KLEINE
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LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
ALBERT VON HALLER
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
ALBERT VON HALLER
GHANA DER NEUE STAAT DER GOLDKÜSTE
VERLAG SEBASTIAN LUX MURNAU • MÜNCHEN . INNSBRUCK • BASEL
Am Golf von Guinea Merkwürdig muten uns heute die Landschaftsnamen am Golf von Guinea an: Pfefferküste, Elfenbeinküste, Goldküste, Sklavenküste. Um die Dinge, die hier anklingen, sind einst Kriege geführt und abenteuerliche Seefahrten unternommen worden. Vieles, was in der Vergangenheit in diesen Landstrichen Bedeutung hatte, ist nur noch Erinnerung; doch das Gold der Goldküste ist heute noch greifbare Wirklichkeit. Die Goldküste nimmt mit ihren rund 238 000 Quadratkilometern, die ungefähr der Fläche der Bundesrepublik entsprechen, eine bevorzugte Stellung hier im Westen des Schwarzen Erdteils ein. Das können wir auch außerhalb des Landes bei mancher persönlichen Begegnung feststellen. Wenn wir in Heidelberg oder Stuttgart auf eine Gruppe dunkelhäutiger Studenten von der Goldküste stoßen, werden wir gewiß von ihren guten Umgangsformen, ihrer Höflichkeit und ihrem freundlichen Wesen überrasdit sein. Und wenn wir vom Eifer und Erfolg ihrer Universitätsstudien hören, mag es uns scheinen, daß diese Liebe zur Wissenschaft sehr ungewöhnlich für Afrika sei. Wir können auch wohl in Köln einer Gesellschaft schwarzer Kakaofarmer von der Goldküste begegnen, die sich auf einer Reise durch Europa und Amerika befindet, um einmal nachzusehen, was mit ihren Kakaobohnen in der Ferne geschieht. Es sind gut gekleidete, unternehmungslustige Geschäftsleute, die sieh ihren Wissensdrang etwas kosten lassen. Als ich, aus Europa kommend, zum ersten Male die afrikanische Westküste entlang fuhr, fielen mir die Leute von der Goldküste schon in Sierra Leone und in Liberia auf. Es waren Fisdier vom Stamm der Fanti, die in ihren kleinen offenen Booten tausend und zweitausend Kilometer auf dem Ozean zurückgelegt hatten, um sich für eine Reihe von Jahren an fremder Küste niederzulassen, Frauen zu nehmen, zu fisdren und zu sparen und dann mit einem kleinen Kapital und einer großen Schar von Kindern an die Goldküste heimzukehren. Solche Unternehmungslust ist unter afrikanischen Küstenbewohnern sonst selten. 2
Seit dem 6. März 1957 ist die Bezeichnung Goldküste nur noch ein geographischer und historischer Begriff; denn die britische Kolonie dieses Namens ist, vermehrt um ein Stück von Togo, zum selbständigen Staat Ghana geworden, der nach dem Beispiel Indiens im Verband des Britischen Commonwealth bleiben will. Nach Liberia ist Ghana der zweite Staat Afrikas, der nur von Negern verwaltet und regiert wird.
Die Küste der Burgen Was uns bei der Fahrt entlang der Ghana-Küste am meisten überraschte, ist die große Zahl an sehr altertümlichen Burgen, die hier aufragen. Dänen, Holländer, Schweden, Engländer und die Brandenburger haben sie gebaut. Ehrwürdigste Anlage ist die Burg Elmina, die 1482 von den Portugiesen errichtet worden ist. Sie brachten auf ihren Schiffen alles mit, was zum Bau der Festung nötig war: mächtige Granitblöcke und fertig behauene Eichenbalken. Es mußte rasch gebaut werden, um einem Angriff der sich sammelnden Stämme zuvorzukommen. Die Portugiesen wurden gute Kolonisatoren. Sie haben manche wertvolle Kulturpflanze ins Land gebracht, die sich in Afrika bald Heimatrecht erwarb. Es waren vor allem Pflanzen, die sie in der Neuen Welt kennengelernt hatten, wie Mais, Tabak und Zuckerrohr. Aber auch die Kassawawurzel, die unserer Kartoffel ähnelt, ebenso Zitrone, Ananas und Reis sind von den Portugiesen in Westafrika bodenständig gemacht worden. Die portugiesischen Niederlassungen fielen 1637 an die Holländer, 1871 an die Engländer, die kurz vorher auch die dänischen Besitzungen der Goldküste erworben hatten. Die Engländer haben durch Kauf, durch Verträge mit den Häuptlingen und schließlich auch durch Eroberung ihren Einflußbereich an der Goldküste immer weiter ausgedehnt. Mit dem kriegerischen und straff organisierten Aschanti-Reich im Inneren sind sie jedoch nicht leicht fertig geworden. Zwischen den Jahren 1826 und 1900 hat England harte Feldzüge gegen Aschanti führen müssen. Er»t 3
spät, im Jahre 1901, konnte das ganze Gebiet der Goldküste endgültig unter britische Hoheit gestellt werden. Die Goldküste ist indes nicht nur für viele europäische Völker anziehend gewesen. Die Fruchtbarkeit des Landes und das Gold haben immer aufs neue eingeborene Völker im Norden und im Osten zum Einfall in das Gebiet der Goldküste verlockt. So ist die Urbevölkerung, ohne Spuren zu hinterlassen, verschwunden. Die heute im Staatsgebiet von Ghana lebenden Stämme sind wahrscheinlich im Laufe des Mittelalters in mehreren Wellen aus dem Sudan und ans Nigerien ins Land gekommen.
Die Hauptstadt Wer meint, daß die Tropen unbedingt erschlaffend wirken und eine Großstadt dicht am Äquator träge und müde sein müsse, wird in Accra, der Hauptstadt Ghanas, äußerst überrascht sein. Wir fanden Accra voller Betriebsamkeit, voller Lärm und Bewegung. Nach der Zahl der durch die Innenstadt flitzenden Taxen zu urteilen, ist die Freude an der raschen Bewegung geradezu ein Kennzeichen der Bevölkerung. Diese Stadt, die heute 136 000 Einwohner zählt und mit jedem Jahr wächst, zieht sich mit ihren niedrigen, weißen Gebäuden so weit in das flache Land hinaus, daß man sie nur mit dem Wagen richtig kennenlernen kann. In der Hitze, in der stickigen Luft und dem Staub gäbe der Europäer das Umherwandern in der Stadt bald auf. Abgesehen von den üblichen Großbauten der Kolonialzeit — der Post, dem Regierungsgebäude und den Banken — und den in den letzten Jahren entstandenen Geschäftshäusern, dem Nationaldenkmal und dem Nationalmuseum, bietet Accra nicht viel Bemerkenswertes an Bauwerken. Es ist eine rasch gewachsene, nicht geplante und keinem Stil verpflichtete Stadt. Den Fremden wird es aber immer wieder zu den großen Märkten ziehen. Wie überall in Afrika ist auch in Accra der Markt nicht nur ein Ort der Geschäfte; hier trifft man sich, hier schwatzt und diskutiert man, hier betrachtet man die Waren und die Leute und 4
Die große Bibliothek der Hauptstadt Accra macht über sie seine Bemerkungen. Von sechs Uhr morgens bis zum raschen Einfall der Dunkelheit flutet die Menge hin und her, wird gehandelt und gekauft, hört man Gelächter und Geschrei. Der Markthandel ist in Afrika ein Vorrecht der Frauen. Dieser alte Brauch hat sich auch im modernen Ghana erhalten. Auf den Märkten im Inneren des Landes bieten die Frauen zumeist die Erzeugnisse ihrer eigenen Gärten an, und der Erlös gehört nach altem Recht ihnen allein; es ist das Taschengeld, das in Kleidung, allerlei kleinen Annehmlichkeiten und Schmuck angelegt wird. In Accra ist das alles noch großzügiger; die „Mammies" in ihren buntgemusterten Kleidern thronen nicht nur hinter den Landeserzeugnissen — Hirse, Mais und Reis, Guineakorn, Yams- und Kassawawurzeln, Gemüsen und Früchten —, nicht nur hinter gerösteten Erdnüssen und geräuchertem Fisch, sondern auch hinter Ballen englischer Stoffe, hinter amerikanischem Mehl und Zucker, hinter Pfannen und Töpfen und all den anderen Waren, die aus vielen Ländern der Welt nach Ghana importiert werden. Die Umsätze, die diese Marktfrauen erzielen, sind erstaunlich. Eine tüchtige Händlerin kann auf dem Markt in Accra im Monat 5
Waren im Wert von 10 000 DM verkaufen und 1000 DM verdienen. Dabei geht alles grundehrlich zu. Auf die Ehrlichkeit der Mammies auf dem Markt darf sich der Großhändler unbedingt verlassen, er zögert nicht, ihnen Kredite von tausend Pfund einzuräumen. Hat eine Händlerin wirklich einmal Pech und verliert ihr Geld, dann steht ihre Familie für ihre Schulden bis zum letzten Schilling freiwillig ein. Die Marktfrauen haben meist ihre Kinder bei sich, die auf dem Schoß ihrer Mütter schlafen, unter den Ständen umherkriechen und mit dem an Ort und Stelle gekochten Fufu gefüttert werden; fast das ganze Leben Accras spielt sich im Freien ab. Spät am Abend sind die Freiluftkabaretts mit ihren Schlagersängern und Schaukünstlern ein beliebter Sammelplatz. Hier tritt der Sinn fürs Komische, das Vergnügen am Spott, besonders hervor; auch vor den eigenen Schwächen wird nicht halt gemacht. Der schwarze Neureiche mit Auto, Kühlschrank und dicker Brieftasche ist oft das Ziel treffender Witze. Hier, wo die Menschen sich drängen, wird auch der Neuling feststellen, daß die Bevölkerung sich aus vielen Stämmen zusammensetzt; denn die Goldküste hat viele Völkerwanderungen erlebt. Da sich die Volksstämme nach dem Ende der Wanderzeit und dem Seßhaftwerden meist streng voneinander getrennt gehalten haben, finden wir im Goldküstenstaat über fünfzig Sprachen und Dialekte. Nicht nur die Hauptstämme sprechen eigene Sprachen, auch die kleinen Volkssplitter haben ihre oft dem Nachbarn schon unverständliche Mundart. Aber die Denkweise der Stämme bleibt sich trotzdem erstaunlich ähnlich. Viele Bräuche und Einrichtungen, die das Leben bestimmen, sind bei den verschiedensten Stämmen die gleichen: der starke Zusammenhalt der Großfamilie, die Stellung der Frau, die Einrichtung der Häuptlingsherrschaft in Verbindung mit dem Rat der Ältesten. Eine starke Klammer für den Zusammenhalt ist der Drang nach Freiheit und Selbständigkeit, der heute überall in Afrika lebendig ist und die afrikanische Entwicklung vorwärtstreibt. Selbst den Marktfrauen von Accra, die kaum ein Wort Eng-
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lisch verstehen und weder lesen noch schreiben können, sind die Buchstaben SG und FD -*. Self-Government und Freedom, Selbstregierung und Freiheit — vertraut und gelten ihnen als verehrungswürdige Zeichen ihres Freiheitsbekenntnisses. Eine starke Bindungskraft innerhalb des neuen Staates besitzen auch die Einrichtungen, die man von den Herren von gestern, den Engländern, übernommen hat. Es sind vor allem die englische Sprache als Verständigungsmittel im Wirrwarr der Dialekte und die Methoden der Regierung und Verwaltung. Ich hatte in den letzten Jahren Gelegenheit, unvorbereitet einer Sitzung des Parlaments der Goldküste beizuwohnen und war höchst überrascht, ein Abbild des britischen Unterhauses vor mir zu sehen, sogar Talar und Perücke des Sprechers fehlen nicht. Sie wirken inmitten der rotgoldenen Gewänder der Häuptlinge recht absonderlich. Das bedeutet aber nicht, daß man sich an der Goldküste an einem inhaltslosen Schein erfreut. Der Afrikaner hat einen ausgesprochenen Sinn für Repräsentation, für Umgangsformen und Sinnbilder, er übernimmt das, was ihm passend scheint, ohne seine eigene Urwüchsigkeit aufzugeben. Die starke Betonung der Eigenständigkeit geht auch aus dem Namen hervor, den sich der neue Staat gegeben hat. „Ghana" ist der Name eines halb legendären afrikanischen Negerkönigreichs des Mittelalters und seiner in Französisch-Westafrika gelegenen Hauptstadt. Vom westlichen Sudan ausgehend, erstreckte sich das Altreich Ghana über einen großen Teil Westafrikas. Die Erinnerung an dieses Großreich beflügelt die Gegenwart des jungen Staatswesens.
Von der „Goldküste" zum Staat „Ghana" Den Weg zur Selbständigkeit hatte die Goldküste schon beschritten, ehe der Negerführer, der heutige Ministerpräsident Dr. Kwame Nkrumah, die politische Bühne seines Landes betrat. Der Ruf „Freiheit, weißer Mann, Freiheit!" klang schon seit Jahren in Sprechdiören durch die Städte des Landes. Dr. Nkrumah aber hat der
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Volksbewegung erst durch Gründung einer Parteiorganisation die erforderliche Stoßkraft gegeben und den weiteren Weg zur Unabhängigkeit entscheidend bestimmt. So wird sein Name mit Recht mit der Unabhängigkeitserklärung der Goldküste, mit ihrer Verwandlung in den selbständigen Staat Ghana verbunden. Kwame Nkrumah, als Sohn eines Goldschmiedes 1909 an der Küste geboren, war Lehrer. Während seiner Tätigkeit als Leiter einer katholischen Schule weitete sich sein Blick, er begann sich für Politik zu interessieren. Seine Familie ermöglichte ihm ein Studium in Amerika, wo er fleißig Wirtschaftswissenschaft und Soziologie, Theologie und Pädagogik studierte. Die afrikanischen Studenten der Neuen Welt wählten ihn zu ihrem Vorsitzenden. Als er während des letzten Kriegsjahres nach England ging, widmete er sich dort dem Studium der Rechtswissenschaft. Da das Geld nicht ausreichte, war Nkrumah nicht nur Universitätslektor, sondern auch Matrose und Werftarbeiter. Hier in England nahm ihn die Politik immer mehr in Anspruch. Endlich, nach zwölfjährigem Auslandsaufenthalt, kehrte Nkrumah 1947 heim an die Goldküste, da man ihm die Stellung des Generalsekretärs der führenden nationalen Partei angetragen hatte. 1949 gründete Nkrumah den „Volkskongreß der Goldküste", eine eigene Partei, die vor allem von der Jugend des Landes getragen wurde. Im Jahre 1951 errang sie 35 von insgesamt 38 Abgeordnetensitzen und 80 Prozent aller Stimmen. Nkrumah befand sich zur Zeit dieses Wahlsieges wegen Aufruhrs in einem britischen Gefängnis. Nach dem Sieg seiner Partei wurde ihm durch einen Gnadenerlaß des britischen Gouverneurs die Freiheit zurückgegeben. Nkrumah übernahm die Regierungsgeschäfte und erhielt schon ein Jahr später — zunächst noch unter britischer Oberhoheit — Titel und Stellung eines Ministerpräsidenten. Sein Ziel aber war die völlige Unabhängigkeit seines Landes. Kwame Nkrumah ist ein schlanker Mann mittlerer Größe, sein Gesicht wird bestimmt durch eine hohe Stirn, die breite Nase seiner Rasse, breite Lippen und große ausdrucksvolle Augen. Er ist ein ebenso glänzender, mitreißender Redner wie ein Mann der Tatkraft 8
und Organisationsgabe. Unter dem Eindruck seiner Persönlichkeit und seiner Erfolge fand sich England bereit, die Kronkolonie aufzugeben und die Selbständigkeitsbestrebungen mit Rat und Tat zu unterstützen. Wer die ungezwungene, liebenswürdige Art beobachtet, in der Ministerpräsident Kwame Nkrumah heute mit den Engländern verhandelt, wird kaum auf den Gedanken kommen, daß der Weg zu seinem Amt über ein britisches Gefängnis geführt hat. Auch wenn man sich mit Leuten aus dem Volk unterhält, wird selten Ministerpräsident Dr. Kwame JNkrumah etwas von der Bitterkeit spürbar, die jede Kolonialherrschaft hinterläßt. Großbritannien ist es nicht leicht gefallen, auf eine so wertvolle Kolonie zu verzichten. Die Goldküste war einer der größten Dollarverdiener unter den britischen Besitzungen. Ein Viertel aller Dollareinnahmen des britischen Kolonialreichs kam von der Goldküste. Der Kakao der Goldküste brachte mehr ein als der Zucker Westindiens und der Kaffee Ostafrikas. Dazu kam das Gold; in den letzten vier Jahren vor der Unabhängigkeitserklärung flössen der britischen Goldreserve 45 Millionen Pfund aus der Kolonie Goldküste zu. Es dient beiden Seiten zur Ehre, daß nach anfänglich harten Auseinandersetzungen schließlich ein so freundschaftlicher, friedlicher Ausgleich gefunden wurde. Dazu hat die Tatsache beigetragen, daß es an der Goldküste keine Rassengegensätze gibt, die das Leben in anderen Teilen Afrikas belasten. Die Zahl der Nicht-Afrikaner ist im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung von rund viereinhalb Millionen mit dreizehntausend nur unbedeutend. Es gibt auch keine weißen Grundbesitzer. Die Kakaofarmen und die anderen Reichtümer des Landes sind im Besitz eingeborener Afrikaner. Europäische Beamte werden nach und nach durch Afrikaner ersetzt. Dai 9
erfolgt indessen nicht überstürzt und nach Möglichkeit unter Vermeidung von Härten. Im übrigen sind sich Regierung und Volk von Ghana bewußt, daß der neue Staat die Hilfe der alten Kulturländer nicht entbehren kann. Das Land braucht Kapital, Fachleute und technische Ausrüstungen aus dem Ausland, um die großen Vorhaben durchzuführen. 1951 besuchte der Ministerpräsident die Vereinigten Staaten und Großbritannien, um Techniker, Lehrer, Ärzte, Ingenieure und Wissenschaftler anzuwerben. In den letzten Jahren ist auch mancher Deutsche in die Dienste Ghanas getreten.
Von der Goldküste nach Aschanti Wer mit dem planmäßigen Flugzeug aus Europa kommt, landet bei Accra; wer das Schiff benutzt, geht in Takoradi-Sekondi, dem einzigen Hochseehafen Ghanas, an Land. Von beiden Städten aus durchquert eine Eisenbahn die Küstenregion, eine wellige Ebene, aus der sich unvermittelt einige Hügelketten und einzelne Bergspitzen erheben. Es ist meist trockenes Grasland mit geringen Niederschlägen. Im Laufe der Fahrt ins Landesinnere nehmen die Wälder zu, die anfangs nur die Flußläufe begleiten; in Kumasi befindet man sich bereits mitten im Waldland. Kumasi ist die Hauptstadt der zweiten Region Ghanas, Aschantis; aber diese Stadt, mit 78 000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Ghanas, ist nicht nur Regionshauptstadt. Wenn Accra der Kopf des Landes ist, dann ist Kumasi sein Herz. Es gibt einen Platz in Kumasi, durch den das Leben des Landes von Nord nach Süd und von Ost nach West pulsiert. Alle Straßen scheinen hier zu münden, und alles, was unterwegs ist, scheint sich hier zu sammeln. Es rattert und hupt und knattert. Der Strom der Lastwagen fließt unaufhörlich. Wie die Ritter einst einen Wahlspruch im Wappen führten, so zeigen die schwarzen Lastwagenfahrer eine Devise über ihrem Führerhaus. Manchmal heißt es nüchtern in großen, ungelenken Druckbuchstaben „Money-Only", was anzeigen soll, daß nur zahlende Fahrgäste auf den Kisten und Ballen Platz nehmen dürfen. Im allgemeinen aber finden wir tiefsinnigere 10
Parolen: „Fürchte die Weiber und du erreichst ein hohes Alter", „Der Arme hat keine Freunde", „Habgier ist nicht gefragt". Auch fromme Sprüche sind vertreten: „Gott irrt sich nie" oder „Gott ist mein Hirte". Ein anderer Fahrer scheint es aufgegeben zu haben, die Menschen zufriedenzustellen. Mit gelben und grünen Buchstaben hat er über seinen Wagen gemalt: „Mach was du willst, es gibt doch Gerede". Beinahe mit einem Blick können wir an diesem Kreuzungspunkt in Kumasi einen großen Teil der Wirtschaft Ghanas übersehen. Die Lastwagen, die aus der näheren und weiteren Umgebung der Stadt kommen, sind meist mit Kakaobohnen beladen, denn hier liegen die ertragreichsten Anbaugebiete für dieses köstliche Gewächs. Die Wagen, die sich auf dem weiten Wege nach Norden befinden und oft weit ins französische Kolonialgebiet fahren, nehmen von Landeserzeugnissen Palmöl in Fässern, Kolanüsse in Ballen mit, dazu ein Vielerlei an importierten Industrieerzeugnissen, Bündel mit Kleidern, Säcke mit Mehl, Geschirr und Tabak, Fässer mit Benzin und Petroleum. Daß im Norden Ghanas, in den sogenannten Nordterritorien, Viehzüchter leben, deuten die von dort eintreffenden Wagen an; sie bringen Schafe, Kühe und Ochsen mit, dazu Säcke mit Zwiebeln und Erdnüssen. Die Fahrzeuge gleichen oft festgepackten Heringsfässern. Menschen hocken, liegen und stehen zwischen Säcken, Ballen und Tieren oder klammern sich, halb hängend, von außen an. Aber die schwarzen Fahrgäste ertragen diese Unannehmlichkeiten mit Humor. Zudem werden die Verkehrsverhältnisse immer besser. Zweitausend Kilometer Autostraßen sind im Bau. In Kumasi thront der Oberhäuptling von Aschanti noch heute auf dem berühmten Goldenen Stuhl des einstigen Königreiches. Die moderne Verfassung Ghanas gibt zwar die entscheidende Macht dem aus allgemeinen Wahlen hervorgehenden Parlament, aber daneben ist das überlieferte Amt des Häuptlings als Sprechers der Bevölkerung erhalten geblieben, nicht nur hier in der Region Aschanti, sondern auch in den anderen Verwaltungsbezirken. In Aschanti aber hat das Häuptlingsamt auch heute noch besonderes Gewicht. 11
Die Häuptlingsstühle der Goldküste, die sich in mannigfaltig abgewandelten Formen an der ganzen Westküste Afrikas bis nach Angola finden, gehören zu den volkskundlich interessantesten Dingen. Sie werden heilig gehalten und verkörpern die Macht und die Dauer des Häuptlingsamtes, ähnlich wie Zepter und Krone die des Königtums in Europa. Der Stiz des Häuptlingsstuhls ruht auf einer dicken Säule in der Mitte und vier dünneren an den Ecken. Man nimmt an, daß die Mittelsäule den Weltberg, die Nebensäulen die Himmelsstützen versinnbildlichen. Der Goldene Stuhl der Aschanti, der im Palastbezirk Kumasis sein eigenes Haus hat, ist der prächtigste von allen diesen Stühlen. Er stammt noch aus der Königszeit, in der das Aschantireich ein Goldland war. Welchen Goldreichtum Aschanti einst besaß, davon hat ein Gesandter Englands, der in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts vom König in Kusami empfangen wurde, einen anschaulichen Bericht hinterlassen. Zum Empfang des britischen Gesandten waren mehr als 30 000 Krieger angetreten. Wohin der Vertreter Englands auch blickte, überall funkelte und glänzte das Gold in den Strahlen der Sonne. Die Hörner und Flöten und Trommeln der hundert Musikanten waren goldgefaßt. Von den hundert großen Staatsschirmen, unter denen je dreißig Menschen Platz hatten, baumelten goldene Bildwerke: Elefanten, Kraniche, Schwerter. Die Schwertknäufe der Häuptlinge waren aus Gold, ebenso die Brustschilde der Königsboten. Die hundert Henker des Königs trugen goldene Äxte, und mancher der Würdenträger hatte am Arm so viele Armbänder und so schweren Goldschmuck, daß er die Hand auf den Kopf eines Knaben stützen mußte. Der König selbst prunkte in kostbarstem Goldgeschmeide; die an seinen goldenen Armbändern und Fußreifen hängenden Nachbildungen von Vögeln und Tieren, Schwertern und Gewehren waren Meisterwerke der Goldschmiedekunst. Dieses goldene Aschanti-Reich war ein straff organisierter Staat, in dem' Gesetz und Recht galten und Familienleben, Verkehr, Handel und Arbeit geschützt waren. Aber die Strafen waren von grau12
samer Härte, schon auf geringe Vergehen stand der Tod. Auf drei Hinrichtungsplätzen in Kusami arbeiteten die hundert Henker des Königs. Ein wahrer Blutrausch ergriff das Land beim Tode eines Königs. Ehe nicht die Königin-Mutter oder, falls sie verstorben war, die Schwester des Königs den Nachfolger aus dem Kreise der königlichen Familie bestimmt hatte, war alles Recht aufgehoben. Niemand war auf den Straßen seines Lebens mehr sicher. Man machte Jagd auf die Sklaven, um sie zu Ehren des toten Königs zu opfern. Auch die Königsfrauen mußten mit ihrem toten Gebieter hinab ins Schattenreich, sie wurden mit Palmwein trunken gemacht und erdrosselt. Als König Sai Quamina im Jahre 1799 starb, wurden 2400 Menschen getötet. Beim Tode der Mutter dieses Königs war die Zahl der Opfer noch größer. Der Aschantiherrscher ließ 3000 Sklaven umbringen, jede größere Stadt mußte 100 Opfer stellen, jedes Dorf zwei. Wenn man heute zwischen den beiden Sandsteinlöwen hindurchgeht und den Königspalast, ein niedriges, langhingezogenes Steingebäude, betritt, kann man sich der Gedanken an diese blutigen Geschehnisse nicht erwehren. Sitzt man aber dem heutigen Aschantihäuptling gegenüber, einem in England gebildeten, weltgewandten Manne, dann erscheint es unfaßbar, daß noch vor wenigen Jahrzehnten der Goldene Stuhl und die Stühle der verstorbenen Häuptlinge mit Menschenblut gewaschen werden mußten. Die Zeiten des Schreckens rücken noch weiter in die Vergangenheit, wenn man den Palast verläßt und sich in dieser gartenreichen, blühenden Stadt inmitten ihrer freundlichen, heiteren Bevölkerung befindet. Ein Teil des heiligen Hügels, auf dem das Grabgebäude mit den blutgierigen Geistern der verstorbenen Häuptlinge stand, ist eingeebnet worden. Dort erhebt sich heute ein modernes Krankenhaus. Mit seinen zahlreichen Kranken- und Arztzimmern ist es ein eindrucksvolles Zeugnis für die Bannung der bösen Geister und die Verwandlung des Landes.
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Das Kakaoland Fährt man von Kumasi etwas weiter nach Norden, nach Mapong, so durchquert man ein ausgedehntes Urwaldgebiet, in dem der Hohe Busch noch unverändert erhalten geblieben ist. Die Humusdecke ist verhältnismäßig dünn, viel dünner als die nährenden Schichten in den Schwarzerdgebieten anderer Erdteile. Das ist auch der Grund, warum die Fruchtbarkeit dieser afrikanischen Tropengebiete rasch dahinschwindet, sobald der Urwald gerodet wird und Sonne und Wind die Erde austrocknen und davonblasen. Wie wenig gleicht ein solcher Wald den freundlichen, hellen Waldgebieten der gemäßigten Zonen! Der Hohe Busch läßt sich als geschlossener Lebensraum am ehesten dem Ozean vergleichen. Dringt man abseits des Weges in den Urwald ein, so hat man oft das Gefühl, sich auf dem tiefen Grunde des Meeres zu befinden. Kaum ein Sonnenstrahl erreicht den Boden. Im grünen Dämmerlicht sieht man die mächtigen Stämme von einem Gewirr von Buschwerk, blassen Zweigen, Lianen, Flechten und Moosen umgeben. Die Luft ist dumpf und feucht. Es riecht nach Schimmel und Fäulnis. Eine hohe Schicht abgestorbener Pflanzen bedeckt den modrigen Boden. Selten ist ein Laut zu hören. Die Wipfel der Bäume bilden in mehreren Stockwerken geschlossene Decken. Dort oben gibt es Blüten, Düfte, Farben. Vögel und Schmetterlinge durchschwirren die oberen Regionen. Eichhörnchen, Nagetiere der verschiedensten Art, Affen, Schlangen und viele andere Tiere werden dort oben geboren, leben und sterben dort. An vielen Stellen rückt man heute dem Urwald mit den Mitteln der Technik zu Leibe. Der Hohe Busch nimmt mit jedem Jahre ab. Die Baumriesen fallen und liefern wertvollstes Nutzholz. Holz nimmt den dritten Platz unter den Ausfuhrwaren Ghanas ein. Wenn die Dampfer der deutschen Afrika-Linien in Hamburg einlaufen, kann man auf Deck oft die mächtigen Stämme der Urwaldriesen sehen, die in Ghana gewachsen und gefällt worden sind. Vor dem Kriege führte die Goldküste hauptsächlich Mahagoni aus. Inzwischen 14
Kakaobäume mit Früchten im Schatten des Hochwaldes hat man herausgefunden, daß sieh von den rund fünfhundert verschiedenen Baumarten des Urwaldes auch viele andere zur Herstellung schöner Möbel und sonstiger Gebrauchsgegenstände eignen. 1955 wurden 660 000 Kubikmeter Holz im Wert von über acht Millionen Pfund Sterling ausgeführt. In den Waldgebieten Ghanas liegen auch die Kakaofarmen. Der Kakaobaum ist ein Wald- und Schattengewächs, das zwar die tropische Hitze und eine hohe Luftfeuchtigkeit braucht, aber die sengende Sonne nicht verträgt. Daher laß man bei der Anlage einer Kakaofarm einen Teil der schattenspendenden Bäume stehen und pflanzt die jungen Kakaobäumchen in ihren Schutz wie in einen hochgewölbten, grünen Saal. Der Kakaobaum stammt aus dem Tropenwald Amerikas. Cortez hat ihn und seine Verwendung bei den Azteken in Mexiko als erster Europäer kennengelernt und die ersten Schößlinge um 1520 nach Europa gebracht. Von dort wanderte der Kakaobaum mit den Kolonisten nach Afrika, und heute ist die Goldküste mehr ein Kakaoland 15
als ein Goldland. Auf dem Weltmarkt hat der Kakao der Goldküste die Heimatländer der Kakaopflanze seit langem überflügelt. Ungefähr ein Drittel der Welternte an Kakao kommt aus Ghana. In den letzten Jahren wurden hier jährlich etwa 230 000 Tonnen geerntet. 200 000 Menschen beschäftigen sich in Ghana mit dem Anbau von Kakao. Die Kakaofarmen sind keine Großplantagen in europäischen Händen, wie die meisten Kaffeefarmen, die Sisal- und Teepflanzungen in Ostafrika, die große Kautschukkonzession in Liberi» oder die Viehfarmen im Süden und Südwesten. Die Kakaofarmen sind kleine und mittlere Betriebe, kaum ein Hektar groß, und befinden sich durchweg in den Händen eingeborener Farmer. Wer eine Kakaofarm besitzt, kann mit verhältnismäßig geringer Arbeit hohe Einnahmen erzielen. Aber die Anlage einer Farm im Urwald ist alles andere als ein leichtes Unternehmen. Wer einmal vor der geschlossenen Wand eines tropischen Regenwaldes stand, ahnt, wieviel Tatkraft, Ausdauer, Geschicklichkeit und Arbeitsaufwand nötig sind, um auch nur ein kleines Stück urbar zu machen. Und dann dauert es immerhin noch fünf Jahre, bis die jungenBäume voll tragen. Das Pflücken der großen, orangefarbenen Früchte, in denen die Kakaobohnen stecken, ist einfach. Sie werden vorbehandelt, an der Sonne getrocknet und in Säcke gefüllt. Der Farmer schafft seine Ernte an die nächste Autostraße, wo der Agent schon wartet; alles andere übernimmt die Vereinigung der Kakaofarmer. Das Schwanken des Kakaopreises auf dem Weltmarkt ist eine der großen Sorgen des Farmers. Aber es ist nicht das schlimmste Übel, das ihn bedroht. Wenn der Farmer eines Tages bemerkt, daß sich die Blätter seiner Kakaobäumchen verfärben, dann packt ihn das Entsetzen, dann weiß er, daß es um seine Existenz geht. Bei den Blättern beginnt es, dann erscheinen krankhafte Schwellungen an den Zweigen, und schließlich stirbt die Pflanze ab. „Hexenbesenkrankheit" nennt man dieses Absterben, gegen das es kein Heilmittel gibt. Wo die „Hexenbesen" erscheinen, fegen sie eine ganze Pflanzung hinweg. Der verstörte Farmer wird vielleicht versuchen, seine Entdeckung geheim zu halten. Aber wenn ein Nachbar die Anzeichen 16
der Krankheit bemerkt, wird er ihn unweigerlich anzeigen. Denn die Hexenbesen breiten sich wie ein Waldbrand aus. Es handelt sich um eine Viruskrankheit, die von einer Wanzenart von Baum zu Baum verschleppt wird. Der Farmer ist verpflichtet, die erkrankten Bäume auszuhauen und sofort zu verbrennen. Nur auf diese Weise sind die Nachbarpflanzungen zu retten. Der betroffene Farmer erhält eine gewisse Entschädigung für die vernichtete Pflanzung. Das Fortschreiten der Seuche ist dank dieser radikalen Maßnahme verlangsamt, wenn auch nicht verhindert worden. Was der Kakao für Ghana bedeutet, wird am deutlichsten, wenn wir einen Blick in die Buchführung des „Cocoa Marketing Board", der halbamtlichen Vereinigung der Kakaofarmer, werfen. Dieses „Kakao-Amt" hat in Ghana ein Monopol für den Handel und den Export des Kakaos. Seine Agenten kaufen die Ernten zu einem festen Preis ab, der jeweils für eine Saison gilt. Das Amt exportiert den Kakao und bietet ihn in London und New York an. Ist der Preis für Kakao auf dem Weltmarkt hoch, so ergibt sich ein hoher Gewinn. Die aus diesen Gewinnen gebildete Kapitalrücklage betrug im Jahr 1956 rund 90 Millionen Pfund, also mehr als 900 Millionen Mark. Das ist mehr als sämtliche Jahreseinkünfte des Staates. Das Kakao-Amt verwendet seine Gewinne nicht nur zur Unterstützung der Kakaofarmer — neun Millionen sind zum Beispiel für die Anlage neuer Pflanzungen als Ersatz für erkrankte und vernichtete Bestände ausgegeben worden —, sondern auch für allgemeine staatliche, soziale und kulturelle Aufgaben. Unter anderem bezahlt das Amt die Ausbildung von 400 Studenten an europäischen und amerikanischen Universitäten. Fünfzig dieser jungen Afrikaner studieren in Deutschland, vierzig von ihnen sind Mediziner, die anderen Ingenieure, Chemiker, Diplomlandwirte. Aber auch zum Ausbau der Universität in Accra, zum Bau von Schulen und Krankenhäusern sind aus dem Kakaoverkauf Millionenbeträge zur Verfügung gestellt worden.
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Das Volta-Projekt Die Abhängigkeit eines Staates von den Liebhabern von Schokolade und von den Kakaotrinkern in aller Welt ist auf weitere Sicht etwas bedrückend. Der Verbrauch an Süßigkeiten ist immer gewissen Schwankungen unterworfen. Daher ist die Regierung bestrebt, dem Wohlstand des Landes durch den Ausbau anderer Wirtschaftszweige zusätzliche Grundlagen zu geben. Der Zug der Zeit geht heute überall zur Industrialisierung, und auch der neue Staat an der Goldküste ist bemüht, das Entstehen von Industrieunternehmungen zu fördern. Das größte dieser Projekte ist das „Volta-River-Project", wie es amtlich genannt wird. Steht man auf der neuen, 1957 dem Verkehr übergebenen Stahlbrücke über den Volta bei Adomi, die in einem einzigen, kühnen Bogen den Fluß überspannt, so bietet sich ein entzückendes landschaftliches Bild. Die buchtenreichen Ufer des breiten Stromes sind dicht bewachsen. Palmen beugen sich über das träge dahinziehende Wasser. Büsche lassen ihre langen Zweige von den Fluten benetzen. Aus dem üppigen Uferwald ragen einzelne hohe Baumkronen heraus. Bunte Vögel schwirren über den Fluß. Ihre Farben sind noch leuchtender als das rote Laub der Bäume am Ufer. Ab und zu springt ein Fisch aus dem Wasser. In der Ferne verschwindet ein schmales Kanu auf einem Nebenarm des Volta. Wenn die Finanzierung des großen Planes gelingt, wird sich dieses Landschaftsbild völlig verändern. Bei Ajena soll ein gewaltiger Staudamm errichtet werden, der das Wasser des Weißen und des Schwarzen Volta auf eine Länge von 230 Meilen zurückstauen soll. Es wird mit einer Wasserfläche von mehr als 5000 Quadratkilometern der größte Stausee der Welt sein. Die Baukosten werden auf zweieinhalb Milliarden Mark geschätzt. Das Zauberwort, das hier am Volta Zehntausende in Bewegung setzen soll und vielleicht tief in das Wesen des ganzen Landes eingreifen wird, heißt Aluminium. Der Aluminiumbedarf der Welt ist im Steigen. Die beiden Dinge, die zur Erzeugung dieses wertvollen 18
Das geplante Kraftwerk mit Staudamm am Volta Leichtmetalls notwendig sind, liegen hier fast in der Mitte Ghanas nahe beieinander: große Bauxitlager und die Kraft des gestauten Wassers, die sich in einem riesigen Kraftwerk in Elektrizität verwandeln läßt. Eine kurze Bahnlinie, die bereits vermessen ist, kann die Aluminiumerde Bauxit schnell aus den nahen Lagern heranbringen. Zu dem gewaltigen Projekt gehört die Anlage des zweiten Hochseehafens Ghanas, der in Tema bei Accra im Bau ist. An seinen Kais sollen die technischen Ausrüstungen an Land gebracht und das Aluminium auf die Schiffe verladen werden. Das geplante Aluminiumwerk soll zunächst 80 000 Tonnen Aluminium, später 120 000 und 200 000 Tonnen im Jahr herstellen. Auch an eine neue Stadt mit 50 000 Einwohnern ist gedacht, wo die Arbeiter mit ihren Familien Unterkunft finden. Das große Bauvorhaben am Volta wird dem Lande nebenbei noch weitere Vorteile bringen. So glaubt man, daß der aufgestaute neue Volta-See bald einen großen Fischreichtum bergen wird und daß der Fischfang dort dem Ergebnis der ganzen Küstenfischerei Ghanas gleichkommen dürfte. Auch beabsichtigt man, vom Stausee aus die Felder um Accra zu bewässern. Das Gebiet um die Hauptstadt ist heute ein ödes, braunes Land, in dem nicht viel mehr als hartes, 19
nutzloses Gras wächst. Im Hinblick auf den großen Nahrungsmittelbedarf der wachsenden Hauptstadt wäre eine Bewässerung von besonderer Bedeutung. Die Behandlung des Volta-Projektes zeigt besonders eindrucksvoll, wie sehr sich in Afrika in den letzten zwei, drei Jahrzehnten nicht nur die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse geändert haben, sondern auch der Mensch, der schwarze Afrikaner. Das Projekt wird nicht nur zwischen den beiden beteiligten Begierungen in London und Accra und den interessierten kanadischen und britischen Aluminumgesellschaften beraten, es wird auch überall von der Bevölkerung Ghanas mit Leidenschaft diskutiert. Die Begierung möchte das Volk hinter sich wissen, wenn sie an die Durchführung eines Unternehmens geht, das in seiner Größe mit den Dämmen am Nil und in Indien vergleichbar ist. In einem Aufruf des Ministerpräsidenten von Ghana heißt es: „Die Möglichkeiten dieses Planes sind für das Volk der Goldküste sehr groß und weitreichend. In gewisser Weise könnte damit unser industrielles Zeitalter beginnen. Viele von uns, die sich sonst der Landwirtschaft widmen würden, hätten hier die Gelegenheit, sich am Aufbau einer großen Industrie zu beteiligen. Zweifellos bringt ein Unternehmen von diesem Ausmaß viele Veränderungen für unser Land. Wenn es einmal in Angriff genommen ist, werden für die Zeit des Aufbaus Opfer und Beschränkungen unvermeidlich sein . .. Nur wenn das Volk sich im gesamten zu diesem Plan bekennt, könnte ich unseren künftigen Partnern die Zusicherung geben, daß wir zur Durchführung entschlossen sind."
Junge lehren Alte In einer Siedlung am Bande von Accra bietet sich uns folgendes Bild: Im tiefen Schatten eines ausladenden Mangopflaumenbaumes hocken zwanzig oder'dreißig Männer aller Altersstufen. Jeder hat vor sich auf den Knien eine kleine Schiefertafel und schreibt mit ungelenker Hand Buchstaben, die ein Junge diktiert; oder irgendwo 20
in einem Kiistendorf: In einer geräumigen Lehmhütte sitzen eng aneinandergedrängt Fischer vom Stamme der Fand und betrachten aufmerksam die Wandtafel, auf die ein junger Mann Zeichen malt. Neben ihm hängt eine einfache Sturmlaterne, wie sie jeder hierzulande braucht, der nach Sonnenuntergang seine Hütte verläßt und nicht unversehens auf einen Skorpion oder eine Giftschlange treten möchte. Im matten Schein der Öllampe erkennt man, daß die Männer noch alle ihr traditionelles Gewand tragen: den über der linken Schulter angeordneten, buntgemusterten Überwurf. Die rechte Schulter und Brust bleiben nackt. Es sind durchweg athletisch gebaute Gestalten. Der junge Mann schreibt ein einsilbiges Wort neben ein Bild auf die Tafel, und seine viel älteren Schüler lesen es im Chor. Lehrer und Schüler sind mit Hingabe dabei, das Lernen macht allen offensichtlich Freude. Hier in Ghana sind die Jungen die Lehrer der Alten. Die Erklärung ist einfach genug: Es gibt viel mehr Kinder, die schreiben und lesen körinen, als Erwachsene. Vor wenigen Jahren waren ee etwa
Lerneifer und Lernerfolg sind erstaunlich groß In Ghana 21
300 000 Kinder, die zur Schule gingen, in eine staatliche oder in eine Missionsschule oder eine andere Ausbildungsstätte. Heute schätzt man die Zahl auf 600 000. In einem Lande, das sich so stürmisch weiterentwickelt, in dem immer mehr fachlich gebildete Arbeiter und Angestellte, Beamte und Selbständige gebraucht werden, ist diese Zahl immer noch gering. Da es unmöglich ist, von heute auf morgen die erforderliche Zahl von Lehrern auszubilden und überall Schulen zu bauen, ist man auf die freiwillige Hilfe der bereits Lesekundigen angewiesen. Die Regierung hat deshalb einen Feldzug gegen die Unwissenheit organisiert. In jedem Jahr werden von 8000 Freiwilligen etwa 75 000 Männer und Frauen in Dreimonatskursen in das Geheimnis des Lesens und Schreibens eingeführt. Es ist erstaunlich, mit welchem Eifer diese primitiven Menschen bei der Sache und wie überraschend aufnahmefähig sie sind. Bei nur drei Lehrstunden in der Woche eignen sich die meisten innerhalb der drei Monate die Grundkenntnisse des Lesens an, mit denen sie dann allein weiterkommen können. Nach Abschluß der Unterrichtszeit feiern sie den „Bildungstag", und alle, die die Prüfung bestanden haben, erhalten ein Diplom. Man singt und tanzt, hält feierliche und witzige Reden; Musik spielt auf, und in den Sog des Festes werden selbst die durchgefallenen Prüflinge mit hineingezogen. Besonders stolz sind die Ghanesen auf ihre Universität, die in der Nähe Accras ein großes Gelände einnimmt. Dort kann man auf den bäum- und blumengeschmückten Höfen, zwischen den weißen College-Bauten die schwarzen Studenten in ihren englischen CollegeTalaren wandeln sehen. Alles ist aufs beste eingerichtet. Die Hörsäle, die Speiseräume, die Bibliothek und die Kirche können es mit jeder modernen Universität Europas oder Amerikas aufnehmen. Offensichtlich macht es den Afrikanern größte Freude, hier erhebliche Mittel aufzuwenden. Die Lehrkräfte sind heute noch vorwiegend Weiße, einheimische Hochschullehrer wachsen erst heran. Von Jahr zu Jahr erhöht sich ihre Zahl. Vorläufig hat die Universität Raum für vierhundert Studenten, aber die Zahl soll bald auf 22
tausend gebracht werden. Es werden vor allem fremde Sprachen, Geschichte, Geographie, Soziologie und Theologie gelehrt. Von der Universität aus gehen viele Anregungen hinaus ins Land. Schon gibt es junge Wissenschaftler, die sich eingehend mit der Geschichte, Volkskunde und Kultur des eigenen Landes beschäftigen.
Ein wahrhaft reiches Land Der natürliche Reichtum Ghanas beschränkt sich durchaus nicht nur auf die 400 Millionen Kakaobäume, auf den Waldbestand und auf den Bauxit, den Rohstoff für Aluminium. Auch die Goldminen in der westlichen Küstenregion und in Aschanti sind immer noch ergiebig. Sie werden von britischen Gesellschaften betrieben und beschäftigen rund 30 000 Afrikaner. Zur Zeit des Aschanti-Reichs galt der Grundsatz, daß der Goldstaub dem Volk gehöre, die Goldklumpen aber dem König. Sie mußten vom glücklichen Finder beim Schatzmeister des Königs abgeliefert werden, der sie wog, zwei Drittel behielt und ein Drittel dem Überbringer zurückgab. Da aber die Gewichte des Königs um ein Drittel schwerer waren als die sonst gebräuchlichen Gewichte, behielt der Schatzmeister vom Drittel nochmals ein Drittel für seine Kasse zurück. Ghana besitzt aber noch mehr an Schätzen. Der Boden birgt auch Manganerz und Diamanten. In der Ausfuhr von Manganerz, das für die Stahlerzeugung unentbehrlich ist, steht die Goldküste an zweiter Stelle in der Welt. Im Südwesten des Landes, nahe der Küste, wird das Erz von einer britischen Gesellschaft abgebaut. Diamanten finden sich unter anderem im Hinterland von Accra, im Gebiet von Kibi. Sie werden von britischen Gesellschaften und einem großen südafrikanischen Trust gefördert. Aber auch rund 12 000 Afrikaner schürfen einzeln oder in Gruppen nach ihrem Glück. Die Suche nach Diamanten ist wie ein Lotteriespiel. Eine Fundstelle läßt sich weder erkennen noch berechnen. Wer Glück hat, kann über Nacht aus einem armen Schlucker zum wohlhabenden 23
Mann werden. Es würden sich weit mehr Glückssucher auf diesem Gebiet betätigen, wenn für die Genehmigung zum Schürfen nicht hundert Pfund zu bezahlen wären. Diese hohe Abgabe verführt allerdings manchen dazu, „wild" zu schürfen. Neben den Bodenschätzen gehören die Gunst des Klimas und die Fruchtbarkeit des Bodens zum Reichtum des Landes. Bevor der Kakao seine große Rolle zu spielen begann, zählten die Früchte der wildwachsenden ölpalme zu den wichtigsten Exportgütern. In den Waldgebieten brauchen die Eingeborenen nur auf die Palmen zu steigen und die dicken Fruchtbüschel mit dem Haumesser herunterzuschlagen, dann ist ihr ölbedarf gedeckt, und sie können darüber hinaus noch Säcke voller „Palmkerne" zum Verkauf bringen. Auch die Kokospalme gedeiht in Ghana, und ihre Produkte, Kopra — das getrocknete Fruchtfleisch — und Kokosnüßöl, werden ausgeführt. Ebenso sind die Anbauverhältnisse für Kaffee günstig. Der Export beträgt zwar keine 1000 Tonnen im Jahr, aber der Anbau kann leicht erweitert werden. Ein weiteres Erzeugnis der Goldküste ist die Kolanuß. Sie wird in Europa wenig verwendet, ist aber in Afrika hoch geschätzt und wird gut bezahlt. Die Kolanuß ist ein ähnliches Anregungsmittel wie die Zigarette, sie hat aber darüber hinaus die Eigenschaft, Hunger und Durst zu betäuben. Aus der Nuß, an deren Geschmack man sich erst gewöhnen muß, werden Colapastillen, Colawein, Colaextrakt und Colaschokolade als Anregungs- und Kräftigungsmittel hergestellt.
Das Hinterland der Goldküste Von Accra und Takoradi kann man mit der Bahn nur bis Kumasi in Aschanti reisen. Dann führt nur eine einzige durchgehende Hauptstraße weiter nach Norden. Sie durchquert der Länge nach den Staat Ghana und hat jenseits der nördlichen Landesgrenze Anschluß an das Straßennetz des französischen Sudans. Auf dem roten Band 24
dieser Straße erreicht man nach der Überquerung des Voltas das eigentliche Hinterland der Goldküste, die dritte Landesregion, die „Nordterritorien". Diese Fahrt aus dem Süden in den Norden — von Accra bis Bolgatanga sind es mehr als 500 Meilen — ist gleichzeitig eine Fahrt in die Vergangenheit. Die Küste und die küstennäheren Gebiete mit ihrem Gold, ihren Diamanten, ihrem Manganerz und ihrem Waldreichtum hatten seit langem vielerlei Beziehungen zur Welt, mit der sie Handel trieben. Die Nordterritorien hinter dem großen Urwaldstreifen aber hatten nichts zu bieten und blieben wenig beachtet; sie wahrten sich ihre mittelalterlichen Zustände. Wer die große Straße über Tamale — die Hauptstadt der Nordterritorien und mit 16 000 Einwohnern auch ihre einzige Stadt — bis Navrongo an der französischen Grenze wählt, wird viel Neues von Afrika kennen lernen. Je nachdem, wer der Reisende ist, wird er das Gesehene und Erfahrene verschieden bewerten. Ein Beamter der Staatsregierung wird vor allem feststellen, daß die Bevölkerung arm, daß das Gebiet nicht entwickelt ist und daß noch sehr viel getan werden muß, um es dem Stand der anderen Landesteile auch nur anzunähern. Ein anderer Reisender wird dankbar sein, daß er hier noch ein unverfälschtes Stück des alten Afrika antrifft. Und er wird vielleicht finden, daß der Mensch in Bedürfnislosigkeit oft zufriedener sein kann als im goldenen Überfluß. Um den Zusammenhalt so verschiedenartiger Landesteile zu festigen und dem Norden die Teilnahme an den Errungenschaften des Südens zu ermöglichen, baut die Regierung vor allem die Verkehrswege aus. So wurden unter anderem 1956 zwei große, moderne Eisenbahnbrücken durch den Premierminister dem Verkehr übergeben. Wo bisher nur primitive Fähren ein Überqueren der Flüsse ermöglichten und oft zu stunden- ja tagelangem Warten zwangen, rollen die Wagen jetzt ohne Zeitverlust über die in der Regenzeit mächtig angeschwollenen Flüsse. Mit dem Nordgebiet Ghanas lernen wir einen Landesteil kennen, der auch wettermäßig zu einem anderen Afrika gehört. Das Klima 25
wird hier von den riesigen Wüsten- und Steppenflächen Afrikas bestimmt, es ist heiß und trocken, aber es kann auch empfindlich kalt werden. Einmal im Jahr, im Januar, kommt ein Wind aus der Wüste, den man Harmattan nennt. Irgendwo im Norden, Tausende Kilometer entfernt, erhebt er sich, trocken wie der Sand der Wüste, die ihn erzeugt, kühl wie die Nacht unter den Sternen der Sahara. Er streicht über die tote Wüste, über die Salzsteppe, über die Zonen von Trockensteppe und Trockenwald, über die ungeheuren Räume des Sudans. Nirgends ein Bergzug, der ihm Halt gebietet. Hier im Norden Ghanas trocknet er schmerzhaft die Haut, läßt die Lippen rissig werden und macht das Holz krachen. Dann ist es für den Europäer Zeit, die warmen Kleider aus dem Schrank zu holen. Nachts sinkt das Thermometer manchmal bis auf zehn Grad — eine erstaunlich niedere Temperatur für ein tropisches Land. Wenn der Harmattan vorübergezogen ist und im immergrünen Regenwald Inner-Ghanas seine Gewalt verloren hat, folgen ihm manchmal die Heuschrecken. Plötzlich gegen Abend, bei Sonnenuntergang, wogen die Schwärme der roten Heuschrecken heran, Millionen über Millionen, von Horizont zu Horizont. Es ist ein unheimliches Ereignis, dem der Mensch hilflos gegenübersteht. Man entfacht ein Feuer und hofft, daß die Schwärme den eigenen Besitz verschonen. Die größte Plage hier im Nordgebiet aber ist die Trockenheit. Im Oktober beginnt die regenlose Zeit, vor März ist mit keinem Niederschlag mehr zu rechnen, manchmal setzen die ersten Regen erst im Mai oder Juni ein. Wenn im März die Hitze ihren Höhepunkt erreicht, ist der Boden steinhart und das Gras verdorrt. Für ein Land, das von Viehzucht und Ackerbau lebt, ist das eine böse Zeit. Sobald aber in den Monaten März bis September ausreichend Regen fällt, lebt das weite Land auf, die braune Steppe wird grün, und die Felder wachsen rasch zu guter Ernte heran. Vor allem gedeiht dann die weiße Hirse, sie ist die Grundlage der Ernährung. Die rote wird zu „Pito" gebraut, einem Getränk, das dem armen Norden alles ersetzt, was der reiche Süden an Palmwein und Zukkerrohrschnaps, an Bier und Gin, an Wein oder gar an Sekt genießt. 26
Auf dem Wege zum Wahllokal. — Der Vornehme aus dem Norden ist beritten Die Nordterritorien umfassen der Fläche nach ungefähr ein Drittel des Staatsgebietes von Ghana. Es ist ein bergiges Land mit Höhen, die bis zu 900 Meter aufsteigen. Wie die Landschaft zwischen Berg und Ebene, zwischen Hochplateau und eingeschnittenem Flußtal wechselt, zwischen Steppe und Savanne, so bietet auch die Bevölkerung ein buntgemischtes Bild. Die Stämme, die vorwiegend vom Ackerbau leben, haben sich in Dörfern angesiedelt. Die Viehzüchter dagegen möchten ihre Weidegründe und ihre Herden rings um ihre Höfe sehen. So liegen diese Höfe verstreut über die weite Ebene, merkwürdige kleine Burgen, mit Lehmwällen ringsum. Tritt man in den Hof, so sieht man sich von einem Kreis von Hütten umgeben, die in den Wall hineingebaut sind. Alle Hütten sind klein, eine ist kleiner als die andere, die kleinste ist für die Hühner bestimmt, dann folgen die Behausungen für Ziege, Schaf und Kuh. Aber auch 27
die Lehmhütten für die Menschen sind so winzig, daß man sie nicht betreten kann. Man kriecht durch das unverschließbare Eingangsloch in sie hinein. Jeder Hof ist der Wohnsitz einer Großfamilie. Diese Bauweise ist uralt, uralt ist auch diese Art des Zusammenlebens. Die Menschen verehren die Ahnen. Heil oder Unheil, Mißernte oder reicher Ertrag sind Ausdruck der eigenen Schuld oder Folge von Hexerei. Es gibt auf den Höfen viele Mohammedaner, fast jeder Ort hat seine Gemeinde. Aber aus der Lehre des arabischen Propheten ist hier in Westafrika etwas Afrikanisches geworden, ein Kult ohne Moscheen und ohne den Ruf des Muezzins zum Gebet. Die Häuptlinge hier im Norden haben nach der Verfassung zwar nur eine beratende Aufgabe im Rahmen der Staatsgeschäfte; aber in diesen entlegenen Landstrichen steht das Leben doch noch ganz unter ihrem Einfluß; die Würde des Häuptlings ist eng mit den sozialen Verhältnissen und mit den Glaubensvorstellungen der Eingeborenen verbunden, oftmals hemmen sie den Fortschritt. Aber das braucht nicht immer ein Nachteil zu sein; in mancher Hinsicht ist es bedenklich, den naturwüchsigen Menschen unvermittelt der Zivilisation gegenüberzustellen, das hat sich in vielen anderen Teilen Afrikas erwiesen. Gerade der „Nordländer" Ghanas hat viele Werte zu verlieren. Bei aller Armut und Primitivität der Verhältnisse sind diese Menschen arbeitsam, fröhlich und ehrlich. Es ist bezeichnend, daß im Süden Männer aus den Nordterritorien gerade für solche Berufe bevorzugt werden, die Zuverlässigkeit, Anpassungsfähigkeit und Korrektheit verlangen: bei der Polizei, beim Militär und als Hausdiener. Wenn man in der Zeit nach der Ernte auf der großen Straße nach Bawku an der französischen Grenze fährt, durcheilt man Meile um Meile ein sanft welliges Gelände, trocken, staubig, braun. Die unregelmäßigen, wie wahllos verstreuten Felder heben sich nur wenig von dem umgebenden groben, braunen Grase ab. Bis auf die verstreut stehenden Schibäume ist die Landschaft völlig baumlos. Selbst die Schibäume wären längst zu Brennholz gemacht worden, wenn sie nicht durch strenge Strafen geschützt würden. Trotz seiner Kargheit 28
liefert das Land Hirse und Erdnüsse, Eier und Fleisch, Gemüse und öl, und der Markt in Bawku ist meist reich beschickt. Zu kleinen Kegeln geformt, wird Schibutter verkauft, das aus den Nüssen des Schibaumes gepreßte Fett. Orangen, Zitronen, Bananen, die man auf den Märkten im Süden überall findet, wird man hier vergebens suchen. Das Obst, das hier gedeiht, ist die gelbe Mangopflaume. Die Bauern können ihre Markteinnahmen sogleich in importierten Industriewaren anlegen. Kleider und Haushaltsgegenstände sind ebenso reichlich vorhanden wie Messer, Hacken und andere landwirtschaftlichen Geräte. Seltsam wirken in dieser Umgebung Hautsalben, Gesichtswasser und Schnuller. Die Fülle des Marktes in Bawku ist indes oft nur eine Täuschung. Denn nicht selten müssen die Bauern ihre Hirse von den Händlern später zum doppelten oder dreifachen Preis zurückkaufen. Die Launen des Wetters und die Armut, die keine Rücklagen gestatten, werfen ihren Schatten auf das Leben der Bauern. Es kommt hinzu, daß manche Gebiete überbevölkert sind. Das mutet wie ein Scherz an, wenn man die weiten, spärlich besiedelten Steppen kennt. Aber unter den herrschenden Wetterbedingungen darf der leichte Boden nicht zu stark genutzt werden, sonst stirbt er ab, verwandelt sich in Staub und wird davongeweht oder hinweggeschwemmt. Dort, wo die Bevölkerung sich stark vermehrt, ist der Verlust an Ackerboden groß. Die von der Regierung angestrebte Umsiedlung ist schwierig, weil die Menschen an ihrer Scholle hängen und lieber hungern, als ihre alten Wohnsitze verlassen. Auch religiöse Vorstellungen spielen mit. Die Regierung in Accra bemüht sich sehr um ihre Nordgebiete, fördert die Verwendung des Pfluges, das Heumachen und das Düngen. Landwirtschaftliche Vereine und Ausstellungen helfen belehrend mit. Immer aber bleibt das Wasser das Entscheidende. In den Tropen bedeutet Wasser Leben oder, wenn es fehlt, Trockenheit und Tod. Wenn es gelänge, die Wassermassen, die in den Gewitterstürmen der Regenzeit zu Boden prasseln, festzuhalten, könnten im Norden Ghanas neue fruchtbare Gebiete entstehen. 29
Die Natur der Tropen neigt zu Übertreibungen, das gilt besonders für diese Gebiete zwischen Urwald und Wüste. Das zeigt sich in den starken Temperaturschwankungen und dem sehroffen Übergang von völliger Dürre zu einem Übermaß an Regen; das zeigt sich aber auch bei den kleinen und kleinsten Lebewesen, im plötzlichen Auftauchen der Schwärme der Heuschrecken, der Ameisen oder anderer Insekten und im Übermaß kleinster Krankheitskeime. Immer mehr Ärzte gehen in die Nordgebiete Ghanas. Ihre Aufgabe ist nicht leicht. Der Fremde, der in einer solchen Arztpraxis etwas über den Gesundheitszustand der Bevölkerung erfahren will, muß schon Glück haben, wenn er den Doktor zu Hause antrifft. Vielleicht ist er gerade im Begriff, Patienten aufzusuchen, die sich 300 Kilometer weiter südlich befinden. Hat er bei einer solchen Fahrt Pech und bricht eine Feder an seinem Wagen, dann können es 500 Kilometer bis zur nächsten Reparaturwerkstatt sein. Bei einem Feldzug gegen die Frambösie muß der Arzt im Laufe des Jahres vielleicht eine halbe Million Penicillinspritzen verabfolgen, und er wird selten sein Heim aufsuchen können. Und der Arzt allein kann das alles gar nicht bewältigen. Sein „Stab" mag aus 150 geschulten Afrikanern bestehen, die selbständig für bestimmte Aufgaben eingesetzt werden können. Ein Laboratorium, ein Arzneimittellager und einige Wagen gehören zu einer solchen Praxis. Auch für die Leprakranken wird von Amts wegen gesorgt. Die Lepra, der im Mittelalter auch in Europa weitverbreitete Aussatz, ist in Afrika noch nicht ausgetilgt. Um die Ansteckungsgefahr zu vermindern, begannen in Westafrika zuerst die christlichen Missionen mittder Anlage von Dörfern für Leprakranke. Wer die mittelalterlichen Beschreibungen über das trostlose Schicksal der Aussätzigen in Europa kennt, die im wahren Sinne des Wortes ausgesetzt wurden, ist überrascht, in einem afrikanischen Lepradorf ein nahezu normales Leben und zufriedene Menschen zu finden. Sie haben ihren eigenen Häuptling, ihr Palaverhaus, in dem alle die Allgemeinheit betreffenden Fragen besprochen werden; sie bebauen
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ihre eigenen Felder und Gärten und erhalten sich aus eigenen Mitteln. Dadurch hat die Krankheit einen Teil ihrer Schrecken verloaen.
* So zeigt uns die Goldküste sehr verschiedene Gesichter; aber bei aller Verschiedenheit weist Ghana doch auch viele gemeinsame Züge auf. Gerade diese Vielfalt der Bevölkerungsgruppen, der Landschafts- und der Klimaverhältnisse macht das Land so reizvoll. Es bietet dem Reisenden viele Merkwürdigkeiten und Überraschungen, viele Schönheiten und unvergeßliche Erlebnisse; dem neuen Staat Ghana aber gibt die Vielschichtigkeit seines Lebens die Möglichkeit zu gegenseitiger Ergänzung, zum Zusammenschluß eines starken Ganzen. Die Fahne des neuen Staates zeigt die Farben rot, gold, grün und einen schwarzen Stern im goldenen Felde. Rot soll an jene erinnern, die für die Unabhängigkeit des Landes gekämpft haben. Gold versinnbildlicht den Reichtum Ghanas. Grün steht für die Wälder und die Farmen. Der schwarze Stern aber soll als Leitstern für die Freiheit ganz Afrikas gelten. Das Wappen des neuen Staates zeigt den Wahlspruch „Freedom and Justice", Freiheit und Gerechtigkeit. Das Streben nach etwas Großem ist immer die Vorraussetzung zu seinem Gelingen.
Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Karte auf der zweiten Umschlagseite: Dobsky; Fotos: Photographic Scction. Accra; Südd. Verlag; Amerika-Dienst L u x - L e s e b o g e n 251 ( E r d k u n d e ) — H e f t p r e i s 2 5 Pfg. Natur- und kulturkundliche Hede - Bestellungen (vlerteljährl. 6 Helte DM 1.50) durch jede Buchhandlung und jede Postanatalt — Verlag Sebastian Lux, Murnau (Oberbayern), Seidl-Park — Druck- Buchdruckerei Auer, Donauwörth
Braucht man ein Nabengetriebe für das Fahrrad?
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Nicht unbedingtl Man kann auch einen Ballon ans Rad binden, um leichter bergauf fahren zu können I Wem das aufgeblasene Riesenel aber zu umständlich ist, wer nicht nur bergauf bequem radeln, sondern auch in der Ebene zügig vorwärtskommen will, ohne wild strampeln zu müssen, für den gibt es nur eine Lösung:
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