Ulli Wuttke heißt der Held, und alle lachen über ihn. „Vonne Landesregierung" aufs Dorf geschickt, um die Bauern aufzuk...
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Ulli Wuttke heißt der Held, und alle lachen über ihn. „Vonne Landesregierung" aufs Dorf geschickt, um die Bauern aufzuklären, kümmert er sich zunächst einmal um Fragender Fortpflanzung. Bald flüstert man, daß er es mit den Kühen treibe; dann stiehlt er Enten wie ein Fuchs und hält das noch für richtig; sein großes Vertrauen in die Wissenschaft bringt allen Zwiebeln auf dem Acker den Tod. Ulli, ahnungslos zu großen Veränderungen aufgebrochen, ist überall dabei und hält sein Fell hin. Die Mädchen - und nicht nur eins machen ihn zum Helden dreister Geschichten. Aber da ist auch Herzauge, sein zuversichtlicher Lehrmeister und Freund. Beide brauchen einander in dieser abenteuerlichen Aufbruchzeit, von der Benito W o g a t z k i in seinem Roman spannend zu erzählen weiß.
Verlag Neues Leben
Benito Wogatzki • Das IMarrenfell 5. Auflage • 304 Seiten
Ganzleinen 9 , - M
Rprlin ISBN 3 355-00922-9
32 706
Scanned by Manni Hesse eBook nicht zum Verkauf bestimmt!
Rolf Krohn
Hannibals Rache
Verlag Neues Leben Berlin
Illustrationen von Karl Fischer
ISBN 3-355-00922-9
© Verlag Neues Leben, Berlin 1989 Lizenz Nr. 303 (305/123/89) LSV 7503 Umschlag: Karl Fischer Typografie: Walter Leipold Schrift: 9 p Timeless Gesamtherstellung: (140) Druckerei Neues Deutschland, Berlin Bestell-Nr. 644 701 9 00025
Zwei Fremde Der fünfhundertachtundzwanzigste Sommer seit Gründung, der Stadt durch Romulus und Remus endete mit einer Hitzewelle. Drei Tage lang hatte ein glühender Südsturm Blüten und Reben versengt und den Himmel so grau gefärbt, wie es zum Namen Bleiwetter paßte. Zwar ließ die Wärme jetzt nach, und ein matter Nordwestwind reinigte langsam das Firmament, geregnet hatte es dennoch nicht. Staubsäulen wirbelten umher, und welk hing das Laub an Bäumen und Büschen. Auf der Vorstadtstraße südlich vom Aventinischen Hügel fanden sich die zwei Passanten allein. Daß sie keine Römer waren, sah und hörte man. Seltsam war das nicht. Der Handel florierte. Überdies hatten die gewaltigen Siege der letzten Jahrzehnte das Interesse der Welt auf Rom gelenkt. Gesandte mit großem Gefolge kamen und gingen. Was Wunder, daß oft Fremde durch Roms Straßen schlenderten! „Da, Maharbal, da wohnt Porcius! Das Mäandermuster auf der Gartenmauer - genau nach der Beschreibung", sagte der Jüngere der beiden. Offensichtlich war er der Herr. Die Haltung des etwa Zwanzigjährigen bezeugte das ebenso wie sein bunt besticktes Numidiergewand. Der Dolch im Gurt störte das Bild eines friedlichen Spaziergängers; ein Römer trug dergleichen nur im Feindesland. - Rostrotes Haar, militärisch kurz geschnitten, krönte schmale, sonnenversengte Züge, in denen die markante Phöniziernase, ein herrisches Kinn und die schwarzbraunen Augen auffielen. Maharbal war ebenso groß wie der Vornehme, doch stämmiger. Jeder Zoll verriet den Soldaten: das zernarbte, wenn auch gutmütige Gesicht, die Muskelpakete, der breite, metallbeschlagene Gurt über dem Kriegergewand, das Kurzschwert in der Lederscheide. „Deshalb also kamen wir her, Hannibal... Spendios." Rascher als die Geste des Rothaarigen erfolgte die Berichtigung. „Hm." Beide taxierten die mannshohe Mauer. Pyramidenpappeln ragten darüber. Nanu, kein Eingang? Der junge Mann, der sich Spendios nannte, lächelte dünn. - Porcius hatte das Hoftor anscheinend in der Seitengasse verborgen. Dabei war er reich. Und Reiche pflegten zu protzen, oft sogar eine Claque für Heilsrufe zu mieten. In der Nebenstraße löste das allenfalls Heiterkeit aus. Ein Indiz mehr, daß Porcius die Öffentlichkeit scheute. Sie erreichten die Ecke. Der Abzweig endete nach fünfzig Schritten blind. Rechts fand sich tatsächlich das Tor zum Porciusschen Anwesen, von einem kunstgeschmiedeten Bronzegatter verschlossen. Kurz vor dem Gassenende gab es einen zweiten Eingang, wohl zum Nachbargrundstück. Vor ihm aber stand ein gerüsteter Krieger. „Nanu?" murmelte der Rothaarige. „Was will der hier?" „Jedenfalls wohnt hier kein Reicher", ergänzte Maharbal. „Die Mauer ist schadhaft und nicht verziert. - Ist es wichtig?" „Das weiß man erst nachher. Geh langsam weiter. Ich werde mich erkundigen." Gemächlich bog er in die Nebenstraße ein, warf einen langen Blick auf Porcius' Anwesen und erreichte den Legionär. „Weshalb mußt du 3
Wache stehen, mein Freund?" „Befehl des Centurios!" kam es barsch zurück. Der Fremde verstand, zog zwei Sesterzen heraus und drückte sie in die aufgehaltene Hand. „Was ist passiert?" „Ein Mord", erwiderte der Soldat sogleich bereitwillig und ließ die Münzen mit geübter Geste verschwinden. „Ein Bursche hat seinen Vater umgebracht. Morgen spricht der Prätor. Das Haus ist beschlagnahmt. Nachher wird's versteigert. Wegen der Gerichtskosten. Und ich bin von wegen der Diebe da." „Gibt es was zu stehlen?" „Pah! Salvius war bloß ein Siegelschneider." „Was für eine Zeit! Die Menschen werden immer schlechter. - Ich würde das Grundstück kaufen", überlegte der Fremde laut. „Aber womöglich wird der Kerl freigesprochen, wie?" „Ist nicht. Herr Porcius Cato - da, nebenan! - hörte den Schrei und kam mit seinem Aufseher dazu. Da ist's leicht zu urteilen. Kopf ab - was sonst?" „Was sonst, ja. - Dank für die Auskunft und gute Wache!" Er spazierte zurück und holte seinen Begleiter bald ein. „Morgen gehe ich zu einem Prozeß. Hinterher versteigert man das Haus des Mörders. Ich miete es." „Wozu das?" „Haben wir nicht lange überlegt, wie man Porcius bespähen könnte? Und von wo aus? Da ist die Antwort: von nebenan." „In der Tat..." 4
„Trotzdem! Nur ein Argwohn - und wir werden keinen Tag älter." Maharbal blickte nicht auf, er kannte das reglose Gesicht seines Dienstherrn bei solchen Erwägungen. Ganz der Vater Hamilkar! Maharbal bewunderte dieses Talent des Jüngeren. Mit Waffen war er ihm über, deshalb führte er daheim die Leibwache. Doch so etwas ... Warten und im rechten Moment richtig zustoßen... „Es klingt, als ob du Porcius achtest", sagte er. In der Miene des anderen zuckte es. „Achten ... Nicht jeder kann Sardinien den Römern zuschanzen. Und nur ein ungemein begabter Schurke wie Porcius konnte das Komplott gegen meinen Onkel schmieden und ihn von den eignen Söldnern ans Kreuz nageln lassen. - Ich wette, daß Porcius auch mittat, als die Oretaner revoltierten und meinen Vater bei Ilici erschlugen. Nun aber wird die Rache auf ihn und die Seinen zurückfallen. Dazu sind wir hergekommen. Dennoch nehme ich ihn ernst." Mit einer brüsken Geste schloß er das Thema ab, auch weil sie die belebte Uferstraße, die Via Salaria, erreichten. Die Tiberbrücke war nah. „Du warst auf dem Markt, Maharbal. Berichte!" „Geeignete Sklaven wirst du finden. Aber ich ... Herr, ich ... Könntest du selbst...?" „Erinnerungen wegen deiner Frau." „So ist es." Der Soldat mochte nicht aussprechen, was er fühlte. Das paßte nicht zu einem Kriegsmann. An einem Tag vor nunmehr fünfzehn Jahren hatte er auf solch einem Markt in Karthago ein ob seiner Nacktheit vor Scham weinendes Mädchen impulsiv gekauft und übers Jahr geheiratet. Seine Frau hatte manches in ihm verändert. „Ich glaube, ich verstehe dich", meinte der Jüngere. „Bloß: Unfreie gab es seit je und wird es immer geben. Gefühle sind edel, doch das Silber entscheidet. Meine Mittel sind eng begrenzt. Schwer genüg war es, die Summe von neutralen Händlern zu erhalten. Hacksilber zu verkaufen dauert lange und würde Verdacht wecken. Darf ich das knappe Geld verschleudern? Ich brauche geeignete Leute." Maharbal blieb stumm. Der Passantenstrom auf der Brücke half ihm; womöglich verstand jemand ihr Numidisch. Er wollte nicht fragen: Sind fünfzig Leibwächter nicht genug? Hannibal würde dazu schweigen. - Also gibt es ein weiteres Ziel. Welches? Warum kauft Hannibal hier? Als wenn Kleinkarthago* keinen Sklavenmarkt hätte! Wie wird wohl das Todesurteil an Porcius Cato vollstreckt werden? Hannibal überlegt, ich sehe es. Wer den Löwen am Bart zupft, stirbt; wer ihm die Faust in den Nacken schlägt, lebt. Das Punierwort ist sein Leitsatz. Schwören könnte ich, er plant wieder etwas Einzigartiges. Etwas wie den Handstreich auf Olisipo. Was plant Hannibal Barkas diesmal, kalt kalkulierend wie stets? Etwa gar ... Das kann nicht sein. Das nicht! Der große Krieg, derfcarthago ruinierte und ihm Sizilien nahm, wäre nichts dagegen. Dennoch - keiner von Hamilkars Söhnen will die Rache zähmen, und sollte darüber die Welt in Brand geraten. Furchtbares steht bevor. * heute Cartagena
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Aber vielleicht mache ich mir unnötigerweise Gedanken. Porcius fällt, und damit basta! „Gestatte mir eine Frage." „Habe ich sie dir je verweigert? Sprich!" Prüfend blickte sich der Stämmige um. „Du willst durch die Sklaven einen Aufstand anfachen - wie damals die Söldnerrevolte bei uns - und dann mit dem Heer von Hispanien herüberkommen?" Hannibal umging die Antwort und gab sie damit. „Zunächst bilde ich eine zweite Leibgarde: Leute, die Rom nicht für Gold kaufen könnte. Aber sei unbesorgt, du bleibst mein Offizier. Kehren wir heim, bist du Oberst der Reiterei." „Ich verstehe, Herr, und Dank! Doch eins: Wenn du solch einen Sklaven kaufst, Weib und Kinder dagegen nicht .1. Wird er dich weniger hassen als die früheren Peiniger?" Jäh blieb Hannibal stehen. „Verdammt! - Ich möchte dir ein Talent Silber schenken ... und dich nach Kräften verprügeln." Sein Plan wankte wie ein Boot unter einer Bö. „Was Sklaven anlangt, habe ich wohl noch viel zu lernen. Hm ..." Abwartend blickte Maharbal ihn an. „Wir gehen gemeinsam zum Markt."
Das Urteil
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Als Hannibal-Spendios das Forum erreichte, war die Verhandlung fast beendet. Bei römischen Bürgern, zumal wenn der eine über Einfluß verfügte, sprach der Stadtprätor selbst Recht. Er stand auf einer Empore des Forums, für jedermann sichtbar. Drei Beamte bewachten den Angeklagten; allgemeine Unruhe unter den Zuschauern besagte, wie es um ihn stand. Nanu? Gegenüber stand nur ein Advokat. Wo blieb Porcius? Hannibal kannte jede Silbe der Personenbeschreibung und spähte ringsumher. - Ah, dort: die möwenfbrmige Narbe auf der linken Wange! Kaum fünfzig, der Mann, hager, fast kahlköpfig, unstete, dunkle Augen - alles stimmte. Er unterhielt sich mit einer hübschen, jungen Römerin. Sie sah ihm ähnlich. Wohl eine neugierige Verwandte. Vielleicht sogar seine Tochter? Jetzt räusperte sich der Prätor. „Nun, Cajus Salvius - gestehst du endlich?" „Nie hätte ich die Hand gegen meinen Vater erhoben. Ich fand ihn tot im Garten." „Weshalb hieltest du dann den Dolch gezückt?" „Das ist nicht wahr. Marcus Porcius Cato lügt!" „Nimm dich in acht, daß du nicht einen Ehrenwerten beleidigst. Oder meinst du, es geht dir in einem hin?" „Unser Sklave Subrius kann bezeugen, daß ich weitab war, als um Hilfe gerufen wurde. Erst deswegen ..." „Subrius hat sich im Kerker erhängt, ob von Gewissensbissen geplagt, ob i
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aus Angst vor dem Kreuz ... Er zeugt nicht für dich." Der Bursche seufzte auf und starrte zu Boden. „Was stützt deine Bezichtigung? Warum sollte Herr Porcius Cato lügen? Gab es Streit? Warum? Wann? Zeugen dafür?" Cajus Salvius wollte reden, schüttelte dann aber stumm den Kopf. „Nun also. - Kläger, dein Schlußwort!" Sich verstärkendes Murmeln verriet, daß der Prozeß mit einem Schuldspruch enden würde. Hannibal hörte kaum hin. Das Mädchen neben Porcius - ihr Verhalten verwunderte ihn. Furcht zeichnete ihr schönes Gesicht. Dieses Mädchen glaubte dem Burschen, möglicherweise als einzige auf dem Forum. Seine Geliebte? Dann wären Porcius' Lüge und die falsche Anschuldigung erklärlich. Ein Reicher akzeptiert keinen Siegelschneidersohn in seiner Familie. Aber gleich morden ... He! Was hatte der Vertreter des Klägers eben gesagt? „... wohl handelt es sich um eine grauenhafte Tat. Doch Cajus ist noch jung. Er wird bereuen. Und sühnen. Der Tod ist aber so endgültig ..." Wie? Was? Wisperndes Erstaunen breitete sich aus. „Beachte auch dies, Herr Prätor: Marcus Porcius Cato sah zwar die Waffe bei dem Burschen, aber nicht die Tat. Ein Schatten von Zweifel bleibt. Daher sollte in diesem Fall das Beil des Liktors ruhen. Durch meinen Mund rät der Kläger, den Angeklagten nur formell für friedlos zu erklären und von römischem Boden zu verweisen." „Oh! - Dein letztes Wort, Beschuldigter?" Bleich stammelte der Bursche etwas. Man verstand lediglich das Wort „unschuldig". Der Stadtprätor .'erhob sich bedächtig. Es wurde still. „Das scheußlichste Verbrechen heißt-Vatermord", begann er. „Die angemessene Strafe dafür lautet: Tod. Jedoch ..., in Anbetracht dessen, daß Zweifel bestehen, und weil ein ehrbarer Bürger für Cajus Salvius bittet, mag die Strafe gemildert werden: Ich setze ihren Vollzug aus. - In den Kerker mit Cajus Salvius! Morgen wird er mit der Maßgabe verkauft, aus der Römischen Republik gebracht zu werden. Kehrt er wieder, ist sein Leben verwirkt." „Er braucht nicht zu sterben!" rief die junge Römerin und hielt sich sogleich die Hand vor den Mund. Hannibal runzelte die Stirn. Was bedeutete das? Ein Legionär zerrte Cajus Salvius fort. „Ihr Bürger, die Verhandlung ist geschlossen." Der Prätor grüßte flüchtig und verschwand im nahen Amtssitz. Hannibal drängte sich vor und berührte einen Soldaten. „Ihr verkauft den da? Ich würde ihn heim nach Numidien nehmen. Kann ich ihn gleich hier von nahem anschauen?" „Einen Meuchelmörder? Mutig, bei Mars." Der Legionär stülpte die Unterlippe vor. „Geh drüben in die Prätur. Der Sekretär erledigt das ... für eine Kleinigkeit." „Danke." Hannibal wußte jetzt, was zu tun war. Danach aufs Marsfeld zum Sklavenmarkt! 7
Die Auktion „Aber, Herr! Der Kelte ist wie ein Baum", sagte Maharbal. „Darüber sprechen wir noch. Ich kaufe ohnehin höchstens fünfzehn ... Einer ist bereits da." Mit dürren Worten berichtete Hannibal vom Prozeß. „Ich erwarb den Bengel für ein Spottgeld. Unsere Herberge besitzt solide Kellerplätze für Sklaven." Maharbal senkte den Blick. Sie blieben bei einer Auktion stehen. Das Alltägliche geschah wieder: Eine Bauernfamilie war den Steuern erlegen. Nun wurde der Mann dem Agenten eines sizilianischen Landgutbesitzers verkauft, die Frau sollte nach Apulien kommen; drei andere Händler ersteigerten die Kinder. Wie reagierten die Versklavten? Der Rothaarige spähte voll Ungeduld. In dumpfer Verzweiflung ließen sie alles über sich ergehen. Feiglinge! dachte er. Wertlos für mich! Trotzdem sah er beiseite, als sie sich vom Schauplatz der kleinen Tragödie entfernten. „Den Hals breche ich dir! Schurke, das zahle ich dir heim!" Die Wächter griffen zu den Waffen, und auch manch anderer suchte nach dem Dolch. Sofort winkte Hannibal seinem Begleiter. Zwei muskulöse Aufsehei zwangen einen fast nackten Mann auf die Plattform. Aufgeregt schwitzend pries der Händler dessen Vorzüge. „Nun bietet, meine Herren!" sagte er dann mit gespielter Sicherheit. Keiner ringsum beeilte sich damit. Stark? Ja. Aber derart widersetzliche Sklaven stellten ein Risiko dar. Einige liefen bei erster Gelegenheit davon, andere leisteten Widerstand - nicht immer erfolglos. Beides bescherte dem Besitzer Verlust. Einen Unruhekeim teuer kaufen? Sorgenfalten kerbten sich ins Gesicht des Händlers. Bei Merkur, sein kleines Vermögen vertrug keine Fehlspekulation. Wo blieben die Agenten der Gladiatorenschulen von Volsinii? „Kräftig sieht er ja aus", urteilte Hannibal-Spendios abfällig, „aber vielleicht ist er krank." Bei allen Göttern beschwor der Händler die Gesundheit des Sklaven. „Diese Schultern! Solche Muskeln! Die stämmigen Schenkel! Die Fäuste! Taurus wird niemals krank! Kein Stier arbeitet so! Er versteht sich auf Pferd und Wagen." „Du preist zu sehr", äußerte jemand. Man nickte, und rasch verdünnte sich der Kreis. Nur Neugierige blieben. Wie ein Kranker an den Arzt, klammerte sich der Händler an den zaudernden Fremden. „Du kommst aus dem sonnigen Numjdien. Dir gebe ich Taurus billig. Ich nehme auch euer Geld ..." Hannibal lachte trocken. „Allerhand! Wer mag sonst die Münzen? Laß hören, ob wir einig werden!" Maharbal sah die angstvollen Gesichter dreier Sklaven neben dem Podest. Aha, die Angehörigen! Beging Hannibal einen bösen Fehler? Aber durfte man eingreifen? „Vierzig Kreuzsrlberstücke, zweihundert Denar, nennst du angemessen? Du willst mich wohl verspotten! Ein Blinder sieht, daß der Sklave an Flucht denkt." 8
„Die Peitsche wird ihm das austreiben." „Und dabei meinen Besitz beschädigen. Nein, nein; halbiere den Preis oder ..., doch das nützt mir auch nichts ..." „Was - oder?" fragte der andere hastig. Hannibal-Spendios zögerte. Scheinbar unschlüssig fixierte er Taurus. Die haßsprühenden Blicke prallten an ihm ab. „Gib mir das Kroppzeug mit!" sagte er endlich in wegwerfendem Tonfall. „Dann wird er kaum fortlaufen." Die Kenner in der Runde murmelten beifällig. „Aber dann sind vierzig numidische Silberlinge viel zuwenig. Sieh doch, Fremder: Die Tochter ist reif zur Nutzung. - Siebzig!" jammerte der Händler pro forma. Ein Felsblock rollte ihm von der Seele. Selbst die eben abgelehnte Summe brachte nach Abzug der Steuern Gewinn. „Du scherzt! Zugegeben - der Mann taugt etwas. Aber er ist widerspenstig, das mindert seinen Wert. Was nützen mir die drei? Das Mädchen? Daheim kratzt man mir ihretwegen die Augen aus. Die Alten? Betreibe ich eine Veteranenkolonie für Sklaven? Als Draufgabe allenfalls ... Meinethalben: fünfzig." Unter lauten Beteuerungen, man ruiniere sich aus purem Großmut, einigten sie sich. Spendios zählte dreiundfünfzig numidische Münzen hin, gab einigen Wächtern ein Handgeld und erklärte ihnen den Weg zur Herberge. Der Kreis löste sich auf. Nichts Besonderes. Daß man in fremder Währung bezahlt hatte - pah! Oft wurde bloß getauscht. 9
Der Rothaarige winkte seinen Begleiter weiter. „Ich bin noch einmal deinem Rat gefolgt." „Wieso ,noch einmal', Herr?" „Das Silber für die Familie ist vergeudet. Taurus kann keinen Denar zurückzahlen. Und glaubst du, ich will das Mädchen beschlafen? Mein Schwager wird zetern. Es ist sein Geld." Bedrückt nickte Maharbal. Der Oberstatthalter zahlte auch ihm den Sold. Leicht riet man, die Sklavenfamilien nicht aufzuteilen ... „Warum kaufst du Widerborstige?" Er fragte, um lästige Gedanken zu vertreiben. „Sie hassen." „Und sie sollen uns gegen Rom ..." „Still! Bedenke, wo wir sind." Kopfschüttelnd und sehr nachdenklich ging Maharbal weiter. „Die dort drüben!" sagte der Jüngere, als sei von nichts anderem die Rede gewesen. „Sehen wir, wer sich eignet. Danach", er blickte zum Himmel, „verhöre ich Cajus Salvius. Ihn brauchen wir, darauf verwette ich meine Halskette!"
Damals: Vater und Sohn „Herr Sextus Salvius fragte nach dir, junger Herr." Cajus zuckte zusammen. Er war durch die Hintertür gekommen. Den alten Subrius, der in der dunklen Küchenkammer das Abendessen vorbereitete, hatte er nicht bemerkt. „In der Werkstatt?" „Ebenda." In Rom bedeutete es viel, daß ein Siegelschneider ein Haus besaß - zwar keines im Zentrum, aber immerhin eines nahe am Hafen. Den meisten Handwerkern fehlte dazu das Silber. Bei dem schmalen Gewinn seines Geschäfts hatte der Großvater das Gebäude nur erwerben können, weil es vom Verfall bedroht war. Zum Gravieren war es bereits zu dunkel. Salvius nutzte solche Stunden, um aufzuräumen, vorzubereiten, Material und Werkzeug zu überprüfen. Heute grübelte er über Entwürfen. Die Adligen honorierten extravagante Ideen. Er hörte den Sohn und drehte sich um. „Dein Ring von heute vormittag vorhin konnte ich ihn günstig an Herrn Pinarius Rusca verkaufen." „Danke, Vater", murmelte Cajus. Der Siegelschneider strich die grauen Haare aus der Stirn und legte seine Zeichenfeder auf die unfertige Skizze. „Mehr hast du mir nicht zu sagen?" fragte er zögernd. Cajus schwieg. „Nichts, was speziell unseren Nachbarn betrifft? Nein?" „Ich kenne ihn ja nur vom Sehen", stammelte der Sohn. „Seine Tochter desto besser." Erschrocken wich Cajus zurück. „Wer hat dir das gesagt?" 10
„Du nicht. Leider. - Also, was hast du mir zu gestehen? Mach es nicht noch schlimmer, sprich offen heraus!" Wie in der Luft vor einem Gewitter breitete sich Spannung im Raum aus. Sextus Salvius verschränkte die Arme und fixierte den Sohn - das einzige von fünf Kindern, das damals nicht der Seuche erlegen war. Endlich rang sich der Junge durch. „Was kann ich dagegen tun, daß ich sie liebe?" _ „Alles mußt du dagegen tun, wenn du nicht in dein Verderben rennen willst." „Ich weiß", klang es tonlos zurück. Schlimm war, daß Salvius den Sohn verstand. Auch er hatte, die Tochter eines reichen Mannes geliebt und Jahre seiner Seelenruhe geopfert. Um nicht davon zu reden, flüchtete er sich in Sachlichkeit: „Wie stellst du dir das Weitere vor?" Der Sohn schwieg. „Porcius wird wie ich dahinterkommen und - schon um das Gerede zu töten - das Mädchen rasch und weit weg verheiraten. Wir sollten froh sein, wenn uns nicht gar seine Rache trifft." „Froh? Ohne Porcia mag ich nicht mehr leben!" Der Sohn blickte auf, bleich, verstört. „Und wenn ich zu ihm ginge und ihm unsere Liebe gestände?" „Du würdest hinausfliegen." Sextus erinnerte sich bedrückt an einen Tag vor einem Vierteljahrhundert. „Marcus Porcius ist Plebejer wie wir, hat sich hochgearbeitet. Warum sollte er mich nicht verstehen?" Ebendarum! dachte Sextus Salvius. Um die Vergangenheit vergessen zu machen. Der Freigelassene behandelt Sklaven härter als der Freigeborene. Obendrein tuschelt man, er gehöre zur Union P, zu der gefährlichen Handelsallianz aus altem Patriziertum und jungem Geldadel. Gut möglich: Pomponius Vejentanus, Postumius Pyrgensis - und Porcius Cato. Da geht's bergauf. - Bestimmt ist Porcia längst einem ähnlichen Aufsteiger zugesagt. Aber das kann der verliebte Junge jetzt nicht begreifen. Damals war ich ebenso blind. „Vater, wer hat dir von uns erzählt? Subrius?" „Der weiß es auch? Prügeln sollte ich ihn, wenn's nicht zu spät wäre. Nein, dein Siegelring war schuld." Verdutzt betrachtete der Jüngling den dunklen Stein. Sein Vater beantwortete die unausgesprochene Frage: „Ein Windstoß wehte deine Entwürfe vom Tisch. Ich hob sie auf. Ich hätte die eine Skizze nie beachtet, aber das unsymmetrische Feld stach mir ins Auge - wer schon mag das! -, und dann die sinnlose Buchstabenfolge: CA E POR Bei Merkur, es hat mich Mühe gekostet! Du hast in jeden Ring eine Hälfte der Wörter gesetzt. Der andere trägt die ebenso absurden Zeichen: IVS T CIA 11
Erst nebeneinandergesiegelt, macht es Sinn: CAIVS ET PORCIA, Cajus und Porcia. Ein Gelöbnis. - Gut erdacht, dennoch ... Du weißt, Porcius ist schlau." „Sprich bitte mit ihm, Vater!" „Zwecklos, Junge. Bei den Reichen ist die Ehe zuerst ein Handel. Ich habe nichts zu bieten, was ihn reizen könnte. Frei und offen: Es ist unmöglich, und Wunder, Cajus, schlag dir aus dem Kopf!" „Ich kann nicht. Vater, du bist so gescheit. Finde einen Ausweg, tu ein Wunder!"
Ein unglaublicher Vorschlag Hannibal grollte. Die Zeit drängte - und kein tauglicher Plan! Porcius hatte ihn zu einem „gutnachbarlichen Plausch" eingeladen. Der alte Spion achtete also genau auf seine Umgebung und würde aus Neugier und Gewohnheit Erkundigungen einziehen. Womöglich fürchtete er auch die Rache der fernen Barkiden. Wehe ihnen, er entdeckte einen Riß in der Tarnung! Die Dinge entwickelten sich zu langsam. Nun ja, das Haus: Weil sich niemand um den maroden Bau beworben hatte, war er billig dazu gekommen. Dem Landfremden galt das Eigentum freilich unter Vorbehalt, ein Senatsde12
kret konnte es enteignen. Hannibal und Maharbal hatten ihre Schemel in die Tür gestellt. Lange bevor ein Spitzel ein Wort verstünde, hätten sie ihn erblickt. „Wir sind in der Höhle des Löwen. Jeder Tag bringt mehr Gefahr. Ich könnte meinen Vater rasch wiedersehen." Da der andere ihn ratlos anblickte, fügte er hinzu: „In der Unterwelt." Maharbal runzelte die Stirn. Keift Krieger ließ sich gern an den Tod mahnen. Sie musterten die Gartenmauer. Hoch war sie nicht, außerdem gab es da noch die Zwischentür - doch wie weiter? „Du solltest endlich sprechen, Hannibal. Was planst du? Rache ist gerecht und gut. Aber wie?" „Nicht diesen Namen!" Der Punier sah sich unruhig um. „Ich bin Spendios von Cirta." „Keine Sorge. Im Haus ist einzig der junge Salvius - im Keller. Wer soll sich einschleichen, und wer spricht wie wir?" Nächstens würde sein Herr dem eigenen Schatten mißtrauen. „Für morgen mittag hat er - er! - mich eingeladen", begann Hannibal zögernd. „Dabei erkunde ich die Verhältnisse im Haus. Dann heißt es losschlagen und verschwinden." „Aha." Also morgen oder übermorgen! „Dolch? Schwert?" Hannibal verzog den Mund zu einem bösen Lächeln. „Möglichst keins^ von beiden." Verdutzt hob der Krieger die Brauen. Ein Pfeil aus der Nacht? Feige. Gift? Noch ärger. „Was dann, Herr?" „Am liebsten würde ich ihn und seinen Sohn daheim formell opfern. Je einen für den Vater und den Onkel. Die Frau zu töten wäre ehrlos - das tun nur Römer. Also bleibt nur der Erbe." „Kinder entführen?" murmelte Maharbal, und es war zu hören, wie unbehaglich er sich fühlte. „Aulus Porcius ist neunzehn." Der tiefe Haß überschwemmt seine kalte Klugheit! dachte Maharbal. Aber in solch einem Fall ist nicht mit ihm zu reden. Bereits diese Reise ... „Wir dringen also ein", stimmte er halbherzig zu. „Zum Beispiel nachts. Und dann?" „Schlag etwas vor!" antwortete Hannibal ausweichend. Das war Maharbals schwache Seite. „Der Pförtner wird geknebelt. Kleinigkeit. Wir schleichen zu den Schlafräumen. Wie Cajus sagte, ist die Hausherrin anderswo ..." „Also hat Porcius eine Sklavin bei sich. Sie wird das Haus zusammenkreischen." Maharbal kratzte sich den Kopf und verstummte. „Die Aktion darf erst möglichst spät bemerkt werden. Sobald die Dienerschaft sieht, was geschehen ist, schlägt sie Lärm. Die' Stadtkohorte rückt aus. Sind wir nicht beizeiten in Numiciä ..." „Wenigstens sitzen wir hier im Hafenviertel, nicht innerhalb der Stadtmauern." „Das fehlte noch! Halt - ich weiß einen Ausweg." Hannibal strich sich 13
übers Kinn. „Hole den Cajus und paß scharf auf, wie das Gespräch läuft!" Maharbal zerrte den Gebundenen in eine Ecke. „Setz dich auf den Schemel da!" Er stützte sich dicht neben ihm gegen die Wand, um einen Fluchtversuch zu verhindern. Es sah nicht so aus, als sei das nötig. Cajus starrte zu Boden. Was in dem Haus vorging, das eben noch sein Heim gewesen war, schien er nicht wahrzunehmen, Spendios von Cirta, der angebliche Numidier, stützte den Kopf auf die Fäuste und blickte seinen Sklaven an. Zwanzig? Nein. Achtzehn? Kaum. Das Geschehene hatte dem Jungen übel mitgespielt. Dennoch konnte er als schön gelten. „Wenn dein Herr dich zu sich befiehlt, mußt du ihn höflich grüßen. Ich will darüber hinwegsehen", begann der Punier. „Was weißt du von ihnen?" Er deutete nach nebenan. „Marcus Porcius Cato besitzt ein Büro am Nordhang des Aventins, dicht beim Circus Maximus - mit zwei Dutzend schriftkundigen Sklaven, die Texte kopieren", berichtete Cajus müde und sehr leise. „Damit hat er viel Geld gemacht." Hannibal wußte weitaus besser, woher das Vermögen des Mannes stammte - Blutgeld und Spionagehonorare! -, aber er gab sein Wissen nicht preis. So also maskierte Cato sein Vermögen. „Seine Familie? Sei nicht so maulfaul!" „Seine Frau hat einen kranken Hals. Ich glaube, sie ist wieder nach Ardea ans Meer gereist. Der Älteste, Aulus, soll was Besseres werden, soviel ich von ..., wie ich hörte. Marcus übernimmt wohl das Erbgut in Cures, drüben im Sabiner Land." „Zu guter Letzt Porcia. Sie ist sechzehn und noch nicht verheiratet?" Cajus schüttelte den Kopf. Er war blaß. Maharbal folgte dem Gespräch nervös. Wohin zielten diese Fragen? Hoffentlich begriff er es, um seinem Herrn rechtzeitig beispringen zu können. „Mein Bediensteter fährt jetzt heim nach Numidien. Da du römischen Boden verlassen mußt, habe ich dem Prätor erklärt, daß mein Schnellsegler dich mitnimmt... Ich meine: das Schiff, das den Gehilfen, so rasch es geht, zurückbringt." Er hüstelte, denn ihm war eingefallen, daß es Schnellsegler nur bei der Kriegsmarine gab. Und tatsächlich handelte es sich um, eine Kampfpentere - Familienbesitz zwar -, die bis zum Treff unter falscher Flagge vor der etruskischen Küste kreuzte. „Du verdienst es bestimmt nicht", fuhr er fort, „aber ich will dir eine Gunst erweisen. Ich werde Stillschweigen bewahren, wenn... deine Geliebte mit dir Rom verläßt." Maharbal stieß sich von der Wand ab. Unmöglich! Was für eine absurde Idee! Oder aber ein genialer Einfall, würdig Hamilkars Sohn. Cajus verzog keine Miene, als habe er den Vorschlag nicht vernommen. Dann, unversehens, zuckte der Bursche hoch. Verstört starrte er den Punier an. Röte schoß ihm ins Gesicht und wich einer fahlen Blässe. „Was sagst du?" „Ich sehe, du hast richtig verstanden." „Porcia ist ein freies Mädchen!" „Das weiß ich recht wohl, Sklave", erwiderte der Rothaarige kalt. „Hältst du 14
mich für einen Räuber? Melka ... Merkur sei mein Zeuge, mir liegt nichts an ihrem Besitz. Ich täte es nur aus Güte." Er zuckte die Achseln. „Fahr eben ohne sie." „Welches Wagnis! Das Haus verlassen, schutzlos in die Fremde? Nie wird sie darauf eingehen. Auch ich wäre dagegen ..." „Du wärest dagegen? Da höre doch einer! Nun, wie auch immer: Mein Angebot gilt bis morgen abend. Frage sie!" „Wie denn, Herr? Die Tür zwischen beiden Hausgärten ist jetzt verschlossen, zumal für mich. Unmöglich." Zweifel und Verständnislosigkeit spielten in seinen Zügen. „Das könnte man arrangieren", warf Maharbal ein, der endlich zu erkennen glaubte, was die verstohlenen Winke bedeuteten. „Aber du übertreibst deine Güte, Herr Spendios. Porcius wird glauben, ich wollte seine Tochter entführen." Das Spiel lief! Hannibal schmunzelte zufrieden. „Mir sind ruhige Diener lieber als maulende. Denk an Taurus! Billige Wünsche erfülle ich. Porcias Fahrt kostet mich keinen Denar, Cajus aber wäre willig. Ich gewinne also. Das zählt! - Natürlich müßte es ihr freier Wille sein. Ich kann keinen Ärger mit der römischen Justiz brauchen." Er lächelte vage. „Soll sie ihn jenseits der Grenzen loskaufen! Freilich nicht um einen Verlustpreis." Auf Hannibals Gesicht legte sich die Maske des Kaufmanns Spendios. „Menschenfreundlichkeit kann Nutzen bringen." Er rieb Daumen und Zeigefinger. Maharbal grinste. „Verstehe." Alles übrige war ein Kinderspiel. Sich mit den Sklaven des Nachbarhauses über den Treff Cajus-Porcia verständigen? Kein Problem. Bedienstete fanden immer zueinander.
Besucher „Nun also, Athar. Du wirst als Händler aus Massilia mit gut gefälschten Dokumenten nach Hispanien reisen. Dort tust du, was ich bei Hamilkars Tod tat. Der gewandte Hasdrubal muß weg. Wir brauchen einen Draufgänger als Oberstatthalter Karthagos, vielleicht den Hannibal. Den kann man leicht zum Angriff provozieren, und als Strafe für den Überfall würden wir Hispanien zur römischen Provinz machen. - Die Parolen kennst du, die Mittelsleute in Sagunt und den Weg der Briefe auch." Porcius musterte seinen Beauftragten nochmals. Athar sah derart durchschnittlich aus, daß man ihn nie unter anderen herausfinden würde. Gut so. „Ich bemühe mich", lautete die Antwort, bereits im griechisch getönten Massilioten-Latein gesprochen. Porcius wußte recht gut, daß sein Agent ein Sarde war. Er brauchte den kaltherzigen Mann, der ein halbes Dutzend Sprachen beherrschte und diese sogar mit verschiedenen Akzenten sprechen konnte. „Die erste Rate hast du, die übrigen gibt's je nach den Berichten. Wie gehabt. - Du mußt doch bald genug haben, um römischer Bürger zu werden? Oder liegt dir nichts daran?" 15
Der Sarde winkte ab. Wozu das Bürgerrecht? „Na, wenn du meinst... Glück auf den Weg!" Er unterließ es, den Segen der Götter herabzuflehen. Ein berufsmäßiger Mörder hielt wenig davon und nichts vom Nutzen solcher Bittgebete. Sobald sich Athar entfernt hatte, räumte Porcius die Pergamente beiseite. Er tat es eigenhändig, denn einiges durfte selbst sein treuester Freigelassener nicht sehen. - Seine Gedanken galten schon dem nächsten Besucher. Der Hausmeister räusperte sich. „Herr Spendios begehrt dich zu sprechen." ,/Führ ihn ins Atrium und halt Erfrischungen bereit." „Sehr wohl." Spendios konnte nicht den Schatten der Wahrheit kennen; nicht mal Cajus hatte auch nur geahnt, warum sein Vater fiel. Die Werkstatt des Siegelschneiders hatte er nach Notizen durchsucht und alles Verdächtige entfernt ... Alles? Die Zeit war knapp gewesen. Noch den Sitz der Toga prüfen! Zugebürgerte wie er mußten die Sitte betonen. Ein Triumvir der Union P war nicht irgendwer. Senator Flaccus hatte ihm die plebejische Ädilität für Aulus im übernächsten Jahr zugesagt - für die kommende Wahl waren die Plätze schon vergeben. Das wäre fast schon Adel. Porcius trat in den Empfangsraum und begrüßte den Gast mit würdevoller Freundlichkeit. Oh! Sein gutes Personengedächtnis reagierte: Dieser Mann war beim Salvius-Prozeß gewesen, er hatte sich vorgedrängt. Natürlich des Hauskaufs wegen. „Nimm Platz. Kann ich einem Fremden in Rom helfen?" „Ich bin fremd, möchte es aber nicht bleiben." „Daher also das Haus. - Spendios ... Griechisch, ja?" „Daheim in Cirta gilt der Name als das, aber •meine Ahnen haben Hellas nie gesehen", bekannte der andere. „Wir Numidier suchen Kontakte, um den einseitigen Karthago-Handel aufzubrechen. Eine Gruppe Kaufleute sandte mich, nach Rom. Da bin ich." Porcius lächelte ironisch. „In Karthago wäre dein Name unwillkommen. Ein Rebellenführer im Söldnerkrieg hieß nämlich Spendios." Ich habe ihn schließlich angestachelt, dachte er. Welcher Schreibstubenbesitzer weiß schon solche Einzelheiten, fragte sich Hannibal. „Ich habe dergleichen erlebt", sagte er, „unterwegs in Mastia. Die Karthager durchsuchten mein Schiff nach Schmuggelgut. Sie pöbelten mich an." „Du bist nicht wie alle über Sizilien gefahren? Stimmt, da kreuzen punische Penteren wegen der Konkurrenten. Also nordwärts über Kleinkarthago..." „Ich kenne einzig ein Mastia!" Aha! Das hörte Porcius nicht zum erstenmal. Viele bezeichneten das Wachstum des punischen Besitzes in Hispanien als bedrohlich; und er selbst gab Senatsgeld aus, um das jedermann zu zeigen. Die Numidier dachten ebenso? Gut. - Hasdrubal hatte Mastia erobert und in Kleinkarthago umbenannt. Dem Bericht nach war es ein sicherer Hafen und eine uneinnehmbare Festung. Den neuen Namen demonstrativ ignorieren? Albern! Als wenn das 16
etwas änderte! Worte taten nichts. - Dann überlegte er. Konnte er den Burschen irgendwie ins geheime Netz knüpfen? „Handel willst du treiben? Viel Erfolg! Bitte, greif,zu! Ich empfehle dir das süßeGebäck. Ägyptisches Zuckerrohr ist billig geworden." Er deutete auf die Glaskaraffen. „Sizilianischer Wein oder campanischer oder griechischer oder...?" Sein Gast wählte Rotwein vom Vesuv, trank aber nur mäßig. „Am Haus wirst du wenig Freude haben. Man sagt, in den Mauern sitzt der Schwamm." Er hatte es beim Durchsuchen bemerkt. „Außerdem spukt der Geist des Toten darin. Ich reiße es ab." Es zuckte in den Mundwinkeln des Römers. Aber er nickte ernsten Gesichts. „Der Neubau wird teuer." . „Wahr. Ich hätte ein anderes Haus nehmen sollen. Doch den fliegenden Pfeil holt kein Zauber auf die Sehne zurück. So sagt man bei uns." Ob das numidische Wort letztes Mißtrauen zerstreute? Porcius nickte einfach. „Überhaupt - eine arge Tat", murmelte der Rothaarige. „Was meinst du?" „Den Vatermord." \ „Was geht in so einem Schurken vor? Ich wüßte es gern." Du weißt es, dachte Hannibal. Längst bezweifelte er Cajus' Schuld. Wie oft hast du wohl gemordet? Onkel Hannibal in Sardinien, den Vater bei Ilici, womöglich diesen Sextus Salvius ... „Dabei sollte jedem Verbrecher bewußt sein, daß seine Tat bestraft wird. Spätestens vor Plutos Thron." „Freilich, vor den Göttern. Denn nur ausnahmsweise trifft das Beil des Liktors einen Schuft auf Erden." „Ja, nur ausnahmsweise", wiederholte der andere tonlos. „Aber derartige Subjekte sollen uns deinen Wein nicht verleiden. Übrigens - Wein. Wir würden campahischen Wein abnehmen - wie den hier. Für diese Sorte lohnt sich der weite Weg." „Da kann ich dir helfen." Porcius gewahrte den lauernden Blick seines Gastes nicht. „Wieviel?" „Tausend Kubikfuß darf ich im Schiff verstauen, der übrige Laderaum ist schon vermietet." „Ich habe viel Wein ... und viele Bekannte, die Wein verkaufen. Morgen unterbreite ich dir ein Angebot." Sie lächelten. Eben wollte der Hausherr das Thema wechseln, da trat der Aufseher ein und reichte ihm eine Klappwachstafel. „Dringend, von Herrn Postumius Pyrgensis." Porcius Cato krauste die Stirn. Er entsiegelte die Tafeln. In der Tat... „In der Tat, Herr Spendios, dir stand das Glück bei. Ein Frachtsegler hat bei Elba ein großes Piratenschiff gesichtet. Mein Handelsfreund bittet mich, die Behörden zu benachrichtigen." Er gab die Tafeln zurück. „Zur Marinequästur!" Der Haushofmeister eilte hinaus. Die Erregung des Gastes verstand der Römer falsch. „Man wird den Räuber kapern. Oder verjagen. Keine Sorge!" Hannibal schwieg. Selbst Roms gesamte Flotte würde seine Pentere nie 17
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finden und gleich gar nicht fangen. Immerhin ... „Aber du bleibst ja sowieso vorerst hier." „Mein Gehilfe reist mit Waren und mit Berichten. Ich folge ihm im Frühling, wenn das Wetter wieder zur Seefahrt paßt. Ein Makler ersetzt mich dann." „Für ihn richtest du also das Haus ein." „Ganz" recht, nach römischer Weise. Man muß vorausblicken." „Dürfen meine vier Wände als Vorbild dienen?" „Sehr freundlich." Soviel hatte er nicht erwartet. Der Rundgang sollte gerade beginnen, als ein Sklave zu ihnen trat, sich tief verneigte und wisperte: „Der edle Herr Senator Quintus Fulvius Flaccus steigt soeben aus der Sänfte." Aha, er brachte das Ja des Senats, Hasdrubal ermorden zu lassen! Porcius zauderte einen Atemzug lang. „Bitte den jungen Herrn zu mir." Dann wandte er sich dem Gast zu. „Er wird dir zeigen, wie ein Römer zu leben weiß. Mich entschuldige, werter Nachbar. Einen Senator läßt man nicht warten." „Daß sein Besuch dir Günstiges bringe!" Aulus trat ein - schlaksig, den Atem vom Wein gefärbt, seinem Vater eher im Gesicht als in der Haltung ähnlich. „Ich stehe zur Verfügung."
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Die Tochter des Todfeindes Vier Stunden waren vergangen, die Sonne neigte sich müde dem Westen zu, da verbeugte sich Hannibal höflich vor Porcia. Hübsch - und ihr offenes Gesicht dürfte ihr viele Freunde gewinnen. Zumal das kastanienfarbene Haar ... Nichts da! Er haßte die Porcier schrankenlos, nur zeigen durfte er das nicht. Unter gesenkten Lidern taxierte er die Figur. Eine Silberfibel hielt das zartrosa Gewand so zusammen, daß es die weiblichen Formen verbarg. Das punische Schönheitsideal verlangte üppige Proportionen; auch pflegten die Karthagerinnen ihre Vorzüge herauszustellen, bisweilen ihnen nachzuhelfen. War Porcia zu unerfahren? Widersprach es römischer Sitte? Sie trafen sich im Küchengarten des ehemaligen Siegelschneideranwesens. Porcias Dienerin hielt sich schicklich seitab. Mit grimmiger Miene betrachtete Maharbal die junge Römerin und den Sklaven. „Verehrte Dame! Ich bin wohl zu weich", begann Spendios von Cirta. „Mein Sklave Cajus wollte dich unbedingt sehen, wenn möglich, mit dir sprechen. Zwar hat er nichts zu wollen, aber bei soviel Jammern ... Deshalb sandte ich nach dir." In den Augen des Mädchens lag eine stumme Frage. Der Punier verstand. „Ein Mann - ein Wort. Aber das Schiff mit meinem Begleiter sticht übermorgen früh in See. Bis Numidien ist es weit, und die zur Seefahrt taugliche Spanne geht zur Neige.- Versteh mich, ich muß einen raschen Entschluß fordern." Nicht das war Porcias Sorge. Mädchenraub war ein häufiges Verbrechen. Konnte sie diesem Menschen trauen? „Wer bürgt, daß dein Wort gilt, Spendios von Cirta?" „Niemand. Wer könnte es?" Mit einer Geste forderte der Rothaarige sie auf, sich zu setzen, und nahm ebenfalls Platz. „Ich handle mit deinem Vater. Frage ihn! Auf dem Markt habe ich ein Dutzend Sklaven gekauft - du könntest prüfen, daß ich sie bar bezahlte. Ich habe dies Haus erworben, obwohl es mir schon leid tut. Glaubst du, ich werfe all das weg - für ein Mädchen von ..., von dreihundert Denar?" Ein Lächeln milderte die Worte. „Freilich sind das keine Beweise. Traue mir oder laß es bleiben!" Porcia nickte, halb überzeugt. „Mein Vater ist rachsüchtig. Weder dir noch mir würde er je vergeben. Es fiel mir schon schwer, von ihm ein mildes Urteil..." „Ach?" fragte Hannibal, jäh hellwach. „Deinetwegen also wird Cajus bloß verbannt? Naheliegend, freilich. Wie kam das?" Unschlüssig sah ihn das Mädchen an. Hatte sie etwas Verbotenes gesagt? „Anfangs wußte Vater nichts von uns. Dann besuchte ihn der alte Salvius. Er hat ihm davon erzählt - an dem Tag, als das ..., das Unglück geschah. Aber Cajus hat ihn nicht erstochen!" „Auch ich glaube das nicht. Oder meinst du, ich begünstige einen Mörder? Keine Gnade für so einen!" Er murmelte etwas. Vom Besuch des Siegelschneiders im Haus nebenan war auf dem Forum keine Rede gewesen. Warum auch? Den Prätor hätte es zu falschen Schlüssen bringen können. Sollte man der Sache nochmals nachgehen? Wozu? Am 19
Plan änderte es nichts. Oder doch? „Wie war das an jenem Nachmittag? Salyius besuchte euch ..., und weiter?" Porcia zupfte an ihrer Stola. Zu einem Fremden von dem gräßlichen Verdacht sprechen? Nie. Überdies war es unsinnig. Warum sollte Vater...? Aber weshalb hätte es Cajus tun sollen? „Ich hörte einen Schrei. - Nun ja, was geschieht nicht alles auf der Straße! Später erzählte mir Lyda - sie ist meine Dienerin -, daß der Siegelschneider tot an der Gartenpforte gefunden worden sei." Sie blickte ins Leere. „Abends rief Vater mickzu sich und erklärte mir zornig, daß er alles wisse. Daß ich übers Jahr in den niederen Plebejeradel heiraten werde. Und daß Cajus verhaftet sei und zweifellos zum Tode verurteilt werde. Du verstehst wohl, was ich empfand." Unwillkürlich nickte Hannibal - und tadelte sich sofort dafür. Sie war eine Römerin, die Tochter seines Todfeindes! „Ich antwortete dem Vater, daß ich ihm nicht glaube, weil alles Verleumdung und Lüge sei", fuhr sie leise fort. „Cajus ist der beste Mensch auf der Welt. So gut, so sanft. Er kann nicht morden! Aber Vater rief seinen Aufseher. Der Mann bestätigte, daß ..." „Seine Aussage kenne ich. - Übrigens sah ich dich beim Prozeß und ahnte gleich die Absprache. Wie sieht sie aus?" „Ich mußte Cajus helfen und drohte deshalb: Wenn er stirbt, töte ich mich. - Es gab eine schlimme Szene, doch zuletzt lenkte Vater ein. Geradezu grausam ist er nicht." Sie dachte an das glimmende Mißtrauen und verstummte. Hannibal durfte nicht sagen, was er wußte; er nickte nur. „Das Ergebnis kennst du; Verbannung." „Ich weiß. - Wenn du Cajus liebst", versetzte er kühl,*-„folge ihm - nach Cirta oder sonstwohin." Sie blickte ihn prüfend an. „Herr Spendios, ich will dir nicht mißtrauen aber darf ich dir trauen? Sicher weißt du, daß keine Römerin ihre Schande überleben darf." Hitze stieg ihm ins Gesicht. Mord galt es zu rächen, den Tod des Vaters und den noch furchtbareren des Onkels, was bedeutete da das Leben einer kleinen Römerin? Doch da war auch sein guter Name. Hannibal Barkas ein Schurke wie Porcius - unmöglich! „Glaubst du an unsere Götter, Mädchen? Gewiß nicht. Was sind mir Roms Götter? Kaum mehr. - Soll ich schwören? Worauf? Du meinst, ich will dich rauben? Nimm ein anderes Schiff. Nur, dorthin segelt man nicht alle Tage ab. Wenn dein Vater zuvor davon erfährt, wäre alles umsonst. - Maharbal!" Rasch trat der Krieger heran. „Du befiehlst?" „Maharbal ist meine rechte Hand, auch mein Leibwächter und noch mehr, und er ist unbedingt redlich. Hör zu, Maharbal, ich gebe mein Ehrenwort drein: Falls Porcia dich nicht bis ans Ziel begleiten will, setzt du sie frei im ersten Hafen ab." Wohlweislich verschwieg er, daß Reiseziel und erster Anlegehafen eins waren: Kleinkarthago. „Die Ewigen haben es gehört, wie ich es hörte", bestätigte der Kriegsmann, die Hand auf der Brust. „Dann mag es sein. Wann?" 20
Rasch rechnete Hannibal den Plan durch. „Kannst du morgen abend unbemerkt euer Haus verlassen?" Porcia nickte wortlos. „Belaste dich nicht mit Unnötigem, aber denk an die zweiundachtzig Denar für Cajus! Meinetwegen steck auch einen Dolch ein. -* Warte dort, wo die Via Salaria die Straße vom Circus trifft. Bald nach Sonnenuntergang kommt Maharbal dort vorbei. Er geleitet meine Einkäufe nach Ostia und wird dich mitnehmen." „Tricks wie ein Punier." „Wie ein Geschäftsmann", korrigierte Hannibal rasch. „Das Schiff segelt jedenfalls übermorgen früh ab, weil ... Mit dem Herbst kommt übles Wetter." Maharbal hob die Brauen. Ihr Schiff durfte keinesfalls in Ostia anlegen. Dort kannte man karthagische Kriegspenteren allzu genau. Doch er hatte verstanden. Ostia klang redlich, das winzige Numiciä roch meilenweit nach Schmuggel und Raub. „Wie du befiehlst, Herr." Eine Frage plagte ihn: Wie zog sich Hannibal aus der Klemme? Bisher hatte er nie sein Wort gebrochen - ein Grund für die Treue der Seinen. Aber wer den Vater haßte, sollte der dessen Tochter helfen? Als das Mädchen aufstand, erhob sich auch Hannibal. „Ich baue auf dein Schweigen", murmelte er. „Du bist nicht verheiratet?" „Es soll in ein, zwei Jahren geschehen." „Ich dachte mir das. Ahnst du, was ein Mädchen fürchtet, wenn es tut, was ich tun will? Die Familie verlassen - für eine ungewisse Zukunft? Ich fühle mich wie ein Gaukler auf dem Seil. Rechts wie links kein Halt, und stehenbleiben kann man nicht. So ist das, Herr Spendios von Cirta." Der Punier schlug die Augen nieder. „Ich sprach unbesonnen." „Auf Wiedersehen, Herr Maharbal. Leb wohl, Herr Spendios", sagte Porcia mit bleichem Besicht.
Damals: Der Mord „Was mich zu dir führt, ist nicht in wenigen Sätzen gesagt", sprudelte Sextus Salvius heraus. Porcius Cato sah ihm an, wie unwohl sich der Siegelschneider im pompösen Atrium fühlte. Gewiß ging es um Geld, worum sonst? Doch er verlieh nichts. Die Union P brachte größeren Gewinn. Aber einen Bürger kurzerhand hinauszuwerfen, das bescherte bösen Leumund. Klüger war, ihn gelassen anzuhören und den Kredit unter dem erstbesten Vorwand abzulehnen. Man kannte sich kaum. Lediglich den jungen Salvius hatte er bisweilen gesehen, wenn der nebenan in den Beeten hackte. „Ich höre dir aufmerksam zu", beteuerte Porcius. „Deine Schreibstube vervielfältigt Bücher nach Diktat. Möchtest du mehr Exemplare haben?" Eine dumme Frage, aber ebendarum interessant. In Catos mattem Blick 21
lebte Neugier auf. „Kann man zwei Bogen zugleich beschreiben?" „Nein. Trotzdem kenne ich ein Mittel, nach dem Diktat hundert Bogen zu bekommen, eventuell tausend. Weißt du, was das bedeutet?" Porcius stellte es sich bereits vor. Doch weshalb kam der Alte zu ihm? Vertraute Freunde waren sie nicht. Je besser ein Geschäft, desto weniger Teilhaber braucht es, lautete ein römisches Sprichwort. „Wenn du das fertigbringst, mußt du eine eigene Schreibstube gründen und mir Konkurrenz machen", -erwiderte er lächelnd, aber das Lauern in der Stimme war nicht zu überhören. „Ich zittre schon, weil ich statt jener Methode bloß vertrottelte Schreiber habe." „So einfach ist das nicht!" Salvius trank Apfelsaft. Auf dem Tisch stand auch Wein, doch bei solchem Anlaß mied er ihn. Man mußte jedes Wort abwägen. „So ein Geschäft braucht Geld. Ich habe es nicht und möchte keinen Kredit aufnehmen. Schulden erwürgen. Du bist wohlhabend ... Nein, winke nicht ab! Meine Idee und dein Silber - vereint kämen wir ans Ziel." „Vereint? Verehrter Nachbar, das ist mir zu unsicher. Wie sähe die Partnerschaft aus? Und was, wenn dein Plan nichts taugt? Mein Silber wäre weg, deine Blamage bald vergessen." Salvius schüttelte den Kopf. „Ich habe Beweise. Da!" Aus der Umhängetasche zog er ein Päckchen Papyrusstücke. Auf jedes war in gestochen klarer Schrift DIVIDE ET IMPERA geschrieben, „Teile und herrsche!", der römische Grundsatz. Cato drehte die Zettel hin und her. „Was beweisen sie?" „Sieh genau hin! Im V ist die Schriftlinie unterbrochen, als ob ein Haar auf dem Papyrus gelegen hätte. Eine Unachtsamkeit des Schreibers? Auf sämtlichen Proben dieselbe?" „Gut." Der Hausherr lächelte vage, weil ihm keine Erklärung einfiel. „Exakte Kopien, zugegeben. - Wie aber wirkt dabei deine ... Erfindung?" Salvius hob die Hände. „Ich kann davon doch nicht so ... offen sprechen! Jedes hat seinen Preis, auch das da." Seine Nervosität klang ab; immerhin redeten sie jetzt von Dingen, in denen er sich auskannte. Porcius hatte längst begriffen. Wenn das kein Trick war - und dafür sprach wenig -, konnte er rasch sämtliche Buchhandlungen niederkonkurrieren und das Privileg zur Publikation der Senatsbeschlüsse erwerben. Ein unaufhörliches Geschäft. Jeden Text verhundertfachen - welche Vision! Dieses Verfahren mußte er nutzen, und zwar allein! „Was forderst du?" „Fünftausend Denar bar auf die Hand. Dazu ..." „Verdammt viel!" „Dazu ein Viertel des Gewinns aus der neuen Schreibstube. Heute vormittag habe ich überschlagen, daß sich dein Einsatz binnen zweier Jahre ausgeglichen hätte." Viel eher! dachte Porcius, sagte aber: «„Die Summe ist zu hoch. Indiskutabel." „Es steht bei dir, sie nur Mitgift zu nennen." Salvius legte den Wunsch seines Sohnes in der gehörigen Form dar. Cato wechselte die Farbe und zwang sich zu schweigen. „Ich mußte einfach ein Wunder vollbringen. Wie habe ich gegrübelt! Erst der Zufallsblick auf zwei Siegelringe ... Doch das nebenbei. - Was darf ich . ~
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Cajus ausrichten? Nimmst du das Angebot an?" „Ich kaufe trotz der horrenden Summe. Über das andere denke ich nach", beschied ihn der Hausherr. „Meine Frau müßte einverstanden sein ... Auch Porcia selbst wäre zu fragen - wohl eine Formsache. - Herr Partner in spe, setzen wir fürs erste einen Vertrag auf, damit alles seine Ordnung erhält." Er klatschte in die Hände und flüsterte dem hereinstürzenden Sklaven Anweisungen zu. Wenig später stand ein Schreibzeug vor ihnen: Fäßchen für schwarze und rote Tinte, Gänsefedern, eine Kerze und Siegelwachsstangen in einer kunstgeschmiedeten Silberfassung. Allein die Pergamentbögen kosteten einen nennenswerten Betrag, Salvius kannte die Preise. Der Text wurde geschrieben, gelesen und kopiert. Als erster siegelte Porcius Cato. Aufatmend tat der Gast ein gleiches. „Nimm dein Exemplar, mein Freund ..., und erzähle!" Sextus Salvius begann mit der Episode von den beiden Ringen. „... Da kam mir ein bizarrer Gedanke ein. Aus zwei Teilen waren Wörter geworden. Man hätte ebensogut drei Teile nehmen können - oder gar für jeden Buchstaben einen Stein. Abends, beim Einschlafen, sah ich es förmlich vor mir." „Ich beginne zu begreifen", sagte der andere, und Achtung vor diesem Mann überkam ihn - eine Augenblicksreaktion. „Ein Siegelschneider versteht zu gravieren. Ich fertigte sämtliche Buchstaben des Alphabets an und versuchte so zu schreiben. Wie dumm aber, jedes Zeichen neu zu machen! Ich kaufte Blei und goß die Lettern kurzerhand nach. - Da!" Er schüttete graue Würfel auf den Tisch. Mit schlecht verborgener Hast griff der Hausherr nach einem davon. Auf der Stirnfläche war ein geschwärztes V ausgeprägt - in der Tat, von einer Haarspur durchzogen. Ein Gußfehler! Er mußte sich in jedem Abdruck zeigen. So simpel war die Erklärung. - Die Bohrung im Blei? Aber ja! Man fädelte die Lettern wie Perlen auf und fügte sie zusammen. „Grandios!" „Alle Zeilen werden ordentlich zwischen Brettchen gepackt. Das habe ich ausprobiert. Dann streichst du mit dem Pinsel eingedickte Tinte darüber und preßt den Papyrus darauf. Nach dieser Probe tauschst du falsche Buchstaben aus - und dann geht es ernstlich los. Hinterher nimmt man alles auseinander und verwendet die Zeichen anders ... oder bewahrt den druckfertigen Text wie ein Manuskript auf." „Geradezu sensationell!" urteilte Cato neidisch. „Bald wird ein Buch kaum einen Denar kosten." „Papyrus und Pergament sind teuer. - Du findest aber viel mehr Leser. Wer kann sich heute ein Buch kaufen!" „Ich habe schon verstanden." Porcius erhob sich. Drei Freigelassene lauerten auf seinen Wink. „Gleich morgen beginne ich, kaufe Blei und das andere Material. Aber - vorerst muß das absolut geheim bleiben. Die Konkurrenz kommt uns sonst zuvor." „Sei unbesorgt", versicherte Salvius - erleichtert, daß sich alles so gut anließ. „Niemand weiß etwas." „Ausgezeichnet." Porcius schnippte mit den Fingern. Ein Diener stürzte sich von hinten auf den Siegelschneider und hielt ihm 23
den Mund zu, ein zweiter stach mehrmals zu. Zuckend erschlaffte der magere Körper. „Durchsucht den Kerl!" Mit spitzen Fingern nahm der Hausherr den Vertrag wieder an sich. Er hielt beide Exemplare über die Kerze. Das Pergament glomm auf und qualmte. „Puh! In den Heizkeller damit und sofort verbrennen!" ordnete Porcius hustend an. „Den Toten schafft derweil in den Nachbargarten. Ich komme nach. Methode wie gehabt: Jemand schreit - Cajus kommt her, und wir überraschen ihn am Tatort." „Sehr wohl, Herr. Was wird aus diesem Zeug hier?" „Das Blei einschmelzen, das übrige mit ins Feuer! Einer von euch wischt die Blutspritzer auf - du! Ich bitte mir Sorgfalt aus. Beeilt euch!" Während sich die drei entfernten, kalkulierte Porcius noch einmal. Der Mitwisser war beseitigt. Und die Erfindung? Genial, aber es hieß, weiterzudenken. Nutze ich sie? Auch andere haben Verstand. Man wird die Methode erraten und dann gegen mich verwenden. - Überhaupt sollten nur wenige Menschen lesen und schreiben können. Dumme gehorchen williger. Porcius atmete tief durch. Niemand wird diese Erfindung zu sehen bekommen. Und den jungen Cajus bin ich ebenfalls los. Verdammter Bengel! Porcius ging in den Garten zum makabren Schauspiel.
Tödliche List An jedem klaren Abend stand Hannibal hier auf einem Vorsprung des Aventins, unterhalb der Bastionen, wo man gen Westen sehen konnte - heimwärts. Eben war die Sonne hinter dem Hügel am Fluß verschwunden. Noch leuchtete es goldrot über den Höhen, die das Meer verbargen, aber zusehends verblaßte die Lichtwolke. Unten bog die Via Salaria um den Aventin, verlief ein paar hundert Schritte zwischen dem Hang und dem Tiber und endete zunächst am Stadttor. Kleine Händler, Schiffer und Fischer wohnten hier außerhalb der Mauern. Heute sah er all das zum letztenmal. Drüben riegelte die Wache hinter den hinausstapfenden Sklaven das Stadttor zu. Der Leiterwagen wartete draußen, und Maharbal ließ aufsteigen. - Kam er allein zurecht? Hätte man ein paar Matrosen zur Hilfe mitbringen sollen? Eine müßige Frage - jetzt. Alles war bedacht. Taurus kutschierte, dankbar für den Kauf der Seinen; neben ihm saß Maharbal auf dem Bock, gerüstet wie zur Feldschlacht. Hinten kauerten ein Dutzend Männer, ein paar Frauen und Kinder. Kettenschleifen hinderten die Ungebärdigen an Flucht oder Angriff. Hannibal verließ seinen Platz und kletterte hinab. Kam Porcia? Denn sonst... Niemand stand am Treffpunkt. „Herr Spendios!" Abseits, auf einem Steinhaufen, hockten zwei Frauen. Zwei? Zögernd trat er näher. „Aber ... wieso zwei?" 24
„Das ist Lyda. Gegen sie ist doch nichts einzuwenden, oder?" „Allerdings nicht. Ah, sie kommen!" Hufe klapperten, Räder knarrten. Aus dem Schatten schälten sich zwei struppige Pferde und ein großrädriger Wagen. „Cajus?" fragte Porcia unsicher. Der Junge sprang vom Wagen. „Du bist da?" rief er. Maharbal salutierte flüchtig. „Alles bestens. Taurus kommt mit den Gäulen zu Rande. Wir sind morgens am Ziel." „Will ich hoffen. - Cajus, hilf der Dame. Ihr da, macht Platz!" Tuschelnd rückten die Sklaven beiseite. Da war keiner, der nicht staunte. Eine Frau auf diesem Karren? Nachts nach Ostia? „Ich wiederhole, Maharbal: Sobald Porcia auf dem Schiff ist, wird sie den Bengel bezahlen. Du hast den Freibrief. Laß ihn vom Kapitän gegenzeichnen, damit Cajus als freier Mann fährt. Gute Reise! - Jetzt los, Taurus!" Der Wagen ruckte an und verschwand zwischen den Vorstadthäusern. Mittlerweile war es vollends Nacht, und der halbe Mond stand klar und hoch über den Albaner Bergen. Es hieß warten. Noch waren viele Leute wach, außerdem würden Reiter den Wagen rasch einholen. Also schlenderte Hannibal zurück und inspizierte das erworbene Haus erneut. Nichts Verräterisches durfte bleiben. Erfuhr der Senat, daß Hannibal Barkas für Vater und Onkel Rache geübt hatte, drohte eine Krise. Viele Große in Karthago mißtrauten den Barkiden in Hispanien. Eine römische Auslieferungsforderung träfe manches offene Ohr. 25
Mochten sie ganz Cirta nach einem gewissen Spendios umwühlen! Was sagte die Wasseruhr in der Ecke? Eine Stunde vorbei? Sie mußte genügen. „Götter der Rache, steht mir jetzt bei!" Lag das Nötige in der Gürteltasche? Ja. - Hannibal schnallte das Schwert um und verließ das Haus. Im Garten weidete das um einen bescheidenen Preis gekaufte Pferd. Er führte es hinaus und vor das Nachbargrundstück. „He!" Er trommelte gegen den Fensterladen des Wachhäuschens. „Du da, komm raus!" Es polterte, dann öffnete sich die Luke. Ein kurzgeschorener Kopf erschien. „Wer ruft? Was ist geschehen?" „Erkennst du mich nicht? Schlimmes ist geschehen. Ich muß deinen Herrn sprechen. Sofort! Es ist ungeheuer wichtig." „Was...? Ich gehe, ich hole ihn." Ob vor Schreck oder aus Müdigkeit, der Pförtner lief taumelig ins Haus. Von irgendwo kam der Aufseher gerannt, öffnete und grüßte verdutzt den unerwarteten Besucher. Minuten später erschien Marcus Porcius, nur in der Tunika. „Du, Herr Spendios?" Er blinzelte verschlafen. „Ich. Eben ist mein Sklave Cajus Salvius geflohen. Ich sah ihn auf einen Wagen steigen. Da saß schon jemand - wohl eine Frau, möglicherweise zwei. Erkennen konnte ich sie zwar nicht, aber ich fürchte ... Ist deine Tochter daheim?" „Was erlaubst du dir!" Cato winkte dem Aufseher. „Eins von den Mädchen soll in Porcias Schlafzimmer sehen. - Du willst mich anscheinend beleidigen." „Das mögen die Götter verhüten!" Hannibal tätschelte sein Pferd, die hektischen Gesten des Pförtners ließen es tänzeln. „Ich will hinter ihm her. Aber falls er mit deiner Tochter geflüchtet ist ... Eine Römerin - und ich als Landfremder?" „Benachrichtige die Ädilen und den Prätor ... Nun, Leute?" Diesmal stürmte ein Trio aus dem Haus: nach dem Aufseher eine Sklavin, zuletzt Aulus Porcius. „Sie ist fort! Auch Lyda!" „Beim Orkus! Ein Pferd für mich, rasch! Spendios, verzeih mein Mißtrauen - ich begleite dich." „Darf auch ich...?" „Du bleibst, Aulus. Zwei Schwerter her ... Ach, Spendios hat schon eines ... Lauft gefälligst und holt mein Schwert, Faulenzer!" Wie minutiös kann ein Plan Wirklichkeit werden! dachte Hannibal. Malt man sich die Situation aus und bedenkt man alle Einflüsse, so läßt sich jedes Detail voraussagen. Der Aufseher kam mit dem Schwert. Ein Bursche brachte ein Pferd. Cato sprang in den Sattel. „Welchen Weg?" „Flußabwärts. Du kennst das Land besser als ich." Anfangs ritten sie vorsichtig, auf der Via Salaria aber trieben sie die Tiere zu leichtem Galopp an. „Wir sind schneller als ein Fuhrwerk!" rief Porcius. „Wir kriegen sie." 26
Sie verließen die Außenbezirke. Der Mond erhellte die gut gepflasterte Straße leidlich, und vom wolkenlosen Nachthimmel fiel mattes Sternenlicht. Hannibal mäßigte das Tempo. „Jetzt mußt du führen. Zwei Pferde vor einem vierrädrigen Karren, darauf Spriegel, aber keine Plane." „Scharf beobachtet." „Das lernt man daheim. Unsere Karawanen ziehen durch Gebiete voller Räuber. Man gibt aufs erste Anzeichen acht. Darum." „Etwas anderes: Herr Spendios, rede bitte mit niemand darüber! Daß sie mit... so einem davonlief! Welche Schande!" „Mein Wort darauf. Was willst du mit ihr tun, wenn wir sie greifen? Mit Salvius mache ich kurzen Prozeß." „Recht so. - Vielleicht... Nein, ich weiß noch nicht." Hannibal brummte. Mit einemmal schien ihm sein Plan schmutzig. Aber diese Anwandlung schwand bald. Vor ihnen führte eine Steinbrücke über einen von Büschen gesäumten Bach. Nachts schien das Tal ein breiter schwarzer Strom zu sein. Dahinter gabelte sich die Straße. Links zweigte die schmale Via Laurentina ab; daß Maharbal sie statt der Straße am Tiber gewählt hatte, darin bestand die List. Wie erwartet, wandte sich Porcius nach rechts, zum Tiber hin. Hannibal atmete auf. Trotzdem durfte er jetzt keine Zeit vergeuden. Eine Meile weiter lag ein Dorf. Dort war bestimmt jemand wach. Höchst unangenehm, wenn gar irgendwelche Helfer gemietet würden. Links drängten wieder Höhen heran, rechts floß nahe der Tiber. Hatte Hannibal sich die Karte richtig gemerkt? Dahinter ... Die Böschung wurde flacher, ein grasbewachsener Hang lag vor ihnen. Oben standen Bäume. Das war es! Hannibal stachelte sein Pferd an, gelangte auf gleiche Höhe mit dem Römer und riß ihn aus dem Sattel. Mit einem Schrei polterte Porcius zu Boden. Der Verblüffte raffte sich auf und griff zur Waffe. „Was soll das, Spendios? Was hast du ...?" Die Klingen prallten aufeinander, klangen schrill durch die Nacht. Cato war ein guter, aber ungeübter Fechter, doch er mußte sich auf die Abwehr beschränken. Bald verwundet, wankte er zurück - da hieb ihm Hannibal das Schwert aus der Hand. „Vorwärts, dahinauf!" „Warum? Was ist los? Was willst du überhaupt?" „Gehst du, oder soll ich nachhelfen?" Cato gehorchte. Blut floß ihm von Schulter und Hüfte. Der Pfad war eine Qual für ihn. Doch irgendwann erreichten sie den Waldsaum. Mit einem Tritt stieß Hannibal den Römer um und band ihm Hände und Füße. Dann untersuchte er die Bäume in der Nähe und wählte eine fußdicke Buche. Er nestelte Riemen und ein Seil vom Gürtel und wandte sich seinem Gefangenen zu. „Warum, Marcus Porcius Cato? Hast du meinen Onkel vergessen? Du hast ihn bei Caralis grausam töten lassen. Seinen Namen trage ich, sein Leben fordere ich von dir!" „Caralis? Onkel? Wovon redest du?" 27
„Er hieß ... Hannibal." Das sprach er in reinem Punisch. Porcius kannte diese Sprache, doch er verstand nicht... Dann, jäh wie ein Blitz, traf ihn die Erkenntnis. Er bäumte sich in den Fesseln auf. „Du bist... Hannibal Barkas?" „Der bin ich. Auch meinen Vater Hamilkar hast du auf dem Gewissen, und wer weiß, wie viele außer ihm." „Ich ... Der Senat... Hilfe! Hil..." Ein Knebel fuhr ihm in den Mund. „Ein Schurke verdient kein ehrliches Schwert. Verrecken sollst du und dabei deiner Taten gedenken! - Geister meiner Ahnen, euch weihe ich den Mörder! Bezeuge es mir, Mond!" Er warf das Seil über eine Astgabel der Buche. Dann zerrte er den Gebundenen heran, knüpfte Knoten unter dessen Achseln und hievte ihn hinauf. Daheim hatte er das hundertmal geübt, für wie sinnlos der mißmutige Schwager es auch erklärte. Immerhin hatte Hasdrubal die Reise nicht verboten. Cato sträubte sich; doch hilflos mußte er dulden, daß die Beine, der Leib und zuletzt die ausgebreiteten Arme an Stamm und Ästen festgebunden wurden. Mit dem Dolch fetzte Hannibal ihm die Tunika vom Leib. Nackt hing ein Verurteilter am Kreuz, preisgegeben und geschändet. Nun wand sich Porcius bloß noch. „Sieh!" Hannibal zeigte ihm vier furchtbar lange Nägel. „Den für meinen Vater, den für den Oheim - und die zwei für all die anderen. Mögen selbst die Götter dich anspeien!" Bitten, flehen, schreien! Der Knebel verwehrte es. Etwas tun! Doch schon 28
durchfuhr ein scharfer Schmerz den Römer und löschte alles Denken aus. Der Körper hing in den Fesseln. Hannibal hieb den Nagel durch die Handwurzel tief ins Holz. Der Ohnmächtige spürte nicht, wie der andere Arm angenagelt wurde und daß auch zwei große Krampnägel die Fußgelenke anhefteten. Zuletzt zerschnitt der Punier die Riemen. „Martert ihn, ihr Nägel!" Endlose Stunden lang würde Porcius Cato, wenn er wieder zu Bewußtsein gelangte, unter gräßlichen Schmerzen hängen, würde vergeblich die Götter und die Menschen um Beistand, um einen Trunk Wasser und um einen schnellen Tod anflehen. Um ein übriges zu tun, nagelte Hannibal ein Pergament an: Mörder und Meineidiger. Keiner würde so einem helfen. Falls überhaupt jemand heraufkletterte ... Den Knebel zog Hannibal dem Gerichteten dennoch nicht aus dem Mund. Das Weitere würde einfach sein. Die Pferde einfangen - zurückreiten, dann auf die Via Laurentina. Den Sklavenkarren überholen und nur einen Wink wechseln. Am fünfzehnten Meilenstein wartete ein Späher. Der Mann sollte erst ihn und später Maharbal und die anderen nach dem versteckten Lagunenhafen von Numiciä geleiten. Heute nacht ankerte dort die Familienpentere „Barak". „Onkel, Vater - seht die Rache!" Ein Windzug rauschte heran, ein gutes Omen.
Auf See Ein Schaukeln weckte Cajus. Wo ...? Ach ja! Nachts noch waren sie an Bord gegangen, müde und zerstoßen von der Fahrt. Daß das Schiff nicht an einer Kaimauer lag, sondern halb auf den Strand gezogen war, hatte sie kaum verwundert. Der Segler war eben in einen Winkel eingewiesen worden. Fischer wohnten hier; man roch, was man nicht sah. Maharbal hatte mit einem alten Mann gesprochen. Der winkte, ihm zu folgen. „Der Kaufpreis ..." „Morgen, Mädchen. Jetzt sieht doch keine Eule was!" hatte„der Alte gemurrt, ihnen die Kammer zugewiesen und sich entfernt. Zwei Dutzend Meilen im Karren hatten die beiden trotz des Lärms der Matrosen, des Polterns und Knarrens und des ungewohnten Geruchs von Salz und Teer einschlummern und die quälenden Sorgen erst einmal vergessen lassen. Jetzt sprang Cajus aus der Netzkoje. „Porcia, wir fahren!" Auch sie starrte erschrocken ringsum. Der Raum war kaum mehr als ein Verschlag. Durch eine Luke sahen sie Wellen, den Himmel und zwischen beidem einen grüngefleckten weißen Strich. Die Küste? Schon so weit entfernt? 29
„Kommst du mit an Deck?" „Aber ja. - Warte du hier, Lyda!" Sie gingen an fünf Türen vorbei. Rufe erklangen irgendwoher, Befehle in fremder Sprache und rhythmisches Klopfen. Ein Leinenvorhang verschloß den Gang. Sie zogen ihn beiseite ... Geblendet blieben sie stehen. In klarem Azur wölbte sich der Himmel über ihnen, blaugrün dehnte sich das Wasser bis zum Horizont. Links hinter ihnen stieg die Sonne aus einem zweiten Meer von Wald und Hügeln. Gebäude schimmerten gelb und ziegelrot. Der helle Strich war eine Dünenkette, die die Lagune von der See schied. Das Schiff glitt auf eine Durchfahrt am Südende zu, einigen Fischerbooten hinterher. Noch hatte man kein Segel gesetzt: Unter sich hörten sie das Pompompom der Takttrommel; aber das sauber gescheuerte Verdeck verwehrte den Blick auf die Ruderer. Die Holzgerüste! Cajus stutzte. Das waren Katapulte. Da lagen auch Steinkugeln, jede wohl fünfzig Pfund schwer. Keine Ladeluke? Der junge Siegelschneider staunte. Wie verstaut man die Fracht? Ist das Schiff nicht auch allzu schmal? Römische Bauart ist das keinesfalls. - Dazu in Friedenszeiten so bestückt? Wohl wegen der Piraten. Die Decksleute tragen ja eßenfalls sämtlich Waffen. Das Tor der Lagune näherte sich. Hinter ihnen rief jemand etwas, das Schiff drehte scharf ab und schoß ins Freie. Warum schwenkten die Männer die Katapulte zum Kastell hin? Bestimmt zur Übung, denn nun entspannten sie sie. Man war auf dem Meer. Abermals wurde de~r Kurs geändert, mehr nach Süden, doch weg von der Küste. Die Seeleute rannten zum Mast und hievten die große Rahe. Gleich füllte die Nordwestbrise das rostfarbene Segel. Unter Deck verstummte das Klopfen, schurrend und polternd wurden die Ruder eingezogen. Ein Matrose knüpfte ein Tuch an ein Tau und hißte es bis zum Topp. Der Wind entfaltete die Fahne: Rot war sie mit einem goldgelben Blitz darin. „Das Wappen des Eigners", sagte Cajus. „Sie jubeln, weil sie heimfahren." „Heim. - Gehen wir zum Kapitän, damit... Bei der Vesta!" Auch der junge Salvius starrte offenen Mundes auf den, der eben die Treppe von der Kommandobrücke herabpolterte, wie die anderen ein Schwert am Gurt: der rothaarige Spendios. Er trat auf die beiden zu. Ein kalter Blick traf sie. „Herr Spendios? Ich glaubte dich in Rom!" rief Porcia. Dem Rothaarigen folgte der alte Kapitän, in verblichenes Leinen und salzverkrustetes Leder gekleidet, eine breitkrempige Mütze auf dem Kopf; an einer Goldkette hing eine beinerne Pfeife. Zuletzt gesellte sich Maharbal zur kleinen Gruppe. „Wenn es mir erlaubt ist... Auch ich ... Meinen tiefen Dank, Herr Spendios", stammelte Cajus, ratlos wegen der drohenden Miene. Niemand antwortete. „Herr Spendios..." „Spendios, Spendios - ich bin nicht Spendios! Da, die Fahne! Nenne mich, 30
wie ich heiße! Hannibal Barkas, Sohn Hamilkars, Neffe Hannibals. Beide ließ dein Vater ermorden, Mädchen!" Ein Blitz, der in dieser Sekunde die Pentere zersplittert hätte, würde Porcia weniger überrascht haben. Der Name! Kreideweiß verkrampfte sie die Hände. Zu oft war daheim von den Barkiden gesprochen worden. Ihr Vater haßte und ... fürchtete sie. - Was hatte Spendios-Hannibal gesagt? Mord? Lüge! Es mußte Lüge sein. Oder ... Oder verbarg sich das hinter Vaters seltsamen Reisen und seinen absonderlichen Besuchern? Wenn ja ... Sie war in seiner Gewalt. Existierte noch der Schatten einer Chance? Gnade für die Tochter des Todfeindes? Maharbal belauerte jede Regung. Er sah den verborgenen Dolch. Durfte es zu einem Verzweiflungsakt kommen? Zwar wäre es ihre Tat, aber die Ehre der Barkiden stand auf dem ungeschriebenen Vertrag. Weil Hannibal so drohend blickte, brach der Krieger das Schweigen: „Du hast dein Wort verpfändet, daß Porcia ungekränkt..." „Das ist allerdings wahr." Das Mädchen atmete laut. „Rechtens und billig wäre, die Seinen dafür zahlen zu lassen. Aber ich bin nicht wie dieser Elende. Ich werde meinen Rachedurst zügeln." Ein Schweigen gebietender Blick streifte Maharbal. Dann wandte sich Hannibal an Porcia und Cajus. „Mir genügt ein Brief, den ihr zwei siegelt. Darin wird stehen, daß ich dich meinem geringsten Sklaven gegeben habe." Ein grausames Lächeln zuckte um seine Lippen. „Daß jener Sklave Cajus Salvius heißt, schreibe ich nicht. Mag deine Sippe um dich bangen! - Mein Wort gilt: In Kleinkarthago seid ihr frei. Die Denare für den Bengel... Pah!" „Gnädiger Herr ...", stammelte Cajus. „Schweig! - Kreuzt nie mehr meinen Weg! Ein andermal könnte mein Haß auf jeden Porcier stärker sein als mein Ehrgefühl. Das wäre euer Tod. Kein leichter Tod. - Ruft Sosylos!" Er sah Porcia an. „Du weißt, dir bleibt keine Wahl. Und danke mir, daß du jiicht für deinen Vater büßt." Sie antwortete nicht. „Kapitän, zeichne den Freibrief ab! - Unser Kurs ist klar?" „Ist klar. Sardinien bei Caralis umfahren, dann direkt auf Kleinkarthago. Aber ich rechne mit Sturm, und eine Pentere ist ein lausiger Hochseesegler." „Wir haben doch die unteren Ruderluken verbolzt." „Ohne das wäre die ,Barak' längst bei den Meeresgöttern. Kann sein, wir müssen in Sardinien gut Wetter abwarten." „Bloß nicht! Obwohl es mir lieb wäre, wenn ich Zeit fände, dies blödsinnige Rot aus den Haaren zu waschen. - Sosylos!" Ein schmächtiger, vom Sonnenbrand gequälter Mann trat vor. Fast gleichgültig diktierte Hannibal den Brief. „Reinschrift in dreifacher Ausfertigung: eine für die Porcier, eine für mich, die letzte kann als Eheurkunde gelten. Laß den Text siegeln. Die beiden haben ja so schöne Ringe!" Finster schaute er nochmals auf die jungen Leute, dann winkte er Maharbal mit sich. Hannibals Kajüte war die geräumigste des Schiffs und bequem eingerichtet. „Setz dich! Gut, wie du mich an mein Wort gemahnt hast. Keine Angst, 31
ich hatte es nicht vergessen, aber alles mußte echt aussehen. Danke. - Doch du hättest fast von Catos Tod gesprochen. Den hat es nicht gegeben, verstehst du? Für sie lebt er. Klar?" „Ja, schon. Aber wozu?" „Wegen ihrer Brüder. Wenn Aulus den Vater begleitet hätte, gäbe es nun nur noch den jungen Marcus; doch der Erbsohn blieb daheim, und ich bin es zufrieden. Man wird nachforschen. Darum der Brief. Vorhin habe ich einen Teil diktiert. Dir ist gewiß aufgefallen, daß mein Name darin nicht vorkam. Nein? Vom zweiten Teil soll Porcia nie eine Silbe lesen. Er wird etwa lauten: Die Rache eines Sarden hat Porcius Cato ereilt. Er und Porcia sind in meiner Gewalt. Jede Verfolgung trifft zuerst sie. Betet, daß mein Haß abklingen möge! Die Formulierungen müssen noch gefeilt werden. - Du begreifst? Porcia glaubt ihren Vater daheim, die anderen vermuten ihn in Sardinien. Das verlangt, daß du schweigst." „Und der Salvius?" „Nutzlos. Sein Vater dagegen ... Ich wüßte zu gern, was er Porcius angeboten hat. Lassen wir das. Mein Schwager mag den Bengel ins Landesinnere abschieben, nach Castulo oder Bäcula. Zurück können sie niemals. Schon wegen des Briefs nicht." Maharbal kratzte sich den Kopf. „Und wie weiter?" „Du weißt es. Aus gekauften und entlaufenen Sklaven bilde ich ein Heer. Fürs erste werden sie meine Garde stellen, sobald mir mein Schwager ein Militärkommando gibt. Söldner mögen mich bei Schlappen verlassen, doch diese Romhasser niemals." Wie gern würden ihm die mißtrauischen punischen Großen in den Rükken fallen. Er brauchte eine treue Armee. „Weil es noch nie ein Sklavenheer gab, muß man das alles erproben. Dazu brauche ich dich und manchen anderen." Maharbal überschaute nicht alle Züge des Spiels. Er stellte das Nächstliegende fest. „Also Krieg gegen Rom. Revanche." „Nicht so! Ich rechne wie mein Vater: Die Römer werden uns eines nahen Tages angreifen. Wir sind zu reich! Sind wir gewappnet, werfen wir ihnen den Krieg sofort ins eigene Land^" „Und wenn Rom das gleiche vorhat? Wenn Porcius womöglich längst dabei war - wie schon einmal in Sardinien?" Hannibal sprang auf. „Pest und ... Warten wir's ab." „Herr, das hätten wir herausbekommen müssen. Die Rache an Porcius Cato ... Sie mußte sein, doch dermaßen wichtig war sie nicht. - Verzeih, wenn ich das so sage." Hannibal lehnte sich stumm aus dem Kajütenfenster und starrte ins schäumende Kielwasser. Hoch stand die Sonne am Osthimmel über der zakkigen Kette der Apenninen, aber blutroter Dunst sammelte sich über dem latinischen Land.
Peter Abraham
Kaspar oder Das Hemd des Gerechten 2. Auflage • Illustriert von Burckhard Labowski 256 Seiten • Pappband mit Schutzumschlag 6,30 M
Was wäre, wenn die Hauptgestalt eines Buches, das Sie kennen, plötzlich lebendig werden würde und in Ihr Alltagsleben eingriffe? Dem Schriftsteller Wenzel Ploch in Peter Abrahams Geschichte widerfährt ebendas, noch dazu von einer Figur, die er selbst geschaffen hat. Kaspar, so heißt das Phantom, angetan mit dem roten Kattunhemd des Gerechten - dies eine Erinnerung an Wenzel Plochs Jugendzeit sucht rigoros, Gerechtigkeit zu stiften. Er greift auf naiv-verblüffende Art in das Alltagsleben ein, organisiert einen Hut für einen Schneemann, regelt den Berufsverkehr, bricht alle Normen beim Verladen von Kohle, kümmert sich um des Schriftstellers Geliebte ... Leidenschaften außer der Gerechtigkeit kennt er nicht. Da ändert sein geistiger Vater das Manuskript und verleiht ihm Leidenschaften. Doch er ist nun noch viel abstrakter gerecht, und alle Sympathien seiner Mitmenschen „entfliegen" ihm. Aber die Eskapaden der Figur bewirken auch Gutes: Der Schriftsteller Wenzel Ploch wird angeregt, über seinen bisherigen Lebensweg nachzusinnen. Schweriner Volkszeitung
Verlag Neues Leben Berlin