© 2004 CORA Verlag GmbH & Co. KG
Happy End zum Fest der Liebe von Janet Tronstad
Zach Lucas, berühmter Sportler und überzeugter Single, macht sich überhaupt nichts aus Weihnachten. Stattdessen plant er, nach Las Vegas zu fahren, um dort die Feiertage alles andere als besinnlich zu verbringen. Doch ein Zwischenfall zwingt ihn dazu, unterwegs in einem kleinen, abgelegenen Ort in den Bergen Halt zu machen...
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Kapitel 1 Zach Lucas stand auf einer verwitterten alten Veranda in der Kleinstadt Deep Gulch in Montana. Sein Gesicht verfinsterte sich, als er in den zunehmend dunkler werdenden Himmel blickte. "Es wird schneien." Dr. Norris, der einzige Tierarzt am Ort, ließ gut gelaunt eine weitere Hand voll Zuckerstangen in die Posttasche gleiten, die sich Zach geschultert hatte. "Keine Sorge, Sie schaffen das schon. Das Postauto kommt selbst bei Schnee immer durch." Der Doc hatte mit Zach einen Handel abgeschlossen. Zach sollte an diesem Samstag die Weihnachtspost im Umland von Deep Gulch ausfahren, damit sich der Doc in der Zwischenzeit um Zachs krankes Pferd kümmern konnte. Der Tierarzt hatte den Postdienst für seine Schwester übernommen, die einen Tag vor Heiligabend noch ein paar dringende Besorgungen zu erledigen hatte. Die Sache war bis auf einen kleinen Haken perfekt, der Zach das Ganze verleidete. Wäre er nicht wegen seines Pferdes ernsthaft besorgt gewesen, hätte Zach niemals eingewilligt. Er hatte nichts dagegen, die Post zuzustellen. Das war für ihn kein Problem. Aber die Post so zuzustellen, wie es die Schwester des Tierarztes wollte, passte ihm so gar nicht: Ihrem Wunsch entsprechend sollte die letzte Postlieferung vor Weihnachten den Eindruck erwecken, dass der Weihnachtsmann die Briefe höchstpersönlich brachte. Zach zog sich seinen Stetson tiefer in die Stirn. Er kannte niemanden in dieser seltsamen Stadt, wo er nur zufällig Zwischenstation machte und die er nie wiedersehen würde. Trotzdem hoffte er, dass ihn jetzt niemand auf der Veranda des Tierarztes stehen sah. Er war Zach "Lightning" Lucas und hatte einen Ruf zu verteidigen, zu dem ein dick gefüttertes, flauschig rotes Kostüm mit schwarzem Plastikgürtel überhaupt nicht passte. Es war schon schlimm genug, dass an dem Postwagen mit Allradantrieb ein Rentiergeweih aus Plastik an der Kühlerhaube befestigt war und ein Mistelgesteck von der Antenne baumelte. Zach hätte das Weihnachtszeug nicht auch noch am ganzen Körper tragen müssen. Er blickte missmutig, als die roten und grünen Lichter aufleuchteten, die von dem Rentiergeweih herabhingen. Die bunten Glühbirnen waren anscheinend durch eine Zeitschaltuhr gesteuert und doch nicht rein zur Verzierung gedacht, wie er zuerst geglaubt hatte. So ein Pech. Zach fragte sich, wie viel von diesem Weihnachtskitsch er noch ertragen konnte. Immerhin war er Zach "Lightning" Lucas. Er besaß mehr mit Goldplaketten verzierte Gürtelschnallen als andere Männer Krawatten. Er hatte Fans, die seinen Namen kannten. Seit er das Frühstücksmüsli der Firma Ranger empfahl, konnte er sie nicht mehr zählen. In Bäckereien und in Wasch-Centern erkannten ihn fremde Menschen. Er war um Himmels willen berühmt, schon deshalb stand ihm eine gewisse Würde zu. Leider scherte sich der Doc nicht um Zachs Würde. An allem war Weihnachten schuld. Nicht dass das Zach überraschte. Weihnachten hatte ihn seit Jahren gequält. Das ganze Aufheben um dieses Familienfest deprimierte ihn. Dabei hatte Zach nichts gegen Familien, er war nur nicht der richtige Mann dafür. Deshalb hatte er dieses Jahr einen Plan gefasst. Er war auf dem Weg nach Las Vegas. Dort wollte er Thunder auf einer Ranch in der Nähe der Stadt unterbringen, damit er sich ungestört ins Nachtleben stürzen konnte. Die Neonbeleuchtung und die Showgirls würden ihn die Feiertage vergessen lassen. Vor allem ein bestimmtes Showgirl, wenn er ihr Antwortschreiben richtig deutete. Er war gut vorangekommen, bis sein Pferd Fieber bekommen hatte. Zach schüttelte bei dem Gedanken besorgt den Kopf. "Sie haben die Karte?" Der ältere Mann klopfte auf seine Taschen, als ob sich das Blatt mit den Kreisstraßen noch dort befände und nicht längst an das Armaturenbrett des Postlasters geheftet wäre. "Ja, Sir." Die Winterluft war eisig. Aber Zach hatte keine Eile, in den geschmückten Postlaster zu steigen. Genauso gut hätte er in einem Narrenkarren herumfahren können. "Also, dann hole ich noch den Apfelkuchen, den meine Schwester für die Familie Collins gebacken hat." Dr. Norris verschwand kurz im Haus. Seine gedämpfte Stimme blieb jedoch vernehmbar. "Das wird Ihr letzter Halt sein. Die Kiste auf der Ladefläche ist auch für die Collins. Ihr Auto ist kaputt. Der Kühler. Deshalb hat Delores ein paar Dinge für sie besorgt." Der Doc kam mit dem in Folie verpackten Kuchen wieder. "So süße Kinder haben Sie noch nie gesehen." Zach nickte. Er hatte bereits alle Kinder der Erde kennen gelernt, die netten ebenso wie die bösen. Wenn er sie beim Rodeo verpasst hatte, dann traf er sie bei irgendwelchen Promotionaktionen für das beliebte Ranger-Müsli. Er beklagte sich nicht darüber, denn ihm waren die Kinder lieber als die
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meisten Erwachsenen. Der Doc lächelte Zach verschmitzt an. "Natürlich macht ein Blick auf die Mutter klar, warum sie so süß sind." Zach brummte. Die Mütter mochte er bei den Treffen mit Kindern am wenigsten. Selbst verheiratete Frauen schienen ihn stets verkuppeln zu wollen. Als ob mit einem Mann etwas nicht stimmte, wenn er das Leben in Hotelzimmern und das Sockenwaschen im Waschbecken einer Ehe vorzog. Der Doc schüttelte den Kopf. "Die arme Frau. Es ist ein Jammer ..." Er blickte Zach erwartungsvoll an. Doch Zach war nicht neugierig. Aber der Doc ließ sich dadurch nicht abhalten. "Jenny Collins ist Witwe. Aber keineswegs alt. Nein, Sir. Vor ein paar Monaten ist sie zu unser aller Überraschung hierher gezogen. Sie war mit Jeff Collins' Neffen verheiratet." Der Doc nickte, als ob Zach diesen Jeff gekannt hätte. "Jeff hat seinem Neffen Stephen das Land überlassen. Wir alle glaubten aber, dass er klug genug gewesen sei, es vor seinem Tod zu verkaufen. Das hat er aber nicht. Ich weiß nicht, was er sich dabei gedacht hat. Er hat sicher nicht erwartet, dass seine Witwe mit den beiden Kindern dorthin zieht. Was soll eine Frau aus der Stadt an einem solchen Ort auch schon anfangen?" Zach zuckte mit den Achseln. Er wollte nicht in die Probleme fremder Menschen involviert werden. Der Doc hatte anscheinend keine Hemmungen davor. "Delores meint, dass sich die Frau Zeitschriften über die Führung einer Farm besorgt hat!" Er schüttelte den Kopf. "Sie ist mutig, das muss man ihr lassen. Aber es ist kein Ort für sie und die Kinder. Selbst der alte Collins zog in den Wintermonaten in die Stadt. Zum Haus führt nicht einmal eine ordentliche Straße. Die Schlaglöcher sind meilentief, und sobald es einen Blizzard gibt, ist sie unpassierbar." Der Doc holte Atem, bevor er fortfuhr. "Delores fährt die Post immer direkt bis zum Haus. Aber beim nächsten ordentlichen Schnee werden sie eine Woche lang keine Post bekommen. Der Schneepflug des Kreises fährt nicht so weit hinaus. Die meisten Farmer, die weiter draußen wohnen, haben Schneepflüge für ihre Traktoren. Diese Frau hat dagegen nur ihr Auto. Schon wegen der Kleinen macht sich Delores Sorgen, dass das Auto nicht funktioniert." Zach wusste inzwischen, dass sich Delores um alles und jeden kümmerte. Der Doc hielt plötzlich inne und zwinkerte Zach zu. "Jenny Collins braucht einen Ehemann." Zach blickte den Doc überrascht an, bevor er sich den Hut noch tiefer ins Gesicht zog. "Sehen Sie mich nicht so an. Ich will nur, dass mein Pferd wieder gesund wird. Außerdem hört es sich für mich so an, als ob sie eher einen Traktor braucht als einen Mann." Der Doc zuckte mit den Achseln. "Ich bezweifle ohnehin, dass Sie eine Chance hätten. Max Daniel hat anscheinend vor, mit ihr auszugehen. Seine Ranch liegt nördlich der Stadt. Natürlich könnte ihm Tom Fox zuvorkommen. Eine gut aussehende Frau wie Jenny hat bei den Junggesellen hier freie Auswahl." Zach brummte. Seit er beim Rodeo Geld verdiente, hatte es Frauen gegeben, die ihn gern sesshaft gemacht hätten. Jedes Mal, wenn eine Frau anfing davon zu reden, wurde er nervös wie ein Kalb am Strick. Jeder halbwegs Vernünftige konnte sehen, dass sein Lebensstil nicht für eine eheliche Gemeinschaft geeignet war. Dabei mochte er Frauen durchaus. Aber er kannte seine Grenzen. Er hatte nicht einmal einen festen Wohnsitz. Er war wirklich nicht für die Ehe geschaffen. "Das war nur so ein Gedanke", meinte der Doc, während er auf die Ladefläche des Lasters wies. "So, denken Sie bitte an die Kamera. Delores hat Jenny versprochen, Fotos von ihrem kleinen Jungen und dem Weihnachtsmann zu machen. Sie wird mir auf das Dach steigen, wenn Sie das vergessen." "Fotos." Zach blickte finster drein. "Ich bin nicht fotogen." "Wie bitte? Das können Sie mir nicht erzählen. Selbst ich habe Ihr Bild schon mal in der Zeitung gesehen. Sie wirkten ganz normal." "Nun, das sind Zeitungsfotos oder Werbebilder. Das ist in Ordnung. Die sind nicht so persönlich." Zach wusste nicht, wie er sein Unbehagen erklären sollte. Er wollte kein Bild von sich in einem Familienalbum wissen. Es wäre Betrug, weil er dort nicht hingehörte. "Ein Foto als Weihnachtsmann ist doch keine große Sache", drängte der Doc. "Es ist eine der Kameras, bei der das Bild gleich fertig ist." Zach gab sich geschlagen. Delores hätte sich mindestens zur Postbotin des Jahres küren lassen können. "Und vergessen Sie nicht die Sache mit der alten Mrs. Goussley. Sie liebt Süßigkeiten. Delores gibt ihr immer ein paar Zuckerstangen extra." Der Doc zwinkerte Zach zu. "Sagen Sie, die Stangen seien für ihre Katzen. Sonst nimmt sie sie nicht an." "Die Katzen", wiederholte Zach düster. Nein, Delores hatte sogar die Heiligsprechung verdient.
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"Mrs. Goussley liebt den Besuch des Weihnachtsmanns. Sie wird beim Anblick dieses Kostüms außer sich sein." Der Doc musterte Zach. "Meine Schwester hat es dieses Jahr mit den Lichtern am Gürtel ein wenig übertrieben. Sie können sie abschalten, wenn Sie möchten. Außerdem hält der Anzug mit dem ganzen Füllmaterial schön warm. Es könnte aber immer noch zu wenig für die Kälte da draußen sein. Es kann durchaus Minusgrade geben, bevor Sie zurück sind." "Ich habe einen mit Schaffell gefütterten Ledermantel für alle Fälle." Zach hatte seinen Matchsack und den Mantel hinten in den Postwagen gelegt. Das Innenfutter war nicht echt, aber trotzdem eine teure Qualität. Er hätte den Mantel nicht zurückgelassen, auch wenn er dem Doc vertraute. Seine Rodeotrips hatten ihn gelehrt, dass man sein Gepäck nie bei Fremden zurückließ. "Ja dann." Der Doc stellte den Kuchen auf den Beifahrersitz. "Nun lasse ich Sie losfahren. Denken Sie daran, dass die Bremsen leicht nach rechts ziehen, wenn es bergab geht." Zach nickte. Es ging definitiv bergab mit ihm, wenn er für eine alte Frau und deren Katzen den Weihnachtsmann spielte. Ungläubig schüttelte er den Kopf und hoffte inständig, dass ihn niemand sah. Jenny Collins sah erneut aus dem Küchenfenster. Dicke schwarze Wolken verhüllten fast vollständig die westlich ihres Grundstücks aufragenden kantigen Bergspitzen. Es begann zu schneien, und die Post war immer noch nicht da. Delores hatte zwar angekündigt, dass sich ihr Bruder vielleicht etwas verspäten würde. Aber sie hatte versprochen, das Paket auf alle Fälle vorbeibringen zu lassen. Hoffentlich war nichts dazwischen gekommen. Es war nicht viel darin, aber es enthielt die wenigen Geschenke, die sie für die Kinder hatte besorgen können. Deshalb hoffte sie, dass es ankam. Morgen war schon Heiligabend. Da es ein Sonntag war, würde keine Post mehr zugestellt werden. Sie hatte geglaubt, ihr Auto rechtzeitig reparieren zu können. Daher hatte sie Delores erst vor ein paar Tagen ihre Einkaufsliste mitgegeben. Der Karton würde eine Wasserpistole für Andy und Malzeug für Lisa sowie die dringend benötigten Handschuhe und Schals für beide Kinder enthalten. Der vierjährige Andy wollte eigentlich einen Cowboyanzug mit Hut und die achtjährige Lisa ein Prinzessinnendiadem. Aber beides war zu teuer und ohnehin in Deep Gulch nicht erhältlich. Vielleicht nächstes Jahr, tröstete sich Jenny. Sie musste sich bald nach einem Job umsehen. Sie hatte nahezu alle Ersparnisse ausgegeben. Es waren nur noch ein paar Hundert Dollar übrig, um den Propantank für die Heizung während der nächsten Monate gefüllt zu halten. Dieses Weihnachtsfest musste es genügen, dass sie ein Zuhause hatten, das ihnen gehörte. Es war gleichgültig, wenn das Dach auf der Südseite des Wohnzimmers undicht war und das Linoleum in der Küche mehr Risse als Farbe aufwies. Das Haus besaß immerhin drei Schlafzimmer und war hypothekenfrei. Sie war froh, dass ihr Ehemann die Besitzurkunde zu diesem Grundstück offenbar übersehen hatte. Es war das Einzige von Wert, was bei der Testamentseröffnung noch da war. Nach Weihnachten würde sie sich in Deep Gulch eine Arbeit suchen. Sie musste ohnehin täglich dorthin, sobald Lisa zur Schule ging. Jenny hatte mit der Lehrerin der zweiten Klasse gesprochen. Sie hatten sich geeinigt, dass Lisa im Januar anfangen sollte. Bis dahin würde Jenny das Auto bestimmt repariert haben. Bislang waren sie hier ziemlich glücklich. Jenny hatte immer davon geträumt, in einer Kleinstadt wie Deep Gulch zu leben. In ihren Träumen war auch eine Postbotin wie Delores vorgekommen. Jenny hatte mit ihrer Familie acht Jahre lang in einem Haus an einer tristen Straße in El Monte, das im Osten von Los Angeles lag, zur Miete gewohnt. Die Postboten wechselten dort so häufig, dass keiner davon ihr Gesicht kannte, geschweige denn ihren Namen. Delores begrüßte sie dagegen wie eine Freundin und verwöhnte die Kinder mit Dinosaurier-Lutschern und Neuigkeiten von ihren Enkelkindern. Ja, Deep Gulch war ihr Zuhause. Jenny musste nur noch herausfinden, wie sie auf ihrem Grundstück Gemüse anbauen oder es anderweitig finanziell fruchtbar machen konnte. "Mom, sie kommt!" Andys Stimme hallte vom hinteren Schlafzimmer herüber. Auch er hatte offensichtlich aus dem Fenster geblickt. "Steig von den Kisten herunter, Andrew Joel." Wenn er aus dem Fenster sehen konnte, musste er wieder auf den Umzugskisten stehen. Jenny hatte nicht die Absicht, alles für längere Zeit in den Kartons zu belassen. Sie hatte nur bislang noch keine Kommoden, Schränke oder Bücherregale kaufen können. Ihr gesamtes Mobiliar war in Kalifornien geblieben. Sie waren dazu gezwungen gewesen, es zurückzulassen, weil ihre Ersparnisse neben den Beerdigungskosten nicht auch noch einen Umzug mit Möbelwagen gedeckt hätten. Außerdem hatte sie gehofft, dass das Haus bereits möbliert sei. Der erste Blick auf das Äußere des Hauses hatte sie ernüchtert. Ihre Erbschaft war ganz anders als erwartet. Sie bezweifelte, dass in den letzten zehn Jahren etwas anderes als Disteln auf dem Grundstück gewachsen war. Die Ackerfläche war zwar eingezäunt, doch war der halbe Zaun eingefallen. Statt blühenden Bäumen gab es nur verwilderte Büsche. Und von jemandem im Laden in Deep Gulch hatte sie gehört, dass die Quelle unten in der Schlucht seit fünf Jahren ausgetrocknet
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sei. Trotz alledem fühlte sich Jenny hier zu Hause. Bei ihrem Einzug war es schon kalt gewesen. Dennoch hielten sich die Kinder gern draußen auf. Sie besaßen eine Freiheit, die sie in Los Angeles nicht gekannt hatten. Wenn die Kinder glücklich waren, konnte Jenny für ein paar Monate ohne Möbel leben. Sie hatte den Kindern erzählt, sie würden Camping spielen. Bislang hatten sich die beiden nicht beschwert. "Aber sie kommt!" rief Andrew, während er den kurzen Flur entlang rannte. "Sie kommt, um meinen Brief mitzunehmen." "Du liebe Güte, das hatte ich fast vergessen." Jenny erinnerte sich daran, dass Delores Andy versprochen hatte, seinen Brief persönlich zum Nordpol zu bringen, damit ihn der Weihnachtsmann lesen konnte, bevor er sich morgen auf seine Reise begab. Jenny hatte ihm beim Schreiben des Briefes geholfen, hatte aber erst spät realisiert, dass er ihn auch abschicken wollte. "Leider wird Delores heute keine Post holen. Ihr Bruder übernimmt für sie die Tour." "Ist das der Mann, der mir das kleine Ferkel gezeigt hat?" "Ja, das ist er." "Wird er den Nordpol finden?" "Sicher." Doc Norris war ein netter Mann. Er würde bestimmt mitspielen. Andy war in dem Alter, wo er anfing, am Weihnachtsmann zu zweifeln. Aber er wollte den Glauben daran noch nicht aufgeben. Vielleicht wollte auch Jenny, dass er den Glauben daran noch nicht aufgab. Sein kurzes Leben war so schwer gewesen. Er hatte nie einen Vater besessen. Zumindest keinen, der ihn geliebt hatte. Stephen hatte es Jenny schon vor der Hochzeit klar gemacht, dass er kein Familienmensch war. Jenny hatte gehofft, das würde sich ändern. Aber Stephen hatte sich nie um seine Kinder gekümmert, sondern sich gleich nach Lisas Geburt von seiner Familie zurückgezogen. Nein, es war gut, wenn Andy ein weiteres Jahr an den Weihnachtsmann glaubte. Zach kurbelte heftig am Lenkrad des kleinen Postwagens. Der Doc hatte nicht übertrieben, als er die Schlaglöcher auf dem Weg zu den Collins beschrieben hatte. Kein Wunder, dass das Auto der jungen Frau kaputt war. Im ganzen Wagen gab es wohl keine Schraube, die nicht ein paar Zentimeter zusammengestaucht worden wäre. Das Haus am Ende der Zufahrt passte zur Straße. Ein weiß leuchtender Farbfleck um die Tür ließ den Rest der Mauer besonders trist wirken. Er hatte den Verdacht, dass Mrs. Collins nicht wusste, dass man Farbe nur bei gutem Wetter auftragen sollte. Immerhin zeigte die Farbe an, dass hier jemand lebte. Ohne die Farbe und die gelben Vorhänge im Küchenfenster hätte das Haus verlassen gewirkt. Um das umliegende Land schien sich nie jemand gekümmert zu haben. Flach und grau erstreckte es sich nach allen Seiten, es war lediglich von ein paar halb abgeschmolzenen Schneewehen und Sträuchern bedeckt. Sachte fielen die ersten Schneeflocken vom Himmel und deckten die grauen Stellen mit einer dünnen Schicht zu. In der Ferne sah Zach ein paar Bergspitzen hochragen, die aber so weit weg waren, dass er ihnen weiter keine Beachtung schenkte. Als Zach den Lieferwagen zum Stehen brachte, öffnete eine Frau die Tür. Sie trug ein dickes Flanellhemd offen über ihrem T-Shirt und verwaschene Jeans. Ein kleines Mädchen und ein noch kleinerer Junge waren an ihrer Seite. Zach stieg vom Laster. Mittlerweile war der Nordwind stärker geworden. Kalte, harte Schneeflocken peitschten in sein Gesicht. Eilig lief er um den Wagen herum und öffnete die Hintertüren _ in voller Weihnachtsmannmontur. Er hatte aufgegeben und den Bart und die plüschige Weihnachtsmannmütze mit weißem Pelzbesatz noch vor seinem Besuch bei Mrs. Goussley angezogen. Überall, wo er anhielt, erhielt er Teller mit selbst gemachten Plätzchen und andere Süßigkeiten. Er erklärte, dass er weder Delores noch der Doc sei und keine Plätzchen verdient habe. Doch keiner hörte ihm zu. Es sei Weihnachten, meinten allen, und er sehe wie ein netter junger Mann aus. Seit er Rodeo ritt, war er nicht mehr als netter junger Mann bezeichnet worden. Ich werde sentimental, dachte er betrübt, während er sich die rote Pelzmütze tiefer ins Gesicht zog und den falschen weißen Bart zurechtrückte. Der Karton mit der Aufschrift "Collins" und der Kuchen war die letzte Postlieferung. Zach hob beides hoch. In einer Minute würde er den Karton abgeben, kurz ein Weihnachtsfoto mit den Kindern machen und dann schnell in die Stadt zurückfahren. Vielleicht war Thunder dann schon wieder reisefähig. Wenn Zach Glück hatte, würde er Weihnachten in den Armen dieses Showgirls verbringen. Selbst aus der Ferne sah die Frau jünger aus, als Zach sie sich vorgestellt hatte. Sie musste fünfundzwanzig oder sechsundzwanzig sein. Jetzt verstand er auch die Verwunderung des Tierarztes darüber, dass diese Frau eine Farm mitten in Montana übernommen hatte. Sie hätte eher in eine Stadt wie Billings oder Missoula gepasst, wo es einen Video-Shop und eine Kosmetikerin
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gab. Aber wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte sie auch auf dem Mond leben können. "Post", rief Zach, während er auf die drei Gestalten auf der Veranda zulief und dann der Frau das Paket entgegenhielt. Um ihr Gesicht kringelten sich kurze blonde Locken. Selbst in der Kälte sah sie auffallend hübsch aus. Zach bedauerte kurz, vor diesem letzten Zustelldienst sein Kostüm nicht abgelegt zu haben. Viele Frauen hatten eine Schwäche für Cowboys. Dagegen hatte er noch nie von einer Frau gehört, die einen dick in Polyester eingepackten Weihnachtsmann sexy fand. Dabei war es durchaus wahr, was er dem Doc gesagt hatte. Er war nur auf der Durchreise und nicht an dieser Frau oder irgendeiner anderen in Montana interessiert. Wenn Zach nicht so in die Betrachtung der hübschen Blondine versunken gewesen wäre, wären ihm ihre Augen früher aufgefallen: blaue Augen, mit denen sie ihn erschreckt ansah. "Die Post", erklärte Zach noch einmal. Niemand hatte ihn je so ängstlich begrüßt. Vielleicht hielt sie ihn für einen Verrückten. "Der Anzug ist für die alten Ladys. Und auch für die Fotos. Delores wollte, dass Sie eine Fotografie mit den Kindern erhalten." "Wo ist der Doc?" "Er sieht in der Stadt nach meinem Pferd." "Du hast ein Pferd?" Der kleine Junge lugte erstaunt hinter der Hüfte seiner Mutter hervor. "Ein echtes Pferd?" Die beiden Kinder standen rechts und links der jungen Frau. Die Jeans des Jungen waren an den Knien ordentlich geflickt. Er schien häufig hinzufallen. Die Kleidung des Mädchens war verwaschen, aber ohne Flecken und ohne einen Riss. Der Junge musterte Zach bereits freundlich, während das Mädchen vorsichtiger schien. "Thunder ist so echt, wie es ein Pferd nur sein kann. Auch wenn er gerade krank ist", sagte Zach. "In seinen besten Tagen war er das bockigste halbwilde Pferd, das es je gab." "Der Weihnachtsmann hat Rentiere, keine Pferde", wandte das kleine Mädchen kritisch ein. Zach schätzte sie auf ungefähr sieben Jahre. "Du musst die Geschichte richtig erzählen." "Das ist keine Geschichte", widersprach Zach. "Ich bin nicht ..." Zach hielt inne, weil die Frau ihn noch erschrockener anblickte. Er sah wieder auf den kleinen Jungen. "In Eile", fügte er schnell hinzu. Gab es immer noch Kinder, die an den Weihnachtsmann glaubten? "Keineswegs." Die Frau lächelte erleichtert. Zach dachte, dass
diese<no> Frau häufiger lächeln sollte. Sie war auch so hübsch, zweifellos, aber ihr Lächeln erinnerte ihn an die frühlingshafte Stimmung in der Seifenwerbung. Obwohl es auf der Veranda bereits einige Grad unter null sein mochte, sah er die Frau im Geiste durch eine grüne Wiese schlendern. Zach erinnerte sich daran, dass er nicht hier war, um sich eine grüne Wiese vorzustellen. Er sollte die Post zustellen, ein Foto machen und die letzten dieser blöden Zuckerstangen verteilen. "Ich habe etwas für dich in meiner Tasche." Zach hatte die letzten Stangen ein paar Stationen früher in die Tasche seines Anzugs gesteckt. "Ich will nur eben diese Kiste im Haus abstellen, dann kann ich es dir geben." Zach bemerkte nicht, wie entsetzt ihn die Frau daraufhin ansah. "Ich nehme das Paket", bot Jenny an. Sie war auf Gesellschaft nicht vorbereitet. "Es ist kein Problem", meinte Zach, während er durch die Tür trat, die der Junge für ihn aufhielt. Jenny musste zusehen, wie der Mann ihre Küche betrat. Toll, dachte sie. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Ein Mann in einem Weihnachtskostüm sah sich ihr Haus an. Die Männer, die sie kannte, erwarteten von einer Frau einen ordentlichen Haushalt und keine gestapelten Kisten zwischen Klappmöbeln. Sie hoffte, dass er sich seine Missbilligung nicht anmerken ließ. Schließlich, dachte sie mit erhobenem Kopf, geht es ihn auch gar nichts an, wie ich meinen Haushalt führe.
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Kapitel 2 "Ich hatte bislang kaum Gelegenheit, in die Stadt zu fahren", entschuldigte sich Jenny, als sie dem breitschultrigen Mann in die Küche folgte. Es hatte ihr nichts ausgemacht, als Delores Norris hereingekommen war und auf einem der Klappstühle Platz genommen hatte. Ein fremder Mann war aber etwas anderes. "Ich wollte ein paar gebrauchte Möbel oder etwas in der Art besorgen." Der Mann stellte sowohl den Karton als auch den mit Folie bedeckten Kuchen auf der Spülablage ab und klopfte suchend auf seine Taschen. Die Ablage war von alten Fliesen gesäumt, die bereits einen Gelbstich hatten. Jenny hatte die Fugen sauber geschrubbt. Auch der Fußboden war fleckenlos, obschon das Linoleum Risse hatte. Niemand konnte sagen, es sei schmutzig, selbst wenn das Zimmer ansonsten keine nennenswerten Vorzüge aufwies. "Ich habe mich nach Haushaltsauflösungen erkundigt, bei denen ich ein paar Dinge kaufen könnte", fuhr Jenny fort. Doch der Mann hörte ihr gar nicht zu. Er hatte sich auch nicht umgesehen. Er bemerkte wahrscheinlich nicht einmal, dass ein Besen in einer Ecke des Zimmers und ein Klapptisch mit Stühlen in der Mitte der Küche das einzige Mobiliar des Raums darstellten. "Irgendwo muss ich noch eine haben." Der Weihnachtsmann hielt eine Zuckerstange in der Hand, als er sich zu ihr umwandte. Die Plastikhülle um die rot-weiße Stange war so zerknittert, als ob jemand darauf gelegen hätte. "Ich bin mir sicher, dass ich noch nicht alle ausgeteilt habe." Er klopfte hektisch auf seine Taschen. "Ich habe eine Stange für jede Katze gegeben. Das waren fünf und ein paar Stangen extra, weil eine der Katzen trächtig war. Dann hat Mrs. Goussley mir den Teller mit den Plätzchen gegeben und dafür habe ich ihr noch ein paar Stangen da gelassen. Trotzdem müsste ich noch welche haben." Zach sah noch einmal in der rechten Tasche nach. Er hätte der alten Dame und ihren Katzen nicht so viele Stangen geben dürfen, wo ihn am Ende seiner Tour noch zwei Kinder erwarteten. "Vielleicht ist eine im Auto herausgefallen. Ich werde mal nachsehen." Zach lächelte die Kinder Vertrauen erweckend an. Der Junge erwiderte sein Lächeln. Vor Aufregung konnte er kaum still stehen. Das Mädchen dagegen wirkte misstrauisch. Er konnte es ihr nicht verübeln. Zumindest beklagte sie sich nicht lautstark wegen der fehlenden Zuckerstange. Zach ging zur Tür. "Ich komme mit Ihnen", meinte Jenny. "Ihr beide bleibt hier", wies sie die Kinder an. "Aber Mom, ich muss ..." "Du bleibst hier", schnitt die Frau dem kleinen Jungen das Wort ab. "Wir sind gleich zurück. Ich möchte mit dem Weihnachtsmann reden." "Aber Mom", wiederholte der Junge. "Ich muss ..." "Später. Ich muss allein<no> mit dem Weihnachtsmann reden." Die junge Frau sprach zärtlich, aber bestimmt. Zach vergaß die Zuckerstangen. Vielleicht besaß der Weihnachtsmann doch auch ein wenig Sexappeal, wenn eine attraktive junge Frau in der beißenden Kälte privat ein Wort mit ihm wechseln wollte. Ihm schwante zugleich, dass eine Frau wie diese Schwierigkeiten verhieß. Nach dem zweiten Treffen würde er sich gebunden fühlen. Er musste ihr gleich sagen, dass er nur auf der Durchreise war. Ein zweiter Blick in das Gesicht der Frau machte ihn schwanken. Vielleicht war er zu vorsichtig, was ein Treffen betraf. Nur weil er vor einer zweiten Verabredung zurückscheute, war ein erstes Rendezvous noch lange kein Ding der Unmöglichkeit. Selbst diese Frau würde eine erste Verabredung als unverbindlich betrachten. Er würde seine Weiterfahrt nach Las Vegas bis zum Morgen verschieben und immer noch rechtzeitig dort sein können. Vielleicht konnte er sie heute zum Abendessen ausführen. Er hatte in Deep Gulch zwar keine Restaurants gesehen, aber irgendwo mussten die Menschen auch hier abends ausgehen können. "Wohin gehen die Leute hier, wenn sie Spaß haben wollen?" fragte Zach, während er der jungen Frau die Haustür aufhielt. Es war erst vier Uhr nachmittags, dennoch stach die Kälte Zach bereits in der Nase. Er war nun für den wärmenden Bart dankbar. Die Temperatur war um ein paar Grad gefallen, obwohl er nur ganz kurz im Haus gewesen war. Ein ausgewachsener Sturm musste im Anmarsch an. "Spaß?" Die Frau sah ihn verständnislos an. Sie verschränkte die Arme wegen der Kälte und eilte los in Richtung Postwagen. Zach zog die Haustür hinter sich zu und folgte ihr schnell. Das Schneegestöber stach seine Haut wie Nadeln. Als er sie eingeholt hatte, bemerkte er, dass sie eine Gänsehaut hatte, wo zwischen Kragen und Haar die Haut frei lag. "Sie sollten sich etwas Wärmeres als dieses Flanellhemd anziehen, wenn Sie nach draußen gehen." Die Frau lief schneller. Ihre Zähne klapperten so stark, dass er sie kaum verstehen konnte. "Es muss
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reichen." Zach riss ihr die Beifahrertür auf. "Hier, setzen Sie sich herein." Zach schloss die Tür und lief zur Fahrerseite hinüber. "Haben Sie etwas vom Nordpol gehört?" fragte die Frau, als Zach neben ihr saß.
"Ist das eine Art Nightclub?" fragte Zach erwartungsvoll. Sie sah zwar nicht aus wie eine Frau, die in einem Nightclub tanzen ging, aber man konnte ja nie wissen. Vielleicht brauchte er nicht einmal bis Las Vegas zu fahren, um ein fröhliches Weihnachtsfest zu erleben. Tanzen im Nordpol war mindestens ebenso gut wie die Auftritte der Showgirls. "Wie bitte?" Die Frau sah verwirrt aus. "Der Doc könnte auf die Kinder aufpassen", dachte Zach laut. Er hatte eine Spur schlechten Gewissens wegen der Kinder. Aber der alte Doc würde gut mit ihnen umgehen. Wahrscheinlich hatte er noch mehr Zuckerstangen. Die Kinder würden ihre Mutter für ein paar Stunden entbehren können. Manche Kinder waren sogar glücklich darüber, wenn sie eine Nacht ohne ihre Mutter verbringen durften. "Der Nordpol", wiederholte die Frau, als ob sie an seinem Verstand zweifelte. "Sie wissen doch, dass der Weihnachtsmann an diesem Ort die Spielsachen für die Weihnachtsgeschenke herstellt." "Ach." Damit hatte sich das Tanzen im Nordpol erledigt. Zach stellte die Heizung an. Der Motor war noch warm, und eine Woge warmer Luft erfüllte den Raum. "Ich wusste nicht, dass sie den<no> Nordpol meinen. Klar kenne ich den." "Also, Andy wird Ihnen einen Brief für den Weihnachtsmann am Nordpol mitgeben. Bitte spielen Sie einfach mit." "Klar", meinte Zach. "Ich werde ihm sagen, dass ich mit meinem Pferd Thunder jede Nacht dort hinreite." Jenny runzelte die Stirn. "Übertreiben Sie es nicht. Er ist erst vier, aber er ist nicht beschränkt." Zach unterdrückte seinen Kommentar zu einem Jungen, der noch immer an den Weihnachtsmann glaubte. "Ganz wie Sie meinen." Er lächelte spöttisch. Jenny runzelte immer noch die Stirn. Zach sah sich im Rückspiegel und verzog ebenfalls das Gesicht. Kein Wunder, dass sich die Frau ihm gegenüber so reserviert verhielt. Er sah aus wie ein Verrückter. Sein Bart war zerknittert, und die Watte sah aus, als ob eine Katze daran gekaut hätte. Zach zog sich den Bart herunter und schob die rote Mütze mit dem weißen Pelzrand so weit zurück, bis sein Haar sichtbar wurde. Jetzt würde sich die Anspannung der Frau lösen. Stattdessen wirkte Jenny eher alarmiert. "Sie sehen wie der Cowboy auf der Müslipackung aus." Zach entspannte sich. Wenn sie ihn von der Ranger-Schachtel kannte, war er auf der sicheren Seite. "Ich bin tatsächlich dieser Cowboy." "Das kann nicht sein." Jenny versuchte, den Mann nicht anzustarren. Er hatte hohe Wangenknochen. Seine Augenbrauen waren dunkel, und er wirkte ziemlich streng, solange er nicht lächelte. Selbst mitten im Winter war er immer noch leicht gebräunt. Die goldenen Reflexe in seinen braunen Augen bewahrten sein Gesicht davor, allzu ernst zu wirken. Er war mit Sicherheit der attraktivste Mann, den sie je gesehen hatte. Jenny hatte von dem hübschen Cowboy geträumt, seit Andy sie vor einem Jahr dazu überredet hatte, die erste Packung dieses Müslis zu kaufen. Inzwischen waren unzählige dazugekommen. Beunruhigend daran war, dass sie mit dem Foto auf den Pappkartons gesprochen hatte. Jenny war ein verschwiegener Mensch. Sie hatte ihr Unglück für sich behalten, bis sie eines Morgens bei einem einsamen Frühstück ihre Ängste dem Gesicht auf der Rückseite der Verpackung anvertraut hatte. Dies war ihr inzwischen zu einer lieben Gewohnheit geworden. Allein der MüsliCowboy wusste von ihrer enttäuschenden Ehe. Für den Rest der Welt war ihre Beziehung perfekt gewesen, und ihr Ehemann galt als netter Mann. Sie hatte dem Gesicht auf der Schachtel Dinge anvertraut, die sie keinem Priester erzählt hätte. Und nun saß der Mann, zu dem dieses Gesicht gehörte, lebendig vor ihr. Sie fühlte sich getäuscht. Fotos auf einer Müslipackung wurden für gewöhnlich nicht lebendig. "Sie können nicht dieser Cowboy sein." "Nun denn, jeder muss jemand sein." Jenny wurde panisch. Er neckte sie auch noch und flirtete sogar mit ihr. Es war schrecklich. "Sie müssen jetzt gehen." In Ordnung, dachte Zach. Sie geht definitiv nicht tanzen. Das war okay, da ihn auch in Las Vegas Spaß erwartete. "Geben Sie mir nur noch eine Sekunde Zeit, um eine von diesen Zuckerstangen zu suchen. Dann verschwinde ich. Ich muss ohnehin zurück sein, bevor der Sturm losbricht." Jenny sah auf. "Ich dachte, dass Sie noch ein Foto mit Andy machen wollen." "Das hatte ich vor, aber Sie wollten doch lieber, dass ich gleich aufbreche." "Nein, ich wollte nur nicht noch mehr von Ihrer Zeit beanspruchen. Aber so ein Foto dauert ja nicht
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lange." Jenny zwang sich, den Mann anzusehen. Es war nicht seine Schuld, dass sie mit der Müslipackung gesprochen hatte.
"Okay. Schön. Ganz wie Sie wollen." Jenny zwang sich zu einem Lächeln. "Sie sind doch der einzige Weihnachtsmann in der Gegend." "Kein Problem", brummte Zach. "Ich weiß es zu schätzen, dass Sie für Delores alles vorbeigebracht haben, einschließlich der Zuckerstangen. Das ist sehr nett von Ihnen." "Delores hat das Zeug gekauft. Ich teile es nur für sie aus." "Trotzdem ..." Zach merkte, dass die Frau nun entspannter war. Auch ihre Gänsehaut war verschwunden. Die Luft im Auto war so warm, dass der Atem keinen weißen Niederschlag mehr erzeugte. "Es ist überhaupt kein Problem. Ich kann Ihrem Jungen auch erzählen, dass ich seinen Brief zum Weihnachtsmann bringen werde." "Es tut mir Leid, dass ich nicht ... Ich meine, ich gehe ohnehin nicht aus. Das heißt, Sie haben mich auch gar nicht eingeladen." Jenny hielt peinlich berührt inne. "Ach, das habe ich schon. Zumindest war das die allgemeine Zielrichtung meiner Fragen." Jenny fand, dass er für jemanden, der gerade einen Korb bekommen hatte, ziemlich fröhlich klang. "Also, ich weiß das durchaus zu schätzen, aber ich kann Ihre Einladung leider nicht annehmen." "Schon in Ordnung." Zach suchte neben seinem Sitz und entdeckte dort sogar noch zwei Zuckerstangen. Hurra! Bald würde er von hier verschwinden können. "Wahrscheinlich mögen Sie das Müsli nicht. Oder Sie finden, dass der Hersteller nicht behaupten sollte, es sei das ideale Frühstück für echte Cowboys, wo sie doch angeblich nur Bohnen und aufgewirbelten Staub zum Essen bekommen." "Nein, ich finde es wirklich lecker. Cowboys würden es sicher auch mögen, falls sie es ausprobieren würden. Es schmeckt großartig, wirklich ganz nussig." "Dann haben Sie also etwas gegen die Verpackung", stellte Zach fest. Jenny nickte verlegen. "Kein Problem." Zach lächelte gutmütig. Er war von Wildpferden abgeworfen worden. Er hatte gelernt, sich mit Niederlagen abzufinden. Wenn die Frau ihn nicht mochte, kam er damit klar. Auf ihn warteten bessere Zeiten. "Ich bringe nur kurz diese Zuckerstange ins Haus und hole den Brief von _ wie heißt der Junge?" "Andy." "Dann machen wir noch kurz ein Foto mit Andy, und schon bin ich wieder auf dem Weg nach Deep Gulch." "Ich danke für Ihr Verständnis." Zach zuckte mit den Achseln, während er ausstieg. "Nicht der Erwähnung wert." Um zu zeigen, dass er nicht beleidigt war, öffnete er ihr die Wagentür. "Manche Leute meinen, das Bild auf der Schachtel sei mit einem Modell aufgenommen worden. Das stimmt aber nicht. Der Hersteller hat mich gebeten, mein Foto auf der Schachtel abdrucken zu dürfen, weil ich letzten Herbst die All-Pro Meisterschaft im Zureiten wilder Fohlen gewonnen habe." "Ach. Ich habe nicht gedacht, dass man Ihr Foto aufgrund Ihres Aussehens ausgesucht hat." Jenny stieg gewandt vom Laster. Zach musste sich vollständig geschlagen geben. Die meisten Frauen fanden ihn attraktiv. Er war nicht so dumm, sich um diese spröde Blondine zu bemühen, die das nicht tat. Zumal sie mitten im Niemandsland lebte und der Himmel immer dunkler wurde.
"Der Sturm fängt bald an", begann Zach erneut das Gespräch, während sie zum Haus hinübergingen. Plötzlich verstand er, warum sich Delores solche Sorgen um diese kleine Familie machte. Auch ihn ergriff eine leise Besorgnis. Im Umkreis von Meilen war es das einzige Haus. "Haben Sie genügend Vorräte auf Lager? Ein Schneesturm im Süden von Montana kann eine ernste Angelegenheit sein." "Das weiß ich." Zach fragte sich, woher sie es wissen konnte. Sie schien seine Gedanken lesen zu können. "Selbst wenn ich noch keinen Sturm hier miterlebt habe, gibt es auch in Los Angeles Reiseführer über Montana." Zach stöhnte innerlich auf. Die herabfallenden Schneeflocken waren trocken und piksten wie Nadeln. Der heraufziehende Sturm würde nach Zachs Erfahrung so viel Kälte mit sich bringen, dass er für einen unvorbereiteten Menschen den Erfrierungstod bedeuten konnte. Manche meinten, dass die großen, nassen Flocken die schlimmsten Stürme ankündigten. Aber das stimmte nicht. Die nassen Flocken wiesen zwar normal auf mehr Schnee hin, aber die trockenen bedeuteten einen gnadenlos schnellen Temperatursturz. Mit dem Wind zusammen konnte das gefährlich werden.
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"Die Stromversorgung wird wahrscheinlich unterbrochen werden. Sind Sie darauf vorbereitet?" Jenny musterte ihn scharf. Auch auf der Veranda spürte sie die stechende Kälte in ihrer Nase. Sie sah, wie sich der Himmel fast schwarz färbte, und hörte ein Rumpeln in der Luft. "Wir heizen mit einem Propanofen und haben Petroleumlampen, falls das Licht ausfällt." Zach brummte. Als sie an die Tür traten, wurde sie mit einem Ruck geöffnet. Andy schien auf ihre Rückkehr gewartet zu haben. "Hallo, Andy." Zach folgte Jenny ins Haus und schüttelte sich den Schnee aus den Haaren. Plötzlich bemerkte er, dass der kleine Junge ihn fassungslos anstarrte. "Weihnachtsmann?" Zach griff sich erschrocken ans Kinn. Er hatte den Bart vergessen. Entsetzt blickte Jenny ihn an, holte tief Luft und stammelte: "S...anta Claus hat sich rasiert." Zach zog sich den Bart wieder über das Kinn. Aber es war zu spät. Das Kind wirkte völlig perplex. Doch nach und nach verschwand Andys Verwirrung, als ob er endlich ein großes Geheimnis verstehen würde. Zach hatte kurz ein schlechtes Gewissen, aber dann fand er es gar nicht so übel, wenn das Kind langsam die Wahrheit über den Weihnachtsmann erfuhr. Mit einem entschuldigenden Lächeln wandte er sich wieder Jenny zu. Sie machte ihm verzweifelt Zeichen, etwas zu sagen. Doch Zach fiel nichts ein. "Eines Tages würde er es ohnehin herausfinden, jetzt, wo er ein großer Junge ist." Zach kniete sich nieder, so dass er Andy direkt in die Augen sehen konnte. "Stimmt das etwa nicht? Du bist ein großer Junge. Und große Jungen können mit der Wahrheit über den Weihnachtsmann umgehen." Andy nickte glücklich. Zach warf Jenny einen zufriedenen Blick zu. Er war zwar kein Vater, doch ein paar Dinge wusste auch er über Kinder. "Du bist wirklich schon ein ganz Großer, wenn du das Geheimnis des Weihnachtsmanns verstanden hast." Jetzt bemerkte Zach das Mädchen, das neben seiner Mutter stand und die Augen so verdrehte, als ob Zach ein hoffnungsloser Fall sei. Andy nickte eifrig und beugte sich flüsternd vor. "Ich kenne das Geheimnis. Der Weihnachtsmann ist ein Cowboy. Du bist 'Lightning' Lucas." "Nun, das stimmt nicht ganz", wich Zach aus. Vielleicht verstand er doch nicht so gut, was im Kopf eines kleinen Jungen vor sich ging. "Ich bin 'Lightning' Lucas, das ist wahr, aber ich trage nur ein Weihnachtsmannkostüm. Ich spiele nur den Weihnachtsmann." "Ich habe einen Cowboypyjama", warf Andy glücklich ein. Er tänzelte von einem Bein auf das andere. "Das ist auch ein Spiel. Möchtest du ihn sehen?" "Ich denke schon." Zach sah zu Jenny hinüber. Sie nickte widerstrebend. Der Pyjama war Andys letztjähriges Weihnachtsgeschenk gewesen und immer noch sein kostbarster Besitz. "Wieso bringst du ihn nicht hierher und zeigst ihn Mr. Lucas, wenn du ihm deinen Brief gibst? Ich denke, dass er ihn immer noch für dich mitnehmen wird." Jenny sah Zach fragend an. Zach brummte. Er hielt sein Wort. "Natürlich werde ich den Brief mitnehmen. Ich werde ihn noch heute zum Nordpol bringen, damit ihn der Weihnachtsmann bekommt, bevor er morgen zu seiner Reise aufbricht. Ich werde den Brief persönlich überreichen." "Kannst du fliegen?" fragte Andy ehrfurchtsvoll. "So wie die Rentiere?" Zach schluckte. "Nein, aber ich kenne den Weg zum Nordpol und kann mit meinem Laster schnell fahren. Brumm, brumm. Natürlich", fügte er ungeschickt hinzu, "sollte niemand schnell fahren." Er hoffte, dass das Kind diese Unterhaltung vergessen hatte, bis es den Führerschein machte. "Wirst du mich mitnehmen?" Zach sah den kleinen Jungen an, der ihn voller Vertrauen musterte. Wie ein scheues Reh hatte Andy sich ihm Stück für Stück genähert, bis er praktisch an seiner Schulter lehnte. Zach musste wieder schlucken. "Dieses Mal nicht." "Warum nicht? Ich werde ganz brav sein." Jenny blickte betroffen auf den Mann und ihren Sohn. Andy sehnte sich wohl weit mehr nach einem Vater als danach, selbst ein Cowboy zu sein. Vielleicht sollte sie nach Weihnachten die Einladung des Ranchers im Norden ihres Grundstücks zum Ausgehen annehmen. Selbst wenn ihn sie nicht übermäßig aufregend fand, schien er zuverlässig zu sein. Ihr war in einem schmerzlichen Lernprozess klar geworden, dass die aufregenden Männer nicht unbedingt die besten Familienväter waren. Sie hatte zum zweiten Mal die Chance, einen Daddy für ihre Kinder auszuwählen. Dieses Mal würde sie ihre Wahl äußerst sorgfältig treffen. Ihre Kinder hatten die Wärme eines liebevollen Vaters nie kennen gelernt. Falls sie ein zweites Mal heiratete, würde es ihretwegen sein. "Natürlich wirst du brav sein", meinte Zach. "Aber sieh mal, du musst hier bleiben und deiner
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Mutter helfen. Es kommt ein Sturm auf, und sie wird einen großen Jungen wie dich hier gebrauchen." "Lisa ist größer. Sie kann ihr helfen." Jenny sah Zachs Hilfe suchenden Blick. Sie musste beinahe lachen. Es gab nicht viele Männer, die es mit einem entschlossenen Vierjährigen aufnehmen konnten. "Natürlich kann sie das." Zach sah sich nach dem Mädchen um, aber es war nicht mehr im Zimmer. "Es ist nur so ..." Zach hatte einen Einfall. "Der Weihnachtsmann ist zu beschäftigt, um vor seiner Reise Besuch zu empfangen. Er spricht nur mit den Elfen." Der Junge sah ihn beunruhigt an. "Und was ist mit meinem Brief?" "Ach, für Briefe hat er bestimmt Zeit." Zach begann zu schwitzen. Er konnte besser mit einem bockigen Fohlen wie Black Demon umgehen als mit einem Kind wie diesem. Ein wildes Pferd mit einer Masse von tausend Pfund war für ihn verständlicher als dieser kleine Junge. "Ich bin mir sicher, dass der Weihnachtsmann alle Briefe liest", erklärte Jenny. Andy hatte einen ganzen Nachmittag an seinem Brief gearbeitet und geduldig die Buchstaben abgemalt, die sie ihm gezeigt hatte. "Lisa kann auch mitkommen." Der kleine Junge schmiegte sich vertrauensvoll an Zach. "Sie hat mir erzählt, dass es am Nordpol keinen Weihnachtsmann gibt." Der Junge senkte seine Stimme zu einem Flüstern. "Sie muss einen Monat lang ganz allein die Teller spülen, wenn ich ihr beweise, dass der Weihnachtsmann dort lebt. Es ist eine Wette." Jenny sah, wie ihr Sohn seinen blonden Schopf an das dunkle Haupt des Mannes schmiegte. Zach hatte den Arm um die Schultern des Kindes gelegt, und sie flüsterten miteinander, ohne dass sie den Wortlaut verstehen konnte. Kinder liebten ihre kleinen Geheimnisse. Aber Jenny sah es nicht so gern, dass Andy sie mit diesem Cowboy teilte.
"Mr. Lucas muss bald gehen", erklärte sie ihrem Sohn. Schnell griff sie zur Kamera, die der Weihnachtsmann vorher auf den Tisch gelegt hatte. "Hol doch deinen Brief, und ich fotografiere euch, wenn du ihn übergibst." "Hier ist er", meinte Andy. Er rückte so weit von Zach ab, bis er einen zerknitterten Brief aus der Tasche ziehen konnte. Strahlend streckte er ihn dem Weihnachtsmann entgegen. "Ich habe ihn gut aufbewahrt." Es blitzte, als Jenny das Foto machte. "Ich werde den Brief als Eilsendung zustellen." Zach blinzelte noch, als er den Brief in die Hand nahm. Die Frau hatte ihm nicht einmal die Zeit zu einem Lächeln gelassen. "Du kannst dich auf den US-Postdienst voll und ganz verlassen." Zach salutierte, obwohl seines Wissens die Post nie einen Salut benutzt hatte. Aber es schien den Jungen zu beruhigen. Zach erhob sich langsam. Mit einem Blick auf die Frau erklärte er: "Wenn Sie wollen, können Sie ein zweites Foto machen." Jenny sah ihn an. "Ich ... Ich habe nicht gelächelt", stammelte Zach. Er war zwar nicht besessen darauf, sein Bild in einem Familienalbum zu finden. Aber wenn schon sein Bild dort einen Platz finden sollte, war es nur korrekt, wenn er darauf lächelte. Jenny zuckte mit den Schultern. "Der Bart verdeckt ohnehin fast Ihr ganzes Gesicht." Zach nickte. Der Frau war es gleichgültig, ob der Weihnachtsmann lächelte. Wieso sollte es ihm dann etwas ausmachen? Wie auch immer _ wenn einer an Weihnachten lächeln sollte, war es der Weihnachtsmann oder seine Gehilfen. "Es ist Ihr Bild." "Ist mein Brief auf dem Bild?" fragte der Junge. Die Frau nickte. "Ich habe die Briefmarke selbst gemalt." Der Junge sah zu Zach auf. "Mom sagte, das sei in Ordnung." Zach bückte sich und schüttelte dem Jungen die Hand. "Das ist genau die richtige Briefmarke." In der Küche war neben dem Spülbecken ein Fenster und eines an der gegenüberliegenden Wand. Von beiden Fenstern konnte man sehen, dass das Unwetter sich unaufhaltsam näherte. Zach hörte das Rütteln des stärker werdenden Windes. Er sah zu, wie Jenny das Foto aus der Kamera nahm. "Hier." Jenny reichte ihm die Kamera. Zach schüttelte den Kopf. "Der Doc meinte, dass Sie die Kamera über die Feiertage behalten können, falls Sie noch mehr Fotos machen möchten." "Das ist aber nett von Ihnen." "Nicht von mir, sondern von Delores." Zach war nicht gewohnt, so viel Lob für Dinge zu bekommen, die er nicht getan hatte. "Ich mache mich lieber auf den Weg, bevor der Sturm losbricht." Er setzte die plüschige Mütze seines Weihnachtsmannkostüms wieder auf. Durch die Fenster drang nur noch wenig Licht herein. Er hörte die Geräusche des Ofens, und ein stetiger Strom warmer Luft wurde durch einen Schlitz im
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Fußboden in den Raum geblasen. Zumindest hatte es die Familie warm. Zach sah zu der Frau hinüber, die das sich entwickelnde Foto in den Händen hielt. "Sind Sie sicher, dass Sie mit dem Sturm zurechtkommen? Wenn Sie jemanden anrufen möchten, der während des Unwetters bei Ihnen bleibt, würde ich das jetzt tun. Die Verbindung kann jeden Moment abbrechen." "Danke. Das werde ich machen." Jenny lächelte so zuversichtlich, als ob es tatsächlich jemanden gäbe, den sie darum bitten könnte. Zach nickte. Er verstand, dass die Müslipackung nicht der einzige Grund war, warum diese Frau nicht mit ihm ausgehen wollte. Sie musste einen Freund haben. Nun, das überraschte ihn nicht. Der Doc hatte ihm doch gesagt, dass es da jemanden gab. Irgendeinen Farmer mit Namen Max oder so ähnlich. "Nun, dann mache ich mich mal auf den Weg", sagte Zach mit belegter Stimme. "Auf Wiedersehen. Ach ja. Und schöne Weihnachten!" Jenny sah ihm nach, als er zur Tür ging. Plötzlich wünschte sie, dass er blieb. Ein Schneesturm war im Anzug, und sie hatte keine Ahnung, was auf sie zukam. Selbst ein Cowboy auf einer Müslischachtel war besser als gar niemand, wenn es einem Sturm zu trotzen galt. Dennoch war er nur ein Fremder. Sie konnte ihn nicht bitten, bei ihr zu bleiben, nur weil sie ihm jeden Morgen ihre Sorgen gebeichtet hatte. "Haben Sie Pläne für die Feiertage?" entfuhr es ihr, als er die Türklinke niederdrückte. Er wandte sich um und sah sie an. "Las Vegas." "Ach, ich verstehe. Viel Spaß." Jenny hätte sich selbst einen Tritt geben können. Natürlich hatte der Mann Pläne. Immerhin war Weihnachten. "Danke." Zach zögerte. "Ich könnte meine Pläne ändern." "Das geht bestimmt nicht", meinte Jenny mit Nachdruck. "Ich habe nur gefragt, weil ich ... Wir haben selbst etwas vor, und ich hoffte, dass es bei Ihnen ähnlich aussieht." "Ich verstehe. Danke." Dieses Mal ging Zach wirklich. Das Bleiben war sinnlos, wenn es hier Pläne ohne ihn gab. Er stemmte sich gegen den Wind, bis er das Postauto erreichte. Im Osten wurde der Himmel noch dunkler. Hunderte von Schneeflocken stachen trotz des Barts scharf auf seiner Gesichtshaut. Als er einsteigen wollte, bemerkte er, dass die Hintertüren des Postwagens nicht richtig verschlossen waren. Schnell lief er um das Auto und drückte sie zu. Er wollte keinen kalten Rücken bekommen, während er im Eiltempo nach Deep Gulch zurückfuhr. Zach ließ den Motor an und löste die Handbremse. Es war Zeit für die Rückfahrt. Obwohl es vermutlich schon zu spät war, um den Sturm noch überholen zu können. Wahrscheinlich würde er diese Nacht im Pferdeanhänger übernachten müssen, während Thunder in der Scheune des Tierarztes untergebracht war. In wenigen Stunden würde niemand mehr weite Strecken fahren. Zach hoffte nur, dass er den Doc erreichte, bevor die Straßen zugeschneit waren. Er konnte schon die harten Bretter des Anhängers in seinem Rücken spüren. Das würde ein frohes Weihnachtsfest werden.
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Kapitel 3 Andy wollte ein Sandwich mit Erdnussbutter. "Ich sehe nur kurz nach, ob die Öllampe aufgefüllt ist. Dann mache ich dir eines", sagte Jenny, als sie den sich entfernenden Lichtern des Postlasters nachsah. Die roten Rücklichter waren das einzig Helle in der Dunkelheit dieses Nachmittags. Eine Schicht Schnee war gefallen, auf der sich die Spuren des Lasters eingegraben hatten. Jenny hatte vor einer guten Woche im Kopf eine Liste aufgestellt, was sie bei einem Wintersturm als Wichtigstes benötigte. Nachzusehen, ob die Petroleumlampe gefüllt war, war der erste Punkt gewesen. Dann galt es zu überprüfen, ob die Vorhänge bei allen Fenstern zwecks besserer Isolierung gut zugezogen waren. Delores hatte bei Jennys Einzug darauf bestanden, dass sich Jenny einen Karton mit Bohnen und mit verschiedenen Dosensuppen zulegte. Die ältere Frau hatte sie auch dazu gedrängt, den Propantank für die Heizung stets mindestens halb voll zu halten. "Heizung und Essen ist alles, was man wirklich braucht", hatte Delores gesagt. "Wenn die Leitungen einfrieren, gibt es aller Wahrscheinlichkeit nach Schnee genug, den man zu Wasser schmelzen kann. Es ist aber nicht so sauber, wie man meint. Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich ein paar Wasserfilter besorgen, durch die man das geschmolzene Wasser laufen lassen kann. Dann brauchen Sie nur noch gesund zu bleiben, und alles wird gut gehen." Jenny hatte nicht das Gefühl, dass alles gut ging. Sie hatte noch keine Filter für das Wasser kaufen können. Immerhin wurde der Herd in der Küche auch mit Hilfe des Gastanks betrieben. So würde sie ihn benutzen können, um das Schneewasser im Notfall abzukochen. Sie zwang sich zur Konzentration. Dann würde alles gut gehen. Zehn Minuten später wusste sie, dass sich Delores getäuscht hatte. Jenny ging es gar nicht gut. Sie hatte einen großen Fehler gemacht. Die erste Regel, um einen Schneesturm mit Kindern zu überleben war, dass die Kinder sicher im Haus waren. Andy war zwar bei ihr, aber Lisa fehlte. Jenny hatte jeden Raum im Haus zwei Mal durchsucht, bevor Andy ihr gestanden hatte, dass sich Lisa durch die Waschküche aus dem Haus gestohlen und auf der Ladefläche des Postautos versteckt hatte. Jenny war daran gewöhnt, ein Auge auf Andy zu haben. Er war derjenige, der in Schwierigkeiten geriet. Wegen Lisa musste sie sich nie Sorgen machen. "Wir haben eine Wette abgeschlossen", erklärte Andy völlig unbesorgt. "Lisa wird sich beim Weihnachtsmann alles ansehen und mir dann davon erzählen." Jenny blieb das Herz stehen. "Du meinst, dass sie sich allein auf den Weg gemacht hat?" "Der Müsli-Mann ist doch bei ihr", meinte Andy ruhig. "Er wird auf sie aufpassen, bis sie in der Werkstatt des Weihnachtsmanns ankommen." "Aber Mr. Lucas fährt nach Las Vegas!" "Nicht bevor er meinen Brief an den Nordpol gebracht hat. Er hat es mir versprochen." Jenny war sprachlos. Ihre achtjährige Tochter war mit einem Cowboy davongelaufen, der auf dem Weg nach Las Vegas war. "Er wird sie bald wieder zurückbringen", versuchte Jenny sich einzureden. "Sobald er sie entdeckt, kehrt er um." Aber was war, wenn er sie nicht sah? Lisa hatte sich offensichtlich versteckt, sonst hätte er sie längst zurückgebracht. Es sei denn ... Jenny war sich nicht sicher, ob er so eine Art Mensch war. Jenny blickte aus dem Fenster. Die Spuren des Lasters waren inzwischen von neuem Schnee bedeckt. Er wird Lisa nicht rechtzeitig genug entdecken, um zurückfahren zu können, dachte Jenny verzweifelt. Wahrscheinlich würde er sie bei Dr. Norris absetzen. Doch selbst wenn Lisa nicht nach Las Vegas mitfuhr, würde sie Weihnachten verpassen. Sie war noch nie an Weihnachten von zu Hause weg gewesen. Jenny sah sich um. Sie wünschte sich nun, dass sie auf ihren Stolz gepfiffen und jemanden gebeten hätte, aus der Stadt einen Weihnachtsbaum mitzubringen. Sie hatte sich eingeredet, für dieses Weihnachten sei ein schlichtes Fest in Ordnung. Ihre Kinder würden sie verstehen und ihre Dankbarkeit über ihr neues Zuhause teilen. Es sei dieses Mal ausreichend, wenn sie ihre Strümpfe aufhängen und gemeinsam die Weihnachtsgeschichte lesen würden. Aber sie hatte sich getäuscht. Lisa hätte sich diese blödsinnige Wette nicht ausgedacht, wenn beide Kinder mit dem Schmücken des Weihnachtsbaums oder Plätzchenbacken beschäftigt gewesen wären. Ihre Kinder brauchten Weihnachten. Und sie hatte es ihnen vorenthalten. Zach fluchte leise. Der Schneefall wurde jede Minute dichter. Außerdem war die Straße schon so zugeschneit, dass er die Schlaglöcher nicht mehr erkennen konnte. Er konnte die alte Blechbüchse von einem Postlaster nur mit Glück noch auf der Straße halten. Der Schnee war jedoch nicht sein größtes Problem. Sein größtes Problem saß neben ihm auf dem
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Beifahrersitz. "Ich wusste, dass du nicht zum Nordpol fährst", meinte das Mädchen selbstgefällig, während sie ein weiteres Plätzchen vertilgte. "Es gibt keinen Nordpol." Zach knirschte mit den Zähnen. "Hat dir deine Mom nicht gesagt, dass man nicht mit Fremden mitgehen darfst?" Auf der halben Strecke nach Deep Gulch hatte er ein unterdrücktes Niesen hinten auf der Ladefläche des Lasters gehört. Vor Schreck wäre er beinahe in den Graben gefahren. Er hielt am Straßenrand und wandte sich um. Das Mädchen lag fast ganz unter seinem Mantel verborgen. "Wir sind nicht mehr in Los Angeles." Das Mädchen biss noch einmal in das Plätzchen. "Es gibt hier keine Fremden. Nur Farmer." Zach hatte ihr den Teller mit den Weihnachtsplätzchen von Mrs. Goussley gegeben. Sie hatte in der Zwischenzeit die Hälfte davon aufgegessen. "Auch in Montana muss man vorsichtig sein." "Ich weiß." Das Mädchen wischte sich die Krümel von ihrem Jackenärmel. "Es gibt in der Schlucht Schlangen. Und im Sommer gibt es Bienen." "Und Fremde. Seltsame Menschen gibt es überall. Man kann mit Fremden nie vorsichtig genug sein." Das Mädchen zuckte mit den Achseln. "Hast du ein bisschen Milch?" "Natürlich nicht. Das hier ist ein Postlaster und kein Speisewagen." Zach bemühte sich, trotz des Schneesturm etwas von der Straße zu erkennen. Er schätzte, dass inzwischen ungefähr zwanzig Zentimeter Neuschnee lagen. Vielleicht waren es schon mehr. Er hoffte, dass er endlich wieder die letzte der Biegungen erreicht hatte, die zu dem Besitz der Collins hinaufführten. "Deine Mutter wird sich Sorgen machen. Sie hat keine Ahnung, wo du bist." "Andy wird es ihr sagen. Er kann kein Geheimnis für sich behalten." Hoffentlich hat die Frau keine abwegigen Vorstellungen, dachte Zach insgeheim. Etwa, dass er das Mädchen aufgefordert habe, mit ihm mitzukommen. Er hatte ihr zwar eine Zuckerstange gegeben, aber keine Mutter würde das als echtes Lockmittel ansehen. Aber ein Gerichtshof würde vielleicht seine Behauptung, er werde den Weihnachtsmann besuchen, als ausreichenden Beweis für eine versuchte Verführung Minderjähriger werten. Zach begann zu schwitzen. "Guter Himmel, endlich sind wir da." Der Schnee wirbelte so dicht, dass er nur die Silhouette des Hauses und die gelb erleuchteten Fenster erkennen konnte. Jenny meinte ein Wagengeräusch gehört zu haben und eilte zum Fenster. Vor einer Stunde war Zach abgefahren. War es möglich, dass er Lisa bemerkt hatte und nun zurückbrachte? Mittlerweile war es Abend geworden. Jenny öffnete die Tür, um besser sehen zu können. Eisige Schneeflocken peitschten ihr Gesicht. Dennoch beugte sie sich weiter vor. Sie erkannte den Postwagen an den roten und grünen Lichtern auf der Kühlerhaube. Der Laster hielt ein paar Schritte von der Veranda entfernt an. Das Licht ging aus, und die Fahrertür wurde geöffnet. Jenny atmete erleichtert auf. Er war wieder da. "Lisa!" Der Wind trug ihren Schrei davon. Doch der Mann hatte ihn gehört. Er winkte ihr beruhigend zu, als er zur Beifahrertür hinüberging und sie öffnete. Lisa sprang heraus und lief auf die Veranda zu. Doch der hohe Schnee machte es unmöglich, schnell voranzukommen. Sie stolperte. Rasch war Zach bei ihr, schulterte sie und trug sie ins Haus. Die Temperatur war stärker gefallen, als Zach im Wagen gedacht hatte. Er wusste, dass sich das Mädchen nur aus diesem Grund an ihn kuschelte. Der Weihnachtsmannanzug aus Polyester war warm und kuschelig. Ihm gefiel es, wie sie sich an ihn schmiegte. Es gab ihm eine Art väterliches Gefühl, das ganz angenehm war. "Lisa! Geht es dir gut, Schatz?" Die Frau öffnete die Arme. Zach reichte ihr widerstrebend das Mädchen. "Ihr geht es gut", meinte er kurz angebunden. "Ich fühle mich aber nicht so gut", stöhnte das Mädchen. "Was haben Sie ihr angetan?" Jenny zog Lisa an sich und warf Zach einen wütenden Blick zu. "Ich?" Zach sah sich um. Auch der Junge sah ihn vom Küchentisch her misstrauisch an. "Ich schwöre, dass ich ihr nur die Zuckerstange und ein paar Plätzchen gegeben habe." "Und du hast den Weihnachtsmann gefunden!" Andy stieß ein triumphierendes Kriegsgeheul aus und sprang vom Stuhl. "Ich muss keine Teller mehr abwaschen." "Die Plätzchen sind von Mrs. Goussley. Ehrlich, Sie können sie anrufen und fragen." "Das wird nicht nötig sein." Jenny setzte Lisa auf dem Fußboden ab und kniete sich vor ihr nieder, bis sie ihr in die Augen sehen konnte. "Wie viele Plätzchen hast du gegessen?" Lisa warf Zach einen anklagenden Blick zu. "Es waren nur Plätzchen aus Roggenmehl." Zach übernahm ihre Verteidigung. Er hatte nicht
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gezählt, wie viele davon auf dem Teller gewesen waren. "Roggenmehl ist gut. Es hilft beim Knochenaufbau und so." Jenny beugte sich vor und strich ihrer Tochter zärtlich über das Haar. Lisa war seit langer Zeit zum ersten Mal ungehorsam gewesen. In den letzten Monaten war sie viel zu ernsthaft und vernünftig für ein kleines Mädchen gewesen. Es machte nichts aus, wenn sie zu viele Plätzchen gegessen hatte. "Ein paar Kekse zu viel werden schon nichts schaden." Ein Windstoß rüttelte am Haus, und das Licht flackerte. "Ich hoffe, dass Sie die Lampe zur Hand haben." Zach blickte zum Küchenfenster hinaus. Der Himmel war nun vollkommen schwarz, bis auf die Schneeflocken, die vom Wind vorbeigepeitscht wurden. "Ich sollte den Tierarzt anrufen, bevor die Leitung tot ist." "Das Telefon ist da drüben." Jenny wies auf die Wand gegenüber der Spüle. "Haben Sie vorhin noch jemanden erreicht?" Zach trat zum Telefon. Ihr Freund war anscheinend keine große Hilfe. Wenn eine Frau ihn bei einem Sturm wie diesem angerufen hätte, wäre er in der Zwischenzeit längst bei ihr gewesen. "Ach, ich wollte noch abwarten." Zach zog den Zettel mit der Nummer aus seiner Tasche und wählte. "Hier spricht Zach Lucas." Das Telefon hatte nur einmal geklingelt, bevor abgehoben wurde. Der Doc musste seinen Anruf erwartet haben. "Ich bin bei Jenny ..." "Gott sei Dank ist jemand da! Meine Schwester hat schon angerufen. Es gibt einen echten Blizzard. Sie macht sich Sorgen." Ein weiterer Windstoß erschütterte das Haus, dann war die Leitung tot. Das Küchenlicht flackerte noch einmal auf, bevor es ganz ausging. Jenny blieb das Herz stehen. Ihr Haus war völlig dunkel. Draußen schien kein Mondlicht. Es gab überhaupt nichts. Sie hörte nur das Heulen des Windes und das Rütteln an den Fenstern. Dann folgte ein Schluchzen und das Scharren kleiner Füße. "Ganz ruhig, Andy. Ich komme zu dir." Jenny bewegte sich vorsichtig auf ihn zu. Andy hasste die Dunkelheit. Sie musste zu ihm. Er hatte Albträume. "Ich habe ihn schon", sagte Zach, als der Junge sich an seinem Schenkel festklammerte. Zach hob den Kleinen hoch. "Bei uns ist alles in Ordnung, nicht wahr, Partner? Es ist nur ein wenig dunkel." Der Junge vergrub sich in Zachs flauschigem Kostüm. Ein Weihnachtsmannanzug hatte doch etwas für sich. Selbst ein verrückter Anzug, wie ihn Delores zusammengestellt hatte. Die Kinder fühlten sich bei ihm wohl. Zu seinem Erstaunen mochte er das. "Ich mag es nicht, wenn es dunkel ist", flüsterte Andy leise. "Das ist okay", beruhigte ihn Zach. Er suchte mit einer Hand an seinem Gürtel nach dem Schalter, mit dem man die Lichterkette am Gürtel anknipsen konnte. Schließlich fand er ihn. Inzwischen war Jenny so dicht bei ihm, dass er ihr Parfüm riechen konnte. Er holte noch einmal Luft. Es war ein einfacher Duft. Pfirsich, wenn er sich nicht täuschte. Jetzt hätte er gern noch eine Minute oder zwei alles im Dunkeln belassen. Jenny griff nach Andy, wobei sie den Arm des Cowboys zu fassen bekam. Der weiche Anzug konnte seine stählernen Muskeln nicht verbergen. Jenny hätte eigentlich ihre Hand zurückziehen müssen, als sie entdeckte, dass sie anstelle ihres Sohnes den Cowboy berührte. Aber sie beließ ihre Hand, wo sie war. In der Dunkelheit gab ihr das einen Halt. "Jenny?" Jenny ließ den Arm des Mannes los. Sie war froh, dass er im Dunkeln ihr gerötetes Gesicht nicht sehen konnte. "Ich mache mir Sorgen wegen Andy." "Natürlich." Zach hob ihr den Jungen entgegen. "Hier ist er." Jenny streckte noch einmal die Hand aus und spürte dieses Mal Andys weiches Haar. Sie fühlte aber auch Zachs kantige Schulter. Draußen hatte es mindestens zehn Grad minus, und im Haus mochte es annähernd zwanzig Grad sein, dennoch war Zach heiß. Jennys Berührung war unendlich zart gewesen, hatte ihn aber fast versengt. "Können Sie ihn so lange halten, bis ich die Lampe geholt habe?" fragte Jenny. "Haben Sie die Öllampe schon hier in der Küche?" Jenny hatte im Dunkeln Orientierungsprobleme. "Sie muss irgendwo hier unter der Spüle sein." Zach stöhnte. "Dann beleuchten Sie lieber mich, bevor Sie sich noch das Genick brechen." "Wie bitte?" "Am Gürtel ist ein Schalter", erklärte Zach. "Da ist eine Lichterkette eingebaut. Vor einer Minute hatte ich den Schalter gefunden. Aber ich musste ihn loslassen, als ich Andy hochgehoben habe. Fühlen Sie einfach am Gürtel entlang, bis Sie ihn finden. Er ist mit einer Batterie verbunden." "An Ihrem Gürtel?" fragte sie atemlos. Zach schluckte trocken. Als ob er sie um etwas Intimeres gebeten hätte, als ein paar Lichter anzuknipsen. "Er muss ungefähr dort sein, wo Andys Füße sind." Jenny ließ ihre Hände über Andys Rücken hinabgleiten. Der Mann veränderte seine Lage, so dass
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sie plötzlich seinen Rumpf zu fassen hatte. Unter dem weichen Kostüm spürte sie die sehnige Muskulatur seiner Brust und seines Bauchs. "Ich kann ihn nicht finden." Jenny hielt inne, ließ aber ihre Hand auf seinem Bauch liegen. Sie wollte nicht zu tief gehen. Alles um sie herum war finster, sie brauchte einen Halt. Sie konnte Zach atmen hören. Zach merkte, dass er kurz den Atem anhielt. Er veränderte seine Stellung, um Andys Gewicht allein mit dem linken Arm halten zu können. Dann legte er seine rechte Hand auf Jennys Hand. Als er sie berührte, spürte er ihren Puls. Ihr Herz flatterte wie ein Vogel. "Haben Sie Angst?" flüsterte Zach. "Ich?" Jenny riss sich zusammen. Es war nur der Bauch eines Mannes. "Nein, ich bin in Ordnung." "Gut, ich befürchtete schon, Sie mit meinem Gerede über den Sturm geängstigt zu haben. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Wir werden das Ganze gut überstehen." Jenny hatte den Sturm vollkommen vergessen. "Natürlich." Zach führte Jennys widerstrebende Hand zu seiner Gürtelschnalle. Er hätte auch selbst den Schalter suchen können, aber es gefiel ihm besser, Jennys Hand in seiner zu halten. "Ich habe ihn." Jenny spürte einen Knopf und drehte ihn nach rechts. "Das war es!" Ein Dutzend winziger Lichter flackerte auf. Die Küche war nicht mehr ganz dunkel. Nur noch die Ecken wurden von langen Schatten erfüllt, während ein sanftes Glühen den Weihnachtsmann einhüllte. "Mommy!" Lisa rannte zu ihrer Mutter hinüber. Zach kam es vor, als ob die Zeit stehen blieb. Es gab in der Küche gerade genug Licht, um Jennys Augen sehen zu können. Zach bemerkte erst, als sie blinzelte, dass er sie angestarrt hatte. "Ich hole jetzt lieber die Lampe." Jenny rührte sich nicht. Der Mann glich in der seltsamen Beleuchtung mehr denn je dem Bild auf der Müslipackung. Es musste an seinen Augen liegen. Er blickte sie an, als ob sie ihm eben eine Meisterschaftstrophäe überreicht hätte. "Ich hatte keine Ahnung, wie hell diese Lämpchen sind." Zach versuchte sich auf die Realität zu konzentrieren. Er konnte nicht einfach so dastehen und diese Frau anstarren. Sie hätte ihn sonst für einen Verrückten gehalten. "Ach." Das entzückt ihn also so, dachte Jenny enttäuscht. Männer und ihre elektronischen Spielzeuge. "Ja, sie sind wirklich nicht schlecht. Tolle Lichter!" Zach spürte, wie sich Andy in seinen Armen wand. "Ich habe Hunger", meinte er, als er sich auf den Boden hinabrutschen ließ. "Lass mich zuerst die Lampe anzünden." Jenny tätschelte Andys Kopf, als sie sich zur Spüle wandte. "Dann werde ich sehen, was sich für das Abendessen machen lässt." Jenny ließ im Geist ihren Dosenvorrat Revue passieren. Sie wünschte, dass ihr Delores für den Fall eines Schneesturms mehr Vorräte empfohlen hätte. Sie hatte nichts da, was für einen Besuch geeignet war. "Ich fürchte, es gibt keine Delikatessen." "Ich brauche keine Delikatessen", entgegnete Zach. Eine Stunde später saßen sie ohne etwas Warmes auf dem Teller am Tisch. "Ich hätte nicht gedacht, dass die Leitungen ein Problem sein könnten." Die äußere Zuleitung für den Propanherd war durch den Wind losgerissen worden. Zach hatte sie vorsorglich gekappt. Er brauchte besseres Licht, um sie wieder sicher anschließen zu können. "Mir reicht das hier." Zach lächelte. Sie aßen zum Abendbrot sein Frühstücksmüsli. "Ich hatte keine Ahnung, wie das Zeug schmeckt." "Es ist mein Lieblingsmüsli." Andy schob seinen Stuhl näher zu Zach, bevor er auf ihn kletterte. "Weil der Kühlschrank nicht mehr funktioniert, wollte ich die Milch lieber aufbrauchen." Jenny stellte einen Teller mit Brot auf den Tisch, bevor sie sich zu den anderen setzte. "Ich hatte einen Coupon für das Müsli." "Dann probieren Sie es nur?" "Das kann man so nicht sagen." Jenny drehte die Schachtel unauffällig so hin, dass sie das Gesicht des Mannes nicht sah. "Wir essen viel Müsli." "Es ist mein Lieblingsmüsli", wiederholte Andy, während er seinen Löffel schwang. "Cowboys essen es." "Es ist nur dein Lieblingsmüsli, weil Mom eine Tonne davon gekauft hat." Lisa nahm sich ihre Serviette. "Mr. Lucas interessiert sich nicht dafür, was wir essen", warf Jenny panisch ein. "Wir sollten lieber über etwas anderes sprechen." Sie versuchte Konversation zu machen. "Wie war Ihr Tag heute?" Zach sah, wie Andy einen Löffel Müsli trocken in den Mund schob. Es krachte beim Kauen. "Mein Pferd ist leider krank geworden, aber ich hatte trotzdem Spaß bei der Postzustellung. Ich habe ein paar nette Menschen getroffen. Und wie war Ihr Tag?" "Ach, Ihr Pferd. Konnte der Doc Ihnen sagen, wie es ihm geht, bevor die Verbindung unterbrochen
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wurde?" "Ihm geht es sicher gut. Es hatte nur ein wenig Fieber." Zach entging nicht, dass Jenny seiner Frage ausgewichen war. "Ich wette, Sie haben den Tag mit Weihnachtsvorbereitungen zugebracht." Jenny schnappte nach Luft. "Was soll ich sagen?" Selbst in der dämmrigen Küche sah Zach, dass er die falsche Frage gestellt hatte. "Nichts. Es ist nur so ..." Jenny sah ihre beiden Kinder an, die zu Seiten des Fremden saßen. Weil seine Augen sie genauso anblickten wie auf der Müslipackung, war er ihr nicht fremd. Sie konnte ihre Schuldgefühle nicht länger unterdrücken. "Ich bin eine schreckliche Mutter." Zach sah ihre Augen feucht werden, bevor sie den Kopf senkte. "Das kann nicht wahr sein." Es war das Einzige, was ihm zu sagen einfiel. Jenny sah ihn an. "Ich habe den Kindern ein richtiges Weihnachtsfest vorenthalten, deshalb ist Lisa auch mit Ihnen davongelaufen." "Lisa ist überhaupt nicht davongelaufen. Sie wollte nur ihre Wette gewinnen." "Genau. Ich würde doch nicht weglaufen. Ich wollte nur Andy beweisen, dass es am Nordpol keinen Weihnachtsmann gibt." "Verstehen Sie mich?" seufzte Jenny. Zach nickte vorsichtig. Er verstand überhaupt nichts. Doch diese Frau brauchte offensichtlich sein Verständnis. "Wie schade, dass um diesen Tag so viel Aufhebens gemacht wird. Es ist doch nur der fünfundzwanzigste Dezember, ein Datum wie jedes andere." Zach hörte, wie alle drei zugleich nach Luft schnappten. Immerhin hatte Jenny zu weinen aufgehört. "Aber Weihnachten ist der Geburtstag von Jesus", bemerkte Lisa steif. "Alle Kinder brauchen Weihnachten", sagte Jenny im selben Augenblick. "Glaubst du denn nicht an Weihnachten?" Andys erschrockene Frage traf den wunden Punkt. Zach wand sich. Dann wählte er die männliche Lösung. Er log. "Natürlich glaube ich an Weihnachten." Jenny sah ihn skeptisch an. "Aber Weihnachten glaubt nicht an mich", fügte Zach leise hinzu. "Nun, auch Sie werden sicherlich auf Ihre Weise Weihnachten feiern", meinte Jenny. Dann fielen ihr seine Pläne wieder ein. "Natürlich, deshalb reisen Sie doch nach Las Vegas." Zach stöhnte leise auf. "Ich werde dort nicht Weihnachten feiern. Ich fahre dorthin, um die Existenz dieses traurigen Tages zu vergessen." "Ich dachte, Sie hätten vor, dort einen Freund zu treffen." Jenny musterte ihn. Keiner fuhr nach Las Vegas, um dort während der Feiertage allein zu sein. "Über die Feiertage werden die Hotels ausgebucht sein." "Patti hat immer Platz für mich." "Ich verstehe", meinte Jenny nervös. Jenny hatte keine Ahnung, warum es ihr etwas ausmachte, dass er wegen einer Frau hunderte von Meilen fuhr. Sie hätte darüber eher froh sein müssen. Das machte die Dinge einfacher. Das Letzte, was sie und ihre Familie brauchten, war so ein Mann. Sie brauchten jemanden, der verlässlich war. Jemanden, der einen guten Ehemann und Vater abgab. "Dann brauchen Sie sich natürlich wegen der Reservierung keine Gedanken zu machen." Zach nickte. Jenny konnte es nicht dabei bewenden lassen. "Vielleicht werden Sie sich dort eine Show ansehen. Ich habe gehört, dass es dort herrliche Weihnachts-Shows geben soll." "Sie denken da an die Familien-Shows. Patti und die Mädchen machen keine Familienunterhaltung." "Ist Patti denn eine Sängerin?" Zach schüttelte den Kopf. "Nein, sie ist nur ein Showgirl." "Trägt sie Federn im Haar?" Jenny wusste, was diese Showgirls trugen und was nicht. "Sie muss sehr hübsch sein." "Ich denke schon." Zach sagte sich, dass Patti wohl ziemlich attraktiv sein musste. Er hatte letztes Jahr ein paar Stunden mit ihr verbracht. Sie war blond, aber ansonsten erinnerte er sich kaum an sie. "Ich weiß aber nicht einmal, was für Augen sie hat." "Vielleicht sollten Sie ihr nächstes Mal lieber in die Augen schauen." Jenny hielt inne, da die Kinder am Tisch saßen. "Möchten Sie noch mehr Müsli?" "Wissen Sie, so ein Showgirl-Auftritt besteht hauptsächlich aus Aerobic." Zach nahm die Müslischachtel, die ihm Jenny angeboten hatte. "Aerobic?" "Das ist so eine Art Cheerleader-Gymnastik", meinte Zach ungerührt, während er sich noch mehr Müsli in seine Schüssel schüttete. "Nur mit Federn und einem Bikini voller Ziermünzen." "Mom war auch Cheerleader", verkündete Lisa stolz. Sie pausierte mit dem Löffel auf halbem Weg
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zum Mund. "Nicht wahr, Mommy?" "Vor langer Zeit." "Wirklich?" "Vor sehr langer Zeit." "Wir haben immer noch ihre Quasten", verriet Lisa, während sie den Löffel wieder auf den Teller legte. "Sie hatte weder Federn noch einen Bikini. Aber sie war trotzdem ein Cheerleader." "Das glaube ich gern." Zach konnte sich Jenny als Cheerleader lebhaft vorstellen, fand die Vorstellung aber für die gegenwärtige Situation unpassend. "Sie muss auch ohne Federn wunderbar ausgesehen haben." Jenny errötete. "Der Schnee dürfte bis morgen geschmolzen sein", wechselte sie das Thema. "Es ist noch zu früh für einen Schneesturm, der sich hält. Sie dürften es noch rechtzeitig zur Show schaffen." Zach sah sie an, als ob er an ihrem Verstand zweifelte. "Wieso denken Sie das?" "Im Reiseführer stand ..." Zach schnaubte. "Haben Sie den Reiseführer hier? Das möchte ich sehen. Ich kann Ihnen garantieren, dass dieser Schneesturm achtundvierzig Stunden andauern wird." "Das ist unmöglich." Jenny sah verblüfft aus. "In Montana gibt es vor Weihnachten keine lang anhaltenden Schneestürme." "Erzählen Sie das dem Osterhasen", meinte Zach. "Dann werden Sie also Weihnachten hier verbringen." "Sieht ganz danach aus." "Ich fürchte, dass es weniger aufregend als in Las Vegas sein wird", meinte Jenny. Wahrscheinlich würde er morgen weiterfahren können. Der Postwagen hatte Allradantrieb. Damit konnte man Strecken fahren, die mit ihrem Auto nicht passierbar waren. Ihr kam das Haus plötzlich zu klein vor. Sie hatte Weihnachten zu bescheiden geplant, um diesen Mann zu Besuch hier zu haben. "Wir haben nicht einmal einen Baum." Zach schnürte plötzlich sein Hemdkragen. Er schluckte. "Ein Baum ist sowieso nur eine Brandgefahr." "Magst du keine Weihnachtsbäume?" fragte ihn Lisa, als ob er gesagt hätte, dass er Babys hasse. "Nun, ich habe im Grunde nichts gegen sie", lenkte Zach ein. "Vor allem, solange keine Kerzen darauf brennen." "Ohne Kerzen!" spottete Lisa. "Ohne Kerzen ist es auch kein Weihnachtsbaum. Das weiß doch jeder." Jenny wusste, dass sie sich mehr um einen Baum hätte bemühen müssen. Aber es war noch nicht zu spät. "Ich werde uns morgen einen Baum besorgen." "Wirklich?" wandte sich Lisa atemlos an ihre Mutter. "Machst du das?" "Natürlich", meinte Jenny. "Wir sind in Montana. Hier gibt es viele Bäume. Vielleicht wird es kein Tannenbaum, wie wir ihn in Los Angeles hatten, aber ich werde einen Baum zum Schmücken finden." "Morgen wird es zehn Grad unter Null haben", wandte Zach ein. "Sie werden sich den Tod holen." "Morgen gibt es schönes Wetter", entgegnete Jenny mit erhobenem Kopf. "Die Schneestürme in Montana dauern zu dieser Jahreszeit nicht an." Zach stöhnte auf. Selbst wenn morgen die Sonne scheinen sollte, konnte er diese Familie nicht bei diesem Schnee allein lassen. Sie würden Weihnachten nicht überleben, wenn sie so weitermachten. Jenny würde beim Baumabsägen erfrieren. "Bitte versuchen Sie nicht, Weihnachtsplätzchen zu backen, bevor die Propanleitung befestigt ist." "Plätzchen." Andy seufzte glücklich auf. "Wirst du für uns backen?" "Ich?" Zach gefiel der vertrauensvolle Blick des Jungen nicht. "Ich backe nicht." "Ich werde dir helfen", meinte Andy unbeirrt. "Ich kann rühren. Wir können doch Plätzchen machen, nicht wahr, Mom?" Jenny sah ihren Sohn an. Er hatte noch nie mit einem Mann so viel Zeit verbringen wollen. Es musste daran liegen, dass Zach ein Cowboy war. Wie konnte sie ihrem Jungen nur beibringen, dass sich dieser Mann keine Schürze umband und mit einem kleinen Jungen Plätzchen buk? "Mr. Lucas hat vielleicht anderes zu tun." Zum Glück fragte Andy nicht nach, was der Mann zu tun hatte. Es war dieselbe Entschuldigung, die sein Vater immer gebraucht hatte, wenn Andy ihn gebeten hatte, etwas mit ihm zu machen. Zach sah, wie der frohe Ausdruck in Andys Augen erlosch. Er mochte das nicht. "Ich schätze, dass ich das Plätzchenbacken lernen kann." "Wirklich?" Andy strahlte wieder. "Wie bitte?" Jenny starrte Zach an, als ob er einen Flug zum Mond angeboten hätte. "Sind Sie sicher?" Zach nickte. Ich werde nicht weich, beschwor er sich. Er war mit dieser Familie eingeschneit. Er
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war sozusagen gestrandet und machte das Beste aus einer dummen Situation. Jeder würde das machen. Es war einfach diese Jahreszeit. Er hoffte wirklich, dass er nicht weich wurde.
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Kapitel 4 Jenny blieb nichts anderes übrig, als den Müsli-Cowboy zusammen mit den Kindern nach dem Essen ins Wohnzimmer zu führen. "Wir leben hier erst seit etwas mehr als einem Monat." Jenny trug die Petroleumlampe, obwohl auch Zachs Leuchtgürtel den Flur genügend erhellte. Das Wohnzimmer war nahezu leer. Lediglich eine Pinnwand aus Kork mit Schnappschüssen von den Kindern verzierte eine der Wände. An der anderen Wand standen ein paar Kisten. Die Deckel der Kisten waren geöffnet. Sie enthielten offenbar Kinderbücher. Da sie keinen Fernseher hatten, suchten sich die Kinder jeden Abend eine Lieblingsgeschichte aus, die ihnen Jenny vorlas, während sie auf dem Sofa beisammen saßen. Lisa liebte Märchen, Andy Tiergeschichten. "Wir campen", vertraute Andy Zach an, als sie das Wohnzimmer betraten. "Deshalb brauchen wir keine Möbel." Jenny war es peinlich. Das einzige Möbelstück war ein rostfarbenes Sofa, das durchgesessen war und das auf dem rechten Sitz einen Ölfleck hatte. Jenny hatte den Fleck mit einer hellblauen Afghanendecke bedeckt, die sie gestrickt hatte, als sie mit Andy schwanger war. Es war eine Babydecke. Aber sie hatte sie groß gemacht, und so bedeckte sie das Sofa fast ganz. "Ich möchte ein paar Möbelstücke kaufen, sobald ich wieder nach Billings fahren kann." "Ich habe schon gehört, dass Ihr Auto kaputt ist", meinte Zach, der Andy auf das Sofa folgte. "Doc Norris sagte, es sei der Kühler." Kaum hatte sich Zach auf das Sofa gesetzt, schmiegte sich Andy in das Kissen neben Zachs Ellbogen. "Der Doktor hat Schweine", flüsterte er. "Stimmt das?" Zach sah auf den Jungen hinab. Das Wohnzimmer war von seltsamen roten und grünen Schatten erfüllt. Ganz gleich, welche Farbe das Gesicht des Jungen erhellte, es strahlte ihn an. Zach verspürte einen Anflug von Wehmut darüber, niemals so zutraulich gewesen zu sein. Jedenfalls war er es bestimmt nicht mehr mit vier Jahren gewesen, höchstens noch mit vier Monaten. Er hatte früh lernen müssen, auf sich selbst aufzupassen. In Andys Alter hatte er sich bereits um seine alkoholabhängigen Eltern gekümmert. "Ich habe auch Schweine", sagte Andy und hüpfte vom Sofa herunter. "Sie prusteten und pusteten." Zach kam es vor, als ob er wie durch Zauber in eine andere Welt versetzt worden wäre. "Der Wolf prustete und pustete", korrigierte Jenny ihren Sohn. Zugegebenermaßen nahm der Cowboy das spärliche Mobiliar besser auf als erwartet. Er sah sich kein einziges Mal bedauernd um. Andy entdeckte das gesuchte Buch und streckte es Zach entgegen. "Lies mir die Geschichte vor." "Mr. Lightning hat vielleicht keine Zeit dazu." Jenny hätte es lieber gesehen, wenn sich Andy nicht so schnell mit dem Cowboy angefreundet hätte. Wahrscheinlich hätte er sich gegenüber jedem Mann so verhalten. Nur würde ein so unbeständiger Mensch wie Zach keine Geduld mit dem kleinen Jungen haben. Sie konnte es nicht ertragen, dass Andy gekränkt wurde. "Er ruht sich aus." Andy legte schnell sein Buch weg und sah Zach erstaunt an. "Ist er krank?" "Keine Sorge. Ich bin keiner, der krank wird. Ich bin so gesund wie ein Pferd." "Dein Pferd ist krank", merkte Lisa an. "Das ist Thunders Veranlagung", meinte Zach. Das Mädchen trat näher zu ihm heran, hielt aber noch Abstand. "Er klagt immer wieder und jammert. Er hat eben nicht mein sonniges Gemüt." Zach sah, dass Lisa kurz lächelte, bevor sie die Augen verdrehte. "Gib mir mal das Buch", forderte Zach Andy auf. Er klopfte auf den freien Platz neben sich. "Wir können es alle zusammen lesen. Ich habe immer über die Wölfe nachgedacht. Ich dachte damals, dass ich einen Wolf als Spieltier bekommen könnte." "Wölfe sind keine Spieltiere", informierte ihn Lisa. Sie setzte sich steif auf den Rand des Sofas. "Es sind gefährliche Tiere." Irgendwie kamen sie von den Wölfen zu einer Ballerina, worüber er Lisa eine Geschichte vorlesen sollte. "Sie hat ein Diadem", erklärte ihm Lisa feierlich. Sie zeigte ihm im Buch den glänzenden Ring am Kopf des Mädchens. Inzwischen schmiegte sich auch Lisa an seinen Arm. "Sie sieht wie eine echte Prinzessin aus", erklärte Zach. Er war den Kindern gern nahe. Wenn nur auch Jenny zu ihnen aufs Sofa gekommen wäre. Aber Jenny sah dem Cowboy und ihren Kindern von einem Klappstuhl aus gebannt zu. Eine solche Szene hatte es in ihrer Ehe nicht gegeben. Selbst wenn ihr verstorbener Ehemann Stephen sich so weit entspannte, dass er sich einem Kind zuwandte, hatte er sich nie mit beiden zugleich beschäftigt. Er hatte ihnen auch nie etwas vorgelesen. Für Andy war die Bettzeit längst überfällig, dennoch ließ Jenny ihnen Zeit. Sie hätte gern ein Foto von den dreien gemacht, aber sie befürchtete, damit diesen Augenblick zu zerstören. Ihre Kinder
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würden sich lange daran erinnern, wie dieser Cowboy ihnen Geschichten vorgelesen hatte. "Ich habe den Weihnachtsmann um ein Diadem gebeten", meinte Lisa seufzend, als Zach die letzte Seite des Buchs gelesen hatte. "Aber es ist zu teuer." "Der Weihnachtsmann braucht kein Geld", flötete Andy fröhlich. Er schmiegte sich noch enger an Zach. "Er hat Elfen, die so ein Ding machen können." "Elfen können kein Diadem machen", klärte ihn Lisa auf, während sie sich streckte und Zach das Buch abnahm. "Sie haben keine Juwelen. Man braucht Juwelen für ein Diadem."
"Ach." Andy dachte nach. "Aber sie haben Cowboysachen. Für Cowboysachen braucht man keine Juwelen. Wünsch dir doch dasselbe wie ich." Lisa brachte das Buch zur Kiste zurück. "Hoffentlich hast du das nicht in deinem Brief geschrieben. Wenn ich kein Diadem haben kann, möchte ich zumindest etwas Schönes haben und nicht Cowboysachen." Jenny ahnte, was kommen würde, und schritt schnell ein. "Zeit für das Bett, Andy." Sie erhob sich. "Du darfst deinen Cowboypyjama anziehen." Sie sprach betont ruhig. "Wann bringst du meinen Brief zum Weihnachtsmann, Mr. Lightning?" fragte Andy leise. "Du hast Lisa zurückbringen müssen und bist gar nicht am Nordpol gewesen." Zach hatte das ganz vergessen. Er sah Jenny fragend an. "Mr. Lightning hat getan, was er konnte", meinte Jenny begütigend und ging zu ihrem Sohn hinüber. "Draußen tobt ein Schneesturm, und die Straßen sind zugeschneit. Er musste umkehren, bevor er den Nordpol erreichen konnte." Andy sah Zach verstört an. "Aber du wirst ihn doch noch zustellen, nicht wahr? Es ist schon fast Zeit für den Weihnachtsmann. Er muss meinen Brief bekommen, sonst weiß er nicht, was er mir bringen soll." Zach fühlte sich zweifellos wie ein Trottel. "Ich warte nur, bis alle im Bett sind. Dann werde ich den alten Laster anwerfen und eine kleine Tour machen." Andy sah Zach erleichtert an. "Es wird nicht lang dauern. Du kannst schnell fahren. Brumm, brumm. Das hast du gesagt." "Das habe ich." Lisa verdrehte die Augen. Jenny wollte schon einschreiten, doch beide sagten nichts mehr. "Je schneller du zu Bett gehst, desto schneller kann ich zum Nordpol fahren", meinte Zach. Jenny hatte Andy noch nie so schnell im Bett gesehen. Selbst Lisa verschwand zufrieden in ihrem Zimmer. Jenny hatte für jedes Zimmer eine Matratze besorgt. Auf Gesellschaft war sie allerdings nicht vorbereitet. "Leider kann ich Ihnen nur das Sofa anbieten." Zach lächelte. "Das Sofa ist prima." "Es ist nicht allzu schlimm", entschuldigte sich Jenny. Sie holte aus einer Kiste mehrere Wolldecken hervor. "Ich habe auch ein paar Decken übrig, die Sie verwenden können. Ein Kopfkissen habe ich nicht übrig, aber wir können eine Decke zusammenrollen." "Das ist prima", wiederholte Zach. Der Brief an den Weihnachtsmann war eine kompliziertere Sache geworden, als sie gedacht hatte. "Andy kann sehr hartnäckig sein." "Das ist eine gute Eigenschaft." Jenny sprach leise. "Wir sagen ihm am Morgen, dass Sie den Weihnachtsmann besucht haben, während er schlief." "Das wird er nicht glauben", flüsterte Zach. "Er wird so lange wach liegen, bis ich aufbreche." Zach schüttelte hartnäckig den Kopf. "Er ist zwar erst vier, aber er ist ein waches Kerlchen." "Was sollen wir dann machen?" Zach sprach jetzt lauter. "In wenigen Minuten werde ich abfahren." "Ach, ich verstehe." Jenny versuchte, ihre Enttäuschung zu verbergen. Zach blinzelte ihr zu. "Ich fahre doch nicht nach Deep Gulch. Ich muss nur kurz am Nordpol vorbeischauen." Sie hörten beide einen zufriedenen Seufzer aus Andys Zimmer. Jenny musste lächeln. Sie winkte Zach, ihr zu folgen. An der Garderobe in der Küche nahm sie eine graubraune Wolldecke vom Haken. "Ich kann von einem Fremden nicht erwarten, dass er das für meine Kinder tut. Ich hätte den Brief an den Weihnachtsmann schon längst abschicken sollen. Es ist wirklich nicht Ihr Problem." Zach, der einen Moment geglaubt hatte, dass sie mit ihm ins Auto kommen wollte, kämpfte mit seiner Enttäuschung. Er hatte sich auf einen oder zwei Küsse während der Nachtfahrt gefreut. Zach holte tief Luft. "Es ist vielleicht nicht mein Problem, aber es ist mein Laster." Zach stemmte die Hände in die Seiten. Das war ein Argument. "Ich werde den Wagen fahren." Jenny schlang die Decke wie einen Umhang um sich. "Wir wissen beide, dass es nicht Ihr Wagen ist, sondern dass er der Post gehört."
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"Dieser Laster wurde mir anvertraut", entgegnete Zach stur. Er nahm die Hände wieder von den Hüften. Das dicke Futter des Weihnachtsmannkostüms gab ihm ein lächerliches Gefühl. "Der Doc hat kein Wort davon gesagt, dass ich ihn Leuten ausleihen soll, damit sie ihn wie eine Art Do-it yourself-Taxi benutzen." "Ich bin eine gute Fahrerin. Sie können in der Küche warten, bis ich zurück bin. Dann denken die Kinder, dass auch Sie weg sind. Behalten Sie nur den Ofen im Auge." "Falls die Kinder glauben sollen, dass ich weg bin, sollte ich lieber fahren." "Aber es muss jemand hier bleiben, falls etwas schief läuft." Jenny lächelte Zach an. "Keine Sorge, die Kinder machen keine Schwierigkeiten. Sie kommen nicht mehr aus dem Bett, sobald sie sich einmal hingelegt haben und ihre Decken warm sind." Zachs Gesicht verfinsterte sich bei der Erwähnung der Decken. Die Wolldecke, die Jenny wie einen Umhang trug, war ein Unding. "Benutzen Sie das etwa als Mantel?" Jenny warf den Kopf in den Nacken. "Wir haben in Los Angeles gewohnt. Dort war es nicht so kalt, dass man einen dicken Mantel benötigte." "Jetzt sind Sie aber nicht mehr in Los Angeles." Zach sah, dass zwei neue Steppmäntel an den anderen Haken hingen. Einer in Pink für Lisa und ein roter für Andy. "Sie hätten auch für sich einen Mantel kaufen sollen." Jenny zuckte mit den Achseln. "Die Kinder benötigten die Mäntel dringender als ich. Ich kann bis zum Frühjahr warten." Zach sagte nichts. Sie war fast eine Heilige. Auf eine seltsame Weise fühlte er Stolz in sich aufsteigen. Dann wurde ihm klar, dass ihn diese Frau nie aus freien Stücken küssen würde. Vor langem hatte er gelernt, dass es kompliziert war, eine gute Frau zu küssen. Sie nahmen Küsse ernst. Ein Kuss oder zwei, und schon dachten sie an ein Porzellan-Service und die Einführung in die Familie. Zach wusste nicht einmal mehr, wo seine Eltern lebten. Selbst wenn er es gewusst hätte, hätte er ihnen sicher keine Frau vorgestellt. Jenny hob die Decke, um sie sich auch um den Kopf zu wickeln. "Andy hat mich gebeten, seinen Brief zuzustellen." Zach schob den Kragen an seinem Weihnachtsmannkostüm hoch. Auch ohne Hoffnung auf einen Kuss würde er seine Aufgabe ausführen. "Ich bin für die US-Post verantwortlich. Ich bin derjenige, der fährt." Jenny sah ihn an. Obwohl es dunkel war, konnte sie sein Gesicht sehen. An seiner Wange zeichneten sich feine rote Linien ab, wo der Bart gescheuert haben musste. Ein leichter Bartansatz bedeckte sein ausgeprägtes Kinn. Er blickte sie mit seinen braunen Augen entschlossen an. Sie hatte denselben festen Blick auf den Rodeo-Bildern auf der Müsliverpackung gesehen. Er gab einen entschlossen blickenden Weihnachtsmann ab. "Aber draußen ist es kalt." "Dann machen Sie mir etwas Heißes zu trinken, wenn ich zurückkomme." "Ich weiß nicht, was ich sagen soll", wandte Jenny noch einmal ein. Die Decke um ihre Schultern fühlte sich steif an. "Sie müssen das nicht tun, wo Sie doch Weihnachten nicht einmal mögen." "Doch, ich mag es." Zach biss die Zähne zusammen. "Wieso müssen Sie wegen allem so einen Aufstand machen?" "Sie meinen wegen der Zustellung eines Kinderbriefs an den Weihnachtsmann?" fragte Jenny leise. "Nein, das nicht. Der Brief ist wirklich wichtig. Das ist die Aufgabe des Postdiensts. Ich mache nur meine Arbeit." Jenny lächelte. "Ein Verlustgeschäft. Es ist nicht einmal ein offizieller Stempel auf dem Umschlag." "Für mich ist er offiziell genug." Er machte eine Pause. "Außerdem habe ich mein Wort gegeben. Andy zählt auf mich." Jenny war sprachlos. Zach nutzte die Pause aus. Er öffnete die Tür und ging. Die Kälte von draußen verblieb kurz in der Küche, während Jenny durch das Fenster bei der Tür den hüpfenden roten und grünen Lichtern nachblickte. Dieser Mann hielt sein Wort. Sie konnte den Laster auch hören. Zach ließ den Motor anscheinend extra aufheulen, damit man auch hörte, dass er abfuhr. Jenny war erstaunt über diesen Cowboy, der tatsächlich sein Wort hielt. Ihr verstorbener Ehemann hatte nur Versprechen gegenüber Erwachsenen als verbindlich angesehen. Und auch nur, wenn es sich dabei um Männer handelte. Jenny fragte sich, ob sie den Cowboy falsch eingeschätzt hatte. Es machte zwar keinen großen Unterschied, weil sie kein zweites Mal einem Mann mit einer so starken sexuellen Anziehungskraft Raum in ihrem Leben einräumen würde. Falls sie wieder heiraten sollte, würde sie wegen der Kinder heiraten. Sie würde einen soliden Mann im Ort wählen. Vielleicht einen Bankangestellten oder einen Lehrer. Einen Cowboy auf keinen Fall. Jenny zog die Decke enger um sich. Sie wünschte, der Cowboy hätte sie fahren lassen. Sie fühlte sich ihm gegenüber verpflichtet und wollte sich nicht noch mehr in seine Schuld begeben. Sie besaß
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ihren Stolz, hatte aber keine Mittel, um ihre Schuld zu begleichen. Dann fielen Jenny die paar Dollar ein, die noch auf ihrem Bankkonto waren. Sie konnte ihm einen Scheck ausstellen. Damit ließ sich die Schuld begleichen, dachte sie zufrieden. Zach hielt im Dunkeln an. Er war ungefähr eine Meile weit gefahren. Schnell machte er das Licht aus für den Fall, dass Andy ihm nachgeschaut hatte. Er würde die Scheinwerfer für ein paar Minuten aus lassen, damit es aussehen würde, als ob der Laster ganz weit weg sei. Jenny hatte zwar gesagt, dass die Kinder nicht mehr aufstehen würden, aber Weihnachten war etwas Besonderes. Ohne die Heizung kühlte die Luft im Wagen schnell ab. Die schwarze Nacht war trotz der Kälte draußen friedlich. Zach schaltete das Licht an seinem Gürtel an, um auf seine Armbanduhr sehen zu können. Wie lange brauchte man nach der Meinung eines Kindes wohl bis zum Nordpol? Zach zog den Brief hervor, den Andy geschrieben hatte. Er war nicht neugierig auf die Wünsche. Die Kinder hatten ihm bereits gesagt, was sie wollten. Aber er machte sich langsam Sorgen. Die Kiste, die er Jenny mit der Post zugestellt hatte, war für die Weihnachtswünsche der Kinder nicht schwer genug gewesen. Zach saß in der Stille. Er wusste aus Erfahrung, wie es war, an Weihnachten enttäuscht zu werden. Er hatte nie an den Weihnachtsmann geglaubt. Als er zehn Jahre alt gewesen war, hatte jemand eine Weihnachtskarte mit einem Familienfoto an seine Eltern geschickt. Alle auf dem Foto standen neben einem Weihnachtsbaum und sahen glücklich aus. Das war der erste Hinweis für Zach, wie dieser Tag bei anderen Familien verlief. An diesem Weihnachtsfest entschloss sich Zach, dass die Feiertage auch bei ihnen so sein sollten. Zach hatte einen dürren, übrig gebliebenen Baum auf einem nahe gelegenen Fabrikgelände erbettelt und ihn am Weihnachtsabend im Wohnzimmer aufgestellt. Er hatte geglaubt, dass der Baum alles ändern würde. Er hatte gehofft, dass seine Familie wie die Familie auf der Karte werden würde. Doch seine Eltern hatten den Baum nur als Entschuldigung dafür benutzt, um noch mehr als üblich zu trinken und dabei miteinander gestritten, wer als Nächster einen Toast anbringen sollte. Keiner hatte bei ihnen an Weihnachten gelächelt. Zach hatte den Baum am nächsten Tag zusammen mit seinen Hoffnungen auf ein schöneres Zusammenleben entsorgt. Aber Andy und Lisa waren liebe Kinder und hatten ein schönes Weihnachtsfest verdient. Im Dunkeln hatte Zach plötzlich einen Einfall. Er, Zach "Lightning" Lucas wusste, was die Kinder wollten. Obwohl er kein echter Weihnachtsmann war, hatten sie ihm ihre Weihnachtswünsche anvertraut. Es war an der Zeit, seinem Kostüm Genüge zu tun. In dieser tief verschneiten Ecke Montanas war er der einzige Weihnachtsmann. Er würde die erhofften Geschenke besorgen. In Deep Gulch war das Gewünschte nicht zu erhalten. Der einzige Laden am Ort verkaufte zwar vom Brot bis zum Motorenöl fast alles, würde aber weder Lisas Diadem noch Andys Cowboyanzug auf Lager haben. Zach sah in seinem Matchsack auf der Ladefläche nach. Er hatte für die Reise nach Las Vegas nicht viel eingepackt, hatte aber zumindest den erst letzten Monat gewonnenen, neuesten Meisterschaftsgürtel dabei. Er hatte auch ein kaputtes Zaumzeug in der Tasche, das er hatte reparieren wollen. Er konnte mit Leder arbeiten und daraus einen Gürtel für den Jungen machen. Wenn er seinen Stetson dick fütterte, würde er dem Jungen passen. Er hatte zwar kein Spielzeuggewehr, aber er konnte aus der Paketschnur im Wagen ein kleines Lasso flechten. Lisas Diadem würde schwieriger werden, weil er dafür Juwelen benötigte. Als er darüber nachdachte, fiel ihm auch hier eine Lösung ein. Er durchsuchte seinen Matchsack, bis er Pattis Weihnachtsgeschenk fand. Es war ein Strumpfband aus Spitze, das mit Edelsteinen verziert war. Das Showgirl würde auf ein weiteres Accessoire verzichten können, aber Lisa würde die schillernden Bergkristalle sowie die kleinen Rubine lieben. Wenn Jenny einen biegsamen Kleiderbügel aus Metall besaß, würde er es schaffen. Als Zach den Motor wieder anließ, war für ihn Weihnachten plötzlich akzeptabel. Ausgerechnet Zach "Lightning" Lucas sprang für den Weihnachtsmann in die Bresche. Er lachte brummig, um zu sehen, ob er den Bogen wirklich heraushatte. Es wirkte unecht. Aber das machte nichts. Er musste sich den Kindern zuliebe vom Geist der Weihnacht erfüllt zeigen, selbst wenn es ihn umbringen würde. Hoffentlich unterstützte ihn Jenny dabei.
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Kapitel 5 Jenny blickte wieder aus dem Fenster. Eine Zeit lang war es draußen vollkommen dunkel gewesen. Jetzt sah sie die Lichter des Postautos wieder näher kommen. Mittlerweile hatte Jenny noch einmal einen Blick auf ihren letzten Kontoauszug geworfen. Es war eine armselige Summe, mit der sie über den Winter kommen mussten. So hatte sie nur einen Scheck über sieben Dollar ausgestellt, damit wenigstens ausreichend Geld für die Reparatur des Kühlers übrig blieb. Jenny glättete ihr Haar, als der Wagen vor dem Haus anhielt. Sie hatte im Fonduetopf mit einem Teelicht Wasser heiß gemacht. Lucas sollte ein warmes Getränk bekommen, sobald er das Haus betrat. Dadurch und durch den Scheck würde sie sich ihm gegenüber weniger verpflichtet fühlen. Als Zach im nächtlichen Dunkel ausstieg, wirkte Jennys Haus freundlicher als am Tag. Das flackernde Licht aus dem Küchenfenster sah einladend aus. Als ob jemand auf die Heimkehr des letzten Familienmitglieds wartete. Vielleicht, dachte Zach trocken, bevorzugte er deshalb betriebsame Hotels. Die nächtlichen Neonlichter machten jedem klar, dass es nicht persönlich gemeint war, wenn hier jemand auf einen wartete. Zach liebte das Geschäftsmäßige dieser Hotels. Wenn keiner auf einen wartete, konnte auch niemand enttäuscht sein, weil Zach über manche Dinge nichts wusste, die als normal galten. Der Fehlschlag mit dem Weihnachtsbaum war nur eine Lektion, die er als Kind gelernt hatte. Im selben Jahr hatte er auch entdeckt, dass andere Familien ihre Mahlzeiten gemeinsam am Tisch einnahmen. Er hatte seine Mutter gefragt, ob sie das nicht auch machen könnten. Eine einzige gemeinsame Mahlzeit hatte sie alle von dieser Idee kuriert. Er war wirklich nicht für ein Familienleben geeignet. Gewöhnlich dachte er über solche Dinge nicht mehr nach. Er hatte mit seinen eingeschränkten sozialen Fähigkeiten vor vielen Jahren Frieden geschlossen. Er hätte anderen zwar nicht seine Kindheit und Jugend gewünscht, aber es war sein Leben. Wenn er eine Partnerschaft eingegangen wäre, wäre er vermutlich in die Fußstapfen seiner Eltern getreten. Und das wollte er wirklich niemandem zumuten. Er war außerdem gern ein Single. Das Rodeo war sein Leben. Er liebte es, obwohl der Kitzel mit den Jahren abgeebbt war. Vielleicht würde er sich im nächsten Jahr eine Heimatadresse suchen. Es machte ihm nichts aus, seine Socken selbst zu waschen. Aber er vermisste langsam eine Schublade an einem festen Ort, wo er sie hineinlegen konnte. Er kannte das Rodeo und war ein guter Reiter. In der Welt des Rodeos wurde nicht mehr von ihm erwartet. Das war genug für einen Mann. Er griff nach seiner sackförmigen Tasche und dem Ledermantel. Dann nahm er das Mistelgesteck, das in der klirrenden Kälte immer noch von der Antenne baumelte, und ging zur Haustür. Zach stapfte auf der Veranda mit den Füßen leise auf, um den Schnee abzuklopfen. Er trug seinen schweren Mantel über dem Weihnachtskostüm, die Misteln in der einen und den Matchsack in der anderen Hand. Zach fluchte leise, als ihn die dornigen Zweige in die Hand stachen. Die Stacheln an dem kugeligen Gezweig waren so lang, dass sie eigentlich als tödliche Waffe hätten deklariert werden müssen. Zach zögerte, die Tür zu öffnen. Höflichkeit war zwar nicht seine Stärke, aber er war hier nur zu Besuch. Daher klopfte er lieber an, als einfach einzutreten. "Kommen Sie herein", rief Jenny leise von drinnen. Jenny hatte zwei Tassen und Unterteller ihres guten Porzellans ausgepackt. Für das Zurückzahlen von Schulden war ein besonderes Ambiente erforderlich. Eine Spitzendecke lag über dem kleinen Tisch. Das dürfte reichen, dachte Jenny, als sie Zach auf der Veranda hörte. Der Tee und der Scheck dürften ihre Schuld so ungefähr ausgleichen. Als sich die Tür öffnete, änderte sie ihre Meinung. Sie hätte Tee und Scheck vergessen und sich stattdessen lieber in ihr Zimmer zurückziehen sollen. Die Kälte ließ den Mann aussehen, als sei er aus einem dieser Kalender für allein stehende Frauen entsprungen. Er war Mr. Dezember. Jenny lief ein Schauer über den Rücken, und zwar nicht wegen des kalten Windes, der bei Zachs eiligem Eintreten mit in die Küche hereindrang. Vor Männern wie Zach war sie tausende von Meilen bis nach Montana geflohen, wo die Männer allesamt Farmer waren. Es waren zuverlässige Männer, deren Gesichter man erst lieben lernte. Zachs Gesicht passte nicht hierher. Eine Nonne wäre bei seinem Anblick außer sich gewesen. Wie ein von Schnee bedeckter Bergmensch hob er sich von der schwarzen Nacht draußen ab. Außer einem halben Dutzend Kerzen, das Jenny auf der Spüle und dem Klapptisch entzündet hatte, war die Küche dunkel. Das Kerzenlicht ließ den Schnee auf Zachs dunklem Haar wie Konfetti aufblitzen. Seine Haut wirkte durch die Kälte wie Marmor. Seine braunen Augen wirkten noch dunkler als zuvor. Schnee lag auch auf den Schultern seines schweren Ledermantels.
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Der lange Mantel verbarg jeden Hinweis auf den netten Weihnachtsmann von vorhin. "Danke, dass Sie gewartet haben", meinte Zach, der auf einem Lappen neben der Tür stehen geblieben war und seine Tasche absetzte. "Das war nett von Ihnen." Jenny war sprachlos. Am besten versuchte sie, möglichst sachlich zu bleiben. "Es war nur ein paar Minuten." Jenny holte tief Luft, bevor sie ihm dabei half, den Mantel abzulegen. Sobald er wieder der Weihnachtsmann war, konnte sie mit der Situation umgehen. Zach hielt überrascht inne. Ihm hatte noch nie jemand Hilfe angeboten. "Ich schaffe das schon allein." "Aber nicht mit dem Weihnachtskostüm darunter. Glauben Sie mir. Andy hat einen Spielanzug aus diesem flauschigen Material. Es ist für einen allein nahezu unmöglich, die Ärmel aus dem Mantel zu ziehen." "Ach." Zach bezweifelte es zwar, er wollte jedoch gern weiter ihren reinen Seifenduft einatmen. Jenny zog an dem Ledermantel. "Etwas hat sich verheddert." Jenny zog noch einmal am Ärmel. Dann blickte sie Zach an. Sofort sah sie wieder auf den Ärmel. Sie hätte nicht hochblicken dürfen. Das Polyesterkostüm war wenigstens nicht sexy. "Ich habe es gleich." Zach achtete nicht auf ihre Worte. Das Kerzenlicht ließ ihre kurzen Locken wie einen Heiligenschein erscheinen. Er hielt den Atem an. Seine Haut war immer noch kalt von der Winterluft, doch Jennys Hand in seinem Ärmel wärmte ihn augenblicklich. "Mit Andys Anzug ging es leichter." Jenny biss sich auf die Lippen. "Wie bitte?" Zach hielt weiter den Atem an, als sie fester in das Kostüm hineingriff. Ihre Hände waren weich wie die eines Engels. "Autsch!" rief Jenny. "Autsch!" rief Zach. Das Mistelgezweig fiel zu Boden und rollte zur Seite. "Verzeihung. Ich habe vergessen, dass ich das Gesteck an meine Tasche gehängt habe." "Es ist ein Mistelzweig." Jenny schien darüber nicht glücklich zu sein. "Delores hat ihn an der Antenne befestigt", erklärte Zach. Jenny nickte kurz. Delores war eine Kupplerin. Sie hätte einen Mistelzweig auch noch auf einen Sarg gelegt, nur im Falle, dass der Tote auf dem Weg zu seiner Beerdigung noch jemanden treffen sollte. "Draußen wäre er erfroren." Zach hob mit der Schnur den Mistelzweig hoch. "Außerdem ist es ein Weihnachtsschmuck. Ich dachte, dass Sie ihn gebrauchen könnten." "Wir können ihn in den Waschraum legen", antwortete Jenny. Delores hatte es zumindest gut gemeint. "Zum Schinken." "Wozu braucht ein Schinken so einen riesigen Mistelzweig wie unseren?" "Unseren?" Jenny sah ihn fragend an. Ihre Augen waren im Dunkel der Küche nicht zu erkennen. Zach hätte gern darin ihre Gefühle abgelesen. Jetzt befand er sich sozusagen auf einem Blindflug. "Nun ja, Ihrer und der von den Kindern", stammelte Zach. Diese Frau machte ihn vielleicht nervös. "Sie brauchen sich wegen des Mistelzweigs keine Sorgen zu machen. Ich habe nicht vor, Sie zu küssen." Jenny kniff die Augen zusammen. "Schön." Schön, dass sie sich so gut verstanden. Sonst hätte sie ihm sagen müssen, dass er keine Aussicht auf Erfolg hatte. Gott sei Dank blieb ihr diese unangenehme Situation erspart. Dennoch ... "Nicht, dass ich Sie nicht küssen möchte." Zach wollte Jenny zum Lächeln bringen. "Jeder Mann würde sie gern küssen. Ich meine, ich finde Sie wirklich sehr angenehm. Wirklich." Jenny zog die Brauen hoch. Angenehm<no>. Das hörte sich eher nach ihrer Großmutter an. "Kein Problem, dass Sie mich nicht küssen wollen", schwatzte sie darauf los. Das machte sie stets, wenn sie aufgeregt war. "Das ist in unserer Situation sowieso das Beste. Sie sollten nicht einmal daran denken. Sie sind doch nur wegen Weihnachten hier hereingeschneit. Im Grunde sind Sie einfach gestrandet. Wir sind ohnehin nicht der richtige Typ füreinander. Ich meine, Sie haben uns nur die Post gebracht, und ich bin ihnen dafür dankbar." Zach schluckte. Manchmal musste man einfach sein Leben riskieren. Manchmal sogar sein Herz. Er beugte sich vor und küsste Jenny. Vielleicht war es auch sie, die den Kopf hob und seine Lippen suchte. Sicher wusste er jedoch nur, dass sie sich küssten. Er hatte die reine Süße nicht erwartet, auf die ein Feuerstrahl folgte. Der Kuss dauerte daher länger, als erwartet. Jenny stand wie angewurzelt da. Es war ein Fehler, diesen Cowboy zu küssen. Dennoch konnte sie
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sich nicht lösen. Für gewöhnlich besaß sie mehr Verstand. Irgendetwas stimmte mit ihr nicht. "Weihnachten", flüsterte Jenny. Natürlich, das war die Rettung. Nur deshalb ließ sie sich besinnungslos von diesem Mann küssen. Die Menschen machten an den Weihnachtsfeiertagen seltsame Dinge. Sie aßen Früchtebrot. Bimmelten mit alten Metallglocken. Sie vergaßen sogar ihre vernünftigen Schwüre und küssten gut aussehende Cowboys, die nur auf der Durchreise waren. "Hm." Zach strich Jennys Haar glatt. "Was ist mit Weihnachten?" "Es macht mich verrückt." Jenny versuchte, sich zusammenzureißen und nicht auf die verlockende Stimme in ihrem Kopf zu horchen. "Und nicht nur mich. Auch Sie wissen, dass das verrückt ist." Zach gefiel dieser Gedankengang nicht. "Weihnachten macht die Menschen nicht verrückt." Aber solche Küsse schon, musste Zach zugeben. Ein Datum im Kalender konnte so etwas nicht erreichen. Zumindest das wusste er über Weihnachten. "Natürlich macht Weihnachten die Leute verrückt." Jenny trat noch einen Schritt zurück. Sie plapperte aus Nervosität weiter. "Jeder lässt sich davon mitreißen. Selbst wir Erwachsenen glauben an diese besondere Magie an Weihnachten." "Sie glauben, dass wir uns wegen Weihnachten geküsst haben?" Zach klang besänftigend, aber Jenny konnte nicht aufhören. "Sie wissen doch, Wohlwollen und Frieden für alle Menschen." "Ich verstehe." Zach wandte sich zur Seite und zog seinen Arm aus dem Mantel. In der Stille war eine statische Entladung zu hören. Für einen Mann war es nicht schmeichelhaft, nur aus Wohlwollen geküsst zu werden. "Der Kuss hat keine weitere Bedeutung", stammelte Jenny. Der Mann wirkte schlecht gelaunt. Wahrscheinlich war es wegen des Kusses. Es musste die Reue nach dem Kuss sein. Sie kannte das schon. "Ich weiß auch nicht, wie das passieren ..." "Ich weiß", Zach hängte seinen Mantel an einen der Haken und versuchte, seinen Unmut zu überwinden. "Die sentimentale Stimmung und so weiter ..." "Genau." Zach hätte sich dafür verbürgt, dass zumindest einer von ihnen verrückt war. Sein Selbstvertrauen war von Grund auf erschüttert. Und die Menschen wunderten sich, warum er Weihnachten nicht besonders mochte. Jenny schüttelte sich. "Es war nur ein Kuss." Und eine Flutwelle ist nur ein bisschen Wasser, spottete sie insgeheim. Sie kam sich vor, als ob sie ins tiefe Wasser gesprungen sei, bevor sie schwimmen gelernt hatte. Sie hatte nie mehr so verletzlich sein wollen. Zumal er nur auf der Durchreise war. "Sie haben sich nur nach ihrer Freundin gesehnt." "Wie bitte?" "Nach dem Showgirl." "Ach, Cathy." "Ich dachte, sie hieße Patti." Zach gefiel Jennys vorwurfsvoller Blick nicht. "Sie heißt Patti. Aber manchmal nenne ich sie auch Cathy." Jetzt hielt sie ihn mit Sicherheit für verrückt. Dabei hatte er sich nur nicht an den Namen erinnern können, weil ihn Jenny nervös machte. Normal hatte er damit keine Probleme. Jenny plauderte weiter. "Da wir eben von Ihrer Reise sprechen." Es gelang ihr nicht zu schweigen, obwohl sie garantiert nicht über seinen Aufenthalt in Las Vegas plaudern wollte. "Sie werden etwas Geld gebrauchen können." "Wie bitte?" Dachte sie etwa, dass er dafür zahlen musste? "Patti ist ein Showgirl, aber sie nimmt kein Geld." Zach überlegte, ob sie ihn wirklich für so unattraktiv hielt. Sie hatte ihm bereits verdeutlicht, dass ihr sein Aussehen nicht besonders gefiel. Aber ihm Geld anzubieten war schon ziemlich entmutigend, zumal er sie doch eben erst geküsst hatte. "Ich meinte für das Benzin." Jenny versuchte sich zusammenzureißen. Sie hatte bereits seine Freundin beleidigt und wohl auch ihn. "Ich wollte nur sagen, dass ich einen Scheck für Sie habe." "Benzingeld?" erwiderte Zach ungläubig. Er fragte sich, ob diese Frau wusste, wie viel Geld er auf dem Konto besaß. Angesichts ihrer offensichtlich beschränkten Mittel machte ihn das sprachlos. Er hätte ihre jämmerliche kleine Farm ein Dutzend Mal kaufen können und hätte immer noch genügend Kleingeld für seine Spesen übrig gehabt. "Ich brauche kein Benzingeld." "Nun, irgendwann werden Sie es brauchen. Sie haben heute Abend so viel für uns getan." Jenny machte den Fehler, Zach direkt in die Augen zu sehen. Sie hatte von glühenden Augen gehört, sie aber noch nie gesehen. Zachs Augen glühten wirklich, allerdings vor Wut. Das Gold in seinen Augen blitzte feurig, bis es das Braun seiner Iris zum Schmelzen brachte. Sie vergaß, was sie hatte sagen wollen. "Sie schulden mir nichts."
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"Trotzdem." Jenny riss sich zusammen. Sie musste ihrer Kinder wegen stark sein. Sie ging zum Spültisch hinüber und holte den Scheck. "Ich möchte nicht zu Dank verpflichtet sein." Als Zach in Jennys Augen ihren in die Enge getriebenen Stolz sah, beruhigte er sich. "Sie sind mir nicht zu Dank verpflichtet. Sie haben mir vor dem Sturm Schutz gewährt. Das ist mehr wert als eine kurze Fahrt im Dunkeln." "Aber es ist nur ein altes Sofa." "Ich habe viele Nächte auf Schlimmerem geschlafen." Jenny hielt ihm immer noch den Scheck hin. "Ich würde mich besser fühlen, wenn Sie ihn annehmen würden." Er wollte ihr Geld nicht haben. Aber selbst wenn er den Scheck annahm, machte es sowieso keinen Unterschied. Er würde ihn sowieso niemals einlösen. "Ich verstehe." Zach nahm den Scheck mit einer Hand. In der anderen hielt er immer noch das Mistelgesteck. Die Kerzen auf der Spüle und auf dem Klapptisch inmitten der Küche schnitten kleine Fenster aus goldenem Licht ins Dunkel. Zach hörte in der Ecke ein leises Scharren und ein Gähnen. Als er seine Aufmerksamkeit darauf lenkte, wurde ihm bewusst, dass er das Scharren schon eine ganze Weile wahrgenommen hatte. Er fragte sich, wie lange die kleinen Füße dort schon gestanden haben mochten. "Mom, es ist zu spät, um dem Weihnachtsmann einen Brief zu bringen", sagte Andy vom Flur aus. "Mr. Lightning hat die Briefe bereits hingebracht, nicht wahr?" Andy tappte zu Zach hinüber und schlang die Arme um Zachs Schenkel. "Du bist kalt." Zu Zachs Überraschung hinderte die Kälte Andy nicht daran, sich weiter an ihm festzuhalten. "Es war kalt draußen bei der Fahrt zum Nordpol." Zach legte eine Hand auf den Scheitel des Jungen. "Du solltest im Bett sein", schalt Jenny den Kleinen zärtlich. Ihr missfiel, dass ihr Sohn bereits zum dritten Mal zu diesem Cowboy gegangen war, anstatt zu ihr zu kommen. "Aber der Weihnachtsmann wird deinen Brief nicht bekommen", sagte Andy mit einem besorgten Blick auf seine Mutter. Dabei wies er auf den Scheck, den Zach in der Hand hielt. "Das ist kein Brief, sondern ein Scheck", erklärte Jenny. Hoffentlich würde die Faszination für den Cowboy nicht mit Tränen bei dessen Abreise enden. "Der Weihnachtsmann braucht keinen Scheck." "Nein, der Scheck war für Mr. Lucas." Jenny benutzte den Nachnamen, um Zach trotz der herzlichen Aufnahme durch ihren Sohn deutlich zu machen, dass er nur ein Fremder war. "Du hättest ihm eine Liste mitgeben sollen", protestierte Andy. "Was du dir vom Weihnachtsmann wünscht." "Zu den Mommys kommt der Weihnachtsmann nicht", meinte Jenny. Andy bekam große Augen. "Weil sie böse sind?" Jenny lächelte. "Nein, aber der Weihnachtsmann ist nur für die kleinen Kinder da." "Wirst du denn gar keine Geschenke bekommen?" Andy legte die Stirn in Falten und klammerte sich noch fester an Zach. "Du musst ein Geschenk bekommen." "Natürlich bekommt sie ein Geschenk." Zach überlegte panisch, was sich noch in seinem Matchsack befand, das er zu einem Geschenk für Jenny umfunktionieren konnte. Kein Wunder, dass der Weihnachtsmann so dick war. Der Stress, sich alle diese Weihnachtsgeschenke auszudenken, hätte jeden zum unmäßigen Verzehr von Plätzchen verleitet. "Ich weiß nur noch nicht was." "Wir könnten ihr die Weihnachtskugel schenken", meinte Andy und deutete auf den Mistelzweig. "Ich habe so was schon gesehen. Sie sind für Küsse da. Mom liebt Küsse." "Wirklich?" Zach bemerkte, wie Jenny errötete. "Wie nett." Andy nickte glücklich. "Ich küsse sie jeden Abend, und sie schläft mit meinem Kuss unter ihrem Kissen." "Wirklich?" Andy nickte, während er so tat, als ob er einen Kuss aus der Luft fange. "Ich puste ihr einen zu, damit sie ihn auffangen kann." "Wirklich nett." Zach fand diese Art des Küssens zumindest bei Jenny nicht besonders attraktiv. Aber die Sache mit dem Kissen gefiel ihm. Andy drückte Zachs Bein. "Wird Mommy heute Abend deinen Kuss unter ihrem Kissen aufbewahren?" Zach vernahm Jennys Seufzer und kniete sich schnell vor Andy nieder, um ihm direkt ins Gesicht blicken zu können. "Deine Mom hat unter ihrem Kissen nur Platz für die Küsse ihres kleinen Jungen. Du gibst ihr ganz besondere Küsse." Andy nickte glücklich. "Ich puste sie ihr zu." Zach nickte. "Dann kann sie sie leichter einfangen." Andy lehnte sich noch enger an Zach und flüsterte in dessen rechtes Ohr. "Ich kann dir zeigen, wie du besondere Küsse machen kannst. Dann kannst du sie Mommy auch zupusten."
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Jenny gefiel es nicht, dass die beiden die Köpfe zusammensteckten. Sie konnte nicht hören, was ihr Sohn sagte. Obwohl sie Andys gute Meinung über den Cowboy nicht zerstören wollte, wünschte sie nicht, dass er seine unschuldigen Gedanken mit diesem Mann teilte. "Was gibt es für ein Geheimnis?" "Nichts." Zach ahnte, dass Jenny das Geheimnis nicht gefallen würde. Ihr Sohn teilte diese Bedenken nicht. "Ich habe Mr. Lightning gerade gesagt, wie er Küsse machen kann, die du unter deinem Kissen aufbewahrst." Jenny errötete. "Du gehörst ins Bett", mahnte Jenny ihren Sohn. "Es ist kalt hier." "Morgen Nacht kommt Santa Claus", sagte Andy glücklich, ohne Zachs Bein loszulassen. "Wir backen morgen Plätzchen für den Weihnachtsmann, nicht wahr?" Zach fragte sich, wie es dazu kommen konnte, dass er den Narren für kleine Jungs spielte. Vielleicht war es beim Angebot des Kleinen passiert, ihn das Küssen seiner Mutter zu lehren. "Aber klar." "Ich kann rühren", warf sich Andy in die Brust. "Du wirst gute Arbeit leisten", versicherte Jenny. "Aber als Erstes musst du ins Bett gehen und schlafen." Andy gähnte, als er Zachs Bein losließ und aus der Küche ging. "Gute Nacht, Mr. Lightning." "Gute Nacht." Zach sah Andy nach. Es war wirklich ein süßer Junge voller Hoffnung und Begeisterungsfähigkeit. "Sein Vater muss großartig gewesen sein." "Wie bitte?" Jenny sah Zach alarmiert an. Sie hatte doch nie über ihren Ehemann gesprochen. Selbst Delores gegenüber hatte sie nichts von Stephen erzählt. Anfänglich hatte sie niemandem davon erzählt, weil sie zuerst selbst mit ihm hatte sprechen wollte. Dann war er krank geworden. Und jetzt hätte sie es als illoyal empfunden, ihre Enttäuschung über einen Toten zu äußern. "Was ist mit Stephen?" "Um so einen Jungen wie Andy großzuziehen, muss er ein guter Vater gewesen sein." Zach überraschte der Neid, den er deshalb verspürte. Es musste Stephen ein gutes Gefühl gegeben haben, seiner Frau und den Kindern Beständigkeit und Liebe zu geben. Jenny biss sich auf die Lippen. "Stephen ging es nicht gut." "Ich habe gehört, dass er Krebs hatte." Zach hätte sich einen Tritt verpassen können. Jenny war blass geworden und wirkte verschlossen. Es war ganz schön taktlos von ihm, schmerzliche Erinnerungen zu wecken. "Verzeihung. Sie müssen ihn vermissen." Jenny nickte. Das war die bittere Wahrheit. Obwohl er verschlossen gewesen war, vermisste sie ihn. Sie hatte Stephen all die Jahre geliebt. Er war für sie der Auserwählte gewesen. Sie hatte gehofft. Sie hatte gebetet. Sie hatte um seine Aufmerksamkeit gefeilscht. Sie hatte auf den Tag gewartet, an dem sich Stephen umsehen und den Wert seiner Familie erkennen würde. Dieser Tag war nie gekommen. Sie hatte geglaubt, es gäbe einen Schalter in Stephen, den sie nur noch nicht gefunden hatte. Etwas, was sie wissen sollte, das ihr jedoch entgangen war. Zach schimpfte sich insgeheim einen Idioten. "Ich hätte Ihnen von meiner Reise in den eisigen Norden erzählen sollen, anstatt ausgerechnet an Weihnachten traurige Erinnerungen zu wecken." "Und ich hätte Ihnen eine Tasse Tee anbieten sollen." Jenny wies in Richtung des Tisches. "Und ich muss Ihnen dafür danken, dass Sie meinen Kindern das Weihnachtsfest verschönern." "Der Weihnachtsmannaufzug geht allein auf Delores' Konto." "Möchten Sie den Tee pur oder mit Zitrone?" Jenny ging zum Fonduetopf hinüber. "Es gibt leider nur eine Tasse. Ich konnte nicht genügend Wasser erwärmen, um eine ganze Kanne zuzubereiten." "Eine Tasse ist mehr als genug." Jenny schenkte ihm schweigend etwas Tee ein und brachte die Tasse zum Tisch. "Sie werden sicher etwas Ruhe und Frieden schätzen, während Sie Ihren Tee trinken." Zach hätte ihr sagen können, dass sein ganzes Leben aus Ruhe und Frieden bestand. Aber er hielt sich zurück, weil sie durcheinander zu sein schien. Dennoch spekulierte er darauf, dass sie mit ihm eine Tasse Tee trinken würde. "Der Tee duftet gut", bot Zach an. "Wenn Sie nicht genügend Wasser für zwei Tassen haben, reicht mir auch eine halbe Tasse." Er bot ihr an, mit ihr zu teilen. Doch Jenny schüttelte den Kopf. "Es ist kalt draußen. Sie haben die ganze Tasse verdient. Außerdem gehe ich lieber gleich zu Bett." Zach sah Jenny beim Verlassen der Küche nach. "Gute Nacht." Er sagte sich, dass es ihm nach all den Jahren nichts mehr ausmachen durfte. Er war daran gewöhnt, beim Essen allein am Tisch zu sitzen. Er saß allein in Coffee-Shops, in Hotelzimmern und in Bars. Zach sah sich um. Ihm fielen die Schatten in der leeren Küche auf. Er sollte inzwischen an das
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Alleinleben gewöhnt sein. Aber plötzlich hatte er keine Lust mehr auf den Tee.
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Kapitel 6 Jenny hatte beim Aufwachen ihr Kopfkissen um die Schultern gewickelt. Sie hatte geträumt, dass unter dem Kissen heiße Kohlen versteckt seien. Sie musste ein paar Mal tief durchatmen, bis sie sich beruhigte. Obwohl die Luft im Zimmer kalt war, waren ihre Wangen erhitzt. Sie lag auf einer Matratze in dem Schlafzimmer des alten Farmhauses. Das schwache Licht der Dämmerung stahl sich durch den Spalt zwischen den Gardinen ins Zimmer. Der Tag wirkte trüb. Wahrscheinlich war es wolkig. Und es gab wohl immer noch keinen Strom. Aber zumindest hatte sich der Sturm gelegt. Jenny hörte ein leises Lachen. Es war Andy. Dann hörte sie eine tiefere Stimme. Das musste Zach sein. Jenny überlegte, wie sie dem Vierjährigen beibringen konnte, sich nicht zu eng an einen Mann zu binden, der in wenigen Tagen verschwunden sein würde. Vielleicht war es unmöglich. Jenny erhob sich und zog sich ihren Bademantel über. Sie konnte Andy nur so gut wie möglich ablenken, damit er nicht zu viel Zeit mit dem Cowboy verbrachte. Jenny schnitt ihrem Gesicht im Spiegel eine Grimasse. Ihr blondes Haar war von Natur aus lockig. An diesem Morgen kringelte es sich besonders stark. Das war ein Zeichen, dass es regnen würde. Vielleicht reagierte ihr Haar aber auch auf Schnee. Zum Glück würde bei ihren angeschwollenen Augen ohnehin niemand auf ihr Haar achten. Zu dumm, dass sie keine Augentropfen hatte. Sie sah aus, als ob sie die ganze Nacht mit ihren Träumen gekämpft habe. Zum Glück musste sie sich heute lediglich den Weihnachtsvorbereitungen widmen. Dabei würde sie hoffentlich genauso wie ihr Sohn vergessen, dass es den Cowboy gab. "Wer die Pfanne aus dem Schrank holt, bekommt den ersten Pfannkuchen", rief Jenny beim Betreten des Wohnzimmers. Sie wurde dort von allen dreien neugierig beäugt. Lisa saß wie Andy noch im Pyjama neben Zach auf dem Fußboden. Der Cowboy hatte wenigstens ein T-Shirt und seine abgetragenen Jeans angezogen. "Mommy!" quietschte Lisa. "Nicht schauen!" fügte Andy panisch hinzu. Der Cowboy zog schnell eine Wolldecke vom Sofa auf den Fußboden. "Nur herein." Jenny sah neugierig auf die Decke, die etwas verbarg. "Was ist das?" "Also", meinte der Cowboy zögerlich. "Das kommt darauf an." Himmel, dachte Jenny. Hatte der Mann denn nie einen schlechten Tag? Er wirkte ebenso vergnügt wie die Kinder. Vor Aufregung blitzten seine braunen Augen. Sie sah schnell weg. "Auf was?" "Ob Sie ein Geheimnis für sich behalten können." "Sie kann ein Geheimnis für sich behalten. Es ist ..." Lisa brach ab und sah Zach entschuldigend an. "Du scherzt doch nur." Zach lächelte Lisa zu. "Aber klar." Lisa lächelte, dann verdrehte sie die Augen. Jenny hatte das Bedürfnis, sich zu setzen. Irritiert ließ sie sich auf dem durchgesessenen Sofa nieder. Lisa verhielt sich Fremden gegenüber stets abweisend. Jetzt redete sie mit Zach wie mit ihrer besten Freundin. Jenny gefiel das nicht. "Habt ihr ein Geheimnis?" "Wissen Sie nicht, dass man an Weihnachten nicht neugierig sein darf?" sagte Zach, während er aufstand. Jenny war für einen Augenblick abgelenkt. Sie hatte gedacht, dass Rodeo-Reiter überall Schmerzen haben mussten. Doch Zach bewegte sich mit einer Leichtigkeit, die ihren Mund trocken werden ließ. Falls ihm irgendetwas wehtat, ließ er sich nichts anmerken. Sein ganzer Körper war eine Symphonie. Sogar sein Haar und das kleine Grübchen, das sich manchmal am Kinn zeigte, passten dazu. Jenny riss sich zusammen. "Wie bitte?" Sie sah auf ihre Kinder, die sie anlächelten. "Ach, ist es ein Weihnachtsgeschenk für mich?" Jenny hatte endlich verstanden. Jetzt war sie völlig verblüfft. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie zum letzten Mal ein echtes Geschenk bekommen hatte. Sie hatte sich stets eine Seife oder ein Badegel gekauft und "von Stephen" auf das Päckchen geschrieben. Auf die Fragen der Kinder hatte sie geantwortet, dass sie sich nur einen Kuss und ein Lächeln von ihnen wünschte. "Es ist eine Überraschung", sagte Andy zufrieden, als er zu ihr trat. "Von uns." "Sie wird dir gefallen", vertraute ihr Lisa an, die ebenfalls aufstand. "Aber du wirst sie nicht sehen, bevor du das Päckchen am Weihnachtsmorgen öffnest. Wir werden es unter den Weihnachtsbaum legen." "Ich denke gar nicht daran zu spicken", meinte Jenny. Seit Monaten waren ihre Kinder nicht mehr so aufgeregt gewesen.
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"Wo soll die Pfanne sein?" fragte Zach stirnrunzelnd, während er sich zu ihr auf das Sofa setzte. "Ich bin der Erste", rief Andy und rannte aus dem Wohnzimmer. Lisa folgte ihm dicht auf den Fersen. "Ich hoffe, dass Sie nichts dagegen haben", meinte Zach ruhig zu Jenny. "Andy ist als Erster aufgewacht, und wir wollten Sie nicht wecken. Es war noch früh. Deshalb ist uns die Idee gekommen, für Sie ein Geschenk zu machen. Vielleicht hätte ich Sie vorher fragen sollen." Zach war durchaus klar, dass das keine gute Idee gewesen wäre. Jennys Anblick in den warmen Laken hätte eine schwierige Situation herbeigeführt. "Ach nein." Jenny errötete. Sie hatte in ihrem Traum ohnehin heiße Kohlen unter dem Kopfkissen gehabt. "Es war nicht nötig, um Erlaubnis zu fragen. Aber Andy kann ziemlich anstrengend sein." "Er ist nur aufgeregt wegen Weihnachten." Jenny wusste, dass es nicht an den Feiertagen lag, sondern an der Aufmerksamkeit des erwachsenen Mannes. "Er ist ein lieber Junge", fuhr er fort. Jenny sollte nicht denken, dass er etwas dagegen hatte, mit Andy zusammen zu sein. Zach mochte Kinder gern, verbrachte aber meistens nur kurze Zeit mit ihnen. Die Kleinen baten ihn in der Regel nur um ein Autogramm oder wollten Thunder streicheln. Er hatte nicht geahnt, was ihm dabei entgangen war. "Sie sollen sich nur zu nichts verpflichtet fühlen, wo Sie doch Weihnachten nicht mögen." "Ich mag Kinder." Er war doch kein Monster. "Ich persönlich halte den fünfundzwanzigsten Dezember für einen Tag von vielen im Kalender. Aber Kinder mögen die Feiertage." "Ach." Jenny machte einen zweiten Anlauf. "Aber Sie haben sicher noch andere Beschäftigungen, beispielsweise könnten Sie etwas lesen." "Hier gibt es nur Kinderbücher." Jenny zuckte mit den Schultern. "Ich dachte, dass Sie vielleicht ein Buch bei sich hätten." "Ich könnte in der Posttasche nachsehen, ob ich noch Briefe für Mrs. Goussley vergessen habe", schlug Zach spöttisch vor. Glaubte sie denn, dass er in seinem Matchsack eine Bibliothek mit sich führte? Jenny gab auf. Stephen hatte immer eine Entschuldigung gefunden, um keine Zeit mit den Kindern verbringen zu müssen. Sie hatte Zach genügend Entschuldigungen angeboten. Er konnte sich problemlos zurückziehen, wenn er wollte. "Es sei denn, Sie wollen nicht, dass ich so viel Zeit mit den Kindern verbringe", sagte Zach, als ihm endlich ein Licht aufging. "Wie bitte?" "Manche Frauen glauben, ich sei nicht die beste Gesellschaft für Kinder", meinte Zach. Er konnte das gut verstehen. "Ich achte aber auf meine Sprache und erzähle nichts, was sie nicht wissen dürfen." Zach hatte den Kindern nicht erklärt, was ein Showgirl war, als sie ihn am Morgen danach gefragt hatten. Er hatte sie im Glauben belassen, es sei eine Art Cheerleader mit Federn im Haar. Davon sagte er Jenny allerdings lieber nichts. Sie schien auf Showgirls nicht gut zu sprechen zu sein. Stattdessen kam Zach auf seine guten Seiten zu sprechen. "Vielleicht habe ich keine so guten Manieren und keine so gute Erziehung wie der Kindesvater", fuhr Zach fort. Sie hätte ihn jederzeit unterbrechen können, machte aber keinerlei Anstalten dazu. "Sie vermissen ihn sicher immer noch sehr. Trotz alledem können Sie mir Ihre Kinder anvertrauen." Jenny war sprachlos. Zach wollte mit ihren Kindern zusammen sein. "Sie sind nicht perfekt", warf Jenny ein. "Lisa kaut Nägel." Zach nickte. "Das habe ich bemerkt. Aber das wird sich mit der Zeit legen. Darüber muss man sich doch keine Sorgen machen, oder?" "Ich habe Delores gefragt. Sie meint, es könne an der Ortsveränderung liegen." Zach nickte. "Kindern fällt ein Umzug schwer." Jenny dachte, dass ein Umzug jedem schwer fiel. Vielleicht hätte sie in ihrer gewohnten Umgebung in Los Angeles bleiben sollen, wo nicht die Gefahr bestanden hatte, dass ein Fremder in ihrem einsamen Haus aufgrund eines Schneesturms festsitzen würde. "Mommy!" Der Ruf kam aus der Küche. "Ach, die Pfannkuchen", sagte Jenny. "Dann gehe ich mal." "Nur die Ruhe", meinte Zach. "Ich muss die Leitung erst wieder anschließen, bevor Sie kochen können." "Oh, das habe ich ganz vergessen." "Bei Tageslicht ist das in ein paar Minuten erledigt." Zach erhob sich und ging zur Küche. Jenny stand ebenfalls auf. "Dann ziehe ich mich zuerst an." "Ziehen Sie etwas Warmes an", rief ihr Zach von der Küche her zu. "Wir müssen den Baum holen, bevor es wieder zu schneien beginnt. Ich habe Lisa gesagt, dass ich weiß, wo wir einen finden."
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Jenny nickte. Wie konnte sie ihre Kinder davor schützen, das Herz an diesen Mann zu verlieren, wenn er ihnen mitten im Schneesturm einen Weihnachtsbaum versprach? Jenny trug eine lange Unterhose unter ihren Jeans und zwei Flanellhemden übereinander über dem T-Shirt. Doch war es immer noch nicht warm genug für draußen. Kaum waren die leckeren, braun gebackenen Pfannkuchen mit dem warmen Ahornsirup gegessen gewesen, hatte Lisa nachgefragt, ob sie jetzt den Baum holen würden. "Es spricht nichts dagegen", meinte Zach, obwohl ihm die schweren, grauen Wolken draußen nicht gefielen. "Der Abwasch ist noch nicht erledigt", wandte Jenny ein. Lisa und Andy stöhnten. "Später schneit es wieder", entgegnete Zach. "Vielleicht sollten wir uns gleich auf den Weg machen." Lisa und Andy strahlten Zach an. "Von mir aus erledigen wir den Abwasch für dieses Mal nach unserer Rückkehr", gab Jenny nach. "Du kannst die Teller einweichen", schlug Andy vor. Das war seine Lieblingsmethode, um schmutziges Geschirr zu entsorgen. Lisa schrubbte dagegen lieber jeden Teller mit einem Schwamm. "Ich werde zumindest den Tisch abräumen, bis ihr fertig seid", meinte Jenny zu den Kindern. "Und zieht euch heute zwei Paar Socken an." "Haben Sie nichts Wärmeres als diese Hemden?" fragte Zach, als die Kinder die Küche verlassen hatten. Er realisierte erst jetzt, dass die Flanellhemden noch von ihrem Mann sein mussten. Kein Wunder, dass sie nicht gern etwas anderes anzog. Jenny hob den Kopf. "Das muss reichen." "Sie können sich ein Sweatshirt von mir borgen", bot Zach an. "Ich habe ein neues, das ich vor ein paar Wochen in Fargo beim Rodeo gekauft habe. Es ist noch nicht getragen worden." "Wieso sollte es wärmer sein als meine Hemden?" "Weil die Hemden für den Strand in Kalifornien gemacht sind, das Sweatshirt dagegen für das Klima in North Dakota." "Ich möchte Ihnen nicht zur Last fallen." "Und ich möchte nicht, dass Sie erfrieren." Zach hatte zwar den längeren Atem, wollte es aber nicht darauf anlegen. "Wer wird sich um die Kinder kümmern, wenn Sie eine Lungenentzündung bekommen?" "Ich werde nicht krank", versicherte ihm Jenny. Sie konnte es sich nicht leisten, krank zu werden. "Dann tragen Sie das Sweatshirt", befahl Zach. "Und den Ledermantel." "Ach, das kann ich wirklich nicht", wehrte Jenny ab. Irgendwo musste sie eine Grenze ziehen. Sie war daran gewöhnt, für sich selbst zu sorgen. Außerdem war sie stets auf Gerechtigkeit bedacht. "Ihnen wird genauso kalt sein wie mir. Sie brauchen Ihren Mantel." "Ich kann ihn ohnehin nicht tragen, während ich den Baum schlage." Zach hoffte nur, dass sie einen Baum finden würden. Es würde lächerlich aussehen, wenn er einen Dornbusch umhackte. "Sie können ihn gern tragen. Sonst wird er nur hinter meinem Sitz liegen." Jenny sah den Mantel an. Weil Weihnachten war, gab sie nach. Das kuschelige Innenfutter des Mantels war aber auch zu verlockend. "Probieren Sie ihn an." Zach hielt ihr den Mantel, bis sie hineinschlüpfte. "Er fühlt sich gut an", meinte Jenny. Zum ersten Mal seit Tagen war ihr warm. Sie fing fast zu schnurren an. "Jetzt sind Sie bereit für unseren Ausflug." Zach sah Jenny zufrieden an. Endlich sah sie wie eine Frau aus Montana aus. Lisa war die Erste, die einen Baum entdeckte. Nachdem Zach das Eis von der Frontscheibe und den Seitenfenstern gekratzt hatte, hatten sich alle vier ins Fahrerhaus des Postlasters gedrängt und waren die Straße hinuntergefahren, die entlang der Einzäunung von Jennys Besitz verlief. Zach erinnerte sich, dass unten in der Schlucht die einzigen Bäume waren. Sie waren ungefähr eine halbe Meile vom Zaun entfernt, und zwar dort, wo die Straße einen Knick machte und in einem letzten Anstieg zum Haus führte Lisa hatte über die Schulter ihrer Mutter hinweg zum Seitenfenster hinausgeschaut. Weil Lisa darauf bestanden hatte, dass Jenny das Fenster herunterkurbelte, war Lisas Nase vor Kälte schon ganz rot. "Ich sehe einen, ich sehe einen. Sofort anhalten." Lisa sprang auf und lehnte sich weit aus dem Seitenfenster hinaus. "Wir müssen einen Baum nehmen, der keine Tannenzapfen hat", verkündete Jenny, indem sie ein schmales, grünes Buch aus ihrer Umhängetasche zog. Sie blätterte darin. "Und wir sollten einen nehmen, der zumindest acht oder neun Fuß groß ist." Lisa wunderte sich nicht über das grüne Buch, sondern nickte nur ergeben. "Das werden wir,
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Mom." "Was ist denn das?" Zach linste zu dem Buch herüber. Er hatte angenommen, dass in der Tasche Kekse für die Kinder seien. "Das ist mein Montana-Reiseführer, in dem ein Kapitel zur Pflege des örtlichen Baumbestands ist." Jenny hob trotzig den Kopf. Sie hatte das Buch bestellt, als sie entdeckt hatte, dass Stephen den Besitz seines Onkels nicht veräußert hatte. Der Reiseführer hatte sie zum Umzug in den Norden ermutigt. "Ich weiß nicht viel über Montana, aber die Verfasser dieses Buches haben Ahnung. Ihrer Meinung nach gibt es keine Entschuldigung dafür, das Land seiner Bäume zu berauben. Ein guter Farmer macht das nicht." "Wir reden hier nur über einen Baum", wandte Zach ein, bevor er den Motor abstellte. Der Wagen stand am Straßenrand zwischen zwei Schneewehen. Jenny hielt ihr Buch fest. "Die Bäume mit den Tannenzapfen säen neue große Bäume." "Nun, das stimmt wohl." Zach nickte. Er brachte es nicht über das Herz, ihr zu sagen, dass man mehr als ein paar Tannenzapfen dazu brauchte, um drei Meter hohe Bäume auf ihrem Land wachsen zu lassen. Die Bäume unten in der Schlucht waren vom Wind gekrümmt. Er bezweifelte, dass auch nur einer von ihnen größer als einen guten Meter werden würde. Und das waren die glücklichen Bäume. Jeder Baumsamen, der nicht von der Schlucht geschützt wurde, würde nicht mal einen Meter hoch, sondern vom Wind davongetragen werden. "Ich möchte einen Baum mit einem Haken für den Engel", erklärte Lisa, während sie sich ihre Handschuhe anzog. "Das machen sie nur auf dem Parkplatz in Los Angeles, wo wir unsere Bäume gekauft haben", wandte Jenny ein. "Diese Bäume haben keinen Engelhaken." "Wird er auch so Küsselzweige haben", fragte Andy, der hoch krabbelte und seiner Mutter die handschuhlose Hand hinhielt. "Du meinst Mistelzweige", korrigierte Jenny zögernd. Sie hatte gehofft, dass Andy den Kuss von letzter Nacht vergessen hatte. Sie fasste in Andys Manteltasche und zog den fehlenden Handschuh hervor. "Nein, der Baum wird das nicht haben." "Wie wird dann Mr. Lightning das Küssen lernen?" Andy dachte nicht mehr an seinen Handschuh. Er stand jetzt zwischen Jenny und Zach. Zach spürte, wie sich seine kleine Hand an seinen Arm klammerte. Er sah zu dem Jungen hinüber. Andy sah ihn ernsthaft besorgt an. Zach hätte einen Scherz gemacht, doch hinter dem Kopf des Jungen konnte er Jenny sehen. Ein Scherz wäre nicht gut angekommen. "Mr. Lightning muss das Küssen nicht lernen", meinte Jenny schließlich. Sie griff um die Kupplung herum nach Andys bloßer Hand und streifte ihm den Handschuh über. "Also, habt ihr eure Mäntel gut zugemacht?" Zach unterdrückte ein Lächeln, bis es ihm wehtat. Jenny wurde abwechselnd rot und blass. Er hätte ihr stundenlang dabei zusehen können. "Mein Reißverschluss ist zu", sagte Andy glücklich. "Meiner auch", meinte Lisa beim Aussteigen. "Wartet am Rand der Schlucht. Wir steigen zusammen hinab", rief Jenny den Kindern nach, die aus dem Auto sprangen. "Ich muss eine Minute mit Mr. Lucas sprechen." Jenny wäre es lieber gewesen, wenn sie nicht errötet wäre. "Verzeihung, Kinder sagen manchmal komische Dinge." "Wahrscheinlich liegt das an Weihnachten", pflichtete Zach ihr feierlich bei. Letzte Nacht hatte er Jennys Augen im schwachen Kerzenlicht nicht deutlich genug sehen können, während sie sich geküsst hatten. "Jeder spielt an Weihnachten verrückt." "Ja, das muss es wohl sein", sagte Jenny erleichtert. "Sie sind so aufgeregt. Es ist nicht ernst gemeint." "Trotzdem ist es ein wenig beunruhigend." Zach wandte sich um, bis er Jenny direkt ansehen konnte. "Was ist?" fragte Jenny. Zach streichelte Jenny über die Wange. Sie war kühl und zart wie Seide. "Wie kann ich Ihrem Sohn vorspielen, dass ich nicht weiß, wie ich seine Mutter küssen soll?" "Er spricht von Luftküssen", flüsterte Jenny. Sie spürte seinen Daumen wie einen heißen Stempel auf ihrer Wange. "Das ist eine riskante Art des Küssens", sagte Zach leise, während er näher heranrückte. "Und es ist nicht annähernd befriedigend." Jenny schluckte. "Wir müssen den Baum holen." Zach musste tausende von Frauen geküsst haben. Doch noch nie hatte er so sehnsüchtig auf ein Zeichen gewartet wie bei Jenny. Er würde sie nicht küssen, wenn sie es nicht wollte. "Wollen Sie das wirklich?" Er musste alle Zweifel ausräumen. "Die Kinder sind warm angezogen.
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Sie können eine Minute warten." "Nein, ich möchte nicht. Ich meinte, die Kinder ..." Jenny stotterte. Sie musste an die Kinder denken. Sie konnte sich nicht von einem Cowboy Komplimente machen lassen, der nur auf der Durchreise war. "Die Kinder wollen einen Baum." Zach schluckte. Er würde sich nicht nachsagen lassen, dass er ein schlechter Verlierer war. Er war erwachsen und konnte seine Erfolgsaussichten abschätzen. Er öffnete die Wagentür. "Gut, dann holen wir einen Baum." Der Baum war schief gewachsen. Aber Lisa hatte ihn ausgewählt und Zach ihn pflichtschuldig geschlagen. Gemeinsam hatten sie ihn aus der Schlucht zum Wagen geschleppt. "Er hat einen Platz für Sterne", meinte Lisa, während sie auf einen der Zweige klopfte. Sie hatten den Baum inmitten des Wohnzimmers aufgestellt. Jenny hatte einen Plastikeimer geholt, und sie hatten Steine um den Baumstamm gelegt, um ihm einen stabilen Stand zu geben. Trotz Unterstützung durch den Eimer war der Baum kaum über einen Meter hoch. Außerdem wuchs er nach links. "Er ist schön", erklärte Jenny loyal. "Er ist schief", gestand Lisa mit einem besorgten Stirnrunzeln. "Manche der schönsten Dinge sind schief." Zach drückte den Stamm tiefer in den Eimer mit Steinen. "Denk doch an den schiefen Turm in Pisa." "Genau", kicherte Lisa. "Wir haben einen italienischen Baum." Jenny hatte Delores' Kamera mitgenommen und ein Bild von Lisa, Andy und Zach gemacht, als er den Baum unten in der Schlucht geschlagen hatte. Dann hatte sie noch ein, zwei Bilder aufgenommen, als sie den Baum die Schlucht hoch zerrten. "Uns wird als Baumschmuck sicher etwas einfallen." "Haben wir denn keinen Schmuck?" fragte Lisa entsetzt. "Wir brauchen Christbaumschmuck." "Wir können welchen machen", schlug Jenny vor. Eigentlich hatte sie immer vorgehabt, es ihren Kindern beizubringen, aber Stephen hatte nichts so sehr gehasst wie das Chaos bei Bastelarbeiten. So hatten sie alles in Billigläden gekauft. "Aber wie können wir Sterne machen?" fragte Lisa besorgt. "Sterne müssen glitzern." Zach setzte sich auf das Sofa, um den Baum besser begutachten zu können. Er fragte sich, ob er gehen oder bleiben sollte. Unten bei der Schlucht hatte er sich die Straße nach Deep Gulch angesehen, die durch die Schneewehen so gut wie unpassierbar war. Er musste hier bleiben, zumal die Wolken wieder grau und schwer aussahen. Dennoch kam ihm das Bleiben noch verrückter vor. Das Leben hatte sich einen Scherz mit ihm erlaubt. Ausgerechnet er war mit einer Familie eingeschneit, die genauso war wie die Familie auf der Weihnachtskarte, die er mit zehn Jahren so bewundert hatte. Alle kümmerten sich umeinander. Sie brauchten keinen Baum, um miteinander glücklich zu sein. Umso schöner war, es dass sie trotzdem einen hatten. Sie würden ein perfektes Foto für eine Weihnachtskarte abgeben. Zwar gab es keinen Vater auf dem Bild, doch der Mann war früher jahrelang mit auf dem Bild gewesen. Dieser Mann war tot und begraben. Dennoch beneidete ihn Zach, wie er noch nie jemanden in seinem Leben beneidet hatte. Dieser Mann hatte alles gehabt, wovon er nur träumen konnte. "Ich wette, er ist dafür nie auf einem Pferd gesessen", murmelte Zach vor sich hin. "Wie bitte?" Jenny sah Zach fragend an. Zum ersten Mal wirkte er erschöpft. Er saß mit zusammengesunkenen Schultern auf dem Sofa und hielt seine leere Kaffeetasse in den Händen. "Ein Pferd." Andy hatte etwas Interessantes aufgeschnappt. Er hatte zu Zachs Füßen gesessen und sprang nun auf, um sich an Zachs Knie hochzuziehen. "Können wir auf einem Pferd reiten?" "Wir haben kein Pferd", antwortete Jenny ihrem Sohn. "Und Lichter", seufzte Lisa, die immer noch den Baum anblickte. "Wir haben keine Lichter." "Ich kann die Lichterkette von den Rentierhörnern am Postwagen holen", bot Zach an, während er sich erhob. Er mochte zwar nicht zu dieser Familie gehören, doch sollte dieses Weihnachtsfest möglichst perfekt sein samt italienischem Weihnachtsbaum und allem, was dazugehörte. "Sie funktioniert mit Batterie." Lisa strahlte. "Das ist gut." "Die Sterne können wir aus Alufolie basteln." Jenny ging zur Küche. "Ich habe auch Garn zum Aufhängen." "Mr. Lightning hat ein Pferd", sagte Andy leise, als er Zach nachblickte. "Das Pferd ist krank", meinte Lisa angeekelt. "Man kann kein krankes Pferd reiten." Zach hatte dem Jungen bewusst keinen Ritt versprochen. Er würde sein Versprechen nicht halten können. Sobald es Thunder besser ging, würde er nach Las Vegas fahren. Er bezweifelte sehr, dass ihn Jenny zu einem weiteren Besuch einladen würde. "Ich bringe die Rentierhörner auch mit. Vielleicht können wir mit ihnen ein Pferd für dich zusammenbasteln, damit du reiten kannst." "Schau", meinte Andy zu seiner Schwester. "Ich werde reiten."
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Lisa schüttelte nur den Kopf. "Zuerst musst du mir mit den Sternen helfen." Zach trat in die Küche. Jenny hatte die Schublade am Spültisch geöffnet und zog eine leere Rolle hervor. "Irgendwo muss noch Alufolie sein." "Ich habe welche im Laster." Jenny sah erleichtert auf. "Wirklich?" "Sie ist um ein halbes Dutzend Teller mit Plätzchen gewickelt. Ich wollte sie ohnehin hereinbringen. Die Kinder werden sie mögen." "Nein, wir können Ihre Plätzchen nicht annehmen." "Das sind nicht meine Plätzchen. Sie galten Delores. Sie würde sie gern den Kindern geben." Zach fragte sich, warum diese Frau so ungern etwas annahm. Sogar ein Igel war nicht so abweisend. "Also, danke schön." Jenny schob die leere Rolle zurück in die Schublade. Wieso bestand dieser Mann darauf, so nett zu sein? Konnte er nicht sehen, dass sie ihn nicht nah an sich herankommen lassen konnte? "Ich werde Ihnen dafür natürlich etwas bezahlen." Zach warf ihr nur einen bezeichnenden Blick zu, als er seinen Mantel vom Haken nahm. "Ich brauche Ihr Geld nicht." Jenny wollte ausführen, dass jeder Geld brauchte, doch er war schon zur Tür hinaus. Immerhin hatte sie ihren Standpunkt klar gemacht. Sie wollte die Dinge geschäftsmäßig halten. Geld half dabei. Sie hätte von ihm nichts annehmen können. Dann wären sie Freunde geworden. Nein, gestand sie sich ein. Freunde blieben bei einem. Sie verließen einen nicht und stahlen einem einfach das Herz. Zach bot ihr keine Freundschaft an. Er war nur ein Fremder auf der Durchreise. Es war gut, wenn sie sich das ins Gedächtnis rief.
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Kapitel 7 Zach hatte ein Handtuch um seine Finger gewickelt und holte ein Backblech aus dem Ofen. Dabei beobachtete er Jenny, die den Himmel betrachtete. Ihre blonden Locken glänzten golden im blassen Licht, das durch das Fenster oberhalb der Spüle in die Küche sickerte. Auch angesichts ihres langen, sanft geschwungenen Nackens war es ein schlechter Zeitpunkt, ein heißes Blech in den Händen zu halten. Er hatte sich schon vorhin verbrannt, als sich Jenny nach einem heruntergefallenen Löffel gebückt hatte. Seine Schmerzen wurden dadurch wettgemacht, dass Jenny darauf bestanden hatte, ihm eine Salbe am Daumen aufzutragen. Sie war dabei sehr schüchtern gewesen, was ihn mehr erregte als jeder andere Flirt seines Lebens. "Halten Sie nach Gänsen Ausschau?" Zach stellte die Plätzchen vorsichtig auf den Topfuntersetzern ab, die Jenny auf der Spüle ausgelegt hatte. Die Küche war warm, und die Geräusche der Kinder aus dem Wohnzimmer erfüllten ihn mit nie gekannter Zufriedenheit. Für einen Tag gehörte auch er auf die Weihnachtspostkarte. Andy half Lisa im Wohnzimmer mit dem Falten der Sterne aus Alufolie. Jenny hatte den Abwasch erledigt, bis ihr Blick zum Fenster glitt. Sie wandte sich um. "Bei Minusgraden gibt es keine Gänse." Zach nickte. "Ich weiß. Aber so wie Sie den Himmel ansehen, müssen Sie auf etwas warten." "Ich habe mir die Wolken angesehen." Jenny hatte der Versuchung widerstanden, ihren grünen Montana-Reiseführer aus dem Schlafzimmer zu holen. Vor dem Abwasch hatte sie sich noch die verschiedenen Wolkenbeschreibungen durchgelesen. Wenn sie die Wolken draußen mit dem richtigen Bild im Führer zusammenbringen konnte, würde sie wissen, ob es heute noch mehr schneien würde. Wenn es nicht mehr Schnee gab, würde Zach abreisen. Sie wollte es Andy zuliebe nicht, sagte sie sich. Graue und schwere Wolken bedeuteten Schnee. Die Wolken draußen waren grau. Sie war sich nur nicht sicher, ob sie schwer genug waren. "Ach." Zach begann, die Plätzchen auf Teller zu verteilen. "Was macht Wolken schwer?" Jenny erkannte den Cowboy kaum wieder. Er hatte Mehl im Gesicht und Zimtstaub auf dem Hemd. Ein altes Geschirrtuch war um seine Taille geschlungen. Wenn ihn die Leute von der Müslifirma jetzt hätten sehen können, hätten sie eine weitere Serie von Fotos für ihre Verpackungen aufgenommen. "Schätzungsweise die Feuchtigkeit." Zach schob die Engelplätzchen vorsichtig an den linken Rand der Teller, damit noch Platz für ein paar Zuckerbäume war. Er hätte nie gedacht, jemals Weihnachtsplätzchen zu backen. "Sagen Sie mir nicht, dass auch Sie sich sorgen. Ich dachte, Andy sei der Einzige." "Andy macht sich Sorgen?" Zach hatte Andy gegenüber wahrscheinlich die Straße erwähnt. "Haben Sie gesagt, dass Sie abfahren?" "Nein, er macht sich keine Sorgen wegen mir. Er macht sich Sorgen wegen des Weihnachtsmanns. Andy befürchtet, dass der Weihnachtsmann mit seinem Schlitten nicht auf dem Dach landen kann, wenn es regnet und dann rutschig wird." Zach versuchte beiläufig zu klingen. "Er scheint sich noch daran zu erinnern, als Sie das Dach zu reparieren versuchten." "Ach." Zach holte tief Luft. Es ging ihn zwar nichts an, was diese Frau im letzten Monat getan hatte. Dennoch war ihm der Gedanke unerträglich, dass sie vom Dach hätte fallen und er sie nicht einmal zum Arzt hätte bringen können. "Schätzungsweise hat Ihnen Ihr Reiseführer nicht gesagt, dass man bei Regen nicht auf einem Dach herumklettern soll. Vor allem nicht auf ein spitzes Dach wie dieses. Es ist gefährlich." "Ich hatte doch erst bemerkt, dass das Dach undicht war, als es geregnet hatte." "Dafür gibt es Eimer." Zach schob das leere Blech zur Seite. Ein letztes war noch im Ofen. "Man wartet, bis es trocken ist, um auf dem Dach zu arbeiten. Außerdem sollten Sie das Dach ohnehin nicht selbst reparieren." Zach bückte sich, um die Ofentür zu öffnen. "Ich werde dafür sorgen, dass es repariert wird." Jenny glaubte, sich verhört zu haben. "Aber Sie können es jetzt doch auch nicht machen. Schnee ist sicher nicht besser als Regen." Zach schluckte. Die heiße Ofenluft fühlte sich auf seinem Gesicht angenehm an. Er holte das Blech mit den Schneemann-Plätzchen heraus. "Ich werde dem Doc bei meiner Rückkehr Geld geben, damit jemand ein neues Dach auf dieses Haus setzt." Weil er wusste, dass Jenny es nicht gern hören würde, sagte er es mit Blick zum Ofen. Jenny schnappte nach Luft. "Aber das ist unmöglich. Das ist viel zu viel." Zach richtete sich mit dem Tablett auf. "Betrachten Sie es als Weihnachtsgeschenk."
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Jenny ließ ihr Geschirrtuch ins Spülwasser fallen. "Das ist kein Weihnachtsgeschenk. Ein Weihnachtsgeschenk wären Socken oder eine Brosche oder eine andere Kleinigkeit. Ein Dach ist viel mehr als ein Weihnachtsgeschenk." Die warme Luft des Ofens hüllte auch sie ein. "Außerdem sind Sie nicht einmal ein Freund von Weihnachten." "Vielleicht nicht, aber ich mag gute Dächer." "Aber Sie können mir kein neues Dach bezahlen. Was sollen der Doc und Delores denken?" "Sie werden denken, dass Sie ein neues Dach bekommen." Nein, dachte Jenny. Sie würden darüber spekulieren, ob sie einen neuen Ehemann hatte. Das war natürlich lächerlich. Ein Cowboy war offensichtlich nicht der Typ, der heiratete. Er würde nie sesshaft werden. Jenny schrak zusammen. Nein, der Doc und Delores würden überhaupt nicht an eine Heirat denken. Sie hatte schon so lange keine Verabredungen mehr gehabt, dass sie das Offensichtliche übersah. Sie würden denken, sie müsse dem Cowboy gegenüber generös gewesen sein. Jeder würde das denken. "Ich kann ein so teures Geschenk nicht annehmen. Es muss hunderte von Dollars kosten." Eher tausende, dachte Zach. Aber er würde nicht gut schlafen können, solange Jenny auf diesem Dach herumklettern konnte. Die einzige Abhilfe war, jemanden für die Arbeit zu bezahlen. Außer natürlich ... "Wenn Sie nicht wollen, dass ich jemanden dafür bezahle, komme ich wieder und mache es selbst." Jenny sah ihn an, als ob er gesagt hätte, dass er ihr Haus niederbrennen wolle. "Ich muss an die Kinder denken, wissen Sie. Außerdem muss ich in dieser Gemeinde leben." Jenny überlegte. "Leider kann ich Ihnen zum Dank für das Dach nichts anbieten." Zach hatte die Plätzchen vom Blech genommen. Als er sich schnell umdrehte, berührte er mit der Hand das heiße Metall. Er fühlte die Verbrennung kaum. Er verstand, was Jenny meinte. Es gefiel ihm nicht. Nicht dass er andere Frauen, die er attraktiv gefunden hatte, nicht mit allen möglichen Mitteln gelockt hatte. "Ich denke auch an die Kinder, wissen Sie. Ich hatte nichts als Gegenleistung für das Dach erwartet." Jenny hatte bemerkt, dass er sich verbrannt hatte. Sie holte aus ihrer Tasche die Tube mit der Salbe. "Warum haben Sie es dann angeboten?" Sie streckte ihre Hand aus. "Lassen Sie mich Ihre Hand ansehen." Zach reichte ihr seine Faust. Die Salbe fühlte sich kühl an, bis Jenny sie auf seinem Handrücken verrieb. Ihm wurde am ganzen Körper heiß. "Kann niemand, einfach weil Weihnachten ist, etwas Nettes für Sie tun?" "Ausgerechnet Sie wollen das Weihnachten zuliebe machen?" Jenny klang nicht überzeugt. "Ich habe aus der Vergangenheit noch einiges an Weihnachtsgeschenken gut zu machen." "Ich kannte Sie früher aber nicht." Jenny hielt Zachs verbrannte Hand, während sie die Verbandsrolle vom Spültisch nahm, die sie bereits für Zachs Daumen verwendet hatte. "Sie schulden mir keine Geschenke." Zach schloss die Augen. Wieso sträubte sie sich so? "Es ist schwierig, alle aufzusuchen, die ich die Jahre über gekannt habe und ihnen ein verspätetes Geschenk in die Hand zu drücken." Jenny verband Zachs Hand. "Dann wäre das Dach die Buße für Ihre vergessenen Weihnachtsgeschenke?" "So was in der Art." Zach schloss erschöpft die Augen. Hoffentlich brachte sie nie in Erfahrung, dass er sich auch als Weihnachtsgegner nicht hatte lumpen lassen. Seit Zach mit dem Rodeo gutes Geld verdiente, hatte er ein paar Leuten sehr hübsche Geschenke gemacht. Natürlich waren das für gewöhnlich Schecks, die die Summe von Jennys Dach zum Teil durchaus überstiegen hatten. Doch noch nie hatte sich jemand so dagegen gewehrt wie Jenny. "Und Sie erwarten als Gegenleistung nicht, dass ich mit Ihnen schlafe?" fragte Jenny direkt. Sie wollte sicherstellen, dass sie einander verstanden. Zach riss die Augen auf. "Lady, Sie wollen mich nicht einmal küssen. Ich bin nicht so dumm zu meinen, mit dem Dach weiterzukommen." Zach hoffte, dass sie protestieren würde und ihm zumindest eine Verabredung anbieten würde. Doch sie tat es nicht. Stattdessen verknotete Jenny den Verband, ohne die Augen zu heben. "Ich habe aber nichts, was ich Ihnen im Gegenzug geben könnte." Zach lächelte. Es war also ihr Stolz, der sie quälte. Er hielt mit seiner verbundenen Hand die ihre fest. "Wenn ich so weitermache, müssen Sie mir nur die Salbe in Ihrer Tasche und den Rest der Mullbinde geben." Jenny sah lächelnd auf, entzog ihm aber nicht ihre Hand. "Plätzchenbacken kann gefährlich sein." "Ich hatte nicht geahnt, welche Gefahren beim Küchendienst lauern." Zach musste Jennys Hand mit seinem Daumen streicheln. Ihre Hände waren vom Abwasch noch leicht feucht. Sie waren weicher als die Hände anderer Frauen.
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Jennys lächelte mit geröteten Wangen. "Wenn Sie das aufregend finden, warten Sie nur bis morgen. Dann können Sie mir mit dem Schinken helfen. Und das Öffnen der Süßkartoffeldose wird Ihnen wie ein Thriller vorkommen." "Es kann nicht schlimmer sein als Plätzchenbacken." Zach gefiel es, Jennys Hand in seiner zu spüren. Er konnte sich nicht daran erinnern, einer anderen Frau je die Hand gehalten zu haben. Ihm war es immer um mehr gegangen. Was für ein Dummkopf er gewesen war. Zärtlich drückte er Jennys Hand. Er hatte nicht geahnt, was ihm entgangen war. Diesen Augenblick würde er nie vergessen. Der warme Duft der Zuckerplätzchen machte die Küche gemütlich. Jenny hielt den Atem an. Wie lange war es her, dass jemand sie derart liebevoll berührt hatte? Zachs sanftes Streicheln war im Grunde eine unschuldige Geste. Dennoch fühlte es sich alles andere als unschuldig an. Es war einer der erotischsten Augenblicke ihres Lebens. Leider war Erotik fehl am Platz. "Besten Dank für Ihre Hilfe", sagte Jenny schließlich zu Zach, während sie ihre Hand zurückzog. "Es wird ein wundervolles Fest werden." Jenny sah sich zufrieden in der Küche um. Zum ersten Mal dachte sie nicht daran, was ihr alles fehlte. Stattdessen sah sie die Schnipsel von der Alufolie herumliegen, aus der Lisa die Sterne geschnitten hatte, und den mit Tellern voller Plätzchen bedeckten Spültisch. Der Mann, der dieses wundervolle Weihnachtsfest möglich gemacht hatte, verdiente ein wundervolles Geschenk. "Ich weiß ein besseres Geschenk für Sie als ein Erste-Hilfe-Set", beschied Jenny. Sie war von Wohlwollen erfüllt. Jeder im Haus würde ein schönes Fest haben, soweit das in ihrer Macht stand. Zachs Augen waren in Dunkel gehüllt. "Ich erwarte nichts. Sie brauchen mir kein Geschenk wegen des Dachs zu machen." "Nein, ich brauche ein Geschenk für Sie." Jenny schloss die Augen. Wie konnte ein Cowboy in zerschlissenen Jeans und einem Handtuch voller Plätzchenteig nur so sexy aussehen? Es war nicht seine Schuld, dass sie die Augen nicht von ihm lassen konnte. Er war lieb zu ihren Kindern gewesen und hatte ein Weihnachtsgeschenk verdient. Sie überlegte, was noch in den Kisten war, die in ihrem Schlafzimmer standen. "Vielleicht etwas von Stephen." "Nein." Selbst Zach wunderte sich über seine abrupte Ablehnung. Jenny sah ihn erstaunt an. Zach wandte sich schnell ab und nahm sich ein Plätzchen. "Sie sollten diese Sachen für Andy und Lisa aufbewahren. Wenn sie älter sind, werden sie ein paar Dinge als Andenken an ihn haben wollen." Jenny fragte sich, ob ihre Kinder in zwanzig Jahren noch an ihren Vater denken würden. Wenn ja, dann sicher nicht wegen eines Pullovers oder einer Krawatte. "Er muss ein wundervoller Vater und Ehemann gewesen sein." Zach versuchte, möglichst beiläufig zu klingen. Es war dumm, mehr über diesen Mann erfahren zu wollen. Aber für Zach war schon die Tatsache seiner Existenz ein Stachel. Vielleicht würde ihm zufällig jemand das Geheimnis verraten, wie man ein Teil einer Familie wie dieser sein konnte. Vielleicht würde Zach es auch lernen können, wenn er sich genügend bemühte. "Ich wünschte, ich hätte ihn gekannt. Wie war er?" "Wie?" Jenny schrak auf. Sie hatte nie über Stephen gesprochen. Dieses Kapitel war abgeschlossen und tief in ihrer Brust vergraben. "Ihr Mann. Hatte er irgendwelche Hobbys?" Zach nahm an, dass er klassische Musik gemocht hatte. Frauen schienen das immer zu mögen. Zach zog einem klassischen Konzert jederzeit einen Gitarrenspieler in einer Bar vor. Aber wahrscheinlich würde er auch eine Oper durchstehen. "Haben Sie mit ihm an besonderen Abenden etwas Bestimmtes unternommen?" Jenny versuchte mühsam, sich daran zu erinnern. Selbst vor seiner Krankheit hatten sie nie gemeinsam an gesellschaftlichen Ereignissen teilgenommen. Stephen ging lieber mit seinen Kumpels aus, als mit ihr zu Hause zu bleiben. Da er kein Geld für einen Babysitter aufwenden wollte, konnten sie nie zusammen weggehen. "Wir hatten nicht viel Geld." "Ich verstehe." Zach dachte, dass dies viele gemütliche Abende zu Hause mit Puzzlespielen oder Videofilmen bedeutete. Der Gedanke daran bedrückte ihn. Wenn Jenny das Abendessen in schicken Restaurants oder das Tanzen in Nightclubs erwähnt hätte, hätte Zach leichter mithalten können. Er konnte es sich leisten, mit ihr für ein Wochenende nach Paris zu fliegen. Bei häuslichen Dingen war er sich dagegen immer unsicher. Das Licht draußen verblasste zunehmend, so dass nur noch eine Kerze auf dem Küchentisch einen goldenen Schein verbreitete. Zachs Gesicht leuchtete warm, während er auf das Plätzchen in seiner Hand blickte. Er wirkte so konzentriert wie auf dem Foto auf der Müsli-Verpackung. Das machte Jenny Mut. Sie musste endlich jemand die Wahrheit über ihren Mann erzählen. Die ungesagten Worte erstickten sie beinahe. Wenn sie sich vorstellte, zu der Müslipackung zu sprechen, konnte sie es vielleicht schaffen.
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"Stephen ..." Jenny schluckte. "Stephen war, nun ja, es ist gar nicht so sehr, was er war, als was er nicht war." Jenny hielt inne. Zach hatte sich ihr zugewandt. Plötzlich sah er gar nicht mehr so aus wie auf dem Bild. Er lächelte ihr aufmunternd zu. "Ich, ach ..." Jenny wusste, dass es ihre Chance war. Sie war ein Feigling. Sie wusste nicht, wie Zach die Wahrheit über Stephen aufnehmen würde. Viele Männer dachten, dass bei einer unglücklichen Ehe die Schuld bei der Frau liegen müsse. "Wir haben sehr früh geheiratet." Zach stöhnte beinahe laut auf. Kein Wunder, dass Jenny keinen anderen Mann küssen wollte. Wahrscheinlich war Stephen der Einzige, mit dem sie je ausgegangen war. "Sie müssen sehr ineinander verliebt gewesen sein." "Ach ..." Jenny schluckte. Sie würde es noch einmal versuchen. Doch sie hatte keine Gelegenheit mehr dazu. Das leise Gelächter aus dem Wohnzimmer war lauter geworden. "Mommy, komm und schau", rief Lisa von der Küchentür aus. Das Haus lag im Dunkeln. "Ich zünde jetzt besser die Öllampe an", sagte Jenny. Sie würde später mit Zach reden. Sie würde ihm von Stephen erzählen. Aber nicht gerade jetzt, wo die Kinder vielleicht zuhören konnten. "Mr. Lightning", rief Andy vom Wohnzimmer aus. "Sieh dir die Sterne an." Zach folgte Jenny ins Wohnzimmer. Das Licht ihrer Petroleumlampe ließ die Sterne aus Alufolie tausendfach aufblitzen. Der Baum funkelte im Glanz der Spiegelungen. Zach hatte die Lichterkette von dem Rentiergeweih abgenommen und am Weihnachtsbaum befestigt. Sie war aber noch nicht in Betrieb genommen worden. "Sie sind schön", meinte Jenny, während sie einen Arm um Lisa legte und Andy anlächelte. "Ich habe noch nie so viele Sterne gesehen." "Können wir jetzt die Lichterkette anmachen?" fragte Lisa. "Es ist fast dunkel." Jenny hatte den Kindern nachmittags gesagt, sie würden die Lichter erst bei Dunkelheit einschalten. Jenny hatte Angst, dass die Batterien zu früh ausgehen könnten. "Lasst uns zuerst eine Suppe essen." Jenny sah auf ihre Uhr. Der Tag war schnell vergangen. "Es ist beinahe fünf Uhr. Dann können wir die Weihnachtsgeschichte lesen, bevor ihr zu Bett geht." "Aber dafür ist es viel zu früh", protestierte Lisa. "Ich möchte noch dein Geschenk einpacken." Zach hatte die Schmuckschatulle versteckt, die die Kinder für ihre Mutter am Morgen gebastelt hatten. Es war eigentlich eine kleine Werkzeugkiste aus Holz, in der Zach bislang sein Ledernähzeug aufbewahrt hatte. Andy hatte ein paar Muscheln vom Strand in Kalifornien auf die Kiste geklebt und Lisa das Innere mit einem Stück Samt ausgeschlagen. "Aber ich habe kein Papier", meinte Jenny verzweifelt. "Geschenkpapier ist nicht nötig", warf Zach ein. Er hatte sich getäuscht. "Doch, es ist nötig", sagte Lisa. Sie sah Zach an, als ob er ein Zauberer sei, der ständig weitere Gegenstände aus seinem Hut zu zaubern vermochte. "Ich habe keines. Aber Moment mal." Zach fiel etwas ein. "Delores hat eine Rolle mit braunem Packpapier und Packband im Laster." "Braunes Papier?" Lisa wirkte skeptisch. "Außerdem gibt es rote Stempel und Stifte." Zach wusste nicht genau, was Delores noch in der Postschublade aufbewahrte, die sich rechts oberhalb des Beifahrersitzes befand. "Wir können Weihnachtspapier machen", meinte Jenny erleichtert. Die Kinder würden sich an selbst gemachtes Geschenkpapier viel länger erinnern als an gekauftes. "Aber ihr müsst heute Abend früh zu Bett", meinte Jenny nachdrücklich. "Denkt daran, wenn ihr bald ins Bett geht, könnte ihr morgen früher aufstehen." Und wenn sie bald ins Bett gingen, hatte Zach Zeit, seine Geschenke für die Kinder fertig zu machen. Zach hatte ihr von seinen Einfällen erzählt. Die Kinder würden die Überraschungen lieben. "In Ordnung", meinte Lisa widerstrebend. "Kann ich anstatt der Suppe ein Müsli haben?" fragte Andy. Andy hatte auch zu Mittag Müsli essen wollen, als die anderen ein Thunfischsandwich gegessen hatten. Jenny hatte mittags nachgegeben. "Du musst auch etwas anderes als Müsli essen." "Ich könnte auch noch ein Plätzchen essen", schlug Andy vor. Jenny wandte sich an Zach. "Reden Sie mit ihm." Zach lächelte. Zum Glück konnten ihn jetzt die Müslihersteller nicht hören. "Echte Cowboys essen nicht zu jeder Mahlzeit Müsli. Sie brauchen auch andere Nahrung, um gesund zu bleiben. Vielleicht solltest du heute ein wenig Suppe essen." "Isst du auch Suppe?" fragte Andy, während er zu Zach hinüberging und die Arme um dessen Bein schlang. "Aber sicher."
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"Okay", stimmte Andy zu. "Dann werde ich Suppe essen. Mit Crackern?" "Okay. Es gibt auch Cracker und Pfirsiche zum Nachtisch." Jenny überlegte, was sie noch alles in den Schränken hatte. Sie war dankbar dafür, dass Stephens Onkel den Herd an den Propantank der Heizung angeschlossen hatte. Ohne Elektrizität würden sie sonst immer noch nichts Warmes essen können. Zach legte seine Hand auf Andys Kopf. "Decken wir für eure Mommy den Tisch." "Ich weiß, wo die Schalen sind", erklärte Lisa beim Hinausgehen. Sie aßen bei Kerzenlicht. Zach war zufrieden. Er hatte schon bei Kerzenlicht in Fünfsternehotels im obersten Stockwerk eines Wolkenkratzers oder auf Kreuzfahrtschiffen gegessen. Bei keinem dieser Dinner hatte es an Unterhaltung gemangelt oder war die Suppe lauwarm gewesen. Dennoch hätte er dieses Abendessen gegen keines der früheren eingetauscht. "Zumindest die Pfirsiche dürften in Ordnung sein", meinte Jenny leise. "Es war eine wundervolle Mahlzeit", versicherte ihr Zach. "Gesund." "Jetzt, wo der Ofen abgekühlt ist, könnte ich noch mehr Tomatensuppe heiß machen." Jenny hatte nicht beachtet, dass die Benutzung des Backofens während des Nachmittags die Kochflammen beeinträchtigen würde. Sie gingen immer wieder aus. "Ich bin zufrieden." Jenny fragte sich, ob sie Zach gestehen sollte, dass sie es auch war. Sie fühlte sich in seiner Gegenwart erstaunlich wohl. Schon früher am Tag hatte Jenny bemerkt, wie sie sich entspannte, weil er sie nicht kritisierte. Zach schien alles zu gefallen, was sie hinsichtlich Mahlzeiten und häuslichen Bequemlichkeiten anzubieten hatte. Das war ein großer Unterschied zu ihrem Ehemann. Stephen war sichtbar unglücklich gewesen, wenn die Wäsche nicht tadellos gebügelt war oder die Mahlzeiten nicht nach seinem Geschmack waren. Kein Wunder, dass sie all die Jahre ihrer Ehe müde gewesen war. Sie hatte für Stephen alles perfekt machen wollen. Das war mit zwei Kindern nicht leicht gewesen. Natürlich war es für Zach einfach, sich mit den Dingen abzufinden, wie er sie vorfand. Er würde ohnehin nicht lange hier sein. "Ich kann nicht gut kochen", entschuldigte sie sich. "Ich lerne erst, mit diesem Herd umzugehen." "Wir lernen alle." Zach schob seinen Stuhl zurück. "Ich hole die Pfirsiche." "Nach den Pfirsichen will ich das Geschenkpapier machen", sagte Lisa. Jenny ließ Wasser auf die Teller laufen und stellte sie ins Spülbecken. Erstaunlich, wie befreiend das war. Zum zweiten Mal an diesem Tag musste sie nicht schnell abwaschen, um jemandem etwas zu beweisen. Stattdessen saßen sie zu viert am Klapptisch und bedruckten Geschenkpapier. Andy stempelte gern. Er stempelte ein rotes Band aus "VORSICHT GLAS" auf ein braunes Packpapier. Der Stempel stand manchmal auf dem Kopf oder war verdreht. Das chaotische Muster wirkte jedoch sehr originell. Lisa malte mit einem roten Stift Glocken auf das Papier. "Ich muss Delores für all das Geld geben", meinte Jenny. "Wetten, dass sie lieber ein Bild haben möchte?" meinte Zach, der zum Spültisch hinüberging. Delores hatte zweifellos ein Herz für die beiden Kinder. Die Frau hätte es verdient, die beiden bei der Verschönerung des Packpapiers zu sehen. "Gute Idee", meinte Jenny, als er mit der Kamera zurückkam. Jenny machte zwei Aufnahmen und legte sie zum Trocken auf den Spültisch. Sie hatte ungefähr ein halbes Dutzend Aufnahmen von den Kindern im Verlauf des Tages gemacht. Es gab eines mit Andy und Zach beim Plätzchenausstechen. Eines von Lisa und Zach, wie er die Lichterkette um den Baum wand. Von jedem Motiv machte Jenny zwei Aufnahmen. Eine davon für sich, die andere sollte Zachs Weihnachtsgeschenk werden. Zach würde keine von Stephens Klamotten tragen. Das war auch gut so. Sie würde die ganze Schachtel mit Stephens Sachen mit dem Packband verschließen, bevor sie sie hinten im Schrank in ihrem Schlafzimmer deponieren würde. Zach hatte Recht. Andy und Lisa würden vielleicht eines Tages die Sachen haben wollen. Im Moment wollte Jenny sie jedoch an einem Ort verwahren, wo sie sie nicht jeden Tag sehen musste. Jenny konnte die Überlegung nicht abwehren, wie ihr Leben verlaufen wäre, wenn sie einen Mann wie Zach geheiratet hätte anstatt Stephen. Sie rief sich zur Ordnung. Es war sinnlos, darüber nachzudenken, zumal an einem Weihnachtsabend.
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Kapitel 8 Zach war nie dabei gewesen, wenn die Weihnachtsgeschichte kleinen Kindern vorgelesen wurde. Natürlich kannte er die Geschichte mit dem Stern, den Weisen aus dem Morgenland, den Hirten, den Engeln und dem Baby in der Krippe. Aber er hatte das Ganze nie aus den Augen eines Kindes gesehen. Er lehnte sich auf dem Klappstuhl zurück. Es gefiel ihm, wie Jenny ihren Kleinen die Weihnachtsgeschichte vorlas. "Und deshalb gibt es an Weihnachten Frieden und Wohlgefallen für alle Menschen", sagte Jenny, während sie das Kinderbuch zuklappte. "Weil das Jesuskind vor langer Zeit in Bethlehem geboren worden ist." Das Zimmer lag im warmen Schein der Öllampe, die Jenny am Deckenventilator befestigt hatte. Es roch immer noch nach frisch gebackenen Plätzchen und nach dem Tannenbaum, der in der Mitte des Zimmers stand. Ein kleines Geschenk lag bereits verpackt unter dem Baum. "Deshalb haben wir auch die Sterne", seufzte Lisa. "Sterne gab es auch schon vor Weihnachten", meinte Jenny leise. "Aber der Weihnachtsstern ist ein ganz besonderer Stern." "Das war der größte und schönste Stern, den es je gab", sagte Lisa zufrieden. "Mein Stern ist auch groß." Andy zeigte auf den Baum. Andy und Lisa hatten die Sterne angemalt. Die aus Alufolie gebastelten Sterne waren mit roten oder gelben Blumen und sogar mit einem Pferd bemalt. Der schiefe Baum funkelte mit seinen Sternen im rot-grünen Licht der Lichterkette, die um die Baumzweige gewunden war. Der Stern, auf den Andy gedeutet hatte, hatte mindestens zehn Zentimeter Durchmesser. Darauf war ein gelbes Strichmännchen mit einem großen Kringel um den Kopf zu sehen. Zach vermutete, dass es sich bei dem Strichmännchen um einen Engel mit Heiligenschein handele. "Es ist ein schöner Stern", pflichtete ihm Jenny bei. Sie drückte ihn kurz an sich. Andy krabbelte vom Sofa und ging zu Zach hinüber. "Hast du meinen Stern gesehen?" "Aber sicher", versicherte Zach. "Es ist der schönste Stern. Du hast einen Engel darauf gemalt." Lisa verdrehte die Augen. "Das ist doch kein Engel. Das bist du." "Wieso denn das?" "Es ist ein Cowboy mit Hut", meinte Lisa. "Du hast mich auf einen Stern gemalt?" wandte sich Zach verblüfft an Andy. Der Junge lächelte ihn an. "Ich habe auch Thunder gemalt. Auf dem anderen Stern." Andy zeigte ihm den Stern mit dem Pferd. "Gefällt er dir?" "Sie sind beide wunderschön", sagte Zach heiser. Er musste blinzeln, wahrscheinlich war ihm etwas Rauch von der Öllampe ins Auge gekommen. "Das ist eine wundervolle Weihnachtsüberraschung." Andy und Lisa sahen sich an und kicherten. "Das ist nicht dein Weihnachtsgeschenk", sagte Lisa schließlich. "Das kriegst du erst morgen früh." Seit ihn Black Demon letztes Jahr in Fargo abgeworfen hatte, war Zach nicht mehr so sprachlos gewesen. Sein Mund blieb vor Erstaunen offen stehen. "Wir dürfen nicht verraten, was es ist." Andy tänzelte vor Aufregung hin und her. "Es ist eine Überraschung." "Ich werde sicher überrascht sein", stieß Zach endlich hervor. "Ein echtes Weihnachtsgeschenk für mich." Er sah Jenny nervös an. Sonst bekam er höchstens mal eine Flasche mit Wein oder etwas Hochprozentigem. Jenny war noch nie stolzer auf ihre Kinder gewesen, die sich das Geschenk ganz ohne ihr Zutun ausgedacht hatten. Letzteres beunruhigte sie jedoch auch. Sie wusste nicht, wie Zach auf eine zerknitterte Krawatte oder einen Sattel aus Pappe reagieren würde. "Jetzt ist Bettzeit", verkündete sie daher. Beim Zubettgehen würde ihr eines der Kinder sicher die geplante Überraschung anvertrauen. Dann würde sie mit dem Bügeleisen vielleicht noch das Gröbste in Ordnung bringen können. Doch leider verriet ihr keines der Kinder das Geheimnis des Weihnachtsgeschenks. Sie konnte nur erreichen, dass sie es am nächsten Morgen sehen durfte, bevor sie es Zach überreichten. Zach stempelte "EILPOST" auf einen ganzen Meter braunes Packpapier. Er fügte ein paar grüne Schneeflocken hinzu. Der grüne Stift war der einzige, der noch funktionierte. Er würde in Zukunft einen größeren Matchsack benötigen. Er hätte gern so viele Dinge hier gehabt, nachdem er den Stern gesehen hatte. Wenn möglich, wäre er nach Denver oder zumindest nach Billings gefahren, um Weihnachtsgeschenke für diese kleine Familie zu kaufen. Dann hätte Lisa eine Prinzessinnenpuppe und ein Diadem mit echten Diamanten
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bekommen. Sie hätte es eines Tages verkaufen können, um auf das College zu gehen. Sie würde das bei ihrer Klugheit sicher irgendwann wünschen. Und Andy hätte er ein Pferd gekauft. Wenn ein echtes zu aufwendig in der Pflege sein sollte, zumindest ein elektronisches, wie es häufig in Bars anzutreffen war. Falls es keines mit sanften Bewegungen gab, hätte er dem Jungen ein Karussell mit Pferden gekauft, damit er sich eins auswählen konnte. Für Jenny hätte er einen langen Nerzmantel erstanden. Natürlich nur eine Imitation, weil sie sicher keinen echten haben wollte. Er musste warm genug sein, um den schlimmsten Schneesturm in Montana durchzustehen. Außerdem hätte er für sie einen Traktor gekauft. Doch dies alles war unmöglich. Deshalb musste er mit dem auskommen, was sich in seiner Tasche befand. Jenny hatte die Lampe in die Küche gestellt, bevor sie die Kinder ins Bett gebracht hatte. Als sie wieder in die Küche trat, sah Zach sie lange an. Im gelben Lampenschein funkelte ihr blondes Haar. Obwohl sie kein Mascara benutzte, waren ihre Wimpern dicht. Ihre blauen Augen lagen im Schatten. Sie sahen aus wie ein Ozean um Mitternacht. Um sich abzulenken konzentrierte Zach sich auf seine Geschenke. Die Nacht würde lang werden. "Danke, dass Sie mir die Sachen besorgt haben. Jetzt muss ich aber anfangen." Er hatte seinen Beutel neben sich. Tagsüber war er kurz im Waschraum verschwunden, um Löcher in den Lederstreifen zu schlagen, den er Andy als Gürtel schenken wollte. Der Rest der Arbeit machte keinen Lärm, so dass er niemanden wecken würde. "Wollen Sie das wirklich zerschneiden?" Jenny nahm das Strumpfband vom Spültisch. Die Edelsteine schimmerten im Lampenschein. "Es muss teuer gewesen sein." Es waren fünfzehn Steine, und die schwarze Spitze und der Samtring mit Steinen sahen gut gearbeitet aus. Er hatte dieses Stück sicher nicht aus einem Spielautomaten. "Nur die Rubine sind echt." Zach stempelte weiter das Packpapier. Er brauchte den ganzen Tisch für seine Arbeit. "Es sind nur ein paar, und sie sind auch nicht von reinster Qualität." "Aber dann können Sie es doch nicht zerschneiden." Jenny missfiel es, dass Zach für seine Freundin etwas mit echten Edelsteinen gekauft hatte. Das bedeutete eine engere Beziehung als gedacht. "Patti wird die Rubine sicher auch nach Weihnachten noch gerne bekommen." "Ach, ich weiß gar nicht, wann und ob ich sie überhaupt sehen werde. Sie hat mich heute erwartet." Zach wollte Jenny nicht eingestehen, dass er gar keine Lust mehr auf Las Vegas hatte. "Sie wird sich Sorgen machen." "Das ist unwahrscheinlich." Jenny fühlte sich etwas besser. "Wahrscheinlich hat sie im Wetterbericht von dem Schneesturm gehört. Sie wird wissen, dass Sie Ihre Reise unterbrechen mussten." "Denke ich auch." Zach wollte nicht länger über Patti sprechen. Das Showgirl würde sich seinetwegen überhaupt keine Sorgen machen. "Haben Sie den Kleiderbügel? Ich muss zuerst sehen, ob ich ihn biegen kann." Zach sah Jenny an. "Darf ich an Ihrem Kopf Maß nehmen?" "Wie bitte?" "Für das Diadem", erklärte Zach, während er den Metallbügel untersuchte. "Gute Qualität." Jenny setzte sich an den Tisch, während Zach aufstand. Die Sache mit dem Diadem war nicht schlecht. Er hatte einen Grund, Jenny zu berühren. "Lisa hat dieselbe Haarfarbe wie Sie. Sehr hübsch." "Danke." Jenny war es heiß, obwohl draußen dreißig Grad minus waren. Eigentlich hätte sie vor Kälte zittern müssen. Stattdessen wurde ihr abwechselnd heiß und kalt. Sie spürte die Wärme seines muskulösen Körpers und fragte sich, ob er ihr Herzrasen hören konnte. "Das war ein anstrengender Tag." "Mmm." Zach versuchte sich auf das Diadem zu konzentrieren. Jennys Haar war zum Küssen weich. Außerdem war es so dicht, dass sich ihre Locken wie die Blütenblätter einer Sonnenblume auf dem Kissen ausbreiten würden. Er bevorzugte bei seinen Freundinnen langes Haar. Zach zuckte zurück. Wie konnte er an so etwas denken? Sie hatte ihn nicht einmal geküsst. Weil sie so ruhig dasaß, legte er ihr die Hand auf die Schulter. Sie schob sie nicht weg, was er als gutes Zeichen deutete. "Man sagt, dass Frauen ihre Meinung ändern", entfuhr es ihm. "Wie bitte?" Jenny drehte sich zu ihm. Ihre tief blauen Augen verrieten in der Dunkelheit nichts. "Ach, ich meinte nur, ob Lisa immer noch ein Diadem haben möchte." Zach hätte sich einen Tritt geben können. Er ritt wilde Pferde, zum Himmel noch mal. Er gab nie auf, sobald die Schranke einmal zurückgezogen worden war. Und jetzt dieses Zögern. Jenny drehte sich wieder nach vorn. "Sicher. Sie hat die ganze Zeit davon geredet, seit wir hierher gezogen sind. Wenn ich es früher gewusst hätte, hätte ich in einem Geschäft in Los Angeles etwas finden können."
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"Mmm." Zach konzentrierte sich als guter Weihnachtsmann auf die Geschenke. Dies tat er nicht zuletzt, um die Frau vor sich zu vergessen. "Und was haben Sie sich zu Weihnachten gewünscht?" "Ich?" Jenny lachte. "Ich habe zu hart gearbeitet, um darüber nachzudenken." "Sie brauchen jemanden, der Ihnen hilft." Jenny lehnte sich gegen seine Hand. Er massierte ihren Rücken, was sich herrlich anfühlte. "Ich dachte an einen Hund." "Einen Hund?" Zach hörte mit dem Massieren auf. "Ja, um im Frühjahr die Kaninchen aus dem Garten zu vertreiben." "Dann haben Sie vor, einen Garten anzulegen!" Zach war letzten Sommer durch diese Gegend in Montana gefahren, als kein Fuß breit Schnee auf der Erde lag. "Sie werden zuerst eine Lage Erdreich aufbringen müssen. Der Wind hat vor Jahren die Erde davon getragen." "Der Reiseführer hat nichts von Erdreich erwähnt." Jenny drehte sich wieder zu Zach um. "Es hieß dort, ich könne alles anbauen." "Vielleicht Kartoffeln", lenkte Zach ein. Er drückte Jennys linke Schulter. "Sie brauchen wenig Erde." "Aber ich möchte Erbsen und Rosen. Eine Art englischer Garten. Und ein paar Tomaten." "Ach." Zach wandte sich der rechten Schulter zu. Ihre Schultern waren wie aus Wachs, so warm schmolzen sie unter seinem Griff dahin. Als Zach ihren Nacken massierte, konnte Jenny ein zufriedenes Schnurren kaum unterdrücken. "Wo haben Sie das nur gelernt?" Jenny bereute ihre Frage augenblicklich. Ein Single wie Zach eignete sich das Massieren nur aus einem ganz bestimmten Grund an. "Bei meinem Pferd", antwortete Zach. "Es hatte eine Verletzung am Bein." "Ach, gut", seufzte Jenny. "Das fand es gar nicht gut." "Das hätte ich auch nicht gedacht." Jenny entspannte sich bei der Massage und fühlte sich gleichzeitig erfrischt. "Ich könnte Ihnen mit den Geschenken helfen." "Wir haben Zeit." Zach war noch nie so zufrieden gewesen. Selbst als er sein erstes Pferd gekauft oder den ersten Meisterschaftstitel gewonnen hatte. Und auch nicht, als er mit der Müslifirma seinen Werbevertrag abgeschlossen hatte. "Ich bin gern hier bei Ihnen." Jenny hörte seine geflüsterten Worte. Plötzlich machte es ihr nichts mehr aus, dass er nur auf der Durchreise war. "Ich mag Sie auch." Zach wagte kaum, sich zu bewegen. Jenny erhob sich und drehte sich zu ihm um. Sie waren nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt. Dann ... Jenny ahnte, dass viele Frauen in ihrem ganzen Leben keinen solchen Kuss bekommen hatten. Sie spürte es bis in die Zehenspitzen kribbeln, und es verschlug ihr den Atem. Sie wäre in Ohnmacht gefallen, wenn sie nicht die Mutter zweier Kinder gewesen wäre. "Mir ist schwindlig." "Hmm." Zach schmeckte immer noch dem Kuss nach. Er zögerte, sie loszulassen. "Ich denke ..." "Denken Sie nichts." "Wir sollten die Weihnachtsgeschenke einpacken." Ach, Weihnachten. Zach hatte Jahre lang damit Probleme gehabt, jetzt machte es ihm nichts mehr aus. "Sie stempeln, während ich die anderen Geschenke fertig mache." Jenny stempelte und malte Glocken auf das Papier, die irgendwann wie Herzen aussahen. Aber es war Weihnachten und die Zeit für Wünsche und Träume gekommen. Es war sogar Zeit für Träume, die sie nie für erfüllbar gehalten hatte. Obwohl Zach Lucas nur auf der Durchreise nach Las Vegas war und Weihnachten hasste, musste sie lächeln, als er mit dem Mistelzweig aus der Waschküche zurückkam. "Wir können das als Schmuck für die Päckchen verwenden." "Dazu ist es zu schade", wandte Jenny ein. Sie sah, wie Zach zögernd lächelte. "Es ist doch Heiligabend." Jenny schwebte an diesem Abend ins Bett. Sie hatte eine magische Nacht erlebt. Sie war geküsst und umarmt worden. Und ihr hatte jemand aufmerksam zugehört. Selbst wenn sie genau wusste, dass es nicht von Dauer war, würde sie es nicht bereuen. In den langen, kalten Winternächten würde ihr Herz Zeit genug haben zu heilen.
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Kapitel 9 Konnte man vom Küssen einen Kater bekommen? Jenny saß in ihrem Bett und fragte sich, warum es ihr am Weihnachtsmorgen so schlecht ging. Na ja, es war noch nicht ganz Morgen, tröstete sie sich. Es dämmerte erst. Der Wind war abgeflaut. Sie hatte noch eine gute halbe Stunde, bevor sie aufstehen und zumindest nach außen hin glücklich wirken musste. Schließlich wünschte man sich fröhliche<no> Weihnachten. Jenny hätte sich am liebsten in ein dunkles Loch verkrochen, um dort den Frühling abzuwarten. Stattdessen musste sie in neunzehn Minuten aufstehen und lächeln. Selbst wenn sie auf Händen und Füßen zum Christbaum kriechen musste, würde sie so tun, als ob alles wunderbar sei. Weihnachten war etwas Besonderes für Kinder. Jenny würde ihren Kindern die Freude nicht verderben. Sie trugen nicht die Schuld daran, dass Jenny gestern Abend jede Vorsicht in den Wind geschlagen hatte. Sie hatte sich in einen Mann verliebt, der nur auf der Durchreise war. Er war wegen einem Schneesturm bei ihr gestrandet. Zum Himmel, er war nur der Postbote, und auch das nur zufällig. Das Christfest hatte er mit ein Showgirl verbringen wollen und nicht mit einer Witwe und deren beiden Kindern. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Jenny tastete nach der Wasserflasche an ihrem Bett. Sie brauchte dringend ein oder zwei Aspirin. Nein, sie brauchte vier. Zach ging es elend. Er würde nie wieder eine Weihnachtskarte ansehen können. Nicht einmal mehr einen Poststempel wie "Vorsicht Glas", "Unbekannt verzogen" oder "Eilsendung". Alles würde ihn nur daran erinnern, was ihm wirklich fehlte. Er war ein erwachsener Mann. Er hätte wissen müssen, dass er für die Küsse der letzten Nacht einen hohen Preis zahlen musste. Noch nie hatte er so stark bedauert, so zu sein, wie er war. Wenn er als Familienmensch geeignet gewesen wäre, hätte er den Mistelzweig für immer an seine Haustür genagelt. Und Jenny gebeten, ihn zu heiraten. Doch er war nicht gut in Beziehungen. Er wusste viel zu wenig darüber. Es war Jenny gegenüber nicht fair, etwas anderes vorzugeben. Und vor allem auch den Kindern gegenüber nicht. Für ein oder zwei Tage hatte es zwar ganz gut geklappt. Er hatte Stephen ersetzt, der sonst bei ihnen gewesen wäre. Aber jeder konnte für ein paar Minuten in eine Rolle schlüpfen. Es war wie beim Reiten, wenn ein Wildpferd durch den vorigen Reiter schon erschöpft war. Es war kein fairer Wettkampf. Jenny würde den Schwindel bald bemerken. Zach wollte sie nicht enttäuschen. Er musste abfahren. Doch bevor er fuhr, schuldete er ihnen eine fröhliche Weihnacht. Er war immerhin der Weihnachtsmann. Zach rückte gerade seinen weißen Bart zurecht, als er ein Flüstern vernahm. Es hörte sich nach Andy an, dem von seiner Schwester ebenfalls im Flüsterton geantwortet wurde. Zach setzte eilig die plüschige Weihnachtsmannmütze auf. Den Rest trug er bereits, einschließlich des Gürtels mit Lichterkette. Dann schaltete er die Beleuchtung des Weihnachtsbaums ein. Der kleine Baum erglühte im frühen Morgenlicht und warf rote und grüne Schatten an die Wand des Wohnzimmers. Zach bemerkte wieder die Pinnwand mit den Fotos und ging hinüber. Er musste lächeln, als er ein Halloween-Foto mit Andy als Kürbis verkleidet entdeckte. Eines zeigte die fast zahnlose Lisa in einem gekräuselten weißen Kleid. Vier oder fünf Bilder zeigten die Kinder im Zoo. Andy neben einem Elefanten, Lisa neben einer Giraffe. Dann gab es viele Fotos vom Strand. Auf einem baute Jenny mit Andy eine Sandburg. Das Foto war schief. Lisa musste es aufgenommen haben. Zach fragte sich, wie viele Männer am Weihnachtsmorgen ein gebrochenes Herz hatten. Er wollte so viel geben und hatte so wenig zu bieten. "Wie bitte?" Jennys Stimme drang aus ihrem Schlafzimmer. Die Kinder schienen bei ihr zu sein. Zach konnte nichts von der Unterhaltung verstehen, aber es schien hitzig debattiert zu werden. Zach fragte sich, ob er seine Überraschung bekommen würde. Die Kinder kämpften anscheinend auf verlorenem Posten. Es hörte sich wirklich nach einer großen Überraschung an. Er hoffte, dass seine Geschenke unter dem Baum im Gegenzug ausreichen würden. Die Stimmen verstummten. Zach sah, wie Lisa ihren Kopf durch die halb geöffnete Tür steckte. "Du musst dich auf das Sofa setzen", wies ihn das Mädchen an, bevor sie einen besorgten Blick zurück warf. "Wir sind fast fertig." Andy kam als Erster herein und rannte zum Sofa, um sich neben Zach zu setzen, der seinen Arm um den Jungen legte. Er sah auf Andys Haar hinunter, in dem eine winzige weiße Feder steckte. "Tätterätä", trompete Lisa von der Tür her und trat ein. Als Lisa nieste, bemerkte Zach auch bei ihr kleine weiße Federn, die um sie herum langsam zu Boden sanken.
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Wahrscheinlich hatten die Kinder ein lebendiges Küken für ihn als Geschenk. Auch wenn er nicht wusste, wo sie es verborgen gehalten hatten. Auf dem Grundstück war nur ein Schuppen, der so baufällig war, dass ihn die Kojoten wegen eines Huhns längst umgeworfen hätten. Außerdem hatte er nichts gehört. Ein Küken hätte beim Schlachten gequiekt. Es musste ein Spielzeugküken sein. "Tätterätä", wiederholte Lisa, während sie mit dem Arm nach hinten winkten. Zach dachte zuerst, dass es eine ganze LKW-Ladung voller Hühnchen in Jennys Schlafzimmer geben musste. Winziger weißer Flaum schwebte überall in der Luft. Und Jenny stand in einem rot weißen Cheerleader-Kostüm in der Tür. Zach musste zwei Mal hinsehen, dann lächelte er. "Es ist ein Showgirl", flüsterte Andy. Zach grinste dümmlich. "Das stimmt." "Du hast ihnen erzählt, dass ein Showgirl ein Cheerleader mit Federn im Haar ist", klagte ihn Jenny an. Sie trug eine ballförmige Quaste in jeder Hand und lächelte erschöpft. "Lisa hat für die Federn ihr Daunenkissen geopfert." "Es ... Es ist toll", stammelte Zach. Er konnte den Blick nicht von Jenny wenden. Sie verbot ihm mit einem eisigen Blick das Lachen. Ihr Haar war steif von dem Haarspray, mit dem die Federn festgehalten wurden. Sie sah absolut erstaunlich aus. "Wir haben einen Weihnachtsruf einstudiert", verkündete Lisa, die Andy einen Wink gab, sie zu unterstützen. Jenny schloss verzweifelt die Augen. "Eins, zwei, drei", zählte Lisa. Die drei Stimmen mischten sich zu einem Chor. "F-R-O-H-E-W-E-I-H-N-A-C-H-T, frohe Weihnacht für dich!" Jenny warf die Beine hoch und schüttelte ihre Quasten. Lisa und Andy schrien vor Lachen. "Mochtest du es?" fragte Andy eifrig, noch bevor die anderen zu Atem gekommen waren. "Ich mochte es sehr", antwortete Zach. Selbst wenn er hundert Jahre alt werden sollte, würde er nie eine schönere Weihnachtsüberraschung erleben als diese. "Es ist das beste Geschenk aller Zeiten." "Das ist noch nicht alles", kreischte Lisa, während sie in die Küche rannte und mit der Kamera zurückkam. Sie reichte Zach die Kamera, bevor sie wieder zur Tür lief. "Du bekommst auch ein Bild von uns." Zach machte mit zitternden Händen zwei Bilder, obwohl er nur unscharf sah. Jetzt war es wirklich das beste Weihnachtsgeschenk. Er hatte Bilder von Jenny und den Kindern. Jenny sah, wie Zach die Bilder sorgsam zum Entwickeln ablegte. Er hatte mitgespielt. Lisa und Andy zitterten immer noch vor Aufregung, obwohl ihre Aufmerksamkeit inzwischen den verpackten Geschenken unter dem Baum galt. "Ist der Weihnachtsmann gekommen?" fragte Andy schließlich leise. Zach schluckte. "Nun, lasst uns mal nachsehen." Erst eine Stunde später konnte Jenny die anderen überzeugen, dass es Zeit für das Frühstück war. Lisa tanzte mit ihrem Diadem im Wohnzimmer umher. Andy stolzierte mit dem Cowboyhut und dem Gürtel herum, den Zach ihm gemacht hatte. Jenny war baff gewesen, als Zach ihr seinen Mantel geschenkt hatte. Sie konnte ihn nicht annehmen. Er hatte keinen anderen Mantel bei sich. Selbst wenn er behauptete, das Weihnachtsmannkostüm sei ausreichend, bis er sich etwas anderes kaufen konnte, konnte sie es nicht annehmen. Obwohl sie kaum widerstehen konnte. Es war nicht nur, weil der Winter kälter sein würde, als sie ihrem Reiseführer zufolge angenommen hatte. Nein, wenn sie den Mantel anhatte, dachte sie, dass Zach bei ihr sei. Der Mantel hatte denselben Waldgeruch wie Zach. Er tröstete sie. Sie würde den Trost gebrauchen, noch bevor sich der Tag seinem Ende zuneigte. "Ich muss zum Frühstück Müsli haben", sagte Andy, als Jenny das Essen erwähnt hatte. Er schwang sein geflochtenes Lasso herum. "Ich möchte ein Müsli, das die echten Cowboys essen." "Das dürfte sich machen lassen", entgegnete Jenny. Obwohl der Strom immer noch nicht funktionierte, schien die Milch im ungeheizten Waschraum noch gut zu sein. Der Raum war wahrscheinlich kälter als ein Kühlschrank. "Wenn ich nur wüsste, was Prinzessinnen essen." Lisa hörte mit ihren Pirouetten auf. Ihr Diadem rutschte, aber sie wirkte trotzdem königlich. "Erbsen", entgegnete Zach. Er saß auf dem Sofa. In seinem ganzen Leben war er nicht glücklicher gewesen. Er sah den Kindern beim Spielen zu. Jenny trug seinen Mantel. Es war ein perfekter Augenblick. "Erbsen aus der Dose." "Wie bitte?" Lisa sah ihn misstrauisch an. Sie ging zu ihm und stützte sich auf seine Knie auf. "Du neckst mich." Zach strich eine Feder aus ihrem Haar. "Du hast doch von der Prinzessin und der Erbse gehört." "Aber das war doch kein Frühstück, du Dummchen." Lisa kicherte und verdrehte die Augen. "Die
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Erbse war unter ihrer Matratze." "Stimmt das?" Es gefiel Zach, wie Lisa kopfschüttelnd auflachte. "Du meinst, sie hat auf Gemüse geschlafen?" Die Sonne war herausgekommen und schien durch die Fenster. Die Lichter am Weihnachtsbaum waren immer noch angeschaltet, aber das Sonnenlicht dämpfte ihren Schimmer. "Nein, das tat sie nicht", protestierte Lisa. "Kein Mensch schläft auf Gemüse." Zach zuckte mit den Achseln. "Also, ich weiß nicht. Könige und Königinnen machen manchmal komische Dinge. Prinzessinnen wahrscheinlich auch." "Du könntest Toast mit Marmelade haben", bot Jenny an. "Und ich könnte dir einen englischen Tee mit Milch machen." "Ich könnte eine englische Prinzessin sein", stimmte Lisa zu. Dann beugte sie sich wieder zu Zach vor. "Du kannst mein Diener sein." "Ich?" Zach hob lächelnd die Augenbrauen. "Da haben Sie ganz Recht. Eine Prinzessin braucht einen oder zwei Diener. Es ist mir eine Ehre, Ihnen das Frühstück servieren zu dürfen, Madame." "Nicht Madame, sondern Prinzessin Lisa." "In der Tat, Prinzessin Lisa." Zach beschloss, allen das Frühstück zu servieren. Er legte ein Küchentuch über den Arm und sprach im Falsett. Von rechts goss er die Getränke ein und nahm von links die leeren Teller vom Tisch. Er brachte damit die Kinder zum Lachen. Jenny verdrehte glücklich die Augen. Aus den Augenwinkeln bemerkte er jedoch, dass Jenny die Müslipackung so hinstellte, dass sie sein Bild nicht sehen musste. "Stimmt was nicht mit der Schachtel? Ich kann sie vom Tisch nehmen, wenn Sie es möchten." Er klang gekränkt. Kein Wunder, dass Männer nicht verletzlich sein wollten. "Es liegt nicht an Ihnen", erklärte Jenny. "Sondern an mir." "Wie kann es an Ihnen liegen, wo Sie doch mein Bild zu stören scheint?" Mit durchdringendem Blick sah er sie an. Jenny brauchte auf seine Gefühle im Grunde keine Rücksicht zu nehmen. Dennoch wollte sich Zach vor den Kindern nicht so verletzlich zeigen. Er zwang sich zu einem Lächeln. "Aber es macht auch nichts. Wer möchte noch Toast?" Jenny holte tief Luft und schloss die Augen. "Ich habe mit Ihrem Bild geredet." "Wie bitte?" Zach blieb mit dem leeren Toastteller in der Hand stehen. Jenny öffnete die Augen. "Ich habe mit dem Bild auf der Rückseite der Müslipackung geredet." "Wirklich?" "Ich war einsam", verteidigte sich Jenny. "Menschen nehmen seltsame Gewohnheiten an, wenn sie einsam sind. Ich meine, ich kannte Sie damals nicht." "Wirklich?" Zach konnte es sich nicht vorstellen, dass jemand mit seinem Bild sprach. "Es ist keine große Sache. Es ist nur eine Müslipackung." Zach lächelte, beinahe hätte er gepfiffen. "Kein Problem, noch mehr Toast?" Den Rest des Morgens dachte Zach, dass es doch das Ego eines Mannes erheblich aufbaute, wenn jemand mit seinem Bild sprach. Er spielte zwanzig Mal das Spiel Fang-den-Fuß mit einem kleinen Cowboy, der mit seinem Lasso übte. Und er tanzte zehn Mal mit einer Prinzessin, neun Hofknickse und ein Mal Geköpftwerden eingeschlossen, da er der königlichen Hoheit missfallen hatte. Schließlich schälte er auch noch Kartoffeln und bereitete den Weihnachtsschinken zu. Erst nach dem Weihnachtsessen wurde Zach klar, dass Jenny auch mit einer Waschmittelpackung gesprochen hätte, wenn sie auf ihrem Tisch gestanden hätte. Sie musste so verzweifelt gewesen sein, als ihr geliebter Ehemann krank geworden war. "Ihr Stephen war sicher ein ganz besonderer Mensch", sagte Zach. Weihnachten war immerhin das Fest der Nächstenliebe. Er wollte ihr zeigen, dass sie immer noch mit ihm reden konnte. "Es muss hart gewesen sein, ihr erstes Christfest ohne ihn zu feiern." Zach und Jenny saßen allein am Tisch. Die Kinder hatten gegessen und waren dann ins Wohnzimmer geflüchtet, um weiterzuspielen. Die Sonne war inzwischen so stark, dass sie keine Kerzen mehr brauchten. Die Eisblumen an den Fenstern waren am späten Nachmittag geschmolzen. Jenny holte tief Luft. Zach hatte es verdient, die ganze traurige Wahrheit zu erfahren. "Stephen und ich wären im kommenden Februar zehn Jahre verheiratet gewesen." "An welchem Tag?" "Wie bitte?" "An welchem Tag haben Sie geheiratet?" "Am vierzehnten Februar, am Valentinstag, obwohl ich nicht weiß ..." Zach zuckte zusammen. Er hatte Recht. Dieser Stephen war ein Charmeur gewesen. Welche Frau würde nicht gern am Valentinstag heiraten? Wie konnte ein anderer Mann damit mithalten? "Sie müssen ein paar denkwürdige Jahrestage gefeiert haben." "Denkwürdig stimmt wohl." Jenny hatte zwei Jahre gebraucht, um herauszufinden, dass Stephen das Datum gewählt hatte, um sich leichter an den Hochzeitstag erinnern zu können. Dennoch hatte
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er die letzten fünf Jahre den Jahrestag vergessen. "Aber das wollte ich nicht sagen." "Ich weiß, dass Sie ihn liebten." Die Küche war warm, und es duftete gut. Die Sonne strahlte ins Zimmer. Zach hörte die Kinder im Wohnzimmer spielen. Er wollte diesen Moment ganz tief in sich aufnehmen, damit er sich in einsamen Nächten in der Zukunft daran erinnern konnte, dass auch er ein einziges Mal Teil einer Familie gewesen war. Er hörte ein leises Ticken. Erst nach einer Minute realisierte Zach, dass es die Uhr war. Der Strom funktionierte wieder. Jenny schluckte. "Liebe ist manchmal eine komplizierte Sache." "Das ist anzunehmen." Zach log. Er fand Liebe überhaupt nicht kompliziert. Sie war schmerzhaft, aber kompliziert war sie nicht. "Es ist nicht immer ..." fing Jenny an, bevor sie innehielt. Das Telefon klingelte. "Es funktioniert wieder", murmelte Zach. Es war zwar nicht fair, aber wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte der Strom noch eine ganze Woche ausfallen können. Vor allem, wenn ihn noch ein weiterer Sturm hier mit den anderen festgehalten hätte. Seit dem Morgen war ihm klar, dass der Schnee schmolz. Auf der Straße lag zwar eine Schicht Schnee, doch würde er diesen Nachmittag mit dem Laster durchkommen können. "Hallo", sagte Jenny am Telefon. "Ach, hallo, Delores. Ich kann dir nicht genug für alles danken. Oh, ja. Er ist hier." Jenny horchte. "Nein, bislang ist er noch nicht gekommen. Ja, ich rufe dich dann an." Es folgte eine weitere Pause. "Nein, das war überhaupt kein Problem. Ich war froh, dass er hier war. Dann sehe ich dich morgen." Zach wurde eisig ums Herz, als er ein Brummen von fern näher kommen hörte. Jenny legte den Hörer auf und sah Zach an. "Delores hat den Schneepflug beauftragt, unsere Straße zu räumen." "Ich hätte nicht gedacht, dass die Männer von der Straßenwacht auch an Weihnachten arbeiten. Sind das keine Überstunden?" "Sie zählen doppelt, aber sie mussten los. Wir haben den Postlaster, und morgen ist Posttag." Wenn es nach Zach gegangen wäre, hätte die Post noch einen Tag warten können. Oder eine Woche. Selbst ein Monat wäre in Ordnung gewesen. "Das wäre es dann also." Jenny nickte. "Sie müssen den Postwagen zurückbringen." Aber Sie können danach zurückkommen, dachte sie. Wir hatten einfach noch nicht genug Zeit. Sie rief sich zur Ordnung. Mehr Zeit würde ihr den Abschied nur noch schwerer machen. Ihr Herz war schon gebrochen. "Ich werde die Rentierhörner und die Lichterkette hier lassen", meinte Zach. Er konnte kaum sprechen. Wie sollte er es schaffen zu gehen, wenn sich alles in ihm danach sehnte, hier zu bleiben? "Delores kann sie später mitnehmen." Jenny nickte. "Sie hat mir gesagt, dass sie Ihnen sehr dankbar für Ihren Einsatz auf ihrer Route ist." "Kein Problem." Zach musste sich zum Gehen zwingen. Seine Beine reagierten nicht. Er konnte den Schneepflug draußen hören. Es gab keine Entschuldigung mehr für sein Bleiben. Dennoch blieb er immer noch sitzen. "Morgen werden Sie in Las Vegas sein." Jenny machte einen Knoten in ihre Serviette. Zach hatte nie vorgegeben, etwas anderes zu sein als ein Cowboy, der seinen Spaß haben wollte. Sie wusste selbst genau, dass eine Witwe mit zwei kleinen Kindern kein Spaß war. "Das stimmt", log Zach. Er wusste nicht, wo er hinfahren würde. Es war ihm gleichgültig. Er hatte auf Las Vegas keine Lust mehr. Ein trauernder Mann fuhr nicht nach Las Vegas. Eher suchte er nach einem verlassenen Hotel irgendwo in den Weiten von Utah und leckte dort für ein paar Wochen seine Wunden. Auf der Veranda polterten die Schritte eines Mannes in Stiefeln. Dann klopfte es kräftig an der Küchentür. "Hier ist der Pflugdienst." Es herrschte einen Moment Stille. "Er wird einen Kaffee trinken wollen", meinte Jenny schließlich, als sie aufstand, um ihm zu öffnen. "Ich verabschiede mich jetzt am besten von den Kindern." Zach stand ebenfalls auf. Der Traum war vorbei. "Ich habe gehört, dass Sie ein beliebter Weihnachtsmann waren", sagte Delores Norris, als sie Zach die Tür des Hauses ihres Bruders öffnete. Der warme Duft von gegrilltem Truthahn drang in die kalte Winterluft hinaus. "Ich habe Anrufe erhalten." "Anrufe?" Zach klopfte das Herz. Er hörte auf, sich den Schnee von den Stiefeln zu kratzen, und stand einfach nur da. Delores nickte. "Mrs. Goussley hat drei Nachrichten hinterlassen, wie sehr die
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Katzen Sie bereits vermissen und was für ein großartiger Weihnachtsmann Sie gewesen seien." "Ach." Zach klopfte seine Stiefel weiter ab. Weihnachten hatte ihn wieder zum Besten gehalten. Nächstes Jahr würde er das nicht mehr zulassen. Er würde auf eine einsame Insel an der Küste Alaskas fliehen. Oder nach Island. Im Winter fuhr niemand nach Island. "Natürlich waren die Zuckerstangen ein Hit", fuhr die ältere Frau fort, während sie Zach die Tasche mit dem Weihnachtsmannkostüm abnahm. "Das sind sie immer." Delores war genau so, wie Zach sie sich vorgestellt hatte. Sie hatte federndes graues Haar und hörte nie auf zu schwatzen. Ihre hellen Augen hießen ihn herzlich willkommen. Woher sollte sie auch wissen, dass er nirgends dazugehörte? "Thunder dürfte wohl reisefähig sein", meinte Zach. "Nun ja, aber Sie wollen doch heute Nachmittag noch nicht aufbrechen? Sie werden vor der Dunkelheit keine Stadt mit Hotels erreichen können. Außerdem haben wir ein Gästezimmer und noch einen halben Truthahn vom Abendessen übrig. Es gibt nichts, was es mit einem frischen Truthahn-Sandwich mit meinem Dressing aufnehmen kann." Delores war der Inbegriff der Gastfreundschaft. Sie trug eine rot gemusterte Schürze über dem dunkelblauen Sweatshirt, Perlenohrringe und hatte Tennisschuhe an. Sie sah ihn an, als ob er ein lange vermisster Freund sei. Zach zwang sich zu einem Lächeln. "Danke, aber ich werde mich auf den Weg machen. Ich könnte vor der Nacht noch Wyoming erreichen." "Wenn Sie wirklich wollen." Delores wirkte leicht besorgt. "Ich hätte mich gern zumindest mit einer Übernachtung bei Ihnen bedankt." "Sie brauchen mir nicht zu danken." "Wir haben auch einen Kuchen. Apfel und Kirsch. Ich habe noch nie einen Cowboy kennen gelernt, der ein Stück selbst gemachten Kuchen ausschlägt." "Das ist sehr freundlich von Ihnen. Aber ich fahre am besten weiter." "Nun schön." Delores trat mit verschränkten Armen auf die Veranda. "Lassen Sie mich nur den Postwagen auf dem richtigen Platz einparken." "Wenn Sie mir den Platz zeigen, kann ich ihn einparken." Sie gingen zusammen die Veranda hinunter. "Ach, wie nett." Delores hatte die Tür geöffnet und sich in den Laster gebeugt. Sie ergriff die Fotos, die Zach auf das Armaturenbrett gelegt hatte. Zach wand sich innerlich. Er hatte die Fotos herausgelegt, damit er sie auf der Fahrt ansehen konnte. "Ich packe sie gleich ein." Delores trat mit den vier Fotos zurück. Sie blinzelte im Sonnenlicht, als sie die Fotos näher betrachtete. "Wirklich nett." Zach schluckte. Es gab nichts zu sagen. Es waren doch nur Fotos. Delores sah sich jedes davon genau an. Zach wusste, was sie sah. Ein Bild mit Jenny als Showgirl. Ein Bild mit Andy, der Zachs Fuß einfing. Ein Bild mit Zach, der mit der Prinzessin Lisa tanzte. Ein Bild von Zach und den Kindern, wie sie den Weihnachtsbaum aus der Schlucht schleppten. "Schön", sagte Delores leise, als sie die Bilder niederlegte und Zach neugierig musterte. "Sie scheinen ein nettes Fest gehabt zu haben." Zach brummte. "Ich habe mich bemüht, ihnen das Weihnachtsfest so schön wie möglich zu machen." "Ich verstehe." "Jeder hätte das getan." Zach streckte die Hand aus. Er würde ohne seine Bilder nicht abfahren. "Es sind liebe Kinder." "Ja ja", pflichtete Delores bei. Sie gab ihm trotzdem die Fotos noch nicht. "Ich habe die beiden noch nie so gesehen: so glücklich und herumalbernd." "Es ist eben Weihnachten. Sie wissen doch, wie Kinder an Weihnachten sind." "Wahrscheinlich." Delores sah ihn noch einmal genau an, dann reichte sie ihm die Bilder. Die Sonne erwärmte die Luft merklich, doch es war immer noch zu kalt, um sich draußen länger zu unterhalten. Zach hoffte, dass die Frau bald nach drinnen gehen würde. "Sie vermissen eben ihren Vater." "Die Kinder?" Delores schien erstaunt zu sein. "Haben sie von ihm gesprochen?" Zach trat auf der Stelle. Er wollte sich nicht über diesen Mann unterhalten. "Nein, das nicht. Aber man kann sehen, dass er ein guter Vater und Ehemann war. Sie haben am Valentinstag geheiratet, wissen Sie?" "Nein, das wusste ich nicht." Es war an der Zeit zu gehen. Es würde nur noch wenige Stunden hell sein, und er wollte näher an der Grenze zu Wyoming sein, um nachts auf dem Highway weiterfahren zu können. Aber stattdessen redete er einfach weiter.
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"Sein Tod muss ein Schock gewesen sein", fuhr er fort. Zach fragte sich, was mit ihm los war. Dann stellte er eine Frage, auf die er dringend eine Antwort gehabt hätte. "Ich frage mich, warum er so etwas Besonderes gewesen ist." Delores sah ihn an. Zach spürte ihren Blick auf sich ruhen. Sie schien jedoch nur nachzudenken. "Wieso soll er etwas Besonderes gewesen sein?" fragte Delores schließlich. "Nun ..." stammelte Zach. "Die Kinder sind so lieb, und Jenny ist einfach wundervoll." Delores nickte. "Komisch ist nur, dass Jenny nie über ihren verstorbenen Mann spricht." "Nun ja, aber ..." "Die Kinder auch nicht." Zach wurde still. Die Kinder hatten tatsächlich nicht über ihren Vater gesprochen. "Und haben Sie sich mal die Bilder im Wohnzimmer angeschaut?" Zach nickte lächelnd. "Sie mochten den Zoo." Delores nickte auch. "Haben Sie sich je Gedanken darüber gemacht, warum kein Foto von ihrem Vater aufgehängt ist?" Zachs Kopf arbeitete still. Delores hatte Recht. Es gab keine Bilder von Stephen. "Was soll das Ihrer Meinung nach heißen?" Delores zuckte mit den Achseln. "Ich bin mir nicht sicher." Sie sah Zach lächelnd an. "Aber wenn ich Sie wäre, würde ich Jenny vor dem Weiterfahren danach fragen." "Sie glauben, dass ..." Zach räusperte sich. "Ich meine, dass ein Mann wie ich vielleicht eine Chance hat?" "Ich bin nicht die Richtige für diese Frage." Zach nahm an, dass er dümmlich grinste. Aber er konnte es nicht verhindern. "Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mir den Postlaster noch einmal ausleihe? Ich werde in wenigen Stunden zurück sein." Delores drückte ihm lächelnd die Schlüssel in die Hand. "Ich brauche ihn erst um neun Uhr morgen früh." "Sagen Sie dem Doc, dass ich Thunder später abhole." "Keine Sorge. Ihrem alten Pferd wird es hier gut gehen." Die Straße zu Jennys Haus hatte genauso viele Schlaglöcher wie beim ersten Mal, als Zach sie hochgefahren war. Nur dieses Mal lächelte er mehr bei jedem Schlag, den er spürte. Jenny meinte, ein Auto gehört zu haben. Sie hatte mit den Kindern in Decken gehüllt auf dem Sofa gesessen. Eigentlich hatte sie vorgeschlagen, ihnen etwas vorzulesen. Aber beide wollten nur still dasitzen. "Ich glaube, dass jemand gekommen ist", meinte Jenny leise, während sie aufstand. "Die Leute sollen weggehen", murmelte Andy. "Wir wollen niemanden sehen." "Wir sind in Montana", schalt ihn Jenny sanft. "Die Nachbarn sind wichtig und bei uns immer willkommen." "Sei vorsichtig mit Fremden", riet ihr Lisa betrübt. "Man muss hier nicht nur auf die Schlangen Acht geben." "Ich werde vorsichtig sein", meinte Jenny, als sie zur Tür ging. "Wahrscheinlich ist es nur noch einmal der Mann mit dem Schneepflug." Jenny ging um den Weihnachtsbaum herum. Da die Batterien ausgegangen waren, funkelten die Sterne nicht mehr. Andys Hut lag vergessen neben dem Baum, Lisas Diadem lag verwaist daneben. Das diesjährige Weihnachtsfest war das schönste und zugleich schlimmste für ihre Familie gewesen. Die Sonne hatte das Eis an den Fenstern bei der Tür aufgetaut. Doch dunkelte es draußen schon. Sie konnte nur eine Gestalt erkennen. Angesichts deren Schultern musste sie schlucken. Jenny öffnete fassungslos die Tür. Sie stand eine Minute schweigend da. Dann fiel ihr ein, dass es tausend Dinge geben konnte, warum ausgerechnet dieser Mann auf ihrer Veranda stand. "Haben Sie etwas vergessen?" Zach lächelte. "Ich schätze schon." "Ich werde es Ihnen holen." Es war zwar unhöflich, jemanden auf der Schwelle stehen zu lassen. Sie wollte aber nicht, dass ihre Kinder erfuhren, wer hier war. Es würde ihnen das Herz brechen, wenn er zwei Minuten später wieder abfuhr. "Ich weiß nicht genau, wo es ist." Zach lächelte breiter. Jenny lächelte nicht zurück. "Wir haben nur fünf Zimmer." Zach sah sie an. Sie verhielt sich abweisend und bat ihn trotz der Kälte nicht, hereinzukommen. Alles in allem sah es nicht gut für ihn aus. Aber ein Mann ritt keine Wildpferde, weil er auf Nummer sicher ging. Zach räusperte sich. "Es ist eher eine Frage." "Ach?" "Über was haben Sie mit dem Gesicht auf der Verpackung gesprochen?"
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Jenny konnte Lisa und Andy zur Küche laufen hören. Sie hatten nicht viel Zeit. "Ist das hier eine Marktforschung? Vielleicht finden sie eine Marktlücke für Frauen, die verrückt genug sind, um mit Müslipackungen zu sprechen." Die Schritte waren schon in der Küche.
"Mr. Lightning!"
"Santa Claus!"
Die beiden Kinder stellten sich neben Jenny.
"Du bist zurück!"
"Du bist wirklich zurückgekommen!"
Wenigstens freuen die beiden sich, dachte Zach, als er zu den Kindern hinabsah. "Hallo, ihr. Habt
ihr etwas dagegen, wenn ich eine Minute mit eurer Mom spreche?" "Überhaupt nicht", antworteten beide gleichzeitig. Sie blieben dennoch stehen und sahen ihn an. "Allein." Zach schluckte. "Vielleicht sucht ihr euch schon eure Lieblingsgeschichten für heute Abend aus", schlug Jenny vor. "Okay", sagte Lisa und ging langsam zum Wohnzimmer zurück. Sie stupste Andy an, dass er mit ihr kommen solle. Zach wartete, bis die Kinder im Wohnzimmer verschwunden waren. "Ich frage nicht wegen irgendeiner Marktforschung. Ich wollte wissen, was Sie denken und fühlen. Ich wollte wissen, warum Sie kein Foto von Stephen an der Pinnwand aufgehängt haben." "Stephen?" Jenny machte eine Pause.
"War es für Sie zu schmerzlich, von ihm Bilder aufzuhängen?"
"Nein", antwortete Jenny. "Wir haben nur keine Fotos von ihm. Wir haben lediglich für
Bewerbungen oder Ähnliches aufgenommene formelle Bilder." "Wollte er nicht fotografiert werden?" "Nein, das nicht." "Warum haben Sie dann keine Fotos?" Jenny fühlte sich plötzlich sehr müde. Sie hatte sich nie über Stephen beklagt. Sie hatte sich gesagt, dass sie ihn schütze. Jetzt wurde ihr klar, dass sie auch sich selbst geschützt hatte. Es gab eine so lange Pause, dass Zach sich fragte, ob er überhaupt noch eine Antwort erhalten würde. "Er war nie bei uns", gab Jenny endlich zu. Sie musste mit jemandem über ihre missglückte Ehe reden. "Wenn wir in den Zoo gingen, ging er mit Freunden angeln. Wenn wir zum Strand gingen, ging er mit anderen Freunden Ball spielen." "Dann war er kein Supervater?"
"Nein, Stephen war fast gar kein Vater."
Zach begann zu hoffen. Vielleicht würde er als Vater doch ausreichen. Aber es gab noch eine
wichtigere Frage. "Und wie war er als Ehemann?" Jenny sah Zach an. In seinem Gesicht zeichnete sich deutlich die Sehnsucht nach ihr und den Kindern ab. Sie hatte nie realisiert, dass Stephens Desinteresse an seiner Rolle als Ehemann mit seinem Desinteresse an seiner Vaterschaft zusammenhing. Ein guter Ehemann würde auch seinen Kindern ein guter Vater sein. Vor allem, wenn es dieser Mann vor ihr war. Sie musterte ihn genau. Er wirkte ängstlich. Seine Lippen waren angespannt. Er zeigte ihr ganz offen seine Unsicherheit und seine Sehnsucht. Jenny streichelte kurz über Zachs Wange. Sie wollte sich ihm auch mit ihren ganzen Ängsten, Niederlagen und ihrer Müdigkeit zeigen. "Er hat mich nie geliebt." Erleichtert schloss sie die Augen. Jetzt hatte sie es laut gesagt. Es dauerte einen Moment, bis Jenny auffiel, dass sich ihre Befürchtungen nicht bewahrheitet hatten. Ihr Herz wurde nicht dunkel, als sie jemandem die Wahrheit über Stephen erzählte. Ganz im Gegenteil. Es war ihr leichter ums Herz als seit Jahren. Zach umfasste Jennys Hand. "Er war ein Narr." "Ich habe mich wirklich um seine Zuneigung bemüht." Jenny ließ sich von Zach in den Arm nehmen. "Er hatte dich nicht verdient", flüsterte Zach. "Du hast jemanden Besseren verdient. Jemanden wie mich." Jenny wollte etwas sagen. "Sag noch nichts. Hör mich erst an." Zach hielt sie fest und sprach leise an ihrem Ohr. Es war der wichtigste Moment in seinem Leben. Jedes Wort zählte. "Ich bin in einer Familie von Einzelgängern aufgewachsen. Aber ich kann es lernen, dir ein guter Ehemann und den Kindern ein guter Vater zu sein. Wenn du mir nur Zeit gibst." Jenny wollte wieder etwas sagen.
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"Nein, das ist noch nicht alles. Du sollst wissen, dass ich auch hart arbeite. Wir können hier eine Farm aufbauen oder etwas anderes beginnen. Was du und die Kinder nur wollt." Jenny setzte wieder zum Sprechen an. "Nein, das ist immer noch nicht alles. Ich ..." Jenny legte ihm einen Finger auf die Lippen. Sie wollte vor diesem Mann niemals mehr die Wahrheit verbergen. "Wie soll ich denn Ja sagen, wenn du mich nicht zu Wort kommen lässt?" Jenny hatte schon einige Sonnenaufgänge gesehen. Aber die strahlende Hoffnung in Zachs Gesicht übertraf alles. "Ja?" fragte er. "Ich meine, du wirst wohl ein paar Monate warten wollen, um dir ganz sicher zu sein. Irgendwann in den nächsten Jahren wäre auch schön." Es war wohl eine zu große Herausforderung für die Kinder gewesen, sich im Wohnzimmer Bücher auszusuchen, während Zach hier war. Jenny sah sie von der Tür aus in die Küche linsen. "Bleibt Mr. Lightning?" flüsterte Andy. Lisa verdrehte nur die Augen und hob die Kamera, um ein Foto zu machen. Jenny schloss wegen des Blitzlichts die Augen. Sie hielt sie auch bei dem darauf folgenden Kuss geschlossen. Und auch noch beim nächsten. Später am Abend hängten Zach und Jenny zusammen das Foto an die Pinnwand. Das Bild war nicht ganz scharf und etwas schief. Aber Zach wusste, dass dieses erste gemeinsame Bild immer etwas Besonderes sein würde._ ENDE _
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Kapitel 10 "Ich habe gehört, dass Sie ein beliebter Weihnachtsmann waren", sagte Delores Norris, als sie Zach die Tür des Hauses ihres Bruders öffnete. Der warme Duft von gegrilltem Truthahn drang in die kalte Winterluft hinaus. "Ich habe Anrufe erhalten." "Anrufe?" Zach klopfte das Herz. Er hörte auf, sich den Schnee von den Stiefeln zu kratzen, und stand einfach nur da. Delores nickte. "Mrs. Goussley hat drei Nachrichten hinterlassen, wie sehr die Katzen Sie bereits vermissen und was für ein großartiger Weihnachtsmann Sie gewesen seien." "Ach." Zach klopfte seine Stiefel weiter ab. Weihnachten hatte ihn wieder zum Besten gehalten. Nächstes Jahr würde er das nicht mehr zulassen. Er würde auf eine einsame Insel an der Küste Alaskas fliehen. Oder nach Island. Im Winter fuhr niemand nach Island. "Natürlich waren die Zuckerstangen ein Hit", fuhr die ältere Frau fort, während sie Zach die Tasche mit dem Weihnachtsmannkostüm abnahm. "Das sind sie immer." Delores war genau so, wie Zach sie sich vorgestellt hatte. Sie hatte federndes graues Haar und hörte nie auf zu schwatzen. Ihre hellen Augen hießen ihn herzlich willkommen. Woher sollte sie auch wissen, dass er nirgends dazugehörte? "Thunder dürfte wohl reisefähig sein", meinte Zach. "Nun ja, aber Sie wollen doch heute Nachmittag noch nicht aufbrechen? Sie werden vor der Dunkelheit keine Stadt mit Hotels erreichen können. Außerdem haben wir ein Gästezimmer und noch einen halben Truthahn vom Abendessen übrig. Es gibt nichts, was es mit einem frischen Truthahn-Sandwich mit meinem Dressing aufnehmen kann." Delores war der Inbegriff der Gastfreundschaft. Sie trug eine rot gemusterte Schürze über dem dunkelblauen Sweatshirt, Perlenohrringe und hatte Tennisschuhe an. Sie sah ihn an, als ob er ein lange vermisster Freund sei. Zach zwang sich zu einem Lächeln. "Danke, aber ich werde mich auf den Weg machen. Ich könnte vor der Nacht noch Wyoming erreichen." "Wenn Sie wirklich wollen." Delores wirkte leicht besorgt. "Ich hätte mich gern zumindest mit einer Übernachtung bei Ihnen bedankt." "Sie brauchen mir nicht zu danken." "Wir haben auch einen Kuchen. Apfel und Kirsch. Ich habe noch nie einen Cowboy kennen gelernt, der ein Stück selbst gemachten Kuchen ausschlägt." "Das ist sehr freundlich von Ihnen. Aber ich fahre am besten weiter." "Nun schön." Delores trat mit verschränkten Armen auf die Veranda. "Lassen Sie mich nur den Postwagen auf dem richtigen Platz einparken." "Wenn Sie mir den Platz zeigen, kann ich ihn einparken." Sie gingen zusammen die Veranda hinunter. "Ach, wie nett." Delores hatte die Tür geöffnet und sich in den Laster gebeugt. Sie ergriff die Fotos, die Zach auf das Armaturenbrett gelegt hatte. Zach wand sich innerlich. Er hatte die Fotos herausgelegt, damit er sie auf der Fahrt ansehen konnte. "Ich packe sie gleich ein." Delores trat mit den vier Fotos zurück. Sie blinzelte im Sonnenlicht, als sie die Fotos näher betrachtete. "Wirklich nett." Zach schluckte. Es gab nichts zu sagen. Es waren doch nur Fotos. Delores sah sich jedes davon genau an. Zach wusste, was sie sah. Ein Bild mit Jenny als Showgirl. Ein Bild mit Andy, der Zachs Fuß einfing. Ein Bild mit Zach, der mit der Prinzessin Lisa tanzte. Ein Bild von Zach und den Kindern, wie sie den Weihnachtsbaum aus der Schlucht schleppten. "Schön", sagte Delores leise, als sie die Bilder niederlegte und Zach neugierig musterte. "Sie scheinen ein nettes Fest gehabt zu haben." Zach brummte. "Ich habe mich bemüht, ihnen das Weihnachtsfest so schön wie möglich zu machen." "Ich verstehe." "Jeder hätte das getan." Zach streckte die Hand aus. Er würde ohne seine Bilder nicht abfahren. "Es sind liebe Kinder." "Ja ja", pflichtete Delores bei. Sie gab ihm trotzdem die Fotos noch nicht. "Ich habe die beiden noch nie so gesehen: so glücklich und herumalbernd." "Es ist eben Weihnachten. Sie wissen doch, wie Kinder an Weihnachten sind." "Wahrscheinlich." Delores sah ihn noch einmal genau an, dann reichte sie ihm die Bilder. Die Sonne erwärmte die Luft merklich, doch es war immer noch zu kalt, um sich draußen länger zu unterhalten. Zach hoffte, dass die Frau bald nach drinnen gehen würde. "Sie vermissen eben ihren Vater."
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"Die Kinder?" Delores schien erstaunt zu sein. "Haben sie von ihm gesprochen?" Zach trat auf der Stelle. Er wollte sich nicht über diesen Mann unterhalten. "Nein, das nicht. Aber man kann sehen, dass er ein guter Vater und Ehemann war. Sie haben am Valentinstag geheiratet, wissen Sie?" "Nein, das wusste ich nicht." Es war an der Zeit zu gehen. Es würde nur noch wenige Stunden hell sein, und er wollte näher an der Grenze zu Wyoming sein, um nachts auf dem Highway weiterfahren zu können. Aber stattdessen redete er einfach weiter. "Sein Tod muss ein Schock gewesen sein", fuhr er fort. Zach fragte sich, was mit ihm los war. Dann stellte er eine Frage, auf die er dringend eine Antwort gehabt hätte. "Ich frage mich, warum er so etwas Besonderes gewesen ist." Delores sah ihn an. Zach spürte ihren Blick auf sich ruhen. Sie schien jedoch nur nachzudenken. "Wieso soll er etwas Besonderes gewesen sein?" fragte Delores schließlich. "Nun ..." stammelte Zach. "Die Kinder sind so lieb, und Jenny ist einfach wundervoll." Delores nickte. "Komisch ist nur, dass Jenny nie über ihren verstorbenen Mann spricht." "Nun ja, aber ..." "Die Kinder auch nicht." Zach wurde still. Die Kinder hatten tatsächlich nicht über ihren Vater gesprochen. "Und haben Sie sich mal die Bilder im Wohnzimmer angeschaut?" Zach nickte lächelnd. "Sie mochten den Zoo." Delores nickte auch. "Haben Sie sich je Gedanken darüber gemacht, warum kein Foto von ihrem Vater aufgehängt ist?" Zachs Kopf arbeitete still. Delores hatte Recht. Es gab keine Bilder von Stephen. "Was soll das Ihrer Meinung nach heißen?" Delores zuckte mit den Achseln. "Ich bin mir nicht sicher." Sie sah Zach lächelnd an. "Aber wenn ich Sie wäre, würde ich Jenny vor dem Weiterfahren danach fragen." "Sie glauben, dass ..." Zach räusperte sich. "Ich meine, dass ein Mann wie ich vielleicht eine Chance hat?" "Ich bin nicht die Richtige für diese Frage." Zach nahm an, dass er dümmlich grinste. Aber er konnte es nicht verhindern. "Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mir den Postlaster noch einmal ausleihe? Ich werde in wenigen Stunden zurück sein." Delores drückte ihm lächelnd die Schlüssel in die Hand. "Ich brauche ihn erst um neun Uhr morgen früh." "Sagen Sie dem Doc, dass ich Thunder später abhole." "Keine Sorge. Ihrem alten Pferd wird es hier gut gehen." Die Straße zu Jennys Haus hatte genauso viele Schlaglöcher wie beim ersten Mal, als Zach sie hochgefahren war. Nur dieses Mal lächelte er mehr bei jedem Schlag, den er spürte. Jenny meinte, ein Auto gehört zu haben. Sie hatte mit den Kindern in Decken gehüllt auf dem Sofa gesessen. Eigentlich hatte sie vorgeschlagen, ihnen etwas vorzulesen. Aber beide wollten nur still dasitzen. "Ich glaube, dass jemand gekommen ist", meinte Jenny leise, während sie aufstand. "Die Leute sollen weggehen", murmelte Andy. "Wir wollen niemanden sehen." "Wir sind in Montana", schalt ihn Jenny sanft. "Die Nachbarn sind wichtig und bei uns immer willkommen." "Sei vorsichtig mit Fremden", riet ihr Lisa betrübt. "Man muss hier nicht nur auf die Schlangen Acht geben." "Ich werde vorsichtig sein", meinte Jenny, als sie zur Tür ging. "Wahrscheinlich ist es nur noch einmal der Mann mit dem Schneepflug." Jenny ging um den Weihnachtsbaum herum. Da die Batterien ausgegangen waren, funkelten die Sterne nicht mehr. Andys Hut lag vergessen neben dem Baum, Lisas Diadem lag verwaist daneben. Das diesjährige Weihnachtsfest war das schönste und zugleich schlimmste für ihre Familie gewesen. Die Sonne hatte das Eis an den Fenstern bei der Tür aufgetaut. Doch dunkelte es draußen schon. Sie konnte nur eine Gestalt erkennen. Angesichts deren Schultern musste sie schlucken. Jenny öffnete fassungslos die Tür. Sie stand eine Minute schweigend da. Dann fiel ihr ein, dass es tausend Dinge geben konnte, warum ausgerechnet dieser Mann auf ihrer Veranda stand. "Haben Sie etwas vergessen?" Zach lächelte. "Ich schätze schon." "Ich werde es Ihnen holen." Es war zwar unhöflich, jemanden auf der Schwelle stehen zu lassen. Sie wollte aber nicht, dass ihre Kinder erfuhren, wer hier war. Es würde ihnen das Herz brechen, wenn er zwei Minuten später wieder abfuhr.
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"Ich weiß nicht genau, wo es ist." Zach lächelte breiter. Jenny lächelte nicht zurück. "Wir haben nur fünf Zimmer." Zach sah sie an. Sie verhielt sich abweisend und bat ihn trotz der Kälte nicht, hereinzukommen. Alles in allem sah es nicht gut für ihn aus. Aber ein Mann ritt keine Wildpferde, weil er auf Nummer sicher ging. Zach räusperte sich. "Es ist eher eine Frage." "Ach?" "Über was haben Sie mit dem Gesicht auf der Verpackung gesprochen?" Jenny konnte Lisa und Andy zur Küche laufen hören. Sie hatten nicht viel Zeit. "Ist das hier eine Marktforschung? Vielleicht finden sie eine Marktlücke für Frauen, die verrückt genug sind, um mit Müslipackungen zu sprechen." Die Schritte waren schon in der Küche. "Mr. Lightning!" "Santa Claus!" Die beiden Kinder stellten sich neben Jenny. "Du bist zurück!" "Du bist wirklich zurückgekommen!" Wenigstens freuen die beiden sich, dachte Zach, als er zu den Kindern hinabsah. "Hallo, ihr. Habt ihr etwas dagegen, wenn ich eine Minute mit eurer Mom spreche?" "Überhaupt nicht", antworteten beide gleichzeitig. Sie blieben dennoch stehen und sahen ihn an. "Allein." Zach schluckte. "Vielleicht sucht ihr euch schon eure Lieblingsgeschichten für heute Abend aus", schlug Jenny vor. "Okay", sagte Lisa und ging langsam zum Wohnzimmer zurück. Sie stupste Andy an, dass er mit ihr kommen solle. Zach wartete, bis die Kinder im Wohnzimmer verschwunden waren. "Ich frage nicht wegen irgendeiner Marktforschung. Ich wollte wissen, was Sie denken und fühlen. Ich wollte wissen, warum Sie kein Foto von Stephen an der Pinnwand aufgehängt haben." "Stephen?" Jenny machte eine Pause. "War es für Sie zu schmerzlich, von ihm Bilder aufzuhängen?" "Nein", antwortete Jenny. "Wir haben nur keine Fotos von ihm. Wir haben lediglich für Bewerbungen oder Ähnliches aufgenommene formelle Bilder." "Wollte er nicht fotografiert werden?" "Nein, das nicht." "Warum haben Sie dann keine Fotos?" Jenny fühlte sich plötzlich sehr müde. Sie hatte sich nie über Stephen beklagt. Sie hatte sich gesagt, dass sie ihn schütze. Jetzt wurde ihr klar, dass sie auch sich selbst geschützt hatte. Es gab eine so lange Pause, dass Zach sich fragte, ob er überhaupt noch eine Antwort erhalten würde. "Er war nie bei uns", gab Jenny endlich zu. Sie musste mit jemandem über ihre missglückte Ehe reden. "Wenn wir in den Zoo gingen, ging er mit Freunden angeln. Wenn wir zum Strand gingen, ging er mit anderen Freunden Ball spielen." "Dann war er kein Supervater?" "Nein, Stephen war fast gar kein Vater." Zach begann zu hoffen. Vielleicht würde er als Vater doch ausreichen. Aber es gab noch eine wichtigere Frage. "Und wie war er als Ehemann?" Jenny sah Zach an. In seinem Gesicht zeichnete sich deutlich die Sehnsucht nach ihr und den Kindern ab. Sie hatte nie realisiert, dass Stephens Desinteresse an seiner Rolle als Ehemann mit seinem Desinteresse an seiner Vaterschaft zusammenhing. Ein guter Ehemann würde auch seinen Kindern ein guter Vater sein. Vor allem, wenn es dieser Mann vor ihr war. Sie musterte ihn genau. Er wirkte ängstlich. Seine Lippen waren angespannt. Er zeigte ihr ganz offen seine Unsicherheit und seine Sehnsucht. Jenny streichelte kurz über Zachs Wange. Sie wollte sich ihm auch mit ihren ganzen Ängsten, Niederlagen und ihrer Müdigkeit zeigen. "Er hat mich nie geliebt." Erleichtert schloss sie die Augen. Jetzt hatte sie es laut gesagt. Es dauerte einen Moment, bis Jenny auffiel, dass sich ihre Befürchtungen nicht bewahrheitet hatten. Ihr Herz wurde nicht dunkel, als sie jemandem die Wahrheit über Stephen erzählte. Ganz im Gegenteil. Es war ihr leichter ums Herz als seit Jahren. Zach umfasste Jennys Hand. "Er war ein Narr." "Ich habe mich wirklich um seine Zuneigung bemüht." Jenny ließ sich von Zach in den Arm nehmen.
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"Er hatte dich nicht verdient", flüsterte Zach. "Du hast jemanden Besseren verdient. Jemanden wie mich." Jenny wollte etwas sagen. "Sag noch nichts. Hör mich erst an." Zach hielt sie fest und sprach leise an ihrem Ohr. Es war der wichtigste Moment in seinem Leben. Jedes Wort zählte. "Ich bin in einer Familie von Einzelgängern aufgewachsen. Aber ich kann es lernen, dir ein guter Ehemann und den Kindern ein guter Vater zu sein. Wenn du mir nur Zeit gibst." Jenny wollte wieder etwas sagen. "Nein, das ist noch nicht alles. Du sollst wissen, dass ich auch hart arbeite. Wir können hier eine Farm aufbauen oder etwas anderes beginnen. Was du und die Kinder nur wollt." Jenny setzte wieder zum Sprechen an. "Nein, das ist immer noch nicht alles. Ich ..." Jenny legte ihm einen Finger auf die Lippen. Sie wollte vor diesem Mann niemals mehr die Wahrheit verbergen. "Wie soll ich denn Ja sagen, wenn du mich nicht zu Wort kommen lässt?" Jenny hatte schon einige Sonnenaufgänge gesehen. Aber die strahlende Hoffnung in Zachs Gesicht übertraf alles. "Ja?" fragte er. "Ich meine, du wirst wohl ein paar Monate warten wollen, um dir ganz sicher zu sein. Irgendwann in den nächsten Jahren wäre auch schön." Es war wohl eine zu große Herausforderung für die Kinder gewesen, sich im Wohnzimmer Bücher auszusuchen, während Zach hier war. Jenny sah sie von der Tür aus in die Küche linsen. "Bleibt Mr. Lightning?" flüsterte Andy. Lisa verdrehte nur die Augen und hob die Kamera, um ein Foto zu machen. Jenny schloss wegen des Blitzlichts die Augen. Sie hielt sie auch bei dem darauf folgenden Kuss geschlossen. Und auch noch beim nächsten. Später am Abend hängten Zach und Jenny zusammen das Foto an die Pinnwand. Das Bild war nicht ganz scharf und etwas schief. Aber Zach wusste, dass dieses erste gemeinsame Bild immer etwas Besonderes sein würde.
_ ENDE _
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