GOLDMINE Rod Ironsides leitet den Untertagebau in einer südafrikanischen Goldmine, ein Mann, der mit seinen achtunddrei...
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GOLDMINE Rod Ironsides leitet den Untertagebau in einer südafrikanischen Goldmine, ein Mann, der mit seinen achtunddreißig Jahren auf der Höhe seiner Leistungsfähigkeit steht und bei seinen Vorgesetzten den besten Ruf genießt. Zwar ist er geschieden, braucht aber weibliche Zuwendung nicht zu entbehren; im Gegenteil, die Frauen sind an ihm, dem Sportlich-Durchtrainierten und menschlich Zuverlässigen, sehr interessiert. Von Dr. Manfred Steyner, dem Generalbevollmächtigten der Bergwerksgesellschaft, wird ihm die Gesamtleitung der Mine angeboten; Bedingung ist dabei, daß Rod alle Anweisungen Steyners widerspruchslos ausführt. Arglos, nur bewogen von der Aussicht auf eine bedeutendere Stellung, nimmt Rod an. Er ahnt nicht, in welche Gefahr er sich begibt, ist doch Steyner in die dunklen Machenschaften einer internationalen Mafia verstrickt, die zur Erreichung ihrer verbrecherischen Ziele auch nicht davor zurückschreckt, die Bergarbeiter einer Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes auszusetzen. Doch gelingt es Rod, diese Pläne im letzten Augenblick zu durchkreuzen, und dabei ist ihm Theresa, die schöne, in ihrer Ehe unbefriedigte Frau Steyners, die entscheidende Hilfe... Ein spannungsgeladener Roman von Erfolgsautor Wilbur Smith, dem »erzählerischen Naturtalent ungewöhnlichen Formats« (Sunday Times, London).
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G GOLDMANN
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Wilbur Smith entstammt einer alten Siedlerfamilie aus Rhodesien, dem heutigen Simbabwe, und ist einer der erfolgreichsten Autoren der Gegenwart. Seine Bücher, die eine Weltauflage von über 50 Millionen Exemplaren erreicht haben, sind in 14 Sprachen übersetzt und zum Teil verfilmt worden.
Außer dem vorliegenden Band sind von Wilbur Smith als GoldmannTaschenbücher erschienen: Glühender Himmel. Roman (41130) Schwarze Sonne. Roman (9332) Der Stolz des Löwen. Roman (9316) Der Sturz des Sperlings. Roman (9319) Tara. Roman (9314) Wenn Engel weinen. Roman (9317) Wer aber Gewalt sät. Roman (41139)
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Wilbur Smith
GOLDMINE Roman Aus dem Englischen von Claus Velmeden
GOLDMANN VERLAG 5
Ungekürzte Ausgabe Titel der Originalausgabe: Gold Mine Originalverlag: William Heinemann Ltd., London
Umwelthinweis: Alle bedruckten Materialien dieses Taschenbuches sind chlorfrei und umweltschonend. Das Papier enthält Recycling-Anteile.
Der Goldmann Verlag ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Bertelsmann Made in Germany • 4. Auflage • 5/93 © 1974 der Originalausgabe bei William Smith Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe bei Paul Zsolnay Verlag Gesellschaft mbH, Wien und Rastatt Lizenzausgabe mit freundlicher Genehmigung des Paul Zsolnay Verlags, Wien und Rastatt Umschlagentwurf: Design Team München Umschlagfoto: Günter Blum Studio, Heidelberg Satz: IBV Satz- und Datentechnik GmbH, Berlin Druck: Eisnerdruck, Berlin Verlagsnummer: 9312 MV •¦ Herstellung: Sebastian Strohmaier/Voi ISBN 3-442-09312-0 Scanned and corrected by RedY
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<1> Obwohl der Ventilator in der Ecke Windstöße von sich gab, war es stinkheiß in Rod Ironsides' Büro. Er langte nach der versilberten Thermosflasche mit eisgekühltem Wasser am Rand des Schreibtischs, hielt jedoch in der Geste inne, weil die Flasche zu tanzen anfing, ehe er sie noch fassen konnte. Sie hüpfte über die polierte Holzfläche. Der Schreibtisch selbst schwankte, und die Papiere darauf raschelten. Auch die Wände des Zimmers zitterten, und die Fenster klapperten in ihren Rahmen. Vier Sekunden lang dauerte das Beben, dann wurde es wieder still. »Mein Gott!« murmelte Rod und nahm den Hörer eines der drei Telefone ab. »Hier ist der Direktor im Untertagebau. Geben Sie mir das Gesteinslaboratorium, aber machen Sie fix, mein Guter.« Ungeduldig trommelte er mit seinen Fingern auf den Schreibtisch, während er auf die Verbindung wartete. Die Tür zum nächsten Zimmer wurde geöffnet, und Dimitri steckte seinen Kopf herein. »Hast du das gemerkt, Rod? Das war 'ne schlimme Sache.« »Ich hab's gemerkt.« Dann tönte es aus dem Apparat: »Hier Dr. Wessels.« »Peter, ich bin's - Rod. Hast du das eben mitbekommen?« »Ich hab' mir noch kein Bild machen können. Wartest du einen Moment?« »Ja.« Rod zügelte seine Ungeduld. Er wußte, daß Peter Wessels der einzige war, der die vielen komplizierten elektronischen Geräte im Instrumentenraum des Laboratoriums richtig zu handhaben wußte. Das Laboratorium war ein gemeinschaftliches Forschungszentrum der vier bedeutendsten Goldminengesellschaften. Sie hatten eine Viertelmillion Rand ausgegeben, um das Gestein und die seismischen Bewegungen unter Druck fachmännisch zu untersuchen. Das Gebiet der Sonder Ditch Gold Mining Company war zum Standort des Laboratoriums ausgewählt worden. Nun hauste Peter Wessels mit seinen Mikrofonen Hunderte von Metern tief unter der Erde. Seine Tonbandgeräte und Meßapparate zeichneten jede Störung auf.
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Wieder verging eine Minute. Rod drehte sich in seinem Sessel um und starrte durch die Spiegelglasscheibe auf den monströsen Turm von Schacht 1, der so hoch war wie ein zehnstöckiges Gebäude. »Los, Peter, los, mein Junge«, murmelte er vor sich hin. »Ich hab' zwölftausend meiner Leute da unten.« Immer noch mit dem Hörer am Ohr blickte er auf seine Uhr. »Halb drei Uhr«, murmelte er. »Die denkbar schlechteste Zeit. Sie werden noch in den Stollen sein.« Dann hörte er, wie am andern Ende der Hörer aufgenommen wurde. Die Stimme von Peter Wessels klang fast entschuldigend. »Rod?« »Ja.« »Es tut mir leid, Rod. Auf Sektion Sugar sieben Charlie zwei hast du in fast dreitausend Meter Tiefe eine Explosion Stärke sieben.« »Mein Gott!« rief Rod und warf den Hörer auf die Gabel. Im nächsten Augenblick war er mit finsterem Gesicht von seinem Schreibtisch aufgesprungen. »Dimitri!« bellte er seinen Assistenten an, der noch immer unter der Tür stand. »Höchste Gefahr! Wir dürfen nicht abwarten, bis sie uns rufen. Eine Explosion Stärke sieben! Der Kern liegt mitten in unserem östlichen Abbau auf Sohle fünfundneunzig.« »Heilige Mutter Gottes«, sagte Dimitri und schoß in sein Büro zurück. Er beugte seinen schwarzen Lockenkopf über das Telefon, und Rod hörte ihn sprechen: »Das Minenkrankenhaus... den Rettungsdienst... den Chef des Bewetterungsbüros... das Büro des Generaldirektors,..« Rod wandte sich um, als die Außentür seines Büros aufgemacht wurde und Jimmy Paterson, sein Elektroingenieur, eintrat. »Wie steht's, Rod?« »Schlecht.« Dann drängten die übrigen Sektionschefs ins Zimmer. Sie unterhielten sich gedämpft, steckten Zigaretten an, husteten und scharrten mit den Füßen. Alle schauten nach dem weißen Telefon auf Rods Schreibtisch. Die Minuten schlichen wie lahme Insekten dahin. »Dimitri!« schrie Rod, damit sich die Nervosität legte. »Hast du
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einen Förderkorb am Schacht?« »Sie halten die Mary Anne für uns bereit.« »Fünf meiner Männer prüfen das Hochspannungskabel auf Sohle fünfundneunzig«, warf Jimmy Paterson ein, doch achtete niemand auf ihn. Alle starrten auf das weiße Telefon. »Hast du schon den Boss ausfindig gemacht, Dimitri?« fragte Rod, der vor seinem Schreibtisch hin und her marschierte. Erst wenn er neben den andern Männern stand, sah man, wie groß er war. »Er ist unter Tage. Um halb eins ist er 'runtergefahren.« »Gib allen Sektionen Bescheid, daß er Kontakt mit mir aufnimmt.« »Das hab' ich schon getan.« Das weiße Telefon schrillte. Eine Sekunde lang zerrte das Geräusch an Rods Nerven. Dann drückte er den Hörer ans Ohr. Erst nach einer Weile konnte er in der Ferne das Schnaufen eines Mannes vernehmen. »Sprechen Sie doch, Mann! Was ist passiert?« »Der ganze verdammte Kram ist eingestürzt«, keuchte die Stimme. Sie war heiser und rauh - vom Schrecken und vom Staub. »Von wo aus reden Sie denn?« fragte Rod. »Sie sind noch unten drin«, fuhr die Stimme fort. »Sie schreien. Unter dem Gestein. Sie schreien.« »In welcher Sektion sind Sie?« Rod sprach kalt und hart, um den Schock des Mannes zu überwinden. »Der ganze Stollen ist über ihnen zusammengebrochen. Das ganze verfluchte Zeug.« »Zum Teufel mit Ihnen! Sie dummer Scheißkerl!« brüllte Rod in den Apparat. »Sagen Sie mir endlich, in welcher Sektion Sie sind!« Einen Moment herrschte verblüfftes Schweigen. Dann war der Mann wieder zu hören. Diesmal war sein Ton fester. Offenbar ärgerte er sich über die Beleidigung. »Sohle fünfundneunzig, Hauptförderung, Sektion dreiundvierzig, östlicher Abbau.« »Wir kommen.« Rod legte auf, nahm seinen gelben Helm aus
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Fiber und die Lampe vom Tisch. »Tote?« erkundigte sich der kleine Grieche. »Ganz sicher. Unter dem Gestein hören sie Schreie.« Rod setzte den Helm auf. »Kümmere dich um den Übertagedienst, Dimitri.«
<2> Rod war noch mit dem Zuknöpfen seines weißen Overalls beschäftigt, als er den Schacht erreichte. Automatisch las er über dem Eingang die Worte: »Seid wachsam! Bleibt am Leben! Dank eurer Zusammenarbeit hat diese Mine sechzehn Tage lang ohne Todesfälle gearbeitet.« Wir werden die Zahl ändern müssen, dachte Rod grimmig. Die Mary Anne wartete. In den Eisenkäfig schoben sich die Männer der Unfallstation und des Notdienstes. Dieser kleine Förderkorb war nur für das Personal bestimmt. Zwei andere viel größere - konnten hundertzwanzig Mann aufnehmen. In der Mary Anne fanden lediglich vierzig Menschen Platz. Das genügte jetzt. »Los«, sagte Rod und stieg hinein. Die stählernen Rolltüren schlössen sich, die Glocke ertönte zweimal, der Boden sank unter ihm weg, als der Korb in die Tiefe glitt. Rod fühlte, wie sich sein Magen gegen die Rippen preßte. Ununterbrochen sausten sie in die Düsternis hinunter. Die Mary Anne knarrte und lärmte, die Luft roch und schmeckte bald nach Chemikalien, es wurde heiß. Rod stand mit eingezogenem Kopf an der Wand. Der Käfig war kaum höher als einen Meter achtzig, so daß er mit dem Helm nicht aufrecht stehen konnte. »Also kriegen wir heute mal wieder 'ne blutige Rechnung serviert«, sagte er sich wütend. Er war jedesmal wütend, wenn die Erde ihren Tribut an zerstükkeltem Fleisch und zerbrochenen Knochen verlangte. Alles Geschick der Menschen und die während sechzig Jahren unterirdischen Abbaus in Witwatersrand gesammelten Erfahrungen wur-
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den eingesetzt, um den Blutzoll so niedrig wie möglich zu halten. Doch wer sich in zwei- oder dreitausend Meter Tiefe begab, um dort eine Viertelmillion Tonnen Felsgestein im Monat loszuschlagen, wer in den niedrigen und schrägen Quarzgängen nach Gold schürfte - der mußte auch dafür bezahlen. Denn der Druck im Fels verstärkt sich bis zur Belastungsgrenze, dann stürzen die Stollen ein, und es gibt Tote. Rod krümmte die Knie, als der Korb langsamer sank und in der hellerleuchteten Sektion auf Sohle 66 hielt. Rasselnd ging die Tür auf, und Rod schritt den Hauptfördergang entlang, der so breit war wie ein Eisenbahntunnel. Man hatte ihn zementiert und gekalkt. An der Decke baumelten Glühbirnen. In sanfter Krümmung verlor er sich in der Ferne. Die Leute vom Rettungsdienst folgten ihm. Sie rannten nicht, aber sie gingen mit der mühsam unterdrückten Nervosität von Männern, die sich einer Gefahr nähern. Rod führte sie zu einem weiteren Schacht, der noch tiefer ins Erdreich gebohrt worden war. Man kann einen Schacht, in dem an Stahlseilen hängende Körbe Lasten hinauf- und hinunterbefördern, nur bis zu einer gewissen Tiefe ins Gestein treiben. Die Grenze liegt bei etwa zweitausend Metern. Dort muß man von neuem beginnen: Raum für eine Kopfstation aus dem gewachsenen Felsen sprengen und von hier aus einen noch tiefer ins Erdinnere führenden Schacht anlegen. Dort wartete schon der nächste Korb auf sie. Die Männer standen innen Schulter an Schulter. Die Tür wurde zugeknallt, und mit einem Stoß, der die Eingeweide hob, jagten sie in die Finsternis hinab. Tiefer und tiefer. Rod knipste die Stirnlampe auf seinem Helm an. Jetzt flogen Staubteilchen durch die Luft - durch eine Luft, die vorher absolut rein gewesen war. Staub! Einer der Todfeinde aller Bergleute. Staub, den die Explosion aufgerührt hatte. Jetzt war das Bewetterungssystem nicht mehr imstande, die Luft zu reinigen. Die Fahrt schien kein Ende zu nehmen. Bald war es so heiß, daß der perlende Schweiß auf den Gesichtern der Arbeiter rings um ihn glänzte. Dann wurde der Staub immer dichter. Einer hustete.
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Die hellerleuchteten Stationen glitten an ihnen vorüber: 76, 77, 78. Sie schössen immer tiefer. Dann glich der Staub einem feinen Nebel. 85, 86, 87. Keiner hatte bisher gesprochen. 93, 94, 95. Die Geschwindigkeit ließ nach. Endlich hielt der Korb. Klirrend sprang die Tür auf. Sie waren beinahe dreitausend Meter unter der Erde. »Los, kommt!« befahl Rod.
<3> Hundertfünfzig, vielleicht auch zweihundert Männer drängelten sich in der Vorhalle der Station 95. Sie waren noch schmutzig von der Arbeit in den Stollen. Ihre Kleidung war verschwitzt. Aber sie lachten und schwatzten mit der Erleichterung von Leuten, die soeben einer fürchterlichen Gefahr entronnen waren. Mitten in der Halle waren fünf Bahren abgestellt. Auf zweien hatte man hellrote Decken über die Gesichter der darauf liegenden Männer gezogen. Die Gesichter der drei andern sahen aus, als seien sie mit Mehl bestäubt. »Zwei«, knurrte Rodney. »Bis jetzt.« In der Station herrschte ein wüstes Durcheinander. Männer irrten ziellos umher. Mit jeder Minute kamen weitere aus unbeschädigten Stollen, die jetzt aber doch als gefährdet galten. Rod blickte sich um und erkannte einen seiner Obersteiger. »McGee«, schrie er. »Schaffen Sie hier Ordnung. Die Leute sollen sich in Reihen niedersetzen, bis sie verladen werden. Wir wollen die Schicht sofort hinaufschaffen. Gehen Sie in den Förderraum. Sagen Sie ihnen dort, ich möchte zuerst die Männer auf den Bahren hochgebracht haben.« Er wartete, bis McGee seine Anweisungen befolgt hatte. Dann sah er auf die Uhr. Es war vierzehn Uhr sechsundfünfzig. Mit Erstaunen begriff er, daß erst sechsundzwanzig Minuten vergangen waren, seit er die Explosion in seinem Büro gespürt hatte. »In Ordnung«, meinte Rod. »Kommt.« Und er führte seine Hilfsmannschaft in die Förderstrecke.
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Der Staub war dick. Er mußte husten. Die Hängende Wand war hier niedriger. Während er mühsam weiterstapfte, sann er über die verhängnisvolle Wortwahl der Grubenarbeiter nach, die das Dach einer Ausschachtung »Hängende Wand« nannten. Das ließ an einen Galgen denken. Jedenfalls erinnerte es an die Tatsache, daß einem Millionen Tonnen Gestein über dem Kopf hingen. Die Strecke verzweigte sich, und Rod schlug untrüglich den richtigen Weg ein, denn sein Gedächtnis enthielt eine exakte dreidimensionale Karte des fast dreihundert Kilometer langen Tunnelsystems der Sonder-Ditch-Gruben. Plötzlich kamen sie zu einer T-förmigen Gabelung. Diese beiden Gänge waren noch niedriger und enger. Zur Rechten lag Sektion 42, zur Linken 43. Die Staubwolken waren nun so dicht, daß sie nur noch drei Meter weit sehen konnten. Der Staub hing in der Luft und sank kaum wahrnehmbar herab. »Die Bewetterung ist kaputt«, rief Rod über die Schultern. »Van den Bergh!« »Ja, Sir.« Der Leiter des Notdienstes trat näher. »Ich brauche frische Luft in diesem Gang. Machen Sie sich an die Arbeit. Nehmen Sie die Segeltuchleitung, wenn es sein muß.« »Gut.« »Dann will ich Wasserschläuche haben, die diesen Dreck hier auf die Erde kleben.« »Gut.« Rod wandte sich wieder um. Der Boden war rauh, und das Gehen fiel schwer. Dann stießen sie auf mehrere Förderwagen, die mit goldhaltigem Quarz gefüllt waren und verlassen im Gang standen. »Zum Teufel, schafft das Zeug aus dem Weg!« Nach fünfzig Schritten hielt er inne. Die Haare auf seinen Unterarmen richteten sich in die Höhe. Nie konnte er sich an diese Laute gewöhnen, so oft er sie auch schon gehört hatte. In dem bewußt abgebrühten Jargon der Grubenarbeiter hießen sie die »Winsler«. So winselte ein Mann, wenn auf seinen Beinen die Last von hundert Tonnen schwerem Fels lag und dessen Rückgrat vielleicht gebrochen war. Ein Mann, den der Staub zu erstikken drohte und dessen Geist von der Todesangst zerrüttet
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wurde. In seiner Falle rief er um Hilfe. Er flehte Gott an. Er schrie nach seiner Frau, nach seinen Kindern oder nach seiner Mutter. Rod ging weiter. Das Schreien wurde lauter. Es war ein schrekkenerregendes Schreien, kaum noch menschlich, ein Seufzen und Stammeln, das jäh verstummte, bis der Mann von neuem aufheulte, so daß einem das Blut in den Adern gerann. Plötzlich erblickte Rod vor sich im Staubnebel die Schatten von Männern. Ihre Grubenlampen warfen grotesk verzerrte Lichtstreifen ins Halbdunkel. »Wer ist da?« rief Rod. »Gott sei Dank, daß Sie gekommen sind, Mr. Ironsides.« »Wer ist da?« »Barnard.« Der Schichtführer von Sektion 43. »Was ist passiert?« »Die ganze Hängende Wand des Stollens ist zusammengekracht.« »Wie viele Leute waren im Stollen?« »Zweiundvierzig.« »Wie viele sind noch drin?« »Bis jetzt haben wir sechzehn heil herausgeholt, zwölf leicht Verletzte, drei, die auf Bahren gelegt werden mußten, und zwei Tote.« Wieder fing der Winsler an, aber jetzt klang seine Stimme schon viel schwächer. »Und wer ist das?« fragte Rod. »Ihm sind zwanzig Tonnen Fels auf das Becken gestürzt. Ich habe ihm zwei Morphiumspritzen verpaßt, aber sie helfen ihm nicht.« »Können Sie in den Stollen hinein?« »Ja. Es ist ein Loch zum Durchkriechen da.« Barnard beleuchtete den Haufen blauen Quarzes, der den Gang wie eine zusammengebrochene Gartenmauer schloß. Licht schimmerte durch das Loch. Sie vernahmen knirschende Geräusche und gedämpfte Stimmen. »Wie viele Leute arbeiten da drin, Barnard?« »Ich...« Barnard zögerte. »Ich glaube, es sind zehn oder zwölf.«
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Rod packte ihn am Overall und riß ihn fast von den Füßen. »Das glauben Sie?« Im Strahl der Lampe war Rods Gesicht weiß vor Wut. »Sie haben zwölf meiner Jungs hineingejagt, um neun zu retten!« Mit einem Ruck preßte er den Schichtführer gegen die Wand. »Sie Scheißkerl! Sie wissen, daß die meisten dieser neun schon erledigt sind. Sie wissen, daß dieser Stollen eine Todesfalle ist, und dennoch hetzen Sie noch einmal zwölf Männer hinein, damit sie vor die Hunde gehen, und Sie kennen ihre Namen nicht! Nach wem, zum Teufel, sollen wir dann suchen, wenn die Hängende Wand wieder bricht?« Er ließ den Schichtführer frei und trat zurück. »Holen Sie die Leute 'raus. Machen Sie den Stollen frei.« »Aber Mr. Lemmer, der Generaldirektor, ist doch drin. Er hat den Stollen inspiziert.« Einen Augenblick war Rod verblüfft, dann knurrte er: »Und wenn der Staatspräsident drin ist - machen Sie den Stollen frei. Wir fangen von vorn an, aber diesmal richtig.« Binnen weniger Minuten kamen die Leute wieder aus dem Loch gekrochen. Sie waren weiß wie Maden, die über einen verfaulten Käse wimmeln. »Gut«, meinte Rod. »Ich setze jedesmal nur vier Mann ein.« Rasch wählte er unter den mehligen Gestalten vier aus, darunter einen riesigen Mann, auf dessen rechter Schulter die Messingplakette eines Boss Boy befestigt war. »Big King, bist du denn auch da?« Rod stellte die Frage in Fanikalo, der Universalsprache in den Minen, die es ermöglichte, daß eine Belegschaft aus etwa zwölf verschiedenen Volksgruppen sich untereinander verständigen konnte. »Jawohl«, antwortete Big King. »Du willst also noch mehr Auszeichnungen kriegen?« Vor einem Monat war Big King an einem Seil sechzig Meter tief in einen Erzgang hinabgelassen worden, um einen weißen Bergmann zu retten. Die Gesellschaft hatte ihm für seine mutige Tat eine Belohnung von hundert Rand gezahlt. »Wer spricht von Auszeichnungen, wenn die Erde das Fleisch von Männern frißt?« rügte Big King sanft. »Das da heute ist ja ein Kinderspiel. Kommt der Nkosi mit in den Stollen?« Das war
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eine Herausforderung. Rod hatte im Stollen eigentlich nichts zu suchen. Er war der Mann, der zu organisieren und zu koordinieren hatte. Dieser Herausforderung durfte er jedoch nicht ausweichen. Jeder Bantu würde sonst glauben, er sei aus Angst zurückgewichen und habe andere Menschen in den Tod geschickt. »Ja«, entgegnete Rod, »ich komme mit in den Stollen.« Das Loch war gerade so groß, daß er hindurchschlüpfen konnte. Das Streckenstück hatte die Größe eines durchschnittlichen Zimmers, aber die Hängende Wand war bis auf einen Meter heruntergebrochen. Rod ließ den Strahl seiner Lampe darüber wandern. Das Gestein war aufgerissen und gefährlich. »Ein Bündel Weintrauben« nannten die Bergleute so etwas. »Eine schöne Bescherung«, sagte er und leuchtete den Boden ab. Der Winsler lag in Rods Reichweite. Sein Oberkörper ragte von der Hüfte an unter einem Felsbrocken in der Größe eines Autos hervor. Jemand hatte eine Decke um ihn geschlungen. Er lag nun ganz still da. Als jedoch das Licht auf ihn fiel, hob er den Kopf. Seine Augen starrten wie irr. Er nahm nichts mehr wahr. Über sein von Grauen verzerrtes Gesicht strömte der Schweiß. Sein Mund stand offen - groß und rosa leuchtete er in der glänzenden Schwärze seines Gesichts. Und wieder begann er zu schreien, doch mit einemmal wurde sein Geheul durch einen rotschwarzen Blutstrahl erstickt, der ihm aus der Kehle schoß. Während Rod entsetzt zusah, fiel der Kopf des Bantus zurück. Sein Mund glich jetzt einem Wasserspeier - nur spritzte kein Wasser aus ihm, sondern der Lebenssaft. Dann sank er langsam nach vorn, und sein Gesicht schlug auf das Gestein. Rod kroch zu ihm, hob den Kopf hoch und bettete ihn auf die Decke. Blut tropfte auf seine Hände. Er wischte es an seinem Overall ab. »Also drei bis jetzt«, sagte er. Und er ließ den Sterbenden zurück und kroch tiefer in den eingestürzten Stollen hinein. Big King folgte ihm. Nach einer Stunde war es zu einem Wettstreit gekommen, zu einem Kräftemessen zwischen den beiden Männern. Hinter ihnen stützten drei andere den Gang ab. Sie reichten das Gestein von Hand zu Hand, das Rod und Big King gelockert hatten. Rod
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wußte, daß er sich geradezu kindisch benahm: Er hätte in der Förderstrecke zurückbleiben und nicht allein die Rettungsaktion leiten, sondern auch alle übrigen Entscheidungen treffen sollen, die jetzt angebracht waren. Die Gesellschaft bezahlte ihn schließlich für seinen Verstand und seine Erfahrung, nicht aber für seine Muskelkraft. Zum Teufel, dachte er. Selbst wenn wir heute abend die Sprengung versäumen, werde ich hier bleiben. Er schaute Big King an und griff nach einem größeren Felsbrocken. Zunächst langte er mit den Armen zu, dann legte er die volle Wucht seines Körpers in den Griff, aber der Fels saß fest. Big King umschloß mit seinen gewaltigen schwarzen Händen den Stein, und sie zerrten nun gemeinsam. Mit einem Schwall kleinerer Steine bekamen sie ihn endlich frei. Sie schoben den Brocken zwischen sich nach hinten und grinsten einander an. Um neunzehn Uhr verließen Rod und Big King den Stollen, um sich auszuruhen, Sandwiches zu essen und Kaffee zu trinken. Rod telefonierte mit Dimitri. »Wir sind an beiden Schächten zum Sprengen fertig, Rod. Außer euch sind achtundfünfzig Mann in deiner Sektion dreiundvierzig.« Dimitris Stimme klang quäkend über das Feldtelefon. »Bleib am Apparat.« Rod überdachte die Lage. Das dauerte diesmal länger als sonst, denn er war müde und fühlte sich erschöpft. Wenn er aus Furcht, noch mehr Gestein zu lockern, die Sprengung an beiden Schächten stoppen ließ, kostete das die Gesellschaft eine Tagesproduktion: zehntausend Tonnen goldhaltigen Fels im Wert von hundertsechzigtausend Rand oder zweihunderttausend Dollar, eine Achtung gebietende Summe. Vermutlich waren die eingeschlossenen Männer bereits tot, und durch die Explosion war der Druck im Gestein der Sohle 95 wohl weitgehend verpufft. Es bestand demnach wenig Gefahr, daß noch mehr Unheil angerichtet wurde. Aber vielleicht war doch noch einer am Leben, lag irgendeiner noch atmend im dunklen Schoß des zerborstenen Gesteins? Wenn in der Sonder-Ditch-Mine alle Knöpfe für die elektrische Zündung gedrückt wurden, gingen achtzehn Tonnen Dynamit zugleich los. Die Sprengwirkung war beträchtlich. Sie konnte
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weitere »Weintraubenbündel« zum Einsturz bringen. »Dimitri«, entschied Rod, »laß alle Zündungen an Schacht zwei um neunzehn Uhr dreißig losgehen.« Schacht 2 war fünf Kilometer entfernt. Das würde der Gesellschaft einen Verlust von achtzigtausend Rand ersparen. »Dann zündest du im Abstand von jeweils fünf Minuten die südlichen, nördlichen und westlichen Abbaustrecken hier auf Schacht eins.« Die zeitliche Verteilung der Sprengung würde die Gefahr vermindern. Und so konnten weitere sechzigtausend Rand für die Taschen der Aktionäre gerettet werden. Der finanzielle Gesamtverlust durch das Unglück würde somit etwa zwanzigtausend Rand betragen. Nicht allzu viel, dachte Rod sardonisch. Menschenblut war billig. Man konnte es für drei Rand pro halben Liter bei der Blutbank kaufen. »Gut.« Er stand auf und reckte seine schmerzenden Schultern. »Ich werde alle Leute im Schacht in Sicherheit bringen, bevor wir sprengen.«
<4> Nach den aufeinanderfolgenden Sprengungen schickte Rod seine Leute in den Stollen zurück, und um einundzwanzig Uhr entdeckten sie die Leichen zweier Maschinenjungen, die gegen ihre eigenen Bohrgeräte gepreßt worden waren. Drei Meter entfernt fanden sie einen weißen Grubenarbeiter. Sein Körper war unverletzt, sein Kopf jedoch zerquetscht. Um dreiundzwanzig Uhr stießen sie auf zwei andere Maschinenjungen. Rod war im Fördergang, als sie die beiden durch die Öffnung schoben. Keiner von ihnen hatte noch Ähnlichkeit mit einem Menschenwesen. Sie sahen wie rohes Fleisch aus, das man im Dreck gewälzt hatte. Kurz nach Mitternacht gingen Rod und Big King abermals in den Stollen, um das Team vor Ort abzulösen, und zwanzig Minuten später krochen sie über Geröllschutt in eine Kammer, die auf unerklärliche Weise intakt geblieben war. Hier drinnen war
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es so heiß wie in einem Dampfbad. Rod prallte unwillkürlich vor dem feuchten und stickigen Brodem zurück, der ihnen ins Gesicht schlug. Dann zwang er sich, weiterzukriechen und durch die Spalte zu lugen. Drei Schritte vor ihm lag Frank Lemmer, der Generaldirektor der Sonder-Ditch-Mine. Er lag auf dem Rücken. Der Helm war ihm vom Kopf gefallen, und eine tiefe Wunde klaffte oberhalb seiner Augen. Blut tropfte in sein silbriges Haar. An manchen Stellen war es bereits schwärzlich verklumpt. Lemmer blickte blinzelnd wie eine Eule in das Licht der Lampe. Schnell richtete Rod den Strahl zur Seite. »Mr. Lemmer«, sagte er. »Zum Teufel, was haben denn Sie bei der Rettungsmannschaft zu suchen?« knurrte Frank Lemmer. »Das ist nicht Ihre Aufgabe. Haben Sie denn in zwanzig Jahren Bergbau nicht einmal das gelernt?« »Wie geht es Ihnen, Sir?« »Schaffen Sie einen Arzt her«, versetzte Lemmer. »Ihr müßt mich aus diesem Ding da heraushacken.« Rod kroch näher heran und verstand, was Lemmer meinte. Bis zum Ellbogen war sein Arm unter einem schweren Felsbrocken begraben. Rod fuhr mit der Hand darüber. Nur eine Sprengung konnte diese Masse beseitigen. Frank Lemmer hatte - wie immer -recht. Mühsam kroch Rod durch die Öffnung zurück und rief: »Bringt das Telefon her.« Nach einigen Minuten hatte er den Apparat und war mit der Schachtstation auf Sohle 95 verbunden, die als Erste-HilfeStation und als Rastplatz für die Geretteten hergerichtet worden war. »Hier Ironsides. Geben Sie mir Dr. Stander.« »Warten Sie, bitte.« Nach einem Moment meldete sich der Arzt: »Hallo, Rod, was ist?« »Dan, wir haben den Alten gefunden.« »Wie geht's ihm? Ist er bei Bewußtsein?« »Ja, aber festgeklemmt. Du wirst ihn amputieren müssen.« »Bist du sicher?« fragte Stander.
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»Ich bin verdammt sicher«, gab Rod zurück. »O Gott«, meinte Dan. »Mir tut's auch leid.« »Na gut. An welcher Stelle hat's ihn denn erwischt?« »Am Arm. Du wirst über dem Ellbogen schneiden müssen.« »Reizende Aussicht.« »Ich warte hier auf dich.« »Geht in Ordnung. In fünf Minuten bin ich da.«
<5> »Komisch. Man sieht immer wieder, wie die Leute draufgehen, aber man ist unentwegt überzeugt, einem selber werde es nie passieren.« Frank Lemmers Stimme war fest und ruhig. Der Arm mußte taub sein, dachte Rod, der neben ihm lag. Lemmer wandte ihm jetzt den Kopf zu. »Warum werden Sie nicht Farmer, Junge?« »Sie wissen doch, weshalb ich's nicht tue«, erwiderte Rod. »Ja.« Lemmer lächelte schwach. Nur die Lippen zuckten. Mit der freien Hand wischte er über seinen Mund. »Wissen Sie, in drei Monaten wäre ich in Pension gegangen. Beinahe hätte ich's geschafft. Sie werden genauso enden, Junge - im Dreck mit zerschlagenen Knochen.« »Vom Ende ist keine Rede«, versetzte Rod. »Wirklich nicht?« fragte Frank Lemmer, und diesmal lachte er. »Was gibt's denn da zu lachen?« erkundigte sich Dr. Stander und steckte seinen Kopf in die kleine Kammer. »Herrgott, Sie haben aber lange gebraucht, bis Sie den Weg nach hier gefunden haben.« »Gib mir deine Hand, Rod.« Dan schob seine Tasche durch die Spalte. Als er dann hereingekrochen war, sagte er zu Lemmer: »Union Steel hat heute abend mit achtundneunzig Cents abgeschlossen. Ich hatte Ihnen zum Kauf geraten.« »Viel zu viel. Weit über dem Wert«, schnaubte Lemmer. Während Dan sich neben ihn in den Staub legte und seine In-
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strumente hervorholte, debattierten beide über Aktien und Kapitalanlagen. Als Dan die Spritze voll Pentathol hatte und Lemmers sehnigen Arm betupfte, wandte sich der Generaldirektor wieder Rod zu. »Wir haben hier ganz schöne Arbeit geleistet, Rodney, Sie und ich. Ich wünschte, sie würden jetzt Ihnen die Leitung übertragen, aber das werden die Burschen nicht tun. Sie sind noch zu jung. Doch wen sie auch an meinen Platz stellen werden, haben Sie ein Auge auf ihn. Sie wissen den Grund. Lassen Sie ihn nicht alles durcheinanderbringen. Dann fuhr die Nadel in sein Fleisch. In viereinhalb Minuten hatte Dan den Arm amputiert, und siebenundzwanzig Minuten später starb Frank Lemmer an dem Schock und der Erschöpfung im Förderkorb, der ihn wieder zutage brachte.
<6> Wenn er für Pattis Unterhalt gezahlt hatte, blieb Rod nicht mehr allzu viel Geld übrig für Extravaganzen, aber eine dieser Extravaganzen war sein großer cremefarbener Maserati. Es war ein Modell aus dem Jahre 1967, das beim Kauf schon an die 50000 Kilometer hinter sich hatte, aber die Raten rissen doch jeden Monat ein ordentliches Loch in seine Gehaltstüte. An einem Morgen wie heute hielt er die Ausgaben jedoch für gerechtfertigt. Er fuhr die Kehren am Hang des Kraalkops hinab, und als die Nationalstraße sich flach zur letzten Etappe nach Johannesburg hindehnte, drückte er fest auf die Tube. Der Wagen preschte davon wie ein Löwe. Der Ton des Auspuffs wurde tiefer und dröhnender. Normalerweise brauchte man von der Sonder-Ditch-Mine bis nach Johannesburg eine Stunde, aber Rod schaffte es in vierzig Minuten. Es war Samstagmorgen, und er befand sich in bester Stimmung. Außerdem war er neugierig. Seit seiner Scheidung führte Rod ein Doppelleben. An fünf Ta-
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gen der Woche war er ein leitender Mann der Minengesellschaft, doch an den beiden restlichen fuhr er mit seinen Golfschlägern im Kofferraum des Maserati in die Stadt, den Schlüssel zu seiner Luxuswohnung in Hillbrow in der Tasche und ein sorgloses Lachen um den Mund. Heute war seine Vorfreude größer als je zuvor. Außer der zweiundzwanzigjährigen Blondine, die darauf wartete, ihren Abend der Unterhaltung von Rodney Ironsides zu widmen, sah er der geheimnisvollen Einladung von Dr. Manfred Steyner entgegen. Sie war ihm von einer namenlosen weiblichen Person zugegangen, die sich als »Dr. Steyners Sekretärin« vorgestellt hatte. Am Tag nach der Beisetzung von Frank Lemmer hatte sie angerufen und als Termin Samstag elf Uhr genannt. Rod war Manfred Steyner noch niemals begegnet, aber er hatte natürlich von ihm gehört. Jeder, der für eine der fünfzig oder sechzig Gesellschaften arbeitete, die zur Central Rand Consolidated Group zusammengeschlossen waren, mußte schon von Manfred Steyner gehört haben, und die Sonder Ditch Gold Company war eine der Gesellschaften des Konzerns. Steyner hatte Wirtschaftswissenschaft studiert und besaß den Doktorgrad von Cornell. Er war vor knapp zwölf Jahren zur C. R. C. gekommen. Damals war er dreißig gewesen, und nun lag er ganz vorn im Rennen. Hurry Hirschfeld konnte schließlich nicht ewig leben, wenngleich er durchblicken ließ, er werde dazu imstande sein, und sobald er ins Gras gebissen hatte, sollte Manfred Steyner ihn als Vorsitzenden ablösen. So hieß es wenigstens. Vorsitzender der C. R. C. zu sein war ein beneidenswerter Posten. Der Pfründeninhaber wurde automatisch einer der fünf mächtigsten Männer in Südafrika. Und das bedeutete, daß er auch in den Staatsangelegenheiten ein Wörtchen mitzureden hatte. Die Chancen lagen günstig für Dr. Steyner: Er verfügte über ein Hirn, das ihm den Spottnamen »Computer« eingetragen hatte. Niemand war je imstande gewesen, bei ihm auch nur das geringste Versagen festzustellen. Und was noch schwerer wog: Er hatte sich vor zehn Jahren die Mühe gemacht, Hurry Hirschfelds
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einzige Enkelin einzufangen und zu heiraten, als sie gerade die Universität von Kapstadt verlassen hatte. Dr. Steyner nahm eine bedeutende Stellung ein, und Rod war gespannt darauf, ihn kennenzulernen. Es war zehn Minuten vor elf, als er das Messingschild »Dr. M. K. Steyner« in einer abgelegenen Straße des wohlhabenden Vororts Sandown fand. Das Haus war von der Fahrbahn aus nicht zu sehen. Rod ließ den Maserati langsam durch das hohe weiße Tor mit seinen Giebeln in imitiertem Cape-Dutch-Stil rollen. Diese Giebel, so meinte er, zeugten von einem schrecklichen Geschmack. Die Gartenanlagen dahinter waren jedoch nahezu paradiesisch. Rod kannte sich in Gesteinsarten aus. Blumen waren nicht gerade seine starke Seite. Er wußte zwar, daß die üppigen roten und gelben Blüten vor dem Rasen Cannas waren; für die übrige Blumenpracht, die ihn umgab, wußte er indessen keine Bezeichnung. »Hm«, murmelte er ein wenig scheu. »Hier muß sich ja einer mächtig viel Arbeit gemacht haben.« Hinter einer Biegung der Einfahrt stand das Haus. Es war ebenfalls im Cape-Dutch-Stil erbaut, und Rod verzieh nun Dr. Steyner sein Portal. »Hm«, wiederholte er und brachte den Maserati zum Stehen. Cape Dutch ist ein Stil, der sich schwer kopieren läßt: Auch nur eine Einzelheit unter hundert, die nicht am richtigen Platz ist, kann die Gesamtwirkung zerstören. Dieser Bau hier war jedoch vollkommen. Er gab einem das Gefühl der Zeitlosigkeit, der Beständigkeit, zugleich aber auch das der Schönheit und der Eleganz. Rod betrachtete sich das alles mit Neid. Er liebte schöne Dinge wie seinen Maserati, aber das war eine andere Art von Besitz. Er war eifersüchtig auf den Mann, dem dies gehörte. Sein eigenes Jahreseinkommen würde nicht einmal zur Anzahlung des Grundstücks ausreichen. Na, schließlich hatte er ja seine Mietwohnung, dachte er und grinste wehmütig. Dann ließ er seinen Wagen zu den Garagen rollen. Welches der richtige Eingang war, vermochte er nicht zu erkennen. Aufs Geratewohl schlug er einen der gepflasterten Wege
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ein, die alle auf das Haus zuführten. An einer Krümmung des Pfades bot sich ihm ein Anblick, der gleichfalls nicht zu verachten war. Was er sah, war kleiner als das Haus, wirkte aber auf Rod weitaus stärker. Es handelte sich um den Inhalt einer ebenfalls schönen Helanca-Hose, die aus einem exotischen Busch hervorragte. Rod war bezaubert. Er blieb stehen und wartete, während der Busch bebte und raschelte, wobei die Rückseitenpartie hin und her zappelte. Plötzlich ertönte ein wenig damenhafter Fluch. Der Hoseninhalt streckte sich. Die Dame richtete sich auf, steckte einen Zeigefinger in den Mund und lutschte geräuschvoll daran. »Es hat mich gestochen. Dieses verdammte Insekt hat mich gestochen!« »Nun, Sie sollten es auch nicht in Versuchung führen«, meinte Rod. Sie wirbelte herum. Als erstes bemerkte Rod ihre Augen. Sie waren so groß, daß sie das ganze Gesicht beherrschten. »Ich habe nicht...«, begann sie und hielt dann inne. Sie nahm den Finger aus dem Mund. Instinktiv fuhr sie mit einer Hand durchs Haar, mit der andern strich sie über ihre Bluse und wischte Blätter ab. »Wer sind Sie?« erkundigte sie sich, und der Blick ihrer großen Augen glitt über seine Gestalt. So verhielten sich im allgemeinen Mädchen und Frauen zwischen sechzehn und sechzig, die Rodney Ironsides zum erstenmal sahen, und er war dafür dankbar. »Ich bin Rodney Ironsides und habe eine Verabredung mit Dr. Steyner.« »Oh.« Eilig stopfte sie ihren Blusenzipfel in ihre Slacks. »Mein Mann wird in seinem Arbeitszimmer sein.« Er hatte gewußt, wer sie war. Mindestens fünfzigmal schon hatte er ihr Foto in den Zeitungen gesehen, doch diese Aufnahmen zeigten sie meist im Abendkleid und mit Diamanten behangen, nicht aber in einer Bluse, deren einer Ärmel aufgerissen war, und auch nicht mit locker baumelnden Zöpfen. Auf den Bildern war ihr Make-up makellos. Jetzt war sie überhaupt nicht geschminkt. Ihr Gesicht war erhitzt und verschwitzt. »Ich muß schauderhaft aussehen. Ich bin bei der Gartenarbeit«,
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erklärte sie unnötigerweise. »Kümmern Sie sich denn selber um den Garten?« »Ach, nur so ein bißchen, damit die Muskeln nicht einschlafen«, antwortete sie. »Der Garten ist herrlich«, sagte Rod. »Meinen Sie?« »Das hier ist eine Protea, nicht wahr?« Er deutete auf den Busch, aus dem sie soeben herausgekrabbelt war. »Ja, eine Protea nutans«, erwiderte sie. Er muß Ende der Dreißig sein, überlegte sie. Seine Schläfen werden schon grau. »Es gibt mehr als zweihundert verschiedene Sorten von Proteen«, fuhr sie fort. Seine Stimme paßt nicht zu seinem Äußeren, grübelte sie. Er sah wie ein Preisboxer aus, aber er sprach wie ein Rechtsanwalt. Wahrscheinlich war er auch einer. Meist kamen Anwälte oder Geschäftsleute zu Manfred. »Tatsächlich? Jedenfalls ist der Busch wunderschön.« Rod berührte eine der Blüten. »Nicht wahr? Ich habe fünfzig Sorten hier im Garten.« Und plötzlich lächelten sie einander an. »Ich bringe Sie ins Haus«, sagte Theresa Steyner.
<7> »Hier ist Mr. Ironsides, Manfred.« -Danke sehr.« Dr. Steyner saß in einem Raum, der nach Wachs roch, am Schreibtisch. Er machte sich nicht die Mühe aufzustehen. »Möchten Sie gern eine Tasse Kaffee?« fragte Theresa auf der Türschwelle. »Oder Tee?« »Nein, vielen Dank«, antwortete Dr. Steyner, ohne Rod zu fragen. »Schon gut, Theresa.« Sie ging hinaus. Rod blieb an der Tür stehen. Er musterte den Mann, von dem er so viel gehört hatte. Manfred Steyner sah jünger aus als zweiundvierzig. Sein Haar
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war hellbraun, fast blond, und glatt nach hinten gestrichen. Er trug eine Brille mit schwerer schwarzer Fassung, und sein Gesicht war glatt und seidenweich wie das eines Mädchens. An seinem Kinn ließ sich kein Bartschatten erkennen. Seine Hände, die auf der glänzenden Tischplatte lagen, waren ohne ein Härchen, so daß Rod sich fragte, ob er wohl ein Enthaarungsmittel benutzte. »Treten Sie näher.« Rod kam an den Tisch. Steyner hatte ein schneeweißes Seidenhemd an, dazu trug er eine Krawatte in den Farben des Royal Johannesburg Golf Club und Manschettenknöpfe aus Onyx. Rod bemerkte, daß das Hemd und die Krawatte ganz neu und unbenutzt waren. Also stimmte, was man ihm erzählt hatte: Steyner bestellte seine von Hand gemachten Hemden jeweils zwölfdutzendweise und zog jedes nur einmal an. »Setzen Sie sich, Ironsides.« Steyners Aussprache hatte einen leichten deutschen Akzent. »Dr. Steyner«, entgegnete Rod gelassen, »Sie haben die Wahl: Entweder nennen Sie mich Rodney oder Mr. Ironsides.« Steyners Gesicht blieb ausdruckslos. »Ich möchte gern ein wenig über Ihre Vergangenheit sprechen, Mr. Ironsides. Gewissermaßen als Einleitung zu unserem Gespräch. Sie haben doch nichts dagegen?« »Nein, Dr. Steyner.« »Sie wurden am 16. Oktober 1931 in Butterworth in der Transkei geboren. Ihr Vater war Kaufmann, Ihre Mutter starb 1939. Ihr Vater gehörte als Hauptmann der Infanterie von Durban an und starb an der Verwundung, die er im Winter 1944 in Italien erlitten hatte. Sie wurden von Ihrem Onkel mütterlicherseits in East London großgezogen. Nachdem Sie sich 1947 am Queen's College in Grahams-town hatten immatrikulieren lassen, gelang es Ihnen nicht, ein Stipendium für Bergbau an der Universität von Witwatersrand als Bergbauingenieur zu erhalten. Sie haben sich daraufhin an der Bergbauschule der Regierung eintragen lassen und Ihre Sprenglizenz im Jahre 1949 erworben. Dann sind Sie als Anfänger bei der Blijvoor-uitzicht Gold Mining Compa-
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ny eingetreten.« Dr. Steyner erhob sich von seinem Schreibtisch und ging zu der getäfelten Wand. Dort drückte er auf einen verborgenen Schalter. Ein Teil der Täfelung glitt zur Seite und enthüllte ein Waschbecken und einen Handtuchhalter. Während er weitersprach, fing er mit übertriebener Sorgfalt an, sich die Hände einzuseifen und zu waschen. »Im selben Jahr wurden Sie Bergmann und 1952 zum Schichtführer befördert, 1954 dann zum Obersteiger. Mit Erfolg haben Sie Ihre Prüfung als Bergwerksleiter im Jahre 1959 bestanden. 1962 kamen Sie zu uns als stellvertretender Abteilungsleiter. 1963 wurden Sie Abteilungsleiter. Im Jahre 1965 erfolgte Ihre Ernennung zum stellvertretenden Direktor im Untertagebau, und 1968 gelangten Sie in Ihre jetzige Stellung als Direktor im Untertagebau.« Dr. Steyner begann, sich die Hände an einem schneeweißen Handtuch abzutrocknen. »Sie haben meine Personalakten ja gut im Kopf«, sagte Rod. Dr. Steyner zerknüllte das Handtuch und warf es in einen Kasten unter dem Waschbecken. Wieder drückte er auf den Schalter, und die Täfelung schloß sich hinter ihm. Er kam an den Schreibtisch zurück. Rod fiel auf, daß er klein war, etwa einen Meter fünfundsechzig, nicht größer als seine Frau. »Sie haben es zu etwas gebracht«, fuhr Steyner fort. »Der nächstjüngste Direktor im Untertagebau ist sechsundvierzig, während Sie noch nicht einmal neununddreißig sind.« Rod nickte zustimmend. »Nun«, meinte Dr. Steyner, indem er wieder Platz nahm und seine frisch gewaschenen Hände auf die Schreibtischplatte legte, »nun möchte ich gern auf Ihr Privatleben zu sprechen kommen. Sie haben wohl keine Einwände?« Rod schüttelte den Kopf. »Obwohl Ihre Zeugnisse ausgezeichnet waren, haben Sie damals kein Stipendium bekommen. Der Grund dafür war, daß Ihr Ausbilder dem Auswahlkomitee mitteilte, Sie seien von unbeständiger und heftiger Gemütsart.« »Woher, zum Teufel, wissen Sie das?« stieß Rod hervor.
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»Ich habe die Dokumente eingesehen. Es scheint, daß Sie in dem Moment, als Sie Ihre Zeugnisse in Händen hatten, sogleich Ihren bisherigen Ausbilder niedergeschlagen haben.« »Allerdings«, stimmte Rod fröhlich zu. »Diesen Drecksack habe ich ganz schön verprügelt.« »Eine kostspielige Befriedigung, Mr. Ironsides. Die Sache hat Sie um Ihren akademischen Grad gebracht.« Rod schwieg. »Um fortzufahren: Im Jahre 1959 haben Sie Patricia Anne Harvey geheiratet. Aus dieser Verbindung ist ein noch in diesem Jahr geborenes Kind hervorgegangen, genau gesagt: siebeneinhalb Monate nach der Eheschließung.« Rod machte eine ungeduldige Bewegung auf seinem Stuhl. Dr. Steyner sprach ruhig weiter. »Diese Ehe endete 1964 mit der Scheidung. Ihre Frau hat Sie des Ehebruchs bezichtigt. Man hat ihr das Sorgerecht für das Kind zuerkannt. Sie müssen ihr monatlich vierhundertfünfzig Rand als Unterhaltszahlung leisten.« »Was soll das alles bedeuten?« fuhr Rod auf. »Ich bemühe mich, ein exaktes Bild Ihrer gegenwärtigen Verhältnisse zu zeichnen. Das ist erforderlich. Seien Sie dessen gewiß.« Dr. Steyner nahm seine Brille ab und reinigte die Linsen mit einem sauberen weißen Taschentuch. Auf seiner Nase war die Einkerbung des Gestells zu sehen. »Na, fahren Sie fort.« Allmählich interessierte es Rod, wieviel Steyner über ihn wußte. »Im Jahre 1968 wurde eine Vaterschaftsklage gegen Sie angestrengt, und zwar von einer Diane Johnson. Sie wurden zu einer monatlichen Zahlung von einhundertfünfzig Rand verpflichtet.« Rod blinzelte, sagte aber nichts. »Ich möchte noch zwei Anklagen wegen Körperverletzung erwähnen, die indessen niedergeschlagen wurden, da Sie in Notwehr handelten.« »Ist das alles?« erkundigte sich Rod sarkastisch. »Beinahe alles«, pflichtete ihm Dr. Steyner bei. »Es sind nur noch die hundertfünfzig Rand zu berücksichtigen, die Sie im Monat für einen europäischen Sportwagen ausgeben, und die hundert Rand, die Sie als Miete für die Wohnung Glen Alpine
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Heights 596, Corner Lane, Hillbrow, zu zahlen haben.« Rod war wütend, denn er hatte geglaubt, niemand wisse etwas von dieser Wohnung. »Verdammt noch mal! Sie haben in meinen Privatangelegenheiten herumgeschnüffelt!« »Ja«, gab Dr. Steyner gleichmütig zu. »Das habe ich getan, aber aus gutem Grund. Wenn Sie mich anhören wollen, werden Sie begreifen, weshalb.« Plötzlich stand Dr. Steyner wiederum auf, ging abermals zu dem verborgenen Waschbecken und wusch sich von neuem die Hände. Beim Abtrocknen dozierte er: »Ihre monatlichen Verpflichtungen belaufen sich demnach auf achthundertfünfzig Rand. Ihr Gehalt beträgt indessen nach Abzug der Steuern weniger als tausend Rand. Sie haben keinen akademischen Grad, und Ihre Aussichten, ohne einen solchen Generaldirektor zu werden, sind gering. Sie haben die Spitze der Leiter erreicht, Mr. Ironsides. Mit Ihren Fähigkeiten allein kommen Sie nicht mehr weiter. In dreißig Jahren werden Sie nicht mehr der jüngste Direktor im Untertagebau sein, sondern der älteste.« Dr. Steyner legte eine Pause ein. »Das heißt, wenn Ihre recht teuren Allüren Sie nicht mittlerweile ins Schuldgefängnis gebracht haben und wenn Ihr ziemlich hitziges Temperament und Ihr ebenso munteres Liebesleben Ihnen keine ernsten Schwierigkeiten bereiten.« Er warf das Handtuch in den Kasten und kehrte zu seinem Sessel zurück. Sie saßen schweigend da und blickten sich eine Minute lang an. »Und Sie haben mich extra herkommen lassen, um mir das alles unter die Nase zu reiben?« Rods Körper straffte sich, seine Stimme klang rauh. Noch eine Provokation, und er würde über den Tisch nach Steyners Kehle langen. »Nein.« Dr. Steyner schüttelte den Kopf. »Ich habe Sie kommen lassen, um Ihnen mitzuteilen, daß ich meinen ganzen Einfluß geltend machen werde, um Ihnen die Stellung des Generaldirektors der Sonder-Ditch-Mine zu verschaffen. Und mein Einfluß ist nicht gering, wie ich mir schmeicheln darf.« Rod fuhr auf seinem Stuhl zusammen, als habe ihm Steyner ins Gesicht gespuckt. Entgeistert starrte er den Mann ihm gegenüber an. »Und warum?« fragte er endlich. »Was verlangen Sie als Gegenleistung von mir?«
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»Weder Ihre Freundschaft noch Ihre Dankbarkeit«, versicherte Dr. Steyner, »aber Ihren bedingungslosen Gehorsam bei der Befolgung meiner Instruktionen. Sie werden der Mann sein, der tut, was ich ihm befehle.« Rod starrte immer noch in Steyners Gesicht, während seine Gedanken einander jagten. Ohne Steyners Eingreifen mußte er mindestens noch zehn Jahre auf seine Beförderung warten - falls sie überhaupt jemals kam. Er wollte die Stellung, mein Gott, wie sehr wollte er diese Stellung! Die Leistung, das höhere Einkommen, die Macht - was war nicht alles mit dieser Stellung verbunden! Seine eigene Goldmine! Mit achtunddreißig Jahren! Und ein zusätzliches Gehalt von zehntausend Rand im Jahr! Doch Rod war nicht naiv genug, um zu glauben, Manfred Steyners Preis werde niedrig sein. Eine Instruktion, die bedingungslosen Gehorsam verlangte... Eine solche Sache mußte stinken wie ein Kadaver, der seit zehn Tagen herumlag. Aber wenn er den Job nur einmal hatte, dann konnte er den Gehorsam ja immer noch verweigern. Zuerst den Job, und danach blieb immer noch Zeit, Gehorsam zu leisten oder nicht. »Ich nehme an«, erklärte er. Manfred Steyner stand auf. »Sie werden von mir hören.«
<8> Rod schritt über die breite Fliesentreppe hinab, ohne etwas zu sehen oder zu hören. Geistesabwesend schlenderte er über den Rasen auf seinen Wagen zu. Seine Gedanken zerfaserten noch einmal das Gespräch. Fast wäre er gegen Theresa Steyner geprallt, doch bei ihrem Anblick vergaß er sofort den Generaldirektorposten. Theresa hatte die Kleidung gewechselt und sich geschminkt. Ein zitronengelber Seidenschal hielt ihr Haar zusammen. Für diese Verwandlung hatte sie immerhin bloß dreißig Minuten gebraucht. Mit einem Korb voller Blumen schwebte sie zwischen den Beeten einher, zierlich und bunt wie ein Kolibri.
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Rod war amüsiert und geschmeichelt. Natürlich hatte sie sich seinetwegen zurechtgemacht. Er kannte die Frauen gut genug, um das auch richtig zu würdigen. Sie blickte auf, und es gelang ihr, echt überrascht zu wirken. Ihre Augen waren in der Tat sehr groß, und das Make-up ließ sie noch größer erscheinen. »Na, Sie sind ja bienenfleißig«, meinte Rod mit einem bewundernden Blick auf ihr Kleid. Ihre Wangen röteten sich. »Hatten Sie Erfolg bei Ihrer Unterhaltung?« »Ja, großen Erfolg.« »Sind Sie Rechtsanwalt?« »Nein. Ich arbeite für Ihren Großvater.« »Bei welcher Gesellschaft sind Sie denn?« »Sonder Ditch.« »Und welche Stellung haben Sie da?« »Nun, wenn Ihr Mann sein Wort hält, bin ich der neue Generaldirektor.« »Dazu sind Sie noch zu jung«, wandte sie ein. »Das habe ich auch gedacht.« »Opi wird in der Angelegenheit zu entscheiden haben.« Rod mußte lachen. »Was ist daran so komisch?« »Daß Sie den Vorsitzenden der C. R. C. Opi nennen.« »Ich bin die einzige, die ihn so nennt.« »Das möchte ich wetten!« Rod lachte wiederum. »Und ich glaube, Sie können auch sonst noch allerhand machen, was kein anderer riskieren würde.« Plötzlich wurde ihnen die erotische Anspielung bewußt, und sie verstummten. Theresa schaute zu Boden und zupfte an einer Blüte. »Ich habe es nicht so gemeint«, entschuldigte sich Rod. »Wie denn sonst, Mr. Ironsides?« Sie sah auf und musterte ihn mutwillig und unschuldig in einem. Als die kurze Scheu überwunden war, mußten sie beide lachen. Sie ging neben ihm zum Wagen, als sei dies die natürlichste Sache der Welt, und als er hinter das Steuer glitt, bemerkte sie:
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»Manfred und ich werden in der nächsten Woche nach Sonder Ditch kommen. Er wird einigen Ihrer Leute Auszeichnungen für lange Dienstzeit und mutiges Verhalten überreichen.« In Wahrheit hatte sie bereits die Einladung ihres Mannes abgelehnt. Jetzt mußte sie dafür sorgen, daß er sie ein zweites Mal zum Mitkommen aufforderte. »Vermutlich werde ich Sie dann sehen.« »Das wird mich freuen«, erwiderte er und schaltete die Kupplung ein. Im Rückspiegel betrachtete er sie noch einmal. Sie war eine ungewöhnlich attraktive Frau. Dieser Steyner hat sich hier ein ganz schönes Problem auf den Hals geladen, überlegte Rod. Aber unser Manfred ist wahrscheinlich so sehr mit dem Händewaschen beschäftigt, daß er gar keine Zeit findet, sich darum zu kümmern.
<9> Durch das Fenster warf Dr. Steyner einen Blick auf den Maserati, der hinter der Kurve der Einfahrt verschwand. Er lauschte dem Motorengeräusch nach, bis es in der Stille nicht mehr zu vernehmen war. Dann hob er den Hörer des Telefons ab und wischte mit seinem weißen Taschentuch darüber, ehe er ihn ans Ohr legte. Er wählte, und während es klingelte, inspizierte er die Fingernägel seiner freien Hand. »Hier Steyner«, sprach er in den Apparat. »Ja, ja.« Er hörte zu. »Ja, er ist gerade gegangen. Ja, alles ist arrangiert. Nein, es wird keine Schwierigkeiten geben. Ich bin ganz sicher.« Beim Reden sah er Schweiß in seiner Handfläche, und aus Ekel darüber verkniff er die Lippen. »Ich bin mir aller Konsequenzen durchaus bewußt. Ich sage Ihnen doch, daß ich Bescheid weiß.« Er schloß die Augen und hörte sich noch eine Minute lang das Quengeln an, ohne daß er eine Bewegung machte. Dann schlug er seine Augen wieder auf. »Es wird rechtzeitig erledigt. Ich versichere es Ihnen. Auf Wiedersehen.« Er legte auf und wusch sich die Hände. Die Seife schäumte. Jetzt
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mußte er es noch dem alten Mann beibringen.
< 10 > Er war nun achtundsiebzig Jahre alt, und diese Jahre waren hart gewesen. Sein Haar und seine Brauen waren weiß. Seine Haut war runzlig, sommersprossig und fleckig. Unter Kinn und Augen hing sie wie Säckchen herab. Sein Körper war ausgemergelt und hager. Er stand da wie ein Baum, den heftige Stürme zwar gebeugt, aber nicht bezwungen hatten. Noch immer war die Energie zu spüren, die ihm schon vor sechzig Jahren zu eigen gewesen war, als er sich zum erstenmal in den Goldfeldern getummelt hatte. An diesem Montagmorgen stand er vor dem breiten Fenster seines Bürohochhauses und schaute auf Johannesburg hinab. Von dieser Höhe aus gesehen schien die Stadt sich zu Hurry Hirschfelds Füßen niederzuducken - wie es sich auch gehörte. Vor langer Zeit, schon vor der großen Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre, hatte er seinen Reichtum nicht mehr nach dem Geld bemessen. Er besaß etwas mehr als ein Viertel des Aktienkapitals der Central Rand Consolidated. Beim gegenwärtigen Kursstand von hundertzwanzig Rand pro Aktie war dies eine umwerfende Summe. Hinzu kam, daß er - dank einer komplizierten Verflechtung von Trusts, Handlungsvollmachten und Schachtelaufsichtsräten - über die Kontrolle von weiteren gewichtigen zwanzig Prozent der Stimmrechte verfügte. Die Gegensprechanlage läutete sanft in diesem Raum, dessen Einrichtungsgegenstände ebenfalls einen sanften Eindruck machten und dessen Farben gedämpft waren. Hirschfeld fuhr leicht zusammen. »Ja«, antwortete er dann, ohne sich vom Fenster abzuwenden. »Dr. Steyner ist hier, Mr. Hirschfeld«, flüsterte seine Sekretärin. Es hörte sich geisterhaft und körperlos an in dem großen Raum. »Schicken Sie ihn her«, bellte Hirschfeld zurück. Diese gottverdammte Sprechanlage machte ihn stets kribbelig. Dieses ganze
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gottverdammte Büro machte ihn kribbelig. Es ähnelte - wie er oft und laut erklärt hatte - einem prunkvollen Bordell. Fünfundfünfzig Jahre lang hatte er in einem kahlen Büro ohne Teppich gearbeitet, wo an den Wänden nur ein paar vergilbte Fotografien von Männern und Maschinen hingen. Dann hatten sie ihn hierher geschleppt. Er sah sich mit einem Abscheu um, der auch nach fünf Jahren noch nicht geringer geworden war. Für wen hielten sie ihn eigentlich? Für einen Damenfriseur? Die verkleidete Tür wurde lautlos geöffnet, und Dr. Manfred Steyner trat ein, adrett von Kopf bis Fuß wie immer. »Guten Morgen, Großvater«, grüßte er. Seit zehn Jahren, seit Terry auf den närrischen Gedanken gekommen war, ihn zu heiraten, sprach Steyner ihn so an, und Hirschfeld haßte das Wort nachgerade. Jetzt fiel ihm wieder ein, daß Steyner ja auch für den Entwurf und die Einrichtung dieses Hauses verantwortlich war. »Was du auch von mir willst - nein!« knurrte er und trat an die Klimaanlage. Der Thermostat war bereits auf »warm« eingestellt. Hirschfeld drehte ihn nun auf »heiß«. In wenigen Minuten würde es im Zimmer so tropisch schwül sein, daß man darin Orchideen züchten konnte. »Wie geht es dir heute morgen, Großvater?« Manfred Steyner schien nichts gehört zu haben. Seine Miene war höflich und gleichmütig, als er zum Schreibtisch ging und seine Papiere ausbreitete. »Grauenhaft!« Es war unmöglich, diesen kleinen Musterknaben da aus der Fassung zu bringen. Ebenso gut hätte Hirschfeld eine tadellos funktionierende Maschine mit Schimpfwörtern belegen können. »Es tut mir leid, das hören zu müssen.« Steyner nahm sein Taschentuch heraus und betupfte Kinn und Stirn. »Ich habe den Wochenbericht.« Hirschfeld kapitulierte. Schließlich handelte es sich hier um Geschäfte. Er setzte sich also und las schnell. Seine Fragen waren schneidend, und sie wurden auf der Stelle beantwortet, aber Steyners Taschentuch kam nicht mehr zur Ruhe. Zweimal nahm er seine Brille ab und reinigte die Gläser.
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»Kann ich die Klimaanlage ein wenig abdrehen, Großvater?« »Sobald du sie auch nur anrührst, kriegst du einen Tritt in den Hintern«, versetzte Hirschfeld. Nach abermals fünf Minuten stand Steyner jäh auf. »Entschuldige mich, Großvater.« Und er schoß quer durchs Büro und verschwand im Badezimmer. Hirschfeld hob den Kopf, um zu lauschen, und als er das Wasser plätschern hörte, grinste er fröhlich. Er war dahintergekommen, daß einzig und allein die Klimaanlage Manfred Steyner aus dem Gleichgewicht zu bringen vermochte; zehn Jahre lang hatte er mit allen möglichen Tricks experimentiert, um ihn zu schikanieren. »Verbrauch nicht die ganze Seife!« schrie er feixend. »Du erhöhst die Bürokosten.« Er fand es keineswegs lächerlich, daß er als einer der wohlhabendsten und einflußreichsten Männer Südafrikas so viel Zeit und Energie verschwendete, um seinen engsten Mitarbeiter zu piesacken. Um elf Uhr sammelte Steyner die Papiere ein und steckte sie sorgfältig in die mit seinem Monogramm versehene Aktentasche aus Schweinsleder. »Was nun die Ernennung eines neuen Generaldirektors für die Sonder Ditch angeht, der Mr. Lemmer ersetzen soll... Du wirst dich an meinen Schriftsatz erinnern, in dem ich vorgeschlagen habe, daß wir jüngere Leute in Schlüsselpositionen bringen sollten.« »Den Mist habe ich nie gelesen«, log Hirschfeld, der immer alles las und genau im Kopf behielt. Steyner wußte das natürlich. Er sagte: »Meine Abteilung drängt darauf, daß wir Rodney Barry Ironsides mit dem Posten betrauen. Ich selbst stimme dieser Ansicht zu. Ich hatte gehofft, du würdest meine Empfehlung unterstützen, damit wir sie bei der Konferenz am Freitag durchsetzen können.« Mit einer gewandten Geste schob er das gelbe Schriftstück vor Hurry Hirschfeld, schraubte die Kappe seines Füllfederhalters ab und bot ihn dar. Hirschfeld ergriff das Papier mit Daumen und Zeigefinger, als sei es das schmutzige Taschentuch eines Fremden, und warf es in den Papierkorb. »Es interessiert mich nicht im geringsten, was ihr in eurem Planungsbüro ausheckt!« sagte er.
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»Großvater«, mahnte Steyner mild, »du kannst die Gesellschaft nicht so leiten, als wärst du ein Räuberhauptmann. Du kannst deine äußerst begabten Berater nicht einfach ignorieren.« »Ich habe die Gesellschaft fünfzig Jahre lang so geleitet. Zeig mir den, der mich veranlassen könnte, es anders zu halten.« Hirschfeld lehnte sich höchst zufrieden in seinem Sessel zurück und fischte eine dicke Zigarre aus der Innentasche. »Großvater, diese Zigarre! Der Doktor hat gesagt...« »Und ich habe gesagt, Fred Plummer kriegt den Job als Generaldirektor der Sonder Ditch.« »Er geht nächstes Jahr in Pension«, protestierte Steyner. »Ja«, nickte Hirschfeld, »aber wieso ändert das die Lage?« »Er ist ein alter Tattergreis«, versuchte es Steyner noch einmal verzweifelt. Er hatte nicht damit gerechnet, daß eine Grille des alten Mannes seine Pläne durchkreuzen könne. »Plummer ist zwölf Jahre jünger als ich«, brummte Hirschfeld drohend. »Wie kann er demnach ein alter Tattergreis sein?«
< 11 > Das Wochenende war vorüber, und Rod fand seine Wohnung bedrückend. Er wollte hinaus ins Freie. Er rasierte sich. Dabei stieg ihm der Geruch aus den gefüllten Aschenbechern und den halb geleerten Gläsern in die Nase. Die Putzfrau würde sich nachher wie an jedem Montagmorgen über diese Bescherung freuen. Der Verkehrslärm in der Louis Botha Avenue wurde lauter. Er schaute auf die Uhr. Es war sechs in der Frühe, also die passende Zeit, Einkehr in sich selbst zu halten. Er beugte sich vor, um sein Spiegelbild zu betrachten. »Du bist zu alt für diese Art von Lebensführung«, sagte er sich ernsthaft. »Seit vier Jahren geht das nun schon so, vier Jahre seit der Scheidung, und das reicht. Es wäre nett, wieder einmal in zwei aufeinanderfolgenden Nächten mit derselben Frau ins Bett zu gehen.« Er spülte seinen Rasierapparat aus und drehte die Hähne der
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Brause auf. »Du könntest es vielleicht schaffen, wenn unser Freundchen Manfred das nötige Kleingeld besorgen wollte.« Rod wagte nicht daran zu glauben, daß Steyner sein Versprechen einlösen würde. Aber trotz seiner Skepsis ließ ihn die erwartungsvolle Spannung nicht los. Er seifte sich ein und duschte kalt. Dann langte er schnaubend nach dem Handtuch. Beim Abtrocknen trat er ans Bett und betrachtete das Mädchen auf den zerknüllten Laken. Sie war von der Sonne tief gebräunt, so daß sie jetzt einen durchsichtigen weißen Büstenhalter und einen durchsichtigen weißen Slip zu tragen schien. Ihr Haar lag goldblond auf ihrem Gesicht und auf dem Kissen. Das kohlschwarze Dreieck in ihrem Schoß bildete einen merkwürdigen Gegensatz. Die Lippen hatte sie im Schlaf zu einem Flunsch verzogen. Sie sah geradezu aufregend jung aus. Rod hatte Mühe, sich ihres Namens zu entsinnen. Jedenfalls war sie nicht die Person, mit der er das Wochenende begonnen hatte. »Lucille«, sprach er schließlich und setzte sich neben sie. »Wach auf. Es wird Zeit.« Sie öffnete die Augen. »Guten Morgen«, sagte er und küßte sie zärtlich. »Mmm.« Sie blinzelte. »Wie spät ist es denn? Ich möchte nicht hinausgeworfen werden.« »Sechs Uhr.« »Ah, dann ist ja noch lange Zeit.« Und sie kuschelte sich wieder in die Decken. »Zum Teufel.« Er gab ihr einen leichten Klaps auf den Popo. »Steh auf, Mädchen. Kannst du kochen?« »Nein.« Sie hob den Kopf. »Wie heißt du doch gleich?« »Rod. Wie alt bist du?« »Neunzehn. Und du?« »Achtunddreißig.« »O Papi, dann bist du ja schon ein reifer Jahrgang«, entgegnete sie. »Ja, manchmal komme ich mir auch so vor.« Er stand auf. »Wir wollen gehen.« »Geh nur allein. Ich schließe dann ab.«
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»Nichts da.« Das letzte Frauenzimmer, das er allein in der Wohnung zurückgelassen hatte, war mit Lebensmitteln, Schnaps, Gläsern, Handtüchern und Aschenbechern davongegangen. »Ich gebe dir fünf Minuten Zeit zum Anziehen.« Zum Glück wohnte sie in seiner Fahrtrichtung. Sie dirigierte ihn zu einem baufälligen Häuserblock bei den Schutthalden von Booysens. »Ich muß drei blinde Schwestern großziehen. Willst du mir nicht ein bißchen dabei helfen?« fragte sie, als er den Maserati parkte. »Aber sicher.« Er erleichterte seine Brieftasche um eine FünfRand-Note, die er ihr in die Hand drückte. »Oh, das ist allerhand.« Und sie rutschte von dem roten Ledersitz, schloß die Tür und ging fort. Sie warf keinen Blick zurück, und Rod fühlte die Einsamkeit wie eine Welle über sich spülen. Diese unerklärliche Regung war so stark, daß er eine volle Minute still sitzen blieb, ehe er sie abschütteln konnte. Dann brachte er den Wagen wieder in Gang und brauste davon. Als er die Anhöhe des Kraalkops erreichte, waren die Schatten noch lang, und auf dem Gras lag Tau. Er fuhr zu einer abgelegenen Stelle, stieg aus, lehnte sich gegen die Motorhaube, brannte eine Zigarette an und blickte hinab ins Tal. Nichts deutete auf die ungeheuren Schätze hin, die in der Erde verborgen waren. Diese Ebene glich den zahllosen anderen grasbewachsenen Flächen Transvaals. In der Mitte erhob sich die Stadt Kitchenerville, die seit einem halben Jahrhundert auf die Tatsache stolz war, daß Kitchener hier einst bei der Verfolgung der listigen Buren eine Nacht lang kampiert hatte. Damals war das Nest eine Ansammlung von drei Dutzend Gebäuden gewesen, zu denen sich auf geheimnisvolle Weise dreitausend gesellt hatten. Außerdem gab es ein prächtiges Rathaus und ein Einkaufszentrum, öffentliche Rasenflächen und Parks, breite Straßen und schöne neue Häuser: All dies war durch die Minengesellschaften ermöglicht worden, deren Grundstücke bis an die Stadtränder reichten. Auf den öden Grasfeldern ringsum ragten Fördergerüste wie gewaltige Monumente empor, die vom Goldhunger der Menschheit kündeten. Gleich daneben standen die Verhüttungsanlagen
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und Werkstätten. Vierzehn Fördergerüste hatte man in der Ebene errichtet. Der Bezirk war in fünf Parzellen aufgeteilt, die noch die Namen der einstigen Farmen führten, und sie wurden von fünf Unternehmen ausgebeutet: von Thornfontein Gold Mining, Blaauberg Gold Mining, West Tweefontein Mining, Deep Gold Levels und der Sonder Ditch Gold Mining Company. Dieser letzteren schenkte Rod natürlich die größte Aufmerksamkeit. »Na, du Schöne«, flüsterte er, denn in seinen Augen waren die hohen Abraumhalden aus blauem Felsgestein neben den Schächten wirklich schön. »Beschaff mir den Job, Manfred«, sprach er dann laut. »Ich will ihn haben. Ich brauche ihn nötig.« Auf den dreiundsiebzig Quadratkilometern der Sonder Ditch lebten vierzehntausend Menschen, darunter zwölftausend Bantus, die in ganz Südafrika angeworben worden waren. Sie hausten in vielstöckigen Wohnheimen nahe bei den Fördertürmen, und tagtäglich stiegen sie durch zwei kleine Löcher tief ins Erdinnere hinunter und kamen durch dieselben Löcher wieder ans Tageslicht. Doch außer ihnen wurden Tag für Tag auch zehntausend Tonnen Felsgestein durch diese Löcher ins Freie geschafft. Hinuntergeschafft wurden Holz, Werkzeuge, Röhren und Sprengstoff- und dies alles tonnenweise. Ein solches Unternehmen mußte den Stolz der Männer wecken, die hier arbeiteten. Es war sieben Uhr fünfunddreißig. Sie waren jetzt schon unten, alle zwölftausend Mann. Um drei Uhr dreißig war die Schicht eingefahren, jetzt baute sie Gestein ab und förderte es zutage. Rod grinste freudig. Das Gefühl der Einsamkeit und der Niedergeschlagenheit war von ihm gewichen. An dieser Arbeit hatte er seinen Anteil. Er beobachtete die schweren Räder der Fördergerüste, die sich drehten, kurz innehielten und sich dann von neuem drehten. Jeder dieser Schächte hatte fünfzig Millionen Rand gekostet, die Anlagen über der Erde hatten noch einmal so viel Geld verschlungen. Die Sonder Ditch stellte einen Wert von hundertfünfzig Millionen Rand dar, also zweihundertundzwanzig Millionen Dollars. Das war ein schöner Brocken. Und er würde diesen Brocken in die Hand bekommen. Rod warf seinen Zigarettenstummel weg. Während er die Anhö-
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he hinabfuhr, blickte er nach Osten ins Tal. Dort endete alle Abbautätigkeit jäh an einer imaginären Nordsüdlinie, die scheinbar willkürlich durch das offene Grasland verlief. Der Grund dafür lag in der Tiefe. Auf dieser Linie gab es ein geologisches Phänomen: Es war ein Damm, eine Wand aus hartem Serpentingestein, »Big Dipper« genannt. Er durchschnitt den Untergrund wie ein Axthieb, und jenseits von ihm war der Boden unsicher und gefährlich. Auch dort gab es Goldadern, aber keine der fünf Minengesellschaften war der Sache nachgegangen. Sie hatten ihre Versuchsbohrungen bald wieder aufgegeben, denn die Bohrlöcher schreckten durch ihre Unbeständigkeit ab. Ein beträchtlicher Teil des ungenutzten Areals der Sonder Ditch lag jenseits des »Big Dipper«. Neuerdings arbeiteten dort Leute mit Diamantbohrern. Sie hatten bereits vier Bohrungen ausgewertet und waren nun an der fünften. Das Gebiet schien aus einem Durcheinander von Verwerfungen und wasserführenden Schichten zu bestehen. Zwei der Bohrungen waren auf Wasser gestoßen, das unter hohem Druck stand. Das goldhaltige Gestein schien zersplittert und zerstreut zu liegen, an einigen Stellen fand sich ein sehr hoher Gehalt, dicht daneben jedoch überhaupt nichts mehr. Sollen sie doch eines Tages dort schürfen, dachte Rod, aber ich hoffe inständig, daß ich dann schon in Pension bin. In der Ferne konnte er hinter den Dämmen das spinnenförmige Dreieck des Bohrgerüsts erkennen. »Macht nur weiter, Jungs«, murmelte er. »Was ihr dort auch findet, mir kann's schnuppe sein.« Er fuhr durch das große Eingangstor der Mine, stoppte vorsichtig am Haltesignal, wo die Eisenbahngleise die Straße kreuzten, und grüßte mit zwei Fingern den Verkehrsschutzmann hinter dem Tor. Der Mann grinste und winkte. Letzte Woche hatte er Rod erwischt und lag immer noch auf der Lauer. Rod fuhr zu seinem Büro.
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< 12 > An diesem Montagmorgen bereitete Allen »Glotzauge« Worth seine erste »Abweichung« am Bohrloch Nr. 5 vor. Allen war Texaner, aber kein typischer. Er war nicht sehr groß, aber so hart wie der Stahlbohrer, mit dem er hantierte. Vor dreißig Jahren hatte er sein Handwerk auf den Ölfeldern von Odessa erlernt, und er hatte es gut gelernt. Er war imstande, ein zehn Zentimeter großes Loch fast viertausend Meter tief in die Erde zu bohren, und zwar völlig senkrecht, was man kaum für möglich halten konnte, wenn man die Biegsamkeit des Bohrstabs und den Drehmoment in Betracht zog. Wenn, was gelegentlich geschah, der Stahl beim Bohren in der Tiefe abbrach, befestigte Allen eine Art Angel an seinem Bohrstab und suchte geduldig nach dem Stumpf, bis er ihn gefunden und gefaßt hatte. Dann zog er ihn aus dem Bohrloch heraus. Wenn er schließlich unten auf goldhaltiges Gestein stieß, konnte er seinen Bohrkopf hin und her schwingen lassen und Proben aus einem ziemlich weiten Bereich entnehmen. Das nannte man »Abweichung«. Allen war ein Meister seines Fachs. Er konnte die Höhe seines Lohns selber bestimmen und sich wie eine Primadonna aufführen, und seine Chefs umschmeichelten ihn auch dann noch. Denn mit seinem Diamantbohrer brachte er Dinge fertig, die an Zauberei grenzten. Jetzt war er gerade dabei, den Winkel seiner ersten Abweichung zu bestimmen. Am Tag zuvor hatte er eine lange Messingflasche in das Bohrloch gesenkt und sie über Nacht unten gelassen. Die Flasche war zur Hälfte mit konzentrierter Schwefelsäure gefüllt, die das Messing geätzt hatte. Durch das Vermessen der Ätzstelle wußte er, in welchem Winkel sein Bohrer vom Hauptloch abzweigte. In dem kleinen Schuppen aus Stein und Holz neben dem Bohrgerüst schloß er seine Berechnungen ab und trat zufrieden grunzend vom Arbeitstisch zurück. Dann holte er aus seiner Gesäßtasche eine Maiskolbenpfeife und einen Tabaksbeutel. Als er die Pfeife gestopft hatte und den Tabak in Brand setzte, sah man,
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weshalb sein Spitzname »Glotzauge« lautete. Allen wäre mit seinem streitsüchtigen Kinn, seinen vorquellenden Augen und seiner zerknüllten Seemannsmütze ein gefundenes Fressen für Karikaturisten gewesen. Er paffte genüßlich und sah durch das einzige Fenster des Schuppens seinen Männern zu, die sich an die ermüdende Arbeit machten, die Bohrerspitze unter die Erde zu bringen. Dann nahm er seine Pfeife aus dem Mund und spuckte gezielt durchs Fenster, schob die Pfeife wieder zwischen die Zähne und beugte sich abermals über seine Berechnungen. Jetzt erschien der Vorarbeiter unter der Tür. »Wir sind fertig, Boss.« Glotzauge prüfte seine Uhr. »Zwei Stunden und vierzig Minuten zum Runterkommen. Du glaubst nicht, daß es einen Bruch geben wird?« Er verließ den Schuppen und schaute sich mit schnellen glänzenden Blicken um. Das Gerüst war ein fünfzehn Meter hoher Turm aus Stahlträgern, in dem das Bohrgerät hing. Die beiden Dieselmotoren mit ihren zweihundert Pferdestärken hämmerten erwartungsvoll. Aus dem Auspuff stieg blauer Rauch in das frühe Sonnenlicht. Neben dem Turm waren Bohrstangen gestapelt. Auch der Behälter mit fünfzigtausend Liter Wasser stand dort. Wasser mußte ständig in das Bohrloch gepumpt werden, um das Gerät kühl und feucht zu halten, wenn es in das Gestein drang. »An eure Plätze!« rief Glotzauge. Die Männer trugen blaue Overalls, farbige Fiberhelme und Lederhandschuhe. Alle standen bereit. Dies war ein spannender Augenblick für sie. Die Maschinenkraft mußte mit dem Feingefühl eines Liebhabers in die zwei Kilometer lange Bohrstange geführt werden, sonst krümmte sie sich und zerbrach. Glotzauge kletterte flink in den Turm hinauf. Der Vorarbeiter stand an den Schalthebeln und beobachtete ihn aufmerksam. »Los!« schrie Glotzauge und machte mit seiner rechten Hand eine kreisförmige Gebärde. Die Motoren brüllten auf, und Glotzauge langte mit seiner Linken nach der Bohrstange. Es war seine Methode, mit der bloßen Hand die Einwirkung der Antriebskraft auf die Stange zu prüfen. Mit Ohren und Augen und
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durch die Berührung schätzte er den Druck ab. Mit der rechten Hand gestikulierte er, und der Vorarbeiter kuppelte sanft ein. Die Stange bewegte sich unter Glotzauges Hand. Wieder machte er eine Geste, und die Stange drehte sich langsam. Dann spürte er, wie die Spannung bis zum Gefahrenpunkt anstieg, und sofort drosselte er den Antrieb. Dann ließ er ihn langsam wieder kommen. Wie ein Orchesterdirigent leitete er mit den Zeichen seiner rechten Hand das auf ihn eingespielte Team. Allmählich ließ die Spannung der Männer nach, als die Drehungen des Bohrers stetig wurden. Mit geballter Faust gab Glotzauge das Zeichen, daß alles in Ordnung sei. Er sprang vom Turm herab. Die Leute machten sich an ihre anderen Arbeiten, während Glotzauge und der Vorarbeiter wieder in den Schuppen schlenderten. Der Bohrer fraß sich indessen mit vierhundert Umdrehungen in der Minute ins Gestein. »Ich hab' was für Sie«, meinte der Vorarbeiter. »Was denn?« »Den neuesten >Playboy<.« »Du willst mich wohl anpflaumen, wie?« entgegnete Glotzauge vergnügt. Der Vorarbeiter kramte das zusammengerollte Magazin aus seiner Frühstücksdose. Glotzauge schnappte danach und betrachtete sich sogleich das farbige Faltfoto. »Na, die kann sich sehen lassen!« Er pfiff. »Das Püppchen könnte einen Job in einem Viehhof kriegen und die Stiere mit ihren Titten totschlagen.« Auch der Vorarbeiter ließ sich nun über die Anatomie der jungen Dame aus. Und so nahmen die beiden nicht wahr, daß das Geräusch des Bohrers anders geworden war. Erst nach zwei Minuten merkte es Glotzauge. Er warf das Magazin hin und rannte mit dem Vorarbeiter aus dem Schuppen. Von hier bis zum Bohrgerüst waren es fast fünfzig Meter, doch selbst aus dieser Entfernung konnte Glotzauge die Schwingung des Bohrers erkennen. Das Geräusch der Motoren verriet ihm, daß sie gegen Widerstand arbeiteten. Wie ein Hund stürzte er los, um die Schalthebel zu erreichen und die Motoren abzustel-
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len, bevor es passierte. Er wußte, was los war. Sein Bohrer war in einen der vielen Risse eingedrungen, die dieses unsichere Gestein im Zickzackkurs durchschnitten. Das Kühlwasser im Bohrloch war ausgelaufen, so daß die Bohrerspitze nun auf den trockenen Fels traf. Der Staub wurde nicht mehr weggespült, und folglich fraß sich die Bohrstange fest. Am einen Ende war sie jetzt eingeklemmt, während am andern Ende die beiden Motoren versuchten, sie wieder in Gang zu bringen. Jede Sekunde mußte der Bohrer abbrechen. Für einen derartigen Notfall hatte ein Maschinist an den Hebeln zu stehen, aber dieser Mensch war hundert Meter weit entfernt: Er hockte gerade auf der Latrine. Jetzt zerrte er verzweifelt seine Hose hoch, schloß seinen Gürtel und kam angerannt. »Du verpißter Hurensohn!« brüllte Glotzauge. »Was, zum Teufel, machst du für einen Mist!« Die nächsten Worte blieben ihm in der Kehle stecken, denn er hörte einen Knall, der einem Kanonenschuß glich: Die Stange war zerbrochen, und sofort kreischten die Dieselmotoren im Leerlauf. Es war schon zu spät, als Glotzauge auf die Abschaltknöpfe drückte und die Motoren verstummten. In der plötzlichen Stille stöhnte Glotzauge vor Anstrengung, Enttäuschung und Wut. »Abgebrochen!« jammerte er. »Und auch noch so tief! Ach nein! Mein Gott, nein!« Es konnte zwei Wochen dauern, bis sie die zerbrochene Stange herausgeholt und Zement in den Riß gegossen hatten, um dann von neuem zu beginnen. Glotzauge nahm die Kappe vom Kopf und schleuderte sie mit ganzer Kraft auf den Boden. Dann stampfte er mit beiden Füßen auf ihr herum. Das tat er in solchen Fällen immer. Mindestens einmal in der Woche stampfte Glotzauge auf seiner Kappe herum, und der Vorarbeiter wußte, daß er nach Beendigung dieser Prozedur sich den Nächstbesten greifen würde, um an ihm seinen Zorn auszulassen. Ruhig schlich der Vorarbeiter hinter das Lenkrad des Lastwagens, und die übrigen Männer kletterten hinauf. Dann ratterten sie davon. Es gab ein Rasthaus an der Straße, wohin sie sich bei
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derartigen Anlässen zum Kaffeetrinken zurückzogen. Als seine Wut sich so weit gelegt hatte, daß er wieder etwas sehen konnte, suchte Glotzauge nach einem Sündenbock. Er fand jedoch keinen. »Dumme Affenbande!« schrie er dem Wagen nach, und dann ging er in den Schuppen, um den Direktor anzurufen. Dieser Herr saß in seinem Büro mit Klimaanlage hoch droben in der Rissik Street in Johannesburg. Er war verdutzt, als er von Glotzauge erfuhr, daß er, der Direktor, persönlich verantwortlich sei für das kostspielige Mißgeschick am Bohrloch Nr. 5. »Wenn Sie die Eiercreme, die Sie für Gehirn halten, benutzen wollten, würden Sie die Finger vom Bohren in dieser vertrackten Gegend hier lassen«, brüllte Glotzauge in den Apparat. »Lieber würde ich meinen alten Herrn in den Fleischwolf stecken, als hier zu bohren. Die Sache stinkt, sage ich Ihnen. Da unten sieht's wirklich schlimm aus. Gott steh' dem armen Hurensohn bei, der hier schürfen will.« Er warf den Hörer auf die Gabel und stopfte sich mit zitternden Fingern seine Pfeife. Zehn Minuten später ging sein Atem wieder normal, und er hatte auch seine Hände wieder in der Gewalt. Abermals nahm er den Hörer ab und wählte die Nummer des Rasthauses. Der Besitzer meldete sich. »Jose, sag meinen Jungs, sie können wiederkommen.«
< 13 > An diesem Montagmorgen war es für Rod Ironsides aufregender als sonst, sich mit den Fragen zu beschäftigen, die ihn in den Schriftstücken auf dem Schreibtisch seines Büros erwarteten. Während er arbeitete, sagte er sich, daß Manfred Steyner vielleicht doch sein Wort hielt. Vielleicht lag die Leitung der Sonder Ditch tatsächlich bald in seinen Händen. Er erledigte die letzte Angelegenheit und lehnte sich dann in seinem Drehstuhl zurück. Sein Kopf war klar, der Katzenjammer verflogen. Er fühlte sich - wie immer nach dem Wochenende - gewissermaßen ent-
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schlackt. Wenn ich die Mine kriege, werde ich sie zu einem erstklassigen Unternehmen machen, dachte er gierig. Sie werden an allen Börsen, auch in der Wall Street, von der Sonder Ditch reden und von dem Mann, der sie leitet. Ich weiß, wie ich die Sache anzupacken habe. Ich werde die Unkosten aufs äußerste drücken. Ich werde das Unternehmen auf solide Füße stellen. Frank Lemmer ist ein tüchtiger Mann gewesen. Er hat es verstanden, das Zeug aus der Erde zu holen, aber er hat es zu langsam herausholen lassen. Jede Tonne, die abgebaut worden ist, hat fast neun Rand gekostet... Nun, ich werde den Kram 'rausholen, wie er's getan hat, aber ich werde ihn billiger 'rausholen. Jedes Unternehmen richtet sich nach dem Temperament des Mannes an der Spitze. Lemmer hat zwar gelegentlich über eine Senkung der Betriebskosten gesprochen, aber es war ihm nicht ernst damit, und das hat jeder gewußt. Wir sind ein kostspieliger Betrieb geworden, weil wir auf wertvollem Gestein sitzen, und das hat uns zu Verschwendern werden lassen. Nun, ich werde mich um die Unkosten kümmern, und ich werde jedem die Haut vom Hintern ziehen, der glaubt, ich mache Witze... Im letzten Jahr hat Hamilton von den Western Holdings seine Kosten auf ein wenig mehr als sechs Rand je verarbeitete Tonne gesenkt. Das könnte ich auch hier machen. Ich könnte unseren Profit auf zwölf Millionen Rand im Jahr steigern, wenn sie mir den Job nur geben wollten. Ich würde den Namen der Sonder-Ditch-Mine auf allen Finanzmärkten der Welt bekannt machen. Das Problem, über das Rod nachgrübelte, war der Alptraum der Goldminenindustrie. Seit den dreißiger Jahren lag der Goldpreis fest bei fünfunddreißig Dollar für die Unze Feingold. Seit damals jedoch waren die Abbaukosten ständig gestiegen. Damals hielt man das Gewicht von vier Goldpennies in einer Tonne Erz für rentabel. Jetzt aber lag die Rentabilitätsgrenze etwa bei acht Pennies. Inzwischen ruhten im Schoß der Erde Millionen Tonnen Erz, deren Wert unter die Abbaukosten gefallen war. Sie ruhten dort unberührt, um das Steigen der Goldpreise abzuwarten. Es gab viele Minen mit riesigen Reserven an goldhaltigem Erz,
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Millionen ungemünzter Barren, deren Wert unter der magischen Zahl acht lag. Diese Goldgruben waren verlassen. Der Rost rötete die Fördertürme. Die Wellblechdächer der Gebäude sanken allmählich ein. Die erhöhten Kosten hatten die Arbeit dort zum Stillstand gebracht. Die Sonder Ditch baute Erz ab, das je Tonne zwanzig bis fünfundzwanzig Pennies wert war. Diese Grube ist wertvoll, überlegte Rod, aber sie könnte noch wertvoller sein. Es klopfte an die Tür. »Herein!« rief Rod. Es war schon neun. Die Zeit zur üblichen Montagskonferenz mit den Obersteigern. Sie kamen alle zwölf herein. Das waren Rods Männer der vordersten Front, sozusagen kampferfahrene Offiziere. Tag für Tag leitete jeder von ihnen in seiner eigenen Sektion den Angriff auf das Gestein. Während sie noch müßig miteinander plauderten, musterte Rod sie verstohlen und mußte dabei an einen Ausspruch seines Freundes Hermann Koch von der Anglo-American denken: »Bergbau ist ein hartes Spiel. Es zieht nur harte Männer an.« Diese Männer waren hart, körperlich und geistig zäh, und Rod erkannte plötzlich, daß er ja einer von ihnen war. Nein, mehr noch: Er war ihr Chef. Stolz und freundschaftlich eröffnete er die Konferenz. »Jetzt laßt mal eure Wehwehchen hören. Wer möchte mir als erster das Herz brechen?« Rod gehörte zu jenen Männern, die es verstehen, das Beste aus ihren Mitarbeitern herauszuholen. Das lag nicht nur an seiner Körpergröße, an seiner bezwingenden Stimme und an seinem herzlichen Lachen. Er besaß auch Anziehungskraft und verfügte über den untrüglichen Sinn, das Rechte zur rechten Zeit zu tun. Sie alle wußten, daß er so robust war wie sie selber, und sie respektierten ihn. Sie wußten außerdem, daß seine Anweisungen stets einen Sinn hatten, und darum hörten sie auf ihn. Sie konnten sich darauf verlassen, daß er sein Wort hielt, wenn er jemandem etwas versprochen hatte. Und sie wußten auch, daß er sich an eine getroffene Entscheidung oder an ein gefälltes Urteil hielt. So war jedem immer klar, woran er sich zu halten hatte.
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»Das wär's also«, schloß Rod die Zusammenkunft. »Jetzt habt ihr zwei Stunden lang gequasselt, und die Gesellschaft zahlt euch auch noch Geld dafür. Wollt ihr euch nun freundlicherweise in Bewegung setzen und an die Arbeit gehen?«
< 14 > Während diese Männer den wöchentlichen Abbau planten, arbeiteten ihre Untergebenen vor Ort. Auf Sohle 87 bewegte sich Kowalski wie ein großer Bär in einem schwacherhellten Gang. Er hatte die Lampe an seinem Helm ausgeschaltet und tappte lautlos dahin, was bei einem so schweren Mann wie ihm erstaunlich war. Er hörte Stimmen und blieb stehen, um zu lauschen. Keine Schaufel fuhr ins Geröll. Der Zorn verzerrte die Neandertalerzüge Kowalskis. »Scheißkerle!« brummte er. »Die glauben wohl, ich bin im Stollen. Die glauben wohl, sie könnten auf ihren fetten schwarzen Hintern herumhocken, anstatt das verdammte Zeug wegzuschaufeln.« Er ging weiter - ein Bär auf Katzenpfoten. Dann trat er um eine Biegung und knipste rasch seine Lampe an. Es waren drei Männer hier, die er angewiesen hatte, die losgehackten Gesteinsbrocken in die Loren zu schaufeln. Zwei kauerten auf der Erde, schmauchten behaglich und ließen sich von dem dritten mit Bier bewirten, das der irgendwo ergattert hatte. Ihre Schaufeln und Hämmer lehnten an der Wand. Alle drei erstarrten, als der Strahl von Kowalskis Lampe sie traf. »So!« stieß Kowalski hervor. Dann packte er einen der zwölf Pfund schweren Hämmer, drehte ihn um und schlug den Handgriff gegen die Wand. Der Stahlkopf fiel ab, und Kowalski hatte nun ein hundertzwanzig Zentimeter langes Stück ausgesuchten Hickoryholzes in der Faust. »Du, Boss Boy!« brüllte er. Seine Linke schoß nach vorn und umklammerte den Hals des Bantus. Mit einem Ruck zerrte er ihn hoch und fing an, ihn den Gang hinabzuhetzen. Selbst in seinen Tobsuchtsanfällen achtete Kowalski darauf, daß er keine Zeugen hatte. Die beiden andern
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blieben sitzen. Sie waren zu entsetzt, um sich rühren zu können. Das Geheule und das Gewimmer ihres Kumpels verhallte in der Finsternis. Dann dröhnte der erste Schlag durch den Gang, dem sogleich ein Schmerzensschrei folgte. Dann wieder ein Schlag und noch einer. Die Hiebe prasselten auf den Neger herab, aber die Schreie wurden schwächer. Bald war nur noch ein Stöhnen zu hören, dann ein Winseln, und schließlich wurde es ganz still. Kowalski kam zurück. Er schwitzte stark. Der Hammerstiel in seiner Hand war schwarz und blutig. Er warf ihn den beiden vor die Füße. »An die Arbeit!« knurrte er und ging weg. Groß und bärengleich tauchte er in den Schatten unter.
< 15 > Tief unten auf Sohle 100 spritzte Joseph M'Kati mit dem Schlauch und fegte mit dem Besen die Splitter unter dem riesigen Förderband zusammen. Joseph tat das seit fünf Jahren, und er war ein ruhiger und glücklicher Mensch. Er gehörte zum Stamm der Shangaan und ging auf die Sechzig zu. Schon wurden seine Haare weiß. Vom vielen Lachen hatte er unter den Augen und in den Mundwinkeln Fältchen bekommen. Er hatte seinen Helm ins Genick geschoben. Sein Overall war blau und rot bestickt. Munter stolzierte er umher. Das Förderband war viele hundert Meter lang. Auf all den darüberliegenden Sohlen wurde das losgesprengte goldhaltige Gestein aus den Stollen herausgehackt und -gekratzt und in Loren die Förderstrecke entlangtransportiert. Von den Loren aus kam es dann in die Erzschächte, die das Gestein auf das Förderband hinunterspien. Stahltüren regulierten den Strom. Das Förderband schließlich brachte das Geröll zum Schacht und schüttete es in gewaltige Vorratsbehälter. Von dort aus wanderte es automatisch in die Förderkörbe, die alle vier Minuten fünfzehn Tonnen an die Erdoberfläche schafften. Gold hat die merkwürdige Eigenschaft, stets in die Tiefe zu
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sinken. Die Ursache ist sein hohes spezifisches Gewicht. Es vermag nahezu alle andern Materialien zu durchdringen. Diese Eigenschaft trug viel zu Josephs guter Laune bei. Er hatte sich sprühend und kehrend bis zum Ende des Förderbandes vorgearbeitet. Nun richtete er sich auf, legte den Bastbesen weg und rieb mit beiden Händen seinen angestrengten Rücken. Dann blickte er sich um und vergewisserte sich, daß niemand da war, der ihn beobachten konnte. Neben ihm befand sich der große Silo, in dem das Förderband seine Last ablud. Joseph ließ sich auf Hände und Knie nieder und kroch unter den Silo. Der fürchterliche Lärm, den die Gesteinsbrocken über seinem Kopf verursachten, störte ihn nicht. Endlich erreichte er seine Löcher. Es hatte Joseph einige Monate gekostet, die Vernietung des Silos an vier Stellen aufzumeißeln. Nachdem ihm dies gelungen war, hatte er eine höchst simple Methode zur eigenen Bereicherung entwikkelt. Freiliegendes Gold sank sofort im durcheinandergerüttelten Gestein nach unten - und vom Boden des Silos weiter durch die vier Löcher, unter die Joseph ein Stück Plastikstoff gelegt hatte. Vier kegelförmige Häufchen hatten sich dort angesammelt. Joseph verstaute das Gold, das wie Ruß aussah, vorsichtig in seinen Tabaksbeutel, legte den Stoff wieder unter die Löcher, verstaute den Beutel in seiner Gesäßtasche und kroch unter dem Silo hervor. Er pfiff ein Liedchen seines Stammes und griff abermals nach dem Besen, um das schier endlose Spritzen und Fegen fortzusetzen.
< 16 > Johnny Delange markierte seine Sprenglöcher. Er lag in dem niedrigen Stollen der Sektion 27 und schätzte mit dem Auge Winkel und Tiefe ab, wo er eine Ladung in der Seitenwand anbringen mußte. In der Sonder-Ditch-Mine fand nur einmal am Tag eine zentral
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gesteuerte Sprengung statt. Johnny wurde nach Raumleistung bezahlt, also nach den Kubikmetern an Gestein, die nach der Sprengung aus dem Stollen herausgeholt werden konnten. Er setzte alles daran, Stellen auszusuchen, an denen eine möglichst große Wirkung erreicht werden konnte. »Hier«, grunzte er und kennzeichnete den Ansatzpunkt mit roter Farbe. »Und so«, mit einem Pinselhieb setzte er den Strich hin, der den Winkel der Bohrung angab. Dann schlug er dem Bantu neben sich auf die Schulter: »Los, Mann!« Die Arbeit an den Bohrmaschinen erforderte Elastizität und Körperkraft. Der athletisch gebaute Neger wirkte wie eine Skulptur aus glänzendem schwarzen Ebenholz. Er grinste Johnny an, dann setzte er mit einem Gehilfen den Bohrer an, der aussah wie die Riesenausgabe eines schweren Maschinengewehrs. Das Geräusch hallte in dem flachen Tunnel wider und ließ fast die Trommelfelle platzen. Johnny kroch im Stollen weiter, um das nächste Sprengloch zu markieren. Johnny Delange war siebenundzwanzig Jahre alt und der beste Mann seines Fachs in der Mine. Seine achtundvierzig Männer waren ein vertrautes Team von Spezialisten. Die Leute rissen sich geradezu um einen Posten in Sektion 27, denn hier wurde das große Geld gemacht. Johnny konnte sich seine Männer in aller Ruhe aussuchen, denn wenn die Raumleistung ausgemessen wurde, war seine Sektion immer weit vornean. Bei dieser Arbeit verdienten Männer, die in der Firmenhierarchie weit unten standen, mehr als die Herren der Geschäftsleitung. Johnny Delange kassierte mehr als der Generaldirektor der Sonder Ditch. Im vergangenen Jahr hatte er eine Menge Steuern für ein Einkommen von zweiundzwanzigtausend Rand blechen müssen. Selbst ein Kowalski, der seine Leute derart brutal behandelte, daß ihm schließlich nur noch der Abschaum überlassen wurde, konnte acht- bis neuntausend Rand verdienen. Und nicht viel höher war der Verdienst von Rod Ironsides. Johnny Delange war ein ungewöhnlich gut aussehender junger Mann. Sein langes kohlschwarzes Haar trug er zurückgekämmt; im Nacken hatte er es mit einem Lederriemen festgebunden. Seine Züge ähnelten denen eines Indianers; sie waren hager und
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knochig. Er hatte die Ärmel seines Overalls abgeschnitten. Seine Armen waren muskulös, kräftig und geschmeidig. Bis zum Ellbogen waren sie tätowiert. An seiner rechten Hand glänzten acht Ringe, zwei an jedem Finger. Jedermann konnte sehen, daß sie nicht allein als Schmuck dienten. Es waren schwere Goldringe mit Totenköpfen und gekreuzten Knochen, Wolfsschädeln und anderen Absonderlichkeiten. Diese Metallmasse hatte die Wirkung eines Schlagrings. Rod Ironsides hatte einmal gefragt, ob die großen Steine, die einen Ring zierten, echte Rubine seien. Johnny hatte darauf ernst geantwortet: »Wenn sie's nicht sind, dann haben sie mich um drei Rand fünfzig beschissen, Mr. Ironsides.« Johnny Delange war ein wilder Bursche gewesen, und zwar bis vor acht Monaten. Damals hatte er Hettie kennengelernt und geheiratet. Zwischen dem ersten Treffen und der Heirat war lediglich eine Woche vergangen. Jetzt wurde er allmählich gesetzt. Immerhin waren schon zehn Tage verstrichen, seit er zum letztenmal in eine Schlägerei verwickelt war. Während er sich im Stollen ein wenig ausruhte, dachte er an Hettie. Sie war fast so groß wie er. Sie hatte einen erstaunlich drallen Körper und kastanienbraunes Haar. Johnny verehrte sie. Er war nicht gerade der geschickteste Sprüchemacher in Kitchenerville, wenn es darauf ankam, zärtliche Gefühle auszudrücken. Deshalb kaufte er für sie ein. Er kaufte ihr Kleider und Schmuck, er kaufte ihr eine Tiefkühltruhe und einen riesigen Eisschrank, er kaufte ihr einen Chrysler Monaco mit Leopardenfellpolsterung und einen Kenwood Chef. Tatsächlich wurde es nachgerade schwierig, in die Wohnung der Delanges zu kommen, ohne über Johnnys Geschenke für seine Frau zu stolpern. Obendrein wohnte auch noch Johnnys Bruder Davy bei ihnen. »Zum Teufel, Mann!« Glückselig schüttelte Johnny seinen Kopf. »Sie ist schon in Ordnung.« In einem Ausstattungsladen hatte er am vergangenen Samstag einen automatischen Backofen gesehen. »Der wird ihr gefallen«, murmelte er. »Und er kostet bloß vierhundert Rand. Am Zahltag werde ich ihn kaufen.«
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Nachdem er diesen Entschluß gefaßt hatte, stülpte er seinen Helm wieder auf den Schädel und kroch aus dem Stollen. Es wurde Zeit, zur Station zu gehen und den Sprengstoff zu holen. Sein Boss Boy hätte zusammen mit dem Negerjungen, der ihm behilflich war, warten sollen. Johnny wurde wütend, weil er beide nicht fand. »Scheißkerle!« murrte er und ließ den Strahl seiner Lampe durch den Gang tanzen. Der Boss Boy war ein pockennarbiger Swazi, ein kräftiger und intelligenter Mann, zugleich jedoch ein unfreundlicher Mensch. Johnny hatte ihn noch niemals lächeln sehen, und für einen so geselligen Mann wie Johnny war es ärgerlich, mit einem derart schweigsamen und verdrossenen Kerl zusammenarbeiten zu müssen. Er duldete den Swazi wegen seiner Tüchtigkeit und Verläßlichkeit, aber dieser Bursche war der einzige in seiner Mannschaft, den er nicht mochte. »Scheißkerle!« Der Gang lag einsam da. Das Donnern der Bohrer war verklungen. »Wo, zum Teufel, steckt er nur?« Johnny runzelte ungeduldig die Brauen. »Ich werde ihm die Haut abziehen, wenn ich ihn finde.« Dann fiel ihm die Latrine ein. »Dort wird er stecken.« Johnny machte sich auf den Weg. Die Latrine war eine Felsenkammer, die von einer Segeltuchplane verhüllt wurde. Johnny schob die Plane zur Seite und trat ein. Der Boss Boy und der Kleine waren da. Johnny starrte sie verdattert an, denn zunächst begriff er gar nicht, was die beiden machten. Sie waren so in ihr Tun vertieft, daß sie Johnny nicht wahrnahmen. Plötzlich dämmerte es ihm, und sein Gesicht verzog sich vor Abscheu. »Ihr dreckigen...«, knurrte er. Dann packte er den Boss Boy an den Schultern, zog ihn zurück und preßte ihn gegen die Wand. Er hob seine Hand mit den schweren Ringen, um sie dem Boss Boy ins Gesicht zu schmettern. »Schlagen Sie mich nur, und Sie werden schon sehen, was passiert«, sagte der Swazi gelassen. Seine Miene war ausdruckslos. Er blickte Johnny fest in die Augen. Johnny zögerte. Er kannte die Grundsätze der Gesellschaft. Er kannte die Einstellung des Arbeitsministeriums. Er wußte, was die Polizei tun würde. Wenn er den Neger schlug, würde man
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ihm die Hölle heiß machen. »Du bist ein Schwein«, zischte er. »Sie haben eine Frau«, entgegnete der Boss Boy. »Meine Frau ist in Swaziland. Seit zwei Jahren habe ich sie nicht mehr gesehen.« Johnny ließ seine Faust sinken. Zwölftausend Männer und keine Frauen. So waren nun einmal die Verhältnisse. Die Wirklichkeit ekelte ihn an, aber er verstand nun, wie es zu diesen Vorfällen kam. »Zieht euch an.« Er trat zurück und gab den Farbigen frei. »Zieht euch beide an und kommt zur Station. Dort warte ich.«
< 17 > Seit einer Woche war Big King nicht mehr unter Tage gewesen. Rod hatte diese Anordnung getroffen. Als Grund hatte er angegeben, da Big Kings weißer Kumpel ums Leben gekommen sei, müsse er nun die Zuweisung in eine andere Sektion abwarten. In Wirklichkeit aber wollte Rod dem Mann ein wenig Ruhe gönnen. Er hatte die körperliche und seelische Belastung Big Kings während der Rettungsaktion bemerkt. Als sie gemeinsam die Leiche des weißen Kumpels bargen, mit dem Big King zusammengearbeitet und oft seinen Spaß gehabt hatte, hatte Rod die Tränen gesehen, die über Big Kings Wangen gelaufen waren. Der hünenhafte Neger hatte den Toten an seine Brust gedrückt und gemurmelt: »Hambla gahle, madoda - geh in Frieden dahin, Mann.« Big King war eine legendäre Erscheinung in der Sonder-DitchMine. Die Männer prahlten mit seinen Künsten: Wieviel Bier konnte er auf einen Sitz trinken? Wieviel Gestein konnte er mit einer Hand wegschaffen? Wie toll konnte er tanzen, bis kein anderer mehr auf den Füßen stand! Seiner mutigen Haltung wegen hatte er schon mehr als tausend Rand Belohnung ausgezahlt bekommen. Big King gab das Tempo an. Die andern versuchten, es ihm gleichzutun. Rod hatte ihn einer Transportmannschaft zugeteilt. In den ersten Tagen hatte es Big King Spaß gemacht, seine Kraft und seine
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Geselligkeit unter Beweis zu stellen, denn mit dieser Mannschaft kam er fast überallhin, und Big King konnte seine vielen Freunde besuchen. Aber jetzt fühlte er sich gelangweilt. Er wollte wieder in den Stollen. »Das da«, erklärte er seinen Kumpeln verächtlich, »ist eine Arbeit für alte Männer und junge Frauen.« Und mit einem Ruck hob er ohne fremde Hilfe einen Treibstoffbehälter auf die Zugmaschine. Diese Behälter waren zentnerschwer. Nur drei bis vier Mann zusammen waren imstande, solch ein Ding in die Höhe zu wuchten.
< 18 > Davy Delange hielt beim Verdammen der Sprengladung inne und beugte sich vor, um das Gestein zu untersuchen. Durch den blauen Quarz zog sich eine schwarze Linie, die Kohleschicht, die Goldgehalt anzeigte. Diese dünne Schicht Kohle war überall nur wenige Zentimeter dick. Davy schüttelte nachdenklich den Kopf. Wie ein Streifen schwarzer Ruß. Man konnte nicht sehen, daß Gold darin steckte. Davy war zwei Jahre älter als sein Bruder Johnny, und er glich ihm keineswegs. Davys sandfarbenes Haar war kurz geschnitten. Er trug keinen Schmuck, und er gab sich ruhig und zurückhaltend. Johnny war groß und hager, Davy untersetzt und muskulös. Johnny neigte zu Extravaganzen, Davys Vorsicht mußte man schon beinahe als Niedertracht bezeichnen. Ihr einziger gemeinsamer Zug war, daß sie beide hervorragende Bergleute waren. Aber Davy ging kein Risiko ein, während Johnny alle Sicherheitsvorkehrungen häufig mißachtete. Und das war der Grund, weshalb Davy in der Raumleistung Johnny nicht erreichte. Sein Lohn war daher auch geringer als der von Johnny. Davy sparte jeden Penny, den er nicht unbedingt ausgeben mußte. Er sparte für seine Farm. Davy wollte nämlich eines Tages eine Farm kaufen. Bis jetzt hatte er schon mehr als neunundvierzigtausend Rand zurückgelegt. In fünf Jahren würde er genug Geld
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haben. Dann konnte er sich eine Farm suchen und eine Frau, die ihm zur Seite stehen würde. Johnny dagegen verpulverte jeden Penny, den er einnahm. Am Ende des Monats stand er meist bei Davy in der Kreide. »Leih uns doch einen Hunderter bis zum Zahltag, Davy.« Mißbilligend rückte Davy das Geld heraus. Er mißbilligte recht vieles an Johnny: sein Aussehen, seine Haltung, seine Gewohnheiten. Nachdem er seine mikroskopische Untersuchung der Kohleschicht beendet hatte, verdämmte Davy wieder Sprengladungen. Er arbeitete sorgsam, denn seine Tätigkeit war sehr gefährlich. Die Ladungen waren bereits mit zündfertigen Kapseln versehen. Es gab eine Vorschrift, daß niemand außer dem Verantwortlichen diese Arbeit ausführen durfte. Während Davy mit gewohnter Routine am Werke war, fiel ihm Johnnys neueste Unverschämtheit ein: Er hatte seine Miete erhöht. »Hundert Rand im Monat!« protestierte Davy laut. »Ich bin gerade in der richtigen Stimmung, mir eine eigene Bude zu suchen und die beiden allein zu lassen.« Aber er wußte, daß er dies nicht tun würde. Hettie kochte zu gut, und obendrein war sie viel zu verführerisch. Davy würde bei ihnen bleiben.
< 19 > »Rod.« Dan Standers Stimme am Telefon klang leise und ernst. »Ich habe eine häßliche Sache für dich.« »Ich mache mich gerade auf meinen Inspektionsgang unter Tage«, entgegnete Rod müde. »Hat es nicht Zeit?« »Nein«, beteuerte Dan. »Im übrigen liegt es ja sowieso auf deinem Weg. Ich bin in der Erste-Hilfe-Station oben in der Schachthalle. Komm vorbei.« »Was ist denn los?« »Ein Weißer hat einen Bantu zusammengeschlagen.« »Ach Gott!« Rod fuhr in seinem Stuhl hoch. »Schlimm?«
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»Fürchterlich. Der Kerl hat ihn mit einem zwölf Pfund schweren Hammerstiel bearbeitet. Ich mußte siebenundvierzig Nähte machen. Ich fürchte, der Mann hat einen Schädelbruch.« »Wer hat das getan?« »Ein gewisser Kowalski.« »Hm.« Rod atmete schwer. »Gut, Dan. Kann der Bantu schon aussagen?« »Nein. Erst morgen oder übermorgen.« »Ich werde in ein paar Minuten dort sein.« Rod hängte ein und ging durch sein Büro. »Dimitri.« »Ja, Chef?« »Hol Kowalski aus dem Stollen. Ich will ihn möglichst bald in meinem Büro haben. Stelle einen andern an seinen Platz.« »Okay, Rod. Was ist passiert?« »Er hat einen seiner Jungs kaputtgehauen.« Dimitri pfiff leise, und Rod fuhr fort: »Ruf selbst die Polizei an.« »Okay, Rod.« »Sorg dafür, daß Kowalski hier ist, wenn ich zurückkomme.« Dan erwartete ihn im Verbandsraum. »Sieh dir das mal an.« Er deutete auf den Bantu. Rod kniete mit zusammengepreßten Lippen neben der Bahre nieder. Die Katgutstiche schlössen die dunklen geschwollenen Wunden. Das eine Ohr war abgerissen, und Dan hatte es wieder angenäht. Wo die Zähne des Jungen gewesen waren, klaffte nun ein schwarzes Loch. »Du wirst wieder in die Reihe kommen«, versicherte Rod dem Bantu freundlich. Der Verletzte schielte ihn an. »Der Mann, der dich so zugerichtet hat, wird seine Strafe bekommen.« Rod stand auf. »Schick mir einen Bericht über seine Verletzungen, Dan.« »Gewiß«, antwortete Stander. »Treffen wir uns nach der Arbeit zu einem Drink im Club?« »Ja.« Rod kochte vor Wut, und diese Wut begleitete ihn während seines ganzen Inspektionsganges.
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< 20 > Er fuhr auf Sohle 100 hinab. Seine wichtigste Aufgabe war, das Gestein ans Tageslicht schaffen zu lassen, und er wollte jetzt einmal die Vorräte in den Erzsilos prüfen. Er betrat den langen hellerleuchteten Tunnel und blieb dann stehen. Das beladene Förderband wimmerte monoton. Im Tunnel befand sich keine Menschenseele außer dem Feger am andern Ende. Es war eigentümlich, daß man bei einer Inspizierung gutgeleiteter Goldminen so wenigen Leuten begegnete. Kilometerweit waren Förderstrecke und Gänge stumm und leblos, dennoch arbeiteten hier unten zwölftausend Mann. »Hallo, Joseph«, begrüßte er den Kehrer mit einem Lächeln. »Nkosi«, erwiderte Joseph und verbeugte sich scheu und vergnügt, wobei er seinen Kopf einzog. »Ist alles in Ordnung?« Joseph zählte zu Rods Günstlingen. Er war immer guter Dinge. Nie beschwerte er sich. Er war offenkundig ehrlich und ohne Tücke. Rod blieb stets bei ihm stehen, um ein paar Worte mit dem Alten zu wechseln. »Mir geht's gut, Nkosi. Geht's auch Ihnen gut?« Mit einemmal erstarrte Rods Lächeln. Er hatte den feinen weißen Staub auf Josephs Oberlippe gesehen. »Du alter Halunke!« schimpfte er los. »Wie oft muß ich dir noch sagen, daß du zuerst spritzen sollst, bevor du kehrst! Wasser! Du mußt Wasser nehmen! Der Staub wird deine Lunge zerfressen.« Silikose, die gefürchtete unheilbare Berufskrankheit der Bergleute: Quarzpartikelchen wanderten in die Lunge und nisteten sich dort ein. Joseph grinste verlegen und trat von einem Fuß auf den andern. Jedesmal verblüffte ihn Rods kindische Besessenheit wegen des Staubs. Nach Josephs Meinung war dies einer der wenigen Charaktermängel von Rod Ironsides. Abgesehen von dieser ulkigen Wahnvorstellung, daß Staub einen Mann krank machen könne, war er ein guter Boss. »Es ist doch viel schwerer, nassen Dreck zu kehren als trocke-
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nen«, erklärte Joseph geduldig. Rod schien diese selbstverständliche Tatsache einfach nicht begreifen zu können. Joseph mußte ihm das immer wieder von neuem auseinandersetzen. »Hör zu, Alter. Wenn du kein Wasser verwendest, wird der Staub in deinen Körper eindringen.« Rod verzweifelte allmählich. »Dieser Staub wird dich umbringen!« Joseph verbeugte sich abermals und grinste, um Rod zu besänftigen. »Sehr gut. Ich werde also viel Wasser nehmen.« Und um den Boss zu überzeugen, ergriff er den Schlauch und spritzte mit Begeisterung auf den Boden. »So ist es richtig«, ermunterte ihn Rod. »Nimm nur immer viel Wasser.« Und dann ging er zu den Silos. Sobald er außer Sicht war, stellte Joseph den Schlauch wieder ab und stützte sich auf seinen Besen. »Der Staub wird dich umbringen!« äffte er Rod nach, kicherte dann fröhlich und wackelte mit dem Kopf. Wie kindisch das doch war! »Der Staub wird dich umbringen!« wiederholte er. Schließlich brach er in ein entzücktes Gelächter aus und schlug sich auf die Schenkel. Er machte ein paar schlurfende Tanzschritte. Es war aber auch wirklich gar zu komisch! Die Tanzschritte waren schwerfällig, denn unter seiner Hose baumelten die schweren Säckchen mit dem Gold.
< 21 > Rod verließ die Mary Anne auf Sohle 85. Big King wuchtete gerade ein Bündel Balken auf den Triebwagen. Die andern Männer waren zurückgetreten und sahen ihm respektvoll zu. Als er sich von seiner Arbeit abwandte, sah Big King, daß Rod gekommen war, und er marschierte auf ihn zu. »Ich begrüße Sie.« Big King gehörte nicht zu jenen, die sich so leicht ein Urteil bilden. Erst bei der Rettungsaktion auf Sektion 43 hatte er erkannt, daß Rod ein Mann war. Nun war er bereit, ihn als ebenbürtig zu betrachten. »Ich begrüße dich gleichfalls, Big King«, erwiderte Rod.
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»Geben Sie mir Männerarbeit. Ich habe das hier satt.« »Noch vor Ende dieser Woche bist du wieder im Stollen«, versprach Rod. »Sie sind wie ein Vater zu mir«, dankte Big King und kehrte zu der Transportmannschaft zurück.
< 22 > Johnny Delange sah den Direktor auf sich zukommen. Die hohe breitschultrige Silhouette war ebenso wenig zu verwechseln wie der schwungvolle Gang. Erleichtert pfiff er durch die Zähne. Sein Vorgefühl hatte ihn rechtzeitig gewarnt: Statt sie wie meist - entgegen den Sicherheitsvorschriften - kurzerhand auf der Plattform zu stapeln, hatte Johnny diesmal die schweren Pappschachteln mit dem Sprengstoff in die Schließfächer des Triebwagens gestellt. »Halt!« befahl er seinem Boss Boy und dessen Gehilfen, die den Wagen schoben. Er kam neben Rod zum Stehen. »Guten Morgen, Johnny.« »Hallo, Mr. Ironsides.« »Wie steht's?« Johnny zögerte mit der Antwort, und sogleich wurde sich Rod der Spannung bewußt, die zwischen den drei Männern herrschte. Er blickte die beiden Swazi an. Sie schienen mürrisch und verschüchtert zu sein. »Na«, meinte Johnny endlich. »Mr. Ironsides, schaffen Sie mir doch diesen Kerl da vom Hals.« Er wies mit dem Daumen auf den Boss Boy. »Geben Sie mir einen andern.« »Was ist vorgefallen?« »Nichts. Ich kann bloß nicht mit ihm zusammenarbeiten.« Rod zog ungläubig eine Augenbraue hoch, drehte sich dann aber zu dem Boss Boy um. »Fühlst du dich hier wohl, oder willst du anderswohin versetzt werden?« »Ich möchte versetzt werden«, grollte der Boss Boy. »Gut. Morgen wird man dir deine neue Sektion mitteilen.«
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»Nkosi.« Der Boss Boy warf seinem Gehilfen einen Blick zu. »Mein Freund will auch versetzt werden.« So also ist das, überlegte Rod, dieses ständige Problem, das wir ignorieren müssen, weil wir es nicht lösen können. Johnny hat die beiden vermutlich überrascht. »Dein Freund wird mit dir gehen.« Insgeheim sagte er sich, daß dies ja keine stillschweigende Duldung war, sondern ein Gebot der Vernunft. Wenn er die beiden voneinander trennte, würde sich der Boss Boy eben an einen andern heranmachen, der vielleicht nicht so willfährig war. Dann würde es noch mehr Ärger geben, Messerstechereien, Zwietracht und Klüngelbildung. »Ich werde Ihnen Ersatz verschaffen«, sagte er zu Johnny. Dann kam ihm plötzlich eine Idee. Mein Gott, ja, was für ein Gespann würde das sein! »Johnny, kämen Sie wohl mit Big King zurecht?« »Big King?« Johnny grinste über sein ganzes knochiges Gesicht. »Das ist ein Wort, Boss!«
< 23 > Um fünfzehn Uhr hatte Rod seine Tour hinter sich und fuhr wieder hinauf. Der Förderkorb war gerammelt voll. Die Männer preßten sich Schulter an Schulter. Der Schweißgeruch war beinahe überwältigend. Für sie war nun Schichtwechsel, die Arbeit des Tages war getan. Die Stollen waren ausgekehrt und bewässert, die Sprenglöcher gebohrt und mit Ladungen bestückt, die Zünder an den Stromkreis geschlossen. Rod grübelte über die vielen Fragen nach, auf die er im Laufe dieses Tages gestoßen war, und sann auf deren Lösung. Auf den letzten Seiten seines Notizbuchs hatte er eine neue Spalte begonnen. Darüber stand das schlichte Wort »Unkosten«. Bisher hatte er schon zwölf Eintragungen gemacht. Wenn sie mir nur diesen Job geben! dachte er hitzig. Nur einen Monat, und ich werde hier alles auf den Kopf stellen.
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Davy Delange wandte sich an Rod. Dieser erkannte ihn. »Ja, Davy?« Sonderbar, wie verschieden die beiden Brüder waren. »Mr. Ironsides, mein Boss Boy hat seinen Vertrag erfüllt. Er geht Ende des Monats nach Hause. Können Sie dafür sorgen, daß ich einen brauchbaren Ersatz für ihn bekomme?« »Der Boss Boy Ihres Bruders hat um Versetzung gebeten. Wollen Sie ihn haben?« »Ja.« Davy nickte. »Ich kenne ihn. Der ist brauchbar.« Also war wenigstens diese Angelegenheit bereinigt, dachte Rod, als er in den hellen Sommernachmittag trat und erfreut die frische Luft einatmete. Jetzt mußte nur noch das dicke Ende dieses Tages erledigt werden. Dann konnte er den Drink zu sich nehmen, zu dem Dan ihn eingeladen hatte. Dimitri traf Rod im Flur. »Ich habe Kowalski in meinem Büro.« »Gut«, entgegnete Rod grimmig. Er ging in sein eigenes Büro und setzte sich auf eine Schreibtischecke. »Schick ihn mir 'rein.« Kowalski kam durch die Tür und blieb stehen. Er stand sehr ruhig da. Seine langen Arme hingen schlaff herab. Sein Bauch quoll ihm über den Gürtel. »Sie haben mich rufen lassen«, murmelte er undeutlich. Sein Englisch war kaum verständlich. Er hatte ein bäurisches Gesicht mit rauhen Zügen und trüben Augen. Rasiert war er nicht. Der Staub aus den Stollen klebte in seinem schwarzen dicken Stoppelbart. »Wie ich höre, haben Sie heute einen Mann zusammengeschlagen«, sagte Rod gelassen. »Er hat nichts geschafft. Ich hab' ihm Saures gegeben.« »Sie sind entlassen. Scheren Sie sich davon.« »Entlassen?« Kowalski blinzelte verdutzt. »Die Gesellschaft wird Strafanzeige gegen Sie erstatten. Bis dahin will ich Sie hier nicht mehr sehen.« »Polizei«, brummte Kowalski mit finsterem Gesicht. »Ja«, bestätigte Rod. »Die Polizei wird sich mit Ihnen befassen.« Langsam ballte Kowalski seine gewaltigen Fäuste. »Sie haben die verdammte Polente gerufen?« Er trat drohend einen Schritt näher.
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»Dimitri«, rief Rod scharf. »Mach die Tür zu.« Dimitri hatte gespannt zugehört. Jetzt sprang er auf, schloß die Verbindungstür und preßte sein Ohr gegen die Wand. Eine halbe Minute lang vernahm er Brummen und Stimmengewirr, dann hörte er einen Schlag, ein Brüllen, noch einen Schlag und schließlich ein Krachen. Dimitri zuckte zusammen. Jetzt rief Rod nach ihm. Dimitri stieß die Tür auf. Rod saß auf seinem Tisch, ließ ein Bein hin- und herbaumeln und saugte an den Knöcheln seiner rechten Hand. »Dimitri, sag den Leuten doch, sie sollen nicht immer so viel Wachs auf den Fußboden schmieren. Unser Freund hier ist ausgerutscht und hat sich das Kinn am Schreibtisch angeschlagen.« Dimitri gluckste mitfühlend. Kowalski lag auf dem Boden und schnarchte laut durch den Mund. »Der hat sich aber weh getan. Was für ein Jammer!«
< 24 > Dr. Steyner arbeitete beschaulich die Rückstände vom Montagvormittag auf. Er bevorzugte Tonbandgeräte, denn sie schlössen menschliche Kontakte aus, die er widerlich fand. Er hatte einen Ekel davor, seine Gedanken in Gegenwart einer Frau auszusprechen, die ihm gegenübersaß, ihren Rock über die Schenkel hochzog, sich im Stuhl zurechtrückte und ins Haar faßte. Was er jedoch ganz und gar nicht ausstehen konnte, das war ihr Geruch. Manfred Steyner war äußerst empfindlich, wenn es um Gerüche ging. Frauen waren - so glaubte er - mit einem besonders unangenehmen Körpergeruch behaftet, den er trotz Parfüm und Schminke sogleich wahrnahm. Das widerte ihn an. Aus diesem Grund hatte er auch auf getrennten Schlafzimmern bestanden. Selbstverständlich hatte er Theresa nicht die wahre Ursache genannt, sondern behauptet, sein Schlaf sei so leicht, daß er nicht mit einem andern Menschen im selben Zimmer schlafen könne. Sein Büro war weiß und blau, die Luft rein und kühl, seine Stimme scharf und unpersönlich, das Surren des Apparates leise
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und gedämpft. Sein Talent, mit Zahlen und Geld zu spielen, sich früherer Vorgänge genau zu entsinnen und zukünftige Entwicklungen abzuschätzen, Veränderungen und Eventualitäten zu berücksichtigen, wie es nur einem außergewöhnlichen Gehirn möglich war - dies alles machte ihn glücklich. Im geheimen allerdings empfand er eine gewisse Unruhe. Er wartete auf etwas. Er hing gewissermaßen in der Luft. Als äußeres Zeichen dieser Erregung fuhren die Finger seiner rechten Hand am Bein auf und ab, während er arbeitete. Es war eine streichelnde, eine narzißtische Bewegung. Einige Minuten vor Mittag klingelte das Telefon, dessen Nummer nirgendwo eingetragen war. Sogleich wurde seine Hand ruhig. Nur ein Mensch konnte ihn hier erreichen, nur ein Mensch kannte diese Nummer. Ein paar Sekunden saß er regungslos da, dann hob er entschlossen den Hörer ab. »Haben Sie Ihren Mann gefunden?« erkundigte sich eine Stimme. »Noch nicht, Andrew.« Schweigen - ein gefährliches, fast knisterndes Schweigen. »Aber es besteht kein Anlaß zur Aufregung. Es ist nichts. Nur eine Verzögerung, nicht etwa ein Rückschlag.« »Wie lange noch?« »Zwei Tage. Spätestens Ende der Woche.« »Sie werden nächste Woche in Paris sein?« »Ja.« Steyner war Berater der Regierungsdelegation, die mit den Franzosen über den Goldpreis verhandeln sollte. »Er wird Sie dort treffen. Es wäre am besten für Sie, wenn Sie bis dahin Ihren Anteil an dem Geschäft erledigt hätten. Sie verstehen mich doch?« »Ich verstehe, Andrew.« Die Unterhaltung war beendet, aber Steyner wollte den Anrufer am Auflegen hindern. »Andrew«, begann er. »Ja?« »Wollen Sie ihn fragen...« Steyners Tonfall hatte sich kaum merklich geändert. Eine leichte Unterwürfigkeit klang aus seiner Stimme. »Fragen Sie ihn doch, bitte, ob ich heute abend spielen
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kann, Andrew.« »Warten Sie.« Minuten verstrichen. Dann meldete sich der Mann wieder: »Ja, Sie können spielen. Simon wird Ihnen sagen, bis zu welchem Einsatz Sie gehen können.« »Ich danke Ihnen. Übermitteln Sie ihm meinen besten Dank.« Steyner gab sich keine Mühe, seine Erleichterung zu verbergen, als er den Hörer auf die Gabel legte. Mit strahlendem Blick starrte er die eisblaue Tapete seines Büros an. Selbst seine Brille schien zu strahlen.
< 25 > In dem reich möblierten Raum befanden sich fünf Männer. Einer von ihnen war den andern offenbar untergeordnet. Er war jünger und achtete zuvorkommend auf ihre Wünsche. Er mußte ein Diener sein. Der Gastgeber war leicht zu erkennen. Auf ihn konzentrierte sich die Aufmerksamkeit aller. Er war wohlbeleibt, aber wiederum nicht zu dick: Seine Fülle hatte er anscheinend dem Wohlleben und nicht der Völlerei zu verdanken. Soeben begann er zu sprechen: »Sie haben Zweifel an der Zuverlässigkeit des Werkzeugs geäußert, das ich für unser künftiges Unternehmen verwenden will. Nun, ich habe ein Arrangement getroffen, das Ihnen zeigen wird, daß Ihre Besorgnisse unnötig sind. Deshalb hat Andrew Ihnen meine Einladung überbracht.« Der Gastgeber wandte sich an den jüngeren Mann. »Andrew, wollen Sie auf Dr. Steyner warten? Sobald er eintrifft, soll Simon ihm einen Platz zuweisen, während Sie uns informieren.« Er gab seine Anordnungen mit Würde und Höflichkeit - ein Mann, der ans Befehlen gewöhnt war. »Und jetzt, meine Herren, darf ich Ihnen wohl einen Drink anbieten, bis es soweit ist.« Zwischen den Vieren entspann sich nun eine bemerkenswerte Unterhaltung. Die Herren verfügten sichtlich über hervorragende Informationen. Ihr Hauptthema war Reichtum. Sie redeten von
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den Erträgen in Bergbau und Industrie, zu Wasser und zu Lande: von Öl, Stahl, Kohle, Fisch, Weizen und - Gold. Für den besonderen Status der Herren sprach auch Schnitt und Qualität ihrer Anzüge, das gelegentliche Aufblitzen eines kostbaren Ringes, der autoritäre Ton einer Stimme und die zwanglose Erwähnung hochgestellter Persönlichkeiten. »Er ist da, Sir«, meldete Andrew an der Tür. »Oh, vielen Dank, mein Junge.« Der Gastgeber stand auf. »Würden Sie, bitte, hierherkommen, meine Herren?« Er schritt durch den Raum und schob einen der rotbraunen Brokatvorhänge zur Seite. Dahinter war ein Fenster zu sehen. Die vier Herren traten heran und blickten durch die Scheiben. Nebenan war ein luxuriöser Spielsalon. An einem Bakkarattisch saßen Männer und Frauen. Keiner von ihnen schaute zu dem Fenster hin. »Dieses Glas ist nur von unserer Seite aus sichtdurchlässig«, erläuterte der Gastgeber. »Sie brauchen also nicht zu befürchten, daß jemand in dieser Lasterhöhle Sie erkennt.« Sie lachten höflich. »Welchen Nutzen ziehen Sie aus diesem Fenster?« erkundigte sich einer der Herren. »Aber mein lieber Robert!« Der Gastgeber tat, als sei er schokkiert. »Sie glauben doch nicht etwa auch nur eine Sekunde, ich hätte irgend etwas mit diesem illegalen Treiben zu tun.« Diesmal lachten sie amüsiert. »Da«, meinte der Gastgeber. »Hier ist er.« Ein fahlgesichtiger junger Mann, der in seinem schwarzen Anzug wie ein Beerdigungsunternehmer aussah, geleitete Dr. Manfred Steyner quer durch den Raum zu dem Tisch. »Ich habe Simon gebeten, er möge ihn so placieren, daß Sie sein Gesicht beim Spiel beobachten können.« Sie lehnten sich interessiert vor. Dr. Steyner fing an zu spielen. Aus seiner Miene war jeglicher Ausdruck gewichen. Seine Blässe war jedoch erschreckend. Alle paar Minuten glitt seine Zungenspitze zwischen den Lippen hervor. In den Spielpausen saß er regungslos da wie eine Eidechse oder ein Leguan. Der Blick hinter seinen Brillengläsern
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erinnerte an den einer Schlange. »Darf ich Ihre Aufmerksamkeit auf seine rechte Hand lenken?« murmelte der Gastgeber. Steyners rechte Hand lag offen neben seinen Chips, doch sobald ihm seine Karte vorgelegt wurde, schlössen sich die Finger. »Carte.« Lautlos formte sein Mund dieses Wort, und jetzt ballte sich seine Hand zur Faust, die Knöchel wurden weiß, seine nervöse Spannung war so heftig, daß die Faust zitterte. Aber immer noch blieb sein Gesicht unbewegt. Nun warf der Bankhalter seine Karte hin. »Sept!« rief der Croupier. Er sah Steyners Karte an und strich dessen Einsatz ein. Steyners Hand fiel schlaff auseinander. Weich und haarlos lag sie wie ein toter Fisch auf dem grünen Tischüberzug. »Überlassen wir ihn seinem Vergnügen«, schlug der Gastgeber vor und zog den Vorhang wieder zu. Sie kehrten zu ihren Sesseln zurück, merkwürdig von dem Eindruck berührt. »Mein Gott«, bemerkte einer der Gäste, »das war widerwärtig. Ich bin mir vorgekommen wie einer, der durchs Schlüsselloch guckt und jemand zusieht, der... na ja...« Der Gastgeber warf ihm einen raschen Blick zu, etwas verblüfft über die Art der Feststellung. »In der Tat, genau das haben Sie gesehen«, meinte er sodann. »Sie werden entschuldigen, daß ich nun die Rolle des Dozenten übernehme, aber ich weiß einiges über diesen Mann. Es hat mich fast vierhundert Rand gekostet, um eine Analyse von einem unserer bedeutendsten Psychiater zu bekommen.« Der Gastgeber legte eine Pause ein und vergewisserte sich des allgemeinen Interesses. »Die Ursache ist unbekannt. Vermutlich ist sie in einem Vorfall oder in mehreren Vorfällen aus jener Zeit zu suchen, in der Dr. Steyner als Waise durch die rauchenden Trümmerstädte Europas irrte.« Der Gastgeber hüstelte, als mißbillige er seine etwas hochtrabende Redeweise. »Sei dem, wie ihm wolle. Das Resultat ist für jedermann sichtbar. Dr. Steyners Intelligenzquotient beträgt hundertachtundfünfzig. Das ist beinahe genial zu nennen. Er raucht und trinkt nicht. Er hat keine Liebhabereien. Er treibt keinen Sport.
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Er hat niemals eine unpassende Bemerkung gegenüber einer Frau gemacht, es sei denn zu seiner eigenen. Es ist auch ein gewisser Zweifel daran erlaubt, wie oft und in welchem Ausmaß sie seine Aufmerksamkeiten empfängt.« Der Gastgeber trank einen Schluck. Seine Zuhörer lauschten gespannt. »Steyner ist keineswegs impotent. Er findet jedoch jeden körperlichen Kontakt äußerst ekelhaft. Zum Aufputschen dient ihm das Bakkaratspiel, dann mag es gelegentlich zu einer ehelichen Szene kommen, doch wahrscheinlicher ist, daß er...« Seine Zuhörer nahmen seine Mitteilung schweigend zur Kenntnis. »Er ist, um es präzis zu sagen, ein zwanghafter Spieler. Er ist außerdem ein zwanghafter Verlierer.« Sie fuhren ungläubig auf. »Wollen Sie damit behaupten, daß er absichtlich zu verlieren sucht?« »Nein.« Der Gastgeber schüttelte den Kopf. »Nicht bewußt. Er glaubt, daß er gewinnen will. Er spielt aber so, daß sein überragender Verstand ihm sagen müßte, sein Spiel sei selbstmörderisch. Es handelte sich hier um ein tief sitzendes Bedürfnis: zu verlieren. Er braucht die Demütigung. Es ist eine Art Masochismus.« Der Gastgeber schlug ein schwarzes ledernes Notizbuch auf. »Von 1958 bis 1963 hat Steyner an diesem Tisch zweihundertsiebenundzwanzig-tausend Rand verloren. Im Jahre 1964 war er imstande, mit seinem einzigen Gläubiger ein Übereinkommen zu treffen. Er konnte seine Schulden samt den Zinsen bezahlen.« Den Gesichtern der Herren war anzumerken, daß sie hastig in ihrem Gedächtnis nach Umständen kramten, die mit den Daten und der Summe übereinstimmen mochten. Robert traf als erster ins Schwarze. 1964 hatte ihr Gastgeber seine Aktienmehrheit bei der North Maun Copper Co. an die C. R. C. zu einem Preis verkauft, der nur als höchst vorteilhaft bezeichnet werden konnte. Kurz zuvor war Steyner zum Leiter des Finanzierungs- und Planungsstabs der C. R. C. ernannt worden. »North Maun Copper«, rief Robert bewundernd. So also hatte er es gemacht, dieser schlaue alte Fuchs. Er hatte Steyner gezwun-
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gen, weit über dem Marktpreis zu kaufen. Der Gastgeber lächelte mild und rücksichtsvoll. Er sagte weder ja noch nein. »Von 1964 bis zum heutigen Tag ist Steyner weiterhin Stammkunde dieses Etablissements gewesen. Seine neuerlichen Spielverluste belaufen sich auf etwas mehr als dreihunderttausend Rand.« Die Herren seufzten und bewegten sich nervös. Selbst für sie war dies ein hoher Betrag. »Ich glaube, wir können uns auf ihn verlassen.« Der Gastgeber klappte sein Notizbuch zu und blickte sich lächelnd um.
< 26 > Theresa lag im Dunkeln. Die Nacht war warm. Die Stille wurde nur durch das Quaken der Frösche im Fischteich gestört. Das Mondlicht fiel durchs Fenster. Schattenhaft zeichneten sich die Äste des Baumes an der Wand ihres Schlafzimmers ab. Sie warf die einzige Decke zurück und schwang ihre Beine aus dem Bett. Sie konnte nicht schlafen. Es war zu heiß. Ihr Nachthemd drückte sie unter den Achseln. Sie stand auf, zog es in einem plötzlichen Impuls über den Kopf und warf es durch die offene Tür ihres Ankleideraums. Dann trat sie nackt auf die breite Veranda hinaus. Unter den Füßen spürte sie die Kühle der Fliesen, während die warme Nachtluft ihre Haut mit sanften Händen zu streicheln schien. Mit einemmal wurde ihr unternehmungslustig zumute. Am liebsten wäre sie über den Rasen gelaufen, um jemandem in die Arme zu fallen. Sie lachte leise und wußte nicht, was sie von diesem Gefühl halten sollte. Was hätte Manfred dazu gesagt? Seine Vorstellungen von einer Hausfrau sahen anders aus. »Er würde toben«, flüsterte sie boshaft und entzückt zugleich. Aber dann hörte sie den Motor des Wagens. Zunächst erstarrte sie vor Schreck. Das Scheinwerferlicht flakkerte zwischen den Bäumen, als das Auto die Auffahrt hochfuhr. Theresa versuchte hastig ihr Nachthemd zu finden. Endlich fand
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sie es, streifte es wieder über den Kopf und lief zu ihrem Bett. Abermals lag sie im Dunkeln und lauschte. Die Tür des Wagens wurde zugeschlagen. Dann war es still, bis sie ihn an ihrer Tür vorbeigehen hörte. Seine Absätze hämmerten im Flur. Er rannte fast. Theresa kannte die Symptome: diese Heimkehr spät in der Nacht, diese heimliche Eile, und sie lag steif im Bett und wartete. Langsam vergingen die Minuten. Dann wurde die Tür leise geöffnet. »Manfred, bist du's?« Sie setzte sich auf und langte nach der Nachttischlampe. »Mach das Licht nicht an«, sagte er außer Atem. Er sprach benommen, als sei er betrunken, doch sein Atem roch nicht nach Alkohol, als er sich über sie beugte und küßte. Seine Lippen waren trocken und blieben verschlossen. Er zog seinen Schlafanzug aus. Zweieinhalb Minuten später erhob er sich wieder und wandte ihr den Rücken zu, während er rasch in seinen seidenen Pyjama fuhr. »Entschuldige mich eine Minute, Theresa.« Jetzt war er nicht mehr atemlos. Er ging in seine eigenen Räume, und Sekunden danach hörte sie das Wasser rauschen. Sie lag auf dem Rücken und preßte ihre Fingernägel in die Handflächen. Ihr Körper bebte. Diese flüchtige Vereinigung war so kurz gewesen. Sie hatte genügt, ihr Verlangen zu wecken; alles war jedoch so hastig geschehen, daß sie nun das Gefühl hatte, mißbraucht und befleckt worden zu sein. Sie wußte, daß der Rest der Nacht unendlich langsam vergehen würde. Ruhelos würden Erregung, Reue und Selbstmitleid einander abwechseln und halbverrückte erotische Phantasiebilder. »Zum Teufel mit ihm!« schrie es stumm in ihrem Kopf. »Zum Teufel mit ihm!« Sie hörte, daß die Dusche abgestellt wurde, dann kam er in ihr Schlafzimmer zurück. Er roch nach Eau de Cologne, und er ließ sich vorsichtig am Fußende ihres Bettes nieder. »Jetzt kannst du das Licht anschalten, Theresa.« Es kostete sie Mühe, ihre Faust zu öffnen und nach dem Schalter zu greifen. Manfred blinzelte sie an. Sein Haar war feucht und frisch ge-
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kämmt. Seine Wangen leuchteten wie reife Äpfel. »Ich hoffe, du hast einen angenehmen Tag verbracht?« fragte er und hörte aufmerksam ihre Antwort an. Trotz ihrer inneren Spannung fühlte Theresa, wie sie dem beinahe hypnotischen Einfluß erlag, den er auf sie ausübte. Seine Brille funkelte. Seine Stimme war klar und fast eintönig. Seine Gesichtszüge und sein Körper waren reptilienhaft starr. Wie schon so oft seither kam sie sich vor wie ein warmes flockiges Kaninchen, das gebannt vor einer Kobra kauert. »Es ist spät«, sagte er schließlich und stand auf. Er blickte auf sie hinab. Theresa hatte sich zusammengekuschelt. So gleichgültig, als bitte er sie, ihm den Zucker zu reichen, fragte er: »Theresa, könntest du dreihunderttausend Rand abheben, ohne daß dein Großvater es erfährt?« »Dreihunderttausend!« Sie richtete sich erschreckt auf. »Ja. Wäre das möglich?« »Mein Gott, Manfred, das ist ja ein kleines Vermögen. Du weißt doch, daß alles im Konzern steckt, das meiste wenigstens. Da ist zwar die Farm und das... Nein, ich könnte nicht einmal die Hälfte zusammenbringen, ohne daß es Opi merken würde.« »Schade«, murmelte er. »Manfred, bist du in - Schwierigkeiten?« »Nein, nein. Es ging mir nur gerade so durch den Kopf. Vergiß meine Frage. Gute Nacht jetzt, Theresa. Ich hoffe, du schläfst schön.« Unwillkürlich streckte sie ihm einladend die Hände entgegen. »Gute Nacht, Manfred.« Er drehte sich um und verließ das Zimmer. Theresa ließ ihre Hände sinken. Eine lange Nacht lag vor ihr.
< 27 > »Meine Damen und Herren, es ist üblich, daß der Generaldirektor den geehrten Gast vorstellt, der unsere Betriebsprämien überreicht. In der vergangenen Woche ist unter tragischen Umstän-
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den unser Generaldirektor, Mr. Frank Lemmer, im Dienst des Unternehmens ums Leben gekommen, und ich bin sicher, daß Sie alle meine aufrichtige Anteilnahme für Mrs. Eileen Lemmer teilen.« Rod hielt inne, um das beistimmende Gemurmel des Publikums abzuwarten. Zweihundert Menschen saßen eng gedrängt in der Clubhalle. »Mir als geschäftsführendem Generaldirektor fällt die Aufgabe zu, Ihnen Dr. Manfred Steyner vorzustellen, den ranghöchsten Direktor der Central Rand Consolidated.« Theresa Steyner entging nicht, daß die Erwähnung Frank Lemmers ihren Mann verärgerte. Es entsprach den Gepflogenheiten der Gesellschaft, niemals etwas über einen tödlichen Arbeitsunfall in der Öffentlichkeit verlauten zu lassen. Rod gefiel ihr noch besser, weil er Lemmer diese Achtungsbezeigung erwiesen hatte. Theresa trug eine Sonnenbrille, denn ihre Augen waren rot und geschwollen. In der Morgendämmerung hatte sie nach schlafloser Nacht plötzlich einen Weinkrampf bekommen. Die Tränen hatten keine besondere Ursache gehabt, und hinterher fühlte sie sich merkwürdig erleichtert und erfrischt. Aber ihre großen Augen sahen immer stundenlang schlimm aus, wenn sie geweint hatte. Ihre Beine waren sittsam gekreuzt. In ihrem cremefarbenen Kleid aus Schantungseide bot sie einen makellosen Anblick. Unter einem schwarzen Seidentuch fielen ihre dunkelbraunen glänzenden Lokken auf die Schultern herab. Sie saß leicht nach vorn gebeugt, um höflich und aufmerksam dem Sprecher zu folgen, ganz Dame mit Diamanten an den Fingern und Perlen am Hals, die dankend lächelte, als Rod von »der reizenden Enkelin unseres Vorsitzenden« sprach. Sie wirkte gepflegt, ausgeglichen und selbstsicher wie das Idealbild einer jungen gutverheirateten Frau. Die Gedanken und Gefühle freilich, die sie bedrängten, hätten das Publikum, wenn es sie hätte bemerken können, in Bestürzung versetzt. Alle verschwommenen Wahngebilde der Nacht hatten nun ein Ziel: Rodney Ironsides. Plötzlich wurde sie sich einer Erregung bewußt, die sie vor vielen Jahren zum letztenmal
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empfunden hatte -und diese Feststellung erfreute und erschreckte sie. Terry Steyner! dachte sie und war über sich selber amüsiert und alarmiert. Dann bemerkte sie erleichtert, daß Rod seine Rede beendet hatte und daß Manfred aufstand, um ihm zu antworten. Begeistert klatschte sie wie die andern, um ihre ausschweifende Phantasie zu beruhigen. Steyner lobte die sechs Männer, die in der ersten Reihe saßen und deren Mut und Pflichttreue nun belohnt werden sollten. Dann hielt er eine Art Vorlesung über das eventuelle Steigen des Goldpreises. In maßvollen, sorgsam formulierten Wendungen legte er die Vorteile und Wohltaten dar, die der Industrie, der Nation und am Ende der ganzen Welt dadurch zuteil werden müßten. Es war eine gelehrte und überzeugende Rede. Es waren auch genügend Reporter da, die in der Presse darüber berichten würden. Hin und wieder kroch ein Fotograf vor das Podium und schoß ein Blitzlicht auf Dr. Steyner ab. Am Vorabend der Verhandlungen über den Goldpreis in Frankreich machten sich diese Publikationen gewiß bezahlt, denn Steyner war sozusagen das jugendliche Genie der südafrikanischen Delegation. Die sechs Helden hockten unbehaglich und ziemlich verloren in ihren besten Anzügen da. Sie hatten sich fein herausgeputzt wie Schuljungen zu einer Preisverteilung. Sie starrten den Sprecher an und verstanden kein Wort der fremden Sprache. Dennoch gaben sie sich Mühe, möglichst ernst und würdevoll dreinzuschauen. Rods Blick fiel auf Big King, und er blinzelte dem Neger zu. Feierlich bewegte Big King sein rechtes Augenlid auf und nieder. Rod schaute schnell weg, um nicht in lautes Lachen auszubrechen. Statt dessen sah er jetzt Theresa Steyner ins Gesicht, wodurch er sie völlig aus der Fassung brachte. Nicht einmal die dunkle Sonnenbrille vermochte ihm ihre Gedanken zu verbergen. Er las sie von ihrem Gesicht ab, als habe sie mit ihm darüber gesprochen. Ehe sie unter sich blicken konnte, um den Saum ihres Kleides zu mustern, wußte Rod mit einem aufgeregten Gefühl im Magen, was werden könnte, wenn er Zugriffe. Aus den Augenwinkeln betrachtete er sie - und zwar mit andern
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Augen als bisher. Zum erstenmal wurde ihm klar, daß sie eine zugängliche Frau war, eine höchst begehrenswerte Frau, obgleich sie immer noch die Enkelin von Hurry Hirschfeld und die Gemahlin von Dr. Steyner blieb. Dies machte sie sehr gefährlich, aber das Verlangen und die Versuchung waren schwer zu unterdrücken und wurden durch die Gefahr eher angeheizt. Er sah, daß sie errötete. Mit nervösen Fingern griff sie nach ihrem Rocksaum. Sie war so aufgeregt wie ein Schulmädchen. Sie wußte, daß er sie immer noch beobachtete. Rodney Ironsides, der vor fünf Minuten an nichts anderes als an seine Rede gedacht hatte, merkte jetzt, daß er in eine völlig neue und erregende Situation gedrängt wurde. Nachdem die Prämien verteilt, der Tee getrunken und die Biskuits geknabbert worden waren, zerstreute sich die Menge. Rod begleitete das Ehepaar Steyner über den Rasen zu ihrem Daimler. »Was für eine großartige Figur dieser Shangaan hat. Wie hieß er gleich - King?« Terry ging zwischen den beiden Männern. »King Nkulu. Wir nennen ihn Big King.« Rod stellte fest, daß er undeutlich sprach; ja, er stotterte sogar leicht. Was sich hier anzubahnen schien, wurde mit einemmal überwältigend. Er hatte den Eindruck, eine Turbine erfülle die Luft mit ihrem Dröhnen. Falls er nicht taub war, mußte Steyner das doch auch merken. »Er ist ein ganz besonderer Typ. Es gibt nichts, was er nicht könnte, und er macht es weit besser als jeder andere. Sie sollten ihn einmal tanzen sehen.« »Tanzen?« erkundigte sich Terry interessiert. »Stammestänze, wissen Sie.« »Natürlich.« Terry hoffte, daß die Erleichterung, die aus ihrer Stimme sprach, nicht allzu auffällig wäre. Sie hatte sich schon den Kopf zerbrochen nach einem Vorwand für einen weiteren Besuch in der Sonder-Ditch-Mine oder für eine Einladung von Rod Ironsides nach Johannesburg. Jetzt hatte sie ihn. »Ich habe eine Freundin, die geradezu versessen darauf ist, solche Tänze zu sehen. Sie quält mich jedesmal damit, wenn ich sie treffe.« Rasch wählte sie aus der Reihe ihrer Freundinnen einen Namen für den Fall, daß ihr Mann danach fragen sollte.
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»Die Farbigen tanzen jeden Samstagnachmittag. Sie können Ihre Freundin ruhig mitbringen«, gab Rod den zugespielten Ball zurück. »Wie wäre es am nächsten Samstag?« Terry wandte sich an ihren Mann. »Würde das klappen, Manfred?« »Was denn?« Er sah sie unsicher an, da er auf das Gespräch gar nicht geachtet hatte. Steyner war ein vielbeschäftigter Mann. Er grübelte über seine Verpflichtung nach, die Leitung der SonderDitch-Mine binnen zweier Tage unter seine Kontrolle zu bringen. »Können wir am Samstagnachmittag den Stammestänzen zuschauen?« wiederholte Terry. »Hast du vergessen, daß ich am Samstag nach Paris fliege, Theresa?« »Ach ja, mein Lieber.« Terry biß sich nachdenklich auf die Lippen. »Das war mir tatsächlich entfallen. Wie schade! Es hätte mir Spaß gemacht.« Steyner runzelte leicht irritiert die Stirn. »Meine liebe Theresa, es gibt keinen Grund, weshalb du nicht auch ohne mich die Sonder Ditch besuchen solltest. Ich zweifle nicht daran, daß du in Mr. Ironsides' Händen gut aufgehoben sein wirst.« Seine Ausdrucksweise trieb Terry wiederum die Röte in die Wangen.
< 28 > Nach der Zeremonie galt Big Kings erster Gang dem Anwerbebüro am Eingang des Wohnheims von Schacht Nr. 1. Die Schalter waren dicht umlagert, aber die Männer machten Big King Platz, und er bedankte sich für diese Höflichkeit, indem er ihnen auf den Rücken klopfte und sie mit den Worten grüßte: »Kunjane, madoda? - Wie geht's euch, Männer?« Der Angestellte hinter dem Schalter eilte herbei. Im Clubhaus der Minengesellschaft war Big King vielleicht ein wenig fehl am Platze, hier jedoch wurde er wie ein regierender Monarch be-
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handelt. In zwei säuberlichen Päckchen legte Big King die Belohnung auf die Theke. »Fünfundzwanzig Rand sind für meine Hauptfrau«, instruierte er den Angestellten, »und die andern fünfundzwanzig für mein Sparkonto.« Big King war gewissenhaft und gerecht. Die Hälfte aller seiner Einkünfte erhielt die älteste seiner vier Frauen, die andere wurde seinem schon beträchtlichen Sparguthaben hinzugefügt. Diese Agentur war die Arbeitsvermittlung der Goldminen von Witwatersrand und dem Oranje-Freistaat, deren Menschenbedarf sich kaum stillen ließ. Ihre Werber waren im Süden des gesamten afrikanischen Kontinents tätig. Von überallher warben sie Bantus an: von den Sümpfen und Fieberlagunen des Sambesi, aus den Palmenwäldern am Indischen Ozean, von den glutheißen Ebenen der Buschleute, aus den Bergen des Basutolandes und den Steppen des Zulugebietes. Die ersten siebzig oder achtzig Kilometer mußten die Angeworbenen allein oder zu zweit marschieren, bis sie zu einem der kleinen Gemischtwarenläden der Wüste kamen, wo sich bereits ein paar andere eingefunden hatten. Hier wurde die Ankunft eines Lastwagens abgewartet, der ein Dutzend Männer samt ihrem Gepäck aufnahm. Dann ging es lange Zeit ratternd durch den Busch. Ab und zu wurde angehalten, und weitere Männer stiegen ein. Endlich lud der Wagen dann fünfzig oder sechzig Neger an einer Eisenbahnstation aus. Dort mischten sie sich in die große Flut, die sie nach den »Goldi« schwemmte. Nachdem die Leute in Johannesburg eingetroffen und einer der sechzig großen Goldminen zugewiesen worden waren, hörten die Verpflichtungen der Agentur gegenüber den neuen Arbeitern noch nicht auf. Jeder einzelne mußte ausgebildet und beraten werden. Um sein Wohlergehen hatten sich seine Minengesellschaft und die Agentur ebenso zu kümmern wie um die Verbindung mit seinen Familienangehörigen, denn nur wenige konnten schreiben. Wenn seine Ziegen krank waren oder seine Frau fremdging - die Agentur hatte es dem neuen Mann mitzuteilen. Kurzum: Es mußte dafür gesorgt werden, daß der Neger, der aus einer Umgebung gerissen wurde, wo sich seit tausend Jahren
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nichts geändert hatte, und der jäh in die technisierte Welt von heute verpflanzt worden war, gesund, zufrieden und vernünftig blieb. Nach Ablauf seines Vertrages konnte er nach Hause zurückkehren und seinen Leuten erzählen, wie wunderbar es doch in den Goldminen sei. Er zeigte ihnen dann seinen Helm, seinen Koffer voller Kleider, sein Transistorradio und das kleine blaue Sparbuch mit den vielen Zahlen. In den andern sollte dadurch der Wunsch wachgerufen werden, sich gleichfalls auf die Reise zu machen, damit die ständige Menschenflut nicht versiegte. Big King erledigte seine Geschäfte und ging ins Wohnheim. Als ältester Boss Boy hatte er ein eigenes Zimmer. Ein gewöhnlicher Arbeiter mußte seinen Raum mit fünf andern teilen. Sorgsam bürstete er seinen Anzug und hängte ihn in den eingebauten Schrank. Dann wischte er über seine glänzenden Schuhe und steckte die Spanner in sie. Mit einem Handtuch um die Hüften spazierte er zu den Waschräumen. Es ärgerte ihn, daß dort bereits neuangeworbene Leute aus dem Eingewöhnungshaus waren. Man konnte nicht einfach einen Mann, der womöglich noch unterernährt war, aus seinem Dorf holen und ihn in eine Goldmine jagen, wo er bei fünfzig Grad Celsius und einem Feuchtigkeitsgehalt der Luft von vierundachtzig Prozent im Gestein bohren sollte. Das würde bedeuten, daß der Mann in der Hitze an Erschöpfung zugrunde ginge. Jeder Angeworbene, den die Ärzte für tauglich zur Arbeit unter Tage hielten, wurde allmählich akklimatisiert. Eine Woche lang bereiteten ihn die Mediziner acht Stunden täglich für seine Arbeit vor. Big King legte sein Handtuch ab und stellte sich unter die Dusche. Dort redete ihn ein Mann in der Sprache der Shangaan an: »Der Induna bittet dich, ihn nach dem Abendessen in seinem Haus zu besuchen.« »Sag ihm, daß ich seinem Wunsch nachkomme.« Big King hielt sein Gesicht dem dampfenden Wasserstrahl entgegen. Später schlenderte er in einem weißen offenen Hemd und einer blauen Hose zu den Küchen hinunter. Hier standen die Neulinge schon mit Schüsseln in der Hand Schlange vor den Durchrei-
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chen. Big King ging an ihnen vorbei und öffnete eine Tür mit der Aufschrift »Kein Zutritt - Nur für Personal«. In den ausgedehnten Küchenräumen leuchteten weiße Porzellankacheln und Kochkessel aus rostfreiem Stahl. Hier wurden am Tag achtzehntausend warme Mahlzeiten serviert. Einer der Hilfsköche ergriff sofort einen Napf, der nicht viel kleiner war als eine Kinderbadewanne, und eilte zum nächsten Kessel. Er öffnete den Deckel und blickte Big King erwartungsvoll an. Ein Nicken, und der Koch schöpfte etwa zwei Liter Zuckerbohnen in den Napf. Danach trat er zum nächsten Kessel. Auch diesmal nickte Big King, und der Koch schaufelte eine ähnliche Menge Gemüse in die Schale. Dann nahm ein zweiter Hilfskoch den Napf und tat einen Berg Maisbrei hinzu, der so gut roch wie frisch gebackenes Brot und einem das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. »Ich habe Hunger.« Das war Big Kings erste Äußerung. Der zweite Koch klatschte noch einmal so viel Maisbrei in den Napf. Ein dritter Koch, der vor einem riesigen Herd stand, streckte entschuldigend eine Hand aus, und Big King reichte ihm seine Fleischkarte. Fleisch wurde als einziges Nahrungsmittel rationiert. Jeder Mann bekam am Tag ein Pfund. Die Gesellschaft hatte nämlich vor langer Zeit zu ihrem Erstaunen entdeckt, daß ein Bantu imstande war, Fleischberge, die sein eigenes Körpergewicht ausmachten, binnen vier Wochen zu verschlingen. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß Big King Anspruch auf sein tägliches Pfund hatte, knallte der Koch ihm ein mindestens vier Pfund schweres Stück in die Schale. »Du bist mein Bruder«, bedankte sich Big King und nahm noch einen Krug mit zwei Liter Bantubier in Empfang. Es war dick und schleimig, besaß aber nur geringen Alkoholgehalt. Dann trat er auf die überdachte Terrasse hinaus, wo Tische und Bänke standen. Während er aß, füllte sich die Terrasse, denn die Schicht war nun zu Ende. Jeder, der vorüberkam, grüßte Big King, doch nur einige wenige nahmen sich die Freiheit heraus, an seinem Tisch zu sitzen. Einer von ihnen war Joseph M'Kati, der kleine alte Kehrer von Sohle 100.
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»Es war eine gute Woche, King Nkulu.« »Du hast recht«, erwiderte Big King zurückhaltend. »Ich besuche nachher den Alten Mann. Dann werden wir weitersehen.« Der Alte Mann, der Shangaan Induna, wohnte in einem Einfamilienhaus der Minengesellschaft. Er wurde anständig bezahlt und erhielt Dienstboten, Möbel, Nahrung und alles, was sonst noch seinem Rang gemäß war. In ähnlichen Häusern und mit denselben Vorrechten lebten die Indunas der andern Stammesgruppen, welche die Arbeitskräfte für die Sonder-Ditch-Mine stellten. Der Induna der Shangaan war das Oberhaupt seiner Gemeinde in Kitchenerville. Dem Blut nach ein Häuptling, gehörte dieser graubärtige Mann dem Stammesrat an. Er wachte über die Sitten und Gesetze. Die Minengesellschaft konnte ohne die Unterstützung dieser Männer nicht auskommen. »Baba.« Big King begrüßte den Induna. Dabei faßte er nach seiner Stirn. Er tat dies nicht nur aus Achtung vor dem alten Mann, sondern auch aus Respekt vor dessen Stellung. »Mein Sohn«, entgegnete der Induna lächelnd. »Komm und setz dich zu mir.« Er winkte dem Diener, den Raum zu verlassen, und Big King kauerte sich zu Füßen des Alten nieder. »Ist es wahr, daß du jetzt mit dem Verrückten arbeitest?« Das war Johnny Delanges Spitzname. Sie plauderten miteinander, und der Induna fragte nach hunderterlei Dingen, die allesamt die Wohlfahrt seiner Leute betrafen. Big King empfand Wohlbehagen und Heimweh zugleich, denn der Induna nahm die Stelle seines Vaters ein. Endlich war der alte Mann zufriedengestellt und wandte sich andern Themen zu. »Heute nacht wartet Krummbein mit einem Paket auf dich.« »Ich werde hingehen.« »Gut, und geh in Frieden, mein Sohn.« Bei den Wachen am Eingang des Wohnheims blieb Big King stehen, um sich mit ihnen zu unterhalten. Diese Männer waren berechtigt, jeden zu durchsuchen, der kam oder ging. Vor allem hatten sie zu verhindern, daß als Männer verkleidete Frauen das Gebäude betraten oder daß Alkohol hineingeschmuggelt wurde, denn beides konnte nur Unfrieden in die Wohngemeinschaft bringen. Außerdem hatten sie die Weisung, nach Diebesgut zu
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fahnden. Big King hatte dafür gesorgt, daß keiner von ihnen je auf den Gedanken kam, auch ihn zu durchsuchen. Während er noch mit dem Posten schwatzte, sank die Sonne, und die Lichter funkelten im Tal auf. Als es ganz dunkel geworden war, bummelte Big King die Hauptstraße hinab, bis ihn eine Biegung außer Sicht brachte. Jetzt verließ er die Straße und stieg den Hang hinauf. Er bewegte sich wie ein Nachttier, schnell und sicher. Schließlich stand er vor grasbewachsenen Geröllhalden. Mit einem Sprung setzte er über einen rostigen Stacheldrahtzaun und tauchte in einem finsteren Tunnel unter. Vor fünfzig Jahren hatte eine längst nicht mehr bestehende Minengesellschaft hier Gold vermutet und mit dem Abbau begonnen. Nach einiger Zeit war ihr jedoch das Geld ausgegangen, und endlich hatten die Leute das Netzwerk der unterirdischen Gänge sich selbst überlassen. Big King zog eine Lampe aus der Tasche und leuchtete in den Tunnel. Es stank nach Fledermäusen. Ihre Flügel schwirrten über seinen Kopf hinweg. Unbeirrt ging Big King immer tiefer ins Erdreich hinein, und ohne Zögern schlug er einen Seitengang ein. Schließlich erblickte er vor sich einen gelben Lichtschimmer, und er schaltete seine Lampe aus. »Krummbein!« rief er, und seine Stimme hallte durch den Gang. Niemand gab Antwort. »Ich bin's, Big King!« schrie er abermals, und sogleich löste sich ein Schatten von der Wand und humpelte ihm entgegen. Beim Näherkommen steckte der Mann ein gefährlich aussehendes Messer in die Scheide. »Alles in Ordnung.« Der kleine Krüppel hieß ihn willkommen. »Ich hab's da.« Krummbein hatte sich sein Humpeln und seinen Spitznamen bei einem Felsrutsch vor zwölf Jahren geholt. Jetzt besaß er die Konzession für ein Fotogeschäft auf dem Areal der Minengesellschaft. Es war ein blühender Laden, denn die Bantus sehen sich liebend gern auf Fotos. Das Geschäft warf indessen nicht so viel Profit ab wie seine nächtliche Tätigkeit. Er führte Big King in eine kleine Felsenkammer und zündete eine Sturmlaterne an. Zu dem Gestank der Fledermäuse kam
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jetzt der ätzende Geruch von hochkonzentrierter Schwefelsäure. Auf einem Holztisch, der den größten Teil des Raums einnahm, standen und lagen Krüge, Glasschalen und andere Bestandteile einer Laboratoriumseinrichtung, die offenbar von einem Altwarenhändler stammte. Mitten in diesem Durcheinander stand eine große Flasche mit Schraubverschluß. Sie war mit schmutziggelbem Pulver gefüllt. »Ah!« rief Big King vergnügt. »Das ist aber viel!« »Ja. Die Woche hat sich gelohnt«, pflichtete Krummbein bei. Big King nahm die Flasche und wunderte sich über das unglaubliche Gewicht. Dies war kein reines Gold, denn Krummbeins Schmelzverfahren war primitiv, aber es war mindestens sechzehnkarätig. Diese Flasche enthielt den Wochenertrag solcher Leute wie Joseph M'Kati, die an einem Dutzend wunder Punkte im Abbau und der Weiterverarbeitung heimlich die Goldproduktion der Mine anzapften. Alle an diesem Betrug Beteiligten waren Shangaans, und es gab nur einen Mann, der die nötige Autorität hatte, Gier und Feindschaft zu ersticken, die das Gold nun einmal weckt. Andernfalls wäre das ganze Geschäft schon längst aufgeflogen. Dieser Mann war der Induna. Und es gab auch nur einen Mann, der die nötige Körperkraft und die nötige Kenntnis der portugiesischen Sprache besaß, um das Gold verkaufen zu können. Das war Big King. Er steckte die Flasche ein. Das Gewicht zog seine Hose herab. »Laufe wie eine Gazelle, Krummbein.« Er verschwand wieder im dunklen Tunnel. »Jage wie ein Leopard, King Nkulu«, kicherte der Krüppel und verschmolz mit den Schatten.
< 29 > »Ein Paket Boxer-Tabak«, verlangte Big King. Die Augen von Jose Almeida, dem portugiesischen Besitzer des von der Mine konzessionierten Ladens und des Rasthauses, verengten sich.
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Dann holte er ein gelbes Paket aus einem Fach, reichte es über die Theke und nahm Big Kings Geld. Er sah dem riesigen Neger nach, der zwischen den gefüllten Regalen und Gestellen hinausging in die Nacht. »Kümmere dich mal um den Laden«, sagte er leise zu seiner kleinen dicken Frau, die einen dunklen seidenweichen Schnurrbart hatte. Sie nickte verständnisvoll, als sie seinen Platz an der Registrierkasse einnahm. Jose suchte seine Wohnung hinter dem Lagerraum des Geschäfts auf. Big King wartete im Finstern. Als die Hintertür geöffnet wurde, glitt er ins Zimmer. Jose ging mit ihm in sein Büro und nahm von einem Schrank eine Juwelierwaage. Unter Big Kings wachsamen Augen begann er das Gold zu wiegen. Jose Almeida kaufte das in allen fünf großen Minen gestohlene Gold. Je Unze zahlte er fünf Rand. Sein Verkaufspreis betrug sechzehn Rand. Er rechtfertigte den hohen Profit mit der Tatsache, daß der bloße Besitz von nichtregistriertem Gold in Südafrika strafbar war. Es konnte einem bis zu fünf Jahren Gefängnis einbringen. Almeida war Mitte Dreißig. Er hatte glattes schwarzes Haar, das er ständig aus der Stirn strich, braune prüfende Augen und schmutzige Fingernägel. Ungeachtet seines verwahrlosten Anzugs, seiner ungekämmten Haare war er ein vermögender Mann. Er war imstande gewesen, die vierzigtausend Rand bar auf den Tisch zu legen, die von der Gesellschaft für die einzige Handelskonzession auf ihrem Boden verlangt worden waren. Er hatte dadurch eine Kundschaft von zwölftausend gutbezahlten Bantus. Seine vierzigtausend hatte er bereits im ersten Jahr wieder hereingeholt. Er hätte es gar nicht nötig gehabt, das Risiko dieses illegalen Goldhandels einzugehen, aber Gold macht die meisten Menschen, die mit ihm in Berührung kommen, leichtsinnig und habgierig. »Zweihundertsechzehn Unzen«, sagte Jose. Seine Waage war so eingestellt, daß sie zwanzig Prozent weniger anzeigte. Diese zwanzig Prozent wanderten natürlich auch in sein Portemonnaie. I »Tausendachtzig Rand also«, stimmte Big King auf portugie-
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sisch zu, und Jose trat zu dem großen grünen Safe in der Ecke.
< 30 > Terry Steyner betrat um dreizehn Uhr vierzehn die Bar des President-Hotels, und als Hurry Hirschfeld aufstand, um sie zu begrüßen, sagte er sich, daß vierzehn Minuten bei einer schönen Frau noch keine Verspätung bedeuteten. Terrys Großmutter hätte bei einer so geringfügigen Verzögerung geglaubt, sie komme zu früh. »Du bist spät dran«, brummte er, denn ganz ohne Schelte durfte er sie ja schließlich nicht davonkommen lassen. »Und du bist ein großer, knuddeliger, brummiger, aber lieber alter Bär«, erwiderte Terry und küßte ihn auf die Nasenspitze, ehe er sich ducken konnte. Er setzte sich laut grollend hin, in Wirklichkeit aber war er höchst vergnügt gestimmt. Marais und Hardy, die weiter unten an der Bar saßen und ihr Grinsen zu unterdrücken suchten, waren ihm egal. Sollten sie es doch ruhig allen Mitgliedern des Clubs weitererzählen. »Guten Tag, Mrs. Steyner.« Der Barmann in scharlachroter Jacke lächelte. »Darf ich Ihnen einen Manhattan mixen?« »Führen Sie mich nicht in Versuchung, Thomas. Ich muß mich an meine Diät halten. Nur ein Glas Sodawasser, bitte.« »Diät!« grunzte Hirschfeld. »Als ob du nicht schon dünn genug wärst! Geben Sie ihr einen Manhattan, Thomas, und tun Sie eine Kirsche hinein. Bei den Hirschfelds hat noch nie eine Frau wie ein Junge ausgesehen, und du sollst nicht die erste sein. Ich habe auch schon ein Mittagessen für dich bestellt. In meiner Gegenwart wirst du nicht verhungern.« »Du versetzt mir ja einen Schock nach dem andern, Opi«, meinte Terry liebevoll. »Und jetzt, junge Dame, laß mal hören, was du alles angestellt hast, seitdem wir uns zum letztenmal gesehen haben.« Sie unterhielten sich wie vertraute Freunde. Ihre gegenseitige
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Zuneigung war mehr als Blutverwandtschaft. Sie waren auch geistig miteinander verwandt. Jetzt steckten sie die Köpfe zusammen. Ihr Stimmengemurmel wurde nur manchmal von einem hellen Lachen oder einem tiefen Glucksen unterbrochen. Sie waren so sehr ins Gespräch vertieft, daß Peter, der Oberkellner, aus dem Transvaal-Speiseraum kam, um sie zu holen. »Mr. Hirschfeld, der Chefkoch löst sich in Tränen auf.« »Guter Gott!« Hirschfeld blickte auf die antike Uhr über der Bar. »Es ist ja beinahe vierzehn Uhr. Warum haben Sie mich denn nicht früher gerufen?« Die Austern waren am Morgen von der Mossel Bay herübergeflogen worden, und Terry seufzte genüßlich. »Am Mittwoch war ich mit Manfred in der Sonder-Ditch-Mine.« »Ja, ich habe das Bild in der Zeitung gesehen.« Hirschfeld verschlang seine zwölfte und letzte Auster. »Ich muß sagen, dein neuer Generaldirektor gefällt mir.« Hirschfeld legte die Gabel aus der Hand, und eine leichte Röte des Ärgers stieg in seine welken Wangen. »Du meinst Fred Plummer?« »Sei doch nicht dumm, Opi. Natürlich meine ich Rodney Ironsides.« »Hat dein Stockfisch von Ehemann dir das erzählt?« »Manfred?« Sie war ehrlich überrascht. »Was hat der denn damit zu tun?« »Schon gut.« Hirschfeld ließ das Thema Manfred rasch fallen. »Weshalb gefällt dir Ironsides?« »Hast du ihn sprechen hören?« »Nein.« »Er redet sehr gut. Ich bin sicher, daß er ein erstklassiger Fachmann ist.« »Das ist er.« Hirschfeld nickte wachsam, aber wie beiläufig. Peter nahm Terrys Teller weg, wodurch sie eine Atempause fand, die sie auch nötig hatte. Soeben hatte sie erkannt, daß Ironsides des neuen Postens durchaus nicht sicher war, wie sie geglaubt hatte. In Wahrheit hatte ihr Großvater den alten Plummer mit seinem Pflaumengesicht zum Generaldirektor bestimmt. Es dauerte noch eine Minute, bis sie sich entschloß, auch den übel-
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sten Trick anzuwenden, damit Rod nicht übergangen würde. Nun lagen Platten mit kaltem Hummer vor ihnen. Als der Oberkellner sich zurückgezogen hatte, blickte Terry ihren Großvater an. Sie hatte ihre sowieso schon sehr großen Augen ganz weit aufgeschlagen. Auf diese Weise brachte sie einen in Tränen schwimmenden Blick zustande. Die Wirkung war überwältigend. »Weißt du, Opi, er erinnert mich so sehr an die Fotos von Vater.« Oberst Bernard Hirschfeld, Terrys Vater, war in seinem Panzer bei Sidi Rezegh verbrannt. Sie sah, daß die Miene ihres Großvaters jäh vom Schmerz verzerrt wurde. War es nötig gewesen, eine derart bösartige Waffe einzusetzen? Hirschfeld fummelte mit seiner Gabel an dem Hummer herum. Er hatte seinen Kopf gesenkt, so daß Terry ihm nicht ins Gesicht schauen konnte. Sie berührte seine Hand. »Opi«, flüsterte sie, und jetzt sah er auf. Er bemühte sich, seine Erregung nicht merken zu lassen. »Du weißt, daß du verdammt recht hast. Er sieht wirklich ein bißchen so aus wie Bernie. Habe ich dir jemals von der Zeit erzählt, als dein Vater und ich...« Terry schwindelte es vor den Augen. »Ich habe ihm nicht weh getan«, sagte sie sich, »diese Vorstellung gefällt ihm sogar.« Mit weiblichem Instinkt hatte sie das einzige Mittel gefunden, das Hirschfelds Entscheidung umzustoßen vermochte.
< 31 > Dr. Steyner schnallte seinen Sicherheitsgurt fest und lehnte sich im Sitz der Boeing 707 zurück. Es war geschafft. Ironsides hatte den Job. Vor zwei Stunden hatte Hirschfeld ihn, Steyner, zu sich kommen lassen, um ihn zu verabschieden und ihm viel Glück bei den Verhandlungen zu wünschen. Steyner hatte vor ihm gestanden und verzweifelt nach einem Ausweg gesucht: Irgendwie mußte er das Thema noch
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einmal aufs Tapet bringen, und zwar so, daß es ganz natürlich wirkte. Aber Hirschfeld hatte ihm die Mühe gänzlich unerwartet abgenommen. »Ach, übrigens... Ich werde Ironsides den Sonder Ditch geben. Es wird wohl doch allmählich Zeit, daß ein wenig junges Blut in die Geschäftsleitung kommt.« So einfach war es gewesen! Und Steyner hatte vier Nächte lang wach gelegen und an die Drohungen denken müssen. Es fiel ihm gar nicht leicht, daran zu glauben, daß diese Drohungen nun nicht mehr auf ihm lasteten. Ironsides hatte den Job. Und er konnte nach Paris reisen und denen dort mitteilen: Jetzt können wir anfangen... Die Maschine rollte an. Steyner lugte durch die Scheibe. Er konnte Terry in der Menschenmenge auf der Besucherterrasse des Jan Smuts Airport nicht erkennen, und er blickte wieder geradeaus. In diesem Moment blähten sich seine Nüstern, und er sah sich rasch um. Der Passagier neben ihm saß in Hemdsärmeln da. Er war ein großer bulliger Kerl, der offenbar kein Deodorant benutzte. Außer sich warf Steyner entsetzte Blicke durch die Maschine. Sie war voll besetzt. Er würde kaum einen andern Platz finden. Jetzt holte der Bulle auch noch ein Zigarettenpäckchen hervor. »Sie dürfen nicht rauchen!« schrie Steyner. »Das Warnlicht brennt noch.« Die Körperausdünstungen dieses Menschen und der Zigarettenrauch würden unerträglich sein. »Ich rauche ja gar nicht«, versetzte der Mann. »Noch nicht.« Und er klemmte sich eine Zigarette zwischen die Lippen. In der andern Hand hielt er das Feuerzeug bereit. Fast dreitausendzweihundert Kilometer bis nach Nairobi, dachte Steyner, und sein Magen hob sich.
< 32 > »Meine liebe Terry, weshalb um alles in der Welt sollte ich den weiten Weg nach Kitchenerville machen, um Wilde herumhop-
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sen zu sehen?« »Tu mir doch den Gefallen, Joy«, bat Terry am Telefon. »Das vermasselt mir das ganze Wochenende. Ich bin die Kinder losgeworden, sie sind jetzt bei ihrer Großmutter. Ich wollte in aller Ruhe ein Buch lesen.« »Bitte, Joy, du bist meine letzte Hoffnung.« »Wann werden wir wieder zu Hause sein?« Joy ließ sich erweichen. Terry sah ihren Vorteil und stieß erbarmungslos nach: »Es kann sein, daß du einen netten Mann in der Mine kennenlernst. Vielleicht reißt er dich so hin...« »Nein, vielen Dank.« Joy war vor einem guten Jahr geschieden worden. Manche Leute brauchen halt etwas länger, um wieder auf die Beine zu kommen. »Ich habe nette Männer gekannt. Sie waren große fette Fleischklöße.« »Ach, Joy, du kannst doch nicht ewig herumsitzen und den Kopf hängen lassen. Komm mit. Ich hole dich in einer halben Stunde ab.« Joy seufzte ergeben. »Der Teufel hole dich, Terry Steyner.« »Ich spiele Golf. Es ist Samstag, und ich spiele Golf«, erklärte Doktor Daniel Stander hartnäckig. »Du erinnerst dich doch, wie ich den weiten Weg von Bloemfontein nach...«, begann Rod, aber Dan fiel ihm ins Wort: »Schon gut, schon gut, ich erinnere mich. Du brauchst die alte Geschichte nicht immer wieder hervorzukramen.« »Du schuldest mir eine ganze Menge, Stander«, mahnte Rod. »Und ich bitte dich um nichts anderes als um einen deiner lausigen Samstagnachmittage. Ist das denn so viel?« »Ich kann die Burschen nicht aufsitzen lassen. Es ist eine alte Verabredung.« Immer noch versuchte Dan, sich herauszuwinden. »Ich habe schon mit Ben telefoniert. Er wird deinen Platz mit Vergnügen einnehmen.« Nach einem langen düsteren Schweigen fragte Dan: »Was ist es denn für ein Vögelchen?« »Sie ist schön, reich, mannstoll und besitzt eine Brauerei.« »Ha, ha! Na schön. Ich komme. Aber ich versichere hiermit, daß
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alle meine Verpflichtungen und Schulden dir gegenüber erfüllt und abgetragen sind.« »Ich gebe dir eine schriftliche Quittung«, meinte Rod zustimmend. Dan trotzte immer noch, als der Daimler vor dem Clubhaus der Mine vorfuhr. Er stand mit Rod an der Bar und beobachtete die Ankunft der Gäste. Dan hatte soeben sein drittes Bier bestellt. »Da kommen sie«, sagte Rod. »Sind sie das?« Dans Miene hellte sich schlagartig auf, als er durch die bunten Fenster blickte. Der Chauffeur half den Damen aus dem Wagen. Beide trugen farbige Slacks und Sonnenbrillen. »Ja, das sind sie.« »Mein Gott!« sagte Dan ungewohnt beifällig. »Und welche ist meine?« »Die Blonde.« »Ha!« Zum erstenmal heute grinste Dan. »Warum, zum Teufel, bleiben wir dann hier stehen?« »Das frage ich mich auch«, gab Rod zurück. Er spürte einen immer stärker werdenden Druck im Magen, als er die Treppen hinabging. »Mrs. Steyner, ich freue mich sehr, daß Sie gekommen sind.« Seine Beklemmung verschwand im Nu, als er sah, daß er sich nichts vorgemacht hatte: Ihre Augen und ihr Lächeln verrieten sie. »Vielen Dank, Mr. Ironsides.« Sie benahm sich wieder wie ein Schulmädchen - unsicher, verwirrt. »Ich möchte Sie mit Mrs. Albright bekanntmachen. Joy, das ist Rodney Ironsides.« »Hallo.« Er lächelte sie an, während er ihr die Hand reichte. »Jetzt ist wohl die richtige Zeit für einen Gin.« Dan erwartete sie an der Bar, und Rod stellte ihn den Damen vor. »Joy ist ganz aufgeregt wegen der Tänze«, meinte Terry, als sie sich auf den Hockern niederließen. »Seit Tagen wartet sie auf das Ereignis.« Einen Moment blickte Joy verdattert drein. »Es wird Ihnen bestimmt gefallen«, beteuerte Dan und setzte
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sich auf den Hocker neben Joy. »Ich möchte es mir auf keinen Fall entgehen lassen.« Joy war eine große schlanke Frau mit langem goldfarbenen Haar, das ihr auf die Schultern fiel. Ihre Augen waren grau und kühl, aber sie bekam einen weichen Zug um den Mund, sobald sie lächelte. Jetzt lächelte sie in Dan Standers Augen hinein. »Ich auch nicht«, erwiderte sie, und mit Erleichterung sah Rod, daß er fortan seine ganze Aufmerksamkeit Terry Steyner widmen konnte: Joy Albright war bei Dan gut aufgehoben. Er bestellte Getränke, und alle vier verloren auf der Stelle jegliches Interesse an Stammestänzen. »Ich fahre heute abend nach Johannesburg«, teilte Rod nach einer Weile Terry mit. »Es hat doch keinen Sinn, daß Sie Ihren unglücklichen Fahrer den ganzen Nachmittag hier herumsitzen lassen. Schicken Sie ihn zurück, und ich werde Sie nach Hause bringen.« »Gut«, stimmte Terry sofort zu. »Würden Sie ihm, bitte, Bescheid sagen?« Als Rod das nächste Mal auf die Uhr schaute, war es schon fünfzehn Uhr dreißig. »Großer Gott!« rief er. »Wenn wir uns nicht beeilen, kriegen wir nichts mehr zu sehen.« Joy und Dan, die miteinander tuschelten, trennten sich zögernd. Die Menschenmenge in dem Freilichttheater zerdrückte sie beinahe. Es war ein fröhliches Gedränge. Alle Welt schien teilzuhaben an der urzeitlichen Erregung des Tanzes. Man wurde an die Zuschauer in einer Stierkampfarena erinnert. Rod und Dan bahnten sich und den Frauen einen Weg durch den Haupteingang und hinab zu ihren reservierten Plätzen in der ersten Reihe. Alle vier lachten erhitzt, als sie sich endlich setzen konnten. Die Aufregung wirkte ansteckend, und die Drinks hatten sie munter gemacht. Jetzt erhob sich ein erwartungsvolles Gemurmel. »Die Shangaans!« Und die Zuschauer verrenkten sich die Hälse nach dem Eingang, durch den ein Dutzend Trommler heranstapfte. Ihre langen hölzernen Trommeln hingen ihnen an rohledernen Riemen ums Genick. Sie nahmen ihre Plätze auf der runden Bühne ein.
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Tap, tap. Tap, tap - hämmerte einer der Musikanten, und es wurde still in dem Amphitheater. Tap, tap. Tap, tap. Nackt bis auf ihren kurzen Lendenschutz und über ihre Trommeln gebeugt, die sie zwischen die Knie geklemmt hatten, gaben sie den Rhythmus des Tanzes an. Es war ein gebrochener, aufrührerischer Takt, sprunghaft zuckend, ein herausfordernder, verlangender Laut: der Puls eines Kontinents und eines Volkes. Dann kamen die Tänzer mit schwerem Schritt langsam reihenweise herein. Ihr Kopfputz senkte sich knisternd, die Kilts aus Tierschwänzen wirbelten, die Kriegsrasseln klapperten an Handund Fußgelenken, über ihre Muskeln strömte der Schweiß. Es schien, als rühre der Trommelklang das Leben in ihnen auf. Ein schrilles Signal auf einem Antilopenhorn, und die Reihen stoben wie trockene Blätter im Wind davon. Dann formierten sie sich wieder zu einer anderen Gruppierung, und durch eine Lücke in der Mitte schritt eine hohe Gestalt. »Big King!« Der Name lief wie ein Seufzer durch das Publikum, und augenblicklich änderten die Trommeln ihren Rhythmus. Schneller, fordernder hämmerte es nun, und die Tänzer zischten einen Ton, der der rauschenden Brandung auf einem felsigen Strand glich. Jetzt warf Big King seine Arme weit auseinander, spreizte die säulenähnlichen Beine und schleuderte den Kopf zurück. Er stieß ein scharfes Kommandowort aus, und sogleich rissen alle Tänzer ihr rechtes Bein bis zur Brust empor. Eine halbe Sekunde Pause, und dann stampften zweihundert hornige Füße mit einer solchen Wucht auf die Erde, daß man hätte meinen können, sie bebe. Die Shangaans begannen zu tanzen, und der Alltag verlor seine Wirklichkeit in diesen anstürmenden, herumwirbelnden und zurückweichenden Reihen. Einmal löste Rod seinen Blick von dem Schauspiel. Terry Steyner saß leicht vorgebeugt auf der Bank, mit funkelnden Augen, halbgeöffneten Lippen, ganz dem sinnlichen Aufruhr und der barbarischen Pracht des Schauspiels hingegeben. Joy und Dan hatten ihre Hände verschlungen. Sie preßten ihre
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Schultern und Schenkel aneinander. In Rod rumorte der Neid. Hinterher - wieder in der Bar des Clubhauses - kam keine rechte Unterhaltung in Gang. Sie waren alle nervös, unruhig, bewegt von fremdartigen Gefühlen und dem Widerstreit primitiver Sehnsüchte und gesellschaftlicher Zurückhaltung. »Nun«, sagte Rod schließlich, »wenn ich die beiden Damen noch zu einer schicklichen Stunde nach Johannesburg zurückbringen soll...« Dan und Joy sprachen wie aus einem Munde: »Mach dir keine Gedanken, Rod. Ich werde...« - »Dan sagt, er will mich...« Dann schwiegen sie und grinsten verlegen. »Ich vermute demnach, Dan ist plötzlich eingefallen, daß er heute abend auch noch nach Johannesburg fahren muß, und da hat er Ihnen wohl das Angebot gemacht, Sie heimzufahren?« fragte Rod trocken, und alle lachten. \ Rod wandte sich zu Terry: »Es sieht also aus, als wären wir auf uns selber angewiesen, Mrs. Steyner.« »Ich vertraue mich Ihnen an«, erwiderte Terry. »Wenn Sie das tun, müssen Sie verrückt sein«, meinte Dan. Es wurde schnell dunkel. Der Horizont verschmolz mit dem schwarzen Himmel. Im Grasland leuchteten einzelne Lichter auf. Rod schaltete die Scheinwerfer an, und das Armaturenbrett schimmerte gedämpft. Das Innere des Wagens wurde zu einem warmen, von der Welt abgeschiedenen Ort. Der Wind wisperte. Die Reifen und der Motor summten ihren sanften und vertrauten Refrain. Terry Steyner saß mit hochgezogenen Beinen, in das weiche, rotbraune Leder des Sitzes gekuschelt. Sie schien in sich versunken und dennoch sehr gegenwärtig zu sein. Alle paar Minuten warf Rod einen kurzen Blick auf ihr Profil. Als er dies wieder einmal tat, begegnete sie offen seinem Blick. »Begreifen Sie denn auch, was passiert?« fragte sie. »Ja«, entgegnete er freimütig. »Sie wissen, wie gefährlich das für Sie werden könnte?« »Auch für Sie.« »Nein, für mich nicht. Ich bin unverwundbar, denn ich bin eine
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Hirschfeld. Aber Sie... Sie könnten dabei draufgehen.« Rod zuckte mit den Schultern. »Wenn wir vor jeder Handlung die Folgen überlegen wollten, würde kein Mensch überhaupt noch etwas unternehmen.« »Haben Sie daran gedacht, daß ich ein verwöhntes kleines, reiches Mädchen sein könnte, das sich nur amüsieren will? Daß ich das immer so mache?« »Sie könnten es«, stimmte Rod zu. Eine Weile schwiegen sie. Dann fuhr Terry fort: »Rod?« Zum erstenmal sprach sie ihn mit seinem Vornamen an. »Ja?« »So bin ich nicht. Das wissen Sie. Ich bin wirklich nicht so.« »Das habe ich auch angenommen.« »Danke schön.« Sie machte ihre Handtasche auf. »Ich brauche eine Zigarette. Ich komme mir vor, als balanciere ich nur auf einer Klippe und müßte mich über den Abgrund in die Tiefe stürzen.« »Stecken Sie mir auch eine an, Terry.« Sie rauchten stumm. Beide starrten geradeaus. Dann kurbelte Terry das Fenster herunter und warf den Zigarettenstummel hinaus. »Sie haben den Job bekommen. Wissen Sie das eigentlich schon?« Den ganzen Tag über hatte sie es ihm mitteilen wollen. Sie betrachtete sein Gesicht. Seine Lippen zogen sich zusammen, seine Augen wurden zu Schlitzen. »Haben Sie mich verstanden?« fragte sie endlich, und er bremste den Wagen, fuhr ihn an den Straßenrand und zog die Handbremse. Dann drehte er sich zu ihr um. »Terry, was haben Sie eben gesagt?« »Ich habe gesagt, daß Sie den Job bekommen haben.« »Welchen Job?« fragte er scharf. »Mein Großvater hat das Dokument heute morgen unterschrieben. Sie werden es am Montag bekommen. Sie sind der neue Generaldirektor der Sonder-Ditch-Mine.« Sie hätte am liebsten hinzugesetzt: »Und ich habe Ihnen den Job verschafft. Ich habe dafür gesorgt, daß Opi Ihnen den Posten gibt.« Aber das werde
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ich niemals tun, gelobte sie sich. Ich werde ihm seine Freude nicht trüben. Er muß glauben, daß er die Stellung von sich aus erhalten hat - und nicht als ein Geschenk von mir.
< 33 > Es war Samstagabend. Die wilde Nacht in Dump City begann. Die Blaauberg-Minengesellschaft war die älteste im Gebiet von Kitchenerville. Manche ihrer Sektionen waren völlig abgebaut, und die alten Abraumhalden lagen nun verlassen und überwuchert da. Zwischen Büschen und mannshohem Unkraut in den Tälern dieser von Menschen angelegten Hügel war jedoch eine Budenstadt entstanden. Dump City wurde sie von ihren Bewohnern genannt. Die »Gebäude« waren aus weggeworfenem Zinkblech und flachgehämmerten Benzinfässern errichtet worden. Sanitäre Anlagen und fließendes Wasser gab es nicht. Diese Budenstadt lag abseits der Hauptstraßen, der Wohnsiedlungen der benachbarten Minen und der Stadt Kitchenerville. Sie war hinter den Halden verborgen, konnte nur zu Fuß erreicht werden und wurde niemals von Polizisten durchstöbert. Sie war also geradezu ideal geeignet für die Zwecke, um derentwillen sie sich ihre dreihundert ständigen Einwohner ausgesucht hatten. In all diesen Hütten wurde mit Wasser verdünnter Schnaps zu hohen Preisen verkauft. Auch Marihuana war leicht zu haben. Die Männer der umliegenden Minen fanden sich hier zum Zechen ein. Sie kamen jedoch nicht nur des Schnapses wegen. In jedem Wohnheim der Minengesellschaften gab es eine Bar, wo alle möglichen alkoholischen Getränke gekauft werden konnten, und zwar zu vernünftigen Preisen. Sehr wenige kamen, weil sie Marihuana haben wollten, denn nur selten einmal war einer dieser wohlgenährten, schwer arbeitenden und zufriedenen Männer süchtig. Was sie anzog, das waren die Frauen. Fünf Goldminen wurden hier betrieben, und jede beschäftigte zehn- bis zwölftausend Männer. In Dump City hausten zweihun-
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dert Frauenzimmer, die einzig greifbaren in einem Umkreis von mehr als dreißig Kilometern. Die Frauen von Dump City hatten es nicht nötig, sich um Kundschaft zu bemühen. Selbst die fetten, verlebten und zahnlosen konnten sich wie Königinnen gebärden. Big King kam den Weg herab, der sich zwischen den Halden hinzog. Zwei Dutzend seiner Stammesbrüder begleiteten ihn: große Shangaans, geschmückt mit ihren Stammesabzeichen. Noch erregt vom Tanz schwangen sie ihre Kampfstöcke, während sie hinter Big King herliefen. Sie sangen - aber nicht die sanften Lieder vom Ackerbau oder die Melodien von der Brautwerbung, auch nicht die Chöre, die bei der Arbeit angestimmt wurden oder als Willkommensgruß. Sie sangen Kriegslieder, die schon ihre Vorväter angestimmt hatten, wenn sie mit ihren Speeren Jagd auf Wild und Sklaven machten. Der stürmische und zündende Rhythmus, die von glühendem Stammesgeist erfüllten Worte übten eine so mächtige Wirkung auf die leicht zu entflammenden Shangaans aus, daß die Minengesellschaften es für angebracht gehalten hatten, das Absingen dieser Lieder zu verbieten. Sobald sie diese Melodien vernahmen, wurden die Shangaans gewalttätig. Sie verstummten, als Big King sie zur nächsten Hütte führte und den Sack zur Seite schob, der als Tür diente. Er duckte sich, um einzutreten, und seine Gefährten folgten ihm nach. Eine reizbare Stille fiel über den großen Raum. Die Luft war dick von Rauch und das Licht der Sturmlaterne so schwach, daß die gegenüberliegende Wand nicht zu erkennen war. Das Lokal war voller Männer, vierzig oder fünfzig etwa. Es roch nach Menschen und Fusel. Inmitten dieses Trubels leuchteten die hellen Kleider von sechs Mädchen auf. Angelockt von dem Gesang, kamen jetzt noch andere Frauenzimmer aus dem Hinterraum. Einige hatten Männer bei sich und fummelten noch an ihren Kleidern herum. Als sie Big King und seine Leute in vollem Kriegsschmuck erblickten, verstummten sie. An Big Kings Schulter flüsterte einer der Shangaans: »Basutos! Es sind alles Basutos!« Er hatte recht. Big King sah, daß die Männer dem kleinen unab-
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hängigen Bergvolk angehörten. Er trat vor und schüttelte sich, so daß sein Leopardenschwanz-Kilt hin- und herschwirrte und die Reiherfedern seines Kopfschmuckes raschelten. Dann langte er nach der Theke. »Fliegender Vogel«, sprach er zu dem alten Weib, das die Bude leitete, und sie stellte eine Flasche Eagle Brandy vor ihn hin. Big King füllte ein Glas. Während alle Augen auf ihn gerichtet waren, trank er es aus. Langsam drehte er sich dann um und überblickte den Raum. »Was ist das?« begann er mit einer Stimme, die bis in alle Ecken trug. »Es sitzt auf einer Bergspitze und kratzt sich die Flöhe - ist das ein Affe oder ein Basuto?« Vergnügt lachten die Shangaans auf. »Ein Basuto!« schrien sie und umdrängten die Theke. Ein Murmeln und Grollen antwortete ihnen. »Was ist das?« schrie ein Basuto und sprang auf. »Es hat Federn auf dem Kopf und kräht auf einem Misthaufen - ist das ein Hahn oder ein Shangaan?« Big King griff nach der Schnapsflasche und schleuderte sie. Mit einem Krachen zerbarst sie an der Stirn des Basutos, der zu Boden stürzte und zwei seiner Stammesbrüder mit sich riß. Das alte Weib schnappte nach der Registrierkasse und rannte davon, während in der Schnapsbude ein tosendes Kampfgetümmel ausbrach. Big King erkannte, daß hier nicht genug Platz war, um die Kampfstöcke zu handhaben. Also fetzte er ein Stück von der Theke ab und hielt es vor sich wie die Schaufel einer Planierraupe. Er stürmte durch den Raum und warf alles zu Boden, was ihm im Weg stand. Das Knirschen der zersplitternden Möbel und das gellende Geschrei der niedergerammten Männer raubten ihm den letzten Rest von Besinnung. Ein wilder urtümlicher Rausch hatte Big King erfaßt, er raste wie ein Berserker. Die Basutos gehörten zu den kriegerischen Stämmen der N'guni-Gruppe. Diese drahtigen Bergbewohner stürzten sich mit der nämlichen wilden Freude wie die Shangaans in den Kampf. Das Gefecht tobte nicht nur in dem einen Raum, es griff rasch auf die gesamte Bevölkerung von Dump City über. Eine der Frauen, der das Kleid am Rücken herabgerissen worden
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war, so daß sie bloß noch eine zerlumpte Pumphose trug, war auf die Trümmer der Theke geklettert. Ihre großen melonenförmigen Brüste schaukelten im Lampenlicht, und sie stimmte jenes ganz besondere Geheul an, mit dem die Basutofrauen ihre Männer zum Kampf aufstacheln. Ein Dutzend Mädchen fiel in das Heulen ein. Sie jaulten und quiekten - und das war zuviel für Big King. Er schwang das Holzbrett von der Theke hoch über seinen Kopf und stürmte damit gegen die dünne Wand der Hütte. Wie Papier brach sie auseinander. Das Dach sank schlapp herab. Big King tobte die enge und schmutzige Gasse hinunter. Wer ihm in die Quere kam, mußte daran glauben: aufgescheuchte Hühner, jaulende Hunde und jeder Mensch, der seine Hetzjagd hätte aufhalten können. Big King brüllte wie ein Gorilla. Wo die Budenstadt endete, kehrte er um. Sein Zorn stieg noch, als er die Gasse verlassen sah. Lediglich ein paar hingemähte Gestalten lagen herum. Durch das Schlupfloch der Hütte trat er abermals ein und stellte fest, daß auch hier die Schlacht ein Ende gefunden hatte. Einige der Streithähne krochen stöhnend über einen Teppich aus zerbrochenen Gläsern. Big King hielt Ausschau nach einem Wesen, an dem er seine Tobsucht auslassen konnte. »King Nkulu!« Das junge Weib stand immer noch auf der zertrümmerten Theke. Ihre Augen leuchteten vor Erregung, und ihre Beine zitterten. Big King stieß wieder ein Brüllen aus und schleuderte seinen Schild gegen die Wand. Dann trat er auf das Mädchen zu. »Du bist ein Löwe!« kreischte sie ihm aufmunternd zu. Dann nahm sie ihre großen schwarzsamtenen Brüste in die Hände, streckte sie ihm entgegen, preßte sie zusammen und bebte vor Wollust. »Friß mich!« schrie sie, als Big King sie vom Tisch riß und mit ihr in die Nacht hinausstürmte. In einem Arm trug er sie leicht zu den Büschen bei den Halden hinab. Im Laufen zerrte er mit der freien Hand den Leopardenschwanz-Kilt von seinen Hüften.
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< 34 > Auch in Paris war es Samstagabend. In den oberen Räumen einer der großen Botschaften in der Rue Royale brannte noch Licht. Der dicke Mann, der im Spielsalon in Johannesburg Gastgeber gewesen war, weilte heute hier als Gast. Er saß bequem in einem ledernen Clubsessel. Seine Korpulenz und sein stahlgraues Haar gaben ihm Würde. Sein Gesicht war ernst, sonnengebräunt und intelligent. Seine Augen glitzerten so scharf wie der Diamant an seinem Finger. Er lauschte interessiert einem Mann seines Alters, der vor einem auf eine Leinwand projizierten Bild stand. Dieser Mann wirkte wie ein Gelehrter. Jetzt sprach er seinen Zuhörer in dem Sessel an, wobei er auf die Leinwand neben sich deutete. »Sie sehen hier einen Plan aller Abbaustellen der fünf Goldminen von Kitchenerville in ihrer Beziehung zueinander.« Er tippte mit einem Stab auf die Leinwand. »Thornfontein, Tweefontein, Blaauberg, Deep Gold Levels und Sonder Ditch.« Der Mann im Sessel nickte. »Ich habe dieses Diagramm bereits früher gesehen und geprüft.« »Gut. Dann werden Sie wissen, daß die Sonder Ditch im Zentrum der Goldfelder gelegen ist. Sie hat gemeinsame Grenzen mit den anderen Gesellschaften, und hier wird sie von einem Wall aus massivem Serpentingestein durchschnitten, den man Big Dipper nennt.« Wiederum nickte der dicke Mann. »Aus diesen Gründen haben wir die Sonder Ditch gewissermaßen als Auslösepunkt ausgewählt.« Er drückte auf einen Knopf an der Wandtäfelung, und ein zweites Bild erschien. »Das hier werden Sie noch nicht gesehen haben.« Der Mann im Sessel beugte sich vor. »Was ist das?« »Es ist eine Karte des unterirdischen Gebiets. Sie beruht auf den Bohrungsergebnissen der fünf Gesellschaften, die den Boden östlich vom Big Dipper untersucht haben. Die Ergebnisse wurden von einigen der klügsten Köpfe auf dem Sektor der Geologie und Hydrophysik ausgewertet. Sie haben hier also eine sorg-
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sam durchdachte Darstellung dessen, was jenseits der Erdverwerfung des Big Dipper anzutreffen ist.« Der dicke Mann bewegte sich unbehaglich in seinem Sessel. »Das ist ja ungeheuerlich.« »Ja, es ist in der Tat ungeheuerlich. Direkt hinter der Erdverwerfung gibt es einen See, aber das ist nicht die passende Bezeichnung. Nennen wir ihn ein unterirdisches Meer in der Größe des Eriesees. Das Wasser ist in einem riesigen Schwamm aus porösem Dolomitgestein enthalten.« »Mein Gott«, murmelte der dicke Mann und verlor zum erstenmal seine Gelassenheit. »Wenn das stimmt, warum kommen dann die Minengesellschaften nicht alle zu derselben Folgerung und lassen die Finger davon?« Der Dozent schaltete das Licht ab und die Deckenbeleuchtung wieder an. »Weil sie in scharfem Konkurrenzkampf zueinander stehen und deshalb keinen Zugang zu den Untersuchungen der andern haben. Nur wenn man alle Untersuchungsergebnisse studiert, wird das Bild klar.« »Und wie ist Ihre Regierung in den Besitz aller Ergebnisse gelangt?« wollte der dicke Mann wissen. »Das ist nicht wichtig«, versetzte der Dozent brüsk und ungeduldig über die Unterbrechung. »Wir besitzen außerdem die Befunde eines gewissen Dr. Peter Wessels, der zur Zeit Leiter eines Forschungszentrums bei der Sonder-Ditch-Mine ist. Sie sind Geschäftsgeheimnis und sind enthalten in einem Bericht, den Dr. Wessels über Bruchproben und Druckmessungen im Gestein verfaßt hat. Seine Untersuchungen beziehen sich auf den Quarzit von Ventersdorp, zu dem auch das Gestein in den Abbaugruben der Sonder Ditch gehört.« Der Dozent nahm ein Merkblatt vom Tisch. »Ich will Sie nicht mit den technischen Einzelheiten langweilen. Statt dessen will ich Ihnen in gedrängter Form berichten. Dr. Wessels kommt zu der Folgerung, daß eine sechsunddreißig Meter dicke Wand aus Quarzit unter einem seitlichen Druck von dreitausendsechshundert Pfund je sechseinhalb Quadratzentimeter zerfallen muß.« Der Dozent legte das Blatt auf den Schreibtisch zurück. »Wie Sie wissen, sind die Goldminengesellschaften durch Gesetz
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verpflichtet, entlang ihren Grenzen eine sechsunddreißig Meter breite Wand aus massivem Felsgestein stehen zu lassen. Sie allein trennt den Abbau in der einen Mine von dem in der nächsten. Nur eine Steinwand also. Sie verstehen?« »Natürlich. Das ist doch sehr einfach.« »Einfach? Allerdings. Dieser Dr. Steyner, den Sie in der Hand haben, wird den neuen Generaldirektor der Sonder Ditch anweisen, einen Tunnel durch den Big Dipper zu bohren. Der Gang wird das riesige unterirdische Reservoir anstechen, und das Wasser wird alle Gruben der Sonder-Ditch-Mine überfluten. Sind die erst einmal überflutet, dann wird der Druck einer Wassermasse von achtzehnhundert Meter Höhe in den tieferen Sohlen je Quadratzentimeter dreitausendsechshundert Pfund überschreiten. Das genügt, um die Felswände zum Einsturz zu bringen und alles unter Wasser zu setzen: die Goldminen Thornfontein, Blaauberg, Deep Gold Levels und Tweefontein. Das heißt mit andern Worten: Alle Goldgruben von Kitchenerville werden für dauernd lahmgelegt. Die Folgen für die Wirtschaft der Südafrikanischen Republik müssen katastrophal sein.« Der dicke Mann war sichtlich betroffen. »Weshalb wollen Sie das tun?« fragte er und schüttelte erschrocken den Kopf. Der Dozent wies auf einen Mann, der ruhig in einer Ecke saß. »Mein Kollege wird Ihnen das genau erklären.« »Aber die Menschen!« beschwor der dicke Mann den Dozenten. »Es werden doch Menschen dort unten sein, wenn das Wasser hereinbricht.« Der Dozent lächelte und hob eine Augenbraue. »Wenn ich Ihnen nun sagte, daß sechstausend Menschen ertrinken, würden Sie dann zurücktreten und auf die Million Dollar verzichten, die Ihnen meine Regierung angeboten hat?« Der dicke Mann blickte bestürzt unter sich und murmelte kaum hörbar: »Nein.« Der Dozent lachte in sich hinein. »Gut, gut. Sie können jedoch Ihr schlechtes Gewissen beruhigen. Ich versichere Ihnen, daß wir mit nicht mehr als vierzig oder fünfzig Toten bei der Überflutung rechnen. Natürlich werden jene Männer, die vor Ort an dem Vortrieb arbeiten, ums Leben kommen. Aber die gewaltige
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Wassermenge unter dem immensen Druck wird ihnen einen gnädigen Tod bescheren. Was die übrigen angeht, so wird man sie schnell genug herausholen können. Ihre Überlebenschancen sind ausgezeichnet. Die benachbarten Minen endlich werden tagelang Zeit haben, die Stollen zu räumen, ehe der Wasserdruck so stark wird, daß er die Grenzmauern sprengt.« Fast eine Minute lang blieb es still im Raum. »Haben Sie noch irgendwelche Fragen?« Der dicke Mann verneinte. »Sehr schön. In diesem Fall werde ich es meinem Kollegen überlassen, die Konferenz zu beenden. Er wird Ihnen die Notwendigkeit dieser Operation erklären und auch Ihre Entlohnung sowie die Bedingungen festlegen, unter denen Sie vorgehen.« Der Dozent nahm das Merkblatt und andere Schriftstücke vom Schreibtisch. »Mir bleibt nur noch übrig, Ihnen viel Glück zu wünschen.« Er lachte abermals in sich hinein und verließ dann schnell das Zimmer. Der kleine Mann, der sich bis jetzt ruhig verhalten hatte, sprang plötzlich von seinem Stuhl hoch und schritt von einer Wand zur andern. Er sprach rasch. Hin und wieder warf er einen Seitenblick auf seinen Zuhörer. Sein kahler Kopf leuchtete in dem schillernden Licht der Deckenlampe. Sein dünner Schnurrbart glich den Schnurrhaaren eines Kaninchens. »Zunächst die Gründe. Ich werde es kurz und schmerzlos machen, ja? Die Südafrikaner und die Franzosen haben sich zusammengetan. Sie brauen jetzt hier in Paris ein übles Süppchen. Wir wissen, was sie vorhaben. Sie werden einen Großangriff auf die Währung meiner Regierung starten. Nämlich dadurch, daß sie den Goldpreis anheben. Sie verstehen? Das ist sehr kompliziert und unangenehm für uns, ja? Durchaus möglich, daß es ihnen gelingt. Südafrika ist der größte Goldproduzent der Welt. Wenn die Franzosen ihnen behilflich sind, werden sie imstande sein, den Preis in die Höhe zu treiben.« Er blieb vor dem dicken Mann stehen und streckte ihm anklagend einen Finger entgegen. »Wollen wir die Daumen drehen und sie das Rennen laufen lassen? Nein, Sir. Wir werden ihnen einen Knüppel zwischen die Beine werfen. In drei Monaten wird das Syndikat zum Losschlagen bereit sein.
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Genau in diesem Augenblick aber werden wir den Südafrikanern den Stuhl unter dem Hintern fortziehen, indem wir ihre Goldproduktion um die Hälfte beschneiden. Wir werden die Goldgruben von Kitchenerville überschwemmen, und die Attacke wird wie ein Knallfrosch verpuffen, ja?« »So einfach ist das?« wunderte sich der dicke Mann. »Es ist so einfach.« Der Kahlkopf nickte heftig. »Meine nächste Aufgabe besteht nun darin, Ihnen klarzumachen, daß Sie eine Million Dollar als Belohnung erhalten. Und damit hat es sein Bewenden. Weder Sie noch Ihre Agenten dürfen sich auf irgendwelche finanziellen Transaktionen einlassen, die später enthüllen könnten, daß diese Operation geplant war. Ist das klar?« »Ja.« Der dicke Mann nickte. »Sie versichern, daß Sie mit keinerlei Aktien der betroffenen Gesellschaften handeln werden?« »Sie haben mein feierliches Wort«, entgegnete der dicke Mann und dachte nicht zum erstenmal in seinem Leben daran, wie leicht und mühelos ein Versprechen gegeben werden konnte. Mit Unterstützung der drei Männer, die im Spielclub von Johannesburg Dr. Steyner heimlich beobachtet hatten, wollte er auf Baisse spekulieren, und zwar an den Effektenbörsen der ganzen Welt. An dem Tag, da der Big Dipper angebohrt wurde, würden er und seine Partner Aktien der fünf Minengesellschaften im Wert von Millionen losschlagen und damit eine der mörderischsten Schlachten in der Finanzgeschichte beginnen. »Darin sind wir uns also einig«, nickte der Kahlkopf. »Was nun diesen Dr. Steyner anlangt, so haben wir zur Tarnung eine spezielle Analyse für ihn. Ungeachtet Ihrer Zuversicht auf seine Loyalität haben wir sichergestellt, daß er nicht vor der Weisung zurückschreckt, den Big Dipper durchstechen zu lassen, falls er sich über die Konsequenzen klar würde. Deshalb haben wir einen zweiten geologischen Bericht angefertigt.« Er zog aus seiner Aktentasche einen dicken Schnellhefter mit Blättern aus Manilapapier. »Er enthält Zahlen, die er aus den Bohrversuchen des Forschungsteams der C. R. C. kennt, aber die übrigen Zahlen sind erfunden. Dieser Bericht beweist die angebliche Existenz
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von fabelhaft wertvollem Goldgestein jenseits der Erdverwerfung.« Er trat zu dem dicken Mann und händigte ihm den Hefter aus. »Nehmen Sie das an sich. Damit werden Sie Dr. Steyner überzeugen, und er wiederum wird den neuen Generaldirektor der Sonder-Ditch-Goldmine überzeugen.« »Sie haben saubere Arbeit geleistet«, meinte der dicke Mann. »Wir sind bemüht, unsere Kunden zufriedenzustellen«, erwiderte der Kahlkopf.
< 35 > Am Pokertisch gab es zwei große Gewinner: Dr. Manfred Steyner und den Algerier. Steyner hatte seine Ankunft in Paris zeitlich so abgestimmt, daß ihm ein freies Wochenende blieb, ehe die übrigen Delegierten am Montagmorgen auf dem Luftweg eintrafen. Er war am Samstagnachmittag im Hotel George V. abgestiegen, hatte sich gebadet, bis zwanzig Uhr drei Stunden geruht und war dann in einem Taxi ins »Chat Noir« gefahren. Seit fünf Stunden spielte er nun schon, und da er ständig gute Karten bekommen hatte, war sein Gewinn beträchtlich. Vor ihm lag die Summe: ein wahrer Fruchtsalat bunter französischer Banknoten. Ihm gegenüber saß der Algerier, ein schlanker dunkelhäutiger Mann mit weichem schwarzen Schnurrbart. Seine Zähne leuchteten weiß in dem braunen Gesicht. Er trug ein rosa Hemd und ein hellblaues Jackett. Mit seinen langen braunen Fingern glättete er seine gewonnenen Geldscheine und häufte sie aufeinander. Ein Mädchen kauerte auf der Lehne seines Sessels, eine junge Araberin in hautengem goldfarbenen Hosenanzug. Ihr Haar war glänzend schwarz. Mit beunruhigend starren Augen musterte sie Steyner. »Zehntausend!« stieß Steyner abrupt hervor und setzte auf die vierte Karte, die ihm gerade ausgeteilt worden war. Er und der Algerier waren die einzigen, die noch spielten. Die übrigen Gä-
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ste hatten ihre Hände gefaltet und sich zurückgelehnt. Sie sahen mit dem oberflächlichen Interesse von Leuten zu, die nichts mehr mit der Sache zu tun hatten. Die Augen des Algeriers verengten sich ein wenig, und das Mädchen beugte sich herab, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern. Er schüttelte verärgert den Kopf und sog an seiner Zigarette. Er hatte zwei Königinnen und eine Sechs, und er neigte sich über den Tisch, um Steyners Karten zu betrachten. »Der Einsatz steht bei zehntausend Francs auf Kreuz Vier, Fünf, Sieben«, spornte der Kartengeber an. »Möglicherweise gibt es einen straight flush.« »Setzen Sie, oder hören Sie auf«, sagte einer der unbeteiligten Spieler. »Sie vergeuden ja die Zeit.« Der Algerier warf ihm einen giftigen Blick zu. »Ich setze«, sprach er dann und zählte die zehntausend Francs hin. »Carte.« Der Kartengeber schob beiden je ein Blatt zu. Schnell lüftete der Algerier eine Ecke seiner Karte mit dem Daumen, schaute sie an und bedeckte sie wieder. Steyner saß sehr ruhig da. Die Karte lag Zentimeter neben seiner rechten Hand. Sein Gesicht war bleich und unbewegt, aber in ihm brodelte es. Weit von einem möglichen straight flush entfernt, hatte er die Kreuz Vier, Fünf, Sieben und die Herz Acht. Nur eine Sechs konnte ihm noch helfen, und eine Sechs befand sich bereits unter den Karten des Algeriers. Er selber hatte also nur noch wenig Chancen. Sein Unterleib und seine Lenden waren angespannt und heiß vor Erregung, seine Brust schien eingeschnürt. Er zögerte diese prickelnden Empfindungen hinaus. Am liebsten wäre ihm gewesen, sie hätten nie ein Ende genommen. »Auf zwei Königinnen bitte setzen«, murmelte der Bankhalter. »Zehntausend.« Der Algerier stieß die Banknoten von sich. Er hat noch eine Königin, dachte Steyner, aber er weiß nicht, was ich ausspielen kann. Mit seiner weichen weißen Hand bedeckte er seine fünfte Karte. Dann hob er sie auf. »Um den Tisch«, sagte er kühl. Die Beobachter schnappten nach Luft und scharrten unruhig. Das Mädchen faßte nach dem Ärmel des Algeriers, der haßer-
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füllt in Steyners Gesicht starrte. »Der Herr spielt um den ganzen Tisch«, betonte der Croupier. »Das ist eine Regel unseres Hauses. Jeder Spieler kann den Gesamtbetrag, den er auf dem Tisch liegen hat, einsetzen.« Er langte hinüber und begann die Banknoten Steyners zu zählen. Minuten danach verkündete er den Betrag. »Zweihundertzwölftausend Francs.« Dann schaute er den Algerier an. »Es liegt jetzt allein bei Ihnen, gegen einen möglichen straight flush zu setzen.« Das Mädchen flüsterte drängend in das Ohr des Algeriers, aber er warf ihr ein einziges Wort zu, und sie kroch zusammen. Dann sah er sich im Zimmer um, als suche er Beistand, und schließlich studierte er seine Karten noch einmal genau. Plötzlich verhärteten sich seine Züge. »Sagen Sie Call an!« platzte er heraus, und Steyners geballte Faust fiel offen auf den Tisch. Der Algerier legte seine Karten hin. Drei Königinnen. Alle schauten erwartungsvoll auf Steyner. Er schnellte sein letztes Blatt hin. Karo Zwei. Aus. Mit dem Triumphschrei eines Raubvogels sprang der Algerier hoch, griff über den Tisch und schaufelte mit beiden Armen Steyners Geld zu sich heran. Steyner stand auf. Das arabische Mädchen feixte ihn gehässig an und verhöhnte ihn auf arabisch. Steyner drehte sich schnell um und rannte fast die Treppe hinab zu den Toiletten. Zwanzig Minuten später ließ er sich geschwächt und leicht benommen auf den Rücksitz eines Taxis fallen. »Hotel George V.«, wies er den Fahrer an. Als er das Foyer betrat, sah er, wie sich ein hochgewachsener Mann aus einem Sessel erhob und ihm zu den Aufzügen folgte. Nebeneinander gingen sie in den Lift, und als die Tür zuglitt, sagte der hochgewachsene Mann: »Seien Sie willkommen in Paris, Dr. Steyner.« »Vielen Dank, Andrew. Sie wollen mir vermutlich meine Instruktionen geben.« »Richtig. Er möchte Sie morgen um zehn Uhr sprechen. Ich werde Sie abholen.«
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< 36 > Es war Samstagnacht in Kitchenerville, und in der Herrenbar des Lord-Kitchener-Hotels drängten die täglich entlohnten Männer der fünf Goldbergwerke drei Reihen tief zur Theke. Seit drei Stunden wurde getanzt. An den Tischen auf der Veranda saßen die Frauen und nippten geziert an ihrem Portwein oder an ihrer Limonade. Wenngleich sie auf bewundernswerte Weise die Abwesenheit der Männer zu übersehen schienen, wurde die Tür zur Bar doch ständig überwacht. Die meisten Frauen hatten zur Sicherheit schon die Autoschlüssel in der Handtasche. Im Speiseraum, aus dem alle Möbel entfernt worden waren, spielte die ortsansässige vier Mann starke Band, die sich den unwahrscheinlichen Namen »Windhunde« zugelegt hatte, aus Leibeskräften. Die meisten Männer hatten ihr Jackett abgelegt und den Knoten ihrer Krawatte gelockert. Sie redeten prahlerisch aufeinander ein. Ihre Beine schwankten leicht, wenn sie ihre Frauen auf die Tanzfläche führten und zeigten, in welcher hohen Schule sie ihre Künste erlernt hatten. Einige gaben sich als Kavalleristen. Sie klemmten sich ihre Partnerinnen unter den Arm, als wären sie Lanzen, und stürmten los. Andere drehten sich schwerfällig um die eigene Achse, blickten weder nach links noch nach rechts und sprachen mit niemandem, auch nicht mit ihrer Partnerin. Dann gab es die Geselligen, die mit rotem Gesicht im ganzen Saal herumwalzten. Ihre Bewegungen stimmten durchaus nicht mit der Musik überein. Sie schrien ihre Freunde an und versuchten, in jeden Frauenpopo zu kneifen, der in ihre Reichweite geriet. Die Genießer hielten sich in der Mitte des Raums und tanzten Twist. Vor einem halben Dutzend Jahren hatte der Twist die Welt wie eine Asiatische-Grippe-Epidemie heimgesucht und war dann wieder verklungen. Nicht vergessen wurde er jedoch an Orten wie Kitchenerville. Hier war der Twist geradezu ein Teil des kulturellen Lebens geworden. Auch ein Meistertänzer fehlte nicht. Johnny Delange!
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»Mann Gottes, kann der vielleicht tanzen!« meinten die Leute ehrfürchtig. Mit den geschmeidigen erotischen Bewegungen einer aufgerichteten Kobra tanzte Johnny mit seiner Hettie. Sein Anzug aus Kunstseide schimmerte und flimmerte, die Spitzenrüschen seines Hemdes flatterten am Hals, und die Spangen seiner spitzen italienischen Schuhe funkelten beim Tanzen. Hettie war eine große leichtfüßige Frau mit kastanienfarbenem Haar. Sie hatte eine schmale Taille und ein prächtig schwellendes Hinterteil unter ihrem smaragdgrünen Kleid. Sie lachte beim Tanz. Es war ein von Herzen kommendes gesundes Lachen, das zu ihrem Körper paßte. Die beiden waren so gut aufeinander eingestellt, wie es nur ein Paar sein kann, das schon oft miteinander getanzt hat. Hettie ahnte jede Bewegung Johnnys im voraus, und er quittierte es mit freundlichem Grinsen. Auf der Veranda stand Davy und verfolgte das Paar mit seinen Blicken. Er hielt sich im Schatten und hatte einen Bierkrug umklammert - eine gedrungene einsame Gestalt. Wenn ein anderes Tanzpaar ihm die Aussicht auf Hetties üppiges Hinterteil versperrte, trat er verärgert zur Seite. Die Musik brach ab, und die Tänzer kamen auf die Veranda. Sie lachten, atmeten schwer und wischten sich den Schweiß vom Gesicht. Die Frauen kicherten, als die Männer sie zu ihren Tischen zurückbrachten und dann wieder zur Bar eilten. »Bis später.« Johnny ließ Hettie nur widerstrebend allein. Er hätte gern bei ihr gesessen, aber er war empfindlich und konnte sich denken, was die anderen sagen würden, wenn er den ganzen Abend bei seiner Frau hockte. Also tauchte er abermals in der Männerbar unter, um sich an ihren Witzen und an ihrem lauten Gelächter zu beteiligen. Er war gerade in eine Diskussion über die Vorzüge des neuen Ford Mustang vertieft, den er kaufen wollte, als Davy ihn anstieß. »Constantin ist da«, raunte er, und Johnny sah sich rasch um. Dieser Constantin war ein griechischer Einwanderer, der in der Blaauberg-Mine arbeitete: ein starker schwarzhaariger Bursche mit gebrochener Nase. Johnny hatte ihm diese Nase vor etwa
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zehn Monaten zertrümmert. Als er noch Junggeselle war, hatte Johnny sich durchschnittlich einmal im Monat mit ihm geprügelt - nicht etwa aus ernsten Gründen, sondern nur so, aus Spaß an der Sache. Jetzt aber konnte Constantin einfach nicht begreifen, weshalb Johnnys funkelnagelneue Frau ihm diese gelegentlichen Schlägereien verboten hatte. Constantin war der irrigen Meinung, Johnny habe Angst vor ihm. Soeben kam er an die Bar. In seiner schweren behaarten Rechten hielt er sein Glas. Der kleine Finger war affektiert gespreizt. Die andere Hand ruhte auf seiner Hüfte, und er trippelte daher mit einem törichten Lächeln auf seinem wie aus Stein gehauenen Gesicht. Vor einem Spiegel blieb er stehen, um sein Haar zu ordnen, dann winkte er seinen Kumpanen und schritt auf Johnny zu. Wieder blieb er stehen und machte Johnny schöne Augen. Er klapperte mit den Lidern und wackelte mit den Hüften. Seine Kollegen von der Blaauberg-Mine lachten sich fast tot. Fröhlich glucksend hieben sie einander auf die Schultern. Dann verschwand Constantin mit einem Knall, der eine neue Lachsalve auslöste, in der Toilette. Minuten danach erschien er wieder. Auf dem Weg zu seinen Freunden warf er Johnny einen Handkuß zu. Als Anerkennung für diese Heldentat nötigten sie den Griechen zum Schnapstrinken. Johnny lächelte ein wenig gequält, als er seine Unterhaltung über die vortrefflichen Eigenschaften des Mustang wieder aufnahm. Nach zwanzig Minuten und nach einem Dutzend weiterer Schnäpse wiederholte Constantin sein Spielchen auf dem Gang zur Toilette. Sein Repertoire war begrenzt. »Halt dich zurück, Johnny«, flüsterte Davy. »Komm, wir setzen uns auf die Veranda.« »Ich sag' dir, er will's nicht anders haben.« Johnny lächelte jetzt nicht mehr. »Komm doch mit, Johnny.« »Nein, zum Teufel. Sie werden glauben, ich laufe vor dem Kerl davon. Ich kann jetzt nicht verschwinden.« »Du weißt, was Hettie sagen wird«, warnte Davy.
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Johnny schwankte noch einen Moment. »Zum Teufel mit dem Gerede von Hettie!« Er ballte seine rechte Faust mit den stattlichen Goldringen, als er auf Constantin zusteuerte und sich neben ihm an die Theke lehnte. »Herby«, rief er dem Barmann zu. Nachdem er die Aufmerksamkeit aller erregt hatte, deutete er auf den Griechen. »Gib der Dame hier ein Gläschen Portwein oder Limonade.« Die Umstehenden suchten Deckung. Davy stürzte durch die Tür auf die Veranda. »Hettie!« keuchte er. »Johnny prügelt sich wieder mal.« »So?« Hettie erhob sich wie eine rothaarige Walküre. Doch ihr Marsch zur Bar wurde durch die Zuschauer gehemmt, die die Tür und alle Fenster belagerten. Sie standen auf Zehenspitzen und kletterten auf Stühle und Tische, um besser sehen zu können. Jeder Hieb und jedes Krachen der zersplitternden Möbelstücke wurde mit Wonnegebrüll begrüßt. Hettie packte mit der rechten Hand ihre Tasche. Wie ein Pfadfinder im Dschungel, der das Unterholz mit einer Machete abhackt, so schaffte sie sich freie Bahn zur Tür der Bar. Dort blieb sie stehen. Die Prügelei hatte eine kritische Phase erreicht. Zwischen zerbrochenen Gläsern und zerschmetterten Stühlen tanzten Johnny und der Grieche umeinander. Beide waren auf der Hut und fintierten. Beide waren aber auch schon angeschlagen. Constantin blutete am Mund. Ein dünnes Blutrinnsal tropfte von seinem Kinn aufs Hemd. Johnny hatte eine leuchtendrote Beule, die das eine Auge schloß. Die Menge wartete stumm ab. »Johnny Delange!« Hetties Schrei krachte wie ein Gewehrschuß aus dem Hinterhalt. Schuldbewußt fuhr Johnny zusammen, ließ seine Hände sinken und drehte sich halb zu ihr um. Da traf ihn die Faust des Griechen seitlich am Kopf. Er taumelte unter dem Schlag gegen die Wand und rutschte dann sacht zu Boden. Constantin stürzte triumphierend herbei, um den Hingestreckten mit Fußtritten zu bearbeiten, aber er knallte kopfüber bewußtlos neben Johnny auf die Dielen. Hettie hatte nach einer Wasserflasche gelangt und sie ihm über den Schädel gehauen. »Helft mir, bitte, meinen Mann in den Wagen zu bringen«, bat
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sie die Männer in der Nähe. Mit einemmal war sie so ratlos wie ein kleines Mädchen. Dann saß sie neben Davy im Auto und schäumte vor Wut. Johnny lag hinten und scharchte leise. »Sei doch nicht so ärgerlich, Hettie.« Davy fuhr vorsichtig. »Ich hab's ihm nicht einmal gesagt, sondern hundertmal.« Hetties Stimme klang kratzig wie Nebengeräusche im Radio. »Ich hab' ihm gesagt, ich nehm' das nicht mehr hin.« »Es war nicht seine Schuld. Der Grieche hat angefangen«, erklärte Davy und legte eine Hand auf ihren Schenkel. »Du stehst ihm ja bloß bei, weil er dein Bruder ist.« »Das ist nicht wahr«, meinte er beschwichtigend und streichelte ihren Schenkel. »Du weißt doch, was ich für dich empfinde, Hettie.« »Ich glaub' dir nicht.« Seine Hand wanderte höher. »Ihr seid alle einer wie der andere. Ihr steckt alle unter einer Decke.« Ihre Wut schlug in tiefen Groll auf Johnny um, und sie wollte sich rächen. Sie wußte, daß Davys Hand nicht mehr versuchte, sie zu besänftigen und ihren Zorn zu lindern. Vor ihrer Heirat hatte Hettie viele Gelegenheiten gehabt, Erfahrungen mit Männern zu sammeln, und sie war eine begabte und fleißige Schülerin gewesen. Sie spendete ihre Gunst so beiläufig, wie andere Leute ihre Zigarettenschachtel herumreichen. Warum eigentlich nicht? überlegte sie. Das hat sich Mr. Johnny Delange selber zuzuschreiben. Bis zum Letzten würde sie natürlich nicht gehen, aber immerhin so weit, bis sie sich revanchiert hatte. »Nein, Hettie, es ist wahr, ich sag's dir doch.« Davys Stimme war heiser, als er spürte, daß sie ihre Beine unter seiner Hand spreizte. Er berührte die seidenweiche Haut über dem Strumpfband. Der Monaco kroch jetzt im Fußgängertempo dahin, und erst nach zehn Minuten erreichten sie das der Minengesellschaft gehörende Haus im Außenbezirk von Kitchenerville. Auf dem Rücksitz stöhnte Johnny. Sofort fuhr Davys Hand wieder ans Steuer, Hettie richtete sich auf und glättete ihr Kleid. »Komm, wir schaffen ihn ins Haus«, sagte sie. Auch ihre Stimme war nun unsicher, und ihre Wangen waren erhitzt. Wütend
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war sie jetzt nicht mehr.
< 37 > Beide hatten einen Schwips. Vor dem Sunnyside-Hotel hatten sie angehalten, um Rods Ernennung zu begießen. Sie saßen in einer Nische zusammen, tranken rasch, waren aufgeregt und lachten, berührten sich jedoch nicht. Terry Steyner wußte nicht mehr, wann sie sich zum letztenmal so benommen hatte. Es mußte vor zehn Jahren gewesen sein, als sie in ihrem letzten Semester an der Uni von Kapstadt im Hotel Randall Lagerbier getrunken und das albernste Zeug von sich gegeben hatte. Die damenhafte Würde, auf die Manfred so großen Wert legte, war wie weggeblasen. Sie fühlte sich wie ein junges Ding bei der ersten Verabredung mit dem Kapitän der Rugbymannschaft. »Verschwinden wir von hier«, meinte Rod plötzlich, und sie stand sogleich auf. Als sie die Treppe hinuntergingen, faßte er sie am Arm. Ein Prickeln durchfuhr sie, als seine Finger ihre nackte Haut berührten. Im Wagen hatte sie dann abermals dieses Gefühl, außerhalb der Wirklichkeit zu leben. »Wie oft sehen Sie Ihre Tochter, Rod?« fragte sie, als er sich neben sie setzte. Er warf ihr einen überraschten Blick zu. »Jeden Sonntag.« »Also morgen?« »Ja.« »Wie alt ist sie denn?« »Sie wird neun.« »Und was machen Sie mit ihr?« Rod drückte auf den Starter. »Wie meinen Sie das?« »Wohin gehen Sie mit ihr? Was treibt ihr zusammen?« »Wir rudern auf dem Teich im Zoo und essen Eisbecher mit Früchten. Wenn es kalt ist oder regnerisch, gehen wir in meine Wohnung und spielen Mah-Jongg. Sie schwindelt dabei.« »In Ihre Wohnung?«
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»Ja, ich habe eine Absteige in der Stadt.« »Wo?« »Ich werde sie Ihnen zeigen«, entgegnete Rod gelassen. Sie saß auf der Couch in seinem Wohnzimmer und schaute sich interessiert um. Sie hatte nicht damit gerechnet, daß er seine Wohnung mit solch offensichtlicher Sorgfalt möbliert hätte. Die Farben waren weizengelb, schokoladenbraun und kupferrot. An der Wand gegenüber hing eine leuchtende Herbstlandschaft. Das Bild mußte von Dino Paravano sein. Mit einer leichten Wehmut beobachtete sie, wie Rod die Lichter anschaltete, um einen möglichst romantischen Effekt zu erzielen. Dann trat sie zum Likörschrank. »Wo ist das Badezimmer?« erkundigte sie sich. »Die zweite Tür links im Flur.« Sie schlenderte ins Badezimmer und öffnete das Wandschränkchen wie ein Dieb. Drei Zahnbürsten hingen an Haken. Schnell verschloß sie es wieder. Sie fühlte sich verwirrt und wußte nicht, ob sie eifersüchtig war oder sich ihrer Schnüffelei wegen schämte. Die Tür zum Schlafzimmer stand offen. Ob sie es wollte oder nicht, sie mußte das Doppelbett sehen, als sie wieder ins Wohnzimmer zurückging. Dort blieb sie vor dem Gemälde stehen. »Das gefällt mir«, erklärte sie. »Kommt es Ihnen nicht wie eine Fotografie vor?« »Nein, mir gefällt's.« Er reichte ihr ein Glas und betrachtete gleichfalls das Bild. Sie schüttelte die Eisbröckchen in ihrem Glas, und er wandte sich ihr zu. Das Gefühl der Unwirklichkeit beherrschte sie noch immer, als sie merkte, daß er ihr das Glas aus der Hand nahm. Sie spürte seine Hände. Es waren kräftige und erfahrene Hände. Sie umfaßten ihre Schultern und streichelten dann langsam ihren Rücken. Ein wollüstiges Beben lief durch ihren Körper, und dann senkte sich sein Mund auf den ihren. Jetzt war das Gefühl der Unwirklichkeit vollkommen. Alles erschien ihr warm und verschwommen, und sie überließ sich ihm. Wie lange es dauerte, bis sie in die nüchterne und kühle Wirklichkeit zurückgerissen wurde, konnte sie später nicht mehr sagen. Sie lagen auf der Couch. Er hielt sie in seinen Armen. Ihr
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Hosenanzug war bis zu den Hüften geöffnet, ihr Büstenhalter aufgehakt. Er hatte den Kopf über sie geneigt. Sie umkrallte mit einer Hand ein Büschel seiner dicken lockigen Haare und dirigierte seine Lippen zu den Stellen, die er suchte. Heiß und saugend küßte er ihre Brüste. »Ich muß toll geworden sein«, keuchte sie und riß sich aus seiner Umarmung los. Sie zitterte vor Furcht. Sie war entsetzt über sich selbst. Nie zuvor war ihr Derartiges passiert. »Das ist ja Wahnsinn!« Ihre Augen glänzten wie dunkle Teiche in ihrem blassen Gesicht, und ihre Finger zitterten, als sie die Bluse wieder zuknöpfte. Beim letzten Knopf fiel die Furcht von ihr ab. Statt dessen war sie nun wütend. »Wie viele Frauen haben Sie auf dieser Couch schon verführt?« Rod erhob sich und streckte eine Hand aus, um sie zu beruhigen. »Fassen Sie mich nicht an!« Sie trat einen Schritt zurück. »Ich will nach Hause.« »Ich bringe Sie nach Hause, Terry. Aber regen Sie sich doch nicht so auf. Es ist ja nichts geschehen.« »Nein, aber das ist nicht Ihre Schuld«, fauchte sie ihn an. Er murmelte etwas. »Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, dann hätten Sie...« Terry verschluckte den Rest ihres Satzes. »Ja, ich hätte es getan«, gab Rod zu. »Aber nur, wenn auch Sie es gewollt hätten.« Sie bemühte sich um ihre Fassung. »Ich hätte nicht mit heraufkommen dürfen. Ich hätte mir vorher sagen sollen, zu was das führen mußte. Aber fahren Sie mich jetzt, bitte, nach Hause.«
< 38 > Das Klingeln des Telefons weckte Rod. Während er nackt und noch halb im Schlaf ins Wohnzimmer taumelte, blickte er auf seine Armbanduhr. Es war acht. »Ironsides«, gähnte er in die Sprechmuschel, wurde jedoch sofort hellwach, als er ihre Stimme erkannte.
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»Guten Morgen, Rodney. Wie steht's mit Ihrem Katzenjammer?« Daß er so bald wieder von ihr hören würde, hatte er nicht erwartet. »Erträglich.« »Ich rufe Sie an, um mich für einen amüsanten und - lehrreichen Abend zu bedanken.« Er grinste und kratzte sich die Brust. »Na, Sie sind ja launisch wie der Wind. Gestern abend hatte ich mit einer Kugel zwischen meinen Augen gerechnet.« »Letzte Nacht haben Sie mir einen schönen Schrecken eingejagt. Plötzlich habe ich begriffen, daß Sie imstande sind, sich wie ein Wüstling aufzuführen. Aber nicht alles, was ich Ihnen ins Gesicht geschrien habe, war ernst gemeint.« »Es tut mir leid, Ihnen Kummer bereitet zu haben«, antwortete Rod. »Ach was. Sie waren höchst verführerisch.« Dann wechselte sie rasch das Thema. »Holen Sie heute Ihre Tochter ab?« »Ja.« »Ich würde sie ganz gern einmal kennenlernen.« »Das könnten wir einrichten«, meinte Rod zurückhaltend. »Mag sie Pferde?« »Sie ist ganz verrückt danach.« »Wollen Sie dann vielleicht mit der Kleinen und mir zu meinem Gestüt am Vaalfluß fahren?« Rod zögerte. »Ist das nicht riskant? Ich meine, wenn man uns zusammen sieht?« »Es geht um meinen Ruf. Ich gebe schon selber auf mich acht.« »Schön«, erwiderte Rod. »Wir werden mit Vergnügen Ihre Farm besuchen.« »Ich hole Sie in Ihrer Wohnung ab. Wann?« »Um halb zehn.« Patti war noch im Schlafanzug, als sie Rod eine Wange zu einem Kuß bot. Sie hatte Lockenwickler im Haar, und ihren Augen war anzusehen, daß sie erst spät zu Bett gegangen war. »Na, du wirst ja auf einmal dünner. Melly zieht sich gerade an. Willst du ein bißchen Kaffee? Deine Unterhaltszahlung ist auch in diesem Monat wieder reichlich spät gekommen.« Sie schlug
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nach dem kleinen Spaniel auf dem Teppich. »Der verdammte Hund läßt überall Haare. Melanie«, rief sie dann mit erhobener Stimme. »Beeil dich! Dein Papa ist da.« »O Papa!« kreischte Melanie zurück. »Du kannst nicht 'reinkommen. Ich hab' noch keine Kleider an.« »Schön, mach schnell. Ich bin eine Million Kilometer gefahren, um dich zu sehen.« »Eine Million, das ist schwer übertrieben!« Melanie Ironsides ließ sich nicht an der Nase herumführen. »Willst du jetzt eigentlich Kaffee oder nicht? Er ist sowieso fertig.« Patti führte ihn ins Wohnzimmer. »Danke schön.« »Wie laufen die Dinge?« fragte sie, als sie eine Tasse füllte und sie ihm reichte. »Sie haben mich zum Generaldirektor der Sonder Ditch ernannt.« Er konnte das einfach nicht für sich behalten. Die Nachricht war zu schön. Er mußte damit prahlen. Patti starrte ihn verdutzt an. »Du machst wohl Witze«, meinte sie vorwurfsvoll, aber dann merkte er, daß ihre Gedanken so rasch zu arbeiten begannen wie eine Registrierkasse. Er hätte beinahe laut gelacht. »Nein«, sagte er. »Ich spreche im Ernst.« »Großer Gott.« Sie ließ sich in einen Sessel plumpsen. »Dann bekommst du ja fast doppelt so viel Gehalt wie bisher.« Er blickte sie ruhig an, und nicht zum erstenmal verspürte er eine unendliche Erleichterung, weil er nicht mehr an sie gekettet war. »Bei solchen Gelegenheiten gratuliert man eigentlich«, sagte er herausfordernd. »Das verdienst du nicht.« Jetzt war sie zornig. »Du bist ein selbstsüchtiger Kerl, ein herumstreunender Schürzenjäger. Du verdienst das ganze Glück nicht, das du immer hast.« Wieder einmal hatte er sie um etwas gebracht. Nun könnte sie die Gattin eines Generaldirektors sein. Statt dessen war sie eine geschiedene Frau, die sich mit lumpigen Vierhundertfünfzig im Monat abfinden mußte. Bis jetzt hatte sie geglaubt, sie sei ganz gut dran. Mit einem Mal aber sahen die Dinge ganz anders aus. »Ich hoffe, du wirst so viel Pflichtbewußtsein haben, mich und Mela-
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nie gebührend zu versorgen. Wir haben ein Anrecht darauf.« Die Tür wurde aufgestoßen, und Melanie Ironsides kam ins Zimmer gejagt. Sie hatte langes blondes Haar und grüne Augen. Mit Schwung warf sie sich an Rods Hals. »In der Rechtschreibung habe ich fast überall eine Eins!« »Du bist nicht nur klug, du bist ein Genie. Und hübsch bist du außerdem.« »Trägst du mich zum Auto 'runter, Papa?« »Was ist denn los? Stecken deine Beine in Gips?« »Bitte, bitte, Papa.« Patti störte dieses Liebesidyll. »Hast du deine Strickjacke?« Und Melanie hetzte davon. »Ich bringe sie vor neunzehn Uhr zurück«, versprach Rod. »Du hast mir noch keine Antwort auf meine Frage gegeben«, mahnte Patti verdrießlich. »Aber ja, du wirst genau dieselben schönen, reichlichen Vierhundertfünfzig kriegen wie bisher auch.« Sie waren gerade zehn Minuten in seiner Wohnung, als die Türklingel Terrys Ankunft signalisierte. Sie trug eine Hose und ein kariertes Hemd. Das Haar hatte sie in einem Zopf gebändigt. Selbstbewußt grüßte sie Rod. Er machte sie mit Melanie bekannt, und Terry wirkte eigentlich kaum älter als seine Tochter. Die beiden schätzten sich mit den Blicken ab. Melanie gab sich plötzlich sittsam und spröde. Rod sah zu seiner Freude, daß Terry sich nicht mit dem üblichen Überschwang der Erwachsenen des Kindes annahm. Sie hatten schon den halben Weg zum Dorf Parys am Vaal hinter sich, als Melanie endlich mit ihrer genauen Inspektion fertig war. »Darf ich nach vorn kommen und mich auf deinen Schoß setzen?« erkundigte sie sich. »Aber natürlich.« Terry konnte ihre Erleichterung und ihr Vergnügen kaum verhehlen. Melanie kletterte über den Sitz und kauerte sich auf ihren Schoß. »Du bist schön«, meinte sie schließlich in überzeugtem Ton. »Vielen Dank. Das bist du aber auch.« »Bist du Papas Freundin?« wollte Melanie wissen. Terry blickte auf Rod und brach in ein Gelächter aus. »Beina-
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he«, kicherte sie, und dann lachten sie alle drei. Sie lachten überhaupt oft an diesem sonnigen Tag. Terry und Rod spazierten über die grünen Weiden am Vaal. Ihre Finger berührten sich fast. Melanie rannte vor ihnen über die Koppeln und kreischte entzückt über die Sprünge der Füllen. Dann gingen sie zu den Stallungen, wo Melanie den Gewinner des »Cape Metropolitan Handicap« mit Zucker fütterte. Danach küßte sie seine Samtschnauze. Sie schwammen im Becken neben dem eleganten weißgetünchten Haus, lachten und plantschten, und als sie am Abend nach Johannesburg zurückfuhren, ringelte sich Melanie erschöpft in Terrys Schoß zusammen, legte das Köpfchen an ihre Brust und schlief ein. Terry wartete in dem Maserati, während Rod das schlafende Kind zu seiner Mutter brachte, und als er sich wieder ans Steuer setzte, murmelte sie: »Mein Wagen steht vor Ihrer Wohnung. Sie müssen mich mitnehmen.« Beide blieben stumm, bis sie in Rods Wohnzimmer waren. Dann sagte er: »Ich danke Ihnen für diesen herrlichen Tag.« Und er nahm sie in seine Arme und küßte sie. Im Dunkeln lag sie dicht neben dem schlafenden Mann - so dicht, als fürchte sie, er könne ihr genommen werden. Noch nie in ihrem Leben hatte ein derart tiefes Gefühl sie aufgerührt: Es war eine Mischung aus furchtsamer Verwunderung und Dankbarkeit. Sie fühlte sich auf eine ihr bislang fremde Stufe der menschlichen Beziehungen zueinander gehoben, von der sie gar nicht gewußt hatte, daß es sie gab. Sie berührte seinen Körper leicht. Sie wollte ihn nicht wecken. Mit den Fingerspitzen fuhr sie durch das harte Haar auf seiner Brust. Noch immer staunte sie über ihr Erlebnis, das unendlich anders gewesen war als alles, was sie zuvor erfahren hatte. Mit einem kaum erträglichen Glücksgefühl erinnerte sie sich seiner Stimme, wie er ihr die Schönheiten ihres Körpers geschildert hatte, so daß sie zum erstenmal stolz darauf war. Sie erinnerte sich der Worte, die er benutzt hatte, um das, was sie taten, genau zu beschreiben. Sie erinnerte sich des sanften und sicheren Drucks seiner Hände, als er sie zärtlich genommen hatte. Er
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war so frei von Scham, so von Freude erfüllt, daß die Zurückhaltung, die die trostlosen Jahre ihrer Ehe ihr auferlegt hatten, weggespült wurde. Sie war imstande gewesen, zusammen mit ihm den Sturm der Gefühle zu erleben, bis sie jenen friedlichen Zustand erreichten, da Geist und Körper gesättigt sind. Sie bemerkte, daß er wach wurde, und sie tastete mit ihren Fingern nach seinem Gesicht, seinen Lippen und seinen Augen. »Ich danke dir«, flüsterte sie, und er schien zu verstehen, denn er nahm ihren Kopf und schmiegte ihn sanft in die Beuge seiner Schulter. »Schlaf jetzt«, murmelte er, und sie schloß ihre Augen und lag still neben ihm, aber sie schlief nicht ein. Sie wollte auch nicht eine Sekunde dieser Nacht versäumen.
< 39 > Als Rod am Montagmorgen um halb acht in sein Büro kam, lag die Ernennungsurkunde auf dem Schreibtisch. Er setzte sich und zündete eine Zigarette an. Dann begann er langsam zu lesen. Dimitri kam aufgeregt aus seinem Büro herbei. »Rod, diese Woche fängt ja schön an! Wir haben einen Schaden in dem Hochspannungskabel auf Sohle neunzig und...« »Jammere mir nichts vor«, schnitt Rod ihm das Wort ab. »Ich bin nicht mehr Direktor im Untertagebau.« Dimitri glotzte ihn verblüfft an. »Was denn sonst, zum Teufel? Haben sie dich etwa gefeuert?« »Etwas Besseres«, antwortete Rod und schob ihm den Brief zu. »Sieh mal, was diese Kerle mir angetan haben.« Dimitri las und brüllte dann los: »Mein Gott! Rod! Mein Gott!« Und dann schoß er den Flur hinab, um die Nachricht den andern mitzuteilen. Plötzlich standen sie allesamt in seinem Büro und schüttelten ihm die Hand. Die meisten freuten sich wohl ehrlich. Bei einigen hörte er jedoch einen falschen Ton heraus. Bei einem war es Neid. Ein Zweiter hatte wohl noch nicht verwunden, daß Ironsi-
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des ihm kürzlich die Meinung gesagt hatte. Ein Dritter, der ziemlich unfähig war, fürchtete nun, seinen Job zu verlieren. Dann klingelte das Telefon. in Rod hob den Hörer ab. Seine Miene änderte sich, und er wies die Männer mit einer Geste aus dem Raum. »Hier ist Hirschfeld.« »Guten Morgen, Mr. Hirschfeld.« »Na, jetzt haben Sie Ihre Chance, Ironsides.« »Ich bin Ihnen sehr dankbar.« »Ich möchte Sie sehen. Ich gebe Ihnen einen Tag, sich zurechtzufinden. Kommen Sie morgen um neun Uhr in mein Büro.« »Ich werde da sein.« »Gut.« Rod legte auf, und der Tag verging in einem Durcheinander von Arbeiten aller Art. Ständig wurde er von Leuten gestört, die ihm Glück wünschten. Heute hatte er noch die Geschäfte des Direktors im Untertagebau zu erledigen. Hinzu kam, daß er sich dabei in seine neue Stellung einarbeiten mußte. Er war gerade dabei, in sein künftiges großes Büro im Verwaltungsblock umzuziehen, als Frank Lemmers Sekretärin, Miss Lily Jordan, erschien. »Mr. Ironsides, wir haben bisher in der Arbeit noch nie direkt miteinander zu tun gehabt.« Das war eine gewaltige Untertreibung. »Es ist unwahrscheinlich, daß dies in Zukunft geschieht. Ich möchte um meine Entlassung bitten. Ich habe bereits meine Vorkehrungen getroffen.« Wieder einmal schrillte das Telefon. Dan Standers Stimme dröhnte ihm entgegen. »Rod, ich habe mich verliebt.« »Um Himmels willen, nein!« stöhnte Rod. »Nicht auch das noch!« »Ich muß mich bei dir bedanken, daß du mich mit ihr bekannt gemacht hast. Sie ist die herrlichste...« »Ja, ja«, unterbrach ihn Rod. »Sieh mal, Dan, ich habe ziemlich viel zu tun. Vielleicht ein andermal, ja?« »Aber gewiß. Das habe ich ja ganz vergessen. Du bist jetzt der neue Generaldirektor. Ich gratuliere. Du kannst mich im Club zu
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einem Drink einladen. Achtzehn Uhr?« »Gut. Bis dahin werde ich einen nötig haben.« Rod blickte wieder in das miesepetrige Gesicht von Miss Lily Jordan. »In der Vergangenheit haben unsere Interessen manchmal nicht übereingestimmt, Miss Jordan. Von nun an wird das nicht mehr der Fall sein. Sie sind die beste Privatsekretärin weit und breit. Ich brauche Sie. Die Gesellschaft braucht Sie.« Das waren die magischen Worte. Miss Jordan arbeitete seit fünfundzwanzig Jahren in der Sonder-Ditch-Mine. Sie bebte sichtlich. »Bitte, Miss Jordan, geben Sie mir eine Chance!« Schamlos setzte Rod sein verführerischstes Lächeln auf. Miss Jordans weibliche Gefühle waren noch nicht so weit verkümmert, als daß sie diesem Lächeln hätte widerstehen können. »Also schön denn, Mr. Ironsides. Ich bleibe zunächst bis Ende des Monats. Dann können wir weitersehen.« Sie stand auf. »Jetzt kümmere ich mich darum, daß Ihre Sachen in das neue Büro geschafft werden.« »Ich danke Ihnen, Miss Jordan.« Erleichtert überließ er ihr diese Aufgabe und wandte sich den Problemen zu, die sich in Papierstapeln auf seinem Schreibtisch häuften. Ein Mann und zwei Jobs. Jetzt war er verantwortlich für die Arbeiten unter Tage, aber auch für die im Tagebau. Immer wieder schellte das Telefon, im Flur drängten sich Männer, aus Dimitris Büro wurden ihm in einem fort Notizen gebracht. Er fand keine Zeit zum Essen, und als sie anrief, war er der Erschöpfung nahe. »Sehen wir uns heute nacht?« Ihre Stimme war so erfrischend für ihn wie ein nasses Handtuch für einen Preisboxer zwischen den Runden. »Terry«, sagte er nur. »Ja oder nein?« fragte sie. »Wenn wir uns nicht sehen können, springe ich vom Dach des Reef Building 'runter.« »Wir werden uns sehen. Dein Großvater hat mich für morgen früh zu sich bestellt. Also werde ich die Nacht in meiner Wohnung verbringen. Sobald ich dort bin, rufe ich dich an.« »Gut«, entgegnete sie, »sehr gut.« Um halb sechs Uhr steckte Dimitri seinen Kopf durch die Tür.
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»Ich fahre jetzt 'runter nach Schacht eins, um die Sprengung zu überwachen.« »Mein Gott, wie spät ist es denn?« Rod blickte auf die Uhr. »Wie die Zeit vergeht! Aber warte.« Rod hielt ihn zurück. »Ich werde mich selbst um die Sprengung kümmern.« Dimitiri öffnete den Mund, um zu protestieren. Dann sah er den Ausdruck in Rods Gesicht, und er beschloß, sich zu fügen. »Okay. Bis morgen.« Und er ging. Rod mußte über seine Sentimentalität lächeln. Die Sonder Ditch gehörte jetzt ihm, und er wollte die erste Sprengung im neuen Amt ausführen. Sie warteten auf ihn an der Stahltür der Sprengkammer. Sie glich einem Bunker in Kriegszeiten. Es gab nur zwei Schlüssel für die Tür. Den einen besaß Dimitri, den andern er. Der diensthabende Obersteiger und der Elektriker fügten ihre Glückwünsche zu den Hunderten, die er an diesem Tag schon erhalten hatte. Dann schloß Rod die Tür auf, und sie traten ein. »Fangt an.« Der Obersteiger rief die Schachtaufseher von Nummer 1 und 2 an, um sich bestätigen zu lassen, daß die Abbaustellen leer waren, daß also jeder Mann, der heute früh eingefahren war, die Stollen auch wieder verlassen hatte. Mittlerweile machte sich der Elektriker an der Schalttafel zu schaffen. Nun blickte er Rod an. »Fertig. Wir können die Stromkreise schließen, Mr. Ironsides.« »Auf denn!« Rod nickte, und der Mann drückte auf einen Schalter. Ein grünes Licht erschien auf der Tafel. »Nummer eins nördlicher Abbau angeschlossen und grün.« »Weiterschalten«, sagte Rod, und der Elektriker berührte einen andern Schalter. »Nummer zwei nördlicher Abbau angeschlossen und grün.« »Weiterschalten.« Das grüne Licht zeigte an, daß der Stromkreis intakt war. Ein rotes Licht bedeutete, daß irgendwo ein Schatten entstanden war. Ein Stromkreis nach dem andern wurde geschlossen. Der Elektriker trat von der Schalttafel zurück und meldete, daß alles bereit sei.
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»Cheesa!« befahl Rod. Dieses traditionelle Kommandowort stammte noch aus jenen Tagen, als jede Sprengung mit der Hand ausgelöst werden mußte. »Cheesa« gehörte zur Bantusprache und hieß »brennen«. »Cheesa!« wiederholte der Obersteiger und schlug mit der Handkante auf den Knopf. Im selben Augenblick verschwanden die grünen Lichter auf der Schalttafel. Statt ihrer flammten rote auf. Die Stromkreise waren von den Explosionen unterbrochen worden. Die Erde unter ihren Füßen begann zu beben. Die Sprengungen in den Stollen und an den Endpunkten der Vortriebstrecken folgten aufeinander nach einem ganz bestimmten System. Jede Sprengladung riß ein zehn Tonnen schweres Felsstück samt seinen Goldadern los. Rod konnte sich alles genau vorstellen. Wenngleich kein Menschenauge jemals den Sprengvorgängen zugesehen hatte, wußte er dennoch, was sich dort unten jetzt tat. Schließlich verebbten die Erschütterungen. »Das hätten wir. Eine schöne Sprengung«, meinte der Obersteiger»Ich danke euch.« Mit einem Mal fühlte Rod, wie müde er war. Er brauchte einen Drink, obwohl sein kurzes Gespräch am Vormittag ihn ahnen ließ, daß Dan unerträglich sein würde. Natürlich würde von nichts anderem die Rede sein als von Dans neuer großer Liebe. Dann lächelte Rod, denn erdachte an die Nacht, die ihn in Johannesburg erwartete. Und plötzlich war er gar nicht mehr müde.
< 40 > Sie saßen einander gegenüber. »Mich beunruhigen nur drei Dinge«, meinte Terry. »Und was sind das für Dinge?« Rod rieb Seife in einen Waschlappen. »Erstens sind deine Beine zu lang für diese Badewanne.« Rod setzte sich anders hin, und Terry schoß mit einem Schrei
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halb aus dem Wasser hoch. »Rodney Ironsides, hätten Sie vielleicht die Güte, etwas mehr auf Ihre Zehen zu achten?« »Entschuldige.« Er beugte sich vor und küßte sie. »Sag mir, was dich sonst noch beunruhigt.« »Also zweitens bin ich darüber beunruhigt, daß ich gar nicht beunruhigt bin. Ich meine damit: Es ist zwar fürchterlich, aber ich habe nicht die geringsten Gewissensbisse. Früher habe ich immer gedacht, falls mir so etwas mal passiert, könnte ich vor Scham keinem Menschen mehr ins Auge sehen.« Sie nahm ihm den Waschlappen aus der Hand und seifte seine Brust und seine Schultern ein. »Aber jetzt schäme ich mich überhaupt nicht. Am liebsten würde ich mich in der Hauptverkehrszeit mitten auf die Eloff Street stellen und hinausposaunen: >Rodney Ironsides ist mein Geliebter!«« »Darauf wollen wir trinken.« Rodney spülte die Seife von seinen Händen und langte über die Badewanne nach den beiden Gläsern auf dem Boden. Eines gab er Terry, und sie stießen an. Der Wein leuchtete rubinrot. »Rodney Ironsides ist mein Geliebter«, prostete sie ihm zu. »Rodney Ironsides ist dein Gelieber«, gab er ihr Bescheid, und beide tranken. »Aber jetzt werde ich einen Toast auf dich ausbringen«, erklärte er. »Und welchen?« Rod goß den Rotwein über ihre Brüste. Wie Blut floß er an ihrer weißen Haut herab. In feierlichem Ton sprach er sodann: »Gesegnet sei diese Fregatte und alle, die an Bord sind.« Terry lachte zurück. »Hoch lebe ihr Kapitän! Möge er stets die Hand fest an ihrem Steuer haben.« »Möge ihr Rumpf nie auf Grund stoßen.« »Möge sie regelmäßig torpediert werden!« »Terry Steyner, du bist schrecklich.« »Ja, nicht wahr?« Und sie leerten ihre Gläser. »Und was beunruhigt dich außerdem noch?« fragte Rod. »Manfred wird am Samstag zurückkommen.« Das Lachen verging ihnen.
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Rod füllte die Gläser von neuem. »Wir haben ja noch fünf Tage für uns.«
< 41 > Diese Woche war ein einziger persönlicher Triumph für Manfred Steyner. Seine Rede bei der Konferenz war die Grundlage aller Gespräche und Diskussionen gewesen. Beim Abschiedsbankett, an dem General de Gaulle teilnahm, hatte man ihn gebeten, die Ansprache zu halten, und hinterher hatte der Staatspräsident ihn zu Kaffee und Cognac eingeladen. Zweimal hatte er die Aufmerksamkeit seines Finanzministers auf die Äußerungen des südafrikanischen Gastes gelenkt. Als staatliche Anerkennung war ihm ein Orden in Aussicht gestellt worden. Die Presse war des Lobes voll, sowohl in Frankreich als auch daheim. Jetzt stand Steyner in der engen Toilette des Flugzeugs und pfiff leise vor sich hin, während er Hemd und Unterhemd auszog. Dann wusch er seinen Oberkörper mit Eau de Cologne. Aus seiner Tasche nahm er den elektrischen Rasierapparat. Als er sein Gesicht verzog, hörte er auf zu pfeifen. In Gedanken ging er Seite um Seite den Bericht durch, den Andrew ihm heute vormittag ins Hotel gebracht hatte. Wenn es sich um Geschriebenes handelte, funktionierte Steyners Gedächtnis absolut einwandfrei. Wenngleich sich der Bericht in seiner Aktentasche befand, sah er buchstäblich jedes Wort und jede Zahl vor sich. Dieser Report war ein erstaunliches Stück Arbeit. Steyner hatte keine Ahnung, wie die Leute an die Forschungsergebnisse der fünf Goldminen in Kitchenerville herangekommen waren. Die Sicherheitsvorschriften der Gesellschaften waren so streng wie die eines Geheimdienstes. Die Zahlen stimmten jedoch. Er hatte diejenigen, die seine Gesellschaft betrafen, sorgfältig geprüft. Sie waren hieb- und stichfest. Also mußten auch die der andern vier Minen in Ordnung sein. Die Verfasser dieser Studien hatten bekannte Namen. Sie waren
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ausgefuchste Fachleute. Ihre Schlußfolgerung überzeugte: Wenn von Sohle 66 des Schachts 1 der Sonder-Ditch-Mine ein Tunnel durch den Big Dipper getrieben wurde, mußte er unterhalb der wasserführenden Kalksteinformationen verlaufen und auf Goldgestein von nahezu unglaublichem Wert stoßen. Es hätte der Informationen, die Steyner von seinem dicken Gläubiger erhalten hatte, gar nicht bedurft, um ihm die Möglichkeiten klarzumachen, die sich hier boten. Der Mann, der den Befehl zum Durchstoßen des Big Dipper gab, würde allen Ruhm ernten. Mit Sicherheit würde man ihn zum Vorsitzenden ernennen, sobald dieser Posten vakant wurde. Es gab aber noch eine andere Möglichkeit. Ein Mann, der kurz vor dem Durchstich ein großes Aktienpaket der Sonder Ditch kaufte, mußte sehr reich werden, wenn er diese Anteile später abstieß. Er würde so reich sein, daß er nicht länger auf die finanziellen Mittel seiner Frau angewiesen war, um das Leben zu führen, das er zu führen wünschte. Er konnte getrost seinem besonderen Vergnügen frönen. Steyner blies die Bartstoppeln aus dem Rasierapparat und schob ihn wieder in die Aktentasche. Dann nahm er ein frisches Unterhemd und ein frisches Oberhemd heraus und sang: »Heut ist der schönste Tag in meinem Leben...« Nach Erledigung der Zollformalitäten würde er noch vom Jan Smuts Airport aus Ironsides anrufen. Ironsides hatte sich am Sonntagmorgen bei ihm einzufinden und seine Befehle entgegenzunehmen. Als er seine Seidenkrawatte knotete, wußte Dr. Steyner, daß er auf der Schwelle zu einer neuen Welt stand. Die Ereignisse der nächsten Monate würden ihn hoch über die Masse der gewöhnlichen Sterblichen emporheben. Darauf hatte er seit vielen Jahren gewartet. Deswegen hatte er seit vielen Jahren gearbeitet.
< 42 > Die Verhältnisse haben sich seit meinem letzten Besuch hier
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grundlegend verändert, dachte Rod, als er seinen Maserati in die Einfahrt von Steyners Haus lenkte. Er stoppte, zog den Zündschlüssel heraus, blieb jedoch sitzen, als zögere er, dem Mann unter die Augen zu kommen, der seine Karriere gefördert und dem er als Gegenleistung mächtige Hörner aufgesetzt hatte. »Mut, Ironsides!« murmelte er dann, stieg aus und schritt über den Rasen. Terry rekelte sich mit gelöstem Haar in einem Liegestuhl auf der Veranda und hatte die Sonntagsblätter um sich verstreut. »Guten Morgen, Mr. Ironsides«, begrüßte sie ihn. »Mein Mann ist in seinem Arbeitszimmer. Sie kennen doch den Weg, nicht wahr?« »Ja, danke, Mrs. Steyner.« Rod sprach freundlich, aber gleichgültig. Als er indessen an ihr vorüberging, knurrte er: »Ich könnte dich fressen, und zwar ohne Salz.« »Das ist auch unnötig, du großartiges Biest«, murmelte Terry und leckte mit der Zungenspitze über ihre Lippen. Eine Viertelstunde später saß Rod mit steinernem Gesicht vor Manfred Steyners Schreibtisch. Als er sich endlich zum Sprechen zwang, war ihm, als platze die Haut seiner Lippen. »Sie wollen also, daß ich den Big Dipper durchsteche?« fragte er heiser. »Mehr als nur das, Mr. Ironsides. Ich wünsche, daß Sie den Vortrieb in drei Monaten vollendet haben, und ich verlange eine völlig sichere Abschirmung«, versetzte Steyner knapp. Obgleich es Sonntag war, hatte er sich pedantisch gekleidet: weißes Hemd und dunkler Anzug. »Sie werden mit dem Vortrieb in Schacht eins auf Sohle Sechsundsechzig beginnen und ihn in zweitausend Meter Tiefe in Richtung auf unser Bohrloch Nummer drei anlegen, so daß der Durchstich durch den Big Dipper auf das siebzig Meter jenseits der Serpentinwand ermittelte Goldgestein trifft.« »Nein.« Rod schüttelte den Kopf. »So können Sie nicht vorgehen. Kein Mensch hätte dabei eine Chance. Gott allein weiß, was auf der andern Seite ist. Wir wissen nur, daß es dort unter Tage übel aussieht, verflucht übel.« »Woher wissen Sie das?« erkundigte sich Steyner sanft. »Jeder in Kitchenerville weiß das.«
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»Und wieso weiß das jedermann?« »Da sind viele kleine Anzeichen.« Es fiel Rod schwer, die richtigen Worte zu finden. »Man bekommt dafür ein Gefühl. Man beobachtet dieses und jenes. Wenn man lange genug in diesem Job ist, hat man einen sechsten Sinn, der einen warnt.« »Unsinn!« fuhr ihm Steyner in die Rede. »Wir leben nicht mehr in den Zeiten, in denen man an Hexerei glaubte.« »Das hat mit Hexerei nichts zu tun, es ist eine Sache der Erfahrung«, bellte Rod. »Haben Sie die Bohrresultate von der andern Seite der Erdverwerfung gesehen?« »Natürlich«, nickte Steyner. »In Bohrloch drei ist man auf Goldwerte gestoßen, die beachtlich sind.« »Aber die übrigen Bohrlöcher sind unergiebig und zerklüftet, oder das Wasser spritzt aus ihnen, als ob ein Gaul pißt.« Steyner errötete vor Zorn. »Ich muß Sie bitten, sich in meinem Haus nicht des Kaschemmenslangs zu bedienen.« Rod holte tief Atem, und ehe er noch antworten konnte, fuhr Steyner fort: »Schätzen Sie Ihre eigene Meinung höher ein als die wohlüberlegten Berechnungen anderer Herren?« Er nannte drei Namen. »Hm. Das sind allerdings Experten«, mußte Rod zugeben. »Lesen Sie das«, versetzte Steyner höhnisch. Er legte einen Schnellhefter auf den Schreibtisch, stand auf und ging davon, um seine Hände in dem verborgenen Becken zu waschen. Rod nahm den Hefter zur Hand, schlug ihn auf und war sogleich gefesselt. Zehn Minuten später holte er ein Päckchen Zigaretten aus der Tasche, ohne aufzublicken. »Rauchen Sie, bitte, nicht!« gebot Steyner scharf. Eine Dreiviertelstunde später schloß Rod den Schnellhefter wieder. Die ganze Zeit über hatte Steyner still wie ein Reptil an seinem Tisch gesessen. Nur das Glitzern seiner Augen zeigte Leben. »Wie, zum Teufel, sind Sie in den Besitz dieser Zahlen und Berichte gekommen?« fragte Rod erstaunt. »Das geht Sie nichts an.« Steyner zog den Hefter zu sich heran. »So also ist das«, murmelte Rod. »Das Wasser befindet sich im Kalkstein nahe der Oberfläche. Und wir stoßen darunter durch.«
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Er stand plötzlich auf und fing an, vor Steyners Schreibtisch aufund abzugehen. »Sind Sie jetzt überzeugt?« Rod gab keine Antwort. »Ich habe Sie in Ihre Stellung berufen, obwohl es ältere und erfahrenere Leute gibt«, mahnte Steyner sanft. »Wenn ich Sie von da oben wieder herunterhole und aller Welt erzähle, daß Sie nicht Manns genug sind für diesen Job, dann, Rodney Ironsides, sind Sie erledigt. Kein Mensch wird Ihnen noch einmal eine Chance geben - nie wieder.« Das stimmte. Rod wußte es nur zu gut. »Wenn Sie jedoch meinen Instruktionen Folge leisten und diesen wertvollen goldhaltigen Gang erschließen, dann wird ein Teil des Ruhms auch auf Sie fallen.« Auch das stimmte. Rod blieb mit hängenden Schultern stehen. Noch war er unschlüssig. Konnte er sich auf diesen Bericht verlassen? War er wirklich fundierter als seine tiefe Abneigung gegen die Arbeit in diesem Gebiet? Beim Gedanken an das, was sich hinter dem Big Dipper verbarg, bekam er schon eine Gänsehaut. Trotz allem aber konnte er sich irren. Die Argumente der Experten wogen schwer. Die Namen dieser Männer, die Drohungen Steyners... »Geben Sie mir eine schriftliche Anweisung?« fragte er schroff. »Wozu soll die von Nutzen sein?« Steyner lächelte mild. »Als Generaldirektor liegt die Entscheidung, wo abgebaut wird, technisch bei Ihnen. In dem sehr unwahrscheinlichen Fall, daß Sie Ärger jenseits der Erdverwerfung bekommen sollten, würde Ihnen eine schriftliche Anweisung auch nichts helfen. Wenn Sie meine Frau umbrächten und legten dem Gericht eine schriftliche Anweisung zu diesem Mord von mir vor, würde dies an der Sachlage wohl kaum etwas ändern, nicht wahr?« Auch diesmal hatte er recht. Rod wußte, daß er in der Falle saß. Entweder lehnte er ab und verlor seine Stellung, oder er gehorchte und zog die Konsequenzen - wie sie auch aussehen mochten. »Nein«, sagte Steyner, »ich werde Ihnen keine schriftliche Anweisung geben.«
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»Sie Schweinehund!« entgegnete Rod ruhig. »Ich hatte Sie gewarnt«, erwiderte Steyner freundlich, »und Ihnen vorher gesagt, Sie würden nicht imstande sein, sich meinen Befehlen zu widersetzen.« Der letzte Rest von Schuldgefühl, den Rod wegen seiner Liebschaft mit Terry empfunden hatte, verschwand. »Sie geben mir drei Monate Zeit. Gut, Steyner. Sie werden kriegen, was Sie wollen.« Rod drehte sich auf dem Absatz um und verließ das Zimmer. Terry wartete bei den Proteabüschen am Rasen auf ihn. Ein Blick in sein Gesicht, und sie ließ alle Vorsicht fallen. »Rod, was ist geschehen?« Sie legte eine Hand auf seinen Arm und blickte ihm in die Augen. »Vorsicht!« entgegnete er und trat einen Schritt zurück. »Was ist los?« »Dieser verdammte Scheißkerl!« stieß er wütend hervor. »Es tut mir leid, Terry. Schließlich ist er dein Mann.« »Was hat er getan?« »Das kann ich dir hier nicht erzählen. Wann kann ich dich treffen?« »Ich werde eine Ausrede finden, um fortgehen zu können. Warte in deiner Wohnung auf mich.« Später saß sie auf seiner Couch unter dem Gemälde und lauschte seinem Bericht. Er sagte ihr alles: über die Untersuchungsbefunde, über die Drohung, über die Anweisung zum Durchstechen des Big Dipper. Sie hörte ihm zu, äußerte sich jedoch nicht zu seinem Entschluß. Steyner wandte sich vom Fenster ab und ging an seinen Schreibtisch zurück. Selbst aus der Ferne konnte kein Zweifel an der Geste seiner Frau bestehen. Diese ausgestreckte Hand, dieses bange Gesicht mit den offenen Lippen, dieser Schritt nach vorn, der Schuld verriet, und das rasche Zurücktreten. Er setzte sich und legte seine Hände nebeneinander. Zum erstenmal dachte er daran, daß Rodney Ironsides ja ein Mann war und nicht bloß ein Werkzeug. Er dachte an seine Größe und an seine Schulterbreite. Körperlich vermochte er Ironsides nicht zu züchtigen. Vor allem durfte nichts überstürzt werden. Zunächst
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mußte der Tunnel durch den Big Dipper gebohrt werden. »Ich kann warten«, sagte er sich kalt. »Für alles in diesem Leben findet sich der rechte Augenblick.«
< 43 > Johnny und Davy Delange saßen vor Rods Schreibtisch. Beiden war es sichtlich unbehaglich zumute in diesem großen Büro, dessen breite Fenster auf das Tal von Kitchenerville hinabsahen. Kein Wunder, dachte Rod, ich selbst habe mich ja hier noch nicht eingewöhnt. Teppiche, Klimaanlage, Originalgemälde an den getäfelten Wänden. »Ich habe euch kommen lassen, weil ihr die besten Gesteinsbrecher der Sonder Ditch seid«, begann er. Er sah sich ihre Gesichter an und wußte genau, was ihnen durch den Kopf ging. »Schluß mit den Komplimenten«, sagte er sich dann. »Diese beiden da sind harte Burschen, die sich durch Mätzchen nicht beeindrucken lassen... Ich habe eine Extraaufgabe für euch. Es handelt sich um einen besonders wichtigen Vortrieb. Ihr werdet darum abwechselnd in Tages- und Nachtschicht arbeiten. Und ihr werdet allein mir gegenüber verantwortlich sein.« Sie betrachteten ihn ohne Reaktion. Johnny brach als erster das Schweigen. »Nur eine Strecke und täglich eine Sprengung?« Er dachte an seinen Lohn. Wenn es nach der Felsmenge ging, würde er viel weniger als bisher verdienen. »Nein.« Rod schüttelte den Kopf. »Äußerste Beschleunigung, Mehrfachsprengung, und Abteuferzuschläge werdet ihr auch erhalten.« Die beiden beugten sich vor. »Mehrfachsprengung?« fragte Davy. Das hieß, sie konnten zünden, wann immer sie den Augenblick für gekommen hielten. Ein gutes Team konnte während einer Schicht drei- oder viermal sprengen. »Äußerste Beschleunigung?« wiederholte Johnny. Diese Spra-
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che verstand er. Mit äußerster Beschleunigung wurde nur in Notfällen gearbeitet, wenn ein Mann gerettet werden mußte. Stillschweigend ließ man in solchen Fällen die üblichen Sicherheitsvorkehrungen außer acht. »Herrgott«, frohlockte Johnny, »ich kann vier- oder fünfmal in einer Schicht sprengen.« »Abteuferzuschläge?« vergewisserten sie sich gemeinsam. Hier wurde ihnen ja ein Vermögen angeboten. Rod nickte und wartete auf ihr weiteres Verhalten. Er hatte nicht lange zu warten. Jetzt interessierten sich die Brüder Delange für den Haken, den diese Sache haben mußte. Wie zwei Hausfrauen, die an billigen Tomaten schadhafte Stellen suchten, überlegten sie hin und her. »Wie lang ist der Vortrieb?« fragte Johnny. Wenn er kurz war, nur ein paar hundert Meter, dann lohnte sich die ganze Angelegenheit nicht. »Fast zweitausend Meter«, beruhigte ihn Rod. Beide schauten erleichtert drein. »Und wohin führt der Vortrieb?« wollte Davy wissen. »Wir werden den Big Dipper durchstechen, um in etwa zweitausend Meter Tiefe auf goldhaltiges Gestein zu stoßen.« »Großer Gott!« rief Johnny. »Der Big Dipper!« Er war beeindruckt, aber nicht besorgt. Die Gefahr, die Herausforderung reizten ihn. Wenn er früher zur Welt gekommen wäre, hätte er sicher einen guten Spitfire-Piloten abgegeben. »Der Big Dipper«, murmelte Davy, und seine Gedanken rasten. Nichts in der Welt konnte Davy Delange zu dieser Arbeit verführen. Er hatte eine fast religiöse Furcht vor dem Big Dipper. Hinter ihm verbarg sich Bedrohung und unvorstellbarer Schrekken: Wasser, Gas, bröckliges Gestein, Erdverwerfungen, Schlammuntiefen - alles Alpträume der Bergleute... Er dachte ja gar nicht daran, sich auf Derartiges einzulassen, aber das Geld, dieses schöne gute Geld! Wie konnte er auf diese Summen verzichten! Unter diesen Umständen würde er zehn- oder elftausend Rand verdienen... »Gut, Mr. Ironsides«, sagte er schließlich. »Ich übernehme die Nachtschicht. Johnny kann mich am Tag ablösen.« Davy Delange hatte seine Entscheidung getroffen. Er würde so
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lange schuften, bis seine Bohrer auf das grünlich-schwarze Serpentingestein des Big Dipper stießen. Dann würde er den Vortrieb verlassen und Schluß machen. Jawohl, er war bereit, sich bis zum Big Dipper heranzuarbeiten. Im Big Dipper selbst aber hatte er nichts zu suchen. Jede andere Minengesellschaft würde ihn dann mit Freuden anstellen, denn sein Ruf war tadellos. Er würde auch Johnny zwingen, ihm zu folgen. »Na, Davy!« rief Johnny begeistert, denn er hatte nicht damit gerechnet, daß Davy bei der Stange bleiben würde. Er konnte sich jetzt den Mustang kaufen, er konnte Hettie einen andern Wagen kaufen, sie konnten über Weihnachten Ferien in Durban machen, sie konnten... Davys rasche Zustimmung verwunderte Rod. Er musterte ihn einen Moment und stellte dabei fest, daß er die Augen eines Frettchens hatte. Ein hinterhältiger Schleicher, urteilte Rod. Ich werde ein Auge auf ihn haben müssen.
< 44 > Nach einer Schicht hatten sie die Vorbereitungen getroffen. Rod wählte den Ausgangspunkt. Die Fördergang bog auf Sohle 66 ab. Nach etwa hundert Metern stießen sie auf eine Kammer, die als Reparaturwerkstätte für Triebwagen gedient hatte, jetzt aber außer Gebrauch war. Von hier aus sollte der Gang zwei Kilometer tief ins Gestein getrieben werden, um den Big Dipper zu durchbohren und dann ins Unbekannte weiterzuführen. Die Öffnung der Kammer wurde durch zwei große Bewetterungstüren verschlossen, in einigem Abstand davor eine Seilabsperrung angebracht. Ein Schild warnte: »Gefahr! Einzelsprengungen!« Die Obersteiger bekamen Anweisung, ihre Leute fernzuhalten. Der Förderwagenverkehr wurde umgeleitet. An den Türen der Kammer befestigten sie ein Plakat mit der Aufschrift: »Feuergefährlicher Abbau! Keine offenen Lichter!« Im Vortrieb und vor Ort auf den Abbaustrecken waren Streichhölzer, Feuerzeuge und alles, was Flammen oder Funken erzeug-
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te, verboten, weil man hier mit ausströmendem Methangas rechnen mußte. Farblos, geruchlos, geschmacklos und nur durch die Grubenlampen erkennbar, war es eine ständig lauernde Gefahr. Ein neunprozentiger Methangasgehalt in der Luft war bereits hochexplosiv. Strenge Vorsichtsmaßnahmen wurden angewandt zur Sicherung gegen das Gas, das an manchen neu aufgebrochenen Stellen aus den Gesteinsrissen strömte. Nach der Absperrung des neuen Vortriebs gegen Unbefugte wurden Preßluftleitungen verlegt, Bohrgeräte, Hämmer, Schaufeln und schließlich Sprengstoffvorräte in roten verschlossenen Behältern herangeschafft. Am nächsten Abend verließen Davy Delange und seine Leute auf Sohle 6 den Förderkorb und begaben sich in die Kammer, wo der Vortrieb beginnen sollte. Davy blieb mit dem mürrischen kleinen Swazi vor der Felswand stehen, auf die der Sachverständige den Umriß des Tunnels gezeichnet hatte. Hinter ihm hatten sich seine Leute bereits unaufgefordert an die gewohnte Arbeit gemacht. Schon zerrten die Maschinenjungen und ihre Helfer die unhandlichen Arbeitsgeräte nach vorn. »Du! Du! Du! Du!« wies Davy nun jedem die Stelle an, wo er zu bohren hatte, und trat zurück. »Shaya!« kommandierte er. »Fangt an!« Und mit einem Brüllen, das die Trommelfelle zu zerreißen drohte, begannen die Bohrer ihr Werk. Sobald ein Loch tief genug war, steckte Davy eine Sprengladung mit Zünder hinein. Die Schnüre baumelten wie die Schwänze von weißen Mäusen heraus. »Gang frei!« Der Boss Boy pfiff schrill. Das Trampeln der schweren Stiefel verhallte. In der chemisch gereinigten Luft lastete die Stille schwer. »Cheesa!« Davy und der Boss Boy hielten die Zündvorrichtungen wie Feuerwerkskörper von Kindern in ihrer rechten Hand und berührten damit die herabhängenden Schnüre. Die brennenden Enden erfüllten die Kammer mit blauem Licht, in dem die Schatten der beiden Männer groß und verzerrt über die Wände huschten. Rasch liefen sie zu den übrigen, die im Fördergang Deckung genommen hatten.
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Die Detonationen betäubten sie fast und preßten ihre Lungen zusammen, so daß die Stille hinterher geradezu lähmend wirkte. Davy sah auf seine Armbanduhr. Die Vorschriften verlangten aus Sicherheitsgründen eine Wartezeit von dreißig Minuten, bevor die Sprengstelle wieder betreten werden durfte. Davy wartete diese halbe Stunde ab, in der die Bewetterung Rauch und Staub wegsaugte. Dann ging er allein nach vorn. Er trug eine Sicherheitsgrubenlampe, deren dünnes Licht hinter einem Schirm aus Maschendraht brannte. Der dichte Maschendraht war funkensicher und verhinderte, daß die Flamme etwa vorhandenes Methangas entzünden konnte. Vor der kreisförmigen Öffnung im aufgerissenen Felsgestein prüfte Davy die Luft. Sorgfältig beobachtete er, ob die Flamme sich mit der verräterischen blauen Aureole umgab, die das Gas anzeigte. Als das Warnzeichen ausblieb, schaltete er die Lampe zufrieden ab. »Boss Boy!« rief er dem Swazi zu, der schon dabei war, den Schlauch abzuwickeln. »Fang an zu spritzen!« Erst als die Felswand und alle Brocken klatschnaß waren, rief er seinen Leuten, die dreieinhalb Meter lange Ramme zu bringen. Jeweils zwei Mann stießen dieses gigantische Brecheisen ins Gestein. Die stählerne Spitze des Werkzeugs schlug Funken. Die gelockerten Gesteinsbrocken regneten herab. Zunächst stürzten schwere Stücke in den Gang, dann folgten kleinere, bis endlich der Fels über ihren Köpfen sauber und fest war. Jetzt kroch Davy über den Schutt und markierte die nächsten Sprenglöcher. In seinem Rücken schaufelten die Männer die Brokken weg, und die Maschinenjungen fingen abermals mit ihren Bohrern an. In dieser ersten Nacht nahm Davy drei Sprengungen vor. Als er im Förderkorb in die rosige Morgendämmerung hinaufglitt, war er befriedigt. Vielleicht bringen wir es nächste Nacht auf vier, dachte er. Dann duschte er und kleidete sich schnell wieder an. Er kreuzte den Parkplatz, um zu seinem schäbigen alten Auto zu kommen, und dabei fühlte er sich glücklich und angenehm müde. Außerdem war er hungrig und sehnte sich nach seinem Bett. Als er auf Kitchenerville zufuhr, stieg die Sonne gerade über den
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Kamm des Kraalkop. Immer noch war die Dämmerung neblig und rosa. Lange Schatten zeichneten sich ab. Davy mußte daran denken, daß der frühe Morgen auf seiner Farm wohl oft so sein werde. Im Außenbezirk raste Johnny in entgegengesetzter Richtung an ihm vorbei. Er winkte und drückte auf die Hupe und schrie irgend etwas, das im Heulen des Windes und des Motors unterging. »Sie werden ihn noch schnappen«, brummte Davy vor sich hin und schüttelte mißbilligend den Kopf. »Er überschreitet immer wieder die Höchstgeschwindigkeit.« Dann stellte er seinen Wagen in der Garage ab und trat durch die Küchentür ins Haus. Das Bantumädchen machte sich am Herd zu schaffen. »Drei Eier«, bat er und ging in sein Schlafzimmer. Er zog seine Jacke aus und warf sie aufs Bett. Dann kehrte er wieder an die Tür zurück und blickte rasch in den Flur. Niemand war zu sehen. Nur das Mädchen in der Küche arbeitete geräuschvoll. Davy schlich in den Flur. Die Tür von Johnnys Schlafzimmer stand ein wenig offen. Das Herz hämmerte ihm im Hals. Schuldgefühl und Erregung ließen ihn keuchen. Er lugte durch den Türspalt und mußte laut stöhnen. Heute war es ja noch schöner als sonst: Hettie hatte einen tiefen Schlaf. Johnny behauptete stets, man brauche eine Ladung Dynamit, um sie wachzukriegen. Ein Nachthemd trug sie grundsätzlich nicht, und grundsätzlich stand sie nicht vor halb elf auf. Sie lag auf dem Bauch und preßte ein Kissen gegen die Brust. Ihr Haar lag flammendrot auf dem grünen Laken. Der Morgen war warm, und sie hatte die Decken von sich gestoßen. Davy stand im Flur. Ein Nerv in einem seiner Augenlider begann zu zucken. Unter seinem Hemd floß ein Schweißtropfen aus der Achselhöhle herab. Hettie murmelte etwas Unverständliches im Schlaf, zog die Knie an und legte sich langsam auf den Rücken. Mit einem Arm fuhr sie sich über das Gesicht. Ihre Augen waren von der Beuge des Ellbogens bedeckt.
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Dann seufzte sie tief auf. Ihre Brüste waren durch das eigene Gewicht und den Winkel ihres Armes leicht zur Seite verschoben. Das Haar in ihren Achselhöhlen und an ihrem Unterleib schimmerte rotgolden. Sie war groß und seidenweich. Wollüstig und träge wälzte sie sich hin und her. Dann schlief sie wieder ein. »Das Frühstück ist fertig, Master«, rief das Mädchen aus der Küche. Davy fuhr schuldbewußt zusammen. Dann verließ er den Flur. Überrascht stellte er fest, daß er keuchte - als wäre er lange gerannt.
< 45 > Johnny Delange lehnte sich gegen die Wand des Fördergangs. Sein Plastikhelm saß ihm schief auf dem Kopf. Eine Zigarette klebte zwischen seinen Lippen. Vor Ort gingen gerade die ersten Sprengungen los. Johnny nahm jede einzelne Detonation wahr, und als das letzte Krachen die Luft zerriß, stieß er sich mit der Schulter von der Wand ab. Dreißig Minuten Wartezeit waren für ihn nur Zeitverschwendung. Während er mit Big King den Gang hinablief, banden sie sich Tücher um Nase und Mund. Ein bläulich-weißer Nebel aus Staub und Rauch füllte den Tunnel, und Big King begann mit dem Schlauch zu spritzen. Johnny beugte sich über die Sicherheitslampe. Selbst er hatte einen gesunden Respekt vor Methangas. »Hierher, Jungs, mit der Ramme!« schrie er. Sie kamen wie Geister aus dem Nebel. Hinter ihnen warteten schon die Maschinenjungen mit ihren Bohrgeräten. Johnny ließ die Apparate eine Dreiviertelstunde früher aufheulen, als Davy dies gewagt hätte. Als Johnny die nächsten Sprengladungen vorbereitet hatte und wieder zu seinen Leuten zurückkehrte, bemerkte er, daß sie sich mit einem großen massiven Brocken abplagten. Mit ihren
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schweren Hämmern versuchten sie, ihn zu bewegbaren Blöcken zusammenzuhauen. Big King beschimpfte sie gnadenlos. »Schlagt zu! Ihr könnt ja nicht mal Eierschalen kaputthauen. Los! Schlagt zu!« Die Männer fielen nacheinander erschöpft zurück. Ihre Brustkästen arbeiteten schwer. Mit offenen Mündern schnappten sie nach Luft. Der Schweiß blendete ihre Augen. »Schon gut«, mischte sich Johnny ein. Das Gestein verzögerte die Sprengung. Er mußte zu drastischen Mitteln greifen. »Ich werde dem Kram hier eine Ladung verpassen.« Was er jetzt vorhatte, hätte kein Aufsichtsbeamter geduldet. »Geht zurück und wendet eure Gesichter ab«, befahl Big King seinen Leuten. Dann nahm er einem der Männer die Schutzbrille von der Stirn, die Steinsplitter abhalten sollte, und reichte sie Johnny, der sie aufsetzte. Aus dem Leinensack holte Johnny ein Stück Sprengstoff. Es glich einer in gelbes Ölpapier gewickelten Kerze. »Gib mir dein Messer.« Big King öffnete ein großes Klappmesser und reichte es Johnny, der sorgsam eine münzendicke Scheibe abschnitt. Dann steckte er das restliche Stück Sprengstoff wieder in den Sack. »Verschwinde.« Und Big King zog sich zurück. Johnny betrachtete den Felsen nachdenklich, ehe er die Sprengladung mitten darauf legte. Er schob die Schutzbrille über seine Augen und ergriff einen der schweren Hämmer. »Guckt woandershin«, warnte er und nahm Augenmaß. Mit beiden Händen schwang er den Hammer über seinen Kopf und hieb zu. Die Explosion in dem engen Gang war fürchterlich. Ein Blutstropfen rann über Johnnys Wange, wo ihn ein Splitter getroffen hatte. Seine Handgelenke schmerzten vom Rückschlag des Hammers. »Gwenyama!« grunzte Big King bewundernd. »Der Mann ist ein Löwe.« Durch die Sprengung war der Brocken in drei keilförmige Teile zerfallen. Johnny stieß die Brille in die Höhe und wischte sich mit dem Handrücken das Blut vom Gesicht. »Jetzt könnt ihr den
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Kram wegräumen«, sagte er zu seinen Leuten. Dann drehte er sich nach Big King um. »Komm. Hilf mir die Zünder in die Löcher stecken.« Die beiden arbeiteten rasch. Wer keine Sprenglizenz besaß, machte sich strafbar: Entweder mußte er hundert Rand zahlen oder für zwei Monate ins Kittchen wandern, mitunter auch beides. Big King besaß keine Lizenz, doch durch seine Hilfe sparten sie eine Viertelstunde Zeit. Johnny und seine Leute sprengten während dieser Schicht fünfmal. Als sie jedoch abends hinauffuhren, war er nicht zufrieden. »Morgen werden wir sechsmal losknallen«, versicherte er Big King. »Vielleicht sogar siebenmal«, antwortete Big King. Hettie wartete im Wohnzimmer auf ihn. Sie warf sich ihm entgegen und schlang ihre Arme um seinen Hals. »Hast du mir ein Geschenk mitgebracht?« fragte sie an seinem Ohr, und Johnny lachte aufreizend. Es kam selten vor, daß er ohne ein Geschenk ankam. »Du hast doch etwas!« rief sie und fuhr mit ihren Fingern über seine Taschen. »Hier!« Sie schob eine Hand in seine Innentasche und holte ein weißes Etui hervor. »Oh.« Sie klappte das Schächtelchen auf und machte ein enttäuschtes Gesicht. »Gefallen sie dir denn nicht?« fragte Johnny ängstlich. »Wieviel haben sie gekostet?« wollte sie wissen, während sie die Ohrringe aus lackiertem Porzellan untersuchte, die zwei bunte Papageien darstellten. »Hm.« Johnny schaute etwas beschämt drein. »Du weißt, Hettie, wir sind am Monatsende, und ich bin ein bißchen knapp dran vor dem Zahltag. So konnte ich also nicht...« »Wieviel haben sie gekostet?« Er holte Atem. »Zweieinhalb Rand«, gestand er dann. »Oh, sie sind ganz hübsch«, meinte Hettie und verlor sogleich jegliches Interesse. Sie warf das Etui achtlos auf die Kamineinfassung, wo bereits allerlei Krimskrams lag, und ging in die Küche. »Hettie«, rief ihr Johnny nach. »Wie wär's, wenn wir nach
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Fochville führen? Dort wird heute abend getanzt.« Hettie drehte sich um. Jetzt war ihre Miene wieder lebhaft. »Großartig, Mann!« schwärmte sie. »Das machen wir. Ich zieh' mich schnell um.« Und sie rannte durch den Flur davon. Davy kam aus seinem Schlafzimmer. Jetzt ging seine Arbeit an. Johnny vertrat ihm den Weg. »Hast du noch ein paar Moneten, Davy?« »Bist du schon wieder blank?« »Bloß bis zum Zahltag.« »Mein Gott, Johnny, du hast am Monatsanfang einen Scheck über elfhundert Rand bekommen. Hast du denn alles schon verpulvert?« Johnny blinzelte. »Nächsten Monat werde ich einen Scheck über zwei- oder dreitausend Rand kriegen. Dann kannst du mal sehen, wie ich auf die Pauke haue. Komm, Davy, leih mir einen Fuffziger. Ich geh' mit Hettie tanzen.«
< 46 > Für Rod flogen die Tage dahin wie Telegrafenmasten, die man aus einem sausenden Auto sieht. Mit jedem neuen Tag vertraute er seinen Fähigkeiten mehr. Er hatte nie daran gezweifelt, daß er die Arbeiten unter Tage leiten konnte. Jetzt stellte er fest, daß er auch die Unternehmen über Tage fest im Griff hatte. Seine Absicht, die Herstellungskosten zu senken, ließ sich verwirklichen. Einen genauen Überblick würde er freilich erst erhalten, wenn die vierteljährlichen Berichte eintrafen. An diesem Morgen hatte ihn Lily Jordan in seinem Büro aufgesucht. »Mr. Innes möchte Sie heute morgen um neun sprechen.« »Was will er denn?« Herbert Innes war der Direktor der Verhüttungswerke der Sonder Ditch. »Er hat es mir nicht sagen wollen«, antwortete Lily. Ultimo war gekommen und gegangen, aber Lily harrte noch immer auf ihrem Posten aus. Offenbar hatte er Gnade vor ihren Augen gefun-
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den. Innes, ein stämmiger und rotgesichtiger Mensch, setzte sich und trank den Tee, mit dem ihn Lily versorgt hatte. Dabei schwelgte er in einer ausführlichen Schilderung seines sonntäglichen Golfspiels. Rod mußte ihn schließlich unterbrechen. »Okay, Herby. Was hast du auf dem Herzen?« »Wir haben eine undichte Stelle.« »Schlimm?« »Schlimm genug«, brummte Herby. Für ihn bedeutete der Verlust auch nur einer Unze Gold während des Prozesses der Goldgewinnung eine Katastrophe. »Was glaubst du denn?« »Zwischen dem Auswaschen und dem Gießen gehen fast zweihundert Unzen in der Woche verloren.« »Das ist in der Tat übel.« Rod rechnete: zehntausend Rand im Monat, hundertzwanzigtausend im Jahr. »Hast du irgendeine Idee?« »Das geht schon eine ganze Weile so, auch als Frank Lemmer noch lebte. Wir haben alles Mögliche versucht.« Das Roherz wurde gewogen und geprüft, sobald es ans Tageslicht kam. Der Goldgehalt konnte dadurch ziemlich genau abgeschätzt werden. Dieses Ergebnis wurde später mit dem tatsächlichen Ertrag der Goldgewinnung verglichen. Jede wesentliche Abweichung wurde aufs gründlichste untersucht. »Wie hoch war deine Gewinnungsquote im letzten Vierteljahr?« »Sechsundneunzig Prozent.« »Das ist bestens«, gab Rod zu. Es war unmöglich, aus dem geförderten Roherz alles Gold restlos herauszuholen. Herbys Gewinnungsquote von 96,73 Prozent war ungefähr die höchste, die man erreichen konnte. An den Verfahren lag es also nicht. Und das bedeutete, daß nur ein sehr kleiner Teil der fehlenden zweihundert Unzen in den Halden verloren ging. »Ich werde heute mittag mal zu dir kommen, Herby. Wir sehen uns die Sache an. Vielleicht entdecke ich die undichte Stelle.« »Möglich«, räumte Innes skeptisch ein. »Aber wir haben schon alles getan. Wann kann ich dich erwarten?«
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»Um vierzehn Uhr.« Sie begannen mit ihrer Untersuchung am Ende des Schachts, wo die Körbe mit dem Roherz alle vier Minuten an die Erdoberfläche kamen. Jede Ladung wurde als »goldhaltig« oder als »unbrauchbar« eingestuft. Das goldhaltige Gestein stürzte in massive Silos, der Abfall wurde von einem Förderband in das sogenannte Waschhaus transportiert. Auf diese Weise konnten noch winzige Goldpartikel gewonnen werden. Innes schrie Rod ins Ohr: »Das hier macht mir keine Sorge. Je näher wir zum andern Ende kommen, um so gefährlicher wird es.« Rod nickte und folgte Herby auf einer Eisenleiter in die Tiefe, bis sie eine Tür unterhalb des Silos erreichten. Sie führte zu einem langen unterirdischen Tunnel. Auch hier bewegte sich stetig ein breites Förderband, auf das Roherz aus den Silos fiel. Die beiden Männer gingen neben dem Band her, bis sie zu einer Stelle gelangten, wo es unter einem Elektromagneten hindurchlief. Dort blieben sie eine Weile stehen. Der Magnet zog alle Metallteile heraus, die während des Abbaus zwischen das Gestein gelangt waren. »Wieviel holst du hier raus?« fragte Rod. »In der letzten Woche waren es vierzehn Tonnen«, erwiderte Herby und nahm Rods Arm, um ihn durch eine nahe Tür zu ziehen. Sie standen nun auf einem Hof, der dem eines Schrotthändlers glich. Bergehoch lagen Steinbohrer, Brechrammen, Schaufeln, Draht, Ketten, Schraubenschlüssel, Hämmer und anderes Zeug herum. Alles war verrostet, das meiste nicht mehr zu gebrauchen. Das waren die Dinge, die der Magnet aus dem Fördergut herausgeholt hatte. Rod preßte die Lippen zusammen. Hier zeigte sich deutlich, wie sorglos die Leute mit dem Werkzeug der Gesellschaft umgingen. Viele sagten sich kurzerhand: »Was geht der Kram mich an? Schließlich gehört er der Firma.« Diese Abfälle kosteten die Gesellschaft Hunderttausende im Jahr. »Ich werde mich darum kümmern«, murmelte er. Das Förderband wand sich nun scharf aufwärts, und die beiden
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stiegen auf dem Laufsteg daneben in die Höhe. Fünf Minuten lang ging es so fort, und Innes schnaufte wie eine Dampfmaschine. Durch die Löcher zu seinen Füßen konnte Rod sehen, daß sie sich jetzt etwa hundert Meter über dem Erdboden befanden. Das Förderband führte zur Spitze eines Turms und schleuderte das Roherz von dort aus in die offenen Mäuler einer Reihe von Gittersieben. In ihnen wurde es auf dem Weg in die Tiefe nach der Größe sortiert, und die umfangreicheren Gesteinsbrocken wanderten in Zerkleinerungsmaschinen, die sie zu faustgroßen Stücken zerschlugen. »Na, fällt dir was auf?« fragte Herby und verhehlte seinen Sarkasmus nicht. Rod grinste ihn an. Während sie die schier endlose Eisentreppe wieder hinunterkletterten, ratterten die Gittersiebe und hämmerten die Zerkleinerungsmaschinen. Rods Trommelfelle hielten den Lärm nur mit Mühe aus. Als sie unten angelangt waren, gingen sie weiter in den Mahlraum. In diesem fast hundert Meter langen und fünfzehn Meter hohen Zinkblechschuppen, der einem Luftwaffenhangar ähnelte, lagerten vierzig zylindrische Mühlen. Sie waren so dick wie die Kessel von Lokomotiven, freilich doppelt so lang. Am einen Ende wurden sie mit dem zerkleinerten Roherz gefüttert. Die röhrenförmigen Mühlen drehten sich in einem fort. Durch lose Stahlkugeln in ihrem Innern wurden die Gesteinsbrocken zu Pulver zermahlen. Verständlich machen konnte man sich hier überhaupt nicht, so infernalisch war das Getöse. Im nächsten Raum ging es bedeutend ruhiger zu. »Hier fängt unser Ärger an«, erklärte Innes. Er zeigte auf die Reihen graublauer, etwa fünfzehn Zentimeter dicker Rohre, die durch die Wand aus dem Mahlraum kamen. »Da drinnen befindet sich das pulverisierte Gestein mit Wasser gemischt in Form einer weichen, langsam fließenden Paste. Rund vierzig Prozent des Goldes sind jetzt frei.« »Und an diese Rohre kann niemand heran?« vergewisserte sich Rod. »Du hast sie auf mögliche lecke Stellen untersucht?« Herby nickte. »Aber jetzt sieh dir das hier an!« sagte er und
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führte Rod ans andere Ende des Raums. Dort standen die Separatoren, eine Reihe von Stahlbehältern, die nach oben durch Maschendraht verschlossen waren. Das schwere Stahlmaschennetz war so dicht, daß kein Mensch einen Finger hindurchstecken konnte. Es gab jedoch den Blick ins Innere frei. Neben jedem Behälter stand ein Bantu in weißem Kittel und kontrollierte mit gespannter Aufmerksamkeit den Hahn, der den Zufluß der Roherzpaste in den Separator regulierte. Aus mehreren Düsen floß die Paste über ein stark gefurchtes Gummituch, wobei das freie Gold durch seine Schwere in seinen Vertiefungen haften blieb. »Gold«, erklärte Herby und zeigte auf die graugelben Streifen zwischen den schwarzen Falten. Rod legte die Hand auf das Stahlgitter und versuchte, daran zu rütteln. »Nein.« Herby lachte. »So kommt keiner an das Zeug. Die Separatoren arbeiten vollständig automatisch. Während das Gummituch langsam unten weiterläuft, waschen Wasserstrahlen das Gold heraus, das sich in einem Tank sammelt.« »Und niemand kann an die Tanks heran außer dir?« fragte Rod. »Keiner«, bestätigte Herby. »Unter meiner Aufsicht werden die Tanks täglich ausgewechselt.« Alles schien vorzüglich abgesichert. Rod konnte nirgends einen schwachen Punkt entdecken. Er wandte sich um und musterte die Bantus. Mit ernsten Gesichtern waren die ganz in ihre Arbeit vertieft, und Rod wußte, daß sie aus Sicherheitsgründen einen beträchtlich erhöhten Lohn erhielten. Man hatte sie getestet und sorgsam ausgewählt. »Zufrieden?« erkundigte sich Herby. »Okay.« Rod nickte. Als sie den Raum verließen, schlössen sie die Tür wieder hinter sich ab. Auf ihren Weggang reagierten die Bantus sofort. Ihre Gesichter verloren den Ausdruck konzentrierter Aufmerksamkeit, sie grinsten erleichtert. Einer machte eine Bemerkung, worauf alle zu lachen begannen. Dann öffneten sie die Gürtel ihrer Overalls. Aus ihren Hosen holten sie Kupferdrähte, die sie so weit durch
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die Stahlgitter schoben, bis sie mit dem Gold in Berührung kamen. Krummbein, der Fotograf, hatte fast ein Jahr gebraucht, um ein Mittel zu finden, das Gold aus diesen Separatoren klaubte. Die Methode, auf die er schließlich verfiel, war - wie alle vernünftigen Erfindungen - denkbar einfach. Quecksilber zieht Gold so an, wie Löschpapier eine Flüssigkeit absorbiert. Quecksilber hat jedoch eine zweite gute Eigenschaft: Es vermag sich auf Kupfer so auszubreiten wie Butter auf einer Scheibe Brot. Das brachte Krummbein auf den Gedanken, Kupferdrähte mit Quecksilber zu überziehen. Allabendlich nahm Krummbein die mit Gold angereicherten Drähte entgegen und händigte seinen vier Spießgesellen frisch präparierte aus. Nacht für Nacht kochte er in seiner verlassenen Höhle das Quecksilber so lange, bis es das Gold ausgeschieden hatte. »Das freie Gold haben wir nun herausgeholt«, sagte Herby, »was übrig bleibt, ist Gold, das an Sulfid gebunden ist. Es kommt hier an die Reihe.« Er bot Rod eine Zigarette an, während sie zu den Stahltanks gingen, die ein paar hundert Meter weit die Felder bedeckten. »Wir pumpen das Zeug in diese Behälter und fügen Zyanid hinzu. Zyanid löst das Gold auf. Die Lösung leiten wir durch Zinkpulver. Das Gold lagert sich auf dem Zink ab. Dann brennen wir das Zink weg, und nun haben wir das Gold.« Die Vorgänge waren Rod natürlich nicht unbekannt, aber Herby machte es Spaß, den Fremdenführer zu spielen. »Und während dieser Prozedur kann niemand heran?« fragte Rod. Herby verneinte und fügte hinzu: »Abgesehen von allem andern ist Zyanid ein tödliches Gift.« Er blickte auf seine Uhr. »Zwanzig Minuten nach fünfzehn Uhr. Wollen wir jetzt in die Schmelzhütte gehen?« Sie gingen auf das etwas abseits stehende Gebäude zu, das hochliegende, schwer vergitterte Fenster hatte. Herby schlug gegen die stählerne Tür, und ein Guckfenster wurde geöffnet. Der Wächter erkannte die beiden sofort und machte auf. »Würden Sie, bitte, hier unterschreiben?« fragte der Mann in
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entschuldigendem Ton. Er war ein ehemaliger Polizist und schleppte außer seinem Bauch einen Revolver. Sie unterzeichneten, und der Wärter signalisierte ihre Ankunft dem Werkmeister auf dem Laufgestell im Schmelzraum. Die Türen der eingemauerten elektrischen Schmelzöfen an der hinteren Wand sahen aus wie Backofentüren in einer Bäckerei. Die fünf oder sechs Männer, die hier arbeiteten, schauten kaum auf. Das Gießen war in vollem Gange. Ein dünner Strom geschmolzenen Goldes floß aus der Öffnung des Tiegels und füllte die Formen. Das Gold zischte und rauchte und brutzelte, und winzige rote und blaue Funken blitzten an der Oberfläche, während es abkühlte. Rod blieb stehen und griff nach einem der Barren. Er war noch heiß und fühlte sich ein wenig ölig an. »Und was geschieht jetzt weiter?« »Wir wiegen es, stempeln das Gewicht darauf und prägen die Nummer ein.« Herby wies auf die runde Safetür zum Depot. »Dort lagert es über Nacht, und morgen kommt ein gepanzerter Wagen aus Johannesburg und holt es ab.« Als sie die Schmelzhütte verließen, bemerkte Herby: »Hier ist alles in Ordnung. Das Gold wird beiseite geschafft, noch ehe es hier überhaupt ankommt.« »Laß mich ein paar Tage darüber nachdenken«, sagte Rod. »Dann versuchen wir noch einmal, die Geschichte zu klären.« Jetzt dachte er immer noch darüber nach. Er lag im Dunkeln und rauchte eine Zigarette nach der andern. Es schien eine Lösung zu geben: Sie mußten Bantus als Polizisten in den Prozeß der Goldgewinnung einschalten. Rod drückte seine Zigarette aus, legte sich auf die Seite und zog die Bettdecke über seine Schultern. Sein letzter Gedanke vor dem Einschlafen galt dem Hauptproblem in diesen Tagen. Es kam ihm nie aus dem Sinn. Die Brüder Delange waren in zwei Wochen vierhundertfünfzig Meter weit vorgedrungen. Wenn sie dieses Tempo beibehalten konnten, würden sie in sieben Wochen auf den Big Dipper stoßen. Und dann würde selbst der Diebstahl von Gold jede Bedeutung verlieren.
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< 47 > Zur selben Zeit trank Big King bei seinem Geschäftsfreund und Stammesbruder Philemon N'gabai alias Krummbein ein Glas Wein nach dem andern. Sie saßen einander in wackligen Rohrsesseln gegenüber. Auf dem Tisch standen eine Laterne und ein Krug mit viereinhalb Liter Jeripigo. Der Gestank der Fledermäuse in dem stillgelegten Bergwerk trug nicht gerade zur Verfeinerung des Aromas bei, was die beiden freilich nicht störte, denn sie tranken den Wein nicht wegen des Geschmackes, sondern wegen seiner Wirkung. Krummbein füllte das billige Glas von neuem, das ihm Big King entgegenstreckte, und beim Glucksen des Weins setzte er seine abfälligen Bemerkungen über den Charakter und die Moral des Portugiesen Jose Almeida fort. »Seit vielen Monaten liegt mir die Sache auf dem Herzen«, gestand er Big King. »Aber ich habe so lange gewartet, bis ich den Mann in eine tödliche Falle locken kann. Er ist wie ein Löwe, der über unsere Herden herfällt. Wir hören sein Gebrüll in der Nacht, und in der Morgendämmerung sehen wir Spuren seiner Pranken auf der Erde und die Kadaver unseres Viehs, aber wir können ihm nicht von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten.« Big King lauschte mit Behagen Krummbeins Redefluß, und während er lauschte, soff er den Wein, als wäre er Wasser, und Krummbein goß ihm ständig nach. »Ich bin mit mir selber zu Rate gegangen. Ich habe mir gesagt: >Philemon N'gabai, es genügt nicht, daß du den Mann verdächtigst. Es muß klar vor Augen liegen, daß er uns das Lebensmark wegfrißt^« »Aber wie, Krummbein?« fragte Big King mit schwerer Stimme. »Sag mir doch, wie wir diesen Mann fertigmachen können.« Er hob seine riesige Faust. »Dann werde ich...« »Nein, Big King«, versetzte Krummbein empört. »Du darfst dem Mann nichts antun. Wie würden wir dann unser Gold loswer-
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den? Wir müssen beweisen, daß er uns betrügt. Und er muß wissen, daß wir ihn durchschaut haben. Dann kann alles weitergehen wie bisher, aber er muß uns in Zukunft ehrlich bedienen.« Big King dachte darüber eine Weile nach. Schließlich seufzte er: »Du hast recht, Krummbein. Dennoch hätte ich gern...« Wieder zeigte er seine Faust, und Krummbein fuhr eilig fort: »Ich habe deshalb meinen Bruder benachrichtigt, der einen Lieferwagen der S. A. Scale Company in Johannesburg fährt, und er hat sich in seinem Betrieb ein genau geeichtes Gewicht von acht Unzen besorgt.« Krummbein holte das runde Messinggewicht aus der Tasche und reichte es Big King, der es interessiert betrachtete. »Heute abend, wenn der Portugiese das Gold gewogen hat, das du ihm bringst, mußt du zu ihm sagen: >Und jetzt, mein Freund, wieg mir das da mal auf deiner Waage.< Du gibst dann genau acht, ob sie die richtige Zahl anzeigt. Künftig werden wir unser Gold immer erst dann verkaufen, wenn er vorher unseren Gewichtstein auf seiner Waage gewogen hat.« Big King lachte. »Du bist ein ganz Schlauer, Krummbein.« Big Kings Augen waren trübe und blutunterlaufen. Der Jeripigo war ein schlechtgekelterter Wein, und er hatte fast vier Liter in sich geschüttet. Jetzt saß er bei dem portugiesischen Händler im Hinterzimmer und beobachtete den Mann, der seinen Goldstaub in die Waagschale schüttete. »Hundertdreiundzwanzig Unzen.« Almeida blickte zu Big King auf. Eine Strähne seines öligen schwarzen Haars fiel ihm in die Stirn. Sein Gesicht war bleich, weil er wenig in die Sonne kam. Um so auffälliger waren die bläulichen Bartstoppeln. »Richtig«, nickte Big King. In seiner Kehle brannte der saure Nachgeschmack des Alkohols. Er war ihm ebenso widerlich wie dieser Mann. Er rülpste. Almeida nahm die Schale von der Waage und schüttete den Goldstaub vorsichtig in die Flasche zurück. Dann richtete er sich in seinem Stuhl auf. »Ich werde das Geld holen.« »Warte!« sprach Big King, und der Portugiese schaute ihn ein wenig überrascht an. Big King nahm das Gewicht aus der Tasche und legte es auf den Schreibtisch. »Wieg das auf deiner Waage«, sagte er auf portu-
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giesisch. Almeidas Blick huschte zu dem Gewicht und dann wieder zu Big Kings Gesicht. Danach ließ er sich im Stuhl zurücksinken und wischte die Strähne aus der Stirn. Er fing an zu reden, aber seine Stimme brach, und er mußte sich räuspern. »Was soll das? Ist etwas nicht in Ordnung?« Mit einem Mal wurde er sich der Größe des Mannes bewußt, dem er sich gegenübersah. Er roch den Alkohol bei jedem Atemzug des Bantunegers. »Wieg das!« befahl Big King. Seine Miene war ausdruckslos, aber seine trüben rotunterlaufenen Augen starrten bedrohlich. Plötzlich bekam Almeida Angst, tödliche Angst. Er konnte sich denken, was geschehen würde, wenn sein Schwindel aufflog. »Schön«, sagte er mühsam mit einer ihm sonst fremden Stimme. Die Pistole lag in der Schublade an seinem rechten Knie. Sie war geladen. Nur eine Sekunde, und er hatte sie entsichert. Er wußte, daß er gar nicht zu feuern brauchte. Sobald er die Waffe in der Hand hatte, konnte er die Situation meistern. Doch wenn er feuern mußte - eine Kugel aus der schwerkalibrigen Pistole würde selbst diesen Hünen von Bantu umlegen. Das ist Selbstverteidigung, dachte er fieberhaft. Ich habe einen Einbrecher überrascht. Er wollte mich überfallen, und da habe ich geschossen, um mein Leben zu retten... Jedermann mußte ihm das glauben. Aber wie kam er an die Pistole? Sollte er verstohlen die Schublade herausziehen oder mit einem jähen Griff die Waffe an sich reißen? Zwischen ihnen stand der Schreibtisch. Erst nach einigen Sekunden würde der Bantu begreifen, was überhaupt vor sich ging. Noch einige Sekunden würde er brauchen, um auf die andere Seite des Tisches zu kommen. Jose Almeida hatte eine Menge Zeit. Er griff nach der Schublade und zog sie heraus. Seine Fingernägel kratzten über das Holz. Dann hatte er die amerikanische Pistole in der Hand. Triumphierend packte er sie am Kolben. Wie eine schwarze Lawine stürzte Big King über den Schreibtisch. Die Waage und die Flasche mit dem Goldstaub flogen zu Boden.
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Almeida, der noch immer mit der Pistole in der Hand auf seinem Stuhl saß, wurde rücklings umgeworfen. Big King lag auf ihm. In dem Moment, da er die Waffe gesehen hatte, war der Schreck in Big Kings Glieder gefahren: Er hatte so viel Angst bekommen wie kurz zuvor der Portugiese. Aber diese Angst hatte ihn zum Angriff gedrängt. Jetzt preßte er den sich wehrenden Almeida auf den Fußboden. Er schüttelte das rechte Handgelenk des Mannes, damit er die Pistole fallen ließ. Mit seiner Rechten würgte er den Händler. Unwillkürlich drückte er mit beiden Fäusten so kräftig zu, wie er nur konnte. Unter dem Griff seiner rechten Hand hörte er etwas brechen. Es war, als knacke jemand den Kern aus einer Nuß. Seine Finger bohrten sich noch tiefer in das zitternde Fleisch des Ladenbesitzers. Dann fiel die Pistole aus kraftlosen Fingern herab und polterte über die Dielen bis zur Wand. Erst jetzt gewann Big King die Vernunft zurück, die er aus Angst verloren hatte. Erst jetzt wurde er gewahr, daß der Portugiese still unter ihm lag. Er lockerte seinen Griff und kniete neben dem Mann. Jose Almeida war tot. Big King hatte ihm das Genick gebrochen. Die Augen des Toten starrten groß und überrascht zur Decke, und das Blut lief aus einem Nasenloch auf seine Oberlippe. Big King wich zur Tür zurück. Sein Blick haftete entsetzt auf dem ausgestreckten Leichnam. An der Tür zögerte er und unterdrückte das Verlangen, blindlings davonzulaufen. Langsam trat er wieder ins Zimmer und ging neben dem Schreibtisch in die Knie. Zunächst steckte er sein Acht-Unzen-Gewicht in die Tasche, dann fegte er den Goldstaub und die Scherben seiner Flasche zusammen. Gold und Glas schob er in zwei Umschläge, die er auf dem Schreibtisch fand. Zehn Minuten später glitt er aus der Hintertür des Ladens hinaus in die Nacht.
< 48 > Während Big King zurück ins Wohnheim der Minengesellschaft
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eilte, wälzte sich Rod Ironsides ruhelos in seinem Bett, dessen Laken feucht von Schweiß waren. Er war der Gefangene seiner eigenen Phantasie. Ein Alptraum suchte ihn heim, dem er nicht entrinnen konnte. Dieser Alptraum war unendlich und grün, bebend, unirdisch und durchsichtig. Er wußte, daß nur eine gläserne Wand ihn von diesen Bildern trennte. Er kauerte vor dieser Wand. Er sah das Licht hindurchsickern. Und er stand Todesängste aus. Plötzlich zerbarst die Glaswand. Der Sprung war dünn wie ein Haar. Aus dem Spalt fiel ein einziger Tropfen. Es war ein birnenförmiger Tropfen, und er funkelte wie eine Gemme. Etwas Schrecklicheres hatte Rod Ironsides nie im Leben gesehen. Er schrie im Schlaf laut auf. Er wollte die anderen warnen. Der Sprung verbreiterte sich jedoch, und dem ersten Tropfen folgten andere nach. Dann brach mit einem explosionsartigen Knall ein Stück der Glaswand auseinander, und er schrie wiederum, als das Wasser in schäumendem Strahl ins Freie schoß. Dann stürzte die ganze Glaswand ein, und eine riesige Welle grünen Wassers ergoß sich über ihn. Er erwachte und richtete sich im Bett auf. Ein Schreckensschrei lag auf seinen Lippen. Sein ganzer Körper war in Schweiß gebadet. Es dauerte Minuten, ehe sich sein wild rasendes Herz wieder beruhigt hatte. Dann ging er ins Badezimmer. Er ließ ein Glas mit Wasser voll laufen und hielt es gegen das Licht. »Wasser«, murmelte er. »Wasser. Ich weiß ja, daß es dort unten Wasser gibt.« Er trank das Glas aus. Er stand nackt da. Der kalte Schweiß trocknete an seinem Leib. Noch hatte er das Glas an den Lippen. Und plötzlich kam ihm die Idee. Er hatte noch nie gehört, daß jemand so etwas versucht hätte, aber schließlich kannte er ja auch niemanden, der so verrückt gewesen wäre, den mörderischen Big Dipper anzugehen. Ich werde die Hängende Wand des Vortriebs anbohren lassen und ihr einen ganzen Teppich von Sprengladungen verpassen. Die beiden Delanges müssen sofort damit anfangen. Dann kann ich jederzeit nach Belieben das ganze Gestein hochgehen lassen und den verdammten Tunnel vermauern... Rod spürte überrascht, wie groß die Erleichterung war, die ihn
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bei diesem Gedanken überkam. Er ging ins Schlafzimmer zurück und glättete die Laken. An Schlaf war wohl nicht mehr zu denken. Seine Vorstellungskraft war überhitzt. Immer neue Ideen gingen ihm durch den Kopf, bis er an Terry Steyner denken mußte. Er hatte sie seit beinahe zwei Wochen nicht mehr gesehen, seit Steyners Rückkehr aus Europa. Zweimal hatte er sie am Telefon gesprochen, aber es waren hastige und verworrene Gespräche gewesen, die ein Gefühl der Unzufriedenheit hinterließen. In steigendem Maß wurde er sich bewußt, daß sie ihm fehlte. Einmal hatte er versucht, sich anderswo zu trösten: Es war ihm vollständig mißlungen. Bei den Annäherungsmanövern bereits hatte er die Lust an der Sache verloren und die junge Dame schließlich zu der unerhört frühen Stunde von dreiundzwanzig Uhr an einem Samstag unbeschädigt an den Busen ihrer Familie zurückkehren lassen. Nur die Anforderungen seines neuen Jobs hinderten ihn daran, das Risiko einer Fahrt nach Johannesburg einzugehen. »Ironsides«, redete er sich ein, »du solltest dich besser ein wenig zusammennehmen. Verlier nicht deinen Kopf wegen dieser Frau! Erinnere dich an das Gelübde: Nie wieder!« Er schubste das Kissen in die rechte Form und drückte den Kopf dagegen. Terry lag still da und wartete darauf. Es war eine Stunde nach Mitternacht. Sie kannte diese Nächte nur allzu gut. Es grauste ihr heute schlimmer davor denn je. Sie spürte ein kaltes Gefühl im Magen. Bis jetzt hatte sie Glück gehabt: Er hatte sich ihr noch nicht genähert. Mehr als vierzehn Tage lang nicht, aber es konnte ja wohl nicht ewig so bleiben. Heute nacht würde er kommen. Sie hörte den Wagen in der Einfahrt und fühlte sich körperlich krank. Ich kann es nicht mit ihm machen, entschied sie, ich kann es nicht mehr mit ihm machen, nie mehr, nie wieder. So darf es nicht gemacht werden, das weiß ich jetzt. Es ist nichts Schmutziges, nichts Heimliches, nichts Schreckliches. Es muß nur so gemacht werden, wie... wie Rod es macht... Sie hörte ihn in seinem Schlafzimmer und fuhr jäh in ihrem Bett auf. Sie fühlte sich elend, in die Enge getrieben. Leise wurde die Tür geöffnet.
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»Manfred?« fragte sie scharf. »Ja, ich bin's. Mach dir keine Sorgen.« Er trat rasch an ihr Bett, ein dunkler Schatten, und löste den Gürtel seines Morgenmantels. »Manfred!« stieß sie hervor. »Ich bin in diesem Monat früher dran an sonst. Es tut mir leid.« Er hielt inne. Sie sah, wie seine Hände herabsanken. Er blieb bewegungslos stehen. »Oh«, sagte er endlich, und sie hörte seine Pantoffeln auf dem dicken Teppich scharren. »Ich wollte dir nur mitteilen ...« Er zögerte, als suche er eine Entschuldigung für sein Kommen. »Ich wollte dir nur mitteilen, daß ich für fünf Tage verreise. Am Freitag fahre ich nach Durban und Kapstadt.« »Ich werde deine Sachen packen«, erwiderte sie. »Wie? Ach so, ja, danke.« Wieder scharrte er mit den Füßen. »Also dann.« Abermals zögerte er, dann beugte er sich schnell herab und berührte ihre Wangen mit seinen Lippen. »Gute Nacht, Theresa.« »Gute Nacht, Manfred.« Fünf Tage... Sie lag in der Dunkelheit und frohlockte. Fünf lange Tage allein mit Rod...
< 49 > Detektivinspektor Hannes Grobbelaar setzte sich auf den Rand eines Bürostuhls, schob den Hut ins Genick und sprach dann ins Telefon, das er mit einem Taschentuch umwickelt hatte. Er war ein hochgewachsener Mann mit einem langen traurigen Gesicht und einem trübselig herabhängenden Schnurrbart, der allmählich grau wurde. »Goldeinkäufe«, sagte er und beantwortete damit offenbar eine Frage. »Hier liegt überall Goldstaub herum, außerdem sind da eine Juwelierwaage, eine automatische Pistole mit einem vollen Magazin, die noch gesichert ist, und auf der Sicherung befindet sich ein Fingerabdruck des Toten.« Er lauschte. »Ja, ja, schon gut. Das Genick ist gebrochen. So sieht es wenigstens aus.«
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Inspektor Grobbelaar drehte sich im Stuhl um und blickte auf den Leichnam. »Ein bißchen Blut auf der Lippe, sonst nichts.« Einer der Experten vom Erkennungsdienst trat an den Schreibtisch, und Grobbelaar stand auf, um ihm Platz zu machen. Den Hörer behielt er am Ohr. »Fingerabdrücke?« fragte er ärgerlich. »Wir haben bis jetzt mindestens vierzig verschiedene festgestellt.« Wieder hörte er ein paar Sekunden zu. »Wir werden ihn schon erwischen. Er muß ein Bantu sein, der in den Minen arbeitet, und wir haben die Fingerabdrücke aller, die von außerhalb der Südafrikanischen Republik kommen. Es dreht sich nur darum, sie zu überprüfen. Ja, spätestens in einem Monat haben wir ihn, das ist ganz sicher.« Er legte den Hörer auf die Gabel und musterte den Ermordeten. »Widerlicher Bursche!« meinte Sergeant Hugo, der neben ihm stand. »Hat es sich selbst zuzuschreiben, hat illegal Gold gekauft.« Dann lenkte er die Aufmerksamkeit seines Vorgesetzten auf den großen Briefumschlag in seiner Hand. »Ich habe eine Menge Glassplitter gefunden. Es scheint so, als sei dies der Behälter gewesen, in dem das Gold steckte. Der Mörder hat versucht, die Scherben aufzulesen, aber er war nicht gründlich genug. Diese Splitter da lagen unter dem Schreibtisch.« »Und Fingerabdrücke?« »Nur ein Stück ist groß genug. Ein etwas verschmutzter Abdruck ist drauf. Könnte uns von Nutzen sein.« »Gut.« Grobbelaar nickte. »Macht weiter.« Im Innern des Hauses fing eine Frau an zu jammern. Hugo zog eine Grimasse. »Jetzt geht das schon wieder los. Zum Teufel, ich dachte, sie wäre erschöpft.« Grobbelaars Schnurrbart schien noch melancholischer herabzusinken, als er an die Arbeit dachte, die ihm bevorstand. Stunden, Tage, Wochen mußte er Fragen stellen und Überprüfungen vornehmen, die dann nochmals zu überprüfen waren. Und er würde es mit lauter mürrischen Gesellen zu tun haben, denen es gar nicht einfiel, ihm behilflich zu sein. Er seufzte und deutete mit dem Daumen auf die Leiche. »Na gut. Mit dem sind wir fertig. Sagt den Metzgern vom Leichenschauhaus, sie sollen ihn abholen.«
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< 50 > Es hatte Rod fast zwei Tage gekostet, um einen exakten Plan der Sprengstelle auszuarbeiten. Winkel und Tiefe der Löcher mußten sorgsam berechnet werden, um möglichst viel von dem Gestein der Hängenden Wand herunterzureißen. Obendrein hatte er beschlossen, auch die Seitenwände des Gangs anzubohren und zu sprengen, und zwar nach dem Einsturz der Hängenden Wand. Dadurch würde der Tunnel verstopft und einigermaßen sicher abgedichtet. Rod stellte seine Berechnungen auf den Druck großer Wassermassen ein und kam zu dem Schluß, daß mindestens hundert Meter des Tunnels blockiert werden müßten. Damit würde er einen Wassereinbruch zwar nicht vollständig abriegeln können. Aber die Felsmassen würden den Zufluß so weit reduzieren, daß der Zementiertrupp ans Werk gehen konnte, um den Tunnel mit Zement vollständig dicht zu machen. Die Brüder Delange zeigten sich von Rods Absichten nicht allzu begeistert. »Wir brauchen ja drei oder vier Tage zum Bohren und Anbringen der Sprengladungen«, wandte Johnny ein, als Rod ihm seinen Plan vorlegte. »Zum Teufel«, fuhr ihn Rod an. »Ich will, daß es ordentlich gemacht wird. Ihr nehmt euch wenigstens eine Woche Zeit.« »Sie haben uns gesagt, wir sollten besonders schnell arbeiten. Sie haben nichts davon gesagt, daß wir die Hängende Wand mit mehr Bohrlöchern beackern sollen, als ein Käse hat.« »Nun, dann sage ich es jetzt. Und außerdem sage ich euch, daß ihr die Löcher bohrt, aber keine Sprengladungen anbringt, bevor ich 'runterkomme und mich davon überzeuge, daß sie so tief sind, wie ich sie haben will.« Er traute weder Johnny noch Davy. Sie würden ihre Zeit nicht damit vergeuden, sechs Meter tiefe Löcher zu bohren, wenn sie glaubten, auch mit zwei Metern zurechtzukommen.
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Jetzt meldete sich Davy zu Wort: »Kriegen wir Extrabons, wenn wir da unten herumkratzen?« »Ja, vier je Schicht.« »Acht?« fragte Davy. »Zum Teufel, nein!« rief Rod. Das war die reinste Räuberei. »Dann weiß ich nicht«, murmelte Davy und beobachtete Rod aus seinen schlauen Frettchenaugen. »Vielleicht sollte ich mich einmal mit Bruder Duivenhage unterhalten. Er könnte mir einen Rat geben, wissen Sie.« Duivenhage war der Vertreter der Grubenarbeitergewerkschaft. Er hatte schon Frank Lemmer an den Rand von Nervenzusammenbrüchen getrieben und versuchte dies jetzt auch bei Rod Ironsides. Rod hatte die Geschäftsleitung beschworen, Duivenhage auf ein schönes Pöstchen in einem Büro abzuschieben, damit er endlich aus dem Weg war. Nichts auf Erden wünschte Rod weniger, als daß Duivenhage an dem Vortrieb zum Big Dipper herumschnüffelte. »Sechs«, schlug er vor. »Nun...« Davy schwankte. »Sechs ist anständig«, unterbrach ihn Johnny. Davy stierte ihn an. Johnny hatte ihm den Sieg aus den Händen gerissen. »Gut, einverstanden.« Rasch beendete Rod das Gespräch. »Fangt sofort mit dem Bohren an.« Rods Plan sah zwölfhundert Sprenglöcher vor, die mit zweieinhalb Tonnen Explosivstoff gefüllt werden sollten. Der Gang war nun breit, hell erleuchtet und gut gelüftet. Die Arbeit der Brüder Delange war leicht. Nach dem Bohren eines Lochs schob Davy einen Stab hinein, um die Tiefe zu messen, und dann stöpselte er die Öffnung mit zusammengeballtem Papier zu. Sie hatten viel Zeit, um Kaffee aus ihren Thermosflaschen zu trinken und nachzudenken. Drei Themen beschäftigten Davy in einem fort, wenn er ruhig auf der Erde hockte und auf das Ausmessen des nächsten Bohrlochs wartete. Zuweilen konnte Davy eine halbe Stunde lang an nichts anderes denken als an seine fünfzigtausend Rand, die er in Jahren mühsam zusammengespart hatte. Dann schweifte seine
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Phantasie automatisch zu der Farm ab, die er mit diesem Geld kaufen würde. Davy glaubte die Abende förmlich zu sehen, wie er auf der breiten Treppe kauerte, während die Sonne jenseits des Tals hinter den Gipfeln des Swart Bergs unterging und das Vieh von den Weiden in seine Stallungen heimwärts trottete. Stets saß eine Frau neben ihm auf der Treppe. Diese Frau hatte rotes Haar. Als er am fünften Morgen heimfuhr, war Davy gar nicht müde. Die nächtliche Arbeit war einfach gewesen. Die Tür von Johnnys und Hetties Schlafzimmer war geschlossen. Davy las die Zeitung beim Frühstück. Wie stets studierte er die Cartoon Strips. Die Abenteuer von Modesty Blaise und Willie Garvin fand er besonders spannend. Heute früh zeigte sich Modesty in einem Bikini. Davy verglich ihre Vorzüge mit dem gesunden Körper seiner Schwägerin. Er mußte auch noch an sie denken, als er sich ins Bett legte. Er fand jedoch keinen Schlaf. Er träumte von einem Abenteuer, bei dem Modesty Blaise durch Hettie ersetzt wurde, und Willie Garvin war mit einemmal Davy Delange. Nach einer Stunde war er immer noch wach. Er setzte sich auf und langte nach dem Handtuch, das am Fußende seines Bettes lag. Nachdem er es um die Hüften geschlungen hatte, machte er sich auf den Weg ins Badezimmer. Gerade als er nach der Türklinke greifen wollte, trat Hettie heraus. Sie trug einen weißen Morgenmantel aus Spitze und Pantoffeln mit Straußenfedern. Sie hatte sich noch nicht geschminkt. Um das zurückgebürstete Haar war ein Band geschlungen. »Oh«, hauchte sie überrascht. »Du hast mich ja richtig erschreckt, Mann.« »Das tut mir leid.« Davy grinste ihr ins Gesicht und hielt mit der einen Hand sein Handtuch fest. Hettie ließ ihre Blicke über seinen nackten Oberkörper spazieren. Davy war sehr muskulös. Seine Brust war mit rauhem lockigen Haar bedeckt. Die Tätowierungen auf beiden Armen betonten noch seine harten Muskeln. »Herrje, du bist aber gut gebaut!« murmelte Hettie bewundernd,
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und Davy zog unwillkürlich den Bauch ein. »Findest du?« Jetzt war sein Grinsen selbstbewußt. »Aber ja.« Hettie lehnte sich vor und berührte seinen Arm. »Wie hart das ist!« Durch diese Geste fiel ihr Morgenrock auseinander. Davys Gesicht wurde rot, als er in die Öffnung hineinstarrte. Er wollte etwas sagen, aber seine Kehle war trocken. Hetties Finger streichelten seinen Arm. Sie sah, wohin er blickte, und trat näher zu ihm. »Hast du mich gern, Davy?« fragte sie. Ihre Stimme klang heiser. Mit einem Schrei stürzte sich Davy auf sie. Seine Hände zerrten am Ausschnitt ihres Morgenrocks. Er preßte sie gegen die Wand des Badezimmers. Sein Mund suchte leidenschaftlich ihre Lippen. Hettie lachte. Es war ein atemloses, keuchendes Lachen. So hatte sie es gern. Wenn die Männer den Kopf verloren, wenn sie verrückt nach ihr wurden... »Davy«, stöhnte sie und riß ihm das Handtuch weg. »Davy.« Sie tat, als wolle sie sich vor dem Anprall seiner Hüften hinwegschlängeln, weil sie wußte, daß ihn das nur noch hitziger machen würde. Seine Hände zerrten an ihrem Körper. Seine Augen funkelten wie die eines Besessenen. »Ja!« zischte sie ihm in den Mund hinein. Sie verlor das Gleichgewicht und glitt an der Wand herab zu Boden. »Warte doch«, keuchte sie. »Nicht hier. Im Schlafzimmer.« Aber es war schon zu spät. Davy hatte den Nachmittag in seinem abgeschlossenen Zimmer verbracht. Er lag auf dem Bett und plagte sich mit den schwärzesten Selbstvorwürfen. »Mein Bruder«, wiederholte er ständig. »Johnny ist doch mein Bruder!« Einmal kamen ihm die Tränen. Jede einzelne schien etwas aus seiner Brust zu reißen. Zwischen brennenden Augenlidern quollen diese Tränen hervor. Er fühlte sich erschöpft und geschwächt. »Mein eigener Bruder!« Entsetzt und wie ungläubig schüttelte er langsam den Kopf. »Ich kann nicht hier bleiben«, murmelte er
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kläglich. »Ich muß ausziehen.« Er ging zum Waschbecken und spülte sich die Augen aus. Während das Wasser über sein Gesicht lief, faßte er einen Entschluß: Er mußte es Johnny sagen. Die Schuld war zu schwer. Nein, nicht sagen: Er würde es Johnny schreiben. Er würde alles genau aufschreiben und dann davongehen. Wie außer sich suchte er nach Papier und Feder. Es war fast so, als könne er seine Tat durch eine Schilderung ungeschehen machen. Er setzte sich an den Tisch beim Fenster und schrieb sorgfältig. Um fünfzehn Uhr war er fertig. Jetzt fühlte er sich besser. Dann verschloß er die vier engbeschriebenen Blätter in einem Umschlag, den er in die Innentasche seiner Jacke steckte. Danach kleidete er sich schnell an und schlich aus dem Haus. Er wollte Hettie nicht in die Arme laufen, aber sie war sowieso nicht zu sehen. Ihr großer weißer Monaco stand nicht in der Garage, und mit Erleichterung schlug er die Straße nach der Sonder-Ditch-Mine ein. Er wollte dort sein, ehe Johnnys Schicht zu Ende war. Dann hörte er die Stimme seines Bruders. Johnny scherzte mit den andern, die ihre Arbeit hinter sich hatten. Davy hatte sich in einer Toilette eingeschlossen, um Johnny nicht begegnen zu müssen. Untröstlich hockte er jetzt auf dem Klosettdeckel. Johnnys Stimme ließ sein Schuldgefühl wiederum anwachsen. Der Brief mit seinem Geständnis steckte in der zugeknöpften obersten Tasche seines Overalls. Er nahm ihn heraus, öffnete den Umschlag und las ihn noch einmal durch. »Bis dann also.« Johnnys Stimme dröhnte fröhlich aus den Umkleideräumen. »Bis morgen, ihr Burschen.« Die andern Grubenarbeiter grüßten zurück. Dann wurde die Tür zugeknallt. Davy blieb abermals zwanzig Minuten in diesem Gestank nach verschwitzten Leibern, dreckigen Socken, Urin und Desinfektionsmitteln hocken. Endlich stopfte er den Brief wieder in die Tasche und machte die Toilettentür auf. Davys Leute warteten unten schon auf ihn. Lachend und schwatzend saßen sie beisammen. Es herrschte eine Art Ferienstimmung, denn sie wußten, daß auch diese Schicht wieder leicht
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sein würde. Freudig begrüßten sie Davy. Die beiden Brüder Delange waren bei ihren Leuten beliebt, und es war ungewöhnlich, daß Davy ihren Gruß nicht zurückgab. Er lächelte nicht einmal. Der Swazi gab ihm die Sicherheitslampe. Davy brummte. Allein stapfte er den Gang hinab. Er schien seine Umgebung gar nicht wahrzunehmen, so tief versunken war er in einem Durcheinander von Schuldgefühl und Selbstmitleid. Nach dreihundert Metern erreichte er den Arbeitsplatz. Johnnys Schicht hatte die Bohrgeräte an Ort und Stelle liegen gelassen. Mechanisch schaltete er die Grubenlampe an. Die kleine Flamme züngelte hinter dem Maschendraht auf. Davy hielt die Lampe in Augenhöhe und ging langsam weiter. Die Luft im Tunnel war kühl. Wie ein Schlafwandler tappte Davy dahin. Jetzt nahm das Selbstmitleid überhand. Er sah sich in der Rolle eines Helden: ein großer Liebender, der in tragische Ereignisse verstrickt worden war. Seine Gedanken befaßten sich vollauf mit diesem Bild. Seine Augen sahen nichts mehr. Blindlings tat er, was er schon tausendmal zuvor getan hatte. Die Flamme in der Lampe nahm jetzt eine andere Form an. Eine geisterhafte blaue Aureole bildete sich. Davy erblickte die Aureole, aber sein Gehirn weigerte sich, die Warnung zur Kenntnis zu nehmen. Wie benommen trottete er weiter. Diese Aureole über der Flamme wurde »Mütze« genannt. Sie zeigte an, daß die Luft mindestens fünf Prozent konzentriertes Methangas enthielt. Das letzte Sprengloch, das Johnnys Männer gebohrt hatten, war auf eine mit Grubengas gefüllte Spalte gestoßen. Seit drei Stunden strömte Gas aus. Die Bewetterung konnte in so kurzer Zeit die Luft nicht wieder reinigen. Langsam strömte das Gas in den Gang. Davy spürte nicht, wie es in seine Lungen drang. Nur ein Funke, und alles ging zu Bruch. Davy kam ans Ende des Vortriebs und schaltete seine Lampe ab. »Alles in Ordnung«, murmelte er, ohne zu merken, daß er sprach. Dann kehrte er zu seinen wartenden Leuten zurück. »Alles in Ordnung«, wiederholte er, und mit dem Swazi an der Spitze marschierten die vierzig Mann fröhlich in den Schlund hinein.
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Davy folgte ihnen verdrießlich. Beim Gehen langte er in seine Gesäßtasche und holte ein Päckchen Filterzigaretten heraus. Eine steckte er zwischen die Lippen, dann schob er das Päckchen wieder in die Hose und tastete in seinen Taschen nach dem Feuerzeug. Schließlich ging er von einem seiner Maschinenjungen zum nächsten und gab die Richtung an, in der gebohrt werden sollte. Beim Sprechen hüpfte die kalte Zigarette zwischen seinen Lippen. Er gestikulierte mit der Hand, die das Feuerzeug hielt. Nach zwanzig Minuten waren alle Bohrgeräte am Werk. Davy schaute durch den Tunnel. Jeder Maschinenjunge und sein Helfer wirkten wie eine Skulptur. Die meisten trugen nur noch ihre Hose. Ihre verschwitzten Oberkörper glänzten wie eingeöltes Ebenholz. Davy machte die Hände hohl und hielt das Feuerzeug nahe vor sein Gesicht. Dann strich er über das Zahnrädchen. Die Luft stand sofort in Flammen. Die Explosion ließ die Flamme aufglühen wie eine Fackel. Sie verbrannte die Gesichter der Maschinenjungen. Sie versengte ihre Haare. Sie verwandelte ihre Ohren in verkohlte Stummel. Sie röstete ihre Augäpfel in den Höhlen. Sie setzte ihre Kleider in Brand und preßte die schwelenden Tuchfetzen ins Fleisch der Männer. In diesem Augenblick, als ihm die Haut von Gesicht und Händen gerissen wurde, sperrte Davy Delange seinen Mund in Todesangst weit auf. Die Flammen schössen in seine Kehle und hinab in die gasgefüllten Lungen. In seinem Körper explodierte das Gas. Seine Brust zerplatzte wie eine Tüte. Seine Rippen fächerten sich auf wie die Blätter einer Sonnenblume. Einundvierzig Männer starben im selben Moment. In der Stille, die der betäubenden Detonation folgte, lagen sie wie verbrannte Insekten im Tunnel. Einer oder zwei rührten sich noch. Ein Rückgrat knackte. Ein Bein wurde ausgestreckt. Verschmorte Finger lockerten sich. Aber binnen einer Minute herrschte Totenstille. Eine halbe Stunde später waren Dr. Dan Stander und Rodney Ironsides als erste im Gang. Der Geruch des verbrannten Fleisches war grauenhaft. Beide mußten den Brechreiz unterdrük-
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ken.
< 51 > Dan Stander saß an seinem Schreibtisch und blickte über den Parkplatz vor dem Minenkrankenhaus. Er schien seit gestern abend um zehn Jahre gealtert zu sein. Dan beneidete seine Kollegen um den inneren Abstand, den sie zu ihrer Arbeit fanden. Ihm war dies niemals möglich gewesen. Er hatte soeben einundvierzig Untersuchungen beendet und die Totenscheine ausgeschrieben. Seit fünfzehn Jahren war er nun Arzt in Goldbergwerken. Also hatte er sich auch mit den schrecklichsten Erscheinungen vertraut gemacht, in denen der Tod über die Menschen kommen konnte. Was er diesmal mitgemacht hatte, war jedoch das Schlimmste, dem er bisher begegnet war. Einundvierzig Leichen, und alle waren bei der Explosion verbrannt. Er fühlte sich wie ausgelaugt. Dieses Geschäft war ekelhaft. Während er die kläglichen Überbleibsel betrachtete, die vor ihm lagen, massierte er seine Schläfen mit den Fingerspitzen. Diese Reste hier hatten sich in den Taschen von Davy Delange befunden. Es war allein schon widerlich genug gewesen, sie überhaupt aus den verkohlten Kleidern zu holen. Das billige Nylonhemd, das der Mann unter seinem Overall getragen hatte, war in der Hitze geschmolzen und zu einem Teil der verglühten Haut geworden. Da lagen ein Schlüsselbund und ein Messingring, ein Federmesser mit einem Knochengriff, ein Zigarettenanzünder, den der Tote in seiner zusammengekrallten und versengten Hand gehalten hatte, eine Brieftasche aus Springbockleder und darin ein offener Briefumschlag, dessen eine Ecke angebrannt war. Die Habseligkeiten der umgekommenen Bantus hatte Stander bereits der Arbeitsvermittlung zugestellt, die sie den Angehörigen schicken würde. Jetzt stöhnte er vor Abscheu und nahm die Brieftasche zur Hand.
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In einem Fach lagen ein halbes Dutzend Briefmarken und fünf Rand in Banknoten. Das andere Fach war mit Papieren vollgestopft. Dan fand die Visitenkarten von Geschäftsleuten, Rechnungen von Wäschereien, Zeitungsausschnitte, in denen Farmen zum Verkauf angeboten wurden, und ein Sparbuch. Dan schlug das Sparbuch auf und pfiff beim Anblick der Summe. Zwischen den letzten leeren Seiten entdeckte er einen Umschlag, der schon oft befingert worden sein mußte. Stander öffnete ihn und verzog das Gesicht. Das Kuvert enthielt eine Sammlung jener Fotos, die einem im Hafen von Mocambique offeriert wurden. Solche Dinge waren es, nach denen der Arzt suchte, denn er wollte den Hinterbliebenen derartige Beweise menschlicher Schwäche gern ersparen. Er verbrannte die Fotos samt Umschlag in seinem großen Aschenbecher und zerrieb die schwarzen Überreste, ehe er sie in den Papierkorb kippte. Dann ging er zum Fenster und öffnete es, damit der Rauch abziehen konnte. Die Parklücke, wo Joy ihren Wagen abzustellen pflegte, war noch leer. Dan kehrte zum Schreibtisch zurück. Es lag bloß noch ein Briefumschlag da, den er ergriff. Eine Ecke war verbrannt, auf dem Papier waren Blutspuren zu erkennen. Dan breitete die vier Blätter vor sich aus. »Lieber Johnny als Papa gestorben ist, warst Du noch so ein kleines Kerlchen, und mir war immer so, als wärst Du eher mein Sohn als mein Bruder. Kannst Du das verstehen? Nun, Johnny, ich muß Dir jetzt wohl etwas beichten...« Dan las langsam und überhörte Joys Kommen. Sie blieb an der Tür stehen und beobachtete ihn. Dann trat sie leise hinter seinen Stuhl und küßte ihn aufs Ohr. Dan fuhr auf und blickte ihr ins Gesicht. »Ach, Liebling«, sagte Joy und küßte ihn auf den Mund. »Was ist denn so interessant, daß du gar nicht merkst, wie ich ins Zimmer komme?« Dan schwankte einen Augenblick, ehe er es ihr erzählte. Danach reichte er ihr das Schreiben. »Und das wollte er seinem Bruder schicken?« fragte sie, nachdem sie langsam gelesen hatte. Dan nickte.
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»Diese Hure«, flüsterte Joy, und Dan schaute hoch. »Wer?« »Dieses Frauenzimmer. Sie war daran schuld. Das weiß ich ganz genau. Es würde ihr ganz recht geschehen, wenn du ihrem Mann diesen Brief geben würdest.« »Meinst du das im Ernst?« fragte Dan. »Wir haben nicht das Recht, den lieben Herrgott zu spielen.« »Haben wir das wirklich nicht?« wollte Joy wissen. Dan sah gelassen zu, wie sie den Brief in winzige Fetzen riß, die sie schließlich zu einem kleinen Ball zusammendrückte, der im Papierkorb landete. »Du bist großartig«, sagte er. »Möchtest du mich heiraten?« »Ich habe diese Frage schon beantwortet, Dr. Stander.« Und sie gab ihm wieder einen Kuß.
< 52 > Hettie Delange war ganz durcheinander. Es fing mit dem Telefon an, das Johnny aus dem Schlaf riß. Er brummte etwas über Schwierigkeiten im Schacht, als er sich anzog, aber sie war gleich wieder eingeschlafen, während Johnny in die Nacht hinauseilte. Stunden später kam er zurück und setzte sich auf den Bettrand. Mit den Händen zwischen seinen Knien und gebeugtem Kopf hockte er stumm da. »Was ist denn los, Mann? Komm ins Bett und sitz nicht herum.« »Davy ist tot«, sagte er mit matter Stimme. Eine Minute lang zogen sich ihre Magenmuskeln vor Schreck zusammen. Jetzt wurde sie hellwach. Und sogleich ging eine Welle der Erleichterung über sie hinweg. Er war tot. So einfach war das! Den ganzen Tag über hatte sie sich gestern Sorgen gemacht. Es war dumm von ihr gewesen, daß sie's mit ihm getrieben hatte. Dieser eine Augenblick der Schwäche, der Nachgiebigkeit - und danach hatte sie sich ständig um die Folgen gesorgt. Wahrscheinlich würde Davy nun ständig hinter ihr her sein und es so ungeschickt machen, daß
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Johnny es merken müßte. Sie hatte ihren Spaß im Badezimmer gehabt, aber dieses eine Mal war genug. Sie wollte keine Fortsetzungsgeschichten und ganz gewiß keine Komplikationen. Und jetzt war sie alle Sorgen los! Davy war tot. »Bist du sicher?« fragte sie beunruhigt. »Ich habe ihn doch gesehen.« Johnny schauderte und fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund. »Mein Gott, ist das schrecklich!« Hettie besann sich auf ihre Rolle und legte die Arme um ihren Mann. »Das muß furchtbar für dich sein.« Sie hatte keinen Schlaf mehr gefunden. Irgendwie war diese Vorstellung aufregend: Davy verließ sie und ging in einen gräßlichen Tod. Es war wie in Filmen und Büchern. So als ob er ein Kampfflieger gewesen wäre, den der Gegner abgeschossen hätte, und sie selber wäre sein Schwärm. Vielleicht wäre sie schwanger und ganz allein auf der Welt, und sie müßte in den Buckingham-Palast gehen und einen Orden für ihn entgegennehmen... Bis zur Morgendämmerung waren solche phantastischen Ideen durch ihren Kopf gegangen. Johnny warf sich an ihrer Seite hin und her und murmelte. Als das erste Tageslicht ins Zimmer fiel, weckte sie ihn. »Wie hat Davy ausgesehen?« erkundigte sie sich leise. Wieder ging ein Schauder durch Johnny, und dann begann er zu erzählen. Seine Stimme war rauh, er brachte die Sätze nur abgebrochen heraus. Als er verstummte, stellte Hettie fest, daß sie vor Erregung zitterte. »Wie grauenhaft«, flüsterte sie, »ach, wie grauenhaft.« Und sie preßte sich an ihn. Nach einer Weile kam Johnny zu ihr, und so gut hatte es Hettie noch nie getan wie diesmal. Am Vormittag schrillte in einem fort das Telefon. Vier ihrer Freundinnen kamen zu Besuch und tranken Kaffee bei ihr. Ein Reporter und ein Fotograf vom »Johannesburg Star« riefen an und stellten Fragen. Hettie stand im Mittelpunkt des Interesses und berichtete wieder und wieder die Geschichte. Nach dem Essen kam Johnny mit einem kleinen dunkelhaarigen Mann ins Haus, der einen schwarzen Anzug und schwarze ita-
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lienische Schuhe trug sowie eine schwarze Aktentasche. »Hettie, das ist Mr. Boart. Er war Davys Anwalt und hat dir etwas mitzuteilen.« »Mrs. Delange, darf ich Ihnen meine tiefe Anteilnahme an dem tragischen Verlust aussprechen, der Sie und Ihren Herrn Gatten getroffen hat?« »Ja, ist das nicht fürchterlich, nicht wahr?« Hettie war auf der Hut. Hatte Davy seinem Rechtsanwalt etwas über sie erzählt? Kam dieser Mann, um Schwierigkeiten zu machen? »Ihr Schwager hat ein Testament hinterlassen, das ich zu vollstrecken habe. Ihr Schwager war ein wohlhabender Mann. Er besaß mehr als fünfzigtausend Rand.« Boart legte eine wirkungsvolle Pause ein. »Sie und Ihr Gemahl sind die alleinigen Nutznießer.« Hettie blickte unschlüssig Mr. Boart und danach Johnny an. »Ich weiß nicht... Was soll das heißen: Nutznießer?« »Es heißt, daß Sie und Ihr Herr Gemahl sich die Hinterlassenschaft teilen.« »Ich kriege also fünfundzwanzigtausend Rand?« fragte Hettie in ungläubigem Staunen. »Ganz recht.« »Herrje!« rief Hettie aus. »Das ist ja fabelhaft!« Kaum waren Johnny und der Anwalt draußen, da rief sie ihre Freundinnen an. Alle vier fanden sich sogleich wieder ein, um noch mehr Kaffee zu trinken, um sich noch mehr aufregen zu lassen und um Hettie zu beneiden. Wie herrlich und aufregend war das alles! »Fünfundzwanzigtausend Rand«, wiederholte sie immer wieder mit Behagen. »Der Mann muß dich ja wirklich gern gehabt haben, Hettie«, bemerkte eine mit Nachdruck. Hettie senkte den Blick und gab sich Mühe, bekümmert und geheimnisvoll zu erscheinen. Johnny kehrte nach achtzehn Uhr zurück. Er stand nicht mehr sicher auf seinen Füßen und roch nach Alkohol. Nur ungern brachen Hetties Freundinnen auf, um sich wieder ihren wartenden Familien zu widmen, und fast im selben Augenblick fuhr ein großer weißer Sportwagen vor, womit Hetties triumphaler Tag
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seine Krönung erfuhr. Nicht eine einzige ihrer Freundinnen war jemals von dem Generaldirektor der Sonder-Ditch-Mine in ihrer Wohnung aufgesucht worden. Sie öffnete sofort nach dem Klingeln. Ihr Willkommensgruß war das schamlose Plagiat eines Lächelns, das sie jüngst bei einer Filmschauspielerin im Kino von Kitchenerville bewundert hatte. »Mr. Ironsides, das ist aber nett von Ihnen, daß Sie uns besuchen.« Als sie Rod in das mit Möbeln vollgestopfte Wohnzimmer begleitete, sah Johnny auf, blieb aber sitzen. »Johnny, ich komme, um Ihnen zu sagen, daß es mir sehr leid tut um Davy und daß...« »Ach, sparen Sie sich dieses Gewäsch!« schnauzte Johnny. Hettie schnappte nach Luft. »Aber Johnny! Du kannst doch nicht in diesem Ton mit Mr. Ironsides sprechen!« Und sie wandte sich an Rod und legte eine Hand auf seinen Ärmel. »Er meint es nicht bös, Mr. Ironsides. Er hat getrunken.« »Scher dich fort!« rief Johnny. »Geh in deine verdammte Küche, wohin du gehörst.« »Johnny!« »Scher dich fort!« brüllte Johnny und stand auf. Hettie flüchtete in ihre Küche. Johnny schwankte zu dem verchromten und verglasten Likörschrank, der eine Ecke des Zimmers einnahm. Er goß Whisky in zwei Gläser und gab eines Rod. »Gott sei meinem Bruder gnädig«, sagte er. »Auf Davy Delange, der einer der besten Steinbrecher in Kitchenerville war«, sprach Rod und kippte seinen Whisky. »Er war der beste«, verbesserte Johnny und leerte sein Glas. Er keuchte und beugte sich dann vor, um Rod ins Gesicht hineinzusagen: »Sie kommen, weil Sie wissen wollen, ob ich Ihren verdammten Tunnel für Sie fertig machen will oder ob ich den Kram hinschmeiße. Davy hat Ihnen nichts bedeutet, und auch ich bedeute Ihnen nichts. Sie kümmern sich bloß um eine Sache: Sie wollen wissen, was aus Ihrem verdammten Vortrieb wird.« Er füllte die Gläser von neuem. »Schön, Freundchen, hören Sie genau zu. Johnny Delange wird den Kram nicht hinschmeißen.
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Der Berg hat meinen Bruder verschlungen, aber ich werde ihn schlagen und kleinkriegen. Keine Sorge also. Gehen Sie nur ruhig nach Hause. Sie können sich getrost schlafen legen, denn Johnny Delange wird morgen früh zu seiner Schicht einfahren und dem verdammten Bastard zu Leibe gehn.«
< 53 > Ein Rolls Royce parkte unter den Bäumen. Über dem Fluß lag der Nebel noch dichter als über dem Gras, das sehr grün von ihm abstach. Der livrierte Chauffeur stand abseits, so daß die beiden Männer im Auto für sich allein blieben. Sie saßen auf dem Rücksitz und hatten eine Wolldecke um die Knie geschlungen. Auf dem Klappbrett vor ihnen stand eine versilberte Thermosflasche mit Kaffee. Die Tassen waren aus hauchdünnem Porzellan. Auf einer Platte lagen Schinkenbrötchen. Der dicke Mann aß eifrig. Jeden Bissen spülte er mit einem Schluck Kaffee hinunter. Der kleine kahlköpfige Mann aß nichts, statt dessen paffte er nervös eine Zigarette und schaute durchs Fenster nach den Pferden. Die Stallknechte führten die Tiere im Kreis herum. Aus den Pferdenüstern stieg Dampf. Die Jockeys standen bei dem Trainer, der eindringlich auf sie einsprach. »Der Flugservice ist ausgezeichnet. Ich habe besonders meinen Aufenthalt in Rio genossen«, sagte der kleine Mann. »Dort war ich zum erstenmal.« Der dicke Mann grunzte. Er war verärgert. Sie hätten diesen Agenten nicht schicken dürfen. Das war ein Zeichen ihres Verdachts, ihres Mißtrauens. Sicher würde dieser Besuch seine persönlichen Schachzüge behindern. Die Besprechung zwischen dem Trainer und den Jockeys war beendet. Die kleinen Reiter liefen zu ihren Pferden, und der Trainer kam an den Rolls Royce. »Guten Morgen, Sir«, sagte er durch das offene Fenster, und der dicke Mann grunzte abermals. »Ich lasse den Braunen das ganze
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Rennen laufen. Emerald Isle wird für den Anfang Schrittmacher sein. Dann wird Pater Noster ihn übernehmen, und Tiger Shark schließlich wird ihn in die Zielgerade bringen.« »Sehr schön.« »Vielleicht möchten Sie gern die Zeit messen, Sir.« Der Trainer bot ihm eine Stoppuhr an, und der dicke Mann schien seine Liebenswürdigkeit wieder zurückgewinnen. »Ich danke Ihnen, Henry«, sagte er lächelnd. »Er ist in bester Verfassung, das muß ich sagen.« Dem Trainer tat diese Herablassung wohl, und er ging davon. »Sie haben eine Nachricht für mich?« fragte der dicke Mann. »Natürlich.« Der andere strich sich über seinen Schnurrbart, der an die Schnauzhaare eines Kaninchens erinnerte. Es war eine Gewohnheit, die den Dicken ärgerte. »Ich bin nicht den ganzen weiten Weg hierhergeflogen, nur um mir ein paar Esel zu betrachten.« »Wollen Sie mir diese Nachricht also mitteilen?« Der dicke Mann überhörte die Beleidigung. Was der Kahlkopf »Esel« nannte, waren einige der edelsten Pferde Afrikas. »Man will Näheres über diese Gasexplosion hören.« »Da gibt es nichts zu hören.« Der dicke Mann wischte diese Frage mit einer Handbewegung vom Tisch. »Außerdem war es gar keine Gasexplosion, sondern ein schlichter Grubenbrand. Ein paar Leute kamen dabei um. An unserem Tunnel ist keinerlei Schaden entstanden.« »Dann sind unsere Pläne also nicht beeinträchtigt?« »Nicht um ein Jota.« Die beiden Pferde waren Schulter an Schulter gestartet. Der Braune galoppierte mit eleganter Leichtigkeit. Der Grauschimmel hielt sich mit Mühe neben ihm. »Meine Auftraggeber machen sich Gedanken.« »Dazu fehlt der Anlaß«, gab der dicke Mann zurück. »Ich sage Ihnen doch, daß der Zwischenfall uns nicht berührt.« »Ist diese Explosion aufgrund eines Irrtums dieses Ironsides geschehen?« »Nein.« Der dicke Mann schüttelte den Kopf. »Es war die Nachlässigkeit des diensttuenden Steigers. Er hätte das Gas feststellen
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müssen.« »Wie schade.« Jetzt schüttelte der Kahle seinen Kopf. »Wir hatten gehofft, Ironsides bei einem Fehler ertappen zu können.« Das graue Pferd ermüdete, während der Braune an ihm vorbeizog. Von der Seite kam nun ein weiteres Pferd, um den Grauschimmel zu ersetzen. Es jagte Kopf an Kopf mit dem Braunen dahin. »Weshalb interessieren Sie sich für irgendwelche Fehler von Ironsides?« »Wir haben bestürzende Berichte vernommen. Dieser Mann ist kein Faustpfand, das sich nach Gutdünken hin- und herschieben läßt. Er hat den Job des Generaldirektors gewissermaßen an der Gurgel gepackt. Wir haben bereits erfahren, daß er die Herstellungskosten der Sonder Ditch um kaum glaubliche zwei Prozent gedrückt hat. Er scheint unermüdlich und einfallsreich zu sein kurzum: ein Mann, mit dem man rechnen muß.« »Gut und schön«, gab der dicke Mann zu. »Aber ich sehe immer noch nicht, warum Sie - vielmehr Ihre Auftraggeber - beunruhigt sind. Rechnen Sie denn damit, daß dieser Mann die Wasserflut allein dank seiner Persönlichkeit aufhalten wird?« Der zweite Schrittmacher fiel zurück, aber noch immer lief der Braune weiter seine Bahn. Jetzt übernahm ein weiteres Pferd die Rolle des zweiten. »Ich verstehe nichts von Pferden«, meinte der Kahlkopf und beobachtete die beiden Tiere. »Aber mir scheint, dieses eine hat die beiden andern kaltgestellt. Es scheint ein außergewöhnliches Tier zu sein.« Er zog an seiner Zigarette, ehe er fortfuhr. »Es gibt auch Menschen, die außergewöhnlich sind. Uns drängt sich der Eindruck auf, daß Ironsides einer von dieser Sorte ist. Solche Leute sehen wir nicht gern im andern Lager. Sie sind unberechenbar. Es ist durchaus möglich, daß er die ganze Operation zuschanden macht. Natürlich nicht dank seiner Persönlichkeit, sondern durch einen unerwarteten Schritt, für den wir nicht gerüstet sind.« Beide sahen stumm den Pferden zu, die um die letzte Kurve galoppierten und aufs Ziel losjagten. »Schauen Sie sich das an«, meinte der dicke Mann ruhig. Der
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große Braune sprengte an dem andern Tier vorbei. Fünf Längen vor ihm ging er durchs Finish. Der dicke Mann drückte auf seine Stoppuhr. Er prüfte genau und lachte wie ein gesunder Säugling. »Und dabei hat er sich nicht einmal verausgabt!« Er pochte an das Fenster, und sogleich setzte sich der Chauffeur ans Steuer. »Zu meinem Büro«, befahl der dicke Mann, »und schließen Sie die Trennscheibe.« Als das geräuschschluckende Glas Chauffeur und Insassen voneinander getrennt hatte, wandte sich der dicke Mann wieder seinem Gast zu. »Und Sie, mein Freund, betrachten Ironsides als einen unberechenbaren Mann? Was soll ich mit ihm machen?« »Schaffen Sie ihn uns vom Hals.« »Meinen Sie das so, wie es sich anhört?« Der dicke Mann runzelte die Brauen. »Nein. Nichts Drastisches.« Der kahle Kopf hüpfte aufgeregt hin und her. »Sie haben zu viel über diesen James Bond gelesen. Sorgen Sie ganz einfach dafür, daß Ironsides weit weg und gut beschäftigt ist, wenn der Tunnel durch den Big Dipper getrieben wird. Andernfalls ist er imstande, unsere guten Absichten zu gefährden.« »Ich glaube, das läßt sich machen«, antwortete der dicke Mann und nahm noch ein Schinkenbrötchen.
< 54 > Wie er versprochen hatte, flog Steyner am Freitagabend nach Kapstadt. Den Samstagabend verbrachten Rod und Terry im Kyalami-Ranch-Hotel. Sie tanzten und speisten, waren aber schon vor Mitternacht auf der Rückkehr zu seiner Wohnung. Am Morgen klatschte Rod der schlafenden Terry mit der zusammengerollten Sonntagszeitung auf das nackte Hinterteil, woraufhin ein geräuschvolles Gerangel begann. Ein durch die Luft segelndes Kissen riß ein Bild von der Wand, der Kaffeetisch fiel um, und das Gekicher und Gelächter veranlaßte die
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Leute in der Wohnung über ihnen zu empörtem Pochen. Terry wies trotzig zur Decke. Sie unterdrückten ihr Lachen und machten sich im Bett zwar mit großem Eifer, aber weniger laut zu schaffen. Später, viel später holten sie Melanie ab und verlebten den Sonntag wieder auf dem Gestüt am Vaal. Heute durfte Melanie wirklich einmal reiten - eine Erfahrung, die sie ganz aus dem Häuschen brachte. Nach dem Essen holten sie das Rennboot und liefen Wasserski. Rod stellte fest, daß Terry in ihrem weißen Bikini besonders gut aussah. Es war schon dunkel, als Rod seine schlafende Tochter bei ihrer Mutter ablieferte. »Wer ist denn diese Terry, von der Melanie dauernd redet?« wollte Patti wissen. Sie war noch immer eingeschnappt wegen seiner Beförderung. Obendrein besaß sie das Gedächtnis eines Steuereintreibers. »Terry?« Rod heuchelte Überraschung. »Ich dachte, du wüßtest das.« Und er ließ Patti stehen, die ihm sprachlos nachstierte. Terry hatte sich in ihren Pelz vermummt. »Ich habe deine Tochter gern«, murmelte sie. »Dieses Gefühl wird, glaube ich, erwidert.« Rod fuhr langsam die Hillbrowhügel hinauf.' Terrys Hand glitt aus dem weiten Ärmel ihres Pelzes und ruhte auf seinem Knie. »Wäre es nicht hübsch, wenn wir eines Tages selber eine Tochter hätten?« »Ja, gewiß«, stimmte Rod gehorsam zu - und plötzlich merkte er zu seiner eigenen Verwunderung, daß er diese Worte ja im Ernst gesprochen hatte. Dieses Phänomen beschäftigte ihn noch, als er den Maserati in der Garage parkte und um den Wagen ging, damit er Terry heraushelfen konnte... Manfred Steyner beobachtete seine Frau, die aus dem Wagen stieg und ihr Gesicht Rodney Ironsides zuwandte. Ironsides beugte sich über sie und küßte sie auf den Mund. Dann warf er die Tür des Autos zu, und die beiden gingen Arm in Arm zum Fahrstuhl. »Die Detektei Peterson liefert immer zuverlässiges Material«, sagte der Mann am Steuer des schwarzen Ford, der im Schatten der Garage wartete. »Wir werden ihnen eine halbe Stunde Zeit
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geben, um es sich gemütlich zu machen. Dann gehen wir hinauf und klopfen an seine Tür.« Steyner saß sehr still neben dem Privatdetektiv. Vor drei Stunden war er wieder in Johannesburg eingetroffen. »Lassen Sie mich hier allein. Parken Sie den Ford an der Ecke des Clarendon Circle und warten Sie dort auf mich.« »Wie? Wollen Sie denn nicht...« Dem Detektiv verschlug es die Sprache. »Machen Sie, was ich Ihnen gesagt habe.« Steyners Stimme war so ätzend wie Vitriol, aber der Detektiv entgegnete beharrlich: »Sie brauchen einen Zeugen vor Gericht. Sie brauchen mich als Zeugen...« »Verschwinden Sie«, fuhr ihn Steyner an, öffnete den Schlag und stieg aus. Der Mann zögerte einen Moment, dann fuhr er langsam davon. Steyner ging auf den großen hellen Sportwagen zu. Aus seiner Tasche holte er ein vergoldetes Messer. Er zog die längste Klinge heraus. Längst hatte er erkannt, daß dieser Wagen dem Mann viel bedeutete. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt konnte er sich anders nicht rächen. Solange Ironsides den Tunnel bis zum Big Dipper nicht fertig hatte, vermochte er weder ihn noch seine Frau zu stellen. Er durfte sie nicht einmal wissen lassen, daß er sie verdächtigte. Menschliche Empfindungen wie Liebe und Haß und Eifersucht hatte Steyner selten am eigenen Leibe erfahren. Er kannte sie bloß in ihrer schwächsten Form. Theresa hatte er nie geliebt - er hatte keine Frau jemals geliebt. Er hatte sie allein wegen ihres Reichtums und ihrer Stellung geheiratet. Das Gefühl, das ihn jetzt übermannte, war weder Haß noch Eifersucht. Man hatte ihn beleidigt. Diese beiden unwichtigen Menschen hatten ihn beleidigt. Sie betrogen ihn. Er dachte nicht daran, wild ins Haus zu stürzen und mit Gewalt und Scheidung zu drohen. Nein, er würde den Mann tiefer treffen, wenn er aus dem Dunkeln einen Schlag gegen ihn führte, von dem er nicht wußte, woher er kam. Später, wenn er seinen Zweck erfüllt hatte, würde Steyner ihn so kaltblütig zerschmet-
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tern, wie man eine Ameise zertritt. Was die Frau anlangte, so empfand er eine gewisse Erleichterung. Ihr unverantwortliches Benehmen hatte sie völlig seinem Belieben ausgeliefert - sowohl gesetzlich als auch moralisch. Sobald ihn der Big Dipper finanziell unabhängig gemacht hatte, konnte er sie von sich stoßen. Auch sie würde ihm bestens gedient haben. Diese Reise, die er in aller Eile unterbrochen hatte, hing mit dem Erwerb von Aktien der Sonder-Ditch-Mine zusammen. Er bereiste die wichtigsten Städte und traf Abmachungen mit Börsenmaklern: An einem bestimmten Tag sollten sie alle nur greifbaren Aktien aufkaufen. Wenn er diese Angelegenheit hier erledigt hatte, würde er den Privatdetektiv bitten, ihn zum Jan Smuts Airport zu fahren. Er hatte einen Platz in der Maschine nach Durban gebucht, wo er seine Vorbereitungen fortsetzen wollte. Alles hat tadellos geklappt, dachte er, während er mit der Messerklinge den Gummipuffer eines Seitenfensters lockerte. Durch eine schnelle Drehung öffnete er die Sicherung und stieß das Fenster auf. Er kletterte auf den Fahrersitz. Die Klinge seines Federmessers war so scharf wie ein Rasiermesser. Zunächst machte er sich über den Beifahrersitz her: Er schnitt die Lederpolsterung in Stücke. Danach kamen der Fahrersitz und schließlich die Rücksitze an die Reihe. Er schlitzte den Werkzeugkasten auf und ergriff einen Reifenheber. Mit ihm schlug er alle Skalen des Armaturenbrettes entzwei. Die Glassplitter fielen auf den mit einem Teppich ausgelegten Boden. Nachdem er das Schaltbrett aus Rosenholz total zertrümmert hatte, stieg er aus und hämmerte mit dem Wagenheber gegen die Windschutzscheibe. Das Glas platzte strahlenförmig. Dann ließ er sein Instrument fallen und griff wieder nach seinem Messer. Er kniete sich neben den Vorderrädern nieder und begann, den Gummi aufzuschneiden. Da dies jedoch eine schwierigere Arbeit war, als er geglaubt hatte, stieß er immer heftiger zu. Das Messer rutschte ihm zwischen den Fingern weg. Die Klinge fuhr tief in seinen Handballen. Mit einem Schrei richtete sich Steyner auf und preßte den verletzten Daumen zusammen. Blut schoß aus der Wunde.
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»Mein Gott! Mein Gott!« keuchte er, entsetzt beim Anblick seines eigenen Blutes. Er taumelte davon und wickelte ein Taschentuch um seinen Daumen. Dann fand er den auf ihn wartenden Ford, riß die Tür auf und sank neben dem Detektiv nieder. »Ein Arzt! Um Gottes willen, bringen Sie mich zu einem Arzt! Ich bin schwer verletzt. Schnell! Fahren Sie schnell!«
< 55 > Terrys Mann kommt heute zurück, überlegte Rod, als er sich am Schreibtisch niederließ. Dieser Gedanke erfüllte ihn nicht gerade mit Kraft für den vor ihm liegenden Tag. Morgen früh waren die vierteljährlichen Berichte fällig. Folglich war die gesamte Verwaltung in der üblichen Panik kurz vor Toresschluß. Im Vorzimmer wartete schon eine Menge Leute auf ihn. Um fünfzehn Uhr hatte er sich beim Treffen der Sachverständigen im Hauptbüro einzufinden. Doch zuvor wollte er den Sprengteppich überprüfen, den Johnny Delange inzwischen mit Ladungen versehen hatte. Das Telefon schrillte, als Lily Jordan den ersten Besucher einließ, einen hochgewachsenen dünnen Mann mit hängendem Schnurrbart und melancholischem Gesichtsausdruck. »Mr. Ironsides?« fragte eine Stimme am Apparat. »Ja.« »Hier ist Porters Autowerkstätte. Ich habe die Kosten für die Reparatur Ihres Maserati berechnet.« »Wie teuer kommt es?« Rod kreuzte die Finger. »Auf zwölfhundert Rand.« »Menschenskind!« »Sollen wir anfangen?« »Nein, ich will zuerst bei meiner Versicherung nachfragen. Ich rufe Sie dann wieder an.« Er legte auf. Diese schändliche Zerstörung ärgerte ihn noch immer schrecklich. Für unbestimmte Zeit mußte er sich jetzt mit einem Volkswagen zufriedengeben. Dann wandte er sich seinem Besucher zu.
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»Ich bin Detektivinspektor Grobbelaar«, stellte sich der Mann vor. »Ich untersuche den Mord an Jose Almeida.« Die beiden reichten sich die Hände. »Haben Sie schon eine Spur?« fragte Rod. »Wir haben stets Spuren«, erwiderte der Inspektor so traurig, daß Rod für eine Minute fürchtete, er selber stehe auf der Liste der Verdächtigen. »Wir glauben, daß der Mörder bei einer der Minengesellschaften in diesem Gebiet beschäftigt ist, vielleicht sogar bei der Sonder Ditch. Ich suche Sie auf, um Sie zu bitten, mir bei meinen Untersuchungen behilflich zu sein.« »Selbstverständlich.« »Ich werde viele Ihrer Bantus vernehmen müssen. Vielleicht können Sie mir einen Raum zur Verfügung stellen.« Rod hob den Telefonhörer ab, und während er wählte, sagte er zu Grobbelaar: »Ich rufe den Lagerleiter an.« Als die Verbindung hergestellt war, sprach er weiter: »Ich schicke einen Inspektor Grobbelaar zu Ihnen. Sorgen Sie bitte dafür, daß er ein Büro erhält und daß man ihm in jeder Hinsicht hilft.« Grobbelaar stand auf und streckte seine Hand aus. »Ich möchte Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen. Vielen Dank, Mr. Ironsides.« Der nächste Besucher war van den Bergh, sein Sekretär, der die Berichte seiner Abteilung wie Gewinnlose der Lotterie schwang. »Alles fertig«, verkündete er triumphierend. »Wir brauchen bloß noch Ihre Unterschrift.« Als Rod seinen Füllfederhalter aufschraubte, klingelte das Telefon schon wieder. »Mein Gott«, brummte er mit der Feder in der einen und dem Hörer in der andern Hand. »Muß das denn wirklich sein? « Dreizehn Uhr war schon vorbei, als Rod aus seinem Büro floh und es Lily Jordan überließ, mit dem Trubel fertig zu werden. Er ging zum Schacht 1, wo er von Dimitri und seinen früheren Obersteigern wie der Verlorene Sohn begrüßt wurde. Alle fragten sich unruhig, wer ihn wohl als Direktor im Untertagebau ersetzen werde. Rod versprach, sich am Nachmittag im Hauptbüro danach zu erkundigen. Dann zog er einen Overall an und setzte einen Helm auf.
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An der Stelle, wo Davy Delange seinen Tod gefunden hatte, stieß Rod jetzt auf eine Abschirmung aus Maschendraht über den langen Reihen der Sprengsätze in der Hängenden Wand. Das Elektrokabel für die Zündung war, mit grünem Plastikmaterial umwickelt, an der Decke des Tunnels angebracht. In der Sprengkammer hatten die Elektriker bereits die Schaltung für diesen speziellen Stromkreis installiert. Er konnte jederzeit in Minutenschnelle geschaltet werden. Rod war zumute, als falle ein schweres Gewicht von seinen Schultern, als er durch die Bewetterungstüren ging und den Gang entlangstapfte, um mit Johnny Delange zu sprechen. Auf halbem Wege traf er Big King. Rod grüßte. Big King blieb stehen und ließ seine Mannschaft passieren. Erst als die Männer außer Hörweite waren, öffnete er den Mund. »Ich will mit Ihnen reden.« »Natürlich.« Rod bemerkte plötzlich, daß Big Kings Gesicht hohl geworden war und seine Augen eingesunken schienen. Seine Haut war staubig und grau wie die von kranken Negern. »Ich will zu meinen Frauen nach Mogambique zurückkehren«, sagte Big King. »Warum denn?« Die Aussicht, einen so wertvollen Boss Boy zu verlieren, verstimmte Rod. »Mein Blut ist dünn.« Das war eine nichtssagende Antwort. Sie bedeutete so viel wie: »Ich habe meine Gründe, werde sie aber nicht nennen.« »Wirst du wieder zum Arbeiten kommen, wenn dein Blut dicker geworden ist?« fragte Rod. »Das wissen die Götter.« Auch diese Antwort war nichtssagend. »Ich kann dich nicht halten, wenn du gehen willst, Big King. Sag dem Lagerleiter Bescheid, und er wird dich vormerken.« »Ich habe schon mit dem Lagerleiter gesprochen. Er will, daß ich noch dreiunddreißig Tage arbeite, bis mein Vertrag ausläuft.« »Natürlich.« Rod nickte. »So steht es nun einmal im Vertrag. Du mußt ihn erfüllen.« »Ich möchte aber sofort gehen«, versetzte Big King hartnäckig. »Dann mußt du mir einen Grund angeben. Du kannst deinen
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Vertrag nicht brechen, solange du keinen gewichtigen Grund dazu hast.« »Ich habe keinen Grund.« Big King gab sich geschlagen. »Ich werde meinen Vertrag erfüllen.« Er verließ Rod und folgte seiner Mannschaft. Seit der Nacht, in der er den Portugiesen getötet hatte, fand Big King nur wenig Schlaf und hatte noch weniger gegessen. Der Kummer wühlte in seinem Magen. Anfälle von Ruhr plagten ihn. Weder an Tanz noch an Gesang war jetzt mehr zu denken. Krummbein und der Shangaan Induna konnten sagen, was sie wollten, es beruhigte Big King nicht. Er wartete auf die Polizei. Die Tage gingen dahin, und das Fleisch fiel ihm von den Knochen. Er wußte, daß sie ihn vor Ablauf der dreiunddreißig Tage holen würden. Sein Appell an Rod war sein letzter verzweifelter Versuch gewesen. Nun resignierte er. Er wußte, daß die Polizei unerbittlich war. Eines Tages mußten sie kommen. Sie würden seine Handgelenke fesseln und ihn in die Grüne Minna stecken. Er hatte schon oft zugesehen, wenn Männer auf diese Weise fortgeschafft wurden, und er hatte auch gehört, was später mit ihnen passiert war. Die Gesetze der Weißen waren nicht anders als die Stammesgesetze der Shangaans. Wer ein Leben auslöschte, mußte mit seinem Leben dafür zahlen. Sie würden ihm das Genick mit einem Strick brechen. Seine Ahnherren hätten ihm den Schädel mit einer Kriegskeule zerschmettert. Am Ende kam beides auf dasselbe heraus. Rod traf Johnny Delange, der gerade kalten Tee aus einer Feldflasche trank, während seine Leute den Gang säuberten. »Wie steht's?« fragte er. Jonnny wischte sich die Lippen ab und verkorkte die Flasche. »Seit Davys Tod haben wir uns beinahe vierhundertfünfzig Meter vorgearbeitet.« »Das ist ja allerhand.« Rod beachtete den Hinweis auf die Methangasexplosion nicht. »Wir wären weiter, wenn Davy noch lebte.« Johnny konnte einen gewissen Campbell nicht ausstehen, der den Platz seines Bruders eingenommen hatte. »Die Nachtschicht arbeitet nicht
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schnell genug.« »Ich werde ihnen Beine machen«, versicherte ihm Rod. »Ja, tun Sie das mal.« Johnny drehte sich um und rief seinen Männern etwas zu. Rod starrte in den Gang hinein. Weniger als dreihundert Meter, und dann kam das dunkle harte Gestein des Big Dipper. Und was kam danach? Ein Schauer lief über Rods Haut, als er sich seines Traums erinnerte. Diese kalte, grüne, durchsichtige Masse, die jenseits des Walls ihrer harrte... »Schön, Johnny, Sie kommen gut voran.« Rod löste sich gewaltsam von der schrecklichen Vorstellung. »Sobald Sie auf das Serpentingestein stoßen, hören Sie sofort mit der Arbeit auf und benachrichtigen mich. Ist das klar?« »Sie sollten das besser auch Campbell sagen«, meinte Johnny. »Schließlich können ja die Leute von der Nachtschicht zuerst auf den Big Dipper treffen.« »Ich werde ihm Bescheid geben. Aber vergessen Sie bloß eines nicht: Ich will hier unten sein, wenn wir den Wall durchbohren.« Rod schaute auf seine Uhr. Es war fast vierzehn Uhr. In einer Stunde mußte er die Sachverständigen im Hauptbüro treffen. »Sie kommen spät, Mr. Ironsides.« Dr. Manfred Steyner, der am Kopf des Tisches im Sitzungssaal saß, blickte auf. »Entschuldigen Sie mich, meine Herren.« Rod nahm Platz. »Das ist einer dieser unruhigen Tage.« Die Männer murmelten zustimmend, und Dr. Steyner musterte ihn eine Weile, ehe er bemerkte: »Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir nach dieser Konferenz ein paar Minuten Ihrer Zeit opfern könnten.« »Natürlich, Dr. Steyner.« . »Gut.« Steyner nickte. »Da uns nun Mr. Ironsides mit seiner Gegenwart beehrt hat, können wir wohl zur Tagesordnung übergehen.« Das war die scherzhafteste Äußerung, die jemals einer von ihnen aus seinem Mund vernommen hatte. Als die Konferenz zu Ende ging, war es draußen dunkel. Die Teilnehmer schlüpften in ihre Mäntel, verabschiedeten sich voneinander und ließen Dr. Steyner und Rod an dem Eichentisch zurück, der mit überquellenden Aschenbechern, verstreuten
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Bleistiften und Notizblöcken bedeckt war. Manfred Steyner wartete noch drei Minuten, nachdem sich die Tür hinter dem Letzten geschlossen hatte. Er betrachtete Rod mit distanziertem Interesse. Er war so weit entfernt von jedem echten Gefühl, daß er die Beziehungen zwischen diesem Mann und seiner Frau zur Verwirklichung jener Instruktionen zu benutzen gedachte, die er heute früh erhalten hatte. »Wie weit ist es noch bis zum Big Dipper?« erkundigte er sich unvermittelt. »Nicht ganz dreihundert Meter.« »Wann werden Sie es geschafft haben?« »In zehn Tagen. Länger nicht, vermutlich schon früher.« »Sobald Sie den Wall erreicht haben, müssen alle Arbeiten sogleich gestoppt werden. Sorgen Sie rechtzeitig dafür, daß es geschieht. Es ist wichtig, verstehen Sie?« »Ich habe meine Leute bereits instruiert.« »Gut.« Steyner schwieg wiederum eine volle Minute. Andrew hatte ihm heute morgen Weisungen erteilt. Ironsides müßte weit fort sein, wenn der Big Dipper angebohrt würde. Steyner hatte dafür zu sorgen. »Ich muß Ihnen mitteilen, daß ich Ihnen frühestens in drei Wochen die Order zum Durchbruch gebe, Mr. Ironsides. Sobald Sie bei dem Wall angelangt sind, muß ich nach Europa reisen, um dort gewisse Vereinbarungen zu treffen. Ich werde wenigstens zehn Tage abwesend sein, und während dieser Zeit dürfen keinerlei Arbeiten am Big Dipper vorgenommen werden.« »Dann werden Sie also über Weihnachten nicht da sein?« fragte Rod überrascht. »Nein.« Steyner konnte Rods Gedanken lesen. Terry wird allein sein, überlegte Rod schnell, sie wird während der Weihnachtsfeiertage allein sein. Der Betrieb der Sonder Ditch ruht über Weihnachten eine Woche lang bis auf die notwendigsten Arbeitsgänge. Da kann ich weg. Ich haue mit ihr für eine Woche ab... Steyner wartete, bis Rod die Entscheidung gefällt hatte, die er nach Lage der Dinge fällen würde. Dann fragte er: »Sie verstehen doch? Sie dürfen erst nach meinem ausdrücklichen Befehl den Wall durchstoßen. Mit diesem Befehl brauchen Sie nicht vor
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Mitte Januar zu rechnen.« »Ich verstehe.« »Sie können gehen.« Steyner entließ ihn. »Danke«, entgegnete Rod trocken. Im Einkaufszentrum des Parterres gab es ein Cafe. Rod wählte die Nummer von Sandown. Er ging damit kein Risiko ein, denn Steyner befand sich ja noch oben. »Theresa Steyner.« »Wir haben eine Woche, eine ganze herrliche Woche - für dich und mich«, erzählte er. »Wann?« fragte sie fröhlich. Er sagte es ihr. »Und wohin werden wir gehen?« erkundigte sie sich. »Wir werden uns etwas einfallen lassen.«
< 56 > Um elf Uhr sechsundzwanzig am 16. Dezember sprengte Johnny Delange das Gestein und schritt vorwärts in die Rauch- und Staubwolken hinein. Im Licht seiner Lampe sah er, daß die freigelegten Felsen ganz anders waren als das bläuliche Quarzgestein von Ventersdorp. Das hier war gläsern, schwarz-grün, durchzogen von dünnen weißen Linien, fast wie Marmor. »Wir sind am Wall«, sagte er zu Big King und bückte sich, um einen Brocken aufzuheben und in der Hand zu wiegen. »Wir haben es geschafft. Wir haben die Sauarbeit hinter uns.« Big King stand schweigend neben ihm. Er teilte Johnnys Freude nicht. Johnny warf den Klumpen wieder auf den Haufen. »Mach den Gang sauber und schaff dann die Leute aus dem Tunnel. Wir sind hier fertig, bis weitere Befehle kommen.« »Sehr gut haben Sie das gemacht, Johnny«, lobte Rod. »Gehen Sie in Ferien. Ich zahle Ihnen täglich vier Extrabons für die Wartezeit.« Er unterbrach die telefonische Verbindung und wählte die Nummer der Telefonistin im Hauptbüro. »Geben Sie
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mir bitte Dr. Steyner. Hier spricht Rodney Ironsides.« Er wartete ein paar Sekunden, dann war Steyner am Apparat. »Wir haben den Big Dipper erwischt«, meldete Rod. »Ich fliege morgen früh nach Europa«, antwortete Steyner. »Sie unternehmen nichts während meiner Abwesenheit.« Steyner legte den Hörer auf und drückte den Knopf der Sprechanlage. »Sagen Sie alle Termine ab«, wies er seine Sekretärin an. »Ich bin nicht zu erreichen.« »Sehr wohl, Dr. Steyner.« Dann nahm er den Hörer des zweiten, nicht registrierten Apparates zur Hand. »Hallo, Andrew. Sagen Sie ihm, daß ich bereit bin, meinen Verpflichtungen nachzukommen. Wir haben den Big Dipper erreicht.« Er hörte einige Sekunden zu, dann sprach er weiter. »Gut. Ich warte auf Ihre Antwort.« Andrew ging durch die Glastüren hinaus auf die Veranda. Es war ein schläfriger Sommertag mit flirrender Hitze. Die Sonne leuchtete auf dem kristallklaren Wasser des Swimmingpools. In den Blütenbeeten summten Insekten. Der dicke Mann stand vor einer Staffelei. Er trug eine Baskenmütze und einen weißen Kittel, der wie ein Umstandskleid über seinem vorstehenden Bauch hing. Sein Modell lag mit dem Gesicht nach unten auf einer Luftmatratze am Rand des Beckens. Es war ein attraktives dunkelhaariges Mädchen mit einem zierlichen Körper. Die Sonne trocknete Wassertropfen auf ihrer nackten hellbraunen Haut. Sie wirkte sexy und unschuldig zugleich. »Das war Steyner«, berichtete Andrew. »Er sagt, daß sie den Big Dipper erreicht haben.« Der dicke Mann sah nicht hoch. Er trug weiterhin Farbe auf die Leinwand. Nichts anderes schien ihn zu interessieren. »Hebe doch, bitte, deine rechte Schulter, meine Liebe. So bedeckst du ja deinen äußerst reizvollen Busen«, meinte er, und das Mädchen gehorchte augenblicklich. Endlich trat er zurück und betrachtete sein Werk kritisch. »Du kannst dich jetzt ein bißchen ausruhen.« Er wischte die Pinsel aus, und das nackte Mädchen stand auf, streckte sich wie eine Katze und tauchte dann im Schwimmbecken unter.
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»Kabeln Sie nach New York, Paris, London, Tokio und Frankfurt das Wort >gotisch<«, befahl er Andrew. Dieses Wort würde die geplante Baissespekulation an den großen Börsen der Welt auslösen. Nach Erhalt dieser Telegramme würden die Agenten in den Hauptstädten mit dem Verkauf der Aktien von Kitchenerville beginnen. Es ging um Millionenbeträge. »Und dann sagen Sie Steyner, daß er Ironsides beseite schaffen und den Wall durchstoßen soll.« Steyner nahm die Anweisung entgegen. Hinterher saß er stumm wie eine Eidechse da und ging in Gedanken noch einmal seine Vorbereitungen durch. Er konnte nirgendwo eine schwache Stelle entdecken. Jetzt wurde es Zeit, die Aktien der Sonder Ditch aufzukaufen. Über die Sprechanlage wies er seine Sekretärin an, mit Kapstadt, Durban und Johannesburg zu telefonieren. Er wollte, daß die Käufe von vielen Maklern vorgenommen wurden, so daß es nicht den Anschein hatte, als sei nur einer am Werk. Außerdem war auf diese Weise die Frage des Kredits zu umgehen: Er deckte seine Kauforders nicht mit Bankgarantien. Die Börsenmakler kauften einfach auf seinen Namen hin, auf sein Ansehen, auf seine Stellung bei der C. R. C. Steyner konnte keinen allzu hohen Kaufauftrag an diese oder jene Bank erteilen, sonst würde man nach den Sicherheiten fragen. Und Manfred Steyner hatte keine Sicherheiten mehr. Also placierte er mittlere Orders bei Dutzenden von Unternehmen. Um fünfzehn Uhr hatte er Auftrag gegeben, Aktien im Werte von einer Dreiviertelmillion Rand für ihn zu erwerben. Er besaß keinerlei Mittel, diese Aktien auch tatsächlich zu bezahlen, aber er wußte, daß man ihn darum gar nicht bitten würde. Wenn er sie in einigen Wochen abstieß, würden sie um das Doppelte im Wert gestiegen sein. Wenige Minuten nach seinem abschließenden Gespräch mit der Firma Swerling und Wright in Kapstadt meldete sich seine Sekretärin wieder. »Die S. A. A. hat Ihre Buchung für die Boeing nach Salisbury bestätigt. Flug Nummer hundertsechsundzwanzig um neun Uhr morgen früh. Ihr Rückflug nach Johannesburg mit
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der Rhodesia Airways Viking ist für morgen achtzehn Uhr gebucht.« »Ich danke Ihnen.« Steyner ärgerte sich über den verlorenen Tag, aber Theresa mußte unbedingt glauben, er sei nach Europa geflogen. Sie mußte sich mit eigenen Augen davon überzeugen, daß er abflog. »Geben Sie mir, bitte, meine Frau. - Theresa«, sagte er, »es hat sich etwas Wichtiges ereignet. Ich muß morgen früh nach London fliegen. Ich fürchte, auch an Weihnachten nicht daheim sein zu können.« Ihre gespielte Überraschung und ihr gekünsteltes Benehmen vermochten ihn nicht zu täuschen. Sie und Ironsides hatten längst ihre eigenen Pläne für die Zeit seiner Abwesenheit gemacht. Steyner zweifelte nicht daran. Alles lief ganz nach Wunsch, sinnierte er, als er den Hörer auflegte, tatsächlich: ganz nach Wunsch.
< 57 > Der Daimler hielt unter der Säulenhalle des Jan Smuts Airport, und der Chauffeur öffnete den Schlag für Terry und ihren Mann. Während der Träger das Gepäck aus dem Kofferraum nahm, musterte Steyner den Parkplatz rasch. So zeitig am Morgen war er kaum zur Hälfte besetzt. Am anderen Ende war ein heller Volkswagen mit einer Nummer aus Kitchenerville abgestellt. Alle leitenden Männer der Sonder Ditch fuhren solche hellen Volkswagen. Er ist auf den Fliegenleim gekrochen, dachte Steyner und lächelte freudlos. Dann nahm er Terrys Ellbogen, und sie folgten dem Gepäckträger, der die Koffer aus Krokodilleder schleppte, in das Flughafengebäude. Terry wartete, während ihr Mann die Flugkartenkontrolle passierte. Nach außen hin war sie die sittsame und gehorsame Ehefrau, aber auch sie hatte den Volkswagen gesehen und zitterte innerlich vor Aufregung. Durch ihre Sonnenbrille suchte sie verstohlen nach dem breitschultrigen Mann in der Menge.
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Eine kleine Ewigkeit schien zu vergehen. Sie stand auf der Terrasse, und der Wind schlug ihr das bunte Kleid um die Beine und zerzauste ihr Haar. Die lange haifischähnliche Boeing schob sich über das Rollfeld, und als die Maschine abhob, wandte sich Terry um und lief zum Hauptgebäude zurück. Rod lauerte dort direkt hinter der Tür auf sie. Er riß sie an sich, so daß sie den Boden unter den Füßen verlor. »Gott sei Dank!« Sie zappelte mit den Beinen, legte ihre Arme um seinen Hals und küßte ihn. Die Zuschauer lächelten. »Komm«, bat sie drängend, »jetzt wollen wir keine Minute vergeuden.« Er stellte sie wieder auf die Füße, und sie rannten Hand in Hand die Treppe hinab. Terry blieb nur kurz stehen, um den Chauffeur nach Hause zu schicken, und dann stürmten sie über den Parkplatz wie kleine Kinder, die man endlich aus der Schule entlassen hat, und krochen in den Volkswagen. Ihr Gepäck lag im Fond. »Los!« forderte sie ihn auf. »Fahr so schnell, wie du kannst!« Zwanzig Minuten später brachte Rod den Wagen knirschend vor einem der Hangars des Privatflugplatzes zum Stehen. Die zweimotorige Cessna wartete schon auf dem Rollfeld. Der Mechaniker kletterte aus dem Cockpit, als er Terry erkannte. »Na, Sie kommen ja pünktlich«, meinte er. »Haben Sie die Maschine schön vorgewärmt, Hank? Sie sind ein lieber Kerl.« »Ja, für meine Stammkundschaft ist mir nichts gut genug.« Der Mechaniker war ein untersetzter grauhaariger Mann, der Rod neugierig musterte. »Ich helfe Ihnen mit dem Gepäck«, meinte er dann. Nachdem sie ihre Koffer verstaut hatten, sprach Terry im Cockpit bereits mit dem Kontrollturm. Rod nahm neben ihr Platz. Terry schaltete das Funkgerät ab und lehnte sich über Rod, um mit Hank zu sprechen. »Vielen Dank, Hank.« Sie hielt taktvoll inne, gab sich dann aber einen Ruck. »Hank, falls irgend jemand fragen sollte - ich bin heute allein unterwegs, okay?« »Okay.« Hank grinste sie an. »Gute Landung.« Und er schloß die Tür des Cockpits. »Gehört die Maschine dir?« fragte Rod. Das Ding kostete hun-
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derttausend Rand. »Opi hat sie mir zum Geburtstag geschenkt«, erwiderte Terry. »Gefällt sie dir?« »Nicht schlecht.« Mit einemmal erkannte Rod, daß er sich in der Hand eines weiblichen Piloten befand. Er verstummte nervös. »Nur keine Bange«, empfahl ihm Terry, ohne die Rollbahn aus den Augen zu lassen. »Ich bin schon mit sechzehn geflogen.« In tausend Meter Höhe steuerte sie das Flugzeug ruhig nach Osten. »Na, war's schlimm?« Sie lächelte ihn von der Seite an. »Du bist ein tolles Mädchen. Du bringst allerhand fertig.« »Warte nur mal ab«, warnte sie ihn. »Bis jetzt hast du noch gar nichts erlebt.« Sie flogen stumm weiter, bis das Highveld hinter ihnen lag und das dichte Grün des Bushveld heraufschimmerte. »Ich werde mich von ihm scheiden lassen«, sagte sie endlich. Es überraschte Rod gar nicht, daß sich ihre Gedanken trafen: Er hatte soeben auch an ihren Mann denken müssen. »Gut«, antwortete er. »Du glaubst, daß ich's bei dir aushalten könnte?« »Wenn du es richtig anfängst, könntest du dieses Glück haben.« »Du eingebildetes Ferkel«, versetzte sie. »Ich weiß überhaupt nicht, weshalb ich dich liebe.« »Liebst du mich denn tatsächlich?« »Aber ja.« »Nun, ich liebe dich auch.« Sie verstummten zufrieden, bis Terry die Cessna tief nach unten zog. »Was ist los?« fragte Rod unruhig. »Ich geh' nur runter, um ein bißchen nach dem Wild zu gucken.« »Da!« rief Rod und deutete auf große schwarze Tiere, die über eine Grasfläche trotteten. »Das sind Büffel.« »Dort drüben auch.« Terry zeigte nach links. »Zebras und Weißschwanzgnus«, bemerkte Rod. »Und dort ist auch eine Giraffe.« Ihr langer Hals ragte wie ein Periskop auf. Als das Flugzeug über sie hinwegdonnerte, rannte sie steifbeinig davon.
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»Wir sind da.« Terry wies auf zwei runde Hügel am Horizont, so gleichförmig wie die Brüste eines jungen Mädchens. Beim Näherfliegen erkannte Rod das Strohdach eines großen Hauses, das zwischen den beiden Hügeln stand. Inmitten der Bäume war Platz für eine Landebahn geschaffen worden. Terry drosselte die Geschwindigkeit und kreiste um das Gebäude. Auf den Rasenflächen winkten Menschen zu der Cessna herauf. Zwei stiegen schließlich in einen Landrover und fuhren zur Rollbahn. Der Wagen wirbelte eine weiße Staubfahne auf. »Das ist Hans«, erklärte Terry. »Jetzt können wir landen.« Sie steuerte hinab. Die Motoren dröhnten nur noch sanft. Die Erde kam ihnen entgegen. Der Mann, der aus dem Landrover stieg, hatte weißes Haar und von der Sonne gegerbte Haut. »Mrs. Steyner.« Er verhehlte sein Vergnügen nicht. »Das hat aber lange gedauert. Wo sind Sie denn gewesen?« »Ich hatte zu tun, Hans.« »In New York? Weshalb, zum Teufel, denn das?« fragte er überrascht. »Das ist Mr. Ironsides«, stellte Terry vor. »Rod, dieser Herr ist Hans Krüger.« »Sind Sie etwa mit den van Bredas aus Caledon verwandt?« erkundigte sich Hans und schüttelte Rods Hand. »Das glaube ich nicht«, murmelte Rod unsicher und blickte flehend Terry an. »Er ist stocktaub«, erklärte Terry. »Seine Trommelfelle wurden bei einem Grubenbrand in den dreißiger Jahren zerstört. Aber er will das nicht zugeben.« »Das höre ich gern«, nickte Hans glücklich. »Sie waren immer ein gesundes Mädchen. Ich kann mich noch an die Zeit erinnern, als Sie ein ganz kleines Püppchen waren.« »Er ist durch und durch ein lieber Kerl. Auch seine Frau. Sie kümmern sich um die Jagdhütte von Opi«, berichtete Terry. »Eine gute Idee«, stimmte Hans fröhlich zu. »Wir wollen eure Koffer in den Landrover schaffen und ins Haus fahren. Ich wette, Mr. van Breda wird einen Drink schätzen.« Und er winkte
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Rod zu. Das Dach des Hauses bestand aus roh behauenem Holz und Stroh. Die Böden waren aus Stein. Darauf lagen Tierfelle und Kelimteppiche. Neben dem Kamin hingen an Haken fünfzig gute Flinten und Büchsen. Die Möbel waren einfach und handfest. An den rauh verputzten Wänden hingen Jagdtrophäen und Waffen von Eingeborenen. Eine breite Holztreppe führte hinauf zu den Schlafzimmern. Nachdem sie Hans und dessen Frau losgeworden waren, unterzogen Rod und Terry die Betten einer Brauchbarkeitsprüfung. Anderthalb Stunden später hatte sich dieses Lager als höchst zufriedenstellend erwiesen, und sie begaben sich wieder hinunter, um das üppige Mahl zu verspeisen, das ihnen die dicke Frau Krüger zubereitet hatte. Das Essen war überwältigend. Hinterher machte Terry darauf aufmerksam, daß es vor sechzehn Uhr wenig Sinn habe, nach Wild zu suchen, da es sich in der Hitze des Nachmittags verborgen halte. Also gingen sie wieder die Treppe hinauf. Nach sechzehn Uhr wählte Rod zwei Gewehre, füllte einen Patronengurt, und sie gingen zu dem Landrover. »Wie groß ist denn euer Besitz?« fragte er, als er den Wagen von den Pflanzungen weg auf den Pfad lenkte, der in den Busch hineinführte. »Du kannst in jeder Richtung mehr als dreißig Kilometer fahren, und alles ist unser. An unseren Grenzen fängt der KrügerNationalpark an.« Sie fuhren am Fluß entlang. Auf den Sandbänken blühten flauschig rote Gräser. Das Wasser floß eilig zwischen leuchtend schwarzen Steinen und verlief sich dann in Tümpeln. Sie sahen etwa ein Dutzend verschiedener Arten von Großwild und hielten jedesmal in sicherer Entfernung an, um die Tiere zu beobachten. »Es scheint, daß dein Großvater hier niemanden auf die Jagd gehen läßt«, sagte Rod, als ein Kudubulle mit langen spiralförmigen Hörnern und trompetenförmigen Ohren sie mit großen feuchten Augen aus zehn Meter Entfernung beäugte. »Das Wild ist ja so zahm wie Hausvieh.« »Nur Familienangehörige dürfen jagen«, erklärte Terry. »Du
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zählst also schon zur Familie.« Rod schüttelte den Kopf. »Das wäre ja Mord.« Er deutete auf den Kudu. »Dieser alte Bursche würde uns doch aus der Hand fressen.« »Es freut mich, daß du so denkst«, entgegnete Terry, und sie fuhren gemächlich weiter. Der Abend war nicht kühl genug, um ein Holzfeuer im Kamin anzuzünden. Dennoch steckten sie eines an, weil Rod der Meinung war, es müsse schön sein, vor einem großen Holzfeuer zu kauern, Whisky zu trinken und die Frau im Arm zu halten, die man liebte.
< 58 > Als Inspektor Grobbelaar seine Teetasse absetzte, blieb ihm Sahne an den Schnurrbartenden haften. Er leckte sie sorgsam ab und sah dann Sergeant Hugo an. »Wen haben wir als nächsten?« fragte er. Hugo blickte in sein Notizbuch. »Philemon N'gabai.« Grobbelaar seufzte. »Das ist der achtundvierzigste. Bleiben uns also noch sechzehn.« Der verschmierte Fingerabdruck auf der Glasscherbe der Flasche war vom Erkennungsdienst untersucht worden. Die Männer hatten eine Liste von vierundsechzig Personen angefertigt, unter denen sich vielleicht der dazu gehörende Mann befand. Jeder einzelne war verhört worden. Es war eine langwierige und bis jetzt fruchtlose Arbeit gewesen. »Was wissen wir über Freund Philemon?« fragte Grobbelaar. »Er ist etwa vierzig Jahre alt. Ein Shangaan aus Mosambique. Einen Meter fünfundsechzig groß, siebzig Kilogramm schwer. Hat ein verkrüppeltes rechtes Bein. Zwei Vorstrafen. 1956 hat er ein Fahrrad geklaut und dafür sechzig Tage bekommen. 1962 haben sie ihn wegen des Diebstahls einer Kamera aus einem geparkten Wagen zu neunzig Tagen verdonnert.« »Siebzig Kilogramm - na, der wird wohl kaum jemand das Ge-
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nick gebrochen haben. Aber lassen Sie ihn immerhin reinkommen«, meinte Grobbelaar und tauchte seinen Schnurrbart wieder in die Teetasse. Hugo nickte dem eingeborenen Polizisten zu, der die Tür öffnete und Krummbein einließ. Zusammen mit seinem Bewacher trat er vor den Schreibtisch, an dem die beiden Detektive in Hemdsärmeln saßen. Sie musterten Krummbein eine Weile schweigend. Es war eine bewährte Methode, die Leute unsicher zu machen. Grobbelaar war stolz darauf, daß er einen Schuldigen bereits aus einer Entfernung von fünfzig Schritten »riechen« konnte. Krummbein »roch« sehr verdächtig. Er vermochte nicht ruhig stehen zu bleiben, er schwitzte stark, seine Blicke schössen vom Boden zur Decke. Dieser Mann war ganz gewiß schuldig, aber er brauchte deswegen kein Mörder zu sein. Grobbelaar war keineswegs überzeugt, als er den Kopf sorgenvoll schüttelte und sich erkundigte: »Warum hast du das getan, Philemon? Wir haben deine Fingerabdrücke auf der Flasche mit dem Goldstaub entdeckt.« Krummbein reagierte sofort. Seine Lippen begannen zu zittern, Speichel lief auf sein Kinn. Mit angstgeweiteten Augen starrte er Grobbelaar ins Gesicht. Grobbelaar richtete sich in seinem Stuhl auf und wurde wachsam. Auch Hugos Interesse wuchs. »Du weißt, was mit Leuten geschieht, die getötet haben, Philemon? Man schafft sie nach...« Grobbelaar hatte keine Gelegenheit mehr, seinen Satz zu beenden. Aufheulend stürzte Krummbein zur Tür. Sein verkrüppeltes Bein täuschte: Er war so schnell wie ein Frettchen. Schon hatte er die Tür aufgerissen, doch da packte ihn der Bantu am Kragen und schleifte den sich heftig Sträubenden wieder ins Büro hinein. »Das Gold, aber doch nicht den Mann! Ich habe den Portugiesen nicht umgebracht«, stammelte er, und Grobbelaar tauschte einen Blick mit Hugo. »Ein Schuß ins Schwarze«, sagte Grobbelaar und lächelte, was nur selten geschah.
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< 59 > »Wie Sie sehen, flammt hier ein Lämpchen auf, um Ihnen den Spalt für den Zündschlüssel zu zeigen«, erklärte der Verkäufer und deutete auf das Schaltbrett. »O Johnny, sieh dir das mal an!« rief Hettie, aber Johnny Delange hielt seinen Kopf unter die Haube des großen glänzenden Ford Mustang. »Warum nehmen Sie nicht Platz?« schlug der Verkäufer vor. Er war ein sehr netter Mann, fand Hettie, mit seinen träumerischen Augen und diesen fabelhaften Koteletten. »O ja, das mach' ich gern.« Sie schob sich auf den Sitz des Sportwagens. Ihr Rock rutschte hoch, und die träumerischen Blicke des Verkäufers folgten diesem hochrutschenden Rock. »Können Sie den Sitz richtig einstellen?« fragte Hettie und schaute unschuldig zu ihm auf. »Ich werde es Ihnen zeigen.« Der Mann beugte sich in das Innere des Autos und langte über Hetties Schoß hinweg. Seine Hand strich über ihren Schenkel, und Hettie tat so, als merke sie es nicht. Er roch wunderbar nach Rasierwasser. »So ist es besser«, murmelte sie und wand sich hin und her, bis sie die bequemste Haltung gefunden hatte. Dabei tat sie alles, um den Mann so viel wie möglich von sich sehen zu lassen. Das machte dem Verkäufer Mut, und er fummelte mit seinem Handgelenk an ihrem glatten Schenkel herum. »Wie steht es denn mit dem Getriebe dieses Modells?« fragte Johnny und zog seinen Kopf wieder hervor. Der Verkäufer richtete sich eilig auf und ging zu ihm. Eine Stunde später unterschrieb Johnny den Kaufvertrag. Dann schüttelte er dem Mann die Hand, und Hettie tat es ihm nach. »Darf ich Ihnen meine Karte geben?« fragte der Verkäufer. Johnny war jedoch bereits zu seinem neuen Spielzeug zurückgekehrt, so nahm Hettie die Geschäftskarte entgegen. »Rufen Sie mich an, falls Sie etwas brauchen sollten. Ich bin immer für Sie da«, versicherte der Mann nachdrücklich.
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»Dennis Langley - Verkaufsleiter«, las Hettie laut. »Meine Güte! Sie sind aber noch sehr jung für diesen Job.« »Nun, nicht ganz so jung«, beteuerte der nette Mann. Hettie machte plötzlich kühne Augen. Mit der Zungenspitze leckte sie über ihre Lippen. »Verlassen Sie sich darauf: Ich werde diese Karte nicht verlieren.« Und sie steckte sie in ihre Handtasche, trat zu dem Mustang und hinterließ eine aufreizende Verheißung: die Erinnerung an schwingende Hüften und klappernde Absätze. Sie rasten mit dem neuen Mustang bis nach Potchefstroom. Hettie drängte Johnny, langsamer fahrende Wagen zu überholen, so daß für den Gegenverkehr nur ein zentimeterbreiter Spielraum blieb. Laut hupend jagte er Anhöhen hinauf. Mit seinen beringten Fingern wies er das Protestgehupe anderer Fahrer zurück. Es war schon dunkel, als er vor seinem Haus scharf bremste, um nicht das Heck eines dort abgestellten großen schwarzen Daimlers zu rammen. »Großer Gott«, stieß Johnny hervor. »Das ist ja der Wagen von Dr. Steyner.« »Wer ist denn Dr. Steyner?« wollte Hettie wissen. »Zum Teufel, eines der großen Tiere vom Hauptbüro.« »Du machst wohl Witze?« meinte Hettie. »Nein, das ist wahr«, bestätigte Johnny. »Er ist wirklich eines der großen Tiere.« »Hat er mehr zu sagen als Mr. Ironsides?« Der Generaldirektor der Sonder Ditch stand auf der höchsten Stufe der sozialen Leiter, die Hettie sich vorstellen konnte. »Der ist Hühnerfutter im Vergleich zu diesem Burschen. Guck dir bloß mal diesen Omnibus da an. Der taugt fünfmal mehr als der alte Klapperkasten von Maserati, den Ironsides fährt.« »Donnerwetter!« Dieses Argument leuchtete Hettie ein. »Aber was will der von uns?« »Das weiß ich auch nicht«, gab Johnny leicht besorgt zu. »Aber wir werden es ja gleich feststellen.« Das Wohnzimmer der Eheleute Delange war nicht gerade der geeignete Rahmen für einen Dr. Manfred Steyner. Er saß auf dem Rand eines mit rotgoldenem Plastikstoff überzo-
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genen Sessels ebenso steif und linkisch wie die vielen Porzellanhunde, die auf allen Tischen und Regalen herumstanden. Im Gegensatz zu dem Weihnachtsflitter an der Decke und den fröhlichen Glückwunschkarten, die Hettie an grünen Bändern aufgehängt hatte, wirkten Steyners schwarzer Homburg und sein Mantel mit dem Astrachanpelzkragen streng und düster. »Sie werden meine Eigenmächtigkeit entschuldigen«, sprach er, ohne sich zu erheben. »Sie waren nicht zu Hause, und Ihr Mädchen hat mich eingelassen.« »Sie sind stets willkommen«, meinte Hettie geziert. »Selbstverständlich sind Sie das, Dr. Steyner«, kam ihr Johnny zu Hilfe. »Ah, Sie wissen also, wer ich bin?« fragte Steyner wohlgefällig. Dieser Umstand erleichterte seine Aufgabe. »Natürlich kennen wir Sie«, fuhr Hettie fort und bot ihm die Hand. »Ich bin Hettie Delange. Wie geht es Ihnen?« Entsetzt sah Steyner, daß ihre Achselhöhlen nicht ausrasiert waren. Er mußte den Anblick feuchter rötlicher Löckchen ertragen. Er rümpfte die Nase und kämpfte mit einer leichten Übelkeit. »Delange, ich möchte mit Ihnen allein sprechen.« Hetties überwältigende Körperlichkeit war zu viel für ihn. »Gewiß«, beeilte sich Johnny, seinen Wunsch zu erfüllen. »Willst du uns vielleicht ein bißchen Kaffee kochen, Süße?« fragte er Hettie. Zehn Minuten danach sank Steyner aufatmend in das weiche Polster seines Wagens. Er beachtete die Delanges nicht, die ihm nachwinkten, sondern schloß die Augen. Das war erledigt. Morgen früh würde Johnny Delange mit seiner Schicht einfahren und das glasige grüne Gestein des Big Dipper anbohren. Um die Mittagszeit würde Steyner eine Viertelmillion Aktien der Sonder Ditch besitzen. In einer Woche würde er ein reicher Mann sein. In einem Monat würde er von Theresa geschieden sein. Er würde sie mit allen nur denkbaren Mitteln des Ehebruchs bezichtigen. Jetzt brauchte er sie nicht mehr... Der Chauffeur fuhr ihn zurück nach Johannesburg.
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< 60 > Es begann an der Johannesburger Effektenbörse. Einige Monate lang hatte es Bewegung bei den Industriewerten gegeben, vor allem während der Fusionsgeschäfte der AlexSagov-Gruppe. Im Minengeschäft hatte sich lediglich bei der Anglo-American Corporation und der De Beers Deferred etwas getan. Doch lag dies nun auch schon eine Weile zurück, und die Preise hatten sich wieder eingependelt. Niemand rechnete also mit einem Aufruhr, als es im Goldminengeschäft unruhig wurde. Die Angestellten der Makler, die sich in der Börse drängten, verhielten sich still. Dann aber ging der erste Knallfrosch hoch. »Kaufe Sonder Ditch«, rief jemand aus einer Ecke. »Kaufe Sonder Ditch«, schrie eine andere Stimme. »Kaufe!« Die Menge geriet in Bewegung. Köpfe drehten sich nach allen Seiten. »Kaufe Sonder Ditch!« Jetzt schwirrten die Makler lebhaft hin und her. Die ersten Transaktionen wurden vorgenommen. Der Preis stieg um fünfzig Cents, und ein Makler lief davon, um seinen Auftraggeber zu benachrichtigen. Ein anderer Makler schlug einem dritten auf den Rücken, um dessen Aufmerksamkeit zu erregen. Im Nu war alle Welt aufgeregt. »Kaufe! Kaufe!« »Was, zum Teufel, ist denn los?« »Wer hat denn mit den Ankäufen begonnen?« »Jemand in der Stadt.« Die Aktie kletterte bis zu zehn Rand hoch. Dann wurde es ernst. Die Panik brach aus. »Auch in Übersee kaufen sie jetzt.« »Elf Rand!« Die Makler stürmten an die Telefone, um ihre bevorzugten Klienten zu informieren: Eine Haussespekulation bahne sich an. »Zwölfeinhalb.« »Kaufe fünftausend.«
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Die Angestellten jagten mit den hastig notierten Telefonanweisungen in den Saal und stürzten sich kopfüber in den hysterischen Betrieb. »Herrgott! Dreizehn Rand! Verkaufen Sie jetzt! Nehmen Sie Ihre Chance wahr! Noch höher können sie ja nicht mehr steigen.« »Dreizehn Rand fünfundsiebzig aus Übersee! Kaufe bestens!« In fünfzig Maklerbüros des Landes gewannen Leute vom Fach, die ihr Leben über dem Börsentelegrafen zubrachten, allmählich die Fassung zurück. Sie verfluchten sich selber, weil sie sich hatten überraschen lassen, und versuchten, Schritt zu halten. Andere hingegen - die Klügeren -, die nichts Gutes witterten, stießen ihre Anteile ab, sie verkauften sowohl Industrieaktien als auch Zertifikate der Goldminengesellschaften. Die Preise liefen Amok. Um zehn Uhr fünfzehn rief das Finanzministerium in Pretoria den Präsidenten der Johannesburger Effektenbörse an. »Was werden Sie tun?« »Wir haben noch keinen Entschluß gefaßt. Wir wollen die Börse nicht schließen, solange wir es verhindern können.« »Lassen Sie die Dinge nicht treiben und halten Sie uns auf dem laufenden.« Dann wurde die Aktie mit sechzehn Rand notiert, und sie tendierte noch immer nach oben, als sich um elf Uhr die Londoner Effektenbörse meldete. Eine wilde Viertelstunde lang schnellten die Preise der Sonder-Ditch-Aktien fast auf die Höhe des Kurses in Johannesburg. Plötzlich und unerwartet jedoch gerieten die Anteile der Sonder Ditch unter massiven Verkaufsdruck. Nicht nur die Aktien der Sonder Ditch, sondern aller Goldminengesellschaften von Kitchenerville schwankten, als der Druck stärker wurde. Die Preise taumelten, wurden fest, gingen zurück, taumelten abermals und stürzten schließlich weit unter die Anfangskurse. »Gebe ab!« lautete jetzt der Schrei. »Verkaufe bestens!« Binnen Minuten waren auf dem Papier erworbene Vermögen wieder vertan. Als der Preis der Sonder-Ditch-Aktien auf fünf Rand fünfund-
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siebzig gefallen war, schloß der Vorstand die Börse im öffentlichen Interesse und machte somit weitere Spekulationen unmöglich. In New York, Paris und London aber ging der Verkaufsdruck weiter und hetzte die Aktien der südafrikanischen Goldminen zu Tode. Im Büro eines Wolkenkratzers schlug der kahle Mann seine geballte Faust auf den Schreibtisch seines Vorgesetzten. »Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen ihm nicht trauen.« Er schluchzte beinahe vor Wut. »Diese fette gierige Schnecke! Eine Million Dollar genügten ihm nicht. Nein, er mußte das ganze Geschäft kaputtmachen.« »Ich bitte Sie, Oberst«, wandte der Chef ein. »Nehmen Sie sich zusammen. Wir wollen diese Finanzgeschichte gelassen und objektiv beurteilen.« Der Kahlkopf sank in seinen Sessel zurück und wollte eine Zigarette anstecken. Seine Hände zitterten indessen so sehr, daß die Flamme des Feuerzeuges erlosch. Erst beim zweiten Knipsen schlug er Feuer und zog den Rauch tief ein. »Gelassen! Es stinkt ja zum Himmel! Die Aktivität an der Johannesburger Börse begann, als der schlaue Steyner sich einschaltete. Aufgrund unseres falschen Berichts hat er Aktien aufgekauft. Das war ganz natürlich, und damit haben wir auch gerechnet. Um genau zu sein: So wollten wir es haben, denn dadurch wurde der Verdacht von uns abgelenkt.« Seine Zigarette brannte nicht mehr. Er warf den feuchten Stummel weg und zündete eine neue an. »Gut. Bis dahin war alles in bester Ordnung. Steyner hatte finanziellen Selbstmord begangen, und wir standen schön da. Aber dann! Dann hat unser dicker Freund uns beschummelt und die Aktien von Kitchenerville wie ein Verrückter verkauft. Er muß in ein Millionengeschäft eingestiegen sein.« »Können wir die Operation nicht noch im letzten Augenblick vereiteln?« fragte der Chef. »Nein. Wir haben keine Chance mehr.« Der kahle Kopf zuckte energisch. »Ich habe unserem dicken Freund ein Telegramm geschickt und ihm befohlen, die Arbeiten in dem Tunnel zu stoppen. Können Sie sich jedoch vorstellen, daß er diesem Be-
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fehl Folge leisten wird? Er hat Verpflichtungen im Wert von Millionen Dollar, und er wird seine Transaktionen mit allen Mitteln schützen.« »Könnten wir nicht wenigstens die Direktion der Sonder Ditch warnen?« »Dann würden wir uns automatisch verraten, nicht wahr?« »Hm.« Der Chef nickte. »Wir könnten den Leuten eine anonyme Warnung zukommen lassen.« »Wer würde die schon ernst nehmen?« »Sie haben recht.« Der Chef seufzte. »Ja, dann müssen wir halt die Luken schließen und den Sturm überstehen. Bleiben Sie fest. Leugnen Sie alles.« »Etwas anderes können wir nicht tun.« Auch die Zigarette war erloschen. Feuchte Tabakreste hingen im Schnurrbart des kleinen Mannes, der von neuem sein Feuerzeug ergriff. »Dieser Scheißkerl! Dieser fette gierige Scheißkerl!« murmelte er.
< 61 > Johnny und Big King fuhren Schulter an Schulter im Förderkorb zutage. Es war eine gute Schicht gewesen. Trotz des harten Serpentingesteins, das die Geschwindigkeit ihrer Bohrgeräte um die Hälfte verringerte, war es ihnen heute gelungen, fünf Sprengungen auszuführen. Johnny schätzte, daß sie den Big Dipper zu fast zwei Dritteln durchstoßen hatten. Nachts arbeitete nun keine Schicht mehr. Campbell war in den Abbau zurückgekehrt. So fiel die Ehre, den Durchstoß zu machen, Johnny Delange zu. Diese Aussicht erregte ihn. Morgen würde er ins Unbekannte vordringen. »Bis morgen denn, Big King«, sagte er, als sie oben anlangten und aus dem Korb stiegen. Big King schlug den Weg zum Wohnheim der Bantus ein. Johnny eilte auf seinen funkelnden neuen Mustang zu. Ohne seine Arbeitskluft zu wechseln, begab sich der Bantu direkt in das Haus des Shangaan Induna. Unter der Tür blieb er stehen, und der Induna blickte von dem Brief auf, den er gerade
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schrieb. »Gibt es etwas Neues, mein Vater?« fragte Big King. »Ja. Schlimmes ist passiert«, antwortete der Induna ruhig. »Die Polizei hat Krummbein erwischt.« »Krummbein wird mich nicht verraten«, erklärte Big King, allerdings nicht sehr überzeugt. »Erwartest du von ihm, daß er an deiner Stelle stirbt?« fragte der Induna. »Er muß sich selber schützen.« »Ich wollte den Mann nicht töten«, rechtfertigte sich Big King in kläglichem Ton. »Ich wollte den Portugiesen wirklich nicht töten. Es war die Pistole.« »Ich weiß, mein Sohn.« Die Stimme des Indunas klang heiser. Er konnte nicht helfen. Das Mitleid übermannte ihn beinahe. Big King wandte sich von der Tür ab und ging über den Rasen in die Waschräume. Sein Schritt war nicht mehr schwungvoll wie früher. Er schlich gleichgültig dahin und zog die Füße nach.
< 62 > Manfred Steyner saß an seinem Schreibtisch. Seine Hände lagen auf der Löschunterlage. Der eine Daumen war weiß bandagiert. Der Puls schlug ihm stetig im Hals, und ein Nerv zuckte an einem Augenlid. Er war totenblaß und schwitzte. Das Radio war laut eingestellt, so daß die Stimme des Nachrichtensprechers von den getäfelten Wänden widerhallte. »Der Höhepunkt des Dramas wurde um elf Uhr fünfundvierzig südafrikanischer Zeit erreicht, als der Präsident der Johannesburger Effektenbörse den Saal schließen und alle weiteren Geschäfte unterbinden ließ. Den letzten Berichten zufolge wurden die Aktien der Sonder Ditch an der Tokioter Börse für vier Rand vierzig Cents notiert. Die Papiere derselben Gesellschaft hatten bei der Johannesburger Effektenbörse heute morgen den Eröffnungskurs von neun Rand fünfundvierzig Cents. Ein Sprecher der südafrikanischen Regierung bestätigt, daß der Minister für das Minenwesen, Dr. Carel de Wet, eine umfassende Untersu-
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chung einleiten wird, da kein Anlaß für diese außergewöhnlichen Preisschwankungen zu erkennen ist.« Manfred Steyner erhob sich von seinem Schreibtisch und ging ins Badezimmer. Er benötigte weder Papier noch Bleistift, um zu berechnen, daß die Aktien, die er am Morgen gekauft hatte, heute abend beim Schluß der Börse im Wert um mehr als eine Million Rand gefallen waren. Er kniete vor dem Becken der Toilette auf den gekachelten Boden nieder und erbrach sich.
< 63 > Der Himmel verdunkelte sich rasch, denn die Sonne war schon lange am glühenden Horizont untergegangen. Rod hörte das Rauschen der Flügel und starrte in die Höhe. Die Wildenten flogen in keilförmigen Scharen zum Fluß hinab. Er stand auf und richtete die Schrotflinte auf sie. Nacheinander drückte er die beiden Hähne durch. Die Enten flatterten lärmend in die Höhe. »Verdammt!« sagte Rod. »Hast du sie verfehlt?« fragte Terry. »Das Licht ist zu schlecht.« Zusammen trotteten sie zu dem Landrover zurück. Als sie zum Haus fuhren, war es ganz dunkel geworden. »Das war ein wundervoller Tag«, murmelte Terry verträumt. »Und wenn es sonst nichts anderes gäbe - ich wäre dir allein schon dafür dankbar, daß du mich gelehrt hast, am Leben Freude zu haben.« Sie badeten und zogen sich um. Es gab Wildentenfleisch und Ananas und Salate aus dem Gemüsegarten. Später machten sie es sich auf den Leopardenfellen vor dem Kamin gemütlich, starrten ins Feuer und fühlten sich glücklich und müde. »Mein Gott, es ist ja schon gleich einundzwanzig Uhr«, meinte Terry. »Ich werde mich jetzt ins Bett legen. Und was fangen Sie an, Mr. Ironsides?« »Laß uns erst noch die Abendnachrichten hören.«
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»Ach, Rod. Kein Mensch kümmert sich hier jemals um die Nachrichten. Wir sind hier im Märchenland.« Rod schaltete das Radio an, und das erste Wort ließ sie beide erstarren. Es hieß »Sonder Ditch«. Erschreckt lauschten sie dem Bericht. Rods Miene wurde steinern. Er preßte die Lippen aufeinander. Als die Sendung zu Ende war, drehte er den Apparat ab und steckte sich eine Zigarette an. »Das gibt Ärger, viel Ärger sogar. Es tut mir leid, Terry, aber wir müssen zurück. Und zwar so bald wie möglich. Ich muß ins Bergwerk.« »Gewiß«, stimmte Terry sofort zu. »Aber, Rod, ich kann auf diesem Landestreifen nicht in der Dunkelheit starten. Es gibt keine Signallichter.« »Wir brechen im Frühlicht auf.« In dieser Nacht schlief Rod kaum. Sooft sie erwachte, nahm Terry wahr, daß er schlaflos und voller Sorgen neben ihr lag. Zweimal hörte sie ihn aufstehen und ins Badezimmer gehen. In den ersten Morgenstunden fuhr sie selber aus unruhigem Schlaf hoch und sah seine Silhouette vor dem Fenster. Am Himmel funkelten Sterne. Er rauchte und starrte in die Dunkelheit hinaus. Es war das erste Mal, daß sie eine Nacht gemeinsam verbracht hatten, ohne sich zu umarmen. In der Dämmerung sah Rod abgezehrt aus, und seine Augen waren geschwollen. Um acht Uhr starteten sie, und kurz nach zehn setzte Terry in Johannesburg zur Landung an. Rod ging sogleich ans Telefon in Hanks Büro. Lily Jordan nahm seinen Anruf entgegen. »Miss Jordan, was ist denn geschehen? Ist alles in Ordnung?« »Sind Sie's, Mr. Ironsides? Gott sei Dank! Gott sei Dank, daß Sie gekommen sind. Etwas Schreckliches ist passiert.«
< 64 > Johnny Delange ließ vor neun Uhr zwei Sprengsätze hochgehen und brach dadurch zehn Meter weiter in den grünen Wall ein.
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Er hatte entdeckt, daß er mehr Serpentingestein lösen konnte, wenn er die Sprenglöcher einen Meter tiefer bohrte. Bei der nächsten Sprengung wollte er auf alle Vorschriften pfeifen und doppelte Sprengsätze verwenden. »Big King«, schrie er im Lärm der Bohrgeräte. »Geh mit ein paar Leuten zum Schacht. Holt sechs Kisten Sprengstoff.« Er beobachtete, wie Big King mit den Männern im Gang verschwand. Dann zündete er eine Zigarette an und wandte sich den Maschinenjungen zu. Sie schwitzten an ihren Bohrern. Das dunkle Gestein des Walls schluckte das Licht der elektrischen Birnen über ihren Köpfen. Der Gang wirkte finster. Ein böses Omen schien in der Luft zu liegen. Johnny mußte an Davy denken. Plötzlich merkte er, daß er unruhig wurde, und er bewegte sich hin und her. Die Haare auf seinen Unterarmen richteten sich auf. Er bekam eine Gänsehaut. Davy war da: Mit einemmal wußte er es. Er wußte es mit absoluter Sicherheit. Es kribbelte ihn. Ein kalter Schauer durchlief seinen Körper. Rasch drehte er sich um und blickte über seine Schulter. Der Gang hinter ihm lag verlassen. Johnny grinste jämmerlich. »Shaya, madoda«, schrie er laut seinen Männern zu. Dieser Schrei war sinnlos, denn sie konnten ihn beim Brüllen der Bohrgeräte gar nicht hören, aber der Klang seiner eigenen Stimme gab ihm etwas Sicherheit zurück. Dennoch wurde er diese merkwürdige Erregung nicht los. Er fühlte einfach, daß Davy hier war. Davy wollte ihm etwas mitteilen. Johnny unterdrückte seine Beklemmung. Schnell ging er zu seinen Maschinenjungen, als suche er bei ihnen Beruhigung. Aber das half ihm nichts: Seine Nerven ließen sich nicht besänftigen. Jetzt spürte er auch, daß er zu schwitzen begann. Plötzlich taumelte der Maschinenjunge, der das Bohrloch in der Mitte des Gesteins bearbeitete, verblüfft zurück. »He!« schrie ihn Johnny an. Gleich darauf sah er, daß Wasser in nadeldünnen Fontänen aus dem Fels spritzte. Wie Zahnpasta, die aus einer Tube gepreßt wird, drückte irgend etwas den Stahlbohrer aus dem Bohrloch und trieb den Maschinenjungen zurück. »He!« schrie Johnny ein zweites Mal und sprang hinzu.
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In diesem Augenblick jedoch wurde der schwere Metallbohrer mit der Wucht einer Kanonenkugel aus dem Felsen gejagt. Er enthauptete den Maschinenjungen und schleuderte den Rumpf meterweit in den Gang zurück. Sein Blut spritzte an die dunklen Felswände. Aus dem Bohrloch schoß jetzt ein dicker Wasserstrahl. Seine Kraft war so groß, daß er den Brustkasten des zweiten Maschinenjungen zerschmetterte, als sei er in ein rasendes Auto gelaufen. »'raus!« brüllte Johnny, »'raus hier!« Und dann zerbarst das Gestein. Es zerbarst mit einer stärkeren Detonation, als eine Sprengung hätte bewirken können. Johnny Delange war auf der Stelle tot. Die herumfliegenden Brocken zermalmten ihn zu einem blutigen Brei. Und mit ihm starben alle Männer an den Bohrmaschinen. Die gewaltige Sturzflut, die sich aus dem Fels ergoß, schwemmte ihre verstümmelten Leiber den Gang hinab. Big King befand sich in der Schachtstation, als er das Wogen des Wassers vernahm. Es hörte sich an wie ein Schnellzug in einem Tunnel, das dunkle Brüllen einer alles vernichtenden Macht. Das Wasser trieb die Luft im Gang vor sich her, daß sie wie ein Orkan aus dem Vortrieb heulte und eine Wolke von Staub und Schutt herausblies. Big King und seine Mannschaft standen da und starrten in ungläubigem Entsetzen, bis die Wassersäule aus dem Vortrieb schlug und ihnen menschliche Überreste entgegenjagte. Als die Flut in die Kreuzung der Hauptförderung auf Sohle 66 eindrang, ließ die Wucht des Wassers ein wenig nach. Aber immer noch schoß es brusthoch auf die Förderstation des Schachts zu. »Hier entlang!« schrie Big King, der sich als erster regte. Er sprang nach der eisernen Notleiter, die zu der höhergelegenen Sohle führte. Die Männer seiner Mannschaft waren jedoch nicht schnell genug: Die Flut erfaßte sie und zerquetschte sie an dem stählernen Gitter, das den Schacht stützte. Die Wogen schäumten bereits um Big Kings Beine und zerrten an ihnen, aber er riß sich los und kletterte in die sichere Höhe. Unter ihm stürzte das Wasser in den Schacht wie Badewasser, das in den Abfluß strömte. Strudel drehten sich, als es donnernd
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hinunterstürzte und die Stollen unterhalb der Sohle 66 überflutete.
< 65 > Rod ließ Terry bei Hank, dem Mechaniker, zurück und fuhr sofort nach Schacht 1 der Sonder Ditch. Er sprang aus dem Volkswagen mitten hinein in die lärmende Menge. Dimitri sah mit weitaufgerissenen Augen verwirrt aus. Neben ihm stand Big King wie ein schwarzer Koloß. »Was ist los?« herrschte Rod sie an. »Erzähl's ihm«, sagte Dimitri zu dem Bantu. »Ich war mit meiner Mannschaft im Schacht. Ein Strom ist aus dem Vortrieb hervorgebrochen, ein großer Strom Wasser, das schneller lief als der Sambesi, wenn er Hochwasser führt. Das Wasser hat gebrüllt wie ein Löwe und alle Männer verschlungen, die bei mir waren. Ich allein konnte 'rausklettern.« »Das ist ein böser Schlag, Rod«, warf Dimitri ein. »Das Wasser flutet rasch. Es wird in etwa vier Stunden alle Gruben bis zur Sohle Sechsundsechzig absaufen lassen.« »Sind die Stollen alle leer?« »Alle Leute sind oben, nur Delange mit seiner Mannschaft nicht. Sie waren im Vortrieb. Ich fürchte, sie sind verloren«, antwortete Dimitri. »Hast du die andern Minen gewarnt?« »Ja, sie holen alle ihre Leute 'raus.« »Gut.« Rod ging zum Sprengkontrollraum, und Dimitri beeilte sich, gleichen Schritt mit ihm zu halten. »Gib mir deine Schlüssel und suche den Werkmeister der Elektriker.« Nach wenigen Minuten drängten sich alle drei in dem engen Zimmer. »Prüfen Sie den Spezialstromkreis«, befahl Rod. »Ich lasse den Gang durch eine Sprengung verstopfen.« Der Werkmeister arbeitete schnell an seiner Schalttafel. Dann blickte er auf. »Fertig.«
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»Los denn«, nickte Rod. Der Werkmeister drehte den Hebel. Die drei Männer hielten den Atem an. Dann sprach Dimitri für sie alle: »Rot.« Auf der Schalttafel des Spezialstromkreises leuchtete die rote Birne unheilvoll wie ein Zyklopenauge der Verzweiflung. »Mein Gott!« stieß der Werkmeister hervor. »Der Stromkreis ist unterbrochen. Also muß das Wasser die Drähte zerrissen haben. »Vielleicht ist an der Schalttafel ein Fehler.« »Nein.« Der Werkmeister schüttelte entschieden den Kopf. »Jetzt sind wir erledigt«, flüsterte Dimitri. »Sonder Ditch, leb wohl.« Rod stürzte in die aufgeregte Menschenmenge im Freien. »Johnson!« rief er einen der Obersteiger an. »Gehen Sie zum YachtClub. Holen Sie mir ein Gummischlauchboot. Aber so rasch wie möglich, Mann!« Der Obersteiger hetzte davon. Rod wandte sich dem Werkmeister zu, der nun auch aus dem Kontrollraum kam. »Schaffen Sie mir einen Handzünder herbei, eine Kabelrolle, Zangen, Handschuhe, zwei Nylonseile. Schnell!« Der Werkmeister verschwand. »Rod.« Dimitri faßte nach seinem Arm. »Was hast du vor?« »Ich fahr' hinunter. Ich werde den Bruch in der Leitung suchen und dann mit der Hand zünden.« »Herrgott!« keuchte Dimitri. »Du bist wahnsinnig, Rod. Du bringst dich mit Sicherheit um!« Rod achtete nicht auf seinen Protest. »Ich will einen Mann bei mir haben, einen kräftigen Mann, den kräftigsten überhaupt, denn wir müssen das Schlauchboot gegen die Flut stoßen.« Rod blickte sich um und bemerkte Big King. Die beiden waren groß genug, um sich über die Köpfe der andern Männer ins Gesicht sehen zu können. »Willst du mit mir kommen, Big King?« fragte Rod. »Ja«, erwiderte Big King.
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< 66 > In weniger als zwanzig Minuten waren sie fertig. Rod und Big King trugen nur noch Unterhemden und Badehosen. Ihre Füße schützten sie durch Tennisschuhe, ihre Köpfe durch Plastikhelme. Es war eine recht merkwürdige Aufmachung. Das Schlauchboot war eines von denen, die früher von der Kriegsmarine verwendet wurden: eine etwa drei Meter lange Gummimatratze, die so leicht war, daß man sie mit einer Hand heben konnte. Ihre Ausrüstung lag darinnen: ein wasserdichter Sack mit dem Batteriezünder, die Rolle isolierten Kabels, die Zangen, Handschuhe und eine Ersatzlampe. An den seitlichen Ösen des Bootes waren zwei aufgerollte Nylonseile befestigt, ein Stemmeisen, eine Axt und eine rasiermesserscharfe Machete in lederner Scheide. »Was braucht ihr sonst noch, Rod?« fragte Dimitri. »Das genügt, Dimitri.« »Gut.« Dimitri winkte vier Männer heran, und sie trugen das Schlauchboot in den Förderkorb. »Gehen wir«, sagte Rod und trat in den Korb. Big King folgte ihm. Rod blieb noch eine Sekunde stehen und blickte zum Himmel auf. Er war sehr blau und hell. Ehe sich die Tür schloß, glitt ein Silver Cloud Rolls Royce an den Schacht. Aus den Hintertüren tauchte zuerst Hurry Hirschfeld auf und danach Terry Steyner. »Ironsides!« brüllte Hirschfeld. »Was ist los, zum Teufel?« »Wir sind auf Wasser gestoßen.« »Wasser? Woher ist das gekommen?« »Aus dem Big Dipper.« »Sie haben den Big Dipper durchstoßen?« »Ja.« »Sie Schweinehund! Sie haben die Sonder Ditch absaufen lassen!« brüllte Hirschfeld und hastete zum Förderkorb. »Noch nicht«, widersprach ihm Rod. »Rod.« Terry stand mit weißem Gesicht neben ihrem Großvater. »Du kannst doch nicht einfahren.« Und sie machte einen Schritt
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auf ihn zu. Rod zog die Tür hinter sich zu. Terry warf sich gegen die stählerne Abschirmung, aber der Korb war bereits in der Erde verschwunden. »Rod«, flüsterte sie, und Hurry Hirschfeld legte einen Arm um ihre Schultern und führte sie zu dem Rolls Royce. Im Fond des Wagens saß Hirschfeld über Rodney Ironsides zu Gericht. Nacheinander rief er die Obersteiger zu sich und fragte sie aus. Selbst jene, die ihm ergeben waren, wußten wenig zu Rods Verteidigung vorzubringen. Es gab auch welche, die diese gute Gelegenheit wahrnahmen, um eine alte Rechnung mit ihm zu begleichen. Terry kauerte neben dem alten Mann und hörte sich die vernichtenden Urteile über den Mann an, den sie liebte, und es wurde ihr kalt ums Herz. Zweifellos hatte er ohne Genehmigung der Geschäftsleitung einen Vortrieb begonnen, der so riskant war und allen Richtlinien der Gesellschaft widersprach, daß er kriminell genannt werden mußte. »Warum hat er das bloß getan?« brummte Hurry Hirschfeld. Er schien bestürzt zu sein. »Was konnte er denn gewinnen, wenn er den Big Dipper durchbohrte? Es sieht ganz wie ein vorsätzlicher Sabotageversuch aus.« Hirschfelds Zorn wuchs. »Der Schweinehund! Er hat die Sonder Ditch absaufen lassen und Dutzende von Männern umgebracht. Aber dafür wird er mir zahlen müssen. Ich mache ihn kaputt, so wahr mir Gott helfe. Ich werde den Kerl zerschmettern. Ich werde ihn vor Gericht bringen. Fahrlässige Zerstörung fremden Eigentums! Totschlag! Sträflicher Mord! Großer Gott, ich werde es ihm zeigen!« Terry konnte sich dieses Geifern und Drohen nicht mehr mit anhören. »Es war nicht seine Schuld, Opi. Es war wirklich nicht seine Schuld. Er wurde dazu gezwungen.« »Was?« schnaubte Hirschfeld. »Ich habe dich vor ein paar Minuten an der Schachtöffnung mit ihm sprechen hören. Was bedeutet dir dieser Mann, daß du ihn so edelmütig verteidigst?« »Opi, bitte, glaub mir doch.« Ihre Augen wurden riesengroß in ihrem bleichen Gesicht. »Und weshalb sollte ich dir glauben? Ihr zwei heckt offensicht-
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lich Unheil aus. Natürlich versuchst du, ihn zu schützen.« »Hör mich doch wenigstens an«, bat sie. Hirschfeld atmete schwer und wandte ihr sein Gesicht zu. »Also sprich die Wahrheit«, warnte er sie. In ihrer Aufregung erzählte sie die Geschichte schlecht, und während sie noch erzählte, erkannte sie auch schon selber, daß sie niemanden überzeugen konnte. Hirschfelds Miene wurde immer finsterer. Dann unterbrach er sie ungeduldig: »Großer Gott, Theresa, so was sieht dir doch gar nicht ähnlich. Du versuchst, deinem eigenen Mann die Schuld anzuhängen! Das ist ja jämmerlich. Wegen diesem...« »Es ist die Wahrheit! Gott ist mein Zeuge!« Terry war den Tränen nahe. Nervös zerrte sie am Ärmel ihres Großvaters. »Rod war gezwungen, so zu handeln. Es blieb ihm keine andere Wahl.« »Kannst du das beweisen?« fragte Hirschfeld trocken, und Terry verstummte. Sie starrte ihn an. Welche Beweise gab es?
< 67 > Der Korb verlor an Geschwindigkeit, als er sich der Sohle 68 näherte. Noch brannten die Lampen, aber kein Mensch mehr war in den Stollen. Sie trugen das Schlauchboot hinaus. Unter sich hörten sie das Rauschen des Wassers. Ein kalter Wind stieg von ihm auf und brauste durch den Schacht. »Big King und ich werden auf der Nottreppe 'runtersteigen. Du wirst uns später das Schlauchboot herablassen«, sagte Rod zu Dimitri. »Achte darauf, daß die Ausrüstung fest verschnürt ist.« Dimitri nickte. Alle waren bereit. Die Männer, die mit ihnen im Förderkorb eingefahren waren, warteten. Rod sah keinen Anlaß, weiterhin Zeit zu verschwenden. Er fühlte einen kühlen und schweren Druck in den Eingeweiden. »Komm, Big King.« Und er ging zu der stählernen Leiter.
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»Viel Glück, Rod.« Dimitris Stimme verhallte hinter ihm. Alle Lichter auf Sohle 66 waren erloschen, und im Strahl seiner Lampe war das Wasser unter ihm schwarz und aufgewühlt. Es ergoß sich in die Schachtöffnung und bog das eiserne Schutzgitter nach innen. Die Vergitterung wirkte wie ein Sieb auf die hindurchströmende Flut. Zwischen Holzteilen, Sackleinwand und unkenntlichen Gegenständen erblickte Rod die verstümmelten Körper der Verunglückten. Er kletterte behutsam in die Tiefe. Sofort packte das Wasser seine Beine mit erschreckender Gewalt. Es reichte ihm bis zum Gürtel. Er fand jedoch heraus, daß er Fuß fassen konnte, wenn er sich fest gegen die Leiter preßte. Big King stieg neben ihm hinab. Rod mußte schreien, um sich im Donnern der Flut verständlich zu machen: »Bist du in Ordnung?« »Ja. Sie sollen das Boot 'runterlassen.« Rod ließ seine Lampe aufblitzen, und binnen kurzem schaukelte ihnen das Schlauchboot langsam entgegen. Sie langten danach und brachten es sicher zu Wasser, ehe sie die Taue lösten. Das kleine Fahrzeug wurde gegen die Schachteinfassung gedrückt, und Rod überprüfte schnell den Inhalt. Alles war sicher verstaut. Dann schlang sich Rod das Nylonseil um die Hüfte und stieg an dem Netzwerk des Gitters hoch, bis er die Decke des Gangs berührte. In seinem Rücken rollte Big King das Seil ab. Rod griff nach den Druckluftröhren. Sie hatten den Umfang von Handgelenken, und da sie tief in der Hängenden Wand des Tunnels befestigt waren, konnten sie das Gewicht eines Mannes aushalten. Rod legte seine Hände noch fester um die Röhren, dann stieß er sich mit den Füßen ab. Jetzt hing er über dem dahinschäumenden Wasser. Mit herabbaumelnden Beinen arbeitete er sich Griff um Griff in den Tunnel hinein. Es waren fast hundert Meter bis zu dem Ort, wo das Wasser in die Hauptförderstrecke schoß, und Rods Schultermuskeln schmerzten, als er dort angekommen war. Er hatte das Gefühl, seine Arme seien ihm aus den Gelenken gerissen worden, denn das Nylonseil, das er hinter sich herzog, wurde im Wasser unerträglich schwer. Wo der Vortrieb in die Förderstrecke mündete, war ein Strudel
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entstanden. Langsam ließ sich Rod hinab. Sogleich zerrte das Wasser wieder an ihm, doch abermals gelang es ihm, auf den Füßen zu bleiben. Rasch band er die Leine an die Bolzen, die in die Seitenwände getrieben worden waren, um das Gestein zu festigen. Nach kurzer Zeit hatte er eine Art Basis geschaffen, von der aus er vorgehen konnte. Als er den Strahl seiner Lampe nach rückwärts richtete, sah er, daß Big King ihm an den Druckluftröhren folgte. Neben Rod sprang der Bantu ins Wasser. Eine Weile ließen sie ihre schmerzenden Arme ruhen. »Fertig?« fragte Rod schließlich, und Big King nickte. Sie faßten nach dem Tau, das zu dem, Schlauchboot führte, und zogen daran. Nichts geschah. Das andere Ende hätte ebenso gut an einem Berg verankert sein können. »Los, noch einmal«, brummte Rod, und diesmal bewegte sich das Tau um einen halben Meter. Und so zerrten sie nach und nach das Boot zu sich heran. Ihre Hände bluteten, als sie endlich das Fahrzeug an den Bolzen neben sich festmachen konnten. Es tanzte auf und ab. Weder Rod noch Big King vermochten zu sprechen. Erschöpft hingen sie in den Seilen, die sie um ihre Körper gebunden hatten, und das Wasser schlug brausend gegen ihre Haut. Keuchend schnappten sie nach Luft. Schließlich blickte Rod den Bantu an und sah in dessen Augen seine eigenen Zweifel bestätigt. Der große Sprengteppich war dreihundert Meter entfernt. Im Vortrieb tobte das Wasser fast doppelt so stark und schnell wie in der Förderstrecke. Wie sollten sie jemals gegen solche übermächtigen Kräfte ankommen? »Ich gehe weiter«, sagte Big King, und Rod nickte zustimmend. Der riesige Bantu zog sich an der Leine in die Höhe und griff dann wieder nach den Röhren. Seine Haut glänzte im Licht der Lampe wie die eines Tümmlers. An den Händen schaukelte er sich in den schwarzen Rachen des Gangs hinein. Seine Lampe warf verzerrte Schatten an die Wände. Als Big King ihm ein Zeichen gab, machte sich auch Rod auf den Weg. Nach hundert Metern entdeckte er, daß Big King eine neue Basis angelegt hatte. Hier jedoch hatten sie der ganzen Wucht der Flut zu trotzen. Ihre Halteleinen schnitten ihnen tief
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ins Fleisch. Gemeinsam zogen sie das Schlauchboot näher und verankerten es. Rod schluchzte leise, als er seine zerschrammten Hände gegen die Brust drückte und sich fragte, ob er noch weiterkönne. »Fertig?« fragte Big King an seiner Seite, und Rod nickte. Mit dem rohen Fleisch seiner Hände langte er hinauf an die Röhren. Dabei liefen ihm Tränen des Schmerzes über die Wangen. Er blinzelte, bis seine Augen wieder klar waren, und schleppte sich weiter. Verschwommen kam ihm der Gedanke: Wenn du jetzt herunterfällst, dann bist du ein toter Mann. Die Strömung würde ihn davontragen, würde ihm das Fleisch von den Knochen reißen, würde ihn endlich an das Eisengitter des Schachts schmettern und den letzten Rest von Leben in ihm ersticken... Er arbeitete sich voran, bis er nicht mehr konnte. Dann schlang er sein Halteseil um einen Bolzen. Und von neuem begann das furchtbare Werk. Zweimal war ihm, als werde sein Alptraum nun Wirklichkeit. Durch reine Willenskraft riß er sich vor dem Sturz in die Bewußtlosigkeit zurück. Big Kings Beispiel rettete Rod vorm Versagen. Der Bantu arbeitete, ohne eine Miene zu verziehen, aber seine Augen waren blutunterlaufen von der Anstrengung. Nur einmal hörte Rod ihn wie einen angeschossenen Löwen knurren. Das war, als sein Blut auf das Tau tropfte, das er gerade berührte. Rod wußte, er konnte nicht aufgeben, solange Big King weitermachte. Was sie umgab, verschwand allmählich in einem finsteren donnernden Nachtmahr der Qual. Ihre Muskeln und Glieder leisteten eine Arbeit, die ihre Kräfte eigentlich überstieg, aber dennoch gehorchten sie. Rod meinte, er hänge seit undenklichen Zeiten schon an seinen Armen, die bleischwer und erschöpft waren. Und immer weiter hangelten sie sich. Der Schweiß, der ihm in die Augen floß, blendete ihn. Er kümmerte sich deshalb zunächst nicht um den Gegenstand, den er vor sich in der Dunkelheit sah. Aber dann schüttelte er den Kopf, um klare Sicht zu bekommen, und schielte in das Licht seiner Lampe. Ein schweres Holzgefüge hing schräg vom Dach des Gangs herab. Die Bolzen, die es
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hielten, widerstanden dem Wasserdruck. Mit einemmal erkannte Rod, daß dies ja der Überrest der Bewetterungstüren war. Die Türen selbst waren weggespült worden, der Rahmen jedoch hing noch immer fest. Gleich dahinter begann der große Sprengteppich. Sie hatten es geschafft! Neue Kräfte erfüllten ihn, und er warf sich an den Röhren nach vorn. Der Holzrahmen bot einen guten Halt. Er schlang sein Seil darum und gab Big King ein Lichtsignal. Eine Zeitlang ruhte er sich in der Schlinge des Seils aus, dann begann er sich für seine Umgebung zu interessieren. Er ließ den Lichtstrahl über den Holzrahmen spielen und begriff sogleich, weshalb der Stromkreis unterbrochen worden war. Das grüne Plastikkabel hing in Fetzen vom Dach des Tunnels herab. Es hatte sich in den Bewetterungstüren verfangen und war gerissen, als sie weggeschwemmt worden waren. Die losen Enden baumelten über dem tobenden Wasser. Rod nahm sie scharf ins Auge. Sie brauchten nicht noch tiefer in den Gang einzudringen -ein Gedanke, der ihn beruhigte und stärkte. Als Big King im Halbdunkel auftauchte, zeigte Rod auf die Kabelenden. »Da!« stieß er hervor, und Big King machte schmale Augen. Reden konnte er nicht mehr. Es dauerte fünf Minuten, bis sie imstande waren, mit dem qualvollen Nachzurren des Schlauchbootes zu beginnen. Dann ruhten sie sich wiederum aus. »Nimm das Kabelende«, sagte Rod zu Big King und schleppte sich zu dem Schlauchboot. Verkrümmt fiel er hinein. Sein Gewicht drückte das Boot tiefer ins Wasser, so daß er der Flut stärkeren Widerstand bot. Unbeholfen fing er an, den Batteriezünder auszupakken. Big King stand bis zur Hälfte in den Fluten. Mit der einen Hand hielt er sich am Holzrahmen fest, mit der andern langte er nach dem losen Kabelende. Es tanzte vor seinen Fingern, und er warf sich gegen die Strömung und suchte dann wieder sicheren Halt am Rahmen. Endlich schlössen sich seine Finger um das Kabel, und mit einem zufriedenen Grunzen reichte er es Rod. Rod arbeitete gewissenhaft. Er verband den mitgebrachten Draht mit dem losen Ende. Dann wollte er mit Big King im Schlauch-
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boot den Gang zurücktreiben und das Kabel abspulen. In sicherer Entfernung konnten sie dann die Ladung hochgehen lassen. Rods Finger waren geschwollen und taub. Die Minuten verstrichen, während er alle Vorbereitungen traf. Schließlich blickte er von seiner Arbeit hoch und rutschte auf die Knie. »Alles in Ordnung, Big King«, schnaufte er und griff nach dem Holzrahmen, um dem Schlauchboot einen besseren Halt zu geben. »Komm zu mir. Wir sind fertig.« Big King watete herbei, doch in diesem Augenblick lockerten sich die Bolzen auf der einen Seite des schweren Holzrahmens. Ein splitterndes Geräusch, und der Rahmen schwang in den Tunnel. Die Balken kreuzten sich wie die Schneiden einer gewaltigen Schere. Rods beide Arme wurden eingeklemmt. Die Knochen krachten wie zerbrechendes Holz. Mit einem Schmerzensschrei stürzte Rod ins Boot. Seine Arme ragten schief und hilflos nach außen. Drei Schritte von ihm entfernt stand Big King noch immer im Wasser. Sein Mund klaffte auseinander, aber kein Ton kam aus seiner Kehle. Er stand gleich einer schwarzen Säule da, und die Augen traten aus ihren Höhlen. Trotz seines eigenen Schmerzes war Rod entsetzt über Big Kings verzerrte Züge. Im Wasser hatten die unteren Balken die nämliche scherengleiche Schwenkung gemacht, und dabei war ihnen Big Kings Unterleib in den Griff gekommen. Sie hatten sich über seinem Bekken gekreuzt und es zerschmettert. Wie in einem Schraubstock war Big King festgeklemmt. Aus dieser Falle gab es kein Entrinnen. Das weiße Gesicht und das schwarze Gesicht waren nur wenige Meter voneinander entfernt. Die verzweifelten Unglücksgefährten sahen sich in die Augen und wußten, daß an eine Rettung nicht zu denken war. Sie waren verloren. »Meine Arme«, flüsterte Rod heiser. »Ich kann sie nicht mehr bewegen.« Big Kings hervorquellende Augen suchten Rods Blick. »Kannst du nach dem Zünder greifen?« flüsterte Rod drängend. »Faß ihn an und dreh den Griff. Laß die Ladung hochgehen, Big King, laß die Ladung hochgehen!«
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Langsam zeigte sich in Big Kings gequältem Blick Verständnis. »Wir sind am Ende, Big King. Wir wollen uns wie Männer benehmen. Laß die Ladung hochgehen! Spreng das Gestein!« Das Gestein über ihnen war mit Explosivstoff gespickt. Die Leitung war geschlossen. In seiner Erregung versuchte Rod, nach dem Zünder zu greifen, aber sein Unterarm hing schlaff nach unten. Seine Finger fielen auseinander wie die Blätter einer abgestorbenen Blume. Der Schmerz machte ihn fast besinnungslos. »Los, Big King«, bat Rod, »greif zu.« Und Big King nahm den Zünder und preßte ihn mit einem Arm gegen seine Brust. »Den Griff!« redete ihm Rod zu. »Dreh den Griff!« Doch statt dessen langte Big King in das Schlauchboot und zog die Machete aus der Scheide. »Was machst du denn?« fuhr Rod auf, und als Antwort schwang Big King das Messer über die Schulter zurück und hieb es dann auf das Tau, das Schlauchboot und Holzrahmen miteinander verband. Die Schneide fuhr knirschend in das Holz und zerschnitt das Tau. Sofort trug die Strömung das Boot davon. Rod lag in dem tanzenden Fahrzeug und hörte inmitten des rauschenden Wassers Big Kings Stimme dröhnen: »Geh in Frieden, mein Freund...« Dann trug die Flut das schwankende Boot durch den Tunnel zurück. Es war eine Höllenfahrt. Das Schlauchboot hüpfte wie ein Deckel auf brodelndem Wasser, und im Licht von Rods Lampe verschmolzen Dach und Wände des Tunnels zu einem dunklen verschwimmenden Wirbel, während er hilflos und gelähmt auf dem Boden des Bootes lag. Plötzlich aber erschütterte eine Explosion die Luft und ließ den Tunnel erbeben. Jetzt wußte er, daß Big King die Sprengung ausgelöst hatte. Rodney Ironsides verlor das Bewußtsein und versank in einer weichen und warmen Dunkelheit, aus der er nie wieder zu erwachen hoffte.
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< 68 > Dimitri saß in der Hocke über dem Schacht bei der Sohle 65. Er rauchte seine zehnte Zigarette. Die andern warteten ebenso ungeduldig wie er. Alle paar Minuten trat er zum Schacht und leuchtete hinab auf Sohle 66. »Wie lange sind sie jetzt fort?« fragte er, und alle blickten auf ihre Uhren. »Eine Stunde und zehn Minuten.« »Nein, eine Stunde und fünfzehn Minuten.« Und sie verstummten von neuem. Plötzlich schrillte das Telefon, und Dimitri schnellte hoch und stürzte hin. »Nein, Mr. Hirschfeld, noch nicht.« Er lauschte einen Moment. »Gut, schikken Sie ihn halt 'runter.« Er legte auf, und seine Männer schauten ihn fragend an. »Sie hetzen einen Polizisten zu uns.« »Was will denn der, zum Teufel?« »Sie suchen Big King.« »Warum denn?« »Haftbefehl wegen Mordverdacht.« »Mord?« »Ja. Sie meinen, er habe den portugiesischen Händler umgebracht.« »Na, so was!« »Tatsächlich Big King?« Endlich hatten sie einen Gesprächsgegenstand, der die Zeit totschlug, und sie fingen eine lebhafte Debatte an. Der Polizeiinspektor traf ein, aber er enttäuschte. Er sah wie ein heruntergekommener Leichenbestatter aus, beantwortete jede Frage mit einem kummervollen Blick und ließ sie stotternd stehen. Zum fünfzehntenmal ging Dimitri zum Schacht und lugte in die Tiefe. Da erschütterte die Detonation die Erde. »Sie haben's fertiggebracht!« schrie Dimitri und machte Luftsprünge. Seine Männer sprangen gleichfalls in die Höhe, schlugen sich gegenseitig auf die Schultern, schrien und lachten. Allein der Polizeibeamte nahm keinen Anteil.
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»Wartet!« brüllte Dimitri schließlich. »Haltet alle die Mäuler! Verdammt noch mal! Hört doch einmal.« Sie wurden still. »Was ist?« erkundigte sich einer. »Ich kann nichts hören.« »Das ist es ja eben!« platzte Dimitri heraus. »Das Wasser! Man hört das Wasser nicht mehr!« Erst jetzt merkten sie, daß das eintönige Rauschen, an das sie sich bereits gewöhnt hatten, nicht mehr zu vernehmen war. Alle schwiegen. Die Stille einer Kirche herrschte in den Gruben. Dann begannen sie zu jubeln. Ihre Stimmen klangen zuerst dünn nach der allgemeinen Ruhe. Dann jagte Dimitri zu der stählernen Leiter und kletterte wie ein Affe hinab. Zehn Meter unter sich sah er das Schlauchboot zwischen Trümmerresten am Schacht eingeklemmt. Er erkannte die zusammengebrochene Gestalt. »Rod!« schrie er, noch ehe er Sohle 66 erreicht hatte. »Rod, bist du gesund?« Der Boden der Förderstrecke war naß, und hier und dort lief noch ein Rinnsal auf den Schacht zu. Dimitri stürzte zu dem gestrandeten Boot und begann, Rod auf den Rücken zu legen. Erst jetzt sah er seine Arme. »Um Himmels willen!« stöhnte er erschreckt, aber dann brüllte er die Leiter hinauf: »Schafft sofort eine Bahre her!« Als Rod das Bewußtsein wiedererlangte, fand er sich fest auf eine Bahre geschnallt und mit Decken über sich. Seine Arme waren geschient und bandagiert, und das vertraute Rattern und Rauschen der Luft verriet ihm, daß er in einem Förderkorb lag, der ihn zutage brachte. Dimitri sprach mit streitsüchtiger Stimme: »Verflucht noch mal! Der Mann ist ohnmächtig und schwerverletzt. Können Sie ihn denn nicht endlich in Ruhe lassen?« »Ich habe meine Pflicht zu erfüllen«, erwiderte eine fremde Stimme. »Was will der denn, Dimitri?« fragte Rod krächzend. »Rod! Wie geht's dir?« Schon kniete Dimitri besorgt neben der Bahre. »Ziemlich miserabel«, flüsterte Rod. »Was will dieser Bursche?«
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»Er ist Polizeibeamter. Er will Big King unter Mordverdacht verhaften.« »Na, da kommt er ein bißchen zu spät«, raunte Rod. Ungeachtet seiner Schmerzen kam ihm das anscheinend furchtbar komisch vor. Er fing an zu lachen. Er schluchzte vor Lachen, und der Krampf verstärkte die Qualen in seinen Armen. Er hatte jede Beherrschung verloren und schüttelte sich im Schock. Der Schweiß strömte ihm übers Gesicht. Und er lachte wie ein Rasender. »Verflucht, da kommt er wirklich ein bißchen zu spät«, wiederholte er unter hysterischem Gelächter, als Dr. Dan Stander ihm das Morphium in den Arm spritzte.
< 69 > Hurry Hirschfeld stand in der Hauptförderstrecke auf Sohle 66. Rings um ihn ging es aufgeregt her. Schon waren die Leute von der Zementgesellschaft da und schafften ihre Werkzeuge in den blokkierten Gang. Diese Männer waren Spezialisten einer unter Vertrag stehenden Firma. Sie würden Tausende von Tonnen Zement in die Felsspalten pumpen, so daß der Gang ein für allemal sicher verschlossen wurde. Dieser Zement würde zugleich das Grabgewölbe für Big King sein, überlegte Hirschfeld. Ein durchaus verdientes Grabgewölbe für jenen Mann, der die Sonder Ditch gerettet hatte. Er würde dafür sorgen, daß an der Außenwand des Zementverschlusses eine Gedenktafel angebracht wurde. Eine angemessene Inschrift mußte den Mann und seine Tat ehren. Man hatte sich auch um die Angehörigen des Toten zu kümmern. Vielleicht konnten sie zur Enthüllung der Gedenktafel nach Kitchenerville geflogen werden. In dieser Angelegenheit konnte er sich auf seine Public-Relations-Leute verlassen. Die Strecke stank nach Nässe und Dreck. Es war kalt und dumpfig hier unten, und das würde seinem Hexenschuß wohl nicht besonders gut bekommen. Hirschfeld hatte genug gesehen. Er
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ging zum Schacht zurück. Kaum hörte er den Lärm der mächtigen Pumpen, die binnen weniger Tage alles Wasser aus den tiefergelegenen Sohlen der Sonder Ditch absaugen würden. Die Bahren, auf denen die Toten unter schmutzigen Decken lagen, standen in einer Reihe im Gang. In aller Eile hatte man an der Wand ein paar Lampen angebracht. Hirschfelds Miene wurde hart, als er an ihnen vorüberging. Ich werde den Kerl ausnehmen, der dafür verantwortlich ist, gelobte er sich stumm, während er auf den Förderkorb wartete. Terry Steyner saß in der Ambulanz, die Rod fortbrachte. Sie wischte ihm den Schmutz aus dem Gesicht. »Ist es sehr schlimm, Dan?« fragte sie. »Ach was, Terry, er wird in ein paar Tagen wieder in Schuß sein. Die Arme freilich sehen nicht besonders hübsch aus, und deshalb bringe ich ihn auch direkt nach Johannesburg. Ich will, daß ein Orthopäde sie einrichtet. Abgesehen davon hat ihm der Schock natürlich bös zugesetzt, und seine Hände sind verletzt. Aber er wird bald wieder auf die Beine kommen.« Dan sah neugierig zu, wie Terry erfolglos das nasse Haar des Betäubten zu ordnen suchte. »Wollen Sie eine Zigarette?« fragte er. »Ach ja, bitte, Dan.« »Ich habe nicht gewußt, daß Sie und Rod so... so gut befreundet sind«, erlaubte er sich dann zu bemerken. Terry blickte rasch zu ihm auf. »Wie zartfühlend Sie doch sind, Dr. Stander«, spottete sie. »Nun, das geht mich natürlich nichts an«, versetzte Dan mit einem eiligen Rückzieher. »Seien Sie doch nicht albern, Dan. Sie sind ein guter Freund von Rod, und Joy ist eine gute Freundin von mir. Ihr beide habt ein Recht, Bescheid zu wissen. Ich bin ganz verzweifelt, ganz wahnsinnig verliebt in diesen großen Burschen da. Ich will mich von Manfred scheiden lassen, und zwar so bald wie möglich.« »Wird Rod Sie heiraten?« »Er hat noch nicht vom Heiraten gesprochen, aber Sie können sich darauf verlassen, daß ich ihm die Hölle heiß machen werde, bis er ans Heiraten denkt.« Terry lächelte, und Dan lachte auf.
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»Viel Glück für euch beide. Ich bin ganz sicher, daß Rod einen andern Job finden wird.« »Was wollen Sie damit sagen?« »Man erzählt sich, Ihr Großvater habe gedroht, ihm einen solchen Tritt zu versetzen, daß er als erster auf dem Mond ankommt.« Terry verstummte. Beweise hatte ihr Großvater von ihr verlangt, aber wo fand sie Beweise? »Sie werden die Röntgenberichte abwarten«, meinte Joy Albright. Seit ihrer Verlobung mit Dan war Joy plötzlich so etwas wie eine medizinische Sachverständige geworden. Nach Dans eiliger telefonischer Bitte war sie zum Central Hospital in Johannesburg gebraust. Stander wünschte, daß sie Terry Gesellschaft leistete. Jetzt saßen sie im Wartezimmer. »Das glaube ich auch«, stimmte Terry zu. Etwas an Joys Worten beschäftigte sie. Sie mußte sich erinnern. »Es dauert zwanzig Minuten, bis die Platten belichtet und entwickelt sind. Dann muß der Röntgenologe sie untersuchen und dem Chirurgen seinen Bericht erstatten.« Jetzt hatte Joy es wieder gesagt. Terry richtete sich auf und überlegte Joys Worte. Welches hatte sie beunruhigt? Mit einemmal wußte sie es. »Der Bericht!« rief sie aus. »Das ist es! Der Berichter ist der Beweis!« Sie fuhr aus ihrem Sessel hoch. »Joy, gib mir deinen Wagenschlüssel«, verlangte sie. »Weshalb denn um alles in der Welt?« Joy schaute verdutzt drein. »Ich kann es jetzt nicht erklären. Ich muß sofort heim nach Sandown. Gib mir deinen Schlüssel. Ich werde es später erklären.« Joy kramte in ihrer Tasche und holte ein Ledermäppchen her vor. Terry riß es ihr aus der Hand. »Wo hast du geparkt?« »Am Haupteingang.« »Vielen Dank, Joy.« Terry stürzte aus dem Wartezimmer. Ihre hohen Absätze hämmerten den Flur hinab. »Eine verrückte Person«, murmelte Joy. Zehn Minuten später schaute Dan in den Warteraum. »Rod ist jetzt gut versorgt. Aber wo steckt Terry?«
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»Sie ist übergeschnappt.« Joy erzählte von dem plötzlichen Aufbruch. Dan machte ein ernstes Gesicht. »Ich glaube, wir fahren ihr am besten nach, Joy.« »Ich glaube, du hast recht, mein Lieber.« »Ich hole bloß noch schnell meinen Mantel.« Der geologische Bericht über Big Dipper, den Rod erwähnt hatte, konnte von ihrem Mann nur an einem Ort versteckt worden sein: im Safe hinter der Täfelung in seinem Arbeitszimmer. Da ihr Schmuck auch in diesem Safe verwahrt wurde, besaß Terry einen Schlüssel für das Kombinationsschloß. Sie brauchte fünfunddreißig Minuten zur Fahrt nach Sandown. Kurz nach siebzehn Uhr parkte Terry vor den Garagen. Das große Grundstück war verlassen, denn die Gärtner machten um siebzehn Uhr Feierabend, und auch im Hause selbst rührte sich nichts. Das war ihr gerade recht. Manfred weilte noch in Europa. Er würde frühestens in vier Tagen zurückkehren. Terry ließ den Zündschlüssel im Wagen stecken und lief die Treppe hinauf. Sie begab sich sogleich in das Arbeitszimmer ihres Mannes. Nachdem sie die Wandtäfelung beiseite geschoben hatte, machte sie sich an die ziemlich umständliche Öffnung des Safes. Endlich schlug die Tür zurück, und vor ihr lag der umfangreiche Inhalt. Terry nahm die verschiedenartigsten Papiere und Ordner der Reihe nach heraus, untersuchte sie und stapelte sie dann fein säuberlich neben sich auf. Sie hatte keine Ahnung, welche Form, Größe und Farbe der Bericht hatte, den sie suchte. Nach zehn Minuten klappte sie einen Ordner auf, der keine Bezeichnung trug. Sie las: »Vertraulicher Bericht über die geologischen Formationen der Goldfelder von Kitchenerville unter besonderer Berücksichtigung jener Gebiete, die östlich des Big-Dipper-Walls gelegen sind.« Terry empfand ein herrliches Gefühl der Erleichterung. Das mußte der Bericht sein. Rasch blätterte sie die Seiten durch und las aufs Geratewohl. Ja, dies war tatsächlich der gesuchte Bericht. »Er ist's!« rief sie laut. »Ich nehme das an mich. Vielen Dank.«
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Die gefürchtete und vertraute Stimme knallte wie ein Peitschenhieb. Terry wandte sich um und stand im Nu auf ihren Füßen. Den Bericht preßte sie an die Brust. Langsam wich sie vor dem Mann auf der Türschwelle zurück. Sie erkannte ihren eigenen Mann kaum wieder. Nie zuvor hatte sie ihn in einem derartigen Zustand gesehen. Er hatte keine Jakke an, und sein Hemd war ohne Kragen. Er schien in seiner Hose geschlafen zu haben, denn sie war zerknautscht und ausgebeult. Auf seinem weißen Hemd zeichnete sich ein gelber Fleck ab. Sein spärliches braunes Haar war zerzaust und hing ihm strähnig in die Stirn. Er hatte sich nicht rasiert, und die Haut unter seinen Augen war verfärbt und geschwollen. »Gib mir das zurück.« Er näherte sich ihr mit ausgestreckter Hand. »Manfred.« Sie wich ihm noch weiter aus. »Was machst du hier? Wann bist du heimgekommen?« »Gib mir das, du Nutte!« »Warum nennst du mich so?« fragte sie, um Zeit zu gewinnen. »Nutte!« wiederholte er und sprang auf sie zu. Terry wirbelte davon. Sie rannte zur Tür, und ihr Mann folgte ihr auf dem Fuß. Sie stieß ihn in den Flur und stürzte zur Haustür. Einer ihrer Absätze verfing sich im Perserteppich, sie stolperte und schlug gegen die Wand. »Hure!« Sofort war er über ihr und wollte ihr den Bericht entreißen, aber sie hielt ihn mit aller Kraft fest. Sie sah den Wahnsinn in seinen Augen. Plötzlich ließ er sie los. Er trat zurück, ballte die Faust, holte weit aus und schlug ihr auf die Wange. Ihr Kopf prallte an die Wand. Sie spürte, wie das warme Blut aus ihrer Nase floß, und taumelte durch die nahe Tür ins Speisezimmer. Er zog seine Faust zurück und schlug abermals zu. Sie war benommen von seinen Hieben und fiel gegen die Kante des schweren Tisches. Manfred hielt sich dicht hinter ihr und versetzte ihr einen Hieb, daß sie rücklings auf den Tisch stürzte. Sofort war er über ihr und umkrallte ihre Kehle. »Ich bringe dich um, du Hure«, keuchte er und drückte seine Finger tief in das Fleisch ihres Halses. Mit der Kraft der Verzweiflung krallte Terry ihre Finger in sein
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Gesicht. Ihre Nägel rissen seine Haut auf und hinterließen lange rote Spuren. Mit einem Schrei gab er sie frei und schlug die Hände vor seine Wangen. Terry lag stöhnend quer über dem Tisch. Steyner stand einen Moment ruhig da. Dann ließ er die Arme sinken und betrachtete das Blut auf seinen Händen. »Dafür bringe ich dich um!« Doch als er wieder auf sie zukam, ließ sich Terry über den Tisch rollen. »Hure! Nutte! Flittchen!« brüllte er sie an und setzte ihr nach. Auf dem Büfett standen zwei Kristallkaraffen mit Portwein und Sherry. Terry schnappte sich die eine und wandte ihr Gesicht ihrem Mann zu. Mit voller Wucht schmetterte sie ihm die Karaffe gegen den Schädel. Er hatte keine Zeit gefunden, sich zu ducken. Die Karaffe krachte auf seine Stirn, und er fiel betäubt um. Terry ergriff den Bericht und rannte aus dem Speisezimmer, den Korridor hinab und durch die Haustür in den Garten. Sie lief mit wankenden Knien die lange Einfahrt hinunter auf die Straße zu. Dann hörte sie hinter sich plötzlich einen Automotor aufheulen. Laut keuchend hielt sie an und blickte zurück. Ihr Mann war wieder zu sich gekommen. Er saß am Lenkrad von Joys Alfa Romeo. Sie sah, wie er schaltete und auf sie zufuhr. Sein Gesicht hinter der Windschutzscheibe war weiß und zerkratzt von ihren Fingernägeln. Seine Augen starrten wie die eines Irren. Sie wußte: Er war entschlossen, sie über den Haufen zu fahren. Sie schleuderte ihre Schuhe von sich und lief zum Rasen. Steyner kauerte auf dem Fahrersitz und beobachtete die flüchtende Frau. Terry lief mit dem vollen Hüftschwung einer reifen Frau. Ihre langen Beine waren von der Sonne gebräunt. Ihr aufgelöstes Haar flatterte. Daß er den geologischen Bericht wieder in seine Hände bekam, war nicht so wichtig für ihn, denn dessen Existenz hatte nun keine Bedeutung mehr für ihn. Er wollte etwas anderes: Diese Frau mußte vernichtet werden. In seiner wahnsinnigen Verfassung war sie für ihn das Symbol all seiner Nöte geworden. Seine Erniedrigung und sein Sturz hingen mit ihr zusammen. Jetzt
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konnte er sich an ihr rächen. Er konnte diesen warmen, schmiegsamen, sich sträubenden Körper zerbrechen. Er konnte ihn aufschlitzen und zerquetschen - mit dem Chassis dieses Autos. Er schaltete den zweiten Gang ein und drehte das Steuerrad. Der Wagen schwenkte von der Anfahrt seitwärts auf den dichten Rasen. Geschickt steuerte Steyner hinter seiner Frau her. Terry war jetzt schon bei den Proteabüschen. Das Auto rumpelte den leichten Abhang hinunter und schoß dann schnell weiter, nachdem die Federung schwer geächzt hatte. Terry schaute über die Schulter zurück. Ihr Gesicht war bleich. Ihre Augen hatten sich vor Angst geweitet. Steyner kicherte. Er genoß das Machtgefühl: Leben oder Tod lagen in seiner Hand. Er brauste auf sie zu und scherte sich nicht um die Folgen. Nur ein Ziel kannte er noch: diese Frau zu zerstören. Vor ihm ragte ein zwei Meter hoher Proteabusch auf, und er legte ihn mit dem Wagen um. Zweige und Blätter flogen durch die Luft. Steyner kicherte von neuem. Nun hatte er Terry genau vor sich. Noch immer blickte sie ihm über die Schulter entgegen, aber in diesem Augenblick trat sie fehl und brach in die Knie. Sie war hilflos. Tränen und Blut liefen über ihre Wangen. Ihr Haar fiel in wildem Durcheinander nach vorn. Sie kniete, als erwarte sie den Hieb des Henkers. Steyner wurde sich jäh einer gewissen Enttäuschung bewußt: So einfach wollte er die Sache nicht zu Ende bringen. Er wollte den sadistischen Rausch genießen und das Gefühl seiner Macht bis zur Neige auskosten. Im letzten Moment warf er das Steuer herum, und der Wagen schleuderte heftig. Ein paar Zentimeter neben Terry schoß er vorüber, und die Hinterräder bewarfen sie mit Rasenstücken und Erde. Mit lautem Lachen und irren Augen umklammerte Steyner das Lenkrad, wendete und riß dabei einen zweiten Proteabusch um. Terry war in die Höhe gesprungen und rannte weiter. Sogleich nahm er wahr, daß sie zu den Umkleideräumen am Swimmingpool unter den Bäumen wollte. Schon war sie so weit entfernt, daß sie ihm vielleicht doch noch durch die Finger ging. »Nutte!« stieß er hervor und schaltete den dritten Gang ein. Der Motor heulte laut auf, und wieder jagte der Wagen der fliehen-
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den Frau nach. Hätte Terry den unhandlichen Bericht von sich geworfen, dann wäre es ihr wohl möglich gewesen, die Umkleidekabinen zu erreichen, aber sie ließ ihn nicht los, so sehr er sie auch störte. Noch sechs Meter lagen vor ihr. Sie lief an dem asphaltierten Rand des Schwimmbeckens entlang und erkannte, daß der Wagen ihr dicht auf den Fersen war. Kurz entschlossen tauchte sie ins Wasser, und das Auto donnerte an ihr vorbei. Steyner trat hart auf die Bremse und war schon herausgesprungen, als der Wagen hielt. Er rannte zum Swimming-pool zurück. Terry zappelte auf der andern Seite zur Treppe. Sie war erschöpft vor Aufregung und Entsetzen. Ihr nasses Haar klatschte ihr ins Gesicht. Mit offenem Mund japste sie nach Luft. Wiederum lachte Steyner, ein hohes, fast mädchenhaftes Kichern. Dann sprang auch er ins Wasser und landete mit seinem ganzen Gewicht zwischen Terrys Schulterblättern. Sofort ging sie unter. Das Wasser füllte ihre ohnehin schon schmerzenden Lungen. Als sie wieder auftauchte, hustete sie und war vom Wasser und von ihrem Haar geblendet. Beinahe sofort fühlte sie sich von hinten gepackt. Steyner drückte ihr Gesicht unter das Wasser. Ein paar Sekunden lang kämpfte sie verzweifelt. Dann wurde ihre Gegenwehr schwächer und schwächer. Steyner stand über ihr in dem klaren, brusthohen Wasser. Mit der einen Hand hielt er sie an der Taille, mit der andern an einem Büschel ihrer nassen Haare. Immer tiefer preßte er ihren Kopf ins Wasser. Er hatte seine Brille verloren und blinzelte wie eine Eule. Sein Seidenhemd klebte ihm am Körper, das nasse Haar hing ihm ins Gesicht. I Als er spürte, daß das Leben in ihr erlosch und ihre Bewegungen schwerfällig und müde wurden, begann er wieder zu lachen. Es war das abgerissene Lachen eines Irren. »Dan!« Joy deutete auf die Bäume. »Da unten am Schwimmbecken steht ja mein Wagen!« »Was zum Teufel hat der dort zu suchen?«
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»Da stimmt etwas nicht. Terry würde doch nicht durch ihren geliebten Garten fahren, wenn es nicht unbedingt sein müßte.« Dan bremste scharf. »Ich werde mir das mal ansehen.« Und er glitt aus dem Wagen und lief über den Rasen. Auch Joy stieg aus und folgte ihm. Dann sah Stander den Mann im Wasser, der angezogen war, und er sah auch, was dieser Mann tat. Der Arzt begann zu rennen. Als er am Becken angekommen war, begriff er, was hier gespielt wurde. »Um Gottes willen! Er will sie ertränken!« schrie er laut und sprang ins Wasser. In Sekundenschnelle schlug er dem verdutzten Steyner die Faust so heftig gegen den Schädel, daß der Mann zur Seite fiel. Terry war frei. Ohne sich weiter um Steyner zu kümmern, hob Dan die junge Frau aus dem Wasser und watete zur Treppe. Er legte sie mit dem Gesicht nach unten auf die Erde, dann kniete er sich über sie und begann mit Wiederbelebungsversuchen. Erleichtert spürte er, wie Terry sich unter seinen Händen wieder regte. Dann hustete sie und würgte schwach. Jetzt kam auch Joy angerannt und kniete neben ihm nieder. »Mein Gott! Dan, was ist denn passiert?« »Dieser kleine Drecksack wollte sie ertränken.« Dan schaute auf, ohne seine rhythmischen Bewegungen zu unterbrechen. Terry spuckte und erbrach sich. Steyner hatte sich an der andern Seite aus dem Schwimmbecken geschleppt. Jetzt saß er auf dem Rand, seine Füße baumelten im Wasser, sein Kopf hing herab, und er fingerte in seinem Gesicht an der Stelle herum, wo Dans Faust ihn erwischt hatte. Im Schoß hielt er eine aufgeweichte Masse, die der geologische Bericht gewesen war. »Joy, kannst du dich weiter um sie bemühen? Terry wird bald wieder zu sich kommen, und ich möchte mir diesen Schurken nicht entgehen lassen.« Joy nahm Dans Platz ein. »Was machst du mit ihm?« fragte sie. »Ich werde ihn zu Brei schlagen.« »Sehr gut«, ermutigte sie ihn. »Gib ihm auch eins von mir.« Steyner hatte ihre Worte gehört, und als Dan um das Becken lief,
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rappelte er sich auf seine Füße und humpelte zu dem Alfa. Er knallte den Schlag zu und ließ den Motor an. Dan kam zu spät, um ihn anhalten zu können. Der Wagen schoß quer über den Rasen davon. Vergebens lief Dan hinter ihm drein. »Kümmere dich um sie, Joy«, schrie er über die Schulter zurück. Als er bei seinem Auto eintraf, erreichte der Alfa gerade das weiße Portal zur Straße. Ohne seine Brille sah Steyner alles nur verschwommen und milchig. Die Umrisse waren weich und unklar. Instinktiv hielt er vor dem Einbiegen in die Hauptstraße an. Unschlüssig saß er am Steuer. Das Wasser strömte aus seiner Kleidung und gluckste in seinen Schuhen. Neben ihm lag der durchnäßte Bericht. Die Blätter fingen an, sich aufzulösen. Er mußte dieses Ding loswerden. Immerhin konnten diese Papiere noch als Beweisstück gegen ihn verwendet werden. Als ein Beweisstück vor Gericht. Das war der einzige klare Gedanke, der ihn beherrschte. Zum erstenmal in seinem Leben war sein kristallklarer Denkprozeß gestört. Er war verwirrt. Sein Geist huschte von einem Gegenstand zum nächsten. Das tiefe Vergnügen, Terry verletzt zu haben, mischte sich mit dem brennenden Schmerz seiner eigenen Wunden. Er vermochte sich auf kein Gefühl zu konzentrieren, denn alle wurden von der Furcht beschattet, der Furcht vor dem Ungewissen. Er fühlte sich verletzt, gejagt, gebrochen. Sein Verstand flackerte wirr wie ein Computer, den eine elektronische Störung durcheinandergebracht hat. Die Antworten, die er gab, waren unsinnig. Bei einem Blick in den Rückspiegel erkannte er den Jaguar Dans, der ihm folgte. Jetzt geriet er in Panik. Er stieß den Fuß aufs Gaspedal und kuppelte ein. Der Alfa fuhr kreischend auf die Hauptstraße, kam einem schweren Lastwagen in die Quere, schoß über den Seitenstreifen und kurvte dann auf die Fahrbahn zurück. Dan sah, daß er in Richtung Kyalami davonjagte. Er selber mußte den Lastwagen und die nachfolgenden Wagen vorbeifahren lassen. Erst als die Straße frei war, konnte er den Lastwagen überholen. Jetzt aber war der Alfa bloß noch ein winziger heller Fleck in der Ferne.
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Dan schob sich in seinem Sitz zurecht und gab seinem Jaguar die Gelegenheit zu zeigen, was in ihm steckte. Er war wütend, außer sich über die Behandlung, die Steyner seiner Frau hatte angedeihen lassen. Ihr verschwollenes und wundes Gesicht hatte ihm einen Schock versetzt. Er war entschlossen, sie zu rächen. Stetig holte er an Geschwindigkeit auf, bis er fast in das Heck des Alfa stieß. Steyner war von einem grünen Schulbus aufgehalten worden. Dan saß eine Weile fest, denn der Gegenverkehr war nun stark. Er richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf Steyners Kopf. Immer noch kochte er vor Zorn. Dan machte sich bereit, den Alfa zu überholen, sobald dies möglich wurde. Doch in diesem Moment schaute Steyner wieder in seinen Rückspiegel. Dan sah das weiße Gesicht mit dem feuchten Haar. Er sah, wie sich Steyners Miene änderte, als er Dan erkannte, und sogleich fegte der Alfa mitten in den Gegenverkehr hinein. Hupen brüllten auf. Andere Fahrer schwenkten ein, um nicht mit dem wie irrsinnig sausenden Steyner zu karambolieren. Dan fing erschreckte Blicke auf. Doch der Alfa hatte es geschafft: Er hatte den grünen Schulbus überholt und brauste nun davon. Dan fiel zurück. Im nächsten Augenblick jedoch schoß er, auf der falschen Seite überholend, zwischen dem Bus und dem Seitenstreifen vorbei. Auf der Landstraße nach Pretoria holte er immer mehr auf. Wiederholt warf Steyner einen Blick in den Rückspiegel. Dan grinste erbarmungslos. Vor ihnen stieg nun die Landstraße an und verschwand für den Blick hinter einem leichtgerundeten Hügel. Hohe bläuliche Gummibäume säumten die Fahrbahn zu beiden Seiten. In derselben Richtung wie die beiden Sportwagen fuhr auch eine alte Limousine, deren Fahrer, ein älterer Mann, gerade triumphierend dabei war, einen schwerbeladenen Lastwagen mit Gemüse zu überholen. Kopf an Kopf fuhren sie auf die Straßenerhebung zu und blockierten die halbe Fahrbahn. Die Hupe des Alfa stieß ein hohes Warnsignal aus, und Steyner setzte an, die beiden langsameren Fahrzeuge zu überholen. Schon war er auf gleicher Höhe mit ihnen, als ein Lastwagen mit Zement auf der Anhöhe erschien.
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Dan trat mit aller Kraft auf die Bremse und beobachtete, wie es geschah: Der Wagen mit dem Zement und der Alfa prallten mit einem Tempo von zusammen weit über hundertsechzig Stundenkilometern zusammen. Steyner hatte in der letzten Sekunde noch versucht auszuweichen, aber es war zu spät gewesen. Der Lastwagen versetzte dem Alfa einen Stoß, der ihn vor die beiden langsameren Fahrzeuge schleuderte, ohne daß er sie berührte. Er schlitterte weiter zur Seite über den Rand der Fahrbahn hinaus und krachte mit aller Wucht gegen einen der bläulichen Gummibäume. Der Stoß war so heftig, daß der riesige Stamm erzitterte und seine Blätter herabregnen ließ. Dan parkte seinen Jaguar am Straßenrand und ging zur Unfallstelle. Er wußte, daß er sich nicht zu beeilen brauchte. Die Fahrer des Lastwagens und des alten Automobils waren vor ihm da. Sie versuchten, sich gegenseitig in den Boden zu reden. Beide waren erregt und konnten es kaum fassen, daß sie selber heil davongekommen waren. »Ich bin Arzt«, sagte Dan, und sie traten höflich zurück. »Er braucht keinen Arzt mehr«, meinte der eine. »Was er braucht, das ist ein Leichenbestatter.« Ein Blick genügte. Manfred Steyner war so tot wie alle Toten, die Dan jemals gesehen hatte. Sein zerschmetterter Kopf war durch die Windschutzscheibe getrieben. Dan las das aufgeweichte Papierbündel neben dem zusammengebrochenen Leichnam auf. Er war sich darüber im klaren, daß es eine besondere Bewandtnis damit haben mußte. Dans Zorn war ganz und gar erloschen. Er empfand sogar ein wenig Mitleid beim Anblick des Toten. Steyner wirkte im Tod zerbrechlich und klein und so unbedeutend.
< 70 > Die Sonne glitzerte auf dem Wellengekräusel der Bucht.
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Der Wind wehte so kräftig, daß die Jacht ihre Spinnaker setzen konnte. Blau und gelb und rot blähten sie sich vor dem dunkelgrünen Steilufer der Durban-Bai. Unter dem Sonnensegel auf dem Achterdeck der Motorjacht war es kühl, aber der dicke Mann trug nur weiße Leinenhosen, und seine Füße steckten in blauen Stoffsandalen. Er rekelte sich in einem Liegestuhl, wobei sein Buch glatt und dick über den Gürtel quoll. »Ich danke Ihnen, Andrew.« Er reichte sein leeres Glas zurück, und der jüngere Mann trug es zu der Bar. Der dicke Mann sah zu, wie er einen neuen Drink mixte. Ein Besatzungsmitglied in Weiß kam die Niedergangstreppe von der Brücke herab. Angesichts des dicken Mannes berührte er respektvoll seine Mütze. »Der Kapitän läßt grüßen, Sir. Wir können auslaufen, sobald Sie es befehlen.« »Danke sehr. Sagen Sie, bitte, dem Kapitän, daß wir sogleich in See stechen, wenn Miss du Maine an Bord gekommen ist.« Der Matrose kehrte auf die Brücke zurück. »Ah!« Der dicke Mann seufzte glücklich, als Andrew ihm das frische Glas in die ausgestreckte Hand gab. »Ich habe mir eine Erholung wirklich verdient. Die letzten Wochen waren nervenaufreibend - um es milde auszudrücken.« »Jawohl, Sir«, pflichtete Andrew ergeben bei. »Doch wie immer haben Sie den Sieg in der entscheidenden Sekunde errungen.« »Ja, es hat an einem Haar gehangen«, gab der dicke Mann zu. »Dieser junge Ironsides hat uns mit seiner Sprengung einen schönen Schrecken eingejagt. Ich war gerade noch in der Lage, meinen persönlichen Verpflichtungen nachzukommen, ehe die Kurse wieder stiegen. Der Profit war nicht so groß, wie ich gehofft hatte. Aber schließlich hatte ich ja nie die Gewohnheit, einem geschenkten Gaul ins Maul zu schauen.« »Ein Jammer, daß unsere Teilhaber einen solchen Verlust einstekken mußten«, bemerkte Andrew keck. »Ja, ja, ein großer Jammer. Aber besser sie und nicht wir, Andrew.« »In der Tat, Sir.« »In mancher Hinsicht bin ich eigentlich froh, daß die Sache so
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verlaufen ist. Ich bin ein Patriot, ein Patriot von ganzem Herzen. Es erleichtert mich, daß es nicht notwendig war, die Volkswirtschaft des Landes zu ruinieren, um unseren kleinen Profit zu machen.« Plötzlich stand er auf. Sein Interesse erwachte, als er ein Taxi an der Mole des Jachthafens erblickte. Aus dem Rücksitz tauchte eine sehr schöne junge Dame auf. »Ah, Andrew, unser Gast ist eingetroffen. Teilen Sie dem Kapitän doch mit, daß wir in wenigen Minuten auslaufen können. Und schicken Sie auch einen Mann an Land, der das Gepäck holt.« Und er machte sich auf den Weg, um die junge Dame willkommen zu heißen.
< 71 > Im Hochsommer flimmert die Sonne fast weiß über dem Tal des Sambesi. Um Mittag bewegt sich niemand unter dieser gnadenlosen Glut. In der Mitte des Eingeborenendorfes wuchs ein Baobabbaum. Sein Stamm war monströs aufgebläht. Die mißgebildeten Äste ließen an Opfer der spinalen Kinderlähmung denken. Eine Anzahl von Hütten umstand diesen Baum, und hinter ihnen dehnten sich die bebauten Felder aus. Auf holprigem Pfad näherte sich ein Landrover dem Dorf. Er kam nur langsam voran. Die Räder ratterten über den rauhen Boden. Der Motor brummte im ersten Gang. Der Wagen war mit den Worten »A. R. C. - African Recruiting Corporation« versehen. Die Kinder hörten ihn zuerst und krochen aus den Grashütten hervor. Ihre schwarzen Körper waren nackt, und ihre Stimmen schrillten aufgeregt im Sonnenlicht. Sie liefen dem Landrover entgegen und hüpften kreischend und lachend neben ihm her. Im kärglichen Schatten des Baobabbaums blieb der Wagen stehen. Ein älterer Mann, ein Weißer, kletterte heraus. Er trug Khaki und einen breitkrempigen Hut. Alles verstummte, und einer der großen Jungen trug einen geschnitzten Stuhl herbei und
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stellte ihn in den Schatten. Der weiße Mann setzte sich. Ein Mädchen kniete vor ihm nieder und bot ihm einen Flaschenkürbis voll Hirsebier. Niemand sprach. Niemand wagte einen geehrten Gast zu belästigen, ehe er sich nicht erfrischt hatte. Nach und nach fanden sich die Erwachsenen des Dorfes ein. Sie blinzelten in die Sonne und banden ihre Lendenschurze fest. Sie kauerten in einem Halbkreis vor dem weißen Mann auf dem Stuhl. Er setzte den Kürbis ab. »Ich sehe euch, meine Freunde«, begrüßte er sie, und ihre Antwort klang herzlich: »Wir sehen dich, alter Mann.« Doch die Miene des Besuchers blieb ernst. »Laßt die Frauen von King Nkulu kommen«, rief er. »Jede soll ihren erstgeborenen Sohn mitbringen.« Vier Frauen und vier Jünglinge traten aus der Menge und kamen scheu näher. Eine Weile betrachtete der weiße Mann sie mitleidig. Dann stand er auf und ging zu ihnen. Er legte seine Hände auf die Schultern der beiden ältesten Jünglinge. »Euer Vater ist zu seinen Vätern heimgekehrt«, sprach er dann. Es entstand Bewegung. Jemand holte tief Atem. Eine Frau schrie auf. Aber dann stimmte - wie es der Sitte entsprach - die Hauptfrau des Gestorbenen die Totenklage an. Nacheinander sanken die Frauen auf die trockene staubige Erde und bedeckten ihre Köpfe mit ihren Tüchern. »Er ist tot«, wiederholte der weiße Mann angesichts ihrer tiefen Trauer. »Aber er starb so ehrenhaft, daß sein Name für immer weiterleben wird. So großartig war sein Sterben, daß jede seiner Frauen ihr Leben lang monatlich Geld bekommen wird, und jeder seiner Söhne wird an der Universität studieren können, damit ihre Weisheit an Stärke in nichts seiner körperlichen Stärke nachstehen wird. Man wird ein steinernes Bild von Big King schaffen. Die Frauen von Big King und seine Söhne werden in einem Flugzeug nach dem Goldland reisen, so daß sie mit eigenen Augen das steinerne Abbild jenes Mannes sehen können, der ihr Mann und Vater war.« Der weiße Mann schwieg und holte Atem. »Er war ein Löwe.« »Ngwenyama«, flüsterte der stämmige zwölfjährige Junge, der
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neben dem weißen Mann stand. Die Tränen rannen ihm aus den Augen. Er wandte sich um und rannte in die Hirsefelder.
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Dennis Langley, der Verkaufsleiter von Ford in Kitchenerville, reckte schwelgerisch seine Arme über den Kopf. Er seufzte tief auf vor Zufriedenheit. Besser konnte man den Morgen eines Arbeitstages wahrlich nicht verbringen. »Glücklich?« fragte Hettie Delange, die neben ihm im Doppelbett lag. Anstatt zu antworten grinste Dennis. Hettie setzte sich auf und ließ das Laken bis zur Hüfte herabfallen. Ihre Brüste waren groß und weiß und feucht von Schweiß. Anerkennend betrachtete sie seine nackte Brust und die Muskeln seiner Arme. »Donnerwetter, bist du gut gebaut.« »Du aber auch.« Dennis lächelte zu ihr auf. »Du bist anders als die Burschen, mit denen ich's schon getrieben habe«, meinte Hettie. »Du sprichst so fein - wie ein Gentleman.« Ehe sich Dennis Langley eine passende Antwort einfallen lassen konnte, wurde an der Haustür geklingelt. Das Schrillen war in allen Zimmern zu hören. Er schoß hoch. »Wer ist das?« wollte er wissen. »Vermutlich der Metzger mit dem Fleisch.« »Es kann aber auch meine Frau sein«, warnte Dennis. »Kümmere dich nicht um das Klingeln.« »Natürlich werde ich mich darum kümmern, du Dummerchen.« Hettie warf das Laken ganz ab und erhob sich in ihrer weißgoldenen Pracht, um ihren Morgenmantel zu suchen. Ihr Anblick ließ ihn seine bösen Ahnungen vorübergehend vergessen, doch als sie den Gürtel knotete und ihre Vorzüge somit verhüllte, drängte er sie wieder: »Sei vorsichtig! Vergewissere dich, daß sie's nicht ist, bevor du die Tür aufmachst.«
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Hettie öffnete die Haustür und zog sogleich ihren Morgenmantel fester um sich, während sie mit der andern Hand ihr Haar ordnete. »Hallo«, hauchte sie. Der hochgewachsene junge Mann unter der Tür sah ziemlich verträumt aus. Er trug eine dunklen Anzug und schleppte eine große Aktentasche. »Mrs. Delange?« erkundigte er sich. Auch seine Stimme klang verträumt und weich. »Ja, ich bin Mrs. Delange.« Hettie ließ ihre Augenwimpern spielen. »Wollen Sie nicht hereinkommen?« Sie führte ihn ins Wohnzimmer und nahm mit Vergnügen wahr, daß er den Ausschnitt ihres Morgenrocks musterte. »Was kann ich für Sie tun?« fragte sie schelmisch. »Ich bin der hiesige Vertreter der Sanlam Insurance Company, Mrs. Delange. Ich komme, um Ihnen das Bedauern meiner Gesellschaft über Ihren schweren Verlust auszudrücken. Ich hätte Sie schon früher besucht, wollte Sie jedoch nicht in Ihrem tiefen Schmerz stören.« »Oh!« Hettie senkte den Blick und nahm augenblicks die Rolle der trauernden Witwe an. »Wir hoffen, Ihren Kummer ein wenig lindern zu können. Sie müssen nämlich wissen, daß Ihr Herr Gemahl eine Lebensversicherung mit unserer Gesellschaft abgeschlossen hat.« Hettie schüttelte den Kopf. Interessiert beobachtete sie, wie der Besucher seine Aktentasche öffnete. »Ja, er war Policeninhaber. Vor zwei Monaten hat er eine Lebensversicherung abgeschlossen, die sich bei Unfall verdoppelt. Die Police läuft auf Ihren Namen.« Der Mann von der Versicherung brachte ein Bündel Papiere zum Vorschein. »Hier ist der Scheck meiner Gesellschaft. Wenn Sie den Empfang, bitte, bestätigen wollen...« »Wieviel ist es denn?« Hettie gab die Rolle der Trauernden auf. »Achtundvierzigtausend Rand.« Hetties Augen funkelten vor Wonne. »Na, so was«, keuchte sie. »Das ist ja fabelhaft!«
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< 72 > Hirschfelds ursprünglicher Plan hatte eine bedeutende Erweiterung erfahren. Statt einer Gedenktafel an der Zementwand auf Sohle 66 war ein lebensgroßes Bronzedenkmal von Big King entstanden. Er ließ es auf der Rasenfläche vor den Verwaltungsgebäuden der Sonder-Ditch-Mine aufstellen. Der Sockel war aus Marmor. Das Denkmal verfehlte seine Wirkung nicht. Dem Bildhauer war es gelungen, die lebenssprühende Kraft des Mannes wiederzugeben. Die Inschrift lautete schlicht: »King Nkulu«, und dann folgte das Datum seines Todes. Hirschfeld wohnte der Enthüllung bei, obwohl er Zeremonien haßte und sie nach Möglichkeit mied. In der ersten Reihe der Gäste saß seine Enkelin neben Dr. Stander und dessen blonder Frau. Terry blinzelte ihm zu, und Hurry Hirschfeld runzelte liebevoll die Stirn. Soeben stand Ironsides auf, um den Vorsitzenden zu begrüßen. Hirschfeld bemerkte, daß seine Enkelin ihre ganze Aufmerksamkeit dem jungen Mann zuwandte, dessen beide Arme in Gips lagen und von Schlingen gehalten wurden. Vielleicht hätte ich ihn doch feuern sollen, dachte Hirschfeld. Der Bursche ist dabei, in meine Familie einzudringen. Er warf einen Seitenblick auf seinen Generaldirektor und entschied resignierend, daß es zu spät sei. Dann heiterte er sich selbst auf: Jedenfalls sah Ironsides ganz danach aus, als könne er prächtige Kinder in die Welt setzen. Plötzlich aber kam ihm eine andere Idee. Am besten war wohl, wenn er ihn in die Zentrale holte. Dort konnte er sich einarbeiten. Gedankenlos nahm er eine mächtige Zigarre aus der Innenseite seiner Jacke. Er hatte sie schon halb im Mund, als er Terrys empörte Augen sah. Ihre Lippen formten stumm die Worte: »Dein Arzt!« Schuldbewußt schob Hurry Hirschfeld die Zigarre wieder in seine Tasche.
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CHRISTOPHER NEW
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