989) beschränken ihre Untersuchung auf die USA, weiten sie dafür auf eine Reihe von Krankheitskategorien aus. •
Infektionskrankheiten: Ihre Eindämmung ist für ungefähr 40% der Gesamtreduktion der Mortalitätsrate zwischen 1900 und 1973 verantwortlich. Von zehn in dieser Kategorie zusammengefassten Krankheiten gelingt es nur bei dreien (Grippe, Keuchhusten und Kinderlähmung), namhafte Reduktionen der spezifischen Mortalitätsraten von 25% oder mehr mit einer medizinischen Innovation (Impfung) in Verbindung zu bringen. Aggregiert man diese drei Kategorien, so lassen sich etwa 3,5% des Rückgangs der Gesamtmortalität der Vereinigten Staaten seit 1900 medizinischen Fortschritten bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten zuschreiben.
•
Chronische Krankheiten: Hier sind zwei Hauptgruppen zu unterscheiden, HerzKreislauf-Krankheiten (die zurzeit ein Drittel der Todesfälle überhaupt ausmachen) und Krebs. In der ersten Gruppe geht die Mortalitätsrate seit etwa 1978 in den USA zurück, während sie beispielsweise in den alten Bundesländern Deutschlands bis Mitte der achtziger Jahre weiterhin anstieg [vgl. KANNEL UND THOM (1984)]. Der Umstand, dass die Mortalitätsrate vor allem außerhalb des Krankenhauses zurückgegangen ist, lässt einen Erfolg präventiver Anstrengungen vermuten; entsprechend konnten nur rund 9% der Mortalitätsreduktion auf die Behandlung von Bluthochdruck zurückgeführt werden. Bei den Krebserkrankungen beschränkten sich die medizinischen Erfolge auf den Hodenkrebs bei jungen Männern und die lymphozytische Leukämie bei Kindern, die aber zusammen nur etwa 8% der Erkrankungen ausmachen. Dagegen geht ein steigender Anteil der Sterbefälle auf Lungenkrebs zurück, bei dem nachgewiesenermaßen das Rauchen insbesondere von Zigaretten den entscheidenden Risikofaktor ausmacht. Der Rückgang der Mortalität infolge des Herzschlags schließlich scheint zur Hauptsache eine geringere Häufigkeit von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und weniger den Erfolg der Behandlung widerzuspiegeln.
MCKINLAY ET AL. (1989) ergänzen das Bild einer nur bedingt erfolgreichen modernen Medizin durch zwei überraschende Tatsachen. Erstens nahm die Zahl der verlorenen Arbeitstage je Person sowie die Häufigkeit langfristiger gesundheitsbedingter Einschränkungen der üblichen Tätigkeit in den USA seit den fünfziger Jah-
4.2 Untersuchungen anhand von aggregierten Daten
147
ren zu.5 Zweitens verlängerte sich zwar zwischen 1964 und 1985 in den USA die Lebenserwartung bei Geburt um 4,4 Jahre bei den Männern und 4,5 Jahre bei den Frauen, nicht aber die Lebensdauer frei von Behinderung, die sich dann ergibt, wenn man die Überlebenswahrscheinlichkeit mit der bedingten Wahrscheinlichkeit multipliziert, ohne Behinderung weiterzuleben. Die so bereinigte Lebenserwartung ging im Zeitraum von 1964 bis 1985 um nicht weniger als 7,3 Jahre (Männer) bzw. 7,6 (Frauen) zurück. Gewinne von 3,9 bzw. 3,2 Jahren ergeben sich allerdings bei den über 65-jährigen. Insgesamt legen diese Abschätzungen die Vermutung nahe, dass der auf nationaler Ebene kaum erkennbare oder sogar perverse Zusammenhang zwischen Indikatoren des Gesundheitszustandes und medizinischen Aufwendungen seine Entsprechung in der Sterblichkeitsentwicklung bei wichtigen Krankheitskategorien hat. In einer überwiegend gesunden Bevölkerung dürften andere Inputs bei der Produktion von Gesundheit eine entscheidendere Rolle spielen (vgl. dazu die Ausführungen in den Abschnitten 3.4.3 und 3.4.4). 4.2.4 Umwelt- und Konjunktureinflüsse auf den Gesundheitszustand Auf der Ebene aggregierter Daten hat es seit AuSTER ET AL. (1969) kaum mehr Versuche gegeben, Umwelteinflüsse auf den Gesundheitszustand aufzuspüren, möglicherweise weil in jener Untersuchung weder der Urbanisierungsgrad noch der Industrialisierungsgrad systematisch mit den Mortalitätsraten in den Bundesstaaten der USA in Verbindung gebracht werden konnten (vgl. Teilabschnitt 4.2.2.1). Eine Ausnahme bildet die Untersuchung von LOPEZ ET AL. (1992), die zwischen der Wasserqualität und Sterblichkeit an Magen- und Darmkrebs in den 50 Gemeinden von Nuevo-Leön in Mexiko eine Verbindung nach der Art einer Transformationskurve der Abschnitte 3.4.3 und 3.4.4 herstellen. Die Individuen müssen Konsum und Wasserverschmutzung gegeneinander abwägen; zugleich haben sie auf beide Größen Einfluss: •
Einerseits erweitert die Schaffung von Arbeitsplätzen in der Industrie die Konsummöglichkeiten und verschärft dafür das Problem der Wasserverschmutzung;
•
Andererseits entschärft die Installation von fließendem Wasser und einer Kanalisation zwar das Problem der Wasserverschmutzung, schränkt dafür aber die Konsummöglichkeiten ein.
Die Autoren finden empirische Belege fiir die Existenz eines Trade-offs zwischen Konsum und Lebenserwartung. Dabei stellt sich überraschenderweise heraus, dass eine höhere Analphabetenquote und eine höhere Bevölkerungsdichte mit einer niedrigeren Krebssterblichkeit einhergehen. 5
Ein Teil dieser Zunahme ist allerdings auf die verbesserte soziale Sicherung im Krankheitsfalle zurückzuführen. Es handelt sich dabei um die in den Abschnitten 6.4 und 6.5 diskutierten Moral Hazard-Effekte, die allerdings von MCKINLAY ET AL. (1989) als geringfügig eingeschätzt werden.
148
4 Empirische Untersuchungen zur Gesundheitsproduktion
Auf der Ebene aggregierter Daten hat die Frage der Auswirkungen konjunktureller Schwankungen auf den Gesundheitszustand besondere Beachtung gefunden. Den Ausgangspunkt der Debatte bildete eine Untersuchung von BRENNER (1979), die anhand von Jahresdaten von 1936-1976 einen signifikanten statistischen Zusammenhang zwischen der Mortalitätsrate und der Arbeitslosenquote in England und Wales fand. Die beiden wichtigsten anderen erklärenden Variablen waren der Trendwert des realen Pro-Kopf-Einkommens, sowie die Abweichung des laufenden Einkommens von diesem Trend. Diese Zusammenhänge werden damit begründet, dass Arbeitslosigkeit den Betroffenen zu einer Neuaufteilung seines Zeitbudgets und die damit verbundene Einkommensreduktion zu einer Anpassung seines finanziellen Budgets zwingt. Beide Anpassungen stellen erhebliche Belastungen dar, die sich in einem schlechten Gesundheitszustand bis hin zu einer erhöhten Sterbewahrscheinlichkeit niederschlagen. Im Rahmen des im 3. Kapitel entwickelten Modells lässt sich der Einfluss der wirtschaftlichen Instabilität durch eine plötzliche Veränderung mehrerer Produktivitäten darstellen. Im gesunden Zustand könnte durch die plötzliche Einkommensreduktion sowohl der Beitrag der eigenen Zeit zur Versorgung mit Konsumleistungen (dCg/dtc) wie auch zur Tiefhaltung des Erkrankungsrisikos (dn/dtG) zurückgehen [vgl. Abschnitt 3.4.4.1, Gleichung (3.31)]. Beide Veränderungen lassen den längerfristig gültigen Bereich der Produktionsmöglichkeiten im (Cg,7^)-Raum schrumpfen; die zweite verschiebt zudem den Maximumpunkt Ag der Transformationskurve nach innen, was cet. par. zu einer besonders ausgeprägten Verkürzung der Gesundheitsphase führt (vgl. Abbildung 3.5). Im kranken Zustand könnten die verschlechterten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen insbesondere den Beitrag medizinischer Leistungen zur Genesung mindern [(dn/dM) absolut kleiner in Gleichung (3.23)], mit dem Ergebnis einer erhöhten minimalen Krankheitsdauer. Diese Auswirkung kann im Extremfall in eine erhöhte Sterblichkeit umschlagen; insofern haben die von Brenner gefundenen Zusammenhänge durchaus eine theoretische Grundlage. Die Tabelle 4.8 enthält eine Schätzung für die globalen Mortalitätsraten in England und Wales, Schottland sowie eine gemeinsame Schätzung für alle Länder, die somit auf einer verdoppelten Zahl der Beobachtungen beruht [vgl. BRENNER (1983)]. Die wichtigsten Ergebnisse sind die folgenden: •
Es gibt statistische Hinweise dafür, dass die gesamtwirtschaftliche Arbeitslosenquote und noch ausgeprägter die Arbeitslosenquote der über 20-jährigen Männer mit Verzögerungen von bis zu zwei Jahren die Mortalitätsrate ansteigen lässt.
•
Der Zigaretten- und (in Schottland) der Spirituosenkonsum tragen statistisch erkennbar zur Erklärung der Mortalitätsrate bei.
•
Die Gesundheitsausgaben (für den National Health Service) scheinen eine sterblichkeitssenkende Wirkung zu entfalten, ähnlich wie in der länderübergreifenden Studie von COCHRANE ET AL. (1978) im Teilabschnitt 4.2.2.2. Nicht ganz einsichtig ist allerdings, weshalb die Gesundheitsausgaben nicht in ihrer absoluten Höhe eine Rolle spielen sollen, sondern nur als Anteil der öffentlichen Ausgaben.
4.2 Untersuchungen anhand von aggregierten Daten
149
Tabelle 4.8. Mortalitätsraten in England und Wales sowie Schottland, 1954-76 [V]a>
England und Schottland Wales 32,8*** Konstante -3,53 -0,013*" -0,025*** Reales Einkommen pro Kopf, Trend _ Reales Einkommen, A zum Vorjahr -0,003* Arbeitslosenquote b ' 0,355** 31,6" [1-2] Arbeitslosenquote, 20-40J. Männer 5,10*" 0,704* [0-2] 7,25*** Arbeitslosenquote, 40+j. Männer 0,840* [0-2] -0,344** Wöchentliche Arbeitszeit, Industrie 0,0027*** 0,0030*** Zigarettenkonsum je Kopf [2-5] 10,1*** Spirituosenkonsum je Kopf -20,6*** -14,0 Gesundheitsausg./öff. Ausgaben [1] Mittlere Februartemperatur 0,97 Rl 0,95 1,90 2,68 DW (nach Cochran/Orcutt-Transformation)0'
Zusammen (N=50) 15,4*** -0,013** — 0,035** 0,986" 0,981* 0,001* -4,5* -0,016* 0,96 2,08
*(**,***): Koeffizient mit Irrtumswahrscheinlichkeit von 5% (1%, 0,1%) von null verschieden - : Nicht geschätzt 0: Wegen t-Wert bei null aus der Regression ausgeschlossen a) [V] = Verzögerung in Jahren, je nach Schätzgleichung b) Die Arbeitslosenquote Schottlands ist nicht durchwegs bekannt; sie wird durch diejenige des Vereinigten Königreichs ersetzt c) Die Cochran/Orcutt-Transformation ist ein Verfahren, um die Schätzgleichung von allfälliger sog. Autokorrelation in den Störgrößen zu befreien. Ein hoher Wert von p = Corr(üt,üt-\), d.h. eine hohe Korrelation der Residuen über die Zeit hinweg, ist ein Indikator solcher Autokorrelation. Das Testmaß von Durbin und Watson (DW) nimmt im Falle p = 0 den Wert 2 an. Ist der ZW-Wert signifikant von 2 verschieden, kann die Schätzgleichung mit (1 — p) durchmultipliziert werden (Cochran/Orcutt-Transformation), um dann von der Autokorrelation bereinigte Schätzwerte für die Regressionskoeffizienten und ihre Standardfehler zu erhalten [vgl. GREENE (2000, Abschnitt 13.7)]. Quelle: BRENNER (1983)
•
Die in Tabelle 4.8 gezeigte Schätzgleichung bewährt sich auch bei der Analyse der Sterblichkeit infolge von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Herzerkrankungen durch Himschlag, Leberzirrhose, Selbstmord, Mord, Autounfällen und bei Säuglingssterblichkeit, indem durchwegs sehr hohe Bestimmtheitskoeffizienten R2 erreicht werden.
Die Untersuchungen von Brenner sind von GRAVELLE (1984) einer umfassenden Kxitik unterzogen worden, bei der drei Punkte im Vordergrund stehen. 1. Ungenaue theoretische Grundlegung: Eigentlich gehen gemäß Tabelle 4.8 die Wirkungen auf die Gesundheit vom Konsum von Konsumgütern wie Tabak und Alkohol aus, die nach Maßgabe des verfügbaren Einkommens beschafft werden
150
4 Empirische Untersuchungen zur Gesundheitsproduktion können. Dann gehört aber das Einkommen selber nicht in die Gleichung, außer es wird als Indikator des allgemeinen Lebensstils verwendet, etwa in der Art von AUSTER ET AL. (1969), vgl. Teilabschnitt 4.2.2.1.
2. Simultanitätsproblem: Veränderungen des Gesundheitszustandes (die sich teilweise in der Sterblichkeit niederschlagen) beeinflussen das Arbeitseinkommen. Das Einkommen kann insofern nicht als vorherbestimmt aufgefasst werden, sondern enthält seinerseits eine stochastische Komponente, die mit der Mortalität positiv korreliert ist. Der Einfluss von Einkommensschwankungen auf die Mortalitätsrate wird dadurch überschätzt. Auch der Einfluss der Arbeitslosenquote wird überzeichnet, weil Einkommensentwicklung und Arbeitslosigkeit eng miteinander verbunden sind. 3. Funktionelle Form: Da der Trendwert des Einkommens als Funktion der Zeit regelmäßig und auf Grund eines angenommenen Exponentialtrends sogar beschleunigt zunimmt, ist der Zeitpunkt absehbar, ab dem das Modell negative Mortalitätsraten voraussagt. Schließlich wird gänzlich vernachlässigt, dass die abhängige Variable nicht die Mortalitätsrate der Arbeitslosen, sondern eine Linearkombination der Raten von Arbeitslosen und dem Rest der Bevölkerung darstellt. Da die Gewichte dieser Linearkombination näherungsweise durch die Arbeitslosenquote (UNt) und ihr Komplement (1 - UNt) gegeben sind,6 müsste die Schätzgleichung korrekterweise Regressoren wie UNf und UNtAY,(AY,: Veränderung des Realeinkommens) enthalten, deren Variation im Verlaufe des Konjunkturzyklus besonders ausgeprägt ist. Dadurch würde der Zusammenhang zwischen der Mortalitätsrate und der Arbeitslosenquote UNt vom jeweiligen Betrag von UNt und AYt abhängig gemacht. Besonders dieses letztgenannte Argument lässt die von Brenner geschätzten Regressionsgleichungen als mangelhaft erscheinen und erklärt, weshalb GRAVELLE ET AL. (1981) zeitliche Instabilitäten der geschätzten Koeffizienten gefunden hatten. Zu diesem Bild passen auch die sehr unterschiedlichen Wirkungsverzögerungen, die z.B. beim Zigarettenkonsum mit zwei bis fünf Jahren ausgewiesen werden (vgl. Tabelle 4.8). In einer vergleichenden Untersuchung von vier Industrieländern [vgl. BRENNER (1985)] gehen die Verzögerungen sogar von null Jahren (Schweden) über 16 (Frankreich) bis hin zu 18 Jahren (Dänemark). Eine Nachschätzung mit den Einkommensvariablen, der Arbeitslosenquote und dem Zigarettenkonsum der Tabelle 4.8 mit Daten der Bundesrepublik Deutschland (1955-79) ergab schließlich wiederholt negative geschätzte Effekte der Arbeitslosigkeit auf altersspezifische Mortalitätsraten, vermutlich weil in Rezessionsphasen viele (kränkliche) ausländische Arbeitskräfte ihre Stelle verloren und das Land verlassen mussten [vgl. JOHN (1983)].
6
Die Arbeitslosenquote bezieht sich üblicherweise auf die erwerbstätige Bevölkerung und nicht auf die Gesamtbevölkerung. Dieser Unterschied wird einfachheitshalber hier vernachlässigt.
4.3 Untersuchungen anhand von Individualdaten
151
Diese Feststellungen geben Anlass zur
Folgerung 4.3 Dass wirtschaftliche Instabilität sowohl die Eigenpwduktivität des Individuums wie auch die Produktivität der medizinischen Leistungen mindern könnte, ist theoretisch plausibel. Die statistische Evidenz für einen solchen Zusammenhang ist jedoch zurzeit noch nicht sehr überzeugend, nicht zuletzt deshalb, weil sie sich auf die globale Sterblichkeit statt aufdie Sterblichkeit der von Arbeitslosigkeit Betroffenen stützt.
4.3 Untersuchungen anhand von Individualdaten 4.3.1 Zur Messung des Gesundheitszustandes Während auf aggregierter Ebene die Wahl der Outputgröße bei der Gesundheitsproduktion aus Gründen der Verfügbarkeit statistischer Daten stark eingeschränkt ist, eröffnen die meist auf Befragung beruhenden individuellen Messungen eine breite Palette von Möglichkeiten. Die theoretische Grundlage bildet dabei die Gleichung (2.3) des Abschnitts 2.3.2, die den (subjektiv wahrgenommenen) Gesundheitszustand als eine Verteilung über verschiedene mögliche Zustände darstellt. Doch welche Realisierung wird gemessen - jene vor oder nach dem Aufwand medizinischer und anderer Mittel zu Gunsten der Gesundheit? Wie bereits im Abschnitt 1.3 sowie in der Folgerung 3.7 herausgestellt, hat der Gesundheitszustand eine doppelte Funktion: Einerseits ist er eine zentrale Größe, um die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen zu erklären, andererseits stellt er auch das Resultat eines Produktionsprozesses dar. Diese Doppelfunktion schafft solange keine Probleme, als die Inputs als Potentiale wie Ärztedichte, Bettendichte usw. definiert sind. Sobald aber die Inputs effektiven medizinischen Verrichtungen entsprechen, müsste bei der Messung des Gesundheitszustandes Anfang und Ende des Produktionsprozesses auseinandergehalten werden. Eine solche Trennung ist am ehesten möglich, wenn die Messung jeweils auf eine Phase der Gesundheit bzw. der Krankheit bezogen würde, was bislang jedoch [mit Ausnahme etwa von KEELER (1987)] kaum geschehen ist. Abgesehen vom Zeitpunkt der Messung stellt sich bei Individualdaten auch viel unmittelbarer als bei aggregierten Daten die Frage nach der Quelle der Messung. Zu unterscheiden ist insbesondere zwischen 1. Angaben des Individuums selbst und 2. Angaben von Dritten, insbesondere von Ärzten und Pflegepersonal. Die erste Kategorie von Angaben wird oft als subjektiv und damit wenig zuverlässig eingestuft. Für manche Zwecke ist aber die Antwort des Hypochonders auf
152
4 Empirische Untersuchungen zur Gesundheitsproduktion
die Frage „Wie geht es Ihnen zur Zeit?" durchaus informativ. Sie kann nämlich seine besonders hohe marginale Zahlungsbereitschaft für bessere Gesundheit verraten und so den Rückschluss auf eine erhöhte Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen erlauben. Die Angaben der zweiten Kategorie sind zwar objektiv, weil sie wenigstens teilweise auf klinischen Messungen berahen. Ausgedrückt in der Symbolik der Abbildung 4.1 führen sie zu Indikatoren mit geringem Messfehleranteil an der Varianz. Dafür besteht jedoch vielfach nur eine schwache, wenig signifikante Beziehung zwischen diesen Indikatoren und der theoretischen, latenten Größe „Gesundheit". Ganz allgemein ist jedoch die Suche nach einem „objektiven", von der Zahlungsbereitschaft (und mithin auch Zahlungsfähigkeit) des Individuums unabhängigen Outputmaß in diesem Zusammenhang wenig sinnvoll. Denn sie geht von der (von den Ökonomen in Frage gestellten) Prämisse aus, dass unabhängig von konkurrierenden Zielen die Maximierung des Gesundheitszustandes angestrebt werden soll.7 Lässt man hingegen konkurrierende Ziele zu, würde man auf die marginale Zahlungsbereitschaft für eine Verbesserung des Gesundheitszustands abstellen wollen. Insofern diese Zahlungsbereitschaft vom aktuellen subjektiven Gesundheitszustand abhängt, erscheinen Angaben des Individuums selbst als vergleichsweise zweckmäßig.
4.3.2 Die Grenzproduktivität der medizinischen Infrastruktur auf individueller Ebene In den USA wurde um 1960 eine Erhebung (Health Examinations Survey) durchgeführt, in deren Verlauf über 6.000 Individuen aus zufällig ausgewählten 39 Regionen auf verschiedene physiologische Aspekte des Gesundheitszustandes untersucht wurden. Die Gesundheitsmessungen gehören mithin zur Kategorie (2) der im Teilabschnitt 4.3.1 genannten Indikatoren. Sie wurden von NEWHOUSE UND FRIEDLANDER (1980) mit der örtlich vorhandenen medizinischen Infrastruktur einerseits sowie Eigenschaften des Individuums und seiner Umwelt andererseits in Verbindung gebracht. Neben den in der Tabelle 4.9 aufgeführten erklärenden Variablen wurden in die Regressionsgleichungen auch kategorische Variablen für den Beruf, die Branche, den Familienstatus, die Familiengröße, selbständige Erwerbstätigkeit und das Geschlecht aufgenommen; das Alter erscheint in linearer und quadrierter Form. Die ersten vier klinischen Indikatoren der Tabelle 4.9 beziehen sich auf Blutdruck und Blutfettspiegel, die nach den Erkenntnissen großangelegter epidemiologischer Untersuchungen (vgl. den nachstehenden Teilabschnitt 4.3.3) maßgeblich zur Mortalität infolge Herz-Kreislauf-Erkrankungen beitragen. Aus der Tabelle 4.9 gehen 7
Damit soll nicht bestritten werden, dass nichtmonetäre (medizinische) Maße des Gesundheitszustandes z.B. bei der Wahl zwischen verschiedenen Behandlungsalternativen innerhalb eines bereits festgelegten Gesundheitsbudgets einen Beitrag zur optimalen Allokation im Gesundheitswesen leisten.
4.3 Untersuchungen anhand von Individualdaten
153
Tabelle 4.9. Geschätzte Einflüsse auf klinische Gesundheitsindikatoren, USA um 1960a) Klinische Indikatoren
Medizinische Eigene Umwelteinflüssed) Infrastrakturb) Produktivitätc) ALLG AND BETT AUSB EINK URB RASSE
Bluthochdrucke) Diastol. Blutdruck, bedingt^ Überhöhter Blutfettspiegele) Blutfettspiegel, bedingt8^ Abnormales EKGe) Abnormales Röntgenbilde^ Vorkommen von Krampfaderne^ Paradontose-Index Alterungsindexh)
-0,06 -0,02 0,39 0,02 0,03 -0,04 0,13
0,32 -0,25 0,009 0,01 -0,13 -0,08 0,03 0,02 0,06 -0,02 0,07* -0,09** -0,44 -0,19 -0,77** -0,004 0,001 0,01 -0,05** 0,20 -0,003 -0,03 -0,02 -0,06 -0,07** 0,002
-0,006 -0,003 0,05 -0,003 -0,04 -0,03* -0,04 -0,21** -0,01**
-0,001** -0,007 -0,000 0,031 0,000 0,002« 0,003 -0,002 0,002
0,12* 2,48* -0,02* -1,01 0,15** -0,082 -0,05* 0,19** 0,72*
*(**): Signifikant bei einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5% (1% oder weniger). N=4.769. a) Die angegebenen Werte sind Elastizitäten, berechnet aufgrund der Stichprobenmittelwerte, außer bei URB und RASSE, wo Regressionskoeffizienten erscheinen. b) ALLG = Allgemeinpraktiker, Internisten und Frauenärzte, AND = andere Ärzte, BETT = Krankenhausbetten, alle je 100.000 Einwohner. Zwei zusätzliche Regressoren (Betten in vom Bundesstaat geführten Krankenhäusern und Zahnärztedichte) sind nicht aufgeführt. Alle Regressionen enthalten überdies Alter, (Alter)2 und eine kategorische Variable für das Geschlecht. c) AUSB = Zahl der Schuljahre, EINK = Familieneinkommen. d) URB = Anteil der Bevölkerung des untersuchten Gebiets, die in Orten mit mehr als 2.500 Einwohnern lebt; RASSE = 1 für Nichtweiße, = 0 für Weiße. e) Logit-Schätzung, da die abhängige Variable nur die Werte 0 und 1 annehmen kann. f) Nur Fälle mit Bluthochdruck. g) Nur Fälle mit überhöhtem Blutfettspiegel. h) Beruht auf Regressionen des Alters auf die klinischen Indikatoren (ohne Bluthochdruck und überhöhter Blutfettspiegel); jedem Individuum kann mit Hilfe des Mittelwertes aus den acht errechneten Erwartungswerten ein „klinisches Alter" zugeordnet werden. Quelle: NEWHOUSE UND FRIEDLANDER (1980)
insbesondere folgende vier Punkte hervor: •
Auf die ersten vier Indikatoren haben weder die medizinische Infrastruktur noch Ausbildung und Einkommen des untersuchten Individuums einen statistisch nachweisbaren Einfluss.
•
Im Falle der Indikatoren Röntgenbild, Paradontose und Alterungsindex scheint verlängerte Ausbildung die Individuen zu besseren Produzenten ihrer Gesundheit zu machen, ohne dass ein erhöhtes Einkommen kontraproduktiv wirken würde. Am Alterungsindex gemessen, führt eine um 10% verlängerte Ausbildungsdauer dazu, dass das Individuum unter sonst gleichen Umständen physiologisch 0,5% jünger ist als sein Kalenderalter.
154
4 Empirische Untersuchungen zur Gesundheitsproduktion
•
Mit dem Urbanisierungsgrad steht lediglich das Vorkommen eines abnormalen Röntgenbilds in einer positiven, statistisch erkennbaren Beziehung.
•
Die Rassenzugehörigkeit ist die Variable mit den meisten statistisch signifikanten Einflüssen. Die Nichtweißen erweisen sich gegenüber den Weißen überwiegend als weniger gesund, wobei die blutdruck- und blutfettbezogenen Indikatoren eher auf genetische, der Paradontose-Index dagegen auf verhaltens-, ja sogar präferenzbedingte Unterschiede schließen lassen.
4.3.3 Der Einfluss medizinischer Interventionen auf individueller Ebene In den sechziger Jahren stellten in den USA Herz-Kreislauf-Erkrankungen die wichtigste Kategorie der Todesursachen dar, und es bestand die Vermutung, dass Bluthochdruck, hoher Blutfettspiegel und Tabakkonsum die maßgebenden Risikofaktoren sein könnten. Damals wurden mehrere Langzeitstudien begonnen, von denen diejenige von Framingham (Massachusetts) mit einer Beobachtungsdauer von bis zu achtzehn Jahren die berühmteste ist. Die Ergebnisse dieser Studien vermitteln Einblick in das Wesen der „Gesundheitsproduktion" in einem sehr konkreten, beinahe technischen Sinn. Als Output sei eine bestimmte Reduktion des Cholesterinspiegels im Blut vorgegeben mit dem Ziel, Bluthochdruck abzubauen. Der medizinische Input besteht aus der Behandlung mit einem einschlägigen Arzneimittel, der Eigenbeitrag des Patienten in der Einhaltung einer Diät. Genügt nun das Einhalten einer Diät für sich allein, um den Cholesterinspiegel im Blut zu senken, oder bedarf es dazu der Kombination mit einem Arzneimittel? Weil Bluthochdruckpatienten ihr normales Leben wie Gesunde weiterführen können, fiihrt das Modell der bedingten Produktionsmöglichkeiten mit der Folgerung 3.12 (vgl. Abschnitt 3.4.5) zur Vermutung, dass die eigenen Anstrengungen die Arzneimittel substituieren könnten. Die beobachteten Individuen machen allerdings im Verlauf der Jahre einige Krankheitsphasen durch und dürften dabei auf die Arzneimittel zurückgreifen. Insofern wäre mit einem erkennbaren Beitrag des medizinischen Inputs zum Überleben zu rechnen. Überraschenderweise kommt HouSTON (1989, S. 928) in seiner umfassenden Überblicksstudie zum Schluss, dass die medikamentöse Therapie keinen gesicherten Einfluss auf die Sterblichkeit infolge Herz-Kreislauf-Erkrankungen hat, ja dass gewisse Therapieformen den Erfolg der Diät untergraben (ebenda, S. 929). Diese Schlussfolgerung passt ausgezeichnet zu der im Abschnitt 3.4.3 entwickelten Auffassung von der Produktion der Gesundheit durch das Individuum, wonach zwar im Krankheitsfall medizinische Leistungen nicht durch eigene gesundheitsfördernde Anstrengungen substituiert werden können, längerfristig hingegen schon. Somit geben die bisherigen Ergebnisse der Untersuchungen mit Individualdaten Anlass zu einer vorläufigen Folgerung 4.4 Das Konzept der Gesundheitsproduktion mit dem Eigenbeitrag des Individuums und medizinischen Leistungen als Inputs bewährt sich auch an Individualdaten, bis hin ZM einem beträchtlichen Ausmaß von Substitutionalität bei spezifischen Erkrankungen.
4.3 Untersuchungen anhand von Individualdaten
155
4.3.4 Umweltqualität und Gesundheitszustand In den bisher dargestellten Studien wurden Umwelteinflüsse weitgehend vemachlässigt, oder sie erwiesen sich als statistisch vernachlässigbar. Der erste systematische Versuch, die Auswirkungen zumindest der Luftverschmutzung auf die menschliche Gesundheit zu erfassen, geht auf LAVE UND SESKIN (1977) zurück. Allerdings bildet in der Regel eine englische Grafschaft die Beobachtungseinheit, und es fehlen Indikatoren zur Beschreibung der individuellen Produktivität wie z.B. das Ausbildungsniveau oder das durchschnittliche Arbeitseinkommen. Üblicherweise muss [wie bei LOPEZ ET AL. (1992) im Teilabschnitt 4.2.4] die Bevölkerungsdichte die Rolle sowohl eines (inversen) Einkommensindikators wie auch eines die Ausbreitung von Krankheiten begünstigenden Faktors übemehmen, was entsprechend häufig zur Instabilität von Koeffizienten bis hin zu unplausiblen Resultaten führt. 4.3.4.1 Luftqualität und Rauchen als exogene Faktoren Die mit der Verwendung von aggregierten Daten verbundenen Schwierigkeiten konnten erstmals von OSTRO (1983) überwunden werden, der die individuellen Angaben der Gesundheitsbefragung 1976 in den USA mit Messungen der Luftqualität in 84 Agglomerationen kombinierte. Auf Grund ihrer konsistenten Erhebung und ihrer Vergleichbarkeit mit früheren Untersuchungen wurden TSP (Total Suspended Particles, Konzentration aller Schwebestoffe in der Luft) und SULF (Konzentration aller Schwefelverbindungen in der Luft) aus einer größeren Zahl von Messgrößen ausgewählt und als Regressoren verwendet. Als Indikatoren des Gesundheitszustandes dient einerseits die Zahl der Tage mit eingeschränkter Aktivität aus gesundheitlichen Gründen, andererseits die Zahl der verlorenen Arbeitstage, beide bezogen auf den Zeitraum der beiden Wochen vor der Erhebung (vgl. Tabelle 4.10). Die in der Spalte A der Tabelle 4.10 eingetragenen Regressionskoeffizienten lassen vermuten, dass die Schwebestoffe-Konzentration (TSP) auf die Zahl der Tage mit eingeschränkter Aktivität den erwarteten positiven Einfluss hat, während die Konzentration der Schwefelverbindungen (SULF) keine signifikante Wirkung zeitigt. Wirtschaftlich relevant im engeren, traditionellen Sinne ist die Zahl der verlorenen Arbeitstage (Spalte B). Wiederum spielt die rSP-Konzentration eine statistisch erkennbare Rolle, mit einer an den Mittelwerten berechneten Elastizität von 0,45: Eine um 10% erhöhte rSP-Konzentration geht demnach mit einer um 4,5% erhöhten Zahl der verlorenen Arbeitstage einher - ein Wert, der OSTRO (1983) zufolge das Zehnfache früherer Schätzungen beträgt. Bei der Analyse des Zusammenhangs zwischen Luftqualität und Gesundheitszustand kommt einmal mehr das Konzept der Gesundheitsproduktion durch das Individuum zum Tragen. Durch einen Verzicht auf den Konsum von Tabak kann der Einzelne die für ihn maßgebliche Luftqualität verbessern. Die Zahl der gerauchten Zigaretten (ZIGARETTEN) erscheint aus diesem Grunde in den Schätzgleichungen der Spalten A und B der Tabelle 4.10. Der dazugehörige Regressionskoeffizient erweist sich jedoch beide Male als statistisch nicht signifikant. Allerdings belegen die
156
4 Empirische Untersuchungen zur Gesundheitsproduktion Tabelle 4.10. Einfluss der Luftqualität auf den Gesundheitszustand, USA 1976
Variablea)
Tage mit Verlorene WahrscheinlichVerlorene eingeschränkter Arbeitstage (B)c^ keit, dass B > 0 Arbeitstage, falls Aktivität (A)b) (Q* B > 0 (D)d)
Konstante -0,83*" 0,00282** TSP SULF -0,00008 1,25*" CHRONISCH ALTER 0,0063*** -0,009*** EINKOMMEN VERHEIRATET -0,011 RASSE 0,17** 0,013*** TEMPERATUR ARBEITER ERWERBSTÄTIG -0,114* 0,0057 BEV.DICHTE NIEDERSCHLAG -0,0004 0,093* GESCHLECHTW 0,0032 ZIGARETTEN R2 0,09 Chi2 13.230 N
-0,47** 0,00145* -0,001 0,25*** 0,0033** -0,002 -0,011 0,045 0,0065* -0,046 0,0056 -0,0004 0,067* -0,0006 0,01 8.294
-3,66*** 0,0071* -0,051 0,48*** -0,0048 -0,004 0,227 -0,04 0,003 0,29
-0,39 0,002 -0,009 0,93* 0,075* 0,012 -1,24** -0,46 0,097* -1,26**
0,030 0,0097
-0,050 -0,040
0,17 25,8*** 4.473
263
*(**,***): Koeffizient ist mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5% (1%, 0,1%) von null verschieden. a) TSP = Konzentration aller Schwebestoffe in der Luft, Jahresmittel (in Mikrogramm/m3); SULF = Konzentration aller Schwefelverbindungen in der Luft, Jahresmittel (in Mikrogramm/m3); CHRONISCH = Zahl der chronischen Beschwerden; ALTER = Alter in Jahren; EINKOMMEN = Familieneinkommen (in tausend Dollar); VERHEIRATET = 1, falls Individuum verheiratet, = 0 sonst; RASSE = 1, falls Nichtweiß, = 0 sonst; TEMPERATUR = Temperatur im Jahresmittel (in Fahrenheit); ERWERBSTÄTIG = 1, falls erwerbstätig, = 0 sonst; ARBEITER = 1, falls Arbeiter, = 0 sonst; BEV.DICHTE = Bevölkerungsdichte in der Agglomeration (in 1.000 je Quadratmeile); NIEDERSCHLAG = Niederschlag im Jahresmittel; GESCHLECHTW = 1, falls weiblich, = 0 sonst; ZIGARETTEN = Zahl der gerauchten Zigaretten pro Tag. b) Stichprobe umfasst 18-65-jährige Personen in 84 Agglomerationen. c) Stichprobe umfasst nur Erwerbstätige (ERWERBSTÄTIG = 1). d) Stichprobe umfasst nur männliche, erwerbstätige Nichtraucher. Quelle: OSTRO (1983, Tabellen I und III) niedrigen Bestimmtheitskoeffizienten von 0,09 und 0,01, dass viele Faktoren, welche die Zahl der Tage mit eingeschränkter Aktivität und die Dauer der Arbeitsabsenzen beeinflussen, noch nicht erfasst wurden. Zu diesen Faktoren gehören möglicherweise auch Unterschiede zwischen Rauchern und Nichtrauchem, die mit der Zahl der gerauchten Zigaretten (ZIGARETTEN) nicht genügend abgebildet sind. So könnte
4.3 Untersuchungen anhand von Individualdaten
157
beispielsweise die Zahl chronischer Gesundheitsprobleme (CHRONISCH) bei Rauchern infolge häufiger Atemwegserkrankungen eine ganz andere (und wahrscheinlich geschlechtsspezifische) Bedeutung haben als bei Nichtrauchern, mit dem Effekt, dass auch der Einfluss der Luftqualität auf den Gesundheitszustand verzerrt geschätzt würde. Damit die Auswirkungen der Luftverschmutzung auf die Zahl der verlorenen Arbeitstage möglichst unverzerrt und unabhängig vom individuellen Verhalten ermittelt werden können, beruhen die Schätzungen der Spalten C und D der Tabelle 4.10 ausschließlich auf Daten von männlichen, erwerbstätigen Nichtrauchern. Die Aufspaltung in zwei Schätzgleichungen soll überdies dem Umstand Rechnung tragen, dass 94% der Befragten in den beiden Wochen vor der Erhebung keine Arbeitsabsenz aufwiesen und nur 6% einen oder mehrere Arbeitstage verloren hatten.8 Dies spricht dafür, zuerst die Wahrscheinlichkeit zu schätzen, dass es überhaupt zu einer Arbeitsabsenz kommt (Spalte C der Tabelle 4.10), und dann die Dauer einer allfälligen Absenz zu untersuchen (Spalte D). Dementsprechend ist die abhängige Variable der Spalte C eine Dummyvariable, die den Wert 1 dann annimmt, wenn mindestens ein Arbeitstag aus gesundheitlichen Gründen verlorenging, und den Wert 0 sonst. Diese Einschränkung des Wertebereichs der abhängigen Variablen kann durch die sog. Logit-Transformation aufgehoben werden, allerdings mit der Folge, dass die in der Spalte C eingetragenen Werte Koeffizienten einer logistischen Regression sind, die nicht als partielle Einflüsse auf die Wahrscheinlichkeit interpretiert werden dürfen [vgl. dazu PINDYCK UND RUBINFELD (1998, S. 316)]. Die Werte der Spalte D hingegen entstammen einer Kleinstquadrate-Schätzung. Die in den Spalten C und D der Tabelle 4.10 eingetragenen Schätzergebnisse sollten demnach weitgehend unabhängig vom Verhalten des Einzelnen Aufschluss über die Einflüsse der Luftqualität auf die Erwerbsfähigkeit geben. Die folgenden Bemerkungen erscheinen angebracht: •
Die Luftqualität hat über die rSP-Konzentration einen statistisch gesicherten Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit einer Arbeitsabsenz, nicht aber auf deren Dauer. Ein Einfluss der anderen Komponente der Luftqualität, der Schwefelverbindungen, lässt sich nicht nachweisen.
•
Andere Umweltfaktoren wie die Lufttemperatur oder die Niederschlagsmenge im Jahresmittel scheinen keinen Einfluss auf die Arbeitsabsenzen (Wahrscheinlichkeit des Auftretens oder Dauer) zu haben.
8
Dies bedeutet, dass die abhängige Variable extrem linkssteil ist, was schlecht zur üblichen Annahme eines normalverteilten Störterms passt, ist doch die Normalverteilung eine um den Erwartungswert symmetrische Verteilung (vgl. auch Tabelle 4.3 und 4.4 im Teilabschnitt 4.2.2.1).
158
4 Empirische Untersuchungen zur Gesundheitsproduktion
4.3.4.2 Rauchen als endogener Faktor Alle bisher vorgestellten Untersuchungen (darin eingeschlossen jene anhand von aggregierten Daten des Abschnitt 4.2) kranken an dem Umstand, dass sie lediglich den Aspekt „Gesundheit" analysieren, während das im Abschnitt 3.4.3 entwickelte Modell des Gesundheitsverhaltens sowohl den Konsum als auch die Gesundheit erklärt. Dieses Vorgehen wird dann problematisch, wenn die Konsumentscheidung unmittelbare gesundheitliche Konsequenzen hat wie im Falle des Rauchens (vgl. den 2. Punkt des Abschnitt 4.1). Aus diesem Grunde erschien denn auch die Zahl der gerauchten Zigaretten in der Tabelle 4.10 als Regressor. Die bloße Aufnahme eines solchen Regressors in die Schätzgleichung genügt ROSENZWEIG UND SCHULTZ (1983) zufolge jedoch noch nicht, um dem Verhaltensmodell in der empirischen Analyse gerecht zu werden. Es ist nämlich gut denkbar, dass nicht erfasste Größen sowohl auf die Gesundheit (insbesondere der Atemwege) als auch auf den Tabakkonsum einwirken. Wenn beispielsweise ängstliche Leute zwar kaum rauchen, aber dennoch vergleichsweise viel krank sind, entsteht eine künstliche positive Korrelation zwischen Gesundheit und Tabakkonsum in den Daten. Dieser Effekt schwächt die an sich gegebene negative Korrelation (d.h. die gesundheitsschädigende Wirkung des Tabaks) ab und könnte der Grund für die mangelnde statistische Signifikanz des Regressors ZIGARETTEN in der Tabelle 4.10 sein. Offenbar muss die erklärende Variable ZIGARETTEN von ihrem sog. Endogenitätsfehler bereinigt werden. Dies ist möglich mit Hilfe einer Vorregression (analog zur ersten Stufe des zweistufigen Verfahren, vgl. Tabelle 4.4), in deren Zuge die beobachteten Werte von ZIGARETTEN durch geschätzte ersetzt werden. MULLAHY UND PORTNEY (1990) haben ein solches Schätzverfahren, die sog. Generalized Method of Moments (GMM) auf die gleiche Stichprobe wie OSTRO (1983), jedoch mit Daten des Jahres 1979 statt 1976 angewendet. Die abhängige Variable ist die Zahl der durch Atemwegserkranhungen bedingten Tage mit eingeschränkter Aktivität während der beiden Wochen vor dem Befragungszeitpunkt. Sie müsste damit in einer engeren Beziehung mit der Luftqualität stehen als die abhängige Variable der Tabelle 4.10, die Zahl der Tage mit eingeschränkter Aktivität aus (allen) gesundheitlichen Gründen. Weil 96% der Befragten auch hier null solcher Tage aufweisen, wird in der Spalte A der Tabelle 4.11 vorab die Wahrscheinlichkeit untersucht, überhaupt Tage mit gesundheitsbedingten Einschränkungen der Tätigkeit verbracht zu haben. In der Spalte B erscheinen dann die Parameterschätzungen einer Gleichung, welche die Dauer dieser Einschränkungen erklären soll. Um zu veranschaulichen, wie wichtig die Bereinigung der Variablen ZIGARETTEN von ihrer endogenitätsbedingten Fehlerkomponente sein kann, erscheinen OLS- und GMMgeschätzte Parameterwerte in der Tabelle 4.11 nebeneinander.
4.3 Untersuchungen anhand von Individualdaten
159
Tabelle 4.11. Luftqualität und Rauchen in der Gesundheitsproduktion, USA 1979 Variablea>
Wahrscheinlichkeit von Tagen mit eingeschränkter Aktivitätb-) A OLS
Konstante ZIGARETTEN ZIGARETTEN2 OZON OZON2 SULF SULF2 TEMPERATUR NIEDERSCHLAG ALTER ALTER2 DCHRONISCH GESCHLECHTM N
0,035 -0,060 0,25 0,064 -1,60 -0,20 0,65 -0,055 -0,017 0,35 -0,48 0,011 -0,00089 2.331
GMMC) 0,185« -1,91*** 5,81*** 0,51 -3,97 -0,20 0,56 -0,090 -0,034 -0,16 0,077 -0,0066 -0,032** 2.331
Zahl der Tage mit eingeschränkter Aktivität, gegeben A> 0 B OLS GMMC) 0,0078 -0,034 1,09 4,25* -23,7* -1,52 4,87 -0,44** 0,033 2,14* -2,82* 0,19 -0,045 89
0,789** -8,44** 27,95*** 6,64* -35,8* -1,77 5,07 -0,61** -0,028 -0,90 0,60 0,094 -0,17** 89
*(**,***): Koeffizient mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5% (1%, 0,1%) verschieden von null. a) ZIGARETTEN = Zahl der gerauchten Zigaretten pro Tag (/100); ZIGARETTEN2 = Quadrat von ZIGARETTEN; OZON = Ozonkonzentration, gebildet aus den täglichen Maximalwerten der 14 Tage vor dem Erhebungszeitpunkt (in PPM, parts per million); OZON2 = Quadrat von OZON; SULF = Konzentration von Schwefelverbindungen, Mittelwert aus den 14 täglichen Messungen vor dem Erhebungszeitpunkt; SULF2 = Quadrat von SULF; TEMPERATUR = Mittlere Temperatur, gebildet aus 14 täglichen Maximalwerten (in Fahrenheit, /100); NIEDERSCHLAG = Mittelwert, gebildet aus den 14 täglichen Messwerten (in Zoll); ALTER = Alter in Jahren; ALTER2 = Quadrat von ALTER; DCHRONISCH = 1, falls der Befragte wegen einer chronischen Krankheit nicht ungehindert seinen üblichen Tätigkeiten nachgehen kann, = 0 sonst; GESCHLECHTM = 1, falls der Befragte männlich ist, = 0 sonst. b) Obschon die abhängige Variable nur die Werte 0 und 1 annehmen kann, wird sie hier wie eine beliebige kontinuierliche Variable behandelt. Die ausgewiesenen Koeffizienten können deshalb als geschätzte partielle Effekte des jeweiligen Regressors auf die Wahrscheinlichkeit interpretiert werden. c) GMM = Generalized Method of Moments; Schätzverfahren, das eine Verallgemeinerung der in der Tabelle 4.4 skizzierten zweistufigen Schätzung darstellt. Quelle: MULLAHY UND PORTNEY (1990, Tabelle 3)
160
4 Empirische Untersuchungen zur Gesundheitsproduktion
Die in der Tabelle 4.11 aufgeführten Ergebnisse lassen sich in den folgenden Aussagen zusammenfassen: •
Einfluss des Tabakkonsums: Wird der Tabakkonsum als eine exogene, vom Individuum nicht beeinflussbare Größe wie etwa die Ozonkonzentration in der Luft behandelt, so fehlen wie schon in der Untersuchung von OSTRO (1983) [aber im Gegensatz zu LEU UND DOPPMANN (1986a), vgl. Tabelle 4.12] sämtliche Hinweise auf einen signifikanten Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand, auch wenn er wie hier speziell auf die Atemwege bezogen wird (vgl. OLS-Schätzungen der Variablen ZIGARETTEN und ZIGARETTEN2). Wird die Variable ZIGARETTEN hingegen von ihrem Endogenitätsfehler bereinigt, so erweist sie sich als hochsignifikanter Bestimmungsgrund des Gesundheitzustandes (vgl. GMM-Schätzungen der beiden den Zigarettenkonsum erfassenden Variablen). Zwar scheint das Rauchen einiger weniger Zigaretten pro Tag zunächst gesundheitsfördemde Wirkung zu haben (negative Koeffizienten der ZIGARETTEN), doch jenseits von etwa 16 Zigaretten überwiegen eindeutig die negativen Auswirkungen auf die Gesundheit der Atemwege.
•
Einfluss der Luftqualität: Ozon muss als relevanter Luftschadstoff anerkannt werden. Seine gesundheitsschädigende Wirkung nimmt jedoch im Gegensatz zum Tabakkonsum bei hohen Konzentrationswerten (d.h. jenseits von etwa 0,06 Mikrogramm/m3 bei einem Durchschnittswert der Stichprobe von 0,043) eher ab; dies geht aus den negativen Koeffizienten der OZON2 hervor. Eine hohe Ozonkonzentration erhöht die Wahrscheinlichkeit, eine Phase mit eingeschränkter Aktivität durchzumachen, verlängert aber deren Dauer nicht (vgl. Teil B der Tabelle 4.11). Dieser Befund entspricht den Erwartungen, sind doch erhöhte Ozonkonzentrationen (noch) vorübergehender Natur.
•
Schwefelkonzentration als Indikator der Luftqualität: Trotz eng gefasster abhängiger Variable und verbesserter Schätzverfahren lässt sich kein Einfluss der Schwefelverbindungen auf den Gesundheitszustand nachweisen (vgl. Variablen SULF und SULF2). In diesem Punkt wird die frühere Untersuchung von OSTRO (1983) voll bestätigt (vgl. Tabelle 4.10, ebenfalls Variable SULF).
•
Vergleich der Einflussstärken: Auf Grund der mit dem GMM-Verfahren geschätzten Parameterwerte lassen sich die Elastizitäten an den Mittelwerten wie folgt berechnen: Mit einer Zunahme des täglichen Zigarettenkonsums um 10% steigt ceteris paribus die Wahrscheinlichkeit einer Phase mit eingeschränkter Aktivität um 33%, gegenüber lediglich 13% bei einer Zunahme der Ozonkonzentration um 10%. Die Dauer einer solchen Phase nimmt infolge zusätzlichen Rauchens um 44% zu, infolge zusätzlichen Ozons etwa um 28%. Damit verschieben sich die geschätzten relativen Produktivitäten bei der Sicherung der Gesundheit der Atemwege vom exogenen Einfluss der Luftqualität hin zu dem Inputfaktor Rauchen, der vom Individuum frei festgelegt werden kann.
Die aus den beiden Untersuchungen zum Einfluss von Umweltfaktoren auf den Gesundheitszustand gewonnenen Erkenntnisse lassen sich zusammenfassen in der
4.4 Nachfrage nach Gesundheit, Nachfrage nach Gesundheitsleistungen
161
Folgerung 4.5 Mit Hilfe neu verfügbarer Individualdaten lassen sich Zusammenhänge zwischen der Luftqualität und dem Gesundheitszustand erkennen. Eine mindestens ebenbürtige Rolle spielt jedoch der Input „Tabakkonsum" in die gleichzeitige Produktion von Konsumleistungen und Gesundheit der Atemwege. Diese Folgerung spricht für die Vermutung, dass die Verlangsamung der Zunahme der Lebenserwartung vorderhand zu einem eher geringen Teil auf eine umweltbedingte Veränderung der relativen Produktivität der Inputfaktoren in der Gesundheitsproduktion zurückgeführt werden kann (dritter Punkt des Abschnitt 4.1).
4.4 Nachfrage nach Gesundheit, Nachfrage nach Gesundheitsleistungen Das im Abschnitt 3.4.3 vorgestellte Modell des Gesundheitsverhaltens geht von der Vorstellung aus, dass das Individuum gleichzeitig Nachfrager und Anbieter bzw. Produzent von Gesundheit sei. Bis zu diesem Punkt wurde stillschweigend unterstellt, dass die empirisch ermittelten Zusammenhänge die Produktionsseite des individuellen Verhaltens widerspiegeln. In diesem Abschnitt soll die Frage abgeklärt werden, ob die Unterscheidung der Angebots- von der Nachfrageseite überhaupt notwendig ist, wie sie gegebenenfalls bewerkstelligt werden kann und welche Probleme sich bei der Schätzung der Produktionsfunktion für die Gesundheit ergeben. 4.4.1 Wie sind individuelle Beobachtungen zu interpretieren? Man kann sich auf den Standpunkt stellen, eine Erfassung der Nachfrage nach Gesundheit getrennt von den Produktionsmöglichkeiten sei nicht nötig. Werden nämlich „durchschnittlich gültige", zustandsunabhängige Präferenzen und Produktionsmöglichkeiten bezüglich Konsum und Gesundheit vorausgesetzt, so lässt sich von der beobachteten Grenzrate der Transformation (GRT) auf die Grenzrate der Substitution (GRS) schließen. Wie beispielsweise die Abbildung 1.1 des Abschnitts 1.2 zeigt, stimmen die beiden Größen im Optimum (Punkt R*) überein. Die Lage dieses Optimalpunktes hängt zwar durchaus von den Präferenzen des betrachteten Individuums ab, doch solange die Präferenzunterschiede zwischen den Individuen zufällig sind, gehen sie in den Störterm der Schätzgleichung ein (vgl. die Variable w,der Tabelle 4.3 und 4.4) und verschlechtern die statistische Anpassung, haben aber sonst keine Konsequenzen. Dies ist die „klassische" Sicht, die sich an GROSSMAN (1972a) anlehnt [vgl. auch ROSENZWEIG UND SCHULTZ (1983)]. Diese Auffassung hält allerdings der genaueren Betrachtung auf der Grundlage der im Abschnitt 3.4.3 entwickelten Modellvorstellungen nicht stand. Diesen Vorstellungen zufolge ist das Individuum nicht in der Lage, seinen Gesundheitszustand zu wählen; seine Handlungsmöglichkeiten beschränken sich auf die Beeinflussung
162
4 Empirische Untersuchungen zur Gesundheitsproduktion
der Wahrscheinlichkeit, mit der ein bestimmter Gesundheitszustand eintritt. Dementsprechend wählt es eine bestimmte optimale Wahrscheinlichkeit (1 — 7t*), gesund zu bleiben bzw. zu werden, mit 0 < ( l — 7t*)
h,• = 1 > (1 —7t*) —> ü, > 0: Das Individuum ist gesund, während es eine Gesundheitschance von lediglich (1 -7t*) < 1 anstrebt. Es wird zustandsgemäß seine eigenen Anstrengungen zur Erhaltung der Gesundheit (tf in der Symbolik der Tabelle 3.3 auf Seite 97) reduzieren. Die Korrelation zwischen tf und M, ist negativ (,,zu gesund geht einher mit Vernachlässigung der Prävention").
•
hi = 0 < (1 — 7t*) —> üi < 0: Das Individuum ist krank, obschon es die Gesundheitschance (1 — 71*) > 0 anstrebt. Es wird zustandsgemäß medizinische Leistungen (M in der Tabelle 3.3 auf Seite 97) nachfragen. Die Korrelation zwischen M,und üi ist negativ („zu wenig gesund geht einher mit viel Medizin").
Diese Überlegungen zeigen, dass nicht nur mit Diskrepanzen zwischen GRT und GRS in den Beobachtungen auf individueller Ebene zu rechnen ist, sondern damit, dass diese Diskrepanzen auf die Produktion der Gesundheit zurückwirken: Die Kausalität geht nicht mehr eindeutig von M, und tf auf (1 — n*) sondern von den Diskrepanzen {ht — (1 — 7C*)} zurück auf M, und tf. Um Verzerrungen in der Schätzung der Produktionsfunktion zu vermeiden, bieten sich zwei Wege an: 1. Bereinigung der Regressoren M, und tf vom sog. Endogenitätsfehler, z.B. durch ein zweistufiges Verfahren (vgl. Tabelle 4.4). 2. Bereinigung des Störterms von seiner mit den Regressoren korrelierten Komponente M(- = h{ — (1 — 7t*). Dieses Verfahren bedingt offensichtlich eine Messung des „angestrebten Gesundheitszustandes" (1 -7t*) unabhängig vom „realisierten Gesundheitszustand" ft,.9 Da immer bessere Messungen des Gesundheitszustandes verfügbar werden, soll die zweite Möglichkeit näher untersucht werden. Zu schätzen ist demnach eine Glei9
Sobald das Individuum nur noch die Wahrscheinlichkeiten verschiedener Zustände steuern kann, wird der als optimal angestrebte Gesundheitszustand durch diese Wahrscheinlichkeit definiert, vgl. Abbildung 3.3 des Abschnitts 3.4.3.3. Deshalb kann (1 — JC*) mit dem angestrebten und A,- mit dem realisierten Gesundheitszustand gleichgesetzt werden.
4.4 Nachfrage nach Gesundheit, Nachfrage nach Gesundheitsleistungen
163
chung von der Form hi = c + aMi + $tf + (ui + üi)
mit
üt = h, - (1 -7t*),
(4.8)
deren Komponente ö,- des Störterms mit den Regressoren M,- und tf korreliert ist. Sind Messungen von w,- verfügbar, so kann w,- aus dem Störterm herausgenommen und wie ein zusätzlicher Regressor behandelt werden: (l-n*)} + ui
mit
y= 1.
(4.9)
Diese Gleichung lässt sich nach dem Inputfaktor Mt auflösen, mit dem Ergebnis
M
t=~-y-Uh'-(i-<)}+7ihi-^Uv
LJC
IX
IX
^10) IX
Die Schätzung dieser Gleichung kann zu sehr unterschiedlichen Resultaten führen: •
Falls es wirklich gelingt, den angestrebten Gesundheitszustand (1 — JC* ) zu messen, so genügt (l/oc)(l — 71*) als erklärende Variable; der tatsächliche Gesundheitszustand h, fällt aus der Gleichung (4.10) heraus. Da a > 0, müsste die Beziehung zwischen medizinischen Leistungen und Gesundheitszustand positiv sein, wie von der Produktionsfunktion für Gesundheit vorausgesagt.
•
Falls die Gesundheitsmessung so ausfällt, dass die Befragten ihren Gesundheitszustand als „gut" einstufen, wenn es ihnen besser geht, als an sich zu erwarten war, enthält die geschätzte Gleichung (4.10) den Term (-l/oc){A,- - (1 - 7t*)}. Zwischen dem erhobenen Gesundheitszustand und medizinischen Leistungen wird es in der Stichprobe zu einer negativen geschätzten Beziehung kommen.10
•
Falls die Befragung nur gerade den realisierten Gesundheitszustand erfasst, geht der Term (l/oc)A,- als erklärende Variable in die Gleichung (4.10) ein, und der Zusammenhang zwischen medizinischer Leistung und Gesundheit müsste positiv sein. Allerdings wird (-l/oc){/i,- - (1 -7t*)} zum Störterm geschlagen, so dass wieder der Zustand der Gleichung (4.8) erreicht ist und a bzw. (1/a) nicht ohne Verzerrung geschätzt werden kann.
Diese verschiedenen Möglichkeiten sollen am Beispiel einer Schätzung mit schweizerischen Daten veranschaulicht werden. 4.4.2 Nachfrage nach medizinischen Leistungen als abgeleitete Nachfrage Falls es tatsächlich gelingt, den angestrebten Gesundheitszustand im Sinne der Wahrscheinlichkeit (1 — 7t*), gesund zu bleiben bzw. zu werden, zu erfassen, hängt Gleichung (4.10) zufolge die Nachfrage nach medizinischen Leistungen positiv von 10
Um unverzerrte Parameterschätzungen zu erhalten, müsste überdies der realisierte Gesundheitszustand als zusätzlicher Regressor erscheinen. Wird er zum Störterm M; geschlagen, so ist der kombinierte Störterm (1/OC)(A, + M,) wiederum mit den erklärenden Variablen M, und t9 korreliert.
164
4 Empirische Untersuchungen zur Gesundheitsproduktion
(1 — Jt*) ab: Je größer der angestrebte Output, desto größer der notwendige Input. Die in Anspruch genommenen medizinischen Leistungen lassen sich dann als abgeleitete Nachfrage interpretieren, wie dies von LEU UND DOPPMANN (1986a) in Anlehnung an das Modell von GROSSMAN (1972a) getan wurde. In ihrer Untersuchung zum Gesundheitszustand der schweizerischen Bevölkerang haben LEU UND DOPPMANN (1986a) erhebliche Anstrengungen untemommen, die Nachfrage nach Gesundheit separat zu erfassen. Sie definieren in einem sog. MIMIC (Multiple Indicators Multiple Causes) Modell die nachgefragte Gesundheit als latente Variable. Diese Definition passt gut zur Größe (1 — 7t*), die ja ihrerseits als Wahrscheinlichkeit eine latente Variable darstellt. Diese Nachfrage nach Gesundheit wird vom Einkommen abhängig gemacht (vgl. Abbildung 4.1), auch dies theoretisch gut begründet, hängt doch die Lage des angestrebten Optimalpunktes vom Einkommen ab (vgl. Abbildung 3.3 im Abschnitt 3.4.3.3). Zugleich trägt verbesserte Gesundheit zu einem erhöhten Erwerbseinkommen bei, ganz im Sinne des längerfristigen Trade-offs zwischen „Konsum" und gesund verbrachter Zeit (vgl. Abschnitt 3.4.4.1). Die Eigenanstrengungen zur Erhaltung der Gesundheit tf werden durch sechs Indikatoren des Lebensstils (vom Tabakkonsum bis zur sportlichen Betätigung) erfasst. Darüber hinaus werden Umweltbelastungen wie Lärm und Staub sowie persönliche Belastungen (Verlust von Angehörigen, Wohnortwechsel) berücksichtigt. Vier Gesundheitsindikatoren sollen den angestrebten Gesundheitszustand (1 — TC(* ) widerspiegeln. Jeder einzelne stellt das statistische Aggregat einer Vielzahl von durch Befragung erhobenen Teilindikatoren dar. Als Referenzindikator [unterstellte Beziehung zur latenten Größe 1:1, von Messfehlern (e^- in Abbildung 4.2) abgesehen] dient der selbst eingeschätzte allgemeine Gesundheitszustand. Die übrigen drei Indikatoren stehen für die physischen, psychischen und sozialen Komponenten des Gesundheitszustands. Gerade der selbst eingeschätzte Gesundheitszustand könnte aber sehr wohl auf einem impliziten Vergleich zwischen erreichtem hj und angestrebtem (1 —7t*) Gesundheitszustand beruhen. Das in Abbildung 4.2 gezeigte Modell wird für 3.155 erwachsene Personen simultan geschätzt. So kann für jeden Befragten ein eindimensionaler Gesundheitsindex ermittelt werden, der seinerseits in drei Regressionen vom Typ der Gleichung (4.10) eingeht. Die Gleichung (4.10) stellt aber eine nach den medizinischen Inputs aufgelöste Produktionsfunktion dar [vgl. nochmals die Gleichung (4.8)]. Diese Inputs Mj sind hier die Zahl der Konsultationen, die Zahl der Krankenhaustage sowie die Zahl der Kurtage des Jahres 1980 (vgl. Tabelle 4.12). Neben erklärenden Variablen, welche eigene Anstrengungen zur Erhaltung der Gesundheit tf und deren Produktivität abbilden (Alter, Ausbildung, Familiengröße), erscheinen auch solche, die die relativen Kosten dieser Anstrengungen und der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen A/,- wiedergeben (Beschaffungszeitpreis, Distanz zum Krankenhaus, Versicherungsstatus). Diese ergänzenden Regressoren erinnern daran, dass der zu schätzende Zusammenhang Teil eines kontrolltheoretischen Optimierungspro-
4.4 Nachfrage nach Gesundheit, Nachfrage nach Gesundheitsleistungen
165
Abb. 4.2. Der Gesundheitszustand als latente, endogene Bestimmungsgröße der Nachfrage nach medizinischen Leistungen SOZIOÖKONOMISCHE MERKMALE VERMÖGENSEINKOMMEN
GESUNDHEITSVERHALTEN
PREISE
UMWELTBELASTUNG PERSÖNLICHE BELASTUNG
VERSICHERUNGEN LEISTUNGSANGEBOT
1 NACHFRAGE/ INANSPRUCHNAHME
blems ist, mindestens so lange, als nicht zwischen gesundheitsbedingten Zuständen unterschieden wird oder werden kann.11 Die in der Tabelle 4.12 eingetragenen Schätzergebnisse geben zu folgenden Erläuterungen Anlass: •
Rolle des Gesundheitszustandes: Der Einsatz medizinischer Leistungen aller drei Kategorien hängt negativ vom latenten Gesundheitszustand ab (vgl. die signifikant negativen Koeffizienten in der ersten Zeile). Dieses Ergebnis wurde auch von LEU UND GERFIN (1992) erzielt. Die Ausführungen des vorhergehenden Teilabschnitts legen somit die Vermutung nahe, dass die Autoren entgegen ihrer Absicht nicht den angestrebten Gesundheitszustand (l—n*), sondern mit Hilfe der aus der Befragung gewonnenen Indikatoren vielmehr die Abweichung vom angestrebten Gesundheitszustand {hi — (1 — JI*)} erhoben hatten. Wie die Gleichung (4.10) zeigt, müsste in diesem Fall der tatsächlich erreichte Gesundheitszustand als erklärende Variable in die Regression aufgenommen werden, um Vern
I n der (etwas extremen) Modellwelt des Abschnitts 3.4.3 stellt sich kurzfristig das Problem des Abwägens zwischen medizinischen Leistungen und eigenen Anstrengungen nicht, da im kranken Zustand nur der erste und im gesunden Zustand nur der zweite Faktor zur Erhöhung der Wahrscheinlichkeit (1 — JI) beiträgt, die Folgeperiode gesund zu verleben.
166
4 Empirische Untersuchungen zur Gesundheitsproduktion Tabelle 4.12. Gesundheitsproduktion in der Schweiz, 1980 (3.155 Erwachsene) Konsultationen (ln) -0,675*** 0,002 0,007 0,022* 0,525*** -0,006** 0,034**
Gesundheita) Erwerbseinkommena) (ln) Transfereinkommena' (ln) Vermögenseinkommenb) (xlO~ 4 ) Versicherung (=1: vorhanden) Beschaffungszeitpreis (xlO~ 3 ) Behandlungszeitpreis (xlO~ 3 ) Distanz Wohnsitz-Krankenhaus Schattenpreis der Zeit Geschlecht (=1 : Mann) Alter Ausbildung Familiengröße Ärztedichte Bettendichte Konsultationen (ln) Spitaltage (ln) Konstante Rl
-0,221*** -0,009*** 0,007 -0,023* 0,183*** -0,100
1,603*** 0,27
Spitaltage (In) -0,140*** 0,006 0,012 0,018* 0,014
0,002 -0,000 -0,047* -0,001 0,003 0,004 -0,048 0,011* 0,163*** 0,131 0,11
Kurtage (ln) -0,114*** -0,005 -0,001 0,002 0,119*
0,000 0,056*** 0,002* 0,003 -0,006 -0,002 -0,004 0,017 0,105*** -0,110 0,08
*(**,***): Koeffizient mit Irrtumswahrscheinlichkeit von 5% (2,5%, 1%) von null verschieden a) Latente Variable b) Extern geschätzte permanente Einkommenskomponente. Quelle: LEU UND DOPPMANN (1986a)
zerrungen bei der Schätzung von (1/oc) zu vermeiden. Eine entsprechende Variable fehlt jedoch in der Tabelle 4.12, so dass dem nachstehenden Rückschluss auf oc bzw. die Elastizität der Gesundheit in Bezug auf M[r\(G,M)} nur der Stellenwert einer Überschlagsrechnungen zukommen kann:
dlnG
dGM__ M_ dM~G~a~G d\nG _ dG dlnG _ 1 1 3lnM 3lnM dG bG
r\{G,M) =
3lnM
(4.11)
b: Regressionskoeffizient von G in einer Schätzgleichung wie (4.10), jedoch mit lnM (statt M) als abhängige Variable. Wenn man im Durchschnitt der Stichprobe den angestrebten mit dem erreichten Gesundheitszustand gleichsetzt und einen Mittelwert von (1 - %*) = 0,95 unterstellt, so folgen aus den drei Koeffizienten der Variablen Gesundheit die Wer-
4.4 Nachfrage nach Gesundheit, Nachfrage nach Gesundheitsleistungen
167
te r\(G,M) = {1,56;7,52;9,23}. 12 Diese Werte stellen wahrscheinlich Überschätzungen dar, ihre Rangordnung ist aber plausibel, indem sie den Schluss zulässt, dass 10% mehr Konsultationen einen geringeren Einfluss auf die Gesundheit haben als 10% mehr Krankenhaus- oder Kurtage. Der Vergleich mit den in der Tabelle 4.2 im Teilabschnitt 4.2.2.1 und der Abbildung 4.1 im Teilabschnitt 4.2.2.5 vorgestellten Elastizitätsschätzungen ist auffallend: Offenbar macht es einen Unterschied, ob der Gesundheitszustand lediglich an der Sterblichkeit oder an speziellen Indikatoren gemessen wird (Punkt Nr. 1 des Abschnitt 4.1). •
Einfluss des Alters: Entgegen weit verbreiteter Vorstellungen ist ein erhöhtes Alter nicht notwendig mit einer erhöhten Nachfrage nach medizinischen Leistungen verbunden. Sobald die Abweichung vom angestrebten Gesundheitszustand als separate erklärende Variable berücksichtigt ist, nimmt in den drei Gleichungen für die Nachfrage nach medizinischen Leistungen der Tabelle 4.12 lediglich die Zahl der Kurtage statistisch signifikant mit dem Alter zu, und die Elastizität ist sehr klein. Wenn A für das Alter steht, erscheint der Koeffizient des entsprechenden Regressors in der Elastizitätsformel wie folgt: dlnM
dlnM
dA
A
aA
/A
.^ 4.12
a: Regressionskoeffizient von A in einer Schätzgleichung wie (4.10), doch mit lnM (statt M) als abhängige Variable. Bei einem mittleren Alter von Ä = 45 Jahren betragen die zur Variablen Alter gehörendenElastizitäten mithin r|(M,A) = {-0,405;-0,045;-0,09}. ÄhnlicheErgebnisse von NEWHOUSE UND PHELPS (1976) und ZWEIFEL (1986) lassen den Schluss zu, dass nicht das Alter, sondern vielmehr die Abweichung vom angestrebten Gesundheitszustand die Nachfrage nach medizinischen Leistungen beeinflusst. Der Zusammensetzung der Bevölkerung nach Altersgruppen dürfte damit eine eher untergeordnete Bedeutung für die Entwicklung der Gesundheitsausgaben zukommen (vgl. Punkt 4 des Abschnitt 4.1 sowie Abschnitt 14.4). •
Einfluss der Opportunitätskosten: Ist ein Kranker versichert, so kostet ihn die Heilungschance ein geringes Opfer an Konsumleistungen [vgl. Gleichung (3.28) des Abschnitts 3.4.3.3]. Diesen Vorteil kann er durch die Inanspruchnahme der durch die Krankenversicherung „verbilligten" medizinischen Leistungen ausnutzen. Die positiven Koeffizienten der Variablen Versicherung (Versicherungsdeckung vorhanden) in den Gleichungen für Konsultationen und Kurtage bestätigen diese Vermutung. Hingegen gelingt es nicht, einen Versicherungseinfluss auf die Krankenhaustage nachzuweisen, möglicherweise weil im Krankenhaus der Einfluss der Ärzte besonders wirksam ist (vgl. Kapitel 9).
12 Der erste Wert errechnet sich aus Gleichung (4.10) und Tabelle 4.12 wie folgt: r\(G,M) = (l/0,675)(l/0,95) = 1,56.
168
4 Empirische Untersuchungen zur Gesundheitsproduktion Zu den Opportunitätskosten gehören auch die Zeitkosten, wobei zwischen Beschqffungszeitpreis (d.h. Wege- und Wartezeit) und Behandlungszeitpreis unterschieden wird. Die Zeitkosten spielen aber im kranken Zustand keine Rolle [vgl. Gleichung (3.26) im 3. Kapitel]. Deshalb kommt die mangelnde statistische Signifikanz der beiden Variablen sowie insbesondere des Schattenpreises der Zeit (die neunte Variable) in den Gleichungen für die Kur- und Krankenhaustage nicht überraschend. Der Behandlungszeitaufwand schließlich hat eine ambivalente Bedeutung, spiegelt er neben den Zeitkosten des Patienten doch auch das Ausmaß der ärztlichen Zuwendung und insofern die Behandlungsqualität aus der Sicht des Patienten wider (vgl. den positiven Koeffizienten der Variable Behandlungszeitpreis).
•
Nachweis von angebotsinduzierter Nachfrage: In der Tabelle 4.12 werden statistisch signifikante positive Beziehungen zwischen der Ärztedichte und der Zahl der Konsultationen sowie zwischen der Bettendichte und der Zahl der Krankenhaustage auf der Ebene individueller Beobachtungen ausgewiesen. Individuen in Wohnregionen mit hoher Anbieterdichte nehmen demnach mehr medizinische Leistungen in Anspruch. Dieser Effekt lässt sich hier nicht mit dem Hinweis erklären, dass eine erhöhte Anbieterdichte reduzierte Wege- und Wartekosten zur Folge hat, denn diese Zeitkosten sind mit den Variablen Beschaffungszeitpreis und Behandlungszeitpreis bereits berücksichtigt. Es scheint tatsächlich so, dass die schweizerischen Ärzte bei erhöhter Anbieterdichte zusätzliche Nachfrage nach ihren Leistungen induzieren [zur sog. angebotsinduzierten Nachfrage vgl. Abschnitt 8.3].
Insgesamt ist der in Tabelle 4.12 ausgewiesene Anteil der erklärten an der beobachteten Varianz mit maximal 27% eher gering. Andere Untersuchungen mit Individualdaten schneiden aber in dieser Hinsicht auch nicht besser ab. Dafür lassen sich insbesondere die beiden folgenden Griinde anführen. 1. Situationsbedingte Möglichkeiten der Gesundheitsproduktion: Dieses Argument beraht auf der Unterschiedlichkeit der Trade-offs je nach Gesundheitszustand (vgl. dazu den Abschnitt 3.4.4). Eine Analyse, die sich auf den Mittelwert von Phasen der Gesundheit und der Krankheit während eines Jahres bezieht, leidet in dieser Sicht unter einem Aggregationsproblem. Je nach Mischung der verschiedenen Trade-offs im Verlauf der Beobachtungsperiode variiert auf individueller Ebene die Grenzproduktivität der medizinischen Leistungen, so dass die Beziehungen zwischen der Nachfrage nach medizinischen Leistungen und ihren ökonomischen Bestimmungsgründen von erheblichen Parameterinstabilitäten geprägt sein dürften, die zu einem niedrigen Bestimmtheitskoeffizienten beitragen. 2. Delegation der Entscheidungskompetenz: Im Krankheitsfall wird das Behandlungsgeschehen in vieler Beziehung nicht mehr vom Patienten, sondern vom Arzt gesteuert. Die Delegation von Kompetenzen an den Arzt geht jedoch im ambulanten weniger weit als im stationären Bereich. Der niedrige Bestimmt-
4.5 Zusammenfassung des Kapitels
169
heitskoeffizient für die Zahl der Krankenhaustage in der Tabelle 4.12 spiegelt die Schwierigkeit wider, das Geschehen im Krankenhaus mit Hilfe von Faktoren zu erklären, die den Patienten charakterisieren oder von ihm gesteuert werden. Die aus den Untersuchungen mit Individualdaten gewonnenen Einsichten lassen sich abschließend zusammenfassen in der Folgerung 4.6 Auch aufder Stufe disaggregierter Beobachtungen bewährt sich das Konzept einer situationsbedingten Produktionskorrespondenz mit Konsumleistungen und Gesundheit als Outputs. Die Nachfrage nach medizinischen Leistungen hängt nicht nur von Größen ab, die mit einem „Bedarf" verbunden sind, sondern auch von Faktoren, welche die Produktivität und die Kosten eigener Anstrengungen zu Gunsten der Gesundheit spiegeln. Die Situationsbedingtheit kommt darin zum Ausdruck, dass diese Faktoren zur Erklärung der Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen in eindeutig krankem Zustand kaum mehr beitragen. Da im Zustand der Krankheit der Produktions- bzw. Behandlungsprozess nur noch in wenigen Aspekten vom Individuum gesteuert wird (Wahl des Arztes, Präferenz für ein Arzneimittel, Abbruch der Behandlung), erhält der Arzt einen Freiraum zur Verfolgung seiner eigenen Ziele. Diese Überlegung spricht für eine Untersuchung der Entscheidungssituation des Arztes, die im 8. Kapitel geleistet wird. In einem gewissen Sinne werden natürlich diese Partialanalysen unbefriedigend bleiben, weil sie die Interaktion zwischen Arzt und Patienten nicht gesamthaft abzubilden vermögen. Durch einen Vergleich und die Kombination von statistisch einigermaßen gesicherten Implikationen solcher Partialmodelle lässt sich aber trotz allem ein gewisses Bild von den Wirkungen gesundheitspolitischer Maßnahmen gewinnen.
4.5 Zusammenfassung des Kapitels In diesem Kapitel wurde anhand von empirischen Untersuchungen das Konzept der Transformationskurve für Gesundheit und Konsumleistungen untersucht. Dabei wurden zuerst empirische Studien mit Hilfe aggregierter Daten betrachtet, weil sie friiher entstanden sind, aber auch weil sie einige Fragen aufwerfen, die dann an individuellen Daten besser abgeklärt werden können. Folgende Erkenntnisse konnten gewonnen werden: 1. Es existieren Anzeichen, dass die Grenzproduktivität der medizinischen Infrastruktur in den USA kleiner sein könnte als diejenige einer verlängerten Schulbildung. 2. Untersuchungen sowohl mit nationalen wie auch kleinräumlichen regionalen Daten stützen die Auffassung, dass Unterschiede in den Mortalitätsraten vergleichsweise wenig auf die medizinische Infrastruktur (und insbesondere die
170
4 Empirische Untersuchungen zur Gesundheitsproduktion Ärztedichte) zurückgeführt werden können. Entscheidend scheint vielmehr die Produktivität der Individuen bei der Sicherung ihrer Gesundheit zu sein.
3. Es ist von theoretischer Sicht her plausibel, dass wirtschaftliche Instabilität sowohl die Eigenproduktivität des Individuums wie auch die Produktivität der medizinischen Leistungen mindern könnte. Die statistische Evidenz für einen solchen Zusammenhang ist jedoch zurzeit noch nicht sehr überzeugend, nicht zuletzt deshalb, weil sie sich auf die globale Sterblichkeit statt auf die Sterblichkeit der von Arbeitslosigkeit Betroffenen stützt. 4. Das Konzept der Gesundheitsproduktion mit dem Eigenbeitrag des Individuums und medizinischen Leistungen als Inputs bewährt sich auch an Individualdaten, bis hin zu einem beträchtlichen Ausmaß von Substitutionalität bei spezifischen Erkrankungen. 5. Mit Hilfe neu verfügbarer Individualdaten lassen sich Zusammenhänge zwischen der Luftqualität und dem Gesundheitszustand erkennen. Eine mindestens ebenbürtige Rolle spielt jedoch der Input „Tabakkonsum" in die gleichzeitige Produktion von Konsumleistungen und Gesundheit der Atemwege. 6. Auch auf der Stufe disaggregierter Beobachtungen bewährt sich das Konzept einer situationsbedingten Produktionskorrespondenz mit Konsumleistungen und Gesundheit als Outputs. Die Nachfrage nach medizinischen Leistungen hängt nicht nur von Größen ab, die mit einem „Bedarf' verbunden sind, sondern auch von Faktoren, welche die Produktivität und die Kosten eigener Anstrengungen zu Gunsten der Gesundheit spiegeln. Die Situationsbedingtheit kommt darin zum Ausdruck, dass diese Faktoren zur Erklärung der Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen in eindeutig krankem Zustand kaum mehr beitragen.
4.6 Lektürevorschläge Für dieses Kapitel empfehlen wir den Weltentwicklungsbericht der Weltbank aus dem Jahre 1993 [siehe WELTBANK (1993)].
4.Ü Übungsaufgaben
171
4.Ü Übungsaufgaben 4.1. Bei der Kritik der Schätzgleichung von BRENNER (1983) wird geltend gemacht, sie müsste Regressoren wie UNtAYt und UN? enthalten, weil die abhängige Variable nicht die Mortalitätsrate der Arbeitslosen, sondern der (erwerbstätigen) Bevölkerung überhaupt sei. Dies habe zur Folge, dass der Zusammenhang zwischen der Mortalitätsrate und der Arbeitslosenquote nicht mehr konstant, sondern variabel sein müsste. Beweisen Sie diese Aussagen, indem Sie zwei vereinfachte Schätzgleichungen [eine für Su (die Mortalitätsrate der Arbeitslosen) und eine für Se (die Mortalitätsrate der Beschäftigten)] je mit den Regressoren Nr. 1-3 der Tabelle 4.8 aufstellen und dann die im Text genannte Linearkombination bilden. 4.2. Im Kommentar zur Untersuchung von MULLAHY UND PORTNEY (1990) wird ausgeführt, dass jenseits von 16 Zigaretten pro Tag zusätzlicher Tabakkonsum gesundheitsschädigend wirke, während jenseits von 0,06 Mikrogramm/m3 eine erhöhte Ozonkonzentration keinen nachteiligen Einfluss mehr habe. a) Erklären Sie nochmals anhand der Koeffizienten der Tabelle 4.11, wie es zu solchen Aussagen kommen kann. Zeichnen Sie den Verlauf der partiellen Funktionen P = /(ZIGARETTEN) und P = g(OZON) auf, mit P=Wahrscheinlichkeit einer Phase mit eingeschränkter Aktivität. b) Schreiben Sie die Schätzgleichung auf, die der Tabelle 4.11 zugrandeliegt, und bestimmen Sie mittels partieller Differenzierung den Wert von ZIGARETTEN, wo zusätzlicher Konsum von einer gesundheitsfördernden in eine gesundheitsschädigende Wirkung umschlägt. c) Setzen Sie die GMM-geschätzten Koeffizienten der Tabelle 4.11 ein und berechnen Sie diesen Extrempunkt algebraisch. Berücksichtigen Sie dabei, dass ZIGARETTEN die effektive Zahl geteilt durch 100 ist. Bestimmen Sie analog den Extrempunkt im Falle von OZON.
Besonderheiten von Gesundheitsgütern und ihre allokativen Konsequenzen
5.1 Problemstellung Auch in westlichen Industrieländern, die sich ansonsten marktwirtschaftlichen Prinzipien verschrieben haben, können wir bei der Allokation von Gesundheitsgütern, d.h. insbesondere medizinischen Leistungen, erhebliche Abweichungen von diesen Prinzipien feststellen. Anders als etwa bei Kühlschränken wird im allgemeinen weder die Entscheidung, eine medizinische Leistung (z.B. Blinddarm-Operationen) anzubieten oder nachzufragen, von souverän entscheidenden und mit den vollen finanziellen Konsequenzen konfrontierten Individuen bzw. Firmen getroffen, noch werden die resultierenden einzelwirtschaftlichen Pläne durch den Preismechanismus koordiniert. So haben beispielsweise Großbritannien und Italien nationale Gesundheitsdienste mit fest angestellten Ärzten, die ihre Leistungen für die Patienten kostenlos erbringen, da die Finanzierung voll aus allgemeinen Steuermitteln erfolgt. In anderen Ländern unterliegen alle oder zumindest die Mehrzahl der Bürger einem gesetzlichen Zwang zur Mitgliedschaft in einer Krankenversicherung, wobei oft noch die Wahl einer Krankenkasse eingeschränkt ist. Daneben sind in manchen Ländern die Leistungskataloge der Krankenversicherung gesetzlich vorgeschrieben und die Preise für medizinische Leistungen durch staatlich verordnete Gebührenordnungen reguliert.1 Diese Abweichungen vom marktwirtschaftlichen System werden allgemein damit gerechtfertigt, dass Gesundheitsgüter besondere, mit anderen Gütern nicht vergleichbare Merkmale aufwiesen, die ein „Marktversagen" begründeten, d.h. dazu 'Dies gilt in der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar für die „Gebührenordnung für Ärzte" (GOÄ), nach der privatärztliche Leistungen vergütet werden, während der „Einheitliche Bewertungsmaßstab" (EBM) für kassenärztliche Leistungen durch einen Ausschuss aus Ärzte- und Kassenvertretern verabschiedet wird, dessen Zusammensetzung wiederum gesetzlich geregelt ist. In der Schweiz sind nur die Tarife der SUVA (Schweiz. UnfallversicherungsAnstalt) gesetzlich festgelegt; im übrigen handeln kantonale Kassenverbände und Ärztegesellschaften die Tarife miteinander aus.
174
5 Besonderheiten von Gesundheitsgütern und ihre allokativen Konsequenzen
führten, dass das Gleichgewicht auf nicht-regulierten Märkten keine Pareto-optimale Allokation darstellt. Daneben wird auch die Verletzung allgemein anerkannter Kriterien der Gerechtigkeit als Begründung für die Ablehnung des Marktmechanismus angeführt. Ausgangspunkt für die These vom Marktversagen ist der erste Hauptsatz der Wohlfahrtstheorie. Dieser sagt aus, dass bei Abwesenheit externer Effekte und öffentlicher Güter jedes Gleichgewicht bei vollkommener Konkurrenz - d.h. eine Allokation, bei der jeder Konsument seinen Nutzen und jeder Produzent seinen Gewinn maximiert, alle Akteure den Marktpreis als gegeben hinnehmen und die daraus resultierenden Pläne miteinander vereinbar sind - ein Pareto-Optimum darstellt. Die Behauptung eines Marktversagens erfordert also zunächst einmal den Nachweis, dass mindestens eine der im ersten Hauptsatz der Wohlfahrtstheorie genannten Vöraussetzungen im Falle der Gesundheitsgüter nicht erfüllt ist oder dass ein Preisnehmerverhalten nicht unterstellt werden kann. Mögliche Ursachen hierfür sind, dass •
Gesundheitsgüter mit zunehmenden Skalenerträgen produziert werden,
•
Gesundheitsgüter den Charakter öffentlicher Güter aufweisen,
•
der Konsum von Gesundheitsgütern mit externen Effekten verbunden ist oder
•
die Merkmale eines vollkommenen Marktes, d.h. Markttransparenz und Konsumentensouveränität nicht erfüllt sind.
Im Folgenden werden wir die wichtigsten in der Literatur genannten Besonderheiten von Gesundheitsgütern rekapitulieren und daraufhin untersuchen, ob sie das Vorliegen eines dieser Gründe von Marktversagen nahelegen. Soweit dies der Fall ist, gilt es dann zu diskutieren, welche alternativen sozialen Institutionen (z.B. staatliche Bereitstellung der Güter, gesetzlicher Versicherungszwang) geeignet sind, einen höheren Grad an Effizienz herbeizuführen als der Markt. In diesem Zusammenhang ist allerdings stets zu berücksichtigen, dass Gesundheitsgüter in sich nicht homogen sind, so dass der Markt für die einen eine passende Allokationsform darstellt, während er im anderen Falle versagen mag. Dabei wird sich eine weitere Unterscheidung möglicher Typen von Marktversagen als nützlich herausstellen: a) ein Versagen der Märkte für medizinische Leistungen selbst, das eine Begründung für staatliche Bereitstellung der Güter liefern könnte, bzw. b) ein Versagen privater Versicherungsmärkte, auf denen sich der einzelne gegen das mit Krankheit verbundene finanzielle Risiko absichern kann. Es sollte betont werden, dass wir uns ausschließlich mit den Kriterien für statische Effizienz beschäftigen und somit die existierende Technologie in der Herstellung von Gesundheitsgütern als gegeben voraussetzen. Damit klammern wir das Problem der dynamischen Effizienz aus, das etwa mit dem Einfluss des Finanzierungssystems auf die Medizintechnologie verbunden ist.
5.2 Marktversagen auf den Märkten für Gesundheitsgüter
175
Entsprechend der oben unterschiedenen Teilprobleme ist dieses Kapitel gegliedert: Abschnitt 5.2 ist Merkmalen von Gesundheitsgütern gewidmet, die ein Versagen der Märkte für diese Güter selbst begründen könnten. In Abschnitt 5.3 werden dann Eigenschaften behandelt, die ein Versagen privater Märkte für Krankenversicherungen nahelegen. Während in beiden Fällen Effizienzkriterien für die Beurteilung der Marktergebnisse herangezogen werden, werden in Abschnitt 5.4 Kriterien der Gerechtigkeit auf ihre Implikationen für die Regulierung der Märkte für Gesundheitsgüter bzw. Rrankenversicherungen überprüft. In Abschnitt 5.5 werden die Ergebnisse zur Beurteilung der heute bestehenden Systeme sozialer Krankenversicherung herangezogen. Dabei diskutieren wir auch Vorschläge zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherang in Deutschland.
5.2 Marktversagen auf den Märkten für Gesundheitsgüter 5.2.1 Externe Effekte, Kollektivgutproblematik und zunehmende Skalenerträge Werden durch den Konsum eines Gutes h durch einen Haushalt i Nutzenwirkungen bei einem anderen Haushalt j , also „externe Effekte", ausgelöst, so führt der Marktmechanismus bei vollkommener Konkurrenz im Allgemeinen nicht zu einer Paretooptimalen Allokation: Denn hier bezieht in einem Gleichgewicht der Konsument i eine solche Menge von Gut h, dass sein eigener (in Geldeinheiten bewerteter) Grenznutzen aus der letzten Einheit des Gutes dem Güterpreis und damit den Grenzkosten der Herstellung des Gutes entspricht. Dagegen ist ein Pareto-Optimum dadurch gekennzeichnet, dass auf der Nutzenseite auch noch der Grenznutzen, den Haushalt j aus dem Konsum des Gutes h durch Haushalt i zieht, addiert und die Summe daraus den Grenzkosten gegenübergestellt wird. Positive externe Effekte sind daher in der Regel mit einem Unterkonsum des Gutes auf dem Markt verbunden, negative externe Effekte mit einem Überkonsum, jeweils verglichen mit einer Pareto-optimalen Lösung. Dabei wird allerdings noch keine Aussage darüber getroffen, ob es institutionelle Regelungen gibt, mit deren Hilfe eine solche Lösung erreicht werden könnte. Bei Gesundheitsgütern ist eher der Fall positiver externer Effekte relevant; und zwar kann der Konsum des Gesundheitsguts h durch Individuum i •
direkt die Gesundheit von Individuum j erhöhen einen „physischen extemen Effekt"] oder aber
•
einfach zu einer höheren Zufriedenheit bei j führen („psychischer extemer Effekt").
[CULYER
(1971) nennt dies
176
5 Besonderheiten von Gesundheitsgütern und ihre allokativen Konsequenzen
Physischer externer Effekt: Physische exteme Effekte entstehen durch die Behandlung oder Vorbeugung gegen ansteckende Krankheiten bei Individuum i, durch die sich die Wahrscheinlichkeit verringert, dass sich j (ebenfalls) diese Krankheit zuzieht. Im Zwei-Personen-Fall, wo j der einzige ist, der außer / selbst einen Vorteil von i's Konsum, z.B. einer Impfung, hat, ließe sich ein Pareto-Optimum leicht durch einen freiwilligen Zuschuss von j zu fs Impfkosten herstellen. In der Realität verteilen sich allerdings die externen Vorteile auf sehr viele Nutznießer, und da tritt als eine weitere Komplikation der Kollektivgutcharakter des extemen Effekts hinzu, der im Folgenden erläutert werden soll. Ein „Kollektivgut" oder auch „öffentliches Gut" ist zum einen durch NichtRivalität im Konsum gekennzeichnet: Bezieht ein Haushalt / eine Einheit von Gut h, so kann ein anderer Haushalt j dieselbe Einheit mitnutzen, ohne dass dies den Genuss des Gutes durch i schmälert. Diese Eigenschaft ist bei dem externen Vorteil einer Impfung von Individuum i („Gut h") in idealer Weise erfüllt, denn er betrifft mehrere andere Individuen und verringert sich für den einzelnen keineswegs mit der Zahl der weiteren Nutznießer. Kollektivgütern sind zum anderen dadurch charakterisiert, dass das Ausschlussprinzip nicht anwendbar ist, d.h. niemand von ihrer Nutzung ausgeschlossen werden kann, auch wenn er zu ihrer Bereitstellung nichts beigetragen hat. Daher ist auf einem reinen Wettbewerbsmarkt mit einer Unterversorgung mit diesen Gütern zu rechnen. Denn der einzelne Konsument hat keinen Anreiz, sich an der Finanzierung (hier: an der Aufbringung eines Zuschusses zur Impfung des Individuums i) zu beteiligen, kann er die Vorteile einer reduzierten Ansteckungsgefahr doch genauso nutzen, wenn andere Nutznießer die Finanzierung übernehmen. Diese Überlegungen sprechen dafür, dass vom Staat bereitgestellte und aus allgemeinen Steuermitteln finanzierte Reihenimpfungen gegen Ansteckungskrankheiten (wie Kinderlähmung oder gefährliche Grippeviren) ebenso wie andere, z.B. hygienische Maßnahmen gegen die Ausbreitung von Epidemien (wie Typhus oder Cholera) zu einer Pareto-Verbesserung führen können. Auf welcher Ebene des Staates (Gemeinde, Land oder Bund) dies zweckmäßigerweise zu geschehen hat, sollte von der geographischen Ausbreitung des externen Vorteils abhängig gemacht werden. Angesichts des bis heute stark gesunkenen Anteils, den Infektionskrankheiten an den Gesamtausgaben für medizinische Leistungen einnehmen, kann diese Argumentation nicht mehr dazu herhalten, eine generelle kostenlose Bereitstellung medizinischer Versorgung durch den Staat zu rechtfertigen. Darüber hinaus sind nicht alle Bürger durch alle Infektionskrankheiten in gleichem Maße gefährdet. Ein positiver externer Effekt der Bekämpfung der Ausbreitung einer Epidemie entfällt z.B. bereits dann, wenn sich der einzelne - wie bei AIDS - durch individuelle Vorsichtsmaßnahmen wirksam und kostengünstig vor einer Ansteckung schützen kann. Wird jedoch jemand, der selbst nicht gefährdet ist, durch Steuerfinanzierung gezwungen, zu den Kosten der staatlichen Bekämpfung einer Epidemie beizutragen, so führt die staatliche Bereitstellung bereits nicht mehr zu einer Pareto-Verbesserung gegenüber der reinen Marktlösung.
5.2 Marktversagen auf den Märkten für Gesundheitsgüter
177
Psychische externe Vorteile: Für sie ist auch der Begriff des „Altruismus" gebräuchlich. Das Nutzenniveau des altruistischen Individuums j hängt nicht nur von seinem eigenen Güterkonsum, sondern auch (ebenfalls in positiver Richtung) von dem des Individuums i ab. Ein positiver externer Effekt besteht in der Regel nur solange, wie der Konsum eines Mitbürgers als „unerträglich" niedrig empfunden wird. So bereitet es wohl den meisten Menschen Kummer, mitansehen zu müssen, dass andere aus Hunger oder Mangel an medizinischer Versorgung sterben, vor allem wenn sie „unverschuldet" in diese Notlage geraten sind. Die Existenz altruistischer Einstellungen in der Gesellschaft wirft nun die Frage auf, ob die entsprechenden positiven extemen Effekte 1. auch allein durch private Hilfsmaßnahmen internalisiert werden können oder staatliches Eingreifen erfordern, und ob sie 2. die Subventionierung oder sogar kostenlose Bereitstellung bestimmter Güter (z.B. medizinische Behandlung) erfordern oder durch Geldtransfers geregelt werden könnten, d.h. ob Sachtransfers („transfers in kind") gegenüber Geldtransfers („transfers in cash") nach Wohlfahrtskriterien überlegen sind. Für die staatliche Organisation der Hilfe spricht wieder - wie im Falle der Infektionskrankheiten - ihr Kollektivgutcharakter. Denn in einer Gesellschaft mit vielen wohlhabenden Mitgliedern profitiert jeder davon, wenn ein anderer die Ärmsten unterstützt, und in Abwesenheit einer staatlichen Organisation würde es damit zu einer Unterversorgung mit Hilfsmaßnahmen für Bedürftige kommen. Gütertransfers durch kostenlose Bereitstellung scheinen gegenüber Geldtransfers auf den ersten Blick den Nachteil zu haben, dass sie für den Bedürftigen die relativen Preise verzerren und ihn zu einem Überkonsum der subventionierten (hier: medizinischen) Güter relativ zu einem Pareto-Optimum verleiten. Diese Argumentation übersieht allerdings die spezifischen Wirkungen des Konsums des Transferempfängers auf den Geber: Ist dieser daran interessiert, nicht allgemein den Nutzen des Empfängers, sondern speziell dessen Konsum eines bestimmten Gutes zu erhöhen,2 so steigt seine Bereitschaft zum Transfer, wenn er diesen zweckgebunden geben kann. Durch den erhöhten Umfang des Transfers kann damit auch der Nutzen des Empfängers über das Maximum bei Erhalt eines (kleineren) Einkommenstransfers steigen und somit diese Lösung Pareto-superior sein. Dabei dürften Ernährung, ausreichender Wohnraum und medizinische Grundversorgung zu den am ehesten als unterstützungswürdig angesehenen Bedürfnissen zählen, für die solche Zweckbindung den Interessen der Geber entspricht. Mit der kostenlosen Bereitstellung medizinischer Versorgung für besonders Bedürftige ist jedoch noch keineswegs impliziert, dass diese generell aus Steuermitteln finanziert werden sollte. Auf geeignete Institutionen zu ihrer Finanzierung wird in Teilabschnitt 5.3.1 näher eingegangen. Noch weniger begründen die hier diskutierten Besonder2
Demgemäß spricht man hier von einer „Güterexternalität" im Gegensatz zu einer „Nutzenextemalität".
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5 Besonderheiten von Gesundheitsgütern und ihre allokativen Konsequenzen
heiten von Gesundheitsgütern ein staatlich organisiertes Angebot, wie es ein nationaler Gesundheitsdienst darstellt, denn das mit extemen Effekten und Kollektivgütern verbundene „Marktversagen" betrifft ausschließlich die Nachfrageseite, nicht jedoch die Angebotsseite von Märkten. Schließlich gibt es keinen Grand für die Vermutung, die Produktion von Gesundheitsgütern sei in überwiegendem Maße durch zunehmende Skalenerträge gekennzeichnet. Während Vorteile der Massenproduktion bei einigen Leistungen (z.B. Labortests) bei niedrigem Aktivitätsniveau vorliegen, bleiben diese nicht auf jedem Niveau bestehen, da bei der Erstellung von Gesundheitsleistungen - anders als etwa bei der Bahn oder bei der Elektrizität - Netze keine bedeutende Rolle spielen. 5.2.2 Optionsgutcharakter medizinischer Leistungen Ein weiteres Charakteristikum der meisten medizinischen Leistungen besteht darin, dass der Bedarf nach ihnen vom einzelnen Haushalt zum einen nicht voraussagbar ist, zum anderen aber, wenn er eintritt, oft höchste Dringlichkeit aufweist. Andererseits können Kapazitäten zur medizinischen Versorgung, vor allem im Krankenhaus, nicht so kurzfristig geschaffen werden. Das Bestehen einer gewissen Reservekapazität hat damit den Charakter eines Optionsgutes. Das bedeutet, dass bereits die Existenz des Gutes dem Konsumenten Nutzen stiftet. Um nun den Krankenhäusern einen Anreiz zur Vörhaltung von Reservekapazität zu geben, muss diese für sich vergütet werden, d.h. die Einnahmen des Krankenhauses dürfen nicht nur von der Bettennutzung abhängen. Impliziert dies die Notwendigkeit einer staatlichen Bereitstellungl Diese Frage ist zu verneinen, da die Optionsnachfrage durchaus im Rahmen von (privaten) Krankenversicherungsverträgen befriedigt werden kann, durch die sich die Versicherang verpflichtet, dafür zu sorgen, dass für den Versicherten im Bedarfsfall ein freies Rrankenhausbett zur Verfügung steht. Ein Teil des Prämienaufkommens wird dann dazu verwendet, einem Krankenhaus im Einzugsgebiet des Versicherten ein Entgelt für die Vorhaltung von Reservekapazität zu zahlen. Einen solchen „Sicherstellungsauftrag" für die medizinische Versorgung haben die Gesetzlichen Krankenkassen in der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich vom Gesetzgeber erhalten, aber er könnte durchaus auch durch private Verträge abgesichert sein.3 Lediglich insofern, als die Option selbst wieder den Charakter eines Kollektivgutes hat, wäre eine Finanzierung der Bettenvorhaltung aus Steuermitteln angebracht. In der Tat ist die Bedingung der Nicht-Rivalität erfüllt, da ein und dasselbe freie Krankenhausbett mehreren potentiellen Patienten gleichzeitig den Nutzen der Versorgungssicherheit verschaffen kann. Zu prüfen ist aber, ob darüber hinaus auch ein Verstoß gegen das Ausschlussprinzip vorliegt, welches fordert, dass im Fall eines Versorgungsengpasses derjenige Nachfrager diskriminiert werden muss, der keinen 3 In der Schweiz ist die Vorhaltung von Kapazität Sache der Kantone, die dazu (mitunter zweckgebundene) Steuermittel einsetzen [vgl. dazu ZWEIFEL (1988)].
5.2 Marktversagen auf den Märkten für Gesundheitsgüter
179
entsprechenden Versicherangsvertrag abgeschlossen hat, mit dem die Vorhaltung finanziert wird. Da im Notfall vermutlich aus vermeintlich humanitären Gründen gegen dieses Prinzip verstoßen werden dürfte, ist es gerechtfertigt, durch Steuerfinanzierung alle Bürger zu zwingen, zur Finanzierung der Option beizutragen.4 Wir fassen unsere bisherigen Überlegungen zusammen in der Folgerung 5.1 Der Markt ,,versagt" bei der Allokation von Gesundheitsgütern insoweit, als diese Kollektivguteigenschaften aufweisen (Impfungen, Bereithaltung von Kapazitäten) oder mit Güterexternalitäten verbunden sind. In allen diesen Fällen sind geeignete, gegebenenfalls staatlich organisierte Institutionen der Finanzierung zufinden. Aufkeinen Fall folgt jedoch aus dem Marktversagen die Notwendigkeit eines staatlich organisierten Angebots von Gesundheitsleistungen. 5.2.3 Gründe für das Fehlen von Konsumentensouveränität Ein weiterer, neben externen Effekten und der Kollektivguteigenschaft häufig angeführter Grund für das „Versagen" freier Märkte für Gesundheitsgüter wird in der Unfähigkeit des Konsumenten gesehen, in dieser Hinsicht rationale, d.h. seinen Nutzen maximierende Nachfrageentscheidungen zu treffen. Die verbreitetsten Argumente für diese Behauptung werden im Folgenden diskutiert. 5.2.3.1 Unfähigkeit zu rationaler Entscheidung Der Zustand der Krankheit stellt eine menschliche Ausnahmesituation dar, in der im extremsten Fall sogar sein Leben auf dem Spiel steht. Es wird daher bezweifelt, ob ein Mensch in dieser Lage in das Schema des „souveränen Konsumenten" passt, der unter den ihm angebotenen Alternativen mittels rationaler Abwägung dasjenige aussucht, das unter Berücksichtigung der damit verbundenen Kosten seinen Nutzen maximiert. Abstrahiert man zunächst von dem Problem der Beurteilung der Qualität der Angebote (vgl. dazu Abschnitt 5.2.4), so lassen sich bezüglich der Fähigkeit zum Treffen einer rationalen Entscheidung zumindest drei Stufen unterscheiden: 1. Vollkommene Unfähigkeit zu einer mtionalen Entscheidung: Sie liegt z.B. bei Bewusstlosigkeit oder Geisteskrankheit vor. In dieser Situation nehmen aber medizinische Leistungen keine Sonderstellung ein, da der Betroffene überhaupt keine rationalen Entscheidungen treffen kann und irgend jemand für ihn mit der Maßgabe entscheiden muss, so zu handeln, wie es der Betroffene tun würde, wenn er dazu in der Lage wäre. Die Frage ist lediglich, von wem ein solches „perfektes Sachwalterverhalten" am ehesten erwartet werden kann. Vieles 4
Eine analoge Situation ist die Option auf die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, von der auch regelmäßige Autofahrer profitieren und die die Steuerfinanzierung der Vorhaltung der Leistung (Pflege des Schienennetzes bzw. des Fuhrparks) rechtfertigen.
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5 Besonderheiten von Gesundheitsgütern und ihre allokativen Konsequenzen spricht dafür, dass ein naher Verwandter dazu besser geeignet ist als ein Angestellter der Regierungsbürokratie.
2. Eingeschränkte Fähigkeit zu einer rationalen Entscheidung: Diesen Fall stellen lebensbedrohende, aber die geistige Kapazität nicht einschränkende Krankheiten dar. Hier ist der Patient zwar gegenüber dem Anbieter von Gesundheitsleistungen in einer prinzipiell schwächeren Position, da er bereit sein wird, jeden beliebigen Geldbetrag zur Wiederherstellung seiner Gesundheit zu zahlen. So wird er wohl kaum nach kostengünstigen Angeboten Ausschau halten, sofern damit ein (auch nur vermeintlich) größeres Risiko des Misserfolgs verbunden ist. Andererseits lässt sich für eine derartige Situation durch den Abschluss eines Krankenversicherungsvertrags mit umfassender Abdeckung existenzbedrohender Kosten vorsorgen. Damit schwindet zwar ebenfalls sein Interesse an kostengünstigen Behandlungsformen, aber es lässt sich auch keine strukturelle Unterlegenheit des Nachfragers gegenüber dem Anbieter feststellen. 3. Weitgehende Fähigkeit zu einer rationalen Entscheidung: Sie ist bei nicht lebensbedrohenden Krankheiten, wie sie in der größten Zahl der Behandlungsfälle vorliegen, gegeben. Da keine Bedrohung der Existenz vorliegt, ist die Fähigkeit zur rationalen Entscheidung nicht ernsthaft eingeschränkt, und die oben genannten Zweifel verlieren ihre Berechtigung. Folglich scheint für keine der beschriebenen Stufen der Entscheidungsfähigkeit ein ausreichender Grund für die Vermutung vorzuliegen, dass eine andere Allokationsform als der Wettbewerbsmarkt zu einem höheren Grad an Effizienz führt: Entweder ist das Individuum selbst durchaus in der Lage, rationale Nachfrageentscheidungen zu treffen (2. und 3. Stufe), oder ein ihm Nahestehender muss ihm diese Entscheidung abnehmen. Staatliche Bürokraten, die seine Präferenzen nicht so gut beurteilen können, könnten diese Aufgabe vermutlich weniger befriedigend bewältigen. Noch weniger sprechen die genannten Gründe für ein staatlich organisiertes Leistungsangebot.
5.2.3.2 Minderschätzung zukünftiger Bedürfnisse Naturgemäß ist Krankheit ein stochastisches Ereignis, dessen Häufigkeit und Schwere mit dem Alter des Menschen zunehmen, so dass (vor allem) in späteren Lebensjahren Behandlungskosten anfallen können, die aus dem laufenden Einkommen allein nicht bezahlbar sind. Ein vorausschauendes und risikoaverses Individuum wird auch in Abwesenheit jeglichen staatlichen Eingriffs für dieses Risiko entweder durch Sparen oder (besser noch) durch Abschluss eines Versicherungsvertrags Vorsorge treffen. Da die meisten Menschen jedoch zukünftigen Konsum geringer schätzen als gegenwärtigen, werden viele dieser Eventualität ein nur geringes Gewicht beimessen und eine (ausreichende) Vorsorge unterlassen. Da dann im Alter die entsprechenden Mittel fehlen, werde dies - so wird argumentiert - zu einer systematischen Unterversorgung mit Gesundheitsgütern führen.
5.2 Marktversagen auf den Märkten fiir Gesundheitsgüter
181
Dieses Argument hat einen paternalistischen Charakter, da offensichtlich die durch Minderschätzung zukünftiger Bedürfnisse gekennzeichneten Präferenzen der Individuen nicht als deren „wahre" Präferenzen anerkannt werden. Wer soll aber das Recht haben, zu entscheiden, welches die wahren Präferenzen sind? Eine weitere Schwäche der skizzierten Argumentation ist, dass sie keine alternative institutionelle Regelung aufzeigt, bei der ein „besseres" Resultat zu erwarten ist. Angenommen, man ließe Politiker über das richtige Maß der Vorsorge (z.B. in einer obligatorischen, nach dem Kapitaldeckungsverfahren finanzierten Krankenversicherung) entscheiden, und diese müssten sich in einem demokratischen System periodisch den Bürgern zur Wahl stellen. Dieser Prozess ließe ein größeres Ausmaß an Zukunftsvorsorge nur dann erwarten, wenn ein entsprechendes Wahlprogramm von der Mehrheit der Bürger befürwortet würde. Eine Zustimmung seitens der jüngeren Wähler ist aber nicht zu erwarten, es sei denn sie verhielten sich insofern schizophren, als sie in ihrer Eigenschaft als Wähler ein geringeres Maß an Minderschätzung zukünftiger Bedürfnisse an den Tag legten als in ihrer Eigenschaft als Nachfrager auf Märkten. Ältere Wähler hingegen hätten zwar aufgrund ihrer eigenen (negativen) Erfahrungen die notwendige Einsicht in die Notwendigkeit der Vorsorge, würden aber von einem entsprechenden, auf Ersparnis aufbauenden Programm nicht mehr profitieren, so dass auch sie keine ausreichende Motivation haben, es zu unterstützen.5 Aus den genannten Gründen kann die „Irrationalität" der Konsumenten die Notwendigkeit staatlicher Eingriffe in die Gesundheitsmärkte nicht stichhaltig rechtfertigen. 5.2.4 Unvollkommene Information auf Gesundheitsmärkten Eine weitere Voraussetzung für die Gültigkeit des in Abschnitt 5.1 angesprochenen ersten Hauptsatzes der Wohlfahrtstheorie, die im Falle der Gesundheitsgüter verletzt zu sein scheint, ist die der vollkommenen Markttransparenz. Sie verlangt, dass die potentiellen Nachfrager über Qualität und Preisforderung der Angebote aller Anbieter auf dem Markt informiert sind. Insbesondere die vollkommene Kenntnis der Produktqualität ist bei Dienstleistungen, bei denen ja Erstellung und Konsum zeitlich zusammenfallen („Uno-actu-Prinzip"), generell nicht möglich: Vor der Entscheidung über die Nachfrage können die verschiedenen Angebote nicht in Augenschein genommen und miteinander verglichen werden. In dieser Eigenschaft sind medizinische Leistungen nicht einzigartig. Sie gilt z.B. auch für die Leistungen von Friseuren, Banken (Anlageberatung) und Restaurants sowie für die Auftritte von Künstlern. Dennoch kann man drei zusätzliche Merkmale identifizieren, durch die sich Gesundheits- von den meisten anderen Dienstleistungen unterscheiden. 5
Die Tendenz demokratisch gewählter Regierungen, Staatsausgaben durch Verschuldung zufinanzieren,ist ein Hinweis darauf, dass die „Minderschätzung zukünftiger Bedürfnisse" bei kollektiven Entscheidungen keineswegs geringer ist.
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5 Besonderheiten von Gesundheitsgütern und ihre allokativen Konsequenzen
1. Mangelnde Möglichkeit der Stichpmbe: Die Qualität der Arbeit eines Friseurs oder auch eines Gastwirts kann man durch Ausprobieren erfahren und sich in gewissen Grenzen auch auf das Urteil anderer verlassen, die deren Leistungen bereits in Anspruch genommen haben. Dagegen konsumiert man medizinische Leistungen, vor allem die besonders wichtigen bei lebensbedrohenden Krankheiten, in der Mehrzahl unregelmäßig, so dass einem oft die eigene Erfahrung für eine Beurteilung fehlt. Ferner sind die Erfahrungen anderer nicht ohne weiteres übertragbar, da zum einen die gesundheitlichen Probleme nie ganz vergleichbar sind und zum anderen der Behandlungsprozess eine starke individuelle ArztPatient-Komponente enthält. In dem letztgenannten Punkt unterscheiden sich Gesundheitsgüter auch von langlebigen Konsumgütern wie Waschmaschinen, die man zwar auch unregelmäßig kauft, bei denen aber eine objektive Qualitätsbeurteilung (z.B. durch Test-Institute) möglich ist. 2. Mangelnde Möglichkeit der Qualitätsbeurteilung: Häufig lässt sich die Qualität einer medizinischen Leistung nicht einmal nach ihrer Inanspruchnahme richtig beurteilen, da der Kausalzusammenhang zwischen der Behandlung und der Änderung des Gesundheitszustands von anderen biologischen Vorgängen wie der Selbstheilungskraft des Körpers überlagert sein kann. 3. Besondere Eigenschaften der Information: Besonders für diagnostische Leistungen ist das nachgefragte Gut eine Information. Hier ist es a priori unmöglich, dass der Patient die Qualität der Leistung unmittelbar beurteilen kann, denn das würde voraussetzen, dass er die gesuchte Information vorher schon hatte. Der in der Natur der Sache liegende Informationsvorsprung des Anbieters gibt diesem natürlich ein gewisses Maß an Macht über den Nachfrager. Gerade in diesem Aspekt sind medizinische Leistungen allerdings nicht einzigartig. Man denke etwa an die Leistungen einer Automobil-Werkstatt, die ja in den meisten Fällen mit der Diagnose eines Schadens und der Feststellung eines Reparaturbedarfs beginnt. Auch Rechtsanwälte haben einen Informationsvorsprung bezüglich der Aussichten des Klienten, einen Prozess zu gewinnen. Aus den genannten Gründen sind spezifische Eingriffe in Gesundheitsmärkte gerechtfertigt, die darauf abzielen, die Unterschreitung eines Mindestniveaus der Qualität zu verhindern. Zu denken ist hier an das staatliche Zulassungsverfahren für Ärzte und andere Heilberufe.6 Ferner soll auch die Ausdehnung der Produkthaftung auf ärztliche Leistungen (Stichwort „Kunstfehlerprozesse") verhindern, dass die Unfähigkeit des Patienten zur Beurteilung der Leistungsqualität zur Schlamperei auf Seiten der Leistungsanbieter führt. Auf der anderen Seite spricht keines der genannten Merkmale von Gesundheitsleistungen dafür, dass eine staatliche Organisation des Angebots bessere Wohlfahrtswirkungen erwarten lässt als eine Koordination durch den Markt. Wie zahlreiche 6
Dazu ist allerdings anzumerken, dass eine nur einmalige Approbation bei Eintritt in das Berufsleben einen wesentlich schwächeren Schutz der Qualität beinhaltet, als es eine in bestimmten Abständen erforderliche Re-Approbation tun würde [vgl. dazu die schlagenden Argumente von BENHAM (1991)].
5.3 Marktversagen auf den Märkten für Krankenversicherung
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Beispiele (z.B. das der Post) zeigen, ist gerade in bürokratisch strukturierten Institutionen, wie sie mit der staatlichen Organisation zwangsläufig einhergehen, die Überwachung der Leistungsqualität besonders schwierig und das Eingehen auf die Wünsche der Konsumenten nicht garantiert. Dazu kann vielmehr erst der Wettbewerbsdruck die Anbieter zwingen. Wir kommen also zur Folgerung 5.2 Ein weiterer Grundfür „Marktversagen " wird in der Unfähigkeit der Konsumenten gesehen, rationale Entscheidungen iiber die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen zufällen. Auch dies liefert allerdings keine Rechtfertigung für staatliche Bereitstellung, sondern lediglich für staatliche Mqßnahmen zur Verbesserung der Information der Konsumenten und zur Sicherung der Produktqualität.
5.3 Marktversagen auf den Märkten für Krankenversicherung Die in Abschnitt 5.2 aufgeführten Besonderheiten von Gesundheitsgütern legen zwar einige gezielte staatliche Eingriffe in die betreffenden Märkte nahe, sie rechtfertigen jedoch weder die Monopolisierung der Angebotsseite durch einen staatlichen Gesundheitsdienst noch die generelle Steuerfinanzierung aller Leistungen. Diese müssten demnach von den einzelnen Leistungskonsumenten bezahlt werden. Da Krankheitskosten jedoch stochastisch anfallen, können sich die Haushalte durch Abschluss eines Krankenversicherungsvertrags gegen die damit verbundene Unsicherheit ihres verfügbaren Einkommens absichern. Die im Folgenden zu beantwortende Frage ist, ob diese Aufgabe von privaten Versicherangsmärkten in optimaler Weise erfüllt wird oder ob es Griinde für einen gesetzlichen Versicherungszwang gibt. 5.3.1 Trittbrettfahrerverhalten Oben (im Teilabschnitt 5.2.1) wurde mit Hilfe der Theorie der Güterexternalitäten begründet, warum in einer wohlhabenden Gesellschaft eine medizinische Grundversorgung für (unverschuldet) in Not geratene Mitbürger kostenlos zur Verfügung gestellt werden sollte. Ist dies tatsächlich der Fall, so entsteht jedoch das zusätzliche Problem, dass die Gesellschaft Kriterien definieren und nachprüfen müsste, wann eine Notlage als „unverschuldet" gelten soll. Da dies sehr schwierig ist, wird man sich wohl darauf verständigen müssen, bereits die (geringe) Höhe des Einkommens und die Abwesenheit von Vermögen als Kriterium für den Anspruch auf kostenlose Behandlung gelten zu lassen. Diese Konsequenz wird sich allein schon aus rein praktischen Gründen kaum vermeiden lassen: Wird beispielsweise ein durch Unfall Verletzter oder ein Schwerkranker in ein Krankenhaus gebracht, so kann es sich dieses vor allem in einer reichen Gesellschaft nicht leisten, die medizinische Versorgung des Patienten von dessen Zahlungsfähigkeit abhängig zu machen, da die Verantwortlichen ansonsten eine Anklage wegen unterlassener Hilfeleistung riskieren. Stellt sich hinterher heraus, dass
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5 Besonderheiten von Gesundheitsgütern und ihre allokativen Konsequenzen
er keine Krankenversicherung hat und sein Vermögen nicht zur Bezahlung der Behandlungskosten ausreicht, so wird die Rechnung zwangsläufig aus Transfermitteln beglichen werden müssen. Dies würde jedoch die Gefahr mit sich bringen, dass Individuen, die mit ihrem Einkommen und Vermögen nicht allzu weit von den oben genannten Grenzen der „Bedürftigkeit" entfernt sind, jeglichen Anreiz verlieren, sich durch Abschluss einer Krankenversicherung selbst gegen das Krankheitskostenrisiko abzusichern. Mit dem Verzicht auf Versicherung sparen sie die Prämienausgaben ein und können, solange sie gesund bleiben, ein höheres Konsumniveau genießen. Werden jedoch hohe Ausgaben fällig, so erfüllen sie dann sehr rasch die Kriterien für kostenlose Behandlung, so dass sie ex ante - im Zustand der Ungewissheit über ihren zukünftigen Bedarf an Gesundheitsgütern - ohne Versicherung einen höheren Erwartungsnutzen realisieren. Wird der Personenkreis, der die von der Gesellschaft finanzierte Gesundheitsversorgung ausnutzt, zu groß, dann wird dieses System überfordert und seinem eigentlichen Zweck, denen zu helfen, die sich nicht selbst helfen können, entfremdet. Um es vor der beschriebenen Ausbeutung durch „Trittbrettfahrer" zu bewahren, könnte das Prinzip der kostenlosen Behandlung von Bedürftigen durch dasjenige der Zwangsversicherung ersetzt werden. Alternativ könnte auch eine hinreichend starke staatliche Subvention der Versicherungsprämien für Bedürftige denselben Zweck erfüllen.7 Durch diese beiden Maßnahmen kann der Rest der Gesellschaft vor einer Ausbeutung nicht eigentlich bedürftiger Trittbrettfahrer geschützt werden.8 Den wirklich Bedürftigen als den eigentlichen Adressaten öffentlich finanzierter Transfers könnte auch in einem System der Zwangsversicherung dadurch gezielt geholfen werden, dass von ihnen keine oder geringere Versicherungsbeiträge verlangt werden. Ein Versicherungszwang trägt auch zur Vermeidung einer Ineffizienz bei: Für Trittbrettfahrer dürfte das Einkommen in der Regel im Krankheitsfall geringer sein als im Gesundheitsfall. Im Fall einer aktuarisch fairen Versicherung (vgl. Kapitel 6) ist diese Risikoallokation in der Regel nicht optimal. Der Kauf einer Versicherung lohnt sich jedoch für diese Personen nicht, weil sie im Gesundheitsfall das Einkommen reduziert, im Krankheitsfall aber nur den Transfer vom Rest der Gesellschaft schmälert. Ein Versicherungszwang vermeidet diese Ineffizienz. Wird den potentiellen Trittbrettfahrer gleichzeitig ein fester Transfer gezahlt, können alle Mitglieder der Gesellschaft besser gestellt werden. Dieser Transfer kann durch die Beseitigung 7
Dies war die Grundkonzeption des schweizerischen Kranken- und Unfallgesetzes (KUVG, heute KVG) aus dem Jahre 1911. Die Subvention der Krankenkassenbeiträge wurde im Verlauf der Jahre allerdings so weit getrieben, dass vor seiner Neufassung 1994 rd. 97% der Bevölkerung freiwillig kassenversichert waren. 8 Damit soll nicht behauptet werden, die Begründer sozialer Krankenversicherung mit Pflichtcharakter hätten vorrangig dieses Ziel im Auge gehabt. Wir sagen lediglich, dass aus ökonomischer Sicht die Pflichtversicherung mit der genannten Argumentation gerechtfertigt werden kann.
5.3 Marktversagen auf den Märkten für Krankenversicherung
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der Ineffizienz geringer sein als der erwartete Transfer für Trittbrettfahrer bei Abwesenheit eines Versicherungszwangs (siehe hierzu Übungsaufgabe 5.2). Wir kommen damit zur Folgerung 5.3 Eine gesetzliche Zwangsversicherung und/oder Subventionierung der Versicherungsprämien fiir Bedürftige verhindert, dass „Trittbrettfahrern" das Gesundheitsweisen aufKosten des Rests der Gesellschaft nutzen. Durch einen Versicherungszwang wird des Weiteren eine ineffiziente Risikoallokation vermieden.
5.3.2 Asymmetrische Information über das Krankheitsrisiko Die Einführung einer staatlichen Zwangsversicherung kann unter Umständen auch dann mit einer Wohlfahrtssteigerung verbunden sein, wenn die Bevölkerung bezüglich des zu versichemden Risikos heterogen ist und wenn asymmetrische Information vorliegt, d.h. wenn der einzelne die Höhe seines individuellen Risikos kennt, die Versicherungsgesellschaft sie jedoch nicht beobachten kann und daher alle Versicherungsnachfrager gleich behandeln muss. Den Einfluss asymmetrischer Infonnation auf die Funktionsfähigkeit des Marktmechanismus hat wohl als erster AKERLOF (1970) in seinem berühmt gewordenen Aufsatz „The Market for Lemons" herausgearbeitet. Die Quintessenz dieses Aufsatzes ist die, dass ein Informationsgefälle zwischen dem Verkäufer und dem Käufer eines Gutes mit Qualitätsunterschieden dazu führt, dass die schlechte Ware die gute vom Markt verdrängt („adverse selection"). Ein analoger Effekt kann auf einem Versicherungsmarkt eintreten, auf dem Versicherungsschutz in beliebiger Höhe gekauft werden kann. Der Preis einer Einheit Versicherung richtet sich dann nach einem gewichteten Mittel der Krankheitswahrscheinlichkeiten der Individuen. Die Gewichte entsprechen dabei dem Anteil der von einem Risikotyp gekauften Versicherungssumme. Für Personen mit hoher Krankheitswahrscheinlichkeit, die sogenannten hohen Risiken, ist dieser Preis günstig. Sie werden entsprechend einen hohen Versicherungsschutz nachfragen. Dies verteuert den Versicherungsschutz für niedrige Risiken, die deshalb ihre Nachfrage verringern. Es ist sogar möglich, dass sich in einem Versicherungsmarktgleichgewicht nur noch hohe Risiken versichern, während niedrige Risiken auf einen Versicherungsschutz vollständig verzichten.9 Auf einem Krankenversicherungsmarkt ist dieses Ergebnis allerdings unwahrscheinlich, da die Krankenversicherungen die Höhe des gesamten Versicherungsschutzes in der Regel kontrollieren können. Zum Beispiel können sie auf Einreichung der Originalrechnungen bestehen oder Informationen mit anderen Versicherern austauschen. Dies erlaubt es ihnen, Preis-Mengen-Verträge anzubieten. Dieses Szenario 9
Eine formale Analyse dieses Modellsfindetsich in LAFFONT (1989, Abschnitt 8.3).
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wurde von ROTHSCHILD UND STIGLITZ (1976) sowie WlLSON (1977) untersucht. Im Folgenden diskutieren wir ihre Ergebnisse verbal. Im Anhang zu diesem Kapitel stellen wir das formale Modell dar. Ausgangspunkt der Analyse von Rothschild, Stiglitz und Wilson ist eine Situation mit zwei Risikograppen, die sich in ihrer Krankheitswahrscheinlichkeit unterscheiden. Die Behandlungskosten im Krankheitsfall betragen für beide Typen L. Die Versicherungen bieten Verträge an, die aus einer Prämie P und einer Versicherangsleistung / bestehen. Der Versicherungsmarkt ist durch vollkommene Konkurrenz gekennzeichnet. Des Weiteren gibt es keine Kosten für die Versicherangen außer den erwarteten Versicherungsleistungen. Ein Gleichgewicht auf dem Versicherungsmarkt besteht, wenn 1. alle Individuen den Vertrag wählen, der ihren Erwartungsnutzen maximiert, 2. jeder dieser Verträge dem Versicherer einen nicht-negativen Erwartungsgewinn garantiert und 3. kein potentieller Vertrag außerhalb dieser Menge mit einem nicht-negativen Erwartungsgewinn verbunden wäre. Ein Gleichgewicht wird als trennend bezeichnet, wenn Versicherungsnehmer mit unterschiedlichen Erkrankungswahrscheinlichkeiten unterschiedliche Verträge erwerben; ein vereinendes Gleichgewicht liegt vor, wenn beide Risikotypen den gleichen Vertrag kaufen. Der letztere Gleichgewichtstyp kann jedoch ausgeschlossen werden, da für jeden Vertrag, der von beiden Risikotypen gekauft wird, immer ein Vertrag existiert, den niedrige Risiken bevorzugen, während er hohe Risiken schlechter stellt. Folglich kann es nur ein trennendes Gleichgewicht geben, in dem die beiden Risikotypen unterschiedliche Verträge kaufen. Der einzige Kandidat für ein trennendes Gleichgewicht ist eine Situation, in der hohe Risiken eine Vollversicherung zu einer Prämie erwerben, die dem erwarteten Wert der Versicherungsleistung entspricht (siehe Abbildung 5.3 im Anhang). Niedrige Risiken erwerben einen Teilversicherungsvertrag, dessen Prämie ebenfalls gleich dem erwarteten Wert der Versicherungsleistung ist. Dieser Vertrag ist dadurch gekennzeichnet, dass die Versicherungsleistung so gering ist, dass er für hohe Risiken gerade noch nicht attraktiv ist. Ob diese Vertragskonstellation ein Gleichgewicht darstellt, hängt vom Anteil der niedrigen Risiken in der Bevölkerung ab. Ist dieser sehr hoch, dann existiert ein Vertrag, der beide Risikotypen besser stellt. Allerdings kann dieser Vertrag nicht im Gleichgewicht bestehen, da kein vereinendes Gleichgewicht existiert. Deshalb gibt es in diesem Fall überhaupt kein Gleichgewicht.10 Ist der Anteil der niedrigen Risi10
Dieses Ergebnis wird gelegentlich dahingehend interpretiert, dass der Versicherungsmarkt bei einem hohen Anteil niedriger Risiken „zusammenbricht". Wir halten diese Sichtweise für nicht fundiert. Wenn es in einem Modell für eine bestimmte Parameterkonstellation kein Gleichgewicht gibt, dann trifft es keine Aussage für diese Situation. Das Modell
5.4 Gerechtigkeit als Begründung für staatliche Eingriffe im Gesundheitswesen
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ken jedoch hinreichend gering, dann gibt es keinen Vertrag, der für beide Risikotypen attraktiver ist. In diesem Fall existiert ein trennendes Gleichgewicht. Das trennende Gleichgewicht zeichnet sich dadurch aus, dass niedrige Risiken im Vergleich zu einer Situation, in der die Risikotypen beobachtbar sind, eindeutig schlechter gestellt sind. Sie erhalten nur eine Teilversicherung, während sie sich bei vollkommener Information voll versichern würden. Hohe Risiken hingegen sind genauso gestellt wie bei vollkommener Information. Asymmetrische Information geht damit eindeutig zu Lasten von niedrigen Risiken. Die große Bedeutung des Modells von Rothschild, Stiglitz und Wilson entspringt den Effizienzeigenschaften des trennenden Gleichgewichts. Wie wir im Anhang zeigen, kann ein gesellschaftlicher Planer, dem die Risikotypen nicht bekannt sind (sonst wäre das Ergebnis offensichtlich) durch eine staatliche Zwangsversicherung eine Pareto-Verbesserung herbeiführen. Die Zwangsversicherung deckt dabei nur einen Teil des Kostenrisikos ab. Darüber hinaus muss der Kauf einer privaten Zusatzversicherung möglich sein. Hohe Risiken profitieren von diesem Markteingriff, da sie in der staatlichen Zwangsversicherung von den niedrigen Risiken subventioniert werden. Niedrige Risiken hingegen können über die private Zusatzversicherung ihren Gesamtversicherungsschutz im Vergleich zu der Situation ohne Zwangsversicherung ausweiten. Wir fassen unsere Überlegungen zusammen in Folgerung 5.4 Liegt „adverse selection" vor, d.h. sind Krankheitsrisiken heterogen und vom Versicherer nicht beobachtbar, so können in einem Marktgleichgewicht gute Risiken keinen umfassenden Versicherungsschutz zu risikogerechten Konditionen erhalten. Hier kann die Einführung einer staatlichen Pflichtversicherung, die nur einen Teil des Kostenrisikos abdeckt und dafür einen einheitlichen Beitrag verlangt, mit einer ParetoVerbesserung verbunden sein.
5.4 Gerechtigkeit als Begründung für staatliche Eingriffe im Gesundheitswesen Während in diesem Kapitel bislang staatliche Eingriffe in das Gesundheitswesen unter dem Aspekt einer größeren Effizienz der Allokation diskutiert wurden, werden vielfach auch Gerechtigkeitserwägungen angeführt, um solche Eingriffe zu rechtfertigen. In diesen Abschnitt möchten wir zwei häufig vorgebrachte Forderungen diskutieren:
ist unvollständig und es müssen zusätzliche Annahmen getroffen werden. Im Falle des hier diskutierten Modells wurde insbesondere der Gleichgewichtsbegriff erweitert. Siehe hierzu WILSON (1977) sowie DIONNE UND DOHERTY (1992).
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5 Besonderheiten von Gesundheitsgütern und ihre allokativen Konsequenzen
1. Unterschiede in der finanziellen Leistungsfähigkeit sollen keine Rolle beim Zugang zu Gesundheitsleistungen spielen. Deshalb ist die Zahlungsfähigkeit oder sogar die Zahlungswilligkeit einer Person als Zugangskriterium auszuschließen. 2. Unterschiedliche finanzielle Belastungen aufgrund von angeborenen Unterschieden in der Anfälligkeit für Krankheiten sind ungerecht und sollten vermieden werden. 5.4.1 Zahlungsfähigkeit und -willigkeit und der Zugang zu Gesundheitsgütern Im Bezug auf die finanzielle Leistungsfähigkeit als Zugangskriterium lassen sich zwei Forderungen unterscheiden. Erstens wird postuliert, dass der Zugang zu Gesundheitsgütern nicht von der Zahlungsfähigkeit, d.h. der finanziellen Leistungsfähigkeit einer Person abhängen sollte. Darüber hinaus wird zweitens gefordert, dass er auch nicht von der Zahlungswilligkeit, d.h. dem Geldbetrag beeinflusst werden sollte, den eine Person bereit ist, für die Gesundheitsleistungen zu bezahlen. Stattdessen sollen allein medizinische Kriterien den Ausschlag geben. Zunächst lässt sich festhalten, dass sich die zweite Forderung nur unter Rückgriff auf die erste Forderung begründen lässt. Denn wenn sich zwei Personen nicht in ihrer Zahlungsfähigkeit unterscheiden, dann spiegeln sich in einer unterschiedlichen Zahlungswilligkeit für Gesundheitsgüter allein die Präferenzen für Gesundheit im Vergleich zu anderen Gütern wider. Wird die Zahlungswilligkeit beim Zugang zu Gesundheitsgütern ausgeschlossen, so bedeutet dies folglich, dass diese Präferenzen keine Rolle spielen dürfen. Bei gleicher Zahlungsfähigkeit ist dies ethisch fragwürdig und kaum mit einer freiheitlichen Gesellschaft vereinbar. Wenn es also ein Argument für den Ausschluss der Zahlungswilligkeit gibt, dann nur unter der Voraussetzung, dass sich die Personen in ihrer Zahlungsfähigkeit unterscheiden. Die Tatsache, dass Personen iiber unterschiedliche Zahlungsfähigkeiten verfügen, ist jedoch allein nicht hinreichend dafür, diese als Zugangskriterium für Gesundheitsgüter zu vemeinen. Vielmehr kommt es darauf an, ob Unterschiede in der Zahlungsfähigkeit als ungerecht zu betrachten sind. Entscheidend ist deshalb, auf welche Faktoren sich diese zurückführen zu lassen. Hierzu gehören insbesondere a) persönliche Anstrengung b) unterschiedliche Startchancen c) unterschiedlich.es „Glück" im Leben Ist allein der erste Grund für Unterschiede in der Zahlungsfähigkeit verantwortlich, dann gibt es keine Gründe dafür, die Verteilung der finanziellen Leistungsfähigkeit als ungerecht zu bezeichnen. Liegen jedoch die beiden letzteren Gründe vor, so erscheinen Unterschiede in der Zahlungsfähigkeit als ungerechtfertigt. In der Realität sind aller Wahrscheinlichkeit nach alle drei Gründe für Unterschiede in den
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Zahlungsfähigkeiten verantwortlich. Eine staatliche Umverteilungspolitik lässt sich dann grundsätzlich legitimieren. Daraus folgt jedoch nicht zwangsläufig, dass man den Zugang zu Gesundheitsgütern von der Zahlungsfähigkeit gänzlich unabhängig gestalten muss. Stattdessen erscheint es zu aller erst angebracht, die Zahlungsfähigkeit selbst zum Ziel sozialpolitischen Eingreifens zu machen, indem an die untersten Gruppen der Einkommensskala Transfers gezahlt werden. Um die Steuerzahler für einen Transfer zu gewinnen, kann es dabei vorteilhaft sein, ihn zweckgebunden zu gestalten (vgl. Abschnitt 5.3.1), und zwar als Subventionierung des Beitrags zur sozialen Krankenversicherung. Über diesen Versicherungsschutz wird der Zugang zu einer medizinischen Grundversorgung ermöglicht. Will man jedoch die Zahlungsfähigkeit als Kriterium für den Zugang zu Gesundheitsgütern vollkommen ausschließen, dann bleiben nur zwei Wege. Erstens kann man versuchen, eine vollkommene Gleichverteilung der finanziellen Leistungsfähigkeit zu erreichen. Dies erscheint jedoch wenig erstrebenswert. Zum einen ist dabei mit hohen Effizienzverlusten durch die notwendige hohe Besteuerang zu rechnen. Zum anderen ist eine Gleichverteilung insoweit ungerecht, wie die Verteilung der finanziellen Leistungsfähigkeit auf eigenverantwortlichen Entscheidungen beraht. Zweitens kann man einen spezifischen Egalitarismus im Bereich der Gesundheitsgüter anstreben, indem man die Zahlungswilligkeit und damit erst Recht die Zahlungsfähigkeit als Zugangskriterium zu Gesundheitsleistungen ausschließt.11 Damit wird zwar ebenfalls der Zugang zu einer größeren Menge von Gesundheitsgütern aufgrund einer größeren persönlichen Anstrengung ausgeschlossen. Für den spezifischen Egalitarismus wird jedoch angeführt, dass in Notlagen, in denen es um Leben und Tod geht, Zahlungsfähigkeit und -willigkeit häufig übereinstimmen werden. Kommt hinzu, dass die Ressourcen begrenzt sind und deshalb nicht alle Personen behandelt werden können, z.B. nach einem größeren Unfall, dann würde letztlich allein die Zahlungsfähigkeit darüber entscheiden, wer behandelt wird. Bei einem Ausschluss der Zahlungswilligkeit hingegen könnte die Behandlung nach medizinischen Kriterien, insbesondere den Überlebenschancen, erfolgen. Die entscheidende Frage ist, wie häufig mit solchen Situationen zu rechnen ist. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass die für Gesundheit zur Verfügung stehenden Ressourcen in der Regel nicht exogen vorgegeben sind, sondern durch Nachfrage und Angebot bestimmt werden. Steigt z.B. die Nachfrage nach physiotherapeutischen Behandlungen von Personen mit höherer Zahlungsfähigkeit, so geht dies nicht zu Lasten von Individuen mit geringerer Zahlungsfähigkeit, sondern führt über den Marktmechanismus zuerst zu einer Ausweitung der Angebots der Physiotherapeuten und schließlich zu einer Zunahme an Leistungsanbietern. Ein genereller Ausschluss der Zahlungswilligkeit stellt deshalb vor allem die Personen mit höherer Zahlungsfähigkeit schlechter, ohne jemand anders besser zu stellen. Zudem sprechen noch weitere wichtige Gründe gegen den spezifischen Egalitarismus:
1
'Der Begriff des spezifischen Egalitarismus geht zurück auf TOBIN (1970). Vertreter dieser Sichtweise sind u.a. WlLLlAMS (1962) und WALZER (1983).
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•
Der Verzicht auf jegliche Zuzahlungen bedeutet, dass man ein wichtiges Steuerangsinstrument des Gesundheitsverhaltens nicht nutzt (siehe Kapitel 6). Es ist deshalb damit zu rechnen, dass Personen z.B. bei ihrer Ernährang, ihrem Konsum von Genussmitteln und ihren sportlichen Aktivitäten die finanziellen Konsequenzen ihres Verhaltens nicht berücksichtigen. Um eine Explosion der Kosten zu vermeiden, müsste man stattdessen das gesundheitsrelevante Verhalten der Individuen durch Zwangsmaßnahmen beeinflussen. Auch dadurch würde ein Konflikt mit den Grundprinzipien einer freiheitlichen Gesellschaft entstehen.
•
Medizinische Leistungen sind, wie bereits in den Kapiteln 3 und 4 dargelegt, nicht die einzigen Güter, von deren Konsum die Gesundheit eines Menschen abhängt und vielleicht nicht einmal die entscheidenden. Andere Güter, wie eine ausreichende, vor allem aber „richtige" Ernährang sowie eine Wohnung ausreichender Größe und Qualität, spielen eine vergleichbare Rolle und müssten mit der gleichen Berechtigung gebührenfrei verteilt werden. Eine Außerkraftsetzung des Marktmechanismus in so weiten Teilen des Güterspektrums würde jedoch wegen der damit verbundenen negativen Anreizwirkungen die Effizienz der Wirtschaft insgesamt erheblich beeinträchtigen.
•
Es ist damit zu rechnen, dass sich neben dem staatlichen System ein privater Markt für Gesundheitsleistungen höherer Qualität bzw. geringerer Wartezeit für zahlungskräftige und -willige Kunden entwickeln wird. Will man nicht zu polizeistaatlichen Mitteln greifen, die im Widerspruch zu einer freiheitlichen Gesellschaft stehen, so wird man diesen Markt kaum unterbinden können.
•
Die Entscheidungsfreiheit des Patienten wird insofern eingeschränkt, als dass er ausschließlich aufgrund von Rriterien behandelt wird, die entweder einem kollektiven (und wahrscheinlich bürokratischen) Entscheidungsprozess oder den individuellen Präferenzen des behandelnden Arztes entstammen.
Unserer Ansicht nach ist die Forderung, die Zahlungswilligkeit als Kriterium für den Zugang zu Gesundheitsgütern auszuschließen, aus diesen Gründen verfehlt. Lediglich in akuten Notlagen, in denen nicht alle Personen ausreichend behandelt werden können, sollte die Zahlungswilligkeit keine Rolle bei der Behandlung spielen. Ansonsten ist aber das Gesundheitswesen kein Nullsummenspiel, in dem sich nur die Zahlungskräftigeren durchsetzen und die anderen auf der Strecke bleiben. Wir halten es deshalb für eine vemünftigere Strategie, die Zahlungsfähigkeit - insofern sie ungerecht verteilt ist - durch staatliche Umverteilungspolitik selbst zu beeinflussen und für eine angemessene medizinische Grundversorgung zu sorgen. Wir fassen unsere Überlegungen zusammen in Folgerung 5.5 Ungerechtfertigte Unterschiede in den Zahlungsfähigkeiten von Personen sollten nach Möglichkeit durch Transfers ausgeglichen werden. Zudem sollte jeder Bürger Zugang zu einer angemessenen medizinischen Grundversorgung haben. Ein genereller Ausschluss der Zahlungsfähigkeit oder sogar der Zahlungswilligkeit als Kriterium beim Zugang zu Gesundheitsgiitern istjedoch nicht wünschenswert, da er den Prinzipien
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einer freiheitlichen Gesellschaft widerspricht und zudem zu hohen Effizienzverlusten führt. Lediglich in besonderen Notlagen, in denen nicht alle Personen ausreichend behandelt werden können, sollte die Zahlungswilligkeit beim Zugang zu Gesundheitsgiitern keine Rolle spielen. 5.4.2 Angeborene Unterschiede in den Krankheitskosten und der Zugang zu Gesundheitsgütern 5.4.2.1 Umverteilung und der Schleier des Nichtwissens Auf einem privaten Markt für Krankenversicherungen wird im Wettbewerbsgleichgewicht jeder Versicherte eine Prämie zu zahlen haben, die - bei gleichem Umfang des Versicherungsschutzes - dem Erwartungswert seiner zukünftigen Krankheitskosten entspricht. Personen, die von der Natur mit einer größeren Anfälligkeit für Krankheiten (z.B. einer angeborenen Krankheit oder Behinderung) ausgestattet wurden, müssen demnach eine höhere Prämie zahlen als weniger Anfällige. Diese Marktlösung wird vielfach als „ungerecht" empfunden, da die beschriebene Ungleichheit ohne das Zutun der Beteiligten, allein aufgrund ungleicher Startchancen zustande kommt. Stattdessen soll es einen finanziellen Ausgleich zwischen „niedrigen" und „hohen" Risiken geben, der dafür sorgt, dass von Natur aus benachteiligte Personen finanziell nicht schlechter gestellt werden als ihre gesunden Mitbürger.12 Eine derartige Umverteilung lässt sich mit Hilfe des Konzepts des Schleiers des Nichtwissens untersuchen, das auf HARSANYI (1955) und RAWLS (1971) zurückgeht. Dabei wird ein Verteilungsprinzip als gerecht betrachtet, wenn ihm die betroffenen Personen in einer Situation zustimmen würden, in der sie noch nicht wissen, ob sie Vorteile aus diesem Prinzip haben oder nicht. In der hier betrachteten Situation wüssten die Individuen hinter dem Schleier des Nichtwissens nicht, als welcher Risikotyp sie geboren werden. Sie sind deshalb dem Risiko unterschiedlicher hoher erwarteter Krankheitskosten und damit unterschiedlich hoher Aufwendungen für eine Krankenversicherung ausgesetzt. Geht man von der plausiblen Annahme aus, dass die Individuen hinter dem Schleier des Nichtwissens risikoscheu sind, dann würden sie in dieser Situation einer Versicherung gegen das Risiko unsicherer erwarteter Krankheitskosten zustimmen. Insofern man den fiktiven Schleier des Nichtwissens als Ausdruck einer fairen, nicht von individuellen Partikularinteressen geprägten Entscheidungssituation betrachtet, folgt daraus, dass ein Ausgleich zwischen hohen und niedrigen Risiken wünschenswert sein kann. Zu beachten ist allerdings noch ein Effizienzaspekt. Der Gesundheitszustand einer Person ist vielfach nicht nur Folge von unterschiedlichen Startchancen, sondern 12
Der Ausgleich zwischen hohen und niedrigen Risiken lässt sich auch als ein Effizienzproblem interpretieren, wenn die Individuen in Zukunft mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit ein hohes Risiko werden können. In diesem Fall sehen sie sich ex ante einem Prämienrisiko ausgesetzt. Zu den unterschiedlichen Möglichkeiten der Absicherung dieses Risikos siehe KIFMANN (2002b).
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wird auch vom Verhalten wie der Art der Ernährang, dem Konsum von Genussgiften oder dem Ausmaß körperlicher Betätigung beeinflusst. Ein vollkommener Ausgleich zwischen hohen und niedrigen Risiken kann deshalb zu ex-ante Moral Hazard führen (vgl. Abschnitt 6.4), d.h. die Folgen des eigenen Verhaltens auf die Ausgaben für Gesundheitsgüter werden nur unzureichend berücksichtigt. Dies kann vermieden werden, indem die Individuen einen Teil der Gesundheitsausgaben selber tragen. Hinter dem Schleier des Nichtwissens würden die betroffenen Personen dann nur einem teilweisen Ausgleich zwischen hohen und niedrigen Risiken zustimmen. Wir fassen diese Überlegungen zusammen in Folgerung 5.6 Hinter einem Schleier des Nichtwissens würden risikoscheue Individuen einer Versicherung gegen das Risiko unsicherer erwarteter Krankheitskosten zustimmen. Bei ex-ante Moral Hazard kann allerdings nur ein teilweiser Ausgleich zwischen hohen und niedrigen Risiken optimal sein. 5.4.2.2 Möglichkeiten eines Ausgleichs zwischen niedrigen und hohen Risiken Drei grundsätzliche Konzepte sind vorgeschlagen worden, um den Ausgleich zwischen hohen und niedrigen Risiken zu erreichen: 1. Personenspezifische Transfers in Abhängigkeit von der Krankheitsanfälligkeit.'3 Bei diesem Konzept sollen die Transfers so ausgestaltet werden, dass Individuen für unterschiedliche Krankenversicherungsprämien aufgrund ihres Gesundheitszustands aus dem Steueraufkommen kompensiert werden. In den Krankenversicherungsmarkt selbst wird nicht eingegriffen. Die entscheidende Frage bei diesem Vorschlag ist, wie präzise die individuellen Transfers das Risiko einer Person abbilden können. Idealerweise sollten die Kriterien, nach denen private Versicherer die Prämie differenzieren, zur Festlegung der Transfers benutzt werden. Dies ist jedoch äußerst aufwändig und wirft zudem große Datenschutz- und Kontrollprobleme auf.14 In der Praxis werden wahrscheinlich nur einige leicht und eindeutig identifizierbare Erkrankungen zur Bestimmung der Transfers verwendet werden können. Als Alternative zu einer 13
Diese Idee geht zurück auf PAULY ET AL. (1992). Für eine Diskussion dieses Vorschlags siehe auch VAN DE VEN ET AL. (2000). 14 Einen Eindruck, welche Informationen bei einem weitgehenden Ausgleich benötigt werden, geben die Annahmerichtlinien einer privaten Krankenversicherung in Deutschland. Sie sehen 37 Krankheiten vor, die zu einem Beitragszuschlag führen oder gar nicht versicherbar sind. Den Beitrag erhöhen z. B. Asthma (20%), Gallensteine (40%), ein Halswirbelsäulensyndrom (40%), eine Magenschleimhautentzündung (20%) und Schuppenflechte (20%). Nicht versicherbar sind z.B. Personen, die einen Herzinfarkt erlitten haben oder unter einer Geisteskrankheit leiden. Bei Überschreitung des Normalgewichts um über 60% ist ebenfalls ein Versicherungsschutz ausgeschlossen. Wenn Gentests in Zukunft eine genauere Vorhersage des Krankheitsrisikos ermöglichen, dann wird diese Liste auch noch um die Ergebnisse dieser Tests ergänzt werden.
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direkten Erhebung des Risikos ist deshalb vorgeschlagen worden, die Höhe der Prämie als Indikator für das Risiko anzusetzen. In diesem Fall haben jedoch Versicherung und Versicherter den Anreiz, höhere Leistungen zu vereinbaren, um den Transfer zu erhöhen.15 Die Transferlösung ist bislang noch nicht in die Praxis umgesetzt worden. Einen optimalen Ausgleich der Prämienunterschiede zwischen hohen und niedrigen Risiken wird sie kaum erreichen können. Zu hoch sind die Informationsanforderungen an den Staat und zu schwerwiegend wären die negativen Anreize bei der vollen Erstattung der Krankenversicherungsprämie. Sollte sie eingeführt werden, wäre deshalb eine Ergänzung um eine staatlich organisierte „Notversicherung", die Grundleistungen gegen eine einheitliche Gebühr anbietet, sinnvoll, um übermäßige Härten zu vermeiden. Ebenso könnte die Versorgung von bestimmten Erkrankungen, die privat nur schwer versicherbar sind, wie z.B. psychische Krankheiten, separat organisiert werden.16 2. Ein Diskriminierungsverbot, das Krankenversicherungen untersagt, Beiträge in Abhängigkeit von der Krankheitsanfälligkeit zu erheben. Ein Diskriminierungsverbot soll die Umverteilung zwischen hohen und niedrigen Risiken per Dekret erreichen. Dieser Weg wird u.a. in Deutschland und der Schweiz beschritten. Ein Diskriminierungsverbot allein reicht jedoch nicht aus, um das Grundproblem, die Benachteiligung hoher Risiken auf Versicherungsmärkten, zu lösen. Niedrige Risiken müssen zudem dazu gezwungen werden, höhere Prämien zu zahlen, als es ihrem Risiko entspricht. Ebenso müssen Krankenkassen verpflichtet werden, hohe Risiken zu versichern. Entsprechend sind Zwangsversicherung und Kontrahierungszwang notwendig. Das zentrale Problem bei einem Diskriminierungsverbot ist das Auseinanderfallen von Beitragszahlung und erwarteten Gesundheitsausgaben. Dies schafft einen Anreiz für die Krankenkassen, sich nicht auf die effiziente Erbringung von Leistungen, sondern auf Risikoselektion zu konzentrieren, d.h. ihre Angebote so zu gestalten, dass sie für hohe Risiken unattraktiv, für niedrige Risiken aber interessant sind. Niedrige Risiken können zum Beispiel durch Leistungen aus dem Wellness- und Fitness-Bereich gewonnen werden. Hohe Risiken können abgeschreckt werden, wenn Leistungen bei chronischen Krankheiten wie Diabetes nur schlecht vergütet werden bzw. wenn diese Leistungen zunächst ein langwieriges Genehmigungsverfahren durchlaufen müssen.17 Dieses Rosinenpicken (englisch „cream-skimming") ließe sich am einfachsten dadurch lösen, dass Personen einer Versicherung zugewiesen werden.18 Will man jedoch nicht auf die 15
Um dies zu vermeiden, könnte ein fester Leistungskatalog vorgeschrieben werden. Dann verzichtet man jedoch auf einen wichtigen Vorteil des Versicherungswettbewerbs. 16 In der englischsprachigen Literatur wird dies als carve-out bezeichnet. 17 Weitere Beispiele werden in VAN DE VEN UND VAN VLIET (1992) genannt. 18 Vgl. hierzu den Vorschlag von DIAMOND (1992), der auf Basis von festen Personengruppen einen Versicherungswettbewerb um die Versicherung dieser Gruppen organisieren möchte.
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5 Besonderheiten von Gesundheitsgütern und ihre allokativen Konsequenzen freie Versicherungswahl verzichten, dann lässt sich Risikoselektion durch eine Regulierung des Leistungspakets und einen Risikostrukturausgleich (in der Schweiz als Risikoausgleich bezeichnet) einschränken. Letzterer leistet Transfers an Kassen mit schlechter Risikostruktur und besteuert Kassen mit guter Risikostruktur. Wie dadurch Anreize zur Risikoselektion gemindert werden können, diskutieren wir ausführlich in Kapitel 7.
3. Ein steuerfinanzierter nationaler Gesundheitsdienst, der einen gebührenfreien Zugang zu Gesundheitsleistungen ermöglicht. Bei einem nationalen Gesundheitsdienst haben alle Bürger einen gebührenfreien Zugang zu Gesundheitsleistungen. Da auf einen Versicherungswettbewerb verzichtet wird, wird das Risikoselektionsproblem auf der Versicherungsebene vermieden.19 Allerdings kann durch eine Ausschaltung des Wettbewerbs auch das Kind mit dem Bade ausgeschüttet werden. In Abwesenheit von anderen Anbietern bestehen in jedem Fall nur geringe Anreize, die Leistungen kostengünstig und den Wünschen der Patienten entsprechend zu erstellen. Die Lösungen im Vergleich Das Konzept der personenspezifischen Transfers zeigt, dass ein Außerkraftsetzen des Marktmechanismus grundsätzlich nicht nötig ist, um einen Ausgleich zwischen hohen und niedrigen Risiken zu erreichen. Auch ein Diskriminierungsverbot ist mit Versicherungswettbewerb vereinbar. Allerdings weist der Vergleich der drei Lösungen darauf hin, dass eine Gesellschaft vor einem Zielkonflikt steht. Wenn sie dem Ausgleich zwischen hohen und niedrigen Risiken Priorität einräumt, dann sind eher ein Diskriminierungsverbot oder ein staatlicher Gesundheitsdienst geeignet. Diese Konzepte leiden jedoch unter einer hohen Regulierungsdichte und mangelnder Wahlfreiheit. Wenn die freie Entscheidung der Bürger über den von ihnen gewünschten Krankenversicherungsschutz im Mittelpunkt stehen soll, dann sind risikoäquivalente Prämien vorzuziehen. Der Ausgleich zwischen hohen und niedrigen Risiken würde dann über personenspezifische Transfers erfolgen und wäre aller Wahrscheinlichkeit nach nur unvollkommen. Risikoäquivalente Prämien begünstigen allerdings eine größere Produkt- und Leistungsvielfalt als die anderen Alternativen. Schließlich soll noch darauf hingewiesen werden, wie die drei Lösungen exante Moral Hazard bezüglich des Gesundheitszustands vermindern können. Bei der Transferlösung könnte dies geschehen, indem der Ausgleich für einige Gesundheitszustände nur teilweise erfolgt. Bei einem Diskriminierungsverbot und bei einem staatlichen Gesundheitsdienst könnten Zuzahlungen vorgesehen werden. Insbesondere Ausgaben für Verletzungen, die eindeutig Folge eines absichtlich eingegangenen Risikos sind, wie z.B. ein Skiunfall, sollten dabei in Rechnung gestellt werden.
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Bei der Vergütung der Leistungsanbieter muss aber auch ein staatlicher Gesundheitsdienst das Risikoselektionsproblem lösen. Siehe hierzu Kapitel 10.
5.5 Zur Gestaltung einer Sozialen Krankenversicherung
195
Wir ziehen aus unseren Überlegungen die
Folgerung 5.7 Ein Ausgleich zwischen hohen und niedrigen Risiken lässt sich durch personenspezifische Transfers, ein Diskriminierungsverbot oder einen nationalen Gesundheitsdienst erreichen. Ein Außerkraftsetzen des Marktmechanismus ist grundsätzlich nicht nötig. Allerdings miissen bei der Transferlösung die personenspezifischen Transfers den Gesundheitszustand präzise erfassen. Ein Diskriminierungsverbot muss durch einen Kontrahierungszwang, eine Zwangsversicherung und Maßnahmen zur Vermeidung von Risikoselektion ergänzt werden. Ein vollständiger Ausgleich zwischen hohen und niedrigen Risiken ist nicht wünschenswert, wenn der Gesundheitszustand stark vom Verhalten beeinflusst wird.
5.5 Zur Gestaltung einer Sozialen Krankenversicherung 5.5.1 Die Soziale Krankenversicherung in Deutschland und der Schweiz Wir haben uns im vorigen Abschnitt mit zwei Dimensionen der Umverteilung befasst. Einerseits haben wir untersucht, inwieweit der Zugang zu Gesundheitsgütern von der finanziellen Leistungsfähigkeit einer Person abhängen sollte. Andererseits haben wir erörtert, ob ein Ausgleich zwischen Personen mit unterschiedlichem Krankheitsrisiko wünschenswert ist. Wir haben argumentiert, dass ungerechtfertigte Unterschiede in den Zahlungsfähigkeiten von Personen durch Transfers ausgeglichen werden sollten. Zudem sollte jeder Bürger Zugang zu einer angemessenen medizinischen Grundversorgung haben, wobei der Finanzierungsbeitrag nicht vom Gesundheitszustand abhängen sollte. In Deutschland und der Schweiz sind diese Anforderungen grundsätzlich erfüllt: •
Sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz besitzen Personen mit geringem Einkommen ein Anrecht auf Transfers, die ihnen einen Mindestlebensstandard in Höhe des sozio-kulturellen Existenzminimums erlauben.
•
In beiden Ländern richten sich die Beiträge zur sozialen Rrankenversicherung nach dem Einkommen. In der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in Deutschland legen die gesetzlichen Kassen einen Beitragssatz fest. Die Beiträge steigen proportional mit dem Lohn- und Lohnersatzeinkommen bis zur so genannten Beitragsbemessungsgrenze an und sind darüber konstant. In der obligatorischen Krankenversicherung in der Schweiz werden einheitliche Kopfpauschalen erhoben. Haushalte mit geringem Einkommen erhalten einen staatlichen Zuschuss.
•
Beide Länder haben ein Krankenversicherungssystem mit Diskriminierangsverbot, Kontrahierungszwang und Versicherungspflicht. Ein Risikostrukturausgleich soll Risikoselektion seitens der Krankenversicherungen verhindern.
196
5 Besonderheiten von Gesundheitsgütern und ihre allokativen Konsequenzen
Sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz besteht daher ein allgemeiner, nicht vom Einkommen abhängiger Zugang zu einer medizinischen Grundversorgung. Zudem weisen beide Länder im weltweiten Vergleich hohe Gesundheitsausgaben auf, die zum Großteil über risikounabhängige Prämien finanziert werden. Allerdings unterscheiden sich die Länder auch in zwei wichtigen Aspekten: 1. In Deutschland wird die Einkommensumverteilung in der Krankenversicherung selbst vorgenommen; in der Schweiz erfolgt der Ausgleich über das Steuer- und Transfersystem. 2. In der Schweiz ist die gesamte Bevölkerung pflichtversichert. In der GKV sind nur Arbeiter und Angestellte versicherungspflichtig, deren Jahreseinkommen unter der Versicherungspflichtgrenze liegt. Von der Versicherungspflicht ausgenommen sind neben Beamten und Selbständigen die Arbeiter und Angestellten am oberen Ende der Einkommensskala. Diese haben die Option, sich freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung zu versichern oder in die private Krankenversicherung (PKV) zu wechseln. Auf diese Unterschiede gehen wir im Folgenden genauer ein. Unsere bisherigen Überlegungen fassen wir zusammen in Folgerung 5.8 Sowohl Deutschland als auch die Schweiz verfügen über soziale Krankenversicherungssysteme, in denen jeder unabhängig vom Einkommen einen Zugang zu einer medizinischen Grundversorgung auf relativ hohem Niveau besitzt. Beide Systeme erreichen den Ausgleich zwischen niedrigen und hohen Risiken Uber ein Diskriminierungsverbot. Die Länder unterscheiden sich im versicherungspflichtigen Personenkreis sowie in der Organisation der Einkommensumverteilung. 5.5.2 Zur Beitragsgestaltung in einer Sozialen Krankenversicherung 5.5.2.1 Die Beitragsbemessung in Deutschland In Deutschland wird die GKV seit ihrer Einführang im Jahr 1883 paritätisch finanziert. Arbeitnehmer und Arbeitgeber teilen sich hierbei den Beitrag je zur Hälfte. Die Beitragshöhe bemisst sich an der Höhe des Lohn- und Lohnersatzeinkommens. Diese Art der Beitragsgestaltung kann so lange mit dem Äquivalenzprinzip begründet werden, wie sich auch der Leistungsanspruch zum größten Teil am Einkommen orientiert. Diese Bedingung war tatsächlich in den Gründerjahren der GKV erfiillt, als mehr als die Hälfte der Ausgaben der Krankenkassen auf die Lohnersatzleistung Krankengeld entfielen. Mit der wachsenden Bedeutung der Ausgaben für medizi-
5.5 Zur Gestaltung einer Sozialen Krankenversicherung
197
nische Leistungen und spätestens mit der Verlagerung der Lohnfortzahlung für die ersten 6 Krankheitswochen auf den Arbeitgeber im Jahre 1970 ist diese Begründung entfallen, da das Krankengeld heute nur noch ca. 6 Prozent der Leistungsausgaben der Kassen ausmacht. Der Rest entfällt auf Ausgaben für Leistungen, auf die jeder Versicherte den gleichen Anspruch hat. Eine Bemessung am Einkommen lässt sich jetzt nur noch mit dem Prinzip der Leistungsfähigkeit bzw. der Idee des „Solidarausgleichs" zwischen den besser und den schlechter Verdienenden begründen. Für die Leistungsfähigkeit ist jedoch das Arbeitseinkommen ein sehr unvollkommenes Maß, dessen Güte umso mehr abnimmt, als der Anteil des Arbeitseinkommens am gesamten Volkseinkommen zurückgeht, wie es tatsächlich in den vergangenen Jahrzehnten der Fall war. Des Weiteren ist die Einkommensumverteilung durch die Existenz einer Beitragsbemessungsgrenze (2004: monatlich 3.487,50 €) regressiv. Dies steht im Gegensatz zur progressiven Ausrichtung des Steuersystems. Unter dem Gesichtspunkt der Effizienz ist aber vor allem die einseitige Verzerrung der Arbeitsangebotsentscheidung zu kritisieren, die durch die ausschließliche Berücksichtigung des Arbeitseinkommens entsteht. Ein Nebeneffekt der Bemessung der Beiträge am Arbeitseinkommen bei gleichzeitigem Absinken der Lohnquote ist der Verlust an Transparenz: So entstand durch die ständig steigenden Beitragssätze der gesetzlichen Krankenkassen in den vergangenen drei Jahrzehnten der Eindruck einer „Kostenexplosion" im Gesundheitswesen, obwohl die Hauptursache für diesen Anstieg nicht etwa in einem rasanten Wachstum der Gesundheitsausgaben, sondern eher in einem Zurückbleiben der Beitragsbemessungsgrundlage hinter der Entwicklung des Sozialprodukts insgesamt zu sehen ist. So stieg der Anteil der GKV-Leistungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt zwischen 1975 und 1998 von 5,7% auf 6,0%, also lediglich um rand 5 Prozent an. Im gleichen Zeitraum erhöhte sich der durchschnittliche GKV-Beitragssatz von 10,5% auf 13,6%, also um fast genau 30 Prozent, weil sich gleichzeitig die Relation zwischen der Bemessungsgrundlage der Beiträge und dem BIP erheblich verringerte.20 Ein zusätzliches Problem beim gegenwärtigen Beitragstarif besteht in den Abweichungen von der Proportionalität im Bereich „geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse" unterhalb von 800 € monatlichen Arbeitseinkommens sowie durch die Beitragsbemessungsgrenze. In Kombination mit dem Individualprinzip (getrennte Veranlagung von Ehepartnern) führt diese Tarifgestaltung zu einer Ungleichbehandlung von Ehepaaren mit gleichem Haushaltseinkommen, aber unterschiedlicher Aufteilung, denn er begünstigt Paare mit ungleich hohen Einkommen, falls ein Einkommen über und das andere unter der Bemessungsgrenze liegt, gegenüber Paaren mit zwei gleich hohen Einkommen. Dieses Problem könnte allerdings durch einen Übergang zum Haushaltsprinzip (gemeinsame Veranlagung von Ehepartnern mit doppelter Bemessungsgrenze) beseitigt werden.
20
Vgl. MEINHARDT
UND SCHULZ (2003).
198
5 Besonderheiten von Gesundheitsgütern und ihre allokativen Konsequenzen
5.5.2.2 Die Beitragsbemessung in der Schweiz In der Schweiz wird je erwachsenem Versicherten gegenwärtig ein einheitlicher pauschaler Beitrag erhoben. Fiir Kinder und Jugendliche bestehen reduzierte, aber jeweils kostendeckende Beiträge. Im Rahmen der „Prämienverbilligung" kann jeder Versicherte vom Staat einen Zuschuss erhalten, wenn der Gesamtbeitrag, den er und seine Familie zu entrichten haben, einen bestimmten Prozentsatz (zwischen 8 bis 10 Prozent je nach Kanton) des Haushaltseinkommens übersteigt. Diese auf den ersten Blick unterschiedliche Beitragsbemessung ist der deutschen Regelung sehr ähnlich: Zunächst ist der faktische Beitrag zur Krankenversicherung ein prozentualer Anteil des Einkommens. Ist das Einkommen jedoch so hoch, dass kein Anrecht mehr auf einen Zuschuss besteht, ist der Beitrag eine Konstante. Somit besteht auch in der Schweiz eine implizite Beitragsbemessungsgrenze, die dem Einkommen entspricht, ab dem kein Zuschuss mehr gewährt wird. Der Unterschied zur GKV in Deutschland liegt einerseits darin, dass die Bemessungsgrenze von der Haushaltsgröße und -zusammensetzung abhängt. Andererseits vermeidet diese Regelung eine einseitige Koppelung der Beiträge an das Arbeitseinkommen. Damit wird eine über die Einkommensteuer hinausgehende Verzerrung der Arbeitsangebotsentscheidung vermieden. Zudem erfolgt die Einkommensumverteilung über das progressive Steuersystem. 5.5.3 Zum Versichertenkreis in einer Sozialen Krankenversicherung Während in der Schweiz die gesamte Wohnbevölkerung in der sozialen Krankenversicherung pflichtversichert ist, sind in Deutschland alle Arbeiter und Angestellte, deren monatliches Einkommen oberhalb der Versicherungspflichtgrenze liegt (3.862 € im Jahre 2004), sowie Beamte und Selbständige von der Versicherungspflicht ausgenommen. Diese haben die Option, sich freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung zu versichern oder in die private Krankenversicherung (PKV) zu wechseln.21 Dass gerade die Einkommensstärksten von der Versicherungspflicht befreit sind, ist deswegen bemerkenswert, weil die Regeln der Beitragsbemessung in der GKV eine zweifache Umverteilung erreichen sollen: •
Dadurch, dass der Beitrag nicht nach dem individuellen Krankheitsrisiko differenziert ist, findet eine implizite Umverteilung zugunsten der Krankheitsanfälligen statt.
•
Dadurch, dass der Beitrag als fester Prozentsatz vom Einkommen (bis zu einer oberen Grenze) erhoben wird, werden ceteris paribus die Einkommensschwachen von den Einkommensstarken subventioniert. 21
Im Jahre 1999 waren 88,5% der Bevölkerung in der GKV und 8,9% in der PKV versichert. Zu den PKV-Versicherten gehören neben den versicherungsbefreiten Arbeitern und Angestellten auch Beamte und Selbständige. Siehe BUNDESMINISTERIUM FÜR GESUNDHEIT (2001).
5.5 Zur Gestaltung einer Sozialen Krankenversicherung
199
Die Option, sich beim Überschreiten der Versicherungspflichtgrenze privat zu versichern, wirkt genau diesen beiden Umverteilungsdimensionen entgegen. Sie kann zum einen nur von den Einkommensstarken genutzt werden. Andererseits wird sie nur von niedrigen Risiken wahrgenommen, weil in der PKV in Deutschland die Prämie nach dem Krankheitsrisiko differenziert wird. Die Wechseloption schwächt deshalb die Umverteilung in der GKV. 5.5.4 Die Reform der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland Mit dem Bericht der „Rürup-Kommission" (siehe BUNDESMINISTERIUM FÜR G E SUNDHEIT UND SOZIALE SICHERUNG (2003)) ist in Deutschland eine öffentliche Debatte zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung in Gang gekommen. Im Mittelpunkt steht dabei zum einen die Ausweitung der Versicherungspflicht in der GKV auf alle Erwerbstätigen. Die PKV würde dann in Zukunft nur noch Zusatzversicherungen anbieten. Begründet wird diese Ausweitung vor allem mit dem Solidaritätsgedanken und der möglichen Beitragsentlastung durch die Einbeziehung gesünderer und einkommensstarker Personen. So könnte nach der Studie von SEHLEN ET AL. (2004) der Beitragssatz um 0,6 Beitragssatzpunkte durch die Einbeziehung aller bisher gesetzlich nicht Versicherten gesenkt werden. Zum anderen wird eine Einbeziehung weitere Einkunftsarten in die Einkommensumverteilung gefordert. Hier soll sowohl das Leistungsfähigkeitsprinzip besser verwirklicht als auch die Belastung des Faktors Arbeit verringert werden. Die Ausweitung des Versichertenkreises auf alle Erwerbstätigen ist Teil der Vorschläge von KNAPPE UND ARNOLD (2002) und BREYER ET AL. (2004). Abgelehnt
wird sie von der Herzog-Kommission der CDU.22 Die Rürup-Kommission bezieht hier keine eindeutige Position. Eine Gruppe befürwortet das von Karl Lauterbach entworfene Konzept der „Bürgerversicherung", das eine allgemeine Versicherungspflicht beinhaltet. Dagegen steht das Modell „Gesundheitsprämie", das von Bert Rürup und anderen Kommissionsmitgliedern vertreten wird und einen unveränderten Versichertenkreis vorsieht.23 Bei der Einbeziehung weiterer Einkunftsarten in die Beitragsbemessung lassen sich zwei Varianten unterscheiden: 1. Die Bemessungsgrundlage für die GKV-Beiträge wird auf alle persönlichen Einkünfte erweitert. 2. In der GKV werden Kopfpauschalen eingeführt und die Einkommensumverteilung wird in das Steuer- und Transfersystem ausgegliedert. Die Vertreter der „Bürgerversicherung" sprechen sich für Variante 1. aus. Dagegen spricht jedoch die Effizienz, da die Erhebungsbasis die gleiche wäre wie bei der Einkommensteuer und ein Nebeneinander zweier Umverteilungsinstrumente mit ähnlicher oder gleicher Basis nur unnötigen Erhebungsaufwand verursachen würde. 22 23
Siehe CDU (2003). Vgl. hierzu die Abschnitt 4.3.1 und 4.3.2 des Kommissionsberichts.
200
5 Besonderheiten von Gesundheitsgütern und ihre allokativen Konsequenzen
Die 2. Variante wird von KNAPPE UND ARNOLD (2002), BREYER ET AL. (2004), von den Befürwortern des Gesundheitsprämien-Modells der Rürup-Kommission sowie von der Herzog-Kommission befürwortet. Eine zentrale Frage stellt bei diesem Vorschlag die Behandlung der Haushalte dar, deren Einkommen so gering ist, dass es vollständig oder doch zum großen Teil durch die Kopfpauschalen für die Haushaltsmitglieder aufgezehrt würde. Für ein Land wie Deutschland, das in der Ausgangssituation einkommensbezogene Beiträge vorsieht, wäre gleichzeitig zu fragen, wie ein Übergang zu Kopfpauschalen so vorgenommen werden könnte, dass keine Bevölkerungsgruppe dadurch gravierend benachteiligt würde. Transfers an Personen mit geringem Einkommen zur Finanzierung der Kopfpauschalen sind aber auch aus polit-ökonomischer Sicht wichtig. Wie wir in Kapitel 13 zeigen, ist es sonst unwahrscheinlich, dass die Mehrheit der Bevölkerung ein Kopfpauschalensystem einkommensbezogenen Beiträgen vorzieht. Zwei Optionen der Behandlung der Haushalte mit geringem Einkommen bestehen. Die erste orientiert sich an der Schweiz, die zweite beruht auf einer Anpassung von Sozialhilfe und Kindergeld sowie der Auszahlung des Arbeitgeberbeitrags: Option I - staatliche Beitragszuschüsse: Wie in der Schweiz kann nach dieser Regelung der Versicherte vom Staat einen Zuschuss erhalten, wenn der Gesamtbeitrag, den er und seine Familie zu entrichten haben, einen bestimmten Prozentsatz des Haushaltseinkommens übersteigt. Diese Lösung wird von KNAPPE UND A R NOLD (2002), von den Befürwortern des Gesundheitsprämien-Modells sowie von der Herzog-Kommission vertreten. Aus der Perspektive des Versicherten ändert sich gegenüber dem geltenden Recht insofern wenig, als sich der effektiv zu tragende Beitrag bis zu einer Einkommensgrenze (heute: Beitragsbemessungsgrenze) proportional zum Einkommen verhält und darüber konstant ist. Die Unterschiede bestehen allerdings darin, dass das maßgebliche Einkommenskonzept bei dieser Option das Gesamteinkommen aus allen Quellen ist und nicht wie bisher das Arbeitseinkommen und dass die „Bemessungsgrenze" von der Haushaltsgröße und -zusammensetzung abhängt. Beträgt etwa der monatliche Pauschalbeitrag bei einem Erwachsenen 180 € und bei einem Kind 90 € und liegt die Grenze für staatliche Zuschüsse bei 15 % des Haushaltseinkommens, so liegt die Einkommensgrenze, von der an der Monatsbeitrag tatsächlich eine Konstante ist - weil die staatlichen Zuschüsse wegfallen - bei einem Alleinstehenden bei 1.200 € , bei einem Ehepaar mit zwei Kindern dagegen bei 3.600 €.. Die negativen Leistungsanreize bis zur Bemessungsgrenze bleiben aber weitgehend erhalten. Polit-ökonomisch wird an dem Vorschlag zudem bemängelt, dass die Absicherung des „sozialen Ausgleichs" auf tönernen Füßen stehe, wenn die Deckung eines erheblichen Transferbedarfs - es werden für Deutschland Beträge zwischen 25 und 40 Mrd. € genannt - Jahr für Jahr in den Beratungen des Bundesetats von Neuem durchgesetzt werden muss. Damit könnte das System in eine noch größere politische Abhängigkeit geraten, als dies heute schon der Fall ist. Option II- Anpassung existierender Transfersysteme: Der soziale Ausgleich wird bei diesem von BREYER ET AL. (2004) entwickelten Konzept in das bestehende Steuer-Transfer-System integriert: Sowohl der Regelsatz der Sozialhilfe als auch der
5.5 Zur Gestaltung einer Sozialen Krankenversicherung
201
Tabelle 5.1. Die Reformvorschläge im Überblick Versicherangspflicht
1. la. lb.
Einkommensabh. Beiträge Arbeitseinkommen Sämtliche Einkommen
2. 2a.
Kopfpauschalen mit staatlichen Zuschüssen
2b.
Anpassung existierender Transfersysteme
Selektiv
Allgemein
GKV -
Bürgerversicherung
Gesundheitsprämie, Herzog-K.
Schweiz, KNAPPE UND ARNOLD BREYER ET AL.
Grundfreibetrag in der Einkommensteuer werden um den durchschnittlichen GKVBeitrag angehoben. Desgleichen wird das Kindergeld um den mittleren GKV-Beitrag für Kinder aufgestockt. Wenn zusätzlich der Arbeitgeberbeitrag steuerfrei an den Arbeitnehmer ausgeschüttet wird, ist damit bereits gesichert, dass kein Erwerbsfähiger schlechter gestellt wird als im bisherigen System. Eine Schlechterstellung gegenüber dem Status quo in Deutschland ergibt sich lediglich bei Rentnern, die von den genannten Maßnahmen nicht so stark profitieren, dass sie für die erhöhten Beiträge kompensiert würden. Eine gesonderte Ausgleichszahlung an Rentner sowie die Erhöhung des Kindergelds belasten jedoch den Bundeshaushalt mit erheblich geringeren Mehrausgaben, als dies in Option I der Fall wäre. Ein Problem stellen bei dieser Option die Anreize für den Personenkreis dar, der arbeitsfähig ist, aber wegen fehlendem Vermögen und sehr niedrigem Einkommen einen Anspruch auf Sozialhilfe geltend machen kann. Zur Illustration sei diese Problematik am Beispiel eines Alleinstehenden erläutert: Für diesen beträgt der Regelsatz der Sozialhilfe (einschließlich der Übemahme der Warmmiete) gegenwärtig ca. 625 € . Bei einem Übergang zu Kopfpauschalen stiege der Gesamttransfer in dieser Option II auf 805 € . Nach dem vom 1.1.2005 an geltenden Sozialhilferecht bleiben bei einem Hinzuverdienst des Sozialhilfeempfängers 30 Prozent anrechnungsfrei, d.h. die Sozialhilfe wird um 70 Prozent des erzielten Einkommens gekürzt. Diese Regelung wirkt sich im betrachteten Beispiel bis zu einem Nettoeinkommen (nach Abzug von sonstigen Sozialversicherungsbeiträgen) von 1.150 € aus, denn bei diesem Einkommen fällt der letzte Cent Sozialhilfeanspruch weg, und jedes zusätzliche Einkommen unterliegt nur noch der „normalen" Belastung durch Lohnsteuern (Eingangssteuersatz) und Sozialabgaben. Ohne die Kopfpauschale in der Krankenversicherung würde der Einkommensbereich mit der marginalen Belastung von 70 Prozent bereits bei ca. 900 € enden. Die Verringerung der Grenzbelastung des Einkommens bis zur Beitragsbemessungsgrenze wird also durch eine Mehrbelastung in einem Einkommenssegment zwischen 900 und 1.150 € erkauft. Tabelle 5.1 gibt einen Überblick über die verschiedenen Vorschläge. Sie macht deutlich, dass die in der öffentlichen Diskussion im Mittelpunkt stehenden Konzepte „Bürgerversicherung" und „Gesundheitsprämie" nur einen Teil der möglichen Re-
202
5 Besonderheiten von Gesundheitsgütern und ihre allokativen Konsequenzen
formoptionen abdeckt. Insbesondere zeigen die Vorschläge von K.NAPPE UND ARNOLD (2002) und BREYER ET AL. (2004), dass sich eine Ausweitung des Versichertenkreises und ein Umstieg zu Kopfpauschalen kombinieren lassen. Schließlich möchten wir noch auf die intergenerativen Folgen einer Einführung einer allgemeinen Versicherungspflicht in der GKV, z.B. in Form der Bürgerversicherung, eingehen. Dadurch würde die Kapitaldeckung entfallen, die heute innerhalb des Anwartschaftsdeckungsverfahrens der PKV gebildet werden. In der GKV hingegen würden durch einen Rückgang der Beiträge auch die Rentner von der Ausweitung der Versicherungspflicht profitieren. Die Folge wäre eine Ausweitung der intergenerativen Umverteilung zu Lasten der jüngeren Generationen, die angesichts der demographischen Entwicklung wenig wünschenswert erscheint. Durch zwei Maßnahmen ließe sich jedoch diese Wirkung vermeiden [vgl. hierzu FELDER UND KlFMANN (2003) sowie Abschnitt (14.4.3)]: 1. Die Einführung einer Kapitaldeckung innerhalb der GKV Hier würde die Belastung der jungen Generation dadurch vermieden, dass ein kollektiver Kapitalbestand aufgebaut wird, der auch von den älteren Generationen mitfinanziert wird. Dieser Kapitalbestand würde für zukünftige Beitragsentlastungen verwendet. 2. Neugestaltung der Beiträge in der GKV Das Umlageverfahren in der GKV führt nicht zwangsläufig zu einer intergenerativen Umverteilung. Dies ist vor allem eine Folge des altersunabhängigen Beitragssatzes, der ältere Generationen begünstigt. So wurden in der Krankenversicherung der Rentner in Deutschland im Jahr 2002 insgesamt 63 Mrd. € ausgegeben, von denen nur 28 Mrd. € durch Beiträge der Rentner finanziert wurden. Eine Senkung des Beitragssatzes für die älteren Generationen durch eine Ausweitung der Versicherungspflicht würde diese Differenz auf Kosten der aktiv Beschäftigten noch erhöhen. Dies lässt sich vermeiden, wenn im bestehenden System der Beitragssatz für die älteren Generationen konstant gehalten und nur für die Jungen gesenkt wird. Auch der Umstieg auf Kopfpauschalen könnte diesen Effekt haben, wenn diese zu einem höheren Finanzierungsbeitrag der älteren Generationen führen. Entscheidend ist bei beiden Varianten, dass der Beitrag der älteren Generationen nicht durch die Ausweitung der Versicherungspflicht gesenkt wird. Die zweite Variante hat den Vorteil, dass die Kapitalbildung privat erfolgen und aus der Beitragsentlastung der Jungen finanziert würde. Ein kollektiver Kapitalbestand weckt hingegen Begehrlichkeiten von Politikern und Interessenverbänden und läuft Gefahr, für andere Zwecke missbraucht zu werden. Wir ziehen als Fazit die Folgerung 5.9 Die Vorschläge zur Reform der GKV unterscheiden sich vor allem in der Frage, ob der Versichertenkreis ausgeweitet werden soll und
5.6 Zusammenfassung des Kapitels
203
wie weitere Einkunftsarten bei der Beitragsbemessung berücksichtigt werden können. Vorschläge, die eine Umstellung auf Kopfpauschalen und die Verlagerung der Einkommensumverteilung in das Steuer-Transfer-System vorsehen, haben dabei den Vorteil, dass sie ein ineffizientes Nebeneinander zweier Umverteilungssysteme vermeiden. Die Einführung einer allgemeinen Versicherungspflicht würde die Solidarität bei der Finanzierung der Gesundheitsausgaben stärken. Um eine weitere Umverteilung zu Ungunsten jüngerer Generationen zu vermeiden, sollten die Beiträge zur GKV so neu gestaltet werden, dass der Finanzierungsbeitrag der älteren Generationen nicht durch die Erweiterung des Versichertenkreises sinkt.
5.6 Zusammenfassung des Kapitels 1. Weisen Gesundheitsgüter Kollektivguteigenschaften auf oder sind sie mit Güterexternalitäten verbunden, so können staatlich organisierte Institutionen der Finanzierung zu einer besseren Allokation dieser Güter führen. Ein staatlich organisiertes Angebot von Gesundheitsleistungen ist jedoch grundsätzlich nicht erforderlich. 2. Ein weiterer Grund für „Marktversagen" wird in der Unfähigkeit der Konsumenten gesehen, rationale Entscheidungen über die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen zu fällen. Auch dies liefert allerdings keine Rechtfertigung für staatliche Bereitstellung, sondern lediglich für staatliche Maßnahmen zur Verbesserung der Information der Konsumenten und zur Sicherung der Produktqualität. 3. Eine gesetzliche Versicherungspflicht und/oder Subventionierung der Versicherungsprämien für Bedürftige verhindert, dass „Trittbrettfahrer" das Gesundheitswesen auf Kosten des Rests der Gesellschaft nutzen. Durch einen Versicherangszwang wird des Weiteren eine ineffiziente Risikoallokation vermieden. 4. Sind Krankheitsrisiken heterogen und vom Versicherer nicht beobachtbar, so können in einem Marktgleichgewicht gute Risiken keinen umfassenden Versicherungsschutz zu risikogerechten Konditionen erhalten (adverse Selektion). Hier kann die Einführung einer staatlichen Pflichtversicherung, die nur einen Teil des Kostenrisikos abdeckt und dafür einen einheitlichen Beitrag verlangt, zu einer Pareto-Verbesserung führen. 5. Ungerechtfertigte Unterschiede in den Zahlungsfähigkeiten von Personen sollten nach Möglichkeit durch Transfers ausgeglichen werden. Zudem sollte jeder Bürger Zugang zu einer angemessenen medizinischen Grundversorgung haben. Ein genereller Ausschluss der Zahlungsfähigkeit oder sogar der Zahlungswilligkeit ist jedoch nicht wünschenswert, da er den Prinzipien einer freiheitlichen Gesellschaft widerspricht und zudem zu hohen Effizienzverlusten führt. 6. Ein Ausgleich zwischen Personen mit angeborenen Unterschieden in der Krankheitsanfälligkeit lässt sich mit Hilfe des Konzepts des Schleiers des Nichtwissens
204
5 Besonderheiten von Gesundheitsgütern und ihre allokativen Konsequenzen rechtfertigen. In dieser Situation würden risikoscheue Individuen einer Versicherung gegen das Risiko unsicherer erwarteter Krankheitskosten zustimmen. Ein vollständiger Ausgleich zwischen hohen und niedrigen Risiken ist nicht wünschenswert, wenn der Gesundheitszustand stark vom Verhalten beeinflusst wird.
7. Ein Ausgleich zwischen hohen und niedrigen Risiken lässt sich durch personenspezifische Transfers, ein Diskriminierungsverbot oder einen staatlichen Gesundheitsdienst erreichen. Ein Außerkraftsetzen des Marktmechanismus ist grundsätzlich nicht nötig. 8. Sowohl Deutschland als auch die Schweiz verfügen über soziale Krankenversicherungssysteme, in denen jeder unabhängig vom Einkommen einen Zugang zu einer medizinischen Grundversorgung auf relativ hohem Niveau besitzt. Beide Systeme erreichen den Ausgleich zwischen niedrigen und hohen Risiken über ein Diskriminierungsverbot. Die Länder unterscheiden sich im versicherungspflichtigen Personenkreis sowie in der Organisation der Einkommensumverteilung 9. Die Vorschläge zur Reform der GKV unterscheiden sich vor allem in der Frage, ob der Versichertenkreis ausgeweitet werden soll und wie weitere Einkunftsarten bei der Beitragsbemessung berücksichtigt werden können. Vorschläge, die eine Umstellung auf Kopfpauschalen und die Verlagerung der Einkommensumverteilung in das Steuer-Transfer-System vorsehen, haben dabei den Vorteil, dass sie ein ineffizientes Nebeneinander zweier Umverteilungssysteme vermeiden. Die Einführang einer allgemeinen Versicherungspflicht würde die Solidarität bei der Finanzierung der Gesundheitsausgaben stärken. Um eine weitere Umverteilung zu Ungunsten jüngerer Generationen zu vermeiden, sollten die Beiträge zur GKV so neu gestaltet werden, dass der Finanzierungsbeitrag der älteren Generationen nicht durch die Erweiterung des Versichertenkreises sinkt.
5.7 Lektürevorschläge Die Beiträge von ARROW (1963) und PAULY (1988) gehören zu den klassischen Artikeln, die die Besonderheiten von Gesundheitsgütern diskutieren. Für eine ausführliche Darstellung von externen Effekten, öffentlichen Gütern und zunehmender Skalenerträgen empfehlen wir das Lehrbuch „Grundlagen der Wirtschaftspolitik" von BREYER UND KOLMAR (2001). Gerechtigkeitsaspekte im Gesundheitswesen werden insbesondere auch von McGuiRE ET AL. (1988) and HURLEY (2000) erörtert. Die Frage, wie ein Ausgleich zwischen hohen und niedrigen Risiken erreicht werden kann, widmet sich das Kapitel 2 von KlFMANN (2002b). Lesenswert sind auch die Vorschläge von PAULY ET AL. (1992) und VAN DE VEN ET AL. (2000), die eine Alternative zu den Krankenversicherungssystemen in Deutschland und der Schweiz darstellen. Zur tieferen Beschäftigung mit adverser Selektion empfehlen wir den Überblicksartikel von DlONNE UND DOHERTY (1992). Dort werden insbesondere weitere Gleichgewichtsbegriffe und mehrperiodige Verträge diskutiert.
5.A Märkte für Krankenversicherung mit asymmetrischer Information
205
5.A Anhang zu Kapitel 5 - Märkte für Krankenversicherung mit asymmetrischer Information 5.A.1 Modellannahmen Wir betrachten ein Modell eines Krankenversicherungsmarktes, das auf ROTHSCHILD UND STIGLITZ (1976) und WiLSON (1977) zurückgeht. Fürjedes Individuum kann es nur zwei mögliche Zustände der Natur geben, nämlich den Zustand der Erkrankung (Kürzel k), der mit einem finanziellen Verlust (Behandlungskosten und Verdienstausfall) in Höhe von L Geldeinheiten verbunden ist, und den Zustand der Gesundheit (Kürzel g), in dem das (für alle gleich hohe) Einkommen Y ungeschmälert bleibt. Ferner gebe es zwei Bevölkerungsgruppen A und B mit unterschiedlich hohen Erkrankungswahrscheinlichkeiten JI^ und %B {KA < ^B)- Ein Anteil // der Bevölkerung gehöre der Gruppe A an, der Anteil (1 —//) der Grappe B. Mit y1- werde das verfügbare Einkommen eines Individuums der Gruppe i (i = A,B) im Zustand h (h = k,g) bezeichnet und mit u(y^) die Funktion, die den maximal erreichbaren Nutzen in Abhängigkeit vom verfügbaren Einkommen ausdrückt. Der Grenznutzen des verfügbaren Einkommens sei positiv, aber abnehmend, d.h. die Funktion u habe die Eigenschaften u = u(y),
u'(y)>0,
u"{y) < 0.
(A.l)
Dies bedeutet, dass das Individuum risikoavers ist, d.h. dass es ein sicheres Einkommen immer einem unsicheren Einkommen mit gleichem Erwartungswert streng vorzieht. Der (ex ante) erwartete Nutzen für jedes Mitglied der Gruppe / ist: EUi = %iu{yki) + (\-%i)u(ygi),
i=A,B.
(A.2)
In diesem Modell interessiert uns, ob eine effiziente Allokation des Risikos der krankheitsbedingten Kosten durch individuelle Verträge am Markt zustandekommen kann oder ob es dazu staatlichen Zwangs bedarf. Wie sich herausstellen wird, hängt die Antwort auf die gestellte Frage entscheidend davon ab, ob die Gruppenzugehörigkeit eines Individuums allgemein bekannt ist („öffentliche Information") oder nur ihm selbst („private Information"). Diese beiden Fälle behandeln wir getrennt in den beiden folgenden Abschnitten, wobei der erste weniger realistisch ist, aber als Referenzsituation angesehen werden kann. Eine Übersicht über das Modell wird in Tabelle 5.2 gegeben.
206
5 Besonderheiten von Gesundheitsgütern und ihre allokativen Konsequenzen Tabelle 5.2. Modell eines Versicherangsmarktes mit heterogenen Krankheitsrisiken
EUi =itiii(yl) + (1 — 7l,-)«(;yf),
(i = A,B)
(A.2)
/j [i^AyA + (1 — ^ A ) ^ ] ~t~ 0 ~v) [^ByB + (l ~nß)yB] (A.3) Vereinendes Gleichgewicht: PA=CVIA, v
PB = *VIB
iunAlA + (l-L>)KBlB HIA +
(A.9) (A.11)
(1~IJ)IB
Trennendes Gleichgewicht: y\ = Y -L + Ii -Pi = Y -L+ (1 -o{)//
(A.14) (A.15)
7t,u'(yf) , , ß.
y8,/Y: L: 7t,-:
H\ u(Y): EU: I: P:
ov,o':
—Vi —7t,-,
J
A,B
(A.16)
M'Cvf)
verfügbares Einkommen des Individuums bei Gesundheit bzw. bei Krankheit Brutto-Einkommen pro Kopf Kosten bei Krankheit Erkrankungswahrscheinlichkeit eines Mitgliedes der Gruppe i(i = A,B) Anteil niedriger Risiken Nutzen des Individuums Erwartungswert des Nutzens Versicherungsleistung Versicherungsprämie Preis pro Einheit der Versicherungsleistung (vereinende, trennende Verträge)
5.A.2 Heterogenes Krankheitsrisiko und öffentliche Information Unterstellt man, dass sich gemäß dem Gesetz der großen Zahlen die individuellen Erkrankungswahrscheinlichkeiten für die Gesellschaft als ganze zu relativen Häufigkeiten werden, so lautet die Budgetbeschränkung für die betrachtete Gesellschaft insgesamt (in Pro-Kopf-Größen geschrieben):
n [%A/A + (1 - KA)ygA] + (1 -/i) [nByB + (l - t B )>|] = Y-\fmA + (l-fi)nB]L wobei Y das Pro-Kopf-Einkommen der betrachteten Wirtschaft bezeichnet.
(A.3)
5.A Märkte für Krankenversicherung mit asymmetrischer Information
207
Als erstes definieren wir die Begriffe „zulässige Allokation" und „Pareto-optimale Allokation": Definition 5.1 Eine Allokation {(>f,;yf),/ = A,B} heißt zulässig, wenn sie die Gleichung (A.3) erfüllt. Sie heißt Pareto-optimal, falls es keine andere zulässige Allokation {(y^,^),i = A,B} gibt, so dass gilt:
EUi&täZEUitätf),
i=A,B
(A.4)
mit strikter Ungleichung für mindestens ein i. Es lässt sich zeigen, dass sich jede Pareto-optimale Allokation durch Maximierang einer irgendwie gewichteten Summe der Einzelnutzen,
EUAtä,y?A) + 8EUBtäJB)
5>0,
(A.5)
unter der Nebenbedingung (A.3) darstellen lässt. Als notwendige Bedingung erster Ordnung für ein Pareto-Optimum ergibt sich aus der Lösung dieses Maximierungsproblems unter Berücksichtigung von (A.2): )
,
(A6)
d.h. die Ex-post-Grenzraten der Substitution zwischen Einkommen bei Gesundheit und bei Krankheit sind bei beiden Individuen gleich groß. Daraus folgt jedoch wegen nA < KB sofort, dass in einem Pareto-Optimum die Ex-ante-Grenzraten der Substitution zwischen dem Einkommen in beiden Gesundheitszuständen zwischen den Gruppen nicht übereinstimmen: dEUA/dykA dEUA/dyA
=
nAu'(ykA) (l-nA)u'(/A)
nBS(fB) (1 -nB)u'(ygB)
=
dEUBßykB dEUß/dyl
Als nächstes ist zu definieren, was unter einem Gleichgewicht auf einem privaten Markt für Krankenversicherungen verstanden werden soll. Jeder Vertrag h sei dabei durch die Höhe der im Krankheitsfall an den Versicherten zu zahlenden Leistung 4 und die von ihm in jedem Fall zu entrichtende Prämie P/, gekennzeichnet. Ferner bezeichne oh=Ph/h (A.8) den „Preis" pro Einheit der Versicherungsleistung, und der Markt sei so organisiert, dass die Anbieter den Preis a^ vorgeben und die Nachfrager die Menge 4 wählen.
208
5 Besonderheiten von Gesundheitsgütern und ihre allokativen Konsequenzen Deiinition 5.2 Ein „Gleichgewicht aufdem Marktfür Krankenversicherungen " ist charakterisiert durch eine Menge von Verträgen, für die gilt, dass 1. alle Individuen den Vertrag wählen, der ihren Erwartungsnutzen maximiert, 2. jeder dieser Verträge dem Versicherer einen nicht-negativen Erwartungsgewinn garantiert und 3. kein potentieller Vertrag außerhalb dieser Menge mit einem nichtnegativen Erwartungsgewinn verbunden wäre.
Ein solches Gleichgewicht heißt „trennend", wenn Versicherangsnehmer mit unterschiedlichen Erkrankungswahrscheinlichkeiten Verträge mit verschieden hohen Preisen nachfragen; andernfalls heißt das Gleichgewicht „vereinend". Ferner macht man sich leicht klar, dass in einem Gleichgewicht auf dem Versicherungsmarkt alle tatsächlich nachgefragten Verträge zu einem erwarteten Gewinn von Null führen müssen, da jeder Vertrag mit strikt positivem Erwartungsgewinn von einer anderen Firma mit einem Vertrag unterboten werden kann, der dieselbe Leistung zu geringerem Beitrag anbietet und dennoch einen nicht-negativen Erwartungsgewinn erzielt. •
Möglichkeit eines vereinenden Gleichgewichts: Hier müssen per deflnitionem alle im Gleichgewicht angebotenen Verträge denselben Preis (f haben. Seien ferner IA und IB die nutzenmaximierenden Versicherungsleistungen für die Individuen der beiden Gruppen, so lauten die entsprechenden Prämien PA = avIA,
PB = avIB,
(A.9)
und die Bedingung für das Verschwinden des erwarteten Gewinns eines Vertrages - fi)PB = Setzt man die Gleichungen (A.9) in (A.10) ein und löst nach Gv auf, so erhält man
Lässt man /u zuerst gegen Null und dann gegen eins gehen, folgt aus (A. 10) wegen 0 < ix < 1 und nA < %B nA < av < nB. (A.12) Es würde sich für einen Versicherungsanbieter also lohnen, ausschließlich Angehörigen der A-Gruppe einen Vertrag mit einem Preis <3VA zwischen nA und ov anzubieten. Dieser Vertrag würde, da er weniger als a v kostet, von allen Adressaten gegeniiber dem Vertrag im vereinenden Gleichgewicht vorgezogen werden; da er jedoch teurer ist als nA, garantiert er dem Anbieter einen positiven Erwartungsgewinn, womit die Definition eines Gleichgewichts verletzt ist. Folglich ist bewiesen, dass es kein vereinendes Gleichgewicht geben kann, wenn die Gruppenzugehörigkeit von Individuen allgemein bekannt und Zwangsversicherung ausgeschlossen ist.
5.A Märkte für Krankenversicherung mit asymmetrischer Information
209
Möglichkeit eines trennenden Gleichgewichts: Im Folgenden untersuchen wir die Existenz und die Eigenschaften eines trennenden Gleichgewichts (Superskript t). Die Null-Gewinn-Bedingung muss jetzt für jede Seite der Gleichung (A.9) einzeln erfüllt sein. Entsprechend betragen die Preise der Verträge, die den Mitgliedern der jeweiligen Gruppen angeboten werden
Eine Streuung des Risikos der Krankheitskosten erfolgt also jeweils innerhalb der beiden Risikograppen: Aus den Beiträgen der A-Versicherten wird die Leistung an die Erkrankten dieser Gruppe finanziert, und entsprechendes gilt für die BGrappe. Die Prämien gehorchen also dem versicherungstechnischen Äquivalenzprinzip,24 bezogen auf die einzelnen Risikogruppen. Die Höhe der jeweils nachgefragten Versicherungsleistungen ergibt sich aus der Maximierung der Erwartungsnutzenfunktion Gleichung (A.2) unter den Nebenbedingungen
wobei jeweils das zweite Gleichheitszeichen aus (A.8) folgt. Aus den notwendigen Bedingungen erster Ordnung für eine Lösung dieses Maximierungsproblems ergibt sich
«'Of)
'~
i=A,B.
Dividiert man beide Seiten der Gleichung (A.16) durch JC,-, so erkennt man, dass die trennenden Versicherungsverträge zu einer Allokation führen, welche die Bedingung für die Pareto-Optimalität, (A.6), erfüllt. Ferner erfüllt die Allokation wegen (A.14) und (A.15), wie man leicht nachprüfen kann, die gesellschaftliche Ressourcenbeschränkung (A.3) und ist damit zulässig. Bei einer im Einkommen streng konkaven Nutzenfunktion u ist die Optimalbedingung (A.16) für jede Risikogruppe genau dann erfüllt, wenn das verfügbare Einkommen in beiden Gesundheitszuständen gleich hoch ist, das Krankheitskostenrisiko also durch eine Versicherang mit der Leistung /,• = L(i =A,B) vollständig abgedeckt wird. Dieses Ergebnis kann anhand eines (y^y^-Diagramms illustriert werden (vgl. Abbildung 5.1), in dem jeder Punkt einem bestimmten Vertrag (Ij,Pj) entspricht; seine Koordinaten lassen sich anhand der Gleichungen in (A.14) und (A.15) berechnen. Für einen gegebenen Preis G'J erhält man alle denkbaren Verträge und folglich alle zulässigen (j^y^-Kombinationen, indem man (A.15) nach /, = Y/&{ —; auflöst und in Gleichung (A.14) einsetzt: 24
Das Äquivalenzprinzip verlangt, dass die Prämie ebenso hoch ist wie der Erwartungswert der Versicherungsleistung.
210
5 Besonderheiten von Gesundheitsgütern und ihre allokativen Konsequenzen
Abb. 5.1. Darstellung von Versicherungsverträgen in einem Modell mit bedingten Ansprüchen
yK y G
EUA \
\
EÜB \
\
\ \ ^—. N
/ /•''
Y-I5
vp 1
I
./' , '45° \
i=A,B.
(A.17)
Man erkennt, dass alle diese Konsumvektoren auf einer Geraden mit der Steigung (1 — a'j)/atj liegen. Ferner beginnen alle derartigen Geraden mit verschiedenen G^-Werten im Punkt (Y,Y — L), der die Anfangsausstattung jedes Versicherungsnachfragers symbolisiert. Die Geraden PQ, PS und PT der Abbildung 5.1 verdeutlichen diesen Zusammenhang: PT hat die Steigung —(1 — %A)/KA ur>d stellt die Menge der gemäß (A.13) für Angehörige der A-Grappe versicherungstechnisch äquivalenten Verträge dar, PQ hat die Steigung - ( 1 - nB)/nB und bewirkt dasselbe für die ß-Gruppe, und PS hat die Steigung _Mi-^) + (i-p)(i-^) /UKA + {1 - f*)nB
und ist daher der geometrische Ort der für die Bevölkerung insgesamt äquivalenten Verträge. In einem vereinenden Gleichgewicht müssten alle Verträge auf der Geraden PS liegen. Das in (A.13) und (A.16) berechnete trennende Gleichgewicht wird durch die Punkte Q und T ausgedrückt. Beide liegen auf dem Schnittpunkt der Winkelhalbie-
5.A Märkte für Krankenversicherung mit asymmetrischer Information
211
renden aus dem Ursprang (die wegen y8 = yk volle Versicherungsdeckung bedeutet) mit der jeweiligen Äquivalenzgeraden (PQ für die ß-Gruppe, PT für die A-Gruppe). Das Ergebnis der Modellanalyse in diesem Abschnitt lautet Folgerung 5.10 Wenn die Individuen gemäß ihrem individuellen Krankheitsrisiko diskriminiert werden, d.h. ihnen unterschiedliche Versicherungsverträge angeboten werden können, so fiihrt ein privater Versicherungsmarkt zu einer Pareto-optimalen Risikoallokation, und ein auf staatlichem Zwang basierendes Versicherungssystem ist aus allokativen Gesichtspunkten nicht erforderlich. Falls dennoch - unter Beibehaltung des privaten Versicherungsmarktes - eine obligatorische staatliche Krankenversicherung mit versicherungstechnisch äquivalenten Beiträgen in den einzelnen Risikogruppen eingeführt wird, so reduziert dies im gleichen Umfang den Kauf privater Versicherungen, die resultierende Allokation ist aber wiederum Pareto-optimal. Verzichtet jedoch das staatliche System auf die bei öffentlicher Information mögliche Risikoaufteilung und fordert einen einheitlichen Beitrag [auf der Basis versicherungstechnischer Äquivalenz für die Gesamtbevölkerung wie in Gleichung (A.ll)], so verringert dies ebenfalls die Nachfrage nach privaten Versicherungen. Die Kombination aus staatlichen und privaten Versicherungen verletzt jedoch die Äquivalenzbedingung für jede einzelne Risikogruppe und führt damit nicht zu einer Pareto-optimalen Allokation. 5.A.3 Heterogenes Krankheitsrisiko und private Information Im Folgenden wird das zuletzt behandelte Modell in der Weise abgewandelt, dass die Gruppenzugehörigkeit eines Individuums als nur ihm selbst bekannt, von anderen jedoch als nicht beobachtbar unterstellt wird. Dies bedeutet vor allem, dass ein Angehöriger der A-Gruppe, der laut Annahme ein niedrigeres Krankheitsrisiko aufweist als ein B-Mitglied und daher im trennenden Gleichgewicht bei öffentlicher Information dann, wenn er die selbe Versicherungsleistung wie B kaufen wollte, wegen (A.13) eine geringere Prämie zahlen würde, seine Risikolage einem Anbieter von Krankenversicherungsverträgen nicht nachweisen kann. Ebenso kann einem ß-Mitglied sein erhöhtes Risiko bei Abschluss eines Versicherungsvertrages nicht nachgewiesen werden. Jeder Vertrag muss daher beiden Typen von Individuen angeboten werden, und im Gleichgewicht muss die Bedingung eines nicht-negativen Gewinns unter Berücksichtigung der Zusammensetzung der tatsächlichen Nachfrager des Vertrages erfüllt werden. Die Größe der Parameter KA , KB und /u sei jedoch allen Beteiligten einschließlich des Staates bekannt, so dass es möglich ist, eine für die Gesellschaft insgesamt äquivalente staatliche Versicherung zu berechnen. Ferner wird angenommen, dass die Anbieter von Versicherungsverträgen nicht nur den Preis, also das Verhältnis von Leistung zu Prämie bestimmen können, son-
212
5 Besonderheiten von Gesundheitsgütern und ihre allokativen Konsequenzen
dern auch die Leistung selbst. Die Nachfrager können also - anders als im Modell des vorangegangenen Abschnitts - die Leistung /, (/ = A,B) nicht frei bestimmen, sondern nur aus einem begrenzten Angebot von Preis-Mengen-Kombinationen auswählen. Wir untersuchen im Folgenden zunächst die Existenz eines Gleichgewichts auf dem privaten Versicherangsmarkt, bevor wir uns der Frage zuwenden, ob eine staatliche Krankenversicherung mit Zwangsmitgliedschaft eine Wohlfahrtsverbesserung bewirken kann. Wie im Falle öffentlicher Information ist auch hier prinzipiell zwischen „vereinenden" und „trennenden" Gleichgewichten zu unterscheiden (vgl. Definition 5.2). Der folgende Satz besagt allerdings, dass höchstens trennende Gleichgewichte existieren können. Satz 5.1 Bei Existenz zweier Risikogruppen mit strikt konkaven Nutzenfunktionen und privater Information iiber ihre Krankheitsrisiken existiert auf dem Versicherungsmarkt kein vereinendes Gleichgewicht. Beweis: Angenommen, es existiere ein vereinendes Gleichgewicht. Nach der Definition dieses Begriffs müssen dann alle Individuen beider Risikogruppen denselben Versicherungsvertrag (av ,IV) nachfragen, und dieser Vertrag muss dem Anbieter einen erwarteten Gewinn von Null sichern. Es gilt daher
Dividiert man diese Gleichung durch Iv, so sieht man, dass ov zwischen den Extremwerten nA und %B liegen muss: nA < ov < nB.
(A.20)
Ein vereinendes Gleichgewicht kann also nur durch einen Vertrag realisiert sein, der in Abbildung 5.2 (einer Reproduktion von Abbildung 5.1) auf der Geraden PS dargestellt ist. Angenommen, es sei der Punkt V. Ferner macht man sich leicht klar, dass die Indifferenzkurven zweier Individuen aus unterschiedlichen Risikogruppen in einem beliebigen, aber festen Punkt unterschiedliche Steigungen aufweisen. Denn wegen (A.2), (A.13) und (A.14) lautet die Grenzrate der Substitution zwischen Einkommen in beiden Gesundheitszuständen für ein Mitglied der Gruppe / (i = A,B) an einem bestimmten durch die Parameter des Vertrages v gekennzeichneten Punkt: y
i
_
v
l
>
L
Wegen nA < KB ist für einen gegebenen Vertrag (av ,IV) die rechte Seite von (A.21) für A-Mitglieder größer, ihre Indifferenzkurve EUA durch den entsprechenden Punkt (vgl. Punkt V in Abbildung 5.2) also steiler als diejenige für ß-Mitglieder,
Wl.
5.A Märkte für Rrankenversicherung mit asymmetrischer Information
213
Abb. 5.2. Vereinendes Gleichgewicht auf einem Versicherangsmarkt vk
i,
"A
T
BÜ
Y-M
Daher existiert ein Punkt W rechts unterhalb von V, der wie folgt beschrieben werden kann: Er liegt 1. oberhalb der Indifferenzkurve EUA, 2. unterhalb der Indifferenzkurve EUB und 3. unterhalb der Geraden PT. Wird nun alternativ zu ( a v , / y ) ein Vertrag angeboten, der durch die Parameter ow und Iw charakterisiert ist, so wird er folglich von allen Angehörigen der A-Grappe und von keinem Angehörigen der S-Gruppe nachgefragt. Unter diesen Voraussetzungen sichert er seinem Anbieter einen positiven erwarteten Gewinn, da Punkt W unterhalb der Geraden PT liegt, bei der versicherungstechnische Äquivalenz für A-Versicherte vorliegt. Dies wiederam ist ein Widerspruch zur Definition eines Gleichgewichts im Punkt V. QED. Nachdem gezeigt ist, dass unter den hier zugrundeliegenden Voraussetzungen nur ein trennendes Gleichgewicht auf dem privaten Versicherungsmarkt existieren kann, versuchen wir nun, dessen Eigenschaften anhand der Abbildung 5.3 zu charakterisieren. Wie im Anschluss an Definition 5.2 begründet, muss in einem trennenden Gleichgewicht jeder einzelne Vertrag mit einem erwarteten Gewinn von Null verbunden
214
5 Besonderheiten von Gesundheitsgütern und ihre allokativen Konsequenzen Abb. 5.3. Trennendes Gleichgewicht mit zwei Risikogruppen
sein. Daraus folgt, dass alle Verträge im Gleichgewicht, die von A-Angehörigen nachgefragt werden, in Abbildung 5.3 auf der Geraden PT liegen und alle Verträge, die von 5-Angehörigen nachgefragt werden, auf PQ. Unter allen somit in Frage kommenden Verträgen für B-Mitglieder liegt deren Nutzenmaximum wegen (A.16) und der strikten Konkavität der Nutzenfunktion u in Punkt Q, wo die beiden Konsumhöhen ykB und y^ identisch sind. Der Vertrag, der von den A-Mitgliedern nachgefragt wird, kann nun auf PT nicht links oberhalb des Punktes E liegen, in dem die Indifferenzkurve EUB durch Punkt Q die fT-Gerade schneidet. Denn ein solcher Vertrag würde nicht nur von A-, sondern auch von ß-Angehörigen gekauft (die bei privater Information über ihr Risiko nicht diskriminiert werden können) und würde somit insgesamt seinem Anbieter einen negativen Erwartungsgewinn einbringen. Wegen der größeren absoluten Steigung der A-Indifferenzkurven wird dabei Punkt E von den A-Angehörigen gegenüber allen anderen zulässigen Punkten auf PT (also allen Punkten rechts unterhalb von E) vorgezogen. Falls ein trennendes Gleichgewicht existiert, so ist es daher durch zwei verschiedene Verträge charakterisiert: Der Vertrag (ög,/g) hat die Eigenschaft der vollen Risikoabdeckung:
AA
(A.22)
5.A Märkte für Krankenversicherung mit asymmetrischer Information
215
und daher
ll=L;oTB=ZB.
(A.23)
Bezeichnen ferner IA und (aA = nA) die Werte des Vertrags, den die A-Angehörigen nachfragen, so müssen die ß-Angehörigen zwischen diesem und dem in (A.23) charakterisierten indijferent sein; es gilt also
%B u [Y - L + (1 - a J ) / [ ] + (1 - nB)u [Y - aTAfA] =u[Y- nBL].
(A.24)
Mit Hilfe dieses Ergebnisses können wir jetzt auch eine Aussage darüber treffen, unter welchen Bedingungen überhaupt ein trennendes Gleichgewicht existiert: Damit dies der Fall ist, muss die Indifferenzkurve für A-Mitglieder durch Punkt E, EUA, vollständig oberhalb der Äquivalenzgeraden PS liegen. Wenn dies nämlich nicht der Fall ist, so gibt es einen Punkt auf PS, so dass der zugehörige Vertrag von beiden Typen von Individuen gegenüber dem Vertrag im potentiellen trennenden Gleichgewicht (Punkt Q bzw. E) vorgezogen oder gleichgeschätzt wird und einen Gewinn von Null erzielt, so dass die Kombination (Q,E) kein Gleichgewicht sein kann. Die Existenzbedingung ist also umso eher erfüllt, je niedriger die Gerade PS liegt, d.h. je geringer der Anteil der A-Angehörigen, /u, ist. In Abbildung 5.3 ist auch ablesbar, dass mit der Abwesenheit öffentlicher Information über die Gruppenzugehörigkeit ein negativer Effekt für die A-Gruppe, also für die „guten Risiken" verbunden ist: Während sie im trennenden Gleichgewicht bei öffentlicher Information Punkt T und damit das durch die Indifferenzkurve EUA symbolisierte Nutzenniveau erreichen, kommen sie im trennenden Gleichgewicht bei privater Information nur auf Punkt E und damit auf Indifferenzkurve EUA. Die „schlechten Risiken" der Gruppe B dagegen erreichen in beiden Gleichgewichten dieselbe Allokation (Punkt Q, Indifferenzkurve EUB). Das trennende Gleichgewicht bei privater Information ist somit gegenüber dem trennenden Gleichgewicht bei öffentlicher Information nach dem Pareto-Kriterium unterlegen, und es fragt sich, ob dieser Wohlfahrtsverlust durch eine staatliche Zwangsversicherung wenigstens teilweise wettgemacht werden kann - selbstverständlich unter der Prämisse, dass auch der Staat die Gruppenzugehörigkeit der einzelnen Bürger nicht erkennen kann, sondern nur über die Höhe der Parameter KA, %B und /J informiert ist. Anhand der Abbildung 5.4 kann demonstriert werden, dass eine Pareto-Verbesserung gegenüber dem trennenden Gleichgewicht bei privater Information durch Einführung einer staatlichen Zwangsversicherung in der Tat möglich ist. Wegen des für alle obligatorischen Charakters muss eine kostendeckend finanzierte staatliche Krankenversicherung die versicherungstechnische Äquivalenzbedingung für die Bevölkerung insgesamt, (A.10), erfüllen. Graphisch bedeutet dies, dass sie durch einen Punkt auf der Geraden PS gekennzeichnet sein muss. Nehmen wir an, dies sei Punkt X, d.h. die Beitragshöhe betrage Px und die Leistung an alle Erkrankten Ix-
216
5 Besonderheiten von Gesundheitsgütern und ihre allokativen Konsequenzen
Abb. 5.4. Pareto-Verbesserung durch staatliche Zwangsversicherung und trennende Verträge
"A
vk
EU
Y-L'
Ist der Abschluss privater Versicherungsverträge weiterhin erlaubt, so stellt Punkt X für beide Risikogruppen die neue „Anfangsausstattung" dar, von der die Budgetlinien für versicherungstechnisch äquivalente Verträge mit den Steigungen — (1 —%A)/%A bzw. —(1 — %B)/^B (alsoGeradeXCfürA-AngehörigeundXGfürÄAngehörige) ausgehen. ß-Mitglieder kommen durch eine solche private Zusatzversicherung auf Punkt G, in dem wiederum der Konsum in beiden Gesundheitszuständen gleich hoch ist. Jedoch liegt G auf einer höheren Indifferenzkurve als Q, weil der staatlich angebotene Teil der Krankenversicherung für diese Gruppe zu günstigeren Konditionen erhältlich ist als der private. Mit der gleichen Begründung wie zuvor (bei Abwesenheit einer staatlichen Zwangsversicherung) ist für A-Mitglieder eine private Versicherung auf der Geraden XC rechts unterhalb von Punkt H zulässig, der auf derselben Indifferenzkurve für B-Mitglieder liegt wie Punkt G. Falls Punkt H, wie in Abbildung 5.4 eingezeichnet, auf einer höheren Indifferenzkurve für A-Mitglieder liegt als Punkt E, der einen entsprechenden Vertrag im trennenden Gleichgewicht ohne Staatseingriffe symbolisiert, so bringen diese eine Pareto-Verbesserung mit sich. Ökonomisch kann man sich diese Pareto-Verbesserung wie folgt plausibel machen: „Hohe Risiken" (Gruppe B) profitieren davon, dass für den obligatorischen
5.A Märkte für Krankenversicherung mit asymmetrischer Information
217
Teil der Versicherung - symbolisiert durch die Strecke PX - ein Einheitstarif berechnet wird, in dem sie von den „guten Risiken" subventioniert werden. „Niedrige Risiken" bezahlen zwar für den ersten Teil ihres Versicherungsschutzes (PX) eine etwas höhere als die äquivalente Prämie; zusätzlich können sie aber die Menge XH privat hinzukaufen, ohne dass die Konditionen durch den Verkauf der gleichen Versicherung an ß-Mitglieder verdorben werden. Das Gesamtausmaß ihres Versicherungsschutzes steigt dadurch von PE auf PH. Bei genügend großer Risikoaversion kann dieser Effekt die Verschlechterung des Gesamtpreises wettmachen. Es ist interessant festzustellen, dass in einem trennenden Gleichgewicht staatliche und private Krankenversicherungsverträge (für beide Risikogruppen) nebeneinander existieren. Bei heterogenem Krankheitsrisiko und privater Information sind also staatliche und private Krankenversicherangsverträge keine vollkommenen Substitute, sondern zumindest teilweise komplementär zueinander, und eine staatliche Zwangsversicherung ist dann im Vergleich zum trennenden Gleichgewicht ohne Staatseingriff keinesfalls Pareto-verbessernd, wenn sie einen 100-prozentigen Versicherungsschutz gegen Krankheitskosten umfasst.25 Wir ziehen daraus die Folgerung 5.11 Können die Individuen nicht gemäß ihrem individuellen Krankheitsrisiko diskriminiert werden und muss ein Gleichgewicht die Definition 5.2 erfüllen, so kann auf einem privaten Versicherungsmarkt höchstens ein trennendes Gleichgewicht existieren, und zwar nur dann, wenn der Anteil der „niedrigen" Risiken nicht zu groß ist. In diesem Fall kann eine staatliche Zwangsversicherung, die nur einen Teil des Kostenrisikos abdeckt und dafür einen einheitlichen Beitrag verlangt, zu einer ParetoVerbesserungführen. Staatliche undprivate Versicherung ergänzen sich also in diesem Fall.
25
Äquivalent zu einer staatlichen Zwangsversicherung ist eine Besteuerung der von niedrigen Risiken gekauften Verträge mit einer Teilversicherung und einer Subventionierung der von hohen Risiken erworbenen Völlversicherungsverträge. Siehe hierzu CROCKER UND SNOW (1985)
218
5 Besonderheiten von Gesundheitsgütern und ihre allokativen Konsequenzen
5.Ü Übungsaufgaben 5.1. a) Erläutern Sie, welche Gründe für ein Marktversagen auf den Märkten für Gesundheitsgüter verantwortlich sein können und wie der Staat jeweils angemessen intervenieren kann. b) Mit welchen Argumenten kann eine Krankenversicherungspflicht überzeugend begründet werden? c) Worauf kann die Forderung nach einer staatlichen Zwangsversicherung gestützt werden? d) Diskutieren Sie vor dem Hintergrund einer sozialen Marktwirtschaft alternative Institutionen und Regelungen, mit denen ein Ausgleich zwischen hohen und niedrigen Risiken erreicht werden kann. 5.2. (Für diese Aufgabe kann Abschnitt 6.3.1.1 zur Hilfe genommen werden) Die Mitglieder einer Gesellschaft seien risikoavers und maximieren ihren Erwartungsnutzen. Sie verfügen über ein exogenes Einkommen Y. Jedes Mitglied werde mit der Wahrscheinlichkeit n krank. In diesem Fall fallen Ausgaben in Höhe von L an. Im Krankheitsfall kann eine Behandlung nicht verweigert werden. Die Behandlungskosten werden der Person in Rechnung gestellt. Das Einkommen einer Person darf durch die Behandlungskosten allerdings nicht unter ein garantiertes Mindesteinkommen M sinken. In diesem Fall werden die verbleibenden Kosten vom Staat übernommen. Auf dem Krankenversicherungsmarkt können die Individuen ihre Deckung / im Versicherungsfall frei wählen. Die faire Prämie betrage P = %I. Der Abschluss einer Krankenversicherung sei freiwillig. a) Zeigen Sie, dass sich ein Gesellschaftsmitglied in Abhängigkeit von seinem Einkommen Y entweder voll oder gar nicht versichern wird. Erläutern Sie Ihr Ergebnis. b) Gehen Sie von n = 50%, L = 25.000 und M = 2.500 aus. Die von-NeumannMorgenstern Nutzenfunktion der Individuen sei u(y) = y0'5 mit y als verfügbarem Einkommen. (i) Bestimmen Sie das kritische exogene Einkommen, unter dem sich ein Individuum nicht versichern wird. (ii) Gehen Sie von einer Person mit dem exogenen Einkommen Y = 20.000 aus. Zeigen Sie, dass durch einen Versicherungszwang in Verbindung mit einen zustandsunabhängigen Pauschaltranfer T (i) das Individuum besser gestellt werden und (ii) die erwartete Transferzahlung des Staates gesenkt werden kann. Begründen Sie Ihr Ergebnis.
5.Ü Übungsaufgaben
219
5.3. Gehen Sie von dem im Anhang vorgestellten Modell eines Versicherungsmarktes bei asymmetrischer Information aus. Alle Individuen besitzen die von-NeumannMorgenstern Nutzenfunktion u(y) = — e~°'ly, haben ein Anfangsvermögen von Y = 100 und sehen sich einem Schaden in Höhe von L = 80 gegenüber. Die hohen Risiken haben eine Erkrankungswahrscheinlichkeit von %f, = 80%, die niedrigen Risiken von 71/ = 20%. Der Anteil der niedrigen Risiken in der Bevölkerung sei X. a) Untersuchen Sie die Verträge in einem möglichen trennenden Gleichgewicht. Bestimmen Sie dabei den Vertrag für niedrige Risiken, indem Sie das / suchen, dass folgende Gleichung erfüllt:
(i) Erläutern Sie diese Gleichung und versuchen Sie / zu ermitteln. Da dies explizit nicht möglich ist, verwenden Sie hierzu ein Tabellenkalkulationsprogramm. Variieren Sie dabei / bis beide Seiten der obigen Gleichungen übereinstimmen und zeigen Sie, dass / « 17,21. (ii) Bestimmen Sie den Erwartungsnutzen der beiden Risikotypen in einem möglichen trennenden Gleichgewicht. b) Bestimmen Sie den kritischen Wert von X, bis zu dem ein trennendes Gleichgewicht existiert. Gehen Sie dabei wie folgt vor: Bestimmen Sie die optimale Versicherungsdeckung /* für niedrige Risiken bei einem Pooling-Vertrag mit dem Preis p = n = Xn^ + (l—X)Kfl pro Einheit Versicherungssumme. Mit /* lässt sich dann der maximale Nutzen der niedrigen Risiken bei einem Pooling-Vertrag bestimmen. Ist dieser höher als der Nutzen bei dem Vertrag im möglichen trennenden Gleichgewicht, dann existiert letzteres nicht (Warum?). Verwenden Sie am besten wieder ein Tabellenkalkulationsprogramm und variieren Sie X. Zeigen Sie, dass A*rjf « 0,17. c) Nehmen Sie jetzt an, X = 0,1. Eine Mindestversicherungspflicht in Höhe von / = 20 wird eingeführt. (i) Bestimmen Sie für diesen Fall / indem Sie folgende Gleichung verwenden:
= u(Y-nh(L-l)-nl) Erläutern Sie diese Gleichung und zeigen Sie, dass / « 12,23. (ii) Bestimmen Sie den Nutzen der beiden Risikotypen in einem möglichen trennenden Gleichgewicht und vergleichen Sie diesen mit der Situation ohne Mindestversicherungspflicht. (iii) Zeigen Sie, dass bei X = 0,1 das trennende Gleichgewicht existiert. (iv) Illustrieren Sie Ihre Ergebnisse in einem Diagramm.
220
5 Besonderheiten von Gesundheitsgütern und ihre allokativen Konsequenzen
5.4. Existenz eines Gleichgewichts auf dem Versicherungsmarkt: öffentliche Information
private Information
vereinendes Gleichgewicht
I
II
trennendes Gleichgewicht
III
IV
a) Treffen Sie für die in der obigen Tabelle dargestellten Situationen I bis IV Aussagen über die Existenz der jeweiligen Gleichgewichte auf dem Markt für Krankenversicherungen. b) Beschreiben Sie die wesentlichen Eigenschaften der existierenden Gleichgewichte. Vergleichen Sie sie dabei hinsichtlich der Effizienz. c) Welche Wirkungen können jeweils durch Einführung einer obligatorischen staatlichen Krankenversicherung erreicht werden?
Optimale Ausgestaltung von Krankenversicherungsverträgen
6.1 Problemstellung Im 5. Kapitel sind eine Reihe von Gründen dafür aufgeführt und diskutiert worden, dass eine entwickelte Gesellschaft eine soziale Krankenversicherung mit Zwangsmitgliedschaft besitzen sollte. Dies bedeutet, dass die Individuen nicht vollkommen frei in ihrer Entscheidung sind, welchen Versicherangsschutz gegen Krankheitskosten sie abschließen wollen, da sie ein Mindestmaß dieses Schutzes nicht unterschreiten dürfen. Ein solcher Zwang lässt sich aber nur dann rechtfertigen, wenn der vom Gesetzgeber vorgeschriebene Versicherungsschutz nach Art und Umfang gewisse Optimalitätseigenschaften aufweist: Er muss so beschaffen sein, dass er von einem repräsentativen Individuum1 auch freiwillig gewählt wiirde, falls dieses sich rational verhält und das in Abschnitt 5.3.1 beschriebene Trittbrettfahrer-Verhalten ausgeschlossen ist. Diese Überlegung motiviert die Frage nach der optimalen Struktur von Krankenversicherungs-Verträgen aus der Sicht des Versicherungsnehmers. Bei der Behandlung dieser Frage sind nun zum einen allgemeine Erkenntnisse aus der Versicherungstheorie zu berücksichtigen, zum anderen ist jedoch auch den Spezifika des Risikos „Krankheit" Rechnung zu tragen. Davon seien hier zwei genannt. 1. Doppelter Verlust bei Erkrankung: Mit dem Eintritt einer Krankheit sind zwei verschiedenartige Verluste verbunden. Zum einen erleidet das Individuum den finanziellen Verlust in Höhe der Kosten der Behandlung, die die Krankheit erfordert, sowie des entgangenen Arbeitseinkommens. Darüber hinaus erleidet es den nicht-finanziellen Verlust an Gesundheit selbst, wenn die Krankheit so beschaffen ist, dass der Ausgangszustand nicht wieder erreicht werden kann. Krankheit 'Unter diesem Begriff kann man Verschiedenes verstehen, z.B. ein Individuum mit „durchschnittlichen" Eigenschaften bezüglich seiner Präferenzen und Ausstattung oder auch ein Mitglied einer Gruppe, die die Mehrheit der Bevölkerung umfasst.
222
6 Optimale Ausgestaltung von Krankenversicherungsverträgen ist also gleichzeitig mit einem versicherbaren und einem nicht-versicherbaren Risiko verbunden, und letzteres kann, wie wir sehen werden, Auswirkungen auf den optimalen Schutz gegen das versicherbare Risiko haben.
2. Zweifache Ausprägung von „Moral Hazard": Das in der Versicherungstheorie bekannte Phänomen des „Moral Hazard" beschreibt den Anreiz der Versicherten, sich nach Vertragsabschluss opportunistisch zu verhalten.2 Entscheidend ist dabei, dass das Bestehen einer Versicherung die Verhaltensanreize für das Individuum ändert und die Versicherang die Aktionen des Versicherten nicht beobachten kann („hidden action"). Im Fall des Krankheitsrisikos kann Moral Hazard in zwei unterschiedlichen Formen auftreten: a) Das Individuum kann durch Krankheitsvorbeugung bzw. durch seinen allgemeinen Lebenswandel die Wahrscheinlichkeit zu erkranken beeinflussen; b) selbst bei bereits eingetretener Erkrankung muss der damit verbundene finanzielle Verlust (Behandlungskosten) für den Versicherer nicht eindeutig ersichtlich sein, da er die genaue Schwere der Erkrankung nicht beobachten kann. Dadurch hat der Versicherte Freiraum, mehr Gesundheitsleistungen nachzufragen. Im Fall a) handelt das Individuum gewissermaßen vor der „Natur", dem personifizierten Zufall, also „ex ante", im Fall b) jedoch erst nach ihr („ex post"). Während ein Ex-ante-Einfluss auf das Risiko durch Vorbeugung bei fast jeder Schadensart, von der Diebstahls- bis hin zur Lebensversicherung, möglich ist, ist der Ex-postEinfluss besonders beim Risiko „Krankheit" relevant. Das „hidden action"-Problem der erhöhten Nachfrage nach Gesundheitsleistung ist hier eine Folge des „hidden information"-Problems, dass die Versicherung nicht die Erkrankung und damit die adäquate Therapie feststellen kann. Deshalb kann die Leistung der Versicherung im Schadensfall bei Vertragsabschluss nicht einfach in einem Geldbetrag ausgedrückt werden (z.B. dem Zeitwert eines gestohlenen Gegenstandes), sondern nur indirekt umschrieben werden kann („die Kosten einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Behandlung der Krankheit"). Eine der Kemfragen dieses Kapitels wird es sein, unter welchen Voraussetzungen die vollständige Abwälzung aller Kosten der Behandlung von Krankheiten vom Individuum auf die Krankenversicherung optimal ist und wann es sich lohnt, sich an diesen Kosten direkt zu beteiligen („Selbstbeteiligung"). Dementsprechend ist dieses Kapitel gegliedert: Zunächst wird in Abschnitt 6.2 ein Überblick über denkbare und bereits erprobte Typen von Selbstbeteiligung sowie weitere Charakteristika von Krankenversicherungsverträgen gegeben. Dabei werden auch schon erste Überlegungen über die mit ihnen verbundenen Anreize bei der Nachfrage nach Gesundheitsleistungen angestellt. In den drei folgenden Abschnitten wird dann nach optimalen Formen der Krankenversicherung gefragt, und zwar 2
Ins Deutsche wird „Moral Hazard" wenig treffend als „moralisches Risiko" übersetzt Der Begriff „Verhaltensrisiko" hingegen erfasst das Problem, dass das von der Versicherung getragene Risiko vom Verhalten des Versicherten nach Vertragsabschluss beeinflusst wird.
6.1 Problemstellung
223
Abb. 6.1. Überblick über Annahmen in der Theorie optimaler Krankenversicherungsverträge optimaler Vertrag I kein Moral Hazard (6 3) nur finanzieller Verlust (6.3.1)
I Moral Hazard (6.4 und 6.5)
auch nicht-finanzieller Verlust (6.3.2)
zwei Zustände beliebig viele Zustände (6.3.1.1) (6.3.1.2)
ex-anteMoral-Hazard (6.4)
Versicherer beobachtet Prävention nicht (6.4.3)
ex-postMoral-Hazard (6.5)
Versicherer beobachtet Prävention (6.4.2)
Versicherer beobachtet Gesundheitszustand (6.5.2.1)
Versicherer beobachtet nur Ausgaben (6.5.2.2-3)
in Abschnitt 6.3 für den Fall der Abwesenheit von Moral Hazard, also für eine vom Versicherten nicht beeinflussbare Schadensverteilung und in den Abschnitten 6.4 und 6.5 für den Fall des Auftretens von Moral Hazard in den beiden genannten Versionen (vgl. Abbildung 6.1 für eine Übersicht über die behandelten Fälle).3 Abschnitt 6.6 enthält einige zusammenfassende Schlussfolgerungen für die Gestaltung eines obligatorischen Krankenversicherungsschutzes. Die formalen Modelle sind - dem einführenden Charakter dieses Textes gemäß - so einfach wie möglich gehalten. So haben sie grundsätzlich statischen Charakter, d.h. Versicherungsabschluss, etwaige Vorbeugung und das zufällige Ereignis Krankheit spielen sich alle in der selben Periode ab. Femer wird angenommen, dass in der betrachteten Periode nur einmal ein Schadensfall („Erkrankung") auftreten kann. Auch wird von jeder weiteren Unsicherheit, z.B. über die Wirksamkeit von Vorbeugungs- und Behandlungsaktivitäten, abgesehen. Daher können die Modellergebnisse auch nur recht allgemeine und grundlegende Einsichten in die Struktur eines optimalen Krankenversicherungsschutzes liefern. 3 In Klammern sind die jeweiligen Abschnitte angegeben, in denen der betreffende Fall untersucht wird.
224
6 Optimale Ausgestaltung von Krankenversicherungsverträgen
Als weitere grandsätzliche Annahme kommt hinzu, dass die Krankenversicherung nicht die Funktion der Einkommensumverteilung übernehmen muss. Die Versicherungsprämie steht daher für jeden Versicherten in einer wohldefinierten Beziehung zu seinen erwarteten Versicherungsleistungen.
6.2 Typen von Krankenversicherungsverträgen und ihre Anreizwirkungen Der einfachste Versicherungstyp ist der der Vollversicherung. Hierbei werden dem Versicherten sämtliche Krankheitskosten von der Versicherungsgesellschaft erstattet. Gesundheitsgüter haben für ihn daher einen effektiven Preis von Null, und er hat einen Anreiz, soviel davon nachzufragen, bis sein Grenznutzen ebenfalls auf Null gefallen ist („Sättigungsmenge"). Abweichungen von der Vollversicherung können sich 1. auf die Art des in Anspruch genommenen Gesundheitsgutes, 2. auf die Person des Leistungserbringers und 3. auf die Höhe der Erstattung durch die Versicherung beziehen. 1. Eine Differenzierung der Versicherungsleistung nach der Art des medizinischen Gutes kann folgende Formen annehmen: a) Beschränkungen bezüglich der globalen Leistungskategorie (stationäre, ambulante bzw. zahnärztliche Behandlung): So sind in der privaten Krankenversicherung separate Verträge nach Leistungskategorien üblich, in den USA deckten in der Vergangenheit viele Verträge nur Krankenhausbehandlung ab, und in der Schweiz ist zahnärztliche Behandlung nicht Gegenstand der sozialen Krankenversicherung. Solche Versicherungen bringen den Anreiz mit sich, wo irgend möglich, nicht versicherte Leistungsarten durch versicherte zu substituieren; b) selektive Ausschlüsse: Üblicherweise werden sog. „Bagatellarzneimittel" und nicht anerkannte Behandlungsmethoden von der Versicherung ausgeschlossen. Damit entsteht auch ein Anreiz, z.B. nicht erstattungsfähige Medikamente durch erstattungsfähige mit vergleichbarer Wirkung zu ersetzen. 2. Der Versicherungsvertrag kann vorsehen, dass eine Kostenerstattung nur dann gewährt wird, wenn die Leistung bei einem bestimmten Anbieter oder einer Gruppe von Anbietern in Anspruch genommen wird. So finanziert die gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland (GKV) ärztliche Behandlung nur bei zugelassenen Kassenärzten. Ebenso ist es denkbar, dass eine Krankenkasse fest angestellte Ärzte zur ausschließlichen Behandlung ihrer Versicherten beschäftigt,4 deren Arztwahl also eingeschränkt ist. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der Patient über seine Nachfrage nach medizinischer Behandlung nicht allein entscheidet, sondern zumindest im Zusammenwirken 4
Dies entspricht in etwa dem Modell der Health Maintenance Organisation (HMO) in den USA, deren Ärzte ein Gehalt und eine Gewinnbeteiligung erhalten, vgl. Kapitel 11.
6.2 Typen von Krankenversicherungsverträgen und ihre Anreizwirkungen
225
mit dem Arzt, so dass Anreize zu sparsamer Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen nicht allein beim Patienten ansetzen sollten (vgl. hier zu Kapitel 10). Schließlich können sich Differenzierungen bezüglich der Höhe der Versicherungsleistungen alternativ a) auf die Menge der in Anspruch genommenen Leistung, b) auf ihren Preis oder c) auf das Produkt aus Menge und Preis, also die Ausgaben insgesamt beziehen: a) Beschränkungen bezüglich der Menge einer bestimmten medizinischen Leistung pro Zeiteinheit sind z.B. bei psychotherapeutischen Behandlungen oder bei Brillengestellen üblich. b) Beschränkungen bezüglich des Preises können beispielsweise in der Anwendung von Gebührenordnungen bestehen, durch die die Erstattung pro Einheit der medizinischen Leistung limitiert wird. Eine ähnliche Funktion haben die 1989 in der Gesetzlichen Krankenversicherung der Bundesrepublik (GKV) eingeführten Festbeträge für wirkstoffgleiche Arzneimittel, durch die ebenfalls der erstattungsfähige Preis festgelegt wird, während der darüber hinausgehende Betrag vom Patienten aus eigener Tasche bezahlt werden muss. Sie bringen zwar den Anreiz mit sich, Angebote wahrzunehmen, die sich im Preislimit befinden, wirken sich jedoch - falls dies getan wird - nicht auf die mengenmäßige Inanspruchnahme aus. Die Erhebung einer absoluten Gebühr pro Leistungseinheit (z.B. die feste Gebühr je Verordnung auf Rezepten) führt ebenfalls einen von Null verschiedenen Effektivpreis für den Patienten ein, wirkt aber bezüglich des Anreizes genau umgekehrt, da er hier umso mehr zahlen muss, je größer die von ihm bezogene Menge ist, während der Preis keine Rolle spielt. c) Beschränkungen bezüglich der Erstattung von Ausgaben stellen den allgemeinsten Fall dar, der meistens gemeint ist, wenn von „Selbstbeteiligung der Versicherten an den Krankheitskosten" die Rede ist. Dies ist wiederum in vielfältigen Formen verbreitet bzw. denkbar: (i) proportionale Selbstbeteiligung: Hier trägt der Versicherer generell einen Anteil k (0 < k < 1) aller Behandlungskosten, der Anteil (1 - k) = c („Selbstbeteiligungssatz") wird vom Patienten getragen. Dadurch ist der Effektivpreis der Behandlung für den Versicherten gleich dem Anteil c des vom Leistungsanbieter erhobenen Preises, und entsprechend nimmt mit steigendem Selbstbeteiligungssatz sein Interesse an sparsamer Inanspruchnahme zu. (ii) absoluter Selbstbehalt pro Abrechnungszeitraum: Hierbei trägt der Versicherte die ersten x Geldeinheiten (GE) seiner gesamten Gesundheitsausgaben pro Periode (Quartal oder Jahr) aus eigener Tasche. Der Effektivpreis für ihn ist also bei relativ geringen Gesamtausgaben (bis zu x GE) genauso hoch wie der Anbieterpreis, oberhalb dieser Schwelle jedoch gleich Null. Erwartet ein Versicherter, die Schwelle im Laufe der Periode ohnehin zu überschreiten, ist der Anreiz zum sparsamen Leis-
226
6 Optimale Ausgestaltung von Krankenversicherungsverträgen tungskonsum von vornherein unwirksam. Dennoch ist diese Form der Kostenbeteiligung („Jahresfranchise") bei den schweizerischen Krankenkassen wegen ihrer unmittelbaren Entlastungswirkung anzutreffen. (iii) Obergrenzen der Versicherungsleistungen pro Periode haben die gerade entgegengesetzte Anreizwirkung, sind aber nur wenig verbreitet, da sie den Versicherangseffekt genau in den Situationen einschränken, in denen er am meisten benötigt wird, nämlich bei existenzbedrohenden Krankheitskosten. Dennoch sehen z.B. in den USA viele Versicherangsverträge Obergrenzen für die Versicherungsleistung über die gesamte Lebensdauer des Versicherten vor, die typischerweise zwischen 250.000 und 1 Mio. $ liegen. (iv) Einen Grenzfall der Kategorie c) stellt der sogenannte Indemnitätstarif dar, bei der die Versicherungsleistung überhaupt nicht an die Behandlungskosten geknüpft ist, sondern lediglich an die Krankheit selbst und in einer nach Krankheitsart differenzierten Pauschalzahlung besteht. In diesem Fall bleiben sämtliche preislichen Anreize für den Versicherten voll intakt, da die Eigenbeteiligung an den Krankheitskosten 100% ausmacht, sobald sie die Pauschale übersteigen. Natürlich sind auch Varianten dieser „reinen" Selbstbeteiligungsformen denkbar, z.B. eine nach der Ausgabenhöhe gestaffelte (also über- oder unterproportionale) Selbstbeteiligung, oder auch Mischformen, z.B. ein pauschaler Selbstbehalt, gekoppelt mit einer proportionalen Selbstbeteiligung an den darüber hinausgehenden Ausgaben.
Neben diesen Differenzierungen auf der Ebene der Versicherungsleistung können auch Anreize durch die Gestaltung der Versicherungsprämie vermittelt werden. Den einfachsten Fall stellt die Beitragsrückerstattung („Bonus") in Höhe von x GE bei Nichtinanspruchnahme der Versicherung dar. Diese braucht jedoch nicht näher betrachtet zu werden, da sie sich in dem hier betrachteten einfachen Modell mit nur einer Zeitperiode und voll rationalem Verhalten in ihren Anreizwirkungen nicht von einem pauschalen Selbstbehalt in gleicher Höhe unterscheidet.5 Daneben kann die Prämie jedoch auch nach bestimmten verhaltensrelevanten Merkmalen des Versicherten differenziert sein, wie z.B. nach seinem Körpergewicht oder seinen Rauchgewohnheiten, wodurch Anreize vermittelt werden, die betreffenden gesundheitsschädlichen Verhaltensweisen aufzugeben und damit das Entstehen von Krankheiten zu bekämpfen. 5
Die Erfahrung der Versicherer zeigt, dass der Erhalt der Beitragsrückerstattung für viele einen Wert an sich darstellt, so dass der Arzt hier mit einem besonderen Widerstand von seinem Patienten gegen überhöhte Rechnungen rechnen muss. Außerdem ermöglicht es die Beitragsrückerstattung, den Zeitpunkt der finanziellen Konsequenzen aus der Krankheitsperiode hinaus zu verschieben. Diese Unterschiede und mehr noch die Wirkungen dynamischer Bonussysteme, bei denen die Beitragsrückerstattung mit der Anzahl der„schadenfrei" verlaufenen Jahre zunimmt, sollen hier nicht weiter verfolgt werden; der interessierte Leser sei auf ZWEIFEL UND WASER (1992) verwiesen.
6.3 Optimaler Versicherungsschutz bei Abwesenheit von Moral Hazard
227
6.3 Optimaler Versicherungsschutz bei Abwesenheit von Moral Hazard In diesem Abschnitt wird das Phänomen des Moral Hazard noch ausgeklammert: Der finanzielle (und gegebenenfalls auch nicht-finanzielle) Schaden aus Krankheit habe den Charakter einer reinen Zufallsvariablen, auf deren Verteilung das betrachtete Individuum keinen Einfluss habe. Weder könne es durch Vorbeugung die Erkrankungswahrscheinlichkeit herabsetzen noch bei eingetretener Krankheit die Höhe der Behandlungskosten beeinflussen. Wegen dieser einschränkenden Annahmen können die Aussagen aus den hier behandelten Modellen lediglich einen ersten Anhaltspunkt liefern, der vomehmlich als Vergleichsmaßstab für den Fall des Moral Hazard (Abschnitte 6.4 und 6.5) dienen wird.
6.3.1 Rein finanzielle Krankheitsfolgen Eine weitere einschränkende Annahme ist, dass medizinische Behandlung die immateriellen Folgen einer Erkrankung vollkommen beseitigen kann, die verbleibenden Nachteile also ausschließlich finanzieller Art sind und durch die Höhe der „Krankheitskosten" M ausgedrückt werden können. Dies ist eine Zufallsvariable, weil ihr Wert zu Beginn der Periode noch nicht feststeht. Bezeichne ferner Y das Einkommen des betrachteten Individuums und y sein für den Konsum verfügbares Einkommen. Dann ergibt sich dieses bei Abwesenheit einer Krankenversicherung durch die Gleichung y
= Y-M
(6.1)
und ist damit selbst eine Zufallsvariable. Ein Versicherungsvertrag ist allgemein gekennzeichnet durch die von der Höhe des Schadens M abhängige Versicherungsleistung I(M) und die Prämie P. Bei Existenz einer Krankenversicherung modifiziert sich also (6.1), die Bestimmungsgleichung für das verfügbare Einkommen, zu y = Y-P-M
+ I(M).
(6.2)
Der Nutzen des Individuums hängt in dem hier betrachteten Fall der Abwesenheit immaterieller Krankheitsfolgen nur vom Güterkonsum (und nicht vom Gesundheitszustand direkt) ab. Nimmt man die Konsumgüterpreise als konstant gegeben an und unterstellt man nutzenmaximierendes Verhalten, so kann man im Sinne der sog. indirekten Nutzenfunktion den maximal erreichbaren Nutzen u als Funktion des verfügbaren Einkommens y ausdrücken. Üblicherweise wird angenommen, dass der „Grenznutzen des Einkommens" positiv, aber abnehmend ist, d.h. die Funktion u habe die Eigenschaften u = u(y),u'(y)>0,u"(y)<0.
(6.3)
228
6 Optimale Ausgestaltung von Krankenversicherungsverträgen
Tabelle 6.1. Das Grundmodell der optimalen Krankenversicherung bei Abwesenheit von Moral Hazard
y = Y-P-M
+ I(M)
(6.2)
EU{t) = EU{y(I)} (6.6)
= nu[Y-P(I)-L
+ I] +
(l-n)u[Y-P(I)]
( < 0 falls _(1 _ %)p'[l°]u'{Y — P[I°}\ <
=
7° = 0
1 > 0 falls
I°=L
p(I) = P"(I)+C(I) = Co + p7c+(l +X)nI yY: M: L: 7t:
u{y): EU: I: P: pn.
C(I): Co:
X: tr-
(6.7)
0 falls 0 < 7° < L
(6.10)
verfügbares Einkommen des Individuums Brutto-Einkommen Krankheitskosten (allgemein) Betrag der Krankheitskosten im Zustand der Krankheit Wahrscheinlichkeit, krank zu sein Nutzen des Individuums Erwartungswert des Nutzen Versicherungsleistung Versicherungsprämie Nettoprämie, Erwartungswert der Versicherungsleistung Kostenaufschlag auf die Nettoprämie in Abhängigkeit von / Fixkosten für Verwaltung proportionaler Aufschlag auf die Nettoprämie variable Kosten für Abwicklung von Schäden
Die Eigenschaft u"(y) < 0 („strenge Konkavität") bedeutet, dass das Individuum risikoscheu ist. Schließlich wird unterstellt, dass das Individuum das Ziel verfolgt, seinen Erwartungsnutzen, EU = £[M(J)], ZU maximieren. Das Symbol E bezeichnet dabei den Erwartungswert. Bei s verschiedenen Ausprägungen der Zufallsvariablen ys ergibt sich der Erwartungsnutzen, indem man die Nutzenwerte u(ys) mit den zugehörigen Eintrittswahrscheinlichkeiten ns multipliziert und davon die Summe bildet: s
EU=Y,W(y*)5=1
Tabelle 6.1 gibt einen Überblick über das im folgenden behandelte Modell.
(6-4)
6.3 Optimaler Versicherungsschutz bei Abwesenheit von Moral Hazard
229
6.3.1.1 Ein Modell mit nur zwei Gesundheitszuständen Im einfachsten Fall können nur zwei verschiedene Gesundheitszustände auftreten: Mit der Wahrscheinlichkeit n (0 < n < 1) werde das Individuum krank, und die Behandlungskosten M nehmen den Wert L an, mit der Wahrscheinlichkeit 1 — n bleibe es gesund, und es gelte M = 0. Folglich lassen sich alle denkbaren Versicherungsverträge durch nur zwei Parameter kennzeichnen: die (in jedem Fall zu zahlende) Prämie P und die Versicherungsleistung im Krankheitsfall / (0 < / < L). Man kann / auch als Anteil von L ausdrücken und diesen Wert k = I/L als „Erstattungssatz" der Versicherung interpretieren. Umgekehrt stellt c=\—k=(L — I)/L den „Selbstbeteiligungssatz" dar. Die zu zahlende Prämie P wird ihrerseits von der Versicherungsleistung / abhängen: (6.5) Aus diesem Grunde lässt sich unter Verwendung der Gleichung (6.2) in den beiden Zuständen „krank" (M = L > 0, / > 0) und „gesund" (M = 0, / = 0) der Erwartungsnutzen EU in Abhängigkeit von / ausdrücken: EU{I) = EU{y{I)}
(6.6)
Die Wahl einer optimalen Krankenversicherung reduziert sich in diesem einfachen Fall auf die Wahl des Wertes von /, der den Erwartungsnutzen EU in (6.6) maximiert und der hier mit dem Symbol 7° (Optimum ohne Moral Hazard) gekennzeichnet wird. Eine notwendige Bedingung hierfür erhält man nach dem Kuhn-TuckerTheorem6 aus der ersten Ableitung von EU: (6.7) < 0 falls 0
- ( 1 -%)P'\I°]u'{Y -P[/ ]} { = 0 falls > 0 falls
7° = 0 0 < 7° < L I°=L
Die Abbildung 6.2 illustriert, warum die notwendige Bedingung 1. Ordnung in einem inneren Optimum (7° strikt zwischen 0 und L) anders aussieht als in einem Optimum am linken (1° = 0) oder rechten (7° = L) Rand des zulässigen Bereichs. Man erkennt sofort, dass die Lösung dieser Gleichung, 7°, außer von der Gestalt der Nutzenfunktion u auch vom Verlauf der Prämienfunktion P(I) beeinflusst wird. Daher wollen wir im folgenden einige plausible Annahmen über die Prämie treffen: Unterstellt man im Sinne einer sozialen Krankenversicherung einen nichtgewinnorientierten Versicherungsanbieter, so muss die Prämie zum einen die (im 6
Vgl. z.B. HOY ET AL. (2001, Kapitel 15).
230
6 Optimale Ausgestaltung von Krankenversicherungsverträgen
Abb. 6.2. Versicherungsleistung: Typen von Optima unter der Nebenbedingung 0 < 7° < L dEU = 0 d/
. EU{I)
-*•
P
I
L
(i) Inneres Optimum: 0< 1° < L
EU
dEU
0 = 7°
L
(ii) Randoptimum: 7° = 0
(iii) Randoptimum: f = L
Mittel) erwarteten Versicherungsleistungen, zum anderen die entstehenden Verwaltungskosten abdecken. Für die erste Komponente,
Pn{I)=E{l(M)}
(6.8)
ist der Begriff „Nettoprämie " gängig. Bezüglich der Verwaltungskosten C kann man unterstellen, dass sie ihrerseits in drei Komponenten zerfallen, von denen die erste (Co) fix ist („Kosten des Vertragsabschlusses"), die zweite (JJ) proportional zur
6.3 Optimaler Versicherungsschutz bei Abwesenheit von Moral Hazard
231
Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Versicherungsfalls („Schadensabwicklungskosten") und die dritte (X) proportional zur Nettoprämie (z.B. Risikozuschlag oder Provisionen): C0,/J,X>0.
(6.9)
Für die Gesamtprämie ergibt sich deshalb: = Pn{I) + C(7) = Co +fjn + (l + X)itI.
(6.10)
Die Bruttoprämie nimmt für Schäden mit strikt positiver Eintrittswahrscheinlichkeit (n > 0) mit einem Ausbau der Versicherungsleistung zu: p'(I) = (l+X)n>0.
(6.11)
Man nennt eine Versicherung fair, wenn die Prämie mit der Nettoprämie übereinstimmt, d.h. wenn die Verwaltungskosten Null sind. Sie heißt marginal fair, wenn der Kostenaufschlag nicht mit der erwarteten Auszahlung zunimmt, d.h. wenn X = 0 ist. Wir konzentrieren uns im Folgenden auf die Frage, unter welchen Bedingungen eine vollständige Erstattung aller Krankheitskosten, also die Wahl von 1° =L optimal ist. Einsetzen dieses Werts in die Optimalitätsbedingung (6.7) und Ordnen der Terme mit P' (L) ergibt die Ungleichung {n-P'[L]}u'[Y-P[L}}>0.
(6.12)
Da u' wegen (6.3) immer positiv ist, wird daraus unter Verwendung von (6.11) >0.
(6.13)
Diese Bedingung ist genau dann erfüllt, wenn X < 0 . Die notwendige Bedingung (6.7) für einen optimalen Versicherungsschutz ist also im Falle der Vollversicherung genau dann erfüllt, wenn keine zur erwarteten Auszahlung proportionalen Kosten auftreten, d.h. wenn die Versicherang marginal fair ist. Ist hingegen X > 0, dann kann höchstens eine Teilversicherung optimal sein. Die Erfüllung der Marginalbedingung (6.7) besagt jedoch strenggenommen nur, dass das Individuum seinen Erwartungsnutzen nicht steigern kann, wenn es den Versicherungsschutz I geringfügig senkt. Damit Vollversicherung die (global) beste Lösung ist, muss zusätzlich sichergestellt sein, dass der Erwartungsnutzen hier mindestens so hoch ist wie bei Verzicht auf Versicherung, d.h. EU[I = L] > EU[I = 0] bzw. u[Y-P[L]]=u[Y-(Co+fJK+(\+X)KL)]>nu[Y-L] + {l-n)u[Y].
(6.14)
232
6 Optimale Ausgestaltung von Krankenversicherungsverträgen
Aus der Definition der Risikoscheu in (6.3) folgt unmittelbar, dass sich das Individuum bei einer fairen Versicherang immer voll versichern wird,7 denn es gilt wegen der strengen Konkavität der Nutzenfunktion u[Y-nL}>nu[Y-L} + (l-n)u[Y].
(6.15)
Ein Vergleich von (6.15) mit (6.14) ergibt daher, dass auf Versicherung umso eher verzichtet wird, •
je größer der Fixkosten-Parameter CQ ist,
•
je größer die Schadenseintrittswahrscheinlichkeit % (bei JJ > 0) ist.
Das letzte Ergebnis mag auf den ersten Blick überraschen. Jedoch sollte man sich überlegen, dass - bei gleichem erwarteten Schaden - die Abdeckung eines kleinen, aber ziemlich wahrscheinlichen Schadens für den Versicherten teurer ist als die eines hohen, aber sehr unwahrscheinlichen Schadens, wenn die Versicherung für die Schadenseinreichung eine fixe Gebühr erhebt. Wir fassen die Ergebnisse aus diesem einfachen Modell zusammen in der Folgerung 6.1 Bei Abwesenheit von Moral Hazard •
besteht eine notwendige Bedingung für die Wahl eines 100%igen Versicherungsschutzes darin, dass die angebotene Versicherung marginal fair ist, d.h. dass die Prämie neben der erwarteten Versicherungsleistung („Nettoprämie") keinen Aufschlag enthält, der zu ihr proportional ist; andernfalls wird generell eine positive Selbstbeteiligung gewählt,
•
besteht eine hinreichende Bedingung für die Wahl eines 100%igen Versicherungsschutzes darin, dass die Versicherung fair ist, d.h. dass die Prämie mit der Nettoprämie übereinstimmt,
•
ist der vollständige Verzicht aufeine Absicherung des Krankheitskostenrisikos umso eher optimal, je größer die konstanten Kosten der Versicherung (Abschlussgebühr und Schadenseinreichungsgebühr) undje größer die Wahrscheinlichkeit der Krankheit ist.
6.3.1.2 Ein Modell mit beliebig vielen Gesundheitszuständen Wir wenden uns nun dem realistischeren Fall zu, dass es viele verschiedene Gesundheitszustände gibt und daher die Krankheitskosten M irgendeinen beliebigen
7
Zusammen mit dem Ergebnis, dass bei CQ = 0 und X > 0 nur eine Teilversicherung optimal sein kann, wird dieses Result nach MossiN (1968) auch als Mossins Theorem bezeichnet. Diese Ergebnisse wurden zeitgleich auch von SMITH (1968) hergeleitet.
6.3 Optimaler Versicherungsschutz bei Abwesenheit von Moral Hazard
233
nicht-negativen Wert annehmen können.8 In einem Modell kann man diesen Fall auf zweierlei Weise abbilden: a) M ist eine stetig verteilte Zufallsvariable mit bekannter Dichtefunktion f(M), b) M kann endlich viele Werte Ms (s = 0,...,S) mit gegebenen positiven Wahrscheinlichkeiten ns annehmen (darunter auch den Wert Mo = 0). Fall a) ist ein Grenzfall von b), wenn die Anzahl S der möglichen Zustände (und daher Kostenwerte) gegen unendlich geht. Da aber Geldbeträge nicht beliebig teilbar sind und es obendrein eine Obergrenze für die Krankheitskosten eines Individuums geben wird (z.B. das Bruttosozialprodukt seines Landes), ist die Modellierung b) realitätsgerecht. Zudem erlaubt sie die Anwendung der Lagrange-Methode anstelle der mathematisch anspruchsvolleren Kontrolltheorie, ohne dass sich die Ergebnisse substantiell unterscheiden würden. Die Versicherungsgesellschaft sei risikoneutral und biete dem Individuum an, für jede Höhe der Krankheitsausgaben Ms eine Erstattung /s frei zu vereinbaren, wobei lediglich die Restriktion 0
für
s = 0,...,S
(6.16)
zu beachten ist, woraus wegen MQ = 0 unmittelbar IQ = 0 folgt. Mit jedem Vektor / = (/i, ...,Is) ist eine entsprechende Prämienhöhe verbunden. Die Prämie P betrage
/>(/)= C o + ! > ( / . +O(/s))
(6.17)
5=1
und setzt sich somit zusammen aus den Kosten des Vertragsabschlusses CQ, der Nettoprämie Pn(I) = £f=i Ksh und einem Kostenaufschlag in Abhängigkeit von der Versicherungsleistung. Dabei gehen wir davon aus, dass eine Leistung Is Kosten in Höhe von Q(IS) verursacht, so dass der Kostenaufschlag insgesamt Y^=\ nsCi(Is) beträgt. Bezüglich der Kostenfunktion C/ nehmen wir an, dass C/[0] = 0 und C'{ > 0. Vier Fälle stehen im Folgenden im Mittelpunkt: (i) C'j = 0: Es enstehen keine Kosten in Abhängigkeit von der Versicherungsleistung. Die Versicherung ist somit marginal fair. (ii) C\ > 0, C'l = 0: Die Kosten sind proportional zur Versicherungsleistung und damit proportional zur Nettoprämie. (iii) C'j > 0, C" > 0: Die Kosten steigen überproportional mit der Versicherungsleistung an. (iv) C'i > 0,C" < 0: Die Kosten steigen unterproportional mit der Versicherungsleistung an. 8
Die Untersuchung dieses Falls geht zurück auf GOULD (1969), ARROW (1974), RAVIV (1979) und HUBERMAN ET AL. (1983).
234
6 Optimale Ausgestaltung von Krankenversicherungsverträgen
Die zu maximierende Erwartungsnutzen-Funktion des Individuums sei in Analogie zu den Gleichungen (6.2) und (6.4) s EU=E[u(y)} = Y,Ksu{Y-Ms+Is-P).
(6.18)
5=0
Die Lagrange-Funktion für dieses Maximierungsproblem mit den Entscheidungsvariablen /i ,...,/$, P und dem Lagrange-Multiplikator /J für die Nebenbedingung (6.17) lautet:
fj
t
s=0
s=l
)}
(6.19)
Wegen der Bedingung (6.16) für die Is ist das Kuhn-Tucker-Theorem anzuwenden. Wir erhalten daher die notwendigen Bedingungen erster Ordnung:
{ d dP
s = -Y%sU'(j-Ms+Ios-P°)+iio{
< 0 falls
1° = 0
= 0 falls 0 < £ < Ms (6.20) > 0 falls
1° = Ms
( < o falls P° = 0 . \ = 0fallsP° = 0
(6.21)
Wir nehmen im Folgenden an, dass es sich für das Individuum im Optimum lohnt, eine Versicherung abzuschließen, d. h. dass P° > 0. Damit ist die Bedingung (6.21) mit Gleichheitszeichen erfüllt. Für den Fall der Vollversicherung (1° = Ms) lässt sich das Ergebnis aus dem Modell mit zwei Zuständen leicht verallgemeinern: In allen Zuständen der Welt beträgt das Einkommen dann Y — P°. Somit müssen die Bedingungen erster Ordnung bei P° > 0 folgendermaßen aussehen
3 - = nsu'{Y-P°]
-AI°7C,(1
+C,) > 0
(6.22)
dls
— = -ui[Y-P°}+/f = 0.
(6.23)
Damit muss gelten ' M ' [ y - p
0
] .
(6.24)
Dies ist nur möglich, falls C\ = 0. D.h. eine notwendige Bedingung für den Abschluss eines 100%igen Versicherungsschutzes ist es, dass die angebotene Versicherung marginal fair ist. Um die Struktur des optimalen Versicherungsvertrags für die vier genannten Fälle zu bestimmen, betrachten wir jeweils zwei Zustände s und t mit Ms > Mt. Wir
6.3 Optimaler Versicherungsschutz bei Abwesenheit von Moral Hazard
235
untersuchen zunächst die beiden ersten Fälle, in denen die Grenzkosten konstant sind(c;' = 0). Fälle (i) & (ii): Konstante Grenzkosten, d.h. C" = 0 Bei einer inneren Lösung folgt wegen der Annahme ns > 0,7ir > 0 aus Gleichung (6.20): u'[Y-Ms+I°-P°] =ff(l +C',) = u'[Y-Mt+I°-P0}. (6.25) Wegen der strengen Konkavität der Nutzenfunktion (u" < 0) können jedoch die Grenznutzen in zwei Zuständen s,t nur dann übereinstimmen, wenn die verfügbaren Einkommen ys, yt selbst Ubereinstimmen: P°=yt.
(6.26)
und daher Ms -1° =Mt-1°
= D.
(6.27)
Die Größe D entspricht der vom Versicherten selbst zu tragenden Differenz zwischen Krankheitskosten und Versicherungsleistung und ist in allen Zuständen mit positiver Versicherungsleistung gleich groß. Wegen Gleichung (6.16) gilt überdies D > 0. Aus Gleichung (6.25) folgt für den Vektor 7° der optimalen Auszahlungen allgemein: Es gibt eine Zahl D (D > 0), so dass f 0 / ; = <^ [Ms-D
falls M, < D, falls MS>D.
(6.28)
Die Größe D kann dabei als pauschaler Selbstbehalt (engl. „deductible") bezeichnet werden: Die Versicherang übernimmt alle Krankheitskosten, die über den Betrag D hinausgehen. In allen Fällen s, in denen die Krankheitskosten Ms mindestens D betragen, kommt das Individuum durch die Versicherangsleistung 1° damit auf das selbe verfügbare Einkommen y*, während fürMs < D die Versicherungsleistung Null ist und ys größer ist als y*:
ys=<
{ Y-P-D = y* fallsM, > D, ~ [Y-P-Ms>y* MlsMs
(6.29)
Während also durch eine solche Selbstbehalt-Regelung das verfügbare Einkommen durch y* und damit auch der Nutzen durch u\y*\ nach unten begrenzt wird, wird der Grenznutzen durch u'\y*) =/i°(l +C'{) [vgl. Gleichung (6.25)] nach oben begrenzt, denn es folgt aus Gleichung (6.20) und (6.27): u[ys] < « ' [ / ] = /^(1+Cj).
(6.30)
236
6 Optimale Ausgestaltung von Krankenversicherungsverträgen
Als nächstes untersuchen wir, unter welchen Umständen der optimale Selbstbehalt positiv ist. Wir wissen bereits, dass ein Selbstbehalt von Null impliziert, dass die Versicherung marginal fair ist. Der Umkehrschluss gilt ebenfalls: Für C\ = 0 sind alle Kuhn-Tucker-Bedingungen erfüllt, falls 7° = Ms in allen Zuständen s. Aus (6.21) folgt in diesem Fall u'[Y — P°] = /f und damit ist die Bedingung (6.20) auch für alle Zustände 5 erfüllt. Dies ist auch die einzige Lösung, da die Zielfunktion aufgrund der Risikoaversion streng konkav und die Nebenbedingungen ebenfalls konkav sind. Folglich ist Vollversicherung optimal. Dies bedeutet wiederum, dass ein Selbstbehalt von Null genau dann optimal ist, wenn die Versicherung marginal fair ist. Für Fall (i) mit C\ = 0 beinhaltet der optimale Versicherungsvertrag somit Vollversicherang. Für Fall (ii) mit Cj > 0,C'/ = 0 ist jedoch der optimale Selbstbehalt positiv. Dies lässt sich auch daran erkennen, dass der Erwartungsnutzen des Individuums ausgehend von D = 0 steigt, wenn D erhöht wird. Unter Berücksichtigung von (6.28) erhalten wir s
- £1
.
(6.31)
5=1
Im Zustand 0 wird hierbei kein Selbstbehalt abgezogen, da /o = nach D ergibt dEU dD
= 0. Ableiten
dP D=0
D=0
0=0
s=l
D=0
D=0
s=l
(6.32) D=0
= l. Für die Prämie erhalten wir s=0
s=l
und deshalb dP dÖ D=0 Einsetzen in (6.32) führt zu dEU dD
=
S
S
i=l
s=l
u'(Y-P(0))V%sClI{Ms)
= 0 faiis c; = o, falls
Falls C'j > 0 ist folglich der optimale Selbstbehalt positiv.
(6.33)
6.3 Optimaler Versicherungsschutz bei Abwesenheit von Moral Hazard
237
Abb. 6.3. Der optimale Versicherungsvertrag bei vielen möglichen Gesundheitszuständen I
I
(i)
M
45°)
D
(iii)
M
Wir können somit die Ergebnisse fiir C/ = 0 zusammenfassen in Folgerung 6.2 Bei konstanten Grenzkosten der Versicherung ist der optimale Versicherungsvertrag durch einen pauschalen Selbstbeha.lt gekennzeichnet. Darüber hinaus gilt marginale Vollversicherung. Der optimale Selbstbehalt ist genau dann positiv, wenn die Grenzkosten positiv sind. In Abbildung 6.3 (i) und (ii) wird die Versicherungsleistung in Abhängigkeit der Ausgaben für beide Fälle dargestellt. Fall (iii): Steigendepositive Grenzkosten, d.h. Cj > 0,C" > 0 Aus der Bedingung (6.20) erhalten wir für eine innere Lösung
u'[Y-Ms+I°-P°] u'[Y-Mt+I?-P0}
(6.34)
238
6 Optimale Ausgestaltung von Krankenversicherungsverträgen
Bei Ms > Mt ist If = 1° wegen der strengen Konkavität der Nutzenfunktion offensichtlich nicht möglich. Ebenso wenig kann 1° < 1° sein. In diesem Fall ist das Einkommen im Zustand t größer als im Zustand 5 und damit die linke Seite der Gleichung aufgrund der Konkavität der Nutzenfunktion größer als eins, während die rechte Seite wegen der Konvexität der Kostenfunktion kleiner als eins ist. Folglich gilt 7° > 7°. Schließlich lässt sich noch der Fall
ausschließen. Hier wäre die linke Seite von Gleichung (6.34) höchstens eins, die rechte Seite aber wegen 1° > 7° größer als eins. Folglich gilt für eine innere Lösung
I°s-Ms 0 und C'/ > 0 folgt, dass die Grenzkosten für 7° > 0 positiv sein müssen bzw. dass die Versicherung nicht marginal fair ist. Dies wiederum impliziert, dass eine Vollversicherung nicht optimal sein kann. Bei marginaler Selbstbeteiligung sind somit zwei Fälle denkbar: a) Der Versicherungsvertrag beinhaltet eine volle Deckung der Krankheitskosten bis zu einer Höhe von M > 0 und darüber hinaus besteht Teilversicherung. Dann gilt gemäß (6.20)
( > 0 falls Ms < M ols
I = 0 falls MS>M
Daraus folgt jedoch
s=l
s=\
und somit ein Widerspruch zu (6.21) bei P° > 0. Somit muss der folgende Fall vorliegen: b) Der Versicherungsvertrag beinhaltet einen positiven Selbstbehalt D. Darüber hinaus besteht Teilversicherung. Die Versicherungsleistung hat somit die in Abbildung 6.3 (iii) gezeigte Struktur. Die Intuition dieses Ergebnisses lässt sich wie folgt erläutern: Zum einen führen positive Grenzkosten dazu, dass es sich erst ab einer bestimmten Höhe der Krankheitskosten lohnt, diese zu versichern. Fiir darunter liegende Kosten übersteigt der
6.3 Optimaler Versicherungsschutz bei Abwesenheit von Moral Hazard
239
Kostenaufschlag mögliche Vorteile der Risikoabsicherung. Zum anderen haben steigende Grenzkosten zur Folge, dass Krankheitskosten über dem Selbstbehalt nur teilweise versichert werden. Eine marginale Vollversicherung ist nicht optimal, weil die überproportional steigenden Kosten die Vorteile der Risikoabsicherung übersteigen.9 Fall (iv): Fallende positive Grenzkosten, d.h. C[ > 0,C'/ < 0 Aus der Bedingung (6.34) lässt sich für diesen Fall für eine innere Lösung analog A/°>AM herleiten.10 Die Versicherung beinhaltet folglich eine marginale Überversicherung: Eine Zunahme der Gesundheitsausgaben um eine Geldeinheit (GE) geht einher mit einer Zunahme der Versicherungsleistung um mehr als eine GE. Bevor wir auf die Probleme eines derartigen Versicherungsvertrags eingehen, priifen wir zunächst, ob eine innere Lösung mit der Eigenschaft überhaupt existiert. Alternativ könnte auch ein Vollversicherungsvertrag optimal sein, bei dem die Restriktion 0 < Is < Ms an jeder Stelle bindet. Diese Möglichkeit wird allerdings durch die Bedingung (6.33) widerlegt, nach der wegen C\ > 0 ein Selbstbehalt optimal ist. Geht man der Einfachheit halber davon aus, dass bei einer inneren Lösung jAI° = AM mit y > 1 gilt [vgl. HUBERMAN ET AL. (1983, S. 423)], dann nimmt der optimale Versicherungsvertrag im Fall (iv) daher folgende Form an [siehe Abbildung 6.3 (iv)]:
{
0
y(Ms -D)
Ms
falls
Ms < D
falls D<MS<
yD/(y-
1) ,
(6.35)
falls Ms> E = yD/{y-\)
d.h. nach einem Selbstbehalt nimmt die Versicherungsleistung mit den Ausgaben erst überproportional zu bis sie schließlich den Ausgaben entspricht. Für hohe Ausgaben besteht eine marginale Vollversicherung. Da der Selbstbehalt damit für hohe Ausgaben keine Rolle spielt, spricht man auch von einem verschwindenden Selbstbehalt („disappearing deductible"). Dieser Versicherungsvertrag lässt sich folgendermaßen begründen: Für kleine Ausgaben lohnt sich eine Versicherung wegen der positiven Kosten Q(IS) nicht; große Ausgaben lassen sich jedoch wegen der unterproportional steigenden Kosten günstig versichern. Ein Problem dieses Versicherungsvertrags kann allerdings sein, dass er den Anreiz gibt, die Gesundheitsausgaben im Nachhinein künstlich zu erhöhen, da die Versicherungsleistung um mehr zunimmt als die Ausgaben. Will man diesem Anreiz vorbeugen, muss man zusätzlich die Restriktion AI < AM einführen. In diesem Fall 9
Dieses Ergebnis ist übrigens auch in dem Fall möglich, in dem die Grenzkosten konstant sind, die Versicherung aber risikoavers ist. Die Intuition dieses Ergebnisses ist, dass es optimal ist, sich das Risiko marginal zu teilen, wenn beide Parteien risikoavers sind. Der interessierte Leser sei hierfür auf RAVIV (1979) verwiesen. 10 Hierbei muss zusätzlich geprüft werden, ob die Bedingung zweiter Ordnung des Optimierungsproblems (6.19) erfüllt ist. Ihr Vorzeichen ist bei C'/ < 0 nicht eindeutig.
240
6 Optimale Ausgestaltung von Krankenversicherungsverträgen Tabelle 6.2. Optimale Versicherung und Kosten der Versicherung Selbstbehalt D=0 D>0 (i)
C> =
(ü)
C'j
(iii) (iv)
0
marginale Versicherung Teil Voll Uber X X
X
= 0 >0 <0
>o,c" c',>o,c'i c\ >o,c;
X X X
X X
X
erhalten wir das gleiche Ergebnis wie im Fall (ii) mit konstanten Grenzkosten. Eine marginale Vollversicherang wäre optimal. Des Weiteren wäre der Selbstbehalt gemäß Bedingung (6.33) positiv, da die Grenzkosten positiv sind. Unsere Ergebnisse führen uns somit zu Folgerung 6.3 Bei positiven Grenzkosten der Versicherung ist immer ein Selbstbehalt optimal. Darüber hinaus besteht eine marginale Teilversicherung, falls die Grenzkosten steigen. Bei fallenden Grenzkosten hingegen nimmt die Versicherungsleistung iiber dem Selbstbehalt mit den Ausgaben überproportional zu, bis sie den Ausgaben entspricht. Bei diesem Versicherungsvertrag besteht allerdings ein Anreiz, die Ausgaben künstlich zu erhöhen. Tabelle 6.2 fasst die Ergebnisse für die vier Fälle noch einmal zusammen. 6.3.2 Direkte Nutzenwirkungen der Krankheit Im Folgenden wird die restriktive Annahme aufgehoben, dass die Krankheit für das Individuum neben den Behandlungskosten keine weiteren Auswirkungen hat. Nun wird berücksichtigt, dass der Gesundheitszustand auch direkt als Argument in die Nutzenfunktion eingehen kann. Diese hängt also vom verfügbaren Einkommen y und vom Gesundheitszustand H ab: u = u(y,H).
(6.36)
Um der Einfachheit der Darstellung willen gehen wir jedoch zu dem in Abschnitt 6.3.1.1 behandelten Fall zurück, dass der Gesundheitszustand nur zwei verschiedene Werte annehmen kann, nämlich H = k („krank") und H = g („gesund"). Anstelle von u(y,k)und u(y,g) kann man dann vereinfachend Uk{y) und ug(y) schreiben. Die Variable H wird also in der Weise berücksichtigt, dass bei jeder ihrer beiden Ausprägungen eine andere Nutzenfunktion gültig ist, diese Funktionen selbst aber nur vom verfügbaren Einkommen des Individuums abhängen.11 'Dieses Modell wurde erstmals von COOK UND GRAHAM (1977) untersucht.
6.3 Optimaler Versicherungsschutz bei Abwesenheit von Moral Hazard
241
Ist die Wahrscheinlichkeit der Krankheit wiederum durch die bekannte Größe 7t gegeben, so lässt sich der erwartete Nutzen durch EU = E[u(y)] = nuk(y) + (1 - n)ug(y)
(6.37)
ausdrücken. Wie im Modell des Abschnitts 6.3.1.1 sei Y das Bruttoeinkommen und L die Höhe der Krankheitskosten in Zustand k. Femer sei / die vereinbarte Versicherungsleistung und P(I) die zugehörige Prämie. Allerdings soll jetzt zugelassen werden, dass / auch größer sein kann als die Krankheitskosten L, da Krankheit auch einen immateriellen Schaden mit sich bringt. So könnte man eine etwaige, über L hinausgehende, Versicherungsleistung als „Schmerzensgeld" interpretieren. Das Entscheidungsproblem des Individuums besteht darin, den Wert von / zu finden, der den Erwartungsnutzen EU(I) = nuk[Y-P(I)-L + I] + (l-n)ug[Y-P(I)]
(6.38)
maximiert. Daher lautet die notwendige Bedingung erster Ordnung
0.
K
'
Diese Bedingung für ein inneres Optimum kann man in eine besser interpretierbare Form bringen, wenn man für die Argumente von u'k und u'g kurz yk und yg schreibt: nu'k\yk] = P'(I){ia/k\yk] + (l-n)u'g[yg}}
(6.40)
Die linke Seite von (6.40) gibt den erwarteten Nutzengewinn bei Erhöhung der Erstattung / um eine (marginale) Geldeinheit an, die rechte Seite den erwarteten Nutzenverlust durch die damit verbundene Prämienerhöhung. Beide Effekte müssen sich in einem inneren Optimum gerade gegenseitig aufheben. Hat die Prämienfunktion die [gegenüber Gleichung (6.10) etwas vereinfachte] Form (C 0 ,X>0)
(6.41)
so nimmt die Prämie mit der Versicherungsleistung dennoch wie in (6.11) zu: = (\+X)TZ>0.
(6.42)
242
6 Optimale Ausgestaltung von Krankenversicherungsverträgen Somit reduziert sich (6.40) auf
4bk] = (i+X){nu'k[yk] + (1 -%)u'g[yg}}
(6.43)
u'k\yk]{l-n(l+X)} = (l-%)(l+X)u'g\yg}.
(6.44)
bzw. Aus dieser Bedingung lassen sich die folgenden Schlüsse für einen optimalen Krankenversicherungsschutz bei gesundheitsabhängiger Nutzenfunktion ziehen: 1. Ist die Versicherung marginal fair, d.h. gilt X = 0 , so reduziert sich Gleichung (6.44) auf
«tbt] = «4b«].
(6-45)
d.h. die Versicherungsleistung wird gerade so hoch gewählt, dass der Grenznutzen des Einkommens in beiden Gesundheitszuständen angeglichen wird. Im Unterschied zu dem in Abschnitt 6.3.1.1 behandelten Modell bedeutet das jedoch nicht, dass auch das verfügbare Einkommen (durch Wahl von I = L) nivelliert wird, denn bei uk und ug handelt es sich ja um verschiedene Nutzenfunktionen. Wir können folgende weitere Unterscheidung treffen: a) Setzt Krankheit die Genussfähigkeit des Individuums herab, d.h. gilt bei gleichem verfügbaren Einkommen y in beiden Zuständen u'k\y] < u'g\y\, so ist Gleichung (6.45) wegen der Konkavität von uk und ug bei yk < yg erfüllt, und es gilt 7° < L: Teilweise Versicherungsdeckung bzw. Kostenbeteiligung ist optimal. Man denke etwa an einen passionierten Golfspieler, der in Zeiten der Gesundheit viel Geld für sein Hobby ausgibt. Kann er wegen Krankheit nicht spielen, so hat er keine gleichermaßen nutzenstiftende Verwendung für sein Geld, und daher ist er an einer vollkommenen Nivellierung des verfügbaren Einkommens nicht interessiert. b) Umgekehrt ist es denkbar, dass der Grenznutzen des Einkommens im Krankheitsfall sogar erhöht ist, d.h. u'k \y] > u'g \y\. Dann erfordert (6.45) yk > yg und somit 7° > L: Überversicherung bzw. Vereinbarung eines Schmerzensgeldes ist optimal. Eine ökonomische Begründung für diesen Fall wäre, dass im Krankheitsfall ein zusätzliches Bedürfnis nach bestimmten, nicht im eigentlichen Sinne medizinischen Konsumgütern (wie z.B. einer behindertengerechten Wohnung) entsteht. Dieser Fall dürfte sogar der häufigere der beiden genannten sein. 2. Ist dagegen die Versicherung nicht marginalfair, d.h. gilt X > 0, so ist (6.44) nur für u'k\y] > u'g\y] erfüllt: Im Zustand der Krankheit verbleibt ein größerer Grenznutzen des Einkommens als bei Gesundheit. Dies wiederum bedeutet aufgrund der strikten Konkavität der Nutzenfunktionen (u'k,ug < 0), dass eine geringere Versicherungsleistung 7° nachgefragt wird als im Fall marginal fairer Versicherung. Im Zusammenwirken mit dem oben genannten Fall a) gilt damit erst recht 7° < L, in Fall b) kann dies jedoch gerade die volle Deckung bedeuten.
6.3 Optimaler Versicherungsschutz bei Abwesenheit von Moral Hazard
243
3. Alle diese Aussagen beziehen sich nur auf die notwendige Bedingung für ein inneres Optimum. Diese sind auch hinreichend, falls die Versicherungsprämie keine konstante Verwaltungskosten-Komponente enthält. Gilt dagegen Q > 0, so muss die aus (6.44) resultierende Lösung 7° noch mit dem Verzicht auf Versicherung (/ = 0) verglichen werden. Verzicht auf Versicherung ist dabei besser falls C0} (6.46)
Diese Bedingung ist umso eher erfüllt, je geringer die Krankheitskosten L und je größer die Verwaltungskosten CQ sind. Wir ziehen aus unseren Überlegungen die Folgerung 6.4 Ist mit einer Krankheit außer dem finanziellen Schaden durch die Behandlungskosten noch ein immaterieller Schaden verbunden, so werden bei „fairer" Prämie zwar die Grenznutzen des Einkommens einander angeglichen; dies kann aber bedeuten, dass die Versicherungsleistung größer oder kleiner ist als die Behandlungskosten.
6.3.3 Fazit Auch bei Ausklammerung möglicher Anreizwirkungen des Bestehens einer Versicherung („Moral Hazard") lassen sich zwei unabhängige Begründungen dafür anführen, dass der optimale Krankenversicherungsschutz nicht einfach die vollständige Abwälzung aller Krankheitskosten auf die Versicherung vorsieht, nämlich a) die Existenz von Transaktionskosten und b) die Tatsache, dass Krankheit neben finanziellen auch immaterielle Schäden für den Versicherten mit sich bringt. Transaktionskosten können konstant oder von der (erwarteten) Versicherangsleistung abhängig sein. Konstante Kostenkomponenten können einen vollständigen Verzicht auf Abschluss einer Versicherung bewirken, nicht jedoch das Ausmaß des Versicherungsschutzes beeinflussen, wenn dieser überhaupt gewählt wird. Bei positiven Grenzkosten der Versicherung ist es - bei Abwesenheit immaterieller Krankheitsfolgen - generell optimal, einen Selbstbehalt an den Krankheitskosten zu wählen, durch den das verfügbare Einkommen bei Krankheit geringer ist als bei Gesundheit. Sind die Grenzkosten konstant, dann besteht eine marginale Vollversicherung für Krankheitskosten, die den Selbstbehalt übersteigen. Bei steigenden Grenzkosten ist es jedoch optimal, dass der Versicherte einen Teil dieser Ausgaben selbst trägt. Bringt Krankheit dagegen außer dem materiellen auch noch einen immateriellen Schaden mit sich, d.h. verändert sie den Grenznutzen aus sonstigem Konsum, so kann bei transaktionskostenfreier Versicherung eine optimale Lösung sowohl mehr als auch weniger als die volle Abdeckung der Krankheitskosten vorsehen.
244
6 Optimale Ausgestaltung von Krankenversicherungsverträgen
6.4 Optimaler Versicherungsschutz bei Ex-ante Moral Hazard Die der Analyse in Abschnitt 6.3 zugrundeliegende Annahme, die Krankheitskosten seien eine Zufallsvariable, auf deren Verteilung das Individuum keinen Einfluss habe, ist recht unrealistisch, denn jeder weiß, dass man mit seiner Lebensweise die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Krankheiten und deren Verlauf beeinflussen kann. Diesem Umstand wird in dem im Folgenden zu behandelnden Modell Rechnung getragen: Das Individuum kann zwar durch Vorbeugung Einfluss auf die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Krankheitskosten nehmen, nach Eintritt des zufälligen Ereignisses „Krankheit" seien die Behandlungskosten jedoch eindeutig determiniert. Das Problem des Moral Hazard in der Ex-ante-Version besteht dann, wenn die Vorbeugung vom Versicherer nicht beobachtet und deshalb nicht honoriert werden kann. Femer wird angenommen, dass Krankheitsvorbeugung zwar Geld kostet, aber davon abgesehen keine (direkten) Auswirkungen auf den Nutzen des Individuums hat. Damit sind sportliche Aktivitäten zur Gesunderhaltung, die dem einen Freude, dem anderen eine Last bedeuten, ebenso ausgeklammert wie etwa die Enthaltsamkeit vom Alkohol. Ferner schmälern diese präventiven Ausgaben das Einkommen des Versicherten im vollen Umfang und werden nicht von der Krankenversicherung übernommen. Dies kann man zum einen damit begründen, dass sie vom Individuum bewusst gewählt werden und daher keinen zufälligen Charakter haben, also kein „versicherbares Risiko" darstellen. Zum anderen werden Vorbeugungsausgaben nicht selten für Güter getätigt, die nicht ohne weiteres als Gesundheitsgüter identifizierbar sind, z.B. gesundheitsfördernde, aber teurere Reformkost oder Luftbefeuchter zur Verhütung von Atemwegserkrankungen. Eine Deckung solcher Ausgaben durch die Krankenversicherung lässt sich in der Realität nur schwer vorstellen. Um die Analyse so überschaubar wie möglich zu halten, gehen wir wieder vom Modell des Abschnitts 6.3.1.1 aus, in dem nur zwei Gesundheitszustände („krank" und „gesund") möglich sind. In diesem Modell könnte Krankheitsvorbeugung prinzipiell a) auf die Erkrankungswahrscheinlichkeit bei gleich bleibenden Kosten im Krankheitsfall oder b) auf die Höhe der etwaigen Krankheitskosten L bei gleich bleibender Erkrankungswahrscheinlichkeit 7t wirken. Fall b) ist beim Risiko „Krankheit" jedoch wenig plausibel,12 so dass wir im folgenden Fall a) unterstellen werden.
12
Dagegen lassen sich in anderen Risikosparten leicht Beispiele hierfür finden. Man denke etwa an die Anschaffung eines Feuerlöschers: Dadurch wird die Wahrscheinlichkeit, dass ein Brand ausbricht, in keiner Weise beeinflusst, wohl aber der mögliche Schaden.
6.4 Optimaler Versicherungsschutz bei Ex-ante Moral Hazard
245
Die Erkrankungswahrscheinlichkeit % hänge folgendermaßen von den Vorbeugungsausgaben V ab: (%o falls V = V0 = 0 % = JC(V) = { mit Jio > 5ti > 0. \ 7t! falls V = V, > 0
(6.47)
D.h. das Individuum kann genau zwischen zwei Vorbeugungsniveaus wählen.13 Zum einen kann es auf Vorbeugung verzichten. In diesem Fall ist V = VQ = 0 und die Erkrankungswahrscheinlichkeit ist 5to = 5t(Vb)- Zum anderen kann es Vorbeugungsausgaben in Höhe von V\ > 0 wählen. Dies senkt die Erkrankungswahrscheinlichkeit auf 5ti =5t(Vi) <5to. Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zwischen den verschiedenen Varianten des Modells wird es sein, ob die Versicherungsgesellschaft die Vorbeugungsmaßnahmen ihrer Klienten beobachten und damit in ihrer Prämiengestaltung honorieren kann. Zuvor (in Abschnitt 6.4.1) fragen wir jedoch nach den optimalen Vorbeugungsausgaben in Abwesenheit einer Krankenversicherung. Diese Analyse wird einen Vergleichsmaßstab dafür liefern, in welcher Beziehung Vorbeugung und Versicherungsschutz zueinander stehen. Tabelle 6.3 gibt einen Überblick über das Modell der optimalen Vorbeugung und des optimalen Versicherungsschutzes. 6.4.1 Optimale Vorbeugung ohne Versicherungsmöglichkeit Vorbeugungsausgaben schmälern das verfügbare Einkommen des betrachteten Individuums auf jeden Fall, da sie per definitionem bereits getätigt werden müssen, bevor das zufällige Ereignis „Erkrankung" eingetroffen ist. Daher gilt für den erwarteten Nutzen in Abwesenheit einer Versicherung gegen Krankheitskosten unter Berücksichtigung der Gleichungen (6.6) und (6.47) EUj = E[u(y(Vj))}
(6.48)
= %jU\Y - Vj - L] + (1 - nj)u[Y - Vj],
y = 0,l.
Die Bedingung für Vorbeugung ohne Versicherungsmöglichkeit lautet daher AEU = EUi - EU0 > 0 bzw.
L] + (l-no)u[Y]\ > 0. Umformen unter Verwendung von A5l = 5tj — 5to führt zu
AEU = Jt0 (u[Y -Vi-L]-u[Y-LU+
u[Y -V\- L}AK
+(l-no)(u[Y-Vi]-u[Y]\-u[Y-Vi]An. 13
Der Fall eines stetigen Vorbeugungsniveaus wird z.B. von WINTER (2000) dargestellt.
246
6 Optimale Ausgestaltung von Krankenversicherungsverträgen
Tabelle 6.3. Ein Modell der optimalen Vorbeugung und des optimalen Versicherungsschutzes Vorbeugung und Erkrankungswahrscheinlichkeit: f 7C0 falls V = Vo = 0
7t = 7t(V) = <
[ni falls V = Vi > 0
mit Tto > Jti > 0.
(6.47)
Bedingung für Vorbeugung ohne Versicherungsmöglichkeit:
(u[Y-Vi]-u[Y-Vi-L]j
d;i dV
>EU'(y).
(6.49)
Bedingung fiir Vorbeugung mit fairer Versicherung und beobachtbarer Vorbeugung:
Y-n\L-V\
> Y-TIQL
•&• V\ < (Tto-jti)L.
(6.53)
Bedingungen für Vorbeugung mit fairer Versicherung und nicht beobachtbarer Vorbeugung: EU( V\,I,P = %\I) = (1 — 7II)M[F — Tl\I — Vj] 4-7IIM[5 / + (1 — 7ti)7 — V\ — > (\ — %Q)U\Y — %\I\ -\-iiQii\Y -\- (1 — 7li)7 — L].
EU( V\,I,P = %\I) = (1 — 7ti)w[K — %\I — V\\ +itiu[5 / + (1 — 7ti)7 — L — 1 ^
> u[Y-n0L}=EU(V0,L,P = n0L).
Y: y: L: nf u(y): EU: I: P: I:
(6.57)
(6.58)
Brutto-Einkommen verfügbares Einkommen Kosten im Zustand „krank" Vorbeugungsausgaben, j = 0,1 Wahrscheinlichkeit zu erkranken, j = 0,1 Nutzen des Individuums Erwartungswert des Nutzens Versicherungsleistung Versicherungsprämie maximaler Wert von 7 der (6.57) erfüllt
Für marginale Änderungen dTt = %i —%o und dV = V\ — Vb erhalten wir
dEU = -nou'[Y-L]dV +
u[Y-Vi-L}dn-(l-no)u'[Y]dV-u[Y-Vi]dn.
da u[Y-Vi]-u[Y] = -u'(Y)dV
und u[Y - V\ -L\ -u[Y-L]
= -u'(Y -L)dV.
6.4 Optimaler Versicherungsschutz bei Ex-ante Moral Hazard
247
Berücksichtigt man, dass nou'[Y - L] + (1 - TI;O)M'[K] nichts anderes als den Erwartungswert des Grenznutzens EU'(y) darstellt, vereinfacht sich die Bedingung dEU > 0 zu dJt > EU'iy). (6.49) dV Die linke Seite von (6.49) gibt den Nutzenzuwachs aus einer Senkung der Erkrankungswahrscheinlichkeit n bei Erhöhung von V um eine (marginale) Geldeinheit an, die rechte misst dagegen den erwarteten Nutzenverlust infolge der gleichzeitigen Schmälerung des verfügbaren Einkommens in beiden Zuständen. Um diesen zu berechnen, wird für jeden Zustand der Grenznutzen des Einkommens gebildet und dann die beiden Werte, mit den zugehörigen Wahrscheinlichkeiten %Q bzw. (1 — 7to) gewichtet, addiert. Vorbeugung lohnt sich folglich umso mehr, •
je größer |d7t/dV| ist, d.h. je effektiver sie die Erkrankungswahrscheinlichkeit senkt;
•
je höher der Nutzenverlust durch Krankheit u[Y — V\] — u[Y — V\ — L] ist;
•
je geringer der erwartete Nutzenverlust EU'(y) in Folge des gleichzeitigen Rückgangs des verfügbaren Einkommens in beiden Zuständen ist.
6.4.2 Optimum des Versicherten bei beobachtbarer Vorbeugung Das Individuum sei nun in der Lage, einen Versicherungsvertrag abzuschließen, der ihm im Krankheitsfall eine Versicherungsleistung in Höhe von / (0 < / < L) garantiert. Der Wert von / sei von ihm frei wählbar. Femer sei der Versicherer in der Lage, die Vorbeugungsausgaben V zu beobachten und in der Prämiengestaltung zu berücksichtigen. Der Einfachheit gehen wir davon aus, dass die Prämie aktuarisch fair sei, d.h. es gelte P(V,I)=n(V)I.
(6.50)
Das Ziel des Konsumenten sei es, durch geeignete Wahl seiner Aktionsparameter V (Vorbeugung) und / (Versicherung) seinen erwarteten Nutzen
EU(V,I) = n(V)u[Y - P(V,I) -V -L +1} +(\-n(V))u[Y-P(V,I)-V] zu maximieren.
(6.51)
248
6 Optimale Ausgestaltung von Krankenversicherungsverträgen
Unter Verwendung von (6.50) lautet die Bedingung für ein festgelegtes Vorbeugungsniveau
dEU(V,I)
= n(yy[Y-n(V)I°-V-L
+ l°](l -it{V))
+(1 - %(V))u'[Y - n(V)I° - V](-n{V)) = 0. Daraus folgt u'[Y -Jt(V)/° -V -L + I]=u'[Y -%(V)I° -V]
&
I° = L
(6.52)
d.h. wie in Abschnitt 6.3.1 ist bei einer fairen Versicherung Vollversicherung optimal. Annahmegemäß kann die Versicherung das Verhalten des Versicherten beobachten und durch ihre Prämiengestaltung honorieren bzw. bestrafen. Bei einer fairen Versicherung ist die Wahl von V\ folglich genau dann optimal, falls
bzw. falls Y-%\L-Vi>Y-%oL
o
V\ <(7to-7ti)L.
(6.53)
Diese Bedingung besagt, dass Vorbeugung genau dann optimal ist, wenn dadurch das erwartete Einkommen zunimmt. Dies ist äquivalent zu der Bedingung, dass die Vorbeugungsaufwendungen geringer sind als die Abnahme der erwarteten Ausgaben im Krankheitsfall. Bezüglich der optimalen Kombination aus Vörbeugung und Versicherung von Krankheitskosten für das repräsentative Individuum bei Existenz einer fairen Versicherung erhalten wir somit Folgerung 6.5 Kann der Versicherer das Ausmaß der Vorbeugung beobachten und ist die Versicherung fair, so betreibt der Versicherte genau dann Vorbeugung, wenn dadurch das erwartete Einkommen zunimmt. Die gleichmäßige Verteilung dieses maximalen erwarteten Einkommens aufdie beiden Gesundheitszustände wird dann mit Hilfe einer Versicherung ohne Selbstbeteiligung vorgenommen. 6.4.3 Optimum des Versicherten bei nicht beobachtbarer Vorbeugung Im Folgenden wenden wir uns dem realistischeren Fall zu, dass der Versicherer die Vorbeugungsausgaben nicht beobachten kann. Folglich kann die Versicherangsprämie P auch nicht von der Höhe der Vorbeugung, V, sondern nur von der gewählten Erstattung / abhängen: P = P(I). (6.54) Bedeutet dies nun, dass das Individuum überhaupt keinen Anreiz zur Vorbeugung hat und diese vollkommen unterlässt, oder gibt es dennoch eine Möglichkeit, durch die Gestaltung der Funktion (6.54) Einfluss auf die Wahl von V zu nehmen?
6.4 Optimaler Versicherungsschutz bei Ex-ante Moral Hazard
249
Eine „Belohnung" höherer Vorbeugungsausgaben könnte etwa wie folgt begründet werden: Je umfassender der Versicherungsschutz, umso geringer ist der Anreiz für den Versicherten, Vorbeugung zu betreiben, umso eher ist also die Erkrankungswahrscheinlichkeit 7to und umso teurer ist damit eine kostendeckende Versicherung pro Einheit der Erstattung /. Sind dem Versicherer diese Zusammenhänge bekannt, so kann er ihnen dadurch Rechnung tragen, dass er die Prämie für eine Vollversicherung überproportional teurer wählt als eine Versicherung mit Selbstbeteiligung. Das Individuum wird dies bei seiner Entscheidung berücksichtigen und weder eine Vollversicherung wählen noch auf Vorbeugung gänzlich verzichten. Alternativ könnte der Versicherte auf Vorbeugung auch gänzlich verzichten und dafür eine entsprechend hohe Prämie bezahlen. Im Folgenden unterstellen wir Vl <(7Co-7Ci)L,
d.h. bei beobachtbarer Vorbeugung ist es optimal, Vorbeugung zu betreiben. Deshalb kann es sich auch bei nicht beobachtbarer Vorbeugung lohnen, dem Versicherten Anreize zur Vorbeugung zu geben. Die Beziehung zwischen Versicherungssumme und Prämie in Abhängigkeit von den Vorbeugungsausgaben lautet bei einer fairen Versicherung Pj(I) = n(Vj(I))I mit .7 = 0,1. (6.55) Hierbei stellt Vj (/) das in Abhängigkeit von / gewählte Vorbeugungsniveau dar. Wie hoch darf die Versicherungsleistung / sein, damit der Versicherte Vorbeugungsausgaben V\ tätigt, wenn diese nicht beobachtbar sind? Intuitiv einsichtig ist, dass / kleiner als die Kosten L im Krankheitsfall sein muss. Für I = L würde der Versicherte sich sonst immer für einen Verzicht auf Vorbeugung entscheiden, da unabhängig von der Prämie P gilt EU0(I = L) = u(Y -P-Vo)
> u(Y -P-Vi)
= EUX (I = L).
(6.56)
Des Weiteren muss bei gegebenem Wert von / der Erwartungsnutzen bei den Vorbeugungsausgaben V\ mindestens so groß sein wie bei VQ. Unter Verwendung von Gleichung (6.55) lautet diese Bedingung
(6.57) = EU(V0,I,P = Wie sich leicht zeigen lässt, steigt der Erwartungsnutzen des Versicherten ceteris paribus mit der Versicherungsleistung / solange I
250
6 Optimale Ausgestaltung von Krankenversicherungsverträgen
Schließlich muss noch geprüft werden, ob der maximale Erwartungsnutzen unter der Bedingung, dass der Versicherte V\ wählt, höher ist als der Erwartungsnutzen bei einer Vollversicherung in Abwesenheit von Vorbeugung. Falls
> u[Y-noL}=EU(Vo,L,P = noL),
(6.58)
dann ist es auch bei nicht beobachtbarer Vorbeugung optimal, dass der Versicherte eineTeilversicherungI EU(Vo,L,P = TioL) ist der Versicherungsvertrag mit der Versicherungsleistung / = 37 zur Prämie P = nj= 3,7 optimal. Ein anderes Ergebnis erhalten wir jedoch, wenn die Vorbeugungsausgaben höher sind. Abbildung 6.5 stellt die Situation für V\ = 15 dar. Bei beobachtbarer Vorbeugung wäre es ebenfalls effizient, Vorbeugung zu betreiben, da V\ = 15 < 16. Bei nicht beobachtbarer Vorbeugung ist allerdings ein Vollversicherungsvertrag, der keine Anreize zur Vorbeugung gibt, optimal: Die Funktionen EU(VQ,I,P = %\I) und EU(Vi,I,P = n\I) schneiden sich schon bei / = 17, weil der Erwartungsnutzen EU(V\,I,P — %\I) durch die höheren Vorbeugungsausgaben niedriger ist als itn ersten Beispiel. DaEU(Vi,I,P = TtJ)< EU(V0,L,P — n0L) istes optimal, auf Vorbeugung zu verzichten. Das Individuum bevorzugt deshalb einen Vollversicherungsvertrag zur Prämie P = 0,3 x 80 = 24.
6.4 Optimaler Versicherungsschutz bei Ex-ante Moral Hazard
251
Abb. 6.4. Ex-ante Moral Hazard: Vi = 10 4,6 -,—
EU
0
5
10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80
Versicherungsleistung / 4,6
Abb. 6.5. Ex-ante Moral Hazard: V\ = 15
4,5
4,4
EU 4,3 -
4,2 -
4,1
0
5
10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80
Versicherungsleistung / Unsere Ergebnisse können wir somit zusammenfassen in Folgerung 6.6 Kann der Versicherer das Ausmaß der Vorbeugung nicht beobachten und ist die Versicherung fair, so kann es optimal sein, dem Versicherten durch eine Selbstbeteiligung Anreize zur Vorbeugung zu geben. Dies ist eine ,,Second-best Lösung", denn sein Erwartungsnutzen ist ceterisparibus geringer, als wenn seine Vorbeugungsausgaben beobachtbar wären.
252
6 Optimale Ausgestaltung von Krankenversicherungsverträgen
Der Versicherte muss nicht dazu gezwungen werden, den Vertrag mit der Teildeckung / zu wählen, falls dieser optimal ist, denn dieser Vertrag ist in seinem Eigeninteresse. Durch den Abschluss des Vertrags bindet er sich de facto, Vorbeugungen zu betreiben. Auf ein Durchsetzungsproblem des Second-best-Vertrags hat PAULY (1974) hingewiesen. Ist der Versicherte in der Lage, durch den Kauf mehrerer Versicherungspolicen seinen Versicherangsschutz auszuweiten, dann bricht der Anreizeffekt der Versicherungen zusammen. Ist zum Beispiel / = L/2, dann führt der Kauf von zwei Verträgen zu einer Vollversicherung mit einer Gesamtprämie %\L. Der Versicherte verzichtet dann auf Vorbeugung und beide Versicherangen würden Verluste machen. Da die Versicherungen ein solches Verhalten voraussehen werden, kommt es gar nicht erst zu einem Angebot des Versicherungsvertrags mit der Leistung / zur Prämie it\I. Stattdessen werden nur Verträge angeboten, bei denen von vorneherein davon ausgegangen wird, dass der Versicherte keine Vorbeugung betreibt, d.h. die Versicherungen verlangen einen Preis 7to pro Einheit Versicherungsleistung. Der Versicherte wird sich in diesem Fall zwar voll versichern. Falls die Bedingung (6.58) erfüllt ist, d.h. falls in der „Second-best Lösung" positive Vorbeugungsausgaben optimal sind, ist er jedoch schlechter gestellt, als wenn er glaubwürdig beweisen könnte, dass er nur einen Versicherungsvertrag unterzeichnet. Es gilt also die Folgerung 6.7 Ist der Versicherte in der Lage, mehrere Versicherungspolicen abzuschließen, dann kann die in Folgerung 6.6 beschriebene „Secondbest Lösung " eventuell nicht durchgesetzt werden. Bei einerfairen Versicherung wird sich der Versicherte dann voll versichern und keine Vorbeugung betreiben. In dieser ,,Third-bestLösung" ist der Erwartungsnutzen noch geringer als in der „Second-best Lösung". Zu beachten ist jedoch, dass diese „Third-best Lösung" nur dann relevant ist, wenn es mehrere Anbieter von Krankenversicherungsverträgen gibt. Existiert nur eine Krankenversicherung, z.B. eine staatliche Einheitskasse, tritt dieses Problem nicht auf. Für den Fall mehrerer Anbieter lässt sich das Problem durch eine generelle Meldepflicht für alle Krankenversicherungspolicen vermeiden. Dann kann die Prämie vom insgesamt abgeschlossenen Versicherungsschutz abhängig gemacht werden. Des Weiteren kann die Erstattung durch mehrere Versicherangen verhindert werden, indem Versicherte ihre Originalbelege einreichen müssen. Dies ist zum Beispiel in der privaten Krankenversicherung in Deutschland der Fall. 6.4.4 Fazit Der Verzicht auf vollen Versicherungsschutz ist also nicht nur dann ratsam, wenn keine Versicherung zu „marginal fairen" Konditionen erhältlich ist. Er kann auch damit motiviert werden, dass der Versicherte sich selbst Anreize zur Vörbeugung gegen die Entstehung von Krankheiten vermittelt. Denn muss man später einen Teil seiner Krankheitskosten aus eigener Tasche tragen, so wird man eher bereit sein,
6.5 Optimaler Versicherungsschutz bei Ex-post Moral Hazard
253
Aufwendungen zur Krankheitsvorbeugung zu tätigen als andernfalls. Ein solcher Anreiz setzt allerdings voraus, dass verhindert werden kann, dass der Versicherte mehrere Versicherungspolicen erwirbt. Andernfalls kann es sein, dass es unmöglich wird, den Versicherten zur Vorbeugung zu bewegen; die dann resultierende Lösung ist nach dem Rriterium des erwarteten Nutzens schlechter als in dem Fall, dass nur eine Versicherungspolice erworben werden kann. Voller Versicherungsschutz ist nur dann mit unverminderten Anreizen zur Vorbeugung vereinbar, wenn der (unrealistische) Fall gegeben ist, dass die Versicherungsgesellschaft die Vorbeugung direkt beobachten und damit in ihrer Prämiengestaltung honorieren kann. Sind diese Informations-Voraussetzungen erfüllt, so wird ein höheres Wohlfahrtsniveau erreicht als ohne sie.
6.5 Optimaler Versicherungsschutz bei Ex-post Moral Hazard Im Unterschied zu Abschnitt 6.4 wird im Folgenden untersucht, wie sich das Vorliegen von Moral Hazard der Ex-post-Variante auf die Struktur eines optimalen Versicherungsschutzes gegen Krankheitskosten auswirkt. In diesem Modell ist es nicht möglich, durch Vorbeugung die Wahrscheinlichkeit einer Krankheit zu senken. Wohl aber verbleiben dem betrachteten Individuum Handlungsaltemativen bei bereits eingetretener Erkrankung.14 6.5.1 Modellannahmen Wir betrachten eine einperiodige Welt, in der es nur zwei Güter gibt: ein homogenes Gesundheitsgut ("medizinische Behandlung") und sonstigen Konsum. Der relative Preis von medizinischer Behandlung wird als konstant angenommen und kann daher ohne Einschränkung der Allgemeinheit gleich 1 gesetzt werden, so dass die jeweiligen Gütermengen, die ein Haushalt konsumiert, durch die Ausgaben für medizinische Behandlung, M, und für sonstigen Konsum, y, ersetzt werden können. Besteht eine Krankenversicherung, so bezeichne / die Versicherungsleistung und P den Versicherungsbeitrag. Hat der Haushalt ferner ein Bruttoeinkommen in Höhe von Y, so folgt aus seiner Budgetgleichung die Beziehung y = Y-P-M
+ I.
(6.59)
Der Gesundheitszustand des Individuums, Qs, ist eine Zufallsvariable, deren Realisierung der Konsument vor Beginn der betrachteten Periode noch nicht kennt. 6S kann S verschiedene Werte (0i,...,0s) annehmen, die mit den (bekannten) Wahrscheinlichkeiten (TCI , ...,%s) auftreten. Durch Ausgaben für medizinische Leistungen 14
Ex-post-Moral Hazard wurde in einem formalen Modell erstmals von ZECKHAUSER (1970) untersucht. Vertieft wurde die Analyse insbesondere von SPENCE UND ZECKHAUSER (1971) sowie BLOMQVIST (1997).
254
6 Optimale Ausgestaltung von Krankenversicherungsverträgen
lässt sich der Gesundheitszustand verbessern. Der verwirklichte Gesundheitszustand Hs sei HS = QS+MS. (6.60) Der verwirklichte Gesundheitszustand ist entscheidend für das Bruttoeinkommen des Individuums. Wir unterstellen folgende Beziehung Y = f(H)
mit / ' [ 9 m a x ] > l 1 5
und / " < 0,
(6.61)
wobei 0 max den bestmöglichen Gesundheitszustand bezeichnet. Ist 0S < 6 max , dann lässt sich dieser Gesundheitszustand folglich als Krankheitsfall interpretieren. Das Nettoeinkommen eines Individuums im Zustand 5 ist somit ys=f(Hs)-P-Ms+Is = f{Qs+Ms)-P-Ms+Is.
(6.62)
Der Nutzen des Individuums sei schließlich eine strikt konkave Funktion des Konsumniveaus y, d.h. u = u(y)
mit
M'>0,K"<0.
(6.63)
Wir nehmen damit an, dass der Gesundheitszustand H keinen direkten Einfluss auf den Nutzen habe.16 Gesundheit ist für diesen Konsumenten ein reines Investitionsgut (vgl. hierzu Abschnitt 3.2.2). Eine Übersicht über die wichtigsten Gleichungen dieses Abschnitts und die verwendeten Abkürzungen gibt Tabelle 6.4 6.5.2 Optimaler Versicherungsschutz bei beobachtbarem Gesundheitszustand Zunächst untersuchen wir den Referenzfall ohne ex-post Moral Hazard, in dem der Gesundheitszustand von der Versicherung beobachtbar wird. Das Individuum kann dann vor Beginn der Betrachtungsperiode, also noch unter dem „Schleier des Nichtwissens" über den zukünftigen Gesundheitszustand, sowohl seine Nachfrage nach medizinischer Behandlung Ms im Zustand s als auch die Versicherungsleistung Is frei wählen, und zwar so, dass sein Erwartungsnutzen
(ß
(6.64)
s=\ 15
Die Annahme /'[6max] > 1 impliziert, dass es bei 9maxflirden Konsumenten optimal ist, medizinische Leistungen nachzufragen. Wir treffen sie lediglich, um die Analyse im Folgenden zu vereinfachen. 16 Die Analyse im Folgenden ist auch mit der schwächeren Annahme vereinbar, dass der Gesundheitszustand keinen Einfluss auf den Grenznutzen u' habe.
6.5 Optimaler Versicherungsschutz bei Ex-post Moral Hazard
255
Tabelle 6.4. Optimaler Versicherungsschutz und optimale Nachfrage nach medizinischen Leistungen Beobachtbarer Gesundheitszustand: s EU^^KsuiAQs + M^-Ms-P + Is)
(6.64)
s=l S
P =£>,/,.
(6.65)
I°=M° + a
(6.73)
s=\
Nicht beobachtbarer Gesundheitszustand: I = (l-c)M
(6.78)
0
dMs
dH°
dc
dc
(6.85)
s EUc)='£nsu{f(es+Ms{c,eJ))-cMs{c,Bs)-Pc)).
(6.86)
s=l
S
S
Pc) = £ > s ( l -c)Ms(c,Qs) = (1 - c )
r-
Y: 6,:
Ms: H s: u{y): EU:
h: P: c:
£nsMs(c,Qs).
(6.87)
s=l
s=l
verfügbares Einkommen des Individuums Brutto-Einkommen Gesundheitszustand Wahrscheinlichkeit, dass Zustand Qs eintritt Ausgaben für medizinische Leistungen im Zustand s verwirklichter Gesundheitszustand Nutzen des Individuums Erwartungsnutzen des Individuums Versicherungsleistung im Zustand i Versicherungsprämie Selbstbeteiligungssatz
maximal wird. Wir nehmen im Folgenden an, dass eine aktuarisch faire Versicherung zur Verfügung steht. Die Prämie beträgt dann
£> s /,.
(6.65)
256
6 Optimale Ausgestaltung von Krankenversicherungsverträgen
Um den optimalen Versicherungsvertrag zu bestimmen, maximieren wir die Lagrange-Funktion:
s
s
s=l
5=1
(6.66)
Wir gehen von einer inneren Lösung aus. Die Bedingungen erster Ordnung lauten:17
^— = nsu[y°) -iu°ns = 0 — - - £ nsu'\y°] +n° = 0 — = P° - £ nsl° = 0.
(6.68) (6.69) (6.70)
Aus Gleichung (6.67) folgt die Bedingung, dass der Grenzertrag der medizinischen Leistungen den Grenzkosten entspricht: f'[Qs + M°} = l.
(6.71)
Wegen der Annahme /'(6 m a x ) > 1 (vgl. Gleichung (6.61)) fragt das Individuum damit immer eine positive Menge an Gesundheitsleistungen nach.18 In allen Zuständen s ist somit der Endgesundheitszustand Hs identisch. Definiert man H° als den Gesundheitszustand, für den die Gleichung (6.71) erfüllt ist, so gilt M°=H°-QS.
(6.72)
Die minimalen Gesundheitsausgaben betragen M^n =H° — 9 max . Aus (6.68) folgt u'{y°) = yU°, d.h. der Grenznutzen und damit das Einkommen ist in allen Zuständen identisch. Dies bedeutet, dass (6.73) wobei OC eine Konstante ist. Zum Beispiel kommen in Frage 1° = M° oder 1° = M° — M° • min'
Ist daraus zu folgern, dass bei fairer Prämie die Versicherungsleistung einfach die gesamten marginalen Behandlungsausgaben ersetzen sollte? Um diese Frage zu beantworten, betrachten wir das nutzenmaximierende Verhalten des Individuums in 17
Die Bedingung zweiter Ordnung ist aufgrund der strengen Konkavität der Funktion u(y) und f{H) erfüllt. 18 Diese Annahme lässt sich leicht lockern und wird nur getroffen, um die Darstellung zu vereinfachen.
6.5 Optimaler Versicherungsschutz bei Ex-post Moral Hazard
257
der Ex-post-Situation, d.h. bei bereits realisiertem Grundgesundheitszustand Qs, wobei der Versicherungsschutz und die Prämie gegeben sind. Unterstellen wir, dass die Versicherungsleistung irgendwie von den Gesundheitsausgaben abhängt, d.h. dass / = I(M) gilt, so maximiert das Individuum seinen Nutzen + Ms)-P-Ms+I(Ms))
(6.74)
durch Wahl des Wertes von Ms. Die notwendige Bedingung erster Ordnung lautet du(ys = u'\ys] (/' [6, +Ms}-\+l'[Ms})=0. dM,
(6.75)
Diese Bedingung ist mit der globalen Optimalitätsbedingung (6.67) genau dann kompatibel, wenn I'[Ms] = 0 für alle Zustände s gilt, d.h. wenn die Versicherungsleistung überhaupt nicht von den Ausgaben des Individuums für medizinische Behandlung abhängt. Dies setzt allerdings voraus, dass der Versicherer nicht nur die Gesundheitsausgaben des Individuums, sondern auch den Gesundheitszustand selbst beobachten kann und die Versicherungsleistung entweder die Form einer Sachleistung in Höhe von M° oder einer Indemnität, d.h. einer Pauschalzahlung in Abhängigkeit des Zustands s annimmt. Im letzteren Fall löst das Individuum das Problem maxu(f(Qs+Ms)-P-Ms+Is).
(6.76)
Die Bedingung erster Ordnung lautet: (6.77) Dies bedeutet, dass der Konsument selbst die Ausgaben M° wählt. Wir ziehen daraus die Folgerung 6.8 Kann der Versicherer den Gesundheitszustand des Versicherten beobachten, so sieht die optimale Vertragsform entweder eine Sachleistung in Höhe der optimalen Gesundheitsausgaben oder eine pauschale, d.h. nurvom Gesundheitszustand abhängige Versicherungsleistung vor. 6.5.3 Optimaler Versicherungsschutz bei nicht beobachtbarem Gesundheitszustand In der Realität ist die oben charakterisierte globale Optimallösung deswegen nicht erreichbar, weil der Versicherer den Gesundheitszustand des Versicherten nicht zweifelsfrei beobachten kann. Stattdessen werden die krankheitsbezogenen Ausgaben als Indikator für die Krankheit selbst verwendet und folglich die Versicherungsleistung im Sinne einer Erstattungsfunktion I(M) von ihnen abhängig gemacht werden. Um
258
6 Optimale Ausgestaltung von Krankenversicherungsverträgen
die Suche nach einer optimalen Erstattungsfunktion übersichtlich zu halten, seien im Folgenden nur Versicherangsverträge mit prozentualer Selbstbeteiligung betrachtet, so dass die Erstattungsfunktion die Form I={\-c)M
0
(6.78)
annimmt, wobei 100 x c den Selbstbeteiligungssatz in Prozent misst.19 Das Individuum steht nun vor einem zweistufigen Optimierungspmblem. Ex post, d.h. nach Realisierung von 0S, werden die nutzenmaximierenden Gesundheitsausgaben M(c, Qs) gesucht, wobei der Selbstbeteiligungssatz c als exogen angesehen wird. Ex ante ist der Wert von c zu suchen, der unter Berücksichtigung des zuvor bestimmten Ex-post-Verhaltens den Erwartungsnutzen maximiert. 6.5.3.1 Ex-post Optimierung Wir beginnen mit der optimalen Nachfrage nach medizinischer Behandlung nach Realisierung von Ö^. Das Individuum steht dann vor folgendem Problem: maxu(f(Qs+Ms)-P-cMs).
(6.79)
Ms
Die Bedingung erster Ordnung lautet ^ - = u'[ys}(f% +M°] -c) = 0 => f% +M°] = f'[H°] = c
(6.80)
und charakterisiert damit den optimalen Wert H°(c). Die Bedingung zweiter Ordnung für ein Maximum ist erfüllt: ^
= u"\ys}(f'lQs+M°} -c)2 + u'(ys)f"iQs+M°]
< 0,
(6.81)
da u" < 0 und / " < 0. Aus f'[Bs+M°] = c erhalten wir unter Verwendung des Theorems der impliziten Funktionen mit H° = Bs + M°
da / " < 0. Für c = 1 (keine Versicherung) entspricht H° dem Wert im First-best (siehe Gleichung (6.71)). Für c < 1 fallen die Ausgaben folglich höher aus als im First-best. Dies zeigt bereits den Zielkonflikt zwischen der Versicherung des Gesundheitsrisikos (c möglichst niedrig vor Eintritt der Krankheit) und einer effizienten Höhe der Gesundheitsausgaben (c möglichst hoch nach Eintritt der Krankheit). 19
In Abwesenheit dieser Restriktion ist die optimale Selbstbeteiligungsfunktion i.a. nichtlinear [vgl. SPENCE UND ZECKHAUSER (1971), und BLOMQVIST (1997)].
6.5 Optimaler Versicherungsschutz bei Ex-post Moral Hazard
259
Aus Gleichung (6.60) können wir die nutzenmaximierenden Gesundheitsausgaben in Abhängigkeit von c und 0, bestimmen: Ms(c,Bs)=H°(c)-es.
(6.83)
Die partiellen Ableitungen lauten:
36,
= -1
dc
(6.84)
dc
Die Gesundheitsausgaben sind folglich umso niedriger, je besser der Grundgesundheitszustand 6S ist. Des Weiteren erhalten wir aus Gleichung (6.85) die Folgerung 6.9 Der nutzenmaximierende Konsument fragt umso mehr medizinische Leistung nach, je geringer der Selbstbeteiligungssatz ist („Moral Hazard der Ex-post-Form"). 6.5.3.2 Ex-ante Optimierung Gegen Ende des vorhergehenden Abschnitts wurde der Zielkonflikt bei der Bestimmung des optimalen Selbstbeteiligungssatzes angesprochen. Vor Eintreten der Rrankheit sollte dieser idealer Weise null sein, nach Eintreten der Krankheit aber eins betragen. Hier wird dieser Konflikt durch eine ex-ante Betrachtung im Sinne einer optimalen Abwägung gelöst. Da die Nachfrage nach medizinischen Leistungen Ms(c,Qs) sowie die Versicherungsprämie P{c) vom gewählten Selbstbeteiligungssatz c abhängen, beträgt der Erwartungsnutzen des Individuums in Abhängigkeit von c EU(c) = Y,nsu(f(Qs+Ms(c,Qs))-cMs(c,Qs)-Pc)).
(6.86)
s=l
Für die Prämienfunktion Pc) erhält man bei einer fairen Versicherung s P(c) = £ TCS(1 -c)Ms(c,Qs) s=l
s = (1 - c ) £ nsMs(c,Qs).
(6.87)
s=l
Setzt man Gleichung (6.87) in Gleichung (6.86) ein, so ist der optimale Selbstbeteiligungssatz die Lösung des folgenden Problems: 5 s maxEU(c) = £ nsu[f(Qs +Ms(c,Qs)) - cMs(c,Qs) - (1 - c) £ nsMs{c,Bs)] C
5=1
5=1
(6.88) unter der Nebenbedingung 0 < c < 1.
260
6 Optimale Ausgestaltung von Krankenversicherungsverträgen
Die Kuhn-Tucker-Bedingungen zu Problem (6.88)lauten dEU
< 0 falls = 0 falls > 0 falls
c° = 0 0 < c° < 1 c° = 1
(6.89)
wobei dEU dc
3Mc 5=1
5=1
5=1
Wegen der Gleichung (6.80) vereinfacht sich dies zu dEU ~dc~
(6.90) s=l
5=1
5=1
Die Terme in der eckigen Klammer lassen sich folgendermaßen interpretieren: — Ms stellt die geringere Erstattung im Zustand s dar, wenn der Selbstbeteiligungssatz c marginal erhöht wird, während Y%=i KsMs die Senkung der Prämie unter Nichtberücksichtigung von Wirkungen auf die Gesundheitsausgaben wiedergibt. Für positive Werte von c ist bei einem risikoaversen Individuum der gemeinsame Effekt dieser beiden Größen negativ. Positiv geht allerdings die Prämienentlastung durch die Verringerung des Überkonsums ein, die (1 — c)£f =1 its-gf > 0 beträgt. Zunächst zeigen wir, dass es optimal ist, überhaupt eine Versicherung abzuschließen. Dies entspricht der Bedingung, dass der Selbstbeteiligungssatz kleiner eins ist. An der Stelle c = 1 erhalten wir dEU dc
(6.91) c=\
s=\
s=l
Der Term in Klammern ist positiv fiir kleine Werte von Ms und negativ für große Werte von Ms. Aufgrund der Risikoaversion (u" < 0) nimmt ohne Versicherung u'(ys) mit Ms zu und damit mit dem Wert in Klammern ab, da die Ausgaben für medizinische Leistungen das Einkommen senken. Sei Mt der höchste Wert, für den der Term in Klammern positiv ist. Dann gilt wegen der negativen Zusammenhangs von u'(ys) und des Terms in Klammern dEU
dc
<
c=\
s=\
s=l
s=l
5=1
Aus 5
S
£ nsu'(yt) \ - Ms + £ nsM = u'{yt) £ jt s=l
l
s=\
-M s + £ %SM
s=\
s =
u
'(yt)
5=1
= 0
s 5
5 T" ^
s 5 ^
5=1
=1
5=1
s
'
6.5 Optimaler Versicherungsschutz bei Ex-post Moral Hazard
261
folgt schließlich dEU dc
(6.92) e=l
d.h. das Individuum wird in jedem Fall eine Versicherung abschließen. Kann eine Vollversicherung optimal sein? Hierzu werten wir die erste Ableitung (6.90) an der Stelle c = 0 aus. Dem Individuum werden dann alle Gesundheitsausgaben von der Versicherung ersetzt und sein Einkommen ist folglich in allen Zuständen identisch, so dass u'(ys) = u'(y). Somit erhalten wir:
dEU
dc
C=0
5=1
5=1
5=1
s
s
s
s
s
5=1
5=1
5=1
5=1
5=1
s —^
KSMS
5=1
-
s s + ^ KsMs — ]T ; 5=1
5=1
(6.93) Dies bedeutet, dass immer ein positiver Selbstbeteiligungssatz optimal ist. Der Grund hierfür ist, dass bei c = 0 das Individuum vollversichert ist und somit die Risikostreuung an der Grenze keine Rolle spielt. Es wirkt allein der Moral-HazardEffekt, der durch eine Erhöhung des Selbstbeteiligungssatzes vermindert wird. Eine weitere wichtige Frage ist, von welchen Faktoren der optimale Selbstbeteiligungssatz abhängt. Zur Beantwortung dieser Frage setzen wir Gleichung (6.60) und Gleichung (6.85) in Gleichung (6.90) ein und verwenden £f =1 7t 5 = 1:
dEU
dM,
(6.94)
5=1 S
-(H° - Qs) + £ ns(H° - Qs) - (1 - c) £ % 5 s=l
s=\
s=\
5=1
"dc"
s 5=1
dc
Zur besseren Interpretation unterstellen wir, dass die Elastizität der Gesundheitsnachfrage im Bezug auf den Selbstbeteiligungssatz, r\H,c = ^r~ TJÖ < 0, konstant
262
6 Optimale Ausgestaltung von Krankenversicherungsverträgen
ist. Dann lautet die Bedingung erster Ordnung für eine innere Lösung dEU
1 -c° ""'
s
=0.
(6.95)
s=\
Wir nehmen des Weiteren an, dass die Bedingung zweiter Ordnung für alle c e (0,1) erfüllt ist.20 Dann ist die durch Gleichung (6.95) charakterisierte Lösung eindeutig. Mit Hilfe des Theorems der impliziten Funktionen erhalten wir schließlich:
*• dr\H,c
* * * » *
<0>
d2EU dc2
d2EU dc2
d.h. je größer T\H,C und damit je weniger elastisch die Nachfrage nach Gesundheit bezüglich der Selbstbeteiligungskosten ist (V\H,C ist negativ), desto geringer ist der optimale Selbstbeteiligungssatz. Schließlich lässt sich die Elastizität der Nachfrage nach medizinischen Leistungen in Bezug zu r\n,c setzen. Unter Verwendung von Gleichung (6.85) ergibt sich dM c
dH c
H°
oc M
ac M
M
T]M,C = 3— 77 = ~TJ7=r\H,c-Tj-
(6.97)
Damit ist T\M,C proportional zu der Elastizität T\H,C für alle M. Somit erhalten wir das intuitive Ergebnis, dass der optimale Selbstbeteiligungssatz steigt, wenn die Nachfrage nach medizinischer Behandlung elastischer wird. Folgerung 6.10 Da die Nachfrage nach medizinischen Leistungen mit dem Selbstbeteiligungssatz sinkt, ist der optimale Selbstbeteiligungssatz positiv. Er ist ceteris paribus umso höher, je elastischer die Nachfrage nach medizinischen Leistungen. Das in diesem Abschnitt verwendete Modell lässt sich noch erweitern. Insbesondere haben wir die einschränkende Annahme getroffen, dass der Konsument Gesundheit nur als Investitionsgut betrachtet und selbst keinen direkten Nutzen aus Gesundheit zieht. Des Weiteren haben wir die Analyse auf Versicherungsverträge mit prozentualer Selbstbeteiligung beschränkt. Eine Analyse ohne diese Annahmen wurde von BLOMQVIST (1997) unternommen, der mit einem dynamischen Optimierungsverfahren die optimale nichtlineare Selbstbeteiligungsfunktion charakterisiert. Schließlich möchten wir betonen, dass bei nichtbeobachtbarem Gesundheitszustand die Ausgaben für Gesundheitsleistungen nicht der einzige mögliche Indikator für den Gesundheitszustand Bs des Konsumenten sind. In der Praxis sind weitere 20
Eine hinreichende, aber nicht notwendige Bedingung hierfür ist (d 2 //°)/(dc 2 ) > 0.
6.5 Optimaler Versicherungsschutz bei Ex-post Moral Hazard
263
Informationsquellen denkbar. In dem hier verwendeten Modell bietet sich noch das Einkommen an, das allerdings auch von den Individuen teilweise verschleiert werden kann. Auch aus der Art der Behandlung lassen sich Rückschlüsse über den Gesundheitszustand ziehen. Bei einer Blinddarmoperation kann man z.B. davon ausgehen, dass der Patient tatsächlich eine Blinddarmentzündung hatte. Bei Massagen gegen Rückenschmerzen ist es jedoch unklar, ob der Patient tatsächlich unter schweren Rückenschmerzen leidet oder nur die angenehme Wirkung einer Massage genießt. Entsprechend sollte der Selbstbeteiligungssatz von dieser Information abhängig sein. Bei einer Blinddarmoperation sollte deshalb keine Selbstbeteiligung, bei Massagen jedoch eine relativ hohe Selbstbeteiligung bestehen.
6.5.4 Fazit Wir sehen hier, dass es neben den in den Abschnitten 6.3 und 6.4 aufgeführten Motiven für den Verzicht auf vollen Versicherungsschutz gegen sämtliche Krankheitskosten noch ein weiteres gibt, nämlich dann, wenn der Versicherte bei bereits eingetretener Erkrankung den Umfang der nachgefragten medizinischen Behandlung (unter Nutzenerwägungen) selbst beeinflussen kann. In diesem Fall lohnt es sich für ihn, zum Zeitpunkt des Abschlusses einer Versicherung sich selbst durch Wahl eines Tarifs mit Selbstbeteiligung einen Anreiz zur kostenbewussten Inanspruchnahme von Gesundheitsgütem zu geben. Volle Optimalität im Sinne eines maximalen erwarteten Nutzens ist dagegen nur dann zu erreichen, wenn der Grenznutzen der Ausgabe einer Geldeinheit in allen Verwendungsarten gleich groß ist. Dies setzt jedoch einen Versicherungsvertrag voraus, bei dem der Versicherte die vollen Grenzkosten der Behandlung selbst tragen muss, die Versicherungsleistung also von den getätigten Ausgaben unabhängig und nur an den Gesundheitszustand geknüpft ist („Indemnität"). Dazu müsste man jedoch voraussetzen, dass die Versicherungsgesellschaft den Gesundheitszustand des Versicherten zweifelsfrei beobachten kann. Aus diesen Überlegungen wird deutlich, dass es sich bei einer Versicherung mit prozentualer Selbstbeteiligung in dem zuletzt betrachteten Fall, dass der Gesundheitszustand selbst nicht beobachtbar ist, nur um eine „Second-best-Lösung" handeln kann: Das verfügbare Einkommen ist bei Krankheit geringer, der Grenznutzen des Einkommens daher größer als bei Gesundheit. Somit wird das in Abschnitt 6.5.2 abgeleitete globale Maximum des Erwartungsnutzens, das ja eine Gleichheit des Grenznutzens des Einkommens in allen Gesundheitszuständen erfordert, nicht erreicht. Dies ist die Folge der Notwendigkeit, zwischen zwei Übeln abwägen zu müssen: Wählt der Versicherte einen niedrigen Selbstbeteiligungssatz, so veranlasst er sich selbst zum relativ reichlichen (und damit kostenträchtigen) Konsum medizinischer Leistungen, und er begegnet der „Scylla" einer hohen Versicherungsprämie. Entscheidet er sich dagegen für einen hohen Selbstbeteiligungssatz, so läuft er der „Charybdis" einer nur unvollkommenen Risikoabwälzung in die Arme. Welcher Mittelweg
264
6 Optimale Ausgestaltung von Krankenversicherungsverträgen
zwischen Scylla und Charybdis für ihn der „goldene" ist, hängt von der Preiselastizität seiner Nachfrage ab: Ist die Nachfrage z.B. vollkommen starr, so sind Anreize ohnehin nicht wirksam, und er kann volle Risikoabwälzung durch einen Vertrag ohne Selbstbeteiligung wählen. Aus diesen Überlegungen heraus ist es verständlich, dass der empirischen Erforschung des Einflusses der Selbstbeteiligung auf die Nachfrage nach medizinischen Leistungen große Aufmerksamkeit gewidmet worden ist. Diese ist Gegenstand des folgenden Abschnitts.
6.6 Der empirische Zusammenhang zwischen Versicherungsdeckung und Inanspruchnahme medizinischer Leistungen Bereits in den 1970er Jahren erschienen in den USA zahlreiche empirische Untersuchungen über den Einfluss des Versicherungsschutzes auf die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen. Die USA waren - anders als z.B. Deutschland, wo alle Kassenmitglieder den gleichen Versicherungsschutz genießen - für derartige Arbeiten wegen der enormen Vielfalt der dort gebräuchlichen Versicherungsverträge das ideale Anwendungsfeld. Da der Selbstbeteiligungssatz den vom Versicherten zu tragenden (Effektiv-)Preis für medizinische Leistungen beeinflusst, war das primäre Ziel dieser Studien die Schätzung der Preiselastizität der Nachfrage nach diesen Leistungen. Dazu mussten natürlich so weit wie möglich auch alle weiteren Einflussfaktoren auf die Leistungsnachfrage wie Alter, Geschlecht, Einkommen und Gesundheitszustand berücksichtigt werden, d.h. es handelte sich überwiegend um multiple Regressionsanalysen. Die in diesen Studien [vgl. z.B. PHELPS UND NEWHOUSE (1972), SCITOVSKY UND SNIDER (1972)] gefundenen Werte für die Preiselastizität liegen überwiegend im Bereich zwischen 0 und -0,2, d.h. sie haben das erwartete Vorzeichen, aber eine relativ geringe Höhe. Einzelne Untersuchungen [vgl. NEWHOUSE ET AL. (1980, S.378)] fanden aber auch weitaus höhere Werte bis zu -2,1. In den 1980er Jahren erschienen dann auch einige Arbeiten aus dem deutschen Sprachraum: Anhand von Daten der Schweizerischen sozialen Krankenversicherung und deutscher privater Krankenversicherungen untersuchten SCHULENBURG (1987a) sowie ZWEIFEL UND WASER (1986) die Reaktion der Nachfrage auf feste periodenbezogene Selbstbehalte sowie Beitrags-Rückerstattungen. Es stellte sich heraus, dass insbesondere dynamische Bonus-Optionen, bei denen die Höhe der Rückerstattung mit der Dauer der „Schadenfreiheit" zunimmt, mit einer signifikanten Reduktion der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen verbunden sind. Die methodische Vorgehensweise in allen diesen Arbeiten wurde allerdings mit dem Hinweis darauf kritisiert, der negative Zusammenhang zwischen der Höhe der Selbstbeteiligung und der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen könne auch
6.6 Versicherungsdeckung und Inanspruchnahme - Empirie
265
durch den Konsumenten bedingt sein, der sich für einen bestimmten Versicherangsvertrag entscheidet: Personen, die (z.B. aufgrund ihrer robusten Gesundheit oder ihrer Skepsis gegenüber der Schulmedizin) einen geringen Bedarf an medizinischen Leistungen vorhergesehen haben, könnten demnach einen höheren Selbstbeteiligungssatz gewählt haben als andere, die sich selbst als stärkere Nutzer einstuften und für die sich daher Vollversicherung eher lohnte. Die Kausalbeziehung könnte demnach genau in der umgekehrten Richtung verlaufen [vgl. NEWHOUSE ET AL. (1980)]. Um diesen Effekt der „Selbstselektion" bei der Schätzung der Preiselastizität der Nachfrage nach medizinischer Behandlung auszuschalten, begann die Rand Corporation gegen Ende der 70er Jahre das groß angelegte (und über 80 Millionen Dollar teure) „Rand Health Insurance Experiment": An sechs verschiedenen, für die USA insgesamt annähernd repräsentativen Orten wurden jeweils ca. 1.000 Personen für 3 bzw. 5 Jahre in eine eigens dafür geschaffene Versicherungsgesellschaft aufgenommen, und jedem von ihnen wurde nach einem Zufallsverfahren einer von insgesamt 16 verschiedenen Krankenversicherungsverträgen zugewiesen. Der Selbstbeteiligungssatz variierte dabei zwischen 0 und 95%, und auch Verträge mit festem Selbstbehalt kamen vor. Die Auswertungen der Daten aus diesem Experiment [vgl. MANNING ET AL. (1987)] ergaben Werte fiir die Preiselastizität der Nachfrage nach medizinischen Leistungen etwa zwischen -0,1 und -0,2, also im (unteren) Bereich der früheren Studien. Es zeigte sich insbesondere, dass Personen, die mit einer hohen Selbstbeteiligung konfrontiert sind, mit größerer Wahrscheinlichkeit innerhalb eines gegebenen Zeitraums überhaupt keinen Arzt aufsuchen, dass aber, wenn einmal ein Arztkontakt stattgefunden hat, die Leistungsmenge im Mittel kaum auf den Umfang der Versicherungsdeckung reagiert [vgl. KEELER UND ROLPH (1983)].
Der experimentelle Charakter der Studie erlaubte es ihren Planern auch, Informationen über den Gesundheitszustand der Beteiligten am Beginn und am Ende des Untersuchungszeitraums zu erheben. Damit sollte die weit verbreitete „Folklore" überprüft werden, die durch die Selbstbeteiligung errichtete finanzielle Hürde führe zu einem Unterkonsum medizinischer Leistungen und mittelbar zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustands.21 Dazu wurden 6 verschiedene Indikatoren der Gesundheit gemessen [vgl. BROOK ET AL. (1983)]. Es stellte sich heraus, dass bei drei dieser Indikatoren (hoher Blutdruck, Kurzsichtigkeit und Karies) voller Versicherungsschutz bei ärmeren Versicherten tatsächlich mit einer leichten Verbesserung der Gesundheit einherging. Die Autoren argumentieren aber, dass die gleichen Heilerfolge auch mittels vergleichsweise billiger spezifischer Reihenuntersuchungen hätten erzielt werden könn21 Bezogen auf die GKV in Deutschland wird aus dieser These weiter gefolgert, Selbstbeteiligung führe damit langfristig sogar zu höheren Ausgaben im Gesundheitswesen als volle Versicherungsdeckung [vgl. etwa SCHAPER (1978)]. Diese These fand aber auch im Zusammenhang mit Bonus-Optionen in der privaten Krankenversicherung Deutschlands keine empirische Bestätigung [vgl. ZWEIFEL UND WASER (1992, Kapitel 8)].
266
6 Optimale Ausgestaltung von Krankenversicherungsverträgen
ten und dass es dazu der aufwendigen „Rundum-Versicherung" nicht bedürfe. Einschränkend ist allerdings anzumerken, dass wegen des begrenzten zeitlichen Rahmens Langzeitfolgen für die Gesundheit nicht gemessen werden konnten. Aus diesen Ergebnissen ziehen wir die Folgerung 6.11 Die Nachfrage nach medizinischen Leistungen, insbesondere nach „Erstkontakten" mit einem Arzt reagiert signifikant aufden Umfang des Versicherungsschutzes, auch wenn der Wert der Preiselastizität nur bei etwa -0,1 bis -0,2 liegt. Die mit der zusätzlichen Inanspruchnahme bei zunehmendem Versicherungsschutz einhergehende Verbesserung des Gesundheitszustands ist relativ bescheiden.
6.7 Schlussfolgerungen für die Gestaltung einer sozialen Krankenversicherung In Kapitel 5 wurden Gründe für die Existenz einer gesetzlichen Versicherungspflicht aufgeführt. Diese dient insbesondere der Abwehr von „Trittbrettfahrer-Verhalten" und der Umverteilung zu Gunsten der von Natur aus gesundheitlich Benachteiligten. Eine Versicherungspflicht muss aber durch Festlegung eines (Mindest-)Versicherungsumfangs konkretisiert werden, damit sie nicht durch Abschluss von lediglich nominellen Verträgen unterlaufen wird. In der GKV der Bundesrepublik Deutschland ist diese Frage dahingehend beantwortet, dass für fast das gesamte Spektrum medizinischer Behandlung ein Versicherungsschutz ohne Selbstbeteiligung vorgesehen ist. Ausnahmen bilden lediglich •
bei Zahnersatz eine bis zu 50-prozentige Zuzahlung des Patienten sowie
•
bei Arzneimitteln eine Zuzahlung in Höhe der vollen Preisdifferenz, wenn aus einer Wirkstoffgrappe, für die ein„Festbetrag" festgelegt ist, ein Präparat mit einem höheren Preis gewählt wird. Anders als eine proportionale Selbstbeteiligung fördert diese Regelung zwar den Preiswettbewerb unter Anbietern eines homogenen Produkts, sie bietet dem Versicherten dagegen keinen Anreiz, seine mengenmäßige Inanspruchnahme zu zügeln, solange er ein Präparat wählt, dessen Preis im Rahmen des Festbetrags liegt.
•
darüber hinaus eine Zuzahlung je Verordnung, die je nach Wert der Verordnung 10 Prozent beträgt, aber nicht weniger als 5 € und mehr als 10 € .
•
eine Zuzahlung von 10 € beim ersten Arztbesuch im Quartal („Praxisgebühr") sowie bei jedem Facharztbesuch ohne Überweisung.
6.7 Schlussfolgerungen für die Gestaltung einer sozialen Krankenversicherung
267
Aufgrund der modelltheoretischen Analysen dieses Kapitels kann ein derartiger nahezu voller Versicherungsschutz nicht als optimal bezeichnet werden. Für diese Behauptung sprechen 1. die mit dem Umfang der Versicherungsleistungen zunehmenden Verwaltungskosten (vgl. Abschnitt 6.3, Folgerang 6.1): Dieses Problem hat die GKV allerdings durch das sogenannte „Sachleistungsprinzip" umgangen. Hier reichen die Versicherten nicht, wie bei privaten Versicherungsverträgen, die einzelnen Rezepte und Arztrechnungen bei der Krankenkasse ein, sondern diese erhält in jedem Quartal direkt von den Leistungsanbietern eine Pauschalrechnung für alle ihre Versicherten. Diese kostensparende Praxis behindert jedoch die Transparenz des Leistungsgeschehens enorm; nicht einmal der Versicherte selbst behält den Überblick darüber, welche Leistungen er in Anspruch genommen hat, geschweige denn welche Ausgaben damit verbunden waren; 2. der völlig fehlende Anreiz, Aufwendungen zur Krankheitsvorbeugung zu betreiben, da diese weder von der Krankenversicherung beobachtet werden noch sich in einer Prämienreduktion niederschlagen („Ex-ante-Moral-Hazard", vgl. Abschnitt 6.4, Folgerung 6.6); 3. die zwar nicht sehr hohe, aber doch merkliche Preiselastizität der Nachfrage nach Gesundheitsleistungen („Ex-post-Moral-Hazard", vgl. Abschnitte 6.5 und 6.6, Folgerung 6.11). Ferner zeigte die formale Analyse, dass die optimale Höhe der Selbstbeteiligung - vgl. die Formel (6.44) sowie Gleichung (6.95) - entscheidend sowohl vom individuellen Erkrankungsrisiko als auch von den individuellen Präferenzen abhängt und sich somit von Person zu Person unterscheiden wird. Daher kann eine für alle verbindlich vorgeschriebene Versicherungsdeckung nicht wohlfahrtsmaximierend sein. Vielmehr scheint es sich zu empfehlen, dass der Gesetzgeber lediglich den Mindestumfang der Versicherungsdeckung verbindlich festlegt, jeder einzelne aber die Freiheit hat, seinen Versicherungsschutz durch Zusatzverträge aufzustocken. Je umfassender der für alle verpflichtende Teil des Versicherungsschutzes ist, desto mehr Umverteilung zwischen den verschiedenen Risikograppen kann erreicht werden, desto geringer sind natürlich andererseits die Anreize zur Vorbeugung und zur effizienten Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen. Hier scheint also die Notwendigkeit einer Abwägung zwischen dem Effizienzziel und dem Ziel des „Solidarausgleichs" vorzuliegen. Dabei ist es, wie in BREYER (1989) gezeigt, in der Regel nicht optimal, auf Effizienzanreize völlig zu verzichten und - wie in der GKVVollversicherung - für alle vorzuschreiben, da auch die Empfänger der beschriebenen Umverteilung davon profitieren, wenn bei den übrigen Versicherten Anreize zur sparsamen Leistungsnachfrage erhalten bleiben.
268
6 Optimale Ausgestaltung von Krankenversicherungsverträgen
6.8 Zusammenfassung des Kapitels In diesem Kapitel haben wir die optimale Ausgestaltung von Krankenversicherungsverträgen untersucht. Im Mittelpunkt stand die Frage, unter welchen Umständen eine Selbstbeteiligung des Versicherten optimal ist. Unsere Hauptergebnisse sind: 1. Bei Abwesenheit von Moral Hazard besteht eine notwendige Bedingung für die Wahl eines 100%igen Versicherungsschutzes darin, dass die angebotene Versicherung marginal fair ist; andernfalls wird generell eine positive Selbstbeteiligung gewählt. Eine hinreichende Bedingung für die Wahl eines 100%igen Versicherungsschutzes ist, dass die Versicherung aktuarisch fair ist, d.h. dass die Prämie mit der Nettoprämie übereinstimmt. 2. Können mehrere Gesundheitszustände auftreten und entstehen der Versicherung Kosten in Abhängigkeit von der Versicherungsleistung, dann ist bei positiven Grenzkosten der Versicherung immer ein Selbstbehalt optimal. Darüber hinaus besteht marginale Vollversicherung, falls die Grenzkosten konstant sind, und marginale Teilversicherung, falls die Grenzkosten steigen. 3. Ist mit einer Krankheit außer dem finanziellen Schaden durch die Behandlungskosten noch ein immaterieller Schaden verbunden, so werden bei fairer Prämie zwar die Grenznutzen des Einkommens einander angeglichen; die optimale Versicherungsleistung kann aber größer oder kleiner sein als die Behandlungskosten. 4. Wenn der Versicherte die Erkrankungswahrscheinlichkeit durch Vorbeugung beeinflussen kann, der Versicherer aber das Ausmaß der Vorbeugung nicht beobachten kann, dann entsteht das Ex-ante Moral Hazard Problem. Bei einer Vollversicherung wird der Versicherte dann keine Ausgaben für Vorbeugung tätigen. Eine Selbstbeteiligung kann optimal sein, da sie dem Versicherten Anreize zur Vorbeugung gibt. 5. Kann der Versicherer den Gesundheitszustand des Versicherten beobachten, so sieht die optimale Vertragsform entweder eine Sachleistung in Höhe der optimalen Gesundheitsausgaben oder eine Indemnität, d.h. eine pauschale, nur vom Gesundheitszustand abhängige Versicherungsleistung, vor. 6. Kann der Versicherer den Gesundheitszustand des Versicherten nicht beobachten, dann kommt es bei einer Vollversicherung zu einem Überkonsum medizinischer Leistung (Ex-post Moral Hazard). Ein positiver Selbstbeteiligungssatz erhöht deshalb den Erwartungsnutzen. Der optimale Selbstbeteiligungssatz ist umso höher, je elastischer die Nachfrage nach medizinischen Leistungen. 7. Empirische Studien zeigen, dass die Nachfrage nach Leistungen signifikant auf den Umfang des Versicherungsschutzes reagiert. Die Preiselastizität ist allerdings relativ gering, so dass generell niedrige Selbstbeteiligungsraten optimal sein dürften. Ausnahmen bilden solche Gesundheitsdienstleistungen (wie Massagen), die auch Konsumcharakter haben, sowie Medikamente gegen Bagatellerkrankungen, bei denen die Preiselastizität der Nachfrage deutlich höher ist.
6.9 Lektürevorschläge
269
6.9 Lektürevorschläge Im
befassen sich die Artikel von CUTLER und ZWEIFEL UND MANNING (2000) mit der Ausgestaltung von Versicherungsverträgen und Moral Hazard. Für eine vertiefte Beschäftigung mit der Versicherungsökonomik können wir zudem das Lehrbuch von ZWEIFEL UND EISEN (2002) und die von Georges Dionne herausgegebenen Bände mit Überblicksartikeln empfehlen [siehe DIONNE (1992) und DlONNE (2000)]. Insbesondere die Beiträge von GOLLIER (2000), SCHLESINGER (2000) und WINTER (2000) untersuchen die optimale Ausgestaltung von Versicherungsverträgen. HANDBOOK OF HEALTH ECONOMICS UND ZECKHAUSER (2000), PAULY (2000)
270
6 Optimale Ausgestaltung von Krankenversicherungsverträgen
6.Ü Übungsaufgaben 6.1. a) Unter welchen Umständen ist bei Abwesenheit von immateriellen Krankheitsfolgen und von Moral Hazard ein voller Versicherungsschutz optimal, und wann ist der optimale Versicherungsvertrag durch einen positiven Selbstbehalt gekennzeichnet? b) Machen Sie plausibel, warum im Grundmodell der Krankenversicherung der vollständige Verzicht auf Versicherungsschutz umso eher optimal ist, je größer die Wahrscheinlichkeit der Krankheit ist. c) Wodurch ist ein optimaler Krankenversicherungsschutz bei fairer Prämie charakterisiert, wenn mit einer Krankheit auch ein immaterieller Schaden verbunden ist? Erläutern Sie ökonomisch! 6.2. Ein Individuum mit der Nutzenfunktion u(y) = —e~ay,a > 0, dem Brattoeinkommen Y und dem verfügbaren Einkommen y wird mit der Wahrscheinlichkeit n krank und sieht sich dann Ausgaben in der Höhe L gegenüber. Es kann die Versicherungsdeckung / zum Preis p pro Deckungseinheit erwerben. Die Prämie P entspricht somit pl. a) Bestimmen Sie die optimale Versicherungsdeckung I°(Y,L,p,a). Wie hoch ist die optimale Deckung für p = n ? Wie hängt sie vom Ausgangsvermögen Y ab? Interpretieren Sie Ihr Ergebnis. b) Bestimmen Sie für p> % die Änderung der Versicherungsnachfrage (i) bei einer Zunahme von p, (ii) bei einer Zunahme von a. Diskutieren Sie Ihre Ergebnisse. 6.3. Betrachten Sie das gleiche Versicherungsproblem wie in Aufgabe 6.2 mit dem Unterschied, dass die Nutzenfunktion des Individuums zustandsabhängig ist. Die Nutzenfunktion bei Gesundheit sei wie oben ug{y) = —e~ay,a > 0. Bei Krankheit ist der Nutzen uk(y) = -Ke~a:y,K > 0. a) Bestimmen Sie die optimale Versicherungsdeckung I°(Y,L,p,a, K). b) Gehen Sie von p = n aus und bestimmen Sie 7° für K ^ 1. Erläutern Sie Ihr Ergebnis. c) Welche Probleme könnten sich bei der Durchsetzung eines Versicherungsvertrags mit 1° > L ergeben?
6.Ü Übungsaufgaben
271
6.4. a) Was versteht man unter „Moral Hazard", und in welchen Formen kann es im Fall des Krankheitsrisikos auftreten? b) Skizzieren und vergleichen Sie für die hier betrachteten Modelle das (erwartungs)nutzenmaximierende Verhalten eines Individuums hinsichtlich Vorbeugeverhalten und Selbstbeteiligung bei Existenz einer fairen Versicherung, wenn der Versicherer das Ausmaß der Vorbeugung (i) beobachten kann, (ii) nicht beobachten kann. c) Was kann man über den optimalen Selbstbeteiligungssatz bei Vorliegen von Moral Hazard der Ex-post-Form im Rahmen des hier betrachteten Modells aussagen? 6.5. Nehmen Sie an, ein Individuum mit der von-Neumann-Morgenstern Nutzenfunktion u(y) = ln(;y) könne entweder keine Vorbeugung betreiben oder ein vorgegebenes Vorbeugungsniveau wählen, das zu einer Auszahlung von V\ > 0 führt. Ohne Vörbeugung betrage die Erkrankungswahrscheinlichkeit 7to = 0,2 , mit Vorbeugung Jti = 0,1. Im Krankheitsfall betragen die Ausgaben L = 80. Das Einkommen des Individuums sei y = 100. Gehen Sie im Folgenden davon aus, dass die Erwartungsnutzen bei der Prämie %\I für V = 0 und V = V\ nur bei einem Wert / identisch sind. a) Gehen Sie von V\=A aus. (i) Bestimmen Sie das optimale Vorbeugungsniveau im Fall ohne Informationsasymmetrie. (ii) Zeigen Sie, dass im Second-best die kritische Versicherungssumme I zwischen 40 und 50 liegt. Ist es im Second-best optimal, Vorbeugung zu betreiben? b) Gehen Sie nun von V\ = 7 aus. (i) Bestimmen Sie das optimale Vorbeugungsniveau in diesem Fall. (ii) Zeigen Sie, dass im Second-best die kritische Versicherungssumme / zwischen 20 und 30 liegt. Ist es im Second-best optimal, Vorbeugung zu betreiben?
272
6 Optimale Ausgestaltung von Krankenversicherungsverträgen
6.6. Gehen Sie von dem Ex-post Moral Hazard Modell aus Abschnitt 6.5 aus und unterstellen Sie folgende Funktionen f(H)=lnH-H+\00 u(Y)=\nY Es gebe drei Zustände mit den Wahrscheinlichkeiten 7t i = 0,2, %2 = 0,5 und 713 = 0,3 und den Gesundheitszuständen 0i = - 1 0 , 82 = - 1 5 und 63 = - 4 0 . a) Bestimmen Sie den Gesundheitszustand H*, das Einkommen Y* = f{H*), die Gesundheitsausgaben Ms und den Erwartungsnutzen im Optimum ohne Informationsasymmetrie. b) Gehen Sie davon aus, dass der Gesundheitszustand nicht beobachtbar ist und dass eine Versicherung mit konstantem Selbstbeteiligungssatz angeboten wird. (i) Bestimmen Sie die zustandsabhängigen Ausgaben für medizinische Leistungen in Abhängigkeit von c und 0^. (ii) Bestimmen Sie den Erwartungsnutzen in Abhängigkeit von c. (iii) Berechnen Sie (am besten mit einem Tabellenkalkulationsprogramm) den Erwartungsnutzen für unterschiedliche Werte von c zwischen null und eins. Welcher Selbstbeteiligungssatz führt zum höchsten Erwartungsnutzen?
Risikoselektion im Krankenversicherungswettbewerb
7.1 Problemstellung Risikoselektion auf Krankenversicherungsmärkten ist eines der am häufigsten diskutierten Themen in der Gesundheitsökonomik und -politik der letzten Jahre. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass mehrere Länder zu einem Krankenversicherungssystem übergegangen sind, das einerseits auf Wettbewerb beruht und andererseits einen Ausgleich zwischen hohen und niedrigen Risiken erreichen will. Hierzu wird den Krankenversicherern bzw. Krankenkassen (wir verwenden die beiden Begriffe synonym) sowohl ein Kontrahierungszwang als auch ein Diskriminierungsverbot auferlegt. Ersteres zwingt sie, jeden Antragsteller zu versichern, letzteres untersagt ihnen, die Prämien nach dem Risikotyp zu differenzieren. Dieses Krankenversicherungssystem wurde in Deutschland im Gesundheits-Strukturgesetz von 1993 und in der Schweiz im Krankenversicherungsgesetz von 1994 beschlossen und in beiden Ländern 1996 eingeführt. Der Anreiz, Risikoselektion zu betreiben, ist eine direkte Folge dieses Krankenversicherungssystems. Das Verbot, risikoabhängige Prämien zu erheben, führt dazu, dass die Krankenversicherungen mit hohen Risiken Verluste und mit niedrigen Risiken Gewinne erzielen. Entsprechend sind hohe Risiken unerwünscht, während niedrige Risiken gern gesehene Kunden sind. Die Möglichkeit, dass niedrige und hohe Risiken auch von der Konkurrenz versichert werden können, schafft schließlich den Anreiz dafür, sich aktiv um niedrige Risiken zu bemühen, hohe Risiken aber abzuschrecken. Risikoselektion tritt nicht auf, wenn man auf Wettbewerb um Versicherte oder auf ein Diskriminierungsverbot verzichtet. Werden die Versicherten einer Versicherung zugewiesen, kann die Versicherung den Bestand ihrer Versicherten nicht beeinflussen. Können andererseits die Versicherungen risikoabhängige Prämien erheben, dann besteht ebenfalls kein Anreiz zur Risikoselektion, falls es gelingt, von jedem einen Beitrag zu verlangen, der seinen erwarteten Leistungsausgaben entspricht. Dies ist dann der Fall, wenn die Versicherungen den Risikotyp beobachten können bzw. alle
274
7 Risikoselektion im Krankenversicherungswettbewerb
auch der zu versichernden Person bekannten Informationen über ihren Gesundheitszustand einholen können. Wir unterscheiden in diesem Kapitel zwei Formen der Risikoselektion. Zum einen kann die Versicherang direkte Risikoselektion betreiben, indem sie versucht, auf den Vertragsabschluss selbst Einfluss zu nehmen. Bei hohen Risiken kann sie z.B. die Antragsunterlagen „verlieren". Niedrige Risiken hingegen können durch gleichzeitige Vermittlung von anderen Versicherungsangeboten, oder, im Extremfall, durch Geldzahlungen geworben werden. Zum anderen kann die Versicherung indirekte Risikoselektion anstreben, indem sie das Leistungspaket so gestaltet, dass es für niedrige Risiken attraktiv ist, aber nicht für hohe Risiken. Der Hauptunterschied zwischen den beiden Formen der Risikoselektion besteht darin, dass für direkte Risikoselektion Personen mit unterschiedlichen erwarteten Leistungsausgaben anhand von beobachtbaren Eigenschaften wie dem Geschlecht und dem Alter oder bestimmter Verhaltensweisen unterscheidbar sein müssen. Nutzen beispielsweise gesunde Personen häuflger das Intemet, so besteht der Anreiz für Krankenversicherungen, sich auf diesen Vertriebskanal zu konzentrieren. Die Personen selbst brauchen dabei ihre erwarteten Ausgaben nicht zu kennen. Bei indirekter Risikoselektion ist es genau umgekehrt: Es reicht aus, dass sich die Personen ihres Risikotyps bewusst sind und deshalb unterschiedliche Präferenzen bezüglich des Leistungspakets haben. Die Versicherung hingegen braucht den Risikotyp nicht zu beobachten. Sie muss lediglich wissen, dass sich die Präferenzen der Personen aufgrund ihres Risikotyps unterscheiden. Indirekte Risikoselektion ist eng verwandt mit dem Phänomen der adversen Selektion, das auftritt, wenn asymmetrische Information über den Risikotyp vorliegt. Adverse Selektion kann auch ohne ein explizites Diskriminierungsverbot auftreten, wenn der Gesetzgeber den Zugang zu gesundheitsrelevanter Information wie z.B. den Ergebnissen von Gentests untersagt. Um Risikoselektion zu verhindem, können verschiedene Maßnahmen getroffen werden, die sich in drei Gruppen unterteilen lassen: 1. Gesetzliche Regelung des Aufiiahmeprozesses Ein Kontrahierungszwang soll dafür sorgen, dass hohe Risiken nicht abgewiesen werden. In der Regel ist zudem eine Zwangsversicherung vorgesehen. Diese soll vermeiden, dass niedrige Risiken auf Krankenversicherungsschutz verzichten, um der Subventionierung der hohen Risiken auszuweichen. Des Weiteren lassen sich offensichtliche Methoden der direkten Risikoselektion per Gesetz verbieten. Zum Beispiel kann es den Versicherungen untersagt werden, Geldzahlungen an niedrige Risiken bei Vertragsabschluss zu leisten. 2. Regulierung des Leistungspakets Die Regulierung des Leistungspakets soll in erster Linie indirekte Risikoselektion verhindern. Zum einen lassen sich Mindestleistungen festlegen, um zu vermeiden, dass Versicherungen wichtige Leistungen für hohe Risiken nicht anbieten. Zum anderen kann man mit einem Höchstleistungspaket verhindern, dass Versicherungen spezielle Leistungen für niedrige Risiken im Übermaß anbie-
7.1 Problemstellung
275
ten, um diese anzuziehen. Des Weiteren können bestimmte Leistungsbereiche, die sich für Risikoselektion besonders eignen, wie die Versorgung chronischer Krankheiten separat organisiert werden (sogenannte „carve-outs"). 3. Finanzausgleichssysteme Finanzausgleichssysteme zwischen Versicherungen sollen sowohl direkte als auch indirekte Risikoselektion verhindern. Zwei Varianten stehen hier zur Verfügung: •
Ein Risikostrukturausgleich (RSA - in der Schweiz als Risikoausgleich bezeichnet) soll zu einem Transfer von Kassen mit guter Risikostruktur, d.h. vielen niedrigen Risiken zu Kassen mit einer schlechten Risikostruktur führen und so den Anreiz zur Risikoselektion senken. Die Transferzahlungen knüpfen dabei an beobachtbaren Eigenschaften der Risikostruktur einer Versicherung wie dem Alter und dem Geschlecht der Versicherten an.
•
Ein Ausgabenausgleich ersetzt Krankenversicherungen einen Teil der tatsächlich angefallenen Leistungsausgaben ihrer Versicherten. Hierbei soll der Anreiz zur Risikoselektion vermindert werden, indem die Kosten der hohen Risiken stärker erstattet werden als die der niedrigen Risiken. Allerdings schwächt der Ausgabenausgleich den Anreiz zu wirtschaftlichem Verhalten, weil er die Kostenverantwortung der Kassen senkt.
In diesem Kapitel untersuchen wir, inwieweit diese Maßnahmen geeignet sind, Risikoselektion zu vermeiden, und wie sie sich optimal ausgestalten lassen. Grundlage ist hierbei die Theorie der Risikoselektion, die wir im folgenden Abschnitt 7.2 erörtern. Im Anschluss diskutieren wir in Abschnitt 7.3 drei weitere Begründungen, die für einen Risikostruktur- bzw. Ausgabenausgleich ins Feld geführt werden. Erstens sollen diese Ausgleichsmechanismen ungerechtfertigte Prämienunterschiede vermeiden. Zweitens sollen sie dafür sorgen, dass bei einem Übergang zu einem Wettbewerbssystem Krankenversicherungen, die aus historischen Gründen über eine schlechte Risikostruktur verfügen, Chancengleichheit im Wettbewerb besitzen. Schließlich soll die Stabilität des Krankenversicherungsmarktes erhalten werden. Diese ist gefährdet, falls neu in den Markt tretende Versicherungen damit rechnen können, dass hauptsächlich niedrige Risiken zu einem Versicherungswechsel bereit sind. In Abschnitt 7.4 stellen wir dar, wie der Risikostruktur- und der Ausgabenausgleich gestaltet werden können. Im Abschnitt 7.5 diskutieren wir die Maßnahmen, die in Deutschland und der Schweiz zur Vermeidung von Risikoselektion getroffen werden.
276
7 Risikoselektion im Krankenversicherungswettbewerb
7.2 Risikoselektion 7.2.1 Direkte Risikoselektion Direkte Risikoselektion ist die offensichtlichste Möglichkeit, hohe Risiken zu diskriminieren. Sie bedingt, dass der Versicherer aufgrund beobachtbarer Eigenschaften einer Person Rückschlüsse auf ihre erwarteten Ausgaben ziehen kann und in der Lage ist, den Vertragsabschluss zu beeinflussen. Personen mit hohen zu erwarteten Leistungsausgaben lassen sich beispielsweise durch unfreundliche Behandlung oder langsames oder pedantisches Bearbeiten der Antragsunterlagen abschrecken. Niedrige Risiken hingegen können durch attraktive Zusatzleistungen, die unter ihren tatsächlichen Kosten angeboten werden, gewonnen werden. Direkte Risikoselektion kann auf zweierlei Weise vermieden werden. Einerseits können mögliche Selektionsmethoden per Gesetz verboten oder eingeschränkt werden, insbesondere die Vermittlung von Zusatzleistungen oder Geldzahlungen. Ebenso lässt sich der Kontakt zwischen Versicherungen und Versicherten vor Vertragsabschluss minimieren, indem die Antragsformulare so weit wie möglich vereinfacht und standardisiert werden. Weniger auffällige Selektionsmethoden wie das „Verbummeln" von Anträgen können so allerdings kaum vermieden werden. Die zweite Methode zur Vermeidung direkter Risikoselektion setzt an der Möglichkeit an, Rückschlüsse auf die zu erwartenden Kosten aus den beobachtbaren Eigenschaften von Personen zu ziehen. Dies lässt sich vermeiden, indem man einen Risikostrukturausgleich auf Basis dieser beobachtbaren Signale einrichtet. Dies lässt sich anhand eines einfachen Beispiels illustrieren. Dabei nehmen wir an, dass die Versicherten sich in einer eindeutigen Eigenschaft wie dem Geschlecht unterscheiden. Formal erfassen wir dies durch ein Signal s, das die Werte 0 oder 1 annehmen kann. Die durchschnittlichen zu erwartenden Ausgaben einer Person mit dem Signal 5 seien Ms, der Anteil der Personen mit dem Signal s = 1 sei X. Die durchschnittlichen Ausgaben sind somit M = (1 - X)MQ + XM\. Wir unterstellen M\ > MQ, SO dass die Versicherungen einen Anreiz haben, Personen mit dem Signal s = 1 zu diskriminieren. Kann der Regulator das Signal s beobachten, so lässt sich ein Risikostrukturausgleich mit den Transferzahlungen zs auf Basis der beobachtbaren Eigenschaften der Versicherten festlegen. Betragen diese zs=Ms-M,
(7.1)
so sind die erwarteten Ausgaben für alle Versicherten M, da die Versicherungen für jede Person mit s = 0 den Betrag — zo = M — MQ > 0 abführen müssen, für jede Person mit s = 1 aber z\ = M\—M > 0 erhalten. Des Weiteren ist das Budget des Regulators ausgeglichen, denn (l-X)zo + Xzi =(\-X)M0 + XMi-M = 0.
(7.2)
Ein Risikostrukturausgleich kann somit den Anreiz zu direkter Risikoselektion grundsätzlich neutralisieren. Diese Lösung setzt jedoch voraus, dass der Regulator
7.2 Risikoselektion
277
das gleiche Signal wie die Versicherungen beobachten kann. Ist dies nicht der Fall, dann bleibt noch ein Ausgabenausgleich als Mittel, um die Differenz der erwarteten Leistungsausgaben für die Versicherung und somit den Anreiz zur direkten Risikoselektion zu mindern. Zum Beispiel kann der Ausgabenausgleich einen Anteil a der Kosten ersetzen. In diesem Fall sinken die Anreize zu kosteneffizientem Verhalten und Ms wird eine Funktion von a mit M's(a) > 0. Muss eine Versicherung zur Finanzierang des Ausgabenausgleichs einen einheitlichen Beitrag b(a) je Versicherten abführen, dann entsprechen die erwarteten Ausgaben der Versicherung für einen Versicherten mit dem Signal s dem Betrag (1 — a)Ms[a) +b(a). Die Anreize zur Risikoselektion hängen von der Ausgabendifferenz AMA (a) zwischen den beiden Personengruppen ab. Sie beträgt AMA(a) = (l-a)Mi(a) + b(a)-({l-a)M0(a)+b(a))
(7.3)
= {\-a)(Mi(a)-M0(ä)). Bei a = 1 ist sie null und es bestehen keine Anreize zur Risikoselektion. Ebenso wenig lohnt es sich für die Versicherer jedoch, Anstrengungen zur Kostenkontrolle zu unternehmen. Folglich führt ein Ausgabenausgleich im Allgemeinen zu einem Zielkonflikt zwischen der Vermeidung von Risikoselektion und kosteneffizientem Verhalten. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass ein Ausgabenausgleich sogar die Anreize zur Risikoselektion erhöht. Dies zeigt die Wirkung des Erstattungsanteils a auf die Ausgabendifferenz: d{AM {a))
/ da
= -(M1(a)-M0(a)) + (l-a)(Mtl(a)-M/0(a)).
(7.4)
Der erste Summand ist negativ, so lange M\{a) > Mo(a). Das Vorzeichen des zweiten Summanden ist jedoch positiv, falls M[(a) > M'0(a), d.h. wenn die Kosten der Personen mit dem Signal 1 stärker durch die Verminderung der Anreize ansteigen als diejenigen mit dem Signal 0. In diesem Fall kann die Ausgabendifferenz mit a steigen und der Ausgabenausgleich würde sowohl die Anreize zur Risikoselektion erhöhen als auch die Anreize zur Kosteneffizienz verringern. Ein Risikostrukturausgleich hingegen kann grandsätzlich die Anreize zur direkten Risikoselektion neutralisieren, ohne die Kosteneffizienz zu beeinträchtigen. Unsere Ergebnisse können wir somit zusammenfassen in Folgerung 7.1 Direkte Risikoselektion lässt sich bis zu einem gewissen Grad vermeiden, indem Selektionsmaßnahmen wie die Vermittlung von Zusatzleistungen oder Geldzahlungen per Gesetz verboten werden und der Kontakt zwischen Versicherungen und Versicherten vor Vertragsabschluss minimiert wird. Des Weiteren können ein Risikostrukturausgleich, der auf den von den Versicherungen beobachteten Eigenschaften der Personen beruht, und ein Ausgabenausgleich den Anreiz zur direkten Risikoselektion reduzieren. Im Gegensatz zum Ausgabenausgleich kann ein Risikostrukturausgleich jedoch die Anreize zu kosteneffizientem Verhalten wahren, falls der Regulator die gleichen Eigenschaften beobachten kann wie die Versicherungen. Unter Umständen kann ein Ausgabenausgleich sogar die Anreize zur Risikoselektion erhöhen.
278
7 Risikoselektion im Krankenversicherungswettbewerb
7.2.2 Indirekte Risikoselektion 7.2.2.1 Grundsätzliche Überlegungen Indirekte Risikoselektion ist die subtilere Variante der Diskriminierung zwischen Risikotypen, denn sie setzt nicht voraus, dass die Versicherungen gesundheitsrelevante Eigenschaften der Individuen beobachten können. Es ist lediglich nötig, 1. dass die Versicherungen wissen, welche Risikotypen es in der Bevölkerung gibt, und 2. dass die Individuen Kenntnis von ihrem Risikotyp haben und sich somit in ihren Präferenzen unterscheiden. Dann ergibt sich die Möglichkeit, das Leistungspaket so zu gestalten, dass es für hohe Risiken uninteressant, für niedrige Risiken aber attraktiv ist. Das einfachste Beispiel ist die Einführung einer Selbstbeteiligung. Diese ist für niedrige Risiken attraktiver als für hohe Risiken, da die Wahrscheinlichkeit, sie zu leisten, für sie geringer ist. Dies gilt analog für die Bereitstellung oder Vergütung von Leistungen, die besonders für hohe Risiken relevant sind. So kann z.B. eine Versicherang, die nur eine schlechte Versorgung von Diabetes-Patienten anbietet, damit rechnen, dass sich diese hohe Risiken nicht bei ihr versichern. Die direkte regulatorische Antwort auf dieses Screening durch eine Verknappung des Leistungsangebots ist die Festlegung eines Mindestleistungspakets. Selbst wenn es effektiv durchgesetzt werden kann, ist es jedoch noch nicht hinreichend, um indirekte Risikoselektion auszuschließen. Versicherungen können zudem Risikoselektion betreiben, indem sie Leistungen anbieten, die für niedrige Risiken interessant sind, etwa sportmedizinische Behandlung oder Leistungen aus dem Wellnessund Fitness-Bereich. Sofern diese Leistungen medizinisch nicht hinreichend effektiv sind oder nicht in den Bereich einer sozialen Krankenversicherung fallen, geht dies zu Lasten der hohen Risiken, welche sie mitfinanzieren müssten.1 Über das Mindestleistungspaket hinaus müssen deshalb auch Höchstleistungen bzw. ein Leistungsspektrum festgelegt werden, das von Krankenversicherungen angeboten werden darf. Das grundsätzliche Problem bei einer Regulierung des Leistungspakets ist die Durchsetzbarkeit. Bei der Vielfalt heute zur Verfügung stehender Behandlungsmethoden ist der Kontrollaufwand enorm. Des Weiteren müssen auch die Vergütungssysteme der Versicherer fiir die Leistungsanbieter auf ihre Anreize untersucht werden, denn sie steuern in entscheidendem Maße die Qualitäts- und Selektionsanreize auf der Ebene der Leistungsanbieter und eignen sich daher ebenfalls zur Risikoselektion (siehe Kapitel 10). Letztlich lässt sich indirekte Risikoselektion deshalb nur ausschließen, wenn man allen Versicherern vorschreibt, identische Leistungen anzubieten. Damit verzichtet man jedoch gerade auf die Vorteile, die der Wettbewerb 'Für eine formale Untersuchung siehe KIFMANN (2002a).
7.2 Risikoselektion
279
zwischen Versicherern hervorbringen soll. Genauso gut könnte man gleich eine Einheitskasse einführen. Falls indirekte Risikoselektion nicht ausreichend durch die Regulierung des Leistungspakets verhindert werden kann, stellt sich die Frage, ob nicht auch ein Finanzausgleichssystem die Anreize zur indirekten Risikoselektion neutralisieren kann. Wie bei direkter Risikoselektion ist hierfür grundsätzlich ein Ausgabenausgleich geeignet, der allerdings die Anreize zu kosteneffizientem Verhalten senkt. Von Interesse ist deshalb besonders, ob indirekte Risikoselektion auch durch einen Risikostrukturausgleich vermieden werden kann. Im Folgenden untersuchen wir indirekte Risikoselektion genauer anhand zweier Modelle. Zunächst betrachten wir dabei in Abschnitt 7.2.2.2 den Fall, dass Versicherungen nur eine Leistung anbieten und allein über den LeistungSMm/a«g Risikoselektion erreichen können. Abschnitt 7.2.2.3 geht dann davon aus, dass Versicherangen zwei Leistungen anbieten und Risikoselektion über die Leistungsstruktur betreiben können. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht insbesondere die Frage, wie ein Risikostrukturausgleich optimal ausgestaltet werden kann. Unsere bisherigen Überlegungen fassen wir zusammen in Folgerung 7.2 Indirekte Risikoselektion lässt sich durch eine direkte Regulierung des Leistungspakets vermeiden. Dabei sollte sowohl ein Mindestals auch ein Höchstleistungspaket festgelegt werden. Es ist jedoch fraglich, ob diese Maßnahmen auch ausreichend durchgesetzt werden können. 7.2.2.2 Indirekte Risikoselektion über den Leistungsumfang Das im Folgenden betrachtete Modell geht von zwei möglichen Risikotypen aus, die sich durch die Krankheitswahrscheinlichkeit 7t;,/ = h,l, (high und low risks) unterscheiden, wobei 0 < 7t/ < 7t/, < 1. Der Anteil der niedrigen Risiken sei 0 < /u < 1. Das Durchschnittsrisiko beträgt folglich n = /uiii + (1 —//)7t/,. Falls ein Individuum gesund ist, dann entspricht sein Nutzen der Menge an Konsumgütern C.2 Ist ein Individuum krank, dann setzt sich der Nutzen zusammen aus C und aus dem Nutzen v(M) aus medizinischen Leistungen M. Die Nutzenfunktion habe dabei die Eigenschaften v < 0, v' > 0, v" < 0, d.h. medizinische Leistungen können den Gesundheitszustand nicht vollständig wieder herstellen und haben abnehmende Grenzerträge. Des Weiteren sei v'(0) > 1. Der Erwartungsnutzen eines Individuums vom Typ / beträgt (7.5) 2
Dies bedeutet, dass die Individuen risikoneutral und grundsätzlich indifferent zwischen dem Abschluss einer aktuarisch fairen Versicherung und einem Verzicht auf eine Versicherung sind. Wir nehmen im Folgenden an, dass Krankenversicherungen auch deshalb gewählt werden, weil sie die Bereitstellung von medizinischen Leistungen organisieren, indem sie z.B. Honorierungssysteme mit den Leistungserbringern aushandeln und ihre Durchsetzung kontrollieren. Auf die Berücksichtigung von Risikoaversion verzichten wir, weil sie die Darstellung lediglich komplizieren würde, ohne zu anderen Ergebnissen zu führen.
280
7 Risikoselektion im Krankenversicherungswettbewerb
Medizinische Leistungen werden gemäß dem Sachleistungsprinzip von Krankenversicherangen angeboten. Diese erheben eine Prämie P,-. Bei einem Einkommen Y lautet die Budgetbeschränkung des Individuums folglich Y = C + Pi.
(7.6)
Durch Einsetzen in Gleichung (7.5) können wir den Erwartungsnutzen des Individuums in Abhängigkeit von Y, P und M erfassen. Wir erhalten EUi(Y,Pi,M) = Y-Pi + %iV{M).
(7.7)
Auf dem Krankenversicherungsmarkt herrsche vollkommene Konkurrenz. Neben der erwarteten Versicherungsleistung entstehen den Versicherungen keine Kosten. Des Weiteren nehmen wir an, dass sich Krankenversicherungsverträge nicht kombinieren lassen. Jedes Individuum erwirbt genau einen Vertrag. Zunächst untersuchen wir die Referenzsituation, in der die Versicherungen risikoabhängige Prämien verlangen. Anschließend betrachten wir das Marktgleichgewicht bei einem Diskriminierungsverbot. Gleichgewicht aufeinem unregulierten Versicherungsmarkt Können die Versicherungen risikoabhängige Prämien verlangen, dann wird den Individuen bei vollständiger Konkurrenz auf dem Versicherungsmarkt eine aktuarisch faire Krankenversicherung angeboten. Die Prämie beträgt folglich Pi = %iM.
(7.8)
Durch Einsetzen in (7.7) erhalten wir die Erwartungsnutzenfunktion des Individuums in Abhängigkeit von M. Ein Individuum vom Typ i steht somit vor folgendem Problem max£[/,-(r,M) = Y -TC,-M+ 7C,-v(M). (7.9) M
Wir gehen im Folgenden davon aus, dass das Einkommen des Individuums so hoch ist, dass im Optimum die Menge an Konsumgütern C positiv ist. Die Bedingung erster Ordnung lautet dann
^
-m+mV [M*] = o & v' [M*] = l.
(7.io)
aM Die Bedingung zweiter Ordnung ist erfüllt, da v" < 0. Aus der Bedingung (7.10) folgt, dass die effiziente Menge M* unabhängig vom Risikotyp ist. Wegen des konstanten Grenznutzens des Konsums von eins ist es für beide Typen optimal, Versicherungsschutz nachzufragen, bis ihre Grenznutzen ebenfalls eins entsprechen. In Abbildung 7.1 werden die beiden Optimalpunkte in einem M-f-Diagramm dargestellt. Die Ursprungsgeraden P,- = 7i,M stellen dabei den Zusammenhang zwischen Versicherungsleistung und der Prämie für die beiden Risikotypen dar. Fiir hohe
7.2 Risikoselektion
281
Abb. 7.1. Versicherungsmarktgleichgewicht bei Risikodiskriminierung
P
•'
M
Risiken sind sie steiler. Die Eigenschaften der Indifferenzkurven lassen sich durch totales Differenzieren der Gleichung (7.7) ableiten. Wir erhalten dP dM d2P
m2
= %iv'(M) > 0
(7.11)
= %iv"{M) < 0.
(7.12)
d£t/,=O
dEUi=0
Die Indifferenzkurven verlaufen somit steigend und streng konkav. Für hohe Risiken sind sie steiler als diejenigen der niedrigen Risiken: Wegen der höheren Wahrscheinlichkeit krank zu werden, führt eine Einheit von M zu einem höheren Nutzenzuwachs als bei niedrigen Risiken. Entsprechend kann die Prämie um einen höheren Betrag steigen, bis das ursprüngliche Nutzenniveau wieder erreicht ist. Die Punkte H und L in Abbildung 7.1 stellen die Optima für die jeweiligen Risikotypen dar. Hohe Risiken bezahlen eine höhere Prämie P^ für die gleiche Versicherungsleistung M* als niedrige Risiken. Betrachtet man die Unterschiede der Risikotypen als angeboren, dann besteht grundsätzlich eine Rechtfertigung für einen Ausgleich zwischen hohen und niedrigen Risiken. Wir stellen zwei Anforderungen an einen derartigen Ausgleich:
282
7 Risikoselektion im Krankenversicherungswettbewerb
1. Beide Risikotypen sollten die effiziente Menge M* an medizinischen Leistungen erhalten. 2. Die Ausgaben für medizinische Leistungen sollten nicht vom Risikotyp abhängen.3 Aus diesen beiden Anforderungen folgt, dass beide Risikotypen die Versicherungsleistung M* zum Preis P = ÄM* erhalten sollten. In Abbildung 7.1 ist dieser Vertrag durch den Punkt Q gekennzeichnet. Dort schneidet die so genannte PoolingGerade P{M) = nM die vertikale Linie zu M*. Wir untersuchen im Folgenden, inwieweit ein Diskriminierungsverbot verbunden mit einem Kontrahierungszwang und Versicherungspflicht diese Lösung erreichen kann.4 Gleichgewicht aufeinem Versicherungsmarkt mit Diskriminierungsverbot Ein Diskriminierungsverbot untersagt den Versicherungen, die Prämien nach dem Risikotyp zu differenzieren. Dieser Eingriff hat ähnliche Folgen wie asymmetrische Information über das Krankheitsrisiko. Sie verhindert, dass die Versicherungen die Prämien differenzieren können, weil sie den Risikotyp nicht kennen. Die folgende Analyse ist deshalb eng verwandt mit dem im Anhang zu Kapitel 5 vorgestellten Modell eines Krankenversicherungsmarktes bei adverser Selektion. Wir verwenden den gleichen Gleichgewichtsbegriff wie dort: Definition 7.1 Ein „Gleichgewicht aufdem Marktfür Krankenversicherungen" ist charakterisiert durch eine Menge von Verträgenfür die gilt, dass 1. alle Individuen den Vertrag wählen, der ihren Erwartungsnutzen maximiert, 2. jeder dieser Verträge dem Versicherer einen nicht-negativen Erwartungsgewinn garantiert und 3. kein potentieller Vertrag außerhalb dieser Menge mit einem nichtnegativen Erwartungsgewinn verbunden wäre.
3
Diese Forderung lässt sich auch mit einer gesellschaftlichen Wohlfahrtsfunktion rechtfertigen, in die eine Ungleichheit der Nutzen negativ eingeht. Bei einer MaximinWohlfahrtsfunktion, bei der die gesellschaftliche Wohlfahrt dem Nutzen der am schlechtesten gestellten Person entspricht, wäre sogar ein darüber hinausgehender Ausgleich zu rechtfertigen, da wir v(M) < 0 angenommen haben. 4 Der gewünschte Ausgleich wäre auch durch personenspeziflsche Steuern und Transfers zu erreichen: Bei einer Steuer für niedrige Risiken in Höhe von (Ä — %f)M* und einem Transfer an hohe Risiken in Höhe von (nf, — %)M* wären alle so gestellt, als ob sie die Versicherung zur Durchschnittsprämie P = ftM* erhielten. Diese Lösung verlangt jedoch, dass der Regulator die Risikotypen jeder Person feststellt, und wäre deshalb mit einem hohen Aufwand verbunden. Des Weiteren wäre mit Durchsetzungsproblemen zu rechnen, da niedrige Risiken den Anreiz besitzen, sich als hohe Risiken auszugeben, um die Steuerzahlung zu vermeiden.
7.2 Risikoselektion
283
Abb. 7.2. Unmöglichkeit eines vereinenden Gleichgewichts
Mr
M
Ein Gleichgewicht bezeichnen wir als trennend, wenn die beiden Risikotypen unterschiedliche Versicherangsverträge nachfragen; kaufen sie den gleichen Versicherungsvertrag, so heißt das Gleichgewicht vereinend. Wir untersuchen zunächst, ob ein Diskriminierangsverbot zu einem vereinenden Gleichgewicht führen kann. Dieses würde auf der Pooling-Gerade P(M) = %M liegen, die in Abbildung 7.2 dargestellt ist. Ein möglicher Kandidat ist der Vertrag (Pp,Mo) (siehe Punkt D). Da die Indifferenzkurven der hohen Risiken steiler verlaufen als die der niedrigen Risiken, schneidet die Indifferenzkurve der niedrigen Risiken im Punkt D die der hohen Risiken von rechts. Ein Vertrag (P,M) im schraffierten Bereich hat deshalb die folgende Eigenschaften: 1. niedrige Risiken ziehen ihn dem Vertxag differenzkurve liegt;
(PD,MD)
vor, da er unterhalb ihrer In-
2. hohe Risiken bevorzugen den Vertrag (PD,MD), weil ein Vertrag im schraffierten Bereich oberhalb ihrer Indifferenzkurve liegt; 3. der Vertrag macht positive Gewinne, falls er nur von niedrigen Risiken gekauft wird, da er über der Gerade P\ = n;M liegt. Die dritte Anforderung des Gleichgewichtsbegriffs ist somit verletzt. Da ein schraffierter Bereich mit den Eigenschaften 1. bis 3. für jedes mögliche vereinende Gleichgewicht existiert, kann somit dieser Gleichgewichtstyp ausgeschlossen werden.
284
7 Risikoselektion im Krankenversicherungswettbewerb
Ein trennendes Gleichgewicht kann jedoch existieren. In diesem Gleichgewicht können hohe Risiken nicht schlechter gestellt sein als in der Situation bei risikoabhängigen Prämien, denn eine Versicherang kann immer kostendeckend den Vertrag H mit der Menge M* zur Prämie F/, = 7i/,M* anbieten (vgl. Abbildung 7.3). Ein besserer Vertrag ist jedoch in einem trennenden Gleichgewicht nicht möglich, weil die Versicherungen sonst bei diesem Vertrag Verlust machen würden (vgl. Anforderang 2. des Gleichgewichtsbegriffs). Der Erwartungsnutzen von hohen Risiken in einem trennenden Gleichgewicht beträgt folglich = Y-nhM*+ithv[M*].
(7.13)
Der Vertrag für niedrige Risiken in einem trennenden Gleichgewicht darf nicht rechts von der Indifferenzkurve zu EUH liegen, denn sonst würde er auch von hohen Risiken gewählt. Nimmt man an, dass hohe Risiken bei Indifferenz zwischen zwei Verträgen denjenigen mit der höheren Leistungsmenge wählen und berücksichtigt man, dass im Gleichgewicht der Vertrag für niedrige Risiken zu erwarteten Nullgewinnen führen muss, dann ist der Vertrag L' in Abbildung 7.3 der einzige Kandidat für ein trennendes Gleichgewicht: Dieser Vertrag wird nicht von hohen Risiken gewählt und sichert niedrigen Risiken den höchstmöglichen Erwartungsnutzen unter dieser Bedingung. Ob die Verträge H und L' tatsächlich ein Gleichgewicht darstellen, hängt vom Anteil /u der niedrigen Risiken ab. In Abbildung 7.3 wird die Pooling-Gerade für zwei Fälle gezeigt. Ist /u relativ groß, dann schneidet die Pooling-Gerade die Indifferenzkurven der niedrigen Risiken zu Vertrag L'. Folglich gibt es einen Vertrag auf der Pooling-Gerade, z.B. E, der beide Risikotypen besser stellt und nicht-negative Gewinne macht. Dann sind die Verträge H und L' kein Gleichgewicht. Da es aber kein vereinendes Gleichgewicht gibt, existiert in diesem Fall überhaupt kein Gleichgewicht. Anders verhält es sich jedoch bei einem geringen Anteil der niedrigen Risiken: In diesem Fall gibt es keinen abweichenden Vertrag, der nicht-negative Gewinne erzielt. Die Nichtexistenz eines Gleichgewichts lässt sich vermeiden, indem man den Gleichgewichtsbegriff erweitert.5 Wir wollen jedoch im Folgenden davon ausgehen, dass der Anteil der niedrigen Risiken hinreichend gering ist, so dass ein trennendes Gleichgewicht existiert. Dieser Fall zeigt die möglichen nachteiligen Wirkungen eines Diskriminierungsverbots auf: Anstatt einen Ausgleich zwischen hohen und niedrigen Risiken zu erreichen, kommt es zu einer Pareto-Verschlechterung. Die hohen Risiken erhalten den gleichen Vertrag wie bei risikoabhängigen Prämien, während die niedrigen Risiken eine geringere Leistungsmenge erhalten. Die Intuition dieses Ergebnisses ist, dass die Versicherungen durch den Vertrag L' Risikoselektion über die Einschränkung des Leistungsumfangs betreiben. Dadurch schrecken sie hohe Risiken ab, für die eine hohe Leistungsmenge wichtiger ist als für niedrige Risiken. 5
Eine Übersicht über alternative Gleichgewichtskonzeptefindetsich in DIONNE UND DOHERTY (1992).
7.2 Risikoselektion
285
Abb. 7.3. Existenz eines trennenden Gleichgewichts
M*
Dies führt uns zu Folgerung 7.3 Bieten Krankenversichemngen Preis-Mengen-Verträge an, dann führt ein Diskriminierungsverbot in einem trennenden Gleichgewicht zu Risikoselektion über den Leistungsumfang. Ein Ausgleich zwischen den Risikotypen wird nicht erreicht. Es werden lediglich die niedrigen Risiken schlechter gestellt. Wie lässt sich dieses Szenario vermeiden? Drei Lösungen sind grundsätzlich denkbar: 1. Vorgabe der effizienten Leistungsmenge M*: Gibt der Regulator die Menge M* vor, dann würde in einem Versicherungsmarktgleichgewicht Versicherungsschutz zur Durchschnittsprämie P = nM* angeboten. Allerdings ist eine Überwachung der Leistungsmenge unter Umständen sehr aufwändig. Zudem ist fraglich, inwieweit sich Abweichungen auch tatsächlich nachweisen lassen. In der Praxis dürfte diese Lösung deshalb nur begrenzt durchführbar sein. 2. Festlegung der Prämienhöhe auf P = nM*: Das Diskriminierungsverbot kann durch eine Festlegung der Prämie in Höhe von P = nM* ergänzt werden. Diese Lösung wird in Abbildung 7.4 dargestellt. Die dort eingezeichnete horizontale Gerade stellt die Durchschnittsprämie bei der effizienten Leistungsmenge M* dar. Auf ihr muss sich der Gleichgewichtsvertrag befinden. Per definitionem
286
7 Risikoselektion im Krankenversicherungswettbewerb Abb. 7.4. Festlegung der Prämienhöhe auf P* = JIM*
P = %M
P* = nM*
erwartete Gewinne Konkurrenz=> Mf
* M schneidet sie die Pooling-Gerade bei M* in Punkt Q. Dies ist auch der Gleichgewichtsvertrag: Rechts von Q würden Versicherungen Verluste machen, weil die Verträge unterhalb der Pooling-Gerade sind. Links von Q hingegen würden erwartete Gewinne entstehen. Da alle Versicherten eine höhere Leistung zur gleichen Prämie bevorzugen, führt die Konkurrenz der Versicherungen zu einer Ausweitung der Leistungsmenge. Deshalb liegt das Gleichgewicht im Punkt Q, in dem die Versicherangen erwartete Gewinne in Höhe von Null erzielen. Die Vorgabe der Prämie kann damit Risikoselektion über den Leistungsumfang vermeiden. Sie schließt in diesem Modell aus, dass niedrige Risiken über geringere Leistungen selektiert werden.6 3. Ein Risikostrukturausgleich: Ein RSA muss auf beobachtbaren Eigenschaften der Individuen beruhen. Kann der Regulator den Risikotyp selbst beobachten, dann ist seine Berechnung einfach: Für ein hohes Risiko erhält ein Versicherer eine Zahlung in Höhe von (7t/, — H)M*, für ein niedriges Risiko muss er (Ä — jt/)Af* abführen. Interessanter und realitätsnäher ist jedoch der von SELDEN (1998) und GLAZER UND M C G U I R E (2000) untersuchte Fall, dass die beobachtbaren Eigenschaften nur unvollkommene Indikatoren für den Risikotyp sind. Wir untersuchen im Folgenden dieses Szenario.
6
Bei zwei Leistungen ist die Festlegung der Prämienhöhe jedoch nicht mehr geeignet, den gewünschten Ausgleich zwischen den Risikotypen zu erreichen. Siehe Abschnitt 7.2.2.3.
7.2 Risikoselektion
287
Der Risikostrukturausgleich bei unvollkommenen Indikatoren für den Risikotyp Wir gehen davon aus, dass der Regulator ein mit den Risikotypen korreliertes Signal beobachten kann. Dieses Signal kann den Wert s = 0,1 annehmen (z.B. das Geschlecht oder das Alter). Für die Wahrscheinlichkeiten q,, dass ein Risikotyp i = h,l das Signal s = 1 aussendet, gelte 0
(7.14)
Ein hohes Risiko sendet deshalb mit höherer Wahrscheinlichkeit das Signal 5 = 1 aus als ein niedriges Risiko. Das Signal bezeichnen wir als vollkommen, falls qi =0 und qt, = \. Der RSA legt Zahlungen zs in Abhängigkeit des Signals fest. Um Risikoselektion zu vermeiden, sollte er so gestaltet sein, dass eine Versicherung, die nur hohe Risiken versichert und die effiziente Leistungsmenge M* anbietet, die Kostendifferenz Ph—P erstattet bekommt, wobei P^ = 7t/,M*. D.h. die Zahlungen zo und z\ müssen folgende Gleichung erfüllen: qhZi+(l-qh)zo = P*h-P*-
(7.15)
Analog muss eine Versicherang, die nur niedrige Risiken versichert, den Überschuss P* - P,* abführen: qiZi + (l-qi)zO = -(P*-Pf).
(7.16)
Erfüllen die Zahlungen diese Eigenschaften, dann wird im Gleichgewicht ein Versicherungsvertrag mit der Leistung M* zum Preis P angeboten, der von allen Individuen gewählt wird: •
Dieser Vertrag führt zu erwarteten Gewinnen in Höhe von Null.
•
Es existiert kein anderer Vertrag, der von beiden Risikotypen gewählt wird und positive erwartete Gewinne macht, da die Leistungsmenge M* effizient ist und deshalb nicht beide Risikotypen unter der Bedingung P = nM besser gestellt werden können.
•
Es existiert kein anderer Vertrag, der nur von hohen Risiken gewählt wird und positive Gewinne erzielt. Dieser Vertrag würde für den Versicherer mit der Wahrscheinlichkeit q^ zu einer Zahlung z\ und mit der Gegenwahrscheinlichkeit (1 — qh) zu einer Zahlung zo führen. Da die Leistung M* die Lösung zu dem Problem
ma\EUh(Y,M) = Y -P + nhv(M) M
u.d.Nb.
P = %hM - [qhz\ + (1 - qh)zo]
ist, gibt es keinen profitablen alternativen Vertrag.
288 •
7 Risikoselektion im Krankenversicherungswettbewerb Es existiert kein anderer Vertrag, der nur von niedrigen Risiken gewählt wird und positive Gewinne erzielt. Dieser Vertrag wiirde für den Versicherer mit der Wahrscheinlichkeit qi zu einer Zahlung z\ und mit der Gegenwahrscheinlichkeit (1 — qi) zu einer Zahlung ZQ führen. Die Leistung M* ist die Lösung zu dem Problem maxEUi(Y,M) = Y - P + Ttzv(M) M
u.d.Nb.
P = %tM- [qizi + (1 - qi)z0}-
Folglich gibt es keinen profitablen alternativen Vertrag. Die Eigenschaften des optimalen RSA untersuchen wir noch genauer. Lösen wir (7.15) und (7.16) nach zo und z\ auf, so erhalten wir
J"1Ä_F
h
und z t =
qh ~~ qi
l
~P-
(7-17)
qh~ qi
Bei perfekten Signalen qi =0 und q^ = 1 vereinfacht sich dies zu zg
= P*-?*<()
und z\=Pl-~P*
>0,
(7.18)
d.h. die Zahlungen gleichen die Differenz zwischen den erwarteten Kosten des beobachtbaren Risikotyps und den durchschnittlichen Kosten aus. Von besonderem Interesse sind jedoch die Eigenschaften des optimalen RSA, falls das Signal nicht perfekt ist. Ableiten der Gleichungen (7.17) nach den Wahrscheinlichkeiten q, ergibt
-qi) dqh
>0
(7.19)
<0
(7.20)
' ~ P' • < 0 (qh-qi)
dz\ _ (l-qh)(PZ dqi (qh-qi)2
> 0
(7.21) (7.22)
Falls das Signal nicht vollkommen ist, d.h. falls q^ < 1 oder qi > 0, erhalten wir somit zlP*h-T. (7.23) Der Risikostrukturausgleich kompensiert ungenaue Signale folglich mit einer Spreizung der Transferzahlungen. Die Intuition dieses Ergebnisses ist, dass die „Bestrafung" für Risikoselektion, d.h. die Zahlung für Personen mit dem Signal 0 umso mehr erhöht werden muss, je geringer der Anteil der Versicherten mit diesem Signal bei erfolgreicher Risikoselektion ist. Analog muss die Belohnung für die Versicherang von hohen Risiken in Form der Zahlung z\ umso höher sein, je niedriger der Anteil der hohen Risiken mit dem Signal 1 ist.
7.2 Risikoselektion
289
Unsere Ergebnisse können wir somit zusammenfassen in Folgerung 7.4 Bieten Krankenversicherungen nur eine Leistung in variabler Höhe an, dann lässt sich Risikoselektion über den Leistungsumfang neben der Kontrolle des Leistungsumfangs durch zwei Maßnahmen vermeiden. Erstens kann die Prämie auf die Durchschnittsprämie bei dem effizienten Leistungsniveau festgelegt werden. Zweites kann ein Risikostrukturausgleich auf Basis beobachtbarer Signale iiber den Risikotyp eingeführt werden. Je unvollkommener die Signale Uber den Risikotyp sind, desto höher sind absolut die RSA-Zahlungen, um indirekte Risikoselektion zu vermeiden. Vergleich des Risikostrukturausgleichs bei direkter und indirekter Risikoselektion In Abschnitt 7.2.1 haben wir den optimalen Risikostrukturausgleich bei direkter Risikoselektion hergeleitet. Dieser hatte zum Ziel, Risikoselektion nach den beobachtbaren Eigenschaften der Individuen zu vermeiden. Eine wichtige Frage ist, inwieweit dieser RSA mit demjenigen zur Vermeidung indirekter Risikoselektion vereinbar ist. Hierzu untersuchen wir im Folgenden den Fall, dass die Versicherangen ebenfalls nur das Signal s beobachten und direkte Risikoselektion auf Grundlage dieses Signals betreiben. Wir bestimmen zunächst die optimalen RSA-Zahlungen zur Vermeidung direkter Risikoselektion und vergleichen diese anschließend mit den optimalen RSA-Zahlungen zur Verhinderung indirekter Risikoselektion. Der RSA zur Vermeidung direkter Risikoselektion gleicht die Durchschnittskosten Ms der beobachtbaren Gruppen aus. Bei einem Anteil Xs der hohen Risiken mit dem Signal 5 beträgt die durchschnittliche Krankheitswahrscheinlichkeit aller Personen mit diesem Signal Xs%h + (1 ~ ^s)^h Bei einer effizienten Leistungsmenge sind die beobachtbaren Kosten der Gruppe s folglich s = 0,l.
(7.24)
Der Anteil Xs lässt sich als bedingte Wahrscheinlichkeit P(H\s) =
P(HC\s) P(s) \P(H\
P(s)
(7.25)
auffassen. Da die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person das Signal s aussendet,
P(s)=P(s\H)P(H)+P(s\L)P(L), entspricht, erhalten wir
P(s\H)P(H)+P(s\L)P(LY
290
7 Risikoselektion im Krankenversicherungswettbewerb
In der Notation des Modells der indirekten Risikoselektion sind P(H) = 1 — /i, P(L) = fi, P(s =l\H)= qh, P(s =l\L)=qh P(s = 0\H) = \-qh und P{s = 0|L) = 1 — /. Für Xs ergibt sich folglich und
(\ -qh){\ -H) + (l -qi)H
^1 ~ — n
T^
•
(7.27)
Bei vollkommenen Signalen qi =0 und q^ = 1 erhalten wir XQ = 0 und Xi = 1 und folglich MQ = Ji/Af* und Mi = n^M*. Sind die Signale jedoch unvollkommen, dann sind ^o > 0, Xi < 1 und somit MQ > %iM* und M\ < Wir können nun die Zahlungen des RS A zur Vermeidung direkter Risikoselektion (DRS) bestimmen. Nach Gleichung (7.1) ist z?RS = Mi-nM*.
(7.28)
Bei vollkommenen Signalen qi = 0 und /, = 1 ergibt sich DRS
=Pf-P*
und tfRS = (nh-ü)M*=PZ-T.
(7.29)
Der Zahlungen zur Vermeidung direkter und indirekter Risikoselektion stimmen somit überein (siehe Gleichung (7.18)) und es lassen sich beide Probleme gemeinsam lösen. Sind die Signale unvollkommen, dann erhalten wir jedoch für die Zahlungen zur Vermeidung direkter Risikoselektion
$RS > (m - Ä)M* = P; - P* und tfRS < (%h - H)M* = P*h - T. Vergleichen wir diese Zahlungen mit denen zur Vermeidung indirekter Risikoselektion in Gleichung (7.23), so ergibt sich ZQ
und z[>P*h-T>7%RS>0.
(7.30)
Direkte und indirekte Risikoselektion erfordern somit unterschiedliche RSAZahlungen bei unvollkommenen Signalen. Während indirekte Risikoselektion eine Spreizung der Zahlungen verlangt, sind die Zahlungen zur Vermeidung direkter Risikoselektion absolut geringer als bei vollkommenen Signalen, weil in den beobachtbaren Gruppen sowohl niedrige als auch hohe Risiken enthalten sind. Bei unvollkommenen Signalen besteht folglich ein Zielkonflikt zwischen der Vermeidung direkter und indirekter Risikoselektion, wenn die Versicherangen auf Basis des Signals 5 direkte Risikoselektion betreiben können. Es ist nur noch eine „Secondbesf'-Lösung erreichbar, die je nach Gewichtung der beiden Ziele die Zahlungen zs zwischen 2* und z^RS festlegt. Bemerkenswert ist dabei, dass die gängige Praxis, Kostenunterschiede zwischen beobachtbaren Gruppen auszugleichen, nur dann optimal ist, wenn ausschließlich direkte Risikoselektion vermieden werden soll. Soll der RSA jedoch auch indirekte Risikoselektion reduzieren, dann müssen die Zahlungen absolut höher ausfallen.
7.2 Risikoselektion
291
Unsere Ergebnisse führen wir zusammen in Folgerung 7.5 Die RSA-Zahlungen zur Vermeidung direkter und indirekter Risikoselektion stimmen überein, wenn sich die Risikotypen selbst beobachten lassen. Sind die vom Regulator beobachtbaren Eigenschaften der Individuen jedoch nur ein unvollkommenes Signalfür den Risikotyp und können Versicherungen auf Basis dieses Signals direkte Risikoselektion betreiben, dann sind die RSA-Zahlungen zur Vermeidung indirekter Risikoselektion absolut höher als diejenigen zur Vermeidung direkter Risikoselektion. In diesem Fall ist nur eine ,,Second-best"-Lösung möglich, in der die beiden Ziele gegeneinander abgewogen werden. 7.2.2.3 Risikoselektion über die Leistungsstruktur Bislang sind wir nur von einer Leistung ausgegangen. In der Realität bieten Krankenversicherungen jedoch verschiedene Leistungen an, die für die Risikotypen von unterschiedlicher Bedeutung sind. So sehen sich zwar alle Personen ungefähr dem gleichen Risiko einer akuten Erkrankung wie einer Erkältung oder einer Grippe ausgesetzt. Im Bezug auf chronische Krankheiten jedoch unterscheiden sich die Menschen in ihrer Krankheitswahrscheinlichkeit. Risikoselektion lässt sich dann auch über die Struktur des Leistungspakets erreichen, indem relativ viele akutmedizinische Leistungen und relativ wenige Leistungen für chronisch Kranke angeboten werden. Diese Form der Risikoselektion stellen wir im Folgenden anhand des Modells von GLAZER UND McGuiRE (2000) dar, das eine Erweiterang der Analyse im vorgehenden Abschnitt ist. Wir gehen dabei emeut von zwei möglichen Risikotypen aus. Beide Typen bekommen mit der gleichen Wahrscheinlichkeit 0 < p < 1 eine akute Erkrankung.7 Ihnen kann durch akutmedizinische Leistungen Ma geholfen werden, die zu einem Nutzen von va(Ma) führen, wobei v a < 0, v'a > 0 und v" < 0 sowie V^O) > 1. Mit der Wahrscheinlichkeit n,-, i = l,h, 0 < 7t; < %h < 1, tritt bei den Individuen eine chronische Erkrankung auf. In diesem Fall fiihren besondere medizinische Leistungen Mc zu einem Nutzen von vc(Mc) mit v c < 0, v'c > 0, v" < 0 und Vc(0) > 1. Analog zu Gleichung (7.1) beträgt der Erwartungsnutzen eines Individuums vom Typ / EU,{C,Ma,Mc)=C+pva(Ma)+TtMMc). (7.31) Die Leistungen Ma und Mc werden von den Krankenversicherungen gegen Zahlung einer Prämie F,- angeboten. Bei einem Budget von Y — C + P; erhalten wir für den Erwartungsnutzen des Individuums in Abhängigkeit von Y,P{,Ma und Mc EUi(Y,Pi,Ma,Mc) =Y -Pi + pva{Ma)+%iVc{Mc).
(7.32)
Auf dem Krankenversicherungsmarkt herrsche vollkommene Konkurrenz. Neben der erwarteten Versicherungsleistung entstehen den Versicherungen keine Kosten. Jedes Individuum erwirbt genau einen Vertrag. 7
GLAZER UND MCGUIRE
(2000) gehen von p = 1 aus.
292
7 Risikoselektion im Krankenversicherungswettbewerb
Zunächst untersuchen wir die Referenzsituation, in der die Versicherungen risikoabhängige Prämien verlangen. Anschließend betrachten wir das Marktgleichgewicht bei einem Diskriminierungsverbot und einer festgesetzten Prämie. Gleichgewicht aufeinem unregulierten Versicherungsmarkt Die aktuarisch faire Prämie beträgt Pi = pMa+niMc.
(7.33)
Durch Einsetzen in (7.32) erhalten wir die Erwartungsnutzenfunktion des Individuums in Abhängigkeit von Ma und Mc. Ein Individuum vom Typ i steht somit vor folgendem Problem max EUi{Y,Ma,Mc) = Y-pMa-%{MC + pva(Ma) + 7C,vc(Mc).
(7.34)
Ma,Mc
Das Einkommen des Individuums sei so hoch, dass im Optimum die Menge an Konsumgütern C positiv ist. Die Bedingungen erster Ordnung lauten dann dEUi
p + pV[M*a] =» v'a\M*a] = 1
(7.35)
dMa H ^ = - m + mv'c[M*c] =*• v'c[M*c) = 1.
(7.36)
Die effizienten Mengen M* und M* sind somit unabhängig vom Risikotyp. Desweiteren ist die Bedingung zweiter Ordnung erfüllt, da v'„ < 0 und v" < 0. In Abbildung 7.5 werden die optimale Verträge für beide Risikotypen in einem Ma — Mc-Diagramm dargestellt. Die Geraden l und h stellen dabei für jeden Risikotyp die Kombinationen von Ma und Mc dar, deren erwarteter Wert den Ausgaben im Optimum entsprechen: pMa + %iMc = pM* + Jt,Mc* =P*^MC=^-
^-Ma. 7t;
(7.37)
TC;
Die Steigung der Geraden / beträgt folglich dMc/dMa = — p/7t,-. Am Schnittpunkt mit der Abszisse haben sie den Wert P*/p. Die Eigenschaften der Indifferenzkurven der Individuen erhalten wir aus Gleichung (7.31) < 0 d^a
dEUj=0
(7.38)
7.2 Risikoselektion
293
Abb. 7.5. Gleichgewicht auf einem unregulierten Versicherungsmarkt
EU;
und d2Mr
2
mn
dEUj=0
< 0.
(7.39)
dEUi=0
Die Indifferenzkurven verlaufen somit fallend und sind streng konvex zum Ursprung. Zudem ist die absolute Steigung für die niedrigen Risiken bei gleichen Leistungsmengen höher. Im Optimum tangieren die Indifferenzkurven die Geraden i. Dieser Tangentialpunkt liegt für beide Risikotypen im Punkt R. Hohe Risiken zahlen jedoch eine höhere Prämie für diesen Krankenversicherungsschutz. Gleichgewicht aufeinem Versicherungsmarkt ntit Diskriminierungsverbot Erneut untersuchen wir, ob durch ein Diskriminierungsverbot ein Ausgleich zwischen hohen und niedrigen Risiken erreicht werden kann. Beide Risikotypen sollen dabei die effizienten Mengen M* und M* erhalten und die Durchschnittsprämie in Höhe von
P*=pM*+nM* bezahlen.
(7.40)
294
7 Risikoselektion im Krankenversicherungswettbewerb
Um Risikoselektion über den Leistungsumfang auszuschließen, treffen wir im Folgenden die Annahme, dass die Prämie auf das Niveau P* festgesetzt wird. Dann lautet die Nullgewinnbedingung für die Versicherungen in Abhängigkeit vom Risikotyp i = h,l: p* = pMa + KiMc <£> Mc = — - ?-Ma. 71
(7.41)
%
In Abbildung 7.6 werden diese Geraden mit i' bezeichnet. Sie verlaufen parallel zu den Nullgewinngeraden (7.33) bei optimalem Versicherungsschutz P* in Abwesenheit eines Diskriminierungsverbots. Durch die Vorgabe der Prämie P verläuft die Nullgewinngerade h' für hohe Risiken links der Geraden für P£, während die Gerade /' für niedrige Risiken rechts der Geraden für P;* liegt. Bei Mc = 0 schneiden sich die Geraden nach (7.41) bei dem Wert Ma = P*/p. Wie im Modell des vorangehenden Abschnitts lässt sich zeigen, dass nur ein trennendes Gleichgewicht existieren kann und dass hierfür der Anteil der niedrigen Risiken hinreichend klein sein muss. Wir gehen im Folgenden davon aus, dass dies der Fall ist und untersuchen die Eigenschaften dieses trennenden Gleichgewichts. In diesem Gleichgewicht erhalten hohe Risiken den optimalen Vertrag für ihren Risikotyp unter der Bedingung (7.41). In Abbildung 7.6 ist dieser Vertrag mit A gekennzeichnet. Dort tangiert die Indifferenzkurve der hohen Risiken die Nullgewinngerade h'. Daraus ergibt sich, dass der beste Vertrag, der niedrigen Risiken angeboten werden kann, zu erwarteten Gewinnen in Höhe von Null führt und nicht von hohen Risiken gewählt wird, durch Punkt B erfasst wird. Das trennende Gleichgewicht wird somit durch die Verträge A und B beschrieben. Im Vergleich zur Situation ohne ein Diskriminierungsverbot und festgeschriebener Prämie stellen sich beide Risikotypen schlechter: Hohe Risiken erhalten suboptimalen Versicherungsschutz Mhj < M*j, j = a,c. Sie würden gerne ihre Ausgaben für Krankenversicherung erhöhen. Niedrige Risiken sind schlechter gestellt, weil sie höhere Ausgaben für Krankenversicherung haben und weil die Struktur der Leistungen verzerrt ist. Wie aus Abbildung 7.6 ersichtlich, ist Mla > M* und Mlc < M*c, d.h. sie erhalten mehr akutmedizinische Leistungen und weniger Leistungen für chronische Krankheiten. Risikoselektion wird folglich über die Struktur des Leistungspakets erreicht. Eine Festlegung der Prämienhöhe reicht nicht aus, um sie zu verhindern. Sie ist im Gegenteil sogar kontraproduktiv, denn bei einer unregulierten Prämienhöhe könnten zumindest die hohen Risiken das von ihnen bevorzugte Leistungspaket mit AT-, j = a,c erwerben.8 8
Verzichtet man auf eine Festsetzung der Prämienhöhe auf P* und führt lediglich ein Diskriminierungsverbot ein, dann lässt sich die gewünschte Umverteilung ebenfalls nicht erreichen. Zwar lässt sich dann eine Verzerrang des Angebots akutmedizinischer Leistungen vermeiden und die Versicherungen bieten die effiziente Leistungsmenge M* an. Die Leistungen für chronische Krankheiten werden aber nach wie vor zur Risikoselektion eingesetzt. Wie in dem Modell im vorangehenden Abschnitt erhalten niedrige Risiken in einem trennenden Gleichgewicht einen Vertrag mit Mlc < M*, während hohe Risiken die effiziente Menge M*
7.2 Risikoselektion
295
Abb. 7.6. Risikoselektion über die Leistungsstruktur Mc
•
M* M>!
Mha M*
Pf/P
Unser Ergebnis resümieren wir in Folgerung 7.6 Bieten Krankenversicherungen zwei Leistungen an, von denen eine von beiden Risikotypen mit gleicher Wahrscheinlichkeit, die andere aber mit unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit nachgefragt wird, dannführt die Festsetzung der Prämienhöhe nicht zur erwünschten Umverteilung zwischen hohen und niedrigen Risiken. Die Versicherungen betreiben stattdessen Risikoselektion iiber die Leistungsstruktur.
erhalten [vgl. GLAZER UND MCGUIRE (2000, S.1069)]. Die hohen Risiken müssen fiir ihre Leistungen eine risikoäquivalente Prämie bezahlen. Die erwünschte Umverteilung zwischen den Risikotypen wird deshalb nicht erreicht.
296
7 Risikoselektion im Krankenversicherungswettbewerb
Nachdem sich die Festsetzung der Prämienhöhe als kontraproduktiv erwiesen hat, stehen noch folgende Alternativen zur Verfügung, um die gewünschte Umverteilung zu erreichen: 1. Regulierung des Leistungspakets: Wenn der Regulator in der Lage wäre, die Menge der einzelnen Leistungen vorzugeben und zu kontrollieren, ließe sich indirekte Risikoselektion ausschließen. Dies dürfte aber in der Praxis vielfach schwierig sein. Insbesondere könnten Versicherungen akutmedizinische Leistungen als Leistungen für chronisch Erkrankte deklarieren. 2. Institutionelle Trennung der Leistungen: Durch einen carve-out, d.h. einer separaten Organisation von Leistungen für chronisch Kranke, lässt sich die gewünschte Umverteilung grundsätzlich erreichen. Der Regulator müsste dann lediglich für die chronischen Leistungen die Prämienhöhe festsetzen und es würde, wie in dem Modell mit einer Leistung, die effiziente Leistungsmenge M* zum Preis %M* angeboten. Allerdings setzt diese Lösung voraus, dass es keine Vorteile aus dem gemeinsamen Angebot von akutmedizinischen Leistungen und Leistungen für chronische Krankheiten gibt. Zumindest wäre damit zu rechnen, dass der Verwaltungsaufwand zunimmt. Außerdem muss der Versicherte durchsetzen können, dass die zuständige Versicherung die Ausgaben für eine bestimmte medizinische Behandlung trägt und nicht erklärt, die andere Versicherang sei dafür zuständig. 3. Ein Risikostrukturausgleich: Wie im vorgehenden Abschnitt lässt sich die gewünschte Umverteilung zwischen den Risikotypen durch einen RSA erreichen, falls ein Signal über den Risikotyp existiert. Die Herleitung des RSA ist dabei analog zu dem Fall mit nur einer Leistung. Die Variablen P und P, müssen dabei lediglich folgendermaßen neu definiert werden P* =PM*a+nM*
und P* = pM*+7t«M*.
(7.42)
Mit den Wahrscheinlichkeiten qt, dass ein Risikotyp i = h,l das Signal s = 1 aussendet, erhalten wir die RSA- Zahlungen zs gemäß der Gleichungen qhZi+{\-qh)z0 = P*h-T
(7.43)
Im Gleichgewicht wird dann ein Versicherungsvertrag mit den Leistungen M* und M* zum Preis P angeboten, der von allen Individuen gewählt wird (die Beweisführung ist analog zu dem Fall mit nur einer Leistung).
7.3 Weitere Argumente füreinenfinanziellenAusgleich
297
Wir können unsere Ergebnisse zur Vermeidung indirekter Risikoselektion somit zusammenfassen in Folgerung 7.7 Bieten Krankenversicherungen zwei Leistungen an, von denen eine von beiden Risikotypen mit gleicher Wahrscheinlichkeit, die andere aber mit unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit nachgefragt wird, dann lässt sich Risikoselektion iiber die Leistungsstruktur neben der Kontrolle der Leistungen durch zwei Maßnahmen vermeiden. Zum einen kann die Leistung, die mit unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit nachgefragt wird, in einem „carve-out" separat organisiert werden. Zum anderen kann ein Risikostrukturausgleich auf Basis beobachtbarer Signale über den Risikotyp eingeführt werden. Das in diesem Abschnitt vorgestellte Modell mit zwei Leistungen ist immer noch eine grobe Vereinfachung der Realität. In der Praxis besteht das Angebot einer Krankenversicherung aus weit mehr als nur zwei Leistungen. Dies wird in den Arbeiten von FRANK ET AL. (2000) und GLAZER UND M C G U I R E (2002) berücksichtigt, die das hier vorgestellte Modell erweitern. Ihr Ziel ist es, eine empirisch umsetzbare Formel für den Risikostrukturausgleich zur Vermeidung indirekter Risikoselektion zu entwickeln. Ihr Konzept ist zwar noch nicht in der Praxis erprobt worden. Es zeigt aber, dass die gegenwärtige Praxis, die Durchschnittskosten zwischen beobachtbaren Gruppen auszugleichen (siehe Abschnitt 7.4.3), nicht der Weisheit letzter Schluss ist. In diesem Forschungszweig ist in den kommenden Jahren noch mit interessanten Entwicklungen zu rechnen.
7.3 Weitere Argumente für einenfinanziellenAusgleich zwischen Krankenversicherungen Drei weitere Gründe werden neben der Vermeidung von Risikoselektion für die Einführung eines Finanzausgleichs zwischen Krankenversicherungen angeführt. Erstens sollen Prämienunterschiede zwischen Versicherungen aus Gerechtigkeitsgründen vermieden werden. Zweitens kann ein Finanzausgleichssystem zur Chancengleichheit auf dem Krankenversicherungsmarkt beitragen, wenn sich die Versicherungen bei Übergang zu einem Wettbewerbssystem in ihrer Risikostruktur unterscheiden. Drittens soll ein Finanzausgleichssystem vermeiden, dass es sich für neue Versicherungen allein deshalb lohnt, in den Markt einzutreten, weil niedrige Risiken eher zum Versicherungswechsel neigen. 7.3.1 Vermeidung von Prämienunterschieden In Deutschland hatten vor Einführung des umfassenden Kassenwettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung die meisten Versicherten keine oder nur eine geringe Wahl zwischen Krankenkassen. In der Regel wurden sie aufgrund ihres Berufs einer Kasse zugewiesen. Da sich die Einkommens- und Risikostruktur der einzelnen Versicherungsgruppen stark unterschied, kam es zu entsprechenden Beitragssatzdifferenzen. So betrug vor Einführung des Risikostrukturausgleichs am 1. Januar 1994
298
7 Risikoselektion im Rrankenversicherungswettbewerb
die Relation zwischen dem niedrigsten und dem höchsten Beitragssatz etwa 1:2. Die Einführung des Risikostrukturausgleichs sollte nicht zuletzt diese Ungleichbehandlung der Versicherten beseitigen. Diese Begründung des Risikostrukturausgleichs ist allerdings nur stichhaltig, solange die Versicherten keine Wahl zwischen den Krankenversicherungen besitzen. Entsprechend ist sie mit der Eröffnung der freien Wahl- und Wechselmöglichkeiten im Jahr 1996 obsolet geworden. Niemand ist seitdem mehr gezwungen, in einer Kasse mit einem hohen Beitragssatz zu verbleiben. 7.3.2 Chancengleichheit auf dem Krankenversicherungsmarkt Unterscheidet sich aus historischen Gründen die Risikostruktur der Krankenversicherungen bei einem Übergang zum Kassenwettbewerb, so sind ohne einen Finanzausgleich die Kassen mit der zufällig besten Startposition eindeutig im Vorteil. Dies wäre nicht nur aus Gründen der Faimess zwischen Kassen bedenklich, sondern auch deshalb, weil sich nicht unbedingt die Kassen durchsetzen würden, die am wirtschaftlichsten mit den Beiträgen der Versicherten umgehen. Ein wichtiger Grund für die Einführung des RSA in Deutschland bereits zwei Jahre vor der Ausdehnung des Kassenwettbewerbs war deshalb das Ziel, die Beitragssatzdifferenzen aufgrund unterschiedlicher beitragspflichtiger Einnahmen und Risikostruktur zu beseitigen und so Chancengleichheit im Kassenwettbewerb zu schaffen. 7.3.3 Stabilisierung des Krankenversicherungsmarktes Eine weitere von Risikoselektion unabhängige Begründung für einen Finanzausgleich besteht dann, wenn niedrige Risiken eher zu einem Versicherungswechsel neigen als hohe Risiken. Dies schafft den Anreiz für Versicherungen, allein schon deshalb mit einem günstigen Angebot in den Markt einzutreten, weil sich durch die Versicherung hauptsächlich niedriger Risiken Gewinne erzielen lassen. Etablierte Versicherangen müssen dann die Beiträge erhöhen oder sogar in Konkurs gehen, weil bei ihnen nur hohe Risiken verbleiben. Zu erwarten ist letztlich ein dynamisch instabiler Markt, in der Versicherungen oder Versicherungstarife nur relativ kurze Zeit Bestand haben. Dieses Szenario ist insbesondere deshalb negativ, weil es sich für eine Versicherung kaum lohnen dürfte, in diesem Umfeld in effiziente Versorgungsstrukturen zu investieren. Schon nach kurzer Zeit könnte die Versicherung durch das Angebot eines Konkurrenten ihre niedrigen Risiken verlieren. Die Folge wären Verluste oder eine Beitragserhöhung, die zur Abwanderung weiterer niedriger Risiken führen dürfte. Dass die Sorge um einen instabilen Krankenversicherungsmarkt in Deutschland begründet ist, zeigen die Studien von LAUTERBACH UND WILLE (2000) und NuSCHELER UND KNAUS (2003). So stellen LAUTERBACH UND WILLE (2000) bei
einem Vergleich der Leistungsausgaben von Wechslern und Nichtwechslern von mehr als einem Drittel aller Versicherten der Gesetzlichen Krankenversicherung in
7.4 Zur Ausgestaltung von Finanzausgleichssystemen
299
Deutschland fest, dass die Wechsler im Jahr vor dem Wechsel je nach Altersgruppe durchschnittlich 45% bis 85% geringere Leistungsausgaben verursachen als vergleichbare Nichtwechsler. Insbesondere bei den erwachsenen Wechslern war der Unterschied markant. Die Studie von NUSCHELER UND KNAUS (2003) auf Grundlage von Daten des Sozio-Ökonomischen Panels (SOEP) kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Sie finden, dass Nichtwechsler einen signifikant schlechteren Gesundheitszustand aufweisen als Wechsler. Um eine Destabilisierung des Krankenversicherungsmarktes zu vermeiden, bietet es sich insbesondere an, das Kriterium, ob eine Person die Krankenversicherung gewechselt hat, mit in den RSA einzubeziehen. Auch ein teilweiser Ausgabenausgleich kann zur Stabilisierung des Krankenversicherungsmarktes beitragen. Unsere Ergebnisse in diesem Abschnitt können wir somit zusammenfassen in Folgerung 7.8 Die Vermeidung von Prämienunterschieden stellt keine Begründungfür ein Finanzausgleichssystem dar, wenn die Individuen zwischen Versicherungenfrei wählen können. In diesem Fall kann ein Finanzausgleich jedoch zur Sicherung von Chancengleichheit im Versicherungswettbewerb und zur Stabilisiemng des Versicherungswettbewerbs beitragen. Ohne ein Finanzausgleichssystem besteht jeweils die Gefahr, dass sich nicht die Versicherungen am Markt durchsetzen, die am wirtschaftlichsten mit den Beiträgen der Versicherten umgehen.
1A Zur Ausgestaltung von Finanzausgleichssystemen 7.4.1 Grundsätzliche Anforderungen Nachdem wir bislang grundsätzliche Argumente für Finanzausgleichssysteme zwischen Versicherungen erörtert haben, untersuchen wir in diesem Abschnitt, wie sich diese Systeme in der Praxis ausgestalten lassen. Dabei wollen wir die folgenden drei Anforderungen an ein Finanzausgleichssystem stellen:9 1. Anreizkompatibilität Die Systeme sollten so ausgestaltet sein, dass die Anreize für Versicherungen, sich wirtschaftlich zu verhalten, möglichst nicht geschmälert werden. 2. Umsetzbarkeit Die Daten, die zur Berechnung des Finanzausgleichs benötigt werden, sollten leicht zu erheben und möglichst zuverlässig sein. 3. Zielerreichung Die Finanzausgleichssysteme sollten die an sie gestellten Ziele, d.h. Vermeidung von direkter bzw. indirekter Risikoselektion, Chancengleichheit im Wettbewerb und Stabilisierung des Krankenversicherungsmarktes möglichst gut erreichen. 9
Vgl. auch VAN DE VEN
UND ELLIS
(2000)
300
7 Risikoselektion im Krankenversicherungswettbewerb
Im Folgenden untersuchen wir, wie der Risikostrukturausgleich und der Ausgabenausgleich den drei genannten Zielen gerecht werden können. Wir beginnen mit dem Risikostrukturausgleich. 7.4.2 Zur Ausgestaltung des Risikostrukturausgleichs Ein RSA besteht aus den berücksichtigten Ausgleichsvariablen und einer Formel, auf deren Basis die Ausgleichszahlungen festgelegt werden. In Abschnitt 7.4.2.1 untersuchen wir, welche Anforderungen die Ausgleichsvariablen grundsätzlich erfüllen sollen und diskutieren die Vor- und Nachteile möglicher Ausgleichsvariablen. Anschließend erläutern wir in Abschnitt 7.4.2.2 verschiedene Methoden der Berechnung der Ausgleichszahlungen. 7.4.2.1 Zur Auswahl der Ausgleichsvariablen Die Ausgleichsvariablen sollten so beschaffen sein, dass sie die oben genannten Anforderungen erfüllen. Im Bezug auf die Anreizkompatibilität bedeutet dies, dass die Einbeziehung einer Ausgleichsvariable in den RSA nicht dazu führen sollte, dass die Kasse den Anreiz verliert, sich bei der Bereitstellung von Leistungen wirtschaftlich zu verhalten. Dies schließt auch ein, dass die Ausgleichsvariablen nicht von der Kasse bewusst zum Zwecke der Verbesserung der Ausgleichszahlung manipuliert werden können. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn in den RSA ein Parameter für die Morbidität einginge (z.B. das Vorliegen von Bluthochdruck), der von der Kasse selbst bei ihren Versicherten erhoben wird und verfälscht dargestellt werden könnte. Die Umsetzbarkeit verlangt, dass die Daten gut verfügbar sind und ohne großen Verwaltungsaufwand erhoben werden können. Dabei ist zu bedenken, dass eine Reihe theoretisch wünschenswerter Ausgleichsvariablen (z.B. Indikatoren für die Morbidität) vor allem deswegen nicht verwendet werden können, weil die Erhebung der dazu benötigten Daten entweder organisatorisch unmöglich oder zumindest zu aufwändig wäre. Eine Grundvoraussetzung bezüglich der Zielerreichung ist, dass die Ausgleichsvariablen die zu erwartenden Leistungsausgaben möglichst gut erklären. Grandsätzlich stellt sich dabei die Frage der Periodenlänge: Sollen Unterschiede in den Kosten nur eines Jahres oder des Barwerts von Kosten mehrerer Jahre ausgeglichen werden? Als Referenzperiode dient durchweg das Jahr; implizit wird damit den Krankenkassen ein Planungshorizont von einem Jahr unterstellt, was ihre Entscheidung bezüglich Risikoselektion betrifft. Als mögliche Ausgleichsvariablen der Leistungsausgaben eines Jahres sind die folgenden Variablen untersucht worden: 1. Soziodemographische Variablen: Die am häufigsten verwendeten demographischen Variablen sind das Alter und das Geschlecht, da sie zu einem Teil die Unterschiede in den Leistungsausgaben erklären. Allerdings ist die Erklärungskraft dieser beiden Größen für sich genommen relativ gering [vgl. z.B. NEWHOUSE
7.4 Zur Ausgestaltung von Finanzausgleichssystemen
301
ET AL. (1989) und VAN DE VEN UND VAN VLIET (1992)]. Weitere soziodemographische Variablen, die sich zur Erklärung der Leistungsausgaben eignen, sind der Familienstand, der Rentnerstatus, das Bildungsniveau oder das Einkommen. So zeigen BREYER ET AL. (2003) und BEHREND ET AL. (2004) in empirischen Studien auf Basis von Daten aus der GKV, dass Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrentner signifikant höhere Ausgaben haben. BREYER ET AL. (2003) finden zusätzlich, dass allein stehende Rentner und Personen mit geringem Einkommen höhere Leistungsausgaben verursachen. 2. Die Leistungsausgaben in der Vorperiode: Ein nahe liegender Indikator für die Morbidität, also das Risiko, medizinische Behandlung zu benötigen, ist die durch Leistungsausgaben gemessene Inanspruchnahme in der Vergangenheit. In den Untersuchungen von NEWHOUSE ET AL. (1989), VAN DE VEN UND VAN VLIET (1992) und A S H ET AL. (1998) zeigt sich, dass ein Anstieg der Leistungsausgaben um eine Geldeinheit zu höheren Ausgaben zwischen 0,2 und 0,3 Geldeinheiten in der Folgeperiode führt. Insbesondere führt die Hinzunahme der Vorjahresausgaben zu einem Modell mit nur Alter und Geschlecht zu einer substantiell besseren Erklärung der Varianz der Leistungsausgaben. Bei der Verwendung der Vorjahresausgaben in einem RSA ist jedoch zu beachten, dass sie die Anreize schwächen, sich wirtschaftlich zu verhalten, da höhere Leistungsausgaben der Versicherung in der nächsten Periode teilweise ersetzt werden. Stehen jedoch nicht genügend andere Ausgleichsvariablen zur Verfügung, dann können sie eine sinnvolle Ergänzung des RSA darstellen [siehe hierzu MARCHAND ET AL. (2003)]. Ein den Vorjahresausgaben verwandter Indikator ist der Arzneimittelverbrauch in den Vorperioden. Er ist ebenfalls gut geeignet, die Leistungsausgaben zu prognostizieren [vgl. z.B. CLARK ET AL. (1995)]. 3. Diagnosüsche Information: Eine weitere Möglichkeit, die Morbidität zu messen, besteht in der Erhebung neuer oder der Verwendung vorhandener diagnostischer Information mit dem Ziel, vor allem chronisch Kranke zu erfassen und nach ihrem voraussichtlichen Leistungsbedarf zu klassifizieren. Mehrere Verfahren sind dabei entwickelt worden, um die meist umfangreichen diagnostischen Daten in Diagnosegruppen zusammenzufassen.10 Empirische Studien [vgl. GREENWALD ET AL. (1998), LAMERS (1999)] zeigen, dass diagnostische Information die Vorhersage der Leistungsausgaben substantiell verbessert. Problematisch ist jedoch der hohe Erhebungsaufwand und die mögliche Manipulierbarkeit. So besteht die Gefahr, dass Versicherungen versuchen, dass ihre Versicherten möglichst lukrative Diagnosen erhalten (das sogenannte „upcoding"). Unnötige Gesundheitsausgaben können entstehen, wenn Versicherungen zu regelmäßigen Arztbesuchen auffordern, damit möglichst viele Diagnosen erfasst werden. Für die Verwendung diagnostischer Information spricht allerdings, dass sie zunehmend für die Berechnung von Fallpauschalen im Krankenhausbereich zur Verfügung steht und nur noch für den RSA aufbereitet werden muss.
10 Vgl.
VAN DE VEN UND ELLIS (2000, S.798ff.) für einen Überblick.
302
7 Risikoselektion im Krankenversicherungswettbewerb
4. Subjektiv wahrgenommener Gesundheitszustand: Aus Befragungen lässt sich die Selbsteinschätzung des Gesundheitszustands einer Person gewinnen, die sich in empirischen Studien als signifikante Erklärungsgröße für die Leistungsausgaben erwiesen hat [vgl. z.B. NEWHOUSE ET AL. (1989) und VAN DE VEN UND VAN VLIET (1992)]. Ein offensichtliches Problem dieser Methode ist jedoch der relativ hohe Aufwand einer Erhebung. Ebenso besteht die Gefahr der Manipulation, falls die Befragungsergebnisse von der Versicherung beeinflusst werden können. 5. Mortalität: Vielfach fällt ein beachtlicher Prozentsatz aller Krankheitskosten eines Menschen in den letzten Monaten des Lebens an. Dies bestätigen empirische Studien, die zeigen, dass der Tod einer Person ein signifikanter Erklärungsfaktor für die Leistungsausgaben ist [siehe z.B. VAN VLIET UND LAMERS (1998) und BECK UND ZWEIFEL (1998)]. Ein pauschalierter Ausgleich für sterbebedingte Kosten könnte deshalb geeignet sein, indirekte Risikoselektion über eine schlechte Versorgung in der Sterbephase zu verhindern. 6. Das Wechselverhalten: Wie bereits erwähnt, kann auch die Neigung, die Versicherung zu wechseln, ein Indikator für den Risikotyp des Versicherten sein. Hier haben LAUTERBACH UND WILLE (2000) und NUSCHELER UND KNAUS (2003) gezeigt, dass Wechsler in jeder Altersgruppe wesentlich geringere Leistungsausgaben verursachen als vergleichbare Nichtwechsler. 7. Regionale Unterschiede: Der Wohnort eines Versicherten hat sich ebenfalls als signifikanter Erklärungsfaktor für seine Leistungsausgaben erwiesen [siehe z.B. VAN DE VEN ET AL. (2000)]. Teilweise lässt sich dies durch Unterschiede in den Preisen für medizinische Leistungen erklären [VAN DE VEN UND ELLIS (2000)]. Des Weiteren kann sich auch die Morbidität regional unterscheiden. Es ist aber auch möglich, dass Unterschiede in der Versorgungsdichte für die unterschiedlichen regionalen Ausgabenniveaus verantwortlich sind. In diesem Fall erscheint eine Differenzierung des RSA nach Regionen kaum erstrebenswert zu sein, da er dazu beiträgt, dass Individuen den gleichen Beitrag bezahlen, obgleich Versicherte in Regionen mit hoher Versorgungsdichte bessere Leistungen erhalten. Die Differenzierung der Beitragssätze nach Regionen erscheint dann eher angebracht, um Risikoselektion nach Regionen zu vermeiden. Eine Vielzahl von empirischen Studien ist durchgeführt worden, um zu ermitteln, inwieweit es die genannten Größen erlauben, die Leistungsausgaben einer Person vorherzusagen. Grundlage ist dabei eine Regressionsanalyse, die die Varianz in den Leistungsausgaben für einzelne Versicherte auf die verwendeten Erklärungsfaktoren zurückführt. Zunächst stellt sich die grundsätzliche Frage, welcher Anteil der Gesamtvarianz überhaupt vorhersagbar ist, da Schwankungen in den Leistungsausgaben vielfach auf Zufallsfaktoren zurückzuführen sind. Dieser vorhersagbare Anteil der Gesamtvarianz lässt sich dabei aufschlüsseln in die Inter-Personen-Varianz, die auf Unterschiede zwischen den Personen beruht (z.B. dem Geschlecht), und den erklärbaren Teil der Intra-Personen-Varianz, die durch Schwankungen der Leistungsausga-
7.4 Zur Ausgestaltung von Finanzausgleichssystemen
303
ben bei ein und derselben Person entsteht und sich teilweise durch vorhersagbare Größen wie z.B. das Alter erklären lässt. Empirische Analysen zeigen, dass die InterPersonen-Varianz ca. 15 bis 20% der Gesamtvarianz beträgt.11 Ungefähr weitere 4 bis 5% der Varianz lassen sich auf den vorhersagbaren Teil der Intra-PersonenVarianz zurückführen, so dass insgesamt maximal zwischen 20 und 25% der Gesamtvarianz vorhersagbar sind [siehe NEWHOUSE (1996, S. 1256).]. Ein vielfach bestätigtes Ergebnis empirischer Studien ist, dass mit soziodemographischen Variablen allein nur ein recht geringer Teil selbst der grundsätzlich vorhersagbaren Varianz erklärt werden kann. Die Zahlen bewegen sich im Bereich zwischen 1 und 5% der Gesamtvarianz [Vgl. z.B. NEWHOUSE ET AL. (1989), VAN DE VEN UND VAN VLIET (1992), VAN BARNEVELD ET AL. (1998), GREENWALD ET AL. (1998)]. Die Berücksichtigung der Vorjahresausgaben hingegen führt in der Regel zu einem sprunghaften Anstieg der Erklärungskraft. So erhöht sich der Anteil der erklärten Varianz von 1,6% auf 6,4% bei NEWHOUSE ET AL. (1989) und von 2,4% auf 7,2% in der Studie von VAN DE VEN UND VAN VLIET (1992). Ähn-
lich verhält es sich mit dem subjektiv wahrgenommenen Gesundheitszustand. Auch er erhöht die Erklärungskraft substantiell (z.B. von 1,6 auf 2,8% bei NEWHOUSE ET AL. (1989) im Vergleich zum soziodemographischen Modell und von 3,7 auf bis zu 7,1% bei VAN DE VEN UND VAN VLIET (1992) im Vergleich zu einem erweiterten soziodemographischen Modell, siehe auch VAN DE V E N UND ELLIS (2000, S. 805) für eine Übersicht). Besondere Aufmerksamkeit wurde in den vergangenen Jahren der Einbeziehung diagnostischer Infonnation gewidmet. Von ihr erhofft man sich einen signifikanten Erklärungsbeitrag bei einer geringen Anfälligkeit für Manipulationen. Verschiedene Diagnosemodelle wurden in einer Studie von GREENWALD ET AL. (1998) verglichen. Im Vergleich zu einem rein soziodemographischen Modell zeigte sich dabei ein hoher Anstieg der Erklärungskraft von 1,0 auf bis zu 8,6%. Unsere Ergebnisse können wir somit zusammenfassen in Folgerung 7.9 Empirische Studien zeigen, dass ein Großteil der Ausgabenvarianz grundsätzlich nicht prognostizierbar ist. Im Bezug auf den erklärbaren Anteil hat sich gezeigt, dass demographische Variablen wie das Alter und das Geschlecht nur einen geringen Erklärungsbeitrag leisten. Besser schneiden insbesondere die Vorjahresausgaben, der subjektiv wahrgenommene Gesundheitszustand und diagnostische Information ab. Allerdings sind die ersten beiden Größen nur begrenzt als Ausgleichsvariablen geeignet, da sie die Anreize der Kassen falsch setzen. Bei diagnostischer Information ist zu klären, ob sie gegen Manipulation resistent ist und ob sich die Erhebungskosten rechtfertigen lassen.
1
Vgl. z.B. NEWHOUSE ET AL. (1989) und VAN VLIET (1992a).
304
7 Risikoselektion im Krankenversicherungswettbewerb
7.4.2.2 Die Berechnung der Ausgleichszahlungen Wenn man sich für bestimmte Ausgleichsvariablen entschieden hat, muss als nächstes bestimmt werden, wie der Risikostrukturausgleich konkret ausgestaltet wird. Insbesondere drei Fragen sind dabei zu beantworten: 1. Soll der RSA auf Basis tatsächlicher Leistungsausgaben (Ist-Kosten-Ansatz) ermittelt werden oder sollen Ausgaben ermittelt werden, die für unterschiedliche Personengrappen für angemessen erachtet werden (Soll-Kosten-Ansatz)7 2. Soll der RSA prospektiv berechnet werden, d.h. werden die RSA-Zahlungen am Anfang der Periode festgelegt, oder werden sie retrospektiv, d.h. nach Ablauf der Periode auf Basis der während der Periode angefallenen Leistungsausgaben, bestimmt? 3. Welche Art von Risikoselektion soll der RSA verhindern und welche funktionale Form soll die RSA-Ausgleichsformel annehmen? Ad L: Konzeptionell ist der Soll-Kosten-Ansatz zu bevorzugen. Allerdings stellt sich unmittelbar die Frage, wie die Soll-Kosten berechnet werden sollen. Hierfür sind bislang noch keine Methoden entwickelt worden. Deshalb werden in der Praxis Ist-Kosten bei der Berechnung der Ausgleichszahlungen zu Grunde gelegt. Dieser Ansatz birgt jedoch die Gefahr, dass Über- bzw. Unterversorgungen fortgeschrieben werden. Ad 2.: Für das prospektive Verfahren wird angeführt, dass die Krankenversicherungen Risikoselektion auf Basis der Information treffen, die ihnen am Anfang der Periode vorliegt [vgl. VAN DE VEN UND ELLIS (2000, S. 786)]. Ein möglicher Vorteil des retrospektiven Verfahrens ist, dass es eine Rückversicherungskomponente in den RSA einführt. Fallen z.B. die Ausgaben für eine Versichertengruppe wegen einer medizinischen Innovation höher als erwartet aus, dann erhalten Versicherungen, die einen relativ hohen Anteil dieser Personen versichern, höhere Zahlungen aus dem RSA. Dem steht jedoch die Gefahr gegenüber, dass eine Kasse bei einem retrospektiven Ausgleich die RSA-Zahlungen zu ihren Gunsten beeinflussen kann. Diesen Punkt erörtern wir bei der folgenden Besprechung der RSA-Ausgleichsformel ausführlicher. Ad 3.: In Abschnitt 7.2 haben wir unterschiedliche Konzeptionen des RSA diskutiert. Insbesondere haben wir gezeigt, dass zur Vermeidung direkter Risikoselektion ein Ausgleich der Durchschnittskosten zwischen beobachtbaren Gruppen geeignet ist. Steht jedoch die Verhinderung indirekter Risikoselektion im Mittelpunkt, ist dies nicht unbedingt der Fall. Verfahren zur Vermeidung indirekter Risikoselektion befinden sich allerdings erst im Stadium der Entwicklung [siehe FRANK ET AL. (2000)], so dass wir im Folgenden ausschließlich Methoden betrachten, die versuchen, die beobachteten Kostenunterschiede so weit wie möglich auszugleichen. Formal lässt sich eine RSA-Ausgleichsformel folgendermaßen darstellen. Die Ausprägungen aller Ausgleichsvariablen für eine Person i werden in einem Vek-
7.4 Zur Ausgestaltung von Finanzausgleichssystemen
305
Tabelle 7.1. Beispiel zur Berechnung der RSA-Zahlungen Person
1
2
3
4
Alter in Jahren Geschlecht Leistungsausgaben
27 F 220
25 M 190
21 F 120
44 F 230
5
6
7
8
33 M 330
22 M 140
27 M 240
32 F 130
tor e,- zusammengefasst. Bei Verwendung der Ausgleichsvariablen Alter und Geschlecht würde z.B. einer vierzigjährigen Frau der Vektor (40,F) zugeordnet. Die Ausgleichszahlung für Person i, Zi, ist eine Funktion von e,-: Zi = z(ei).
(7.45)
In ihrer Summe müssen die Ausgleichszahlungen eine Budgetbeschränkung
X>(e,)=ß
(7.46)
i
erfüllen, die von der Ausgestaltung des RSA abhängt. Zahlen die Versicherten ihre gesamten Beiträge wie in Deutschland und der Schweiz direkt an die Versicherang, dann müssen sich die Transferzahlungen zu Null addieren. Alternativ können die Beitragszahlungen zunächst an einen zentralen Fonds erfolgen, der die Einnahmen entsprechend der Risikostruktur an die einzelnen Versicherten verteilt. In diesem Fall ist das Budget B positiv. Dieses System wird z.B. in den Niederlanden angewendet. Die am häufigsten angewendete Methode der Berechnung der Ausgleichszahlungen ist der Zell-Ansatz (gelegentlich auch als Matrix-Ansatz bezeichnet). Hierbei werden für jede Ausgleichsvariable Gruppen gebildet, beim Alter z.B. die 0 10jährigen, 11 - 20jährigen usw.. In ihrer Kombination definieren die Gruppen der verschiedenen Ausgleichsvariablen die RSA-Zellen. Jedes Individuum lässt sich genau einer Zelle zuordnen. Die Anzahl der Zellen ergibt sich als Produkt der Anzahl der Gruppen in den einzelnen Kategorien. Gibt es beispielsweise 10 Altersgruppen, 2 Geschlechtsgruppen und 5 Einkommensgruppen, dann definieren diese 10 x 2 x 5 = 100 RSA-Zellen. Grundlage der RSA-Ausgleichszahlungen für einen Versicherten bilden die Durchschnittsausgaben „seiner" Zelle. Bei einem Budget von B = 0 ergibt sich die Transferzahlung aus der Differenz der Durchschnittsausgaben der Zelle und der Durchschnittsausgaben aller Versicherten. Für Versicherte aus teuren Zellen, etwa älteren Personen, ergibt sich folglich eine positive Transferzahlung. Für Mitglieder günstiger Zellen hingegen müssen die Versicherungen einen Betrag abführen. Die Berechnung der RSA-Zahlungen auf Basis des Zell-Ansatzes lässt sich anhand eines fiktiven Beispiels illustrieren. In Tabelle 7.1 werden das Alter, das Geschlecht und die Leistungsausgaben in Geldeinheiten (GE) von acht Personen dargestellt. Bildet man Gruppen nach Geschlecht sowie zwei Altersgruppen, so erhält man die in Tabelle 7.2 dargestellten Durchschnittsausgaben der vier resultierenden RSA-Zellen. Die Durchschnittsausgaben aller Versicherten betragen 200 GE. Bei
306
7 Risikoselektion im Krankenversicherungswettbewerb Tabelle 7.2. Durchschnittsausgaben der RSA-Zellen
M F
< 30 Jahre
> 30 Jahre
190 170
330 180
einem Budget in Höhe von Null erhält ein Versicherer folglich für einen über dreißigjährigen Mann einen Transfer in Höhe von 130 GE, für eine über dreißigjährige Frau muss er einen Transfer von 20 GE leisten. Für einen jungen Mann muss er 10 GE abführen, für eine junge Frau sind 30 GE zu bezahlen. Der große Vorteil des Zell-Ansatzes ist, dass er sich leicht berechnen lässt. Allerdings erhält man bei einer feinen Untergliederung der Ausgleichsvariablen eine hohe Anzahl von RSA-Zellen und entsprechend Zellen, die relativ wenige Personen enthalten und deren Durchschnittskosten kaum aussagekräftig sind. Zellen mit wenigen Personen können zudem bei einem retrospektiven RSA zu einer indirekten Erstattung der Kosten führen. Ist z.B. nur eine Person in einer Zelle enthalten, dann entsprechen deren tatsächliche Kosten den Durchschnittskosten dieser Zelle (wie im Beispiel die Zelle (M, > 30 Jahre)). Folglich wird einer Kasse eine zusätzliche Geldeinheit Leistungsausgaben einer Person vollumfänglich aus dem RSA ersetzt.12 Das Problem zu gering besetzter Zellen lässt sich zum einen vermeiden, indem man die Ausgleichsvariablen nur grob untergliedert oder indem man einige Zellen zusammenlegt. Als Altemative zum Zell-Ansatz lässt sich aber auch ein Regressionsansatz wählen. Hierbei werden die Kosten mit einer multiplen Regression geschätzt. Es können explizit Restriktionen eingeführt werden, z.B. dass ein Effekt unabhängig von den anderen Effekten wirkt, und es lassen sich bei stetigen Variablen die Variablen selbst als Regressoren verwenden. Ein weiterer großer Vorteil ist es, dass sich grundsätzlich mehr Ausgleichsvariablen als beim Zell-Ansatz berücksichtigen lassen. Insbesondere wenn man diagnostische Information nutzen möchte, bietet sich der Regressionsansatz an, weil sonst die Anzahl der Zellen zu groß wird. Im Rahmen des Regressionsansatzes sind verschiedene Methoden zur Prognose der Ausgaben entwickelt worden. Das einfachste Modell ist linear und verwendet eine Kleinstquadrat-Schätzung. Nichtlineare Modelle wurden von DUAN (1983) und 13 MANNING ET AL. (1987) entwickelt. Diese haben den Vorteil, dass die Schätzmethode explizit berücksichtigt, dass die Ausgaben nicht negativ sein können. Allerdings sind sie anfällig für Verzerrangen.14 Wir beschränken uns im Folgenden auf eine Darstellung des linearen Modells. 12
Auch bei einem prospektiven RSA kann dieses Problem zeitversetzt auftreten, falls die Person nicht in der Folgeperiode einer anderen Zelle zugeordnet wird. Dann kommt es in der Folgeperiode zu einer Erstattung der Kosten. 13 Siehe JONES (2000, Abschnitt 4) fiir eine ausführliche Darstellung nichtlinearer Modelle. 14 Dies ist der Fall, wenn Heteroskedastizität vorliegt, d.h. wenn die Varianz der Störterme bei den einzelnen Beobachtungen nicht gleich ist. Siehe MANNING (1998) und MULLAHY (1998).
7.4 Zur Ausgestaltung von Finanzausgleichssystemen
307
In einem Spezialfall stimmt das lineare Modell mit dem Zell-Ansatz überein. Für jede Ausgleichsvariable mit n Gruppen werden dabei n — 1 so genannte Dummies definiert,15 die den Wert 1 annehmen, wenn ein Individuum Mitglied der entsprechenden Gruppe ist und sonst 0 entsprechen. Die Gruppe ohne Dummy ist die Referenzgruppe. Des Weiteren werden die interaktiven Effekte berücksichtigt, indem sämtliche mögliche Produkte der Dummies der unterschiedlichen Ausgleichsvariablen als erklärende Variablen verwendet werden. Die Vorgehensweise lässt sich anhand des oben verwendeten Beispiels zur Berechnung der RSA-Zellen veranschaulichen. Hier gibt es zwei Ausgleichsvariablen mit jeweils zwei Grappen. Entsprechend muss jeweils eine Dummy verwendet werden: 4
_ / 1 falls Alter > 30 Jahre \ 0 falls Alter < 30 Jahre
U
_ J 1 falls „Mann" \ 0 falls „Frau".
{
'
Folgende Regression wird dann mit der Kleinstquadrat-Methode geschätzt LAt = a + ßiA(- + ß2M; + ß3(Ai x M() + uh
(7.48)
LAi entspricht dabei den Leistungsausgaben in GE, A,- und M; dem Wert der DummyVariablen der Person i, und w, ist ein Störterm. Insgesamt werden 4 Koeffizienten geschätzt. Dies entspricht genau der Anzahl der RSA-Zellen. Als Schätzergebnis erhält man (Schätzung I) LAi = 170 + 10A,- + 20M(- + 130(A,- x M,),
R2 = 56,90%.
(7.49)
Die Durchschnittsausgaben jeder Zelle lassen sich durch entsprechende Addition der Regressionskoeffizienten berechnen. Wie erhalten •
für eine junge Frau (A,- = Af,- = 0): 170 GE\
•
für eine ältere Frau (A,- = 1, M,•= 0): 170 GE + 10 GE = 180 GE;
•
für einen jungen Mann (A,- = 0,M,- = 1): 170 GE + 20 GE = 190 GE;
•
für einen älteren Mann (A,- = Mt = 1): 170 GE + 10 GE + 20 GE + 130 GE = 330 GE.
Die Ergebnisse stimmen mit denen der entsprechenden RSA-Zellen überein. Die RSA-Zahlungen bei einem Budget von B = 0 erhält man, indem man von den vorhergesagten Ausgaben die durchschnittlichen Leistungsausgaben von 200 GE abzieht. Die Varianz der Leistungsausgaben sinkt dann gemäß des Wertes von R2 in der Schätzung um 56,90% des Ausgangsniveaus. Der Wert von R2 stellt folglich ein Maß dafür dar, wie stark der RSA die beobachtbaren Unterschiede in den Kosten ausgleicht. l5 Siehe z.B. DOUGHERTY (2002, Kapitel 6) und GREENE (2000, Kapitel 8) für eine Erläuterung von Dummy-Variablen.
308
7 Risikoselektion im Krankenversicherungswettbewerb Tabelle 7.3. Ausgaben der Personen ohne und mit RSA* Varianzreduktion
Person
ohne RSA RSAI RSAII RSA III
1
2
3
4
5
6
7
8
220 250 278 270
190 200 181 176
120 150 178 207
230 250 222 175
330 200 256 266
140 150 131 144
240 250 231 213
130 150 122 149
56,90% 36,08% 52,77%
*Bei RSA II und III wurde auf ganze Beträge gerundet.
Ein großer Vorteil des Regressionsansatzes ist, dass bei einem retrospektiven RSA das Problem zu gering besetzter Zellen vermieden werden kann, indem unterstellt wird, dass ein Effekt unabhängig von den anderen Effekten wirkt. In unserem Beispiel bedeutet dies, dass man den Koeffizienten der interaktiven Dummy ß3 gleich Null setzt. Dann entfällt die nur von einer Person besetzten Zelle (A,- = M,- = 1). Als Schätzergebnis erhalten wir (Schätzung II) L A ^ ^ M + öSJlAi + ee^SM,-,
R2 = 36,09%.
(7.50)
Bei einem Budget von 5 = 0 ergeben sich die RSA-Zahlungen, indem man von den vorhergesagten Ausgaben einer Person die durchschnittlichen Leistungsausgaben abzieht. Für eine junge Frau z.B. (A,- = M, = 0) betragen sie entsprechend 142,14-200=-57,86. Schließlich erlaubt der Regressionsansatz es noch, auf die bei dem Zell-Ansatz obligatorische Gruppenbildung bei stetigen Variablen wie dem Alter oder dem Einkommen zu verzichten. Stattdessen lässt sich einfach die Variable selbst als erklärende Variable verwenden.16 Mit der Variable ALTER (in Jahren) erhalten wir für unser Beispiel (Schätzung III) LAi = -16,35 + 6, \!ALTERi + 76,32M,-,
R2 = 52,77%.
(7.51)
Zur Berechnung der RSA-Zahlungen muss nun neben dem Geschlecht noch das genaue Alter einer Person berücksichtigt werden. Für einen 33jährigen Mann erhalten wir bei einem Budget von B = 0 dann (-16,35 + 6,17 x 33 + 76,32 x 1) - 200 = 63,58. In Tabelle 7.3 werden für die drei dargestellten Schätzungen die Ausgaben für jede Person nach den RSA-Transfers dargestellt. Die Reduktion der Varianz der Gesamtausgaben ist dabei für den Zell-Ansatz am höchsten. Fast so gut schneidet die Variante mit Alter als stetiger Variable ab (Schätzung III). Um einiges geringer ist die Varianzreduktion bei Weglassen der interaktiven Dummy (Schätzung II). Dieser Ansatz vermeidet jedoch, dass eine Zelle nur mit einer Person besetzt ist. 16
In diesem Fall können beim linearen Modell allerdings in einzelnen Fällen negative Leistungsausgaben prognostiziert werden.
7.4 Zur Ausgestaltung von Finanzausgleichssystemen
309
Neben den hier dargestellten Schätzungen lassen sich noch weitere Varianten untersuchen. Zum Beispiel kann Schätzung III noch durch einen interaktiven Term ALTER x Af,- ergänzt werden, was zu einer Erhöhung der erklärten Varianz auf 81,40% in unserem Beispiel führen würde. Allgemeine Rückschlüsse, welche Schätzung zur höchsten Reduktion der Varianz der Ausgaben führt, lassen sich aber aus diesem fiktiven Beispiel nicht ziehen. Dies hängt vom jeweils verwendeten Datensatz ab. Die Ergebnisse dieses Abschnitts fassen wir zusammen in Folgerung 7.10 Ein RSA kann auf Basis von Ist-Kosten oder Soll-Kosten sowie prospektiv oder retrospektiv berechnet werden. Die Ausgleichszahlungen lassen sich mit dem Zell-Ansatz oder einem Regressionsansatz bestimmen. Für den Regressionsansatz sprechen die Möglichkeiten, Restriktionen einzuführen sowie stetige Variablen unmittelbar zu verwenden. Zudem lassen sich grundsätzlich mehr Ausgleichsvariablen als beim Zell-Ansatz berücksichtigen.
7.4.3 Zur Ausgestaltung des Ausgabenausgleichs 7.4.3.1 Grundsätzliche Beurteilung Wie den RSA betrachten wir den Ausgabenausgleich unter den Gesichtspunkten der Anreizkompatibilität, der Umsetzbarkeit und der Zielerreichung. Im Bezug auf die Anreizkompatibilität ist ein Ausgabenausgleich grundsätzlich negativ zu bewerten, denn er ersetzt den Krankenversicherungen einen Teil der tatsächlich angefallenen Leistungsausgaben ihrer Versicherten und senkt so die Anreize zu kosteneffizientem Verhalten.17 Bei der Umsetzbarkeit ist zu beachten, dass die Ausgaben genau erfasst werden und einzelnen Personen oder Leistungsbereichen zugeordnet werden sollten. Ist letzteres nicht der Fall, dann kann lediglich ein Ausgleich auf Basis der Durchschnittsausgaben einer Versicherang erfolgen. Bei der Zielerreichung kann ein Ausgabenausgleich grundsätzlich allen diskutierten Zielen zuträglich sein. Dies lässt sich daran erkennen, dass bei einem vollständigen Ausgabenausgleich keine Anreize zur Risikoselektion bestehen und die Chancengleichheit im Wettbewerb als auch die Stabilität des Krankenversicherungsmarktes gesichert sind. Allerdings bestehen dann auch keinerlei Anreize zu wirtschaft17
Eine Ausnahme besteht lediglich, wenn es auch aus anderen Gründen sinnvoll ist, die Anreize zur Kostenvermeidung zu schwächen. So lässt sich argumentieren, dass eine zu hohe Kostenverantwortung die Qualität der Versorgung senkt. Diese These ist zwar für die direkte Vergütung von medizinischen Leistungsanbietern, die ein Eigeninteresse an Qualität haben, intuitiv einsichtig (vgl. Abschnitt 10.2.4 für eine formale Analyse). Es ist jedoch fraglich, ob solche berufsethischen Überzeugungen auch auf Versicherungen zutreffen.
310
7 Risikoselektion im Krankenversicherungswettbewerb
lichem Verhalten. Entsprechend sind keine positiven Wirkungen des Kassenwettbewerbs in dieser Hinsicht zu erwarten. Bei einem teilweisen Ausgabenausgleich ist jedoch nicht sicher, ob die Ziele alle erreicht werden können. Wie wir im Folgenden diskutieren, hängt dies von der konkreten Ausgestaltung des Ausgabenausgleichs sowie von seiner Wirkung auf die Ausgabenhöhe ab (siehe hierzu auch Abschnitt 7.2.1). 7.4.3.2 Die Bemessungsgrundlage des Ausgabenausgleichs Bei der Bemessungsgrundlage des Ausgabenausgleichs lassen sich drei Möglichkeiten unterscheiden: 1. Die gesamten Leistungsausgaben einer Kasse Bei dieser Form ist die Gesamtsumme aller Leistungsausgaben Basis für den Ausgabenausgleich. Man spricht von einer Stop-Loss Ausgabenteilung, wenn sämtliche Leistungsausgaben oberhalb eines Selbstbehalts durch den Ausgabenausgleich finanziert werden. 2. Die individuellen Leistungsausgaben Bei dieser Bemessungsgrundlage bestimmt sich die Ausgabenerstattung nach den Leistungsausgaben jedes einzelnen Versicherten. Zum Beispiel kann ein Anteil der individuellen Leistungsausgaben oberhalb eines Schwellenwerts vom Ausgabenausgleich übemommen werden. Der Ausgabenausgleich kann auch nur auf ausgewählte Mitglieder einer Kassen angewendet werden. 3. Selektive Leistungsbereiche Der Ausgabenausgleich kann auch nur für selektive Leistungsbereiche, wie etwa den Ausgaben für Dialyse, angewendet werden, die sich besonders für Risikoselektion eignen. Ein Ausgabenausgleich, der auf individuellen Leistungsausgaben oder auf Ausgaben in einzelnen Leistungsbereichen beruht, stellt höhere Anforderungen an den Regulator, falls der Anreiz für die Versicherungen besteht, Ausgaben anderen Personen oder anderen Leistungsbereichen zuzuordnen. Bei der Erstattung der individuellen Ausgaben über einem Schwellenwert lassen sich beispielsweise die Zahlungen aus dem Ausgabenausgleich erhöhen, wenn die Ausgaben möglichst wenigen Versicherten zugeschrieben werden. 7.4.3.3 Die Form des Ausgabenausgleichs Ist die Bemessungsgrundlage festgelegt, muss als nächstes entschieden werden, welcher Teil der Ausgaben für den Ausgabenausgleich berücksichtigt wird. Hierzu sind verschiedene Vorschläge unterbreitet worden, die sich in der Regel auf die Erstattung individueller Leistungsausgaben beziehen. Zwei Ansätze lassen sich unterscheiden:
7.4 Zur Ausgestaltung von Finanzausgleichssystemen
311
1. Prospektive Auswahl der Versicherten, deren Ausgaben erstattet werden Hier haben VAN DE V E N UND VAN VLIET (1992) das Konzept des risk sharing for high risks entwickelt. Die Versicherer weisen dabei einen bestimmten Prozentsatz ihrer Versicherten zu Beginn eines Jahres einem prospektiven Hochrisiko-Pool zu. Sämtliche Ausgaben dieser Personen werden erstattet. 2. Retrospektive Auswahl der Versicherten, deren Ausgaben erstattet werden Bei diesem Ansatz ist die Höhe der Ausgaben entscheidend dafür, ob und in welchem Umfang Ausgaben erstattet werden. Auch hier lassen sich zwei Varianten unterscheiden: a) Die Erstattung aller Ausgaben der Versicherten mit den höchsten Kosten Dieses Konzept des risk sharingfor high costs wurde von VAN BARNEVELD ET AL. (2001) vorgeschlagen. Dabei werden sämtliche Kosten der Personen mit den höchsten Kosten erstattet. Die Anzahl dieser Individuen ist dabei vorgegeben. b) Die Erstattung der Ausgaben gemäß einer allgemeinen Erstattungsfunktion Am Anfang einer Periode gibt der Regulator hier eine Erstattungsfunktion A(M) bekannt, welche jeden individuellen Ausgaben M einen Erstattungsbetrag A(M) aus dem Ausgabenausgleich zuordnet. Häufig werden Gestaltungsprinzipien aus der Rückversicherung vorgeschlagen.18 Dort werden üblicherweise Selbstbehalte und bei Überschreitung des Selbstbehaltes eine teilweise Selbstbeteiligung verwendet. Überträgt man dieses Prinzip auf den Ausgabenausgleich, dann sollte entsprechend nur ein Teil der Ausgaben einer Person erstattet werden, die einen Schwellenwert überschreiten. Unser Augenmerk gilt im Folgenden dem Ansatz 2b). Er ist insbesondere für die Diskussion des Ausgabenausgleichs in Deutschland relevant. Dort hat der Gesetzgeber auf Grundlage des Gutachtens von JACOBS ET AL. (2002) einen Ausgabenausgleich mit Schwellenwert eingeführt.19 Die darüber hinausgehenden Ausgaben werden zu 60% erstattet. Dieses System wird in Deutschland als „Risikopool" bezeichnet.20 In den Jahren 2002 und 2003 betrug der Schwellenwert 20.450 € (40.000 DM). In den darauf folgenden Jahren wird er gemäß der Entwicklung des Durchschnittsentgelts der gesetzlichen Rentenversicherung angepasst.
18
VAN DE VEN UND ELLIS (2000, S. 818) bezeichnen beispielsweise den Ausgabenaus-
gleich als obligatorische Rückversicherung. 19 Siehe SGB 5 § 269. 20 Der Begriff „Risikopool" wird in der internationalen Literatur und in der deutschen Literatur teilweise unterschiedlich verwendet. Während man in der internationalen Literatur in der Regel von einem Risikopool spricht, wenn bestimmte Personen zur Gänze einem separaten Fonds zugeteilt werden, bezeichnet der deutsche Gesetzgeber nach dem Gutachten von JACOBS ET AL. (2002) das deutsche Ausgabenerstattungssystem, das nur einen Teil der Ausgaben ersetzt, ebenfalls als Risikopool.
312
7 Risikoselektion im Krankenversicherungswettbewerb
Im Mittelpunkt steht die Frage, inwieweit sich Rückversicherungsprinzipien auf das Problem der Vermeidung von Risikoselektion anwenden lassen. Zwar liefert die Versicherungstheorie eine Begründung dafür, dass ein Teil der Ausgaben über einem Selbstbehalt erstattet werden sollte:21 Risikoscheue Erstversicherer wollen sich vor allem gegen hohe Belastungen absichern. Das Problem der Risikoselektion ist jedoch vollkommen anderer Natur. Hier versuchen Versicherer, Personen mit geringen zu erwartenden Ausgaben anzuziehen und teure Fälle abzuschrecken. Die Bekämpfung der Risikoselektion hat deshalb nichts mit der Aufteilung eines unsicheren Schadens zu tun, wie er für die Rückversicherung typisch ist. Wie das folgende Modell zeigt, können sich deshalb andere Formen des Ausgabenausgleichs als besser erweisen. Wir gehen von zwei Risikotypen i = l,h aus. Diese können jeweils Ausgaben in Höhe von 0, M\ und M^ mit den Wahrscheinlichkeiten 7tjj. > 0, k = 0,1,2 verursachen. Dabei gelte JjfcTi* = 1 sowie 0 < M\ < Mi- Für die erwarteten Ausgaben erhalten wir
Mi='fc4Mk-
(7-52)
k=\
Für die Differenz der erwarteten Ausgaben gelte
AM = Mh-Ml (n§ - 4)M 2 > 0,
(7.53)
d.h. /z-Typen haben höhere erwartete Ausgaben und sind daher aus Sicht der Versicherer hohe Risiken. Man beachte, dass die Annahme (7.53) lediglich erfordert, dass TZ\ > 7t| oder JI^ > Jt^- Beide Bedingungen müssen jedoch nicht gleichzeitig erfüllt sein. Der Ausgabenausgleich ersetzt A(M) bei individuellen Ausgaben von M. Aus Sicht der Versicherer betragen die erwarteten Ausgaben folglich
k=\
Wir nehmen an, dass die Versicherer die Möglichkeit besitzen, direkte Risikoselektion zu betreiben. Die Anreize zur Risikoselektion steigen mit der Differenz in den erwarteten Ausgaben aus Sicht der Versicherer AMA=MhA-MlA.
(7.55)
Das Ziel des Ausgabenausgleichs besteht deshalb darin, AMA unter AM zu senken. Im Folgenden untersuchen wir, inwieweit dies von einem proportionalen Ausgabenausgleich, einem Ausgabenausgleich mit Schwellenwert und einem Ausgabenausgleich mit Obergrenze erreicht wird. Dabei unterstellen wir der Einfachheit halber, dass die Ausgaben selbst vom Ausgabenausgleich nicht beeinträchtigt werden. 21
Siehe hierzu den Fall (iii) in Abschnitt 6.3.1.2.
7.4 Zur Ausgestaltung von Finanzausgleichssystemen
313
1. Der proportionale Ausgabenausgleich In diesem Fall lautet die Formel für den Ausgabenausgleich A{M) = aM, a>0. Wir erhalten (7.56) AMA = (1 - a)AM < AM Der proportionale Ausgabenausgleich ist somit grundsätzlich geeignet, die Anreize zur Risikoselektion zu senken. 2. Der Ausgabenausgleich mit Schwellenwert Wir unterstellen, dass alle Ausgaben über einem Schwellenwert S ersetzt werden. Des Weiteren gelte für den Schwellenwert M\ < S < M2, d.h. f A{M) = {
0
falls M = 0 und M = M\;
[M2-Sfa\lsM
= M2.
(7.57)
Für die Differenz in den erwarteten Ausgaben aus Sicht der Versicherer erhalten wir
AMA = A
\ A
(Ai
2)
= AM-(n^-n'2)(M2-S).
(7.58)
Damit gilt < m2 ist jedoch mit der Annahme (7.53) vereinbar, so lange die Differenz von und 7cj hinreichend groß ist, d.h. so lange
Ein Ausgabenausgleich mit Schwellenwert kann daher grundsätzlich die Anreize zur Risikoselektion erhöhen. Dies ist der Fall, wenn die niedrigeren Risiken eine höhere Wahrscheinlichkeit besitzen, sehr hohe Ausgaben M2 zu verursachen. Zum Beispiel kann eine junge gesunde Person im Durchschnitt geringe, mit einer kleinen Wahrscheinlichkeit bei einem Motorradunfall aber sehr hohe Kosten verursachen. Ein chronisch Kranker hingegen kann zu dauerhaft hohen Gesundheitsausgaben M\ führen. Deshalb lässt sich aus ex-ante Ausgabenunterschieden, die für Risikoselektion relevant sind, nicht automatisch schließen, dass hohe Risiken mit höherer Wahrscheinlichkeit hohe Ausgaben verursachen. 3. Der Ausgabenausgleich mit Obergrenze Für die Obergrenze G nehmen wir 0 < G < M\ an. Alle darunter liegenden Ausgaben werden vollkommen erstattet, d.h. f 0 falls M = 0; A(M) = l \G falls M = Mx und M = M2.
(7.59)
314
7 Risikoselektion im Krankenversicherungswettbewerb Für die Differenz der erwarteten Ausgaben aus Sicht der Versicherer erhalten wir AMA = n^Mi -G)+T4{M2-G)= AM-((nh1-n[)
(%[{MI
-G)+nl2(M2-G)
+ (K2l-nl2))G.
(7.60)
Damit gilt AMA
h
[ l \ 1[2
Ist n^ < 7t2, so erhalten wir aus der Annahme (7.53) %hl-n[>(%2-n2v)~>n2-i4
=> ÄMA
Im Gegensatz zum Ausgabenausgleich mit Schwellenwert reduziert der Ausgabenausgleich mit Obergrenze in diesem Fall die Anreize zur Risikoselektion. Ist jedoch n2 > TC2, dann kann der Ausgabenausgleich mit Obergrenze allerdings die Anreize zur Risikoselektion verschärfen. In diesem Fall ist der Ausgabenausgleich mit Schwellenwert überlegen (siehe Übungsaufgabe 7.7). Unsere Überlegungen zeigen, dass sich die Prinzipien der Rückversicherung nicht zwangsläufig auf das Problem der Vermeidung von Risikoselektion übertragen lassen. Unter Umständen kann ein Ausgabenausgleich mit Obergrenze bessere Ergebnisse erzielen als ein Ausgabenausgleich mit einem Schwellenwert. Entscheidend ist hierbei die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Ausgaben. Hier ist zu beachten, dass ein hohes Risiko, dass durch höhere erwartete Ausgaben gekennzeichnet ist, nicht unbedingt mit höherer Wahrscheinlichkeit die höchsten Ausgaben verursachen muss. Unsere Ergebnisse fassen wir zusammen in Folgerung 7.11 Ein Ausgabenausgleich kann prospektiv oder retmspektiv die Versicherten festlegen, deren Ausgaben erstattet werden. Rückversicherungsprinzipien lassen sich nicht ohne Weiteres aufdie Gestaltung einer allgemeinen Erstattungsfunktion Ubertragen, die die Anreize zur Risikoselektion senken soll. Sowohl ein Ausgabenausgleich mit Schwellenwert als auch ein Ausgabenausgleich mit Obergrenze können geeignet sein, die Anreize zur Risikoselektion zu senken. Entscheidend ist die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Ausgaben für die unterschiedlichen Risikotypen. Bei einer falschen Gestaltung besteht die Gefahr, dass die Anreize zur Risikoselektion verschärft werden. Das Modell hat davon abgesehen, dass ein Ausgabenausgleich die Anreize zur Wirtschaftlichkeit schwächt und deshalb die Ausgaben erhöhen wird. Eine erweiterte Analyse, die die Rückwirkungen auf die Ausgaben berücksichtigt, wurde von
7.4 Zur Ausgestaltung von Finanzausgleichssystemen
315
KlFMANN UND LORENZ (2004) entworfen. Sie entwickeln eine Formel für die optimale Ausgestaltung des Ausgabenausgleichs, die auf der Wahrscheinlichkeitsverteilung der Ausgaben für unterschiedliche Risikotypen beruht. Dabei kann sowohl ein Ausgabenausgleich mit Schwellenwert als auch ein Ausgleich mit Obergrenze optimal sein. Zu beachten ist auch der in Abschnitt 7.2.1 diskutierte Effekt, dass der Anreiz zur Risikoselektion zunächst zunimmt, wenn die erwarteten Ausgaben der hohen Risiken durch den Ausgabenausgleich stärker zunehmen als die der niedrigen Risiken. Ein Ausgabenausgleich muss dann besonders effektiv sein, um die Anreize zur Risikoselektion zu verhindern.
7.4.3.4 Ergebnisse von empirischen Studien Empirische Untersuchungen können Aufschluss darüber geben, welche Form des Ausgabenausgleichs am besten geeignet ist, Risikoselektion zu vermeiden. Hierzu liegen bislang Studien von VAN BARNEVELD ET AL. (1996,1998,2001) an niederländischen Daten und von KlFMANN UND LORENZ (2004) an schweizerischen Daten vor. In den Studien von VAN BARNEVELD ET AL. standen dabei zwei Aspekte im Mittelpunkt: 1. Die Leistungsausgaben des Vorjahres In der ersten Studie mit 69.000 Versicherten verursachten die 1% Versicherten mit den höchsten Ausgaben 1992 gut 10% aller Ausgaben 1993, bei Einbeziehung der 4% „teuersten" Versicherten waren es sogar knapp 25% der 1993er Ausgaben [vgl. VAN BARNEVELD ET AL. (1996)]. Dies bestätigte sich auch bei der zweiten Studie, die die 1992er Ausgaben von 245.000 Mitgliedern einer niederländischen Krankenkasse verglich [VAN BARNEVELD ET AL. (1998)]. So entfielen 14% der Ausgaben auf die 2% Versicherten mit den höchsten Ausgaben im Vorjahr. Die Autoren deuten dieses Ergebnis als Argument für den Vorschlag „risk sharing for high risks". 2. Der Vergleich unterschiedlicher Formen des Ausgabenausgleichs In der Studie von VAN BARNEVELD ET AL. (1998) wird „risk sharing for high risks" mit einer allgemeinen proportionalen Ausgabenerstattung sowie mit der Ausgabenerstattung über einem Schwellenwert verglichen. In VAN BARNEVELD ET AL. (2001) wird zusätzlich noch das Konzept „risk sharing for high costs" untersucht. Anhand unterschiedlicher Indikatoren messen die Autoren, wie die Anreize zur Risikoselektion und zur Wirtschaftlichkeit verändert werden. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass „risk sharing for high risks" und „risk sharing for high costs" der proportionalen Ausgabenerstattung und der Ausgabenerstattung über einem Schwellenwert überlegen sind und effektiver die Kosten hoher Risiken erstatten.
316
7 Risikoselektion im Krankenversicherungswettbewerb
KIFMANN UND LORENZ (2004) legen ihrer Studie einen Datensatz einer schweizerischen Krankenversicherung zu Grunde, der die Leistungsausgaben von 105.000 erwachsenen Versicherten enthält. Sie stellen die Hypothese auf, dass Krankenkassen danach Risikoselektion betreiben, ob eine Person im Vorjahr in das Krankenhaus eingewiesen wurde. Des Weiteren nehmen sie an, dass die Krankenkassen durch Kostenkontrolle die Leistungsausgaben proportional für alle Versicherte senken können. Sie bestimmen den optimalen Ausgabenausgleich und berücksichtigen dabei sowohl die Anreize zur Risikoselektion als auch zur Kostenkontrolle. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass der optimale Ausgabenausgleich Risikoselektion dann am effektivsten vermindert, wenn die Ausgaben zwischen einer Unter- und einer Obergrenze erstattet werden. Ein Ausgabenausgleich mit teilweiser Erstattung der Ausgaben über einen Schwellenwert schneidet wesentlich schlechter ab. Es ist sogar möglich, dass er die Anreize zur Risikoselektion noch verstärkt.
Bei den Ergebnissen von KIFMANN UND LORENZ (2004) stellt sich die Frage, ob sie sich auf den Ausgabenausgleich in Deutschland übertragen lassen. Hier wäre eine Studie anhand von Daten aus der GKV interessant. Ebenso fehlt bislang ein Vergleich der Vorschläge „risk sharing for high risks", „risk sharing for high costs" und einem optimierten Ausgabenausgleich in einem einheitlichen Modellrahmen. Folgerung 7.12 Empirische Studien zeigen, dass ein Ausgabenausgleich grundsätzlich geeignet ist, Risikoselektion zu vermeiden. Besonders gut schnitten bislang die Konzepte ,,risk sharingfor high risks", ,,risk sharing for high costs " und ein Ausgabenausgleich ab, der die Ausgaben zwischen einer Unter- und einer Obergrenze erstattet. Weitere Studien sind notwendig, um die Konzepte besser vergleichen zu können.
7.5 Vermeidung von Risikoselektion in Deutschland und der Schweiz Sowohl Deutschland als auch die Schweiz haben in den 90er Jahren Wettbewerb zwischen Krankenkassen bei einem Diskriminierungsverbot eingeführt. Um Risikoselektion zu vermeiden und Chancengleichheit auf dem Krankenversicherungsmarkt zu erreichen, wurden dabei umfangreiche Maßnahmen getroffen, die wir in diesem Abschnitt vorstellen und diskutieren. 7.5.1 Gesetzliche Regelung des Aufnahmeprozesses In beiden Ländern besteht ein Kontrahierungszwang, der von den Versicherungen praktisch nicht unterlaufen werden kann. In Deutschland können die Kassen in der GKV lediglich durch die Gestaltung ihrer Werbung versuchen, die gewünschten Zielgruppen anzusprechen. Hierzu eignet sich insbesondere die Werbung über das Intemet, die hauptsächlich auf Personen mit höherer Bildung zielt, von denen man
7.5 Vermeidung von Risikoselektion in Deutschland und der Schweiz
317
sich niedrige Leistungsausgaben verspricht. In der Schweiz verfügen die Versicherungen mit dem Verkauf von Zusatzversicherungen über eine weitere Möglichkeit, den Vertragsabschluss zu beeinflussen. Im Gegensatz zur Grundsicherung, in der ein Diskriminierungsverbot herrscht, dürfen die Kassen hier risikoabhängige Prämien verlangen. Niedrige Risiken können deshalb mit Angeboten, die günstiger sind als der erwartete Wert der Leistungen, zu einem Abschluss bewegt werden. Dies lohnt sich für eine Kasse so lange, wie die erwarteten Leistungsausgaben des Versicherten unter der Prämie liegen. Dies kann zu höheren Prämien in der Grundsicherung führen und somit die hohen Risiken belasten.22
7.5.2 Regulierung des Leistungspakets In Deutschland ist das Leistungspaket aller Kassen der GKV durch das Sozialgesetzbuch V weitgehend festgelegt. In gewissem Umfang können die Kassen zusätzliche Satzungsleistungen anbieten. Ein tatsächlich vorzufindendes Beispiel ist das Angebot von Kursen im Inline-Skating, die für Kassenmitglieder kostenlos sind. Das selektive Kontrahieren mit Leistungsanbietern ist den Kassen jedoch nicht gestattet, da grundsätzlich freie Arztwahl besteht. Folgende Instrumente zur Risikoselektion stehen den Kassen zur Verfügung: 1. Reduktion der Geschäftsstellendichte: Es ist plausibel, dass vor allem hohe Risiken den Service der Kassen-Geschäftsstellen in Anspruch nehmen, während niedrige Risiken davon keinen Nutzen haben. Neu gegründete oder expandierende Kassen ohne ein Netz an Geschäftsstellen, sog. „virtuelle Kassen", dürften daher für hohe Risiken weniger attraktiv sein als für niedrige. Es ist allerdings auch zu bedenken, dass die Einsparang von Geschäftsstellen eine Maßnahme zur Vermeidung unnötiger Verwaltungskosten sein kann. 2. Verzicht auf innovative Behandlungsformen bei hohen Risiken: Die Kassen haben einen gewissen Spielraum bei der Einführang innovativer Behandlungsformen für Versicherte mit einem bestimmten Rrankheitsbild. Diese können vielfach die Kosten der Behandlung senken und deren Qualität erhöhen. Für Krankenkassen reduziert jedoch der zweite Effekt den Anreiz, derartige Programme einzuführen, da sie für die betroffene, meist teure Personengruppe attraktiver wird. Damit sich derartige Programme trotzdem durchsetzen, werden seit 2002 sogenannte Disease-Management-Programme (DMPs) für ausgewählte chronische Krankheiten (z.B. Diabetes mellitus Typ 1 und 2, chronische Atemwegserkrankungen und Brastkrebs) gefördert, indem für jede Krankheit zusätzliche Versichertengruppen im Risikostrukturausgleich gebildet werden. Die Qualität der Programme wird hierbei extern kontrolliert. Für die Versicherten ist die Teilnahme freiwillig.
22Vgl.
hierzu auch BECK (1998) sowie KiFMANN (2003).
318
7 Risikoselektion im Krankenversicherungswettbewerb
3. Bonusprogramme Das GKV-Modernisierungsgesetz, das seit dem 01.01.2004 gilt, erlaubt es den Krankenkassen einen Bonus zu gewähren, wenn der Versicherte •
an einem Hausarztmodell,
•
an regelmäßigen Früherkennungsuntersuchungen oder anderen Präventionsmaßnahmen,
•
an Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung teilnimmt, oder
•
in einem Disease-Management-Programm eingeschrieben ist.
Der Bonus kann dabei in unterschiedlichen Formen geleistet werden. Zum Beispiel können Zuzahlungen und Beiträge ganz oder teilweise rückerstattet werden und Sach- oder Geldprämien gewährt werden. Das Ziel der Bonusprogramme ist es, die Versicherten für Teilnahme an kostensparenden und gesundheitsfördernden Programmen zu belohnen. Allerdings eignen sie sich grundsätzlich auch zur Risikoselektion. So kann ein Hausarztmodell besonders für niedrige Risiken interessant sein, für die der direkte Zugang zum Facharzt weniger wichtig ist als für chronisch Kranke. In der Schweiz verfügen die Kassen über einen größeren Spielraum bei der Gestaltung ihrer Leistungen, der sich teilweise auch zur Risikoselektion nutzen lässt. Das offensichtlichste Beispiel ist die Möglichkeit einer Wahlfranchise, d.h. einer Selbstbeteiligung über die vorgeschriebenen 230,- sFr. hinaus. Diese Wahlfranchise kann bis zu 1500,- sFr. betragen und soll den Versicherten einen finanziellen Anreiz geben, Leistungen sparsamer in Anspruch zu nehmen. Dem gegenüber steht jedoch die Gefahr, dass die Wahlfranchise hauptsächlich von niedrigen Risiken gewählt wird, die so ihre Transfers an hohe Risiken vermindern können. Eine Begrenzung der zulässigen Prämienrabatte nach oben soll dies vermeiden. Ob der Anreiz- oder der Selektionseffekt der Wahlfranchise dominiert, wurde in empirischen Studien von SCHELLHORN (2001) und WERBLOW UND FELDER (2003) untersucht. Auf der Grundlage von Daten aus der schweizerischen Gesundheitsbefragung kommt Schellhorn dabei zu dem Schluss, dass die beobachtete Reduktion in der Anzahl der Arztbesuche bei Versicherten mit höheren Selbstbehalten zum Großteil auf Selbstselektion zurückzuführen ist. Werblow und Felder legen ihrer Untersuchung Daten einer großen schweizerischen Krankenkasse zu Grunde. Sie finden ebenfalls substantielle Selektionseffekte. Ungefähr ein Drittel der beobachteten Ausgabenreduktion bei Versicherten mit höherem Selbstbehalten lässt sich jedoch auf den Anreiz zu einer sparsameren Inanspruchnahme medizinischer Leistungen zurückführen. Der zweite große Unterschied zur deutschen Situation besteht in der Existenz von Health Maintenance Organizations (HMOs) und anderen Varianten von Managed Care in der Schweiz [vgl. hierzu auch Kapitel 11]. Bei diesen Versorgern ist das Wahlrecht der Versicherten auf Leistungserbringer beschränkt, die der Versicherer im Hinblick auf eine kostengünstigere Versorgung auswählt. Dadurch erhofft man sich primär eine bessere Kostenkontrolle bei gleicher oder eventuell sogar bes-
7.5 Vermeidung von Risikoselektion in Deutschland und der Schweiz
319
serer Versorgungsqualität. Allerdings lässt sich durch die Auswahl bzw. Nichtauswahl bestimmter Leistungserbringer auch Risikoselektion betreiben. Im Gegensatz zur Wahlfranchise ist aber a priori nicht klar, welcher Effekt überwiegt.23 HMOs können deshalb trotz der Risikoselektionsgefahr eine sinnvolle Wahloption sein. 7.5.3 Finanzausgleichssysteme Sowohl in Deutschland als auch der Schweiz wird ein retrospektiver Risikostrukturausgleich (in der Schweiz Risikoausgleich) auf Basis des Zell-Ansatzes durchgeführt. In Deutschland wurden hierbei bislang Versichertengruppen gebildet, die sich nach Alter und Geschlecht, dem Bestehen einer Rente für Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit sowie nach der Art des Krankengeldanspruchs unterscheiden. Insgesamt entstehen durch diese Kriterien eine Unterteilung in 732 RSA-Zellen.24 Mit der Einführung der Disease-Management-Programme werden noch weitere Gruppen für jede der erfassten chronischen Krankheiten gebildet. Das Kriterium ist hierbei, ob ein Versicherter in das entsprechende DMP eingeschrieben ist. Problematisch ist hierbei, dass die Kassen auf die Einschreibung Einfluss nehmen können. Da die durchschnittlichen Ausgaben der an den DMP teilnehmenden Personen voraussichtlich höher sind als die der Nichtteilnehmer, haben sie den Anreiz, auch Personen, für die die Teilnahme am DMP nicht sinnvoll ist, zur Einschreibung zu bewegen. Eine unabhängige Beurteilung, ob eine Person die Voraussetzungen für die Teilnahme an einem DMP erfüllt, wäre deshalb sinnvoll. Ab 2007 ist die Einführung des morbiditätsorientierten RSA auf Basis diagnostischer Information geplant („MorbiRSA"). In der Schweiz werden gegenwärtig zwei Geschlechtsgruppen mit je 15 Altersklassen und somit 30 Risikozellen gebildet. Die Berechnung wird für jeden der 26 Kantone separat durchgeführt. In Deutschland hingegen wird der RSA bundesweit berechnet. Eine Besonderheit des deutschen RSA ist, dass aufgrund der einkommensabhängigen Erhebung des Beitrags auch ein einnahmeseitiger RSA durchgeführt wird. Dieser entfällt in der Schweiz, da dort Kopfpauschalen erhoben werden. Der Ausgleich erfolgt mit Hilfe der Rechengrößen „Beitragsbedarf" und „Finanzkraft". Der Bei23
Vgl. hierzu KlFMANN (1999). In diesem Aufsatz wird auch gezeigt, dass eventuell eine Besteuerung oder Subventionierung von Managed Care Angeboten nötig ist, um alle Versicherten besser zu stellen. 24 Dazu werden 3 Versichertengruppen danach gebildet, ob der Beitragssatz entsprechend des Krankengeldanspruchs ermäßigt, normal oder erhöht ist. In diesen Gruppen wird nach Geschlecht und 91 Altersgmppen unterschieden (0 bis 90 Jahre, wobei Personen über 90 Jahre der Altersgruppe 90 zugeordnet werden). Hierdurch enstehen 3 x 2 x 9 1 = 546 RSA-Gruppen. Zusätzlich werden für Berufs- bzw. Erwerbsunfähige noch weitere Versichertengruppen gebildet. Auch hier wird nach dem Beitragssatz entsprechend dem Krankengeldanspruch, dem Geschlecht und Alter unterschieden. Es werden jedoch nur 31 Altersgruppen berücksichtigt (35-65 Jahre, wobei die Personen unter 35 Jahren der Altersgruppe 35 zugeordnet werden; ab dem Alter 66 werden diese Personen als normale Rentner betrachtet), so dass 3x2x31 = 186 Gruppen hinzukommen. Insgesamt ergibt dies 546 + 186 = 732 RSA-Gruppen.
320
7 Risikoselektion im Rrankenversicherungswettbewerb
tragsbedarf BBj einer Kasse j gibt dabei die berücksichtigungsfähigen Leistungsausgaben wieder, die die Kasse hätte, wenn alle ihre Versicherten die durchschnittlichen Leistungsausgaben DLAZ ihrer RSA-Zelle z verursachen würden. Mit Njz als Anzahl der Versicherten der Kasse j in Zelle z erhalten wir BBj = Y,DLAzxNjz. z
(7.61)
Zur Bestimmung der Finanzkraft (FKj) der Kassen wird zunächst der Ausgleichsbedarfssatz (ABS) ermittelt, indem man die Summe der Beitragsbedarfe aller Krankenkassen durch die Summe der beitragspflichtigen Einnahmen BEj aller Kassen teilt: (7.62) Diese Größe entspricht dem Beitragssatz, der im Durchschnitt nötig ist, um die im RSA berücksichtigten Leistungsausgaben zu finanzieren. Die Finanzkraft einer Kasse ergibt sich aus der Multiplikation des Ausgleichsbedarfssatzes mit den beitragspflichtigen Einnahmen der Kasse: FKj=ABSxBEj.
(7.63)
Die RSA-Zahlung Z/ einer Kasse entspricht schließlich dem Unterschied der beiden Größen Finanzkraft und Beitragsbedarf: ZJ = FKJ-BBJ.
(7.64)
Wenn der Beitragsbedarf einer Kasse größer als ihre Finanzkraft ist, erhält die Kasse die Differenz aus dem RSA (Zj < 0); übersteigt die Finanzkraft den Beitragsbedarf, muss sie die Differenz in den RSA einzahlen (Z/ > 0). In der Summe ergeben die RSA-Zahlungen null, wie sich unter Verwendung der Gleichungen (7.63) und (7.62) leicht zeigen lässt:
= ABSZjBEj - ZjBBj
=
(7.65)
YWL>BEj-*BBj
= 0. Ein Problem des deutschen RSA ist, dass Verwaltungskosten in den berücksichtigungsfähigen Leistungsausgaben nicht enthalten sind.25 Hieraus können zwei Verzerrungen entstehen (siehe hierzu auch Übungsaufgabe 7.10). Zum einen werden Kassen für hohe Risiken nur unvollständig kompensiert, insofern die Verwaltungskosten bei hohen Risiken höher sind als bei niedrigen Risiken. Zum anderen sind Kassen, deren Versicherte relativ hohe beitragspflichtige Einnahmen haben, im 25
Vgl. JACOBS ET AL. (2002, S.134.).
7.5 Vermeidung von Risikoselektion in Deutschland und der Schweiz
321
Vorteil, selbst wenn die Verwaltungskosten nicht vom Risikotyp abhängen. Bezogen auf beitragspflichtige Einnahmen dieser Kassen machen die Verwaltungskosten einen kleineren Prozentsatz aus. Entsprechend können sie Verwaltungskosten mit einem niedrigeren Beitragssatzaufschlag finanzieren als Kassen mit geringen beitragspflichtigen Einnahmen. Diese Verzerrungen ließen sich vermeiden, indem in den RSA die Verwaltungskosten in Form einer Pauschale in die berücksichtigungsfähigen Leistungsausgaben eingehen würden. Ein Ausgabenausgleich besteht bislang nur in Deutschland (siehe auch Abschnitt 7.4.3.3). Berücksichtigt werden dabei die Ausgaben für stationäre Versorgung, Arzneimittelversorgung, nichtärztliche Leistungen der ambulanten Dialyse sowie Kranken- und Sterbegeld. Sofern die Aufwendungen für einen Versicherten im Jahr den Schwellenwert überschreiten, werden den Krankenkassen 60% des den Schwellenwert übersteigenden Betrags aus einem Risikopool erstattet. Der Schwellenwert betrag 2002 und 2003 20.450 € (40.000 DM) und wird seitdem gemäß der Entwicklung des Durchschnittsentgelts der gesetzlichen Rentenversicherung angepasst. 7.5.4 Beurteilung Obgleich Deutschland und die Schweiz grundsätzlich über ein ähnliches Krankenversicherungssystem verfügen, unterscheiden sich die beiden Länder stark in dessen Ausgestaltung. In Deutschland ist der Krankenversicherungsmarkt in der GKV stark reguliert. Insbesondere hatten die Kassen bislang wenig Spielraum bei der Gestaltung ihrer Leistungen. Mit Risikoselektion ist deshalb kaum zu rechnen.26 Das GKV-Modernisierungsgesetz hat den Kassen jedoch mehr Möglichkeiten gegeben, ihre Leistungen in Form von Bonus- und Disease-Management-Programmen zu gestalten. Bei den Bonusprogrammen besteht dabei die Möglichkeit, dass sie zur Risikoselektion genutzt werden. In der Schweiz hingegen verfügen die Krankenkassen traditionell über einen erheblich größeren Gestaltungsraum als in Deutschland. Die Möglichkeiten, Zusatzversicherungen zu risikoabhängigen Prämien zu verkaufen sowie eine höhere Selbstbeteiligung zu vereinbaren, sind dabei unter dem Gesichtspunkt der Risikoselektion negativ zu beurteilen. Bei der Selbstbeteiligung steht diesem Nachteil jedoch der Vörteil gegenüber, dass sich die Versicherten durch ihre Vertragswahl selbst Anreize zu einer sparsameren Inanspruchnahme medizinischer Leistungen geben können. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, sich bei einer HMO (und anderen Varianten von Managed Care) zu versichern. Zwar können diese Versorgungsformen auch zur Risikoselektion eingesetzt werden. Es können jedoch ebenso Effizienzgewinne durch eine bessere Organisation der Versorgung entstehen. 26
Siehe hierzu auch die Studie von NUSCHELER UND KNAUS (2003). Sie untersuchen Wechselbewegungen zwischen Betriebskrankenkassen und anderen Krankenkassen auf Basis des Sozio-Oekonomischen Panels und zeigen, dass der starke Zuwachs von Mitgliedern bei den Betriebskrankenkassen nicht auf erfolgreicher Risikoselektion beruht, sondern im unvollständigen RSA zusammen mit asymmetrischen Wechslerströmen begründet liegt.
322
7 Risikoselektion im Rrankenversicherungswettbewerb
Beim RSA in Deutschland lässt sich die Nichtberücksichtigung der Verwaltungskosten bemängeln. Des Weiteren wird auf leicht beobachtbare Ausgleichsvariablen wie etwa das Einkommen als Indikator für die Gesundheitsausgaben oder das Kriterium, ob eine Person allein stehend ist, verzichtet [vgl. BREYER ET AL. (2003)]. Ebenso ließe sich eine Ausgleichsvariable für ehemalige Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrentner einführen. Bislang gelten sie ab einem Alter von 66 Jahren als normale Versicherte, obwohl sie signifikant höhere Ausgaben verursachen [vgl. BEHREND ET AL. (2004)]. Eine wichtige Frage ist, ob der als „Risikopool" bezeichnete Ausgabenausgleich in Deutschland dazu beiträgt, die Anreize zur Risikoselektion zu senken. Unsere theoretische Analyse in Abschnitt 7.4.3.3 und die empirische Studie von KlFMANN UND LORENZ (2004) anhand schweizerischer Daten zeigen, dass eine Ausgabenerstattung bis zu einer Obergrenze eventuell bessere Ergebnisse erzielen kann. Genauere Erkenntnisse kann aber erst eine Studie mit Daten aus der GKV liefern. Große Hoffnung wird schließlich in den morbiditätsorientierten RSAgesetzt, der ab 2007 in Deutschland eingeführt werden soll. Grundsätzlich ist die Berücksichtigung diagnostischer Daten in Form von Diagnosegruppen im RSA zu begrüßen. Allerdings ist kritisch zu priifen, ob diese Verbesserung des RSA die wahrscheinlich hohen Einführungs- und Durchführungskosten rechtfertigt. Bei dem eingeschränkten Gestaltungsspielraum, den Kassen heute besitzen, Risikoselektion zu betreiben, könnten dies zu hoch sein. Sollte sich jedoch der Gesetzgeber dazu entschließen, den Kassen mehr Wettbewerbsinstrumente an die Hand zu geben, kann der morbiditätsorientierte RSA durchaus sinnvoll sein. Diese würden den Kassen mehr Spielraum sowohl für eine effiziente Organisation der Versorgung als auch zur Risikoselektion eröffnen. Der morbiditätsorientierte RSA könnte dazu beitragen, dass die Effizienzwirkungen überwiegen. Am schweizerischen Risikoausgleich lässt sich kritisieren, dass er nur nach Alter und Geschlecht differenziert und dass die Gruppenbildung vergleichsweise grob ist. Um Risikoselektion effektiver zu verhindern, wäre ein detaillierter Risikoausgleich mit weiteren Ausgleichsvariablen wünschenswert. Unsere Überlegungen fassen wir zusammen in Folgerung 7.13 In Deutschland besitzen die Kassen in der GKV im Gegensatz zur Schweiz wenig Möglichkeiten, ihre Leistungen zu beeinflussen. Dies minimiert zwar die Gefahr der Risikoselektion, gibt den Kassen jedoch kaum Möglichkeiten, ihre Leistungen gemäß den Wünschen der Versicherten zu gestalten. In der Schweiz besteht hier ein größerer Spielraum. Allerdings sind die Möglichkeiten, Zusatzversicherungen zu risikoabhängigen Prämien zu verkaufen sowie eine höhere Selbstbeteiligung zu vereinbaren, unter dem Gesichtspunkt der Risikoselektion negativ zu beurteilen. In beiden Ländern ließe sich der Risikostrukturausgleich durch die Berucksichtigung weiterer Ausgleichsvariablen verbessern. In Deutschland sollten zudem die Verwaltungskosten in die Berechnung miteingehen.
7.6 Zusammenfassung des Kapitels
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7.6 Zusammenfassung des Kapitels 1. Der Anreiz, Risikoselektion zu betreiben, ist eine direkte Folge eines Krankenversicherungssystems, das einerseits auf Wettbewerb beraht und andererseits einen Ausgleich zwischen hohen und niedrigen Risiken durch ein Diskriminierungsverbot erreichen will. Risikoselektion tritt nicht auf, wenn man auf Wettbewerb um Versicherte oder auf ein Diskriminierungsverbot verzichtet. 2. Risikoselektion kann zwei Formen annehmen. Bei direkter Risikoselektion versucht die Versicherung, auf den Vertragsabschluss selbst Einfluss zu nehmen. Bei indirekter Risikoselektion gestaltet die Versicherung das Leistungspakets so, dass es für niedrige Risiken, aber nicht fiir hohe Risiken attraktiv ist. 3. Direkte Risikoselektion lässt sich bekämpfen, indem Selektionsmaßnahmen wie die Vermittlung von Zusatzleistungen oder Geldzahlungen per Gesetz verboten werden und der Kontakt zwischen Versicherungen und Versicherten vor Vertragsabschluss minimiert wird. Des Weiteren können ein Risikostrukturausgleich, der auf den von den Versicherungen beobachteten Eigenschaften der Personen beruht, und ein Ausgabenausgleich den Anreiz zur direkten Risikoselektion reduzieren. Im Gegensatz zum Ausgabenausgleich kann ein Risikostrukturausgleich jedoch die Anreize zu kosteneffizientem Verhalten wahren, falls der Regulator die gleichen Eigenschaften beobachten kann wie die Versicherungen. Unter Umständen kann ein Ausgabenausgleich sogar die Anreize zur Risikoselektion erhöhen. 4. Indirekte Risikoselektion lässt sich durch eine direkte Regulierung des Leistungspakets vermeiden. Dabei sollte sowohl ein Mindest- als auch ein Höchstleistungspaket festgelegt werden. Es ist jedoch fraglich, ob diese Maßnahmen auch ausreichend durchgesetzt werden können. 5. Bieten Krankenversicherungen eine Leistung in variabler Höhe an, dann führt ein Diskriminierungsverbot in einem trennenden Gleichgewicht zu Risikoselektion über den Leistungsumfang. Dies lässt sich neben der Kontrolle des Leistungsumfangs durch zwei Maßnahmen vermeiden. Erstens kann die Prämie auf die Durchschnittsprämie bei effizientem Leistungsniveau festgelegt werden. Zweites kann ein Risikostrukturausgleich auf Basis beobachtbarer Signale über den Risikotyp eingeführt werden. Je unvollkommener die Signale über den Risikotyp sind, desto höher sind absolut die RSA-Zahlungen, um indirekte Risikoselektion zu vermeiden. 6. Bieten Krankenversicherungen zwei Leistungen an, von denen eine von beiden Risikotypen mit gleicher Wahrscheinlichkeit, die andere aber mit unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit nachgefragt wird, dann führt die Festsetzung der Prämienhöhe nicht zur erwünschten Umverteilung zwischen hohen und niedrigen Risiken. Die Versicherungen betreiben stattdessen Risikoselektion über die Leistungsstruktur. Dies lässt sich neben der Kontrolle der Leistungen durch zwei Maßnahmen vermeiden. Zum einen kann die Leistung, die mit unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit nachgefragt wird, in einem „carve-out" separat orga-
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7 Risikoselektion im Krankenversicherungswettbewerb nisiert werden. Zum anderen kann ein Risikostrukturausgleich auf Basis beobachtbarer Signale iiber den Risikotyp eingeführt werden.
7. Die Vermeidung von Prämienunterschieden stellt keine Begründung fiir ein Finanzausgleichssystem dar, wenn die Versicherten ihre Kasse frei wählen können. In diesem Fall kann ein Finanzausgleichssystem jedoch zur Sicherang von Chancengleichheit im Versicherungswettbewerb und zur Stabilisierung des Krankenversicherungsmarktes beitragen. Ohne ein Finanzausgleichssystem besteht die Gefahr, dass sich nicht die Versicherangen am Markt durchsetzen, die am wirtschaftlichsten mit den Beiträgen der Versicherten umgehen. 8. Empirische Studien zeigen, dass ein Großteil der Ausgabenvarianz grundsätzlich nicht prognostizierbar ist. Im Bezug auf den erklärbaren Anteil hat sich gezeigt, dass demographische Variablen wie das Alter und das Geschlecht nur einen geringen Erklärungsbeitrag leisten. Besser schneiden insbesondere die Vorjahresausgaben, der subjektiv wahrgenommene Gesundheitszustand und diagnostische Information ab. Allerdings sind die ersten beiden Größen nur begrenzt als Ausgleichsvariablen geeignet, da sie die Anreize der Kassen falsch setzen. Bei diagnostischer Information ist zu klären, ob sie gegen Manipulation resistent ist und ob sich die Erhebungskosten rechtfertigen lassen. 9. Ein Risikostrukturausgleich kann auf Basis von Ist-Kosten oder Soll-Kosten sowie prospektiv oder retrospektiv berechnet werden. Die Ausgleichszahlungen lassen sich mit dem Zell-Ansatz oder einem Regressionsansatz bestimmen. Für den Regressionsansatz sprechen die Möglichkeiten, Restriktionen einzuführen, sowie Vorteile bei der Verwendung stetiger Variablen. Zudem lassen sich grundsätzlich mehr Ausgleichsvariablen als beim Zell-Ansatz berücksichtigen. 10. Ein Ausgabenausgleich kann prospektiv oder retrospektiv die Versicherten festlegen, deren Ausgaben erstattet werden. Rückversicherungsprinzipen lassen sich nicht ohne Weiteres auf die Gestaltung einer allgemeinen Erstattungsfunktion übertragen, die die Anreize zur Risikoselektion senken soll. Sowohl ein Ausgabenausgleich mit Schwellenwert als auch ein Ausgabenausgleich mit Obergrenze können geeignet sein, die Anreize zur Risikoselektion zu senken. Entscheidend ist die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Ausgaben für die unterschiedlichen Risikotypen. Bei einer falschen Gestaltung besteht die Gefahr, dass die Anreize zur Risikoselektion verschärft werden. In empirischen Studien schnitten bislang die Konzepte „risk sharing for high risks", „risk sharing for high costs" und ein Ausgabenausgleich, der Ausgaben zwischen einer Unter- und einer Obergrenze erstattet, besonders gut ab. 11. In Deutschland besitzen die Kassen in der GKV im Gegensatz zur Schweiz wenig Möglichkeiten, ihre Leistungen zu beeinflussen. Dies minimiert zwar die Gefahr der Risikoselektion, gibt den Kassen jedoch kaum Möglichkeiten, ihre Leistungen gemäß den Wünschen der Versicherten zu gestalten. In der Schweiz besteht hier ein größerer Spielraum. Allerdings sind die Möglichkeiten, Zusatzversicherungen zu risikoabhängigen Prämien zu verkaufen sowie eine höhere
7.7 Lektürevorschläge
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Selbstbeteiligung zu vereinbaren, unter dem Gesichtspunkt der Risikoselektion negativ zu beurteilen. In beiden Ländern ließe sich der Risikostrukturausgleich durch die Berücksichtigung weiterer Ausgleichsvariablen verbessern. In Deutschland sollten zudem Verwaltungskosten in die Berechnung miteingehen.
7.7 Lektürevorschläge Für eine vertiefte Beschäftigung mit den Themen dieses Kapitels empfehlen wir den Überblicksartikel von VAN DE VEN UND ELLIS (2000) aus dem HANDBOOK OF HEALTH ECONOMICS.
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7 Risikoselektion im Krankenversicherungswettbewerb
7.Ü Übungsaufgaben 7.1. Wodurch entsteht der Anreiz zu Risikoselektion auf Krankenversicherungsmärkten? Mit welchen Maßnahmen lässt sich das Risikoselektionsproblem grundsätzlich vermindem? 7.2. Definieren Sie direkte und indirekte Risikoselektion. Über welche Information müssen Versicherungen und Versicherte jeweils verfügen, damit diese Formen der Risikoselektion auftreten können? 7.3. Die Krankenversicherungen können auf Basis des Signals s = 0,1 direkte Risikoselektion betreiben. Dem Regulator stehe lediglich ein Ausgabenausgleich zur Verfügung, der den Kassen einen Anteil a der Kosten ersetzt. Die durchschnittlichen Kosten einer Person mit dem Signal 5 lauten M 0 (a) = 110 + aa
und M\{a) = 120 + ß a .
Die Anreize zur Risikoselektion nehmen mit der Ausgabendifferenz aus Sicht der Versicherer AMA = (1 -a){M\{a) -Mo(a)) zu. a) Gehen Sie von a = ß = 10 aus. Bestimmen Sie die Ausgabendifferenz in Abhängigkeit von a. Welches Problem besteht bei einer Erhöhung von a? b) Unterstellen Sie a = 10 und ß = 30. Bestimmen und zeichnen Sie den Zusammenhang von AMA und a. Ab welchem Wert von a sinken die Anreize zur Risikoselektion? Wie hoch muss a mindestens sein, damit die Anreize zur Risikoselektion geringer sind als bei a = 0? Erläutern Sie Ihre Ergebnisse. 7.4. Gehen Sie von dem Risikoselektionsmodell mit einer Leistung aus. Die Nutzenfunktion sei Vj(M,C) =C + ni{4Ml/2 - 8). Die Krankheitswahrscheinlichkeiten seien 71/, = 0,5 und JC/ = 0,2. Jeweils 50% der Individuen seien hohe bzw. niedrige Risiken. Bestimmen Sie a) die effiziente Höhe von M* und die Prämien P, in Abwesenheit von Regulierung, b) die Verträge in einem trennenden Gleichgewicht, wenn der Regulator lediglich ein Diskriminierangsverbot vorgibt und Kontrahierungszwang vorschreibt. Veranschaulichen Sie Ihr Ergebnis in einer Graphik. c) Wie kann es der Regulator erreichen, dass beide Risikotypen die effiziente Menge M* an medizinischen Leistungen erhalten und dass ihre Prämie dabei nicht von ihrem Risikotyp abhängt? Wie hoch ist diese Prämie?
7.Ü Übungsaufgaben
327
7.5. Betrachten Sie nun das Risikoselektionsmodell mit zwei Leistungen. Die Nutzenfunktion sei Vi(Ma,Mc,C) =C+(2MlJ2 - 2)+Ki(4M1'2 - 8). Die Krankheitswahrscheinlichkeiten und der Anteil der hohen Risiken in der Bevölkerung seien wie oben. Bestimmen Sie a) die effiziente Höhe von Ma und Mc, b) die Prämien P, in Abwesenheit von Regulierung, c) die Verträge in einem trennenden Gleichgewicht, wenn der Regulator ein Diskriminierungsverbot vorgibt, Kontrahierungszwang vorschreibt und die Prämie auf das Niveau P = M* +ftM*festsetzt (der Vertrag für niedrige Risiken lässt sich durch Simulation mit einem Tabellenkalkulationsprogramm oder mit einem Mathematik-Programm ermitteln). Interpretieren Sie Ihr Ergebnis und veranschaulichen Sie es in einer Graphik. 7.6. In der Bevölkerung gebe es zwei Typen / und h, die mit folgenden Wahrscheinlichkeiten die Ausgaben 0 € , 10.000 € und 30.000 € verursachen: ~l h
0€ 45% 20%
10.000 € 20% 40%
30.000 € 35% 40%
a) Bestimmen Sie die erwarteten Ausgaben der beiden Typen und die Differenz der erwarteten Ausgaben der beiden Typen. b) Untersuchen Sie die Wirkung (i) eines proportionalen Ausgabenausgleichs, der den Versicherungen 20% aller Ausgaben erstattet und (ii) eines Ausgabenausgleichs, der den Versicherungen sämtliche Ausgaben über einem Schwellenwert von 20.000 € erstattet. bl) Nehmen Sie zunächst an, dass die Ausgaben konstant bleiben und messen Sie die Anreize zur Risikoselektion durch die Differenz der erwarteten Ausgaben der beiden Typen aus Sicht der Versicherer. b2) Gehen Sie davon aus, dass durch den Ausgabenausgleich die Ausgaben im Krankheitsfall jeweils um 30% steigen. Welche Wirkung hat der Ausgabenausgleich auf die Anreize zur Risikoselektion? Erläutern Sie Ihr Ergebnis.
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7 Risikoselektion im Krankenversicherungswettbewerb
7.7. In der Bevölkerung gebe es zwei Typen l und h, die mit folgenden Wahrscheinlichkeiten die Ausgaben 0 € , 10.000 € und 30.000 € verursachen: / h
0€ 30% 5%
10.000 € 20% 50%
30.000 € 50% 45%
a) Bestimmen Sie die erwarteten Ausgaben der beiden Typen und die Differenz der erwarteten Ausgaben der beiden Typen. b) Untersuchen Sie die Wirkung eines Ausgabenausgleichs, der den Versicherungen sämtliche Ausgaben über einem Schwellenwert von 20.000 € erstattet. Nehmen Sie dabei an, dass die Ausgaben konstant bleiben und messen Sie die Anreize zur Risikoselektion durch die Differenz der erwarteten Ausgaben der beiden Typen aus Sicht der Versicherer. Erläutern Sie Ihr Ergebnis. c) Gehen Sie jetzt von einem Ausgabenausgleich aus, der alle Ausgaben bis zu einer Obergrenze von 6000 € erstattet. Wie verändert er die Anreize zur Risikoselektion? d) Wiederholen Sie die Berechnungen für folgende Wahrscheinlichkeitsverteilung und diskutieren Sie Ihr Ergebnis. ~1 h
0€ 15% 20%
10.000 € 40% 30%
30.000 6 45% 50%
7.8. Nehmen Sie an, jeweils 50% der Individuen seien hohe bzw. niedrige Risiken. Bei einer effizienten Versorgung werden für ein hohes Risiko 3.000 Geldeinheiten (GE) und für ein niedriges Risiko 1.800 GE ausgegeben. Der Regulator könne nur beobachten, ob ein Individuum alt oder jung ist. 30% der hohen Risiken und 20% niedrigen Risiken seien alt. a) Welche Zahlungen würde ein RSA vorsehen, der die Durchschnittskosten der Altersgruppen bei einer effizienten Versorgung ausgleicht? b) Wie hoch müssen die RSA-Zahlungen in Abhängigkeit des Alters sein, wenn der Anreiz zur indirekten Risikoselektion neutralisiert werden soll? Erläutern Sie den Unterschied zwischen Ihren Ergebnissen. 7.9. Bestimmen Sie für das in Tabelle gegebene Beispiel die RSA-Zahlungen gemäß dem Zell-Ansatz und der im Text diskutierten Regressionen. Welcher Ansatz führt zur höchsten Reduktion der Varianz in den Leistungsausgaben? Person Alter in Jahren Geschlecht Leistungsausgaben
1 4 5 2 3 6 7 8 27 25 21 44 33 22 27 39 M M M F F M F F 210 220 150 220 160 120 330 190
7.Ü Übungsaufgaben
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7.10. Nehmen Sie an, es gebe ausschließlich zwei Kassen A und B mit je 100 Mitgliedern. Für den RSA werden die Leistungsausgaben für junge und alte Personen getrennt ermittelt. Im Referenzfall seien die Kosten pro Jungen 10, pro Alten 20 für beide Kassen. Diese Kosten werden im RSA zu 100% berücksichtigt. Bestimmen Sie den Beitragsbedarf, die Finanzkraft, die RSA-Zahlungen sowie den Beitragssatz beider Kassen für folgende Szenarien. Ermitteln Sie dabei jeweils den Ausgleichsbedarfssatz (ABS), indem Sie die Summe der Beitragsbedarfe aller Krankenkassen durch die Summe der beitragspflichtigen Einnahmen aller GKV-Mitglieder teilen. Die Finanzkraft einer Kasse erhalten Sie dann durch Multiplikation des ABS mit den beitragspflichtigen Einnahmen. (i) Kasse A habe je 50 Junge und Alte. Kasse B habe 20 Junge und 80 Alte. Beide Kassen verfügen jeweils über beitragspflichtige Einnahmen in Höhe von insgesamt 12.000 € . (ii) Wandeln Sie Szenario (i) ab, indem Sie annehmen, dass die Versorgung bei Kasse B um 10% teuer ist, d.h. ein Junger verursacht in Kasse B Kosten in Höhe von 11, ein Alter in Höhe von 22. (iii) Wandeln Sie Szenario (i) ab, indem Sie annehmen, dass nur 90% der Gesamtausgaben in die Berechnung der Leistungsausgaben für den RSA eingehen. (iv) Wandeln Sie Szenario (i) ab, indem Sie annehmen, dass die beitragspflichtigen Einnahmen bei Kasse A insgesamt 11.000 € und bei Kasse B insgesamt 13.000 €betragen. (v) Wandeln Sie Szenario (iv) ab, indem Sie zusätzlich annehmen, dass für Junge bzw. Alte jeweils nur Ausgaben in Höhe von 9 bzw. 19 in die Berechnung der Leistungsausgaben für den RSA eingehen. Vergleichen Sie die Szenarien (ii) bis (v) jeweils mit Szenario (i). Diskutieren Sie Ihre Ergebnisse.
8 Der Arzt als Anbieter medizinischer Leistungen
8.1 Einleitung Eine Schlüsselposition bei der Erstellung und Verteilung von Gesundheitsleistungen nimmt der ambulant tätige Arzt ein (vgl. Abschnitt 1.4, Abbildung 1.3). Er ist es, den die meisten Menschen als ersten aufsuchen, wenn sie ein gesundheitliches Problem haben, das sie nicht mehr allein bewältigen zu können glauben, und er ist es daher auch, der als erster über Diagnose, Therapie, Verschreibung und Überweisung an andere Anbieter medizinischer Leistungen (Fachärzte anderer Spezialgebiete, Krankenhäuser, Apotheker etc.) entscheidet. Er wird folglich von vielen als „Türhüter" des Gesundheitswesens angesehen. In diesem Kapitel interessieren wir uns zunächst für die Leistungen, die der niedergelassene Arzt selbst in seiner Praxis unter Einsatz seiner Mitarbeiter und seiner medizinisch-technischen Einrichtung erbringt.1 Dabei geht es uns darum zu untersuchen, ob man erwarten kann, dass bei der Erstellung und Verteilung ambulanter Arztleistungen das Grundprinzip der Wirtschaftlichkeit - die Erzielung eines gegebenen Heilerfolgs mit geringstmöglichem volkswirtschaftlichen Ressourcenverbrauch - erfüllt sein wird. Zweifel daran gründen sich vor allem auf die Doppelrolle, die der Arzt dem Patienten gegenüber spielt: zum einen als Anbieter von Leistungen, zum anderen aber als Berater bei der Entscheidung, welche Leistung der Patient nachfragen sollte. Diese Besonderheit (die allerdings nicht ausschließlich auf Ärzte zutrifft, sondern auch auf Rechtsanwälte und eine Reihe anderer Berufe), hat unter Ökonomen zu einer heftigen Diskussion darüber geführt, ob Ärzte die Macht haben und auch ausnutzen, für ihre eigene Auslastung zu sorgen - auch dort, wo man aufgrund einer hohen Ärztedichte Leerkapazitäten vermuten würde. Diese These von der „angebotsinduzierten Nachfrage" auf dem Markt für ambulante ärztliche Leistungen wird im Folgenden ausführlich diskutiert werden. Dabei stellen wir zunächst in Abschnitt 8.2 'Die von ihm veranlassten Leistungen anderer Bereiche werden Gegenstand späterer Kapitel sein (vor allem Kapitel 9 und 12).
332
8 Der Arzt als Anbieter medizinischer Leistungen
den empirischen Zusammenhang zwischen der Ärztedichte und der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen dar. In Abschnitt 8.3 erläutern wir die These von der angebotsinduzierten Nachfrage. Um diese These überprüfen zu können, entwickeln wir in Abschnitt 8.4 ein formales Modell des Arztverhaltens. Abschnitt 8.5 untersucht, ob der Zusammenhang zwischen der Ärztedichte und der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen auch altemative Erklärungen haben könnte. In Abschnitt 8.6 werden schließlich Ergebnisse der empirischen Studien dargestellt. Insgesamt zeigt sich, dass das Verhalten der Ärzte maßgeblich von den Anreizen geprägt ist, die durch die Form der Vergütung ihrer Leistungen vermittelt werden. Diesem Fragenkomplex ist das Kapitel 10 gewidmet. Dort stellen wir in Abschnitt 10.2 zunächst die ökonomische Theorie der Vergütung vor. In Abschnitt 10.3 diskutieren wir dann konkret die Wirkungen von alternativen Honorierungssystemen für Ärzte.
8.2 Der Zusammenhang von Ärztedichte und Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen Mehr noch als andere akademische Berufe erfreut sich derjenige des Arztes in den meisten Industrieländern stetig wachsender Beliebtheit, vereinen sich hier doch das für viele junge Menschen charakteristische Verlangen, anderen Menschen zu helfen, mit der Erwartung, dafür auch noch ein weit überdurchschnittliches Einkommen erzielen zu können. Der Ansturm auf die medizinischen Fakultäten sorgte dafür, dass die Zahl der Ärzte - absolut und in Relation zur Bevölkerungszahl - in den vergangenen Jahrzehnten stark zunahm und weiter wächst. So erhöhte sich in der Bundesrepublik Deutschland im Zeitraum 1970-2000 die Anzahl aller berufstätigen Ärzte je 10.000 Einwohner von 16 auf 36 und die der Ärzte in freier Praxis von 8 auf 13.2 In der Schweiz stieg die Zahl der Ärzte in freier Praxis im selben Zeitraum von 9 auf 19jelO.OOOEinwohner.3 Nun bedeutete die ständig wachsende Dichte ärztlicher Praxen keineswegs, dass sich die Ärzte über Mangel an Beschäftigung beklagen mussten, denn auch die Inanspruchnahme ambulanter ärztlicher Leistungen - gemessen an den entsprechenden Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen - wuchs von Jahr zu Jahr an. Auch im Querschnittsvergleich verschiedener Regionen scheint ein größeres Angebot an Ärzten mit einer verstärkten Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen pro Kopf der Bevölkerung einherzugehen. Aus dieser Beobachtung wurden weit reichende Schlussfolgerungen für die Gesundheitspolitik gezogen, etwa die, dass der Markt für ärztliche Leistungen „nicht funktioniere" und dass das Gesundheitswesen nur dann „bezahlbar" bleibe, wenn man die „Ärzteschwemme" durch Zulassungsbeschränkungen eindämme. 2
Vgl. BUNDESMINISTERIUM FÜR GESUNDHEIT (2001) und STATISTISCHES BUNDES-
AMT DEUTSCHLAND (2001, S. 444.) 3
Vgl. BUNDESAMT FÜR STATISTIK (1973, S.502) und VERBINDUNG DER SCHWEIZER ÄRZTINNEN UND ÄRZTE (2002).
8.2 Der Zusammenhang von Ärztedichte und Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen
333
Abb. 8.1. Auswirkungen einer Zunahme des Ärzteangebots im „Normalfall"
Pl
N
M,
M
Nun ist eine mit der Anbieterzahl steigende Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen für sich genommen keineswegs erstaunlich. Sieht man nämlich den Markt für ambulante ärztliche Leistungen cum grano salis als einen Wettbewerbsmarkt an, so würde man bei einer Zunahme der Zahl der Anbieter eine Rechtsverschiebung der Marktangebotsfunktion und folglich - falls die nachgefragte Menge an Leistungen mit steigendem Preis abnimmt, eine Ausweitung der Gleichgewichtsmenge und ein Fallen des Gleichgewichtspreises erwarten (vgl. Abbildung 8.1). Die Auswirkung auf die Gesamtausgaben (pM) ist a priori unbestimmt und hängt von der Preiselastizität der Nachfrage ab. Das Besondere an den bisher vorliegenden empirischen Beobachtungen auf den Märkten für Arztleistungen in mehreren Ländern ist jedoch, dass bei einer Ausweitung der Ärztedichte die Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen pro Kopf der Bevölkerung stieg, ohne dass eine Gebührensenkung die Nachfrage stimuliert hätte. So fand FUCHS (1978) bei einem Vergleich verschiedener Regionen in den USA anhand von Daten aus den Jahren 1963 und 1970, dass eine um 10% höhere ChirurgenDichte ceteris paribus mit 3% mehr Operationen pro Kopf der Bevölkerung und höheren Gebührensätzen für Operationen einherging. Eine positive Korrelation zwischen der Ärztedichte und der Pro-Kopf-Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen findet man zudem auch in Ländern wie Deutschland (s.o.), in denen die Gebührenordnung in allen Regionen einheitlich festgesetzt ist und somit eine Preissenkung als Folge einer Angebotsausdehnung ausgeschlossen werden kann. In allen diesen
334
8 Der Arzt als Anbieter medizinischer Leistungen
Fällen steigen natürlich auch die Gesamtausgaben nach einer Erhöhung der Ärztedichte.
8.3 Die These von der angebotsinduzierten Nachfrage nach ambulanten Arztleistungen Einen Schlüssel zur Erklärung des geschilderten Phänomens könnten die Eigenheiten liefern, die fiir die Beziehung zwischen Anbieter (Arzt) und Nachfrager (Patient) auf diesem Markt charakteristisch sind und die auf den Besonderheiten von Gesundheitsgütern (vgl. Kapitel 5) beruhen. Das hervorstechendste Merkmal ist wohl die unvollständige Information des Nachfragers iiber seine eigenen Bedürfnisse. Ein Patient, der seinen Arzt aufsucht, tut dies zwar in dem Gefühl, aufgrund einer festgestellten Befindlichkeitsstörang irgendeiner diagnostischen und eventuell auch therapeutischen Leistung zu bedürfen; welche das ist, wird aber in der Regel der Arzt selbst bestimmen. Der Patient delegiert diese Auswahl an den in aller Regel besser informierten Arzt und behält selbst lediglich die Entscheidung, ob er dem Ratschlag bzw. der Verschreibung des Arztes Folge leisten will oder nicht. Und auch in dieser Entscheidung ist er nicht absolut frei, denn es herrscht unter Medizinern wie Laien weitgehend Konsens darüber, dass das Vertrauen des Patienten in die Kompetenz des Arztes eine wichtige Voraussetzung für den Heilerfolg ist. Da es somit für den einzelnen Behandlungsfall plausibel ist, dass der Arzt und nicht der Patient die Nachfragemenge determiniert, lässt sich diese Beziehung auf den Markt als Ganzes übertragen: Die Nachfragekurve, die das geplante Volumen der Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen bei alternativen Preisen angibt, spiegelt demnach in überwiegendem Maße Entscheidungen der Anbieter und nicht der Nachfrager wider; insofern ist es gerechtfertigt zu sagen, die Nachfrage nach ärztlichen Leistungen sei anbieterdeterminiert. Diese Tatsache bleibt so lange ohne weitergehende Konsequenzen, wie sich der Arzt bei dieser ihm überlassenen Nachfrageentscheidung wie ein perfekter Sachwalter des Patienten verhält und sie so trifft, wie sie der Patient selber treffen würde, wenn er die notwendige medizinische Fachkenntnis hätte. Kritisch wird es erst, wenn der Arzt in die Entscheidung, die er stellvertretend für den Patienten trifft, seine eigenen Interessen einfließen lässt. Variieren etwa die Ärzte bei einem Anstieg der Ärztedichte die Informationen, die sie an die Patienten geben, systematisch mit dem Ziel, ihre eigene Auslastung sicherzustellen, so wird aus der anbieterdeterminierten eine angebotsinduzierte Nachfrage. Dieser Fall ist in Abbildung (8.2) illustriert, die unter der Annahme gezeichnet ist, dass die Patienten vollversichert sind und somit die Nachfrage nicht preisabhängig ist. Dabei bezeichnet Afo die „Primärnachfrage". Hierunter verstehen wir die Nachfragemenge, die bei gegebener Patientenzahl, gegebenem Krankheitsspektrum und gegebenen Entscheidungen der Patienten, Kontakt mit dem Arzt aufzunehmen, erbracht werden muss, um den gültigen Regeln der me-
8.3 Die These von der angebotsinduzierten Nachfrage nach ambulanten Arztleistungen
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Abb. 8.2. Angebotsinduzierte Nachfrage als Reaktion auf eine Angebotszunahme P
dizinischen Kunst in idealer Weise zu genügen. Ferner sei der Preis pro Leistungseinheit durch staatliche Regulierung der Gebührenordnung auf po fixiert, und es sei angenommen, dass dieses Preisniveau bei der in der Ausgangssituation vorhandenen Ärztedichte und dem damit verbundenen Leistungsangebot (Kurve AQ) gerade so hoch ist, dass es das Angebot mit der Primämachfrage in Übereinstimmung bringt. Es sei nun angenommen, dass die Angebotskurve durch Hinzukommen weiterer Ärzte nach außen auf die Lage A\ verschoben wird. Hätten die Anbieter keinerlei direkten Einfluss auf die Gestaltung der Nachfrage oder würden sie die ihnen delegierte Auswahl einer Behandlungsstrategie einzig und allein nach den Interessen der Patienten ausüben, so bliebe die Nachfragekurve stabil, und die bei dem regulierten Preis tatsächlich gehandelte Leistungsmenge bliebe konstant bei NQ = MQ. Die Anbieter würden allerdings rationiert, denn die realisierte Menge wäre geringer als diejenige, die sie zu erbringen wünschten. Nehmen wir dagegen an, dass die Sachwalter-Rolle nicht perfekt ausgeübt wird, sondern die Ärzte bei der Beratung der Patienten ihre eigenen Interessen verfolgen. Dann würden sie dem Patienten über das medizinisch indizierte Maß hinaus weitere, nur marginal wirksame oder gar gänzlich wertlose Leistungen empfehlen, um zu erreichen, dass die von ihnen gewünschte Angebotsmenge M\ = A\ (po) auch „nachgefragt" wird. Graphisch bedeutet das, dass sie die Nachfragekurve parallel so weit nach rechts verschieben, bis die nachgefragte Menge (zu jedem Preis, also auch zum regulierten Preisniveau po) gleich A\ (po) ist.
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8 Der Arzt als Anbieter medizinischer Leistungen
Ist es den Ärzten auf diese Weise möglich, die Nachfrage nach ihren eigenen Leistungen nach Belieben auszudehnen, so verliert die Unterscheidung zwischen dem „Angebot" und der „Nachfrage" jenseits des Niveaus der „Primärnachfrage" jegliche Bedeutung. Die auf dem Markt tatsächlich realisierte Menge an ärztlichen Leistungen wird nach dieser These dann ausschließlich durch das von den Ärzten geplante Angebot determiniert, da diese die zur Abnahme des Angebots erforderliche „Nachfrage" durch entsprechende Empfehlungen an die Patienten, die in ihre Praxen kommen, jederzeit künstlich herbeiführen können - ob medizinisch geboten oder nicht. Die behauptete Schaffung künstlicher Nachfrage wird dadurch erleichtert, dass 1. die Patienten in einem hohen Ausmaß (in Deutschland bei Arztleistungen zu 100%) gegen Behandlungskosten versichert sind, so dass ihre Zahlungsbereitschaft keine wirksame Begrenzung fiir ihren Konsum an Leistungen darstellt, sondern lediglich die Zeit, die sie dazu aufwenden miissen, und 2. der medizinische Fortschritt vor allem in der Diagnosetechnik bewirkt, dass es einem Arzt heute kaum schwer fallen dürfte, ausgehend von den gegebenem Symptomen, die der Patient ihm schildert, zusätzliche Leistungen zu verschreiben, die diesem zumindest nicht schaden und im Zweifelsfall noch einen geringfügigen Nutzen erbringen (z.B. den Ausschluss einer weiteren in seltenen Fällen mit diesen Symptomen verbundenen Krankheit). Wir kommen somit zur Folgerung 8.1 Aufgrund seines Informationsvorsprungs übt der Arzt faktisch einen erheblichen Einfluss aufdie Gestaltung der „Nachfrage" nach seinen Leistungen aus. Von „Angebotsinduzierung" spricht man aber nur dann, wenn er sich dabei nicht wie ein perfekter Sachwalter des Patienten verhält, sondern auch seine eigenen Interessen einfließen lässt, insbesondere wenn Ärzte bei einem Anstieg der Ärztedichte die Informationen, die sie an die Patienten geben, systematisch ändern, um ihre eigene Auslastung sicherzustellen. Für eine Gesundheitspolitik, die sich zum einen der Vollversicherung verschrieben hat, zum anderen aber die Ausgaben im Gesundheitswesen drosseln möchte (wie es in Deutschland der Fall ist), hätte das Vorliegen eines derart massiven Abweichens von der Sachwalter-Rolle erhebliche Konsequenzen, vor allem im Hinblick auf den unbeschränkten Zutritt zum Beruf des Kassenarztes. Daher muss geprüft werden, welche empirischen Fakten zweifelsfrei darüber Aufschluss geben können, ob die These von der angebotsinduzierten Nachfrage nach ärztlichen Leistungen zutrifft oder nicht. Zu diesem Zweck wird im folgenden Abschnitt 8.4 ein formales Modell des Arztverhaltens entwickelt, das es erlaubt, empirisch testbare Hypothesen über den Zusammenhang zwischen der Ärztedichte und der Pro-Kopf-Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen bei Gültigkeit der Induzierungs-These abzuleiten. In Abschnitt
8.4 Nutzenmaximierung des Arztes und die Zieleinkommens-Hypothese
337
8.5 wird untersucht, ob die fraglichen Phänomene prinzipiell auch andere Erklärungen haben könnten, und in Abschnitt 8.6 werden Ergebnisse von Versuchen der empirischen Überprüfung der These vorgestellt.
8.4 Nutzenmaximierung des Arztes und die ZieleinkommensHypothese 8.4.1 Ein Modell des ärztlichen Verhaltens Wir betrachten im Folgenden ein einfaches, von BREYER (1984a) entwickeltes Modell der Entscheidung eines nutzenmaximierenden Arztes über die Menge an ärztlichen Leistungen, die er seinen Patienten vorschreiben will (vgl. Tabelle 8.1). Ärztliche Behandlung sei dabei ein homogenes Gut. Ferner gebe es nur ein weiteres Konsumgut, und die Mengeneinheiten beider Güter seien so festgelegt, dass der Preis jeweils eine Geldeinheit beträgt,4 so dass zwischen Gütermenge und Ausgaben für das Gut nicht zu unterschieden werden braucht. Sparen und Kreditaufnahme seien ausgeschlossen. Es gebe a identische Ärzte, und das Symbol t bezeichne die vom einzelnen Arzt geleistete Arbeitszeit als Anteil an seiner insgesamt verfügbaren Zeit (0 < t < 1). Die Region habe n Einwohner, und die Inanspruchnahme ärztlicher Behandlung jedes Einwohners, M, sei eine monoton steigende Funktion des Ausmaßes der „künstlichen" Nachfrageschaffung durch seinen Arzt, die mit dem Symbol s (s > 0) bezeichnet wird: M = M(s)
mit
Ms>0
(8.1)
In Gleichung (8.1) wird M in Einheiten ärztlicher Arbeitszeit gemessen. M[0] stellt hierbei die Primärnachfrage dar. Steht ferner das Symbol R mit R = n/a
(8.2)
für die Einwohnerzahl je Arzt, also den Kehrwert der Ärztedichte, so lautet die auf den einzelnen Arzt entfallende Nachfrage nach seiner Arbeitszeit h(R,s)=RM(s)
mit
hs = RMS
(8.3)
Das verfügbare Einkommen des Arztes, Y, ergibt sich als Differenz zwischen seinen Honorareinnahmen und den Praxiskosten sowie den Steuern und wird hier ganz allgemein als eine monoton steigende und konkave Funktion seines Arbeitseinsatzes t geschrieben: Y = Y(t) mit Yt>0 und Y„ < 0. (8.4) 4
Diese Festlegung wäre dann nicht zweckmäßig, wenn man die Auswirkungen einer Änderung relativer Preise untersuchen wollte. Dies ist aber nicht das Ziel der folgenden Analyse.
338
8 Der Arzt als Anbieter medizinischer Leistungen
Wegen der Normierang des Preises des einzigen Konsumguts auf 1 bezeichnet Y gleichzeitig den Konsum des Arztes. Argumente der Nutzenfunktion des Arztes seien neben dem Konsum Y, den er positiv bewertet, seine Arbeitszeit t, die er negativ bewertet, und das Ausmaß, in dem er künstliche Nachfrage schafft, s. Auch dies bewerte er negativ, da es seinem Berufsethos oder zumindest seiner Verpflichtung zur wirtschaftlichen Verordnung von Leistungen widerspricht, nur marginal wirksame oder gar unnütze Leistungen zu erbringen. Wir schreiben daher: u = u(Y,t,s)
mit
uY > 0,ut < 0,us < 0.5
(8.5)
Der Arzt wählt also seinen Konsum Y, seine Arbeitszeit t und seine Nachfragebeeinflussung s so, dass er seinen Nutzen in (8.5) maximiert. Dabei muss er neben den Zusammenhängen (8.3) und (8.4) die Beschränkung t
(8.6)
beachten. Diese sagt aus, dass die tatsächlich vom Arzt geleistete Arbeitszeit nicht größer sein kann als die nachgefragte, während umgekehrt unbefriedigte Nachfrage existieren kann. Da jedoch Ärzte gegenüber ihren Patienten eine Versorgungspflicht haben, kann ein positiver Nachfrageüberhang (RM > t) nur dann auftreten, wenn gleichzeitig die Kapazität der Ärzte erschöpft ist, also t = 1 gilt. Sehen wir von diesem Ungleichgewichts-Fall zunächst ab und setzen wir (8.6) in Gleichungsform in die Nutzenfunktion (8.5) ein, so können wir jene als Funktion eines einzigen Aktionsparameters, nämlich s, schreiben: u = u{Y{h(R,S)],h(R,s),s}.
(8.7)
Die notwendige Bedingung erster Ordnung für ein inneres Maximum von u lautet daher:6 du — = YtRMsuY + RMsu, +us = 0. (8.8) ds Bedingung (8.8) ist einfach zu interpretieren, da aufgrund der oben getroffenen Annahmen die Faktoren vor uy und ut strikt positiv sind: Die künstliche Nachfrageschaffung s wird so weit betrieben, bis der Grenznutzen des dadurch ermöglichten zusätzlichen Konsums durch das Grenzleid der zusätzlichen Arbeitszeit und die „Gewissensbisse" infolge der Nachfrageschaffung selbst gerade aufgewogen wird.
5
Wir schreiben kurz uy für |p usw. Unter einem inneren Maximum verstehen wir ein Maximum mit s > 0 und 0 < t < 1.
6
8.4 Nutzenmaximierung des Arztes und die Zieleinkommens-Hypothese
339
Tabelle 8.1. Ein Modell des Arztverhaltens
M = M(s)
mit
(8.1)
Ms > 0
(8.2)
R = n/a h(R,s)=RM(s)
mit
(8.3)
hs=RMs
(8.4)
Y = Y(t) mit Y, > 0 und Y„ < 0 u = u{Y,t,s)
mit
(8.5)
uy>O,ut <0,us <0
t
(8.6) (8.8)
— = Y,RMsuY + RMsu, + us = 0 ds uy(Y,t,s)>0)
>O falls Y
=0
falls
Y > Y*
(8.14)
ut(Y,t,s)<0)
=0
falls
Y
< 0 falls
Y > Y*
(8.15)
us(Y,t,s)<0)
=0
falls
Y
<0
F > Y*
(8.16)
qx = \/R<M[Q]
(8.19)
q2=M[0}
(8.23)
1 J
n: a: R: M: Y: Y*. t: s: u: h: I'z:
falls
Ä
Einwohnerzahl Anzahl der Ärzte Einwohnerzahl je Arzt (\/R: Ärztedichte) ärztliche Leistungen je Einwohner Einkommen (Konsum) des Arztes Y* Zieleinkommen Arbeitszeit des Arztes künstliche Nachfrageschaffung des Arztes Nutzen des Arztes ärztliche Leistungen je Arzt befriedigte Nachfrage pro Kopf Nachfrageüberhang pro Kopf
/?
(8.24)
340
8 Der Arzt als Anbieter medizinischer Leistungen
8.4.2 Komparative Statik des Modells Wir interessieren uns dafür, wie sich in einem inneren Optimum eine Erhöhung der Ärztedichte, also eine Verringerung des exogenen Parameters R, auf die Menge der je Patient erbrachten Leistungen M auswirkt. Um den gesuchten Ausdruck
zu ermitteln, müssen wir untersuchen, um welchen Betrag ds sich der Aktionsparameter des Arztes im Optimum ändert, wenn der exogene Parameter R um einen kleinen Betrag dR erhöht wird. Da die notwendige Bedingung 1. Ordnung, (8.8), sowohl vor als auch nach dieser Anpassung erfüllt sein muss, gilt mit
3 du
^— ös
ds
d?'
(8.10)
Nach ds/dR aufgelöst, ergibt sich: ds dR
d2u/ds2
(8.11)
Der Ausdruck im Nenner von (8.11) muss wegen der Bedingung 2. Ordnung für ein Nutzenmaximum des Arztes kleiner sein als Null, so dass die gesuchte Größe ds/dR dasselbe Vorzeichen hat wie die partielle Ableitung von du/ds in (8.8) nach R. Um diese bilden zu können, schreiben wir zunächst (8.8) explizit als Funktion von R: ^
=
Yt{h{R,s)}RMsuY{Y(h(R,s)),h{^s),s} +RMsut{Y(h(R,s)),h{R,s),s}
+ us{Y(h(R,s)),h(R,s),s}.
(8.12)
Wegen Gleichung (8.3) gilt HR = M. Man erhält dann durch partielle Differentiation von Gleichung (8.12) nach R:
+{Y,}2MRMSUYY
+ 2Y,MRMsuY, +Msu, + RMsMutt + Y,MuYs + Must = YttMRMsuY - — + {Y,}2MRMsuYY R +2YtMRMsuYt+RMsMutt +YtMuYs+Must.
(8.13)
8.4 Nutzenmaximierung des Arztes und die Zieleinkommens-Hypothese
341
Das Vorzeichen der rechten Seite von (8.13) kann nicht eindeutig bestimmt werden, denn aufgrund der getroffenen Annahmen sind der erste, dritte und fünfte Summand negativ, während der zweite positiv ist und die restlichen Terme in den Vorzeichen von den Kreuzableitungen der Nutzenfunktion abhängen. Daraus folgt, dass ohne weitere Annahmen über die Eigenschaften der hier auftretenden Funktionen u, M und Y aus dem Nutzenmaximierangs-Kalkül des repräsentativen Arztes nicht eindeutig ableitbar ist, dass die Leistungsmenge je Patient zunehmen wird, wenn die Ärztedichte steigt. 8.4.3 Einführung der Zieleinkommens-Hypothese Eine spezielle Annahme über die Nutzenfunktion des Arztes geht von der Überlegung aus, dass der einzelne Arzt bezüglich seines Einkommens ein Anspruchsniveau hat, das er unbedingt realisieren möchte.7 Ist dieses „Zieleinkommen" unterschritten, so verlieren die beiden übrigen Zielgrößen - Arbeitszeit und Berufsethos - ihre Bedeutung; ist es dagegen erreicht oder überschritten, so stiftet zusätzliches Einkommen keinen zusätzlichen Nutzen. Diese „Zieleinkommens-Hypothese" wird so formalisiert, dass die in (8.5) unterstellte Nutzenfunktion durch die folgenden Annahmen spezifiziert wird:
( > 0 falls Y < Y* uY(Y,t,s)>0{ K '~ I = 0 f a l l s F > r ,
(8.14)
f = 0 falls Y < Y* ut{Y,t,s)<0{ y ' - \ r,
(8.15)
usK(Y,t,s)<0{
f = 0 falls Y < Y* \<0fallsr>r.
(8.16)
Dabei symbolisiert Y* das Zieleinkommen. Dies ist eine sehr strenge Form der Zieleinkommens-Hypothese, da sie keinerlei Abwägung zwischen dem Einkommensziel einerseits und den beiden übrigen Zielen andererseits zulässt. Diese Schärfe hat allerdings den Vorteil, dass aus dem Modell prägnante Aussagen ableitbar sind, die man dann mit der Realität konfrontieren kann. Zunächst folgt aus (8.14) bis (8.16), dass ein inneres Optimum (also ein Optimum mit s > 0 und 0 < t < 1) nur dann vorliegen kann, wenn das damit verbundene Einkommen Y genau dem Zieleinkommen Y* entspricht. Denn angenommen, Y sei 7
Eine Schwäche dieses Modells kann allerdings darin gesehen werden, dass nicht erklärt wird, wie die Höhe dieses Zieleinkommens bestimmt wird.
342
8 Der Arzt als Anbieter medizinischer Leistungen
größer als Y*, dann folgt aus (8.14), dass uy = 0 ist, und somit kann die notwendige Bedingung für ein inneres Optimum, (8.8), nicht erfüllt sein. Andererseits folgt, wenn Y kleiner ist als Y*, aus (8.15) und (8.16) us = ut = 0, und somit kann (8.8) wiederum nicht erfüllt sein. Damit aber ein inneres Optimum überhaupt existieren kann, muss für die optimale Arbeitszeit t* aufgrund der Umkehrfunktion zu (8.4) gelten: t* :=Y~1{Y*}<1.
(8.17)
Das Zieleinkommen Y* muss also bei gegebenem Konsumpreisniveau innerhalb der maximal möglichen Arbeitszeit (von t = 1) erreichbar sein. 8.4.4 Reaktion auf eine Erhöhung der Ärztedichte in drei Situationen Mit der Gleichung (8.17) ist erst eines von drei verschiedenen Optima charakterisiert. Neben einem solchen inneren Optimum, das zu einer beobachteten Inanspruchnahme je Kopf der Bevölkerung von q$ führt (s.u.), sind noch zwei verschiedene Typen von Randoptima denkbar. 1. Rationierte Nachfrage nach ärztlichen Leistungen: Ist die Ärztedichte \/R so gering bzw. R so groß, dass die Ungleichung h[R,Ö\ = RM[0} > I
(8.18)
erfüllt ist, so reicht selbst die maximal mögliche Arbeitszeit (von t = 1) aller Ärzte nicht aus, um auch nur die Primärnachfrage M [0] zu befriedigen. In diesem Randoptimum gelten folglich die Werte t = l,s = 0,Y = Y[l], und die beobachtbare Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen pro Kopf der Bevölkerung q\ (d.h. die befriedigte Nachfrage) beträgt qi = \/R<M[Ö\.
(8.19)
Die Differenz zwischen der (nicht befriedigten) Primärnachfrage M[0] und der befriedigten Nachfrage q\ wird durch z symbolisiert: z{M,R)=M[0]-qi=M[0}-l/R.
(8.20)
Die Größe z(M,R) stellt somit das Ausmaß des Nachfrageüberschusses dar. 2. Keine Rationierung der Nachfrage, keine Nachfrageschaffung: Die Nachfrage nach ärztlichen Leistungen (d.h. Arbeitszeit) ohne künstliche Nachfrageschaffung kann einen Wert annehmen, der unter dem Maximum t = 1 bleibt: h[R,Ö] < 1.
(8.21)
8.4 Nutzenmaximierung des Arztes und die Zieleinkommens-Hypothese
343
Zugleich ist denkbar, dass jeder Arzt das Zieleinkommen Y* ohne angebotsinduzierte Nachfrage erreicht oder überschreitet: Y[s = 0]=Y[h[R,Ö\]>Y*.
(8.22)
Der Arzt wird in dieser Situation also s* = 0 und damit wegen Gleichung (8.6) t*[Ö\ = h[R,0] = RM[Ö\ wählen und so ein Einkommen Y in Übereinstimmung mit (8.22) erreichen. Hier ist die tatsächliche Pro-Kopf-Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen gleich der Primärnachfrage; diese wird also vollständig befriedigt, und es gilt für die beobachtete Nachfrage ( 8.23)
K
3. Keine Rationierung der Nachfrage, positive Nachfrageschaffung: In einem inneren Optimum mit Y = Y* und positiver Nachfrageschaffung s* > 0 lautet die beobachtbare Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen pro Kopf der Bevölkerung wegen t = h(R,s) = RM(s) [vgl. Gleichungen (8.3) und (8.6)] sowie wegen der Bedingung(8.17)
Wie reagiert nun die Pro-Kopf-Inanspruchnahme q in jedem der drei möglichen Optima auf eine Änderung der Bevölkerungszahl je Arzt, R, oder - was anschaulicher ist - der Ärztedichte (1//?)? Zur Beantwortung dieser Frage differenzieren wir für jedes der drei möglichen Optima die entsprechende Größe qj (j = 1,2,3) nach der Variablen (l/R) und geben dabei jeweils den Wertebereich der Ärztedichte an, für den dieses Optimum gültig ist. Wir erhalten auf diese Weise
qx
3(1//?) Ql
=l
[vgl. (8.19)]
für
=0
[vgl. (8.23) & (8.24)]
für
= Y~1[Y*]<1
[vgl. (8.24)] für
M[0] <^< i >
yZ^L
( 8 - 25 )
-Ä
Der unter 3. behandelte Fall eines inneren Optimums kann auch anhand der Gleichung (8.13) auf seine komparative Statik untersucht werden. Die in (8.14) bis (8.16) formalisierte Zieleinkommens-Hypothese bedeutet für diesen 3. Fall, in dem Y = Y* gilt: uY > 0,us = ut = 0. Da die letztgenannten Gleichungen unabhängig von den Werten von t und Y erfüllt sein müssen, gilt weiterhin uyt = uYs = utt = ust = 0. Damit haben in (8.13) der erste und dritte Summand ein negatives Vorzeichen, alle anderen sind null, so dass der Gesamtausdruck negativ ist und somit auch der
344
8 Der Arzt als Anbieter medizinischer Leistungen
Abb. 8.3. Ärztedichte und Leistungsmenge pro Kopf bei Gültigkeit der ZieleinkommensHypothese q
q(\/R)
M[0U
M[0]
J42L
l/R
l
Y [Y*]
gesuchte Effekt ds/dR in (8.11). ds/dR < 0 bedeutet jedoch, dass die künstliche Nachfrageschaffung spositiv auf einen Anstieg der Ärztedichte l/R reagiert. Der in den Bedingungen (8.25) algebraisch ermittelte Zusammenhang ist in Abbildung 8.3 graphisch dargestellt, wobei auf der Abszisse die Ärztedichte \/R und auf der Ordinate die ärztliche Leistungsmenge pro Kopf der Bevölkerung, q, abgetragen sind. Wir sehen, dass sich sowohl für sehr geringe als auch für sehr hohe Ärztedichten ein proportionaler Zusammenhang zwischen beiden Größen ergibt, während sich bei mittlerer Ärztedichte die Leistungsmenge pro Kopf und damit auch die Leistungsmenge insgesamt nicht erhöht, wenn mehr Ärzte hinzukommen. Ökonomisch lässt sich dieser Zusammenhang wie folgt begründen: •
Ist die Ärztedichte so niedrig, dass selbst bei maximaler Länge des Arbeitstages des einzelnen Arztes nicht einmal die Primärnachfrage der Patienten befriedigt werden kann, so liegt ein Nachfrageüberhang vor, der in dem selben Maße abgebaut wird, wie die Ärztedichte zunimmt.
•
In Punkt A ist gerade die Primärnachfrage befriedigt, wenn jeder Arzt so lange arbeitet, wie er kann. Eine weitere Zunahme der Ärztezahl bewirkt fortan, dass die gleiche Leistungsmenge auf mehr Ärzte aufgeteilt wird und jeder einzelne Arzt seine Arbeitszeit dabei reduziert, wobei sein Einkommen entsprechend sinkt.
•
In Punkt B ist die Arbeitszeit so weit gesunken, dass jeder Arzt gerade noch sein Zieleinkommen Y* realisiert. Jede weitere Erhöhung der Ärztedichte muss im sel-
8.5 ÄrztedichteundlnanspruchnahmeärztlicherLeistungen: alternative Erklärungen
345
ben Verhältnis durch künstliche Nachfrageschaffung kompensiert werden, damit das Einkommen je Arzt bei Y* konstant bleibt. Die Leistungsmenge je Versicherten steigt von diesem Punkt an also wieder proportional mit der Ärztedichte. Wir erhalten also die Folgerung 8.2 Die Annahme rational handelnder Ärzte, deren Nutzen vom Einkommen, ihrer Arbeitszeit und dem Ausmaß künstlicher Nachfrageschaffung abhängt, reicht nicht aus, um sicher zu sein, dass mit steigender Ärztedichte die Pm-Kopf-Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen zunimmt. Dies ist jedoch der Fall, wenn jeder Arzt ein Zieleinkommen hat, bei dessen Unterschreiten nur das Einkommensmotiv eine Rolle spielt.
8.5 Ärztedichte und Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen: alternative Erklärungen Unter „angebotsinduzierter Nachfrage" nach ärztlichen Leistungen versteht man eine spezifische Erklärung für das empirisch beobachtete Phänomen, dass mit steigender Ärztedichte die Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen pro Kopf der Bevölkerung ebenfalls zunimmt, obwohl die Preise für die Leistungen konstant bleiben. Diese Erklärung beruht auf der im vorangegangenen Abschnitt dargestellten Hypothese, dass Ärzte ein bestimmtes Zieleinkommen anstreben und die ihnen von den Patienten delegierte Entscheidungskompetenz zu dessen Erreichung ausnutzen, indem sie medizinisch unnütze und unwirtschaftliche Leistungen verordnen. Das gleiche empirische Phänomen kann aber auch andere Hintergründe haben, von denen der zuerst genannte im Modell des Abschnitts 8.4 bereits explizit auftrat: 1. Permanenter Nachfrageüberhang: Der beobachtete Zusammenhang zwischen Ärztedichte und Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen kann darauf zurückgehen, dass auf dem Markt für ärztliche Leistungen infolge der Preisregulierung ein permanenter Nachfrageüberhang herrscht. Da in diesem Falle alle Ärzte bis an die Grenze ihrer physischen Kapazität ausgelastet sind, aber dennoch Patienten abweisen müssen, steigt das realisierte Leistungsvolumen insgesamt in demselben Maße wie die Ärztezahl. Im Preis-Mengen-Diagramm lässt sich dies so deuten, dass infolge der Rationierung der Nachfrage jeweils ein Punkt auf der (sich verschiebenden) Angebotskurve und nicht auf der (stabilen) Nachfragekurve beobachtet wird (vgl. Abbildung 8.4). 2. Rückgang der indirekten Kosten, Zunahme der Qualität der Behandlung: Femer könnte die Zunahme der Leistungsmenge bei steigender Ärztedichte auch auf rationale Nachfrageentscheidungen der Patienten und damit auf eine Verschiebung der Nachfragekurve nach außen zurückgehen, wenn man bedenkt, dass die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen für den Patienten mit indirekten Kosten
346
8 Der Arzt als Anbieter medizinischer Leistungen
Abb. 8.4. Auswirkungen einer Angebotsausweitung bei reguliertem Preis und Nachfrageüberhang P A, N
verbunden ist und diese i.a. sinken, wenn die Ärztedichte steigt. Zum einen werden mit der Eröffnung neuer Arztpraxen vor allem im ländlichen Raum die Zeitund Wegekosten des Aufsuchens einer Arztpraxis im Mittel zurückgehen. Zum anderen wird auch die durchschnittliche Wartezeit im Wartezimmer verkürzt, wenn die Auslastung der Ärzte abnimmt. Obendrein sinkt die Zeitspanne, die man im Durchschnitt auf einen Bestelltermin warten muss. Da viele Krankheiten nach einer gewissen Zeit auch ohne ärztliche Konsultation vorübergehen, wächst somit die Wahrscheinlichkeit, dass die Befindlichkeitsstörung bei Erreichen des Termins noch anhält und es somit zu einer Behandlung kommt. Schließlich wird bei abnehmender Auslastung des Arztes i.a. auch die Beratungszeit je Patient ausgedehnt. Sofern die Patienten diese als wesentliches Qualitätsmerkmal ansehen, dürften sie - bei gleichbleibendem Geldpreis von Null auf die Qualitätserhöhung mit einer Nachfrageausweitung reagieren. Umgekehrter Kausalzusammenhang: Die dritte alternative Erklärang für die beobachtete positive statistische Korrelation von Ärztedichte und Pro-KopfInanspruchnahme lautet, dass der Kausalzusammenhang zwischen beiden Größen auch in der umgekehrten Richtung laufen kann: Wenn ein junger Arzt einen Standort für seine Niederlassung auswählt, so wird er sich bei den ansässigen Kollegen oder bei der Kassenärztlichen Vereinigung danach erkundigen, ob Auslastung und Umsatz groß genug sind, dass eine weitere Praxis sich lohnt. Dadurch ziehen Regionen, in denen z.B. aufgrund der Altersstruktur oder der Rrankheitsanfälligkeit der Bevölkerung die Nachfrage nach ärztlichen Leistungen intensiv ist, eine höhere Ärztezahl an als solche mit geringerer Nachfrage. Somit korreliert im Querschnitt eine hohe (exogene) Pro-Kopf-
8.6 Empirische Überpriifung der Hypothesen
347
Inanspruchnahme nach ärztlichen Leistungen mit einer hohen (endogenen) Ärztedichte.8 Wir ziehen daraus die Folgerung 8.3 Eine mit der Ärztedichte steigende Pro-Kopf-Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen beweist noch nicht das Vorliegen einer künstlichen Nachfrageschaffung durch die Ärzte, da es für dasselbe Phänomen alternative Erklärungen gibt: So könnte durch die steigende Ärztedichte ein bestehender Nachfrageüberhang abgebaut worden oder die indirekten Kosten für die Patienten abgesunken sein. Ferner könnten Unterschiede in der Arztedichte ihrerseits die Folge unterschiedlichen Bedarfs an Arzten sein.
8.6 Empirische Überprüfung der Hypothesen Das empirisch beobachtbare Phänomen, dass mit einer Zunahme der Ärztedichte die Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen pro Versicherten steigt, kann also eine Reihe verschiedener Gründe haben. Welcher dafür ausschlaggebend ist, lässt sich im günstigsten Fall durch sorgfältige empirische Studien entscheiden, die jedoch so angelegt sein müssen, dass anhand der Ergebnisse zwischen allen vier genannten Gründen diskriminiert werden kann: a) So verlangt die Erklärung mittels eines Nachfrageüberhangs, dass ein positiver (und proportionaler) Zusammenhang zwischen Ärztedichte und Leistungsmenge bei geringer Ärztedichte besteht und von einem gewissen Niveau an verschwindet, während b) bei künstlicher Nachfrageschaffung dieser Zusammenhang erst bei hoher Ärztedichte einsetzen sollte. c) Ferner müssen die Niederlassungsentscheidungen der Ärzte in die empirische Analyse mit aufgenommen werden, um eine „umgekehrte" Kausalität auszuschließen, und d) Maße für die Zeitkosten der Patienten sind möglichst einzubeziehen. FUCHS (1978) berücksichtigte in seiner klassischen Querschnitts-Studie für die USA in den Jahren 1963 und 1970 den Aspekt c), indem er mit seinem ZweiGleichungs-Modell sowohl das Angebot an Chirurgen als auch die Operationshäufigkeit erklärte. Ferner wies er nach, dass die durchschnittliche Auslastung der Chirurgen in seiner Beobachtungsmenge relativ gering war, so dass Grand a) auszuschließen ist. Schließlich werden Operationen überwiegend auf Termin durchgeführt, so 8
Im Gegensatz zur 1. Erklärung handelt es sich hierbei in jeder der Regionen um Gleichgewichts-Situationen.
348
8 Der Arzt als Anbieter medizinischer Leistungen
dass Unterschiede in den Zeitkosten gering sind und somit Erklärung d) nicht anwendbar ist. Daher lässt sein Ergebnis, dass eine um 10% höhere Chirurgendichte cet. par. eine um 3% größere Operationshäufigkeit nach sich zieht, nur den Schluss auf künstliche Nachfrageschaffung zu. ADAM (1983), BREYER (1984b) sowie BREYER ET AL. (1986) untersuchten Daten der Allgemeinen Ortskrankenkassen verschiedener deutscher Bundesländer aus den Jahren 1977-1982 ebenfalls mittels Mehr-Gleichungs-Modellen, in denen die Ärztedichte und die Pro-Kopf-Ausgaben für Arztleistungen simultan erklärt wurden.9 Werden andere Determinanten wie die Altersstruktur der Bevölkerung oder Stadt-Land-Unterschiede konstant gehalten, so ergeben sich für die Elastizität der Pro-Kopf-Ausgaben hinsichtlich der Ärztedichte Werte zwischen 0,1 und 0,4, die typischerweise signifikant von Null verschieden sind. Damit lässt sich ein positiver Einfluss der Ärztedichte auf die erbrachte Leistungsmenge konstatieren, für den jedoch jeder der Gründe a), b) und d) verantwortlich sein kann. BREYER (1984b) zerlegt schließlich die Daten der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK)10 in Baden-Württemberg aus dem Jahr 1979 in Teilbereiche niedriger und hoher Ärztedichte. Eine Einfachregression auf dieser Basis zeigt, dass bei niedrigem Ausgangsniveau mit steigender Ärztedichte ein relativ steiler Anstieg der Arztausgaben verbunden ist, während sich die Kurve bei höherer Ärztedichte deutlich abflacht. Diese Beobachtung spricht eher für die These des Abbaus eines permanenten Nachfrageüberhangs als für künstliche Nachfrageschaffung zur Erreichung eines Zieleinkommens.
Eine andere Spielart der künstlichen Nachfrageschaffung könnte darin bestehen, dass die Ärzte die nachfragehemmende Wirkung einer Kostenbeteiligung des Patienten wettmachen. KRAFT UND SCHULENBURG (1986) untersuchen dazu Daten von Arztpraxen im schweizerischen Kanton Bern. Sie führen eine Verhaltensgleichung ein, um die Ärztedichte zu erklären und prüfen mittels des sog. Hausman-Tests, ob sie tatsächlich eine endogene Variable darstellt. Der Test spricht dafür, dass sie als exogen betrachtet werden kann. Die Autoren finden sodann eine positive empirische Beziehung zwischen Ärztedichte und Aufwand je Krankenschein und schließen daraus auf Nachfrageschaffung trotz Kostenbeteiligung. Sie übersehen dabei allerdings, dass in den achtziger Jahren die übliche Regelung der Kostenbeteiligung auf ambulanten Leistungen in der Schweiz lautete: „10%, mindestens jedoch sFr. 30.- je Schein". Damit sinkt aber die Kostenbeteiligung an zusätzlichen Franken medizinischen Aufwands für Rechnungsbeträge zwischen sFr. 30.- und 300.- auf Null. Dazu kommt, dass damals mehr als die Hälfte aller Rechnungsbeträge in dieses Intervall ohne marginale Kostenbeteiligung entfiel. Damit verfehlt die Untersuchung ihr Ziel,
9 KRÄMER (1981) behandelt zwar die Ärztedichte als exogen, unterscheidet aber explizit zwischen den endogenen Variablen „Arztkontakt" und „Umsatz der Ärzte" und zeigt, dass letzterer sehr stark mit der Ärztedichte korreliert ist. 10 Das ist die Kassenart mit der größten Mitgliederzahl (knapp 45% aller in der GKV Versicherten).
8.6 Empirische Überprüfung der Hypothesen
349
Vöraussagen über mögliche strategische Reaktionen der Ärzte auf eine Erhöhung der Kostenbeteiligung zu machen. Neuere Studien aus den USA wiederam sind in ihren Ergebnissen nicht eindeutig. In manchen Fällen werden sogar dieselben statistischen Resultate von verschiedenen Forschern unterschiedlich interpretiert. Wir ziehen aus diesen Studien die Folgerung 8.4 Empirische Untersuchungen aus den USA und der Bundesrepublik Deutschland deuten daraufhin, dass zwischen der Ärztedichte und den Pro-Kopf-Ausgaben für ärztliche Leistungen ein statistisch gesicherter Zusammenhang besteht. Allerdings kann für das Deutschland der 1970er undfrühen 1980er Jahre die Deutung als Abbau eines Nachfrageüberhangs nicht schlüssig widerlegt werden. Eine Voraussetzung für die Gefahr, dass bei hoher Ärztedichte „Nachfrage" von den Ärzten künstlich generiert wird und damit ein unwirtschaftlicher Umgang mit knappen Ressourcen im Bereich der ambulanten medizinischen Versorgung einhergeht, sollte allerdings noch einmal betont werden: Sie lautet, dass das ärztliche Honorar mit der erbrachten Leistungsmenge proportional zunimmt. Dies deutet darauf hin, dass der Schlüssel zur Wirtschaftlichkeit in diesem Bereich nicht in der Frage der Generierung von Nachfrage per se zu suchen ist, sondern im Honorierungssystem für die Tätigkeit des Arztes verborgen liegt. Wird der Arzt so entlohnt, dass er sein individuelles Optimum genau dann erreicht, wenn er mit den volkswirtschaftlichen Ressourcen, über die er kraft seiner Schlüsselrolle entscheidet, effizient umgeht, so ist das Problem der Wirtschaftlichkeit gelöst. Daher werden wir uns in Kapitel 10 mit dem Einfluss des Honorierungssystems auf das Verhalten des Arztes und auf die damit verbundenen Konsequenzen fiir die Wirtschaftlichkeit in der medizinischen Versorgung befassen.
350
8 Der Arzt als Anbieter medizinischer Leistungen
8.7 Zusammenfassung des Kapitels 1. Die Nachfrage nach ärztlichen Leistungen lässt sich als anbieterdeterminiert bezeichnet, da der Arzt gegenüber dem Patienten über einen erheblichen Informationsvorsprung verfügt. 2. Von „Angebotsinduzierung" spricht man dann, wenn sich der Arzt nicht wie ein perfekter Sachwalter des Patienten verhält, sondern auch seine eigenen Interessen einfließen lässt. Insbesondere bei einem Anstieg der Ärztedichte besteht der Anreiz für die Ärzte, die Informationen, die sie an die Patienten geben, systematisch zu ändem, um ihre eigene Auslastung sicherzustellen. 3. Eine mit der Ärztedichte steigende Pro-Kopf-Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen beweist noch nicht das Vorliegen einer künstlichen Nachfrageschaffung durch die Ärzte, da es für dasselbe Phänomen altemative Erklärungen gibt: So könnte durch die steigende Ärztedichte ein bestehender Nachfrageüberhang abgebaut worden oder die indirekten Kosten für die Patienten abgesunken sein. Ferner könnten Unterschiede in der Ärztedichte ihrerseits die Folge unterschiedlichen Bedarfs an Ärzten sein. 4. Empirische Untersuchungen aus den USA und der Bundesrepublik Deutschland deuten darauf hin, dass zwischen der Ärztedichte und den Pro-Kopf-Ausgaben für ärztliche Leistungen ein statistisch gesicherter Zusammenhang besteht. Allerdings kann für das Deutschland der 1970er und frühen 1980er Jahre die Deutung als Abbau eines Nachfrageüberhangs nicht schlüssig widerlegt werden.
8.8 Lektürevorschläge Die These der angebotsinduzierten Nachfrage wurde als erstes von EVANS (1974) untersucht. Ein Überblick über die darauf folgende Debatte geben LABELLE ET AL. (1994) und PAULY (1994). Empfehlenswert ist des Weiteren der Beitrag von McGUIRE (2000) im HANDBOOK OF HEALTH ECONOMICS.
8.Ü Übungsaufgaben
351
8.Ü Übungsaufgaben 8.1. Diskutieren Sie den Unterschied zwischen einer anbieterdeterminierten und einer angebotsinduzierten Nachfrage. 8.2. Erläutern sie die unterschiedlichen Erklärungen für das empirische beobachtete Phänomen, dass mit steigender Ärztedichte die Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen pro Kopf der Bevölkerung zunimmt. Wie kann anhand empirischer Studien zwischen den verschiedenen Erklärungen diskriminiert werden?
Krankenhausleistungen
9.1 Problemstellung In der Diskussion über wirtschaftliche Probleme des Gesundheitswesens nimmt regelmäßig das Krankenhaus eine zentrale Rolle ein. Dies liegt vordergründig zunächst an der quantitativen Bedeutung des Krankenhaussektors. So entfällt auf ihn in der Bundesrepublik Deutschland der weitaus größte Ausgabenposten der Gesetzlichen Krankenversicherung.1 Zudem ist sein Anteil an den gesamten Gesundheitsausgaben in den letzten beiden Jahrzehnten beträchtlich gewachsen. Ähnliches gilt für die meisten anderen entwickelten Ländern der westlichen Welt (vgl. Tabelle 9.1). Nun gibt es im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung immer überproportional wachsende Wirtschaftszweige. Zudem ist das Krankenhaus Teil des Dienstleistungssektors, dessen relative Bedeutungszunahme ganz allgemein als Spiegelbild einer gewissen Sättigung des Bedarfs an materiellen Konsumgütern angesehen werden kann. Warum sollte diese Entwicklung also mit Skepsis oder Besorgnis betrachtet werden, und warum sollte es als Aufgabe für Wirtschaftswissenschaftler angesehen werden, sich mit ihr zu beschäftigen? Zunächst ist auf die allgemeine, bereits in Kapitel 1 getroffene Feststellung zu verweisen, dass im Gesundheitswesen nicht Ausgabengrößen per se das eigentliche Interesse von Ökonomen beanspruchen sollten, sondern die Regeln, nach denen die Mittelverteilung erfolgt. Wirtschaftlichkeit hat etwas damit zu tun, ob die „richtige" Menge von Gesundheitsgütern dem „richtigen" Konsumenten in der „richtigen" Zusammensetzung angeboten und zu geringstmöglichen volkswirtschaftlichen Kosten hergestellt wird. Somit kann ein stark expandierender Teilbereich des Gesundheitswesens - bei entsprechender Entwicklung der Nachfrage oder der medizinischen 1
Dies ist allerdings auch durch die Abgrenzung der Sektoren bedingt. Würde man in den „ambulanten Sektor" neben der ärztlichen Behandlung auch Arznei-, Heil- und Hilfsmittel einbeziehen, so wäre dieser mit 40,6% aller Ausgaben der GKV (2000) größer als der Krankenhaussektor mit 35,4% [vgl. BUNDESMINISTERIUM FÜR GESUNDHEIT (2001)].
354
9 Krankenhausleistungen
Tabelle 9.1. Krankenhausausgaben als Anteil an den gesamten Gesundheitsausgaben (in Prozent) Jahr c
Bundesrepublik Deutschland ' Frankreich Italien Niederlande Schweiz USA Kanada Japan
1960
1970a)
1980
1990b)
2000
17,5 34,7 43,2 n.a. 35,7 35,6 43,7 34,1
30,8 38,0 47,8 47,8 44,4 41,1 52,6 26,4
33,2 48,1 46,7 54,6 47,5 44,1 53,7 30,9
34,7 45,7 42,7 49,7 47,9 36,1 49,0 33,0
36,6 42,3 41,2 44,6 46,8 27,6 30,5 37,6
a) Für die Niederlande: 1972 b) Für die Schweiz: 1986 c) Zahlen beziehen sich auf die GKV Quelle: OECD (2001 ,2003)
Technologie - durchaus wirtschaftlich arbeiten, während ein schrampfender auch unwirtschaftlich sein kann. Im Krankenhausbereich ist aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive insbesondere ein Aspekt von Interesse: Krankenhäuser sind in der weit überwiegenden Mehrzahl nicht gewinnorientiert und haben demzufolge - zumindest prima facie kein Eigeninteresse an einer kostenminimalen Produktion. Diese Eigenheit deutet darauf hin, dass die vereinbarte Leistungsmenge in der Regel nicht mit dem geringstmöglichen Einsatz volkswirtschaftlicher Ressourcen erstellt wird. Für eine Regulierungsbehörde, die die Wirtschaftlichkeit überwachen soll, besteht daher eine Nachfrage nach Informationen bezüglich der Effizienz der Leistungserbringung. Hierfür sind Methoden der Effizienzmessung im Krankenhaussektor entwickelt worden. Diese Verfahren versuchen anhand eines Krankenhausbetriebsvergleichs festzustellen, ob einzelne Krankenhäuser wirtschaftlich arbeiten. In Deutschland ist dieses Vorgehen sogar in der Bundespflegesatzverordnung (BPflV) gesetzlich verankert. So sieht Paragraph 5 BPflV vor: „Zur Unterstützung der Vertragsparteien bei der Ermittlung vergleichbarer Krankenhäuser und der Bemessung von medizinisch leistungsgerechten Budgets und tagesgleichen Pflegesätzen erstellen die Deutsche Rrankenhausgesellschaft oder die Bundesverbände der Krankenhausträger gemeinsam und die Spitzenverbände der Krankenkassen gemeinsam einen Krankenhausvergleich." Allerdings ist die Frage, wie der Krankenhausbetriebsvergleich durchgeführt werden soll, noch nicht definitiv geklärt. Voraussetzung jeder Effizienzmessung ist eine Erfassung des Aufwands und des Ertrags der ökonomischen Aktivität. Während man unter „Aufwand" bei jeder wirtschaftlichen Tätigkeit den Verbrauch produktiver Ressourcen (menschliche Arbeit, Energie, Rohstoffe) mit alternativen Verwendungsmöglichkeiten versteht, ist der „Ertrag" im Gesundheitswesen und insbesondere im Krankenhaus nicht von selbst evident. Schwierigkeiten ergeben sich sowohl bei der Definition dessen, was als Leis-
9.2 Das Krankenhaus als Produktionsbetrieb
355
tung des Krankenhauses verstanden werden soll, als auch bei der Operationalisierung eines gewählten Leistungsbegriffs zum Zwecke der konkreten Messung. Diese grandlegenden Probleme erörtern wir in Abschnitt 9.2. Anschließend widmen wir uns in Abschnitt 9.3 dem Rrankenhausbetriebsvergleich. Wir stellen dabei sowohl mit der Schätzung von Krankenhaus-Kostenfunktionen und der Data Envelopment Analysis (DEA) sowohl ein parametrisches als auch ein nichtparametrisches Verfahren vor. Neben dem Krankenhausbetriebsvergleich spielt die Ausgestaltung von Vergütungssystemen eine zentrale Rolle für die Effizienz im Krankenhaussektor. Sie steuern im entscheidenden Maße, wer im Krankenhaus mit welchem Aufwand behandelt wird. Da Fragen der Vergütung allgemein von großer Bedeutung im Gesundheitswesen sind, behandeln wir diese gemeinsam in Kapitel 10. Dort stellen wir in Abschnitt 10.2 zunächst die ökonomische Theorie der Vergütung vor. In Abschnitt 10.4 diskutieren wir dann konkret die Wirkungen von alternativen Vergütungssystemen im Krankenhausbereich.
9.2 Das Krankenhaus als Produktionsbetrieb 9.2.1 Der Krankenhaus-„Output": Gesundheit als latente Größe Will man die „Leistung" von Krankenhäusern erfassen, so genügt es nicht, die Verrichtungen zu beschreiben, die dort vorgenommen werden (Operationen, Bestrahlungen, Medikationen, Wundversorgung, Unterbringung und Beköstigung etc), oder daraus zusammengesetzte Komplexe wie „medizinische Leistung", „Pflegeleistung", „Hotelleistung", denn diese können immer nur Mittel zum Ziel sein. Der eigentlichen Leistung im Sinne des Ziels - der Tätigkeit - kommt man näher, wenn man sich die Frage stellt, was die Patienten (oder die in ihrem Interesse handelnden einweisenden Ärzte) nachfragen, was sie sich von dem Aufenthalt im Krankenhaus versprechen und was die Steuerzahler für ihren Beitrag zur Finanzierung des Krankenhauses erwarten.2 In der weitaus größten Zahl der Fälle ist die Erwartung ganz allgemein auf die positive Beeinflussung des Gesundheitszustands der Patienten gerichtet, d.h. auf die Heilung bzw. Eindämmung einer Krankheit und die Linderung von Schmerzen. Auch wenn über diese Ziele an sich wenig Uneinigkeit bestehen dürfte, kann der Grad der Zielerreichung dennoch kaum als Grundlage der Vergütung der Krankenhausleistung dienen. Die Schwierigkeiten liegen hierbei sowohl auf der Ebene der Messung als auch der Zurechnung der Leistung. Um das Ausmaß der „Gesundung" zu erfassen, miisste der Gesundheitszustand des Patienten sowohl bei Beginn als auch bei Ende der Krankenhausbehandlung nach 2
In Deutschland werden die Investitionskosten der Krankenhäuser von den Bundesländern getragen, in der Schweiz ihre Defizite von Gemeinden, Gemeindeverbänden und Kantonen.
356
9 Krankenhausleistungen
objektiven Kriterien gemessen werden können, und das ist - abgesehen von einigen offensichtlichen Indikatoren wie der Überlebensrate und der Komplikationsrate bei Operationen - ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen, weil Gesundheit zum einen mehrdimensional ist und zum anderen eine erhebliche subjektive Komponente aufweist. Doch selbst wenn dies gelänge, dürfte man die Entlohnung für das Krankenhaus nicht einfach an die gemessene Änderang des Gesundheitszustands (über den Zeitraum des Aufenthalts) binden. Denn der relevante Vergleichsmaßstab für das Ergebnis der Tätigkeit des Krankenhauses ist nicht der tatsächliche Zustand des Patienten vor der Einlieferung, sondern der (fiktive) Zustand, der sich ohne die Krankenhausbehandlung am Ende des betrachteten Zeitraums eingestellt hätte. Die Wichtigkeit dieser Unterscheidung erkennt man insbesondere bei den Fällen, in denen die stationäre Behandlung den progressiven Verlauf einer unheilbaren Krankheit eindämmen soll. Das Ausmaß der „verhinderten Verschlechterang" des Gesundheitszustands entzieht sich jedoch einer Messung.3 Neben der bisher genannten, auf den Endzustand der Krankenhausbehandlung bezogenen spielt noch eine weitere Erwartung der Nachfrager eine Rolle: Das körperliche und seelische Wohlbefinden des Patienten während des Aufenthalts selbst ist so weit zu mehren, wie es seine Krankheit zulässt. Denn das Leben beginnt ja nicht erst wieder nach der Entlassung aus dem Krankenhaus. Dieser Gesichtspunkt gewinnt vor allem dann an Bedeutung, wenn die Krankheit selbst nicht mehr einzudämmen ist, sondern nur noch das Leiden verringert werden kann, also vor allem bei der Begleitung von unheilbar Kranken und von Sterbenden. Aber das subjektive Wohlbefinden ist genauso wenig verlässlich und objektiv messbar wie der Einfluss des Krankenhaus-Aufenthalts auf den Gesundheitszustand des Patienten. Schließlich umfasst die Gruppe der „Nachfrager" nicht nur diejenigen Menschen, die tatsächlich als Patienten im Krankenhaus behandelt werden, sondern die gesamte Einwohnerschaft des Einzugsbereichs: Die Existenz des Krankenhauses gibt ihnen die Sicherheit, bei einem Unfall oder einer schweren Erkrankung eine stationäre Behandlung erhalten zu können. Diese sogenannte „Optionsnachfrage" wird durch die Vorhaltung von Krankenhausbetten einschließlich der zugehörigen Ausstattung mit Personal und Geräten befriedigt. Wir ziehen daher die Folgerung 9.1 Der,, Output" eines Krankenhauses besteht zum einen in der Verbesserung des Gesundheitszustandes der Patienten und zum anderen in der Bereithaltung von Kapazitäten zur Befriedigung einer Optionsnachfrage. Besonders der erste istjedoch nur schwer operationalisierbar und lässt sich nur unvollkommen dem Krankenhaus zurechnen.
3
Auch Prognosen anhand von „vergleichbaren" Fällen sind nicht sehr zuverlässig, da niemals zwei Fälle vollkommen gleich sind.
9.2 Das Krankenhaus als Produktionsbetrieb
357
9.2.2 Der mehrstufige Charakter der Produktion im Krankenhaus Da sich, wie gezeigt, das schließliche Ergebnis der Tätigkeit des Krankenhauses, insbesondere der Zuwachs an Gesundheit beim Patienten, nur unvollkommen messen lässt, müssen zum Zwecke einer operationalen Definition des Begriffs der Wirtschaftlichkeit andere, beobachtbare Größen identifiziert werden, die als Indikatoren des Outputs geeignet sind. In diesem Zusammenhang bietet es sich an, verschiedene Indikatoren der Aktivität eines Krankenhauses aufzulisten und in ein mehrstufiges Schema einzuordnen, das der Beschreibung der Krankenhaus-Aktivität aus der Sicht des Ökonomen dient. Die gebräuchlichsten Indikatoren sind: •
die Mengen der eingesetzten Produktionsfaktoren (Arbeitszeit der Ärzte, des Pflegepersonals und der sonstigen Beschäftigten, medizinischer Bedarf, Strom, Brennstoffe etc),
•
die Mengen der erbrachten medizinischen bzw. pflegerischen Einzelleistungen (Untersuchungen, Operationen, Medikationen, Injektionen, Krankengymnastik, Fiebermessungen, Mahlzeiten etc),
•
die Anzahl der Patienten bzw. Behandlungsfälle, eventuell differenziert nach den verschiedenen Krankheitsarten (vgl. Abschnitt 9.2.3),
•
die Anzahl der Pflegetage, eventuell differenziert nach der Intensität der Pflege.
Ein Stufenschema der Produktion im Krankenhaus könnte wie folgt aussehen (vgl. Abbildung 9.1 bzw. 9.2): Auf der untersten Ebene stehen die Produktionsfaktoren, die man als primäre Inputs auffassen kann. Mit ihrer Hilfe lassen sich die verschiedenen Einzelleistungen erstellen, die daher auf der zweiten Ebene angesiedelt werden können (sekundäre Inputs). Das Konzept der Minimierung des Faktoreinsatzes bei der Erstellung eines gegebenen Bündels von Einzelleistungen kann man dann als „technische Effizienz" bezeichnen. Bezüglich der beiden restlichen Indikatoren - Behandlungsfälle und Pflegetage lassen sich zwei unterschiedliche Auffassungen vertreten: 1. Zum einen können Behandlungsfälle und Pflegetage als Indikatoren verschiedener, aber prinzipiell gleichrangiger Zwischenprodukte angesehen werden (Abbildung 9.1), die unmittelbar unterhalb des eigentlichen Outputs „Gesundung" anzusiedeln sind. Danach spiegeln die Behandlungsfälle die medizinische und die Pflegetage die pflegerische Komponente der Leistung eines Krankenhauses wider. Beiden können daher jeweils unterschiedliche Arten von Einzelleistungen als (unmittelbare) Inputs zugeordnet werden, und entsprechend ergeben sich zwei verschiedene Arten von Effizienz, nämlich der Einsatz möglichst geringer Pflegeleistungen je Tag („pflegerische Effizienz") und möglichst geringer medi-
358
9 Krankenhausleistungen
Abb. 9.1. Pfiegetage und Behandlungsfälle als Zwischenprodukte des Krankenhauses
pflegerische Effizienz
interne medizinische Effizienz
technische Effizienz
Produktionsfaktoren
zinischer Einzelleistungen je Fall („inteme medizinische Effizienz"), jeweils bei gegebener medizinischer Qualität.4 2. Andererseits kann man aber auch argumentieren, dass der Aufenthalt im Krankenhaus per se weder direkt Nutzen stiftet (weil der Patient ja aus seiner gewohnten Umgebung gerissen ist) noch den Gesundheitszustand bereits verbessert, sondern dass im Gegenteil die Pflegetage ihrerseits als ein Input in die Gesamtbehandlung eines Patienten angesehen werden können (Abbildung 9.2). In diesem Sinne wäre dann die Minimierung der Verweildauer bei gegebenem Krankheitsspektrum ein eigenständiger Typ von Effizienz („Verweil-Effizienz"). Diese zweite Sichtweise setzt offensichtlich voraus, dass für den Gesundheitszustand bei der Entlassung eines Patienten verbindliche Normen gelten, denn andern4
Daneben ist es die Aufgabe des Gesundheitssystems insgesamt, ein gegebenes Maß an Gesundung mit möglichst geringen Kosten (für Krankenhausaufenthalte und andere Leistungen) zu erreichen. Dies ist in der Abbildung als „externe" medizinische Effizienz bezeichnet.
9.2 Das Krankenhaus als Produktionsbetrieb
359
Abb. 9.2. Pflegetage als Input des Behandlungsprozesses
interne medizinische Effizienz
technische Effizienz
Produktionsfaktoren
falls wäre es möglich, die Verweil-Effizienz beliebig zu steigern, indem einfach die Patienten früher und damit wohl auch „kränker" nach Hause geschickt werden. In diesem Zusammenhang tritt auch die Frage auf, welchen Charakter man in einem solchen Produktionsschema des Krankenhauses dem „Bett" zuordnen soll. Auf den ersten Blick scheint das Bett einen Input zu verkörpern, weil ohne Betten wohl ein Krankenhaus nicht betrieben werden kann. Dieser „Input" hätte jedoch die ganz spezifische Eigenschaft der Limitationalität in Bezug auf den Output Pflegetage: Bei gegebener (maximaler) Anzahl gleichzeitig im Krankenhaus behandelter Patienten liegt der Bedarf am Faktor „Betten" eindeutig fest, und zusätzliche Betten haben eine Grenzproduktivität von null. Ein weiteres Problem bei dieser Sichtweise ist auch, dass mit dem Faktor selbst keine (laufenden) Kosten verbunden sind. Allenfalls könnte man die Abschreibung auf die Anschaffungskosten des Bettes als Kosten des Faktors „Bettennutzung" ansehen.
360
9 Krankenhausleistungen Abb. 9.3. Die Vorhaltung von Betten als zusätzlicher Output des Krankenhauses
Behandlungsfälle
Vorhaltung von Betten
Im Sinne der in Abschnitt 9.2.1 beschriebenen „Optionsnachfrage" verkörpert
demgegenüber auch ein leeres Krankenhausbett eine „Leistung" des betreffenden Krankenhauses. Dies gilt zumindest so lange, wie die Zahl der leeren oder mit im Prinzip entlassungsfähigen Patienten belegten Betten sich im Rahmen des (z.B. im Katastrophenfall) vorstellbaren Bedarfs bewegt. Folgt man dieser Sichtweise, so kann man den Teil der Faktorausstattung eines Krankenhauses, der von der Patientenzahl völlig unabhängig vorhanden sein muss, der Erstellung dieser Vorhalteleistung zuordnen, und die Bettenzahl wird zu einem eigenständigen Indikator des „Outputs" eines Krankenhauses (Abbildung 9.3). Aus diesen Betrachtungen ziehen wir die Folgerung 9.2 Die „Produktion" im Krankenhaus lässt sich als ein mehrstufiger Prozess beschreiben, wobei jeder Stufe ein spezielles Konzept der Effizienz zugeordnet werden kann.
9.2.3 Die Heterogenität des Krankenhaus-Outputs Eine weitere Schwierigkeit der Produktmessung im Krankenhaus besteht darin, dass auch auf einer einmal gewählten Ebene von Output-Indikatoren bzw. Zwischenprodukten ein erhebliches Maß an Heterogenität herrscht. Betrachten wir dazu die Men-
9.2 Das Krankenhaus als Produktionsbetrieb
361
ge aller Behandlungsfälle, die in einem Krankenhaus im Laufe eines Jahres anfallen. Kann man den „Output" eines Krankenhauses einfach durch deren Anzahl adäquat beschreiben? Kann man sagen, ein Krankenhaus mit 1.000 Fällen habe eine größere Leistung erbracht als eines mit 995 Fällen? Wie unsinnig es wäre, diese Frage zu bejahen, wird sofort klar, wenn man annimmt, die 1.000 Fälle im ersten Krankenhaus setzten sich aus 500 einfachen Knochenbrüchen und 500 unkomplizierten Mandeloperationen zusammen, während das zweite Krankenhaus ein Herzzentrum mit dem Schwerpunkt auf Transplantationen sei. Man hat also zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Konzept des „Behmndlungsfalls" nicht um eine homogene Größe handelt, sondern um ein gedankliches Konstrukt, das erst durch die Angabe einer Reihe von Merkmalen genauer spezifiziert werden kann, m.a.W. das in verschiedenen Dimensionen differenziert werden muss, z.B. •
nach der Art der Krankheit, die die stationäre Behandlung erforderlich gemacht hat (Hauptdiagnose),
•
nach der Schwere der Krankheit bzw. den während der Behandlung auftretenden Komplikationen,
•
gegebenenfalls (z.B. bei Krebs) auch nach dem Stadium der Erkrankung,
•
nach etwaigen weiteren Krankheiten (Nebendiagnosen),
•
nach Eigenschaften des Patienten, welche seinen Beitrag zur „Produktion der Gesundung" widerspiegeln, wie beispielsweise seinem Alter und evtl. auch Geschlecht.
In Anbetracht dieser und weiterer möglicher Unterscheidungsmerkmale müssen Puristen zu dem Schluss kommen, der Heterogenität des Patientenspektrums könne nur dadurch adäquat Rechnung getragen werden, dass jeder Patient für sich als eine gesonderte Produktart angesehen wird. Folgte man jedoch diesem Vorschlag, so gäbe es keinerlei Möglichkeit, die Outputvektoren zweier oder mehrerer Krankenhäuser miteinander zu vergleichen. Dadurch würde die ökonomische Analyse des Krankenhauses, z.B. die Messung der Wirtschaftlichkeit oder die Bestimmung einer „leistungsgerechten" Vergütung, jedoch faktisch verhindert. Als sinnvoller Kompromiss zwischen dem eben beschriebenen rigorosen Vorgehen und dem völligen Verzicht auf eine Differenzierung der Patientenschaft bietet es sich an, die Patienten durch Anwendung der genannten Unterscheidungsmerkmale in eine überschaubare Anzahl von Gruppen einzuteilen. Diesen Einteilungsvorgang nennt man „Patienten-Klassifikation", und sein Ziel ist es, zu Grappen zu gelangen, die in sich „möglichst" homogen sind. Femer sollte natürlich die Zuordnung eindeutig und nach objektiven Kriterien überprüfbar sein. Es liegt auf der Hand, dass zwischen den Gesichtspunkten „überschaubare Anzahl" und „Homogenität innerhalb jeder Gruppe" ein Konflikt besteht, der nur durch Abwägung der möglichen Nachteile bei ihrer Verletzung entschieden werden kann.
362
9 Krankenhausleistungen Die drei gebräuchlichsten Patienten-Klassifikationssysteme sind:
1. die „International Classification ofDiseases" (ICD), die ursprünglich als Basis einer Todesursachen-Statistik entwickelt wurde und sich daher ausschließlich auf die (Haupt-)Diagnose bezieht: In der dreistelligen Version besteht sie aus über 900 Grappen. Die Zusammenfassung in 110 Obergruppen ist bereits so grob, dass sich beispielsweise alle „gutartigen Neubildungen" in einer einzigen Gruppe wiederfinden. 2. Die in den siebziger Jahren an der Yale University entwickelten „Diagnosis Related Groups " (DRGs) berücksichtigen neben der Hauptdiagnose auch das Vorliegen von Nebenerkrankungen und Komplikationen, das Alter des Patienten sowie die Behandlungsart (operativ oder konservativ) und kommt dennoch mit 467 Gruppen aus [vgl. FETTER ET AL. (1980); HEALTH CARE FINANCING ADMINISTRATION (1983)]. 3. Die ebenfalls in den USA, nämlich in Pittsburgh, entwickelten „Patient Management Categories " (PMCs) mit insgesamt 840 Gruppen beziehen die Einteilung im Vergleich zu den DRGs stärker auf Begleiterkrankungen sowie auf die vom Krankenhaus gewählte Behandlungsstrategie [vgl. etwa YOUNG (1991)]. Folgerung 9.3 Ein Patienten-Klassifikationssystem stellt den Versuch dar, der Heterogenität des Krankenhaus-Outputs gerecht zu werden und dennoch Vergleiche zwischen den Krankenhäusern zu ermöglichen. Allen Systemen gemeinsam ist die Idee, den Output eines Krankenhauses zwar nicht nach dem Ergebnis der Behandlung, dem Gesundheitszuwachs (vgl. Abschnitt 9.2.1), aber doch immerhin nach der Schwierigkeit der Aufgabenstellung näher zu beschreiben.
9.3 Der Krankenhausbetriebsvergleich 9.3.1 Regulierung bei asymmetrischer Information In einem Wettbewerbsmarkt gibt es keinen Grund, die Effizienz von Untemehmen zu messen, denn nur effiziente Anbieter können ihre Kosten decken bzw. erzielen auf den Absatzmärkten Gewinne und sind dann auf dem Kapitalmarkt in der Lage, sich zu finanzieren. Der Markt für Krankenhausleistungen wird auf absehbare Zeit diesen Bedingungen nicht entsprechen. Zwar sind die Krankenversicherer in mehreren Ländern (so insbesondere in Deutschland, den Niederlanden und in der Schweiz) vermehrt dem Wettbewerb ausgesetzt und versuchen, die Kosten der eingekauften Leistungen niedrig zu halten, doch die Krankenhäuser erhalten nach wie vor Subventionen von der öffentlichen Hand, was den Anreiz zur Erhaltung und Steigerang der Effizienz abschwächt. Außerdem erschweren Auflagen der öffentlichen Regulierung (beispielsweise Teilnahme an der Krankenhausplanung, Beitrag zum Notfalldienst,
9.3 Der Krankenhausbetriebsvergleich
363
Vorhalten von Betten) den Marktzutritt, so dass mit wenig potentiellem Wettbewerb zu rechnen ist. Umgekehrt bedingt der Marktaustritt zumindest bei den öffentlichen Krankenhäusern oft eine politische Entscheidung, die nicht leicht herbeizuführen ist. Insofern entfällt für die Mehrzahl der Krankenhäuser der Marktmechanismus als sanktionierende Instanz, welcher die Effizienz gewährleisten würde. Die Frage stellt sich, wie die Akteure im Krankenhaussektor dazu angehalten werden können, die Krankenhausleistungen wirtschaftlich, d.h. effizient bereitzustellen. Die Neue Theorie der Regulierung befasst sich mit dieser Fragestellung [vgl. LAFFONT UND TIROLE (1993)]. Als problematisch erweist sich, dass die Anbieter der Leistungen über asymmetrische Informationen verfügen, zum einen bezüglich der erbrachten Anstrengungen („hidden action") und zum anderen bezüglich der verwendeten Technologie („hidden information"). Diese asymmetrischen Informationen verhindern, dass die Regulierungsbehörden effiziente Verträge anbieten können, da - und dies ist eine zentrale Aussage der Neuen Theorie der Regulierung - die effizienten Leistungserbringer (i) Anreize und (ii) die Möglichkeit haben, die ineffizienten zu imitieren um so eine Informationsrente zu erzielen (vgl. hierzu genauer Abschnitt 10.2.3). Für die Regulierungsbehörde ist es daher aus wohlfahrtsökonomischen Überlegungen interessant, den Informationsvorsprung und somit die Möglichkeiten zur Erzielung der Informationsrenten abzubauen. Es besteht folglich eine Nachfrage nach Informationen, unter anderem bezüglich der Effizienz der Leistungserbringung. Dieser Nachfrage nach Informationen kann durch eine Bewertung der Leistungserbringung der regulierten Unternehmungen, d.h. durch einen Betriebsvergleich Rechnung getragen werden. Die empirische Forschung kann hier einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie die Leistungserbringung bzw. die Betriebsführung bewertet. In der Ökonomik haben sich in Anlehnung an die Produktionstheorie im Wesentlichen die parametrischen (vgl. Abschnitt 9.3.2) sowie die nichtparametrischen Methoden (vgl. Abschnitt 9.3.3) zur Messung der Wirtschaftlichkeit bzw. der Effizienz durchgesetzt. 9.3.2 Parametrische Krankenhaus-Kostenfunktionen Sieht man Krankenhäuser als Produktionsbetriebe an, so liegt es nahe, elementare Konzepte aus der Produktionstheorie auch auf Rrankenhäuser anzuwenden. Bei den parametrischen Kosten- und auch Produktionsfunktionen wird ein funktionaler Zusammenhang zwischen den Kosten und den Outputs und Faktorpreisen bzw. zwischen dem Output und den Inputs definiert. Eines der zentralen und auch empirisch aussagekräftigsten Konzepte der Produktionstheorie ist das der Kostenfunktion. Anders als eine Produktionsfunktion ist diese auch für Mehrprodukt-Unternehmen definiert und ordnet jedem Outputbündel die minimalen Kosten der Erstellung dieser Ausbringungsmengen zu. Die Kostenfunktion enthält die gleiche Information wie die Produktionsfunktion,5 ist jedoch ökonometrisch leichter zugänglich: Die 5
Dies ist ein zentrales Ergebnis der Dualitätstheorie [vgl. etwa DIEWERT (1974)].
364
9 Krankenhausleistungen
Größen auf der rechten Seite der Produktionsfunktion - die Inputmengen - werden von den Untemehmen selbst gewählt und können somit nicht als exogen angesehen werden. Demgegenüber stehen auf der rechten Seite der Kostenfunktion neben den Outputmengen die Faktorpreise - sowie im Falle einer kurzfristigen Kostenfunktion die Mengen der fixen Faktoren -, die bei vollkommener Konkurrenz auf den Faktormärkten als exogen gegeben vorausgesetzt werden können. Die empirische Ermittlung von Kostenfunktionen kann der Beantwortung einer Reihe von wichtigen ökonomischen Fragestellungen dienen. Im Zusammenhang mit dem Bedürfnis nach Informationen der Regulierungsbehörde zur Bewertung der Wirtschaftlichkeit können aus der Höhe der Residuen einer Kostenschätzung, also der Differenz zwischen tatsächlichen und geschätzten Kosten für die verschiedenen Krankenhäuser, Aussagen über deren relative Wirtschaftlichkeit gewonnen werden. Diese erleichtern bzw. ermöglichen erst die Kontrolle der Wirtschaftlichkeit von Krankenhäusern in einem System der Kostenerstattung, wie dies der Krankenhausbetriebsvergleich nach BPflV vorsieht. Neben den Aussagen bezüglich der relativen Wirtschaftlichkeit gewinnt die Regulierungsbehörde aber zusätzliche, für die Krankenhausplanung und für die leistungsgerechte Vergütung relevante Informationen: 1. Aus dem Verlauf der Kostenfunktion kann man die Art der Skalenerträge feststellen und Aussagen iiber die optimale Betriebsgröße ableiten. Dies ist von wirtschaftspolitischer Bedeutung, da der Krankenhaussektor in Deutschland und einigen anderen Ländern staatlich reguliert ist und die Krankenhäuser ihre eigene Bettenzahl nicht selbst festlegen dürfen. 2. Aus der Ableitung der Kostenfunktion nach der Anzahl der Patienten eines bestimmten Falltyps lassen sich die Grenzkosten der Behandlung dieses Patiententyps ablesen. Diese Information kann zur Berechnung von Preisen im Rahmen leistungsorientierter Vergütungsformen verwendet werden. Auch dies ist im Sinne der BPflV, die eine leistungsgerechte Abgeltung, d.h leistungsgerechte Pflegesätze, anstrebt. Wie bereits erwähnt, darf diese mikroökonomische Kostenfunktion nur von drei Typen erklärender Variablen abhängen: den Outputmengen, den Faktorpreisen und (im kurzfristigen Fall) den Mengen fixer Produktionsfaktoren. Außerdem setzt ihre Schätzung voraus, dass alle Unternehmen, deren Daten in der Stichprobe enthalten sind, das Ziel der Kostenminimierung verfolgten und Abweichungen davon zufällig sind.6 Kostenfunktionen sollten gemäß BAUMOL ET AL. (1982) unter anderem folgenden Kriterien genügen:
6
Bei sogenannten Frontier-Schätzungen wird diese Annahme gelockert, indem der Störterm aufgeteilt wird in eine zufällige Komponente und in eine zweite Komponente, die die Ineffizienz erfasst. Für eine Übersicht vgl. GREENE (1993).
9.3 Der Krankenhausbetriebsvergleich
365
•
Sie sollte den von der mikroökonomischen Theorie postulierten Eigenschaften genügen, d.h. stetig, linear-homogen, nicht-abnehmend und konkav in den Preisen sein [vgl. VARIAN (1992, S. 72)].
•
Sie sollte bei mehreren Outputs in der Lage sein, mit Nullwerten umgehen zu können. Ist dies nicht der Fall, müssen Beobachtungen, die nicht alle Outputs herstellen, aus der Stichprobe entfernt werden. Dies führt zu einer systematischen Selektion, und zudem sind interessante Aussagen, z.B. bezüglich der Verbundvorteile, nicht möglich.
•
Sie sollte ausreichend flexibel sein, um die Eigenschaften der Kosten (z.B. die Art der Skalenerträge bzw. Verbundvorteile usw.) adäquat erfassen zu können. Nur die Flexibilität kann verhindern, dass die Wahl einer Kostenfunktion keine präjudizierende Wirkung auf die Resultate hat. Eine flexible Kostenfunktion ist z.B. die Translog-Kostenfunktion [CHRISTENSEN ET AL. (1973)], die eine Taylor-Approximation zweiter Ordnung einer beliebigen Funktion darstellt.
Die Annahme der Kostenminimierung ist bei Rrankenhäusem wegen des Übergewichts öffentlicher und gemeinnütziger Träger kaum aufrechtzuerhalten, da bei fehlendem Gewinnstreben auch der Zwang zur Kostenminimierung entfällt. Daher hat EVANS (1971) den Begriff der „behavioural cost function" (VerhaltensKostenfunktion) geprägt, die einfach die bei dem tatsächlich beobachteten Verhalten resultierenden Kosten erklären soll. Diese Funktion darf dann auch Determinanten wie die Art der Trägerschaft oder die Organisationsform des Krankenhauses oder auch die Form der Vergütung von Krankenhausleistungen enthalten, die auf die Minimalkosten keinen Einfluss haben dürften, mit deren Hilfe man aber systematische Abweichungen vom Kostenminimum zu erklären hofft. Eine typische Verhaltens-Kostenfunktion hat dann etwa die Form C = C(Xh...,Xm-Y;Z;W;T;Du...,Dn),
(9.1)
wobei C die Gesamtkosten des Krankenhauses bezeichnet, X\,... ,Xm den Vektor der Fallzahlen in m verschiedenen Patientengrappen, Y die Zahl der Pflegetage, Z die Bettenzahl, W ein Maß für das Faktorpreisniveau, T die Trägerschaft und D\,..., Dn weitere Merkmale des Krankenhauses bezeichnet. Werden die Aktivitätsvariablen X(= EX,),F, und Z sowohl in linearer als auch in quadratischer Form einbezogen, so können damit Skaleneffekte erfasst werden. Aus ökonometrischen Gründen werden ferner zur Gewinnung einer Schätzgleichung beide Seiten von Gleichung (9.1) durch die Fallzahl X dividiert,7 und somit werden die Kosten je Fall zur abhängigen Variablen. Aus der Fülle von Ergebnissen der zahlreichen bislang in der Literatur präsentierten Schätzungen von Krankenhaus-Kostenfunktionen soll hier die von BREYER 7
Diese Maßnahme dient der Vermeidung von Heteroskedastizität (diese liegt vor, wenn die Streuung der Residuen systematisch mit einer der erklärenden Variablen variiert), denn mit der Größe eines Krankenhauses wächst i.a. die Varianz der Gesamtkosten.
366
9 Krankenhausleistungen Tabelle 9.2. OLS-Schätzergebnisse für Krankenhauskosten
Abhängige Variable: Krankenhauskosten je Fall: C/X unabhängige Variablen: Konstante l/X X
z/x 2
Z /X Y/X
zY ZxY/X
Schätzkoeffizienta) 600,64« 559,412** -0,031 20,552** 42,65 119,56" -0,789 0,0121 -0,246 219,74* -113,86 20,93* -54,87 40,51 710,15 -183,94* -28,67
öffentlicher Träger freigemeinnütziger Träger Einwohnerzahl des Standorts akadem. Lehrkrankenhaus Anteil Notfälle Anteil erhaltener Verlegungen Pflegetage im Einbettzimmer Pflegetage im Zweibettzimmer (+ 30 Faktoren für die Fallmischung, davon: 6 signifikant auf dem 1 %-Niveau; 5 signifikant auf dem 5%-Niveau) ^2 = 0,747 a) *(**) = Schätzkoeffizient signifikant auf dem 5%(1%)-Niveau Quelle: BREYER ET AL. (1988, S. 84-86).
Standardfehler 187,57 71,244 0,059 6,918 95,03 25,41 4,15 0,0156 0,353 103,94 101,03 8,22 68,47 236,75 903,22 77,13 35,10
ET AL. (1988) anhand von Daten aus 614 bundesdeutschen Krankenhäusern aus dem Jahr 1983 durchgeführte Studie näher betrachtet werden. Als Maß für die Fallmischung wurden die Anteile der Patienten in 110 Grappen der ICD-Klassifikation herangezogen. Die Ergebnisse einer Kleinstquadrat (OLS)-Schätzung der Gleichung für die Kosten je Fall sind in der Tabelle 9.2 zusammengefasst. Multipliziert man zur Erleichterung der Interpretation beide Seiten der Schätzgleichung nachträglich wieder mit der Fallzahl X, so erhält man die folgende Gleichung für die Gesamtkosten:
C= -559.412 + 600,64 xX-0,03lxX2 + 20.552 x Z +42,65 x Z 2 + 119,56 xY + 0,0121 xXY-0,789 xXZ-
(9.2) 0,246 xYZ
wobei in der Größe K alle krankenhausspezifischen Charakteristika und in D die diagnostischen Variablen zusammengefasst sind und d die dazugehörigen Regressionskoeffizienten bezeichnet.
9.3 Der Krankenhausbetriebsvergleich
367
Die Ergebnisse lassen sich wie folgt interpretieren: 1. Skalenerträge: Gemessen an den insignifikanten Koeffizienten von X2 und Z 2 lassen sich keine Abweichungen von konstanten Skalenerträgen nachweisen, so dass es keine eindeutige optimale Betriebsgröße zu geben scheint. 2. Grenzkosten: Die Grenzkosten der Vorhaltung eines Bettes können mittels der partiellen Ableitung von Gleichung (9.2) nach Z ermittelt werden: ~ =20.552 + 8 5 , 3 x Z - 0 , 7 8 9 x X - 0 , 2 4 6 x r oZ
(9.3)
Setzt man die Stichproben-Mittelwerte (X = 6.399, Y = 90.700, Z = 299) ein, so betragen die Grenzkosten der Bettenvorhaltung DM 18.696. Bei 21,4 Fällen je Bett und Jahr sind das DM 874 je Fall (alle Preise beziehen sich auf das Jahr 1983). Die Grenzkosten eines zusätzlichen Pflegetages, dC/dY, lassen sich analog mit DM 123 errechnen; das sind bei 14,2 Pflegetagen je Patient DM 1.753 je Fall; und die reinen Grenzkosten eines Falls, dC/dX, (bei konstanter Bettenzahl und konstanter Gesamtzahl der Pflegetage) betragen DM 1.053. Bezogen auf die gesamten Grenzkosten eines Falls von DM 3.679 kann man somit sagen, dass 28,6% auf die fallfixen Kosten, 47,6% auf die Pflegekosten und 23,7% auf die Kosten der Bettenvorhaltung entfallen. Die letztgenannte Zahl ist deswegen bedeutsam, weil es sich bei diesen Kosten um reine Betriebskosten handelt, in denen die Ausgaben für Investitionen noch nicht enthalten sind. 3. Einfluss der Krankheitsart: Ein erheblicher Teil der Variation in den Kosten je Behandlungsfall kann auf Unterschiede im Diagnosespektrum zwischen den Krankenhäusern zurückgeführt werden. Die entsprechenden Regressionskoeffizienten erlauben es, „teure" und „billige" Krankheitsarten zu identifizieren. Dabei schwanken die geschätzten Kosten je Behandlungsfall in den 53 häufigsten ICD-Diagnosegruppen zwischen DM 689 (für „Infektionen der Haut und des Unterhaut-Zellgewebes") und DM 9.340 (für „Sonstige Krankheiten der Atmungsorgane"), Preisbasis 1983. 4. Einfluss der Eigentumsrechte: Öffentliche Krankenhäuser weisen ceteris paribus deutlich höhere Fallkosten auf als gewinnorientierte private, was die traditionelle mikroökonomische Theorie der Eigentumsrechte bestätigt. Freigemeinnützige Häuser scheinen dagegen noch kostengünstiger zu produzieren als gewinnorientierte; diese Differenz ist jedoch statistisch nicht signifikant. Für eine Regulierungsbehörde steht die Frage der Wirtschaftlichkeit im Vordergrund. Grundsätzlich ist anzumerken, dass bei allen Krankenhausbetriebsvergleichen lediglich die relative Wirtschaftlichkeit ermittelt werden kann. In der hier präsentierten Studie wird die interessierende Größe durch den Vergleich der „Normkosten" eines Krankenhauses, d.h. die Kosten, die sich aus seinen Merkmalen, insbesondere seiner Fallmischung mit Hilfe der Schätzkoeffizienten errechnen lassen, mit den „Istkosten", d.h. seinen tatsächlichen Ausgaben, ermittelt. Die Differenz - das kran-
368
9 Krankenhausleistungen Abb. 9.4. Verteilung der relativen Abweichungen der Kosten von den Normkosten
unter- -30 bis -20 bis -10 bis -5 bis 0 bis 5 5 bis 30 -20 -10 -5 0 10
10 bis 20 bis 20 30
über 30
%-Abweichung
Quelle: BREYER ET AL. (1988, S. 102)
kenhausspezifische Residuum der Schätzung - kann als erster Anhaltspunkt zur Beurteilung seiner relativen Wirtschaftlichkeit betrachtet werden. In Abbildung 9.4 werden die prozentualen Abweichungen der Ist- von den Normkosten dargestellt. Innerhalb von ±5% liegen bereits 38% aller Krankenhäuser, das auf ±10% erweiterte Intervall umfasst 66% der 614 Krankenhäuser. Nur bei 15 der 614 Krankenhäuser (= 2,4%) sind die Istkosten um mehr als 30% von den Normkosten entfernt, mit maximalen Abweichungen von - 41% und + 91%. Die Nachteile der parametrischen Kostenfunktion sollen nicht unerwähnt bleiben. Bei der präsentierten Kostenfunktion handelt es sich um eine mittlere Kostenfunktion, d.h. um eine Regression durch die „Mitte der Punktwolke". Problematisch ist dabei, dass auch die ineffizienten Krankenhäuser die Berechnung der Grenzkosten beeinflussen. Dasselbe trifft auch für die Bestimmung der optimalen Betriebsgröße zu. Dieses Problem versuchen parametrischen Frontier-Ansätzen zu vermeiden (vgl. Fußnote 6), die zum Ziel haben, nur die effizienten Krankenhäuser zur Ermittlung der Grenze der Produktionsmöglichkeiten zu verwenden. Ein weiteres Problem besteht in der Verfügbarkeit von Informationen zu den Faktorpreisen, die idealerweise bei der Schätzung einer Kostenfunktion benötigt werden. Diese sind im Gesundheitswesen oft nicht verfügbar. In der vorgestellten Schätzung konnte deshalb nur ein allgemeines Maß für das Faktorpreisniveau verwendet werden. Schließlich sind die Resultate bei parametrischen Ansätzen grandsätzlich von der gewählten funktionalen Form abhängig.
9.3 Der Krankenhausbetriebsvergleich
369
Unsere Überlegungen fassen wir zusammen in
Folgerung 9.4 Die parametrischen Ansätze (Frontier- wie auch mittlere Kosten- und Produktionsfunktionen) eignen sich besonders dannfür die Effizienzmessung, wenn die Daten Messfehler aufweisen und von stochastischen Einflüssen geprägt sind. Allerdings werden bei den Kostenfunktionen zusätzlich Informationen zu den Faktorpreisen benötigt, die gerade im Gesundheitswesen kaum verfügbar sind.
9.3.3 Nichtparametrische Krankenhaus-Produktionskorrespondenz 9.3.3.1 Data Envelopment Analysis Ein alternatives Verfahren zur Effizienzmessung von Produktionsprozessen, das weder ein kostenminimierendes Verhalten noch Kenntnisse bezüglich der Faktorpreise voraussetzt, ist die von CHARNES ET AL. (1978) entwickelte Data Envelopment Analysis (DEA). Bei diesem nichtparametrischen Verfahren bilden die Input- und Outputmercge« die Grundlage. Diese können in der Regel zuverlässig ermittelt werden. Zudem sind Produktionskorrespondenzen mit mehreren Inputs und Outputs zulässig, wobei nicht alle Untemehmungen alle Inputs verwenden bzw. alle Outputs produzieren müssen. Das Verfahren der DEA ermittelt eine empirische Grenze der Produktionsmöglichkeiten und definiert eine konvexe Technologiemenge. Dies impliziert, dass •
alle Input-Isoquanten konvex sind,
•
alle Output-Isoquanten konvex sind und
•
dass die Skalenelastizität nicht zunehmend ist. Eine konvexe Technologiemenge ist mit global zunehmenden Skalenerträgen nicht in Einklang zu bringen, wie dies z.B. bei natürlichen Monopolen der Fall ist. Die Resultate der DEA sind bei einer wahren zugrundeliegenden Technologiemenge, die über global zunehmende Skalenerträge verfügt, deshalb inkonsistent.
Bei der DEA definieren die effizientesten Input-Outputkombinationen (in diesem Kontext die effizientesten Krankenhäuser) die Grenze der Produktionsmöglichkeiten. Diese besteht aus abschnittsweise linearen Flächen im Input-Outputraum, die sämtliche Input-Outputkombinationen umhüllen. Es wird nicht - wie in der Ökonometrie üblich - die zentrale Tendenz eines Datensatzes ermittelt. Viel mehr geht es daram, eine äußere - technisch effiziente - Grenze zu bestimmen, an der die ineffizienten Beobachtungen gemessen werden können. Das Ausmaß der technischen Effizienz des Unternehmens i ist dann eine Funktion der Distanz seiner InputOutputkombination (X,-,^) zureffizienten Grenze.
370
9 Krankenhausleistungen
Mit dem Linearen Programm8 in (9.4) wird die technische Effizienz 0 des Krankenhauses i bestimmt, wobei diese Formulierung der DEA eine Technologiemenge mit konstanten Skalenerträgen (CRS: constant retums to scale) unterstellt: Minimiere 0, durch Wahl der Xj unter den Nebenbedingungen n 7=1
„ ®iXi > J 2 ^jXj Xj>0
V; = l , . . . , n
(9.4) bzvi. i n Matrixschreibweise
QX{ > XX X>0
wobei Y{ der Outputvektor und X, der Inputvektor des zu evaluierenden Krankenhauses darstellen (X bzw. Y ist die Input- bzw. Outputmatrix, die die n Input- bzw. Outputvektoren aller Krankenhäuser zusammenfasst). Das Lineare Programm wird für jedes der n Krankenhäuser wiederholt. Gesucht wird jeweils ein „virtuelles" Krankenhaus mit Mindestouput Y(, das sich aus den n Krankenhäusern mit den Gewichten Xj zusammensetzt und bei dem 0,- minimal ist. Dabei entspricht 0,- dem Anteil der benötigten Inputmengen des virtuellen Krankenhauses im Vergleich zu Krankenhaus i. Unter der Annahme konstanter Skalenerträge ist das virtuelle Krankenhaus technisch möglich. Daher lässt sich 0,- als der Faktor interpretieren, mit dem alle Inputs des Krankenhauses i bei gegebenem Output reduziert werden können.9 Bei einem effizienten Krankenhaus ist Xt = 1, Xj^ = 0 und folglich 0,- = 1 eine optimale Lösung, da die Inputs bei gegebenem Output nicht mehr verringert werden können. Bei einem ineffizienten Krankenhaus hingegen ist 0, < 1. In diesem Fall ist es möglich, ein virtuelles Krankenhaus zu konstruieren, dass nur 0,X, < X, Inputmengen benötigt, um den gleichen Output wie das Krankenhaus / zu erstellen. Abbildung 9.5 illustriert die Vorgehensweise. Es sind fünf Krankenhäuser eingetragen, die mit zwei Inputs denselben Output produzieren. Die effiziente Grenze wird durch die Beobachtungen eins bis vier definiert, d.h. die optimale Lösung zum Linearen Programm in (9.4) nimmt für diese Beobachtungen jeweils den Wert eins an und die schraffierte Fläche stellt die Technologiemenge, d.h. die Menge der zulässigen Input-Outputkombinationen dar. Die Beobachtung fünf ist offensichtlich ineffizient, wäre es doch auch möglich, denselben Output mit weniger Inputs zu produzieren. Die DEA würde ergeben, dass eine Linearkombination der Beobachtungen zwei und drei (mit den Gewichten Ä,2 = 0,3, ^3 = 0,7) eine 50-prozentige Reduktion beider 8
Dieses Lineare Programm wird als Envelopment Problem bezeichnet. Für jedes Lineare Programm existiert eine duales Lineares Programm (im Falle der DEA Multiplier Problem genannt), wobei aus einem Minimierungsproblem ein Maximierungsproblem wird [vgl. z.B. CHIANG (1984, Kapitel 20)]. 9 Daher wird diese DEA-Version als input-orientiert bezeichnet. Bei der outputorientierten DEA besteht das Ziel darin, bei gegebenen Inputmengen eine größtmögliche Expansion aller Outputs zu erreichen. Bei der hier präsentierten Version ist der Wertebereich der optimalen Lösung auf Werte zwischen null und eins beschränkt, während der Wertebereich der Lösungen der output-orientierten DEA zwischen eins und unendlich definiert ist.
9.3 Der Krankenhausbetriebsvergleich
371
Abb. 9.5. Grafische Erläuterung der DEA
x2
Beobachtungen Beobachtungen Technologiemenge Technologiemenge 1 5 2
θ 5 = x*/x 5´
3 4
x*
x
x1
Inputs der Beobachtung fünf zuließe (da 65 = 0 , 5 ist). Die effizienten Inputmengen sind durch den Punkt 5' wiedergegeben. Die Annahme konstanter Skalenerträge ist zuweilen problematisch, wenn z.B. die Entscheidungsträger nicht über die Größe des Betriebes frei entscheiden können. Das Ausmaß der Skalenineffizienz, d.h. der Teil der Ineffizienz, der auf eine ungünstige Wahl der Betriebsgröße zurückzuführen ist, kann folglich nicht als Resultat der unternehmerischen Tätigkeit an sich, viel eher aber als Konsequenz der eingeschränkten Wahl der Betriebsgröße verstanden werden. Solche Einschränkungen bzw. Auflagen sind gerade in regulierten Märkten stark verbreitet. Eine Technologiemenge mit variablen Skalenerträgen (VRS: variable returns to scale) wird durch eine geeignete Anpassung der Nebenbedingungen erreicht [die Summe der Gewichte der Linearkombination X,,- soll gleich eins sein, vgl. BANKER ET AL. (1984)]. In der Abbildung 9.6 sind die effizienten Grenzen für eine Technologiemenge mit konstanten (der Strahl vom Ursprung und die Beobachtungen zwei und drei) und variablen Skalenerträgen, welche durch die Beobachtungen eins, zwei, drei und vier definiert wird, eingezeichnet. Durch den Vergleich der beiden Lösungen (0,- mit konstanten und variablen Skalenerträgen) lässt sich neben der reinen technischen Effizienz auch die Skaleneffizienz bestimmen. In Abbildung 9.6 sind für die Beobachtungen zwei und drei die optimalen Lösungen bei den Technologiemengen mit variablen und konstanten Skalenerträgen identisch, da die Abschnitte der beiden effizienten Grenzen deckungsgleich sind (zwischen X* und X*). Dies bedeutet, dass diese Beobachtungen im Bereich der optimalen Betriebsgröße produzieren. Die Beobachtung fünf dagegen operiert im Bereich der abnehmenden Skalenerträge. Ein Teil der Ineffizienz ist auf die ungünstige Betriebsgröße zurückzuführen (X2 minus
372
9 Krankenhausleistungen Abb. 9.6. Skalenineffizienz und reine technische Ineffizienz 4
Y
CRS Beobachtungen
5
CRS VRS
VRS
3 2
1
Xu*
Xo*
X1
X2
X3
Xi), während die verbleibende Ineffizienz (X3 minus X2) als reine technische Ineffizienz bezeichnet wird. Indem die Beobachtung fünf redimensioniert wird, kann die Skalenineffizienz vollständig beseitigt werden. Solche Informationen sind z.B. für die Krankenhausplanung von Bedeutung. Folgerung 9.5 Die Data Envelopment Analysis ist ein Verfahren zur Analyse der Effizienz von Krankenhäusern, das ohne die Annahme der Kostenminimierung auskommt, multiple Outputs auch mit Nullwerten zulässt und keine Inputpreise erfordert, die in aller Regel nicht oder nur ungenau gemessen vorliegen. 9.3.3.2 Effizienzvergleich schweizerischer Krankenhäuser STEINMANN UND ZWEIFEL (2003) untersuchen die Effizienz von 310 schweizerischen Krankenhäusern für die Jahre 1993-96. In einem ersten Schritt wird eine DEA gemäß dem Linearen Programm (9.4) durchgeführt, dann wird die Ineffizienz ökonometrisch ausgewertet (sog. „Two Stage Approach").
In der vorliegenden Untersuchung werden die Beschäftigten dreier Personalkategorien (akademisches Personal, Pflegepersonal sowie administrative und technische Dienste) als Inputs unterschieden. Als weiterer Input dient der Sachaufwand (zu Preisen von 1990), welcher die Inputmengen gut wiedergibt, weil die Krankenhäuser für Medikamente und Hilfsmittel landesweit grundsätzlich die gleichen Marktpreise bezahlen. In Übereinstimmung mit der Argumentation der vorhergehenden Abschnitte gehören schließlich die Pflegetage seitens der Patienten zu den Inputs. Auf der Seite der Outputs werden nur stationäre Leistungen erfasst, obschon insbesondere Krankenhäuser in Städten durch ihre Ambulatorien auch ambulante Leistungen erbringen. Dafür dürfen die Behandlungsfälle als einigermaßen homogen gelten, werden doch die folgenden fünf Kategorien unterschieden: (1) medizinische, (2)
9.3 Der Krankenhausbetriebsvergleich
373
Abb. 9.7. Histogramm der DEA-Ineffizienz schweizerischer Krankenhäuser 60
60'
50 50'
Häufigkeit
40 40'
1 g
30 30'
- -
-
•
2
20 20'
10 10.
00
¥ft| 0% 0%
5-10% 5-10%
15-20% 15-20%
25-30% 25-30%
35-40% 35-40%
xSSJIXÄraj 45-50% 45-50%
Ineffizienz Ineffizienz
pädiatrische, (3) chirurgische, (4) der Intensivpflege zugeordnete und (5) gynäkologische Behandlungsfälle. Die DEA ordnet den Inputs und Outputs implizit Schattenpreise zu (die Steigung der Isoquante entspricht dem Schattenpreisverhältnis bzw. der Grenzrate der Substitution, vgl. Abbildung 9.5). Obwohl keine genauen Preise für die Inputs und Outputs im schweizerischen Krankenhaussektor vorliegen, ist es unter Umständen sinnvoll, den Bereich der zulässigen Schattenpreisverhältnisse auf vernünftige Werte einzuschränken. Diese Vorgehensweise führt dazu, dass lediglich Beobachtungen effizient erscheinen, die auch im Bereich der vorgegebenen Schattenpreisverhältnisse produzieren und die übrigen, die unrealistische Schattenpreisverhältnisse aufweisen, ineffizienter erscheinen. In der vorliegenden Arbeit wurden alle Grenzraten der Substitution und der Transformation restringiert, während die Grenzproduktivitäten keinen Einschränkungen unterliegen bzw. durch die Annahme der konstanten Skalenerträge bereits implizit vorgegeben sind. Die DEA ergibt, dass von den 310 Krankenhäuser 37 als effizient bezeichnet werden können, d.h. eine ausgewiesene DEA-Ineffizienz von null haben. Die ineffizienteste Beobachtung sollte gemäß DEA in der Lage sein, über 55 Prozent der eingesetzten Inputs (bei konstanten Outputmengen) einsparen zu können; der Stichprobenmittelwert der DEA-Ineffizienz beträgt über 16 Prozent. Interessant ist, dass Krankenhäuser aller Größen die effiziente Grenze gemeinsam definieren. Dies ist ein Indiz dafür, dass die Grenze der Produktionsmöglichkeiten, d.h. die effiziente Grenze, konstante Skalenerträge aufweist. In Abbildung 9.7 ist ein Histogramm der DEA-Ineffizienz aufgeführt. Typisch für die DEA ist die Häufung in der Kategorie mit der geringsten Ineffizienz, die alle Beobachtungen enthält, die die effiziente Grenze definieren (sog. „ceiling effect").
374
9 Krankenhausleistungen
Tabelle 9.3. Random-Effects-Schätzung der Ineffizienz, Schweizerische Krankenhäuser 19931996 Vorzeichena) Subventionierte Krankenhäuser Defizitdeckung Subventionierung ohne Defizitdeckung Öffentlich-rechtlicheRechtsträger Privatkrankenhäuser Anteil Personal in Ausbildung Anteil Personal in Ausbildung, quadriert Anteil Betten für Privatversicherte, quadriert Notfallaufnahme Dummyvariable für das Jahr 1994 Dummyvariable für das Jahr 1995 Dummyvariable fiir das Jahr 1996 Krankenhäuser mit mehr als 500 Betten Krankenhäuser mit 250-499 Betten Krankenhäuser mit 125-249 Betten Krankenhäuser mit 75-124 Betten Krankenhäuser mit weniger als 75 Betten Konstante
Log-likelihood Spezifikationstest nach Hausman a) Theoretisch erwartetes Vorzeichen
n=276 Koeffizient 3,740 2,152
-1,376 1,015 0,735 -0,451 0,018 0,134 8,124 -3,008 -3,948 -5,527 -9,069 -7,280 -7,975 -5,629 -3,678 14,599 10,120 4,235 -912,798 Prob > X2 = 0,300
P>z 0,051 0,221 0,622 0,705 0,868 0,061 0,072 0,004 0,022 0,000 0,000 0,000 0,360 0,377 0,315 0,480 0,647 0,103 0,000 0,000
Quelle: STEINMANN UND ZWEIFEL (2003)
Ein Nachteil der DEA im Vergleich zu den parametrischen Methoden ist, dass heterogene Rahmenbedingungen kaum in der DEA selbst berücksichtigt werden können. Die ausgewiesene Ineffizienz ist daher unter Umständen auch durch besonders günstige bzw. ungünstige Rahmenbedingungen verfälscht. Um diesen Nachteil auszugleichen wird die geschätzte DEA-Effizienz mit einer Random-EffectsRegression analysiert (zur verwendeten Schätzmethode siehe Tabelle 9.4). Einerseits lassen sich so um die Rahmenbedingungen bereinigte Ineffizienzwerte berechnen, die für den Betriebsvergleich relevant sind. Andererseits kann die Wirkung der Rahmenbedingungen geprüft werden, was eine Optimierung des Krankenhaussystems ermöglicht. Falls z.B. die Art der Krankenhausfinanzierung einen Einfluss auf die Ineffizienz hat, kann dies ein Indiz für die Regulierungsbehörde sein, grundsätzlich auf die Finanzierungsform umzustellen, die eine bessere Wirtschaftlichkeit ermöglicht.
9.3 Der Krankenhausbetriebsvergleich
375
Folgende Erkenntnisse resultieren aus der Random-Effects-Schätzung der Ineffizienz (vgl. Tabelle 9.3): 1. Subventionierte Krankenhäuser sind statistisch signifikant ineffizienter. 2. Die übrigen, die Anreizstruktur erfassenden Variablen (Defizitdeckung, Subventionierung ohne Defizitdeckung, öffentlich-rechtlicher Rechtsträger und Privatkrankenhäuser) haben das erwartete Vorzeichen, sind aber statistisch nicht signifikant von null verschieden. 3. Krankenhäuser mit Notfallaufnahme sind signifikant ineffizienter. Dies mag damit zusammenhängen, dass die ambulanten Fälle nicht als Outputs in die DEA eingehen, der Betrieb einer Notfallaufnahme aber trotzdem Ressourcen absorbiert. Auch wenn die Anzahl der ambulanten Fälle nicht bekannt ist, kann in der zweiten Stufe immerhin die Wirkung der Notfallaufnahme auf die Ineffizienz ermittelt werden. Auch bei der präsentierten parametrischen Kostenfunktion hatte der Anteil der Notfälle einen negativen Effekt auf die Wirtschaftlichkeit, insofern kann die negative Wirkung des Anteils der Notfälle bzw. die Existenz einer Notfallaufnahme auf die Wirtschaftlichkeit als gesichert betrachtet werden. 4. Die Ineffizienz nahm im Vergleich zum Basisjahr (1993) kontinuierlich ab. Dies könnte auf die per Anfang 1995 in Kraft tretende Revision des Krankenversicherungsgesetzes zurückzuführen sein, die generell zu einer Zunahme des Kostenbewusstseins geführt haben dürfte. 5. Im Schweizerischen Krankenhaussektor ist nicht nur die effiziente Grenze durch konstante Skalenerträge gekennzeichnet, auch die ineffizienten Häuser der übrigen fünf Krankenhauskategorien produzieren im Vergleich zur Referenzkategorie Universitätskrankenhäuser lediglich insignifikant effizienter. Dieses Resultat bezieht sich zwar auf die ineffizienten Krankenhäuser (was bei der parametrischen Kostenfunktion bemängelt wurde), deckt sich aber mit den Erkenntnissen des Abschnitt 9.3.2. 6. Der Hauptteil der Ineffizienzunterschiede kann nicht durch die Anreizstrukturen bzw. die Rahmenbedingungen erklärt werden. Dies gibt Anlass zur Vermutung, dass die Anreizstrukturen im schweizerischen Krankenhaussektor derart schwach sind, dass sich die Akteure kaum gezwungen sehen, die Leistungen effizient zu erbringen. Dies unterstreicht die Notwendigkeit der Betriebsvergleiche aber zusätzlich. Unsere Ergebnisse fassen wir zusammen in Folgerung 9.6 Bei einem Effizienzvergleich schweizerischer Krankenhäuser mit der DEA-Methode sind subventionierte Krankenhäuser sowie Krankenhäuser mit Notfallaufnahme signifikant ineffizienter. Die Ineffizienz der Krankenhäuser nahm im untersuchten Zeitablauf ab.
376
9 Krankenhausleistungen Tabelle 9.4. Schätzmethoden bei kombinierten Längs- und Querschnittsdaten
Paneldaten: Kombinierte Längs- und Querschnittsdaten werden als Panel bezeichnet. Bei einem Panel liegen fiir jedes der n Individuen (in diesem Kontext Krankenhäuser) bis zu T Beobachtungen (z.B. pro Jahr eine Beobachtung) vor. Jedes Individuum ist somit mehrmals im Panel vertreten und es ist nicht a priori auszuschließen bzw. sogar wahrscheinlich, dass die einzelnen Daten eines Individuums über die Zeit korreliert sind. Bei der ökonometrischen Auswertung von Paneldaten besteht somit die Gefahr, dass die Annahme, wonach die Beobachtungen der Stichprobe unabhängig sein müssen, verletzt wird. Aus diesem Grund wird bei den Panel-Schätzmethoden eine individuumspezifische Variable in die Schätzgleichung eingeführt. So wird verhindert, dass die unbeobachtete individuumspezifische Heterogenität den systematischen Zusammenhängen, d.h. den Regressoren zugeordnet wird und diese verzerrt. Grundsätzlich bestehen zwei Methoden, individuumspezifische Variablen in eine Schätzgleichung zu integrieren: Fixed-Effects: Bei dieser Methode wird für jedes Individuum ;' eine Dummyvariable eingeführt (oc,-, zur Vermeidung von perfekter Kollinearität wird gleichzeitig die Konstante aus der Schätzgleichung entfernt). Die unbeobachtete individuumspezifische Heterogenität wird durch diese Dummyvariablen aufgefangen, wodurch die geschätzten Koeffizienten unverzerrt sind. Der Vorteil der Fixed-Effects-Regression besteht darin, dass keine Annahmen bezüglich der Verteilung der geschätzten Dummyvariablen nötig sind. Ein Nachteil ist allerdings, dass nur die Wirkung von erklärenden Variablen geschätzt werden kann, die über die Zeit variieren, da sonst perfekte Kollinearität mit den individuumspezifischen Konstanten besteht. Die Schätzgleichung lautet: y ! ( = a , + x ; r ß + e,Y
i=\,...,n;
t=\,...,T
(9.5)
Random-Effects: Bei dieser Methode wird die Heterogenität durch einen zusätzlichen, individuumspezifischen Störterm mit einem Erwartungswert von null erfasst: yi,=a + Xi,$ + ui + Zi,
(9.6)
Der Nachteil dieses Verfahrens besteht darin, dass unterstellt wird, dass der individuumspezifische Störterm nicht mit den Regressoren korreliert ist. Eine Annahme, die nicht ohne Weiteres als gegeben betrachtet werden kann. Vergleich der Methoden: Welche der beiden Methoden besser geeignet ist, ist in der Literatur Gegenstand einer breit geführten Debatte (vgl. GREENE (2000, Kapitel 14)). Ein Vorteil der Random-Effects-Regression ist, dass nur ein zusätzlicher Parameter geschätzt werden muss, während bei der Fixed-Effects-Regression (w — 1) zusätzliche Parameter in die Schätzgleichung integriert werden. Dagegen wird bei der Fixed-Effects-Regression keine Annahme bezüglich der Korrelation der individuumspezifischen Komponente und den Regressoren gemacht, diesbezüglich sind die Fixed-Effects robust und die geschätzten Koeffizienten sind unabhängig von Korrelationen unverzerrt.
9.3 Der Krankenhausbetriebsvergleich
377
Zum Abschluss dieses Abschnittes soll noch auf mögliche Probleme der DEA hingewiesen werden. So können Messfehler und stochastische Einflüsse, die zu Ausreißern führen, die effiziente Grenze und somit die Resultate der zu evaluierenden Beobachtungen empfindlich beeinflussen. Auch ist das Verhältnis der Anzahl Inputs und Outputs zur Stichprobengröße relevant. Je kleiner die Stichprobe ist, desto höher fällt ceteris paribus die durchschnittliche Effizienz aus. Somit ist es für die zu bewertenden Krankenhäuser im Rahmen eines Betriebsvergleiches von Interesse, eine (zu) hohe Zahl von Inputs und Outputs zu fordern. 9.3.4 Abschließende Bemerkungen zum Krankenhausbetriebsvergleich Der Betriebsvergleich im Rrankenhaussektor ist infolge der Heterogenität und Komplexität des Krankenhaus-Outputs eine anspruchsvolle Aufgabe. Die hier vorgestellten Methoden leisten hierzu einen Beitrag, indem sie relative Effizienzmaße liefern. Die Krankenhäuser werden dabei in Relation zu den „besten" Beobachtungen in der entsprechenden Stichprobe bewertet. Eine Aussage über die absolute Effizienz ist daher nicht möglich. Ebenso ist eine Vergleichbarkeit der Resultate in Bezug auf die relative Wirtschaftlichkeit zwischen verschiedenen Studien nicht gegeben. Bei der Interpretation der Ergebnisse ist auch zu berücksichtigen, dass die Faktoren, die in den Produktionsprozess eingehen bzw. die Güter und Dienstleistungen, die am Ende dieses Prozesses bereitstehen, als homogen angenommen werden. Dies ist allerdings oft eine notwendige Vereinfachung, um entweder die Anzahl der Inputs und Outputs auf einen für die Methode angemessenen Ausmaß zu halten oder weil die Heterogenität mangels detaillierter Informationen nicht berücksichtigt werden kann. Schließlich bleibt zu beachten, dass die ermittelte Wirtschaftlichkeit in der Regel eine Momentaufnahme darstellt. Für die Regulierungsbehörden sind aber auch die zeitlichen Entwicklungen interessant. In einem dynamischen Kontext können z.B. Innovationen, auch wenn sie in der kurzen Frist eine Zunahme der Ineffizienz nach sich ziehen, die Wirtschaftlichkeit in der mittleren und langen Frist positiv beeinflussen. Festzuhalten bleibt aber, dass die hier vorgestellten Verfahren zum Krankenhausbetriebsvergleich wertvolle Anhaltspunkte für die Beurteilung der Effizienz von Krankenhäusern liefern. In jedem Fall sollte bei einem Krankenhaus, das im Betriebsvergleich schlecht abschneidet, überprüft werden, ob die genannten Einschränkungen zutreffen oder ob es seine Leistungen ineffizient erbringt.
378
9 Krankenhausleistungen
9.4 Zusammenfassung des Kapitels 1. Der „Output" eines Krankenhauses besteht zum einen in der Verbesserung des Gesundheitszustandes der Patienten und zum anderen in der Bereithaltung von Kapazitäten zur Befriedigung einer Optionsnachfrage. Besonders der erste ist jedoch nur schwer operationalisierbar und lässt sich nur unvollkommen dem Krankenhaus zurechnen. 2. Die „Produktion" im Krankenhaus lässt sich als ein mehrstufiger Prozess beschreiben, wobei jeder Stufe ein spezielles Konzept der Effizienz zugeordnet werden kann. 3. Ein Patienten-Klassifikationssystem stellt den Versuch dar, der Heterogenität des Krankenhaus-Outputs gerecht zu werden und dennoch Vergleiche zwischen den Krankenhäusern zu ermöglichen. Allen Systemen gemeinsam ist die Idee, den Output eines Krankenhauses zwar nicht nach dem Ergebnis der Behandlung, dem Gesundheitszuwachs, aber doch immerhin nach der Schwierigkeit der Aufgabenstellung näher zu beschreiben. 4. Die parametrischen Ansätze eignen sich besonders dann für die Effizienzmessung von Krankenhäusern, wenn die Daten Messfehler aufweisen und von stochastischen Einflüssen geprägt sind. Allerdings werden bei den Kostenfunktionen zusätzlich Informationen zu den Faktorpreisen benötigt, die gerade im Gesundheitswesen kaum verfügbar sind. 5. Die Data Envelopment Analysis ist ein nichtparametrisches Verfahren zur Analyse der Effizienz, das ohne die Annahme der Kostenminimierung auskommt, multiple Outputs auch mit Nullwerten zulässt und keine Inputpreise erfordert, die in aller Regel nicht oder nur ungenau gemessen vorliegen. 6. Bei einem Effizienzvergleich schweizerischer Krankenhäuser mit der DEAMethode sind subventionierte Krankenhäuser sowie Krankenhäuser mit Notfallaufnahme signifikant ineffizienter. Die Ineffizienz der Krankenhäuser nahm im untersuchen Zeitablauf ab.
9.5 Lektürevorschläge Im HANDBOOK OF HEALTH ECONOMICS befassen sich die Beiträge von SLOAN (2000) und SALKEVER (2000) mit Krankenhausleistungen. Eine Einführang in die parametrischen wie auch nichtparametrischen Methoden der Effizienzmessung findet sich in COELLI ET AL. (1998). Eine detaillierte Übersicht zu den parametrischen Frontieransätzen bieten KUMBHAKAR UND LOVELL (2000), während COOPER ET AL. (2000) die nichtparametrischen Methoden diskutieren.
9.Ü Übungsaufgaben
379
9.Ü Übungsaufgaben 9.1. Nennen Sie die Probleme, die bei der Messung des Krankenhaus-Outputs auftreten, und erläutern Sie mögliche Lösungsansätze. 9.2. Vergleichen Sie die Vor- und Nachteile der vorgestellten parametrischen und nichtparametrischen Verfahren der Effizienzmessung. Nennen Sie dabei jeweils Bedingungen, unter denen eine Methode der anderen eindeutig vorzuziehen ist. 9.3. Die Technologie im Krankenhausbereich sei durch konstante Skalenerträge gekennzeichnet. Zur Erstellung des Outputs verwenden die Krankenhäuser zwei Inputs mit den Mengen x\ und x%. a) Sie beobachten fünf Krankenhäuser mit identischem Output und folgenden Inputmengen: Krankenhaus xi x2
1 2 3 4 1 6 2 6 3
4 2 4
5 9 9
Welche Krankenhäuser produzieren effizient? Bestimmen Sie den Wert von 0, (siehe das Optimierungsproblem 9.4 auf Seite 370) für jedes Krankenhaus. b) Ihnen liegen zusätzlich noch Daten von zwei weiteren Krankenhäusern mit dem doppelten Output vor. Sie verwenden die Inputmengen (14;3,5) bzw. (2;16). Handelt es sich um effiziente Krankenhäuser? Wie würde Ihr Urteil ausfallen, wenn Sie nur das Krankenhaus mit den Inputmengen (14;3,5) beobachten würden?
10 Optimale Vergütung von Leistungserbringern
10.1 Problemstellung Im Mittelpunkt der „Ökonomik des Gesundheitswesens" steht die Frage, wie die Anreize für die Empfänger und Erbringer medizinischer Leistungen gestaltet werden sollten. Für die Bezieher von medizinischen Leistungen konnten wir dabei in Kapitel 6 einige wichtige Ergebnisse ableiten. Insbesondere sprechen mehrere Argumente dafür, dass eine Selbstbeteiligung der Versicherten an den von ihnen verursachten Ausgaben optimal ist. In diesem Kapitel wollen wir uns nun mit den Anreizen für die Leistungserbringer befassen. Die Brücke zu den Anreizen auf der Nachfrageseite bildet dabei das Ex-post Moral Hazard Problem. Es führt dazu, dass versicherte Individuen den Anreiz haben, eine zu hohe Menge an medizinischen Leistungen nachzufragen. Wie wir gezeigt haben, sollten die Versicherten deshalb einen Teil der Kosten selbst tragen (vgl. Folgerung 6.11). Eine zentrale Rolle bei dieser Entscheidung spielen jedoch auch die Erbringer der Leistungen und die Anreize, denen sie sich gegenübersehen. Zudem stellt das Problem der angebotsinduzierten Nachfrage einen weiteren Grand dafür dar, sich mit den Anreizen von Leistungserbringer näher zu beschäftigen (vgl. Kapitel 8). Jene lohnt sich für einen Leistungserbringer nämlich nur dann, wenn er für eine höhere Leistungsmenge auch ausreichend belohnt wird. Vergütungssysteme prägen im entscheidenden Maße die Anreize für Leistungserbringer. Eine wichtige Unterscheidung ist hierbei das Begriffspaar prospektiv und retrospektiv. Ein Vergütungssystem ist dabei umso prospektiver, je stärker es die Vergütung im vorneherein festlegt und so die Kostenverantwortung auf den Leistungserbringer überträgt. Ein retrospektives System hingegen berücksichtigt rückblickend den tatsächlichen Ressourcenverbrauch und verlagert dadurch die Kostenverantwortung auf die Institution, die die Vergütung leistet. Der Anstieg der Ausgaben für medizinische Leistungen hat in den letzten Jahren einen Trend zu prospektiven Vergütungssystemen ausgelöst. Insbesondere wird im Krankenhausbereich das früher vorherrschende Kostendeckungsprinzip immer mehr durch pauschale Vergütungen ersetzt. Ein Vorreiter hierfür war Medicare, die staatliche Krankenversi-
382
10 Optimale Vergütung von Leistungserbringern
cherung für Rentner in den USA, die 1984 ein Vergütungssystem auf der Grandlage von Diagnosis Related Groups (DRGs) einführte. Hierbei spielt die Diagnose des Patienten eine zentrale Rolle für die Höhe der Vergütung. Es handelt sich aber um kein reines Pauschalvergütungssystem, da auch die erbrachten Prozeduren bei der Bestimmung der DRGs berücksichtigt werden. In Deutschland erfolgte eine weitgehende Umstellung auf eine DRG-basierte Vergütung zum 1. Januar 2004. Die Schweiz wird in den kommenden Jahren ebenfalls dieses Vergütungssystem einführen. Von einer verstärkten prospektiven Ausrichtung der Vergütungssysteme erhofft man sich vor allem eine Senkung der Ausgaben im Gesundheitswesen. Aus ökonomischer Perspektive sind jedoch weniger die Ausgaben per se von Interesse als die Frage, ob die Leistungserbringer den Anreiz haben, unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Aspekte die Patienten optimal zu behandeln. Hierbei spielen neben der Höhe der Ausgaben auch die Qualität der Behandlung und die Anreize zu einer Selektion der Patienten eine wichtige Rolle. Zu starke Anreize, die Kosten niedrig zu halten, können hier eine Senkung der Qualität oder eine unerwünschte Selektion der Patienten zur Folge haben. Des Weiteren besteht die Gefahr, dass deren Leistungserbringer ein zu hohes Kostenrisiko aufgebürdet wird, das in Form einer Risikoprämie entlohnt werden muss. Schließlich sollte bei der Vergütung auch der Informationsvorsprung der Leistungserbringer nicht vernachlässigt werden. Aus der ökonomischen Theorie der Auftragsvergabe ist hier das Ergebnis zu berücksichtigen, dass eine vollständig prospektive Entlohnung nicht optimal ist, da sie dem Leistungserbringer eine zu hohe Informationsrente gewährt. In diesem Kapitel untersuchen wir, wie ein Vergütungssystem unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte optimal ausgestaltet werden sollte. Wir nehmen hierzu die Sichtweise eines Sachwalters der Patienten ein. Diese Rolle kann z.B. eine staatliche Institution wie ein nationaler Gesundheitsdienst oder eine private Krankenversicherung einnehmen. Wir gehen dabei davon aus, dass der Sachwalter die Interessen der Versicherten perfekt vertritt. Im anschließenden Kapitel 11 erörtern wir dann ausführlich, welche Institutionen konkret die Sachwalterrolle einnehmen können und welche Vor- und Nachteile diese Institutionen aufweisen. Der folgende Abschnitt 10.2 ist der theoretischen Analyse gewidmet. Wir stellen zunächst in Abschnitt 10.2.1 ein einfaches Grundmodell vor, aus dem wir das Prinzip der vollständigen Kostenverantwortung ableiten. Dieses besagt, dass der Leistungserbringer die Kosten der Behandlung im vollen Umfang tragen sollte. Anschließend erweitern wir das Grundmodell in den Abschnitten 10.2.2 bis 10.2.5 jeweils um einen Aspekt und zeigen, dass eine vollständige Übertragung der Kostenverantwortung auf die Leistungserbringer nicht mehr optimal sein muss. In Abschnitt 10.2.2 betrachten wir dabei einen risikoaversen Leistungserbringer. Die Folgen von asymmetrischer Information über die Mischung der vom Leistungserbringer behandelten Fälle untersuchen wir in Abschnitt 10.2.3. Im Mittelpunkt von Abschnitt 10.2.4 steht die Frage, wie die Ausgestaltung des Vergütungssystems die Behandlungsqualität beeinflusst. In Abschnitt 10.2.5 diskutieren wir den Fall, dass der Leistungserbringer entscheidet, welche Patienten behandelt werden. Schließlich werden die Ergebnisse der theoretischen Analyse in Abschnitt 10.2.6 zusammengeführt.
10.2 Ökonomische Theorie der Vergütung
383
In den Abschnitten 10.3 bzw. 10.4 widmen wir uns den Folgerungen für die Vergütung von Ärzten und Krankenhäusern. Wir stellen dabei jeweils vor, wie sich die Vergütungssysteme grandsätzlich ausgestalten lassen. Im Anschluss erörtern wir, welche Empfehlungen sich aus der theoretischen Analyse für die Vergütung von Ärzten und Krankenhäusern ableiten lassen. Die abschließenden Abschnitte befassen sich jeweils mit der Praxis der Vergütung. Wir diskutieren das Honorierungssystem für Ärzte in der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland. Bei der Vergütung der Krankenhäuser stehen die DRGs im Mittelpunkt. Die Ergebnisse dieses Kapitels werden schließlich in Abschnitt 10.5 zusammengefasst.
10.2 Ökonomische Theorie der Vergütung 10.2.1 Das Prinzip der vollständigen Kostenverantwortung 10.2.1.1 Das Grundmodell Wir betrachten einen risikoneutralen Sachwalter, der die Patientenwohlfahrt abzüglich der erwarteten Zahlung an den Leistungserbringer maximiert.1 Im Grundmodell möchte der Sachwalter, dass eine bestimmte Patientengruppe behandelt wird. Daraus erhält er einen Nutzen W in Höhe von W = B-P.
(10.1)
Darin entspricht B dem Nutzen aus der Behandlung der Patientengrappe in Geldeinheiten. P ist die Vergütung des Leistungserbringers. Dieser sei zunächst risikoneutral und habe die Nutzenfunktion
u(P,e)=P-K(e)-V(e)
mit e > 0,V(0) = 0,V'(e) > 0,V'{e) > 0.
(10.2)
Die monetären Kosten der Behandlung sind K(e); sie umfassen die tatsächlich getätigten Aufwendungen für die Versorgung der Patienten, d.h. die Kosten für Arbeitszeit, Hilfsmittel, Geräte usw.;2 e misst die Anstrengungen des Leistungserbringers, diese Kosten zu senken, V(e) stellt den Nutzenverlust aus dieser Anstrengung dar und ist streng konvex in e. Wenn der Leistungserbringer den Vertrag nicht annimmt, beträgt der Reservationsnutzen ü. Des Weiteren seien die Kosten K unsicher, 'Der Sachwalter könnte auch wie bei LAFFONT UND TIROLE (1993) und CHALKLEY
UND MALCOMSON (2000) eine utilitaristische Wohlfahrtsfunktion maximieren, in die sowohl die Patientenwohlfahrt als auch der Nutzen des Leistungserbringers eingehen. Es folgen die gleichen qualitativen Ergebnisse. 2 Die hier verwendete Kostenbegriff unterscheidet sich somit von dem in der herkömmlichen mikroökonomischen Theorie verwendeten Begriff, der die Minimalkosten der Erstellung eines Leistungsbündels bezeichnet.
384
10 Optimale Vergütung von Leistungserbringern
so dass sich aus den realisierten Kosten nicht die Anstrengung des Leistungserbringers ablesen lässt. Die erwarteten Kosten E{K{e)) hängen folgendermaßen von der Anstrengung ab: C{e) = E{K{e))
mit C'{e) < 0,C"(e) > 0,
(10.3)
d.h. eine höhere Anstrengung senkt den Erwartungswert der Kosten, aber eine höhere Anstrengung erreicht immer geringere Senkungen der erwarteten Kosten. Im Folgenden gehen wir von einem linearen Vergütungssystem der Form P = G + np + yK
(10.4)
aus. Die Vergütung P für die Behandlung von n Patienten setzt sich dabei zusammen aus einer Grundvergütung G, einer Fallpauschale p und einer Beteiligung yK an den gesamten Kosten K. Bei y = 0 trägt der Leistungserbringer folglich die volle Kostenverantwortung, bei y = 1 erstattet der Sachwalter sämtliche Kosten. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob und unter welchen Umständen eine Vergütung mit y > 0 optimal sein kann. Zunächst illustrieren wir anhand des Grundmodells das Argument für eine vollständige Übertragung der Kostenverantwortung auf den Leistungserbringer. Bis zum Ende von Abschnitt 10.2.4 soll die Zahl der zu versorgenden Patienten eine feste Größe sein, so dass die Fallpauschale p (die einen Anreiz zur Behandlung zusätzlicher Patienten vermittelt) vernachlässigt werden kann. Eine Übersicht über das Grundmodell gibt Tabelle 10.1 auf Seite 386.
10.2.1.2 Dasfirst-bestVergütungssystem Die optimalen Werte von P und e aus Sicht des Sachwalters erhalten wir, indem wir seine erwartete Wohlfahrt EW = E{W)=B-E(P)
(10.5)
unter der Nebenbedingung maximieren, dass der Leistungserbringer den Vertrag auch freiwillig annimmt. Hierzu muss der Erwartungsnutzen des Leistungserbringers EU mindestens dessen Reservationsnutzen entsprechen: EU(P,e) =E(u(P,e)) = E(P)-C(e)-V(e)
> ü.
Löst man diese Gleichung nach E(P) auf, dann lässt sich das Problem des Sachwalters vereinfachen zu maxEW = B-C{e)-V(e)-EU e,EU
u.d.Nb. EU>ü.
(10.6)
10.2 Ökonomische Theorie der Vergütung
385
Abb. 10.1. Optimales Anstrengungsniveau des Leistungserbringers
V'{e) -C(e)
marginale Anstrengungskosten V'(e)
marginale Kostenersparnis
-C(e)
e
FB
Im Optimum bindet die Nebenbedingung und es gilt EU = u. Die Bedingung erster Ordnung bezüglich e bestimmt das optimale Anstrengungsniveau: V'[eFB} =
-C'[eFB},
(10.7)
d.h. im Optimum entsprechen die marginalen Anstrengungskosten der Kostenvermeidung V'{e) der marginalen Kostenersparnis — C'{e) (siehe Abbildung 10.1). Für die erwartete first-best (FB) Vergütung erhalten wir aus der Bedingung EU = ü: E(P)= C[eFB} + V[eFB]+ü.
(10.8)
10.2.1.3 Implementierung des flrst-best Vergütungssystems Um das first-best Vergütungssystem zu implementieren, muss ein Vertrag entworfen werden, der den Leistungserbringer verpflichtet, die Patientengruppe zu behandeln, ihm einen Erwartungsnutzen in Höhe von EU = w garantiert und ihm den Anreiz gibt, das Anstrengungsniveau eFB zu wählen. Hier kommen grundsätzlich zwei Vertragstypen in Frage. Der erste Vertragstyp bezieht sich dabei direkt auf das Anstrengungsniveau e und sieht eine Vergütung in Höhe von f ü + V[eFB}+ K falls e > eFB P=l
(10.9) [
-z
falls e < eFB
vor. Die Vertragsstrafe z ist dabei so hoch, dass sich eine zu geringe Anstrengung nicht lohnt. Die Kosten der Behandlung werden vom Sachwalter getragen. Das Problem dieses Vertrags besteht allerdings darin, dass sich e vielfach nur schlecht beobachten oder nur ungenügend in Verträgen beschreiben lässt. Diesen Nachteil vermeidet der zweite Vertragstyp. Er beraht auf einem Vergütungssystem P mit der
386
10 Optimale Vergütung von Leistungserbringern Tabelle 10.1. Das Grundmodell der Vergütung
W=B-P U(P,e)=P-K(e)-V(e)
(10.1) mit
e > 0,V(0) = 0,V'(e) > 0,V"{e) > 0
W: B: P: u: e: K{e) C{e) V(e) u: G: n: P-
rFB:
C10 21)
C(e) = E(K(e)), C'(e) <0,C"(e) >0
(10.3)
P = G + np + yK
(10.4)
V'[eFB] = -C[eFB]
(10.7)
E(P)=ü + V[eFB}+C[eFB)
(10.8)
Nutzen des Sachwalters Nutzen aus Behandlung der Patientengruppe Vergütung des Leistungserbringers Nutzen des Leistungserbringers Anstrengung des Leistungserbringers zur Kostenvermeidung monetäre Kosten der Behandlung der Patientengruppe erwartete monetäre Kosten der Behandlung der Patientengruppe Nutzenverlust aus der Anstrengung, Kosten zu vermeiden Reservationsnutzen des Sachwalters Grundvergütung Anzahl der behandelten Patienten Fallpauschale Grad der Kostenübernahme durch den Sachwalter first-best
pauschalen Grundvergütung P = GFB = C[eFB} + V[eFB}+ü.
(10.10)
Der Leistungserbringer trägt dann die volle Kostenverantwortung. Sein Erwartungsnutzen ist EU(P,e)=E(P)-C(e)-V(e) = GFB~C{e)-V{e). Somit lautet sein Problem max EU(P,e) = GFB - C{e)
-V(e).
e
Die Bedingung erster Ordnung ist C'{e)-V'(e)=0 & e = eFB,
(10.11)
10.2 Ökonomische Theorie der Vergütung
387
d.h. der Leistungserbringer wählt bei einer vollständigen Kostenverantwortung selbst das optimale Anstrengungsniveau. Sein Erwartungsnutzen beträgt folglich EU(P,e) = GFB-C[eFB]-V[eFB]=
ü
(10.12)
und das First-best wird implementiert. Dieses Ergebnis bezeichnen wir als Prinzip der vollständigen Kostenverantwortung. Folgerung 10.1 Ist der Leistungserbringer risikoneutral und besteht seine einzige Aufgabe darin, die Kostenfür die Behandlung einer Patientengruppe möglichst niedrig zu halten, dann kann die optimale Lösung durch ein prospektives Vergütungssystem erreicht werden, das dem Leistungserbringer die vollständige Kostenvemntwortung überträgt. Wenn die Anstrengung des Leistungserbringers nicht beobachtbar ist oder vertraglich beschrieben werden kann, dann ist dies das einzige Vergütungssystem, das die optimale Lösung erreicht. In den folgenden Abschnitten prüfen wir, inwieweit dieses Ergebnis Bestand hat, wenn die Annahmen des einfachen Grundmodells gelockert werden. In Abschnitt 10.2.2 betrachten wir einen risikoaversen Leistungserbringer. Abschnitt 10.2.3 geht davon aus, dass der Leistungserbringer besser über die Fallmischung informiert ist als der Sachwalter. In Abschnitt 10.2.4 werden die Folgen analysiert, die eine Übertragung der Kostenverantwortung auf die Anreize zur Qualitätsbereitstellung des Leistungserbringers hat. In Abschnitt 10.2.5 schließlich gehen wir nicht mehr von einer vorgegebenen Patientengruppe aus, sondern untersuchen den Fall, dass der Leistungserbringer entscheidet, welche Patienten behandelt werden. Die Ergebnisse der theoretischen Analyse fassen wir in Abschnitt 10.2.6 zusammen. 10.2.2 Optimale Vergütung von risikoaversen Leistungserbringern Wir nehmen nun an, dass der Leistungserbringer risikoavers ist. Der Sachwalter sei weiterhin risikoneutral. Die streng konkave Nutzenfunktion des Leistungserbringers sei u{P,e) = u{P-K{e)-V{e))
mit u'> 0,w" < 0.
(10.13)
Wenn der Leistungserbringer keinen Vertrag mit dem Sachwalter schließt, soll er eine alternative Beschäftigung zur Verfügung haben. Diese stellt ihn so gut, als ob er das Nettoeinkommen s erhalten würde. Dieses Sicherheitsäquivalent s definiert seinen Reservationsnutzen ü = u[s\.
(10.14)
Wir untersuchen zunächst den Fall, dass der Sachwalter die Anstrengung des Leistungserbringers beobachten und zum Gegenstand einer Vertragsvereinbarung machen kann. Einen Überblick über das im Folgenden behandelte Modell wird in Tabelle 10.2 gegeben.
388
10 Optimale Vergütung von Leistungserbringern
Tabelle 10.2. Optimale Vergütung von risikoaversen Leistungserbringern bei nicht beobachtbaren Anstrengungen
u(P,e) = u{P-K{e)-V(e))
K(e)=a-e
mit
u'>0,u"<0
(10.14)
EW = B-E{P)
(10.15)
+ ae
mit a > 0,£(e) =0,Var(e) = 1
(10.22)
V(e) = \e2
(10.24)
P(K)=G + yK
s:
o: EW:
EU: yHy\
o2,: r:
f: e*: G*:
(10.25)
y = P-K(e)-V(e)
(10.26)
EU^py-fö
(10.27)
1 + m2
(10.36)
1
(10.37)
l + rc2 n*
(10.13)
ü = u[s]
i
a
l+rc2
r
°2 ~ ^
2(1+m 2 ) 2
(10.38)
Sicherheitsäquivalent bei alternativer Tätigkeit Standardabweichung der Kosten Erwartungsnutzen des Sachwalters Erwartungsnutzen des Leistungserbringers Einkommen des Leistungserbringers abzüglich der Anstrengungskosten Erwartungswert von y Varianz von y Maß der Risikoaversion optimaler Grad der Kostenübernahme durch den Sachwalter optimale Anstrengung des Leistungserbringers optimale Grundvergütung
10.2.2.1 Beobachtbare Anstrengung Wie oben lautet das Problem des Sachwalters (10.15)
unter der Nebenbedingung EU(P,e)>ü.
(10.16)
10.2 Ökonomische Theorie der Vergütung
389
Erneut bindet die Nebenbedingung im Optimum. Bei einem risikoaversen Leistungserbringer ist es zudem für jedes mögliche Anstrengungsniveau optimal, dass der Leistungserbringer seine monetären Kosten voll ersetzt bekommt. Ansonsten müsste der Sachwalter ihm eine Risikoprämie zahlen, die seine erwarteten Ausgaben unnötig erhöhen würde. Die Entlohnung des Nutzenverlusts aus Anstrengung erfolgt über die Grundvergütung, so dass das Vergütungssystem die Form P = G+ K annimmt. Unter Verwendung von (10.13) und (10.14) lässt sich die Nebenbedingung (10.16) folglich vereinfachen zu u(G-V(e)) = u[s]. Wir erhalten G = s + V(e).
(10.17)
Wegen P = G + K und Gleichung (10.3) gilt E(P) = G + C{e). Setzt man dies und Gleichung (10.17) in die Zielfunktion (10.15) des Sachwalters ein, dann lautet dessen Problem maxEW =B-C(e)-V{e)-s. (10.18) e
Aus der Bedingung erster Ordnung folgt V'[eFB] =-C[eFB\.
(10.19)
Wir erhalten für die Grundvergütung des Leistungserbringers gemäß (10.17) somit GFB = V{eFB\+s.
(10.20)
Bei der Vergütung des Leistungserbringers P = GFB + K beträgt diefirst-bestVergütung folglich P = s + V[eFB]+K. (10.21) Die Bedingungen (10.19) und (10.21) entsprechen den Gleichungen (10.7) und (10.8). Wir erhalten folglich die gleiche Lösung wie im Grundmodell. Wegen der Risikoaversion des Leistungserbringers lässt sich die first-best Lösung aber nicht durch eine Übertragung der Kostenverantwortung auf den Leistungserbringer erreichen, sondern der Vertrag muss direkt auf das Anstrengungsniveau e Bezug nehmen. Analog zu Gleichung (10.9) sieht dieser Vertrag eine Erstattung der Kosten und eine Grundvergütung GPB vor, falls e > eFB. Falls e < eFB, muss der Leistungserbringer eine Vertragsstrafe in Höhe von z leisten: (s + V[eFB]+Kfnllse>eFB P =
\ {
—z
falls e < eFB
Es ist jedoch fraglich, ob sich ein derartiger Vertrag durchsetzen lässt. Insbesondere dürfte der Sachwalter das Anstrengungsniveau nur unzureichend beobachten
390
10 Optimale Vergütung von Leistungserbringern
können. In diesem Fall muss er den Vertrag an die beobachtbaren Kosten knüpfen. Dies führt jedoch zu einem Zielkonflikt zwischen effizienten Anreizen zur Kostenvermeidung und einer effizienten Risikoteilung, den wir im folgenden Abschnitt diskutieren. 10.2.2.2 Nicht beobachtbare Anstrengung Um diesen Fall zu analysieren, machen wir einige vereinfachende Annahmen: 1. Für die Kosten unterstellen wir K(e)=a-e
+ ce
mit a > 0,£(e) = 0,Var(e) = 1.
(10.22)
Jede Einheit e senkt demnach die Kosten im Erwartungswert um eine Geldeinheit ausgehend von ihrem maximalen Betrag a. Damit entspricht C(e)=a-e
(10.23)
dem Erwartungswert und a der konstanten Standardabweichung der Kosten. 2. Der Nutzenverlust in Folge der Anstrengung V(e) nehme folgende Form an: V(e) = - e 2 .
(10.24)
Unter dieser Annahmen gilt für die first-best Lösung epB = 1 (vgl. Gleichung (10.19)). 3. Wir beschränken uns des Weiteren auf lineare Vergütungssysteme der Form P(K) = G + JK.
(10.25)
4. Zur Bestimmung des Erwartungsnutzens des Leistungserbringers definieren wir y, das Einkommen des Leistungserbringers abzüglich der Anstrengungskosten: y = P-K(e)-V(e).
(10.26)
Unter der Annahme, dass die Verteilung der Kosten durch Gleichung (10.22) beschrieben wird, ist der Erwartungsnutzen des Leistungserbringers allein eine Funktion des Erwartungswerts fiy und der Varianz a^ von y [vgl. MEYER (1987)]. Konkret nehmen wir an, dass EU=fiy-^.
(10.27)
Hierbei ist r ein Maß der Risikoaversion: Bei r = 0 ist der Leistungserbringer risikoneutral, bei r > 0 risikoavers.
10.2 Ökonomische Theorie der Vergütung
391
Bei dem Vergütungssystem (10.25) beträgt das Einkommen des Leistungserbringers abzüglich den Anstrengungskosten y = G-(\-i)K{e)-V{e). Folglich gilt für den Erwartungswert des Einkommens wegen (10.23) und (10.24) IJy = G-(\-y)C(e)-V(e)=G-(l-y)a+(l-y)e-^e2.
(10.28)
Für die Varianz des Einkommens ergibt sich wegen (10.22) o2 = (l-y)2o2.
(10.29)
Durch Einsetzen in (10.27) erhalten wir den Erwartungsnutzen des Leistungserbringers in Abhängigkeit von seiner Anstrengung e: EU(e) = G- (1 -y){a-e)
- l-e2 - r-{\ - y ) V .
(10.30)
Die ersten beiden Terme entsprechen dabei der erwarteten Vergütung des Leistungserbringers. Seine Anstrengungskosten werden durch ^e2 erfasst. Die Risikokosten betragen 5(1— y) 2 a 2 und sind somit umso größer, je höher die Kostenverantwortung des Leistungserbringers ist. Die Bedingung erster Ordnung für das optimale Anstrengungsniveau e* lautet 1 -y-e* = 0 . Damitist (10.31) e*(y) = l - y . Einsetzen in (10.30) führt zum Erwartungsnutzen des Leistungserbringers in Abhängigkeit von der Grundvergütung G und dem Grad der Kostenübernahme y des Sachwalters
EU(G,y) =_G-fl(i -y) + ^-^- - £(i - y ) V .
(10.32)
Für den Erwartungsnutzen des Sachwalters erhalten wir unter Verwendung von (10.25), (10.23) und (10.31) EW(G,y) = E(B - P(K)) = B-G-yC(e*(y)) = B-G-ay+y(l-y).
(10.33)
Die Teilnahmebedingung für den Leistungserbringer lautet bei der Erwartungsnutzenfunktion (10.27) und dem Sicherheitsäquivalent s für die beste alternative Tätigkeit EU(G,y) > s. Das Ziel des Sachwalters ist es, seinen Erwartungsnutzen unter dieser Nebenbedingung zu maximieren.
392
10 Optimale Vergütung von Leistungserbringern
Im Optimum bindet die Teilnahmebedingung EU = s. Gemäß Gleichung (10.32) wird G deshalb so gewählt, dass G = a{l-y)-^-^-
+ ^{l-y)W+s.
(10.34)
DerTerm | ( 1 — y) 2 a 2 gibt dabei die Risikoprämie für die Übernahme des Kostenrisikos durch den Leistungserbringer wieder. Einsetzen von (10.34) in (10.33) ergibt EW{y) =B-a + y(l - y ) + ^1
^ - r-(\ -y)2a2-s.
(10.35)
Das Problem des Sachwalters reduziert sich somit auf die Bestimmung des optimalen Grades der Kostenübernahme y. Aus der Bedingung erster Ordnung der Maximierung von Gleichung (10.35) bezüglich y erhalten wir
Die optimalen Werte für y, e und G ergeben sich durch Auflösen nach y und Einsetzen in Gleichungen (10.31) und (10.34):
Wir erhalten somit das intuitiv einleuchtende Ergebnis, dass der Sachwalter bei einem risikoaversen Leistungserbringer (r > 0) und unsicheren Kosten (a2 > 0) einen Teil der Kosten vergüten sollte. Zwar werden dadurch die Anreize zur Kostenvermeidung gemindert, der Sachwalter kann jedoch die Risikoprämie | ( 1 —y)2a2 für den Leistungserbringer senken. Der Anteil der Kostenübernahme durch den Sachwalter sollte umso größer sein (7* hoch), je höher die Risikoaversion r des Leistungserbringers und die Unsicherheit der Kosten o2. Entsprechend geht die damit verbundene Anstrengung des Leistungserbringers mit erhöhter Risikoaversion und Unsicherheit zurück. Bei r = 0 oder a 2 = 0 erhalten wir die first-best Lösung, sobald jedoch r > 0 und a2 > 0, ist 0 < y* < 1 und e* < eFB-
10.2 Ökonomische Theorie der Vergütung
393
Unsere Ergebnisse fassen wir zusammen in
Folgerung 10.2 Ist der Leistungserbringer risikoavers und sind die Kosten der Behandlung unsicher, dann lässt sich das First-best Optimum durch einen Vertrag implementieren, der direkt aufdas Anstrengungsniveau Bezug nimmt. Ist das Anstrengungsniveau nicht beobachtbar, dann ist das Firstbest Optimum nicht erreichbar. Eine teilweise Kostenübernahme durch den Sachwalter ist optimal, um die Risikoprämie für den Leistungserbringer zu senken.
10.2.3 Optimale Vergütung bei asymmetrischer Information iiber die Fallmischung Bei der Begründung des Prinzips der vollständigen Kostenverantwortung sind wir davon ausgegangen, dass der Sachwalter weiß, wie hoch die erwarteten Kosten für die Behandlung der Patientengruppe in Abhängigkeit von der Anstrengung des Leistungserbringers sind. In der Praxis dürfte jedoch der Leistungserbringer vielfach besser über diesen Zusammenhang informiert sein. Insbesondere kann er in der Regel besser die so genannte Fallmischung (englisch „case-mix") beurteilen, die den Behandlungsaufwand für eine Patientengruppe bestimmt. Die Folgen dieser Form der asymmetrischen Information untersuchen wir in diesem Abschnitt.3 Dabei betrachten wir die Gruppe der zu behandelnden Patienten erneut als gegeben. Tabelle 10.3 stellt die wichtigsten Gleichungen des im Folgenden behandelten Modells dar. Die erwarteten Kosten des Leistungserbringers nehmen die parametrische Form C(ß,e) = ß - e
(10.39)
an. Der Parameter ß kann dabei verschiedene Werte in dem Intervall [ß, ß] annehmen, wobei ß eine kostspielige Fallmischung anzeigt. Für alle ß sei C(ß,e) > 0. Bei symmetrischer Information über die Fallmischung kann der Sachwalter wie im Grundmodell die first-best Lösung durch ein Vergütungssystem P = G erreichen. Analog zu Bedingung (10.10) erhalten wir bei den erwarteten Kosten (10.39) für die optimale Höhe der Grundvergütung G
V[eFB]+ü.
(10.40)
Um die First-best Vergütung zu implementieren, muss die Grundvergütung folglich von ß abhängig sein. 3 In Abschnitt 10.2.5 betrachten wir dann den Fall, dass der Leistungserbringer über jeden einzelnen Patienten besser informiert ist als der Sachwalter und über die Behandlung entscheiden kann.
394
10 Optimale Vergütung von Leistungserbringern
Tabelle 10.3. Optimale Vergütung bei asymmetrischer Information über die Fallmischung
C(ß,c) = ß - c e*(Y)) + V(c*(Y)) + «
(10.39) (10.45)
= (l-y)(ß-ß0)
(10.47)
-ß0)-(p0-e*(y))-V(e*(y))-ü
(10.48)
ß G [ß, ß]: Fallmischung des Leistungserbringers ß0: durchschnittliche Fallmischung G(y): Grundvergütung des Leistungserbringers in Abhängigkeit von y
EI(y):
Erwartete Informationsrente des Leistungserbringers in Abhängigkeit von y
e*(y): y*:
Optimale Anstrengung des Leistungserbringers in Abhängigkeit von y Optimaler Grad der Kostenübernahme
Kann der Sachwalter das Anstrengungsniveau e beobachten, dann ist eine Umsetzung der First-best Lösung auch ohne Kenntnis von ß möglich. In diesem Fall kann das First-best Anstrengungsniveau mit Hilfe einer Vertragsstrafe implementiert werden. Die Kosten der Versorgung werden vom Sachwalter erstattet (siehe Gleichung (10.9)). Liegt asymmetrische Information iiber ß vor und ist e nicht beobachtbar, kann das First-best nicht erreicht werden. Dann muss der Sachwalter Anreize zu kosteneffizientem Verhalten über eine Kostenbeteiligung des Leistungserbringers setzen. Da er ß nicht kennt, kann er jedoch nicht die optimale Grundvergütung wählen. Der Leistungserbringer wird grundsätzlich behaupten, dass ß den höchsten Wert ß annimmt, um die höchstmögliche Grundvergütung zu erhalten. Will der Sachwalter sicherstellen, dass der Leistungserbringer den Versorgungsvertrag annimmt, und gleichzeitig effiziente Kostenvermeidungsanreize geben, dann miisste er eine Grundvergütung in Höhe von G(ß) bezahlen. Für alle ß < ß erhält der Leistungserbringer aber eine Informationsrente I, die zu Lasten des Sachwalters geht. Sie entspricht der Differenz aus dem Erwartungsnutzen des Leistungserbringers und seinem Reservationsnutzen ü. Im Erwartungswert beträgt sie EI = E(P) =
-E[C$,eFB)]-V[eFB]-ü G§)-{E($)-eFB))-V[eFB}-ü.
Unter Berücksichtigung von G(ß) = ß — epg + V[eFB] + ü vereinfacht sich dies zu £/ = ß - ß 0 mit dem Mittelwert der Fallmischung ß 0 = £"(ß).
(10.41)
10.2 Ökonomische Theorie der Vergütung
395
Als Alternative zu dieser Lösung betrachten wir im Folgenden eine teilweise Übernahme der Kosten durch den Sachwalter. Zwar schwächt diese die Anreize zur Kostenvermeidung, dafür lässt sich die erwartete Informationsrente des Leistungserbringers senken. Um dies zu zeigen, gehen wir von einer Vergütung P = G + yK aus. Im ersten Schritt behandeln wir y als exogenen Parameter und lösen das Problem des Leistungserbringers maxEU = G-{l-y)C{$,e)-V(e)
(10.42)
e
= G-(l Die Bedingung erster Ordnung ist \-y-V'[e}=0
(10.43)
und definiert e*(y). Totale Differenzierung von (10.43) ergibt e*'(y) = de/d^ = -l/V"(e) < 0, da V"(e) > 0. Damit die Teilnahmebedingung auch für ß erfüllt ist, muss gelten EU{y) = G{y) - (1 -Y)(ß-e*(Y)) - V(e*(y)) > ü.
(10.44)
Im Optimum bindet diese Bedingung, so dass G(Y) = (l-y)(ß-«*(Y))+V(e*(Y)) + «.
(10.45)
Die erwartete Informationsrente beträgt
EI(y) =
E[P(y)}-E[C(%e*(y))}-V(e*(y))-ü E[G(y)+yC(V,e*(y))]-E[CW,e*(y))]-V(e*(y))-ü.
(10.46)
Unter Verwendung von (10.45) erhalten wir ß0).
(10.47)
Die erwartete Informationsrente nimmt daher mit Y ab. Dies liegt daran, dass die Informationsrente nur für den Anteil (1 — Y) der Kosten anfällt, die der Leistungserbringer selbst trägt. Im zweiten Schritt wird nun der optimale Wert für Y bestimmt. Dazu betrachten wir die Höhe der erwarteten Vergütung in Abhängigkeit von Y und verwenden Gleichung (10.45): E[P{y)]=E[G(y)+yC®,e*(y))]
396
10 Optimale Vergütung von Leistungserbringern
Wir erhalten folglich für die erwarteten Vergütung
Sie setzt sich zusammen aus der erwarteten Informationsrente, den erwarteten monetären Kosten der Versorgung, dem Nutzenverlust durch Anstrengung und dem Reservationsnutzen des Leistungserbringers. Die Zielfunktion des Sachwalters in Abhängigkeit von y ist folglich EW(y)=E(B-P(y))
(10.48)
Die Bedingung erster Ordnung für den optimalen Kostenbeteiligungsgrad Y* lautet4
bzw. ß — ß 0 = —e*'[y*] + V(e*[y*])e*'[y*].
(10.49)
Auf der linken Seite der Gleichung (10.49) steht die marginale Senkung der Informationsrente. Die rechte Seite entspricht den marginalen Kosten für den Sachwalter, die durch geringere Anreize zur Kostenvermeidung verursacht werden: —e*'[Y*] > 0 ist die Zunahme der erwarteten monetären Kosten der Versorgung, V'(e*[Y*])e*'[Y*] < 0 steht für den Rückgang der Vergütung für die Anstrengungen des Leistungserbringers. Aus (10.43) folgt V(e*[Y*j) = 1 — y*. Deshalb sind die gesamten marginalen Kosten positiv. Einsetzen in (10.49) und Auflösen nach Y* ergibt
Aus e*'[y*] < 0 und ß > ß 0 folgt Y* > 0, d.h. es ist für den Sachwalter optimal, die Vergütung mit den Kosten ansteigen zu lassen. Ursache hierfür ist die Möglichkeit, die Rente aus dem Informationsvorsprung des Leistungserbringers zu senken. Der Zusammenhang zwischen Vergiitung und Kosten ist umso ausgeprägter, •
je größer die Differenz ß — ß^ und damit die erwartete Informationsrente des Leistungserbringer ohne Kostenerstattung ist, und
•
je kleiner |e*'[y*]|, d.h. je weniger die Anstrengung des Leistungserbringers an der Stelle Y* auf Y reagiert. 4
Eine hinreichende, aber nicht notwendige Bedingung für ein Maximum ist e*"(y) < 0 O V'"(e) > 0.
10.2 Ökonomische Theorie der Vergütung
397
Dies führt uns zu Folgerung 10.3 Bei asymmetrischer Information Uber die Mischung der vom Leistungserbringer behandelten Fälle kann esfür den Sachwalter optimal sein, die Vergütung mit den Kosten ansteigen zu lassen, um die erwartete Informationsrente des Leistungserbringers zu verringern. Das Problem der asymmetrischen Information über die Kostenfunktion des Leistungserbringers ist im Detail von LAFFONT UND TIROLE (1993) untersucht worden. Dabei zeigt sich, dass die hier untersuchte proportionale Kostenteilung noch nicht die optimale Lösung darstellt. Der Erwartungsnutzen des Sachwalters lässt sich noch erhöhen, wenn dem Leistungserbringer ein Menü von Verträgen der Form P(ß) = G(ß) + y(ß).Sr angeboten wird. Ein Leistungserbringer mit der Fallmischung ß wählt dann aus diesem Menii die für ihn optimale Kombination aus Grundvergütung und Kostenteilung. Stehen mehrere Leistungserbringer zur Verfügung, kann schließlich noch die Rente der Leistungserbringer durch eine Versteigerung des Versorgungsauftrags gesenkt werden. Aber auch dann bleibt generell ein Vertrag optimal, der den Sachwalter an den Kosten beteiligt. 10.2.4 Optimale Vergütung und Qualitätsbereitstellung Im Folgenden untersuchen wir, inwieweit ein Vergütungssystem sowohl Anreize zu kosteneffizientem Verhalten als auch für eine optimale Qualitätsbereitstellung geben kann. Unter Qualität lässt sich dabei die Intensität bzw. Sorgfalt der Behandlung verstehen. Diese Qualität äußert sich insbesondere im Wohlbefinden des Patienten und ist daher nicht einfach erfassbar. Auch wenn mangelnde Qualität zu Komplikationen fiihrt, bleibt fraglich, ob sich dies auf das Fehlverhalten des Leistungserbringers zurückführen lässt. Deshalb steht im Folgenden der Fall im Mittelpunkt, dass Qualität nicht verifizierbar ist. Darunter verstehen wir, dass dem Leistungserbringer vor einem Gericht nicht nachgewiesen werden kann, dass er ein vereinbartes Qualitätsniveau nicht eingehalten hat. Dies bedeutet, dass Qualität nicht explizit in Vergütungsverträgen berücksichtigt werden kann. 10.2.4.1 DasModell Wir erweitern das Grundmodell aus Abschnitt 10.2.1 um ein eindimensionales Maß für Qualität q. Der Nutzen des Sachwalters aus der Behandlung einer bestimmten Anzahl von Patienten, B(q), nehme mit der Behandlungsqualität zu, d.h. Bq > 0. Die erwarteten Kosten der Leistung hängen von q und der Anstrengung des Leistungserbringers e ab und betragen C(q,e). Es gelte Cq > 0,Ce < 0 für alle (q,e). Der Leistungserbringer wird mit P vergütet. Die Zielfunktion des Sachwalters lautet 5 EW=B(q)-E(P). 5
(10.51)
Ein vergleichbares Modell für den Fall eines utilitaristischen Sachwalters findet sich in (2000).
CHALKLEY UND MALCOMSON
398
10 Optimale Vergütung von Leistungserbringern
Dem Leistungserbringer entsteht ein Nutzenverlust in Höhe von V(q, e). Es gelte Ve > 0 für alle (q,e). Bezüglich Vq sind im Prinzip alle Fälle möglich: Falls Vq > 0, so senkt Qualitätsbereitstellung den Nutzen des Leistungserbringers. Bei Vq > 0 ist er indifferent bezüglich Qualität. Ist Vq < 0, dann hat der Leistungserbringer ein Eigeninteresse an Qualität. Der Leistungserbringer sei wie der Sachwalter risikoneutral. Sein Erwartungsnutzen beträgt EU = E(P)-C(q,e)-V(q,e).
(10.52)
Sein Reservationsnutzen sei erneut ü. Das Problem des Sachwalters ist es, seine Zielfunktion (10.51) unter den Nebenbedingungen (10.52) und EU > ü zu maximieren. Das First-best lässt sich bestimmen durch = B(q)-E{P)
u.d.Nb. E(P)-C(q,e)-V(q,e)>ü.
(10.53)
Dies führt zu EU — ü sowie Bq[qFB\ -Cq[qFB,eFB\ -Ce[qFB,eFB]
- Vq[qFB,eFB] = 0 -Ve[qFB,eFB] =0
(10.54) (10.55)
Wir nehmen an, dass die Bedingungen zweiter Ordnung erfüllt sind, d.h. dass C(q,e) + V(q,e) konvex ist. Des Weiteren wird unterstellt, dass Cq[qFB,eFB] + Vq[qFB,eFB] > 0.
(10.56)
Diese Annahme hat zur Folge, dass ein Leistungserbringer, der die vollen Kosten der Behandlung C(q, e) tragen muss, nicht freiwillig die optimale Qualität qFß wählt. Im Folgenden gehen wir zunächst davon aus, dass die Behandlungsqualität oder der Behandlungserfolg verifizierbar sind. Anschließend betrachten wir den Fall, dass weder die Qualität noch der Behandlungserfolg explizit in Vergütungsverträgen berücksichtigt werden können. Einen Überblick über das Modell gibt Tabelle 10.4 10.2.4.2 Verifizierbare Qualität oder verifizierbarer Behandlungserfolg Ist die Qualität q oder der Behandlungserfolg B(q) verifizierbar, dann gibt es mehrere Möglichkeiten, das First-best zu implementieren: 1. Ist Qualität verifizierbar, so kann ein Vertrag einfach die optimalen Werte qFB und eF B vorschreiben und bei Abweichung eine prohibitive Bestrafung vorsehen. Die Kosten werden dann vom Sachwalter getragen, und der Leistungserbringer erhält eine Grundvergütung G*, so dass G* = ü + V[qFB,eFB\-
10.2 Ökonomische Theorie der Vergütung
399
Tabelle 10.4. Optimale Vergütung und Qualitätsbereitstellung
EW=B(q)-E(P),Bq(q)>0
(10.51)
EU = E(P)-C(q,e)-V(q,e) Bq[qFB]-Cq[qFB,eFB]-Vq[qFB,eFB] -Ce[qFB,eFB]
(10.52) =0
- Ve[qFB,eFB] = 0
(10.54) (10.55)
Bq[qFB]
6E(W) cry
= Bqqy > 0 falls
qy > 0
n(q) mit n'(q) = nq(q) > 0
B(a):
f.
n(q): PFB'-
(10.73)
7=0
(10.75)
Maß für die Qualität der Behandlung Behandlungsnutzen in Abhängigkeit von der Behandlungsqualität Optimaler Grad der Kostenübernahme bei Vq < 0 und Ve = 0 Nachfrage nach Behandlung in Abhängigkeit von der Behandlungsqualität Optimale Fallpauschale bei qualitätsabhängiger Nachfrage
Alternativ kann ein Vertrag ein Qualitätsniveau qFB vorschreiben und darüber hinaus dem Leistungserbringer vollständige Kostenverantwortung übertragen. Der Leistungserbringer erhält dann eine Grundvergütung G und steht vor folgendem Problem maxEU = G-C(qFB,e)
- V{qFB,e).
(10.57)
Die Bedingung erster Ordnung lautet -Ce [qFß, eFB] - Ve [qFB
,eFB}=0
und ist mit derjenigen im first-best Vertrag identisch (siehe Gleichung (10.55)), d.h. der Leistungserbringer wählt den optimalen Wert eFB. Beträgt die Grundvergütung G = C[qFB,eFB}+V[qFB,eFB}+a, (10.58) dann kann vollständige Kostenverantwortung bei gleichzeitiger Qualitätskontrolle die first-best Lösung implementieren. 2. Ist der Behandlungserfolg verifizierbar, dann kann ein Vertrag einerseits die optimalen Werte (ß[?fß],ef B ) vorschreiben. Andererseits lässt sich ein vom Behandlungserfolg abhängiges Vergütungssystem der Form P = G + B{q)
mit G = C[qFB,eFB] + V[qFB,eFB] + ü-B[qFB]
(10.59)
wählen. Wie sich leicht zeigen lässt, wählt der Leistungserbringer dann die optimalen Werte von qFB und eFB und erhält seinen Reservationsnutzen ü.
400
10 Optimale Vergütung von Leistungserbringern
Bei einem risikoneutralen Leistungserbringer führen sowohl Verträge, die auf das Qualitätsniveau, als auch solche, die auf den Behandlungserfolg abstellen, zum identischen Ergebnis. Ist der Leistungserbringer allerdings risikoavers, dann ist dies nur der Fall, wenn ein deterministischer Zusammenhang zwischen B und q vorliegt. Bei einem stochastischen Behandlungserfolg, der durch Qualität nur in seinem Erwartungswert gesteuert werden kann, muss der Sachwalter einem risikoaversen Leistungserbringer eine Risikoprämie zahlen. In diesem Fall ist deshalb ein Vertrag, der eine Qualitätskontrolle vorsieht, besser. Die first-best Lösung lässt sich dann aber nur erreichen, wenn auch die Anstrengung e beobachtbar ist. Falls nicht, lässt sich nur die in Abschnitt 10.2.2 abgeleitete second-best Lösung erreichen. Unsere Ergebnisse fassen wir zusammen in Folgerung 10.4 Ist Qualität oder der Behandlungserfolg verifizierbar, dann lässt sich das First-best bei einem risikoneutralen Leistungserbringer durch Übertragung der vollständigen Kostenverantwortung auf den Leistungserbringer erreichen. Bei stochastischem Behandlungserfolg und risikoaversem Leistungserbringer ist eine Qualitätskontrolle einer Kopplung der Vergütung an den Behandlungserfolg vorzuziehen. In der Praxis ist damit zu rechnen, dass weder das Qualitätsniveau noch der Behandlungserfolg ausreichend gut erfasst werden können. Verträge, die auf diese Größen Bezug nehmen, werden sich kaum durchsetzen lassen. Deshalb widmen wir uns im Folgenden dem Fall, dass weder Qualität noch der Behandlungserfolg verifizierbar sind. 10.2.4.3 Nicht verifizierbare Qualität und nicht verifizierbarer Behandlungserfolg Sind Qualität und der Behandlungserfolg nicht verifizierbar, dann besteht die Gefahr, dass der Leistungserbringer bei voller Kostenverantwortung zu wenig Qualität anbietet. Dies muss jedoch nicht zwangsläufig dazu führen, dass sich die first-best Lösung nicht mehr implementieren lässt. Dies zeigt der von ELLIS UND M C G U I R E (1986) untersuchte Fall, der von Vq < 0 und Ve = 0 ausgeht, d.h. der Leistungserbringer hat ein Eigeninteresse an Qualität und Kostenvermeidung verursacht ihm keinen Nutzenverlust. Dann kann ein first-best Vergütungssystem der Form P = G + yK
(10.60)
implementiert werden. Der Leistungserbringer steht bei diesem Vergütungssystem vor dem Problem maxEU = G- (1 -y)C(q,e)-V(q). (10.61) Die Bedingungen erster Ordnung lauten yCq(q,e)-Cq(q,e)-Vq(q)=0 (l-j)Ce(q,e)
=0.
(10.62) (10.63)
10.2 Ökonomische Theorie der Vergütung
401
Erneut gehen wir davon aus, dass die Bedingung zweiter Ordnung erfüllt ist. Ist ^=
Bq[qFB]
^
jCq{qFB,eFB]=Bq[qFB},
(10.64)
dann entsprechen die Bedingungen (10.62) und (10.63) den Bedingungen erster Ordnung des Sachwalters (10.54) und (10.55), da Ve = 0. Folglich wählt der Leistungserbringer eFB und qFB. Der optimale Grad der Kostenübemahme durch den Sachwalter y ist dabei wegen der Bedingungen (10.54) und (10.56) positiv. Des Weiteren ist y < 1, da die Bedingung (10.54) und Vq < 0 Bq[qFB\ = Cq[qFB,eFB\+Vq[qpB]
< Cq[qFB,eFB]
implizieren. Dieses Ergebnis lässt sich folgendermaßen interpretieren. Einerseits ist eine volle Kostenverantwortung des Leistungserbringers (y = 0) nicht optimal, weil er dann nicht hinreichend den Nutzen des Sachwalters aus der Qualitätsbereitstellung berücksichtigt. Andererseits stellte keine Kostenverantwortung (y = 1) ebenfalls keine optimale Lösung dar, weil der Leistungserbringer dann die Qualität ohne Rücksicht auf die Kosten ausweiten würde. Die first-best Lösung lässt sich grundsätzlich also auch bei nicht verifizierbarer Behandlungsqualität erreichen, allerdings nur unter der unrealistischen Annahme Ve = 0. In der Regel dürften Kostenvermeidungsanstrengungen jedoch zu einem Nutzenverlust führen. Es stellt sich deshalb die Frage nach dem optimalen Vergütungssystem bei Ve > 0. Für den Fall, dass der Leistungserbringer einen Nutzenverlust durch Behandlungsqualität hat, d.h. Vq > 0, fällt die Antwort leicht: Er sollte volle Kostenverantwortung tragen, da er sowieso die minimal vertretbare Qualität q anbieten wird. Ist der Leistungserbringer indifferent bezüglich der Qualitätsbereitstellung, d.h. Vq = 0, dann sind zwei Lösungen möglich. Zum einen kann es optimal sein, dass der Leistungserbringer keine Kostenverantwortung trägt ( y = 1). Der Leistungserbringer wählt dann zwar e — 0. Ist er jedoch zumindest ein lexikographischer Altruist, dann entspricht wenigstens die Behandlungsqualität dem optimalen Niveau von q bei e = 0.6 Zum anderen kann es optimal sein, dem Leistungserbringer volle Kostenverantwortung zu geben. Dann wählt er zwar das minimale Qualitätsniveau q, handelt jedoch kosteneffizient. Ein Wert von y zwischen Null und Eins kann jedoch nicht optimal sein, da der Leistungserbringer dann ebenfalls die minimale Qualität q bereitstellt, aber nur ein suboptimales Anstrengungsniveau e wählt.7 6
Ein lexikographischer Altruist ist eine Person, die dann zum Wohle anderer handelt, wenn ihr dadurch selbst keine Kosten entstehen. Andernfalls verfolgt sie ausschließlich ihr Eigeninteresse. 7 Ist das Anstrengungsniveau e beobachtbar, dann kann ein Vertrag, der bei zu geringer Anstrengung eine Vertragsstrafe vorsieht und die Kosten voll erstattet (siehe Gleichung (10.9)), bei einem lexikographischen Altruisten sogar das First-best erreichen. Der Leistungserbringer wählt dann wegen der Vertragsstrafe die First-best Anstrengung und, da er die Kosten nicht trägt, außerdem die optimale Qualität. Bei Vq < 0 führt diese Lösung allerdings nicht zum First-best, da dann zu viel Qualität bereitgestellt würde.
402
10 Optimale Vergütung von Leistungserbringern
Von besonderem Interesse ist der Fall Vq < 0, in dem der Leistungserbringer ein Eigeninteresse an Qualität besitzt. Hier ist nicht sicher, ob der Leistungserbringer volle Kostenverantwortung tragen sollte. Um die optimale Lösung zu charakterisieren, gehen wir erneut davon aus, dass der Sachwalter einen Teil y der Kosten trägt. Das Problem des Leistungserbringers lautet dann maxEU = G- (1 -y)C(q,e)-V(q,e).
(10.65)
q,e
Die Bedingungen erster Ordnung sind -(l-y)Cq(q,e)-Vq{q,e)=0 -(l-y)Ce(q,e)-Ve(q,e)=0;
(10.66) (10.67)
sie definieren bei Erfüllung der Bedingung zweiter Ordnung die Funktionen q*(y) und e*(y). Obwohl sich die Vorzeichen von qy = dq/dy und ey = de/dy nicht allgemein bestimmen lassen, ist es eine plausible Hypothese, dass qy>0 und ey < 0, d.h. dass eine höhere Kostenübernahme durch den Sachwalter zu höherer Qualitätsbereitstellung, aber geringerer Kostenvermeidungsanstrengung führt. Der erwartete Nutzen des Sachwalters ist EW = B(q(y))-yC(q*(y),e*(y))-G.
(10.68)
Im Optimum wird G so gewählt, dass die Teilnahmebedingung des Leistungserbringers bindet, d.h. dass EU = G-{\ -y)C{q*(y),e*(y)) - V{q*(y),e*(y)) = ü.
(10.69)
Löst man diese Gleichung nach G auf und setzt sie in (10.68) ein, so ist der erwartete Nutzen des Sachwalters EW(y)=B(q(y))-C(q(y),e(y))-V(q(y),e(y))-ü.
(10.70)
Die Ableitung nach y ergibt dEW = Bqqy -Cqqy~dy~
Ceey - Vqqy -VeeT
(10.71)
Unter Verwendung von (10.66) und (10.67) lassen sich die letzten beiden Terme substituieren und man erhält dEW dy
B
- yCqqy - yCeer
(10.72)
An der Stelle y — 0 ist folglich dEW dy
= Bqqy>0
falls
qy>0,
(10.73)
10.2 Ökonomische Theorie der Vergütung
403
d.h. eine volle Kostenverantwortung des Leistungserbringers ist in diesem Fall nicht optimal, da sie zu einer zu hohen Qualitätseinbuße führt. Die Intuition dieses Ergebnisses besteht darin, dass ausgehend von einer vollen Kostenverantwortung des Leistungserbringers die Verluste durch eine Verringerung der Kostenanreize vernachlässigbar sind, so dass nur der Qualitätseffekt wirkt. Aus der Bedingung (10.73) folgt, dass sich im realistischen Fall Ve > 0 nur eine second-best Lösung mit y* > 0 verwirklichen lässt, in der die Kosten- und Qualitätsanreize gegeneinander abgewogen werden. Lediglich im oben diskutierten Sonderfall Ve = 0 entstehen keine Wohlfahrtsverluste durch geringere Anreize zu kosteneffizientem Verhalten und es kann das First-best kann durch y* = y erreicht werden. Folgerung 10.5 Ist weder der Behandlungserfolg noch die Behandlungsqualität verifizierbar und besitzt der Leistungserbringer ein Eigeninteresse an Qualität, dann ist eine teüweise Kostenübernahme des Sachwalters optimal. Unter der Annahme, dass dem Leistungserbringer ein Nutzenverlust durch Anstrengungen zur Kostenvermeidung entsteht, lässt sich nur eine second-best Lösung verwirklichen, in der die Kosten- und Qualitätsanreize gegeneinander abgewogen werden. Schließlich wollen wir noch auf den Fall eingehen, dass die Nachfrage nach medizinischen Leistungen qualitätsabhängig ist. Hier hat MA (1994) gezeigt, dass sich auch bei nicht verifizierbarer Qualität Anreize zur Qualitätsbereitstellung schaffen lassen, wenn der Leistungserbringer eine Fallpauschale pro Patient erhält. Mit der Anzahl der behandelten Patienten n und einer Fallpauschale in Höhe von p nimmt das Vergütungssystem dann folgende Form an: P = G + pn.
(10.74)
Der Leistungserbringer trägt somit die volle Kostenverantwortung. Die Nachfrage nach medizinischen Leistungen sei n(q)
mit ri(q) = nq(q) > 0.
(10.75)
Das Problem des Leistungserbringers lautet folglich maxEU = G + pn(q) -C(q,e)-V{q,e)
(10.76)
mit den Bedingungen erster Ordnung pnq-Cq{q,e)-Vq{q,e)=0 -Ce(q,e)-Ve(q,e)=0.
(10.77) (10.78)
Setzt man B^FB\
pFBnq[qFB\=Bq[qFB\,
(10.79)
dann erhält man die optimale Fallpauschale, bei der der Leistungserbringer [qFB, eF B] wählt: Nach Einsetzen von (10.79) in (10.77) entsprechen die Bedingungen (10.77) und (10.78) den first-best Bedingungen (10.54) und (10.55).
404
10 Optimale Vergütung von Leistungserbringern
Allerdings ist auch diese Lösung mit Problemen behaftet. Einerseits ist es fraglich, ob Individuen die Qualität z.B. eines Krankenhauses richtig beurteilen können. Machen die Patienten zum Beispiel die Qualität hauptsächlich an äußerlichen Faktoren wie dem Hotelservice fest, dann kann es in diesem Bereich zu einer Überinvestition seitens des Leistungserbringers auf Kosten anderer Qualitätsdimensionen kommen [vgl. CHALKLEY UND MALCOMSON (1998)]. Gerade aus diesem Grund hat der Sachwalter (neben der hier nicht betrachteten Versicherungsfunktion) die Aufgabe, durch die Gestaltung des Vergütungssystems die richtigen Anreize zu schaffen. Andererseits gibt es Situationen, in denen die Nachfrage unabhängig von der Qualität ist. Dieser Fall wird insbesondere dann eintreten, wenn die Patienten nur von einem Leistungserbringer, etwa einem regionalen Krankenhaus, behandelt werden können. Erst bei mehreren Leistungserbringern ist mit einer qualitätsabhängigen Nachfrage und deshalb mit einem Qualitätswettbewerb zu rechnen.8 Mit Problemen bei der Bereitstellung von Qualität, die von den Patienten beurteilt werden kann, ist deshalb vor allem in Monopolsituationen zu rechnen. In diesem Fall hilft allerdings auch die Ma'sche Lösung kaum weiter. Dem Sachwalter bleibt dann nur übrig, in einer second-best Lösung Kosten- und Qualitätsanreize gegeneinander abzuwägen. Unsere Ergebnisse fassen wir zusammen in Folgerung 10.6 Ist die Nachfrage qualitätsabhängig, dann kann die Fallpauschale unter Umständen das first-best Vergütungssystem sein. Der zu Grunde liegende Mechanismus wirkt vor allem dann, wenn die Patienten die Qualität richtig beurteilen und auf andere Leistungserbringer ausweichen können. Vermögen die Patienten die Qualität nicht richtig einschätzen oder gibt es nur einen Leistungserbringer, dann muss der Sachwalter im Rahmen einer second-best Lösung Kosten- und Qualitätsanreize gegeneinander abwägen.
10.2.5 Optimale Vergütung und Selektion von Patienten Im Grundmodell haben wir angenommen, dass der Leistungserbringer auf die Anzahl und Art der Versorgten keinen Einfluss hat. In der Praxis haben Leistungserbringer aber durchaus Möglichkeiten, Patienten auszuwählen. Bei einer rein prospektiven Vergütung besteht deshalb die Gefahr, dass sie sich auf leicht behandelbare Patienten konzentrieren. Schwerere Fälle könnten mit der Begründung abgewiesen werden, dass eine Behandlung nur wenig Aussicht auf Erfolg habe.9 8
Der Qualitätswettbewerb zwischen verschiedenen Leistungserbringern wurde von POPE (1989) untersucht. In einem Modell, in dem zwar die Gesamtnachfrage nach medizinischen Leistungen vorgegeben ist, der Marktanteil eines Leistungserbringers aber von seinem Qualitätsniveau bestimmt wird, zeigt er, dass das Qualitätsniveau mit der Wettbewerbsintensität zunimmt. 9 Eine erste theoretische Untersuchung dieses als „dumping" bezeichneten Verhaltens des Leistungserbringers findet sich in DRANOVE (1987). ALLEN UND GERTLER (1991),
10.2 Ökonomische Theorie der Vergütung
405
Will der Sachwalter unerwünschte Selektion vermeiden, dann muss er den Anreiz geben, dass jeder einzelne behandlungswürdige Patient auch behandelt wird. Ein Mittel hierzu besteht darin, den Leistungserbringer in Form einer Fallpauschale für jeden Patienten zu vergüten. In diesem Abschnitt wollen wir untersuchen, inwieweit hierdurch die Anreize zur Patientenselektion gesteuert werden können. Wir stellen zunächst in Abschnitt 10.2.5.1 das Modell vor. Anschließend betrachten wir in Abschnitt 10.2.5.2 den Fall, dass symmetrische Information über den Kostentyp des Patienten vorliegt. In diesem Fall lässt sich das Selektionsverhalten des Leistungserbringers perfekt mit einer Fallpauschale steuern. Die Anreize zu kosteneffizientem Verhalten bleiben dabei gewahrt. In Abschnitt 10.2.5.3 untersuchen wir, wie sich die Selektionsentscheidung des Leistungserbringers beeinflussen lässt, wenn nur dieser den Kostentyp des Patienten kennt. Wir zeigen, dass eine Vergütung des Leistungserbringers, die mit den Kosten ansteigt, sinnvoll sein kann, um eine unerwünschte Patientenselektion zu vermeiden. Tabelle 10.5 fasst die wichtigsten Gleichungen des Modells zusammen.
10.2.5.1 DasModell Die erwarteten Behandlungskosten einer Person betragen (10.80) Im Unterschied zur bisherigen Analyse handelt es sich hierbei um die individuellen Behandlungskosten einer Person und nicht um die Kosten der Behandlung einer vorgegebenen Patientengruppe. Die Patienten unterscheiden sich einerseits in Form des Parameters 0 und damit in ihren erwarteten Behandlungskosten. Für 0 nehmen wir dabei an
ee[e,e],e<e.
(io.8i)
Andererseits ist auch der individueüe Behandlungsnutzen b für den Sachwalter unterschiedlich. Für ihn gelte be[b,b],b
(10.82)
Wir gehen im Folgenden davon aus, dass die Parameter 0 und b gemäß der Verteilungsfunktionen F(0) und H(b) unabhängig voneinander in der Bevölkerung verteilt sind. Für b unterstellen wir eine Gleichverteilung, so dass die zugehörige Dichtefunktion h(b) konstant ist. MA (1994, Abschnitt 5) und ELLIS (1998) untersuchen zudem, wie der Leistungserbringer durch Qualitätsdiskriminierung Patienten selektieren kann. Dies lässt sich sowohl durch eine Qualitätsreduktion bei teuren Patienten (das so genannte „skimping") als auch durch eine überhöhte Qualitätsbereitstellung bei günstigen Patienten („creaming") erreichen.
406
10 Optimale Vergütung von Leistungserbringern Tabelle 10.5. Optimale Vergütung und Selektion von Patienten
c(Q,e)=Q-e
(10.80)
&-eFB + v[eFB} bs(Q) 1+a
(10.84)
®-eFB + v{eFB] ^S/Q^
(Q)
EW(p,y)
6
b
=J
1
(\+a)b-(Q-e*(y))-v[e*(y)}dH(b)dF(e)
*.. ' ((i+a)(\-y)-a)(e0-e*(y))
dbE
(60-9)
d
u
Y 7=0
dEW dy 9e[9,9]: 90: F(9): be{b,b\. H(b),h(b): c(Q,e): v(e): ab: bs : bE: PFB'-
p*:
h[bE] 7=0 ~
2
CC2 ^ 6 ^
+ v{e*(y)]
(10.88)
(10.92)
(10.94)
(10.99)
/1 n i f\f\\ \i\j. 1UU;
Kostentyp des Patienten durchschnittlicher Kostentyp Verteilungsfunktion von 9 Behandlungsnutzen des Patienten Verteilungs-, Dichtefunktion von b erwartete monetäre Behandlungskosten eines Patienten Nutzenverlust aus der Anstrengung, die Kosten des Patienten zu senken Nutzen des Leistungserbringers aus Behandlung kritische Behandlungsgrenze des Sachwalters kritische Behandlungsgrenze des Leistungserbringers optimale Fallpauschale bei symmetrischer Information optimale Fallpauschale bei asymmetrischer Information
In den Nutzen des Leistungserbringers gehe auch der Behandlungsnutzen eines Patienten in Höhe von ab ein, wobei a > 0. Bei der Behandlung eines Patienten entstehen ihm Anstrengungskosten von v(e) mit v'(e) > 0 und v"(e) > 0. Der Sachwalter maximiere eine utilitaristische Wohlfahrtsfunktion. Er wünscht deshalb eine Behandlung eines Patienten, wenn der Gesamtnutzen, d.h. der Nutzen des Sachwalters und des Leistungserbringers, höher ist als die Opportunitätskosten der Behandlung. Wenn wir davon ausgehen, dass der Leistungserbringer den Patienten kosteneffizient behandelt, dann sollte ein Patient folglich genau dann behandelt werden, wenn (l+a)b>c[Q,eFB)+v[eFB}.
(10.83)
10.2 Ökonomische Theorie der Vergütung
407
Abb. 10.2. Die kritische Behandlungsgrenze des Sachwalters
Behandlung
keine Behandlung
Die kritische Untergrenze Z^(9) aus Sicht des Sachwalters, bei der eine Behandlung gerade noch sinnvoll ist, ist mit (10.80) folglich definiert durch
1+a
(10.84)
Ein Patient mit den erwarteten Kosten 9 — e sollte behandelt werden, falls b > bs(Q). Eine Behandlung sollte unterbleiben, falls b < bs(Q). Des Weiteren gilt 1
^ 0, (10.85) 36 1+oc d.h. je höher die erwarteten Kosten eines Patienten, desto höher muss auch der Behandlungsnutzen sein, damit sich eine Behandlung lohnt. Dieser Zusammenhang wird in Abbildung 10.2 dargestellt. Es stellt sich die Frage, wie der Sachwalter den Leistungserbringer dazu veranlassen kann, nur die Patienten mit b > bs(Q) zu behandeln. Würde er sowohl b als auch 0 beobachten, könnte er natürlich selbst die Behandlungsentscheidung treffen. Allerdings ist dies unplausibel. Insbesondere wird in der Regel nur der Leistungserbringer b beobachten können. Wir gehen im Folgenden von dieser Situation aus und zeigen zunächst, dass der Sachwalter bei Kenntnis des Kostentyps 0 durch eine geeignete Ausgestaltung einer Fallpauschale eine optimale Behandlungsentscheidung für jeden Patienten erreichen kann. Liegt allerdings auch asymmetrische Information über den Kostentyp vor, dann ist dies nicht mehr generell möglich. In diesem Fall kann erneut eine teilweise Vergütung höherer Kosten durch den Sachwalter sinnvoll sein.
408
10 Optimale Vergütung von Leistungserbringern
10.2.5.2 Optimale Vergütung bei symmetrischer Information über den Kostentyp des Patienten Bei einer Fallpauschale p trägt der Leistungserbringer die Kosten der Behandlung und wählt somit ein optimales Anstrengungsniveau e = eFß, das durch die Bedingung -ce[Q,eFß] = v'[eFB] charakterisiert ist. Behandelt er einen Patienten mit den Eigenschaften (b,Q), erhöht sich sein Erwartungsnutzen folglich um
AEU = p - c[0, eFB] - v[eFB] + ab = p - (0 - eFB) - v{eFB] + ab. Der Leistungserbringer behandelt einen Patienten, falls AEU > 0 4=> p > 0 - eFB + v[eFB\ - ab.
(10.86)
Die kritische Untergrenze des Leistungserbringers £(0) beträgt damit
cx E
Setzt man b (Q) gleich der kritischen Untergrenze des Sachwalters bs(Q) aus Gleichung (10.84), so erhält man für die optimale Fallpauschale ^(0),
(10.88)
d.h. eine optimale Behandlungsentscheidung für alle Patienten lässt sich durch eine an die erwarteten Kosten angepasste Fallpauschale erreichen. Damit schließlich der Leistungserbringer auch bereit ist, den Versorgungsauftrag anzunehmen, muss noch seine Teilnahmebedingung EU > ü erfüllt sein. Bei einer erwarteten Anzahl von n behandelten Patienten ist der Erwartungsnutzen bei Abschluss des Versorgungsvertrags mit der Grundvergütung G
EU =
f PFB(Q) - (0 - eFB) - v[eFB}dF(Q) + J abdH(b)
(10.89)
Durch geeignete Wahl von G lässt sich sicher stellen, dass EU = u. Unser Ergebnis fassen wir zusammen in Folgerung 10.7 Bei symmetrischer Information iiber den Kostentyp kann eine an den erwarteten Kosten angepasste Fallpauschale die gewünschte Selektion der Patienten durch den Leistungserbringer erreichen.
10.2 Ökonomische Theorie der Vergütung
409
10.2.5.3 Optimale Vergütung bei asymmetrischer Information über den Kostentyp des Patienten Können die erwarteten Kosten nur vom Leistungserbringer beobachtet werden, dann kann die first-best Lösung nicht mehr erreicht werden. Der Sachwalter steht vor einem Zielkonflikt zwischen der unerwünschten Behandlung günstiger Patienten und der erwünschten Behandlung teurer Patienten: Eine zu hohe Fallpauschale gibt Anreize, zu viele günstige, aber nicht behandlungsbedürftige Patienten zu behandeln. Dieser Fall tritt z.B. ein, falls die Vergütung beim Patienten mit den höchsten Kosten ansetzt, so dass abE(0)
p = 0 - eFB + v[eFB] -
[vgl. Gleichung (10.86)]. In diesem Fall werden zwar alle behandlungsbedürftigen Patienten behandelt, aber auch Personen, für die sich aus Sicht des Sachwalters eine Behandlung nicht lohnt. Eine niedrigere Fallpauschale hingegen verhindert, dass teure, aber behandlungsbedürftige Patienten versorgt werden. Im Folgenden wollen wir untersuchen, ob dieser Zielkonflikt durch eine Kostenübernahme durch den Sachwalter gemildert werden kann. Wir betrachten erneut ein gemischtes Vergütungssystem der Form P = G + np + yK,
(10.90)
wobei K den gesamten Kosten des Leistungserbringers entspricht. Die Grundvergütung G wird dazu verwendet, mögliche Renten ex ante abzuschöpfen, so dass EU = ü. Zunächst geht es um die Rationierangsentscheidung des Leistungserbringers bei einem derartigen Vergütungssystem. Er trägt nur einen Anteil (1 — y) der Kosten und behandelt einen Patienten mit den Eigenschaften (b,Q) folglich genau dann, wenn = p-(l-y)(G-e*(y))-v(e*(y)) Darin ist e*(y) definiert durch die Kostenminimierungsbedingung v'[e*] = 1 - y. Somit beträgt die kritische Untergrenze des Leistungserbringers (,p,Y) mit
dbE _ l - y 30 a
dbE _ dp
1 a
dbE _ dy
0-e*(y) a
In Abhängigkeit von der Fallpauschale p und dem Grad der Kostenübernahme y beträgt der Erwartungsnutzen des Sachwalters folglich
EW(p,y) = J
I
(l+a)b-(Q-e*(y))-v[e*(y)]dH(b)dF(B).
(10.92)
410
10 Optimale Vergütung von Leistungserbringern
Der Sachwalter steht vor dem Problem, die Fallpauschale p und den Grad der Kostenübernahme yoptimal zu wählen, so dass der Leistungserbringer eine Behandlungsentscheidung im Sinne des Sachwalters trifft. Um dieses Problem zu lösen, bestimmen wir zunächst die optimale Fallpauschale für einen vorgegebenen Wert von y. Anschließend zeigen wir, dass eine teilweise Kostenerstattung optimal sein kann. Die optimale Fallpauschale Leiten wir Gleichung (10.92) nach der Fallpauschale p ab, so erhalten wir unter Verwendung der Leibniz-Regel10 folgende Bedingung erster Ordnung
9
(10.93) Wegen der Gleichverteilung von b (h[bE(Q,p,y)] ist eine Konstante) und dbE/dp = -1 /a lässt sich dies zu der äquivalenten Bedingung e
J[(l+a)bE(Q,P,y)-(Q-e*(y))-v[e*(y)]]dF(e)=O 9
vereinfachen. Einsetzen für bE aus (10.91) fiihrt zu e e Auflösen nach p ergibt die optimale Fallpauschale
mit
e0 = e
10
(10.94)
Nach der Leibniz-Regel [vgl. SYDS^TER ET AL. (1999, S. 51)] ist b
A I f{ptb)db=-np,hE(p)f^-+
E
b
I fp(p,b)db.
bE(p)
In unserem Fall ist f(p,b) d
= [(l + a)b-(Q-
\
E
e*(y)) - v(e*(y))]h(b). Folglich erhalten wir
E
— J f(p,b)db=-[(l+a)b (p)-(e-e*(y))-v(e*(y))}h[b }^+ bE(p)
und somit Bedingung (10.93).
dh
E
~bf
J Odfe
10.2 Ökonomische Theorie der Vergütung
411
Abb. 10.3. Die Behandlungsentscheidung des Leistungserbringers
Setzen wir p*(y) in Gleichung (10.91) ein, so erhalten wir den kritischen Wert bE des Leistungserbringers, wenn die Fallpauschale fiir einen vorgegebenen Grad der Kostenübernahme y optimal gewählt wird:
a(l + a)
(10.95)
Für y = 0 vereinfacht sich dies zu (1 + q)9 - 9 0 - aeFB + av[eFB} 1+a
00
-_e--
(10.96)
1+a Vergleichen wir dies mit dem optimalen kritischen Wert des Sachwalters bf (siehe Gleichung (10.84)), so erhalten wir < bs(Q) falls 9 < 6 bE(Q,p*{0},0){ = F ( 0 ) falls 0 = 00 . s
> b (Q) falls 0 > 00
(10.97)
412
10 Optimale Vergütung von Leistungserbringern
Die optimale Fallpauschale bei y = 0 löst demnach den Zielkonflikt zwischen unerwünschter Behandlung günstiger Patienten und erwünschter Behandlung teuerer Patienten so, dass der Leistungserbringer beim durchschnittlichen Kostentyp im Sinne des Sachwalters entscheidet. Günstigere Personen werden zu häufig behandelt, teurere Personen zu selten. Dies wird in Abbildung 10.3 dargestellt. Die Fläche I zwischen den Geraden bs und bE(Q,p*(0),0) zeigt dabei die Patienten, die behandelt werden, obwohl der Sachwalter eine Behandlung nicht für sinnvoll erachtet. Nicht behandelte, aber behandlungsbedürftige Patienten befinden sich im Bereich II. Das Argumentfür eine teilweise Kostenerstattung Wir wollen nun untersuchen, ob es für den Sachwalter sinnvoll sein kann, höhere Kosten mindestens teilweise zu vergüten. Dazu leiten wir bE(Q,p*(y),y) nach yab. Unter Verwendung von v'[e*] = 1 — yerhalten wir dbE(Q,p*(y),y)
=
dy
-
a(l + a) (l + a)(9 0 -9)-aye*'(y) =
(9^-9)_Öl oc 1+oc
(10.98)
Diese beiden Terme lassen sich folgendermaßen interpretieren. Der erste Term stellt einen Struktureffekt dar: Eine Übernahme höherer Kosten durch den Sachwalter senkt die Grenze für überdurchschnittlich teure Individuen (9 > 9 0 ) und erhöht sie für unterdurchschnittlich teure Personen (9 < 0 0 ) . Der zweite Term ist ein Niveaueffekt: Durch die Kostenübernahme des Sachwalters steigt die kritische Grenze unabhängig von 9, da e'{y) < 0. Während der erste Effekt im Sinne des Sachwalters ist, trifft dies auf den zweiten Effekt nicht zu. Da die Behandlungskosten durch die geringere Anstrengung des Leistungserbringers ansteigen, werden insgesamt weniger Patienten behandelt. An der Stelle y = 0 wirkt nur der Struktureffekt dbE
(e0-e) Y=0
(10.99)
a
Dies legt nahe, dass zumindest eine marginale Vergütung zusätzlicher Kosten und somit y* > 0 für den Sachwalter sinnvoll sein kann. Um dies zu zeigen, betrachten wir nochmals den Erwartungsnutzen des Sachwalters [vgl. Gleichung (10.92)]. Ist die Fallpauschale optimal gewählt, hängt dieser nur von y ab: e
b
EW(y) = J
I
(l + a)b-(Q-e*(y))-v[e*(y)}dH(b)äF(Q). ) ,y)
10.2 Ökonomische Theorie der Vergütung
413
Ableiten nach yunter nochmaliger Verwendung von v'[e*} = 1 - yund der LeibnizRegel ergibt dEW
e b
= J Jje*'(y)dH(b)dF(Q)
Durch Einsetzen aus (10.96) und Berücksichtigung der Gleichverteilung von b vereinfacht sich dies an der Stelle y = 0 zu dEW
_
h[bE\
~W y =o~~^~ Einsetzen von (10.99) ergibt schließlich
dEW 3
Y
Y =o
*&*>0.
(10.100)
Dabei ist a\ die Varianz von 0, d.h. eine marginale Kostenübernahme erhöht auf jeden Fall die Wohlfahrt des Sachwalters. Im Optimum gilt deshalb y* > 0. Verantwortlich für dieses Ergebnis ist der positive Struktureffekt, der nach Gleichung (10.99) durch eine marginale Kostenerstattung ausgelöst wird. Wie die gestrichelte Linie in Abbildung 10.3 zeigt, führt dies zu einer Drehung der kritischen Untergrenze um den Punkt C, d.h. es werden weniger nicht behandlungsbedürftige, aber mehr behandlungsbedürftige Patienten behandelt. Bei höheren Werten von y tritt neben dem Struktureffekt auch der Niveaueffekt —ye*'(y)/(\ + a) ein (vgl. Gleichung (10.98)), der dazu führt, dass insgesamt weniger Patienten behandelt werden. Der optimale Wert von y hängt deshalb insbesondere von e*'(y) und damit von den Anreizwirkungen der Kostenübemahme ab. Unser Ergebnis fassen wir zusammen in Folgerung 10.8 Herrscht asymmetrische Information über den Kostentyp des Patienten und entscheidet der Leistungserbringer über die Behandlung, dann besteht ein Zielkonflikt zwischen der unerwünschten Behandlung günstiger Patienten und der erwünschten Behandlung teuerer Patienten. Neben einer Fallpauschale ist eine teilweise Kostenübernahme durch den Sachwalter zur Steuerung des Selektionsverhaltens des Leistungserbringers optimal.
414
10 Optimale Vergütung von Leistungserbringern
Schließlich zeigen SAPPINGTON UND LEWIS (1999), dass eine einfache proportionale Kostenteilung nicht die optimale Lösung sein muss. Der Erwartungsnutzen des Sachwalters lässt sich noch erhöhen, wenn der Leistungserbringer selbst zwischen einer prospektiven Vergütung und einer Beteiligung an den Behandlungskosten wählen kann. Sappington und Lewis bezeichnen dies als „subjective risk adjustment". 10.2.6 Folgerungen für die Ausgestaltung von Vergütungssystemen Unsere theoretische Untersuchung hat einige Anhaltspunkte für die optimale Ausgestaltung von Vergütungssystemen ergeben. Ausgangspunkt unserer Überlegungen war dabei das Prinzip der vollständigen Kostenverantwortung, nach dem der Leistungserbringer die Kosten der Behandlung im vollen Umfang tragen sollte. Dieses Prinzip trifft unter folgenden Bedingungen zu: 1. Bei unsicheren Kosten der Behandlung ist der Leistungserbringer risikoneutral (Folgerung 10.1). 2. Es besteht symmetrische Information über die Mischung der vom Leistungserbringer behandelten Fälle (Folgerung 10.3). 3. Bei einem risikoneutralen Leistungserbringer sind entweder die Qualität oder der Behandlungserfolg verifizierbar; bei einem risikoaversen Leistungserbringer ist die Qualität verifizierbar (Folgerung 10.4). Diese Bedingungen entfallen lediglich dann, wenn die Nachfrage qualitätsabhängig ist (Folgerung 10.6). n Dann können durch eine Fallpauschale dem Leistungserbringer sowohl Anreize zur optimalen Qualitätsbereitstellung als auch zu einem effizienten Umgang mit Ressourcen gegeben werden. 4. Es herrscht symmetrische Information über die erwarteten Behandlungskosten eines Patienten, so dass sich die gewünschte Selektion der Patienten durch eine an die erwarteten Kosten angepasste Fallpauschale erreichen lässt (Folgerung 10.7). Trifft keine dieser Bedingungen zu, dann verliert das Prinzip der vollständigen Kostenverantwortung seine Gültigkeit. Unter Umständen kann dann ein Vertrag, der auf die Anstrengungen des Leistungserbringer zur Kostenvermeidung Bezug nimmt, das First-best erreichen.12 In der Regel dürfte diese Anstrengung allerdings für den Sachwalter nicht beobachtbar sein. Dann lässt sich nur eine „Second-best Lösung" errei1
'Ein Sonderfall tritt schließlich noch ein, falls der Leistungserbringer einen Nutzenverlust aus höherer Behandlungsqualität hat. Dann ist zwar keinefirst-bestLösung erreichbar. Das Prinzip der vollständigen Kostenverantwortung trifft aber trotzdem zu. Dieser Fall kann auch bei Indifferenz bezüglich der Behandlungsqualität vorliegen. Siehe hierzu Abschnitt 10.2.4.3 12 Dies trifft zu bei einemrisikoaversenLeistungserbringer, bei asymmetrischer Information über die Fallmischung und in einem Spezialfall bei nicht verifizierbarer Qualität (vgl. Fußnote 7).
10.2 Ökonomische Theorie der Vergütung
415
chen. Hier kann eine teilweise Kostenübernahme durch den Sachwalter zu besseren Ergebnissen führen.13 Sie ist in der Lage, 1. bei einem risikoaversen Leistungserbringer die Risikoprämie für den Leistungserbringer zu senken (Folgerung 10.2), 2. bei asymmetrischer Information über die Fallmischung die erwartete Informationsrente abzubauen (Folgerung 10.3), 3. bei nicht verifizierbarer Qualität und nicht verifizierbarem Behandlungserfolg die Qualität der Behandlung zu erhöhen (Folgerung 10.5), 4. bei asymmetrischer Information über den Kostentyp des Patienten die Behandlungsentscheidung im Sinne des Sachwalters zu steuern (Folgerung 10.8). Bei der Gestaltung von Vergütungssystemen sollte deshalb überprüft werden, inwieweit die Bedingungen für das Prinzip der vollständigen Kostenverantwortung erfüllt sind. Dabei ist zu beachten, dass der Sachwalter bis zu einem gewissen Maße auch Einfluss auf die Bedingungen nehmen kann. So können die Anstrengungen zur Kostenvermeidung durch Wirtschaftlichkeitsprüfungen kontrolliert werden. Asymmetrische Information lässt sich durch Informationsbeschaffung abbauen. Des Weiteren können Qualitätssicherungsprogramme die Qualität beeinflussen. Aber selbst wenn sich alle oben genannten Bedingungen durch Maßnahmen seitens des Sachwalters erfüllen lassen, bleibt es fraglich, ob dies auch optimal ist, denn sie verursachen ebenfalls Kosten. Kommt man zu dem Ergebnis, dass die Bedingungen für das Prinzip der vollständigen Kostenverantwortung verletzt sind bzw. dass ihre Erfüllung zu kostspielig ist, dann stellen sich zwei Fragen: (i) Welchen Anteil der Kosten sollte der Sachwalter übemehmen? (ii) Wie sollen die Kosten erhoben werden? Ad (i): Die Höhe der optimalen Kostenübernahme wird von zwei Faktoren bestimmt. Einerseits hängt sie davon ab, wie viele und wie stark die Bedingungen für das Prinzip der vollständigen Kostenübernahme verletzt sind. Zum anderen spielt der Einfluss des Leistungserbringers auf die Kosten eine Rolle. Je größer dieser ist, desto geringer sollte ceteris paribus der Anteil der Kosten sein, die vom Sachwalter übernommen werden. Ad (ii): In unserer Modellanalyse sind wir davon ausgegangen, dass die Kosten für den Sachwalter beobachtbar sind. In der Praxis müssen diese jedoch beim Leistungserbringer erhoben werden. Eine wichtige Bedingung ist hierbei, dass diese Kostendaten nicht manipulierbar sind. Bei einer Kostenübernahme durch den Sachwalter hätte der Leistungserbringer sonst den Anreiz, die Kosten übertrieben hoch 13
Eine teilweise Kostenübernahme kann in dem Spezialfall, in dem der Leistungserbringer ein Eigeninteresse an Qualität (Vq < 0) und keine Nutzenverlust durch Kostenvermeidung hat (ye = 0), diefirst-bestLösung erreichen. Siehe hierzu ebenfalls Abschnitt 10.2.4.3
416
10 Optimale Vergütung von Leistungserbringern
anzusetzen, um eine höhere Erstattung zu erhalten. Aus diesem Grand kann eine überprüfbare Kostenrechnung vielfach nicht an leicht manipulierbaren Faktormengen wie der Arbeitszeit oder dem Materialverbrauch anknüpfen. Statt dessen muss man sich auf nachprüfbare Einzelleistungen stützen, die mit Kostensätzen belegt werden. Ein Vorteil dieser Einzelleistungsvergütung besteht dabei darin, dass Ärzte und Krankenhäuser den Anreiz haben, ihre Einzelleistungen effizient zu produzieren. Allerdings ist nicht zu erwarten, dass sie eine Kombination von Einzelleistungen wählen, mit der sie den von ihnen gewünschten Behandlungserfolg kostenminimierend erreichen. Als Fazit lässt sich ziehen, dass vielfach ein gemischtes Vergütungssystem optimal sein dürfte. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Fallpauschale. Durch sie kann insbesondere die Selektionsentscheidung der Leistungserbringer gesteuert werden. Neben einer Grundvergütung kann des Weiteren auch eine Beteiligung des Sachwalters an den Kosten optimal sein. Dies ist dann der Fall, wenn die Bedingungen für das Prinzip der vollständigen Kostenverantwortung verletzt sind. Die Kosten der erbrachten Leistungen werden dabei an den verwendeten Faktormengen (soweit sie überprüfbar sind) und an den erbrachten Einzelleistungen bemessen. Unsere Überlegungen fassen wir zusammen in Folgerung 10.9 Im Allgemeinen dürfte ein optimales Vergütungssystem eine Fallpauschale und eine Grundvergütung enthalten. Sind die Bedingungen für das Prinzip der vollständigen Kostenverantwortung verletzt, dann ist zudem eine Beteiligung des Sachwalters an den Kosten empfehlenswert.
10.3 Die Vergütung von Ärzten Ärzte können Angestellte einer Unternehmung sein oder eine Praxis selbst betreiben. Im ersten Fall beziehen sie ein festes Gehalt, zu dem gegebenenfalls noch eine Erfolgsbeteiligung hinzukommt. Die Vergütung frei praktizierender Ärzte erfolgt im Rahmen von Honorierungssystemen. Wir stellen zunächst in Abschnitt 10.3.1 die unterschiedlichen Ausgestaltungsformen von Honorierungssystemen vor. In Abschnitt 10.3.2 diskutieren wir auf Grundlage unserer Ergebnisse aus Abschnitt 10.2 Empfehlungen für die Vergütung von Ärzten. 10.3.1 Ausgestaltungsformen von Honorierungssystemen Jedes Honorierungssystem lässt sich durch drei Elemente charakterisieren, das Honorarverfahren, die Honorarform und den Honorartarif. Das Honorarverfahren Das Honorarverfahren regelt die institutionelle Abwicklung der Honorierung. Dies beinhaltet die Frage, wer das Honorar leistet. Quelle der Honorierung können sein al) der Patient selbst oder a2) seine Krankenkasse bzw. -versicherung.
10.3 Die Vergütung von Ärzten
417
Im ersten Fall kann der Patient selbst wiederum (voll oder zum Teil) gegen Arztkosten versichert sein. Da ihm hier seine Ausgaben nachträglich von der Versicherung erstattet werden, spricht man vom Kostenerstattungsprinzip. Es kennzeichnet z.B. die private Krankenversicherung in Deutschland und in der Schweiz sowie die schweizerische soziale Krankenversicherung bei jenen Kassen, die nach dem „tiers garant"-Prinzip arbeiten. Im zweiten Fall, der für die Gesetzliche Krankenversicherang charakteristisch ist, erhält der Patient die ärztliche Leistung, ohne in den Zahlungsvorgang involviert zu sein, und man spricht vom Sachleistungsprinzip. Eine weitere Unterscheidung betrifft die Frage, in wie vielen Stufen das Honorar zum Arzt gelangt. Hier unterscheidet man bl) einstufige Honorarverfahren, bei denen Patient oder Versicherung direkt an den Arzt zahlen, der die Leistung erbracht hat, von b2) zweistufigen Verfahren, bei denen eine Clearingstelle wie die Kassenärztliche Vereinigung in Deutschland zwischengeschaltet ist, die u.U. das Geld nach einem anderen Schlüssel (d.h. nach einer anderen „Honorarform", vgl. den folgenden Abschnitt) an die einzelnen Ärzte verteilt, als sie selbst es von den Patienten oder deren Kassen erhalten hat. Die Honorarform Eine Honorarform wird durch die Maßstäbe definiert, nach denen sich die Höhe des Honorars in einer bestimmten Rechnungsperiode richtet. Als derartige Maßstäbe kommen bei frei praktizierenden Ärzten in Frage: 1. die vom Arzt eingesetzten Faktormengen (Arbeitszeit des Arztes selbst und seiner Praxis-Mitarbeiter, Abnutzung seiner Geräte, verabreichte Medikamente und medizinische Hilfsgüter, Miete, Heizung und Beleuchtung der Praxisräume etc): die der Honorierung zugrundeliegende Idee ist hier die Erstattung der entstandenen Kosten; 2. die Anzahl und Art der erbrachten Einzelleistungen (Beratungen, Injektionen, Bestrahlungen, Ultraschall-Untersuchungen etc): dieser Einzelleistungsvergütung liegt meist eine Gebührenordnung zugrunde, die jede Leistungsart mit einem absoluten oder relativen Preis bewertet; 3. die Zahl aller Behandlungsepisoden: hier läuft die Honorierung auf eine Fallpauschale hinaus; 4. die Zahl der behandelten Patienten: hier richtet sich das Honorar lediglich nach der Zahl der in einer Rechnungsperiode erhaltenen Krankenscheine und nicht danach, wie oft und wie intensiv der einzelne Patient behandelt wurde; 5. die Zahl der potentiellen Patienten: hier muss sich jeder Versicherte zu Beginn einer Rechnungsperiode durch Einschreibung darauf festlegen, welchen Arzt er
418
10 Optimale Vergütung von Leistungserbringern im Krankheitsfall konsultieren will, und das Honorar jedes Arztes richtet sich nach der Zahl der Einschreibungen 14 oder
6. ein von allen diesen Größen unabhängiges Perioden-FixumP Der Honorartarif Unter einem Honorartarif versteht man den funktionalen Zusammenhang zwischen der Honorar-Höhe P und einem oder mehreren der unter den Honorarformen genannten Honorarmaßstäbe („Indikatoren") Z j , . . . ,Z„, der in der allgemeinen Form als
P = P(Zu.-.,Zn) geschrieben werden kann. Bei der oben unter 1. genannten Honorarform umfasst der Vektor Z = (Z\,...,Zn) z.B. die Mengen aller eingesetzten Produktionsfaktoren. Die Funktionsform legt zum einen fest, ob das Honorar proportional, progressiv oder degressiv mit der jeweiligen Faktormenge variiert bzw. ob der Honorarsatz (das Honorar je Faktoreinheit) konstant, mit der Menge zunehmend oder abnehmend ist; zum anderen bestimmt sie auch die absolute Höhe des Honorarsatzes. 10.3.2 Optimale Vergütung von Ärzten Um Aussagen über die allokativen Wirkungen verschiedener Vergütungssysteme für Ärzte zu treffen, prüfen wir die Bedingungen für das Prinzip der vollständigen Kostenverantwortung, die wir in Abschnitt 10.2 abgeleitet haben. Hier treten bei Ärzten folgende Probleme auf (vgl. Abschnitt 10.2.6): 1. Ein Arzt dürfte in der Regel risikoavers und die Kosten der Behandlung mit Unsicherheit behaftet sein. Eine Überprüfung der Anstrengungen zur Kostenvermeidung ist im Allgemeinen schwierig. 2. Die Fallmischung des Arztes dürfte für den Sachwalter schwer zu beurteilen sein. Allerdings ist die Fallschwere insofern beschränkt, als dass schwere Fälle vielfach an Krankenhäuser überwiesen werden. 3. Eine externe Qualitätssicherung oder Kontrolle des Behandlungserfolgs eines Arztes dürfte mit Schwierigkeiten verbunden sein und wird sich im Allgemeinen auf Weiterbildungsnachweise beschränken. Die Nachfrage ist durch „Mund-zuMund"-Propaganda aber vielfach von der Qualität des Arztes abhängig. 4. Eine Patientenselektion dürfte einem Arzt relativ einfach fallen. Insbesondere teure Patienten kann er z.B. durch ungünstige Termine abschrecken. Der Sachwalter dürfte im ambulanten Bereich zudem nicht in der Lage sein, die erwarteten Kosten der Patienten zu ermitteln. 14
Diese Honorarform ähnelt dem im alten China praktizierten System, in welchem der Arzt von seinen Klienten nur so lange honoriert wurde, wie sie gesund waren. 15 Der Unterschied zum fest angestellten Arzt besteht darin, dass der Arzt aus dem Fixum auch seine Praxiskosten decken muss.
10.3 Die Vergütung von Ärzten
419
Beifrei praktizierenden Ärzten sprechen diese Gründe für ein gemischtes Honorierungssystem mit einer teilweisen Kostenübernahme durch den Sachwalter. Diese kann dabei durch die Berücksichtigung der verwendeten Faktormengen, der Einzelleistungen und der Behandlungsepisoden erfolgen. Die Qualitätsanreize des Arztes können durch eine Kopplung der Honorierung an die Patientenzahl oder die Anzahl der eingeschriebenen Patienten gestärkt werden. Schließlich kann die Honorierung noch durch ein Perioden-Fixum ergänzt werden. Grundsätzlich eignen sich damit alle in Abschnitt 10.3.1 genannten Honorarformen. Bei der Auswahl werden vor allem pragmatische Gründe eine Rolle spielen, insbesondere die Frage, inwieweit sich die einzelnen Größen nachprüfen lassen. Bei der Bestimmung des Honorartarifs besteht die Aufgabe darin, die richtige Mischung der Honorarformen zu finden. Insbesondere ist die Frage zu beantworten, inwieweit die Faktormengen und Einzelleistungen vergütet werden sollen. Dies bestimmt die Anreize des Arztes, Kosten zu vermeiden. Des Weiteren ist festzulegen, wie das Honorar mit der Menge der einzelnen Honorarformen variieren soll. Neben einem proportionalen Verlauf, bei dem die Honorarsätze mengenunabhängig sind, ist insbesondere an einen degressiven Verlauf des Honorartarifs zu denken. In diesem Fall sinken die Honorarsätze mit zunehmender Menge und es tritt ein leistungsmindemder Effekt ein.16 Dies kann z.B. bei der Anzahl der behandelten Patienten sinnvoll sein, um zu vermeiden, dass ein Arzt Patienten nur noch „durchschleust", ohne sie intensiv zu behandeln. Aus den genannten Verletzungen des Prinzips der vollständigen Kostenverantwortung lässt sich auch ein Argument dafür ableiten, Ärzte fest anzustellen. Durch ein festes Gehalt trägt dabei der Arzt kein Kostenrisiko. Insofern der Sachwalter den Arzt durch das Angestelltenverhältnis besser kontrollieren kann, dürfte er zudem in der Lage sein, asymmetrische Information abzubauen und die Qualität der Behandlung zu sichern. Allerdings treffen derartige Bestrebungen zumeist auf energischen Widerstand der Ärzteverbände (vgl. Abschnitt 13.2). In Ländern ohne einen nationalen Gesundheitsdienst ist diese Vergütungsform lediglich in den USA in Form von Health Maintenance Organizations stärker verbreitet. Wir stellen diese Organistionsform in Abschnitt 11.4 genauer vor. Die Ergebnisse dieses Abschnitts fassen wir zusammen in Folgerung 10.10 Beifrei praktizierenden Ärzten sprechen mehrere Gründe für ein gemischtes Honorierungssystem. Die Kosten können dabei im Form der verwendeten Faktormengen und erbrachten Einzelleistungen berücksichtigt werden. Durch eine Kopplung der Honorierung an die Patientenzahl oder die Anzahl der eingeschriebenen Patienten können dem Arzt Qualitätsanreize gegeben werden. Vorteile bietet auch eine Festanstellung von Ärzten. Sie erlaubt es insbesondere, asymmetrische Information abzubauen und die Qualität der Behandlung zu sichern. 16
Solche degressiven Elemente sind vor einigen Jahren in der gesetzlichen Krankenversicherung eingeführt worden.
420
10 Optimale Vergütung von Leistungserbringern
10.3.3 Die Vergütung von Ärzten in der Praxis Die in der Realität vorherrschende Honorarform für ärztliche Leistungen ist die Einzelleistungsvergütung. Eine Besonderheit der Honorierung der Kassenärzte in Deutschland besteht dabei darin, dass der zwischen den Kassen und den Kassenärztlichen Vereinigungen ausgehandelte Honorartarif „Einheitlicher Bewertungsmaßstab" (EBM) die Honorarsätze nicht in Geldeinheiten, sondera in Punktwerten ausdrückt.17 Die maximale Fallpunktzahl pro Patient ist dabei beschränkt und sinkt mit der Anzahl der Patienten. Die Höhe der Gesamtvergütung für alle Ärzte wird in Verhandlungen zwischen den Kassen und den Kassenärztlichen Vereinigungen festgesetzt. Der Geldwert eines Punktes ergibt sich erst nachträglich, wenn die Gesamtvergütung durch die Anzahl der erbrachten Punkte (Leistungen) dividiert wird. Dies hat zur Folge, dass das Honorar aus der Sicht der Kassen ein Fixum ist, sich jedoch bei den Ärzten wie eine Einzelleistungs-Honorierung auswirkt. Denn bei einer großen Anzahl von Ärzten kann der einzelne Arzt mit seiner Leistungserbringung den Punktwert nicht merklich beeinflussen und nimmt ihn daher als gegeben an. Der große Vorteil dieses Honorierungssystems ist, dass die Ärzte in ihrer Gesamtheit zwar die vollständige Kostenverantwortung tragen, der einzelne Arzt jedoch durch die Einzelleistungsvergütung nur einen Teil der Kosten trägt. Allerdings ist auch dieses System mit Problemen behaftet. Bevor die Fallpunktzahl pro Patient beschränkt wurde, kam es zu einer großen Ausweitung der Einzelleistungen, die zu einem massiven Rückgang der Punktwerte führte (der so genannte „HamsterradEffekt"). Diese Zunahme der Einzelleistungen war dabei für die Patienten insofern nicht zuträglich, als dass ein Leistungsaktionismus die eingehende persönliche Beratung verdrängte. Dieses Problem ist mittlerweile durch die Begrenzung der Fallpunktzahl entschärft worden. Ist dieses Limit allerdings erreicht, dann trägt der einzelne Arzt die volle Kostenverantwortung mit den entsprechenden Problemen.
10.4 Die Vergütung von Krankenhäusern 10.4.1 Ausgestaltungsformen von Vergütungssystemen Analog zu den Honorierungssystemen für Ärzte setzen sich Vergütungssysteme für Krankenhäuser aus dem Vergütungsverfahren, der Vergütungsform und dem Vergütungstarif zusammen. Das Vergütungsverfahren ist dabei üblicherweise einstufig organisiert, d.h. der Patient oder dessen Versicherung bezahlt das Krankenhaus direkt. Bei der Vergütungsform stehen folgende Maßstäbe zur Verfügung:
17
Für privat Versicherte gilt hingegen die „Gebührenordnung fiir Ärzte" (GOÄ), bei der ein fester Geldbetrag mit einem Vervielfachungsfaktor multipliziert wird.
10.4 Die Vergütung von Krankenhäusern
421
1. die vom Krankenhaus eingesetzten Faktormengen (Arbeitszeit der Ärzte und Pflegekräfte, Abnutzung der Geräte, verabreichte Medikamente und medizinische Hilfsgüter, Miete, Heizung und Instandhaltung des Krankenhauses etc); 2. die Anzahl der vorgehaltenen Betten; 3. die Menge der verabreichten Einzelleistungen medizinischer (Operationen, Injektionen, Medikationen usw.) oder pflegerischer Art; 4. die Anzahl der erbrachten Pflegetage, eventuell differenziert nach der Art der Pflege (z.B. Basis- und Intensivpflege) oder nach der jeweiligen Abteilung: hier erfolgt die Vergütung über Tagespflegesätze; 5. die Anzahl der behandelten Patienten, eventuell differenziert nach den verschiedenen Diagnosen oder Behandlungsarten in Form einer patientenbezogenen Fallpauschale, oder 6. ein von allen diesen Größen unabhängiges/eitei Budget. Der funktionale Zusammenhang zwischen der Vergütungshöhe und diesen Maßstäben wird durch den Vergütungstarif beschrieben. 10.4.2 Optimale Vergütung von Krankenhäusern Emeut prüfen wir die Bedingungen für das Prinzip der vollständigen Kostenverantwortung, um Aussagen über die optimale Vergütung von Krankenhäusern abzuleiten (vgl. Abschnitt 10.2.6): 1. Inwieweit die Kosten eines Krankenhauses unsicher sind, hängt von seiner Größe und Struktur ab. Je größer das Krankenhaus und je ähnlicher die behandelten Fälle, desto sicherer dürften die Gesamtkosten sein. Ob ein Krankenhaus als „risikoavers" einzustufen ist, wird insbesondere vom Träger des Krankenhauses bestimmt. Je größer der Krankenhausträger, umso geringer dürfte die Notwendigkeit einer Risikoteilung mit dem Sachwalter sein. 2. Ob ein Sachwalter die Fallmischung eines Krankenhauses einschätzen kann, hängt von seinem Zugang zu patientenbezogenen Informationen ab. Hier können die Angaben von einweisenden Ärzten genutzt werden. 3. In einem Krankenhaus lassen sich grandsätzlich Qualitätssicherangsprogramme durchführen, die extern überwacht werden. Die Nachfrage der Patienten wird insbesondere dann von der Qualität abhängen, wenn diese die Wahl zwischen verschiedenen Rrankenhäusern haben und die Qualität beurteilen können. 4. Eine Selektion der Patienten ist grundsätzlich im Krankenhaus möglich. Teure Fälle können z.B. mit dem Hinweis auf ausgeschöpfte Kapazitäten abgewiesen werden. Stehen dem Sachwalter allerdings genaue diagnosebezogene Daten zur Verfügung, dann kann er diesen Selektionsanreiz durch diagnosebezogene Fallpauschalen steuern.
422
10 Optimale Vergütung von Leistungserbringern
Im Vergleich zum Arzt scheint auf den ersten Blick das Argument für eine teilweise Übemahme der Kosten durch den Sachwalter schwächer zu sein. Allerdings sind die Kosten pro Patient im Krankenhaus üblicherweise um ein Vielfaches höher als im ambulanten Bereich. Entsprechend ist die Gefahr der Patientenselektion ausgeprägter. Für die Ausgestaltung eines Vergütungssystems ist deshalb entscheidend, inwieweit der Sachwalter in der Lage ist, die erwarteten Kosten der Patienten zu erfassen. Ist dies der Fall, dann ist ein Vergütungssystem optimal, das hauptsächlich aus diagnosebezogenen Fallpauschalen besteht. Eine teilweise Kostenerstattung, z.B. in Form einer Einzelleistungsvergütung oder von Pflegesätzen ist dann eventuell nur bei einem risikoaversen Krankenhaus und bei Schwierigkeiten bei der Qualitätssicherung nötig. Ein festes Budget hingegen ist nicht optimal, wenn das Krankenhaus in der Lage ist, Patienten zu selektieren. Es vermittelt dem Krankenhaus keine Anreize, schwierige Fälle zu behandeln. Gelingt es dem Sachwalter nicht, verlässliche Daten über die Patienten zu erheben, dann ist neben der Fallpauschale noch eine teilweise Übernahme der Kosten geboten, um die Selektion der Patienten zu steuern. Bei einer Einzelleistungsvergütung besteht der Preis hierfür darin, dass das Krankenhaus in der Regel nicht den Anreiz besitzt, die Einzelleistungen so zu kombinieren, dass sie den von ihnen gewünschten Behandlungserfolg kostenminimierend erreichen. Bei einer Vergütung in Form von Tagespflegesätzen ist mit einer zu langen Verweildauer der Patienten zu rechnen. Schließlich kann es noch optimal sein, das Krankenhaus teilweise für seine vorgehaltenen Betten zu vergüten, wenn diese den Charakter eines Optionsguts haben (vgl. Abschnitt 5.2.2). Dieses Argument trifft insbesondere für Intensivbetten zu. Unsere Ergebnisse fassen wir zusammen in Folgerung 10.11 Bei der Vergütung von Krankenhäusern sollte die Fallpauschale eine zentrale Rolle spielen. Stehen dem Sachwalter verlässliche Daten über die Diagnose der Patienten zur Verfügung, dann ist eine teilweise Kostenerstattung nur bei einem risikoaversen Krankenhaus und bei Schwierigkeiten bei der Qualitätssicherung nötig. Lassen sich verlässliche Daten über die Patienten nicht erheben, dann ist neben der Fallpauschale noch eine teilweise Übernahme der Kosten geboten, um die Selektion der Patienten zu steuern.
10.4.3 Die Vergütung von Krankenhäusern in der Praxis In den letzten Jahrzehnten ist bei der Vergütung von Krankenhäusern weltweit ein Trend zu stärker prospektiv ausgerichteten Vergütungssystemen zu beobachten. Im Mittelpunkt stehen dabei die Diagnosis Related Groups (DRGs). Hierbei handelt es sich um ein Patientenklassifikationssystem, das ursprünglich entwickelt wurde, um die Leistungen von Krankenhäusern besser definieren zu können (siehe Abschnitt 9.2). Mittlerweile finden sie jedoch auch bei der Vergütung von Krankenhäusern Anwendung. Erstmalig wurden sie hierfür 1984 von Medicare, der staatlichen Kranken-
10.4 Die Vergütung von Krankenhäusern
423
versicherung für Rentner in den USA, eingesetzt. In Deutschland wurde eine DRGbasierte Vergütung flächendeckend zum 1. Januar 2004 eingeführt. Ausgenommen von der DRG-Einführung blieben dabei psychiatrische Einrichtungen, für die weiterhin tagesgleiche Pflegesätze gelten. Die Schweiz wird in den kommenden Jahren ebenfalls dieses Vergütungssystem einführen. Das Ziel der DRGs ist es, Patienten möglichst homogenen Kostengrappen zuzuweisen. Hierzu wird der Patient zunächst einer Hauptdiagnosegruppe (Major Diagnostic Category) zugeordnet, die sich in der Regel an den betroffenen Körperregionen orientieren. Innerhalb der Hauptdiagnosegruppe erfolgt dann die Bildung der DRGs nach dem Kriterium der Kostenhomogenität. Neben den Diagnosen des Patienten werden dabei auch Komplikationen während des Krankenhausaufenthalts sowie die erbrachten Prozeduren berücksichtigt. Bei den DRGs handelt es sich somit um kein diagnosebasiertes Patientenklassifikationssystem in Reinform. Aus diesem Grund entspricht die Vergütung auf Grundlage von DRGs auch keinem reinen Fallpauschalensystem, obwohl der deutsche Gesetzgeber von einem „diagnose-orientierten Fallpauschalensystem" spricht. Dies trifft nur insoweit zu, wie allein die Diagnose des Patienten die Höhe der Vergütung bestimmt. Da aber auch die erbrachten Prozeduren in die Festlegung der DRG eingehen, enthält die Vergütung auf Grundlage von DRGs auch Elemente einer Einzelleistungsvergütung. Zum Beispiel wird eine Geburt mit Kaiserschnitt anders vergütet als eine herkömmliche Geburt. Des Weiteren sind Sonderzahlungen für besonders teure Leistungsfälle vorgesehen (sog. „outlier payments"). Deshalb können sich DRGs in der Praxis stark von einer reinen Fallpauschalenvergütung unterscheiden. So kommt MCCLELLAN (1997) in einer empirischen Studie von Medicare-Daten aus dem Jahr 1990 zu dem Ergebnis, dass trotz der DRG-Vergütung eine Kostenzunahme den Krankenhäusern zu 55% erstattet wurde. Ohne Berücksichtigung der outlier payments betrug dieser Anteil immer noch 32%. Wir ziehen daraus die Folgerung 10.12 Eine Vergütung auf Grundlage von Diagnosis Related Groups (DRGs) ist kein reines Fallpauschalensystem. Sie entspricht einem gemischten Vergütungssystem aus Fallpauschale, Einzelleistungsvergütung und Kostenerstattung. Unsere Überlegungen im vorhergehenden Abschnitt sprechen grundsätzlich für die Verwendung von DRGs bei der Vergütung von Rrankenhäusern. Die entscheidende Frage ist, wie genau sie die unterschiedlichen Kosten der Patienten erfassen können. Ein Problem stellt hier weniger die Gruppenunterteilung der DRGs dar, sondern die faktische Zuordnung, die in der Regel vom behandelnden Krankenhaus selbst vorgenommen wird. Hier ist bei der Einführung von DRGs ein spranghafter Anstieg der Kodierungsintensität zu beobachten. Insofern dieses „upcoding" auf eine übertriebene Darstellung der Fallschwere zurückzuführen ist, verlieren die DRGs an Aussagekraft. Insbesondere besteht die Gefahr, dass auch leichtere Fälle „teuren" DRGs zugewiesen werden und so die Kostenheterogenität innerhalb der DRGs wieder zunimmt. In diesem Fall entsteht entweder der Anreiz, zu viele Patienten
424
10 Optimale Vergütung von Leistungserbringern
zu behandeln, oder, falls aufgrund des Ausgabenanstiegs die Vergütung pro DRG gesenkt wird, der Anreiz zur Patientenselektion. Insofern die teilweise Einzelleistungsvergütung , die in den DRGs enthalten ist, nicht ausreichend ist, bietet sich in diesem Fall eine Ergänzung um eine teilweise Kostenerstattung, etwa in Form einer Einzelleistungsvergütung oder von Pflegesätzen an.
10.5 Zusammenfassung 1. Vergütungssysteme prägen im entscheidenden Maße die Anreize für Leistungserbringer. Prospektive Vergütungssysteme legen dabei die Vergütung im vorneherein fest und übertragen so die Kostenverantwortung auf den Leistungserbringer. Ein retrospektives System hingegen berücksichtigt rückblickend den tatsächlichen Ressourcenverbrauch und verlagert dadurch die Kosten auf die Institution, die die Vergütung leistet. 2. Das Prinzip der vollständigen Kostenverantwortung besagt, dass es optimal ist, dass der Leistungserbringer die Kosten der Behandlung voll trägt. Es trifft zu, falls a) bei unsicheren Kosten der Behandlung der Leistungserbringer risikoneutral ist; b) symmetrische Information über die Mischung der vom Leistungserbringer behandelten Fälle besteht; c) bei einem risikoneutralen Leistungserbringer entweder die Qualität oder der Behandlungserfolg verifizierbar sind; bei einem risikoaversen Leistungserbringer die Qualität verifizierbar ist. Diese Bedingungen entfallen lediglich dann, wenn die Nachfrage qualitätsabhängig ist. Dann können durch eine Fallpauschale Anreize zur optimalen Qualitätsbereitstellung gegeben werden; d) symmetrische Information über die erwarteten Behandlungskosten eines Patienten herrscht, so dass sich die gewünschte Selektion der Patienten durch eine an die erwarteten Kosten angepasste Fallpauschale erreichen lässt. 3. Treffen die Bedingungen des Prinzips der vollständigen Kostenverantwortung nicht zu, dann kann eine teilweise Kostenübernahme durch den Sachwalter in einer second-best Lösung zu besseren Ergebnissen führen. Dadurch lässt sich die a) die Risikoprämie für den Leistungserbringer senken, b) die erwartete Informationsrente vermindern, c) die Qualität der Behandlung erhöhen, d) die Selektion der Patienten im Sinne des Sachwalters steuern.
10.6 Lektürevorschläge
425
4. Im Allgemeinen dürfte ein optimales Vergütungssystem eine Fallpauschale und eine Grundvergütung enthalten. Durch die Fallpauschale kann dabei insbesondere die Selektionsentscheidung der Leistungserbringer gesteuert werden. Sind die Bedingungen für das Prinzip der vollständigen Kostenverantwortung verletzt, dann ist zudem eine Beteiligung des Sachwalters an den Kosten empfehlenswert. 5. Bei frei praktizierenden Ärzten sprechen mehrere Gründe für ein gemischtes Honorierungssystem. Die Kosten können dabei in Form der verwendeten Faktormengen und erbrachten Einzelleistungen berücksichtigt werden. Durch eine Kopplung der Honorierung an die Patientenzahl oder die Anzahl der eingeschriebenen Patienten können dem Arzt Qualitätsanreize gegeben werden. Vorteile bietet auch eine Festanstellung von Ärzten. Sie erlaubt es insbesondere, asymmetrische Information abzubauen und die Qualität der Behandlung zu sichern. 6. Bei der Vergütung von Krankenhäusern sollte die Fallpauschale eine zentrale Rolle spielen. Stehen dem Sachwalter verlässliche Daten über die Diagnose der Patienten zur Verfügung, dann ist eine teilweise Kostenerstattung nur bei einem risikoaversen Krankenhaus und bei Schwierigkeiten bei der Qualitätssicherung nötig. Lassen sich verlässliche Daten über die Patienten nicht erheben, dann ist neben der Fallpauschale noch eine teilweise Übernahme der Kosten geboten, um die Selektion der Patienten zu steuern. Hier bietet sich die Vergütung auf Grundlage von Diagnosis Related Groups (DRGs) an, die einem gemischten Vergütungssystem aus Fallpauschale, Einzelleistungsvergütung und Kostenerstattung entspricht.
10.6 Lektürevorschläge Mit der Vergütung von Leistungserbringern befassen sich im HANDBOOK OF H E ALTH ECONOMICS die Beiträge von CHALKLEY UND MALCOMSON (2000) und von DRANOVE UND SATTERTHWAITE (2000). Empfehlenswert ist des Weiteren das
Buch von LAFFONT UND TIROLE (1993), das allgemein die optimale Ausgestaltung von Vergütungsverträgen untersucht.
426
10 Optimale Vergütung von Leistungserbringern
10.Ü Übungsaufgaben 10.1. Erläutern Sie das Prinzip der vollständigen Kostenverantwortung für die Entlohnung von Leistungserbringern. Unter welchen Umständen gilt es, falls a) der Leistungserbringer die Behandlungsqualität wählt? b) der Leistungserbringer entscheidet, ob ein Patient behandelt wird? 10.2. Diskutieren Sie die Bedeutung von asymmetrischer Information zwischen dem Sachwalter und dem Leistungserbringer für die Ausgestaltung von Vergütungssystemen. 10.3. Erläutern Sie, wann eine teilweise Kostenerstattung sinnvoll sein kann, um eine optimale Behandlungsqualität zu erreichen. 10.4. Ein Sachwalter möchte, dass eine Gruppe von Patienten von einem Leistungserbringer behandelt wird. Durch die Behandlung erzielt der Sachwalter einen Nutzen von 5 = 5. Der Sachwalter maximiert seinen erwarteten Nutzen EW. Dieser ergibt sich aus dem Nutzen der Behandlung abzüglich der erwarteten Vergütung des Leistungserbringers E(P). Die Kosten der Behandlung K sind unsicher und hängen von der Anstrengung e des Leistungserbringers ab. Sie betragen K(e) = l-e
+ e, E(e) = 0, Var(e) = 1.
Falls der Leistungserbringer nicht für den Sachwalter arbeitet, dann erzielt er ein sicheres Einkommen von 1 bei einem Anstrengungsniveau von e = 0. a) Nehmen Sie an, der Leistungserbringer sei risikoneutral. Seine Nutzenfunktion sei u = P - K(e) - e2. (i) Ermitteln Sie das optimale Anstrengungsniveau, den Nettonutzen des Sachwalters sowie den Nutzen des Leistungserbringers im First-best. (ii) Bestimmen Sie zwei Verträge, mit denen das First-best bei beobachtbarem Anstrengungsniveau e implementiert werden kann. (iii) Bestimmen Sie einen Vertrag, mit dem das First-best implementiert werden kann, wenn der Sachwalter lediglich die Kosten der Behandlung K beobachtet. b) Gehen Sie nun von einem risikoaversen Leistungserbringer aus. Sein Erwartungsnutzen könne als Funktion des Erwartungswerts jiy und der Varianz ö^ seines Einkommens abzüglich der Nutzenminderung durch die Anstrengung V(e) = e2 erfasst werden und betrage u = /uy - vj. (i) Ermitteln Sie das optimale Anstrengungsniveau, den Nettonutzen des Sachwalters sowie den Nutzen des Leistungserbringers im First-best.
10.Ü Übungsaufgaben
427
(ii) Bestimmen Sie einen Vertrag, mit dem das First-best bei beobachtbarem Anstrengungsniveau e implementiert werden kann. (iii) Nehmen Sie an, der Sachwalter könne lediglich die Kosten der Behandlung K beobachten und biete dem Leistungserbringer eine Vergütung der Form P = G + yK an. Bestimmen Sie den optimalen Kostenbeteiligungsgrad y sowie das Anstrengungsniveau, den erwarteten Nutzen des Sachwalters sowie den Erwartungsnutzen des Leistungserbringers. Vergleichen Sie Ihr Ergebnis mit dem aus a) und erläutern Sie die Unterschiede. 10.5. Ein Sachwalter erziele durch die Behandlung einer Patientengruppe einen Nutzen von wobei q der Behandlungsqualität entspricht. Der erwartete Nutzen EW des Sachwalters ergibt sich aus dem Nutzen der Behandlung abzüglich der erwarteten Vergütung des Leistungserbringers E(P). Die erwarteten Kosten C(q,e) der Versorgung hängen von der Behandlungsqualität und der Anstrengung e des Leistungserbringers ab. Sie betragen C(q,e)=3 + q-2e. Der Leistungserbringer erhält eine Vergütung P. Falls der Leistungserbringer nicht für den Sachwalter arbeitet, dann erzielt er ein sicheres Einkommen von 1 bei e = q = 0. Der Erwartungsnutzen des Leistungserbringers sei EU = E(P) -C(q,e) +Kql/2 - r | e 2 , T] > 0. a) Ermitteln Sie das optimale Qualitäts- und Anstrengungsniveau im First-best. Bestimmen Sie fiir K = r| = 1 auch den Nettonutzen des Sachwalters sowie den Nutzen des Leistungserbringers im First-best. b) Bestimmen Sie zwei Verträge, mit denen das First-best bei verifizierbarer Qualität und beobachtbarem Anstrengungsniveau e implementiert werden kann. c) Erläutern Sie, vor welchem Problem der Sachwalter steht, wenn weder die Qualität noch der Behandlungserfolg verifizierbar sind. Bestimmen Sie die optimalen Verträge für die Fälle (i)
K
< 0 und r| = 1
(ii) K = 1 und r\ = 0 (iii) K = 0 und T) = 1. Nehmen Sie an, dass das Anstrengungsniveau 0 < e < 1,5 erfüllen muss. Die Qualität kann q = 0 nicht unterschreiten. Erläutern Sie Ihr Ergebnis.
428
10 Optimale Vergütung von Leistungserbringern
10.6. Ein Sachwalter erziele durch die Versorgung einer Patientengruppe einen Nutzen von B = 20. Die erwarteten Kosten betragen
Die Fallmischung ß sei gleichverteilt in dem Intervall [9,5; 10.5]. Der Leistungserbringer habe einen Nutzenverlust von V (e) = 0,5e 2 durch die Anstrengung e. Er behandle die Patientengruppe nur dann, wenn sein erwarteter Nutzen mindestens Null ist. a) Bestimmen Sie den maximalen erwarteten Nutzen des Sachwalters, wenn er die Fallmischung ß beobachten kann und eine Pauschalvergütung P = G wählt. b) Gehen Sie jetzt davon aus, allein der Leistungserbringer kenne ß. Bestimmen Sie den maximalen Nutzen des Sachwalters bei (i) einer Pauschalvergütung, die sicherstellt, dass der Leistungserbringer die Patientengruppe behandelt, und bei (ii) einem gemischten System P = G + yK mit dem optimalen Kostenbeteiligungsgrad y. Ermitteln Sie für beide Fälle die erwartete Informationsrente, die erwarteten monetären Kosten der Behandlungen und den Nutzenverlust des Leistungserbringers durch Anstrengungen zur Kostenvermeidung. Erläutern Sie Ihr Ergebnis. 10.7. Ein Sachwalter erziele durch die Versorgung einer Gruppe von Patienten einen Bruttonutzen von
B(q) = 15+l0q, wobei q der Behandlungsqualität entspricht. Der Nettonutzen ergibt sich aus dem Bruttonutzen abzüglich der Ausgaben für die Versorgung. Die erwarteten Kosten der Versorgung C(q,e) hängen von der Behandlungsqualität q und der Anstrengung e des Leistungserbringers ab. Sie betragen
Der Leistungserbringer erhält vom Sachwalter eine Vergütung P. Falls er nicht für den Sachwalter arbeitet, dann erzielt er ein sicheres Einkommen von 1 bei e = q = 0. Der Erwartungsnutzen des Leistungserbringers sei EU = E{P)- C(q, e) + 2q- 4q2 - e2. a) Bestimmen Sie das optimale Qualitäts- und Anstrengungsniveau im First-best. Ermitteln Sie auch den maximalen Nettonutzen des Sachwalters im First-best. b) Gehen Sie jetzt davon aus, dass die Qualität und der Behandlungserfolg nicht verifizierbar sind. Die Anstrengung e ist nicht beobachtbar. Nehmen Sie an, die Patienten beschweren sich beim Sachwalter in Abhängigkeit von der Behandlungsqualität. Der Zusammenhang zwischen der Anzahl der Beschwerden S und q sei
S(q) =max{l0-4q;0}. Wie kann der Sachwalter diesen Zusammenhang nutzen, um das First-best zu erreichen? Welches Problem könnte dabei entstehen?
10.Ü Übungsaufgaben
429
10.8. Ein Sachwalter erziele durch die Behandlung einer Gruppe von 10 Patienten einen Nutzen von B(q) = 10+ 3q, wobei q der Behandlungsqualität entspricht. Der erwartete Nutzen EW des Sachwalters ergibt sich aus dem Nutzen der Behandlung abzüglich der erwarteten Vergütung des Leistungserbringers E(P). Die erwarteten Kosten der Versorgung C(q, e) hängen von der Behandlungsqualität q und der Anstrengung e des Leistungserbringers ab. Sie betragen Der Leistungserbringer erhält eine Vergütung P. Falls er nicht für den Sachwalter arbeitet, dann erzielt er ein sicheres Einkommen von 1 bei e = q = 0. Der Erwartungsnutzen des Leistungserbringers sei EU =
E(P)-C(q,e)+2q-q2-e2.
a) Bestimmen Sie das optimale Qualitäts- und Anstrengungsniveau im First-best. Ermitteln Sie auch den Nettonutzen des Sachwalters sowie den Nutzen des Leistungserbringers im First-best. b) Bestimmen Sie Verträge, mit dem das First-best bei verifizierbarer Qualität bzw. bei verifizierbarem Behandlungserfolg, aber nicht beobachtbarer Anstrengung implementiert werden kann. Erläutern Sie diese Verträge. c) Gehen Sie jetzt davon aus, dass die Qualität und der Behandlungserfolg nicht verifizierbar sind. Die Anstrengung e ist nicht beobachtbar. Der Leistungserbringer erhält eine von den Kosten K abhängige Vergütung P = G + yK. Bestimmen Sie die für den Sachwalter optimalen Werte von G und y sowie den resultierenden Nettonutzen des Sachwalters. d) Nehmen Sie nun an, die Nachfrage sei von der Qualität abhängig und betrage n(q) = 4 +4g. Gehen Sie von einem Vergütungssystem der Form P = G + pn aus und bestimmen Sie die für den Sachwalter optimalen Werte von G und p. Erläutem Sie Ihr Ergebnis.
11 Organisationsformen der medizinischen Versorgung
11.1 Fragestellung Die Organisation der medizinischen Versorgung unterscheidet sich erheblich von Land zu Land. Diese Unterschiede spiegeln nicht zuletzt philosophische Grundhaltungen wider: Wo der Staat dem Bürger ein Recht auf Gesundheit zuspricht, ist er auch am ehesten für die Gesundheitsversorgung direkt verantwortlich. Beispiele dafür sind die Länder des ehemaligen Ostblocks, aber auch Großbritannien und Italien mit ihren nationalen Gesundheitsdiensten. In den USA dagegen gehört die Gesundheit grundsätzlich in den Verantwortungsbereich des Einzelnen. Dennoch finanziert die Öffentliche Hand auch in den USA 40% der gesamten Gesundheitsaufwendungen, unterhält staatliche Rrankenhäuser und betätigt sich im Rahmen der Programme Medicare (für Rentner) und Medicaid (für Arme) unmittelbar als Krankenversicherer. Kanada dagegen kennt zwar keinen nationalen Gesundheitsdienst, sondern eine nationale Krankenversicherung, während in den Niederlanden mehr als 30% der Bevölkerung einer privaten Krankenkasse angehören. In Schweden spielt das von einem Landkreis getragene Krankenhaus in der medizinischen Versorgung eine Schlüsselrolle, während umgekehrt deutsche Krankenhäuser nur in Ausnahmefällen Polikliniken betreiben dürfen. Diese Verschiedenheit der Organisationsformen ist in einem gewissen Sinn erstaunlich, steht doch im Mittelpunkt aller Systeme die besondere Beziehung des Patienten zu seinem Arzt. Von ihm wird erwartet, dass er seine Kenntnisse und Fähigkeiten stets für und nie gegen die gesundheitlichen Interessen seines Auftraggebers einsetzt. Diese sog. Sachwalterbeziehung wird aber nur im Idealfall sämtlichen Interessen des Patienten gerecht werden können - allein schon deshalb, weil der Patient lieber weniger als mehr für Krankenversicherungsbeiträge und ärztliche Leistungen aufwendet, während das Einkommensinteresse des Arztes in die entgegengesetzte Richtung zielt. Zur Lösung dieses Konflikts können beide Parteien die Hilfe von ergänzenden Sachwaltern in Anspruch nehmen. Im Folgenden werden in diesem Kapitel nur jene ergänzenden Sachwalterbeziehungen untersucht, die für das Individuum als Versicherten und Patienten von Bedeutung sind. Es sind diese ergänzenden
432
11 Organisationsformen der medizinischen Versorgung
Beziehungen, die für die großen Unterschiede in der Organisation der medizinischen Versorgung verantwortlich zu sein scheinen. Die Abbildung 11.1 gibt einen Überblick über mögliche Anordnungen von ergänzenden Sachwalterbeziehungen. In der konventionellen medizinischen Versorgung, wie sie in den westeuropäischen Ländern und in den USA die Regel bildet, wählt das Individuum einen Arzt als Sachwalter, ohne dass jener notwendigerweise auch gegenüber dem Krankenhaus die Interessen seines Patienten wahrnimmt. Ergänzend treten Politiker als Interessenwahrer im Gesundheitswesen auf, die z.B. über die Finanzierang der Krankenhäuser deren Betriebsbereitschaft sicherzustellen versprechen. Allgemein haben Maßnahmen, die das Gesundheitswesen betreffen, aus der Sicht eines Politikers, der ja Wählerstimmen gewinnen will, einen wichtigen Vorteil. Dank der zentralen Rolle der Krankenversicherung lassen sich Umverteilungen zugunsten bestimmter Wählergruppen besonders gut kaschieren. Jede Versicherung hat grundsätzlich die Aufgabe umzuverteilen, nämlich zwischen jenen, die einen Schaden erleiden, und jenen anderen, die von einem Schaden verschont bleiben. Für den einzelnen versicherten Stimmbürger ist es schwierig, zwischen dieser zufallsgesteuerten unsystematischen und einer versteckten systematischen Umverteilung zu unterscheiden. Aus diesem Grund verfügen die Politiker als Sachwalter bei der Gestaltung der übrigen Sachwalterbeziehungen im Gesundheitswesen über einen Freiraum, der sich in unterschiedlichen Organisationsformen schon im Bereich der konventionellen Versorgungssysteme niederschlägt. Vergleichsweise große Kompetenzen haben beispielsweise Politiker im schwedischen Gesundheitswesen, in dem es 26 Bezirke gibt, die zur Finanzierung der Gesundheitsvorsorge eigene Steuern erheben können und Eigentümer der Krankenhäuser sind. Dort werden auch die meisten medizinischen Leistungen erbracht, während die niedergelassenen Ärzte in der Gesundheitsversorgung eine marginale Rolle spielen [vgl. STAHL (1990)]. In Deutschland sorgt umgekehrt das Verbot der Errichtung von Polikliniken dafür, dass zwischen ambulanter und stationärer Behandlung eine sehr ausgeprägte Trennung besteht, die auch dazu dient, den Einfluss der politischen Sachwalter im Gesundheitswesen im wesentlichen auf den Krankenhausbereich zu beschränken. In Frankreich dagegen findet ein nicht unwesentlicher Teil der medizinischen Versorgung in privaten Krankenhäusern statt, die den Ärzten der Einzugsregion Zugang zu ihren Einrichtungen gewähren [vgl. ROSA UND LAUNOIS (1990)]. In der Schweiz gibt es auch von öffentlichen Trägern finanzierte Krankenhäuser, die dieses sog. Belegarztsystem anwenden; je nach Kanton haben die Stimmbürger ihren politischen Interessenvertretern im Gesundheitswesen unterschiedliche Befugnisse übertragen. Die enge Verwandtschaft zwischen zufallsgesteuerter und systematischer Umverteilung durch Versicherung wird in den verschiedenen Ländern ebenfalls unterschiedlich genutzt. So werden beispielsweise in Deutschland die Träger der Gesetzlichen Krankenversicherung gezwungen, die Rentner zu subventionieren, indem sie für deren medizinische Versorgung vom Staat einen nicht kostendeckenden Beitrag erhalten. Eine andere Quelle der Umverteilung ist der Umstand, dass Leute mit niedrigem Einkommen nicht zwischen Gesetzlicher und Privater Krankenversicherung
11.1 Fragestellung
433
Abb. 11.1. Sachwalterbeziehungen als Organisationsmerkmal des Gesundheitswesens Art des Delegationskette, Verantwortlichkeitsbereich Gesundheitssystems, Beispiele Arzt, Krankenhaus ^ . (Behandlung) • Krankenhaus A.Individuura^-—^- Politiker * (Finanzierung) Versicherung *• Arzt, Krankenhaus (Tarife) ^ ^ ^ B.Individuum<^ ^*.
Arzt, Krankenhaus (Behandlung) ^ (Beschäftigung) Politiker < •
^ m A- -A ^ ^ C.Individuum<' ^
1
*
^ Krankenhaus (Finanzierung)
'Konventionelle Versorgung' Deutschland, Schweiz, Niederlande, Schweden USA
'National Health Service' Großbritannien, Italien
Arzt, Krankenhaus (Behandlung) Arzt(Tarife) ^, -*r
'Nationale Krankenversicherung'
Politiker
Kanada
-^
^ Krankenhaus (Finanzieaing)
'Managed Care' D.Individuum
^
Versicherung ~
" • A r z t - - ^ Krankenhaus
USA, Schweiz
: Entscheidungsbefugnisse : Verantwortlichkeitsbereich
wählen können. In Frankreich ist sogar jedermann, auch Selbständige, Mitglied eines Trägers der sozialen Krankenversicherung, und die Kassen sind unmittelbar in den Staatshaushalt integriert [vgl. ROSA UND LAUNOIS (1990)]. In der Schweiz dagegen ging bis 1994 der Föderalismus so weit, dass es Sache der Kantone war, für Bezieher geringerer Einkommen eine Zwangsversicherung einzuführen; die Mehrzahl der Kantone überließ aber den Abschluss einer Krankenversicherung der individuellen Entscheidung. Mit dem neuen Krankenversicherungsgesetz von 1994 wurde allerdings landesweit die Pflichtversicherung eingeführt. Ein sehr viel weitergehendes Mandat haben die politischen Sachwalter in Großbritannien und Italien, aber auch in Kanada erhalten (vgl. Abbildung 11.1). Abgesehen von privaten Zusatzversicherungen existiert in den beiden erstgenannten Ländern keine Krankenversicherung mehr, sondern ein nationaler Gesundheitsdienst wird unmittelbar aus dem Budget der Öffentlichen Hand finanziert. In Kanada treten Politiker als Sachwalter der Stimmbürger sowohl in Fragen der nationalen Krankenversicherung wie auch der Krankenhausfinanzierung auf. Die Abbildung 11.1 zeigt schließlich eine vierte Sachwalterbeziehung, bei welcher der private Krankenversicherer zum vorrangigen Sachwalter des Individuums
434
11 Organisationsformen der medizinischen Versorgung
in gesundheitlichen Belangen wird. Es handelt sich dabei um den Managed Care Ansatz, der in den USA weit verbreitet ist. Er besteht aus einem Bündel von Maßnahmen, die das Verhalten von Patient und Leistungsanbietern mit dem Ziel steuern sollen, die Ausgaben zu kontrollieren und die Qualität zu sichern. Der Ausgabenkontrolle dient dabei die Einschränkung der Wahlfreiheit des Patienten. Er muss in der Regel einen vorgegebenen Arzt aufsuchen. Die Konsultierung von Fachärzten bedarf vielfach einer Genehmigung. Ebenso kann auch die Wahl des Krankenhauses eingeschränkt sein. Auf Seite der Leistungsanbieter soll die Qualität durch Behandlungsleitlinien sichergestellt werden. Des Weiteren können Behandlungsentscheidungen einer Kontrolle unterworfen werden (so genannte „utilization reviews"), die dafür sorgen sollen, dass nur notwendige Leistungen erbracht werden. Diesem Ziel kann auch ein Vergütungssystem dienen, das dem Anbieter eine hohe Kostenverantwortung überträgt. Die einzelnen Maßnahmen des Managed Care Ansatzes lassen sich sowohl einzeln als auch gemeinsam umsetzen. So kann z.B. ein herkömmlicher Krankenversicherungsvertrag um eine Bestimmung ergänzt werden, nach der bestimmte Behandlungen einer Genehmigung bedürfen. Besonders interessant im Rahmen des Managed Care Ansatzes ist die Health Maintenance Organization (HMO). In ihr werden alle genannten Maßnahmen verwirklicht und der Versicherer wird damit auch zum Versorger des Patienten. Ihr widmen wir deshalb im Folgenden einen eigenen Abschnitt. Weil offensichtlich alle Organisationsformen der medizinischen Versorgung ganz entscheidend davon abhängen, welche Sachwalterbeziehungen die Grundbeziehung zwischen Arzt und Patient ergänzen, soll diese zunächst im folgenden Abschnitt 11.2 beleuchtet werden. Dabei ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass sich Individuen nicht notwendigerweise für einen Arzt als alleinigen Sachwalter in Gesundheitsbelangen entscheiden, sondern es vorziehen, Arbeitgeber, Politiker („den Staat") oder Versicherer mit einzuschalten. Diese ergänzenden Sachwalter diskutieren wir in Abschnitt 11.3. Die Health Maintenance Organization ist schließlich Gegenstand von Abschnitt 11.4. Unsere bisherigen Ergebnisse fassen wir zusammen in Folgerung 11.1 Neben der Sachwalterbeziehung des Arztes zu seinem Patient bestehen üblicherweise ergänzende Sachwalterbeziehungen, die sich stark von Land zu Land unterscheiden. In Ländern mit einem nationalen Gesundheitsdienst oder einer nationalen Krankenversicherung organisiert der Staat die Versorgung grundsätzlich vollständig. In anderen Ländern hingegen treten private Krankenversicherer als ergänzende Interessenwahrer der Patienten auf. Dies ist insbesondere der Fall im Rahmen des Managed Care Ansatzes, bei dem der Versicherer auch zum Versorger des Patienten wird.
11.2 Der Arzt als Sachwalter des Patienten
435
11.2 Der Arzt als Sachwalter des Patienten Der Patient weiß in der Regel nicht, wie seine Krankheit am besten zu behandeln ist. In die Arzt-Patient-Beziehung kann er oftmals nur sein Vertrauen einbringen in der Hoffnung, dass der Arzt alles unternimmt, ihn zu heilen. Ohne diesen Vertrauensvorschuss in den Arzt als Sachwalter ist es äußert fraglich, ob die Beziehung zwischen Arzt und Patient überhaupt erfolgreich sein kann, denn es herrscht unter Medizinern und Laien weitgehend Einigkeit darüber, dass das Vertrauen des Patienten in den Arzt eine wichtige Voraussetzung für den Heilerfolg ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Arzt-Patient-Beziehung ausschließlich auf Vertrauen gründen muss. Nach dem Motto „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" hat der Patient insbesondere aus zwei Gründen Interesse an einem ergänzenden Sachwalter: 1. Qualitätssicherung: Auch wenn der Patient grundsätzlich seinem Arzt vertraut, ist es in seinem Interesse, dass dessen Leistungen und seine Qualifikation von Fachleuten regelmäßig überprüft werden. Hierzu benötigt er ergänzende Sachwalter, die über das nötige Wissen verfügen. 2. Honorierung: Vertrauen in gesundheitlichen Dingen bedeutet noch nicht, dass der Arzt auch die finanziellen Belange des Patienten ausreichend berücksichtigt, denn die Interessen von Arzt und Patient sind hier genau gegenläufig. Während der Arzt ein Interesse an einer möglichst hohen Honorierung hat, möchte der Patient nicht zu viel ausgeben. Weil der Patient im Rrankheitsfall in keiner guten Verhandlungsposition ist und vielfach auch nicht beurteilen kann, ob eine Rechnung in ihrer Höhe gerechtfertigt ist, hat er Interesse an einem ergänzenden Sachwalter, der die Vergütung des Arztes regelt. Die unterschiedlichen Interessen von Arzt und Patient scheinen teilweise aufgehoben, wenn eine dritte Partei wie der Arbeitgeber, eine Krankenversicherung oder der Staat die Behandlungskosten trägt. In diesem Fall trägt der Patient selbst keinen oder nur einen Bruchteil des Honorars des Arztes. Bei einer Einzelleistungsvergütung hätten dann sowohl der Arzt als auch der Patient den Anreiz, dass alles Mögliche unternommen wird, das zur Gesundheit des Patienten beiträgt, da sich die Kosten auf die dritte Partei verlagern lassen (das so genannte „third-party payment problem"). Der Interessenkonflikt hat sich dann jedoch lediglich auf eine andere Ebene verlagert, denn letztlich trägt das Individuum selbst die Kosten der dritten Partei in Form von Steuerzahlungen oder Rrankenversicherungsbeiträgen. Deshalb bietet sich die dritte Partei als ergänzender Sachwalter des Individuums an. Insbesondere durch Gestaltung eines geeigneten Vergütungssystems kann sie das Verhalten von Arzt und Patient beeinflussen und so die Ausgaben unter Kontrolle halten. Wie wir in Kapitel 10 gezeigt haben, sind dabei neben der Kostenkontrolle auch noch weitere Aspekte wie die Qualitäts- und Selektionsanreize des Arztes zu berücksichtigen. Im
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11 Organisationsformen der medizinischen Versorgung
folgenden Abschnitt 11.3 untersuchen wir, inwieweit der Arbeitgeber, der Krankenversicherer und der Staat in Form politischer Interessenvertreter geeignet sind, diese Rolle als ergänzender Sachwalter einzunehmen. Die Ergebnisse dieses Abschnitts fassen wir zusammen in Folgerung 11.2 Der Patient hat aus zwei Gründen Interesse an einem ergänzenden Sachwalter neben dem Arzt. Zum einen kann der ergänzende Sachwalter die Leistungen und Qualifikation des Arztes überprüfen. Zum anderen kann er die Kosten und Qualität der Behandlung durch die Ausgestaltung eines geeigneten Vergütungssystems beeinflussen.
11.3 Ergänzende Sachwalterbeziehungen im Gesundheitswesen 11.3.1 Der Arbeitgeber als ergänzender Sachwalter Arbeitgeber verfügen vielfach über große Erfahrung bei der Gestaltung von Vertragsbeziehungen. Dieses Wissen könnte grundsätzlich dazu verwendet werden, für die Beschäftigten Verträge mit Ärzten und anderen Leistungsanbietern im Gesundheitswesen abzuschließen. Auf diese Weise ist in den USA die erste sog. Health Maintenance Organization entstanden (vgl. dazu Abschnitt 11.4). Allerdings werden die Beschäftigten eines Untemehmens gegenüber einer Auswahl von Vertragsärzten und -krankenhäusern durch den Arbeitgeber gewisse Vorbehalte haben. In den Verhandlungen über Lohnhöhe und Beschäftigung haben zumindest risikoscheue Beschäftigte ein Interesse daran, Schwankungen ihrer Grenzproduktivität zu verheimlichen, um z.B. ihre Weiterbeschäftigung nicht zu gefährden. Weil solche Schwankungen viel mit dem Gesundheitszustand zu tun haben, kann der Arbeitgeber seinen Informationsstand durch eine Befragung der Ärzte verbessern. Dem steht an sich das ärztliche Berufsgeheimnis entgegen, doch je mehr die Vertragsärzte und -krankenhäuser vom Arbeitgeber abhängen, desto eher müssen auch sie als dessen Beauftragte auf seine Wünsche eingehen. Diese Überlegungen münden in die Folgerung 11.3 Die Arbeitgeber könnten zwar als ergänzende Sachwalter die Vertragsbeziehungen mit den Anbietern im Gesundheitswesen im Interesse ihrer Beschäftigten gestalten, weil sie sich aber dadurch auch einen Informationsvorteil bei Lohnverhandlungen verschaffen würden, kommt es in der Gesundheitsversorgung nur in Ausnahmefällen zu dieser Lösung. Diese Schlussfolgerung ist dafür ausschlaggebend, dass die Arbeitgeber in der Abbildung 11.1 über die Kombinationen von Sachwalterbeziehungen gar nicht aufgeführt sind. In bestimmten Situationen (abgelegene Baustellen, ausgedehnte Werkareale, Schichtbetrieb) kann allerdings die Einsparung von Transaktionskosten so
11.3 Ergänzende Sachwalterbeziehungen im Gesundheitswesen
437
groß werden, dass der Arbeitgeber doch die medizinische Versorgung, insbesondere durch Werkärzte, übernimmt. In aller Regel beschränkt sich aber seine Rolle auf das Bereitstellen eines Krankenversicherungsangebots, z.B. in Form der Betriebskrankenkassen in Deutschland, in der Schweiz und auch in den USA (wo die größeren Arbeitgeber dazu gesetzlich verpflichtet sind). Mehr und mehr greifen die Arbeitgeber auch in die Honorarverhandlungen mit den Leistungsanbietern im Gesundheitswesen ein. Im Fall der sog. Preferred Provider Organizations in den USA schließen Unternehmer mit Gruppen von Ärzten und Krankenhäusern Präferenzverträge ab und handeln dabei einen Preisnachlass auf die ortsüblichen Tarife heraus.
11.3.2 Der Staat als ergänzender Sachwalter In Demokratien haben die Stimmbürger die Möglichkeit, markt- und verhandlungsgesteuerte Allokationsmechanismen durch staatlich gesteuerte zu ersetzen, sei es unmittelbar durch eine Volksinitiative wie in manchen Bundesstaaten der USA und in der Schweiz, sei es mittelbar durch die Wahl einer Regierung, die verspricht, eine „Gesundheitsversorgung für alle Bürger" einzurichten. Dies kann auf zwei Arten geschehen: 1. Der Staat organisiert die Versorgung mit medizinischen Leistungen in Form eines nationalen Gesundheitsdienstes unmittelbar selbst, wie beispielsweise in den Ländern des ehemaligen Ostblocks und in Großbritannien und Italien, oder 2. der Staat tritt als monopolistischer nationaler Krankenversicherer auf, wie im Falle Kanadas. 11.3.2.1 Nationaler Gesundheitsdienst Staatliche Instanzen übernehmen hier die Funktion des Auftraggebers und nehmen Ärzte und Krankenhäuser unter Vertrag. Durch eine optimale Ausgestaltung von Vergütungssystemen können sie Einsparungen im Gesundheitswesen durchsetzen, die sie dann in Form einer reduzierten Steuerbelastung oder zusätzlicher anderer öffentlicher Güter an den Stimmbürger weitergeben. Ob diese Weitergabe tatsächlich stattfindet, hängt wie auf den Märkten von der Intensität des Wettbewerbs ab, hier also von der Konkurrenz der Parteien um Stimmen. Die Tatsache, dass in Großbritannien die Gesundheitsaufwendungen seit Jahren nur etwa 7% des Bruttoinlandsprodukts ausmachen, was weit unter dem Wert vergleichbarer Industrieländer liegt (vgl. Tabelle 1.1 auf Seite 2), ist noch keine hinreichende Bedingung für eine Entlastung des Steuerzahlers; möglicherweise fließen die eingesparten Mittel in andere Sparten der öffentlichen Verwaltung. Der Staat als ergänzender Sachwalter der Individuen scheint auf den ersten Blick die Machtmittel in der Hand zu haben, um die Gestaltung der Verträge im Gesundheitswesen nach seinem Belieben zu beeinflussen. Als größter Nachfrager auf dem
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11 Organisationsformen der medizinischen Versorgung
Markt für medizinische Leistungen ist er in der Lage, die Preise zu senken. Seine Marktmacht gegenüber den Ärzten kann er sogar noch dadurch verstärken, dass er für sie eine Tätigkeit außerhalb des nationalen Gesundheitsdienstes durch Auflagen unattraktiv macht. Solche Zwangsmaßnahmen können sich aber längerfristig als kontraproduktiv erweisen. Innerhalb der Volkswirtschaft steht das Gesundheitswesen mit anderen Branchen im Wettbewerb um Ressourcen, insbesondere Arbeitskräfte. Weichen Lohnhöhe und -struktur allzu sehr von den Verhältnissen in anderen Bereichen der Wirtschaft ab, kann das Gesundheitswesen seine Beschäftigten nicht halten. Darüber hinaus spielt auch der internationale Wettbewerb eine wichtige Rolle, können doch gerade Ärzte ihre Fähigkeiten leicht in einem anderen Land einsetzen. Sobald staatliche Instanzen aus diesen Gründen vom Einsatz solcher Machtmittel Abstand nehmen müssen, fällt aus der Sicht des Individuums aber ein Nachteil dieses ergänzenden Sachwalters ins Gewicht: Ist der von der Parteienkonkurrenz ausgehende Wettbewerbsdruck nur gering, dann sind die Politiker kaum dazu angehalten, die Vergütung der Anbieter so zu entwerfen, dass diese einen Anreiz für besonders weitgehende Bemühungen zugunsten des Patienten besitzen. Das zentrale Problem des Individuums, dass es selbst keine optimale Vergütung gestalten kann, wird vom staatlichen Sachwalter somit auch nicht gelöst. Und selbst falls die Regierung tatsächlich Einsparungen erzielt, bleibt es fraglich, ob diese auch tatsächlich an die Stimmbürger weitergegeben werden.
11.3.2.2 Nationale Krankenversicherung Eine nationale Krankenversicherung stellt eine Zwischenlösung zwischen der staatlichen Gesundheitsversorgung und der im nachstehenden Teilabschnitt 11.3.3 untersuchten Einschaltung des privaten Krankenversicherers als eines ergänzenden Sachwalters dar. Bei ihr greift der Staat in der Regel nicht so massiv in die Gesundheitsversorgung ein wie bei einem nationalen Gesundheitsdienst. So haben in Kanada die Ärzte der Provinzen Alberta und Ontario das Recht behalten, ihren Patienten nach Gutdünken Rechnung zu stellen, wobei die nationale Krankenversicherung die Patienten mit einem vergleichsweise niedrigen Betrag entschädigt. Dies führt zu einer Kostenbeteiligung jener Versicherten, die ihren Arzt frei wählen wollen, etwa in der Art des im Abschnitt 6.2 beschriebenen Indemnitätstarifs [vgl. EvANS (1984, S. 333-335)]. Im übrigen wird sich eine nationale Krankenversicherung als ergänzender Sachwalter ähnlich verhalten wie eine private, falls sie Kostendeckung erzielen muss, mit dem schwerwiegenden Unterschied, dass der mangelnde Wettbewerb sie nicht dazu zwingt, erzielte Vorteile aus der Vertragsgestaltung an die Versicherten weiterzugeben.
11.3 Ergänzende Sachwalterbeziehungen im Gesundheitswesen
439
Unsere Überlegungen fassen wir zusammen in
Folgerung 11.4 Seine Machtposition erlaubt es dem Staat grundsätzlich, die Preise auf dern Marktfür medizinische Leistungen zu senken. Aufdem Arbeitsmarkt ist seine Macht allerdings dadurch beschränkt, dass er in Konkurrenz mit anderen Branchen und den Gesundheitswesen anderer Länder steht. Ob sich der Staat auch als ergänzender Sachwalter der Bürger verhält, hängt insbesondere von der Intensität des Wettbewerbs der Parteien um Stimmen ab.
11.3.3 Der private Krankenversicherer als ergänzender Sachwalter Die Möglichkeit, den Krankenversicherer als ergänzenden Sachwalter gegenüber dem Arzt und ganz allgemein gegenüber den Anbietern im Gesundheitswesen einzusetzen, erscheint als nahe liegende Alternative. Im Unterschied zum Arbeitgeber erhält der Krankenversicherer durch das Aushandeln von Tarifen keine zusätzlichen Daten über den Versicherten, die er dann zu seinem Vorteil verwenden könnte. Anders als eine staatliche Instanz oder eine nationale Krankenversicherung steht der private Krankenversicherer unter Wettbewerbsdruck, was die Weitergabe erzielter Vorteile an die Versicherten begünstigt. Allerdings kann der Wettbewerb zwischen Versicherungen auch zu negativen Wirkungen führen, falls ein Ausgleich zwischen hohen und niedrigen Risiken erreicht werden soll. Insbesondere haben Versicherungen bei einem Diskriminierungsverbot einen Anreiz zur Risikoselektion, der jedoch durch verschiedene Gegenmaßnahmen gemindert werden kann (siehe Kapitel 7). Die Möglichkeiten eines privaten Krankenversicherers als ergänzender Sachwalter des Versicherten zu handeln, sind stark eingeschränkt, solange er wie in der privaten Krankenversicherung in Deutschland nur die Ausgaben im Rahmen einer Einzelleistungsvergütung der Leistungsanbieter erstattet. In diesem Fall kann er lediglich in Form von Selbstbeteiligungstarifen versuchen, das Verhalten des Patienten zu beeinflussen (vgl. Kapitel 6). Zu einem ergänzenden Sachwalter wird der private Krankenversicherer erst, wenn er die Leistungserbringung selbst beeinflussen kann. Hierzu gehören insbesondere die Entwicklung und das Aushandeln von Vergütungssystemen (vgl. Kapitel 10) sowie die direkte Steuerung des Verhaltens von Patient und Leistungserbringer. Ein Beispiel hierfür ist die aus den USA stammende Health Maintenance Organization, die wir im folgenden Abschnitt vorstellen. Unsere bisherigen Überlegungen münden in Folgerung 11.5 Im Unterschied zum Staat stehen private Krankenversicherer unter Wettbewerbsdruck, was die Weitergabe erzielter Vorteile an die Versicherten begünstigt.
440
11 Organisationsformen der medizinischen Versorgung
11.4 Die Health Maintenance Organization als alternative Form der Versorgung 11.4.1 Die HMO als ergänzender Sachwalter im Gesundheitswesen In der Einleitung zu diesem Kapitel hatten wir den Managed Care Ansatz vorgestellt. Bei ihm wird der Krankenversicherer zum vorrangigen Sachwalter des Individuums. Die Health Maintenance Organization (HMO) ist die umfassendste Umsetzung dieses Konzepts. Sie beruht auf folgenden Prinzipien [vgl. ENTHOVEN (1980)]: (i) Der Versicherte bezahlt tinefixe Prämie pro Monat oder Jahr im voraus an die HMO. (ii) Als Gegenleistung wird ihm eine umfassende, vom HMO-Arzt festgelegte Behandlung im Krankheitsfall garantiert. Eine Kostenbeteiligung ist nicht vorgesehen. (iii) Der HMO-Arzt wird nicht nach den im Einzelfall erbrachten Leistungen honoriert; hingegen kann er am finanziellen Erfolg der HMO beteiligt sein. (iv) Der Patient muss bereit sein, sich von den Ärzten der betreffenden HMO behandeln zu lassen, also auf die völlig freie Arztwahl zu verzichten. Die erste HMO wurde vom Bauunternehmer Henry J. Kaiser in den 1930er Jahren gegründet, der für seine Beschäftigten auf weit abgelegenen Großbaustellen die medizinische Versorgung organisieren musste. Es war also ein Arbeitgeber, der unter dem Druck der Umstände erstmals zum ergänzenden Sachwalter der Patienten wurde, und dessen Idee trotz der im Teilabschnitt 11.3.1 ausgeführten möglichen Interessenkonflikte bei den Beschäftigten Anklang fand. Die Kaiser Foundation, die sich ausschließlich der Krankenversicherung widmet, ist auch heute noch die größte einzelne HMO mit über 6 Mio. Versicherten in 16 Bundesstaaten der USA. Von 26 HMOs im Jahre 1970 mit 3 Mio. Mitgliedern ist die Zahl der Organisationen auf über 600 im Jahre 2000 gewachsen, die zusammen etwa 100 Mio. Mitglieder hatten und damit einen Marktanteil von 35% in den USA erreichten. Seit 1999 ist die Entwicklung allerdings leicht rückläufig. [vgl. MANAGED CARE DIGEST (2003)]. Mitverantwortlich für die rasche Aufwärtsentwicklung des HMO-Sektors ist das HMO-Gesetz aus dem Jahre 1973, das von den Unternehmen verlangte, auch eine HMO in die Auswahl der von ihnen angebotenen Krankenversicherungen aufzunehmen. Außerdem erhielten nichterwerbsstrebige HMOs Bundessubventionen, was 1981 rückgängig gemacht wurde. Drei verschiedene Typen von HMOs lassen sich unterscheiden [vgl. HAUSER (1988)]. 1. Unternehmenstyp: Die HMO ist selbst Träger einer oder mehrerer Gruppenpraxen und beschäftigt die Ärzte im Angestelltenverhältnis; über die Erfolgsbeteiligung hängt deren Einkommen zudem unmittelbar von der Kostenhöhe ab.
11.4 Die Health Maintenance Organization als alternative Form der Versorgung
441
2. Vertragsnetztyp (PPO - Preferred Provider Organization): Die Ärzte sind selber Eigentümer einer oder mehrerer Gruppenpraxen, die ihrerseits mit der HMO Behandlungsverträge abschließen. Sie behalten das Recht, neben HMO-Mitgliedern auch konventionell versicherte Patienten zu behandeln. Diese anderen Patienten können u.U. zusätzlich belastet werden, um die niedrigere Vergütung durch die HMO mindestens teilweise auszugleichen. Zwischen Mitgliedern von HMOs und konventionellen Versicherungen lassen sich auf diese Weise Kosten hinund herverschieben (vgl. dazu den Teilabschnitt 11.4.3). 3. Typ „Vereinigung eigenständiger Praxen" (IPA - Independent Practice Association): Die Vertragspartner der HMO können hier nicht nur einzelne Ärzte, sondern auch lokale Ärzteverbände sein. IPA-Mitglieder müssen einen Hausarzt wählen, der die primäre medizinische Versorgung selbst übernimmt und seine Zuständigkeit auch nach einer Überweisung ins Krankenhäuser behält; dessen Kostenbeteiligung ist minimal. Die Geschichte der HMOs ist geprägt durch die Auseinandersetzungen mit der American Medical Association (AMA). Einer der wichtigsten Gründe für die Gegnerschaft der AMA scheint dabei in der Honorierung zu liegen. Durch den Verzicht auf eine Einzelleistungsvergütung wird eine Preisdifferenzierung nach der Zahlungsbereitschaft des Versicherten erschwert. Eine solche Preisdiskriminierang eröffnet den Ärzten die Möglichkeit, ihr Nettoeinkommen zu steigern, was das Festhalten der AMA am Grundsatz der Einzelleistungsvergütung erklären würde [vgl. KESSEL (1958)].
11.4.2 Kostenvorteile der HMOs HMO-Ärzte erhalten in der Regel einen Teil ihres Einkommens als erfolgsabhängigen Bonus. Dadurch, dass sie diesen Bonus bei ungünstiger Kostenentwicklung verlieren, sind sie kostenbeteiligt. Der Anreiz, Drittleistungen kostengünstig zu beschaffen, wird dadurch verstärkt, dass der HMO-Arzt (in der Regel ein Allgemeinpraktiker) einen Budgetbetrag für die bei ihm eingeschriebenen Versicherten einhalten muss, aus welchem er auch die Aufwendungen für fremdbezogene Leistungen zu decken hat. Wie aus der Abbildung 11.2 hervorgeht, machen diese Zukäufe über 70% des vom HMO-Arzt verwalteten Gesamtbetrages aus. Offenbar verhindert die interne Überwachung (die insbesondere im Rahmen von Gruppenpraxen mit vergleichsweise kleinem Aufwand möglich ist) eine Umleitung der Mittel in die Taschen des Allgemeinpraktikers. Immerhin ist aufgrund der Anreize und Entscheidungsbefugnisse der HMO-Ärzte zu erwarten, dass sie Ersparnisse vor allem im Bereich der Überweisungen an Fachärzte und Krankenhäuser zu erzielen suchen. Diese Erwartung wird bereits in der umfassenden Studie von LUFT (1981) bestätigt. Niedrige Hospitalisierungsraten könnten aber auch auf Risikoselektion zurückzuführen sein, indem HMOs gesündere Versicherte anziehen (vgl. auch Abschnitt 7.5). Dieser Einwand ist durch das Rand
442
11 Organisationsformen der medizinischen Versorgung
Abb. 11.2. Verwendung der Beitragseinnahmen einer typischen HMO vom Vertragsnetztyp
Prämie des Versicherten 14%
86%
Administration, Marketing, Rückversicherung, Gewinn
Konto des Allgemeinpraktikers 72%
28%
Überweisungen durch den Allgemeinpraktiker
Dienste des Allgemeinpraktikers
r
f
Konsultationen und Besuche im Krankenhaus 60 % Labor und Röntgen 21% Therapien 19 %
Krankenhäuser Spezialisten Externe Labors, Röntgen Verordnungen
46 % 32 % 12 % 10 %
Quelle: MOORE (1979)
Health Insurance Experiment entkräftet worden, weil dort den Teilnehmern am Experiment die Wahl der Versicherang genommen bzw. durch eine einmalige, feste Entschädigung „abgekauft" wurde [vgl. MANNING ET AL. (1984)]. Aus derTabelle 11.1 geht hervor, dass Personen, die im Rahmen des Experiments in eine HMO eintraten, eine ähnlich niedrige Zahl von Krankenhaustagen aufweisen wie permanente HMO-Mitglieder, nämlich 49 statt 83 Tage je 100 Versicherte und Jahr. Die Differenz ist offensichtlich auf die um 40% geringere Einweisungsquote zurückzuführen. Im Rahmen des Rand Health Insurance Experiments konnte auch untersucht werden, ob die günstigere Versorgung durch die HMOs auf Kosten der Gesundheit der Patienten stattfindet. Dabei zeigte sich, dass dies im Allgemeinen nicht zutrifft. Eine Ausnahme bilden hier allerdings die wirtschaftlich Schwachen mit schlechtem Gesundheitszustand zu Beginn des Experiments. Sie erzielten in einer HMO eine geringere Besserung als die Vergleichsgruppe mit konventioneller Versorgung [vgl. WARE ET AL. (1986)].
Aus Sicht der Versicherten ist schließlich noch entscheidend, dass die Kostenvorteile der HMOs auch zu geringeren Prämien führen. In hart umkämpften Märkten scheint dies im hohen Maße der Fall zu sein. Tritt dagegen eine HMO als einzige Alternative zur konventionellen Versorgung in einem Markt auf, liegt ihre Prämie ceteris paribus höher [vgl. SCHLESINGER ET AL. (1986)].
11.4 Die Health Maintenance Organization als altemative Form der Versorgung
443
Tabelle 11.1. Struktur der medizinischen Leistungen und der Ausgaben im Vergleich, 1983 Organisationsform HMO Experimentteilnehmer Kontrollgruppe
Rrankenhaus- Krankenhaus- Arztkon- Ausgaben eintntteje tage je sultationen pro Kopf 100 Personen 100 Personen je Person inUS$ 8,4 8,3
49 38
Konventionelle Versicherung 13,8 Ohne Selbstbehalte 83 Quelle: MANNING ET AL. (1984)
4,3 4,7
439 469
4,2
609
Folgerung 11.6 Health Maintenance Organizations (HMOs)führen im Vergleich zu einer konventionellen Versorgung zu substantiellen Kostenersparnissen. Im Allgemeinen geht dies nicht zu Lasten der Gesundheit der Versicherten. Eine Ausnahme bilden allerdings die wirtschaftlich Schwachen mit schlechtem Gesundheitszustand. Auf hart umkämpften Märkten werden die Kostenvorteile der HMOs an die Versicherten weitergegeben.
11.4.3 Kostenwirkungen der HMOs auf der Ebene des Gesamtsystems Wenn es einem Anbieter in der Wirtschaft gelingt, dank einer Innovation seine Leistung zu geringeren Kosten herzustellen, kann man üblicherweise annehmen, dass die Produktionskosten der gesamten Branche und letztlich auch der Gesamtwirschaft zurückgehen. Diese Regel scheint im Gesundheitswesen nicht zu gelten. Kritische Beobachter weisen auf die Möglichkeit von Kostenverschiebungen (englisch „costshifting") zwischen Versicherungsträgern und Versorgungsalternativen hin: •
Der Staat als Einkäufer medizinischer Leistungen mag zwar günstigere Tarife für sich durchsetzen, doch die Anbieter belasten dafür andere Abnehmer zusätzlich. So sparen zwar die deutschen Rentenversicherer Milliarden, indem sie den Trägern der Gesetzlichen Krankenversicherung nicht die vollen Kosten für die Gesundheitsversorgung der Rentner vergüten; zum Ausgleich dafür werden die Beitragssätze der Erwerbstätigen zur Krankenversicherung angehoben. Ebenso rechnet die Schweizerische Unfallversicherungs-Anstalt (SUVA) mit den Ärzten für die Versorgung der Opfer von Unfällen am Arbeitsplatz zu einem höheren Tarif ab, der dann den Krankenkassen wieder zu Gute kommt. Die Einführang von Fallpauschalen nach Diagnosegruppen (DRGs, vgl. Abschnitt 10.4.3) fürdie Vergütung der Krankenhäuser durch die Medicare-Verwaltung der USA hat vermutlich ebenfalls zur Mehrbelastung anderer Gruppen geführt: höhere Kosten für Privatversicherte, Abbau der Gratisleistungen an Arme ohne Krankenversicherung.
444 •
11 Organisationsformen der medizinischen Versorgung Auch der private Träger eines neuen Versorgungskonzeptes ist dem Verdacht ausgesetzt, mittels Druck auf die Preise von fremdbezogenen Leistungen Kosten zu verschieben statt zu reduzieren. Im vorhergehenden Abschnitt war vom Vertragsnetz-Typ der HMOs die Rede, der den teilnehmenden Ärzten Gelegenheit bietet, mit der HMO ausgehandelte Tarifreduktionen bei der Behandlung anderer Patientengruppen wettzumachen. Ebenso könnte ein Krankenhaus dem Großabnehmer HMO günstigere Tarife einräumen und dafür konventionell versicherte Patienten höher belasten.
Da die Frage der Kostenverschiebung zwischen Anbietern unterschiedlicher Versicherungsverträge und Versorgungskonzepte im Gesundheitswesen offensichtlich von großer Bedeutung ist, sollen in diesem Teilabschnitt mit Hilfe eines von DRANOVE (1988) entwickelten Modells die Bedingungen untersucht werden, unter denen es zu solchen Kostenverschiebungen kommen kann. Dabei sei beispielhaft der Fall eines Krankenhauses herausgegriffen, das einerseits HMO-Patienten zu festen, vorher ausgehandelten Tarifen behandelt, andererseits aber auch privat versicherte Patienten hat. Wird ein typisches Krankenhaus diesem Patienten tatsächlich höhere Preise für seine Leistungen verrechnen, wenn die HMO für ihre Versicherten niedrigere Preise aushandeln kann? Zur Beantwortung dieser Frage wird eine Zielfunktion für das Krankenhaus angenommen, die zwei Gruppen von Argumenten enthält. Einerseits soll die Leitung des Hauses am Gewinn aus dem Verkauf von Leistungen interessiert sein. Dazu trägt die Behandlung von konventionell Versicherten (Iljf) und von HMO-Mitgliedern (n#) bei. Andererseits geht aber auch die Menge erbrachter Leistungen (YK und YH) in die Zielfunktion u ein:' du
du
du
du 0
du 0
Die Gleichheitsrestriktionen vor der ersten Vorzeichenangabe leiten sich aus dem Umstand her, dass die Summe der Gewinne das erste Argument der Zielfunktion bildet: Der Krankenhausleitung ist gleichgültig, ob ein zusätzlicher Gewinn aus Leistungen stammt, die an konventionell versicherten (UK) oder HMO-Patienten (11//) erbracht werden. Die Gleichheitsrestriktionen bezüglich der zweiten Ableitungen der Zielfunktion erinnern einerseits daran, dass bei zweifach stetig differenzierbaren Funktionen die Reihenfolge der partiellen Ableitungen keine Rolle spielt, und entsprechen andererseits der Annahme der Risikoaversion der Krankenhausleitung (von unten konkave Nutzenfunktion, vgl. Abschnitt 6.3.1). 'Ähnliche Zielfunktionen fiir Leistungsanbieter wurden im 10. Kapitel vorgestellt; die hier verwendete Funktion vernaehlässigt zur Vereinfachung die Qualität der Behandlung und wird insofern dem Einfluss der Ärzte auf die von einem Krankenhaus verfolgten Ziele nicht in vollem Umfang gerecht.
11.4 Die Health Maintenance Organization als alternative Form der Versorgung
445
Tabelle 11.2. Verschiebung der Kosten durch das Krankenhaus Zielfunktion des Krankenhauses:
.
mit
du _
du _ du
du
du
än^ M^ ~ än
' äi*
' äi^
=
d2u
' an^an^
=
d2u
duHdnK
=
d2u
äfp K (ii.D
Eigenschaften der Leistungserstellung für konventionelle Versicherte: <0
(H.2)
Eigenschaften des Marktes für HMO-Versicherte: CK=CH,PH=PH,YH
Il/j-: n#: PK > PH '• CK,CH\ YK, YH'.
= YH
(11.3)
Gewinn aus der Behandlung von Patienten mit konventionellen Versicherungen Gewinn aus der Behandlung von HMO-Patienten Preise, die für Angehörige der beiden Gruppen in Rechnung gestellt werden können Grenzkosten (=Durchschnittskosten), die für die Behandlung der jeweiligen Patientengruppe aufgewendet werden Zahl der verrechneten Pflegetage Quelle: DRANOVE (1988).
Die Zahl der verrechneten Pflegetage (YK,YH) soll grundsätzlich negativ vom geforderten Preis abhängen [vgl. aber die Annahmen (11.3)]. Bei konventionell versicherten Patienten ist dies angesichts fühlbarer Kostenbeteiligungen für stationäre Behandlung in den USA eine plausible Annahme. Auch bei HMOs dürften die Ärzte als Einkäufer von Drittleistungen auf einen hohen Preis mit einer Reduktion der bestellten Pflegetage reagieren. Die nachstehenden Vorzeichenvorgaben charakterisieren den „Markt" der konventionell Versicherten aus der Sicht des Krankenhauses (vgl. auch Tabelle 11.2):
Nach (11.2) wird der Gewinnbeitrag aus diesem Marktsegment durch Kostensteigerungen geschmälert; der Effekt fällt allerdings weniger stark aus, wenn zugleich der Preis angehoben werden kann (d2Tl/dpicäCK > 0). Das in der Funktion (11.1) zum Ausdruck gebrachte Abrücken vom Ziel der Gewinnmaximierung (du/dYx > 0, du/dYfi > 0) hat zur Konsequenz, dass ein erhöhter Leistungspreis den Beitrag zum Gewinn immer noch steigern wiirde (dYl/(/dpK > 0), wenn auch mit abnehmender Wirkung (dU2K/öp2K < 0).
446
11 Organisationsformen der medizinischen Versorgung
Zusätzliche Annahmen legen die Eigenschaften des HMO-Marktsegments aus der Sicht des Krankenhauses fest: C K = CH,
pH=PH,
YH = YH.
(11.3)
Die erste Annahme besagt, dass die Behandlung eines HMO-Patienten gleich viel kostet wie jene eines konventionell versicherten Patienten. Damit werden Kostenunterschiede als Grand einer Verschiebung zwischen den beiden Patientengruppen ausgeschlossen. Einfachheitshalber wird zweitens der Preis für die HMO-Patienten PH als exogen gegeben betrachtet, obschon er - im Gegensatz zu den Vergütungen fiir Medicaid- und Medicare-Patienten, die von einer öffentlichen Instanz festgelegt werden - das Ergebnis eines Verhandlungsprozesses wiedergibt. Aufgrund des vereinbarten Preises verpflichtet sich schließlich die HMO, eimfeste Anzahl Pflegetage (?//) zu übemehmen. Aufgrand dieser zusätzlichen Annahmen verbleibt dem Krankenhaus nur noch PK als Entscheidungsgröße, so dass die notwendige Bedingung für ein (inneres) Optimum lautet du
du dÜK
dpK
du dYx
dYlK dpK
(+)
dYK dpK
(+)
(+)
H
(11-4)
Ein Anheben des Preises für konventionell Versicherte hätte einerseits einen positiven Effekt auf den Gewinn, andererseits aber einen negativen Effekt auf die Versorgungszielsetzung, werden doch Patienten wegen der Kostenbeteiligung vom erhöhten Preis abgeschreckt. Wird nun das Optimum z.B. durch eine Reduktion des Vergütungsansatzes für HMO-Patienten gestört, so muss die Auswirkung auf die Bedingung du/dpx = 0 durch die Veränderung der Entscheidungsvariablen p^ so ausgeglichen werden, dass die Optimalbedingung nach der Anpassung wieder erfüllt ist. Dies verlangt ^-dpK
+
"
dpH = 0.
(11.5)
Die Auflösung von (11.5) nach dem interessierenden Differential unmittelbar
/
|
v
""
" "*" *~n " * Aft -
2
d u [9ntf3riA: dpH dpK (+)
ergibt
32M
dPK _ (-1)
^
BPK/^PH
(-)
(+)
(+)
|
u
"
" * '•n
"'A
dYKdTLH dpH dpK (+/-)
(+)
H
|
/ 1 1 A^
11.4 Die Health Maintenance Organization als alternative Form der Versorgung
447
Wegen der hinreichenden Bedingung für ein Maximum muss d2u/dp2K < 0 gelten, was hier ohne weiteren Nachweis als erfüllt betrachtet werden soll. Bei der Interpretation der Gleichung (11.6) lassen sich drei Fälle unterscheiden. 1. Gleichgerichtete Preisbewegung: dpx/dpH > 0. Wenn der HMO ein Preisnachlass gewährt werden muss, kommen auch die privat konventionell Patienten in den Genuss einer Tarifreduktion. Dieser Fall ist nur denkbar, wenn d2u/dYKdnH < 0, d.h. wenn der Grenznutzen zusätzlichen Gewinns aus der Behandlung von HMO-Patienten für die Leitung des Krankenhauses umso kleiner ist, je mehr Leistungen sie den konventionell versicherten Patienten zukommen lassen kann. 2. Unabhängigkeit der Preise, keine Kostenverschiebung: dpKJdpn = 0. Eine hinreichende Bedingung für diesen Fall ist
IH
(1L7)
denn damit wird wegen der Gleichung (11.4) dTlf(/^PK = 0 [so dass der erste Summand in (11.6) entfällt] sowie unmittelbar d2u/dYKdTlK = 0 [so dass der zweite Summand in (11.6) entfällt]. Mit anderen Worten, sobald das Krankenhaus nur das Ziel der Gewinnmaximierung und nicht auch ein Versorgungsziel (du/dYfc > 0) verfolgen würde, kann Kostenverschiebung (dpx/dpH ^ 0) ausgeschlossen werden. 3. Gegenläufigkeit der Preise, Kostenverschiebung: dpx/dpH < 0. Ein Preisnachlass gegenüber HMO-Versicherten wird durch einen Preisaufschlag gegenüber den konventionell Versicherten ausgeglichen. Gemäß Gleichung (11.6) tritt dieser Fall bereits dann ein, wenn •
der Grenznutzen zusätzlicher Gewinne aus der Hereinnahme von HMOVersicherten du/dTlfi nicht vom Umfang der Leistungen YK abhängt, die an konventionell versicherten Patienten erbracht werden [d2u/dI\H^YK = 0, so dass der zweite Summand in (11.6) entfällt], oder
•
der Grenznutzen zusätzlicher Gewinne aus der Hereinnahme von HMOVersicherten du/dTlH umso größer ist, je größer der Umfang an Leistungen YK, die an konventionell Versicherten erbracht werden [d^u/dUndYK > 0, so dass der zweite Summand in (11.6) so wie der erste negativ ist]. Diese Bedingung würde der üblichen Auffassung entsprechen, dass mit zunehmender Ausrichtung auf konventionell (d.h. insbesondere auch privat) Versicherte eines Krankenhauses eine gewisse Erwerbsorientierung einhergeht.
Folgerung 11.7 Wären die Leistungsanbieter im Gesundheitswesen ausschließlich gewinnorientiert, so gäbe es keinen Grund, mit Kostemerschiebungen (z.B. von HMO-Patienten zu konventionell versicherten Patienten) zu rechnen. Dieses Phänomen ist hingegen dann zu erwarten, wenn sich die Gewinnorientierung des Leistungsanbieters mit zunehmender Ausrichtung aufPatienten mit konventioneller Versicherung zumindest nicht abschwächt.
448
11 Organisationsformen der medizinischen Versorgung
Die empirische Relevanz der Kostenverschiebung wurde von DRANOVE (1988) überprüft. Er präsentiert empirische Evidenz von Krankenhäusern im Bundesstaat Illinois, die auf eine kompensierende Verteuerung der Leistungen an konventionell versicherten Patienten im Umfang von etwa 0,5 Dollar je Dollar Einbuße bei der Vergütung der Behandlung von Medicaid- und Medicare-Patienten schließen lässt, so dass also dpx/dp = - 0 , 5 .
11.4.4 Abschließende Würdigung der HMOs Die Einschaltung einer HMO als ergänzenden Sachwalter verspricht Vorteile für den Einzelnen. Er erhält eine umfassende Gesundheitsversorgung zu geringeren Kosten als ein konventionell Versicherter, in der Regel ohne Abstriche beim erreichten Gesundheitszustand. Daraus könnte man schließen, dass HMOs einen Effizienzgewinn im Gesundheitswesen bewirken. Wenn aber Einsparungen bei der HMO an anderer Stelle zu erhöhten Kosten führen, kann der Beitrag der HMOs zur Steigerung der Effizienz im Gesundheitswesen nicht abschließend beurteilt werden. Aber auch wenn HMOs zu Kostenverschiebungen im Gesundheitswesen fiihren sollten, tragen sie zur Wohlfahrtssteigerung der Konsumenten insofern bei, als sie die Auswahl an ergänzenden Sachwaltem im Gesundheitswesen vergrößern. Dieser Vorteil geht auch nicht zu Lasten der Ärzte und Krankenhäuser, insofern diese freiwillig auf die von den HMOs angebotenen Verträge eingehen. Trotz dieser Vorteile ist fraglich, ob sich HMOs außerhalb der USA durchsetzen werden. In jenen Ländern, wo die Bevölkerung einem nationalen Gesundheitsdienst oder aber sozialen Krankenversicherungen ohne Wahlfreiheit zugeordnet ist, fehlt der Anreiz für die Versicherer, sich als ergänzende Sachwalter im Gesundheitswesen anzubieten. Aber sogar in Ländern wie der Bundesrepublik Deutschland, den Niederlanden oder der Schweiz, wo zwischen den Krankenversicherern ein gewisser Wettbewerb herrscht, dürfte es HMOs schwer fallen, einen größeren Marktanteil zu erringen. Solange nämlich auch in diesen Ländern die Krankenhäuser durch den Staat subventioniert werden und im Gegenzug den Krankenversicherern weit weniger als die tatsächlichen Kosten in Rechnung stellen, können HMOs durch Einsparangen bei Krankenhauseinweisungen und Pflegetagen einen weit geringeren Kostenvorteil erwirtschaften als in den USA. So kommt es, dass die HMO, welche anfangs 1990 in Zürich ihren Betrieb aufnahm, den Versicherten im Vergleich zu konventionellen Krankenkassen nur gerade 15% günstigere Beiträge (und nicht bis zu 30% günstigere wie in den USA) anbieten konnte. Aber auch wenn HMOs immer nur eine Minderheit von Ärzten und Krankenhäusern in ein Versorgungssystem einbinden sollten, beweisen sie durch ihre Funktionsfähigkeit, dass die Leistungsanbieter im Gesundheitswesen mit finanziellen Anreizen zu einem sparsamen Umgang mit den Ressourcen gebracht werden können, ohne notwendigerweise auf minderwertige Medizin auszuweichen.
11.6 Lektürevorschläge
449
11.5 Zusammenfassung des Kapitels 1. Neben der Sachwalterbeziehung des Arztes zu seinem Patient bestehen üblicherweise ergänzende Sachwalterbeziehungen, die sich stark von Land zu Land unterscheiden. In Ländern mit einem nationalen Gesundheitsdienst oder einer nationalen Krankenversicherung organisiert der Staat die Versorgung vollständig. In anderen Ländern treten private Krankenversicherer als primäre Interessenwahrer der Patienten auf. Dies ist insbesondere der Fall im Rahmen des Managed Care Ansatzes, bei dem der Versicherer zum Versorger des Patienten wird. 2. Der Patient hat aus zwei Gründen Interesse an einem ergänzenden Sachwalter neben dem Arzt. Zum einen kann der ergänzende Sachwalter die Leistungen und Qualifikation des Arztes überprüfen. Zum anderen kann er die Kosten und die Qualität der Behandlung durch die Ausgestaltung eines geeigneten Vergütungssystems beeinflussen. 3. Die Arbeitgeber könnten zwar als ergänzende Sachwalter die Vertragsbeziehungen mit den Anbietern im Gesundheitswesen im Interesse ihrer Beschäftigten gestalten, weil sie sich aber dadurch auch einen Informationsvorteil bei Lohnverhandlungen verschaffen wiirden, kommt es in der Gesundheitsversorgung nur in Ausnahmefällen zu dieser Lösung. 4. Seine Machtposition erlaubt es dem Staat grundsätzlich, die Preise auf dem Markt für medizinische Leistungen zu senken. Auf dem Arbeitsmarkt ist seine Macht allerdings dadurch beschränkt, dass er in Konkurrenz mit anderen Branchen und den Gesundheitswesen anderer Länder steht. Ob sich der Staat auch als ergänzender Sachwalter der Bürger verhält, hängt insbesondere von der Intensität des Wettbewerbs der Parteien um Stimmen ab. Im Unterschied zum Staat stehen private Krankenversicherer unter Wettbewerbsdruck, was die Weitergabe erzielter Vorteile an die Versicherten begünstigt. 5. Health Maintenance Organizations (HMOs) führen im Vergleich zu einer konventionellen Versorgung zu substantiellen Kostenersparnissen. Im Allgemeinen geht dies nicht zu Lasten der Gesundheit der Versicherten. Eine Ausnahme bilden allerdings die wirtschaftlich Schwachen mit schlechtem Gesundheitszustand. Auf hart umkämpften Märkten werden die Kostenvorteile der HMOs an die Versicherten weitergegeben. 6. Wären die Leistungsanbieter im Gesundheitswesen ausschließlich gewinnorientiert, so gäbe es keinen Grund, mit Kostenverschiebungen (z.B. von HMOPatienten zu konventionell versicherten Patienten) zu rechnen. Dieses Phänomen ist hingegen dann zu erwarten, wenn sich die Gewinnorientierung des Leistungsanbieters mit zunehmender Ausrichtung auf Patienten mit konventioneller Versicherung zumindest nicht abschwächt.
11.6 Lektürevorschläge Im HANDBOOK OF HEALTH ECONOMICS befassen sich die Beiträge von DRANOVE UND SATTERTHWAITE (2000) und GLIED (2000) mit Organisationsformen im Gesundheitswesen.
450
11 Organisationsformen der medizinischen Versorgung
ll.Ü Übungsaufgaben 11.1. Diskutieren Sie, mit welchen Schwierigkeiten bei der Gründung einer HMO in Deutschland zu rechnen ist. 11.2. Unter „Kostenverschiebung" könnte man auch eine Situation verstehen, die dadurch gekennzeichnet ist, dass eine Kostenerhöhung in der Behandlung der HMOPatienten zu einer Preiserhöhung gegenüber den Patienten mit konventioneller Versicherung führt. Wovon hängt es ab, ob es zu einer solchen Kostenverschiebung kommt? [Hinweis: Gleichheit der Kosten CR = CH in der Gleichung (11.3) aufheben und statt dpn in der Gleichung (11.5) dC# verwenden].
12 Der Arzneimittelmarkt
12.1 Problemstellung Arzneimittel sind aus der modemen Gesundheitsversorgung nicht wegzudenken und zwar aus mindestens drei Gründen: 1. Sie stellen eine Therapieform dar, die ohne Verstümmelung oder Entfernung von Organen auskommt und in einigen Fällen eine kausale (und nicht nur symptombekämpfende) Behandlung ermöglicht. Die medikamentöse Therapie der Tuberkulose ist ein historisches Beispiel, die Impfung gegen das Aids-Viras könnte ein zukünftiges Beispiel sein. 2. Das Arzneimittel lässt sich in der Regel dosiert einsetzen und beim Auftreten von Nachteilen durch ein anderes ersetzen. Von den Organtransplantationen abgesehen, lässt sich dagegen ein chirurgischer Fehler nicht mehr gutmachen: Eine einmal entfernte Gebärmutter kann nicht wieder eingesetzt werden. 3. Das Arzneimittel wird im Gegensatz zu Pflegeleistungen industriell hergestellt und enthält deshalb ein besonders großes Rationalisierungspotential für das Gesundheitswesen. Sein Einsatz bedeutet nicht nur für Arzt und Pflegepersonal, sondern ebenso sehr für den Patienten selbst eine erhebliche Zeitersparnis. Gemessen an diesen Vorteilen erscheinen Arzneimittel auch nicht als besonders teuer. Im Durchschnitt der OECD-Länder machten die Arzneimittelausgaben 1997 nur etwa 9,5% der gesamten öffentlichen Gesundheitsaufwendungen aus,1 verglichen mit 7,6% um 1970 [vgl. OECD (2001)]. Dieser Anteil liegt in Deutschland etwas höher, nämlich bei rund 12%; ein Grund dafür könnte im recht umfassenden Einschluss des Medikaments in den Leistungskatalog der Krankenversicherung sein, im Gegensatz etwa zu den USA. Dort ist der Anteil denn auch wesentlich niedriger, 'Die Prozentangaben beinhalten nur Arzneimittelausgaben, die über den Detailhandel (z.B. Apotheken) abgewickelt wurden. Nicht enthalten sind Abgaben bei stationärer Pflege durch das Krankenhaus und bei ambulanter Pflege durch den Arzt.
452
12 Der Arzneimittelmarkt
nämlich ungefähr 4%. Während in den 1970er-Jahren der Anteil der Arzneimittel an den öffentlichen Gesundheitsaufwendungen in der Bundesrepublik Deutschland leicht rückläufig war, stieg er in den 1980er-Jahren wieder auf das Niveau von 1972 an (14,2%). Kurz nach der Wiedervereinigung ist der Anteil um zwei Prozentpunkte gesunken und ist seither auf 15,6% gestiegen [vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT DEUTSCHLAND (2004) ].
Im Vergleich zu diesen doch eher bescheidenen Prozentzahlen wenden die OECDLänder heute im Mittel etwas weniger als die Hälfte des Gesundheitsbudgets für die stationäre Versorgung, zur Hauptsache also für die Krankenhäuser, auf. Vor diesem Hintergrund erscheint es auf den ersten Blick erstaunlich, dass sich die Hersteller von Arzneimitteln in fast allen westlichen Staaten ziemlich umfassender Kritik ausgesetzt sehen. Beginnend mit den Leistungen ihrer Produkte lassen sich zur Hauptsache vier Kritikpunkte unterscheiden: 1. Viele Arzneimittel werden als unnütz, ja sogar schädlich gebrandmarkt. So werden von den neu in den deutschen Markt eingeführten Wirkstoffen nur gerade durchschnittlich 30% als neuartig und therapeutisch relevant eingestuft [vgl. SCHWABE UND PAFFRATH (2001, S. 22)]. M.a.W., etwa 70% der ohnehin nicht sehr zahlreichen Neueinführungen gelten als marginale Veränderungen bereits bekannter Wirkstoffe, als sog. "me too"-Präparate. Als besonders bedenklich müsste zudem gelten, dass zwischen 1985 und 2001 rund 36 Präparate wegen besonderer Risiken vom deutschen Markt zurückgezogen werden mussten. Dabei fällt auf, dass sich dieser Trend in den letzten paar Jahren drastisch verschärfte; 19 der 36 Präparate wurden in den drei Jahren zwischen 1998 und 2001 zurückgezogen [vgl.SCHWABE UND PAFFRATH (2001, S. 64)]. 2. Die Werbeaufwendungen werden weithin als übertrieben angesehen. Tatsächlich machten „Werbung und Information" in den späten achtziger Jahren etwa 26% der Gesamtkosten in der pharmazeutischen Industrie Deutschlands aus [vgl. HOFFMEYER UND MCCARTHY (1994, S. 460)]. In der Schweiz beträgt der Anteil für Marketing und Vertrieb etwa 20 bis 30% [vgl. PHARMA INFORMATION (2001, S. 35)]. Der Werbeaufwand der Automobilhersteller in Deutschland liegt demgegenüber bei etwa 6% des Umsatzes [vgl. TERPORTEN (1999, S. 132)]. 3. Auch die Produktionsverfahren der pharmazeutischen Industrie geraten immer wieder unter Beschuss, insbesondere die Tierversuche bei der Erprobung neuer Wirkstoffe sowie - als Teil der chemischen Industrie - die Belastung der Umwelt mit Sondermüll. 4. Als Ergebnis hoher Umsätze aufgrund überhöhter Absatzpreise werden die Gewinne als ungerechtfertigt hoch angeprangert. So weist die Pharmabranche in den OECD-Ländern Nettoumsatzrenditen von ca. 7% aus [vgl. LICHTBLAU (1999)]. Im Vergleich dazu weist die Automobilindustrie eine Nettoumsatzrendite von knapp 2% aus [vgl. TERPORTEN (1999, S. 463)].
12.2 Die Entwicklung eines neuen Arzneimittels
453
Ökonomische Überlegungen können zur Klärung der meisten dieser Kritikpunkte beitragen. Abschließende Handlungsanweisungen werden aus ihnen jedoch nur in Ausnahmefällen folgen, dies zur Hauptsache deshalb, weil das traditionelle Kriterium „Preis gleich Grenzkosten" nicht unmittelbar zur Anwendung kommen kann. Die Anbieter stehen ja miteinander nicht so sehr im Wettbewerb mit einer festen Produktpalette. Sie versuchen vielmehr, mit Innovationen ihr wirtschaftliches Überleben zu sichern - bis zu jenem schwer bestimmbaren Punkt, wo der erwartete Grenzertrag einer zusätzlichen Innovation ihre erwarteten Grenzkosten noch deckt. Im Folgenden soll deshalb der Werdegang eines neuen Arzneimittels - von der Planung seiner gewünschten Eigenschaften über die Markteinführung bis zur Verdrängung vom Markt - nachvollzogen werden. Den Ausgangspunkt des Abschnitts 12.2 bilden die pharmakologischen Anforderungen an eine neue Substanz, die im System der geltenden staatlichen Regulierung des Marktzutritts weitgehend darüber entscheiden, ob die Innovation weiterentwickelt wird oder nicht. Erst wenn berechtigte Hoffnung besteht, am Markt zugelassen zu werden, kann die Innovation zu einer lohnenden Investition werden. Die Rendite einer pharmazeutischen Innovation wird im Abschnitt 12.3 untersucht. Sie hängt aber nicht zuletzt von der Ausgestaltung des Patentschutzes ab. Der Frage der optimalen Patentschutzdauer ist darum ein eigener Abschnitt 12.4 gewidmet. Der Patentschutz gewährt den Arzneimittelherstellern zeitlich befristet eine gewisse Monopolmacht, was zu höheren Preisen führt. Um die Ausgaben für Arzneimittel kontrollieren zu können, werden deshalb in den meisten Ländern die Arzneimittelpreise reguliert. Die verschiedenen Formen der Preisregulierung werden in Abschnitt 12.5 behandelt. Spätestens nach Ablauf des Patentschutzes wird Preiswettbewerb zwischen Arzneimitteln der gleichen Diagnosegruppe möglich. Ob und wie er stattfindet, soll zum Abschluss im Abschnitt 12.6 untersucht werden.
12.2 Die Entwicklung eines neuen Arzneimittels Die herkömmliche mikroökonomische Theorie der Nachfrage geht von einem bestehenden Gut mit festgelegten Qualitätsmerkmalen als Analyseeinheit aus. Sie eignet sich deshalb vergleichsweise schlecht zur Beschreibung von sog. Produktinnovationen. Im Gegensatz zu Prozessinnovationen, die darauf abzielen, die Produktion eines bereits existierenden Gutes zu verbilligen, schaffen Produktinnovationen Güter mit veränderten, ja sogar gänzlich neuen Qualitätsmerkmalen. Im Zusammenhang mit der Entwicklung eines Arzneimittels spricht deshalb viel dafür, das Qualitätsmerkmal zum grandlegenden Element der Analyse zu machen, so wie dies in der sog. Neuen Nachfragetheorie [vgl. LANCASTER (1971,1971); BECKER (1965)] geschieht.
454
12 Der Arzneimittelmarkt
12.2.1 Die Konsumtechnologie eines Arzneimittels Im Falle eines Arzneimittels lassen sich mindestens die folgenden Qualitätsdimensionen unterscheiden [in Anlehnung an RUHR (1978, S. 67-68)]: •
Erwünschte Hauptwirkung (je standardisierte Tagesdosis)
•
Erwünschte Nebenwirkung
•
Unerwünschte Nebenwirkung
•
Wirkungsdauer im Organismus, Regelmäßigkeit des Abbaus
•
Einfachheit der Handhabung (z.B. Tablette statt Spritze)
•
Haltbarkeit des Arzneimittels.
Zur Konkretisierung sei ein Arzneimittel gegen Rheuma herausgegriffen. Es sei angenommen, dass die herkömmlichen Präparate zwar den Schmerz lindern (Eigenschaft b\), ohne jedoch die Degeneration der Gelenke aufzuhalten und damit ihre Beweglichkeit wiederherstellen zu können (Eigenschaft b^). Auf dem Markt befinde sich bereits das Produkt A, das je standardisierter Dosis Schmerzfreiheit während vier Stunden gewährleisten soll; seine sog. Konsumtechnologie ist durch den Punkt \A der Abbildung 12.1 beschrieben. Ein Konkurrenzunternehmen sehe die Möglichkeit, mit seinem neuen Präparat die Wirkungsdauer bei gleicher Dosierung auf sieben Stunden (Punkt \N der Abbildung 12.1) zu steigern. Auf einem Markt mit vollständig informierten und vollumfänglich versicherten Patienten würde sich der Produzent von N durchsetzen können. Denn für vollversicherte Patienten (und deren Ärzte) spielen nur die Qualitätsmerkmale des Arzneimittels, nicht aber sein Preis eine Rolle.
12.2.2 Regulierung des Marktzutritts durch die Zulassungsbehörde Die bisher betrachtete Innovation N war insofern marginal, als sie lediglich mehr vom gleichen Qualitätsmerkmal b\ „Schmerzfreiheit" bot. Ein Rheumatiker dürfte jedoch erhebliches Interesse an einem kausal wirkenden Arzneimittel haben, das gleichzeitig die Beweglichkeit der Gelenke (fo) wiederherstellen würde. In die Nutzenfunktion der Nachfrager gehen demnach beide Charakteristika ein. Allgemein wird eine Innovation, die ein Gut oder eine Leistung mit zusätzlichen nachfragerelevanten Charakteristika ausstattet, eine Durchbruch-Innovation genannt. Die Konsumtechnologie einer solchen bahnbrechenden Neuerung ist durch den Punkt 1D in der Abbildung 12.1 repräsentiert. Obschon D einen Durchbruch darstellt, ist ihm der Marktzugang nicht gewiss. Denn in den westlichen Industrieländern entscheiden Behörden (in der EU die European Medicines Agency EMEA, in der Schweiz Swissmedic, in den USA die Food
12.2 Die Entwicklung eines neuen Arzneimittels
455
Abb. 12.1. Konsumtechnologie von drei Rheumamitteln
Wiederherstellen der Beweglichkeit
lDo
O 1D'
1A
IN
-©—
10 Schmerzlinderung (Stunden pro Dosis)
and Drag Administration FDA) über die Marktzulassung einer neuen Substanz. Die Behörde könnte im Beispiel der Abbildung 12.1 geltend machen, dass das Produkt D nicht einmal die schmerzlindernde Wirkung von A, geschweige denn von N erreiche. Sie müsste die Wiederherstellung der Beweglichkeit gegen die Schmerzlinderang abwägen, und ob sie dabei die Präferenzen der Patienten richtig wiedergibt, ist eine offene Frage. Der Marktzugang ist dem Innovator erst garantiert, wenn es ihm gelingt, technologische Dominanz zu erzielen (Punkt 1D' in Abbildung 12.1), indem sein Produkt gegenüber den bestehenden Alternativen mehr von mindestens einem und nicht weniger von allen anderen Qualitätsmerkmalen bietet. Da für vollversicherte Patienten der Preis des Arzneimittels keine Rolle spielt, ist dem Innovator auch gerade der Markterfolg garantiert. Diese Gedankengänge führen zur Folgerung 12.1 Neben marginalen („me-too") Innovationen, die mehr von bereits vorhandenen Qualitätsmerkmalen enthalten, haben nurjene Durchbruch-Innovationen, die technologische Dominanz erzielen, einen gesicherten Marktzugang, dafür aber in einem vollversicherten Markt auch einen gesicherten Markterfolg.
456
12 Der Arzneimittelmarkt
12.2.3 Einfluss einer Kostenbeteiligung des Patienten Sobald die Versicherungsdeckung der Patienten nicht vollständig ist, indem eine prozentuale Kostenbeteiligung verlangt wird (wie in der Schweiz) oder aber eine Zuzahlung über den Festbetrag hinaus, falls der Preis höher als der Festbetrag liegt (wie in Deutschland Festbetrag seit 1989),2 spielen neben den Qualitätsmerkmalen die Produktpreise eine Rolle. Unter dem Preis soll im Folgenden der Nettobetrag verstanden werden, der vom Versicherten je standardisierter Tagesdosis aufgewendet werden muss. Die Entscheidungssituation des Patienten ist in der Abbildung 12.2 dargestellt unter der Annahme, dass er für die medikamentöse Behandlung den festen Betrag von 12 Geldeinheiten (GE) budgetiert hat. Wenn das herkömmliche Rheumamittel A je Dosis 3 GE kostet, so reicht dieser Betrag für 4 Dosen. Ist die Konsumtechnologie linear, geben diese 4 Dosen das Vierfache an Leistung einer einzigen Dosis ab; entsprechend wird in Abbildung 12.2 aus dem Punkt 1A der Konsumtechnologie der wirtschaftlich relevante Punkt 4A. Diese Linearitätsannahme ist in vielen Fällen nicht unproblematisch: Einerseits entfaltet vielleicht ein Arzneimittel seine Wirkung erst bei wiederholtem Gebrauch in vollem Umfang; andererseits machen manche Substanzen abhängig, so dass dieselbe Wirkung nur bei gesteigerter Dosis erzielt werden kann [vgl. STIGLER UND BECKER (1977)]. Im ersten Fall kann man von einer Konsumtechnologie mit steigenden Skalenerträgen, im zweiten von einer mit fallenden Skalenerträgen (bezüglich der gewünschten Qualitätsmerkmale) sprechen. Das Produkt N ist wirksamer als A; wäre es gleich teuer wie A, so würde sich seine pharmakologische Überlegenheit ohne Einschränkung in eine wirtschaftliche verwandeln. In der Regel wird jedoch der Hersteller die höhere Zahlungsbereitschaft der Nachfrager für das bessere Produkt mit einem höheren Preis teilweise abschöpfen. Dieser Preis soll 4 GE je Dosis betragen, so dass das Budget von 12 GE für 3 Dosen ausreicht. Auch so dominiert das Produkt N das Produkt A auf dem Markt; vgl. die Punkte 3N und 4A der Abbildung 12.2. Die Durchbruch-Innovation soll mit 6 GE je Dosis noch teurer sein. Wenn annahmegemäß doppelte Dosis nach wie vor doppelte Leistung (also auch doppelte Beweglichkeit der Gelenke) zur Folge hat, kann der Patient mit diesem Präparat den Punkt 2D erreichen. Ob er bzw. sein Arzt diesen Punkt auch wirklich wählt, hängt wie in der klassischen Nachfragetheorie von den subjektiven Präferenzen ab. Die Indifferenzkurve I\ der Abbildung 12.2 steht für einen Patienten, dem die Schmerzlinderung so wichtig ist, dass er sich für die marginale Innovation (Punkt 3A0 entscheidet. Aus dem Vergleich der Punkte 3N und 4A der Abbildung 12.2 geht auch 2
Am 1.1.1989 trat in Deutschland das Gesundheits-Reform-Gesetz in Kraft. Darin wird der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen beauftragt, Preise für die Erstattung von Arzneimitteln durch die Gesetzliche Krankenversicherung festzulegen, die sich grundsätzlich am preisgünstigsten Präparat mit gleichen Wirkstoffen bzw. vergleichbarer Wirkung ausrichten. Liegt der vom Hersteller geforderte Preis iiber dem so festgelegten Preis (dem sog. Festbetrag), so muss der Versicherte die Differenz selbst bezahlen.
12.2 Die Entwicklung eines neuen Arzneimittels
457
Abb. 12.2. Pharmakologische und wirtschaftliche Aspekte einer pharmazeutischen Innovation Wiederherstellen der Beweglichkeit
1DCL
\A
lD'o
\N
l,5N+W
4A
3N
Schmerzlinderung (Stunden pro Dosis)
hervor, dass diese Art der Innovation (eingangs als „me too"-Präparat qualifiziert) den Nachfragern durchaus einen Vorteil bieten kann. Von anderen Patienten kann man annehmen, dass sie an der Wiederherstellung der Beweglichkeit {b^) genügend interessiert sind, um aufgrund einer Indifferenzkurve wie h zumindest eine Mischung der Arzneimittel D und N anzustreben. Das eingezeichnete Optimum (1,5N+ \D) kann jedoch dann nicht erreicht werden, wenn die Dosiszahl ganzzahlig sein muss (z.B. weil das Medikament in Ampullenform dargeboten wird) oder wenn eine kombinierte Einnahme negative Interaktionswirkungen zeitigen würde (z.B. wegen Unverträglichkeit der Trägersubstanzen). Sind die Nachfrager vom Typ /j genügend zahlreich, so könnte es sich offenbar für einen Hersteller lohnen, die Qualitätsmerkmale b\ und b^ neu zu mischen und den Preis so anzusetzen, dass sein Produkt auf die effiziente Grenze 2D3N zu liegen kommt. Auch wenn er damit „nur" eine marginale Produktdifferenzierung vomimmt, trägt er zur besseren Versorgung der Nachfrager bei. Dieser Vorteil ist allerdings abzuwägen gegen die Kosten der Produktdifferenzierung (z.B. kleinere Losgrößen in der Produktion einer gegebenen Produktvariante). Das eingangs angesprochene Problem der „übermäßigen" Produktdifferenzierung lässt sich somit auf die Tatsache zurückführen, dass der versicherte Nachfrager nur einen Teil der Kosten solcher Produktdifferenzierung zu tragen hat.
458
12 Der Arzneimittelmarkt
Aus der Abbildung 12.2 geht schließlich auch hervor, dass unabhängig vom Typ der Produktinnovation die nachgefragte Menge mit dem Preis variiert. Könnte der Hersteller von A den Preis um 50% senken, so dass der Punkt AA zum Punkt 6A würde und damit rechts von 3N zu liegen käme, würde er die Patienten vom Typ der Indifferenzkurve I\ an sich ziehen. Sollte umgekehrt der Innovator den (Netto-)Preis von D z.B. verdoppeln, so würde sich das Optimum auch für einen Patienten vom Typ h in Richtung 2>N entlang der Budgetgerade 1D3N verschieben. In einem Markt mit nur teilweise versicherten Nachfragern kann sich auch die technologisch dominante Durchbruch-Innovation als Flop erweisen. Das Produkt muss nur teuer genug sein, wie in Abbildung 12.2, wo angenommen wird, dass eine Dosis von D' gerade das ganze Budget von 12 GE beanspruchen würde. Damit liegt D' innerhalb der effizienten Grenze, die von Kombinationen von N und D gebildet wird. Eine Preisreduktion könnte allerdings D' nicht nur zum technologisch, sondern auch ökonomisch dominanten Produkt machen. Diese Argumentation mündet in die Folgerung 12.2 Nicht nur die Anbieter herkömmlicher Produktvarianten, sondern auch von Durchbruch-Innovationen sehen sich einer fallenden Nachfragekurve gegenüber.
12.3 Die Innovation als Investition Auf den ersten Blick mag die Entwicklung eines neuen Arzneimittels kaum etwas mit Investitionen in Grundstücke, Gebäude oder Maschinen zu tun haben. Entscheidungen in beiden Bereichen haben jedoch eine wichtige Gemeinsamkeit: Die Aufwendungen fallen in der Gegenwart an, während die Erträge unsicher sind und in der Zukunft liegen. In diesem Abschnitt werden diese Gemeinsamkeiten herangezogen, um die Arzneimittelinnovation aus wirtschaftlicher Sicht zu charakterisieren. 12.3.1 Der zeitliche Ablauf einer Arzneimittelinnovation Die Entwicklung eines neuen Arzneimittels dauert zurzeit im Durchschnitt über zehn Jahre, vom Zeitpunkt an gerechnet, wo nach Tausenden von Synthetisierungsversuchen etwa zwanzig erfolgversprechende Substanzen vorliegen (vgl. Abbildung 12.3). Etwa zwei Jahre nimmt die vorklinische Phase in Anspruch, in deren Verlauf aufgrund von Wochen oder Monaten dauernden Tierversuchen abgeklärt wird, ob die Substanzen für eine Anwendung am Menschen überhaupt in Frage kommen. Nun folgt eine vergleichsweise kurze Phase, an deren Ende die Eigenschaften der erfolgreichen Substanzen soweit festgelegt sind, dass eine vorläufige Anmeldung beim Gesundheitsamt erfolgen kann (Antrag beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte BfArM oder bei der EMEA, New Drug Application NDA bei der Food and Drug Administration FDA im Falle der USA). Mehrere Jahre nimmt sodann die
12.3 Die Innovation als Investition
459
Abb. 12.3. Der Werdegang eines Arzneimittels Jahre Jahre 0 ca. 10.000 Substanzen ca. K>.O0(KSubsUinzen 1 FINDEN
Synthetisieren und und Prüfen Synthclistcrcn Prilfcft
2 ca. 20 Substanzen
3
Vorklinische Entwicklung 4 5
ca. 10 Präp.
Klinische Phase I
ca. 5 Präp.
Klinische Phase II
2
Klinische Phase III
6 ENTWICKELN 7 8 9 10 11 EINFÜHREN
1
Präparat Präparat
1
Präparat
Klinische Phase Phase IV IV Klinische
12 VERKAUF Quelle: Pharma Pharma Information Quelle: Information(2001). (2001).
klinische Entwicklung in Anspruch, die dazu dient, einerseits die Wirksamkeit, andererseits die Unbedenklichkeit des Arzneimittels auch bei längerfristigem Gebrauch nachzuweisen. Man kann sie in vier Phasen aufteilen (vgl. wieder Abbildung 12.3). In der klinischen Phase I geht man dazu über, die Wirkstoffe, die nach der vorklinischen Phase übrig geblieben sind, an Menschen zu testen. Dazu werden die Substanzen an gesunden Freiwilligen getestet und die Wirkstoffe werden zum ersten Mal in großen Mengen hergestellt. Ungefähr die Hälfte der Wirkstoffe scheidet in dieser Phase des Prozesses aus. In der klinischen Phase II wird anschließend die Wirkung der verbleibenden Substanzen an einer kleineren Zahl von ausgewählten Patienten
460
12 Der Arzneimittelmarkt
getestet. Außerdem wird die längerfristige Verträglichkeit am Tier überprüft. Dabei scheiden wieder etwa 50% der Wirkstoffe aus. In der klinischen Phase III wird die Wirkung an einer größeren Anzahl Patienten unter praxisnahen Bedingungen untersucht. Die endgültigen Darreichungsformen werden entwickelt. Schließlich bleibt ein Präparat übrig, welches in die letzte klinische Phase eintritt. Es muss zuhanden der Registrierungsbehörde eine Dokumentation für die Zulassung zusammengestellt werden. Gleichzeitig laufen erste Tests, um allfällige Nebenwirkungen bei länger andauemder Verwendung des Arzneimittels erkennen zu können. Dieser Prozess hat sich im Verlaufe der siebziger Jahre massiv verlängert [vgl. (1988)]. Insgesamt nimmt er zurzeit etwa zwölf Jahre in Anspruch, gegenüber knapp vier Jahren anfangs der sechziger Jahre. Diese Verlängerung lässt sich auf die Verschärfung der Zulassungsbedingungen zurückführen, wobei die USA den Vorreiter spielten [vgl. GRABOWSKI UND VERNON (2000)]. Sie stellte eine Reaktion auf die Thalidomid-Tragödie dar (Contergan in Deutschland): Hunderte von Kindern kamen mit Missbildungen zur Welt, weil ihre Mütter dieses Schlafmittel verwendet hatten. Es ist eine Paradoxie dieser Verschärfung der Zulassungsbedingungen, dass sie wahrscheinlich mehr Leben gekostet als gerettet hat, weil auch wirksame neue Arzneimittel erst mit Verspätung verfügbar wurden und in der Zwischenzeit viele Menschen an (bereits behandelbaren) Krankheiten starben WALKER UND PARRISH
[vgl. PELTZMAN (1973)].
12.3.2 Erfolgswahrscheinlichkeiten und Innovationsausgaben Bis aus einer Substanz ein neues, auf dem Markt zugelassenes Arzneimittel wird, vergehen nicht nur viele Jahre, sondern es müssen auch viele Irrwege in Kauf genommen werden. Nach Schätzungen von WARDELL ET AL. (1980) für die USA braucht es die Synthetisierung von nicht weniger als 10.000 Substanzen, um ein marktfähiges Arzneimittel zu entwickeln. Von 10.000 synthetisierten Substanzen werden nämlich bereits nur 15 bis 40 überhaupt auf Toxizität geprüft, wovon nach der langen Phase der klinischen Prüfungen wiederum nur zwei bis drei überleben. Im Zuge der Untersuchungen zur längerfristigen Toxizität geht dann diese Zahl auf eins zurück (vgl. Abbildung 12.3). Eine Erfolgswahrscheinlichkeit von gegen 1:10.000 wird auch für Deutschland und die Schweiz geschätzt [vgl. BARTLING UND HADAMIT (1982); PHARMA INFORMATION (2001, S. 39)]. Frühere Schätzungen waren auf eine Erfolgswahrscheinlichkeit von immerhin 1:3.000 in den sechziger Jahren gekommen [vgl. VANE (1964)].
Die gleichzeitige Abnahme der Erfolgswahrscheinlichkeit und Verlängerung der Entwicklungsphase ließen die mittleren, zu 8% diskontierten Kosten der Entwicklung eines neuen Produktes von 7,5 Mio. US-Dollar in den fünfziger Jahren [vgl. BAILY (1972)] zu laufenden Preisen auf 54 Mio. in den siebziger Jahren [vgl. HANSEN (1979)] und auf sogar 125 Mio. um 1980 [vgl. WiGGlNS (1987)] ansteigen.3 Die Kosten bis zur Markteinführung werden dabei auf den Barwert im Zeitpunkt der Entscheidung, d.h. 10 Jahre zuvor, abgezinst.
12.3 Die Innovation als Investition
461
Eine weitere Schätzungen betrug rund 200 Mio. US-Dollar [vgl. D I M A S I ET AL. (1991)]; sie bezieht sich auf neue Substanzen, die in den Jahren 1970-1982 getestet wurden und deren Kosten mit 8% auf das Jahr 1987 aufgezinst wurden. Heute rechnet man etwa mit 250 bis 350 Mio. US-Dollar, womit die Kosten der Entwicklung mit der Inflation Schritt gehalten haben [PHARMA INFORMATION (2001, S. 39)]. Da die Verkäufe in den 1960er- und 1970er-Jahren nicht gleich rasch zunahmen, ist die Zahl der Neueinführungen in den USA und verschiedenen europäischen Ländern zurückgegangen [vgl. REIS-ARNDT (1993)]. In den letzten beiden Jahrzehnten nahmen die Verkäufe v.a. aufgrund von vermehrten Durchbruch-Innovationen deutlich zu. Die verbesserten Ertragsaussichten führten zu einem intensivierten Forschungswettbewerb. Dies hatte schließlich zur Folge, dass die Zahl der Neueinführungen seither wieder am steigen ist [vgl. GRABOWSKI UND VERNON (2000), SCHWABE UND PAFFRATH (2001, S. 23)]. Folgerung 12.3 Die Arzneimittelinnovation kann als eine Investition aufgefasst werden. Seit denfrühen sechziger Jahren nahmen die damit verbundenen Aufwendungen rasch zu, und die Zahl der neu eingeführten Wirkstoffe ging weltweit tendenziell zurück. Seit den 1980er-Jahren ist der Trend wieder gegenläufig. 12.3.3 Lohnen sich pharmazeutische Innovationen? Da es sich bei Innovationen um Investitionen handelt, eignet sich das Barwertkriterium zur Abschätzung ihrer Wirtschaftlichkeit:
In dieser Formel steht Rt fiir einen Einnahmestrom, der im Durchschnitt erst nach zwölf Jahren einsetzt. Der Ausgabenstrom C, dagegen nimmt am Anfang der Forschungs- und Entwicklungsphase hohe Werte an und sinkt gegen Ende der Produktlebensdauer auf die variablen Kosten der Produktion. Ist B positiv, so trägt das Projekt zur Mehrung des Vermögens des Investors bei. Beide Ströme wie auch der für die Diskontierung zu verwendende Zinssatz r können im Moment der Entscheidung nur geschätzt werden. Während das Barwertkriterium wegen seiner Eindeutigkeit das theoretisch vorzuziehende Maß darstellt, ist der interne Ertragssatz populärer. Der interne Ertragssatz ist jener Zinssatz r* in Gleichung (12.1), mit welchem das Investitionsprojekt „belastet" werden kann, so dass gerade noch ein Barwert B = 0 resultiert. JOGLEKAR UND PATERSON (1986) errechneten zu erwartende interne Ertragssätze von pharmazeutischen Innovationen in den USA, die 1976 begonnen wurden und damit 1988 Marktreife erreichten. Aufgrund von Trendextrapolationen bezüglich der wahrscheinlichen Umsatzentwicklung kamen sie auf eine reale interne Rendite von 6,1 % nach Steuern für die durchschnittliche Innovation. Dies stimmt gut
462
12 Der Arzneimittelmarkt
überein mit den 5,5%, die ZWEIFEL UND PEDRONI (1985) nach gewissen Ergänzungen an einer früheren amerikanischen Schätzung von VlRTS UND WESTON (1981) errechneten. GRABOWSKI UND VERNON (1990) stellten fest, dass der inteme Ertragssatz gegen Ende der 1970er-Jahre angestiegen ist. So erhielten sie in ihrer Studie für den Zeitraum von 1970-1974 einen Wert von 7,1%, während für die Jahre 1975-1979 ein Ertragssatz von 10% resultierte. Dieser Trend scheint sich in den 1980er-Jahren fortgesetzt zu haben. So stellten die gleichen Autoren in einer späteren Studie fest, dass der interne Ertragssatz Mitte der 1980er-Jahre etwa bei 11,1% lag. Allerdings scheinen gleichzeitig die Kapitalkosten auf etwa 10,5% gestiegen zu sein,4 womit die Rentabilität eher klein ausfällt [vgl. GRABOWSKI UND VERNON (1994)]. JOGLEKAR UND PATERSON (1986) geben zusätzlich einen Eindruck von der Unsicherheit, mit der ein Investor Mitte der 1970er-Jahre rechnen musste. Da das arithmetische Mittel von einigen wenigen sehr erfolgreichen Arzneimitteln beeinflusst ist, liegt der Medianwert des internen Ertragssatzes weit unter dem Mittelwert von 6,1%, nämlich bei -5,5%. Die Hälfte der 218 Innovationen, die im Zeitraum 1962-1977 in den USA eingeführt wurden, werden den Autoren zufolge ihre Entwicklungskosten auch nach 36 Jahren nicht hereingeholt haben. Die extreme Schiefe der Verteilung der Barwerte konnten auch GRABOWSKI UND VERNON (1994) bestätigen. Bei einem durchschnittlichen Barwert von 22,2 Mio US-Dollar (zu Preisen von 1990) erreichte das oberste Dezentil einen Wert von einer Milliarde US-Dollar, während die untersten sieben Dezentile die durchschnittlichen Entwicklungskosten nicht deckten. Auch wenn sich die Entwicklung eines neuen Arzneimittels für den Investor nicht lohnt, kann die gesamtwirtschaftliche (soziale) Rendite positiv sein. Zu den Verkaufserlösen ist zur Ermittlung der sozialen Rendite die Konsumentenrente dazuzuschlagen, jener Teil der durch die Innovation geschaffenen Zahlungsbereitschaft der Nachfrager, die vom Produzenten nicht mit dem Preis abgeschöpft werden kann. So errechnet Wu (1984) für drei pharmazeutische Innovationen interne gesamtwirtschaftliche Ertragssätze von über 25%. Dabei handelt es sich allerdings um eine Überschätzung, weil die bezahlten Arzneimittelpreise eine zu hohe Zahlungsbereitschaft des Patienten anzeigen. Dies geht aus der Abbildung 12.4 hervor. Die wahre marginale Zahlungsbereitschaft des Patienten für ein Arzneimittel sei durch die Nachfragefunktion qmMm gegeben. Bei einer prozentualen Kostenbeteiligung von 50% (c = 0,5) am Preis verläuft die auf dem Markt beobachtete Nachfragefunktion QmMm doppelt so steil. Ist beispielsweise die wahre maximale Zahlungsbereitschaft eines Patienten qm = 5 GE, so darf der Preis beim Kauf eines Arzneimittels für ihn maximal Qm = 10 GE betragen. Aufgrund der Gleichsetzung von Grenzerlös und Grenzkosten durch den (monopolistischen) Innovator liegt der effektiv bezahlte Preis bei ö 0 - 5 4
Die Autoren weisen darauf hin, dass diese Schätzung eher konservativ ist. Von der Möglichkeit von Preisverhandlungen zwischen Krankenversicherern und Arzneimittelherstellern bzw. von sog. Festbeträgen (vgl. Abschnitt 12.6.2) wird zur Vereinfachung abgesehen. 5
12.3 Die Innovation als Investition
463
Abb. 12.4. Wahre und beobachtbare Zahlungsbereitschaft (Kostenbeteiligung 50%) q, Q Qm
Q q
q q
A
0
m
0
a
k
C'
D
0
M0 R'
ß:
q": R': C': Mm: Q°AQm: qkDAQ°:
Mm M"
M
Beobachtbarer Preis des Arzneimittels Nettopreis für den Versicherten, = cQ (c = 0,5) Gewinnmaximaler Preis Nettopreis, der dem gewinnmaximalen Preis entspricht Wahre maximale Zahlungsbereitschaft (beobachtet: Qm) Grenzerlös Grenzkosten, konstant (und gleich Durchschnittskosten) Sättigungsmenge Aufgrund der beobachteten Marktdaten ermittelte Konsumentenrente Wahre Konsumentenrente = cQ°AQm Produzentenrente (Gewinn)
Aufgrund der Preis-Mengen-Beobachtungen wird die Nachfragefunktion QmMm geschätzt und die Konsumentenrente mit der Fläche Q°AQm identifiziert. Die Summe von Periodenerlös und Konsumentenrente (d.h. die Fläche 0M°A<2m) entspricht einem typischen Summanden R, in Gleichung (12.1), wenn es um die Berechnung eines sozialen internen Ertragssatzes geht. Der Subtrahend Q wird durch die Fläche 0M°Dqk unter der Grenzkostenfunktion symbolisiert; er kann aus der einzelwirtschaftlich orientierten Kalkulation übernommen werden. Die wahre aggregierte Zahlungsbereitschaft für eine Arzneimittelversorgung im Umfang von M° ist jedoch aufgrund des Strahlensatzes nur halb so groß, nämlich 0M°aqm. Während die Kosten unverändert bleiben, halbiert sich offensichtlich die
464
12 Der Arzneimittelmarkt
Konsumentenrente. Wenn also Wu (1984) die sozialen Renditen pharmazeutischer Innovationen auf etwa 200% der privaten schätzt, so müsste dieses Verhältnis bei einer Kostenbeteiligung von 50% (die in den USA auf Arzneimitteln nicht unüblich ist) wenigstens auf 150% reduziert werden. Die Skepsis gegenüber dem sozialen Nutzen pharmazeutischer Innovationen könnte nicht zuletzt mit dieser Diskrepanz zwischen marktwirksamer und tatsächlicher Zahlungsbereitschaft zu tun haben [vgl. ZWEIFEL (1984)]. Insgesamt ergibt sich die Folgerung 12.4 Niedrigen realen internen Ertragssätzen von durchschnittlich etwa 5 bis 10%für den Innovator stehen höhere soziale Renditen pharmazeutischer Innovationen gegenüber. Die Konsumentenrenten sind allerdings infolge des Versicherungsschutzes überschätzt.
12.4 Die Rolle des Patentschutzes 12.4.1 Wozu ein Patentschutz? Der Patentschutz gewährt dem Erfinder eines Produktes oder Verfahrens ein Monopol bezüglich der wirtschaftlichen Nutzung seiner Innovation. Dieses Monopol ist zwar von beschränkter zeitlicher Dauer - zurzeit 20 Jahre in den meisten westlichen Industrieländern - passt aber dennoch schlecht zur Richtschnur der vollständigen Konkurrenz. Vollständige Konkurrenz gewährleistet, dass die relativen Güterpreise gleichzeitig die relativen Grenznutzen der Güter auf Seiten der Nachfrager und die relativen Grenzkosten der Herstellung dieser Güter auf Seiten der Anbieter widerspiegeln, sich die Wirtschaft also in einem Pareto-Optimum befindet. Diese Gleichheit wird durch das Auftreten von Monopolen gestört, indem die relativen Güterpreise in der Regel von den relativen Grenzkosten abweichen. Die Vergabe von Patenten ist aus dieser Sicht fiir länger andauernde Abweichungen von einem optimalen Zustand der Wirtschaft verantwortlich. Diese Sichtweise erweist sich als zu eng, sobald in die Menge der Güter nicht nur die in einem Zeitpunkt bereits vorhandenen, sondern die in Zukunft noch zu erfindenden Güter aufgenommen werden. Dann muss abgewogen werden zwischen dem teilweisen Verzicht auf Konsum von bereits verfügbaren Gütern und der Chance, in Zukunft ein neu entwickeltes Gut verwenden zu können. Diese Zahlungsbereitschaft für Innovationen müsste sich entsprechend in einem Zuschlag zu jenem Preis niederschlagen, der lediglich die Grenzkosten der laufenden Produktion deckt. Der Patentschutz macht aus dem Innovator einen Monopolisten aufZeit, der einen solchen Zuschlag am Markt durchsetzen kann. Dieser Zuschlag wird im Allgemeinen nicht gesamtwirtschaftlich optimal ausfallen, ist doch der gewinnmaximale Preis p* aufgrund der Gleichheit von Grenzerlös und Grenzkosten (der laufenden Produktion) gegeben durch p*(l + l / i l ) = C ' )
unddamit
£ = ^-L-.
(12.2)
12.4 Die Rolle des Patentschutzes
465
Darin stellt r\ < 0 die Preiselastizität der Nachfrage dar. Der Zuschlag zu den Grenzkosten p* jC' hängt von r| und damit von dem Produktionsvolumen M ab. Er ist damit variabel, während die Grenzkosten der Innovation einen festen, vom Produktionsvolumen unabhängigen Zuschlag bedingen würden. Der Patentschutz stellt also mit Bestimmtheit eine zweitbeste Lösung des Problems der Innovation dar. Das Problem rührt daher, dass eine Innovation zur Hauptsache auf Information beruht. In der pharmazeutischen Industrie geht es um die Suche nach dem Wissen, das die Auswahl einer Wirksubstanz mit wünschbaren Eigenschaften ermöglicht. Liegt dieses Wissen, konkretisiert in einem Arzneimittel, erst einmal vor, so lässt sich durch eine chemische Analyse zu vergleichsweise geringen Kosten herausfinden, welche Wirkstoffe vorhanden sind. Das Wissen, das die Innovation ermöglicht, wird so zum öffentlichen Gut. Weil für den Nachahmer die Innovationskosten entfallen, sind seine Durchschnittskosten bei einem niedrigeren Preis als beim Originalhersteller noch gedeckt. Er kann deshalb durch eine Preissenkung seinen Marktanteil zu Lasten des Originalherstellers ausweiten. Dem Innovator steht es zwar frei, seinen Preis beizubehalten, z.B. um bei der nächstfolgenden Innovation gegenüber seinen Verhandlungspartnern in Krankenversicherang und staatlichen Behörden weniger Schwierigkeiten mit der Preisbegründung zu haben. Dann wird er aber früher oder später aus dem Markt für dieses Arzneimittel verdrängt. Will er dies vermeiden, muss er den Preis auf das Niveau des Nachahmers, d.h. auf die Grenzkosten der Herstellung absenken. Eine Deckung der Forschungsaufwendungen ist so allerdings nicht möglich. Der Innovator wird in beiden Fällen zum Schluss kommen, dass sich Innovation nicht lohnt. Der Patentschutz hat demnach die zentrale Aufgabe, den Anreiz zur Innovation aufrechtzuerhalten.
12.4.2 Die Entscheidungssituation des Innovators Wenn offenbar Patentschutz mindestens eine gangbare Lösung zur Gewährleistung des technologischen Wandels darstellt, so bleibt immer noch die Frage nach seinem Umfang und seiner Zeitdauer. Ein Arzneimittel untersteht dem Stoffschutz, d.h. patentiert wird die Wirksubstanz und nicht etwa ein Verfahren zu seiner Herstellung (Verfahrensschutz). Damit kommt der Erfinder auch in den Genuss der Mehrerträge, die sich aus neuen Anwendungsgebieten für bereits bestehende Wirkstoffe ergeben. Bei solch umfassendem Patentschutz stellt sich die Frage nach seiner zeitlichen Dauer umso akuter. Im Folgenden soll deshalb die optimale Patentschutzdauer in einem sehr einfachen Modell hergeleitet werden. In der frühen Literatur [vgl. ARROW (1962); NORDHAUS (1969)] wird unterstellt, dass der Innovator seine Erfindung bereits gemacht und dafür einen bestimmten Betrag aufgewendet hat. Er stellt die Erfindung einem Unternehmen zur Verfügung, dessen Kosten der Produktion durch die Erfindung zurückgehen. Die abzuklärende Frage bestand darin, wie lange der Benutzer für die Verwendung der Erfindung bezahlen soll. Der Patentschutz wird in diesen Modellen also erst dann
466
12 Der Arzneimittelmarkt
gewährt, wenn das neue Produkt fertig entwickelt ist. Zumindest in der pharmazeutischen Industrie werden aber Patente früh angemeldet, um von Anfang an vom Stoffschutz profitieren zu können. Zu diesem Zeitpunkt ist der Investitionsbetrag noch nicht festgelegt, so dass der Patentschutz seine Wirkung voll entfalten kann, die ja gerade darin besteht, die Investitionen zu Gunsten von Innovationen zu ermutigen. Diese Tatsachen werden in einem von DEBROCK (1985) entwickelten Modell berücksichtigt, das im Folgenden dargestellt werden soll. Aus dem Barwertkriterium der Gleichung (12.1) geht hervor, dass eine Verlängerung des Lebenszykluses (eine Erhöhung von T) die Innovation lohnender macht. Andererseits hat eine Erhöhung der Forschungsanstrengungen (/) keinen eindeutigen Einfluss auf den Barwert der Gewinne B. Vermehrte Forschung verspricht zwar einen größeren Erfolg nach der Markteinführung und damit einen höheren Barwert der Erlöse (R). Aber auch die Kosten (C) der Entwicklung und vermutlich auch später der Produktion werden im allgemeinen mit / zunehmen. Insgesamt ergibt sich demnach für den Barwert des Gewinns aus der Innovation n = Ä(/,r)-c(/).
(12.3)
Dabei steht R für den Barwert der Erlöse und C für den Barwert der Kosten. Es sollen die folgenden Annahmen gelten: Annahme 12.1 Die Grenzerlöse einer Innovation sind stets positiv und nehmen zuerst sogar zu, weil die Innovationsanstrengungen eine gewisse Schwelle überschreiten müssen, um genügend Erlöse zu generieren.
#/ := dR/dl > 0 ,
, f > 0 fiir kleinere Werte von I I < 0 für große Werte von I
Annahme 12.2 Zusätzliche Innovationsanstrengungen kosten progressiv mehr, weil sie hochspezialisierte Ressourcen benötigen. Q = dC/dl > 0,Q/ := 3 2 C/3/ 2 > 0 := 3 3 C/3/ 3 > 0. Annahme 12.3 Der Barwert der Erlöse nimmt mit der ejfektiven Patentschutzdauer zu, und zusätzliche Innovationsanstrengungen machen sich besser bezahlt, wenn die Patentschutzdauer verlängert wird. Anders gesagt: Eine Verlängerung der Patentschutzdauer macht dann viel mehr aus, wenn der Grenzertrag zusätzlicher Innovationsanstrengungen hoch ist. RT := dR/dT > 0,R!T =RTi:= d2R/dIdT > 0.
12.4 Die Rolle des Patentschutzes
467
Tabelle 12.1. Innovationsaufwand und Patentschutzdauer als simultan zu bestimmende Entscheidungsvariablen Zielfunktion des Innovators:
Zielfunktion des Patentamtes:
11: Barwert der Gewinne aus Innovationen /: Innovationsanstrengungen; Entscheidungsvariable des Innovators C: Barwert der Kosten von Innovationen R R: Barwert der Einnahmen aus Innovationen P: Barwert der (privaten) Produzentenrente nach der Markteinführung S: Barwert der (sozialen) Konsumentenrente nach der Markteinführung T: Patentschutzdauer; Entscheidungsvariable des Patentamtes W: Gesamtwirtschaftlicher Wohlfahrtsgewinn aus der Innovation Anmerkung: Die Vorzeichen in Klammern beziehen sich auf die partiellen Ableitungen nach dem betreffenden Argument.
Eine Verstärkung der Innovationsanstrengungen (/) hat also keine eindeutige Wirkung auf den Barwert der Gewinne. Einerseits versprechen zusätzliche Innovationen / mehr Erlöse R, doch auch die Kosten C nehmen mit / zu. Die Entscheidungsvariable des Innovators ist die Innovationsanstrengung /, während die Patentbehörde die Patentschutzdauer T festlegen wird (vgl. auch Tabelle 12.1). Der erste Schritt besteht nun darin, eine Reaktionsfunktion des Innovators herzuleiten, die anzeigt, wie er optimal mit seinem / auf Veränderungen von T reagieren wird. Zu diesem Zweck wird zuerst die notwendige Optimalbedingung bezüglich / hergeleitet: n / = Ä i ( / , r ) - Q = o.
(12.4)
Dieses Optimum soll nun durch eine Veränderung der Patentschutzdauer dT gestört werden. Damit nach dieser Störung die notwendige Optimalbedingung wieder erfüllt ist, muss die optimale Anpassung des Innovators der Bedingung Rndl + RiTdT-CndI = 0
(12.5)
genügen. Indem man nach dl/dT auflöst, erhält man die Steigung der Reaktionsfunktion des Innovators:
§ = -F^ > a (XI
Kj] — L-II
(126)
468
12 Der Arzneimittelmarkt
Abb. 12.5. Iso-Gewinnkurve, Grenzkosten der Innovationsanstrengungen und Herleitung der Reaktionsfunktion des Innovators C,
< T2
0
/»[7-j]
j*[T2]
i*[T3]
Das positive Vorzeichen von Gleichung (12.6) folgt aus der Annahme 12.3 und der hinreichenden Bedingung für ein Gewinnmaximum, 11// = Ru — Cu < 0. Die Reaktionsfunktion des Innovators wird in der Abbildung 12.5 graphisch hergeleitet. Die drei Grenzerlösfunktionen gelten für drei Patentschutzdauern T\ 0, vgl. Annahme 12.2) legt die Folge von Optima {Q*,Q**,Q***} eine Folge von Werten der Innovationsanstrengungen {/*[ri],/*[72],/*[73]} fest, die in T zunimmt, doch mit einer abnehmenden Zuwachsrate. Dieser Expansionspfad erscheint als g(T) in der Abbildung 12.6.
12.4.3 Die Patentschutzdauer aus der Sicht der Behörde Jetzt soll der Gesichtspunkt einer staatlichen Behörde übemommen werden, die kein Eigeninteresse verfolgt, sondern die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt im Auge haben soll. Ihr Eigeninteresse dürfte wohl in Richtung einer langen Patentschutzdauer T gehen: Die Anmelder sind dann bereit, den Weisungen des Patentamtes bis in die Einzelheiten zu genügen, weil ja für sie so viel auf dem Spiel steht. Dieses Eigeninteresse soll jedoch im Folgenden als zweitrangig gegenüber dem grandlegenden Auftrag betrachtet werden, dem Rest der Wirtschaft die Vorteile einer Innovation möglichst rasch verfügbar zu machen. Der Wohlfahrtsgewinn (W) aus einer Innova-
12.4 Die Rolle des Patentschutzes
469
tion, die im Markt eingeführt ist, besteht aus zwei Komponenten: Zum einen gibt es die soziale Komponente (S), deren Barwert mit zunehmenden Anstrengungen des Innovators (/) anwächst, mit zunehmender Patentschutzdauer (T) hingegen abnimmt. Zum Wohlfahrtsgewinn gehört zweitens auch die private Produzentenrente (P), deren Barwert mit zunehmender Innovationsanstrengungen zunächst ansteigt, dann aber zurückgeht (vgl. Teilabschnitt 12.4.2), während eine Verlängerung der Patentschutzdauer P durchweg erhöht. Die zu maximierende Größe aus der Sicht des Patentamtes lautet demnach (vgl. auch Tabelle 12.1) W = S(I,T)+P(I,T).
(12.7)
Die oben genannten Ausführungen lassen sich in zwei weiteren Annahmen festhalten: Annahme 12.4 Der Barwert der sozialen Komponente des Wohlfahrtsgewinns nimmt mit den Innovationsanstrengungen zu, doch mit der ejfektiven Patentschutzdauer ab: Si > 0, ST < 0. Annahme 12.5 Der Barwert der privaten Komponente des Wohlfahrtsgewinns nimmt zunächst mit zusätzlichen Innovationsanstrengungen zu, dann aber ab. Hingegen nimmt er mit der ejfektiven Patentschutzdauer stets zu:
{
> 0 für kleine Werte von I ;PT>O.
< 0 für große Werte von I
Aus der Zielfunktion (12.7) lässt sich eine Iso-Wohlfahrtskurve durch totale Differenzierang herleiten: d W = 5 / d / + 5 v r dr + /'/d/ + P7'dr = 0, wobei
(ST+PT)
sodass
M=_ dT
^
(12 g)
Si + P[
< 0 gilt.
Die Vorzeichenbedingung bezüglich der Summe von (ST + PT) folgt aus dem Argument, dass eine Zunahme von T die sog. tote Last (engl. deadweight loss) erhöht, indem der Verlust an Konsumentenrente nie vollumfänglich in zusätzliche Produzentenrente überführt werden kann. Einmal mehr ist die Steigung der IsoWohlfahrtskurve nicht eindeutig. Bei kleinem Innovationsaufwand ist der marginale Effekt von / sowohl auf die Konsumenten- wie auch die Produzentenrente positiv. In diesem Bereich verlaufen die Iso-Wohlfahrtskurven in der Abbildung 12.6 steigend. Wie schon für den Gewinn des Innovators, so gilt auch für die Produzentenrente, dass zusätzliche Innovationsanstrengungen früher oder später kontraproduktiv wirken. Die Kurve biegt dort zurück, wo der Verlust an Produzentenrente durch den Zugewinn an Konsumentenrente gerade aufgewogen wird.
470
12 Der Arzneimittelmarkt Abb. 12.6. Optimale Patentschutzdauer im Gleichgewicht
g(T)
T* g(T): W:
*- T Reaktionsfunktion des Innovators Iso-Wohlfahrtskurve Quelle: DEBROCK (1985)
Könnte die Patentbehörde T frei wählen, ohne die Reaktion der Innovatoren berücksichtigen zu müssen, so würde sie einen Punkt wie /Q als absolutes Optimum anstreben, um die tote Last auf Null zu senken. Positive Innovationsanstrengungen trotz Entfallen des Patentschutzes sind aber nicht realisierbar, wie in Teilabschnitt 12.4.1 dargelegt wurde. In der Abbildung 12.6 liegt deshalb der Punkt /Q nicht auf der Reaktionsfunktion g(T) des Innovators, kann also von der Patentbehörde nicht erreicht werden. Der in Abbildung 12.6 eingetragene Gleichgewichtspunkt R* beruht auf der Vorstellung, dass die Behörde die Reaktionsfunktion des Innovators als gegeben annimmt und darauf ihr Optimum suchen kann.6
6
Dieses Gleichgewicht entspricht der Duopollösung von Stackelberg mit einem unabhängigen und einem abhängigen Anbieter. Die Rolle des unabhängigen Entscheidungsträgers fällt hier der Patentbehörde zu [vgl. CARLTON UND PERLOFF (2000, Kapitel 6)].
12.5 Preisregulierung der Arzneimittel
471
Annahmegemäß wird sie die höchste erreichbare Iso-Wohlfahrtskurve anstreben, was eine Patentschutzdauer von T* mit sich bringen würde. Diese Modellvorstellungen lassen sich zusammenfassen in der Folgerung 12.5 Die optimale Patentschutzdauer kann dargestellt werden als Ergebnis eines nichtkooperativen Spiels zwischen Patentbehörde und Innovator. Ihr Wert liegt in einem Bereich, wo eine Intensivierung der Innovationsanstrengung bei konstanter Patentschutzdauer T netto immer noch wohlfahrtssteigernd wäre.
12.5 Preisregulierung der Arzneimittel 12.5.1 Gründe für eine Preisregulierung Die Preise von Arzneimitteln werden in vielen Ländern vom Staat reguliert. Aus ökonomischer Sichtweise lässt sich eine solche Preisregulierung nicht mit der Existenz eines natürlichen Monopols rechtfertigen, wie dies in anderen regulierten Bereichen (z.B. Elektrizitätswirtschaft, Telekommunikation) der Fall ist. Im pharmazeutischen Bereich bestehen zwar auch Monopole, diese sind aber nicht natürlich, sondern der Staat „induziert" die Monopolmacht der Pharmafirmen durch den Patentschutz, den er auf ihren Produkten garantiert, um Anreize für Innovationen zu schaffen (vgl. Unterabschnitt 12.4.1). Der Hauptgrund für eine staatliche Preisregulierung in diesem Bereich liegt in der Beschränkung der öffentlichen Arzneimittelausgaben. Der Staat hat ein Interesse an dieser Beschränkung, da er häufig Sozialversicherungssysteme finanziert, in welchen Arzneimittelausgaben rückvergütet werden. Durch eine solche Versicherungsdeckung besteht das Problem von Moral Hazard (vgl. Kapitel 6), denn die Versicherten müssen nicht für die real anfallenden Kosten aufkommen und „konsumieren" dementsprechend zu viele Medikamente. Dasselbe gilt für die Leistungsanbieter, welche (zumindest bei Einzelleistungsvergütung) die Tendenz haben, „des Guten zu viel zu tun". Eine staatliche Preisregulierung von Arzneimitteln soll diese Moral-Hazard-Problematik abschwächen.7 Aus ökonomischer Sicht können Strategien zur Eindämmung von Moral Hazard durchaus wünschenswert sein, denn die Versicherten müssen schließlich mit höheren Prämien die zu hohen Arzneimittelausgaben finanzieren.
7
Eine Alternative zur staatlichen Preisregulierung von Medikamenten könnte eine verstärkte Selbstbeteiligung der Versicherten an den Arzneimittelausgaben darstellen.
472
12 Der Arzneimittelmarkt
12.5.2 Nationale Regulierungen im Konflikt mit globaler Optimierung Eine spezifische Eigenschaft von Arzneimitteln ist, dass sie meistens weltweit handelbare Produkte darstellen. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung sind dementsprechend global anfallende Fixkosten, welche unabhängig sind sowohl von der Anzahl der Konsumenten als auch von der Anzahl der Länder, in denen das Medikament vertrieben wird. Die Kosten fiir Forschung und Entwicklung können somit nicht kausal den Grenzkosten für eine bestimmte Patientengruppe oder für ein Land zugerech.net werden. Zusätzlich sind diese Kosten normalerweise versunken, wenn das Produkt auf den Markt gebracht und über die Preise verhandelt wird. Die kurzfristigen Grenzkosten beinhalten somit Ausgaben für Produktion, Verpackung, Werbung und Vertrieb und sie bilden lediglich etwa 30% der Gesamtkosten [vgl. DANZON (1997b)].
Bei gegebenen Fixkosten führt die Preissetzung auf der Höhe der kurzfristigen Grenzkosten zu einer optimalen Menge des Medikamentenkonsums.8 Allerdings würde bei einer solchen Preisregulierung beim Anbieter ein Defizit entstehen, welches über verzerrende Steuern finanziert werden müsste [vgl. LAFFONT UND TIROLE (1993, S. 24)]. Eine zweitbeste Lösung ist in diesem Fall das Zulassen von Preisdiskriminierung durch den Monopolisten mittels der sogenannten RamseyPreissetzung [vgl. RAMSEY (1927); BAUMOL UND BRADFORD (1970)]. Sie resultiert aus einer Optimierung, bei welcher der Anbieter gerade seine Kosten decken darf, so dass kein Verlust und kein Gewinn entsteht. Ramsey-Preise sind normalerweise höher als die kurzfristigen Grenzkosten. Im Einprodukt-Monopolfall sollte der prozentuale Zuschlag zu den Grenzkosten (der sogenannte Lemer-Index) für verschiedene Konsumentengruppen umgekehrt proportional zum Absolutwert der Preiselastizitäten sein:9
wobei p für den Preis und C' für die Grenzkosten des Arzneimittels steht. Der Index i bezeichnet die verschiedenen Konsumentengruppen, die bedient werden und r\ die Preiselastizität der Nachfrage. Der Faktor p steht schließlich fiir eine Ramsey-Zahl zwischen null und eins. Falls p = 1 gilt, resultieren aus Gleichung (12.9) die gewinnmaximierenden Preise, die ein preisdiskriminierender Monopolist von sich aus setzen würde. Bei p = 0 folgt andererseits die Grenzkostentarifierung. Die Ramsey-Zahl wird zwischen null und eins gewählt, wenn ein gewisser Grad von Monopolpreissetzung nötig ist, damit der Anbieter seine Kosten decken kann, aber unrestringierte Monopolpreise zu viel Erträge generieren würden.
8
Dabei werden Probleme durch Versicherungsdeckung und unvollständige Information außer Acht gelassen. 9 Für ein Modell mit monopolistischer Konkurrenz und positiven Kreuzpreiselasüzitäten zwischen den Anbietern vgl. DANZON (1997b).
12.5 Preisregulierung der Arzneimittel
473
Die Intuition hinter der Ramsey-Preissetzung besteht darin, dass die optimale Struktur der Preiszuschläge auf die Grenzkosten bei Konsumentengruppen mit unterschiedlichen Preiselastizitäten proportionale Mengenanpassungen induzieren soll. Falls nämlich alle Konsumenten den gleichen Preiszuschlag bezahlen müssten, würden Konsumenten mit unelastischer Nachfrage ihren Konsum weniger stark reduzieren und deshalb auch einen geringeren Wohlfahrtsverlust erleiden als Konsumenten mit elastischer Nachfrage. Konsumenten mit elastischer Nachfrage könnten sogar ganz aus dem Markt ausscheiden, obwohl ihre Zahlungsbereitschaft ausgereicht hätte, mindestens die kurzfristigen Grenzkosten zu decken. Bei der Existenz von substantiellen Fixkosten lässt sich deshalb aus wohlfahrtstheoretischer Sicht einerseits die Preissetzung oberhalb der Grenzkosten und andererseits die Preisdiskriminierung durch den Monopolisten rechtfertigen. Das Hauptproblem bei der beschriebenen Preisregulierung nach Ramsey liegt im Pharmabereich in der bereits angesprochenen Globalität der Produkte. Da Arzneimittel typischerweise weltweit verkauft werden, die Fixkosten jedoch den bedienten Ländern nicht zugerechnet werden können, bräuchte es auch eine globale Regulierung, um die optimalen Preise zu setzen. Dies ist allerdings nicht möglich, da die Regulierung auf nationaler Ebene stattfindet. Falls allerdings keine Marktzutrittsschranken im Bereich der Forschung und Entwicklung bei Arzneimitteln bestehen und die Erwartungen der Investoren im Durchschnitt nicht verzerrt sind, sehen sich die Pharmafirmen trotz weltweitem Patentschutz einer gewissen Konkurrenz ausgesetzt. Die vorherrschende Marktform wäre in diesem Fall die monopolistische Konkurrenz. In einem langfristigen Gleichgewicht mit der Möglichkeit zur Marktsegmentierung würde jede Firma eine Preisstruktur gemäß der Ramsey-Regel wählen unter der Restriktion, im Erwartungswert keine Gewinne zu erzielen. Eine Preisregulierung wäre dann nicht notwendig, und die zweitbeste Lösung würde als Marktgleichgewicht resultieren. In einer empirischen Untersuchung kommt DANZON (1997b) zum Schluss, dass die tatsächlich bestehenden Preisnachlässe von Arzneimitteln zu Gunsten von Managed Care-Konsumenten in den USA in etwa optimalen Ramsey-Differentialen entsprechen. Für die Arzneimittelpreise in der EU scheint dies nicht zu gelten, da hier die Preisdifferentiale durch Parallelimporte unterminiert werden. Zusätzlich haben die einzelnen Länder einen Anreiz, sich als Trittbrettfahrer zu verhalten und die Preise im eigenen Land durch eine strenge Regulierung niedrig zu halten. Die Fixkosten von Forschung und Entwicklung würde in diesem Fall von den Konsumenten in Ländern mit schwacher oder gar keiner Preisregulierung bezahlt. Langfristig könnte ein Wohlfahrtsverlust resultieren, da die Innovationsanreize für die Pharmafirmen verloren gehen.
474
12 Der Arzneimittelmarkt
12.5.3 Arten der Preisregulierung und ihre Nebenwirkungen Wie bereits erwähnt, ist die Regulierung von Arzneimittelpreisen und -ausgaben aus der Rolle hervorgegangen, die die Staaten in der Finanzierang der Sozialversicherungssysteme spielen. Das Hauptziel besteht darin, die öffentlichen Ausgaben für Arzneimittel einzudämmen. Dazu ist ein großes Instrumentarium an Regulierungsformen entstanden, welche unterschiedliche Auswirkungen auf Effizienz und Innovationen haben. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über die wichtigsten Formen der Reguliemng und ihre Wirkungsweisen gegeben werden [vgl. DANZON (1997a, S. 15-29)]. 12.5.3.1 Direkte Preisregulierung Bei dieser Form der Regulierung müssen Preise von neuen und Preisänderungen von bestehenden Produkten genehmigt werden, wenn sie von der Sozialversicherung vergütet werden sollen. Inflationsanpassungen werden nur selten gewährt. Zusätzlich sind die Margen im Groß- und Einzelhandel reguliert, so dass die Regierungen Kontrolle über die Einzelhandelspreise haben, die den Patienten verrechnet werden. Frankreich, Italien und Spanien sind die Hauptvertreter dieser Art der Regulierung. Kanada, die Schweiz und die USA kennen etwas weniger restriktive Formen der direkten Preisregulierung. Für alle Länder gilt aber, dass die Regulierungskriterien zur Preissetzung sich nicht an einem kohärenten Modell orientieren, welches das Problem der globalen und substantiellen Fixkosten bei der Entwicklung von Arzneimitteln berücksichtigt. Im Normalfall werden die Preise in Verhandlungen festgelegt, und das Ergebnis ist abhängig von den politischen Machtverhältnissen. Seltener werden die Preise aufgrund internationaler Vergleiche festgelegt. Das scheint zwar objektiver zu sein, aber die Methode solcher Vergleiche lässt einen beträchtlichen Ermessensspielraum offen, da sich die Arzneimittel in den verschiedenen Ländern durch Dosierungsformen und -stärke unterscheiden [vgl. DANZON UND CHAO (2000)].
Im Gegensatz dazu sollten die internationalen Preisunterschiede optimalerweise davon abhängig sein, wie die Konsumenten der verschiedenen Länder innovative Arzneimittel wertschätzen (vgl. Abschnitt 12.5.2). Preisverhandlungen ziehen andererseits Unsicherheit und Verzögerungen nach sich. Vor allem Verzögerungen von Markteinführungen neuer Produkte können sowohl beträchtliche Wohlfahrtsverluste bei den Patienten als auch Ertragseinbußen bei den Arzneimittelherstellern zur Folge haben.
12.5.3.2 Referenzpreise Referenzpreissysteme sind in Deutschland, den Niederlanden, Dänemark, Neuseeland und in Teilen Kanadas eingeführt worden. Bei dieser Regulierungsart werden
12.5 Preisregulierung der Arzneimittel
475
Arzneimittel in Gruppen mit ähnlichen therapeutischen Eigenschaften zusammengefasst. Anschließend wird ein einzelner Referenzpreis (auch Festbetrag) für jede Gruppe festgelegt. Der Anbieter kann dann theoretisch einen beliebigen Preis auch oberhalb des Referenzpreises setzen. Der Patient zahlt in einem solchen Fall die Differenz zwischen Referenzpreis und aktuellem Preis aus der eigenen Tasche. In der Realität ist es allerdings äußerst selten, dass Pharmafirmen mehr als den Referenzpreis verlangen. Dies ist wahrscheinlich deshalb der Fall, weil die Nachfrage im Bereich oberhalb des Referenzpreises durch die hundertprozentige Selbstbeteiligung stark preiselastisch wird. Das Referenzpreissystem induziert zwar Wettbewerb zwischen Arzneimitteln innerhalb einer therapeutischen Grappe im Preisbereich oberhalb des Referenzpreises, im Bereich darunter kann es allerdings den Wettbewerb verringern, da dort die Nachfrage preisunelastisch bleibt. Der Effekt auf die Arzneimittelausgaben hängt davon ab, wie weit die therapeutischen Gruppen gefasst sind und wie hoch der Referenzpreis gesetzt wird. Das deutsche Referenzpreissystem hat es bisher nicht geschafft, die gewünschte Verlangsamung im Anstieg der Arzneimittelausgaben zu erreichen [vgl. DANZON (1997a, S. 20-21)].
12.5.3.3 Renditeregulierung Einen anderen Weg geht die Preisregulierung von Arzneimitteln in Großbritannien. Hier werden die Renditen der Anbieterfirmen reguliert. Unter diesem System können die Pharmafirmen beliebige Preise für neue Produkte festsetzen unter der Bedingung, dass die gesamte Kapitalrendite der Arzneimittel, die vom National Health Service (NHS) vergütet werden, eine bestimmte Grenze nicht überschreitet. Jede Firma verhandelt mit der Regierung eine individuelle maximale Kapitalrendite im Bereich von 17-21% aus. Liegt die Kapitalrendite einer Firma oberhalb der zulässigen Grenze, muss der Überschuss entweder direkt oder über eine Preissenkung zurückgegeben werden. Andererseits kann eine Firma, welche die zulässige Kapitalrendite nicht erreicht hat, eine Preiserhöhung beantragen. Obwohl dieses System der Gewinnregulierung im Gegensatz zu den meisten anderen Regulierungsarten explizit die Notwendigkeit anerkennt, dass die Pharmafirmen eine vernünftige Rendite auf ihre Ausgaben für Forschung und Entwicklung erwirtschaften können müssen, hat es andere potentielle Verzerrungen zur Folge. Es schafft insbesondere Anreize, relativ mehr Kapital einzusetzen, falls die maximale Kapitalrendite höher ist als die Kapitalkosten [vgl. AVERCH UND JOHNSON (1962); oder LAFFONT UND TlROLE (1993, S. 33-34)]. Im Großen und Ganzen scheint das System der Renditeregulierung in Großbritannien aber nicht erfolgreicher in der Beschränkung der Arzneimittelausgaben gewesen zu sein als die Regulierungssysteme der anderen OECD-Ländern. Sowohl bei den Pro-Kopf-Ausgaben für Arzneimittel als auch bei den Ausgaben als Anteil am Bruttoinlandsprodukt liegt Großbritannien im Mittelfeld [vgl. OECD (2001)].
476
12 Der Arzneimittelmarkt
12.5.3.4 Arzneimittelbudgets Ein vielversprechendes Mittel, um die Arzneimittelausgaben zu kontrollieren, stellen Arzneimittelbudgets für Ärzte dar. Dabei müssen die Ärzte die finanziellen Konsequenzen, die sich aus ihrer Verschreibungspraxis ergeben, selbst tragen. Auch Ärzte, die nicht direkt vom Arzneimittelverkauf profitieren, können Verschreibungen verwenden, um zusätzliche Konsultationen zu induzieren. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die Konsultation zur Erhaltung oder Erneuerung einer Verschreibung dient, die vom Arzt relativ wenig Zeit erfordert und durch Einzelleistungsvergütung entlohnt wird. Regierangen haben deshalb begonnen, die wirtschaftlichen Anreize fiir die Ärzte zu ändern. So wurde z.B. in Deutschlandim Gesundheitsstrukturgesetz von 1993 ein Zielbudget von 24 Mrd. DM für Arzneimittelverschreibungen von Praxisärzten eingeführt. Falls das Budget überschritten wird, müssen die ersten 280 Mio. DM der Überschreitung von den Ärzten aus dem Budget des nächsten Jahres bezahlt werden. Die nächsten 280 Mio. DM werden der pharmazeutischen Industrie mittels Preisstopps verrechnet [vgl. HOFFMEYER UND MCCARTHY (1994, S. 467)]. Nach anfänglichen Erfolgen [vgl. DANZON (1997a, S. 24)] erfüllte das Arzneimittelbudget die Erwartungen aber nicht. In den neun Jahren seit Einführung hatten die Ärzte trotz mehrfacher und zum Teil erheblicher Überschreitung der Budgetschwelle in keinem einzigen Fall Honorarkürzungen zu tragen. Selten war ein gesetzliches Sanktionsverfahren in der Praxis derart folgenlos. Es wurde Anfang 2002 rückwirkend außer Kraft gesetzt. Der Hauptgrund des Scheitems war der Widerstand der Ärzteschaft und der Pharmaindustrie, die sich schließlich politisch durchsetzen konnten.
12.6 Der Preiswettbewerb bei Arzneimitteln Im Gefolge der Thalidomid-Katastrophe wurde die pharmazeutische Industrie in den USA von der Kefauver-Kommission des Senats untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass die Produktionskosten in vielen Fällen nicht mehr als 15% des Verkaufspreises ausmachten. Setzt man diese Produktionskosten den Grenzkosten in der Gleichung (12.2) gleich, so lässt die Diskrepanz auf einen beträchtlichen Monopolgrad (gemessen amLerner-Index 1/|T||) schließen [vgl. STEELE (1962)]. Der Lemer-Index eignet sich allerdings nur für eine Branche mit stabiler Technologie. Sobald eine Produktionsausweitung infolge von Produktinnovationen mit einer neuen Technologie zustandekommt, gehören die Aufwendungen für die Entwicklung und Einführang dieser neuen Technologie mit zu den Grenzkosten. In diesem Zusammenhang ist auch an die Tatsache zu erinnern, dass das erfolgreiche Präparat (und nur solche können auf dem Markt beobachtet werden) nicht typisch ist für die Produktpalette eines Unternehmens; man läuft Gefahr, die vergleichsweise seltenen Gewinner einer Lotterie herauszugreifen [vgl. COMANOR (1986)]. Die Frage der Intensität des Preiswettbewerbs kann demnach nur im Zusammenhang mit der Produktinnovation abgeklärt werden.
12.6 Der Preiswettbewerb bei Arzneimitteln
477
12.6.1 Preiswettbewerb trotz Versicherungsdeckung und Marktabschottung Was den deutschen Markt für Arzneimittel betrifft, so scheinen dem Preiswettbewerb zumindest bis 1989 enge Grenzen gesetzt zu sein. Wie zuvor im Zusammenhang mit der Abbildung 12.1 gezeigt, spielen für vollversicherte Patienten lediglich Qualitätsunterschiede, nicht aber Preisunterschiede eine Rolle. Darüber hinaus sind die nationalen Arzneimittelmärkte voneinander weitgehend abgeschottet. Hersteller von Arzneimitteln bieten zwar ihre Produkte zu deutlich niedrigeren Preisen in Ländern mit Preisregulierung (in der EU vor allem Frankreich, Italien und Spanien) an, was zu beträchtlichen Arbitragemöglichkeiten führen müsste. Diese Arbitrage wird jedoch häufig durch ein sogenanntes Parallelimport-Verbot unterbunden, das z.B. in der Schweiz gegenüber den Apotheken nach wie vor durchgesetzt wird. Innerhalb der Europäischen Union sind Parallelimporte grundsätzlich erlaubt. Allerdings wurden die Arbitrage-Möglichkeiten auch in der EU lange Zeit nicht ausgenutzt. Seit der Vereinheitlichung des Registrierungsverfahrens für Arzneimittel mittels der Gründung der European Medicines Evaluation Agency (EMEA) im Jahre 1995, nimmt die Bedeutung der Parallelimporte aber stetig zu [vgl. DARBÄ UND ROVIRA (1998)].
Zur Marktabschottung tragen aber auch die im Teilabschnitt 12.3.3 genannten hohen Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen für ein neues Präparat bei. Diese Marktzugangsschranke könnte durch den Kauf von Lizenzen anderer Unternehmen umgangen werden. Doch zur Lizenzvergabe kommt es sehr selten, möglicherweise deshalb, weil die Innovatoren sich das Recht vorbehalten wollen, sich selber nachzuahmen, um den Goodwill ihres Markenzeichens ausnützen zu können. Aus den späten siebziger Jahren gibt es einige eindrückliche Beispiele für Preisdifferentiale zwischen Innovator und Imitator, die auf dem deutschen Markt über Jahre hinweg bestehen bleiben konnten. So wurde mit dem Auslaufen des Patentschutzes des Tranquilizers „Valium" von Hoffmann-LaRoche im Jahre 1978 der Marktzugang frei für verschiedene Nachahmer, die allerdings zumindest in den ersten paar Jahren keinen nennenswerten Marktanteil gewinnen konnten - dies obschon ihre Preise etwa 70% unter demjenigen des Originalproduktes lagen. Zwar sank der Absatz von „Valium" ab 1976, doch nahmen gleichzeitig die Verkäufe von „Lexotanil" des gleichen Herstellers zu, das in mehreren Dimensionen eine Qualitätsverbesserung darstellte. Außerdem machte Hoffmann-LaRoche dem eigenen Präparat durch die Einführung des preisgünstigeren „Librium" Konkurrenz. Wenn also auf den ersten Blick der Eindruck entsteht, dass hier ein Verkaufspreis ohne Rücksicht auf Konkurrenten gehalten werden konnte, so trifft dies letztlich doch nicht ganz zu, indem sich der Innovator veranlasst sah, ein wesentlich billigeres Alternativprodukt auf den Markt zu bringen. Die Frage stellt sich allerdings, weshalb nicht der Preis des Originalproduktes reduziert wurde [vgl. OBERENDER (1984, S. 276)]. In einer großangelegten Studie hat COMANOR (1998) den Preiswettbewerb auf dem Medikamentenmarkt in den USA für die Jahre 1983-1995 untersucht. Anlass war die Gesetzesänderung von 1984, der sogenannte „Drug Price Competition and Patent Term Restoration Act", der es Anbietern deutlich erleichterte, annähernd iden-
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12 Der Arzneimittelmarkt
tische Versionen des Originalproduktes (sog. Generika) anzubieten, deren Patente abgelaufen waren. Diese Gesetzesänderung hatte ein starkes Wachstum derAnbieter von Generika zur Folge. Während 1984 lediglich 19% aller verschriebenen Medikamente Generika waren, lag der Marktanteil 12 Jahre später bereits bei 43%. Die Studie untersucht drei Arten von Wettbewerb: 1. den Wettbewerb zwischen Original- und sogenannten „me too"-Präparaten; 2. den Wettbewerb zwischen Originalpräparaten und Generika; und 3. den Wettbewerb zwischen Generika. Die erste Art des Wettbewerbs zeichnet sich dadurch aus, dass das Originalpräparat, noch während es vom Patentschutz profitiert, Konkurrenz durch „me too"-Präparate erhält, welche ihrerseits ebenfalls unter Patentschutz stehen. Normalerweise geht es ein bis sechs Jahre, bis ein Originalpräparat Konkurrenz von therapeutisch ähnlichen Nachahmerpräparaten bekommt. Es zeigte sich, dass die Preise der Originalpräparate auch nach der Einführung von Nachahmern stärker als die Inflation stiegen. Allerdings war der Anstieg umso kleiner, je größer die Konkurrenz war. Es scheint, als ob Innovator und Imitator ein gewisses Maß an Preiswettbewerb betreiben. Diese Einschätzung, die auf der Analyse von Listenpreisen beraht, wird dadurch bestätigt, dass Hersteller von Originalpräparaten größere Preisnachlässe für bestimmte Nachfragergrappen gewähren, wenn sie der Konkurrenz durch Nachahmer ausgesetzt sind. Die zweite Art des Wettbewerbs ergibt sich erst nach Auslauf des Patentschutzes, wenn der Markt für Generika geöffnet wird, welche den identischen Wirkstoff wie das Originalpräparat enthalten. Die meisten Originalpräparate erhielten innerhalb des ersten Jahres nach Ablauf des Patentschutzes Konkurrenz durch Generika. Die Preise der Generika lagen im Durchschnitt etwa ein Viertel unter denen der Originalpräparate, was zur Folge hatte, dass letztere im ersten vollen Kalenderjahr 44% Marktanteil an die Generika verloren. Allerdings scheint die Konkurrenz durch Generika keinen großen Einfluss aufdie Preise der Originalpräparate zu haben, welche weiterhin stärker als die Inflation anstiegen. Ähnlich wie im vorigen Fall, scheinen aber auch hier stärkere Preisnachlässe an spezielle Nachfragergruppen gewährt zu werden, wenn die Konkurrenz zunimmt. Im dritten Fall konkurrieren verschiedene Generika-Anbieter untereinander. Es zeigte sich, dass auf diesem Gebiet ein starker Preiswettbewerb vorherrscht. Bei einer Zunahme der Anzahl von Generika-Anbietern von einem auf zehn sank der durchschnittliche Preis der Generika um beinahe 50%, bei zwanzig Anbietern sogar um zwei Drittel. Im Großen und Ganzen hat die Konkurrenz durch Generika seit 1984 in den USA dramatisch zugenommen. Die verstärkte Konkurrenz hat dazu beigetragen, dass der Durchschnittspreis bei Medikamenten mit mehreren Anbietern niedrig gehalten werden konnte. Im Jahr 1994 haben die Konsumenten mittels Substitution von Originalpräparaten durch billigere Generika acht bis zehn Milliarden US-Dollar eingespart.
12.6 Der Preiswettbewerb bei Arzneimitteln
479
Hersteller von Generika stehen in einem stärkeren Preiswettbewerb als die Innovatoren, welche eher auf der Basis von Qualitätsmerkmalen mit anderen Produkten konkurrieren. Auf selektiver Basis gewähren die Hersteller von Originalpräparaten allerdings größere Preisnachlässe für spezifische Nachfragergruppen, wenn sie sich stärkerer Konkurrenz ausgesetzt fühlen. Diese Beobachtungen geben Anlass zur Folgerung 12.6 Pharmazeutische Innovationen werden zu Preisen lanciert, die ein Vielfaches iiber dem Preisniveau bestehender Präparate liegen. Durch das Auftreten von Generika findet ein Preiswettbewerb vor allem bei den Nachahmerpräparaten statt, welcher zu substantiellen Einsparungen aufder Konsumentenseite führt. Es ist anzunehmen, dass die Ausgestaltung der Krankenversicherung von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung der Preise im Zuge des Produktwettbewerbs ist. Denn in den USA bezahlen die Versicherten die Medikamente selber oder tragen eine bedeutende Kostenbeteüigung, während die Arzneimittel in vielen europäischen Ländern, zum Leistungspaket der Krankenversicherung gehören. So kamen DANZON UND CHAO (2000) in einem internationalen Preisvergleich zum Schluss, dass der Preiswettbewerb mittels Generika in Ländern mit weniger stark regulierten Märkten wirksamer ist als in Ländern mit starker Regulierung. Die Nachfrageelastizität war in den stark regulierten Ländern (in Absolutwerten) deutlich niedriger. Auch in der Bundesrepublik Deutschland genossen die Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung, d.h. etwa 90% der Patienten, bis zur Inkraftsetzung des Gesundheitsreformgesetzes im Jahre 1989 fast vollständigen Versicherungsschutz. Wie im Teilabschnitt 12.2.1 gezeigt wurde, geben unter solchen Umständen allein die Produkteigenschaften und nicht der Preis den Ausschlag für den Markterfolg.
12.6.2 Fallstudie: Die Festbeträge des Gesundheitsreformgesetzes 1989 in Deutschland Die Gesetzliche Krankenversicherung Deutschlands (GKV) wurde bis zum 31.12.1988 durch die sog. Reichsversicherungsordnung (RVO) geregelt. Ab 1969 hatte in der RVO eine Kostenbeteiligung von 20% auf Arzneimittel gegolten, die allerdings auf 2,50 DM je Krankenschein limitiert war. Diese Gebühr wurde 1977 durch eine feste Beteiligung in Höhe von 1 DM je Verordnung ersetzt, die 1982 auf 1,50 DM und später auf 2 DM und weiter auf 3 DM angehoben wurde. Während all dieser Jahre schlugen sich demnach für die allermeisten Verordnungen Preisunterschiede nicht in einer unterschiedlichen Belastung des Versicherten nieder. Dennoch gab es bereits Generika auf dem deutschen Markt, d.h. chemisch gleichartige Nachahmerprodukte, die zu einem niedrigeren Preis als das Originalpräparat angeboten werden. Der Grund dafür dürfte darin liegen, dass der Arzt durch die Verschreibung von Generika gegenüber der Krankenkasse sein Bemühen um eine wirtschaftliche Behandlung glaubhaft machen kann.
480
12 Der Arzneimittelmarkt
Auf den 1.1.1989 trat das Gesundheitsreformgesetz (GRG) in Kraft, womit die RVO in das fünfte Buch des Sozialgesetzbuches (SGB V) überführt wurde. Mit § 31.11 SGB V trägt die Kasse nun die Kosten eines Arzneimittels bis zu einem Festbetrag, der zwischen dem Bundesausschuss der Ärzte und den GKV-Kassen vereinbart wird. Übersteigt der Preis des Arzneimittels diesen Festbetrag, so hat der Versicherte die Differenz in vollem Umfang zu tragen. Im Jahre 1994 wurde bereits bei 62% der GKV-Aufwendungen für Arzneimittel die Festbetragsregelung angewendet [vgl. DANZON (1997a, S. 20)].
Damit ergibt sich für Arzneimittel, deren Preis den Festbetrag übertrifft, mit einem Schlag eine marginale Kostenbeteiligung des Versicherten von vollen 100%. Die Situation entspricht somit der in Abbildung 12.2 gezeigten, wo auch DurchbruchInnovationen in Preiskonkurrenz mit Produkten stehen, denen sie technologisch überlegen sind. Die Preiskonkurrenz wird für Originalpräparate, deren Patentschutzdauer abgelaufen ist, durch die Generika verschärft. In der Darstellung der Abbildung 12.2 würden also Original und Imitat im Extremfall auf den gleichen Fahrstrahl der Konsumtechnologie zu liegen kommen, wobei aber das Imitat dank seines niedrigeren Preises wirtschaftlich dominiert. Damit wird der Originalhersteller gezwungen, seinen Preis auf die Höhe der Generika abzusenken, um massive Marktanteilseinbußen zu vermeiden. Diese Voraussage folgt auch aus einem Duopol-Modell mit Innovator/Imitator [vgl. ZWEIFEL UND CRIVELLI (1996)]. Im Folgenden sollen drei Beispiele herausgegriffen werden. Ab 1.9.1989 wurde die sog. erste Festbetragstranche (gleiche Wirkstoffe) in Kraft gesetzt. Bayer ist der Originalhersteller eines sog. Calcium-Antagonisten, der bei der Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen eingesetzt wird. Sein Präparat „Adalat" (mit verzögerter Freisetzung des Wirkstoffs) kostete vor dem September 1989 110,55 DM und erreichte einen Verordnungsanteil von etwa 25%, obschon 14 Generika mit bis zu 60% niedrigeren Preisen auf dem Markt waren [vgl. LlTSCH ET AL. (1990, S. 126-127)]. Bereits im September 1989 senkte Bayer den Preis von „Adalat" auf 75,75 DM bei einem vereinbarten Festbetrag von 66,95 DM, was also eine Zuzahlung des Patienten in Höhe von 8,80 DM bedingte. Der Verordnungsanteil von Adalat betrug im September 1989 noch 14% und fiel in den folgenden Monaten auf 10%. Der Hauptgewinner war aber interessanterweise keiner der Generika-Anbieter (obschon ihre Preise durchwegs unter dem Festbetrag blieben), sondern ein Re-Importeur von „Adalat", der seinen Preis ab Oktober 1989 auf 71,96 DM festlegte, was immer noch eine Zuzahlung von 5 DM durch den Versicherten bedeutete. Ein zweites Beispiel aus der 1. Tranche ist „Lexotanü" von Hoffmann-LaRoche, ein Medikament zur Dämpfung von Angst und Spannungszuständen. Wie viele Psychopharmaka kann es den Patienten abhängig machen, was sich in einer (im Absolutwert) reduzierten Preiselastizität der Nachfrage ausdrücken müsste. Das Arzneimittel wurde vor und nach dem 1.9.1989 für 26,55 DM angeboten, während der Festbetrag auf 19 DM festgesetzt wurde. Die Zuzahlung von 7,55 DM dürfte dazu beigetragen haben, dass der Verordnungsanteil von „Lexotanil", der zwischen April
12.6 Der Preiswettbewerb bei Arzneimitteln
481
1988 und August 1989 zwischen 78% und 67% gelegen hatte, noch vor Jahresende 1989 auf 40% zurückging [vgl. LlTSCH ET AL. (1990, S. 52-53)]. Hauptsächlicher Gewinner war die Nr. 2, deren Verordnungsanteil von rund 15% auf 32% anstieg. Der Preis dieses Substituts liegt 1 DM unter dem Festbetrag, während andere Gewinner den Preis sogar bis zu 4 DM unter dem Festbetrag ansetzten. Da der Nettopreis durch ein Umsteigen auf die Nr. 2 von 7,55 DM auf null (also um 100%) gesenkt werden konnte, ist die Nachfragereaktion mit rund -45% (von etwa 72% auf 40% Marktanteil) vergleichsweise gering. Die geschätzte Preiselastizität von lediglich r\ = —0,45 entspricht den oben formulierten Erwartungen. Ein drittes Beispiel, diesmal aus der 2. Festbetragstranche (ähnliche Wirkstoffe, in Kraft seit 1.1.1990), ist „Trental" von Albert Roussel (Hoechst). Der Marktanteil dieses durchblutungsfördemden Mittels war seit 1984 durch das Aufkommen von Generika bereits auf 40% bis Ende 1989 zurückgegangen, ohne dass der Originalanbieter seinen Preis nach unten angepasst hätte - ein Verhalten, das in Teilabschnitt 12.6.1 als typisch für den deutschen, doch eher selten für den amerikanischen und holländischen Markt dargestellt wurde. Der Preis für „Trental" wurde im Januar 1990 auf 63,69 DM gesenkt - genau auf den Festbetrag. Der Verordnungsanteil des Originalherstellers stieg in der Folge wiederum auf 45% an [vgl. LITSCH ET AL. (1990, S. 206-207)]. Insgesamt geben die drei Beispiele (die für ein Dutzend andere ähnliche stehen) Anlass zur Folgerung 12.7 Seit sich Preisdifferenzen zwischen Arzneimitteln in Kostenunterschieden für den Versicherten niederschlagen, wird eine erhebliche Preiselastizität der Nachfrage auch aufdem deutschen Markt erkennbar. Die Preiselastizität lässt sich kaum genau beziffern, weil der Geldpreis der meisten Präparate für den Patienten null ist. Dessen Interessen scheinen sich auch nicht in allen Fällen durchzusetzen; für ihn besteht insbesondere kein Anlass, Präparate, deren Preis den Festbetrag nicht erreicht, zu bevorzugen. Der Arzneimittelhersteller hat seinerseits keinen Grund, einen Preis unter dem Festbetrag zu wählen. Diese Vermutung wird dadurch bestätigt, dass die Arzneimittelausgaben in Deutschland nicht befriedigend reduziert werden konnten. So ordnete die deutsche Regierung für 1993 eine Preissenkung um 5% und einen Preisstopp für 1994 an. Außerdem erhöhte sie den Selbstbehalt für Medikamente und bestimmte ein Ausgabendach auf dem Niveau von 1991 [vgl. DANZON (1997a, S. 20-21)]. Dennoch blieben eine Reihe von Anbietern seit dem 1.9.1989 mit ihrem Preis unter dem Festbetrag, wahrscheinlich um dem Interesse des behandelnden Arztes entgegenzukommen. Wie schon zuvor durch die Verwendung von Generika kann der Arzt auch jetzt sein Bemühen um Wirtschaftlichkeit durch die Verordnung eines Arzneimittels unter dem Festbetrag dokumentieren und so der Überprüfung seiner Verordnungspraxis durch GKV und Kassenärztliche Vereinigung entgehen.
482
12 Der Arzneimittelmarkt
12.7 Zusammenfassung des Kapitels 1. Arzneimittel zeichnen sich durch verschiedene Qualitätsdimensionen aus. Neben marginalen („me-too") Innovationen, die mehr von bereits vorhandenen Qualitätsmerkmalen enthalten, gibt es Durchbruch-Innovationen, die technologische Dominanz in allen Qualitätsdimensionen erzielen und deshalb einen gesicherten Marktzugang haben. In einem vollversicherten Markt haben solche Durchbruch-Innovationen zusätzlich auch einen gesicherten Markterfolg. 2. Trotz der Versicherungsdeckung sehen sich sowohl Anbieter herkömmlicher Produktvarianten als auch von Durchbruch-Innovationen einer fallenden Nachfragekurve gegenüber, da die Patienten zwischen den verschiedenen Qualitätsdimensionen substituieren können. 3. Die Arzneimittelinnovation kann als eine Investition aufgefasst werden. Seit den frühen sechziger Jahren nahmen die damit verbundenen Aufwendungen rasch zu. Die Zahl der neu eingeführten Wirkstoffe ging aus diesem Grund weltweit tendenziell zurück. Seit den 1980er-Jahren haben sich die Kosten stabilisiert und die Pharmafirmen investieren wieder stärker in Arzneimittelinnovationen. Die Zahl der Neueinführungen hat demzufolge in den letzten 20 Jahren wieder zugenommen. 4. Pharmazeutische Innovationen erzielen durchschnittlich einen realen internen Ertragssatz von 5 bis 10% für den Innovator. Dieser positive Wert kommt aufgrund einiger weniger Spitzenprodukte zustande. Die meisten Innovationen holen ihre Entwicklungskosten nicht wieder herein. Von den privaten Renditen müssen allerdings die sozialen Renditen von pharmazeutischen Innovationen unterschieden werden, welche grundsätzlich höher ausfallen. 5. Pharmazeutischen Innovationen wird normalerweise Patentschutz gewährt, damit die Anbieter die beträchtlichen Fixkosten, die bei der Entwicklung eines neuen Produktes anfallen, decken können und die Anreize zur Innovation nicht zerstört werden. Die Bestimmung der optimalen Patentschutzdauer kann dargestellt werden als Ergebnis eines nichtkooperativen Spiels zwischen Patentbehörde und Innovator. Ihr Wert liegt in einem Bereich, wo eine Intensivierung der Innovationsanstrengung bei konstanter Patentschutzdauer netto immer noch wohlfahrtssteigernd wäre. 6. Da die meisten industrialisierten Staaten in irgendeiner Form die Sozialversicherungssysteme finanzieren, haben sie ein Interesse an der Beschränkung der Ausgaben für Arzneimittel. Es bestehen demzufolge auch überall Systeme zur Regulierung der Arzneimittelpreise. Aus ökonomischer Sicht wäre eine Preissetzung nach Ramsey eine zweitbeste Lösung. Von den bestehenden Regulierungsformen ist die Renditeregulierang diesem Ansatz am nächsten. 7. Trotz Versicherungsdeckung und Marktabschottung findet auch bei Arzneimitteln ein Preiswettbewerb statt. Während dem Patentschutz ist dieser allerdings schwach und ähnliche Präparate konkurrieren vor allem über Qualitätsmerkma-
12.8 Lektürevorschläge
483
le. Nach dem Ablauf des Patentschutzes wird der Markt frei für Generika, welche die gleichen Eigenschaften haben wie die Originalpräparate und sich deshalb mit niedrigeren Preisen Marktanteile sichern müssen.
12.8 Lektürevorschläge Im HANDBOOK OF HEALTH ECONOMICS befasst sich der Artikel von SCHERER (2000) mit der pharmazeutischen Industrie. Neben der Industriestruktur und Forschung und Entwicklung für neue Arzneimittel werden auch Themen wie Patente, Preisregulierung und -wettbewerb behandelt. Für eine ausführliche Übersicht zu Theorie und Praxis der Preisregulierung sei das Buch von DANZON (1997a) empfohlen.
484
12 Der Arzneimittelmarkt
12.Ü Übungsaufgaben 12.1. Anhand der Abbildung 12.4 wurde argumentiert, die Konsumentenrente werde wegen des Versicherungsschutzes bei der Bestimmung der sozialen Rendite von Arzneimittelinnovationen überschätzt. Überlegen Sie sich, welche anderen Elemente der Abbildung 12.4 sich bei einem Wegfall des Versicherungsschutzes ändern würden. Können Sie Aussagen über die Auswirkungen auf die soziale Rendite machen? 12.2. Ein Pharmaunternehmen kann ein Arzneimittel zu konstanten Grenzkosten c herstellen. Daneben entstehen dem Unternehmen bei der Entwicklung des Arzneimittels einmalig Fixkosten in Höhe von F (zu interpretieren als Ausgaben für Forschung & Entwicklung). Über die gesamte Zeit entstehen dem Untemehmen so Kosten von: t=\
wobei xt die Produktionsmenge des Arzneimittels im Jahr t beschreibt. Wir gehen im Folgenden von einem Zinssatz r = 0 aus, d.h. Zinseffekte werden nicht berücksichtigt. a) Nehmen Sie an, dem Untemehmen wird für den Zeitraum von T Perioden ein Patentschutz auf das neu entwickelte Arzneimittel eingeräumt. Dieser erlaubt es dem Unternehmen Monopolgewinne zu erwirtschaften. In diesem Fall ist der Preis des Arzneimittels durch folgende lineare Nachfragefunktion gegeben: pt = a — bxt. Nach Ablauf des Patentschutzes treten Wettbewerber in den Markt ein und es gilt: pt = c. Berechnen Sie die optimale Patentdauer T*, bei der das Untemehmen gerade indifferent ist, ob es das Arzneimittel entwickeln soll. b) Wie ändern sich die Ergebnisse in a) wenn zusätzlich eine Preisregulierung stattfindet, bei welcher der Preis für das Arzneimittel auf p (c < p < pt) festgeschrieben wird. c) Berechnen Sie die optimale Patentdauer unter a) und b) fiir folgende gegebene Werte: a = 5; b = \\ c = \. Setzen Sie für den Fall b) unterschiedliche Werte für p ein. Vergleichen und interpretieren Sie Ihre Ergebnisse. 12.3. Statt wie in Teilabschnitt 12.4.3 angenommen, könnte sich die Patentbehörde wie der Innovator passiv verhalten und ihrerseits mit der Patentschutzdauer auf die Innovationsanstrengungen reagieren. Versuchen Sie, eine Reaktionsfunktion h(I) für die Behörde herzuleiten; beachten Sie dabei, dass Pj + Sj < 0 für alle Werte von T gilt. Bestimmen Sie das sog. Cournot-Gleichgewicht als Schnittpunkt der beiden Reaktionsfunktionen g{T) und h(T). Was für eine Auswirkung hat die Verteuerung der Innovation in diesem Modell?
13 Die Politische Ökonomie des Gesundheitswesens
13.1 Problemstellung Die Perspektive in den Kapiteln 5 bis 12 war durchgängig eine wohlfahrtsökonomische: Es wurde nach einer nach gewissen Kriterien „optimalen" Gestaltung der Institutionen des Gesundheitssystems gefragt. In diesem Kapitel wird nun eine gänzlich andere Perspektive eingenommen. Hier steht nämlich die Frage im Vordergrund, wie man das Zustandekommen und die Weiterexistenz der tatsächlich vorgefundenen Institutionen erklären kann. Dabei wird keine historische Vorgehensweise gewählt, die im Grunde jedes einzelne Gesetz und sein Zustandekommen unter die Lupe nehmen müsste und von der man sich letzten Endes wenig mehr als eine Beschreibung des politischen Prozesses erhoffen dürfte. Da es unser Ziel ist, für Demokratien allgemein gültige Aussagen iiber die politische Akzeptanz von Institutionen zu treffen, verwenden wir das theoretische Instrumentarium der Politischen Ökonomie, um generelle Gesetzmäßigkeiten in dieser Hinsicht aufzudecken. Unsere Vorgehensweise dabei ist durch einen abnehmenden Abstraktionsgrad gekennzeichnet: In Abschnitt 13.2 behandeln wir nur einen Teilaspekt des Gesundheitssystems, nämlich die Existenz und das Ausmaß eines kollektiv finanzierten System der Gesundheitsversorgung, und wir verwenden dazu ein extrem vereinfachtes Modell der politischen Entscheidungsfindung, nämlich die direkte Demokratie. Auch wenn dieses Modell nur wenige Entsprechungen in der Realität hat (eine davon ist die Schweiz), kann man doch wichtige Erkenntnisse gewinnen, die auch in anderen demokratischen Staatsformen gültig sind. In Abschnitt 13.3 wird dann zum einen die Fragestellung auf einen größeren Bereich realer Institutionen erweitert, zum anderen werden konkretere Strukturen politischer Systeme, insbesondere die Existenz von Interessenverbänden, als Erklärungsfaktoren herangezogen.
486
13 Die Politische Ökonomie des Gesundheitswesens
13.2 Kollektiv flnanzierte Gesundheitsversorgung in der Demokratie In vielen der reichen Nationen Westeuropas sind im Verlaufe der letzten 100-120 Jahre kollektiv finanzierte Gesundheitssysteme eingerichtet worden, die dafür gesorgt haben, dass medizinische Leistungen wesentlich gleichmäßiger auf die Gesellschaftsmitglieder verteilt werden als der Konsum anderer Güter oder Dienstleistungen. „Kollektive Finanzierung" kann dabei im wesentlichen in zwei verschiedenen Formen auftreten: a) in Form eines Nationalen Gesundheitsdienstes, der aus allgemeinen Steuern finanziert wird und die medizinische Behandlung mehr oder weniger gebührenfrei an alle Bevölkerungsmitglieder abgibt, wie es im Vereinigten Königreich der Fall ist oder b) in Form einer Sozialen Krankenversicherung mit Zwangsmitgliedschaft, die ihre Mitglieder gegen die Kosten medizinischer Behandlung versichert und dafür Versicherungsbeiträge erhebt, die - im Unterschied zu einer Privatversicherung - nicht risikoäquivalent kalkuliert sind. Mögliche Beitragsformen sind einheitliche Kopfpauschalen (wie in der Schweiz) oder einkommensproportionale Beiträge (wie in Deutschland, hier allerdings nur auf das Arbeitseinkommen und bis zu einer Beitragsbemessungsgrenze). Wir werden uns im Folgenden wegen der größeren praktischen Relevanz mit dem Typus b) von Kollektivsystemen beschäftigen. Die Aussagen gelten jedoch sinngemäß auch für den Typ a). Eine wichtige Unterscheidung betrifft die Frage, ob es neben dem kollektiv finanzierten Gesundheitssystem noch einen freien Markt gibt, auf dem die Konsumenten zusätzlichen Versicherungsschutz oder zusätzliche Gesundheitsleistungen kaufen können, die vom erstgenannten System nicht abgedeckt sind. Es ist offensichtlich, dass sich die Existenz eines solchen Marktes auf das Wahlverhalten der Individuen bei der Abstimmung über den Umfang des kollektiv finanzierten Systems auswirkt: Insbesondere werden die Nettozahler im Kollektivsystem - das sind die Haushalte mit unterdurchschnittlichem Leistungsbedarf und/oder überdurchschnittlichem Finanzierangsbeitrag - für eine geringere Größe des Systems votieren, wenn privater Zukauf erlaubt ist. Da jedoch in einem freiheitlichen Staat die Existenz solcher Märkte nur schwer verboten werden kann - schon gar nicht, wenn die Nachfrager dazu ins Ausland reisen - wird im Folgenden generell unterstellt, dass privater Zukauf möglich ist. Gegenstand der folgenden Modellanalyse wird es sein, zu untersuchen, von welchen Faktoren es abhängt, 1. ob es in einer direkten Demokratie mit Mehrheitsentscheidungen überhaupt zur Gründung bzw. Aufrechterhaltung einer sozialen Krankenversicherung kommt, 2. wovon der Umfang des Versicherungsschutzes abhängen wird, und 3. ob die Versicherungsbeiträge in Form von Kopfpauschalen oder einkommensproportional erhoben werden.
13.2 KollektivfinanzierteGesundheitsversorgung in der Demokratie
487
Frage 3. kann man als übergeordnete oder Regime-Entscheidung bezeichnen, die langfristig getroffen wird und nur mit Einstimmigkeit geändert werden kann, während es sich bei Frage 2. um eine Entscheidung innerhalb eines gegebenen Regimes handelt, bei der die Mehrheitsregel gilt. Wir werden diese Fragen im Rahmen eines sehr einfachen Modells betrachten, das von vielen Aspekten der realen Welt wie dem Bestehen einer Versicherungspflichtgrenze sowie sonstiger kategorialer Ausnahmen von der Pflichtmitgliedschaft absieht. Eine der Grundannahmen des Modells ist es, dass Regime-Entscheidungen hinter dem Schleier des Nichtwissens getroffen werden, d.h. in einer Situation, in der die Individuen ihr persönliches Krankheitsrisiko noch nicht kennen, wohingegen Entscheidungen innerhalb eines Regimes bei voller Kenntnis persönlicher Eigenschaften vorgenommen werden.
13.2.1 Modellannahmen Die Gesellschaftsmitglieder (Wähler) können sich in zwei Charakteristika unterscheiden: ihrem Markteinkommen y und ihrer Wahrscheinlichkeit, krank zu werden, %. Beide Charakteristika sind exogen und beobachtbar, d.h. von Anreizwirkungen der Besteuerung sowie Moral Hazard und Adverse Selection in der Versicherung wird abgesehen. Außerdem seien sie stochastisch unabhängig voneinander verteilt. Jeder Parameter kann genau zwei Werte annehmen: ein Anteil X der Bevölkerung ist „reich" und bezieht ein hohes Markteinkommen yr, während der Rest „arm" ist und ein niedriges Einkommen ya (mit ya < yr) erwirtschaftet. Daraus errechnet sich ein Durchschnittseinkommen von y = Xyr + (\-X)ya.
(13.1)
Im Folgenden wird unterstellt, dass A. < 1/2 gilt, so dass das Medianeinkommen ya beträgt und somit unter dem Durchschnittseinkommen liegt. Andererseits kann die Erkrankungswahrscheinlichkeit die Werte 7t/ und 7C/, (mit 0 < 71/ < 71/, < 1) annehmen, wobei die Individuen in einem Urzustand ihren eigenen Wert von K noch nicht kennen, sondern lediglich wissen, dass sie mit der Wahrscheinlichkeit fx ein Hochrisikotyp werden. Es ist mit der empirischen Verteilung von Gesundheitsausgaben vereinbar, dass der Anteil n der Hochrisikotypen geringer ist als 50%, was wiederum impliziert, dass der „Mediantyp" eine geringere Erkrankungswahrscheinlichkeit hat als der Bevölkerungsdurchschnitt, der sich als {\-n)%i errechnet. Tabelle 13.1 stellt die Verteilung der Typen graphisch dar.
(13.2)
488
13 Die Politische Ökonomie des Gesundheitswesens Tabelle 13.1. Verteilung der Haushaltstypen
Ki Kh
ya
yr
al ah
rl rh
Es gibt nur zwei homogene Güter, Krankenbehandlung und (allgemeinen) Konsum, deren konsumierte Mengen mit z bzw. c bezeichnet werden. Die Menge z setzt sich additiv aus der staatlich bereit gestellten Menge g und dem privaten Zukauf m zusammen. Das Preisverhältnis (Menge des Konsumguts je Einheit Krankenbehandlung) sei exogen und wird der Einfachheit halber gleich 1 gesetzt. Der Nutzen eines jeden Konsumenten setzt sich additiv zusammen aus dem in c zunehmenden und streng konkaven „Konsumnutzen" u(c) und der in z zunehmenden und streng konkaven Komponente v(z), die allerdings nur im Zustand der Krankheit relevant wird. Der Erwartungsnutzen eines Konsumenten vom Typ ij (i = r,a;j = h, l) lautet daher: £ ^ = M(cy)+Jt;v(Zy).
(13.3)
Die Reihenfolge der zu untersuchenden Entscheidungen ist die folgende: 1. Zunächst findet eine Mehrheitsentscheidung über das Regime der Krankenversicherung statt, d.h. darüber, wonach sich in einer etwaigen Kollektivversicherung die Beiträge richten. Diese Entscheidung hat Verfassungsrang und kann später nur noch einstimmig revidiert werden. Anschließend erfahren die Individuen ihren Risikotyp. 2. Die nächste Entscheidung betrifft den Umfang der staatlichen Bereitstellung von Krankenversicherungsschutz, g, der mit der Mehrheitsregel entschieden wird. 3. Schließlich entscheidet jedes Individuum über seinen privaten Zukauf. Die unterstellte Reihenfolge impliziert, dass es in dem Zeitpunkt vor Aufdeckung des individuellen Risikos den Individuen nicht möglich ist, Krankenversicherungsverträge abzuschließen. Daher ist die Gefahr, selbst ein hohes Risiko zu sein und deshalb einen hohen Preis für den Krankenversicherungsschutz zu zahlen, nicht versicherbar. Andererseits wird die erstmalige Wahl des Regimes im Stadium der Unsicherheit über das eigene Risiko durchgeführt. Im Folgenden werden wir die Entscheidungen auf den einzelnen Ebenen analysieren, und zwar in umgekehrter Reihenfolge, da im politischen Prozess auf jeder Ebene die Entscheidungen auf den niedrigeren Ebenen antizipiert werden.
13.2 Kollektiv finanzierte Gesundheitsversorgung in der Demokratie
489
13.2.2 Die Entscheidung über privaten Zukauf Als Referenzpunkt wählen wir zunächst die Situation, in der das mehrheitlich beschlossene Niveau des kollektiv finanzierten Gesundheitssystems null ist. Die privat angebotenen Krankenversicherungsverträge sichern jedem Individuum ij im Krankheitsfall eine Behandlungsmenge mij zu, für die eine aktuarisch faire Prämie in Höhe von Pij^njmij
(13.4)
erhoben wird. Die Versicherungsdeckung m^ wird vom Individuum so gewählt, dass sein Erwartungsnutzen maximal ist. Einsetzen von (13.4) in (13.3) ergibt also das Optimierungsproblem maxu(yi — Ttjmjj) + Ttjv(mjj)
(13.5)
mit der notwendigen Bedingung 1. Ordnung für ein inneres Maximum des Erwartungsnutzens, m* > 0: u'[yi-njm*j}=v'[m*j],
(13.6)
d.h. bei aktuarisch fairer Prämie und Existenz einer Indemnitäts-Versicherung wird so viel Versicherungsschutz gekauft, dass der Grenznutzen des Konsums mit dem Grenznutzen von Gesundheitsleistung übereinstimmt (vgl. Kapitel 6). Es ist leicht einzusehen, dass die gewünschte Versicherungsdeckung bei reichen Individuen und bei niedrigen Risiken höher ist als im jeweils anderen Fall, d.h. m*rj><j m
m
*u> ih
U = l,h)
(13.7)
(i = ",r)
(13.8)
Setzt man (13.8) in (13.6) ein, so folgt aus der strikten Konkavität von v(.): u'\yi-nhm*h]
=v'[m*h} > v'[m*ü} = M 'b,-7l ; m* ; ],
(13.9)
d.h. der Grenznutzen des Konsums beider Güter ist bei hohen Risiken größer als bei niedrigen, und folglich ist der Nutzen selbst kleiner, da die Versicherungsprämie vom Risikotyp abhängt. Ex ante, bevor die Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe aufgedeckt wird, besteht also ein „Prämienrisiko", gegen das sich der einzelne gerne versichern würde, was aber auf dem Markt annahmegemäß nicht möglich ist.
490
13 Die Politische Ökonomie des Gesundheitswesens
Die Gültigkeit der Bedingung (13.6) ist nun keineswegs auf den Fall der Abwesenheit einer kollektiv finanzierten Versicherung beschränkt, sondern muss in modifizierter Form auch dann erfüllt sein, wenn ein staatliches System einen Beitrag 7} von jedem Individuum zur Finanzierang erhebt und dafür jedem Kranken medizinische Leistungen im Umfang von g zur Verfügung stellt: S\yi-Ti-njm1j]=V(g + m!j).
(13.10)
Wegen der Risikoaversion wird privater Zukauf zu aktuarisch fairen Prämien immer so lange vorgenommen, bis die Grenznutzen der beiden Güter übereinstimmen. Wir halten also fest: Folgerung 13.1 Aufden Markt für privaten Versicherungsschutz wird von jedem Individuum so viel gekauft, dass im Krankheitsfall der Grenznutzen des Konsums mit dem Grenznutzen der Gesundheitsleistungen insgesamt übereinstimmt. 13.2.3 Entscheidungen über staatlichen Versicherungsschutz bei gegebenem Regime Im Folgenden wird die Mehrheitsentscheidung über das Niveau des kollektiv finanzierten Versicherungsschutzes für beide denkbaren Finanzierungsformen analysiert. 13.2.3.1 Finanzierungsform K: Einheitliche Kopfpauschale Zunächst betrachten wir das Regime K einer mit einheitlichen Pro-Kopf-Beiträgen finanzierten staatlichen Versicherung. Zu jeder Behandlungsmenge gK gehört hier der kostendeckende Beitrag pro Versicherten B K = TtgK.
(13.11)
Gleichung (13.11) besagt, dass für jedes Individuum der Preis einer Einheit staatlichen Versicherungsschutzes ft beträgt, während privater Versicherungsschutz wegen (13.4) %j (j = l,h) kostet. Wegen der Annahme ju < 1/2 ist die Grappe in der Mehrheit, für die staatlicher Versicherungsschutz teurer ist als privater. Daram wird in diesem Regime die Mehrheitsentscheidung bei gK = 0 liegen. Wir halten also fest: Folgerung 13.2 Bei einheitlichen Pro-Kopf-Prämien ist ein positives Niveau kollektiv finanzierten Versicherungsschutzes nicht mehrheitsfähig.
13.2 KollektivfinanzierteGesundheitsversorgung in der Demokratie
491
13.2.3.2 Finanzierungsform E\ Einkommensproportionale Beiträge Eine Finanzierung der Kollektivversicherung im Umfang von gE durch eine proportionale Einkommensteuer erfordert einen Steuersatz in Höhe von
so dass der Preis pro Einheit staatlichen Versicherungsschutz für ein Individuum mit dem Einkommen yi —F" = t— (13.12) 8E y beträgt, während der Preis auf dem privaten Markt durch 7C/ gegeben ist. Es werden also nur diejenigen Wähler für ein positives Niveau staatlichen Versicherungsschutzes stimmen, für die die Bedingung (13.13) erfüllt ist. Aus (13.13) geht unmittelbar hervor, dass Individuen vom Typ ah immer für einen positiven Wert von gE stimmen werden und solche vom Typ rl immer für gE = 0. Entscheidend für das Resultat ist nun das Abstimmungsverhalten der Gruppe al, also der „armen Niedrigrisiken", die wegen X,/J < 1/2 sowohl gemeinsam mit der Gruppe ah als auch gemeinsam mit der Gruppe rl jeweils eine Mehrheit bilden. Sie stimmen für eine positive staatliche Versicherung, falls gilt: ^ > ^ . 7t y Diese Bedingung ist umso eher erfüllt,
(13.14)
•
je größer die Ungleichheit im Einkommen, gemessen durch einen geringen Wert der Relation ya/yr\
•
je größer der Anteil der „Reichen", X, [vgl. Gleichung (13.1)];
•
je geringer die Ungleichheit im Krankheitsrisiko, d.h. je größer %i in Relation zu
•
je geringer der Anteil der Hochrisiken, p [vgl. Gleichung (13.2)].
492
13 Die Politische Ökonomie des Gesundheitswesens
Falls Gleichung (13.14) erfüllt ist, befindet sich der Medianwähler in der Grappe al} und daher ergibt sich das mehrheitlich gewählte Niveau des staatlichen Versicherungsschutzes durch die Lösung des Optimierungsproblems dieser Gruppe. Ihre Steuerbelastung beträgt tEya, so dass ihr Optimierungsproblem wegen (13.12) geschrieben werden kann als
maxEUal = u M - " / \ y a + Jt/v(/)
(13.15)
mit der Bedingung 1. Ordnung
Wir können daher für die Finanzierungsform E konstatieren: Folgerung 13.3 Bei einkommensproportionalen Beiträgen ist ein positives Niveau kollektivfinanzierter Krankenversicherung mehrheitsfähig, wenn die Ungleichheit im Einkommen groß, die im Krankheitsrisiko jedoch gering ist. Es entspricht dann dem Optimum aus Sicht eines „armen Niedrigrisikos". Andernfalls ist das Niveau null.
13.2.4 Die Wahl der Finanzierungsform Schließlich ist zu untersuchen, welche Finanzierungsform sich auf der obersten Ebene der Entscheidung durchsetzt. Wir analysieren dazu zunächst die erstmalige Entscheidung hinter dem Schleier des Nichtwissens über den eigenen Risikotyp und anschließend die Frage, ob es bei Kenntnis des Risikotyps zu einer einstimmig befürworteten Revision kommen kann. Ist Bedingung (13.14) verletzt, so führen beide Regimes zu dem identischen Resultat der Nichtexistenz einer staatlichen Krankenversicherung. Wir können uns daher auf den Fall beschränken, in dem (13.14) erfüllt und gE positiv ist. Dieses Regime ist folglich von allen „armen" Individuen gegenüber einem Regime ohne staatliche Krankenversicherung vorzuziehen, da sie zumindest einen Teil ihres Versicherungsschutzes zu einem subventionierten Preis erhalten. Dies ist für Individuen vom Typ ah offensichtlich, da für sie in Bedingung (13.13) die linke Seite größer und die 'Der Medianwähler ist durch die Eigenschaft definiert, dass die Anzahl der Wähler, die eine geringere Versorgung wünschen, genau so groß ist wie die Anzahl der Wähler, die eine größere Versorgung wünschen. In einem eindimensionalen Politikraum setzen sich die Interessen des Medianwählers durch, falls die Präferenzen aller Wähler eingipflig sind. Diese Eigenschaft besagt, dass aus der Sicht des Wählers von zwei Vorschlägen mit „zu geringer" Versorgung derjenige mit der größeren Versorgung vorgezogen wird. Sie ist bei der angenommenen konkaven Nutzenfunktion stets erfüllt. Vgl. dazu BERNHOLZ UND BREYER (1994, Kapitel 11).
13.2 KollektivfinanzierteGesundheitsversorgung in der Demokratie
493
rechte Seite kleiner ist als 1. Für Individuen vom Typ al ist (13.14) ja gerade die Bedingung für einen subventionierten Preis. Ex ante weiß ein ärmerer Wähler also, dass er ex post, also nach Aufdeckung seines Risikotyps, unter Finanzierungsform E nicht schlechter gestellt sein kann als unter Regime K, so dass er sich auf jeden Fall für Regime E aussprechen wird. Wegen X < 1/2 verfügen die Armen jedoch über eine Mehrheit und können bei der erstmaligen Wahl der Finanzierungsform Regime E gegenüber K durchsetzen.2 Kann diese Wahl bei Kenntnis des Risikotyps revidiert werden? Dies ist klarer Weise nicht der Fall, wenn für eine Revision Einstimmigkeit erforderlich ist, da arme Hochrisiken auf jeden Fall gegen den Wechsel zu einheitlichen Kopfpauschalen stimmen werden. Wir fassen die Ergebnisse über die Regime-Wahl wie folgt zusammen: Folgerung 13.4 Bei Abstimmung mit der Mehrheitsregel unter Unkenntnis des Risikotyps setzt sich das Regime E (einkommensproportionale Beiträge) gegen das Regime K (einheitliche Kopfpauschale) durch. Eine spätere Revision mit der Einstimmigkeitsregel kommt nicht zu Stande. 13.2.5 Empirische Bedeutung der Modellergebnisse Aus der Modellanalyse folgen zwei Aussagen: In plebiszitären Demokratien mit Mehrheitsentscheid ist zu erwarten, dass eine staatliche Krankenversicherung eher durch einkommensproportionale Beiträge als durch eine einheitliche Pro-Kopf-Prämie finanziert wird. Sollte sich bei der Festlegung des Regimes dennoch die Finanzierung durch die Pro-Kopf-Prämie durchsetzen, so tendiert der Umfang des staatlichen Versicherungsschutzes gegen null. Auf den ersten Blick scheint dieses Modellergebnis von den empirischen Fakten eindeutig widerlegt zu werden, denn in der Schweiz existiert tatsächlich eine durch Einheitsprämie finanzierte Krankenversicherung, und das Ausmaß des Versicherungsschutzes ist weit von null entfernt. Welchen Schluss soll man aus dieser Beobachtung für die Gültigkeit des oben skizzierten politisch-ökonomischen Modells ziehen? Wie viele andere sozialwissenschaftliche Theorien ist auch diese im strikten Sinne falsifiziert, wenn man als Kriterium fiir die Falsifikation eine einzige empirische Beobachtung heranzieht, die mit der theoretischen Hypothese nicht im Einklang steht. Nach diesem Kriterium hält aber so gut wie keine Theorie Stand. Ein weicheres Kriterium für das vorläufige Arbeiten mit einer Theorie verlangt demgegenüber lediglich, dass sie mit den empirischen Beobachtungen besser vereinbar ist als kon2
Wie in KiFMANN (2004) gezeigt wird, werden unter bestimmten Voraussetzungen (insbesondere muss der Anteil der Reichen, X, größer sein als der Anteil der Hochrisiken, JJ) sogar die Reichen für einkommensproportionale Beiträge votieren, so dass bereits bei der erstmaligen Regimewahl die Einstimmigkeit erreicht würde. Siehe hierzu auch Übungsaufgabe 13.1.
494
13 Die Politische Ökonomie des Gesundheitswesens
kurrierende Theorien bzw. dass sie Unterschiede zwischen verschiedenen Beobachtungsgegenständen zufrieden stellend erklärt. Auf unseren Fall angewendet, würde das zweierlei bedeuten: 1. Staatliche Krankenversicherungen mit einheitlicher Prämie sind seltener als solche mit einkommensproportionalen Beiträgen. 2. Der erstgenannte Typ von Krankenversicherungen ist durch einen geringeren Umfang des Versicherungsschutzes gekennzeichnet als der zweite. Ad 1.: In der Tat findet man einheitliche Prämien ausschließlich in der Schweiz, und selbst dort gibt es Ausnahmen bei der Prämienerhebung, da für Personen in den untersten Einkommensklassen die Prämie durch den Steuerzahler subventioniert wird. Damit ist für Bezieher niedriger Einkommen die Prämie de facto einkommensabhängig. Ad 2.: Man muss die Schweiz mit anderen Ländern vergleichen, die etwa den gleichen Wohlstand, gemessen am Pro-Kopf-Einkommen, aufweisen, wofür in erster Linie Deutschland in Betracht kommt: Die Ausgaben der Obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKPV) in der Schweiz machten 1998, einschließlich der staatlichen Spitalfinanzierung, insgesamt 4,7% des BIP aus.3 Die entsprechende Vergleichszahl für die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) in Deutschland beträgt 6,2% des BIP. Dabei ist noch nicht berücksichtigt, dass die deutsche GKV nur ca. 90% der Wohnbevölkerung absichert. Nach der OECD-Abgrenzung betrug der BIPAnteil der Sozialausgaben für Gesundheit im Jahr 1995 in der Schweiz 6,6%, in Deutschland 8,1%, was die zuvor ermittelten Ergebnisse zumindest im Abstand zwischen beiden Ländern bestätigt. Ähnliches findet man, wenn man nicht die Gesamtausgaben vergleicht - die ja durch unterschiedliche relative Preise verzerrt sein könnten - sondern die Struktur des Leistungskatalogs. Hierbei zeigt sich, dass der Leistungskatalog in der Schweiz erheblich weniger umfassend ist als in Deutschland: Zahnbehandlungen sind im allgemeinen nicht abgedeckt, es sei denn sie stehen im Zusammenhang mit einer schweren Allgemeinerkrankung, und für die übrigen Leistungen gelten höhere Zuzahlungssätze als in Deutschland: Während in Deutschland nur Arznei-, Heil- und Hilfsmittel unter die Zuzahlungspflicht fallen, gilt in der Schweiz für Erwachsene ein jährlicher Selbstbehalt (Franchise) von 230 Franken sowie für alle Versicherten eine prozentuale Selbstbeteiligung von 10%, maximal 600 Franken im Jahr. Außerdem macht ein gutes Drittel der Versicherten von der Möglichkeit Gebrauch, die Versicherungsprämie durch Wahl einer höheren jährlichen Franchise von maximal 1.500 Franken um bis zu 40% zu reduzieren [vgl. BEZZOLA UND MARTINSSON (1998)].
3
Zu den Zahlenangaben für die Schweiz vgl. BUNDESAMT FÜR SOZIALVERSICHERUNG (2002), für Deutschland: BUNDESMINISTERIUM FÜR ARBEIT UND SOZIALORDNUNG (2000).
13.3 Die Rolle der Verbände im Gesundheitswesen
495
Wir resümieren die empirischen Beobachtungen in Folgerung 13.5 Die Ergebnisse des politisch-ökonomischen Modells werden empirisch gestützt: 1. Staatliche Krankenversicherungen werden in der großen Mehrzahl durch einkommensbezogene Beiträge und nicht durch einheitliche Pro-KopfPrämien finanziert. 2. In der Schweiz, wo die Finanzierung im wesentlichen auf einer Kopfpauschale beruht, ist der Umfang des staatlichen Versicherungsschutzes deutlich geringer als in Deutschland, einem Land mit einkommensbezogenen Beiträgen.
13.3 Die Rolle der Verbände im Gesundheitswesen In diesem Abschnitt wenden wir uns nun einem wichtigen politischen Phänomen zu, nämlich den Interessenverbänden der im Gesundheitswesen Tätigen, und wir versuchen zu erklären, in welcher Weise sich deren Einfluss auf die Institutionen des Gesundheitswesens und das Marktergebnis auswirkt. Dabei soll zunächst begründet werden, waram die Nachfrage nach Verbandsaktivitäten im Gesundheitswesen besonders ausgeprägt ist. Der zweite Teilabschnitt wendet sich den Konsequenzen der Interessenwahrnehmung durch Verbände zu. Schließlich soll im dritten Abschnitt auf die Möglichkeit eines Wettbewerbs wenn nicht der einzelnen Anbieter, so doch der Verbände im Gesundheitswesen eingegangen werden.
13.3.1 Warum sind Berufsverbände im Gesundheitswesen so wichtig? Berufsverbände und insbesondere die Ärzteverbände spielen eine maßgebliche Rolle im Gesundheitswesen aller Industrieländer. Man kann diese Beobachtung als das Ergebnis einer besonders großen Nachfrage nach Verbandstätigkeit auf Seiten der Leistungsanbieter einerseits und eines besonders großen Angebots auf Seiten von „Verbandsunternehmern" auffassen. Auf der Nachfrageseite gibt es drei wichtige Gründe, die den einzelnen Arzt veranlassen dürften, von sich aus einem Verband beizutreten und ihn zu unterstützen [vgl. ZWEIFEL UND ElCHENBERGER (1992)]:4 1. Schutz vor Wettbewerb: Verbände haben der ökonomischen Kartelltheorie zufolge die Aufgabe, die Preis- und Qualitätskonkurrenz zwischen ihren Mitgliedern einzuschränken, um ihre Einkommen hochzuhalten. Die Chancen, dieses Ziel zu 4
Ärzte, die mit der deutschen Gesetzlichen Krankenversicherung ins Geschäft kommen wollen, müssen einer Kassenärztlichen Vereinigung beitreten. Auf diese Tatsache wird weiter unten eingegangen. Einen solchen Mitgliedszwang kennen jedoch die meisten anderen Industrieländer nicht.
496
13 Die Politische Ökonomie des Gesundheitswesens erreichen, stehen für Berufsverbände im Gesundheitswesen besser als in anderen Branchen, weil die Nachfrager infolge ihres Versicherangsschutzes ohnehin wenig Anreiz haben, einen preisgünstigen Außenseiter ausfindig zu machen. Selbst wenn sie sich auf die Suche machen wollten, ist ihnen ein Kostenvergleich durch die Aufspaltung des Leistungsnachweises in die Tausende von Positionen der Tarifwerke erschwert, die von einem Arzt eher pauschal, vom anderen dagegen in allen Einzelheiten abgerecb.net werden.
2. Zugang zu öffentlichen Mitteln: Ärzteverbände dienen als Verhandlungspartner nicht nur gegenüber den Krankenversicherern, sondern auch gegenüber politischen Instanzen. Da das Gesundheitswesen acht und mehr Prozent des Bruttosozialprodukts bindet (vgl. die Tabelle 1.1 des 1. Kapitels) und in den meisten Industrieländern zu zwei Dritteln oder mehr durch öffentliche Mittel finanziert wird [vgl. OECD (2001)], eröffnen Ärzteverbände den Zugang zu einem weit größeren öffentlichen „Auftragsvolumen" als beispielsweise Anwaltsverbände. 3. Verbände als Garanten der Umverteilung: Der einzelne Arzt ist an einem beträchtlichen Umverteilungsprozess beteiligt, indem junge Mitglieder der sozialen Krankenversicherung mit ihren Beiträgen für die medizinischen Aufwendungen der alten Mitglieder aufkommen. Das Ausmaß dieser Umverteilung wird im Zuge der Alterung der Bevölkerang in Zukunft noch zunehmen (vgl. dazu den Abschnitt 14.3). Indem die Ärzteverbände den „medizinischen Bedarf' als alleinige Richtschnur des ärztlichen Handelns verteidigen, treten sie als Garanten der Umverteilung auf und festigen zugleich die Schlüsselrolle des Arztes in diesem Prozess. Aber auch auf der Angebotsseite sind eine Reihe von Faktoren erkennbar, welche die Kosten der Bildung eines Ärzteverbands und der Aufrechterhaltung seiner Funktionsfähigkeit niedrig halten: 1. Durchsetzbarkeit von Preisdifferenzen: Preisabsprachen können vergleichsweise leicht durchgesetzt werden, handelt es sich doch bei ärztlichen Leistungen um Dienstleistungen an Personen. Eine Preisdiskriminierung nach dem Einkommen des Patienten beispielsweise kann nicht unterlaufen werden, indem der reiche Nachfrager einen armen als Käufer vorschickt. Es gibt also im Gegensatz zu Gütern keine sekundären Märkte, vor allem auch nicht auf intemationaler Ebene. 2. Leichte Kontrolle des Marktzutritts: Der Zugang zum Markt für medizinische Leistungen kann durch den Verband zu geringen Kosten eingeschränkt werden. Träger des Leistungsangebots ist das medizinisch ausgebildete Individuum, so dass ein Untemehmen aus einer anderen Branche zuerst einmal eine größere Anzahl von Ärzten einstellen müsste, um den Markteintritt zu schaffen. Sobald es überdies gelingt, die staatlichen Instanzen von der Notwendigkeit eines numerus clausus im Medizinstudium zu überzeugen, ist auch der Zugang zum Beruf abgeschottet.
13.3 Die Rolle der Verbände im Gesundheitswesen
497
3. Homogenität der Interessen: Zumindest innerhalb einer Region und einer bestimmten Fachrichtung ist die Zahl der Ärzte überschaubar. Zudem sind ihre Investitionen in Sachkapital und Wissen sehr spezifisch. Beide Faktoren sorgen für eine beträchtliche Homogenität der Interessen. Außerdem sind die Praxen in der Regel so klein, dass dem Verband genügend Möglichkeiten verbleiben, den Mitgliedern exklusive Dienstleistungen wie Standortberatung, Buchhaltung, Steuerberatung und Haftpflichtversicherung anzubieten und so die Grundlagen für den Fortbestand des Verbandes zu schaffen [vgl. OLSON (1965)]. Diese Überlegungen treffen auch auf die anderen zentralen Leistungsanbieter im Gesundheitswesen zu, namentlich die Zahnärzte und Apotheker. Demgegenüber sind die Pflegepersonalverbände und andere nichtärztliche Berufsverbände insofern benachteiligt, als sie nicht Verhandlungspartner der Rrankenkassen sind [vgl. NEUBAUER (1987) für eine Übersicht über ärztliche und nichtärztliche Verbände im deutschen sowie FREI UND HILL (1990,5. Teil) im schweizerischen Gesundheitswesen]. Für diese nichtärztlichen Berufsverbände gilt die nachstehende Folgerung nur in beschränktem Maße. Folgerung 13.6 Die Nachfrage nach den Leistungen von Berufsverbänden ist im Falle des Gesundheitswesens besonders ausgeprägt. Gleichzeitig sind die Kosten der Bildung eines Verbandes und der Aufrechterhaltung seiner Funktionsfähigkeit vergleichsweise gering. Beide Tatsachen zusammen erklären die besonders ausgeprägte Rolle der Berufsverbände im Gesundheitswesen. Sobald ein Verband seine Tätigkeit aufgenommen hat, handelt er als Sachwalter seiner Mitglieder. Obschon das einzelne Mitglied die Anstrengungen des Verbandes auch nicht überwachen kann, bleibt die Gefahr, dass der Verband nicht im Sinne seiner Mitglieder handelt, relativ gering, da die Verbandsleitung üblicherweise in den Händen eines Berufskollegen bleibt, der nach einer beschränkten Amtsdauer wieder zu seiner ursprünglichen Tätigkeit zurückkehrt. Auf diese Weise wird verhindert, dass sich die Interessen der Verbandsspitze von denjenigen der Mitgliedschaft wesentlich unterscheiden.
13.3.2 Funktionen der Verbände im Gesundheitswesen Die Berufsverbände im Gesundheitswesen haben es hauptsächlich mit drei Gruppen zu tun: mit den Versicherten und Patienten, ihren eigenen Mitgliedern und Politikern. Bei jeder dieser Gruppen steht jeweils eine Funktion des Verbandes im Vordergrund: •
Sicherung der Behandlungsqualität,
•
Wahrnehmung von Aufgaben im Interesse politischer Entscheidungsträger,
•
Sicherung der Einkommenschancen der Mitglieder.
498
13 Die Politische Ökonomie des Gesundheitswesens
13.3.2.1 Sicherung der Behandlungsqualität Auf Seiten des Patienten besteht eine Nachfrage nach ergänzenden Sachwalterbeziehungen, weil der Umfang seiner Stichprobe häufig für eine Beurteilung der Behandlungsqualität zu gering ist. Verbände im Gesundheitswesen begründen ihre Existenz gegenüber Dritten denn auch gerne mit dem Hinweis auf ihren Beitrag zur Durchsetzung einer Berufsethik, die der Qualitätssicherung dient. Dieser Anspruch erweist sich als wenig glaubwürdig. So haben ROOS ET AL. (1977) Unterschiede im Praxisstil kanadischer Ärzte innerhalb jeweils eng begrenzten Regionen gefunden, die sich nur schwer mit der Vorstellung eines vom lokalen Ärzteverband durchgesetzten Qualitätsstandards vereinbaren lassen. BENHAM (1991) zitiert eine Reihe von Fällen, wo amerikanische Ärztekammern davor zurückschreckten, eindeutig als unfähig erkannten Ärzten die Approbation (Zulassung zur Berufstätigkeit) zu entziehen. Der Grund dafür scheint in der oben genannten starken Bindung der Verbandsleitung an die Interessen der Mitglieder zu liegen: Wenn ein Mitglied der Verbandsleitung nach wenigen Jahren wieder ein Arzt wie jeder andere sein wird, muss es damit rechnen, für unpopuläre, während seiner Amtszeit getroffene Entscheidungen büßen zu müssen. Ein bewährtes Mittel der Qualitätssicherung ist schließlich die periodisch wiederkehrende Zulassungsprüfung. Sie wird von den Fluggesellschaften gegenüber ihren Piloten eingesetzt, denen ebenfalls das Leben vieler Menschen anvertraut wird, nicht aber von den Ärzteverbänden gegenüber ihren Mitgliedern. 13.3.2.2 Wahrnehmung von Aufgaben im Interesse politischer Entscheidungsträger Neben den Patienten könnte eine andere Gruppe ein Interesse an der Existenz der Verbände haben: die Politiker. In einer Demokratie sind Politiker darauf angewiesen, Wählerstimmen zu gewinnen, und die Berufsverbände im Gesundheitswesen könnten ihnen dabei helfen. Zieht man wiederum die Ärzteverbände als wichtigstes Beispiel heran, so ist ihre Wahlempfehlung, verbreitet in Zehntausenden von Praxen, für einen Politiker Gold wert. Aber auch längerfristig können die Ärzteverbände zur Gewinnung von Wählerstimmen beitragen, indem sie den Fortbestand der bestehenden Einkommensumverteilung im Gesundheitswesen gewährleisten. Diese Umverteilung erfolgt nicht zuletzt dadurch, dass für die Behandlung von Mitgliedern der Gesetzlichen Krankenkasse niedrigere Honoraransätze gelten als für privat Versicherte. Zugleich ist eine solche Tarifabstufung im Interesse der Mehrzahl der Ärzte, entspricht sie doch im wesentlichen der Preisdifferenzierang eines gewinnmaximierenden Monopolisten [vgl. KESSEL (1958)]. Einer Regierung, die sich auf das Ziel einer Stabilisierung der Gesundheitsquote am Sozialprodukt festgelegt hat, können Ärzteverbände ebenfalls Hilfestellung leisten (vgl. Abschnitt 1.2 für eine Darstellung der Konsequenzen einer solchen Politik). Vorab benötigt jede Steuerung Informationen, die vielfach nur von den Berufsverbänden zur Verfügung gestellt werden können. Dies gilt insbesondere bei der
13.3 Die Rolle der Verbände im Gesundheitswesen
499
Durchführung eines numerus clausus. Der numerus clausus im Medizinstudium hält die Kosten des Gesundheitswesens wenigstens kurzfristig niedrig, und die Ärzteverbände verfügen über sachverständige Delegierte, um die „richtige" Auswahl der Kandidaten zu treffen. Darüber hinaus können sie sich verpflichten, eine Zeit lang die Tarifverhandlungen zurückhaltend zu führen, damit die Stabilisierung der Leistungsmengen nicht durch erhöhte Preise aufgewogen wird. Längerfristig werden sie jedoch ihre erhöhte Marktmacht zur Geltung bringen müssen, um den im folgenden Teilabschnitt geschilderten Aufgaben der Einkommenssicherung und -mehrung im Interesse ihrer Mitglieder zu genügen.
13.3.2.3 Sicherung der Einkommenschancen der Mitglieder Falls die Berufsverbände im Gesundheitswesen vor allem dazu da sind, ihre Mitglieder vor Konkurrenz zu schützen, müsste es ihnen ein Anliegen sein, einen Anstieg der Anbieterdichte zu verhindern. Im internationalen Vergleich dürfte ihnen dies in einem Land wie der Bundesrepublik Deutschland besonders gut gelingen: Einerseits sorgt die Zwangsmitgliedschaft der Kassenärzte in den Kassenärztlichen Vereinigungen für einen besonders hohen Organisationsgrad. Andererseits werden die Kassenärztlichen Vereinigungen von einer Zunahme der Absolventen des Medizinstudiums unmittelbar betroffen, bringen also das Interesse der Ärzte an einem numerus clausus zum Tragen. In einem Land wie Belgien dagegen, wo die Ärzteverbände durch sprachliche und konfessionelle Unterschiede getrennt sind und so keinen Einfluss auf den Zugang zum Medizinstudium gewinnen konnten, müsste die Ärztedichte im Verlauf der Jahre rasch zugenommen haben. Die Abbildung 13.1 zeigt die Entwicklung der Ärztedichte (definiert als Anteil der Ärzte an der Gesamtbeschäftigung) in vier Ländern (auf die ebenfalls eingezeichnete Einkommensentwicklung wird weiter unten eingegangen). Am wenigsten zugenommen hat die Anbieterdichte offensichtlich in Großbritannien, wo der Staat, der ja unmittelbar für die Finanzierung des nationalen Gesundheitsdienstes zuständig ist, den Ärztebestand selbst plant und steuert. Am anderen Ende des Spektrums ist wie erwartet Belgien zu finden, während sich der Anteil der Ärzte am Total der Erwerbstätigen in Deutschland und in der Schweiz iiber zwanzig Jahre hinweg nur mäßig erhöht hat. In beiden Ländern ist die Stellung der Ärzteverbände (Kassenärztliche Vereinigungen, kantonale Ärztegesellschaften) wegen ihrer Rolle als Verhandlungspartner der Krankenkassen stark. Sie scheinen denn auch der Abbildung 13.1 zu Folge eine eigentliche Ärzteschwemme erfolgreich verhindert zu haben. Wenn die Anbieterdichte trotz seiner Bemühungen zunimmt, kann der Ärzteverband immer noch die Folgen für seine Mitglieder mildern, indem er beispielsweise mit den Krankenkassen eine Ausweitung des Leistungskatalogs zu Lasten nichtärztlicher Anbieter aushandelt („Gesprächstherapie auf Rezept statt durch den Psychologen") oder durchsetzt, dass bisher stationär vorgenommene Behandlungen ambulant vom niedergelassenen Arzt durchgeführt und in Rechnung gestellt werden können. In Ländern, wo die Stellung der Ärzteverbände stark ist, braucht demnach eine Zu-
500
13 Die Politische Ökonomie des Gesundheitswesens
Abb. 13.1. Entwicklung der Ärztedichte und der relativen Ärzteeinkommen, 1975 = 100 160 -r150 -140 -130 120 -110 -100 --
USA
90 -80 -70 60 -1962
160 -150 -140 -| 130 --
G roßbrita n n i e n
120 -110-100 90 -80 70 60 -
1962
160 j 150 -140 -130 -120 -110100 90 -80 -70 60 -1962
Belgien
Ärzte Beschäftigte insgesamt Durchschnittl. Ärzteeinkommen Relatives Ärzteeinkommen = Durchschnittl. Einkommen aller Beschäftigten Ärztedichte =
Quelle: ZWEIFEL UND EICHENBERGER (1992)
nahme der Ärztedichte keinen sehr ausgeprägten Rückgang der relativen Einkommen nach sich zu ziehen.5 Die Stärke der Beziehung zwischen Anbieterdichte und Ärzteeinkommen (relativ zum Durchschnittseinkommen aller Beschäftigten) kann aufgrund der Abbildung 13.1 grob abgeschätzt werden. Großbritannien stellt einmal mehr einen Sonderfall 5
Die Kausalität könnte auch umgekehrt verlaufen, indem ein hohes relatives Einkommen der Ärzte viele Abiturienten dazu veranlasst, ein Medizinstudium aufzunehmen, so dass zwischen Anbieterdichte und Einkommen (nach Berücksichtigung einer mehrjährigen Verzögerang) eine positive Beziehung bestehen würde. Dieser Verlauf der Kausalität scheint der Abbildung 13.1 zu Folge in der Bundesrepublik Deutschland bis gegen Ende der sechziger und in der Schweiz bis Mitte der siebziger Jahre den Ausschlag gegeben, seither aber an Bedeutung verloren zu haben.
13.3 Die Rolle der Verbände im Gesundheitswesen
501
dar, indem es zwischen den beiden Größen keine systematische Beziehung zu geben scheint. Der plötzliche Einkommensrückgang nach 1975 geht auf den Versuch der Labour-Regierung zurück, die Aufwendungen für den nationalen Gesundheitsdienst durch eine Reduktion der Arzthonorare zu stabilisieren. Dieser Versuch wurde nach 1978 von der neuen konservativen Regierang unter Margaret Thatcher rückgängig gemacht. Im übrigen ist aber einmal mehr der Vergleich zwischen Belgien einerseits und der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz andererseits instruktiv: In Belgien und in der Schweiz nahm im Verlauf der sechziger Jahre die Ärztedichte langsam zu. Während aber in Belgien bereits Anfang der siebziger Jahre ein markanter Rückgang der relativen Einkommen im Gange war, stiegen diese in der Schweiz bis gegen Mitte der siebziger Jahre an. In der Bundesrepublik haben sich zwar die Einkommen der Ärzte seit ungefähr 1970 ebenfalls dem Durchschnittseinkommen angenähert, jedoch deutlich langsamer als in Belgien, dem Land mit den vergleichsweise schwachen Ärzteverbänden. Die bisherigen Beobachtungen lassen vermuten, dass es den Ärzteverbänden in manchen Ländern gelungen ist, durch Marktschließung die Arztkarriere wirtschaftlich attraktiv zu erhalten. Diese Vermutung wird gestützt durch Schätzungen sog. interner Ertragsraten der Arztkarriere. Solange allerdings die Absolvierung eines Medizinstudiums eine überdurchschnittlich rentable Investition darstellt, wird auch das Menetekel der „Ärzteschwemme" bestehen bleiben. Folgerung 13.7 Die Berufsverbände im Gesundheitswesen können Aufgaben zugunsten der Patienten, der politischen Entscheidungsträger und ihrer eigenen Mitglieder wahrnehmen. Ihr Verhalten lässt allerdings vermuten, dass im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit Beiträge zur (Wieder-)Wahl von Politikern und zur Sicherung der Einkommenschancen ihrer Mitglieder stehen. Es bestehen kaum Anhaltspunkte dafiir, dass sie sich für eine Gewährleistung der Leistungsqualität einsetzen.
13.3.3 Wettbewerb der Leistungsanbieter, Wettbewerb der Verbände Auf den ersten Blick erscheint ein uneingeschränkter Preis- und Qualitätswettbewerb zwischen den einzelnen Leistungsanbietern im Gesundheitswesen im Interesse des Versicherten und Patienten zu sein. Die Patienten besitzen jedoch ein Interesse an im voraus vertraglich festgelegten Tarifen, da sie im Krankheitsfall die erbrachten Leistungen und Preise nur schwer beurteilen können (vgl. hierzu auch Kapitel 11). Beim Aushandeln solcher Tarife wird der Einzelne vom Krankenversicherer als ergänzenden Sachwalter vertreten werden wollen.Sobald jedoch dieser Krankenversicherer allein oder im Verbund mit anderen einen bedeutenden Anteil der Klientel eines Arztes vertritt, stellt er aus dessen Sicht eine Bedrohung dar. Er könnte nämlich versuchen, den Vertragsabschluss von einem Entgegenkommen bei den Tarifen abhängig zu machen. Ein Berufsverband bietet vor dieser Bedrohung Schutz; hat er sich aber einmal in Tarifverhandlungen bewährt, so besteht für den einzelnen Arzt ein besonders star-
502
13 Die Politische Ökonomie des Gesundheitswesens
ker Anreiz, dem Verband beizutreten, um dem Konflikt bei der Honorierung nicht beobachtbarer Leistungen zu entgehen. Wenn also nicht mit einem Wettbewerb der einzelnen Leistungsanbieter zu rechnen ist, wie stehen dann die Chancen für einen Wettbewerb der Verbände, und was für Auswirkungen könnte er haben? Diese Frage soll wiederum aus dem Blickpunkt der drei verschiedenen Gruppen untersucht werden. 1. Versicherte und Patienten: Für den Versicherten und Patienten wäre ein Wettbewerb der Verbände von erheblichem Vorteil. Dabei steht nicht einmal die Möglichkeit der Krankenversicherer, die Preise der Leistungsanbieter zu drücken, im Vordergrund. Vielmehr würde ein Wettbewerb insbesondere der Ärzteverbände das Entstehen neuer Organisationsformen der medizinischen Versorgung begünstigen. Erst wenn Ärzte einzeln oder in Gruppen aus einem Verband ausscheren können, der sich auf die Einzelleistungshonorierung festgelegt hat, lässt sich z.B. die im Abschnitt 11.4 dargestellte Health Maintenance Organization verwirklichen. In etwas verallgemeinerter Betrachtung erscheint die Existenz einer berufsethischen Orientierung notwendig, um Organisationsformen mit einer Beteiligung des Arztes an den Kosten der Gesundheitsversorgung zu ermöglichen. Ärzte mit einer solchen berufsethischen Orientierung könnten sich in einem von mehreren konkurrierenden Verbänden zusammenschließen. Man kann vermuten, dass ganz allgemein unterschiedliche Präferenzen der Ärzte (neben der Berufsethik z.B. im Abwägen zwischen Einkommen und geregelter Arbeitszeit) durch konkurrierende Berafsverbände zum Ausdruck gebracht werden könnten, die dann auch im Rahmen verschiedener Organisationsformen Verhandlungen über die Honorierung führen würden. 2. Politiker: Für die politischen Entscheidungsträger ist ein Wettbewerb der Verbände nicht sonderlich attraktiv, und zwar aus einem Grund, der von der Informationsasymmetrie zwischen ihnen und den Verbänden herrührt [vgl. SCHULENBURG (1987b)]: Jene Verbände werden längerfristig überleben, die sich am meisten für ihre Mitglieder einsetzen. Regierung und Verwaltung bekommen es deshalb mehr und mehr mit Verbänden zu tun, welche die Information in ihrem Interesse filtern, ja verzerren. Ein Zwangsverband kann es sich dagegen eher leisten, die ungeschminkte Wahrheit zu sagen, ist er doch dem Wettbewerb um Mitglieder nicht ausgesetzt. 3. Ärzte: Aus der Sicht der Ärzte selber ist die freie Verbandswahl ein zweischneidiges Schwert. Einerseits beschert die Kassenärztliche Vereinigung ihren Mitgliedern gegenüber den Trägern der Gesetzlichen Krankenkassen ein Kollektivmonopol und insofern Preise für ihre Leistungen, die höher als bei einem Wettbewerb der Verbände sein dürften. Dieser Vorteil würde durch Ärzteverbände, die miteinander um Vertragsabschlüsse konkurrieren, verloren gehen. Andererseits ermöglicht ein Wettbewerb der Verbände auch einen Wettbewerb der Versorgungssysteme im gleichen Land, der insbesondere jüngeren Ärzten zu neuen Beschäftigungsmöglichkeiten verhelfen könnte.
13.4 Zusammenfassung des Kapitels
503
Insgesamt kommt man zur Aussage der
Folgerung 13.8 Ein Wettbewerb der Verbände im Gesundheitswesen wiirde den Weg zu neuen Organisationsformen der Gesundheitsversorgung ebnen und käme deshalb den Interessen der Patienten und Versicherten entgegen. Für die Mehrheit der Ärzteschaft sowie die politischen Entscheidungsträger ist er dagegen eher mit Nachteilen verbunden. Längerfristig werden sich Zwangsverbände im Gesundheitswesen nur mit großen Schwierigkeiten halten können, stehen sie doch in einem grundsätzlichen Widerspruch zur angestrebten Öffnung der Arbeitsmärkte innerhalb der Europäischen Union. Anstrengungen in diese Richtung führten z.B. bereits zur gegenseitigen Anerkennung der Diplome. Sie verpuffen jedoch weitgehend, solange sich ein zugezogener Arzt, Zahnarzt oder Apotheker gezwungen sieht, einem Einheitsverband beizutreten, nur um im neuen Wohnsitzland Vertragspartner der Sozialversicherung werden zu können.
13.4 Zusammenfassung des Kapitels 1. Gegenstand der Politischen Ökonomie ist es, das Zustandekoramen und die Weiterexistenz der tatsächlich vorgefundenen Institutionen zu erklären. In vielen der reichen Nationen Westeuropas sind im Verlaufe der letzten 100-120 Jahre kollektiv finanzierte Gesundheitssysteme eingerichtet worden, die dafür gesorgt haben, dass medizinische Leistungen wesentlich gleichmäßiger auf die Gesellschaftsmitglieder verteilt werden als der Konsum anderer Güter oder Dienstleistungen. Die Existenz und das Ausmaß dieser Systeme können in einem Modell der direkten Demokratie analysiert werden. 2. Dabei zeigt sich, dass der Umfang der Systeme von der Finanzierungsform abhängt: Erfolgt die Finanzierung über einheitliche Pro-Kopf-Prämien, so ist in einer politischen Abstimmung weitaus weniger Unterstützung für die kollektive Finanzierung zu erwarten, als wenn mit der Finanzierung - über einkommensbezogene Beiträge wie in Deutschland - auch noch eine Einkommensumverteilung zu Gunsten der Bezieher niedriger Einkommen verknüpft ist. 3. Auf der Verfassungsebene erfährt allerdings - hinter dem Schleier des Nichtwissens der Abstimmenden über ihren Risikotyp - die Finanzierung über einkommensbezogene Beiträge eine größere Unterstützung als die über Einheitsprämien. 4. Ein empirischer Vergleich der Systeme, vor allem zwischen der Schweiz und anderen Ländern, bestätigt beide Modellresultate. 5. Ein weiterer Zweig der Politischen Ökonomie befasst sich mit der Rolle der Berufsverbände. Diese spielen im Gesundheitswesen eine herausragende Rolle, weil einerseits die Kosten ihrer Bildung gering, andererseits die Nachfrage nach
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13 Die Politische Ökonomie des Gesundheitswesens ihren Leistungen (Schutz vor Wettbewerb, Zugang zu öffentlichen Mitteln und Stabilisierung bestimmter Umverteilungsvorgänge) intensiv ist.
6. In der Praxis vertreten die Verbände vor allem die Einkommensinteressen ihrer eigenen Mitglieder, während sie eine kaum wahrnehmbare Rolle bei der Gewährleistung der Leistungsqualität gegenüber den Patienten spielen. Diese letzte Aufgabe könnte durch einen Wettbewerb der Verbände, d.h. durch eine Aufhebung von Zwangsmonopolen wie der Kassenärztlichen Vereinigung in Deutschland, gestärkt werden.
13.5 Lektürevorschläge In der theoretisch-finanzwissenschaftlichen Literatur wird die in Abschnitt 13.2 untersuchte Problematik unter dem Titel der „öffentlichen Bereitstellung privater Güter" behandelt. Als maßgebliche Beiträge zu dieser Literatur aus politisch-ökonomischer Perspektive sind vor allem BESLEY UND COATE (1991), EPPLE UND ROMANO (1996), GOUVEIA (1997) und BLOMQUIST UND CHRISTIANSEN (1999) zu nennen, ein einschlägiger Beitrag findet sich auch in BREYER (1995), das in Abschnitt 13.2 untersuchte Modell orientiert sich an KIFMANN (2004). Aus normativer Sicht diskutieren BREYER UND HAUFLER (2000) die Zweckmäßigkeit einkommensproportionaler Beiträge.
13.Ü Übungsaufgaben
505
13.Ü Übungsaufgaben 13.1. Betrachten Sie das Modell aus Abschnitt 13.2 und gehen Sie von folgenden Parametern aus: 71/ = 0,2,7t/, = 0,8,^ = 0,2,ya = 60,yr = 240 und X = 0,3. Die Nutzenfunktionen seien M(c)
= -e-°-lc
und
v(z)=e-°'k.
a) Bestimmen Sie das Niveau des staatlichen Krankenversicherungssystems bei den Finanzierangsformen K und E. b) Vergleichen Sie für arme und reiche Personen den Erwartungsnutzen der beiden Finanzierungsformen hinter dem Schleier des Nichtwissens über den eigenen Risikotyp. Interpretieren Sie Ihr Ergebnis. 13.2. Erläutern Sie, warum Berufsverbände eine maßgebliche Rolle im Gesundheitswesen aller Industrieländer einnehmen. 13.3. Diskutieren Sie, in wessen Interesse ein Ärzteverband mit Zwangsmitgliedschaft ist. Welche Gruppen würden eine freie Verbandswahl befürworten?
14 Herausforderungen an das Gesundheitswesen
14.1 Fragestellung Die Akteure auf den verschiedenen Märkten stehen immer wieder unter Anpassungsdruck: Geschmacksänderungen der Konsumenten führen zu Nachfrageeinbrüchen, neue Technologien verschaffen Konkurrenten Wettbewerbsvorteile, Wirtschaftsbeziehungen mit Partnem aus bestimmten Ländern werden vom Staat behindert oder sogar verboten. Dieser Anpassungsdruck äußert sich zu einem beträchtlichen Teil in veränderten Preissignalen auf der Absatz- wie der Beschaffungsseite von Unternehmen, die sie zu Umstellungen im Vertrieb und der Produktion ihrer Leistungen veranlassen. Im Gesundheitswesen dagegen kommen fluktuierende Marktpreise z.B. für medizinische Leistungen von vorneherein nicht in Betracht, weil sie sich mit der zentralen Sachwalterbeziehung zwischen Patient und Arzt schlecht vereinbaren lassen (vgl. dazu das 11. Kapitel). Eine Möglichkeit, fluktuierende Preise zu vermeiden, besteht im Aushandeln von Tarifwerken, womit dem Einfluss von Verbänden und staatlichen Instanzen das Feld bereitet wird. Diese Abkehr vom preisgesteuerten Allokationsmechanismus vermindert aber die Reaktionsgeschwindigkeit des Systems; so dauern strukturelle Anpassungen eines Tarifwerks wie der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) und des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) in Deutschland oder eines kantonalen Krankenkassentarifes in der Schweiz jeweils Jahre. Diese Trägheit verhindert zwar, dass Ärzte, Zahnärzte und Krankenhäuser auf Grund eines vorübergehenden Preisvorteils mit einem bestimmten Krankenversicherer Vertragsbeziehungen aufnehmen und dann nach kurzer Zeit wieder aufkündigen, was für viele Kranke von Nachteil wäre. Andererseits hat sie jedoch zur Folge, dass Veränderangen im Umfeld des Gesundheitswesens nur mit erheblichen Verzögerungen zu Anpassungen im Gesundheitswesen führen. So kommt es immer wieder zu Entwicklungen, die als Herausforderungen an das Gesundheitswesen empfunden werden. Gegen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts zeichnen sich auf vier verschiedenen Gebieten solche Herausforderungen ab.
508
14 Herausforderungen an das Gesundheitswesen
1. Die technologische Herausforderung: Die folgende Schilderung gibt einen Eindruck von der Geschwindigkeit des technischen Fortschritts in der Medizin: „Allein im Jahr 1980 stellte das Nachrichtenmagazin Newsweek die folgenden medizinischen Neuerungen vor: Ein neues und in seiner Bedeutung dem Computertomographen vergleichbares Gerät zur Sichtbarmachung von Gehimströmen, revolutionäre chirurgische Techniken zur Beseitigung von Kurzsichtigkeit und Unfruchtbarkeit bei Frauen, neue Drogen gegen Gelbsucht, Geschlechtskrankheiten und Gicht, verschiedene neue Krebstherapien, eine Operation zum problemlosen Einpflanzen eines künstlichen Busens nach der Amputation der weiblichen Brast, neue lebensrettende Techniken der Herzoperation bei Säuglingen und eine neuartige Elektroschockbehandlung zur Regeneration von Muskel- und auch Nervengewebe. Sogar Querschnittsgelähmte sollen eines Tages dadurch wieder laufen können" [KRÄMER (1982, S. 37/38)]. Diese Neuerungen sind fast alle Produktinnovationen, d.h. sie retten Leben oder tragen zur Verbesserung der Lebensqualität bei, allerdings zu (viel) höheren Kosten: „Als Christiaan Bamard am 3. Dezember 1967 das erste menschliche Herz verpflanzte, stiegen im gleichen Augenblick die Kosten einer derartigen Therapie von Null auf 200.000 Mark" [KRÄMER (1982, S. 92)]. Prozessinnovationen, die es erlauben, eine bestimmte Leistung zu niedrigeren Kosten herzustellen, sind demgegenüber selten. Noch seltener scheinen organisatorische Innovationen zu sein, die Produktionsprozesse neu bündeln und über Synergieeffekte Kostensenkungen ermöglichen. So droht technologischer Wandel in der Medizin zum Motor zukünftiger „Kostenexplosionen" zu werden. 2. Die demographische Herausforderung: Sie scheint insbesondere darin zu bestehen, dass immer mehr Menschen immer älter werden. So betrug in Deutschland der Anteil der über 75-jährigen um 1980 rand 6%, wird aber bis zum Jahr 2025 auf 10% ansteigen. Einen höheren Anteil von Betagten wird zu jenem Zeitpunkt unter den Industrieländern voraussichtlich nur noch Japan mit 10,5% aufweisen [vgl. HELLER ET AL. (1986)]. Gemeinhin wird höheres Alter mit einer verstärkten Nachfrage nach medizinischen und insbesondere pflegerischen Leistungen in Verbindung gebracht, und es stellt sich die Frage, zu welchen Bedingungen diese Nachfrage gedeckt werden kann. Bei genauerem Hinsehen erweist sich aber auch eine andere demographische Veränderung von erheblicher Bedeutung. Seit 1960 hat der Anteil von Einpersonen-Haushalten in Deutschland von 21% auf 36% zugenommen, in der Schweiz beträgt er nach einer Verdoppelung 32% [vgl. Tabelle 14.4]. Allein lebende Personen können aber im Krankheitsfall weniger auf Unterstützung und Pflege durch Angehörige zurückgreifen und nehmen deshalb eher Leistungen des Gesundheitswesens in Anspruch.
14.2 Die technologische Herausforderung
509
3. Die Herausforderung durch das sog. Sisyphus-Syndrom: Die Erfolge der modernen Medizin erinnern an den Helden der griechischen Sagenwelt, der dazu verdammt war, einen Felsbrocken den Berg hinaufzurollen, wobei ihm der Brocken kurz vor Erreichen des Gipfels jedesmal entglitt. Insofem der technologische Wandel in der Medizin die Lebenserwartung der Menschen verlängert, erhöht er die Zahl derjenigen, die das Gesundheitswesen überdurchschnittlich beanspruchen. Auf Grund ihres erhöhten politischen Gewichts ist aber die Altersbevölkerung immer mehr in der Lage, ihre Wünsche im öffentlichen Gesundheitswesen durchzusetzen, insbesondere die Finanzierung weiterer kostspieliger medizinischer Innovationen durch Steuergelder. Infolge dieses Prozesses würden sich demnach die Erfolge der Medizin in eine zunehmende Belastung von Wirtschaft und Gesellschaft verwandeln. 4. Die Herausforderung durch den internationalen Wettbewerb: Diese oft übersehene Herausforderung an das Gesundheitswesen hat ihren Ursprung in der zunehmenden wirtschaftlichen Integration der Länder. Wenn in Zukunft Arbeitskräfte innerhalb der Europäischen Union frei wandern können, so werden sie nicht nur das erzielbare Arbeitseinkommen, sondern unter anderem auch das Kosten-Leistungsverhältnis der Gesundheitsversorgung in ihren Vergleich mit einbeziehen. Ärzte und medizinisches Hilfspersonal werden in Zukunft ebenfalls leichter wandern können, und schließlich wird vermehrt mit internationalen Direktinvestitionen in privaten Krankenhäusern zu rechnen sein. Insgesamt wird sich das nationale Gesundheitswesen von einem hochgradig geschützten in einen nur teilweise geschützten Sektor verwandeln. Diese vier Herausforderungen sollen in den folgenden Abschnitten der Reihe nach zur Sprache kommen.
14.2 Die technologische Herausforderung 14.2.1 Die drei Arten von Innovation In der ökonomischen Literatur werden die folgenden Arten von Innovation unterschieden: •
Prozessinnovationen: Sie erlauben es, ein in der Art gleichbleibendes Produkt zu geringeren Kosten herzustellen. Ein Beispiel im Gesundheitswesen sind Analyseautomaten, die in der gleichen Zeit eine Blutprobe auf die doppelte Zahl von Parametern im Vergleich zu früher untersuchen.
•
Produktinnovationen: Sie erlauben es, ein Produkt mit neuen Eigenschaften oder zumindest neuen Kombinationen bisheriger Eigenschaften zu versehen, allerdings in der Regel zu erhöhten Produktionskosten. Neue Arzneimittel, aber auch Therapien für bisher nicht behandelbare Krankheiten sind Beispiele dafür.
•
Organisatorische Innovationen: Sie stehen für die Möglichkeit, mit neuartigen Kombinationen von Produktionsprozessen oder auch von ganzen Untemehmen Kostenvorteile zu erzielen. Beispiele im Gesundheitswesen sind Gruppenpraxen,
510
14 Herausforderungen an das Gesundheitswesen die Ausgliederung der Geriatriepflege aus der Abteilung für Innere Medizin eines Krankenhauses, oder der Aufbau einer Health Maintenance Organization.
In diesem Abschnitt soll die optimale Allokation dieser drei Innovationsarten im Gesundheitswesen aus der Sicht des Einzelnen untersucht werden. Dem repräsentativen Individuum soll es durch einen Verzicht auf Konsum in der laufenden Periode möglich sein, Innovationsanstrengungen zu finanzieren, die in der Folgeperiode seinen Gesundheitszustand verbessern. Um die Untersuchung möglichst einfach zu gestalten, wird eine „langfristige, durchschnittliche" Nutzenfunktion für jede Periode unterstellt, deren Form nicht vom jeweiligen Gesundheitszustand abhängig sein soll. Zwischen Konsumleistungen und Konsumgütern wird (im Gegensatz zum 3. Kapitel) ebenfalls nicht unterschieden, so dass die Nutzenfunktion unmittelbar die Konsumausgaben (Xi,X2) und Gesundheit (G\,G2) der beiden Perioden als Argumente enthält. Einfachheitshalber sollen die beiden Periodennutzen (u\, u2) additiv sein, und von einer Diskontierung wird abgesehen [vgl. LYTTKENS (1999) für eine analoge makroökonomische Formulierung]: u = ux{XuGx) + u2{X2,G2).
(14.1)
Im folgenden werden schrittweise die drei Innovationsarten in die Produktionsfunktion für Gesundheit aufgenommen. Nur Prozessinnovation: Die Aufwendungen zugunsten von Prozessinnovationen erfolgen in der ersten Periode, werden aber einfachheitshalber durch Rz ohne Subskript für die Periode symbolisiert. Sie sollen sich in der zweiten Periode so auswirken, wie wenn ein Vielfaches hz an medizinischen Leistungen zur Verfügung stehen würde. Dieser Multiplikator ist Eins, wenn keine Prozessinnovation vorgenommen wird (hz[Ö\ = 1), und steigt mit zunehmenden Werten von Rz an.1 Die Produktionsfunktion für Gesundheit lautet entsprechend wie folgt: G2=g2(m2),
mit
z
z
m2=h (R )M2,
z
h [0] = 1,
dhz - ^ > 0.
(14.2)
Dank Prozessinnovation entfalten demnach die M2 Einheiten medizinischer Leistungen eine Wirkung, für die es sonst m2 Einheiten gebraucht hätte. Der Input von M2 selbst kann so einen niedrigeren Wert annehmen. Damit gehen aber auch die Gesundheitsausgaben zurück, weil der Preis von M2 auf Eins normiert ist [vgl. die Budgetrestriktion (14.5)]. Ein bestimmter Gesundheitszustand lässt sich also dank Prozessinnovation kostengünstiger erreichen. Einen zusätzlichen Multiplikatoreffekt hat die organisatorische Innovation R°; sobald er berücksichtigt ist, wird m2 durch m2 ersetzt (s.u.).
'Das Vorzeichen der zweiten Ableitung soll hier und in den analogen Formulierungen (14.3) und (14.4) negativ sein, d.h. es werden abnehmende Grenzerträge der Innovationsaufwendungen unterstellt.
14.2 Die technologische Herausforderung
511
Prozess- und Produktinnovation: Eine erfolgreiche Produktinnovation im Gesundheitswesen soll es den Individuen ennöglichen, einen mit den übrigen Mitteln erreichbaren Gesundheitszustandg2{.) noch zu übertreffen. Diese Verbesserung wird analog zur Gleichung (14.2) mit einem Multiplikator ausgedrückt, dessen Wert von den Aufwendungen für Produktinnovation RD in der ersten Periode abhängt. Die entsprechend ergänzte Produktionsfunktion (14.3) lautet damit G2=hD(RD)g2(m2),
mit hD{0] = \,
dh ^
> 0.
(14.3)
Prozess-, Produkt- und organisatorische Innovation: Für organisatorische Innovationen sind Synergieeffekte charakteristisch. Statt um Synergieeffekte zwischen Produktionsprozessen oder Untemehmen soll es sich hier um Synergieeffekte zwischen den Perioden handeln.2 Dieser Definition zufolge bewirkt organisatorische Innovation, dass medizinische Leistungen nicht erst in der zweiten, sondern bereits in der ersten Periode einen größeren Beitrag zur Gesundheit leisten. Außerdem fallen organisatorische Innovationen umso mehr ins Gewicht, je größer der Ressourceneinsatz ist. Die Produktionsfunktionen könnten dementsprechend lauten Gi=gi(mi),
mit mi = h°{R°)Mx
G2 = hD{RD)g2{m2), mit m2 = h°(R°)m2 = h°(R°)hz(Rz)M2, undft°[0] = l,
(14.4)
^ > 0 .
Das Einkommen für die beiden Perioden zusammen sei mit Y fest vorgegeben. Es muss fürden Kauf von Konsumgütern (X\,X2), medizinischen Leistungen (Mi,M2), aber auch für die verschiedenen medizinischen Innovationen (RZ,RD und R°) ausreichen. Die Budgetrestriktion lässt sich mithin schreiben als
Xi+Mi+Rz+RD+R°+X2+M2=:Y.
(14.5)
Die Gleichungen (14.1) bis (14.5) beschreiben zusammen ein Optimierungsproblem, das mit Hilfe der nachstehenden Lagrange-Funktion untersucht werden kann (vgl. Tabelle 14.1): L = ui{Xi;gi[ho(S°)Mi]} +u2{X2;hD(RD)g2[ho(R°)hz(Rz)M2}} -\{XX+MX+RZ + RD +R° +X2+M2-Y}.
(14.6)
Das Individuum stehe in Periode 1 vor der Aufgabe, durch die Wahl von X\, M\ und insbesondere RZ,RD und R° diese Funktion zu maximieren. 2 Statt einer Betrachtung von Synergieeffekten durch die Unterteilung von Arbeit in „Produktionseinheit Nr. 1" (z.B. ambulante Behandlung) und „Produktionseinheit Nr. 2" (z.B. stationäre Behandlung) wird die Effektivität von „Behandlung ; n Periode 1" und „Behandlung in Periode 2" erhöht. Damit erspart man sich die Erweiterung des Modells um eine räumliche Dimension, die viel zusätzliche Notation, aber kaum zusätzliche Einsichten mit sich bringen würde.
512
14 Herausforderungen an das Gesundheitswesen
14.2.2 Kriterien für eine optimale Allokation der Innovation In diesem Teilabschnitt sollen messbare Kriterien hergeleitet werden, die einen optimalen Umfang der Innovationsanstrengungen aus der Sicht des Individuums anzeigen. Diese Kriterien laufen auf eine geforderte marginale Verbesserang des Gesundheitszustandes in der zweiten Periode hinaus. Vorab kann mit einer Differenzierung der Funktion (14.6) bezüglich der Konsumausgaben X\ der Wert des Lagrangemultiplikators X bestimmt werden:
*L = ^1_X = O _>
X=*jL.
(14 .7)
Der optimale Umfang der Aufwendungen für Prozessinnovationen Rz muss demnach der Bedingung genügen dL du2 dG2 dg2 dni2 dhz z dR ~~ dG2 dg2 dm2 dhz dRz du2 lDdg2 , o , , dhz dux
n
Die zusätzlichen gesundheitlichen Vorteile, die in der 2. Periode dank der Innovation erzielt werden können, müssen offensichtlich die Opportunitätskosten decken, die ihrerseits durch den Nutzen gegeben sind, der aus zusätzlichem Konsum in der 1. Periode gezogen werden könnte. Die notwendige Optimalbedingung für den Fall der Produktinnovation RD lautet auf Grund der Gleichungen (14.6) und (14.7) du2 dhD ^ ^ •MD=
dL
dui 0 . dXi
(14.9)
Durch eine Steigerung der Aufwendungen zugunsten der Produktinnovationen kann der Gesundheitszustand g2, der mit Hilfe medizinischer Leistungen und ggf. anderer Innovationen erreicht würde, verbessert werden. Dieser Vorteil muss im Optimum wiederum den Opportunitätskosten entsprechen, die sich aus dem Konsumverzicht ergeben. Aus der Funktion (14.6) lässt sich schließlich für die organisatorische Innovation die Bedingung herleiten dL
dui dGi dgi dm\ dh
du2 3(J2 ^§2 dni2 dh
du\
dR° M
3m! = 0.
h l
dR°
+
dG2
dm2
h
M2 2
dR° dR°
dX (14.10)
Der Vergleich der Bedingungen (14.8) bis (14.10) erfolgt so, dass jedesmal die für ein Optimum erforderliche marginale Wirksamkeit der jeweiligen Innovationsauf-
14.2 Die technologische Herausforderung
513
Tabelle 14.1. Die drei Innovationsarten in einem Zweiperioden-Modell ?2). G2=g2(m2), mit
m2 = hz(Rz)M2,
hz[0] = 1,
fifjZ ^ > 0.
G2=hD(RD)g2(m2), '"^
'
^D
1
*
-0.
d = g i ( m i ) , mit m\=ho(R°)M\ D
D
G2 — h (R )g2(m2), _ _ mit m2=h0{R°)rh2 h°{R0)hz(Rz)M2 =
+ RZ+RD + R°+X2+M2 o
=Y
o
L = u\{Xi;g\[h (R )M\W _ _ _ „ _ _ D D +u2{X2;h (R )g2[h°(R°)hz(Rz)M2]}
Nutzenfunktion
(14.1)
Gesundheitsproduktion mit Prozessinnovation
(14.2)
Gesundheitsproduktion mit Prozess- und Produktinnovation
(14.3)
Gesundheitsproduktion mit Prozess-, Produktund organisatorischer Innovation
(14.4)
Budgetrestriktion
(14.5)
Zu maximierende Lagrange-Funktion
(14.6)
8
8
-X{Xi + Mi + Rz + RD + R° + X2 + M2 - ?}. X\: G\: X: M\: R z: R D: R°: Y:
Konsumausgaben in der 1. Periode (X2: in der 2. Periode) Gesundheitszustand in der 1. Periode (G2: in der 2. Periode) Lagrange-Multiplikator zur Budgetrestriktion Medizinische Aufwendungen in der 1. Periode (M2: in der 2. Periode) Aufwendungen für Prozessinnovation, nur in der 1. Periode Aufwendungen für Produktinnovation, nur in der 1. Periode Aufwendungen für organisatorische Innovation, nur in der 1. Periode Gesamtes Einkommen der Perioden 1 und 2
wendung in Bezug auf den Gesundheitszustand festgestellt wird. Eine kurze Umformung der Gleichungen (14.8), (14.9) und (14.10) ergibt ., ., 7huhuM2 = -, ^ (Prozessinnovation) dm.2 aR^ du2ßG2 dhD du\ßX\ «- — ^r—-pr— (Produktinnovation) du2/aG2
dm2dR°
z
du2ßG2
du2ßG2dn
M\
(organisatorische Innovation).
(14.11a) (14.11b) (14.11c)
514
14 Herausforderungen an das Gesundheitswesen Die Bedingungen (14.1 la) bis (14.1 lc) lassen sich wie folgt interpretieren:
•
Die drei Kriterien haben ein gemeinsames erstes Element. Es besagt, dass die in der zweiten Periode zu erzielende Verbesserang des Gesundheitszustandes unabhängig von der Art der Innovation umso größer sein muss, je schwerer der durch den Konsumverzicht herbeigeführte Nutzenverlust in der ersten Periode wiegt (dui/dXi groß). Umgekehrt genügt eine geringe Verbesserung des Gesundheitszustandes, wenn sie nutzenmäßig stark ins Gewicht fällt (du2/dG2 groß).
•
Je zusätzlich aufgewendeter Geldeinheit müssten Prozessinnovation und Produktinnovation die gleiche Wirkung auf die Gesundheit haben [die linke Seite von (14.11a) ist gleich der linken Seite von (14.11b)].
•
Das zu erreichende Grenzprodukt, ausgedrückt als Verbesserung des Gesundheitszustandes in der zweiten Periode, ist im Falle der organisatorischen Innovation grundsätzlich geringer als bei den anderen Innovationsarten. Der Unterschied ist umso größer, je höher die medizinischen Aufwendungen in der ersten Periode (M\) sind. Er existiert aber nur dann, wenn die organisatorische Innovation bereits in derersten Periode Wirkungzeigt [{dg\)/(dm\) x (dh°)/(dR°) > 0 in der Gleichung (14.1 lc)].
•
Die Anforderung an die Prozessinnovation in der Gleichung (14.1 la) hängt u.a. vom (optimalen) Umfang der Produktinnovation hD ab. Der Wert von hD liegt aber wegen des Auftretens von dhD/dRD in der Gleichung (14.11b) erst dann fest, wenn g2, der Gesundheitszustand nach den Beiträgen von Prozessinnovation und organisatorischer Innovation, feststeht. Damit wird die Interdependenz der drei Kriterien unterstrichen. Diese Ergebnisse geben Anlass zur Folgerung 14.1 Die Anforderungen an die drei Innovationsarten im Gesundheitswesen können als messbare Beiträge an die Verbesserung des Gesundheitszustands ausgedrückt werden. Aus der Sicht eines (nicht versicherten) Individuums liegen diese Anforderungen grundsätzlich gleich hochfür Prozess- und Produktinnovationen, jedoch niedriger fiir organisatorische Innovationen.
Die Folgerung 14.1 macht keine unmittelbare Aussagen über die Höhe von Rz, R und R°. Dies ist nicht zufällig, sondern kommt daher, dass der Rückschluss von den in den Gleichungen (14.11a) bis (14.11c) bestimmten Grenzproduktivitäten auf die jeweiligen Innovationsaufwendungen nur bedingt möglich ist. Insbesondere folgt aus einem hohen geforderten Grenzprodukt der Produktinnovation nicht zwingend, dass das Individuum den Umfang der Produktinnovation unter denjenigen z.B. der Prozessinnovation senken möchte. Dies würde nur dann zutreffen, wenn der funktionale Zusammenhang zwischen den Ausdrücken auf der linken Seite der Gleichungen (14.11a) bis (14.11c) und RZ,RD und R° dreimal derselbe wäre. Die Gleichungen (14.2) bis (14.4) enthalten aber keine Gleichheitsbedingungen von der Art D
dhz/dRz = dhD/dRD = dh°ßR°.
14.2 Die technologische Herausforderung
515
Tabelle 14.2. Kosten pro gewonnene QALY in £, verschiedene Innovationen Typ der Innovationa) Z
Kosten/QALYb) (£ 1990) 270
Therapie bzw. Innovation Nichtraucherkampagne Therapie gegen Bluthochdruck 940 Z um Hirnschlag zu vermeiden 1.100 Schrittmacherimplantation z Hüftgelenkprothese 1.180 D 2.090 D Bypass bei schwerer Angina pectoris 4.710 Z Nierentransplantation 5.780 Z Brustkrebs-Reihenuntersuchung 7.840 D Herztransplantation D 18.830 Bypass bei leichter Angina pectoris 21.970 D Dialyse im Krankenhaus Neurochirurgischer Eingriff 107.780 D bei bösartigen Hirntumoren a) D: Produktinnovation, Z: Prozessinnovation. Unter einer Produktinnovation werden insbesondere lebensrettende Therapien verstanden, zu denen es im Zeitpunkt ihrer Einführung keine Alternativen gab. b) Barwert aller zukünftigen Kosten. Quelle: DRUMMOND ET AL. (1993)
14.2.3 Verzerrungen der Kriterien auf aggregierter Ebene Im vorhergehenden Teilabschnitt wurden Kriterien hergeleitet, die ein „durchschnittliches" Individuum an verschiedene Arten der Innovation im Gesundheitswesen anlegen würde, wenn es z.B. als Käufer eines (patentgeschützten) Medikaments oder als Steuerzahler für Innovationsaufwendungen aufzukommen hätte. Die in den Gleichungen (14.11a) bis (14.11c) präsentierten Ergebnisse lassen vermuten, dass ein solches Individuum je zusätzlich ausgegebener Geldeinheit (GE) jeweils eine Verbesserung der Gesundheit in ungefähr gleichem Ausmaß fordera würde. Die z.B. im britischen Gesundheitsdienst erzielten Gesundheitsverbesserungen je GE entsprechen diesen Erwartungen jedoch nicht. Misst man die Gesundheitswirkung in qualitätsbereinigten Lebensjahren (QALYs, vgl. Abschnitt 2.3.2), so gehen die Schätzungen von 270 £ pro QALY bis zu 107.780 £ pro QALY (vgl. Tabelle 14.2). Die Entscheidungen im britischen Gesundheitsdienst fallen offensichtlich so, dass von der Dialyse im Krankenhaus nur gerade 0,009 QALYs je 1.000 £ (=1000/107.780) verlangt werden, während von einer Nichtraucherkampagne (die zwar von außerhalb des Gesundheitswesens kommt, aber dennoch medizinische Leistungen einspart und deshalb in Tabelle 14.2 als Prozessinnovation eingetragen ist) hohe 3,70 QALYs je 1.000 £ (=1000/270) gefordert werden. Zudem scheint es, dass allgemein Prozessinnovationen schärferen Kriterien genügen müssen als Produktinnovationen. Jedenfalls stellen diese Diskrepanzen ein Indiz dafür dar, dass individuelle Präferenzen bezüglich Innovationen im Gesundheitswesen auf der Ebene der Aggregate verfälscht werden könnten. Drei mögliche
516
14 Herausforderungen an das Gesundheitswesen
Griinde stehen im Vordergrund: der Einfluss der Krankenversicherung (Moral Hazard), ein medizinischer Imperativ auf der Ebene der Ziele und ein Imperativ auf der Ebene der Mittel.3 •
Auswirkungen der Krankenversicherung: Wenn jemand durch eine soziale Krankenversicherang gedeckt ist, muss er für Innovationen im Gesundheitswesen nicht gesondert bezahlen. Der Krankenhausaufenthalt kostet gleich viel (bzw. gar nichts) unabhängig davon, ob das Haus einen neu eingerichteten Operationssaal hat oder nicht, und wenn das soeben auf den Markt gekommene Arzneimittel doppelt so teuer ist wie die herkömmlichen, ist auch das Mitglied einer schweizerischen Krankenkasse nur mit höchstens 10% an der Kostendifferenz beteiligt. Sobald also das Individuum als betroffener Kranker entscheidet, muss es nicht mehr die vollen Opportunitätskosten der Innovationsaufwendungen tragen. Sein Opfer an Konsumgütern X\ (und mithin seine Nutzeneinbuße du\/dX\ zugunsten des verbesserten Gesundheitszustandes) werden durch die Krankenversicherung reduziert. Dies wirkt sich auf die an die Innovationen gestellten Anforderangen aus: Der gemeinsame erste Term (du\ /dX\ )/(du2/dG2) in den Gleichungen (14.1 la)-(14.1 lc) geht zurück, und alle dreiArten von Innovationen werden begünstigt. Der Einfluss des ex-post Moral Hazard beschränkt sich also nicht darauf, dass in der laufenden Periode mehr medizinische Leistungen nachgefragt werden (vgl. Abschnitt 6.5), sondern bewirkt auch eine Beschleunigung des technologischen Wandels in der Medizin. Die Krankenversicherung verzerrt darüber hinaus das Verhältnis zwischen gewünschter Prozessinnovation und Produktinnovation, indem sie auch die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen verbilligt. Für jeden einzelnen Versicherten werden die Gesundheitsausgaben durch die Versicherung im Zeitpunkt der Inanspruchnahme gesenkt. Damit geht in der Gleichung (14.1 la) der Wert von M^ (das sind Ausgaben zum Preis von 1) zurück, und dhz/dRz müsste ceteris paribus einen höheren Wert annehmen.4 Bei abnehmenden Grenzerträgen der Innovation bedingt dies einen niedrigeren Wert von Rz. Insofern wird die Prozessinnovation von der Krankenversicherung nicht im gleichen Umfang begünstigt wie die Produktinnovation.
•
Medizinischer Imperativ auf der Zielebene: Dieser Imperativ bedeutet, dass es unter dem Einfluss der Ärzte zur gesellschaftlichen Norm wird, Krankheiten s o weit wie möglich zu bekämpfen. Bei ihren Entscheidungen könnten sich die Ärzte auf den Grundsatz berufen, dass der Gesundheitszustand eines (behandlungs3
Der Begriff des „technologischen Imperativs in der Medizin" ist von FUCHS (1968) geprägt worden. Er beschreibt die rasante Verbreitung von Produktinnovationen nicht nur im Gesundheitswesen der USA sondern der Industrieländer überhaupt, die auf ärztliche, vom Rest der Gesellschaft übemommene Normen zurückgehen. 4 Die ceteris paribus-Klausel wird in der Regel verletzt, weil die Krankenversicherung über die Gleichung (14.1 lb) einen Rückgang von dhP /dRD und damit eine Zunahme von hD in der Gleichung (14.11a) bewirkt - es sei denn, der Gesundheitszustand vor Produktinnovation g^ verbessere sich.
14.2 Die technologische Herausforderung
517
bedürftigen) Menschen auf einen bestimmten Wert gebracht werden müsse.5 Wenn also G2 einen bestimmten Wert mindestens erreichen soll, so lässt sich dieser Imperativ im vorliegenden Zusammenhang am besten durch die Bedingung du2ßG2<ü2 (14.12) wiedergeben, d.h der Grenznutzen der Gesundheit darf einen Grenzwert w2 nicht überschreiten. Auf Grund der Gleichungen (14.1 la)-(14.11c) scheint diese Bedingung die Anforderungen an alle drei Arten der Innovation zu erhöhen, weil der Nenner du2/dG2 des ersten Terms reduziert wird. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass ein erhöhter Wert von G2 erreicht werden soll, was gemäß Gleichung (14.4) erhöhte Werte von hD,hz,M2 und auch h° nach sich zieht. Deshalb dürfte letztlich von einem medizinischen Imperativ auf Zielebene eine beschleunigende Wirkung auf die Rate der Innovation im Gesundheitswesen ausgehen. Medizinischer Imperativ auf der Mittelebene: Eine solche Norm würde verlangen, dass medizinische Leistungen in genügendem Umfang zur Verfügung stehen, d.h. bis zu einem Punkt, wo ihre Grenzproduktivität nicht mehr sehr groß ist, also z.B. unter dem Grenzwert G2 bleibt. Beschränkt man sich einfachheitshalber auf die Betrachtung der zweiten Periode, so lautet dieser Imperativ auf Grund der Gleichung (14.4) dG2ßM2 = {dg2ßm2)hDhzho
< G2.
(14.13)
Die Implikationen eines solchen Imperativs sind bedenklich. Je mehr nämlich medizinische Leistungen M2 eingesetzt werden, desto geringer ist bei gegebenem Wert von hz die Grenzproduktivität 9g 2 /3m 2 , desto höhere Werte können hD, hz und h° (und damit RD, Rz und R°) annehmen, ohne die Restriktion (14.13) zu verletzen. Der medizinische Imperativ auf der Ebene der Mittel begünstigt also nicht nur den Mehreinsatz medizinischer Leistungen während der laufenden Periode, sondern auch Aufwendungen zugunsten aller drei Innovationsarten [wohingegen nach den Gleichungen (14.11a) bis (14.11c) die organisatorischen Innovationen gefördert sollten]. Diese Erkenntnisse lassen sich zusammenfassen in der Folgerung 14.2 Beim Übergang von der individuellen zur aggregierten Ebene werden die Anforderungen an Innovationsaufwendungen für alle drei Innovationsarten im Gesundheitswesen nach unten verzerrt. Versicherungsinduzierter Moral Hazard und medizinische Imperative auf der Ziel- und Mittelebene begünstigen durchweg die Produktinnovation, jedoch nur bedingt die Prozessinnovation und die organisatorische Innovation. 5
Die Vorgabe quantifizierter Gesundheitsziele (z.B. Reduktion der Sterblichkeit infolge von Herz-Kreislauf-Erkrankungen um 50% bis zum Jahr 2000) wie sie im Rahmen der Annual Health Reports in den USA üblich geworden ist, kann als Ausfluss eines Imperativs auf der Zielebene gedeutet werden.
518
14 Herausforderungen an das Gesundheitswesen Abb. 14.1. Veränderang der Überlebenskurve am Beispiel Deutschlands* (Männer) 12 T
\
0
20
30
40
50
60
70
80
90
100
*Überlebende von 100.000 Personen bei AlterX; Deutsches Reich 1901/10, Bundesgebiet 1949/51, Bundesrepublik Deutschland 1998/2000, Quelle:
STATISTISCHES BUNDESAMT DEUTSCHLAND
(2003a)
14.3 Die demographische Herausforderung 14.3.1 Alterung der Bevölkerung 14.3.1.1 Verbesserte Kontrolle über den Gesundheitszustand als Aufgabe der Medizin? Wie im 4. Kapitel dargelegt wurde, nimmt die Lebenserwartung in den Industrieländern immer noch zu, aber seit einigen Jahren deutlich verlangsamt (vgl. Tabelle 4.1). Diese Tatsache wird oft dahingehend interpretiert, dass die moderne Medizin mit sinkenden Grenzerträgen zu kämpfen habe. Angenommen, dies treffe zu, dann müsste die marginale Zahlungsbereitschaft für einen solchen Faktor, der mit abnehmender Grenzproduktivität zur Gesundheit beiträgt, zurückgehen. Gerade in Ländern, wo sich die individuelle Zahlungsbereitschaft für medizinische Leistungen am ehesten durchsetzen kann (etwa die USA, die Niederlande, die Schweiz), bleibt jedoch der Anteil der Gesundheitsausgaben am Sozialprodukt unverändert hoch. Um diesen Widerspruch aufzulösen, nehmen viele Beobachter zur Hypothese der angebotsinduzierten Nachfrage Zuflucht (vgl. Abschnitt 8.2).
14.3 Die demographische Herausforderung
519
Abb. 14.2. Veränderung der Überlebenskurve am Beispiel Deutschlands* (Frauen) 12
T
2 --
10
20
40
50 60 Alter In Jahren
100
*Überlebende von 100.000 Personen bei Alter X; Deutsches Reich 1901/10, Bundesgebiet 1949/51, Bundesrepublik Deutschland 1998/2000, Quelle: S T A T I S T I S C H E S B U N D E S A M T D E U T S C H L A N D (2003a)
Eine alternative Erklärung dafür, dass medizinische Leistungen unverändert stark nachgefragt werden, könnte in der Risikoaversion der Menschen in Bezug auf ihre Gesundheit liegen. Für ein risikoaverses Individuum besteht die Leistung der Medizin möglicherweise nicht so sehr in einer Steigerung der Lebenserwartung oder der QALYs (vgl. Abschnitt 2.3.2), sondern in einer Reduktion der Schwankungen dieser Größen. Die Medizin hätte in dieser Sicht die Wirkung einer Versicherang, die statt des Risikos von Vermögensschwankungen das Risiko von Schwankungen des Gesundheitszustandes mindert. Diese Risikominderang ist risikoaversen Individuen eine Prämie wert. Sie würden im Extremfall eine vollkommene Kontrolle über ihren Lebenslauf anstreben, um bis in ein hohes Alter vollkommen gesund zu bleiben und dann sozusagen tot umzufallen. Würde eine ganze Bevölkerung mit Erfolg eine solche Kontrolle über ihren Gesundheitszustand anstreben, so müsste auf aggregierter Ebene eine „Rektangularisierung der Überlebenskurve" zu beobachten sein: Im Verlauf der Zeit würden die Kohorten bis in ein fortgeschrittenes Alter immer weniger ihrer Mitglieder durch vorzeitigen Tod verlieren. Dafür würden die Todesfälle sehr konzentriert in der Umge-
520
14 Herausforderungen an das Gesundheitswesen
bung einer biologisch bestimmten Lebenserwartung auftreten, deren Wert sich kaum mehr nach oben verschiebt [vgl.FRiES (1980)]. Auf der Ebene der Gesamtbevölkerung, die sich in jedem Zeitpunkt aus verschiedenen Kohorten zusammensetzt, kann man eine durchschnittlich gültige Überlebenskurve konstruieren, indem man das erreichte Alter der Verstorbenen ermittelt. Diese Überlebenskurve müsste im Verlauf der Jahre wegen des zunehmenden Gewichts von Kohorten mit günstiger Absterbeordnung immer mehr einen rechteckigen Verlauf nehmen, d.h. immer mehr waagerecht verlaufen und dann sehr steil auf Null fallen. Tatsächlich hat sich auch in Deutschland die Überlebenskurve seit 1900 diesem Ideal angenähert (vgl. Abbildungen 14.1 und 14.2 auf den Seiten 518 und 519). Während die zu Beginn des 20. Jahrhunderts Verstorbenen noch einer Kohorte ähnelten, deren Mitglieder im Alter von 40 zu 40 Prozent verstorben waren, erinnern die Verstorbenen der Jahre 1997/99 an eine Kohorte, die im Verlauf der ersten vierzig Jahre kaum Mitglieder verloren hat. Die Rektangularisierung scheint also im Bereich der ersten 40 Lebensjahre bei beiden Geschlechtern weitgehend abgeschlossen zu sein, mit einem leichten Vorsprung der Frauen. Es gibt Anzeichen dafür, dass sie sich in den Bereich zwischen 40 und 70 Jahre verlagert hat. So weist die senkrechte Distanz zwischen den Überlebenskurven der Abbildungen 14.1 und 14.2 darauf hin, dass von 1949/50 bis 1997/99 die größten Gewinne an Überlebenswahrscheinlichkeit bei den Männern in den Altersgruppen um 65 Jahre und bei den Frauen um 70 Jahre erreicht wurden. Eine Verbesserung der Kontrolle über den Gesundheitszustand scheint demnach immer noch möglich und könnte sich in ein fortgeschrittenes Alter erstrecken. Diese Beobachtungen sprechen für die Folgerung 14.3 Die fortschreitende Rektangularisierung der Überlebenskurve lässt sich als Ergebnis von Anstrengungen interpretieren, den Gesundheitszustand besser unter Kontrolle zu halten. Insofern medizinische Leistungen zum Erfolg dieser Anstrengungen besonders beitragen, wird eine hohe Zahlungsbereitschaft für solche Leistungen aus der Risikoaversion der Menschen erklärbar. Die Frage, ob die modeme Medizin tatsächlich zur Rektangularisierung der Überlebenskurve beigetragen hat, wird im Abschnitt 14.4.1 genauer untersucht. An dieser Stelle sei nur auf die Konsequenz der Folgerung 14.1 in einem Extremfall hingewiesen. Ein erheblicher Anteil der medizinischen Aufwendungen scheint nämlich Menschen zugute zu kommen, deren restliche Lebenserwartung ein Jahr oder weniger beträgt. So haben LUBITZ UND RILEY (1993) anhand von Daten der Medicare-Verwaltung der USA herausgefunden, dass 27-30 Prozent der MedicareAufwendungen eines Jahres an Personen erbracht wurden, die ein Jahr später nicht mehr am Leben waren.6 Offenbar kommen in hohem Maße Menschen in den Genuss 6
Dieser Anteil liegt allerdings auch deshalb so hoch, weil Medicare die Krankenversicherung der Rentner ist. In dieser Bevölkerungsgruppe liegt der Anteil derer, die sich in ihrem letzten Lebensjahr befinden, weit über dem Durchschnitt.
14.3 Die demographische Herausforderung
521
Abb. 14.3. Kinder, Erwerbstätige und Rentner in der deutschen Gesetzlichen Krankenversicherung Leistungen Beiträge
Leistungen
Beiträge
20
30
40
50
60
70
I 80
• Alter
Quelle: SCHULENBURG (1989, S.286)
der Aufwendungen im Gesundheitswesen, bei denen in der Mehrzahl der Fälle vermutet werden konnte, dass sich ihre restliche Lebenserwartung auf Monate und nicht Jahre beziffern würde. Würde man die Grenzproduktivität dieser Aufwendungen lediglich an der Verlängerung der Zeit messen, die in „guter" bzw. „besserer" Gesundheit verbracht wird (wie dies vereinfachend in Abschnitt 3.5 erfolgte), so wäre man versucht, von einer Verschwendung der Mittel zu sprechen, von der höchstens die Ärzte im Krankenhaus aufgrund ihrer Forschungsinteressen etwas haben, nicht aber die Patienten selbst [vgl. ZWEIFEL (1990)]. Die Folgerung 14.1 erinnert demgegenüber daran, dass auch sehr betagte Patienten eine erhebliche Zahlungsbereitschaft für medizinische Leistungen aufweisen könnten, die ihnen zwar keine Verbesserang des durchschnittlichen Gesundheitszustandes, doch immerhin eine verringerte Varianz ihres Gesundheitszustandes versprechen. 14.3.1.2 Umverteilungswirkungen der Alterung Jedes System der Krankenversicherung, das den Versicherten altersunabhängige Beiträge trotz altersabhängiger Gesundheitsausgaben garantiert, erhält Eigenschaften einer umlagefinanzierten Altersvorsorge und „erbt" damit auch deren Probleme [vgl. BREYER (1990, besonders Kapitel 1)]. Hier wie dort entrichtet die Generation der Erwerbstätigen Beiträge, welche die empfangenen Leistungen mehr als decken. Dieser Überschuss wird in der deutschen Gesetzlichen Krankenversicherung dazu verwendet, das Defizit aus der Versorgung der Kinder und Rentner auszugleichen (vgl. Abbildung 14.3).
522
14 Herausforderungen an das Gesundheitswesen
Nimmt nun die Zahl der Versicherten im Rentenalter zu, so vervielfacht sich das Defizit, und die Beiträge der Erwerbstätigen müssen angehoben werden, um das finanzielle Gleichgewicht der Gesetzlichen Krankenversicherung zu wahren. Die Wahrung des finanziellen Gleichgewichts bedingt also bei einer Alterung der Bevölkerung eine sich verschärfende Umverteilung von den Erwerbstätigen zu den Rentnern. Das gleiche Problem stellt sich z.B. auch in der Schweiz, wo zwar Kinder im Unterschied zu Deutschland nicht gratis mitversichert werden, andererseits aber die Beiträge der Erwachsenen von den Krankenkassen nicht nach dem laufenden Alter abgestuft werden dürfen. In einer Phase der Alterung der Bevölkerung kann demnach die Mitgliedschaft in einer sozialen Krankenversicherung für die Angehörigen ganzer Generationen zu einer ungünstigen Investition werden, indem sie als Erwerbstätige für viele kostspielige Rentner in der Versicherung aufkommen müssen, selber aber im Alter nur einmal die Leistungen des Systems „konsumieren" können. Sie würden mithin feststellen, dass der Barwert ihrer Beitragszahlungen den Barwert der Leistungen übersteigt, die sie im Verlaufe ihres Lebens von der Krankenversicherung empfangen werden: Sie leisten einen sog. Lebensnettotransfer an die Überlebendenfrüherer Kohorten (in der Tabelle 14.3 mit positiven Werten eingetragen). Berücksichtigt man neben der Bevölkerungsentwicklung auch die Auswirkungen bereits eingetretener und zukünftiger Kostensteigerungen im Gesundheitswesen (Variante II der Tabelle 14.3), so scheint die Kohorte der im Jahre 1960 Geborenen bereits einen positiven Lebensnettotransfer zu leisten. Diese unfreiwilligen Übertragungen werden in Zukunft noch erheblich ansteigen und ein Ausmaß annehmen, das die Akzeptanz der sozialen Krankenversicherung in ihrer heutigen Ausgestaltung ernsthaft untergraben könnte. Diese Gedankengänge lassen sich zusammenfassen in der Folgerung 14.4 Die Alterung der Bevölkerung gefährdet das finanzielle Gleichgewicht einer Krankenversicherung mit altersunabhängigen Beiträgen. Die Beitragsanpassungen zur Wahrung des Gleichgewichts lassen die Mitgliedschaft in einer solchen Versichemng fiir die jetzige und mehrere zukünftige Generationen von Erwerbstätigen zu einer verlustbringenden Investition werden. 14.3.2 Veränderte Familienstruktur Nicht nur die Altersstruktur der Bevölkerung ist im Begriff, sich zu verändern, sondern auch die Familienstruktur hat sich in den Industrieländern erheblich gewandelt. Während noch zu Beginn der sechziger Jahre Einpersonen-Haushalte die Ausnahmeerscheinung darstellten, machen sie heute bis gegen ein Drittel aller Haushalte aus (vgl. Tabelle 14.4). Zum einen Teil ist diese Zunahme eine Folge gesunkener Eheschließungsraten sowie erhöhter Scheidungsquoten, die nicht von einer Zunahme der Wiederverheiratungen begleitet waren. Zum anderen Teil hat sich auch die Lebenserwartung nach Geschlechtern unterschiedlich entwickelt. Um 1950 konnte eine 60-jährige Frau in Westdeutschland mit 17 zusätzlichen Lebensjahren rechnen, ihr gleichaltriger Mann mit 16 Jahren. Um 1997 dagegen betrug ihre restli-
14.3 Die demographische Herausforderung
523
Tabelle 14.3. Durchschnittlicher Lebensnettotransfer der Mitglieder der Gesetzlichen Krankenversicherung seit 1900 (Modellrechnungen), in konstanten DM Geburtenjahrgänge
Variante I (rein demographischer Effekt)
1900 1920 1940 1960 1980 2000 2020 2040 2060 2080 2100
-10.653 -10.882 -5.755 -3.983 14.640 15.114 19.318 13.254 5.367 541 0
Variante II
(demographischer Effekt und Kostensteigerungseffekt) 215
-1.280 -2.648 361
14.627 34.132 98.102 151.606 138.742 33.867 0
Anmerkungen: Bei Variante I werden konstante Gesundheitsausgaben für den gesamten Betrachtungszeitraum unterstellt. Bei Variante II wird angenommen, dass die Gesundheitsausgaben bis 1960 um 1% p.a., von 1960 bis 1990 um 10% p.a. und ab 1990 um 5% p.a. (wegen zu erwartender forcierter Kostendämpfungsbemühungen) steigen. Die unterstellte Diskontrate beträgt bis 1960 2% und ist ab 1960 gleich der Kostensteigerungsrate. Der Lebensnettotransfer konvergiert gegen Null, da ab 2030 eine konstante Geburtenzahl unterstellt wird. Quelle: SCHULENBURG (1989, S. 296)
che Lebenserwartung 23 Jahre, seine 19 Jahre [vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT DEUTSCHLAND (2000, S. 74)]. Die Wahrscheinlichkeit, die letzten Lebensjahre allein verbringen zu müssen, hat für die Frauen offenbar erheblich zugenommen. Die Relevanz dieser Tendenz zum Einpersonen-Haushalt kann an einem einfachen Wahrscheinlichkeitsargument illustriert werden. Mit einer Wahrscheinlichkeit 7i(A) werde eine bestimmte Person A krank und nehme damit auch Leistungen des Gesundheitswesens in Anspruch. Lebt sie hingegen mit einer anderen Person B zusammen, so soll der gesunde Partner jeweils den kranken pflegen. Es kommt also in Zweipersonen-Haushalten nur dann zu einer Inanspruchnahme von Leistungen des Gesundheitswesens, wenn beide Mitglieder des Haushalts krank sind. Diese Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme tnedizinischer Leistungen ist auf Grund der Formel für die bedingte Wahrscheinlichkeit gegeben durch n(A,B) = n(A\B)n(B) = n(B\A)n(A) z(A,B):
%{A\B):
(14.14)
Wahrscheinlichkeit, dass A und B gleichzeitig krank sind (und deshalb Leistungen des Gesundheitswesens in Anspruch nehmen). Wahrscheinlichkeit, dass A krank ist, gegeben, dass B krank ist.
Aus dieser Gleichung geht unmittelbar hervor, dass n(A,B) < n(A) und n(A,B) < n(B), weil die bedingten Wahrscheinlichkeiten TC(A|5) und n(B\A) höchstens den Wert Eins annehmen können. Die Wahrscheinlichkeit, dass beide Mitglieder eines
524
14 Herausforderungen an das Gesundheitswesen
Tabelle 14.4. Anteil von Einpersonen-Haushalten in ausgewählten Industrieländern (Angaben
Bundesrepublik Deutschland Frankreich Großbritannien Italien Niederlande Schweden Schweiz
um 1960 21 20 15 11 12 20 14
um 1980 31 25 22 18 22 33 29
um 1990 35 27 26 22 29 39 32
um 2000 37 32 30 23 34 47 33
Quelle: 1960-90: HÖPFLINGER (1997), 2000: STATISTISCHES BUNDESAMT DEUTSCHLAND (2003b)
Zweipersonen-Haushaltes gleichzeitig krank sind, liegt deshalb in aller Regel unter dem Krankheitsrisiko des einzelnen Mitglieds fiir sich genommen. Das Zusammenleben in einem Familienverband kann demnach zu einer Entlastung des Gesundheitswesens führen. Wie groß dieser Entlastungseffekt ausfällt, hängt Gleichung (14.14) zufolge von den bedingten Wahrscheinlichkeiten n(A\B) bzw. n(B\A) ab, die sich als Ausdruck der Ansteckungsgefahr interpretieren lassen. Gehen diese Wahrscheinlichkeiten gegen Eins, so bedingt die Erkrankung des einen Partners fast zwangsläufig die Erkrankung des anderen. Wenn also ein Land von Epidemien heimgesucht wird, ist das Zusammenleben in Haushalten kaum von Vorteil für das Gesundheitswesen. Seitdem jedoch die Infektionskrankheiten ganz erheblich an Bedeutung verloren haben, sind diese Effekte zumindest für die heutigen Industrieländer nicht mehr ausschlaggebend. Diese Überlegungen münden in die Folgerung 14.5 Die Ausbreitung von Einpersonen-Haushalten verstärkt ceteris paribus die Tendenz, bei Gesundheitsstörungen Leistungen Dritter in Anspruch zu nehmen. Ihr Beitrag zur Eindämmung von Epidemien fällt in der heutigen Zeit, wo ansteckende Krankheiten auf dem Rückzug sind, weniger ins Gewicht.
14.4 Gesundheitsausgaben, Alter und medizinischer Fortschritt Die in den beiden vorhergehenden Abschnitten 14.2 und 14.3 beschriebenen Herausforderungen tragen nicht nur jede für sich zu einem Anstieg der Gesundheitsausgaben bei, sondern können sich auch gegenseitig verstärken. Im Folgenden soll diese These, das sog. Sisyphus-Syndrom dargestellt und geprüft werden. Anschließend wird die vergangene Entwicklung der Gesundheitsausgaben empirisch analysiert. Der Abschnitt schließt mit der Diskussion eines prominenten Lösungsvorschlags, dem Übergang zur Kapitaldeckung als Finanzierangsverfahren für zukünftige Gesundheitsausgaben.
14.4 Gesundheitsausgaben, Alter und medizinischer Fortschritt
525
14.4.1 Das „Sisyphus-Syndrom" Im Abschnitt 14.3 wurde einerseits die Rektangularisierung der Überlebenskurve vorgestellt und dabei auf die Gewinne an Lebenserwartung in den oberen Altersklassen hingewiesen. Andererseits ergab sich im Abschnitt 14.2 ein Überwiegen von Produktinnovationen im Gesundheitswesen, die i.d.R. mit erhöhten Behandlungskosten verbunden sind. Aus dem Zusammenspiel dieser beiden Sachverhalte könnte sich ein Prozess ergeben, der an ein „Sisyphus-Syndrom im Gesundheitswesen" erinnert: Fortschritte in der Medizin verbessern als Produktinnovationen die Überlebenschancen vor allem im fortgeschrittenen Alter. Damit steigt die Bedeutung der Altersbevölkerung bei der Bestimmung der Gesundheitsausgaben. Von den zusätzlichen Mitteln zugunsten des Gesundheitswesens profitieren besonders die Produktinnovationen. Damit werden die Grundlagen für weitere Erfolge der modernen Medizin geschaffen, die jedoch nur zu einer weiter wachsenden Altersbevölkerung und zunehmender Hypertrophie des Gesundheitswesens führen. Das Ergebnis ist ein stetig zunehmender Anteil des Sozialproduktes, der ins Gesundheitswesen fließt, durch die der Handlungsspielraum der Politiker mehr und mehr eingeschränkt wird. 14.4.1.1 Ein einfaches dynamisches Modell Das Sisyphus-Syndrom soll im Folgenden anhand eines Systems zweier dynamischer Beziehungen dargestellt werden. Dabei soll die Zeit in Perioden von etwa 30 Jahren gemessen werden, was einerseits einer Generation und andererseits ungefähr der maximalen Restlebensdauer eines Rentners entspricht. Der mittlere Bestand der Altersbevölkerung Bf in einer so definierten Periode t ist dann gegeben durch den Bestand an Erwerbstätigen in der Vorperiode Bet_x, fortgeschrieben mit der Überlebenswahrscheinlichkeit (1 — 7Cf), wobei die Sterblichkeit nt vom Einsatz medizinischer Leistungen in der Vorperiode Mt-\ abhängig gemacht wird (vgl. auch die Tabelle 14.5 für eine Übersicht): ),
^ < 0 .
(14.15)
Die zweite Gleichung des Systems soll in einfachster Weise das Argument wiedergeben, dass der Umfang der medizinischen Leistungen positiv vom Alterskoeffizienten ß t , d.h. dem Verhältnis der Altersbevölkerung zur erwerbstätigen Bevölkerang in der gleichen Periode, abhängen dürfte. Für einen solchen Zusammenhang spricht zum einen das in Abbildung 14.3 gezeigte Altersprofil der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen. Der Alterskoeffizient spiegelt aber auch den Stimmenanteil der Altersbevölkerung und damit ihre Macht im politischen Prozess wider, wo über die Aufteilung der öffentlichen Mittel entschieden wird. Je größer der Alterskoeffizient, desto mehr Steuergelder fließen dieser Hypothese zufolge in die medizinische Forschung und die Infrastruktur des Gesundheitswesens: M,=M,(%),
mit
-^->0 opt
und
ßr = % : Alterskoeffizient. B,
(14.16)
526
14 Herausforderungen an das Gesundheitswesen Tabelle 14.5. Modell des Sisyphus-Syndroms im Gesundheitswesen
Bf-([l
7t,(M,_i)]ß? ,),
M/ = M r ( ß f ) ,
mit
cLBf —
-ZTJT- > 0
f —oTl^ 1
3iV/f 3ß/
a
5*
Ö7C ' 2
und
i dA//_i
dM( 1
<0. ß, = -—-
(14.15) (14.16) (14.17) (14.18) (14.19)
ßf: Bf:
ß«: Mt:
Altersbevölkerung in der laufenden Periode Erwerbstätige Bevölkerung in der gleichen Periode, vorgegeben Alterskoeffizient, Verhältnis zwischen Altersbevölkerung und erwerbsfähiger Bevölkerung Aufwand an medizinischen Leistungen, Gesundheitsausgaben Mortalitätsrate
Um die dynamischen Eigenschaften dieses interdependenten Modells zu untersuchen, wird es einem exogenen Anstoß ausgesetzt: Aus irgend einem Grund sollen in der Vorperiode die medizinischen Leistungen um den Betrag dM,_i > 0 zugenommen haben. Gemäß der Gleichung (14.15) ist eine Zunahme der Altersbevölkerung in der Periode t die Folge:
Die Zunahme der Altersbevölkerung bewirkt aber gemäß Gleichung (14.16) eine Zunahme der Gesamtaufwendungen für medizinische Leistungen. Da die erwerbstätige Bevölkerung nach wie vor als exogen betrachtet wird, ergibt die Differenzierung der Gleichung (14.16)
Wird schließlich der Ausdruck (14.15) in die Gleichung (14.16) eingesetzt, so folgt nach einer kleinen Umstellung der Faktoren die folgende Bewegungsgleichung für den Aufwand an medizinischen Leistungen:
14.4 Gesundheitsausgaben, Alter und medizinischer Fortschritt
527
Da alle drei Ausdrücke in Klammern ein positives Vorzeichen aufweisen, induziert eine Zunahme der medizinischen Aufwendungen in der Vergangenheit zusätzliche Aufwendungen in der Gegenwart, und erhöhte Aufwendungen in der Gegenwart pflanzen sich in der Zukunft fort, ganz im Sinne des Sisyphus-Syndroms. Jeder Ausdruck lässt sich als einer von drei Faktoren interpretieren, welche die Stärke dieser Übertragung bestimmen. 1. Der Erfolg der Medizin: Je mehr die Sterblichkeit in der Altersbevölkerung %t dank zusätzlicher medizinischer Aufwendungen in der Vorperiode Mt~\ zurückgeht, desto eher kommt es zum Sisyphus-Syndrom. 2. Der Einfluss der Altersbevölkerung auf die Gesundheitsausgaben: Dieser Faktor erscheint in der Gleichung (14.17) an zweiter Stelle. Je mehr die politischen Institutionen eines Landes dafür sorgen, dass sich eine Zunahme des Alterskoeffizienten in einer Zunahme der Gesundheitsausgaben niederschlägt, desto ausgeprägter ist das Sisyphus-Syndrom. 3. Die Veränderung der Erwerbsbevölkerung: Der dritte Faktor der Gleichung (14.17) gibt die Zahl der Erwerbsfähigen in der Vorperiode im Vergleich zur Zahl der Erwerbsfähigen in der laufenden Periode an. Je weniger die Erwerbsbevölkerung wächst (bzw. je stärker sie schrumpft), desto größer ist dieser Faktor, und desto stärker pflanzt sich eine Zunahme der Gesundheitsausgaben in die Zukunft fort. Der zweite Faktor weist auf Möglichkeiten hin, den Mechanismus des SisyphusSyndroms zu entschärfen. Auf diese gesundheitspolitische Fragestellung soll hier jedoch nicht eingegangen werden, da nicht feststeht, dass das Syndrom tatsächlich existiert. Insbesondere die beiden ersten Faktoren beruhen ja auf Hypothesen, die nicht als gesichert gelten können. Zusammenfassend gilt die Folgerung 14.6 In demokratisch organisierten Ländern ist mit einem sog. Sisyphus-Syndrom zu rechnen, indem die gegenwärtigen Erfolge der Medizin in der Zukunft das Gesundheitswesen mit Mehrausgaben belasten. Die Stärke des Syndroms hängt davon ab, wie sehr medizinische Leistungen lebensverlängernd wirken, wie stark die Altersbevölkerung ihren politischen Einfluss geltend machen kann und wie rasch die Erwerbsbevölkerung schrumpft (bzw. wie langsam sie zunimmt). 14.4.1.2 Zur empirischen Relevanz des Sisyphus-Syndroms Die Bewegungsgleichung (14.17) der Tabelle 14.5 enthält drei Faktoren, die alle positiv sein müssen, damit es zu einem Sisyphus-Syndrom im Gesundheitswesen kommt. Der dritte Faktor, die Veränderung der Erwerbsbevölkerung, kann auf Eins gesetzt und damit vernachlässigt werden, weil zumindest in den OECD-Ländern die Zahl der Erwerbsfähigen sehr langsam zunimmt [vgl. OECD (1985, S. 31)]. Zu überprüfen bleiben also die beiden ersten Faktoren, wobei im Lichte der im 4. Kapitel vorgestellten Untersuchungen vor allem zweifelhaft erscheint, ob dnt/dMt^i < 0,
528
14 Herausforderungen an das Gesundheitswesen
d.h. ob medizinische Leistungen die Sterblichkeit erkennbar zu senken vermögen. Diese Frage soll deshalb als erste geklärt werden. Das in der Tabelle 14.5 vorgestellte Modell lässt sich nicht unmittelbar überprüfen, weil die Vorgabe einer festen Periodenlänge t nicht den Tatsachen entspricht. Im Modell wird mit t die maximale Restlebensdauer der Rentner und damit auch die mittlere Restlebensdauer der Altersbevölkerung fixiert. Tatsächlich hat aber die verbleibende mittlere Lebenserwartung der 65-jährigen (ein Indikator für die maximale Restlebensdauer) in den vergangenen Jahrzehnten zugenommen, und sie unterscheidet sich auch von Land zu Land. Deshalb wurde in einer empirischen Untersuchung an den Daten von 19 OECD-Ländern gerade die Restlebenserwartung selbst an Stelle der Mortalität nt als abhängige Variable eingeführt [vgl. OECD (1987)]. Um über den Verlauf der im Abschnitt 14.3.1 diskutierten Überlebenskurve zusätzliche Aufschlüsse zu erhalten, wurde zudem nicht nur die verbleibende Lebenserwartung im Alter von 65 Jahren (L65F,L65M), sondern auch im Alter von 40 Jahren (L40F,LA0M) in die Analyse einbezogen und zusätzlich zwischen Männern und Frauen unterschieden. Damit besteht der Datenvektor aus 76 Beobachtungen, nämlich 4 Beobachtungen für jedes der 19 Länder [vgl. die linke Seite der Gleichung (14.18)]. Als erklärende Variablen werden das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt und die Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben (jeweils mit einer Verzögerang von 10 Jahren) verwendet. Außerdem wurden zwei Dummyvariablen ALTER und GESCHLECHT eingeführt, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass die Restlebenserwartung von 65- und 40-jährigen bzw. Männern und Frauen unterschiedlich ist. Das Ergebnis einer SURE-Schätzung7 lautet [vgl. (1992)]:
ZWEIFEL
UND
FERRARI
= 34,9*** -20,7*** x (1, falls ALTER = 65) +5,0*** x (1, falls GESCHLECHT = weiblich) -0,97* x (S/Pje Kopf in 1.000 US-$, 1970; e = -0,13) 19g0 +13,2** x (GES.AUSGje Kopf in 1.000 US-$, 1970; e = 0,105) +«1 (14.20) *(**,***): signifikant bei 5% (1%, 0.1%); SURE-Schätzung; e: Elastizität, berechnet mit den arithmetischen Mittelwerten. L40F L65F L40M L65M
7 Eine Seemingly Unrelated Regression Estimation (SURE) berücksichtigt die Tatsache, dass der Fehlerterm von (14.18) mit dem Fehlerterm einer anderen Gleichung korreliert ist. Diese Gleichung ist hier (14.19), die eine Rückkoppelung von der Restlebenserwartung auf die Gesundheitsausgaben beschreibt. Diese umgekehrte Kausalität kann im Idealfall z.B. mit einer 2SLS-Schätzung (vgl. Abschnitt 4.2.2.1) berücksichtigt werden. Es existierten aber keine brauchbaren exogenen Variablen, um die endogenen Regressoren von ihren Fehlern zu bereinigen. Wären diese Fehler wichtig, so wären die Fehler ü\ und «2 hoch korreliert und die SURE-Schätzung würde von der KQ-Schätzung abweichen. Dies ist nicht der Fall [vgl. ZWEIFEL UND FERRARI (1992)].
14.4 Gesundheitsausgaben, Alter und medizinischer Fortschritt
529
Dieses Ergebnis lässt sich wie folgt interpretieren. Im Alter von 65 Jahren hat die Bevölkerung der Industrieländer eine Lebenserwartung, die 21 Jahre geringer ist als im Alter von 40 Jahren, ceteris paribus. Dies geht aus dem Koeffizienten (-20,7) der erklärenden Variablen ALTER hervor, die den Wert Eins annimmt, wenn es sich um die Restlebenserwartung der 65-jährigen handelt, und sonst Null beträgt. Dies kommt nahe ans theoretische Maximum von 25 Jahren heran und bedeutet, dass die Überlebenskurve bis 65 Jahre beinahe horizontal verläuft (vgl. die Abbildungen 14.1 und 14.2). Frauen haben im Durchschnitt eine rund 5 Jahre höhere Lebenserwartung als Männer, ceteris paribus. Schließlich scheint ein um 10% höheres (von der OECD auf Kaufkraftparitäten umgerechnetes) Einkommen des Jahres 1970 zehn Jahre später mit einer um 1,3% verringerten restlichen Lebenserwartung (das sind gut 2 Monate für einen 65-jährigen) verbunden zu sein. Von entscheidender Bedeutung ist jedoch der Einfluss der Gesundheitsausgaben. Offenbar schlagen sich um 10% höhere Pro-Kopf-Ausgaben für die Gesundheit, getätigt im Jahr 1970, zehn Jahre später in einer um gut 1% verlängerten Restlebenserwartung (anderthalb Monate für einen 65-jährigen) nieder. Damit ist die eine Bedingung (dnt/dMt-\ < 0)für die Existenz. des Sisyphus-Syndroms erfiillt. Die zweite empirisch relevante Bedingung besteht gemäß Gleichung (14.15) der Tabelle 14.5 darin, dass ein erhöhter Anteil der Altersbevölkerung zu mehr Gesundheitsaufwendungen führt, sei es, dass die Betagten selbst mehr für medizinische Leistungen aufwenden, was sich in einem erhöhten Pro-Kopf-Wert der privaten Gesundheitsausgaben GES.AUSGP niederschlagen müsste, sei es, dass sie durch ihre Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen die Verwendung der öffentlichen Mittel zugunsten des Gesundheitswesens beeinflussen, was einen Anstieg von GES.AUSGÖ bewirken müsste. Die beiden Komponenten der Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben bilden zusammen einen Vektor von 38 Beobachtungen, je 2 für die 19 OECD-Länder [vgl. die linke Seite der Gleichung (14.19)]. Dies ist die abhängige Variable der Regressionsgleichung. Um die Möglichkeit einer unterschiedlichen Einkommensabhängigkeit öffentlicher und privater Gesundheitsausgaben zuzulassen, wird aus dem Bruttoinlandsprodukt je Kopf eine zweite erklärende Variable gebildet, die den Wert des BIP pro Kopf annimmt, wenn es sich um öffentliche Gesundheitsausgaben handelt [ÖFF = 1 ] , dagegen den Wert Null aufweist, wenn es sich um private Gesundheitsausgaben handelt [ÖFF = 0]. Das Ergebnis der Regression lautet: -0,078 x (ß/Ppro Kopf, 1984; e = 2,08) +0,073 x (BIP x [ÖFF = 1]; e = 2,14) -0,19 x (L65F, Lebenserwartung 65-jähriger Frauen) 1984 _0,45 x (L65M, Lebenserwartung 65-jähriger Männer) +«2 (14.21) SURE-Schätzung; e: Elastizität, berechnet mit den arithmetischen Mittelwerten. GES.AU SGÖ
530
14 Herausforderungen an das Gesundheitswesen
In Übereinstimmung mit der Gleichung (14.16) müsste ß,, das Verhältnis zwischen Alters- und Erwerbsbevölkerung, als erklärende Variable erscheinen. Da jedoch jede Erhöhung der Restlebenserwartung bei (praktisch) konstanter Erwerbsbevölkerung eine Zunahme des Alterskoeffizienten bedingt, dienen gerade die Restlebenserwartungen L65F und L65M selbst als erklärende Variable. So kann man unmittelbar an die Gleichung (14.20) anknüpfen und den Gedanken der Rückkopplung unterstreichen. Ein Zusammenhang zwischen der verbleibenden Lebenserwartung der 65-jährigen und der Höhe der Gesundheitsausgaben lässt sich jedoch überraschenderweise nicht nachweisen. Dieser Befund, der bereits in einer KQ-Schätzung erhalten wurde, bleibt derselbe, wenn versucht wird, den Einfluss der Altersbevölkerang mit Hilfe anderer Indikatoren abzubilden. Damit spricht die empirische Evidenz dafür, den zweiten Faktor der Bewegungsgleichung (14.19) Null zu setzen, mit dem Ergebnis, dass sich ein Impuls dMr_ \ nicht aufdM, überträgt. Diese Beobachtungen führen zur Folgerung 14.7 Eine empirische Analyse anhand von OECD-Daten legt den Schluss nahe, dass zwar zusätzliche Gesundheitsaufwendungen in den mittleren und oberen Altersklassen die verbleibende Lebenserwartung erhöhen, diese Veränderung aber ihrerseits die politische Entscheidungsfindung noch nicht erkennbar zugunsten (öffentlicher) Gesundheitsausgaben verändert hat. Von einem Sisyphus-Syndrom kann deshalb zurzeit nicht gesprochen werden. 14.4.2 Prognose der Gesundheitsausgaben und Beitragssätze In der Krankenversicherung muss mit einer besonders großen Steigerung der finanziellen Belastung gerechnet werden, da neben der demographischen Alterung zusätzlich der medizinische Fortschritt, der mit ausgabensteigernden Produktinnovationen verbunden ist, eine Erhöhung der Kosten bewirkt. Der zukünftige Verlauf dieser beiden wichtigsten Einflussfaktoren erlaubt eine Voraussage der Gesundheitsausgaben und des durchschnittlichen Beitragssatzes stets unter der Prämisse, dass die bestehenden Institutionen erhalten bleiben. BREYER UND ULRICH (2000) untersuchten zu diesem Zweck die Ausgabenentwicklung der Jahre 1970-1995 in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) der Bundesrepublik Deutschland. Sie wählten die realen gesamten Behandlungsausgaben je Mitglied der GKV (RGAUSPMt) als zu erklärende Variable und brachten sie mit dem Anteil der über 65-jährigen an den Mitgliedern (ANT65), dem realen beitragspflichtigen Einkommen je Mitglied (REINPMt) und dem Kalenderjahr (t) als Proxy für den medizinischen Fortschritt in Verbindung. Nach ökonometrischen Tests entschieden sich die Autoren für eine doppelt-logarithmische Form, mit Ausnahme vorU:
inRGAUSPM, = ßo + ßilnfl£/NPM r + ß 2 lnANr65 + ß3f + ut.
(14.22)
Damit wird für den medizinischen Fortschritt ein exponentieller Trend unterstellt. Nimmt man dagegen an, der wahre Trend sei linear, so müsste in Gleichung (14.22) t durch lnf ersetzt werden.
14.4 Gesundheitsausgaben, Alter und medizinischer Fortschritt
531
Tabelle 14.6. OLS-Schätzung der Determinanten der Gesundheitsausgaben (alte Bundesländer 1970-95) Abhängige Variable
Reale GKV-Behandlungsausgaben je Mitglied
Erklärende Var. Konstante
Modell 2 -1,408 (-0,525) 0,606 (1,978)* 1,064 (3,595)**
Ivlodell 1 0,416 (3,763)** Einkommen pro Kopf 0,391 (2,905)** Anteil über 65-jährige: 1,268 (2,394)** Exponent. Trend 0,010 (4,978)** Linearer Trend
Modell 3 0,355 (3,384)** 0,456 (3,503)** 1,030 (2,014)* 0,014 (5,086)**
Modell 4 -3,101 (-1,301) 0,209 (0,490) 0,697 (2,102)** 0,016 (2,763)**
Modell 5 0,407 (3,629)** 0,404 (2,899) 1,241 (2,256)** 0,008 (3,039)
0,114 (3,296)**
Staatliche Eingriffe
-0,068 (-2,243)** 1,496 (2,949)**
Preisstruktureffekt Sterberate 0,9966 R2 (adj.) 26 N *(**): signifikant bei:5% (1%).
0,9824 26
0,9973 26
0,9847 26
-0,280 (-0,660) 0,9966 26
Quelle: BREYER UND ULRICH (2000).
Die Autoren schätzten zusätzlich zu diesem Grundmodell vier alternative Spezifikationen. Die Ergebnisse zu allen fünf Spezifikationen werden in Tabelle 14.6 präsentiert. In der Schätzung des Grundmodells sind alle erklärenden Variablen signifikant auf dem 1%-Niveau, und der Anteil der erklärten Varianz ist sehr hoch. Die Einkommenselastizität in der Höhe von 0,4 impliziert, dass Gesundheitsleistungen gleich bleibender Qualität (d.h. ohne Berücksichtigung des medizinischtechnologischen Wandels) keine Luxusgüter sind, d.h. der Anstieg der Gesundheitsausgaben mit wachsendem Einkommen verläuft unterproportional. Im Zentrum des Interesses stehen aber der Effekt der Altersstruktur und der Zeittrend: Steigt der Anteil 65-jähriger um einen Prozentpunkt, so erhöht dies am Stichprobenmittelwert die Pro-Kopf-Ausgaben um rund 8 Prozent.8 Die Höhe des gefundenen Effekts überrascht zunächst, da er suggeriert, dass ein über 65-jähriger im Durchschnitt achtmal so hohe Ausgaben verursacht wie ein Jüngerer. Diese Schätzung beruht jedoch auf Zeitreihen, die den Alterungsprozess abbilden, und dieser Prozess lässt sich schlecht von der relativen Verteuerang der Gesundheitsleistungen unterscheiden. Im Modell 4, wo ein solcher Preisstruktureffekt berücksichtigt wird, reduziert sich der 8
Gegeben ist d\nRGAUSPM/dlnANT65 = 1,268, gesucht ist d\nRGAUSPM/dANT65. Es gilt jedoch dlnANT65ßANT65 = 1/ANT65. Einsetzen ergibt dlnRGAUSPMßANT65 = 1,268/15,3 = 0,083 (am Stichprobenmittelwert).
532
14 Herausforderungen an das Gesundheitswesen
Tabelle 14.7. Prognostizierte Entwicklung der erklärenden Variablen (alte Bundesländer 2000-2040) 2030 2020 2010 2000 5973,9 3635,3 2162,0 1266,6 Beitragspflichtiges Einkommen (nominal, Mrd. DM)a) 339,6 241,2 Preisindex des privaten Ver175,5 128,8 brauchs (1991 = 100)a) 25,4 20,9 19,3 16,4 Anteil der über 65-jährigenb' 61 51 41 Medizinischer Fortschrittc:> 31 39,9 41,7 42,9 43,1 GKV-Mitglieder (Mio.)d) a) Oberes Szenario der PROGNOS AG (1998, S. 83ff.). b) Mittlere Variante der 8. koordinierten Bevölkerungsvorausschätzung des Statistischen Bundesamtes. c) Kalenderjahr: 1970=1. d) Unter der Prämisse, dass die Relationen Bevölkerung/GKV-Versicherte und GKV-Mitglieder/GKV-Versicherte zeitlich stabil sind.
2040 9063,9 458,3 27,9 71 37,3
Quelle: BREYER UND ULRICH (2000)
Altersstruktur-Koeffizient auf gut die Hälfte, und das Kostendifferential der über 65jährigen auf das 4,5-Fache. Der reine Zeiteffekt bewirkt nach der Schätzung Nr. 1 einen Anstieg der Pro-Kopf-Ausgaben um 1% pro Jahr. Im Gegensatz zu Modell 1 verwendet das zweite Modell anstelle eines exponentiellen Trends einen linearen Trend (mit Int statt t) als Proxy für den medizinischen Fortschritt. Die Ergebnisse ändern sich gegenilber Modell 1 kaum. Die (linearisierten) Fortschrittseffekte fiihren zu einem jährlichen Anstieg der Pro-Kopf-Ausgaben von 0,8%. In Modell 3 wurde die Einführung des Gesundheitsreformgesetzes im Jahr 1989 als exogener Staatseingriff modelliert. Dazu wurde eine Dummy-Variable eingeführt, die vom Jahr 1989 an den Wert Eins annimmt. Der geschätzte Koeffizient zeigt, dass seither die Gesundheitsausgaben ceteris paribus auf einem um knapp 7% niedrigeren Niveau verlaufen; dafür fällt der trendmäßige Anstieg mit 1,4% pro Jahr entsprechend stärker aus. In Modell 4 wurde zusätzlich der oben angesprochene Preisstraktureffekt berücksichtigt. Ein Anstieg des Preisindex für GKVBehandlungsleistungen relativ zum Preisindex für die Lebenshaltung zeigt an, dass die Preise im Gesundheitswesen schneller steigen als das allgemeine Preisniveau. Der geschätzte Koeffizient besagt, dass davon ein signifikant positiver Einfluss auf die Pro-Kopf-Ausgaben ausgeht. Dieser Preisstruktureffekt muss nicht notwendig auf einer ineffizienten Gesundheitsproduktion beruhen. Er kann sich auch ergeben, wenn die Besonderheiten der Gesundheitsproduktion einer produktivitätssteigernden Substitution von Arbeit durch Kapital Grenzen setzen. Schließlich wurde in Modell 5 als zusätzlicher Regressor die (rohe) Sterberate (Anzahl Verstorbene/Bevölkerungszahl) hinzugefügt. Ihr geschätzter Koeffizient ist jedoch nicht signifikant, und die übrigen Regressionskoeffizienten ändern sich kaum. Dies hängt wohl damit zusammen, dass der Einfluss der Sterberate größtenteils durch die Alterstrukturvariable aufgefangen wird (Korrelation von 0,752).
14.4 Gesundheitsausgaben, Alter und medizinischer Fortschritt
533
Abb. 14.4. Prognostizierte Entwicklung des Beitragssatzes 24 •
22 20 18 1614 • 12 •
10 2000
2010
2030
2020
alle exogenen Größen variabel
—
2040
- konstante Medizintechnik
Quelle: BREYER UND ULRICH (2000)
Von großer politischer Relevanz ist die Frage, wie sich der Beitragssatz für die GKV in den nächsten Jahrzehnten entwickeln wird. Unter der Annahme, dass das verwendete Regressionsmodell die Zusammenhänge richtig beschreibt, können die geschätzten Koeffizienten die Basis für eine Prognose der Entwicklung der GKVBehandlungsausgaben und damit des GKV-Beitragssatzes bilden. Die Autoren verwendeten für die Projektion der Entwicklung des Beitragssatzes Modell 1. Für die erklärenden Variablen nahmen sie die in Tabelle 14.7 aufgeführten Prognosewerte an. Mit Hilfe der Prognosewerte (Xp) und der geschätzten Koeffizienten aus der Regressionsanalyse (ß) lässt sich die Entwicklung der GKV-Behandlungsausgaben für die Jahre 2000 bis 2040 anhand der folgenden Gleichung projizieren:
RGAUSPMP=XP$.
(14.23)
Aus der Division der GKV-Ausgaben durch die beitragspflichtigen Einkommen ergibt sich der zukünftige GKV-Beitragssatz. Wie aus Abbildung 14.4 ersichtlich ist, verläuft die Entwicklung des Beitragssatzes bis zum Jahr 2020 relativ moderat, um dann zwischen 2020 und 2030, bedingt durch den starken Anstieg des Anteils der über 65-jährigen, rasant anzusteigen. Für das Jahr 2040 wird ein Beitragssatz von 23,1% prognostiziert, was im Vergleich mit dem Jahr 2000 einen Anstieg des Beitragssatzes um mehr als zwei Drittel bedeuten würde. Zwischen dem mit heutigen Abgabesätzen finanzierbaren und dem prognostizierten Niveau der Gesundheitsleistungen besteht somit eine große Kluft. Die Schätzung macht auch deutlich, dass von den beiden Hauptursachen steigender Beitragssätze - demographische Alterung und medizinischer Fortschritt - die
534
14 Herausforderungen an das Gesundheitswesen
zweite den größeren Effekt zu haben scheint. Wird nämlich die medizinische Technik konstant gehalten, so reduziert sich der vorausgeschätzte Beitragssatz für das Jahr 2040 auf 15,3 % (vgl. Abbildung 14.4). Wir ziehen hieraus die Folgerung 14.8 In der Krankenversicherung muss mit einer besonders großen Steigerung der finanziellen Belastung gerechnet werden, da neben der demographischen Alterung zusätzlich der medizinische Fortschritt eine Erhöhung der Kosten bewirkt. Für das Jahr 2040 wird im Vergleich mit dem Jahr 2000 ein um mehr als zwei Drittel höherer Beitragssatz flir die Gesetzliche Krankemersicherung in Deutschlandprognostiziert. Dabei hat der medizinische Fortschritt einen größeren Ejfekt aufden Kostenanstieg als die demographische Alterung.
14.4.3 Kapitaldeckung in der Krankenversicherung 14.4.3.1 Kapitaldeckung und Nachhaltigkeit Die in Abschnitt 14.4.2 beschriebenen Prognosen der Ausgabenentwicklung im Gesundheitswesen bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts werfen die Frage auf, ob es nicht in diesem Bereich - ähnlich wie in der Altersvorsorge - angebracht ist, in stärkerem Maße auf Kapitaldeckung als Finanzierungsprinzip zu setzen.9 Dadurch könnten Beitragszahler, die sich heute im jungen oder mittleren Lebensalter befinden, ihre Abhängigkeit von der zahlenmäßig schwächeren kommenden Generation mildern und sich eine bessere Gesundheitsversorgung leisten als im reinen Umlageverfahren. Da in Deutschland innerhalb der Privaten Krankenversicherung (PKV) Kapitaldeckung betrieben wird, wird weiter argumentiert, die in Kapitel 5 angesprochene Einbeziehung der gesamten Bevölkerung in die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV), die momentan noch rein umlagefinanziert ist, werde das Ausmaß der Kapitaldeckung im Gesundheitswesen reduzieren und damit die Nachhaltigkeit gefährden. Auf der anderen Seite muss man sich jedoch die Frage stellen, ob die Kapitalbildung innerhalb des Finanzierungssystems für das Gesundheitswesen wirklich der Nachhaltigkeit dient bzw. ob es gleichwertige Alternativen zu ihr gibt. Da ferner sowohl junge als auch alte Versicherte Gesundheitsleistungen in Anspruch nehmen und diese - anders als in der Rentenversicherung - nicht zur Finanzierung des Lebensunterhalts dienen, ist die Abgrenzung zwischen Umlagefinanzierung und Kapitaldeckung hier nicht gleichbedeutend mit der Frage, ob intergenerative Transfers vorliegen:
9
Siehe z.B. CASSEL (2003), FELDER (2003) und HENKE ET AL. (2002).
14.4 Gesundheitsausgaben, Alter und medizinischer Fortschritt
535
•
Umlagefinanzierung bedeutet, dass in jedem Zeitraum (z.B. von einem Jahr) die Leistungsausgaben durch die Beitragseinnahmen finanziert werden und der Versicherungsträger über keine nennenswerten Kapitalreserven verfügt.
•
Intergenerative Transfers fließen, wenn in jedem Zeitraum die Leistungsausgaben der älteren Versicherten aus den Beitragseinnahmen der jüngeren Versicherten subventioniert werden. So wurden in der Krankenversicherung der Rentner in Deutschland im Jahr 2002 insgesamt 63 Mrd. € ausgegeben, von denen nur 28 Mrd. € (=45%) durch Beiträge der Rentner, der Rest durch Beiträge der Aktiven finanziert wurden.
Die Unterscheidung macht deutlich, dass man sich in der Krankenversicherung durchaus eine Umlagefinanzierung ohne intergenerative Transfers vorstellen könnte: Dabei würde für jede Alterskohorte in jedem Zeitraum ein eigener kostendeckender Beitrag (als Absolutbetrag oder Prozentsatz einer Bemessungsgrundlage, etwa des Einkommens) kalkuliert. Dieser würde mit dem Alter der Versicherten steigen, wäre aber nicht zwischen den Mitgliedern der Kohorte (z.B. nach dem individuellen Risiko) differenziert. Im Folgenden diskutieren wir zunächst die Rolle der Kapitaldeckung in der Privaten Krankenversicherung in Deutschland. Anschließend nehmen wir den Vorschlag, Kapitaldeckung auch in der GKV einzuführen, unter die Lupe. Unsere Ausführungen hierzu lassen sich analog auch auf das schweizerische Krankenversicherungssystem anwenden, das wie die GKV vollständig umlagefinanziert ist. 14.4.3.2 Kapitaldeckung in der Privaten Krankenversicherung in Deutschland Die Private Krankenversicherung in Deutschland beruht auf dem Grandgedanken einer (vom Versicherer) nicht kündbaren Versicherung mit lebenslang konstanter Prämie. Bei Vertragsbeginn wird der Versicherte vom Versicherungsunternehmen untersucht und in eine Risikoklasse eingestuft. Seine Prämie wird so berechnet, dass sie ausreicht, um zum bei Vertragsabschluss geltenden Stand der Medizintechnik seine gesamten erwarteten Gesundheitsausgaben bis ans Lebensende zu finanzieren, ohne dass sie zwischenzeitlich erhöht werden muss. Dies wird dadurch erreicht, dass sie höher festgelegt wird, als es den erwarteten Ausgaben in den ersten Jahrzehnten nach Vertragsabschluss entspricht, aber niedriger als in den letzten Jahrzehnten des Lebens erforderlich. Für die erhöhten Ausgaben im Alter werden für jede Versichertenkohorte sog. „Alterungsrückstellungen" (ARS) gebildet. Dies sind Passivposten der Bilanz des Unternehmens, die die Differenz zwischen dem Barwert der erwarteten zukünftigen Ausgaben und dem Barwert aller zukünftigen Prämieneinnahmen bei konstanter Prämie widerspiegeln. Diese ARS sind bei Vertragsabschluss gleich Null und steigen mit der Laufzeit zunächst an, weil der Barwert der zukünftigen Ausgaben zunächst langsamer zurückgeht als der Barwert der zukünftigen Prämieneinnahmen. Bei kaufmännisch korrektem Wirtschaften stehen diesen ARS Ersparnisse, also Aktiva des Unternehmens in gleicher Höhe gegenüber.
536
14 Herausforderungen an das Gesundheitswesen
Falls sich die Verhältnisse niemals ändern, reichen diese Ersparnisse aus, um die in der zweiten Lebenshälfte des Versicherten über den laufenden Prämieneinnahmen liegenden Ausgaben abzudecken, und die Prämie kann konstant gehalten werden. Empirische Evidenz zeigt jedoch, dass die PKV unter ihrer heutigen Regulierung nicht in der Lage ist, dieses Prinzip zu verwirklichen: 1. Zum einen dürfen in den Alterungsrückstellungen nur diejenigen Ausgabensteigerangen einkalkuliert werden, die den Anstieg der Gesundheitsausgaben mit dem Lebensalter bei konstanter Medizintechnik widerspiegeln. Der in der Realität deutlich stärkere Ausgabenzuwachs auf Grand des medizinischen Fortschritts führt dagegen trotz Kapitalbildung zu laufenden Prämienerhöhungen. 2. Zum anderen bestimmt § 12 a, Abs. 3 Versicherungsaufsichtsgesetz, dass die PKV-Unternehmen die Tarife der über 65jährigen Versicherten in erheblichem Umfang aus den Überzinsen auf das Sparkapital aus den Prämienzahlungen der Jüngeren subventionieren müssen. Damit organisiert auch die PKV einen intergenerativen Transfer und ist damit - wenn auch in geringerem Maße als die GKV - durch den demographischen Wandel (d.h. die geringere Größe der nachrückenden Alterskohorten) negativ betroffen. 3. Schließlich behindert das System der ARS, so wie es in Deutschland gehandhabt wird, trotz jederzeitigem Kündigungsrecht des Versicherten den Wettbewerb um Bestandskunden, denn beim Wechsel eines Versicherangsnehmers von Versicherer A zu Versicherer B verbleiben die ARS beim Versicherer A. Dies bedeutet, dass Versicherer B, wenn er die lebenslang konstante Prämie neu berechnet, eine höhere Prämie berechnen muss als Versicherer A, der bei seiner Kalkulation die bereits vorhandenen ARS berücksichtigt. Daher lohnt sich ein Wechsel des Versicherers schon nach wenigen Jahren Vertragslaufzeit nicht mehr, auch wenn es sich herausstellen sollte, dass andere Anbieter - bei gleichem Eintrittsalter günstigere Prämien verlangen. Es sind verschiedentlich Modelle der „Übertragung" von ARS bei einem Versichererwechsel, d.h. der Ausgleichszahlung von Versicherer A an B bzw. an den Versicherten, vorgeschlagen worden (vgl. etwa BAUMANN ET AL. (2004)). Die Frage nach der „richtigen" Höhe dieser Ausgleichszahlungen ist jedoch in der Praxis nicht ganz einfach zu beantworten. Insbesondere wäre die nahe liegende Vermutung, die Ausgleichszahlung müsse der gesamten für den Versicherten gebildeten ARS entsprechen, nicht richtig. Denn analytisch lässt sich die ARS in zwei Komponenten zerlegen (vgl. MEYER (1992)): 1. eine Rückstellung für den „reinen" Alterungseffekt, die den Anstieg der erwarteten Ausgaben mit dem Alter innerhalb jeder Risikogruppe widerspiegelt. 2. eine weitere Rückstellung, die das Prämienrisiko abdeckt, welches darin besteht, dass der betrachtete Versicherte im Laufe des Lebens mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit seine Risikoklasse wechselt und dann bei einem Versiche-
14.4 Gesundheitsausgaben, Alter und medizinischer Fortschritt
537
rungswechsel höhere Prämien zahlen müsste, da er im Erwartungswert höhere Ausgaben verursacht (vgl. KlFMANN (2002b)).10 Die Funktion der unter 2. genannten Rückstellung kann man sich am besten an einem Zwei-Perioden-Modell verdeutlichen, in dem alle Personen zu Beginn der Periode 1 einen Versicherungsvertrag abschließen, in der sie noch keine unterscheidbaren Merkmale für das Erkrankungsrisiko aufweisen. Dieses Risiko sei in Periode 1 gleich null und in Periode 2 im Durchschnitt gleich jt, und die (effizienten) Behandlungskosten im Krankheitsfall seien auf 1 normiert. Nimmt man zudem der Einfachheit halber an, dass sowohl die Verwaltungskosten der Versicherung als auch der Zinssatz null betragen, so lässt sich die gesamte Kohorte kostendeckend zu einer einheitlichen Prämie von TT/2 pro Kopf und Periode versichern, und bei vollständigem Wettbewerb auf dem Versicherungsmarkt würde sich die Prämie aller Versicherer im Gleichgewicht auf diesen Wert einpendeln. Die Versicherer würden dann bei ordnungsgemäßer Buchführung in Periode 1 „Alterungsrückstellungen" in Höhe von 7t/2 je Versicherten bilden. Es sei femer angenommen, dass jeder Versicherte zu Beginn der Periode 2 eine objektiv nachprüfbare Information erhält, die es ihm ermöglicht, sein Erkrankungsrisiko genauer zu bestimmen, und zwar betrage die Wahrscheinlichkeit für die Hälfte der Versicherten („niedrige Risiken") 7t/ und für die andere Hälfte („hohe Risiken") %h mit %h > Ki und n = (7t/, + 7t/)/2. Dies bedeutet, dass die Untemehmen zusätzlich zu den bestehenden Verträgen, die sie einhalten müssen, in der zweiten Periode Ein-Perioden-Verträge anbieten können, die nach Risikoklasse differenziert sein werden. Ein Versicherungsnachfrager, der - z.B. durch eine Einstufungsuntersuchung nachweist, ein niedriges Risiko zu sein, wird im Marktgleichgewicht zur Prämie 7t/ versichert, alle anderen zur Prämie 7t/,. Müssten nun beim Wechsel eines Versicherten von Versicherer A zu Versicherer B die gesamten ARS in Höhe von 7t/2 an den Versicherten ausgezahlt werden, so würde es sich für alle niedrigen Risiken lohnen, einen solchen Wechsel vorzunehmen, da auf Grund unserer oben getroffenen Annahmen 7t/ — jt/2 < 7t/2 gilt. Alle hohen Risiken würden dagegen wegen 7t/, — n/2 > 7t/2 bei ihrem Versicherer bleiben. Die Folge wäre, dass die Versicherungsunternehmen in Periode 2 jedes niedrige Risiko in ihrem Portfolio mit einem Gewinn von null versichern, für jedes hohe Risiko jedoch entweder einen Verlust in Höhe von 7t/, - 7t erleiden oder - wenn der ZweiPerioden-Vertrag diese Möglichkeit vorsieht - ihre Prämie für die zweite Periode auf den neuen kostendeckenden Wert 71/, — Jt/2 anheben. Beides hätte die Konsequenz, dass die Versicherung gegen das Prämienrisiko zusammenbricht, da im ersten Fall rationale Versicherangen in der ersten Periode keinen Vertrag zur konstanten Prämie 7t/2 anbieten würden. Im zweiten Fall würde jeder Versicherungsnehmer in der Summe über beide Perioden genau die Prämie zahlen, die seinem erst in der 2. Periode offenbarten Erkrankungsrisiko %j (j = l,h) entspricht. 10
Das Prämienrisiko könnte auch durch eine separate Versicherung abgedeckt werden. Siehe hierzu das Konzept der zeitkonsistenten Krankenversicherung (time-consistent health insurance) von COCHRANE (1995).
538
14 Herausforderungen an das Gesundheitswesen
Sieht man die Abdeckung des Prämienrisikos dagegen als elementare Versicherungsleistung an, so dürfte der Teil der Prämie aus Periode 1, der hierfür gezahlt worden ist, nicht als „Alterungs"-Rückstellung behandelt und beim Versichererwechsel ausgezahlt werden. Der vom Risikotyp abhängige übertragbare Teil Zj muss dagegen so bemessen sein, dass Versicherer A gerade für den Weggang kompensiert wird, also dem Saldo aus erwarteten typenabhängigen Kosten und Prämieneinnahmen entsprechen. Es gilt daher Zh=nh-
7t/2
und Z/ = TC; - n/2
(14.24)
bzw. mit 71 = (7t/, + 7t/)/2: 37t/, — 7t/ Zh =
und Z; =
37t; -7t/, .
(14.25)
Subtrahiert man diese Ausgleichszahlungen von den an Versicherer B zu zahlenden Prämie der 2. Periode, 7t/ bzw. 7t/,, so ist der Saldo für beide Risikotypen gleich hoch und entspricht 7t/2. Dies bedeutet, dass die Versicherung gegen das Prämienrisiko vollständig ist. Da es in der Realität mehr als zwei Risikotypen gibt und obendrein die Entwicklung der Ausgaben in der Zukunft unsicher ist, ist es schwierig, diese Aufteilung der ARS im konkreten Fall vorzunehmen. So lange dieses Problem aber nicht gelöst ist, kann der Wettbewerb innerhalb der PKV unter der heute geltenden Regulierung nicht optimal funktionieren. Unter diesen Umständen spricht jedoch ein gewichtiges Argument dafür, die ARS in der PKV nicht übertragbar zu machen: Sind sie hoch genug, dann ist die Prämie in der zweiten Periode so niedrig, dass niedrige Risiken nicht den Anreiz haben in der zweiten Periode zu wechseln. In unserem Beispiel liegt dieser Fall vor, wenn 7t; > 7t/2. Dann könnten Versicherungen in der ersten Periode garantieren, dass alle Versicherten zur Gesamtprämie von 7t versichert werden. Das Prämienrisiko ist versichert, allerdings mit der Einschränkung, dass ein kostenloser Versicherungswechsel nicht möglich ist.11 Unsere Überlegungen fassen wir zusammen in Folgerung 14.9 In der privaten Krankenversicherung in Deutschland ist es zweifelhaft, ob die Altersrückstellungen ausreichen, um die Prämien konstant zu halten. Die Nichtübertragbarkeit der Altersrückstellungen beschränkt den Wettbewerb auf Neukunden. Allerdings erlaubt sie auch eine Absicherung des Prämienrisikos. Würden die Altersrückstellungen nach Risikotypen differenziert, ließe sich der Wettbewerb auf bereits Versicherte ausweiten und gleichzeitig das Prämienrisiko versichern. 1
' Diese Eigenschaft entspricht dem Konzept der „garantierten Vertragsverlängerung" (guaranteed renewability) von PAULY ET AL. (1995). Es besagt, dass ein lebenslanger Versicherungsschutz trotz Prämienrisiko möglich ist, wenn die Prämie immer so niedrig ist, dass die niedrigsten Risiken keinen Anreiz zum Versicherungswechsel besitzen.
14.4 Gesundheitsausgaben, Alter und medizinischer Fortschritt
539
14.4.3.3 Kapitaldeckung in der Gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland? In der Gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland stellt sich die Notwendigkeit einer Kapitaldeckung ganz anders da als in der PKV, da das Prämienrisiko durch ein Diskriminierungsverbot ausgeschlossen ist. Kapitaldeckung würde hier allein dazu dienen, die zahlenmäßig schwächeren zukünftigen Generationen zu entlasten. Dieses Ziel kann aber durchaus auch im Umlageverfahren erreicht werden - vorausgesetzt, es wird auf intergenerative Transfers verzichtet. Dies bedeutet, dass jede Versichertenkohorte in jeder Periode ihre Leistungsausgaben durch Beiträge decken muss. Da die Leistungsausgaben pro Kopf mit dem Lebensalter zunehmen, müssten also auch die Beiträge (oder Prämien) mit dem Lebensalter steigen, so dass der einzelne Versicherte in jüngeren Jahren private Ersparnisse bilden muss, um sich im Alter die steigenden Versicherungsbeiträge leisten zu können, ohne seinen sonstigen Konsum drastisch absenken zu müssen. Kapitalbildung erfolgt in diesem Fall nicht innerhalb der Versicherungsuntemehmen, sondern beim älter werdenden Bürger selbst. Ein weiterer polit-ökonomischer Grund spricht gegen die Ansammlung von Kapital bei öffentlich-rechtlichen Trägern einer gesetzlichen Krankenversicherung. Da hohe Beitragssätze - vor allem dann, wenn sie als Abgaben auf das Arbeitseinkommen erhoben werden - bei den Wählern als unerwünscht gelten, nutzen Politiker vor allem in Zeiten geringen Wirtschaftswachstums jede Gelegenheit, die laufenden Beitragssätze zu senken. Ein einmal gebildetes Finanzpolster bei den Krankenkassen wäre also ständig in Gefahr, in einer wirtschaftlichen Rrisensituation für die Senkung des aktuellen Beitrags geopfert zu werden.12 Ein analoges Verhalten beim einzelnen Bürger hätte - mit Ausnahme derjenigen, deren Alterseinkünfte auf Sozialhilfeniveau liegen - zur Konsequenz, dass der zukünftigen Konsum sinken müsste, und dürfte daher von den meisten gemieden werden. Die Einsicht, dass das Umlageverfahren in der Krankenversicherung nicht mit intergenerativen Transfers gleichzusetzen ist, hat auch Folgerungen fiir Einbeziehung der gesamten Bevölkerung in die Gesetzliche Krankenversicherung, insbesondere im Rahmen einer „Bürgerversicherung" (siehe hierzu Abschnitt 5.5). Zwar trifft es zu, dass die Kapitaldeckung gesenkt wird, wenn mehr Bürger künftig von der GKV anstatt der PKV versichert werden. Werden jedoch gleichzeitig altersabhängige Beitragssätze eingeführt, lässt sich eine Zunahme der intergenerativen Umverteilung vermeiden. Wie FELDER UND KIFMANN (2003) zeigen, müssten hierbei die Beitragssätze zu Gunsten der jüngeren gesenkt werden.
12
Ein anschauliches Beispiel dafür lieferte die im Jahr 2003 vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung erlassene Erlaubnis an die Krankenkassen, ihre Defizite nicht durch Beitragserhöhungen, sondern mit Krediten zu decken.
540
14 Herausforderungen an das Gesundheitswesen Wir ziehen aus unseren Überlegungen die
Folgerung 14.10 In der gesetzlichen Krankenversicherung ist eine Einfilhrung von Kapitaldeckung nicht nötig, um zukünftige Generationen zu entlasten. Dieses Ziel kann ebenso durch altersabhängige Beitragssätze erreicht werden. Die Kapitaldeckung erfolgt dann beim Bürger selbst. Diese Lösung hat den Vorteil, dass der Kapitalbestand stärker vor politischen Eingrijfen geschützt ist.
14.5 Internationale Herausforderungen 14.5.1 Die Integration der Versicherungsmärkte Von der Integration der Versicherungsmärkte in der Europäischen Union (EU) werden in Zukunft wichtige Herausforderungen für die Krankenversicherer ausgehen. Der Europäische Gerichtshof entschied im Jahre 1987, dass die Versicherungen wie andere Branchen auch dem Kartellverbot der Römer Verträge, Art. 85 unterstehen und dass die Kompetenz zu ihrer Regulierung grundsätzlich bei den Organen der EU liege. Gleichzeitig gestand er im Bereich der Sozialversicherung den Mitgliedstaaten eine längere Übergangsfrist zu. Auch wenn also auf absehbare Zeit die Krankenkassen vom Vollzug dieses Grundsatzentscheids ausgenommen sind, werden manche von ihnen ihre Rolle neu definieren müssen. Für einen gewinnstrebigen, multinational tätigen Versicherer wäre nämlich die Zusammenarbeit mit einer Rrankenkasse von großem Vorteil: •
Die Krankenversicherung ist durch häufige, vergleichsweise kleine Schäden gekennzeichnet, vermittelt also häufige Kontakte zum Kunden zu vergleichsweise niedrigen Kosten.
•
Die soziale Krankenversicherung umfasst in den OECD-Ländern mindestens 70% der Bevölkerung (Niederlande), in manchen bis 100% (Frankreich, Schweiz).
•
Die Krankenversicherung verschafft dem Versicherungsuntemehmen Informationen iiber den Gesundheitszustand, die bei der Risikoeinstufung eines Nachfragers in Bezug auf andere Versicherungsprodukte (Lebensversicherung, Baukreditversicherung) von Bedeutung sein können.
•
Das Krankheitsrisiko ist mit den von der privaten Lebensversicherung und der Kraftfahrzeugversicherung gedeckten Risiken negativ korreliert: Die aufwändigen Behandlungen konzentrieren sich auf die Zeit nach dem 60. Lebensjahr, wenn die meisten Lebensversicherungsverträge bereits abgelaufen sind. Liegt jemand krank im Bett, kann er keinen Verkehrsunfall verursachen. Negativ korrelierte Schäden tragen aber entscheidend zur Reduktion der Varianz des Gesamtschadens eines Portefeuilles von Versicherangsverträgen bei [vgl. FAMA (1976)], mit offensichtlichen Vorteilen in Hinsicht auf die Kosten der Reservehaltung.
14.5 Intemationale Herausforderungen
541
Aus diesen Gründen ist es für einen Kompositversicherer von großem Interesse, eine soziale Krankenversicherung mitzubetreiben. Diese Möglichkeit wurde z.B. in den Niederlanden und in der Schweiz bereits wahrgenommen, bisher allerdings nur von inländischen Versicherungsunternehmen [vgl. SCHUT ET AL. (1991)]. Sollte die Zusammenarbeit mit einem ausländischen Untemehmen von den Aufsichtsbehörden des Ziellandes untersagt werden, so kann das Versicherungsunternehmen eine Verzerrung der Wettbewerbsverhältnisse geltend machen und auf Gleichbehandlung klagen. Die in der sozialen Krankenversicherung bisher praktizierte Lösung, auf Solidarität innerhalb einer Institution zu bauen [in Deutschland z.B. innerhalb der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) oder auch innerhalb einer Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK)], wird sich dann kaum mehr aufrechterhalten lassen. Denn der gewinnstrebige Partner in dieser Zusammenarbeit wird darauf drängen, die instabilen Mischverträge durch stabile trennende Verträge abzulösen (vgl. dazu den Anhang zum 5. Kapitel). Eine weitere Herausforderung an die sozialen Krankenversicherungen wird von der erhöhten Mobilität der Beschäftigten in einem gemeinsamen EU-Arbeitsmarkt ausgehen. Die EU-Verordnung Nr. 1408/71 verlangt nämlich, dass ein Arbeitnehmer seine Krankenversicherungsdeckung in ein anderes EU-Land „mitnehmen" kann. Einem Gastarbeiter aus Portugal steht es somit frei, nach einigen Jahren Aufenthalt in Deutschland Leistungen der deutschen GKV in Anspruch zu nehmen, auch wenn er seinen Wohnsitz nach Portugal zurückverlegt hat. Offensichtlich erhält hier das Problem der Risikoselektion (vgl. Kapitel 7) eine neue Dimension. Auf nationalem Niveau konnte es gelöst werden, indem alle Einwohner eines Landes dazu gezwungen wurden, der sozialen Krankenversicherang beizutreten. Zu einem Zwang, einer gesamteuropäischen Krankenversicherung beizutreten, wird es für die Bürger der EU-Länder so rasch nicht kommen. In der Zwischenzeit laufen jedoch die nationalen Krankenversicherungssysteme mit hohem Leistungsstandard Gefahr, schlechte Risiken aus anderen EU-Ländern an sich zu ziehen und dadurch ihr finanzielles Gleichgewicht zu verlieren. 14.5.2 Migration von Beschäftigten des Gesundheitswesens Für Ärzte und Zahnärzte ist der gemeinsame Arbeitsmarkt innerhalb der EU seit einigen Jahren Tatsache, indem ihre Diplome gegenseitig anerkannt werden. Dass ein gewisser Anreiz zur Wanderang insbesondere der Ärzte gegeben ist, geht aus der Abbildung 14.5 hervor. Gegen Ende der 1980er Jahre erzielte ein Allgemeinpraktiker in der damaligen Bundesrepublik Deutschland ein Einkommen von rund 70.000 Dollar, zu Preisen von 1990 und auf Kaufkraftparitätenbasis umgerechnet. Sein Kollege in Frankreich dagegen musste sich mit etwa 45.000 Dollar begnügen; durch eine Übersiedlung ins Nachbarland hätte er sein Einkommen erheblich vergrößern können. Insbesondere sprachliche Hemmnisse werden aber wohl auch in Zukunft Wanderungen größeren Ausmaßes zwischen den EU-Ländern verhindern. Die Erfahrung Kanadas legt die Vermutung nahe, dass sogar bei einem gemeinsamen Sprachraum Einkommensunterschiede von mehreren Zehntausend Dollar nicht
542
14 Herausforderungen an das Gesundheitswesen
genügen, um die Ärzte zur Wanderang zu bewegen. Wie die Abbildung 14.5 zeigt, lag das Einkommen der Ärzte in den USA jahrelang wesentlich höher, ohne dass es in nennenswertem Ausmaße zu einer Abwanderung kanadischer Ärzte gekommen wäre [vgl. EVANS (1984, S.301)]. Eine Migrationsentscheidung wird sich jedoch kaum auf einen Vergleich von Jahreseinkommen stützen, sondern den Verlauf des Einkommens über die ganze Dauer der Erwerbstätigkeit berücksichtigen. Wenn beispielsweise ein Allgemeinpraktiker im nationalen Gesundheitsdienst Großbritanniens gemäß Abbildung 14.5 ein vergleichsweise geringes Jahreseinkommen erzielt, so muss man in Rechnung stellen, dass er es bereits in relativ jungen Jahren erhält. Die eigentlich interessierende Größe ist also nicht so sehr das Jahreseinkommen, sondern das Lebenseinkommen einer Kohorte bereits ausgebildeter Ärzte. Trotz dieser Einschränkung geht man mit Blick auf die Abbildung 14.5 kaum fehl in der Annahme, dass Deutschland für französische Ärzte ein attraktives Land darstellt. Beim Pfiegepersonal handelt es sich aufgrund des niedrigeren Einkommens von vorneherein um geringere Beträge, so dass sich durch einen Wechsel zu einem anderen Gesundheitswesen kaum große finanzielle Vorteile erzielen lassen. Im Vergleich zu vielen Entwicklungsländern dagegen fallen die Lohnunterschiede im Barwert groß genug aus, um auch Pflegepersonal zur Übersiedlung nach Deutschland und in die Schweiz zu veranlassen [GRAY UND PHILLIPS (1993)]. 14.5.3 Internationale Direktinvestitionen in Krankenhäuser Eine dritte intemationale Herausforderung könnten in Zukunft „Krankenhausmultis" sein, die gezielt in Marktnischen vorstoßen, z.B. indem sie neueste, von den öffentlichen Rrankenhäusern nicht angebotene Operationsverfahren einführen. Das Potential dafür ist vorhanden, verfügt doch der größte Krankenhauskonzem der USA, die Hospital Corporation of America, allein über 200 Krankenhäuser und 70 ambulante Chirurgiezentren (vgl. HOSPITAL CORPORATION OF AMERICA (2002)). Um die Tragweite dieser möglichen Herausforderung abzuschätzen, ist es von Vorteil, sich die ökonomische Theorie des multinationalen Unternehmens kurz zu vergegenwärtigen. Grundsätzlich wird die Existenz von Unternehmen überhaupt, die ja auf Hierarchien statt Austauschbeziehungen zwischen Gleichgestellten in einem Markt beruhen, mit der Rolle der Transaktionskosten begründet. An die Stelle eines multilateralen, nur mit hohen Kosten durchzusetzenden Netzes von Verträgen zwischen den Mitgliedern einer produktiven Gruppe tritt je ein Vertrag zwischen dem Manager und dem jeweiligen Untergebenen. Multinationale Untemehmen verdanken dementsprechend ihre Existenz und ihren Erfolg dem Umstand, dass bei einem Austausch von Leistungen zwischen zwei Ländern die Transaktionskosten noch mehr als sonst ins Gewicht fallen, so dass durch inteme Transaktionen, die in einem einheitlichen vertragsrechtlichen Rahmen abgewickelt werden, große Einsparangen möglich sind. Dies gilt insbesondere für den internationalen Transfer von Innovationen; multina-
14.5 Internationale Herausforderungen
543
Abb. 14.5. Durchschnittseinkommen von Allgemeinpraktikern in Deutschland, Frankreich und England sowie von Ärzten in Kanada und USA1) 100908070-
Deutschland Frankreich England
605040302010-
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
') in 1.000 US$, in Preisen und Kaufkraftparitäten von 1990 Quelle: OECD (2001) tionale Unternehmen sind darauf spezialisiert, eine Innovation in kürzester Frist in vielen Märkten einzuführen [vgl. CASSON (1985); WlLLlAMSON (1981)]. Im Falle einer Krankenhausbehandlung bestehen die Transaktionskosten insbesondere in dem beträchtlichen Aufwand, den der Patient und sein behandelnder Arzt betreiben müssen, um sich ein Bild über die Erfolgschancen und allgemein die Qualität der Behandlung zu machen. Diese Kosten werden häufig dadurch gesenkt, dass ein multinationales Unternehmen weltweit einen bestimmten Qualitätsstandard garantiert (z.B. Holiday Inn, Best Western im Falle der Hotelunterkunft). Es handelt sich dabei um eine organisatorische Innovation im Sinne des Teilabschnitts 14.2.1, die durch die Bündelung von Untemehmen unter einem gemeinsamen Standard eine
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14 Herausforderungen an das Gesundheitswesen
Senkung nicht so sehr der Produktionskosten als vielmehr der Transaktionskosten erreicht. Diese organisatorische Innovation lässt sich auf die Krankenhäuser übertragen. Längerfristig ist damit zu rechnen, dass multinationale Untemehmen dank ihrer Fähigkeit, Produktinnovationen besonders rasch aus einem Land in ein anderes zu übertragen, auch im Krankenhausbereich Marktanteile gewinnen werden. Die sozialen Krankenversicherangen werden ihrerseits versucht sein, diese neuen Anbieter zu berücksichtigen, falls sie ein günstiges Preis-Leistungsverhältnis für ihre Mitglieder anbieten. Die Herausforderung wird darin bestehen, die Vertragsbeziehungen zwischen Versicherern und Leistungsanbietern im Gesundheitswesen neu zu gestalten, um den Versicherten die Vorteile dieser Internationalisierung zukommen zu lassen. Dabei wird ein Abwägen zwischen den Effizienzvorteilen eines multinationalen erwerbsstrebigen Unternehmens und den Vorteilen einer berufsethischen Ausrichtung, wie sie im Abschnitt 11.2 beschrieben wurden, notwendig sein. Die Überlegungen dieses Abschnitts lassen sich zusammenfassen in der Folgerung 14.11 Die Integration der Krankenversicherung sowie des Krankenhaussektors in die internationalen Märkte wird eine Neugestaltung der Vertragsbeziehungen im Gesundheitswesen der EU-Länder bedingen. Demgegenüber stellt die Migration von Ärzten und Pflegepersonal vorderhand eine weniger drängende Herausforderung dar.
14.6 Zusammenfassung des Kapitels In diesem Kapitel haben wir die zukünftigen Herausforderungen an das Gesundheitswesen analysiert. Im Mittelpunkt standen dabei der technologische und demographische Wandel, das sog. Sisyphus-Syndrom und die zunehmende wirtschaftliche Integration der Länder. Unsere Hauptergebnisse sind: 1. Die Anforderungen an die drei Innovationsarten im Gesundheitswesen können als messbare Beiträge an die Verbesserung des Gesundheitszustands ausgedrückt werden. Aus der Sicht eines (nicht versicherten) Individuums liegen diese Anforderungen grundsätzlich gleich hoch für Prozess- und Produktinnovationen, jedoch niedriger für organisatorische Innovationen. 2. Beim Übergang von der individuellen zur aggregierten Ebene werden die Anforderungen an Innovationsaufwendungen für alle drei Innovationsarten im Gesundheitswesen nach unten verzerrt. Versicherungsinduzierter Moral Hazard und medizinische Imperative auf der Ziel- und Mittelebene begünstigen durchweg die Produktinnovation, jedoch nur bedingt die Prozessinnovation und die organisatorische Innovation. 3. Die fortschreitende Rektangularisierang der Überlebenskurve lässt sich als Ergebnis von Anstrengungen interpretieren, den Gesundheitszustand besser unter Kontrolle zu halten. Insofern medizinische Leistungen zum Erfolg dieser Anstrengungen besonders beitragen, wird eine hohe Zahlungsbereitschaft für solche Leistungen aus der Risikoaversion der Menschen erklärbar.
14.6 Zusammenfassung des Kapitels
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4. Die Alterung der Bevölkerung gefährdet das finanzielle Gleichgewicht einer Krankenversicherung mit altersunabhängigen Beiträgen. Die Beitragsanpassungen zur Wahrang des Gleichgewichts lassen die Mitgliedschaft in einer solchen Versicherung für die jetzige und mehrere zukünftige Generationen von Erwerbstätigen zu einer verlustbringenden Investition werden. 5. Die Ausbreitung von Einpersonen-Haushalten verstärkt ceteris paribus die Tendenz, bei Gesundheitsstörungen Leistungen Dritter in Anspruch zu nehmen. Ihr Beitrag zur Eindämmung von Epidemien fällt in der heutigen Zeit, wo ansteckende Krankheiten auf dem Rückzug sind, weniger ins Gewicht. 6. In demokratisch organisierten Ländern ist mit einem sog. Sisyphus-Syndrom zu rechnen, indem die gegenwärtigen Erfolge der Medizin in der Zukunft das Gesundheitswesen mit Mehrausgaben belasten. Die Stärke des Syndroms hängt davon ab, wie sehr medizinische Leistungen lebensverlängernd wirken, wie stark die Altersbevölkerung ihren politischen Einfluss geltend machen kann und wie rasch die Erwerbsbevölkerung schrumpft (bzw. wie langsam sie zunimmt). Allerdings legt eine empirische Analyse anhand von OECD-Daten den Schluss nahe, dass von einem Sisyphus-Syndrom zurzeit nicht gesprochen werden kann. 7. In der Krankenversicherung muss mit einer besonders großen Steigerung der finanziellen Belastung gerechnet werden, da neben der demographischen Alterung zusätzlich der medizinische Fortschritt eine Erhöhung der Kosten bewirkt. Für das Jahr 2040 wird im Vergleich mit dem Jahr 2000 ein um mehr als zwei Drittel höherer Beitragssatz fiir die Gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland prognostiziert. Dabei hat der medizinische Fortschritt einen größeren Effekt auf den Kostenanstieg als die demographische Alterung. 8. In der privaten Krankenversicherung in Deutschland ist es zweifelhaft, ob die Altersrückstellungen ausreichen, um die Prämien konstant zu halten. Die Nichtübertragbarkeit der Altersrückstellungen beschränkt den Wettbewerb auf Neukunden. Allerdings erlaubt sie auch eine Absicherung des Prämienrisikos. Wiirden die Altersrückstellungen nach Risikotypen differenziert, ließe sich der Wettbewerb auf bereits Versicherte ausweiten und gleichzeitig das Prämienrisiko versichern. 9. In der gesetzlichen Krankenversicherung ist eine Einführung von Kapitaldeckung nicht nötig, um zukünftige Generationen zu entlasten. Dieses Ziel kann ebenso durch altersabhängige Beitragssätze erreicht werden. Die Kapitaldeckung erfolgt dann beim Bürger selbst. Diese Lösung hat den Vorteil, dass der Kapitalbestand stärker vor politischen Eingriffen geschützt ist. 10. Die Integration der Krankenversicherang sowie des Krankenhaussektors in die internationalen Märkte wird eine Neugestaltung der Vertragsbeziehungen im Gesundheitswesen der EU-Länder bedingen. Demgegenüber stellt die Migration von Ärzten und Pflegepersonal vorderhand eine weniger drängende Herausforderung dar.
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14 Herausforderungen an das Gesundheitswesen
14.Ü Übungsaufgaben 14.1. Die im Modell der Tabelle 14.1 eingeführte Annahme, dass die Summe der Einkommen Y exogen sei, erscheint einigermaßen restriktiv. a) Von welchen im Modell vorkommenden Größen könnte Y wie abhängen? b) Greifen Sie die Möglichkeit Y = Y(RD),dY/dRD > 0 heraus. Wie lässt sich z.B. im Hinblick auf den Außenhandel eine solche Annahme begründen? c) Welche Konsequenzen ergeben sich aus der in b) eingeführten Ergänzung für die optimale Allokation der Innovation? [Hinweis: modifizierte Gleichung (14.6) zum Ausgangspunkt machen]. 14.2. Für die Gesundheitspolitik ist die dynamische Stabilität der Bewegungsgleichung (14.19) von großer Bedeutung: Wird sich eine einmalige Zunahme der medizinischen Aufwendungen nach einiger Zeit wieder zurückbilden, oder ist im Gegenteil mit einem explosiven Prozess zu rechnen? a) Zur Abklärung dieser Frage ist es von Vorteil, die Faktoren der Gleichung (14.19) soweit wie möglich in Elastizitätsform zu bringen. Dividieren Sie durch Mt und formen Sie so um, dass die Elastizitäten -dn,
Mt-X
dM, ß r
erscheinen. b) Interpretieren Sie die so erhaltene Gleichung. c) Die Gleichung kann zusammenfassend geschrieben werden als: M,=cM,-U
AM, mit Mt = — - . M,
(14.19')
(i) Wofür steht cl (ii) Verwenden Sie diese Formel, um Mt+\,Mt+2, • • • ,Mt+k z u bestimmen. Weshalb ist es wichtig zu wissen, ob c < 1 oder c > 1 ist? (iii) Versuchen Sie, auf Grund Ihres Wissens aus dem 4. Kapitel und Kenntnissen über die heutige Bevölkerungsstruktur c abzuschätzen: Ist mit c > 1 zu rechnen?
14.Ü Übungsaufgaben
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14.3. Gehen Sie von dem Modell aus Abschnitt 14.4.3.2 aus. a) Nehmen Sie für die Krankheitswahrscheinlichkeit 7t/, = 0,8 und 71/ = 0,4 an. (i) Bestimmen Sie Z/ und Z/,. Zeigen Sie, dass eine Krankenversicherung einen erwarteten Gewinn von null unabhängig von der Wechselentscheidung ihrer Versicherten erzielt, wenn sie eine konstante Prämie von Jt/2 erhebt. (ii) Gehen Sie davon aus, die gesamten Altersrückstellungen seien nicht übertragbar. Untersuchen Sie den Anreiz für niedrige Risiken in der zweiten Periode die Versicherung zu wechseln, wenn die Prämie 7t/2 beträgt. b) Unterstellen Sie nun %h = 0,8 und 7t; = 0,2. (i) Berechnen Sie Z/ und Z/,. Welches Problem könnte bei der Durchsetzung dieser Lösung auftreten? (ii) Welcher Anreiz besteht für niedrige Risiken in der zweiten Periode die Versicherung zu wechseln, wenn die konstante Prämie 7t/2 beträgt und die gesamten Altersrückstellungen nicht übertragbar sind? Welche Folgen hat dies für den privaten Krankenversicherungsmarkt in Periode 1 ?
15 Wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen
15.1 Gesundheit als ökonomisches Gut Im ersten Kapitel dieses Textes ist die Unterscheidung zwischen der „Ökonomik der Gesundheit" und der „Ökonomik des Gesundheitswesens" betont worden. Diese soll auch hier wieder aufgegriffen werden. Denn die erste unserer wirtschaftspolitischen Schlussfolgerungen bezieht sich auf die Gesundheit als solche, noch ganz losgelöst von Fragen der Organisation und Finanzierang im Gesundheitswesen. Im 2. und 3. Kapitel haben wir argumentiert, dass Gesundheit und sogar das Leben selbst keine über den „profanen" wirtschaftlichen Dingen stehende Kategorien sind, sondern dass beide als ökonomische Güter aufgefasst werden können und somit einer Analyse mit dem Instrumentarium der Wirtschaftstheorie zugänglich sind. Das gilt zum einen für die positive Ökonomik, die erklärt, wie Gesundheit mit Hilfe von Inputs wie Zeit und medizinischen Leistungen produziert wird (vgl. Kapitel 3). Das gilt aber auch für die normative Ökonomik, die Ansätze dafür liefert, Gesundheit und sogar menschliches Leben selbst mit dem ökonomischten aller Maßstäbe, nämlich in Geldeinheiten zu bewerten (vgl. Kapitel 2). Die wirtschaftspolitische Empfehlung, die sich aus diesen Überlegungen ergibt, geht dahin, das dort vorgestellte Instrumentarium bei politischen Entscheidungen konsequent anzuwenden. Jegliche staatliche Maßnahme, die Auswirkungen auf die Gesundheit oder sogar das Sterberisiko von Bürgern hat, sollte erst dann vorgenommen werden, wenn eine Kosten-Nutzwert-Analyse oder eine Kosten-Nutzen-Analyse zumindest als Entscheidungshilfe angestellt worden ist. Ein Verzicht auf eine ökonomische Bewertung von Leben und Gesundheit kann nämlich dazu führen, dass entweder a) gesundheitliche Auswirkungen bei der Abwägung von Kosten und Nutzen eines Projekts letztlich vernachlässigt werden und damit implizit so entschieden wird, als wären menschlich.es Überleben und Gesundheit nichts oder nur sehr wenig wert, oder
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15 Wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen
b) grundsätzlich dem Projekt der Vorzug gegeben wird, das die besseren gesundheitlichen Konsequenzen hat - koste es, was es wolle, oder schließlich c) von Fall zu Fall entschieden und dabei wahlweise nach der in a) oder der in b) genannten Regel vorgegangen wird. Alle drei Vorgehensweisen haben erhebliche negative Konsequenzen. Bei a) und b) ergeben sich unweigerlich Widersprüche zwischen staatlichen Maßnahmen und dem Verhalten von Individuen in ihrem privaten Entscheidungsbereich, zwischen dem Handeln des Staates und den Präferenzen seiner Bürger. Prinzip c) ist mit einer beträchtlichen Verschwendung verbunden, denn man könnte durch explizite ökonomische Bewertung der gesundheitlichen Aspekte Lösungen ermitteln, die den Gesellschaftsmitgliedern sowohl mehr Konsum als auch mehr Gesundheit eintragen.
15.2 Wettbewerb oder Regulierung im Gesundheitswesen? Ein guter Teil der ordnungspolitischen Debatte in den vergangenen Jahren über das Gesundheitswesen kreiste um die Frage, ob es in diesem Sektor möglich und erfolgversprechend sei, mehr Elemente des Marktes einzuführen oder ob der Markt hier grundsätzlich ungeeignet sei und daher durch staatliche Lenkung ersetzt werden müsse. In häufig gebrauchten Schlagwörtern ausgedrückt, ging es um die Alternative zwischen „Wettbewerb" und „Regulierung". Schränkt man den Blick auf diese beiden Alternativen ein, so wird man zunächst zu dem Schluss kommen, dass der reine Marktmechanismus aus vielerlei Gründen, die in Kapitel 5 diskutiert wurden, nicht zu einer optimalen Allokation der Ressourcen führen wird. Der wichtigste dieser Gründe ist wohl die Unsicherheit des Ereignisses ,,Krankheit", die das Individuum zum Abschluss eines Versicherungsvertrages mit in der Regel recht umfassendem Versicherungsschutz veranlassen wird, der ihm den Anreiz zur Suche nach preisgünstigen Altemativen nimmt. Folglich fehlt eine wichtige Voraussetzung für das Funktionieren des Preismechanismus. Nicht viel besser schneidet jedoch ein reines System der staatlichen Lenkung ab, wie es z.B. in einem Nationalen Gesundheitsdienst verkörpert ist. Da hier alle Anbieter medizinischer Leistungen fest angestellte Gehaltsempfänger sind, fehlt ihnen der Anreiz, Leistungen zu erbringen, und es kommt zu künstlichen Knappheiten und Warteschlangen der Nachfrager. Die Erfahrangen mit dem National Health Service in Großbritannien bestätigen diese theoretische Überlegung. Von besonderem Bedeutung ist aber, dass die Akteure das Interesse an Innovationen aller Art verlieren. Interpretiert man dagegen die Aussagen der Wohlfahrtstheorie richtig, so kann man aus ihnen den Schluss ziehen, dass es für eine optimale Allokation der Ressourcen nicht unbedingt darauf ankommt, dass tatsächlich auf allen Ebenen ein Wettbewerbsmarkt vorliegt, sondern dass es genügt, wenn sich die Wirtschaftssubjekte so verhalten wie in einem solchen System. So betrachtet, stellen Wettbewerb und staatliche Regulierung kein Gegensatzpaar dar, sondern die staatliche Regulierung
15.2 Wettbewerb oder Regulierung im Gesundheitswesen?
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kann Voraussetzungen schaffen, unter denen sich die Akteure so verhalten wie im Wettbewerb. Das Stichwort heißt hier: „Anreize".1 So sollte es das Ziel staatlicher Regulierung sein, dort wo der Marktmechanismus nicht funktionieren kann, den Akteuren Anreize zu vermitteln, sich dennoch so zu verhalten, dass Ressourcen effizient verwendet werden. Dabei ist zu beachten, dass zu starke Anreize auch negative Effekte haben können, falls sie z.B. zu einer Senkung der Behandlungsqualität oder zu einer unerwünschten Selektion der Patienten führen. Die Analyse alternativer Vergütungsformen für die Leistungen von Ärzten und Krankenhäusern (Kapitel 10) konnte dazu einige Erkenntnisse zu Tage fördern: Optimal dürfte in vielen Fällen ein gemischtes Vergütungssystem sein, bei dem die Honorierung sowohl an Outputgrößen (Behandlungsfälle, zu versorgende Patienten) als auch an Inputgrößen (Faktoreinsätze, Istkosten) oder am Aktivitätsniveau (Einzelleistungen) anknüpft. In Deutschland hat der Gesetzgeber die Aufgabe, das Vergütungssystem für Leistungen in der öffentlich-rechtlichen Pflichtversicherung zu bestimmen, selbst übernommen oder zum Gegenstand von einheitlichen Verhandlungen zwischen Verbänden gemacht. Dies ist jedoch keineswegs zwingend notwendig. Eine sinnvolle Alternative wäre es, einzelne gesetzliche Krankenkassen und Leistungserbringer das Vergütungssystem selbst vereinbaren zu lassen. Gerade wenn unterschiedliche Vergütungssysteme in der Praxis erprobt werden können, ergibt sich die Möglichkeit, ihre Anreizwirkungen empirisch zu ermitteln. Dies gilt umso mehr, wenn die Kassen miteinander im Wettbewerb um Versicherte stehen und versuchen müssen, durch Effizienzgewinne ihre Beitragssätze möglichst niedrig zu halten. Dieser Gedanke leitet über zu einem weiteren Gesichtspunkt, der Rolle des Wettbewerbs. Für die meisten Menschen ist die Vorstellung eines offenen Werbens einzelner Ärzte oder Krankenhäuser um Patienten mit Hilfe von Anzeigen, Femsehspots oder Sonderangeboten anstößig. Sie sehen darin den Versuch, die Präferenzen der Patienten zu manipulieren. Daneben vermittelt Werbung jedoch auch Information, die das Auffinden der Alternative mit dem günstigsten Preis-Leistungs-Verhältnis erleichtert. Wettbewerb kann jedoch zumindest dort zu besseren Allokationsergebnissen beitragen, wo Nachfrager in Ruhe, ohne den Druck der Notlage und bewusst Auswahlentscheidungen treffen können. Diese Bedingungen sind offensichtlich nicht bei einem bereits Kranken erfüllt, für den aus der Sorge um die Wiederherstellung seiner Gesundheit oft „das Beste gerade gut genug" ist. Viel eher liegen sie dagegen bei einem Gesunden vor, der für einen gewissen Zeitraum eine Auswahl zwischen unterschiedlichen Versicherungspaketen (vgl. Kapitel 6) oder zwischen kompletten Versorgungssystemen (vgl. Kapitel 11) treffen soll. Auf der Ebene der Versorgungssysteme kann der Wettbewerb also durchaus eine sinnvolle Rolle spielen [vgl. ENTHOVEN (1980)], und auch hier ist es die Aufga'So lautete das Motto des 1. Europäischen Kongresses der Gesundheitsökonomik, der im Jahre 1989 in Barcelona stattfand, „Incentives in Health Care Systems".
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15 Wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen
be des Staates, durch Verabschiedung einer Wettbewerbsordnung die notwendigen Voraussetzungen dafür zu schaffen. Hier ist insbesondere darauf zu achten, dass einerseits die Wahlfreiheit für die Individuen erhöht wird und andererseits ein solidarischer Ausgleich zwischen hohen und niedrigen Risiken erreicht wird (Folgerung 5.6).
15.3 Gesundheitspolitische Empfehlungen im einzelnen Vor dem Hintergrund der im Abschnitt 15.2 formulierten Grundsätze sollen abschließend einige Empfehlungen zur Sprache kommen, die sich aus der verwendeten mikroökonomischen Theorie herleiten lassen und die sich konkret auf einzelne Bereiche des Gesundheitswesens beziehen. Dabei halten wir uns an die in der Systemanalyse des Gesundheitswesens (1. Kapitel) vorgezeichnete Reihenfolge. Auf die Möglichkeit einer „Radikalreform" des Gesundheitswesens insgesamt wird unten (in Abschnitt 15.4) eingegangen. 15.3.1 Versicherte und Patienten Besonders die Vertreter der Präventivmedizin setzen sich mitunter zum Ziel, das Gesundheitsverhalten des einzelnen zu verändern. Zu diesem Zweck lancieren sie auch großangelegte Kampagnen wie beispielsweise das MRFIT-Programm [siehe MULTIPLE RISK FACTOR INTERVENTION TRIAL RESEARCH GROUP (1982)], das in den
siebziger Jahren in den USA zur Verhinderung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen durchgeführt wurde. Mit dieser Untersuchung wurde u.a. der Nachweis erbracht, dass durch den Abbau von Übergewicht und den Verzicht auf Tabak die Mortalität infolge von Herz-Kreislauf-Erkrankungen wesentlich gesenkt werden kann. Viele Kritiker des heutigen Gesundheitswesens leiten aus solchen Ergebnissen die Forderung ab, die präventive Medizin sei zufördern, möglicherweise zu Lasten der kurativen. Einer solchen Forderung ist jedoch aufgrund der im 5. Kapitel angestellten Überlegungen mit großer Zurückhaltung zu begegnen. Ein Marktversagen, das Eingriffe des Staates begründen würde, liegt nämlich bei genauerer Betrachtung nicht vor (Folgerungen 5.1 und 5.2). Essen, Trinken und Rauchen sind für manche Leute ein wichtiger Bestandteil ihrer Lebensqualität, auf die zu verzichten ein erhebliches Opfer bedeutet. Den Kosten des Verzichts steht als unsicherer Ertrag eine Verlängerung der gesund verbrachten Lebenszeit gegenüber. Dieser Ertrag geht verloren, wenn z.B. statt der befürchteten Krankheit eine andere (physische oder psychische) Krankheit eintritt oder wenn ein Unfall dem Leben ein vorzeitiges Ende setzt. Über das Gesamtbild der möglichen Bedrohung weiß aber der Betroffene selbst am besten Bescheid. Wenn es also jemand anscheinend an der Gesundheitsprävention fehlen lässt, könnte es sich dabei durchaus um rationales Verhalten handeln. In der Regel werden dadurch auch keine
15.3 Gesundheitspolitische Empfehlungen im einzelnen
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negativen externen Effekte verursacht, die ein Eingreifen Dritter rechtfertigen könnten, von einigen wohlbekannten Ausnahmen (ansteckende Krankheiten, in letzter Zeit insbesondere AIDS) abgesehen. 15.3.2 Gestaltung der Krankenversicherung Aufgrund der Ausführungen in Kapitel 6 muss jede Versicherung mit dem Moral Hazard-Problem kämpfen. Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass eine gewisse Kostenbeteiligung des Versicherten in seinem eigenen Interesse optimal sein dürfte (Folgerungen 6.6 und 6.11). Wenn jedoch die Intensität der Behandlung nicht mehr durch den Patienten, sondern durch einen Arzt festgelegt wird, kommt auch eine Kostenbeteiligung der Leistungserbringer in Frage, wie sie in der Health Maintenance Organization tendenziell verwirklicht ist (vgl. das 11. Kapitel, insbesondere Folgerung 11.6). Wenn in Zukunft die Spartentrennung in der Versicherung aufgehoben wird, können zunächst einmal die privaten Versicherungsuntemehmen das Risiko der medizinischen Behandlungskosten in Kombination mit einem beliebigen anderen Risiko abdecken. Dies würde es dem Versicherten erlauben, eine kombinierte Kostenbeteiligung zu vereinbaren, die z.B. seinen Anteil an den im Verlaufe eines Jahres insgesamt anfallenden Schäden auf einen bestimmten Prozentsatz beschränkt. In diesem Zusammenhang erhebt sich die Frage, ob es einem Krankenversicherer gestattet sein soll, Verträge anzubieten, die allein oder im Verein mit einem anderen Vertrag (z.B. abgeschlossen mit einer Krankenkasse, die eine Kostenbeteiligung verlangt) volle Deckung gewährleisten. Der dadurch hervorgerufene Moral Hazard kommt aus zwei Gründen einem externen Effekt gleich. Zum einen besteht die Gefahr, dass die Versicherten ohne Kostenbeteiligung einem kostspieligen Behandlungsstil Vorschub leisten, der von den anderen Versicherten mit (prozentualer) Kostenbeteiligung gar nicht mehr bezahlt werden kann (vgl. Folgerung 6.8). Zweitens beeinflusst die Versicherungsdeckung aber auch Tempo und Struktur der Innovationstätigkeit, wie im 12. und 14. Kapitel gezeigt wurde (Folgerungen 12.1 und 14.2). Insbesondere begünstigt volle Versicherungsdeckung die Produktinnovation, während ein Versicherter mit Kostenbeteiligung vergleichsweise mehr an Prozess- und organisatorischen Innovationen interessiert ist. Diese beiden externen Effekte sprechen dafür, in Verträgen, welche Moral Hazard nicht über die Leistungsanbieter eindämmen (wie dies Health Maintenance Organizations tun), eine minimale Kostenbeteiligung vorzuschreiben. Ein weiteres wichtiges Problem bei der Gestaltung eines Krankenversicherungssystems ist dasjenige der Risikoselektion. Es entsteht dadurch, dass den Krankenversicherungen ein Diskriminierangsverbot auferlegt wird (Kapitel 7). Diese Maßnahme soll einen gerechten Ausgleich zwischen hohen und niedrigen Risiken erreichen (Folgerung 5.6). Allerdings ist ein Diskriminierungsverbot nicht die einzige Möglichkeit, dieses Ziel zu verwirklichen. Ebenso kann der Ausgleich zwischen ho-
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15 Wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen
hen und niedrigen Risiken über personenspezifische Transfers erfolgen (Folgerung 5.7). In Deutschland und der Schweiz hat man sich für ein Diskriminierungsverbot entschieden. Die beiden Ländern unterscheiden sich aber stark in ihren Versuchen, Risikoselektion zu vermeiden. In Deutschland besitzen die Kassen in der gesetzlichen Krankenversicherang kaum Möglichkeiten, ihre Leistungen zu beeinflussen. Dies minimiert zwar die Gefahr der Risikoselektion, gibt den Kassen jedoch kaum Spielraum, ihre Leistungen gemäß den Wünschen der Versicherten zu gestalten. In der Schweiz besteht hier ein größerer Spielraum. Insbesondere konkurrieren auch Health Maintenance Organizations (HMOs) und andere Varianten von Managed Care um die Gunst der Versicherten. Allerdings ist die Möglichkeit, eine höhere Selbstbeteiligung zu vereinbaren, unter dem Gesichtspunkt der Risikoselektion eher negativ zu beurteilen. Eine dringende Aufgabe in beiden Ländern ist es, den Risikostrukturausgleich zu verbessern. Dabei bieten sich insbesondere leicht erfassbare Ausgleichsvariablen wie etwa das Einkommen oder das Kriterium, ob eine Person allein stehend ist, als Indikator für die Gesundheitsausgaben an. In Deutschland ließe sich auch leicht eine Ausgleichsvariable fiir ehemalige Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrentner einführen. Bei einer kostspieligen Erweiterung des Risikostrukturausgleichs um Diagnosegruppen, wie sie mit der Einführang des morbiditätsorientierten RSA zum Jahr 2007 in Deutschland geplant ist, muss jedoch die Frage gestellt werden, ob sich dieser Aufwand lohnt. Sinn ergibt dieser Schritt nur, wenn die Krankenkassen in Zukunft weniger restriktiv reguliert werden. Insbesondere sollten sie vom Zwang befreit werden, mit den Verbänden der Ärzte und Krankenhäuser einheitliche Verträge abzuschließen. Stattdessen sollte es den Kassen erlaubt sein, unterschiedliche Vergütungssysteme mit Gruppen von Leistungserbringern auszuhandeln. Ansonsten wäre die aufwändige Einführung eines Risikostrukturausgleichs auf Basis diagnostischer Information „viel Länn um nichts". So lange die Kassen sich kaum unterscheiden dürfen, ist weder die Gefahr der Risikoselektion besonders groß noch kann mit positiven Wirkungen des Kassenwettbewerbs gerechnet werden. Mehr Wettbewerbsinstrumente für die Kassen hingegen eröffnen mehr Spielraum sowohl für eine effiziente Organisation der Versorgung als auch zur Risikoselektion. Der morbiditätsorientierte RSA könnte dann dazu beitragen, dass die positiven Effekte überwiegen. Eine fragwürdige Besonderheit besteht schließlich noch im deutschen Krankenversicherungssystem. Dort haben Beamte, Selbständige sowie die Arbeiter und Angestellten am oberen Ende der Einkommensskala die Option, sich freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung zu versichern oder in die private Krankenversicherung zu wechseln. Dies schwächt die aus Gerechtigkeitsgründen gewünschte Umverteilung in der gesetzlichen Krankenversicherung von niedrigen zu hohen Risiken und von Einkommensstarken zu Einkommensschwachen (Folgerung 5.8). Wie in der Schweiz sollte deshalb eine allgemeine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Versicherung eingeführt werden. Darüber hinaus gehender Versicherungsschutz könnte dann, wie bereits heute von gesetzlich Versicherten, über eine private Zusatzversicherung erworben werden. Um eine weitere Umverteilung zu Ungunsten jüngerer
15.3 Gesundheitspolitische Empfehlungen im einzelnen
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Generationen zu vermeiden, sollten die Beiträge zur GKV bei der Ausweitung der Versicherungspflicht so neu gestaltet werden, dass der Finanzierungsbeitrag der älteren Generationen nicht durch die Erweiterung des Versichertenkreises sinkt. Ein weiteres Problem der GKV besteht schließlich noch in der einseitigen Kopplung der Beiträge an das Arbeitseinkommen. Weitere Einkunftsarten sollten in Zukunft bei der Beitragsbemessung zu Grunde gelegt werden. Auch hier bietet sich die Schweiz als Vorbild an. Durch eine Umstellung auf Kopfpauschalen und die Verlagerung der Einkommensumverteilung in das Steuer-Transfer-System wird ein ineffizientes Nebeneinander zweier Umverteilungssysteme vennieden. Durch staatliche Beitragszuschüsse oder ein Anpassung bestehender Transfersysteme ließe sich dabei sicher stellen, dass die Kopfpauschalen für alle Bürger finanzierbar sind. 15.3.3 Der Markt für ärztliche Leistungen Sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in der Schweiz sind die Krankenkassen gesetzlich verpflichtet, mit den Kassenärztlichen Vereinigungen (bzw. den kantonalen Ärztegesellschaften) Tarife auszuhandeln. Hier kann der Staat mit einer Änderung der bisherigen Regulierung zur Stärkung des Wettbewerbs beitragen, indem er diesen Kontrahierungszwang aufhebt, damit die Krankenversicherer im Interesse ihrer Mitglieder zwischen den Leistungsangeboten verschiedener Ärztegruppen auswählen können. Würde es dabei gelingen, vermehrt auch einen Preiswettbewerb unter Ärzten zu organisieren, so wäre zumindest längerfristig mit einer Verbilligung der ärztlichen Leistungen zu rechnen. Zugleich muss aber für die Ärzte der Zwang zur Mitgliedschaft in der Kassenärztlichen Vereinigung aufgehoben werden. Der einzelne Arzt erhält so die Wahl zwischen konkurrierenden Interessenvertretungen oder kann sich einer Gruppe anschließen, die wie eine Health Maintenance Organization die medizinische Versorgung der Bewohner einer Region oder der Beschäftigten eines Unternehmens gewährleistet (vgl. Kapitel 11). Besonders junge Ärzte, die sonst um die Auslastung ihrer Praxis fürchten müssen, können dann entweder der Krankenkasse unmittelbar einen Nachlass auf den Punktwert ihres Tarifs oder auch Pauschalen für die Behandlung gewisser Krankheiten anbieten oder sich zumindest einem Verband anschließen, der bereit ist, bei den Tarifverhandlungen Flexibilität zu zeigen. Dadurch würden drei Dinge erreicht: •
Den Studienanfängern wird signalisiert, dass die Krankenkassen nicht dazu da sind, Ärzten eine Einkommensgarantie zu vermitteln. Die Arztkarriere wird zu einer etwas weniger vorteilhaften Investition (vgl. Kapitel 14), der Ansturm auf die medizinischen Fakultäten lässt nach, und der numeras clausus kann aufgehoben werden.
•
Die Krankenversicherer werden in die Lage versetzt, ihren Mitgliedern kostengünstigere Vertragsvarianten anzubieten, indem sie im einfachsten Fall die Ärzte mit einem besonders aufwändigen Behandlungsstil nicht in das Angebot aufnehmen.
556 •
15 Wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen Die Versicherten erhalten mehr Wahlfreiheit, nicht zuletzt auch innerhalb der sozialen bzw. Gesetzlichen Krankenversicherung. Jene, die das wünschen, können ein Stück weit aus dem „Kostenlift" aussteigen, indem sie einen Vertrag mit Ärzten wählen, die z.B. bereit sind, sich an Empfehlungen zu halten, die aus den im Abschnitt 15.1 geforderten Kosten-Nutzen-Analysen hervorgehen.
Durch die Vergabe eines Fähigkeitsausweises auf Lebenszeit ist dem Anliegen der Kontrolle der Qualität ärztlicher Leistungen schlecht gedient (vgl. die Folgerung 13.7). An ihre Stelle sollten periodische Nachprüfungen treten. Überdies hat die Messung des Gesundheitszustandes große Fortschritte gemacht (vgl. die Kapitel 2 und 4), die es in Zukunft erlauben werden, die Qualität der ärztlichen Behandlung an der Entwicklung des Gesundheitszustands seiner Patienten zu beurteilen. 15.3.4 Der Markt fiir Krankenhausleistungen Die meisten europäischen Krankenhäuser befinden sich entweder in öffentlichem Eigentum oder werden vom Staat subventioniert. Zahlungen aus dem öffentlichen Budget sollten dabei zur Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Leistungen bestimmt sein. Das Ziel ist die Internalisierung positiver externer Effekte, hier etwa die Ausbildung von Medizinstudenten sowie der Optionsnutzen, den die bloße Existenz eines Krankenhauses für die Bevölkerung haben mag (vgl. Abschnitt 5.2.2). Bei der Ausbildung von Ärzten stellt sich allerdings die Frage, ob es sich tatsächlich um einen externen Effekt handelt oder ob nicht vor allem die zukünftigen Ärzte selbst davon einen Vorteil haben. Für eine Abgeltung des Optionsnutzens spricht, dass sich ein Einwohner der Zahlung seines Beitrags für das regionale Krankenhaus entziehen kann, solange er dessen Leistungen nicht in Anspruch nimmt. Dieses Argument verliert allerdings in einer Zeit, in der die ganz überwiegende Mehrheit der Bevölkerung krankenversichert ist, an Bedeutung. Der Beitrag des Versicherten kann so angesetzt werden, dass er einen Zuschlag fiir die Option, ein bestimmtes Krankenhaus jemals zu benutzen, bereits enthält. Offenbar gelingt es zudem privaten Krankenhäusern bereits jetzt, in ihren Verhandlungen mit den Versicherern diesen positiven externen Effekt zu internalisieren. Die große Gefahr der Subventionierung der Krankenhäuser besteht darin, dass sie die stationäre Behandlung im Vergleich zur ambulanten künstlich verbüligt. Krankenversicherer, die sich bemühen, die gesamtwirtschaftlich gesehenen teuren Krankenhausaufenthalte abzubauen, gewinnen daraus unter heutigen Bedingungen einen zu geringen Wettbewerbsvorteil. Im Krankenhausbereich ist noch ein weiterer Aspekt von Interesse. Da Rrankenhäuser in der weit überwiegenden Mehrzahl nicht gewinnorientiert sind, haben sie nur geringe Anreize, die vereinbarte Leistungsmenge mit dem geringstmöglichen Einsatz an volkswirtschaftlichen Ressourcen zu erstellen. Für eine Regulierungsbehörde oder eine Krankenversicherung besteht daher eine Nachfrage nach Informationen bezüglich der Effizienz der Leistungserbringung. Hierzu sollte regelmäßig
15.4 Reformprogramme aus einem Guss?
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ein Krankenhausbetriebsvergleich durchgeführt werden, der wertvolle Anhaltspunkte für die Beurteilung der Effizienz von Krankenhäusern liefert (vgl. Kapitel 9). 15.3.5 Der Markt für Arzneimittel Von allen Märkten des Gesundheitswesens ist wahrscheinlich der Arzneimittelmarkt derjenige, der einem Wettbewerbsmarkt am nächsten kommt. Der Hauptgrund dafür liegt darin, dass Medikamente international handelbar sind, Arzt- und Krankenhausleistungen dagegen nur zu vergleichsweise hohen Kosten. Dennoch gaben die in den Kapiteln 12 und 14 angestellten Überlegungen Anlass zur Vermutung, dass auch der intemationale Wettbewerb zugunsten des Qualitätswettbewerbs verzerrt ist (vgl. Folgerungen 12.1 und 14.2). Ein ausländisches Präparat, dessen Qualitätsmerkmale seinem inländischen Konkurrenten nicht mindestens ebenbürtig sind, wird von den Behörden eines Industrielandes nicht zum Markt zugelassen, unabhängig von seinem Preis. Auch der Preiswettbewerb ist grundsätzlich stärker ausgeprägt auf dem Arzneimittelmarkt. Er wird neuerdings durch die sog. Parallelimporte während und über die Patentschutzdauer hinaus (zulässig in der EU aber nicht in der Schweiz) gefördert. Durch Reimporte aus einem Land wie Italien, wo dasselbe Präparat zu einem niedrigeren Preis angeboten wird als in seinem Ursprungsland, werden die intemationale Preisdifferenzierung der Hersteller bzw. die Preisauflagen der Regulierungsbehörden unterlaufen. Es ist an sich eine wichtige Funktion des internationalen Handels, durch Arbitragegeschäfte eine Angleichung der Preise herbeizuführen. Die beobachteten Preisdifferenzen rühren aber zur Hauptsache daher, dass Länder wie Frankreich und Italien die Arzneimittel einer strikten Preiskontrolle unterwerfen. Insofern verhalten sich diese Länder als Trittbrettfahrer, die von den durch die Käufer in den anderen Ländern finanzierten Innovationsanstrengungen profitieren, ohne selber dafür bezahlen zu müssen. Die Folge ist ein geringerer Innovationsaufwand; doch möglicherweise ist der Innovationsaufwand in Folge der Krankenversicherung überoptimal, als neue Therapien gegenüber bisherigen verbilligt werden. Ob allerdings Parallelimporte das beste Instrument zur Korrektur dieser Verzerrung darstellen, ist unklar; als zusätzliches Mittel steht ja stets auch eine Variation der Patentschutzdauer zur Verfügung (vgl. Kapitel 14).
15.4 Reformprogramme aus einem Guss? Die bis zu diesem Punkt diskutierten Reformvorschläge gehen zwar im Grundsatz alle von ein und derselben Idee aus, nämlich der der allokativen Effizienz, sie beziehen sich jedoch jeweils nur auf einzelne Sektoren des Gesundheitswesens. Die Verwirklichung eines einzelnen Vorschlags würde daher auch nur begrenzte Wohlfahrtsgewinne ermöglichen. Mehr als von einzelnen dieser partiellen Änderungsvorschläge
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15 Wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen
könnte man sich von einem Reformprogramm „aus einem Guss" versprechen. Versuche in diese Richtung sind für den Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung von GlTTER (1988) sowie dem KRONBERGER KREIS (2002) und für den Krankenhausbereich VOn der KOMMISSION KRANKENHAUSFINANZIERUNG DER ROBERT BOSCH STIFTUNG (1987,1990) untemommen worden. Das Gelingen eines umfassenden Reformprogramms ist jedoch aus mindestens drei Gründen unwahrscheinlich: 1. Die Reformvorschläge richten sich notwendigerweise an verschiedene Akteure, weil keiner von ihnen die Kompetenz oder die Macht hat, sie in ihrer Gesamtheit durchzusetzen. Dafür sorgt nur schon die für einen föderalistisch gestalteten Staat charakteristische Aufteilung der Kompetenzen zwischen Bund, Ländern (Kantonen) und Gemeinden. 2. Jede Änderung des status quo schafft neben Gewinnern auch Verlierer. Da es kaum institutionalisierte Mechanismen zur Kompensation der Verlierer durch die Gewinner gibt, die potentiell Pareto-optimalen Neuerungen zum Durchbruch verhelfen könnten, bleibt zur Hauptsache der „Kuhhandel" zwischen beteiligten Verbänden innerhalb und außerhalb des Parlaments übrig. Im Verlaufe eines solchen Kuhhandels müssen die Reformvorschläge neu kombiniert und auch modifiziert werden, damit für eine ganze Abfolge von Abstimmungen Mehrheiten gefunden werden können. 3. Abschließende Reformvorschläge lassen sich nicht mit der hier vertretenen grundsätzlichen Auffassung vereinbaren, dass das Geschehen im Gesundheitswesen vermehrt durch die (potentiellen) Nachfrager gesteuert werden soll. Insbesondere sind in Zukunft auch organisatorische Innovationen denkbar, die den Präferenzen dieser Gruppe vermehrt entgegenkommen. Diese Überlegungen sprechen dafür, die oft mangelnde Konsistenz der Gesundheitspolitik nicht von vornherein als Ausdruck eines Versagens zu interpretieren; sie könnte vielmehr das Abbild einer Abfolge von Schritten sein, die zu einer Besserstellung aller am Gesundheitswesen beteiligten Parteien führen sollen. Die zentrale Aufgabe der Gesundheitsökonomik kann demzufolge auch nicht darin bestehen, Reformprogramme aus einem Guss zu entwickeln, sondern immer wieder institutionelle Regelungen und konkrete Maßnahmen zu identifizieren, die sich durch ein besonders günstiges Verhältnis von Nutzen und Kosten auszeichnen.
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Autorenverzeichnis
ADAM, H.,348, 559, 561 AKERLOF, G., 185,559 ALLEN, R., 404, 559 ARNOLD, R., 199, 200, 202, 568 ARROW, K., 96, 204, 233, 465, 559
ASH, A., 301,559 AUSTER, R., 130, 131, 133, 136,
138,
139,143,144,147,150,559
65,
560
AVERCH, H., 475, 559 AVERILL, R., 362, 564
B L O M Q U I S T , S., 504, 560 B L O M Q V I S T , A., 253, 258, 262, 560 B L U M E N T H A L , D., 442, 573 B O A D W A Y , R.,49, 561 B O N A T O , D., 55, 571
BAILY, M., 460, 559 BALUCH, W.,301,562 BANKER, R. D.,371,559 BARRO, R., 113,559 BARTEL, A., 75, 559 BARTLING, D., 460, 559 BATTESE, G., 378, 562 BAUMANN, F., 536, 560 BAUMOL, W., 364, 472, 560 BEAGLEHOLE, R., 146, 147, 570
BORCHARDT, K., 534, 566 B R A D F O R D , D., 472, 560 B R E N N E R , H., 148-150, 171, 561 B R E Y E R , F., 33, 45, 49, 50, 199, 200,
BECK, K., 302, 317, 560 BECKER, G., 96, 453, 456, 560, BEHREND, C , 301, 322, 560 BENHAM, L., 182, 498, 560 BENNETT, J., 57, 59, 560
BERCK, P.,410, 574 BERNHOLZ, R, 492, 560 BESLEY, T., 504, 560 BEZZOLA, M., 494, 560 BHATTACHARYYA, G., 105, 560 BLACKORBY, C, 48, 560 BLAMEY, R., 57, 59, 560 BLEICHRODT, H., 28-30, 32, 36,
574
202, 204, 267, 301, 322, 337, 348, 366, 368, 492, 504, 521, 530-533,560,561 BROOK, R., 265, 442, 561, 575 BROOKSHIRE, D., 55, 563 BROOME, J., 42, 561
BRUCE, N.,49, 561
578
Autorenverzeichnis
S., 59, 61,561,562 BUXTON, M., 59, 61, 561, 562, 572
DOHERTY, N., 187, 204, 284, 563 DOLAN, R, 30, 31,69, 563
CALLAHAN, D., 89, 562 CAMP, R, 442, 575 CARLTON, D., 470, 562
DONALD, C , 265, 561 DONALDSON, D., 48, 560 DOPPMANN, R., 86, 160, 164, 166, 568,569 DOUGHERTY, C , 307, 563
BRYAN,
CARSON, R.,55,56, 570 CASSEL, D., 311,320,534,562,567 CASSON, M., 543, 562 CHALKLEY, M., 383, 397, 404,
425,
562
DRANOVE, D., 404, 425, 444,
445,
448,449,563,564 DRUMMOND, M., 35, 69, 515, 564 DUAN, N., 86, 265, 306, 564, 569
CHAO, L.-W., 474, 479, 563 CHARNES, A., 369, 371, 559, 562 CHIANG, A., 370, 562 CHRISTENSEN, L., 365, 562 CHRISTIANSEN, V., 504, 560 CLARK, D.,301,562 COATE, S., 504, 560
COCHRANE, A., 136-138, 148, 562 COCHRANE, J., 537, 562 COELLI, T., 378, 562 COMANOR, W., 476, 477, 562 COOK, R, 240, 563 COOKSON, R., 34, 69, 575 COOPER, W., 369, 371, 378, 559, 562,
563
EICHENBERGER, R., 495, 500, 576 ElSEN, R., 269, 576 ElSNER, R., 63, 564 ELLIS, R., 299, 301-304, 325, 400,
405,559,564,574 ENTHOVEN, A., 440, 551, 564 EPPLE, D., 504, 564
ESPOSITO, A.,301,303,565 EVANS, R., 90, 350, 365, 438,
542,
564 FAMA, E., 540, 564 FELDER, S., 202, 318, 534, 539, 564,
575
CRIVELLI, L., 480, 576
FELDSTEIN, R,11,192,204,564,571
CROCKER, K., 217, 563 CULYER, A., 33, 175,563
FERRARI, M., 528, 576 FETTER, R., 362, 564
CUMMINGS, R., 55, 563 CUTLER, D., 269, 563
FOLLAND, S., 11,564
R, 192, 204,472-476,479481,483,563,571
DANZON,
DARBÄ, J., 477, 563 DAVIES, A., 442, 575 DEBREU, G., 96, 563 DEBROCK, L., 466, 470, 563
DESVOUSGES, W., 58, 59, 567, 573 DlAMOND, R, 193, 563 DlEWERT, W., 363, 563 DIMASI, J.,461,563 DlONNE, G., 187, 204, 269, 284, 563 DIRADDO, J., 460, 575 DIXIT, A., 113,563
FRANCIS, J., 25, 568 FRANK, R., 297, 304, 564 FRANKEL, M., 58, 564 FRANZ, W., 199, 200, 202, 561 FRECH, H. I., 139, 140,570 FREEMAN, J., 362, 564
FREI, A., 497, 564 FRIEDLANDER, L., 152, 153, 570 F R I E S , J . , 5 2 0 , 564
FUCHS, V., 11, 141, 142, 333, 347, 516,565 GABAY, M., 145, 576 GAFNI, A., 26, 570 GARBER, A., 69, 565
Autorenverzeichnis GEGAX, D., 60, 565 GERARD, K., 59, 572 GERFIN, M., 85, 86, 165,569 GERTLER, R, 404, 559 GITTER, W., 558, 565 GLAZER, J., 286, 291, 295, 297, 304,
564,565
HERZOG, R., 199 HILL, S., 497, 564
HlRTH, R.,538, 571 HÖPFLINGER, R, 524, 566
HOFF, J„ 192,204,571
HOFFMEYER, U., 452, 476, 566 HOFMANN, J., 199,573
GLIED, S., 449, 565
HOLLE, R., 301, 322, 560
GOLD, L., 61, 562
HOMBURG, S., 199, 200, 202, 561 HOUSTON, M., 154, 566 HOY, M., 79, 113, 114, 229, 566
GOLDBERG, G., 265, 442, 443, 561,
569,575 GOLDBERGER, A., 143, 565
579
HUBERMAN, G., 233, 239, 566
GOLLIER, C , 269, 565
HUGHES, J., 59, 572
GOODMAN, A., 11, 564
HURLEY, J., 69, 204, 566
GOULD, J.,233, 565
HUTCHINSON, G., 150, 565
GOUVEIA, M., 504, 565 GRABKA, M., 534, 566 GRABOWSKI, H., 460-462, 563, 565 GRAHAM, D., 240, 563 GRAHAM, J., 57, 566 GRANT, A., 59,561 GRAVELLE, H., 149, 150, 565 GRAY, A., 542, 565 GREENBERG, W., 541, 573 GREENE, W. H., 135, 149, 307, 364,
376,565 GREENWALD, L., 301, 303, 565 G R E S S . S . , 301,322, 560 GROSSMAN, M., 78, 85,112, 118,
139, 161, 164,566 HADAMIT, H., 460, 559 HAMMERTON, M., 58, 64, 567 HAMMITT, J., 57, 566 HANSEN, R., 460, 461, 563, 566 HARSANYI, J., 191,566 HAUFLER, A., 504, 561 HAUSER, H., 440, 566 HEINECK, M., 301, 322, 561 HELLER, R, 508, 566 HEMING, R., 508, 566 HENDERSON, J., 11, 204, 569 HENKE, K.-D.,534, 566 HENSHER, D., 59, 60, 566, 569 HENTELEFF, R, 498, 572
119,
ILLICH, I., 13, 566 INGBER, M., 301, 303, 565 JACOBOWITZ, S., 139, 566
JACOBS, K., 311, 320,567 JÖRESKOG, K., 143, 567 JOGLEKAR, R, 461,462,567 JOHANNESSON, M., 29, 30, 36-38, 69,
560,567 JOHN, J., 150,567 JOHNSON, F. R., 59, 567 JOHNSON, L., 475, 559 JOHNSON, R., 105, 560 JONES, A., 306, 567 JONES-LEE, M., 58, 64, 567
JORGENSON, D., 365, 562 KAHNEMAN, D., 38, 54, 567 KANNEL, W., 146, 567 KEELER, E., 151, 265, 306, 442, 567,
569,575 KEELER, E.B. AND, D. A., 265, 561
KEELING, E., 301-303, 570 KEENEY, R., 32, 567
KESSEL, R.,441,498, 567 KlFMANN, M., 191, 202, 204, 278, 315-317, 319, 322, 493, 504, 537,539,564,567 KLARMAN, H., 25, 568
580
Autorenverzeichnis
KLOSE, T., 55,57,568
MA, C.-T. A.,403,405,569
KNAPPE, E., 199, 200, 202, 568
MAGNUS, J., 109,569
KNAUS, T., 298, 299, 302, 321, 571 MALCOMSON, J., 383, 397, 404, 425, KOHNERT, R, 508, 566 562 KOLMAR, M., 33, 45, 49, 50, 204, 561 MALTHUS, T., 130,569 KORFF, M. VON, 301, 562 MANNING, W., 86, 265, 269, 301-303, KRAFT, K., 348, 568 306, 442, 443, 564, 569, 570, KRÄMER, W., 348, 508, 568 576 KUMBHAKAR, S. C , 378, 568
KUNREUTHER, H., 538, 571
MANZHAF, M., 59, 567 MARCHAND,M.,301,569 MARQUIS, M., 264, 265, 306,
569,
571 LABELLE, R., 350, 568 MARTINSSON, R, 494, 560 LAFFONT, J.-J., 28, 185, 363, 383, 397, MASON, J.,515, 564 425,472,475,568 MASTHAY, R, 265, 561 LAMERS, L„ 301, 302, 311,315, 568, MAYERS, D., 233, 239, 566 574 MAYNARD, A., 23, 569 LANCASTER, K., 60, 453, 568 MCCARTHY, T., 452, 476, 566 LASAGNA, L., 461, 563 MCCLELLAN, M., 423, 569 LAU, L., 365, 562 McGuiRE, A., 11,204,569 LAUNOIS, R., 432, 433, 572 McGuiRE, T., 286, 291, 295, 297, LAUTERBACH, K., 199, 298, 302, 568
LAVE, L., 155,568 LEIBOWITZ, A., 265, 306, 442, 443,
569 LEU, R., 85, 86, 160, 164-166, 568, 569 LEVESON,L, 130, 131, 133, 136, 138,
139, 143, 144, 147, 150,559 LEVY, J.,301,303,565
LEWIS, T.,414, 572 LlCHTBLAU, K., 452, 569 LITSCH, M., 480, 481,569
304, 350,400,564,565, 569 MclNTOSH, E.,61,572 MCKENNA, C , 79,113,114, 229, 566 MCKEOWN, T., 146, 569
McKlNLAY, J., 146, 147, 570 MCKINLAY, S., 146, 147, 570 MEHREZ, A., 26, 570 MEIER, V., 536, 560 MEINHARDT, V., 197, 570 MEYER, J., 390, 570 MEYER, U., 536, 570 MILLER, R., 139, 140,570 MITCHELL, R., 55, 56, 570
LIVERNOIS, J., 79, 113,114, 229, 566 LOHR, K.,265,561 MOONEY, G., 11, 204, 569, 570 LOPEZ, E., 147, 155,569 MOORE, E, 136-138, 148, 562 LORENZ, N., 301, 315, 316, 322, 561, MOORE, S.,442, 570 567 MORRIS, C , 86,564 LOUVIERE, J., 60, 569 MORRISON, M., 57, 560 LOVELL, C , 378, 568 MOSSIN, J., 232, 570 LUBITZ, J., 520, 569 MÜHLENKAMP, H., 348, 561 LUCE, R. D., 59, 569 MULLAHY.J., 158,159,171,306,570 LUFT, H.,441,569 MURRAY, C , 25, 570 LYTTKENS, C , 510,569 MUSHKIN, S., 106, 570 MUURINEN, J.-M., 83, 85, 570
Autorenverzeichnis NEUBAUER, G., 497, 570 NEWHOUSE, J., 11, 86, 152, 153, 167,
581
REICHELT, H., 480, 4 8 1 , 569 REINHARDT, U., 90, 572 REIS-ARNDT, E., 461, 572 REITMEIR, P., 301, 322, 560 RESCHKE, P., 199, 311, 320, 567, 573 RHODES, E., 369, 562
264, 265, 301-303, 306, 442, 443,561,564,569-571,575 NOCERA, S.,55, 571 NORDHAUS, W.,465,571 NUSCHELER, R., 298, 299, 302, 321, RlCE, T.,350,568 RILEY, G., 520, 569 571 ROGER, W., 442, 575 O ' B R I E N , B . , 3 5 , 6 9 , 564 ROGERS, W„ 265, 442, 443, 561, 569 OBERENDER, R, 477, 571 ROLPH, J.,265,567 OLSON, M . , 4 9 7 , 571 ROMANO, R., 504, 564 OSTRO, B., 155, 156, 158, 160, 571 ROOS, L.,498, 572 ROOS, N.,498, 572 PAFFRATH, D., 366, 368, 452, 461, ROSA, J., 432, 433,572 561,573 ROSEN, S., 64, 574 PANZAR, J., 364, 560 ROSENTHAL, G., 25, 568 PARRISH, J.,460, 575 ROSENZWEIG, M., 158, 161, 572 PATERSON, M., 461, 462, 567
PAULY, M., 192, 204, 252, 269, 350, 538,571 PECKELMAN, D., 60, 571 PEDRONI, G., 462, 576 PELTZMAN, S.,460, 571 PERLOFF, J., 470, 562 PHELPS, C , 11, 86, 167, 264, 265,
571 PHILLIPS, L., 147, 155,569 P H I L L I P S , P . , 5 8 , 6 4 , 567 PHILLIPS, V., 542, 565 PINDYCK, R., 157, 571 PLISKIN, J., 30, 37, 38, 567, 571
POMMEREHNE, W., 38, 571 POPE, G., 404, 572 PORTNEY, P., 158, 159, 171, 570 PREUSS, W., 366, 368,561 QUIGGIN, J„ 28, 32, 65, 560 RAIFFA, H., 32, 567 RAMSEY, F., 472, 572
RAO, D., 378, 562 RATCLIFFE, J., 59, 572
RAVIV, A., 233, 239,572 RAWLS, J., 191,572 R E E S , R . , 7 9 , 113, 114,229,566
ROTHSCHILD, M., 186, 205, 572
ROVIRA, L, 477, 563 RUBINFELD, J., 157, 571 RÜRUP, B., 199 RUHR, P.-A., 454, 572 RYAN, M., 59, 61,572 SALA I MARTIN, X., 113, 559 SALKEVER, D., 378, 572 SANDERS,K.,301,562 SAPPINGTON, D., 414, 572 SARACHEK, D., 130, 131, 133, 136,
138, 139, 143, 144, 147, 150, 559 SATO, M., 301,569 SATTERTHWAITE, M., 425, 449, 564
SCHAPER, K., 265, 572 SCHELLHORN, M., 318, 573 SCHERER, F.,483, 573 SCHIFFHORST, G., 199, 573 SCHLESINGER, E., 442, 573 SCHLESINGER, H., 269, 573 SCHLESINGER, M., 442, 573 SCHMIDT, R., 366, 368, 561 SCHNABEL, R., 199, 200, 202, 561 SCHNEIDER, F., 38,571 SCHÖFFSKI, O., 69, 573
582
Autorenverzeichnis
SCHOKKAERT, E., 3 0 1 , 569 SCHRÄDER, W., 1 9 9 , 5 7 3 SCHULENBURG, J.-M. GRAF VON DER,
STR0M, A.,410, 574
SCHULZE, W., 55, 563
THALER, R., 64,
SWAIT, J., 60, 569 SYDS^TER, K.,410,
574 69, 264, 348, 502, 521, 523, 568, TAUBMAN, R, 75, 559 573 TELSER, H., 55, 59-61, 571, 574 SCHULTZ, R, 158, 161,572 TERPORTEN, M., 452, 574 SCHULZ, E., 197,570 574
SCHUT, F., 192, 204, 302, 541, 573, THOM, T., 146, 567 THOMPSON, J., 362, 564 574 TIROLE, J., 363, 383, 397, 425, 472, SCHWABE, U., 452, 461,573 475,568 SCITOVSKY, A., 264, 573 TOBIN, J., 189,574 SCOTT, A., 59, 575 TOLKSDORFF, K., 301, 322, 560 SEHLEN, S., 199, 573 TONE, K., 378, 563 SEIFORD, L., 378, 563 TORRANCE, G., 35, 38, 69, 515, 564, SELDEN, T., 286, 573 574 SELKE, G., 480, 481,569 TRIMBLE, A., 460, 575 SEN, S.,60, 571 TUKEY, J., 59, 569 TVERSKY, A., 38, 54, 567
SESKIN, E., 155, 568 SHACKLEY, R, 61, 572 SHELDON, R., 59, 61, 561, 562 SHEPHARD, D., 30,571 SHERBOURNE, C , 442, 575 SHIN, Y., 362, 564
ULRICH,
VAN BARNEVELD, E., 192, 204,
302,
303,311,315,574
SlLOS, M., 147, 155,569 SIMON, G„ 301,562 SLOAN, R, 378, 573 SLOSS, E., 301-303,570 SMITH, JR., C. W., 233, 239, SMITH, V., 58, 232, 573 SNIDER, N., 264, 573 SNOW, A.,217, 563
V., 530-533, 561
VAN VLIET, R., 192, 193, 204,
301-
303,311,315,574 VANE, J., 460,
SPENCE, A.,253,258, 573 ST. LEGER, A., 136-138, 148, 562 STAHL, I., 432, 573 STANLEY, L., 60, 565 STANO, M., 11, 564 STEELE, H., 476, 574 STEINMANN, L., 372, 374, 574 STENGOS, T„ 79, 113,114, 229, STERN, J., 150,565
VERBRUGGE, L., 128, 575 VERNON, J., 460-462, 565
ViCK, S.,59, 575 VlRTS, J., 462, 575 VlSCUSl, W., 57, 575 WAGSTAFF,
566
STIGLER, G., 456, 574 STIGLITZ, J., 186, 205, 572 STODDART, G., 35, 69, 350, 564, STROTZ, R., 63, 564
574
VAN DE VEN, W., 192, 193, 204, 299, 301-304, 311, 315, 325, 541, 573,574 VARIAN, H., 365, 574
566
568
A., 34, 78, 83-86, 119,
575 WAKKER, P.,29, 30, 560 WALKER, S., 460, 575 WALZER, M., 189,575 WARDELL, D., 460, 575 WARE, JR., J., 265, 442, 561,
575
Autorenverzeichnis WASEM, J., 301, 311, 320, 322,
560,
567 WASER, O., 226, 264, 265, 576 WEINSTEIN, M., 30, 37, 38, 567, WEISBROD, B., 52, 575 WERBLOW, A.,318, 575 WERDING, M., 536, 560 WESTON, J., 462, 575 W I G G I N S , S., 460, 575
571
WlLLE, E., 199, 200, 202, 298, 302, 561,568 WILLIAMS, A., 34, 69, 575 W I L L I A M S . B . , 189, 575
WlLLIAMSON, O., 543, 575 WILLIG, R., 364, 560 W I L S O N , C , 186, 187, 205, WINTER, R., 245, 269, 575 W O L F E , B., 145,576
575
W u , S . , 462,464,576 YOUNG, W., 362, 576 Yu, W„ 301, 559 ZECKHAUSER, R., 253, 258, 269,
563,
573,576 ZWEIFEL, R, 38, 59, 61, 86, 167,
178,
226, 264, 265, 269, 302, 372, 374, 462, 464, 480, 495, 500, 521,528,560,571,574,576
583
Sachverzeichnis
2SLS, siehe Two Stage Least Squares (2SLS) Adverse Selektion, 185, 203 Äquivalente gesunde Jahre, siehe HealthyYears Equivalents (HYEs) Äquivalenzprinzip, 209 Ärztedichte, 132,133,135,136,139,143, 145, 151, 166, 168, 170, 331, 333337 und Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen Alternative Erklärungen, 345-347 und angebotsinduzierte Nachfrage, 334-337 Empirische Studien, 347-349 Zusammenhang, 332-334 und relative Ärzteeinkommen, 500 Ärzteschwemme, 332, 499 Ärzteverbände, siehe Berufsverbände Ärztliche Leistungen Inanspruchnahme von, 332-334, 336 Qualität der, 556 Alkoholkonsum Einfluss auf die Gesundheit, 128, 132, 136, 138, 148, 149
Altersbevölkerung Politischer Einfluss, 509, 527, 545 Sterblichkeit, 527 wachsende, 525, 529 Altersgrenze in der Sozialversicherung, 89 Alterskoeffizient, 525 Altersrückstellungen in der Privaten Krankenversicherung (PKV), 535-538 Übertragbarkeit, 536 Alterung der Bevölkerung, 129, 518 Alterangsindex, 153 Altruismus, 177 lexikographischer, 401 Anbieterdichte, 101, 102, 112 Angebotsinduzierte Nachfrage, 331,334337 Arbeitslosigkeit Einfluss auf die Gesundheit, 148 Arzneimittel Ausgaben, 132,451 Bagatell, 224 Budgets, 476
586
Sachverzeichnis
Arzneimittel (fortgesetzt) frei praktizierender, 419, 425 freie Verbandswahl, 502 Entwicklungskosten von, 461, 462 HMO-Arzt, 440, 441 Erfolgswahrscheinlichkeit von, 460 Informationsvorsprung des, 90, 336 Europäische Union, 473 Kassenarzt, 336 Festbetrag, 225, 266, 456,479^81 Kostenrisiko, 419 Fixkosten, 473, 474 Optimale Vergütung, 418-419 Forschungswettbewerb, 461 Patientenselektion, 418 Generika, 478, 479 Qualitätsabhängige Nachfrage, 418 Hersteller von, 452 Qualitätssicherung, 418 Innovationen, 461 risikoaverser, 418 Rendite von, 461^64 als Sachwalter, 435-436 internationale Preisunterschiede, 474 als Türhüter, 331 Kapitalrendite, 475 Verschreibung des, 334 Konsumtechnologie eines, 454, 480 Asymmetrische Information Kostenbeteiligung, 480 Abbau, 415, 419 Lizenzvergabe, 477 über die Fallmischung, 382, 393-397, Managed Care, 473 Marktzutritt, 454 415 Nachahmer, 477,479 über den Kostentyp des Patienten, 407, Nebenwirkung, 454 409,413,415 Neueinführung, 461 auf Krankenversicherungsmärkten, 185Parallelimporte, 473, 557 187, 205-217 Phase überdas Krankheitsrisiko, 185-187,205217 klinische, 460 und indirekte Risikoselektion, 274 vorklinische, 458, 459 Atemwegserkrankung, 157, 158 Preisdifferenzierung, 473, 557 Ausbildung Preisdiskriminierung, 473 Preise Produktivität, 144 Schulische, 132, 135, 136, 142 Trittbrettfahrer, 473 Preisregulierung, 453, siehe Preisregu- Ausgabenausgleich lierung, 471-476 Anreize zur Kostenkontrolle, 277, 314 Preiswettbewerb, 453, 476-481 Ausgestaltung, 309-316 Qualitätsmerkmale von, 453, 454, 456 Bemessungsgrundlage, 310 Referenzpreise, 474 Definition, 275 Reimporte, 557 in Deutschland, 321-322 Tierversuche, 452, 458 Empirische Studien, 315-316 Werbung, 452 mit Obergrenze, 313 Werdegang eines, 453, 459 optimaler, 315 Zulassungsbehörde, 454 proportionaler, 313 Zuzahlungen, 266 risk sharing for high costs, 311, 315, Arzt 316, 324 Behandlungsstrategie, 335 risk sharing for high risks, 311, 315, Berufsethik, 502 316,324 und Rückversicherung, 312 als Einkäufer von Drittleistungen, 445 mit Schwellenwert, 313 fest angestellter, 419, 425
Sachverzeichnis Ausgabenexplosion, 3, 14 Ausgleichsbedarfssatz, 320 Ausschlussprinzip, 176, 178 Bagatellarzneimittel, 224 Barwertkriterium Definition, 461 Pharmazeutische Innovationen, 462 Behandlungserfolg nicht verifizierbarer, 400 verifizierbarer, 398-400 Behinderungsbereinigte Jahre, siehe Disability-Adjusted Life Years (DALYs) Beitragsbedarf, 319 Beitragsbemessung in Deutschland, 196 in der Schweiz, 198 Beitragsbemessungsgrenze, 197 Beitragsrückerstattung, 226 Beitragszuschüsse, 200 Beiträge einkommensproportionale, 486, 491-493 Belegarztsystem, 432 Belgien Ärzteverbände, 501 Ärztedichte, 501 Berufsethik, 498, 502 Berufsverbände Berufsethik, 498 Homogene Interessen, 497 Kartellfunktion, 495 konkurriende, 502 Marktzugangskontrolle, 496 Numerus clausus, 499 Öffentliche Gelder, 496 Politische Interessenvertretung, 498499 Preisabsprachen, 496 Rolle im Gesundheitswesen, 495-503 Sicherung der Behandlungsqualität, 498
587
Sicherung der Einkommenschancen, 499-501 Umverteilung, 496 Wettbewerb der, 501-503 Zwangsverbände, 502 Betrachtungsweise einzelwirtschaftliche, 4, 11 ethische, 3 gesamtwirtschaftliche, 4, 7, 11 Bettenzahl Regulierung, 364 Bidding Game, 55 Billigmedizin, 448 Bonus Bonus-Option, 264, 265 Bonusprogramme in der GKV, 318, 321 Bonussysteme, 226 BPflV, siehe Bundespflegesatzverordnung Budget festes, 421 öffentliches, 8, 10 Bundespflegesatzverordnung (BPflV), 354 Bürgerversicherung, 199 Intergenerative Folgen, 202, 539 Carve-out, 275, 296 Case-mix, 393 CBA, siehe Kosten-Nutzen-Analyse CEA, siehe Kosten-Effektivitäts-Analyse Chancengleichheit auf dem Krankenversicherungsmarkt, 275,298,299,309, 316, 324 Conjoint-Analyse, 59 Contingent-Valuation-Methode, 53, 5559,68 Closed-Ended Technique, 55 Ja-Nein-Fragen, 55 Offene Fragen, 55 Open-Ended Technique, 55 Verzerrungen, 56 Cost-Benefit Analysis, siehe KostenNutzen-Analyse Cost-Effectiveness Analysis, siehe KostenEffektivitäts-Analyse
588
Sachverzeichnis
Cost-shifting, siehe Kostenverschiebungen Cost-Utility Analysis, siehe KostenNutzwert-Analyse Cream-skimming, 193, siehe Risikoselektion CUA, siehe Kosten-Nutzwert-Analyse
und Vergütung von Krankenhäusern, 422-425 Direktinvestitionen internationale in Rrankenhäuser, 509, 542-544 Disability-Adjusted Life Years (DALYs), 25 Discrete-Choice-Experimente (DCEs), 53, Dänemark 59-62, 68 Arzneimittel Annahmen, 60 Preisregulierung von, 474 Disease-Management-Programme(DMPs), DALYs, siehe Disability-Adjusted Life 317,318,321 Years (DALYs) und Risikostrukturausgleich, 319 Data Envelopment Analysis (DEA), 369- Diskriminierungsverbot, 193, 195, 204, 372 273, 282, 293, 323, 553 DCEs, siehe Discrete-Choice-ExperiDMPs, siehe Disease-Management-Promente (DCEs) gramme (DMPs) DEA, siehe Data Envelopment Analysis DRGs, siehe Diagnosis Related Groups (DEA) (DRGs) Demographische Alterang, 530,533,545 Drug Price Competition and Patent Term Demokratie Restoration Act, 477 direkte, 485 Einstimmigkeitsregel, 493 und kollektiv finanzierte Gesundheits- EBM, siehe Einheitlicher Bewertungsmaßstab (EBM) versorgung, 486-495 Egalitarismus Mehrheitsregel, 487, 488, 493 Spezifischer, 189 Deutschland Eigenbeteiligung Ärzteverbände, 499 der Versicherten, siehe Selbstbehalt, Ärztedichte, 501 siehe Selbstbeteiligung Arzneimittel, 452 Einheitlicher Bewertungsmaßstab (EBM), Preisregulierung von, 476 173, 420, 507 Arzneimittelausgaben in, 481 Einheitskasse, 279 Kassenärztliche Vereinigungen, 499 Kostenbeteiligung für Medikamente, Einheitsprämie, siehe Kopfpauschale Einpersonen-Haushalte, 522, 524, 545 456 Krankenversicherungssystem, 195,204, Einzelleistung Krankenhaus, 357, 358 554 Einzelleistungsvergütung Preiswettbewerb von Arzneimittel, 479 Anreize, 416 Diagnosetechnik Arzt, 419 und angebotsinduzierte Nachfrage, 336 Krankenhaus, 421^24 Diagnosis Related Groups (DRGs), 362, EMEA, siehe European Medicines Agen382, 422 cy (EMEA) und Einzelleistungsvergütung, 423 Endogenitätsfehler, 135, 158, 160, 162 und Fallpauschalen, 423 Entwicklungsländer, 106 Kodierungsintensität, 423
Sachverzeichnis
589
Fragebogenstudien Ertragssatz intemer, 461, 463 Grundsätzliche Probleme, 53 Erwerbsbevölkerung Franchise, 226 Frankreich schrumpfende, 527, 545 European Medicines Agency (EMEA), Arzneimittel Preisregulierung von, 474 454 Europäische Union Arzneimittelmarkt in, 477 Arbeitsmarkt, 509 Arztlöhne, 541 Integration des Versicherungsmärkte, Krankenhäuser, 432 540 Soziale Krankenversicherang, 540 Versicherungspflicht, 433 Öffnung der Arbeitsmärkte, 503 Parallelimporte, 477 Gebührenordnung, 225, 333, 335 Zulassung Medikamente, 454 für Ärzte (GOÄ), 173, 420, 507 Zwangsverbände, 503 staatlich verordnete, 3, 173 Evaluationsverfahren, 19-69 Geldtransfers, 177 Externe Effekte, 174, 175, 177-179 Generika, 478,479 physische, 175, 176 Gerechtigkeit, 174, 175, 187, 191 psychische, 175, 177 Gesetzliche Krankenversicherung (GKV), Extra-Welfarismus, 33, 34, 46, 65, 68 554, 556 Faire Versicherung altersabhängige Beitragssätze, 539 Definition, 231 Arzneimittelerstattung, 456, 479, 481 und Vollversicherang, 232 Ausgabenentwicklung, 530 Fallpauschale, 384, 416 Ausweitung des Versichertenkreises, 199, als Honorarform, 417 539 und Behandlungsqualität, 403 Beitragbemessungsgrenze, 197 diagnosebezogene, 421, 422 Beitragsbemessung, 196-197 und Diagnosis Related Groups (DRGs), Beitragssatz Entwicklung, 2, 4, 197 423 Festschreibung, 7 im Krankenhaus, 422 Prognose, 530-534, 545 optimale, 403, 408, 410 Intergenerative Umverteilung, 521 und Selektion der Patienten, 405, 408, Kapitaldeckung, 539-540 410,413 Lebensnettotransfer, 523 FDA, siehe Food and Drug AdministratiParitätische Finanzierang, 196 on (FDA) Prognose Festbetrag für Arzneimittel, 225, 266, 456, 479Ausgaben, 530-534 Beitragssatz, 530-534, 545 481 Reform, 199-203, 539-540, 558 Finanzausgleichssysteme, 275, siehe AusVergütung von Ärzten, 417 gabenausgleich, siehe RisikostrukVergütungssystem, 551 turausgleich (RSA) Versichertenkreis, 198 Anforderungen, 299-300 Versicherungspflichtgrenze, 199 Finanzkraft, 319 Food and Drug Administration (FDA), 455, 458
590
Sachverzeichnis
Gesundheit Besonderheiten der, 73, 74 als Teil des Humankapital, siehe Grossman-Modell als Kapitalgut, 74 Marginale Zahlungsbereitschaft für, 77, 90-92,94,100, 112 Nachfrage nach, 82-87, 161-169 Gesundheitsausgaben, 148, 167 als Anteil am Bruttoinlandsprodukt, 2 Einfluss der Altersbevölkerung auf, 527 öffentliche, 137, 138 Prognose, 530-534 Gesundheitsdienst nationaler, 19,173,194,195,204,419, 433, 437^38, 448, 486, 550 Gesundheitsökonomik Ökonomik der Gesundheit, 11-12,549 Ökonomik des Gesundheitswesens, 13-14, 549 Gesundheitspolitische Empfehlungen, 552-557 Gesundheitsproduktion, 73-112 als Einflussnahme auf einen Zufallsprozess, 88-111 Empirie, 85-87, 127-170 als Investition, 77 Produktionsfunktion, 75-77, 111 Produktionsprozess, 76, 95 Gesundheitsprämie, 199, siehe Kopfpauschale Gesundheitsquote, 4, 8, 9, 11 optimale, 5, 7, 9, 10 Gesundheitsreformgesetz (GRG), 479, 480, 532 Gesundheitsstrukturgesetz (GSG), 476 Gesundheitsverhalten Instabilität des, 75, 102, 104, 112 Gesundheitswesen Grenzproduktivität des, 130-151 Staatliche Regulierung des, 3 Systemanalyse des, 14, 15
Gesundheitszustand Abfolge, 88, 94 Kontrolle über den, 518-521 Messung, 151-152 GKV, siehe Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) GKV-Modernisierungsgesetz (GMG), 1, 318,321 Gleichgewicht trennendes, 186, 187, 206, 208, 209, 213-217,283,284 vereinendes, 186, 206, 208, 210, 212, 283 Globalsteuerung, 8 GMG, siehe GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) GOÄ, siehe Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) Grenzproduktivität der Aufwendungen im Gesundheitswesen, 521 der Medizin, 77, 129, 136, 145-147, 152, 168, 169 GRG, siehe Gesundheitsreformgesetz (GRG) Grossman-Modell, 77-87 Empirische Überprüfung, 85 Formale Herleitung, 113 Herleitung der Nachfragefunktion, 115 Investitionsgut-Variante, 80, 82-84 Konsumgut-Variante, 80, 84-85 Nachfrage nach Gesundheit, 116, 117 Nachfrage nach medizinischen Leistungen, 117 reduzierte, 118 strukturelle, 118 Großbritannien Ärztedichte, 500 Arzneimittel Preisregulierang von, 475 Arztlöhne, 542 Gesundheitsdienst, 431, 433, 499, 515 Gruppenpraxis, 132, 133, 440, 441 GSG, siehe Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) Guaranteed renewability, 538
Sachverzeichnis Hamsterrad-Effekt, 420 Health Maintenance Organization (HMO), 419, 434, 436, 439-448, 502, 553, 555 Kostenverschiebungen, 443 Kostenvorteile, 441-443 Kostenwirkungen, 443^148 Risikoselektion durch, 441 als Sachwalter, 440^41 in der Schweiz, 318, 554 Healthy-Years Equivalents (HYEs), 26, 31 Herausforderung demographische, 508, 518-524 internationale, 509, 540 technologische, 508 Herz-Kreislauf-Erkrankungen, 146, 149, 152, 154 Herzog-Kommission, 199 Hilfspersonal Medizinisches, 132, 133 HMO, siehe Health Maintenance Organization (HMO) Honorierangssystem, 11, 14,416 gemischtes, 419, 425 Honorarform, 417,419 Behandelte Patienten, 417 Behandlungsepisode, 417 Einzelleistungen, 417 Faktormengen, 417 Perioden-Fixum, 418 Potentielle Patienten, 417 Honorartarif, 418^20 degressiver, 419 Honorarsatz, 418, 419 Honorarverfahren, 416 einstufiges, 417 zweistufiges, 417 Humankapital Gesundheit als, 77-87 Humankapitalansatz, 43-44, 68 HYEs, siehe Healthy-Years Equivalents (HYEs)
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ICD, siehe Intemational Classification of Diseases (ICD) Inanspruchnahme medizinischer Leistungen und Versicherungsdeckung Empirie, 264-266 Theorie, 253-264 Indemnität, 257, 268 Indemnitätstarif, 226 Independent Practice Association (IPA), 441 Informationen öffentliche, 205, 211, 212, 215 private, 205, 212, 214, 215, 217 Informationsrente, 363, 382, 394 erwartete, 394, 395, 397, 424 Infrastruktur medizinische, 136, 145, 152, 153, 169 Innovation medizintechnologische, 145 organisatorische Health Maintenance Organization(HMO), 510 pharmazeutische, 145 Produktinnovation, 553 Innovationen Durchbruch, 454^56, 458, 461, 480 als Investition, 453, 458^64 marginale, 455 medizinische, 509 Nachahmer, 465 Optimale Allokation, 510, 512 organisatorische, 508, 509, 511, 514, 544 pharmazeutische, 461-464, 479 Produktinnovationen, 453, 458, 476, 508, 509, 511, 512, 514, 515, 525, 544 Prozessinnovationen, 453,508-512,514, 515,544 Rendite von, 453, 461, 464 Soziale Rendite, 462, 464 Technologische Dominanz, 455 Intergenerative Transfers und Umlageverfahren, 534
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International Classification of Diseases (ICD), 362, 366, 367 Investitionsausgaben Arzneimittel, 460 IPA, siehe Independent Practice Association (IPA) Irrationalität, 181 Italien Arzneimittel Preisregulierung von, 474 Arzneimittelmarkt in, 477 Gesundheitsdienst, 431,433 Japan Demographische Herausforderung, 508 Kaldor-Hicks-Kriterium, 24 Kanada Arzneimittel Preisregulierung von, 474 Arztlöhne, 541 Krankenversicherung, 431 Kantonale Ärztegesellschaften, 499, 555 Kapitaldeckung in der Gesetzlichen Krankenversicherang (GKV), 539-540 kollektive, 202 in der Krankenversicherung, 534-540 in der Privaten Krankenversicherung (PKV), 535-538 Kassenärztliche Vereinigungen, 417,420, 499, 555 Kollektivgut, 175, 203 Komplementarität in der Gesundheitsproduktion, 108,110 Konj unktureinflü s se auf die Gesundheit, 147-151 Konsum Abwägen zwischen Gesundheit und, 5, 7, 12, 17 Präferenzen zwischen Gesundheit und, 10 Konsumentensouveränität, 174, 179 Kontrahierungszwang, 193,273,274,555
Kopfpauschale, 199, 200, 202, 486, 490, 493_495, 555 Kopfprämie, siehe Kopfpauschale Kosten-Effektivitäts-Analyse, 21, 22, 67 Kosten-Nutzen-Analyse, 20, 24, 38-64, 67 Ansatz der Zahlungsbereitschaft, 44 und Einkommensverteilung, 51, 53 Entscheidungsregel, 45 und gesellschaftliche Wohlfahrtsfunktionen, 49 Humankapitalansatz, 43—44 Vergleich mit Kosten-Nutzwert-Analyse, 64,69 Zahlungsbereitschaftsansatz, 44-46 Kosten-Nutzwert-Analyse, 22, 23, 67 Konzepte der Nutzenmessung, 25-26 Optimales Budget, 24 Vergleich mit Kosten-Nutzen-Analyse, 64,69 Kostenbeteiligung der Leistungserbringer, siehe Prinzip der vollständigen Kostenverantwortung der Versicherten, 553, siehe Selbstbehalt, siehe Selbstbeteiligung für Medikamente, 456^58 Kostenerstattungsprinzip, 417 Kostenexplosion, 1, 3, 8, 145 Kostenverschiebungen, 443,444, AA1-AA9 Kovarianzanalyse strukturelle, 143, 145 Krankengeld, 196 Krankenhaus Aktivität Behandlungsfälle, 357 Einzelleistungen, 357 Faktoreinsatz, 357 Pflegetage, 357 als Produktionsbetrieb, 355-362 Behandlungsfälle, 361 Bettenzahl, 360, 364, 365 Budget, 422 Effizienzvergleich, 372-377, siehe Krankenhausbetriebsvergleich
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Krankenhaus (fortgesetzt) Krankenhausvergütung, 420-424 Fallmischung, 366 Einzelleistungen, 422 Kostenübernahme, 422 Hotelleistung, 355 Vergütungsform, 420 Istkosten, 367 Bettenzahl, 421 Kostenfunktion, 363-369 Einzelleistungen, 421 Medizinische Effizienz, 358 Faktormengen, 421 Medizinische Leistung, 355 Fallpauschale, 421 als Mehrprodukt-Untemehmen, 363 Pflegetage, 421 Normkosten, 367 Tagespflegesätze, 421 optimale Betriebsgröße, 364, 367 Vergütungstarif, 420 Optionsnachfrage, 356, 360, 378 Vergütungsverfahren, 420 Patientenselektion, 421 Krankenversicherung Pflegeleistung, 355 Pflegerische Effizienz, 357 und asymmetrische Information, 185Pflegetage, 358, 359, 365 187 Produktionsfunktion des, 363 Deutschland, 273, 297, 298, 316, 324 Produktionskorrespondenz, 369-377 Einfluss auf Arzneimittelpreise, 479 gesamteuropäische, 541 Qualitätsabhängige Nachfrage, 421 Marktversagen, 183-187 Qualitätssicherung, 421 nationale, 433, 438-439 und Risikoaversion, 421 optimale, siehe Versicherung, optimaSkalenerträge, 364, 367 Technische Effizienz, 357 le Trägerschaft, 365, 367 private, 439 Verhaltens-Kostenfunktion, 365 Schweiz, 273, 324 Verweil-Effizienz, 358, 359 Soziale, 189,486 zeitkonsistente, 537 Verweildauer, 358 Krankenversicherungs-KostendämpfungsVorhalteleistung, 360, 422 Zwischenprodukte, 357, 358, 360 gesetz (KVKG), 1 Krankenhausbetriebsvergleich, 362-377, Krankheit 557 Direkte Nutzenwirkung, 240 Nichtparametrischer Ansatz, 369-378 Risiko, 211,217 Vorbeugung, 222, 244 Parametrischer Ansatz, 363-369, 378 Anreize bei Vollversicherung, 267 Krankenhauskosten beobachtbare, 247 Behandlungsfall, 367 nicht beobachtbare, 248 Bett, 367 optimale, 245-253 Diagnosespektrum, 367 und Selbstbeteiligung, 249 Eigentumsrechte, 367 und Solidarausgleich, 267 Fall, 367 KVKG, siehe Krankenversicherungs-KostenFallmischung, 367 dämpfungsgesetz (KVKG) Istkosten, 367 Normkosten, 367 Langzeitstudien, 154 Pflegetag, 367 Leben Krankenhaustage, 167-169 identifiziertes, 40, 42 statistisches, 4 0 ^ 3 , 57-59, 68
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Lebenserwartung, 127-130,133,145,147 nach Geschlechtern, 522 Zunahme der, 127, 161 Lebensjahre gewonnene, 22 Lebensnettotransfer, 522, 523 Lebensqualität, 128 Zuwachs an, 23 Lebensstil, 136, 142, 143, 145, 150, 164 Veränderangen des, 145 Leistungserbringer risikoaverser, 387, 400 Leistungskatalog in der Krankenversicherung, 173 Leistungspaket Regulierung, 194, 274, 278, 279, 285, 296, 317, 318 Lemer-Index, 472 Luftqualität, 129, 155-160 Luftschadstoff, 160 Luftverschmutzung, 155, 157 Managed Care, 434, 440 Arzneimittel, 473 in der Schweiz, 318, 321 Marginale Zahlungsbereitschaft Definition, 45 Markov-Prozess, 88, 105 Markt für ärztliche Leistungen, 555 für Arzneimittel, 557 für Krankenhausleistungen, 556 Markttransparenz, 174, 181 Marktversagen, 173-175, 178, 179, 183 Matrix-Ansatz siehe auch Zell-Ansatz, 305 Maximin-Prinzip, 33 Me-too-Präparat, 452, 457, 478 Medikamente, siehe Arzneimittel Medizinische Leistungen Finanzierung der, 14 Nachfrage nach, 82-87,103,109,110, 264-266 Optimaler Aufwand für, 7 Produktivität der, 13
Rationierung der, 89 Zahlungsbereitschaft für, 103 Medizinischer Fortschritt, 508, 530, 532, 533, 545 Medizinischer Imperativ, 516 auf der Mittelebene, 517 auf der Zielebene, 516 Messung des Gesundheitszustands, 151-152 der Krankenhauseffizienz, 362-377 des Krankenhaus-Outputs, 360-362 der Zahlungsbereitschaft, 53-64 Migration von Beschäftigten des Gesundheitswesens, 541-542 Minderschätzung zukünftiger Bedürfnisse, 180, 181 Monetären Bewertung der Lebensdauer Aufrechnung des Lebens in Geld, 39 Endlichkeit des Wertes des Lebens, 41 Ethische Einwände und Rechtfertigungen, 39 Monopol natürliches, 471 Moral Hazard, 516, 517, 544, 553 bei Arzneimitteln, 471 Definition, 222 ex-ante, 192, 194, 222, 244-253, 267, 268 ex-post, 222, 253-264, 267, 268, 381, 516 Moralisches Risiko, 222, siehe Moral Hazard Morbi-RSA, siehe Morbiditätsorientierter RSA Morbiditätsorientierter RSA, 319, 322, 554 Mortalität, 130, 134, 136, 139, 141, 146, 150, 152 nach Sterbeursachen, 146 Mortalitätsrate, 131-137,141-143, 145150, 169, 171 als Erfolgsmaßstab, 129-130 Multinationale Unternehmen, 542, 543
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Patentschutz, 453 Begründung, 464^65 Dauer, 453 optimale, 465, 468^71 Entscheidungssituation des Innovators, 465-468 Monopolist auf Zeit, 464 Nachahmer, 465 Patient Management Categories (PMCs), 362 Patienten-Klassifikationssysteme, 362,378 Diagnosis Related Groups (DRGs), 362 International Classification of Diseases (ICD), 362, 366 Patient Management Categories (PMCs), 362 Patientenselektion, 382, 424 durch den Arzt, 418 bei asymmetrischer Information über den Kostentyp, 409 und Kostenerstattung, 413 durch das Krankenhaus, 421 bei symmetrischer Information über den Kostentyp, 408 Pauschalprämie, siehe Kopfpauschale Öffentliche Güter, 174, 176 Pflichtversicherung, siehe ZwangsversiÖkonomik cherung der Gesundheit, 11-12, 549 PMCs, siehe Patient Management Catedes Gesundheitswesens, 13-14, 549 gories (PMCs) OLS, siehe Ordinary Least Squares (OLS) Politische Ökonomie Opportunitätskosten, 167 des Gesundheitswesens, 485-505 Optionsgut, 178 PPO, siehe Preferred Provider OrganizaOrdinary Least Squares (OLS), 134 tion (PPO) Preferred Provider Organization (PPO), Paneldaten, 376 437, 441 Parallelimporte Preis-Mengen-Verträge, 185, 285 Verbot, 477 Preiselastizität der Nachfrage, 265, 267 Pareto-Kriterium und optimaler Versicherangsschutz, 262 Potentielles, 24, 48, 53 Preisregulierung Pareto-optimale Allokation, 174, 207 Arten der, 474-476 Pareto-Prinzip Arzneimittel, 453, 471^76 starkes, 49 direkte, 474 Referenzpreise, 474 Renditeregulierung, 475 Nachfrage abgeleitete, 164 angebotsinduzierte, 134,168,331,334337 nach Gesundheit, 82-87, 161-169 nach medizinischen Leistungen, 8287,163-169 und Versicherungsdeckung, 264-266 qualitätsabhängige, 403, 404, 414 Nachfrageschaffung Künstliche, 337, 338 National Health Service (NHS), 148,550 Arzneimittelvergütung, 475 Nettoprämie, 230 Neuseeland Arzneimittel Preisregulierung von, 474 Nichtmarktbereich, 109 Niederlande Arzneimittel Preisregulierung von, 474 Krankenversicherung, 431 Soziale Krankenversicherang, 540 Numerus clausus, 10, 499
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Sachverzeichnis
QALYs, siehe Quality-Adjusted Life Years Preiswettbewerb Arzneimittel, 453, 476-481 (QALYs) Primärnachfrage, 334, 337 Quality-Adjusted Life Years (QALYs), Prinzip der vollständigen Kostenverant26-38, 67 wortung, 383-387, 424 Bewertungsskala, 35 und asymmetrische Information über Definition, 22, 25, 29 die Fallmischung, 397 Diskontierung, 30 und Gesundheitskapital, 76 und asymmetrische Information über Hitliste, 23 den Kostentyp des Patienten, 414 für Innovationen, 515 Ausnahmen, 393, 397, 403, 414-415 Konstante proportionale RisikoaversiBedingungen, 414, 424 Definition, 382, 387 on, 31 und nicht verifizierbare Qualität, 403 Konstanter proportionaler Trade-off, 31 und risikoaverse Leistungserbringer, 393 und Konsum, 31 und Kosten-Nutzen-Analyse, 65 Private Krankenversicherung (PKV), 265, 554 Methode der zeitlichen Abwägung, 35, 36 Altersrückstellungen, 535-538 Übertragbarkeit, 536 Null-Bedingung, 29, 31 als Outputindikator, 128, 130 Kapitaldeckung, 535-538 und Prinzipien der kollektiven EntscheiVersicherangswechsel, 536 Wettbewerb, 536 dung, 33 Produkthaftung, 182 Proportionaler Trade-off, 30 und Risikoaversion, 31, 519 Produktionsmöglichkeiten, 112, 113 Risikoneutralität, 29 Grenzeder, 98-101, 106 Stabile Präferenzen, 29, 31 kurzfristig, 94 Standard-Lotterie, 35, 37 langfristig, 104 Zahlungsbereitschaft für, 65, 66, 69 zufallsabhängige, 94 Qualität Prognose Beitragssatz, 530-534 Beurteilung, 182 Gesundheitsausgaben, 530-534 der Behandlung, 382,424 Prospektives Vergütungssystem, 381,387, nicht verifizierbare, 397, 400, 403 verifizierbare, 398,400 404 Qualitätsbereinigte Jahre, siehe QualityPräferenzen Inkonsistenz der, 74, 103 Adjusted Life Years (QALYs) Instabilität der, 93 Qualitätssicherung Unterschiede, 107 bei Ärzten, 418 Prämie bei Krankenhäusern, 421 Regulierung der, 285 und Vergütung, 415 Prämienrisiko, 191,489, 536 Ramsey-Preissetzung, 472, 473 Prämienunterschiede Rand Health Insurance Experiment, 265, Vermeidung von, 275, 297, 324 442 Prävention, 88 Rauchen Präventivmedizin, 552 Einfluss auf die Gesundheit, 146, 148, Punktwert, 420 155-161
Sachverzeichnis Regressionen Fixed-Effects, 376 Kleinstquadrate-Schätzung, 134 Random-Effects, 376 Zweistufige Schätzung, 135 Regulierang Arzneimittelmarkt, 454^56 bei asymmetrischer Information, 362-363 des Leistungspakets, 194,274,278,279, 285, 296 in der Schweiz, 318 in Deutschland, 317 vs. Wettbewerb, 550 Rektangularisierung der Überlebenskurve, 519,520, 525, 544 Restlebenserwartung, 528 Retrospektives Vergütungssystem, 381 Risikoausgleich, 275, siehe Risikostrukturausgleich (RSA) Risikoaversion, 217 Risikopool, 322, siehe Ausgabenausgleich in Deutschland, 311 Risikoselektion, 193-195, 273, 541, 553 und Bonusprogramme, 318 in Deutschland, 316 direkte, 276-278, 299 Definition, 274, 323 Risikostrukturausgleich, 276 Vermeidung, 277, 291, 323 Gegenmaßnahmen, 274 durch HMOs, 441 indirekte, 278-297, 299 Definition, 323 Risikostrukturausgleich, 286 Vermeidung, 279,289,291,297,323 über den Leistungsumfang, 279 über die Leistungsstruktur, 291 in der Schweiz, 316 Risikostrukturausgleich (RSA), 194,195, 275, 276, 286, 296, 554 Ausgestaltung, 300-309 Ausgleichsbedarfssatz, 320 Ausgleichsformel, 304
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Ausgleichsvariablen, 300-303 Ausgleichszahlungen, 304-309 Beitragsbedarf, 319 in Deutschland, 319 Diagnostische Information, 301, 303, 324 Direkte vs. indirekte Risikoselektion, 289 Einnahmeseitiger, 319 Finanzkraft, 319 Ist-Kosten-Ansatz, 304, 309 Morbiditätsorientierter, 319, 322, 554 Prospektiv vs. Retrospektiv, 304 Regressionsansatz, 306, 309 in der Schweiz, 319 Soll-Kosten-Ansatz, 304, 309 bei unvollkommenen Signalen, 287 und Verwaltungskosten, 320 Zell-Ansatz, 305, 309 RSA, siehe Risikostrukturausgleich Rürup-Kommission, 199 Rückversicherung und Risikoselektion, 312 Sachleistungsprinzip, 257, 417 Sachtransfers, 177 Sachwalter Arbeitgeber als ergänzender, 436^37 Arzt, 431, 435-436 als nicht perfekter, 336 als perfekter, 334 ergänzende, 431,432, 436-439 HMO als ergänzende, 440-441, 448 Krankenversicherung als ergänzender, 501 Politiker als ergänzende, 432^33 Private Krankenversicherer als ergänzender, 439 Staat als ergänzender, 437^39 SchleierdesNichtwissens, 191,192,203, 487 Schmerzensgeld, 241, 242 Schulmedizin, 13
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Sachverzeichnis
Schweiz Ärztedichte, 501 Ärzteverbände, 499 Arzneimittel Preisregulierung von, 474 Arzneimittelmarkt in, 477 Direkte Demokratie, 485 Kantonale Ärztegesellschaften, 499 Kantonaler Krankenkassentarif, 507 Kopfpauschale, 486, 493^95 Kostenbeteiligung Jahresfranchise, 226 bei Medikamenten, 456 Rrankenhauseffizienzvergleich, 372-377 Krankenhäuser, 432 Krankenversicherungsgesetz, 433 Krankenversicherangssystem, 195, 204, 554 Managed Care, 554 Risikoausgleich, 319 Soziale Krankenversicherung, 540 Versicherungspflicht, 433 Zulassung Medikamente, 454 Schätzverfahren Fixed-Effects, 376 Kleinstquadrate-Schätzung, 134 Random-Effects, 376 Strukturelle Kovarianzanalyse, 143 Zweistufige Schätzung, 135 Selbstbehalt absoluter, 225 optimaler, 236, 240 pauschaler, 226, 235 periodenbezogener, 264 Selbstbeteiligung marginale, 238 optimale, 267
Selbstbeteiligungssatz Definition, 225, 229 Selektion, siehe Patientenselektion, siehe Risikoselektion Sicherstellungsauftrag, 178 Sisyphus-Syndrom, 110, 509, 525-530 Skalenerträge zunehmende, 175 Spanien Arzneimittel Preisregulierung von, 474 Arzneimittelmarkt in, 477 Spezifischer Egalitarismus, 189 Stabilisierung des Krankenversicherangsmarktes, 275, 298, 299, 324 Stated Preference-Methode, 53 Sterbewahrscheinlichkeit, 129, 148 Sterblichkeit, siehe Mortalität infolge Leberzirrhose, 142, 149 infolge Lungenkrebs, 142 spezifische, 129, 136 Sterblichkeitsrate, siehe Mortalitätsrate Subjective risk adjustment, 414 Substitution zwischen eigenen und medizinischen Leistungen, 139 Substitutionalität in der Gesundheitsproduktion, 108, 109 Säuglingssterblichkeit, 130,139,141,149
Tagespflegesätze, 422 Technologischer Wandel, 9, 11, 17 im Haushaltsbereich, 100-102, 112 in der Medizin, 508, 516 Third-party payment problem, 435 Time-consistent health insurance, 537 Total Suspended Particles (TSP), 155157 bei Abwesenheit von Moral Hazard, Transaktionskosten und optimaler Versicherangsschutz, 243 232 Transfers bei ex-ante Moral Hazard, 251 personenspezifische, 195,204,282,554 bei ex-post Moral Hazard, 259 Transformationskurve, 99-102,105-108, bei Moral Hazard, 263 112, 121-123, 127, 147,148 proportionale, 225 und Selbstselektion, 265
Sachverzeichnis
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Verbände, siehe Berufsverbände Trittbrettfahrer Verdienstausfall, 205 Länder Vergütung Arzneimittel, 473 von Ärzten, 416-420, 425 Personen, 183-185, 203 bei beobachtbarer Anstrengung zur Kosund Ausbeutung, 184 und Effizienz, 184 tenkontrolle, 385, 389 TSP, siehe Total Suspended Particles (TSP) bei asymmetrischer Information überdie Fallmischung, 393-397,415 Türhüter, 331 über den Kostentyp des Patienten, 409, Two Stage Least Squares (2SLS), 135 415 Überlebenskurve und Behandlungserfolg Frauen, 519 nicht verifizierbarer, 415 Männer, 518 verifizierbarer, 399, 414 Überlebenswahrscheinlichkeit und Diagnosis Related Groups (DRGs), Gewinne, 520 422-425 Überversicherung, 242 und Informationsrente, 395, 397 Umlageverfahren von Krankenhäusern, 420^1-25 und intergenerative Transfers, 534 und optimale Kostenübernahme, 392, Umverteilung, 522 396,401,403,413 durch ein Diskriminierangsverbot, 193 und Patientenselektion, 404-^414 intergenerative, 521-522 und Qualität, 397^04 durch einen nationalen Gesundheitsnicht verifizierbare, 415 dienst, 194 verifizierbare, 398, 414 durch personenspezifische Transfers, 192 von risikoaversen Leistungserbringern, systematische, 432 387-393, 400,415 zufallsgesteuerte, 432 und Risikoprämie, 389, 392 zwischen hohen und niedrigen Risibei symmetrischer Information ken, 192 über die Fallmischung, 393, 414 Umwelteinflüsse über den Kostentyp des Patienten, 408, aufdieGesundheit, 147-151,155-161 414 Uno-actu-Prinzip, 181 Vergütungssystem Upcoding, 423 auf Grundlage von Diagnosis Related USA Groups (DRGs), 422-425 Arzneimittel, 451 gemischtes, 416, 423, 425, 551 Preisregulierung von, 474 lineares, 384 HMO, 440, 445 prospektives, 381, 387, 424 Kostenbeteiligung für Arzneimittel, 464 retrospektives, 381, 424 Managed Care, 434 Verhaltensrisiko, 222, siehe Moral HaMedicaid,431,446, 448 zard Medicare, 431, 443,446, 448 Verlängerung des menschlichen Lebens, Einführung DRGs, 381 19, 20, 39-41, 68 Öffentliche Gesundheitsausgaben, 431 Preiswettbewerb von Arzneimittel, 479 Zulassung Medikamente, 454
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Versicherung Wettbewerb faire,231 der Leistungsanbieter, 501-503 marginal faire, 231 Preiswettbewerb, 555, 557 optimale Qualitätswettbewerb, 557 bei Abwesenheit von Moral Hazard, vs. Regulierung, 550 227-243 derVerbände, 501-503 bei ex-ante Moral Hazard, Wirtschaftlichkeitsprüfungen, 415 Wohlfahrtsfunktion 244-253 bei ex-post Moral Hazard, Bergson-Samuelson, 49 253-264 gesellschaftliche, 49, 53, 65 bei zustandsabhängigem Nutzen, 240- gesundheitsbezogene, 34, 65 243 Maximin, 49 Versicherungsdeckung und Inanspruchutilitaristische, 49 nahme medizinischer Leistungen Zahlungsbereitschaft, 42 Empire, 264-266 Aggregation, 46-53 Theorie, 253-264 Ansatz der, 42, 4 4 ^ 6 Versicherungsmärkte Auswertung von Marktdaten, 62-64 Integration der, 540-541 Definition, 45 Versicherungspflicht, siehe ZwangsversiFragebogenstudien, 53-55 cherung Marginale, 4 5 ^ 6 Versicherungspflichtgrenze, 199 Messung, 53-64 Versicherungsprämie und Nettovorteil, 46 Beitragsrückerstattung, 226 Preisdifferenzierung nach der, 441 Bonussysteme, 226 Prinzipien der kollektiven Entscheidung, Gestaltung, 226 46-53 Prämienfunktion, 229 und Quality-Adjusted Life Years, 66 Versicherungsverträge Sterberisiko, 46, 57-59 mit garantierter Vertragsverlängerung, Zahlungsfähigkeit, 188-190, 203 538 Zahlungskarten, 55 Typen, 224-226 Zahlungswilligkeit, 188, 190,203 zeitkonsistente, 537 Zell-Ansatz, 305 Verwaltungskosten Zieleinkommens-Hypothese, 3 37-345 Berücksichtigung im RisikostrukturZigarettenkonsum, siehe Rauchen ausgleich, 320 Zulassungsbeschränkungen, 332 von Versicherungen, 230, 267 Zulassungsverfahren, 182 Verweil-Effizienz, 359 Zusatzversicherung Vollversicherung private, 216, 554 und angebotsinduzierte Nachfrage, 336 Zwangsversicherung Vorhalteleistung, 360, 422 und asymmetrische Information, 185, 187, 215-217 Wahlfranchise, 318 Wasserqualität, 147 Begründung, 184, 185, 187, 193, 195, Weiterbildungsnachweise, 418 215-217, 274 Welfarismus, 33, 34,46, 49 und Gerechtigkeit, 193, 195, 274 und Trittbrettfahrer, 184, 185