G. K. Krieglstein (Hrsg.) Glaukom 2005 Ein Diskussionsforum
G. K. Krieglstein (Hrsg.)
Glaukom 2005 Ein Diskussionsfo...
197 downloads
616 Views
4MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
G. K. Krieglstein (Hrsg.) Glaukom 2005 Ein Diskussionsforum
G. K. Krieglstein (Hrsg.)
Glaukom 2005 Ein Diskussionsforum
Prof. Dr. med. G. K. Krieglstein Universitäts-Augenklinik Joseph-Stelzmann-Straße 9 50931 Köln
ISBN 3-540-29677-8 Springer Medizin Verlag Heidelberg Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer Medizin Verlag. Ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2006 Printed in Germany Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. SPIN 1157 1988 Umschlaggestaltung: typographics GmbH, Darmstadt Satz: typographics GmbH, Darmstadt Druck: Stürtz AG, Würzburg Gedruckt auf säurefreiem Papier
18/5135/DK – 5 4 3 2 1 0
V
Vorwort Am 2.–5. Juni 2005 fand in der »Neumühle« bei Hammelburg das Symposium »Glaukom 2005. Ein Diskussionsforum« statt. Eine Gruppe von besonders an der klinischen Glaukomatologie interessierten Ophthamologen trafen sich, um in einer gemeinsamen Diskussion zu einer Serie von 60 Glaukompatienten – dargestellt und illustriert in den wesentlichen Aspekten von Anamnese, Symptomen und Befunden – Konsens des Patientenmanagements zu finden. Es wurden 60 Glaukompatienten mit besonderen Ansprüchen in Diagnostik und Therapie in 6 Sitzungen unter Leitung und Moderation eines Glaukomexperten gemeinsam besprochen – das Resümee dieser Diskussionen wird hier wiedergegeben und allen Augenärzten zugänglich gemacht. Die Inhalte dieses Buches geben somit »eine gelebte Glaukomsprechstunde« zu nicht alltäglichen Fällen wieder, die vielleicht hilfreich ist für die Versorgung weiterer, ähnlich gelagerter Fälle. Die Tagungskosten in der »Neumühle« sowie die Druckkosten dieses Buches wurden dankenswerterweise unterstützt von Pfizer Ophthalmics GmbH/Karlsruhe. Köln, November 2005
G. K. Krieglstein
Logik der Tagung ▬ Gemeinsame Diskussion von Patientenmanagement anhand ▬ ▬ ▬ ▬
individueller Fallbeispiele Dokumentiert in Anamnese, illustriert im wesentlichen Befund Unter Leitung eines Glaukomexperten Mit dem Ziel, Konsens zu erzielen Mit der Möglichkeit der Fallvorstellung für alle Beteiligten
VII
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V
Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IX
Verzeichnis der Moderatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IX
1 Ophthalmoskopische Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
Moderation: M. Utsch / Siegburg 2 Funktionelle Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
Moderation: A. Bayer / Weilheim 3 Dysgenetische Glaukome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49
Moderation: O. Schwenn / Frankfurt 4 Sekundärglaukome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71
Moderation: Ch. Mardin / Erlangen 5 Medikamentöse Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
Moderation: A. Hommer / Wien 6 Operative Glaukomtherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Moderation: J. Funk / Freiburg
115
IX
Herausgeber Prof. Dr. med. Günter K. Krieglstein Geschäftsführender Direktor des Zentrums für Augenheilkunde am Klinikum der Universität zu Köln 50924 Köln
Verzeichnis der Moderatoren Dr. med. A. Bayer Münchener Straße 3 82362 Weilheim Prof. Dr. Dr. J. Funk Universitäts-Augenklinik Killianstraße 5 79106 Freiburg Dr. Anton Hommer HERA Hospital – Augenabteilung Lustkandgasse 24 A-1090 Wien Priv.-Doz. Dr. Ch. Mardin Universitäts-Augenklinik Schwabachanlage 6 91054 Erlangen Priv.-Doz. Dr. O. Schwenn Bürgerhospital – Augenabteilung Nibelungenallee 47–41 60318 Frankfurt/M. Dr. M. Utsch Europaplatz 3 53721 Siegburg
1
Ophthalmoskopische Diagnostik Moderation:
M. Utsch / Siegburg
1
2
1
Kapitel 1 · Ophthalmoskopische Diagnostik
Patient 1: 54 J/M
Anamnese/Befund Gesund Hyperopie/enger Kammerwinkel/flache VK Papille: »crowded disk«/Pseudoneuritis HRT: Papillenfläche 1,6 HHD: 624/631 IOD: 22–28 mmHg GF: relative Ausfälle im Bjerrumbereich, relativer nasaler Sprung
⊡ Patient 1. »Crowded disk«
3 M. Utsch
1
Diskussion/Patientenmanagement Der 54-jährige, gesunde Patient hat beidseits ein kurzes Auge – charakterisiert durch Hyperopie, engen Kammerwinkel, flache Vorderkammer und »pseudoneuritische« kleine Papille. Wie für einen Nanophthalmus anterior typisch, ist die zentrale Hornhautdicke deutlich erhöht. Es besteht eine okuläre Hypertension mit maximalen Druckwerten von 28 mmHg und einer Schwankungsbreite von 6 mmHg. Die Perimetrie zeigt Absenkungen der retinalen Empfindlichkeit in einer für Glaukom typischen Region des Bjerrumbereichs und der nasalen Peripherie. Die vorliegenden Pachymetriewerte mit einer zentralen Hornhautdicke deutlich über 600 µm erfordern eine Korrektur der tonometrischen Augendruckwerte um etwa 4–5 mmHg. Die Morphometrie der Papille ergibt eine relativ kleine Papillenfläche, jedoch eingedenk der Tatsache, dass die Papillenaußengrenzen bei der vorliegenden »Pseudoneuritis« schwierig festzulegen sind – ganz nach dem Grundsatz »je kleiner die Papille, desto schwieriger die Morphometrie«. Ein wichtiges diagnostisches Kriterium zur Interpretation der relativen Gesichtsfeldveränderungen der nasalen Peripherie und des Bjerrumbereichs wäre eine Beurteilung der Nervenfaserschicht der korrespondierenden Netzhautregion mit der rotfreien Ophthalmoskopie oder der Polarimetrie. Die Indikation für eine augendrucksenkende Therapie legitimiert sich nicht nur aus dem Risiko eines Pupillarblockglaukoms (bei den vorliegenden biometrischen Daten des Auges), sondern auch aus dem erhöhten Risiko eines retinalen, venösen Verschlusses bei stark schwankenden Augendruckwerten und kleiner »gestauter« Papille entsprechend der Hyperopie. Da eine inkomplette, rezidivierende Winkelblockade nicht sicher ausgeschlossen werden kann, ist die Indikation für eine Iridotomie oder Iridektomie überzeugend. Ein Mydriasistest als Provokationsmethode für eine Augeninnendrucksteigung aufgrund eines Pupillarblockmechanismus ist sinnvoll. Unter der Annahme, dass bereits eine Einschränkung der trabekulären Fazilität besteht, wäre die chirurgische Iridektomie der Iridotomie vorzuziehen, um nicht durch den photodestruktiven Iriseffekt die trabekuläre Fazilität zusätzlich zu belasten. Wenngleich ein ophthalmoskopisches Äquivalent der perimetrischen Befunde bei der vorliegenden Pseudoneuritis nicht besteht, ist eine neuroradiologische Differentialdiagnostik nicht notwendig, da bei der Anordnung der Befunde ein neuroophthalmologischer Gesichtsfeldausfall wenig wahrscheinlich ist. Da bei dem 54-jährigen Patienten die zuverlässige Compliance einer medikamentösen Therapie nicht gesichert ist, wäre eine medikamentöse Winkelblockprophylaxe mit Pilocarpin von strittigem Wert. Das ratsame Therapiekonzept für diesen Patienten wäre somit eine operative Winkelblockprophylaxe (Laseriridotomie oder chirurgische Iridektomie) sowie die nachfolgende Neubewertung des Augendruckniveaus, der perimetrischen Befunde und eventuell eine medikamentöse Augendrucksenkung einer dann noch verbliebenen, chronischen Abflussstörung.
4
1
Kapitel 1 · Ophthalmoskopische Diagnostik
Patient 2: 35 J/W
Anamnese/Befund Hypotonie/Migräne 3–5 dpt Myopie IOD: 18–22 mmHg Weiter Kammerwinkel HHD: 465/434 µm HRT: Papillenfläche 5,2 GF: o.B.
⊡ Patient 2. Makropapille
5 M. Utsch
1
Diskussion/Patientenmanagement Das Management der 35-jährigen Patientin bedarf einer ausgewogenen Risikoprofilbewertung. Das Vorliegen einer Hypotonie in Kombination mit einer Migräne bedingt eine Disposition für die Entwicklung eines Normaldruckglaukoms. Die mittlere Myopie sowie die erhöhten Augendruckwerte bei reduzierter zentraler Hornhautdicke sind weitere Risikoparameter. Die außergewöhnlich große Papillenfläche von 5,2 mm² bei regelrechten perimetrischen Befunden spricht für eine Makropapille mit Makroexkavation. Eine Makropapille diesen Ausmaßes ist sensitiver auf erhöhten Augeninnendruck und damit per se ein Risikoparameter. Desgleichen gilt zu bedenken, dass ein regelrechter perimetrischer Befund eine inzipiente neuronale Läsion noch nicht ausschließt, erklärt durch die Redundanz im neurovisuellen System. Eine zusätzliche Blau-Gelb-Perimetrie wäre hier sinnvoll, um eine funktionelle Läsion vor der Weiß-Weiß-Perimetrie auszuschließen. Die vorliegende Hornhautdicke rechtfertigt eine Korrektur der tonometrischen Werte um + 3 mmHg. Wegen der begrenzten Möglichkeiten der Morphometrie bei einer so großen Papille ist die Beurteilung der Nervenfaserschicht (Ophthalmoskopie im rotfreien Licht oder Polarimetrie oder OCT) ein wichtiges differentialdiagnostisches Zusatzkriterium. Die geringe Hornhautdicke hat keine Beziehung zur Glaukompathophysiologie im Sinne einer reduzierten mechanischen Compliance der Lamina cribrosa oder einer reduzierten morphologischen Funktionalität des Trabekelmaschenwerks. Die notwendige Korrektur der tonometrischen Augendruckwerte ist jedoch unstrittig. Da eine Disposition für die Entwicklung eines Normaldruckglaukoms durch die Hypotonie und Migräne besteht, ist eine Blutdruckaufzeichnung über Nacht zum Ausschluss nächtlicher, diastolischer Blutdruckabsenkungen hilfreich. Das Gesamtrisikoprofil der Patientin rechtfertigt eine medikamentöse Augendrucksenkung, wobei kardiovaskuläre, suppressive Nebenwirkungen der medikamentösen Therapie strikt zu vermeiden sind. Wegen eines sehr geringen normativen Datenpools zu sehr großen Papillen in der Scanning-Tomographie, ist der Informationswert einer einmaligen Morphometrie begrenzt; der Vorteil der quantitativen Tomographie liegt hier in der Serienanalyse. Die Indikation zur medikamentösen Augendrucksenkung kann revidiert werden nach einem Therapieversuch zur Beurteilung der Compliance des Patienten. Ist eine zuverlässige Verlaufskontrolle ohne Therapie mit allen differentialdiagnostischen Möglichkeiten gegeben, kann diese auch ohne Therapie erfolgen.
6
1
Kapitel 1 · Ophthalmoskopische Diagnostik
Patient 3: 45 J/M
Anamnese/Befund Gesund Wechselnder Visus am RA IOD: 23–26 mmHg HHD: 530 µm GF: unspezifische, parazentrale Ausfälle Fluoreszenzangiographie: subretinale Exsudation HRT: Makropapille Ophthalmoskopie: Papillengrube
⊡ Patient 3. Grubenpapille
7 M. Utsch
1
Diskussion/Patientenmanagement Der 45-jährige Patient klagt über einen wechselnden Sehkomfort und Sehschärfe am RA bei mäßig erhöhten Augendruckwerten; die Hornhautdicke liegt im Normbereich, es bestehen unspezifische zentrale und parazentrale Gesichtsfeldveränderungen. In der Fluoreszenzangiographie lässt sich zum Zeitpunkt der Sehstörungen eine subretinale Exsudation nachweisen. Ophthalmoskopisch zeigt sich eine Grubenpapille, morphometrisch eine abnorm große Papillenfläche. Perimetrie und Morphometrie können hier zum Patientenmanagement wenig beitragen. Es liegen zwei Risikoparameter für die Entwicklung einer Glaukomerkrankung vor, eine vermehrt augendrucksensitive Papille und eine okuläre Hypertension. Es ist unklar, inwieweit eine medikamentöse Augendrucksenkung die rezidivierende, subretinale Exsudation bei Grubenpapille beeinflusst. Eine augendrucksenkende Chirurgie wäre jedoch mit dem großen Risiko einer serösen Netzhautablösung verbunden. Bei einem gesunden Partnerauge (der Befund ist meist einseitig) ist zuwarten möglich. Bei noch höheren Augendruckwerten könnte ein einseitiger Therapieversuch weitere Klärung von Wirksamkeit und Verträglichkeit bringen. Es ist gut belegt, dass 2 % aller Patienten mit einer Minderung des Sehvermögens auf einem Auge irgendwann im Laufe ihres Lebens auf das schlechtere Auge angewiesen sind, was für eine regelmäßige Verlaufskontrolle der Situation und für eine Drucksenkung bei zunehmender Destabilisierung des Augeninnendrucks spricht. Sollte sich die funktionelle Verschlechterung der Situation auf die subretinale Exsudation konzentrieren, wäre eine Abdichtung des Exsudationskanals zwischen Papille und Makula mit Lichtkoagulation eine überlegenswerte Option.
8
1
Kapitel 1 · Ophthalmoskopische Diagnostik
Patient 4: 70 J/M Anamnese/Befund Hypertonie/Status nach Myokardinfarkt Mittlere Myopie IOD: 22–25 GF: unspezifische, relative Ausfälle HRT: nicht sicher verwertbar Ophthalmoskopie: Mikropapille, Tilted-disc-Anomalie, peripapilläre Atrophie
⊡ Patient 4. Mikropapille, »tilted disc«
9 M. Utsch
1
Diskussion/Patientenmanagement Der 70-jährige Patient hat ein erhöhtes kardiovaskuläres Risikoprofil, eine mittlere Myopie und mäßig erhöhte Augendruckwerte. Die perimetrischen Befunde zeigen longitudinale, relative Veränderungen, die Morphometrie der Papille ist nicht verwertbar. Der ophthalmoskopische Befund zeigt jedoch eine klassische Tilted-discAnomalie mit Mikropapille, peripapillärer Atrophie, Kippung der Papillenachse und eine peripapilläre Staphylombildung im Atrophiebereich. Bei der Morphometrie ist die Referenzebene schwer bestimmbar, ebenso der Skleralring, die morphometrischen Befunde sind daher wenig zuverlässig. Die Perimetrie zeigt anomaliebedingte Ausfälle in Form von longitudinalen Veränderungen, korrespondierend der Kippung der Papillenachse und des peripapillären Staphyloms. Die Beurteilung der Nervenfaserschicht ergibt hier Klarheit über anomaliebedingte, kongenitale Veränderungen und eventuell IOD-abhängige, keilförmige Defekte der Nervenfaserschicht. Bei den nur gering erhöhten Augeninnendruckwerten und einem Patienten, der lebenslang an die visuellen Konsequenzen der Papillenanomalie gewöhnt ist, ist eine medikamentöse Therapie nicht obligat. Eine Therapiebegründung könnte die Risikoreduktion gegenüber venösen Gefäßverschlüssen der Netzhaut sein. Vermutlich unterzieht sich der Patient aufgrund seines kardiovaskulären Risikoprofils ohnehin bereits einer antikoagulativen Therapie. Die prognostische Bewertung des internistischen Risikos ist wichtig für die Einleitung einer medikamentösen Augendrucksenkung. Wird eine endotheliale Dysfunktion internistischerseits festgestellt, so wäre dies eine weitere Indikation für eine augendrucksenkende Medikation, da Patienten mit dieser Grunderkrankung sensibler auf den erhöhten Augeninnendruck reagieren. Während das internistische Risiko lebenszeitbegrenzend wirkt, ist eine kritische Verlaufskontrolle des untherapierten, erhöhten Augeninnendrucks und der ophthalmoskopischen und perimetrischen Befunde zulässig.
10
1
Kapitel 1 · Ophthalmoskopische Diagnostik
Patient 5: 77 J/M
Anamnese/Befund Herzrhythmusstörungen, positiv Familienanamnese Mittlere Myopie, Exfoliation IOD: 23–34 mmHg GF: Ausfälle Stadium 3–4 Ophthalmoskopie: präterminale Exkavation, peripapilläre Atrophie, peripapilläres Staphylom (ca. 4–6 dpt)
⊡ Patient 5. Peripapilläre Myopie
11 M. Utsch
1
Diskussion/Patientenmanagement Trotz des hohen Alters von 77 Jahren ist bei dem Patienten ein vergleichsweise aggressives Management notwendig. Die positive Familienanamnese, der Glaukomtypus (Exfoliation) und die Gesichtsfeldausfälle im Stadium 3–4 sind schon per se Gründe für eine konsequente Intervention. Dazu kommt das ophthalmoskopische Bild mit einem involutiven peripapillären Staphylom von 4–6 dpt Tiefe. Damit ist das papillomakuläre Bündel nicht nur durch das Glaukom, sondern zusätzlich durch die myopische Morphologie belastet. Dadurch lässt sich die Papille auch topographisch schwer erfassen, sodass HRT-Daten von eingeschränktem Wert sind. Aufgrund des fortgeschrittenen Papillenschadens in Kombination mit dem deutlichen Gesichtsfeldausfall ist ein Zieldruck unter 15 mmHg notwendig. Dies könnte durch eine Tropftherapie, verbunden mit einer Lasertrabekuloplastik, gelingen. Die LTP wirkt bei in der Regel erhöhter sekundärer Pigmentation des Trabekelmaschenwerkes gut und kann somit ggf. eine weitergehende chirurgische Intervention bei dem 77-jährigen überflüssig machen. Angesichts der hohen Wahrscheinlichkeit einer Kataraktentstehung bei einer fistulierenden Operation ist auch der Verlauf mit dann zwei intraokularen Eingriffen in kurzer Zeit zu bedenken. In jedem Fall ist aber eine intensive Kontrolle dieser Einstellung notwendig, um die bei einer Pseudoexfoliation hohe Amplitude des IOD zu erfassen und damit einer weiteren Atrophie des Sehnerven vorzubeugen. Dafür ist vom Patienten und ggf. den Angehörigen ein deutliches Mehr an Aufwand zu erbringen. Wenn die Kontrollen Werte oberhalb des neu definierten Zieldruckes von unter 15 mmHg ergeben oder die Therapie nicht sicher appliziert wird, ist eine fistulierende Operation – dann auch an beiden Augen – unvermeidlich.
12
1
Kapitel 1 · Ophthalmoskopische Diagnostik
Patient 6: 48 J/M
Anamnese/Befund Gesund Okuläre Hypertension: s.m. 22–26; c.m. 15–19 mmHg KW: weit, geringe dysgenetische Befunde (partielle, anteriore Irisinsertion) GF: progrediente, unspezifische Ausfälle bei zuverlässiger IOD-Regulierung Ophthalmoskopie: Drusenpapille CT: »tiefe Drusen« der Papille
⊡ Patient 6. Drusenpapille
13 M. Utsch
1
Diskussion/Patientenmanagement Der 48-jährige Patient ist gesund und hat eine medikamentös gut kontrollierte, okuläre Hypertension. Der Kammerwinkel ist weit und zeigt mäßige dysgenetische Veränderungen von fraglichem Krankheitswert. Die perimetrischen Befunde zeigen trotz guter Augendruckregulierung progrediente, unspezifische Ausfälle. Der ophthalmoskopische Befund ergibt eine Drusenpapille, das Computertomogramm tiefe Drusen im anterioren Sehnerven. Die augeninnendruckabhängige Komponente des Schadens ist strittig. Eine postoperative Hypotonie könnte den Kompressionsschaden des Sehnerven sogar ungünstiger beeinflussen als ein gering erhöhter Augeninnendruck. Die therapeutische Konsequenz ist eine Augeninnendrucksenkung mit konservativen Mitteln soweit möglich. Die Läsion der Sehnervenaxone wird verursacht durch den Druck der Drusen, was den axoplasmatischen Fluss, sowohl retrograd als auch auch anterograd, blockiert. Bei nachgewiesener Progredienz, trotz einer Druckregulierung, wäre eine radiäre Optikoneurotomie eine logische Option. Die Durchtrennung des Elschnig-Skleralrings könnte den Druck der Drusen auf die Axone entlasten. Der mit einer Radienoptikoneuropathie einhergehende longitudinale Gesichtsfeldausfall korrespondierend der Inzisionsstelle wäre hier unbedeutend, da bereits entsprechende Gesichtsfeldausfälle bestehen.
14
1
Kapitel 1 · Ophthalmoskopische Diagnostik
Patient 7: 52 J/W
Anamnese/Befund Hypotonie, Raynaud-Symptomatik, »diastolic dipping« Mittlere Myopie, Visus 1,0 bds KW: weit; IOD s.m. 17–21 mmHg HHD: 480/495 µm GF: relativer nasaler Sprung am LA Ophthalmoskopie: rezidivierende Papillenrandblutungen
⊡ Patient 7. Randblutung
15 M. Utsch
1
Diskussion/Patientenmanagement Die 52-jährige Patientin stellt ein Beispiel für einen häufig in der Praxis anzutreffenden Patiententyp dar. Diese Patienten klagen selten über Beschwerden, die den Augenarzt auf den Plan rufen würden, sondern fallen eher zufällig bei sorgfältiger Anamnese oder durch entsprechende Überweisung vom Internisten auf (Hypotonie, Raynaud-Symptome). Der IOD liegt applanationstonometrisch im oberen Normbereich und muss aufgrund der Pachymetrie eher noch etwas höher kalkuliert werden. Die Perimetrie zeigt einen peripheren Einbruch im nasalen Gesichtsfeld. Das ophthalmoskopische Bild zeigt typische rezidivierende Papillenrandblutungen. Hier liegt das klassische Risikoprofil für die Entstehung eines Normaldruckglaukoms. Eine Drucksenkung von 30 % unter die Leerwerte ist die klare Therapierichtlinie. Der Schlüssel für einen Therapieerfolg ist gerade in diesem Fall auch der aufgeklärte Patient, da die subjektiven Beschwerden eher diskret sind. Der erste Schritt ist eine Einstellung mittels Tropfenapplikation. Dabei verbieten sich natürlich Wirkstoffe mit potentiell kardiovaskulär-suppressiven Wirkungen (Betablocker) oder lokaler Vasokonstriktion. Die begleitende Therapie mit einem niedrig-dosierten Kalziumantagonisten hätte eine Behandlungslogik im Sinne einer antivasokonstriktiven Wirkung bei der gegebenen Raynaud-Symptomatik. Eine weitere Blutdrucksenkung ist in Zusammenarbeit mit dem Internisten natürlich zu vermeiden. Die Papillentopographie (HRT) ist hier eine wertvolle Hilfe zur Verlaufskontrolle. Wenn allerdings eine Progression des Papillenschadens oder des Gesichtsfeldausfalles nachweisbar ist, wäre eine Trabekelektomie ggf. mit Mitomycin indiziert.
16
1
Kapitel 1 · Ophthalmoskopische Diagnostik
Patient 8: 77 J/M
Anamnese/Befund Hypertonie, Status nach Myokardinfarkt AVT am LA vor 4 Monaten; Status nach Lichtkoagulation ischämischer NH-Areale Hyperopie; Visus 0,3 am LA IOD: 22–24 c.m. (Kombinationstherapie), fragliche Compliance GF: Hemifield-Ausfall nach oben Ophthalmoskopie: Papillenrandblutung, intrapapilläre Brückengefäße, hypertensive Gefäßzeichen, Makroexkavation (»pseudoglaukomatös«)
⊡ Patient 8. Astvenenthrombose
17 M. Utsch
1
Diskussion/Patientenmanagement Der 77-jährige Patient hat ein gravierendes kardiovaskuläres Risikoprofil. In Verbindung damit ist eine Astvenenthrombose am LA zu sehen mit einem ischämischen Verlauf, der eine Lichtkoagulation der ischämischen Netzhautareale notwendig machte. Der Augeninnendruck unter einer Kombinationstherapie ist immer noch erhöht bei fraglicher Compliance des Patienten. Es bestehen bereits erhebliche Gesichtsfeldausfälle, wobei die Trennung zwischen vaskulär und IOD-abhängigen Schaden schwierig ist. Der ophthalmoskopische Befund zeigt entsprechend des vaskulären Risikoprofils eine Papillenrandblutung, intrapapilläre Brückengefäße, hypertensive Gefäßzeichen und eine pseudoglaukomatöse, ischämisch bedingte Makroexkavation, nicht sicher abtrennbar von einer augendruckbedingten Läsion. Eine Therapieoption wäre die Verstärkung der medikamentösen Therapie durch eine Lasertrabekuloplastik in Abhängigkeit des Pigmentierungsgrades des Maschenwerks. Die Hypothek einer invasiven Chirurgie ist die postoperative Hypotonie, die sich ungünstig auswirken könnte auf die Perfusionsstörung der Netzhaut. Aus diesem Grunde wäre eine Zyklophotokoagulation der sicherere operative Weg, eine Drucksenkung in den Normbereich zu erreichen. Eine nichtperforierende Chirurgie (Viskokanalostomie) würde ebenfalls eine postoperative Hypotonie mit großer Wahrscheinlichkeit vermeiden lassen, der augendrucksenkende Effekt ist jedoch spekulativ. Da der bestehende Gesichtsfeldschaden überwiegend vaskulär bedingt ist, ist strikt darauf zu achten, dass die ischämische Netzhautsituation beseitigt ist. Der Nachweis von Gefäßneubildungen auf retinalem Niveau oder im Kammerwinkel wäre ein sicheres Zeichen weiter bestehender retinaler Ischämie.
18
1
Kapitel 1 · Ophthalmoskopische Diagnostik
Patient 9: 77 J/M
Anamnese/Befund Diabetes, Hyperlipidämie Benigne, chronische, retinale Venostase am RA seit 1,5 Jahren Visus 0,8 bds. GF: unspezifische, relative, inkonstante Ausfälle am RA IOD: s.m. 21–24; Non-Compliance Ophthalmoskopie: RA intrapapilläre zilioretinale Shunt-Gefäße
⊡ Patient 9. Intrapapilläre Shunt-Gefäße
19 M. Utsch
1
Diskussion/Patientenmanagement Der 77-jährige Patient leidet an Diabetes und einer Hyperlipidämie. Eine nichtischämische, retinale Venostase am RA ist seit längerem bekannt. Das Gesichtsfeld am betroffenen Auge zeigt unspezifische relative Ausfälle, die nicht progredient sind, der Augeninnendruck ist erhöht, die Compliance für eine medikamentöse Augendrucksenkung ist unsicher. Der ophthalmoskopische Befund zeigt als Ausdruck der längeren retinalen Venostase zilioretinale Shunt-Gefäße auf der Papille. Differentialdiagnostisch sind unbedingt ein Optikusscheidenmeningeom oder eine Karotisstenose auszuschließen. Beide Erkrankungen könnten zilioretinale Shunt-Gefäße isoliert am Fundus verursachen. Therapeutisch wichtig ist eine Optimierung der Stoffwechselerkrankung sowie der Hyperlipidämie. Eine Fluoreszenzangiographie sollte Hinweise darüber geben, ob eine retinale Ischämie vorliegt (Verlust der Kapillarstruktur der Netzhaut). Eine invasive Glaukomchirurgie könnte die Gefäßerkrankung der Netzhaut verschlimmern. Bei geeigneter Ansprechbarkeit des Trabekelmaschenwerkes wäre eine Lasertrabekuloplastik möglich, wahlweise eine Zyklophotokoagulation, wenn mit ersterer Therapieoption eine Augendrucksenkung auf den Normbereich nicht gelingt.
20
1
Kapitel 1 · Ophthalmoskopische Diagnostik
Patient 10: 71 J/M
Anamnese/Befund Hypertonie, TIA, Karotisstenose 70 % IOD: c.m. (Dreierkombination) 19–23 mmHg GF: Bjerrumskotom bds. KW: weit, physiologisch pigmentiert Ophthalmoskopie: inkomplette Randsaumkerbe am oberen Papillenpol bds., hypertensives Gefäßzeichen
⊡ Patient 10. Randsaumkerbe
21 M. Utsch
1
Diskussion/Patientenmanagement Neben der Glaukomerkrankung imponiert bei der 71-jährigen Patientin das kardiovaskuläre Krankheitsbild. Neben der wahrscheinlich behandelten Hypertonie finden sich wiederholte TIAs (transitorische ischämische Attacken) und eine mit 70 % schon hämodynamisch wirksame Karotisstenose. Nichtsdestotrotz ist eine solche Anamnese in der Altersgruppe nicht so selten. Das Glaukom ist medikamentös mittels einer Dreierkombination leidlich eingestellt, wobei allerdings die Perimetrie schon Ausfälle im Bjerrumbereich aufweist und damit auf eine unzureichende Einstellung hindeutet. Bei weitem Kammerwinkel zeigt die Ophthalmoskopie eine fokale Papillenläsion und die zu erwartenden hypertensiven Gefäßveränderungen. Entscheidendes Kriterium des Glaukom-Managements ist in diesem Fall der Nachweis einer Progression. Hier kann neben der Perimetrie (ggf. auch Blau-Gelb) die zusätzliche objektive Papillenbeurteilung mit dem HRT gute Dienste leisten. Wenn ggf. eine Optimierung der medikamentösen Therapie – ggf. auch nach Auslassversuch – gelingt, sollte dies aufgrund der Lebenserwartung die erste Option sein. Das weitere chirurgische Vorgehen ist auch vom dann noch vorliegenden Augendruck abhängig. Die operativen Verfahren wären danach entsprechend dem Grad ihrer Invasivität und ihres immanenten Risikos zu bewerten. Dabei kämen eine Lasertrabekuloplastik, eine Excimer-Laser-Trabekelablation (ELT), eine Kryotherapie und letztlich die fistulierende Operation infrage.
23
Funktionelle Diagnostik Moderation:
A. Bayer / Weilheim
2
24
Kapitel 2 · Funktionelle Diagnostik
Patient 11: 72 J/W
2
Anamnese/Befund Okuläre Hypertension seit 14 J IOD: s.m. 25–29; c.m. (Monotherapie) 19–22 mmHg Papillen: c/d-Ratio: 0,5 bds.; keine Fokalen Läsionen HHD: 580/530 µm KW: weit, Sampaolesi-Zeichen GF: nicht reproduzierbare, relative Ausfälle im Bjerrumbereich Cave: Trainingseffekt in der Perimetrie!
⊡ Patient 11. »Trainingseffekt«
25 A. Bayer
2
Diskussion/Patientenmanagement Bei der 72-jährigen Patientin ist eine okuläre Hypertension seit 14 Jahren bekannt, der Augeninnendruck ist unter einer Monotherapie im oberen Normbereich reguliert, die Papillen zeigen keinerlei IOD-abhängige Läsionen, die Hornhautdicke ist asymmetrisch gering erhöht. Der Kammerwinkel ist weit und zeigt ein positives Sampaolesi-Zeichen (Überschreiten der Pigmentierung über die Schwalb-Linie hinaus; Zeichen einer »trabekulären Insuffizienz«). Die Perimetrie des zentralen Gesichtsfelds zeigt nichtreproduzierbare, wechselnde relative Ausfälle im Bjerrumbereich. Trainings- bzw. Ermüdungseffekte in der perimetrischen Untersuchung sind wahrscheinlich. Insbesondere wenn es sich um eine scheinbare Verbesserung der perimetrischen Befunde in kurzer Zeit handelt, wie bei dieser Patientin am LA, ist ein Lerneffekt bei der Perimetrie anzunehmen. Wichtig für die Interpretation der perimetrischen Befunde sind die Zuverlässigkeitsindizes der sinnesphysiologischen Prüfung (falsch-positive, falsch-negative Antworten, Fixationskontrolle). Eine scheinbare Verbesserung des relativen Gesichtsfeldausfalls beim Glaukom bei unauffälliger Papille sind in der Regel untersuchungsbedingt. Eine Verschlechterung bedarf mindestens der drei- bis vierfachen Bestätigung, bevor eine Progredienz unterstellt werden kann. Das medikamentöse Behandlungskonzept bedarf keiner Veränderung, da keine zusätzlichen IOD-unabhängigen Risikoparameter bestehen. Ein Auslassversuch für eine erneute Bestimmung des unbehandelten Druckniveaus nach langjähriger medikamentöser Therapie ist ratsam.
26
Kapitel 2 · Funktionelle Diagnostik
Patient 12: 82 J/M
2
Anamnese/Befund Status nach Chirurgie Hypophysenadenom Keine IOD-unabhängigen Risikoparameter Okuläre Hypertension seit 20 J IOD: s.m. 24–26 mmHg HHD: 520 µm bds. Papillen: vital KW: weit GF: Quadrantenanopsie
⊡ Patient 12. Quadrantenanopsie
27 A. Bayer
2
Diskussion/Patientenmanagement Der 82-jährige Patient wurde an einem Hypophysenadenom operiert. Es bestehen keine IOD-unabhängigen Risikoparameter. Anamnestisch liegt eine okuläre Hypertension mit gering erhöhten Druckwerten bis 26 mmHg unverändert seit 20 Jahren vor, bei unauffälligen Papillen, weitem Kammerwinkel und physiologischer Hornhautdicke. Die Perimetrie zeigt entsprechend dem Hypophysenprozess eine Quadrantenanopsie. In Anbetracht des Alters, der günstigen Papillenmorphologie und der Anamnese einer Hypophysenadenom-Chirurgie ist eine augendrucksenkende Therapie nicht notwendig. Die Hypophysenadenom-Anamnese für sich alleine begründet noch keine Therapieindikation. Die Absenkung des Augeninnendrucks ist möglich, jedoch nicht absolut indiziert. Bjerrumveränderungen lassen sich nicht ausschließen, da die perimetrischen Befunde wohl eine gute Trennung in der Horizontalen, jedoch eine nur bedingte Trennung in der Vertikalen ergeben. Hier könnte ein neuroophthalmologisches Untersuchungsprogramm der automatischen Perimetrie zur Differenzierung einer möglichen glaukomatösen Läsion gegenüber dem neuroophthalmologischen Gesichtsfeldausfall weiter Klarheit bringen. Da die Papillen keine fokalen Läsionen zeigen, ist ein glaukomatöser Anteil der perimetrischen Ausfälle unwahrscheinlich.
28
Kapitel 2 · Funktionelle Diagnostik
Patient 13: 76 J/M
2
Anamnese/Befund Hypertonie, Status nach Apoplex Glaukom seit 15 J IOD: s.m. 24–26 mmHg; c.m. 17–19 mmHg HHD: 525/530 µm Papillen: inkomplette Randsaumkerbe am unteren Papillenpol bds.; hypertensive Gefäßveränderungen KW: weit GF: Bjerrumskotom + »nasaler Sprung«, konstant seit 9 Jahren
⊡ Patient 13. Bjerrumskotom + Rönne
29 A. Bayer
2
Diskussion/Patientenmanagement Der 76-jährige Patient leidet an einer Hypertonie und erlitt in Folge der Kreislauferkrankung einen Apoplex. Es besteht eine Glaukomanamnese seit 15 Jahren mit guter Druckregulierung durch medikamentöse Therapie. Die Papille zeigt eine Randsaumkerbe als Zeichen einer inkompletten fokalen Läsion, der Fundus entsprechend der Grunderkrankung hypertensive Gefäßveränderungen. Die Perimetrie ergibt ein Bjerrumskotom sowie einen nasalen Einbruch im peripheren Gesichtsfeld als funktionelles Äquivalent der inkompletten Randsaumkerbe. Da die perimetrischen Befunde seit 9 Jahren unverändert sind, könnte es sich auch um eine akute, fokale, ischämische Läsion der Papille bei Hypertonie handeln. Der Ziel-IOD ist zwar nicht optimal erreicht, eine Therapieänderung ist jedoch nicht notwendig, da die perimetrischen Befunde über so lange Zeit stabil waren. Da eine partielle Reversibilität einer okulären Hypertension in höherem Alter möglich ist, könnte ein Therapieauslassversuch dazu beitragen, das unbehandelte IOD-Niveau erneut zu definieren und damit eine gewisse Abgrenzung gegenüber einer anamnestischen, ischämischen Papillenschädigung erlauben.
30
Kapitel 2 · Funktionelle Diagnostik
Patient 14: 90 J/W
2
Anamnese/Befund Hypertonie, Diabetes Glaukom seit 10 J IOD: c.m. 17–22 (Monotherapie) Papillen: »rim notch« unten am RA GF: Bjerrumskotom + »nasaler Sprung«, konstant seit 10 J; GF am Partnerauge o. B.
⊡ Patient 14. Bjerrumskotom + Rönne
31 A. Bayer
2
Diskussion/Patientenmanagement Die 90-jährige Patientin leidet an Hypertonie und Diabetes sowie einer Glaukomerkrankung seit 10 Jahren. Der Augeninnendruck ist mit einer Monotherapie im oberen Normbereich reguliert, mit einer fokalen Papillenläsion im Sinne einer inkompletten Randsaumkerbe an einem Auge. Das betroffene Auge zeigt entsprechend der Papillenschädigung ein Bjerrumskotom sowie einen nasalen Einbruch, und zwar unverändert seit 10 Jahren bei einem gesunden Partnerauge. Bei den die Lebenserwartung begrenzenden Allgemeinerkrankungen und dem hohen Lebensalter der Patientin ist eine Therapieänderung nicht notwendig. Sollte die Patientin durch die antiglaukomatöse Therapie belastet sein, wäre auch ein Auslassversuch möglich. Hier ergibt die Risikobewertung der Augenerkrankung keine absolute Behandlungsindikation, wenn das unbehandelte IOD-Niveau nicht über 30 mmHg liegt. Auch bei Absetzen der Behandlung bei mäßig gesteigerten IOD-Werten zwischen 20–30 mmHg ist eine glaukombedingte Einschränkung der visuellen Lebensqualität bei der realistischen Lebenserwartung der Patientin höchst unwahrscheinlich.
32
Kapitel 2 · Funktionelle Diagnostik
Patient 15: 73 J/W
2
Anamnese/Befund Status nach Myokardinfarkt, Hypertonie Glaukom seit 9 J IOD: s.m. 19–22 mmHg; c.m. 14–17 mmHg (Monotherapie) HHD: 490/503 µm Papillen: RA Verlust des oberen und unteren Papillenpols; LA Kerbe des NRS oben GF: RA inkomplettes Ringskotom + Rönne; LA Bjerrumskotom
⊡ Patient 15. Ringskotom + Rönne
33 A. Bayer
2
Diskussion/Patientenmanagement Die 73-jährige Patientin erlitt einen Myokardinfarkt bei Hypertonie, hat eine Glaukomanamnese seit 9 Jahren und ist mit einer medikamentösen Monotherapie gut reguliert. Beide Papillen zeigen fokale Randsaumläsionen, die perimetrischen Befunde entsprechen den Papillenschäden. Die medikamentöse Augendrucksenkung erscheint adäquat, vorausgesetzt, dass anamnestisch keine gravierende Progredienz der Gesichtsfeldausfälle nachzuweisen ist. Lässt sich eine Progredienz aus den Krankenunterlagen der Patientin nicht ablesen, ist eine Verlaufskontrolle unter Beibehaltung der für die Patientin offensichtlich gut verträglichen Medikation gerechtfertigt. Ein Auslassversuch könnte das unbehandelte Druckniveau mit einer neuen Festlegung des Ziel-IOD nochmals präzisieren. Sollte sich aus der kombinierten Information des Schädigungs-IOD und dem Nachweis der Progredienz ein sehr niedriger Ziel-IOD mit der Konsequenz einer risikoarmen Operation ergeben, könnte man an eine Lasertrabekuloplastik oder eine Excimer-Laser-Trabekelablation denken. Das Risikoprofil einer invasiven Glaukomchirurgie wäre hier zu vermeiden, da bereits medikamentös Augendruckwerte sehr nahe dem Ziel-IOD erreicht werden.
34
Kapitel 2 · Funktionelle Diagnostik
Patient 16: 69 J/M
2
Anamnese/Befund Positive Familienanamnese Glaukom seit 7 J IOD: c.m. 19–24 mmHg (Zweifachtherapie) HHD: 445/470 µm Papillen: Randsaumkerben bds. GF: Bjerrumausfälle + nasaler Einbruch KW: weit Progredienz unter medikamentöser Therapie
⊡ Patient 16a. Randsaumkerben
2
35 A. Bayer
⊡ Patient 16b. Nasaler Einbruch
Diskussion/Patientenmanagement Der 69-jährige Patient hat eine positive Familienanamnese bei einer Glaukomerkrankung seit 7 Jahren. Mit einer Zweifachtherapie ist der Augeninnendruck insuffizient reguliert, die zentrale Hornhaut ist verdünnt, die Papillen zeigen fokale Läsionen mit entsprechenden perimetrischen Befunden bei nachgewiesener Progredienz unter Therapie. Ohne Zweifel konnte hier die medikamentöse Therapie die Zunahme der glaukomatösen Optikoneuropathie nicht stoppen. Eine Verstärkung des medikamentösen Therapieschemas bedürfte bei drei oder gar vier Wirkstoffen der kritischen Beurteilung der Compliance und der möglichen Beeinträchtigung der Lebensqualität durch die häufige Applikation. Der Augeninnendruck unter Therapie ist auch
36
2
Kapitel 2 · Funktionelle Diagnostik
außerhalb der Sprechstundenzeiten zu kontrollieren, z. B. morgens vor dem Aufstehen oder am späten Abend, um mit aller gegebener Notwendigkeit IOD-Spitzen auszuschließen, die ursächlich zur Progredienz beitragen könnten. Möglich ist bei geeigneter Ansprechbarkeit des Trabekelmaschenwerkes die Verstärkung des medikamentösen Behandlungskonzeptes durch eine Lasertrabekuloplastik. Beide risikoarmen Optionen der Therapieverstärkung (Dreifachkombinationstherapie mit oder ohne LTP) sollten in ihrer Effizienz rasch überprüft werden, um nicht eine weitere Progredienz des Papillenschadens zu riskieren. Hier ist die Operationsindikation in kurzer Zeit zu klären. Sollte eine Kontaktsensibilisierung auf die Medikation vorliegen, wäre eine Trabekulektomie mit Mitomycin vorzuziehen. Eine sehr umfangreiche, medikamentöse Behandlungsanamnese verändert die zelluläre Qualität der Bindehaut (vermehrt Entzündungszellen im subkonjunktivalen Gewebe), was die Operationsprognose verschlechtert. Deshalb ist bei längerer Therapieanamnese die Kombination der Filtrationschirurgie mit einem Antifibroblasten zu wählen.
38
Kapitel 2 · Funktionelle Diagnostik
Patient 17: 77 J/M
2
Anamnese/Befund Hyperopie IOD: s.m. 21–38 mmHg; c.m. 18–20 mmHg (Dreifachtherapie) HHD: 590/587 µm KW: eng Papillen: Randsaumkerben bds. GF: Bjerrumausfälle + nasaler Einbruch bds. Cave: chronischer Winkelblock
⊡ Patient 17a. Randsaumkerbe
39 A. Bayer
2
⊡ Patient 17b. Bjerrum + Rönne
Diskussion/Patientenmanagement Der 77-jährige Patient ist hyperop, hat unbehandelt sehr stark schwankende Druckwerte bis 38 mmHg und ist mit einer Dreifachtherapie im oberen Normbereich reguliert bei erhöhter Hornhautdicke. Der Kammerwinkel ist eng, ein Pupillarblockglaukom ist durchaus möglich. Die Papillen zeigen fokale Ausfälle mit entsprechenden perimetrischen Befunden, die Annahme eines chronisch, rezidivierenden Winkelblockglaukoms (»Creeping-angle-Syndrom«) ist durchaus möglich. Die Entlastung der Hinterkammer durch eine basale Iridektomie oder eine Laseriridotomie ist hier eindeutig indiziert. Sollten inzipiente Linsentrübungen bestehen, könnte auch eine vorgezogene Linsenchirurgie die Kammerwinkelsituation bereinigen. Eine Kompressionsgonioskopie könnte Aufschluss geben über den Synechierungsgrad des Kammerwinkels, was eine vorgezogene Linsenchirurgie mit Vertiefung der Vorderkammer und den Versuch einer Goniosynechiolyse mit Viskoelastikum rechtfertigt. Ein wichtiges differentialdiagnostisches Kriterium ist die Relation Linsendicke zu Achsenlänge: Wenn diese 4,5 unterschreitet, markiert dies eine Biometrie des Auges, die einen Winkelblock wahrscheinlich macht. Eine Pilocarpin-Prophylaxe des Winkelblocks ist nur denkbar, falls der Patient den operativen Eingriff ablehnt.
40
Kapitel 2 · Funktionelle Diagnostik
Patient 18: 78 J/W
2
Anamnese/Befund Inkurable Malignomerkrankung Glaukom seit 10 J IOD: c.m. 21–24 (Monotherapie), Compliance? Papillen: bds. fokale Läsionen Bjerrumausfälle + nasaler Einbruch bds. Visus: 0,9 bds. Keine Einschränkung der visuellen Lebensqualität
⊡ Patient 18a. Fokale Papillenläsion
41 A. Bayer
2
⊡ Patient 18b. Bjerrum + Rönne
Diskussion/Patientenmanagement Die 78-jährige Patientin leidet unter einer inkurable Malignomerkrankung und eine Glaukomanamnese seit 10 Jahren. Mit einer augendrucksenkenden Monotherapie ist sie insuffizient eingestellt mit gering erhöhten Druckwerten unter Therapie bei nicht gesicherter Compliance. Es bestehen fokale Papillenläsionen beidseits mit Ausfällen im Bjerrumbereich und nasalen Einbrüchen bei noch guter zentraler Sehschärfe. Die Patientin ist an die augendrucksenkende Monotherapie gut gewöhnt und beklagt keine Nebenwirkungen. Eine Einschränkung der visuellen Lebensqualität für die Patientin besteht nicht, eine Glaukomerblindung bei der realistischen Lebenszeitspanne der malignen Grunderkrankung ist sehr unwahrscheinlich. Bei der schwer kranken Patientin sollte man das Behandlungskonzept belassen, wenngleich der Ziel-IOD nicht erreicht ist. Die Bedrohung durch die Glaukomerkrankung tritt jedoch gegenüber der malignen Allgemeinerkrankung in den Hintergrund.
42
Kapitel 2 · Funktionelle Diagnostik
Patient 19: 54 J/W
2 Anamnese/Befund Hypotonie; Status nach 2facher LTP IOD: s.m. 14–18 mmHg; Intoleranz topischer Medikation HHD: 515/524 µm Papillen: fokale Läsionen, nicht progredient; Status nach rezidivierenden Randblutungen bis vor 3 Jahren GF: longitudinale Ausfälle KW: weit, gering pigmentiert, vereinzelt Synechien
⊡ Patient 19a. »Rim notch«
43 A. Bayer
2
⊡ Patient 19b. Bjerrum + Rönne
Diskussion/Patientenmanagement Die 54-jährige Patientin hat eine Hypotonie und die Anamnese einer zweifachen Lasertrabekuloplastik mit unbehandelten Augendruckwerten im mittleren Normbereich bei einer völligen Intoleranz topischer Medikation. Die Hornhautdicke liegt im Normbereich. Die Papillen zeigen fokale Läsionen, die jedoch nicht progredient sind. Bis vor drei Jahren traten Papillenrandblutungen auf. Die Perimetrie zeigt longitudinale Ausfälle im Bjerrumbereich bis zur Peripherie. Hier besteht kein weiterer Handlungsbedarf, da die morphologischen sowie funktionellen Befunde wohl seit drei Jahren stabil sind, seit dieser Zeit keine Randblutungen mehr auftraten bzw. keine Papillenrandblutungen mehr beobachtet wurden und das Zieldruckkonzept hier nicht weiter nach unten korrigiert werden muss. Eine Intervention der Therapie (operativ) ergibt sich erst bei Anzeichen einer Pro-
44
2
Kapitel 2 · Funktionelle Diagnostik
gredienz oder erneuten Randblutungen. Hierbei ist zu bedenken, dass in einer zeitlichen Latenz von 1–2 Jahren nach der Randblutung Defekte der Nervenfaserschicht und Papillenkerben auftreten, nach einer weiteren Latenzzeit von bis zu 2–3 Jahren die entsprechenden Gesichtsfeldausfälle. Hier spielt sich eine Optikoneuropathie im Sinne eines Normaldruckglaukoms ab. Ein bestmöglicher Schutz bei Progredienz verlangt eine mindestens 30%ige Augendrucksenkung. Bei eindeutiger Indikation zur Chirurgie (rasche Progredienz) könnte man ein Auge operieren und am Partnerauge einen unkonservierten, medikamentösen Therapieversuch wagen. Bei gegebener Progredienz wäre bei dem Alter der Patientin und der Einschränkung der Operationsprognose nach mehrfachen Lasertrabekuloplastiken auch an eine Filtrationsoperation in Kombination mit einem Fibroblastenhemmstoff zu denken.
46
Kapitel 2 · Funktionelle Diagnostik
Patient 20: 48 J/M
2
Anamnese/Befund Mittlere Myopie, Pigmentdispersion IOD: s.m. 28–39; c.m. 23–25 mmHg (Kombinationstherapie) Status nach LTP + Iridotomie Papillen: c/d-Ratio: 0,9 bds. + fokale Läsion GF: Ausfall obere Hälfte bds. KW: konkave Ausformung, massive PDS
⊡ Patient 20a. Glaukom. Exkavation
2
47 A. Bayer
⊡ Patient 20b. Progrediente Gesichtsfeldausfälle
Diskussion/Patientenmanagement Der 48-jährige Patient ist myop und zeigt ausgeprägte Befunde eines Pigmentdispersionssyndroms. Die IOD-Anamnese weist eine Schwankungsbreite des unbehandelten Drucks zwischen 28–39 mmHg, unter einer Kombinationstherapie zwischen 23–25 mmHg nach. Es wurde bereits eine Lasertrabekuloplastik und eine Laseriridotomie zur Therapie eines inversen Pupillarblocks bei Pigmentglaukom ausgeführt. Die Papillen zeigen eine weit fortgeschrittene Exkavation, die perimetrischen Befunde sind entsprechend. Der Kammerwinkel zeigt eine konkave Ausformung mit intensiver Pigmentbeladung. Hier besteht ein weit fortgeschrittenes Pigmentglaukom, das eine konsequente, dramatische IOD-Senkung auf einen unteren Normbereich verlangt. Wichtig ist bei einem Pigmentdispersionssyndrom, bei dem aufgrund der peripheren Iris-
48
2
Kapitel 2 · Funktionelle Diagnostik
konfiguration ein inverser Pupillarblock wahrscheinlich ist, eine frühzeitige Laseriridotomie oder Iridektomie zur Entlastung der Hinterkammer. Mit dem ersten Auftreten eines Durchleuchtungsphänomens der peripheren Iris sollte man mit der Laseriridotomie oder Iridektomie nicht zögern. Dies erlaubt eine Reduktion des Pigmentabriebs durch den zonulär-iridalen Kontakt zu einem Zeitpunkt, zu dem eine Erholbarkeit des Maschenwerkes in vielen Fällen noch möglich ist. In der vorliegenden Situation mit nicht ausreichender medikamentöser Druckregulierung und einem Glaukomspätschaden der Papillen sollte mit einer Trabekulektomie, unterstützt mit Mitomycin wegen des Alters des Patienten, nicht gezögert werden.
49
Dysgenetische Glaukome Moderator:
O. Schwenn / Frankfurt
3
50
Kapitel 3 · Dysgenetische Glaukome
Patient 21: 4 Monate/W
Anamnese/Befund
3
Gesund, keine Epiphora, Photophobie oder Blepharospasmus IOD (Narkose/Perkins) s.m. 9/11 mmHg Papillen: geringe Asymmetrie der Exkavation US-Achsenlänge: 20,5/19,3 mm KW: weit, keine Goniodysgenesie HH-Durchmesser: 11 mm bds. VAA: Iris bicolor
⊡ Patient 21. Iris bicolor
51 O. Schwenn
3
Diskussion/Patientenmanagement Der 4 Monate alte Säugling ist gesund und hat in seiner Anamnese keine Symptome passagerer Drucksteigerungen (Epiphora, Photophobie oder Blepharospasmus). Die Applanationstonometrie in Narkose ergibt ein dem Säuglingsalter entsprechendes Augeninnendruckniveau, die Papillen zeigen eine geringe Asymmetrie der Exkavation ohne Krankheitswert. Die sonographisch kontrollierte Augenlänge liegt im Normbereich, der Kammerwinkel ist weit, ohne dysgenetische Veränderungen, der Hornhautdurchmesser ist seitengleich 11 mm im horizontalen und vertikalen Meridian, Descemet-Leisten oder Trübungen liegen nicht vor. Der auffällige Befund des vorderen Augensegments ist eine Iris bicolor. Das Glaukomrisiko der vorliegenden Situation ist fraglich und nicht zu quantifizieren. Man kann eine Irisdysplasie unterstellen, jedoch ohne Krankheitswert, sondern mehr im Sinne einer Normvariante. Eine halbjährliche Fotokontrolle mit einem Portraitfoto, eventuell mit Maßband quer über die Stirn, ist ausreichend. Eine Indikation für weitere Narkoseuntersuchungen besteht nicht, falls sich nicht Befunde und Symptome einer Drucksteigerung nachweisen lassen. Aspekte der Familienanamnese sind für die prognostische Beurteilung wesentlich.
52
Kapitel 3 · Dysgenetische Glaukome
Patient 22: 15 J/M
Anamnese/Befund
3
Gesund IOD: s.m. 24/15 mmHg Papillen vital bds. GF: o.B. bds. KW: weit differenziert VAA: RA Linsenkolobom, inzip. Katarakt, Sphärophakie
⊡ Patient 22. Linsenkolobom
53 O. Schwenn
3
Diskussion/Patientenmanagement Der 15-jährige Patient ist gesund, der Augeninnendruck am RA ist gering erhöht, beide Papillen sind unauffällig, ebenso die perimetrischen Befunde. Der Kammerwinkel ist weit, differenziert, ohne dysgenetische Befunde. Das RA zeigt ein Linsenkolobom mit inzipienter Kerntrübung und einer sonographisch nachgewiesenen Sphärophakie. Bei erhöhtem Augeninnendruck am betroffenen RA bei unauffälligem Kammerwinkel ist eine gonioskopisch nicht evidente Trabekulodysgenesie anzunehmen. Da eine IOD-abhängige Läsion weder funktionell noch morphologisch nachgewiesen werden kann und der Augeninnendruck nur unwesentlich erhöht ist, ist eine Verlaufskontrolle ohne Therapie ausreichend. Remissionen des erhöhten Augeninnendrucks in diesem Alter sind sehr unwahrscheinlich. Die Möglichkeiten der perimetrischen Verlaufskontrolle zur Aufdeckung früher, relativer Veränderungen sind durch die beginnende Kernkatarakt begrenzt. Eine Morphometrie der Papille als objektive Grundlage einer morphologischen Verlaufskontrolle ist hier sehr wichtig. Sollten steigende Augeninnendruckwerte im weiteren Verlauf nachzuweisen sein, wäre an eine medikamentöse Augeninnendrucksenkung zu denken. Steigen die Augeninnendruckwerte weiter an, könnte man eine Trabekulotomie oder Zyklophotokoagulation in Betracht ziehen. Eine Filtrationsoperation würde die Linseneintrübung stärker beschleunigen. Wegen des Verlusts der Akkommodation bei der Linsenchirurgie ist mit der Indikation zur Lentektomie Zurückhaltung geboten.
54
Kapitel 3 · Dysgenetische Glaukome
Patient 23: 24 J/M
Anamnese/Befund
3
Gesund IOD: s.m. 29–32, c.m. 15–17 mmHg Papillen: RA c/d-Ratio: 0,8; LA c/d-Ratio: 0,4 GF: RA konzentrische Einschränkung KW: RA anteriore Irisinsertion im Trabekelwerk, LA unauffällig VAA: RA Iridoschisis
⊡ Patient 23. Iridoschisis
55 O. Schwenn
3
Diskussion/Patientenmanagement Der 24-jährige Patient ist gesund und weist auf dem rechten, erkrankten Auge Druckwerte bis 32 mmHg auf, die medikamentös gut zu kompensieren sind. Die Papille des Auges zeigt eine glaukomatöse Exkavation bei einer konzentrischen Gesichtsfeldeinschränkung, der Kammerwinkel bietet eine ausgeprägte dysgenetische Veränderung in Form einer anterioren Irisinsertion in das Trabekelmaschenwerk hinein. Das Partnerauge ist völlig unauffällig. Der Befund des Vordersegments zeigt eine Iridoschisis des RA. Die Weiterführung der konservativen Medikation in dieser Situation ist legitim, eine engmaschige Verlaufskontrolle jedoch wichtig, da zu jedem Zeitpunkt eine Dekompensation trotz aktuell regulierten Druckniveaus auftreten kann. Da eine fortgeschrittene Papillenläsion vorliegt, ist bei weiterer IOD-Steigerung eine operative Intervention in Abhängigkeit der IOD-Höhe indiziert (entweder Trabekulotomie oder Trabekulektomie mit Mitomycin, je nach IOD-Lage und Papillenschädigung). Es gilt zu bedenken, dass dysgenetische Glaukome im Kindesalter überwiegend eine Indikation für eine primäre Chirurgie darstellen. Dies gilt insbesondere, wenn bereits eine Papillenschädigung nachzuweisen ist.
56
Kapitel 3 · Dysgenetische Glaukome
Patient 24: 32 J/W
Anamnese/Befund
3
Gesund IOD: RA s.m. 19–22 mmHg, LA s.m. 29–42 mmHg, c.m. 25–28 mmHg (max. medik. Therapie) Papillen: RA vital, LA c/d-Ratio 0,9 GF: RA o. B., LA Ausfälle Stadium III KW: RA vereinzelt Synechien; LA synechiert über 80 % der Zirkumferenz VAA: RA geringe Pupillenverziehung, LA Korektopie, anteriore Synechien, zirkuläres Embryotoxon posterius
⊡ Patient 24. Morbus Rieger
57 O. Schwenn
3
Diskussion/Patientenmanagement Die 32-jährige Patientin hat am RA gering erhöhte Augeninnendruckwerte, links gravierend erhöhte Druckwerte mit einem großen Schwankungsbereich, die auch mit maximaler medikamentöser Therapie nicht zu kompensieren sind. Die rechte Papille ist vital, links besteht eine fortgeschrittene glaukomatöse Läsion mit entsprechenden Gesichtsfeldausfällen. Der Kammerwinkel rechts zeigt vereinzelte Synechien, links ist er über 80 % der Zirkumferenz synechiert. Am RA besteht eine geringe Pupillenverziehung, links eine massive Korektopie, anteriore Synechien und ein zirkuläres Embryotoxon posterius. Es liegt somit eine mesodermale Dysgenesie des vorderen Augensegments im Sinne eines Morbus Rieger vor mit einem Frühstadium am RA und einem fortgeschrittenem Stadium am LA. Hier besteht offensichtlich ein akuter, operativer Handlungsbedarf. Eine interne Zyklodialyse nach Goniosynechiolyse ist möglich, in Bezug auf die resultierende Augeninnendrucksenkung jedoch unsicher. Eine bessere Aussicht auf eine konsequente Augeninnendruckreduktion am LA bietet eine Trabekulektomie mit Mitomyicin, alternativ eine entsprechend dosierte Zyklophotokoagulation. Eine Korrektur der Korektopie, integriert in die augendrucksenkende Operation, ist bei entsprechender Symptomatik zu überdenken. Alternativ könnte zunächst eine konsequente operative Druckregulierung angestrebt werden und nach erfolgreicher Glaukomchirurgie nachfolgend die Pupillenrekonstruktion. Ein Amblyopierisiko besteht jedoch nicht.
58
Kapitel 3 · Dysgenetische Glaukome
Patient 25: 44 J/W
Anamnese/Befund
3
Langjährige Anamnese M. Rieger; 3 CPK, 1 Trabekulekotomie, 1 Trabekulotomie, 1 TE + Mitomycin IOD: c.m. 33–45 mmHg (max. med. Therapie) KW: RA komplett synechiert, LA 30 % synechiert Papillen: RA randständige Exkavation, LA c/d-Ratio 0,5 GF: RA Ausfälle Stadium IV, LA o. B. VAA: RA weitgehende Irisatrophie, LA geringe Pupillenverziehung
⊡ Patient 25. Irisatrophie, Morbus Rieger
59 O. Schwenn
3
Diskussion/Patientenmanagement Die 44-jährige Patientin hat eine lange Anamnese eines beidseitigen Morbus Rieger mit mehrfachen operativen Eingriffen, die den Augeninnendruck jedoch nicht senken konnten. Der Kammerwinkel am stärker betroffenen RA ist komplett synechiert, am weniger betroffenen LA zu 30 % synechiert. Die Papille rechts ist randständig exkaviert, am LA ist die Papillenmorphologie noch unauffällig. Es besteht ein Spätstadium der Gesichtsfeldausfälle am RA, das Gesichtsfeld des Partnerauges ist befundfrei. Das Vordersegment am RA zeigt eine weitgehende Irisatrophie, links besteht nur eine inzipiente Pupillenverziehung. Bei der vorliegenden Operationsanamnese des problematischen RA ist eine Drainage-Implantation indiziert. Diese ist jedoch sehr risikoreich, da der Vorderkammerzugang des Implantats ein großes Verletzungsrisiko für den Linsenäquator darstellt. Eine transpupillare Zyklophotokoagulation ist hier eine risikoärmere, alternative Operationstechnik. Alternativ wäre eine Zyklokryotherapie denkbar oder eine periphere Retinektomie.
60
Kapitel 3 · Dysgenetische Glaukome
Patient 26: 7 J/M
Anamnese/Befund
3
Gesund IOD: s.m. RA 27 mmHg, LA s.m. 14 mmHg Papillen: bds. vital KW: RA eng, LA weit, differenziert VAA: RA flache VK, Iris bombata, residuelle persistierende Pupillarmembran, Irisdysplasie; LA o. B.
⊡ Patient 26. Irisdysplasie
61 O. Schwenn
3
Diskussion/Patientenmanagement Der 7-jährige Patient ist gesund. Der Augeninnendruck am RA ist erhöht, am Partnerauge im Normbereich. Die Papillen sind vital. Der Kammerwinkel am RA erscheint bei flacher Vorderkammer und Iris bombata sehr eng. Links ist der Kammerwinkel weit und differenziert. Der dominierende Befund des vorderen Augensegments am erkrankten RA ist eine persistierende Pupillarmembran am Pupillarsaum mit einer Dysplasie des Irisstromas im Vergleich zum Partnerauge. Es liegt offensichtlich ein inkompletter Pupillarblock vor. Unter dem Aspekt einer Secclusio pupillae ist zunächst eine forcierte Mydriasis zur Beweisführung des unterstellten Pupillarblocks indiziert. Unabhängig davon, ob in Konsequenz der forcierten Mydriasis, mit oder ohne Lösung der Synechierung, der Augendruck fällt, ist eine basale Iridektomie indiziert. Bei der Iridektomie könnte man an eine Goniosynechiolyse durch Vertiefung der Vorderkammer mit einem Viskoelastikum denken, wenn der gonioskopische Befund dies rechtfertigt. Besteht durch eine partielle Synechierung des Kammerwinkels eine chronische Komponente der Drucksteigerung, wären eine Trabekulotomie oder eine Zyklophotokoagulation angebracht. Da die Papillenmorphologie einwandfrei ist, wäre eine Trabekulektomie mit Mitomycin zu weitgehend.
62
Kapitel 3 · Dysgenetische Glaukome
Patient 27: 35 J/W
Anamnese/Befund
3
Gesund IOD: RA s.m. 18 mmHg, LA s.m. 26–29 mmHg; c.m. 22–24 mmHg Papillen: bds. vital GF: bds. o. B. VAA: LA sektorielle, stromale Irisdysplasie
⊡ Patient 27. Irisdysplasie
63 O. Schwenn
3
Diskussion/Patientenmanagement Die 35-jährige Patientin ist gesund und hat am LA erhöhte Augeninnendruckwerte, die medikamentös nicht zuverlässig reguliert sind. Es besteht kein Papillenschaden an beiden Augen, die perimetrischen Befunde sind regelrecht. Auffällig ist am LA eine sektorielle stromale Irisdysplasie bzw. Irisstromaatrophie. Der bestehende Defekt des Irisstromas kann ein dysplastischer Befund sein im Sinne einer Differenzierungsstörung. In der vorliegenden Situation muss man differentialdiagnostisch aber auch an eine virugene Iritis in der Anamnese denken. In diesem Fall könnte eine Hypästhesie der Hornhaut bestehen. Ein Vorderkammerpunktat und entsprechender Antikörpernachweis kann die Genese objektivieren. Da noch kein Papillenschaden eingetreten ist und unter einer medikamentösen Therapie nur gering gesteigerte Druckwerte vorliegen, ist eine Verlaufskontrolle unter Fortführung der Therapie möglich. Laserchirurgische Kammerwinkeleingriffe sind hier nicht indiziert. Ohne Schädigungsnachweis der Papille ist eine invasive Glaukomchirurgie nicht gerechtfertigt, es sei denn, es kommt zu dramatischer Dekompensation des Augeninnendruckniveaus unter Therapie.
64
Kapitel 3 · Dysgenetische Glaukome
Patient 28: 4 J/M
Anamnese/Befund
3
Frühgeburt IOD: RA s.m. 28–33 mmHg, LA s.m. 12 mmHg Papillen: RA nicht beurteilbar, LA vital US: RA persistierende hyaloide Membran VAA: RA Katarakt, Sphärophakie, elongierte CK-Zotten PHPV-Syndrom
⊡ Patient 28. PHPV-Syndrom
65 O. Schwenn
3
Diskussion/Patientenmanagement Das 4-jährige Kind war eine Frühgeburt. Die Augeninnendruckwerte am RA sind bis 33 mmHg erhöht bei gesundem Partnerauge. Die Papille am erkrankten RA ist nicht beurteilbar. Die Sonographie der Glaskörperkavität ergibt eine persistierende hyaloide Membran, der Vorderabschnittsbefund zeigt eine Katarakt, eine Sphärophakie und elongierte Ziliarkörperzotten. Der Befund rechtfertigt die Annahme der klassischen Ausprägung eines PHPV-Syndroms. Da eine funktionelle Prognose für das Auge nicht besteht, ergibt sich ein therapeutischer Handlungsbedarf nur bei Schmerzen des kleinen Patienten. Im jugendlichen Alter könnte sich eine Operationsindikation aus kosmetischen Überlegungen ergeben.
66
Kapitel 3 · Dysgenetische Glaukome
Patient 29: 2 J/M
Anamnese/Befund
3
Gesund, regelrechte Schwangerschaft IOD: RA s.m. ca. 30 mmHg (unsichere Tonometrie) US: RA zentrale Adhärenz von Linse + Hornhaut; LA o. B. VAA: zentrale Hornhauttrübung Peter-Anomalie
⊡ Patient 29. Peter-Anomalie
67 O. Schwenn
3
Diskussion/Patientenmanagement Der 2-jährige kleine Junge wurde nach einer regelrechten Schwangerschaft geboren. Das auffällige RA zeigt eine zentrale weißliche Trübung mit Adhärenz von der Linsenvorderfläche an die zentrale Hornhaut, eindeutig zu identifizieren in der Ultraschallbiomikroskopie. Der Augeninnendruck liegt ohne Therapie um 30 mmHg, der kleine Patient hat offensichtlich keine Beschwerden. Es handelt sich hier um eine Peter-Anomalie bei gesundem Partnerauge. Eine funktionsverbessernde Behandlungsoption besteht nicht, da eine tiefe Amblyopie vorliegt. Es ist operative Zurückhaltung geboten. Die operative Indikation ergibt sich aus kosmetischen Gründen oder bei Auftreten von Schmerzen. Als kosmetische Eingriffe sind eine Hornhauttätowierung mit Tusche denkbar, um einen dunklen Pupillarbereich vorzutäuschen, alternativ eine Kontaktlinse mit Iriszeichnung, soweit diese vertragen wird. Im jugendlichen Alter könnte man bei dringendem Operationswunsch an eine kosmetische perforierende Keratoplastik mit Lentektomie denken, jedoch ohne funktionelle Prognose.
68
Kapitel 3 · Dysgenetische Glaukome
Patient 30: 44 J/M
Anamnese/Befund
3
Gesund IOD: RA s.m. 22–27 mmHg, c.m. 17–23 mmHg; LA s.m. 18 mmHg Papillen: bds. vital GF: o. B. bds. KW: multipler Irisansatz an Schwalbe-Linie Morbus Axenfeld
⊡ Patient 30. Morbus Axenfeld
69 O. Schwenn
3
Diskussion/Patientenmanagement Der 44-jährige Patient ist gesund. Der Augeninnendruck am RA ist erhöht, die Papille und das Gesichtsfeld sind einwandfrei. Im Kammerwinkel erkennt man einen multiplen Irisansatz auf Höhe der Schwalbe-Linie. Es liegt ein Morbus Axenfeld vor. Bei einem medianen Druck von etwa 24 mmHg beim Fehlen von IOD-unabhängigen Risikoparametern ist eine Verlaufskontrolle möglich. Wichtig sind Aspekte der Familienanamnese (Screening der Kinder des Patienten und der Geschwister) wegen des relevanten Vererbungsrisikos. Es handelt sich um eine stationäre, mesodermale Dysgenesie des Kammerwinkels, die in ihren funktionellen Auswirkungen auf die Hydrodynamik nicht zunehmen muss. Die Indikation für eine konservative Medikation ergibt sich nach Höhe und Schwankungsbreite des unbehandelten Augeninnendrucks.
71
Sekundärglaukome Moderation:
C.Y. Mardin / Erlangen
4
72
Kapitel 4 · Sekundärglaukome
Patient 31: 46 J/W
Anamnese/Befund Langjährige Anamnese einer Hetrochromie-Iridozyklitis am LA, Steroid-Responder
4
IOD: RA 14–18 mmHg; LA 24–28 mmHg im Intervall, 35–48 mmHg im Entzündungsschub, Intoleranz max. med. Therapie Papille: LA c/d-Ratio 0,9 OP-Anamnese LA: 1 Trabekulotomie, 2 CPK VAA: Heterochromie, VK-Tyndall, periokuläre Dermatitis
⊡ Patient 31. Heterochromie
73 Ch. Mardin
4
Diskussion/Patientenmanagement Die 46-jährige Patientin hat eine langjährige Anamnese einer Heterochromiezyklitits am LA mit Sekundärglaukom, erhöhter Steroidsensitivität, Intoleranz einer maximalen medikamentösen Therapie, Glaukomspätstadium nach mehrfacher, antiglaukomtöser Chirurgie. Es besteht eine periokuläre Dermatitis als Zeichen einer Kontaktsensibilisierung auf die bestehende Medikation. Hier liegt ein konsequenter, operativer Handlungsbedarf vor. Nach NutzenRisiko-Abwägung bei einem Zieldruck im unteren Normbereich wäre vordergründig an eine Trabekulektomie mit Mitomycin zu denken. Eine Zyklokryotherapie ist im augendrucksenkenden Effekt weniger sicher, könnte jedoch auch den uveoskleralen Abfluss zuzüglich zur Zyklodestruktion verbessern. Da bereits zwei Zyklophotokoagulationen ausgeführt wurden, hat eine weitere zyklodestruktive Chirurgie ein relevantes Phthisisrisiko. Dieses kann man orientierend abschätzen mit einer Bolusinjektion von 125 mg Diamox. Sinkt der Augeninnendruck sehr stark innerhalb von 2 Stunden ab, so spricht dies für eine geringe Reservekapazität der Kammerwassersekretion und damit für ein erhöhtes Phthisisrisiko bei zusätzlichen, zyklodestruktiven Operationen. Wegen der chronisch rezidivierenden, intraokularen Entzündung ist eine Kammerwinkelchirurgie problematisch und mit einem hohen Blutungsrisiko behaftet. Um das Behandlungsziel einer aggressiven IOD-Senkung zu erreichen, ist das Risikoprofil einer Mitomycin-verstärkten Trabekulektomie unvermeidlich.
74
Kapitel 4 · Sekundärglaukome
Patient 32: 67 J/M
Anamnese/Befund Arrhythmie
4
IOD: s.m. 23–34 mmHg bds.; c.m. 19–25 mmHg bds. (Zweifachtherapie), fragl. Compliance Papillen vital GF: o. B. VAA: PDS am Pupillarsaum, PEX-Material am Pupillarsaum, Verlust der Iriskrause Exfoliationssyndrom!
⊡ Patient 32. Exfoliationssyndrom
75 Ch. Mardin
4
Diskussion/Patientenmanagement Der 67-jährige Patient bietet als IOD-unabhängigen Risikoparameter eine Arrhythmie. Das unbehandelte Druckniveau schwankt bis 34 mmHg und kann mit einer Zweifachtherapie bei unsicherer Compliance nur bedingt reguliert werden. Die Papillen sind vital. Es bestehen deutliche Befunde für das Vorliegen eines Exfoliationssyndroms. Eine Möglichkeit der Entscheidung der Compliance wäre ein Augendruckprofil unter Eigenmedikation im Vergleich zur Fremdmedikation. Ein Tagesprofil über 24 Stunden wäre hier nicht unbedingt notwendig, da beide Papillen noch unauffällig sind. Es ist jedoch wichtig, den Schwankungsbereich des Augendrucks unter Therapie zu definieren, da bei der vorliegenden Exfoliation die Augendrucklage sehr labil ist. Der Augeninnendruck kann offensichtlich durch medikamentöse Therapie alleine nicht zuverlässig reguliert werden, andererseits verbietet sich eine risikoreiche Operationstechnik, da ein Glaukomschaden noch nicht eingetreten ist. Als Optionen risikoarmer Chirurgie bieten sich an die Excimer-Laser-Trabekelablation, eine Lasertrabekuloplastik oder eine Trabekelaspiration.
76
Kapitel 4 · Sekundärglaukome
Patient 33: 38 J/W
Anamnese/Befund Kongenitale bds. Aniridie, schmerzhafte Keratopathie, Intoleranz topischer Medikation
4
OP-Anamnese: 2 CPK IOD: s.m. 24–38 mmHg bds. HHD: 610/630 µm Papillen: c/d-Ratio 0,7 bds. HRT: nicht verwertbar GF: nicht verwertbar VAA: Aniridie, Keratopathie
⊡ Patient 33. Aniridie
77 Ch. Mardin
4
Diskussion/Patientenmanagement Die 38-jährige Patientin leidet an einer beidseitigen kongenitalen Aniridie mit schmerzhafter Keratopathie und einer weitgehenden Intoleranz topischer Medikation. Es wurden bereits zwei Zyklophotokoagulationen ausgeführt, die jedoch keine zuverlässige Druckregulierung ergaben. Die zentrale Hornhaut ist erheblich verdickt, vermutlich auch durch die Keratopathie bei einer unstrittigen limbalen Stammzellinsuffizienz. Die Biomorphometrie der Papillen ist nicht sicher verwertbar wegen der reduzierten Bildqualität, ebenso die perimetrischen Befunde. Der ophthalmoskopische Papillenbefund macht eine inzipiente glaukomatöse Läsion wahrscheinlich, wenngleich sie durch Morphometrie oder Perimetrie nicht zu quantifizieren ist. Das Augendruckniveau ohne Therapie bedarf der operativen Intervention, ein Konzept maximaler medikamentöser Therapie ist wegen der Keratopathie nicht realistisch. Als operative Optionen erscheinen eine transpupilläre Zyklophotokoagulation oder eine endoskopische Zyklophotokoagulation machbar. Eine weitere, sinnvolle Option wäre eine periphere Retinektomie im Sinne einer internen Drainage von Kammerwasser in die Aderhaut hinein. Drainage-Implantate sind hier kritisch zu sehen, da das vorderkammerseitige Schlauchende mit großer Wahrscheinlichkeit den Linsenäquator perforiert und bei der Implantation des Schlauches in die Vorderkammer ein erhebliches Blutungsrisiko durch die Kammerwinkelanomalie besteht (Irisstumpf ist mit den versorgenden Blutgefäßen mit Trabekelmaschenwerk verwachsen).
78
Kapitel 4 · Sekundärglaukome
Patient 34: 89 J/M
Anamnese/Befund Hypertonie, Arrhythmie
4
Status nach Kontusionstrauma am RA IOD: RA s.m. 42–46 mmHg; LA s.m. 16 mmHg Papillen: RA nicht beurteilbar; LA vital GF: RA nicht möglich; LA o. B. Visus: RA intakte LSP, Aderfigur der NH intakt; LA c.c. 0,5 VAA: Luxation hypermaturer Linsenkern in VK
⊡ Patient 34. Linsenluxation
79 Ch. Mardin
4
Diskussion/Patientenmanagement Der 89-jährige Patient leidet an einer Hypertonie und Arrhythmie. Er hat in seiner Vorgeschichte ein Kontusionstrauma am RA mit gravierend erhöhten Augendruckwerten bei normalen IOD am Partnerauge. Am RA ist eine Beurteilung des Fundus nicht möglich. Es zeigt sich ein in die Vorderkammer luxierter hypermaturer, sehr harter Linsenkern bei intakter Aderfigur der Netzhaut und intakter Lichtscheinprojektion. Das Partnerauge erscheint gesund. Hier erhebt sich die Frage des Zustands der Hinterkapsel für das weitere operative Vorgehen. Ist die Hinterkapsel intakt, wäre der sehr harte Kern über einen kornealen Zugang mit Kryoapplikation zu extrahieren. Die Vorderkammer ist intensiv zu spülen, um eine phakolytische Komponente des Sekundärglaukoms zu beseitigen. Besteht eine weitgehende Zonuladialyse, ist eine anteriore Vitrektomie oder Pars-plana-Vitrektomie anzuschließen. Bei dem hohen Lebensalter des Patienten wäre bei Vorhandensein von ausreichender Hinterkapsel eine Hinterkammerlinse in den Sulcus ziliaris zu implantieren, bei völligem Fehlen der Hinterkapsel könnte auch eine flexible Vorderkammerlinse implantiert werden. Da eine intakte Aderfigur der Netzhaut in allen vier Quadranten wahrgenommen wird, sollte eine wiederherstellende Chirurgie angestrebt werden. Präoperativ ist eine echographische Untersuchung des Bulbus und des Nervus opticus zur Abschätzung der Intaktheit des Hinterabschnittes und des Atrophiegrades des Sehnerven sinnvoll.
80
Kapitel 4 · Sekundärglaukome
Patient 35: 48 J/M
Anamnese/Befund Gesund
4
Status nach Kontusionstrauma am LA IOD: RA s.m. 18–21 mmHg; LA s.m. 32 mmHg Visus: RA s.c. 1,0; LA c.c. + 13,0 = 0,6 Papillen: bds. vital GF: RA o. B.; LA konz. Einschränkung VAA: LA traumatische Linsenluxation in GK
⊡ Patient 35. Linsenluxation
81 Ch. Mardin
4
Diskussion/Patientenmanagement Der 48-jährige, gesunde Patient erlitt ein Kontusionstrauma am LA. Der Augeninnendruck am Partnerauge ist unauffällig, links bestehen Drucksteigerungen bis 32 mmHg. Der Visus am verletzten Auge ist 0,6 nach Ausgleich einer Aphakie. Es zeigt sich im biomikroskopischen Befund eine traumatische Linsenluxation in den Glaskörper. Hier ist in jedem Falle eine Pars-plana-Vitrektomie anzustreben. Erscheint die Linse nicht sehr hart, kann sie über eine Endophakoemulsifikation versorgt werden. Besteht ein harter Linsenkern, so kann die Linse mit Perfluorcarbone in den Pupillarbereich nach Vitrektomie gehoben und mit Kryo extrahiert werden. Zur Korrektur der Aphakie ist die transsklerale Fixation einer Hinterkammerlinse denkbar. Eine sehr moderne operative Option zur Korrektur der Aphakie in diesem traumatisierten Auge wäre eine Lobster-Claw-Linse mit Fixation von der Irisrückseite.
82
Kapitel 4 · Sekundärglaukome
Patient 36: 38 J/M
Anamnese/Befund Gesund, mittlere Myopie
4
OP-Anamnese: 2 LTP IOD: R/L s.m. 24–32 mmHg; c.m. 17–21 mmHg (Zweifachtherapie) HHD: bds. 420 µm Papillen: fokale Läsion bds. GF: Bjerrumskotome bds. KW: weit, intensive PDS, konkave Ausformung VAA: mäßige PDS auf Iris und HH-Endothel, massive PDS in hinterer Augenkammer
⊡ Patient 36. Pigmentglaukom
83 Ch. Mardin
4
Diskussion/Patientenmanagement Der 38-jährige Patient hat eine mittlere Myopie mit Augendruckwerten ohne Therapie bis 32 mmHg und einer Regulierung in den oberen Normbereich unter einer Zweifachtherapie bei einer zweifachen Lasertrabekuloplastik in der Anamnese. Zu berücksichtigen sind bei einer Bewertung der Augendruckwerte die sehr niedrigen Pachymetriewerte der zentralen Hornhaut. Die Papillen zeigen fokale Läsionen und entsprechende Gesichtsfeldveränderungen im Bjerrumbereich. Die Biomikroskopie des Vordersegments weist eine intensive Melanindispersion auf Iris, Hornhautendothel und hintere Augenkammer auf sowie eine konkave Ausformung der Kammerwinkelbucht. Insgesamt zeigt sich die klassische Befundkonstellation eines Pigmentglaukoms. Die biomikroskopisch gut verifizierbare Ausbuchtung der peripheren Iris in die hintere Augenkammer verlangt eine umgehende basale Iridektomie oder Laseriridotomie, um einen weiteren Melaninabrieb so gut es geht zu reduzieren. Das Ausmaß des Effekts hängt ab vom Ausmaß der Durchleuchtbarkeit der peripheren Iris. Ist die Region iridozonulären Kontakts bereits pigmentfrei, wird die Iridotomie keine weitere Schutzwirkung ergeben. Die Ultraschallbiomikroskopie oder ein Vorderabschnitts-OCT helfen bei der Abschätzung des Grads des inversen Pupillarblocks. Bei nachgewiesener Progredienz der Optikoneuropathie ist bei dem Alter der Patientin und der mittleren Myopie der Versuch einer Trabekulotomie indiziert. Ist die Progredienz offensichtlich, sollte zumindest an einem Auge bei dem Alter der Patientin an eine TE mit Mitomycin gedacht werden, am Partnerauge an eine Iridektomie. Besteht eine weitgehende Konstanz der Optikoneuropathie über einen Zeitraum von 2–3 Jahren, könnte man wegen der grenzwertigen Druckregulierung auch eine Excimer-Laser-Trabekelablation in Betracht ziehen. Da das Pigmentglaukom nicht selten langfristig selbstbegrenzend ist, sind Aspekte von Progredienz und IOD-Anamnese sehr wichtig. Der Augeninnendruck kann zu Zeiten intensiven iridalen Melaninabriebs sehr stark mit raschem Schädigungswert für den Sehnerven ansteigen, bei Nachlassen des iridalen Melaninabriebs kann sich die Funktionalität des Maschenwerks jedoch teilweise erholen, was von der Phakozytosekapazität der Endothelzellen des Kammerwinkels abhängt.
84
Kapitel 4 · Sekundärglaukome
Patient 37: 57 J/W
Anamnese/Befund Status nach vitreoretinaler Silikonölchirurgie am RA
4
IOD: RA s.m. 35–42 mmHg; c.m. 26–30 mmHg (max. med. Therapie); LA s.m. 14–16 mmHg Papillen: RA c/d-ratio 0,9; LA vital GF: RA Stadium III; LA o. B. KW: bds. weit, keine Synechien VAA: RA Silikonbläschen in VK
⊡ Patient 37. Silikonglaukom
85 Ch. Mardin
4
Diskussion/Patientenmanagement Bei der 57-jährigen Patientin erfolgte ein vitreoretinaler Eingriff am RA mit passagerer Silikonöltamponade. Die Augeninnendruckwerte sind ohne Medikation bis 42 mmHg, mit einer maximalen medikamentösen Therapie nur zwischen 26– 30 mmHg abzusenken. Das betroffene Auge zeigt ein Spätstadium der glaukomatösen Papillenläsion mit entsprechenden Gesichtsfeldausfällen. Biomikroskopisch identifiziert man Silikonbläschen, die in der Vorderkammer zirkulieren, entsprechend der Wärmekonvektion des Kammerwassers. Es handelt sich um ein silikomakrophagozytäres Offenwinkelglaukom, das pathophysiologisch durch die Obstruktion des Trabekelmaschenwerks durch Makrophagen bedingt ist, die die feinen Silikonbläschen phagozytiert haben. Da Silikonbläschen in der Vorderkammer zu identifizieren sind, empfiehlt sich nochmals eine Vorderkammer-Lavage. Dies wäre eventuell zu verbinden mit einer Revitrektomie, falls Silikonreste in der Glaskörperkavität verblieben sind. Sollte sich keine Erholung der trabekulären Strukturen zeigen, wäre an eine Trabekulektomie mit Mitomycin zu denken. Eine Endozyklophotokoagulation oder eine Zyklokryotherapie wären Alternativen; sie sind in der augendrucksenkenden Wirkung und der Nachhaltigkeit derselben jedoch weniger sicher als eine Mitomycin-verstärkte Trabekulektomie.
86
Kapitel 4 · Sekundärglaukome
Patient 38: 42 J/M
Anamnese/Befund Status nach perforierender Verletzung und Aphakie am RA
4
IOD: RA s.m. 24–28 mmHG; c.m. 17–19 mmHg; LA s.m. 14–18 mmHg Papillen bds. vital GF: RA konzentrische Einschränkung; LA o. B. VAA: RA Epithelinvasion
⊡ Patient 38. Epithelinvasion
87 Ch. Mardin
4
Diskussion/Patientenmanagement Der 42-jährige Patient erlitt am RA vor Jahren eine perforierende Verletzung mit Linsenverlust. Die Papillen sind im Seitenvergleich vital. Das Gesichtsfeld des verletzten Auges zeigt entsprechend der Aphakie eine konzentrische Einschränkung. Die Biomikroskopie zeigt eine zystische Epithelinvasion in die Vorderkammer in Konsequenz der perforierenden Verletzung. Die absolute operative Konsequenz der Situation ist trotz einer Druckregulierung mit Medikamenten eine Blockexzision des in die Vorderkammer eingewachsenen Epithels. Eine kombinierte Operation mit Sekundärimplantation einer Kunstlinse wäre zu risikoreich. Vorzuziehen ist zunächst eine völlige Entfernung des eingewachsenen Epithels, im Anschluss daran ist das IOD-Niveau neu zu definieren und eventuell mit konservativer Medikation der Augendruck zu senken.
88
Kapitel 4 · Sekundärglaukome
Patient 39: 32 J/W
Anamnese/Befund Gesund
4
IOD: RA c.m. 33–40 mmHg (max. med. Therapie); LA s.m. 15–18 mmHg Papillen: RA randständig; LA vital GF: RA Stadium IV; LA o. B. HH-Endothelmikroskopie: ICE-Syndrom VAA: paret. Mydriasis, zirkul. Ektropium uveae, massive BH-Hyperämie
⊡ Patient 39. ICE-Syndrom
89 Ch. Mardin
4
Diskussion/Patientenmanagement Die 32-jährige Patientin ist gesund und hat trotz maximaler medikamentöser Therapie am rechten, erkrankten Auge Druckwerte bis 40 mmHg bei gesundem Partnerauge. Die Papille des RA zeigt eine präterminale glaukomatöse Exkavation. Die Biomikroskopie der vorderen Augenabschnitte sowie die Hornhautendothelmikroskopie ergeben die eindeutige Diagnose eines ICE-Syndroms. Dieses Syndrom geht einher mit einer völligen Synechierung des Kammerwinkels durch die proliferative Endothelopathie, die auch eine Descemet-ähnliche Basalmembran bildet. Diese kleidet die Kammerwinkelregion völlig aus, entwickelt kontraktile Eigenschaften und bewirkt eine Synechierung des Kammerwinkels mit therapierefraktären Druckniveau. Hier ist nur eine aggressive, operative Therapie sinnvoll. Eine Zyklophotokoagulation ist unsicher und muss sicherlich mehrfach wiederholt werden. Konsequenter ist eine Trabekulektomie mit Mitomycin, wahlweise ein Drainage-Implantat, das jedoch in seinem Vorderkammerzugang ebenfalls ein hohes Risiko trägt, überwachsen zu werden.
90
Kapitel 4 · Sekundärglaukome
Patient 40: 43 J/M
Anamnese/Befund Gesund, langjährige Anamnese eines Pigmentglaukoms, Status nach bds.
4
Laseriridotomie IOD: R/L c.m. 14–18 mmHg (Monotherapie) Papillen: bds. vital GF: bds. o. B. KW: weit, keine konkave Ausformung, massive PDS VAA: zirkul. Kirchenfensterphänomen bds.
⊡ Patient 40. Pigmentglaukom
91 Ch. Mardin
4
Diskussion/Patientenmanagement Der 43-jährige Patient hat eine langjährige Anamnese eines Pigmentglaukoms. Es wurde bereits eine Laseriridotomie vorgenommen. Der Augeninnendruck ist unter einer Monotherapie gut reguliert, die Papillen sind vital, bei befundfreien Gesichtsfeldern. Der Kammerwinkel ist weit, massiv melaninbeladen. Es besteht ein zirkuläres Kirchenfensterphänomen der peripheren Iris an beiden Augen. In der vorliegenden Situation ist die Annahme einer weitgehenden Regression des Pigmentglaukoms gerechtfertigt. Die sichere Druckregulierung mit einer Monotherapie trotz einer massiven Pigmentbeladung von Kammerwinkelstrukturen, Irisstroma und Hornhautendothel sprechen für diese Hypothese. Eine funktionelle Erholung der trabekulären Fazilität in der vorliegenden Situation ist wahrscheinlich. Ein Auslassversuch der Monotherapie zur Neudefinition des unbehandelten IOD kann darüber weiteren Aufschluss geben. Da die Papillen beidseits regelrecht sind und keine IOD-abhängigen Läsionen bestehen, ist eine Therapieunterbrechung über wenige Wochen durchaus möglich.
93
Medikamentöse Therapie Moderation:
T. Hommer / Wien
5
94
Kapitel 5 · Medikamentöse Therapie
Patient 41: 57 J/W
Anamnese/Befund Gesund; positive FA, Hypotonie, hartnäckige Oberflächenbeschwerden bei topischer Medikation Mittlere Myopie
5
KW: weit, physiologisch pigmentiert IOD: s.m. 22–27 mmHg HHD: 530/510 µm GF/Papillen o. B. VAA: chron. Blepharokonjunktivitis, lidkantenparallele BH-Falten, subkonjunktivale Tuscheeinlagerungen
⊡ Patient 41. Subkonjunktivale Tuschepartikel
95 T. Hommer
5
Diskussion/Patientenmanagement Die 57-jährige, gesunde Patientin hat eine positive Familienanamnese, eine hypotone Kreislaufdysregulation und eine sehr begrenzte Verträglichkeit topischer, augendrucksenkender Medikation. Ein Glaukomschaden ist noch nicht eingetreten, das unbehandelte IOD-Niveau ist jedoch in Verbindung mit der Kreislauferkrankung behandlungsbedürftig. Die Biomikroskopie der vorderen Augenabschnitte zeigt eine chronische, unspezifische Blepharokonjunktivitis mit lidkantenparallelen Bindehautfalten als Zeichen einer Benetzungsstörung und intensive, subkonjunktivale Tuscheeinlagerungen im unteren Bindehautrezessus. Hier besteht eine chronische Blepharitis und Konjunktivitis mit einem SiccaBeschwerdebild, vermutlich auf dem Boden einer Kontaktsensibilisierung durch tuschehaltige Kosmetika. Die intensive Ablagerung von Tuschepartikeln in der Bindehaut spricht für eine lange Anamnese der Problematik. Bei Indikation zur konservativen Augendrucksenkung wäre hier ein Therapieversuch mit unkonservierten Pharmaka ratsam, um eine Irritation der Augenoberfläche durch Konservanzien zu vermeiden. Ist die Tränenfilmaufreißzeit sehr verkürzt, könnte man versuchen, über Punctum Plug eine vorübergehende bessere Benetzung der Augenoberfläche zu erreichen. Ist eine topische Medikation nicht realistisch, würde sich eine Lasertrabekuloplastik bei ausreichender Pigmentierung des Maschenwerks zur Augendrucksenkung anbieten. Es bleibt jedoch strittig, ob man mit der LTP alleine den Ziel-IOD erreichen kann. Bei zuverlässigen Bedingungen der Verlaufskontrolle könnte bei dem gegebenen Augendruckniveau mit der Therapie noch zugewartet werden, solange es keine Anzeichen für eine präperimetrische Läsion der Papille ergibt. Dies setzt jedoch eine genaue wiederholte Beurteilung von Nervenfaserschicht und Papillenbefund voraus. Bei der vorliegenden, chronischen Irritation der vorderen Augenabschnitte sind Substanzen mit einer einmal täglichen Applikation abends der Vorzug zu geben. Wirkstoffe mit kardiodepressiven Nebenwirkungen wie z. B. Betablocker sollten wegen der hypotonen Kreislaufsituation vermieden werden. Diese würden vermutlich auch die bekannte Sicca-Symptomatik weiter verschlechtern.
96
Kapitel 5 · Medikamentöse Therapie
Patient 42: 69 J/M
Anamnese/Befund Arrhythmie, Hyperlipidämie Glaukom bds. IOD: c.m. 21–24 (Zweifachkombination), Oberflächenbeschwerden nach top.
5
Medikation, Compliance? KW: weit, verstärkt pigmentiert auf Höhe der Schwalbe-Linie GF: Ausfälle Stadium I bds. Papillen: fokale RNS-Läsion bds. VAA: Meibomdysfunktion, Bindehautfollikel
⊡ Patient 42. Meibomkonkremente
97 T. Hommer
5
Diskussion/Patientenmanagement Der 69-jährige Patient hat als internistisches Risikoprofil für die Entwicklung einer IOD-unabhängigen Optikoneuropathie eine Arrhythmie und eine Hyperlipidämie. Der Augeninnendruck kann mit einer Zweifachkombination bei beidseitigen glaukomatösen Papillenschäden nicht reguliert werden. Die von dem Patienten geklagten Oberflächenbeschwerden nach Arzneimittelapplikation lassen eine unsichere Compliance vermuten. Die Biomikroskopie der vorderen Augenabschnitte zeigt deutliche Befunde einer Meibomdysfunktion mit Obdurationen der Drüsenausführungsgänge auf der Lidkante, Meibomretentionen der tarsalen Bindehaut sowie Follikel in der unteren Umschlagsfalte als Zeichen einer Kontaktsensibilisierung. In der vorliegenden Situation ist eine langfristige Verträglichkeit einer medikamentösen Kombinationstherapie zur Augendrucksenkung wenig realistisch. Es empfiehlt sich zunächst eine konsequente Therapie der Blepharitis als Folge der Meibomdysfunktion. Ergeben sich dermatologische Hinweise für das Vorliegen einer RosazeaBlepharokonjunktivitis, wäre eine perorale, 8-wöchige Therapie mit Tetrazyklinen in Zusammenarbeit mit dem Dermatologen zu planen. Eine langfristige Druckregulierung durch eine Lasertrabekuloplastik ohne zusätzliche topische Medikation ist hier wenig realistisch. Da bereits an beiden Papillen Glaukomläsionen bestehen, wäre der Ziel-IOD in einem mittleren Normbereich zu sehen, der sich bei diesem Patienten mit hinreichender Sicherheit nur durch eine Trabekulektomie erreichen lässt. Da jedoch eine chronische Irritation der vorderen Augenabschnitte vorliegt, sollte vor der Filtrationschirurgie eine 2-wöchige Phase mit einer topischen Steroidbehandlung erfolgen. Eine Filtrationschirurgie im entzündeten, konjunktivalen Gewebe hätte nur eine geringe Funktionsprognose. Der Zeitraum einer milden, oberflächlichen Steroidbehandlung könnte mit einer peroralen Diamox-Therapie des erhöhten IOD überbrückt werden.
98
Kapitel 5 · Medikamentöse Therapie
Patient 43: 58 J/M
Anamnese/Befund Keine Allgemeinerkrankungen Mittlere Myopie/Astigmatismus
5
IOD: c.m. 15–18 (Dreifachmedikation: Betablocker, topischer CAI, α2-Agonist), Compliance? intensiver Juckreiz, Brennen, Stechen GF: Ausfälle Stadium II bds. Papillen: glaukomatöse Exkavation (c/d-Ratio vertikal: 0,9) VAA: massive, follikuläre Konjunktivitis
⊡ Patient 43. Follikuläre Konjunktivitis
99 T. Hommer
5
Diskussion/Patientenmanagement Der 58-jährige Patient ist gesund, hat eine mittlere Myopie mit Astigmatismus. Es bestehen fortgeschrittene, glaukomatöse Gesichtsfeldausfälle mit entsprechender glaukomatöser Exkavation. Mit einer Dreifachmedikation ist der Augeninnendruck gut reguliert. Es bestehen jedoch deutliche Befunde und Symptome einer Kontaktsensibilisierung mit Konsequenzen für die Compliance. Der imponierende Befund an den vorderen Augenabschnitten ist eine massive, follikuläre Konjunktivitis des unteren Bindehautrezessus. Hier besteht ohne Zweifel eine allergische Reaktion auf den topischen Carboanhydrasehemmstoff, den Alpha-2-Agonisten oder beides. Es empfiehlt sich, die bestehende Medikation abzusetzen, die entzündlichen, allergischen Bindehautveränderungen mit einem topischen Steroid und den Augeninnendruck überbrückend mit Diamox zu behandeln. In diese Zeit kann auch ein Auslassversuch der Therapie integriert werden zur Redefinition des unbehandelten Druckniveaus und des Ziel-IODs. Vorausgesetzt, dass eine Sensibilisierung auf Konservierungsstoffe nicht vorliegt, wäre ein Behandlungsversuch mit einem Prostaglandinderivat, eventuell in Kombination mit einem Betablocker, möglich. Sollte damit der Ziel-IOD nicht erreicht werden, ist eine Trabekulektomie wegen der entzündlichen Bindehautveränderungen gerechtfertigt, kombiniert mit Mitomycin. Bei erhöhtem IOD des Kammerwinkels könnte ein medikamentöses Therapiekonzept auch mit einer LTP verstärkt werden.
100
Kapitel 5 · Medikamentöse Therapie
Patient 44: 64 J/M
Anamnese/Befund Hypertonie, Asthma IOD: c.m. 18–20 mmHg (Adrenalin + Pilokarpin) HHD: 530/540 µm
5
GF: bds. Ausfälle Stadium I Papillen: c/d-ratio 0,8 bds. VAA: massive Bindehauthyperämie Erhöhung der Applikationsfrequenz nach Bedarf!
⊡ Patient 44. Bindehauthyperämie
101 T. Hommer
5
Diskussion/Patientenmanagement Der 64-jährige Patient hat eine Hypertonie und eine Asthmaerkrankung. Er ist mit einer Kombinationstherapie von Adrenalin und Pilocarpin im oberen Normbereich reguliert, bei beginnenden, glaukomatösen Gesichtsfeldausfällen beidseits. Die vorderen Augenabschnitte zeigen eine massive, reaktive Bindehauthyperämie nach Adrenalin-haltigen Augentropfen. Der Patient gibt an, dass er bei intensiver Rötung des Auges die Applikationsfrequenz des Adrenalin-Präparates erhöht. Die Rötung des Auges beruht auf einer reaktiven Hyperämie (Rebound-Phänomen) der Bindehaut nach initialer Vasokonstriktion durch das Adrenalin. Mit zunehmender Therapiedauer tritt die Phase der reaktiven Bindehauthyperämie immer früher auf, was den Patienten zu erneuter Applikation veranlasst, um die vasokonstriktive Wirkung des Adrenalins zur Abblassung der Bindehaut zu nutzen. Dies führt im Sinne eines »Circulus vitiosus« zu immer häufigerer Applikation, vergleichbar dem Privinismus der Nasenschleimhaut bei der abschwellenden Therapie durch vasokonstriktive Pharmaka. Bei vorliegendem Patienten ist die Therapie abzusetzen, bis die abnorme Reagibilität der Bindehaut abgeklungen ist. Im Rahmen dieses Auslassversuchs kombiniert mit der Erholung der Bindehaut kann das unbehandelte Druckniveau nochmals definiert und ein neuer Ziel-IOD festgesetzt werden. Daran kann sich ein weiterer medikamentöser Therapieversuch ohne vasokonstriktive Pharmaka (Adrenalin, Alpha-2-Agonisten) anschließen, eventuell kombiniert mit einer Lasertrabekuloplastik. Wird mit medikamentöser Therapie, auch verstärkt mit einer LTP, der Ziel-IOD nicht erreicht, sollte mit einer Trabekulektomie nicht gezögert werden.
102
Kapitel 5 · Medikamentöse Therapie
Patient 45: 78 J/M
Anamnese/Befund Hypertonie, Diabetes IOD: c.m. 19–23 mmHg (topische Vierfachtherapie) GF: Ausfälle Stadien II–III bds.
5
Papillen: c/d-Ratio 0,9 bds. KW: weit, vermehrt pigmentiert Intensives Krankheitsgefühl, schnelle visuelle Ermüdbarkeit, Ptosis, Oberflächenbeschwerden, morgens »verklebte Augen«
⊡ Patient 45. Konjunktivitis
103 T. Hommer
5
Diskussion/Patientenmanagement Der 78-jährige Patient leidet an einer Hypertonie und Diabetes. Er ist mit einer Vierfachkombinationstherapie insuffizient reguliert, es besteht ein Glaukomspätstadium. Der Patient klagt über ein intensives Krankheitsgefühl beider Augen, eine schnelle visuelle Ermüdbarkeit, Ptosis bei visueller Belastung, Oberflächenbeschwerden und morgendlich verklebten Augen. Der Befund der vorderen Augenabschnitte zeigt eine chronische, unspezifische, konjunktivale Irritation, wahrscheinlich mit allergischer Komponente. Ein medikamentöses Management des fortgeschrittenen Erkrankungsstadiums ist hier nicht realistisch. Zunächst sollte unter peroraler Diamox-Therapie eine Regression der entzündlichen Befunde der vorderen Augenabschnitte erreicht werden. Weitere medikamentöse Therapieversuche sind nicht aussichtsreich. Sollte das unbehandelte Druckniveau nicht zu hoch liegen, wäre eine Zyklophotokoagulation möglich. Bei reizfreien vorderen Augenabschnitten und den gegebenen Gesichtsfeldausfällen würde eine Trabekulektomie mit Mitomycin die größere Wahrscheinlichkeit einer konsequenten Druckregulierung ergeben.
104
Kapitel 5 · Medikamentöse Therapie
Patient 46: 84 J/M
Anamnese/Befund Status nach 3-maligem Myokardinfarkt, »medikamentöse Glaukomtherapie« seit 21 Jahren IOD: c.m. 15–19 mmHg (Kombinationstherapie)
5
GF: Ausfälle Stadium I bds. KW: weit, vermehrt pigmentiert Papillen: Randsaumkerbe bds. Fundus: atrophische AMD VAA: Metaplasie der Bindehaut
⊡ Patient 46. Metaplasie der Bindehaut
105 T. Hommer
5
Diskussion/Patientenmanagement Der 84-jährige Patient hat bereits dreimal einen Myokardinfarkt erlitten, seine weitere Lebenserwartung ist begrenzt. Die Anamnese weist eine sehr lange, medikamentöse Glaukomtherapie bei beginnenden Gesichtsfeldausfällen auf. Entsprechend dem Alter des Patienten und dem kardiovaskulären Risikoprofil besteht eine atrophische Makulopathie an beiden Augen. Auffällig bei der Biomikroskopie der vorderen Augenabschnitte ist eine Metaplasie der Bindehaut nach mehr als 20-jähriger medikamentöser Glaukomtherapie, mit einer Abrundung der Lidkanten und glasiger Oberfläche der Bindehaut als Zeichen einer beginnenden Keratinisierung der Schleimhaut. Dies entspricht einer unspezifischen, chronischen, toxischen Metaplasie. Da die Augendruckwerte unter der gegebenen Kombinationstherapie im mittleren bis oberen Normbereich liegen und der Patient keine Beschwerden empfindet, sollte das Therapieschema in Anbetracht der begrenzten Lebenserwartung nicht verändert werden. Die beginnenden Gesichtsfeldausfälle vermitteln keine Einschränkung der visuellen Lebensqualität, bezüglich dieses Aspekts ist die Makulopathie vorrangig. Eine Änderung des antiglaukomatösen Behandlungskonzeptes wäre nur bei sehr rascher Progredienz der Erkrankung zu bedenken.
106
Kapitel 5 · Medikamentöse Therapie
Patient 47: 75 J/W
Anamnese/Befund Bradyarrhythmie Medikamentöse Glaukomtherapie seit 18 Jahren IOD: c.m. (Prostigmin) 15–18 mmHg
5
GF: Stadium II Papillen: c/d-Ratio 0,8 bds. Seit 2 Jahren Epiphora bei kalter Witterung VAA: Atresie der unteren Tränenpünktchen
⊡ Patient 47. Atresie des Tränenpünktchens
107 T. Hommer
5
Diskussion/Patientenmanagement Die 75-jährige Patientin wird wegen einer Glaukomerkrankung seit 18 Jahren medikamentös behandelt. Unter einer Therapie mit einem Cholinesterasehemmstoff kam es zu einer Atresie der unteren Tränenpünktchen. Nur bei kalter, windiger Witterung wird über reflektorisches Epiphora geklagt. Auch hier hat die Patientin mit einer Bradyarrhythmie eine begrenzte Lebenserwartung, die bei normotonen Druckwerten unter Therapie eine Änderung des Konzeptes nicht notwendig macht, vorausgesetzt, die Patientin leidet nicht unter der begleitenden Miosis. Sollten visuelle Nebenwirkungen in Form von Einschränkungen des Dämmerungssehens bestehen, sollte mit der Therapieumstellung nicht gezögert werden. Hier ist gezielt nach visuellen und systemischen Nebenwirkungen der starken Miotikatherapie zu fahnden. Wenngleich das Behandlungskonzept nicht mehr zeitgemäß erscheint, kann es weitergeführt werden, falls die Patientin damit reguliert ist und keine wirkstoffbezogenen Nebenwirkungen nachzuweisen sind. Sollten unter der bestehenden Therapie nachweislich die bestehenden Gesichtsfeldveränderungen und Papillenschäden aufgetreten sein, wäre dies ein wichtiger Grund, dieses Behandlungskonzept zu verlassen.
108
Kapitel 5 · Medikamentöse Therapie
Patient 48: 84 J/M
Anamnese/Befund Hypertonie, Malignomerkrankung Medikamentöse Glaukomtherapie seit 20 Jahren IOD: c.m. 19–21 mmHg (Kombinationstherapie)
5
KW: weit, vermehrt pigmentiert GF: Stadien I–II bds. Papillen: komplette Randsaumkerbe bds. Fundus: AMD VAA: Pseudopemphigoid der Bindehaut
⊡ Patient 48. Pemphigoid der Bindehaut
109 T. Hommer
5
Diskussion/Patientenmanagement Der 84-jährige Patient leidet an einer Hypertonie und einer infausten Malignomerkrankung. Seit 20 Jahren erfolgt eine medikamentöse Glaukomtherapie bei geringen Gesichtsfeldausfällen und fokalen Papillenschäden. Als Nebenbefund besteht eine altersabhängige Makulopathie. Der imponierende biomikroskopische Befund ist ein Pseudopemphigoid der Bindehaut als Zeichen einer chronischen, unspezifischen, toxischen Reaktion der Bindehaut auf die langjährige Medikation. Häufig besteht in solchen Situationen ein ursächlicher Zusammenhang mit Benzalkoniumchlorid. Bei der sehr begrenzten Lebensprognose des Patienten sollte das antiglaukomatöse Behandlungskonzept jetzt nicht mehr geändert werden. Bei rascher Progredienz und steigenden Augendruckwerten könnte man zusätzlich an eine Lasertrabekuloplastik denken. Die Erfolgsaussichten einer Filtrationsoperation sind beim Befund eines Pseudopemphigoids der Bindehaut ungünstig. Sollte sich eine derart toxische Schleimhautveränderung bei jüngeren Glaukompatienten mit noch guter Lebensprognose einstellen, wäre bei konsequenter Vermeidung des toxischen Agens eine Therapie mit Immunsuppressiva indiziert.
110
Kapitel 5 · Medikamentöse Therapie
Patient 49: 80 J/W
Anamnese/Befund Status nach Apoplex, Pseudophakie Glaukomanamnese seit 20 Jahren IOD: c.m. (Prostigmin) 16–18 mmHg
5
KW: weit GF: konzentrische Einengung Papillen: c/d-Ratio 0,9 VAA: extreme Miosis, Pupillarsaumzysten Verdunkelung nach Applikation des Miotikums!
⊡ Patient 49. Pupillarsaumzysten
111 T. Hommer
5
Diskussion/Patientenmanagement Die 80-jährige Patientin erlitt einen Apoplex, ist pseudophak, hat eine Glaukomanamnese seit 20 Jahren und wird mit einem starken Miotikum behandelt. Wie für irreversible Cholinesterasehemmstoffe typisch, haben sich Pupillarsaumzysten entwickelt, die eine konzentrische Einengung des Gesichtsfelds bei fortgeschrittener, glaukomatöser Optikusatrophie bedingen. Nach Applikation des Miotikums kommt es zu einer erheblichen Verdunkelung für die Patientin. Irrespektive der Druckregulierung muss diese Medikation abgesetzt werden und durch eine pupillenindifferente Medikation ersetzt werden. Die vorliegende Situation hat für die Patientin ein großes Verletzungsrisiko und eine erhöhte Mortalität. Die visuellen Nebenwirkungen dieser Medikation der Patientin zuzumuten, ist nicht mehr zeitgemäß.
112
Kapitel 5 · Medikamentöse Therapie
Patient 50: 47 J/W
Anamnese/Befund Gesund Okuläre Hypertension seit 4 Jahren IOD: s.m. 23–28 mmHg
5
Therapie mit Prostaglandinderivaten seit 3 Jahren HHD: 460/445 µm GF: o. B. Papillen: vital VAA: verstärktes Zilienwachstum
⊡ Patient 50. Abnormes Zilienwachstum
113 T. Hommer
5
Diskussion/Patientenmanagement Die 47-jährige Patientin ist gesund und hat seit vier Jahren eine okuläre Hypertension mit Druckwerten bis 28 mmHg. Sie wird seit drei Jahren mit Prostaglandinderivaten behandelt. Glaukomatöse Gesichtsfeldveränderungen sind nicht nachweisbar. Die zentrale Hornhaut ist deutlich verdünnt. Auffällig ist bei der äußeren Inspektion der Patientin ein verstärktes Zilienwachstum, was der Patientin selbst auch auffiel. Hier ist der ursächliche Zusammenhang mit der Prostaglandin-Therapie sicher. Ein Handlungsbedarf besteht jedoch nicht. Zuweilen wird das Phänomen auch als kosmetischer Vorteil empfunden. Die Patientin verträgt die Medikation gut, eine Druckregulierung ist damit erreichbar. Sollte ein Scheuern der verlängerten Zilien am Brillenglas auftreten, könnte man dies durch ein Trimmen der Zilien beseitigen.
115
Operative Glaukomtherapie Moderation:
J. Funk / Freiburg
6
116
Kapitel 6 · Operative Glaukomtherapie
Patient 51: 78 J/M
Anamnese/Befund Keine Allgemeinerkrankungen Hyperopie, flache VK, enger KW IOD: s.m. 19–22 mmHg RA: Status nach akutem Winkelblockglaukom
6
GF: o. B. Papillen: vital VAA: paretische Pupillenentrundung, sektorielle Irisatrophie am RA
⊡ Patient 51. Pupillenparese
117 J. Funk
6
Diskussion/Patientenmanagement Der 78-jährige Patient hat ein kurzes, hyperopes Auge mit gering erhöhten Augendruckwerten und einem akuten Winkelblockglaukom in der Anamnese. Gesichtsfeld und Papille am betroffenen Auge sind noch regelrecht. Die Spaltlampenmikroskopie des Vordersegments zeigt eine paretische Pupillenentrundung mit postischämischer, sektorieller Irisatrophie am RA (mit der Anamnese eines akuten Winkelblocks). Bei der vorliegenden Biometrie des Auges und der Anamnese besteht eine absolute Indikation für eine basale Iridektomie zur Prävention weiterer Winkelblockereignisse. Da bereits »Glaukomflecken« der Linse bestehen und mit einer weiteren Linsentrübung gerechnet werden muss, wäre auch an eine vorgezogene Linsenchirurgie zu denken. Wichtig für das Operationskonzept ist die Differentialdiagnose gegenüber einem ziliolentikulären Block, also Ultraschallbiomikroskopie zum eventuellen Nachweis eines ziliolentikulären Kontakts oder einer Anteriorrotation des Ziliarkörpers. Ein Zykloplegietest kann ebenfalls Hinweise geben. Sinkt der Augeninnendruck wesentlich unter Zykloplegie, spricht dies für eine ziliolentikuläre Blockade. Ein weiterer wichtiger Parameter ist die Relation Achsenlänge zu Linsendicke, die beim Winkelblockglaukom typischerweise 4,5 unterschreitet. Da nicht sicher auszuschließen ist, dass eventuell inkomplette Winkelblockereignisse mit schrittweiser Synechierung des Kammerwinkels vorausgegangen sind (»Creeping-angle-Syndrome«), könnte eine Kompressionsgonioskopie mit dem 4-SpiegelGonioskop von Zeiss eine wichtige Information liefern. Entscheidet man sich in Abhängigkeit der zentralen Sehschärfe und der bestehenden Transparenz der Linse zu einer Lentektomie, so hätte dies auch die Dimension eines refraktiven Eingriffs, da mit der Berechnung der Kunstlinsenstärke die Hyperopie berücksichtigt werden kann. Dies würde jedoch voraussetzen, dass sich der Patient zu einem gleichwertigen Eingriff am Partnerauge entschließen kann.
118
Kapitel 6 · Operative Glaukomtherapie
Patient 52: 73 J/M
Anamnese/Befund Hypertonie, Hyperlipidämie IOD: s.m. 16–22 mmHg GF: progrediente unspezifische Ausfälle Papillen: c/d-Ratio 0,9 Karotisangiographie: infundibuläre Erweiterung der Carotis interna
6
⊡ Patient 52. Aneurysma carotis interna
119 J. Funk
6
Diskussion/Patientenmanagement Der 73-jährige Patient leidet an einer Hypertonie und einer Hyperlipidämie, die Augeninnendruckwerte sind nur unwesentlich erhöht. Trotzdem bestehen progrediente Gesichtsfeldveränderungen bei einer fortgeschritten exkavierten Papille beidseits. Die Verdachtsdiagnose einer pseudoglaukomatösen Optikoneuropathie liegt nahe. Die Karotisangiographie ergibt an beiden Seiten eine infundibuläre Erweiterung der Carotis interna, im Carotis-Siphon-Bereich, in unmittelbarer Nachbarschaft des Nervus opticus. Eine langsam fortschreitende Kompressionsläsion mit der Ausbildung einer pseudoglaukomatösen Exkavation und entsprechenden Gesichtsfeldveränderungen ist möglich. Eine genaue Auftrennung der Pathophysiologie der Optikoneuropathie zwischen Glaukom und Karotiserkrankung ist nicht möglich. Hier wäre ein Ziel-IOD im unteren Normbereich zu wählen und entsprechend den Behandlungsprinzipien eines Normaldruckglaukoms eine mindestens 30%ige IOD-Senkung anzustreben. Eine Gefäßchirurgie an der Schädelbasis erscheint nicht indiziert, da dies bei den Allgemeinerkrankungen des Patienten sehr risikoreich wäre. Das Auftreten von Papillenrandblutungen wäre ein wichtiger Hinweis für die Perfusionsstörung der Papille, mehr im Sinne eines Normaldruckglaukoms. Nur bei therapierefraktären, erhöhten Augendruckwerten sollte man an eine Trabekulektomie denken.
120
Kapitel 6 · Operative Glaukomtherapie
Patient 53: 13 J/M
Anamnese/Befund Kindliche Aphakie Aphakieglaukom seit 3 Jahren IOD: s.m. 25–37 mmHg; c.m. 20–29 mmHg HHD: 620/640 µm
6
Status nach mehrfacher CPK am LA GF: konzentrische Einschränkung Papillen: o. B. (Mikropapille) VAA: multiple, fokale Skleraatrophie
⊡ Patient 53. Fokale Skleraatrophie
121 J. Funk
6
Diskussion/Patientenmanagement Das 13-jährige Kind hat nach Operation einer kongenitalen Katarakt seit 3 Jahren ein Aphakieglaukom. Medikamentös ist der Augeninnendruck nicht regulierbar. Die zentrale Hornhautdicke ist wesentlich erhöht. Der Fundus zeigt eine Mikropapille an beiden Augen ohne glaukomatöse Exkavation. Es wurde bereits eine mehrfache Zyklophotokoagulation ausgeführt. Bei der Biomikroskopie fällt insbesondere am LA eine multiple, fokale Skleraatrophie auf, die mit großer Wahrscheinlichkeit im Zusammenhang mit der wiederholten CPK steht. Eine weiterführende, antiglaukomatöse Chirurgie wäre in dieser Situation eine endoskopische Zyklophotokoagulation nach Pars-plana-Vitrektomie oder ein Drainage-Implantat. Auch ein Drainage-Implantat erfordert die vollständige Entfernung des Glaskörpers, da der verbliebene Glaskörper ansonsten die Schlauchverbindung verlegt. Ist bereits eine Pars-plana-Vitrektomie aus anderen Gründen erfolgt, ist auch eine Trabekulektomie mit Mitomycin denkbar. Ein risikoarmer Eingriff wäre eine Zyklodialyse ab interno, eventuell kombiniert mit einer Goniosynechiolyse. Hierbei ist die Augendrucksenkung jedoch nicht so zuverlässig wie eine Filtrationsoperation mit Fibroblastenhemmung oder ein Drainage-Implantat.
122
Kapitel 6 · Operative Glaukomtherapie
Patient 54: 74 J/M
Anamnese/Befund Glaukom seit 18 Jahren Papillen/GF: Stadium II Trabekulektomie vor 12 Jahren, seitdem gute IOD-Regulierung ohne Medikation Seit 2 Jahren zunehmende Oberflächenbeschwerden am RA! VAA/RA: auf die Hornhaut übergewachsenes, zystisches, avaskuläres Filterkissen
6
⊡ Patient 54. Zystisches Filterkissen
123 J. Funk
6
Diskussion/Patientenmanagement Der 74-jährige Patient hat eine Glaukomanamnese seit 18 Jahren mit einer Filtrationsoperation vor 12 Jahren und nachfolgend guter Druckregulierung ohne Medikation. Seit 2 Jahren klagt der Patient über zunehmende Oberflächenbeschwerden am RA. Die Biomikroskopie zeigt an diesem Auge ein auf die Hornhaut übergewachsenes, zystisches, avaskuläres Filterkissen, das keinen homogenen Lidschlag auf der Augenoberfläche mehr erlaubt. Hier ist ohne Zweifel eine absolute Indikation für eine operative Revision gegeben. Mit großer Wahrscheinlichkeit erfolgt bei dieser Morphologie des Filterkissens entweder stets oder passager eine diffuse Freisetzung von Kammerwasser mit entsprechenden Risiken einer infektiösen Blebitis. Darüber hinaus verursacht ein Filterkissen, das soweit auf der Hornhaut vorgewachsen ist, stets einen irregulären Astigmatismus. Kompressionsnähte oder eine Kryokoagulation sind in diesem Falle keine operative Option mit Aussicht. Hier ist eine Abtragung des Filterkissens und eine Rekonstruktion eines Filtrationsbereichs perilimbal anzustreben. Wichtig ist dabei die Abdichtung der Bindehaut nach korneal mit einer mäanderförmigen, intrakornealen Naht nach limbusparallelem Hornhautschnitt über ein Drittel der Schichtdicke der Hornhaut.
124
Kapitel 6 · Operative Glaukomtherapie
Patient 55: 53 J/M
Anamnese/Befund Entzündliche Sekundärglaukom am RA seit 9 Jahren, einseitig am RA GF/Papille: Stadium III Status nach Trabekulektomie mit Mitomycin vor 2 Jahren Seit 2 Wochen zunehmende Rötung des Auges, Schmerzen, Hypotonie, purulente BH-Sekretion
6
VAA: Filterkisseninfektion (Blebitis)
⊡ Patient 55. Blebitis
125 J. Funk
6
Diskussion/Patientenmanagement Der 53-jährige Patient hat eine Anamnese eines entzündlichen Sekundärglaukoms am RA seit 9 Jahren mit fortgeschrittenen glaukomatösen Ausfällen. Vor 2 Jahren erfolgte eine Filtrationsoperation mit Mitomycin. Seit 2 Wochen bestehen deutliche Zeichen einer Filterkisseninfektion. Die Biomikroskopie bestätigt den Verdachtsbefund einer putriden, infektiösen Blebitis. Für die Konzeption der notfallmäßigen Behandlung ist wichtig zu entscheiden, ob eine isolierte Blebitis, eine Blebitis mit Vorderkammerbeteiligung (intensiv Fibrin und Hypopyon in der Vorderkammer) oder eine infektiöse Beteiligung von Vorderkammer und Glaskörperraum gegeben ist (heftige Schmerzen, Visusverlust, massives Krankheitsgefühl). Für eine Keim- und Resistenzbestimmung ist die Zeit meist nicht ausreichend für diesen notfallmäßigen Handlungsbedarf. Indiziert in jedem Falle sind »verstärkte« Augentropfen (»fortified eye-drops«) und eine systemische Antibiose. Ist die Vorderkammer in den Infektionsprozess einbezogen, so hat eine Vorderkammer-Lavage mit Antibiotika zu folgen. Ist der virulente Keim bereits im Glaskörperraum, ist eine diagnostische und therapeutische Vitrektomie mit einer Spülung der Glaskörperkavität mit einer Antibiotikalösung notwendig. Hier ist die Zeit wichtiger als der Erregernachweis, da insbesondere bei der Betroffenheit des Glaskörperraumes innerhalb von 12 Stunden in Abhängigkeit vom Erreger sich eine Netzhautnekrose ausbilden kann. Eine reduzierte antibiotische Therapie sollte eine Woche über die klinische Remission hinaus erfolgen. Solange eine isolierte Blebitis vorliegt, hat eine konsequente lokale und systemische Antibiose gute Aussichten.
126
Kapitel 6 · Operative Glaukomtherapie
Patient 56: 69 J/M
Anamnese/Befund Status nach Myokardinfarkt, Hypertonie, chronische, unspezifische Blepharokonjunktivitis Glaukom Stadium III am RA, Stadium I am LA Ungedeckte Goniotrepanation am RA vor 8 Wochen, zunehmende Oberflächenbeschwerden, Sehbeschwerden (Astigmatismus), passagere Diplopie
6
VAA: sehr große Tenonzyste im Operationsbereich
⊡ Patient 56. Tenonzyste
127 J. Funk
6
Diskussion/Patientenmanagement Der 69-jährige Patient hatte bei einem Glaukomspätstadium vor 8 Wochen eine ungedeckte Goniotrepanation mit nachfolgenden, zunehmenden Oberflächenbeschwerden, Einbuße des Sehkomforts und passagerer Diplopie. Die visuellen Beschwerden des Patienten sind durch eine sehr große Tenonzyste im Filtrationsbereich erklärt. Hier erfolgte die bindegewebige Abkapselung einer Filtrationsstelle in Form einer ungewöhnlich großen Tenonzyste. Ein Needling dieser Zyste wäre nicht aussichtsreich. Hier sind operative Konsequenzen gefordert. Am günstigsten erscheint eine Resektion von Narbengewebe und eine Erweiterung des Filtrationsbereichs nach posterior und zugleich die Umwandlung in eine klassische Filtrationsoperation durch die Deckung der offenen Trepanationsstelle mit einer Lamelle von Spendersklera. Es gilt, den übermäßigen Abfluss von Kammerwasser durch die ungedeckte Goniotrepanation zu reduzieren, um eine gleichmäßige, diffuse Filtration zu erreichen.
128
Kapitel 6 · Operative Glaukomtherapie
Patient 57: 43 J/W
Anamnese/Befund Sekundärglaukom bei Rieger-Syndrom Chronisches Winkelblockglaukom KW: 3/4 durch Synechien verschlossen 3 vernarbte Filtrationseingriffe, 2 CPK
6
Molteno-Implantat vor 2 Jahren Seit 2 Monaten zunehmende Rötung des Auges, purulente Sekretion, Oberflächenbeschwerden VAA: BH-Nekrose über dem Implantat
⊡ Patient 57. Bindehautnekrose
129 J. Funk
6
Diskussion/Patientenmanagement Die 43-jährige Patientin litt an einem therapierefraktären Sekundärglaukom bei Morbus Rieger nach Entwicklung eines chronischen Winkelblocks durch die völlige Synechierung des Kammerwinkels. Es besteht eine operative Anamnese von mehreren Filtrationseingriffen, zyklodestruktiven Operationen und schließlich eines antiglaukomatösen Drainage-Implantats vor 2 Jahren. Seit 2 Monaten kommt es zu einer zunehmenden Rötung und Reizung des Auges mit purulenter Sekretion und massiven Oberflächenschmerzen. Der Spaltlampenbefund zeigt eine Bindehautnekrose über dem episkleralen Explantat des Drainage-Implantats. Die unmittelbaren operativen Konsequenzen sind die Entfernung des Implantats, kombiniert mit einer Resektion von episkleralem Narbengewebe, allseitige Unterminierung und Mobilisierung der Bindehaut sowie Deckung der Bindehautnekrose durch ein Bindehauttransplantat aus dem oberen Fornix. Sollte im weiteren Verlauf die Verbindung zur Vorderkammer nach Entfernung des Silikonschlauchs des Implantats wieder bindegewebig vernarben, könnte nochmals eine Zyklophotokoagulation riskiert werden.
130
Kapitel 6 · Operative Glaukomtherapie
Patient 58: 72 J/W
Anamnese/Befund Diabetes, Hypercholesterinämie Offenwinkelglaukom Stadium II bds. IOD: c.m. (Dreifachtherapie) 21–26 mmHg Goniotrepanation am RA vor 8 Tagen mit konsekutiver, zirkulärer Aderhautabhebung, Visusverlust, »Nässegefühl« des Auges
6
VAA: flache, postoperative Vorderkammer, peripher aufgehoben, zirkuläre Überfiltration
⊡ Patient 58. Zirkuläre Filtration
131 J. Funk
6
Diskussion/Patientenmanagement Die 72-jährige Patientin wurde vor 8 Tagen am RA wegen einer therapierefraktären Glaukomerkrankung mit einer Goniotrepanation operiert. Es hat sich eine zirkuläre Aderhautabhebung eingestellt sowie ein Nässegefühl des Auges und Verlust der zentralen Sehschärfe. Der Spaltlampenbefund zeigt eine flache, postoperative Vorderkammer, peripher aufgehoben, und eine zirkuläre Überfiltration perilimbal. Hier gilt es, die übermäßige Filtration von Kammerwasser unter die Bindehaut zu supprimieren. Dies kann mit einer sehr großen, weichen Kontaktlinse geschehen, die eine gewisse Kompression auf die Filtrationsstelle ausübt. Die gleiche Logik erfüllt eine so genannte Simmons-Schale, die zirkulär, perilimbal die Bindehaut komprimiert, aber eine kleine Aussparung für das Filterkissen enthält. Eine begleitende Zykloplegie ist zur Vermeidung eines malignen Glaukoms wichtig. Man könnte auch einen passageren Filtrationsstopp durch Healon-GV in die Vorderkammer und im Filtrationsbereich erreichen. Parallel dazu sollte man einen Liter Elektrolytlösung infundieren, um die Sekretion anzuregen, da eine zirkuläre Aderhautabhebung mit einer gravierenden Sekretionsminderung einhergeht.
132
Kapitel 6 · Operative Glaukomtherapie
Patient 59: 24 J/W
Anamnese/Befund Kongenitales Glaukom RA mit anteriorer Irisinsertion auf Höhe der Schwalbe-Linie IOD: s.m. 36–43 mmHg, c.m. 25–32 mmHg Papille: c/d-Ratio 0,8 GF: Ausfälle Stadium II
6
Status nach Trabekulotomie mit nachfolgender Hypotonie Gonioskopie: Zyklodialysespalt
⊡ Patient 59. Zyklodialysespalt
133 J. Funk
6
Diskussion/Patientenmanagement Bei der 24-jährigen Patientin wurde bei einem kongenitalen Glaukom des RA mit einer mesodermalen, anterioren Irisinsertion auf Höhe der Schwalbe-Linie eine Trabekulotomie ausgeführt. Nachfolgend stellte sich eine hartnäckige Hypotonie ein mit zentralen Aderhautfalten und Verlust der präoperativen Sehschärfe. Gonioskopisch zeigte sich ein Zyklodialysespalt im Bereich der Trabekulotomie. Folgende operative Konzepte sind zur Behebung der Hypotonie möglich: 1. Versuch, den Zyklodialysespalt durch Kryotherapie zur Verklebung zu bringen, 2. Fibrinklebung des Zyklodialysespalts, 3. Nahtfixation des Ziliarmuskels an der Sklera über einen externen Zugang zum Verschluss des Zyklodialysespalts.
134
Kapitel 6 · Operative Glaukomtherapie
Patient 60: 27 J/W
Anamnese/Befund Juveniles, dysgenetisches Glaukom bds. IOD: 32–38 mmHg bds., c.m. 27–30 mmHg Papillen/GF: o. B. KW: Irisinsertion im Trabekelmaschenwerk
6
Status nach Trabekulotomie RA VAA: Deszemetolyse der Hornhaut
⊡ Patient 60. Deszemetolyse
135 J. Funk
6
Diskussion/Patientenmanagement Die 27-jährige Patientin wurde wegen eines dysgenetischen Glaukoms mit einer Trabekulotomie am RA versorgt. Beim Einschwenken der Trabekulotomiesonde in die Vorderkammer kam es zur Deszemetolyse der peripheren Hornhaut. Hier besteht keine Indikation zur operativen Revision, da eine lokalisierte Hornhautdekompensation oder funktionelle Nachteile für die Patientin nicht auftraten. Bei einer lokalisierten Endothel-Epithel-Dekompensation mit einer bullösen Hornhautveränderung könnte man versuchen, mit einem Viskoelastikum die Descemet-Membran wieder zum Anlegen zu bekommen. Dies gelingt jedoch nicht immer, wenn der korneale Bereich der Ablösung bereits wieder endothelisiert ist.