K L E I N E
B I B L I O T H E K
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
K U L T U R K U N D L I C H E
H E F T E
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K L E I N E
B I B L I O T H E K
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
K U L T U R K U N D L I C H E
H E F T E
E. von Beöczy
HATSCHEPSUT
Tochter der Sonne Der weibliche Pharao
2006 digitalisiert von Manni Hesse
VERLAG M U R N A U .
SEBASTIAN
MÜNCHEN
•
LUX
INNSBRUCK
•
BASEL
Einführung Wie eine Sage klingt der Lebensbericht der Hatschepsut, jener ägyptisclien Pharaonin, von der ein Historiker des alten Nillandes gesagt hat, daß sie die erste große Frau war, der wir in der menschlichen Geschichte begegnen. Dreieinhalb Jahrtausende sind vergangen, seit sie die Doppelkrone mit der Stirnschlange getragen hat. Die Anfänge der achtzehnten Dynastie, des Herrschergeschlechtes, dem Hatschepsut entstammt, liegen noch streckenweise in Dunkel gehüllt. Aber die Pharaonin steht doch schon in einem helleren Licht. Briefe aus jenen fernen Tagen, auf Tontafeln geschrieben und dem heißen, trockenen Sande der oberägyptischen Wüste entrissen, ein mächtiger Tempelbau mit Bildern und Inschriften an den verwitterten Wänden, zerbocliene Statuen, ein großer Obelisk sowie das Grab der Herrscherin im „Tal der Könige" geben uns Kunde von ihrem Leben und Wirken, von ihren Hoffnungen und Befürchtungen, von ihren Kämpfen um die Doppelkrone und von ihrer großen Liebe zu dem Manne, der ihre kühnen und kunstreichen Bauvorhaben in die Tat umgesetzt hat. Sie war keineswegs die erste Frau, die den Pharaonenthron innegehabt hat, sie sollte auch nicht die letzte sein. Schon siebenhundert Jahre vor Hatschepsut verzeichnet die ägyptische Königsliste eine Pharaonin Neterike-Re. Die Griechen nannten sie 1800 Jahre später Nitokris und knüpften an ihren Namen phantastische Erzählungen. Wenn sie wahr wären, würden sie verständlich machen, weshalb nach ihrem Tode nicht nur die secliste Dynastie, sondern mit ihr auch die große Zeit des „Alten Reiches", die Epoche der gewaltigen Pyramidenbauten, zu Ende gegangen ist und eine dunkle Zeit voller Wirrnisse heraufzog. Als sich dann endlich das Dunkel wieder geHelltet und die klassische Zeit fast dreihundert Jahre lang Ägypten in neuen Glanz getaucht hatte, finden wir an ihrem Ende wiederum 2
einen weiblichen Pharao, Sebekmefru-Re, und auch nach ihrem Tode endet ein bedeutender Abschnitt der ägyptisclien Geschiclite. Nach erneuten Wirren wird das Pharaonenreich eine leichte Beute der Hyksosstämme, deren unwiderstehliche Hauptwaffe pferdebespannte Streitwagen bildeten. Etwa 1700 Jahre nach Sebekmefru-Re stand noch einmal eine Frau, die Königin Kleopatra, am Ende einer langen Reihe von Königinnen des alten Niltales, bevor Ägypten von den Römern als kaiserliche Provinz in Besitz genommen wurde. Drei Frauen also hatten jeweils nach dem Ablauf großer Epoclien der ägyptischen Gesclüchte schicksalhafte Bedeutung. Die vierte aber lebte und regierte inmitten einer Zeit, die als eine der interessantesten in den vielen Jahrtausenden Alt-Ägyptens gilt: in der Epoche jener achtzehnten Dynastie, die etwa zweieinhalb Jahrhunderte Jahre, von 1580 bis etwa 1340 v.Chr.,die Geschicke des Reiclies gelenkt hat. Und diese Frau trug den für unsere Ohren sehr fremdartig klingenden Namen Hatschepsut, zu deutsch: „Führerin der Edelfrauen". Sich selber nannte sie auch „Tochter der Sonne".
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Sieg über die Hyksos Hatschepsut wurde in eine Zeit hineingeboren, in der die Schicksalsgöttin begonnen hatte, ein neues Blatt dem Buche der ägyptischen Geschichte hinzuzufügen. Der Fremdherrschaft der Hyksoshäuptlinge sollte gewaltsam ein Ende gesetzt werden. Etwa hundert Jahre lang hatte jenes vermutlich vorderasiatische Hirtenvolk das Land am Nil besetzt gehalten, vor allem Unterägypten mit dem Deltagebiet, während das südliche Oberägypten mit der Hauptstadt Theben eine gewisse Selbständigkeit bewahrte. Doch zahlten auch die Thebaner den Fremdherrschern Tribute. Eines Tages beschloß der Hyksoskönig Apophis, der im Osten des Nildeltas residierte, auch den Süden zu unterwerfen und dachte sich zu diesem Zwecke einen etwas ungewöhnlichen Kriegsgrund aus. Apophis rief um das Jahr 1600 v. Chr. die Würdenträger des Landes zusammen, und die Versammelten beschlossen, einen Boten in die südliche Hauptstadt zu entsenden. Der Fürst von Theben empfing den Abgesandten aus Unterägypten in seinem Palast und fragte nach seinem Begehr. In hochfahrendem Ton übermittelte der Gesandte der Hyksos dem Herrn von Theben folgenden Befehl: „König Apophis läßt dir sagen: Beseitige den Teich der Nilpferde im Osten deiner Stadt! Denn die Tiere lassen mich nicht schlafen, und Tag und Nacht ist ihr Lärm in meinen Ohren." Der Fürst von Theben brauchte einige Zeit, um sich von dem Erstaunen über dieses merkwürdige Ansinnen zu erholen. Wie konnten die Nilpferde der oberägyptischen Stadt Theben den dreißig Tagereisen nördlicher wohnenden Hyksoskönig durch ihr Gebrüll nachts im Schlafe stören? Da das nicht möglich war, antwortete er dem Boten ausweichend: „Ich werde dem König Apophis — langes Leben, Wohlstand und Gesundheit seien ihm beschieden! — über den Nilpferdteich im Osten Thebens Bericht erstatten." Doch mit dieser Ausflucht gab sich der Vertreter der Hyksos nicht zufrieden. Selbst das Galadiner, das der Fürst dem Gesandten bereiten ließ, hatte keinen Erfolg So zog der Gesandte auf seinem Nilsegler schließlich mit einer Zusage des Fürsten nach Norden, in der es hieß: „Ich werde alles tun, was König Apophis mir aufgetragen hat." In Wirklichkeit wünschte der thebanische Fürst dem anmaßenden Hyksoskönig alles andere als das, was die herkömmliche Phrase besagte. Er hatte mit seiner Antwort lediglich Zeit gewinnen wollen. „Nach der Abreise des Boten" — so heißt es in dem auf uns 4
Die jugendliche Pharaonin Hatschepsut (aus dem Tempel Der-elBahari)
gekommenen Papyrusbericht — „berief der Fürst alle seine obersten Beamten und Offiziere zu sich und wiederholte ihnen die Botschaft des Königs Apophis. Da schwiegen sie alle eine Zeitlang .. ." Mit diesen Worten bricht die Erzählung ab; aber wir können aus anderen zeitgenössischen Berichten deutlich erkennen, was in der Folge geschehen ist: Die Empörung über den anmaßenden Befehl des verhaßten Fremdherrschers verbreitete sich wie ein Sturmwind nilabwärts; die Thebaner drangen nach Norden vor, und es kam zu schweren Kämpfen im Deltagebiet. Der Fürst Thebens fiel an der Spitze seiner Truppen; seine Mumie, die beute in Kairo aufbewahrt wird, weist fünf schwere Sdiädelverletzungen auf. Sein Sohn Kemose führte den erbitterten Krieg fort, starb aber, wahrscheinlich ebenfalls im Kampf gegen die Fremdlinge, schon nach kurzer Regierungszeit. Kemoses Sohn und Nachfolger, Ahmose, der sehr jung zur Herrschaft kam, mußte das schwere Befreiungswerk fortsetzen. Nach mehr als einjähriger Belagerung gelang es ihm, die Hauptstadt der Hyksos, Auaris im Delta, endlich zu erobern und zu vernichten. Die Reste des verhaßten Hyksosvolkes verfolgte er durch die Wüste Sinai bis nach Judäa. Er schlug seine Feinde mit dem Kampfmittel, das die asiatischen Eindringlige selbst vor hundert Jahren erstmals in die Nilländer siegreich eingeführt hatten; mit dem pferdebespannten Streitwagen. Die Verfolgten zogen sich in die Festung Scharuhen in Südpalästina zurück. Erst nach dreijähriger Belagerung, der längsten in der bisherigen Geschichte, gelang es dem König Ahmose, die Stadt einzunehmen und sie dem Erdboden gleichzumachen. Als Befreier Ägyptens gefeiert, kehrte Ahmose nach Theben zurück und wurde im Jahre 1580 v. Chr. der erste König der achtzehnten Dynastie. Noch hatte er freilich im Süden gegen rivalisierende Gaufürsten zu kämpfen und die während der Hyksoszeit abgefallenen Nubier wieder tributpflichtig zu machen. Nur wenige Fürsten standen zunächst auf seiner Seite, wohltönende Titel und reiche Goldgaben waren der Lohn für diese Getreuen, während die besiegten Gaugrafen kurzerhand enteignet, wenn nicht gar getötet wurden. Aber allmählich gelangte ganz Ägypten in die Hand des Ahmose und wurde persönliches Eigentum des Pharao. Es ist vermutlich die Zeit, in der der biblische Joseph durch seine klugen Ratschläge in Ägypten zu hohen Ehren kam. Obwohl Ahmose immer wieder kämpfen mußte, fand er doch die Zeit, die in der Hyksoszeit vernichteten Tempel teilweise wieder herzustellen. Nach 6
zweiundzwanzigjähriger tatkräftiger Regierung nahm ihm der Tod das Zepter aus der Hand. Auch seine Mumie befindet sich, wie diejenige seines Großvaters, in Kairo. Sein Sohn und Nachfolger Amenhotep I. starb schon nach wenigen Regierungsjahren, die noch immer mit Kämpfen an den Nord- und Südgrenzen des Reiches ausgefüllt waren. Es ergab sich nach seinem Tode die Frage, wer nun König über Ägypten werden solle. Frauen als Thronerbinnen Nach ägyptischem Königsrecht herrschte im Pharaonenlande männliche Erbfolge. Amenhotep aber hatte von seiner Gemahlin Naptera, die ebenso wie er aus dem Geschlecht der Hyksosvertreiber stammte, keinen Sohn, sondern nur eine Tochter mit Namen Jachmes. In einem solchen Falle konnte es geschehen, daß auch eine Frau den Thron besteigen durfte. Da aber eine Frau als Pharao vom Volke nur ungern gesehen wurde, wählte man lieber den Weg der Verheiratung, wobei die Herkunft des königlichen Gatten keine besonders große Rolle spielte. Er wurde Herrscher durch Vermählung mit der Thronerbin und konnte jeder Gesellschaftsklasse angehören. Um einem König von Gnaden seiner Gemahlin aber auch eine gewisse Berechtigung von Geburt her zuzuerkennen, waren politische Heiraten zwischen Verwandten, Stiefgeschwistern, ja sogar zwischen echten Geschwistern keineswegs selten. Solche Ehen konnten sogar zwischen dem Pharao und seiner eigenen Tochter geschlossen werden. Manchmal standen die Ehepartner noch im Kindesalter. Wir werden sehen, daß alle diese Gepflogenheiten gerade in der achtzehnten Dynastie besonders häufig angewandt wurden. Freilich waren diese Verbindungen meist nur Formsache. Sie wurden stets ohne irgendwelche religiösen Zeremonien und ohne Mitwirkung der Priester geschlossen. Sie bestanden lediglich in einem Vertrag, in dem der Mann sich eidlich zur Rückgabe der Mitgift an seine Frau oder deren Nachkommen verpflichtete, falls er sie verlassen sollte. Bei einer Scheidung, die leicht durchführbar war, hatte der Vertragsbrüchige eine schwere Buße zu entrichten. Amenhoteps erbberechtigte Tochter Jachmes heiratete einen Ägypter — vielleicht war es ein Gaufürst, ein Feldherr, ein unebenbürtiger Sohn des Amenhotep. Er trug den Namen Thutmosis; da noch zwei andere Könige dieses Namens folgten, haben ihn die Ge7
Schichtsschreiber Thutmosis I. genannt. Er war also durch seine Gattin auf den Thron gekommen, und solange sie lebte, blieb er der anerkannte Herrscher Ägyptens. Er war, wenigstens in seinen jungen Jahren, seiner hohen Stellung durchaus gewachsen: Mehr als ein volles Jahr verwendete er auf einen Feldzug nach dem Süden, um die tributpflichtigen Nubier wieder einmal an die Erfüllung ihrer Verpflichtungen zu erinnern. Dann besiegte er wie seine Vorgänger viele der vorderasiatischen Kleinreiche und konnte am Euphrat sein Bild in die Felsen hauen lassen. Im Triumph kehrte er nach Theben zurück. Eine große Freude erwartete ihn. Seine „Große königliche Gemahlin" Jachmes hatte ihm ein Kind geschenkt, und wenn es auch nicht der erhoffte männliche Thronerbe war, sondern ein Mädchen, so war Thutmosis doch mit einer abgöttischen Liebe dem Kinde zugetan. Er nannte sie „Führerin der Edelfrauen", in seiner Sprache „Hatschepsut". Früh schon entwickelte sich die kleine Prinzessin zu einer außerordentlich schönen und klugen Dame. Die Hieroglyphen wissen sie nicht genug zu rühmen: „Ihr Geist war größer als irgend etwas, schöner war sie anzusehen als irgend etwas, und sie wuchs auf zu einem schönen Mädchen, frisch in ihrer Jugend. Der königliche Vater sagte zu ihr: ,Komm, du Ruhmvolle, die ich in meine Arme genommen habe, damit du einen ruhmreichen Platz einnimmst, dessen du wert bist; komm, damit du dein edles Amt antreten kannst, ausgezeichnet in deinem Zauber, mächtig in deiner Kraft; komm, damit du die Macht ausüben mögest über die beiden Länder Ober- und Unterägypten, damit du herrlich im Palast erscheinen mögest, deine Stirn geschmückt mit der Doppelkrone der beiden Länder, damit du glücklich sein mögest als meine mir geborene Erbin, o Tochter der weißen Krone von Oberägypten, geliebt von der Göttin Uto'." Fast noch als Kind wurde Hatschepsut von ihrem königlichen Vater in die Verwaltungsgeschäfte des Reiches eingeführt, und mit ihrem hellwachen Geist erfaßte sie bald das Zusammenwirken der vielfachen Verzweigungen des komplizierten Regierungsapparates. Schnell bezauberte das schöne Mädchen durch ihre Anmut das Herz auch der Palastbeamten; am meisten aber das Herz eines jungen Mannes, des jüngeren Bruders ihres Erziehers, Senmut, mit dem sie eine innige Zuneigung für ihr ganzes Leben verbinden sollte. Kaum war die Prinzessin dem Jungmädchenalter entwachsen, als Thutmosis sie bereits in feierlicher Amtshandlung zur Thronerbin ernannte. Nicht eine „Große königliche Gemahlin" sollte sie der8
einst einmal werden, sondern selbst Pharao sein, so wie es die in den Hieroglyphen verzeichneten Worte prophezeiten. Wahrscheinlich wurde Pharao Thutmosis I. bei dieser Ernennung von einer starken Partei unterstützt, die nur blutmäßige Nachkommen der Hyksosvertreiber auf dem Königsthron sehen wollte. Eine gefährliche Gegnerschaft erwuchs dem König indes in einem Teil der Hofbeamtenschaft, vor allem aber in der Priesterschaft des Reichstempels von Theben, die als die Hüterin der Tradition einen männlichen Nachfolger lieber gesehen hätte.
Pyramide oder Felsengrab? Auch mit einer anderen Maßnahme des Pharao waren die Tempelpriester von Theben nicht einverstanden, nämlich mit seinen Plänen für seine Grabanlage. Thutmosis I. hatte auf seinen Feldzügen auch die Gräber besucht, die sich die Herrscher Ägyptens, die vor ihm Könige gewesen waren, errichtet hatten: die Pyramiden zwischen dem unteren Nil und der westlichen Wüste und die Felsengräber im Niltal. Der Zustand der Grabstätten war beklagenswert, ja niederschmetternd. In den unruhigen Tagen der Hyksosherrschaft waren fast alle Grüfte, in denen die Mumien der verstorbenen Pharaonen inmitten ihrer unvorstellbar reichen Goldschätze ruhten, von Grabräubern erbrochen und ausgeplündert worden. Zwar hatte man gelegentlich Diebe ertappt und streng bestraft; aber es ergab sich, daß auch hohe Beamte an den Plünderungen beteiligt waren. Behördliche Maßnahmen konnten deshalb die Grabschändungen kaum verhindern. Für Thutmosis war es eine wenig tröstliche Aussicht, nach seinem Tode, wenn unruhige Zeiten eintraten, ebenso beraubt zu werden wie seine königlichen Vorgänger. Seit mehr als tausend Jahren war es Brauch, daß der jeweilige ägyptische König sogleich nach seinem Regierungsantritt den Grundstein legte für eine Pyramide oder wenigstens für ein Felsengrab am Rande des Niltales, damit seine Mumie einmal dort beigesetzt werden könne. In den ältesten Zeilen, in der Epoche eines Djoser, Cheops, Chefren und Mykerinos, als die Pharaonen in den Augen ihrer Untertanen noch wirkliche Götter waren, hatte man die Pyramiden zum größten Teil aus massivem Gestein errichtet; später waren die Riesenbauten, je nach der Machtfülle der betreffenden Herrscher, mehr oder weniger oberflächlich ausgeführt worden und 9
bestanden zuletzt oft nur noch aus Sand und Schutt mit einem dünnen Mantel aus sonnengetrockneten Nilschlammziegeln. Bei ihrer Größe und durch ihre hervorragende Lage am Steilabfall der Libyschen Wüste waren sie seit je ein erhabener Anblick für die königstreue Bevölkerung; aber sie waren zugleich auch ein deutlicher Hinweis auf die unermeßlichen Reichtümer, die unter ihnen angehäuft waren, und ein ständiger Anreiz für das in unruhigen Zeiten besonders lichtscheue Gesindel der Städte und Dörfer. Auf den naheliegenden Gedanken, die Goldbeigaben fortzulassen, damit die leibliche Ruhe des Pharao nach dem Tode gewahrt bleibe, kam König Thutmosis bei seinen Überlegungen nicht, er konnte auch nicht darauf kommen; denn allzusehr war er wie jeder Ägypter davon überzeugt, daß kostbare Grabbeigaben unentbehrlich seien, wenn er nach seinem Tode dereinst von Osiris, dem Gott der LInterwelt, zu neuem Leben als König erweckt würde. So entschloß er sich, seine eigene Grabstätte mit ihren Reichtümern so geheim zu halten wie irgend möglich. Er gab Befehl, die Gruft nicht mehr in eine für alle Augen sichtbare Pyramide oder in die Nähe eines Totentempels zu verlegen, sondern in ein möglichst abgelegenes Tal in der Gebitgswüste. Kein grüner Halm wuchs in der Schlucht, die der König sich in den Westbergen Thebens für sein Grab aussuchte, kein lebeades Wesen außer den scheuen Schakalen konnte in dem Felsenlabyrinth dieser Mondlandschaft und unter der glühenden, alles ausdörrenden Sonne existieren. Etwa siebzig Pharaonen der späteren Zeit sind dem Beispiel des Ersten Thutmosis gefolgt; freilich konnte auch diese Maßnahme nicht verhindern, daß fast alle Gräber später beraubt worden sind. Die Anlage dieses Gräbertales, des „Tales der Könige", wie wir es heute nennen, war der radikale Bruch mit einer mehr als tausendjährigen Vergangenheit, und so ist es begreiflich, daß die Priester als Wahrer der Überlieferung mit dieser Tat des Thutmosis keineswegs einverstanden waren. Den toten Königen Ägyptens gebührten einzig die Pyramide und der Grabtempel. So war es von alters her gewesen. Was ein Jahrtausend lang gegolten hatte, durfte der König nicht ohne weiteres aufgeben! Und so machte sich Thutmosis auch die Beherrscher des Tempels zu Feinden, und diese Verfeindung sollte für ihn selbst und für seine Tochter Hatschepsut schwerwiegende Folgen haben. Denn die Priesterschaft war in den letzten Jahren mächtig genug geworden. Mühsam hatten Ahmose und Amenhotep I. die von 10
Königin Hatschepsut, dem Amun opfernd; die Pharaonin trägt den künstliehen Bart (Granitbild aus dem Terrassentempel)
den Hyksos zerstörten Tempel wieder aufgebaut, und auch Thutmosis hatte das Seine dazu getan. Aus seiner asiatischen Beute hatte er dankbaren Herzens den Tempelgöttern Thebens ungeheure Spenden geopfert. Die Schatzkammern des Amuntempels quollen über vor Reichtum. Dank diesem Reichtum verkörperten die geweihten Schatzwächter eine Macht, die sich gegen den Pharao selbst richten mußte, sobald er gegen althergebrachte Überlieferungen verstieß. Und das war jetzt in doppelter Hinsicht der Fall; durch seinen Eingriff in den überlieferten Totenkult und zum andern dadurch, daß er eine Frau, seine Tochter Hatschepsut, zur Thronerbin gemacht hatte. Die Thronfolgestreitigkeiten und Machtkämpfe, die das Königshaus des Thutmosis und das ganze ägyptische Volk lange Zeit in Unruhe hielten, sind bis heute noch nicht völlig entwirrt. Im Hin und Her der Parteikämpfe wurden zahlreiche Dokumente beiseite geschafft oder vernichtet. Auf den folgenden Seiten wollen wir die Ereignisse nacherzählen, wie sie heute von zahlreichen Forschern für wahrscheinlich gehalten werden.
Mitregentin des Vaters Der Partei des Thutmosis, die den Thron nur den Nachkommen der Hyksosbesieger zuerkenne wollte, standen künftig zwei andere Gruppen gegenüber, die Gruppe der Palastbeamten und diejenige der Priester, die beide danach trachteten, an Stelle einer Prinzessin einen starken Mann als Kronprinzen zu haben. Hatte Thutmosis außer seiner Tochter Hatschepsut nicht noch einen Sohn, ebenfalls mit Namen Thutmosis, der erheblich älter war als die ernannte Thronerbin? Aber dieser zweite Thutmosis war ebensowenig königlicher Abstammung wie sein Vater. Denn seine Mutter war eine Nebenfrau des Königs gewesen. Hier konnte nach alter ägyptischer Sitte nur eine Geschwisterheirat helfen. So setzten Beamte und Priester bei dem König durch, daß er die Genehmigung zur Vermählung seiner beiden Kinder erteilte. Hatschepsut wurde die Gattin ihres Stiefbruders und künftigen Mitregenten Thutmosis IL, obgleich beide noch sehr jung waren. Solange Thutmosis I. noch allgemein anerkannter Herrscher war, hatte die Eheschließung seiner beiden Kinder keine besondere Bedeutung. Kaum aber hatte er mit großem Pomp das Jubiläum 12
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der dreißigsten Wiederkehr des Tages seiner Ernennung zum Thronerben gefeiert, als ein Ereignis eintrat, das seine Stellung als Pharao stark erschütterte: Seine „Große königliche Gemahlin" Jachmes wurde vom Tode ereilt. In ihrer Person allein war sein Anspruch auf den Thron begründet, und dieser Anspruch entfiel nun. Um seine Stellung zu festigen, setzte er seine angebetete Tochter Hatschepsut als Mitregentin ein. Diese Ernennung lag jedoch nicht im Sinne der mächtigen Tempelpriesterschaft. Ein alter Mann und seine jugendliche Tochter auf dem ehrwürdigen Thron der Pharaonen — auch das war gegen jede Tradition! Sie verstanden zwar, daß der königliche Vater seinen Sohn Thutmosis nicht zu den Regierungsgeschäften heranzog, da er als schwächlich und weich galt und ständig an irgendwelchen Krankheiten litt. Aber Thutmosis II. und Hatschepsut hatten ein Kind, Nefru-Re. Die Priester schlugen vor, Nefru-Re mit jenem Knaben zu vermählen, der aus einer Verbindung des Thutmosis IL mit einer Nebenfrau hervorgegangen war und der ebenfalls Thutmosis hieß. Er war zwar ebensowenig wie sein Vater und Großvater königlicher Abstammung, würde aber als Gatte von Hatschepsuts Tochter ein vollberechtigter Thronerbe werden und käme dann als Mitregent seines Großvaters sehr wohl in Frage. Und die Priester setzten bei dem König und seiner Tochter auch diese Vermählung durch. Sie war indessen nur der erste Schritt zur Verwirklichung der priesterlichen Wünsche. Sie begründete zwar die Anwartschaft des jungen Thutmosis III. auf den Thron; aber deswegen war er noch lange nicht König, wie es die Amunpriester wünschten. Es galt also, den alternden Thutmosis I. und seine mitregierende Tochter Hatschepsut auszuschalten, und die Herren des Reichstempels fanden einen Weg . . .
Ein Orakel und seine Folgen Dumpf dröhnten die Trommeln über den Vorhof des Amuntempels zu Theben. Eine gewaltige Menschenmenge erwartete voller Ungeduld den Umzug des höchsten Reichsgottes, des Amnn, dessen goldenes Standbild, strahlend im Licht der Sonne, soeben das Alierheiligste verließ. Theben beging sein größtes religiöses Fest; es fand in dem Tempel statt, den König Thutmosis I. wiederhergestellt hatte. Unter dem Jubel der Tausende bahnte sich der feierliche Zug der 13
Priester seinen Weg durch die Menschen. Thutmosis III. hatte sich unter die Tempeldiener gemischt und stand im nördlichen Seitengang des Gotteshauses, als das Götterbild vorübergetragen wurde. Und da geschah das Wunder: Der Gott machte vor Thutmosis halt, beugte sich zu dem jungen Manne herab, hob ihn auf und gebot ihm, geradewegs zu der Stelle des Tempels zu gehen, die allein für den König bestimmt war. So hatte Gott Amun vor den Augen des ganzen Volkes seinem Wunsche Ausdruck verliehen, daß Thutmosis als der dritte dieses Namens König über Ägypten sein solle. Der also Erwählte erhielt durch die Priesterschaft in feierlicher Zeremonie den überlieferten Königstitel und zog, begleitet von den Begeisterungsrufen des Volkes, in den Königspalast ein. Dieses denkwürdige Orakel fand nach unserem Kalender am 3. Mai statt, im Jahre 1501 vor der Geburt Christi. Zum ersten Male in der ägyptischen Geschichte hatte ein von den Priestern „gesteuerter" Gottesspruch in den Lauf der Ereignisse eingegriffen; später bedienten sich die Diener Amuns häufiger dieses praktischen Mittels, um ihre Pläne durchzusetzen. Obwohl er zum König erhoben war, befand sich Thutmosis III. doch in einer schwierigen Lage. Denn noch lebte sein königlicher Großvater, und Hatschepsut war dessen Mitregentin. Doch mit Unterstützung der machtvollen Tempelherren gelang es ihm, die beiden beiseite zu schieben. So gewaltig wuchs sein Machtbewußtsein an, daß er schon wenige Monate nach seiner Thronbesteigung einen Feldzug nach Nubien vorbereitete, der dringend nötig geworden war. Er unterwarf die aufsässig gewordenen Vasallen. Als er nach einem Jahre wieder nach Theben zurückkehrte, fand er dort zu seiner Überraschung völlig veränderte Verhältnisse vor. In der Zeit seiner Abwesenheit hatte die Offizierspartei, die nur Könige aus der Linie der Hyksosbesieger gelten ließ, die Oberhand gewonnen. Thutmosis III. sah sich gezwungen, wenigstens die Mitregentschaft der Hatsdiepsut anzuerkennen. Eigenartige verwandtschaftliche Bande verknüpften diese beiden Beherrscher Ägyptens. Hatsdiepsut war des Thutmosis Tante, denn sie war die Stiefschwester seines Vaters; ferner war sie seine Stiefmutter als Gattin seines Vaters Thutmosis IL, und endlich war sie seine Schwiegermutter als Mutter seiner Gemahlin Nefru-Re. Die engen Beziehungen verhinderten aber nicht, daß Thutmosis III. von einem ständig wadisenden Haß gegen seine Mitregentin erfüllt wurde, da sie ihm, dem tatkräftigen Manne, ständig in seine Regie14
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rungsmaßnahmen hineinredete. Sie muß aber wohl doch der klügere Teil gewesen sein. Mit ihrem starken Selbstbewußtsein, einer überraschenden Tatkraft, mit Freundlichkeit und Anmut verstand sie es, sich einen ständig größer werdenden Kreis von Anhängern zu sicheren, mit deren Hilfe sie Thutmosis III. rücksichtslos aus der Regierung verdrängte.
Streit um den Thron Hatschepsut war Alleinherrscherin über Ägypten. Sie nahm den Thronnamen Make-Re an, den wir mit „Wahrheit ist das Wesen des Sonnengottes Re" übersetzen können. Sie führte die sämtlichen Titel eines „Königs der beiden Länder" mit Ausnahme der Bezeichnung „Starker Stier", die ihr wohl doch gar zu wenig passend erschienen sein mag. Wie es die Tradition der Pharaonen erforderte, begann sie sofort mit ihren ersten Bauten und ließ sie mit ihren Standbildern und Reliefs schmücken, auf denen sie als Mann dargestellt war, versehen mit dem zeremoniellen Königsbart, mit Krone, Geißel und Zepter. Sie glaubte, das Ziel ihrer Wünsche erreicht zu haben, irrte sich aber ebenso, wie vordem Thutmosis III. nach seiner etwas fragwürdigen Königsernennung durch das thebanische Orakel. Sie hatte wohl zu wenig mit den echt orientalischen Hofintrigen gerechnet. Eine neue Gruppe von Männern, die in dem alten, längst entthronten Thutmosis I. noch immer den rechtmäßigen Pharao sahen, spielte sich in den Vordergrund. Ohne daß die beiden anderen Parteien es verhindern konnten, gelang es dieser Gruppe, Thutmosis I. wieder auf den Thron zu setzen und ihm, da er doch schon zu greisenhaft war, seinen Sohn Tutmosis IL als Mitregenten zur Seite zu geben. Hatschepsut und ihr ohnehin zur Bedeutungslosigkeit herabgesunkener Mitregent Thutmosis III. traten wieder in den Hintergrund. Thutmosis IL setzte sich selber die Krone aufs Haupt. Er begann seine Regierungsarbeit damit, zusammen mit seinem Vater alle bereits vorhandenen Abbildungen der Hatschepsut in den begonnenen Bauwerken zu zerstören und seinen eigenen Namen an Stelle ihres Namens zu setzen, um das Andenken an seine Gemahlin nach Möglichkeit auzulöschen. Gerüchte über die Thronstreitigkeiten drangen bis in den Süden des Reiches, und die Nubier benutzten die willkommene Gelegen15
wie den Oberschatzmeister, den Hohenpriester des Amun wie auch die kleinen Verwaltungsbeamten, so daß sich der ganze Staat in ihren Händen befand. Jetzt konnte sie die umfassenden Kenntnisse verwerten, die sie einst unter ihrem Vater in den Regierungsschreibstuben erworben hatte, und das Land blühte unter ihrer Herrschaft sichtbar auf.
Die Legende der göttlichen Geburt Hatschepsut war zu klug, um sich einer Täuschung darüber hinzugeben, daß eine Frau auf dem Pharaonenthron noch immer in den Augen vieler Ägypter einen Verstoß gegen die geheiligte Überlieferung darstellte. Diese Tradition war gerade im Nilstromland schwerer zu durchbrechen als anderswo. Dazu kam, daß die beiden Frauen, die vor Hatschepsut Beherrscherinnen Ägyptens gewesen waren, Neterike-Re und Sebeknefru-Re, jeweils am Ausgang des Alten und des Mittleren Reiches regiert hatten und daß nach ihren Regierungszeiten das Staatsgebilde zerfallen war. Es galt, denen zuvorzukommen, die hieraus auf das Schicksal ihrer eigenen Regierung und der gegenwärtigen Reichsepoche allzu gern Schlüsse ziehen wollten. Auch mußte sie gegenüber ihrem Mitregenten, den sie erneut ausgeschaltet hatte, gegen Thutmosis III., alle Sicherungen treffen, zumal er durch Gott Amun selbst auf den Königsthron berufen zu sein schien. Wenn ihr Schwiegersohn wirklich durch den Gott zum König ernannt worden war, warum sollte nicht auch Rie durch göttlichen Spruch zur Herrscherin bestimmt worden sein? Oder besser noch: Warum sollte sie nicht von göttlicher Geburt sein? In einem Kronrat besprach sie mit den ihr ergebenen Beamten des Reiches ihre Pläne. Ihre Anhänger wußten sehr gut, daß ihre Stellung auf Gedeih und Verderb mit der Person der Königin verbunden war, und so förderten sie nach Kräften die Verbreitung jener Geburtsgeschichte, die besagte, daß Hatschepsut die leibliche Tochter des Götterfürsten Amun und der Sonne sei. In Bildern und Texten stellten die Schreiber und Maler des Hofes dar, wie Amun und Hatschepsuts Mutter Jadimes sich einstens vermählt hatten: „Es kam dieser herrliche Gott, Amun selbst, Herr der Throne beider Länder, nachdem er die Gestalt Thutmosis' I. angenommen hatte, und fand Jachmes in der Schönheit des Palastes ruhen. Sie erwachte 18
vom Duft des Gottes und lachte vor seiner Majestät. Er trat eilends zu ihr und entbrannte für sie. Er verlor an sie sein Herz . . . So war auch in den Augen des Volkes Hatschepsuts Stellung als Pharaonin genügend befestigt. Ihre Vorgänger hatten das Reich so stark gemacht, daß Hatschepsut der Notwendigkeit enthoben war, Kriege führen zu müssen. Um so eifriger konnte sie ihrer künstlerischen Begabung freien Lauf lassen. Zur Ausführung ihrer umfassenden Baupläne suchte sie einen Fachmann, der ihre Wünsche erfaßte und imstande war, sie in die Tat umzusetzen. Sie sollte nicht lange suchen . . .
Senmut Schon in ihrer Kinderzeit hatte Hatschepsut an Senmut, den Bruder ihres Lehrers ihr Herz verloren, und die Zuneigung der beiden zueinander war mit der Zeit sehr innig geworden. Ihm vertraute die Königin die Erziehung ihrer Tochter Nefru-Re an. Häufig ließ sie sich von dem klugen und kunstverständigen Senmut über die Fortschritte berichten, die ihre Tochter unter seiner Leitung machte. Auch heute erwartete sie ihn wieder. Als sie ihre Tagesarbeit beendet hatte, zog sie sich in ihre Privatwohnräume zurück. In einem bequemen Kleid aus schneeweißem Linnen ruhte sie auf dem Leopardenfell ihrer Liegestatt. Als ihr die Ankunft Senmuts gemeldet wurde, erhob sie sich lebhaft und ging ihrem Besucher in anmutiger Bewegung entgegen. Senmut ließ seine Avigen bewundernd über die schlanke Gestalt seiner Herrin gleiten, die noch immer mädchenhaft wirkte. Mit dem gleichen Wohlwollen betrachtete Hatschepsut ihren Besucher, der in gesetzten Worten und in korrekter Haltung der Pharaonin Bericht über seine Schülerin erstattete. Aber Hatschepsut hörte kaum zu. Sie war mit den Plänen beschäftigt, die sie mit Senmut besprechen wollte und weswegen sie ihn hatte rufen lassen. Sie lud ihn zu einem Brettspiel ein. So saßen sie einander gegenüber und bewegten über das längliche Rechteck des Spielbrettes und seine dreißig quadratischen Felder die Figuren; der Königin kamen die fünf weißen kegelförmigen Setzsteine zu, die eine kleine Platte auf der Spitze trugen; Senmut zog die schwarzen, die statt der Platte einen runden Kopf aufwiesen. Aber die Gedanken der beiden waren nicht bei dem Spiel. 19
„ , i t _ m die Rede, jenen Tempel, den Auf den kleinen Felsen.empel kam d.e K - - ^ e i n e / S e ' i t e n . K S f f ? ? N i I s ° V a U e i n S e i n lassen, dort, w o heute der Ort tales ^ e r s t e ^ j j 0 8 g e i e g e n ist. Senmut lobte die schönen Reliefs, die Bast°et die^kat^enköpfige Göttin der Freude, darstellten, tadelte h doch die geringen Maße des Heiligtums, das einer Pharaonin nicht recht würdig sei. Auch dein anderer Tempel, hohe Frau, den du weit im Süden gebaut hast, dort, wo der Nil die zweiten großen Stromschnellen bildet, ist mit seinen zierlichen, bunt übermalten Reliefs zwar ein köstliches Kleinod, aber im ganzen gesehen eben doch noch bescheidener als dein Bastettempel. Einen Prachtbau müßtest du erbauen, wie er in ganz Ägypten noch nicht vorhanden ist, und unserem mächtigen Gott, dem Amun, müßte er geweiht sein!" Lebhaft stimmte die Königin zu: „Wie du meine Gedanken kennst, Senmut! Aber der Schwierigkeiten sind noch zu viele. Gewiß sollte der Tempel dem Götterfürsten gewidmet sein, aber nicht ihm allein! Das Heiligtum müßte zugleich mein Totentempel sein, und daher müßte es auch dem Gott der Abgeschiedenen, dem Anubis, dienen. Und drittens . ..", fügte sie mit einem Seitenblick auf ihr Gegenüber hinzu, „wünschte ich, daß er ein wenig auch der Göttin der Liebe, Hathor, geweiht sei. Ich möchte auch keine massigen Mauern, wie sie die Tempel unserer Vorfahren zeigen, und keinen Wald von überdicken Pfeilern und Säulen; frei, leicht und sonnenhell sollte der Tempel sein, würdig der Tochter der Sonne und der Götter, die darin wohnen werden." „Ein solches Bauwerk würde viel Widerspruch erregen", gab Senmut zu bedenken, „aber ich glaube, daß es den Göttern in seiner Schönheit sehr wohlgefällig wäre." Nachdenklich zog Hatschepsut einen ihrer Setzsteine auf das Nachbarfeld. „Ich will dir etwas gestehen, Senmut, das ich noch niemandem anvertraut habe. Vor Jahren habe ich Gott Amun gefragt, ob ich einst Königin würde. Und Amun hat mir geantwortet, daß ich es nur dann werden und bleiben könne, wenn ich ihm einen Wunsch erfülle. Der Gott wünschte, daß ich ihm nach meiner Thronbesteigung einen Garten anlege, herrlich wie das Land Punt, von wo die Götter einst gekommen sind. Seit den unglücklichen Zeiten des Hyksoseinfalls ist ja, wie du weißt, jeder Verkehr mit Punt unterbrochen. Gott Amun hat mir deshalb befohlen, den Weg nach Punt aufs neue zu erforschen. Wenn ich mein Versprechen halten 20
will — es ist meine feste Absicht —, muß ich zur Reise rüsten lassen und den Garten für Amun anlegen, und ich halte den Tempel, von dem du sprichst, für den geeigneten Ort. Er müßte also geräumig genug sein, den Garten aufzunehmen." Grübelnd schaute Senmut auf das Spielfeld und bewegte mechanisch einen seiner Steine: „Dann müßtest du einen Tempel bauen mit großen Höfen und Terrassen", sagte er nach einigem Nachdenken. „Und auf einer dieser Terrassen", ergänzte Hatschpsut, „könnten die Myrrhenbäume stehen, die für Amuns Garten aus Punt geholt werden. Ich möchte in meinem Heiligtum auch meinem Vater Thutmosis I. ein Denkmal setzen. Er hat mich als Kind sehr geliebt, und ihm verdanke ich vieles." „Es ist nicht wenig, was dein Baumeister berücksichtigen müßte", scherzte Senmut. „Zudem müßte der Tempel", fuhr Hatschepsut fort, „in der Nähe meiner Hauptstadt Theben errichtet werden, und da er auch mein Totentempel sein BOII, müßte sich mein Grab in der Nähe befinden; ich will es in jenem Wüstental anlegen lassen, das hinter dem westlichem Bergmassiv liegt. Kennst du einen Platz, Senmut, wo sich all dieses verwirklichen ließe?" „Ich glaube, daß es nur einen einzigen Ort gibt, der deinen Wünschen entsprechen könnte", erwiderte der Gefragte. „Du kennst den ältesten Tempel Thebens, den des Pharao Mentuhotep. Er steht eine halbe Wegstunde weit westlich des Nilufers dicht am Fuße des Felsmassivs, das du erwähntest. Etwas nördlich von diesem Heiligtum ist noch genügend Raum für einen Tempel, wie du ihn planst. Der Ort würde zur Anlage von drei Terrassen ausreichen, und auf einer von ihnen könnlest du den Garten des Amun anlegen." Hatschepsut erkannte, wie zweckmäßig Senmuts Vorschlag war, doch hatte sie noch Bedenken wegen ihres Grabes. „Nach alter Überlieferung mußt du zwei Gräber haben", erklärte Senmut, „eines für den Leib und eines für den Ka, die Seele, oder, wie manche meinen, eines für Ober- und eines für Unterägypten. Das eine läßt sich genau in der Verlängerung der Mittelachse deines Tempels, aber jenseits des Felsrückens, im Königstale in den Berg legen, und für das andere wüßte ich ein Versteck tief in einer Felssnalte am Ende des Tales." Beglückt entgegnete die Königin: „Wenn du mir versprichst, daß der Bau gefälliger ausgeführt wird als die wuchtigen und massigen 21
Der Drei-Terrassen-Tempel von Der-el-Bahari von Theben, der Opferund Totentempel der Pharaonin Hatsehepsut (Versuch der Wiederstellung) nach den vorhandenen Fundamenten und Hallenbauten; vgl. auch das Umschlagbild Heiligtümer der bisherigen Zeit, so weiß ich in der Tat nichts Besseres, als dir den Auftrag zu erteilen. Und so ernenne ich dich zu meinem Baumeister. Lege mir schon bald deine Entwürfe vor! Wenn sie mir gefallen, werde ich dich zu meinem Wesir machen, dem alle erforderliche Befehlsgewalt gegeben ist, seinen und meinen Willen durchzusetzen." 22
Wie zwölfhundert Jahre vorher der Wesir und Baumeister Imhotep in der Zeit der dritten Dynastie für König Djoser die Stufenpyramide bei dem heutigen Sakkara errichtete, das erste steinerne Bauwerk großen Stils, so wurde Senmut der Schöpfer jenes märchenhaft anmutenden, fast unägyptisch aufgelockerten Terrassentempels der Pharaonin Hatschepsut. Als engster Vertrauter der Königin gebot Senmut über alle Hilfsquellen des Landes, er ver. stand es, diese Mittel in einer Weise einzusetzen, die heute noch staunende Bewunderung findet. Dicht neben dem Tempel des Mentuhotep ließ er den Verwitterungschutt am Fuße der himmelhohen, steil ansteigenden Felswände abtragen und das Geröll davor zu mehreren Terrassen aufschichten. Tief drang er in den gewachsenen Felsen vor, wo das Allerheiligste des Tempels entstehen sollte.
Die Fahrt nach Punt Lange vor Beendigung des Tempelbaus erfüllte Hatschepsut auch den zweiten Auftrag, den ihr Gott Aman erteilt hatte. So entsandte die Königin im neunten Jahre ihrer Regierungszeit eine Flotte von fünf großen seetüchtigen Segelschiffen von Theben aus ins Puntland. Die Expedition fuhr vermutlich zuerst hinab ins Delta. Sie führte zu Tauschzwecken, da Geld noch unbekannt war, eine große Menge ägyptischer Erzeugnisse mit sich, Truhen, Waffen, Halsketten und dergleichen. Götterbilder und eine steinerne Statue der Königin Hatschepsut waren nicht vergessen. Der Weg, so nimmt man an, führte vom Nildelta aus durch den Kanal, den König Sesostris III. vor dreihundertfünfzig Jahren geschaffen hatte, zum Roten Meer, dann weiter nach Süden bis zur Straße von Bab-el-Mandeb. Südlich davon, wohl im Gebiet des heutigen Somalilandes, lag das Ziel der kühnen Fahrt, das Märchenland Punt. Dort gab es alles, was den Ägyptern begehrenswert erschien, und erneut setzte ein reges Tauschgeschäft ein. Gold, Silber, Ebenholz, Edelsteine und Elfenbein wurden auf die Schiffe verladen, ferner Pantherfelle, Pfauen und lebende Affen, vor allem aber die von der Königin so begehrten Myrrhenbäume. Mit den Wurzelballen wurden die jungen Pflanzen von je vier Männern in Netzen zu den Schiffen getragen. Die Schiffsleute sahen sich in dem fremden Lande um und zeichneten genau auf, was an Inter23
essantem und Wunderbarem zu sehen war: die seltsamsten Pflanzen und Tiere, die Pfahlbauhütten und die Bewohner in ihren sonderbaren Trachten. Nach mehrjähriger Abwesenheit kehrte die Flotte wohl auf dem gleichen Wege, den sie bei der Hinfahrt genommen hatte, glücklich wieder in die Hauptstadt Ägyptens zurück, und Hatschepsut konnte den Befehl des Gottes ausführen. Die mittlere der drei Terrassen ihres Tempels ergrünte im Schmuck der Myrrhenbäume. Voll Stolz rühmte sich die Königin in den Hieroglypheninschriften ihres Tempels: „Ich habe ihm das Land Punt in seinem Garten nachgebildet, wie er es mir befohlen hatte, groß genug für ihn, um sich darin zu ergehen." Die Reise der Flotte ließ sie an den Wänden der linken, südlichen Säulenhalle der zweiten Terrasse in zierlichen, bunt bemalten Reliefs darstellen, begleitet von erklärenden Texten. Wir finden dort, in sorgfältiger, fast wissenschaftlich exakter Darstellung all die fremden Tiere und Pflanzen des Puntlandes wieder, die Pfahlbauhütten der Eingeborenen und die Schiffe der Expedition, wie sie mit Myrrhenbäumen beladen werden, während die Affen in den Schiffstauen klettern. Wir sehen die etwas absonderliche Schönheit der korpulenten Königin von Punt und sogar ihre Reitesel. Auch Hatschepsuts Günstling Senmut ist auf den Bildern nicht vergessen worden.
Der Terrassentempel Immer wieder besuchte die Pharaonin ihr Lieblingswerk, den Terrassentempel. Er lag ihrem Palast gegenüber, jenseits des Nils am Fuße der mondkahlen Felsberge. Wenn sie mit der Königsbarke über den Strom an das westliche Ufer fuhr, glich das zauberhafte Bauwerk trotz seiner bedeutenden Ausdehnung in seinem strahlendem Weiß einer Märchenburg. Durch eine Allee von Sphinxen, deren Köpfe ihr eigenes Porträt wiederholten, gelangte die Pharaonin zu den beiden Eingangspylonen, den sich nach oben verjüngenden Portaltürmen, hinter denen sich die unterste Terrasse ausdehnte. Durch das Prachttor trat sie in den quadratischen Vorhof des Heiligtums, einen von hohen weißen Mauern umgebenen Platz, auf dem an den Fest- und Opfertagen vieltausend Menschen den Gottesdiensten beiwohnen konnten. Dem Eingang gegenüber zogen sich zwei breit gelagerte Säulenhallen hin, zwischen denen eine von Sphinxen flankierte Rampe zur zweiten Terrasse führte. Hier konnte
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Pfahlbauhütten, Pflanzen und Tiere In Punt (Relief in der Punthalle des Terrassen-Tempels Der-el-Bahari sieh die Königin in den herrlichen Gartenanlagen ergehen, welche die zweite Plattform bedeckten, und sich an den Myrrhenbäumen erfreuen, die sie vom „Ende der Welt" hierher hatte transportieren lassen. Auf dieser Trerasse wiederholte sich die Rampen- und Hallenanlage der untersten Terrasse. Von den Säulenhallen zeigte die linke Halle die buntfarbigen Bilderinnerungen an die Puntreise, die nördliche rechte Halle, die sogenannte Geburtshalle, erzählte aus dem Leben der Königin. Hier hatten die Künstler in einer Folge von farbigen Reliefs das Wunder der göttlichen Geburt der Königin dargestellt, und sie hatten sich so eng an die herkömmliche Wiedergabe derartiger Szenen gehalten, daß sie das Kind als Knaben darstellten. So sehr widersprach es der Natur der Ägypter, eine Frau auf dem Thron der Pharaonen zu sehen. Besonders freute sich Hatschepsut immer wieder über die lebensvoll dargobotenen Szenen mit ihrer Mutter Jachmes. 25
Zwei Stufen führten in eine Vorhalle mit zwölf ebenmäßigen, sedizehnkantigen Säulen, und von dort gelangte die Königin in die aus drei Kammern bestehende schöne Kapelle des Anubis. Wenn sie sich dann zurückwandte, durdisdiritt sie erneut den Garten des Hofes, von dessen Mitte aus wieder ein schräger Aufweg zur dritten Terrasse führte, die viel kleiner war als die beiden unteren Plattformen, sidi jedoch von allen Seiten mit prachtvollein Säulenhallen umgeben zeigte. Königin Hatsdiepsut fand hier zur linken Hand die Halle vollendet, in der nach ihrem Heimgang die Totenopfer für sie dargebracht werden sollten. An einer Stelle der Wand zeigte ein Relief den Baumeister des Tempels, Senmut, wie er für seine geliebte Herrin das Gebet verrichtete. Der hinterste Teil dieser obersten Terrasse war in den Felsen gehauen und enthielt die Nisdien des Allerheiligsten mit dem Bilde Amuns. Genau in der Verlängerung, nur eine kleine Strecke entfernt, aber durch das gewaltige Felsgebirge getrennt, lag ihr Grab, und sie freute sich bei dem Gedanken, daß sie einst nicht allzufern von ihrer Lieblingsschöpfung, dem Terrassentempel, ruhen werde. Weit sdiweifte der Blick der Pharaonin von der Höhe der obersten Terrasse in die Ferne. Die sdilanken Säulen der Fronthalle, die den Kopf der Göttin Hathor als Kapitelle trugen, gaben wediselnde Ausschnitte der Landsdiaft frei: vorn den grünenden Garten zu Amuns Ehren, dann die sandige Ebene vor dem Heiligtum, die unvermittelt in das grünende Frucbtland überging, dahinter den heiligen Strom als schmales Silberband und am Ostufer des Nils die weißen Riesenbauten der Tempel und Paläste der Stadt Theben. Ganz im Dunst der Ferne waren die Berge der östlichen Wüste in ihrem fahlen Gelb mehr zu ahnen als zu sehen. Hatschepsut war erfüllt von der Schönheit des Bauwerks und überhäufte ihren Baumeister mit Gunstbezeugungen. Im Stillen hoffte Senmut wohl, daß er zum Prinzgemahl aufsteigen, vielleicht, daß ihm einmal die Doppelkrone Ägyptens zufallen werde. Eine Heirat mit Hatschepsut hätte das wohl möglich gemacht, als Hatschepsuts Gatte Thutmosis II. verstorben war. Aber eine solche Verbindung wäre für sie gleichbedeutend mit einem Verzicht auf die Herrscherrechte gewesen. So mußte sie Senmuts Ansinnen weit von sidi weisen. Doch gestattete sie ihm, daß er sein eigenes Grab in der Nähe ihres Opfertempels anlegte, damit er an den Opfern und Gebeten teilhätte, die einstmals für seine geliebte Herrin dargebracht würden. Treppen mit zahlreichen Stufen und lange Korridore führ26
ten tief unter das Heiligtum Hatschepsuts. Senmuts Felsengrab enf hielt mehrere Kammern und Hallen, an deren Decken sich Relief von himmlischen Wesen oder von Sternbildern hinzogen. Erst 'die letzte und tiefste Kammer war als Gruft ausgebildet. Hier wollte Senmut seiner königlichen Herrin und Geliebten auch im Tode nahe sein. Aber es sollte nicht dazu kommen.
Der große Obelisk Hatschepsut verbrachte einen großen Teil ihrer Zeit mit der Anlage ihres Tempels und ihrer Grabstätte. Auch befaßte sie sich mit der Ausschmückung der bereits vorhandenen Gotteshäuser in Theben; doch vergaß sie darüber keineswegs ihre Pflichten als Herrscherin. Die von ihren Vorgängern unterworfenen Gebiete am oberen Nil, in Palästina und in Syrien lieferten ihre Tribute nach Ägypten, ohne daß es notwendig geworden wäre, Kriege zu führen. Allgemeiner Wohlstand war die sichtbare Folge ihrer klugen Regierungskunst. Man kleidete sich ansprechender, die Mode wandelte sich. Die Gewänder der Frauen wurden ziervoller und reicher. Man freute sich an zarteren und feineren Stoffen, an schmuckvollen Halsketten und goldenen Armbändern. Und die Männerwelt stand nicht zurück: Während bisher ein Leinenschurz als Bekleidung meist genügt hatte, gingen die Männer neuerdings im geschlossenen Gewand, das bis zum Hals und zu den Knien reichte. Freilich mögen diese Änderungen auch zu manch abfälliger Kritik Anlaß gewesen sein. Noch aber konnte der Königin diese wie jede andere Kritik gleichgültig sein. Im vollen Besitz ihrer Macht feierte sie mit echt orientalischem Pomp das Fest der dreißigjährigen Wiederkehr des Tages ihrer Ernennung zur Thronerbin. Hauptereignis der Feierlichkeiten war die Errichtung von zwei riesenhaften Obelisken im Tempel des Amun in Theben, den größten Steinsäulen, die bis dahin aus dem harten Granit von Assaun herausgearbeitet worden waren. Jeder dieser Steinriesen war über neunundzwanzig Meter hoch und etwa dreihundertfünfzig Tonnen schwer. Mit ihren schnurgeraden Kanten und ihrer spiegelblanken Politur, in welche die Inschriften sorgfältig eingegraben worden waren, bildeten sie hervorragende Zeugnisse ägyptischer Handfertigkeit. Als Ort für die Riesenpfeiler wählte Hatschepsut jene Halle des Amuntempels im heutigen Kar27
nak, die ihr Vater errichtet hatte und in der ihr zur Tatenlosigkeit verurteilter Mitregent, Neffe und Schwiegersohn, Thutmosis III., durch das Orakel des Amun zum König bestimmt worden war. Mehrere Zedernholzsäulen und ein Teil des Tempeldaches mußten entfernt werden, damit die Steinkolosse aufgerichtet werden konnten. In einem feierlichen Schwur versicherte die Königin bei allen Göttern, daß die Obelisken aus einem einzigen Granitblock angefertigt worden seien. Wir können uns von der Wahrheit ihrer Behauptung noch heute wenigstens bei dem einen der beiden Steinriesen überzeugen, während der andere auf unbekannte Weise verloren gegangen ist.
Hatschepsuts Ende Fünfzehn Jahre waren vergangen, seitdem Hatschepsut den Thron der Pharaonen bestiegen hatte, und sieben oder acht Jahre, seit sie ihn, wenigstens dem Namen nach, gemeinsam mit ihrem Neffen innehatte. Noch etwa fünf weitere Jahre herrschte sie über das ägyptische Volk. Im zwanzigsten oder einundzwanzigsten Jahre ihrer Herrschaft verschwand sie plötzlich und unerwartet. War sie einer Krankheit erlegen? Hatte sie einen Unfall erlitten? Oder war sie von der Priesterschaft beseitigt worden, die ihr die Liebe zu Senmut verargte oder ihr das Abweichen von der Überlieferung in der Lebensführung nicht verzeihen konnte? Wir wissen es nicht. Manche vermuten, daß Thutmosis III. die Schuld an ihrem Tode trage. Sein Verhalten nach ihrem Heimgang läßt diesen Schluß sehr wohl zu; denn Thutmosis III. ließ, als er endlich zum rechtmäßigen Alleinherrscher geworden war, seiner Wut gegen die verhaßte Verwandte und Mitregentin freien Lauf. Hatschepsuts Name wurde überall, wo er ihn auch immer finden konnte, ausgemeißelt, ihre Reliefbilder wurden zerkratzt und ihre Statuen vernichtet. Die herrlichen steinernen Standbilder der Königin und die Sphinxe, die ihre Gesichtszüge trugen, ließ der König zerschlagen. Wo der Granit den Hammerschlägen zu großen Widerstand entgegensetzte, wurde er durch die Einwirkung von Feuer und Wasser zermürbt oder gesprengt, die Reste warf man in die tiefen Schächte eines Steinbruchs. Die beiden großen Obelisken entzog der Rasende durch eine hohe Steinmauer den Blicken des Volkes. Senmut, seine Fa28
milie und sein gesamtes Gesinde wurden getötet und irgendwo verscharrt. Auch die Anhänger der verhaßten Toten enthob Thutmosis ihrer Ämter und ließ sie töten, nur wenigen von ihnen gelang die Flucht. Selbst seine eigene Gemahlin Nefru-Re, wurde, da sie Hetschepsuts Tochter war, ein Opfer seiner Wut. Der rastlose und ruhelose Geist des Pharao fand endlich ein anderes Ziel für die ihm innewohnende Tatkraft. In den zweiunddreißig Jahren, die er nach Hatschepsuts Tode noch regierte, unternahm Thutmosis siebzehn Feldzüge nach Norden und Süden. Es gelang ihm, alle Aufstandischen zu bändigen und ihre Herrschaftsgebiete wieder fest mit dem Reich zu verklammern. Die Tribute begannen wie einst zu fließen. Dann begann er in gewaltigen Kriegen, die Grenzen Ägyptens zu erweitern. Syrien und Palästina wurden ägyptische Außenprovinzen und sicherten das Pharaonenreich im Norden ab gegen die Reiche der Babylonier, Assyrer, Mitanni und Hethiter. Nach Süden dehnte er die Grenzen bis zum vierten Nilkatarakt aus. Die Ägypter verehrten Thutmosis III. später als Gott, und moderne Geschichtsschreiber vergleichen ihn wohl mit Cäsar und Napoleon. Ob aber seine Regierung für das altägyptische Volk glücklicher gewesen ist als die Regierung Hatschepsuts, bezweifeln viele.
Hatschepsuts Nachlaß Weiter rollte das Rad der Geschichte. Mißgunst und Unverstand vernichteten viele der herrlichen Bauwerke aus Hatschepsuts Zeit. An den Restruinen nagte die dörrende Sonne und der stets wehende scharfe Wüstenwind, der die Sandkörner in das Niltal fegte. Hatschepsuts schöner Terrassentempel wurde im siebten Jahrhundert n. Chr., 2200 Jahre nach seiner Erbauung, ein Mönchskloster, und zwar das „nördlichste von zweien", auf arabisch der-el-bahari. Diese Lagebezeichnung gab dem Tempel seinen heutigen Namen: Der-elBahari. Während des ersten Weltkrieges, im Jahre 1916, gelang es dem englischen Ägyptologen Howard Carter, die Gräber der Königin aufzufinden. In der fast senkrechten Felswand ganz am Ende des „Tales der Könige" befand sich ein schmaler, tiefer Spalt, der vom Wasser der vergangenen Jahrmillionen ausgenagt war. An seinem Grunde, dreiundvierzig Meter unterhalb des Bergrückens und drei30
undsiebzig Meter über der Talsohle, hatten einheimische Grabräuber den Eingang aufgespürt, und Carter hatte davon Kenntnis erhalten. An einem Seil ließ er sich bei Nacht an der Felswand herab und überraschte die Räuber; Carter vertrieb die Eindringlinge und ging mit seinen Männern an die Erforschung des ersten Grabes. Der Gang führte achtzehn Meter seitwärts dicht an der steilen Außenwand entlang, bog dann im rechten Winkel in den Berg und endete nach wenigen Metern in der eigentlichen Gruft. Sie war nur klein und enthielt einen unvollendet gebliebenen Sarkophag aus Sandstein, der leer aufgefunden wurde. Eine Inschrift besagte, daß er für die Königin Hatschepsut bestimmt gewesen war. Das Grab ist offenbar nie benutzt worden. Auch ihr zweites Grab, ganz in der Nähe der Gruft ihres Vaters im „Tal" gelegen, wurde von Carter entdeckt. Auch hier war der Sarkophag, der Hatschepsuts Namen trug, leer. Der Tempel selbst war im Winter 1927/28 das Ziel sorgfältiger Ausgrabungen, die der Ägyptologe Winlock im Auftrag des New Yorker Metropolitan-Museums in Der-el-Bahari vornahm. Der im Laufe der Jahrhunderte angehäufte Wüstensand wurde entfernt, die Reste der zahlreichen Säulenhallen wurden freigelegt. Im Boden der zweiten Terrasse fand Winlock in regelmäßigen Abständen vertrocknete Wurzelreste, die offenbar von jenen Myrrhenbäumen herrührten, mit denen Hatschepsut dem Gotte Amun „Das Land Punt bereitet hatte, groß genug, daß er sich darin ergehen konnte". In der Nähe des Tempels stieß Winlock auf einen Steinbruch, der wohl einst das Baumaterial für die Geburts- und Punthalle geliefert hatte. Dort fand er unter dem angehäuften Wüstensand zahllose Reste von Statuen der königlichen Bauherrin, prachtvollle Fragmente aus Kalkstein und Rosengranit. In mühevoller Arbeit konnten viele Bruchstücke wieder richtig aneinandergefügt werden, und so besitzen wir heute eine Reihe von Standbildern jener „ersten großen Frau, der wir in der menschlichen Geschichte begegnen". Sie gelangten nach New York, in das Museum von Kairo, zum Teil auch nach Deutschland. Ihr Granitbild, wie sie ein Gefäß als Opfer darbringt, wurde 1945 aus Berlin nach Rußland entführt, aber im Sommer 1958 zurückgegeben. So können wir uns heute eine gute Vorstellung von dem Aussehen der Königin machen, von ihrer schlanken Figur, von ihrem anmutigen, aber doch energischen schmalen Antlitz. Oder wir sehen sie als Sphinx mit Königsbart und mit Kopftuch, das über dem 31
ausdrucksvollen Gesieht in strenge Falten gelegt ist, während in einem anderen Sphinxkopf ein volles, fast kindliches Gesicht von den stilisierten Mähnenhaaren eines männlichen Löwen umgeben ist. Während dieser Ausgrabungen wurde auch Senmuts Grab entdeckt, und man fand an anderer Stelle seine Skelettreste und diejenigen seiner Familie. Von der Königin Hatschepsut selbst ist ein Kästchen zutage gekommen, in dem sich ein Teil ihrer Eingeweide befand. Ihre Mumie ist bisher noch nicht entdeckt worden. Wahrscheinlich ist ihr Leib der Rache ihres königlichen Nachfolgers zum Opfer gefallen. Stolz aber ragt noch heute der eine der beiden Obelisken im Tempel von Karnak wie eine Nadel in den blauen Himmel Ägyptens, nachdem er von der umgebenden Mauer befreit wurde, und kündet von der Macht und Größe der Königin Make-Re, der Pharaonin Hatschepsut, der „Tochter der Sonne".
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L u x - L e s e b o g e n 2 8 9 (Geschichte) H e f t p r e i s 2 5 P f g . >aiur- und kuharkutultlche Hette - tiesteiiungen (vierteljährl. 6 Hefte DM 1.50) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt — Alle früher erschienenen Lux-Lesebogen sind in jeder guten Buchhandlung vorrätig oder können dort nachbestellt werden — Druck: Buchdruckerei Auer, Donauwörth Verlag: Sebastian Lux, Murnau vor Mönchen