Horst Althaus
Hegel
und
Die heroischen Jahre
der Philosophie
Eine Biographie
Carl Hanser Verlag
ISBN 3-446-16...
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Horst Althaus
Hegel
und
Die heroischen Jahre
der Philosophie
Eine Biographie
Carl Hanser Verlag
ISBN 3-446-16556-8
Alle Rechte vorbehalten
© 1992 Carl Hanser Verlag München Wien
Satz: Friedrich Pustet, Regensburg
Druck und Bindung: Freiburger Graphische Betriebe, Freiburg Printed in Germany
Inhalt Einleitung 11
Erstes Kapitel
Herkunft
23
Zweites Kapitel
Im Tübinger Stift
36
Drittes Kapitel
Zwischen Monarchie und Republik
46
Viertes Kapitel
Hofmeisterjahre 51 Fünftes
Kapitel
SchellingsLehrling 59 Sechstes Kapitel
Das Älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus
66
Siebentes Kapitel
Jena gegen Tübingen
70
Achtes Kapitel
Hölderlin
77
Neuntes Kapitel
Schelling
82
Zehntes Kapitel
Zwischen Bern und Frankfurt
92
Elftes Kapitel
Theologische Schriften
98
Zwölftes Kapitel
Nachträge zur philosophischen Theologie
108
Dreizehntes Kapitel
Die Stuttgarter Freundin
114
Vierzehntes Kapitel
Hegels Abschied von Frankfurt
120
Fünfzehntes Kapitel
Frankfurter Studien 124 Sechzehntes Kapitel
Der Privatdozent 139 Siebzehntes Kapitel
Bürgerliche Verhältnisse 170 Achtzehntes Kapitel
Differenz mit Schelling 183 Neunzehntes Kapitel
Phänomenologie des Geistes 191
Zwanzigstes Kapitel
Als Journalist in Bamberg
219
Einundzwanzigstes Kapitel
Ankündigung der Wende 232 Zweiundzwanzigstes Kapitel
Im Nürnberger Schulamt 239 Dreiundzwanzigstes Kapitel
Die Ungeheuerlichkeit der Vernunft:
Wissenschaft der Logik
261
Vierundzwanzigstes Kapitel
Die Heidelberger Professur 281 Fünfundzwanzigstes Kapitel
Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften
291
Sechsundzwanzigstes Kapitel
Friedrich Heinrich Jacobi 298 Siebenundzwanzigstes Kapitel
Feudalismus oder Monarchie 305 Achtundzwanzigstes Kapitel
Von Baden nach Preußen 311
Neunundzwanzigstes Kapitel
Der preußische Staatsphilosoph 328
Dreißigstes Kapitel
Rechtsphilosophie
353
Einunddreißigstes Kapitel
Der unerkannte Gegenspieler
368
Zweiunddreißigstes Kapitel
Philosophie der Geschichte
376
Dreiunddreißigstes Kapitel
Die niederländische Reise
402
Vierunddreißigstes Kapitel
Ästhetik
408
Fünfunddreißigstes Kapitel
Die Reise ins Habsburgische
434
Sechsunddreißigstes Kapitel
Geschichte der Philosophie
442
Siebenunddreißigstes Kapitel
Die Reise nach Frankreich. Besuch in Weimar
477
Achtunddreißigstes Kapitel
Naturphilosophie
488
Neununddreißigstes Kapitel
Im Schatten: Das Ende von Ludwig Fischers
trauriger Geschichte
512
Vierzigstes Kapitel
Philosophie der Religion
5J9
Einundvierzigstes Kapitel
Ein politisches Wort letzter Hand:
Über die englische Reform Bill
545 Zweiundvierzigstes Kapitel
Der philosophische Absolutissimus
558
Dreiundvierzigstes Kapitel
Das Ende
576
Vierundvierzigstes Kapitel
Hegel und Hegelianisches
582
Bibliographie
617
Namenregister
641
Einleitung
Der Anteil Hegels an den in unserer Zeit geläufigen Denkvorstellungen ist auch da, wo er nicht eingestanden ist, gewaltig und unübersehbar. Ohne die Hegelsche Phi losophie und ihre Nachwirkungen wäre der weitere Ab lauf der Geschichte ein anderer gewesen. Aber mit den Nachwirkungen ist das Hegelsche Denken aus seiner ursprünglichen Umlaufbahn herausgelangt, es hat in ihnen Umgestaltungen erfahren, die einerseits über Hegel hinausführten, andererseits hinter Hegel zurück blieben, sich jedoch hier wie dort von seinem Kern niemals haben lösen können. Es stellt sich darum heute aus der Rückschau, nach mehr als hundertfünfzig Jahren seit seinem Tode und dringlicher als zu jeder anderen Zeit, die Frage: Lassen sich die Nachwirkungen der Hegelschen Philosophie ver stehen, ohne auf Hegel selbst zurückzugehen, sie bis auf ihren Ausgang zurückzuverfolgen? Eindringen in Hegels Denken bedeutet immer auch Ansetzen bei den Lebensvorgängen, in denen sich dieses Denken entwickelt und organisiert hat. Die Einheit von Sein und Denken gehört zu den großen Einsichten, die Hegel philosophisch zur Geltung gelangen läßt. Sie ist bei ihm ein aller Sprache vorausgehendes Erstes, das, was »gesetzt« ist, was seinen »objektiven Idealismus« von Kants »subjektivem« unterscheidet. Denken kennt in die ser »Setzung« keinen Ruhepunkt. In der unaufhörlichen Bewegung, in der es sich befindet, gibt es keinen Einlei tungsparagraphen und kein Schlußresümee, dafür im mer neues Setzen und Verwandlung des Gesetzten, das als »Begriff« auf die Fahrt ins Ungewisse geschickt wird. Das bedeutet zugleich Eintreten in ein großes Laby rinth, in das, wie es der Streit um Hegel gezeigt hat und unaufhörlich zeigt, die Hegeldeutung nicht immer hinrei chend Licht gebracht hat. Was »Hegelsche Philosophie« ist, hat sich nie ohne weiteres bestimmen lassen, es muß 11
sich immer erst aufs neue herausstellen. Man braucht hier nicht an den Streit der hegelschen Schulen zu denken, in denen sich der Zerfall des »Systems« bereits kurz nach seinem Tode abzeichnete, ohne daß die »Methode« da von betroffen worden wäre, weil zu ihr die antidogmati sche Anwendung gehört. Die Hegelsche »Methode« ist die Methode des großen Gegners jeglichen Dogmatis mus. Es gilt hier und kann immer nur gelten, auf dem Wege zu Hegel zu sein: ohne die Sicherheit des Erreichens. Wohl gibt es gewisse Erleichterungen für den Zugang, nämlich durch die aus Hegels Leben und seiner Lebens geschichte herausgewachsenen Vorstellungen, die er auf ihren »Begriff« zurückführt. Hegels Philosophie ist dabei keine »Lebensphilosophie« wie die seines späteren Gegen spielers Schopenhauer, aber sie hat in ihren »Abstraktio nen« doch Lebendiges, Organisches, aus der biographi schen Erfahrung Gewonnenes hereingenommen. Hegels Denken geht aus seiner Natur hervor, es ist ein Denken »von den Anfängen her«, wie bei den griechischen Natur philosophen, wie bei Descartes, Kant, Fichte; es ist mit dem »Sein« wie mit dem »Nichts« vertraut, es ringt sich aus der Anlage zur Zerspaltenheit zum »Ganzen« durch, in das wie auf dem Höhepunkt einer Bewegung tiefe Risse geschlagen werden und wo die »Idee«, etwa in den histori schen Religionen, ihre »Entfremdung« erfährt. Diesem Dissonieren steht natürlich das große Harmonieregister der Griechen gegenüber, die Hegel über alle stellt und denen in der nachgeborenen Gestalt Goethes zu begegnen er als besonderes Glück und auch als Anstoß zu seiner Erweckung für das Phänomen der Kunst empfunden hat. Und dann die große politische Tätergestalt, der er als Zeitgenosse in Napoleon begegnet, dessen Aufstieg er mit Bewunderung beiwohnt und an dem, als er ihn unterge hen sieht, sich für ihn die Logik der Geschichte ihr Bei spiel ausgesucht hat. Hier war jemand aus der Asche der Revolution aufgestiegen und dann, nachdem er im Na men des »Weltgeistes« das zu verrichtende Erneuerungs werk vollbracht hat, aus der Geschichte abgetreten. An 12
Napoleon hatte der »Weltgeist« ein Exempel dafür statu iert, wie das Vorrücken der Geschichte unerläßlich an die »Leidenschaften« gebunden ist; sie sind in ihrer ganzen Blindheit so notwendig, um sie in Gang zu setzen, wie die Opfer, die für ihr Fortschreiten auf der »Schlachtbank der Geschichte« entrichtet werden müssen: unabhängig von der Moral, die über die im Namen der historischen Notwendigkeit begangenen Verbrechen ihren Gerichts tag abhält. Hier kommen wir bis dicht vor den Knotenpunkt für Auseinanderstrebendes, hier begegnen sich die heute vor herrschenden Haupttendenzen des Hegelverständnisses: Hegel in seiner authentischen Form verstehen zu wollen, sein Denken an der historisch-kritisch ausgefilterten Textgestalt zu demonstrieren, die aus den verschiedenen Federn stammenden Nachschriften seiner Vorlesungen auf ihre Nähe zu Hegels Vortrag hin zu befragen, Hegels Philosophie aus sich und von ihren eigenen Voraussetzun gen her zu deuten, sie mit sich selbst enden zu lassen; oder Hegel als den Gipfel der idealistischen Dialektik zu sehen, die sich in ihm überschlägt und als »auf den Kopf gestell tes« Denken die notwendige Voraussetzung dafür ist, im dialektischen Materialismus »auf die Füße gestellt« zu werden. Damit allein ist Hegel natürlich nicht Genüge getan. Hegel wurde und wird bis heute für die verschiedensten Thesen in Anspruch genommen. Es gibt einen revolutio nären Hegel, den Napoleon-Anhänger, den Anwalt so wohl der absoluten wie der aufgeklärten als auch der konstitutionellen Monarchie, es gibt den Mann des absolut gesetzten Staats, und zwar des Preußens nicht mehr der Reform, sondern der Restauration, aber einer solchen mit liberalen Zwischentönen. Es gibt einen Hegel der Krone, deren Gewalt er durch die völlige Zerschlagung des Feu dalismus gestärkt sehen möchte, es gibt einen Freund der Stände, der später ihr erbitterter Gegner sein wird. Es gibt einen Hegel des Volkes. Der Theologe Hegel ist zugleich Antitheologe. Als württembergischer Lutheraner wagt er den Weg in die spinozistische Lehre von der Einen Sub 13
stanz, die Pantheismus und zugleich Atheismus ist, und entdeckt in der Logik wie in der Natur die Dreieinigkeit als triadisch-genetisches Entwicklungsprinzip des Geistes. Der Feind des Christentums in seiner katholisch-mittelal terlichen Form, das in der Hostie den Geist denunziert und mit der Feudalgewalt im Bunde steht, bleibt immer in Betracht zu ziehen auch wegen der aristotelisch-thomisti schen Elemente in seiner Logik. Wohin man sieht: die Sache ist die Sache selbst und ihr Widerspruch. Die Logik des Seins liegt immer auch in ihrer Abstrusität. So ergibt sich der im Hegeischen Den ken angelegte Widerspruch aus dem Widerspruch, den das Sein in sich hat. Nichts wäre, wenn es nicht den Widerspruch gäbe. Mit der Lehre vom Widerspruch, die Hegel in seiner Wissenschaft der Logik von Grund auf entwickelt und die das Kernstück seiner Dialektik bildet, hat er jenen Ein spruchskräften den Boden entzogen, die sein Denken widerlegbar machen. Die Dialektik geht als »Negation« aus dem Dampf der Anfechtungen ohne Schaden hervor. Aber auch das bleibt wie jedes Reden über Hegels Denken ein Reden in der Verkürzung, denn es reicht kein Reden über Hegels Denken an ebendieses Denken heran. Es enthält immer nur den Versuch des Nach-denkens dessen, was bei Hegel schon vor-gedacht ist, ohne daß dieser Versuch je voll zum Ziel führen könnte. Hegel hat zu seiner Zeit die aus der Antike überkommenen Fragen einer über Jahrtausende hinweg perennierenden Philoso phie nach Materie, Geist, Seele, nach Stoff, Form und Inhalt und ihrer Beziehung zueinander aufgeworfen, und selbst wenn er keine befriedigende Lösung fand, so bestätigte sein Denken noch als ein zu »überwindendes« Denken seine Unerläßlichkeit im Fortschreiten der Ge schichte. Im »Weltgeist« hat Hegel schließlich eine zweite Instanz neben dem ins »Absolute« verwandelten Einen Gott geschaffen, die nach eigenem Gutdünken befindet, die trägt, beflügelt, Widerstände beiseite räumt, der sich nichts entgegenstellen kann, die aber auch die Wendung einleitet und zu Fall und Untergang führt. Und hier 14
Übereinkünfte mit wie auch Trennendes von der »Welt seele« kennt! Ist der Abstand eines deutenden Hegelverständnisses zu Hegel selbst unüberwindbar, so läßt sich die Frage nach dem authentischen Hegel nicht abweisen. Sie bleibt immer akut. In ihr jedenfalls vereinigen sich die gegeneinander und auseinanderstrebenden Meinungen über Hegel. Sie führt zur Grundlage, zu Hegel selbst, in dessen Leben von den Voraussetzungen seiner Zeit, des geographisch-politi schen Raumes, der geschichtlichen Welt her im Einklang mit seiner Philosophie Denken und Sein zusammenfallen. Hegel ist Aufklärer, einer der größten innerhalb der europäischen Bewegung unter diesem Namen, und ebenso ist er von der Rätselhaftigkeit einer Sphinx. Un deutbares, Nichtaufzuschlüsselndes bleiben zurück. Das wäre bis in die Tiefen der Gespaltenheit seiner Natur zurückzuverfolgen, für die auch der lebende Hegel im mer wieder Zeugnisse gibt und die in seinem Denken durchschlägt, hier mächtig wird und den fortwährenden Wechsel von »Vereinigung« und »Entzweiung« hervor bringt. Die Geschichte von Hegels Denken ist also immer aufs engste mit der Geschichte seines Lebens verbunden. Aber will man hier eine aufstrebende Linie im Sinne einer fortschreitenden Entwicklung erkennen, gilt es sich vor zusehen. Denn eine solche Linie gibt es nicht. Als philoso phischer Schriftsteller hat Hegel nach der Phänomenologie des Geistes seinen Höhepunkt in der großen Logik erreicht. Die Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften in ihrer ersten Auflage bedeutet immer auch Anwendung von System und Methode für den akademischen Unterricht. Aber man wird nicht sagen können, daß die zweite und die dritte Auflage der Enzyklopädie ausschließlich Verbesse rungen gegenüber der vorausgehenden darstellen. Das gilt auch für seine Vorlesungen. Hegel beginnt 1816 in Heidelberg damit, seine Enzyklopädie und seine Geschichte der Philosophie vorzutragen. Von nun an zieht er mit den Vorlesungen über Ästhetik, Geschichte der Religion, der Natur- und Rechtsphilosophie, der Philosophie der Ge 15
schichte bis zum Tode unentwegt seine Bahn. Er setzt im Stoff fort, bekräftigt, korrigiert aber auch, spitzt zu und nimmt zurück, er verschärft und schwächt ab. Angesichts des vollen Zusammenwirkens von »System« und »Me thode« geht jede Vorstellung von einer durchgängigen Entwicklung fehl. Seine staatspolitischen Überzeugungen hat Hegel zwischen Französischer Revolution, Aufstieg Napoleons, Untergang des alten »Reichs«, dem Sturz Napoleons, dem Preußen der Reformen und der Restau ration bis zur englischen Reform Bill von 1831 bei gleich zeitigem Durchhalten bestimmter Grundüberzeugungen mehrere Male geändert. Unverkennbar bleibt seine sich steigernde Anlehnung an den politischen Konservatis mus, die ihn zum philosophischen Geschäftsführer des legitimistischen preußischen Staatsdenkens überhaupt machte, und daneben jene unheimliche Untergründig keit, die die Legitimisten später veranlaßt, Hegel des »Hochverrats« an jenem von ihnen immer mitgemeinten Bund von Monarchie und Christentum zu bezichtigen. Hegel hatte die Sache des Konservatismus und die der mit ihm verbündeten Religion befestigt und, wenn man alles zusammennahm, beides durch ihr Befragen schon ins Wanken gebracht. Nach dem »Alleszermalmer« Kant, der der Metaphysik das Vertrauen entzogen hatte, hat Hegel, der sie zusam men mit Schelling wieder in ihre Rechte einsetzte, sozusa gen unter dem Mantel dieser rehabilitierten Metaphysik und also mit ihrer Hilfe den historischen Ansprüchen von Christentum und Monarchie als fest institutionalisierten Gewalten seiner Zeit die alte Sicherheit endgültig genom men. Seit Hegel ist gegen allen möglichen Anschein das Bewußtsein ihrer Unangefochtenheit unwiederbringlich dahin. Durch die Vorstellung der Identität von Sein und Nichtsein im Werden als einem der Hauptsätze seiner Logik hat der Zweifel darin seinen Einzug gehalten. Eine Religion, die darauf angewiesen ist, »philosophisch« ge rechtfertigt zu werden, hat schon vieles von ihrer urtüm lichen Kraft der Anfänge verloren, eine Bewegung oder ein politischer Täter, auf dem Höhepunkt ihrer Wirksam 16
keit oder ihrer Macht angelangt, wissen gar nicht, wie schlecht es in Wahrheit um ihre Sache bestellt ist. Wo Hegel festigt, bereitet sich - in längeren Zeiträumen ge dacht - bereits der Einsturz vor. Wo Hegel stürzen läßt, hilft er den Aufstieg anzubahnen. In richtiger Einschät zung der »Methode« haben die dialektischen Materiali sten ihre Hoffnungen nicht an Kants Vernunftsethik, an die jakobinische Menschenrechtslehre Fichtes oder an den revolutionären Impetus des jungen Schelling ge knüpft, sondern allein an den Kronanwalt der restaurier ten Monarchie im nachnapoleonischen Preußen. In der »Methode« sind immer auch die unerläßlichen theoreti schen Mittel bereitgestellt, herrschende Systeme außer Kraft zu denken. Aber für Hegel läßt die »Weltge schichte« als »der Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit« bloß ein zeitweiliges Atemholen zu, das Ausruhen ist ein scheinbares. In Wirklichkeit ist es ein Sammeln der Kräfte für einen neuen Aufbruch zum prozessierenden Vorrük ken des »Weltgeistes«, nicht Vorbereitung zum Eintreten in ein Endstadium der Geschichte. Als immer mitwirkend beim Versuch, Hegelschem Denken Verständnis abzugewinnen, hat der historische Hintergrund zu gelten, auf dem es ebenso wie das gelebte Leben erfolgt- im Sinne der von Hegel selbst postulierten Identität von Denken und Sein. In diesem Zusammen hang können die biographischen Tatsachen nicht ausge lassen werden, spielen sie eine konstituierende Rolle für den Aufbau des Systems wie das Verfahren der Methode. Von solcher Einsicht war bereits Karl Rosenkranz als Verfasser der ersten Hegel-Biographie geleitet, der noch als Schüler Hegels dem engeren Freundeskreis um ihn angehört hatte. Diese persönliche Nähe bot naturgemäß große Vorteile für die Kenntnis von zu Lebzeiten Hegels miterfahrenen Ereignissen; was dagegen weiter zurück liegt, war dem Auge des Berichterstatters weitgehend entzogen, so daß hier seine Zuverlässigkeit nachläßt. Für seine Arbeit an der Lebensdarstellung hat er sich den Nachlaß nach und nach ins abgelegene Königsberg her überschaffen lassen. Von vielen Interna, etwa denen, an 17
deren Bekanntwerden Hegel selbst kein Interesse haben konnte, weiß Rosenkranz natürlich nichts, jedenfalls nicht viel zu berichten. Auch die Hegeischen Korrespondenzen liegen über weite Zeiträume außerhalb seines Gesichts kreises. Besondere Bedeutung gibt dem Buch die staats konservative Linie seiner Anschauungen als preußischer Professor auf dem Lehrstuhl Kants und Herbarts, die denjenigen des späten Hegel ins Moderate abgewandelt entsprachen. Anders Rudolf Haym in Hegel und seine Zeit. Mit seinem Namen verbinden sich Erwartungen des politischen Kon stitutionalismus an die Philosophie. Seine Tendenzen, die zu ihrer Zeit schon als die eines Altliberalen empfunden wurden, konnten zwangsläufig nicht aus dem Hegeischen System hervorgehen, das ja mit dem politischen Liberalis mus sehr ungnädig verfahren war, sie zeigten indessen den Weg eines dem demokratischen Bürgertum sich ver bunden fühlenden Schriftstellers auf, der in der Frank furter Nationalversammlung der Mitte angehörte, als He gel-Biograph ausdrücklich auf Rosenkranz aufbaut und ihn durch die ihm von Hegels Söhnen zur Verfügung gestellten, oft schwer entzifferbaren Manuskripte mit zu sätzlichen Kenntnissen ergänzt. An die Ankündigung des Vorworts, daß es sich »nicht um eine panegyrische Dar stellung des Lebens und der Lehre« Hegels handelt, hat er sich strikt gehalten und durch den insbesondere gegen dessen Rechtsphilosophie erhobenen Vorwurf, die »wis senschaftlich formulierte Rechtfertigung des Karlsbader Polizeisystems« zu sein, die Vorstellung von Hegel als Protagonisten des politischen Rückschritts und der Staats vergötterung stützen helfen, was heftige Repliken von Rosenkranz und auch der Hegelschen Familie auslöste. Kuno Fischers zweibändiges Werk ist das eines Rechts hegelianers der zweiten Generation. Zugleich ist es auf dem Boden viel breiter ausgeführter lebensgeschichtli cher Befunde ein Beispiel für eine ins Positivistische hin einreichende Vorurteilslosigkeit des Philosophiehistori kers, der seine Arbeit in die Reihe ähnlich angelegter Bücher über Spinoza, Descartes, Kant, Schelling, Scho 18
penhauer einfügt. Und es ist das Werk eines Mitbeherr schers der Universitätsszene des Heidelbergs nach der Reichsgründung, das seinen Rang als geschlossenste, die Fakten nach dem damaligen Kenntnisstand zuverlässig berichtende Hegel-Biographie nicht eingebüßt hat, auf die keine nachfolgende verzichten kann, auch wenn die seitdem hinzugekommenen Einzelbeiträge zu den ver schiedenen Lebensabschnitten Hegels längst über sie hin ausgelangt sind. An Wilhelm Diltheys Arbeit über Die Jugendjahre Hegels hat die durch seinen Verfasser entscheidend mitbegrün dete geistesgeschichtliche Richtung großen methodischen Anteil, wobei die Schleiermacherschen Vorstellungen von der »Psychologie« und in der Weiterführung Hegels ne ben »Religion« und »Kunst« die »Weltanschauung« ihre Rollen zugewiesen bekommen. Der lange anhaltende Sie geszug der Dilthey-Schule in den geisteswissenschaftli chen Disziplinen insbesondere an den deutschen Univer sitäten, der auch in Herman Nohls Herausgeberschaft von Hegels Berner und Frankfurter Manuskripten wahr nehmbar ist, kann zugleich als ein Beweis dafür angese hen werden, daß die Hegelsche Naturphilosophie durch die jedenfalls für Deutschland geltende fast völlige Unter drückung des Darwinismus als wissenschaftliche Biologie, für die sie hätte interessant sein können, weitgehend um ihre Wirkung gebracht wurde. Theodor Haerings Hegel — Sein Wollen und Werk ist ein dem Idealismus in seiner irrationalen Auslegung naheste hendes Werk, durch die dem dokumentarischen Material, so wie es damals vorlag, verpflichtete Arbeitsweise mehr monographischen als biographischen Charakters. Es ist eine Entwicklungsgeschichte Hegels, die sein Autor mit der Phänomenologie des Geistes abbrechen läßt und dies damit begründet, daß hier und mit der auf ihr fußenden Wissenschaft der Logik Hegel eigentlich schon abgeschlos sen ist - eine Meinung, der Heidegger nicht ganz fern steht. Gegenüber den vorwärtsweisenden, aus der Aufklä rung herüberreichenden Perspektiven in Hegels Denken mit ihren Wirkungen im 19. und 20. Jahrhundert behaup 19
tet sich bei Haering der Hang, in die tiefen labyrinthi schen Gänge der theologischen und naturmystischen Spe kulation einzudringen und von der württembergischen Geistesgeschichte her Hegel praktisch an Schelling heran zurücken. Hermann Glockners biographischer Hegel-Beitrag in der Stuttgarter Jubiläums-Ausgabe hat die sehr verbrei tete Vorstellung von einer Kant, Fichte, Hegel, Schelling einschließenden deutschen Philosophie kultiviert, die zweifellos ihr Recht hat, die aber leicht dem Mißverständ nis von einer irgendwie stillschweigend vorauszusetzen den oder daraus zu folgernden inneren Einheitlichkeit Vorschub leistet und dadurch brüskiert wird, daß Hegel von der idealistischen Linie Kants (und auch Fichtes) aus die schärfste Kritik Kants geleistet hat, die überhaupt geleistet worden ist und werden kann. Arsenij Gulyga - gleichzeitig Biograph Kants und Schellings — hat mit seiner Hegel-Biographie zum einen an die Unerläßlichkeit der aus idealistischem Denken heraus entwickelten »Vorgeschichte« der Aufhebung des Idealismus erinnert, er hat zum anderen den Ausgang der Hegeischen Dialektik beim frühen Schelling als dem Ur heber einer gemeinsamen Methode gesehen und unter Berücksichtigung des kulturgeschichtlichen Fortschrei tens seiner Darstellung einen marxistischen Annex beige geben, der Hegel selbst eine Vorbereiterrolle durch die dialektische Notwendigkeit einräumt, und zwar im Ein vernehmen mit Hegels Verständnis der »Weltgeschichte«, die ein »Umsonst« nicht kennt. Eintreten in den Prozeß des Hegeischen Denkens, so unzulänglich es im einzelnen auch gelingen mag, bedeutet immer, sich auf den Weg durch die graue Karstlandschaft des Seins zu machen. Es ist ein Weg, auf dem mit der »negativen Dialektik« (Adorno) als Mittel ein ins Unend liche hinein erfolgendes »objektiviertes Subjektwerden« mit dem Zusammenfall von »Subjekt-Objekt« als Ziel, und zwar als »Zusichselbstkommen« des »Geistes« im »absolu ten Geist«, stattfindet; eine Spekulation unerhörten Aus maßes, aber von Hegel sehr wohl aus den Verhältnissen 20
des eigenen Lebens heraus entwickelt: es sei denn, man will Denken aus dem Zusammenhang des Lebens über haupt herauslösen und zu einer Angelegenheit von To tem für Totes machen. Die Versuche zur Erfassung von Hegels Denken im Zusammenhang mit seiner Lebensgeschichte, die Abhän gigkeit wie die Unabhängigkeit von ihr, sind über einzelne biographische Abrisse hinausgehend gefördert worden durch Beiträge vorwiegend monographischen Charakters zur Stuttgarter, Tübinger, Berner, Frankfurter, Jenenser, Bamberger, Nürnberger, Heidelberger, Berliner Zeit, des weiteren die Materialienbände und ihre Ergänzung durch die Briefedition von Johannes Hoffmeister, Friedhelm Nicolin und Rolf Flechsig und die der zeitgenössischen Berichte über Hegel von Günther Nicolin. Hier ist wie bei der Fortführung der Werkeditionen noch alles in Bewe gung, ein Ende — Hegelschem Denken gemäß — außerhalb jeder Erwägung. Das alles liegt außerhalb des Hegeischen Denkens in seinem Vollziehen. Und solches Denken läßt sich nur bei Hegel selbst mitvollziehen.
21
22
Erstes Kapitel
Herkunft
Als Hegel am 27. August 1770 in Stuttgart geboren wurde, hatte bereits die Landschaft, in der das geschah, kräftig an seinem künftigen Charakterbild mitgewirkt. Hegel ist Württemberger und hat sich — auch noch als späterer preußischer Beamter - als Württemberger ge fühlt. Der Familienüberlieferung nach sind die Hegels Nach kommen von Einwanderern aus der Steiermark oder Kärnten, die um die Mitte des 16.Jahrhunderts als ver folgte Protestanten in Württemberg Schutz suchten und fanden, darunter ein Johann Hegel, von Beruf Kannegie ßer, der sich in Großbottwar niederließ und es noch zum Bürgermeister dieses Städtchens im jetzigen Neckarkreis brachte. Er gilt als der Stammvater mit zahlreicher in Württemberg verbreiteter Nachkommenschaft, so der Pa stor Hegel, von dem Schiller getauft wurde, so auch Hegels Vater Georg Ludwig, herzoglicher Rentkammer sekretär und späterer Expeditionsrat. Hegels Großvater war Oberamtmann in Altensteig im Schwarzwald gewe sen, Hegels Mutter Maria Magdalena entstammte einer seit dem 17. Jahrhundert in Stuttgart ansässigen Familie, aus der Theologen, Juristen, Beamte hervorgegangen waren und die über den mütterlichen Zweig auf Johannes Brenz, den Reformator Württembergs, zurückging. In Württemberg während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts geboren zu werden bedeutete für einen jungen Mann mit der Herkunft und den Interessen He gels eine hervorstechende Gunst. Württemberg hatte ne ben Sachsen und den sächsisch-thüringischen Landesfür stentümern im »Reich« das am weitesten entwickelte Schulsystem. Preußen hinkte damals noch hinterher; als kärglich besoldete Volksschullehrer standen ihm lediglich ausgediente Soldaten und Kriegsinvaliden ausreichend zur Verfügung. Die klassischen Schullandschaften aber sind Sachsen 23
und Württemberg. Über Meißen, Grimma und Schul pforta zieht sich Sachsen seine Beamten heran, vornehm lich aber Theologen und Gymnasiallehrer, auf die es im Staat eigentlich ankommt, Philologen, die, nachdem sie ihren Homer gelesen haben und einen schönen lateini schen Stil schreiben können, mit dem Gefühl scheiden, hinfort für jedes Amt gerüstet zu sein. Voll ausgebildet ist schon ein Stipendiatensystem mit zwei Hauptkriterien für die Auslese, die den »Christenmenschen«, seinen Glauben und Wandel betreffen sowie dessen Fertigkeit in der Grammatik der alten Sprachen. Herrscht hier Ordnung, läßt sich über alles andere reden. Als Württemberger sind die Schwaben zu Hegels Zeiten der einzige auf einem geschlossenen staatlichen Territo rium lebende protestantische deutsche Volksteil südlich der Mainlinie, und dies seit 1565, jenem Jahr, in dem nach langen konfessionellen Kämpfen, aber dann unwiderruf lich, der Landtag das Augsburgische Bekenntnis zur allei nigen Landesreligion erklärt hatte. Damit unterscheiden sie sich von den Schwaben des alten Habsburgischen Besitzes, einem merkwürdigen Gebilde von Herrschaften, die zum Teil, unzusammenhängend, wie sie waren, nie zu einer politischen und kulturellen Einheit gefunden hat ten. »Osterreichisch-Schwaben« ist zusammen mit Vorarl berg und dem Breisgau Vorderösterreich zugehörig und bis 1752 von Innsbruck, später von Freiburg aus regiert worden. Diese Region mit ihren mittleren und kleineren Flächenterritorien an der oberen Donau und im Norden zählt zu den Nebenländern der Habsburgischen Krone, sie kennt daneben freie Städte und reichsunmittelbare Ritterschaften. Aber unter Karl Eugen beginnt man, Schwaben mehr und mehr mit Württemberg gleichzuset zen, weil das Herzogtum mit seinen etwa 500000 Ein wohnern als straff zusammengehaltener Staat dieser Zer splitterung der außerhalb seiner Grenzen liegenden schwäbischen Siedlungsgebiete und ihrer vorwiegend ka tholischen Bevölkerung neben simultanen (Biberach) und Diaspora-Gebieten mächtig hervortreten läßt. Dort das absolutistische Regiment eines Souveräns des 18. Jahr 24
hunderts mit Teilnahme an der Aufklärung und mit zentralistischer, pragmatischer, säkularisierter Verwal tung, hier Altertümlichkeit des «Reichs« mit starken feu dalen Resten, die dem Staat der omnipotenten Monarchie zähen Widerstand entgegensetzen. Was »Staat«, »Monar chie« und »Feudalismus« als historische und politische Gewalten bedeuten, war in Schwaben, wo sie nebeneinan der bestehen und sowohl miteinander als auch gegenein ander auftreten, an der Quelle in Erfahrung zu bringen. Dazu kam in Württemberg eine Landeskirche, die über alle Regierungswechsel hinweg seit der Reformation ih ren Einfluß ungeschmälert beibehielt und das Leben des Untertans mitunter von der Geburt bis zum Tode sehr genau kontrollierte. Nichts zu übereilen ist in Schwaben ein Grundsatz mit Vorrang. Gut Ding will Weile haben. Man muß erst in die Jahre kommen, ins »Schwabenalter«, das mit vierzig be ginnt, bevor man klug wird. Der Gedanke braucht hier eine längere Durchlaufzeit, um zur Reife zu gelangen. Aber er hat dann oft Unerwartetes im Gefolge. Einen Ausweg auf einfallsreiche Weise schaffen, das ist gute schwäbische Art, die freilich auch die Umkehrung in die Groteske des aller Vernünftigkeit spottenden »Schwa benstreichs« kennt. Man darf sich hier vielleicht getrost der Charakterisie rung anvertrauen, die Friedrich Theodor Vischer in sei ner Streitschrift Dr. Strauß und die Württemberger gibt, für die er durch seine Herkunft aus dem innersten Kern des Stammes unbestreitbare Kompetenz mitbringt, wenn er sie als die »Norddeutschen des Südens« sieht, und zwar ihrer Konfession wegen. Das galt wohlgemerkt nur für das Herzogtum, und es galt auch nach Vischer nur mit Einschränkung; denn was der »Norddeutsche« bei ihnen findet und nicht als Eigenes besitzt, ist »das süddeutsche Behagen, das gesunde Phlegma, die frische Genußfähig keit, das Konkrete und Kompresse einer fest in sich zu sammengehaltenen Gemütswelt; er wird die wesentlich sten Elemente des Mittelalters hier finden; wie wird er sich aber täuschen, wenn er darum meint, ein Naturvolk voll 25
heiterer Illusionen über die wichtigsten Angelegenheiten des menschlichen Geistes zu treffen! In diesem weichen, scheinbar behaglichen Elemente wird er auf die skrupulö seste Dialektik, auf die tiefsten Zweifel, auf das weiteste Interesse an den spitzigsten Fragen moderner Bildung, auf eine melancholische Entsagung, er wird auf so viel Hamlet und Faust stoßen, daß seine etwaige Lust, sich zu der erwarteten Naivität ironisch zu verhalten, sich selbst als Naivität könnte zu stehen kommen.« Vischer nimmt damit eine vermittelnde Stellung in der von Theodor Storm und Eduard Mörike geführten Nord-Süd-Debatte teil, wie sie angesichts des Aufstiegs Preußens als politi scher Kraft des deutschen Nordens während der 6oer und 70er Jahre des 19.Jahrhunderts die Korrespondenz zweier unmittelbar durch ihre Landschaftsdichtung darin verwickelte Autoren bestimmt. Und Vischer hat auch eine Erklärung dafür: »Württemberg nahm die Reformation mit einem Eifer, einer Entschiedenheit auf wie kein süd deutscher Staat. Die Religion, die Konfession ist eine Probe des Menschen, sie geht bis in die Fußspitze ... Man kann sagen, das Naturell des in unseren Gegenden ange siedelten Volksstammes hat eine besondere Empfänglich keit für dieses weltgeschichtliche Prinzip in sich getra gen ...« Das waren nicht nur Urteile eines bedeutenden Hegelianers, der Vischer war, sondern gehört schon fast zur Einführung in die Hegeische Philosophie. Weiter hören wir: »auf der einen Seite poetischer Tief sinn, auf der anderen die Kraft und Kühnheit des Zweifels, der Kritik«. - »Der Schwabe ist lebhaft und flink wie alle Weintrinker«, zu denen der »Norddeutsche« nicht ge hört, und er ist »phlegmatisch«. Vischer warnt ausdrück lich davor, das »Simplizissimusartige in uns« für bare Münze zu nehmen. Ein solcher Eindruck des historischen Schwaben, von dem bei Vischer die Rede ist, täuscht, er ist mit dem faustisch-hamletischen Zwiespalt seiner »Doppel natur« nicht in Einklang zu bringen: »Es ist etwas Nach denkliches, Skrupulöses, Sorgenvolles, ja Tristes, was den Schwaben auch in seinen Zerstreuungen verfolgt.« Der Ton, mit dem sich Vischer zugleich auf die Seite der 26
Kritiker Schwaben-Württembergs, des Herzogtums ins besondere, auf das es ihm vor allem ankam, schlägt, liegt woanders. Er hat eine höchst biographische Ursache. Was Schiller, Hegel, Schelling (und für Vischer auch David Friedrich Strauß) wurden, sind sie nicht durch Württem berg geworden: »Schwaben hat es freilich von jeher ge liebt, seine edelsten Kinder zu verleugnen. Es hat Schiller erzeugt und fortgeschickt, es hat Schelling und Hegel erzeugt und fortgeschickt.« Alle mit diesem Land und seinen Bewohnern angestellten Rechnungen gehen nicht auf: »Will man den Sinn des Württembergers in ein kurzes Wort zusammenfassen: es ist, was der unlösbare Wider spruch scheint, das Moment der Reflexion in sich, des freien und kritischen Selbstbewußtseins in der Form der Naivität.« Es bleibt zu fragen: War diese auf eine hegelsche For mel gebrachte Charakterisierung des »Württembergers« aus der Hegeischen Philosophie, oder war die Hegelsche Philosophie aus seinem Württembergertum, wie Vischer es sieht, abgeleitet? Aber das sind alles nur provisorische Wahrheiten, die von der Wirklichkeit immer wieder überholt werden. Schiller hatte das »Schwabenalter« noch längst nicht er reicht, als er die Räuber schrieb, und eine Anstrengung, zum sprachlichen Stil zu finden, läßt sich bei ihm nicht bemerken. Auch Hölderlin, ein anderer Wortgewaltiger, bleibt in der Erinnerung als jugendlicher »Hellene« zu rück, die selbst das Alter mit seiner Tristesse nicht auslö schen kann. Beide, soweit sie auch auseinanderliegen, sind zugleich immer Prediger, sie haben Botschaften zu verkünden. Der Prediger, der in ihnen steckt, wirft sie selbst in ihren Höhenflügen wieder auf ihre Landschaft zurück, aus der sie herausgewachsen sind. Denn der Prediger ist im Würt tembergischen unangefochtener Archetypus von Stadt und Land: als Mann der Kanzel und des Talars, der Schrift und der Schriftauslegung. Das eine ist ans andere gebunden und schafft die im ganzen Herzogtum ihm abgenommene Autorität. Vom Allgemeinen kann man 27
leicht zum Einzelnen gelangen, von der herrschenden Orthodoxie zu den Erweckten im »Land«, den Anhän gern eines Bengel, Oetinger und Hahn, den pietistisch Durchsäuerten, den Theosophen, den Mystikern, den Spekulierern und Spintisierern, zur Idylle vom ländlichen Pfarrhaus mit Rosengarten, das leidliches Wohlleben ge stattet, dicht beim Kirchturm mit dem Wetterhahn auf dem Dach. Württemberg ist ein Land der Städte, aber es gibt mit Ausnahme der Residenzen Stuttgart und Ludwigsburg keine strenge Trennung von »Stadt« und »Land«. Das »Land« beginnt in der »Stadt«, es reicht tief in sie hin ein, ist mit seinen ackerbürgerlichen Quartieren bereits Teil von ihr, kennt in ihren Häuserzeilen die Stallung von Vieh und die Stapelung von Gerät zum Bewirtschaften der außerhalb der Wohngebiete liegenden Äcker. Fried rich Theodor Vischer nennt 1849 Tübingen noch ein »schmutziges ödes Dorf«. Durch seine engen Gassen wer den Kühe getrieben. Stuttgart ist nicht Dresden, sowenig wie Lessing Schiller ist, es ist noch weniger Leipzig, das Goethe zu der Zeit, als Hegel noch nicht geboren war, bereits wie ein »Klein-Paris« erschien. Aber als Residenz mit etwa 20 000 Einwohnern bietet es Behaglichkeit durch seine Parks, Gärten, Promenaden und Geschäfte, die Lä den der Hoflieferanten, ein erheblicher Kontrast zum bäuerlichen Umland. Die Gegend um das neue Schloß, der nach Cannstatt hin angelegte englische Garten, die rechtwinkligen Straßenanlagen der Vorstädte und der Ludwigsburger Residenz sind klassisches 18.Jahrhun dert. Nicht zuletzt durch Schillers Lebensumstände, die ihn aus Staat und Residenz vertrieben, blieb der Eindruck vom Württemberg Karl Eugens als einer Zuchtanstalt unauslöschbar. Die Attribute des Absolutismus mit Will kür, Verschwendung, Mätressenwirtschaft der Franziska von Hohenheim als ihrem Idol und dem Hohenasperg als Kerker für die Staatsgefangenen fehlten hier nicht. Das Schicksal des Dichters Schubart, den der Herzog heimtük kisch auf württembergisches Territorium gelockt hatte 28
und dort zehn Jahre auf schmählichste Weise gefangenhielt, hat das ganze Deutschland des alten »Reichs« em pört bis hin zu Friedrich dem Großen, der seine schließ liche Freilassung erwirkte. Aber das System wirkt wie künstlich aufgelegt, es kann in die vorwiegend ländlichen Lebensvorgänge kaum tiefer eindringen. Die Erinnerung an das »gute alte Recht« ist nie verlorengegangen. Es stand für den Feudalismus, den Hegel später unbarmher zig bekämpft, aber es stand auch für seine »gemütliche Seite«, mit der die Stände der absoluten Monarchie Paroli boten. Doch es ist gerade der Absolutismus gewesen, der dem Erziehungswesen in Württemberg modernisierende Im pulse verliehen hat gegenüber dem kirchlichen Monopol. In der Karlsschule sucht der Herzog nicht Nachwuchs für Kanzel und Schulstube, der in Schwaben seit Jahrhunder ten auch ohne ihn kräftig heranwächst, sondern neben Offizieren Ärzte und Leute für die technischen und admi nistrativen Elitekader auszubilden. Und er nimmt sie überall da, wo er sie findet. Schiller studiert Medizin und Naturwissenschaften; er hat als Karlsschüler mit der Theologie nichts mehr im Sinne. Aber dieser Bildungsrealismus, wie er hier aufkommt, bleibt dennoch im Württemberg weiterhin eine Sache zweiten Ranges. Gegen das schwäbische Theologenwesen wird er sich in der Folge noch lange nicht als gleichrangig behaupten können. Der Weg, der für den künftigen Got tesmann eingeschlagen werden muß, ist der von den kleinen Seminaren zur Universität Tübingen, auf klassi sche Weise der von Maulbronn oder Blaubeuren zum Tübinger Stift. Wieder, wie in Sachsen, über ein stark entwickeltes Stipendiatensystem, nur ohne den großen Anspruch der »Fürstenschule« mit dem vom Namen aus gehenden Doppelsinn. Wir begegnen einer landeskirch lichen Anstalt ohne weiteren Aufhebens als Erziehungs stätte von Seminaristen mit dem Ziel der Ordination zum beglaubigten Diener des Worts, zum Mann, in dem das »schwäbische System« seine Erfüllung erfährt! Das war auch der Weg, der Hegels Vater, dem Sekreta 29
rius der herzoglichen Rentkammer, für seinen ältesten Sohn vorschwebte. Der kommt schon mit drei Jahren in die Deutsche Schule, mit fünf Jahren in die Lateinschule, aber der Plan, ihn anschließend in eines der württem bergischen Vorbereitungsseminare zur Universität zu schicken, wird fallengelassen. Statt dessen besucht er vom siebten Jahre an — die Familie war ein Jahr zuvor aus der eher populären Eberhardstraße in das neue wohlhaben dere Viertel der Röderschen Gasse umgezogen — das Stuttgarter Gymnasium. Das ist weniger und zugleich mehr. Als Abweichung vom schwäbischen Schema erster Wahl bedeutet es weni ger, aus der Sicht und nach den Regeln der Stuttgarter Hofgesellschaft bedeutet es mehr, wird auf dem Gymna sium illustre doch der Ausbildung hin zu gehobeneren Verhältnissen Tribut gezollt. Seiner Stellung nach war der Vater, wenn auch nicht Mann des Hofs, immerhin Mann der Hofadministration. Aber das Gymnasium war nicht die erste Schule in Stuttgart. Die besseren Lehrer und die Zuneigung des Herzogs hatte die Karlsschule, die auch der Bruder Ludwig besuchte, aber mit ihrer aufs Prakti sche eingestellten Richtung für Hegel nicht in Frage kam, weil er Theologe werden sollte. Für den Eintritt ins länd lich gelegene Klosterseminar bestand bei Hegel nicht der selbe äußere Zwang wie bei Schelling oder Hölderlin als jungen Leuten aus kleineren Städten und Ortschaften der Umgebung. Der Hegel des Stuttgarter Gymnasiums zeigt sich durch und durch als Musterschüler, dem die Autorität der Leh rer so viel gilt, daß er ihren persönlichen Umgang nach drücklich sucht. So insbesondere den seines Klassenleh rers Löffler, der dem Achtjährigen eine ShakespeareAusgabe in der Eschenburgschen Übersetzung schenkt und den er auf Spaziergängen begleitet. Anerkennung des Amts seiner Legitimität wegen! Da hinter steckt für den Schüler Hegel bereits eine erste Erfahrung mit der »Geschichte«: »Geschichte« als »Welt geschichte«, wie er sie sich durch das Kompendium von Schröckh zu eigen zu machen versucht! Was er an 30
Schröckhs Werk schätzt, trägt er am 27. Juni 1785 in sein Tagebuch ein: »Er vermeidet den Ekel der vielen Namen in einer Spezialhistorie, erzählt doch alle Hauptbegeben heiten, läßt aber klüglich die vielen Könige, Kriege, wo oft ein paar Hundert Mann sich herumbalgten, und dgl. ganz weg .. « Das bedeutet für ihn die Forderung nach einer »pragmatischen Geschichte«. Was darunter zu verstehen sei, beantwortet er an gleicher Stelle unter dem l.Juli: »Eine pragmatische Geschichte ist, glaub' ich, wenn man nicht bloß Facta erzählt, sondern auch den Charakter eines berühmten Mannes, einer ganzen Nation, ihre Sit ten, Gebräuche, Religion und die verschiedenen Verän derungen und Abweichungen dieser Stücke von anderen Völkern entwickelt; zeigt, was diese oder jene Begebenheit oder Staatsveränderung für die Verfassung der Nation, für ihren Charakter u. s. f. für Folgen gehabt...« Der bei aller Weitläufigkeit doch vor allem humanisti schen Richtung der Schule hat der Vater durch Privat stunden des Sohnes beim Artillerieoberst Duttenhofer entgegenzuwirken gesucht, der ihn in Geometrie und Astronomie zusätzlich unterrichtet und gleichzeitig zur Feldvermessung auf seinen Gängen mit ins Freie hinaus nimmt. Dessen Sohn gehört zum Kreis von Hegels eng sten Jugendfreunden. Der Vater ist es auch, dem nach dem Tode seiner Frau während einer Ruhrepidemie die häusliche Erziehung der drei Kinder — neben dem zweiten Sohn Ludwig, der später Offizier wird, noch die Tochter Christiane — zufällt. Hegel war damals dreizehn Jahre alt und selbst so krank, daß man an seiner Rettung zweifelte, aber er genas wieder. Er hat den Verlust der Mutter tief beklagt und sehr schwer verwunden. Den Schulpflichten hat sich Hegel mit außerordentli cher Sorgfalt unterzogen. Piaton und Sokrates bilden für ihn natürlich die tägliche Hauptgesellschaft, dazu Homer und Aristoteles. Von den griechischen Tragödiendich tern begeistert ihn neben Euripides besonders Sophokles mit seiner Antigone; bei den Lateinern Livius und später Cicero, Longin und Longus, den er übersetzt, ebenso wie Epiktet; alles hellenistische Autoren der Kaiserzeit. Das 31
Neue Testament gehörte zur frühen Griechisch-Lektüre. Weil für den württembergischen Gymnasiasten in jedem Fall das Pfarramt als Lebensziel ins Kalkül gezogen wer den muß, kommt das Hebräische noch hinzu, auf das im Unterrichtsplan der Schule wie für das Griechische zwei Wochenstunden entfielen. Von der neueren deutschen Dichtung ist es Goethes Werther, mit dem er neben Les sings Nathan und Schillers Fiesko Bekanntschaft macht. Dasjenige Buch aber, das ihn am meisten gefesselt hat, ist Sophiens Reise von Memel nach Sachsen von Johann Timo theus Hermes, ein Roman in sechs Bänden über die Abenteuer eines jungen Mädchens zur Zeit des Siebenjäh rigen Kriegs und der russischen Besetzung in Ostpreu ßen. Darin läßt sich der Verfasser in der Manier Fieldings und Richardsons mit großer Ausführlichkeit über die Alltagswirklichkeit aus, in Schilderungen von Szenen aus dem Volksleben, aus Bürgerstuben, Gasthöfen mit Köchinnen und Reitknechten, mit Postkutschen, von de nen aus die Landstraße betrachtet wird. Hegel kann sich, wie er als Tagebuchschreiber vermerkt, von diesem Buch, das zu den meistgelesenen Werken des Jahrhunderts ge hört, solange er es in Händen hält, immer nur schwer trennen. Schopenhauer nimmt das später zum Anlaß, um zu höhnen: »Mein Leibbuch ist Homer, Hegels Leibbuch ist Sophiens Reise von Memel nach Sachsen.« Man braucht hier nicht tiefer zu graben: Die populari stische Richtung von Johann Timotheus Hermes hat es ihm zeitlebens angetan. Mit gleicher Hingabe liest er Theodor Gottlieb von Hippeis Lebensläufe nach aufsteigen der Linie. Sie machen ihn vertraut mit dem, was ihm das eigene Leben vorenthält. In ihm gilt das Unauffällige, die Abwesenheit der großen Geste. Das macht er sich auch als Besucher der Hofkonzerte zur Regel, die ihm, wie er bemerkt, über ihre eigentlichen Zwecke hinaus diskrete Gelegenheit »zum Anschauen schöner Mädchen« bieten. Zwar nimmt er an einem Tanzkurs teil, aber die jungen Damen müssen, wie die Mutter seines späteren Anhän gers Friedrich Theodor Vischer noch zu berichten weiß, weil sie selbst dazugehört hatte, unter seiner »Unbehol 32
fenheit« schrecklich gelitten haben. Die Schwester Chri stiane hält im gleichen Zusammenhang stichwortartig fest: »liebt Springen, aber beim Tanzmeister linkisch«. Es verstand sich von selbst, daß der Schüler des Gymna siums illustre an den nachmittäglichen Promenaden im Residenzstil, die einige seiner Mitschüler sich angelegen sein ließen, nicht teilnahm. Um so schlimmer fühlt er sich betroffen, als er in einen Vorgang von außerordentlicher Peinlichkeit hineingezogen wird. Einige 16—17jährige Gymnasiasten hatten sich unterstanden, 11- und i2Jäh rige Mädchen öffentlich auszuführen und damit sozusa gen erste Kavaliersübungen zu veranstalten. Das kann die Schule nicht hinnehmen. Von den einzelnen Klassen wird der jeweilige Primus, also auch Hegel, zu einem Konvent mit den Lehrern bestellt; Verwarnungen werden ausge sprochen und für den Wiederholungsfall Konsequenzen angedroht. Wenn auch selber an den Vorgängen unbetei ligt, so war Hegel doch wider Willen auf die Seite der möglicherweise für künftige Verfehlungen in Frage Kom menden geraten. Das kann er als Erfahrung mit nach Hause nehmen. Ähnliche Anlässe dazu im täglichen Leben gibt es ge nug. Werden entsprechende Erkundungen gemacht, so bringt er sie nach Möglichkeit gleich mit entsprechenden Schlußfolgerungen zu Papier. So am 3.Juli 1785: »Auf dem Rückweg eines Spaziergangs stellten wir, besonders ich ... den Satz auf: >Jedes Gute hat seine böse Seite< (oft minder, oft mehr, nach Verhältnis des Guten) und wende ten diesen Satz bei jedem Tritt an.« In seinem Tagebuch hat er es von Anfang an darauf abgesehen, vernünftige, für sein Alter vielleicht ein wenig allzu vernünftige Aufzeichnungen einzutragen. Irgend eine Beteiligung an einem Streich oder einer Jugendtor heit ist ihm nicht nachzuweisen, denn jung ist der Schüler Hegel eigentlich nie gewesen. Den gefährlichen Seiten, die gesellschaftliches Leben mit sich bringen kann, begeg net er früh durch eine entwaffnende Gutmütigkeit. Harmlose Kameraderie, Schach und Kartenspiel bei höchstens ganz geringen Einsätzen! Das ist es, was ihm 33
Freude macht. Wie einige seiner Mitschüler in eine der mondänen Sozietäten einzutreten, die sich «Doggenge sellschaft« oder »Lappländer« nannten, wäre ihm kaum in den Sinn gekommen. Mädchen sieht man - wenn sie schön sind - mit Wohlgefallen, aber nur aus der Ferne zu. Das hält er in den Tagebuchaufzeichnungen als für sich selbst bestimmtes Geheimwissen fest. Am Sonntag einmal nicht in die Kirche zu gehen, ist schon eine Kühnheit, die es verdient, in den abendlichen Niederschriften ange führt zu werden. Er kann sogar als lutherischer Christ, um Vergleiche anzustellen, die katholische Kirche besuchen mit Lob für die dort gehörte Predigt; aber auch mit geäußertem erheblichen Unbehagen an der Einrichtung der Messe: wodurch die Wohlausgewogenheit des »un parteiischen« Beurteilers wiederhergestellt ist. Hier sind schon Grundanschauungen dabei, sich in ihm auszubilden, die am Bestehenden Anlehnung suchen und doch schon Abstand zu ihm kennen. Es gilt: mit dem Bestehenden muß gerechnet werden. Darum: »Ei, Ei! Schlimme Nachrichten von Hohenheim. Diese Bauern, das sind verwünschte Leute, haben dem Herzog alle Fen ster im Schloß zu Scharnhausen eingeworfen.« So kann er am 29. Juni 1785 festhalten. Aber ob ein Urteil durchgän gig Gültigkeit habe, hatte er einen Tag vorher ernsthaft in Zweifel gezogen: »Ich machte die Bemerkung, was für verschiedene Eindrücke einerlei Gegenstände auf ver schiedene Personen machen können.« Von dieser frühen Beobachtung der »Wirklichkeit« sind schon die ersten Ansätze für das »Einerseits« und »Andererseits« aufge nommen. Hier ist jemand dabei, über seine ersten Ein drücke und Erfahrungen von Welt und Leben genau Buch zu führen, sie zu einem großen Fundus zusammen zutragen. Ein Sammeln von Tatsachen, das er über Jahre fortsetzen wird und in dem auch seine Eindrücke und Erfahrungen in den Rang von Tatsachen rücken! Die Frage, wer die Abschiedsrede des Jahrgangs über »den verkümmerten Zustand der Künste und Wissen schaften unter den Türken« halten darf, wird von der Schule auf diplomatische Weise gelöst, indem man sie auf 34
fünf Schüler verteilt. Hegel als Primus ist bei der Feier der letzte, der die Einhaltung des von ihnen erwarteten jähr lich wiederkehrenden Zeremoniells, mit viel Lob für die Lehrer natürlich, streng beobachtet. Der Vortrag enthält die entsprechenden stilisierten Elemente der Schulrede. Aber an einer Stelle bricht denn doch ein unverfälschter Hegelscher Ton durch, der schwerer wiegt als eine bloße Demutsgebärde, bei jener Versicherung, »daß wir zum Teil schon jetzt, für das Vergangene zu spät, es einsehen lernen, was jede Unachtsamkeit auf die Warnungen unse rer Lehrer und Vorgesetzten für nachteilige Folgen hat...«. Mit anderen Worten: Was wir versäumt haben, ist für uns dahin, durch eigene Schuld unwiederbringlich verloren. Das war der rechte Ton des zerknirschten lutherischen Sünders mit den niedergeschlagenen Augen, der aber der Verheißung gewiß sein darf, jetzt vom Tiefpunkt der Jugend mit ihren Irrungen und Wirrungen jenem Alter entgegenzugehen, das ihn vor den Untugenden, die er reumütig bekennen muß, bewahrt. Ein Lobpreis des Al ters, in das man gar nicht schnell genug gelangen kann, dessen Vernünftigkeit man tunlichst vorwegnehmen soll! Dieses Schuldgeständnis und die daraus gewonnene Ein sicht aber waren nicht mehr nur rhetorischer Topos, sondern spiegelten glaubwürdig das Gefühl eines altklu gen jungen Mannes, der hier eigene Erfahrungen aus spricht und sich mit einer gleichfalls glaubwürdigen Ein sicht verabschiedet: daß es sich in jeder Hinsicht im Würt temberg besser leben lasse als in der Türkei. Wofür dem Herzog wie den Lehrern der höchst verdiente Dank aus zusprechen sei!
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Zweites Kapitel
Im Tübinger Stift Im Herbst 1788 bezieht Hegel die Universität Tübingen. Die Matrikel mit seinem Namen nennt den 27. Oktober und als Fach Theologie. Ein anderes Studium wäre für ihn nicht in Betracht gekommen. Das hatte für den Absolven ten des Stuttgarter Gymnasiums immer festgestanden und entsprach auch den Vorstellungen des Vaters. Dem Antritt des Studiums war ein erfolgreiches Gesuch wegen des Hirschmann-Gomerischen Stipendiums vor ausgegangen. Mit dem Stipendium ausgestattet, konnte Hegel nach erteilter herzoglicher Erlaubnis das Tübinger Stift beziehen. Das Stift, eine (Gründung von Herzog Ul rich, befand sich in dem seit 1547 aufgelösten Augustiner kloster und nahm künftige Pfarrer und Gymnasiallehrer unter den Landeskindern für die Zeit ihrer Ausbildung auf. An der Spitze des Stifts stand als Ephorus jener Jakob Friedrich Abel, der Schillers Lehrer in Stuttgart gewesen war. Im Hause selbst befand sich die Leitung in den Händen des Repetenten. Als halbklösterliche Einrichtung galt darin die Stiftsdisziplin. Belohnungen und Strafen wurden jeweils vierteljährlich addiert; ihre Summe gab einen ernst zu nehmenden Maßstab zur Beurteilung des Zöglings ab. Für Verstöße waren Ahndungen vorgesehen, sogenannte Garitionen, die von der Ermahnung über den Entzug des Tafelweins bei den Mahlzeiten (bzw. bei des sen schlechter Qualität Einziehung eines dafür angesetz ten Geldbetrages) bis zur Einsperrung im Karzer reichten. Die Universität Tübingen mit ihren knapp 300 Studen ten ist zu dieser Zeit von hervorstechender Bedeutungs losigkeit, eine Ausbildungsstättc vorwiegend für den Schul- und Kirchendienst in Württemberg, wohingegen Mediziner und Juristen die Stuttgarter Karlsschule besu chen. Die Aufklärung, die sich auch von Tübingen nicht hatte fernhalten lassen, ist Aufklärung im Wolffschen Stadium, während Kant trotz der schon 1781 erschiene
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nen Kritik der reinen Vernunft, eher noch als Geheimtip
einiger Vorwitziger gilt. Dazu wird Hegel nicht gehören. Aber ob Wolff oder Kant, Rousseau oder Herder: auf den Tübinger Kathedern haben Storr und Schnurrer, Flatt und Rösler ihre kleinen Herrschaften aufgerichtet. Da geht es um den Vorrang der Dogmatik gegenüber der Kirchengeschichte und Exegese oder umgekehrt, um Bi belglauben im Licht der Orthodoxie oder des Pietismus. An diesen unbestrittenen Leuchten ihres Fachs bekommt Hegel, dem auf dem Stuttgarter Gymnasium die Überle genheit »der Griechen« nahegebracht worden war, »Chri stentum« als theoretische und angewandte Disziplin de monstriert, als Phänomen der »Weltgeschichte«, als neues Prinzip gegenüber einem alten. Es gibt hier nichts, was nicht ernst zu nehmen wäre. Ein Mann wie Storr, an den Hegel sich zeitweilig anschließt, ist sehr wohl in der Lage, ihm die jüdische Vorstellung der Strafgerechtigkeit und den Gedanken der Versöhnung in unanfechtbarem pauli nisch-lutherischem Verständnis nahezubringen. Unab hängig von »Glauben« oder »Nichtglauben« wird in sol chen Kathedervorträgen die Bewegung des »objektiven Geistes« sichtbar, in ihnen kann Hegel als Zuhörer diesen Übergang vom »Judentum« zum »Christentum« unmit telbar miterleben. Zugleich zeigen sie ihm Handwerker bei der Arbeit, die mit ihren Werkzeugen das »Myste rium« wie einen zerlegbaren Mechanismus in seinen Ein zelteilen vorführen. Hegel hat auf den Tübinger akademischen Unterricht mit seiner gewaltigen Fähigkeit zur Lethargie reagiert. Lethargie als Glücksfall, als Mittel zum Ertragenkönnen! Im Hegel der Tübinger Jahre stecken eine eigentümliche Verschlafenheit und ein Hang, den Dingen ihren Lauf zu lassen. Das reicht bis in seine zahlreichen Verstöße gegen die Stiftsdisziplin, die im Jahre 1790 bei ihm auf 18 »Caritioncn« anwachsen; Fernbleiben von den Vorlesun gen, Vernachlässigung der Anstaltstracht, Schlafen bis zum Mittag nach durchzechten Nächten, Fehlen beim Gebet, was ihm von der Stiftsauf sieht vorgehalten werden kann. Ein Jahr später landet er wegen verbotswidrigen
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Ausritts und verspäteter Rückkehr vom Urlaub im Kar zer. Die Beurteilung seiner Sitten zeigt in den Zeugnissen bis zum Jahre 1791 fallende Tendenz bei gleichbleibendem Lob von Begabung und Fleiß, obwohl seine häufige Abwe senheit von den Lehrstunden sehr wohl vermerkt wurde. Hier tritt ein eigentümlicher Zug des Stifts zutage, das, ohne im geringsten permissiv zu sein, doch eher einem gewissen Gewährenlassen zuneigte. Lin drakonischer Charakter war den hier üblichen Strafen nicht nachzusa gen. Die von Hegel für das Studieren bevorzugten Nächte werden ihm für sein Fernbleiben zugute gehalten. Mit Hegel zusammen war Hölderlin ins Stift gekom men, gleichaltrig, zum gleichen Jahrgang gehörig. Auch er dem Fache nach Theologe, aber in seinen Gedanken unablässig bei den »Griechen« und im »Griechenland« der »Antike« mit seinen Künsten, seinen Göttern und seinen Tempeln verweilend, ein junger »Götterbote«, der seine Kleidung pfleglich behandelt! Hölderlin war übri gens den schwäbischen Weg erster Wahl, über das Klo sterseminar Maulbronn, zur Landesuniversität gegangen. Er behauptet, in der Rangliste (»Location«) vor Hegel gelegen zu haben, denn er teilt der Mutter im Frühjahr 1790 betrübt mit, daß er hinter Hegel und Märklin zu rückgefallen sei. Die als Ranglisten angelegten Schüler verzeichnissc bestätigen das freilich nicht. Hegel dagegen wird zurückgesetzt, und zwar hinter ebendiesen Märklin, seinen alten Mitschüler aus Stuttgart. Leutwein, eine »Promotion« voraus und guter Freund Hegels, macht für diese Zurücksetzung dessen Ungezwungenheit verant wortlich, die man bei der Stiftsleitung nicht gern gesehen habe. Durch sein »genialisches Betragen«, was er durch unregelmäßigen Besuch der Kollegs noch unterstrich, hatte er sich bei ihr nicht gerade empfohlen. Unbeständig keit des Arbeitens, unsystematisches Viellesen und ständi ger Wechsel der Interessen, »etwas Desultorisches« sind ihm gerade von diesem Freund entgegengehalten wor den. Aber der wahre Grund für diese Zurücksetzung war
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nach Hegels Meinung die Tübinger Rücksicht auf Märk lins Onkel gewesen, der später Probst des Klosterseminars von Denkendorf wurde; sie muß für ihn »eine bleibende Wunde in seinem Herzen« bedeutet haben, die er aller dings nach außen hin verbarg. Noch in Berlin wird sich Hegel bei Besuchern aus Württemberg nach den Lebens umständen des Freundes Märklin erkundigen, mit dem er damals in heftiger Konkurrenz gestanden hatte und der inzwischen Prälat von Heilbronn geworden war. Aber Leutwein zieht eine für Hegels weiteres Leben günstige Schlußfolgerung aus dieser, wie er glaubt, ihm widerfah renen Ungerechtigkeit, wenn er meint: »Wäre er der Dritte in der Promotion geblieben, so würde gewiß Berlin ihn nicht gesehen haben, noch er dem deutschen Vater lande so viel von sich zu reden gegeben haben.« Die sogenannten »Locationen« waren ein im gesamten württembergischen Erziehungswesen angewandtes Diszi plinierungsmittel. Hier konnten sich Eltern, aber auch sonst alle, die es wissen wollten, über das Verhalten des Zöglings und seine Einschätzung durch die Schule unter richten. Die Reihenfolge in der Sitzordnung und auch beim Essen gibt Aufschluß darüber. Kandidaten und Ma gister werden in Württemberg ebenso »loziert« wie Kna ben der ersten Schulklasse. Am schwersten wiegt, daß die »Locationen« gedruckt und damit bekannt werden. Sie dringen nach außen und geben dem Schüler wie dem abgehenden Studenten einen lebenslänglichen Stempel. Darum nimmt der Gedanke an die »Location« Hegel wie Hölderlin und Schelling beständig in Anspruch. Er be drückt sie aufs tiefste, und Hegel wird das Trauma seines Absinkens in der »Location« lebenslang nicht mehr los. Hier fällt schon eine Vorentscheidung, die daran mit wirkt, daß er nicht in den württembergischen Kirchendienst eintreten wird, wo sich einem späteren Aufstieg in der Amtshierarchie Schwierigkeiten entgegenstellen mußten. Und wie sieht es mit dem Predigen aus? Man wird ihn im Auge behalten. In den Kreisen der schwäbischen Theologenschaft vergißt man nicht leicht. Für Hegel bedeutete die Zurücksetzung hinter Märklin
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einen Stachel, der ihn aus der Lethargie und Nachlässig keit herausreißt und dazu bringt, mit bis dahin bei ihm nicht üblicher Kraftanstrengung zu arbeiten. Mit einem Mal werden Energien in Bewegung gesetzt, die man bei ihm nicht vermutet hatte. Er hat keine Zeit mehr, ins Bett zu gehen, und übernachtet wochenlang auf dem Sofa. Der gegen ihn geführte Schlag war geheime Triebfeder zur Veränderung geworden. Es mochte tatsächlich eine unübersehbare Zurückge bliebenheit gegen die neuesten Strömungen mit im Spiel gewesen sein, die ihm im Vergleich zu Märklin einen Nachteil bescherte. Vielleicht war der Entscheid bei der Rückstufung Hegels so ungerecht nicht gewesen, dessen Vorzüge zweifellos beim nächtlichen Zechen, vor allem beim Tarockspiel lagen, der sich aber auf Gespräche über Kant, den Märklin damals studierte, weniger einließ. Bis zu Kant war er, der Kenner von Sophiens Reise oder Hip peis Lebensläufen, noch nicht gekommen oder jedenfalls nicht so weit, um darüber zu diskutieren. Die von ihm bevorzugten Autoren sind Aristoteles, Platon, einiges von Schiller, Spinoza, Jacobi, Herder, aber vor allem Rous seau. Auch im Namen Rousseaus hatte die Französische Revolution die Tore des Ancien régime gestürmt und geriet mit ihm bald selbst an die Schwelle des Stifts. Zumindest mit dem Gedanken der »Freiheit« findet sie Eingang und bei den Stiftlern freudigen Anklang. Die Begeisterung muß Hegel damals so überwältigt haben, daß er mit einigen Freunden auf ein freies Feld zog, um dort einen Freiheitsbaum aufzurichten. Im Stift hielt man französische Zeitungen; ein politischer Club ganz nach französischem Vorbild wird gegründet, in dem vor allem die »Mömpelgarder« (Studenten aus dem linksrheini schen Montbéliard, das zu Württemberg gehörte) eine Rolle spielten. Das neue Jahrhundert als Jahrhundert der Freiheit: das ließ sich hören. Hegel wird als einer der überzeugtesten Revolutionsfreunde geschildert. In seinen Stammbuchblättern finden sich denn auch zwar von fremder Hand, aber im Sinn des Adressaten entsprechende Ausrufe wie 40
»Vive la Liberté«, »Vive Jean Jacques« und das Schiller sche »In tyrannos«, das der Regimentsmedikus zur Zeit, als er bei der Hauptmannswitwe Vischer in unmittelbarer Nähe der Familie Hegel wohnte, seinen Räubern vorange stellt hatte. Johann Eduard Erdmanns Meinung zufolge muß Hegel damals als Republikaner der jakobinischen Richtung gegolten haben, die durch Schellings Eintritt ins Stift im Herbst 1790 frischen Zuzug erhielt. Hegel war damals schon Magister der Philosophie. Schelling ist in Leonberg geboren, Theologe, Pastoren sohn, Absolvent der Klosterschule in Bebenhausen, fünf Jahre jünger als Hegel und Hölderlin. Mit ihm wird die Vorstellung vom »Schwabenalter« vollends zur Legende. Denn Schelling ist erst 15 Jahre alt, als er nach Tübingen kommt, hat drei »Promotionen« übersprungen, brilliert durch seine Sprachenkenntnisse und eine unerhörte Fä higkeit der raschen und kühnen Kombination, kurz das, was sich von Hegel nicht behaupten läßt. Schelling ist das eigentliche »Genie« im verspäteten Stil der »Stürmer und Dränger«, der beide, Hölderlin und Hegel, glatt in den Schatten stellt. Er ist — und hier wieder im strikten Gegen satz zu ihnen - frühreifer Abkömmling der schwäbischen Klerikeraristokratie. Aber das Bild von einer »Dreieinigkeit« täuscht. Es ist ein Bild, das sich erst im Rückblick und mit viel Zwang einstellen kann. Keiner der drei, die kurze Zeit vor Hegels Weggang von Tübingen und mehr durch Zufall auf ei nem Zimmer wohnen, hat damals etwas von der Zukunft gewußt, in der sie wie zu einem Bund vereint zusammen gesehen werden sollten. Keiner von ihnen ist der Primus seines Jahrgangs, was, um bei den Stiftlern hervorzuste chen, ins Gewicht gefallen wäre. Schelling, der nur eines zufällig frei gewordenen Platzes wegen ins Stift eintreten konnte und bei der Bewältigung des Gesamtpensums noch einige Lücken hat, liegt in seiner »Promotion« hinter einem Studenten namens Beck an zweiter Stelle. Sein Ansehen bei den Mitstudierenden gründet sich vor allem auf seine Kenntnisse im Hebräischen, für das er durch seinen Vater, inzwischen Professor für Altes Testament an
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der Klosterschule in Bebenhausen, vorbereitet worden war. Es hat damals den Anschein, als ob er sich ganz den philologischen, besonders den orientalischen Studien, widmen würde. Mit Schellings Eintritt ins Stift hatte die republikanische Partei eine erhebliche Verstärkung erfahren. Sein Tem perament und der mitreißende Schwung, den er einer Sache geben kann, heben ihn so stark heraus, daß der Herzog den Eindruck gewinnt, bei den Demonstrationen der Studenten mit Absingen der Marseillaise in Schelling den Rädelsführer vor sich zu haben. Als er sich zur Unter suchung der Vorgänge ins Stift begibt, präsentiert er Schelling, dem die Rolle des Verantwortlichen wie von selbst zugefallen war, die Übersetzung des Liedes: »Da ist in Frankreich ein sauberes Liedchen gedichtet worden, wird von Marseiller Banditen gesungen, kennt Er es?« Schellings Geistesgegenwart in der Antwort: »Durch laucht, wir fehlen alle mannigfaltig«, läßt für den Herzog, der sich etwas auf sein Christentum zugute hält, keine wirksame Erwiderung zu. Gegen dieses Selbstbewußtsein Schellings steht das schwer in Gang zu Bringende und auch dann noch immer Schwerbewegliche in Hegels Natur als Mitläufer. Welchen Anlasses hatte es bei ihm bedurft, um sich einen Ruck zu geben, das bislang Ungeordnete seiner Zeiteinteilung, des Lesens und Arbeitens, das man im Stift bemerkte, allmäh lich in eine gewisse Bahn zu bringen? Er galt im Stift als Eklektiker, der sich von überall her mit Wissen versorgt, aber kein System in seine Gedanken hineinbringt. Eklekti zismus bedeutet hier die Folge eines bodenlosen Reflektie rens, »Weltverstand« dagegen ist Stil der Residenz, also ohne jede tiefere Gelehrsamkeit, ist Verlust jener ländli chen Unschuld, wie sie die Absolventen von Maulbronn, Denkendorf, Bebenhausen — so konnte man glauben — mit nach Tübingen brachten. Aber war dieser Gegensatz von Reflexion und Naivität als Gegensatz von Stadt und Klostergarten wirklich be gründbar? Konnte man einem jungen Mann wie Schelling Naivität nachsagen? Lagen in einer Erscheinung, wie er 42
sie darstellte, nicht eher Merkmale des Überkultivierten als Merkmale des »Neckarschwaben« aus dem Stift vor, wie Friedrich Sengle in seiner kulturmorphologischen Betrachtung dieser Landschaft meint? Der Gegensatz mochte hier und da aufgehen. Indes sen bleibt ein gehöriger Rest. So bedeutet auch das Alt väterliche, das den Studiengenossen an Hegel vertraut war, keineswegs irgendein Gehabe, gibt aber schon die Kerbe her, in die man schlägt, wie sein Freund Fallot aus Mömpelgard es auf einem Stammbuchblatt tut. Fs zeigt einen kahlköpfigen, bärtigen Hegel im Mönchsge wand, der auf Krücken geht, und dazu die Worte: »Gott stehe dem alten Mann bei!« Wenn eine gelungene Karikatur die äußeren und in neren Merkmale in der Überspitzung wiedererkennbar macht, so bezeugte die flüchtige Skizze Hegels Gebrech lichkeit und Schwerbeweglichkeit, einen völligen Mangel an Glanz. Das traf im Vergleich zu Schelling zu, ergab einen Kontrast, wie er stärker kaum sein konnte. Hegels »Altsein« mochte im Ungelenken, Unbeholfenen liegen, keineswegs in der Reife durch vielseitige Kenntnisse oder in der Überlegenheit durch das Organisierte seines Arbeitens. Gerade darin wurde er von vielen, die ihn das fühlen ließen, mühelos ausgestochen. Hegel tappte hier hinterdrein. So sind seine Predigten, die er wie alle Theologie studierenden Stiftler turnusgemäß halten mußte, Katastrophen gewesen. Sie fanden, wie es dem Brauch entsprach, während der Mittagsmahlzeiten statt und gehörten zu den Tisch-Andachten mit Schriftle sung und Schriftauslegung, wobei der Redner an die sem Tage ein besonders ausgewähltes Essen vorgesetzt bekam. Ob es der äußere Anlaß dieser Predigtübung war, der ihn befremdete? Sein Vortrag war leise und stockend und beschwor den Mantel der christlichen Nächstenliebe herauf. Auf seinem Abgangszeugnis be kommt er auf lateinisch zu lesen, was auf deutsch heißt: »hat sich nicht als guter Redner gezeigt«. Für die Lauf bahn des künftigen Pfarrers mit Aussicht auf die höhe ren Würden innerhalb der Amtshierarchie der Würt
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tembergischen Kirche konnten darum die Dinge keines wegs glänzend für ihn stehen. War das gegenüber der Pedanterie seiner Stuttgarter Schulzeit ein Zwischenakt, der sich in dem Augenblick dem Ende näherte, wo er langsam zur Sammlung seiner Kräfte ansetzte, so wurde sein Unbesorgtsein gegenüber den ritterlichen Künsten des Studenten davon zunächst nicht betroffen. Das Fechten war von ihm bald wieder aufgegeben worden, ein Pferd hatte ihm bei einem Ausritt den Gehorsam versagt und war nicht zur Rückkehr zu bewegen gewesen. Ernsthafte Versuche gab es, beim Um gang mit »Frauenzimmern« die bis dahin geltende Regel des Betrachtens aus der Ferne durch mehr Nähe weniger streng zu beachten. Gegenüber den Freunden gibt er sich als Verehrer des schönen Geschlechts ohne jede Prüderie, der Johann Christian Fink im Stil der Anakreontik am 4. September 1790 in dessen Stammbuch schreibt: Glücklich, wer auf seinem Pfad einen Freund zur Seite hat; dreimal glücklich aber ist wen sein Mädchen feurig küßt. Aber auch sein eigenes Stammbuch enthält einige Eintra gungen Tübinger Mädchen, teils mit vollem Namen ge zeichnet, teils mit Monogramm. »Das Schicksal des Men schen ist, sich einander zu finden und wieder sich zu verlieren«, schreibt »im Wein Monat 1791« eine unbe kannt bleiben Wollende, die sich »Ihre Freundin Ch. K. F.« nennt. Aridere sagen bei ihrem Sprüchlein, daß sie Caroline Freyberger oder Karoline Haselmeier heißen. Sein Hauptinteresse scheint zeitweilig einer Auguste He gelmeier gegolten zu haben, der Tochter eines verstorbe nen Theologieprofessors und einem sehr ansehnlichen Mädchen, das sich sehr wohl des Eindrucks, den sie auf die Studierenden macht, bewußt war. Hier hat sich Hegel vorzugsweise unter ihre anderen Anbeter gemischt, die abends in einer Weinstube zusammenkamen, wenn sie für eine Stunde dort erschien. Dabei ist es auch geblieben.
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Was seine Schwester von ihm sagt, daß er heim weiblichen Geschlecht »nie Hoffnungen für die Zukunft« geweckt habe, hatte einen höchst realen Grund. Hegels Aussichten auf ein Amt erschienen ihm bei seinem erwiesenen gerin gen Predigertalent und den deswegen offenbar nagenden Zweifeln an der Eignung zum Pfarrer nicht sehr fest gegründet. Dem Tanzen bei weitem vorgezogen hat er damals stets das Pfänderspiel. Nach dem Urteil seines Freundes Leutwein war Hegel zunächst »cavaliermente« im »Reich des Wissens« umher geschweift, er hatte sich mit Dingen beschäftigt, die nicht unbedingt zum Lehrstoff gehörten oder weit über das Geforderte hinausgingen. Die Stuttgarter Vorliebe fürs Exzerpieren behält er bei. Er schreibt an den oberen Rand eines Einzelblattes das Kennwort für den Textauszug und legt das Blatt in die passende Mappe. Aus seinen Vorle sungen über die Geschichte der Philosophie wissen wir, daß er sich damals intensiv mit Aristoteles befaßt hat und daß ihm dies sehr sauer geworden ist, weil er nur auf eine unleserliche Ausgabe (Basler Ausgabe von 1531 oder 1550) ohne lateinische Übersetzung habe zurückgreifen können. Was für ihn der Dialektiker Aristoteles bedeutet, bedeutet für Schelling die Gnosis und hier das»ophitische und valentianische System«, wie Albert Schwegler in sei nen Erinnerungen an Hegel berichtet, die die Zeitung für die elegante Welt 183g abdruckte. Hölderlin, damals schon im Bann von Schillers Gedicht Die Götter Griechenlands, schreibt am J2. Februar 1791 in Hegels Stammbuch die Worte, die Goethe den Pylades in der Iphigenie sprechen läßt: »Lust und Liebe sind die Fittige zu großen Taten!« über dem berühmten, wahrscheinlich von anderer Hand hinzugesetzten Spinozas: sozusagen als Formel ihrer Übereinkunft, der auch Schelling hätte zustimmen können.
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Drittes Kapitel
Zwischen Monarchie und Republik Die Sommermonate vor seinem Kandidatenexamen Ende September 1793 hatte Hegel im väterlichen Haus in Stutt gart verbracht. Das wurde von ihm mit Rücksichten auf seine angegriffene Gesundheit begründet. Wir wissen das auch aus einem Brief des Theologieprofessors Schnurrer vom 10. September an den ehemaligen Tübinger Stiftler Johann Eberhard Scholl, der sich zu der Zeit als » Hofmei ster« in Amsterdam aufhielt. Hegels Universitätslehrer spricht darin von einem bloßen »Vorwand« für seine Abwesenheit von Tübingen, die er offenbar nicht billigt. Mit Schnurrer, dem Ephorus des Stifts, stand Hegel nicht sehr gut. Hegel ist dann wohl nur noch zur Ablegung des Examens nach Tübingen gefahren und sah damit den Aufenthalt im Stift als abgeschlossen an. Zum Vater in Stuttgart gab es natürlich beträchtliche Unterschiede der politischen Ansichten. Herzoglicher Be amter und Freund des revolutionären Konvents in Frank reich: das vertrug sich nicht ohne weiteres. Aber tiefgrei fende Spannungen scheinen hier dennoch nicht bestan den zu haben. Engsten persönlichen Kontakt während dieser Monate vor und nach dem Examen hat Hegel mit Stäudlin gehabt. Gottfried Friedrich Stäudlin war zwölf Jahre älter als er, Jurist und Schriftsteller; er hatte sich als Herausgeber des ersten schwäbischen Musenalmanach ei nen Namen gemacht und sich als sein Rezensent mit Schiller angelegt, der ihm seine eigene »Anthologie« ge genüberstellte, inzwischen aber einiges für die Versöh nung getan. Das wird bald für Hölderlin von großer persönlicher Bedeutung sein. Denn es kommt durch Ver mittlung Hegels zwischen Stäudlin und Hölderlin eine sehr enge Freundschaft zustande. Hölderlin wird durch cbendiesen Stäudlin den aus Jena zu Besuch nach Würt temberg hergereisten Schiller kennenlernen, der ihn sei ner älteren Freundin und Gönnerin im thüringischen Waltershausen, der Frau von Kalb, als »Hofmeister« für 46
ihren Sohn empfahl. So geht Hölderlin nach Jena, wohin auch Schelling später gelangt und schließlich Hegel nach holen wird. Es war also Stäudlin, der die Verkettung der drei Tübinger für ihre Zukunft bewirkt hat. Es lag damals an Hegel, sich einige Gedanken über seine nächste Zukunft zu machen. Das geschieht denn auch, allerdings ohne alle Züge des Dringlichen. Erste Fühler waren bereits vor dem Examen ausgestreckt worden, es gibt Erkundigungen, bei denen auch Mittelsmänner ein geschaltet wurden. So hatte ein Hegel persönlich nicht bekannter Herr von Sinner, der vom Stiftler Hauff über ihn informiert worden war, auf eine Anfrage der Familie von Steiger in Bern wegen eines Hauslehrers auf Hegel aufmerksam gemacht. Es ging dabei zunächst um einen Magister Schwindrazheim, ebenfalls aus dem Stift, der die Stelle antreten sollte und über den der Familienvater von Steiger sich nähere Auskünfte zu verschaffen wünschte. Sinner zieht Erkundigungen ein und rät wegen der in Erfahrung gebrachten fragwürdigen »conduite« des Kan didaten ab. Statt seiner schlägt er Hegel vor. Sinncr scheint sich bei Steiger Verdienste erwerben zu wollen, indem er von dem einen abrät und den andern empfiehlt, und er möchte gleich vollendete Tatsachen schaffen. Für die Herrschaft in Bern war das offenbar noch nicht ge nug, denn Steiger läßt über einen Vermittler, einen Leh rer namens von Rütte und ebenfalls aus Bern, bei Johan nes Brodhag, Besitzer des Stuttgarter »Goldenen Och sen«, dem man vielleicht einschlägige Berufserfahrungen mit Schwindrazheim zutraute, zusätzliche Erkundigun gen anstellen und bekommt das gleiche »schiechte Lob« über ihn zu hören bei gleichzeitiger Empfehlung Hegels. Der Stuttgarter Ochsenwirt geht noch weiter und rät, beim Herzoglichen Consistorium um Urlaub für Hegel nachzusuchen. Um die Sache zu beschleunigen, begibt sich Brodhag persönlich in Hegels Wohnung. Hegel zö gert zunächst, weil ihm das Salär von 15 Louisdor jährlich zu gering erscheint, er hält eher 25 Louisdor und »noch einige Nebenvorteile« für angemessen und erbittet sich auf jeden Fall eine Bedenkzeit von vierzehn Tagen. 47
Es gab auch Erwägungen in der gleichen Sache von anderer Seite. So hatte sich Schnurrer, bevor Hegel bei ihm zur Prüfung erschienen war, in seinem Brief an Scholl über ihn in einer Weise ausgesprochen, die von seiner Einschätzung Hegels einiges sagt: »Ich zweifle sehr«, heißt es da, »ob er inzwischen gelernt hat, diejenigen Aufopfe rungen sich geduldig gefallen zu lassen, die immer mit einer Privatlehrerstelle, wenigstens anfangs, verknüpft sein werden.« Damit war die Problematik des Hofmeisterwesens im allgemeinen und hier für Hegel im besonderen von einem Mann, der sich als einer seiner Universitätslehrer in sei nem Charakter offenbar recht gut auskannte, zur Sprache gebracht. Hofmeister hieß: Bediensteter in Erziehungs sachen; es war ein Amt zu Nutz und Frommen adliger Familien. Die Spanne des Dienstes reichte weit, von der schönsten persönlichen Vertrautheit zwischen Lehrer und Schüler, die denkbar war, bis zum Lakaientum. Der Hofmeister konnte Prinzenerzieher, Reisebegleiter jun ger Herren auf ihrer Kavalierstour sein, was selbst Lessing für sich als nicht zu gering erachtet und Herder als große Gunst betrachtet hatte. Der Hofmeister hatte gute Aus sichten, sich im Sinne des Weltläufigen und des »Weltver standes«, der im Gymnasium illustre von Stuttgart etwas galt, zu vervollkommnen, aus der Enge bürgerlicher Ver hältnisse herauszukommen. Das Amt ließ Empfehlungen für Hofdienste und Staatsstellen erwarten, in die sonst schwer oder überhaupt nicht zu gelangen war. So konnten persönliche Wahl, wirtschaftliche Notwendigkeit, Nutzen für das weitere Fortkommen bei diesem zeitlich begrenz ten Dienst sehr wohl zusammengehen und sogar aufs schönste harmonieren. Es kam dabei auf Glück und Zufall so gut an wie auf Eignung, Takt und die Fähigkeit, sich anztipassen. Andererseits aber konnten die Vorzüge eines solchen Dienstes von den Schwierigkeiten, die er mit sich brachte, leicht überwogen werden. Hegel hatte also guten Grund, sich zwei Wochen Be denkzeit auszubedingen und — so gut es ging — die Um stände zu prüfen, mit welchen er rechnen mußte. Die Zeit 48
der jakobinischen Hochstimmung lag längst hinter ihm, das republikanische Bern mußte deswegen keineswegs mehr verlockend für ihn sein. Aber das war das Vikariat für den jungen Theologen mit seiner geringen Prediger begabung, wie sie das Abschlußzeugnis dem Kandidaten bescheinigte, auch nicht. Wenn Hegel Zeit zu gewinnen suchte und nach anderen Möglichkeiten Ausschau hielt, sprachen aus seinem Zögern die sehr zwiespältigen Ge fühle, die er mit der ihm angetragenen Hofmeisterstelle in Bern verband. Am 11. September allerdings kann He eel nach Bern an Rütte schreiben, »daß mich keine weite ren Hindernisse abhalten, den Auftrag im Hause des Herrn von Steiger anzunehmen«. Wegen des noch abzulegenden Examens läßt sich seine Ankunft in Bern erst für die ersten acht Tage des folgen den Monats in Aussicht stellen. Er erbittet nochmals ein Urlaubsgesuch durch Steiger bei der Kirchenbehörde, bestätigt, den Wechsel auf 5 Louisdor erhalten zu haben, und verspricht, auch zur »Bildung« der »Tochter des Herrn Hauptmann ... alles ... beizutragen«. Am 20. September, also zehn Tage nach Schnurrers Brief an Scholl, berichtet Stäudlin an Schiller: »Von sei nem Freunde Magister Hegel hörte er (Hölderlin), daß Sie gegenwärtig eine solche Stelle in der Gegend von Jena zu vergeben hätten. Da nun Hegel ohnehin bereits als Hof meister nach Bern engagiert ist und nun mehr allen anderen Absichten auf immer entsagt hat, so bittet sie H(ölderlin) mit mir recht dringend um Ihr gütiges und viel wirkendes Vorwort bei jener Hofmeisterstelle.« Hier erfahren wir es: K. F. von Steiger oder Charlotte von Kalb, Bern oder Jena, die Stadt, die für praktische Politik steht, und die Stadt, die für Schiller steht. Hegel hatte sich für die Berner Republik entschieden. Eine Dissertation hat Hegel in Tübingen nicht verfaßt. Er wurde Kandidat, weil er eine von Le Bret, dem Kanzler der Universität, geschriebene Dissertation De Ecclesia Wir tembergicae Renasccnüs Calamitatibus verteidigte, so wie er
Magister geworden war, indem er, statt eine eigene Arbeit zu verfassen, die Dissertation des Professor Bock De limile 49
officiorum verteidigt hatte. Verteidigung des Bestehenden, dein kraft seines Bestehens Autorität zukommt, Autorität, die sich als bestehende von selber rechtfertigt, eine Recht fertigung, die zugleich die Vernunft des Bestehenden mit seiner Autorität bekräftigt! Ein eigenes Gewicht wird dem nicht entgegengesetzt. An diese Leitlinien hat sich der Magister und Kandidat Hegel mit auffallender Striktheit gehalten. Überhaupt über eigene Thesen im Kreise von jungen Fachgenossen sich auszulassen, war eher Schel lings als Hegels Sache. So hatte sein Freund und Kon kurrent Märklin sich durch Kenntnisse über Kant ausge zeichnet, die Hegel lange Zeit nicht besaß. Dagegen von allgemeinen politischen Verhältnissen, von den Lebens umständen des Volks und den verschiedenen Gesell schaftsklassen mit ihren Lebensformen und Anschauun gen her zu denken und ein eher zwangloses Gespräch zu führen, liegt ihm näher. Daß damals der Repetent im Stift, Karl Immanuel Diez, als großer Kant-Kenner gilt, sagt über Hegels Vertrautheit mit dem Philosophen im fernen Königsberg überhaupt nichts. Es hat bei ihm keine philo sophische Fachdebatte über Kants Kritik der reinen Ver nunft gegeben, aber gewiß viele Erörterungen ohne esote rischen Anspruch über Regeln, die im Leben ebenso wie in Hermes' Sophiens Reise gelten! Man sollte dem Tübinger Abgangszeugnis vom 20. September 1793 wohl Glauben schenken, das Hegel bescheinigt, in der »Philologie nicht unwissend« (non ignarus) zu sein und »Philosophiae nul lam operam impendit« — »in der Philosophie keinen Fleiß gezeigt« zu haben.
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Viertes Kapitel
Hofmeisterjahre Hegels Entschluß, nach Bern zu gehen und das Schick sal eines Hauslehrers selbst zu erfahren, bedeutet für ihn einen tiefen Einschnitt. Zunächst waren damit seine doch mit einer gewissen Ungebundenheit zugebrachten Studentenjahrc zu Ende. Dazu kam das Verlassen der Heimat im Herzogtum Württemberg und das neue Le ben in einer schweizerischen Stadtrepublik. Durch die lange Regierungszeit Karl Eugens war das Land völlig heruntergekommen. In den letzten dreiund zwanzig Jahren hatte der Herzog versucht, die Wunden zu heilen, die er in den vorausgehenden dreiunddreißig Jahren durch verschwenderische Hofhaltung, Steuer auspressung, Willkür, Akte persönlicher Gewalttätigkeit selber geschlagen hatte. Das war nicht leicht, und es ist ihm auch nie gelungen. Selbst im Kreise deutscher Duo dezfürsten hatte sein Name keinen guten Klang. Es be sagt nicht wenig für sein Regime, daß der Kaiser, Preu ßen, England und Dänemark zum Schütze der württem bergischen Verfassung zu Hilfe gerufen wurden, die der Herzog auf das gröbste verletzt hatte. Es war dies der Ruf der Stände als den Wahrern des »guten alten Rechts« gegen eine Regierung, die trotz aller Drang salierung die schwäbische Idylle jedoch nie hat völlig zerstören können. Im gleichen Jahr 1770, in dem Hegel geboren wurde, mußte der Herzog den sogenannten Erbvergleich mit großen Zugeständnissen an die alt schwäbische Libertät hinnehmen. 1793, als Hegel nach Bern geht, ist das Ende seiner Regierung gekommen. Die Revolution, die in Frankreich siegreich gewesen war, hatte in der Form von Umzügen, mit dem Errich ten von Freiheitsbäumen und der Gründung republika nischer Clubs auch in Tübingen von sich hören lassen und angezeigt, daß seine Zeit um war. Das konnte jedoch besondere Hoffnungen auf das re publikanische Bern nur im Fall äußerster Verwegenheit 51
erwecken. Ob Hegel bei Antritt der Reise solche Hoffnun gen hegte, ist schwer zu sagen. Von den schweizerischen Stadtrepubliken war Bern damals noch immer die mächtigste, ein Staat, dessen Ver gangenheit, ohne daß seine Regierenden es bemerkten, bereits größer war, als seine Zukunft je sein sollte; der sich allerdings seinen Rückzug aus der alten Macht Schritt für Schritt nur schwer abringen läßt. Das bürgerlich Zivile hat hier zeitweise im Schatten des Kriegerischen gestanden. Man hatte nicht nur das Waadtland und den Aargau unterworfen, sondern auch alle Versuche, sich von Bern loszureißen, niedergeschlagen, ebenso wie Staatsver schwörungen im Inneren. Die Aristokratie, die in Bern die Macht fest in Händen hält, ist hier eine stadtbürgerli che Oligarchie; sie besteht aus den sogenannten »Zwei hundert« des Großen Rats als gesetzgebender Gewalt, aus dem der Schultheiß sowie der Kleine Rat als Exekutive hervorgehen. Der Große Rat steht in Bern für den Souverän im absolutistischen Staat, seine Mitglieder werden gewählt, aber nur aus den regierenden und regimentsfähigen Fa milien der Stadt. Alle zehn Jahre finden zu Ostern die jeweils notwendig gewordenen Ergänzungen statt. Über die Umstände, unter denen sie erfolgen, werden wir von Hegel ins Bild gesetzt, der sie beobachten konnte. Eine solche Verfassung zeigt Züge der Stetigkeit, des Verharrcns, des Hängens an dem, was ist. Mit den »Ber ner Exzellenzen« ist nicht zu spaßen. Friedrich der Große hat ihre »Würde« nachdrücklich gelobt. Freigeisterei und deren Duldung gehören freilich nicht zu ihren Tugen den. Das hat Rousseau zu spüren bekommen, der es wagte, sich auf der Petersinsel im Bieler See niederzulas sen. Als sich Voltaire im kleinen Zirkel über die Berner Autorität mokiert, was zu ihren Ohren gelangt, bekommt er eine Warnung zugestellt, die sich hören läßt und sogar Witz verrät: Der Unterschied zwischen Gott oder Christus oder der Religion und den Bernern bestehe darin, daß die Berner den Spott niemals verzeihen. Karl Friedrich von Steiger, in dessen Dienst Hegel als 52
Hauslehrer des sechsjährigen Sohnes und der achtjähri gen Tochter tritt, gehört zu einer Familie der regierenden altbernischcn Oligarchie. Der Hausherr ist Mitglied des Großen Rats und Enkel von Christoph Steiger, in dessen Amtszeit als Schultheiß die Kämpfe gegen die ihre Macht ausweitende und mißbrauchende Oligarchie einsetzen, die ihr Ende langsam, aber sicher einleiten werden. Sein Diplom vom 10. Dezember 1714, durch das er in den preußischen Freiherrenstand erhoben wird, zeigt den neuen monarchischen Zuschnitt des Patriziers republika nischer Herkunft. Aber da es vom Bernischen Rat nicht zuerkannt worden war, hat sein Adel hier keine Geltung besessen. Die Berner Stadtwohnung der Steigers befand sich in der Junkerngasse 51. Das Haus war allerdings erst im gleichen Jahr von der Familie Wattenwhyl an die Steigers verkauft, also gerade bezogen worden. Ihr Familiengut Tschugg in der Vogtei Erlach ist im Jura zwischen Bieler und Neuenburger See gelegen. Auf die Jahreszeiten Som mer und Winter verteilt hat Hegel hier seine Erzieher jahre verbracht. Herausgekehrter Familienstolz in einer herrschaftsgewohnten Stadt konnten den Umgang der beiden Parteien gewiß nicht erleichtern. Die persönliche Sympathie scheint darum auf keiner Seite sehr groß gewe sen zu sein. Hegels Titel »Hofmeister«, der bei den briefli chen Verhandlungen genannt worden war, war trotz der sehr respektablen Residenzen der Steigers etwas hoch gegriffen; er wird im Berner Reisepaß auf »Gouverneur des enfants de notre eher et feal citoyen Steiguer de Tschougg« zurückgenommen. Nichts spricht dafür, daß die Familie Steiger in ihrem Hauslehrer etwas anderes als einen der üblichen Brot und Förderung suchenden Kan didaten gesehen hat, einen anspruchslosen, biederen Deutschen — einen Schwaben mit Latein- und Griechisch kenntnissen (was für das Mädchen ohnehin nicht in Frage kam), dazu etwas Geschichte, Geographie, Geometrie, reformierte Religionslehre, Literatur. Nichts spricht auch dafür, daß der Kandidat mit seiner Bescheidenheit es ihnen schwergemacht hätte, so zu denken; aber sehr vieles 53
dafür, daß der Hausherr den jungen Mann aus dem Schwäbischen mit zusätzlichen Aufgaben betraut hat. Das Amt bot freilich auch gehörige Vorzüge. Es ließ Hegel Zeit zum eigenen Studium. In Tschugg steht ihm eine große Bibliothek zur Verfügung, von der er ausgie big Gebrauch macht. Ob er die Berner Stadtbibliothek mit ihrem großartigen klassizistischen Lesesaal benutzt hat, ist nicht nachzuweisen, steht aber zu vermuten. Sie liegt in unmittelbarer Nähe des Steigerschen Hauses. Eine der Hauptbeschäftigungen Hegels war seit der Stuttgarter Schulzeit das Anfertigen größerer Buchauszüge, das Sam meln von Materialien, vielleicht zu irgendeiner der Zu kunft vorbehaltenen Verwendung. Bei den Steigers wird Französisch gesprochen, was ihn in die Praxis der gespro chenen Sprache hineinführt. Aber sonst wiegt in Bern der Einfluß der englischen Ökonomen vor. Hegels Beschäftigung mit der englischen wirtschafts theoretischen Literatur durch Lektüre und Kommentie rung von James Steuarts Untersuchung der Grundsätze von der Staatswirtschaft (so der Titel des bei Cotta in deutscher Übersetzung erschienenen Buchs) zu Anfang des Jahres 1799 belegt dies auf ihre Weise. Steuart ist Ökonom in der letzten Phase des englischen Merkantilsystems mit mode raten Anschauungen. Das zuerst 1767 in London ge druckte zweibändige Werk mit dem Untertitel Versuch über die Wissenschaft einer Haushaltspolitik freier Nationen nennt
als darin behandelte Gebiete Bevölkerung, Landwirt schaft, Handel, Industrie, Gold, Münze, Zins, Verkehr, Banken, Geldumtausch, öffentlichen Kredit und Steuern und damit Themen, die dem württembergischen Theolo gen und Untertan in seiner bisherigen Biographie fern gelegen hatten. Also nicht Fragen der paulinisch-lutheri schen Rechtfertigung, nicht »Reich Gottes«, sondern Bo denbewirtschaftung und Bodenertrag, Export und Im port, Zölle, Eigentum. Steuart operiert schon mit dem Unterschied von Verkaufs- und Herstellungspreis, mit Angebot und Nachfrage, was freilich nicht verhindern kann, daß sein Name durch Adam Smith' Wealth of Nations von 1776 hinfort verdunkelt wird. Hegels erste Beschäfti 54
chen. Aber er stimmt der von Schelling ausgemachten Alternative: »Kant oder Orthodoxie« zu, mit einer sehr persönlichen Schlußfolgerung: »Die Orthodoxie ist nicht zu erschüttern, so lang ihre Profession, mit weltlichen Vorteilen verknüpft, in das ganze des Staats verwebt ist.« »Orthodoxie« als herrschende theologische Gruppierung ist der »Trupp« von »Nachbetern oder Schreiern«, ist »System des Schlendrians«. Aber auch Fichte, der hoch verehrte, wird aus der Distanz nicht ganz herausgenom men, er hat »durch seine Kritik der Offenbarung Tür und Angel geöffnet«. »Er konstruiert aus der Helligkeit Got tes, was er vermöge seiner moralischen Natur tun müsse und solle, und hat dadurch die alte Manier in die Dogma tik, zu beweisen, wieder eingeführt.« Doch die Dinge selbst sind noch zu sehr in Fluß, die Übersicht über sie noch zu unreichend, um volle Sicher heit zu gewinnen. Es kommt dem Briefschreiber darauf an, sich zunächst umzusehen und seine Meinung weiter zuentwickeln, dabei von Schelling Belehrung zu erhalten mit aller Bereitschaft, sich dessen Kritik zu unterwerfen. Hegel anerkennt uneingeschränkt die geistige Überlegen heit des jüngeren Freundes, er sieht in ihm seinen Tn struktor oder noch mehr: seinen Vorgesetzten in allen anstehenden Fragen der Philosophie, von dem er sich Verständnis für seine Beschränktheit der Miltel und der Zeit erbittet. Das war keine Geste der stilisierten Bescheidenheit, sondern ergab sich aus der Hegeischen Natur und den äußeren Umständen, insbesondere aber der genialischen Vehemenz, die bei Schelling zutage trat, ebendem, was Hegels Sache nicht war. Übrigens erfährt Schelling hier zum erstenmal vom Dritten im Bunde, von Hölderlin. Hegel bittet Schelling um Nachsicht dafür, daß Hölderlin, der inzwischen nach Jena gegangen ist, brieflich nichts von sich hören läßt. Das sei nicht als Kälte zu verstehen: das wachsende »Interesse für weltbürgerliche Ideen« bei ihm, der sich unter den Schülern Eichtes befinde, stehe außer Zweifel. Ohne es eigentlich zu wollen, ist Hegel hier in die Vermittlerrolle
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Kind in die Schweiz übergesiedelt und unterrichtete als Professor an der Berner Kunstschule. »>Freude schöner Götterfunken< wird oft genug zu ihrem Andenken ge sungen«, schreibt er am 13.11. 1797 an Hegel, als der längst die Stadt verlassen hatte, um ihm diese gemeinsa men Abende in Erinnerung zu rufen. Die interessanteste Bekanntschaft, die Hegel in Bern gemacht hat, ist zweifellos die mit Konrad Engelbert Oels ner. Als Augenzeuge der revolutionären Vorgänge von 1792 und mit Männern aller politischen Lager persönlich bekannt, hat Oelsner in seinen Briefen aus Paris berichtet, worin er, der dort Gesandter der Stadt Frankfurt war, sich über die Gründe ausläßt, die zum Scheitern der Republik führen müßten. Hegel erwähnt gegenüber Schelling diese Briefe, die in der Minerva, dem von Archenholz herausge gebenen historisch-politischen Journal, erschienen waren und dadurch zu den ersten Augenzeugenberichten über die französische Revolutionsszene in deutscher Sprache gehörten. Die Beziehung zu Oelsner bedeutete für Hegel zugleich Verkehr mit einem maßgeblichen Vertreter der jenigen Stadtrepublik, die ihn später selbst in ihre Mauern ziehen sollte. Ansonsten war Hegel während seiner Berner Jahre von seinem Brotgeber Steiger mit allerlei Sonderaufträgen betraut worden. In Tschugg hat er zeitweilig Funktionen eines Gutsaufschcrs ausgeübt, der dem Besitzer während dessen Abwesenheit genauen Bericht über seine Beobach tungen erstatten muß. So kann er im Sommer 1795 ver melden, daß die Kiesarbeiten wegen anderweitiger Be schäftigung der Arbeiter an den Reben noch nicht ausge führt werden konnten. Die Wege seien mit Sand gefüllt und geebnet; das Vieh sei wohlauf. Auch die Rückkehr der Hausherrin aus dem Bade wird mitgeteilt, mit den Kindern ist der Hauslehrer zufrieden; dies in Form präzi ser Angaben bei aller dem Bediensteten auferlegten Di stanz zum Gutsherrn. Auffällig ist, daß in den erhaltenen Briefen Hegels aus dieser Zeit kein Wort über die revolutionären Ereignisse in Frankreich bzw. ihre Auswirkungen auf Bern fällt, 56
obwohl sich das Geschehen geradezu überschlug. Am 16. Oktober 1793 wird Marie Antoinette guillotiniert, am 28. Juni 1794 folgt ihr Robespierre. Abgesehen von einem Wort über die Niederlage der »Robespierroten« an Schcl ling schweigt er sich darüber aus. Die Mitteilung, »daß Carrier guillotiniert ist, werdet Ihr wissen« im gleichen Brief vom 24. Dezember 1794, rechnet mit dieser Tatsa che als kausal begründeter Notwendigkeit. Man muß hier einflechten: Hegel befindet sich während dieser Jahre in Bern als dem Zentrum der antirevolutionären Bewegung in der Schweiz, das in der Koalition mit Österreich und Preußen strenge Vorkehrungen zur Verhinderung des Eindringens umstürzlerischer Individuen und Ideen ge troffen hatte. Und er lebt noch dazu im Hause Steiger als der stärksten Stütze des konservativen Regiments, also inmitten der Gegenpartei zur Revolution. Die Bewunde rung Preußens für Bern, die Friedrich der Große aus drücklich geteilt hatte, beruhte nicht zuletzt auf der Politik der Steigers als alten Konfidenten der Regierung in Ber lin. Der Grund für Hegels Zurückhaltung kann aber auch die Vorsicht vor der Zensur sein. Es war damit zu rechnen, daß die Briefe geöffnet wurden. Daß Hegel diese Überwa chungspraxis in Betracht zieht, darf vielleicht aus der Empfehlung an Schelling in dem Postskript seines Briefes vom 16. April 1795 geschlossen werden: »Sei so gut, Deine Briefe in Zukunft gar nicht mehr zu frankieren, sie laufen sicherer.« Im Lande selbst hat sich Hegel auf zwei größeren Aus flügen umgesehen: im Mai 1795 nach Genf und im Juli 1796 ins Berner Oberland. Seine Gebirgstour in der Ge sellschaft der drei sächsischen »Hofmeister« Thomas, Stolde, Hohenbaum hat er in seinem Tagebuch ausführ lich beschrieben. Am 25. Juli morgens um 4 Uhr brechen die Ausflügler zu Fuß auf und kommen gegen 10 Uhr in Thun an. Dort besteigen sie ein Schiff und beginnen anschließend von Interlaken aus ihre Fußwanderung durch das Berner Oberland, die sie über Grindelwald und die Scheidegg nach Meiringen führt, weiter über das Bernische hinaus 57
bis nach Andermatt und von hier die Route über Flüelen zum Vierwaldstättersee nach Luzern. Hegels Zug über das Gebirge ist nicht wie bei Goethes Weg durchs Berner Oberland ein Erlebnis der lebendigen Natur gewesen. Einer Ergriffenheit oder einem Staunen angesichts der Gewalt der Bergwelt begegnen wir in seinen Reiseaufzeichnungen nirgendwo. Auch die Grindelwald gletschcr können ihrer erdgeschichtlichen Formation we gen seine Aufmerksamkeit nicht erregen. Warum nicht? »Ihr Anblick bietet weiter nichts Interessantes dar. Man kann es nur eine neue Art von Schnee nennen, die aber dem Geist schlechterdings keine weitere Beschäftigung gibt.« Hier ist ein Berner Hauslehrer auf der Wander schaft, der zugleich allfälliger Pfarramtskandidat ist und angesichts einer Natur ohne Vegetation den physikotheo logischen Beweis für die Existenz Gottes prüft, den er später zurückweisen wird. Als er die oberen Ränder des Haslitales und ihre vollkommene Öde sieht, scheint ihm der aufgeklärte Gedanke von einer den menschlichen Zwecken dienenden Natur eine Absurdität: »Ich zweifle, ob hier der gläubige Theologe es wagen würde, der Natur selbst in diesen Gebirgen überhaupt, den Zweck der Brauchbarkeit für den Menschen zu unterlegen ...« Das »Muß der Natur« sei hier nicht ohne weiteres ersichtlich, es sei so weit entfernt wie in den Wasserfällen des Staubbach, die allenfalls Heiterkeit in die Düsternis der kahlen Berg welt hineinbringen und »das Bild eines freien Spiels« ergeben. Die Wanderung der vier Bergtouristen folgte einer damals sehr beliebten Route. Sie war ungefährlich, aber strapaziös, ohne jede Annehmlichkeit, und Hegel hat sich am Ende erheblich die Füße wundgelaufen. Auch das Essen war nicht immer einladend. So ist ihm das unterwegs im Spital angebotene Murmeltierfleisch nicht als Lecker bissen erschienen. Erfreut stellt er allerdings fest, daß er die Sprache der Alpenbewohner besser versteht als die der Berner. Und außerdem: Man muß, um zu wissen, was sie meinen, »Kenntnis der Alten Deutschen Sprache haben«, die sich hier mehr als in Deutschland selbst erhalten hat. 58
Fünftes Kapitel
Schellings Lehrling Über Hegels Beziehung zu Schelling seit dem Weggang von Tübingen erfahren wir zunächst nichts, weil die brief lichen Zeugnisse fehlen; anders als bei Hölderlin, der als Korrespondent Hegels früher in Erscheinung tritt. Die Abgeschiedenheit des Berner Hauslehrers war groß, es kam für ihn darauf an, sich darin einzurichten und mit den äußerlich gesehen wenig ergiebigen Verhältnissen fertig zu werden. Schelling, dessen Studienabschluß noch ausstand, hatte 1792 unter Schnurrers Anleitung seine Arbeit über die biblische Schöpfungsgeschichte geschrieben. Kantischer Rationalismus und Herders Gedanke vom Sündenfall als dichterische Darstellung der Ursprünge des Bösen waren darin zusammengeführt. Das gleiche Verfahren in Aus dehnung des Themas verwendet Schelling noch einmal in einem Aufsatz Über Mythen, historische Sagen und Philoso pheme der ältesten Welt, der im 5. Stück der Memorabilien,
Zeitschrift für Philosophie und Religionsgeschichte, er scheint. Ihr Herausgeber war Heinrich Eberhard Paulus, der 1761 im gleichen Leonberger Pfarrhaus wie Schelling geboren war, jetzt als sein Förderer auftritt und später auf der Seite seiner erbittertsten Gegner stehen wird. Eine Anzeige des Aufsatzes, die er liest, veranlaßt Hegel, am 24. Dezember 1794 zur Feder zu greifen und Schelling sein Interesse an der Arbeit mitzuteilen. Der Brief bedeutet erste sichtbare Wiederaufnahme der durch Hegels Abreise abgebrochenen Verbindungen und eine allerdings sehr vorsichtige Standortbestimmung des Briefschreibers. Es werden einige gemeinsame Posi tionen von früher her abgesteckt. Von Tübingen — so glaubt Hegel Schellings Zustimmung voraussetzen zu dür fen — ist nichts zu erwarten. Tübingen bedeutet Storr, orthodoxes Mittelmaß sowie Schnurrer und Kollegen: »Ehe nicht eine Art Reinhold oder Fichte dort an einem Katheder sitzt, wird nichts Reelles herauskommen. Nir
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gends wird wohl so getreulich als dort das alte System fortgepflanzt ...« Aber wir erfahren noch einiges mehr. Von den alten Sympathien für die Revolution in Frankreich ist nichts geblieben; im Gegenteil: »die ganze Schädlichkeit der Robespierroten« liegt klar zutage. Daß die französischen Zeitungen in Württemberg verboten sind, stört Hegel nicht im geringsten. Der Brief hat zugleich eine private Seite, die Hegels Anteilnahme an den Tübinger Verhältnissen zeigt. Seine besondere Nachfrage gilt Renz, dessen Name auch später in der Korrespondenz mit Schelling auftaucht. Man sollte etwas für den ehemaligen Primus des Jahrgangs tun, findet Hegel und bietet an, ihm in Sachsen eine Stelle zu verschaffen. Außerdem ist die Rede von Reinhard. Karl Friedrich Reinhard ist ebenfalls ehemaliger Stiftler, neun Jahre älter als Hegel, Theologe, der unter Schnurrer Orientalistik studiert hatte, in französische Dienste getre ten war und sich bei den Revolutionären, insbesondere den Girondisten, zahlreiche Freunde verschafft hatte. Bei Sieyes hatte er sich durch eine in dessen Auftrag verfaßte Schrift über die Kantische Philosophie empfohlen. Hegel kann, als er Schelling mitteilt, daß Reinhard »im Departe ment des affaires etrangeres einen Posten von großer Bedeutung hat«, nicht ahnen, daß dies nur die Anfänge einer großen politischen Karriere sind, die ihn auf den Posten des französischen Außenministers führen soll. Fs wird der Tübinger Stiftler Reinhard, der Sohn eines Dia kons aus Schorndorf, sein, der Napoleon die unbe schränkte Vollmacht des Direktoriums erteilt. Wenn wir es nicht aus den Berner theologischen Papie ren wüßten, so könnten wir es aus dem einige Wochen später geschriebenen (undatierten) Brief an Schelling er fahren, daß die Lektüre Kants Anfang des Jahres 1795 inzwischen in den Mittelpunkt von Hegels Privatstudien gerückt ist. Was er beklagt, ist sein Abgeschnittensein von den literarischen Schauplätzen. Es gibt für ihn keine Mög lichkeit, sich mit den derzeitigen gleichlaufenden Bemü hungen um die Kantische Philosophie vertraut zu ma
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chen. Aber er stimmt der von Schelling ausgemachten Alternative: »Kant oder Orthodoxie« zu, mit einer sehr persönlichen Schlußfolgerung: »Die Orthodoxie ist nicht zu erschüttern, so lang ihre Profession, mit weltlichen Vorteilen verknüpft, in das ganze des Staats verwebt ist.« »Orthodoxie« als herrschende theologische Gruppierung ist der »Trupp« von »Nachbetern oder Schreiern«, ist »System des Schlendrians«. Aber auch Fichte, der hoch verehrte, wird aus der Distanz nicht ganz herausgenom men, er hat »durch seine Kritik der Offenbarung Tür und Angel geöffnet«. »Er konstruiert aus der Helligkeit Got tes, was er vermöge seiner moralischen Natur tun müsse und solle, und hat dadurch die alte Manier in die Dogma tik, zu beweisen, wieder eingeführt.« Doch die Dinge selbst sind noch zu sehr in Fluß, die Übersicht über sie noch zu unreichend, um volle Sicher heit zu gewinnen. Es kommt dem Briefschreiber darauf an, sich zunächst umzusehen und seine Meinung weiter zuentwickeln, dabei von Schelling Belehrung zu erhalten mit aller Bereitschaft, sich dessen Kritik zu unterwerfen. Hegel anerkennt uneingeschränkt die geistige Überlegen heit des jüngeren Freundes, er sieht in ihm seinen Tn struktor oder noch mehr: seinen Vorgesetzten in allen anstehenden Fragen der Philosophie, von dem er sich Verständnis für seine Beschränktheit der Miltel und der Zeit erbittet. Das war keine Geste der stilisierten Bescheidenheit, sondern ergab sich aus der Hegeischen Natur und den äußeren Umständen, insbesondere aber der genialischen Vehemenz, die bei Schelling zutage trat, ebendem, was Hegels Sache nicht war. Übrigens erfährt Schelling hier zum erstenmal vom Dritten im Bunde, von Hölderlin. Hegel bittet Schelling um Nachsicht dafür, daß Hölderlin, der inzwischen nach Jena gegangen ist, brieflich nichts von sich hören läßt. Das sei nicht als Kälte zu verstehen: das wachsende »Interesse für weltbürgerliche Ideen« bei ihm, der sich unter den Schülern Eichtes befinde, stehe außer Zweifel. Ohne es eigentlich zu wollen, ist Hegel hier in die Vermittlerrolle 61
hineingeraten, der die Extrempositionen der beiden Freunde zusammenzuführen versucht. Als Vermittler kann er glaubwürdig aussprechen, was ihnen in Tübingen gemeinsam vorgeschwebt hatte, dem zuzustreben ihr Plan gewesen war: das »Reich Gottes«. Aber eben nicht mehr im Sinne der Theologen von »Profession«, der Kirche der Rechtgläubigen, die ihre Diener nährt, sondern eines neuen Programms, für das Kant und Fichte stehen: »Ver nunft und Freiheit bleiben unsere Losung und unser Vereinigungspunkt die unsichtbare Kirche.« Hier gelingt Hegel, ohne es darauf angelegt zu haben, bei der bloß vortastenden Orientierung ein großes Wort. Es war darin für den landläufigen »Christenmenschen« so gut wie alles anstößig. »Freiheit« in der verdächtigen Nähe der »Vernunft« konnte im Verständnis der Orthodoxie nicht auf Beifall hoffen; das eigentliche Ärgernis aber ist die »unsichtbare Kirche«. Das klingt nach Jakob Böhme. Die »unsichtbare Kirche« ist ein Dreh- und Angelpunkt, von der ungeahnte Bewegung ausgeht gegen das Regime der »sichtbaren Kirche« mit ihren materiellen Sakralmit teln. Schellings Antwort vom 4. Februar 1795 bedeutete für Hegel in seiner Berner Einsamkeit eine gewaltige Ermun terung, sich mit den darin gebotenen Ideen vertraut zu machen. Er geht sehr weit, wenn er, unter dem 16. April niedergeschrieben, darin schon ein »System« sieht und noch mehr: eine »Vollendung der Wissenschaft, die uns die
fruchtbarsten Resultate geben wird«. Das Selbstvertrauen ist nicht gering, es wird der Anspruch auf Mitwirkung am Wandel des in der Gegenwart herrschenden Denkens vorgetragen, wobei Hegel dem Freund die Führungsrolle überläßt. Natürlich befindet man sich noch immer auf der Suche. Eines jedoch glaubt Hegel sagen zu dürfen: »Vom Kantischen System und dessen höchster Vollendung er warte ich eine Revolution in Deutschland.« Schelling möge ihm derweil Einsicht in Fichtes Wissenschaftslehrc geben mit allen Konsequenzen, an die bisher noch nie mand zu denken gewagt hat. Vor allem kommt es darauf an, »daß die Menschheit vor sich selbst so achtungswert
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dargestellt wird«. Man kennt auch die Schuldigen dafür, daß es bis jetzt noch nicht dahin gekommen ist: Die Religion war die Gehilfin des Despotismus bei der »Ver achtung des Menschengeschlechts«. Es kommt darauf an, die Ideen, wie sich alles entwickeln soll, zu verbreiten. So wird auch die Gleichgültigkeit der Menschen über ihr Los verschwinden. Idealismus und ungetrübter Optimismus haben den beiden Briefschreibern die Feder geführt. Kant, Pichte, Schiller werden von Hegel beim Namen genannt, sie sind die eigentlichen Verkünder der Botschaft der »unsichtba ren Kirche«. Von Hölderlin als ihrem künftigen Apostel ist in der Korrespondenz mehrfach die Rede. Der Inhalt ihrer Verkündigung lautet: Es ist auf die belehrende Kraft der Ideen zu setzen. Über allen aber steht für Hegel Theodor Gottlieb von Hippel. Ihm verdanke er, wie er Schelling wissen läßt, die Richtung seines Denkens: »Ich rufe mir immer aus den Lebensläufen zu: >Strebt der Sonne entgegen, Freunde, damit das Heil des menschli chen Geschlechts bald reif werde. Was wollen die hindern den Blätter, was die Äste? Schlagt Euch durch zur Sonne! <« Die Sympathie für die französischen Revolutionäre aus den Tübinger lagen ist in Bern stark abgeklungen. He gels Betrachterrolle steht ohnehin quer zu jedem po litischen Aktionismus, aber sein Schelling gegenüber ge äußertes Interesse an der Karriere Reinhards zeigt Be wunderung für den ehemaligen Stiftler, der von der Revolution hochgetragen wird. Er steht für einen kurzen Zeitraum seiner eigenen Hoffnungen. Ihr Verklingen bedeutet Zurücknahme, aber Verfesti gung bestimmter und von nun an bleibender Grundan schauungen. Sie sind nicht umsonst gewesen. Persönliche Erfahrungen mischen sich in die aus den französischen Ereignissen gezogenen Konsequenzen. Denn von Frank reich aus fällt Licht auf die Verhältnisse im Württemberg Karl Eugens und seines Nachfolgers. Die »Orthodoxie« in der württembergischen Kirche ist aufs engste mit den Interessen des Staats, der »Despotie« verknüpft, das heißt
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mit der »Verachtung des Menschengeschlechts«. Das ist der Grundklang seiner Übereinstimmung mit Sehelling, der ebenso wie Hegel vor »Orthodoxie« und »Despotie« zurückschreckt und in der »Philosophie«, bei Kant und Fichte, Zuflucht sucht. Hegel hat die aus den württem bergischen Erfahrungen gezogenen Lehren in seinen theologischen und durch und durch inoffiziellen Papie ren unter dem Begriff der »Positivität der christlichen Religion« vermerkt. Sie enthält das, was gesetzt werden muß, was in der historischen Erscheinungswelt als Abwei chung vom Gewollten in Betracht zu ziehen ist, wie die Spanier, die mit dem Kreuz in der Hand ganze Generatio nen Indianer ausgerottet haben, oder eine Wissenschaft, die sich vom Boden der Kirche zur »Gottlosigkeit« entwik kelt hat. Mit diesem Fahrenlassen der revolutionären Hoffnun gen fällt in der »Positivität der christlichen Religion« die Religion auf die »Orthodoxie«, der Staat auf die »Despo tie« — denn beide stehen ja im Bunde - zurück. Der Berner Flegel hat sich in seinen Briefen an Sehelling nicht näher über seine »Methode« ausgelassen, er fand sie selbst noch unfertig, im Stadium der Erprobung. »Von meinen Ar beiten«, schreibt er am 21. Juli 1795 an den Freund in Tübingen, »ist nicht der Mühe wert, zu reden.« Er erhofft sich von Sehelling Anstöße und wagt noch nicht einmal, ihm gegenüber kritische Urteile auszusprechen: »Bemer kungen über Deine Schrift kannst du von mir nicht erwar ten. Ich bin hier nur Lehrling.« Es stimmte: Nichts war hier fertig, nichts sollte, wenn jemals überhaupt, vor der Zeit nach außen dringen. Auf ein Mitteilen des von ihm noch nicht hinlänglich Erprob ten läßt sich Hegel gegen Sehelling nicht ein - ganz im Gegensatz zu Sehelling, der seine Ideen wie eine koehende Lavamasse ausstößt und sich schon in Tübingen auf den Wettkampf mit Fichte vorbereitet. Was aber beide ver band, war der Glaube an die Heraufkunft eines neuen Weltalters, das im Namen der »Philosophie« gegen die »Orthodoxie« antreten werde. Hegels Kant-Studium galt damals insbesondere dessen Schrift über Die Religion in
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nerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft als Vorlage für ein
Durchdenken von Kants Begriff der positiven Religion. Das Buch gehört für Hegel mit zu den Aussichtseröffnun gen für das erwartete neue Weltalter, das keinesfalls darin stimmte Schelling mit ihm überein - in Württem berg zu gegenwärtigen ist. Hatte ihn bereits in Tübingen Märklin als schnellerer Kant-Leser den Rang abgelaufen, geht es auch jetzt nur mühsam voran. Durch seine Dienstpflichten im Hause Steiger wird das Studium Kants wie auch das von Schellings frühen Arbeiten immer wieder schmerzlich unterbrochen. Mit Schellings Ende seiner Tübinger Zeit ändern sich auch Thema und Ton des Briefwechsels. Der theoretische Diskurs darin tritt hinter die Erörterung von Schellings Reiseplänen, den Vorbereitungen dazu und bald auch ausführlichen Berichten über seine Aufenthalte in Stutt gart, Leipzig, Jena und einem von Thüringen aus unter nommenen Besuch in Württemberg zurück. Als er als Reisebegleiter der beiden Riedcscl aufbricht, sitzt Hegel noch in tiefer Niedergeschlagenheit im Berner Jura. Schelling kannte diese Phasen der Depressionen, die sich auch später immer wiederholten, an Hegel; er munterte ihn auf, dringt auf seine baldige Lageveränderung. Einen solchen Zuspruch von außen konnte Hegel damals gut gebrauchen, er scheint denn auch dem eigenen Vorsatz, aus dem Steigerschen Hause wegzukommen, bald als wei tere Triebfeder gedient zu haben.
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Sechstes Kapitel
Das Älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus Franz Rosenzweigs handschriftlicher Fund, über den er zuerst im Jahre 1917 berichtet und der seitdem unentwegt Anlaß zum Bedenken gegeben hat, trägt das Kennzei chen, gleich drei Biographien zugehörig zu sein. Für die Autorschaft des Blattes sind denn auch drei Namen in Betracht gezogen worden. Es handelt sich bei diesem Stück um eine Erwerbung der Königlichen Bibliotheken in Berlin 1913, »ein ungebrochenes Folioblatt, die zweite Seite nicht ganz vollgeschrieben« (Rosenzweig), und von unbekannter Herkunft. Rosenzweig selbst sah in Schelling den Verfasser des Manuskripts, das aber offenbar von der Hand Hegels stammen mußte und aus Gründen, die Rosenzweig für triftig hielt, ihm nicht zugeschrieben wer den konnte. Die Behauptung ließ sich stützen wie auch abweisen. Wenn Hegel das idealistische Programm in dieser fragmentarischen Form handschriftlich zu Papier gebracht hatte, warum sollte er es nicht auch selbst verfaßt haben? Andere sahen mit durchaus einleuchtenden Ar gumenten in Hölderlin den Urheber. Die Frage ist in der Folge weiterhin kontrovers behan delt worden und läßt sich mit Überzeugung für den jeweils zweifelnden Teil nicht beantworten. So schön es wäre, hier eine Übereinkunft zu erzielen, so unmöglich ist es angesichts der Sachlage, die aber sehr wohl den Weg offenläßt, im Systemprogramm die Vereinigungsformeln zu sehen, in denen sich Hegel, Hölderlin und Schelling für einen um 1796 liegenden Zeitraum wiederfinden können. In der chronologischen Ansetzung von Mitte 1796 käme (noch) der Berner Hegel in Betracht. Wir wissen, daß sich der »Lehrling« damals als »Lehrling« Schellings fühlt. Das könnte dafür sprechen, daß er hier einen Schellingschen Text abschreibt, tut es aber nicht mit Zwangsläufigkeit. Der Sprachstil, in dem das Stück abgefaßt ist, hat einen Duktus, der durch und durch unhegelsche Züge trägt, eine Subjektivität mit vielen Ich-Formen, die Hegel in 66
seiner theologisch-philosophischen Prosa sich sonst nir gendwo herausnimmt: »Zuerst werde ich hier von einer Idee sprechen, die so viel ich weiß, noch in keines Men schen Sinn gekommen ist.« Hat man in dem Fragment stück Teile eines Agitationsprogrammes gesehen, so nimmt das engagierte »Ich« (»will ich zeigen, daß es keine Idee vom Staat gibt«) diesen Ton auch wieder zurück. Hegel als Agitator! Das stimmt bedenklich, paßt nicht ins Bild; es paßt eher auf Schelling, den zeitweiligen »Rädels führer« der Sympathisanten von 1789 im Tübinger Stift. Man kann auch an Hölderlinsche poetische Töne erinnert werden. So schwankt das Papier zwischen Aufruf und Bekenntnis von jemandem, der Fichte gelesen hat und unter seinem Einfluß Sätze für ein erstes provisorisches »System« zustande bringt. »Da die ganze Metaphysik künftig in d. Moral fällt — wovon Kant mit seinen beiden praktischen Postulatcn nur ein Beispiel gegeben, nicht erschöpft, (hat) . . . « Oder: »Die erste Idee ist natürl. d. Vorst. von mir selbst, als einem absolut freien Wesen.« Das sind alles Gegenstände ausführlichen Verhandeins im Briefwechsel Hegels mit Schelling, gehört zur »Bot schaft«, die der in Jena Fichte studierende Hölderlin zu verkünden hat, es schließt sogar schon seinen Gedanken von der »ästhetischen Kirche« ein. Auffallend ist denn auch die Vorzugsstellung des »Ästhetischen«. Wir hören: »Die Menschen ohne ästhetischen Sinn sind unsere Buch staben-Philosophen. Die Philosophie des Geistes ist eine ästhetische Philos.« Damit ist die Richtung angegeben, in der Schelling vorangeht und Hölderlin unter dem Ein druck unendlicher Trauer über den Untergang Grie chenlands ihn begleitet, in der Hegel damals, obwohl er das alles bejahen kann, noch zur Nachhut gehört. Nicht ausgespart werden kann die Lieblingsidee der drei Geg ner der Tübinger »Orthodoxie«: »Umsturz alles (Aber glaubens) Afterglaubens, Verfolgung des Priesterthums, das neuerdings Vernunft heuchelt«, Lieblingsidee dar um, weil sie hier als Theologen persönlich tief verstrickt sind in das Schicksal der Religion und sich außerordentli che Erwartungen an den »Umsturz« knüpfen, an dessen 67
Ende, aus ihm hervorgehend, die »Idee der Schönheit« steht. Aus der Aufforderung »Der Philosoph muß eben so viel ästhetische Kraft besitzen« spricht eher das »Tempe rament« Schellings (im kantischen Sinne), der sie als erster in seinen eigenen Manuskripten beherzigen wird. Annä herung an Natur und Kunst über die für »Schönheit« empfängliche sinnliche Seite war ein Goethesches Postulat und gehört ebenso zur Ästhetik Schillers. Vom Stand punkt des christlichen Dogmas aus ist es höchst bedenk lich, so zu sprechen. Aber das »Ästhetische« ist der Gra ben, den der Verfasser für sich und die, für die er spricht, gegen die »Tübinger Theologie« aufgeworfen hat. Ohne »eine neue Mythologie«, die eine »Verwirkli chung der Vernunft« sein muß, kann die Verwirklichung der »Idee« nicht ins Werk gesetzt werden. Die »Idee« steht hier zweifellos für die »unsichtbare Kirche« als Vereini gungsort von Hegel, Hölderlin und Schelling, auch wenn die Benennung, die gerade in diesen Jahren für alle drei eine große Rolle spielt, im Text nicht auftaucht. Zu ihr gehört im Sinne der Erneuerung die Aussöhnung von Geist und Natur, von Idee und Sinnlichkeit, zwischen die der alte Mythos einen tiefen Keil getrieben hat. Der Bogen der Erneuerer reicht noch viel weiter. Alle Zersplitterun gen zwischen dem »Volk«, das »vernünftig« wird, und den »Philosophen«, die »sinnlich zu machen« sind, werden im Lichte der höheren Einsichten ein Ende haben: »Dann herrscht ewige Einheit unter uns.« Und das schließt ein: »Nimmer der verachtende Blick, nimmer cias blinde Zit tern des Volks vor seinen Weisen u. Priestern. Dann erst erwartet uns gleiche Ausbildung aller Kräfte, des Einzelnen sowohl als aller Individuen.« Aber das Welterneuerungsprogramm als eine in Prosa gefaßte Version von Schillers »Seid umschlungen Millio nen« macht auch hier noch nicht halt. Der Anspruch ist höher gesteckt, geht über jede moralische, ästhetische, pädagogische Zielsetzung und über die Horizonte Rous seaus, Kants und Eichtes hinaus. Mit seiner Durchsetzung fallen die Widerstände gegen die »allgemeine Freiheit und Gleichheit der Geister« von selber. Was dem Verfas
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ser des Papiers hier vor Augen schwebt, ist ein Akt der Religionsstiftung, die die Wende einleitet mit der Verhei ßung, »das letzte, größte Werk der Menschheit« zu »sein«. War das noch Hegel? Es bedeutet keine Mühe, die im sogenannten »ältesten Systemprogramm« kernhaft ange legten Vorstellungen in seiner späteren Philosophie nach zuweisen. Nur der Gedanke, sie durch einen Stiftungsakt zur Religion zu erheben, fügt sich hier nicht ein. Er fügt sich sehr wohl bei Schelling ein. Hier ist die Generallinie seines künftigen Denkens vorgezeichnet: Philosophie als neue Religion, in der das Sinnliche als das ästhetisch Erfahrbare nicht mehr verdächtigt werden kann. »Ein höherer Geist vom Himmel gesandt, muß diese neue Religion unter uns stiften ...« ist Schellingsches Sprechen und geht in Hölderlins hymnischen Gesang ein. Hegels in seiner Natur angelegte Trockenheit hält ihn von solcher Tonlage fern, bewahrt ihn aber auch vor den Gefahren, die darin liegen. An dieser Grenze, die von der Philoso phie zur Religion hinüberführt, macht der künftige Syste matiker halt. Wie bei den Tübinger Studentendemonstra tionen mit Freiheitsbaum und Marseillaisc-Singen ist He gel auch hier nur Mitläufer. Er ist beim »Systempro gramm« im wahrsten Sinne des Wortes federführend, er kann in alle seine Punkte einstimmen, aber die Beschwö rung des »Himmels«, aus der neuen Philosophie, ehe sie recht begründet ist, schon eine Religion mit allen Weihen, die ihr anhängen, zu machen, kam aus einer Richtung, die nicht die seine war.
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Siebentes Kapitel
Jena gegen Tübingen Kant, Reinhold und Fichte bilden damals das Dreigestirn, auf das Hegel und Schelling sich verständigen konnten, das gegen das Tübingen der Schnurrer, Storr und Flatt antrat. Einen Augenblick lang scheint sich für Hegel die Möglichkeit aufgetan zu haben, die frei werdende Repe tentenstelle übernehmen zu können, aber dann taucht der Name Renz, der Vikar in Maulbronn geworden war, für die Kandidatur auf, und damit wären für Hegel, wenn ihm nicht ohnehin vor Tübingen gegraust hätte, alle Aussichten zunichte gewesen. Das Thema wird im Brief wechsel mit Schelling und Hölderlin angeschnitten. Die Parole der drei aber hatte seit längerem gelautet: Jena gegen Tübingen. Mit Jena war zunächst die Gestalt Karl Leonhard Rein holds verbunden, eines gebürtigen Wieners, der es vom Jesuitennovizen zum Protestanten und Kantianer ge bracht hatte, in Königsberg beim Verfasser der Kritik der reinen Vernunft persönlich vorstellig geworden war und dessen Plazet besaß, mit dem er in Jena die Kantische Lehre vortragen konnte und dadurch sehr an ihrer Ver breitung mitwirkte. An ihn knüpften sich viele Hoffnun gen, die von Kant und vom Kantianismus auf die jüngere Generation herüberschlugen. Bei den Studenten fand Reinhold Anklang, er machte von sich reden, seine Vorle sungen müssen sehr anregend gewesen sein, und der, der sie hielt, genoß die Gunst des Meisters. 1794 zieht Rein hold es vor, einem Ruf nach Kiel zu folgen. An seine Stelle in Jena tritt Fichte. Die Berufung Fichtcs auf den philosophischen Lehr stuhl der sächsisch-weimarischen Landesuniversität war letztlich durch Goethes Votum zustande gekommen. Fich tes Tätigkeit läßt sich zunächst überaus erfolgreich an, die Zahl der Hörer wächst und beträgt zeitweilig 500. Aber ein solcher Erfolg ruft zwangsläufig auch Gegner auf den Plan. Gegen seine ungestörte Wirksamkeit wurden zuerst 70
vereinzelte, dann zahlreiche und immer vernehmlichere Stimmen der Agitation und der Diffamierung laut. Das geschieht nicht ganz ohne Fichtes Schuld, denn er macht es seinen Gegnern leicht, gibt ihnen hinlänglich Stoff, sich in der Annahme, es mit einem politisch bedenklichen Kopf zu tun zu haben, bestätigt zu sehen. Ein Satz wie: »Es ist der Zweck aller Regierungen, die Regierung überflüs sig zu machen«, kann ohne größere Mühe als anarchi stisch oder revolutionsfreundlich ausgelegt werden. Als er sich dann noch gegen die »im Schwange gehende Rohheit und Zügellosigkeit« von drei namentlich aufgeführten Studentenverbindungen glaubte verwahren zu müssen, ist es mit seinem Frieden in Jena endgültig vorbei. Einge worfene Fensterscheiben, Beschimpfungen seiner Frau auf der Straße sind die Antwort. Der Universitätssenat verhält sich indifferent. Nur durch einen beim Herzog beantragten Urlaub verschafft sich Fichte für den Som mer 1795 Ruhe. Fichte hat sich während dieser Zeit mit dem Gedanken getragen, nach Frankreich zu emigrieren. Er wollte in aller Ruhe seine Wissenschaftslehre ausarbeiten; dazu braucht er ein von allen Amtsgeschäften freies Leben. Seine Gegner sahen vielleicht doch nicht so falsch, wenn sie in ihm einen Sympathisanten der Französischen Revo lution vermuteten. In einem Briefentwurf aus dieser Zeit heißt es: »Mein System ist das erste System der Freiheit; wie jene Nation (die französische) von den äußeren Ketten den Menschen losreißt, reißt mein System ihn von den Dingen an sich, des äußern Einflusses los und stellt ihn in seinem ersten Grundsatz als selbständiges Wesen hin ... ich würde keinen Titel tragen als den eines französischen Bürgers, wenn die Nation mir ihn geben wollte.« In den folgenden drei Jahren seiner Jenenser Lehrtä tigkeit war der Friede zwischen Fichte und seinen Geg nern nur äußerlich hergestellt. Er liest vor allem über die Wissenschaftslehre, wo es weniger Anlaß zur Herausforde rung derer gab, die nur darauf warteten, um den Kampf gegen ihn neu zu eröffnen. Aber daß sie schließlich doch eine Gelegenheit dazu finden würden, mußte er gewärtig
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sein, und daß auch plumpe Mittel dabei noch zum Erfolg führen können, sollte er bald erfahren. Ein von Karl Forberg verfaßter, aber von Fichte im Philosophischen Jour nal abgedruckter Aufsatz Über den Grund unsers Glaubens an eine göttliche Weltregierung ist für die Gegner ein Indiz
seines »Atheismus«, der ihm in einer anonymen Flug schrift nachgesagt wird. Jetzt beginnen die Vorgänge, die mit Fichtes endgülti ger Vertreibung aus Jena enden werden. In einem Requi sitionsschreiben der kurfürstlich-sächsischen Regierung an den Weimarer Hof wird mit Sorge vermerkt, daß »Lehrer in angrenzenden Landen sich öffentlich und ungescheut zu dergleichen Grundsätzen bekennen«, um »die Begriffe von Gott und Religion aus den Herzen des Menschen zu vertilgen«. Auch für eine so aufgeklärte Regierung wie die weimarische ist es jetzt gar nicht mehr möglich, entsprechende Untersuchungen zu verhindern, damit die Verantwortlichkeiten geklärt werden und der artigem Treiben auf der Universität, dem Gymnasium und den übrigen Schulen fortan ein Ende bereitet wäre. Man hat sich in Weimar alle Mühe gegeben, die Angele genheit durch einen Kompromiß zu erledigen. Doch dazu wäre Fichtes Entgegenkommen notwendig gewesen. Des sen Neigung ist freilich gering. Daß er auf völliger Rehabi litierung besteht, hatte gute Gründe für sich, daß er mit seinem Abschied von der Universität droht, war makellos; strategisch, wie der Ausgang zeigt, allerdings sehr unge schickt. Zu einer Entlassung Fichtes hätte man sich in Weimar nicht entschlossen. Nun, wo Fichte selbst seinen Weggang anbietet, geht man gern darauf ein, um sich des unbequemen Mannes zu entledigen. Damit mochte Fichte nicht gerechnet haben. Daß er so hoch gesetzt hatte, war seinem Gharakter sehr wohl ange messen und bekräftigte seine Unbeugsamkeit. Aber zu gleich war man zu einem unerwartet leichten Sieg über den »Verteidiger der Menschenrechte« gekommen. Es bleibt - wie man die Dinge auch abwägen mag - ein Rest, der unbefriedigt läßt. Man hatte den »Fall Fichte« am »Atheismus« aufge 72
hängt, mit all den Unsicherheiten bei der Definition eines solchen Vorwurfs. Was die Angelegenheit über die Be deutung des Betroffenen weit hinaushob, war die Mitwir kung Goethes im Weimarer Geheimen Conseil bei Fichtes Suspendierung vom Amt. So wie er sich ausschlaggebend für dessen Ernennung ausgesprochen hatte, ist er nun zur Stelle, um ihm den Abschied zu geben. An den »fortdau ernden Verdrießlichkeiten«, die Fichtes Wirken ihm und dem Staat bereitet hatten, war sein Verständnis auf Grund gelaufen. Er legt ihm »Äußerungen über Gott und göttli che Dinge« zur Last, »über die man freilich besser ein tiefes Stillschweigen beobachtet«, bekräftigt sich selbst gleichsam noch einmal sein persönliches Wohlgesinntsein und macht Fichtes undiplomatische Umgangsformen da für verantwortlich, daß man ihm nicht aus der leidigen Sache habe heraushelfen können. Eine leidige Sache, die »Verdrießlichkeiten« geschaffen hatte! So sieht Goethe Fichtes Streit in Jena und seinen Ausgang. Er wiegelt ab. Bei aller Sympathie für Fichte: der Lärm verlohnt die Sache nicht, um die er gemacht worden ist, auch der »aufrechte Gang« und der Aufwand an Gcradlinigkeit, alles schön und gut! Nur: war dieses im Abstrakten sich abspielende Hochrecken aus guter Gesin nung nicht voller Torheit, deren Folgen den Staat in Unruhe versetzten? Darin mochte eine Menge Wahres stecken, doch ebensoviel Sclbstbeschwichtigung Goethes, am Sturz eines von ihm hochgeschätzten Mannes mitgewirkt zu haben. Was Goethe wußte und hier verschweigt, war, daß es mit der Stichhaltigkeit des Grundes für Fichtes Verabschie dung aus dem sächsisch-weimarischen Staatsdienst nicht zum besten stand. Der »Atheismus« als Absage an den herrschenden Gott war in der Gestalt des Prometheus Goethes eigene Sache gewesen, darin hätte Fichte ihm, dem »Griechen« und »Heiden«, für eine Wegstrecke der willkommene Gefährte sein können. Aber es ging im Atheismusstreit gar nicht um den »Atheismus«. Fichte verrät den wahren Grund, wenn er in seiner Verantwor tungsschrift vom 18. März 1799 die »Triebfeder«, die ihn 73
aus dem Amt gedrängt hatte, beim Namen nennt: »Ich bin ihnen ein Demokrat, ein Jakobiner, dies ist's.« Hier kommt es heraus. Hinter dem bloß »Verdrießli chen« verbirgt sich Gefährliches. Besser, wenn man es bei der Lage der Dinge nicht noch ans Licht bringt! Die Gewißheit spricht ohnehin dafür, daß das eine zum an dern gehört. Das Frankreich von 1789 war dafür der Zeuge gewesen. Hegel hatte von Bern, Schelling noch von Tübingen aus den Aufstieg der Fichteschen Lehre und seinen bald darauf einsetzenden Sturz nach den Anfeindungen ver folgt. Das macht eines der Hauptthemen ihres Briefwech sels aus. Schelling, der gerade Fichtes Grundlage und Grundriß der gesamten Wissenschaftslehre erhalten hat, kann
Anfang Januar 1795 mitten aus dem Studium des Werks in überschwenglicher Begeisterung an Hegel schreiben: »Glücklich genug, wenn ich einer der ersten bin, die den neuen Helden Fichte, im Lande der Wahrheit begrüßen! — Segen sei dem großen Mann! Er wird das Werk voll enden!« Wenn es hier ein Werk zu vollenden galt, dann konnte es für Schelling nur das Werk Kants sein. »Mit Kant ging die Morgenröte auf«, heißt es ein paar Wochen später, am 4. Februar: » - was Wunder, daß hie und da in einem sumpfigen Tal noch ein kleiner Nebel zurückblieb, wäh rend die höchsten Berge schon im Sonnenglanz standen.« Und wieder gegenüber Hegel, am 21.Juli, ist von einer »Revolution« die Rede, »die durch die Philosophie be wirkt werden soll«; aber die, fügt er gleich hinzu, »ist noch ferne«. Es waren die Tübinger Verhältnisse mit dem darin herrschenden Dogmatismus, die ihn zu solchen Reden drängten. Doch wenn Schelling vom Studium Fichtes inspiriert gegenüber Hegel die Worte auszusprechen wagt: »Wir müssen noch weiter mit der Philosophie«, dann hieß das offen: Wir müssen noch über Kant hinaus. Im stillen aber hieß es: Wir müssen noch über Fichte hinaus. Hier brachte sich Schelling gegenüber Hegel selbst ins Spiel. Er saß damals in Tübingen und war besser infor
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miert, er kann seinen Wissensvorsprung weiter ausbauen; er ist in der Sache der Treibende, er regt an, fordert auf. Man wird nicht sagen dürfen, daß er eine Vorzugsstellung usurpierte. Auch die diskrete Gleichstellung mit Fichte, aus der die Absicht des Überholens hervorgeht, hatte ihr gutes Recht. Der selbst ausgestellte Wechsel auf die Zu kunft wird eingelöst. Wenn in diesen Monaten einer gegen die Originalität Fichtes die zu erwartende eigene entge genstellen durfte, dann war es Schelling. Zunächst aber eilt es, weiter auf Fichte zu schauen, auf den für die »Menschheit kämpfenden Titanen«, wie ihn Hölderlin nennt, der nach Jena vorausgeeilt war und seinen Vor lesungen beiwohnen kann. So ließ sich über Fichte reden, ohne zu hoch zu greifen. Fichte ist der erste deutsche Philosoph gewesen, der un mißverständlich, ohne Kautelen, als Anwalt der »Men schenrechte« auftrat. Fichte, der Franzosenfreund, Streiter für die »Men schenrechte« und verkappter Anhänger der Revolution, den seine Gegner im »Atheismusstreit« vor aller Öffent lichkeit mit Erfolg »entlarvt« hatten, ist durch seine flam menden, gegen Napoleon gerichteten Reden an die deutsehe Nation später sehr in Vergessenheit geraten. Es hatte sich ein neues Bild vor das alte geschoben. Aber das eine wie das andere gehörten zur selben Gestalt. Was aus seinen Anfängen mehr als alles sonst auf Schelling überspringt, war die Zusammenziehung seines Denkens auf die Lehre vom »Ich«. Das »Ich« ist alles, und außer ihm ist nur das »Nicht-Ich«. Wenn es keine Gewißheit gäbe, dann bliebe als einzige die unanfechtbar, daß »Ich=Ich« ist. Das »abso lute Ich« kann Fichte zufolge nie im Widerspruch mit sich selbst stehen. So oft es sich widerspricht, ist dies ein sicheres Zeichen dafür, daß es nicht nach der Form des »reinen Ich«, also nicht durch sich Selbst, sondern durch äußere Dinge bestimmt wird. Aber dies darf nicht sein, denn der Mensch ist selbst Zweck, er soll sich selbst bestim men und nie durch etwas Fremdes bestimmen lassen, nach der Formel in Fichtes erster ]enenser Vorlesung Über die Bestimmung des Gelehrten aus dem Jahre 1794: »Der
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Mensch soll stets einig mit sich selbst sein; er soll sich nie widersprechen.« In drei Stufen, die Fichte Thesis, Anti thesis und Synthesis nennt, wird die ganze Erfahrungs welt gesehen und in »Taten des Ichs« aufgelöst: Setzen des »Ichs«, Setzen des »Nicht-Ichs« sind die Akte der sogenannten Transzendentalphilosophie, in der das »Ich« zur Erfahrung seines Bewußtseins gelangt. Ein solches Denken hat damals auf Schelling und Hegel außerordentlichen Eindruck gemacht. Auf Schelling mehr als auf Hegel! Schelling greift Hegel vor, wenn er aus fichteschen Vorstellungen heraus in seinem Brief an Hegel vom 4. Februar 1795 eine fertige Formel bereit hat: »Gott ist nichts als das absolute Ich.« Er war wieder schnel ler zur Stelle, denn Hegel macht entscheidende Bedenken geltend. Hegel ist auch gar nicht bereit, Schellings zeitwei lig kritiklose Bewunderung Fichtes zu teilen. Fichte, so meint er Ende Januar 1795, habe darin »die alte Manier, in der Dogmatik zu beweisen, wieder eingeführt«. Das müsse alles noch näher bestimmt werden. Das hieß: Was kann es einbringen, den Tübinger Dog matismus zu bekämpfen, wenn er in der Philosophie auf eine andere Weise wieder zustande kommt? Und es hieß auch: Wenigstens an dieser Stelle ist Fichte hinter Kant zurückgefallen. Die beiden Briefschreiber hatten die Jenenser Begeben heiten mit Aufmerksamkeit verfolgt. Bei Schelling ist unbedingte Parteinahme für Fichte mit im Spiel. Hegel dagegen schränkt ein - bei aller Verurteilung der Jenen scr Schändlichkeiten gegenüber Fichte. Warum hat sich Fichte mit den Studenten angelegt, warum hat er ihnen nicht ihre »Rohheit« gelassen und sich ein Häuflein ausge wählter Schüler herangezogen? Das kam dem Goethe schen Standpunkt nah, der die »Verdrießlichkeiten« geta delt hatte, mit denen Fichte unnötigerweise hervorgetre ten war. Man kann hier den Gedanken des Briefschreibers erraten: das würde ihm, Hegel, in ähnlicher Lage nicht widerfahren.
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Achtes Kapitel
Hölderlin Da Hegel die Erzieherstelle im Hause der Charlotte von Kalb in Waltershausen bei Meiningen ausgeschlagen hatte, war der Freund und Altersgenosse Hölderlin, der nach seinem theologischen Examen ebenfalls zur Disposi tion stand, der neue Anwärter geworden. Das Verfahren lief über Schiller, der in Weimar das Wohlwollen der Frau von Kalb genoß. Das sah wie ein Glücksfall für beide Seiten aus und war es zunächst auch. Charlotte von Kalb, weimarische Staats dame durch und durch, die es darauf anlegte, verständ nisvolle Freundin der im kleinen thüringischen Herzog tum versammelten Literaten zu sein, hatte mit der Wahl Hölderlins als Hauslehrer ihres Sohnes nicht fehlgegrif fen. Und Hölderlin: er konnte im Blick auf Schiller an seine Tätigkeit die allerhöchsten Erwartungen knüpfen. Hölderlins Aufenthalt in Waltershausen in der Rhön ließ sich denn auch sehr gut an. »Eine Frau von Kalb wirst Du schwerlich finden in Deinem Bern. Es müßte Dir sehr wohl sein, an diesem Strahle Dich zu sonnen«, schreibt er am lo.Juli 1794 an Hegel in die Schweiz. Der Aufenthalt auf dem Gute bietet ideale Lebensverhältnisse: lange Ge spräche mit der Mutter seines Zöglings, Lektüre Kants und der Griechen, Ausflüge, die ihn weit ins Gebirge fuhren. Hegel mußte einen Irrtum begangen haben, als er sieh statt für das Amt im Hause Kalb für Bern entschied. Im abwechslungsreichen Verlauf seiner Tage bleibt Hegel für Hölderlin der ruhende Pol, der ihm den nöti gen Halt gibt. »Du warst so oft mein Genius« im selben Brief ist mehr als nur Versicherung der Freundschaft, wie sie auch Schclling gegenüber hätte gelten können. Ver band ihn seine unruhige Natur eher mit Schelling, so steht ihm Hegel als kontrapunktische Erscheinung viel näher. Hegel ist ihm der »Bruder«, als der ihm Schelling nie erschienen war. Er steht in Hölderlins Augen fest auf dem Boden — er ist nicht, wie er selbst oder Stäudlin, der sich
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später bei Straßburg im Rhein ertränkt, ein Fallender. Seine Gegenwart verleiht Sicherheit. Schade, daß er in Waltershausen, wo er in freien Stunden am Hyperion dich tet, nicht an seiner Seite ist: »Ich möchte Dir wohl manches ablernen, auch zuweilen etwas von dem Meinigen mittei len« (10. Juli 1794). Wir kennen die Losung, unter der in Tübingen Hegel, Hölderlin und Schelling auseinandergingen. Hölderlin erinnert Hegel daran, der sie wieder brieflich gegenüber Schelling erwähnt. Über allem Wechsel der Verhältnisse steht das »Reich Gottes«, seine Verkündigung und das Mitschaffen daran. Es ist die Losung dreier gescheiterter Theologen, die als Hofmeister bald einer nach dem an dern von Tübingen aus in die Welt ziehen und in ihrem Fall: noch mehr durch ihr Erheben in den darauffolgen den zweihundert Jahren von sich reden machen. »Reich Gottes« im Namen von »Vernunft und Freiheit« mit dem »Vereinigungspunkt« in der »unsichtbaren Kirche«! Für Hölderlin standen die Dinge zunächst am günstig sten. Frau von Kalb bedeutete die unmittelbare Nähe Schillers, bedeutete Jena, mit allem, was sich hier vorberei tete, bedeutete das nahe gelegene Weimar mit Goethe, Herder, Jean Paul und seinem schwäbischen Landsmann Wieland. Was konnte es für den vierundzwanzigjährigen Hölderlin Wünschbareres geben, als von Schiller in Goe thes Nähe gebracht zu werden? Dabei widerfährt ihm ein Mißgeschick. Bei seinem Besuch in Schillers Haus wird er einem Herrn vorgestellt, dessen Namen er nicht ver standen hat. »Kalt, fast ohne einen Blick auf ihn begrüßte ich ihn«, berichtet er in einem Brief an Neuffer vom November 1794. Nachher und zu seiner allergrößten Bestürzung wird er erfahren, daß es Goethe gewesen war, den er in seinem Gespräch so gleichgültig behandelt hatte. Später, bei der zweiten Begegnung (oder ist es die gleiche, aus der Perspektive ihres weiteren Verlaufs her aus berichtet?) scheint nach Hölderlins Aussagen das Eis gebrochen zu sein. Er schreibt am 26. Januar 1795 dar über an Hegel nach Bern: »Goethe'n hab' ich gesprochen.
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Bruder! es ist der schönste Genuß unseres Lebens, so viel Menschlichkeit zu finden bei so viel Größe. Er unterhielt mich so sanft und freundlich, daß mir recht eigentlich das Herz lachte und noch lacht, wenn ich daran denke.« Herder fällt demgegenüber etwas ab, er kehrt in den Augen Hölderlins bei aller Herzlichkeit zu sehr den »Weltmann« heraus, spricht »oft ganz allegorisch«. Das stört. Immerhin, es scheint, als ob Hölderlin in den Kreis, auf den es ihm in Weimar ankommen mußte, Eingang gefunden hätte. Aber gerade der Aufenthalt der Kalbs in Weimar berei tete das Ende seiner Hauslehrertätigkeit vor. Es hatte Schwierigkeiten mit dem Zögling gegeben. Hölderlin er wähnt im selben Brief das »mannigfaltige Elend, das ich durch die besonderen Umstände, die bei meinem Sub jekte stattfanden, erfahren mußte«, spricht von einer ge schwächten Gesundheit und dem Bedürfnis, wenigstens für eine Zeit, unabhängig für sich selbst zu leben. Er hatte bereits vor der Abreise seinen Dienst aufkündigen wollen, sich dann aber durch Schillers Drängen und die Bitten der Frau von Kalb zum Bleiben überreden lassen und einen weiteren Versuch gewagt. Aber der war fehlgeschlagen, hatte ihm die nächtliche Ruhe gekostet und war nicht länger als vierzehn Tage zu ertragen gewesen. Zu bewun dern war das unendlich feine Taktgefühl der Frau von Kalb, die zwischen der Aufsässigkeit ihres Sohnes und den Kaprizen Hölderlins auszugleichen verstand. Denn Höl derlin hatte seine »Launen«, worüber auch zwischen He gel und Schelling Einvernehmen bestand. Ihn drängte jetzt vor allem die Arbeit am Hyperion, für den Schiller ihm seine Zeitschrift Thalia zur Verfügung gestellt hatte. Das Schreiben daran ist nicht zuletzt Flucht vor der Wirklich keit, vor dem Leiden an Deutschland und ein Hin zu den Gestaden Griechenlands mit der Diotima als einer er träumten Geliebten. Da durfte für das prosaische Ge schäft eines Erziehers im Umgang mit einem die Phantasie tötenden »Subjekt« nun wirklich keine Zeit verloren wer den. Frau von Kalb hatte es schließlich mit viel Geschick dazu 79
gebracht, in Weimar eine passende Lösung zu finden. Sie verstand es, ihren Sohn von seinem Erzieher zu befreien und den Erzieher von einer unerträglichen Last. Als Hauslehrer war Hölderlin überflüssig geworden; so hatte er es sich gewünscht. Dafür war er Frau von Kalb von Herzen dankbar. Ihr Haus wird ihm immer offenstehen. Er verfügt zunächst über einige Geldmittel, die es ihm erlauben, sich unabhängig zu bewegen und nach Jena zurückzukehren, wo er in der Nähe Schillers seine Bei träge für die Hören und den Musenalmanach schreiben möchte. Seine Devise, die er Hegel am 25. November 1795 mitteilen wird, ist, lieber mit dem » Hungerleiden« vorlieb zunehmen als eine »öffentliche Beschäftigung« zu su chen, die ungelegen ist. Das heißt: keinen Eintritt in den beamteten Dienst, und das heißt hier: der Kirche, wie es für ihn als Theologen vorgesehen war. Als die Frage einer Repetentenstelle im Stift auftaucht, weist er sie für sich entschieden zurück, warnt aber auch Hegel davor, sich als »Totenerwecker in Tübingen« diesen Mühen zu unterzie hen. Am vorteilhaftesten erscheint ihm nach einer Zeit der Muße ein neues geeignetes Hofmeisteramt. Er sollte es finden, in Frankfurt am Main, im Hause der Kaufmannsfamilie Gontard; und zwar ein solches, das im Blick auf die junge Dame des Hauses nichts für ihn zu wünschen übrig läßt. Er war zunächst von Jena nach Nürtingen zur Mutter zurückgereist, hatte sich hier und da umgehört. Die Blütenträume aus seinen Begegnungen mit Goethe waren in den nächsten Monaten nicht gereift. Beim stellungslosen Theologen mit dem begonnenen Hy perion im Gepäck stellen sich lang währende Phasen der Depression ein. Im Gedanken an die Zukunft überkommt ihn das Gefühl der beruflichen Hoffnungslosigkeit, aus dem ihn auch die Frankfurter Tätigkeit nicht herausrei ßen wird. Es versteht sich, daß er Hegel einbezieht in dieses Gefühl der Unsicherheit eines solchen Dienstver hältnisses: »Wenn wir einmal auf dem Sprunge sind, Holz zu spalten oder mit Stiefelwachs oder Pomade zu handeln, dann laß uns fragen, ob es nicht etwa doch besser wäre, Repetent in Tübingen zu werden« (24. Oktober 1796).
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So konnte man es angesichts der mißlichen Lage, in der sich Hegel damals noch in Bern befand, mit guten Grün den sehen. Es gehörte jetzt allerdings schon zu Hölderlins Bemühungen, Hegel nach Frankfurt herüberzuholen. Er versucht, ihm die Tätigkeit in einer namentlich nicht genannten Familie schmackhaft zu machen, befürchtet dann allerdings auch wieder, das Erzieheramt könne, »weil das Kind vier Jahre alt ist«, ihn nicht befriedigen. Aber angesichts der Alternative Stiefelwachs- und Poma denhandel oder neuerliche Einkehr ins Tübinger Stift nimmt sich das angebotene Amt sehr vielversprechend aus. Jetzt ist Hölderlin der Stellenvermittler. Die brieflichen Verhandlungen, in denen in der Folge von der Familie Gogel mit zwei Jungen von neun und zehn Jahren die Rede ist, geraten freilich während des Sommers 1796 ins Stocken. Hölderlin macht die Kriegsunruhen dafür ver antwortlich, außerdem seine Reise als Begleiter der Gon tards nach Kassel. Als Dichter ist er dabei, die Diotima des Hyperion auf Susette Gontard einzustimmen. Mochte sich hier eine Malaise anbahnen, so lag sie ebenso in der äußeren Verwickeltheit der bürgerlichen Verhältnisse wie in Hölderlins eingeborenem Unglück. Aber was hier an dunklen Wolken heraufzog, befand sich ganz außerhalb dessen, was ihn als Vikar im Württembergischen, der er hätte sein müssen, würde erwartet haben.
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Neuntes Kapitel
Schelling
Mit der Abhandlung De Marcione Paullinarum epistolarum
emendatore, die den Nachweis führen sollte, daß die Be hauptung, der Häretiker Markion habe die Paulinischen Briefe verfälscht, unrichtig sei, hatte Schelling sein theolo gisches Studium abgeschlossen. Die anschließenden Som mermonate des Jahres 1795 verbringt er im Hause der Eltern in Schorndorf, wo sein Vater damals Superinten dent war. Seine Absicht wie die so vieler seiner Mitstudie renden ist, anschließend ins Ausland zu reisen. Aber die Möglichkeiten dazu sind begrenzt, ergeben sich allenfalls durch die Funktion des Hauslehrers oder des Reisebeglei ters, im einen wie im andern Fall des Hofmeisters. Also der Weg Hegels und Hölderlins! Hegel war damals noch in Bern, Hölderlin bereits aus Jena ins Württembergische zurückgekehrt, als Schelling Erkundigungen anstellt und auf das Anerbieten der Brü der Riedesel aus dem hessischen Lauterbach trifft, die ihre Kavalierstour vorbereiten und dazu zunächst einmal in Stuttgart im Hause des Professors Ströhlin Französisch lernen. Hier stellt er sich den beiden vor und ist vor allem von deren Absicht begeistert, nach Frankreich und Eng land zu reisen. Es winkt das Glück, bald aus Württemberg, dem »Pfaffen- und Schreiberland«, wie er es im Brief vom Anfang 1796 an Hegel nennt, herauszukommen. Indessen wird aus der ganzen Sache mit allen schönen Erwartungen nichts. Die Familie Riedesel ist nicht geson nen, einer Reise ins revolutionäre Frankreich zuzustim men, und um nach England zu fahren, will man erst den Friedensschluß abwarten. Statt dessen wird ein neues Programm entworfen, das den Besuch an einigen deutschen Höfen vorsieht und über Ludwigsburg, Mannheim, Darmstadt und Gotha nach Weimar führt. Auf dem Wege liegen Stationen wie Heilbronn und Heidelberg. Unterwegs muß sich Schel ling in Darmstadt beim Vormund der beiden Riedesel,
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dem Geheimrat von Gatzert, noch einer Gesinnungsprü fung unterziehen, ob er nicht »Demokrat« oder »Aufklä rer« sei. Der Test fällt günstig für ihn aus. Als Höhepunkte der Tour, die Schelling für den ausge fallenen Besuch von Paris und London entschädigen soll ten, galten in seinen Augen der Aufenthalt in Jena und Weimar. Jena vor allem, die Stadt, in der Fichte lehrt! Aber Fichte ist zu dieser Zeit abwesend. So schließt er als bedeutsamste Bekanntschaft zunächst die mit Schiller. Die Charakterisierung, die er von ihm gibt, ist eine psychologi sche Studie, die ebensoviel über Schelling selbst und die Art seines Sehens aussagt: »Ich habe Schiller gesehen und viel mit ihm gesprochen. Aber lange könnte ichs bei ihm nicht aushalten. Es ist erstaunend, wie dieser berühmte Schriftsteller im Sprechen so furchtsam sein kann. Er ist blöde und schlägt die Augen unter, was soll da ein anderer neben ihm? Seine Furchtsamkeit macht den, mit dem er spricht, noch furchtsamer. Derselbe Mann, der, wenn er schreibt, mit der Sprache despotisch schaltet und waltet, ist, indem er spricht, oft um das geringste Wort verlegen und muß zu einem französischen seine Zuflucht nehmen, wenn das deutsche ausbleibt. Schlägt er die Augen auf, so ist etwas Durchdringendes, Vernichtendes in seinem Blick, das ich noch bei niemand sonst bemerkt habe. Ich weiß nicht, ob das nur bei der ersten Zusammenkunft der Fall ist. Wäre dies nicht, so ist mir ein Blatt von Schiller, dem Schriftsteller, lieber, als eine stundenlange Unter redung mit Schiller, dem mündlichen Belehrer. Schiller kann nichts Uninteressantes sagen, aber was er sagt, scheint ihn Anstrengung zu kosten. Man scheut sich, ihn in diesen Zustand zu versetzen. Man wird nicht froh in seinem Umgang.« Das eigentliche Reiseziel aber war Leipzig, wo die bei den Riedcsel studieren wollten, mit Schelling als ihrem Mentor. Ihr Verhältnis hatte sich als gut und für alle förderlich herausgestellt. Der Aufenthalt in Leipzig, der über zwei Jahre dauern wird, kam schließlich auch Schel lings Interessen außerordentlich entgegen. Er kann hier sein Studium fortsetzen und es vor allem auf Mathematik,
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Physik und Medizin ausdehnen. Und dies neben seiner Produktion als philosophischer Schriftsteller, als der er vor allem durch einen Aufsatz Allgemeine Übersieht der neuesten philosophischen Literatur auf Fichte Eindruck zu machen versteht! Je länger der Aufenthalt in Leipzig dauerte, desto mehr mußten die Umstände, vor allem der Zeitverlust, der mit seinem Begleiteramt verbunden war, bedrückend auf ihn wirken. Es bot ihm keine Zukunft. »Ein alter Hofmeister, der über dem Hofmeisteramt alt geworden, taugt zu nichts mehr. Für die goldene Mittelmäßigkeit ist er ver dorben, für die höhere Sphäre zu kurz«, schreibt er im September 1797 an seine Eltern, und weiter, um ihnen keine falschen Hoffnungen zu machen: »Zur Theologie tauge ich nicht, weil ich indes um nichts orthodoxer ge worden bin.« Ihm schwebt für die nächsten Jahre eine unabhängige Lebensweise vor, um sieh ganz den Wis senschaften zu widmen, oder, da ihm hierzu die wirt schaftlichen Mittel fehlen, der Eintritt in die akademische Laufbahn. Aber dazu möchte er sich nicht habilitieren, sondern gleich berufen werden. Hierbei lag der Zustimmung der Eltern nichts im Wege. Der Vater möchte ihn in Tübingen, das der Sohn vor nicht allzu langer Zeit als Kandidat verlassen hat, als Professor sehen und schreibt deswegen Briefe an Schnurrer und den Minister Spittler in Stuttgart, um eine Berufung für die in Aussicht stehenden Vakanzen nach dem Ausschei den von Bock oder Abel zu erwirken. Doch hier wie dort war Schelling, der aus seinem Herzen nie eine Mörder grube gemacht hatte, kein Unbekannter. Daß mit ihm kein Mann berufen worden wäre, der die Sache der tonan gebenden Kräfte gestützt hätte, lag auf der Hand. Dazu kam: Schelling ist seinem Temperament nach ein Charak ter, der sehr für sich einzunehmen vermag, aber auch bei andern schnell große Aversionen weckt. In Württemberg wehte der Wind gegen ihn, und er selbst, der nie auf die Hoffnungen seines Vaters gesetzt hatte, ihn aber gewäh ren ließ, wußte es genau. Noch während der Bemühungen des Vaters kündigen
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sich andere Aussichten an. Fichte interessiert sich für ihn und ist bereit, ihn nach Jena 7u berufen. Hier wog noch schwerer, daß Goethe von Schellings Naturlehre angetan ist und bei einem Gespräch in Jena im Mai 1798 durch das günstige Bild, das er von ihm gewinnt, zu erslen vorberei tenden Schritten veranlaßt wird, die zur Anstellung füh ren. Das Dekret zur Berufung schickt ihm Goethe zum 5.Juli 1798 zu. Die wirtschaftlichen Sorgen des außeror dentlichen Professors Schelling sind damit freilich nicht behoben. Fs ist unbesoldet. Ein Gehalt wird ihm erst für die Zukunft in Aussicht gestellt. Mit seiner Berufung war Schelling früher, als er erwar ten konnte, an das Ziel seiner Wünsche gelangt. Der Dreiundzwanzigjährige als Philosophieprofessor: das hat ten vor ihm weder Kant noch Fichte erreicht. Für Hegel liegt dies außerhalb aller Vorstellungen. Und das in Jena, dem Mittelpunkt der neuen geistigen Bestrebungen in Deutschland! Jena bedeutet nicht nur Schiller und Fichte, es ist die Hauptstadt der aufsteigenden Romantik. Hier hat sich August Wilhelm Schlegel niedergelassen, der als Rezensent Goethes und Schillers die »Weimarer Klassik« eigentlich erst begründet, der sich außerdem den romani schen Literaturen zuwendet und zusammen mit Tieck in Dresden Shakespeare übersetzt. Friedrich Schlegel, der Bruder, den es ebenfalls für eine Weile nach hier ver schlägt, hat zwar ein ebenso gutes Verhältnis zu Goethe, aber ein schlechtes zu Schiller, dessen Musenalmanach von 1796 er verreißt. Wenn Friedrich Schlegel die Französi sche Revolution, Goethes Wilhelm Meister und Fichtes Wis senschaftslehre die herrschenden Tendenzen des Jahrhun derts nennt, so fanden sich in Weimar und Jena auch die Köpfe, die für diese Tendenzen zeugten. Aber in Jena lebt ebenfalls jene Sophie von Kühn, die der mit ihr verlobte Salinenauditor Friedrich von Hardenberg von Weißenfels aus besucht und die lgjährig an der Schwindsucht in ebendem Jahre 1797 stirbt, in dem ihr mystisch gestimm ter Bräutigam unter dem Namen Novalis die Hymnen an die Nacht niederschreibt. Der eigentliche Stern in dieser Stadt, die Schelling wenig ansehnlich findet, ist Caroline,
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geborene Michaelis aus Göttingen, die nach abenteuerli chen Jahren von den beiden Schlegels nach Jena geholt wird und sich hier zu einer zweiten Ehe mit August Wilhelm entschließt. Hier kündigt sich nicht nur ein anderes Lebensgefühl an, hier zeigt sich bereits ein bis dahin unbekannter Stil, der Jena als den einen Brennpunkt der Romantik mit Berlin als dem andern verbindet. In dem neuen, bereits verbürgerlichten Salon nimmt die emanzipierte Frau eine herrschende Stellung ein. Emanzipation aber heißt hier: sich in der Literatur und der Philosophie auskennen und für diese Jahre des Umbruchs durch die Jahrhun dertwende genauer: Goethe kennen und Fichte verste hen. Das war ein weiter Bogen, der von den damals eher bescheidenen Jenenser Verhältnissen bis zum Berliner Salon der Rahel Varnhagen und dem größeren Vermö gen der wohlhabenden Berliner Kaufmannstochter, von dem er alimentiert werden konnte, herüberreichte. Aber das ist alles erst noch im Anzüge, als Schelling nach Jena kommt und sich hier niederläßt. Dahinter lagen wie derum Strömungen, mit denen er persönlich zu tun hatte, von denen er berührt wurde und die gegensätzlicher Art waren wie etwa Goethes Mißtrauen gegen die Romantik und Fichtes Philosophie als romantische Philosophie par excellence. Das drängt jetzt nach Ausgleich, sucht nach einem klärenden Zusammenfinden, das sich dem Verste hen zugänglich zeigt. Schelling war zur rechten Zeit nach Jena gekommen. Für seine Art des Denkens lag hier geradezu ein lokales Bedürfnis vor. Kaum hat er mit seinen Vorlesungen be gonnen, da setzt das erneute Kesseltreiben gegen Fichte ein, das im Sommer 1799 m^ seiner Vertreibung für die Gegner zum siegreichen Abschluß gebracht wird. Schel lings Zusammenarbeit mit Fichte bis dahin war gedeihlich gewesen. Der Vorwurf des »Atheismus« hätte ihn ebenso treffen müssen, wenn man die spätere Formel Hegels »Spinozismus = Atheismus« zugrunde legen würde. Der freilich ließ sich mit noch viel größerem Recht gegen den 86
weimarischen Generalsuperintendenten Herder erhe ben, der als Schriftsteller sich nie die Mühe gemacht hatte, seinen Standpunkt insbesondere gegen die institutionali sierte Kirche /u verheimlichen. Aber war dieser Vorwurf, wie wir wissen, Vorwand für Schwerwiegenderes, so wäre, wenn man den wirklichen Gründen nachginge, Schelling kaum eher mit heiler Haut davongekommen. Schelling scheint in diesen frühen Jenenser Jahren in dessen vom Glück überaus begünstigt, und er ist es auch. Es entsteht eine Schrift nach der anderen, so sein Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie (1799), sein System des transzendentalen Idealismus (1800), seine Allgemeine De duktion des dynamischen Prozesses oder der Kategorien der Phy sik aus dem gleichen Jahr, die Darstellung meines Systems der Philosophie aus dem folgenden. Auch seine Wirkungen als junger akademischer Lehrer können sich sehen lassen. Sozusagen um sein Glück vollständig zu machen, begeg net er jener Frau, die ihm nicht sofort verfällt, sondern zunächst zögert und Widerstände bereithält, aber dann, als sie sich entschieden hat, ihr von Fragwürdigkeiten beladenes Leben in-die Waagschale wirft und es an das seine bindet: Caroline. Sie hatte mit der Emanzipation als Selbstbestimmung der Frau Ernst gemacht, hatte deren Freuden und Leiden bis zum letzten ausgekostet. Sie war die Freundin des Mainzer Revolutionärs Georg Förster gewesen, teilte seine Ideale und desavouierte sie, war stark, wo es sein mußte, und schwach, wo es im Einklang mit ihrem W7illen geschah. Da genügte eine Ballnacht in der Gesellschaft eines französischen Offiziers, um sie er neut Mutter eines Kindes werden zu lassen, das bald darauf starb. Die politischen Verdächtigungen, denen sie als »Republikanerin« ausgesetzt war und die ihr eine mehrmonatige Haft in Köngstein einbrachten, trafen sie im Tiefsten tind waren dabei im gleichen Atemzuge aus der Luft hergeholt. Nichts stimmte hier und zugleich alles. Intellekt, Ansehnlichkeit, genialisches Einfühlungsver mögen, die Lust an der fein gesponnenen Intrige und der giftige Biß kamen hier zusammen. Für Moral und Amoral der romantischen Hetäre, die Friedrich Schlegel aus sei
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ner Lucinde sprechen ließ, gab sie wie keine andere Frau ihrer Zeit die Vorlage ab. Eine Rahel Varnhagen und Dorothea Veit, so klug, sensibel und gesellschaftlich sie sein mochten: An Caroline reichten sie nicht heran. Für Schiller, der unter ihrer Neigung zur Kabale zu leiden und als Theaterdichter ein Auge für Maßverhältnisse des »Bösen« hatte, war sie die »Dame Luzifer«, die sich über sein Lied von der Glocke totgelacht hatte. Goethe dagegen mochte sie. Fr war unbetroffener und konnte sich am eigentlichen Zusammenspiel von Luzidität des Geistes, Willensstärke und Unberechenbarkeit in der Gestalt Ca rolines unbefangen erfreuen. Als Sehelling Carolines Bekanntschaft macht, ist er drei undzwanzig, sie fünfunddreißig. Zur ihr gehört ihre Tochter Auguste aus der ersten Ehe mit Georg Wilhelm Böhmer. Kur/ nach ihrem Bekanntwerden am 14. Okto ber 1798 schreibt sie an Friedrich Schlegel: »Sehelling ist ein Mensch, um Mauern zu durchbrechen. Er ist eine rechte Urnatur, als Mineralie betrachtet echter Granit.« Sie ist schon ganz dabei, von ihm Besitz zu ergreifen. Friedrich Schlegels Antwort: wer wird die »Granitin« sein, die er nötig hat? hat längst die Richtung begriffen, die hier eingeschlagen wird. August Wilhelm Schlegel, der nach Berlin übergesiedelt ist und Caroline in Jena allein zu rückläßt, wird noch erfahren, daß an seiner Statt ein anderer an ihrer Seite ist. Dann kommt der große Schock. Im Jahre 1800 stirbt Carolines Tochter fünfzehnjährig, und Sehelling muß den Vorwurf hören, er habe mit »naturphilosophischer« Behandlungsweise den Tod des Kindes verursacht. Weitgehender war der Verdacht, dem Friedrich Schlegel und Frau Paulus Glauben schenkten, Caroline habe die eigene Tochter mit Sehelling verkup peln wollen und, weil sie ihn selber liebte, habe das Mäd chen sterben müssen. Noch zwei Jahre später wurden Sehelling und Caroline gezwungen, zu ihrer Verteidigung erneut die genauen Todesumständc zu schildern. Caroli nes Ruf war nicht der beste, mit Folgen für Sehelling: »Wegen Sehelling und der Schlegelin nimm' Dich in acht«, schreibt Fichte am 23. Oktober 179t) an seine Frau.
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In der Begegnung mit Caroline und ihrem romanti schen Unendlichkeitsgefühl ist Schelling ganz zu dem geworden, der er in Zukunft sein wird. letzt finden sich alle Elemente zusammen, mit denen er seine wechselnden Systeme aufbauen wird. Darin ist Schelling die Aus nahme, daß er — für Karl Jaspers der ein/ige große Philo soph -von der Beziehung zu einer Frau in seinem Denken organisiert wird. »Der Anfang und das Ende der Philosophie ist - Frei heit«, hatte es in seiner Schrift Vom Ich als Prinzip der Philosophie aus dem Jahre 1795 geheißen. Das wird ganz im Sinne der von Jena aus aufsteigenden Frühromantik mit Fichte als ihrem Ideologen bei ihm zur Maxime, der er persönlich nachlebt. Mit seiner Schrift Von der Weltseele aus dem Jahre 1798 hatte er anfängliche Bedenken Goethes gegen ihn ausgeräumt, nachdem dieser sich im persönli chen Gespräch davon überzeugen konnte, daß ihm »keine Spur einer Sansculotten-Tournure« nachzusagen war, so daß er ihn an der Fakultät vorbei zum Professor berufen ließ. Schelling nennt darin das »Gesetz der Polarität« ein »allgemeines Weltgesetz«. Hier kam er Goethe, dessen Wahlvenuandtschaften noch ausstehen, sehr nahe. Es war goethisch gedacht, wenn nach Schellings Vorstellung von der »Weltseelc« die »magnetische Polarität der Erde die ursprüngliche Erscheinung des allgemeinen Dualismus ist«. Der Schelling der Jenenser Zeit, der in seinen Vor lesungen Naturphilosophie, Transzendentalphilosophie und Kunstphilosophie behandelt, hat zunächst als junger Kollege Fichtes, der sich, wie wir wissen, als dessen legaler Nachfolger fühlt, bereits Themen berührt, denen sich auch Hegel später als Systematiker zuwendet. Die Schrif ten zwischen 1795 und 1800 bilden davon ein Spektrum. »Das Absolute« als »ein ewiger Erkenntnisakt« oder als »notwendig reine Identität«, wie es in den Ideen zu einer Philosophie der Natur heißt, gehört bereits zu einem in sich abgeschlossenen Vorverhandeln des späleren Hegelschen Fragens; bei Schelling wird es Gegenstand des Spekulati ven unter dem Namen der von Fichte herüberreichenden Identitätsphilosophic mit der Hauptfrage der Beziehung
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von »Realismus« und »Idealismus«. Des weiteren ist der Dreitakt des dialektischen Verfahrens von »Thesis«, »Anti thesis« und »Synthesis« als »absolutes Ich«, »absolutes Nicht-Ich« und »bedingte, durch Aufnahme in Ich be stimmte Setzbarkeit« in voller Aktion gezeigt. Schellings Aufnahme in den Jenenser Kreis war mühe loser gelungen, als er es sich je hätte träumen lassen. Unversehens war er an Fichtcs Stelle getreten, der das Feld räumen mußte. Aber bald zeigte sich, daß der Jenen ser Kreis keine geschlossene Runde war, vielmehr unter starken Spannungen litt, die auf die persönlichen Bezie hungen übergriffen. Wie sollte bei einer Ansammlung solcher ausgemachter Charaktere über längere Zeiträume hinweg hier Friede als Dauerzustand zu erwarten sein? Friedrich Schlegel, zu dessen Stärke der freche Witz ge hörte, stand hier für Goethe gegen Schiller und belastete dadurch auch das Verhältnis seines Bruders zum Dichter des Wallenstein. Hielt sich Schelling zunächst zu beiden Schlegels, so wurde die Beziehung zu August Wilhelm sehr bald durch die Konkurrenz zu ihm als dem Ehemann Carolines auf eine Probe gestellt, die sie schwer bestehen konnte. Fichte, der zeitweilig von Berlin nach Jena her überkam, weil seine Frau noch hier wohnte, und der das Gespräch mit Schelling suchte, fand, daß der nie bei sich, sondern nur bei den Schlegels war, gegen die Fichte viel auf dem Herzen hatte. So rückt schließlich nicht nur August WTilhelm von Schelling ab, sondern auch Fichte, der Schelling nach Jena geholt hatte. Als sich dann Friedrich Schlegel in Jena habilitiert und mit seinen Vorlesungen über die Ästhetik in die Kompetenzen Schellings eingreift, erwidert Schel ling dies durch Aufnahme seiner Vorlesungen über Kunstphilosophie. Die Studenten konnten nicht wissen, welcher Glücksfall ihnen beschieden war, zwischen Schel ling und Friedrich Schlegel wählen zu dürfen. War die Beziehung zu Novalis nur flüchtig, so blieb ihm nicht viel: Es blieb ihm zwar die Gunst Goethes, der aus guten Gründen vermied, sich von Weimar aus in die Querelen der Jenenser Romantiker einzumischen, und es blieb das
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freundschaftliche Verhältnis zu Henrik Steffens. Von Schiller hielt ihn dessen Scheu vor persönlichen Gesprä chen fern. Der Punkt, von dem aus der Jenenser Schelling denkt und Philosophie versteht, ist Caroline. Natürlich stehen hier auch die Neiderinnen dieses gesellschaftlich bedenklichen Glücks auf dem Plan wie etwa Dorothea Veit, die im Blick auf Caroline deren damaligen Liebha ber jede Fähigkeit zur Philosophie abspricht und ihn in einem Brief an Schleiermacher vom 28. Oktober 1799 als »kräftig, trotzig, edel und roh« charakterisiert mit der Empfehlung: »Er sollte eigentlich französischer General sein.« Um 1800 ist der Jenenser Kreis, wenn man die auffäl lige Konzentration des romantischen Geistes überhaupt benennen will, durch die Zerstrittenheit derer, die dazu gehören, hoffnungslos /erstört. Er steht kurz vor der Auflösung, die dann auch bald durch Abwanderung ein setzt, bis als Folge der politischen Ereignisse die letzten noch verbliebenen Reste vertrieben werden.
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Zehntes Kapitel
Zwischen Bern und Frankfurt
Es waren unterdessen stille Jahre, die Hegel in der Anony mität des Hauslehrers bei der Familie Steiger verbrachte. Das Amt selbst, das hatte sich bald herausgestellt, lag eigentlich, so wie sich die Verhältnisse hier gestalteten, unter seinen Erwartungen. So war sein Zögern vor der Annahme der Stellung berechtigt gewesen. Immerhin hatte er sie dem Eintritt in den Kirchendienst vorgezogen. Welche Gründe dabei für ihn maßgeblich gewesen waren, zeigen die Äußerungen über das weltliche und kirchliche Regiment in Württemberg, wie sie der Briefwechsel mit Schelling enthält. Daran gemessen waren die mit Bern verbundenen Hoffnungen größer gewesen, und gerade der Aufenthalt in einer Republik, nach der dem zeitweiligen Freund der Veränderung der Sinn gestanden hatte, hatte auch etwas Anziehendes. Das Leben darin bot Teilnahme am öffentli chen Leben und für den auswärtigen Besucher zumindest Einblick in die Abwicklung der Staatsgeschäfte. So enttäu schend das für Hegel wurde, so hatte er doch die Gunst dieser Umstände, 'sich hier Kenntnisse zu verschaffen, weidlich genutzt. Wenn Hegel aber trotz seiner nieder drückenden Lage keine Anstrengungen gemacht hatte, sich durch einen Wechsel der Stellung davon zu befreien, zeigte dies allerdings auch, daß sein W'ille dazu nicht allzugroß gewesen ist. Es genügte dann aber ein Angebot, das er Hölderlin verdankte, um ihn sogleich zur Annahme einer Hauslehrerstellc in Frankfurt am Main zu bewegen. Hölderlins Aufenthalt im Hause der Frau von Kalb war nur kurz gewesen. Seine Unstetigkeit hatte ihn nicht lange an einemOt verweilen lassen, und so war er Hauslehrer bei den Gontards in Frankfurt geworden, eine Stellung, die ihn im Persönlichen zur höchsten Höhe seiner menschlichen Existenz hinauftragen und später in ihre ganze liefe hinabschlcudei n sollte. Seine Vermittlcrdien ste für Hegel, den er in einem gleichen Amt in der
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unmittelbaren Nachbarschaft sehen möchte, werden schließlich von dem Freund gern und ohne längere Um schweife in Anspruch genommen. So bekommt Hölderlin sozusagen eine Blankovollmacht, mit der Familie Gogel für ihn abzuschließen. Hegel erhofft sich allenfalls Vergü tung der Reisekosten in Höhe von etwa 10 Karolins ent weder durch Ausstellung eines Wechsels oder nach An kunft in Frankfurt. Selbstverständlich zeigt er sich geneigt den Wünschen des Herrn Gogel »über den Un ferricht' und die spezielle Aufsicht über seine Kinder« nachzukommen. Daß ein solcher Unterricht »in d.esem Alter noch in solchen Kenntnissen bestehen« wird, »die für alle gebildeten Menschen gehören« (November 1796), ist ihm gar nicht unlieb. Eigentlich kann er den Zeitpunkt der Abreise von Bern gar nicht erwarten und bedauert, bis Ende des Jahres noch im Steigerschen Hause bleiben zu müssen. Fr scheint aber dann schon im Herbst nach Stuttgart abgefahren zu sein um Vater und Geschwister zu besuchen. Nach dort bringt er eine gedrückte Stimmung mit. Die Berner Jahre waren nicht spurlos an ihm vorübergegan gen So notiert die Schwester: »kam in sich gekehrt zu rück nur im traulichen Zirkel fidel«. Zu seiner Aufmunte rung haben dann offenbar die Schwester und deren Freundinnen beigetragen. Nanctte Endel, ein Mädchen, damals in der Putzmacherlehre, erwähnt später in einem Gedicht zu Hegels 57. Geburtstag zurückblickend auf diese Zeit »manch' schöne Stunden, / Wir haben uns der Kränze viel gewunden«. Unvergeßlich sind ihr noch die gerösteten Mandeln, die der »Freund« der »Freundin« angeboten hatte. Dafür hat sie ihm allmorgendlich die Krawatte gebunden. Und wieder scheint er die ihm aus der Tübinger Zeit nachgesagten Spielchen getrieben zu haben, durch Wetten mit auferlegten Bußen einem Mäd chen einen Kuß abzugewinnen. Zu Einkäufen auf den Markt wird er mit einem in die Hand gedrückten Taler geschickt. Das Ende des Jahres begeht man mit einer feierlichen Lesung. Alle hängen an Hegels Munde, als er der kleinen Runde aus dem autobiographischen Roman
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Agnes von Lilien der Karoline von Wolzogen vorträgt. Er, der seine Zuhörer verzaubert, muß nach den Worten der Nanette Endel von dem Buch selbst hingerissen gewesen sein. Der Roman von Schillers Schwägerin hatte es ihm ebenso angetan wie Hermes' Sophiens Reise und Hippeis Lebensläufe. Der innere Zusammenklang Hegels mit Hölderlin war trotz gewaltiger Unterschiede tiefer als der mit Schelling, obwohl hier der Hang zum Reflektieren beide miteinander verband. Von Bern aus hatte Hegel sich zunächst an Hölderlin gewandt. Der Charakter des »ruhigen Verstan desmenschen«, den dieser in Hegel sieht, war von Hölder lin als »sehr wohltätig« empfunden worden, wie er am 16. Februar 1797, gerade in den erslen Wochen nach dessen Eintreffen in Frankfurt, an seinen Freund Neuffer schreibt. An Hegel kann er sich orientieren, wenn er sich und die Welt nicht mehr versteht. Hegel ist ein Mensch, der ihm Halt gibt. Noch in Bern hatte Hegeleinen Hymnus mit dem Titel Eleusis gedichtet und mit ausdrücklicher Wid mung »An Hölderlin« versehen: freie Rhythmen, die dem Hölderlinschen Sprechen entgegenkommen; dithyrambi sche Getragenheit und ein Zeugnis dafür, welche Mühe Hegel mit der Sprache hat. Die Benennung seiner Berner Lebenslage gleich zu Beginn hat etwas Unumwundenes: Um mich, in mir wohnt Ruhe. Der geschäftigen Menschen Nie müde Sorge schläft. Sie geben Freiheit Und Muße mir. Dank dir, du meine Befreierin, o Nacht! - Mit weißem Nebelflor Umzieht der Mond die Ungewissen Grenzen Der fernen Hügel. Freundlich blinkt der helle Streif Des See's herüber. Das Bild einer vom Mondschein beschienenen Landschaft ist hier heraufbeschworen und an das Leid dessen ge knüpft, der gezwungen ist, hier zu leben. Hölderlin wußte, wie schwer Hegel an der Last der Verhältnisse im Stciger schen Hause zu tragen hatte. Er war gemeint gewesen, wenn Hegel schreibt:
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Dein Bild, Geliebter, tritt vor mich,
Und der entfloh'nen Tage Lust. Doch bald weicht sie des
Wiedersehens süßern Hoffnungen.
Zeilen im Stil der romantischen Nacht-Dichtung, die aller dings ein sehr gebrochenes Verhältnis zur poetischen
Sprache aufzeigen, wenn der Dichter grundsätzlich wird
und eine verbindliche Maxime seiner Lebensanschauun gen ausspricht, von der er sicher sein kann, daß Hölderlin
sie teilt:
Der freien Wahrheit nur zu leben,
Frieden mit der Satzung,
Die Meinung und Empfindung regelt, nie, nie einzugehn!
Das hört sich recht holprig an, weist aber schon deutlich in
die Richtung, in die er zu gehen entschlossen ist und
worüber die philosophischen Entwürfe, die er in Frank furt aus seinem Gepäck zieht und weiterführen wird,
Aufschluß geben.
Mitte Januar war Hegel in Frankfurt eingetroffen; end lich kann er mit Hölderlin das lang erwartete und in seinem Gedicht vom August 1796 sehnlichst gewünschte Wiedersehen feiern. Die Familie Gogel wohnt am Roß markt und Hölderlin in der Nähe. So sieht man sich täglich. Hegel war gleich in Hölderlins Freundeskreis eingeführt, lernt dessen Bruder persönlich kennen, der auf der Durchreise ist, er trifft hier Isaak von Sinclair, der gleichfalls in Tübingen studiert hatte und im nahen Hom burg bei seiner Mutter wohnt. Sinclairs Lebensgeschichte, die aufs engste mit der Hölderlins verbunden ist und ebenso eine Wendung zur Krise kennt, macht noch einmal deutlich, wie der Verdacht des »Republikanismus« als schwerer Schatten über zahlreichen Stiftlern lag. Die ge gen Sinclair erhobenen Verdächtigungen, eine Verschwö rung gegen das Leben des Herzogs von Württemberg angezettelt zu haben, die ihn nach einem Prozeß wegen »Hochverrats« für fünf Monate ins Gefängnis brachten, erwiesen sich schließlich als haltlos. Aber sie zeigten im 95
merhin, welcher Tendenzen man Sinclair, zu dessen An hang Hölderlin gehörte, für fähig hielt. Der klassische Fall des Republikanismus war Reinhard, aber auch Höl derlin war davon betroffen. Hegels Tübinger »Republi kanertum«, sofern davon überhaupt zu sprechen war, hatte freilich durch seinen Aufenthalt in Bern einen schweren Sehlag erlitten. Doch die republikanische Zeit war nicht verloren gewesen — er wird die daraus gewon nenen Einsichten (mit dem Verlust der Illusionen) in seine künftige Konzeption der Politik einbauen. Der Aufenthalt im Hause Gogel wird für Hegel ein Glücksfall sein. Kein Vergleich mit Bern! »Ich werde hier in Frankfurt wieder etwas mehr der Welt gleich«, schreibt er an seine Freundin Nanette Endcl nach Stutt gart, und auch der Maler Sonnenschein kann in Bern verbreiten, daß es Hegel in Frankfurt vorzüglich geht. Er selbst hat es wie eine Heimkehr aus der Verbannung empfunden. Frankfurt ist eine weltoffene Stadt mit ei ner patrizischen Oligarchie wie in Bern, aber ohne des sen machtpolitische Vergangenheit, dafür Knotenpunkt des Handels mit wachsender geldwirtschaftlicher Be deutung. Ihre Zeit als Krönungsstätte des Reichs hatte die Stadt hinter sich. Aber es leben noch die festlichen Aufzüge, die Goethe in Dichtung und Wahrheil festgehal ten hatte, in frischer Erinnerung. Auf diesem Boden war Goethe groß geworden, hier hatte er seine ersten Gedichte geschrieben und Bekanntschaft mit dem Fauststoff gemacht. Getrübt wird der Frankfurter Aufenthalt Hegels durch Begebenheiten im Hause Gontard, wo Hölderlin durch seine Beziehung zu Susctte Gontard in eine Ver wicklung mit hoffnungslosem Ausgang hineingerät. He gel war durch den Freund in das Haus der Familie Gon tard eingeführt worden. So hat er nicht nur den Ablauf der Geschichte von außen miterlebt, er war sogar selbst in sie verstrickt, weil er Botendienste zwischen dem Lie bespaar in einer vertrackten Situation geleistet hat. Zu Anfang 1799 schreibt Susette Gontard an den mit Haus verbot belegten Hölderlin: »Nächsten Monat wirst Du es
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wohl wieder wagen, Du kannst dann vielleicht durch H(egel) hören, ob ich wieder allein bin.« Arn 15. Januar 1799 trifft bei Hegel ein Brief aus Stutt gart ein. Seine Schwester teilt den Tod des Vaters mit. Aber erst sieben Wochen später, am 9. März, kann Hegel selbst zur Nachlaßregclung nach Stuttgart reisen. Ein Testament hatte der Verstorbene nicht gemacht. So wird das Erbe unter den Geschwistern aufgeteilt. Das Drittel, das Hegel erhält, beträgt 3154 Gulden, 24 Kreuzer und 4 Pfennige. Mit diesem kleinen Vermögen kann er am 28. März nach Frankfurt zurückkehren. Das würde aus reichen, seinem Leben eine Wende zu geben. Nach fast sechs Jahren als Hauslehrer hätte er daran denken kön nen, seine Stelle aufzugeben, dem Vorbild Schellings zu folgen und sich an die Vorbereitung seiner akademischen Laufbahn zu machen. Es war Hegelsches Zögern mit im Spiel, wenn er das ganze Jahr und auch das folgende noch fast verstreichen läßt, bevor er aus Frankfurt abreist.
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Elftes Kapitel
Theologische Schriften
Der Hegel der Berner Jahre war nicht nur dem Fach nach Theologe, er hat sich auch als Theologe gefühlt, der, wie es scheinen mochte, nur für eine Übergangszeit in ein Erzieheramt verschlagen wurde, um, wie er selber angibt, keinen Predigerdienst ausüben zu müssen; und so galten seine Studien in Bern und auch nach seiner Rückkehr aus der Schweiz zunächst vorwiegend theologischen Fragen. Die Berner und später auch die Frankfurter Manuskripte sollten als Einheit gesehen werden, weil in Frankfurt nur das aus- und zu Ende geführt ist, was in der Schweiz bereits ins Auge gefaßt worden war. Allesamt sind sie theologisch-philosophische Etüden, in denen sich der Verfasser freilich bei Aufrechterhaltung geltender Kon ventionen von den Tübinger Fakultätstheologien wegbe wegt. Ihren Themen - Volksreligion und Christentum, Die Positivität der christlichen Religion, Der Geist des Christentums und sein Schicksal — und den Entwürfen zum Geist des Judentums oder zur Liebe und Religion sind allgemeine Gebrauchsmuster zugrunde gelegt, nach denen für den auf ein Kirchenamt hin zielenden Kandidaten zu verfah ren wäre. Theologisch-dogmatisch gesehen bewegen sich Fragen wie Antworten immer noch in einer Marge des kirchlich Zulässigen. Das gilt gegenüber Gottlieb Christian Storr, Hegels Tübinger Lehrer in Dogmatik, der einen Supranaturalismus im Sinne der alten lutherischen Or thodoxie vertritt, und dies ausdrücklich gegen die Aufklä rung. Das gilt nicht weniger gegenüber dessen Schützling Johann Friedrich Flatt, der es sich gern gefallen läßt, wenn man ihn einen biblisch-apologetischen Supranaturalisten nennt. In Tübingen war er der erste, der über Kant Vorlesungen gehalten hatte: freilich um in ihm eine will kommene Anfechtung zu sehen, die mit den Mitteln der Erleuchtung zu überwinden ist. Von den Inhalten her, die hier abgehandelt werden, trägt Hegel nichts Neues vor. In seinem Aufsatz über Das
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Leben Jesu stehen für ihn die Fragen nach dem histori schen Jesus im Vordergrund. Jesus ist für ihn eine Gestalt der Geschichte, an dem die Zeichen seiner Zeit abzulesen sind, ein Wanderlehrer, der in den jüdischen Bethäusern auftritt, von der Volksmenge zunächst gefeiert, dann verhöhnt, der die Priesterschaft herausfordert und eine Schar von Anhängern um sich versammelt, die seinen Lehren Glauben schenken. In ihnen stellt er sich als Sieger im Namen der Tugend über das Laster, der Liebe über den Haß, der Wahrheit über die Lüge, der Freiheit über die Knechtschaft dar. Mit Jesus als Wundertäter hat Hegel nichts mehr im Sinne. Hier hat er sich als Berichterstatter über sein Leben ganz auf die Seite der Rationalisten geschlagen. Ein Jesus, der Wunder täte, könnte nicht vor der Vernunft bestehen. Um vor dem Glauben zu beste hen, hat er es gar nicht nötig, Wunder zu tun. Es ist dies eine Theologie, die einen Reimarus und einen Lessing schon hinter sich gebracht und alle sogenannte Orthodoxie kräftig durchlöchert hat, aber zu einem »Auf klärer« paßt, der zur »Aufklärung« nicht ganz dazuge hört. Jesus wird hier in seiner ganzen menschlichen Wirk lichkeit gesehen, als Kämpfer gegen das jüdische Schicksal und schließlich als dessen Uberwinder. Die Worte, mit denen Jesus seine Jünger entläßt, sind von der Vernunft nicht abgetrennte Rcchtschaffenheitsempfehlungen: »Ihr seid Männer geworden, die ohne fremdes Gängel band sich endlich selbst anzuvertrauen sind.« Und dies sei ihnen mit auf den Weg gegeben: »Wenn ich auch nicht mehr bei euch bin, so sei von nun an eure entwickelte Sittlichkeit euer Wegweiser.« Dementsprechend endet der Bericht mit Kreuzigung und Grablegung. Auf dem Weg vom Grab zur Auferstehung kann der Biograph den »Gekreuzigten« nicht mehr begleiten. So muß sich der Kandidat aus dem Schwäbischen die Darstellung der Auf erstehung versagen. Aber sie ist bei einem Jesus, dessen Lehre der moralisch umgedeutete Glaube Kants ent spricht und seine »Volksreligion« verwirklichen möchte, gar nicht notwendig. Als moralischer Lehrer rückt Jesus dabei in die Nähe
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eines unter die Juden versetzten Sokrates. Beide sammel ten Anhänger um sich, und beide wurden zum Tode verurteilt. Keiner hat seine Lehre zur Wirksamkeit einer öffentlichen Religion in seinem Lande zu bringen ver mocht. Jesus scheitert als Lehrer einer neuen Moral, So krates macht sich als Verführer verhaßt. Gerade das Interesse Hegels am historischen Jesus mußte ihn in Gefahr bringen, in einen Gegensatz zum dogmatisch verstandenen Ghristentum zu geraten. In sei nem Aufsatz über die Positivität der christlichen Religion scheint er diese Gefahr bewußt gesucht zu haben. Es wird hier bedenkliche Konterbande unter sicherem Verschluß gehalten und über eine gut bewachte Grenze geleitet. Die Frage nach der »Positivität der Religion« schließt für Hegel immer die Frage nach dem Abfall von der Religion ein. Welche Bewandtnis hat es damit, daß das Erscheinungsbild der Religion von ihrem Selbstverständ nis so weit entfernt ist? Positive Religion wird hier als Gegensatz zur natürlichen Religion verstanden. Es gibt nur eine natürliche, aber mehrere positive Religionen. Das ist hier vorausgesetzt. Angesichts der möglichen For men, in denen die positive Religion erscheint, ist ein allgemeiner Begriff der menschlichen Natur nicht mehr hinreichend. Andernfalls ließe sich keine Erklärung dafür finden, daß sich eine Religion wie das Ghristentum nicht den verschiedensten Sitten und Verfassungen angepaßt hätte, was man zu seinem Vorwurf wie zu seinem Lob gesagt hat: »Unter Vorangehung des Kreuzes haben die Spanier ganze Generationen in Amerika gemordet, die Engländer zur Verehrung christliche Danklieder ge sungen«, aus dem Schöße der Kirche »sproßten die höch sten Blüten der bildenden Künste hervor, stiegen die hohen Gebäude von Wissenschaften empor, und ihr zu Ehren ist auch alle schöne Kunst verbannt, die Ausbil dung der Wissenschaften zur Gottlosigkeit gerechnet wor den«. Auscinanderliegendes und einander Ungleiches ist hier unter der Vorstellung der »Positivität der christlichen Religion« verbucht, als stillschweigendes Verfahren, in
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dem schon die Entfremdung von der »Sache an sich« angelegt ist. Der Sklave, den der Christ zu seinem Bruder macht, bedeutet kein Anzeichen für die Bereitschaft zu einem christlichen Kommunismus. Warum? »Die Maxime der Gütergemeinschaft würde, wenn mit aller Strenge dar aufwäre gehalten worden, der Ausbreitung des Christen tums wenig Vorschub getan haben ...« Statt dessen gilt: »In der katholischen Kirche hat sich diese Bereicherung der Klöster, Geistlichen und Kirchen erhalten, wovon den Armen wenig und dies Wenige auf eine Art zu Teil wird, daß die Bettelei sich dadurch erhält und durch eine unna türliche Verkehrung der Dinge der herumziehende Ta gedieb, der auf der Straße übernachtet, besser daran ist, als der fleißige Arbeitsmann.« Angesichts dieser Umstände empfiehlt es sich, der Kir che den Staat beizugeben. Der Kirche die Kontrolle über sich einzuräumen, würde Gefahr bedeuten - für die Kir che selbst. Die Inspektion ist der geistlichen Behörde zu entziehen. Gegenüber der Kirche als feste, sich mit der Welt ins Benehmen setzende Einrichtung taucht der Ge danke von einer »unsichtbaren Kirche« mit den Christen als einer Gemeinschaft der durch die Taufe in Liebe miteinander verbundenen »Heiligen« auf. Bei allen Ausflügen in Zonen einer krausen Gefährlich keit bleibt aber die Absicht des Verfassers, sich durch dogmatische Untadeligkeit zu empfehlen, dennoch un verkennbar. Ohne dabei seine freien Anschauungen zu unterdrücken! Die Vereinbarkeit des nicht miteinander zu Vereinbarenden ist hier schon als Sache der »Methode« erkannt, nach dem Lehrsat/: »Wenn Unvereinbares verei nigt wird, da ist Positivität.« Die Kühnheit in diesen Schrif ten geht nirgendwo so weit, anstößig zu wirken. Was Hegel hier ausspricht, ist alles schon schärfer und provo zierender gesagt worden. Es sind Fachreferate, die ihm, wenn es darauf ankommen sollte, die berufliche Lauf bahn des Kirchenmannes nicht verstellen würden. Was seine Entwürfe zum Geist des Judentums enthielten, war für die lutherische Orthodoxie annehmbar, wenn es darin heißt: »Die mosaische Religion eine Religion aus Unglück
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und fürs Unglück; nicht fürs Glück, das frohe Spiele will . . . » Für Hegel gilt: »Das Schicksal des jüdischen Vol kes ist das Schicksal Macbeths, der aus der Natur selbst trat, sich an fremde Wesen hing, in ihrem Dienst alles Heilige der menschlichen Natur 7crtreten und ermorden, von seinen Göttern (denn es waren Götter, er war Knecht) verlassen und an seinem Glauben selbst zerschmettert werden mußte.« Damit gab er nur einen innerhalb der christlichen Dog matik unangefochtenen Topos über die Schuld der Juden am Tode Jesu mit den für das Judentum daran hängen den Folgen in freier Variation wieder. Hegel hat diese Auffassung über Juden und Judentum durchgehalten, aber er kann sie nach allen Seiten hin ausweiten und auch den in der Kirche geltenden Charakter der Juden als unfreiwillige Vorbereiter des künftigen Heils zur Sprache bringen, im Sinn des dialektischen Sowohl-Als-auch. Die »Entzweiung« als geltendes Prinzip in Natur und Ge schichte war hier methodisch voll zur Anwendung ge bracht. »Judentum« und »Griechentum« haben als zwei weltgeschichtliche Phänomene zu gelten, die keine Über einkunft miteinander kennen. »Das große Trauerspiel des jüdischen Volks ist kein griechisches Trauerspiel, es kann nicht Furcht noch Mitleid erwecken, denn beide entspringen nur aus dem Schicksal des notwendigen Fehl tritts eines schönen Wesens; jenes kann nur Abscheu erwecken«, heißt es in dem Aufsatz Der Geist des Christen tums und sein Schicksal, der in der Schweiz begonnen wurde und Hegels Vorstellungen getreu wiedergibt. Es wäre nicht schwer, ähnliche Gedanken von theologi schen Autoren in abgewandelter Form beizubringen. Will Hegel hier für ein künftiges Kirchenamt annehmbare Positionen herausstellen, kann man nicht nach der Origi nalität seiner Vorstellungen fragen. Am Stoff selbst gibt es nichts zu ändern, wohl aber an der methodischen Bearbei tung. Hier gilt schon jetzt die »Entzweiung« als der alles sich unterordnende dialektische Vorgang der Bewegung, wo Eines aus sich in ein Anderes übergeht, um im Andern bei sich zu sein und so zu sich zurückzukehren. In der
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»Liebe« — so weiß es der Theologe - »ist das Getrennte noch, aber nicht mehr als Getrenntes«. »Liebe« bedeutet hier Vereinigung von Entgegengesetztem, die zu fortwäh render Trennung und Wiedervereinigung führt mit dem »Kind« als Folge, in dem die »Vereinigung selbst unge trennt worden« ist. Es ist dies alles ein dunkles Sprechen mit dem Sinn, Gesetz, Strafe, Sünde, Vergebung, deren theologische Inhalte ihm im Tübinger Kolleg von Storr ausgebreitet worden waren, in einen eigenwüchsigen Zusammenhang zu bringen. So wird es zu einem Denken »von Grund auf«. Man spürt es: Dieser einsame Verfasser ist dabei auf der Suche nach einer eigenen Begrifflichkeit, um das Altlutherische ins Philosophische zu übertragen, wobei es schwer und formlos vor sich geht. Aber der nach einem gangbaren Weg sich Vortastende stellt einige feste Ein sichten vor. Sein »jedes Leiden ist Schuld« ist mit der Paulinischen Lehre vom »Tod« als »der Sünde Sold« in Einklang zu bringen. Aber eigentlich unversehens taucht die Vorstellung des »Schicksals« auf. Der Christ glaubt an den »Gekreuzigten« und »Auferstandenen«, er glaubt nicht ans »Schicksal«. Das mag dem Griechen überlassen bleiben, der die Macht dieses Schicksals in der Tragödie erfährt. Im Christentum ist aller Schicksalsglaube als Kennzeichen des »Heidnischen« auf eine Stufe niederen Ranges verwiesen. Die »Erlösung« tilgt, saugt wie ein Schwamm auf. In Hegels Denken kündigt sich Erstaunli ches an: in seinem Aufsatz Der Geist des Christentums und sein Schicksal zieht das »Schicksal« wieder gleich: »Das Schicksal hingegen ist unbestechlich und unbegrenzt, wie das Leben«, es läßt sich nicht einengen durch eine »doc trina christiana«, ja es ist sogar so stark und also imstande, das »Christentum« an sich auszuliefern. Damit wird - fast unmerklich - das ganze Gerüst der christlichen Dogmatik theoretisch bereits ins Wanken gebracht. So ganz unge fährlich sind diese theologischen Probestücke des Berner Hauslehrers für die Theologie eben doch nicht. An der Unbegrenztheit des »Schicksals« wird unter Einhaltung aller theologischen Regeln die beschränkte Einsichtsfä
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higkeit der Theologie dargetan. Freilich verliert sich He gels Lehre vom »Schicksal« auch wieder in einer Uner gründlichkeit der Spekulation: »im Schicksal ist die Strafe eine feindliche Macht«, die Strafe als »Schicksal« ist ein »Individuelles, in dem Allgemeines und Besonderes auch in der Rücksicht vereint ist, daß in ihm das Sollen und die Ausführung dieses Sollens nicht getrennt ist«. Weiter: »Das Schicksal scheint nur durch fremde Tat entstanden.« Das bedeutet, daß die Auflehnung dagegen das »Schick sal« auf den »Kampfplatz der Macht gegen Macht« ruft. Das, wofür ich streite, ist noch nicht verloren. Die Ent scheidung fällt gewissermaßen in die Zuständigkeit des »Schicksals«. Ihm läßt sich - so oder so - nicht entgehen. Der für sein Recht Kämpfende wagt sich gegen anderes vor. Er läßt sich damit auf das Gebiet des Rechts und der Macht ein. Die »Tapferkeit aber ist größer als schmerzen des Dulden«, sie überragt es, weil sie bereit ist, Schuld auf sich zu laden. An sich bedeutet der »Kampf für die Rechte« einen Widerspruch. Das »Recht« kann nicht ge teilt werden — das ist hier vorausgesetzt; es sei denn, das Recht als »ein Allgemeines« hat sich in »zwei Allgemeine« aufgelöst. Mit der Selbstverteidigung des Angegriffenen wird der Angreifer selbst in den Stand der Selbstverteidi gung versetzt, so daß beide recht haben. Beide befinden sich im Kriege, der beiden das Recht gibt, sich zu verteidi gen. Die Entscheidung über das Recht fällt dabei in den Bereich der Stärke, die aber selbst mit dem Recht nichts zu schaffen hat, von anderer Art ist und das Recht in der Vermischung mit ihr von sich abhängig macht. Es bleibt die andere Möglichkeit: Beide Angreifer unterwerfen sich einem Richter. Sie verzichten auf ihre Macht, stellen sich wehrlos, sogar tot und lassen eine fremde Instanz über sich sprechen. Mit der »Möglichkeit der Versöhnung des Schicksals« ist stets zu rechnen. Warum? »Weil auch das Feindliche als Leben gefühlt wird.« MitGeist des Christentums und sem Schicksal hat sich - wie hier zu sehen ist - Hegel doch schon ganz erheblich aus dem Theologischen herausbewegt und auf die Seite des vorchristlich Antiken geschlagen. Der eine Gott, der sich
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in seinem Sohn offenbart, gerät schon dicht in die Nähe der Einen Substanz Spinozas, der unter den Autoren der Steigerschen Hausbibliothek von Tschugg in einer Werk ausgabe vertreten ist. Alles hat teil an der Einen Substanz oder der Einen Natur. Das gilt auch negativ für das Verbrechen: »das Verbrechen ist eine Zerstörung der Natur; und da die Natur einig ist, so ist sie im Zerstören den so viel zerstört, als im Zerstörten.« Entgegengesetztes ist stets gegenwärtig. Zerstörendes geht aus der Zerstö rung hervor und schafft im Verbrechen Zerstörtes. Das hier ablaufende Geschehen unterliegt natürlich wieder der »Entzweiung«. Hegel spricht aus der eigenen Erfahrung, aus der Erfahrung des zeitweilig von tiefen Depressionen Befallenen, der die Gespaltenheit, die bei der Schwester zur Schizophrenie und geistigen Umnach tung führt, im Dialektischen bewußt und produktiv macht. Von »der schrecklichen Wirklichkeit des Bösen« darf keinen Augenblick abgesehen werden, ebensowenig wie von »der Unveränderlichkeit des Gesetzes«. Ange sichts dieser Mächte, denen der Mensch ausgeliefert ist, »kann er nur zu der Gnade entfliehen«. Hier ist wieder der lutherische Theologe gegenwärtig, der seine Disziplin und seine Kirche andererseits schwer auf die Probe stellt und bemerkt, daß dem Phänomen der Religion - der jüdischen wie der christlichen - nur durch ein System von Entgegensetzungen beizukommen ist. Was gesetzt wird, muß zugleich aufgehoben werden. Damit ist an das gerührt, was Hegel unter der »Positivität des Ghri stentums« oder der »Positivität der Juden« behandelt gemäß der gleichbleibenden Wahrheit, daß ein und der selbe Strang zwei Enden hat. Was übrigbleibt und nie aus den Augen verloren werden darf, ist die »Immoralität des positiven Menschen« oder - was noch tiefer an den Kern der Sache rührt - die »Immoralität der Positivität«. Die Wirklichkeit der Religion sieht anders aus. »Wenn ein Gott wirkt, ist es nur von Geist zu Geist«: eine Wahrheit, die in der »christlichen Kirche« an ihrer letzten Durchset zung immer wieder gehindert wird. Sie zerschellt am »Schicksal, daß Kirche und Staat, Gottesdienst und Leben,
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in seinem Sohn offenbart, gerät schon dicht in die Nähe der Einen Substanz Spinozas, der unter den Autoren der Steigerschen Hausbibliothek von Tschugg in einer Werk ausgabe vertreten ist. Alles hat teil an der Einen Substanz oder der Einen Natur. Das gilt auch negativ für das Verbrechen: »das Verbrechen ist eine Zerstörung der Natur; und da die Natur einig ist, so ist sie im Zerstören den so viel zerstört, als im Zerstörten.« Entgegengesetztes ist stets gegenwärtig. Zerstörendes geht aus der Zerstö rung hervor und schafft im Verbrechen Zerstörtes. Das hier ablaufende Geschehen unterliegt natürlich wieder der »Entzweiung«. Hegel spricht aus der eigenen Erfahrung, aus der Erfahrung des zeitweilig von tiefen Depressionen Befallenen, der die Gespaltenheit, die bei der Schwester zur Schizophrenie und geistigen Umnach tung führt, im Dialektischen bewußt und produktiv macht. Von »der schrecklichen Wirklichkeit des Bösen« darf keinen Augenblick abgesehen werden, ebensowenig wie von »der Unveränderlichkeit des Gesetzes«. Ange sichts dieser Mächte, denen der Mensch ausgeliefert ist, »kann er nur zu der Gnade entfliehen«. Hier ist wieder der lutherische Theologe gegenwärtig, der seine Disziplin und seine Kirche andererseits schwer auf die Probe stellt und bemerkt, daß dem Phänomen der Religion - der jüdischen wie der christlichen - nur durch ein System von Entgegensetzungen beizukommen ist. Was gesetzt wird, muß zugleich aufgehoben werden. Damit ist an das gerührt, was Hegel unter der »Positivität des Ghri stentums« oder der »Positivität der Juden« behandelt gemäß der gleichbleibenden Wahrheit, daß ein und der selbe Strang zwei Enden hat. Was übrigbleibt und nie aus den Augen verloren werden darf, ist die »Immoralität des positiven Menschen« oder - was noch tiefer an den Kern der Sache rührt - die »Immoralität der Positivität«. Die Wirklichkeit der Religion sieht anders aus. »Wenn ein Gott wirkt, ist es nur von Geist zu Geist«: eine Wahrheit, die in der »christlichen Kirche« an ihrer letzten Durchset zung immer wieder gehindert wird. Sie zerschellt am »Schicksal, daß Kirche und Staat, Gottesdienst und Leben,
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genanntem »subjektiven Idealismus« im Namen der Ob jektivität der Methode.
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Zwölftes Kapitel
Nachträge zur philosophischen Theologie
Hegels Beschäftigung mit dem Christentum geht davon au's, daß es zu den stärksten überkommenen Kräften gehört, vielleicht sogar die stärkste Kraft mit andauernder Wirkung für die Gegenwart darstellt, mehr als die jüdi sche Religion, die als ältere Stufe »überwunden« ist und darum mit ihrem »Unglück« weniger in Betracht kommt. Das Christentum, das in spätrömischer Zeit mit der Des potie ein festes Bündnis schließt, läßt mit seiner Verkom menheit die untergegangenen antiken Republiken in großartigem Licht wiedererstehen und rührt an die Frage nach den Ursachen für deren Untergang. Wenn nach der Herkunft der in der Religion angelegten Entfremdung geforscht wird, so hat sie der Hegel der theologischen Jugendschriften für das Christentum aufgezeigt. Für He gel geht die gleiche »Religion« als Wesen der Entfrem dung allem anderen voran, beim historischen Christen tum als Entfremdung gegenüber der eigenen Botschaft und dem Menschen, wie die griechische Antike ihn noch gekannt hatte. Wie in Frankreich Diderot, Holbach und Helvetius, so erinnert Hegel an die schweren Anschläge, die vom Christentum gegen »Freiheit« und »Menschen würde« ihren Ausgang genommen haben. Er kann sich darum unterstehen, mit der Heilsgewißheit der christ lichen Kirche streng ins Gericht zu gehen. In der Kirche-so darf er bemerken-ist die »Moralität« als Ziel aus dem Auge verloren und gegen das Streben nach »Seligkeit« eingetauscht worden. Ihre Inhalte haben sich verschoben. Für den Gedanken der Sündenverge bung sind die Zeitumstände, sind die Ideen der Zeit ungünstig geworden. Den Tod Christi als Opfertod für die Menschheit darzustellen, wie es in Predigten, Schulen und Kompendien geschieht, wird oft am blassen Unver ständnis scheitern: »als ob nicht schon viele Millionen für geringere Zwecke sich hingeopfert - mit Lächeln, ohne blutigen Angstschweiß, mit Freudigkeit sich für ihren 108
König, für ihr Vaterland, für ihre Geliebte - hingegeben hätten - wie wären sie erst für das Menschengeschlecht gestorben.« Und dann die »Anpreisung des Glaubens« als einen »toten Glauben - des Gedächtnisses - des Mundes«! Oder die »Mission« als Ausbreitung von Christi Namen auf dem ganzen Erdboden als Hauptpflicht: »Denn wozu Missionäre ausschicken, solange es noch moralisch schlechte Menschen unter den Christen gibt.« Das gehört mit zu den Beanstandungen, die der Magi ster der Theologie schon zur Tübinger Zeit, in die die Anfänge seines Aufsatzes Volksreligion und Christentum fal len, gegen die christliche Religion, der als Kirchenbeam ter zu dienen ursprünglich Hegels Absicht war, auf dem Herzen hatte. Wo »eine Scheidewand zwischen Leben und Lehre« besteht, kommt der »Verdacht« auf, »daß die Form der Religion einen Fehler habe«, d.h. »entweder daß sie zuviel mit Wortkrämerei umgeht, oder an die Menschen zu große frömmelnde Forderungen macht«. Eine solche Religion widersetzt sich in der Praxis den Menschen mit »ihren natürlichen Bedürfnissen, den Trie ben einer wohlgeordneten Sinnlichkeit«. Darum läßt sich von ihr sagen: »Wenn die Freuden, die Fröhlichkeit der Menschen sich vor der Religion zu schämen haben, . . . so hat die Form der Religion eine zu düstere Atißenseite So wird von der eigentlichen Wirkung der christlichen Religion bereits ein welthistorisch vernichtendes Fazit ge zogen: »Wie wenig hat sie über die Verdorbenheit aller Stände, über die Barbarei der Zeiten, über die groben Vorurteile der Völker Meister werden können.« Hat sich die Mühe, der sich die Geschichte unterzogen hat, ange sichts der »Kreuzzüge«, des »Sklavenhandels«, der gan zen »Kette der fürstlichen Verdorbenheit und der Ver worfenheit der Nation« überhaupt gelohnt? Hätte man es nicht bei Moses und den Propheten bewenden lassen sollen? War es notwendig, daß Päpste und Kardinale, statt sich auf die »lautere Quelle der Moral« zu berufen, in »Paraphrasen« und »gelehrten Lehrbegriffen« Zuflucht suchen? Es ist nun nicht so, daß sich in der Hegeischen Religions
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lehre zwischen Tübingen, Bern und Frankfurt irgendein Anflug von Eindeutigkeit zeigte. Wenn Hegel gerade jetzt zur ersten Formulierung des dialektischen Widerspruchs gelangt, dann ist die Vorstellung der Religion als eines ihm besonders naheliegenden Phänomens davon am we nigsten ausgenommen. In eigentümlichem Schillern wird dem Verständnis der Aufklärung und der Gewißheit, inil allgemeinen Grundsätzen über die menschliche Natur und ihre Bedürfnisse der Einrichtung der historischen Religion beizukommen, Paroli geboten. Der Dialektiker Hegel kann demgegenüber der »alten Dogmatik« sehr wohl konzedieren, für »die Bildung ihrer Zeit« zu spre chen, auch wenn wir uns jetzt in den Stand gesetzt sehen, ihre Sätze als tot, weil »positiv« geworden, zu verwerfen. Jeder Versuch der Aufklärer, die Vergangenheit der Menschheit einem philosophischen oder moralischen Ur teil auszusetzen, wird in seinen Augen mißlingen. Die Antwort in der Positivität der christlichen Religion lautet: »Allein diese Erklärungsart setzt eine tiefe Verachtung des Menschen voraus; und sie läßt die Hauptfrage unbe rührt, nämlich die Angemessenheit der Religion an die Natur zu zeigen, wie die Natur in verschiedenen Jahrhun derten modifiziert war ..., man fragte nach der Wahrheit der Religion nicht in Verbindung mit den Sitten und dem Charakter der Völker und Zeiten, und die Antwort ist, daß sie eitel Aberglaube, Betrug und Dummheit war.« Histo risch gesehen - das wird gegen die Aufklärung gesagt - ist Religion allemal gerechtfertigt, ohne daß man so weit gehen muß, bei ihrer Annahme an »bloß reine Liebe zur Wahrheit« zu denken: Es können »zum Teil sehr zusam mengesetzte Triebfedern, sehr unheilige Rücksichten, unreine Leidenschaften und oft nur aus Aberglauben stammende Bedürfnisse des Geistes« dabei im Spiele ge wesen sein. Der historische Sinn, der sich in diesen frühen Jahren bei Hegel und weit über Schelling hinausweisend schon schärft, läßt ihn an der Geltung von für den Menschen als verbindlich angesehenen allgemeinen Grundsätzen zwei feln. Das heißt, was heute leblos, starr, »positiv« geworden
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ist, war in seiner Vergangenheit von Leben erfüllt. Es ist um seinen Sinn gebracht, zum Lehrsatz, zum innerlich hohlen Symbol geworden. Beim Absuchen des Feldes, auf dem die Beziehung zwischen Philosophie und Religion stattfindet, ist nichts ausgelassen, wird jede mögliche Posi tion im Verhältnis beider zueinander in Rechnung gezo gen. Ihr Abwägen führt beim Ausmessen der aus ihrem Charakter bezogenen Ansprüche zum ständigen Partei wechsel. Die »Wahrheit« der an die Zeit und die Eigenart der Völker geknüpften historischen Religion ist nach He gel gegen ihr Mißverständnis bei der »aufgeklärten« Phi losophie als bloßer Aberglaube oder Priesterbetrug sehr wohl in Schutz genommen. Religion als Sphäre des »Nichtdenkens« und also gegen das »Denken« gesetzt, hat durch ihr bloßes Sein ein je und je relatives Element der Vernunft in sich, die nicht zuletzt auf ihrer Notwendigkeit beruht. Verhielte es sich anders, wäre also »das ganze Gebäude der Dogmatik für ein in aufgeklärten Zeiten unhaltbares Überbleibsel finsterer Jahrhunderte« zu hal ten und nichts als das, so bliebe doch »die Frage zu tun, wie es denn erklärt werden könne, daß ein solches Gebäude, das der menschlichen Vernunft so zu wider, und durch und durch Irrtum sei, habe aufgeführt werden können«? Die Philosophie der aufgeklärten Richtung mit der bloßen »Vernunft« als ihrem Mittel ist gar nicht imstande, die »Wahrheit« als relativ-historische Wahrheit zu verstehen. Das wird hier der Religion gegen die aufgeklärte Philoso phie konzediert. Aber es isl nicht die Schuld der Philoso phie, daß die Religion »positiv« geworden ist. Es liegt außerhalb der Religion als angewandtem »Nie htdenken«, sich das Ausmaß vor Augen zu stellen, das ihre Verwand lung vom »Geist« zur dogmatischen Paraphrase nach sich zieht. Für die Herausarbeitung der Widersprüche, die sich hier entwickeln und an die Hegel heranführt, war er bei den Entwurfsversuchen einer eigenen, auf den »objek tiven Idealismus« hinführenden Philosophie durch seine theologische Herkunft vorbereitet. Als Theologe ist Hegel »Geist-Theologe« (nicht materialistischer »Sakramcnts« oder »Instituts«-Theologe), der im Systemfragment notiert:
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»Wenn der Mensch ... das unendliche Leben als Geist des Ganzen, zugleich außer sich, weil er selbst ein Beschränk tes ist, setzt, sich selbst zugleich außer sich, dem Beschrän ken setzt, und sich zum Lebendigen emporhebt, aufs innigste sich mit ihm vereinigt, so betet er Gott an«, nach der evangelisch-mystischen Wahrheit: »Gott ist Geist und die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.« Aber wenn Hegel hier sozusagen die Geschäfte der Religion führt, besagt dies nichts darüber, daß er in diesem Glauben die Wahrheit des Ganzen aufbewahrt fände. Er gibt nur die idealistische Seite wieder, die die Religion anzuführen hat, gegenüber anderem und unter Umständen geschichtlich Verhängnisvollem, womit sie in der Vergangenheit aufgetreten ist. Hier muß nicht nur mit dem in der Religion angelegten Widerspruch und weiter dem in jedem theologisch-philo sophischen Bedenken befindlichen Widerspruch gerech net werden, sondern ebenfalls mit Hegels eigener Wider sprüchlichkeit bei der Einsicht, daß das Wesen des Wider spruchs erst an der Entschleierung der Dinge mitwirkt, an ihren Sinn heranführen hilft. Bei Hegel hängt das auch mit der Unterbrechung der Niederschrift der Positivität der christlichen Religion zusammen, die er in Bern begon nen hatte und in Frankfurt wieder hervorholt und weiter führt. Aber die Konzeption erfährt hier einen Um schwung, nicht nur als Weiterentwicklung, sondern als Zurückgehen auf frühere, theologische Lehrreste der Tü binger Zeit, so, als wären sie ihm noch nicht genugsam als »erledigt« erschienen oder ihr Gewicht vielleicht doch noch bedeutender als zunächst vermutet. Hegel kehrt noch einmal nach und stellt zugleich das neu gewonnene Resümee am hervorgeholten Alten wieder in Frage: so daß in der fragmentarischen Form seiner theologisch philosophischen Manuskripte sich das Feld als abgesucht darbietet. Was hier als Krise seiner Theologie erscheint, bedeutet Versammlung gegenläufiger Tendenzen. »Positivität« der »Religion« schließt immer ein, daß das »ideal« — der Ausdruck taucht in diesen Manuskripten wiederholt auf
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durch die historische Entwicklung selbst überholt, daß die Geschichte über das »Ideal« der »Religion« hinweggegan gen ist und damit auch über die »Religion«, die ohne ihr »Ideal« die tote oder eben »positive Religion« ist. Das bleibt, auch wenn es nicht offen ausgesprochen wird, immer in Rechnung zu stellen und gehört zu den Errun genschaften, wie sie später aus der Hegeischen Logik abgeleitet werden können. Über den idealistischen An satz, daß aus dem Sein der Religion sich notwendigerweise ihr Nichtsein ergibt, ist Hegel nie hinausgegangen. Aber das war schon genug.
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Dreizehntes Kapitel
Die Stuttgarter Freundin
Hegels Übersiedlung nach Frankfurt verhilft uns zu ei nem Einblick in die Beziehung zu der Putzmacherin Nanette Endel, die nicht nur die Freundin der Schwester war, sondern offenbar auch in Hegels väterlichem Haus wohnte. Als David Friedrich Strauß im Jahre 1841 fünf Briefe Hegels an Nanette Endel zu Gesicht bekam, schloß er daraus auf ein Liebesverhältnis, das nach der Abreise Hegels in die etwas geruhsamen Bahnen der Freund schaft hinübergeglitten sei. Das könnte angehen, wenn man einige Passagen im Stil der Empfindsamkeit wörtlich nimmt, wird aber eher etwas aufgetragene Briefsentimen talität von Hegels Seite sein. Die Briefe Nanette Endeis an Hegel sind verschollen, stehen also für ein genaueres Urteil darüber nicht zur Verfügung. Jedenfalls war die Beziehung während der allerdings sehr kurzen Wochen von Hegels Stuttgarter Aufenthalt nach den Berner Jahren eine vertrauliche und sehr enge. Vieles spricht dafür, daß die Briefe die Fortsetzung ihrer Unterhaltungen in Stuttgart gewesen sind. Sie wa ren also - was bei Hegel ohnehin auf der Hand lag- kaum durch Philosophie oder Diskussionen mit philosophischer Thematik befrachtet. Da ist die Rede davon, daß Hegel sich der dringenden Verbesserung der Aussprache, also der Ablcgung des Dialekts, befleißigt: »Im Schwaben landc ging es bei mir noch per >ischt<, aber seit ich Pfälzer luft einatme, zische ich nur feine >ists<«, erfahren wir aus dem ersten erhaltenen Brief - ein vorausgegangener ist verlorengegangen — vom 9. Februar 1797. Die Freundin, die bei seiner Abreise aus Stuttgart auf baldige Nachricht gedrängt hatte, erfährt von seinen zahlreichen Bemühun gen, sich in den weltläufigen Frankfurter Verhältnissen umzutun und nach den Anleitungen der Schwester zu bewegen, die auf residenzlerische Formen bedacht war und deswegen auch der »Hofrat« genannt wird. Hegel hat nach kurzer Zeit die Gewohnheit angenommen, wöchent
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lieh zweimal die »Komödie« zu besuchen, worunter er auch Mozarts Zauberflöte sowie dessen Don Juan (in der spanischen Titelfassung erwähnt) versteht. Nach Jahren der Isoliertheit in Bern macht er jetzt in Frankfurt erklär termaßen erste Übungen in einem anspruchsvolleren ge sellschaftlichen Verkehr; er frequentiert die »Bälle«, wie er seiner Freundin im Schwabenland berichtet. Vor allem gewinnt er ganz neue Eindrücke von den Menschen und kommt zu dem Entschluß, »an diesen Menschen nichts bessern zu wollen, im Gegenteil mit den Wölfen zu heu len«, sie sind, wie sie sind; erst »wenn mein Stern mich einst nach Kamtschotka oder zu den Eskimos führt«, könne Hoffnung bestehen, »auch durch mein Beispiel dahin beitragen zu können, diese Nationen von den man cherlei Arten von Luxus, als dem Tragen von Tafftner Leibchen, der Menge von Ringen und dergleichen, abhal ten zu können«. Das enthält Anspielungen auf seine neue Frankfurter Umgebung, in der nicht nur nach kaufmännischen Erwä gungen gelebt wird, sondern repräsentativer Aufwand etwas gilt, der von der schwäbischen Tugend der mit dem Kargen im einträchtigen Verhältnis lebenden Sparsam keit erheblich abstach. Das war es, was auch Hölderlin im Hause Gontard von der Seite des Hausherrn erfahren mußte und ihn in seinen unlösbaren Konflikt mit den Verhältnissen hineintrieb. Hegels Antwort an die Frank furter Gesellschaft ist eine Flucht in die Natur im Sinne Rousseaus. »Ich muß gestehen, bei mir brauchte es einige Zeit, ehe ich mich von den Schlacken, die die Gesellschaft, das Stadtleben, die daraus entspringende Zerstreuungs sucht in uns einmischt, von der Sehnsucht darnach, die sich durch Langeweile äußert, — ein wenig reinigen konnte«, schreibt er am 2. Juli. Mit einem Male rücken ihm selbst die Schweizer Jahre als angenehme Erinnerun gen vor Augen. »Aus Frankfurt treibt mich jetzt«, fährt er fort, »immer das Andenken an jene auf dem Lande ver lebten Tage« — das war in Tschugg am Bieler See der Fall gewesen — »und so wie ich dort mich im Arme der Natur immer mit mir selbst, mit den Menschen mich aussöhnte,
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so flüchte ich mich hier oft zu dieser treuen Mutter, um bei ihr mich mit den Menschen, mit denen ich in Frieden lebe, wieder zu entzweien und mich unter ihrer Aegide von ihrem Einfluß zu bewahren und einen Bund mit ihnen zu hintertreiben.« Das war ein Bekenntnis zu Rousseaus »Zurück zur Natur«, allerdings in einer Zeit, als dieser Grundsatz an den höfischen Zentren, für die es vor der Revolution ursprünglich gedacht war, schon leicht fade zu werden, zumindest hier aus der Mode zu geraten begonnen hatte. Denn den französischen Hof, an dem der Rousseauismus seine üppigsten Blüten getrieben hatte, gab es nicht mehr. Gegen den Absolutismus, an den er sich wendet, hatten schließlich Hegel und Schelling in Tübingen Freiheits bäume aufrichten helfen. Daß das französische Vorbild für die deutschen Duodezmonarchien mit einem Schlage umgestürzt wurde, daß diese Stätte allergrößter Natur ferne, an die Rousseau dabei gedacht hatte, nicht mehr existierte, konnte für sein Evangelium und seine Anhän ger nicht ohne Folgen bleiben. Hegels Rousseauismus von 1797, der aus seinen Zeilen an Nanette Endel spricht, ist der verspätete eines jungen Mannes aus einer rückständigen Agrarlandschaft mit ge rade überwundenem Absolutismus, der aus dem Schwei zer Jura in eine bedeutende Handelsmetropole mit ihrer Gesellschaft verschlagen wird und sich hier für die »Na tur« entscheidet. Der aber zugleich - ohne besonders philosophisch zu werden — in seinen Rousseauismus den persönlichen Gedanken von der »Entzweiung« einträgt. Sein eigentliches Interesse richtet Hegel aber nicht auf briefliche Empfehlungen des Landlebens. Unerschöpf liche Quelle ihrer Gespräche scheint schon in Stuttgart Nanettcs Konfessionszugehörigkeit gewesen zu sein. Sie ist Katholikin und hatte es in den kurzen Wochen ihres täglichen Zusammenseins darauf angelegt, ihn in den Charakter ihrer Religion einzuführen. Den brieflichen Äußerungen Hegels zufolge, der im Ton von Frankfurt aus sogleich weiterfährt, nimmt er dies zum Anlaß für eine wahre Begeisterung, den Umstand nach allen Seiten hin
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auszukosten. Hegel ist Lutheraner, der Katholizismus be deutet in Württemberg Religion einer Minderheit, die er in der zehn Kilometer von Tübingen entfernten Rotten burger Diaspora an den Quellen studieren konnte. Er bedeutet für ihn eine authentische Form mit geradezu exotischen Reizen. Wir erfahren das jetzt, weil es in den Briefen Hegels zur Sprache kommt. Beim Katholizismus handelt es sich für ihn um eine Religion mit Dingen, die der Protestantismus nicht oder nur noch in verwässerter Weise kennt, um »Heilige«, »Beichte«, »Rosenkränze«, »Kapuziner«. Hatte Nanette Endel ihn in Stuttgart kräftig in die Schule genommen, so gibt er sich jetzt als gelehriger Schüler zu erkennen, der sein Pensum beherrscht. »So bald ich erfahre, daß ein Hochamt ist«, schreibt er schon wenige Wochen nach seiner Ankunft in Frankfurt an die Freundin, »gehe ich, meinen Gottesdienst zu verrichten und meine Seele in Andacht zu irgend einem schönen Marienbild zu erheben.« Er versucht, ihre Sprache zu sprechen, wenn er feststellt, daß unter den Menschen, die er kennengelernt hat, die Tugenden des hl. Alexis wenig verbreitet sind und daß der hl. Antonius von Padua, wo er den Fischen predigte, mehr ausgerichtet hat, als er hier je bewirken würde. Gegenüber einer Gestalt wie dem hl. Alexis kann sich bei ihm nur das Gefühl regen, seiner unwürdig zu sein: gut, so an die Adressatin gerichtet, daß ihm »das Glück einer Mittlerin zwischen Heiligen und Menschen beschert, die mich bei ihm vertritt, durch die er seine Huld mir zufließen läßt«. Für ein Geschenk aus ihrer Hand, das ihn in Frankfurt erreicht, ist er bereit, so viele »Messen zu hören« und »Rosenkränze abzuzählen«, wie sie es verlangt. Er hatte ihr allerdings auch vermelden müssen, »manchen schmutzigen Kapuziner herum lau fen« gesehen zu haben. Ein solcher Tonfall muß der Briefempfängerin außer ordentlich gefallen haben, die, wir können das nur vermu ten, alles daransetzt, Hegel kräftig dazu zu ermuntern. Sie durfte sich verstanden fühlen und hat den Part wacker durchgespielt: die fromme katholische Christin, die die Symbolik ihrer Religion versteht und den wißbegierigen
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Adepten daran teilhaben läßt. Andererseits hat Hegel das Angebot von Nanette, ihm eine mild liebenswürdige See lenfuhrerin zu sein, gern angenommen. Er läßt es sich gefallen, persifliert ein wenig seine Schülerrolle und zeigt sich doch auch wieder ernsthaft bei der Sache. Die katholi sche Religion ist für ihn, den protestantischen Württem berger, Religion von einem anderen Stern. Aber darin liegt der Vorzug, den er durch und durch ausbeuten will. Wieder wie gegenüber Schelling gibt er sich als der Emp fangende und ist es auch, aber gleichzeitig hält er dage gen, baut er witzige Vorbehalte ein, übertreibt ein biß chen, macht hier und da eine kleine Glosse, die nicht recht ins Bild des echten Gläubigen paßt. In seine Vorstellung von der »Positivität der Religion« hatte er bereits - als lediglich unveröffentlichte Äußerung zwar - seine wah ren Ansichten verraten. Aber das ist bloß »erste Hand«. Alles ist noch in der Schwebe. Feste Sicherheiten gibt es nirgendwo. Im Briefwechsel mit Nanette Endel herrscht ein unver bindlicher Plauderton zwar vor, aber es gibt für Hegel dabei doch eine ernsthafte Seite. Die wird deutlich, als er sich noch von Frankfurt aus am 2. November 1800 an Schelling wegen einiger Adressen in Bamberg wendet, weil er beabsichtigt, für einige Zeit dorthin zu reisen. Warum er Bamberg, wo er niemanden kennt, ausersehen hat, führt er in seiner Erklärung aus: »Ich suche wohlfeile Lebensmittel, meiner körperlichen Umstände willen ein gutes Bier, einige wenige Bekanntschaften«, mit dem entscheidenden Zusatz: »Würde ich eine katholische Stadt einer protestantischen vorziehen; ich will jene Religion einmal in der Nähe sehen.« Was er in Bamberg sucht und auch erklärtermaßen findet, ist »Katholizismus« als un verfälschtes »Mittelalter«, als historische Etappe der »Weltgeschichte«, in die er einzutreten gewillt ist, um sie als noch gelebte Wirklichkeit an sich selbst zu erfahren. In diesem Licht besehen hat Hegel die Beziehung zu Nanette Endel, in der es so ganz ohne »Reflexion« zuging, schon als Vorübung zum Eintritt ins »Mittelalter« verstan den. Leben und Denken fallen zusammen. Es geht hier
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um den Weg in eine ihm von seiner Herkunft her gesehen verschlossene Welt, von der es gilt, sich darin Orientie rung zu verschaffen. In die Lebensverhältnisse der Freundin war allerdings bereits kurz nach Hegels Weggang von Stuttgart eine Veränderung gekommen. Wenige Wochen später, im März 1797, war sie in die Dienste einer Baronin von Bobenhausen in Obbach bei Schweinfurt getreten. Hegel hatte darauf gehofft, daß sie der Weg ins Fränkische über Frankfurt führen würde, war dann lange in Unkenntnis über ihre Anschrift geblieben und hatte die Post an sie zur Weiterbeförderung an die Schwester nach Stuttgart ge schickt. Später kann er bemerken, daß man nur 24 Stun den Reiseweg, d.h. zwei oder drei Tage, voneinander entfernt ist und daß er sie vielleicht im Sommer oder in den nächsten Jahren einmal besuchen könnte. Oder: »Wie wäre es«, heißt es am 2.Juli, »wenn Ihre gn. Frau einmal den Einfall bekäme, die Reise aus Franken nach Schwaben durch Frankfurt machen zu wollen?« Das war die Frage des Bildungsbediensteten Hegel im Hause des Kaufmanns J. N. Gogel am Frankfurter Roßmarkt an die inzwischen zur »Jungfer« avancierte Nanette: Korrespon denz aus der Perspektive des »Kammerdieners«, die He gel, als ihm in der Philosophie der Geschichte der Standpunkt von Kaisern, Königen und großen Herren zu Gebote steht, stets geläufig bleibt.
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Vierzehntes Kapitel
Hegels Abschied von Frankfurt
Es waren Ausflüge in die große Welt gewesen, die Hölder lin und Schelling von Tübingen aus weggeführt hatten. Die persönliche Bekanntschaft beider mit Goethe und Schiller, bei Hölderlin war die mit Herder und Wieland, bei Schelling die mit der Jenenser romantischen Intelli genz dazugekommen: an Höheres war für einen auf den Geist und das Wort setzenden Musensohn aus der Provinz nicht zu denken. Hölderlin konnte sich durch den Ab druck eines Hyperion-Fragments unter die Mitarbeiter von Schillers Thalia rechnen. Weimar und Jena gehören denn auch für ihn zum ersten Zenit seines Lebens, dem nach der Rückkehr ins Schwäbische bald in den Frankfurter Tagen mit der Nähe zu Susette Gontard der zweite folgt. Die Zukunft bedeutet seit der panikartigen Flucht mit dem Aufenthalt in Homburg, im Württembergischen, während der Tätigkeit als Hauslehrer in der Schweiz und des Umherirrens in Frankreich Abstieg. Hölderlin ist hinfort ein Fallender: Doch uns ist gegeben, Auf keiner Stätte zu ruhn, Es schwinden, es fallen, Die leidenden Menschen Blindlings von einer Stunde zur anderen, Wie Wasser von Klippe Zu Klippe geworfen, Jahr lang ins Ungewisse hinab. Diese Verse aus Hyperions Schicksalslied machen Hölderlins Lebensgesetz seit den Tagen mit seiner Diotima aus. Schelling ist von den Tübinger Stiftstagen an ein Stei gender. Er verkörpert eine für einen Philosophen unge wöhnliche Sieghaftigkeit. Ein Hindernis nach dem an dern wird genommen. Dorothea Veits Vorstellung von
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Schelling als einem »französischen General« mochte eini ges für sich haben. Und dies zu einer Zeit, als er sich noch am Anfang seiner Karriere befindet! Während sich Schelling in Jena der Sympathie Goethes und der Liebe Carolines erfreut, sitzt der Frankfurter Hauslehrer Hegel über seinen Mappen, in denen er seine Aufzeichnungen in enzyklopädischer Absicht zusammen trägt und schwerfällig gebaute Sätze über das Papier schickt. Seine Berner und Frankfurter Aufsätze sind, wie sich später herausstellen wird, vorwiegend für die Schub lade angefertigt. Der Aufsatz über die württembergischen Zustände war im Herzogtum für die Veröffentlichung unbrauchbar geworden; »drei Freunde in Stuttgart« sol len davon abgeraten haben. Hegel, der in Tübingen keine Magister- oder Doktordissertation geschrieben hatte, hat mit fast dreißig Jahren bisher nur jene Anmerkungen zur Übersetzung von Jean-Jacques Carts Staatsrechtliches Ver hältnis des Waadtlandes zur Stadt Bern verfaßt, die anonym im Druck erscheinen. Die Brillanz eines zur Sprache ge wordenen Denkens lag eindeutig bei Schelling, aber auch des Denkens selbst: Mit Hilfe der Sinne bringen wir die Ideen durch Reflexion zum Bewußtsein; die Kunst der Reflexion, die Ideen zu entfalten, ist die Dialektik; dazu gehört, daß man das identische Prinzip in seiner gesetzli chen Entwicklung, d. h. der Dreiheit der Einheit verfolge; sich der im Geiste wohnenden Gesetzmäßigkeit bewußtzu werden, macht die Methode der Philosophie aus; durch sie entsteht die philosophische Wissenschaft des Seienden oder die Wissenschaft von Gott, seinem Verhältnis zur Welt, der Natur und dem Menschen; das Absolute, Gott, ist das Sein und Wissen in der Einheit ohne Gegensatz; darin wird die absolute Identität erreicht, aus der Alles durch den Gegensatz hervorgegangen ist und in welche Alles durch seine Wiedervereinigung zurückkehrt. So der Schelling auf der ersten Höhe in seiner bedeutendsten Schrift der Frühzeit: Das System des transzendentalen Idealis mus. Gegen Ende des Jahres 1800 hatte sich bei Hegel die Absicht durchgesetzt, seine Frankfurter Tätigkeit zu be
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enden. Sie hatte fast vier Jahre gedauert. Durch die Erb schaft nach dem Tode seines Vaters war er in den Stand gesetzt, zumindest für einige Zeit ein von keiner äußeren Verpflichtung eingeschränktes Leben zu führen. Aber diese Überlegungen haben nicht den Zeitpunkt für seinen Entschluß bestimmt, Frankfurt zu verlassen. Der Tod des Vaters und ebenso die Regelung der Erbschaftsangele genheit waren schon fast zwei Jahre früher erfolgt. Es mögen hier wieder der lethargische Hang Hegels, abzuwarten, zuerst immer den weiteren Verlauf der Dinge zu verfolgen, sowie Rücksicht auf die Familie Gogel und die Zöglinge mit im Spiele gewesen sein, ganz beson ders aber der Stand seiner Untersuchungen. In den Sep tember 1800 fällt die Niederschrift des sogenannten Sy stemfragments, wenn man der Nohlschen Datierung folgt, die aber auch wieder angezweifelt worden ist. Am 29. desselben Monats schließt er die neue Einführung zur Positivität der Religion ab. Grundlegendes muß erst geklärt werden. Das entsprach seinem Charakter, was nach außen den Eindruck der Schwerbeweglichkeit, des mühsamen Von-der-Stelle-Kommens macht. Dieses Abwarten, um das Terrain abzumessen, zu ersten Schlußfolgerungen zu gelangen, kam gerade bei diesen Sujets, die das Resultat Hegelschen Denkens in seiner Vorstufe enthalten, ihrer Angemessenheit entgegen. Aber dann ist es schließlich soweit. Er hatte bereits in Tübingen an Jena gedacht. Hier hat inzwischen Schelling Fuß gefaßt. Ihr Briefverkehr scheint sich seit dessen Beru fung zeitweilig etwas gelockert zu haben, sicher von Schel lings Seite aus, der ja durch seine Tätigkeit, seine Teil nahme am Jenenser Leben und nicht zuletzt durch seine Reisen sehr in Anspruch genommen war. Über die näheren Gründe, die ihn Schellings Hilfe suchen lassen, sind wir gut orientiert, weil sie sich in Hegels Brief vom 2. November 1800 an den Freund an einandergereiht finden. Hegel schlägt dabei nicht den direkten Weg ein, sondern denkt zunächst an eine zeitwei lige Übersiedlung nach Bamberg, wo Schelling sich einige Zeit aufgehalten hatte, um sich an der medizinischen
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Fakultät der fürstbischöflichen Akademie mit der Natur heilkunde vertraut zu machen. Dort gedachte Hegel ihn anzutreffen. Das war inzwischen durch Schellings Rück kehr nach Jena zwar erledigt, aber Bamberg entsprach den alten, gegenüber Nanette Endel geäußerten Absich ten, sich in der katholischen Welt umzusehen, um sie sich geistig zu eigen zu machen. Warum er Bamberg ausersehen hatte, hatte auch noch einen anderen Grund gehabt. Hegel sieht Bamberg sozu sagen als Station der Vorbereitung. Sich sogleich nach Jena zu wagen, in die Hornissenwelt der Literaten mit den beiden Schlegels und Caroline, die Schiller das Leben vergiftete, schien ihm nicht geraten. Aus der Beschaulich keit seiner Frankfurter Verhältnisse am Roßmarkt unmit telbar solch gefährliches Gelände zu betreten, davor schreckt er zurück. »Ehe ich mich dem literarischen Saus von Jena anzuvertrauen wage, will ich mich vorher durch einen Aufenthalt an einem dritten Ort stärken«, erfährt Schelling als der einzige, dem er sich anzuvertrauen wagt und von dem er in seiner jetzigen Lage Hilfe erwarten könnte. War aber Schelling inzwischen schon längst wie der nach Jena zurückgekehrt, so kam für die Begegnung, die Hegel wünscht, Bamberg gar nicht mehr in Frage, sosehr ihm an dem Aufenthalt in dieser Stadt gelegen sein mochte. Er überläßt es darum auch Schelling, ihm mitzu teilen, wo und wie man sich treffen könnte. Bei aller Umschweifigkcit, in der sich Hegel dem Freunde gegenüber ausgelassen hatte, lief der Brief auf die Bitte um ein bescheidenes Plätzchen im Schatten des Erfolgreicheren heraus. Er ist bereit, dafür mit allem vorliebzunehmen, was für ihn abfällt. In der Hegelschen Briefsprache heißt das: »Ich schaue darum auch, in Rück sicht auf mich, so voll Zutrauen auf Dich, daß Du mein uneigennütziges Bestreben, wenn meine Sphäre auch niedriger wäre, erkennest und einen Wert in ihm finden könntest.«
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Fünfzehntes Kapitel
Frankfurter Studien
Außer den wenigen Gebrauchsgegenständen in Hegels Umzugsgut von Bern über Stuttgart nach Frankfurt be fanden sich darin auch seine Aufzeichnungen über die Positivität der Religion. Es wäre dies Vorerhebungen zum Verständnis der Religion, die schon die Grundelemente der Hegelschen Rcligionsphilosophic herantragen. Es liegt darin ein System mit Stufungen, deren Begriffe heute theoretisch nicht immer leicht nachvollziehbar sind. Dahinter steckt die Lehre von den verschiedenen, einan der ablösenden »Zeitaltern«, wie er sie bei Rousseau fin den konnte und auf dessen unmittelbaren Spuren er sich in Tschugg bewegt hatte. Aber auch Herders Geschichts philosophie beruhte auf der Folge der »Zeitalter« als Stufen, die die »Menschheit« zu durchlaufen hat. Auf die Religion angewandt heißt das bei Hegel: Die Naturreli gion als früheste Stufe geht aus der hellenischen Mytholo gie hervor, in der Wirklichkeit und Schönheit, Natur und Geschichte, Dichtung und Kunst vereinigt sind. Die zweite Stufe bildet die jüdische Religion mit ihrer Erhabenheit und zugleich Zerrissenheit. Aus ihr entsteht als dritte Stufe das Christentum mit der Menschwerdung Gottes. Das Christentum selbst durchläuft die Entwicklung vom Katholizismus als schöner Form zum Protestantismus als höherer Form bis dahin, wo die Religion an die Grenze zur Philosophie stößt. Ihre höchste Stufe erreicht die Mensch heitsentwicklung in der Philosophie. Das System von 1800 selbst (auch wenn man es später ansetzt) bietet ein Hegels Gedanken auf engem Raum zusammenfassendes Manifest, das ohne die Berner Ent würfe und die Frankfurter kommentierenden Bemer kungen, vor allem ohne das Verständnis der Positivität der Religion unverständlich bleiben muß. »Positivität der Religion« bedeutet für Hegel immer ein Aufknüpfen des Gegenstandes von zwei Enden her. Es ist bei ihm mit entgegengesetzten Polen zu rechnen. Das
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»Selbstverständnis« und das Verständnis der andern Par tei muß stets ins Kalkül gezogen werden gernäß der Ein sicht von Lessings Nathan der Weise (IV, 7), die Hegel anführt: »Denn was mich euch zum Christen macht, das macht Euch mir zum Juden!« Wenn die Christen selbst vor Augen führen, »wie sehr Christus bei seinem Unter richt nur die Bildung und Vollkommenheit des einzelnen Menschen vor Augen hatte«, so haben die »Gegner des Christentums« dagegen »die Verdorbenheit der Christen, besonders der Geistlichkeit als Beweis gegen ihre Wahr heit und Wohltätigkeit sehr beißend und zum Teil bitter ausgeführt«. Hegels Frage an die christliche Religion zur Feststellung ihrer »Positivität«: »Hat sie sich dem Despo tismus widersetzt - wie lang ist es denn, daß sie sich dem Sklavenhandel widersetzt?« Für den Theologen Hegel, der er in Frankfurt immer noch war, erscheint Religion als das Weltproblem, aller dings in einer Sprache, deren Ungelenkheit den Ver gleich zu scheuen hat. In den Berner und Frankfurter Papieren treten Denken und Sprache in auffallender In kongruenz, auf. Da, wo Denken sich die Sprache zu Hilfe holt, kann es zu einem Mißverständnis in ihrer Beziehung kommen. Sprache reicht nicht immer aus, das Gedachte zu fassen. Der Sprechende gerät beim Versuch, sich ver ständlich zu machen, in Not. Hier taucht ein Grundfaktum bei Hegel auf: Denken läßt sich nicht ohne weiteres mitteilen. Hegels Feder ist im Gegensatz zu der Lessings und selbst Kants keine spitze, sondern eine stumpfe, die zur ungefügen Blockschrift neigt. Er hat nie die schriftstellerische Tugend seines in der öffentlichen Wirksamkeit ihm lange unterlegenen Gegenspielers Schopenhauer besessen, bei dem der Ge danke in der Sprache voll aufgeht. Der Theologe Hegel denkt in Entitäten, Einheiten, denen das Sein zugrunde liegt und zu deren Sichtbarmachung die Religionen bei den Symbolen Hilfe suchen. Das Sakrament — Brot und Wein - ist für den schwäbischen Lutheraner noch gegen wärtig wie für Hölderlin. Seine in das Leben hineinrei chende tägliche Wirklichkeit läßt sich nur schwer abstrei
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fcn. Aber Hegel weiß: Dem Sakrament, der Hostie, setzt der Verstand Widerstände entgegen. Hier liegt die mysti sche Seite eines Vorgangs, dem Sinn nur gegeben wird durch die Handlung, die ihn begleitet. Um sich verständ lich zu machen, wählt Hegel den Vergleich mit dem Lesen. Der Lesende hat tote Buchstaben vor Augen. Aber die Buchstaben bleiben, wenn er sie gelesen hat, während Brot und Wein durch das Essen verschwinden. Sie gehen in das Leben dessen, der ißt, über. Brot und Wein stehen für Essen und Trinken als das, was zum Leben unerläßlich ist. Wenn das Abendmahl vorgibt, dem Menschen die Vereinigung mit der Gottheit zu bescheren, so wird doch darin nur ausgeteilt, was materielle Substanz ist und im Munde zerrinnt. Das Gefühl der Erhabenheit beruht auf einer Täuschung. Sosehr das Äußere im Abendmahl für das steht, was es bedeuten soll: Es bleibt für den Gläubigen ein Rest, der nicht aufgeht, eine Stimmung, die von der zu erwartenden Seligkeit abweicht. Jesu Jünger waren nach dem Abendmahl von Trauer erfüllt. Stoff und Form fallen hier auseinander. Sie fallen aus einander wie bei dem Griechen, der eine Statue des Apol lon angeschaut hat und dabei das Gefühl der Begeiste rung für unsterbliche Schönheit und Jugend empfand. Zerriebe er aber den Marmor zu Staub, so würde ihm die Anschauung der Statue genommen. Es war nicht der Marmor, sondern seine Form, die es ihm angetan hatte. Hier geraten wir erneut an eine Denkbewegung Hegels heran, die ein wirksames, jetzt und später immer wieder kehrendes, aus dem Leben genommenes Motiv in Tätig keit zeigt: den Gegensatz von sichtbarer und unsichtbarer Kirche. Die »unsichtbare Kirche« ist auch von der Einheit zwischen Staat und Kirche oder der von Kant geforderten Trennung, mit der Hegel sich auseinandersetzt, nicht betroffen. Der Gedanke von der »unsichtbaren Kirche« hat, unabhängig von Hegel, der an ihm teilhat, eine um fassende Verbreitung in der zweiten Hälfte des 18.Jahr hunderts gehabt: Auch Hölderlin und Schelling sind nur Nachfahren einer Vorstellung, von der Lessing, Herder, Jean Paul erfaßt worden sind und die eine vom kirchli
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chen Sakrament freie Vereinigung der Geister meint. Sie hat nach Hegel mit der institutionellen Kirche nichts mehr zu tun, liegt bereitsjenseits ihrer Grenze, gehört schon zur Philosophie. Es gibt bei ihrer Spiritualität keine Ungleich heit des Rangs, keinen Hang, sich auszubreiten, Prosely ten zu machen, keine mögliche Teilhabe an Despotie und Gewalt; die Ehre Gottes soll nicht durch äußere Mittel gefördert oder NichtZugehörigkeit zur Kirche durch Aus schließung von bürgerlichen Rechten geahndet werden. Sie ist auch vom Streit, in den Staat und Kirche geraten können, nicht berührt, weil ihre Gegenstände anderer Art sind. Sie kennt keine Beamten, keine besonderen Ge bäude oder Geräte, die zur Feier des Ciottcsdienstes not wendig sind, sie kennt keine kultische Feier, ebensowenig Abgaben und Beiträge. Schelling hatte seine Zugehörigkeit zur »unsichtbaren Kirche« Hegel gegenüber brieflich am 4. Februar 1795 durch seine Erklärung, »Spinozist geworden« zu sein, für den es »gar kein Objekt« gebe, unmißverständlich bekun det. Was damit gemeint war, sagt die von Schelling daraus gezogene Schlußfolgerung: »Mithin gibt es keinen per sönlichen Gott.« Das war für einen Tübinger Theologen nicht wenig, der, wenn er die Existenz eines persönlichen Gottes be stritt, mit der württembergischen Kirche in ein Mißver hältnis kommen mußte. Aber daß Schelling dies gar nicht vermeiden wollte, es vielmehr darauf angelegt hatte, geht eindeutig aus dem Briefwechsel mit Hegel hervor. Hegel kommt dem in seiner Antwort vom 16. April mit jener herausgekehrten Distanz zur »Religion« der »sichtbaren Kirche« entgegen, wenn er schreibt: »Religion und Politik haben unter einer Decke gespielt, jene hat gelehrt, was der Despotismus wollte, Verachtung des Menschenge schlechts.« Das konnte der Zustimmung Schellings, der sich bald darauf als Hofmeister der beiden Barone Ried esel von deren Familie ausgehorcht finden sollte, ob er »Demokrat«, »Aufklärer« oder »Illuminat« sei und dage gen den »Unfug der Theologen« ins Feld geführt hatte, sicher sein.
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Soweit hatten die brieflichen Vorverhandlungen bereits klärend gewirkt, als Hegel in Frankfurt den Faden wieder aufgreift. Schelling war der Schnellere gewesen, er hatte in sei nem Februarbrief des Jahres 1795 einiges aus dem Hegel schen System von 1800 schon vorfixiert, wenn er die Bewe gung des Geistes als »höchstes Bestreben« zur »Zerstö rung unserer Persönlichkeit« einen »Übergang in die Absolute Sphäre des Seins, der aber in Ewigkeit nicht möglich ist«, nennt. Doch dieses Unvermögen ist die Chance. Weil der »Übergang« nicht möglich ist, sondern »nur praktische Annäherung zum Absoluten«, wird uns »Unsterblichkeit« beschert. Diese Erklärung der »Unsterblichkeit« des zwanzigjäh rigen Schelling ist eine der genialsten Vorstellungen sei nes Denkens. Das »Ich« ist unsterblich, weil ihm das Eintreten in die Sphäre, der es zustrebt, verwehrt wird. In der schweren gedanklichen Beladenheit kehrt diese Vor stellung bei Hegel wieder, gehört sie zu den Grundbewe gungen seines Denkens, wenn hinfort so oft von der Rückkehr des Geistes zu sich selbst die Rede ist. Im Frank furter Systemfragment heißt es: Das »Teilsein des Leben digen hebt sich in der Religion auf, das beschränkte Leben erhebt sich zum Unendlichen; und nur dadurch, daß das Endliche selbst Leben ist, trägt es die Möglichkeit in sich, zum unendlichen Leben sich zu erheben.« Aber diese Einsicht ist keine Einsicht der »Religion«, sondern der »Philosophie«, weil sie einen »Gegensatz« zum »Nichtden ken« enthält. Hier ist schon das Hcgelsche Denken in Bewegung geraten, zieht es Kreise, in die sich nicht leicht eindringen läßt. Was Fichte von Kant sagte und Schelling mitteilte: daß zum Verständnis Kants der »Genius des Sokrates« nötig sei, gilt auch jetzt und bald noch mehr für Hegel. Die Berner und Frankfurter Aufzeichnungen enthalten einige später immer wiederkehrende Grundfiguren sei nes Denkens, die sich auf Grund verhalte des Lebens grün den. So die »Liebe« als »Einigkeit« und »Verdoppelung seiner Selbst«, die auf dem Prinzip der Annäherung und
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Trennung beruht! »Eigentliche Liebe findet nur unter Lebenden statt«, aber sie steht auch in einer unaufhebba ren Beziehung zum Tod: »An Liebenden ist keine Mate rie . . . ; Liebende haben Selbständigkeit, eigenes Lebens prinzip heißt nur: Sie können sterben.« Dem Sterben wiederum steht zwischen Leben und Tod die »Unsterb lichkeit« gegenüber, für die Schelling eine so völlig über raschende Erklärung gefunden hatte, der Hegel jetzt eine eigene, aber vor dem Freund zurückgehaltene gegen überstellt. »Die Liebe strebt . . . selbst das Sterbliche zu vereinigen, es unsterblich zu machen«, sie ist »Vernich tung des Entgegengesetzten in der Vereinigung«. Hegel gibt hier in seinen Aufzeichnungen erste proviso risch gehaltene eigene Antworten auf die mit Schelling verhandelten Fragen, die sich mit den Anschauungen der »Mauerkirche«, wie der Mystiker Jakob Böhme die insti tutionalisierte Kirche nannte, nicht mehr vertrugen. Nun zahlt es sich aus, daß ihn gegenüber der Philoso phie so lange eine eigentümliche Gleichgültigkeit be herrscht hatte, durch die ihm in Tübingen als dem Kon kurrenten des über Kant weitaus besser unterrichteten Märklin Nachteile beschert worden waren. In Bern hatte er, ganz allein auf sich gestellt, erste Orientierungen zu Papier gebracht. Es war ein Erproben des Bodens, Schritt für Schritt, ein Denken »von Grund auf«, bei dem die Belesenheit gegenüber dem eigenen Suchen nicht über handnimmt. Am Anfang stehen »Leben« und »Tod«, steht »Liebe« als Mittel zur »Unsterblichkeit«, stehen »Brot« und »Wein«, steht »Bewegung« als »Annäherung« und »Trennung«, weisen »These« und »Antithese« auf ihr Prinzip. Dieses Denken, das sich in der »Reflexion« bewußt wird, ist im Einfachen zu Hause. Erst wo es in Gang gesetzt wird, die Begriffe sich miteinander verbin den und sich wieder voneinander entfernen, kommt ein gewaltiger Auflauf zustande, ein Flechtwerk, das, so wie es gedacht wird, auch jeden Augenblick wieder auseinander gerissen werden kann. »Die Erhebung des Endlichen zum Unendlichen charakterisiert sich ... als Erhebung endli chen Lebens zu unendlichem«: Dies, im Frankfurter Sy
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stem ausgesprochen, gibt einen Vorgeschmack von dem, was folgt, wenn das Denken sich nach langsamer In-GangSetzung im Akt des Vollzugs befindet. Im Frankfurter Systemfragment haben wir die Urzelle im frühen Reifungsprozeß zu dem, was man später die »Hegeische Philosophie« nennen wird: das Ende der (al ten) Religion und den Übergang zur Philosophie: eben der Hcgclschen. Das Prinzip der Entgegensetzung ist im Systemfrag ment schon angelegt, ist schon Kernstück der Methode. Hegel befindet sich darin bereits auj dem Wege zur Dialek tik »letzter Hand«, wo die Schroffheit des Gegensatzes von Leben und toter Objektivität, von »Geist« und »Positi vem«, von Unendlichkeit und Endlichkeit durch mögliche Übergänge gemildert und die Dialektik elastisch gehalten wird. Den Begriffen wird die starre Einseitigkeit genom men, sie selbst sind in der Abstufung schon relativiert. Wir sind natürlich durch den fragmentarischen Charakter des Papiers von 1800 nicht imstande, uns genaue Kenntnisse über den Aufbau des Systems zu verschaffen. Das beweist nur: Bei allem Fortbilden und den Umformungen im System bleibt eine von Bern über Frankfurt bis zu den Jenenser Papieren reichende innere Kontinuität bewahrt. Die Zuspitzung der Philosophie im Religiösen, die Ver handlung des Subjekt-Objekt-Gegensatzes auf dem Bo den, der durch die Religion in Beschlag genommen wird, ist hier beibehalten: »Die Philosophie muß eben darum mit der Religion aufhören, weil jene ein Denken ist, also einen Gegensatz teils des Nichtdenkens hat, teils den Denkenden und Gedachten; sie hat in allem Endlichen die Endlichkeit aufzuzeigen, und durch die Vernunft die Vervollständigung desselben zu fordein, besonders die Täuschungen durch ihr eigenes Unendliches zu erken nen, und so das wahre Unendliche außerhalb ihres Um kreises zu setzen. Die Erhebung des Endlichen zum Unendlichen charakterisiert sich eben dadurch als Erhe bung endlichen Lebens zu unendlichem, als Religion ...« Das Herüberziehen des Denkens auf die Linie des objekti ven Idealismus als des Denkens »an sich« hat mit der
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Religion als einem dagegenhaltenden »Nichtdenken« zu rechnen, an dem und gegen das es sich aufhaut mit. Qualitäten, über die die Religion als »Sein außerhalb der Reflexion« nicht verfügt. Die »Erhebung des Menschen«, die in dieser Sphäre vor sich geht, ist nach Hegel aus drücklich nicht eine »vom Endlichen zum Unendlichen«, sondern, weil hier ein erneuter Gegensatz besteht, aus drücklich »vom endlichen Leben zum unendlichen Le ben«. Zu einer fortschreitenden Dialektik gehört es, neue Dialektiken zu gebären und sich in ihnen fortzusetzen. Die Religion ist auf dieser Stufe des Erkennens unerläßlich für die Philosophie, weil in der Beziehung zu ihr die Zweitei lung der beiden Erscheinungsformen des Lebens erfol gen und auch von der erkennenden Vernunft erkannt werden kann. Indem aber Hegel im Systemfragment die Religion als Prinzip des »Nichtdenkens« am Werke zeigt, wird sie in der Entgegensetzung zur Philosophie mit dem Prinzip des »Denkens« zu einer Erkenntnisquelle, deren Erkenntniskraft ihre alte Unbestrittenheit eingebüßt hat, die philosophisch zwar noch zu Rate gezogen, aber einge grenzt, überprüft, über ihre Stelle im Gesamtsystem der Totalität befragt werden muß. Mit der alten landläufigen Gegenüberstellung von »Endlichem« und »Unendli chem«, von »Beschränktem« und »Unbeschränktem«, von »Sterblichem« und »Unsterblichem« ist bei einer Phi losophie, die imstande sein muß, »die Täuschungen durch ihr eigenes Unendliche zu erkennen«, und gegen das bloß »Unendliche« das »wahre Unendliche außerhalb ihres Umkreises zu setzen«, nicht mehr viel auszurichten. Die Philosophie, d.h. hier das System von 1800, gründet sich auf einen anderen Gegensatz, auf den von »Geist« und »Gesetz«. Unverkennbar bleibt, daß er terminologisch aus der Religion hergeholt ist, mit ihm an den Neuen Bund, der durch den »Geist« vom »Gesetz« des Alten Bundes frei macht, erinnert. Das bedeutet: Philosophie kann sich in diesem Stadium ihrer historischen Entwicklung sprach lich nicht ohne die Mittel der Religion artikulieren. Aber auch: sie ist schon frei, die alten theologischen Inhalte abzuwerfen. Etwa: »Das unendliche Leben kann man 131
einen Geist nennen«, oder: »Geist ist die lebendige Einig keit des Mannigfaltigen.« Dagegen steht »die bloße Ein heit, die Gesetz heißt und ein bloß Gedachtes, Unlebendi ges ist«. Als Synthesis gilt: »Der Geist ist belebendes Gesetz in Vereinigung mit dem Mannigfaltigen, das alsdann ein belebtes ist.« Diese Dialektik, ohne daß das Wort fiele, hat es mit »unendlicher Entgegensetzung« zu tun: es ist ein System gedacht, worin »eine unendliche Vielheit von Organisa tionen, Individuen, als Einheit, ein einziges organisiertes getrenntes und vereinigtes Ganzes« jedes mit jedem in mögliche Beziehung treten läßt —eben die »Natur«. Das ist schon unter dem Einfluß der ersten Entwürfe von Schel lings Naturphilosophie niedergeschrieben. Aber eine so verstandene »Natur« ist nach Hegel »ein Setzen des Le bens«, Leben, das »durch Setzen zur Natur gemacht« worden ist. Es »setzt« das Ich, das die Natur als eine von ihm produzierte erscheinen läßt. Es ist damit dem setzen den Ich anheimgegeben, darüber zu befinden, was als Vereinigung, was als Trennung verstanden werden muß, was als Individuum, was als objektive Wirklichkeit auftritt. Mit dem Fichteschen Ich im Hintergrund ist in Betracht zu ziehen, daß der Subjekt-Objekt-Gegensatz in der schroffen Ausschließlichkeit bis zur Identität von Subjekt und Objekt aufgehoben werden kann. Was Fichte anbetraf, hatte Hölderlin eine wegberei tende Rolle auch für Hegel gespielt. »Fichte« — so war es in seinem Brief aus Jena vom 26. Februar 1795 an Hegel zu lesen gewesen — »möchte über das Faktum des Bewußt seins in der Theorie hinaus«, ein Weg, auf dem ihm Höl derlin folgen will und tatsächlich in der Praxis der großen Dichtung auch folgt, wenn er im Empedokles die Tragödie des im Krater des Ätna untergehenden Selbstbewußtseins schaffen wird, aber eines Untergangs, der zugleich ein Werden, die Vereinigung mit der all-einen Natur (Spino zas) ist. Damit befinden wir uns mitten auf dem Weg von Fichtcs »Bewußtsein«, seiner Philosophie des Ich, zu He gels »Selbstbewußtsein« der Phänomenologie des Geistes, zur »Wahrheit der Gewißheit seiner selbst«, womit wir »in das
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einheimische Reich der Wahrheit« eingetreten sind. Es ist unabweisbar, daß Hölderlin, wo er über Fichtes Philoso phie referiert, wie er sie versteht, erste Verhandlungen des später von Hegel umfassend bearbeiteten Gegenstan des bietet. Fichtes »absolutes Ich« (das Hölderlin mit Spinozas »Substanz« gleichsetzt), so heißt es in demselben Brief, »enthält alle Realität; es ist alles und außer ihm ist nichts. Es gibt also für dieses absolute Ich kein Objekt, denn sonst wäre nicht alle Realität in ihm; Bewußtsein ohne Objekt ist aber nicht denkbar, und wenn ich selbst dieses Objekt bin, so bin ich als solches notwendig be schränkt; sollte es auch nur in der Zeit sein, also nicht absolut. Also ist in dem absoluten Ich kein Bewußtsein denkbar, als absolutes Ich habe ich kein Bewußtsein, und insofern ich kein Bewußtsein habe, insofern bin ich (für mich) nichts, also das absolute Ich ist (für mich) nichts.« Der Eindruck des Unbestimmbaren, der sich bei diesen Worten leicht einstellen kann, läßt sich sogleich wegwi schen, wenn man beim Dichter des Hyperion, des Empedo kles, der griechischen Hymnen Erfahrungen mit dem »absoluten Ich«, einem objekt- und bewußtlosen Ich, das in »nichts« zerfällt, voraussetzt. Dahinter lagen in das Licht Fichtes gerückte autobiographische Momente eines in Jena gestärkten romantischen Unendlichkeitsgefühls. »Aus dieser tragischen Vereinigung des Unendlichneuen und Endlichalten entwickelt sich dann ein Individuelles, indem das Unendlichneue vermittelst dessen, daß es die Gestalt des Endlichalten annahm, sich nun in der eigenen Gestalt individualisiert«, heißt es in dem vom Hölderlin unter Einfluß von Fichtes Wissenschaftslehre, zur Zeil der Anfänge seiner Arbeit am Empedokles, etwa 1799, verfaß ten und in der Friedrich-Beißner-Ausgabe unter dem Titel Das Werden und Vergehen veröffentlichten Papier. Es deckt bereits den Sprachgebrauch für die Hegclsche »Wanderung« des Geistes als triadischen Stufengang von »Herausgehen«, »Sichauseinanderlegen« und »Zusich selbstkommen« auf. »Diese idealistische Auflösung ist furchtlos«, so hören wir: »Anfangs- und Endpunkt sind schon gesetzt, unaufhaltsamer, kühner, und sie stellt sie 133
hiermit als das, was sie eigentlich ist, als einen reprodukti ven Akt dar, wodurch das Leben alle seine Punkte durch läuft, und um die ganze Summe zu gewinnen, auf keinem verweilt, auf jedem sich auflöst, um in dem nächsten sich herzustellen.« Nichts geht bei dieser namentlich nicht angeführten Dialektik von »Werden und Vergehen« ver loren. »Auflösung« als reproduktiver Akt verstanden, um »herzustellen«, um »aufzuheben«! Der Tonfall der hegel schen Rede in diesem Prosafragment Hölderlins ist nicht leicht zu überhören. Hatte sich Hegel lange in der Bannmeile des subjekti ven Idealismus befunden, so dringt er mit der Entdek kung der Widersprüchlichkeit als dem Prinzip des Seins in der fragmentarisch erhaltenen Frankfurter Niederschrift über diese Grenze hinaus. Der Widerspruch ist objektiv das bewegende Prinzip schlechthin, er kann in der Orga nisation des Seins gar nicht aufgehoben werden, sondern setzt sich in immer neuen Stufungen und Verästelungen fort. Widerspruch ist alles, alles ist Widerspruch: » I m lebendigen Ganzen ist der Tod, die Entgegensetzung, der Verstand zugleich gesetzt, nämlich als Mannigfaltiges, das lebendig ist, und als Lebendiges sich als ein Ganzes setzen kann, wodurch es zugleich ein Teil ist, d. h. für welches es Totes gibt, und welches selbst für anderes tot ist.« Nach der Rückkehr aus der Schweiz, war Hegel wieder auf die deutschen Verhältnisse gestoßen worden, über die er in seinem in Frankfurt 1798 verfaßten Aufsatz Über die neuesten inneren Verhältnisse Württembergs bittere Klagen vernehmen läßt. Angesichts der erbärmlichen Zustände seines Heimatlandes muß er seine Ratlosigkeit eingeste hen, ihnen durch Vorschläge abzuhelfen. Die Lage ist so verfahren, daß jeder Versuch zur Hilfe vergebens sein wird. Bei der Aussichtslosigkeit der bestehenden Verhält nisse schwebte Hegel in seinen noch unabgeschlossenen Überlegungen vor, daß »die Magistrate vom Volk gewählt werden«, in der revidierten Fassung heißt es »von den Bürgern«. Das müßte zu einer dringend notwendigen Neuorganisation der Landstände führen. Einleitend
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meint er: » Es wäre einmal Zeit, daß das Württembergische Volk aus seinem Schwanken zwischen Furcht und Hoff nung, aus seiner Abwechslung von Erwartung und von Täuschung in seiner Erwartung herausträte ... Wie blind sind diejenigen, die glauben mögen, daß Einrichtungen, Verfassungen, Gesetze, die mit den Sitten, den Bedürfnis sen, der Meinung der Menschen nicht mehr zusammen stimmen, aus denen der Geist entflohen ist, länger beste hen; daß Formen, an denen der Verstand und Empfin dung kein Interesse mehr nimmt, mächtig genug seien, länger das Rand eines Volkes auszumachen.« Daß er damit im residenzlerischen Milieu von Stuttgart wenig Anklang finden würde, mußte ihm klar sein und wurde ihm bedeutet. Er war darin unmißverständlich als »Freund der Veränderung« aufgetreten, etwas, was kei neswegs leicht wog und sich sehr wohl in das Bild des zeitweiligen Sympathisanten der Republik mit der Vor liebe für Freiheitsbäume einfügte. Aber es war mit seinen Ausführungen ja gar nicht Württemberg allein gemeint. »Das Schauspiel einer sol chen Schwäche darf ein Volk, dürfen Deutsche nicht geben«, soll heißen, daß die Veränderung nicht an den Landesgrenzen haltmachen müsse. Das war ein Satz, der mit allem Provinzialismus und der Kleinstaaterei des zu Ende gehenden Jahrhunderts schonungslos verfuhr und unmißverständlich Umstürzlcrisches im Schilde führte, wenn er zu der Folgerung führt: »Nach kalter Überzeu gung, daß eine Veränderung notwendig ist, dürfen sie sich nun nicht fürchten, mit der Untersuchung in's Ein zelne zu gehen und, was sie Ungerechtes finden, dessen Abstellung muß der, der Unrecht leidet, fordern, und der, der im ungerechten Besitz ist, muß ihn freiwillig aufopfern.« Der Hegel der Frankfurter Jahre ist nach wie vor der Mann der Exzerpte; er liest Bücher und Zeitungen mit der Feder in der Hand, um Gelesenes sofort gehörig zu mar kieren und als Zitat oder in der Form der Notiz festzuhal ten. Auffallend ist sein Interesse für englische Zeitungen. England gilt nicht nur als das Land des Parlaments und
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des Eigentums, lange bevor in Frankreich die Bourgeoisie die freie Verfügung darüber entdeckte und durchsetzte, um mit diesem Mittel der Klasse der alten Landeigentü mer ihre ureigene Waffe: das Geld, dagegenzustellen. England war schon auf dem Sprung, Land des liberalen Welthandels, des Austauschs gewaltiger Warenmengen zwischen den Kontinenten zu werden, ohne jenen Etatis mus, der vom preußischen Staatshaushalt ausging und Handel und Gewerbe stets in obrigkeitliche Schnürleiber zwängte. An England fesseln ihn seit den Berner Jahren vor allem die Parlamentsvcrhandlungcn und die Almosen taxe als Einrichtung der herrschenden Klassen, um damit die Besitzlosen zu beschwichtigen, wie er in seinen kom mentierenden Bemerkungen zu Steuarts Staatswirtschaft festgehalten hatte. Von den deutschen Verhältnissen rückt jetzt das »Allgemeine Preußische Landrecht« in sein näheres Blickfeld, das, im Gegensatz zum »liberalen« Eng land, an der Unverkäuflichkeit des Domänenbesitzes fest hält und Bestehendes verfestigt. Was Hegel am »Allge meinen Preußischen Landrecht« insbesondere kritisiert, ist das Gefängniswesen, dem man nachsagt, daß »so lange die Gefängnisse auf dem Lande und selbst in den mehr sten Städten nur zur Aufnahme der Gefangenen und zur Empfindung der Strafe dienen, damit gegen die Bauern und insonderheit gegen die geringere Klasse und das Gesinde nichts ausgerichtet, sondern der Zweck der Strafe gänzlich verfehlt würde, auch dem Lande eine beträchtli che Qualität an Arbeitern entginge ...«. Hegels Anmer kungen zum hier beschriebenen Strafvollzug: »Ist dies nicht Irokesen-mäßig, die auf Qualen für ihre gefangenen Feinde sinnen und mit Wollust jede neue Marter aus üben? ... Mit kaltem Verstande die Menschen bald als arbeitende und produzierende Wesen, bald als zu bes sernde Wesen zu betrachten und zu befehligen, wird die ärgste Tyrannei, weil das Beste des Ganzen als Zweck ihnen fremd ist, wenn es nicht gerecht ist.« Im übrigen bleibt Hegel in seiner Frankfurter Zeit, was er in den Berner Jahren gewesen war: ein vor sich hin
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schreibender Privatmann, der an kein Lesepublikum denkt. So ist in dem einzigen Gedruckten, das damals von ihm erscheint, sein Name nicht auf der Titelvignette auf geführt. Gemeint sind die Vertraulichen Briefe übet das vormalig/' Staatsrechtliche Verhältnis des Waadtlandes (Pays de Vaud) zur Stadt Bern. Aus dem Französischen eines verstorbenen Schweizers übersetzt und mit Anmerkungen versehen. Das Büch lein erschien zur Frankfurter Ostennesse 1798. Es war von dem Advokaten Jean-Jacques Cart verfaßt, der aller dings nicht, wie das Titelblatt behauptet, bereits verstor ben war, sondern noch fünfzehn Jahre leben wird. Ange sichts der politischen Verhältnisse in der Schweiz scheint es dem Autor offenbar geraten, sich für tot auszugeben. Daß Hegel selbst der Übersetzer ist, darf angenommen werden, steht aber nicht mit letzter Sicherheit fest. Es dürfte mit dem Manuskript, zu dem er den Kommentar schreibt, schon in Bern Bekanntschaft gemacht haben. Über seine Anschauungen zur Berner Oligarchie hatte er sich in der Korrespondenz mit Schclling schon sehr dezidiert ausgelassen. Sein Brief an ihn vom 16. April J 795 erwähnte fast wortgleich die »Intrigen« und »Kom binationen« durch eingebrachtes »Heiratsgut« des »Toch termanns« als Mittel, um ins Berner Conseil Souverain gewählt zu weiden, von denen bei Cart die Rede ist. Es war ein Thema, auf das Hegel einiges Nachdenken verwandt hatte, weil sich mit ihm eigene Berner Erfahrungen ver banden. Gerade jetzt in diesen Monaten, als die Franzosen mit La Harpe an der Spitze durch ihren Einmarsch ins Waadtland dessen Befreiung von Bern erzwingen, ge winnt es europäische Bedeutung. Das, was man der »Schweizer Freiheit« gern nachsagt, hat im Verhältnis Berns zum Waadt keine Geltung. Daran werden wir durch den Kommentar erinnert. Dahinter steckt keine Theorie der Revolution, sondern der Ge danke, das »alte Recht«, das durch die Tyrannis der Berner Oligarchie zerstört worden war, wieder einzuset zen. Die Rechtsprechung in den Händen der Berner Regierung war das genaue Gegenteil dessen, was sie zu sein vorgab. Statt Recht herrschte Willkür, die Verteidi schreibender Privatmann, der an kein Lesepublikum denkt. So ist in dem einzigen Gedruckten, das damals von ihm erscheint, sein Name nicht auf der Titelvignette auf 137
geführt. Gemeint sind die Vertraulichen Briefe übet das
vormalig/' Staatsrechtliche Verhältnis des Waadtlandes (Pays de Vaud) zur Stadt Bern. Aus dem Französischen eines verstorbenen Schweizers übersetzt und mit Anmerkungen versehen. Das Büch lein erschien zur Frankfurter Ostennesse 1798. Es war von dem Advokaten Jean-Jacques Cart verfaßt, der aller dings nicht, wie das Titelblatt behauptet, bereits verstor ben war, sondern noch fünfzehn Jahre leben wird. Ange sichts der politischen Verhältnisse in der Schweiz scheint es dem Autor offenbar geraten, sich für tot auszugeben. Daß Hegel selbst der Übersetzer ist, darf angenommen werden, steht aber nicht mit letzter Sicherheit fest. Es dürfte mit dem Manuskript, zu dem er den Kommentar schreibt, schon in Bern Bekanntschaft gemacht haben. Über seine Anschauungen zur Berner Oligarchie hatte er sich in der Korrespondenz mit Schclling schon sehr dezidiert ausgelassen. Sein Brief an ihn vom 16. April J 795 erwähnte fast wortgleich die »Intrigen« und »Kom binationen« durch eingebrachtes »Heiratsgut« des »Toch termanns« als Mittel, um ins Berner Conseil Souverain gewählt zu weiden, von denen bei Cart die Rede ist. Es war ein Thema, auf das Hegel einiges Nachdenken verwandt hatte, weil sich mit ihm eigene Berner Erfahrungen ver banden. Gerade jetzt in diesen Monaten, als die Franzosen mit La Harpe an der Spitze durch ihren Einmarsch ins Waadtland dessen Befreiung von Bern erzwingen, ge winnt es europäische Bedeutung. Das, was man der »Schweizer Freiheit« gern nachsagt, hat im Verhältnis Berns zum Waadt keine Geltung. Daran werden wir durch den Kommentar erinnert. Dahinter steckt keine Theorie der Revolution, sondern der Ge danke, das »alte Recht«, das durch die Tyrannis der Berner Oligarchie zerstört worden war, wieder einzuset zen. Die Rechtsprechung in den Händen der Berner Regierung war das genaue Gegenteil dessen, was sie zu sein vorgab. Statt Recht herrschte Willkür, die Verteidi
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gung der wegen aufständischer Gesinnung erhobenen Anklagen gegen die vor Gericht stehenden Waadüändei ist bloß formaler Art. Hegel steht hier Montesquieu näher als Rousseau, wenn er die Staatsform daran mißt, wie sie ihre eigenen Prinzipien, den esprit des lois, selber auf rechterhält, was bei der Berner Aristokratie nicht der Fall ist. Gegen Carts »Überzeugung«, »daß . . . in keinem der Länder, die ich kenne, nach Verhältnis der Größe, so viel gehängt, gerädert, geköpft, verbrannt wird als in diesem Kanton«, hat sein Übersetzer und Kommentator nichts einzuwenden, üas geht über seine eigene Kritik am Straf vollzug nach dem »Allgemeinen Preußischen Landrecht« weit hinaus. So wird in Bern im Vergleich zum Nachbarn gestraft: »Zehn Deutsche gegen einen Waadtländer in dem Schallhaus« (von Hegel »Zuchthaus für größere Ver brecher« genannt), was den Eindruck zuläßt, in der Repu blik, die Cart meint, sei es ärger zugegangen als in der württembergischen Erbmonarchie zu Zeiten Karl Eugens. Man kann verstehen, daß der Verlag, die Jägersche Buch handlung in Frankfurt, die den Titel auf den Markt brachte, in richtiger Einschätzung des mächtigen Bern und um den Autor zu schützen, ihn einfach für tot erklä ren ließ und Hegels Namen als Übersetzer verschwieg.
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Sechzehntes Kapitel
Der Privatdozent
Im Januar 1801 traf Hegel ohne den vorher in Aussicht genommenen Umweg über Bamberg in Jena ein. Quar tier wurde vorerst bei Schelling, in dem er seinen Protek tor und Wegbereiter zu einem Universitätsamt sah, ge nommen. Noch am 10. Dezember teilt er die Wohnung mit Schelling, wie er unter diesem Datum an Wilhelm Friedrich Hufnagel, den Theologen und Schulmann, nach Frankfurt schreibt. Es ist das größere Geselligkeits bedürfnis, das Schelling vor allem an den Abenden aus dem Hause treibt, zumal jetzt, wo seine Beziehung zu Caroline, die damals noch mit August Wilhelm Schlegel verheiratet war, sich sehr eng gestaltet hatte. Schelling wünscht mehr als Hegel Umgang und, wenn man an seine Freundin und nachmalige Frau und ihren Kreis denkt, den Verkehr des romantischen Salons. Hegel, der Antiro mantiker, ist zunächst mehr mit seinen Mappen beschäf tigt. Seine Adresse wird einige Zeit später mit »Klipsteini scher Garten« und »Löbdergraben« angegeben. Das Jena, das Hegel jetzt vorfand, war freilich nicht mehr das, das Schelling nach seinem Eintreffen empfan gen und vor dem sich Hegel gefürchtet hatte. Dem eigent lichen Jena der Romantik wird ein langsamer Untergang bereitet werden. Die beiden Schlegels hatten die Stadt bereits verlassen und ebenso Tieck, mit ihnen zusammen der Begründer der romantischen Schule. Fichte war nach Berlin vertrieben worden, Schiller nach Weimar überge siedelt, Novalis stirbt im nicht weit entfernten Weißenfcls bald nach Hegels Ankunft. Nach einer kurzen, aber hefti gen Blüte hatte der Verfall eingesetzt. Hegel, der sich gerade anschickte, Privatdozent zu werden, war immerhin die Nähe Friedrich Schlegels erspart geblieben, der hier ein Semester über Ästhetik gelesen hatte. Schellings Stern hingegen ist immer noch im Aufsteigen begriffen. Darin liegt auch die Gunst für Hegel, der dessen Bahn nutzt und seine Nähe sucht, um von ihm mit
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emporgerissen zu werden. Daran war nichts auszusetzen. Hegel brauchte sich nicht den geringsten Zwang anzutun: Von Bern aus hatte er bereits die Lageveränderung verfolgt, die durch das Aufkommen der Fichteschen Philosophie gegenüber der Kantischen vor sich ging und mit Schellings Auftreten wieder in Frage gestellt worden war. Zu ihr hatte er gegenüber dem erfolgreichen Freund, dessen Hilfe er jetzt in Anspruch nimmt, brieflich Anmerkungen gegeben und sich darin eine eigene, unaufdringliche, aber auch nicht zu übersehende Position eingeräumt. Für das Thema der Schrift, mit der Hegel die akademische Laufbahn eröffnet wird, war er kompetent wie kein anderer: Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie. Die Abhandlung wird im Juli 1801 veröffentlicht, aber die eigentliche Habilitation bestand in der Abfas-
sung der Arbeit Über die Planetenbahnen (De Orbitis Plane-
tarum) und der Verteidigung der zwölf vorausgeschickten Thesen. Der Habilitationsdisput fand am 27. August, an seinem 31. Geburtstag, statt. Auf der Seite der Verteidigung befindet sich neben dem Verfasser Karl Schelling, der Bruder Schellings, der selbst sowohl stiller Promoter des Verfahrens ist, aber bei der öffentlichen Prozedur als Opponent auftritt, zusammen mit Niethammer und einem Studenten namens Thomas Schwarzott. Die Gebühr in Höhe von zwei Talern und zwanzig Groschen hatte Hegel zuvor vorschriftsmäßig entrichtet, Fragen der Fakultätsmitglieder nach seiner materiellen Sicherstellung waren vom Habilitanden zufriedenstellend beantwortet worden, der nach der erfolgreichen Verteidigung seiner Thesen das Recht erhält, vom nächsten Wintersemester an philosophische Vorlesungen zu halten. Seitens der Fakultät war dem angehenden Dozenten wohlwollend zugestanden worden, die noch nicht abgeschlossene Schrift nachzureichen. Was erst am 18. Oktober geschieht! Kurze Zeit schien Gefahr im Verzug. Die Gegner des Schwaben treten auf den Plan. Man wittert in der auffallend schnellen Abwicklung des Verfahrens, noch dazu mitten in den Ferien, wo die Dozen-
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ten schwer erreichbar sind, unlautere Begünstigung. He gels Langsamkeit bei der Nachlieferung der Arbeit gibt sogar Anlaß, an einen Betrug zu glauben. Der Logiker und Metaphysiker Hennings, in dessen Lehrdomäne He gel später mit gewaltiger Wirkung einbrechen sollte, glaubt sogar, den Betrug aufgedeckt zu haben, wettert und dringt auf sofortiges Entfernen von Hegels Vorle sungsankündigung: »weil alles erschlichen ist«. Da trifft noch am selben Tag — die Arbeit über die Planetenbahnen beim Dekanat ein. Der naturwissenschaftlich-mathematische Wert von Hegels Habilitationsschrift ist seit ihrem Erscheinen nicht nur von Grund auf in Frage gestellt worden, man hat sie, wie schon ihr erster Rezensent F. X. von Zach, als Ärgernis ersten Ranges betrachtet. An dieser Auffassung hat sich bis zum Kommentar der Neuausgabe von Wolfgang Neu ser wenig geändert. Die Beurteilung mag für die mathematisch-physikali schen Partien der Arbeit ihre Berechtigung haben und wird schwer revidierbar sein, die philosophischen Grund strukturen HegeLschen Denkens schlagen freilich in kei nem seiner frühen Manuskripte auf so formelhaft knappe Weise durch wie in der Planetenschrift. Sie ist als seine erste abgeschlossene Druckschrift die Standortbestim mung des Jenenser Hegel; sie zeigt die völlig im unklaren belassene Grenze zwischen der »Naturphilosophie« und den aufkommenden empirischen Naturwissenschaften auf. Zugleich ist sie Dokumentation für den Systement wurf in provisorischer Gestalt wie für das Fortschreiten der Methode. Der eigentlichen Abhandlung vorangestellt sind die Thesen, die über den Inhalt der hier verhandelten »Wis senschaft« Auskunft geben und zum akademischen Dis kurs einladen sollen. Erste These: »Der Widerspruch ist die Regel für das Wahre, der Nicht-Widerspruch für das Falsche.« Sechste These: »Die Idee ist die Einheit des Unendli chen und des Endlichen, und die gesamte Philosophie ist in den Ideen.«
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Beide Thesen bieten gesetzte Grundmaximen der in Vorbereitung befindlichen Hegeischen Logik und machen Ernst mit der Hegeischen Methode, die Logik als Ablei tungsdisziplin allen anderen Disziplinen voranzustellen, sie als die »erste Wissenschaft« zu sehen. In der siebten These: »Der kritischen Philosophie er mangelt es der Ideen, und sie ist eine unvollkommene Form des Skeptizismus«, wird der Gegner ins Visier ge nommen; sie meint jenen Rationalismus, mit der die »kri tische Schule« auftritt, der aber nicht das ist, was er zu sein vorgibt, mit Folgen, die die achte These zur Sprache bringt: »Die Materie des Vernunftpostulats, das die kriti sche Philosophie aufstellt, zerstört eben diese Philosophie und ist das Prinzip des Spinozismus.« Die Distanz, zur Kantischen Philosophie könnte nicht größer sein als hier, wo man sie in verschlüsselter Form für »erledigt« erklärt und ihr nachsagt, dies durch ihr eigenes Vernunftpostulat selbst besorgt zu haben. Deren Grund lagen befinden sich in der Mathematik, der Mechanik, wo die Zahlenwelt wohl eine »Metaphysik« kennt, aber nicht in jener Unergründlichkeit des künftigen Hcgclschen Verständnisses. Der philosophische Vorspann der The sen bereitet darauf vor, daß die nachfolgende Erörterung über die Himmelsmechanik nicht viel für eine Erörterung im Sinne der mathematisch-physikalischen Naturwissen schaften erwarten läßt. Es ging in der Hegelschcn Arbeit um die Kritik an der Physik Newtons, konzentriert »auf zwei Punkte: die Frage nach der Realität von mathematisch postulierten Linien, die mit den Kräften gleichgesetzt werden, und die Rolle, die die Zentrifugalkraft in der Newtonschen Physik spielt« (Neuser), mit Folgerungen, die durch die verschiedenarti gen Bchandlungsweisen und die dahintersteckenden Spe kulationen auch für den naturwissenschaftlichen Exper ten nach sachkundigem Urteil leicht in die Konfusion hineinführen. Hegel stößt sich an Newtons Versuch, mit mathematischen Argumenten physikalische Begriffe handhaben zu wollen, und kritisiert dessen Unmöglich keit; statt dessen sein Vorschlag, die empirischen Begriffe
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philosophisch zu deduzieren, um zu einem Begriff des Planetensystems zu gelangen. Wir wissen heute mit letzter Sicherheit, wie Hegels Vorhaben ausgegangen ist: mit dem völligen Scheitern, zu einer eigenen Physik zu kommen, ganz zu schweigen davon, mit seinen Mitteln die Newtonsche Physik außer Kurs zu setzen. Seine Kritiker haben bissig auf die Diskre panz zwischen mathematischer Physik und einer Natur logik im Hegelschen Verständnis angespielt, derzufolge naturphilosophisch richtig sein mußte, was naturwissen schaftlich hätte falsch sein müssen. Von der Seite der wissenschaftlichen Physik aus galt das genaue Gegenteil. Nach dem Erscheinen der 2. Auflage von Hegels Schrift bemerkte K. Schleiden 1844 als ihr Rezensent: » I m Jahre 1801 hatte Hegel den Asteroiden dialektisch vernichtet. 1801 ... wurde Ceres ... entdeckt.« Demnach hatte sich Hegel unterstanden, ein Weltsystem zu konstruieren, das es nicht gab, und dem wirklichen hatte er verboten zu sein, wenn er bestritt, daß es zwischen Jupiter und Mars noch einen Planetoiden gibt. Und dies, nachdem dieser Plane toid bereits gefunden war. Aber es wäre voreilig, damit die »dissertatio philoso phica« über die Planetenbahnen zu den Akten zu legen. Hegel hatte Newton den verfehlten philosophischen An spruch seiner »mathematischen Prinzipien der Naturphi losophie« vorgehalten und darin die Anwendung der (Hegelschen) Logik vermißt. Für Hegel aber war, wenn die Logik außer Kraft gesetzt wurde, die Natur um ihre Vernunft gebracht, oder besser: war sie bei Newton auf keine vernünftige Formel gebracht, dann konnte die For mel Newtons nicht der Natur angemessen sein. Mit diesem aus der selbstgesetzten Prämisse durch die Methode gezogenen Schluß ließ sich Newton natürlich schwer beikommen. Allerdings stand Hegel mit seiner Ansicht, daß Newton irre, nicht allein. Sich kritisch über ihn zu äußern, gehörte zur Mode. Prominentester New ton-Gegner war Goethe, der die Professoren der Landes universität Jena zu ernennen hatte. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist nicht nur Hegels Behandlung des The
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mas, sondern bereits seine Wahl zu sehen. Die Schwer kraft mit der Zentripetalkraft oder Anziehungskraft gleichzusetzen, wird hier als Vorwurf erhoben, und zwar ausdrücklich als Verstoß gegen die Keplerschc Entdck kung der Planetenbahnen, worin die »Schwere als ge meinsame Qualität der Körper und die Anziehung des Mondes als die Ursache für Ebbe und Flut des Meeres erkannt« (Neuser) worden waren, und weiter: »daß die Unregelmäßigkeit der Bewegung des Mondes aus der Vereinigung der Kräfte von Sonne und Erde entsprin gen«. Kepler hatte Hegel zufolge darauf verzichtet, »die physikalische Gestalt der unveränderlichen Gesetze ... mit einem rein mathematischen Ausdruck zu versehen«, obwohl es ihm leicht gewesen wäre, das zu tun. Newton hat die auf Goethe gestützte »Widerlegung« durch Hegel überstanden. Für die mathematische Physik bedeutet sie eine aus dem Lager der »Naturphilosophie« vorgetragene Kuriosität. Aber wenn sie auch nicht ge glückt war, so zeigt sie doch von ferne die Möglichkeit an, daß Newton angefochten werden konnte und für die Zukunft zu diesem Beweis einlädt, wie ihn mit der »Über windung« Newtons Einstein führen wird. Das gilt für eine in größeren Zeiträumen rechnende Naturphilosophie. Hier hat eine Neubewertung der Hegelschen Dissertation eingesetzt, mit eingeleitet durch die Vorstellung, daß »bei Hegel in ganz merkwürdiger Weise empiristische und antiempiristische Tendenzen zusammenfallen« (K. N. Ih mig). Hegel erscheint danach »als erster Philosoph, der durch seine Methocie eine dialektische Verkettung von Raum und Zeit einführte und so den Schatten auf einen der grundlegenden Entwürfe der Relativität vorauswarf« (H.Paolucci nach K. N. Ihmig). Dem künftigen Entwurf der Lehre vom Absoluten wird die Lehre vom Relativen in voller Kongruenz gegenüberstehen und mit ihr zusam menfallen. Hegel hat im Zusammenhang mit seiner Habilitation, wenn man den Universitätsakten folgt, durch sein Vor preschen gleich Ärger verbreitet. Er stellt sofort die An ciennität zweier Kollegen in Frage. Gegen das »Ansinnen«
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des »Herrn D.Hegel«, daß »er im Catalogus den Rang gleich nach Herrn D. Danz, nach den Statuten bekommen müsse«, verwahrt sich das Votum des Dekans vom 26. Au gust 1801, das die Absicht Hegels tadelt, sich an den zwei Mithabilitanden Schwabe und Danz in der Rangordnung vorbeizuschieben, obwohl diese »ihre Disputationes vor Herrn D. Hegel eingereicht haben«. Man sieht: Hegel ließ sich nach den langen Jahren des Zukurzgekommcnseins nicht mehr aufhalten. Die Querelen mit der Fakultät gehen denn auch bald weiter und finden neue Nahrung mit seiner Ankündigung einer Gratisvorlesung. Das Ur teil in der Fakultät ist geteilt, einige Mitglieder sehen ihre eigenen Pfründe davon betroffen, andere raten zum Ge währenlassen. Jedenfalls sind die Widerstände in der Uni versität gegen Hegel, die ihm noch zu schaffen machen werden, von Anfang an und bis zu seinem Weggang aus Jena dagewesen. Mit Hegel erhielt die schon ohnehin erkleckliche Zahl der Jenenser Privatdozenten für Philosophie weiteren Zuwachs. Deren Einkünfte sind schmal; sie bestehen allein aus den Hörerhonoraren und reichen zum Leben nicht aus. Darum wird jeder neue Zugang in den Kreis der unbeamtet Lehrenden, der 1803 auf sieben, darunter Fries und Krause, ansteigt, neben drei ordentlichen und zwei außerordentlichen Professoren, mit Beängstigung vermerkt. Besonders aber: daß das Hauptkontingent aus Württemberg kommt. Es war nicht zu übersehen gewesen, daß Schiller seinen Landsmann Hegel, den er persönlich damals noch nicht gekannt hat, ursprünglich als Erzieher ins Haus der Frau von Kalb vermitteln wollte; an dessen Stelle war, da Hegel Bern den Vorzug gab, Hölderlin getreten, der als erster und noch vor Schclling zeitweise, soweit das bei ihm überhaupt je der Fall sein konnte, in Weimar und Jena Fuß faßte und an Schellings dortiger Etablierung mitwirkte. Jetzt zog Schelling seinen Tübin ger Studiengenossen nach. Das konnte den Jenenser Kollegen nicht verborgen bleiben. Am auffälligsten aber, und was allem die Krone aufsetzte, blieb Hegels Habilitationsverfahren: Hier wirk
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tcn gleich zwei Tübinger Stiftler mit. Denn der zweite Opponent neben Schelling war Immanuel Niethammer, Hegels alter Freund aus der württembergischen Zeit, der zeitlebens sein bewährtester bleiben wird. Dazu kam mit Heinrich Eberhard Gottlob Paulus ein weiterer Tübinger, der als Theologe in Jena durch die erste Gesamtausgabe Spinozas bekundete, wie wenig die Orthodoxie mit ihm zu rechnen hatte. Dieser starke landsmannschaftliche Zusammenhalt der Württemberger tritt nicht nur bei der Ankunft Hegels und seiner Fußfassung in Jena zutage, sondern auch, als später die Abwanderungsbewegung einsetzt und einer nach dem andern, Niethammer, Schelling, Paulus, die Stadt verläßt, mit einem gemeinsamen Ziel, dem Eintritt in den bayerischen Staatsdienst und Bamberg bzw. Würz burg als erster Station. Kaum ist Hegel habilitiert, da macht er sich sofort mit außerordentlicher, bisher bei ihm so nicht wahrzuneh mender Zielstrebigkeil daran, die nächsten Etappen sei nerakademischen Laufbahn vorzubereiten. Am 18. Okto ber 1801 war das Habilitationsverfahren mit der Vorlage des Planeten-Exemplars beim Dekan formal abgeschlos sen, zwei Tage später, am 20. Oktober, läßt er durch Schelling beim weimarischen Minister Goethe nachsu chen, ihn zu empfangen. Der notiert unter dem 21. in sein Tagebuch: »11 Uhr Dr. Hegel.« Diese erste Begegnung, über deren Verlauf wir nichts Genaueres wissen, wird eher in ganz förmlichen Bahnen vor sich gegangen sein. Zwar war Goethe schon der Dich ter des Faust, der in fragmentarischer Form vorlag, aber er sowenig wie Hegel selbst konnte damals ahnen, daß der unbedeutende und noch auf Amtssuche befindliche Besu cher dereinst mit einer Darstellung der Weltgeschichte aufwarten würde, die vom Faust ihren Ausgang nehmen sollte und in die »Idee« faßt, was beim Dichter Bild und Gestalt ist. Es ist eine Begegnung völlig unterschiedlicher Naturen: hier der Augenmensch, der der Spekulation mißtraut, für den Erfahrung Erleben, sinnliches Ertasten der Gegenstände bedeutet, der Naturwissenschaftler und
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weitläufig in jedem Sinne ist, in dem Natur und Kunst sich in harmonischem Einklang befinden, dort der Mann der Abstraktion, der die Gegenstände in ihren Formen auf ihre theoretische Zuständlichkeit zurückführt, die ihnen zugrundeliegenden Kräfte nach Gesetzmäßigkeiten be fragt, sie bedenkt und ihr Wirken verfolgt. Dort die rasch vorwärtsdringende Ausnahmenatur, der ehemalige Stür mer und Dränger, der der erste in der deutschen Geniebe wegung gewesen war, hier der Hang zum langsamen Reflektieren, zu einem Vorwärts, das auf die Zurück nahme eingerichtet ist, dort der Künstler und Kunstdiplo mat, hier der Mann mit den unbeholfenen Bewegungen des Stubengelehrten. So haben sie sich damals zum ersten mal gegenüber befunden. Wenn wir auch nicht wissen, was gesprochen worden ist: Es scheint doch gleich das eingesetzt zu haben, was bei der Ungleichartigkeit dieser beiden Naturen und insbe sondere Goethes hofmännischer Kühle erstaunen läßt. Der Minister muß Gefallen an dem linkischen Anfang dreißiger gefunden haben. Im Grunde war das unbegreif lich, denn Hegel verkörpert mit seiner aufs Abstrakte gerichteten Art des Denkens und Sprechens genau das, was Goethe zuwiderlief. Das war mehr als bloßes, bei Goethe ohnehin übliches Tolerieren. Hält man sich das noch dreißig Jahre lang andauernde, auch über räumliche Entfernung hinweg ungetrübt freundschaftliche Verhält nis zwischen Goethe und Hegel vor Augen, das am Mor gen dieses Oktobertages begann, dann bereitet sich hier Erstaunliches vor. Hegels wegen wird Goethe später be reit sein, eigene Anschauungen auf solche Hegels, die ihm eigentlich fernlagen, abzustimmen, dem Denken in »Ideen«, das sonst seine Sache nicht war, ein gewisses Recht zuzuerkennen. Aber Hegel war zur ersten Begegnung mit Goethe nicht mit leeren Händen gekommen. In seiner gerade seit zwei Tagen abgeschlossen vorliegenden Habilitationsschrift hatte sich der Verfasser auf die Seite Kcplcrs gestellt, um die Gravitationslehre Newtons ad absurdum zu führen. Der Apfel, mit dem Newton seine Lehre von der Schwer
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kraft demonstrierte, ist für Hegel ein treffliches Zeichen für das Mißlingen des Experiments. Der Theologe in ihm denkt an den Apfel der Eva, der die Menschheit ins Unglück gestürzt hatte, und ebenso war es ein Apfel gewesen, der des Paris, der zum traurigen Ende des trojanischen Volkes führte. Das war Wasser auf Goethes Mühle. In zahlreichen Versuchen hatte er sich gegen Newton ausgesprochen, um dessen Lehre von der Bre chung des Lichts zu widerlegen. Weil ihm in eigenen Experimenten ein gebrochener Lichtstrahl nicht gelun gen war, weil sich, statt ein Spektrum zu zeigen, alles in schwarze und weiße Flecke auflöste, woraus er zusätzlich schloß, daß sich aus der verschiedenartigen Vermischung der Grundfarben Schwarz und Weiß alle anderen Farben ergäben, erschien ihm Newtons Irrtum unabweisbar. In Hegel stand nun ein Zeuge gegen Newton vor ihm, dessen Eindruck der Vertrauenswürdigkeit noch dadurch gestärkt wurde, daß er von Schelling empfohlen worden war. Und mit dessen frühen Anschauungen über die Natur befand Goethe sich nach anfänglichem Zögern auf gutem Fuß. Nichts hätte dem neuen Privatdozenten, der für den weimarischen Minister später zum »lieben Hegel« wird, gelegener sein können als solche Übereinstimmung mit Folgen für die Farbenlehre. Denn nirgendwo ist Goe the empfindlicher als hier. Wer seinen Anschauungen zur Natur, insbesondere seiner Farbenlehre, nur im entfern testen zu nahe tritt oder auch nur den Hauch einer Befürchtung weckt, es tun zu können, wird von ihm für alle Zeit fallengelassen. So ließen sich die Anfänge der akademischen Karriere, die mit auffälliger Verspätung eingesetzt hatte, gut an. Hegel wird bald Gelegenheit haben, die Dienste seines ministerialen Gönners in Anspruch zu nehmen, und dabei keine Enttäuschung erleben. Nicht mehr zum Abschluß gebracht worden — wahr scheinlich wegen der Abfassung der zu seiner Habilitation dienenden Schriften und später wegen der Vorbereitun gen zur Vorlesungstätigkeit zum Wintersemester 1801/ 02, für das Hegel »privatim« ein Kolleg über Logik und
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Metaphysik und zusammen mit »Excell. Schelling« eine Einführung in die Philosophie ankündigt — ist ein Manu skript über Die Verfassung Deutschlands. Die Arbeit daran scheint bis in den Sommer 1801 gedauert zu haben. Es ist nicht auszuschließen, daß die Anfänge bis in die Frankfur ter Jahre zurückreichen. Für die theoretische Konzeption steht das zweifelsfrei fest, denn das Fragment schließt sich seinem Inhalt nach an den Aufsatz über die württem bergische Verfassung und die anonymen Bemerkungen zur Übersetzung von Carts Vertraulichen Briefen über das Waadtland an. Im Blick auf das Deutschland-Fragment von 1801 er scheinen diese beiden früheren Arbeiten, aber auch seine kommentierenden Sätze von 1799 zu Steuarts Untersu chung über die Grundsätze der politischen Ökonomie wie von Grund auf und weit her ausgeführte Vorbereitungen, ein Umkreisen und langsames Einkreisen einer schwierigen thematischen Masse. Zu Steuarts Schrift hatte Hegel be merkt: »Man hat dem System des Sancülottismus in Frankreich vielleicht Unrecht getan, wenn man die Quelle der durch dasselbe beabsichtigten größeren Gleichheit des Eigentums allein in der Raubgier suchte.« Aber in dem neuen Papier sind Württemberg, die Schweiz und Frankreich jetzt in die Ferne gerückt. Wie sieht es mit dem »Reich« selbst und seiner äußeren und inneren Verfassung aus? Wer dazu mit seiner Feder mühsam nach einer Antwort sucht, ist weder Kant noch Fichte noch auch Schelling. Bis ins Stilistische hinein gibt es nicht die geringste Gemeinsamkeit mit einem von ih nen. Die Bestandsaufnahme dessen, was sich »Reich« nennt, kennt keine Illusionen. Deutschland hat sein höch stes Gut verloren: »Es ist kein Staat mehr«. Schuld daran trägt die verfassungsmäßige Gesetzlosigkeit. Kennzeichen des alten, schwach gewordenen »Reichs« kurz vor dem endgültigen Zusammenbruch ist seine »Staatslosigkeit« als Folge der fehlenden Zentralkraft. Ohnmacht und Un tüchtigkeit, sich seiner Feinde zu erwehren, sind die Grundübel, die Deutschland ins Verderben geführt ha ben; aber nicht im Charakter des Volks, sondern in den
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Zuständen der Verfassung liegen sie begründet. Es kann gar nicht anders sein, denn die darin herrschende Taten losigkeit ist verfassungsmäßig organisiert. Man wird sich das Wort von Deutschland als konstitu tionelle »Anarchie« auch für seine spätere Geschichte zu merken haben. Es ist ein Staat, der beständig unter seiner Lähmung zu leiden hat und nach Hegel nur den Namen »Gedankenstaat« verdient. An Ausführung dekretierter Beschlüsse darin ist nicht zu denken. Wo sie überhaupt zustande kommen sollten, werden sie nicht in die Tat umgesetzt. Wenn Hegel später zum großen Entwurf einer weit über Fichte hinausgehenden Staatsphilosophic anset zen wird, dann wird er dies gegen die hier namentlich aufgeführten Charaktereigenschaften eines vollendeten NichtStaats, wie er das »Reich« kurz nach dem Friedens schluß von Luncville sieht, entwickeln. Wer den »Staat« nicht will, dem kann mit einer Verfassung wie der des alten »Heiligen Römischen Reichsdeutscher Nation« kurz vor seinem Ende bestens gedient werden. Als dieses Ende mit der Abdankung Kaiser Franz' II. im August 1806 gekommen ist, fühlt sich Goethe, der damals in Böhmen weilte, nach eigenem Bekunden dadurch weniger beun ruhigt als durch den heftigen Streit, der beim Eintreffen der Nachricht zwischen seinem Diener und seinem Kut scher entbrannt war. Soweit war es noch nicht, als Hegel am DeutschlandManuskript arbeitete. Hegel nahm darin den Zusammen bruch des Reichs vorweg. Es lag in den letzten Zügen und war darum so gut wie tot. Was Hegel zur Abfassung der Schrift bewogen hatte, war die Erforschung der Ursachen für das schlechte Abschneiden der Reichsarmee gegen die Soldaten der französischen Republik. Wie hatte es zu diesem Gott und die alte Ordnung leugnenden Debakel kommen können? Wir kennen die Vorgeschichte dieses Bedenkens, die beim Tübinger Freund der »Republiquc Francaise« und des Freiheitsbaumes beginnt. In der Schweiz hatte er dann die Erfahrung machen müssen, daß die Berner Republik in Wirklichkeit eine Oligarchie sehr gewaltsamer Art war und als solche noch prächtig blüht
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Durch die französische Expansion, die den Aufstieg Na poleons vorbereitet, gerät die Frage bei Hegel in ein neues Stadium seiner eigenen Lebensgeschichte. Und von ihm aus urteilt er jetzt. Die Ursachen für den Niedergang des »Reichs«, wie er sich schon in der Kanonade von Valmy mit Goethe als ihrem Zeugen abgezeichnet hatte, liegen in seiner Dezentralisierung, sie liegen in der Vertragsfreiheit der deutschen Staaten, die sich mit dem »Reichsfeind« verbünden können, und sie liegen in der Desorganisation der Reichsarmee. Die Reichsarmee als einzigartige Kari katur einer Armee! Das Lachen darüber war fast ein halbes Jahrhundert zuvor schon landläufig geworden und klang schallend aus dem Spottlied während der Zeit des Siebenjährigen Kriegs heraus: Und wenn der große Friedrich kommt und klopft nur auf die Hosen, Dann läuft die ganze Reichsarmee, Panduren und Franzosen. Aber in dem Fall, der Hegel vor Augen stand, war die Reichsarmee vor den Franzosen geflohen. Kein Wunder bei einer Armee, deren Schwächen in der Unsicherheit ihrer Kontingentierung lagen, wo der eine Reichsstand die Trommler, der andere die Trommel, irgendein Abt die Leibgarde, ein Territorium die Reichsstadtwache, ein anderes die Paradesoldaten stellte: aber niemand Solda ten mit militärischem Selbstbewußtsein. Eine solche Ar mee muß die Freude seiner Feinde wie ein dezentralisier tes Deutschland die Freude der Nachbarn sein. Hegels Schluß: »So hat in dem Kriege mit der französischen Republik Deutschland an sich die Erfahrung gemacht, wie es kein Staat mehr ist, und ist seines politischen Zustandes sowohl an dem Kriege selbst, als an dem Frieden inne geworden, der diesen Krieg endigte und dessen hand greifliche Resultate sind: der Verlust einiger der schön sten deutschen Länder, einiger Millionen seiner Bewoh ner, eine Schuldenlast auf der südlichen Hälfte stärker als auf der nördlichen, welche das Elend des Kriegs noch weit
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hinein in den Frieden verlängert; und daß außer denen, welche unter der Herrschaft der Eroberer und zugleich fremder Gesetze und Sitten gekommen, noch viele Staa ten dasjenige verlieren werden, was ihr höchstes Gut ist, eigene Staaten zu sein.« Das war die Beschreibung von Folgen einer Tatsache, die eigentlich gar nicht hätte sein dürfen: daß eine Monar chie von Gottes Gnaden von einer gottlosen Republik besiegt worden war. Hier war ein Tabu verletzt worden, und zwar durch die Weltgeschichte selbst in ihrem Fort schreiten: ein »Phänomen« der Geschichte, das der Un tersuchung bedarf und der »Phänomenologie« zugewie sen werden muß. Die Veröffentlichung der Gedanken unterblieb, weil das Manuskript nicht zu Ende gebracht wurde und sich die politischen Ereignisse vom Reichsdeputationshaupt schluß an überstürzten und weil es gewissermaßen nur die vorletzte Phase der Reichsauflösung beschrieb und durch das, was bis 1806 folgte, bald überholt wurde. Aus der französischen Republik wird das Napoleonische Kaiser reich. Die Wirklichkeit war über die »Idee« hinweggegan gen. Mit der Schrift Differenz des Fichtesehen und Schellingschen Systems der Philosophie hatte Hegel schon vom Thema her die Aufmerksamkeit der an der bisher in Jena vorgetrage nen Philosophie Interessierten geweckt. Sie enthielt das lokale Thema des Vergleichs zweier hier vertretener Ka thederphilosophien und führte gleichzeitig zur höchsten Erhebung der sich auf Kant berufenden philosophischen Fortschrittsbewegung. In ihrer Sprache ist Hegels Schrift am Kreis der Verste henden orientiert. Was sich um Fichte, Reinhold oder Schelling versammelt hatte, konnte - wenn auch nicht immer sicher — wissen, zumindest ahnen, worum es sich handeln mochte. Es ist von seiner Natur her ein ausschlie ßendes Sprechen, d. h. es rechnet auch mit denen, die nicht dazugehören. Zu Anfang des Jahres 1800 hatte Schelling sein System veröffentlicht, das er »transzenden talen Idealismus« nannte und das die Aufgabe hatte, »das 153
Reelle dem Ideellen unterzuordnen«. Mit dieser Schel lingschen Neuheit war Hegel, der sie noch in Frankfurt studiert hatte, genauestens vertraut. Er kannte auch die Herkunft dieses Systems, nämlich Schellings Versuch, mit ihm der Einseitigkeit des Fichteschen Idealismus, der das Objektive aus dem Subjektiven (des Ich) herleitete, entge genzutreten. Schellings System des transzendentalen Idealis mus gehört noch zum ersten Entwurfseiner Naturphiloso phie, es weiß aber schon von dem, was seinem Denken bald den Namen geben wird: der Identität. In der Idee des Absoluten finden das Ideale und das Reale ihren höheren Vereinigungspunkt. Die Schellingsche Philoso phie, die ihn ausmacht, verdient darum den Namen Iden titätssystem, Identitätsphilosophie oder auch Philosophie des Absoluten. Sie begrifflich darzustellen, ist außerordentlich schwie rig, nicht weniger, aber auch nicht mehr als die Fichtesche Vorstellung der Identität von Subjekt und Objekt. Einen äußeren Anlaß zur Abfassung seiner Schrift fand Hegel in Reinholds Auffassung, das Fichtesche und Schel lingsche System stimmten überein. Er beanstandet, daß »Reinhold fürs erste die Differenz beider als System über sehen, und sie fürs andere nicht als Philosophien genom men« hat. Das gründliche und jahrelange Studium beider Philosophien kommt Hegel für die Genauigkeit seines Urteilens jetzt zustatten: »Die Grundlage des Fichteschen Systems ist intellektuelle Anschauung, reines Denken sei ner selbst, reines Selbstbewußtsein Ich=Ich; das Absolute ist Subjekt-Objekt, und Ich ist diese Identität des Subjekts und Objekts.« Dagegen: »Das Prinzip der Identität ist absolutes Prinzip des ganzen Schellingschen Systems; Phi losophie und System fallen zusammen; die Identität ver liert sich nicht in den Teilen, noch weniger im Resultate.« Die »Differenz« zwischen Fichte und Schelling, wie sie hier zur Sprache kommt, beruhte, wenn man ihren Ver laufnäher verfolgt, auf der Wegbewegung Schellings von Fichte, dessen »objektiven Idealismus« Schelling in der Vergangenheit zu Rate gezogen hatte, um sich mit seiner Hilfe vom »subjektiven Idealismus« Kants zu lösen, der
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aber bei Fichte selbst unterderhand zu einem Subjektivis mus in einer »deutschen, idealistisch überspannten Form« (Lukäcs) geworden war. Hier liegen also bereits wichtige Lageveränderungen vor, die es einzubeziehen gilt; wenn man an die spätere Selbständigmachung Hegels von Schelling denkt. Aber die Bewegung selbst war älteren Datums: sie lag auch darin, daß sich Fichte von Kant wegbewegt, ebenso wie sich Kant im August 1799 gegen Fichtes Wissenschaftslehre ausgesprochen hatte und Schel ling zwischen 1800 und 1802 sich nicht nur von Fichte, sondern auch von sich selbst entfernt. In seinem System des transzendentalen Idealismus kommen diese Unterschiede zum eigenen Fichteanismus ans Tageslicht. Bei Fichte war eine Seite zur Ausbildung gelangt, die sich bei Schelling nie entfaltet hatte, nämlich die des revolutionären Aktivis mus, der einerseits politisch über Kant hinausführt, ande rerseits Kant seiner idealistisch-mechanistischen Schwan kungen, denen zufolge in seiner Allgemeinen Naturge schichte die »Verfassung des Weltbaues einfach und nicht über die Kräfte der Natur gesetzt« ist, entledigt und die ursprünglich zu überwindende Subjektivität höher treibt. Daß Schelling sich bis 1799 zeitweise, wie Friedrich Schle gel es nennt, »seinem alten Enthusiasmus für die Irreli gion« überläßt, zeugt für die Grundverschiedenheit ihrer Naturen, längst bevor ihre »Differenz« zutage tritt. Schel lings Epikuriüsches Glaubensbekenntnis von Heinz Widerporst entspringt sicher einer Laune, ist auch nicht theoretisch durchdacht, gibt aber etwas auf dem Grunde seiner An schauungen Ruhendes wieder. Wenn Heinz Widerporst davon spricht, keine Religion zu haben, aber wenn er eine zu wählen hätte, sich für die katholische entscheiden würde, so gelangt damit der massive Materialismus des Sakraments zur Sprache, den Hegel in seiner Religions philosophie anführt. Darum kommt in der christlichen Religion der von der Sinnlichkeit her empfindende, die Hostie sich ertastende und schmeckende »Materialist« sehr wohl auf seine Rechnung. Ohne Vorverständnis ist dem Hegelschen Sprechen in der »Differenz«-Schrift nicht ohne weiteres beizukom
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men. Man muß an ihm herumrätseln, um immer wieder bestätigt zu finden, wie sphinxhaft-dunkel es ist. Es sollte eine unparteiliche Schrift sein, aus der aber die beiden Betroffenen Verschiedenartiges herauslesen dürfen. Der Bewunderte war Fichte gewesen, aber auch der zu Über holende. Das konnte jetzt durch Schelling erfolgt sein: »die Identität hat sich im Fichteschen System nur zu einem subjektiven Subjektobjekt konstituiert«. Das wird ihm jetzt von Hegel nachgesagt. Und so sieht sich Schelling denn auch veranlaßt, Fichte gegenüber in seinem Brief vom 3. Oktober 1801 entschuldigend darauf zu bestehen, »kei nen Anteil« an Hegels Schrift gehabt zu haben. Reinholds Philosophie erledigt Hegel im Handstreich durch den Hinweis auf die Schwankungen, denen sie ausgesetzt gewesen sei. Er kann ihm vorhalten, »daß er im Verlauf seiner philosophischen Metempsychose zuerst in die Kantischc gewandert, nach Ablegung derselben in die Fichtesche, von dieser in die Jakobische und seit er auch sie verlassen habe, in Bardilis Logik eingezogen sei«. Von Christoph Gottlieb Bardili, der Schellings Vetter war, aus Blaubeuren gebürtig, ehemaliger Stiftler und damals Pro fessor am Stuttgarter Gymnasium, hatten Hegel wie auch Schelling keine allzu hohe Meinung. Sein Grundriß der ersten Logik, den er selbst als »Geistesmedizin« bezeichnete, war gerade erschienen und wartete mit der Behauptung auf, daß Denken ein Rechnen sei und aus einer unendli chen Wiederholung des Einen als des Einen und Dessel ben im Vielen bestehe. Kant galt ihm wenig, Reinhold dagegen viel, der sich damit revanchierte, daß er Schel lings Naturphilosophie nur als »Karikatur« der Bardili schen bezeichnet. Der 1804 veröffentlichte Briefwechsel
über das Wesen der Philosophie und das Unwesen der Spekula tion zwischen Reinhold und Bardili bewies nachdrücklich die von Hegel aufgezeigte Zusammengehörigkeit der bei den Epigonen. Der in der Nuance leichte Vorzug, den Hegel in seiner Differenz Schelling gegenüber Fichte eingeräumt halte, mochte sicher auch wissenschaftsstrategischen Erwägun gen entspringen. Abzuweisen sind sie jedenfalls nicht
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ganz. Hegel ist im Aufbau seiner akademischen Laufbahn begriffen; als Diplomat und als Planer von langer Hand hatte er sich schon bei der ersten Annäherung an Goethe erwiesen. Verbindungen herzustellen und sie im geeigne ten Augenblick zu nutzen, wird auch in Zukunft zu seinen Stärken gehören. Fichte hatte das Feld in Jena geräumt, Schelling ist ihm nahe. Ihm verdankter sein Fortkommen. Wenn Hegel als der Verhaltenere jetzt schon deutlicher sah, was ihn von Schelling unterschied, als dies umgekehrt der Fall sein konnte, so gab es keinen Grund, damit jetzt herauszurücken. Wo Schelling frisch Sprudelndes von sich gab und im Druck erscheinen ließ, ließ Hegel das Gedachte und noch unerprobt Scheinende in der Schub lade verschwinden und weiter ruhen. Ungetrübte Übereinstimmung in den philosophischen Grundanschauungen war es denn auch, die den Plan der Herausgabe eines Kritischen Journals für Philosophie weiter trieb. Der Gedanke stammte vom Verleger Cotta, der dabei ursprünglich an Fichte und Schelling gedacht hatte. Auch von den beiden Schlegels war die Rede gewesen. Schließlich, als einer nach dem anderen Jena verlassen hatte, blieb nur Schelling zurück, und mit ihm Hegel. Mit einer sonst bei ihm nicht zu bemerkenden Angriffs lust hat sich Hegel an seine Aufgabe gemacht. Das Motto, nach dem hier verfahren werden soll, nennt er in einem Brief an Caroline Hufnagel vom 30. Dezember 1801: » . . . d e m unphilosophischen Unwesen Ziel und Maß /u setzen« und - wenn es denn schon sein muß - sich dabei der »Knittcl, Peitschen und Pritschen« zu bedienen; das »alles der guten Sache und der gloriac Dei wegen«. Der Erscheinungsort der Zeitschrift, den die erste Nummer im Jahre 1802 anzeigt, ist — zur allergrößten Genugtuung der beiden Herausgeber — Tübingen. Wie sich beim Eingehen des Journals nach dem 6. Band her ausstellen sollte, werden sie auch die einzigen Autoren sein. Die Beiträge halten bei fehlender Signierung freilich nicht den Anteil des einen oder anderen daran fest, so daß er nicht immer mit Sicherheit bestimmt werden kann. Einvernehmlich hatten sich die Herausgeber-Autoren 157
über die Absicht des Organs ausgesprochen: Es sollten Schläge ausgeteilt werden, und zwar nach allen Seiten. Jede Zusammenarbeit mit dem Gegner, d. h. dem Gegner der Philosophie, wird abgelehnt. Deren gegenwärtiges Hauptübel liegt in der Zersplitterung in Systeme. Jeder denkt sich ein eigenes aus. Der Satz, daß von zwei Philoso phien schlechterdings nur eine die richtige sein kann, wird von ihnen wortwörtlich genommen: weil »die Ver nunft nur Eine ist«. Zu den Hauptwidersachern gehört der »krasse Empirismus«, der sich in den Zeiten, wo von Freiheit und Gleichheit die Rede ist, an den sogenannten gesunden oder auch »gemeinen Menschenverstand« wen det. Es werden Namen genannt: Wilhelm Traugott Krug, von Hegel als Mann des Geschwätzes behandelt, was aber die Königsberger Universität nicht daran hindert, ihn 1804 zum Nachfolger Kants zu machen. Des weiteren Gottlob Ernst Schulze, dem man das Recht abspricht, sich auf den antiken Skeptizismus zu berufen! Die Popularisie rung gehört nicht zu den Tendenzen der Zeitschrift. So war in der Einleitung zum Kritischen Journal zu lesen: »es braucht eine Idee der Kunst oder der Philosophie sich nur blicken zu lassen, so geht es gleich an ein Zubereiten, bis die Sache für Kanzel, Compendium und für den Hausbe darf des Reichsanzeigerischen Publikums zurecht gerührt ist.« »Skeptizismus«, so heißt es in der Auseinanderset zung mit Schulze, hat in der Philosophie sehr wohl sein Recht; er verfügt neben einer negativen auch über eine positive Seite: »führt doch selbst Diogenes Laertius auf diese Weise an, daß Einige als Urheber des Skeptizismus den Homer nennen«. Das ist ausdrücklich gegen den Dogmatismus, diesen Erzfeind Hegels seit Tübinger Tagen, gesagt. Die schon im Briefwechsel mit Schelling und im sogenannten Ältesten Systemprogramm gegen Kant gemachten Vorbehalte wer den jetzt wiederaufgenommen. Eine Notiz vermerkt, Kant habe »statt einer Kritik der Vernunft nur eine Kritik des Verstandes und in dieser auch der Verstandes-Ver nunft geliefert«. Hegels Beschäftigung mit Kant, die so spät eingesetzt 158
und dann eine vorsichtige Reserviertheit gezeigt hatte, ein Erproben der eigenen Einwände gegen ihn, wird wäh rend der Jenenser Jahre am weitesten geführt im vierten Beitrag des Kritischen Journals unter dem Titel Glauben und Wissen oder die Reflexionsphilosophie der Subjektivität, in dei Vollständigkeit ihrer Formen, als Kantische, Jacobische und Fichtesche Philosophie. Der umständliche Titel hält in aller Genauigkeit fest, daß hier auf einen Vergleich abgesehen ist: »Nach Kant ist Übersinnliches unfähig, von der Ver nunft erkannt zu werden ... nach Jacobi schämt sich die Vernunft zu betteln, und zu graben hat sie weder Hände noch Füße, dem Menschen ist nur das Gefühl und Be wußtsein seiner Unwissenheit des Wahren, nur Ahndung des Wahren in der Vernunft ... gegeben. Nach Fichte ist Gott etwas unbegreifliches und undenkbares, das Wissen weiß nichts, als das es Nichts weiß, und muß sich zum Glauben flüchten.« Aber der alte Gegensatz zwischen Glauben und Wissen ist bei ihnen allen nach Hegel bereits selbst in Bewegung geraten, die Vernunft nähert sich auf das bedenklichste einer Art Glauben oder ist gar schon Glauben geworden. Das gilt auch für alle drei hier ange führten Philosophien, die sich nur in der Form ihrer Umbildung von Wissen in Glauben unterscheiden. Mit ihnen war zugleich die Spitze der Aufklärung in Deutschland genannt, die sich freilich in ihnen von sich selbst bereits wieder entfernt hatte und bei Jacobi offene Gegenaufklärung geworden war. Hegel gibt hier nur erste, sozusagen versuchsweise angesetzte Ausführungen zu den drei Systemen, die ihn noch bis zum Lebensende beschäftigen werden. So hat seine Beziehung zu Kant mehr als nur einen doppelten Boden. Hatte Kant die Metaphysik aus dem Register der sicheres Wissen verhei ßenden philosophischen Disziplinen herausgenommen, so hat Hegel seit seiner Jenenser Metaphysik diesen Akt rückgängig gemacht und sie wieder eingefügt. Für den Privatdozenten Hegel rückt die Metaphysik erneut neben die Logik. Das gilt nicht für seine spätere Wissenschaft der Logik, in der er Metaphysik und Logik gleichsetzt. Das Ungeheuerliche dieser Gedankentat läßt sich am ein
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drucksvollsten aus der Umkehrung ermessen: Logik = Metaphysik, die von Kant aus gesehen abstrus wirken muß und es auch wäre, wenn sie nicht einen so mächtigen Zeugen für sich hätte. Aber soweit ist es in den Jahren kurz nach der Jahrhun dertwende noch nicht. Jedenfalls noch nicht zu Papier gebracht! Es sei denn, man sieht in der »Entzweiung« das Prinzip der »Einheit« bereits voll am Werke. Hier wirkt in entscheidender Weise die bisherige Le bensgeschichte Hegels mit hinein. Der Tübinger Theolo giekandidat war über seine beiden Wegstationen Bern und Frankfurt mit der Anschauung von der »Religion« als der höchsten Emanation des Geistes nach Jena gekom men. Auch eine »Philosophie«, der es zufällt, sich dieser Sphäre zu nähern und sie im Verlaufe eines welthisto rischen Prozesses selber einzunehmen, wird es mit der »Religion« zu tun haben, über die sie als das noch Höhere hinausgelangt. Dergleichen hatte Schelling nur zeitweilig geglaubt. Für den jungen Schelling war nicht die »Reli gion«, sondern die »Kunst« des Erhabenste unter den Erscheinungen, die dem Menschen begegnen. Wenn man nach den Gründen für die philosophische Überlegenheit des jungen Schelling fragt, der Hegel in seinen Schatten stellte: hier ist einer von ihnen. Schellings Gedanken über die Kunst gehören zum Großartigsten, was je darüber gedacht worden ist, sie sind lebendig bis auf den heutigen Tag geblieben. Hier wie dort wird die Richtungsänderung zum Schicksal. Wäh rend Hegel gewissermaßen die »Religion« gegen die »Phi losophie« eintauscht, gibt Schelling später die Priorität der »Kunst« zugunsten der »Religion« preis. Als in den 40er Jahren nach Hegels Tod die »Religionsfrage« neu gestellt wird, befand sich Schelling für die nachhegelsche revolu tionäre Linke, aber nicht nur für sie, sondern auch für die Berliner Universitätsszene, wo man sich noch persönlich an Hegel erinnerte, längst im Lager der Dunkelmänner. Das alles steht im Augenblick nicht an. Die Beiträge des Kritischen Journals zeigen jetzt allerdings doch schon erste Bruchstellen im Verhältnis der beiden Herausgeber. Die
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Hegelsche Feder ist die kräftigere, sie gibt den Ton an, bestimmt die Richtung, so in dem Artikel Über die wissen schaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts, seine Stellein der praktischen Philosophie und sein Verhältnis zu den positiven Rechtswissenschaften. Hatte sich Hegel als Theologe bereits von der in Tübin gen vertretenen lutherischen Orthodoxie gelöst, so er folgt mit der Hinwendung zum Naturrecht eine weitere Entfernung vom Luthertum, die auf das Wesen des Staats abhebt. Er bewegte sich von dessen apolitischen Vorstel lungen weg und einer Staatspolitik zu, die eher westlich lag, vom Konservativismus des deutschen lutherischen Ostens abwich. Der Hegelsche »Staat« hat von den Anfän gen der Hegelschen Staatslehre her nichts mit dem »ge schlossenen Handelsstaat« Fichtes, der faktisch ein »Poli zeistaat« ist, zu tun. Er ist ein moralischer Organismus, der auf der Übereinstimmung des Volkes mit seiner über kommenen Sittlichkeit beruht. »Staat« und »NichtStaat«, »Krieg« und »Frieden«, »Freiheit« und »Sklaverei« sind hier die immer wieder kehrenden Komplexe des »Naturrechts«. Hegel behan delt sie nach guter gymnasialer Tradition am Beispiel der antiken Welt. Hier hatte es die beiden klassischen Unter gänge Griechenlands und Roms gegeben, die unentwegt die Frage nach ihren Ursachen aufwarfen. Stand Grie chenland am Ende für den Verfall der Künste und der Philosophie, so Rom für den Verfall des Staats. Für die politischen Interessen wog der Abstieg" Roms schwerer als der Griechenlands. Gibbons Histovy ofthe Decline and Fall of
the Roman Empire hatte ihn auf meisterhafte Weise erzählt, als politische Geschichte, die zur Krankheitsgeschichte wird. Hegel zieht ein Fazit: »der lange Friede und die gleichförmige Herrschaft der Römer führte ein langsa mes und geheimes Gift in die Lebenskräfte des Reichs. Die Gesinnungen der Menschen waren allmählich auf eine Ebene gebracht, das Feuer des Genius ausgelöscht, und selbst der militärische Geist verdunstet.« Sichtbares Zei chen für das herannahende Ende: »... die verlassenen Länder, politischer Stärke oder Einheit beraubt, sanken
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unmerklich in die matte Gleichgültigkeit des Privatle bens.« Für den Hegel der Naturrechtsstudie im Kritischen Journal hing der Untergang des Römischen Reichs mit dem Ende der Sklaverei, die es getragen hatte, zusammen. Der aufgehobene Unterschied der Stände durch ein System formeller Einheit und Gleichheit hat dem Römischen Reich die Bestandsgrundlage genommen. Mit dem Ende der Sklaverei hörte zugleich die Freiheit auf. Hegel treibt die Dialektik dieses Vorgangs höher, indem er den Satz rückwärts liest: »mit dem Aufhören der Freiheit hat not wendig die Sklaverei aufgehört«. Der Hegel derJenenser Vorlesungen von 1804/05 weiß bereits: »Fabriken, Manu fakturen gründen gerade auf das Elend einer Klasse ihr Bestehen.« Sie können des Elends gar nicht entraten, müssen es, um es zu produzieren, von Grund auf wollen. Das sind Einsichten, die dialektisch zutage gefördert werden. Einer möglichen Bedeutung der Dialektik in der Jenenser Zeit und dem Bedeutungswandel, dem sie aus gesetzt ist, ist freilich stets Rechnung zu tragen. Bei Hegel machen sich Metaphysik, Logik und Dialektik ihre Zustän digkeitsbereiche streitig. Metaphysik kann als die eigent liche Philosophie gelten. Als Lehre von der Idee »als solcher« ist die Philosophie aber zugleich Metaphysik und Logik, die sozusagen der Arbeitsteilung unterliegen: Me taphysik ist »Wissenschaft« von der »reinen Idee« in der ihr einwohnenden Formbestimmtheit. Beide sind kom plementäre Seiten des Idealismus; aber auch: Logik kann bloß Einleitung in die Metaphysik als der eigentlichen Philosophie sein. Das alles gilt nur für die Jenenser Logik als Embryo der Großen Logik, der Wissenschaft der Logik, wo alle »Wissen schaften«, also auch die Metaphysik, unter die Logik als der ersten Wissenschaft subsumiert sind. Hier verschie ben Sphären, die auch identisch sein können, ihre Posi tion. In der Jenenser Logik steht die Dialektik noch im Hintergrund, sie wartet gewissermaßen auf den ihr zuge dachten Auftritt im System der nach Kants Annullierung zu neuern Leben gebrachten Metaphysik. Natürlich auch
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der Logik, mit der sie im Verband der mittelalterlichen freien Künste über Jahrhunderte zusammengefallen war! Kann die Logik ihr Ansehen wahren, so drückt sie die Dialektik herunter, indem sie sie in ihre Dienste nimmt. Aber da, wo die Logik selbst im Gerüche steht, bloßes Organ zu sein, das dem »Seheinschluß« den Weg bereitet, kann ihr die bedenkliche Nähe der Dialektik nachgesagt werden. Kant denkt selbst konventionell-dialektisch, aber er rechnet sehr wohl auch mit der Dialektik als einer pervertierten Logik. Goethe wird später Hegel noch die Dialektik als etwas »Krankes« vorhalten, wogegen Hegel sein eigenes Verständnis, das eine von dieser Entartung freie Dialektik kennt, dagegensetzt. In den für das Kolleg bestimmten Aufzeichnungen von 1804/05 sind Logik und Metaphysik ausdrücklich neben die Naturphilosophie gerückt. Mehr noch: sie gehen in einander über. Das war nichts Neues, es findet sich schon in früheren Papieren und erscheint in einer gewissen Abrundung, wenn sie bei Hegel überhaupt möglich ist, wieder in der Phänomenologie des Geistes. Dieses Zusam
mendenken von Logik und Metaphysik mit der Naturscite hat eine außerordentliche Bedeutung, die heute im Zeit alter der Naturwissenschaften in ihren Ausmaßen nur schwer erkennbar ist, aber des Erwägens wert bleibt. Geistphilosophie (Logik und Metaphysik) und Naturphi losophie bei Hegel sind nicht zu trennen, sie sind allenfalls zwei Seiten ein und derselben Sache. In den Papieren von 1804/05 unterscheidet Hegel zwi schen der »Metaphysik der Objektivität« und der »Meta physik der Subjektivität«, eine Trennung, die er ebenfalls auf die Logik überträgt. »Seele«, »Welt«, das »höchste Wesen« als Gegenstände gehören zur »Metaphysik der Objektivität«; »theoretisches Ich« oder »Bewußtsein«, »praktisches Ich«, der »Absolute Geist« gehören zur »Me taphysik der Subjektivität«. Das sind Vorstellungen, die mit dem, was der Fichtesche oder auch Schellingschc Idealismus als Metaphysik gelten ließen, sehr wohl in Zusammenhang gebracht werden konnten. Aber es setzt jetzt bei Hegel ein eigentümliches Spiel der Übergänge
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und des Zurücknehmens ein. Der Satz der Identität oder des Widerspruchs, der Satz des Grundes sowie der Satz der Ausschließungeines Dritten, seit der Antike Sujets der Logik, werden innerhalb der Metaphysik verhandelt nach der Setzung, daß Logik und Metaphysik zusammenfallen können: im Gegensatz zur Setzung, daß sie voneinander zu unterscheiden sind. Was zwischen der Logik und der Metaphysik liegt, ist nach Hegel das Erkennen: »Das Erkennen ist als in die Metaphysik übergehend das Auf heben der Logik selbst, als der Dialektik, oder des Idealis mus.« Hegel kann sich von der Vorstellung nicht lösen, er wird sie an keiner Stelle preisgeben und in der Großen Nürn berger Logik seiner Methode voranstellen, daß die Kom petenzen aller Disziplinen der Geist- wie der Naturphi losophie der Logik untergeordnet sind. Dazu gehört auch die Geschichte, die politische Geschichte ist, aber als solche wie als Geschichte des Geistes immer Teil der Naturge schichte bleibt bzw. der Phase, in der sie sich abspielt. Geschichte ist ihrer Dialektik unterworfen, die bei der möglichen Gleichsetzung mit der Logik ihre Logik in sich hat. Natürlich meldet auch hier wie in der Natur die Metaphysik ihre Ansprüche an. Die Geschichte und ihr Ablauf zu einem Ziel, der »Freiheit«, beruhen nicht auf sich selber, sie kennen Fixpunktc, die jenseits von ihnen liegen, für das bloße Auge wie für die Mitspieler selbst gar nicht erkennbar sind. Gleiches gilt für die Naturphiloso phie in ihrer Beziehung zu Logik und Metaphysik. »Die Sonne als Licht wird in der Erde zu Feuer«, ein Satz aus den Jenenser Aufzeichnungen von 1803/04 mit nicht ohne weiteres einsichtigem naturphilosophischem Inhalt, eine aus der Naturspekulation gezogene Einsicht, eine Einsicht der Metaphysik, die aber sehr wohl nach den Gesetzen der Energiespeicherung die Wahrheit für sich haben kann, für die dann die Logik der Natur, d. h. immer auch ihrer Dialektik, spricht. Von hier wird später der Linkshegelianer Friedrich Engels zu einer Dialektik der Natur kommen, die einerseits die Stoffwechselvorgänge der Gesellschaft in ihrer Naturgeschichtlichkeit begreift
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mit ihrer ganzen inneren und äußeren Logik, die im Hegelschen Denkgebrauch immer auch Metaphysik ist, weil sie den Stoffwechsel in der Natur, etwa Geburt und Tod, als zur Erhaltung der Art naturnotwendigen Wech sel verhandelt, dessen Methoden der Steuerung aber nicht ohne weiteres erkennbar sind. Wir wissen durch Klaus Düsing, einen Herausgeber der Jenenser Manuskripte, daß die Jenenser Logik durch ihr unterschiedliches Verhältnis zur Metaphysik sozusagen aus drei Logiken besteht, die sich ineinander verlaufen, aber aus rückwärtiger Sicht wieder voneinander zu unter scheiden sind. Den Systementwürfen auch über die Logik hinaus eigentümlich ist das Urgestein der rohen Form, die in der Phänomenologie des Geistes später fast schon wie
beschliffen erscheint. In mühsamem sprachlichem Rin gen wird das »Bewußtsein« mit seiner Gegensätzlichkeit vom Prozeß der Subjekt-Objekt-Bezichung entwickelt. »Es ist erwiesen, daß das höchste Wesen das einzige und allein, das An sich ist«; ihm gegenüber steht das »böse Prinzip« in seiner »Sichselbstgleichheit« mit der daraus sich ergebenden Beziehung: »in seiner reinen Klarheit ist diese Finsternis nicht; denn diese ist das Nichts für das Licht, und jene ist diesem schlechthin, als sich gleich, aber ebenso ist das Licht nicht ohne Finsternis, als diese nicht (ohne Licht) ist. Das höchste Wesen hat die Welt geschaf fen, die für dasselbe von ätherheller Durchsichtigkeit und Klarheit ist; aber diese ist für sich selbst finster.« Dunkel ist der Rede Sinn. Hier sind Bausteine für das System der Großen Logik nebeneinander aufgestellt, und zwar von der Logik der Negation her, weil Logik ihrem Wesen nach nicht affirmativ ist: »Aber die Negation, das Nichts ist überhaupt nicht ein leeres, es ist das Nichts dieser Be stimmtheit, und eine Echtheit, welche das Negative entge gengesetzter Bestimmtheiten ist.« Wir spüren den schwe ren Gang des Denkens, in das Heraklit als zugegebene Stütze von Hegels Logik Einzug gehalten hat; für ihn ist im Licht Finsternis wie in der Finsternis Licht. Aber ebenso scheinen sich hier wie in der Theosophie Jakob Böhmes die Elemente zu mischen. Archaisches Sprechen
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als Sprechen von den Anfängen findet sich in Stellen aus den Papieren von 1803/04, die vom »Bewußtsein« han deln und es von der »Anerkennung« (in der Familie) als Wert zwischen Sein und Nichtsein her verstehen: »ich kann mich nur als diese einzelne Totalität im Bewußtsein des anderen erkennen, insofern ich in seinem Bewußtsein mich setze, als ein solcher, der (ich) in meinem Ausschlie ßen, eine Totalität des Ausschließens bin, auf seinen Tod gehe; indem ich auf seinen Tod gehe, setze ich mich selbst dem Tode aus, wage ich mein eigenes Leben.« Hegels Bestimmung der menschlichen Arbeit in den Jenenser Manuskripten bedeutet die eigentliche Einfüh rung dieses Themenkomplexes in die Philosophie auf allerhöchster Höhe. An dieser Stelle dringt er über den bis dahin erreichten Entwicklungsstand des idealistischen Denkens hinaus, auch über Herder, der ihr in seinen Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit und seiner
Schrift über den Ursprung der Sprache bedeutende Passa gen gewidmet hatte. Hegel verfolgt bereits die Entwick lung der Arbeit vom Werkzeug bis zur Maschine des Fabrikanten, wie ihn Adam Smith beschrieben hatte. Das »Werkzeug« tut dem Menschen not. Es »hält vom Men schen sein materielles Vernichten ab«. Es bewahrt ihn vor dem Tod. Aber die Tätigkeit des »Werkzeugs« bleibt »formal«. »In der Maschine hebt der Mensch selbst diese seine formale Tätigkeit auf, und läßt sie ganz für ihn arbeiten.« Das bedeutet freilich für Hegel ein Herausfal len des Menschen aus den natürlichen Verhältnissen. »Aber jeder Betrug, den er gegen die Natur ausübt, und mit dem er innerhalb ihrer Einzelheit stehen bleibt, rächt sich gegen ihn selbst, was er ihr abgewinnt, je mehr er sie unterjocht, desto niedriger wird er selbst. Indem er die Natur durch mancherlei Maschinen bearbeiten läßt, so hebt er die Notwendigkeit seines Arbeitens nicht auf, sondern schiebt es nur hinaus, entfernt es von der Natur; und richtet sich nicht lebenslang auf sie als eine lebendige, sondern es entflieht diese negative Lebendigkeit, und das Arbeiten, das ihm übrig bleibt, wird selbst maschinenmä ßiger; er vermindert sie nur- fürs Ganze, aber nicht für den
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einzelnen, sondern vergrößert sie nur fürs Ganze, aber nicht für den einzelnen, sondern vergrößert sie vielmehr, denn je maschinenmäßiger die Arbeit wird, desto weniger Wert hat (sie), und desto mehr muß er auf diese Weise arbeiten.« Die Einführung der Maschine als Produktionsmittel versetzt den Menschen nicht in Zustände, in denen er weniger arbeiten müßte oder die Mühsal des Lebens ge ringer wäre. Der »Betrug« der Maschinenarbeit durch dringt alle Lebensverhältnisse. Es erarbeitet der Mensch hinfort nicht mehr das, was er braucht, und er braucht nicht mehr das, was er erarbeitet. Die Maschine schafft Produkte, die für den Menschen zur Befriedigung seiner Bedürfnisse überflüssig sind. Sie sind nicht für die »Wirk lichkeit der Befriedigung« angefertigt, sondern nur für deren »Möglichkeit«. Der Mensch kann von ihnen (Ge brauch machen oder kann es auch lassen. Seine Arbeit richtet sich darum auf das Bedürfnis als Möglichkeit ein, auf ein »Abstraktum«. Arbeit an und für sich ist auf die Befriedigung aller seiner Bedürfnisse eingestellt. Mit der »Vereinzelung« der Arbeit (Spezialisierung) wird die Ge schicklichkeit des Arbeiters für eine bestimmte Arbeit größer, zugleich verbessert sie das Arbeitsprodukt. Aber indem die produzierte Menge des Arbeitsprodukts steigt, fällt der Wert der Arbeit. Die »Geschicklichkeit« des ein zelnen kann sich nicht auf ihrer Höhe halten, sie sinkt ab, und das hat Folgen: »das Bewußtsein des Fabrikarbeiters wird zur letzten Stumpfheit herabgesetzt und der Zusam menhang der einzelnen Art von Arbeit mit der ganzen unendlichen Masse der Bedürfnisse ganz unübersehbar, und eine blinde Abhängigkeit, so daß eine entfernte Ope ration oft die Arbeit einer ganzen Klasse von Menschen, die ihre Bedürfnisse damit befriedigte, plötzlich hemmt, überflüssig und unbrauchbar macht.« Schon in den so lange unbekannt gebliebenen Jenenscr Niederschriften ist jene Vorstellung des »Fabrikarbeiters« entwickelt, des Arbeiters in den Produktionsverhältnissen des Industriekapitalismus, die in der Phänomenologie des Geistes auf das abstrakte Verhältnis von »Herr und
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Knecht« mit eher feudalem Hintergrund übertragen wird und in ihrer Gegensätzlichkeit ihre Dialektik aufzeigt. In der Beziehung zueinander wird schließlich ein Punkt er reicht, wo der Herr durch die Abhängigkeit von der Arbeit des Knechts, ohne die er nicht der Herr sein könnte, selbst dessen Knecht wird. Es gehört zum »System« und zur »Methode« in ihrem Aufbau, wie er in den Jenenser Niederschriften zu verfol gen ist, daß in der Ganzheit die Einzelheiten aufgehoben sind, sie wie zusammengefaltet darin Platz finden, aber nur im Zusammenhang mit dem Ganzen ihre Trennung erfahren bzw. in ihrem Getrenntsein erfahrbar werden. Die »Wissenschaft« befindet sich hier schon auf dem Weg zur »Enzyklopädie«, in der kein Gegenstand ausgelassen ist und von der die Realphilosophie von 1805/06 bereits Ausführungen in weit fortgeschrittener Form enthält. Hier sind Gebiete der Anthropologie verhandelt wie der Sozialphilosophie, des Naturrechts — und zwar als Ineinanderübergehen der »Philosophie des Geistes« und der »Naturphilosophie«. Hegel legt den Grundriß der lutherischen Lehre von den Ständen vor, erweitert und gelockert zugleich durch die Anfange der von England aus heraufkommenden Maschinenindustrie. »Der Bau ernstand ist also dies individualitätslose Vertrauen, das seine Individualität in der Erde hat«; der Bauer kann nur im Zusammenhang mit der Erde gesehen werden, er »ackert, sät, aber es ist Gott, der das Gedeihen gibt — die Jahreszeiten und das Vertrauen, daß von sich selbst das werde, was er in den Boden gelegt«. Die Vollendung seiner Arbeit, ihr Gedeihen, liegt nicht in ihm selber: »der Zusammenhang seines Zwecks und der Verwirklichung ist das bewußtlose der Natur«. Dies Anhängen des Bauern an die Erde als einem »bewußtlosen« Element begründet auch die unwiderstehliche Kraft von Bauernheeren, wie Hegel an anderer Stelle bemerkt, weil sich mit ihnen gleichsam die Erde selber fortbewegt. Der »Stand« schlägt sich in der »Gesinnung« nieder. Bauern und Bürger »vertragen sich leichter wieder - prügeln sich und werden wieder gute Freunde«. Im Gegensatz zu den »höheren
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Ständen«: »der tiefere Sinn ... der höheren Stände geht in sich, kann nicht vergessen noch sich versöhnen« und ist darum vergleichsweise der »bösre«. Die eigentliche Arbeit des Kaufmanns ist der »reine Tausch«, ein Vorgang, der »entzweit«, indem er nämlich aus einem »besonderen« Teil, dem »Handelsartikel«, und einem »abstrakten«, dem »Geld«, besteht. Der Soldat dagegen hat seinen Gegen stand im »Krieg« als »wirkliche Aufopferung des Selbst« zu sehen. Hier steht Hegel fest auf dem Boden des Natur rechts. »Verbrechen« im Krieg »ist Verbrechen für das Allgemeine«, es geht auf »Erhaltung des Ganzen« aus, ist »gegen den Feind«, »auf die Zerstörung desselben« ge richtet. Hegel schürft die Bedeutung des »Verbrechens« noch weiter aus, indem er es auf die Ursprünge zurück verfolgt: »Verbrechen« liegt bereits im »Begriff« des »Rechts« und des »gewaltlosen Gesetzes«. Im Krieg wird nicht der Gegner direkt ins Auge gefaßt, sondern »der Tod leer gegeben und empfangen«. Die Vorlesungen über die Realphilosophie von 1805/06, zumeist »in Eichstädts Auditorium . . . in einem Hinter haus« gehalten (G. A. Gabler), gehen in ihren sozialphilo sophischen Partien — Familie, Ehe, Besitz, Eigentum, Erb schaft - insofern über Kant hinaus, als sie durch den die Französische Revolution und Napoleon herbeigeführten Umbruch, der auch nach Deutschland übergreift und dessen Zeuge Hegel selbst ist, schon eine tiefere Durch dringung der politischen Ereignisse hinter sich haben. Wir haben es hier z.B. mit einer von Kant völlig abwei chenden Auffassung der »Ehe« zu tun, die eben nicht durch den »Kontrakt« allein gestiftet wird. Das »Gesetz ... muß auf die von ihm freie Lebendigkeit Rücksicht neh men«. So ist »die Ehe nicht geschlossen durch Eheverspre chen, noch durch den Beischlaf, sondern durch den er klärten Willen, das Aussprechen ...«. Ob der »Zweck« der Ehe »positiv erfüllt wird«, etwa durch den Koitus, hat den Gesetzgeber nichts anzugehen. Die Unauflöslichkeit der Ehe kann nur von einem »leeren Gesetz« behauptet wer den, das einseitig urteilt, weil es die »freie Lebendigkeit« der Ehepartner nicht berücksichtigt. Ebenso kann die Ehe
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»nicht gebrochen« werden »durch den Ehebruch, durch bösliche Verlassung, Unverträglichkeit, schlechte Wirt schaft, sondern ob beide dies dafür ansehen und es wollen«. Wobei immer noch die Frage bleibt, ob das, was sie so ansehen und wollen, auch tatsächlich so ist! Einheit in der Entzweiung, die in die Erscheinungen der »Natur« und des »Geistes« hineinreicht, Elektrizität schafft, auf den Grund aller Geschlechtlichkeit dringt, sie zum Leben bringt, ist die durchgängige Hauptmaxime in der Realphilosophie. Es hat eine eigentümliche Schlüssig keit für sich, wenn Hegel als Gestalt für das Zusam menschließen der »entzweiten« Teile den Hermaphrodi ten wählt.
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Siebzehntes Kapitel
Bürgerliche Verhältnisse Es war ein bescheidenes Quartier, das der unbesoldcte Privatdozent »auf dem alten Fechtboden« bezogen hatte. Der Umzug hierhin war zwischen Anfang Januar und Mai 1802 erfolgt, denn Schelling adressiert seinen Brief vom 24. Mai aus Leipzig bereits an die neue An schrift, die Hegel bis zu seinem Weggang im Herbst 1806 nicht mehr geändert hat. Goethe führt sie noch im Adressenregister des Rundschreibens an seine Jenenser Freunde vom 18. Oktober auf. Das geringe Hab und Gut, über das Hegel verfügte, ließ sich leicht von einer Haushälterin oder Zimmerwirtin besorgen. Die Bedürf nisse im Essen waren bescheiden, an die Qualität des Weins, den er sich fäßchenweise von der Erfurter Wein handlung Gebrüder Ramann kommen ließ, stellte er je doch höhere Ansprüche. Sparsamer Umgang mit dem ererbten Geld war geboten, weil es je länger desto mehr zur Neige ging. Auf größere Einkünfte konnte Hegel nicht hoffen, solange keine fest besoldete Stelle in Aus sicht stand. Aber daran war in Jena nicht zu denken. Die Zahl seiner Hörer hat dann im Laufe der Jahre stetig zugenommen. Über 30 ist sie nie hinausgekom men. Das ließ sich sehen, war aber im Vergleich zum Zulauf, den Fichte gehabt hatte, doch eher bescheiden. In ihrer äußeren Form haben die Hcgelschen Vorlesun gen wenig einnehmend gewirkt. Der Vortrag ist unge lenk, sein Inhalt meist von dunkler Unverständlichkeit. Das Motto, unter dem Hegel seine Vorlesungen damals veranstaltete, so erfahren wir von einein ehemaligen Hörer, dem Philologen Abeken, der zeitweilig Lehrer von Schillers Söhnen war, sei der Spruch über der Ein gangspforte von Dantes Inferno gewesen: »Laßt alle Hoffnung fahren!« Aber es spricht sich herum: Man muß erst dahinterkommen, was gemeint ist. Und so ver sammelt sich dann von Semester zu Semester eine kleine Schar, die sich durch das orakelhafte Sprechen des Pri
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vatdozenten vom Besuch seines Kollegs nichl abhalten läßt. Der Rivale ist Jakob Friedrich Fries, drei Jahre jünger, mit seiner theologischen Herkunft aus der Herrnhuter Brüdergemeine, der früher und sicherlich tiefer als Hegel in Kant eingedrungen war. Hier steht Anhang gegen Anhang. In der Verwaltungsbehörde der Universität hat man ein Auge für den Wettstreit der beiden Privatdozen ten und neigt hier — wie sich bald zeigen wird — eher Fries zu. Dieser hatte sich später habilitiert als Hegel; er wird nun für eine außerordentliche Professur vorgeschlagen, Hegel nicht. Dessen Beunruhigung ist verständlich. In einem Beschwerdebrief wendet er sich unter dem 29. Sep tember 1804 gegen diesen Akt offenkundiger Ungerech tigkeit an seinen Gönner in Weimar. Goethe erfährt hier: »Indem ich höre, daß einige meiner Kollegen der gnädig sten Ernennung zur Professur der Philosophie entgegen sehen und hierdurch daran erinnert werde, daß ich der älteste der hiesigen Privatdozenten der Philosophie bin, so wage ich, der Beurteilung Euer Exzellenz es vorzulegen, ob ich nicht durch eine solche, von den höchsten Autoritä ten andern erteilte Auszeichnung in der Möglichkeit, nach meinen Kräften auf der Universität zu wirken, be schränkt zu werden fürchten muß.« Der Sympathie Goethes, der er sicher sein konnte, verdankt er dann die Ernennung, welche die Universität offenbar zu verhindern oder hinauszuschieben versucht hat. Goethe setzt sie durch, nachdem die Regierungen von Sachsen-Goburg und Gotha, Altenburg, Meiningen und Hildburghausen als den Ländern der Ernestinischen Li nie, für die Jena Landesuniversität war, zugestimmt hat ten. Hegel wird Anfang 1805 zusammen mit Fries Profes sor, bleibt aber weiter unbesoldet. Das bedeutet, weiter Umschau zu halten, um dem Vor bild seiner schwäbischen Landsleute Schelling, Nietham mer, Paulus zu folgen und das wenig Aussichten eröff nende Jena zu verlassen. Und möglichst wie sie alle in Richtung Bayern! Warum Bayern sich als so vorteilhaft erweisen sollte,
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wird sich bald in einem damals noch nicht zu ahnenden Maße herausstellen. Bayern, noch Kurfürstentum, fürch tet die Annexionsgelüste Österreichs und setzt auf die napoleonische Karte. Es war auf die Linie des Rheinbun des eingeschwenkt, gehörte sogar bald zu dessen festester Stütze auf der Seite Napoleons gegen Habsburg und Preußen. Es stand für eine siegreiche Sache. Das Gefühl der Hoffnungslosigkeit, das bei Hegel aufstieg, wenn er an das »Reich« dachte, hatte tiefere Ursachen. Sie werden sich schon sehr schnell als begründet erweisen und ihn auf fatale Weise in seiner eigenen Lebensgeschichte treffen. Sachsen und Thüringen bedeuten bald den großen Ope rationsraum der französischen Armee und auch den ihrer unglücklichen Gegner. In der Jenenser Universitätsran küne zusammen mit den Sparmaßnahmen der Höfe, die fast alles, was laufen konnte, innerhalb weniger Jahre von Jena wegtrieben, hat Hegel schon die Vorankündigung des drohenden Zusammenbruchs gesehen. Der künftige Welthistoriker spürt ihn aus den vorausgehenden Sym ptomen. Er wird sich nicht täuschen. Unverkennbar ist freilich jetzt in diesen Jahren des Aufenthalts in Jena schon Hegels Bedürfnis, die Nähe der Macht zu suchen, sich mit ihr in gutem Einvernehmen zu wissen. Das war in diesem Fall Goethe, der allmächtige Minister. Bei dessen Visitationsreisen vom nahe gelege nen Weimar aus und den Aufenthalten, die ihn oft für mehrere Monate in Jena festhalten, legt Hegel eine aus nehmende Beflissenheit an den Tag. Der Verkehr geht von Goethes Seite mit einer gewissen konventionellen Liberalität vor sich, man spürt die lange Leine, die Nei gung zum Gewährenlassen. Er lädt Gäste zum Tee, und zwar vor allem jene aus den Kreisen der Jenenser Beam tenschaft, die sein persönliches Vertrauen genießen und zu seiner Klientel gehören. Auf einer später (18. Oktober 1806) von Goethe handschriftlich aufgestellten Liste sei ner »jenaischen Freunde« befindet sich - zwar an letzter Stelle, was seinem Rang entsprach — Hegel. Schiller hat die wachsende Sympathie Goethes für Hegel aus der Nähe bemerkt; »... mit Vergnügen sehe ich, daß Sie mit Hegeln
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näher bekannt werden«, schreibt er Goethe am 30. No vember 1803. Aber in seiner Korrespondenz mit Goethe ist in erster Linie von dem Handicap die Rede, das den gesellschaftlichen Umgang mit Hegel belastet und auf das Goethe ein paar Tage vorher, im Brief an Schiller vom 27. November, zu sprechen gekommen war: »Bei Hegel ist mir der Gedanke gekommen: ob man ihm nicht, durch das Technische der Redekunst, einen großen Vorteil schaffen könnte.« Das heißt: Er kann sich sprachlich schwer artikulieren. Das war hier nicht vom öffentlichen Vortrag vor den Studenten gesagt, sondern bezog sich auf den Hegel in kleiner Gesprächsrunde. Goethe ist der Auffassung, daß man dem Malheur abhelfen könne. Schiller meldet dagegen Zweifel an: »Was ihm fehlt, möchte ihm nun wohl schwerlich gegeben werden kön nen, aber dieser Mangel an Darstellungsgabe ist im gan zen der deutsche Nationalfehler und kompensiert sich, wenigstens einem deutschen Zuhörer gegenüber, durch die deutsche Tugend der Gründlichkeit und des redli chen Ernstes.« Goethe hatte übrigens allen Grund, mit Hegel zufrie den zu sein. Der nämlich fühlt sich als sein Vertrauens mann; er versorgt ihn mit Nachrichten, kleinen, an sich harmlosen Zuträgereien, die die Nützlichkeit des bisher mit wenig Erfolg gesegneten Philosophielehrers für den Staatsminister unter Beweis stellen können: »daß auch Herr Hofrat Schütz mit 3000 E. Gehalt eine Vokation nach Würzburg hat und daß ihm auch die Veranlassunggegeben worden ist, die Literatur-Zeitung dahin zu zie hen, ich melde es Hochdenenselben im strengsten Ver trauen, weil ich es nicht einmal von ihm selbst, sondern von der Frau Geheime Kirchenrätin Grießbachin habe, der er es anvertraut hat. Herr Geheime Kirchenrat Grieß bach weiß noch nichts davon, und man sucht es ihm zu verbergen, weil es ihm sehr alterieren möchte« (3. August 1803).' Aber Hegel hatte ebenso allen Grund, um seine Kar riere besorgt zu sein. Je mehr man sich dem Jahre 1806 nähert, desto bedrohlicher werden die Umstände für ihn.
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Schelling war längst außer Landes. Von Cannstatt hatte er ihm schon am 11. Juli 1803 seine Verheiratung mit Caro line, die in/wischen von August Wilhelm Schlegel geschie den war, mitgeteilt, zusammen mit einer schrecklichen Nachricht: »Der traurigste Anblick, den ich während mei nes hiesigen Aufenthaltes gehabt habe, war der von Höl derlin.« Hier wird der Gedanke an eine glückliche Ver gangenheit mit einem Schlage zur schwer anhängenden Last: »Sein Anblick war für mich erschütternd: er ver nachlässigt sein Äußeres bis zum Ekelhaften.« Ob Hegel noch einen Ausweg für den armen Freund sehe, ihn vielleicht aufnehmen könne? Der will sich nicht versagen, wenn Hölderlin nach Jena käme, meint aber, daß von dieser Stadt für den Kranken nicht viel zu erwarten sei. Es war ein großes Glück für Hölderlin, daß sich in diesen Jahren Sinclair seiner annimmt und ihn in sein Haus nach Homburg holt. Wenn Hegel sich für Hölderlin von Jena wenig er hoffte, dann auch darum, weil das gleiche für ihn selber galt. Er wird Goethe auf den drohenden Abzug von Hufeland, Paulus und Thibaut aufmerksam machen und ebenso durch Gries in Heidelberg Erkundigungen für sich selbst anstellen lassen. In einem Briefentwurf an den Homerübersetzer Johann Heinrich Voß heißt es: »mein Wunsch (ist), den Lehrern Heidelbergs beigestellt zu wer den«. Die Antwort ist abschlägig und begründet mit der miserablen Kassenlage der »Akademie«. Mit Nietham mers Hilfe, der inzwischen nach Bamberg abgewandert ist, denkt Hegel vielleicht nach Altdorf zu kommen. Aber die Universität müßte nach ihrem Niedergang, der sie fast zu einem Phantom gemacht hatte, erst wieder »reorgani siert« werden. Hegels Entschlossenheit, aus Jena wegzukommen, ist durch keine Absage zu erschüttern. Der Gedanke an einen Kriegsausbruch hat für ihn etwas Erschreckendes. Vor allem: eine Einquartierung würde er nicht ertragen können, läßt er Niethammer wissen. Darum möglichst den drohenden Ereignissen schon zuvorkommen! Er ist mit seiner Arbeit an keinen Ort gebunden, und wer weiß,
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ob es in Jena für ihn nicht bald ganz aus ist! Den Grund, in Süddeutschland ein philosophisches Journal aufzuma chen, wie sein Plan ist, sieht er darin gegeben, daß ein solches dort noch nicht existiert. Niethammer wird jetzt in den sich auf die Krise zuspit zenden Zeitläufen für Hegel immer mehr die Hauptstütze seiner Zukunftserwartungen. Wenn der Krieg ausbre chen sollte, müßte er bald ein anderes Unterkommen finden. Wiederum - wie sechs Jahre zuvor - richten sich seine Blicke auf Bamberg, wo nicht nur Niethammer an der fürstbischöflichen Akademie für ihn wirken könnte, sondern sich auch ein großer wissenschaftlicher Verlag befand: Joseph Anton Goebhardt, der als Verlagsorte Bamberg und Würzburg nennt. Im Zusammenhang mit einer möglichen Übersiedlung hatte Hegel für die Veröf fentlichung seines nächsten Manuskripts dieses renom mierte Haus ins Auge gefaßt. Der Verleger zeigt Entge genkommen. Gegen Zusendung umfangreicher Partien seiner Niederschrift erhält der damals hochverschuldete Verfasser einen ansehnlichen Vorschuß. Aber die Aus zahlung stockt, als Goebhardt den Eindruck gewinnt, daß Hegel mit seinem Manuskript noch nicht fertig ist und er für die Einhaltung des vereinbarten Termins glaubt fürchten zu müssen. Niethammer springt mit einer Ga rantieerklärung ein, gerät aber nun selbst unter Druck und mit ihm Hegel. Durch die Truppenbewegungen zwi schen Sachsen und Bayern wird der Postverkehr er schwert. Es droht der Verlust der abgegangenen Restsen dungen. Das mußte den Verleger nicht treffen, denn Niethammer hatte zugesagt, im Falle der Nichteinhaltung des Vertrags durch verzögerten Eingang des Restmanu skripts für die 21 Bogen 12 Gulden je Bogen zu zahlen. Am 18. Oktober 1806 läuft die Frist ab. Aber am 13. Oktober zieht die französische Armee in Jena ein, und mit ihr - wie Hegel am gleichen lag an Niethammer brieflich mitteilt - hoch zu Pferde die »Welt seele«. Der Eindruck, den Napoleon auf die Bevölkerung macht, ist überwältigend. Die Sympathie vieler Menschen wendet sich nach dem Abzug der preußischen Truppen
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den Franzosen zu. Auch Hegel, der Bewunderer der Macht, ist mitgerissen: »Es ist in der Tat eine wunder bare Empfindung, ein solches Individuum zu sehen, das hier auf einen Punkt konzentriert, auf einem Pferde sit zend, über die Welt übergreift und sie beherrscht.« Hegel hatte zwar Glück gehabt: die vereinbarte Manu skriptsendung war noch eben rechtzeitig in Goebhardts Hände gelangt, aber er selbst wird von den Ereignissen in Jena hart betroffen. Französische Soldaten dringen in seine Wohnung ein. Er muß in das Haus des Prorektors Gabler umziehen, weil sein altes Domizil von den Besat zungstruppen beschlagnahmt wird. Hegel war Zeuge schrecklicher Szenen gewesen und Opfer zugleich. Es hatte viele Tote gegeben. Die Schläge der Gewalt waren auf ihn niedergegangen: »da ich hier geplündert bin«, erfährt Niethammer von ihm im Brief vom 18. Oktober. Der Tod hatte ihn gestreift. Was das blutige Gesicht des Kriegs bedeutet, war dem künftigen Welthistoriker als Erfahrung am eigenen Leibe widerfahren. Den letzten beißen die Hunde. Der in Jena ansässig gewesene württembergische Freundeskreis hatte die Stadt rechtzeitig verlassen. Hegel war allein übriggeblie ben. Ihn hatte das Schicksal ereilt. Das Schlimmste war, daß er das Unheil hatte kommen sehen, ihm aber nicht mehr entwischen konnte. Erledigt war jetzt auch, mit einem Schlage, die Frage nach seinem weiteren Wirken in Jena. Die Universität war geschlossen, Hegel stellungslos. Sein Gcldvermögen war längst auf das ihm durch Goe thes Intervention vom Herzog freiwillig gewährte ein malige Jahresgehalt von 100 Talern zusammengeschmol zen. »Sehen Sie Beikommendes, mein lieber Doktor, we nigstens als einen Beweis an, daß ich nicht aufgehört habe, im Stillen für Sie zu wirken.« Mit diesen Worten hatte Goethe am 27. Juni 1806 die diskrete Dotation be gleitet. Aber vier Monate später steht Hegel als ein von der Soldateska Ausgeraubter da. Wieder ist es Goethe, der sich besorgt nach Hegel erkundigt. Knebels Be scheid vom 24. Oktober: »Hegel fehlt es vorerst ganz an
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Geld«, erwidert er noch am selben Tag mit der Order: »Bedarf Hegel etwas Geld, so gebt ihm bis etwa auf 10 Taler.« Es gab nun nichts mehr, was ihn in Jena hätte festhalten können. Nur zeigte es sich, daß Hegel als Stellungssuchen der schwer vermittelbar war, jedenfalls dort, wo es ihn hinzog: an irgendeine deutsche Universität. Alle Versu che unterzukommen, waren bereits seit längerem, einer nach dem anderen, gescheitert. Es gelingt Niethammer wohl, die Schwierigkeiten Hegels mit seinem Verleger beizulegen, aber nicht, ihm eine gewünschte Stelle in Bamberg zu verschaffen. Auch Schelling hat sich für ihn nirgendwo wirklich ins Zeug gelegt. War daran nur die wirtschaftliche Misere in den Staatsbudgets schuld? Die Frage greift tiefer, in Schichten der Persönlichkeit, die auch an seiner Philosophie mitwirken. Sicher waren es auch die Züge der Langsamkeit, die seine Karriere unent wegt behinderten, das Schwerbewegliche in Bern, in Frankfurt wie in Jena. Sie gehören als Komplement zu der Gabe, den Dingen sogleich auf den Grund zu schauen und sie gedanklich zu entzweien. Seine ausgleichende Natur fängt diese Eigenschaft gewissermaßen auf, bietet ihr Schutz, die Dinge in ihrer Materialität und Positivität von unten her auszuheben, sie hierhin und dorthin zu wen den, sie in ihrer Doppfldeutigkeit aufzudecken. Das macht den Umgang mit ihm auf die Dauer nicht leicht. Er wird Schelling bald davon eine Probe geben, die dieser zeitlebens nicht verwinden wird. Im November hatte sieh Hegel auf die Reise nach Bamberg begeben, um alle anstehenden Kontraktfragen mit Goebhardt zu regeln und die Drucklegung des Ma nuskripts voranzutreiben: die Phänomenologie des Geistes, dieses in Not, Verschuldung und Sorge um die Zukunft geschriebene Werk, das schubweise in die Hände des Verlegers gelangt war. In einem Wagen, der auch eine Ladung Geldfässer mit s i c h führt, brach Hegel von Jena auf. Man hat Glück: Der Transport gelangt trotz der gefährlichen Zeiten unbehelligt ans Ziel. Bei Niethammer bewohnt Hegel ein kleines Stübchen. Die Wiedersehens
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freude ist groß. Mit Goebhardt scheinen die Geschäfte schnell geregelt worden zu sein, und die Freunde können sich ausgiebig dem Biertrinken und L'Hombre-Spiel wid men. Das Geld aus der Hand des Verlegers gestattet ihm einige angenehme Wochen. Das alles war angetan, ihm Bamberg von Anfang an sympathisch zu machen. Kein Vergleich mit Jena, denn in Bamberg sitzen - wie er sich erzählen läßt — selbst die Damen am Kartentisch. Übrigens hat sich der Reisende längst in einen Parteigänger der Franzosen verwandelt. Die Preußen müssen in Lübeck Unglück gebracht haben, war von ihm inzwischen in Erfahrung gebracht worden. Seine alten Befürchtungen über den Niedergang des »Reichs« hatten sich längst bestätigt. Er findet es bewun dernswert, wie die Franzosen in die verrotteten, von Träg heit beherrschten Verhältnisse neue Ordnung bringen. Seine Gedanken über die Ursachen dieses Wandels spricht er ein paar Wochen später in einem Brief an seinen Schüler Zellmann vom 23. Januar 1807 aus: »Die französi sche Nation ist durchs Bad ihrer Revolution nicht nur von vielen Einrichtungen befreit worden, über die der Men schengeist als über Kinderschuhe hinaus war und die darum auf ihr, wie noch auf den andern, als geistlose Fesseln lasteten, sondern auch das Individuum hat die Furcht des Todes und das Gewohnheitsleben, das bei Veränderungen der Kulissen keinen Halt mehr in sich hat, ausgezogen.« Was bisher gegolten hat, hat seine alte Überzeugungskraft verloren: »Vaterland, Fürsten, Ver fassung und dergl. scheinen nicht die Hebel zu sein, das deutsche Volk emporzubringen.« Ließen sich diese kurzen Wochen in Bamberg gut an, so waren seine Sondierungen, zusammen mit Niethammers Hilfe hier eine Stelle zu finden, allerdings zu keinem festen Resultat gelangt. So mußte der zum endgültigen Verlassen Jenas fest entschlossene Hegel wieder nach dort zurück. Er versucht gegenüber seinem Gönner Goethe sogar noch einen kleinen Coup zu landen, indem er ihn um das Gehalt des inzwischen nach Heidelberg berufenen Schelver sowie dessen freigewordene Dienstwohnung im
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Botanischen Garten bittet mit dem gleichzeitigen Aner bieten, dort Inspektionsdienste zu verschen. Goethe hat diesen brieflich vorgetragenen Versuch Hegels, in Jena doch noch zu einer festen Stelle zu kom men, nicht ausdrücklich ablehnend beschieden. Er ant wortet überhaupt nicht. Er hatte nämlich längst anders entschieden. Der Arzt Friedrich Siegmund Voigt, der auch Botaniker ist, soll das Amt bekommen. Hegels Be teuerungen, seine Botanikstudien wiederaufzunehmen und auch Vorlesungen darüber zu halten, haben bei Goe the nicht verlangen. Wieder geht er leer aus. Da trifft ein Brief Niethammers (vom 16. Februar) in Jena ein, in dem ihm das freigewordene Amt des Re dakteurs der Bamberger Zeitung angetragen wird. Das Angebot ist nicht ungünstig — 540 Gulden Jahresgehalt. In Jena war er unbezahlter Professor gewesen, die Zu wendungen des Herzogs, die ihm Goethe verschafft hatte, waren ein Gnadengeld und hatten nicht verhin dern können, daß er sich nach dem Versiegen der ihm aus dem väterlichen Erbe zugeflossenen Barschaft Geld hatte leihen müssen. Aber Hegel macht Einwände. Das Gehalt erscheint ihm zu gering. Er denkt an Heidelberg, wo Schelver für seine Berufung auf die zweite Professur zu wirken versprochen hat. Auch ist dort an die Heraus gabe eines literarischen Journals gedacht. Es schwebte ihm jedoch nach wie vor ein Universitätsamt oder die Nähe der Universität vor. Mit dem Gedanken, einer Ta geszeitung vorzustehen, hat er sich mit Sicherheit nicht sogleich befreunden können. Darum der Vorbehalt, »dieses Engagement nicht für etwas Definitives anse hen« zu wollen, wie er Niethammer am 20. Februar wis sen läßt. »Kommen Sie ohne Verzug«, hatte ihm der Freund aus Bamberg geschrieben. Bis zum Antritt der Stellung am l.März würden Hegel nur eben mehr als zehn Tage bleiben. Er ist zwar längst entschlossen, auf das Anerbieten einzugehen. Was wäre ihm auch anderes übriggeblieben bei dem Druck, der auf ihm lag! Aber nun bittet er doch um einen kleinen Aufschub. Vor al lem soll man im Herzogtum nicht glauben, er führe für
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immer. Er wünscht ausdrücklich den Eindruck einer Reise zu erwecken, von der er zurückkommen werde. Diese Vorsichtsmaßnahme war nicht unbegründet. Es war nämlich gerade ein zusätzliches Ereignis hinzugekom men, so daß ihm ein schnelles Verlassen der Stadt gerade jetzt besonders gelegen erscheinen mußte. Hegel war Vater eines Sohnes geworden. Die Mutter war seine Zim merwirtin und Haushälterin Christiane Charlotte Burk hardt. Es hatte offenbar dabei von Hegel Seite keines stürmischen Werbens um ihre Gunst bedurft. Das Jenaer Taufbuch stellt nicht ohne Perfidie fest, daß der Mutter damit »zum dritten Mal ein unehelicher Sohn« geboren worden sei, nachdem ihr bereits »in Unehren eine Toch ter« und »zum 2. Male in Unehren ein Sohn« unterlaufen sei. Das alles und noch dazu in einem solchen Milieu ließ sich in einer kleinen Stadt wie Jena nicht verheimlichen. Allein damit wäre für Hegel, der ohnehin schon in der Universität im Kreise um Gabler auf Gegner gestoßen war, die seine Ernennung zum Professor zu hintertreiben versucht hatten, an ein behagliches Leben schwerlich zu denken gewesen. Es kommt hinzu: »die Burkhardt«, wie er sie nennt, dringt offenbar mit Beharrlichkeit auf ein Eheversprechen. Hegel scheint es ihr gegeben zu haben, schon um ein größeres Aufsehen, das bei seiner Weige rung leicht hätte erregt werden können, zu vermeiden. Das gehört zu einer anderen, von den Kirchenakten ab weichenden Version, wonach Christiane Charlotte Burk hardt während ihrer Beziehung zu Hegel wieder verhei ratet gewesen sein müßte und an eine Ehe mit Hegel gedacht hätte für den Fall, daß ihr Mann tot sei. Varnha gen bringt am 4. Juli 1844 zu Papier, was er von Hegels Schüler Leo gehört hatte und Lasson später erstmalig veröffentlicht: »Hegel hatte in Jena bei Schneiderleuten gewohnt und mit der Frau eine Liebschaft angeknüpft; als ihm ein Sohn geboren war, starb der Schneider bald, und Hegel gab nun der Witwe ein Eheversprechen ... Als er Jena verlassen hatte, dachte er wenig mehr an die ganze Sache. Doch bei der Heirat mit Marie von Tucher erschien plötzlich die Schneiderwitwe mit dem Eheversprechen ...
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und mußte beschwichtigt und abgefunden weiden.« Die Tatsache des illegitimen Sohnes jedenfalls wird dem An walt der Legitimität noch schwer 711 schaffen machen. Mit der Geburt des Ludwig Fischer, wie er sich später nach dem Familiennamen der Mutter nennen muß, beginnt ein bedauernswertes menschliches Schicksal, das von seinem Vater schließlich nicht mehr zur Kenntnis genommen wird. Durch das Angebot der Redakteursstelle war Hegel auch dieser sehr mißliebigen Angelegenheit vorerst ent hoben. Seine Vorsicht bei der Abreise nach Bamberg geht nicht nur so weit, daß er es unterläßt, sich bei der Dienstbe hörde — das war in diesem Fall Goethe - Urlaub zu erbitten, er kündigt zum kommenden Sommersemester für den Fall der Wiedereröffnung der Universität auch noch Vorlesungen an. Erst von Bamberg aus richtet er das entsprechende Gesuch an den Minister, dem natürlich die privaten Lebensumstände längst bekannt sein mußten, ohne daß sie irgendwelchen nachteiligen Eindruck auf ihn hätten hinterlassen können. Im Gegenteil: Goethe ist hoch erfreut über die von Hegel angegebenen Gründe seiner Reise nach Bamberg. Hegel gibt vor — was zur Hälfte stimmt -, den Druck seiner Manuskripte an Ort und Stelle zu überwachen. Aus Goethes Schreiben an Knebel vom 14. März spricht eine gewisse Ungeduld über die Langsamkeit seines Günstlings nach der Devise des Theaterdirektors im Faust: »Der Worte sind genug ge wechselt, / Laßt mich auch endlich Taten sehn!«, wenn er zu Hegels Absicht meint: »Ich verlange endlich einmal eine Darstellung seiner Denkweise zu sehen.« An Förde rung von seiner Seite hatte es nicht gelegen, wenn nach sechsjährigem Aufenthalt in Jena aus dem fast siebenund dreißigjährigen Hegel in den Augen Goethes noch nichts Ersprießliches geworden war. Insbesondere soll er sich einmal Mühe geben, einen verständlichen Stil zustande zu bringen: »Es ist ein so trefflicher Kopf und es wird ihm schwer, sich mitzuteilen!« Wir werden sehen, daß Hegel seinem ihm so wohlge sinnten Gönner Goethe diesen Wunsch nicht erfüllen
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wird. Das Werk, von dem die Rede ist, ist die Phänomenolo gie des Geistes. Es erschien im März 1807, kurz nach seinem Eintreffen in Bamberg. Vieles ließ sich dem Autor nachsa gen: die Gabe, leicht mitteilbare Gedanken ausgespro chen zu haben, war nicht darunter.
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Achtzehntes Kapitel
Differenz mit Schelling Wenn Schelling in der Folge Hegels Abrücken von dem bisher gemeinsamen Verständnis der »Idee« bemerken wird, so war das in der Sache zutreffend. Was beide seit der späten Berner Zeit miteinander verband, war der Kampf gegen den »subjektiven Idealismus«. Aber diese Gemeinsamkeit der Philosophie war nur darum möglich, weil sich Hegel innerhalb der Schellingschen Systematik bewegte; sie galt nur so lange, wie Hegel keinen Versuch macht, sich vom »Vater-Polypen Schelling«, wie Jean Paul es in seinem Brief vom 6. September 1807 an Friedrich Heinrich Jacobi nannte, abzulösen. Das beginnt mit Schellings Weggang von Jena nach Würzburg im Jahre 1803, kennt aber schon deutliche Vorankündigungen. Inzwischen hatte Hegel im stillen ein eigenes Begriffsinstrumentarium ausgebildet. Über ge wissen Eigenheiten in den Frankfurter Manuskripten und den frühen Jenenser Entwürfen hätte sich allemal mit Schelling reden lassen. Umgekehrt würde man sagen können, daß sich Schelling in seiner Darstellung meines Systems der Philosophie von 1801 dem spezifisch Hegel schen, das in seiner Dialektik später ausreifen wird, am meisten angenähert hat. Das Sich-Entfernen Hegels von Schelling, über das sich in seinen Anfängen die schriftlichen Quellen so beharr lich ausschweigen, findet zunächst nur methodologisch statt. Das heißt auch, daß Hegel die Höhe von Schellings Philosophie der Kunst (1802/03) nicht erreicht, daß er im eigentlich Genialischen hinter Schelling zurückbleibt und dies auch weiß, daß er aber gerade das Genialische als die große Gefahr für den Entwurf der philosophischen Syste matik versteht und dies seinen Jenenser Hörern mit auf den Weg gibt. Wenn von den »Nachschwätzern« die Rede ist und die Quelle des Übels nicht beim Namen genannt wird, konnte Schelling schon sehr früh die Unklarheiten darüber beseitigen, wer hier gemeint war.
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Sicher hat die Entfremdung zwischen beiden durch Schellings Übersiedlung nach Bayern eingesetzt, aber sie war natürlich nur die Folge einer völligen Verschieden heit zweier Naturen, die jetzt ungehindert und durch keinerlei persönliche Rücksichtnahmen mehr verschleiert voll ans Licht treten konnte. Sie zeigt sich auch im nachlas senden persönlichen Interesse der beiden aneinander, insbesondere während der Bamberger Monate, wo Hegel sich bei der Stellungsuche an Niethammer und Paulus anlehnt, weil von Schelling nicht viel Hilfe zu erwarten war. Aus Schellings bekanntgewordenen Äußerungen in diesen Jahren tritt der Zug des Abwartens hervor, was nun aus dem alten Studienfreund werden wird. Aber Schel ling, der in Würzburg bereits in schwere Verwicklungen mit katholisch-kirchlichen Kreisen geraten war, hatte zweifellos genug mit sich selbst zu tun. Der Unterschied zwischen Schelling und Hegel geht bis in die Lebensverhältnisse ein oder, besser gesagt, er geht zugleich von den Lebensverhältnissen aus, die sich auch im Philosophischen niederschlagen. Man darf darum nicht einseitig an eine Loslösung Hegels von Schelling denken. Auch Schelling ändert sich, er rückt ab von dem, was er für eine gemeinsame Position mit Hegel lange hätte ansehen können: so im noch in Jena verfaßten Dialog Bruno aus dem Jahre 1802 mit einem platonischen Mysti zismus, wie er in der Romantik Mode geworden war, so in seinem Werk Philosophie und Religion, das bereits den Kern seiner später hervortretenden Philosophie enthält. Es macht sich bei Schelling der Hang zu einem Aristokratis mus bemerkbar, der die Erkenntnis des Absoluten einer begrenzten Zahl von Auserwählten vorbehalten möchte sowie, was damit zusammenhängt, eine Zusammenzie hung seines Fragens auf das Ästhetische, während sich bei Hegel bereits vor der Niederschrift der Phänomenologie ein Interesse für die politische Geschichte und Staatsphiloso phie herausgebildet hat, das bei Schelling immer sekun där bleibt und auch nie entsprechende Nachwirkungen auslösen wird. In einer privaten Niederschrift aus der Zeit in Jena
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hatte Hegel bereits die Krisis der Schellingschen Philoso phie in Augenschein genommen: »Was Schellingsche Phi losophie in ihrem Wesen ist, wird kurze Zeit offenbaren. Das Gericht über sie steht gleichsam vor der Tür, denn viele verstehen sie schon.« Für Hegel ist mit der Verbrei tung einer Philosophie durch ihre Verständlichkeit die Erfahrung ihrer Anhänger verbunden, wie weit man mit ihr kommen kann. Aber Hegel sieht hier Schelling dem gleichen Schicksal preisgegeben wie vor ihm Kant und Fichte. Er rückt sie in der Frage der sogenannten »Tran szendentalphilosophie« zusammen, um sich selbst von ihnen zu unterscheiden. Die »Transzendentalphiloso phie« Kants, Fichtes und Schellings behandle zwar Pro bleme der Logik (Dialektik) weiter, aber sei selbst außer stande, sie als Feil ihrer selbst anzusehen, während Hegel sich auf dem Wege sieht, die »Transzendentalphiloso phie« als »Metaphysik« mit der Logik zusammenzuführen und aus dieser Vereinigung eine neue »Wissenschaft« hervorgehen zu lassen. Wenn Kant in der Vorrede zur zweiten Ausgabe der Kritik der reinen Vernunft feststellte, daß seit Aristoteles die Logik keine Fortschritte mehr gemacht hatte, so mußte das in den Augen Hegels, der ja in Jena Wolff weit über Kant stellte, auch für Kant selber gelten, und zwar wegen der größeren Verständlichkeit Kants, die zugleich dessen Anhängern die Erfahrung von deren Grenzen aufzeige. Fällt aber bei Hegel, was damals noch nicht erreicht und in der Phtinomenologie des Geistes sozusagen als Programmpunkt in Aussicht genommen worden ist, die sogenannte Transzendentalphilosophie mit der Logik zusammen, wie er es in der Wissenschaft der Logik durchführen wird, dann war die Logik zum ersten mal seit mehr als zweitausend Jahren einen Schritt weiter gelangt. Hier waren, ausgesprochen wie unausgesprochen, »Differenzen« aufgekommen, die über kurz oder lang zum Abbruch der bestehenden Brücken zwischen Hegel und Schelling führen mußten. Dazu gehört auch das bei Hegel und Schelling auf verschiedene Weise sich ausbil dende Verständnis der Geschichte. Bei Schelling nimmt
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das Interesse an geschichtlichen Fragen ab, bei Hegel wächst es und weitet sich zu einem Verständnis der »Welt geschichte« aus, deren Fortschreiten keine Kontinuität kennt, sondern Umwege, Widersprüche, Bewegungen in die entgegengesetzte Richtung, Rücknahmen oder Nie derlagen der eigentlichen Fortschrittstendenzen, Kriege dem das Pathos der geradlinigen Übergänge fremd ist. Hegels damals in ihren Anfängen befindliche Geschichts philosophie entwickelt die Theorie von der ungleichmäßi gen Kontinuität geschichtlichen Fortschreitens, bei dem die Widersprüche bei der »Einheit von Kontinuität und Diskontinuität« (Lukäcs) sich auf der höheren Stufe der geschichtlichen Entwicklung fortsetzen. Dieses Abweichen von der alten mit Sehclling gemeinsa men Philosophie hing also auch mit der Verschiebung der thematischen Interessen und ihrer fortwährenden Kon zentrierung auf bestimmte Sujets zusammen, die natür lich selbst keineswegs völlig den Zugang zum Kern der früher von beiden gleichermaßen vertretenen Anschau ungen verloren hatten. Hinsichtlich der Ausbildung einer antidogmatischen, dem Pantheismus nahestehenden Geistlehre, der Abkehr vom kirchlichen Institut als der eigentlich geistverwaltenden Instanz, die Schelling in sei ner Tübinger Dissertation über den Gnostiker Markion vollzogen hatte, konnte Hegel nie daran denken, Schel ling seine bahnbrechende Rolle streitig zu machen. Des sen Rang in der Geschichte der Philosophie und auch seine Rolle für die Ausbildung der Dialektik können darum gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Schel ling wird sich in der Entfernung von Hegel auch gar nicht untreu, er setzt nur seinen Weg, allerdings mit einseitiger werdenden Akzenten, fort. Schon der Dialog Bruno war Zugang in die »Einrichtung der Mysterien«. Philosophie bedeutet darin: Religion auf eine höhere Stufe gerückt, Fortsetzung der Religion mit andern Mitteln: »Das reine Subjekt-Objekt aber, jenes absolute Erkennen, das abso lute Ich, die Form aller Formen, ist der dem absoluten eingeborene Sohn, gleich ewig mit ihm, nicht verschieden von seinem Wesen, sondern eins.«
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Aber die Philosophie als höchste Stufe des Erkennens, die die dogmatische Religion für den Erkennenden über flüssig macht, gerät, indem sie deren Stelle einnimmt, in die Gefahr, in den gleichen Formen zu verkehren, die zu deren Verabschiedung geführt hatten. Das reicht bis in die sprachliche Nuance seiner Schrift Philosophie und Rrlimon hinein und wird von Schelling selbst beschworen, wenn er meint: »Außer der Lehre vom Absoluten haben die wahren Mysterien der Philosophie die von der ewigen Geburt der Dinge und ihrem Verhältnis zu Gott zum vornehmsten, ja einzigen Inhalt.« Mit den »wahren Mysterien der Philosophie« und der »ewigen Geburt der Dinge« nennt hier Schelling den für sein künftiges Denken vorherrschenden Gegenstand und mehr noch die Weise der Behandlung, die er ihm angedei hen lassen wird. Das »Geheimnis der Religion«, gegen das er in den Frühschriften seine an Kant und Fichte geschul ten Invektiven geschleudert hatte, das für ihn in der Scholastik, dem Dogmatismus, der in Tübingen gelehrten Theologie, der Orthodoxie, zugrunde lag, wird in das »Geheimnis der Philosophie« verwandelt. Die Wider stände der Vernunft gegen das Mystische und Okkulte schmelzen dahin. Das ist zugleich Schellings Tribut an die Romantik, für die auch seine Frau Garoline stand, dieses »Meisterstück des Geistes«, wie er sie nannte, die ihm 1809 durch den Tod entrissen wird. Wenn Schelling in seinem Brief an Hegel vom 2. No vember 1807 verwundert bemerkt, der Freund sei von ihrer gemeinsamen Vorstellung der »Anschauung« abge rückt, so konnte das nur als Spitze des Eisbergs erschei nen. Bereits Hegels fenenser Vorlesungen hatten The men behandelt, die ohne polemische Absicht, allein durch ihren Inhalt und ihre Darstellung von Schellings Interes sen wegführten. So die Zuwendung zu Fragen der bürger lichen Ökonomie: zu Arbeit, Geld, Besitz, Eigentum und Welthandel. Von Hegel werden gegen den »subjektiven Idealismus« Kants und Fichtes kalt-trockene Schläge aus geteilt, wo er sich mit der Entfremdung der Arbeit durch den Fabrikarbeiter in der englischen Manufaktur als der
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damals entwickeltesten kapitalistischen Produktion be faßt: »das Bedürfnis und die Arbeil erheben sich in die Form des Bewußtseins; sie vereinfachen, aber ihre Ein fachheit ist die formal allgemeine abstrakte, das Auseinan derlegen des Konkreten, das in diesem seinem Auseinan derlegen empirische Unendlichkeit der Einzelheiten wird; und indem er (der Arbeitende) auf diese formale falsche Weise so die Natur sich unterwirft, vergrößert das Individuum nur seine Abhängigkeit von derselben, die Vereinzelung der Arbeit vergrößert die Menge des Bear beiteten; an einer Stecknadel arbeiten in einer englischen Manufaktur 18 Menschen; jeder hat eine besondere und nur diese Seite der Arbeit; ein einzelner würde vielleicht nicht 20, nicht 1 machen können; jene 18 Arbeiten unter 10 Menschen verteilt, machen 4000 des Tags; aber auf die Arbeit dieser 10, wenn sie unter 18 arbeiteten, würden 48000 in einem Tag kommen. Aber in demselben Ver hältnisse wie die produzierte Menge steigt, fällt der Wert der Arbeit; die Arbeit wird umso absolut toter, als sie zur Maschinenarbeit, die Geschicklichkeit des einzelnen umso unendlich beschränkter ...« Diese Stelle gehört ihrer Form nach zu einem gramma tikalisch-stilistisch unfertigen und nicht für den Druck vorgesehenen akademischen Vortragskonzept. Marx, der seine Theorie der Arbeit an Hegels Ausführung dazu in der Phänomenologie entwickelt, hat sie nicht gekannt. Das ist insofern bedeutsam, als sie in der Frage der Ausbeu tung des Fabrikarbeiters und seiner Entfremdung von der Arbeit und dem Arbeitsprodukt durch aufspaltende ma schinelle Produktionsformen weiter geht, d. h. viel näher an Marx heranführt, als die Marx vorliegenden Stellen in der Phänomenologie. Für uns steht sie dafür, daß Hegel damit über den Schellingschcn Horizont hinausdringt. Wir hören weiter, in der ungelenken Archaik der Hegel schen Sprache, die nach einem »allgemeinen Begriff« für das Bedürfnis der Arbeit sucht und ihn findet: »das Geld ist dieser materielle existierende Begriff«. Oder nach den Ursachen für die bürgerlichen Bedürfnisse gefragt: »Tä tigkeit des Arbeitens« hat ihre »ruhende Seite im Besitze«.
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Mit diesen Fragen über die Besitzverhältnisse betritt Hegel einen Boden, den die deutsch-idealislische Philoso phie Kants, Fichtes und Schellings nicht ernsthaft berührt hatte. Übrigens läßt es Hegel damit auch zunächst bewen den. Es gibt bei ihm keine geradlinige Bemächtigung dieser Thematik, sondern Abwendungen und Rückwärtsbewegungen, die ihm etwa in Nürnberg »Technologie« und »Ökonomie« als »Schnurrpfeifereien« erscheinen lassen. Aber die Linie selbst, die er in den Jenenser Vorle sungen damit eingeschlagen hatte, führte an Schelling vorbei. Es hatte zwischen Hegel und Schelling Einigkeit dar über gegeben, daß Philosophie als solche »spekulativ« zu sein hat. Aber Hegel hatte bereits in der Differenz-Schrift von dem Einwand her geurteilt, daß Schelling die spekula tive Idee nicht in der Entwicklung aufzeige, statt dessen die Naturphilosophie an den Anfang stelle. Dieses Setzen auf die Entwicklung der spekulativen Idee gehört bereits zum Schlag, den Hegel später gegen Schelling führen wird. Für Hegel stehen Logik und Metaphysik am Anfang des Systems. Metaphysik, Phänomenologie als Wissen schaftslehre, Logik sind, wie Hegel es als philosophischer Schriftsteller in der Anwendung gezeigt hatte, spekulative Disziplinen. Das gilt ebenso für die philosophische Bear beitung der Religion und der Geschichte, aber auch der Natur. Spekulation schließt freilich das Wagnis der Hypo these ein: eine Gefahr, die hingenommen werden muß und dialektisch zu bewältigen wäre. Auf die Naturphiloso phie, dieser Domäne Schellings, in der Hegel ihn an Spekulationskraft nie erreicht, kommen bereits im Ver laufe des 19. Jahrhunderts Gefahren zu, die damals noch nicht abzusehen waren: als ihre Erkenntnisse vor den Ergebnissen der heraufkommenden empirischen Natur wissenschaften nicht mehr bestehen können. Mit dem Siegeszug der Naturwissenschaften ist das Schicksal der »Naturphilosophie« besiegelt worden. Hier konnte der Einbruch in das Verständnis der Philosophie als »Wissenschaft«, wie es für Schelling und Hegel glei chermaßen galt, am stärksten erfolgen, weil hinfort das,
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was nur naturphilosophisch richtig, nicht »empirisch-ex perimentell« beweisbar ist, keinen Wissenschaftscharak ter hat. Auf diesem Feld war aber Schelling mehr be troffen als Hegel. Metaphysik, Phänomenologie, Logik, Geschichte können nicht gleichermaßen exakt-experi mentell beansprucht werden wie eine naturwissenschaft lich befragte Natur. Hegel auf seinem Weg vom »System« zur »Methode« hat spätestens von der Phänomenologie des Geistes an den möglichen Einwänden gegen seine Spekula tion vorgebaut; die »Methode« seiner Dialektik wird im stande sein, ihnen standzuhalten. Und: Ihr und ihrer Brauchbarkeit wird man es noch bestätigen, daß sie ihnen standhält. Mit der Umorganisation der Wissenschaftslehre in der Phänomenologie sollte sich bewahrheiten, was er schon seinen Hörern in Jena vorausgesagt hatte: In einem neuen System der Wissenschaft wird die Genialität, die sich Schelling und seine Anhänger einreden, aufhö ren, Genialität zu sein. Schellings Antwortschreiben nach dem Empfang eines Exemplars der Phänomenologie des Geistes gibt nur sehr unvollkommen seine Gedanken und seine Gefühle wie der, die beim Studium des Buches damals in ihm aufge stiegen sein müssen. Das war der Bruch, ein Bruch von beiden Seiten und irreparabel. Die Freunde haben sich nichts mehr zu sagen. Das wird noch eine Zeitlang über spielt und dringt auch nicht sofort nach außen. Für Schel ling erscheint Hegel — so in seinem Brief an G. H. Schubert vom 27. Mai 1809 - unter Anspielung auf Goethes Mephi sto als »Verneinender Geist«. Von sich aus gesehen mochte er damit recht haben: So war Hegel gegen ihn aufgetreten. Aber Schelling sagt noch mehr damit: Die Tragfähigkeit der »Methode«, seiner eigenen, wie sie damals bereits ausgebildet war, hatte er nicht mehr recht einzuschätzen vermocht.
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Neunzehntes Kapitel
Phänomenologie des Geistes Das Desaster von Hegels Phänomenologie liegt in den her meneutisehen Versuchen, die ihr gewidmet worden sind. Wenn man die Arbeiten zu ihrer theoretischen Bewälti gung, etwa von Rosenkranz, Haym, Hoffmeister, Hae ring, Hartmann, Lukács, Bloch, Heidegger, Kojève, Hyp polite, Pöggeler - was sehr provisorisch ist - nebeneinan der hält, können sie leicht den Eindruck erwecken, als ob nicht von einem Buch, sondern von ganz verschiedenen Büchern die Rede wäre. Rosenkranz glaubte sich der Zustimmung seines Lehrers sicher zu sein, wenn er in der Phänomenologie ein Moment des Systems, nämlich das Be wußtsein, aus dem System herausgelöst und von Hegel vorweg behandelt sah, und zwar als Erfahrung, die das Bewußtsein macht. Kants Philosophie sei keine vom Su premat des Bewußtseins und seiner Erfahrung be herrschte Philosophie gewesen, Fichtes kopernikanische Entdeckung des Ich als einziger fester Bewußtheit mit dem Selbstbewußtsein als der neuen Errungenschaft habe erst hinzukommen müssen, um den Weg für Hegels »Wahrheit der Gewißheit seiner selbst« freizumachen. Aber war hier schon die »Methode der Logik« zur Anwendung gebracht worden? War das Werk das gewor den, was es ursprünglich sein wollte, nämlich der erste Teil des »Systems der Wissenschaft«? Oder war hier ein Entwurf entstanden, der abseits vom späteren System lag? Für Pöggeler stand fest, »daß Hegel den Sinn seiner Phän. nicht eindeutig bestimmt hat«, denn sonst wäre auch nicht einsichtig, warum einander völlig entgegenlaufende An schauungen zur System-Immanenz und Nicht-Immanenz mit einem gewissen Grad jeweiliger Wahrscheinlichkeit hätten vorgetragen werden können. Die Erfahrung vom Bewußtsein als konstituierendem Sujet ließ sich über alle Unterschiede hinweg vermitteln, sie konnte als gemeinsa mer Nenner noch am leichtesten gehandelt werden. Aber Hegel hält dieses Thema nicht durch, er wechselt zu
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anderen Sujets über, zur Vernunft, zum Geist, zur Religion, zum Kunstwerk, zum absoluten Wissen, er verlagert im »Ver hältnis des Schriftstellers zum Publikum«, wo er sich selbst in Erscheinung treten läßt, die Gewichte; er schickt gewis sermaßen die Erfahrungen des Bewußtseins durch die Phänomene hindurch, läßt die Begegnung mit ihnen statt finden: »Indem ich das, wodurch die Wissenschaft exi stiert, in die Selbstbewegung des Begriffs setze.« Was ist die Vernunft, nachdem sie die Aufklärung an sich erfahren hat, was ist Aufklärung, nachdem sie das Stadium der »kritischen Philosophie« hinter sich gelassen hat? In wel chen Stufungen tritt der Geist als der »wahre«, als der »entfremdete«, als der »seiner selbst gewisse« Geist auf? Was ist das Wesen der natürlichen Religion im Vergleich zur offenbaren und zur Kunstreligion? Wenn man die Phänome nologie des Geistes mit Goethes Faust verglichen hat, so mußte der Vergleich auch ergeben, daß das Werk keine »Tragödie« war und ebensowenig über eine Dramaturgie verfügte. Isaak von Sinclair teilt seinem Freunde Hegel am 8. Februar 1812 mit, bei der Behandlung des »Selbst bewußtseins« den Faden verloren zu haben: »Ich konnte Dir dann nicht mehr folgen.« Hegel hatte in seinem Werk, unabhängig davon, ob man es in einen Zusammenhang mit der Ausbildung seines »Systems« oder als eine noch weitgehend proviso risch gehaltene Vor-Konzeption sehen will, über Kant und Fichte hinausgehend, als eine das Denken begrün dende Größe das »Nichts« ins Spiel gebracht. Das »Nichts« ist stets in Betracht zu ziehen: »Die Natur ist Nichts aus ihrem Wesen; aber dies Nichts selbst ist ebenso sehr.« Die nihilistische Komponente als Widerspruch zum Sein bleibt innerhalb der Hegelschen Ontologie immer gegen wärtig. »Das Erste der Philosophie aber ist, das absolute Nichts zu erkennen«, hatte Hegel in seinem Aufsatz im Kritischen Journal über Glauben und Wissen als Maxime seiner eigenen Philosophie ausgegeben. Und er hatte auch die Gründe angeführt, die Fichte veranlaßt hatten, sie zu mißachten. Das Prinzip der Anfangslosigkeit mit seinem ständigen Zurückgehen auf das Nichts, das »nicht
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weniger als Etwas« ist, das ebenso ist wie das Sein nicht ist, gibt dem Hegclschen Denken seine Voraussetzungslosig keit, allen Ansprüchen gegenüber als Objektives aufzutre ten, sie als »etwas Neues« in ihrem Sein »in denselben leeren Abgrund zu werfen« (Einleitung). Die Phänomenologie des Geistes als Denken vom Nichts her ist dasjenige Werk Hegels mit dem stärksten autobiogra phischen Unterton. Das ergibt sich in wesentlicher Hin sicht auch aus den Umständen ihrer Entstehung. Sie wurde geschrieben auf dem Höhepunkt der Jenenser Lebenskrise und sogar der allergrößten Lebensgefähr dung durch Armut, drohende Amtslosigkeit, Verlust der Orientierung wegen der Unklarheit über die weitere Zu kunft, der heraufziehenden persönlichen Bedrängnis we gen der zu erwartenden Geburt eines unehelichen Kin des, die alle als Motive am Weggang Hegels von Jena mitgewirkt haben. Das Bild vom ausgeraubten Hegel macht das Elend dieser Monate vollständig. Er hatte für Augenblicke dem Tod ins Auge geschaut. Am 14. Okto ber 1806 kommt es zur Schlacht von Jena und Auerstedt, wo der Krieg sein grausiges Gesicht zeigt. Der Schlachtenlärm dringt in die nahe gelegene Stadt herüber. Als Hegel den Donner der Geschütze hört, war das Manuskript schon fertig. Die Behauptung, daß der Kano nendonner bei der Niederschrift des Werkes zu hören gewesen wäre, kann nur für einige Schlußseiten gelten. Als schließlich die plündernden Soldaten seine »Papiere wie Lotterielose in Unordnung gebracht« hatten (wie es Hegel vier Tage danach an Niethammer schreibt), befand sich das Manuskript längst auf dem Wege nach Bamberg. In der Erstauflage erscheint es unter dem Titel System der Wissenschaft mit allen von Pöggeler neuerdings aufge zeigten editorischen Folgen: In ihr ist die »Phänomenolo gie des Geistes« als »Erster Teil« im Untertitel bezeichnet; die heute gebräuchlich gewordene Unterschlagung des ursprünglichen Haupttitels verkürzt die Angabe über He gels Konzeption nicht unwesentlich. Über den Stufen gang in der Produktion des Buches durch Satz und Druck informiert uns der Arbeitstitel »Erster Teil. Wissenschaft
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und Erfahrung des Bewußtseins«, unter dem einige Ex emplare erschienen sind und der Rückschlüsse auf die originale und später durch Erweiterung der Thematik revidierte Absicht des Verfassers erlaubt; andere Exem plare erhielten den Zwischentitel »I. Wissenschaft' der Phänomenologie des Geistes«, der den Leser der »Phäno menologie« eine Fortsetzung des Werkes erwarten lassen mußte, wie den Freund van Ghert, der den Autor deswe gen anschreibt. Auf einige Stücke waren beide Titel auf gedruckt. Die an den Anfang gerückte Frage der Phänomenologie des Geistes ist wie die von Kant in der Kritik der reinen
Vernunft die Frage nach der Erkenntnis, bei Hegel aber nicht nach deren Grenzen, sondern nach ihrer Art, ihrem Umfang: die Frage nach dem Erkennen »als Werkzeug, wodurch man des Absoluten sich bemächtige«. Die Frage einer Kritik steht also nicht zwangsläufig voran, wäre nicht gesondert oder mit Vorzug zu behandeln, sondern hätte sich der neuen Methode gemäß bei ihrer Anwendung »auf dem Wege« zu ergeben, unabhängig von der Befrie digung, die für die »kritische Philosophie« daraus ent spränge. Hindernisse, die sich dem entgegenstellen, sind in der Einleitung angeführt, begonnen mit der »Besorg nis«, daß »es verschiedene Arten der Erkenntnis« gibt, »Wolken des Irrtums« sich einstellen »statt des Himmels der Wahrheit«. Der Weg zum Absoluten muß für das Erkennen strenggenommen »widersinnig« sein, wobei die Brauchbarkeit des Werkzeugs selbst in Rechnung zu stel len ist wie das, was zwischen beiden als Widerstand, als »schlechthin scheidende Grenze« fällt. Fraglich bleibt auch, ob sich Erkenntnis überhaupt als Werkzeug be währt, ob ein solches Mittel bei seiner Anwendung die Sache beläßt, wie sie ist, oder ob es sie verändert. Fällt dem Erkennen wie durch eine Klappe Licht in einem Raum zu, ist es bloß aufnehmendes Medium, durch und durch untätig und in Erwartung, daß es von der Wahrheit be strahlt wird? Was not tut, ist, die »Wirkungsweise des Werkzeugs« kennenzulernen, den Anteil, der seiner Tä tigkeit zukommt, am Ende vom Resultat abzuziehen, »um
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so das Wahre rein zu erhalten«. Die Annäherung erfolgt nicht durch die »List«, mit der das Absolute »wie etwa durch die Leimrute der Vogel« unverändert, vorgestellt wird. Das Erkennen, nach seinem Vermögen befragt, ist »nicht das Brechen des Strahls, sondern der Strahl selbst, wodurch die Wahrheit uns berührt«. Mißtrauen in dieses Verfahren zu setzen (etwa im Sinne der »kritischen Phi losophie«) führt nicht weiter, denn es ist nicht einzusehen, »warum nicht umgekehrt ein Mißtrauen in dies Mißtrauen gesetzt« werden sollte, weil die Furcht zu irren selber schon Irrtum sein kann. Festzuhalten ist am »Unterschied unse rer selbst von diesem Erkennen« und ebenso: »Daß das Absolute auf einer Seite stehe, und das Erkennen auf der anderen für sich und getrennt von dem Absoluten« als eine Konsequenz des vorausgesetzten Satzes, »daß das Absolute allein wahr, oder das Wahre allein absolut ist«: mit dem von N. Hartmann gezogenem Resümee: » In dem großzügigen Gedanken von den Kategorien des Absoluten liegt der Kernpunkt der Hegelschen Philosophie.« Vom Absoluten ist zu vermerken, »daß es wesentlich Resultat, daß es erst am Ende das ist, was es in Wahrheit ist«; darin besteht seine Natur, sein »Sichselbstwerden zu sein« entsprechend dem Embryo, der wohl Mensch »an sich« aber noch nicht »für sich« ist. »Gott« für das Ewige, die moralische Weltordnung oder, wie die alte Philosophie es tat, für das Sein zu setzen, heißt einen »sinnlosen Laut«, einen bloßen Namen zu gebrauchen, bedeutet dem Bedürfnis nachzugeben, aus dem Absoluten ein Subjekt zu machen. Ohne daß gesagt wäre, was es eigentlich sei. Dem Hegel schen Sprachgebrauch zufolge ist damit noch nicht die »Bewegung des Sichinsichselbstreflektiertseins« dargestellt. Was das Wesen des zum Subjekt gemachten »Gott« ist, besagt erst das Prädikat. Womit der Übergang der alten auf dem Sein beruhenden Philosophie in die »Gotteskatego rie« der Theologen mit der Unsicherheit, die sie birgt, von Hegel vor Augen geführt wird. Der Versuch einer Interpretation läßt uns sehr bald auflaufen wie ein Schiff auf felsiger Klippe. Ein Verstehen kann immer nur schubweise erfolgen und wird schnell
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wieder abgerissen durch rational unzugängliche Partien. Aber es gibt Hilfsmittel. In seinen Jenenser Vorlesungen hatte Hegel die von Kant entthronte Metaphysik durch die »Hintertür« als »gleichwertige Schwester der Logik« wieder rehabilitiert. Es gab bereits Momente der Zusam menführung. In der Phänomenologie wird schon mit der unglaublichen Gleichung gerechnet, die später in der Wissenschaft der Logik auftaucht, sie von Grund auf konsti tuiert: Logik = Metaphysik. Kant hätten sich unter der Perücke die Haare sträuben müssen, hätte er sie noch zu Gesicht bekommen. Das sollte ihm, der drei Jahre vor Erscheinen des Werkes gestorben war, erspart bleiben. Die Phänomenologie stellt die Bewegung auf dem Wege zur abstrusen Einsicht von der Identität des Identischen mit dem Nichtidentischen dar, die sich als Logik versteht. Das ist schon in Hegels Setzung »Logik oder spekulative Phi losophie« angelegt. »Das Schöne, Heilige, Ewige, die Reli gion und Liebe sind der Köder, der gefordert wird, um die Lust zum Anbeißen zu erwecken ...«, war eine Spra che, die neuartig klang. Dieser Bruch mit Kant als Begründung eines neuen Systems hätte zum Mißlingen führen müssen, wenn sie nicht die Möglichkeit ausgeschöpft hätte, das Unsichere metaphysischen Spekulierens auszugleichen, d.h. hier, wenn sie nicht von Hegel stammen würde. An diesem Bruch hat ebenso die durch die Französische Revolution und den Aufstieg Napoleons herbeigeführte Zeitenwende mitgewirkt: »Es ist übrigens nicht schwer zu sehen, daß unsere Zeit eine Zeit der Geburt und des Übergangs zu einer neuen Periode ist. Der Geist hat mit der bisherigen Welt seines Daseins und Vorstellens gebro chen und steht im Begriffe, es in die Vergangenheit zu versenken, und in der Arbeit seiner Umgestaltung.« Die vorwärtsrückende Welt vernichtet die ihr vorausgegan gene, so wie eine »siegende Fraktion« sich der »Regie rung« bemächtigt, selbst »Regierung« wird, was sie umge kehrt wieder als »Fraktion« schuldig macht und sie selbst dem »Untergang« zutreiben läßt, dem zu widerstehen keine Kraft stark genug ist.
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Die Phänomenologie des Geistes ist ein »faustisches Buch«. Sie war in der Umgebung Goethes herangereift mit der Frage nach dem, »was die Welt im Innersten zusammen hält«. Die Welt mit Mensch, Geist, Leben und Tod, Frei heit, Streben und Untergehn, Arbeit, Herr und Knecht, Herkunft, Selbstbewußtsein, Entäußerung, Religion, Kunst: das alles unter die Ordnung eines »Systems der Wissenschaft« gestellt. Hier war nichts, was das damals erst in seinen Anfängen steckende Jahrhundert würde aussparen können. Es ist heute, im Zeitalter der Elektronik, der Atomener gie, nicht mehr ohne weiteres möglich, an den Horizont eines solchen Denkens heranzugelangen. Unsere Hori zonte sind für ein Wissen und Können anderer Art geeig net, sind maschineller ausgerichtet, sie haben nicht mehr die Kraft der alten Mythologien für sich und wenn, dann nur noch in äußerster Verdünnung. Unsere Begriffe von heutzutage, wo sie sich an die Hegelschen anhängen oder anklammern wollen, greifen leicht daneben, sie rutschen wie eine Hand aus den Fugen einer Mauer, sie verlieren den Halt. Die Adaption der Hegelschen Begriffssprache kann nicht vollständig gelingen, sie gelang übrigens schon nach seinem Tode den Hegelschülern nicht mehr. Sich in ihr zu versuchen war Ursache für fortwährende Zerwürf nisse. »Nur das Wahre ist das Ganze« klingt wie das Motto der Schrift und zeigt den Willen zur Totalität, der auch der Grund dafür ist, warum Hegel das Bündnis von Logik und Metaphysik vorbereitet hatte: um sie in der Folge ineinander übergehen zu lassen. Denn ein Totalitätsden ken, Denken mit dem Ziel, eine alles einschließende Ganz heit herzustellen, um - wenigstens theoretisch — darüber zu verfügen, ist nur mit Hilfe der Metaphysik möglich. Darum steht auch bei Hegel die Rcligionsphilosophie am Anfang, sie lieferte die Hauptthemen seiner Jugend schriften — ganz im Gegensatz zu Kant, der von der mathematisch-physikalischen Naturlehre ausgegangen war. Die Religionen und die ihnen vorausgehenden My thologien, auf die sie sich später gründen und die sie
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immer und immerfort weiterbilden, sind für die Metaphy sik blühende Gärten. In ihnen erscheint da, wo sie sich noch im Zustande voller Kraft finden, »das Dasein in seinem Begriffe«. In ihnen findet, solange die Welt im Fortschreiten ihrer Bewegung noch nicht darüber hin weggegangen ist, die Philosophie ihren eigentlichen Ge genstand: »nicht das Abstrakte oder Unwirkliche ..., son dern das Wirkliche, Sichselbstsetzendc und Insichle bende«. Eine Phänomenologie im Hcgelschen Verständnis hat immer die Metaphysik im Hintergrund und zugleich in sich. Sie erschöpft sich nicht wie die Ästhetik im sinnlich wahrnehmbaren Bereich oder leitet von den Erscheinun gen als solchen ab. Eine solche Phänomenologie hat es mit Feuersbrünsten innerhalb der Weltkugel, mit Explosio nen und Erosionen zu tun, die im Erdreich stattfinden, wo kein menschliches Auge hindringt, aber die Erdkruste aufbrechen, unbezähmbare Kräfte ahnen lassen und au ßerhalb des physikalisch Meßbaren liegen. Metaphysik geht bei Hegel in der »Totalität« unter. Die Hegelsche »Totalität« wiederum gehört zum letzten Großsystem der Metaphysik, das die Geschichte kennt, und zählt zu den grandiosesten, die das menschliche Ge hirn ersonnen hat. Aber das gerät in der Phänomenologie des Geistes erst in
Bewegung. Man müßte schon eine gewaltige Phantasie mitbringen, wollte man in der Phänomenologie des Geistes ein nach einem genauen Bauplan ausgeführtes Werk sehen. Das Werk hat eine Einleitung, der Hegel nachträglich noch eine Vorrede beigibt. Ein System wohl, aber in durch und durch unsystematischem Vortrag! »Der Geist ist nie in Ruhe, sondern in immer fortschreitender Bewegung be griffen« bewahrheitet sich hier am Hauptthema des gan zen Buches unter dem Titel »das werdende Wissen« nach der in der Vorrede enthaltenen unerhörten Setzung: »Das Absolute ist Subjekt«. Wie Odysseus bei Homer oder auch wie Goethes Faust hat sich der Geist auf die »Entdek kungsreise« in das große »Abenteuer des Seins« begeben,
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wie Jean Hyppolite es auf die Phänomenologie bezogen nannte. Ein solches Erkennen hat freilich alle Gründe, mit An spruch aufzutreten. Es gehört nicht zum »gemeinen Weg«, den man im »Hausrocke« machen kann, sondern zu einer »Wissenschaft« anderer Art: »im hohenpriesterli chen Gewände schreitet das Hochgefühl des Ewigen, Hei ligen, Unendlichen e i n h e r . . . « , bedeutet also Teil eines höher gestaffelten Wissens, des höchsten, nämlich der Philosophie, deren eigentlicher Gegenstand der Geist als »absolute Freiheit« ist. Warum? Die »ungeteilte Substanz der absoluten Freiheit erhebt sich auf den Thron der Welt, ohne daß irgend eine Macht ihr Widerstand zu leisten vermöchte«. Hier ist der Philosophie bereits ein Rang zuerkannt, der den der Religion weit überragt, und zwar in jenem großen Hegclschen Gedanken mit weitausgreifender Wirkung im gerade begonnenen 19. Jahrhundert: daß der Verlust der Religion durch die Philosophie ersetzt werden muß. Das unterbaut die Position, die Hegel zur Religion einnimmt, in der, wo sie sich von ihrer eigenen Bestim mung entfernt, die »Entäußerung« einsetzt, die den sich selbst findenden Geist desavouiert. Die auch in die Welt der bürgerlichen Beziehungen einbricht und jedem an ihr Beteiligten die Fremdheit zum anderen beschert. Karl Marx hat später in den Ökonomisch-philosophischen Manu
skripten seine Vorstellung vom »Wesen der Arbeit« aus der Phänomenologie heraus entwickelt, wo Hegel »die Selbster zeugung des Menschen als einen Prozeß faßt« und »den gegenständlichen Menschen, wahren, weil wirklichen Menschen, als Resultat seiner eigenen Arbeit begreift«. Eine Menschwerdung durch Arbeit, allerdings ohne den Blick auf die negative Seite der Arbeit innerhalb der kapitalistischen Produktion! Das war über die Grenzen der bürgerlichen Gesellschaft hinausgedacht, für die He gels Vorstellung von Herr und Knecht in der Phänomeno logie die sie erklärende Theorie entwickelt hatte. Mit »Aufklärung« indessen hat das alles nichts mehr zu tun. Die »Aufklärung«, die in Kant auf ihren Höhepunkt
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geführt worden war, wird von Hegel so gesehen wie der Stoizismus und Skeptizismus, die dem Übergang »des Gei stes« vom Griechentum zum Römertum angehören, also sich nicht mehr auf der ganzen Höhe ihrer Welt befinden. In der »Aufklärung« ist bereits »der sich entfremdete Geist« am Werk, der sich zwar vorderhand große Ver dienste, etwa im Kampf gegen den Aberglauben, erwor ben hat, deren Schwäche aber darin liegt, daß sie »eben so wenig über sich selbst aufgeklärt« ist, sich im eigenen Negativen nicht erkennt. Hegelisch ausgedrückt: »Die Aufklärung isoliert ihrer Seits eben so die Wirklichkeit als ein vom Geiste verlassenes Wesen ...« Der Satz spricht für Hegel und spricht für sich in jenem Sinne, den Marx beim Namen nennt, wenn er in der Phänomenologie die »Geburtsstätte und das Geheimnis der Hegelschen Philosophie« sieht. Das heißt auch: das Buch läßt sich dieses »Geheimnis« durch keinen noch so schar fen Verstand ablisten. Mit diesem Eingeständnis steht Marx in der Nähe vieler anderer, so Goethes, der dieses noch in seiner Ägide als weimarischer Minister und He gels Vorgesetzter verfaßte Werk nie verstanden hat und dies eingesteht. Die Phänomenologie des Geistes als erstes die Anfänge der Dialektik schon zusammenfassendes Werk enthält bereits das ganze künftige Programm der Hegelschen Philoso phie, und zwar noch ohne die später auftretenden Wider sprüche zwischen System und Methode. Das hatte be stimmte Gründe. Das Hegelsche System war an die philo sophiegeschichtliche Situation, wie sie sich insbesondere durch Kant, Fichte und Schelling darstellt, gebunden und dem Prozeß ausgesetzt, der es überholbar machte. Nicht die Methode als Methode der Dialektik! Zu ihr gehört die Kargheit in den Mitteln. Alles ist auf den Geist und seine Bewegungen zurückgeworfen, wo der Geist nichts hat als sich selber und damit in das letzte Stadium des Idealismus eintritt: » I n Hegels Begriff der Phänomenologie des Gei stes ist der Geist nicht Objekt einer Phänomenologie sondern die Art und Weise, wie der Geist selbst ist« (Heidegger). Im dialektischen Denken als Denken
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schlechthin kommt der Geist zu sich selbst, der dadurch in den Stand gesetzt wird, den Bauplan Gottes und sein Wirken in Zeit und Ewigkeit zu erkunden: »Der Geist ist hiermit das sich selbsttragende absolute reale Wesen.« Aber es gilt schon hier: Dialektik ist nie die Sache des »weltgeschichtlichen Individuums«. Napoleon, der vom Hegel der Phänomenologie so hoch Bewunderte, ist kein Dialektiker; dialektische Einsicht scheint eher den Willen zur Tat zu schwächen. Aber der Täter unterliegt sehr wohl, wie sich noch herausstellen sollte, dem Gesetz der Dialektik in der Geschichte, wenn er nach dem Sieg bei Jena, den Hegel als von napoleonischen Soldaten geplün derter armer Gelehrter erlebt und sogar begrüßt hatte, über den unwiderstehlichen Aufstieg in die Niederlage und schließlich den militärischen und politischen Unter gang getrieben wird. Hier war unmittelbar der »Welt geist« am Werk, der »die Geduld gehabt, ... die unge heure Arbeit der Weltgeschichte . . . zu übernehmen«. Es ist darin nichts dem Zufall überlassen. Wenn die Stunde gekommen ist, dann zieht er unaufhaltsam seine Bahn, dann ist er der Wegbereiter der Weltgeschichte: wie Na poleon, nach Goethe der »Weltgeist zu Pferde« oder auch die »Weltseele«, wie Hegel ihn nennen wird! Es bricht hier gleich wieder die autobiographische Seite in ihrer Berüh rung mit der Französischen Revolution und der Sympa thie für das Napoleonische Kaisertum durch, wenn es in der Vorrede heißt: »Der Geist hat mit der bisherigen Welt seines Daseins und Vorstellens gebrochen, und steht im Begriffe, es in die Vergangenheit hinab zu versenken.« Auf Heidegger gestützt läßt sich die Phänomenologie des Geistes als Hegels Wissenschaftslehre verstehen. Darin lag auch die bewußt im Überholen angestrebte Kontinuität zur Fichteschen Philosophie. Das heißt hier: Eine von der »Wissenschaft« losgelöste Philosophie kann es nicht ge ben. »Die wahre Gestalt, in welcher die Wahrheit existiert, kann allein das wissenschaftliche System derselben sein. Daran mitzuarbeiten, daß die Philosophie der Form der Wissenschaft näher komme, ... ist es, was ich mir vorge setzt.« In eine von den Wissenschaften losgelöste Philoso
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phie wie in die von der Philosophie losgelösten Wissen schaften etwa durch ihre Spezialisierung wäre nach He gelschem Verständnis die »Entfremdung« eingezogen. »Das Ziel ist die Einsicht des Geistes in das, was Wissen ist.« Das wäre bei einer Abspaltung des einen vorn andern unmittelbar betroffen, würde auf Kosten der »Totalität« gehen: »Denn die Methode ist nichts anderes als der Bau des Ganzen in seiner reinen Wesenheit aufgestellt.« Me thode hier als die dialektische, als die dem Denken origi när anhaftende Methode verstanden! So verrät es uns Hegel in der Vorrede. Allein in dieser Bekanntmachung wie in der Ausschließ lichkeit des Bekanntgemachten lag eine der großen Kühn heiten des gerade angebrochenen Jahrhunderts. Davon wird noch viel zu hören sein. Aber sie bringt noch eine zweite Kühnheit, die der ersten die Waage hält und an der sich die »Hegelianer« wie auch ihre Gegner die Zähne ausbeißen werden, nämlich Hegels Empfehlung, »den Namen: Gott, zu vermeiden, weil dies Wort nicht unmit telbar zugleich Begriff, sondern der eigentliche Name, die feste Ruhe des zum Gründe liegenden Subjekts ist; da hingegen z. B. das Sein, oder das Eine, die Einzelheit, das Subjekt, selbst auch unmittelbar Begriffe andeuten«. Es war dies die Empfehlung des ehemaligen Tübinger Theo logen, mit der Sprache eine Enthaltsamkeit zu üben, die den eigentliche Person oder Geist gewordenen Gegen stand des theologischen Fragens nicht mehr nach alter Herkunft benennt, sondern zum Neutrum des Begriffs macht, ihn in eine unpersönliche Absolutheit hineinrückt. Das war nichts weniger als die Quadratur des Zirkels, wo sich Theologie in Antitheologie verwandelt und doch eine verkappte Form der Theologie bleibt. Hier ist eine Rich tung eingeschlagen, die den später an Hegel sich reiben den und entzündenden Geistern den Atem verschlagen wird, sie auseinander und gegeneinander treibt. Man darf nicht nur an die hcgelschen Schulen denken, etwa an Bruno Bauer, der Hegel für den Atheismus mit Beschlag belegen wird, an Marx und Engels als die Anhänger der »Methode« mit der am weitesten reichenden Wirkung,
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sondern auch an Schopenhauer, den mißgünstigsten Le ser Hegels, der in ihm den eifrigen Anwalt des jüdisch christlichen Monotheismus, nur auf den neuesten philo sophischen Stand gebracht, sieht. Die Methode, zur Vereinbarkeit des Nichtzuvereinba renden zu gelangen, war in der Vorrede zur Phänomenolo gie als dem ersten grandiosen Entwurf al fresco ausge führt. Übrigens nicht ohne kräftige Beispiele für die sprachliche Roheit in der Ausführung! Ein erstes Ausle gen der Fäden, ein Verflechten als Vorbereitung für ein Verwirrspiel! Insoweit ist die Phänomenologir immer noch erst Ankündigung für die Inbetriebsetzung der Dialektik mit dem Eindruck, eine »Höllenmaschine« zu sein. Sah Adorno in der Französischen Revolution und Napoleon sozusagen als plötzlich einschlagende Blitze die »Dialek tik« des Buchs, so läßt sich beinahe das gleiche von der fast unvermutet eingeführten »Schädellehre« Galls und Lava ters Physiognomik sagen. Die Schwierigkeiten beim Verständnis der Phänomenolo gie ergeben sich auch daraus, daß hier historische und systematisch-abstrakte Denkweise zusammengehen nach der vorausgesetzten Einsicht, wonach der jeweils erreichte theoretische Entwicklungsstand innerhalb der Mcnsch heitsgeschichte mit dem historischen Entwicklungsstand zusammengedacht werden muß unter Einschluß der Er kenntnis, daß Geschichte jeweils vom Stadium der Natur geschichte zu verstehen ist (Lukács). Dieses beständige Ineinanderübergehen verschiedenartiger Betrachtungs weisen, das Verknüpfen von aus der Abstraktion herge holten Kategorien mit den geschichtlichen Erscheinun gen wie Religion, Kunst, Wissenschaft, Philosophie usw., wirkt an der für die Ausdeutung so oft verhängnisvoll gewordenen Verwickeltheit gerade dieses Werks mit. Friedrich Engels hat in seiner Schrift über Feuerbach in der Phänomenologie eine »Parallele der Embryologie und der Paläontologie des Geistes« gesehen, »eine Entwick lung des individuellen Bewußtseins durch seine verschie denen Stufen, gefaßt als abgekürzte Reproduktion der Stufen, die das Bewußtsein der Menschen geschichtlich
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durchmacht«. Das spielt auf die von Hegel dargestellte Zusammengehörigkeit von Geist und Natur, von Weltge schichte, die im Nacheinander der Zeit abläuft, und Na turgeschichte als schon vorweg geleistete und weiter zu leistende Arbeit an. Der Eindruck des Unfaßbaren bleibt immer der vorherrschende, er hat bei Rudolf Haym frei lich ganz die negativen Züge seiner Hegel-Kritik ange nommen, wenn er die Phänomenologie eine durch die »Ge schichte in Verwirrung und Unordnung gebrachte Psy chologie und eine durch die Psychologie in Zerrüttung gebrachte Geschichte« nannte. Mit dem »Selbstbewußtsein« war nach Descartes' und Fichtes Vorarbeit eine ganz neue konstituierende Größe mit allen Wagnissen in die Philosophie eingeführt wor den. Hegel stellt es dementsprechend als »neue Gestalt des Wissens« vor, »das Wissen von sich selbst« im Verhält nis zu dem Vorhergehenden, dem Wissen von einem Andern. Ein solches Wissen ist im »Selbstbewußtsein« untergegangen, »verschwunden«, aber »seine Momente haben sich zugleich ebenso aufbewahrt, und der Verlust besteht darin, daß sie hier vorhanden sind, wie sie an sich sind«. »Selbstbewußtsein« ist »wesentlich die Rückkehr aus dem Anderssein«, es braucht im Sinne von Fichtes Ich = Nicht-Ich-Gegensatz den Andern, um »zur Wahr heit der Gewißheit seiner selbst« zu gelangen. Hier war zugleich das Zusammenfallen mit einer sich zur »Wahr heit« hinbewegenden »Gewißheit« erfolgt. Die »Gewiß heit« an sich ist nach Hegel beschränkt. Sie »sagt von dem, was sie weiß, nur das eine aus, daß es ist«. Die »Wahrheit« der »Gewißheit« enthält nichts anderes als »das Sein der Sache«. Die Sache ist, weil sie ist. Das »Bewußtsein« bringt von seiner Seite als »Gewißheit« nur das reine Ich mit, um die Subjekt-Objekt-Beziehung zu eröffnen: »Ich« als »rei ner Dieser« und der Gegenstand als »reines Dieses« nach der Phänomenologie des Geistes: »Ich habe die Gewißheit
durch so in Ich.« punkt
ein Anderes, nämlich die Sache; und diese ist eben der Gewißheit durch ein Anderes, nämlich durch So wird im »Selbstbewußtsein« der Vereinigungs von Subjekt und Objekt, von Gewißheit und Wahr
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heit erreicht, wo das Bewußtsein »sich selbst das Wahre« ist, hier als Exposition vorangestellt mit dem Blick für das Fortschreiten des Geistes, den in Bewegung befindlichen Begriff, die im Unterschied zur Konzeption Fichtes »das Selbstbewußtsein jedoch als Selbstwerden« erscheinen läßt (Pöggeler). Die Folgerung, daß das Subjekt in seinen Erscheinungs formen mit den Erscheinungsformen des Objekts zusam menfällt, war von Fichte als dem Vater der Identitätsphi losophie nicht gezogen worden. Die »Erscheinung« ge hört nach Hegel dem Objekt der Sache selber an, und es ist von ihr auch wieder zu unterscheiden. Das Objekt wird vom Subjekt in seiner »Erscheinung« erfahren, die aber noch nichts über die »Wahrheit« sagt, denn die »Erschei nung« kann auch Irrtümer und Täuschungen enthalten. Das Individuum als Subjekt oder besser gesagt: die menschliche Individualität mit ihrem Gipfelpunkt in der »bürgerlichen Gesellschaft«, der sich Hegel in der Enzyklo pädie und der Rechtsphilosophie mit besonderer Konzen tration zuwenden wird, hat ein langes Heranreifen hinter sich. Mit der Weiterentwicklung des individuellen Be wußtseins ist an einen Gegensatz von subjektivem Ich und objektiver Wirklichkeit herangeführt, in dem die Dialek tik des Verkehrens den tragischen Zusammenstoß ein schließt. Der Gedanke der »Entäußerung« angesichts der von der menschlichen Gattung geleisteten Arbeit kann erst langsam aus dem Dämmerlicht ins Bewußtsein treten, ohne daß er darum schon Erkenntnis geworden wäre. Am berühmt gewordenen Herr-Knecht-Verhältnis der Phänomenologie hat Hegel das im Dunkel liegende dialekti sche Wesen der Arbeit ans Licht gebracht. Die Überlegen heit, die der Herr sich gegenüber dem Knecht durch das eingegangene Wagnis »im Kampfe«, wie Hegel sagt, ver schafft hat, hält den Knecht in Abhängigkeit, die notwen dig ist, um die Arbeit für den Herrn zu leisten. Die Arbeit ist dem Knecht überlassen, der Gewinn, der aus der Arbeit kommt, fällt dem Herrn zu. Aber weil in diesem Akt, wo Arbeit und ihr Gewinn, Arbeiter und Genießender, sich voneinander trennen, zwischen dem Herrn und seinem
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Knecht sich das »Ding« in seiner Selbständigkeit befindet, »schließt sich der Herr dadurch nur mit der Unselbstän digkeit des Dinges zusammen«; »die Seite der Selbständig keit aber überläßt er dem Knechte, der es bearbeitet«. Das Selbstbewußtsein des Herrn, der im Knecht das Mittel zur Arbeit und zu seinem Ertrag sieht, hat hier seinen Höhe punkt erreicht. Mit der Arbeit am physischen Objekt aber erreicht das Bewußtsein des Knechts eine Selbständigkeit, mit der der Wechsel in seinem Verhältnis zum Herrn eingeleitet wird, allein aus der im dialektischen Akt dieses Verhältnisses angelegten Gegenläufigkeit heraus. Das Verhältnis kehrt sich um. Der Knecht wird Herr, der Herr wird Knecht. Der Herr, der seinem Knecht die Arbeit abnötigt, hat sich durch die Arbeit, die er braucht, in die Abhängigkeit des Knechts begeben. Der Knecht, der aus Not oder Furcht oder beidem sich die Arbeit angelegen sein lassen muß, erhält durch die Beherrschung der Ar beit Macht über den Herrn und gelangt als Arbeitender zu einem Selbstbewußtsein, das ihm der Herr von seinem Wesen als Herr aus nicht zuerkennt. Der im Arbeitsverhältnis steckende »Betrug« wird durch diese Umkehrung als »aktive Negation des Gegebe nen, ... die jedem blutigen Kampf und jeder sogenannten physischen Arbeit zugrunde liegt« (Kojeve) gesühnt, auch wenn der Betrug wie seine Aufdeckung nicht ans Licht gelangen. Die Verschiebung erfolgt im Verschwiegenen, weil die Transzendenz einen Betrug nicht zuläßt. So wird das Jenseitige, vor dessen Unsicherheit, es zu erkennen, Kant zurückschreckte, bei Hegel ausdrücklich ins Be wußtsein verlegt. Und Hegel weiß: »das Handeln ist eben das Werden des Geistes als Bewußtsein ... dasIndividuum kann daher nicht wissen, was es ist, ehe es sich durch das Tun zur Wirklichkeit gebracht hat.« Der umkehrende Akt, der in der Arbeit als Weg zum Selbstbewußtsein geleistet wird, liegt dabei im Vollbringen, nicht im Voll brachten, in der Tat selbst, nicht im Ertrag oder im Gewinn, möglicherweise im Ruhm, der Folge davon ist. Die Systematik des Geistes in allen seinen Eigenschaf ten, wie Hegel sie am Werke sieht, gelangt phänomenolo
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gisch immer auch in der Geschichte zur Auswirkung. Das ließ sich nach der Vorarbeit der Geschichtsphilosophen Vico und Herder nicht außer Kraft setzen. Bei Herder, insbesondere in seinen Ideen zu einer Philosophie der Geschichte der Menschheit, waren alle Elemente der Hegel schen Geschichtsphilosophie bereits anwesend, ein schließlich ihrer dialektischen Behandlung. Sie kannten auch schon die großen Schnittpunkte der Weltgeschichte, den Untergang der Antike durch die Heraufkunft des Christentums, den aus der römischen Sklavenwirtschaft herauswachsenden Feudalismus als der eigentlichen Be wirtschaftungsgrundlage des katholischen Mittelalters und dem der Religion anhängenden »Priesterbetrug«, wo ihr »Geist« preisgegeben ist, des weiteren die Anfänge des bürgerlichen Zeitalters, der sogenannten »bürgerlichen Gesellschaft«. Was Hegel von Herder unterscheidet, war weniger ein Unterschied in der Perspektive des histori schen Sehens, sondern das Zusammenziehen der Ge schichte auf die außerhalb der geschichtlichen Vorgänge liegenden, von Hegel gesetzten Systematik, wie Hegel überhaupt immer und »nachdrücklich auf dem System als Charakter der Wahrheit« insistiert (Hyppolite). Das ab strakte Herr-Knecht-Verhältnis kennt bei Hegel konkret den von der antiken Leibeigenschaft bis zur bürgerlichen Gesellschaft reichenden Boden, auf dem hier wie dort mit Gewalt zu rechnen ist, wie Hobbes es ausdrücklich be schrieben hat: die »Wolfsgesellschaft«, für die die bürger liche Ökonomie sie nach Adam Smith in sublimierteren Formen des Eigennutzes bereithält. Es waren jedesmal Krisen, die in die Bewußtseinsentwicklung durch den Übergang von der Antike zur christlichen Welt wie auch der Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft hineingear beitet worden sind und die auch die Grundlagen der neuen Zeit haben bilden helfen. Die bürgerliche Gesell schaft beruht dabei nach Hegel auf der Gesellschaftlich keit der Arbeit, d. h. der Arbeit, die der einzelne nicht nur für sich, sondern für alle leistet, an der aber auch die vorausgegangene Arbeit mitwirkt: »Die Arbeit des Indivi duums für seine Bedürfnisse ist ebensosehr eine Befriedi
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gung der Bedürfnisse der Anderen als seiner eigenen, und die Befriedigung der seinigen erreicht es nur durch die Arbeit der Andern.« Das alles gehört mit zur Ausein andersetzung zwischen Individuum und gesellschaftli cher Realität, ist Teil ihrer Dialektik, wobei die Fremdheit zwischen den antagonistischen Kräften darin besteht, daß jede sich dem Gegenspieler nicht immer zu erkennen gibt. Sie lassen sich nicht enträtseln. Diese Sicht der Dinge und ihre Behandlung machen aus Hegel den einzigen Philoso phen »der Periode nach Kant, der im tiefsten Sinne des Wortes originell an die Probleme der Epoche herantritt« (Lukács). Dem Individuum bleibt der Sinn, der in der »Macht der Allgemeinheit« liegt, verborgen, es findet sich mit seinen Bedürfnissen und Zwecken unverstanden und muß es hinnehmen, wenn es bei seinem Versuch, sich dagegen aufzubäumen, von der »abstrakten Notwendig keit« zerschmettert wird. In dieser Kollision ist das schei ternde Individuum Gegenstand der Tragödie geworden, das in seinem Sturz daran erinnert wird, daß es als Indivi duum der bürgerlichen Gesellschaft, ebensowenig wie diese, kein »rohes Naturprodukt«, sondern vorläufiger Abschluß einer langen natur- und gesellschaftsgeschicht lichen Entwicklung ist. Um zum »objektiven Geist« zu gelangen, muß die Indi vidualität zunächst im »subjektiven Geist« befangen sein, weswegen Pöggeler die Phänomenologie als »Teil der Phi losophie des subjektiven Geistes« verstanden wissen möchte; aber erst von der höheren Stufe des objektiven Bewußtseins aus ist es für das individuelle Bewußtsein möglich, sich selbst und den Gang, den die menschliche Entwicklungsgeschichte hinter sich hat, zu begreifen. In der Begegnung mit dem Objektiven erfährt das Subjek tive die »Entäußerung« des individuellen Bewußtseins. Seine »Entäußerung« in der Hingabe an die Arbeit führt das Subjekt zugleich zum Vereinigungspunkt der gesell schaftlichen Interessen, dahin, wo sich die Wege von Subjektivität und Objektivität begegnen und auf ihrem weiteren Entwicklungsgang vereinen. Der Weg, den der »absolute Geist« einschlägt, führt von
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der Religion und Kunst zur Philosophie, es ist der Weg zum »absoluten Wissen«, wo natürlich die Philosophie als höchste Emanation des Geistes die von Religion und Kunst als früheren Stufungen des Geistes geschaffenen Elemente in sich aufgehoben hat, um sie in der allerreinsten Weise zu spiritualisicrcn. Der »absolute Geist« hat alle Gegenständlichkeit abgelegt. Es gibt nichts in ihm, was nicht Geist wäre, also nicht das, was in der Kunst noch materiell, in der Religion noch Gerät wäre. Es wird darin ersichtlich, daß in dieser Vorstellung vom »absoluten Geist« die von Kant über Eichte führende Entwicklung des Idealismus hier ihren Höhepunkt erreicht, d. h. die Preisgabe der Materie vollständig ist. Auch für Hegel selbst ist mit der Aufgipfelung der Taten des »absoluten Geistes« in der Philosophie die Behandlung der vorausgehenden Stationen Religion und Kunst noch nicht abgeschlossen, kann sie nicht abge schlossen sein. Hegel weiß durch die Berührung mit Goe the, daß es Kunst gibt, an die keine Philosophie spekulativ heranreicht, und er wird gerade dieses Wissen dem Ent wurf seiner Ästhetik zugrunde legen, und zwar in der Vorstellung von einer »objektiven Kunst« (Homer, So phokles, Shakespeare). In der Behandlung der Religion als Zwischenstation kommt nicht nur der antagonistische Charakter der Religion zum Vorschein, sondern auch der antagonistische Charakter der Hegeischen Behandlungs weise. Es ist ein Unterschied, ob Religion als »Kunstreli gion« der Antike die Maße bestimmt, an denen die Reli gion gemessen wird, oder ob das aus dem Judentum herauswachsende Christentum mit der rückwirkenden Kraft seiner Heilsgeschichte wie eine Wcltachse in den Mittelpunkt der Welt gestellt wird. Mit der »Entäußerung« ist die Beziehung zwischen Religion und Dialektik zustande gebracht, bei deren Dar stellung die ganze Mehrschneidigkeit des Hegeischen Re ligionsverständnisses zum Ausdruck gelangt. Hegels Ver ständnis der Religion hat wohl den Anfang des Wegs zur Feuerbach sehen Religionskritik gezeigt, aber er selbst ist diesen Weg, der die Religion als aus dem menschlichen
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Bewußtsein hervorgehenden »Seligkeitsegoismus« zeigt, nicht weitergegangen. Er hat vielmehr die jeder Religion eigenen Anfänge in ein mythisches Dunkel zurückverlegt und in ihnen die dialektische Triade vor sich gehen lassen, die in der »Versöhnung des Bewußtseins mit dem Selbst bewußtsein« ihren Anschluß findet. Unmittelbarer Natur zustand — Fall in die Entäußerung — Vereinigung: dieser Stufengang der Dialektik findet in der Religion statt, die Religion ist die historische Sphäre, in der er stattfinden kann, die das »Bewußtsein« schafft, das mit dem »Selbst bewußtsein« zusammenfließt. Aber: »das Bewußtsein ist in der Ordnung, in der uns seine Gestalten vorkamen, teils zu den einzelnen Momenten derselben, teils zu ihrer Vereinigung längst gekommen, ehe auch die Religion ihrem Gegenstande die Gestalt des wirklichen Selbstbe wußtseins gab«. Das rückt die Dialektik in die Nähe von etwas, das am Bild der Religion mitgeschaffen hat; die »Dialektik der Natur«, von der Friedrich Engels später sprechen wird, hat die dialektische Vereinigung im »Be wußtsein« längst stattfinden lassen, bevor die Religion für die Schaffung des wirklichen Selbstbewußtseins wirksam
wurde. Damit hat Hegel, was ihm später vorgehalten werden wird, bei der Fortführung des Gedankens von der »Positi vität der Religion« bereits in der Phänomenologie des Geistes unter Respektierung ihrer formalen Seite vom hier bereits angesteuerten Höhepunkt des Idealismus aus der Reli gion immer auch theoretisch das Grab bereitet. Denn die historische Religion, die in ihrer höchsten, der monothei stischen Form, mit »Himmel und Erde« rechnet, mit der »Schöpfung« die »Anfänge« in Verwahr nimmt, ist mit dem Gedanken, daß sie selbst nur Durchzugsbereich der Dialektik ist, um ihr Selbstverständnis gebracht. Es ist in ihr zwischen einem dialektisch vermittelten und einem gött
lichen Gott (Dieter Sinn) unterschieden. Eine Religion, die nicht mehr am Anfang steht, ist keine Religion mehr, ein Gott, der nicht mehr Schöpfer, sondern dialektische Her vorbringung ist, hat entscheidende Erkennungsmerk male des Einen Gottes verloren und damit alle, er ist nicht
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mehr der, der er sein mußte, um Gott zu sein; zurück bleibt der »Schmerz, der sich das harte Wort ausspricht, daß Gott gestorben ist«.
Kennzeichen von Hegels theoretischer »Aufhebung der christlichen Religion« (Löwith) ist, daß sie auf dem höchsten Entwicklungsstand des objektiven Idealismus zustande kommt, sie hat die Vorstufen des subjektiven Idealismus, der spinozistisch die Auflösung der Person im Geist und das Ende des Gegenstandes, sein Aufheben im »Begriff« kennt, hinter sich liegen. Hegel hat nicht um sonst später vor der Gleichsetzung Spinozismus = Atheis mus gewarnt, sicher auch aus eigener Betroffenheit, weil er wußte, wie sehr der damit verbundene Bannstrahl ihn selbst meinen könnte. Der Pantheismus stellt nach Scho penhauer, der darüber als Anhänger der indischen Erlö sungslehre letztinstanzlich urteilen wird, bloß eine vor nehmere Form des Atheismus dar: Gott wird darin aus der Welt hinauskomplimentiert. Die Zahl der Götter ist ins Unendliche gerückt, so daß es am Ende den Einen Gott nicht mehr gibt. Der Pantheismus muß aber gerade ange sichts der Bedeutung Spinozas für die gesamte deutsche idealistische Bewegung wie für die Weimarer Klassiker bei Hegel immer ernsthaft in Betracht gezogen werden. Wo Gegenstand, Körper, Ding idealistisch im »Geist« versin ken, wird für jeden damit verbundenen theologisch-phi losophischen Ansatz pantheistisches Denken unausweich lich, mit der Folge, daß sich der jüdisch-christliche Gott als Person darin nicht mehr wiederfinden kann. Ein mit An flügen des Pantheismus behaftetes Ghristentum hat sich selbst schon zum Einsturz gebracht. Die »pantheistische Drachensaat« des Hegelianismus möchte später bei sei nem Regierungsantritt König Friedrich Wilhelm IV. aus Berlin und Preußen verbannt sehen. Die Phänomenologie kennt dieses Schwanken Platons zwi schen dem Gott und den Göttern. Mit dem Tode Gottes ist »die sittliche Welt und die Religion derselben in dem kosmischen Bewußtsein versunken ...«. Aber die Trostlo sigkeit ist nicht geringer, wenn »das Vertrauen in die ewigen Gesetze der Götter, wie die Orakel, die das Beson
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dere zu wissen taten, verstummt«. Die Herrlichkeit vor der »Entäußerung« hat aufgehört: »Die Bildsäulen sind nun Leichname, denen die belebende Seele, so wie die Hymne Worte, deren Glauben entflohen ist; die Tische der Götter ohne geistige Speise und Trank, und aus seinen Spielen und Festen kommt dem Bewußtsein nicht die freudige Einheit seiner mit dem Wesen zurück. Den Werken der Muse fehlt die Kraft des Geistes, dem aus der Zermalmung der Götter und Menschen die Gewiß heit seiner selbst hervorging.« Wenn später Michelet von einer aus dem Umgang mit den Göttern hervorge henden Sprache Hegels spricht, dann gehört dazu die Klage über das Ende der Götterwelt als Ende der elysi schen Herrlichkeit. Solche hymnisch getragenen Partien waren für Iljin ein Zeugnis dafür, daß es sich bei Hegel überhaupt nicht mehr um ein gewöhnliches vernünfti ges Denken handelt, sondern um übersinnliches Wesen: »Hegels Philosophie kann nur als .spekulative Theologie verstanden werden«, ist »Pantheismus«, und zwar in der gnostiseh anmutenden Vorstellung der Religion als Er kennen durch »Anschauung Gottes«. »Religion« im Sinne der Phänomenologie als »Selbstbewußtsein des Gei stes« macht es für einen Theologen wie Küng evident: »Hegel tritt für den konkreten Gott ein, und der kon krete Gott ist ein lebendiger Gott.« Nach Hegel ist die Religion »die Daseiende Wirklichkeit des ganzen Gei stes«. Aber der Gewißheit des Seins steht die Gewißheit des Nichts gegenüber, dem lebendigen Gott der tote (Ga raudy). Das macht die Phänomenologie zur Versamm lungssphäre für auf ihren Ausbruch wartenden gegen läufigen Tendenzen der nächsten zweihundert Jahre — eben zum »Geheimnis«. Bei Hegel ist die Verteidigung der Religion, insbeson dere des Christentums, wie er sie in seiner Religionsphi losophie unternimmt, später oft in den Vordergrund gerückt. Verteidigung der christlichen Religion mit phi losophischen Mitteln! Offenbar deswegen, weil die eige nen Mittel ihre Glaubwürdigkeit nicht mehr garantie ren, um sie vor den Einwänden ihrer »Verächter« in
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Schutz zu nehmen. In seinem späteren Berliner Kollegen Schleiermacher wird Hegel dem Verteidiger des Chri stentums begegnen, bei dem die philosophische Apologie der Religion auf die Spitze getrieben ist. Wenn Hegel selbst in die mit Reimarus und Lessing eröffnete Reihe der »Rettungen« des Christentums — und zwar als spekulati ver Philosoph - eintritt, wenn er die Dreifaltigkeit des christlichen Dogmas durch die dialektische Trias philoso phisch beglaubigt, so ist die in der Religion erreichbare Station noch nicht das Ziel, in dem der »Geist« im »absolu ten Geist« zu sich selbst zurückgekehrt ist. Darin liegt ein von Hegel gegen die »Religion«, auch gegen das Christen tum als »absoluter Religion« erhobener Vorbehalt mit Folgerungen, die erst in der nachhegelschen Zeit drohend hervortreten. Eine von der Philosophie gerettete Religion ist in Wahrheit eine zerstörte. Die Rechnungen, die Hegel in der Phänomenologie des Geistes als Anwalt der Religion gegen die Religion auf macht, werden ihm später von ganz verschiedener Seite quittiert werden. Das berühmteste Buch Hegels liest sich recht, wenn man es von den Folgen her liest. So wird Feuerbach als materialistischer Religionskritiker und mit der Witterung des Hegelschülers für die Bewegungen des »Geistes« seinem Lehrer ein Schwanken zwischen theolo gischen und atheistischen Positionen nachsagen. Weiter noch wird Bruno Bauer gehen, der in ihm den Feind des Christentums und Judentums glaubte entlarvt zu haben und in der Posaune des jüngsten Gerichts dafür eine nicht
ungeschickt zusammengestellte Zitatensammlung präsen tierte. Das enthielt zumindest einen kräftigen Kern von Wahrheit insofern, als die günstigen Urteile über Hegel mit den weniger günstigen verwoben waren und es im Grunde, worauf Bauer abhebt, nur die Griechen sind, denen Hegels ungeteilte Liebe gilt. Es ist Friedrich Schle gel, der mit der ihm eigenen geistreichen Dreistigkeit in seinen geschichtlich-politischen Vorlesungen von 1822 bei Hegel etwas noch viel Ärgeres als den Atheismus glaubte entdeckt zu haben, nämlich den »Grundirrtum, daß er den Satan mit dem lieben Gott verwechselt«, wäh
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rend Schelling später den mephistophelischen Geist der Verneinung darin sehen will. Das freilich gehört zu den Ausdeutungen, die auch in andere Richtungen weisen können und die Verlegenheit anzeigen, in die Hegelsches Denken hineinführt. Nichts steht mehr an seinem Platz. »Bildung« hängt mit dem zerrissenen Bewußtsein zwischen den Zeitaltern zusammen. Ihre Sprache ist die der Auflösung. Das weist auf die über Fichtes Verständnis der »Aufklärung« hinausgehende Ambivalenz hin, unter der sie ihm als historische Erschei nung aufgespannt erscheint. Sie steht als »die Macht des Negativen«, die »affirmativ« ist und mit der »reinen Ein sicht« gegen den »Glauben« die innere Dialektik des Gei stes bei der Arbeit zeigt. Wo die »Vernunft« den Kampf gegen das aufnimmt, was sie »Lüge« nennt, spricht sie in der »Lüge« als dem Anderen von sich selbst, vollzieht sie in der Negation der Negation ihre eigene Aufhebung. Denn der »Glaube« ist der »Vernunft« unangemessen, sie kann daher auch gar nicht über ihn sprechen, ohne ihm Unrecht zu tun. Wo sie es dennoch tut, »verdreht« sie »ihn in allen seinen Mo menten«. Sie will nicht wahrhaben, daß sich in »Vernunft« und »Glauben« »zwei gleiche Rechte des Geistes« einan der gegenüberstehen und zeigt sich damit »ebensowenig über sich selbst aufgeklärt«. Es gehört zum eigenen Positionsverständnis Hegels in der Phänomenologie des Geistes, daß harte Schläge nach allen Seiten ausgeteilt werden. Die »Vernunft« wird vor den Ansprüchen des »Glaubens« in Schutz genommen, der »Glaube« vor den Ansprüchen der »Vernunft«. Um 1806 ist die Zeit der Aufklärung abgelaufen, befindet sie sich in ihren Rückzugsgefechten auf absteigender Linie. Ihr Er trag kann freilich nicht ohne weiteres aus der Welt ge schaffen werden und soll es auch gar nicht. Dafür wird gerade Hegel zum Zeugen. Aber alle Ungebrochenheit dieser großen Bewegung ist dahin. Sie wird sich hinfort nur mühsam mit Krücken und Stützen aufrecht halten. Das führt bei Hegel wieder ins Autobiographische zurück. Denn der Fackelträger der Aufklärung mit nachlassen
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dem Licht wird bis tief ins 19. Jahrhundert hinein Paulus, Hegels Landsmann und Kollege in Jena, sein, dem er hier geringe Zukunftsaussichten voraussagt. Der Hauptan schlag trifft Schelling, aber Hegel führt ihn nur getarnt. Er verwischt die Spuren des Angriffs, schießt weit über das Ziel hinaus, so daß Schelling von außen betrachtet sich nicht angesprochen fühlen muß. Wo es heißt: »Wenn der naturphilosophische Formalismus etwa lehrt, der Ver stand sei die Elektrizität oder das Tier sei der Stickstoff«, so »mag hierüber die Unerfahrenheit in ein bewundern des Staunen geraten, darin eine tiefe Genialität vereh ren ...«, dann konnte Schelling jede Verwandtschaft mit dem so bitter Verhöhnten zurückweisen. Hegel nennt die Richtung in ihrer Verzerrung, aber die Verzerrung weist wieder auf die Richtung zurück, von der sie ihren Aus gang genommen hat: auf das Vertrauen in die »Wün schelrute«, die Pendelversuche, den Siderismus und Ma gnetismus, die ins Unorganische hinabreichen, weiter in den Kult der »geahndeten Scelenvcrwandtschaft«, in das Geniewesen. Aber das meint Schelling und seine Na turphilosophie im Original, wo die Grenzen mit dem »Formalismus« als Verzerrung leicht verwischt werden können, und erschließt sich ganz nur aus der autobiogra phischen Vorgeschichte beider bis zum Jahre 1807. Der Lehrling aus der Berner Zeit hat nicht nur gleichgezogen, er führt seinem Meister von ehedem bereits ein entwickel teres philosophisches Instrumentarium in der Anwen dung vor, und das bei aller Bemäntelung für Schelling unmißverständlich. Das Tischtuch alter Gemeinsamkei ten ist — und zwar von Hegels Seite - zerschnitten. Es gab noch einen anderen Gegner, mit dem Hegel vor aller Augen gnadenlos abrechnet: der sogenannte »ge sunde Menschenverstand« als das »natürliche Philoso phieren«, das die »Unschuld des Herzens« und die »Rein heit des Gewissens« herauskehrt, auf Weisheiten »im Ka techismus« und in den »Sprichwörtern des Volks« setzt, in denen »Letzte Wahrheiten« verkündet werden. Und dies zusammen mitder Berufung auf das »Gefühl« als »inwen diges Orakel«! Hier sind schon, bevor Hegel sich mit der
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Schleiermacherschen Religion des Gefühls ausführlich auseinandersetzt, deren Gefahren vorausgesehen. Wer sich auf das Orakel des »Gefühls« beruft, ist »gegen den, der nicht übereinstimmt, fertig; er muß erklären, daß er dem nichts zu sagen habe, der nicht dasselbe in sich finde und fühle; - mit andern Worten, er tritt die Wurzel der Humanität mit Füßen«. Vertrauen auf das »Gefühl« als erste Instanz, die auch die letzte bleibt, ist der Verzicht, »auf die Übereinkunft mit andern zu dringen«. Und: »Das Widermenschliche, das Tierische besteht darin, im Gefühle stehen zu bleiben und nur durch dieses sich mitteilen zu können.« Dem »Gefühl« wird hier vom entschiedensten Gegner des »gesunden Menschenverstandes« nachgesagt, ein schlechter philosophischer Ratgeber zu sein. Damit war natürlich nicht nur wieder Schelling mitgemeint, der sich in der Naturphilosophie von den Gefühlen der »Ahndun gen« tragen ließ, sondern auch Fichtes Subjektivität des Ich, in der sich die Ideologie der Romantik wiederfand, wie Goethes »Gefühl ist alles«, das aus dem Faust einen Wegbereiter romantischen Geistes machte. Hegel erin nert daran: Die Aufklärung, auch wenn sie überwunden ist, kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Die Präferenz des Geistes ist immer das von Hegel a priori Gesetzte, denn: »Das Absolute ist der Geist«, wie es in der Enzyklopädie heißt, es aber schon in der Phänomenolo gie feststeht. Sie gilt für alle Philosophie, Religion, Wissen schaft; »aus diesem Drang allein ist die Weltgeschichte zu begreifen«. Die Phänomenologie des Geistes fragt nach dem Auftreten des Geistes, sie forscht ihrer genauen wörtli chen Bedeutung entsprechend nach seinem Erscheinen und weiß, was Hegel in der »Differenz«-Schrift von 1801 schon gesagt hatte: »Erscheinen und Sich-Entzweien ist Eins«. Das »Selbstbewußtsein«, in dem das »Bewußtsein« durch die »Erfahrung« anders geworden und zu sich selbst gekommen ist, hat den Zustand der »Entzweiung«, wie er mit der »Erscheinung« heraufkommt, schon durchge macht. Die Phänomenologie Hegels hat nichts mit der Herders
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zu tun, der sie mit der Geschichte der Menschheit als Geschichte des Geistes in Religion und Dichtung zusam menfallen läßt. Mit Kants »Phänomen« ist jede Gemein samkeit unterbrochen durch den Charakter der in Hegels Phänomenologie hineingelegten Tätigkeit, wo die »Er scheinung« an der Umwandlung des »Bewußtseins« in »Selbstbewußtsein« durch die »Erfahrung« mitwirkt. »Wissenschaft« vom »absoluten Geist« macht den Geist in seinem Auftreten erkennbar. Was erscheint, ist der Geist. Hegels Werk ist als »Erscheinungsgeschichtc des werden den Wissens« (Bloch) dem Zur-Erscheinung-Gelangen des Geistes zugewandt. Das gehört - äußerlich gesehen - auf die Linie der sprachlich aufgereihten, immer wiederkehrenden Grundmuster, die das »System« ausmachen, ebenso wie »das Wahre ist das Ganze«, das Hegel auch in der Umkeh rung gebraucht und das »Wahre« als »Totalität« faßt, die sich im »absoluten Wissen« findet. Im »absoluten Wissen« ist die höchste Stufe, die der »All-Einheit«, erreicht, haben sich sozusagen die im Altesten Systemprogramm ausgespro chenen Erwartungen erfüllt. Aber das »absolute Wissen« enthielt auch ein neues, sehr säkulares Wissen: daß das Nichts ebenso ist wie das Sein und beides durch ihr Sein eins sind; von Herr und Knecht; vom Gott, der lebt, und vom Gott, der gestorben ist. Die Zukunft wird zeigen: Die Hegelsche »Spekulation« bleibt immer im Spiel, auch wenn man Hegel »überwun den« zu haben glaubt. Und man hat dies öfter geglaubt. Was die Hegelsche Philosophie nicht geleistet hat und was sie nicht leisten konnte - das kündigt sich bereits in der Phänomenologie des Geistes an —, war eine Aufdeckung der Beziehung von »Geist« und »Materie«. Hegel hat wohl verschiedene und sehr widersprüchliche Entwürfe für die Lösung dieser Frage, insbesondere in der Großen Logik, vorgelegt, in denen er die Materie von der Substanzlehre Platons und der aristotelischen Stoff- und Form-Relation her weiterbehandelt, aber sie schließlich im »Begriff« aufund untergehen läßt. Sie ist als »seiendes Ding« nicht anzutreffen, ist (bloßes) »Sein als Allgemeines«. Man kann
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sich sehr wohl die Reserviertheit Goethes gegenüber der Phänomenologie des Geistes vorstellen, wenn ihm mit seinem Vertrauen in das Gegenständliche dieses Herüberziehen der Materie in die Abstraktion des »Begriffs« unverständ lich blieb.
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Zwanzigstes Kapitel
Als Journalist in Bamberg Im März 1807 erschien die Phänomenologie des Geistes, und
in ebendiesem Monat trat Hegel sein neues Amt als Zei tungsredakteur an. War sein Abschied von Jena auch durch äußere Um stände erzwungen, die Schließung der Universität wegen des Krieges, so hat sich Hegel auffallend schnell mit dem Gedanken abgefunden, in Bamberg eine praktische Tä tigkeit auszuüben. Mehr noch: Er entdeckt darin sogleich die Möglichkeit, Neigungen nachzugehen, die in seinem Lehramt zu kurz gekommen waren. Denkt man an die Berner Jahre zurück, wo er im Hause der Familie Steiger neben seiner Funktion als Erzieher mit Aufgaben der Gutsverwaltung betraut worden war und sich als geschickt erwiesen hatte, so erscheint diese frisch erwachte Lust zur Tat nach den Jahren der Reflexion zunächst mit der Geburt eines neuen Menschen einherzugehen. Ja, Hegel sieht darin unmittelbar den Übergang zur Politik. Das war - wie sich bald herausstellen sollte - viel zu hoch gegriffen. Die Bamberger Zeitung, von Gerard Gley, einem Franzosen, der 1791 als Priester sein Land hatte verlassen müssen, gegründet, dann aber in die Hände eines fürstbi schöflichen Kutschers namens Schneiderbanger geraten, unterlag natürlich der Zensur nach der im obrigkeitsgläu bigen Deutschland unangefochtenen Regel: Zeitungen seien als solche unnütz, aber wenn es sie nun einmal gibt, hätten sie sich der Kontrolle zu unterwerfen. Hegel ver dankte den Eintritt in die Zeitung neu hinzugekommenen Umständen, über die Wilhelm Raymund Beyer sehr ge nau berichtet hat: Der Emigre Gley, der eigentliche Grün der, war nach dem Verkauf an Schneiderbanger einige Jahre später wieder in die Zeitung eingetreten; er befand sich nun, als die Franzosen nach Bayern kamen, auf der richtigen politischen Seite und schloß sich dem, napoleo nischen Truppen an. Damit war die Stelle eines Chefre dakteurs freigeworden. Es gab zwar ein interimistisches
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Versehen der Funktionen durch Professor Deuber, einem philosophisch-theologisch-kameralistisch ausgebildeten Gelehrten, der aber in den Augen Schneiderbangers sein Amt offenbar mehr schlecht als recht verwaltete, jeden falls ausschied. In seiner Not hatte sich Schneiderbanger an Niethammer gewandt, der jedoch die Nachfolge für sich selbst ablehnte und auf Hegel verwies. Als Hegel sich im März 1807 in die Bamberger Redak tionsstube begab, um das »Zeitungsgeschäft« zu beginnen, nahm er damit eine Tätigkeit auf, die zu jener Zeit ohne große Vorkenntnisse des Metiers zu bewältigen war. Zum Journalisten gehörte neben einem gesunden Menschen verstand der Hang zur Kritik und das Bewußtsein des Besserwissens. Um das aufzubringen, brauchte man nicht Hegel zu sein, der dafür von allem mehr als genug aufzu weisen hatte. Die technische Seite des Zeitungsmachens stellte darüber hinaus neben dem anfallenden Zusam menstellen der Nachrichten, die dem Pariser Moniteur als Hauptquelle entnommen wurden, keinerlei höhere An forderungen an den Zeitungsmann, Deuber freilich scheint die Redaktionsgeschäfte in einem verwahrlosten Zustande abgegeben zu haben. Hier war Hegel offenbar auf sich allein angewiesen. Niethammer, der ihm dabei hätte helfen können, war bereits kurz zuvor nach Mün chen berufen worden, um dort die protestantischen Be lange im bayerischen Schulwesen nach der Gebietserwei terung durch die nichtkatholischen Landesteile zu vertre ten. Dein Blatt, das täglich erschien, fehlte übrigens jede äußere Ansehnlichkeit. Es war auf Löschpapier in Quart format gedruckt, bestand aus zwei Blättern oder acht Spalten, von denen die letzte (und zuweilen auch die vorletzte) die Lokalnachrichten in Kleindruck enthielt. Ein Impressum, das Angaben über Verlag und Redaktion enthielt, sucht man vergeblich. Rundheraus gesagt, es handelte sich um ein Blatt der Nachrichtenpresse in sehr bescheidener Form. Das machte auch einen Leitartikel überflüssig. Wer darum in Hegel den Verfasser solcher Leitartikel vermutet, kommt
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nicht auf seine Kosten. Zu seiner Aufgabe gehörte es, die Nachrichten in einer für die Zensurbehörde annehmba ren Form zusammenzustellen und zu redigieren. Das allein erforderte Geschick und eine Neigung zur Vorsicht, über die Hegel in ausreichendem Maße verfügte. Um die gewünschte napoleonfreundliche Linie zu erhalten, brauchte er sich keinen Zwang anzutun. Und daß der Staat, hier der bayerische, nicht in das Kreuzfeuer der Pressekritik geraten durfte, verstand sich für den Beam tensohn Hegel von selbst. Er zweifelte nicht im geringsten daran, daß die Presse eine im Dienst des Staats stehende Institution ist und zu sein hat. Allerdings mußte es ihn unbefriedigt lassen, daß er als verantwortlicher Redakteur des Blattes so in die Anonymität gedrängt wurde. Damit befand sich Hegel als Journalist eines bloßen Nachrichtenorgans in einem Dilemma. Er kann sich mit dem bloßen Abdruck von Nachrichten nicht zufriedenge ben, allein schon deswegen, weil die der Presse abgefor derte Funktion, für den Staat zu wirken, hier unberück sichtigt bleibt. Darum zielt Hegel darauf ab, die Redak tionsgeschäfte für eine »Meinungs-Zeitung« nutzbar zu machen. »Meinungs-Zeitung« wofür? Natürlich für den Dienst am Staat, mit dem sich der Bamberger Redakteur abzustimmen hätte, um ihm gegenüber seine Pflicht und Schuldigkeit zu tun bei gleichzeitigem Tribut an die Ob jektivität, die der »Nachricht an sich« innewohnt. Mit diesen Vorstellungen ist Hegel bereits von Jena nach Bamberg gekommen, wie sein Schreiben an Niet hammer vom 20. Februar 1807 zeigt: »Welcher Ton und Charakter in die Zeitung gebracht werden könne, dies ist an Ort und Stelle zu sehen. Man kann unsere Zeitungen meist alle für schlechter ansehen als die französischen, und es würde interessant sein, eine Zeitung der Art der letzteren zu nähern, ohne jedoch das, was der Deutsche vornehmlich verlangt, eine Art von Pedanterie und Un parteilichkeit der Nachricht aufzugeben.« Daraus spricht nichts anderes - hier auf die Tagespraxis des Zeitungs manns angewandt — als der echt Hegelsche Gedanke einer fortschreitenden Verbindung zweier entgegengesetzter
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Typen und ihr Übergang zu einem neuen und höheren Typus, bei dem freilich die Nachricht auch Meinung und die Meinung auch Nachricht sein kann, also das Dilemma nur auf eine höhere Stufe verlagert wird. Hegel hat, wie gesagt, seine Bamberger Redaktionstä tigkeit als »Staatsdienst« verstanden, um den er sich durch die Umstände in Jena gebracht sah, in den er aber, und zwar um jeden Preis, wieder hineinstrebt. Der Gedanke von der Presse als einer den Staat kontrollierenden In stanz lag ihm von seiner Herkunft, seiner Erziehung, der Konstruktion des Staats, den politischen Verhältnissen des vornapoleonischen und des napoleonischcn Deutsch lands völlig fern. Hätte er anders gedacht, wäre er für die Bamberger Zeitung zweifellos nicht der richtige Mann gewe sen, hätte er sich nicht um Staatszuschüsse für das Blatt bemühen können. Wobei er sich konsequenter verhält, als dies in der »freien Presse« der Fall ist, die, um den Staat zu kontrollieren, ihn um protektionistische Hilfen unter an ders ausgewiesenen Titeln wie Steuererleichterungen, Reisen für Journalisten mit Diäten und Spesen, Vergün stigungen beim Postversand, versteckte Subsidicn über Annoncen, evtl. sogar Garantien für regional als schutzbe dürftig geltende Organe, Abnahmeverpflichtung durch staatliche Institutionen usw. bitten kann oder sie ungebe ten erhält, was Beyer anführt, um Hegels Praxis gegen mögliche Anwürfe aus der Richtung des »staatsfernen«, auf »Konkurrenz« aufgebauten Pressewesens zu rechtfer tigen. Als Oppositionsblatt kam also die Bamberger Zeitung unter Hegels Redaktion nicht in Betracht. Schwierigkei ten mit der Polizei, die ihr durch die Zeitereignisse bereitet wurden und denen sie sich nicht entziehen konnte, hat er beharrlich und diplomatisch abzuwenden versucht und dabei in den einundzwanzig Monaten seiner Amtszeit Erfolg gehabt, aber auch gewaltige Ängste ausgchalten. Er hat, so gut es eben ging, die Interessen des Zeitungs eigentümers, die seinen persönlichen sehr nahe kamen, vertreten. Das war nur möglich durch die richtige Ein schätzung seiner eigenen Lage innerhalb eines nur leid
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lieh über die Druckpresse verfugenden politisch aufstei genden Bürgertums in einem Lande, in dem der Feudal absolutismus zwar seinen Höhepunkt überschritten hatte, aber immer noch stark genug war, um mit Hilfe der Zensur die ihm widerstreitenden Kräfte in Schach zu halten. Das bedeutet nicht, daß sich Hegel in die ihm von der Regierung zugedachten Rolle schlechthin gefügt hätte. Bereits das von ihm angestrebte Gleichgewicht zwischen Nachrichten- und Meinungspresse ging weit über die in Bayern geltende Regelung für das Zeitungswesen hinaus. Das heißt, es ging schon zu weit. Hegel war als Redakteur wie als Philosoph ein Meister darin, sich durch Hintertü ren Zugang zu verschaffen, er kennt sich im Finden von Umwegen und Schleichwegen aus, die zum Ziele führen. Dazu gehört seine Einführung von Privatkorresponden ten, von Gewährsleuten für besonders zuverlässige Be richte, die dann auch sofort das Mißtrauen der Regierung erregen. Die bayerische Obrigkeit unterscheidet auch in der Ära Montgelas genau zwischen »offiziellen« und »ge wagten« Nachrichten, also zwischen genehmen und uner wünschten, zu publizierenden und zu unterlassenden. Durch seine »Privatkorrespondenten«, die »Eigenbe richte« schreiben und damit Farbe in dieses vom bloßen »Nachgedruckten« beherrschte Blatt bringen, hat sich Hegel und durchaus nicht ohne Erfolg gegen den An schlag der Regierung gewehrt, ihn zu ihrem Büttel zu machen. Vor allem das bei der Presse nicht totzukrie gende ungenierte Nachdrucken hat ihn unentwegt nach Auswegen sinnen lassen. Daß er jedoch reüssiert hätte, sich als Journalist der staatlichen Fesseln im Sinne der Meinungsfreiheit zu entledigen, wird man nicht behaup ten dürfen. All seine Vorsicht, auch nicht den geringsten Anlaß dazu zu geben, in den Augen der Regierung den Verdacht wegen oppositioneller Gesinnung zu erregen, reichte dann doch nicht aus. Das Auge der Zensur blieb wach. So hat er ein Zeitungs verbot wegen eines von ihm aufgenommenen Artikels
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nicht verhindern können. Man drängt ihn - wie es in solchen Fällen üblich ist—, den Informanten preiszuge ben. Hegel gerät in eine prekäre Lage und erbittet Rat von Niethammer, er glaubt sogar, persönlich in München vorstellig werden zu müssen, um Gnade für sich zu erwir ken. Als Quelle gibt er am 9. November 1808 mit dem Ausdruck »tiefster Devotion« die in Erfurt erscheinende Allgemeine Deutsche Staatszeitung und die in Gotha erschei nende Nationalzeitung der Deutschen an. Zu seiner Erleichte
rung verläuft die Sache schließlich im Sande, und das Blatt kann weiter erscheinen. Sein Anteil am zeitweiligen Er scheinungsverbot stellt sich entgegen seinen ursprüng lichen Befürchtungen als viel geringer heraus. Das Zeitungmachen in Bamberg hatte Hegel einige unverkennbare Vorteile verschafft. Zwar blieb er wirt schaftlich abhängig, aber seine Lage hatte sich gegenüber der provisorischen, ins Belieben des Herzogs gestellten Besoldung erheblich verbessert. Er wohnt in zweifellos stattlichen Verhältnissen im sogenannten »Haus zum Krebs«, und er kann sich in einer seiner Lebensregeln bestätigt finden; »ich habe mich«, schreibt er an Knebel am 30. August 1807, »durch Erfahrung von der Wahrheit des Spruches in der Bibel überzeugt und ihn zu meinem Leitstern gemacht: Trachtet am ersten nach Nahrung und Kleidung, so wird euch das Reich Gottes von selbst zufal len.« Zwar hatte er das Angebot Schneiderbangers ausge schlagen, die Zeitung zu kaufen, weil er, abgesehen davon, daß ihm das Geld fehlte, nie daran dachte, länger als eben nötig sich im Zeitungswesen zu betätigen. Aber auch darum, weil »diese Arbeit nicht als solides Etablissement angesehen werden kann«, besonders aber, weil »so ver führerisch die isolierte Unabhängigkeit ist, jeder im Zu sammenhang mit dem Staat und in der Arbeit für densel ben stehen muß« (an Niethammer, 30. Mai 1807). So sehr er in der Redaktionsarbeit Dienst am Staat sieht, so reicht er noch nicht aus, weil er »die isolierte Unabhängigkeit« des Privatmannes nicht aufhebt, die er als unbefriedigend empfindet. Auf längere Sicht können ihn auch die Vor teile, in Bamberg mehr freie Zeit für die eigene wissen
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schaftliche Arbeit zu haben als vormals in Jena, nicht zum Wunsch verleiten, hier eine Dauerexistenz zu suchen. Man muß sich für einen Augenblick die Rolle Bambergs in Erinnerung rufen, die die Stadt für die Geburtsstunde der deutschen Romantik gespielt hatte, als 1793 die bei den Berliner Tieck und Wackenroder aus dem protestan tischen Norden auf ihrer Pfingstreise durch Franken mit dem Hochamt im Bamberger Dom, dem Aufzug der Gläubigen, den Fahnen und Standarten, dem Weihrauch und den frommen Gesängen das unverfälschte Mittelalter hier meinten wiedergefunden zu haben. Mit seinem Wunsch, in Bamberg zu leben, war Hegel, der große Gegner der Romantik, für eine Zeitlang selbst unverse hens in den Wirkungsbereich der romantischen Bewe gung hineingeraten. Sein Domizil am Pfahlplätzchen 1 liegt in einem etwa 300 Schritt von der bischöflichen Residenz gelegenen barocken palastartigen Wohnhaus. Der ledige Redakteur mit 1300 Gulden Jahresgehalt wird in der Folgezeit in den Familien der Regierungsadmini stration verkehren, er frequentiert die »Teezirkel« vor nehmlich in den Häusern der ortsansässigen Beamten schaft, so beim Hofgerichtsrat von Pflaum, der Offiziers familie von Jolli, dem Konsistorialrat Fuchs, im Salon des Appellationsgerichtsrats Liebeskind, wo er mit der Gräfin Soden L'Hombre spielt; mit dem Arzt und Hofrat Ritter trinkt er Wein und versucht, sich darüber hinwegzutrö sten, daß in diesen Kreisen die Philosophie zu kurz kommt. Hegel, der in der Gestalt des General-Kommis sars von Stengel bald die harte Hand der Zensur zu spüren bekommt, wird das Gefühl nicht los, in Bamberg am unpassenden Ort zu sein. Der Landespräsident Graf Thürheim geht sogar so weit, durch Stengel Ermittlungen wegen des Verdachts auf Unbotmäßigkeit gegen ihn an stellen zu lassen. Hegel spricht von einer »Trakasserie«, die ihm deswegen bereitet worden ist. Mit Bayard, dem zweiten Mann der Überwachungsbehörde, gab es für ihn, den Überwachten, freilich ein besseres Auskommen. Aber schließlich: was hat er in der bischöflichen Residenz, was hat der Aufklärer, der nach dem Korrekturlesen der
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Phänomenologie des Geistes sich an die Logik begibt, in der
polizeilich reglementierten Redaktion zu schaffen; es sei denn, daß der kürzeste Weg des Geistes der Umweg ist? In Bamberg ist Hegel mit ganzer Bewußtheit in den Strom einer mit der Religion im Bunde stehenden Welt einge taucht und findet darin die Erfahrung bekräftigt, daß gegen alle in der Weltgeschichte anzutreffende Sklaverei zum Eigentümlichen des Denkens die Freiheit gehört. In der fürstbischöflichen Residenz gehen währenddes sen die Hoffeste unter Teilnahme des philosophischen Redakteurs weiter. Der Sieg Napoleons bei Friedland über die Russen, d. h. der Sieg des großen Feindes der Kirche über den Zaren als Beschützer des Christentums, wird in Bamberg mit einem Hochamt, Ambrosianischen Lobgesängen und einer Militärparade feierlich begangen. Bei Hegel steigt jetzt die Furcht auf, der Krieg könne zu Ende gehen. Was kann es für einen Journalisten Besseres geben als Krieg und Kriegsgeschrei? In einem Brief an Knebel in Weimar vom 30. August 1807 spricht er von der zu erwartenden »traurigen Friedenszeit, die für den Zei tungsschreiber ist, was der schöne Mondschein und gute Polizei für Diebe«. Mit dem Friedensschluß brechen schlechte Zeiten an. Wie wird er es anstellen, um künftig »der Neugier des Publikums« das nötige »Futter zu lie fern«? Hier bricht der Routine-Zynismus des Zeitungs manns durch, der weiß, was die Leser haben wollen. Und damit der Verlust aller Illusionen, die er sich bei seinem Eintritt in die Redaktion gemacht haben mochte! »Sie wissen«, so liest Knebel im selben Brief, »daß ich immer einen Hang zur Politik hatte. Dieses hat sich aber beim Zeitungsschreiben vielmehr abgeschwächt, als daß es da durch Nahrung gefunden hätte.« Das wirkt sich bis in die Maxime des Redakteurs aus, der nicht im »Inhalt die Hauptsache« sieht; ihm »gilt eine Neuigkeit als Artikel, daß er das Blatt füllt«. Die Nachricht muß schon in der Form ausgeführt vorliegen, sie darf ihm nicht die Mühe bereiten, sie noch in eine schriftliche Fassung zu bringen. Denn der Redakteur Hegel in Bamberg scheut das Arti kelschreiben wie der Teufel das Weihwasser. Überhaupt
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sind ihm alle staatstheoretischen Auslassungen angesichts des französischen Kaisers, des Einen, der überhaupt jetzt große Politik macht, ein Greuel. Vor allem die »deutschen Staatsrechtslehrer« mit ihren Schriften über die »Souve ränität«, die den Sinn der Bundesakte erraten sollen, erregen sein Ärgernis. So hatte es Niethammer einen Tag zuvor von ihm erfahren: »Der große Staatsrechtslehrer sitzt in Paris.« In Deutschland selbst weiß man gar nicht, was in Wahrheit gespielt wird: »Die deutschen Fürsten haben den Begriff einer freien Monarchie noch nicht gefaßt.« Der Argwohn, der von München aus auf ihn gefallen war und zur zeitweiligen Einstellung des Journals führt, hat Hegel sehr zugesetzt. Anlaß dafür war ein Bericht seines Weimarer Privatkorrespondenten Knebel, der die Begegnung zwischen Napoleon und Zar Alexander von Rußland in Erfurt schilderte, sowie Gespräche, die Napo leon mit Goethe und Wieland geführt hatte, nebst einer Reportage über eine zu Ehren des französischen Kaisers veranstaltete Jagd in der Gegend von Apolda, wobei sich der Informant gefällige Diskretion ausbittet. Was daran anstößig war, läßt sich heute nur schwer ermitteln. Es hat bereits Hegel selbst Schwierigkeiten bereitet, den Grund zu erkennen. Denn sonst wäre die Veröffentlichung in dieser Form unterblieben. Als Zeitungsmann, der neugie rig zu sein hat, war Hegel weiter in Knebel gedrungen und wollte wissen: »Was hat Napoleon mit Wieland und Goe the auf dem Balle gesprochen?« — »Sind Sie, um noch auf die Politik zurückzukommen, beim apoldischen Hasenja gen gewesen?« Wobei er allerdings hinzufügt: »Ich frage Sie das nicht für die Zeitung, sondern für meine Privater bauung.« (14. Oktober 1808) Nun hatte er alles aufgeboten, um keinen Verdacht der bayerischen Obrigkeit gegen sich aufkommen zu lassen oder ihn der frondierenden Presse, wozu die Allgemeine Zeitung in Ulm mit ihrem Redakteur Stegmann gehörte, zuzurechnen. Das alles sollte vergeblich gewesen sein. Die tiefe Aufgewühltheit darüber zeigt noch die »allerunter tänigste Anfrage und Bitte um Belehrung«, worin unter
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Berufung auf das königliche Dekret vom 6.September 1799 die »unterzeichnete Redaktion« nachsucht, »gleich den übrigen Königlich-Baierischen Provinzial-Zeitungen alle unanstößigen, mit Bescheidenheit abgefaßten und den politischen Verhältnissen auf keine Weise widerspre chenden Correspondenznachrichtcn wie vormals in die Bamberger Zeitung aufnehmen zu dürfen«. Die Eingabe trägt als Datum den 12. Dezember 1808, also nach Hegels Ausscheiden aus der Zeitung, hatte aber die noch in Kraft befindlichen Maßregelungen zum Inhalt und atmet He gelschen Geist. Mit einem Zusatz macht sich das »Belehrungsgesuch« weiter erbötig, den kontrollierenden Instanzen entgegen zukommen: »Weil ferner die Angabc der Quellen am Ende eines jeden Artikels gewöhnlich undeutlich und unzusammenhängend ist, und die Allerhöchste Verord nung über die Art und den Ort dieser Anzeigen der Quellen nichts bestimmen, so bittet unterzeichnete Re daktion alleruntertänigst noch darum: gleich der Allge meinen und anderen Zeitungen, die Quelle im Anfange oder im Endtext der Artikel angeben zu dürfen, indem es auch für den Leser und die richtige Auffassung des Gele senen besser zu sein scheint, wenn man den Ursprung und die Quellen desselben gleich im Anfang der Lektüre ken nen lernt.« Das war nichts anderes als ein Umarmungsangebot an die bayerische Pressepolizei. In seinen Konzessionen hatte Hegel noch einmal draufgesattelt. Die Redaktion stellt in Aussicht, daß sie auch die letzte Unsicherheit über die Herkunft ihrer Informationen zu beseitigen fest ent schlossen ist. Jeder künftigen Querele soll hinfort vorge baut werden. Die Redaktion möchte keine Stätte ständiger Beunruhigung von außen sein. Aber dieses Angebot zum Offenlegen der Karten ist in Wirklichkeit Tarnung. Immer wenn Hegel, wie etwa in der Korrespondenz mit Schelling, um »Belehrung« nach sucht, ist die Sache nicht geheuer, bereitet er eine Opera tion ä long terme vor. Er nebelt sich und seine wirklichen Absichten ein. Denn er war bereits seit langem entschlos
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sen gewesen, Bamberg so schnell wie möglich den Rücken zu kehren, sogar um den bitteren Preis einer Professur im hinterwäldlerischen Altdorf, dessen Universität zur Be langlosigkeit abgesunken war. Aus der widrigen Angele genheit hatte er gelernt. »Ich sehne mich um so mehr von meiner Zeitungs-Galeere endlich wegzukommen, da ich kürzlich wieder eine Inquisition hatte, die mich an meine ganze Lage näher erinnerte«, war schon in seinem Brief vom 15. September 1808 an Niethammer zu lesen gewe sen. Durch Niethammers Beförderung zum Zentralschulrat nach München 1807 waren Hegels Aussichten dazu ge waltig gestiegen. Wir wissen, wie sehr Hegel schon früh auf Niethammers Hilfe gebaut hatte. »Herr, wenn Du in Dein Reich kommst, gedenke mein, will ich beten«, hatte es im Brief vom G.August 1806 an ihn geheißen. Ihm verdankte er seine Bamberger Stelle. Inzwischen hatte sich dessen Position in der bayerischen Regierungshaupt stadt gefestigt, seine Einflußnahme konnte sehr wohl, wenn Hegel ernsthaft auf Veränderung drängte, ihn zum zweitenmal zu einem Amt, diesmal im heißersehnten Staatsdienst, verhelfen. Niethammers »Allgemeines Normativ für die Einrich tung der öffentlichen Unterrichtsanstalten«, dem soge nannten »Niethammerschen Schulplan«, ist in die Ge schichte des bayerischen Erziehungswesens eingegangen. Es stand für die Ära Montgelas, die in Bayern durch eine große Reformfreudigkeit gekennzeichnet war. Hegel hat später, von Berlin aus, der Montgelasschen »Organisa tion« sein Lob gezollt mit der Begründung, daß auch ihm selbst ein »Hauptbrocken zugut gekommen« sei, und da bei nicht bedacht, wahrscheinlich auch nicht gewußt oder in seiner Staatsergebenheit nicht wissen wollen, daß der gegen die Bamberger Zeitung ergangene Erlaß, der zum zeitweiligen Verbot des Blattes führte, die Unterschrift von Montgelas trug. Dennoch war seine Anerkennung für den bayerischen Minister zutiefst begründet. Durch Montgelas gelangten einige kräftige Strahlen der Aufklä rungauf den Boden eines von ultramontaner Beschränkt
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heit verdunkelten Landes. Ohne ihn, der im katholischen Bayern dem fürchterlichen und berechtigten Verdacht ausgesetzt war, Freimaurer zu sein, und der in seiner Jugend deswegen schwere Verfolgungen hatte erleben müssen, wäre alles viel schlimmer gewesen. Wenn Hegel sich davon leiten ließ, hatte er in seinem günstigen Urteil über ihn zweifellos recht. Vor allem das in den Händen der Kirche befindliche Schulwesen lag schwer im argen. Der Jesuitenorden, der sich selbst und dem man so gern Fortschrittsfreude nachsagt, war hier die Hauptkraft zur Verdunkelung geworden. Von einem aus der katholi schen Landesreligion herausgelösten geistigen Leben ließ sich nur schwer eine Spur entdecken. Darum ist Bayern für Hegel, der dies am 22.Januar 1808 gegenüber Niet hammer bemerkte, »ein wahrer Tintenklecks in dem Lichttableau von Deutschland«. Auf das Schul-, Erziehungs- und Universitätswesen so wie die Auswirkungen auf Philosophie und Literatur be zogen läßt sich zu diesem Zeitpunkt gegen Hegels nieder schmetternde Meinung über Altbayern wenig einwenden. Hegel war erschüttert als Württemberger, dem in seiner Heimat das Muster des neben Sachsen am weitesten ent wickelten Schul- und Ausbildungssystems in deutschen Landen vor Augen steht und der den Vergleich zieht. Aber die Bestätigung seines Urteils gab ja das Reform programm der Ära Montgelas selbst, durch das ausländi sche Gelehrte und Schulmänner seit dem Regierungsan tritt Max Josephs nach Bayern gezogen werden sollen. Dazu gehörte Schelling, dazu gehörten ebenso Nietham mer und Paulus, die in Bayern allemal als »Freigeister« galten und von denen die Regierung zweifellos »aufge klärte« Anstöße erwartete. Wir wissen, wie sehnlich Hegel es darauf abgesehen hatte, in den Dienst des Staates Bayern zu treten, den er hier so heftig traktiert. Ende Oktober 1808 ist es endlich soweit. Niethammer vermeldet unter dem 26.d.M. Hegel seine Ernennung zum Professor der philosophischen Vorbereitungswissen schaften und gleichzeitig zum Rektor des Gymnasiums in Nürnberg. Natürlich hatte kein anderer als Niethammer
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selbst die Ernennung des Landsmanns, Freundes, Trinkund Spielkumpans aus Jenenser Tagen erwirkt. Das Schreiben enthält in der Bitte, seine Ankunft schon für die folgende Woche einzurichten, die sehr interessante Be gründung: »um unter Anleitung des Herrn Kreisschulra tes Paulus die neue Studienorganisation, soweit sie das Gymnasium betrifft, in Vollzug zu setzen«. Hier ist es gesagt: Das in Jena schlechtbestallte schwäbische Trio ehemaliger Tübinger Stiftler hat sich auf bayerischem Boden wieder zusammengefunden. Niethammer hatte gute, Wege bahnende Arbeit geleistet. Der Zentralschul rat in München, der Kreisschulrat in der fränkischen Provinz und der Nürnberger Gymnasialdirektor schicken sich an, die »Organisation« des Schulwesens im erweiter ten Königreich Bayern in die Hand zu nehmen.
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Einundzwanzigstes Kapitel
Ankündigung der Wende Was Hegel in Bamberg gesucht und gefunden hatte, waren neben dem unerläßlichen Broterwerb im Zei tungsgeschäft die Berührung mit dem unverfälschten katholischen Mittelalter und das Bier gewesen. Darüber hatte er sich schon gegenüber Schelling ausgelassen. Er war aber in ein Land gekommen, das für ihn die Finster nis selbst bedeutete und dessen Namen »Bavaria« er in einem Brief an Niethammer prompt mit »Barbaria« übersetzte. Die Aufklärung war mit aller erdenklichen Verspätung nach Bayern gelangt. Sie hatte unter der Regierung von Montgelas notwendige Neuerungen auf dem Gebiete der Verwaltung gebracht, aber die Widerstände, die ihm vom Lande und vom größtenteils bäuerlichen Volk mit seinen Pfarrern und Prälaten, Klöstern und dem grundbesitzen den Adel entgegengesetzt wurden, haben ihr eine tiefer gehende Wirkung versagt. Hier war man anderes ge wöhnt: Umzüge mit feierlichen Gepränge, Zeremonien mit bunten Meßgewändern, die Gemütlichkeit des von den Heiligen bestimmten Festkalenders, unantastbare Mariengläubigkeit zusammen mit dem Bedürfnis nach Lebensgenuß, das sich nicht gern administrative Zäume anlegen ließ. Das mochte einer grandiosen sakralen Ar chitektur in den Städten und den bäuerlichen Flecken sowie dem kunsthandwerklichen Genie der Alpenländer zugute kommen, aber für den Geist des kritischen Philo logen, für die Zöglinge der sächsischen Gelehrtenstube, für Kant und Fichte, für die Weimarer Klassik gab das Land damals einen kargen Boden ab. Es bedeutete schon viel, wenn die Regierung den Willen zum Aufschwung durch Berufungen in den Wissenschaften von Männern wie Friedrich Thiersch und Friedrich Jacobs, beide aus Sachsen, kundgab und die Akademie der Wissenschaften den Rheinländer Friedrich Heinrich Jacobi als Präsiden ten erhielt - in allen Fällen gegen schwerste Bedenken
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der einheimischen Gelehrtenzunft, die sich eifersüchtig dagegen wehrte, daß man in ihre Reviere eindrang. Es ist darum gar nicht verwunderlich, wenn sich Hegel, der »Süddeutsche«, der diese Vorgänge von Bamberg aus miterlebt und selbst von ihnen betroffen ist, hier ganz die Partei der »Norddeutschen« ergreift. Er hatte erfahren müssen, daß er keine Aussicht hat, in Bamberg die freige wordene Stelle eines Philosophieprofessors an der fürst bischöflichen Akademie zu bekommen. Ein Blick in die bayerischen Institutionenregister belehrt ihn darüber, daß weder in Landshut noch in Altdorf oder Innsbruck Philosophie gelehrt wurde. In welches Land ist er nur geraten! Für ihn war Niethammer die größte Hoffnung gewe sen, die ihn am Ende nicht getäuscht hatte. Das bedeutete, Hegel soll von Niethammer in die bayerische Schulreform eingespannt werden, was er beständig mit persiflierenden Bemerkungen über die »Organisation« des »Normativs« begleitet, deren Notwendigkeit in einem Lande wie Bay ern er wohl einsieht, ohne gewisse Zweifel in die admini strative Geschäftigkeit zu unterdrücken, die nun einmal zu diesem Unternehmen gehört. Mit der Berufung in das hohe Nürnberger Schulamt sieht Hegel die berufliche Unsicherheit der Bamberger Lebensphase beendet. Aber dem endgültigen Gefühl, sich nun in den wohlgeordneten Lebensverhältnissen eines Staatsbeamten bewegen zu können, gehen noch einmal tausend Ängste voraus. Hegel war Niethammers Anwei sung gefolgt und hatte sich in der auf die Nachricht von seiner Ernennung folgenden Woche unverzüglich zum Dienstantritt nach Nürnberg begeben. Wie, wenn Niet hammer sich geirrt hätte! Er malt sich Fälle aus, wo Ernennungen wieder rückgängig gemacht worden sind. Nicht auszudenken, wenn das bei ihm, der bei der Bamberger Zeitung gleich gekündigt hatte, zuträfe. Er stünde dann ohne Stelle da. Mit solchen Sorgen reist er wieder nach Bamberg zurück, wo er durch die Ernennungsurkunde schließlich beruhigt wird. Wie sehr er Bamberg immer nur als berufliches Proviso
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rium betrachtet und seine Neigung zur Vorsicht ihm empfohlen hatte, sich den möglichen Rückzug nach Jena noch offenzuhalten, zeigte sich jetzt. Bis dahin war er von seinen Jenenser Amtspflichten nicht beurlaubt. Im Novem ber, als die Ernennung für Nürnberg feststeht, sucht er bei Herzog Karl August förmlich und untertänigst um sein Ausscheiden aus seinem Amt als außerordentlicher Professor nach. Was Hegel hinfort in die Zukunft mit hinein nimmt, ist die Hoffnung auf grundlegende Besserung seiner Le bensumstände. Seine Einkünfte als Redakteur waren nicht niedrig, aber sie verbanden sich mit dem Gefühl materieller Ungewißheit, für den Schwaben in ihm etwas tief Deprimierendes, dessen Unerträglichkeit ihm stets dann ins Bewußtsein gerückt wurde, wenn er sich mit der Zensurbehörde herumzuschlagen hatte. Ob seine Ein künfte nicht ausreichten, um die Alimente für seinen Sohn zu zahlen, ist schwer zu beurteilen. Einer Mitteilung an seinen Freund Frommann vom 9. Juli 1808 zufolge muß er jedoch ein schlechtes Gewissen gehabt haben. Es heißt darin: «ich habe immer schmerzlich zu bedauern, daß ich sie, die die Mutter meines Kindes ist und die dadurch jede Art von Pflicht an mich anzufordern hat, aus ihrer Lage nicht ganz bisher herausreißen konnte«. Was immer das heißen mochte, Hegel glaubt zumindest nicht, hier mehr tun zu können. Eine unmittelbare Beteiligung an der bayerischen Bil dungsreform erbittet sich Hegel von Niethammer in dem Auftrag, ein für alle Landesuniversitäten obligatorisches Lehrbuch der Logik schreiben zu dürfen. In Bamberg hat Hegel kein philosophisches Werk abschließend verfaßt, aber die frei verfügbare Zeit, die ihm die Arbeit zwischen Redaktion und der Offizin ließ, auf die Weiterführung der Logik verwandt. Was er in Jena unter Logik verstan den hatte, büßt für ihn langsam seine Gültigkeit ein. Was ihm jetzt vorschwebt und in ihm langsam heranreift, isl eine Logik als »neue Wissenschaft«, während er das, was bisher unter diesem Namen aufgetreten ist, durch »un fruchtbare scholastische Spitzfindigkeit« depraviert sieht;
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»es kann nichts erwünschter sein (auch in ökonomischer Hinsicht sowohl in Ansehung eines solches Buches selbst, als indirekt anderer Schriften), als auf diese Weise auf einmal seine Philosophie zur herrschenden in einem Rei che zu erheben« (an Niethammer, 20. Mai 1808). Der Schlußteil dieses Satzes läßt aufhorchen. Er spricht nicht nur Wunsch und Absicht aus, er nimmt vorweg und kündigt für die Logik einen Totalitätsanspruch an, dessen Rechtmäßigkeit ihm später bestätigt werden wird. Außerordentlich erfreut hat ihn die Einladung Fried rich Creuzcrs, an den Heidelberger Jahrbüchern mitzuwir ken. Wir wissen, daß Hegel damals immer noch auf einen Ruf aus Heidelberg wartete und er jetzt die Gelegenheit sah, sich dort durch diese Mitarbeit wieder in Erinnerung zu bringen. Aufschlußreich ist die von Creuzer erbetene Selbstcharakterisierung seiner bevorzugten Interessen, um ihn in den vorgeschlagenen Disziplinen Rezensionen schreiben zu lassen. Hegel übermittelt sie in der Reihen folge Logik, Metaphysik, Naturphilosophie, Theorie der Moral, Ästhetik. Ein gewisses Gleichmaß in seiner Lebensführung ist aus der erhaltenen Korrespondenz der Bamberger Monate unschwer herauszulesen. Engeren persönlichen Verkehr hat der inzwischen älter gewordene Junggeselle vor allem mit Gries gehabt, einem aus Hamburg stammenden, lange in Jena ansässigen, literarisch tätigen Mann, der als TassoÜbersetzer hervorgetreten war und seiner Unterhal tungsgabe wegen von Schiller wie von Schelling sehr ge schätzt wurde. Stärkste Anregung verschafft ihm die Kor respondenz mit (Caroline Paulus, der emanzipierten Frau des Freundes, die dessen zweifellos mißglückten Versuch, sich als Nachfolger Voltaires zu fühlen, gehörig persifliert und dem unverheirateten Redakteur Hegel auch mal eine Sagosuppe zukommen läßt, für die er sich artig bedankt. Der war inzwischen offener Parteigänger Napoleons geworden, der den Franzosen wünscht, daß sie vor den Österreichern München erreichen. Vor allem erscheint ihm ein erneutes Ausbrechen der Kampfhandlungen günstig für seine eigenen Pläne. Gegenüber Niethammer
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(2O. August 1808) hatte er sich etwas davon versprochen, »daß diese Kriegsaussichten vielleicht ein Grund zur Be schleunigung ... der neuen Organisation«, also der Niet hammerschen Schulreform, »werden« und damit seine Erlösung von der Zeitungsfron beschleunigen könnten. Es ist unverkennbar die Welt der »kleinen Verhält nisse«, die uns hier entgegentritt. Wenig erinnert an die »große Welt«, von der er bedeutende Anflüge im Herzog tum Weimar erlebt und an der er im Umgang mit Goethe sogar unmittelbar teilgehabt hatte. Die er noch mächtiger im Aufstieg Napoleons vor Augen hat! Goethe und Napo leon sind bis dahin die größten zeitgenössischen Gestalten in seinem Leben gewesen, die die künftigen Vorstellun gen von Kunst und Politik bestimmen werden und Maße setzen, wie sie seiner Ästhetik und seiner Auffassung der Weltgeschichte vorausliegen. Hegel selbst erscheint bis gegen Ende seiner Bamberger Zeit als Bürger, aber Bür ger als gedrückte Existenz, als Untertan, der sich im Umgang mit der Polizeibehörde vorzusehen hat, mit schmaler, ihn eben noch tragender wirtschaftlicher Grundlage. Alle Lebensstationen, vom Stipendiaten in Tübingen, dem Hauslehrer in Bern und Frankfurt, dem ohne Anspruch auf Bezahlung seine Philosophie vortra genden Privatdozenten in Jena, dem Vater, der seine Unterhaltspflichten gegenüber seinem Sohn und dessen Mutter nicht im erforderlichen Maße erfüllt und dem Sklaven auf der »Zeitungsgaleere«, hatten ihm bis dahin seine materielle Bedürftigkeit vor Augen gestellt. Dar über war er inzwischen siebenunddreißig Jahre gewor den. Die Phänomenologie des Geistes war selbst ein Werk auf der Grundlage des Pauperismus der kleinen bürgerlichen Welt, die ohne große wirtschaftliche und politische Aus sichten ihre letzte Zuflucht wenn nicht in »Gott«, so im »Geist« sucht. Die Phänomenologie des Geistes ist es auch, die in den
Bamberger Monaten über Hegels Beziehungen zu Schel ling die lange hinausgeschobene Entscheidung fällen wird. Goethe war der erste Empfänger des Buchs gewe sen. Mit Schelling läßt Hegel sich Zeit, obwohl dieser für
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ihn neben Goethe als seinem bisherigen Hauptförderer der wichtigste Adressat der Schrift bedeutete. An ihn hatte er bei der Abfassung am meisten gedacht. Das zögernde Verhalten Hegels wird von Schelling sogleich entsprechend erwidert. Schelling, der nichts Eili geres zu tun gehabt hätte, als mit dem Studium des Buches sogleich zu beginnen, vertröstet Hegel in seinem Brief vom 2. November 1807 auf später. Natürlich erfordere die Schwierigkeit des Gegenstands genaues, lang anhal tendes Durchdenken. Aber Schelling hatte sofort verstan den, was hier verhandelt wurde: »Ich habe also bis jetzt nur die Vorrede gelesen. Inwiefern Du selbst des polemi schen Teils derselben erwähnst, so müßte ich, bei dem gerechten Maß der eigenen Meinung von mir selbst, doch zu gering von mir denken, um diese Polemik auf mich zu beziehen. Sie mag also, wie Du in dem Briefe an mich geäußert, nur immer auf den Mißbrauch und die Nach schwätzer fallen, obgleich in dieser Schrift dieser Unter schied nicht gemacht ist.« Schelling verklausuliert sein Befremden. Er gibt vor, Hegels brieflichen Erklärungen mehr zu vertrauen als dem, was er in dem Buch gelesen hat. Aber eine klare Abgrenzung der Philosophie des einen von der Philosophie des andern, wenn es denn keine gemeinsame mehr geben kann, scheint ihm jetzt dringend geboten. Wenn ein Bruch mit den alten Übereinstimmungen erfolgt sei, dann von Hegels Seite: »So bekenne ich«, fährt Schelling fort, »bis jetzt Deinen Sinn nicht zu begreifen, indem Du den Begriff der Anschauung opponierst. Du kannst unter jenem doch nichts anderes meinen, als was Du und ich Idee genannt haben, deren Natur es eben ist, eine Seite zu haben, von der sie Begriff, und eine, von der sie Anschauung ist.« Schelling hatte recht, wenn er in Hegels Phänomenologie des Geistes einen Abfall von den alten gemeinsamen Grundüberzeugungen sah. Aber in Hegels Neuverständ nis von »Anschauung« ist dieser Abfall nur verkürzt zur Sprache gebracht. Die Wirklichkeit sah anders aus, und Schelling hat das sofort begriffen. Wenn der Bruch Schel
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ling nicht ganz unvorbereitet traf, so ist er von dessen Ausmaß doch überrascht worden: In der Phänomenologic hatte Hegel mit einem gewaltigen Schlag seine ganz an dere philosophische Natur neben die von Schelling ge stellt, die dieser so nicht erwartet hätte und mit der es das altgewohnte Koexistieren zweier Freunde nicht mehr ge ben konnte.
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Zweiundzwanzigstes Kapitel
Im Nürnberger Schulamt Am 6. Dezember 1808 wurde Hegel feierlich in sein Amt als Rektor des Nürnberger Gymnasiums eingeführt. Da mit war sein sehnlicher Wunsch in Erfüllung gegangen: Er war — mit reichlicher Verspätung zwar — Beamter geworden. Es handelte sich um ein Amt mit Einfluß. Nürnberg, diese selbstbewußte Stadt mit ihren großen Traditionen als Reichsstadt und Humanismuszentrum und eben erst, mit der Auflösung des Reichs, bayrisch geworden, ließ sich nicht lumpen und zahlte dem neuen Professor 9oo Gulden, zusätzlich 100 Gulden für das Rektorat bei freier Wohnung, vorerst noch in den ungekalkten Räu men über den Klassenzimmern. Hegel blieb damit weit unter den Einkünften, die er in Bamberg bezogen hatte. Auch die Zusagen über das Gehalt standen in erheblichem Kontrast zur Kargheit, die an der Schule herrschte und die ihr Rektor bald in den ständig nachhinkenden Zahlun gen zu spüren bekam. Der Zustand der Schule, einer Gründung Melanchthons aus dem Jahre 1526 gleich ne ben der Ägidienkirche, war schlecht. Hegel hatte Grund zu beständiger Klage. Aber gerade weil an der großen Reformbedürftigkeit des bayerischen Schulwesens auch von Regicrungsscite her kein Zweifel bestand, war Hegel über Niethammer eigens nach Nürnberg berufen worden. Das von Nietham mer maßgeblich verfaßte »Allgemeine Normativ für die Einrichtung der öffentlichen Unterrichtsanstalten« sah für das protestantische Schulwesen im fränkischen Lan desteil Bayern eine Umgestaltung vor, die in den Augen des schwäbischen Schulmanns natürlich mit Erfolg nur durch eine Annäherung an das württembergischc Vorbild würde erfolgen können. Der Niethammersche Lehrplan nimmt eine Trennung des Gymnasiums von der Realschule vor, die in Nürnberg noch vereint sind und ihre Schüler aus der Primarschule
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zugeführt bekommen. In ihren Grundlagen des Klas sisch-Philosophischen sind sich beide Schularten ver wandt. Der Unterschied liegt in der Gabelung einerseits zu den antiken Sprachen Latein und Griechisch, anderer seits zu den praktisch-realistischen Fächern hin. Angebo ten wird auch eine Einführung ins »spekulative Denken«, für die Niethammer zu Recht keinen Geeigneteren als Hegel in Vorschlag hatte bringen können. Die Unterwei sung selbst ist gestaffelt: »Psychologie« für die Unter klasse, »Phänomenologie« und »Logik« für die Mittel klasse, »Enzyklopädie«, »transzendentale und subjekthe Logik« für die Oberklasse. Hier schwanken die Angaben, und Hegel hat sich Freiheiten für die Staffelung der Disziplinen erlaubt. Im Niethammerschen Lehrplan, der sich damit allerdings weit von den in Württemberg gelten den Lehrprogrammen abhob, waren die philosophischen Fächer einträchtig versammelt. Es war natürlich, daß He gel sich einen so auf ihn zugeschnittenen philosophischen Unterricht in der Hauptsache selber vorbehielt. Das ließ sich auch von den Klassenfrequenzen mühelos leisten. Der allgemeinen Schulpflicht steht freilich ein Mangel an Räumen entgegen, der sie in Bayern zur Farce machte. Bei Hegels Übernahme des Rektorats zählte die Unter klasse 11, die Mittelklasse 15, die Oberklasse 12 Schüler, zu denen im Laufe des Jahres sich weitere acht hinzuge sellten. Das galt für das Gymnasium. Für die gesamte, seiner Leitung unterstehenden Schuleinrichtung nennt Hegel die Zahl von 160 Schülern, die allerdings zusätzlich auf das Progymnasium, das Realinstitut, d. h. die sogenannten Kollaboratcurklassen und die Unter- und Oberprimar schule verteilt waren. Den ihm angetragenen Religionsunterricht wies Hegel für sich, und zwar unter Hinweis auf seine eher dem Pantheismus zuneigenden Gottesvorstellungcn, zurück. Niethammer selbst konnte schwerlich daran Anstoß neh men. Seine eigene Vergangenheit im Kreis um Fichte und seine Nähe zu Paulus, dem Haupt der nachkantischen Rationalisten in Deutschland, mußten ihn selbst in den
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Verdacht bringen, die Schule in Bayern dem Einfluß der Kirche zu entziehen. Hegel bevorzugte eindeutig die gymnasiale Seite der Schule, was insofern wenig bedeutete, als die Überlegen heit der antiken Bildung über die aufkommende Realien bildung unangefochten war. Niethammers Betonung des Studiums der Griechen (gegenüber dem Latein) nimmt er denn auch beifällig auf und sieht sich in seinen eigenen Vorlieben und dem, was er von Württemberg gewohnt war, bestätigt. Aber die Realienfächer will er nicht ver nachlässigt sehen und verwendet viel Zeit darauf, um die notwendigen Mittel für die technische Ausstattung des Physikunterrichts bewilligt zu bekommen. Überhaupt hat ihn die Verwaltung der Schule über Gebühr, wie er meint, in Anspruch genommen. Auf die 100 Gulden Gehaltszuschlag will er gern verzichten, wenn er dafür das Rektorenamt räumen kann. Die »Zeitvertrö delung« ist das Geld nicht wert. Wochenlang hat er sich mit dem skandalösen Umstand herumzuschlagen, daß die Aborte für die »Kollaborateurklassen« vom Militär be schlagnahmt sind. Die Schüler dringen in ihrer Not als ungebetene Gäste in die Nachbarhäuser ein. Von den Anwohnern muß mit einer Klage gegen die Schule ge rechnet werden. Was bleibt dem Rektor anders übrig, als die Eltern zu fragen, ob »ihre Kinder«, wenn sie die Schule besuchen wollen, »die Geschicklichkeit haben, ohne Ab tritt aus freier Faust zu hoffieren« (an Niethammer, 12. Februar 1809). Zu diesen Sorgen kommt aber noch eine viel größere Beängstigung durch die Nachricht hinzu, daß die Unter suchungen gegen die Bamberger Zeitung, die seine Amtszeit betreffen, weitergehen. Hegel hatte die Angelegenheit längst für erledigt gehalten, und nun grübelt er Tag und Nacht darüber nach, um welche der möglicherweise in Frage kommenden Punkte es sich dabei handeln könnte. Bis daß die untersuchenden Instanzen ihren eigenen Irr tum erkennen! Hegel hat während seines Rektorats nach außen die autoritäre Seite des Amtes sehr wohl wahrgenommen.
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G. H. Schubert berichtet (Brief an August Koethe, Kar freitag 180g) von seiner Begegnung mit Hegel und dem Altertumswissenschaftler Kanne, der ebenfalls am Nürn berger Gymnasium unterrichtet: »beide kommen mir so hart, so schneidend kalt vor«; allerdings macht er für diesen Eindruck auch seine Ermüdung durch die Reise verantwortlich. Er mildert dann wieder ab, nennt Hegel »billig und gerecht gegen andere«, findet ihn »liebens würdig . . . im persönlichen Umgange« und »erheiternd durch seinen Witz«. Das Amt in Nürnberg nach den Bamberger Monaten als Journalist gibt ihm Auftrieb, es stellt ihn zum erstenmal auf die Seite der Autorität, der er in Bamberg sich vergeb lich angenähert, die ihn aber zurückgewiesen hatte, es macht aus ihm selbst eine Autorität. In der bürgerlichen Welt der deutschen Stadt galt der Gymnasiallehrer, zumal in der Gestalt des Rektors, als zweifellos den Honoratioren zugehörig, als ein Arm des Staates. Dem kirchlichen Inspektionsrecht war das Gymnasium durch seine Verwaltung der »heidnischen Antike« im Gegensatz zur Volksschule fast vollständig entzogen; sie bot zumindest genügend Gründe, dem Aufsichtsbegeh ren des Kirchenregiments erfolgreich entgegenzuwirken. In Nürnberg hat Hegel sich mit derartigen Ansprüchen nicht herumschlagen müssen. Dagegen sprach schon der Humanismus Melanchthons, auf den sich die Schule be rief, und ebenso das Niethammerschc Reformprogramm, das allem konfessionellen Hineinregierenwollen vom ei genen Ansatz her die Stirn bot, und nicht zuletzt Hegels Philosophie selbst. Er hat sein Reklorenamt an der gleich wohl weiterbestehenden Konkurrenz zwischen Staat und Kirche in den Fragen der Schulaufsicht vorbei ausgeübt und die ihm zustehende Machtfülle voll ausgeschöpft. Eine Schülerabordnung, die bei ihm vorstellig wird, um eine Subskription beim Tanzlehrer zu annullieren, kann er barsch aus seinem Zimmer weisen, weil er darin einen Versuch sieht, einen ehrenwerten Mann um sein Geld zu bringen. In den eigenen Unterrichtsstunden als Gymnasialleh
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rer konnten seine Schüler die Beachtung sehr zivilisierter Umgangsformen bemerken, die bald den anderen Leh rern der Schule als Vorbild dienten. Hegel redete jeden Schüler der letzten vier Gymnasialklasscn mit »Herr« an und trug damit dazu bei, deren Selbstgefühl zu heben. Im Unterricht und im Umgang mit den Schülern, für die der hohe Rang ihres Lehrers feststand, sollten die Grenzen zwischen Schule und Universität aufgehoben werden. Das galt, wie sein Schüler Johann Georg August Wirth be merkt, damals als ungewöhnlich. Ein anderer ehemaliger Schüler namens Zimmermann beschreibt seinen Unter richt so: »Nach einigen einleitenden Worten diktierte er über den jedesmaligen Gegenstand einen Paragraphen, ließ denselben von einem Schüler vorlesen und erläuterte ihn meist erotematisch, indem er sich abwechselnd bald an diesen, bald an jenen Schüler wandte. Hierauf ließ er die Hauptpunkte der Erläuterungen in der Unterklasse unter seiner Anleitung, in den anderen Klassen ohne dieselbe niederschreiben. Das Niedergeschriebene mußte dann zu Hause ins Reine geschrieben und, wenn es des Zusam menhanges ermangelte, vorher in Zusammenhang ge bracht werden. Am Anfange der nächsten Stunde ließ er einen Schüler seine Reinschrift vorlesen und berichtigte sie nötigenfalls, woran sich meistens von seiner Seite wei tere Erläuterungen und Beantwortungen von Fragen an schlossen, die von Schülern über nicht recht verstandene Punkte an ihn gestellt wurden.« Ein der Zeit weit voraus eilendes diskursives Verfahren zwischen Lehrer und Schüler, wie man sieht! Die mit dem Rektorat verbundene Verwaltungsarbeit hat Hegel als drückende Last empfunden. Er muß alle Arbeiten wie das Verfassen von Berichten, Eingaben und Attesten sowie das Aufstellen von Listen handschriftlich zunächst selbst erledigen. Schüler damit zu beauftragen empfindet er als Mißbrauch. Darum das dringende Ersu chen an Niethammer, ihm einen Pedell zuzuweisen! Aber von München war vorerst wenig Hilfe zu erwar ten. In der Sektion für das protestantische Schulwesen im bayerischen Ministerium kann man froh sein, wenn der
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Aufbau der Schulen in Franken nicht durch Winkelzüge der Verwaltung behindert wird. Kurze Zeit, im Herbst 1810, steht sogar die Auflösung des Nürnberger Gymna siums bzw. seine Verlegung nach Ansbach zur Debatte, kann aber dann noch abgewendet werden. Für Hegel wäre das ein Schlag gewesen, der ihn auch persönlich getroffen hätte. Die Protestanten, so findet er, kann man nicht stärker angreifen und empfindlicher treffen, als wenn man sich gegen ihre Bildungsanstalten wendet: »Protestantismus besteht nicht so sehr in einer besonderen Konfession als im Geiste des Nachdenkens und höherer, vernünftiger Bildung« (an Niethammer, 3. November 1810). Hegel konnte bei allem, was sich gegen seine Nürnber ger Schultätigkeit einwenden ließ, noch von Glück reden. Es hätte nach seinem erzwungenen Weggang von Jena schlimmer kommen können. Unter seinen Bekannten, denen er seitdem aus dem Blickfeld entschwunden war, hielt sich das Gerücht, Hegel sei ins Elend abgesunken. So meldet sich sein alter Schüler von Ghert, der davon gehört hatte, und bietet sich an, ihm eine Professur in Holland zu verschaffen. Als im Dienste des holländischen Innenmini steriums stehender Beamter sieht er dafür Möglichkeiten. Hegel reagiert mit Interesse. Er sieht Nürnberg wie vor her Bamberg nur als Zwischenstation auf dem Weg zur Rückkehr in ein Lehramt an der Universität. Da kommen ihm die Aussichten auf eine Professur in Leiden gelegen, vor allem für den Fall, daß sich die von Niethammer geschürten Erwartungen nicht verwirklichen würden, nach Erlangen berufen zu werden. Die Erlanger Pläne werden nun in den folgenden Mo naten dringlicher, weil sie sich mit seinen privaten verbin den. Ihnen stehen freilich Schwierigkeiten entgegen, die sich aus Niethammers mangelndem Durchsetzungsver mögen beim Ministerium, aus Schellings Konkurrenz und der Passivität der Erlanger ergeben. Aber wenn Hegel seine Absicht, das Rektorenamt so schnell wie möglich mit einer Professur an einer Universität zu vertauschen, jetzt unumwunden forciert, so darum, weil er heiraten will.
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Die Absicht selbst war so neu nicht. Schon das ihm befreundete Ehepaar Paulus hatte sich gleich nach Hegels Ernennung zum Gymnasialdirektor erboten, für ihn nach einer »treu langsamen Nürnbergerin« Umschau zu hal ten. Wenn dann doch erst knapp zweiundeinhalb Jahre nach Hegels Dienstantritt von seiner ernsten Absicht, in den Stand der Ehe zu treten, die Rede ist, so scheint er sich auch jetzt wieder seinem Charakter entsprechend zu kei ner Eile veranlaßt gesehen oder der Vorsicht den Vorzug gegeben zu haben. Die ersten Schritte, die Hegel in dieser Richtung unter nimmt, zeigen dann aber sofort eine überraschende Ziel strebigkeit, wie wir sie so oft bei ihm antreffen, wenn es um die Durchsetzung von Plänen geht. Wie im einzelnen die Bekanntschaft mit Marie von Tucher, die einer Familie des altnürnberger Patriziats entstammt, zustande gekom men ist, wissen wir nicht. Vieles, so auch in Hegels brief lichen Aufzeichnungen, spricht für eine behutsame An näherung. Hegel wählt den Weg betonter Förmlichkeit: Anfang April 1811 läßt er Frau Sophia Maria Grundherr von Altenhamm in seinem Namen Herrn von Tucher um die Hand seiner Tochter anhalten. Einige Tage später, am 8. April, bittet er den Vater diplomatisch, seine Einwilli gung in die Ehe vom Entschluß seiner Tochter abhängig zu machen, und zugleich um die Erlaubnis, das Mädchen seiner Wahl besuchen zu dürfen. Damit hatte er eine Beziehung eingeleitet, ohne großes Risiko für einen Gesichtsverlust bei etwaiger Ablehnung einzugehen. Der Familie mochte der Rektor der ersten Schule der Stadt als Bewerber um die Hand der Tochter nicht unwillkommen sein. Allerdings war dessen finan zielle Lage, ohne Vermögen und mit unregelmäßigen Gehaltszahlungen, alles andere als gesichert. Und auf eine größere Mitgift der Braut war nicht zu rechnen, weil die Familie noch sieben Kinder zu versorgen hatte. Befürchtungen in dieser Hinsicht haben Hegel dann auch bis zur Eheschließung nicht mehr verlassen, weil er von hier Gefahren für sein künftiges Leben glaubte ver muten zu müssen. Vor allem erschien ihm seine berufliche
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Stellung als nicht ausreichend, um bei strengeren gesell schaftlichen Maßstäben vor den Augen der Familie seiner künftigen Frau bestehen zu können. Man hatte ihm im Tucherschen Hause den Gedanken an eine »Standeserhö hung« nahegelegt. Das findet seinen Niederschlag in He gels Mitteilung an Niethammer vom 18. April 1811: »Mein Glück ist zum Teil an die Bedingung gebunden, daß ich eine Stelle auf der Universität erhalte.« Die Ein wände waren eher milder Natur, aber reichen aus, um Hegel schwankend zu machen. Er möchte darum, als es ernst mit der Heirat zu werden droht, die Eheschließung hinausschieben, insbesondere die öffentliche Bekanntma chung aussetzen. In langen brieflichen Erörterungen zer streut Niethammer diese Einwände: »Halten Sie etwa sich als Professor und Rektor des Gymnasiums in Nürnberg nicht für angesehen und würdig genug, um öffentlich und solent als Mitglied einer Familie aufgenommen zu werden, die in dem vormaligen Glanze der Reichsstadt Nürnberg allerdings eine sehr angeschene Stellung einge nommen hat?« Und unter Berücksichtigung der Hcgel schen Psyche: »Geradezu gesagt, ich halte dies für eine ebenso unselige als unbegründete Furchtsamkeit von Ih rer Seite« (5. Mai 1811). Hegel war indessen bei der Familie Tucher nicht ganz untätig geblieben und hatte zur Verbesserung seiner Stel lung als Heiratskandidat seine Ernennung zum Universi tätsprofessor in Erlangen in Aussicht gestellt. Aber damit hatte es seine Bewandtnis. Denn die Universität Erlangen lag darnieder, wie es in diesem Zusammenhang im Brief wechsel mit Niethammer heißt, der jetzt von Hegel dafür eingespannt wird, um seine Aussichten auf Erlangen bei der Familie glaubhaft zu machen. Das bedeutet auch die Aufforderung an Niethammer, seine Bemühungen, He gel in Erlangen unterzubringen, zu intensivieren. Hegel muß es inzwischen gelungen sein, die Familie von Tucher von seiner Anwartschaft auf eine Professur in Erlangen zu überzeugen und damit letzte gegen seine Mittellosigkeit bestehende Bedenken auszuräumen. »Es ist unter uns schon viel von dem Erlangen die Rede gewesen, daß
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unsere Verbindung und Erlangen in der Phantasie ganz in eins zusammengewachsen sind, gleichsam wie Mann und Frau«, schreibt er am 30. Mai 1811 an Niethammer. Warum Erlangen in Hegels Überlegungen und auch in denen der Familie von Tucher so schwer wog? Nicht zuletzt darum, weil der imaginäre »Witwenfonds« für Universitätsprofessoren besser ausgestattet sein sollte als der für Gymnasialprofessoren, was bei der Bürgerlichkeit der einheimischen Nürnberger Familie wie des auf eine gesicherte Zukunft bedachten Schwaben nicht außer Be tracht gelassen werden konnte. Niethammers Briefe an Hegel sind denn auch so abgefaßt, daß sie sich vom Empfänger als glaubwürdige Dokumente für eine zu er wartende Berufung nach Erlangen, zumindest seine Rangverbesserung, bei der Familie der künftigen Frau vorzeigen ließen. »Ihre Beförderung«, so schreibt ihm Niethammer unter dem 5. Mai 1811, »ist mir nach meiner Kenntnis der Verhältnisse so wenig zweifelhaft, daß ich sie selbst für den Fall, wenn ich meine Stelle verließe, nicht bezweifeln kann.« Hegel hat freilich leise Anmahnung aus dem Tucher schen Haus nach einer »besseren Anstellung« (an Niet hammer, 30. Mai 1811) sehr wohl als Bekräftigung seiner eigenen Ansichten empfunden. Er fürchtete den Abstieg des Gymnasialprofessors als Dauerzustand nicht weniger als den ins freie Literatentum. Neue Erwartungen ergeben sich plötzlich durch den Weggang von Paulus nach Heidelberg. Paulus war von der Universität zum Professor für Kirchengeschichte be rufen worden. Hegel setzt sofort auf die alte Beziehung zu seinem schwäbischen Landsmann und noch mehr auf die Freundschaft zu dessen Frau Caroline. Sein Brief an sie vom 13. Juli 1811, den seine Braut mit persönlichen Zwi schenbemerkungen versieht, ist eine einzige inständige Bitte, ihm eine Professur in Heidelberg zu verschaffen: »Wie groß würde mein Glück sein, daselbst endlich den Port meiner Bestimmung zu finden! Nicht wahr, hierauf lassen Sie mich nicht ohne Antwort.« Zwischen den Zeilen von Marie von Tucher hinzugefügt: »Bitte, bitte! Nur
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recht bald.« Hegel scheint sich gerade in den Monaten vor seiner Hochzeit wieder in einer seiner depressiven Phasen befunden zu haben, er sieht seine Zukunft in wenig hellem Licht und glaubt, wegen Gehaltsrückständen von fünf Monaten seine Heirat verschieben zu müssen, während die Handwerker bereits dabei sind, die Sessel und Stühle für die künftigen Eheleute herzustellen. Glauben an die Zukunft hat er seiner Braut nicht vermittelt. Im Gegen teil: in einem undatierten Brief aus dem Sommer 1811 bittet er Marie von Tucher, seinem »Gemüt von Unglau ben« als »Heilerin« zu dienen. Aber sein Zögern bei der Angst vor möglicher wirt schaftlicher Not in der Ehe geht aus Schichten seiner Persönlichkeit hervor, die tiefer liegen und auf das Unent schiedene seines Charakters verweisen. Nachdem die Hei ratserlaubnis vorlag, die von Amts wegen vorgelegt wer den mußte, war an einen weiteren Aufschub der Hochzeit freilich nicht mehr zu denken. Ihrem einundvierzigjähri gen Bräutigam hatte Marie von Tucher im Brief Hegels an Caroline Paulus in einer kleinen Glosse testiert: »Hegel gehört auch zu den Hoffnungslosen, die nichts erwarten, nichts begehren.« Wenn Hegel den Schritt in die Ehe ohne den geringsten Funken der Begeisterung tat, so gab es dafür neben der angeborenen Erwartungslosigkeit höchst reale Gründe, zunächst in der Gestalt des ihm von der Frau Burkhardt in Jena geborenen unehelichen Sohnes, der sich noch sehr schmerzhaft in Erinnerung bringen wird. Hier wächst das Opfer heran, das Hegels gesellschaftlicher Aufstieg in die Kreise des Nürnberger Patrizials fordert. Der Sohn Louis war lange krank gewesen. Hegel ist dankbar, daß unter der Pflege der Frau Frommann, wie er am 18. Mai 1811 schreibt, die »krankhafte Aufgedunsenheit«, »Trägheit« und »Stumpfheit des Geistes«, die Hegel der bisherigen Erziehung zuschreibt, geschwunden sind. Man hatte ihn, offenbar, um ihn aus den Händen der für die Erziehung ungeeignet scheinenden Mutter zu nehmen, in das Erzie hungsinstitut der Betty Wesselhoff, der Schwägerin von Hegels Freund Frommann, gegeben.
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Die Hochzeit ist für den 16. September 1811 angesetzt. Niethammer hat Hegel, der sich durch die Gehaltsrück ständc in einer mißlichen Lage befindet, dafür Kredit angeboten. Hegel kann ablehnen, er hat sich das Geld bereits von Merkel, einem Freund, Mitglied des Stadtrats und mit Hegel durch die gemeinsame Tätigkeit in der Schulkommission verbunden, geliehen. Die Eheschließung und die anschließenden »Flitterwo chen« haben Hegels Arbeit an der Logik nicht wesentlich beeinträchtigt. Das war möglich, denn er war ohne große Illusionen geblieben, da er »mit weniger Täuschungen auch die Zeit von der Hochzeit an durchlebte«, wie er Niethammer am 10. Oktober 1811 schreibt. Rückblickend findet er einige Monate später, ebenfalls gegenüber Niet hammer (5. Februar 1812): »Es ist keine Kleinigkeit, im ersten Semester seiner Verheiratung ein Buch des abstru sesten Inhalts von 30 Bogen zu schreiben.« Dem ist nichts hinzuzufügen. Aber nicht weniger interessant ist die zu sätzliche Bemerkung über die von ihm selbst erkannten formalen Mängel des Buches: »Ich bin kein Akademikus; zur gehörigen Form hätte ich noch ein Jahr gebraucht, aber ich brauche Geld, um zu leben.« Als Gymnasialprofessor in Philosophie läßt er es nun geruhsamer angehen. Die im Dienste des Schulamts absol vierten Stunden haben nicht den zunächst erwarteten Erfolg erbracht. Im Gymnasium, so findet er, wird zuviel Philosophie gelehrt. Er ist sich lange selbst im unklaren darüber, ob nicht »vielleicht aller philosophischer Unter richt an Gymnasien überflüssig scheinen könnte«, wie er es die vorgesetzte Behörde in der Gestalt Niethammers (23. Oktober 1812) wissen läßt mit der Erwägung, »daß das Studium der Alten das der Gymnasialjugend ange messenste und seiner Substanz nach die wahrhafte Einlei tung in die Philosophie sei«. Das war zweifellos auch im Blick auf Verminderung der eigenen Unterrichtsstunden gesagt. Das Resultat des Un terrichts lohnt den Aufwand nicht. Mögen sich die Altphi lologen eine zweckdienlichere Einleitung in das Fach an gelegen sein lassen. Die Einsicht kam einem Bedürfnis
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nach dringend gewünschten Erleichterungen für den phi losophischen Schriftsteller und Ehemann entgegen und war im täglichen Urngang mit den Schülern gewissenhaft erworben. Aber sie trifft auf den einer schnellen Entschei dung damals noch entgegenstehenden Einwand, damit gegen sein eigenes Fach und seine Stelle zu streiten, sich das eigene Wasser abzugraben. Die Zahl der Unterrichtsstunden, die eingestandene Hilflosigkeit gegenüber der Administration, die Schulden bei ausbleibenden Gehaltszahlungen lassen ihn jetzt sogar an Tübingen denken, wo die Stelle Abels frei wird. Das zeigt an, in welcher Bedrängnis er sich fühlen mußte. Denn Tübingen war für ihn eine Stätte abschreckendster Erinne rungen. Das hatte ihn stets mit Schelling verbunden. Jena gegen Tübingen war ihre gemeinsame Devise gewesen. Hegel fühlt bei Niethammer vor, der gerade in Tübingen gewesen war und abrät. Das wäre nur ein Wechsel vom bayerischen »Sumpf« in den württembergischen. Dann schon lieber »mit Ehre und Anstand Rektor in Nürnberg« sein, als die »Narrenkappe« des Tübinger Professors tra gen (8. Dezember 1812). Der Ratschlag wird begleitet von Niethammers Aussichtseröffnung auf das Referat in Schul- und Studiensachen beim Königlichen Kommissa riat in Nürnberg mit Einkünften von 300 Gulden. Eigentümlich und doch nicht überraschend war bei Hegels Bitte um nähere Auskünfte über die Tübinger Stelle der Schatten Schelling aufgestiegen. Auch der hatte sondiert, mehr oder weniger im geheimen sein Interesse bekundet. Aber wie Hegels Freundin Caroline Paulus, die über solche Interna immer bestens unterrichtet ist und sie schnell weitergibt, ihm glaubhaft mitteilt, will man Schel ling in Tübingen nicht, um keine »Atheisten« zu haben. Wie es um die Beziehung zwischen Hegel und Schelling stand, zeigt der kurze Aufenthalt Schellings mit seiner zweiten Frau Pauline Gotter in Nürnberg im Juli 1812 bei der Durchreise, ohne dem Gymnasialrektor eine Aufwar tung zu machen. Bei einem weiteren Aufenthalt Schellings in Nürnberg einige Monate später kommt es dann freilich zu einem Besuch bei Hegel.
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Die Eheschließung hat Hegel als völlige Veränderung seiner Lebensverhältnisse empfunden. Aussichten auf die Verbesserung seiner wirtschaftlichen Lage hatte sie nicht erbracht. Im Gegenteil: seine Frau war vermögenslos. Vom Vater konnte keine nennenswerte Aussteuer erwar tet werden, weil der Großvater noch lebte und allein über das Familienerbe der Tucher verfügte. So fiel der Unter halt der Familie, wie er ausführlich berichtet, allein Hegel zu. Nach der Geburt eines Mädchens, das kurz darauf stirbt, kam im Juni 1813 ein Knabe auf die Welt, ein von Hegel freudig begrüßtes Ereignis. Einige Tage später stirbt der Schwiegervater. Aber in diesem Jahr fallen auch große welthistorische Entscheidungen. Dem bayerischen Schulprofessor ließ sich als allerletztes eine königlich-bayerische Gesinnung nachsagen. Dem Staat, in dem er lebte, hat er als einem Abstraktum, und dies bereits als Redakteur der Bamberger Zeitung, gesetzestreu gedient. Aber seine Bewunderung galt Napoleon. Hegel hat seinem Gewissen deswegen kei nen Zwang antun müssen, denn Bayern war dessen Ver bündeter im Kampf gegen Österreich und Rußland, dem sich Preußen 1812 in der Konvention von Tauroggen angeschlossen hatte. Doch der »Weltgeist zu Pferde« hatte längst den Zenit seiner Macht überschritten. Das Jahr 1813 läßt auch im Lager seiner alten Anhänger das Gefühl aufsteigen, daß sich Napoleons Zeit dem Ende nähert. Die militärischen Operationen in Bayern zeigen ihn bereits auf dem Rück zug. Hegel erlebt unmittelbar aus eigener Anschauung, wie die bayerische Armee an seiner Seite gegen die Öster reicher vorgerückt war, dann aber ins Lager der Alliierten umschwenkte. Er hatte sogar nach eigenem Bekunden einen Vorteil von der bayerischen Staatsnot: Die Admini stration verteilte, um sich der Loyalität ihrer Beamten zu versichern, Gelder an sie oder beglich, wie im Falle He gels, Rückstände. In der Folge der Ereignisse verlassen die Franzosen Nürnberg, und es rücken, wie Hegel sie nennt, die »Befreier«, Russen und Österreicher, nach. Was er in Jena bereits leidvoll erlebt hat, wiederholt sich hier: Es
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wird requiriert, konfisziert, geplündert. Kein Zweifel: der alte Bewunderer Napoleons steht bald auf der Seite der neuen Herrn. Die Elemente seiner künftigen Geschichts dialektik sind bei der Beschreibung der Geschehnisse bereits in Bewegung geraten. Den in der Geschichte zum Abtreten verurteilten Mächten zu vertrauen ist Ausdruck der Unvernunft. Ihnen muß man mit keiner Träne nach trauern. Aber schon beim Aufsteigen des Neuen ist der »Keim seines Vergehens in seiner Geburt selbst« enthal ten. Auf die französischen Beutemacher von Jena, die sich an seiner geringen Habe vergriffen hatten, folgen die russischen und österreichischen. Was die Frage aufwirft, ob die neuen Herrn nicht ärger sind als die alten. Besser sechs Franzosen im Quartier als zwei Russen, ist die in Nürnberg kursierende Meinung, der Hegel nicht wider spricht. Ganz zu schweigen von den Österreichern, denen er vorwirft, ihn persönlich bestohlen zu haben! »Segens ströme« sind aus der Niederlage Napoleons, wie sie sich hier anbahnt, allerdings nicht zu erwarten, sondern eine »dunkle Brühe aus jenem vaterländischen Kaffee«, mit dem Hegel wenig im Sinne hat: ein Vergleich, den Hegel wiederholt in seine Korrespondenz einfließen läßt. Er spricht von schrecklichen Träumen seiner Frau; sie glaubt sich im Lager wilder Soldaten, und zwar ausdrücklich Kosaken und Preußen, befunden zu haben. Die Russen haben die Bevölkerung vom Joch der Franzosen befreit, und sie tun ihre Arbeit gut, nämlich als wahre »Befrei ungsbestien«. Hegel will übrigens die große Umwälzung mit dem Abtreten Napoleons in der Phänomenologie des Geistes be reits am Vorabend von dessen siegreicher Schlacht bei Jena vorausgesagt haben. »In meinem Werke (in der Nacht vor der Schlacht von Jena vollendet) sage ich p. 547: Die absolute Freiheit (sie ist vorher geschildert; es ist die rein abstrakte, formelle der französischen Republik, aus der Aufklärung, wie ich zeigte, hervorgegangen) geht aus ihrer sich selbst zerstörenden Wirklichkeit in ein anderes Land (ich hatte dabei ein Land im Sinne) des selbstbewuß ten Geistes über ...« Wenn das richtig ist, dann war es in
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verschlüsselter Form und für das Auge des Lesers unsicht bar geschehen. Denn daß damit der Sturz Napoleons gemeint gewesen sein soll, erfahren wir erst sieben Jahre nach Erscheinen der Phänomenologie des Geistes aus seinem Brief vom 2g. April 1814 an Niethammer. Aber dahinter verbargen sich für ihn keine Erwartun gen. Napoleon war für ihn der Bändiger der revolutionä ren Masse gewesen. Es steht zu befürchten, daß sich nach seinem zu erwartenden Fall die Masse wieder erhebt und die Herrschaft an sich reißt. Im selben Brief am Nietham mer beschwört er diese Gefahren: »Der Wendepunkt des Ganzen, der Grund, daß diese Masse Gewalt hat und als Chor übrig und obenauf bleibt, ist, daß die große Indivi dualität selbst das Recht dazu geben muß und somit sich selbst zugrunde richtet.« Das läuft auf die neue »Stimm rechtsbewegung« im Namen des Volkes heraus, die das Ende allen großen Tuns des einzelnen bedeutet. Indem mit Napoleon der große Täter abtritt, der durch seine Erscheinung für jede große Tat stand, brechen für seine Anhänger und Geistesverwandten schlechte Zeiten an. Mit ihrer Zustimmung zu dem neuen Recht, das ohne sie nicht zustande kommen könnte, drehen sie sich ihren eigenen Strick: »Es sind große Dinge um uns geschehen. Es ist ein ungeheures Schauspiel, ein enormes Genie sich selbst zerstören zu sehen.« Aber vorerst ist es noch nicht soweit. Das ist an die Adresse der Alliierten, an Österreich, Preußen, Rußland, gerichtet. Ihren ständigen Siegesmeldungen und Ankün digungen vom endgültigen Untergang des ehemals all mächtigen Gegners muß ein gehöriges Mißtrauen entge gengesetzt werden. Bei dessen erprobtem Erfindungs reichtum ist vorzeitiges Frohlocken unangebracht. Hier sehen wir: Beim Beobachten der Kricgsszenc vor seinen Augen ist schon die Methode der Geschichtsdialek tik in voller Anwendung. Sie selbst bleibt für die rasche Veränderung des Geschehens immer offen, reagiert auf jeden neuen Eindruck, korrigiert sich, macht vorschnelle frühere Schlüsse wieder rückgängig, orientiert sich an inzwischen aufgetretenen Fakten für daraus zu ziehende
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neue. Zugleich werden persönlich für den Beobachter selbst abfallende Nebenerscheinungen in Betracht gezo gen und auf ihre Wahrscheinlichkeit abgewogen. Zu jeder Dialektik der Geschichte gehört nach Hegel der Primat der Tatsachen. Zuerst die Tatsachen, dann die Folgerungen! Als Schulmann favorisierte Hegel die Methode, daß der Schüler in den ersten zwei Jahren nur zu schweigen habe, damit er lernen kann, um welche Gegenstände es sich handelt, mit denen er es zu tun haben wird, um etwas von ihrer Realität, Qualität, Quantität, Bestimmtheit, Größe, Materie, Form, Verän derung usw. mitgeteilt zu bekommen. Erst nachdem er erste Erfahrungen von ihnen gewonnen hat, kann er sprechend im weiteren Umgang mit ihnen langsam Si cherheit darin gewinnen. Pädagogik ist nach Hegel wie jede andere eine von der Logik abgeleitete Wissenschaft. Den Lehrgegenständen gehen die Tatsachen voraus; diese sind selbst Teile von ihnen und bereiten die Bewe gung vor, in die sie in der Realität geraten. Die aus der Phänomenologie sich heraus entwickelnde Hegeische Phi losophie des »Systems« und der »Methode« lebt von ei ner grenzenlosen Freude an den Tatsachen, nicht als Tatsachen einer platten Realität, sondern als »Wißba res«. Sein Beruf als Redakteur in Bamberg hatte ihn zu täglicher Beschäftigung mit Tatsachen gezwungen in der Form von Nachrichten, ihrer Version, der Entschei dung, sie zu veröffentlichen oder zu unterdrücken. Das hatte ihm bekanntlich viele sorgenvolle Stunden berei tet. Tatsachen aber gehörte ebenso seine Leidenschaft bei der Anlage seiner Mappen, in denen er sie für einen allfälligcn späteren Gebrauch zusammenträgt. Der sonst leicht lethargische Hegel bebt vor Freude, wenn es darum geht, Tatsachen als Schreckensmeldungen zu servieren, so im Stil des knappen brieflichen Berichts vom 14. Dezember 1810 an Knebel: »kürzlich hat sich ein Herr von Haller durch den Kopf geschossen; Frau Senatorin von Ströhmer hat das Kind ihrer Fräulein Tochter ins Wasser getragen und sitzt im Turm; näch ster Tag wird ein Mann gerädert, der mit seiner Toch
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ter Blutschande getrieben; die letztere wird mit geköpft, weil beide auch noch das Kind gelötet ...« Das sind schauerliche Begebenheiten aus dem trivialen Alltag, die nicht viel besagen und auch nicht mehr als die Beiläufigkeit verdienen, mit der sie hier vorgetragen wer den. Jedenfalls gemessen an der »Weltgeschichte«, wie sie in der Gestalt Napoleons vor den Augen Hegels und seiner Zeitgenossen abläuft! Höchstens, daß sie den Stoff aufzeigen, die »Materie«, die in der »Realität« ihre »Aus dehnung« und »Bestimmung« erfährt! Hegels eigenes Familienleben in der Nürnberger Zeit war selbst tief eingebettet in die Alltäglichkeit ohne jeden Zug zum Exzentrischen. Abweichen von der bürgerlichen Regel liegt ihm vom angeborenen Temperament her fern. Das wäre mit unabsehbaren Risiken verbunden. In der Familie herrscht er als unangefochtener Patriarch, der selbst das Haushaltungsbuch führt und Einnahmen und Ausgaben eigenhändig einträgt. Marie Hegel wird in der Korrespondenz als »kleine Frau« angeführt, so wie er gegenüber Niethammer bei seinen Empfehlungen an des sen Ehefrau stereotyp »beste Frau« verwendet - beides bescheidene, im biedermeierlichen Bürgertum kursie rende Komplimente. Die Heirat hat Hegel das bürger liche Lebensgefühl gegeben, daß der Mensch erst in der Ehe ganz zu sich selbst findet. Konflikte werden darin freilich nicht zur Sprache gebracht. Daß es sie gegeben hat, liegt auf der Hand; sie mußten sich zwangsläufig aus der Existenz des kleinen Ludwig Fischer entwickeln, der in Jena in Pension fern von Vater und Mutter mehr krank als gesund vor sich hin lebte. Die Kosten für seine Verpfle gung wurden vom Vater aus Nürnberg regelmäßig, aber auch nichts darüber hinaus entrichtet. Seine Versuche, den Sohn besuchsweise im eigenen Nürnberger Haushalt aufzunehmen, sind offenbar von seiner Frau verhindert worden. Kleidersendungen an den Kleinen werden verzö gert, wofür sich der Vater bei Frau Frommann entschul digt. Damit hatte es in den Augen von Hegels Frau keine große Eile, nachdem ihr inzwischen zwei eigene Söhne geboren worden waren, neben dem Ältesten — Karl - der
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jüngere, der zu Ehren von Hegels Förderer in München, Niethammer, dessen Vornamen Immanuel bekam. Leidvoll, und zwar für beide Seiten, sind die Erfahrun gen gewesen, die sich durch den Besuch von Hegels Schwester im Hause des Nürnberger Gymnasialrektors ergeben. Christiane Hegel, dem Bruder von Jugend an zutiefst verbunden, stand »in Diensten« bei der Familie von Berlichingen auf Schloß Jagsthausen. Über ihre Pflichten, die ihr alle erdenklichen Freiheiten im Hause ließen, hatte sie keine Klage zu führen. Aber das Gefühl der Vereinsamung verursachte lang anhaltende Depres sionen. Der Bruder schlug ihr vor, ihren Dienst aufzuge ben und zu ihm überzusiedeln, sich aber vorher wohl zu bedenken. Er dachte an eine Hilfe für seine hochschwan gere Frau und an eine willkommene Erweiterung seiner Familie. Doch die Dinge liefen dann anders als gedacht. Bald nach ihrer Ankunft bekam die Besucherin das Ge fühl, die »Hausordnung« zu stören, und zog es vor, wie der ins Württembergische zurückzureisen. Die Wochen hatten jedenfalls einiges bei ihr bewirkt. Ihr waren die Augen für das Los eines nicht im Hause Anwesenden geöffnet worden — des armen kleinen Ludwig in Jena. Dem Jungen muß geholfen werden. Waren Hegels Bezüge durch seine Funktionserweite rung angehoben worden, so reichten sie für eine leidliche Lebensführung bei aller ihm eigenen Bescheidenheit kaum aus. Er war immer noch hoch verschuldet. Dagegen hatten sich seine Pflichten vermehrt. Die Aufsicht über das Nürnberger Volksschulwesen war dazugekommen, die ihn mit dem leidigen Visitationsrecht der Kirche in der Schule bekannt machte. Sein Standpunkt war der Niet hammers: Der Demütigung des »Schulmeisters« durch den »Pfaffen« muß getrotzt werden. Mit Wehmut ver merkt der ehemalige Tübinger Theologe: »Wenn wir durch Schleichen und Freundlichkeit wie die Geistlichen auch dreimal mehr verdienten ...« (19. April 1814). Zu den Erwartungen, daß ihn sein »Befreier« Nietham mer doch noch in absehbarer Zeit auf eine Professur in Erlangen bringen werde oder daß Paulus und Schelver
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ihm nach Heidelberg verhelfen könnten, kommt jetzt eine neue und höchst bemerkenswerte, die sein erwachtes gewaltiges Selbstbewußtsein als Philosoph beweist. Am 27.Januar 1814 war Fichte in Berlin gestorben. Hier stünde es an, den Verfasser der Wissenschaft der Logik, deren erster Band 1812 erschienen war, nach Berlin zu berufen. Darauf ist jetzt sein Augenmerk gerichtet nach der von ihm befolgten Regel, daß dem möglichen Willen Gottes durch eigene und fremde Bemühungen kräftig nachgeholfen werden müsse. Mit der Logik und den daraus abgeleiteten Hoffnungen ergab sich jetzt sehr dringlich die Frage seiner Standortbe stimmung. Die Widerstände gegen Hegel in Heidelberg, die Paulus zu spüren bekommt, gehen von Fries aus. Dessen eigene »Logik« stand auf »anthropologischer Grundlage«, womit er sich neben anderem auf Kant beru fen konnte, beruhte aber zusätzlich auf dem zeiteigentüm lichen Gefühl der »Ahnung«. Hegel nennt sie gegenüber Niethammer (io. Oktober 1811) das »unzusammenhäng ste Kathedergewäsche, das nur ein Plattkopf in der Ver dauungsstunde von sich geben kann«, rührt aber damit auch an Kants Philosophie in »ihrer allerletzten Seichtig keit«. Mochte die seltsame Verbindung von »Anthropolo gie« und »Ahnung« als hochromantisches Modewort Be denkliches an sich haben, so ist Hegels Urteil über Kant hier »inoffiziell«. Er verrät damit seine Hauptschlagrich tung, deckt aber in der Logik seine Karten nicht vollständig auf. Das galt auch gegenüber Schelling. In der Phänomeno logie des Geistes hatte er von seiner Kritik an Schelling nur einen kleinen Einblick gegeben, was allerdings für Schel ling ausreichte, um sich elementar getroffen zu fühlen. In nicht für den Druck vorgesehenen Äußerungen urteilte Hegel vernichtender. Da ist vom »Schwindel der Natur philosophie« die Rede; »Naturphilosophie«, worin Schel lmgs Stärke lag, ist nur leeres Geschwätz. Schelling konnte es nicht verborgen bleiben, daß er sich in Hegel einen Konkurrenten für mögliche Berufungen zugezogen hatte. In München, wo er ohne Lehrverpflich tungen lebte, erreicht ihn ein Ruf aus Jena. Er lehnt ab,
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der geringen Besoldung wegen. Als Hegel davon erfährt, bringt er sich sofort brieflich gegenüber Frommann selbst in Vorschlag, wobei er die Befürchtung nicht unterdrük ken kann, man würde sich in Jena noch seiner schlechten Darbietung des Stoffes in den Vorlesungen erinnern. Er muß gestehen, »im mündlichen Vortrag an den Buchsta ben meines Heftes gebunden« gewesen zu sein (14. April 1816), seither aber habe er durch sein Nürnberger Lehr amt die Fähigkeit des freien Vortrags gewonnen. From mann möge also das möglicherweise in Jena noch gegen ihn bestehende »Vorurteil« ausräumen. Allerdings vom festen Boden seiner Nürnberger Einkünfte aus ist er entschlossen, für die in Aussicht stehende gewöhnliche Professoren-Besoldung nicht nach Jena zu gehen. Die Frage erledigt sich dann von selbst. In Jena will man seinen alten Gegenspieler Fries haben. Dadurch steigen wieder die Hoffnungen auf Heidel berg. Denn mit dem Weggang von Fries sieht Hegel dort für sich neue Chancen. Er ist sogar bereit, so läßt er seinen Heidelberger Gewährsmann Paulus wissen, auf ein höhe res Gehalt, als er es in Nürnberg bezieht, zu verzichten, wenn er Fries' Stelle bekommt. Der Theologe Daub, der sich in Heidelberg ebenfalls für ihn verwendet, läßt bei Hegel anfragen, ob er mit 1300 Gulden zuzüglich 6 Mal ter Korn und 9 Malter Spelz, zufrieden sei. Damit würde er allerdings unter seinen Nürnberger Einkünften liegen. An höhere Geldforderungen sei nicht zu denken, wird Hegel bedeutet, aber er möge bei seinen Verhandlungen darauf dringen, wie Fries vor ihm, in den Genuß einer Freiwohnung zu kommen, für die 150 Gulden veran schlagt werden können. Hegel ist bereit, darauf einzuge hen, um endlich »aus dem Katzenjammer unseres Schulund Studienwesens« (8. August 1816 an Paulus) herauszu kommen. Er kann sogar für sich selber anführen, in Berlin unter den Kandidaten für Fichtes Nachfolge zu rangieren. Für diesen Entschluß Hegels, von Nürnberg wegzuge hen, gab es neben persönlichen inzwischen objektive Gründe. Die Württemberger, die es so eilig gehabt hatten,
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von Jena nach Bayern zu kommen, möchten es jetzt ebenso schnell wieder verlassen. Ihre Erwartungen waren nicht erfüllt worden. Paulus hatte als erster die Gelegen heit genutzt und war nach Heidelberg gegangen. Schel ling stand in München auf dem Sprung, sich in jede gewünschte Himmelsrichtung zu entfernen. Niethammer hatte in der bayerischen Residenz mit schweren Wider ständen zu kämpfen und bekam das Mißfallen des Königs zu spüren. Die altbayerisch-katholische Richtung war nicht länger bereit, sich von den »Ausländern« bevormun den zu lassen, und fest entschlossen, deren Abzug aus Bayern zu erzwingen. Niethammer muß erkennen: Die Protestanten in Bayern sind rechtlos. Es empfiehlt sich für sie, möglichst schnell ihren Abschied zu nehmen und anderwärts ein Unterkommen zu suchen. Hier kann ein mal Hegel trösten, der so lange auf Niethammers Hilfe gesetzt und von ihm so viel Förderung erfahren hatte. Gegen die Anfechtung durch Bayern kann er seine ge schichtsphilosophische Maxime anführen: »Ich halte mich daran, daß der Weltgeist der Zeit das Kommando wort zu avancieren gegeben. Solchem Kommando wird pariert« (16.Juli 1816). Es stellt sich jetzt, ein Jahr nach dem politischen Untergang Napoleons, heraus, was des sen Abtreten für die Politik in Europa bedeutet hat. Ange sichts der »Reaktion«, wie sie jetzt aufkommt, steht Hegel nun stärker als je zuvor auf der Seite Napoleons. Dieser mag zwar abgetreten sein, aber die »Reaktion« trägt selbst schon die Keime des Untergangs in sich. Denn die »Reak tion« ist in Wahrheit nichts anderes als eine Reaktion auf den »Täter«, auf den es weltgeschichtlich allein ankommt. In den schriftlich geführten Verhandlungen mit Hei delberg ergeben sich zeitweilig Schwierigkeiten. Seine Forderung nach einer Freiwohnung wird abschlägig beschieden. Dafür kann er sein Gehalt schließlich auf 1500 Gulden heraufhandeln und an seine Nürnberger Einkünfte herankommen mit gleichzeitiger Erwartung, durch erwiesenen Diensteifer, der er der ernennenden Behörde in Aussicht stellt, seine Bezüge künftig Jahr für Jahr zu verbessern. Gegen die Teilbesoldung durch Ge
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treide war nichts einzuwenden. Von Tübingen her kannte er das Verfahren, die Professoren zur Hälfte mit Natura lien zu entlohnen. Hegel stellt schon in Nürnberg Überle gungen an, wo die Deputate am gewinnbringendsten ab zusetzen sind. Mit der Ernennung zum ordentlichen Professor in Hei delberg, wodurch die Universität zum erstenmal in ihrer Geschichte, nachdem Spinoza einen an ihn ergangenen Ruf abgelehnt hatte, einen großen Philosophen zu ihrem Lehrkörper rechnen darf, sieht sich Hegel selbst unmittel bar vom »Weltgeist« getragen. Ein Ton gesteigerten Selbstbewußtseins durchdringt von nun an seine Briefe. Er ist jetzt, was er in Nürnberg nicht gewesen war, unan fechtbare Lehrautorität geworden mit der Aussicht, seine Lehre in den Stand einer Landesphilosophie zu bringen und sie so zu verbreiten. Das war, wie wir wissen, schon sehr früh sein Wunsch gewesen. Mit dem an den gesell schaftlichen Zuständen Bayerns geäußerten Mißvergnü gen hat es nunmehr bei Hegel ein Ende. Er hatte, so sah es aus, mit seinem an den König gerichteten Gesuch, aus dem Staatsdienst auszuscheiden, Bayern eine Lektion er teilt. Der Traum von Erlangen hatte sich für ihn nicht erfüllt. Wer dagegen statt seiner in Erlangen lehren wird, ist Schelling, der in vielem und für lange Zeit viel glück lichere Freund aus frühen Tagen. Hegel ist zwar noch nach Erlangen berufen worden. Aber es wiederholte sich hier das, was der Universität schon einmal, Jahrzehnte zuvor, im Fall Kant widerfahren war: Der Ruf kam einige Tage zu spät. Hegel hatte bereits in Heidelberg zugesagt. Ob Absicht hinter der Verzögerung in Erlangen steckte, ist vermutet worden, vielleicht sogar mit Recht. Nachzu weisen war sie nicht, und Hegel hatte keinen Anlaß mehr, der Frage nachzugehen.
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Dreiundzwanzigstes Kapitel
Die Ungeheuerlichkeit der Vernunft:
Wissenschaft der Logik
Als die Wissenschaft der Logik zwischen 1812 und 1816 erschien, blieb sie - mit Ausnahme von Fries, der sie unfreundlich behandelte - ohne Rezensenten. Es fand sich niemand, der bereit war, ein Urteil über sie abzuge ben. Und das heißt auch, damals wie heute: Eine Erklä rung der Hegclschcn Logik kann nur durch die Hcgel sche Logik selbst erfolgen. Denn die Deutung von außen begegnet in der Semantik des Hegelschen Satzes einem Widerstand, der sich nicht ohne weiteres und oft über haupt nicht überwinden läßt. Das galt für die Hegelsche Sprache überhaupt und machte schon die Phänomenologie des Geistes zu einem »Ge heimnis«. »Alternativen für die Interpretation schwieri ger Textstücke wurden nirgends entwickelt« (Henrich): Das läßt sich von der großen Logik nach wie vor behaup ten. Aber gerade sie, das »schwierigste philosophische Werk deutscher Sprache« (Harich), war das in der Phäno menologie angesteuerte Ziel. Sie zeigt auf, was mit der Phänomenologie auf dem Gebiete der Metaphysik und der Logik zu leisten ist, um sie zu einer einzigen »Wissen schaft«, der »Wissenschaft der Logik«, zusammenzufüh ren: in der »System« und »Methode« vereint sind. Darin lag von Kant aus gesehen außerordentlich Be fremdliches. Für die Kantianer, von denen es im 19. und 20. Jahrhundert noch zahlreiche geben wird, ging von der der Metaphysik mißtrauenden »reinen Vernunft« wie ihrer »Kritik« ein Grad an Helligkeit aus, der nicht leicht zu überbieten war. Wenn Hegel jetzt seine von langer Hand vorbereitete Wiedereinführung der Metaphysik ins »System der Wissenschaft« dagegcnstcllte, so mußte das wie ein gewaltiger Rückschritt erscheinen. So ist es denn auch verstanden worden. Ein Mann wie Fries, Hegels Kollege und Gegner in Jena, machte sich damals bereits an den Versuch einer um
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das rechte Verständnis des Königsberger Philosophen besorgten Lehre und ihrer Neudeutung. Das Aufkom men der Hegelschen Philosophie, ihre Verbreitung sowie die Rolle der Hegelschen Schulen haben die Bedeutung Kants nicht lange ernsthaft beeinträchtigen können. Man sieht das etwa bei Beneke und Trendelenburg, die sich nach dem Studium Hegels in den dreißiger Jahren wieder Kant zuwenden. Paradebeispiel für die offene Verhöh nung Hegels, und zwar unter ausdrücklicher Berufung auf Kant, ist Schopenhauer. Von Schellings Abrücken hier zu schweigen! Der gegen Ende des 19.Jahrhunderts aufkommende »Neukantianismus« stellte die konse quenteste Art und Weise dar, mit der Neubelebung Kants den Koloß der Hegelschen Philosophie zu umschif fen. Diese Versuche, an Hegel vorbeizukommen, beruhten auf der durchaus annehmbaren Einsicht, daß das Er kenntnisvermögen der Vernunft von Kant abschließend begutachtet worden sei und der Versuch einer Revision äußerste Risiken in sich berge. Für eine veränderte An schauung bestand keine Notwendigkeit. Wenn es ein Philosoph nach Kant wagen durfte, ein System, dem eine eigene Methode zugehörte, dem Kanti schen entgegenzustellen und es »Wissenschaft der Logik« zu nennen, dann war es Hegel. Hegel hat am Beginn seiner Vorrede zur ersten Ausgabe von 1812 die Kluft beschrieben, die ihn von Kant trennt: »Die völlige Umän derung, welche die philosophische Denkweise seit etwa fünfundzwanzig Jahren unter uns erlitten, der höhere Standpunkt, den das Selbstbewußtsein des Geistes in die ser Zeitperiode über sich erreicht hat, hat bisher noch wenig Einfluß auf die Gestalt der Logik gehabt. Dasjenige, was vor diesem Zeitpunkt Metaphysik hieß, ist, sozusagen, mit Stumpf und Stiel ausgerottet worden, und aus der Reihe der Wissenschaften verschwunden.« Das hieß: Der Logik war das Schicksal der Metaphysik erspart geblieben. War die Logik nach Kants Urteil bei Aristoteles stehengeblieben, so war sie nach Hegels Urteil auch von Kant nicht fortentwickelt worden. Sie von
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Grund auf neu zu schreiben, ist die sich daraus für ihn ergebende und hier angekündigte Aufgabe. Hegels Denken in der Wissenschaft der Logik ist ein »Den ken von Grund auf«. Logik ist für ihn »die Wissenschaft des Denkens im Allgemeinen«, ein Denken in Grundbe griffen und von Grundbegriffen her wie »Sein« und »Nichts«, »Werden«, »Dasein«, »Realität«, »Bestimmt heit«, »Veränderung«, »Negation«, »Qualität«, »Quanti tät«, »Fürsichsein« usw. In der Logik gibt es nach Hegel nicht wie in anderen Disziplinen (»Wissenschaften«) einen Unterschied zwischen Methode und Gegenstand. Die Me thode ist der Gegenstand selbst, und der Gegenstand ist die Methode, d.h. sie ist dialektisch. Die »Dialektik«, so kann Hegel wieder mit dem Blick auf Kant erklären, »die bisher als ein abgesonderter Teil der Logik betrachtet, und in Ansehung ihres Zwecks und Standpunkts, man kann sagen, gänzlich verkannt worden, erhält dadurch eine ganz andere Stellung«. Die Dialektik ist demnach kein »negatives Tun«, kein »Blendwerk« oder falsches Spiel, wie es ihr ihre Gegner nachzusagen pflegen. Dage gen hatte sie schon Kant in Schutz genommen. Logik ist die Vernunft der Dinge an sich, in neuerem Verständnis »die nach bestimmten Regeln ablaufende Entwicklung der Grundbestimmungen allen Seins und Denkens« (Rolf P. Horstmann). Es gibt darum auch keine der Logik vorausgehende Reflexion, es gibt keine eigentliche Einlei tung in die Logik. Sie beginnt stets mit der Sache selbst. Das bedeutet aber immer, daß zu diesem Denken die Spekulation gehört. Niethammer hatte Hegels Philoso phieunterricht am Nürnberger Gymnasium als Übungen im »spekulativen Denken« lehrplanmäßig verbucht. Es konnte gar nicht korrekter gesagt werden. Philosophie im Sinne Hegels kennt gegen Descartes und Kant als Haupt element die Spekulation. Die Spekulation ist für die Phi losophie das, was für das Spiel der Einsatz ist: Sie ist das Wagnis, das aufgebracht werden muß, damit die Dinge in Gang gesetzt werden können. Es ist ein subjektiver Ein satz, um zum Objektiven zu gelangen. So werden Sätze ausgestreut, deren Inhalt keineswegs allgemein feststeht,
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sogar außerordentliche Überraschungen auslösen kann, aber im Sinne des »Systems« und durch die »Methode« vorangetrieben zu einem festen Resultat mit einem bc stürzenden Wahrheitsgehalt führt. So rechnet die Hegcl sche Logik als »Wissenschaft des reinen Denkens« mit der Vorstellung, die sich auf Anaxagoras beruft, »daß das Wesen der Welt als der Gedanke zu bestimmen ist«. In der Wissenschaft der Logik wird eine gewaltige Be griffsapparatur langsam in Bewegung gesetzt, wie sie die Geschichte der Philosophie sonst nicht kennt. Auch bei Aristoteles nicht, ebensowenig bei Kant. Vielleicht bei Jakob Böhme in seiner mystischen Natur- und Geistesspe kulation, die aber nicht als »Logik« figuriert! Hegels Lek türe Böhmes zur Zeit seiner Arbeit an der Wissenschaft der Logik ist genauestens verbürgt durch die Zusendung der Amsterdamer Jakob Böhme-Ausgabe durch van Ghert. Diese Patenschaft Böhmes — neben dem Rationalismus der Aristotelisch-Wolffisch-Kantischen Schullogik durchtränkt gleichsam die Sprache Hegels bis in den Stil der Seins- und Wesensspekulationen hinein. Der verhan delte Gegenstand von »Sein« und »Wesen« ist nicht von sich aus klar: Hegel kennt den nur dialektisch zu verste henden Unterschied der Bestimmungen bei gleichzeiti gem Zusammenfallen. Sprachlich entspricht das »Sein« dem althochdeutschen »wesan« als Infinitiv der Verbform. Das Französische kennt für »Sein« und »Wesen« das gleiche Wort »etre«, für »Wesen« zusätzlich »essence«, was aber keinesfalls mit dem deutschen »Wesen« bedeu tungsidentisch ist. Für Hegel ist der Anfang das »reine Sein«: »Sein, sonst nichts, ohne alle weitere Bestimmung und Erfüllung«; was für das »Wesen« als eine solche »Bestimmung« enthaltendes »Sein« nicht gelten könne. Dagegen »begreift« »ens« nach Hegel sowohl »Sein« als »Wesen«. Es reicht die Expressionskraft der Sprache freilich nicht aus, um den Unterschied zwischen »Sein« und »Wesen« deutlich zu machen. Die Frage nach »Sein« und »Wesen« gehört zur »objektiven Logik«, die an die Stelle der vorma ligen Metaphysik tritt, eben dem, was Kant die »transzen
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dentale Logik« nennt. In der »subjektiven Logik« wird die Logik des »Denkens« behandelt, die einer ganz anderen Rubrik zugehört, aber bei der vorauszusetzenden Identi tät von Sein und Denken gemeinsamer (legenstand der Lehre vom Sein, der Ontologie, ist. Die Lehre vom »Sein« schließt die Lehre von »Nicht sein« ein. Das »Nichtsein« oder »Nichts« geht hypothe tisch gesehen dem »Sein« voraus. Zwischen »Sein« und »Nichtsein« liegt als Tertium comparationis der »An fang«: »Der Anfang« ist »ein Nichtsein, das auf das Sein als auf ein anderes, bezogen ist; das anfangende ist noch nicht; es geht erst dem Sein zu. Zugleich enthält der Anfang das Sein, aber als ein solches, das sich von dem Nichtsein entfernt oder es aufhebt, als ein ihm entgegen gesetztes. Ferner aber ist das, was anfängt, schon, eben so sehr aber ist es auch noch nicht. Sein oder Nichtsein sind also in ihm in unmittelbarer Vereinigung.« Bei der Bedeutung, die dem »Anfang« für die Bezie hung zwischen »Sein« und »Nichtsein« zukommt, ist auf die »Analyse des Anfangs« zu setzen, die in ihrem Resultat die Methode und in der Methode das Resultat des »Hegel schen Denkens« aufzeigt: »Die Analyse des Anfangs« ergibt »den Begriff der Einheit des Seins und des Nicht seins« oder »der Identität der Identität und Nichtidcnti tät« mit dem für die spätere Ausdeutung Hegels so be deutsamen Zusatz: »Dieser Begriff könnte als die erste, reinste Definition des Absoluten angesehen werden« und der für alle Fälle gerüsteten Einschränkung: »wenn es überhaupt um die Form von Definitionen und um den Namen des Absoluten zu tun wäre.« Aber es bleibt dabei: Die Erklärung der Hegelschen Logik kann nur durch die Hegelsche Logik selbst erfol gen. Der Versuch einer Darstellung von außen gleicht dem Versuch, ein Streichquartett von Beethoven allein mit der Bratsche zu spielen. Dem Denken bei der Arbeit zuzusehen und sie mit der Sprache zu beschreiben, ist etwas, das Hegel außerordentliche Mühe macht und mit der Schwierigkeit wetteifert, es auf verständliche Weise zu tun. Wäre es anders, hätte es nicht die Verständigungs
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Schwierigkeiten über die Hegelsche Philosophie gegeben, die bis heute weiterbestehen. Mit dem Spekulieren über »Sein« und »Nichtsein« wird das Bedenken des »Absoluten« eröffnet. Hegels Vorstel lung des »Absoluten« hat trotz oder gerade wegen der Vorsicht, sich darüber auszusprechen, in der Folge wie eine Zündschnur gewirkt. Das »Absolute« als Gottersatz, als unpersönliches höchstes Prinzip anstelle des persönli chen Gottes der Juden und Christen! An dieses mögliche Verschwindcnlasscn Jahwes im namenlosen Abstraktum des »Absoluten« denkt dann Schopenhauer wie an ein Zauberkunststück Hegels, während die theologische Seite im gleichen »Absoluten« ihren »Gott« gerettet wiederzu finden glaubte! Aber war in Hegels Philosophie des Absoluten für Gott überhaupt Platz, wenn er es vorsichtigerweise unterläßt, sich über den »Namen des Absoluten« deutlicher zu fas sen? Der spätere nachhegelsche Atheismus hat nicht gezö gert, diese theoretischen Möglichkeiten bei Hegel auszu schöpfen. Dem »Sein« Gottes steht dessen »Nichtsein« gegenüber, dem in der Formel »Das reine Sein und das reine Nichts ist dasselbe« Rechnung getragen wird und Hegels Neutralität in der Frage garantiert. Bleibt es ein beschwerliches Unterfangen, das Absolute Gott zu nen nen oder Gott das Absolute, so gibt es eine Gewißheit, die Fichte in die Philosophie hineingebracht hat und in der Hegelschen Logik unter allen Gewißheiten als die »kon kreteste« auftaucht: daß Ich gleich Ich ist, steht nicht in Frage. Das »Ich« als »die einfache Gewißheit seiner selbst«, als »Anfang und Grund der Philosophie«, bleibt von allen Zweifeln unberührt. Neben Fichte wünscht He gel später begraben zu werden. Steht dem »Sein« das »Nichtsein« entgegen, so bilden sie gegenüber dem »Werden« eine »Einheit«. Das »Sein« ist so wenig »Werden« wie das »Nichtsein«. »Werden« liegt zwischen »Nichtsein« und »Sein« und gehört zur »Analyse des Anfangs«. Es weist auf den Anfang der Welt, für den Theologen auf die Schöpfung, im jüdisch-christli chen Sinne auf die »Schöpfung aus dem Nichts« als die
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dogmatisch einwandfreie Erklärung der Genesis zurück. Hegels Logik denunziert den Widersinn dieser im überlieferten Glauben festgeschriebenen mythologischen Vorstellung: »Es kann nichts anfangen, weder insofern etwas ist, noch insofern es nicht ist; denn insofern es ist, fängt es nicht erst an; insofern es aber nicht ist, fängt es auch nicht an.« Das bedeutete Ablehnung der jüdisch-christlichen Schöpfungserklärung der Welt »aus dem Nichts« als Erklärung vom »Anfang der Welt«. Das bedeutete ebenso Ablehnung der Erklärung vom »Anfang der Welt« als jüdisch-christliche Schöpfungserklärung: »Wenn die Welt oder Etwas angefangen haben sollte, so hätte sie im Nichts angefangen, aber im Nichts oder das Nichts ist nicht Anfang.« Dagegen hebt Heraklit das »Werden« hervor. »Alles fließt« heißt: alles befindet sich in anfangsloser Bewegung, alles ist »Werden«. Gegenüber dem »Werden« ist aber »das Sein so wenig wie das Nichts«. »Werden« regiert die Lebensvorgänge von der Geburt bis zum Tod, es begründet die Dialektik von Leben und Tod, es demonstriert, »daß alles, was ist, den Keim seines Vergehens in seiner Geburt selbst habe, der Tod umgekehrt, der Eingang in neues Leben sei«. Daß »alles, was ist, den Keim seines Vergehens in seiner Geburt selbst habe«, enthielt bereits den Lehrsatz von Hegels Geschichtsdialektik, für die er in Nürnberg weiter das Material zusammenträgt, um es später in der Philosophie der Geschichte methodisch geordnet auszubreiten. Was für jedes »Ich« gilt, gilt für alle Bewegungen, die in der Geschichte auftreten, sich auf ihren Aufstieg vorbereiten, ihr Wachsen erleben, auf ihren Höhepunkt gelangen, um schließlich ihren Fall und ihr Ende zu erfahren. Auch und gerade Bewegungen, die sich von solchem Gcsetz ausgenommen glauben! Sie schlagen um, erfahren das Gesetz des Unendlichen an sich, dessen »Unendlichkeit« darin besteht, »sich selbst aufzuheben«. Hegel hat das in der Logik mit seiner üblichen peniblen Umständlichkeit an der »Einheit des Endlichen und Unendlichen« demonstriert:
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»Die Endlichkeit ist nur als Hinausgehen über sich; es ist also in ihr die Unendlichkeit, das Andre ihrer selbst ent halten. Eben so ist die Unendlichkeit nur das Hinausge hen über das Endliche, sie enthält also wesentlich ihr Andres, und ist somit an ihr das Andre ihrer selbst. Das Endliche wird nicht vom Unendlichen als einem außer ihm seiendem aufgehoben, sondern seine Unendlichkeit besteht darin, sich selbst aufzuheben.« In der Antwort auf die Frage: »wie das Unendliche aus sich heraus und zur Endlichkeit komme?« sieht Hegel eine Antwort von besonderer Bedeutung, und zwar deswegen, weil mit ihr das »Wesen der Philosophie« bestimmt wird. Sie lautet: »daß es nicht ein Unendliches gibt, das vorerst unendlich ist, und das nachher erst endlich zu werden, zur Endlichkeit zu kommen nötig habe, sondern es ist für sich selbst schon eben so sehr endlich als unendlich«. Der bereits früher entwickelten Formel von der Identi tät des Identischen mit sich selbst und dem Nichtidenti schen entspricht die Identität des Unendlichen mit sich selbst und dem Endlichen durch das Wesen der Unend lichkeit, sowohl endlich als auch unendlich zu sein, weil Unendlichkeit Unendliches und Endliches hat, wie denn eine unendliche Summe von Endlichem zu Unendlichem führt. Logik kennt - strenggenommen — keine Reihenfolge der zu behandelnden Gegenstände. Was als Einleitung gilt, ist bereits logische Operation. Die logische Operation enthält wie die Fuge mathematische Folgerichtigkeit und Intuition, ein Thema, das spekulativ gesetzt ist und in der Spekulation schon die Phantasie zu Wort kommen läßt. »Sein« ist nicht gleich »Sein«, das »Sein« des Parmenides kann dem »Werden« des Heraklit entsprechen. Dieses Zusammengehn der Vernunft des richtigen Schlusses mit der aus der Hypothese herausgeholten und ins Spiel gebrachten Intuition macht aus der Logik nach Hegels eigenen Worten eine Wissenschaft »des abstrusesten In halts«. Diese Bemerkung Hegels fällt außerhalb des Buchs. Aber sie zielte rücksichtslos auf seinen Hauptgegenstand,
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meinte, daß im Denken an sich, wie auch in den abgeleite ten Gegenständen, so der Natur, der Religion, der Ge schichte, von zwei Enden her »gesetzt« werden muß, von den Polen der Elektrizität, von Gut und Böse, von Ver nunft und Leidenschaft. Auf der hohen See der Spekula tion ist das reine Denken über das »Sein« ins Unendliche hinein fortsetzbar. Im »Dasein« erfährt das »Sein« bereits »etymologisch« eine zusätzliche Bestimmung. »Im Für sichsein ist das qualitative Sein vollendet; es ist das unend liche Sein ... Das Fürsichsein ist als Negation des Anders seins, Beziehung auf sich; Gleichheit mit sich. Dies macht das Moment seines Ansichseins« und läßt die Hegelsche Logik - allem andern voran - als »eine ontologische Theorie« (Henrich) erscheinen. Das weist weit voraus auf die nicht ohne Manieriertheit des Denkspielens betriebene Sprachspekulation Heideg gers. Aber Hegel ist auch Nachfahre Jakob Böhmes. In der Sprache und auch im Denkstil hängt ihr die mystische Schwerbeladenheit von dessen Deutscher Philosophie an. So wie das Unendliche nach Hegel das Endliche in sich hat und das Endliche das »Wesen« des Unendlichen bis zum Zusammenfallen von beidem ausmacht,, hat die Mystik eine rationale Wurzel und kennt der Rationalismus einen mystischen Ausgang. Was Hegel von Böhme und Heideg ger gleichwohl meilenweit trennt, ist, daß er selber auch immer Aufklärer ist. In seiner Wissenschaft der Logik hat Hegel die Lehrstücke der Logik, dieser klassischen philosophischen Disziplin, eines nach dem anderen abgehandelt und dabei alte, von Aristoteles bis Kant geltende Gewißheiten außer Kurs gesetzt durch die Entdeckung von nicht auf den ersten Blick einzusehenden Eigenarten. Grundwahrheit für je des logische System ist der Satz, des Widerspruchs, daß A nicht non-A sein kann. Das Urteil, daß A=A ist, sagt als leere Tautologie nichts aus, meint, daß »im Resultate wesentlich das enthalten ist, woraus es resultiert«. Es kommt darin keine der »Reflexionsbewegung« entspre chende »Identität« zustande. Das gelingt erst mit der Formel A=B, B=C ergo A=C als konventionelle logische
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Reihe. Der Tiefengang der Hcgclschen Logik führt zu der Ungeheuerlichkeit, daß der Satz vom Widerspruch als Satz der Identität eine »formelle, abstrakte, unvollstän dige Wahrheit« ist, weil »die Wahrheit nur in der Einheit der Identität mit der Verschiedenheit vollständig ist, und somit nur in dieser Einheit besteht«. Auf die Formel A=B angewandt heißt das: A, das B ist, hat auch non-A in sich, denn sonst käme es, um B zu sein, über die Tautologie A=A nicht hinaus und hört trotz des non-A in sich nicht auf, A zu sein, das nach dem Satz des Widerspruchs nicht non-A sein kann. Die Erklärung, die Hegel schon in der Phänomenologie des Geistes gegeben hatte, liegt darin, daß die »Bestimmtheit ... ihr Anderssein selbst an ihr hat und Selbstbewegung ist« — mit dem Zusatz: »die ist eben in jener Einfachheit des Denkens selbst erhalten«. Logik als Geist und Denken ist kein Zustand des Beharrens im Identischen, sondern Denkhandlung, ist »Selbstbewe gung« als »Entzweiung« und Rückkehr zu sich selbst, ein Zusammenziehen auf die »Reflexionsbewegung« als Ver schwinden der »Identität« im »Anderssein« und des »An dersseins« in der »Identität«. Seit Hegel kann die Logik nicht mehr allein vom Satz des Widerspruchs organisiert werden. Gilt für Hegel überhaupt: »Alle Dinge sind an sich selbst widersprechend«, so ist mit seiner Aufhebung des Satzes vom Widerspruch in der logischen Reihe dem Widerspruch widersprochen, wird die Aufhebung des Widerspruchs als logische Operation Widerspruch /um widersprochenen Widerspruch oder seiner Negation (N. Hartmann). Damit sind alle Konventionen auf den Kopf gestellt: »in dem möglichen A ist auch das mögliche Nicht-A enthalten und diese Beziehung ist es, welche beide als möglich bestimmt«, nach der Pointe, »daß das Negative ebensosehr positiv ist«. Herkömmlicherweise Undenkbares wird für denkbar gehalten. Hierin zeigt sich die Wissenschaft der Logik als Fortsetzung der Phänomenolo gie des Geistes. Die Phänomenologie des Geistes war Einfüh
rung in die Bewegungen, denen Natur, Geist und Ge schichte unterworfen sind: Bewegungen im Wachstum der Pflanze, wo die Knospe durch die Blüte, die aus ihr
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hervorgeht, »widerlegt« wird und die Frucht die Blüte für »ein falsches Dasein der Pflanze erklärt«, aber auch Bewe gungen in der Geschichte, die sich da, wo sie auf ihrem Höhepunkt angelangt sind, in ihr Gegenteil verkehren. Das sind freilich Folgerungen aus »abgeleiteten Wissen schaften« gegenüber der »Logik« als der »reinen Wissen schaft« mit ihrer Zuständigkeit für die Verhandlung der Totalität, der Wirklichkeit in ihrem Verhältnis zur Mög lichkeit. Die »Möglichkeit« unterscheidet sich von der »Wirklichkeit« darin, daß sie »noch nicht alle Wirklich keit« ist. Die Beziehung zwischen Wirklichkeit, Möglich keit, Notwendigkeit und Zufall gilt so nur innerhalb des »Systems«: »So wie das Endliche endigt und die Unend lichkeit voraussetzt, so fällt das Zufällige und setzt die Notwendigkeit voraus« (Sarlemijn). Wo immer von »Wirklichkeit« die Recie ist, ist nach Hegel etymologisch an die Kausalität, das Verhältnis von Ursache und Wirkung erinnert: »Was wirklich ist, kann wirken; seine Wirklichkeit gibt etwas kund durch das, was es hervorbringt.« Wo eine Wirklichkeit nicht mehr wirkt, ist sie bereits um ihren Charakter als Wirklichkeit ge bracht. Aber die Wirkung ist immer nur Folge. Es gibt keine Wirkung ohne Ursache: »Die Ursache ist das Ur sprüngliche gegen die Wirkung. Die Wirkung enthält daher überhaupt nichts, was nicht in ihrer Wirkung ist. Die Ursache ist nur Ursache, insofern sie eine Wirkung hervorbringt; und die Ursache ist nichts als diese Bestim mung, eine Wirkung zu haben, und die Wirkung nichts, als dies, eine Ursache zu haben.« Das Spiel der Beziehun gen zwischen Ursache und Wirkung kann wieder ins Unendliche weitergetrieben werden und läuft auf die »Identität der Ursache in ihrer Wirkung« hinaus. Was hier in der Sprache irrational anmutet, ist vollkommen einsichtig. So ist der Regen Ursache der Feuchtigkeit, die seine Wirkung ist. In der Wirkung geht die Ursache unter, die Ursache in ihrem Erlöschen wird wieder Wirkung, die Wirkung verschwindet in der Ursache nach der Regel der Dialektik: »Jede dieser Bestimmungen hebt sich in ihrem Setzen auf, und setzt sich in ihrem Aufheben.«
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Dialektik als Logik des Scheins oder Dialektik als Den ken »an sieh« und »für sich«! Dialektik als diabolische Verdrehungskunst, die sich sehr wohl an den Namen Logik knüpfen konnte und es auch für Goethe tat, wenn Mephisto dem wißbegierigen Schüler »Zuerst Collegium Logicum« empfiehlt und ihr Höllenwescn beschreibt: Zwar ist's mit der Gcdankenfabrik Wie mit einem Weber Meisterstück. Wo ein Tritt tausend Fäden regt, Die Schifflein herüber hinüber schießen, Die Fäden ungesehen fließen, Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt: Der Philosoph, der tritt herein, Und beweist Euch, es müßt' so sein: Das Erst' war' so, das Zweite so, Und drum das Dritt' und Vierte so, Und wenn das Erst' und Zweit' nicht war; Das Dritt' und Viert war' nimmermehr. (Faust I, 1922 ff.) Den Verdacht, daß mit dem Webstuhl der Begriffe die Dialektik als »Logik des Scheins« nicht gemeint ist, kön nen die Goetheschen Verse nicht unterdrücken. Sie bestä tigen ihn. Die Hegelsche Logik ist zwar in ihrem Lei stungsvermögen gegenüber der alten Logik heraufge setzt; nach ihr kann es einen Rückfall in die Aristotelische oder Kantischc, die die gleiche war, nicht ohne weiteres geben. Aber es bleibt der Eindruck, daß Ungeheuerliches, ja Unmögliches geschieht, ohne daß sich genau sagen läßt, worin es besteht. Auch Hegel sagt es so wenig, wie Beetho ven uns sagt, wie er ein Streichquartett macht. In der Ankündigung einer »Darstellung Gottes, wie er in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes ist«, läge die Korrektur der an anderer Stelle geforderten Enthaltsamkeit, sich über das Wesen Gottes auszusprechen. Auf dieser Linie befindet sich das Verständnis einer in der Hegelschcn Logik zusammenge faßten »kontemplativen Gotteslehre« (Iljin), in der es
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»hoffnungslos« ist, überhaupt etwas »beweisen zu wol len«. Macht man darüber hinaus, wie Iljin es tut, aus Hegel einen »intuitiv-denkenden Hellseher«, dann müßte seine Logik zu Recht von den bis Wolff und Kant reichenden Konventionen der logischen Disziplin ausgeschlossen er scheinen. In einer Formulierung — einer im Hegelschen Sinne zulässigen — wie: »Sein und Nichts sind einander entgegengesetzt. Sie sind dasselbe, und sie sind ebenso sehr verschieden, aber absolut verschieden« (Henrich), wäre durch den in ihr enthaltenen Widerspruch zum Satz vom Widerspruch, ohne daß das Labyrinth der Hegel schen Seinslogik erst betreten werden müßte, ein Ge spräch mit den Gegnern der spekulativen Logik gestört, aber auch ohne daß sich damit die Geltung der neuen Logik als neues Wissen, als »Neuschöpfung ohne Analo gon in der Tradition« (Hogemann/Jaeschke) abweisen ließe. Hegels Logik setzt instand, vorher ungesehene Dinge zu sehen, unter der Voraussetzung des Nichts. Die Hegelsche Logik als eine »onto-theo-logische«, als »Theo logik« (Puntel), ist immer zugleich eine nihilistische. Wi derspruch bedeutet nicht, was er im Leben bedeutet, nämlich der Unwahrheit anzuhängen; Widerspruch im dialektischen Sinne ist Inhalt eines viel komplexeren Ver hältnisses; und ebenso: wo der Widerspruch »aufgeho ben« ist, wird er »aufbewahrt«, um im Fortlauf der Bewe gung an anderer Stelle, in anderm Zusammenhang, auf ein anderes Niveau gerückt sich wieder zu melden. Er tritt, wo man ihn nicht vermutet, wieder in Erscheinung. Im Widerspruch als Negation rückt das Nichtsein zum Sein auf. So macht das in der Negation angelegte aufbau ende Prinzip bis ins Sprachliche hinein aus der Sterblich keit die Un-Sterblichkeit, aus dem Bedingten das UnBedingte, es zeigt die Verwandlungskraft des Geistes an der Arbeit, in einem gewaltigen Akt bei einem Positiven anzugelangen. Daß A (in B aufbewahrt) = non-A ist, daß durch die Kraft des Negativen das Endliche zum Un-Endlichen wird, war in solcher Kühnheit etwas, was auch Heraklit hätte behaupten können. Neu an dieser Abstrusität hinge
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gen, die Hegel selbst seiner Wissenschaft der Logik nach sagte, war, daß diese Formel mit allen Folgerungen von nun an zu den festen Sicherheiten der Logik gehören wird und als solche für den »Widerspruch an sich« aus allen Erscheinungen der Totalität wie Subjekt und Objekt, Le ben und Tod, Krieg und Frieden, der Religion, der Ge schichte, der Politik usw. nicht mehr weggeschafft werden kann. Darin ist die Hegelsche Logik Ausgang für Gegen läufiges und zugleich ihre Vereinigungssphäre. Indem »Sein und Nichts im Werden verschwinden . . . so ist es hiermit selbst ein Verschwindendes, ein Feuer gleichsam, welches in sich selbst erlischt, indem es sein Material verzehrt«: daraus leuchtet für P. Rüben innerhalb der Hegelschen Logik ein »materialistischer Kern« auf. Von seinen thomistischen Grundlagen ist für B. Lakebrink die »christliche Trinität« nur »die Anwendung des logischen Gesetzes von der christlichen Triplizität auf die christliche Religion«, ist somit in der Hegelschcn Logik der Stufen gang der »Heilsgcschichtc« nachgebildet; wobei das »tri nitarische Gesetz«, weil es längst »vor Christi Geburt den Menschen offenbar war ..., nach Hegel heilsgeschichtlich nicht mehr offenbart zu werden brauchte«. In diesem Widerspruch, der in seiner Widersprüchlichkeit die äu ßersten Enden von Auseinanderstrebendem in einer ein zigen logischen Substanz begründet sein läßt, liegen nur beliebig herausgegriffene Beispiele für die »Zauberkraft« der dialektischen Vernunft, aus der ihre Ungeheuerlich keit spricht. Bei aller Unaussprechbarkeit in dem vom Sein ausge henden Beziehungssystem läßt sich soviel sagen: Sein ist bei Hegel nicht das Erschöpfende. Es ist zwar das Abso lute, aber es scheint Eigenschaften zu geben, die das Absolute vom Sein unterscheiden. Ebenso sind Sein und Wesen im Deutschen von der sprachgeschichtlichen Wur zel her dasselbe, und dennoch dringt das Wesen in eine größere Tiefendimension ein. Sein ruht gewissermaßen auf dem Wesen als seinem Grund. Aber der Grund ist auch wieder vom Wesen unterschieden; Grund ist das, worauf alles ankommt: Grund im Sinne des überhaupt
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Tiefsten, als Anfang und Ursache. Mit der Spekulation vom Sein, vom Wesen und vom Grund stößt Hegel auf die Hauptschlagader der Mystik von Jakob Böhme und läßt ihren Inhalt einfließen in das aufgeklärte System von Ursache und Wirkung. Das Spiel der Beziehungen, das jetzt anheben kann, findet im Unendlichen kein Ende. Grund ist das, was eine Folge hat, Folge das, was einen Grund hat. Aus diesem Kreis gibt es kein Herauskommen. Daß Grund (oder Wesen) der Dinge in ihrer Form liegt, war seit Aristoteles ein unvergessenes philosophisches Resümee. Das meinte: die Sache selbst ist nicht Form, aber sie verfügt in der Form über etwas, was an ihr Wesen rührt. Die Form hingegen kann nicht aus sich selbst her aus bestehen, sie braucht einen Inhalt, ein zu Formendes, das geformt wird. »Es gibt überhaupt keine Materie ohne Form und keine Form ohne Materie«, heißt es in Hegels Papieren zur Philosophischen Propädeutik. Das meint aber
nicht, daß Materie bei Hegel philosophisch an den Anfanggesetzt ist. Jede von der »Idee« geleitete Philosophie tut sich schwer mit der Materie. Sie kann sich mit irgendeiner Priorität der Materie nicht abfinden. Kant, so meint He gel, »konstituiert« die Materie »aus der Repulsiv- und Attraktiv-Kraft«. Die Befangenheit gegenüber dem Stoff hat den Hegel der Logik nicht verlassen. Die reine Materie ist nicht das Erste, sondern das, »was übrig bleibt, wenn wir vom Sehen, Fühlen, Schmecken und so fort abstrahie ren«. Aufs Ganze gesehen kommt die Materie gegen den Geist nicht an. In der Hierarchie der Begriffe steht sie unten, ist sie ein Negatives, das dialektisch aus dem Nega tiven seine Energie holt. Nach der Phänomenologie des Geistes war die Materie »nicht lang ein seiendes Ding, sondern das Sein als allgemeines, oder in der Weise des Begriffs«. Des weiteren ist die Materie passiv gegenüber der tätigen Form. Sie erwidert die Aktivität von seiten der Form mit »Trägheit«. Durch das Gegenläufige zur Form bringt sie Bewegung hervor zrr ihrer Notwendigkeit für die Form, die, indem sie sich materialisiert, erst zu sich gelangt. Wieder: Materie und Form erweisen sich in ihrem »An
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derssein« als Einheit, die sie im »Inhalt« zu erkennen geben; jedes ist in seinem »Fürsich« schon das Ganze, weil jedes nur in der Einheit mit dem andern auftreten kann. Oder: »was als Tätigkeit der Form erscheint, ist ... die eigene Bewegung der Materie selbst« nach dem Gesetz vom »zureichenden Grunde«: »es ist nichts im Grunde, was nicht im Begründeten ist.« Das eine ist nicht möglich ohne das andere, Form und Materie setzen sich in ihrem Verhältnis, wenn auch in einem Verkehr anderer katego rialer Art ebenso voraus wie Grund und Folge, Ursache und Wirkung. Dieser Zusammenhang kann natürlich auch auf andere Beziehungen dialektisch angewandt werden, die über den einfachen Zirkelschluß hinausgehen, wro der Grund die Folge hat wie die Folge den Grund, so daß der Salz vorn zureichenden Grunde Anleitung für ein einziges Auf-derStelle-Treten abgibt. Die Lebhaftigkeit der Beziehungen wird durch zusätzliche ins Spiel der Begriffe gebrachte Karten gesteigert. So muß die Wirklichkeit zuerst die Möglichkeit für sich gehabt haben. Unter der unbegrenz ten Zahl der Möglichkeiten ist die Wirklichkeit zunächst ein Zufälliges. Lakebrink meint in seinem Kommentar zur Hegelschcn Logik über die Komplexität des Verkehrs zwischen Wirklichkeit, Möglichkeit und Zufall: »Nicht nur das Wirkliche ist ein Mögliches, sondern umgekehrt: Das Mögliche auch ein Wirkliches oder ein Zufälliges.« Aber der Zufall kann nicht allein darüber entscheiden, daß sich das Mögliche in Wirkliches verwandelt. Dazu muß der im Möglichen liegende Inhalt als aussonderndes Moment hinzukommen. Der Inhalt gehört zu den Bedingungen, die daran mitwirken, Möglichkeiten in Wirklichkeit über gehen zu lassen. Es muß dabei die Reihe der Bedingungen komplett sein, um von den vorhandenen Möglichkeiten eine zu qualifizieren, Wirklichkeit zu sein; in ihr ist der Zufall durch die Notwendigkeit ersetzt. Jetzt, wo der Inhalt mit den der Sache unterliegenden Bedingungen für die Möglichkeit zeugt, kann sie sich für die Wirklich keit empfehlen: muß sie mit Notwendigkeit Wirklichkeit sein. Sie hebt sich vom Angebot aller Möglichkeiten als die
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einzige, die in Betracht kommt, heraus: Wie das Kügel chen, das seiner Größe wegen bleibt, während der Staub als ein Geringeres durch das Sieb fällt. Hegels Verständnis der »Notwendigkeit« ist im letzten Grunde ein teleologisches, es hat die Weltordnung als eine auf ein Ziel gerichtete im Auge. Notwendigkeit ist bekanntlich der klassische Widerpart der Freiheit; Freiheit als Grundbegriff der Philosophie des Geistes, als Ziel der Weltordnung, die darin zu ihrem Sinn geführt wird. Aber der Widerpart wird der Freiheit zur Voraussetzung. Notwendigkeit in ihrem dialektischen Umschlagen läuft auf Freiheit hinaus, Freiheit geht in Notwendigkeit über. Notwendigkeit ist nicht Zwang als äußere Notwendigkeit, sondern hat die »Wahrheit der Substanz«, die »Begriff« ist, für sich. Das muß als Voraus setzung zum Verständnis der Hegelschen Geistphiloso phie hingenommen werden, gehört zur Algebra von »Sy stem« und »Methode«, zum Wagnis des subjektiv Gesetz ten: Die Wahrheit des Seins steckt im Wesen, die Wahrheit des Wesens ist in seinem Begriff zu suchen. Das Zurückfüh ren der Vorstellungen auf den »Begriff«, auf das Identi sche, das den Widerspruch in sich hat, leitet auf den Grund der Dinge, der keinen Bedingungen als den eigenen mehr unterliegt, auf die wahre Substanz, auf das Objektive, das mit dem Subjektiven im Subjekt-Objekt zusammenfällt. Ob diese Konzentrierung des Denkens auf den »Begriff« als idealistisches Denken, in der die Vorarbeit Kants, Fichtes und Schellings steckt, nicht Gegenstand der Kritik sein kann, ist eine andere Frage. Auflösung der Dinge, der Gegenstände in die Abstraktion ist Goethes Sache nie gewesen. Das klingt in seiner Kritik an Hegel immer wieder an. Der Übergang der Materie in die Idee des Kantischen »Ding an sich«, das Verschwinden des Objekts in seinem Begriff, etwa des Tisches in seiner Tischheit, aber auch das Zurückschnellen des Abstrakten ins Konkrete als der zwangsläufige Akt der Wechselwirkung, gehören zum Gesamtprogramm der deutschen idealistischen Bewe gung, die in der Hegelschen Ausprägung kulminiert. Die Hegelsche Logik ist Logik des Begriffs, »Flucht in den
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Begriff«. Idealistisches Denken kann sich nicht dazu ent schließen, die Substanz in der Materie, statt in der Idee, im Wesen, im Grund mit dem ganzen Geflecht ihrer Interde pendenzen anzunehmen. Von hier aus wird auch der Gegenschlag verständlich, den die Geistlehre der Hcgclschen Philosophie hinfort zu bewältigen hat und der sie als »auf den Kopf gestelltes« Denken trifft; der zugleich ihre ganze historische Notwen digkeit bezeugt, um es in der Umkehrung »auf die Füße zu stellen«. Die Welt ist nicht beim Idealismus stehenge blieben. Wenn Hegel in der Wissenschaft der Logik eine weitere vorläufige Summe des idealistischen Denkens zieht, in dem er der Subjektivität der Logik ihre Objektivität voran stellt, dann besagt das nicht, daß er deswegen über Kant hinausdringt, ebensowenig wie der Wagner der Meistersinger, der die Fugentechnik Bachs und die Tonsprache der Beethovenschen Symphonik darin verarbeitet hat, über Bach und Beethoven. Nur ist - hier wie dort - der einge schlagene Gang der historischen Entwicklung irreversi bel. Gegen die Subjektivität der Kantischen Erkenntnis theorie, nach der die Welt subjektive Setzung, Vorstel lung, sozusagen von der Netzhaut aufgefangenes Bildma terial und deswegen je und je verschieden ist, hat Hegel die Objektivität des Seins als der Reflexion Anheimzustel lendes behauptet. Aber für Kant kann ein Subjekt nur sein, wo es ein Objekt gibt, und das Objekt nur diesen Namen verdienen, wo es Objekt für das Subjekt ist. In der Beziehung von Subjekt-Objekt und ihrer Realisierung in der Identität hat Bloch das Kernproblem der Hegelschen Philosophie gesehen — man muß sagen, die Grundfrage der Logik. Hegel hat freilich gegen Kant nur recht unter der Voraussetzung des »Absoluten«, in reinen, schwerelo sen Verhältnissen, im Unendlichen. In der Prosa des Alltags gilt wie für die Frage der Identität von Sein und Denken die Kantische Regel, daß ein gedachtes Haus als Eigentum noch kein wirkliches ist, hundert Taler in der Vorstellung noch lange keine hundert Taler in der Tasche sind.
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Hegels Logik des Begriffs ist ihrem eigenen Verständ nis nach Logik als Theorie des Absoluten. Ist die Vernunft das Absolute, so ist die Logik die Anwendung vernünfti ger Denkgesetze, die auf dem Objektiven der Vernunft beruhen und also das Subjektive mit meinen. Als sicherer Einwand gegen Hegels »Objektive Logik« im ersten Teil der Wissenschaft der Logik hat sich freilich der erwiesen, daß sie von der kantischen Seite aus die »subjektive«, nämlich Hegels eigene, ist, während die »Vorwürfe Hegels gegen Kant ... zugleich möglichen Einwänden gegen seine ei gene Logik der Subjektivität vorbeugen« sollen (Düsing). Die zwischen Subjekt und Objekt verlaufenden Fäden lassen sich demnach nicht geordnet, ohne Knäuelbildung, aufrollen. Düsing ist den Schwierigkeiten, die sich beim Vergleich mit der alten Aristotelischen Logik und der neuen Hegels ergeben, dadurch entgegengetreten, daß er von den seit den Jenenser logischen Entwürfen erfolgten Umbrüchen her, die zur Wissenschaft der Logik führen, zu dem Satz kommt: »Hegels Logik ist Theorie der Subjekti vität.« Denn die »Revolution in Hegels Logik« (Harris) hat für die Anhänger der formalen Logik gar nicht stattge funden; sie können die Ungeheuerlichkeit in der Auswei tung der Dimensionen des Logischen als »Metaphysik« abtun und sich dabei auf Hegel selbst berufen. Wenn Krohn dazu bemerkt, »daß der Ausdruck >formalc Logik< nicht durchgängig geeignet ist, den Unterschied zwischen Hegels subjektiver Logik und der sonst als formale Logik bekannten zu bezeichnen«, so ist damit die Gegensätzlich keit zur »subjektiven Logik« Hegels, auf die es ihm hier ankommt, noch einmal besonders hervorgehoben. An dieser Stelle ist auch der Versuch, in der Nachfolge der bürgerlich-idealistischen Bewegung zu einer auf Kant und Hegel mit Einschluß von Fichte und Schelling zu gründenden deutschen Nationalphilosophie zu gelangen, in seinem Scheitern aufgezeigt. Die Konkordanz ist ok troyiert, schon im Ansatz durch die Verschiedenheit in der Bedeutung unter Umständen völlig wortgleich ausge drückter Vorstellungen zur Unmöglichkeit verurteilt. Kants Begriffssprache als gewissermaßen geheime Zei
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chensprache ist eine andere, weil sein Denken, in dem das Ziel unerreichbar bleibt, ein anders strukturiertes ist. He gel kennt ein Ziel, das im Absoluten erreicht wird, aber von Anbeginn an das Fortschreiten der Logik beherrscht, somit also auch schon vorher da war und nach der Denk regelung von »System« und »Methode« die Wegstrecke der sich selbstentfaltenden Idee meint bis zu dem Punkt, wo sie beim »Absoluten« angelangt ist, wo sie im Zusammen fallen mit dem »Absoluten« im Wissen von sich selbst zugleich von der Verwirklichung im »Absoluten« weiß. Und wieder sind die Weberschiffchen kräftig bei der Arbeit. Denn die »Idee« kennt nach der Hegelschen Be nennung das »Subjekt« als »Fürsichsein« und das »Ob jekt« als »Ansichsein«, vereinigt zwei Seiten ein und des selben, im »Subjekt-Objekt« zusammengefaßt. Hier bricht die Authentizität des Hegelschcn Systemdenkens gegen das idealistische Vorgängertum durch. Das Subjektive steht für Leben, Individuum, Ich, das Objektive für das Ganze mit Übergängen und gegenseitigen Verkeilungen; das Objektive wird vom Strom des Werdens mitgerissen, das Subjektive ist Teil der Ganzheit. Darum ist das Ziel, das die »Idee« über die Stationen des »Systems« als »Sub jekt-Objekt« im »Absoluten« erreicht, in Wahrheit gar kein Ziel, sondern durch die in Bewegung gehaltene Tota lität als Leben nur Anfang: aber nur Anfang eines neuen dialektischen Ingangsetzens, nicht Anfang an sich, den es nach der Wissenschaft der Logik nicht geben kann. Die Verse im Faust über das Collegium logicum hat Goethe dem Tcufelsspuk der unechten Dialektik gewid met; die wahre und echte Dialektik der Phänomenologie, deren erster Adressat bei ihrem Erscheinen er gewesen war, hat den Dichter zwar ratlos gemacht. Aber er hat sie am Ende gelten lassen. Für die ausgearbeitete Dialektik in der Wissenschaft der Logik hingegen, die ihm Hegel in Weimar bei seinem Besuch auf der Rückreise von Paris nach Berlin erklären wird, hat allerdings selbst Goethe keine Worte mehr gefunden.
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Vierundzwanzigstes Kapitel
Die Heidelberger Professur Zum Antritt seines Dienstes reiste Hegel allein nach Hei delberg. Durch die aufregenden Reisevorbereitungen und die Anstrengungen beim Einpacken des bescheide nen Mobiliars und Hausrats hatte seine Frau eine Frühge burt erlitten und mußte zurückbleiben. Der Korrespon denz, die dadurch notwendig wurde, verdanken wir einige Einblicke in die Anfänge von Hegels Heidelberger Zeit. Zunächst ist er enttäuscht über die geringe Teilnahme an seiner Vorlesung. Er hat nur vier Hörer in seinem fünfstündigen Kolleg zur Enzyklopädie der Philosophie. Das
hatte er sich anders vorgestellt. »Die Studenten müssen erst warm mit einem werden«, schreibt er kurz nach der Aufnahme seiner Vorlesungen, am 29. Oktober 1816, nach Nürnberg. Auch sonst stellt sich manches zunächst Nichtvoraus sehbarc ein. Seine Dienstpflichten nehmen ihn über alle Erwartung in Anspruch. Er muß bei der Verwaltung des Amts seiner auffallenden Langsamkeit innewerden. He gel hat nicht das, was man heutzutage Flexibilität nennt. Sie war ihm weder in Jena noch in Bamberg oder später in Nürnberg abverlangt worden. Es fällt ihm schwer, zwei oder drei Dinge nebeneinander tun zu müssen. »Ich habe etwas so Schwerfälliges in meiner Natur«, bemerkt er am 19. April 1817 gegenüber Niethammer, »daß, wenn es nur eine halbe Stunde Zeit zu einem Briefe brauchte, ich nicht dazu komme, wenn ich nicht des sonstigen Brastes los bin.« Als Rektor in Nürnberg hatte er zwar über zahlrei che Belastungen durch die Administration der Schule geklagt, aber er war immerhin Herr im eigenen Hause gewesen. Sein Wirkungskreis war abgerundet und über sichtlich. Hier in Heidelberg gilt es, sich zunächst einmal einzugewöhnen, im Kreis der Kollegen mit nicht sofort erkennbaren Querverbindungen Fuß zu fassen. Die trei bende Kraft für seine Berufung war neben Daub Paulus
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gewesen. Aber die Art ihrer Beziehung zueinander war nie die gleiche wie die zu Niethammer. Hegel halte sich in seiner Korrespondenz mit Freunden wenig günstig über Paulus ausgelassen. So tadelt er die »Vieltuerei« des Spi noza-Herausgebers. Wenn es jetzt zum Konflikt zwischen beiden kommt, war das vielleicht weniger überraschend, als es zunächst den Anschein haben konnte. Einen Anlaß dazu gab /weifellos Hegel, indem er als Mitredakteur der Heidelberger Jahrbücher einer Rezension Paulus' über die Wangenheimische Idee der Staatsverfassung den Abdruck ver weigerte mit der von Wilken und Thibaut gestützten Begründung, sie sei zu lang. Das mochte zutreffen, gab aber nicht den ganzen Sach verhalt wieder. In Wirklichkeit waren Paulus' Anschauun gen über die württembergischc Staatsverfassung, derent wegen sich zwischen den beiden eine Kontroverse entfachte, mitgemeint. So mußte es zumindest Paulus sehen, der hier eine gegen ihn gerichtete Intrige mit Hegel als Einfädler sah und darin natürlich ein Zeichen von dessen grober Undankbarkeit. Hegel ist nicht gewillt, sich die Autorität seines Urteils in Frage stellen zu lassen. Als Antwort bricht Paulus seine Beziehungen zu Hegel ab. Das Familienleben der Hegels in der Heidelberger Friedrichstraße der »Vorstadt«, zuerst im Haus 300, dem sogenannten Quartschen Haus, heute Friedrichstraße 10, »nach dem Riesensteine hinaus«, entbehrt jetzt nicht eines gewissen Idylls. Der Hausbesitzer ist ein Landwirt. Vom Fenster schaut Hegel auf den Bauernhof mit Pferden und Kühen, im Sommer beobachtet er, wie die Ernte einge bracht wird. Das von Hegel selbst beschriebene Bild führt direkt an die agrarisch-vorkapitalistischen Grundlagen seines Denkens heran. Er ist ein teilweise durch »Frucht besoldung« entlohnter Beamter, der seinen Unterhalt durch den Verkauf des für den Eigenbedarf nicht benö tigten Getreides mitbestreitet, und befriedigt feststellen kann, daß sich mit den Preissteigerungen seine Einkünfte erhöhen. Im Januar 1817 erfolgt der Quartierwechsel in das etwa hundert Meter weiter entfernte Haus in der
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Plöck, an der Stelle des jetzigen Neubaus Nr. 48. Dort wohnt er bis zum Weggang im September 1818. Durch seine Bestallung in Heidelberg sieht Hegel sich jetzt auch in der Lage, endlich seinen Sohn Ludwig in die Familie aufzunehmen. Dessen Muüer war gestorben. He gel unterdrückte gegenüber Frommann nicht ein gewisses Gefühl der Erleichterung, weil er sich dadurch von man chen Unannehmlichkeiten befreit fühlt. Mit Ludwig scheint es sich gut anzulassen. Er besucht das Heidelber ger Gymnasium. Hegel zeigt Freude an seiner Klugheit. Es hat der Familie Hegel in Heidelberg keineswegs an Zerstreuung gefehlt. Die nähere und weitere Umgebung lädt zu Ausflügen ein. Man unternimmt Wanderungen am Neckar und ins Gebirge. Besonders die Bergstraße tut es Hegel an. Speyer und Mannheim werden besucht. Am meisten beeindruckt ihn Schwetzingen. Im Juli 1817 trifft ein unter dem 8. d. M. geschriebener Brief Goethes an Hegel in Heidelberg ein. Goethe hatte durch Sulpiz Boisseree erfahren, daß sich Hegel in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften gegen New
tons Farbenlehre ausgesprochen hatte. Goethe, der auf Einwände gegen seine eigene Farbentheorie stets emp findlich reagiert, aber im übrigen gern seine »Naivität« im Philosophischen betont und alles auf die reine Anschau ung setzt, bedankt sich bei Hegel. Wir wissen, daß Hegels Zustimmung zur »Natur des Lichts« im Sinne Goethes während der Jenenser Zeit ihm dessen Sympathie einge bracht hatte. Jetzt sieht sich Goethe durch die »höhere Philosophie«, die »dem Licht seine Selbstständigkeit, Reinheit und Unzerlegbarkeit vindiziert«, bestätigt, wie er Boisseree am 1 .Juli schreibt, mit dem Ausdruck besonde rer Auszeichnung, »daß dieses reine Licht von Heidelberg kommt«. Es war Hegel zustatten gekommen, daß sein alter Widersacher Fries in einer Rezension der Logik, die zuvor in den Heidelberger Jahrbüchern der Literatur erschienen
war, erklärt hatte: »Lächerlich, wie unermüdet Pedanterei und fade Anmaßlichkeit Goethes Fehler immer wieder holt nachschwätzen.« Dadurch erschien Hegel vor aller Augen als Anhänger der Goetheschen Farbenlehre. Auf
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dessen knapp gehaltenes Billett antwortet der Heidelber ger Professor sogleich mit einer vom 20. Juli datierten Abhandlung zur Farbentheorie und den Malusschcn Lichtspiegel, die für Goethe als dem Empfänger nicht hätte wohlklingender ausfallen können: »Philosophi scherweise darf ich bequem bei dem Gedanken stehen bleiben, daß das Brechungsphänomen der Verdopplung der Bilder in der rhomboidalischen Natur des zugleich durchsichtigen und insofern nur gemein brechenden Spates seinen Grund habe, und beide Bestimmungen zusammen das auf einmal erscheinen lassen, was im MaIusschen Apparat als Spieglungsphänomen, aber nachein ander geschieht durch die entgegengesetzten Stellungen der Spiegel. Euer Excellenz erwähnen die Spiegelung in den feinen Lamellen des schönen Spätexemplars, das Sie besitzen, wenn ich recht gefaßt habe, für die Nebenbilder, außerdem daß das Epoptische den Durchgängen als Exi stierenden Zerklüftungen angehören wird.« Man spürt hier, wie Ergebenheitsadrcssc und Naturphilosophie sich mischen; wobei man von der letzteren mit Sicherheit sagen darf, daß sie Goethes Sache nicht war. Gleich in Hegels erstes Heidelberger Jahr fiel der Auf enthalt Jean Pauls, der der Stadt und der Universität mit ihren Professoren und Studenten frisches Leben be scherte. Ihm sollte auf Betreiben von Heinrieh Voß, dem Philologen und Sohn des Homer-Übersetzers, die Ehren doktorwürde verliehen werden. Der Faszination durch den Verfasser der Flegeljahre hat sich keiner, der mit ihm in Berührung kam, entziehen können. Auch nicht Hegel mit seiner zuweilen kühlen Sprödigkeit, die dann erst durch näheren Umgang aufgelockert werden mußte. Es müssen freilich von Jean Paul auf Hegel bacchantische Wirkungen ausgegangen sein. Ein Punschabend, zu Eh ren des Gastes im Hause von Heinrich Voß veranstaltet, zeigt Hegel in ausgelassener Stimmung. »Die Zungen wurden immer beredter«, vermerkt ein Brief des Gastge bers an Ghr. Truchsess vom 18.Juli 1817. An Hegel er geht von einem teilnehmenden Pfarrer die Aufforde rung, »eine Philosophie für junge Mädchen« zu schrei
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ben, was Hegel mit Lachen quittiert, aber mit dem Verweis auf seine Sprache für unmöglich erklärt. Nach vier star ken Bowlen stehen die Gäste, als sie sich gegen Mitter nacht erheben, auf schwankenden Füßen, und Hegel deutet kurz vor dem Auseinandergehen auf Jean Paul mit den Worten: »Der muß Doktor der Philosophie werden.« An diesem zu vorgerückter Stunde im Rausch bekräf tigten Promotionsvorschlag hat Hegel gegen den Ein wand des Kollegen Langsdorf, daß Jean Paul »kein rech ter Christ« sei, auch in der Fakultätssitzung festgehalten. Mit ungewohnter Beredsamkeit setzte Hegel auseinan der, daß Jean Paul »ein ganz herrlicher Christ« und an seiner Moral nichts auszusetzen sei. Einen Tag später war das Diplom schon auf Pergament gedruckt, und Jean Paul kann es in einem Saffianfutteral durch die Überbringer Creuzer und Hegel in Empfang nehmen. Damit waren die Ehrungen des Dichter-Gastes noch nicht beendet. Es schließen sich Ausflüge der Heidelber ger Professoren mit Jean Paul nach Schwetzingen und Weinheim an. Hegel ist immer mit von der Partie. In zwei Wagen hat man den Ausflug nach Weinheim unternom men. In dem Coupe mit Jean Paul, Heinrich Voß, Hegels Frau und Frau Paulus muß es besonders lustig hergegan gen sein. Hier hatte man Pfänderspiele gemacht und Küsse ausgetauscht, und die als resolut bekannte Caroline Paulus hat sich dabei besonders ins Zeug gelegt. Hegel war mit seinen Kindern im anderen Wagen nachgefahren. »Und so . . . leben wir Tag vor Tag in dulci jubilo«, berichtet Heinrich Voß am 31.Juli an Abraham Voß: »Hegel hat bei solchen Gelegenheiten schon zweimal ei nen Katzenjammer bekommen.« Zu Anfang des Jahres 1817 traf der damals sechsund zwanzigjährige russische Offizier Boris von Uexküll in Heidelberg ein. Er hatte am Krieg gegen Napoleon teilge nommen, gerade den Dienst in der Armee quittiert und dachte daran, seine Bildungsmängel, wie er es sah, zu beseitigen. Gleich nach dem Eintreffen begibt er sich zu Hegel und erlebt einen ermunternd freundlichen Emp fang. Das ist der Anlaß, sich sofort in einem Buchladen
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alle Hegelschen Werke zu kaufen, um sie abends in einer Sofaecke zu studieren. Der Besuch der Hegelschen Vorle sungen schließt sich in den folgenden Wochen an, aber von dem niederdrückenden Gefühl begleitet, daß er sie so wenig wie die Schriften versteht. Er spricht ein weiteres Mal bei Hegel vor und bekommt den Rat, sich lateinische Lektüre, Algebra, Naturkunde und Geographie vorzu nehmen, sozusagen als wissenschaftliche Propädeutik zum Eintritt ins »System«. Dazu kam der Besuch eines Kolloquiums bei Hegels Adlatus Dr. Hinrichs für Studie rende aller Fakultäten, das sich an die Phänomenologie des Geistes anschloß. Danach kann der Studierende einen spürbaren Erfolg seiner Bemühungen an sich bemerken. Ucxküll war der erste Russe, der Bekanntschaft mit der Hegeischen Philosophie machte und später als Diplomat auf seine Weise an ihrer Verbreitung mitwirkte. Er ist ihr lebenslanger Anhänger geblieben und führte auf allen Stationen seiner Dienstlaufbahn die Hegeische Wissen schaft der Logik als Ratgeber mit sich. Sein Bericht, den er über die erste Begegnung mit Hegel angefertigt hat, spricht in seiner Authentizität für sich: Bei seinem ersten Gang in Heidelberg hatte er in Hegel zu seiner »nicht geringen Verwunderung einen ganz schlichten und ein fachen Mann« angetroffen, »der ziemlich schwerfällig sprach und nichts Bedeutendes vorbrachte«. Auf den späteren Spaziergängen erfährt er dann von Hegel, »daß unsere überkluge Zeit allein durch die >Methode<, weil sie den Gedanken bändige und zur Sache führe, befriedigt werden könne«. Die Logik wurde ihm als abgeschlossene Wissenschaft dargestellt, die nunmehr auf ihre Anwen dung durch die verschiedenen Disziplinen warte. Des weiteren: »Die Religion sei die geahnte Philosophie, diese nichts anderes als die bewußtvolle Religion.« Im Herbst des Jahres 1817 war Victor Gousin aus Frankreich nach Heidelberg gereist. Es war ihm bei sei nem Besuch in Deutschland eigentlich um Schclling zu tun gewesen. Ihn hatte er gesucht und ... Hegel gefun den, wie er in seiner Schrift Über französische und deutsche Philosophie sagt. Es muß sich um eine vom ersten Augen
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blick an auf große gegenseitige Sympathie beruhende Beziehung gehandelt haben, die sich hier anbahnte. Das Gespräch gestaltete sich zunächst nicht einfach: Hegel beherrschte das Französische nicht besser als Cousin das Deutsche. Und doch scheint hier sogleich die beiden ein Gefühl für die Bedeutung des andern das Trennende beiseite gerückt zu haben. Bei Cousin noch mehr als bei Hegel! Das besagt nicht wenig. Hegels Ruf war damals in Heidelberg noch keineswegs gefestigt. Er stand nicht an der Spitze einer Schule, sondern galt in weiten Kreisen als »Schellingianer«. So wurde er auch in sondierenden Vor verhandlungen der Berliner philosophischen Fakultät für die Nachfolge Fichtes geführt. Und einem solchen glaubte Cousin zu begegnen, als er ihm zum erstenmal gegenüber trat. Er ist dann sehr schnell eines Besseren belehrt wor den. Es war der Hegel der Enzyklopädie der philosophischen
Wissenschaften, dem er begegnet, der ihm das Gefühl einer unglaublichen Bewunderung entlockt, ihn aber auch ver wirrt. Die Enzyklopädie findet Cousin von »ziemlich schola stischem Aussehen« und in einer »zu wenig deutlichen Sprache geschrieben«. Und wieder der persönliche Ein druck, der sich andern Urteilen über Hegel nähert: »He gel läßt mit Mühe nur selten tiefe, etwas rätselhafte Worte fallen; seine kräftige, jedoch im Ausdrucke verlegene Diktion, sein starres Antlitz, seine umwölkte Stirne - schei nen das Bild des in sich selbst zurückgewendeten Gedan kens.« Cousin hat sich später als Vorvcrkündiger des Sieges zugs der Hegelschen Philosophie bezeichnet. Das traf zu. Er, der Franzose, ging hier allen andern voran. Das wirft ein Licht auf das Hinüberwirken Hegels auf eine Sprache und einen Geist, die sich von Haus aus dieser sphinxhaf ten Redeweise hätten widersetzen müssen und dann doch aufs unerklärlichste von ihr angezogen zu sein schienen. Breiteren Zulauf findet Hegel erstmals in seiner Vorle sung über Logik mit 70 Hörern. Das Zögernde, das so viele in seinem Auftreten bemerkt hatten und das er auch
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nie ganz ablegen wird, ist mehr und mehr durchsetzt von einem sich immer stärker behauptenden Selbstbewußt sein. In der Universität hält er sich nach dem Bruch mit Paulus vor allem an Daub, den Juristen Thibaut und den Theologen Schwarz. Dazu kommt noch Creuzer. Fried rich Creuzer hatte damals schon die wegen ihrer Tragik berühmt gewordene Geschichte mit Caroline von Günde rode hinter sich, die das Zeitalter erbeben ließ. Zwischen dem Altertumswisseiischaftler und dem jungen Mädchen, Stiftsdame in Frankfurt und junge Dichterin in Heidel berg, hatte sich eine leidenschaftliche Liebesbeziehung entwickelt. Hoffnungen auf eine dauernde Verbindung muß es gegeben haben. Dann war Creuzer lebensgefähr lich erkrankt, seine Frau hatte ihn aufopfernd gepflegt, das Gewissen in ihm regte sich, Skrupel fielen ihn an. Kurz: Creuzer war nicht mehr bereit, seine Frau der neuen Liebe zu einer andern zu opfern. Der Tod der Karoline, die sich deswegen in Winkel am Rhein aus Verzweiflung erdolchte, »mit einem Stich zwischen vierter und fünfter Rippe«, wie das ärztliche Bulletin festhielt, war der vielleicht bewegendste unter den im Geiste der Romantik gestorbenen Tode und hat nicht nur die ro mantischen Generationen aufgewühlt, sondern auch Goe the beschäftigt. Johann Heinrich Voß, der Universität verbunden, ohne Vorlesungen zu halten, gehört der demokratischen Ge genpartei an. Hegels gutes Verhältnis zum Revolutions freund Voß - wie zu seinem Sohn Heinrich, dem Altphilo logen - das zu seiner Berufung beigetragen hatte, ist da von nicht unmittelbar berührt, aber es ist atich deswegen nicht eigens gefördert worden. Vom Altphilologen Welk ker, einem deutschen demokratischen Konstitutionali sten, hält Hegel sich dezidiert fern. Das ist nicht sein Umgang. Während einer Schiffahrt der Heidelberger Professoren auf dem Neckar, die zum hessischen Städi chen Hirschhorn führt, sind die beiden Parteien heftig aufeinandergeprallt. Anlaß scheint ein Toast gewesen zu sein, den Hegel auf die Gesundheit des Kronprinzen von Schweden ausgesprochen hatte. Welcker beschwert sich
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deswegen bei Daub. Sulpiz Boisseree, der den Vorfall unter dem 13. Juli 1817 in seinem Tagebuch festhält, vermerkt da/u: »Revolutionäres respektloses Pack: Prof. Welcker, Kropp usw.« Aber er bewahrt eine auffällige Objektivität, wenn er zugleich kritisch von »Hegels Abso lutismus« spricht. Er ist für ihn der »Einerleiheits Philo soph. Es ist die ja doch, ja nein Philosophie.« Stichwortartig waren damit wichtige Elemente der He gelschen Philosophie, wenn auch verkürzt, festgehalten. Gemeint ist hier ein »Absolutismus«, der sich im Politi schen durch ein »einerseits« und »andererseits« aus der Schlinge zieht, dabei höchstrichterlich verfährt und sich in der Frage der »Konstitution« und der »deutschen Frei heit«, die Welcker statt des Kronprinzen von Schweden hatte hochleben lassen wollen, die entscheidenden Vorbe halte nicht aus der Hand nehmen läßt. Das zeigt sich gerade in diesen Wochen, als die Vorbereitungen für das Wartburgfest getroffen werden und die Frage der Teil nahme daran ansteht. Am 18. Oktober 1817 wollten sich dort die deutschen Burschenschaften /um Andenken an die Reformation und die Befreiungskriege gegen Napo leon versammeln. Der Streit dringt bis in die Familie. Hegel rät ab und setzt sich damit durch. Fr folgt ohne ausgesprochene Aufforderung dem obrigkeitlichen Wunsch, den Gefahren einer solchen Versammlung, wo sich die »deutsche Freiheit« mit der »Freiheit eines Chri stenmenschen«, Demokratisches mit Burschcnschaftli chem und Konstitutionellem verbinden wollen, aus dem Wege zu gehen. Es ist leicht, Hegel Teilnahmslosigkeit gegenüber einem großen vaterländischen Geschehen mit ebenso großen Folgen nachzusagen, aber nicht, daß er die Macht des bald mit der demokratisch-konstitutionellen Bewegung hart ins Gericht gehenden legitimistischen Staats unterschätzt hätte. Hegel hatte Gründe, dem Zu sammengehen der Burschenschaften mit der Reforma tion, deren 400-Jahr-Feier auf würdige Weise unter der schwarz-rot-goldenen Fahne der Verfassungsfreunde be gangen werden sollte, zu mißtrauen. Auf dem Wartburg fest dabeizusein, dagegen sträubte sich seine Natur. Daß
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ausgerechnet Fries, sein alter Widersacher in Jena und als Verfasser einer Logik auf anthropologischer Grundlage der bösartige Kritiker seiner Wissenschaft, der Logik, zu den vaterländischen Rednern auf der Wartburg gehörte, konnte ihn mit Genugtuung erfüllen, denn es bestätigt ihn in seinem Urteil über ihn. Mit den in Heidelberg weit und breit gepflegten Erörte rungen über "Teil- und Nichtteilnahme am Wartburgfest wird nach jener zweijährigen Siegesfreude über Waterloo die Schwelle zu einem neuen, dem nachnapoleonischen Stadium erreicht, in dem die Dynastie nicht mehr gewillt ist, die Früchte des Sieges - wie es versprochen war - mit dem Volk zu teilen. Das Wartburgfest gilt ihr als erstes Signal, dem mit der Ermordung Kotzebues durch den Studenten Sand in Mannheim ein weiteres folgt. Ihre Antwort ist im Verein mit Österreich und Rußland die Teilnahme an der vornehmlich von Zar Alexander I. und dem österreichischen Fürsten Metternich zustande ge brachten »Heiligen Allianz«. Sie versteht sie als Gegen schlag gegen die von ihr so empfundene Herausforde rung durch die Kräfte des Aufruhrs, betrachtet sie als notwendige Reaktion. Hegel als Philosoph der Reaktion, eines Zeitalters, das gewissermaßen vor der Tür steht, als lcgitimistisch-poli zeistaatlicher Zugriff, den Hegel in Heidelberg voraus gewittert hat und wozu er durch den ihm von Sulpiz Boisseree nachgesagten »Absolutismus« glänzend geeig net wäre? So kann es im Heidelberger Sommer des Jahres 1817 sehr wohl erscheinen. Denn so weit ist die Häutung bereits erfolgt, die den Freund des »Kopf ab« und der Freiheitsbäume aus Tübinger lagen auf dem Wreg zum Kronanwalt des legitimistischen Staats zeigt, wohlverstan den mit allen antifcudalistischen und konstitutionellen Zwischentönen.
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Fünfundzwanzigstes Kapitel
Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaftern Hegel hatte seine Enzyklopädie bereits in Nürnberg in Teilen zu Papier gebracht. Sie ging aus den Jenenser Papieren hervor und war Schulstoff für den Unterricht an seinem Gymnasium gewesen. Die Behandlung einiger Stücke vor den Schülern konnte ihm als weiterer Beweis für seine Behauptung dienen, daß Philosophie als Lehr fach an Schulen völlig unnütz sei, weil sie über den Hori zont der Schüler hinausgehe und erst auf der Universität irgendwelchen Vorteil bringe. In Heidelberg behandelte er die Enzyklopädie neben der Logik und Metaphysik wei ter in seinen Vorlesungen. In diesen Zusammenhang ist die Enzyklopädie bei He gel auch zu stellen. Sie setzt die Verwandlung der Meta physik in Logik und der Logik in Metaphysik voraus. Die Logik war für Hegel die Lehre von den Definitionen (Einteilungen), sie ist die »Wissenschaft« an sich, von der alle anderen Wissenschaften als Einzeldisziplinen abgelei tet werden; sie hat formal immer vorauszugehen, um auf empirische Weise zu den Inhalten zu führen, und zwar nicht im Sinne der Empirie von Newton und den »Englän dern«, die als Instrumente für die Erfahrung Elektrisier maschinen, magnetische Apparate oder Luftpumpen an nehmen und in ihnen philosophische Instrumente sehen! Für den Hegel der Enzyklopädie ist Denken das einzige Instrument der Philosophie. Philosophie gilt ihrer theore tischen Bedeutung und dem Inhalte nach als Wissenschaft der Vernunft, »insofern die Vernunft ihrer selbst als alles Seins bewußt wird«. Sie ist die Summe der philosophi schen Wissenschaften, ihre »Enzyklopädie« in ein »Sy stem« gefaßt: weil ein Philosophieren ohne System nicht »wissenschaftlich« sein kann. Von ihr ist der Gesamtbe reich des philosophischen Wissens zu verhandeln: Was kann ich wissen? Wie soll ich handeln? Was kann ich hoffen? Hegel hat in der Heidelberger Enzyklopädie lediglich
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einen »Grundriß« gesehen, der seinen Vorlesungen zu grunde lag und ihm im freien Vortrag vor den Studenten zu extemporieren gestattete. Die Extempora Hegels am Katheder, der in Jena noch die selbstt eingestandene Mühe hatte, sich in seinen Vorlesungen vom Papier zu lösen, gehören von jetzt an zu den Eigenheiten der Hegelschen Kollegs und werden seine Mitschreiber oft in Verlegen heit bringen, weil sie Abweichungen vom gedruckten Text entdecken müssen. Die Neuauflagen der Enzyklopä die zeigen dann noch einmal, was sich ohnehin bei Hegel von selbst versteht, daß er das Manuskript nicht als abge schlossen betrachtet hat. Der Leser der Enzyklopädie kann es erfahren: Philoso phie ist wesentlich Enzyklopädie, insofern das »Wahre« nur als »Totalität« begriffen werden kann: »Das Wahre ist das Ganze« mit der zulässigen Umkehrbarkeit des Satzes: »Das Ganze ist das Wahre.« Wobei sich hier die unver meidliche Frage nach dem Verhältnis der Philosophie zu den einzelnen Philosophien einstellt. Hegel führt zur Be antwortung den Unterschied zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen an und wählt als Beispiel die Vor stellung vom Obst. So wie jede Philosophie nur eine Phi losophie und nicht die Philosophie ist, sind die Birnen und Trauben zwar Obst, aber das bedeutet nicht, daß die Kirschen nicht auch Obst wären. Umgekehrt besteht das Obst nicht nur aus Birnen, Trauben oder Kirschen, son dern kann leicht durch weitere Obstsorten ergänzt wer den. Das Hegelsche »System« der Heidelberger Enzyklopädie erscheint in der Dreiteilung von »Logik« (»Idee«), »Na turphilosophie« (»Wissenschaft der Idee in ihrem An derssein«), »Philosophie des Geistes« (»Idee, die aus ih rem Anderssein in sich zurückkehrt«). »Methode« und »System« sind hier zusammengeführt. Zur Logik kommt nun die Naturphilosophie hinzu, deren Behandlung ihn jetzt auf dem Wege von Schelling zu Kant zeigt, von dem Hegel meint, er habe den »Begriff der Naturphilosophie erweckt« und »den Anfang zu einem Begriff der Materie gemacht..., nachdem sie vorher nur als ein Totes des
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Verstandes zu Grunde gelegen hatte«. Der Materie zum Leben verholfen zu haben, war eine Anerkennung der Kantischen Verdienste, wie sie nicht größer hätte sein können. »Naturphilosophie« bei Schelling war aber auch zweifellos unter dem Einfluß von Goethes Naturdenken zustande gekommen, das eine Herabsetzung der Materie als »Natur« nicht kannte. Dem Satz: »Nur ein Lebendiges fühlt Mangel« lag eine naturphilosophische Einsicht zugrunde. Das Gefühl des Mangels sind der Trieb, ihm abzuhelfen, gehören zur organischen Natur, deren Negation die unorganische Na tur ist. Das ist, wie Hegels Naturphilosophie überhaupt, ein Denken in dialektisch entwickelten Allgemeinheiten — so wird von der Elektrizität als einem auf Polarität beru henden Phänomen gesprochen. Es ist kein Denken, das sich auf experimentell gewonnene Erfahrungen einläßt. Deshalb ist es dann, als sich im Laufe des 19. Jahrhunderts der Siegeszug der Naturwissenschaften anbahnt, trotz seiner möglichen philosophischen Richtigkeit auf das Ni veau fachdisziplinärer Inkompetenz hinabgedrückt wor den. Das Einsichtige und Unanfechtbare der aus dem Denken in seinem Fortschreiten gefundenen Sät/e liegt in ihrem generellen Charakter. Etwa: »Die Allgemeinheit des Lebens und seine Einzelnheit ist in der unmittelbaren Lebendigkeit unmittelbar lebendig«, wie es über die »ve getabilische Natur« heißt. Oder § 235: »Die Individualität der Materie . . . ist die immanente Form, welche der Mate rie des Körpers ... einen eigenen bestimmten Unterschied gibt.« Die eigentliche, die tragende Bedeutung der Hegel schen Naturphilosophie kommt erst später zum Zuge, als er ihre Konsequenzen mit seiner Philosophie der Ge schichte verknüpft, weil Natur und Geschichte bei aller Trennung ihrer Sphären einen Zusammenhang aufwei sen. So bedeutet die »Atomistische Philosophie« den »Standpunkt, auf welchem sich das Absolute als Fürsich sein, als Eins, und als Viele Eins bestimmt«, sie führt in der Geschichte durch die Bewegung der atomistisch auftre tenden Freiheit zu einem Liberalismus, der bewiesen hat, daß er ganze Völker zu ruinieren imstande ist.
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In der Enzyklopädie läßt Hegel sein »System« angesichts der von ihm selbst erkannten Mängel der »Naturphiloso phie« als Philosophie des Geistes die höchste Höhe errei chen. Philosophie des Geistes wohlgemerkt ohne Ver dächtigung der Natur, d. h. der »Elemente«, der Materie. Der Geist kann hier gewissermaßen auf der Materie auf ruhen. Der Schwierigkeit in der Beziehung zwischen »Ma terie« und »Geist« ist nur dialektisch beizukommen, ent sprechend §299: »Der Geist hat für uns die Natur zu seiner Voraussetzung, deren Wahrheit er ist.« Daß Kant dieser Einsicht vorgearbeitet hat, war ihm von Hegel ausdrücklich bestätigt worden. Es ist der Geist, der die Wahrheit der Natur ans Licht bringt. Der darum auch wieder Wahrheit ist oder das Absolute. Deswegen: »Das Absolute ist der Geist« (§ 302). Von der auf diese Formel gebrachten Erkenntnis sind später viele Spekulationen über das rechte Verständnis der Hegelschen Philosophie als »Philosophie des Geistes« oder als Lehre vom »Absolu ten« ausgegangen, leider oft in jener Vereinfachung, die den Gedanken vom »Relativen« als zwangsläufigen Ge genzug unterschlug. Die Lehre vom »Absoluten« ist ihrer Natur nach auch immer Lehre vom »Relativen«. Im »Re lativen« wird das »Absolute« negiert. In der »Absoluten« einwohnenden Umkehrung ist das Prinzip der Negativität anwesend, das den Umschlag per se erfolgen läßt. Ohne Negativität ist das Positive nicht denkbar. Hegel hat in der Enzyklopädie die Begriffe des eigenen »Systems« durch die »Methode« in Bewegung gesetzt. Was über die »Dialektik« als Methode gesagt werden kann, ist hier von Hegel schon auf die letztgültige Formel gebracht. Dialektik bedeutet das »eigene Sich-Aufheben« gegebener »Bestimmungen« und »ihr Übergehen in ihre entgegengesetzte« (§ 15). Dialektik ist keine formale mehr im Sinne des Aristoteles oder der formalen klassischen Logik, sondern eine totale, ein Karieren und Kontcrka rieren aller möglichen Bestimmungen, Begriffe, Kräfte, Erscheinungen, und dies im unaufhörlichen und un abschließbaren Fortschreiben der Natur und der Ge schichte, der Materie und des Geistes.
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Innerhalb des Systems der Philosophie stellt gegenüber der »Logik« und der »Philosophie des Geistes« die Natur philosophie auch die von Hegel selbst als solche erkannte schwache Seite dar. Das lag an der Naturphilosophie als Disziplin und auch an ihrer methodischen Unzulänglich keit, die sie noch weit vom Zustand möglicher Vollkom menheit fernhält. Dieses Verdikt sollte Schelling treffen, mußte aber als Urteil auch auf Hegel selbst zurückfallen. In die Kritik eingeschlossen war die Einsicht, daß jede Naturphilosophie, wo sie Wissenschaft sein will, an der experimentell-empirischen Praxis nicht vorbeikommt, auf ihre Ergebnisse angewiesen ist. Das freilich konnte Hegels Sache nicht sein. Und so verwirklichte sich das Hegelsche System am stärksten in der Philosophie des Geistes. Diese ist auch imstande, sich das »Wesen« der »Natur« zu eigen zu machen und Aussagen über das Verhältnis von »Natur« und »Geist«, »Materie« und »Seele« zu wagen. Das mußte unausweichlich auf die Bahn Spinozas führen, dessen Substanzlehre den nous der Alten ebenso wie die »Naturseele«, die zugleich »Weltseele« sein kann, mitverwaltet. Gemäß § 309 hat sich die Natur im Geist »aufgegeben«, hat sie sich in ihn »übergesetzt«. Über das Verhältnis von »Seele« und »Natur« weiß Hegel zu sagen: »Die Seele ist nicht nur für sich immateriell, son dern die allgemeine Immaterialität der Natur.« Und er kommentiert: »Die Frage um die Immaterialität der Seele kann nur dann noch ein Interesse haben, wenn die Mate rie als ein Wahres einerseits, und der Geist als ein Ding andererseits vorgestellt wird.« Mit der »Materie als ein Wahres« (Enzyklopädie) ist der Materialismus fest einge baut; die stoffliche Substanz als Wirklichkeit wird an kei ner Stelle außer acht gelassen, was für den nachhegel schen und sich ausdrücklich auf die Hegelsche Methode gründenden Dialektischen Materialismus von ausschlag gebender Bedeutung werden wird. Die Bedeutung der Hegelschen Philosophie des Geistes liegt hier gerade darin, daß die Geistlehre nicht mit einer ätherischen Stofflosigkeit der Substanz rechnet, sondern die Materie als für den Geist unerläßliches Element darin
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ihren Platz hat. Dem Satz: »Der Begriff des Geistes hat seine Realität im Geiste« ist mit der Realität der Materie kein Abbruch getan. Materie gehört zum Geist, wie das Subjektdenken nur als »Beziehung aufs Objekt« erfolgen kann, wie das Fichtesche »Ich« allein durch den Gegensatz zum »Nicht-Ich« zur Geltung gelangt. In dieser Bezie hung tritt der Zusammenhang von Subjekt und Objekt als Trennung und Verbindung zutage, der zu einer »Form höherer Ordnung« führt, in der »Form« als Form und Inhalt zugleich verstanden wird, weil es in der Welt keinen Inhalt ohne Form und keine Form ohne Inhalt geben kann. Die Erforschung der Metaphysik als Logik und der Logik als Metaphysik ist Erforschung auf spekulativer Grundlage und bedeutet »Reflexion«. Seiner Natur nach ist der Mensch »nach außen gerichtet«. Reflexion bedeu tet seine Wendung nach innen, in ihr wird der Mensch sich selbst zum Gegenstand. Höchster Gegenstand für das denkende Umkreisen in der Reflexion ist das Absolute als Emanation des Geistes in der Dreiheit von Religion, Kunst und Philosophie. Höher als die Religion liegt die Kunst, höher als die Kunst liegt die Philosophie. Die Verhandlun gen über das Beziehungssystem dieser Drei in Einem werden in der Enzyklopädie nur eröffnet, ihr Resultat ist auch nicht unrevidierbar. Die bei Hegel vorherrschende Struktur ist die triadi sche. Sie manifestiert sich als Stufengang von Thesis, Antithesis und Synthesis, als Dreitakt des Denkens »an sich und für sich«. In der Dialektik mit ihrem Prinzip der »Entzweiung« ist also eine Dreiheit gegenwärtig, die vor Platon bereits im Zahlensystem der Pythagorecr wegen der besonderen Rolle der Drei eine Schlüsselstellung ein genommen hatte und ihrer symbolischen und rhythmi schen Gestalt wegen in den Liturgien über die Grenzen einzelner Kulte hinweg Funktionen auch magischer Art ausübte. Das Prinzip der Drei in Einem und der Eins in Drei kehrt als »Dreieinigkeit« (Vater, Sohn und Geist) in der Hegelschen Religionsphilosophie wieder, es ist als Prinzip des Geistes immer auch ontologisches Prinzip.
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Dagegen steht das von Kimmerle und Hösle wieder neu in Erinnerung gerufene Tetradische als zweite Struktur des Hegelschen Denkens (»vier Grundfarben - die Eintei lung der Metaphysik in 1. Ontologie, 2. rationelle Psycho logie, 3. Kosmologie, 4. natürliche oder [rationelle] Theo logie — solarische, planetarische, lunarische, kometarische Natur«). Die Struktur ist eine Sache der von Hegel getrof fenen Unterscheidung, aber sie ist weitgehend nicht frei, sondern als durch den Begriff bestimmt immer auch abhängig vom Gegenstand. Daß Triadisches im Bereich des Geistes, Tetradisches im Bereich der Natur galt, war in umgekehr ter Reihenfolge bereits in der 3. These von Hegels Schrift über die Planetenbahnen niedergelegt: »Quadratum est lex naturac, triangulum mentis.« Diese Einteilung wird bei Hegel nicht durchgängig beachtet, ohne daß sie da durch ihren generellen Charakter einbüßen würde. Sie stammte nicht von Hegel. Daß »in der Sphäre des Geistes ... das Trichotomische« herrscht, darauf »aufmerksam gemacht« zu haben, »gehört zu den Verdiensten Kants«. Wenn die Philosophie in der Enzyklopädie noch als »die Einheit der Kunst und der Religion« bezeichnet wird, so wird sich Hegel durch den Einfluß Goethes darüber be lehren lassen, daß das Kunstwerk auch über die philoso phische Erkenntnis hinausdringen kann. Das steht für die objektiv gewordene Kunst fest. Vorderhand gilt für den Hegel der Enzyklopädie: »das Kunstwerk ist nur dann Ausdruck des Gottes, wenn kein Zeichen von subjektiver Besonderheit darin« enthalten ist.
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Sechsundzwanzigstes Kapitel
Friedrich Heinrich Jacobi Es war ein langer Weg gewesen, den Hegel bei der Beur teilung Jacobis seit seinen Ausfällen im Kritischen Journal bis zu seiner Rezension des dritten Bandes von dessen Weiken in den Heidelberger Jahrbüchern zurückgelegt hatte. Es hatte hier eine Antipathie gegeben, die auf Gegenseitigkeit beruhte. In der Auseinandersetzung zwi schen Hegel und Fries stand Jacobi lange Zeit auf der Seite von Fries. Das hatte sich gegen Ende von Hegels Nürnberger Tätigkeit geändert. Ob ein Besuch Hegels in München, den er Niethammer zumindest brieflich angekündigt hatte, wobei er die persönliche Bekanntschaft Jacobis gemacht haben könnte oder ob eine Reise des Präsidenten der Bayerischen Akademie der Wissenschaften nach Nürnberg dabei eine Rolle gespielt haben mag, ist schwer mit Sicherheit zu sagen, aber nicht unwahrscheinlich. Hegels Urteile über Jacobi fallen jedenfalls plötzlich gün stiger aus. Hegels Rezension enthält nun das Resümee dieser völli gen Wandlung und bedeutet zugleich die genaueste Posi tionsangabe des eigenen Denkens zwischen der Nürnber ger Logik und der Enzyklopädie. Sie ist eine Schlüsselschrift, die für den Zugang zum Hegclschen »System« unentbehr lich bleibt. Hegel bemängelt eingangs sofort, daß der Band nichts über Jacobis Briefe über die Lehre des Spinoza als notwendige
Vorausschickung enthalte. Hier war ein empfindlicher Nerv getroffen, der an die Behandlung der SpinozaFrage der achtziger Jahre des 18. Jahrhunderts erinnern ließ. Damals hatte Jacobi außerordentliches Aufsehen mit der Mitteilung nach Lessings Tod erregt, dieser sei ein heimlicher Anhänger Spinozas gewesen, was alle mögli chen Verdachtsgründe bis hin zum Atheismus heraufbe schwören mußte. An den Wellen schlagenden Erörterun gen über die damit verbundenen Gefahren waren neben
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Jacobi noch Mendelssohn, Goethe, Herder, aber auch Kant beteiligt gewesen. In seiner Rezension geht Hegel sogleich in eigener Sache vor, wenn er ehe Erwähnung des Spinoza-Themas für unerläßlich hält, weil es über Jacobis Absicht »von der Nichtigkeit aller wissenschaftlichen Er kenntnis des Göttlichen« Aufschluß gebe. Spinoza ist hier unmittelbar neben Kant gestellt, was im Blick auf Jacobi noch dadurch gerechtfertigt erscheint, weil Kant von Ja cobi erst nach dessen Beschäftigung mit Spinoza in seiner ganzen Bedeutung erkannt worden war, mit einer Folge rung, die Hegel für seine eigene Philosophie wie für die Philosophie überhaupt zieht: daß nämlich konsequentes Philosophieren nach Spinoza zwangsläufig zum Spinozis mus führe. Im Hegeischen Sprachgebrauch heißt dies: Die Tdee Gottes in ihrer Unendlichkeit tritt nicht in das Erkennen ein. Hegel charakterisiert hier die aus Spinoza gezogene und Jacobi zugeschriebene Formel: »Gott ist Geist, das Absolute frei und persönlich.« Gott ist kein toter, sondern ein lebendiger Gott. Jacobi steht nach Ansicht des sachlich abhandelnden Referenten für jemand, der im Namen Spinozas dem Bewußtsein nicht länger zumuten will, daß es kein Wissen von Gott geben könne, das nicht erst eine Reihe von Schlüssen nach vorausgesetzten Begriffen und gezogener Folgerungen durchgemacht hat, in denen die Beweise stecken. Das wäre das gleiche, wie vom Menschen zu glauben: »er könne nicht verstehen, noch gehen, noch sehen, noch hören, ohne Anatomie und Physiologie stu diert zu haben.« Für jede kirchliche Theologie außeror dentlich befremdlich mußte es sein, die Eine Substanz Spinozas in der jüdisch-christlichen Gottesvorstellung aufgehen zu lassen. Der ehemalige Tübinger Theologie kandidat wußte, woran er rührte, er wußte, in welche Richtung sich Spinoza begeben hatte. Das war das Ende jeder institutionalisierbaren Theologie, es konnte auch das glatte Gegenteil jeder Theologie, nämlich Atheismus, bedeuten, wie ihn Lessing und Goethe gestreift hatten. Hier wird noch nicht ausgesprochen, was aber bereits voll ins Visiert' genommen ist: »Spinozismus gleich Atheismus«
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als Hegelsche Formel, sowie: Spinozismus oder keine Phi losophie, Spinoza ist als der Ausgang der neueren Philoso phie von Hegel klar ausgemacht, und zwar gerade in der Unterlassung, sich mit ihr auseinandergesetzt zu haben, wie er es Jacobi hier vorwirft. Das Dringliche in der Beanstandung Hegels, die Lehre Spinozas unberücksichtigt gelassen zu haben, brauchte Jacobi nicht zu treffen, denn er bezeugte selbst die Anzie hungskraft, die der Spinozismus auf die Religiosität der nachmaligen deutschen Klassik ausgeübt hatte. Lessing hatte seinen vor der Öffentlichkeit zu verschweigenden Glauben, der dem des Spinoza ähnlich sei, in einem per sönlichen Gespräch mit Jacobi bekannt und das »Geheim nis«, das er daraus machte, durch seine Unterscheidung von esoterischer und exoterischer Wissenschaft gerecht fertigt. Lessing wußte, was er tat, und hätte, wenn er Zeuge des Entsetzens beim Bekanntwerden seiner spino zistischen Neigungen nach seinem Tode gewesen wäre, seine Vorsicht bestätigt gefunden. Dagegen hatte Goethe unbefangener seine Sympathie für die spinozistische Phi losophie zu erkennen gegeben. Gott in der Natur auf gehen zu lassen, entsprach seinen eigenen Vorstellun gen. Hegel hat mit der Behandlung dieser so schwerwiegen den Gegenstände die Jacobi-Rezension zum Anlaß ge nommen, seinen Richterspruch in Fragen der neueren, d. h. nachspinozistischen Philosophie zur Geltung zu brin gen. Das bedeutete zunächst Abgrenzung gegen Kant. Hegel faßt seine Kant-Kritik ganz knapp in dem Vorwurf zusammen: der Königsberger Philosoph habe gefragt: »Wie sind synthetische a priori Urteile möglich?« — »Statt die Notwendigkeit dieser Urteile als Gegenstand der Phi losophie zu bestimmen.« Hier ist Hegels Kant-Kritik auf einem übersichtlichen Raum zusammengefaßt. Wenn nach der theoretischen (»reinen«) Vernunft »die Ideen von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit unerweislich« sind, weil diese »Gegen stände nicht erkannt werden« können und die theoretische Vernunft nur auf das, »was ist«, gerichtet sein kann, dann
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begnügt sich die praktische Vernunft mit herabgesetzten Ansprüchen. Sie setzt sich über die Unbeweisbarkeit die ser Ideen hinweg und fordert für sie, die in der Erschei nungswelt nicht anzutreffen sind, von denen es keine sicheren Erfahrungen gibt, die Anerkennung ihrer Exi stenz. Der Kant der Kritik der praktischen Vernunft verfährt
nach Hegel in der Weise der Philosophie des »Als-ob«, der auch die Regel Voltaires entspricht: »Wenn es keinen Gott gäbe, so müßte man ihn erfinden.« »Kritische Ver nunft« und »praktische Vernunft« bei Kant klaffen hier auseinander. »Das Bewußtsein, daß Gott ist, daß Freiheit ist, daß Unsterblichkeit ist, ist nur etwas ganz Anderes als das Postulat, daß diese Ideen nur sein sollen.« Niemand außer Kant selbst wäre hier befugt gewesen, auf die An griffe zu antworten. Aber der Angegriffene weilt schon mehr als zehn Jahre nicht mehr unter den Lebenden. Was indessen das genau Treffende von Hegels Kritik aus macht, was ihm den Scharfblick für die »Schwäche« gab, war die Höhe der eigenen Dialektik, die er bei Kant antraf. Kant setzt, was er annulliert, und er annulliert, was er setzt nach Hegels Philosophie des »Seins«, das zugleich sein eigenes »Nichts« ist. Hegel stimmt dabei Jacobi zu, daß er Kant, bei dem »das Objekt zu einem unerkannten und unerkennbaren Ding-an-sich erst gewissermaßen durch den ganzen Verlauf der Kritik zusammenschrumpft«, dialektisch behandelt. Er kritisiert Jacobi aber, daß er Fichte nicht dialektisch behandelt habe, obwohl sich diese Methode bei ihm ebenso zwingend vorschreibe, weil Fichte dem ersten absoluten Grundsatz seiner Philoso phie, Ich=Ich, den zweiten folgen läßt, daß das Ich sein Nicht-Ich inhaltlich entgegensetzt. Jedes Ich kann sich nur gegenüber einem Nicht-Ich geltend machen. Beide Grundsätze sind unbedingt und in ihrem Zusammenhang nur dialektisch zu verstehen. Hegel nimmt jetzt die Gelegenheit wahr, gegen Jacobi seine eigenen, an Spinoza orientierten Grundbegriffe der Logik ins Feld zu führen. Um hier halbwegs zum Ver ständnis zu gelangen, läßt es sich nicht vermeiden, sich in die dunkle Begrifflichkeit seiner Metaphysik zu stürzen.
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Hier ist die Rede vom »absoluten Geist«, dessen Grundbe stimmung die »Unmittelbarkeit« oder das »Sein« bzw. die »Substanz« ist. »Substanz« aber — daran erinnert Hegel aus seiner Logik - ist die »Negation der Negation«, nach der notwendigen Setzung, daß jede Bestimmung Nega tion ist. Als Negation ist die »Substanz« die »absolute Affirmation« und ebenso »unmittelbare Freiheit« und »Selbstbestimmung« nach der in der Logik ausführlich entwickelten Erklärung, daß die »absolute Negativität« als »Quell der Freiheit« zu gelten hat. Worin Bedeutsames in Hegels Jacobi-Rezension liegt? In ihr ist Jacobi neben Spinoza, Kant und Fichte voll angenommen, eine Vorstellung, die im 19. und 20. Jahr hundert preisgegeben worden ist, als man Jacobi so gern mit Schweigen überging. Hegel kennt eine eigentümliche Stufung, die bei ihm in der Geschichte der Philosophie zum Ausdruck kommen wird, Spinoza die eigentliche Palme zuerkennt und aus Fichte einen konsequent gewordenen Kant macht. Hegel: »Das fichtesche System ist bekanntlich durch das kantische in eine höhere Abstraktion erhoben.« Das heißt: Spinoza nimmt jetzt nach Hegel unter den Dreien den höchsten Rang ein, Kant den untersten. Fichte liegt dazwischen, und das Verdienst Jacobis besteht darin, der von Kant ausgehenden Bewegung der neueren Phi losophie frischen Schwung gegeben zu haben, und zwar im Sinne jener »positiven Ideen« wie »Gefühl, Ahnung, Glauben« zusammen mit dem Standpunkt, »spekulatives Wissen, begreifendes Erkennen für unmöglich zu hal ten«. Aber mit der »Rede«, daß »ein Gott, der gewaßt würde, kein Gott mehr wäre, daß sich selbst der Mensch und das Wesen Gottes unergründlich sei, weil sonst im Menschen ein übergöttliches Vermögen wohnen, Gott von dem Menschen müßte erfunden werden können«, war' Jacobi wieder dicht an die Seite Kants gerückt. Mißtrauen in die Spekulation als Mittel zum sichern Wissen und zugleich Ahnung, Gefühl, Glaube — aber nicht Glaube an Wunder! Wir wissen aus der Phänomenologie des Geistes ganz genau, wie sich Hegel zu den hier aufgeführten und aneinandergereihten Punkten, die er bei Jacobi zusam
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mengeführt sieht, ausgesprochen hatte. Er war in Jacobi einem fast drei Jahrzehnte älteren Zeitgenossen begegnet, der in manchem den gleichen Stufengang von Kant zu Fichte hinter sich gebracht hatte und für Hegel die Lichter und Irrlichter eines Zeitalters im Wandel von der Ver nunft zum Glauben, vom Wissen zum Fühlen mit all seinen Wechselwirkungen und Durchdringungen auf leuchten ließ. Am Schluß der Rezension fällt wie ein Paukenschlag der Name Hamann, dem Hegel noch eine ausführliche Schrift widmen wird. Hamann ist Königsber ger wie sein Lehrer Kant, als dessen Antipode er sich fühlen darf und auch von Hegel gesehen ist, der Antira tionalist, der vom »leeren Abgrund«, von »Ungestalt«, »Chaos« vom »Nichts als Nichts« zeugt. Hier tritt, wenn sie denn schon zusammengehören, die Nacht auf den Tag, schafft die Zusammengehörigkeit jene Koinzidenz, die Ja cobi die zu vermutende »Harmonie« des Denkens und ihm damit seine Beglaubigung verleiht. Auffallend an der Jacobi-Rezension ist, daß neben Kant und Fichte der Name Schellings fehlt; nur indirekt wird er kritisch erwähnt, wenn für ihn die »Naturphilosophie« steht: es »geht schon aus den wiederholt erneuerten Ver suchen, der Natur-Philosophie ihre wissenschaftliche Form zu finden, hervor, daß sie sich in Rücksicht der Form selbst noch nicht befriedigt; keine der nacheinander folgenden Darstellungen erschöpft die Vollständigkeit des Inhalts«. In dieser Unzulänglichkeitserklärung über die »Natur philosophie« kann Schelling als ihr bedeutendster Vertre ter vernehmen, was Hegel von ihr und ihren bisherigen Entwürfen hält. Dafür rückt Jacobi auf, dem neben Kant das Verdienst zugerechnet wird, »der vormaligen Meta physik nicht so sehr ihrem Inhalte nach, als ihrer Weise der Erkenntnis, ein Ende gemacht, und damit die Not wendigkeit einer völlig veränderten Ansicht des Logi schen begründet zu haben«. Ein größeres Lob Jacobis, der damit in der Geschichte der Philosophie »eine bleibende Epoche gemacht« habe, war schwer zu denken, aber auch kein größeres Selbstbewußtsein als das, was hier aus Hegel selber spricht. Für ihn haben Kant und Jacobi das alle
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System gestürzt und die Vorspanndienste zum Aufbau des neuen Systems geleistet, das in seiner Logik errichtet zu haben Hegel für sich selbst in Anspruch nimmt.
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Siebenundzwanzigstes Kapitel
Feudalismus oder Monarchie Der Aufsatz über die Versammlung der Landstände des Kö nigreichs Württemberg im Jahre 1815 und 1816 ist zum
größten Teil noch in Nürnberg entstanden und erschien im ersten Jahre von Hegels neuer Lehrtätigkeit in den Heidelberger Jahrbüchern der Literatur 1817. Es ist übrigens
die Schrift eines brillanten Schriftstellers, den man sonst bei Hegel oft vergeblich sucht. Das Erstaunlichste an diesem Beitrag ist freilich, daß er in der Frage nach einer Konstitution in der württem bergischen Monarchie die völlige Kehrtwende des Au tors gegenüber dem in dem unveröffentlichten Aufsatz Über die neuesten inneren Verhältnisse Württembergs von
1798 vertretenen Standpunkt anzeigt. Da war von ge wählten Volksvertretungen die Rede gewesen. Flüchtig betrachtet spricht alles für die alte verfassungsfreundli che Sicht der Dinge, die Paulus, der Gefährte aus Jenen ser und bayerischen Tagen, vertrat und die Hegel jetzt in der Argumentation Punkt für Punkt korrigiert. Hegel hatte im Sinne einer künftigen »Philosophie der Ge schichte« hinzugelernt. Eine »Verfassung«, wie sie der König von Württemberg seinem Volk geben will, besagt an sich gar nichts. Auch das inzwischen zugrunde ge gangene alte »Reich« hatte neben der Reichsversamm lung dergleichen gehabt. Hegel quittiert dies dergestalt: »Aus der politischen Nullität, zu welcher das deutsche Volk durch seine Verfassung hervorgebracht war, aus der Unvermögcnhcit der vielen kleinen Ganzen, des größeren Teils der Reichsständc, einen eigenen Ent schluß und Willen zu haben, mußte ein Geist der Ver sumpfung in's Privat-Interesse und der Gleichgülligkeit, ja der Feindschaft gegen den Gedanken, eine NationalEhre zu haben und für sie Aufopferungen zu machen, hervorgehen.« Das ist eine wenig günstige Beurteilung dessen, was von einer »Verfassung«, die jetzt so dringend gewünscht
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wird und die der inzwischen verstorbene König von Würt temberg zu gewähren bereit war, alles erwartet werden kann. Die Frage bleibt: Wollen diejenigen, denen sie ange boten wird, sie überhaupt haben? Weil sie für die »Unter tanen« gedacht ist, nimmt sich der Adel aus, weil er sich nicht dazurechnet, beruft sich das »limpurgische Haus« auf alte Papiere, die beweisen, daß es gar nicht zu Würt temberg gehört, treten die evangelischen Prälaten mit Sonderappellationen hervor. Am Ende verwirft die Stän deversammlung die vom König gegebene Verfassung; sie bestreitet sich selbst das Recht, sich versammeln zu dür fen, und stimmt, wenn sie nun einmal zusammengekom men ist, für die Nichtannahme. Das war nichts Unge wohntes. Hegel rechnet die Vorgänge den »querelles allemandes« zu, die am politischen Elend des alten »Reichs« beständig mitgewirkt haben. Warum lehnt die Ständeversammlung die neue Verfas sung ab? Einfach: weil sie nicht die alte ist. Was man will, ist die altwürttembergische Verfassung, ist das »gute alte Recht«. Sie verweigert sich, weil das Tote unfähig ist, zum Leben zurückzufinden. Man hatte die Veränderung durch den Übergang der deutschen Länder aus dem Verhältnis von Reichslehen in souveräne Länder, d.h. Staaten, in Württemberg verschlafen. Und die Verfas sung selbst: sie war allein durch ihre Kompliziertheit dem »Volk«, für die sie der König gedacht hatte, entzogen und eine Sache für Advokaten geworden. Es fällt Hegel leicht, sich daran zu erinnern, daß die Landstände eine alte württembergische Institution waren. Er weiß deswegen zu berichten, daß immer dann, wenn die Landstände stark waren, der Staat sich seiner Zerrüt tung zubewegte. Der Grund: Die Landstände haben die Kasse in ihren Händen. Von da ist immer nur ein kleiner Schritt, eigene Truppen zu unterhalten und mit anderen Mächten sich in Verbindung zu setzen. Vor allem bedeu tet die »Kasse«: »Verwendung der Landesgelder für's Persönliche«, das heißt »Privat-Plünderung« und die große Gelegenheit, sich selbst »Besoldungszuschüsse« zu dekretieren, den eigenen Leuten und auch den Kontrol
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leuren »für wirkliche oder eingebildete Dienste Beloh nungen und Pensionen« auszusetzen. Damit war auch schon ein Wort über die »Ausschüsse« gesagt. Was sie sind und zu sein haben, konnte amBudget der Württembergischen Staatskasse, worin die Rechnun gen angeführt sind, abgelesen werden. Da läßt sich ein Kanzlist eigens dafür bezahlen, daß er sich nach dem Befinden des Herzogs erkundigt hat. Für eine Reise nach St. Petersburg werden 5000 dulden in Anschlag gebracht, für eine Reise nach München 8700 Gulden. Merkwürdig: Immer wieder tauchen dieselben Familiennamen auf. Die Summe von 4 238000 Gulden für die Jahre 1771 bis 1797 findet Hegel derart exorbitant, daß er sie noch zusätzlich in Worten ausschreibt mit der Bemerkung: »wenn in 26 Jahren die Summe von gesetzwidrig verwendetem Landesgeld sich auf 4 Millionen belaufen kann, so taugen gewiß die Gesetze nicht, bei welchen dergleichen Gesetz widrigkeit möglich ist.« Diese Einwände gegen die Landstände, in denen von maßloser Geldverschwendung die Rede war, hatten es in sich. Sie erinnern an Hegels Berner Überlegungen, nach dem er in der Schweiz die Zustände einer Republik ken nengelernt hatte und den Vergleich zum Württemberg Karl Eugens anstellen konnte. Das Württemberg Karl Eugens war berüchtigt gewesen wegen des Hohenaspergs, in dem der Herzog seine Gefangenen schmachten ließ, und nicht zuletzt seiner höfischen Üppigkeit wegen, die auf Kosten der Landeskinder ging. In der Bernischen Republik dagegen hatte man die Feinde aus dem Waadt land aufs Rad geflochten, und es herrschte eine Korrup tion im Staatsregiment, wo mit Ämtern Schacher getrie ben wird, wie sie die Monarchie nicht kannte, weil es in ihr keine derartige Geldbewegung gab. Hier setzt der Warner der Monarchie vor der Verfassung den Hebel an. Er ruft die außerordentliche Neigung der Landstände zur Kon fiskation mit anschließender Privatbereicherung ins Ge dächtnis. »Altes Recht«, »Alte Verfassung« - alles hohl klingende Worte, zu denen man getrost Menschenopfer, Sklaverei, Feudaldespotismus hinzurechnen könnte. Sie
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besagen so wenig wie der gern beschworene »Wille des Volkes«. »Wenn die Schwaben freien Willen haben, ge schieht gar nichts.« Kennzeichen des »Volks« ist seine Entschlußlosigkeit. Das »Volk« als solches untersteht sich nicht, eine »Verfassung« zu machen, es sind allenfalls »Weise« aus dem Volk. Für Württemberg gilt, daß das Land, wo immer es mit seiner »Verfassung« zusammenge dacht wird, »elend, niedergedrückt, unglücklich« war. Wenn vollends vom »Staatsvertrag« die Rede ist, gibt man vor, daß es sich um zwei unabhängige Vertragsschlie ßende handelt. Als ob das Volk, dem der König einen Vertrag anbietet, je unabhängig gewesen wäre! Und dann die Ständevcrsammlung selbst! Nirgendwo ein lebendiges Wort, keine Beredsamkeit wie auf dem römischen Forum, kein Debattieren, sondern bloß ein Ablesen der Vorträge, als ob es sich um Abhandlungen handelt, die für die Studierstube gedacht sind. Des weiteren ließ sich anführen: Die Landständenutzen die Not des Staats aus. Ihnen ist zuzutrauen, daß sie gemeinsame Sache machen. So wie sie durch ihre ausfüh renden Organe, die Schreiber, mit Willkür und Beutel schneiderei das Volk bedrückt haben! Bei einer »Verfas sung« werden die Stadt- und Amtsschreiber dieMenschen in die Verzweiflung treiben. Was in Frankreich der Adel und die Geistlichkeit besorgt haben, wurde in Württem berg durch die »bürgerliche Aristokratie der Schreiberei« mit ihren Privilegien, Monopolen, Taxen, Steuern, Ge bühren, dem Erfindungsreichtum, Geld auf die Seite zu schaffen, zuwege gebracht. Nachdem Hegel die bemerkenswerte Infamie der Landstände, für die das Verfassungsangebot des Königs galt, ins gebührende Licht gestellt und überdies ihre Qua lität als beschlußfähige Versammlung bestritten hatte, fährt er noch einmal schwerstes Geschütz auf, wenn er ihnen schlechterdings jeden Verstand abspricht. Auf das Anerbieten des Königs zur Mitwirkung bei der Gesetzge bung, der Steuererhebung, der Erhaltung des alten Kir chenguts, weiter der persönlichen Freiheit, dem Recht zur Auswanderung, der fortdauernden Wirksamkeit der
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Stände hatten sie mit Ablehnung reagiert. Aber indem die Stände dies alles verworfen hatten, hatten sie sieh selbst verworfen. Ohne es zu merken! Die Verfassungsversammlung war ausgegangen wie das Hornberger Schießen. Sie hatte keine Übereinkunft mit dem König und keinen Beschluß über irgendeinen Ver fassungsgegenstand zustande gebracht. Sie hatte über haupt nicht mit sich reden lassen, weil sie das »Alte Recht« wollte. Das »Alte Recht« aber war der Feudalismus. Das Urteil des ungebetenen, mit forensischer Beredsamkeit aufwartenden Kronanwalts in Heidelberg lautete: »Man konnte von den württembergischen Landständen sagen, was von den französischen Remigranten gesagt worden ist, sie haben nichts vergessen und nichts gelernt, sie scheinen diese letzten 25 Jahre, die reichsten wohl, welche die Weltgeschichte gehabt hat, und die für uns lehrreich sten, weil ihnen unsere Welt und unsere Vorstellungen angehören, verschlafen zu haben.« Hegel hatte hier zu einem vernichtenden Schlag gegen alle mit der »Verfassung« sympathisierenden Bestrebun gen im nachnapoleonischen Deutschland ausgeholt, und er hatte es mit einer außergewöhnlichen persönlichen Leidenschaft getan. Es war hier um eine regionale Frage gegangen, aber in ihrer Behandlung standen für Hegel die eigenen Prinzipien für den Verlauf der Weltge schichte auf dem Spiel: Grundsätze der Weltpolitik, in der »Feudalismus« für »Gewalt«, »Willkür« und »Despotie« zeugt, der »Monarchie« dagegen die historische Rolle zufällt, dem Feudalismus als Gcwaltprinzip ein Ende zu bereiten, so wie es in England und Frankreich geschehen war, in den Ländern auf deutschem Boden aber noch ausstand. In dieser Etappe der Wellgeschichte bedeutet die »Monarchie« das politische Element des Fortschrei tens. Es kann und darf nicht überrumpelt werden durch jene Scheinfortschritte, die der Gegenwart schmeicheln, indem sie sich gleichzeitig viel auf ihr zur E.hrerbietung verleitendes Alter zugute halten. Es war ein abschreckendes Beispiel gewesen, das Hegel von den württembergischen Landständen ihrer in der
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Vergangenheit begangenen Schurkereien wegen vor Au gen gestellt hatte. Wenn so die Kräfte aussahen, mit denen die Monarchen nach 1815 künftig ihre Macht zu teilen hatten, dann war dringend vor ihnen zu warnen. Mochte für Württemberg Hegels Sicht vertretbar sein und da durch den Konstitutionalisten schweren Abbruch tun, so lag ihr zweifellos eine politisch weittragende Absicht zu grunde, die auf künftige Berufspläne für einen bewähr ten Diener der Krone schließen ließen. Der Verfasser der Schrift über die Versammlung der Landslände des Königreichs
Württemberg war damit glänzend ausgewiesen, für sie ver wendbar zu sein. Die Philosophieprofessur — wir wissen es genau - galt Hegel zu dieser Zeit nur als Übergangsbe dienstung im Blick auf andere Tätigkeiten, für die der Staat ihn möglicherweise »übergeben« könnte. Zunächst aber stand in Berlin die Besetzung des durch den Tod Fichtes freigewordenen Lehrstuhls an. Hier hatte man bereits auf den Logiker und Metaphysiker in bayerischen Diensten ein Auge geworfen. Mit seiner Schrift über die württembergischen Landstände war aus ihm ein Verfechter des monarchischen Legitimitätsprin zips geworden, wie man ihn sich in Berlin nicht besser hätte wünschen können. Das Preußen der Restauration ist auf der Suche nach seinem Philosophen.
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Achtundzwanzigstes Kapitel
Von Baden nach Preußen In Berlin hatte man nicht vergessen, daß Heidelberg der Berufung Hegels in die preußische Hauptstadt knapp zuvorgekommen war. Sicher hätte Hegel von Nürnberg aus Berlin den Vorzug gegeben, wenn ihn der Ruf von dort früher erreicht hätte. Der Freiherr von Stein zum Altenstein in Berlin hatte die Vorgänge in Erinnerung behalten. Es gehörte mit zu seinen ersten Amtshandlun gen als Chef des neu von König Friedrich Wilhelm III. geschaffenen Ministeriums für das preußische Kultusund Unterrichtswesen, sich in einem persönlich gehalte nen Brief vom 26. Dezember 1817 an Hegel zu wenden und ihn zu einer Annahme des Rufs zu bewegen, der auf seine Veranlassung an ihn ergehen würde. Als Bezahlung stellt er »2000 Taler preuß. Courant« in Aussicht, was bei der Umrechnung in Gulden das Doppelte von Hegels Heidelberger Bezügen bedeutete, ferner, was ebensoviel wog, einen ausgebreiteten Wirkungskreis in einer Stadt, die dabei war, zu einer bedeutenden Metropole in Europa heranzuwachsen. Und das in Preußen mit seiner muster gültigen Verwaltung der politischen, militärischen und kulturellen Einrichtungen, jenem Staat, der sich durch seine Beteiligung am Sieg über Napoleon an die Seite der alten Hegemonialmächte Österreich und Rußland stellen konnte! Die Berliner Universität als eine Gründung Wil helm von Humboldts war durch ihre Statuten, ihre Orga nisation mit der darin garantierten Lehrfreiheit und den Kreis der an sie berufenen Professoren in den höchsten Rang auf dem Boden des gerade aufgelösten Reichs ge langt. Ein Ruf an sie bedeutete eine Ehrung sonderglei chen. Hegel läßt sich vier Wochen Zeit zum Nachdenken und teilt dann unter dem 24. Januar 1818 seine grundsätzliche Bereitschaft mit, den Ruf anzunehmen. Was er sich bei Altenstein ausbittet, war für den Minister annehmbar, weil es sich von selbst verstand. Mit Ausnahme der freien
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Wohnung, die nur Professoren in Institutseinrichtungen zugestanden werden konnte! Unter Hinweis auf die »ex orbitanten Preise der Hausmieten« glaubte sich Hegel freilich auch mit einem »Quantum Naturalien«, also der Form der alten in Baden und Württemberg geltenden »Fruchtbesoldung« in Korn und Spelz, begnügen zu kön nen. Auf diesen Punkt ist man in Berlin nicht mehr eingegangen, weil die Gehaltszahlung in Deputaten von der preußischen Ministerialbehörde nicht in Betracht ge zogen wurde. Auch daß Hegel mit der ihm geläufigen Bescheidenheit noch nachdrücklich seine »Vermögenslo sigkeit« ins Spiel brachte, um die Berücksichtigung seiner Familie durch die »Witwen- und Waisenkasse« für den Fall seines Todes zu erbitten, schien völlig überflüssig. Mit den 200 Friedrichsdor zur Erstattung seiner Reiseun kosten greift er dann in seiner Angst, daß diese Kosten vielleicht seine eigenen Mittel übersteigen könnten, aller dings weit über das Erforderliche hinaus. Das preußische Ministerium schlägt alle möglichen Bedenken nieder mit dem Anerbieten, seine Gehaltszahlungen früher begin nen zu lassen. Das war außerordentlich großzügig gedacht und kam auch entsprechend zur Wirkung. Hegel konnte wegen seiner Heidelberger Verpflichtung, während des Sommersemesters die schon angekündigten Vorlesungen zu halten, erst am 1. Oktober seinen Dienst in Berlin antreten. Die Staatskasse zahlt sein Gehalt bereits vom 1. Juli an. Preußen hatte sich durch den Minister Altenstein sei nen künftigen Staatsphilosophen auf würdige Weise gesi chert. Was jetzt für Hegel noch anstand, war sein Gesuch um Entlassung aus dem großherzoglichen Staatsdienst. Das Schreiben vom 21. April 1818, mit aller Vorsicht gegen über möglichen badischen Empfindlichkeiten verfaßt, ist besonders interessant wegen eines Entschuldigungs grunds, den er für sein Ausscheiden anführt. Berlin be freie ihn durch seine höhere Besoldung »in weiter vorrük kendem Alter von der prekären Funktion, Philosophie an einer Universität zu dozieren« und biete ihm darum die
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Möglichkeit, »zu einer andern Tätigkeit übergeben und gebraucht werden zu können«. Der hier geäußerte Ge danke war nicht neu. Wir finden ihn bereits lange bevor Hegel sein erstes beamtetes Lehramt angetreten hatte. Für ihn bedeutete die Philosophieprofessur nur ein zeit weiliger Beruf, der, sei es aus Altersgründen oder sei es, wenn der Staat anderes von ihm verlange, einer andern Tätigkeit zu weichen habe. Mitte September begab sich Hegel mit seiner Frau und seinen Kindern auf den Weg nach Berlin. Die zur Beför derung nach Berlin gemeldete Familienhabe ist von einer ins Auge springenden Dürftigkeit. Seine »Effekten«, für die ihm vorn Kultusministerium zollfreie Einfuhr bei der Einreise nach Preußen zugesichert worden ist, besteht aus einem Faß Bettzeug und Hausgerät, zwei Kisten Bücher, einem Koffer Kleider und Wäsche. Er denkt, am 29. Sep tember in Berlin ankommen zu können, wo die Schwester des Ministers Altenstein bereits eine Wohnung für die Familie gemietet hat. Hegels Eile ist unverkennbar, aber auch die ihn während der Reise nie verlassende Angst, man könne sein Gepäck ohne seine Anwesenheit öffnen und an der Grenze darauf Gebühren erheben. Es mußte Hegel eine außerordentliche Genugtuung bereiten, bei der Durchreise Jena zu passieren, die Stadt, die ihm schreckliche Niederlagen bereitet und ihn durch äußere und sehr private Umstände zur eiligen Flucht gezwungen hatte. Das Wiedersehen mit Frau Burkhardt, der Mutter seines Sohnes Ludwig, blieb ihm erspart, weil sie inzwischen gestorben war. Herzlich war die Begeg nung mit Frommann. Bei Goethe im benachbarten Wei mar hatte Hegel einen Tag zuvor mit seiner Frau zu Mittag gegessen. Dessen Gunst durfte er sich nach seiner Vorstellung der Lichtreflexe in der Enzyklopädie mehr als je zuvor sicher sein. Goethe hätte sich, wie er in seinem Tagebuch niederschreibt, eine längere Unterhaltung ge wünscht. Es war ihm ein veränderter Hegel begegnet. Die alte Gedrücktheit schien gewichen. Aus Goethes Umge bungbestätigt Knebel, daß Hegel in seinem Auftreten »an Freiheit und Art des Umgangs« gewonnen habe; er findet
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Gefallen an seiner mit allerlei kleinen Sophistereien durchsetzten Ironie. Hegel war auch für Weimarer Ver hältnisse sehr unterhaltsam geworden. Nach der Weiterreise über Weißenfcls, Leipzig und Wittenberg trifft Hegel schließlich in der preußischen Hauptstadt ein. Die ersten Wochen führen ihm die Veränderung seiner Lage sehr deutlich vor Augen. In allen Städten, in denen er bisher gelebt hatte, auch in Stuttgart, Frankfurt und Nürnberg, waren die Entfernungen leicht zu bewältigen gewesen. Seinen Lebensgewohnheiten nach ist Hegel ein Mann der Provinz. In Berlin heißt es jetzt, sich an die großen Entfernungen zu gewöhnen. Seine Frau muß bei der Einrichtung der Wohnung in der Leipziger Straße, Ecke Friedrichstraße, weil sie sich der langen Wege wegen müde fühlt, eigens einen Ruhetag einlegen. Die Einstel lung auf eine eher kühle Unverbindlichkeit der großen Stadt bereitet ihm, wenn er an Heidelberg zurückdenkt, einiges Unbehagen. Ein persönlicher Verkehr zwischen den Menschen der Residenz mit ihren Beamten und dem Anspruch des Staats stellt sich hier schwer ein, wie Hegel sofort bemerkt. Hegels Ankunft in Berlin war weit entfernt davon, als Eintreffen eines großen Philosophen an eine neue Wir kungsstätte von der Öffentlichkeit der Hauptstadt für ein Ereignis herausragender Art gehalten zu werden. Es schlug ihm, wie sein erster Brief aus Berlin an den Freund Niethammer in München zusammenfaßt, ein kühler Wind entgegen. Wie werden ihn die Kollegen an der Universität empfangen? So hatte er sich selbst und so hatten sich seine Freunde in Heidelberg vor seiner Ab reise gefragt. Vom zweiten Berliner Philosophieprofessor Solger, wie Hegel ein Freund der Abstraktion und Speku lation, hatte er einen ermunternden Brief erhalten, der ihm Freundschaft und loyale Zusammenarbeit im ge meinsam verwalteten F'ach anbot. Das war aus der Bewun derung für Hegels schriftstellerisches Werk heraus ge sprochen und verdiente Vertrauen. Zur Humboldtschen Gründergeneration der Berliner
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Universität gehören der Jurist Savigny, die Theologen De Wette und Marheineke, gehört vor allem Schleiermacher. Und Schleiermacher ist der springende Funkt. Wie wird sich das Verhältnis dieser beiden zueinander anlassen, wie wird es sich gestalten? Schleiermacher galt als der bedeu tendste protestantische Theologe seit Luther. Er war Christ und Platoniker in einer Person und hatte sich vorgenommen, das sogenannte Christentum mit der Ge genwart auszusöhnen. Er wirkte als Prediger mit seinem klassischen Deutsch in die tonangebende Gesellschaft hin ein, vertraut mit den neuesten literarischen Strömungen und ohne die christlichen Unarten der Prüderie und Heuchelei. Bei ihm findet sich feinste philosophische Akribie im Bunde mit hochzivilisierter Weitläufigkeit und vor allem mit vaterländischer Gesinnung. Sein Patriotis mus als Redner war in den Napoleonischen Kriegen nicht weniger aufrüttelnd als der Fichtes gewesen. Schleierma cher ist ein Freund der Jugend, mit einem pädagogischen Eros begabt, der ihn unwiderstehlich machte. Wenn He gel die eigentliche Religion des Protestantismus in der »Bildung« sah, dann war dieses ßildungsideal in Schleier macher zur lebendigen Person geworden. In ihm waren Gaben und Verdienste vereint, die dem schwäbelnden, um gefällige Sätze schwer ringenden Hegel mit seiner revolutions- und napoleonfreundlichen Vergangenheit allesamt fehlten. Der rhetorischen Eleganz im Stil des königlich-preußischen Predigers stand die vom Kopf bis in die Gliedmaßen reichende Schwerfälligkeit Hegels ge genüber. Aber Hegel war ja nicht seiner selbst wegen nach Berlin berufen worden. Goethe hatte mit dem Gespür des wei marischen Hofmanns bemerkt, was hier gespielt wurde, wenn er sofort nach Bekanntwerden von Hegels Beru fung gegenüber Sulpiz Boisseree (1. Mai 1818) den Ver dacht äußerte: »Minister Altenstein scheint sich eine wis senschaftliche Leibgarde anschaffen zu wollen.« Darum die Bemühungen des Ministers um den Verfasser der Wissenschaft der Logik, die Beweise seiner besonderen Gunst durch ausgewählte Auszeichnungen, die den Um
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worbenen auch persönlich verpflichteten, wie das Aner bieten, seine Schwester als beflissene Ratgeberin Hegels Frau zur Seite zu geben. Hegel ist in Berlin der Protegé Altensteins; wenn auch nicht unbedingt sein »Leibgar dist«, so doch eine Karte, die zu gegebener Zeit in der preußischen Kulturpolitik ausgespielt werden kann. Daran war nichts Anstößiges. Altenstein ist kein Neue rer, wie Humboldt oder Süvern es waren, aber immer noch Anhänger einer gemäßigten Reform. Ihn ohne wei teres in einen Zusammenhang mit der »Reaktion« zu bringen, geht nicht auf. Jeder landläufige Verdacht in dieser Richtung läßt sich sofort mit einem Blick auf Öster reich oder das Hegel so verhaßte Bayern herabmindern. Wenn ein Staat in Europa um 1818 in Verwaltung, Militär organisation und Bildungspolitik den Gedanken und die Praxis des Fortschritts für sich in Anspruch nehmen darf, dann ist es Preußen. Es ist der Staat, der sich wie ein Phönix aus der Asche der Napoleonischcn Kriege erhebt und seinen Aufstieg vollzieht. Hegel, der sich als »Süd deutscher« erboten hatte, für seine Vorlesungen als Teil besoldung noch gefüllte Getreidesäcke anzunehmen, die sich auf der Börse zum Tagespreis absetzen ließen, war von Berlin über seine veralteten Anschauungen belehrt worden. Mit der Berufung Hegels konnte Altenstein vor dem König bestehen. In der Schrift über die württem bergischen Landstände hatte Hegel sich als Freund der nichtkonstitutionellen Monarchie ausgewiesen, der auf dem Berliner Katheder nach den zurückgenommenen Versprechungen des Königs, dem Staat eine Verfassung zu geben, dringend erwünscht war. Ihm konnte zugetraut werden, auch dem Liberalismus als westeuropäischer Konterbande mit gebührender Überzeugungskraft ent gegenzutreten und schließlich die katholische Religion im Sinne des protestantischen preußischen Königshauses als Obskurantismus zu behandeln. Das sind unausgespro chene Forderungen, die an den Berliner Fakultätsphi losophen gestellt werden und die er - wie wir wissen — sehr gewissenhaft erfüllen wird, ohne sich den geringsten Zwang antun zu müssen.
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Arn 22. Oktober eröffnet Hegel seine Antrittsvorlesung mit Worten, die er zwei Jahre zuvor, aus ähnlichem Anlaß, an die Studenten in Heidelberg gerichtet hatte. Der durch »die Gnade Seiner Majestät des Königs« mit »dem Amte eines Lehrers der Philosophie« betraute Professor, als der er sich vorstellt, appelliert an die Nation, die Sache der Philosophie zu ihrer eigenen zu machen. Da sie als »Wis senschaft« sich »bei den andern Nationen« nur »als Name« noch »erhalten« hat, »sonst aber die Sache ver kommen und verschwunden ist«, hat sie »sich zu den Deutschen geflüchtet und lebt allein noch in ihnen fort«; ihnen sei darum »die Bewahrung dieses heiligen Lichtes anvertraut«. Neu in seinem Vortrag war, dem preußi schen Staat das stärkste Gewicht im nachnapoleonischen Deutschland und der Philosophie eine herausragende Stelle im Mittelpunkt ebendieses Staates zuzuerkennen: damit »neben dem Regiment der wirklichen Welt auch das freie Reich des Gedankens selbständig emporblühe«. Trotz dieser erhebenden Worte bleibt der Erfolg des neuen Professors aus. Solger, der jüngere Fachkollege, der für die Berufung Hegels nach Berlin bei den Kollegen geworben hatte, vermerkt dessen geringe Anziehungs kraft bei den Studenten. Hegel liest im Wintersemester fünfmal wöchentlich zwischen 4 und 5, Uhr Naturrecht und 5 und 6 Uhr Enzyklopädie. Im Sommer folgen dann Logik und Geschichte der Philosophie. In seinem Brief vom 26. März 1819 an Niethammer gesteht Hegel selbst, sich »in der Peripherie oder vielmehr außer derselben« zu befinden und daher über keine Einflußmöglichkeiten zu verfügen, diesem bei der erwünschten Berufung als Pro fessor nach Berlin helfen zu können. Die »Ernennungs maschinc« arbeite kompliziert, man komme nicht dahin ter, wie sie läuft. Mal sei der Minister ausschlaggebend, wie es in seinem Falle geschah, mal besorgen es auch die Kabinettsräte über den Kopf des Ministers hinweg, dann sei wieder der Staatskanzlcr zuständig, oder es könne auch der König mit seinen entschiedenen Ansichten eine Rolle spielen. Sein einziger persönlicher Verkehr unter den Kollegen ist zunächst der zu Marheincke, dem jungen
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Theologen, der sich darangemacht hat, die Hegelsche Philosophie mit der protestantischen Dogmatik in Ein klang zu bringen. Eine neue Angst neben den von Heidelberg mitge brachten Ängsten überfällt Hegel schlagartig, als er sich in die Tätigkeit der die burschenschaftlichen Bewegung ver folgenden Regierung unmittelbar verstrickt sieht. In Ber lin war man nach der Ermordung des deutschen Lust spieldichters Kotzebue, der zugleich russischer Staatsrat war und als Agent des Zarenregimes galt, nervös gewor den. Die Überwachungsmethoden richteten sich insbe sondere gegen die studentische Jugend, aus der der Mörder Sand, ein idealistischer Extremist aus dem fränki schen Wunsiedel, kam. Im Zuge der gegen alle möglicher weise verdächtigen Elemente, insbesondere aus den Bur schenschaften als dem Hauptherd der Verschwörung, getroffenen Maßnahmen wird der Student Asverus von der Polizei aus seiner Wohnung geholt und in Gewahrsam genommen. Asverus gehörte zwar zu den Hörern Hegels, stand ihm aber damals philosophisch noch nicht sonder lich nahe. Sein Vater, ein höherer Justizbeamter, hatte Hegel in Jena in Rechtssachen beigestanden, und nun wendet er sich während des Verfahrens, in dem der Sohn zu einer Kerkerstrafe verurteilt wird, an den Philosophen um Hilfe. Der reagiert sofort und stellt dem inkriminier ten Studenten eine politische Unbedenklichkeitsbeschei nigung aus, die bezeugt, daß er sich von den Burschen schaften inzwischen »losgesagt« und daß der Staat von ihm fürderhin nichts zu befürchten habe. Aber das war, wie sich herausstellt, voreilig niedergeschrieben. Denn Asverus verfaßt in seiner Zelle Briefe, die abgefangen werden und aus denen man ein Bekenntnis zu Sand und seiner Tat glaubte herauslesen zu können. Hegel war dadurch in eine mißliche Lage geraten. Er hatte 500 Laier Kaution aus eigener Tasche aufgebracht, die in dem sich lang hinziehenden Verfahren noch eine Rolle spielen wird, und ließ sich auch nicht davon abbringen, in Asverus einen irregeleiteten und inzwischen reuigen jungen Mann zu sehen. Er mußte also damit rechnen, in den Augen der
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Kriminalbehörde und auch der Kultusadministration als Sympathisant jenes »Freiheitsgesindels« zu gelten, dem er jetzt jeden Realitätssinn absprach. Mit einer studentischen Bewegung oder der Jahnschen Turnerei lasse sich dem preußischen Staat nicht beikommen. Das war schließlich auch die Einsicht, die Fries, sein ärgster Widersacher und Festredner auf der Wartburg, später in seinem Rückblick ausspricht. Hegel hatte es immer gewußt. Und er weiß noch mehr: In Heidelberg, aus dem er gekommen war, glaubt er das Zentrum der Burschenschaften und damit den Ausgang für seine eigene Beunruhigung suchen zu müssen, wie er vorwurfsvoll an Creuzer schreibt. Schuld daran ist die »Lauheit« der badischen Behörden, denen man zur Aufnahme der »Verfolgung« endlich »Beine machen« soll. Er in Berlin habe dafür die Folgen zu tragen und komme als Fünfzigjähriger aus dem dreißig Jahre währenden Zustand »zwischen Fürchten und Hoffen« nicht heraus; er müsse es erleben, daß seine trüben Tage darum noch immer trüber werden. Durch den Fall Asverus, der juristisch übrigens erst 1826 laut Kabinettsorder durch Einstellung des Verfah rens abgeschlossen werden wird, ohne den Begnadigten für sein ferneres Leben vom Ruch des präsumtiven Staats verbrechers freizusprechen, war Hegel zum ersten Male in die Bestrebungen der »Demagogen«, und zwar wider Willen, hineingezogen worden. Am zweiten Fall, der Sa che Carove, hatte er freilich selber, ohne es zu wissen, erheblich mitgewirkt. Carove war sein Schüler in Heidel berg gewesen, der sich durch seine enge Anlehnung an ihn herausnehmen konnte, Hegel in der brieflichen An rede »Freund« zu nennen. Aber Carove war nicht nur Hegelianer, sondern auch Burschenschaftler, als katholi scher Rheinländer nicht einer von der radikal-patrioti schen Richtung der Gießener Schwarzen, sondern der gemäßigten, die auch die Aufnahme von Ausländern und Juden für zulässig hielten. Als Burschenschaftsführer hat sich Carove nur schwer und auch nur zeitweilig Ansehen verschaffen können. Als er nach Berlin kam, glaubte er wohl selbst, seine Laufbahn als politischer Aktivist schon
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hinter sieh zu haben, und bewarb sieh um eine Repetitorenstelle. Hegel bringt ihn in Vorschlag, der Senat lehnt ab. Der vorsichtige Altenstein läßt recherchieren und wird auf eine vom Bewerber gehaltene Wartburgrede aufmerksam gemacht, die die Verteidigung der Gründe, die zur Ermor dung Kotzebues geführt hatten, enthalten haben soll. Damit sind die Würfel gefallen. Alle vorgetragenen Recht fertigungsversuche, beigebrachten Entlastungen, darun ter Hegels Zeugnisse, können nichts mehr ausrichten. Sie können den mit der Untersuchung befaßten Fürsten zu Sayn-Wittgenstein allenfalls davon überzeugen, daß Ca rove zu den Leuten gehört, die man in Preußen nicht mit dem Halten von Vorlesungen beauftragen sollte. Die Liste derer aus dem Holz eines Asverus und Carove läßt sich bald leicht durch Namen wie Förster, von Hen ning, Gans und zahlreichen andern ergänzen. In den Augen der konservativen Staatsadministration handelt es sich bei ihnen, aus ganz unterschiedlichen Gründen, wenn nicht um staatsgefährliche Subjekte, so jedenfalls um unsi chere Kantonisten, denen alles zuzutrauen ist. Darum ist bei ihnen höchste Wachsamkeit am Platze. Man darf sie nicht aus den Augen verlieren. Und Hegel? Er steht den Umtrieben der Demagogen, Burschenschaftler, Jahnschen Turner aus Staatstreue und tiefster Überzeugung völlig ablehnend gegenüber, warnt im Familienkreis, ermuntert sogar, wie im Brief an Creu zer, zur »Verfolgung« und steht dann, wie schon in Heidel berg, den Verfolgten mit Rat und Tat zur Seite. Aber jeder Zynismus, der hier im Spiel sein könnte, fehlt. Denn Hegel stellt sich nicht nur als Zeuge oder Bürge vor sie, er sucht ihnen den Eintritt in den Staat und seine Institutionen zu verschaffen oder verschafft sie auch, er läßt sie in seine Kanäle eindringen oder wie eine fermentierende Substanz darin wirken. Er übernimmt gewissermaßen höchstin stanzlich die Rolle des »Weltgeistes«, der ohne Ansehn der Person oder der zufälligerweise gerade regierenden und darum auch wieder abtretenden Parteien seine Arbeit tut nach der Devise: »Das Wahre ist das Ganze.« In Berlin war Asverus, der gelobt hatte, sich in Zukunft
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»auf geziemenden Wegen zu halten«, von Hegel in seine Wohnung aufgenommen worden mit der Zusicherung gegenüber der Kriminalbehörde, für die »Entfernung« des Delinquenten Sorge zu tragen. Es konnte aber dem forschenden Auge nicht verborgen bleiben, daß der neu berufene ordentliche Professor für Philosophie sich in verdächtiger Nähe zum Demagogentum hielt, das er nach außen hin verurteilte. Die Administration kann gar nicht umhin, es aktenkundig zu machen. Auch Altenstein hatte dem Votum für Carove kein Vertrauen geschenkt. Kein Wunder, daß Hegel bei seiner vorsichtigen Natur besorgt ist! An seiner Staatstreue hingegen war nicht der geringste Zweifel erlaubt. Er wird keine Gelegenheit auslassen, sie sichtbar zum Ausdruck zu bringen, und noch mehr: »den Einklang« seiner »Philosophie mit denjenigen Grundsät zen zu beweisen, welche die Natur des Staates überhaupt braucht, am unmittelbarsten aber den Einklang mit dem jenigen, was unter seiner (Majestät des Königs) erleuchte ten Regierung und unter der weisen Leitung E. D. der Preußische Staat, dem ebendarum anzugehören mir selbst zu besonderer Befriedigung gedeihen muß, teils erhalten, teils noch zu erhalten das Glück hat«, wie er in der Wid mung eines Exemplars seiner Philosophie des Rechts unter dem 10. Oktober 1820 Hardenberg schreibt. Gegen den Stil der Adresse ließ sich einiges einwenden, aber die ungelenke Satzkonstruktion sagt nichts gegen die Ehrlich keit dieser an den Staatskanzler gerichteten Treuebekun dung. Einem Fries, der zum anerkannten Sprecher der Jenenser Burschenschaften, also des extremsten Flügels der »Deutsch-Freiheitlichen« geworden war und darüber sein Lehramt verloren hatte, mußten solche Worte anstö ßig in den Ohren klingen. »Hegels metaphysischer Pilz«, befand er in einem Brief an seinen Gesinnungsgenossen, den Burschenschaftsführer Ludwig Rödiger vom 6.Ja nuar 1821, »ist ja nicht in den Gärten der Wissenschaft, sondern auf dem Misthaufen der Kriecherei aufgewach sen. Bis Ende 1813 hatte seine Metaphysik die Franzosen, dann wurde sie königlich württembergisch und jetzt«,
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meint der Briefschreiber im Blick auf den Berliner Poli zeipräsidenten, »küßt sie dem Herrn von Kamptz die Karbatsche«. Der äußere Eindruck durch Hegels mehrfa chen Parteienwechsel und die Zeichen eines vor der Ob rigkeit in »Ehrfurcht ersterbenden« Mannes konnte eini ges an dem strengen Urteil rechtfertigen. Dabei war Erics bei seiner Aufzählung noch unvollständig gewesen. Im Juli 1820 macht Hegel eine kleine Reise nach Dresden. Hauptziel war der Besuch der Galerie mit der Sixtinisehen Madonna Raffaels. In einer kleinen abendlichen Runde im Gasthof »Zum Blauen Stern« lehnt Hegel ein ihm angebotenes »Glas vom besten Meissner«, wie Friedrich Förster aus seinem engeren Schülerkreis in seinem Tage buch berichtet, ab; auf seine Bestellung muß der Kellner »einige Flaschen Champagner-Sillery« bringen. Hegel selbst schenkt ein und läßt die Anwesenden ihr Glas »zum Gedächtnis des heutigen Tages« leeren. Sein Trink spruch: »Dies Glas gilt dem 14. Juli 1789.« So feiert Hegel, für drei Tage außer Landes, das Gedächtnis an die Erstür mung der Bastille. Der durch sein Amt gefestigte Hegel übersteht es, daß Caroves Nachfolger von Henning in der Repetitorenstclle ohne Schuldbeweise für sieben Wochen ins Gefängnis geworfen wird. Auch die Bespitzelung wäh rend der Reise nach Dresden kann ihm nichts anhaben. Seine Mitgliedschaft in der »Gesetzlosen Gesellschaft«, deren Namen den polizeilichen Spürhunden so verdäch tig erscheint, bietet ihm sichere Gewähr. Denn ihr kann man nur angehören, wenn man zu den Stützen des Staats zählt. Und unter ihnen hat Hegel ebenso einen Platz eingenommen wie im Kopf des in die Gefängniszelle geworfenen Henning. Es galt, was er am 9. Juni 1821 an Niethammer schrieb: »Sie wissen, ich bin einerseits ein ängstlicher Mensch, andernteils liebe ich die Ruhe, und es macht eben nicht gerade ein Behagen, alle Jahre ein Gewitter aufsteigen zu sehen, wenn ich gleich überzeugt sein kann, daß mich höchstens ein paar Tropfen eines Streifregens treffen.« War Hegel zum Objekt geheimer polizeilicher Ermitt lungen geworden, die er durch seine Philosophie und
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seine Amtsführung als gegenstandslos dartun konnte, so sind die Widerstände innerhalb der Universität kaum weniger versteckt und darüber hinaus für ihn viel ärger licher und anhaltender gewesen. Aus der Isolation der Anfänge ist er nur langsam und niemals völlig herausge kommen. Dafür sorgte schon das schwer durchdringbare Dickicht der Sprache, das sich nur dem ausdauernd For schenden langsam und bis zu einem gewissen Grade öff net. Es sorgte dafür aber auch Schleiermacher, zu dessen Gegenspieler er auf längere Sicht werden mußte und wohl auch beim Minister Altenstein gemacht werden sollte. Schleiermacher vertrat eine Theologie der »edlen Einfalt und stillen Größe« im Stile des Schinkelschen Klassizis mus, die ihn in den Kreisen, auf die es in Berlin ankam, in angenehmem Licht erscheinen ließ. Die Ahnung schreck licher Abgründe der menschlichen Natur wurde von ihm dialektisch bewältigt. Darin war er Hegel ähnlich. Nur war seine Dialektik von der Art des Platonischen Dialogs und darum von der Hoffnung beseelt, im diskursiven Verfah ren zu einem am Ende sicheren Ausgleich der Meinun gen, hier zu einer Einvernehmlichkeit im Namen des Gekreuzigten und Auferstandenen zu gelangen. Berliner Christentumsoptimismus im noblen Stil der Prachtallee Unter den Linden! Hier war der Zusammenstoß vorhersehbar. Schleierma cher hatte ursprünglich zu den Befürwortern von Hegels Berufung gehört und beklagt, daß Heidelberg den Berli nern zuvorgekommen war. Er hatte sich im Gegensatz zu Hegels früherer Meinung über ihn nicht unfreundlich, wohl aber verständnislos geäußert. Das war ihm nicht zu verargen. Als Hegel dann nach Berlin ging und von seinem künftigen Verhältnis zu Schleiermacher die Rede war, erscheint Hegel in den Augen Daubs »als ein bis an die Zähne gerüsteter, mit seinem Pallasch gerade durch hauender Kürassier«, der es bei Schleiermacher »mit ei nem gewandten, sein leichtes Pferdchen zierlich tum melnden Ulanen zu tun bekommen« wird. Das von Rosen kranz übermittelte Bild war nicht schlecht gewählt. Hegels Einstellung zu Schleiermacher war von jeher
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wenig zustimmend gewesen. In den theologischen Ju gendschriften gehörte er zu den bekämpfenden Autoritä ten. Ohne Kenntnis der Hegelschen Fragmente hatte Schleiermacher in seiner ersten Rede in der Preußischen Akademie der Wissenschaften vom 29. Januar 1811 die »spekulative Philosophie« abgelehnt. Sie ist für ihn, den wissenschaftlichen Theologen, keine Wissenschaft. Allein dadurch durfte sich ihr bedeutendster lebender Vertreter getroffen fühlen. Wenn Schleiermacher dann doch die Berufung Hegels nach Berlin gefördert hatte, so darum, um Fries als das größere Übel fernzuhalten. Das Verfah ren war ohnehin nur Formsache gewesen. Dazu gehörte auch Schleiermachers Pflicht, als Rektor der Universität Hegel dem Minister für das Amt vorzuschlagen, was Al tenstein seinem Kandidaten Hegel längst zugedacht hatte. Als die Gefahr, die Schleiermacher abzuwenden sich nie imstande gefühlt hatte, immer näher kam, als der spekula tive Philosoph aus Heidelberg im Anrücken ist, trifft der delikate Christ und feine Taktiker Schlcicrmacher Vor kehrungen, um der Gefahr entgegenzuwirken: Er schlägt die Auflösung der philosophischen Klasse der Akademie vor. Er wußte, worauf Hegel sein Augenmerk richten mußte. Hier erlebt Schleiermacher dann den Widerstand Altensteins, der gegen die Anfechtung des Wissenschafts charakters der Philosophie das überzeugendere Argu ment anführt, daß schließlich Leibniz der erste Präsident der Akademie gewesen sei. War Schleiermacher der Versuch mißlungen, dem Phi losophen eine mögliche Machtbasis ein für allemal streitig zu machen, so mußte er es jetzt darauf anlegen, beim Wciterbcstehn der philosophischen Klasse Hegel daraus fernzuhalten. Und das ist ihm, dem gewieften Diploma ten, auch gelungen. Schleiermacher hatte richtig vorausgesehen. Eine Übereinkunft mit Hegel konnte es nicht geben. Der Ge gensatz zwischen ihnen kommt dann im Zuge der sich aus dem Sandschen Attentat ergebenden Maßnahmen der Regierung auch sehr bald zum persönlichen Austrag. Sympathisanten des Täters finden sich zugleich unter der
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Professorenschaft. Der Alttcstamentlcr De Wette, der un vorsichtig genug war, sein Verständnis für die Tat brief lich der Mutter des Mörders mitzuteilen, wird von seinem Amt suspendiert. Hegel hat allen Grund zur Wachsam keit. Er gehört zu den Gegnern der Gewaltlösung, wie die Burschenschaften sie forderten, aber er hat, wie wir wis sen, Sympathie für die Sympathisanten. Er ist der Anwalt der Bedrängten und Eingekerkerten. Das genügt, um sich vorsehen zu müssen und den Fall des Amtsentzugs einzu berechnen. Die Möglichkeit eines solchen Verlusts der Stellung ist Gegenstand eines Gesprächs mit Schleierma cher. Im Einklang mit seiner Lehre vom Staat hat Hegel nichts gegen dessen Recht einzuwenden, »einen Lehrer abzusetzen, wenn er ihm nur sein Gehalt lasse«, ein Ge danke, den Schleiermacher »erbärmlich« nennt und da für eine grobe Antwort zurückbekommt. Damit war der Konflikt offen ausgebrochen. In Hofkreisen verbreitet sich das Gerücht, die beiden seien aufeinander losgegan gen, und sogar von Messern ist die Rede. Zwar entschul digt sich Schleiermacher wegen des Ausfalls schriftlich bei Hegel und legt ihm begütigend die Adresse seines Wein händlers bei, der ihm den feinsten Bordeaux liefern kann. Hegel lenkt ebenfalls ein und führt für seine »Erwide rung« die momentane »Aufregung« an. Aber der Bruch war bereits durch die Verschiedenheit der Charaktere, der Temperamente und der Stile zu tief, als daß er durch ein äußeres Arrangement sich hätte kitten lassen. Schleiermacher ist es denn auch, der als Wächter im Dienst zur Erhaltung der Sittlichkeit sehr früh von Hegels »Herabsetzung« zunächst nicht des »Christentums«, son dern der »Religion« spricht. Er hatte auch allen Grund, sich mit seiner Theologie vor Hegel vorzusehen. In der Vorrede zur Schrift Die Religion im inneren Verhältnisse zur
Wissenschaft seines Schülers Hinrichs zerzaust Hegel die so klassisch gewordene Vorstellung Schleiermachers von der »Religion« als »Abhängigkeit«, weil dann »der Hund der beste Christ« wäre, der ein solches »Gefühl ... am stärk sten in sich« trage. Daß war ein harter Schlag, durch den sich der Angegriffene nach eigenen Worten »einer tieri
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sehen Unwissenheit über Gott beschuldigt« fühlt (an K. H. Sack, 28. Dezember 1822). Auch an Schleiermachers Dog matik läßt Hegel kein gutes Haar. Sie gleiche einem Geld beutel, aus dem, wenn man ihn aufmacht, lauter kleine »Rechenpfennige« herausfallen. So schreibt er an seinen jüngeren Freund Daub, dem Verfasser des Buches Judas Ichariot oder das Böse im Verhältnis zum Guten, mit der Ermunterung, seine eigene Dogmatik zu Ende zu brin gen, um hier klarere Verhältnisse zu schaffen. Die Präde stinationslehre des reformierten Schleiermacher findet der württembergische Lutheraner Hegel »kahl«. Unangefochten ist während der Berliner Jahre Hegels Beziehung zu Goethe in Weimar geblieben. Goethe be deutete eine Bekräftigung seiner Anschauungen, ohne die Hegels Philosophie nicht die gleiche gewesen wäre. Der durch und durch unphilosophische Goethe hat sich gern über den neuesten Stand der philosophischen Bewe gung und insbesondere über Hegel Bericht erstatten las sen und gab sich dann als Schüler aus, der auf seinen Spaziergängen Belehrung sucht. So hat ihn Henning bei seinen Besuchen in Weimar über Hegel und die Berliner Verhältnisse genauestens aufgeklärt. Der Weimarer Hof beteiligte sich nicht an der Verfolgung der Burschen schaften, das Herzogtum ist dank Goethe konstitutionell; es bot ja gerade mit Jena als dem Zentrum der burschen schaftlichen Aktivitäten und der Wartburg, die auf sei nem Terrain lag, eine Freistätte für die Verfolgten. Goe the, der sich selbst einen »Heiden« nannte, gab im Ver gleich zu Schleiermacher das Bild des lebendigen »Grie chen« mit seiner Überlegenheit gegen das die »Natur« verleugnende Christentum. So hat Hegel den Dichter des Faust und ebenso den Naturwissenschaftler gesehen, des sen ganzes Vertrauen er wegen der Übereinstimmung in der Farbenlehre genoß. Darum rechnet er Goethe auch zu den »Urphänomenen«, als »dämonisches Wesen«, was ihm Goethe dankt und aus Weimar zu »Sommers-Anfang 1821« mit einer unvergeßlichen Widmung erwidert: »Dem Absoluten empfiehlt sich schönstens zu freundli cher Aufnahme das Urphänomen.«
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Goethe und Hegel, das »Urphänomen« und das »Abso lute« : durch die verwandten Anschauungen über die »Na tur« sind sie einträchtig miteinander verbunden. Das gelb getönte Weinglas mit eingelegtem schwarzen Seidenzeug, das Goethe an Hegel schickt, soll den Empfänger sehen lassen, welche Farben bei der Brechung des einfallenden Lichts daraus hervorgehen und ihm die Richtigkeit seiner Farbenlehre demonstrieren. Hegel meint in der Erwide rung, der Wein, der das Glas füllen könnte, sei ein Zeichen dafür, »daß Geist in der Natur ist«. Das war mehr als bloße Übereinstimmung in einigen besonders Goethe am Herzen liegenden Einsichten in die »Natur«, das war, wenn man an seinen alten Bund mit dem lange verstorbenen Schiller denkt, ein neuer Bund Goethes, den er hier mit Hegel geschlossen hat und dessen Nachwirkungen auch in den gewaltigen Folgen der Hc gelschen Philosophie zu spüren sein werden
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Neunundzwanzigstes Kapitel
Der preußische Staatsphilosoph Hegels Stellung an der Berliner Universität hatte sich nach Ablauf von zwei Jahren zwar zu festigen begonnen, aber sie war keineswegs unangefochten und blieb in Krei sen der Kollcgenschaft immer noch sehr umstritten. Un verkennbar war der wachsende Anklang seiner Vorlesun gen bei den Studenten. Das Entstehen einer Gegenpartei konnte dabei nur seine Wirkung erhöhen. In Berlin Hegel zu hören, begann damals, unabhängig vom Urteil über ihn, in Deutschland attraktiv /u werden. Die sicherste Stütze für Hegel außerhalb seiner Unentbehrlichkeit fin den Staat und sein Ansehen war das unbedingte Ver trauen, das er beim Minister Altenstein genoß. Dazu kam die persönliche Beziehung zum Regierungsbevollmäch tigten Schulze, der Freund und Schüler Hegels in einer Person war. Nach den Vorlesungen unternahmen beide des öfteren gemeinsame Spaziergänge. Diese Nähe zu einem Mann des Unterrichtswesens, der staatlich-offiziell in die Universität hineinregierte, soweit das bei der Humboldtschen Universität möglich war, mußte bei manchen Mitgliedern der Universität wenig einnehmend für Hegel wirken und tat es auch. Schleier macher hatte schon bald Hegels Einfluß zu spüren bekom men. Der eigentliche Gegner Hegels, oder besser, der mit dem höchsten wissenschaftlichen Ansehen, ist Friedrich Carl von Savigny. Der Rechtshistoriker stand noch für die Gründungsidecn der Richtung Humboldt und Süvern und mußte in Altenstein die Tendenzwende zu einer den Staat mehr und mehr bevollmächtigenden preußischen Kulturpolitik erkennen. Der preußische Staat ist dabei, einiges von dem, was er freiwillig aus den Händen gelas sen hatte, wieder an sich zu ziehen. Und Hegel stand an der Seite des wenig geliebten Schulze als der Verkörpe rung des neuen Systems. Von hier aus mußten sich natürlich Widerstände gegen
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Hegel entwickeln. Hegel bietet dabei seinen offenen und geheimen Gegnern einige Anlässe, durch die sie sich bestätigt sehen konnten. So rechtfertigt er die Maßrege lung des Theologen De Wette, der wegen seiner »demago gischen« Neigungen sein Amt verliert. So sucht er Alten stein dazu zu bewegen, gegen den schon suspendierten Fries wegen der in der Hallischen Literaturzeitung erschie nenen Kritik seiner Rechtsphilosophie einzuschreiten, in der Hegel seine nie überwundene Anschauung hervorhebt, daß dem Staat die Aufsicht über Druckerzeugnisse zu stehe. Was Altenstein ablehnt! Der Minister konnte mit dem Mann seines Vertrauens zufrieden sein. Der allerdings hat außer Hause und in der Familie mit ständig neuen Bedrückungen zu kämpfen. Der Widerstand gegen Hegel formiert sich am wirkungs vollsten da, wo keine Anhänger vorhanden sind und man vor den Einflüssen aus dem Ministerium sicherer ist: an der Akademie der Wissenschaften. Zu Hause hat die lange Krankheit der Frau den Familienvater in Sorge gestürzt. Die Kosten für den Unterhalt stellen sich als erheblicher heraus, als ursprünglich gedacht. Was für die Erziehung der Kinder aufgewendet werden muß, schlägt schwer zu Buche. Der Schwester im Württembergischen muß mit Geld ausgeholfen werden. Und jeder Posten wird von Hegel in seinem Haushaltsbuch selbst genauestens ver merkt. Am 6. Juni 1822 hat Hegel sich dann entschlossen, seine prekäre Lage dem Minister vorzutragen und ihm die bisher geleisteten guten Dienste in Erinnerung zu brin gen. Es stimmte: Gegenüber der Bamberger Zeit hatte sich seine allgemeine wirtschaftliche Lage nicht wesentlich gebessert. In Berlin, so läßt der Briefschreiber hören, sind »mannigfache häusliche Unglücksfälle« dazugekommen. Was er hier verschweigt: seine Frau erwartet ein Kind. Hegel sieht sich gezwungen, seine Frau in die »Witwen kasse« einzukaufen; dazu sind, um den Hinterbliebenen jährlich 300 Taler zu sichern, jährliche Ausgaben von 170 Talern zu leisten. Außerdem: das Fach ist von der Art, »daß eine gründliche und gewissenhafte Bearbeitung
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mehr Zeit und eine ganz andere Anstrengung crfordert als die Fächer vieler anderer Professoren und mir daher auch wenig Zeit übrig läßt, durch schriftstellerische Arbei ten meine Einnahmen zu verbessern«. Altenstein antwortet am 25.Juni hinsichtlich der von Hegel vorgetragenen Alterssorgen beruhigend. Ihn bis her nicht mit einer Gehaltszulage bedacht zu haben, ent schuldigt er mit der Vorsicht, die dabei zu beachten sei, sieht sich aber zum Glück imstande, ihm jetzt »nicht bloß für das vergangene Jahr eine Remuneration von 300 Th., sondern auch eine gleiche Summe für dieses Jahr und also im ganzen 600 Thaler zu verwilligen«. Hegel war dadurch zunächst seiner schwersten wirtschaftlichen Sorgen ent hoben und dankt am 3.Juli 1825 für die Zeichen der Ermunterung, die er in seinem »schwierigen Berufe« dadurch erfahren habe; zugleich erinnert er eindrücklich und diskret daran, »daß etwaige Besorgnisse der obersten Staatsbehörde vor der Philosophie, welche durch ver kehrte Bestrebungen in derselben leicht veranlaßt werden können, meiner öffentlichen Wirksamkeit als Lehrer nicht nur fremd geblieben sind, sondern daß ich auch nicht ohne Anerkennung und ohne Erfolg an meinem Teile gearbeitet habe, der hier studierenden Jugend zu richtigen Begriffen zu verhelfen und mich des Vertrauens Euer Excellenz und Königlichen Regierung würdig zu machen«. Hegel hatte, dies Zeugnis stellt er sich selber aus, den Staat vor dem Ärgernis, das die Philosophie für ihn be deuten konnte, bewahrt. Er hatte die Studenten auf die richtige Bahn gebracht, sie vor möglichen Verirrungen geschützt und so zur Zufriedenheit des monarchischen Staats gewirkt. Die preußische Staatsphilosophie als Kö nigsphilosophie! So könnte man glauben. Schopenhauer, der ohnehin in Hegel den klassischen Vertreter für eine aus Leistungen der Regierungskasse sich nährende Phi losophie sah, hätte an diesem Briefwechsel zwischen dem »Fakultätsphilosophen« Hegel und dem Minister Alten stein seine helle Freude gehabt und sie für eine Bekräfti gung seiner Vermutungen betrachtet, die für ihn zwcifel
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los eine Gewißheit war. Er sah richtig und täuschte sich zugleich. Ihm war hier ebensowenig wie dem Minister die Doppelbödigkeit des Hegelschen Denkens aufgegangen, das Orakelhafte einer Sprache, die auch das Gegenteil von dem enthält, was sie sagt. Die nachhegelsche Philosophie, die zum Teil keine Hegelsche mehr ist oder gar sein will, deckt hier erst ganz die Karten auf. Der Minister, der im Namen des Königs und des Staats auf den offiziellen Philosophen des monarchischen Staats vertraut, ist gut beraten, und zugleich sitzt er ihm auf, wo er die Begrenzt heit des Staats und die in ihren Mitteln unbegrenzte Philosophie miteinander in Einklang zu bringen versucht. Als zu Beginn der zwanziger Jahre die Hegelsche Phi losophie zur in Berlin unumstritten herrschenden gewor den war, stellte sich für die ältere Generation, die noch die Fichte-Ära miterlebt hatte, zwangsläufig der Vergleich mit dieser ein. Daß Hegel als Fichte-Nachfolger berufen worden war, gehörte zur Ehre, die mit seiner Ernennung verbunden war. Damit hatte er auch Schelling als mögli chen Rivalen, der als »Fichteaner« eine größere Ancienni tät in die Waagschale hätte werfen können, ausgestochen. Ohne Fichte wäre die nachkantische »neue Philosophie« nicht denkbar gewesen. Fichtcs Anteil an der inneren Biographie der beiden Tübinger Stiftler ließ sich bei aller Kritik mühelos belegen. Aber Fichte war ja nach Berlin berufen worden — das sprach für eine großherzige Berufungspolitik -, obwohl er in Jena, und dies nicht ganz ohne Goethes Mitwirkung, als Folge des sogenannten Atheismusstreits sein Amt ver loren hatte. Mit Fichte hatte, wenn man wollte, die preußi sche Regierung einen »Atheisten« berufen. Wenn Hegel an einer gewissen Sukzession zu Fichte festhielt, so muß ten sich allein daraus schon weitere Verdachtsmomente gegen den Geist der Berliner Philosophie in der neuen Hegelschen Bemäntelung ergeben. Savigny als der re nommierteste und scharfsinnigste unter den Anhängern der Anti-Hegel-Partei an der Berliner Universität hat ein Auge für die von Hegel ausgehenden Wirkungen und meint in einem Brief an Georg Friedrich Creuzer vom
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6. April 1822, daß »seine eifrigen Schüler sich auch von allein religiösen Zusammenhang lossagen und daß darin Fichte von ihm weit übertroffen wird«. Der preußische Staatsphilosoph also ein an der weiteren Zerrüttung der bestehenden Religionsverhältnisse mitwirkender gestei gerter Fichte. Das konnte so gesehen werden, aber schloß offenbar auch die gegenteilige Ansicht Baaders, des Münchner Theosophcn, nicht aus, der sich darangemacht hatte, dem »atheistischen Denken« ernsthaft und von Grund auf entgegenzutreten und, wie er am 28. August 1821 gegenüber Schelling bemerkt, in Hegel als »Athe isten« eigentlich »nur einen kastrierten Fichte« sehen kann. Warum? Darüber hat sich Hegels Schüler Michelet ausgelassen: weil bei Hegel Monotheismus und Pantheis mus, Idealismus und Materialismus ausbalanciert werden, als vom Körper einer einzigen Philosophie ausgehende Glieder, die für verschiedene philosophische Anschauun gen stehen. Philosophie Hegelschcn Verständnisses läßt sich nicht darauf ein, in einer partikularen Anschauung die Totalität der Erscheinungen zu sehen. Das konnte natürlich den Eindruck erwecken, den Savigny wieder gibt, daß der Hegelschen Philosophie der aktivistische Schwung Fichtes abgehe, daß in ihr die einander entge gengesetzten, sich bekämpfenden Kräfte neutralisiert werden: »Fichte hatte und erzeugte nicht weniger Anma ßung, aber es war doch in ihm und seinen Erzeugnissen mehr frischer lebendiger Geist« (an Georg Friedrich Creuzer, 6. Februar 1821). Hieraus sprach sicher der Ertrag aufmerksamer Beob achtungen der Berliner Universitätsszene, in der durch Hegels Erscheinen eine gewaltige Veränderung vor sich gegangen war. Dessen Dominanz ist inzwischen so stark geworden, bemerkt Savigny gegenüber dem Marburger lutherischen Theologen Christoph Andreas Leonhard Creuzer (16. Dezember 1822), »daß die wackersten philo sophischen Lehrer, die nicht zu seiner Schule gehören, durchaus keine Anstellung erlangen können«. Beängsti gend ist die »Verachtung des Christentums«, die von Hegel ausgeht und auch Schleiermacher schon glaubte
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bemerkt zu haben. Vor allem scheint die nationale Seite im Vergleich zu Fichte bei Hegel zu kurz zu kommen. Es wäre sonst nicht möglich, daß Hegel unter den Ausländern, die in Berlin studieren, so zahlreiche Anhänger finden und vor allem »von den Polen« (die weder Deutsch können noch etwas begreifen) schwärmerisch verehrt« werden könnte (Savigny an Ch.A.L. Creuzer, 26. November 1821).
Hier ist es ausgesprochen: Hegel und seine Philosophie befinden sich um diese Zeit klar im Aufwind, und zwar gegen alle Widerstände, die von seiten der Kollegenschaft entwickelt werden. Die Jahre, in denen einige seiner Schü ler verfolgt und eingekerkert worden waren, weil ihnen der Verdacht staatsgefährdender Gesinnung anhing, sind vorüber. Henning ist inzwischen Verbindungsmann zwi schen Goethe und Hegel geworden, der beide vom jeweils anderen mit Nachrichten versorgt. In Weimar lagen die Dinge anders. Es gibt im konstitutionellen Herzogtum keine Polizeiverfolgungen wie in Preußen, wo Hegel jetzt mehr und mehr eine polizeifreundliche Haltung ein nimmt, um allerletzte Zweifel an seiner Staatstreue und der seiner nächsten und förderungswürdigen Anhänger zu zerstreuen. Er war allerdings zutiefst vom »Geschwätz« und »Getue« der »Deutschtümler« überzeugt, wie er sei nem jungen Schüler, dem inzwischen Privatdozent gewor denen Hinrichs in Heidelberg, am 13. August 1822 wissen läßt, als der ihn um Empfehlung beim Minister Altenstein zwecks Aufnahme in den preußischen Staatsdienst gebe ten hatte. Hegel meldet deutlich einen Vorbehalt an, nämlich die Erfordernis, »von polizeilicher Seite die Ge wißheit zu erhalten, daß Sie wegen demagogischer Um triebe und Gesinnung nicht bekannt geworden sind«. Nicht ohne Genugtuung vermeldet er abschließend und abschreckend dem Briefempfänger: Gegen Schleierma cher ist eine Untersuchung eingeleitet. Der Minister hatte Schleiermacher auf Ersuchen des Polizeikommissars von Kamptz die Genehmigung zu einer Urlaubsreise verwei gert. Veranlassung dazu war wahrscheinlich eine Stelle in einem Brief Schleiermachers an Ernst Moritz Arndt, die
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als politisch anstößig empfunden wurde. Der Gemaßre gelte wendet sich während der Behandlung der Angele genheit an den König, verweist dabei auf Vergünstigun gen, die dem suspendierten De Wette zuteil geworden seien und kann so die Rücknahme der gegen ihn verhäng ten Maßnahme erreichen. Immerhin: an Staatsergeben heit, die keinen Grund zu solcher Verdächtigung gibt, hatte der Bewunderer Napoleons und sogar sein zeitweili ger Parteigänger Hegel den preußischen Altpatrioten Schleiermacher inzwischen überboten. In seinen Vorlesungen hat Hegel immer wieder zu groben und feinen Schlägen gegen Schleiermacher ausge holt, und zwar auf anspielende Weise. Er attackiert ihn als Thersites, den Homerschen Lästerer, der alles herunter reißt und den er einen »buckligen Kerl« nennt, einen Typus, wie er ihn vor allem bei den »demagogischen Umtricbern« vertreten zu finden glaubt und — die Studen ten können sich durch nähere Angaben vorstellen, ohne daß der Name fällt, wer hier gemeint ist - in Schleierma cher wiedererstanden sei. Hegels Ausführungen dazu werden im Auditorium mit Scharren quittiert. Sein Gewährsmann und patriotischer Freund ist Marheineke, der als theologischer »Hegelia ner« noch von sich reden machen wird. Hinrichs wird für seine Rcligionsphilosophie mit hegelianischem Unterbau damit belohnt, daß er durch Hegels Fürsprache beim Minister von Heidelberg aus eine außerordentliche Pro fessur in Breslau erhält. Altenstein war schließlich an der weiteren Verbreitung der Hegelschen Philosophie, die die Studenten ruhig hielt, sehr gelegen. Im September 1823 war auf seinen Antrag an den König hin eine »außeror dentliche Gratifikation von dreihundert Talern« fällig gewesen und wird aus dem »disponiblen Fonds der wis senschaftlichen Anstalt« dem Staatsphilosophen zur Zah lung bereitgestellt. Hegel hatte bereits Niethammer darum gebeten, in München nachzufragen, ob seine baye rischen Lotterielose einen Treffer erzielt hätten. Die Ant wort fiel im Sinne des Hegelschen »Nichts« aus. Der Anfang der zwanziger Jahre hatte die Wende ge
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bracht, die Hegels Philosophie in Preußen mehr und mehr eine staatsoffizielle, von der Gunst des Ministers getragene Monopolstellung bescherte und diese im Laufe der folgenden Jahre noch festigen wird. Seine Schüler bereiten sich selbst auf Staatsstellungen vor oder nehmen sie schon ein. Zum Wintersemester 1823/24 kommt der junge Ludwig Feuerbach zum Studium nach Berlin. Er ist dem Fache nach zunächst Theologe und hatte bei Daub in Heidelberg eine Einführung in die Hegelsche Philosophie erhalten, zeigte sich aber zunächst noch wenig entschlos sen, in Hegelsche Denkbahnen einzutreten. In Schleier machcr als dem anerkannten Haupt der Berliner Theolo gen begegnet ihm das beispielhaft dargestellte »Wesen der Religion«. Wie Rosenkranz, der in beiden Kollegs sitzt und den glatten und gewandten Vortrag Schleiermachers mit den schleppenden, von Husten und Tabakschnupfen unterbrochenen Perioden Hegels vergleicht, erlebt er die beiden in ihrer Zeit klassischen Vertreter des theologi schen und des philosophischen Standpunktes aus eige nem Augenschein. Hegel macht damals bereits einen früh gealterten Fin druck. Aber jung war er ja eigentlich nie gewesen. In einer Porträtskizze aus diesen Jahren findet ihn sein Schüler Hotho von gebeugter Gestalt: »Fahl und schlaff hingen alle Züge wie erstorben nieder.« Entsprechend sein Vor trag im Kolleg: »Abgespannt, grämlich saß er mit nieder gebücktem Kopf in sich zusammengefallen da und blät terte und suchte immer fortsprechend in den langen Folioheften vorwärts und rückwärts, unten und oben.« Aber dieser nicht immer ohne Mühe seinen Vortrag zu stande bringende Mann des Katheders ist bereits auf dem Weg, der Absolutissimus seines Fachs zu werden, mit Ansprüchen, die über die Landesgrenzen hinausgehen. Im Hegelschen Denken besinnt sich die Philosophie auf ihre Totalität. Sie ist allumfassend, und derjenige, der sie vorträgt, hat Gott sozusagen selbst in die Karten geschaut. Er hat, so jedenfalls der daraus abgeleitete Anspruch, dem Sein das Geheimnis abgelistet. Gott als mosaische Stiftertat, seine Offenbarung in Jesus Christus, die römische
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Kaiseridee mit ihrer Fortführung im mittelalterlichen deutschen Kaisertum, das durch Luther gereinigte Chri stentum und Preußen als der Staat par excellence: das alles und in einer Kontinuität zusammengedacht ist in die Vorstellung des »Absoluten« eingegangen. Und Hegel auf dem Berliner Lehrstuhl ist sein einziger mit Autorität ausgestatteter Verwalter. Der jüdisch-christliche Gott, der im »Absoluten« als Hegels philosophischem Grundprin zip aufgegangen ist und von Schopenhauer als »Herr von Absolut« stilisiert wird, wie er auch Hegel selbst nennt, zeigt, welche Identität hier im Spiele ist. Theologie und Philosophie fallen hier auf eine viele beunruhigende Weise zusammen. Niebuhr, der Diplomat und Historiker, zeigt sich in einer brieflichen Äußerung an seine Frau vom 18. März 1825 sehr besorgt darüber, daß Hegel dem Ge danken zustimmt, »Christus selbst habe sehr wenig vom Christentum gewußt«, wie er in Kreisen um Cousin geäu ßert wurde. Wir wissen, wie sehr Hegel sich Cousin, der ihm in Heidelberg seine Aufwartung gemacht hatte, ver bunden fühlte. In Berlin, wo sich Cousin jetzt für längere Zeit aufhält, erscheint seine Gesellschaft politisch aller dings in einem sehr bedenklichen Lichte. Französische Kreise hatten offenbar die preußischen Behörden wissen lassen, welch gefährlicher Geist mit Cousin auf ihrem Staatsgebiet weilt. Die Polizei wird denn auch sofort tätig und schafft den Verdächtigen vorsichtshalber ins Gefäng nis. Hegel versucht, bei dieser Nachricht unverzüglich den Inhaftierten zu sprechen. Das Gesuch wird aber abge schlagen. Seine Stellung als Vertrauensmann der Regie rung indessen läßt keinen Verdacht gegen ihn aufkom men, mit diesem Individuum in gefährlicher Beziehung zu stehen. Cousin wird übrigens später freigelassen. Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe hatten sich als unhaltbar erwiesen. Der Polizeipräfekt entschuldigt sich bei dem aus der Haft Entlassenen, der voll des Lobs über die korrekte Behandlung durch die Untersuchungsbehörde ist und allen Grund hatte, in Hegel einen treuen Beistand zu sehen. Victor Cousin, entschiedener Gegner der restaurierten
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bourbonischen Monarchie, der sich als Mann auf der Seite der Freiheit bezeichnete, hat Hegel, in dessen Philosophie er eine Philosophie der Freiheit sah, diesen Freund schaftsbeweis nie vergessen. Er erinnert sich von Paris aus der langen Abende, die er mit Hegel im Gespräch auf dem Kanapee verbracht hatte, und sendet ihm seine DescartesAusgabe zu. Wegen seiner Inhaftierung in Berlin gerät er nach seiner Rückkehr nach Frankreich erneut in Schwie rigkeiten und in viel größere. Die Preußen-Gegner in Paris hatten seinetwegen interveniert. Die französische Regierung erwartet aus Berlin einen offiziellen Bericht über die Gründe seiner Verhaftung und zusammen mit der Öffentlichkeit einen zornigen Cousin. Aber der erregt die Entrüstung der Kreise, die die Angelegenheit gegen Preußen hochspielen wollen, durch seine Worte, er habe das Leben in Berlin erträglich gefunden. Das war zuviel, weil es nicht wahr sein durfte. Hegel gegenüber läßt Cousin verlauten, daß es ihm, der kein Freund der Polizei sei, widerstrebe, seine Empörung aus einer Entfernung von mehr als dreihundert Wegstunden zu bekunden. Er wußte oder hielt es für möglich, daß er von französischer Seite in Berlin denunziert worden war. Cousin hatte übrigens auf seiner Rückreise nach Frank reich Goethe in Weimar noch einen Besuch abgestattet. In einem Brief vom 24. April 1825 Hegels an Goethe war dessen Ankunft angekündigt worden. Zugleich enthielt das Schreiben eine Huldigungsadresse an den Empfän ger, die über Hegels geistige Existenzgrundlagen Ent scheidendes aussagt, wenn es darin heißt: »denn wenn ich den Gang meiner geistigen Entwicklung übersehe, sehe ich Sie überall darein verflochten und mag mich einen Ihrer Söhne nennen; mein Inneres hat gegen die Abstrak tion Nahrung zur widerhaltenden Stärke von Ihnen er halten und an Ihren Gebilden wie an Fanalen seinen Lauf zurechtgerichtet.« Hier ist es ausgesprochen, daß Goethe Hegels Vertrauen in die Abstraktion nicht teilte und in diesem Sinne mit feinem Nachdruck auf ihn gewirkt hat. Während Hegel für Goethes geistige Entwicklung nichts bedeutet hat, ist Hegel erst durch die Berührung mit
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Goethe zur vollen Größe gelangt, ist er einer von Goethes »Söhnen« geworden. In seiner äußeren Erscheinung hat sich Hegel zu keiner Zeit ganz den Berliner Verhältnissen angepaßt. Auf einen Stuttgarter Besucher macht er den Eindruck des echten Stiftlers, bei dem man sich die Frage stellen müßte, wie er überhaupt mit dem dunklen, struppigen Haar, der Nach lässigkeit, die er in seiner Kleidung auch in der württem bergischen Zeit bereits an den Tag gelegt hatte, »den geleckten Berlinern imponieren« könne. Er war einem Griesgram in abgetragenem Schlafrock begegnet, mit gelblichem Gesicht, mit dem Blick eines Kurzsichtigen, mit raschen, aber schwerfälligen Bewegungen. Im Ver lauf des Gesprächs, wo Dinge der gemeinsamen Vater stadt nur flüchtig erwähnt werden und Hegel sich ärger lich über den in Württemberg neu eingerissenen Um stand ausläßt, daß »auch Leute bürgerlicher Abkunft die Aussicht haben, Ministerien zu erreichen«, schließt er bei zusammengefalteten Händen seine Augen und erweckt den Eindruck, als ob er schliefe. Derselbe Besucher weiß von Hegels Lohndiener zu berichten, der während einer anderen Aufwartung durch seinen Eintritt dem Gespräch ein Ende bereitet: »eine altfränkische, dürre, gepuderte Greisenfigur, von noch grämlicherem Aussehen als sein Gebieter«. Hier mischen sich Züge des Skurrilen, einer Szene im Stile E.T. A. Hoffmanns, ein, der als vom System dem Verdacht ausgesetzte Erscheinung am Berliner Kammer gericht selbst einen Platz in der Untersuchungskommis sion gegen die sogenannten Demagogen eingenommen hatte. Hoffmann war inzwischen einige Jahre tot, als Hegel jenem Ludwig Devrient, mit dem der Verfasser des Kater Murr tolle Nächte im Weinhaus Lutter und Wegener durchzecht hatte, nach dessen Darstellung von Molieres Tartuffe frenetischen Beifall spendet. Bei der Berliner Premiere von Carl Maria von Webers Euryanthe sitzt Hegel sozusagen wie selbstverständlich unter den Zuhörern. Er hält sich nach eigenem Zeugnis an der Berliner Universi tät akademisch aber noch immer nur für sich, eine Beteili
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gütig an irgendeinem Zirkelwesen, es sei denn, es richtet sich gegen Schleiermacher, läßt sich ihm nicht nachsagen, obwohl er sich bei den von ihm geliebten Whistpartien an den üblichen Sticheleien gern beteiligt. An Schleierma cher wird er lebenslänglich Anstoß nehmen, denn er, den er auch vor seinen Hörern im Kolleg bisweilen »Herr Schläuermacher« nennt, wird ihm den Weg zu den höhe ren Weihen verstellen, d. h. immer neue Gründe finden, ihm die Aufnahme in die Akademie der Wissenschaften zu verweigern. Dieser erhebliche Schönheitsfehler in der Berliner Exi stenz Hegels hat ihm zweifellos das Leben vergällt, aber er hat einer breiten und allmählich auch rundherum behag lichen biedermeierlichen Lebensweise, die tief in der Fa milie verwurzelt war, ernsthaft keinen Abbruch zu tun vermocht. Der philosophische Schriftsteller tritt noch mehr hinter den akademischen Lehrer zurück. Sein Kol leg zwischen 12 und 13 Uhr gehört zu den großen Berli ner Ereignissen, so wie die Auftritte Ludwig Devrients im Schauspielhaus und die Predigten des in der Dreifaltig keitskirche fromm, entschlossen und elegant auf das Kan zelpult trommelnden Schlcicrmacher. Für seine Vorle sungen mit seinen zweihundert Hörern verteilt Hegel selbst an durchreisende Besucher Karten aus, die ihnen gute Sicht- und Hörgelegenheiten geben und wo sie sich unter preußischen Beamten, Diplomaten, Offizieren, orientalischen Moslems, katholischen Geistlichen, in der Stadt weilenden Ausländern, Kaufleuten und vielen jun gen polnischen Adligen wiederfinden, die das, was sie emsig mitschreiben, ohnehin nicht verstehen können. Sie alle erleben, wie der Meister sich auf das Katheder begibt, eine Prise nimmt und mit einem kleinen Notizenpapier in der Hand zu sprechen anfängt: wobei er die Sätze gern mit »also«, seiner Licblingspartikel, beginnt. Der Vortrag ist in der Form anspruchslos, stark vom Dialekt gefärbt. Über die Präsentation seiner Gedanken im Kolleg schwan ken jedoch die Urteile. Da wird von schleppender Rede weise gesprochen oder von einem unausstehlichen Vor trag, der einen vorzüglichen Gehalt mit sich führt, aber
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auch von einer Klarheit, die nie etwas dialektisch verwik kelt läßt, auf äußere Effekte verzichtet, weil sie es gar nicht darauf anlegt, den Zuhörern durch besondere Spannung zu imponieren. Es scheint hier immer die Einstellung zur Hegelschen Lehre mit im Spiele zu sein, ob man sich durch formale Mängel irritiert fühlt oder im Vortrag den gewissenhaften Ernst an der Sache durchscheinen sieht, dem der Redner durch mühsames Suchen nach dem rechten Ausdruck wie Verlegenheit in der flüssigen Rede Rechnung zu tragen hat. Es gibt andere und bis auf die Gegenwart reichende Gründe zur Irritation. Sie liegen in den Abweichungen vom schriftlichen Manuskript. Hegel neigt in den Extem pora zu Abschwächungen oder auch zu Verschärfungen, je nachdem, wie die Umstände liegen. Darum: Man muß bei Hegel stets damit rechnen, daß seine Hörer es anders von ihm erfahren haben, als es in der handschriftlichen Vorlage zu finden ist. So hat es eine Klage einiger katholi scher Studenten beim Ministerium gegeben, Hegel habe sich in seinen Vorlesungen gegen die katholische Religion ausgesprochen. Das traf zu. Aber das Beispiel, um das es ging, war ein Extempore Hegels im Kolleg und wird von Hotho brieflich (1. April 1826) an Cousin übermittelt: Hegel »sagt, daß im katholischen Kult Gott als Seiendes in einer Sache dargestellt wird und daß demnach, wenn beispielsweise eine Maus diese Sache frißt, Gott in der Maus und selbst in den Exkrementen ist«. Die studenti schen Kläger erblickten darin eine Blasphemie. In der vom Ministerium erwarteten Rechtfertigung erklärt He gel im Namen der Humboldtschen Lehrfreiheit: »als pro testantischer Professor und als Philosophieprofessor hat er das Recht, wo er die Natur des Katholizismus prüft, so zu sprechen, und daß die Katholiken, die solche Dinge nicht hören wollten, seine Vorlesungen nicht zu besuchen brauchten«. In der anliegenden Sache hatte Hegel von der preußi schen Regierung nicht das geringste zu befürchten. Sein Standpunkt in der Konfessionsfrage war überzeugend und durch seine Ausführungen in der Enzyklopädie, den
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Vorlesungen zur Geschichts- und Religionsphilosophie, schriftlich und mündlich gedeckt. Es ist interessant, wie der Freund van Ghert, der sich ganz als sein Schüler fühlte, in Den Haag die Leitung eines philosophischen Kollegs übernommen und gerade ein ähnliches Institut für angehende katholische Priester in Löwen selbst ge gründet hatte, gesteigerten Wert darauf legt, während der in Preußen ausgebrochenen Hermesianischen Kir chenstreitigkeiten gegenüber Hegel als entschiedener Gegner der Ultramontanen und der Jesuiten zu erschei nen. Berlin gilt ihm als europäische Zentrale im Kampf gegen den römischen Geist, dessen Verderblichkeit er vor allem im belgischen Staatsteil des Königreichs der Nieder lande am Werke sieht. Hegel erhält die Warnung, die jesuitische Gefahr nicht zu unterschätzen, mit Hinweisen auf neue Niederlassungen des Ordens in Mainz, Düssel dorf, Würzburg und München. Zugleich trifft von Win dischmann, der sich auch zu den Freunden zählte, ein Exemplar von de Maistres Abendstunden zu St. Petersburg
ein, die Hegel mit dem eigentlichen Kopf der nachrevolu tionären katholischen Reaktion vertraut machen. Auch daraus sprach die durch die Schwerkraft der Dinge alles an sich ziehende und selbst Mittelpunkt bil dende Funktion des spekulativen Philosophen in Berlin. Weitere Bestätigungen dafür treffen bei ihm ein durch Zuschriften aus der deutschen Provinz, die von Hegel grundsätzlich beantwortet werden. Hegel kennt nur eine einzige Philosophie, keine in eine akademische oder nicht akademische aufgespaltene. Er weiß die Unabhängigkeit eines zur beruflichen Ausübung der Philosophie nicht genötigten Mannes, der er selbst eben nicht ist, sehr zu schätzen. Von einem jungen Herrn Rust aus dem pfälzi schen Dürkheim erhält er einen Brief mit der Bitte um Unterstützung dafür, ihn in seine persönliche Nähe zu holen, um sich dort unter seiner Aufsicht philosophischen Studien widmen zu dürfen. Auf seine freundliche Erwide rung hin kommt es heraus, wo der Schuh drückt: Der junge Adept möchte »Lehrer an einer preußischen Hoch schule« werden. Er droht mit dem für ihn weniger ange
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nehm erscheinenden Schicksal, andernfalls eine Pfarr stelle annehmen zu müssen. Es stand natürlich weder in Hegels Kräften, das eine zu erwirken, noch das andere verhindern zu können. Auch ein M.Caspart aus dem württembergischen Schorndorf wünscht durch den be rühmten Landsmann nach Berlin zu gelangen, weil er in der Philosophie seinen eigentlichen Lebensberuf glaubte gefunden zu haben. Hegels Erwiderungen auf seine Briefe ermuntern den Briefschreiber dazu, sich von ihm zunächst ein Thema zur Bearbeitung zu erbitten, weil er sich von dessen »Mitleiden mit dem verlassenen philoso phierenden Jünger nach den früheren Beweisen Ihrer Güte auch diese Gewährung« verspricht (22. Oktober 1825). Diese Korrespondenzen, die durch Hegels Rückant wort für kurze Zeit zustande kamen, verliefen trotz des Zuspruchs durch den spekulativen Philosophen im Sande. Eine Ermunterung zu diesem Metier hat Hegel eingedenk des eigenen dornenvollen Wegs niemals ausgesprochen bzw. nur dann, wenn, wie im Falle seines Schülers Hin richs, die Laufbahn nicht mehr zu verhindern war. Diese Korrespondenzen gehörten zu den vielen Anzei chen dafür, daß in der Gestalt Hegels die Philosophie ihren eigentlichen Sitz nach Berlin verlegt hat. Das war übrigens auch Cousins Meinung in Paris. Hegels 56. Ge burtstag wird am 27. August 1826 dementsprechend re präsentativ begangen. Die Feierlichkeiten beginnen be reits am Vorabend im kleineren Kreise, und Hegel legt bei dieser Gelegenheit Wert darauf, mit Goethe am gleichen Tage geboren zu sein, was nicht ganz stimmte. Zur Geburtstagsvisite versammelt sich eine Gesellschaft in Hegels Wohnung in der Kupfergasse 42. Hegels Frau ist gerade abwesend, sie befindet sich mit den Kindern auf Besuch bei ihrer Familie in Nürnberg und erhält darum von ihrem Ehemann einen genauen Bericht über die Begebenheiten des Tages. Zu dessen freudigster Überra schung erscheint auch Herr von Kamptz unter den Gä sten. In seiner Person macht die Berliner Polizei ihre Aufwartung beim Staatsphilosophen, der zu ihrer und
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Altensteins Zufriedenheit die Studenten während der Zeit seiner Lehrtätigkeit im Zustand der Ruhe gehalten hatte. Ein großes Souper in einem Restaurant Unter den Lin den, das gleichzeitig damit eröffnet wird, schließt sich an. Es gibt Musik und Tusch, wie Hegel bemerkt. Eine Depu tation der Studentenschaft überreicht ihm auf einem Samtkissen einen silbernen Becher. Im Kreis der Teilneh mer am Bankett hatte sich ein Hegel bisher Unbekannter eingefunden, Professor Wichmann, der beauftragt ist, von ihm eine Büste anzufertigen. Hegel wird ihm in den nächsten Wochen zu sitzen haben. Ein beschwerlicher und sogar schmerzensreicher Weg war an diesem Tag mit den Attributen besonderer Auszeichnung versehen worden. In Hegel hatte sich bereits seit längcrem die Überzeu gung von der Notwendigkeit einer eigenen Zeitschrift als eines kritischen Organs im Dienste der eigenen Lehre und als maßgeblichen Periodikums in den Fragen der »Wis senschaft« überhaupt ausgebildet. Der Gedanke lag für den ehemaligen Bamberger Redakteur auf der Hand und hatte schon vor der Berufung nach Heidelberg außeror dentlich anziehend auf ihn gewirkt. Seine auf eine Mono polstellung, zumindest auf Unvergleichbarkeit an Wir kung in Preußen hinauslaufende Philosophie macht es in seinen Augen immer dringlicher, unverzüglich zur Tat zu schreiten. Hier kann auch zugleich ein Betätigungsfeld für die eigenen Schüler angelegt werden. Es kommt dar auf an, geeignete Mitarbeiter zu finden. Sein Schüler Leo könnte als Sekretär fungieren. Erster und engster Ver trauter ist Gans, der sich in seinem Auftrag auf die Reise begibt, um insbesondere an deutschen Universitäten nach den in Frage kommenden Referenten und Rezensenten Ausschau zu halten. Seine an Hegel gerichteten Bulletins geben genaue Auskunft über den Verlauf der mit der ihm eigenen Geschäftigkeit unternommenen Erkundungs tour. Es galt, mit Cotta in Stuttgart als dem ersten deut schen Verleger Beziehungen anzuknüpfen. Cotta scheint sogleich von den Chancen des Unternehmens für seinen Verlag überzeugt gewesen zu sein. So kann Gans hocher freut vom Vertragsabschluß berichten und von der mögli
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chen Aussicht, eine in München herauszubringende Lite raturzeitung mit der Berliner in Cottas Händen zu ver einigen. Er durfte hier auf Hegels Zustimmung rechnen, dem es immer vorgeschwebt hatte, den deutschen »Sü den« auf den geistig-philosophischen Entwicklungsstand des deutschen »Nordens« heraufzubringen. Als Nietham mer von dem Plan erfährt, rät er ab; eher gehe ein Kamel durchs Nadelöhr, als daß sich Berliner und Münchner Geist zusammenfinden. Unter Aufbietung aller Hegel zu Gebote stehenden Förmlichkeit wird in einem zusammen mit Varnhagen verfaßten Brief Goethe eingeladen, durch Beiträge an der neuen Literaturzeitung mitzuwirken. Des sen Antwort läßt nicht lange auf sich warten: Er möchte erst den Anfängen des Berliner Organs zusehen, seine Richtung studieren, um dann zu gegebener Zeit »den Umständen gemäß etwas Würdiges mitzuteilen«. Es kommt dann auch bald schon die Ankündigung, daß aus Weimar Manuskripte zu erwarten seien. Goethe hatte bei den Freunden um Mitarbeit bei Hegels Zeitschrift gewor ben und Zusagen eingesammelt. Goethe muß die erste Nummer aufmerksam studiert haben, allerdings, wie er bemerkt, mit einem gewissen Kopfschütteln, weil ihm die auf Selbsterkenntnis ausge richteten Tendenzen zuviel Züge der »Selbstqual« und »Selbstvernichtung« anzeigten, was seinem eigenen Sinne ganz und gar zuwiderlief. Goethe hat sehr schnell die späteren Wirkungen Hegels auf die Zerrissenheitsstim mung der Weltschmerzler herausgespürt mit all den Ge fahren, die er früh von sich selbst abzuwenden bestrebt gewesen war und die dann Geister wie Lenau geradezu in ihren Bann ziehen, für den Hegels Philosophie zeitweise der einzige Hoffnungsstrahl in einem traurigen Leben in düsterer Zeit sein wird. Goethes unbeirrbare Zuneigung zu Hegel läßt ihn auch jetzt wieder ein Auge zudrücken gegenüber Erscheinungen, mit denen er sonst weniger günstig ins Gericht geht. Versöhnlichkeit ohne die gering ste Konzession an ihm Fremdes spricht aus dem Satz, den er in einem Brief vom 17. August 1827 an den Freund in Berlin niederschreibt: »ich halte meinen Sinn möglichst
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offen für die Gaben der Philosophen und freue mich jedesmal, wenn ich mir zueignen kann, was auf eine Weise erforscht wird, welche die Natur mir nicht hat zugestehen wollen«. Im Gegensatz zu Kant hatte Hegel über die Beziehung zu Goethe hinaus die außerordentliche Gunst des näheren Umgangs mit einigen bedeutenden Dichtern genossen. Über die Größe Hölderlins, der ihm so sehr angehangen hatte und der aus seinem Bewußtsein wie ausgelöscht erscheinen mochte, was natürlich nicht der Fall war, ist sich Hegel freilich nie im klaren gewesen, und er konnte es auch in mancher Hinsicht gar nicht sein. Der Kontakt zu Schiller in den Jenenser Jahren war von einer Sprödigkeit gegeneinander gekennzeichnet, es hat ihn in persönlicher Weise eigentlich nie gegeben. Jean Paul hingegen hatte bei seinem Aufenthalt in Heidelberg geradezu stimulie rend auf Hegel gewirkt, später urteilt er gelegentlich auch abschätzig über ihn. Im September 1826 hatte sich Grill parzer in Berlin aufgehalten und wird von Hegel, als er davon erfährt, in die Wohnung eingeladen. Grillparzer erklärt den Umstand, ihn nicht früher aufgesucht zu haben, mit der philosophischen Rückständigkeit in Öster reich, wo man »erst bis zum alten Kant gekommen« und das Hegelsche System noch völlig unbekannt sei. Hegel antwortet höchst amüsiert und läßt seine Kenntnis von Grillparzers Goldenem Vlies durchblicken. Im Gespräch kommt man sich näher und findet Gefallen aneinander, so daß von Hegels Seite eine zweite Einladung ausgespro chen wird, bei welcher der Gast die Bekanntschaft eines Wiener Landsmanns macht, des Satirikers Saphir, der die Berliner Schnellpost für Literatur, Theater und Geselligkeit her
ausgibt und als Spaßmacher am Tisch fungiert. Hegels Urteil über Grillparzer (»ein recht schlichter, verständiger und eifriger Mann«) wird von Grillparzer entsprechend erwidert, der ihn »angenehm, verständig und rekonzi liant« findet, sich aber später bei näherer Beschäftigung mit seiner Philosophie am »Abstrusen« des Systems stößt. Der österreichische Theaterdichter war einem sehr ge sellschaftlich wirkenden Hegel begegnet. Der Eindruck
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traf zu. Hegel bewegte sich damals auf der Höhe der Zeit, was zeitweise bis in die Kleidung (seinen blauen Frack, mit gelben Nankinghosen oder auch Stiefeln) hineinreicht. Sich in seinen verbindlich geführten Gesprächen auf The men abstrakt-philosophischen Inhalts oder »Diskussio nen« einzulassen, liegt ihm völlig fern. Engster Berüh rungspunkt in den Unterhaltungen mit seiner Frau bildet das Theater; Urteile über Schauspieler, Sänger und Kunstfiguren des Balletts werden hier des öfteren ausge tauscht. Bei ihren Gastspielen in Berlin ist die Sängerin Henriette Sontag bei Hegel zu Gast, der an den Musik abenden selbst Hand anlegt, wenn fehlende Stühle aus der Nachbarschaft über die Straße herangeschafft werden müssen. Musik bedeutet für ihn nicht wie für Schopen hauer die erste aller Künste, aber sie ist doch ein bewegen des und auch unerläßliches Element in seinem Leben. Aus seinem Kolleg am späten Nachmittag begibt er sich oft stehenden Fußes gleich in das der Universität gegenüber liegende Opernhaus. Mit der Begründung seiner Zeitschrift, die nach vielen Überlegungen über den Namen als Jahrbücher für wissen schaftliche Kritik erschienen war, hatte sich Hegel das Or gan seiner philosophischen Bewegung geschaffen, das bei den Gegnern sogleich zusätzliche Beunruhigung auslöst. Hegel wird von seinem Kollegen Boeckh denn auch so gleich der »Parteimacherei« bezichtigt mit dem darin ein geschlossenen Vorwurf, seine Anhänger beim Ministe rium zu begünstigen. Der Vorwurf war nicht neu, aber er bekommt jetzt durch die publizistische Begleitung der Jahrbücher neue Beglaubigung. Hegel war ohne Zweifel fest entschlossen, damit seinen bereits im Kolleg geführ ten Kampf gegen Schleiermacher zu verschärfen mit gleichzeitigen Schlägen gegen die historische Schule Savignys, der in der Sache viel wirksamer noch gegen ihn agitierte. Mit dem Aufsteigen der durch die Jahrbücher fest etabliert erscheinenden philosophischen Bewegung greift freilich auch eine Stimmung um sich, die an Hegel als einem subversiven Kopf, als einer für den Staat und die Religion bedrohlich werdenden Gefahr Anstoß nimmt,
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vor der es sich vorzusehen gilt. Es verschärft sich der furchtbare Verdacht, daß hier ein Diener der Monarchie mit ständigen Beteuerungen seiner Ergebenheit gegen über dem Staat, wie er ist, der althergebrachten Ordnung und dem Christentum sich in den staatstragenden Institu tionen und unter dem Schutz der Polizeigewalt niederge lassen hat und mit der zermalmenden Vorstellung der »Entzweiung« Zweifel ausstreut; und dies ausdrücklich als sein Dienstgeschäft betreibt. Der befreundete Varnhagen trägt unter dem 26. Dezember 1826 in sein Tagebuch ein: »Des Herrn Prof. Hegel Ansehen und Einfluß nimmt noch immer zu; die Ministerien glauben in seiner Philoso phie eine ganz legitime, staatsdiencrische, preußische zu besitzen und zu handhaben. Wie viel Freiheit, Konstitu tionssinn, Vorliebe für England in dieser Richtung lebt und wirkt, ahnen sie nicht.« In den Augen argwöhnischer Geister sah das anders aus, war das Anlaß genug, zu unverzüglichen Maßnahmen zu schreiten. Es hieß soviel wie: König, Minister und Staatswächter werden von Hegel auf hinterhältige Weise getäuscht. So gibt der Privatdo zent von Keyserlingk ein Zirkular mit Beschuldigungen und Warnungen vor der Hegelschcn Lehre heraus, die allerdings von Boeckh, der die Amtsgeschäfte der Univer sität führt, zurückgewiesen werden, weil sie der Anfang von Verfolgungen sein könnten, wie sie das Mittelalter kannte. Boeckh, der Hegel im dienstlichen Umgang schwierig fand, hat dieses Einschreiten zu dessen Gunsten sich selbst als ausdrückliches Verdienst zugerechnet und zeigt damit, daß er dem Kern der Anschuldigungen gar nicht so fern stand. Keyserlingk erhält einen Verweis. Als Württemberger gehörte Hegel zu den »Auslän dern«, die vom erstarkenden preußischen Staat mit der Aussicht auf eine Wirksamkeit angezogen worden waren, wie sie sich ihnen hier und nur hier bieten konnte, so wie vor ihm der reichsunmittelbare Hesse Stein, die Hanno veraner Hardenberg und Scharnhorst, der Frankfurter Savigny und so viele andere aus der Reformgeneration. Erinnert man sich an Hegels Mitteilungen an Schelling, so hatte der Schwabe lutherischer Herkunft zwar- ohne äuße
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ren politischen Druck, aber wegen der theologischen Herrschaft der »Orthodoxie« und ihrer Borniertheit Württemberg verlassen. Auf dem Weg über eine schwei zerische, dann eine deutsche Stadtrepublik war er auf den Boden einer kleinen sächsisch-thüringischen Kleinmon archie gelangt, weiter nach Bayern, wo er ebensowenig Annehmlichkeiten, dafür aber schließlich seine Frau aus hochangesehener Familie gefunden hatte. Seine patriar chalisch geführte Fhe ist von gleichbleibendem Glück gekennzeichnet. Es gibt darin wohl eine längere Krank heit seiner Frau und anhaltende wirtschaftliche Sorgen, die auch mit der Übersiedlung nach Berlin nicht aufhö ren. Aber belastet hat ihn am schwersten die ihm aus Jena anhängende Existenz des kleinen Ludwig Fischer, der bald nach dem Tod der leiblichen Mutter von der Familie Hegel ins Haus aufgenommen worden war. Der Wider stand von Hegels Frau ist von Anfang an spürbar gewe sen, er steigert sich beim Heranwachsen der beiden eige nen Söhne und wird schließlich zur Ablehnung des intelli genten, aber bei der Zweitmutter schwierigen Kindes, der sich Hegel fügt. Es besteht Übereinkunft der Eltern: Der Junge muß aus dem Hause. Hegel wendet sich dieserhalb an Frommann in Jena mit der Bitte, sich nach einer Lehrstelle für den Sohn umzusehen. Er denkt an eine Ausbildung im Handel, aber keine, die die Zahlung eines »Lehrgeldes erforderlich« macht. Die alten Beschwernisse mit der Schwester setzen sich auch in Berlin fort, werden hier noch größer und veran lassen Hegel zu langen brieflichen Ermahnungen. Bei Christiane Hegel lag eine von Jugend an intensive An hänglichkeit an den Bruder vor, die von ihm mit ebensol cher Fürsorge erwidert wird. Der langsam auf ein gewisses Alter zustrebenden Demoiselle war nicht leicht zu helfen. Aus der Zeit, wo sie bei der Familie Berlichingen in Stellung gewesen war, hatte sie gewisse Umgangsformen mit entsprechenden großzügigen Aufwendungen über nommen, die eher einer Gräfin entsprachen, jedenfalls weit über ihre Verhältnisse gingen, und auch über die des vermögenslosen Bruders in Berlin. Nach ihrem Ausschei
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den aus den herrschaftlichen Diensten schwebte ihr vor allem ein Unterkommen als Wirtschafterin in einem Pfarrhaus vor, was aber, da sie sich damit unter ihren alten Stand begab, auf allseitige Schwierigkeiten stieß. Enttäu schungen und eine innere Unruhe, die sie auf der Suche durch die schwäbische Landstädte trieb, waren ihr aufs Gemüt geschlagen. Hegel glaubt die Ursachen im Klimak terium erkannt zu haben, meint dann aber, daß sie eigent lich über dieses Alter schon hinaus sein müsse. Er hatte seine Teilnahme an ihrem Mißgeschick durch einen Geld zuschuß in zwei Zahlungen, die letzte in Höhe von 300 Gulden, gezeigt und war damit selbst »beengt« worden. Der Brief vom 12. August 1821 an die Schwester ist eine einzige Ermahnung, »Dich um Deinen gegenwärtigen Gemütszustand und Dein Verhalten gegen die Menschen zu bemühen«. Er verkennt nicht, daß ihr Unrecht und Kränkungen von andern Menschen zugefügt worden sind. Aber sie sich aus der Erinnerung zu schlagen, sei zur Wiedergewinnung der Gesundheit nötig. Zum andern — und hier zählt er sich selbst zu den Betroffenen — »sehe ich, daß Du von der Wirkung, welche Dein Benehmen in der Krankheit auf Andere gemacht hat, nur, wie natürlich ist, eine unvollkommene Vorstellung hast«. Das spielt auch auf das Unerquickliche in ihrer Beziehung zu Hegels Frau an, von dem wohl oder übel Hegel berührt sein mußte. Und Christiane hatte eine Trumpfkarte in der Hand: das Los des kleinen Ludwig Fischer, das sie nach ihren Besuchen in Hegels Haus mit eigenen Augen würde bezeugen können. In den für sie schweren Monaten des Jahres 1821 hat Hegel ihr brüderlich beigestanden. Er erneuert seine Ermahnung: »Deine Seele auf den Gedanken an Gott zu richten und von der höhern Liebe, Stärke und Trost in Dein Gemüt zu erlangen.« Dazu kam die Empfehlung, sich zur Stärkung der Gesundheit »mit Unterricht zu beschäftigen« nach dem Vorbild, das er selber gibt: »so habe ich auch mein Brot davon und ehre mich bei mir selbst damit«. Ein Rat, den die Schwester übrigens befol gen wird! Nach ihrer Niederlassung in Stuttgart eröffnet
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sie eine Handarbeitsschule und erteilt Französischunter richt. Für die Zeit nach dem Ausbruch einer schweren psychi schen Erkrankung, die zu ihrer Einlieferung in die Ner venkliniken in Neustadt und Zweifalten führte, glaubt Hans Christian Lukas von »einer zunehmenden Distan zierung Hegels von seiner Schwester« sprechen zu kön nen und nennt als einen der Gründe die »nicht nur Hegel eigene, sondern auch zeittypische und bis heute feststell bare Scheu, ja geradezu Angst vor dem Umgang mit psychisch Erkrankten«, was auch Hegels Verhalten im Falle Hölderlin erklärlich machen würde. Mit der Ab schiebung des vom Wahn Befallenen in die öffentliche Anstalt und dann in die private Pflege endet nach einer über Jahrhunderte hinweg lizenzierten Regel die Pflicht zum persönlichen Verkehr mit dem Kranken, der sozusa gen dem Erbarmen Gottes anempfohlen wird. Der von Lukas erstmals veröffentlichte undatierte Entwurf eines Briefes von Hegels Vetter, dem Stadtpfarrer und Dekan Ludwig Friedrich Göritz in Aalen, an Christiane, läßt uns einen tiefen Blick in ihr Innerstes werfen: » . . . wie Du entzweit mit Dir selbst Tage lang laut jammernd und schreiend auf unserm Sofa lagst, wie ein tiefer Hasse gegen Deine Schwägerin —eine hohe Unzufriedenheit mit Deinem Bruder ... Unmut über die Gräfin von Berlichin gen der fortdauernde Gegenstand Deiner Gespräche war.« Im Mai 1820 hat Hegel die Ausübung der Kuratel für seine Schwester brieflich veranlaßt und Göritz damit beauftragt, dessen Pflegschaft allerdings schon drei Jahre später durch seinen Tod endet. Nicht aber das unglück liche Leben Christianes. Hegels Frau, zweiundzwanzig Jahre jünger als er, isl eine schöne und elegante Erscheinung gewesen. Der ge sellschaftliche Verkehr erstreckte sich fast ausschließlich auf das bürgerliche Berlin, auf jene aufstrebenden Kreise der Kunst, der Wissenschaften, des Zeitschriftenwesens, des neuen Fabrikantentums und der Bankiersalons, es ist auch das Berlin der Beer, Saphir, Mendelssohn, das sich vom »preußischen Staatsphilosophen« in seiner »Emanzi
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pation« gefördert sieht. Hegel hat in seinem privaten gesellschaftlichen Verkehr nie die Nähe der preußischen Aristokratie gesucht. Das war eher eine Sache Schleierma chers und Savignys. Savignys Ausnahmestellung an der Berliner Universität war im übrigen gerade darauf be gründet, daß er als erster seit ihrer Gründung die Reser viertheit des Adels gegen den Berufsstand des Professors als bürgerliches Monopol überwand. Und dies im Gegen satz zu Humboldt. Wilhelm von Humboldt, Diplomat, Verwaltungsmann, Organisator mit der Künstlernatur und der Nähe zu Goethe, ist als Sprachwissenschaftler Privatier und hat in keinem Augenblick seines Lebens je daran gedacht, an der Universität, die er geschaffen hatte, selbst in den Kreis der dort Lehrenden einzutreten. Dieser schwer in bürgerliche Bahnen zu lenkende und ebenso schwer administrierbare Hofstil ist im Berliner Hohen Beamtenkader der Ära Altenstein nicht zuletzt dank der friderizianisch-voltairia nischen Erinnerungen noch ungebrochen, für die ja Humboldt selbst als eine nach eigenen Worten durch und durch irreligiöse Natur zeugte, die auf die »heidnische Antike« vertraute. Hegel war von Altenstein auch deswe gen nach Berlin geholt worden, weil dem Minister der Hochmut dieser der preußischen Oberklasse nahestehen den Universitätsprofessoren über den Kopf zu wachsen drohte und er sich, wie Hegels Schüler Heinrich Leo an den Publizisten Wolfgang Menzel in einem Brief vom 31. Dezember 1854 schreibt, »von der wahrhaftig sehr cliquenhaften Tyrannei der damaligen gelehrten Aristo kratie frei zu machen« versuchte. Hegel muß sich, so meint es Leo nach der Beobachtung aus der Nähe, jeden falls lange Zeit nicht über die eigentlichen Zwecke, denen er Altensteins Berufung verdankte, klargewesen sein, und so schreibt es der Schüler seinem »naiven Bewußtsein« zu, an wissenschaftliche philosophische Gründe dafür ge glaubt zu haben. Nein, wegen der Wissenschaft der Logik und der Schrift über die württembergischen Landstände allein hatte Altenstein ihn nicht nach Berlin geholt. Die Manier, mit der man sich über ihn lächerlich zu machen
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und hämisch zu kritisieren begann, konnte Hegel denn auch darüber belehren, daß er hier in ein Wespennest gestoßen hatte und ihm gar keine andere Wahl blieb, als sich strikt an die monarchische Zentralgewalt zu halten. Hegel war deswegen nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. Aber es gab genug Mühlsteine, zwischen die er geriet. Hohn der Aristokratenpartei über den ungelenken Tübinger Schwaben aus dem »Stift« auf der einen Seite und nach Leos Worten »Gans und Konsorten« auf der andern: Hegels natürliche Anlage zu depressiven Stim mungen, seine in Berlin immer wieder auftretende Gries grämigkeit hatten sehr wohl auch äußere und keineswegs aus der Luft gegriffene Ursachen. Nur seine Persönlich keit hat die gewaltige Kluft, die zwischen den an ihn herangetragenen Interessen wie auch den eigenen Wider sprüchen lag, in die auch der Widerspruch zwischen Wis senschaft und Staat hineinwirkte, verdeckt. Sie hat ein beständiges System von Aushilfen bis zum Lebensende zusammengehalten. Danach — und seine Schulen und das Schicksal seiner Anhänger zeigen es — brach es zusammen.
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Dreißigstes Kapitel
Rechtsphilosophie Hegel wußte nur zu gut, was er dem Amt, das er nach eigenen Worten in seiner Antrittsvorlesung der Gnade des Königs verdankte, schuldig war: Stützung der Monar chie als Abwehr der konstitutionellen Bestrebungen, Stüt zung der Religion in der in Preußen gültigen, von der Dynastie anerkannten und im Volk verbreiteten Form des Christentums. Die Peinlichkeit, mit der er den an ihn gestellten Anforderungen nachzukommen sucht, und die Ausdrücklichkeit, mit der das geschieht, lassen sich gar nicht übersehen. Mit seiner »Logik«, die er zur ersten, alle andern Disziplinen von sich ableitenden »Wissenschaft« erhoben hatte, war er für den Minister Altenstein der rechte Mann für die Aufgabe, die vom Staat gewünschten Anschauungen mit der Aura unanfechtbarer Wahrheit auszustatten. Hegel war damit in der Übergangsphase der Reformzeit, der die Universität Berlin selbst ihre Existenz verdankte, zur Restauration hin Anwalt einer auf Verzö gerung eingestellten Staatsgesinnung geworden. So konnte es jedenfalls scheinen. Aber dieser Schein hat auch eine sehr trügerische Seite. Es darf nicht unterschla gen werden, daß die Wendung, der Hegel hier ausgelie fert ist, von einem Bruch in der deutschen Geschichte ausgeht, der viel tiefer reicht und eine Mehrschichtigkeit erkennen läßt, die theoretisch nicht ohne weiteres bewäl tigt werden kann. Die in Berlin von der HohenzollernDynastie und der Mehrheit der Untertanen gewünschte Religion des Christentums ist die des historischen Prote stantismus. Dessen Doktrin geht in das Staatsdogma von der Einheit von Thron und Altar ein mit dem Erfordernis, bei aller Toleranz dem Anspruch jeder anderen davon abweichenden Glaubensform entgegenzutreten, d.h., sie zu relativieren. Auch damit konnte der württembergische Lutheraner Hegel seinem König und seinem Minister, ohne sich den geringsten Überzeugungszwanganzutun, zu Diensten ste
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hen. Die theologischen Frühschriften und die Auseinan dersetzung mit Schleiermacher zeigen sein ständiges Ringen um eine neue zwischen Staat und Kirche ausglei chende Orthodoxie, aufgebaut auf der Lehre von den »zwei Reichen«, die aber einer vom Elend in der Welt aufgenötigten Kontrollfunktion des Staats über die Kir che das Wort redet. Dem Staat ist nicht ohne weiteres zuzumuten, den Amtsträgern der Kirche, denen man che Unarten wie etwa das »Schleichen«, aber auch Schlimmeres bis zum »Priesterbetrug«, zugetraut wer den können, in allen Dingen freien Lauf zu lassen. Es war ein stattlicher Mantel an Staatsloyalität, den sich Hegel angelegt hatte und der es ihm gestattete, sich mit der Berliner Hofthcologic Schleiermachers ausein anderzusetzen. Aber es ist gerade dieser Mantel, unter dessen Schutz er in seiner Rechtsphilosophie die Säulen des in Preußen geltenden, ihm von der Obrigkeit anver trauten Staats- und Religionsverständnisses zerbricht, ohne daß die Staatsautorität dies in den Ausmaßen und möglichen Folgen damals zu erkennen imstande gewe sen wäre. Hegels Rechtsphilosophie ist in ihren Grund lagen »Naturrecht«. Das allein hätte die Berliner Instan zen bereits zum Achtgeben veranlassen müssen. Denn das orthodoxe Luthertum als die in Preußen herr schende Konfession hat nie ein ernst zu nehmendes phi losophisches Naturrecht entwickelt und hätte dies am allerwenigsten da tun können, wo es sich auf Luther selbst berief. Aus der Natur abgeleitete, gleichsam un verbrüchliche »ewige« Rechte, zu denen später die Men schenrechte gehören, waren für Luther und seine eng ste Gefolgschaft unverständliche Vokabeln. Das hätte noch gefehlt, daß der Mensch, der seiner »Natur« nach wie ein »besoffener Bauer«, wenn man ihn von einer Seite aufs Pferd setzt, nach der andern wieder herunter fällt, sich auch noch anmaßt, »Rechte« haben zu wollen, statt sich auf die Verheißung Gottes zu verlassen: »Du sollst dir an meiner Gnade genügen lassen.« Was Luther von »Naturrechten« hielt, hatte er in seiner Aufforde rung, die aufständischen Bauern wie räudige Hunde
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totzuschlagen, den Juden als Ungläubigen die Synagogen in Brand zu stecken, ihr Eigentum zu konfiszieren und sie selbst aus dem Land zu vertreiben, auf überzeugende Weise bewiesen. Hegels Abweichen von der lutherischen Lehre von den »zwei Reichen«, die auch den pervertierten, vom Bösen heimgesuchten weltlichen Staat getrost dem Erbarmen Gottes überließ, hätte zu denken geben müssen. Denn mit dem »Naturrecht« war eine zweite, höchst bedrohliche Instanz gegenüber der des persönlichen Gottes ange führt, von der, wenn man ihr das Feld überließ, für die bestehende Ordnung überraschend Ungewisses und möglicherweise Arges zu erwarten war. Die frühchrist liche und mittelalterliche Theologie, Augustinus wie Tho mas von Aquin, war nicht ohne die Lehre vom Naturrecht als weiterer Quelle neben der übernatürlichen Offenba rung ausgekommen. Und auch der Protestantismus hatte auf dem Boden des Reformiertentums, vornehmlich von Calvin ausgehend, bei den niederländischen Juristen mit Hugo de Groot als dem bedeutendsten die Vorstellung eines von der jüdisch-christlichen Gottesidee unabhängi gen Rechtskodex mitcntwickeln helfen. Für an die Lu thersche Sprache gewöhnte Ohren blieb solches Reden von Natur- und Menschenrechten aber immer ärgerliches Reden. Gegen die unzweifelhaft, im wahrsten Sinne rechtgläu big-lutherische Lehre konnte sich die humanistische Rich tung Melanchthons und seiner Anhänger mit ihrem gelin den Anmahnen der dem Menschen per se einwohnenden Rechtsnatur nie durchsetzen. Sie stand in den Augen der Orthodoxen für eitles Menschenwerk und die ganze Auf geblasenheit von Toren, die sich etwas auf ihre Vernunft zugute halten. Indem das Luthertum als die in den meisten deutschen Fürstentümern dominierende Staatsreligion das Natur recht weitgehend preisgibt, überläßt es das Feld anderen: dem Humanismus, der Aufklärung und der sich daraus gründenden, freilich dabei die alten theologischen Ge wichte noch mühsam mitschleppenden Philosophie. Von
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dieser Herkunft her bewegen sich Leibniz, Kant, Fichte, Schelling und Hegel in auffälliger Nachbarschaft. Der Hegel der auf dem Naturrecht aufgebauten philo sophischen Rechtslehrc hält sich bedeckt, er geht ans Werk erst nach sorgsamen Vorkehrungsmaßnahmen, die seine Staatsergebenheit unter Beweis stellen. Denn zum Wesen der »Vernunft« gehört die »List« ihres rechten Gebrauchs. Jedem Verdacht, auf dem Wege über das »abstrakte Recht« mit möglichen Freunden der Staatsver änderung, die daraus ihre Beglaubigung beziehen, zu sammengebracht zu werden, muß vorgebaut werden. Der spekulative Philosoph aus Berlin weiß, woher der Wind weht, er weiß, was mit dem »Naturrecht« angestellt wer den kann. Da ist in der Einleitung namentlich des »Herrn Fries« gedacht, diesem »Heerführer« der »Seichtigkeit«, der sich »nicht entblößt« hat, »bei einer feierlichen, be rüchtigt gewordenen öffentlichen Gelegenheit in einer Rede, über den Gegenstand von Staat und Staatsverfas sung die Vorstellung zu geben: >in dem Volke, in welchem echter Gemeingeist herrschte, würde jedem Geschäft der öffentlichen Angelegenheit das Leben von unten aus dem Volke kommen<.« Das klang wie aus dem Munde eines Mannes der preußischen Obrigkeit, als der er sich von Amts wegen nicht zu Unrecht fühlen durfte. Mit dem Wartburgfest und den Reden, die dort gehal ten worden waren, um die Vorstellung vom Staat, diesem »gebildeten Bau, in den Brei des >Herzens, der Freund schaft und Begeistcrung< zusammenfließen zu lassen«, hatte Hegel gewiß nichts zu tun. In der vaterländischen Bewegung von 1820 sieht er einen Enthusiasmus von vernunftbetäubender Mißlichkeit. Der Anspruch auf Freiheit der Person, den Hegel auf das »Christentum« des 4. Jahrhunderts zurückführt, hat sich davor zu hüten, als Freiheit vom Staat oder gar gegen den Staat gelten zu wollen. Die Freiheit des Eigentums ist dagegen erst »neu lich« als »Prinzip« anerkannt worden, sie ist eine Errun genschaft der bürgerlichen Revolution und kennt als ei nen unerläßlichen Charakterzug die Veräußerlichkeit. Unveräußerlich dagegen ist die eigene Person und das,
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was das Bewußtsein ausmacht. Veräußern lassen sich wohl körperliche und geistige Geschicklichkeiten oder einzelne Produktionen, die damit hervorgebracht und anderen zum Gebrauch dienen können. Veräußert werden kann etwa durch Arbeit konkret gewordene Zeit, womit das Substantielle daran zum Eigentum eines anderen gemacht wird. Das Eigentum kennt sehr wohl ein körperliches Eingreifen, durch das es wird und sich vergrößert. Es kennt auch Mittel, wodurch dies geschieht: »mechanische Kräfte, Waffen, Instrumente erweitern den Bereich mei ner Gewalt«. Hegels Rechtsphilosophie zerfällt in drei Teile: »Ab straktes Recht«, »Moralität«, »Sittlichkeit«. Die unter schiedliche Bedeutung von »Moralität« und »Sittlichkeit«, die heute abgeschliffen ist, meint hier die moralischeSeite als subjektive Selbstbestimmung gegen die sittliche Seite als die Vernunft in einer ewigen Gerechtigkeit, sozusagen die kodifizierte Sittlichkeit selbst. In seiner philosophi schen Rechtslehre hat Hegel zum erstenmal »Methode« und »System« bei einer wissenschaftlichen Einzeldisziplin zur Anwendung gebracht, deren »Inhalt« durch die »Dia lektik« als »das bewegende Prinzip des Begriffs« zur Dar stellung gelangt: wobei die »Dialektik« nicht irgendein »äußeres Tun« ist, sondern »die eigene Seele des Inhalts«. Dialektik und materialer Gegenstand fallen zusammen. Die bürgerlichen Institutionen wie Familie und Ehe mit ihrer Vorgeschichte und der Liebe als vorausliegendem Phänomen beruhen auf einem ungeheuren Widerspruch. Die Ehe ist für Hegel nicht mehr bloß ein bürgerlicher Kontrakt wie bei Kant, aber sie ist auch nicht nur Liebe, weil sie sonst an Zufälligkeiten und Launen gebunden wäre und mit ihnen enden müßte, sondern ein rechtlich begründeter Zustand. Sie kann darum auch nicht für überflüssig erklärt werden, wie es Friedrich Schlegel in seiner Lucinde tat, wo die echte Liebe mit der Übereinstim mung der Herzen eines solchen rechtlichen Bandes nicht bedurfte. Aus Hegels Urteil sprach der Antiromantiker. Schlüssel für die Einsicht in das Wesen der Liebe ist die Erfahrung, »daß ich mich in einer andern Person ge
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winne, daß ich in ihr gelte, was sie wiederum in mir erreicht«. Liebe kann freilich die Ehe nicht ersetzen, in der diese Wechselbeziehung auf den Zweck hinarbeitet, durch die Familie an der Fortsetzung der Menschheit mitzuwirken. Ausführlicher über die Ehe hat sich Hegel in seiner Vorlesung über »Rechtsphilosophie« ausgelas sen. In der Nachschrift des Kollegs 1817/18 in Heidelberg hält der Student Peter Wannemann fest, was er hier gehört hatte: »Die Ehe ist die förmliche, zur öffentlichen Anerkennung gebrachte und damit zum Rechtsverhältnis gegen andere werdende Verbindung zweier Personen verschiedenen Geschlechts, eine Person in Liebe und Zu trauen auszumachen.« Eheliche und aufgeklärte Moral sind in eine schöne Übereinstimmung gebracht. »Die Ge schlechter haben natürliche Verschiedenheit; aber diese Verschiedenheit ist in ihnen rekonstruiert durch ihre Vernünftigkeit.« Das konnte als staatsoffiziell gelten, ge nauso wie jene Unterscheidung von »Mann« und »Weib« in Schillers Gedicht über die Glocke mit seiner idealisti schen Gestimmtheit, die sich bei Hegel wie eine Übertra gung in philosophische Prosa ausnimmt: »Der Mann ist für allgemeine Interessen mit Hinwegsehung von der Subjektivität gemacht; ihm gehört das Leben und Wirken im Staat, das Reich der Wissenschaft und der Kunst ... Es gab Weiber, die sich auf die Wissenschaften legten; aber sie drangen nie tief ein und machten keine Erfindungen.« Unangefochten in einem Soldatenstaat wie Preußen, dem sich Hegel damit schon in Heidelberg als ernst zu neh mender Kandidat für die Nachfolge Fichtes zu erkennen gibt, war auch die von Piaton übernommene Überzeu gung Hegels, die wiederum besagter Peter Wannemann in schriftlicher Form aus dem Kolleg mit nach Hause nimmt: »Wenn in einem Staat Weiber gelten, so ist dies ein Zeichen, daß der Staat seinem Untergang nahe ist.« Mit der Ehe stößt Hegel auf die große neuere Erschei nung der »bürgerlichen Gesellschaft«. Allein auf sie den Sinn zu richten, muß aber im Preußen der Heiligen Al lianz Befremden wecken. Denn die bürgerliche Gesell schaft ist nicht der Staat, sondern eine für den Staat
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unkalkulierbare Größe, vor der er auf der Hut sein muß, ein Mitbewerber um die Gunst des Bürgers und von anderen Absichten und Interessen geleitet. Die bürgerli che Gesellschaft kennt als das eine Prinzip die »konkrete Person«, die sich als das »Besondere« fühlt und als »Zweck« setzt, sie kennt als das andere Prinzip die Beziehung der einen »konkreten Person« zur andern. Das ist nun etwas, was der Staat als solcher nicht ohne weiteres hin nehmen kann. Jede »konkrete Person« in ihrem »Für sichsein« ist sich selber Zweck, alles andere erscheint ihr als »Nichts«. Da sie aber ohne Beziehung zu anderen ihre Zwecke nicht erfüllen kann, setzt sie diese anderen als Mittel zum Zweck für das Besondere ein. Der besondere Zweck, der zu erreichen ist, gibt sich dabei das Ansehen eines allgemeinen Zwecks, durch den der andere in sei nem Wohlbefinden mitbefriedigt wird. Selbstsüchtige Zwecke in ihrer Verwirklichung sind so stets durch die Allgemeinheit mitbedingt und begründen ein System all seitiger Abhängigkeit. Ein System, auf »Not« und »Ver stand« gegründet! Die Zwecke, die die »konkrete Person« im Auge hat, stellen eine Vermischung von »Naturnotwendigkeit« und »Willkür« dar. Ohne sie wären die zum Erreichen der Zwecke erforderlichen Dinge nicht in Bewegung zu set zen. Solange die Gleichgewichtslage nicht gestört ist, wird der intakte Mechanismus des Systems für die Befriedi gung allgemeiner Bedürfnisse wirken. Anders: Wo zufäl lige Willkür und subjektives Belieben überhandnehmen, wo das »Fürsichsein« des »Besonderen« sich in den Ge nüssen der Befriedigung nach allen Seiten ausläßt, da ist die Richtung auf den »Untergang« eingeschlagen, für die als Beispiel das Schicksal der »alten Staaten« mit ihrer hereinbrechenden und sie zerstörenden Sittenverderbnis steht. Hegels Hinwendung zur »bürgerlichen Gesellschaft« zeigt an, wie sehr sich selbst in einem Staat wie Preußen, der von keiner Revolution betroffen war, die gesellschaft lichen Verhältnisse inzwischen verschoben hatten. Beim friderizianischen Preußen an die bürgerliche Gesellschaft
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zu denken, wäre schlecht angegangen. Ihr Aufstieg als theoretisch zu bedenkende Einrichtung hatte sich erst durch die mit der Französischen Revolution aufkom mende und auf das Eigentum setzende Bourgeoisie in Frankreich sowie die englische Ökonomie eines Adam Smith und David Ricardo im Zusammenhang mit dem Aufhau der Industrie und der großen überseeischen Un ternehmungen ergeben. Die bürgerliche Gesellschaft ist auf dem Eigentum aufgebaut und hat mehr als alles andere den Schutz des Eigentums im Sinne. Eigentum wiederum beruht auf Vertrag und den ihn rechtskräftig machenden Förmlichkeiten. Die zu seinem Schutz einge richtete bürgerliche Gesellschaft stellt sich dabei als eine ungeheure Macht dar, die den Menschen an sich reißt und ihm den Eindruck abzwingt, daß er alles nur durch ihre Vermittlung tue. Sie verlangt von ihm, für sie zu arbeiten, aber sie gibt ihm auch Rechte, die er gegen sie geltend machen kann. Sie gibt ihm, zum Beispiel durch den Reich tum, den er in ihr erwerben kann, ebenso Mittel in die Hand, sich notfalls gegen sie zu wehren. Dabei stellt sie ihm seinen Reichtum oder Teile davon wiederum in Rech nung, um das System als System gegenseitiger Abhängig keiten aufrechtzuerhalten und der Armut, in der sich andere befinden, entgegenzuwirken. Der Bedrohung durch Armut ist von Natur aus jedes Individuum ausge setzt. In sie kann es durch Geburt, Verschwendung, Zu fälle verschiedener Art hineingeraten. Sinkt eine große Masse unter das Maß einer »gewissen Subsistenzweise«, die das zum Leben Notwendige nicht mehr garantiert, so geht dies mit der Erzeugung von aus ihr Ausgestoßenen zusammen. Hegel hat hier besonders die von der eng lischen Industrie geschaffenen Verhältnisse vor Augen und leitet daraus eine eigentümliche Gesetzmäßigkeit ab: daß Erzeugung des »Pöbels« und die Leichtigkeit, unver hältnismäßig große Reichtümer in wenigen Händen zu konzentrieren, zusammengehören. Das jeweils eine ist die jeweilige Voraussetzung des jeweils anderen. Armut an sich macht dabei noch nicht den »Pöbel« aus, wohl aber eine sich mit der Armut verknüpfende Gesin
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nung gegen die Besitzenden, gegen die Gesellschaft, ge gen die Regierung, gegen den Staat. Hier droht die Ge fahr, daß die »bürgerliche Gesellschaft« das Elend peren nieren läßt: weil bei vorhandenem Übermaß an Reichtum nicht nur die Armen arm sind, sondern auch die bürgerli che Gesellschaft nicht reich genug ist, um dem Übermaß der Armut zu steuern und der Erzeugung des »Pöbels« Herr zu werden. An dem Lehrsatz, daß Reichtum wie Armut ihre Ursa chen in zufälligen physischen und äußeren Verhältnissen haben können, ist in den Augen Hegels nicht zu rütteln. Ihre Ausdehnung, und zwar als »Not« nach beiden Rich tungen, kann ins Grenzenlose fuhren. So können die Bedürfnisse an Essen, Trinken, Wohnung, Kleidung über jedes voraussehbare Maß hinausgetrieben werden, ihre Befriedigung kann schnell auf Erzeugung neuer dringen. Um zu dem Zustand zu gelangen, den die Engländer »comfortable« nennen, sind täglich zu erneuernde Maß nahmen vonnöten. So kommt der »Luxus« als »unendli che Vermehrung der Abhängigkeit und Not« in Hinsicht darauf der »Armut« sehr nahe. Der Luxus kann sich dabei noch überschlagen, er kann sogar in die Philosophie ein dringen wie weiland bei Diogenes, der sich bei seinem Rückzug aus dem athenischen gesellschaftlichen Leben mit seinem Zynismus selbst als Produkt dieses »Luxus« zu erkennen gibt. In der Frage nach den Staatsformen und zumal der besten unter ihnen gerät Hegel in größte Verlegenheit. Sein politisches Urteil hatte ihn schwankend von der flüchtigen Bejahung des Revolutionsprinzips zur Verwer fung der »Robespierroten« geführt, hatte dann ein Sym pathisieren mit der »Verfassung« gezeigt, das er aber in der Heidelberger Zeit wieder preisgibt und durch die Hochschätzung des royalistisch-monarchischen Prinzips ersetzt. Dazwischen lag die napoleonische Periode, die ihn auf der Seite des französischen Kaisertums gesehen hatte. Die Ausbildung des Staates zur konstitutionellen Monar chie nennt Hegel ein »Werk der neueren Welt«, von der zu sagen ist, daß in ihr »die substantielle Idee die unendli
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ehe Form gewonnen hat«. Das war wohl als Empfehlung gedacht, aber nicht für den preußischen Staat, dessen Monarch sich ja gegen deren Einführung mit allen Herr schaftsmitteln wehrt und dabei Hegels Zustimmung hat. Der Philosoph hält denn auch erhebliche Einwände gegen die konstitutionelle Monarchie bereit, da bei der hier in Frage kommenden Dreiteilung der Gewalten in Monar chie, Aristokratie und Demokratie die »Grundlage«, wie er es nennt, »zur Tiefe und konkreten Vernünftigkeit noch nicht gekommen« ist. In der konstitutionellen Mon archie sind die »Formen« zu »Momenten« herabgesetzt. »Aristokratie« und »Demokratie« sind nicht imstande, der »Monarchie« ein gleiches Gewicht entgegenzusetzen. Die konstitutionelle Monarchie erweckt den Eindruck, als ob an der Spitze des Staates zugleich einer oder mehrere oder alle stehen. Als besonders schädlich empfindet Hegel das viele Reden über die »Verfassung«, das außerdem oft so töricht ist, daß man sich schämen muß, daran teilzuneh men. »Demokratie« ist an die Tugend ihrer Führer ge bunden: Was aber geschieht, wenn sie, was Montesquieu am England des 17. Jahrhunderts auszusetzen hatte, in ihr fehlt? »Aristokratie« zeigt durch das ihr einwohnende Prinzip der »Mäßigung«, daß sich in ihr »öffentliche Macht« und »Privatinteresse« voneinander trennen, sie ist eine Verfassung, von der zu gewärtigen ist, daß sie Tyran nei oder Anarchie wird, um sich — wofür ihm die römische Geschichte steht - damit selbst zu zerstören. Das alles kann Hegel zur Rechtfertigung der monarchi schen Gewalt anführen, die keiner Korrekturen durch eine Konstitution bedarf. Sie allein verwirklicht in sich die drei Momente der »Totalität«: Allgemeinheit der Verfas sung, Erfahrung über die Beziehung des Besonderen zum Allgemeinen und letzte Entscheidung als Selbstbestim mung. Hegels Entwurf eines Systems der »konstitutionel len Monarchie« für große Staaten wie Preußen schmälert nicht die Vorbehalte, die er grundsätzlich gegen sie hegt. Das gehört zum »System« — hier der philosophisch verstandenen Lehre von der Politik - und zeigt seine Zeitbedingtheit an. Hegels Schüler Gans hat später zu
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Recht im Vorwort zur ersten postumen Ausgabe der Rechtsphilosophie aus dem Jahre 1833 bemerkt, in ihr sei der im 17. und 18. Jahrhundert zwischen Staatsrecht und Politik bestehende Unterschied aufgehoben worden. Auf gehoben im Namen einer naturrechtlich operierenden Vernunft, die mit Sicherheit zu sagen weiß, daß Staatsge schäfte und Gewalt nicht unter das Privateigentum fallen! Gerade darin aber melden »Staat« und »bürgerliche Ge sellschaft« ihre konkurrierenden Zuständigkeiten an. Daß die Gewalten des Staates von keinem besondern (privaten) Willen abhängig sind und in der »Einheit des Staats« ihre letzte Wurzel haben, macht dessen Souveränität aus. Eine Souveränität, die nach innen wie nach außen gilt! Hegels Staat ist eine Gegebenheit ohne Rechtferti gungsbedürfnis, eine, die ihre Kausalität in sich selbst hat, ein »absoluter Staat«, der die Funktionen der in der Welt ausgeschalteten, jedenfalls nicht immer sichtbaren Reali tät Gottes übernimmt mit einer aus der Transzendenz hergeleiteten Autorität: »Es ist der Gang Gottes in der Welt, daß der Staat ist.« Ihren Siegeszug tritt die Hegel sche Staatsphilosophie in den restaurativen Autoritäts staaten an, in denen nach dem Sturz der »absoluten Mon archie« französischen Vorbilds durch die Revolution die alte Absolutheit der Königsgewalt auf die Absolutheit des »Staats« übergeht und die »Nation« zur »Idee« des Staats wird, den das »Volk« ausmacht. Der Staat ist kein Kunstwerk, er »steht« in der »Welt« und damit in der »Sphäre der Willkür«, dennoch werden seine Mängel oder sein etwaiges »übles Benehmen« ihn deswegen nicht um seine Existenz bringen. Der Hegelsche Staat beruht im Gegen satz zu den aufgeklärten englisch-französischen Vertragslehren auf deren Bestreitung. Staat als »Vertrag aller mit allen« bedeutet ein Mißverständnis, weil ein Vertrag die gleiche Vertragsfähigkeit der abschließenden Parteien verlangt, weil, wie bei der Ehe, »zwei identische Willen« vorhanden sein müssen. Der Staat kann ohne den einzel nen Menschen auskommen, aber »die vernünftige Be stimmung des Menschen ist, im Staat zu leben, und ist noch kein Staat da, so ist die Forderung der Vernunft
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vorhanden, daß er gegründet werde«. - »Ein Staat muß eben die Erlaubnis dazu geben, daß man in ihn trete oder ihn verlasse.« Wenn er auf Merkmale des Staatseins ver zichtet, ist bereits die Richtung auf den NichtStaat einge schlagen. Bei der Vorstellung des »Volks« ist Vorsicht walten zu lassen, weil damit gerechnet werden muß, daß irgendeine »Fraktion« sich für das »Volk« ausgibt, ein Teil also so tut, als ob er das Ganze wäre. Daß die bürgerliche Republik kein allmächtiges Heil mittel ist, um dem Gewaltenmißbrauch zu begegnen, hatte Hegel in der Schweiz erfahren. Das patriarchalische Ber ner Stadtregiment, wo die Ämter im Rat erheiratet werden können, hat ihm den Beweis dafür in aller An schaulichkeit geliefert. Vor jeder Beschwörung der »Volkssouveränität« muß gewarnt werden. »Volkssouver änität« gehört zu den »verworrenen Gedanken, denen die wüsteste Vorstellung des Volks zugrunde liegt«. Und er gibt ein Beispiel: Das Volk von Großbritannien sei sou verän, nicht aber die Völker von England, Schottland oder Irland, nachdem diese aufgehört haben, ihren eigenen Fürsten zu unterstehen. Die Frage nach der besten Staatsverfassung war eine aristotelische Frage, die sich immer neu stellt und im Verlaufe der Weltgeschichte immer neue Antworten be kommt. Hier kommen wir dem Entwurf von Hegels Philosophie des Rechts in ihren staatsrechtlichen Teilen so nahe, daß wir ihn in seinen Absichten berühren. Die Mühe, die Hegel auf die Darstellung der »konstitutionellen Monar chie« verwendet, besagt nicht, daß er sie für die beste Staatsform hielt. Er hielt sie noch nicht einmal für die beste Form der Monarchie. In Preußen war der aufge klärte Absolutismus Friedrichs des Großen in guter Erin nerung. Aber Hegel hielt die konstitutionelle Monarchie unter den herrschenden Zeitumständen für eine Form, die nur durch eine Notlage gerechtfertigt ist. Sie ist eine Monarchie für den Fall, daß es nicht anders geht. Und dies auch immer nur in Hinsicht auf die »bürgerliche Gesell schaft« als Kampfplatz aller gegen alle. An einer eigen tümlichen Relativität in der Frage nach der absolut besten
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Staatsform war damit nicht gerührt. Denn es ist für ihn selbst müßig zu fragen, ob Monarchie oder Demokratie die bessere Staatsverfassung sei, weil die Formen aller Staatsverfassungen einseitig sind, d. h. weil sie »das Prinzip der freien Subjektivität nicht in sich zu ertragen vermö gen«. Daß die neue Zeit ihren Weg in die Richtung der »freien Subjektivität« eingeschlagen hat, ist freilich dem Berliner Rechtsphilosophen nicht entgangen. Gerade das gehört aber zu Prozessen, die in die Zustän digkeit des »Weltgeistes« fallen: »nur das Recht des Welt geistes ist das uneingeschränkt Absolute«. Beim Vorrük ken des »Weltgeistes« wird sich jeder Widerstand als zu schwach erweisen. Es ist der »Weltgeist«, der Entschei dungen über Krieg und Frieden trifft. Er ist der Prätor, aber auch der Schlichter im Krieg. Kants Vorstellung vom »ewigen Frieden« setzt die Einstimmung der Staaten vor aus. Wird sie nicht erreicht, melden sich die Kriege, die zum Naturzustand gehören. Der Unterschied zwischen »Krieg« und »Frieden« ist nicht mit dem zwischen dem »Bösen« und dem »Guten« gleichzusetzen. Im »Krieg« wird mit dem Gedanken von der »Eitelkeit der zeitlichen Güter ... Ernst gemacht«. Daß »Krieg« die »sittliche Ge sundheit der Völker« besorgt und sie vor der »Fäulnis« bewahrt, in die sie durch einen ewigen Frieden versetzt würden, ließ sich im Kriegerstaat Preußen ohne die ge ringste Beanstandung sagen. Das Gegenteil zu behaupten, hätte Anstoß erregt. Daß Völker aus Kriegen gestärkt hervorgehen können, wie Hegel es vorstellt, war hier eine aus dem Sieg über Napoleon geschöpfte Erfahrung. He gel wendet sich ausdrücklich dagegen, immer Fürsten und Kabinette für den Ausbruch von Kriegen verantwort lich zu machen. Es gibt Beispiele, so findet er, wo Völker selbst auf Kriege drängen. Aber in keinem Krieg, wenn er denn einmal ausgebrochen ist, erlischt je das Gefühl, daß er immer nur etwas Vorübergehendes ist. Hegels Rechtsphilosophie entwickelt hier eine Weltbe trachtung großen universalistischen Stils. Sie enthielt das Resümee einer Rückschau auf die Weltgeschichte als Weltgericht. Ein bedenkendes Erkennen kann sich erst
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einstellen, wenn die »Gestalt des Lebens alt geworden« ist. Der Erkennende selbst ist dabei nicht der Täter, vielmehr durch den unendlichen Abstand, den die Reflexion schafft, von ihm getrennt. Hier fließt unmittelbare per sönliche Erfahrung des so spät zu Amt und Aufstieg gelangten Philosophen mit ein: »Die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Plug.« Es ist ein weiter Weg, den Hegel hier gegangen war und der ihn vom alten Orient über Griechenland und Rom zur germanischen Welt als seinem Abschluß und damit zur Welt der Erfüllung für den »Staat« als Staat der ausglei chenden Gerechtigkeit, der Vorsorge und der Vernunft führte: zu einem Staat, der sich über die »bürgerliche Gesellschaft« erhob, die Schrecken, die von den Urzustän den der Natur immer wieder aufs neue ausgehen, be schwor und sie sich gefügig zu machen verstand. Damit war die naturrechtliche Konzeption seiner Rechtsphiloso phie auch wieder umgebogen: sie galt und sie galt nicht. Die gebietende Vernunft verwirklicht sich im Staat und der Staat in der gebietenden Vernunft. Hier- werden sogleich die Gegner Hegels auf den Plan treten. Damit war nämlich auch das Berliner Polizeispit zclsystem als Arm des Staats für »vernünftig« erklärt worden. Daran werden sich die Geister scheiden. Aber Hegel hatte gegen die Verfassungsfreunde richtig gese hen, daß ein Staat nicht an eine Konstitution als »Verfas sung« gebunden ist. Das Wort hat eine von der Staatsform bis zur Gewaltenteilung reichende schillernde Bedeu tung. Wie es mit der »Verfassung eines bestimmten Vol kes« bestellt ist, hängt »von der Weise und Bildung des Selbstbewußtseins desselben ab« mit dem daraus bezoge nen unanfechtbaren Lehrsatz: »Jedes Volk hat deswegen die Verfassung, die ihm angemessen ist und für dasselbe gehört.« Das enthielt als Apologie der Vernunft eine Apologie des Staats. Welcher Staat damit gemeint war, ist nicht gesagt. War es die Türkei, Rußland oder Österreich, denen damit ihr Vernunftcharakter bestätigt wäre? So
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fragt aus Göttingen der Hegelianer Nikolaus von Thad den brieflich beim Philosophen an. Der Satz: »Was ver nünftig ist, das ist wirklich, und was wirklich ist, das ist vernünftig«, war, wenn überhaupt, an der Hegelschen Staatslehre nicht ohne weiteres verständlich zu machen. Hegel hat die Kraft dieser Einwände auch gespürt und sie selbst jahrelang mit sich herumgeschleppt, bis zur neu geschriebenen Einleitung in die Enzyklopädie der philosophi schen Wissenschaften aus dem Jahre 1827, wo er, sich selber neu interpretierend, nur Gott als »wahrhaft wirklich« erklärt. Daß Hegel hier in Wahrheit der preußische Staat vorge schwebt haben mußte, daß er zumindest den Vorstellun gen eines solchen absoluten Vernunftstaats mit dem Mon archen an der Spitze am nächsten kommen würde, war jedenfalls unschwer zu erkennen. Aber eben damit hatte Hegel auch gewaltige Breschen in den lutherischen Ob rigkeitsstaat geschlagen. Das Unbehagen, das später in Preußen und in den europäisch-lcgitimistischcn Kreisen ausbrach, wenn der Name Hegel fiel, die Verdächtigung, die bis zum Vorwurf des »Hochverrats« und dem Verbot der Hegelschen Philosophie führen sollte, beruhte auf der durchaus zutreffenden Einsicht, daß dem Gottesgnaden tum des Monarchen eine westlich-naturrechtliche Gewal tenteilung unterschoben worden ist, die formal durch göttlichen Einsetzungsakt bestritten werden kann, aber in der Wirklichkeit immer gegenwärtig bleibt. Wieder gilt: das eine ist getan, das Gegenteil wird nicht unterlassen. In einem Staat, in dem der preußische von 1820 wiederer kannt werden kann, hätte dann die Weltgeschichte in ihrem bisherigen Verlauf den Gipfel erreicht.
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Einunddreißigstes Kapitel
Der unerkannte Gegenspieler Am 31. Dezember 1819 richtete Arthur Schopenhauer sein Habilitationsgesuch an die Berliner philosophische Fakultät. Er möchte zugleich, darauf legt er Wert, noch vor Abwicklung des Verfahrens in das Vorlesungsver zeichnis aufgenommen werden und kündigt ein sechs stündiges Kolleg über »die gesamte Philosophie« an. »Die Stunde«, so läßt er den Dekan wissen, »bitte ich nach Ihrem besten Dafürhalten auszuwählen ...; am passend sten ist wohl die, wo Herr Prof. Hegel sein Hauptkolle gium liest.« Der Dekan, der klassische Philologe Boeckh, sorgt für den Umlauf des Gesuchs und bemerkt dazu: »Ungeachtet der nicht geringen Anmaßung und außeror dentlichen Eitelkeit des Herrn S., welche aus allem Beilie genden hervorgeht, halte ich doch dafür, daß in Rücksicht auf die Qualifikation desselben nichts gegen seine Habili tation eingewandt werden kann.« Das war nicht engherzig gedacht und fand auch die Billigung Hegels, der allerdings die Zustimmung der Fa kultät und eine »erforderliche Erklärung des Hn. Regie rungsbevollmächtigten« abwarten möchte. Es regte sich zwar Widerstand gegen die vom Antragsteller gewünschte Vergünstigung. Aber auf den Gedanken, dem eigensinni gen Antragsteller die Habilitation zu erschweren, ist im Berlin von 1820 keiner ernsthaft gekommen. Für die fachliche Behandlung der Angelegenheit war Hegel zuständig. An ihn hat sich der aus Dresden angerei ste Habilitandus wegen des für die Probevorlesung vorge sehenen Themas zu wenden. Als Gegenstand bringt Scho penhauer »die vier verschiedenen Arten von Ursachen, aus welchen alle im Raum und Zeit erscheinende Wesen sich mit Notwendigkeit bewegen«, in Vorschlag und kann Boeckh unter dem 18. März 1820 mitteilen: »Herr Profes sor Hegel hatte die Güte, mir mit der größten Bereitwillig keit seine Genehmigung dieses Themas meiner Vorle sung zu erteilen.«
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Es war übrigens der preußische Regierungskommissar Schulze, Hegels Freund, gewesen, der alle aus der Fach welt kommenden Einwände gegen den Charakter des künftigen Privatdozenten durch die Genehmigung des gewünschten Verfahrens abgetan hatte. Als sie vorlag, hat Hegel mit großer Freude am zu verhandelnden philoso phischen Sujet und mit der Dienstbeflissenheit des preu ßischen Untertans sich der anstehenden Aufgabe, Scho penhauer zu habilitieren, zugewandt. Am 23. März findet unter Boeckhs Vorsitz die Disputa tion statt. Der Bericht über die Sitzung von der Hand Karl Bährs ist freilich nicht authentisch, denn der Verfasser hatte ihr gar nicht beigewohnt, sondern gibt darin die Schopenhauersche Version wieder, wie der sie ihm mitge teilt hatte. »Hegel stellte«, so heißt es darin, »wahrschein lich um Schopenhauer in Verlegenheit zu setzen, die Frage: wenn ein Pferd sich auf der Straße hinlege, was das Motiv sei. Schopenhauer antwortete: der Boden, den es unter sich finde, verbunden mit seiner Müdigkeit, einer Gemütsbeschaffenheit des Pferdes. Stünde das Pferd an einem Abgrunde, so würde es sich nicht hinlegen. Hegel warf ein: >Sie rechnen die animalischen Funktionen gleichfalls zu den Motiven? also der Schlag des Herzens, der Blutumlauf usw. erfolgen auf Anlaß von Motiven?<« An dem nach dem Sprachgebrauch unterschiedlichen Verständnis der »animalischen Funktionen«, die Scho penhauer nach Albrecht von Hallers Physiologie als »be wußte Bewegungen des tierischen Leibes« bezeichnete, hätte sich demnach die Diskussion zugespitzt. Das mochte zutreffend sein. Wir kennen Hegels Widerwillen gegen Haller, wenn er hier einwendet: »Ach, das versteht man nicht unter animalischen Funktionen.« Dem sich festzu fahren drohenden Gespräch soll dann der Zoologe Lich tenstein ein Ende bereitet haben: »Sie verzeihen, Herr Kollege, wenn ich mich hier ins Mittel legen und dem Herrn Dr. Schopenhauer in diesem Falle Recht geben muß: unsere Wissenschaft bezeichnet allerdings die in Rede stehenden Funktionen als die animalischen.« Demnach wäre Schopenhauer bei diesem einzigen
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Streitgespräch mit Hegel daraus unter der Zeugenschaft einer gelehrten Versammlung als strahlender Sieger her vorgegangen. Denn der Berieht gibt an, daß damit »die Disputation geschlossen« worden sei. In den Akten findet sich jedoch kein entsprechender Beweis dafür. Dennoch wird der in Bährs Bericht erwähnte Gegensatz zwischen dem Staatsphilosophen und dem Habilitanden in dieser Sitzung wohl deutlich zutage getreten sein. Wenn Hegel von Schopenhauer keine genaue Vorstellung haben konnte, Schopenhauer hatte sie von Hegel. Er hatte ihn schon klar ausgemacht als den erklärten Gegner, als Ziel künftiger Angriffe, gegen das entsprechendes Material zusammenzutragen er sich bereits anschickte. Darin be fand sich Hegel ersichtlich im Nachteil, weil er nicht ahnte, mit wem er es zu tun hatte. Hätte sich Hegel die Mühe gemacht, in Schopenhauers Buch Die Welt als Wille und Vorstellung, dessen erster Band 1819 erschienen war, genauer nachzulesen, wären ihm die Schuppen von den Augen gefallen. So saßen sich hier der seiner Würde bewußte »summus philosophus« und ein philosophieren der Privatier gegenüber, ein Mann des Amts und ein dezidiert Amtsloser, ein auf umständliche Abstraktion vertrauender Kopf und ein auf die bildhafte Sprache setzender Schriftsteller hohen Grades, einer in schwerfäl liger Rüstung und einer, der sich auf die hohe Kunst des Floretts verstand. Auch Natur und Lebenslauf hätten nicht unterschied licher sein können. Schopenhauer war schon in frühen Jahren ein Zerknirschter, er litt an der Umwelt, zunächst an der Mutter, die ihn liebte, aber nach eigenem Geständ nis am meisten dann, wenn er weit weg von ihr war; er litt an dem unregelmäßigen Leben der Eltern, die es vorzo gen, auf Reisen zu sein, bei denen der Sohn sie manchmal begleiten durfte, und er litt wohl am meisten an sich selbst. Die wechselnden Auslandsaufenthalte, zunächst in Frank reich und England, hatten ihn um die herkömmliche Schulerziehung gebracht. Aber er war reich entschädigt worden durch seine frühen und ausgezeichneten Kennt nisse in fremden Sprachen. So war er dem Schicksal,
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einseitig an der Antike gebildet worden zu sein, entgan gen. Das gedrückt Enge und Kleinbürgerliche, das dem deutschen Gelehrten so oft anhing, ließ sich ihm nicht nachsagen. Der Vater, ein Danziger Kaufmann, konnte sich im Lebensstil der wohlhabenden Kreise bewegen und hat als Vorbild Schopenhauer darin bestärkt, der alles daransetzte, aus wirtschaftlicher Not keine Tugend zu machen und gegen den brotsuchenden Philosophen seine Unabhängigkeit herauszustellen. Der Tod des Vaters blieb in seinen Ursachen ungeklärt, die Mutter Johanna Schopenhauer, erfolgreiche Romanschriftstellerin und eine Freundin Goethes, hinterließ dem Sohn ihre künstle rische Einfühlsamkeit und wohl auch den Hang zum Exzentrischen. Hier war wirklich nichts zu finden, was an den achtzehn Jahre älteren Hegel erinnern ließ. Dazu kam die Frühbe gabung. Schopenhauer war nicht wie Hegel mit der Eule der Minerva zu vergleichen, die erst in der Abenddämme rung ihren Flug beginnt. Sein Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung, das so viel von Alterstiefsinn in sich hat, ist von einem Mann zwischen fünfundzwanzig und einund dreißig Jahren geschrieben worden. Aber es gab einen gemeinsamen Angelpunkt für beide. Das war Goethe. Schopenhauer hatte ebenso wie Hegel einen sehr persön lichen Zugang zu ihm, dem er seine Aufwartung machte, vermittelt eben durch seine Mutter. Und er war vom gleichen Gegenstand wie Hegel angezogen, nämlich von Goethes Farbenlehre. In den Annalen von 1819 nennt Goethe ihn einen »meist verkannten, aber auch schwer zu erkennenden, verdienstvollen jungen Mann«. Die beiden andern Stützen seines Systems waren Platon und Kant. In seinem Kampf gegen die »Universitätsphilosophen« hat er Kant als einzigen ausgenommen, weil er auf dem Ka theder nicht seine eigene Philosophie vorgetragen habe. »Universitätsphilosophen« können nach Schopenhauer keine echten Philosophen sein, wie er damals schon dachte und es später niederschrieb, weil ihnen die wichtige Ei genschaft der »Unabhängigkeit« fehle. Sie haben sich zuvörderst nach dem Urteil des Ministers, der Kirche, der
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Studenten zu richten, müssen, damit sie sich und ihre Familie ernähren können, nach allen Richtungen schauen, um sicher zu sein, auch ja keinen Anstoß zu erregen. Auf Fichte, Schelling und besonders Hegel traf das in den Augen Schopenhauers zu. Sie gelten ihm nicht als Philosophen, sondern als »Sophisten«, denen es um Anstellung durch die Regierung, Honorare von Studen ten und Buchhändlern geht, um Vertreter einer Schein philosophie, die Aufsehen und Spektakel suchen, denen aber die Suche nach der Wahrheit das allerletzte und unwichtigste aller Geschäfte bedeutet. Es war zu fragen, warum sich Schopenhauer bei diesen Anschauungen überhaupt darum bemühte, in Berlin die Universitätslaufbahn einschlagen zu können. Die Frage ist nicht schlüssig zu beantworten. Es muß bei ihm das Schei tern offenbar von Anfang an programmiert gewesen sein. Schon der Ton seines Habilitationsgesuches ließ aufhor chen und von ihm für die Zukunft einiges erwarten. Der Wunsch, sogleich als junger Privatdozent seine Vorlesun gen partout in der gleichen Stunde wie Hegel zu halten, scheint auf einer Manie zu beruhen, sich sofort Hegel gegenübergestellt zu sehen, um eigenes Profil zu bewei sen. Der Versuch mißlingt. Die Hörer bleiben aus. Nach den vergeblichen Anläufen, in zwei aufeinanderfolgen den Semestern in Berlin Fuß zu fassen, nimmt Schopen hauer wieder alte Gewohnheiten an: Er begibt sich auf Reisen und bietet damit deutliche Beweise seiner Unab hängigkeit gegenüber dem angeketteten Brotgelehrten. Schopenhauers klägliche Berliner Kathedertätigkeit, bei der er nie über den Status des Privatdozenten hinaus gelangt ist, war sicher nicht nur seinem Charakter, seinen Anschauungen und der Verschrobenheit in seiner Le bensführung zuzuschreiben, sondern lag auch in den Verhältnissen der Zeit. In ihr herrscht nach den langen Kriegen immer noch die Stimmung des Aufbruchs. Sie ist bei allem, was sich an Gefühlen des Unbefriedigtseins im Politischen jetzt einstellt, auf die Zukunftserwartungen im Fortschreiten des Cieists ausgerichtet. Auch das gehörte zu den tragenden Kräften für den Erfolg der Hegelschen
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Philosophie seit 1817. An den »Weltgeist«, der 1815 end gültig vom Pferde abgesessen war, knüpfen sich Hoffnun aren. Vor einer im Dreitakt vorrückenden Geschichte war vieles für die Richtung »subjektiver Freiheit« in Aussicht gestellt. Alles das sprach gegen Schopenhauer und eine über haupt in Erwägung zu ziehende Resonanz seiner Ideen. Nach ihnen war für die Zukunft nicht viel zu erwarten. Trotz allen Schellengeklingels im Namen der »Freiheit« und des Glaubens an ein Fortschreiten des Geistes wird schließlich alles wieder beim Alten ankommen. Stärker als das zeitweise Aufleuchten des Glücks ist das Elend. Das Elend ist die Karte, die immer im Spiel bleibt. Es über dauert alle Wechsel in der Geschichte, es ist damit zu rechnen, daß es bei der zu erwartenden Zunahme der Weltbevölkerung ebenfalls zunimmt, weil das Leiden, das immer ein Leiden der Kreatur ist, anwächst. Erlösung von Leiden aber, nicht Erlösung von der Sünde — das mögen die Christen glauben — ist es, wonach jeder strebt. Um es klein zu halten, empfiehlt Schopenhauer Verneinung des Willens im Sinne der buddhistischen Erlösungslehre. Im Preußen von 1819 mit einer Resignationstheorie aufzuwarten, die jedem Streben den Zug eitler Windbeu telei anhängt, erleichterte nun nicht gerade den Zugang zu offenen Ohren. Es ist zu bezweifeln, daß Schopenhauer selbst dies je versucht hat, eher hat er das Ärgernis des herausgekehrten Gegensatzes auch immer um seiner selbst willen gesucht. Der Boden, auf dem Schopenhauer für seine Person stand, war in seinen Ausmaßen begrenzt, aber es gab ihn noch für die vorkapitalistische Mußekultur bei den Klassen des größeren und großen agrarischen Grundbesitzes vor allem durch die Abwehr der bourgeoi sen Industrie in ihren Anfängen. Schopenhauers entschlossene Absicht, sich darüber hinaus nicht an Politik zu beteiligen, mochte dabei mitge wirkt haben, daß der Regierungsbevollmächtigte Schulze sein Habilitationsbegehren unbeanstandet hatte passieren lassen. Jeden Verdacht, sich in die Politik, möglicherweise noch eine staatsgefährliche, zu begeben, hatte Schopen
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hauer schon in seinem Brief an Lichtenstein zunichte gemacht: »Ich würde es für eine Herabwürdigung meiner selbst halten, wenn ich die ernstliche Anwendung meiner Geisteskräfte auf eine so klein und eng erscheinende Sphäre richten sollte, als die eben gegenwärtigen Um stände irgendeiner bestimmten Zeit oder Landes sind.« Sich mit dem »Ausbessern der Staatsmaschine« zu befas sen, konnte nicht seine Sache sein und sollte den Staats männern überlassen bleiben. Wer sich so entschieden weigerte, an der Politik des Staats teilzunehmen und für ihn zu wirken, kam in den Augen der Obrigkeit nicht in Verdacht, es gegen ihn zu tun. Schopenhauers Skepsis gegenüber dem Gedanken von einer Menschheit in aufsteigender Linie, wie man die Hegelsche Geschichtsphilosophie interpretieren konnte, nahm sich im Berlin Fichtes und Hegels fremdartig aus. Bei Hegel war immer ein zweifellos säkularisierter Hcils plan im Fortschreiten des »Weltgeistes« erhalten gewesen. Die Welt hatte sich in Etappen vom »Orient« bis zum preußischen Staat mit Hardenberg als auf seine grundle gende Reform bedachten Kanzler hin entwickelt. Das war für die Vernunft einsichtig. Um das zu verstehen, mußte man nicht Hegelianer sein. Daß dagegen die Welt Natur chaos ist und mit dem gleichbleibenden Elend Weltge schichte als Naturgeschichte nur Fortbewegung auf der Strecke von Barbarei zu Barbarei mit mehr oder weniger humanen Zwischenzeiten bedeutet, war damals, wie die Zahl von Schopenhauers Hörern zeigt, schwer zu vermit teln. Auch das deutsche Bürgertum, von dem breite Kreise dem Gedanken des wirtschaftlichen und politi schen Fortschritts anhingen, war für den Schopenhauer schen Unglauben innerlich noch nicht gerüstet. Dazu mußten erst künftige Erfahrungen hinzukommen. Scho penhauer hat sich denn auch inmitten jahrzehntelanger Niederlagen die Überzeugung nicht nehmen lassen, daß für seine Lehre die große Zeit erst noch bevorstünde. Seine Lehre war mit dem Buch Die Welt als Wille und Vorstellung so gut wie abgeschlossen und sein Verfasser fest entschlossen, sein weiteres Leben nach den darin
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gegebenen Maximen zu leben. Als er im Berliner Habili tationsgespräch Hegel gegenübersaß, war Schopenhauer schon ein fertiger. Was er später noch veröffentlichen sollte, sind Beiträge, die Parerga, genau genommen, Er gänzungen oder auch ein an sein Hauptwerk angehängtes Rankcngcflecht sein wollen. Seine Philosophie ist — das unterscheidet sie wieder von der Hegels - Lebensphiloso phie. Sie gibt Anleitungen zum rechten Leben, besser: Anweisungen zur »Erlösung« durch Triebverzicht als Wil lensaufgabe. Schopenhauer setzt mit seiner Vorstellung des »Willens« noch tiefer an. »Wille« ist mehr als bloßer Trieb, er umfaßt auch das anorganische Leben und meint die in der ganzen Natur enthaltene und fortwirkende Kraft. Davon ist zwischen Hegel und Schopenhauer damals natürlich nicht gesprochen worden. Das lag fernab vom verabredeten Thema und hätte auf Hegel höchstens durch den Grad seiner Eigenwilligkeit wirken können. Es ist ihm damals auch nicht der Gedanke gekommen, daß er hier einem Gleichen unter Gleichen begegnet war. Zu Preußen gehörte nicht nur die Vorstellung eines Staats, der in Europa an eine Stelle getreten war, wie Sparta sie in der Alten Welt eingenommen hatte, es stand auch für die Tatsache, und damit für Athen, daß sich innerhalb seiner Landesgrenzen im Verlaufe eines Jahrhunderts mit Kant, Hegel und Schopenhauer drei Jahrtausend-Philosophen gefunden hatten.
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Zweiunddreißigstes Kapitel
Philosophie der Geschichte Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte hat Hegel zum erstenmal 1822/23 gehalten und in der Folge in ergänzender Weise vor der Öffentlichkeit wiederholt vorgetragen. An eine Buchform hatte er bei der Behand lung des Themas nicht gedacht, sondern sie als Denken über die Geschichte verstanden. Die Quellen sind längere Konzepte, die für den Vortrag Satz für Satz, Wort für Wort ausgeführt sind, dann das Einzelsujet zusammenraf fende Partien, aber auch bloße Stichworte sowie Kolleg nachschriften von verschiedenen Federn. Darum bleibt eine philologisch-hermeneutische Kritik der Textform wegen der Abweichungen und Widersprüche immer höchst problematisch. Eine »Hegelphilologie« gibt es nicht (Adorno), und wenn sie Ansprüche anmeldet, stößt sie schnell an ihre Grenzen. Das gilt natürlich nur für die systematische Seite seiner Geschichtsphilosophie, nicht für die Methode. »Der ein zige Gedanke, den die Philosophie mitbringt, ist aber der einfache Gedanke, daß die Vernunft die Welt beherrsche, daß es auch in der Weltgeschichte vernünftig zugegangen sei«: Diese einleitend geäußerte Voraussetzung für ge schichtsphilosophisches Denken ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Es ist dies die Voraussetzung nicht der Geschichte als Geschichtswissenschaft, sondern der »philosophischen Weltgeschichte«. Anders müßte es der Philosophie verwehrt sein, sich urteilend über die Geschäfte der Geschichte auszulassen. Es herrscht in ihr der Glaube, daß Vernunft in der Geschichte sei, Vernunft auch als »die göttliche Vorsehung ..., welche ihre Zwecke, das ist den absoluten, vernünftigen Endzweck der Welt, verwirklicht«. Die Frage nun, was die Bestimmung der Vernunft und was der Endzweck der Welt sei macht die ganze Kette logisch aneinander zu reihender Glieder aus. Wer daran zweifelt, daß Hegel ein großer Aufklärer ist, wird hier, wo alles auf die durch die chaotische Vcrwir
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rung der Welt sich ihren Weg bahnende Vernunft gesetzt ist, kapitulieren müssen. Vernunft und sogar der optimi stische Gedanke von ihrem rechten Gebrauch in der Ge schichte, der am Ende, in einer noch in weiter Zukunft liegenden Endzeit, gegenüber den Kräften der Unver nunft sich als das stärkere erweisen wird! Und dies unter Beschwörung des »Geistes«, der unaufhörlich in diesen Prozeß verwoben ist! Logik und Geist als die großen elementaren Mitspieler im Hegelschen Denken sind fortwährend am Werk, Ge schichte in ihrem Fortschreiten als über alle Leidenschaf ten sich hinwegsetzende Bewegung zu einem verstehba ren Ziel hin plausibel zu machen. Es bedarf natürlich weiterer logisch-metaphysischer Operationen, um zum Verständnis des »Geistes« zu kommen. »Geist« ist ein von allen äußeren Zwecken Losgelöstes. Im »Geist« ist das »Ich« wieder zu sich zurückgekehrt: »Der Geist ist das Bei sich-selbst-scin«, der dabei nicht stehenbleibt, sondern seine vollständige Realisierung im »Staat« findet. Es geht nichts ohne den »Geist« und seine vorwärtstreibende Kraft. Aber Hegel weiß auch: der »Geist« verfügt noch über eine feinere Innenseite, eine Substanz mit besonde rem Namen: »Wie die Substanz der Materie die Schwere, so . . . ist die Substanz, das Wesen des Geistes die Freiheit.« Hier ist es ausgesprochen: Geist als vorwärtstreibende Kraft mit der Freiheit als ihrer Substanz, die zugleich den eigentlichen Zweck für das Fortschreiten in der Ge schichte darstellt. Dieser Einsicht liegt die Logik zugrunde und hat darum die Notwendigkeit für sich mit dem daraus gefolgerten Lehrsatz: »Die Weltgeschichte ist der Fort schritt im Bewußtsein der Freiheit — ein Fortschritt, den wir in seiner Notwendigkeit zu erkennen haben.« An ihm hat sich nach Hegel alles Nachdenken über die Geschichte zu orientieren. Freiheit ist hier als »Destillat« der Vernunft gesehen, wobei damit über das Verständnis der Freiheit, über ihre Natur, noch nichts ausgesagt ist. »Freiheit« selbst ist noch »unbestimmt«, ein »unendlich vieldeutiges Wort«, das viele »Verwirrungen und Irrtümer mit sich führt«.
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In jedem Fall wird die Freiheit beim Fortschreiten der Geschichte vom Geist beständig mitgetragen und gibt sich am Ende als das eigentliche Geschichtsziel zu erkennen und als Beweis für ihre Vernunft. Die Bewegung der Geschichte geht ebenso wie die Bewegung des Sonnensy stems nach unveränderlichen Gesetzen vor sich. Diese Gesetze sind die Vernunft der Geschichte oder des Son nensystems. An der Logik der Natur wie der Geschichte wie auch der Kunst und des Rechts ist nicht der geringste Zweifel gestattet. Vernunft und Geist mit der darin eingeschlossenen Freiheit lassen das Fortschreiten der Geschichte als ein mit Notwendigkeit auf einen Zweck gerichtetes Fortschreiten erscheinen. Die Darstellung des Gedankens von einer im Ablauf der Geschichte zunächst verschleierten, vom Geist aber durch Gefahrnisse und Unterdrückungen unentwegt hindurch gebrachten Freiheit als seiner Substanz hat Hegel nach dem vorausgestellten Schema von den Zeitaltern erfolgen lassen. Hegels Weltgeschichte ist Weltgeschichte nach Zeitaltern. Die »Orientalen« haben nur gewußt, daß Einer frei ist - der Despot; die griechische und römische Welt wußten, daß einige frei sind; der germanischen Welt ist durch das Christentum die Erkenntnis aufgegangen, die selbst Platon und Aristoteles noch nicht gehabt hatten, daß alle frei sind. Beim Verfolgen seiner Absicht, die Freiheit und das Bewußtsein der Freiheit sich im Fortgang der Geschichte weiter und weiter offenbaren zu lassen, hat der Weltgeist auch bei rückläufigen Bewegungen, die immer nur zeitweilig sind, planmäßige Arbeit geleistet. Die »Freiheit« als »Endzweck« der Geschichte ist eine Entdeckung Hegels. Dergleichen hatten weder Kant noch Fichte noch Schelling gedacht, es war jedenfalls von ihnen an keiner Stelle ihres Werks so unmißverständlich ausge sprochen worden. Schillers elysischer Gedanke von einer Versöhnung der Menschen zu einer einzigen Menschen bruderschaft in Freiheit entsprang einer persönlichen Gcstimmthcit, er hatte keine methodisch-systematische Entwicklung hinter sich, er war nicht wie bei Hegel philo
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sophisch-spekulativ. Und der spekulative Philosoph weiß noch mehr: »Dieser Endzweck ist das, das Gott mit der Welt will.« Die Mittel, deren sich die Freiheit auf dem Wege zu ihrer Verwirklichung bedient, kann die Mitwir kung Gottes verdunkeln. Sie können den Eindruck her vorrufen, daß die Hand Gottes das letzte ist, was hier ins Spiel gebracht wird. Es sind Leidenschaften, Interessen, Bedürfnisse als Triebfedern und das »Hauptwirksame« in der Rechnung, denen gegenüber die Tugenden wie Gutes wollen unbedeutend sind. Für das Fortschreiten der Ge schichte sind jedenfalls die »Leidenschaften«, ist die Be friedigung der Selbstsucht das Gewaltigste. Dazu gehören auch die Verbrechen der großen Täter. Sie haben die Macht und kennen keine Schranke, die Recht und Moral ihnen setzen könnten. Vor allem: die Leidenschaften lie gen den Menschen näher. Wo sie ihre Herrschaft aufge richtet haben, gibt es kein Gegengewicht dagegen. Es gilt freilich: »nichts Großes in der Welt ohne Leidenschaft«, aber auch: durch die Entfesselung der Leidenschaften haben die Folgen der Gewalttätigkeit, hat das »Böse« den Untergang der blühendsten Reiche besorgt. Und schließ lich sind alle Reiche der Alten Welt samt ihren Völkern untergegangen. Es ist die Geschichte als die »Schlacht bank«, »auf welcher das Glück der Völker-, die Weisheit der Staaten und die Tugend der Individuen zum Opfer gebracht worden« sind. Beim Fortschreiten der Idee der Freiheit innerhalb der Geschichte wird nicht danach gefragt, welche Opfer dafür aufzubringen sind. Dem »Wcltgcist« als der vorwärtstrei benden Kraft steht dabei eine »unermeßliche Masse von Wollen, Interessen und Tätigkeiten« als »Werkzeuge und Mittel« zur Verfügung, um seine Arbeit zu leisten. Dazu gehören auch die großen Täter, die »welthistorischen Individuen«, die eigenen Zwecken nachzugehen schei nen, aber, ohne es zu wissen, im Dienste des »Weltgeistes« als seine »Gcschäftsführer« auftreten. Sie kennen ihre Funktion im Dienste der Vernunft nicht, denn ihre ganze Natur besteht nur aus Leidenschaft. Sie wissen nicht, was sie tun. Ist der Zweck erreicht, für den sie der »Weltgeist«
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ausersehen hat, fällt die Notwendigkeit für ihre weitere Existenz weg: »Sie sterben früh wie Alexander, sie werden wie Caesar ermordet, wie Napoleon nach St. Helena trans portiert.« Es gehört zur »List der Vernunft«, daß »sie die Leidenschaften für sich wirken läßt«. Denn ohne sie könn ten die Dinge für den Lauf der Geschichte nicht in Gang gesetzt werden. Daß die Vernunft die Welt regiert und regieren wird, beruht nach Hegel immer auch auf Glauben als dem Komplement der Logik. Die großen Gegenstände, die alle zum Feld der »philosophischen Geschichte« gehören und von ihr ihre Zuweisung erhalten, sind Staat, Religion, Kunst, Wissenschaft. Ihre Behandlung ist spekulativ. Das läßt die grundsätzliche Setzung Hegels zu, daß es der Staat ist, in dem sich die Freiheit realisiert. Was im Abstrakten gilt, ist an den Staatsverfassungen darzustellen, die Hegel vom »Orient« bis in die unter dem Einfluß des Christen tums stehende germanische Welt verfolgt. Hier heißt es: die Verfassungen der »welthistorischen Völker« sind ih nen und nur ihnen eigentümlich. Es läßt sich darum auch aus ihnen für die Gegenwart nichts lernen. Die griechi schen und römischen Verfassungen etwa können auf sie nicht übertragen werden. Über alle Unterschiede der Staatsverfassungen hinweg bleiben sie sich freilich in der Trennung zwischen »Regierenden« und »Regierten« gleich. Vom Standpunkt der Monarchie aus, den Hegel als seinen eigenen vertritt, zumindest als den, dem er am nächsten steht, teilt er nicht den weitverbreiteten Glau ben, die »Republik« als die »einzig gerechte« unter allen andern Verfassungen auszugeben. Eine republikanische Polis - das hatte er in Bern erfahren — kann an Korruption und Gewalttätigkeit mit jeder andern Verfassung Schritt halten. Auch eine »Demokratie« wird nicht zu allen Zeiten das sein, was sie gerne sein möchte. Wo das Volk einen Krieg beschließt, wird es einen General an die Spilze stellen. Wenn die Mehrheit entscheidet, kann der Wille der Minderheit sich nicht verwirklichen und wird deren Freiheit eine Einbuße erleiden. Aber auch die Freiheit in ihrer Vieldeutigkeit kann für einen Staat bedenklich wer
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den. Auf dem polnischen Reichstag hat man sie so hoch hinaufgetrieben, daß bei den Abstimmungen Einstim migkeit gefordert wurde: an seiner Freiheit ist Polen schließlich zugrunde gegangen. Und dann taucht der Goethesche Gedanke von der Überlegenheit der griechischen Welt gegenüber allen an dern Welten auf, der zur Grunderfahrung von Hegels Weltgeschichte gehört und auch von der Vorstellung der fortschreitenden Freiheit durch die germanische Welt nach dem Eintritt des Christentums nur bedingt einge schränkt wird. Das war durch und durch eurozentrisch gedacht. Denn alle andern Kontinente fallen im System der Hegelschen Philosophie der Geschichte hinter Eu ropa zurück. Europa ist der Mittelpunkt der Welt, das Mittelmeer ist der »Mittelpunkt der Weltgeschichte« und Griechenland auch dank seiner geographischen Lage »der Lichtpunkt in der Geschichte«. Ohne das Mittel meer ließe sich die Weltgeschichte überhaupt nicht vor stellen. Das ist der Grund dafür, daß das östliche Asien vom Prozeß der Weltgeschichte ausgeschlossen bleibt. Davon, daß seinen Ländern, wie etwa Indien, »der ge schichtliche Sinn ganz abgehe und ihre historische Über lieferung vollkommen phantastisch und märchenhaft sei« (Georg Lasson), ist Hegel nicht abzubringen. Es kann gar nicht in die Weltgeschichte eingreifen. Ebenso ist dem nördlichen Europa der Eintritt in sie lange verwehrt geblieben. Denn Weltgeschichte ist immer auch von seiner geo graphischen Grundlage zu erfassen. Klimatisch gibt die gemäßigte Zone den wahren Schauplatz für die Weltge schichte ab. Afrika ist noch verschlossen, es ist mit seinen Negern, denen gewaltige Körperkräfte sowie Züge von unbezähmbarer Wildheit zugeschrieben werden, vom Vorrücken der Weltgeschichte bisher unberücksichtigt geblieben. Es ist ein »Goldland« und »Kinderland«. Nur dort, wohin sich der Islam vorgearbeitet hat, ist eine geringfügige Bewegung zu beobachten. Aber an der Möglichkeit, daß die Natur des Schwarzen seine Bildung zuläßt, ist vom preußischen Staatsphilosophen gegen die
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Übermacht damals herrschender Vorurteile zu keinem Augenblick gezweifelt worden. Amerika ist das Land der Zukunft, vor allem für rlie, denen Europa nicht mehr als ein Museum für Ritterrü stungen bedeutet. Es ist das Land der Unabhängigkeil, das die Last der Vergangenheit nicht /u tragen hat und sich dem Starken öffnet, jedoch eine eigentümliche Schwäche immer dann gezeigt hat, wenn es um etwas anderes zu kämpfen galt als um die eigene Unabhängig keit. Im »Orient« liegen zwar nach Hegel die Anfange der Geschichte, aber China und auch Indien stehen nach diesem Konzept noch außerhalb des von Hegel verfolgten weltgeschichtlichen Prozesses. Der Zusammenhang mit der Weltgeschichte wird erst durch das Persische Reich hergestellt. Es ist ein Reich, das vergangen ist, während China und Indien überdauert haben. Auf seinem Boden sieht er den Monotheismus der Juden aufsteigen. »Die Juden haben, was sie sind, durch den Einen.« Zum Cha rakter des jüdischen Monotheismus gehört das ausschlie ßend Eine. Es gibt diejenigen, die ihm anhängen, und die andern, die keinen Anteil daran haben. Darin liegt ein gewaltiger Unterschied, der die Juden von den Griechen trennt. Hegel spricht hier vom »elemcntarischen Charak ter des griechischen Geistes« und nennt als seine Eigenart die »schöne Individualität«, der Züge einer schon weit vorgerückten Freiheit eigen sind. Homer und Hesiod haben den Griechen ihre Götter geschenkt. In ihnen wirkt wie in keiner andern Kultur die Vorstellung der Bildung, deren vielfältige Beschaffenheit auf der verschiedenarti gen geographischen Beschaffenheit des Landes beruht. Damit war der Gegensatz des Griechischen zum Christ lichen aufgeworfen, den auch Hölderlin als Erfahrung in sich trägt und in seinen Hymnen Sprache werden läßt. Die Griechen fassen die Götter menschlich, sie geben ihnen menschliche Gestalt und machen darum den Menschen göttlicher. Das ist es, woran Hegel erinnert. Der griechi sche Gott ist im Marmor Erscheinung geworden, t r i t t darin als Bild der Phantasie zutage. Zwar erfolgt auch in der christlichen Religion die Erscheinung Gottes in
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menschlicher Gestalt, weil keine andere Gestalt imstande ist, als Geistiges aufzutreten. Und die Erscheinung Gottes in der Welt ist notwendig. Denn »wesentlich« kann nur sein, was auch erscheint. Der Unterschied zwischen der griechischen und der christlichen Religion liegt darin, daß bei den Griechen die Erscheinung die »höchste Weise«, das »Ganze des Göttlichen«, ausmacht, während die Christen darin nur »ein Moment des Göttlichen« annehmen. War nun der Weg von der griechischen Religion zur christlichen der Weg von einer niederen Stufe zu einer höheren, wie es die Christen glauben? Wir wissen, daß Goethe sich mit diesem Glauben nie recht hat anfreunden können. Hegel teilt ihn und weist ihn zugleich auch wieder ab. Er gilt sehr wohl im Blick auf die »Freiheit«, die bei den Griechen noch nicht »zur Abstraktion« gekommen ist. Aber er gilt sicher nicht im Blick auf die »schöne Indivi dualität«. Ohne daß Hegel der Winckelmannschen Ideali sierung der »Griechen« im Sinne der »edlen Einfalt und stillen Größe« verfällt! Das gilt auch für die politische Verfassung, die in Griechenland schon die Demokratie kennt, Demokratie, die den Weg vom Orakelspruch bis zum Votum der Volksredner durchlaufen hat. Demokra tie als Gleichheit der Bürger setzt dabei die von der Gleichheit Ausgeschlossenen voraus. Zu den Bedingun gen der Demokratie in Griechenland gehört die Sklaverei. Sie ist notwendig, damit jeder Bürger von seinem Recht Gebrauch machen und der Pflicht genügen kann, auf öffentlichen Plätzen Vorträge über Staatsverwaltung zu halten und anzuhören; damit er in den Gymnasien üben und Feste feiern kann. Handwerksarbeiten, überhaupt alle Verrichtungen, die für das tägliche Leben notwendig sind, können den Staatsbürgern mit Wahlrecht nicht mehr zugemutet werden. Dafür sind die andern da, die an der bürgerlichen Gleichheit keinen Anteil haben. Die antike Demokratie, von der Hegel hier spricht, war nur in kleineren Staaten möglich, in der griechischenPolis mit überschaubaren Verhältnissen, wo in Zeiten der Ge fahr die Bürger sich auf das Terrain der Stadt zurückzie hen und hier verschanzen konnten. In Griechenland sind
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vom Prinzip der Freiheit noch nicht alle erfaßt. Aber als Prinzip, das dem Menschen zusteht, ist es entdeckt, ohne daß der Sklaverei deswegen ein Ende gesetzt wäre: »Die Sklaverei hört erst auf, wenn der Wille unendlich in sich reflektiert ist, wenn das Recht gedacht ist als dem Freien zukommend.« Das war in Griechenland noch nicht der Fall. Aber mit der Freiheit in ihrem Vorrücken hat sich Griechenland und hat sich Griechisches bei der welthistorischen Berüh rung mit den Persern und deren despotischem Prinzip auf großartige Weise selbst dargestellt. Der Sieg der Griechen über die Perser bei Marathon und in der Seeschlacht von Salamis bedeutete Rettung der »Bildung« und der »geisti gen Macht« über das »asiatische Prinzip«. Die Weltge schichte kennt blutigere Schlachten, aber keine, in denen eine so hohe Sache gerettet worden wäre. Mit dem Sieg der Griechen über die orientalische Despotie konnte die glänzendste Epoche in der Geschichte Griechenlands ein geleitet werden. Es beginnt jetzt der Gegensatz zwischen Athen und Sparta. Athen, ein Staat, der wesentlich dem Schönen lebt, der die Interessen des menschlichen Geistes verfolgt! Sparta, ein Staat der abstrakten Tugend, des Lebens für das Gerneinwohl, wodurch die Freiheit der Individualität zurückgestellt wird! Dort die Künste, die die schöne Gestalt im Auge behalten und wo die Tragödie ihre Anfänge und höchste Ausbildung erfährt! Hier ri gide Zucht und Aufteilung des Grundeigentums in glei che Teile mit dem Gesetz der Unverkäuflichkeit, damit die Gleichheit erhalten bleibt! Was hat nun zum Untergang der griechischen Welt geführt? Alle dazu anzuführenden Gründe lassen sich in einem einzigen zusammenfassen: das Prinzip des Verder bens dringt vor. Das stadtbürgerliche Athen geht an sei nem »Leichtsinn« zugrunde, in Sparta, wo die Demokratie Wendungen zur Aristokratie und Oligarchie kennt, greift die »gemeine Habsucht« um sich. Aber das untergehende und untergegangene Athen haben deswegen in der Erin nerung nichts von ihrer Liebenswürdigkeit verloren. Es blieb im Gedächtnis der von Athen Unterworfenen haf
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ten, daß seine Herrschaft leichter zu ertragen war als die Spartas. In die Religion als einer Einrichtung »ohne weite res Nachdenken« dringt der »Gedanke« ein, für den der sokratisch-platonische Dialog steht. Das heißt: die Reli gion verliert ihre Macht. Die Staatsverfassungen werden von Leidenschaften und Willkür erschüttert. Griechen land, das nach Hegel mit Achill begonnen hatte, endete mit Alexander. Die Mazedonier absorbieren noch einmal die griechische Bildung in der Gestalt Alexanders und unterstellen sie der Militärherrschaft, besser: hängen sie ihr an. Alexander, der geborene Eroberer, ein militäri sches Genie, hatte die Gunst erfahren, Aristoteles, den »tiefsten und umfangreichsten Denker des Altertums«, als seinen Erzieher gehabt zu haben. Moralische Maßstäbe an Alexander anzulegen, wäre das letzte, um ihm gerecht zu werden. Er leitet den Schlußakt der politischen Ge schichte Griechenlands ein, indem er mit seinem Heeres zug Griechenland nach Asien hinüberführt und als erster den Europäern den Orient eröffnet. Aber der Untergang der griechischen Welt war längst besiegelt durch den Zustand der allgemeinen Verdorbenheit. Dagegen ließ sich nichts mehr ausrichten. Ist ein solches Stadium des Verfalls einmal erreicht, können auch die »großen Indivi duen« nicht mehr helfen; sie kämpfen noch gegen das Übel an, sind aber am Ende nicht mehr imstande, etwas auszurichten und gehen unter. Ist eine Weltordnung schon im Abfallen begriffen, bleiben nur drei Möglichkei ten für die »edle Individualität«: zu verzweifeln, sich in die Philosophie zurückzuziehen oder handelnd zu sterben. Alexanders früher Tod gehört in dieser welthistorischen Sicht zu den großen Glücksfällen. Er hinterließ der Erin nerung das schöne Bild eines jung Gestorbenen, mit dem das politische Griechenland aus der Geschichte abtritt. Die Rolle des »welthistorischen« Volks geht an Rom über. Das bedeutet einen vollkommenen Szenenwechsel. Die Welt verliert ihren alten Charakter und wird in Trauer versenkt. Ihr Herz ist gebrochen. Sie muß ohne die alte griechische Heiterkeit weiterleben. Die Natürlichkeit des Geistes ist "dahin. Statt dessen regieren die »abstrakte
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Freiheit«, der »abstrakte Staat« ohne »Individualität«, das aber schon mit neuer historischer Notwendigkeit: Denn so muß der Boden beschaffen sein, damit aus ihm das Chri stentum mit seinem »freien Geist« hervorgehen konnte. Gegen die orientalische Despotie und die griechische Demokratie steht in Rom die Aristokratie. Sie hatte zuerst gegen die Könige antreten müssen und später erfahren, daß die Plebs sich gegen sie erhob: ein Vorgang, durch den die Demokratie die Oberhand bekommt und jener Bildung von Faktionen Vorschub leistet, aus denen die großen Individuen der römischen Aristokratie hervorgin gen. Auf diesem Dualismus mit wechselnden Fronten beruht die Politik, mit der Rom die Welt erobert hat. Die römische Welt ist im Vergleich zu der ihr vorausge henden Welt Griechenlands nach Hegel »geist- und ge mütlos«. Das geht in ihr Recht und ihre Religion ein. Die Römer haben die griechischen (Götter angenommen, aber ihre Verehrung blieb kalt und äußerlich. Wählend die Griechen an ihren Spielen selber teilnahmen, sind die Römer nur Zuschauer in der Arena, wo die großen Schau spiele stattfinden und schließlich in Tier- und Menschenhetzen entarten. Die starre Härte als Grundmoment der römischen Politik hat Rom von seinen Anfängen an inne gewohnt, sie ist nicht von außen in sie hineingetragen worden, sondern geht zurück auf die Entstehung aus der ersten Räubergesellschaft durch Romulus und Remus. Despotie ist es, die der einzelne beim Staat erfährt, mit der er aber zugleich selbst gegenüber den seinen aufwartet. Der alte Gegensatz zwischen Patriziern und Plebejern entwickelt sich im Verlauf der römischen Geschichte zu einem Gleichgewicht und schließlich zu einer Einigung zum Vorteil des staatlichen Gemeinwesens und römischen Bürgers selbst. Dadurch gelangt der Staat zu seiner vollen Stärke, zu einer Einigkeit der Parteien nach außen anstelle der alten bürgerlichen Unruhen. Sie erlaubt es dem Staat, seine großen Kriege zu führen, und zwar durch das Mas senhafte der Phalanx in ganz anderer Größenordnung, als sie bei den griechischen und mazedonischen Truppen anzutreffen war. Aufstieg hat stets den Niedergang der
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andern zur Voraussetzung oder Folge: »Karthagos Fall und Griechenlands Unterwerfung waren die entscheiden den Momente, von welchen aus die Römer ihre Herr schaft ausdehnten.« Aber die römische Herrschaft ist auf Militärgewalt gegründet. In ihr realisiert sich am stärksten das »römische Prinzip«. Hier macht sich nun bemerkbar, daß Rom keinen geistigen Mittelpunkt hat. Darum stürzt auch die Republik. Sie stürzt nicht durch die »Zufälligkeit Caesars«, sondern durch »Notwendigkeit«. Darum ist ihr Ende unwiderruflich. Im Niedergang hat Rom nicht wie Griechenland große Kunstwerke hervorgebracht oder für die Ausbildung der Philosophie gewirkt. Die Kunstwerke, die in Rom aufgestellt werden, sind aus Griechenland abtransportiertes Raubgut. Eleganz und Bildung, die die Römer suchen, können sie nur aus der Hand griechischer Sklaven empfangen. Sie stehen für die Dichtung und die Erziehung der Kinder. Ansprüche des lebendigen Geistes kann die griechische Philosophie nicht mehr befriedigen. Was sie gibt, ist der »Rat der Verzweiflung«, denn sie »hat nur die Negativität allen Inhalts gewußt« in einer Welt, in der es keinen festen Halt mehr gibt. Hier steht Rom bereits für ein Neues. In der römischen Welt mit ihrer Gottverlassenheit sind ihr Schmerz die Geburtswehen eines höheren Geistes. So wird sie die Geburtsstättc des Christentums und damit der Religion, die zur »Versöhnung der Welt« führt. Dazu brachte Rom Bedingungen von längerer Hand mit. In der römischen Welt, wo der »Geist des Morgenlandes« sich über das »Abendland« verbreitet hatte, waren Osten und Westen vereint worden. Isis- und Mithras-Religion besaßen ihre Kultstätten in allen Teilen des Reichs. Aber was ihnen im Sinne des Hcgclschen Systems fehlte, war das»Verlangen ... nach einer tieferen, rein innerlichen Allgemeinheit«, das das Christentum nicht nur weckte, sondern auch zu befriedigen vermochte. Hier tritt zum erstenmal auf, was die alte Welt nicht kannte und als Postulat für die Zukunft wirken wird: »das Prinzip der absoluten Freiheit in Gott«. Der Mensch befindet sich jetzt nicht mehr in der »Abhän gigkeit«, sondern in der »Liebe«. Durch das Christentum
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ist dem Menschen gewissermaßen wie durch eine Glocke ein »Bewußtsein« übergestülpt worden, das ihn in der Folge innerlich durchdringt. Aber: In Rom und in der alten römischen Welt selbst kann das Christentum seinen eigenen Boden nicht finden und ein Reich daraus gestal ten. Um das zu verwirklichen, sind nach Hegel die germa nischen Völker berufen. Das ist eine große Vorstellung, wie sie nicht in das Konzept einer Religion hineinpaßte, die sich vom römi schen Boden erhob und ihrem Namen nach selbst in ihrer' gültigen Form als eine römische verstand. Hegel hält dagegen: »Der germanische Geist ist der Geist der neuen Welt, deren Zweck die Realisierung der absoluten Wahr heit als der unendlichen Selbstbestimmung der Freiheil ist, der Freiheit, die ihre absolute Form selbst zum Inhalte hat.« In Rom kann nicht stattfinden, was die »germani schen Völker«, die es zunächst überfallen und unterwer fen, als die dazu ausersehenen Träger des »christlichen Prinzips« im Dienste des »Weltgeistes« ausrichten. Aber die römische Welt war notwendig, um den Germanen die Berührung mit dem »welthistorischen Volke« zu besche ren. Hier schwingt die Idee der historischen Sukzession als Idee einer den Geist weiterleitenden Instanz mit, ohne die kein Anspruch aufrechtmäßige Verwaltung des Geist erbes bestehen könnte. Wo mit dem heraufkommenden Christentum die Freiheit zu sich selbst zurückgekehrt ist, ist die »Welt der Vollendung« im Anzug, »Vollendung« durch die Botschaft der »Versöhnung«. Das steht in schönem Finklang mit dem preußischen Staatsverständnis zwischen 1820 und 1830, wo die Hohen zollernsche Dynastie sich daranmacht, für die Erbnach folge des untergegangenen »Römischen Reichs deutscher Nation« erste sondierende Vorbereitungen zu treffen. Byzanz, der andere Weg, der von Rom weg führte, ist als Irrweg erkannt. Im Byzantinischen Reich, wo die neue Religion durch Kaiser Konstantin auf den Thron gelangte und fortwährende Verbrechen und Niederträchtigkeiten wie Intrigen, Ermordung und Vergiftung der Kaiser durch ihre Frauen und Söhne an der Tagesordnung
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waren, bis es in der Mitte des 15. Jahrhunderts von den kräftigen Türken zertrümmert wurde, ist das »Christen tum«, wie Hegel von ihm vermerkt, »abstrakt« geblieben. Aber die gleichen Gefahren begleiten auch das Papsttum des Westens und bereiten ihm Verhältnisse, in denen es ihnen immer und immer wieder erliegt. Über das Chri stentum, soweit es »Geist« ist, kann sich der Hegel der Geschichtsphilosophie auslassen wie ein Prediger von ei ner württembergischen Kanzel: Es ist die in der Welt anzutreffende, auf der Dreieinigkeit aufgebaute Kirche. Aber das macht nicht die erschöpfende Wirklichkeit aus. Dazu gehört die Kirche als Theokratie, mit ihrer Unter scheidung von Geistlichkeit und Laien, mit den Sakra menten, die sie verabreicht, mit dem mittelalterlichen feudalmonarchistischen Staat als ihrem Verbündeten. Das Verhängnis hat die Kirche befallen, als sie ins »Mittel alter« eingetreten ist, es »christlich« gemacht hatte. Hier kannte Hegel sich aus. Um das »christliche Mittelalter« aus eigener Anschauung kennenzulernen und um darin einmal gelebt zu haben, war er nach eigenem Bekunden nach Bamberg gegangen, wo es sich in den Alltag hinein gerettet hatte. Was »christliches Mittelalter« alles zu be deuten hat, ist von Hegel mit gnadenlosem Realismus beschrieben worden. Über allem steht der »Widerspruch der unendlichen Lüge«, der sich durch seinen ganzen Verlauf hindurchzieht. Politisch feudal wirkt darin »eine Verbindlichkeit durch Unrecht, ein Verhältnis, das etwas Rechtliches bezweckt, aber zu seinem Inhalt ebenso sehr das Unrecht hat«. Es gehört zum System des Feudalismus, angesichts der vorherrschenden Gewalt ein Treucvcrhält nis zu begründen, das den Schwächeren dazu bewegt, sein Eigentum in die Hände eines Stärkeren zu legen, von dem er es leihweise mit dem Versprechen, ihn gegen seine Feinde zu schützen, zurückerhält. Gewalt und allgemeine Rechtlosigkeit werden durch die Treue in Privatabhän gigkeit und Privatverpflichtung umgemünzt. Gewalt geht dem Feudalismus voraus und geht aus ihm wieder hervor. Das eigentliche Skandalon des »Mittelalters« liegt aber nicht im Feudalismus selbst, sondern darin, daß dieser in
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der mittelalterlichen Kirche eine Systemverbündete hatte: einer Kirche, die sich durch die Hostie und ihre Darrei chung um ihren eigenen Anspruch bringt. Der Materialis mus des Reliquienkults ist Verachtung des »Geistes«, für dessen Ausbreitung er auftritt: sakramentaler Fetischis mus. Der schwäbische Lutheraner Hegel ist nie davon abzubringen gewesen, in der katholischen Religion den Rückfall in den Götzendienst und die Vielgötterei - und dies beglaubigt durch Heiligenbilder, Amulette, geweihte Medaillen - zu sehen: so bestätigt es Cousin, der bei der gemeinsamen Besichtigung des Kölner Doms Zeuge war, wie Hegel sich zu ganz und gar unphilosophischen Aus drücken gegen diesen im Dienste der Kirche stehenden Handel bewegen ließ. Die mittelalterliche Kirche hat sich um ihr »Wesen« gebracht, wo sie gegen die Gewalt und Willkür der Für sten die gleichen Mittel einsetzt. Die Gefahr dazu war naheliegend, denn durch ihre weltlichen Besitzungen stellte die Kirche selbst eine »furchtbare weltliche Macht« dar. In Italien geht es dabei insbesondere im 11. Jahrhun dert am grauslichsten zu. Warum? Weil hier der »Mittel punkt des Christentums« liegt. Räubereien, viehische Be gierden, Trug und List können sich auf diesem Boden am besten behaupten. Verkauf von Pfründen, willkürliche Besetzung der Bistümer und schließlich des päpstlichen Stuhls selbst sind geltende Regel. Das hatte nun wirklich nichts mehr mit der Verherrli chung des christlichen Mittelalters als der Zeit der in der katholischen Kirche verbundenen Einheit zu tun, der Novalis in seiner Schrift Die Christenheit oder Europa sehn süchtig nachträumte, sondern bedeutete den vollkomme nen Gegcnschlag gegen alles Romantische, dem Hegel in Jena begegnet war. Der preußische Regierungskommissar Schulze im Auditorium konnte nichts dagegen haben, was Hegel hier als Kronanwalt des protestantischen Königs hauses gegen das hier wenig geliebte Papsttum anführte, so wenig wie gegen einen Monarchismus, der sich mit den Gewaltanschlägen der Feudalität auseinandersetzt. Es ist wiecier festzuhalten: Hegel ist ein unbarmherziger Geg
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ner des Feudalismus, der keine »historischen« Rechtferti gungen im Sinne Justus Mosers gelten ließ. Auch nicht über gewisse sympathische Eigenarten, die Marx durch den Gegensatz zum Industriekapitalismiis gelten ließ und die Friedrich Engels später die »gemütliche Seite« nannte, war mit ihm zu reden. In seinen geschichtsphilosophi schen Vorlesungen hat Hegel die in seiner Schrift über die württembergischen Landstände vertretene Linie der völli gen Verwerfung des Feudalismus fortgesetzt, er hat sie nur von der regionalen Ebene auf eine welthistorische hinaufgerückt. Feudalismus enthält für ihn das »Prinzip der Gewalt«. Er geht aus den bestehenden Gewaltverhält nissen hervor und führt wieder zu ihnen hin. Es bricht hier eine ungemein subjektive Seite bei Hegel durch. Wie bei der Darstellung des mittelalterlichen Katholizismus rechnet Hegel mit dem Feudalismus, der in Württemberg noch über beträchtliche wirtschaftliche Grundlagen ver fügte, unerbittlich, und zwar zugunsten des »monarchi schen Prinzips«, ab. Die sprichwörtliche »deutsche Freue«: alles nur Gerede; sie ist in Wahrheit das »Allerungetreue ste«, d.h. einseitig: »denn treu und redlich sind die Für sten und Vasallen des Kaisers nur gegen ihre Selbstsucht, Eigennutz und Leidenschaft, durchaus untreu aber gegen das Reich und den Kaiser«. Das ist beileibe keine Parteinahme für die leibeigenen Bauern oder die Bürger, die unter dem Hochmut einer feudalen Klasse zu leiden gehabt hätten. Aber es ist wie das Herniederfahren eines Sensenhiebs, wo mit einem einzigen Schnitt stolze reife Frucht abgemäht wird. Den Fortschritt in der Geschichte sieht Hegel in den Übergän gen von der Feudalherrschaft zur Monarchie. Die Monar chie bricht die Gewalt der Feudalen und läßt an die Stelle der Willkür Recht und Gesetz treten. Für die neue Ober gewalt der Monarchie steht ihm wesentlich der »Staat«. Hegel hat hier Übergänge im Auge, die keineswegs friedlich verlaufen sind. Deutschland und Italien auf der einen Seite, England und Frankreich auf der andern. Dort eine zentrifugale Bewegung von einer Monarchie zur Vasallitäf der Fürsten, die nichts sehnlicher wünschen als
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einen sehwachen Kaiser, hier eine die Rechte der Vasallen an sich ziehende Krongewalt, die keine Mittel scheut, um frondierende Kräfte unschädlich zu machen. Hier steht die Idee des »Staats«, auf den es bei der Verwirklichung der Freiheit ankommt, sozusagen auf dem Sprung. Die alten tragenden Kräfte geraten langsam in Vergessenheit: so wie jene Kirche, die den Menschen in seiner Wildheit durch den Schrecken der Hölle niedergeworfen hat, in dem sie ihn heraufbeschwor. Der Mensch ist von Natur aus böse; daran wurde er immer erinnert. Das schuf der Kirche die Mittel des Terrors, für die sie die Notwendig keit anführen konnte. Diese Form des Kampfes erscheint Hegel inzwischen veraltet und durch den ruhigeren Ge danken der Erziehung ersetzt. Dazu haben Kunst und Wissenschaft an der Auflösung der mittelalterlichen Welt mitgewirkt: der Humanismus, die Verbreitung der Plato nischen Philosophie (von Aristoteles ist bei Hegel hier nicht die Rede), die Buchdruckerkunst, die Erfindung des Schießpulvers, die Entdeckung Amerikas. Die Reforma tion am Ende des Mittelalters feiert Hegel als deutsche Tat. Luthers Weg ist eine Wendung nach innen, eine Leistung des »Gemüts«, statt den Seeweg nach Ostindien zu suchen. Es bleibt festzuhalten: »Die Reformation ist aus dem Verderben der Kirche hervorgegangen.« Im dialekti schen Verfahren der Hcgelschen Geschichtsphilosophie hatte damit das »Verderben« seine Notwendigkeit für den Fortgang der Geschichte erwiesen. Weiter: »Das Verder ben der Kirche hat sich aus sich selbst entwickelt.« Es lag in ihrer »Äußerlichkeit« begründet, die der »Weltgeist« in seinem Vorrücken ans Tageslicht gebracht hatte. Das bedeutet: die »Kirche« scheidet aus, sie tritt hinter den »Weltgeist« zurück, oder auch: »er ist schon über sie hinaus«. Vorzuwerfen war ihr Aber- und Wunderglaube, »Gebundensein an ein Sinnliches«, das sie in der für sich in Anspruch genommenen Spiritualität jetzt selbst abur teilt. Dagegen erhob sich Luthers Lehre, nach Hegel: daß »die wahrhaftige Geistigkeit, Christus, auf keine Art in äußerlicher Weise gegenwärtig und wirklich ist, sondern
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als Geistiges überhaupt nur in der Versöhnung mit Gott erlangt wird« — im »Glauben«. Mit der Reformation hatte die Geschichte einen gewalti gen Schritt zur »Freiheit« als ihrem Ziel getan. Fs gibt hinfort keinen Stand mehr, der sich allein im Besitz der Wahrheit befindet. Vor allem war die Richtung auf den preußischen Staat von 1830 hin eingeschlagen, bei dem die Hegeische Philosophie freilich nicht alle Unklarheiten darüber beseitigt, ob in ihm, der Staat, Monarchie und die neugewonnene Freiheit des protestantischen Prinzips ver einigt, dieses Ziel schon erreicht oder ob er bloß weit vorgerückte Station auf dem Wege zu ihm ist. Das war auch im Blick auf das alte, unter den Schlägen Napoleons untergegangene Reich gesagt, dessen Schick sal, wie wir wissen, Hegel nicht beklagt hatte. Sein Erken nungszeichen war seine Schwäche gewesen. Es hatte »schmähliche Kriege gegen die Türken geführt, mußte Wien durch die Polen von den 'Fürken befreien«; es hatte sich mitten im Frieden von Frankreich seine blühendsten Provinzen rauben lassen. Alles das wird ihm jetzt von Hegel quittiert. Auch das gehört für ihn zur vielgerühm ten »deutschen Freiheit«. Vorsicht ist angebracht beim Gebrauch des Wortes »Freiheit«, wie der Verfechter der Freiheit als welthistorischem Prinzip warnt: »Man muß, wenn von Freiheit gesprochen wird, immer wohl acht geben, ob es nicht eigentlich Privatinteressen sind, von denen gesprochen wird.« Bei der »deutschen Freiheit« aber sind immer die Privatinteressen der Dynastien im Spiel gewesen, die zu schmälern die eigentliche Aufgabe des Staats gewesen wäre. So bedeutet für Hegel bekannt lich die »deutsche Freiheit«, wie sie das Reich im Westfäli schen Frieden anstrebte, nichts anderes als die »konstitu tionelle Anarchie«, wo alles auf »privatrechtliche Bestim mung«, auf »Partikularität« hinausläuft. Das hat auch auf den Charakter der Deutschen herübergegriffen: »Der Deutsche kann es nicht leugnen, daß die Franzosen, Italie ner, Spanier mehr Charakterbestimmtheit besitzen, einen festen Zweck mit vollkommenem Bewußtsein und der größten Aufmerksamkeit verfolgen.« Der Grund: Weil
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Deutschland ein »Wahlreich« war, ist es kein Staat gewor den. Die damit verbundene Zersplitterung haben sich seine Feinde und selbst deutsche Fürsten immer wieder zunutze gemacht. Aber mit der Zerschlagung im Westfäli schen Frieden ist in Deutschland die Religionsfreiheit gerettet worden, und zwar durch Richelieu. Wohlge merkt, ein römischer Kardinal bewirkt wider seinen Wil len das, wofür ihn seine Landsleute verwünschen und ihm seine Gegner dankbar sein müßten. Die protestantische Kirche hat schließlich ihre politische Garantie in Preußen durch Friedrich den Großen erhal ten: nicht wie bei englischen Königen ein spitzfindiger Theologe auf dem Thron, sondern ein Philosoph, der für theologische Streitigkeiten kein Interesse mehr hat und ihnen damit ihren Wert nimmt, als König-Philosoph eine einzigartige Gestalt! Zugleich ein Aufklärer! Hier schlägt das »protestantische Prinzip« die Brücke zur Aufklärung: »das letzte Stadium der Geschichte« hat begonnen und reicht damit in »unsere Welt« hinein. In der Aufklärung ist das Denken die Stufe, auf der der Geist angelangt ist. Gegen den Glauben als Autorität hat das Subjekt die Herr schaft angetreten. Den Wundern wird widersprochen, der mit den Naturgesetzen streitende Glaube hat seine Kraft verloren: »die Hostie ist nur Teig, die Reliquie nur Knochen«. Im Aufbruch befindet sich dagegen der Ge danke an die Menschenrechte als die natürlichen Rechte. Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie vom Boden des Naturrechts aus beinhaltet den Satz: »das natürliche Recht aber ist die Freiheit und die weitere Bestimmung derselben ist die Gleichheit in den Rechten vor dem Ge setz«. Es war dabei nicht zu übersehen, daß Frankreich bei der Realisierung der politischen Freiheit vorangegangen war. Warum nicht Deutschland? Hegel findet die Gründe her aus. Die Franzosen waren »Hitzköpfe«, deren Revolu tionswille allerdings auch von der Notwendigkeit der Staatsveränderung vorangetrieben wurde. Der Staat vor der Revolution befand sich in einem unsinnigen Zustand; »schamloses Unrecht« regierte. Der ganze Staat ein einzi
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ges System der Verdorbenheit! Hier sind die Franzosen von der theoretischen Einsicht in die Größe der Freiheits idee zur Praxis geschritten. In Deutschland dagegen »hat der Protestantismus die Beruhigung über die sittliche und rechtliche Wirklichkeit in der Gesinnung« besorgt. Die deutsche Aufklärung hat sich auf der Seite der Theologie gehalten, die französische Aufklärung nahm Partei gegen die Kirche. In Deutschland war bereits durch die Refor mation das verbessert worden, was in Frankreich noch im argen lag. Es wäre ein verstiegener Gedanke, den vom aufgeklärten Absolutismus Friedrichs des Großen regier ten preußischen Staat oder auch eine der zahlreichen kleineren deutschen Monarchien als mögliche Opfer der Revolution sehen zu wollen. Was sich in ihnen auch an Unrecht anhäufen mochte, die Kraft der »Notwendig keit« für die Anwendung des revolutionären Gewaltprin zips war hier nicht stark genug. So blieb es den Franzosen vorbehalten, durch die An wendung des Revolutionsprinzips »welthistorisch« zu werden, dem »Weltgeist« die Bahn brechen zu helfen. Die Französische Revolution »ein herrlicher Sonnenauf gang«! So wird sie vom preußischen Staatsphilosophen der Restaurationszeit im Hörsaal der Berliner Universität beschrieben mit dem Zusatz: »Alle denkenden Wesen haben diese Epoche mitgefeiert.« Hier waren ihm Erinne rungen aus den Tübinger Stiftsjahren als Freund Hölder lins und Schcllings lebendig geworden. Seinen Toast auf die Französische Revolution hatte er zwar außer Landes, in einem Dresdner Gasthaus, ausgesprochen, und was den Studenten vom Katheder verkündet wurde, war mündli che Vermittlung und nicht durch den Druck in Buchform allen Augen zugänglich. Es lag auch tief eingebettet zwi schen manchem »Wenn« und »Aber«. Die Wurzel des Napoleonidcn Hegel reichen tiefer, eben bis auf die Revo lution, der er zumindest für einige Monate angehangen hatte. Sie ist eine der Quellen für seine Vorstellung von der »Freiheit«, die als politische eben nicht »Freiheit des Christenmenschen« war. Erscheint sie auch immer wieder zugeschüttet, so sprudelt sie dann, wenn sich Hegel auf sie 396
besinnt, um so mächtiger hervor. »Die Freiheil des Willens selbst ist Prinzip und substantielle Grundlage alles Rechts«, oder »sie ist sogar das, wodurch der Mensch Mensch wird, also das Grundprinzip des Geistes«. Hier schließt sich der Ring wieder. Anfang und Ende seiner Geschichtsphilosophie fallen zusammen. Das wie derum von den Autoritäten des preußischen Staats damals nicht bemerkte Skandalon der Hegelschen Geschichtsphi losophie bestand darin, daß sie die Französische Revolu tion mit dem Bewußtsein des Geistigen in Zusammenhang brachte. Darin lag ihre Auszeichnung: »die Herrschaft ist dadurch der Philosophie geworden«. Das sagte noch nichts über die Praxis der Revolution aus. Ihrer Theorie bestätigt Hegel jedenfalls: das »Prinzip der Freiheit also hat sich gegen das vorhandene Recht geltend gemacht«. Es ist darum der Revolution zuzuschreiben, wenn es zu einer Klimaveränderung des menschlichen Bewußtseins durch die Philosophie gekommen ist. Das greift über auf das Verhältnis zur Religion: »Das abstrakt gebildete, ver ständige Bewußtsein kann die Religion auf der Seite lie gen lassen.« Das gehört mit zum irriversiblen Fortschreiten des »Weltgeistes« als Folge der französischen Ereignisse, sagt aber noch nichts über deren weiteren Verlauf aus. Es muß dazu der »Gang der Revolution« ins Auge gefaßt werden. Hier setzt die Umkehr Hegels als Umschlag der welthisto rischen Vorgänge in ihr Gegenteil ein. Der »Gang der Revolution«'bedeutet den Weg von der Tugend im Na men der Freiheit oder der Freiheit im Namen der Tugend hin zur Tyrannei. Es herrscht am Ende nicht wie vorgese hen das Volk, sondern der Schrecken. Die Stelle des alten Monarchen wird als Chef das veränderliche Direktorium einnehmen, dem Napoleon Militärgewalt gibt, um schließ lich an ihre Spitze zu treten. Dem Aufstieg Napoleons hatte Hegel mit Bewunderung beigewohnt. Er war Zeuge seiner Siege und in Jena selbst Opfer des Krieges gewesen. Am Ende stand freilich die »Ohnmacht des Sieges«. Zu Fall gebracht worden war dieser Koloß von den Gesinnun gen der Völker, unter denen er seine liberalen Einrichtun
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gen verbreitet hatte. Auch das ließ sich nicht mehr rück gängig machen. So hat Napoleon in den Augen Hegels noch mit seinem Sturz den Liberalismus in Bewegung gesetzt. Darin geht es um vernünftige Rechte, Freiheit der Person, des Eigentums im Sinne des liberalen Bürger tums. Die »Abstraktion des Liberalismus« hat von Frank reich ihren Ausgang genommen und von da die romani sche Welt durchlaufen. Frankreich kann darum die ihm durch die Revolution und Napoleon vermachte welthisto rische Führungsrolle noch wciterspielen in der Gestalt der liberalen Bourgeoisie als der Klasse des politischen und wirtschaftlichen Fortschritts gegenüber der alten Feudal aristokratie, die von ihr entmachtet worden war. Hegel ahnt nur die für ihn noch im dunkeln liegenden Zusam menhänge, deren Folgen erst 1830 sichtbar werden; der durch die Schule seiner Dialektik hindurchgegangene Marx nennt sie später beim Namen. Es traf zu: Einen politischen und wirtschaftlichen Liberalismus, der im Sinne des französischen Musters diesen Namen verdient hätte, gab es in Preußen nicht. Lind: Die in Frankreich enteigneten und um ihre Privilegien gebrachten Klassen existierten in Preußen weiter. Nur waren sie, ohne es zu wissen, im Vergleich zur aufsteigenden bürgerlichen Klasse bereits in die Veralterung hineingedrängt. Hegel deutet hier an. Er kennt den weiteren Verlauf der Geschichte noch nicht, kann ihn auch gar nicht ken nen. Aber mit dem Heraufziehen des Liberalismus sieht er Drohendes vor die Schwelle zur Zukunft gerückt. Denn der Liberalismus steht für das »Prinzip der Atome«, für den Einzelwillen. Liberalismus beruht auf der fortwäh renden Spaltung. Damit läßt sich auf die Dauer nichts Festes ausrichten, keine Organisation aufbauen. Preußen und die protestantische Welt sieht er eigentümlich gefeit vor den Gefahren des Liberalismus, den er für auf die lateinischen Völker zugeschnitten hält. Die »protestanti sche Welt selbst« ist bereits »im Denken zum Bewußtsein der absoluten Spitze des Selbstbewußtseins gekommen«, sie bedarf darum keiner besonderen Gegenkraft gegen die »Unfreiheit« der römischen Kirche. Nur ist mit dem
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Spaltungswillen des atomaren Liberalismus Unruhe auf gekommen: »der Liberalismus hat alle romanischen Na tionen, nämlich die römisch katholische Welt - Frank reich, Italien, Spanien beherrscht« und »bankerott ge macht«. Die Bewegung dauert an, neue Kollisionen berei ten sich vor. Hier war der Philosoph der Geschichte, der ihren Ver laufverfolgt hatte, an die eigene Gegenwart herangekom men. Allerdings darf die Organisierung der Freiheit durch den Liberalismus nicht mit der Freiheit selbst ver wechselt werden. Das Fazit der Aufklärung indessen läßt sich nicht mehr ausstreichen. Alles ist in ihr auf das Denken zusammengezogen. Daß Denken und Sein im Sinne Fichtcs zusammenfallen, galt für Hegel als undis pensierbare Voraussetzung seiner eigenen Philosophie und wird als Errungenschaft mit der Hegeischen »Frei heit«, dem Ziel der Weltgeschichte, in Einklang gebracht: »Der Mensch ist nicht frei, wenn er nicht denkt.« Das stand fest auf dem Boden der Aufklärung, der Hegel nachsagt, daß sie von Frankreich nach Deutschland herübergekommen sei. Immer im Spiel ist dabei der Zu sammenhang der Idee der Freiheit mit der politischen Verfassung, den Hegel auf den englischen Parlamentaris mus und seine Funktionen zurückverfolgt. Zur Verherrli chung des Parlamentarismus sieht der Freund der Monar chie allerdings nicht den geringsten Grund. Denn in England, wo Monarchie, Aristokratie und Demokratie nebeneinander wirkende Kräfte im Staat sind, regiert das Parlament durch die »republikanische Verdorbenheit«, die Hegel von Bern her kannte, der zufolge man sich seinen Sitz im Parlament kaufen und seine Stimme ver kaufen kann. Auch das gehört zur englischen Freiheit. Gerechtfertigt wird der parlamentarische Zustand damit, daß er die Möglichkeit einer Regierung schafft. Denn Regierung muß sein. Es sticht dabei die »materielle Exi stenz« Englands hervor. Das Land ist im Gegensatz zu Deutschland auf Industrie und weltweiten Handel ge gründet, was aus den Engländern die Missionare der Zivilisation macht.
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Die deutschen Verhältnisse sieht Hegel in wohlgeord netem Zustand. Durch die französische Unterdrückung, die das Volk abgeschüttelt hat, sind die Mängel früherer Einrichtungen ans Licht gekommen. Sie dürfen jetzt als weitgehend abgestellt gelten. Der preußische Staatsphilo soph verbreitet Optimismus. Mit dem Untergang des alten »Reichs« ist auch dessen »Lüge« aus der Welt ge schafft: »Die Lehnsverbindlichkeiten sind aufgehoben, die Prinzipien der Freiheit des Eigentums und der Person sind zu Grundprinzipien gemacht worden. Jeder Bürger hat Zutritt zu den Staatsämtern«; ferner: es gilt als gesi chert, daß »durch die protestantische Kirche die Versöh nung der Religion mit dem Rechte zu Stande gekommen ist«. Es sieht also, was Deutschland und Preußen angeht, gut aus in der Welt. Daß die Geschichte es in ihrem Entwick lungsgang so weit gebracht hat, ist die wahre »Theodicee«, die Rechtfertigung Gottes in der Geschichte. Die Ge schichte also unzweifelhaft ein Werk Gottes! Hegels Geschichtsphilosophie war aus der europäi schen Entwicklung des Historismus hervorgegangen, an dessen Anfang der Italiener Giambattista Vico gestanden hatte. Im Vorwort zur ersten Auflage des Werks macht Eduard Gans darauf aufmerksam und führt an, daß Vico, obwohl der sich schon in der Ära der Cartesianischen Philosophie befunden habe, nicht über den Scheibenrand des alten vorcartesianischen Denkens hinausgelangt sei. Auch Herder war Geschichtsphilosoph allerersten Ranges gewesen, sicher oft ideenreicher, in der Kenntnis man cher Kulturräume und Zeitepochen umfassender als He gel. Aber was Hegel über ihn hinaushebt und ihm auch gegenüber den nachhegelianischen Geschichtsphiloso phien gegen alle Anfechtbarkeiten der Einzelurteile die Sicherheit verleiht, die Geschichte in ihrem Vorrücken darzustellen, war die »Methode«. Bei Hegel ist die Me thode zur Geschichte geworden und die Geschichte zur Methode. Zur »Methode« aber gehört die Gegenläufigkeit in den Rückschüben der Geschichte als Moment, das eine Vor
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aussage für die Zukunft unmöglich macht. Hegel ist ein Gegner jeglicher Form von Prophetie (D'Hondt), weil »die Erfahrung aber und die Geschichte lehren« - so im Ent wurf über die Arten der Geschichtsschreibung von 1822 -, daß
»Völker und Regierungen niemals etwas aus der Ge schichte gelernt und nach Lehren, die aus denselben zu ziehen gewesen wären, gehandelt haben«. Die Erklärung ist plausibel: Ereignisse, die sich in der Vergangenheit einmal abgespielt haben, werden, wenn sie auf vergleich bare Weise auftreten, im »Gedränge der Weltereignisse« nicht mehr als vergleichbare empfunden. Die »fahle Erin nerung hat keine Gewalt im Sturm der Gegenwart«, sie wird Staatsmänner und Völker nicht davon abhalten, das zu tun, was sie in ihrer Gegenwart wollen oder müssen. Außerdem: »Kein Fall ist dem andern ganz ähnlich.« »Jedes Volk hat seine eigene Lage, und für die Begriffe von dem, was Recht ist, braucht man nicht erst die Ge schichte«: Das richtet sich gegen Savigny, der Rückschau nach Begebenheiten der Vergangenheit hält, um sie nach ihrem historischen Recht zu befragen. Gemeint und beim Namen genannt ist aber insbesondere die Schweizergc schichte von Johannes von Müller mit ihrer Erinnerung an vergangene Rechtszustände und auch die Französische Revolution, wo man sich fortwährend auf Beispiele der griechischen und römischen Geschichte berufen hat. He gel hält dagegen: »Jede Zeit, jedes Volk hat so eigentüm liche Umstände, ist ein so individueller Zustand, daß in ihm aus ihm selber entschieden wird.« »Die Geschichte lehrt, daß sie nichts lehrt« (D'Hondt) ist als ein der »Ver nunft der Geschichte« zuwiderlaufender Lehrsatz von Hegels Geschichtsphilosophie zugleich ein komplementä rer, der dem Idealismus ihrer Zielidee den Zug des Ge schichtsrealismus hinzufügt. Der Krieg kann wie der Frie den »bloß äußerliche Zufälligkeit« sein, aber — und das ist immer auch das Urteil des staatsoffizicllen Rechtsphiloso phen einer Militärmonarchie — kann ebenso mit »Notwen digkeit für die Gesundheit der Völker« geführt werden. Der Krieg ist nie Endzustand, er ist kontradiktorisches Prinzip, das es möglich macht, zum Frieden hinzuführen,
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wie vor dem Hintergrund der antiken Sklaverei und der orientalischen Despotie die Idee einer mit dem Chri stentum anhebenden und in der verchristlichten germani schen Welt sich ausbreitenden Freiheit für alle Menschen aufleuchtet, als das Prinzip, das der Weltgeschichte in ihrem weiteren Portschreiten den Sinn gibt.
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Dreiunddreißigstes Kapitel
Die niederländische Reise Auf die seit langem geplante Reise in die Niederlande hatte sich Hegel, als er sie Mitte Scptcmher 1822 antrat, nur ziemlich widerwillig begeben. Das einzige Reiseziel neben dem Erwerb allgemeiner Kenntnisse war der Be such bei Peter Gabriel van Ghert, seinem Schüler und nun niederländischer Kulturbeamter in Brüssel. Kaum ist He gel in Magdeburg als erster Station angekommen, bereut er das begonnene Abenteuer und möchte am liebsten wieder umkehren. Es war sehr unwirtlich zugegangen, und das sollte sich auch für den künftigen Reisevcrlauf nicht ändern. Er fühlt sich zunächst an der Weiterfahrt gehindert, weil die erwartete Post von seiner Frau noch nicht eingetroffen ist. Der klägliche Zustand der angebo tenen Reisewagen irritiert ihn, und er ändert immer wie der seine Wahl der einzuschlagenden Reiseroute. Die Wartezeit vertreibt er sich damit, daß er einen längeren Brief (15. September) an Goethe schreibt und ihm dessen Erfahrungen mit dem Spektrum bei einfallenden Licht strahlen bestätigt. Ein Vergleich des Magdeburger Doms mit den gotischen Kirchen in Nürnberg fällt eher zuun gunsten des norddeutschen Baus aus. Bei einem Spazier gang an der Elbe genießt er das Erlebnis, dreizehn Ham burger Schiffe mit schwellenden Segeln einlaufen zu sehen, wie er seine Frau wissen läßt. Zugleich hält er Umschau nach einem geeigneten Reisegefährten und glaubt ihn schließlich in einem jungen Engländer gefun den zu haben. Die Entscheidung für Kassel als nächste Station fiel erst im letzten Augenblick und scheint von der Qualität der Postkutsche bestimmt gewesen zu sein. Die Route gehl über Braunschweig und weiter über Göttingen, dem He gel trotz seiner Universität die Ehre eines Fünfminutenbc suchs glatt verweigert. Von Kassel ist er dann voll und ganz angetan. Er findet die Stadt »im Stil von Berlin« mit Anlagen, Gärten wie in Potsdam und schönem grünen
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Rasen. Man kann sogar im Freien Kaffee trinken. Beim Besuch der Gemäldegalerie bedauert er, daß die vortreff lichsten Bilder nach Paris und Petersburg gebracht wor den sind. Hier haben es ihm vor allem die Niederländer angetan. Bei einem Ausflug nach Wilhelmshöhe, dem vom Kurfürsten noch bewohnten Lustschloß, fühlt er sich nach dem Aufstieg durch den Blick über die Stadt, das Tal und die in der Ferne gelegenen Hügel wirklich belohnt. Den nächsten Reisebericht erhält Marie Hegel aus Ko blenz. Die Fahrt dorthin scheint sehr ungemütlich verlau fen zu sein. Nach dem Ausfall des Engländers, der in Kassel geblieben war, reist Hegel »unter lauter deutschen Landsleuten«, sechs an der Zahl, drei auf jedem Sitz und also eng aneinandergepreßt. Der spekulative Philosoph aus Berlin, der wenig Wesens von sich macht, aber doch auf eine gewisse Rangordnung insbesondere gegenüber dem mitreisenden »außerordentlichen Professor der Theologie«, der namentlich unerwähnt bleibt, achtet, scheint es dem Gießener Studenten im Fond verübelt zu haben, daß er seinen Sitz Nr. 1 unverrückt besetzt hielt und ihm so Beschwernisse bereitete. Die Reise führt an der landschaftlich schön gelegenen Lahn entlang. Mar burg hinterläßt mit seinen verfallenen Häusern einen verwahrlosten Eindruck. In Gießen teilt sich die kleine Reisegesellschaft. Einige steigen in das Gefährt nach Frankfurt, die andern mit Hegel und einem Lehrer »mein jugcndlehrender Kollege, der Israelite«, wie ihn der Briefschreiber nennt — fahren über Weilburg und Limburg dem Rhein entgegen. In Limburg muß es dann sehr vertrackt zugegangen sein. Man kam um zwei Uhr in stockfinsterer Nacht und im Regen an und mußte erst in mehreren Wirtshäusern nachfragen, bis sich eine Unter kunft fand. Sehr durchnäßt ist dann Hegel in Koblenz angekommen, und er sah sich gezwungen, »das dritte Hemde« anzuziehen und den versäumten Schlaf nachzu holen. Die Weiterfahrt per Schiff auf dem Rhein nach Köln mit Stationen in Linz und Bonn ist für Hegel eine einzige Enttäuschung gewesen. Es war windig mit feuchter Kälte, 404
so daß die Passagiere aus der Kajüte nicht an Deck treten konnten. Unter ihnen Studenten, die sich mit großen Ranzen, aus denen die Stiefelfuße an jeder Seite heraus ragten, auf die Rheinfahrt begeben hatten! Die Rheinfahrt als großes europäisches Bildungserlebnis! Hegel muß bekennen, daß er »das stolze Bewußtsein, eine Rheinreise zu machen, nicht gewinnen konnte«. Nun bereut er es vollends, sich von Berlin wegbegeben zu haben. Um wie vieles schöner wäre es, bei seinen Studien, der Frau und den Söhnen zu sein! Köln fand Hegel »sehr weitschichtig«, und den Dom hat er in Worten verhaltener und eigentlich doch stark einge schränkter Bewunderung als »Hochwald« gefeiert, »der für sich steht und da ist, ob Menschen da drunten herum kriechen und gehen oder nicht«. Er konnte ihn damals als unvollendetes Riesenwerk sehen, als ein »Unternehmen der Stadt«, die sich mit dem Bau etwas übernommen hatte. Einen Besuch hat er dann auch Wallraf, dem Anti kensammler und Numismatiker, abgestattet, an den er von Windischmann bei seinem kurzen Aufenthalt in Bonn empfohlen worden war. Der damals schon fünfundsieb zigjährige Wallraf wollte es sich nicht nehmen lassen, dem Gast die Stadt von ihrer ältesten Seite zu zeigen, und führt Hegel deswegen in die Quartiere, wo sich Reste der ehe maligen römischen Lager befinden. In Köln hat Hegel es nun an der Zeit befunden, dem Freund van Ghert in Brüssel seine kurz bevorstehende Ankunft bekanntzugeben. Vier Tage glaubt er für die Reise, die er über Aachen, Lüttich zu unternehmen und mit einem Umweg über Namur zu verbinden gedachte, zu benötigen. Er ist dann auch ankündigungsgemäß, aller dings ohne den Abstecher nach Namur, in Brüssel ange kommen. Aber in Aachen hatte er es sich nicht nehmen lassen, den Dom zu besuchen und als Philosoph des Abso luten auf dem Kaiserstuhl Karls des Großen für einige Augenblicke Platz zu nehmen. Daraufgesessen zu haben, hat er als ausdrückliche »Satisfaktion« empfunden. Das erste Bekanntwerden mit den Niederlanden nach dem Passieren der Grenze hat ihn beeindruckt. »Dies
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Land ist reich «, läßt er hören, was zugleich den Unterschied zum heimischen Preußen markiert: » I n den Niederlanden zu reisen ist eine Freude.« Städte wie Lüttich und Löwen mit ihren imponierenden Bauten liegen auf dem durch fruchtbares Kornland führenden Weg nach Brüssel. Die Straße von Lüttich nach Brüssel hat zu seinem großen Erstaunen »Pflaster wie das neue der Königstraße in Ber lin«. Die Reise - etwa 90 km - läßt sich dadurch schon in 12 Stunden zurücklegen, und das »für 10 Franken«. Dies und noch vieles mehr erfährt seine Frau im Brief vom 3. Oktober, der ihr zugleich seine Ankunft am eigent lichen Ziel der Reise vermeldet. Der Besuch aus Berlin muß für van Ghert nicht nur sehr willkommen gewesen sein, er kam ihm auch gelegen. Er war gerade von einer Krankheit genesen, hatte aber seinen Dienst als königlicher Kommis sar für das Religionswesen in den katholischen Südnieder landen noch nicht wieder angetreten und konnte sich so ganz dem Lehrer und Freund aus Jenenser Tagen wid men. Schloß Lacken wird in Augenschein genommen, zugleich gilt der Besuch dem damals so berühmten Botani schen Garten. Das Wichtigste: Man mietet sich ein Kabrio lett und fährt hinaus auf das Schlachtfeld von Waterloo, auf dem sieben Jahre zuvor Hegels großes Idol, der »Welt geist zu Pferde«, sein militärisches Ende erlebt hatte. Den Philosophen des Absoluten jetzt an der Stelle zu sehen, »wo Napoleon, der Fürst der Schlachten, seinen Thron aufge schlagen«, wie er stolz nach Berlin schreibt, hat einiges für sich. Die Weiterfahrt nach Gent in van Gherts Begleitung führt ihn durch Flandern. Der Briefschreiber scheint von der unbeschwerten Heiterkeit dieser Landschaft geradezu angesteckt zu sein. Keine Bettler wie zwischen Aachen und Lüttich, sondern nur gutgekleidete Erwachsene und Kin der auf den Dörfern! Und dies in einer Kunstlandschaft, die ihresgleichen nicht so leicht findet! In der Genter St. Bavo-Kathedrale hat Hegel vor den van Eyck-Bildcrn gestanden und der Rektoratsübergabe in der Universität beigewohnt; nach dem Mittagessen waren die beiden Freunde nach Antwerpen aufgebrochen. Dort haben sich dann ihre Wege getrennt; van Ghert 406
mußte zurück nach Brüssel, nicht zuletzt deswegen, um die für Hegel eingetroffene Familienpost dem Reisenden nachzuschicken, der sich auf die Weiterfahrt durch das eigentliche Holland zu begeben gedachte. Fs muß in Ant werpen allerdings recht ermüdend zugegangen sein. Bei der Besichtigung der vielen Kirchen fühlt sich Hegel wie in Schweiß gebadet. Angesichts des geringen Fahrpreises von 25 Franken für die Benutzung einer »Diligence« nach Paris kommt er sogar kurz in Versuchung, der französi schen Hauptstadt von hier einen Besuch abstatten zu wollen. Den Ausschlag für die Reiseroute nach Amster dam über Breda gab ein Bild von Michelangelo, das keines war und das er sich dort anzuschauen gedachte. Von Breda mußte er dann das Dampfboot bis Moerdyk benut zen und erlebt von Dordrecht an jene weite grüne hollän dische Wiesenlandschaft mit ihren Kanälen, den Kühen, die auf den Weiden gemolken werden, den Städten mit ihren rötlichen Backsteinen. Die Anstrengungen müssen ihm ziemlich zugesetzt haben. Schon in Antwerpen konnte er vor dem Spiegel bemerken, daß sein Hals mage rer geworden ist. Aber die viele körperliche Bewegung hatte ihn auch gekräftigt. Er fühlt sich wohlauf, und mit dem Geld ist er bisher sehr sparsam umgegangen. In Den Haag fällt ihm der holländische Reichtum auf. Wo läßt die Stadt bloß die Armen? In den Straßen jeden falls sind sie nicht zu sehen. Dafür befinden sich an ihnen die elegantesten Ladengeschäfte mit Gold- und Silberwa ren, Porzellan, Tabak, Schuhen in den Auslagen, unend lichen Vorräten, die abends fein arrangiert und in heller Beleuchtung zu sehen sind. Der Besuch der »Galeric«, wahrscheinlich das Mauritshuis mit seiner kleinen, aber einzigartigen Sammlung, wird nur beiläufig erwähnt. Un erläßlich war ein Ausflug nach Schevcningen, um einmal richtig die Nordsee gesehen zu haben und Muscheln am Strand aufzulesen. Den Abend verbringt er in der franzö sischen Komödie. Wenn er über Amsterdam, das er »die Königin der Meere« nennt, nur wenig Worte verliert, so hing das auch damit zusammen, daß er inzwischen reisemüde geworden
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war und unentwegt an die Heimfahrt dachte, die er so rasch wie möglich antreten wollte. Wir hören /war noch von einigen Rembrandtbildern dort im Großformat, aber ohne nähere Beschreibung, von einem Dr. Besseling, bei dem er zu Mittag gegessen hat, und von einem abendlichen Besuch in zwei Synagogen, dazu einiges Allgemeine über »unzählige Kanäle«, »Schiffe« und das »Gewühle« und »Gelaufe«, das hier herrscht, über die Börse, bei der es um drei Uhr, wenn dort geläutet wird, zugeht, »wie wenn es in Berlin aus der Komödie sich drängt«, aber sonst scheinen die Eindrücke matter geworden zu sein. Er hatte viel gesehen und es ständig mit Berlin verglichen. Der Wohlstand und der Warenreichtum, wie er sie namentlich in Holland ange troffen hatte, zwang ihn zu Denkkorrekturen, über die seine Berichte genauen Aufschluß geben. Hier waren die Kontraste zur preußischen Kargheit am stärksten. Und vor allem: Hegels Auge hatte sofort die Überbevölkerung dieses westeuropäischen Handels- und Kolonialstaats ent deckt. Der Rückweg über Utrecht, Deventer, Bentheim, Osna brück, Bremen und Hamburg ist dann sehr zielstrebig in Richtung Berlin eingeschlagen worden. Sobald er die holländische Grenze hinter sich hatte, verläuft die Fahrt durch die dem Betrachter eintönig erscheinende Heide ziemlich enttäuschend. Er war von den Niederlanden her die weiten grünen Wiesen gewohnt und sieht sich nun mitten in eine Art Steppenlandschaft versetzt. Über den großen Ertrag seiner Reise wird er später in lebhaften Farben berichten mit der Erfahrung des Preußen aus Württemberg: Eine so hochzivilisierte Region wie die Nie derlande muß man gesehen haben.
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Vierunddreißigstes Kapitel
Ästhetik Hegels Ästhetik ist zustande gekommen auch durch die besondere Gunst, wie sie vor ihm kein Philosoph genossen hat und nachher in vergleichbarer Weise auch keiner mehr genießen wird; sie ist hervorgegangen — und war einzig nur dadurch möglich — aus dem persönlichen Um gang mit dem Künstler par excellcnce, mit Goethe. Ein Blick auf die Phänomenologie des Geistes, die Logik, die Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, von den frü
hen theologischen Schriftstücken ganz zu schweigen, be lehrt den Leser, wie schwer der Autor mit der Kunst des Schreibens zu ringen gehabt hat, wie wenig überhaupt das Künstlerische als praktisches Verfügen über die Mittel der Kunst dem ehemaligen Tübinger Theologiekandidaten zu Gebote steht, wie sich bei ihm alles auf die Vorstellung der Idee zusammenzieht. Theologie, Philosophie, Ge schichte mit ihren Abstraktionen, der Anlage zum System, sind Hegels eigentliche heimatliche Gefilde. Vom künstle rischen Naturell Schopenhauers oder gar Nietzsches, der bis in die Sprache hinein als Künstler denkt, ist bei Hegel so gut wie nichts zu finden. Es fehlt alle Leichtigkeit, das Allegro, die »Fröhliche Wissenschaft«. Bei der Berührung mit der Kunst sind für den in der Luft der württembergi schen Orthodoxie groß gewordenen Denker innere Sperriegel zu überwinden. Auch hier ist Hegel, der nie bemerkt hatte, daß ihm der Geist der großen griechischen Lyriker im verdeutschten Klang von Hölderlins Versen entgegenwehte, wieder der, der spät nachzieht. Nun war das Württemberg Karl Eugens ein Land unan gefochtener Frömmigkeit geblieben. Zwar zog es in seinen höfischen Zentren, in Stuttgart und Ludwigsburg, Archi tekten und Kunsthandwerker, Theatertruppen und Mu siker an, es begünstigte die Kunst, soweit sie dienlich war. Abcrein den Künsten, insbesondere der Dichtung förder liches Klima gab es hier nicht. Es hatte dem Dichter Schubart den Kerker auf dem Hohenasperg beschert und
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Schiller die Flucht außer Landes. Für den Verfasser des Agathon war hier nicht der rechte Boden: Wieland zog es nach Erfurt und später in weimarische Dienste. In Bern und während der Vereinsamung als Hausleh rer auf dem Landgut der Familie Steiger hatten die Dinge für Hegel nicht viel anders gelegen. Hegels literarischer Geschmack, den er der Gegenwartsliteratur abgewann, ist bis zur Übersiedlung nach Jena noch an Hippeis Lebens läufe nach aufsteigender Linie orientiert gewesen. Aber in
Frankfurt war er schon, was sich offenbar in Jena nicht in gleichem Maße fortsetzen ließ, fleißiger Theaterbesucher gewesen. Dafür bot ihm Jena anderes. Er betrat zwar diese zeitweilige Hauptstadt der Romantik erst, als sich die romantische Literaturszene bereits in Auflösung befand und er eher als schüchtern-stiller Gast unbemerkt an ihrem Rande verharrte. Fichte war damals schon aus dem Dienst entlassen. August Wilhelm Schlegel konnte nicht ein Mann nach Hegels Geschmack sein. Das war, wenig stens zeitweise, eher eine Sache Schellings, der durch Caroline in die Jenenser Zirkel hineingeheiratet hatte. Jena bedeutete für ihn auch Schiller. Doch mit ihm war eine rechte Beziehung nicht zustande gekommen. Man ist, wie wir wissen, über das Vorfeld verlegener und wortkar ger kürzerer Begegnungen nicht hinausgelangt. Was blieb und magnetische Anziehungskraft auf Hegel aus übte, war Goethe. Damit war Hegel, ob er nun wollte oder nicht, ins Zentrum der weimarisch-jenensischen Kunst- und Wis senschaftswelt gelangt, mit vollem Anteil daran. Weniger der gesellschaftlichen, die vom Hof der benachbarten Residenzstadt in Bewegung gehalten wurde! Goethe, der Künstler und der Minister, in dessen Zuständigkeit die Universität fiel, verkörperte beides. Und Goethe stellt für Hegel, wie er selbst von ihm bemerkt, ein »Fanal« dar. Er ist der Erwecker, der den an seinen Abstraktionen schwer tragenden spekulativen Philosophen für das Phänomen der Kunst öffnet und ihm die Erkenntnis von der Kunst als einer Sphäre des »absoluten Geistes« neben der Reli gion und der Philosophie bekräftigt.
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Das lag außerhalb der Kantischen Vorstellungen. Kants Ästhetik, wie er sie in einer Kritik der Urteilskraft abhandelt, ist im wesentlichen theoretische Urteilsanalyse, die Wolff und Baumgarten hinter sich hat, aber sie hatte anderes im Sinne. Sie stellt eine Rubikonüberschreitung der Philoso phie dar, auch wenn sie das hinter Definitionen im »Zopf stil« wie über das Gefühl des Schönen als »interesseloses Wohlgefallen« verbirgt. Das war ein Schlag von definitiver Endgültigkeit gewesen und besagte rückblickend für die, die es noch nicht gewußt hatten, wie vorwegnehmend für alle Zukünftigen: Wo Schönes in Natur und Kunst auf tritt, hat es als Objekt der ästhetischen Anschauung mit irgendeiner Form der Moral, des Glaubens, nach neue rem Sprachgebrauch des politischen Engagiertseins nicht das geringste zu tun. Der luzide Verstand Kants hatte hier die Grenze des durch sinnliche Anschauung gewonnenen Ästhetischen und des nicht der sinnlichen Anschauung Zugänglichen ein für allemal gezogen. An dieser Stelle wird Hegel die Höhe der Kantischen Ästhetik nicht voll halten. Er kennt die Trennung der Sphären von Kunst, Religion, Philoso phie, zieht ihre Grenzen ebenso wie Kant, aber er kann sie auch verwischen. Seine Vorstellung von der »Religion der Kunst« ist durch und durch unkantisch und ein Rückfall ganz auf den Boden der alten Metaphysik. Nach neuerer Formulierung »bleibt offen, mit welchem Recht Hegel die Religion im engeren Sinne mit der Kunst im engeren Sinne unter dem Titel >Kunst< vereint und sie nicht, wenn beide schon als selbst polarstrukturierter Pol der Spekula tion gegenübertreten sollen, als Religion bezeichnet« (Jaeschke). Nur: Hegel holt sich das, was er preisgibt, auf dialektischem Wege zurück, läßt bei der Unsicherheit, die das Dunkel der Metaphysik über ästhetische Urteile aus breitet, das »Sowohl-Als-auch« gelten. In dieser Frage bekommt die Sache einen Sprung gegenüber Kant. Der Kantische Schritt war einmal getan, er ließ sich, wie Hegel gerade mit seinem Rückschritt dartut, nicht mehr unge schehen machen. Aber wenn Hegel auf der einen Seite hinter Kant zu
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rückblicb, ging er auf der anderen Seite über ihn hinaus durch Erfahrungen der Kunst und des Kunstwerks, die Kant nicht gemacht hatte. Kants Ästhetik als »Kritik der Urteilskraft« verhielt sich gegenüber dem Phänomen der Kunst und hier den Einzelkünsten formal-formalistisch. Sie enthielt nicht das, was Hegels Ästhetik auszeichnet, rührte mit keinem Wort ernsthaft daran: Sie war keine Philosophie der Kunst. Kant war als Ästhetiker über den Geschmack der frü hen Aufklärung nicht hinausgelangt. Schon Lessing war ihm, wie sein von Hamann mitgeteiltes Urteil über den Nathan zeigt, unverständlich geblieben. In der Geniebe wegung mit Goethes Werther sah er, von seinem Stand punkt aus zu Recht, eine die Vernunft bedrohende Ge fahr. Umgekehrt bildet er für die heranwachsende Gene ration, darunter seine ehemaligen eigenen Schüler wie Hamann und Herder, eine Zielscheibe der Angriffe ge gen die Vorherrschaft des Vernunftgebrauchs. Die klassi sche Bewegung, Goethe und Schiller, ebenso die aufstei gende Romantik seit den neunziger Jahren des 18.Jahr hunderts: an Kant im fernen Königsberg schienen sie vorübergegangen zu sein. Wer nach Spuren vom Feuer des Ergriffenseins angesichts großer Kunstwerke der Dichtung, der bildenden Künste, der Musik bei Kant sucht, wird leere Seiten finden. Über Goethes Egmont, über Mozarts Zauberflöte, Werke seiner jüngeren Zeitge nossen also, ist bei ihm nichts zu erfahren. Sie haben für Kant, der seinen Kritizismus an Hume und Locke und gegen sie entwickelte, nicht existiert: »nicht der Königs berger Dom, aber Tapeten, Buchgraphiken, Porzellan, Stockknöpfe zeigten ihm, was Kunst ist« (Pöggeler). Was schon feststeht und dann bei Hegel wiederkehrt, ist der Gegensatz von »Natur« und »Kunst«, das große Thema von Goethes Ästhetik der »Propyläen«, hier als »Naturschönes« und »Kunstschönes« auseinandergehal ten, aber ohne die Verdächtigung der »Natur«, wie sie idealistischem Denken eigentümlich und bei Schiller als Interpret Kants sehr zum Leidwesen Goethes anzutreffen ist. Hier scheiden sich die Geister, zeichnet sich die halb
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materialistische Ader Goethes ab. Hier rückt auch Hegel, wenn er der Kunst höheren Rang als der Natur zuer kennt, näher an Schiller heran. Der Porträtist oder der Plastiker müssen sich über das nur Natürliche hinwegset zen, sie müssen das den Sinn für die Schönheit Beleidi gende weglassen, wenn sie die Schönheit der Natur über bieten wollen. Und das hatten sie zu wollen, wie der Künstler, der den Diskuswerfer oder die Venus nachbil det. Denn die in Marmor geschlagene Makellosigkeit des schönen Körpers mit den genau eingehaltenen richtigen Proportionen ist sehr wohl imstande, die bloße Natur mit ihren kleinen Unebenheiten, Fehlern und Flecken zu übertreffen. Die darin enthaltene Aufforderung an den Künstler läßt sich weiter ausdehnen: Weil die Nachbil dung des gemeinen Lebens mit seinem »Alltagsjammer« nicht zur Kunst führen kann, muß der Künstler sie erst gar nicht versuchen. Wo die Darstellung sich auf die »physischen Lebenszwecke« gründet, ist es um die Frei heit und Selbständigkeit des Individuums getan, es »ist deshalb nicht aus seiner eigenen Totalität tätig und nicht aus sich selbst, sondern aus Anderem verständlich«. Also weg von der »gemeinen Wirklichkeit« und hin zum Ideal als der eigentlichen Wirklichkeit der Kunst! So wie es Schiller in seinem Gedicht Das Ideal und das Leben gesagt hatte: Aber in den heiteren Regionen, Wo die reinen Formen wohnen, Rauscht des Jammers trüber Sturm nicht mehr. Das nimmt der Kunst eine niederdrückende, sie am Bo den haltende Schwere, die sie um sich selbst bringen müßte, den Unterschied zum Leben aufheben würde. Aber »Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst«. Aus diesem von Hegel wiederholt angeführten Wort Schillers läßt sich das Grundverständnis einer auf Idealität bedachten Kunst heraushören. Hier liegen die Elemente seiner Ästhetik nebeneinander geordnet vor uns: die Be trachtung des Schönen hat im Einklang mit Kant »libera
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ler Art« zu sein, »ein Gewährenlassen der Gegenstände als in sich freier und unendlicher«; sie beruht auf der Platoni schen Lehre von der Substantialität der Ideen, aber sie kennt eben gerade deswegen auch das Heranrücken des Schönen an das Gute und ihr mögliches Zusammenfallen. Was hier auf Zustimmung schließen läßt, enthält indessen zwei Brüche von eminenten Ausmaßen. Ein mit dem Guten verbündetes Schönes hat etwas mit Moral zu tun. Aber die Größe der Kantischen Ästhetik bestand gerade darin, daß in ihr jede Verbindung zum Moralischen be stritten worden war. Die Kunst hat sich nach Hegel über die Prosa des Lebens zu erheben. So muß das Epos in der Welt der Götter, der Könige, der Fürsten spielen. Es muß darin seine eigene Höhe gegen alles Niedrige erkennen lassen. Warum? Nicht aus Liebe zur hier anzutreffenden Vor nehmheit, sondern weil nur hier Freiheit und die Form der individuellen Selbständigkeit anzutreffen sind. Hier beruht das Subjekt ganz auf sich, es beruht nicht auf den Beschlüssen anderer. Hier kann sein Fall verhandelt, kann Freiheit verspielt werden, weil nur das verspielt werden kann, was vorher in Besitz gehalten wurde. Das führt jede Kunst in die Form des jeweiligen Weltzustandes hinein. Wie er beschaffen ist, hängt mit Faktoren ganz verschiedener Art zusammen, die sich in ihm treffen und so an ihm mitwirken. Er ist ursprünglich nicht durch eine gesetzliche Ordnung der Dinge, durch Staatsverfas sungen oder Institutionen geschaffen worden, sondern durch gewaltige Menschen, durch Heroen, die allem Ge setz, allem Staat vorausgehen, die außerhalb oder vor der Geschichte leben. Sie sind, was sie sind, durch sich sfclbst, sie nehmen ihre Tat auf sich und mit ihr die Folgen, wie bei den Homerischen Helden, wie bei Ödipus und Ore stes. Knechtische Dienste wie bei Herakles, dem Urtypus für den griechischen Heroenkult, oder wie bei Odysseus können zwar von ihnen geleistet werden, aber sie dienen schließlich doch ihrer eigenen Verherrlichung. Die Tat des griechischen Heros kann nicht von einem andern stellvertretend gesühnt werden, denn es ist seine Tat.
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Als idealer oder poetischer Weltzustand hat demnach der heroische zu gelten. In der verchristlichten Welt tre ten die Heroen als Ritter auf, als Ritter der Tafelrunde, als Paladine Karls des Großen oder wie der Cid als Musterbild eines Kämpfers gegen die Ungläubigen. Aber die voraus gesetzte Idealität kann bedroht werden, der Weltzustand durch Verrottung ins Verderben umschlagen und den Verlust allen Rechts nach sich ziehen. In seinen Räubern hatte Schiller mit seinem Karl Moor ein heroisches Indivi duum dargestellt, das den Kampf gegen den vorhande nen Weltzustand aufnimmt, allerdings selbst ins Unrecht verstrickt wird und darum zugrunde geht. In der Verän derung des Weltzustandes zeigt sich die vorrückende Ge schichte selbst bei der Arbeit. Durch die Schillersche Tra gödie — Kabale und Liebe, Fiesco, Don Carlos, Wallenstein geht immer der heroische Wille zur Erneuerung der Welt, während in Goethes Götz von Berliehingen der umgekehrte Weg eingeschlagen ist; hier trotzt ein mittelalterliches ritterliches Heroentum der heraufziehenden Zeit, es stemmt sich dem Untergang, der ihm von der neuen WTeltordnung droht, entgegen und unterliegt. Anders bei der idyllischen Dichtung; hier geht es nicht um kriegeri sche Taten, sondern um kleine Begebenheiten: ein Schaf ist verlorengegangen, ein Mädchen hat sich verliebt. Die Größe Goethes sieht Hegel darin, daß er in Hermann und Dorothea die schlichten Geschehnisse eines begrenzten Kreises vor dem Hintergrund der Französischen Revolu tion sich abspielen läßt und die große Politik mit ihren Weltintercssen in diese Verhältnisse halbländlicher Ein falt oder der kleinen Stadt hineinwirken läßt. Die Dichtung steht für Hegel allen anderen Künsten voran. Nicht die bildenden Künste oder die Musik! Die Architektur - so hören wir — hat deswegen als die »unvoll ständigste Kunst« zu gelten, weil sie mit der »schweren Materie, welche sie als ihr sinnliches Element ergriff und nach den Gesetzen der Schwere behandelte«, letztlich »unfähig« ist, »Geistiges in angemessener Gegenwart dar zustellen«. Die Skulptur ist höher anzusetzen, sie macht »Geistiges selbst zu ihrem Gegenstand«. Musik bedeutet
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unter Preisgabe der »totalen Räumlichkeit« das »völlige Zurückziehen in die Subjektivität«. Hier bleibt beim Freund der italienischen Oper, für den Mozart nur am Rande, freilich mit viel Sympathie für die Zauberflöte, und sein eigener Generationsgenosse mit dem gleichen Ge burtsjahr, Beethoven, überhaupt nicht existieren, ein Rest an Fremdheit, ein Zaudern vor dem Überschreiten der Schwelle, die über die Opern Rossinis hinausführt, immer bestehen. Dahlhaus möchte Hegels »Schweigen über Beethoven« als ein »beredtes Schweigen« verstanden wis sen, und zwar »aus eingewurzeltem Mißtrauen gegen die von Beethoven eingeschlagene Richtung«, weil er »die absolute Musik... als Irrweg« angesehen hätte. Dieses Schweigen läge dann für den »Antiromantiker« Hegel in der Nähe seiner Ablehnung von Webers Freischütz. Diese auffällige Scheu vor dem eigentlich dionysischen Element unterscheidet ihn vom großen philosophischen Gegen spieler. Für Schopenhauer ist Musik eine objektive Kunst, sie ist der Ausdruck des Weltwillens selbst und darum die höchste aller Künste. In der Theorie der Künste bis ins 18. Jahrhundert galt vornehmlich der Vergleich zwischen Malerei und Poesie. Haben sie etwas miteinander zu tun? Wo liegen ihre Grenzen? So hatte Lessing gefragt, »Malerei« schloß hier die Kunst der Skulptur ein. Für Winckelmann ohnehin, aber neben Lessing auch für Herder wie für Goethe, von Kant ganz zu schweigen, lag Musik in einem möglichen Rangsystem der Künste untenan. Warum? Man wußte zuwenig von ihr, die erste große Höhepunkte hinter sich hatte, aber von der ein bedeutender Teil der Entwicklung noch ausstand oder sich nicht übersehen ließ. In der Antike war die Musik hinter den bildenden Künsten und der Dichtung zurückgeblieben. Hegels Musikästhetik be deutet indessen, die Philosophie der Musik in das System der Künste einzubauen, ohne daß es ihm gelingt, der Musik den Ruf einer gewissen Bescheidenheit ganz neh men zu können. In der Musik gerät ein sinnliches Material in Bewegung, das als »Ton« das »Resultat dieses schwin genden Zkterns« ist. Aber die Definition dieser Kunst
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bedarf des Vergleichs mit andern Künsten. Endet Les sings Versuch, über die »Grenzen der Malerei und Poesie« zu befinden, in der Anerkennung der Eigenart zweier verschiedener Künste, so bezieht Hegel jetzt die Musik in den Vergleich ein. Und er weiß: Im Blick auf Material und Gestaltungsweise liegen Musik und Skulptur weit ausein ander, gibt es aber eine nähere Beziehung von Musik und Malerei. Keiner Kunst jedoch ist die Musik verwandter als der Poesie. Hegel geht auch hier, wie gegenüber dem Entwurf von Kants Ästhetik, über Lessing hinaus, indem er die Malerei von der Skulptur genauer unterscheidet und die Musik dem vergleichenden System der Philosophie der Kunst einfügt, und fällt, ebenso wie es ihm bei Kant widerfahren war, hinter Lessing zurück, dessen Laokoon schon den Beweis erbracht hatte, daß der Vergleich der Künste untereinander der Kunst selber nicht viel beschert. Solche Stützen der Abstraktion sind für die Kunst in ihrer Sinn lichkeit von innen hohl. Von diesem Urteil, das im Verlaufe des 19. und 20.Jahrhunderts seine Bestätigung noch erhalten wird, sind die Darstellungen der Einzelkünste nicht betroffen. Ein vergleichendes System der Kunst hat nur Sinn für eine Philosophie der Kunst, nicht für die Kunst. Inner halb seines Kunstsystems hält Hegel am Gedanken der Einheit der Kunst als der Zusammengehörigkeit aller Einzelkünste fest. In den Einz.elkünsten wie Architektur, Dichtung, Musik zeigt die Kunst verschiedene Gesichter, so wie die Natur in Vulkanen, Menschen, Tierleibern, Kristallen, Wasser, Luft, Feuer zu finden ist. Aber es gibt Staffelungen. Architektur ist »Anfang aus dem Begriff der Kunst« - sie ist Kunst, sofern sie schon die »erste Gestaltungsweise« der Kunst abgibt, aber sie ist gleichzei tig nur als »Vorkunst« zu betrachten, weil der Geist in ihr noch nicht Gestalt angenommen hat. Sie ist nicht von ihren Zwecken zu trennen, die von der Hütte bis zum Tempel reichen; dazwischen Häuser und Paläste. Sie sind alle für etwas geschaffen, sie haben eine Funktion zur Unterbringung, zur Aufbewahrung; oder sollen Gott und
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seine Gemeinde umschließen. Es gibt Bauten zum Ver such der »Vereinigung der Nation oder Nationen«. Zu ihrer Bestimmung gehört immer die Bestimmung des Materials, z. B. der Unterschiede Holz oder Stein. In der Abfolge der Kunstperioden urteilt Hegel konventionell nach Winckelmann, Herder und den Italienern des 17. Jahrhunderts: die ägyptische Architektur ist die ar chaische, sie Hegt der griechischen voraus. Das Urteil Herodots, der als Grieche Ägypten bereist hat und dar über berichtet, gilt ihm viel. Beider ägyptischen Architek turist mit außergewöhnlichen Funktionen zu rechnen, wo die Pyramide als Totenbehausung auf die Bedeutung des Totenreichs als Reich des Unsichtbaren hinweist. Der Form nach bieten die Pyramiden nichts Fesselndes, sie sind leicht zu überschauen und in der Abstraktion und Regelmäßigkeit verständlich. Das Symbolhafte - hier für die Aufbewahrung der »dauernden Leiblichkeit« - findet darin, wie überhaupt in der Architektur, nie zur ganzen Identität. Es könnte oft auch für anderes stehen. Symbol haftes wird in der Skulptur, in Säulen, Obelisken, organi schen Formen von Menschen-, "Eier- und Pflanzengestal ten, in Darstellungen von Gliedern (Phallus) stärker zum Ausdruck gebracht. Hegels Aufteilung der Architektur in symbolische, klassische und romantische ist aus den historischen Zusammen hängen herausgelöst, auch wenn er die klassische Archi tektur in Griechenland gipfeln läßt. Bei der klassischen Architektur besteht ihre Schönheit in der Zweckmäßig keit. Die klassische Architektur, die sich bei öffentlichen Bädern, Theatern, Kaiserpalästen, Wasserleitungen usw. findet, kennt das Nützliche als das Vorherrschende. Sie ist freier als die symbolische, die sich bei Obelisken und Ornamenten um Bedeutungen bemühen muß. Der von Friedrich Schlegel geprägte Ausdruck von der Architek tur als »gefrorene Musik« hat es Hegel angetan. Über die architektonische Schönheit und Zweckmäßigkeit der be kanntesten Säulenordnungen — den dorischen, ionischen und korinthischen — hinaus ist später nichts mehr erfun den worden. Die romantische Architektur, wie Hegel sie
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versteht, kann sie darin nicht erreichen. Ihre Entwicklung geht in eine andere Richtung. Romantisch ist hier gleich »gotisch«. Der seit Jahrhunderten geltenden Geringschät zung des »Gotischen« muß entgegengewirkt werden, weil sie unverdient ist. Hier sprach Hegel für Goethe, der es in seiner Schrift Von deutscher Baukunst wiederentdeckt hatte. Das war in Straßburg geschehen. Hegel denkt an den Kölner Dom, vor dem er gestanden hatte und in dem, obwohl Torso, er den größten baulichen Entwurf einer gotischen Kirche glaubt entdecken zu können mit der gegenüber der klassischen Architektur veränderten Funktion: »nicht Zweckmäßigkeit als solche«, dafür aber »Zweckmäßigkeit für die subjektive Andacht des Gemüts« herzustellen. Das Haus ist nach Hegel das »anatomische Knochenge rüst« der klassischen Architektur. Mit ihm wird der Zweck aller Behausung erfüllt. Grundtypus für das Gebilde der Skulptur ist die menschliche Gestalt. Hier liegen die Un terschiede, die tief in die Künste eingreifen: Das Haus ist eine menschliche Erfindung, die menschliche Gestalt hin gegen »ein vom Menschen unabhängiges Naturprodukt«. In der menschlichen Gestalt findet die Kunst der Skulptur ihr eigentliches Sujet. Tier- und Pflanzcnkörpcr folgen erst mit gehörigem Abstand. Das ergibt aus der Hegel schen Sicht und ihren griechischen Maßstäben: Die Skulp tur ist mehr als jede andere Kunst dem Ideal der mensch lichen Gestalt verpflichtet, sie steht für den objektiven Gharakter, für freie schöne Notwendigkeit, sie ist Mittel punkt der klassischen Kunst. Diese aus der Skulptur herausgelesenen Gebote zeigen wieder die ästhetische Überlegenheit der Kunst gegen über der Natur an. Denn eine solche Makellosigkeit in der Darstellung des menschlichen Körpers, das unfehlbar Richtige in den genau errechneten Proportionen kann die Natur nicht hervorbringen. Das heißt auch: die Skulptur hat sich von allen Extremen in der Physiologie fernzuhal ten. Sie hat ihre eigene Idealität. Wenn die Augen in griechischen Plastiken tiefer liegen als in der Natur, so entspricht das nach Winckelmann dem Skulpturidcal, das
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die Natur hier fein korrigiert. Eine solche gebotene Voll endung bleibt der symbolischen oder romantischen Kunst versagt. Vollendung bedeutet zugleich: keine breite und herabhängende oder aufgestülpte Nase. Stirn und Nase bilden eine durch keine Mulde unterbrochene gerade Linie wie bei den griechischen Plastiken. Wenn Chinesen und Ägypter das anders sehen, irren sie. Das griechische Profil stellt durch diese Schönheitslinie, die mit einer von der Nasenwurzel zum Gehörgang führenden zweiten Li nie einen rechten Winkel bildet, den Ausdruck des »Gei stigen« her und drängt den Ausdruck des »bloß Natürli chen« ganz in den Hintergrund. Die Augenfarbe fehlt in der Regel und kann dies tun, weil die plastische Kunst nach ihr nicht zu fragen hat. In ihrer Idealität ist die Skulptur ohne »Augenstern«, sie ist »blicklos«, weil sie sich über den »Augenblick« erhebt. Die Ohren haben die griechischen Künstler in der Blütezeit aufs feinste indivi dualisiert; der Mund, nach den Augen der schönste Teil des Gesichts, darf weder dünne noch übervolle Lippen zeigen, er ist leise geöffnet, ohne daß die »Zähne« zu sehen sind, die mit dem »Ausdruck des Geistes« nichts zu tun haben. Dagegen stand die romantische Kunst mit ihren die strenge Geschlossenheit der Form mildernden Zügen. »Die Passionsgeschichte, das Leiden am Kreuz, die Schä delstätte des Geistes, die Poesie des Todes« -alles das ist in seiner künstlerischen Darstellung vom »klassisch plasti schen Ideal« weit abgelegen. Klassisch war der blicklose Gott, nicht der mit ausgemalten Augen, nicht der se hende, von sich selbst wissende. Für die romantische Kunst gilt bei Hegel der Supremat der Menschengestalt, und zwar angenähert an den Augenblick, wo sich die Kunstform durch die »vollendete Zufälligkeit und Äußer lichkeit« des Stoffes aufzulösen beginnt. Es fällt die abstrakte Notwendigkeit weg, die für das klassische Kunstwerk kennzeichnend ist. Die Statue eines griechischen Gottes, nicht mehr von einem antiken Künstler, sondern einem modernen geschaffen, oder ein Marienbild, von einem Protestanten gemalt, bleiben als Darstellungen von etwas
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Vergangenem, nicht unmittelbar den Künstler Angehen den, ohne Identität. Bei keinem von ihnen ist ganzer wahrer Ernst am Werk gewesen, hier wie da gibt es einen Abstand zum Objekt, regiert der (romantische) Zufall mit hinein. »Nachbildung des äußerlich Objektiven« bedeutet nicht mehr Objektivität im Sinne der klassischen Kunst, in ihr findet bereits ein »Zerfallen der Kunst« statt. An der Subjekt-Objekt-Beziehung als der zentralen der Logik hält Hegels Ästhetik fest, allerdings mit Einschränkun gen, die ihr von ihrer »Eigenart« auferlegt werden; sie findet statt in der »Originalität«, die »identisch mit der wahren Objektivität« ist, nach neuerer hegelianischer Ausdeutung von Lukács übernommen als »subjektiv blei bende Objektivität« des großen Kunstwerks oder als die darin »objektivierte Individualität« des Künstlers, dessen »Privatsphäre« wir kennen, weil er sich selbst darüber ausgesprochen hat oder wir die biographischen Doku mente besitzen (Eigenart des Ästhetischen). Aber Hegel kon zediert bereits, daß die »Objektivität« als Kennzeichen des unanfechtbar Klassischen schon eine Schwächung erlebt hat, sie kann die Einsamkeit ihrer Höhe nicht für immer ertragen. Sie kann auch nicht nachgeahmt werden. Die »Weisen« von objektiven Dichtern wie Homer, Sophokles, Ariost, Shakespeare sind »ausgesungen«. Sie können in anderer Zeit nicht mehr hervortreten, man würde ihnen, wo sie angestimmt werden, keine Beglaubigung zuteil werden lassen, weil sie unwiederholbar sind. »Zerfallen der Kunst« bringt ihre Grenzen, ihr »Ende« in Erinne rung. Unbedeutend gegenüber der Plastik ist in Griechenland die Malerei gewesen. Es war darum leicht für die christ liche Malerei, sie zu überflügeln. Die Malerei hat nicht in der »klassischen«, sondern erst in der »romantischen« Kunstform ihren Höhepunkt erreicht. Warum? Sie konnte nach Hegel jetzt erst ihren Inhalt erfassen, sie war erst jetzt imstande, ihre Mittel zu gebrauchen. In der Malerei ist die räumliche Totalität von drei Dimensionen zusammengezogen; eine der drei Dimensionen ist getilgt. Wo die Fläche zum Element ihrer Darstellung geworden
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ist, entfernt sie sich weiter von der Architektur als die Skulptur. Ihr physikalisches Element ist das Licht und ihr Gegenteil. Aber Licht und Schatten, Hell und Dunkel können nicht abstrakt voneinander geschieden werden, sondern erleben mannigfaltige Übergänge. Farbe ist das eigentliche Material der Malerei. Schlechterdings und aus konkretem Anlaß heraus zurückgewiesen hat Hegel die Ansicht, das Licht sei aus den Farben und ihren Vermi schungen zusammengesetzt. Das wäre Newtons Licht theorie gewesen, die Goethe in seiner Farbenlehre aus drücklich verworfen hatte. Unterschiede von Menschen oder was sie von den Gegenständen trennt, Entfernung, Mienenspiel, Ausdruck: alles ist ein Werk der Farbe und ihrer Anwendung. Die Malerei kann auf die dritte Dimen sion als das »räumlich Reale« verzichten, um es durch »das höhere und reichere Prinzip der Farbe zu ersetzen«. Ihre eigentlichen Sujets findet die Malerei nicht mehr in den Helden der alten Mythologie, obwohl sie gerade von der Malerei auf dem Höhepunkt ihrer geschichtlichen Entwicklung, z. B. bei Rubens, immer wieder dargestellt worden sind. Für Hegel liegen sie am Rande. Der eigent liche Gegenstand hat Gott-Vater in anthropomorphischer Darstellung zu sein, auch wenn er religiös verstanden »Geist« ist. Hegel rühmt an dieser Stelle van Eycks Genter Altarbild, vor dem er selbst gestanden hatte. Aber derglei chen kann den Malern nur ausnahmsweise gelingen. Nä her liegt ihnen als Sujet Gott in der in Christus menschge wordenen Gestalt. Aber auch nicht als bloßes Porträt, als Christuskopf, sondern innerhalb einer Situation seiner Lebensgeschichte, einer Szene aus der Kindheit oder der Kreuzigung mit seinem Leiden, wo Naivität oder mensch lich ertragener Schmerz in der göttlichen Hoheit hervor leuchten! Bei der Darstellung der Mutterliebe der Maria zu ihrem Kinde als ihrem größten Thema befindet sich die Malerei in ihrem eigentlichen Element, unübertreffbar in Raffaels Sixtinischcr Madonna, von der Hegel sich bei seinen Besuchen in Dresden immer wieder angezogen fühlte. Die Malerei gibt bewegende Handlungen wieder, wäh
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rend die Skulptur in der Regel Konfliktloses zur Darstel lung bringt und erst im Relief durch die Gruppierung Vorgänge oder Leidenschaften nachbilden kann. Giotto markiert den Zeitpunkt, wo sich die Malerei von den griechischen Vorbildern losreißt und vor dem flächigen Goldhintergrund Menschliches in schon individueller Form hervortreten läßt. In der von Giotto angeregten Sinnesweise wird sich die Malerei fortbilden. Zum »Heili gen«, in dessen Sphäre sich die Italiener zu Hause gefühlt haben, kommt beim weiteren Fortgang der Kunst eine andere Wirklichkeit hinzu. Es wirkt die bürgerliche Be triebsamkeit in die gemalte Welt hinein. Städtebilder und Landschaften tauchen im Hintergrund auf, Handel, Ge werbe einer lebensheiteren Gegenwart machen sich be merkbar. Inneres und Äußeres, Religion und Welt wer den miteinander versöhnt. Der veränderte Weltzustand hat den Ausgleich zwischen der körperlichen Gestalt und dem inneren bewegten Leben zustande gebracht und zu einer Kunst geführt, die in Leonardo da Vinci ihren Gipfelpunkt erreicht. Die Deutschen und die Niederländer - das wird von Hegel ausdrücklich vermerkt — sind nicht zu den »freien idealen Formen und Ausdrucksweisen« der Italiener ge langt, sei es, daß sie es nicht konnten, sei es, daß sie es nicht wollten. In der deutschen Malerei findet man »mehr den Ausdruck einer formellen Halsstarrigkeit widerspensti ger Naturen«; Trotz und Eigenwilligkeit lassen auf einen Kampf schließen, der in ihnen tiefe Wunden schlägt. Das gilt vor allem für die oberdeutsche Malerei. Abweichen von der Idealität der Maße und Formen bedeutet für Hegel im Einklang mit Goethe immer ein Sich-Entfernen vom letztlich Vollendeten in der Kunst. Darum steht für ihn Raffael höher als die Brüder van Eyck. Der eigentli chen holländischen Malerei war mit den klassischen Maß stäben der Hegclschen Ästhetik ohnehin nicht beizukom men. Auch die Zuordnung zum »Romantischen« ging hier nicht auf. Für diese Interieurwelt der Holländer mit der Freude am aufgehäuften Reichtum, am glitzernden Hausgerät,
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aber auch an Tänzen, Kirmessen, derben Spaßen, bevöl kerten Landschaften, Szenen aus dem Soldatenleben, Hochzeiten, bäuerlichen Gelagen, war in der Hegeischen Ästhetik eigentlich kein Platz vorgesehen. Das ist eine Kunst außerhalb der im klassischen Sinne zulässigen, die allenfalls durch das Behagen, das dem Auge damit berei tet wird, bestehen kann. Hegels Ästhetik ist wie die Kants und Goethes allem voran Lehre vom Schönen. Dessen Gegenteil hat sie nur ausnahmsweise Aufmerksamkeit erwiesen. Ein Gegen part von gleich zu gleich war das Häßliche nicht. Es ist denn auch nicht zu verwundern, wenn hier später Chri stian Hermann Weiße, der sich für einen Schüler Hegels ausgegeben hatte, einen eigenen, um die Kategorie des Häßlichen bereicherten Entwurf der Ästhetik aufzieht. Hegel hatte wohl von Unterschieden zur klassischen Schönheit, von »markierten Zügen des Unschönen« oder Werken der »gotischen« Kunst wie etwa bei Grünewald gesprochen, die der Schönheit den Rücken wenden, aber über das Häßliche selbst läßt er sich ebensowenig aus wie ein Theologe angesichts der Allmacht Gottes über die Teufe leien des Satans. Es wird an die Existenz des Häßlichen erinnert, aber als eine besondere Sphäre wird sie ausge spart. Das hatte die Logik für sich. Beruht die Schönheit auf Gesetzen, so lassen sich für das Häßliche als ihrem Gegensatz keine Gesetze anfuhren, kann es sich bei ihm nur um ihre kleineren oder größeren Abweichungen han deln, aber um nichts, was weiter anzuführen der Mühe wert wäre. Abweichungen vom System waren sehr wohl vermerkt worden. Wir wissen: China und Indien lagen für Hegel außerhalb seines Schemas von der Weltgeschichte in ih rem Fortschreiten. Das galt auch für ihren Anteil an der Philosophie im Vergleich zu Griechenland und den Fol gen. Von Afrika, das für ihn der Erdteil mordlustiger Neger war, ganz zu schweigen! Was später als »Kunst der Primitiven« etikettiert werden wird, war ihm mit den Verzeichnungen in der chinesischen Malerei als Fehlen der Perspektive und bei ostasiatischen Fayencen begeg
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net, wo der Phallus sich über die humanen Proportionen hinwegsetzt. Er hält fest: »Auf gewissen Stufen des Kunst bewußtseins und der Darstellung ist das Verlassen und Verzerren der Naturgebilde nicht unabsichtliche techni sche Übungslosigkeit und Ungeschicklichkeit, sondern absichtliches Verändern, welches vom Inhalt, der im Be wußtsein ist, ausgeht und von demselben gefordert ist.« Es wäre leicht der Beweis zu erbringen, daß Hegels Fortschrittsgedankc innerhalb der Geschichte der Kunst mit der Wirklichkeit kollidiert, wenn Hegel selbst ihn auf dem Gebiete der Künste verfochten hätte. Daß er das nicht tat, ergab sich bereits aus dem Kunstsystem, nach dem die schönen Künste in der antik-klassischen Idealität ihren Höhepunkt erreicht hatten, über den hinaus es keine Steigerung mehr gab. Sie werden in der Renais sance, insbesondere durch den namentlich erwähnten Michelangelo, wiedererweckt. Aber das »plastische Prin zip der Alten« läßt sich nur durch die gewaltige Kühnheit eines solchen Künstlers mit dem Religiös-Romantischen, sprich Ghristlich-Gotischen, das er in Michelangelo als einmaligen Fall zu erkennen glaubt, vereinigen. Warum? Es sind zwei verschiedene Welten: »die ganze Richtung des christlichen Sinnes ist. . . nicht auf die klassische Form der Idealität gerichtet.« Das hieß auch: Die christliche Gesinnung, die Hegel bei Michelangelo annimmt, war von Haus aus ungeeignet, der Kunst der griechischen Plastik eine Steigerung zu bescheren. Auch schon darum, weil die Skulptur in Grie chenland bereits vollendet war! In der Malerei hingegen sahen die Dinge anders aus. Stand hier Raffael für seinen vollendeten Stil, so konnte Apclles mit seinen Bildern nicht »Vorübungen« für den Italiener geleistet haben, so wenig wie Sophokles mit seinen Tragödien für Shake speare. Denn keiner hatte die Werke seines Vorgängers gekannt. Beim Epos vollends nimmt der Entwicklungsge danke innerhalb der Kunst verwunderliche Züge an, wollte man Vergil als Dichter eines verfeinerten Zeitalters über Homer stellen, von dem er nur eine »Nachübung« geschaffen hat. Am Fortschrittsgedanken innerhalb der
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klassisch-idealistischen Kunst mit ihrer Maßgerechtheit festzuhalten, hätte bedeuten müssen, Griechenland im preußischen Klassizismus Schinkels und in den Darstel lungen der sogenannten Düsseldorfer Schule Schadows auf eine höhere Stufe gebracht zu sehen. Nichts derglei chen ist bei Hegel zu finden. Im Gegenteil, er hat gegen die Düsseldorfer, deren Bilder er auf einer Ausstellung in Berlin kennenlernt, manches einzuwenden: Sie sind »ohne Phantasie für Situationen, Motive und Ausdruck«. Ist in der Kunst bei der Malerei eine Raumdimension, nämlich die dritte, die in der Skulptur gegenwärtig ist, aufgehoben und der Schauplatz auf die Fläche be schränkt, so bedeutet Musik Tilgung jeder Räumlichkeit. Das Erzittern des Körpers im Ton oder Klang kennt nur einen zeitlichen Bestand. Mit der Zahl der Schwingungen im gleichen Zeitraum wird über den Ton befunden. Der Körper ist nicht Objekt der künstlerischen Darstellung, sondern deren Instrument. »Die eigentümliche Gewalt der Musik ist eine clementa rische Macht«; was hier die »Kunst bewegt«, liegt im Ton, der wortlos das Subjekt ergreift, es mit seinem »einfachen Selbst, dem Zentrum seines geistigen Daseins«, in das Werk hineinhebt und es selber in Tätigkeit setzt. Das Ohr
reicht dahin, wohin kein Auge dringt. Es kann die Signale zum bacchantischen Treiben, zum Tumult der Leiden schaften empfangen und weiterleiten. So hatte Orpheus die Bestien gezähmt und Amphion die Steine. Musik als Kunst rein in der Zeit lebt wie keine andere von der Vergegenwärtigung in der Reproduktion. Das bedeutet Begeisterung für die Musik und zugleich Zurücknahme. Hegel betrachtet die Musik wohl als »ro mantische Kunst« in einer andern als der geläufigen Be deutung des Wortes. Aber sie ist ihm Kunst neben andern Künsten, nicht Weltgrund wie bei Schopenhauer. Er fin det anerkennende Worte für Bach: »ein Meister, dessen großartige, echt protestantische, kernige und doch gleich sam gelehrte Genialität man erst neuerdings wieder voll ständig hat schätzen lernen«. Für »wahrhaft idealistische Musik« stehen ihm Palestrina, Lotti, Pergolesi, Gluck,
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Haydn, Mozart. In der Darstellung der Musik bleibt er aufs Ganze gesehen - was sich bei dieser Kunst als nicht ausreichend erweist - auf die Anwendung der zwischen »Versöhnung« in der »Harmonie« und »Entzweiung« in den »Dissonanzen« angelegten »Methode« beschränkt. Ihre Grenzen liegen offen zutage, als er in Carl Maria von Weber der neueren und eigentlich »romantischen« Musik begegnet. Er sieht damit seine Musikästhetik in Gefahr gebracht, erschrickt vor dem » Effekt in gewaltsamen Kon trasten« und einer »Zerrissenheit«, wo »dann von Genuß und Rückkehr des Innern zu sich selbst nicht mehr die Rede sein kann«. Poesie als redende Kunst ist für Hegel die »allgemeine Kunst«, ihr Inhalt die gesamte Welt, die innere und äu ßere. Sie kann jeden Inhalt der Phantasie in jeder Form gestalten. Ihr Material bekommt sie aus dem inneren Anschauen. Im Bunde mit den beiden anderen Künsten ist sie die dritte und zugleich die höchste, weil sie »die Totalität, welche die Extreme der bildenden Künste und der Musik auf einer höheren Stufe in sich vereinigt«. Sprache, mit der es die Poesie zu tun hat, muß als die geläufigste Form der Mitteilung genommen werden. Ihre Wahrheit ist nicht abstrakt, sondern lebendig bildlich. Ihren Gattungen nach gliedert sie sich ins Lyrische, Epi sche, Dramatische. Daran muß festgehalten werden: Poe sie ist älter als das »kunstreich ausgebildete prosaische Sprechen«. Das gilt für alle Zeiten und für alle Völker. Das »Morgenland« ist poetischer als das »Abendland«. Prosa als Gegensatz zur Poesie reinen Verständnisses muß »rich tig«, »deutlich bestimmt« und »verständlich« sein. Meta phorisches Sprechen der Poesie kann dagegen bildlich, »unrichtig« und »undeutlich« sein. In Betracht zu ziehen ist die Unterschiedcnheit der Zeitepochen. Jede Zeit hat ihre höhere oder beschränktere Fmpfindungsweise. Im Krieg ist sie anders als im Frieden, bei Homer anders als im Mittelalter, im Mittelalter anders als zur Zeit des Drei ßigjährigen Krieges. Natürlich sind nach Hegel die Gattungen der Dichtung nicht nur für sich da, sie werden erst ganz verständlich,
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wenn sie gegeneinander gestellt und miteinander vergli chen werden. Inhalt des Lyrischen ist das Subjektive, es wird darin die »vereinzelte Anschauung« zum Ausdruck gebracht. Die »Stimmung« herrscht vor. Lyrisches macht die »Leidenschaft« zur Hauptsache. Epische Dichtung dagegen stellt das »Objektive selbst in seiner Objektivität« heraus. Im Epos wird die »Handlung in ihrem Kampfund Ausgang vor uns hingebreitet«; Mächte stehen sich hier gegenüber, sprechen sich aus, bestreiten sich, Zufälle treten ein, es kommt zu Verwicklungen, menschliches Wirken gelangt in ein Verhältnis zur »weltregierenden Vorsehung«. Der Objektivität des Ganzen wegen muß das Subjekt zurücktreten. Die alte Frage nach der Verfasserschaft der Odyssee und der Ilias hat Hegel auf seine Weise beantwortet. Die Tota lität des Epos enthält einen Organismus, der nur von einer Hand stammen kann. W7enn es auch Zusätze und Ein schübe enthalten mag, es muß Einen gegeben haben mit dem Überblick über das Ganze. Darum ist Homer für ihn als ihr Dichter gegen alle möglichen philologischen Ein wände nicht anzuzweifeln. Der im Epos zur Sprache gebrachte Weltzustand birgt Wahrheiten eigener Art. Im epischen Weltzustand ist der Mensch noch nicht aus dem Zusammenhang der Natur herausgelöst. Das Volk folgt noch freiwillig seinen Köni gen, Fürsten und Führern. Es stellt ihre Herrschaft nicht in Frage. Zwingende Gesetze, denen das Volk unter worfen wäre, gibt es nicht. Das neue Maschinen- und Fabrikwesen mit seinen Produkten, ebenso die moderne Staatsorganisation müßte dem Epos unangemessen sein. Individuelle Gesinnung hat sich in den Zuständen der eigentlich epischen Weltanschauung noch nicht geltend gemacht. Das Feld, auf dem sich im Epos Handlungen kollidie render Art abspielen, teilt es sich mit dem Drama. Seit Aristoteles ist die Nähe zwischen Epos und Drama alther gebrachte Einsicht. Die Tragödie in Griechenland war aus dem Epos und ihrer Stoffmasse hervorgegangen. Der Epiker Homer ist auch der Vater der griechischen Tragö
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die. Als Normalsituation des Epos hat der Kriegszustand zu gelten. Im Krieg treffen Völker aufeinander. Hier hatte Aristoteles im vierten Kapitel der Poclik die Grenze gezogen, wenn er empfiehlt, in der Tragödie den tragi schen Konflikt innerhalb der Familie stattfinden zu lassen. Die Orestie, Ödipus, aber auch, von Hegel vermerkt, die historischen Tragödien Shakespeares, sind Familientra gödien. Hier werden Kämpfe der Dynastie oder Bruder gegen Bruder ausgetragen. Kriege in Epen müssen eine »universalhistorische Berechtigung« haben wie in der [lias der Kampf zwischen Griechen und Kleinasiaten, der einen Wendepunkt in der griechischen Geschichte aus macht, ebenso wie bei Tasso und Ariost, wo Christen und Sarazenen aufeinandertreffen. Allgemeines wird im Epos immer an ein Individuum geknüpft, bei Homer an Odys seus oder Achill, denn nur Individuen, ob Götter oder Menschen, können wirklich handeln. In der Göttlichen Komödie ist Dante selbst das Individuum, das die Wande rung durch Hölle, Fegefeuer und Paradies macht. Aber es geht dem Epos nicht um die Handlung an sich, sondern um die Begebenheiten: Es ist interessant, was den Helden bei der Absicht, ihre Wünsche zu erfüllen und ihre Zwecke zu erreichen, alles widerfährt, etwa dem Odysseus bei der Heimkehr nach Ithaka, nicht aber um deren Realisation. Die Tätigkeit des Helden bei der Realisation und ihren Folgen ist Sache des Dramas. Im Drama macht der Charakter sein Schicksal selber, im Epos wird es gemacht, und zwar durch die Macht der Umstände. Ausdrücklich unterschieden hat Hegel zwischen »ur sprünglichen« und »künstlichen« Epen. Darin liegt für ihn der Gegensatz zwischen Homer und Vergil. Epen der zweiten Art, zu denen Miltons Paradise Lost und Klop stocks Messias zu rechnen sind, können die Höhe der »ursprünglichen Epen« nicht halten. Sie leben vom »Zwie spalt des Inhalts und der Reflexion des Dichters«. Be trächtliche Mängel, die Hegel am Nibelungenlied entdeckt, hindern ihn daran, es den Homerschen Epen gleichzustel len. Die Fortsetzung des alten Epos war der Roman als seine
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bürgerliche Form. Der »Roman im modernen Sinne«, so hält er fest, »setzt eine bereits zur Prosa geordnete Wirk lichkeit voraus«, in der der »ursprünglich poetische Welt zustand« des alten Epos verlorengegangen ist. Er kann sich in der Welt der neuen Verhältnisse nicht mehr be haupten, er wird sozusagen auf die Sphäre großer Ge fühle reduziert. Auf dem schematischen Gegensatz der »Poesie des Herzens« und der »Prosa der Verhältnisse«, die sie zuschanden macht oder zum Kompromiß zwingt, baut der bürgerliche Roman seit seinen Anfängen im England des 17. Jahrhunderts auf. Auch das Drama hat sich vom »Weltzustand« des Epos entfernt, kennt nicht mehr die epische »Totalität«. Seine Kollisionen sind einfacher. Es kann sich von seiner Expo sition her nicht in der gleichen Breite ausdehnen wie das Epos, die Form duldet kein lang schilderndes Verweilen, sondern fordert stete Fortbewegung hin zur Endkatastro phe. Dramatische Dichtung im Vorwärtsrücken von der An tike über Shakespeare bis zur modernen Zeit bei Goethe und Schiller zeigt den Wandel in den Weltverhältnissen an. Diepersonae dramatis lassen ihn durchscheinen. So sind die Könige nicht mehr das, was sie waren. Als Monarchen sind sie nicht mehr die Herren des mythischen Zeitalters, also keine »in sich konkrete Spitze des Ganzen«, aber dafür »ein mehr oder weniger abstrakter Mittelpunkt innerhalb für sich bereits ausgebildeter und durch Gesetz und Verfassung feststehender Einrichtungen«. Sie haben die »wichtigsten Regentenhandlungen« inzwischen aus der Hand gegeben. Sie sprechen selbst in eigener Person nicht mehr Recht, befinden auch nicht mehr über ihr »Hauptgeschäft« von ehemals, nämlich über Krieg und Frieden. Der »Unterschied« zwischen den Personen und den Ständen kann natürlich nicht aufgehoben werden. Er macht die Tragödie erst möglich durch die »Fallhöhe«, die dem Sturz des Helden vorausgeht, die zu seiner Per son im Verhältnis zu den andern Personen gehört, die ihn auszeichnet und ihn damit für die Katastrophe auswählt. Das Heroentum, das den »Helden« auch noch im Mittelal
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ter umgibt, ist gewissermaßen vom Nebel der Mythologie umgeben. In Goethes Götzvon Berlichingen verfolgt Hegel die »Kollision mit dem gesetzlich gewordenen modernen Leben«. »Rittertum« und »Lehnsverhältnis« waren der Boden für seine selbständig freie Existenz. Es ist die »neue Ordnung der Dinge«, die sie untergräbt und zu Fall bringt. Gegen die Übermacht der neuen Ordnung rennt der alte Heros vergeblich an, erfährt er seine Veralterung, gehört er zu dem Geschlecht derer, denen Gervantcs in seinem Don Quixote ihre Lächerlichkeit bestätigt. Goethes Götz zeigt, wie das Zeitalter des alten Rittertums endgültig dahin und ein neues, kälter urteilendes im Aufbruch begriffen ist, das die Widerstände mittelalterlicher Über bleibsel niederringt. Im Namen einer fortschreitenden Geschichte werden sie auf deren »Schlachtbank« erbar mungslos geopfert. Im Drama sind nach Hegel die Objektivität des Epos und das subjektive Prinzip der Lyrik miteinander verei nigt; das Geschehen wird dabei nicht aus den Umständen, sondern aus dem inneren Wollen der Individuen und ihrem Gharakter entwickelt. Zu Wille und Gharakter als der Quelle der Handlung kommt das Thema als der Zweck, den das Individuum verfolgt. Der Wille, mit dem das tragische Individuum seine Zwecke durchsetzen möchte, ruft eine Gegenkraft auf den Plan, womit ein unausweichlicher Konflikt herbeigeführt ist. Beide Seiten haben für sich genommen ihre Berechtigung. Jede Seite sieht in der anderen die Negation, die Verletzung, und muß bei dem Versuch, ihre Macht zu behaupten, in Schuld geraten. So berechtigt tragischer Zweck und tragi scher Charakter sind, so notwendig ist der Zusammenstoß und auch die tragische Lösung des Konflikts. Nicht ver gessen werden kann der griechische, also »heidnische« Ursprung des nach Aristoteles sich aus dem Epos heraus lösenden Dramas mit der Folge, »daß Hegel dem christli chen Bewußtsein, welches das Prinzip der Versöhnung in sich weiß, die Möglichkeit einer tragischen Kunst ab spricht« (Helmut Kuhn). In der Hegelschen Dramaturgie behält das Tragische
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gegenüber dem Komischen nicht zwangsläufig das letzte Wort: » I n der Tragödie zerstören die Individuen sich durch die Einseitigkeit ihres gediegenen Wollens und Charakters ...; in der Komödie kommt uns in dem Gc lächter der alles durch sich und in sich auflösenden Indivi duen der Sieg ihrer dennoch sicher in sich dastehenden Subjektivität zur Anschauung.« Aber das ist nicht die ganze Wahrheit. Denn in der Komödie als dem zweiten Arm der dramatischen Kunst macht sich der Mensch »zum vollständigen Meister alles dessen ..., was ihm sonst als der wesentliche Gehalt seines Wissens und Vollbrin gens gilt«. Die Komödie gehört bei Aristophanes zur Weltdarstellung mit dem aufgeklärten Stadtbürger als seinem Hauptdarsteller. Ihm bescheinigt der Berliner Ästhetiker mit allen Zeichen ausdrücklicher Abneigung: »Einem demokratischen Volke z.B. mit eigennützigen Bürgern, streitsüchtig, leichtsinnig, aufgeblasen, ohne Glauben und Erkenntnis, schwatzhaft, prahlerisch und eitel, einem solchen Volke ist nicht zu helfen; es löst sich in seiner Torheit auf.« Die Hegelsche Kunsttheorie neigt sich also mit ihrem Schwerpunkt der Dichtung zu. Die großartigsten Partien der Vorlesungen über Ästhetik finden sich in seiner Dar stellung über epische und tragische Werke der Weltlitera tur. Was über das Lyrische gesagt wird, tritt eigentümlich zurück. In seinem eigenen Kunstgeschmack ist Hegel über die Gedichte Goethes, Schillers und Klopstocks als dem Nonplusultra der zeitgenössischen Lyrik nicht hin ausgelangt. Daß sein Tübinger Zimmergenosse und Freund Hölderlin Verse von einzigartiger Expressivität geschrieben hat, ist ihm nicht bewußt geworden. Oder wollte er darüber nicht sprechen? Das System der Hegelschen Ästhetik ist in ihrem Wert register durch und durch konventionell. Hegel vertritt die Grundpositionen der Klassik als dem nach Goethe »Ge sunden« und leitet sie in ihren Kunstpartien insbesondere aus Aristoteles ab, indem er von ihm her die von den Einzelkünsten ausgehenden Fäden zu einem Gesamtsy stem aller Künste verknüpft. Das hieß für die bildenden
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Künste: Winckelmann und für die Dichtung: Lessing und Herder als Autoritäten. Der Name Lessing wird zwar selten genannt, und Her der gehl unter im allgemeinen Taumel der Geniebewe gung, die aber nach Weimar und zur »Kunstperiode« hinüberfuhrt, deren philosophische Ästhetik Hegel in seinen Vorlesungen vorträgt. Hier kommt es zu einem überraschenden Zusammenklang mit dem unbekannten »Gegenspieler«. Auch Schopenhauers Kunstlehre ist klas sisch-konventionell und fußt wie die von Hegel auf Goe the. Beide enthalten das, was in Weimar »geglaubt« wurde, nur bei Schopenhauer »aus dem Geiste der Mu sik«, bei Hegel »aus dem Geiste der Poesie« geboren. Aller Zukunftsgestimmtheit der Kunst ist nach Hegel ein beharrlicher Zweifel entgegenzusetzen. In seiner Kunstphilosophie reißt der vom Vorwärtsschreiten der Geschichte in Bewegung gehaltene Faden mit einem Male ab. Es ist sehr wohl mit dem »Ende der Kunst« zu rechnen. Die Möglichkeit bleibt vorstellbar, wonach es eine Kunst nicht mehr gibt, so wie die Naturgeschichte in ihren gewaltigen Zeiträumen ohne das Existieren der Kunst gedacht werden kann. Die Vorstellung von der »Ewigkeit der Kunst«, in der sich auch die klassische Ästhetik be wegte, wird hier vollends zu einer gedankenlosen Phrase. Was als Kunst in Erscheinung tritt, gehört einer kurzen Zeitspanne innerhalb der Geschichte der Natur an. Nietz sche, sonst Hegel so fernstehend, wird den Gedanken aufnehmen und weitertreiben. Sein »Übermensch« als Mensch der Zukunft ist der Überwinder des Künstlers. Wer sagt, daß die Zukunft nicht auch ohne Kunst und Künstler auskommen könnte? Bei Hegel scheint der Ge danke wie eine Bruchstelle im System zu sein oder wie ein daran angehängtes fremdes Teil. So jedenfalls ist er oft genug aufgefaßt worden. Aber der Zweifel, der auf gera dezu unerklärliche Weise an die Schopcnhauersche Ge genposition heranführt, macht das System erst vollstän dig. Wenn später Haym in seiner Biographie die zeitge schichtlich bedeutsame Bemerkung macht, »daß Hegel
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das Spezifische der Kunst anerkennt, während er das Religiöse mißkannte und herabsetzte«, so konnte das den Eindruck wiedergeben, den Hegel, mit. der ganzen Aureole der Goethefreundschaft ausgestattet, gerade in seinen Vorlesungen über die Ästhetik bei seinem Berliner Auditorium hinterließ. Auch wenn man Haym nicht fol gen will, so hält sein Urteil doch fest, wie bei Hegel Kunst und Religion als Gegenkräfte voneinander schon getrennt erscheinen, wie die Kunst als eine sich von der Religion emanzipierende verstanden ist in einer Bewegung, die Hegel selbst durch die eingeschaltete »Kunstreligion« zwar retardieren läßt, die aber weitergeht als »Befreiungs kampf der Kunst von den Einflüssen der Religion« (Lukacs) oder auch mit Ungewissem Ausgang, vielleicht dahin, wo sie ihr Ende erfährt. Die Hegelsche Ästhetik gibt darüber keine Auskunft. Das »Ästhetische« nimmt sich durch seine »Eigenart« die Freiheit gegenüber den Verheißungen der Religion heraus. Ästhetische Erfah rungen über Natur und Kunst, über »Naturschönes« und »Kunstschönes«, wörtlich als Erfahrung über das sinnlich Erfahrbare, Gegenständliche, über Körper, Stoff, Form, Gestalt, Maße, Farbe, Wort, Klang, Rhythmus usw. ist keine Erfahrung im Gestern und Morgen, in der Prä existenz oder einer künftigen Herrlichkeit, im Glauben und Hoffen, sondern von dem unendlichen Wert der Zeit in der Gegenwart, eben dem, was sich nicht in der Reli gion, sondern in der Kunst realisiert. Darunter stand die tiefe Beglaubigung durch Goethe, der bei allem Respekt vor der Religion, hier insbesondere der christlichen, kein Bedürfnis empfand, als »Heide«, wie er sich fühlte, im Sinne ihrer Inaussichtstellungen »erlöst« zu werden, und auch offen aussprach, warum das für ihn selber so war: Wer Kunst und Wissenschaft besitzt,
Hat auch Religion;
Wer jene beiden nicht besitzt,
Der habe Religion.
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Fünfunddreißigstes Kapitel
Die Reise ins Habsburgische Auf der Reise durch die Vereinigten Niederlande waren Hegels Erwartungen, die er darin gesetzt hatte, voll be friedigt worden. Ohne die Absicht, den befreundeten van Ghert in Brüssel zu besuchen, wäre sie freilich nicht zustande gekommen. 1824, zwei Jahre später, bricht er zum zweiten Male auf. Jetzt fehlt der private Hinter grund, und allein der Zweck, anschauliche Belehrung zu gewinnen, seine vorhandenen Gewißheiten zu bekräfti gen und neue hinzuzugewinnen, gibt den Ausschlag. Über die Gründe, die den idealistischen Philosophen nach Österreich, also auf den Boden der jahrhunderte lang das »Reich« beherrschenden Dynastie führten, sind wir recht gut im Bilde, weil Hegel sie in den Briefen an seine Frau mehr unterderhand, aber doch ausführlich, selber mitteilt. Ein Preuße aus Württemberg in Öster reich! Das mußte die Berührung mit einer Welt bedeuten, die ihm, auch wenn Teile Schwabens eine österreichische Vergangenheit hatten, durch seine Herkunft, seine An schauungen, seine Lebensform von Grund auf verschlos sen war. Zwar war Österreich der Bundesgenosse Preu ßens zusammen mit Rußland gegen den gemeinsam be zwungenen Feind, den »Weltgeist zu Pferde«, gewesen, aber jeder in Preußen aufsteigende Gedanke an Öster reich ging in den vollen Dampf des Unbehagens auf. Österreich stand stellvertretend nicht nur für das alte untergegangene »Reich«, sondern auch für seine Schwä che, seine von Hegel immer wieder tief beklagte Herun tergekommenheit, dem mit dem Zusammenbruch nur das längst verdiente Schicksal widerfahren war. Seine Trüm mer sind die Stoffmasse, aus der Preußen seine künftige Herrschaft in Deutschland langsam und mit Rückschlä gen, doch im ganzen zielstrebig aufbauen wird. Aber das Metternichsche Österreich war die eigentliche politische Triebfeder im Kampf gegen Napoleon gewe sen. Mochte der idealistische Schwung eines Stein auch
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nicht eine österreichische Sache gewesen sein, so war es doch nie in ein Bündnis mit dem Korsen hineingezwun gen worden, hatte es ihm doch stets seine Zähigkeit, die Meisterschaft im Taktieren und Lavieren, Fäden von lan ger Hand zu ziehen, dagegengesetzt. Und es war die an Anciennität überlegene Monarchie. Metternichs Name als der Name des eigentlichen Sie gers über Napoleon hatte am Ende alle anderen über strahlt. 1815 auf dem Wiener Kongreß, wo über die europäische Friedensordnung verhandelt wurde, war er der Gastgeber. Dort hatte er sich durch eine Meisterdiplo matie ausgezeichnet, die zuließ, daß sich beim Besiegten, für den Talleyrand am Konferenztisch saß, das Gefühl der Unterlegenheit nicht einstellen konnte. Metternichs Politik von 1815 ist geleitet gewesen von dem Gedanken, daß es eine Wiederholung ähnlicher Abenteuer wie der Napoleonischen, die dem europäischen Konzert der Völ ker den dissonierenden Schluß beschert hatten, nie wie der geben dürfe. Dafür nahm er die volle Integration Frankreichs in ein von den konservativen Monarchien beherrschtes Europa in Kauf. Garantin einer solchen Politik ist für Metternich die »Heilige Allianz« zwischen den beiden Kaiserreichen Österreich und Rußland und dem Königreich Preußen. Auch hier zieht er wieder die Fäden, ist er der eigentliche Initiator der »Karlsbader Beschlüsse«, die die Ausfüh rungsbestimmungen für die erforderlichen Kontrollen, polizeilichen Reglements im Dienste dieser Politik enthal ten, repräsentiert er die ganze Ära der nachnapoleoni schen Restauration. Mit der Heiligen Allianz kann Österreich als die siegel bewahrende Macht des alten Reichs einen Teil seiner Funktionen wenigstens zeitweise zurückerobern, die es seit dem Abtreten vom Schauplatz der deutschen Politik verloren hatte. In allen Fragen einer konservativen Politik geht es voran, ihm gegenüber ist das hohenzollernsche Preußen vergleichsweise ein liberaler Staat. Die allmäch tige, dank völliger Undurchsichtigkeit und Verzöge rungsstrategien meisterhafte Administration hat die
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Monarchie zu einem gut funktionierenden Bewachungs staat gemacht mit einem ausgebildeten Polizeispitzels) stem, mit der strengsten Pressezensur, die sich denken läßt, und Vorkehrungsbestimmungen, die jeder möglichen An sammlung verdächtiger Elemente entgegenwirken. Die Verhältnisse spitzen sich vor 1848 mehr und mehr zu und machen durch die Klagen, die vor allem aus den Kreisen der fortschrittlichen Publizistik, aber auch durchreisender Ausländer kommen, aus Österreich den »Völkerkerker«. Österreich gilt als das China Kuropas. Es ist wie durch eine Mauer von den Nachbarn abgetrennt. Die Grenzen sind geschlossen und nur nach peniblen Kontrollen zu passie ren. Zur gefährlichsten Konterbande gehören mitge führte Zeitungen, überhaupt im Ausland hergestellte Schriften, die allein durch den Umstand, daß sie gedruckt sind, Verdacht erregen. Jeder Luftzug aufgeklärter Gesin nung soll aus dem Lande ferngehalten werden. Die Läh mung, die die Geister damals befallen hat, das Depressive in der Zeitstimmung, ist immer wieder bezeugt worden. Es traf freilich die Empfindlicheren, während sich andere in ihrer nachromantischen Schwärmerei und der phäaki schen Genußfreude, die vor allem im Wienerischen behei matet ist, deswegen nicht stören lassen mußten. Wie heißt es in Hegels gcschichtsphilosophischen Vorle sungen? »Österreich ist nicht ein Königtum, sondern ein Kaisertum; d. h. ein Aggregat von vielen Staatsorganisatio nen. Die hauptsächlichsten sind nicht von germanischer Natur und unberührt von den Ideen geblieben. Weder durch Bildung noch durch Religion gehoben, sind teils die Untertanen in der Leibeigenschaft und die Großen depri miert geblieben, wie in Böhmen, teils hat sich, bei demsel ben Zustand der Untertanen, die Freiheit der Krone für ihre Gewaltherrschaft behauptet, wie in Ungarn.« Das Urteil konnte angesichts Hegels uneingeschränkter Ver werfung des Feudalismus als Gewaltherrschaft nicht un günstiger lauten. Mit den damals nicht nur in Preußen geläufigen Vorstel lungen vom Charakter des Habsburgerreichs hat sich Hegel im September 1824 auf die Reise begeben.
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Dresden war die erste Station, von wo aus er auch brieflich nach Hause berichtet. Hierher hatte es ihn im mer wieder gezogen. Die Stadt, in der er sich so wohl fühlte, war von ihm ausdrücklich als Treffpunkt für die Begegnung mit den alten Heidelberger Freunden, vor allem mit Creuzer und Daub, gedacht gewesen, die dann nicht wie vorgesehen stattfinden konnte. Diesmal kann es Hegel, der im »Blauen Stern« abgestiegen war, bei einer kürzeren Besichtigung bewenden lassen. Er promeniert auf den Brühlschen Terrassen, wohnt einem Vortrag Böttigers bei, der das Antikenmuseum leitet, und erlebt bei Tieck die Vorlesung einer Holbergschen Komödie. Zweimal besucht er die Gemäldegalerie. Vorsorglich be merkt er gegenüber seiner Frau, der er die Weiterreise nach Prag ankündigt, keine politischen Dinge zu erwäh nen, weil »die Briefe im Österreichischen gelesen wer den«. In Teplitz, der Bäderstadt, steigt er auf den Schloß berg und genießt von dort den Blick ins Tal, abends sieht er einige Feile von Webers Preziosa, die allerdings, so erinnert er sich, in Berlin besser gespielt worden sei. Weiter geht es nach Prag. Der für Prag vorgesehene Aufenthalt muß wider Willen um zwei Wochen verlängert werden, weil alle Wagen nach Wien bereits besetzt sind. Einen der Abende verbringt er in einer Komödie nach der Devise »Es ist alles eins, ob ich Geld hab oder keins«, die ihn offenbar amüsiert hat. Beim Aufstieg zum Hradschin auf der Kleinseitc gerät er in ein Militärmanöver und muß, wie er nach Hause schreibt, den »Rückzug« antre ten. Den Ausflug nach dem vier Stunden von Prag gelege nen Schloß Karlstein scheint er in der Verlegenheit unter nommen zu haben, die lange Wartezeit bis zur Weiterreise nach Wien abzukürzen. Er verbringt sie übrigens in einem Wagen, der in zwei »Zimmer« mit je vier Personen, dazwi schen ein Fenster, geteilt ist. Zweiundvierzig Meilen wer den in sechsunddreißig Stunden zurückgelegt. Was ihn an Wien besonders angezogen hatte, bemerken wir bei seiner Ankunft. Noch ermüdet von der langen Reise, begibt er sich im »Reiseschmutz« sogleich in die Oper, wo am Abend Doralice von Meradente gespielt wird.
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Es ist die italienische Oper, die ihn in den nächsten Tagen in Anspruch nimmt. Er zeigt sein Unverständnis für Besu cher der Stadt, die es versäumen, in die italienische Oper zu gehen. Nicht Gluck, nicht Mozart, sondern Rossini und die italienischen Sänger und Sängerinnen sind seine Favo riten. Er ist berauscht vom »Schnickschnack« dieser Musik mit dem pikanten und nicht selten trivialen Schönton in den flimmernden Koloraturen. Von Rossini erwähnt er noch eine Othello-Aufführung und den Figaro (Barbier von Sevilla), den er sich sogar zweimal anhört und der ihn »unendlich mehr vergnügt hat als Mozarts >Nozze<«. Daß ihn die italienische Musik in den folgenden Tagen bis zur Rückkehr nach Hause nicht mehr losgelassen hat, weist außerdem auf besondere Gründe hin. In Berlin hatte ihm die Madame Milder, in deren Salon das Ehepaar Hegel verkehrte, die Empfehlung gegeben, eigens der italienischen Oper und des Volksgartens wegen nach Wien zu reisen. Hegel war ihr nachgekommen, er sieht sie vom ersten Abend an bestätigt und bittet seine Frau, der gefeierten Sängerin auszurichten, wie recht sie mit ihrem Vorschlag hatte. Es handelte sich um einen mehrwöchi gen Stagionebetrieb, auf dem einige Theatertruppen mit exzellenten Kräften aufwarteten und vor verwöhntem Publikum derart brillierten, daß dem ohnehin schon vor eingenommenen Besucher das Bedürfnis an der deut schen Musik buchstäblich ausgetrieben worden war. Daß Hegel sich im Wien Beethovens und Schuberts aufhielt, ist ihm in keinem Augenblick aufgegangen. Die Reise stellt sich durch den zweiwöchigen Aufenthalt in Wien als das heraus, was Hegel mit ihr beabsichtigt hatte: als Theaterreise. Was es sonst für ihn in Wien zu sehen gab, die kaiserliche Gemäldegalerie, der Stefans dom, Schönbrunn, das Belvedere, die Hofbibliothek, der Prater und die zugänglichen Privatsammlungen der Fa milien Liechtenstein, Czcrny und Esterhäzy, tritt denn auch in den ausführlichen Berichten über die Theaterauf führungen zurück. In den persönlichen Unterhaltungen mit seiner Frau müssen Theaterfragen, Schauspieler, Sänger und deren Interpretationen stets eine große Rolle
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gespielt haben; denn es fallen Namen, die der Briefemp fängerin durch ihre Auftritte in Berlin bekannt waren und über die seine und auch ihre Urteile feststanden. Als Kenner des Balletts teilt Hegel ihr seine Bewunderung für zwei Pariser Tänzerinnen mit, die beim Pas de deux einen »stumpfen Winkel« bildeten statt wie die Berlinerinnen bloß einen »rechten Winkel«. Im Burgtheater ist er nur einmal gewesen; er sah dort nach fünfundzwanzig Jahren den Schauspieler Anschütz wieder. Als besonderes Ereig nis vermeldet er seinen Besuch beim »weltberühmten Kasperl« in der Leopoldstadt. Das der Pantomime voraus gehende Stück Die .schlimme Liesel, das er als Kritiker fach kundig beschreibt, hat ihn enttäuscht, aber als dann Har lekin und Colombine mit Gassenhauer und Tanzmusik erscheinen, ist er durch das Tollen »ohne Rast und Ruh«, dazu »vorzügliche Springereien«, einfach hingerissen. Es gefällt ihm so gut, daß er für den nächsten Abend wieder einen Besuch beim Hanswurst ankündigt. Eine Posse un ter dem Titel Die Zauberbirn, ebenfalls in der Leopoldstadt, hat es ihm so angetan, daß er sie sich zweimal anschaut und bedauert, daß seine beiden Söhne nicht neben ihm sitzen. Kein Wunder, daß sich allmählich auch Ermüdungser scheinungen zeigen. Er war von morgens bis abends auf den Beinen gewesen. Nach zehn Tagen glaubt er seine »Knochen« zu fühlen. Der Gedanke an die in Berlin zurückgebliebene Familie beginnt mehr und mehr auf ihm zu lasten, wird aber zurückgedrängt durch das Be dürfnis, noch nicht Gesehenes von der Stadt kennenzuler nen. »So lange das Geld, die italienische Oper und die Heimreise zu bezahlen, reicht — bleibe ich in Wien«, das gibt seine Vorstellungen und Absichten wohl zutreffend wieder, setzt seinem Aufenthalt aber auch enge zeitliche Grenzen. Eben damit hapert es. Ist das Geld, das ihm der Geheimrat Schulze aus einem Fonds des Ministeriums für die Reise hatte zukommen lassen, ausgegeben, bleibt ihm nichts anderes zu tun, als nach Berlin zurückzufahren. Die Bedenken gegen Wien als die Hauptstadt des von ihm verachteten untergegangenen »Reichs«, mit denen er ein
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getroffen war, sind unter dem Kindruck der »so reichen Welt«, der er hier begegnete, längst zerstreut. Er ist über wältigt. Die Berliner Verhältnisse scheinen ihm mit einem Male nicht in allem diesen großzügigen Maßen standhal ten zu können. Allerdings hat er Beweise dafür, daß der »Berliner Professor« hier beträchtliche Reputation ge nießt und ihm der Fürst Esterhäzy eigens nur deswegen die Besichtigung seiner Gemäldegalerie gestattet, obwohl kein Besuchstag war, wie Hegel nach Hause berichtet. Die Moden für die Damen, so beruhigt er seine Frau, seien keineswegs ausgefallener als in Berlin, allerdings könne sein Eindruck auch darauf beruhen, daß er nicht die richtigen Leute zu Gesicht bekommen habe, da die »vor nehme Welt« nur »zu Wagen im Prater« verkehre. Er wundert sich über die vielen Fleischläden sowie die Ge schäfte mit den Damenhüten und vermerkt, daß es »die verdammt vielen Schnapsboutiquen, ... die sich in Berlin allenthalben einnisten«, hier zum Glück nicht gibt. In den letzten Tagen, die Hegel in Wien vergönnt waren, hat er noch einmal alle Ermüdungsanwandlungen bekämpft, um die Pläne zu bewältigen, die auf seinem Programm standen. Dazu gehört der Besuch in der Burg kapelle, wo er der Messe beiwohnt, an der auch der Kaiser und die Kaiserin teilnehmen. Im Theater an der Wien, »das schönste Theaterhaus allhier«, sieht er ein nament lich nicht näher bezeiehnetes Stück mit preußischen Uni formen, bei den Italienern den ersten Akt von Rossinis Zelmira; er läßt es sich nicht nehmen, die Aufführungen von dessen Barbier von Sevilla ein zweites Mal zu besuchen. Am Abend des Franzenstag ist er Zeuge der Illuminatio nen aus Anlaß des kaiserlichen Festes, wo er den letzten Akt der Ballettpantomime Amor und Psyche vom Vorabend noch einmal erlebt. Der in Wien von der Komödie zur Oper, vom Ballett zum Zauberstück und zur Posse im Eilschritt vorwärtsstür mende Hegel -ein Hegel mit unvermuteten Charakterzü gen? Keineswegs! Hier ist der spekulative Philosoph für fünfzehn Tage aus sich herausgetreten. Logiker, Enzyklo pädiker, Natur-, Religions-, Rechts- und Geschichtsphi
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losoph weichen dem äußerst sensiblen Kunstphänomeno logen. In ihm ist der aus der persönlichen Berührung mit Goethe hervorgegangene Ästhetiker wiederzufinden. Die Rückseite von Wien hat er dann auf derselben Route über Prag und Teplitz ohne längere Aufenthalte hinter sich gebracht. Es zog ihn zur Familie zurück. Ledig lich in Dresden macht er kurz Station, wo er überraschend in einer Gesellschaft mit Tieck und Friedrich Schlegel, den er hier zum erstenmal sieht, erscheint und sich zum Erstaunen seines Schülers Hotho als Liebhaber der italie nischen Oper zu erkennen gibt. Von Tieck holt er sich übrigens eine Abfuhr. Hegel glaubt, in Shakespeare der durchbrochenen Form seiner Stücke wegen einen verwor renen Kopf sehen zu müssen. Tieck weist diese Auffas sung mit größter Entschiedenheit zurück. In seinen Au gen ist Shakespeare ein Mensch von allergrößter Klarheit. Man wird hier Tieck, dem genialen Shakespeare-Überset zer, zuneigen müssen.
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Sechsunddreißigstes Kapitel
Geschichte der Philosophie Die Philosophie könne von der Geschichte, die sie durch laufen hat, nie getrennt werden. Geschichte der Philoso phie sei immer Philosophie selbst. Das ist das Axiom, das Hegel seinen Berliner Vorlesun gen über die Geschichte der Philosophie voranstellt. Die Geschichte der Philosophie zeigt demnach auf, auf welche Weise »die Galerie der Heroen der denkenden Vernunft ... in das Wesen der Dinge, der Natur und des Geistes ... eingedrungen« ist. Es geht dabei um Handlungen des Geistes, die ihrem Inhalt nach weniger von persönlichem und individuellem Gharakter sind, die nicht Besonderhei ten, Genie oder Leidenschaften aufzeigen, sondern viel mehr dem freien Denken und dem Menschen im allge meinen als Menschen zugehören. Der Besitz an »selbstbe wußter Vernünftigkeit« — daran wird erinnert — ist nicht »nur aus dem Boden der Gegenwart gewachsen«. Die »Taten des Denkens« sind zunächst eine »Sache der Ver gangenheit«, sie liegen jenseits unserer Wirklichkeit. Denn »was wir sind, sind wir zugleich geschichtlich«. Somit ist in der Philosophie als einer aus der Vergan genheit herholenden, mit den Handlungen der Vernunft befaßten Disziplin die Erbschaft aus der Arbeit aller vor ausgegangenen Generationen in der Geschichte der Menschheit gegenwärtig, die in ihrer Geschichte das Re sultat dieser Arbeit vorweist. Zu ihrem Inhalt gehört, was die geistige Welt hervorgebracht hat. Der Geist aber ver sinkt nie in einen Zustand gleichgültiger Ruhe: »Sein Leben ist Tat.« Die Geschichte der Philosophie berichtet also von den »Taten des freien Gedankens«, sie ist selbst die »Geschichte von dem Sich-selbst-Finden des Gedan kens« nach der Hegeischen Regel, daß er sich nur findet, indem er sich hervorbringt. Seine Hervorbringungen sind die verschiedenen Philosophien; der Zeitraum, innerhalb dessen diese Arbeit der menschlichen Vernunft geleistet worden ist, umfaßt zweieinhalb Jahrtausende, als eine
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dem »Absoluten« zugewandte Arbeit. Philosophiege schichte ist »ein Teil des Prozesses, in dem das Absolute seinen eigenen Begriff erfaßt« (Henrich). Wie es eine Philosophie der Weltgeschichte, der Kunst, der Religion gibt, so auch eine der Philosophie, und zwar als einer Geschichte, die an ihrer Hervorbringung kon stituierend im Spiele ist. Die Geschichte der Philosophie, die vom Geist auf den Weg gebracht wird, ist sich darüber im klaren, daß sie es mit einer Vielzahl von verschiede nen, keineswegs übereinstimmenden und sogar einander widersprechenden Philosophien zu tun hat. An einem »Vorrat von Meinungen« ist kein Mangel, wobei dem einem das als klug erscheint, was der andere für eine Narrheit hält. Das bedeutet die unablässige Gefahr, vor lauter Philosophien die Philosophie nicht zu bemerken, so wie man vor lauter Bäumen den Wald nicht sieht. Mit der hier wahrnehmbaren Übung, die Meinung der andern zu widerlegen und damit ihre Falschheit zu behaupten, kann sie, wenn man sie allein in diesem Lichte sieht, sogar den Beweis für ihre eigene Unwahrheit fuhren. Wenn alles, was behauptet wird, letztlich auch bestritten werden kann, gibt sie damit einen Mangel zu erkennen, nämlich nicht über Kennzeichen unumstößlicher Sicherheil ihres Urtei lens zu verfügen. Aber die Arbeit des Weltgeistes bei seinem Vorrücken ist damit nicht zu verhindern. Der Aufeinanderfolge der Systeme liegt nach der Logik der Geschichte Notwendigkeit zugrunde. In der Bewegung des Weltgeistes geht kein Gedanke verloren; kein Ge danke, der Anteil an der Philosophie hat, ist untergegan gen, keines ihrer Systeme ist daher auch je widerlegt worden, weil jedes unwiderlegbar ist. Der äußere Ein druck durch die Langsamkeit des weltgeschichtlichen Fortschritts täuscht. Jeder einzelne Schritt erfordert ange sichts der Beschaffenheit der Zeiten und Völker unend lich viele Vermittlungen. Und der Weltgeist hat Zeit ge nug, er ist nicht »pressiert«; er kann sich Zeit nehmen, weil er selbst »außer der Zeit, weil er ewig ist«. Um zum Ziel zu gelangen, wird er notfalls statt des kürzestem Wegs Um wege einschlagen, und wenn es geschieht, dann stets im
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Einklang mit der weltbauenden Vernunft! Aber im Ver lauf des weltgeschichtlichen Eortschreitens kann bei den Schwierigkeiten, die sich ihm entgegenstellen, der Um weg der kürzeste Weg sein. Geschichte der Philosophie als Philosophie der Philoso phie auf dem Boden der Geschichte mündet hier in die Philosophie der Geschichte ein und geht mit ihr eine Strecke Wegs zusammen. Der Geschichte der Philosophie ist wie der Weltgeschichte der Gedanke vom Fortschreiten des Geistes im Bewußtsein der Freiheit vorangestellt. Die Philosophie in ihrer Geschichte trägt die jeweiligen Epo chen ihres Bewußtseins in sich selbst. Wußte man im Orient, daß nur ein einziger frei ist, nämlich der Despot, in der griechisch-römischen Welt, daß einige frei sind, näm lich die Bürger, in der christlich-germanischen Welt, daß alle frei sind, so hat es, weil die Freiheit in der gegenseiti gen Anerkennung gleicher besteht, im Orient noch kein Freiheitsbewußtsein gegeben und also auch keine Philoso phie. Entstehen konnte sie erst da, wo wie in Griechenland der Gedanke der Freiheit aufdämmert und an Rom wei tergegeben wird. Aber die Freiheit ist nicht die einzige Bedingung für das Philosophieren. Es muß eine gewisse Stufe der Bildung erreicht sein, es müssen gewisse Vorstellungen gewonnen und entwickelt, es müssen Gegenstände vorhanden sein, über die man Bedenken anstellt. Zum Philosophieren ist der geistige Stoff notwendig. Philosophie steht darum nicht am Anfang. Sie ist vielmehr über die ersten Anfänge hinaus. Sie hat die Morgenfrische der Jugend hinter sich und sieht schon die weltgeschichtliche Abenddämmerung heraufziehen, in der die Eule der Minerva zu ihrem Flug ansetzen kann. Zur Bildung in ihren ersten Ausformungen und zur Freiheit zumindest als Vorahnung muß freilich noch ein Drittes hinzutreten: das Gefühl für heraufziehendes Un heil. Kaum hat die Freiheit in Griechenland ihren Auf gang erlebt, wird sie in den griechischen Kolonien auf kleinasiatischem Boden vom Untergang bedroht. Eben jetzt, mit dem Verderben des athenischen Staats, setzt
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die Blüte der Philosophie ein, ebenso wie sich ihre Ver breitung in Rom mit dessen Niedergang verbindet. Als das römische Kaiserreich auseinanderbricht, erlebt die Philosophie in der Alexandrinischen Schule noch ein mal einen letzten Aufschwung. Sie ist dann über die neu platonische Philosophie, über Plotin und Proklus, ins Christentum hineingetreten und hat in der Scholastik ihre Verchristlichung erfahren. Für einen Zeitraum von über tausend Jahren und keineswegs zu ihrem Vorteil! Die »Philosophie der neuen Zeit« beginnt für Hegel erst nach dem Dreißigjährigen Krieg, mit Bacon, Jakob Böhme und Dcscartes, ist also tatsächlich erst eine Erscheinung jüngeren Datums. Es gibt zwei exkursorische Abweichungen innerhalb der Hegelschen Einteilung. Die chinesische und indische Philosophie gehören dem »Orient« an, der (wie er meinte) keine Philosophie kennen konnte, weil er keine Freiheit kannte. Hegel widmet in seiner Darstellung der konfuzia nischen Moral und der Vernunftlehre des Laotse eine knapp gehaltene Partie. Aber für China gilt das gleiche wie für Indien: sie stehen nicht in der Kontinuität der Hegelschen »Weltgeschichte«, sind nicht »historisch« in ihrem Sinne. In China hat es dem »Weltgeist«, der immer fort in Bewegung ist, gefallen, für zweitausend Jahre im Stillstand zu verharren. Es wird nie aus dem Auge verlo ren, daß die griechische Welt, die als einzige für die Anfänge der Philosophie in Betracht kommt, auf dem Orient beruht und von hier in der Ausbildung der Kunst und Religion, insbesondere von Syrien und Ägypten, bedeutsatne Elemente empfangen hat. Aber sie hat sie hellenisiert, sie hat daraus ihr Eigentum gemacht. Die Griechen verfügten wie kein anderes Volk über die Gabe, aus dem, was sie besessen haben, eine Geschichte zu formen — etwa über die Entstehung der Welt, der Götter und der Menschen, der Erde, des Himmels, der Winde, Berge, Flüsse — und sie in so schöner und einprägsamer Weise zu erzählen, daß man ihnen das Verdienst ihrer Erdichtung zuschreiben mußte. Sie haben »ihre Welt sich zur Heimat gemacht«. Das Fremde, das sie vorfanden,
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haben sie getilgt, es umgewandelt, etwas anderes daraus geschaffen. Das Gefühl, das bei dem Namen Griechen land aufsteigt, ist das des Zuhauseseins. Und darum fühlt sich auch die Philosophie bei den Griechen wie nirgendwo sonst heimisch geborgen. Warum das so ist? Die Griechen sind nicht nur aus sich selbst hervorgegangen, sondern haben die geschichtli chen Voraussetzungen des »Orients« an sich erfahren. Insofern haben sie immer mit dem »Extrem der formellen Subjektivität« zu rechnen gehabt. Etwas, was ihre eigene Sache nicht war! »Die Griechen hatten die substantielle Einheit der Natur und des Geistes zur Grundlage«; sie setzen sich gegen jede Form der Maßlosigkeit zur Wehr und haben stets Anlässe gehabt, dies tun zu müssen: »Die orientalische maßlose Kraft der Substanz ist durch den griechischen Geist zum Maße gebracht und in die Enge gezogen worden.« Für die Griechen gilt nichts mehr als »Maß, Klarheit, Ziel, Beschränkung der Gestaltungen, Reduktion des Unermeßlichen ...« und vor allem »Schön heit«, auf deren Stufe der Weltgeist in seinem Vorrücken bei den Griechen angelangt ist. Was Schönheit und die Heiterheit im Bunde mit ihr für das griechische Leben bedeuteten, davon konnte kaum einer bessere Kenntnis haben als der Freund Goethes und des jungen Hölderlin. Als diese schöne Welt Ioniens zu grunde ging, zuerst durch Krösus und die Lyder, dann durch die Perser, die sie ganz zerstörten, erhob sich die Philosophie wie ein Schwan, der sich in vollendeter Schön heit im Tode windet. Die Bewohner flüchten aus Klein asien mit seinen Küsten und suchen sich im Abendland andere Wohngebiete. Das bedeutete eine völlige Verände rung der Lebensverhältnisse und der Regierungsformen. Die von den Dichtern besungenen patriarchalischen Zei ten sind vorbei. Es macht sich ein Bedürfnis nach gesetz lichen Bestimmungen und Einrichtungen geltend. Indivi duen treten auf, jetzt nicht mehr als Herrscher ihrer Mitbürger, sondern hervorragend durch Talent, Phanta sie, Kunst und Wissenschaft. Das Griechenland der Sieben Weisen mit Solon als dem bedeutendsten Gesetzgeber ist
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das Griechenland mit Augenmerk auf die politische Ver fassung. Für die griechische Philosophie seit ihren Anfängen macht Hegel zwei geographische Landschaften als Punkte aus, um die herum sich das geistige Leben entwickelt: Ionien und Großgriechenland sind die Regionen für die Periode, die von Thales bis Anaxagoras reicht. Wobei nach Thukydides die ionischen Besiedlungen in Klein asien Niederlassungen von Athen sind! Die geographi sche Unterscheidung in Ost und West zieht einen Unter schied in der Gedankenform nach sich. Bei den kleinasia tischen Griechen (Thales, Anaximander, Anaximenes, Heraklit, Leukipp, Demokrit, Anaxagoras, Diogenes aus Kreta) »ist eine sinnliche, materielle Seite vorherrschend«, bei den abendländischen Griechen (Pythagoras aus Sa mos, Xenophanes, Parmenides, Zcno, Empedokles) »ist der Gedanke überwiegend«. Bei den auf italischem Boden lebenden griechischen Philosophen wiegt »die ideale Be stimmung des Absoluten« vor. Erst mit Sokrates gelangt die Philosophie nach Athen, wo die Extreme der Wissen schaft zusammengeführt werden und sich in der Mitte finden. Alle vorsokratische Philosophie hatte im Einklang mit dem Weltgeist in seinem Fortschreiten den Sinn, sich auf die Sokratischc Höhe und das heißt auf Platon und Aristo teles hinzubewegen. Die älteren griechischen Naturphi losophen sind in Platon und mehr noch in Aristoteles enthalten, sie finden in den Dialogen Platons und bei Aristoteles den ihnen zustehenden Ort zugewiesen. Sie sind auch von hier aus zu beurteilen. Hegel hält damit an dem konventionellen Schema fest, das die griechische Philosophie in Piaton und Aristoteles gipfeln läßt. Was das bedeutet, tritt erst nach Hegels Tod, und zwar durch den Widerspruch, offen zutage, als der junge Marx in seiner jenenser Dissertation über Demokrit und Epikur diese Rangordnung mit großem Fragezeichen versieht; und noch ein weiteres Mal in dem schweren Schlag, den Nietzsche mit dem für sein eigenes Denken entscheidenden Rückgriff auf die Philosophen »vor So
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krates« gegen diese hergebrachte Ordnung führt. Das heißt im einen Fall, daß der Anteil der Materialisten unter den Naturphilosophen bei Hegel zu kurz kommt, im andern Fall, daß das Fortschreiten des Weltgeistes in Wahrheit eine einzige Rückwärtsbewegung darstellen könnte, die auf diesem Weg von Thaies oder Demokrit bis zur Dialektik der stadtbürgerlichen Spätzeit als Zeichen der Dekadenz erfolgt sei. Hegel dagegen hält sich an die Stufenfolge seiner Phi losophie der Geschichte, die freilich von Thales an, der alles auf das Wasser zurückführt, Vorankündigungen des in der »neuen Philosophie« Geltenden kennt. Die Entwick lung der Natur aus einem Urstoff, aus Wasser, Luft, Feuer, Erde erfolgt in einen unbegrenzten Zeitraum hinein. Von den Atomisten gelangt die Einsicht der Existenz unteilba rer Teilchen in die Philosophie, die nach Demokrit raum erfüllend, undurchdringlich, schwer und unzerstörbar sind. Sie sind alle von gleicher Art, ihre Zahl ist unendlich. Das bedeutet: das Sein wird aufgespalten in lauter Seinss plitter mit der Leere, in der sie sich befinden, als Vorausset zung. Die Seinsspekulation, wie sie mit den frühesten Anfängen der Philosophie in Griechenland beginnt, befin det sich bereits in vollem Zuge und begegnet in Hegel ihrem kompetentesten Kenner, der sich überhaupt den ken läßt. Bei Parmenides entdeckt er »die erhabenste Dialektik, die es je gegeben hat«: alles Entstehen und Vergehen hat mit dem Nichtsein zu rechnen, dessen Kenn zeichen es ist, daß es nicht ist — und beweist, daß es nur das Sein gibt. Sein und Denken fallen im Einklang mit der Identitätsphilosophie Fichtescher Herkunft zusammen. Denn das Nichtsein ist auch, weil es im Sein mitgeführt wird, als sein Gegensatz, ohne den es nicht sein kann, so wie in der Natur der Dinge und im Denken der Menschen der Widerspruch regiert. Bei Heraklit sieht Hegel diese Seins spekulation auf den Höhepunkt gebracht. Er ist für ihn der erste Denker, der das Wesen der Ideen als die Einheit von Entgegengesetztem verstanden hat mit dem Resultat: Sein und Nichtsein sind dasselbe — und der Beglaubigung: Platon und Aristoteles haben nicht anders gedacht.
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Damit war ein Lehrsatz des Hegelschen Systems ausge sprochen, nur mit dem Unterschied, daß er bei den Grie chen aus der Naturphilosophie heraus entwickelt worden war, Hegel ihn aber aus der Logik ableitet, die bei ihm aller Naturphilosophie vorausgeht. Hegel hebt ausdrück lich hervor, daß es bei Heraklit nicht einen Salz gebe, den er nicht in seine Logik aufgenommen habe. Das bedeutet Eingeständnis der eigenen Dunkelheit. Schon Sokrates fand den Tiefsinn des Heraklit so groß, daß nur schwer dahinterzukommen sei. Mit Heraklit wird die Seinsspekulation auf das Werden hingeleitet. Alles ist Werden. Das Werden ist das Prinzip. Damit ist das Sein so wenig wie das Nichtsein. Das Werden ist und ist nicht. Mit ihm stellt sich das Prinzip der Lebendigkeit ein. Wie derum ein gewaltiges Fortschreiten, das Hegel bei Hera klit vermerkt: »Es ist ein großer Gedanke, vom Sein zum Werden überzugehen.« Und vor allem: er gehört keiner vergangenen Philosophie an. In der Spekulation Hera klits erkennt Hegel seine eigene wieder. Die Atomistiker hat Hegel verhältnismäßig knapp abge fertigt, Leukipp weniger als den viel bedeutenderen De mokrit. Er findet sie immerhin interessanter als Empe dokles. In der Atomistik kann die Naturwissenschaft sich darin bestätigt fühlen, daß die Welt von keiner Weltursa che hervorgebracht worden ist, sie beruht auf keinem Grund, sondern auf sich selbst. Keine fremde Hand hat bei ihrer Erschaffung die Hand im Spiele gehabt. Die unteilbaren Seinskörperchen haben den Anfang in sich selbst. Diese materialistische Version über die Anfänge des Kosmos wird von Hegel zwar ernsthaft in Betracht gezogen, sie gilt als eine mögliche, aber keine, die mit dem platonisch-aristotelischen Verhandeln der Frage nach der Weltursache einen Vergleich aushielte. Bei den Vorsokratikern ist Philosophie nach Hegel noch keine »Wissenschaft« geworden. Auch noch nicht bei Sokrates. Erst Platon hat sie dazu gemacht. Dazu hatte sie die Stufe des sophistischen Denkens hinter sich zu bringen. Die Sophisten mit ihrer Frivolität, in der die Kehrseite dessen zutage tritt, was Platon gedacht hat, sind
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die Väter der griechischen Aufklärung. Sie haben als erste die Bildung unter die Griechen gebracht, indem sie durch die Kunst der Beredsamkeit, mit der sie die Affekte und Leidenschaften in die jeweils gewünschte Richtung steuer ten, das Bedürfnis weckten, Bildung überhaupt zu erwer ben. Die Wahrheit ist bei ihnen nichts Feststehendes. Weil es viele Köpfe gibt, gibt es so viele Wahrheiten, wie es Köpfe gibt, und darum gar keine. Was die Sophisten gegen Bezahlung in Aussicht stellten, war indessen nichts Gerin ges. Als öffentliche Lehrer boten sie den Schülern an, sie vernünftig zu machen, ihnen Kenntnisse zu verschaffen, mit denen sie durch die Lehre von der Wahrheit zum eigenen Nutzen subjektive Ziele erreichen konnten. Im Zeitalter des Peloponnesischen Krieges, in dem Athen von Sparta besiegt wurde und Griechenland als politische Macht zugrunde ging, schürten sie den Zweifel am Absolu ten. Alles ist im Fluß, in ständiger Bewegung und Verände rung und darum relativ. »Der Mensch ist das Maß aller Dinge«; dieser Satz ist ein Satz des Sophisten Protagoras. Aber er spricht zwei Dinge aus: Der Mensch ist Individuali tät und somit von individueller Unverbindlichkeit, und er verfügt als Mensch über selbstbewußte Vernunft. Damit steht er für die sich darauf gründende echte Philosophie. Ohne die von ihnen verbreitete Bildung in der negativen Bedeutung des Räsonnierens, ohne ihre Vorstellung von der Wahrheit, daß es keine gibt, hätte Sokrates keinen Boden und keine Anlässe gehabt, gegen die Sophisten aufzutreten. Sie waren für das Fortschreiten des Weltgei stes notwendig. Nichts von dem, was er einmal geleistet hat, geht verloren. Wenn Sokrates sie für wert hält, beständig gegen ihre Vorstellung der Wahrheit seine eigene zu entwickeln, müssen die Sophisten große Philosophen ge wesen sein. Er ist nicht nur durch die Schule ihrer Spitzfin digkeiten gegangen, sein Denken lebt auch von der Sub stanz der echt philosophischen Inhalte, die die Sophistik transportiert und an ihn weitergegeben hat. Den Faden der philosophiaperennis haben die Sophisten nie abreißen lassen. In seinem Anteil daran ist auch Sokrates ein Sophist. Zum Charakter der Sophisten hatte es gehört, nicht die
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Sache selbst zur Geltung zu bringen, sondern sich auf das Bedenken über sie einzulassen. Die Anschauungen davon führen voneinander weg. Sokrates dagegen will durch den Dialog, das sokratische Gespräch, vom Ausgang ge meinsamer Überzeugungen und durch gemeinsames Nachdenken über die Methode der Maieutik die Wahr heit herausfinden. Er will sie, wie die Hebamme das Kind aus dem Mutterleib, ans Licht bringen. Die Fragen des Sokrates stiften dabei durch Zweifel Verwirrung, sie nöti gen zum Nachdenken und zwingen dazu, die Antworten zu überlegen. Es ist an allem zu zweifeln, alle Vorausset zungen sind aufzugeben, um - im Gegensatz zu den Sophisten, die an keine Wahrheit glauben — »die Wahrheit als ein durch den Begriff Erzeugtes zu erhalten«. Im sokratischen Denken ist bereits das »Prinzip der modernen Zeit« herausgefunden mit der von Hegel be merkten Eigentümlichkeit, daß sein Eintritt in die Ge schichte und die Auflösung Griechenlands als politischer Macht zusammenfallen. Der Mangel an großer Politik ergibt jene weltbewegende Transformation im Denken der Griechen und führt zu den aus dem Sokratischen abgeleiteten Philosophien von Platon und Aristoteles, die für mehr als zweitausend jähre die verbindlichen Maß stäbe gesetzt haben. Wo Platon die Vorstellung vertritt, daß »das Wesen im Bewußtsein«, »das Absolute im Gedan ken und alle Realität der Gedanke« ist, wo er auf das »Recht des selbstbewußten Denkens« setzt, ist er Sokrati ker. Die Ideen sind für ihn das Wirkliche. Es ist das Denken, das sie hervorbringt und sie in das Bewußtsein eindringen läßt als etwas Inneres. Die sinnlich ange schaute äußere Welt für die wirkliche zu halten beruht auf Täuschung. Das Hervorbringen der Ideen stellt eine Erin nerung dar; die Seele wie das Denken erfahren im Erin nern, was sie schon längst wissen, weil es in ihnen durch die Präexistenz angelegt ist. Die Platonische Lehre von der Idee als Lehre der Präexistenz ist Unsterblichkeitslehre, sie rechnet mit der Fortdauer der Seele nach dem Tode und im Einklang dazu mit Vorgängen der Seelenwande rung.
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Der Vorstellung von der individuellen Unsterblichkeit der Seele steht Hegel keineswegs ablehnend gegenüber. Ewigkeit der Idee und Ewigkeit der Seele kommen der Hegelschen »Weltseele« oder auch dem »Weltgeist« au ßerordentlich entgegen, sie sind kaum unabhängig davon zu denken. In der Platonischen Weltseele hat der Welt baumeister die Materie auf vernünftige Weise geordnet. In ihr sind Idee und Stoff zusammengeführt, so wie überhaupt Gegensätzliches in ihr Platz findet, neben der Ordnung des Chaos, neben der Vernunft die Unver nunft, neben dem Lebendigen das Tote. Aber hier ist mitgesagt: Für Platon gehört es zum Cha rakter der Materie, daß sie nicht ist. Sie steht auf der Seite der Negativität, im Verhältnis zum Geist spielt sie die Gegenpartie und läßt damit den dualistischen Charakter der Platonischen Philosophie hervortreten. In diesem Dualismus erkennt Hegel ihre eigentliche Schwäche. Denn die Gegensätze heben sich nicht auf, der Geist erscheint darin von der Materie getrennt, statt daß er sie in sich enthält. Damit bleibt Platon hinter dem Idealismus, wie Hegel ihn will, noch zurück. Sein Dualismus im Ver hältnis der Ideen zur Materie, der Formen zum Stoff, der philosophischen Spekulation zur sinnlichen Erfahrung lassen ihn nicht zum dynamischen Sein hingelangen. Man kann darum trotz der Tiefe seiner Ideenlehre, der Schön heit seiner Gedanken und der Vorstellung der Göttlich keit, die selbst die christlich gewordene Welt mit seinem Namen verbindet, bei Platon nicht stehenbleiben. Das war nicht zuletzt gegen Schleiermacher, den Platon-Überset zer, gesagt, der Christentum und Platonisches Denken in einen gewissen Einklang zu bringen versuchte. Der Fort schritt im Denken wird zu Aristoteles und damit zu einer höheren Stufe der Erkenntnis hinführen: »Er ist eines der reichsten und tiefsten wissenschaftlichen Genies gewesen, die je erschienen sind, ein Mann, dem keine Zeit ein gleiches an die Seite zu stellen hat.« Wo sich Hegel mit Aristoteles befaßt, kehrt er zu den eigenen geistigen Ursprüngen zurück. Es gibt keinen Philosophen, mit dem ihn eine größere Nähe als die zu
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Aristoteles verbindet. Er fühlte sich als der Aristoteliker, der den Meister über die Jahrhunderte mangelhaften Verständnisses wiedererkannte und vollendete (N. Hart mann). Das hing mit einer eigentümlichen Verwandt schaft in der Denkstruktur zusammen, auch mit dem früh einsetzenden, mühsamen und sehr intensiven Studium während der Tübinger Stiftszeit. Aristoteles kennt er wie keinen andern Philosophen. Warum Aristoteles für ihn imstande ist, das fortzufüh ren, was das »platonische Prinzip« begonnen hatte, dafür gibt Hegel einige Gründe an: Er ist »umfassend und spekulativ wie keiner«. Er ist kein Kopf, derein »systema tisierendes Ganzes« hinterlassen hätte, in seiner Philoso phie sind die einzeinen Teile (Disziplinen) empirisch ent wickelt und nebeneinandergestellt. Und bilden »doch eine Totalität wesentlich spekulativer Philosophie«! Die Überlegenheit des Aristoteles gegenüber Platon sieht Hegel in der größeren Kraft der Spekulation. Rund herum abgelehnt wird von ihm die übliche Gegenüber stellung von Platonischem Idealismus und Aristoteli schem Realismus, und zwar als einem Realismus der tri vialsten Art. Erfahrung steht bei Aristoteles sehr oft am Anfang, sie setzt sein Denken in Bewegung, aber sie ist nicht die einzige Quelle seiner Erkenntnisse. Sie stellt nur eine Seite seines Philosophierens dar, kann aber nicht für das Allgemeine seines Denkens gehalten werden, schon darum nicht, weil die Aristotelische Philosophie in vielen Gestaltungen auftritt. Aristoteles hat sich über den Ge samtbereich der menschlichen Vorstellungen ausgelas sen, aber er hat die Einzcldisziplinen nicht von einem einzigen Prinzip oder von der Einheit der Bestimmungen oder des Gegensatzes aus beurteilt. Er behandelt den Gegenstand der Angemessenheit seines Stoffes und sei ner Form entsprechend. Und dieser Methode verdankt er seine Unerschöpflichkeit. Hegels Wahlverwandtschaft mit Aristoteles gründet sich auf dessen Metaphysik und dessen Logik. Metaphysik ist in den Augen des Aristoteles »reine Philosophie« und als solche von allen anderen Wissenschaften unterschie
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den. Das bringt sie in die Nähe der Logik im Verständnis von Hegel, demzufolge Logik und Metaphysik zusam menfallen. Hier mußte Aristoteles für ihn in Betracht kommen, denn dessen Logik war die letzte, nach ihm hatte es keine andere mehr gegeben bis auf die Hegels als ihre vollständige Erneuerung, aber aus aristotelischem Geist. Und dieser besagt: »Dann ist die Logik Wissenschaft der Vernunft; sie ist spekulative Philosophie der reinen Idee des absoluten Wesens, nicht Gegensatz des Subjekts und Objekts, sondern bleibt Gegensatz, im Denken selbst.« Das bedeutete jetzt, daß das Dualismusdenkcn Platons gar nicht mehr ausreicht, es bleibt hinter einer Logik zurück, die sich mit dem bloßen Subjekt-Objekt-Gegen satz nicht begnügt, sowenig wie mit der Annahme, daß die Materie nicht existiert. Die Vernunft hat sich inzwischen so weit vorgearbeitet, daß die Materie nicht mehr nur idealistisch, sondern als das im Sein Enthaltene, als das Substantielle erkannt werden kann. Das war zwar schon bei den Materialisten geschehen, aber noch nicht in ein Gefüge der Logik hineingebracht worden. Aristoteles kennt die Einschränkung: Die Materie ist nur eine Mög lichkeit, die Form gibt ihr die Wirklichkeit. Es gibt keine Form ohne Materie. Aber die Substanz besteht nicht nur aus Materie. Zum Charakter der »absoluten Substanz« gehört es sogar, ohne Materie zu sein, und zwar als das »Anundfürsichsetzende«, das »Wahrhafte«, das »Unbe wegte«, das aber zugleich »bewegend« und damit »reine Tätigkeit« ist. Hier tritt wieder der Unterschied zu Platon zutage: Die »Idee« des Aristoteles ist eine andere als die Platons. Platon kennt die Idee des Guten, des Schönen, des Zwecks usw. als das Allgemeine. Aber die Tätigkeit, sie zu verwirk lichen, ist noch nicht »gesetzt«. Die Idee ist noch nicht aus der Trägheit des »Ansich« herausgelangt. Es ist noch nicht das »Prinzip der Lebendigkeit« in sie hineingefah ren. Sich subjektiv mit Leben zu füllen, aus der Objektivi tät der Vernunft und der Gesetze herauszugelangen, in Beziehung zu andern Ideen zu treten, sich vom Allge meinen zu lösen und damit Wirklichkeit zu werden, hat
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sie erst von Aristoteles empfangen. Sie kann erst in der »Entelechic« ihre Hauptbestimmung erreichen, zum Zweck und zur Realisierung des Zwecks zu gelangen: durch Tätigkeit die Materie zu verändern, durch Form als Möglichkeit und Kraft als Vermögen. Entelechie ist bei Aristoteles alles, das Hauptmoment, das alle Nebenmomente an sich mitwirken läßt. Das Den ken und das Gedachte sind eins: »Das Denken ist das Denken des Denkens.« Inhalt des Denkens und Kraft des Denkens sind ein und dasselbe. Aber sie sind auch wieder geschieden, weil die Energie als Tätigkeit höher liegt als das, was die denkende Vernunft sich ausdenkt. Was die Aristotelische Philosophie nicht geleistet hatte? Sie hatte kein »Prinzip für alle Besonderheiten« geschaf fen, sie hatte für die Reihe verschiedener Begriffe keinen »absolut sie vereinenden Begriff« geltend gemacht. Das ist es, was Hegel der Folgezeit als Aufgabe zuweist. Die nacharistotelischcn Philosophien haben die Höhe des Stagiriten nicht mehr halten können, sie schicken sich an, in die römische Welt hinüberzutreten; sie sind zwar samt und sonders noch in Griechenland entstanden, und ihre großen Lehrer bleiben nach wie vor Griechen. Aber im Herrschaftsbereich der Römer, die die Individualitä ten der Völker unterdrücken, verlieren sie die Tiefe der griechischen Spekulation. Die Philosophie wird abstrakt und sucht den Dogmatismus des römischen Geistes zu befriedigen. Sie tritt mehr und mehr an die Stelle der Religion. Es ist hier vom Stoizismus, vom Epikureistnus und vom Skeptizismus die Rede. Nach Hegel gilt: »Die stoische Philosophie hat das abstrakte Denken, der Epikureismus die Empfindung zum Prinzip gemacht; Skeptizismus ist negatives Verhalten, ja tätige Negation gegen alles Prin zip.« In einem sind sie freilich alle gleich: Die innere Freiheit des Subjekts darf keinen Schaden nehmen. Uner schütterlichkeit, Gleichgültigkeit des Geistes gegenüber Vergnügen wie Schmerz ist das gemeinsame Ziel aller dieser Philosophien. Aber auch Gleichgültigkeit gegen über dem Staat, an den sie sich nicht wie Platon an die
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athenische Staatsverfassung mehr gebunden fühlen! In Rom geht es kälter zu. Es fehlt die griechische Heiter keit. Es hat gute Advokaten und die Moral des Tacitus. Höchstens, daß man im Staat die Philosophie gegen den alten Aberglauben zu Hilfe ruft! Sonst ist nicht viel Er freuliches zu vermelden: »in dem Unglück der römi schen Welt ist alles Schöne, Edle der geistigen Indivi dualität mit kalter, rauher Hand verwischt worden«. Jetzt kann auch, in der alexandrinischen Philosophie, der Orient in die Philosophie Einzug halten durch die Kabbala, jüdische Geheimlehren schwer erklärbaren In halts, und dadurch das neue Erkenntniswissen der Gno stiker. In Alexandria macht sich der Jude Philon daran, die heiligen Schriften im Lichte Platons zu erklären. Beim Neuplatoniker Plotin schließlich sind Platons Ideen vorherrschend, das Besondere wird auf das Allge meine zurückgeführt. Plotin kennt schon die Ekstase, die notwendig ist, um das »wahrhaft Seiende« zu erken nen, ein Gefühl, für das kein anderer Name gefunden worden ist als der, mit dem der Brahmane sein »Ver rücktsein« benennt. Es kann sich aber auch um den Zu stand der seligen Ruhe handeln, in den die Vernunft ge langt, wenn sie zu sich selbst kommt. Das »Objektive«, das in diesem Verzücktsein, in diesem »Sein des Den kens«, sich selbst erfährt, macht das Hauptmoment Plo tins aus. In Proklus erlebt nach Hegels Meinung der Neuplatonismus dann seine Vollendung. Die sinnliche Welt wird zum Verschwinden gebracht. Proklus ist Or phiker: Er hält Orpheus für den Urheber der griechi schen Theologie. Aber er ist auch Dialektiker. Die Drei in Einem als die Trinität enthält im Sinne Piatons das Eine, das Unendliche und die Grenze. Das Ganze ist »Geist«, ist »Gott« und sein »Leben«, und diese »Trias« ist »Totalität« geworden. Aber es bleibt, wie bei Platon und Aristoteles, auch bei den Alexandrinern ein alles entscheidender Mangel zu rück. Sie sind nicht zur »absoluten Ereiheit«, zum »Ich«, zum »unendlichen Wert des Subjekts« gelangt. Der »Weltgeist« ist bei ihnen noch nicht ans Ziel gekommen.
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Es muß sich der Menschengeist einen Ruck geben, um dem Denken neue Taten abzuringen. Bis zu Proklus war Philosophie vom griechischen Geist verhandelt worden, eine Periode, die mit Thales begon nen hatte und tausend Jahre dauerte. Es kommt bei Proklus »die spätantike Religiosität auf ihren Begriff und damit nach Hegels Epochenthema an ihr geschichtliches Ende« (Düsing). Zur christlichen Philosophie, die jetzt aufkommt, gehörte der neu platonische Gedanke, daß Gott »Geist« sei und sich im Bewußtsein realisiert. Araber und Juden nehmen an der Weiterbildung auf platoni scher und aristotelischer Grundlage nur äußerlich teil. Es wird das Christentum sein, das nunmehr als »allgemeines Bewußtsein der Welt« hervortritt. Hier ist Vorsicht gebo ten! Denn die Idee des Christentums ist zu verschiedenen Zeiten verschieden gefaßt worden. Aber wenn es mit der Weltregierung Gottes seine ernsthafte Bewandtnis haben soll, muß es bei der Hcraufkunft des Christentums ver nünftig zugegangen sein, und es war bedeutsam, daß es erst jetzt geschah. Nichts, was ihm voranging, war über flüssig geworden. Es läßt sich jedoch nicht sagen, daß es da, wo es sich der Philosophie bemächtigt, zum vollen Gelingen durchgedrungen sei. Bei den christlichen Kir chenvätern und später den Scholastikern hat das Philoso phieren nie den »Charakter der Unselbständigkeit« verlo ren. Das wird, bevor Hegel ins einzelne geht, der christlichen Philosophie dick angekreidet. Das mittelalterlich-schola stische Denken ist nicht frei: »es ist nicht die denkende Idee in ihrer Freiheit«; es ist ein Philosophieren unter einer Voraussetzung. Die Voraussetzung liegt im »christlichen Prinzip«. Wenn scholastisches Denken zwischen Vernunft und Glauben seine Schlüsse zieht, verliert es das »christliche Prinzip« nie aus den Augen: » I n diesem scholastischen Treiben treibt das Denken sein Geschäft ganz abgeson dert von aller Rücksicht auf Wirklichkeit, von aller Erfah rung.« Die Bewegung des Christentums und seine Festsetzung
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im Mittelalter steht somit wieder unter dem Gesetz der »Entzweiung«. Seine Einrichtung als fertige Kirche hängt mit dem Eindringen der germanischen Völker in die alte Welt Roms im Zuge der Völkerwanderung zusammen, der sie durch ihre auf den antiken Trümmern errichtete Herrschaft eine neue Gestalt geben. Durch die Verbin dung der christlichen Idee mit den germanischen Völkern macht zwar die Freiheit als Ziel der Weltgeschichte einen gewaltigen Schritt nach vorn, aber die Kirche bei ihrem Übergang vom geistlichen zum weltlichen Dasein mit Lei denschaften und Roheit sorgt selbst für die Verzögerung: »Herrschsucht, Habsucht, Betrug, Gewalttätigkeit, Raub, Mord, Neid, Haß« gehören während des Mittelalters zum kirchlichen Regiment, das mit seinen Päpsten, Kardina len, Legaten und den Bannflüchen, die es ergehen läßt, seine Überlegenheit beweisen kann. Kaiser und Fürsten sind immer wieder die Besiegten. Die Verbrechen des kirchlichen Regiments machen sich während des Mittelal ters bezahlt. Die Kosten trägt die Scholastik. Ihre Philoso phie ist in Wahrheit ein »schulgerechtes syllogistisches Raisonnieren«. Mit ihr tritt der auf Fortschreiten be dachte »Weltgeist« für tausend Jahre auf der Stelle. Er ist im 16. Jahrhundert da, wo er schon im 6. Jahrhundert gestanden hatte. Einen Abriß der Scholastik in historisch-chronologi scher Hinsicht hat Hegel nicht gegeben. Das war auch gar nicht notwendig, weil es sich nicht verlohnte, eine Ent wicklung von Abstrusitäten aufzuzeigen. Scholastik ist in Wahrheit »eine ganz barbarische Philosophie des Verstan des«. Die Fragen, die sie stellt, sind »sinnlos, abscheulich, abgeschmackt«. Sie hat sich in Spitzfindigkeiten ohne realen Stoff und Inhalt ergangen; »später ist diesem geist verlassenen Verstande die Philosophie des Aristoteles in die Hände gefallen«, aber es war in ihr kein Maß für ihn angelegt, und so hat sie ihn sich nur »äußerlich« zu eigen machen können. Auf dem von der Scholastik bestellten Boden war hinfort für den Wahrheit und Recht suchen den Mensc hen nichts mehr zu finden. Er mußte sich deswegen anderswo umsehen, nämlich da, wo das Gegen
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teil wie gesunder Menschenverstand, Erfahrung, Natur, Humanität zu erwarten waren. Hier ist mit der Umkehr des Geistes gerechnet. Er muß zur neuen Anspannung seiner Kräfte kommen: »Der Geist hat sich wieder gesammelt, und, wie in seine eigenen Hände, so in seine Vernunft geschaut.« Das vollendet sich jetzt im Übergang aus dem Mittelalter, und zwar von Hegel ausdrücklich hervorgehoben zunächst als langsa mes Abschwächen des bis dahin allmächtigen Feudalsy stems, das seine Vernunft bei aller Unterdrückung der Freiheit darin zeigte, daß die geltende Ordnung besser als gar keine war. Hier ist in längeren Zeiträumen gedacht. Umkehr des Geistes bedeutet Wiederaufleben der Künste und Wissenschaften, ein Heraustreten aus der Leichen kammer der Scholastik, die zwar das dialektische Interesse auf das Höchste hinaufgetrieben hatte, aber nur in seiner formellen Natur. Den Humanismus, der für diesen Energieschub steht, betrachtet Hegel als Zwischenetappe zur großen Wende, die in Deutschland als lutherische Reformation ihre »Haupt-Revolution« erlebt und hier mit dem großen Auf stand gegen die grausliche Zucht, »worin der hartnäckige germanische Charakter gestanden hatte«, die »Entzwei ung« am Werke zeigt. Aber der Unterdrückung wohnt Notwendigkeit inne, damit der Mensch im Widerstand und bei der Überwindung durch das Wegwerfen der falschen Autoritäten »in sich zurückkehrt«: ein gewaltiges Vorwärtsschnellen des Weltgeistes nach langem Aufschub und vorläufiges Ende der Bewegung auf seinem langen Weg. Für die Reformation läßt sich innerhalb der Geschichte der Philosophie kein großer Name anführen, mit Aus nahme von Giordano Bruno, den Hegel zwar noch dem Mittelalter zurechnet, der aber durch »das subjektive Prinzip des eigenen Denkens« schon für die Zukunft steht. Bruno ist ein vom Selbstbewußtsein bacchantisch Ergriffener, für Katholiken wie Protestanten Ketzer und Atheist in einer Person. Aber er vertritt in dieser Zeit des Übergangs die Sache der Philosophie. Bruno ist Aristoteli
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ker im Sinne der Alexandrinischen Schule, ein vorweg genommener Spinozist mit dem Gedanken vom AllEinen der alles durchdringenden Vernunft und der »Hauptidee«: die »Einheit von Form und Materie in Al lem zu erkennen«. Und er ist ein Geist auf dem Wege von Aristoteles zu Hegel. Um der Natur ihre Geheim nisse abzulisten, ist jeweils bei den äußersten Enden der Dinge, dem Maximum und dem Minimum, /u begin nen; »den Punkt der Vereinigung zu finden, ist nicht das Größte, sondern aus demselben auch sein Entgegen gesetztes zu entwickeln: dieses ist das eigentliche und tiefste Geheimnis der Kunst«, nennt Hegel, der es zi tiert, »ein großes Wort«. Freimut und Kühnheit seines Denkens hat Bruno mit dem Tod auf dem Scheiterhau fen bezahlt, den die Kirche für ihn ausgedacht hatte, ein Schicksal, das Hegel auch von dem geistesverwandten, allerdings weniger bedeutenden Lucilio Vanni berichtet, mit dem Zusatz, daß ihm vor der Vollstreckung vom Henker erst noch die Zunge herausgerissen worden war. Das sind Vorgefechte eines neuen Denkens, das in seiner Zeit nach außen hin zum Scheitern verurteilt war gegen die Nachhut einer scholastisch eingestellten Par tei, die im Abtreten sich immer noch stark genug zeigte, die im Vorwärtsdrängen befindlichen Neuerer zu Fall zu bringen. Aber der unruhig gewordene Geist wird in der Folge nicht mehr zu beschwichtigen sein. Seine Reg samkeit zeigt er an den verschiedensten Fronten, zu nächst in der Vorankündigung beim Engländer Francis Bacon als Verdächtigung der »syllogistischen Formen«, des Schließens überhaupt im Namen der Erfahrung. Es liegt im Sinne der aufkommenden »Tendenz der Zeit und des englischen Raisonnements ..., von Tatsachen auszugehen und danach zu urteilen«. Erfahrung bedeu tet Beobachtung der Natur des Menschen und der Welt, die ihn umgibt. Daß sie von England aus in die Waag schale geworfen wurde, beruht auf dem Tatsachensinn einer Nation von Kaufleuten. In anderen Ländern hat sie diese Bedeutung nicht genossen: »Deutschland ging
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von der konkreten Idee, vom konkreten, gemüt- und geistvollen Innern aus.« Darum steht Jakob Böhme für Entgegengesetztes, für eine Philosophie, die als phüosophia teutonica mit dem rich tigen Namen belegt worden ist und durch die Aufklärung verdunkelt wurde. Daß Leibniz für Böhme eintrat, kann darum von Hegel nicht verschwiegen werden. Böhme gilt für ihn als der erste deutsche Philosoph, der diesen Na men verdient. Das heißt hier: »protestantisches Prinzip«, wonach »die Intellektual-Welt in das eigene Gemüt hin einzulegen« ist, allerdings auch »größte Verworrenheit« mit dem zusätzlichen Vermerk: »Die Art und Weise seiner Darstellung muß barbarisch genannt werden.« Es läßt sich bei der Darstellung Böhmes der Eindruck nicht verwischen, daß Hegel hier ganz fest auf eigenem Boden steht, ein Stück von sich selbst beschreibt und den eigenen schweren Sockel meint, mit dem er ins System der alten Metaphysik hinunterreicht. Wenn er Böhmes »Hauptidee« in der »göttlichen Dreieinigkeit« erkennt und sein ganzes Denken und Trachten als deren »Enthül lung«, so war damit die Dreiheit als in der Logik angelegte Mitte von Denken und Sein wiedererkannt. Die »Dreiheit ist alles«: das war ein durch Piaton beglaubigter Lehrsatz und stand im Einklang mit der christlichen Trinität, wo die Drei das Eine, das Eine die Drei ist, was ihre Wahrheit in sich hat, weil sie die Widerspiegelung der Natur der Dinge überhaupt bedeutet. »Offenbarung Gottes in allen Dingen« in dem Sinne, »daß aus dem Wesen Gottes, dem Inbegriff aller Kräfte und Qualitäten, der Sohn ewig geboren wird« und der »Geist« als die »Einheit« des »Lichts mit der Substanz der Kräfte«: Solche Argumente standen hier für Böhme, aber waren für den Hegel der alten Metaphysik sehr wohl annehmbar. Böhmes Lehre vom Licht und der Tinktur als »geistliches Feuer« fand Hegels Begünstigung von der Ader Schellingschcn Den kens her, in der das Blut noch kräftig pulsierte. »Alle Sterne bedeuten die Kraft des Vaters, aus ihnen ist die Sonne«, das war ein hochgespanntes Sprechen, das durch seine spekulative Kraft Hegel als Naturphilosophen be
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eindrucken mußte. Die Tiefe des Sprechens aus sich, die Kraft, mit der Böhme die Gegensätze zusammenpackt und sie zur Vereinigung führt, hatten Hegel für ihn eingenommen. Aber es ist für ihn ein Sprechen in Bildern, ohne jeden »Begriff« und ohne versöhnende Form, roh und voll »Grimmigkeit«. Die Verfolgung Böhmes durch die Geistlichkeit sprach nicht dagegen, daß der Geist der christlichen Religion in sein Denken Eingang gefunden hatte, es sprach hingegen alles dafür, daß es vom »Verderben der Kirche« nicht erfaßt worden war. Aber die »Periode des denkenden Verstandes« war damit noch nicht erreicht. Die philoso phische Theologie hatte sich bei Böhme noch nicht von den Voraussetzungen des christlichen Glaubens gelöst. Die Philosophie war noch nicht völlig frei. Selbständig wird sie seit den Neuplatonikern zum erstenmal wieder bei Descartes. Mit ihm beginnt das Denken der neueren Zeit, das von sich ausgehende Denken, das die »tote Äu ßerlichkeit«, die Autorität, zurückweist. Descarles fängt mit allem von vorn an. Das Mittelalter hatte das »christli che Prinzip« gekannt; mit Descartes wird das »Denken« zum »Prinzip« ohne jedes Attribut: »was gelten soll, gill nur durch das Denken«. Jede Voraussetzung ist hintanzu setzen. Es wird mit ganz einfachen Sätzen angefangen. Allem voran steht der Zweifel, weil bei den vorgegebenen Urteilen stets mit der Täuschung zu rechnen ist. Die Sinne können leicht in die Irre führen. Unter den weniger gewissen und den gewissen Erkenntnissen gibt der Satz: »ich denke, also bin ich« die gewissenhafteste Erkenntnis wieder. Wenn ich Gott, Himmel oder Körper verwerfe, so kann ich das Denken nicht verwerfen: denn es geht nicht an, daß ich, der ich denke, nicht existiere. Denken als Sein, Sein als Denken! Ihre Identität ist hier aus dem Zweifel heraus und gegen ihn zur Gewißheit geworden, eine Gewißheit, die Hegel hier durch Descartes aufgewiesen sieht und die er ausdrücklich gegen Kant anführt, der ihre Verschiedenheit behauptet. In den Augen Hegels war bei Descartes der spekulative Teil der Philosophie zugleich der mathematisch-physika
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lische. Es wird nur mit einer einzigen Gewißheit gerech net, die auf dem Denken beruht. Alles geht vom Denken aus und von der Freiheit, die darin liegt. Ein vorher gefaßtes Urteil kann nicht angenommen werden, weil nichts sicher, nichts fest ist. Es dringt wohl der »Trieb der Freiheit« darauf, zu etwas Festem, Objektivem als dem Resultat zu gelangen: »von meinem Denken will ich da hinter kommen«. Das Denken ist gewisser als der Körper. Man kann am Körper zweifeln, kann — nach dem Beispiel, das Descartes gibt - glauben, in einem Gliede Schmerzen zu spüren, das man schon längst nicht mehr hat. Descartes hat das Denken an die Spitze gestellt, in dem das Ich sich seiner selbst gewiß wird. Was Hegel an Descartes ausdrücklich kritisiert, ist der Umstand, daß er mit der Vorstellung der Identität von Sein und Denken zwar die »interessanteste Idee der neue ren Zeit« gehabt, sie aber nicht bewiesen habe. Er hat den Schritt, von der Gewißheit zur Wahrheit zu gelangen, nicht getan. Eben das ist im Blick auf Kant, der die Identität von Sein und Denken bestreitet, das noch zu leistende. Weiter: Descartes behaupte geradewegs, daß das Ich die Idee der Vollkommenheit in sich habe und daran die Vorstellung von Gott als dem »Vollkommen sten« messe. Gott ist für ihn — das erhält besonderes Gewicht im Blick auf Spinoza - Substanz. Substanz wie derum ist eine Sache, die zu ihrer Existenz keiner anderen Sache bedarf, die als Ursache der Materie anzusehen ist. Als Schöpfer der Materie ist Gott Schöpfer des Univer sums. Aber als solcher ist er selbst ohne Ausdehnung. Was hier zunächst unverständlich scheint, wird durch Spinoza verständlich. Er ist, indem er die Cartesische Philosophie studiert und fortführt, ihr bester Kommen tator. Er führt sie nicht nur fort, er gestaltet sie um und vervollständigt sie im Sinne ihrer eigenen Konsequenzen. Den Dualismus, der bei Descartes noch vorhanden war, hebt er durch die Vorstellung von der einen einzigen Substanz auf. Die Einheit von Sein und Denken, von der Descartes die Gewißheit erbracht hatte, erhält durch Spi noza ihren Beweis. Wie Sein und Denken hören auch
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Seele und Leib auf, etwas Besonderes zu sein, sie gehen in dem Einen auf, das der Jude Spinoza als »morgenländi sche Anschauung« von der »absoluten Identität« in die »europäische Denkweise« einführt. Die Substanz = Gott erhält bei Spinoza zum Denken noch die Ausdehnung als Attribut. Materie und Form treten in der Welt, in der Natur, im Universum auf und stellen sie als Ausdehnung neben das Denken. Das hatte vor Spinoza niemand ausge sprochen. Hegel sieht hier den »Hauptpunkt der Philosophie« erreicht mit der Folgerung: »entweder Spinozismus oder keine Philosophie«. Jedes Philosophieren hat sich hinfort auf den Standpunkt Spinozas zu stellen. Auf ihm hat jedes Denken in philosophischer Hinsicht anzufangen nach dem Satz: Alle Bestimmung ist Negation. Wenn Gott das Positive, die Substanz, ist, so ist an ihm gemessen alles andere Modifikation. Es reicht nicht an das »an und für sich Seiende« heran. Es ist als endlich Bestimmtes Negati vität gegen die absolute Bestimmtheit der Substanz. Die oft gemachte Gleichsetzung von »Spinozismus« und »Atheismus« weist Hegel als unzutreffend zurück. Das könnte nur gelten, wenn Spinoza die Natur zum Gott oder Gott zur Natur erklärt hätte. Aber Spinoza hat nicht Gott und Natur einander gegenübergestellt, sondern Denken und Ausdehnung. Gott, als dessen Attribute sie gelten, ist die absolute Substanz, in der Welt und Natur untergegan gen, in der sie verschwunden sind. Statt dessen hat »Spi nozas System« als »der in den Gedanken erhobene abso lute Pantheismus und Monotheismus« zu gelten; d. h., alle Dinge und ihre Bestimmungen gehen auf Eine Substanz zurück, oder man kann auch sagen: Alles wird »in diesen Abgrund der Vernichtung hineingeworfen«. Mit Spinoza war der Cartesianismus vollendet worden. Der Fortgang des Denkens läßt sich nun in zwei Richtun gen weiterverfolgen. Er führt zu Malebranche, der eben falls die bei Descartes einsetzende Entwicklung abschließt und selbst einen »Spinozismus in anderer, frommer, theo logischer Form« vertritt, so daß ihm nie der Vorwurf des Atheismus gemacht werden konnte, und er führt zu
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Locke, der den vollendeten Gegensatz zu Descartes und Spinoza darstellt. Descartes hatte von »eingeborenen Ideen« gesprochen, Locke bestreitet sie. Die Seele gilt ihm als »haltlose tabula rasa«, die angefüllt wird mit dem, was sie durch die Erfahrung bezieht. An den Anfang gestellte Definitionen wie bei Spinoza fehlen bei Locke, er hat ein Bedürfnis, aufzuzeigen, wie solche allgemeinen Vorstel lungen entstehen. Und zwar durch Erfahrung! Jeder Mensch fängt mit einfachen Erfahrungen, Zuständen, Gefühlen, Empfindungen an, aus denen er erst später zu für ihn feststehenden Bestimmungen gelangt. Allgernei nes wird aus dem empirisch Konkreten heraus entwickelt. Die Frage, wieweit solche für allgemein gehaltenen Vor stellungen und Bestimmungen richtig sind, wieweit sie die Wahrheit für sich haben, bleibt dabei offen. Locke setzt damit den von Bacon begründeten Empiris mus fort und trägt dazu bei, daß der Empirismus hinfort als der englische Nationalcharakter innerhalb der Philoso phie gelten wird. Er vertritt eine Philosophie mit herabge setzten metaphysischen Ansprüchen. Seine Philosophie ist begreifbar, populär, trivial. Ihrer Deutlichkeit wegen konnte sie leicht verbreitet werden. Sie fand Eingang bei den Franzosen und kann auch für eine Einleitung in das deutsche aufgeklärte Denken genommen werden. Lockes berühmt gewordene »zusammengesetzte Vorstellungen« sind eingängig: Raum wird erfahren durch das Sehen, Zeit wird erfahren durch die ununterbrochene Folge ih rer Wahrnehmung, Substanz wird erfahren durch die Verbindung etwa von »blau« und »Himmel«, die zur Identität (»himmelblau«) führt. Wenn Locke nicht von Grundsätzen ausgeht, sondern von der Beobachtung der Dinge, nicht bei der Theorie beginnt, sondern durch Wahrnehmen zu dieser oder jener Theorie gelangt, so bleibt die Frage offen, mit welcher Berechtigung er zu seinen Folgerungen kommt. Mit Hobbes geht wiederum von England die bevorzugte Behandlung der staatsrechtlichen Verhältnisse aus, und zwar in der Gegenüberstellung zum Naturzustand. Es muß ihn »die eigentümliche Verfassung der Engländer
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zur Reflexion auf diesen Gegenstand geführt« haben. Die Frage nach dem »Naturzustand« haben die Engländer in der neueren Philosophie aufgebracht. Die Franzosen fol gen ihnen darin. Es liegt der Ursprung der bürgerlichen Gesellschaft in der Furcht aller begründet. Jeder kann, wenn er es darauf anlegt, den andern umbringen. Jeder ist gegen den andern ein Schwacher. Weil im Naturzu stand die Macht zum Recht darauf erhoben wird, diejeni gen zu beherrschen, die nicht widerstehen können, weil jeder dem andern mißtrauen muß tind deswegen ein »Krieg aller gegen alle« geführt wird, in dem es unratsam wäre, jemanden, den man in der Gewalt hat, wieder stark werden zu lassen, bleibt als Folge geboten, daß der Mensch aus diesem Naturzustand heraustreten und dafür eintre ten muß in Verhältnisse, in denen die Gesetze der Ver nunft gelten, die den Frieden erhalten. Gegen die Erfahrung der Engländer und gegen die Lehre von der Einen Substanz Spinozas tritt Leibniz als Gegenpol auf. Hegel faßt das Denken von Leibniz als »Idealismus« auf, als Vorstellen von Ideen, Behauptun gen, die er macht und nacheinander vorträgt, denen aber Notwendigkeit und Konsequenz fehlen: ein »metaphysi scher Roman«. Hegel kritisiert insbesondere den in der Theodizee vorgetragenen Optimismus und die Mängel ei ner »Rechtfertigung Gottes über die Übel in der Welt«, derzufolge die Welt, da sie nun einmal habe werden sollen, unter den vielen möglichen Welten die bestmögli che sei. An die Stelle des Monismus bei Spinoza rückt bei Leibniz die Monadologie, die Lehre von unzähligen selb ständigen Einzelkörperchen, von denen keines auf das andere wirkt. Jedes enthält eine unendliche Menge von Atomen, ist »an sich Totalität« oder »die ganze Welt«. Im Universum ist alles nach dem System einer »prästabilier ten Harmonie« geregelt, die geringste Bewegung teilt sich bis an den entferntesten Ort mit. Man könnte aus einem Sandkörnchen das ganze Universum in seiner Entwick lung begreifen, wenn man das Sandkörnchen ganz erken nen würde. Gott ist die Monade der Monaden. Hier bringt Hegel nun bei aller Bewunderung für Leibnizens »Intel
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lektualität« seine weitere Kritik an ihm unter: Gott wird mit dem neuen Privileg alles »das aufgebürdet, was nicht begriffen werden kann«. Gott ist die »Aushilfe«, die not wendig ist, um nebeneinanderstehende Behauptungen wie etwa die von der Monade als beseeltem Kleinuniver sum und der »prästabilierten Harmonie«, die ihm schon Voltaire nicht abgenommen hatte, in Ubereinklang zu bringen. Wolffs Philosophie ist ihrem Inhalt nach systematisier ter Leibniz. Wolff hat der aristotelischen Scholastik ein Ende bereitet, allerdings durch seine pedantische Auftei lung in einzelne förmliche Disziplinen dem Einzug der Dürre in die Philosophie kräftig Vorschub geleistet. Das Denken kommt jetzt in eine Übergangsperiode. Es macht den Idealismus Berkeleys durch, der Locke hinter sich gebracht hat, aber dessen Erfahrimg differenziert. Was groß oder klein, schnell oder langsam ist, kann ich nicht aus meiner Erfahrung bestimmen. Es ist relativ. Es kann darüber nur mit Hilfe von etwas anderem, das außerhalb von mir liegt, vielleicht zufällig ist, einem dazukommen den Objekt, befunden werden. Hume übernimmt den Standpunkt Bacons und Lockes, führt ihn aber zum Skep tizismus hin, der für Kant zum Anfangspunkt seiner Philosophie wird. Was als Recht zu gelten hat, darüber ist bei verschiedenen Völkern zu verschiedenen Zeiten ver schieden gedacht worden. Mit Gott hat der eine diese, der andere jene Erfahrung gehabt, so daß die Bestimmung allgemein geltender Eigenschaften Gottes außerordent lich schwierig ist. Es gibt wohl Gewohnheiten, dies für Gott, Recht, Wahrheit, Moral usw. zu halten. Andere haben andere Gewohnheiten ausgebildet. Hume hat seine Skepsis gegenüber Freiheit und Notwendigkeit auf die Beweise vom Dasein Gottes ausgedehnt mit einem daraus entspringenden Mißtrauen, besser einer Unentschieden heit in allem, was sich über Gott, Natur, Unsterblichkeit in allgemeiner Rede sagen läßt. Er läßt nicht ab vom Erstau nen über den Zustand der menschlichen Erkenntnis. Der zu erwartende Widerstand gegen den Skeptizismus Humcs macht sich bei den Schotten mit ihrer Philosophie
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des gesunden Menschenverstandes und dem Interesse für die
Politik und den Staat geltend. Die Schotten (Reid, Oswald, Stewart) haben auch in Deutschland großen Einfluß ge habt, insbesondere damit, dem Spekulativen ein Ende zu setzen. Aller Inhalt ist konkret und dadurch der Metaphy sik entgegengerichtet. Adam Smith gilt als bekanntester Vertreter. Der eigentlichen französischen Philosophie hat Hegel große Bewunderung gezollt. Sie besticht durch das Geist reiche, mit dem sie gegen den Kodex der bestehenden Vorstellungen von dein für wahr Erklärten zu Eelde zieht. Gewaltig ist ihre Energie, den Glauben, die Macht, die Autorität in Frage zu stellen. Sie kennt schon die »Frei heit« als »Weltzustand« und auch als »konkrete Freiheit des Geistes«. Alles Fixe wird zerstört. Außerhalb des Selbstbewußtseins ist nichts, sind weder die Begriffe von Gut, Böse, Macht, Reichtum, noch die festen Vorstellun gen von Gott und seinem Verhältnis zur Welt. Es ist das Selbstbewußtsein, das durch seine Tätigkeit erst etwas aus ihnen macht. Der französische Atheismus und Materialis mus beruhen auf der empörten Weigerung, Vorausset zungen der Religion, des Rechts, der Moral für wahr zu halten, ohne sie begreifen zu können. Alles Überlieferte, durch Autorität Auferlegte geht in dieser negativen Be stimmung »zugrunde«. Das gibt in der französischen Phi losophie der negativen Richtung den Vorrang. Gegen das Bestehende, die gesetzliche Ordnung, Staatseinrichtun gen, Kirche, bürgerliche Gesellschaft, Sitten der Höfe, Praxis der Regierungsbeamten tritt sie zerstörend auf. Sie hat es zuwege gebracht, Heuchelei und Ungerechtigkeit dem Gelächter und der Verachtung der Wrelt preiszuge ben. Das gibt ihr auch die Rechtfertigung. Sie hat sich nur zerstörend gegen das verhalten, was schon zerstört war, und sie traf schließlich in Frankreich auf eine Nieder tracht in Staat und Kirche, die ihresgleichen nicht kannte. Eine Philosophie, die die Revolution gewollt hätte, schließt Hegel aus. Die Revolution ist durch die »steife Hartnäk kigkeit der Vorurteile, hauptsächlich den Hochmut, die
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völlige Gedankenlosigkeit, die Habsucht erzwungen wor den«. Die Philosophen haben die Art und Weise, wie sie auszuführen ist, nicht angeben können. Ihre positive Seite hat die französische Philosophie in der Berufung auf die menschlichen Bedürfnisse, das Recht, den Anspruch auf das Gefühl, daß Glaube nicht erzwungen werden darf, die Freiheit der Überzeugung. Die Vernunft ist zum »Panier der Völker« erhoben wor den, was besten Gewissens geschehen konnte, denn »in dem Zeichen des Kreuzes hatte die Lüge, der Betrug gesiegt«. Hinfort muß überall der Mensch selbst dabei sein. Bei Helvetius gilt es gar nicht als bedenklich, wenn die Aufopferung für andere mit der eigenen Befriedi gung verbunden ist. Rousseau, der den Staat und jede Herrschaft auf Gewalt, Zwang, Eroberung, Privateigen tum gegründet sieht, kann darum mit Recht die Natur kraft der menschlichen Gefühle dagegen wenden. Seinen Deutschen hat Hegel Passivität bescheinigt. Sie haben die Vorgänge in Frankreich geschehen lassen und sich dreingefunden, wie »ehrliche Trödler, denen alles gut genug ist«. Derweil hielten sie sich an die LeibnizischWolffschen Definitionen und Beweise, bis sie »nach und nach vom Geiste des Auslands angeweht« wurden und sich, angefangen beim Lockeschen Empirismus, alle neuen Erscheinungen, die von dort kamen, zu eigen zu machen versuchten. Ihre Aufklärung ist Aufklärung aus zweiter Hand, bei der der von Frankreich herübergekom mene Gedanke zwar populär wurde, aber in Mattigkeit und Langeweile verkam. Das ändert sich mit Jacobi, der wieder bei Spinoza anknüpft, und mit Kant, der der Philosophie in Deutsch land einen neuen Anstoß gibt. Ein veränderter Stand punkt wird eingenommen, der den Hegelschen Satz be glaubigt: Freiheit ist die Wurzel allen Denkens. Die Ver nunft hatte bisher die Gottesfrage mitverhandelt und damit ihr Feld erweitert, indem sie »Gott als ein Jenseits außer dem Denken genommen hatte«. Jetzt wird gefragt: Wie ist Gott als Nichtdenkbares, als Unendliches wieder herbeizuschaffen, wie ist er wieder auf seinen Platz zu
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rückzubringen, von dem ihn die Vernunft vertrieben hatte? Vernunft und Freiheit des Geistes, das Bewußtsein des Ich sind subjektiv: wie können sie wieder zur Objekti vität, zu Gott, kommen? Das sind die Aufgaben, die sich Kant, Fichte und Schel ling gestellt haben und deren Behandlung dem Wandel der Weltgeschichte durch die Revolution zugehört: in Deutschland als Form des Gedankens, in Frankreich als politische Revolution, als zwei verschiedene Weisen eines einzigen Vorgangs. Aber die Erwartungen, daß sich die Philosophie auf deutschem Boden in Theologie verwandelt, sind vor schnell. Für Jacobi ist das unmittelbare Wissen von Gott Glauben zu nennen. Fs ist ein Wissen, das den Beweis schuldig bleibt, weil es kein vermitteltes Wissen ist, son dern das als Gewißheit in meinem Bewußtsein steckt. Gottes Fxistenz für wahr zu halten, geht an und für sich nicht an, denn zum Erkennen gehört sein »Anundfür sichsein«. Aber er soll ja gar nicht erkannt werden. Hier liegt der Unterschied zu Kant. Bei Kant läßt sich Gott nicht in der Erfahrung finden, weder in der äußeren Erfah rung, wofür der französische Astronom Lalande den Be weis erbrachte, der ihn bei seinen astronomischen Unter suchungen am Himmel wohl gesucht, aber nicht gefun den hatte, noch in der inneren, wo Schwärmer oder Mystiker seine Anwesenheit behauptet haben, ohne an dere davon zu überzeugen. Für Kant ist Gott ein Postulat der praktischen Vernunft, er ist als Erklärung eine not wendige Hypothese. Kant hatte bekanntlich bei Hume angesetzt, der die Grundlage allen Wissens in der Wahrnehmung sah, mit der Ausnahme von Allgemeinheit und Notwendigkeit. Wenn aber Allgemeinheit und Notwendigkeit nicht aus der Wahrnehmung geschlossen werden können, müssen sie aus einer anderen Quelle hervorgehen, die für Kant das Subjekt ist. Allgemeinheit und Notwendigkeit gehö ren zur Vernunft als selbstbewußter Vernunft, sie kom men dem Denken selber zu. Das hält Hegel für den »Hauptsatz.« der Kantischen Philosophie. Das Denken
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wird damit zum Gegenstand des Denkens. Kants Philoso phie ist kritische Philosophie, die die Hauptweisen des »theoretischen Bewußtseins« mit den drei Stufen: 1. An schauung, 2. Verstand, 3. Vernunft durchgeht. Anschau ung findet ihr Feld in der Sinnlichkeit. Damit Anschau ung stattfinden kann, »muß die Vorstellung des Raumes und der Zeit schon vorhergegangen sein«, die aber selbst Anschauung sind; die außer mir liegen, in die ich sozusa gen hineingeboren werde, Anschauung a priori. Raum und Zeit sind abstrakte Anschauungen, sie sind das Leere, ohne Inhalte, sie bedürfen eines Stoffes. Als zweites Ver mögen neben der Sinnlichkeit tritt der Verstand auf. Ist Sinnlichkeit Rezeptivität, so ist Verstand nach Kant Den ken in Tätigkeit oder die »Spontaneität des Denkens«. Von der Sinnlichkeit bekommt der Verstand den Stoff geliefert, um ihn mit den Gedanken, einem Stoff anderer Art, zu verbinden, woraus Erkenntnis hervorgeht. Aber er hat noch nicht die Fähigkeit, »aus Prinzipien zu erken nen«. Das ist eine Leistung der Vernunft. Ihr Produkt ist die Idee als das Unbedingte, Unendliche. Hier liegt der Unterschied, den die vorkantische Philosophie noch nicht kannte: Verstand hat seinen Gegenstand im Endlichen, Vernunft im Unendlichen. Durch die Ableitung von der Idee, die auf Platon zurückgeht, verdient die Kantische Philosophie »Idealismus« genannt zu werden. Damit ist ein nicht abzuschließendes Spiel der Bezie hungen in Gang gesetzt. Denn das Unendliche und seine Behandlung verlieren sich beständig in Widersprüchen, in die Subjekt, Gott und Welt hineinverwickelt werden. Widersprüche, die notwendig sind, um die Vernunft hin durchwirkend (transzendent) zu machen! Die Vernunft trägt die Forderung in sich, die Wahrnehmung auf das Unendliche zurückzuführen, Endliches vom Unendli chen zu unterscheiden, aber auch die Vereinigung von Endlichem mit Unendlichem zu bedenken: das, was Kants Lehre von den Antinomien behandelt. Hegel spricht hier von der »Barbarei der Vorstellungen«, die Kant durch die »Barbarei seiner eigenen Vorstellungen« widerlegt. Das bedeutet Zuspitzung auf den eigentlichen Gegensatz von
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Hegel zu Kant in der Frage der Identität von Denken und Sein. Daß Kant die »alte Metaphysik« überwunden hatte, was ihm als Verdienst angerechnet wurde und seiner Philoso phie so viele Freunde bescherte, sieht Hegel nicht als seinen Vorzug. Die Vernunft aus der Zuständigkeit für das Unendliche und Unbedingte zu entlassen, ihr keine Aussagefähigkeit darüber mehr zuzutrauen, fand er an stößig. »Alle Lebendigkeit der Natur wie des Geistes« scheint ihm hier »übergangen«. Wer von der Philosophie die Frage »Was ist Gott?« beantwortet haben möchte, darf von Kant keine Antwort erwarten. Mit seiner Entgeg nung: »Wir kennen nur Erscheinungen«, enthebt Kant die Vernunft jeder weiteren Anstrengung, sich darüber Gedanken zu machen. Womit eine »trostlose Zeit der Wahrheit« angebrochen wäre! Damit ist die Philosophie um die Metaphysik gebracht, sie ist — ein hartes Wort Philosophie, die keine ist. In Hegels Augen war Kant wieder bei dem »unbekannten Gott« angelangt, dem die Griechen in Athen einen Altar geweiht hatten. Hegels abschließendes Urteil, das die Wegrichtung für das noch zu Leistende wies: »Der Mangel der kantischen Philoso phie liegt in dem Auseinanderfallen der Momente der absoluten Form.« Das bedeutet auch: Sie ist noch nicht abgeschlossen. Ihre Vollendung besorgt Fichte. Es läßt sich mit Sicherheit sagen, daß Hegel, der Kants Überwindung der Metaphysik als Mangel an spekulativer Kraft ausgelegt hatte, dessen abgründige Tiefen nicht erkannt hat, wie nicht nur Bloch bemerkt hatte. Oder schreckte er vor ihnen zurück? Mangel an Spekulation aber ließ sich von Fichte nicht behaupten. Bei Fichte unterscheidet Hegel zwischen der spekulati ven Philosophie der frühen Schriften und der späteren Popularphilosophie der Berliner Zeit, in deren Schatten sie geraten ist. Für die Geschichte der Philosophie zählt nur die erste. In ihr ist das subjektive Moment Kants zur Ich-Philosophie hochgetrieben worden. Es ist das Ich, das glaubt, denkt, zweifelt: »Ich ist die Tatsache«, »Ich ist das Erste«. Alles kann angefochten werden, nur nicht, daß Ich
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= Ich ist. So lautet der erste Grundsatz der Identität, der keine nähere Bestimmung verlangt. Ich bin mir selber gleich: bei dem Eingeständnis, daß auch andere Dinge sind als das Ich. Das »Ich« hat es stets mit dem »Nicht-Ich« zu tun, es gelangt an Grenzen, wo es aufhört. Aber auch das »Nicht-Ich« erfährt seine Beschränkung, wo es dem »Ich« begegnet. Das »Nicht-Ich« ist, da das »Ich« am Anfang steht, nur für mich da. Das »Ich« wird erst durch das »Nicht-Ich«; gäbe es kein »Nicht-Ich«, könnte das »Ich« nicht sein. »Nicht-Ich« hat nur Sinn, wo es ein »Ich« gibt. Das jeweils eine lebt jeweils von der Voraussetzung des jeweils andern. Daß das Fichtesche »Ich« das »Prinzip« hat, sich zu setzen und sich nicht zu setzen, also auf einer Annahme beruht, die einen Widerspruch enthält, macht Hegel ihm zum Vorwurf: weil, wo von »zwei Prinzipien« die Rede ist, gar keins vorhanden ist. Das »Ich« stritte gegen sich selbst, es wäre somit gar nicht existent. Und weiter: Fichtes »Ich« wird aus dem »Geist« herausgelöst, von dem es ein »Mo ment« ist. Fichte gelangt nicht zur »Vernunft« als der »realen Einheit des Subjekts und Objekts« oder des »Ich und Nicht-Ich«. Er bleibt wie vor ihm Kant beim »Sollen« oder »Glauben« stehen. Mit andern Worten: er verfehlt die Hegeische Identität des Identischen mit dem Nicht identischen. In Schellings Weg zum System der Naturphilosophie hatte Hegel den eigenen seiner Anfänge zu beschreiben. Schelling baut auf Fichtes »Ich« als »reinem Tun« und »reinem Akt« auf, durchläuft dann in schneller Folge mehrere Stufen, die ihn zum eigenen System führen, in dem die Naturwissenschaften durch die Naturphiloso phie abgelöst werden mit dem Anspruch, »die Natur intelligent zu machen«. Aber Hegel hatte das Vertrauen Schellings in die Naturphilosophie nie ganz geteilt und seiner Meinung durch harsche Worte Ausdruck verlie hen. Vor allem: Schelling ist den Beweis für die Einheit von Subjektivität und Objektivität, von Unendlichem und Endlichem, von Positivem und Negativem schuldig geblie ben. Das, was die »Idee des Absoluten« ist, behauptet er
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zwar, aber seine Beweise dafür sind dürftig. Es wird bei ihm vorausgesetzt, was erst bewiesen werden soll. Die ganze Größe des jungen Schelling war vielleicht nirgendwo stärker zum Ausdruck gelangt als in seiner Philosophie der Kunst. In ihr hatte er Kant und Fichte hinter sich gelassen. Daß sich im Kunstwerk das Umschla gen des Subjektiven ins Objektive vollzieht, ist eine Schel lingsche Einsicht. Die Vorstellung vom Kunstwerk als dem Objektiven und noch mehr: die Vorstellung vom Kunst werk als »höchster Weise der Objektivierung der Ver nunft« ist vor Schelling nie gewagt worden. Hegel zögert nicht, ihm diese Rolle bei der Begründung der Kunstphi losophie zuzuerkennen. Hier, wo das »sinnliche Dasein« des Kunstwerks als »Ausdruck von Geistigkeit« verstan den wird, war Schelling der Beweis für die in der Identität des Identischen mit dem Nichtidentischen realisierten »Idee des Absoluten« gelungen. Aber Hegel insistiert bei Schelling doch immer wieder auf die Naturphilosophie, sieht darin dessen Eigentlich stes. Und hebt sich damit von ihm ab. Für den Schelling der frühen und mittleren Periode ist die Theologie in Naturspekulation umgeschlagen, in der Materie, die Schwere, der »Grund« und der »Organismus« der »höch ste Ausdruck der Natur ist«, »Natur« aber als »Wesen Gottes« bestimmt wird, Materie als Natur nicht nur im Geist, sondern in der Wirklichkeit existiert. Hegels Darstellung des Sehellingschen Denkens in den Berliner Vorlesungen enthielt das abschließende Urteil über die Philosophie des ehemaligen Tübinger Freundes, ihre Größe und ihren Mangel. Das »Große Schellings ist, in der Natur-Philosophie die Formen des Geistes in der Natur nachgewiesen zu haben«. Gezeigt zu haben, »daß das Wahre das Konkrete ist«, ist Schellings Verdienst, ebenso, es auf spekulativem Wege zu tun. Sein Scheitern liegt im »Mangel an Dialektik«. Es fehlt die Entwicklung durch das Logische und damit die »Notwendigkeit des Fortgangs«. Darum auch sein ständiges Neubeginnen! Schellings Philosophie ist die Geschichte ihrer fortwäh renden Revisionen. Sie ist im »Formalismus« steckenge
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blieben, ist nicht bis zur «begriffenen Idee« vorgedrun gen. Mit diesem Resultat war der vorläufige Endpunkt der perennierenden, durch die Zeiten vorwärtsstrebenden Philosophie erreicht. Es enthielt zugleich den Auftakt für ihr Weiterschreiten. Einen Abriß seines eigenen Systems hat Hegel an dieser Stelle nicht gegeben. Aber sein Stand punkt als der, der not tut, wird ohne Namensnennung entwickelt. Es muß fortan »die Idee in ihrer Notwendig keit erkannt«, eine »Darstellung der Totalität der Idee« geleistet werden, um das »letzte Ziel« der Philosophie zu erreichen: »den Begriff mit der Wirklichkeit zu versöh nen«. Hegel selbst versteht dieses Ziel als die Forderung der neuen Epoche, in die der »Weltgeist« eingetreten ist. Was schon einmal getan worden ist, muß nicht wiederholt werden. Man muß nicht wie Platon denken. In der Stufen folge, die der »Weltgeist« in der Geschichte wie in der Philosophie hinter sich gebracht hat, war alles von Not wendigkeit geleitet. Die Geschichte der Philosophie als das »Innerste der Weltgeschichte« kennt keine blinden Ein fälle und Zufälle. Denn die Weltgeschichte macht keine Fehler. Jeder Standpunkt hat an seiner Stelle sein Recht. Auch das Falsche trägt Wahres in sich durch die in ihm enthaltene Notwendigkeit, dazusein, um dem Wahren, das sich an ihm reibt, die Bahn zu bereiten. Die jeweils letzte Philosophie einer Zeit faßt die vorhergehenden Philosophien in sich, sie ist ihr Produkt und Resultat. Auf Hegel übertragen heißt das, »daß die Philosophiege schichte die Genesis der eigenen spekulativen Philosophie darstellt« (Düsing). Von der eigenen Philosophie, der absoluten, nämlich der Hegelschen, die darzustellen jetzt anstünde, hätte dann zu gelten: in ihr fänden alle großen Systeme, geklärt und geläutert, Platz. Denn sie steht am Ende. Für seine Berliner Hörer wählt Hegel ein verkürztes Verfahren. Er entläßt sie mit einem knappen Resümee. Der »Weltgeist« der modernen Zeit, das wird ihnen mit auf den Weg gegeben, ist nach langer Arbeit so weit
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vorgedrungen, »alles fremde gegenständliche Wesen sich ab/utun und endlich sich als absoluten Geist zu erfassen«.
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Siebenunddreißigstes Kapitel
Die Reise nach Frankreich. Besuch in Weimar Von Cousin war Hegel seit Monaten immer wieder aufs dringlichste bestürmt worden, ihn in Paris zu besuchen. Er hatte ihm dazu verschiedene Reisevorschläge unter breitet, die sich auf den günstigsten Zeitraum bezogen, und ihm sogar seine Begleitung für die Rückreise nach Deutschland angeboten. Für Hegel gab es also wie im Falle van Ghert bei seinem Besuch der Niederlande ein festes Ziel, als er sich Mitte August 1827 auf den Weg machte. Die Reise war nicht ohne Unbequemlichkeiten. Das Kabriolett ist eng, die vier Insassen müssen zusammenrücken, und Hegel ist froh, als er in Halle ankommt, wo er die Gelegenheit wahrnimmt, seinen Schüler Hinrichs aufzusuchen. Zum Glück stellt sich der für die Weiterfahrt bereitgestellte Wagen als wesentlich komfortabler heraus. Der einzige Mitreisende ist ein Student. Hegel richtet sich auf seiner Bank wie auf seinem Sofa ein, auf dem er in Berlin zu schlafen gewohnt war. Auf den Zwischenstationen nach Kassel und Mar burg kommen weitere Studenten hinzu. In Marburg, von dem er als von einem »holprichten Neste« spricht, stattet er dem Theologieprofessor David Theodor Suabedissen einen Besuch ab, kommt sich aber hier bald so fehl am Platze vor, daß er sich »gleich wieder fortmachte«, wie er seiner Frau aus Bad Ems unter dem 23. August 1827 mitteilt. Die Lahn entlang geht die Reise weiter nach Koblenz und dann durch das Moseltal nach Trier. Trotz der schönen Landschaft steigt bisweilen das Gefühl der Langeweile auf mit dem Wunsch, bald wieder zu Hause zu sein. Beeindruckt hat ihn in Koblenz ein Ausblick von erhöhter Stellen auf den Rhein (Ehrenbreitstein) sowie der Besuch eines vor der Stadt gelegenen Weinguts. In Trier läßt er sich vom Bruder des Gastwirts die römischen Ruinen zeigen. Mit dem Überschreiten der Grenze nach Luxemburg befindet er sich noch nicht auf französischem Boden, sondern in einem Teil der Niederlande, der zum
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Deutschen Bund gehört, wie er sich vor Augen führt. In der Stadt Luxemburg selbst haben es ihm vor allern die mächtigen Festungswerke angetan, die er ausgiebig durchstreift. Er kann die überraschende Eigenbeobach tung machen, wie wenig ihn die Reise persönlich ermüdet, wohl aber die damit verbundene »Geschäftslosigkeit« er schlaffend auf ihn wirkt. Am 30. August 1827, nachmit tags um drei Uhr, kommt er in Metz an. Er sieht sich in der Stadt etwas um, betrachtet die Kathedrale von außen und mischt sich am Abend unter die Offiziere der Garnison, die die Komödie bevölkern und hier närrisches Zeug zu hören bekommen, von dem Hegel fast kein Wort versteht. Die Weiterreise auf französischem Boden geht, wie Hegel bemerken kann, wesentlich bequemer vor sich. In den Coupes sind die Sitze, jeweils für drei Personen, nebeneinander und mit Blick nach vorn. Die Fenster der Diligence bilden einen durchsichtigen Verschluß, was sie von den offenen Kabrioletts der deutschen Schnellpost wagen unterscheidet, ein Vorzug, den Hegel mit sichtli chem Behagen genießt. Die Reise durch das nordfranzösi sche Flachland fand Hegel so reizlos wie die Landschaft selbst. Sein Interesse war durch die Ardennen geweckt worden, und hier wieder besonders durch die Windmühle von Valmy, von der Goethe so eindrucksvoll berichtet hatte. »Erinnerungen meiner Jugend, die daran das größte Interesse genommen«, steigen in Hegel auf, wie er seiner Frau später (3. September) schreibt. Er befand sich jetzt inmitten der Landschaft der Revolutionskriege von 1792. Bis zum Eintreffen in Paris hat die »Wagenmaschine« mit ihren drei Kasten und Hegel im vordersten »Zimmer« das Ufer der Marne nicht mehr verlassen, rechts und links schöne Dörfer und kleine Städte, anziehender als die, die er aus Deutschland kannte. Den jeweiligen Besonderhei ten der Regionen, die er auf der Reise berührte, hat er sich von Anfang an gewidmet. In Bad Ems war er der Gelegen heit, ein Bad zu nehmen, nicht ausgewichen, in Koblenz hatte er Rhein- und in Trier Moselwein, und zwar aus drücklich auf das Wohl seiner in Berlin zurückgebliebe
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nen Frau, getrunken. In Chälons-sur-Marne kostet er zum erstenmal auf französischem Boden den Champag ner. Seine Ankunft in Paris hat der große Dialektiker, der seiner Berliner Stellung entsprechend zunächst im Hotel des Princes abstieg, als Eintreffen in der »Hauptstadt der zivilisierten Welt« vermerkt. Das Urteil erhielt einen kräf tigen Schlag gegen die Rigidität und Dürftigkeit der preu ßischen Hauptstadt. Hegel ist von Paris überwältigt. Den Straßen, dem Palais Royal, dem Louvre, den Tuilerien und den Palästen hat das Berlin von 1827 nicht viel Entsprechendes entgegenzusetzen. Es ist »eine Stadt von altem Reichtum«, den kunstliebende Könige und zuletzt Napoleon dort zusammengetragen haben, dazu Menage rien, Alleen, Gewächshäuser, alles viel ausgedehnter als daheim und vor allem zur »unmittelbaren Benutzung des Publikums« freigegeben. Seiner Frau macht er Appetit auf die Boutiquen des Palais Royal mit den dort ausgestell ten eleganten Waren. Der Überfluß herrscht vor. Es ist überall alles zu haben. Daß in jedem Cafe Zeitungen ausgelegt sind, beeindruckt ihn. Die Verständigung mit den Menschen bereitet ihm keine Schwierigkeiten. Die Kosten für das noble Hotel scheinen jedoch sehr bald Hegels Verhältnisse überstiegen zu haben. Es berei tet aber keine Mühe, eine »chambre garnie« in der Nähe des Jardin du Luxembourg zu finden. Sein Reisegepäck hat er inzwischen bei Cousin abgestellt, dessen Cabinet und Bibliothek zu Hegels Disposition gehalten werden. Cousin, der in der restaurierten bourbonischen Monar chie Karls X. aus politischen Gründen damals ohne Amt war und in wirtschaftlich bescheidenen Verhältnissen lebte, wird jedes »Husten« seines kostbaren Gastes als verpflichtendes Signal zur Fürsorge betrachten und un mittelbar befolgen. Durch Cousin war das später unge heuer fruchtbar werdende Kapitel »Hegel und Frank reich« eingeleitet worden. Denn Cousin, »Stellvertreter« Descartes' und seiner Rationalität, die er als dessen Her ausgeber durch den Wandel in den Zeitverhältnissen für erschöpft hält, dringt auf frische Kraftzufuhr aus der
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»neuen Philosophie« mit Hegel als ihrer Leitfigur. Für Hegel bedeutet die Beziehung zu Cousin direktester Be rührungspunkt, um den »französischen Geist« zu studie ren und hier jene Affinität einer aus der neuen Logik genährten Aufklärung zum alten, inzwischen überwunde nen französischen Rationalismus bekräftigt zu finden. Eben darin bestand die Übereinstimmung Hegels mit Cousin. Hegels »deutsche Philosophie« kennt jenes west europäische Änderungssystem, das in Preußen als einem dem Osten zuneigenden Staat den — man muß hinzufügen — durchaus berechtigten Verdacht erregte, mit Vernunft, Materie, Naturrecht, verklausuliertem Konstitutionalis mus und mit der Idee der möglichen politischen Freiheit die herrschende Ordnung zu konterkaricren und ihr innerhalb kürzerer oder auch längerer Zeiträume Gefah ren zu bereiten. Hegel war also in Paris auf eine eigentümliche Weise sehr wohl bei sich zu Hause, und er hat dies auch gespürt. Es ist das Paris drei Jahre vor der bürgerlichen Revolution von 1830 mit ihren Vorankündigungen. Der Geist des »Fortschritts«, mit dem die Bourgeoisie aufwartet, war hier bis auf seine Ursprünge zurüekzuverfolgen. Wenn die bedeutsamsten politischen Ereignisse auch noch aus stehen, so hat Hegel den Prozeß der Gärung mit den Folgen großer Umwälzungen gerade im Blick auf Berlin genauestens wahrgenommen. Man ist in Frankreich und insbesondere in Paris weiter als in Preußen. Das ist es, was er, der inzwischen in der Rue Tournon in einem Hotel mit dem Namen »Kaiser Joseph II.« eine bescheidene Unter kunft gefunden hat, brieflich nach Hause vermittelt. Das gilt für die Lebensformen, nicht für die Wissenschaft. Seine Magenschmerzen, für die er das Seinewasser ver antwortlich macht, wären, so findet er, in Berlin besser behandelt worden als durch den von Cousin herbeigehol ten Arzt und dessen französische Therapie. Was ihn irri tiert, sind die Speisekarten mit der umfangreichen Liste der aufgeführten, ihm unverständlichen Gerichte, die ihn, wenn Cousin nicht am Tisch anwesend ist, zu Fehlbe stellungen veranlassen.
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Cousin hat keine Mühe gescheut, seinem Freund und Gast den Aufenthalt in Paris so angenehm wie möglich zu machen. Dazu gehörte auch die Absicht, ihn in einige Pariser Salons einzuführen. Damit kam er Hegels Wün schen sehr entgegen, der sich in Berlin immer mehr zum Freund des gesellschaftlichen Zirkelwesens, des Jour fixe, mit besonderer Freude am Gespräch mit Schauspielerin nen und Sängerinnen entwickelt hatte. Aber die Zeitum stände sind nicht günstig. Was in Paris gesellschaftlich zählt, befindet sich zum großen Teil zu dieser Jahreszeit noch auf dem Lande. Die Herzogin von Montebello, bei der Cousin den Dialektiker" aus Berlin einführen wollte, ist krank. Und zur Mademoiselle Mars, einer der Vedetten des Theatre Francais, möchte ihn Cousin nicht bringen, weil es sich kaum verlohne. Anders wäre es, wenn der Schauspieler Talma oder Madame Pasta sich noch in Paris befänden. Wie schon während des Aufenthalts in Wien hat Hegel, mit Ausnahme weniger Abende, regelmäßig die Theater besucht. Seine Berichte über die Aufführun gen nennen Altire von Voltaire, Die Schule der Ehemänner
von Moliere sowie dessen Tartuffe, dann eine Dramatisie rung von Walter Scotts Emilia und das Gastspiel einer englischen Truppe mit Shakespeares Othello, das in seinen Augen durch Leidenschaft der Darstellung, Diktion und Deklamation von allem abweicht, was er bisher auf der Bühne gesehen hatte. Eine Aufführung von Romeo und Julia durch dasselbe Ensemblc im Odeon empfindet er dagegen als glatte Verhunzung Shakespeares. Kein Ver gleich zu Berlin. Die geliebte italienische Oper und das Ballett haben offenbar aus Gründen des Pariser Spielplans zunächst zurückstehen müssen. Doch dann meldet Hegel den Ge nuß einer vorzüglichen Aufführung von Rossinis Semira mis: endlich einmal eine opera seria italienischen Stils und nicht nur »solches Zeug« wie der »Italiener in Algier«, zu dem er die Italienerin von Rossini macht, das es in Berlin zu sehen gibt. Am ausführlichsten gibt der erklärte Ballettfreund die pantomimische Darstellung einer Somnambu len mit Bräutigam wieder.
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Natürlich hat Hegel den obligaten Abstecher nach Ver sailles gemacht und auch St. Cloud besucht. Er hat die Bastille gesehen und sich auch die Stelle zeigen lassen, an der Ludwig XVI. guillotiniert worden war. Aber nicht weniger bedeutete ihm das große Schlachthaus, das Paris Napoleon verdankt. Hier war er auf eine Eigentümlich keit der Stadt gestoßen, die ihn zu der Frage veranlaßte: »In welcher Stadt würde ich nach einem Schlachthaus fahren?« In St. Denis stand er vor den Gräbern der fran zösischen Könige, in Montmorency besucht er den Land sitz, auf dem Rousseau einige Zeit gelebt hatte und der inzwischen zu einer Pilgerstätte für dessen nachgeborene Jünger geworden war. So durchdringen sich in seinen Augen immer wieder Geschichte und Gegenwart. Die Kleidung der Leute fin det er fast so wie in Berlin und ebenso ihre Gesichter, aber er gibt zu, keine Gelegenheit gehabt zu haben, einen Blick in die »große Gesellschaft« zu tun. Da mochte es anders aussehen. Für die Neugierde seiner Frau bestimmt war die Mitteilung von der vorherrschenden Mode, Strohhüte mit langen, weit hinausstehenden weißen Schleifen oder auch bunte Blumen auf den Putzhüten zu tragen. Er spart keine Details aus, so auch das nicht, nach der Magenverstimmung wieder zur deutschen Küche zurück gekehrt zu sein. Das bedeutete Rückkehr zum in Deutsch land gewohnten Mittagessen, während Gousin bei seiner Gewohnheit blieb, seine Hauptmahlzeit um fünf Uhr einzunehmen. Dadurch hatte sich Hegel in der Gestaltung des Tagesablaufs von Cousin unabhängig gemacht, er wandert nun durch die langen Straßen von Paris and spürt an seinen Füßen, welche große Entfernungen man hier zurückzulegen hat. Die letzten Tage hat er noch einmal den wissenschaftli chen Institutionen gewidmet. Es gab für ihn keine Schwie rigkeit, an einer Sitzung der Akademie teilzunehmen, und er vermerkt unter den Teilnehmern eines gemeinsamen Mittagessens Mignet und Thiers, dessen große politische Karriere damals noch nicht begonnen hatte. Am 30. September kündigt Hegel seiner Frau die Rück
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reise aus Paris an. Cousin wird ihn begleiten. Es war dabei ein Besuch bei van Ghert in Brüssel beabsichtigt, das auf dem Wege lag. Der Aufenthalt ist diesmal freilich nur kurz. Hegel nutzt die Gelegenheit zu einer Tour in das 50 km weit entfernte Gent und von da in einer Barke, die von Pferden gezogen wird, nach Brügge. Die Zeit wäh rend der Fahrt durch die flandrische Landschaft hat sich Hegel in der Kajüte mit Lesen und Whistspielcn vertrie ben. Hauptziel in Gent waren die van Eyckschen Bilder und in Brügge die Madonnenstatue, die Hegel für ein Werk Michelangelos hält, als das es gern ausgegeben wird. Die Route war ihm jetzt und auch bei der Weiterreise über Köln von der niederländischen Reise vertraut. Von der »alten, häßlichen Stadt« Köln fühlt er sich, den Dom ausgenommen, zum wiederholten Male abgestoßen. Den Vormittag, den er mit Cousin dort verbringt, hat er auf dessen Besichtigung, einen Besuch der Wallrafschcn Sammlungen, sowie mit Austernessen und Mosclwein trinken verwandt, es dann aber vorgezogen, in Bonn August Wilhelm Schlegel und dem Freund Windisch mann einen Besuch abzustatten. Die Antipathie, die er gegen die beiden Schlegels immer empfand, bleibt in einer brieflichen Schilderung nicht verborgen. Der zum Bonner Professor avancierte Kritiker und ehemalige Liebhaber der Madame de Stael, August Wilhelm Schle gel, hatte sein großes Haus verschlossen gehalten, und Hegel verschaffte sich »mit Gewalt« über den Hühnerhof Einlaß. Es war dann doch noch ein Gespräch mit »Kordia lität und Munterkeit« zwischen beiden zustande gekom men. Hegel hatte, wie er etwas süffisant cinflicht, in der Umgebung Schlegels eine Frau vermißt, die man gewöhn lich bei ihm erwarten mußte. Wie vorgesehen endet Cousins Begleitung in Köln. Hegels Weiterreise sollte nun ohne größeren Verzug und Aufenthalt vor sich gehen. Mit einer einzigen und sehr gewichtigen Ausnahme: Hegel möchte in Weimar dem so lange nicht gesehenen Goethe einen Besuch abstatten. Für die viertägige Reise über Elberfeld nach Weimar nennt Hegel Kassel, Eisenach und Gotha als Stationen. In
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Kassel hat er abends eine Aufführung von Goethes Egmont besucht, allerdings schon nach einer halben Stunde das Theater verlassen. Während der Fahrt durch Westfa len, Hessen und Thüringen hingen ihm noch die nieder ländischen Reiseeindrücke nach. Er vermißt die dort ge nossene Küche und wirft den Kutschern vor, ihn nicht in die richtigen Wirtshäuser geführt zu haben. Als er in Weimar eintrifft, findet er Goethes Haus am Frauenplan illuminiert. Man erwartet den Großherzog zum Tee. He gel läßt Goethe seine Ankunft melden und wird von ihm sogleich »aufs Freundlichste und Herzlichste« empfan gen, wie er seiner Frau nach Berlin berichtet. Eine halbe Stunde später erscheint der Großherzog. Hegel wird ihm von Goethe vorgestellt. Der Großherzog nimmt auf dem Sofa Platz, und Hegel setzt sich nach eigenem Ermessen der Lage zu seiner Rechten. Er wird gleich von ihm nach Paris befragt. Zu einer flüssigen Konversation ist es dann freilich nicht gekommen. Goethes Freunde Riemer und Zelter hatten sich schon vorsorglich ins Nachbarzimmer begeben. Sie wußten, was folgte. Denn der Großherzog ist schwerhörig. Es wird die von Goethe empfohlene Konvention beachtet, den Landesherrn reden zu lassen und, sobald er geendet hat, ihn nicht zu unterhalten, sondern zu warten, bis ihm wieder etwas Neues einfällt. Hegel fühlt sich zwar für einige Stunden auf seinem Sofa »genagelt«, findet aber, daß sonst alles recht »ungeniert« vor sich gegangen sei, während Goethe, damals achtundsiebzig Jahre, die ganze Zeit stehend das unauffällige Zeremoniell dirigiert. Am nächsten Morgen war Hegel der Empfehlung des Großherzogs gefolgt, den botanischen Garten im Belve dere zu besichtigen, den der fürstliche Mäzen hatte erwei tern lassen. Mit Zelter spaziert er auf den fünfundzwanzig Jahre nicht mehr gegangenen Wegen des schönen Parks und an den Ufern der Ilm. Für zwei Uhr war er bei Goethe zum Mittagessen eingeladen. An der Gesellschaft nehmen Zelter, der Hofrat Vogel, Goethes Sekretär Eckermann, Goethes Sohn, zwei Enkel und Fräulein von Pogwisch teil. Hegel wird auf dem Ehrenplatz neben dem Hausherrn
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und der Dame plaziert. Es sind vornehmlich Goethe und Hegel, die das Gespräch bestreiten. Die übrigen Gäste verhalten sich stiller. Vor allem über die politischen und literarischen Verhältnisse in Frankreich sucht sich Goethe ins Bild zu setzen. Er nimmt an allem lebhaften Anteil. Hegel findet Goethe »ganz, kräftig, gesund, überhaupt der alte, d. h. immer jung, etwas stiller, ein solch ehrwür diges, gutes, fideles Haupt, daß man den hohen Mann von Genie und unversiegbarer Energie des Talents darüber vergißt«. In der für seine Frau bestimmten Schilderung aus Weimar vom 17. Oktober läßt aber Hegel keinen Zweifel an seinem gewaltigen Selbstbewußtsein aufkom men und daran, daß er mit dem Gastgeber von gleich zu gleich verkehrt: »Wir sind als alte treue Freunde ohnehin nicht auf dem Fuße der Beobachtung, wie er sich zeige oder was er gesprochen, sondern kordat zusammen und nicht um des Rühmens und der Ehre willen, dies von ihm gesehen und gehört zu haben.« Das Gespräch wendet sich dann eingehend Hamann zu, mit dem Hegel als Rezensent seiner Werke gründlich vertraut war. Dieser dunkle Geist, der »Magus des Nor dens«, der als ehemaliger Schüler Kants den Bruch mit der Aufklärung und ihrer Sonne der bloßen Vernunft vollzogen hatte, steht Hegel außerordentlich nahe, bringt eine Saite in ihm zum Klingen. Es ist denn auch Hegel, der hier das Wort führt. Goethe hält sich wie immer, wenn es um Dinge der Spekulation geht, zurück. Dann will er aber doch aus berufenem Munde etwas über Dialektik erfah ren. Hegel deutet sie ihm »als der geregelte, methodisch ausgebildete Widerspruchsgeist, der jedem Menschen in newohnt und welche Gabe sich groß erweist in Unterschei dung des Wahren vom Falschen«. Goethe hält dagegen: »Wenn nur ... solche geistigen Künste und Gewandthei ten nicht häufig mißbraucht und dazu verwendet würden, um das Falsche wahr und das Wahre falsch zu machen.« Das war das Argument, das die Dialektik mit der scholasti schen Spiegelfechterei verwechselt, und war sicherlich mit Bedacht auch etwas spielerisch in den Dialog eingeworfen worden. Hegel zeigt sich gewappnet und erwidert: »Der
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gleichen geschieht w o h l . . . , aber nur von Leuten, die geistig krank sind.« (Goethe ist mit der Antwort nicht ganz zufrieden, greift tiefer und möchte mögliche Ursachen von vornherein ausschließen: »Da lobe ich mir ... das Studium der Natur, das eine solche Krankheit nicht auf kommen läßt! Denn hier haben wir es mit dem unendlich und ewig Wahren zu tun, das jeden, der nicht durchaus rein und ehrlich bei Beobachtung und Behandlung seines Gegenstandes verfährt, sogleich als unzulänglich verwirft. Auch bin ich gewiß, daß mancher dialektisch Kranke im Studium der Natur eine wohltätige Heilung finden könnte.« In diesem Dialog, den Eckermann in seinen Aufzeich nungen über seine Gespräche mit Goethe unter dem 18. Oktober 1827 festgehalten hat, hatte jeder, der Dich ter wie der Dialektiker, seine Partie bis zum Ende durch gespielt. Es gab zwar keine Übereinkunft, aber doch ein verbindendes Element, das Goethe mit der »Natur« in die Unterhaltung einführte. Wenn für ihn die Dialektik und die Philosophie nicht viel besagten, so tat das seiner per sönlichen Zuneigung zu Hegel nicht den geringsten Ab bruch, und noch mehr: Wenn Hegel so dachte, dann mußte das so unverständlich scheinende Abstruse viel leicht doch etwas für sich haben, dann war es wahrschein lich ernsthaft für andere in Betracht zu ziehen. Goethe war so erfreut über Hegels Anwesenheit, daß er ihn zusammen mit Zelter für den nächsten Tag zu einem dritten Besuch zu sich einlud. Deswegen verschiebt Hegel die Heimreise. Den Abend verbringt er im Theater. In Berlin erhält seine Frau die Ankündigung, daß der weit gereiste »Odysseus« kurz vor der Rückkehr in die »Einfär bigkeit des häuslichen Lebens« steht. Die Fahrt mit der Mietkutsche von Weimar nach Berlin scheint recht stürmisch verlaufen zu sein. Zelter, der ihn begleitet und sich eine angenehme Konversation verspro chen hatte, wird durch einen polternden Hegel über rascht, der Kutscher und Gasthäuser unentwegt be schimpft. Er kann nicht schnell genug nach Hause kom men. Den Pferden will er keine Zeit lassen, sich ordentlich
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satt zu fressen. Als er entdeckt, daß seine Mütze verloren ist, ist er überhaupt nicht mehr zu beruhigen. Der Kut scher soll aussteigen und die zurückgelegte Wegstrecke deswegen absuchen. Zelter kann ihn nur beschwichtigen, indem er ihm seinen gerade neu erstandenen Hut als Ersatz anbietet. Seine Mitteilung über Hegel ist darum von besonderem Wert, weil sie für Goethe bestimmt war, der sich nun nachträglich noch einen weiteren Reim auf Hegel machen kann und das auch tut. Die Episode hat ihn jedenfalls so amüsiert, daß er sie gleich beantwortet und Hegel zu den »Herrn Philosophen« zählt, die zwar Gott, Seele und Welt beherrschen, aber »gegen die Bilden und Unbilden des gemeinsten Tages nicht gerüstet sind« (27. Oktober 1827). Auf den aufgeregten Hegel, der den Kutscher für einen Schurken hält, weil er sich neun Mei len für sieben und eine halbe bezahlen läßt, kommt Zelter noch in einem dritten Brief an Goethe zu sprechen. Er glaubte inzwischen auch den Grund für Hegels Aufre gung herausgefunden zu haben: »Meinst Du«, fragt er Goethe, »ich hätte nicht gemerkt, wohin der lange Hals, der geschäftige Rückgrat und die vorgestreckte Nase ge richtet? Wohl dem, der noch darf!« (30. Oktober 1827) Zelter hatte untrügliche Zeichen dafür, daß Hegel zu Hause eine »kleine zarte Hirschin« erwartete, die durch die Abwesenheit des Mannes so lange »nach frischen Quellen geschmachtet« und sich täglich in Zelters Hause nach seiner Ankunft erkundigt habe. Das kam der Vermutung Goethes entgegen, der sich immer dagegen gewehrt hatte, den Menschen im Hegel schen »Begriff« wiederzuerkennen.
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Achtunddreißigstes Kapitel
Naturphilosophie In Hegels Naturphilosophie ist die schwere Vermittelbar keit seines Denkens zusätzlich dadurch auf die Spitze getrieben, daß sich der Begriff »Natur« der Erfahrung weitgehend entzieht; sie ist ein Abstraktum und als solches Teil der Totalität nach der Setzung, daß es eine objektive wissenschaftliche Naturerforschung gar nicht gibt, weil Objektivität allein dem »absoluten Geist« als dem Konkre ten vorbehalten ist. Umgekehrt kann darum der Natur philosophie auch keine naturwissenschaftliche Relevanz zugesprochen werden. Den Grund dafür hat der Botaniker Matthias Jakob Schleidcn sehr früh, nämlich 1844 in seiner Schrift Schel lings und Hegels Verhältnis zur Naturwissenschaft, und dies
mit großer Überzeugungskraft, genannt: »Die Anforde rung aus Einem Grundsatz heraus den reichen, lebendi gen Gehalt der Wirklichkeit zu entwickeln, ist eine in sich so absurde, daß Niemand ihr konsequent treu bleiben kann ...« Unmittelbare wissenschaftliche Beiträge, die von der »Naturphilosophie« für die Mathematik, Astro nomie, Physik, Chemie, Biologie, Geologie ausgegangen wären, oder gar »Beweise«, die der Bedeutung der KantLaplaceschen Theorie von der Bewegung der Himmels körper gleichkämen, gibt es nicht. Auch die zahlreichen Arbeiten zur »Naturphilosophie« Hegels und Schellings sind sie bis jetzt schuldig geblieben. Der einzige »Beweis« ist der Beweis für die Richtigkeit der Methode. Die von Schieiden bemerkte Absurdität liegt im Triumph der Meta physik über die Physik. Aber damit wäre die »Naturphilosophie« an einer Stelle getroffen, wo sie sich selbst nicht getroffen fühlt. Denn die Geschäftsführung der konkreten Wirklichkeit liegt nach ihrem Selbstverständnis bei der Philosophie, die des Ab strakten bei der naturwissenschaftlichen Theorie, ent sprechend der Tatsache, daß jede naturwissenschaftliche Theorie immer nur die vorletzte vor der letztendlich
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gültigen ist. Nach den Vorstellungen des sogenannten »gesunden Menschenverstandes« sind hier sozusagen die Schuhe vertauscht. Das Abstrakte verhandelt das Kon krete, das Konkrete verhandelt das Abstrakte. Von der Physik läßt sich also ein allgemein überzeugen des Urteil darüber nicht geben, sie ist selber der gleichen Ungewißheit preisgegeben, die sie der Metaphysik vor wirft. Als Theorie von der Natur muß die wissenschaftli che Hypothese mit dem Augenblick ihres Überholtwer dens rechnen: so wie die Atome Demokrits innerhalb der Atomphysik den ihm von ihrem Namen hei" zugeschriebe nen Charakter der »Unteilbarkeit« verloren haben, sich in Neutronen und Protonen teilen lassen und diese wie derum in Quarks als noch kleinere und vorläufig alier kleinste Quanten. Wann der Augenblick erreicht ist, in dem die Quäntchcn, die nominell »unteilbar« sind, aber fortwählend weiterer Teilung unterliegen, so klein ge worden sind, daß sie nicht weiter geteilt werden können, kann von der Physik nicht vorausbestimmt werden. Hier meldet sich die Zuständigkeit der »Naturphilosophie«, die von der Logik des Atoms her weiß, daß kein Teilchen klein genug gedacht werden kann, um nicht in noch kleinere geteilt zu werden. Die »Revolutionen« in der Weltge schichte wie in den Wissenschaften beruhen nach Hegel immer darauf, daß »der Geist ... seine Kategorien geän dert hat«; sie mußten geändert werden, weil die »Denkbe stimmungen« des »Geistes« nicht mehr ausreichten, »um sich wahrhafter, tiefer, sich inniger und einiger mit sich erfassend« selber »zu besitzen« (Enzyklopädie). Sind nach dem System der »Naturphilosophie« hypo thetische Urteile der Physik dazu verurteilt, den Augen blick ihrer Aufhebung durch andere hypothetische Ur teile hinzunehmen, liegt da, wo das nicht geschieht, die Gefahr in der Erstarrung hypothetischer Einzeluntersu chungen; sie liegt in den vom Ganzen losgelösten »reinen Tatsachen«, etwa, daß von bestimmten Luftschwingun gen bestimmte Föne erzeugt werden oder eine Mischung von Strahlen bestimmte Farben bzw. Farbempfindungen hervorruft, wo aus dem Gesamtsystem herausgelöste Kau
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salitäten im Spiele sind, also bloß von Einzelvorgängen die Rede ist. Als Einzelvorgänge aber sind sie »tot« und »abge schieden«. Sie erwerben erst das Interesse des Ganzen durch die »Negation«, ihre Aufhebung als Vereinzeltes. Verweilen bei der chemischen Mischung, die Kenntnis der Affinität bestimmter Elemente oder davon, welche Abstoßungskräfte tätig sind, führen nicht aus der Isola tion im Abstrakten heraus, wo kein Zusammenhang mit der Totalität hergestellt ist. Ein solches Denken, über das in seinen Grundlagen zwischen Hegel und Schelling ein gewisses hohes Maß an Einigkeit besteht, ist dem empirischen Denken durch und durch entgegengesetzt, ohne es immer selbst wahrhaben zu wollen. Es hat auch keine Chance, dem naturwissen schaftlichen Experiment in der Praxis ernsthafte Konkur renz zu machen. Für die Veranstaltung einer physikali schen oder chemischen Versuchsreihe läßt sich auf das Vertrautsein mit Kenntnissen der »Naturphilosophie« sehr wohl verzichten. Umgekehrt beruhte Hegels Eindringen in die Natur wissenschaften auf ausgedehnten Studien der Einzeldiszi plinen, der Anatomie, der Medizin, der Botanik, deren Kenntnis er bei sich selbst so hoch veranschlagte, daß er bei Goethe — vergeblich - um das Amt des Direktors der Weimarer botanischen Einrichtungen nachsuchte. Die Beziehung zu Goethe war von Beginn an auf Gesprächen über die Natur aufgebaut, insbesondere die Farbenlehre mit den Untersuchungen über einfallendes Licht in ein Wasserglas, dann die Physiologie der Pflanzen, wo er Goethes Standpunkt ausführlich referiert. In Jena hat Hegel die Physiologievorlesungen bei Ackermann be sucht. Der Naturgeschichtler Schelver, der vor ihm von Jena nach Heidelberg berufen worden war, war ihm lange ein bevorzugter Freund und Gesprächspartner gewesen. Zu Hegels Mitgliedschaft in der Jenaer Mineralogischen Gesellschaft kommt die in der Heidelberger Physikali schen Sozietät hinzu. Was Hegel über die Natursphäre gesagt hat, ist weit verstreut. Es findet sich in den Vorlesungsmanuskripten
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aus der Zeit in Jena, in der Phänomenologie, den Heidelber ger Heften, der Logik, dem Grundriß der Enzyklopädie und in ihrer großen Fassung, hier von den der Geistessphäre zugehörigen Gedanken über das Sein, das Wesen, den Begriff als »Zweiten Teil« des »System« abgehoben, aber komplementär zu ihnen. Den Erweis liefert das von der »Naturphilosophie« mit Vorzug behandelte Phänomen der Affinität, ihre Verbindung mit dem Chemismus und der Elektrizität - wo sich »Geist« und »Natur« in einer zu weiter Spekulation einladenden Weise begegnen. Die Be schäftigung ließ sich nicht herauslösen aus dem zeiteigen tümlichen Interesse für »Wahlverwandtschaften«, denen Goethe, in dem sich Dichter und Naturforscher verban den, nachgegangen war und die im Schicksal seiner ihren Wirkungen ausgesetzten Romangestalten (Eduard, Char lotte, der Hauptmann, Ottilie) eine Dämonie zeigen, die alle Beteiligten zum willenlosen und dennoch schuldigen Spielball werden läßt. Die Ordnung der Paare wird aus einandergerissen und führt zu einer neuen und tragisch ausgehenden Gruppierung als Folge der Polarität mit Anziehung nach Abstoßung, die Plus in Minus, Minus in Plus verwandelt. »Wahlverwandtschaften« sind nach Tor bern Bergman Eigenschaften chemischer Elemente, die sich bei der Annäherung eines anderen Stoffes avis ihrer bestehenden Verbindung lösen und der Vereinigung mit dem neu hinzutretenden Element zustreben: »Denken Sie sich ein A, das mit einem B innig verbunden ist, durch viele Mittel und durch manche Gewalt nicht von ihm zu trennen; denken Sie sich ein C, das sich ebenso zu einem D verhält, bringen Sie nun die beiden Paare in Berührung. A wird sich zu D, C zu B werfen, ohne daß man sagen kann, wer das andere zuerst verlassen, wer sich mit dem anderen zuerst wieder verbunden habe«, heißt es bei Goethe, der seine Geschichte nach Bergmans Affinitäts lehre als »attractio electiva duplex«, als doppelten Part nertausch mit tödlichem Ausgang erzählt. Man muß daraufhinweisen, daß Hegel, worauf Heinrich A. M. Snel ders aufmerksam gemacht hat, Bergmans Affinitätsbe griff abgelehnt hat. Er sieht »Wahlverwandtschaft« als
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»abstrakte Beziehung der Säure auf die Base«. Auseinan dergesetzt hat er sich vor allem mit Berthollets Versuch, Gesetzmäßigkeiten für die Verwandtschaft chemischer Elemente herauszufinden, aber auch mit den Ergänzun gen und Korrekturen der Bertholletschen Ansichten über die Wirksamkeit »chemischer Massen« durch Berzellius. Das führt mit den Bestrebungen, »die bestimmten und einfachen Verhältnisse aufzufinden, nach welchen die Bestandteile der unorganischen Natur miteinander ver bunden sind«, in dieser Hegelschen Formulierung der Enzyklopädie mitten hinein in die die »Naturphilosophie« bewegende Thematik. Berzellius identifiziert gegen He gels zurückhaltendere Anschauungen die Erscheinungen der Elektrizität mit dem Chemismus. Damit ist auch eine Grundtendenz der Hegelschen Na turphilosophie sichergestellt. Sie verhält sich gegenüber den grenzenlosen »romantischen« Vermischungsbestre bungen außerordentlich empfindlich. Überall Verbin dungen der einzelnen Naturphänomene miteinander nachweisen zu wollen, Elektrizität in chemischen Verbin dungen, diese wiederum in Elektrizität übergehen zu lassen, von hier auf Magnetismus und Galvanismus zu schließen, begegnet seiner Reserviertheit. »Gegen das chemische Verhältnis . . . ist das elektrische vollkommen flüchtig.« Daß »Schelling ... die Elektrizität daher einen zerbrochenen Magnetismus genannt« hat, weist im glei chen Zusammenhang auf die »Differenz« zur Schelling schen »Naturphilosophie« (Enzyklopädie). Hegels Vorle sungen über die Geschichte der Philosophie vermerken es in der Auseinandersetzung mit Schelling als »Unfug, For men, die aus einem Kreis der Natur genommen sind, auf einen anderen Kreis anzuwenden«. Das war insbesondere durch das Aufkommen des »Galvanismus« der Fall und kennt ein Stichwort: »Elektrizität ist dieser Sündenbock, der überall herhalten muß« (Enzyklopädie). Zweifellos ist der Zusammenhang aller Erscheinungen der Natur gegenwärtig. Hegel hält ausdrücklich fest, daß Johann Wilhelm Ritter einen Einfluß der »Sonnenfinster nis« auf den »chemischen Prozeß« beobachtet hat. »Alle
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chemischen Prozesse hängen mit dem Prozeß der Erde überhaupt zusammen«, gilt in den Berliner Enzyklopädie vorlesungen als eigene Meinung ebenso wie: »Der galvani sche Prozeß wird auch bestimmt durch Jahres- und TagesZeiten, besonders die elektrische und magnetische Seite, jede für sich, zeigt dies.« Aber gerade der Prozessus der Vereinigung erinnert daran, daß die an ihm Beteiligten ursprünglich getrennt - »jede für sich« - waren und es im Prinzip bleiben. Damit wäre Schleidens kritische Beobachtung, Hegel entwickele in seinem Verhältnis zu einer so vielgestaltigen Erscheinung wie der Natur alles aus »Einem Grundsatz« heraus, nicht unrichtig geworden. Hegel hat für diese Art und Weise des Sehens übrigens einen Bundesgenossen, den er in der Großen Enzyklopädie dafür anführt. In seiner Metamorphose der Pflanzen hatte Goethe die Botaniker vom Fach gegen sich aufgebracht; »sie wußten nicht, was sie damit machen sollten, eben weil ein Ganzes darin darge stellt wurde«, kommentiert Hegel {Enzyklopädie) diesen Vorgang. Er war hier die Gestalt der Urpflanze angenom men, die Pflanze, die als Prototyp ihre Form in sich selber hat, eine Form, die sich durch Wiederholung im SichEntfalten bildet. »Einheit der Form ist das Blatt«, die »Blume« selbst »nur eine Verdoppelung des Kelchs«, die »Krone« durch Ausdehnung der »Kelchblätter« hervor gebracht. Also alles in einem einzigen Ganzen: »Der Keim charakterisiert sich schon an sich selbst als eine Weise in den Blättern«, das Wachstum geht nach dem Stufengang der »Methode« vor sich. Das Lebewesen, hier die Pflanze, hat demnach gegen die Evolutionstheorie, die Hegel in der Lamarckschen Form antraf, keine ihrer Gestalt vor ausliegende Entwicklung durchgemacht, es ist vielmehr »präformiert«. Die »Metamorphose« entsprach eher der Lehre von den Lebensaltern des Menschen (Kind, Jüng ling, Mann, Greis), die Rousseau auf den Aufbau der Kultur und die Erziehung, Herder auf die Entwicklung der Sprache übertragen hatte. Denn die Natur — anders als die Philosophie - hat für Hegel eigentlich keine Ge schichte, kennt »also auch keine geschichtliche Evolution
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organischer Gattungen« (Düsing). So wie sich Hegels Naturdenken nicht aus der Abstraktion lösen kann, be sitzt es auch keine in die »Vorzeit« hineinreichende Tie fendimension. Das läßt es ganz auf die »Dialektik der Natur« vertrauen, bringt ihm damit das ein, was K. R. Popper den »Schematismus« der Methode, C. F. von Weizsäcker sogar schlechterdings »Unsinn« nennt. Aber sowenig die »Methode« einen Positivisten oder einen Physiker beeindrucken muß, so sehr versagen solche kri tischen Urteile gegenüber der »Methode«, deren Gewiß heit darin liegt, daß die Vollmacht des »absoluten Gei stes« positivistische oder physikalische Urteile als je und je provisorische überdauert. Zu den bevorzugten Sujets der »Naturphilosophie« gehört die Elektrizität auch deswegen, weil sich an ihr die Dialektik der »Methode« in klassischer Weise zur Darstellung bringen läßt, wie sie in der Enzyklopädie erfolgt: »Bei der Elektrizität ist der Gegensatz zu eigentümlicher Existenz gekommen.« Der »Begriff« der Elektrizität läßt sich schwer bestimmen. Wegen »der physikalischen und mechanischen Trägheit des Körperindividuums« wird die »elektrische Spannung« einem »Andern«, der »Materie«, zugeschrieben. Elektri zität gelangt somit in einem »Andern« zu sich: Die elektri sche Spannung ist die »eigene Selbstischheit des Körpers« oder auch die »unendliche Form, die mit sich selbst different ist« und zugleich »die Einheit dieser Differen zen«. Im elektrischen Verhältnis erfolgt eine »abstrakte Tätigkeit« vermittels eines Körpers, der »seine physika lische Seele als Licht« zeigt. Das Licht als Naturerscheinung nimmt eine Sonder stellung ein, bei den Vorsokratikern wie bei Piaton, im Mithras-Kult und im Ghristentum, gesteigert noch durch den Gegensatz von Licht und Finsternis in mysti scher oder manichäischer Symbolik als Lichtglaube oder Lehre vom Licht. Die Ursprünge des Lichtverständnisses sind bei Schcl ling und Hegel durch die Verwurzelung im tradierten schwäbischen Mystizismus etwa die gleichen. Es selbst ist
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dann aber durch die Beschäftigung mit den zeitgenössi schen Theorien, insbesondere aber durch Goethes Ableh nung Newtons, an der Hegel sehr persönlichen Anteil nahm, über die aber auch Schelling als Goethes Ge sprächspartner noch früher unterrichtet worden war, in neue Bahnen gelenkt worden. Die Dunkelheit ist beträcht lich, wenn Hegel in seinen naturspekulativen Erörterun gen der Lichtseite »das Ganze der Form im Sonnensy stem« als »Begriff der Materie überhaupt« nimmt, »Mate rie«, die ihrer »Herkunft nach von vornherein mit dem Bewegungsbegriff verknüpft ist« und damit zu »Konse quenzen« führt, die »sich aus Hegels Bestimmung des Lichts für den Bewegungsbegriff selbst und das Relativi tätsprinzip ergeben« (Wandschneider). Dazu gehört, daß unter Hinweis auf §§ 275 f. der Enzyklopädie das Licht als das »Absolutleichte«, dessen »Sein die absolute Geschwin digkeit« ist, »Hegel ... schon auf die Seite der Einsteini schen Kritik« bringt, deren relativistischer Ansatz »in der Annahme einer absoluten Lichtgeschwindigkeit zu se hen« ist (Wandschneider). Das spräche von der Möglichkeit der »Naturphiloso phie«, außerhalb der anerkannten Fachkompetenz durch die vom »absoluten Geist« vorgenommene Kategorien veränderung ein vom alten unabhängiges neues »Wissen« zu schaffen. Mit dem »Licht« wird auf die »Feuerseite« und so auf den Zusammenhang mit dem Streit der Vulkanisten und der Ncptunisten unter den Geologen abgehoben. In ihm stehen sich die »Lebendigkeit des Feuers« als das eine Prinzip und die »Neutralität des Wassers« als das andere Prinzip gegenüber. Hegel nimmt darin eine vermittelnde Position ein. Beide, so findet er in der Enzyklopädie, »gehö ren zum Prozeß des Gestaltens der Erde«. Vulkane sind »nicht mechanisch zu fassen«, sondern als »unterirdisches Gewitter«, als »Erdbeben«. Der Neptunismus dagegen sieht alles als »Resultat eines Wasser-Prozesses«. Aber es gibt auch die Verbindung beider Gestaltungsweisen, so in den Kristallen, in denen Feuer ebenso wirksam ist wie Wasser. Darum müssen beide Prinzipien als wesentlich
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anerkannt werden, weil jedes für sich einseitig und formell ist. Die Gestaltwerdung des »Erd-Prozesses« geht in der Naturphilosophie nach den Stufen der Philosophie des Geistes vor sich. In seinem Vorwort zur integralen Aus gabe der Naturphilosophie von 1841 nennt der Herausge ber Michelet den Äther als den Anfang bei Hegel, und nicht als das, was die Physik darunter versteht, sondern den Äther als reinen Geist, als Idee, die als solche mit der »absoluten Materie« zusammenfällt. Der Schüler glaubt daraus die »Göttersprache Hegelscher Vernunft-Dialek tik« herauszuhören, die sich »gegen die atomistische und materialistische Auffassungsweise der Natur« wendet. Tn Betracht zu ziehen für die Erde sind der »Prozeß der Idee« (»der an und für sich seiende Prozeß, durch wel chen die Erde geschaffen und erhalten ist«), die »Bele bung« (und »Befruchtung«) als »Möglichkeit« für das »lebendige Subjekt« und schließlich die Erde als »Entstan denes« und »Vergehendes«, mit dem der auf die odyssei schc Reise geschickte »Begriff« zu einem Ende gelangt, um, nachdem er sich in nichts auflöst, wieder neu gesetzt zu werden. Die Geschichte der Erde, die bei Hegel keine Naturgeschichte ist, ist in ihrer »Beschaffenheit ein Resul tat von sukzessiven Veränderungen«, wie es in der Tierund Pflanzenwelt als Eossile oder in Gebirgszügen und geologischen Formationen in Erscheinung tritt. Das, was für Lamarck und Cuvier und (später für die im Zeichen Darwins stehende Naturwissenschaft) Gegenstand des Er forschern ist, »gehört nicht der Philosophie an« (Enzyklo pädie). Keine Evolution, aber eine unablässige Folge be reits stattgefundener »Revolutionen« mit der Aussicht, daß sie sich in Zukunft fortsetzen werden: »Die Schöp fung ist aber ewig, sie ist nicht einmal gewesen, sondern sie bringt sich ewig hervor, da die unendliche Schöpferkraft der Idee perennierende Tätigkeit ist.« Die Natur läßt sich in ihrer Entwicklung nicht verfolgen: »Tn der Natur sehen wir also das Allgemeine nicht entstehen, d. h. das Allge meine der Natur hat keine Geschichte. Wissenschaft, Ver fassung usw. haben dagegen eine Geschichte.« Entstehen
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des wird im Sinne Hegels am Entstandenen wahrgenom men, so wie es bei Lamarck geschieht, der die von Hegel vermerkte Einteilung der Tiere nach solchen mit Wirbel säule und solchen ohne getroffen hat. Das kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die »Naturphilosophie« ei ner mit der »Naturgeschichte« viel weiter verbundenen Anschauung wie der von Cuvier nicht viel entgegenzuset zen hat. Diese hat bereits nach den Ursachen für verschie dene menschheits- und erdgeschichtliche Stadien gefragt. Für Cuvier, übrigens ein alter Mömpelgarder, der die Karls-Schule in Stuttgart besucht hatte, ein Jahr jünger als Hegel, war nach der Vernichtung der in der jeweils unter gegangenen Erdperiode existierenden Lebewesen die Neubesicdlung des Kontinents jeweils durch Emigration überlebender Lebewesen aus den von den Katastrophen verschont gebliebenen Gebieten erfolgt. Für ihn ist der naturgeschichtliche Vorgang als solcher bedeutsam. Dem gegenüber charakterisiert man Hegels naturphilosophi sche Methode eher durch ihr Interesse nicht am Vorgang, sondern am Resultat. Hegels Naturphilosophie — und hier stimmt sie zu nächst mit der von Schelling überein - beruht auf der Einheil von »Natur« und »Geist«, sie beruht ebenso auf dem Gegensatz von Organischem und Unorganischem, von Organismus und Mechanismus und der Herstellung ihrer Einheit als (vorübergehende) Auflösung dieser Ge gensätze sowie der (vorübergehenden) Wiederherstel lung der Einheit. Die Trennung in Organisches und Unorganisches schafft innerhalb der Natur selbst einen Gegensatz, nach den Jenenser Systementwürfen den »Kreislauf, daß das Organische sich gegen die unorganische Natur spannt«. Ihre »inneren Systeme« liegen in einem beständigen Kampf, die »unorganischen Potenzen verhalten sich als erregend zum Organismus«, der sich im Zustand der Krankheit befindet, solange ein in ihm wirkender Krank heitsträger nicht überwältigt werden kann. Aber im Ge gensatz als tätigem Moment wird der Gegensatz wieder aufgehoben und »in das Einssein von beidem in die Natur
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seiner Allgemeinheit versenkt«. Das von Hegel in den Jenenser Papieren gewählte Beispiel ist der Übergang der Nahrungsmittel »in die Animalität«, wo sie als »Materie« die »verwandelnde Tätigkeit des Organismus« erfahren. Sie hebt das Unorganische im Organischen auf, der Mo ment der Anverwandlung des Unorganischen an das Or ganische stellt zugleich den Moment ihrer Vereinigung dar. Das Organische ist jedoch noch tiefer anzusetzen, es stuft sich in Mineralreich, Pflanzenreich und Tierreich als erstarrtes Leben, beginnendes Leben und animalisches Leben. Der Granit ist Kern in der physikalischen Organi sation der Erde, er stellt durch seine Festigkeit und Härte »die Existenz der organischen Einheit« dar (Enzyklopädie), aber als »Leichnam des Lebensprozesses«, als unlebendig existierende »mechanische und physikalische Natur«. Zu gleich ist er schon Beginn der Kristallisation. Denn die organische Natur kennt Übergänge, vom Granit zum Kiesel, zum Schiefer, zum Ton, zum Kalkigen. Goethes Anschauungen, die er unter anderem in seinem (aller dings nach seinem Tode in der Hempelschen Ausgabe von 1868 erstmalig abgedruckten) Aufsatz über den Gra nit niedergeschrieben hatte, waren Hegel bekannt. Goe the stellt sich die Bildung des Granits - und hier weicht Hegel von ihm ab - aus einem ursprünglich flüssigen Zustand vor, sieht ihn selbst schon als kristallischen Erd körper und warnt davor, wie die Italiener die Lava, die Franzosen den Gneis oder die Deutschen das »Totelie gende« als »zusammengebackene Steinart aus Quarz und Hornsteinarten« für Granit zu halten. Was für Goethe also Kristallisation ist, ist für Hegel Grundmaterie, die im produzierenden Akt der Erdgestaltung die Kristallisation in sich selbst beginnen läßt. Daß sich Hegel der Gefahren seiner naturspekulativen Unterscheidungen bewußt ist, zeigt er dadurch an, daß er in der Enzyklopädie die Ursa chen für die Dunkelheit der erdgeschichtlichen Theorie, mit der er sich nach allen Richtungen hin auseinander setzt, in Henrik Steffens, also unmittelbar in der Nähe Schellings, sieht. Die vegetabilische Natur hat schon Anteil am Beseelen
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den, ist aber im Gegensatz zur Tier-Natur ohne »Selbstge fühl«; im System der Philosophie und in seiner Sprache heißt das: »Die existierende Pflanze ist hingegen nur der Eine leibliche Organismus, innerhalb dessen die reine selbsti sche Einheit mit sich noch nicht reell, sondern nur im Begriffe vorhanden ist.« Das einzige »Selbst« der Pflanze liegt außer ihr, das sie deswegen sucht wie der Mensch den Menschen. Ihr »unendliches Verhältnis zum Lichte« ist Suchen nach der »Sclbstischkeit« als dem, was die höchste Macht über sie hat. Hier ist der naturphilosophische Kon trahent würdig, von Hegel als Zeuge angeführt zu wer den: »Schelling sagt daher, hätte die Pflanze Bewußtsein, so würde sie das Licht als ihren Gott verehren.« Weil aber die Pflanze kein Selbstgefühl hat, aber der in der Natur angelegte Selbsterhaltungstrieb daraufdringt, zum Selbst zu gelangen, so zeigt sich der Selbsterhaltungstrieb der Pflanze in der (bewußtlosen) Vervielfältigung; einer Ver vielfältigung, die nicht zwangsläufig der Geschlechtswerk zeuge bedarf. Erhaltung als Vervielfältigung macht die Befruchtung durch Verbindung zweier Geschlechter überflüssig. »Geschlechtsdifferenz« und »Gattungspro zeß« üben erst im »animalischen Organismus« eine reelle Funktion aus, in der Pflanzennatur sind sie als Analogien zum Tierischen zu nehmen. Im Tierischen als organischer Individualität existiert bereits »Subjektivität«. Im Unterschied zur Pflanze hat im Tier »das Licht sich selbst gefunden«, ist das »Beseelende« der Pflanze schon zur einfachen Seele geworden. Das Tier kennt als »Subjektivität« die »zufällige Selbstbewegung«, hat »animalische Wärme«, verfügt über die »Stimme« als »ein hohes Vorrecht« und zur »Äußerung der Empfin dung des Selbstgefühls« eingerichtet. Aber diese »Subjek tivität«, die sich selbst fühlt und sich selber anschaut, denkt sich nicht, es ist eine »Subjektivität« ohne »Selbstän digkeit«. Hegel folgt hier in den Grundzügen der aristote lischen Linie, die von der »vegetabilischen« über die »tieri sche« zur »menschlichen Seele« führt mit den Übergän gen von einem zum andern Organismus. Die Verbindung als Übergang der tierischen zur menschlichen Natur liegt
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bei ihm im Organischen bzw. den verschiedenen Syste men des animalischen Organismus, was eine Tautologie enthält. Die Lunge als »animalisches Blatt« findet sich bei Mensch und Tier; ebenso Herz, Knochen, Rückenmark, Leber, Blut usw.; sie zeigen den menschlichen Organis mus als den »höchsten Organismus« der animalischen Natur. Die Unterschiede zwischen menschlichen und tie rischen Organismen können ihre Verbundenheit durch das Organische nicht beseitigen. Hegel hat in der Enzyklo pädie die menschliche Natur aus der »totalen Gestalt des Tieres« hervorgehen lassen, seine Anthropologie ist in ihrer methodischen Ausführung Schlußteil seiner Mor phologie als Lehre von der Gestaltwerdung der (animali schen) Organe und bedeutet eine der großen Einbruchsteilen des Hegelschen Idealismus. Sie gehört in ihren Grundlagen — und das hatte der Blick des Hegelfeindes Nietzsche, der besonders scharf war, wenn er Hegel in die Nähe Darwins rücken konnte, erspäht — zu dem, was dem politischen und religiösen Konservativismus im 19.Jahr hundert an Hegel so unheimlich erscheinen mußte. Denn hier, in der Vorstellungeines durch die animalische Natur verbundenen Organischen, mit dem Menschen als seiner höchsten Organisation, waren Rudimente der späteren Deszendenzlehre erkennbar, als »Gestaltung durch Be schäftigung« (Arbeit), »Gewohnheit«, »Geistigkeit« als auf einen Funkt gerichtete konzentrierte Tätigkeit. Das »Ge schlechtsverhältnis« innerhalb der animalischen Natur bleibt im Vergleich zur vegetabilischen bei »Mensch« und »Tier« (als Abstraktion) ein und dasselbe, der Unterschied liegt allein in den Entwicklungsstufen von niedrigeren zu höheren Organismen und ist in Einklang mit Gotthilf Heinrich Schuberts Ahndungen einer allgemeinen Geschichte des Lebens, auf die Hegel sich beruft, unter Leben zu rubri zieren. Seinem Jenenser Kollegen Ackermann schuldet er die Einsicht, daß dem weiblichen Uterus die Prostata beim Manne entspricht, bzw. der Uterus im Mann zur Drüse, nach der Sprache des »Systems« zur »Gleichgültigen All gemeinheit« heruntersinkt, die weiblichen Schamlippen »zusammengetragene Hodensäcke« sind und keinen Un
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terschicd von »Mensch« und »Tier« begründen. Wenn unter dem Primat der »Philosophie des Geistes« der Mate rialismus innerhalb der »Deszendenz« verdeckt erscheint, wenn er dialektisch zurückgenommen wird, wenn der originäre Hegelianismus nicht Naturlehre, sondern Geistlehre ist, dann bleibt er doch Teil der »anderen Seite« des »Systems« und damit — echt hegelisch - seiner Ganzheit zugehörig. Für Hegel ist das Lebendige ausdrücklich unter Beru fung auf Kant und in Übereinstimmung mit Goethes Naturverständnis »Zweck für sich selbst«, es ist nicht Mit tel für anderes, weil das Leben »sein Anderes an ihm selbst« hat. Die Ideologie in der Organik steht aber nicht im Dienste einer naturgeschichtlichen Entwicklung. Le ben ist nicht als Entwicklung auf einen höheren Zustand hin zu verstehen, es ist nicht utopisch - so war bei Rous seau der erwachsene Mensch nicht vollkommener als das Kind —, sondern innerhalb eines konkreten Seins in der Zeit Leben im jeweils Gegenwärtigen; so wie in der Goethi schen Ästhetik sinnliche Erfahrung des »Schönen« in der »Natur« Erfahrung" des gelebten Augenblicks, nicht der Vergangenheit und nicht der Zukunft, also kein Ereignis der Historie, der Metaphysik oder der Theologie ist. Teleologie der Natur bedeutet bei Hegel, der sie in ihren wechselnden Funktionen seit den Vorsokratikern bis zu Kant verfolgt und sich mit ihnen auseinandersetzt, allem anderen voran ein zweckbestimmtes Zusammenwirken der »Prinzipe« zur Erhaltung der Natur, des Kosmos als physikalisches Verhältnis der Himmelskörper oder der »Elemente« mit Anziehung und Abstoßung. Zur Natursphäre gehören auch Raum und Zeit. Kant hatte in beidem »eine Form der sinnlichen Anschauung« gesehen, eine Formel, die Hegel in der Enzyklopädie zum Ausgangspunkt für seine Verhandlungen nimmt und mit Zusätzen versieht. Der Raum ist dreidimensional, er ist weich, er leistet keinen Widerstand, er gibt nach. Wenn man die Dinge wegnimmt, die den Raum erfüllen, so bleiben die räumlichen Verhältnisse unabhängig von den Dingen. Hegels Definition des Raumes als »eine unsinnli
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ehe Sinnlichkeit und eine sinnliche Unsinnlichkeit« ist ein Supplement zur Kantischen in dialektischer Ausgestal tung. Die Materie kann aus den Erörterungen über Raum und Zeit nicht herausgenommen werden; in der Schrift über die Planetenbahnen waren Raum und Zeit »Ele mente der Materie«, die zugleich deren »Prinzip« ist im Einklang mit Descartes, für den Raum und Zeit als »die einzigen Bestimmungen des materiellen Universums« gelten, wie Hegel später in seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie anführt: »Gebt mir Materie (Ausgedehntes) und Bewegung, und ich will Euch Welten bauen.« Das Beispiel, das Hegel für die »Materialität« von Raum und Zeit bringt, ist das von den Ziegelsteinen ange sichts der reellen Wirkung als Kraft: »ein Ziegelstein für sich erschlägt einen Menschen nicht, sondern bringt diese Wirkung nur durch die erlangte Geschwindigkeit hervor: d.i. der Mensch wird durch Raum und Zeit totgeschla gen« {Enzyklopädie). Das Verhältnis von Raum und Zeit geht ihrer Herkunft wegen aus der Materie als ihrem Prinzip hervor, begründet ihre Identität, die auf ihrem Getrenntsein beruht und ihren »Ort im Widerspruch« hat, weil Raum und Zeit »jedes an ihm selbst« sind als Identität des Identischen mit dem Nichtidentischen. Eine Empfehlung, sich dieser Vorstellung anzunähern, gibt in unseren Tagen Stephen Hawking, wenn er meint: »Wir müssen uns mit dem Gedanken anfreunden, daß die Zeil nicht völlig losgelöst vom Raum existiert, sondern sich mit ihm zu einer Entität verbindet, die wir Raumzeit nennen« gegenüber dem geläufigen »Zeitraum«. Daß bei Raum und Zeit in ihrer Identität »jedes für sich« ist, läßt sich nach Hegel ausdrücklich daraus schließen, daß es wohl eine Wissenschaft vom Raum, die Geometrie, gibt, aber keine Wissenschaft von der Zeit. Die Erkenntnis von Au gustinus, daß wir wissen, was die Zeit ist, aber wenn wir es sagen sollen, es nicht können, hat allerdings durch Hegel ihre Gültigkeit verloren. Hegel kann sagen: »Die Zeit, als die negative Einheit des Außersichseins .. . ist das Sein, das, indem es ist, nicht ist, und indem es nicht ist, ist« {Enzyklopädie). Sie ist wie der Raum die »reine Form der
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Sinnlichkeit« und »kontinuierlich«, und sie ist die »ab strakt sich auf sich beziehende Negativität«. In dem Ver kehr, den Raum und Zeit miteinander unterhalten, kann die Zeit die »Wahrheit des Raumes« sein. Nach moderner Formulierung ist »im Zeitbegriffdie immanente Negativi tät räumlichen Auseinanderbrechens erst wirklich zur Geltung gebracht« (Wandschneider). Aber es können, so wie sich Raum und Zeit erfüllen, auch der »leere Raum« und die »leere Zeit« übrigbleiben. Die Zeit ist »Abstraktion des Ver/ehrens«. Die Dinge gehen unter, nicht weil sie in der Zeit sind, sondern weil die Dinge selber das Zeitliche sind. Die Dinge sind »endlich«, sie haben Anfang und Ende, sie haben Zeit in sich, so wie die Zeit mit der Materie als ihrem Prinzip die Dinge in sich hat. »Naturphilosophie« als Lehre vom Aufbau der Natur schließt die Lehre von den »Natur-Elementen« als allge meine »Natur-Existenzen« ein, sie ist Lehre vom »Leben« als »Vereinigung der Gegensätze überhaupt«. Was Hegel in der Enzyklopädie unter dem elementarischen Prozeß der
kosmischen Natur versteht, ist »die individuelle Identität, unter welche die differenten Elemente und deren Ver schiedenheit gegeneinander und gegen ihre Einheit ge bunden sind« als diejenige »Dialektik, die das physikali sche Leben der Erde ... ausmacht«. Leben als ein fortwäh rendes Sich-Auflehnen gegen die Einheit in der Differenz der Elemente und die Differenz in ihrer Einheit, als fortwährende Herstellung neuer Identitäten und ihre Entzweiung mit der Negation als methodischem Grund prinzip, und dies als Unabgeschlossenes und Unabschließ bares! Die Beziehung der Elemente untereinander kann durch »Differenzen« und auftauchende Widerstände ad infinitum belebt werden. Etwa: Feuer als Verzehrendes verzehrt ein anderes und zugleich sich selbst und geht in »Neutralität« über. Was vom Feuer verzehrt wird, ist das »Konkrete« und das »Entgegengesetzte« — »Das Feuer ist different gesetzte Luft, negierte Einheit, Gegensatz, der aber zur Neutralität reduziert wird«. Luft differiert da durch von anderen Materien, daß sie zwar »Widerstand« leistet, »aber bloß quantitativ als Masse, nicht auf Weise
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des Punktuellen, Individuellen«. Luft ist »kompressibel« (im Funken) im Gegensatz zum Wasser, das wie sie flüssig ist, sich aber nicht pressen läßt. Wasser hat als »das passive Sein-für-Anderes« zu gelten, es ist »das Neutrale«, in dem der Gegensatz von Wasserstoff und Sauerstoff, die selbst »chemische Elemente des Gegensatzes« sind, aufgehoben ist. Aber Wasser ist auch philosophisches Prinzip (Thaies) genauso wie das Feuer (Heraklit). Der Lebensprozeß ist ein »Feuerprozeß«, er »verzehrt« die Besonderheiten, bringt ihre Einheit als Einheit des Verzehrten zustande, aber er bringt auch das Material, das von ihm verzehrt wird, immer wieder hervor, so wie der »Geist« als »Feuer« bei Heraklit das im Krieg Zerstörte wieder neu aufbaut. Die Materie der Hegeischen Elementenlehre ist wie die Logik als Natur-Logik dem »absoluten Geist« untergeord net, der »absolute Geist« tritt als die urteilende Hauptin stanz für das kosmische Sein und seine Bewegung mit der Entzweiung als vorwärtstreibendem Prinzip auf. Wenn Schelling nach der einsetzenden persönlichen Entfremdung in Hegel den »Geist, der stets verneint« zu sehen beginnt, wenn er, der eigentliche Entdecker der Methode des dialektischen »objektiven Idealismus«, dies als Kritiker des Negativitäts-Prinzips tut, dann bedeutet seine Kritik zugleich eine Teilcharakterisierung der sich von Schelling entfernenden Hegeischen Methode. Das heißt hier, daß Hegel die Negation in der kosmischen Organisation wie im Denken über Schelling hinausge hend totalisiert hat, daß er ihre Aufspaltungsfunktion durch Differenz, Bestimmung, Umkehrung neuer Identi täten in den Gegensatz, die Herstellung neuer Gegensätze durch subdialektische Akte radikal zur Anwendung ge langen läßt. Es ist Hegel, der mit der ursprünglichen Schellingschen Methode ganzen Ernst macht. In Wen dungen Schellings wie, Jacobi fehle die negative Philoso phie, Hegel die positive, zeigt sich die Generallinie von Schellings Hegelkritik. In den von Rosenkranz besorgten Vorlesungen Schellings finden wir die Bezeichnung der Hcgelschen Philosophie als »ödem Produkt« »einer hekti schen, in sich selbst verkommenen Abzehrung«.
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Nun hatte es umgekehrt auch Hegel seit der Zeit in Jena nicht an Einwänden mit eher verstecktem Biß fehlen lassen, die den Schellingschen Dunkelheiten vornehmlich in dessen »Naturphilosophie« galten. Er stand damit nicht allein. Auch Fichte hatte Schellings »Natur« als »Gespenst seiner Reflexion« abqualifiziert in einem Urteil, in dem sich ebenso Hegel hätte wiedererkennen können. In sei ner Sprache war Schelling nicht hieroglyphenhafter als Hegel. Steine des Anstoßes für die »Differenz« ergaben sich aus dem Komplex der Magnetelektrizität, dem Elek tromagnetismus, dem Galvanismus als den Zentralphäno menen von Schellings organischer Naturlehre im Zusam menhang mit der Medizin der Brownschen Schule. Zu ihrem Studium hatte sich Schelling im Jahre 1800 eigens in Jena beurlauben lassen und nach Bamberg begeben, wo sie im Krankenhaus praktiziert wurde. Die Krankheits und Heilungslehre, die der Schotte John Brown in den Elementa medicinae 1780 veröffentlicht hatte, enthielt die Grundzüge sozusagen einer psychosomatischen Behand lungsweise nach der These, daß der Lebensprozeß in der Reaktion auf Reize bestehe und der Arzt mit der Regulie rung zunehmender Reize durch abnehmende und umge kehrt den Normalzustand, die Gesundheit, herzustellen habe. In der Kombination mit dem Galvanismus macht die Brownsche Medizin Schule in Deutschland, weckt sie Schellings Interesse, der die Bamberger Ärzte um Rösch laub mit seiner Kenntnis über die Einheit der Naturkräfte entlohnt. Wenn Goethe mit den Wahlveriüandtschaf len einen Ro man auf der Grundlage des »Chemismus« schrieb, dann hatte das Naturmystische bei ihm, der immer auch Natur wissenschaftler war, nie überhandgenommen. Es blieb trotz allen Wissens um das »Dämonische« in der Men schennatur stets gebändigt, hatte er sich doch noch bei dem Besuch in Düsseldorf 1792 gegenüber Friedrich Heinrich Jacobi wie auch früher schon gegenüber der Fürstin Gallitzin als Anhänger des »Hyloizismus«, also als Stoff-Gläubiger, zu erkennen gegeben und war darum, wie er in der Campagne in Frankreich bemerkt, wegen seiner
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»gotteslästerlichen Reden« getadelt worden. Die natur mystische Spekulation über den »tierischen Magnetis mus«, wie sie von Schelling, vor allem im Zusammenwir ken mit Eschenmayer, dem Arzt und Supranaturalisten aus dem württembergischen Kirchheim, den Hegel in seinen Vorlesungen als eine der Autoritäten in den Fra gen des Galvanismus erwähnt, entwickelt wird, setzt eine weit über Goethe hinausführende Disposition zur Esote rik voraus, und zwar durch die aus den naturwissenschaft lichen Forschungen gezogenen naturphilosophischen Schlußfolgerungen. In Alexander von Humboldts Schrift von 1797 Über die gereizte Muskel- und Nervenfaser sieht
Schelling durch die darin abgehandelte Berührung von Nerv und Muskel Galvanis Entdeckung bestätigt. Aber er geht weiter — und hier zeichnet sich die Schcllingsche Linie ab —, wenn er in den Muskelrcflexen galvanische Erscheinungen sieht, sensible Reize, die als Schall und Licht, als Wärme, als Geschmack oder als Erschütterung auftreten. Im Hochkonzentrat des naturmystischen Ver einigungsstrebens begegnen wir dem, was die Schelling schc Naturphilosophie schon früh, mindestens seit dem Entwurf des Systems der Naturphilosophie von 1800, von den
Grundstrukturen des Hcgelschen Denkens wegführt, auch wenn diese Brüche noch lange verdeckt bleiben. Über Vorstellungen wie »Naturseele«, »Weltseele«, »Weltgeist« oder über die Lehre von den Naturelementen hätten sich trotz Abweichungen im Verständnis zwischen Hegel und Schelling immer noch Übereinkünfte errei chen lassen. Unüberbrückbare Gegensätze ergaben sich für Schelling zusehends mehr und mehr aus der »negati ven Dialektik« Hegels und für Hegel aus der überbean spruchten Polarität in Schellings galvanischem Unend lichkeitsdenken. »Helenen in jedem Weibe« zu sehen, das heißt, die Ubiquität des Galvanismus zu postulieren, hieß, Polarität, magnetische Wirkungen, chemische Elemente, Elektrizität da anzunehmen, wo es sie vielleicht gar nicht gibt. Das ist in der Auseinandersetzung mit Schelling der wie ein roter Faden sich hindurchziehende Hauptein wand Hegels seit den frühesten Anzeichen seiner Zurück
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haltung gegenüber dem »Pendel« und der »Wünschel rute« als okkulten Phänomenen. Auf dem Weg von Fich tes »Kritik aller Offenbarung«, den Schelling als dessen Schüler und als Herausgeber der Zeitschrift für spekulative Physik bis /um Verfechter einer grenzenlosen »Offenba rung« durch die »Naturphilosophie« mit den offenen Grenzen zu einer »erlösten« Natur zurücklegt, ist ihm Hegel nicht gefolgt. Auf dem Felde der Naturphilosophie hat sich von Hegels Seite her hier, wo von einer magisch okkulten Elektrizität die Rede ist, der Gegensatz im Kon flikt mit Schelling zugespitzt, den Schelling durch Hegels Abrücken von der alten Übereinkunft über »Anschau ung« und »Idee«, wie er es nach dem Erscheinen der Phänomenologie des Geistes bemerken mußte, herbeigeführt sah. Miehelets Ton im schon erwähnten Vorwort zur Naturphilosophie war nicht frei von Hohn, aber er war sicher nicht allzuweit entfernt von dem, was der zehn Jahre zuvor gestorbene Hegel gedacht hatte, wenn er meinte: Schcllings »erste Philosophie« habe »>nur das nicht zu Denkende« geleistet, während »seine zweite Phi losophie allen positiven Inhalt außerhalb des Rationalen herholen« wolle. Wenn das medizinisch-therapeutische, auf praktischer Anwendbarkeit bedachte Moment, das im Naturdenken Schellings anzutreffen ist und im Zusammenhang mit der »Arzneilehrc« Browns die heilende Seite der Natur unter Berücksichtigung des von Pricstley entdeckten Sauer stoffs in Betracht zieht, bei Hegel fehlt, dann konnte man das als Mangel betrachten. Aber es fielen dadurch auch die Gefahren weg, die mit den naturspekulativen Heilver fahren auf galvanisch-magnetischer Grundlage verbun den waren. Es hatte den Fall von Auguste Böhmer, der Tochter von Caroline, gegeben, deren Tod Schelling durch sein unorthodox-altcrnatives Naturheilverfahren mitverschuldet haben sollte. Was sich im einzelnen abge spielt haben mochte, ließ sich nicht klären, und die Vor würfe waren völlig ungerechtfertigt; aber sie zeigen das in Schellings Naturdenken angelegte Vertrauen auf einen kraft des Willens wirkenden Heilmagnetismus mit quasi
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hypnotischen Wirkungen, alles - und darum ist es hier gesagt —, was der Hcgclschen Naturphilosophie völlig fremd ist. Nicht daß die Hegelsche Naturphilosophie die Heil kraft der Natur oder die »Fingerspitzen des Magneti seurs«, von denen in der Enzyklopädie die Rede ist, außer Betracht ließe, aber das Magisch-Hypnotische ist als ein außerhalb der Philosophie liegendes Feld erkannt, es wird zwar von ihr wahrgenommen, es ist jedoch wie die »Reli gion« einer ihrer Verhandlungsgegenstände als Sphäre des »Nicht-Denkens«. Fs fällt unter die Rubrik »unbe wußte Natur«, allerdings mit Übergängen in den »Geist«: »Der Geist ist so aus der Natur hervorgegangen.« Dabei hält die »Natur« sich ihr Ziel sozusagen stets vor Augen, und dies liegt darin: »sich selbst zu töten und ihre Rinde des Unmittelbaren, Sinnlichen zu durchbrechen, sich als Phönix zu verbrennen, um aus dieser Äußerlichkeit ver jüngt als Geist hervorzutreten«. Kreislauflehre als Er neuerungslehre, die ihren Beweis in den Erscheinungen von Leben und Tod antritt! Leben bedeutet Aufhebung der Gegensätze, Alter die Hinwendung zur »Gegensatzlo sigkeit« als die »Ruhe des Toten«, wo keine Gegensätze mehr aufgehoben werden müssen, weil es keine mehr gibt. Ihre »Krankheit« trägt die organische Existenz von Anfang an mit sich als den »eingeborenen Keim des Todes«. Theunissen möchte den Tod in den »Mittelpunkt des Hegelschen Denkens« gestellt sehen. Der Tod (als Tod »an und für sich«) hat keine äußere Ursache. Krank heit ist nicht die Ursache des Todes, denn der Organismus kann von der organischen Krankheit genesen. Der Tod erfolgt »aus sich selbst«. Er ist eine Eigenschaft des Le bens, bekommt von ihm gewissermaßen die Notwendig keit zudiktiert, um an der Verjüngung der Natur mitzu wirken, um aus ihr den Geist hervorgehen zu lassen. Das deutet auf einen vorübergehenden Zustand der Unge schiedenheit von materieller Natur und Geist hin. Aber der aus der Natur heraustretende Geist unterliegt einem Stufungssystem, er »will sich selbst befreien«. Er kann sich zwar »selbst erfassen«, aber er will sich »auch in der Natur
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erkennen, den Verlust seiner wieder aufheben«, er will den Zustand der Versöhnung von Geist und Natur als »seine wahrhafte Befreiung« feiern. Wenn Hegel in der »Natur einen freien Reflex des Geistes« {Enzyklopädie) sah, dann war damit der Raum, den die Naturphilosophie im Aufbau des Gesamtsystems ein nahm, genau umschrieben. Natur hat keine erkennende Seite. Erkennen fällt allein in die Zuständigkeit des Gei stes. Diese Vorstellung ist von dem durch Hegel zum Höhepunkt geführten philosophischen Idealismus nicht zu trennen, sie enthält einen seiner Hauptgedanken. Sie stellt die Überlegenheit des Geistes und die Abhängigkeit der Natur sicher. Aber so überzeugend sie wirken mag, sie gilt nur innerhalb der idealistischen Voraussetzungen. Für Goethe als einen ausgemachten Nichtphilosophen und Nichtidealisten gilt sie nicht, weil es für ihn nichts Höheres als Natur geben kann; für ihn ist die Gegenüber stellung von »Geist« und »Natur« eine aufs Scheitern angelegte Spekulation. Das Hegeische System hatte dem freilich Rechnung getragen dadurch, daß der »Geist aus der Natur« hervor getreten war - folglich muß, bevor der »Geist« in aufstei gender Linie sich auf den Weg zum »absoluten Geist« mit der höchsten Fähigkeit des Erkennens begeben hat, er sich in der Einheit mit der »Natur« befunden haben. Zwar ist mit dem »absoluten Geist« das Supremat des Geistprin zips behauptet, aber die »Natur« als »Reflex« ist frei, sie hat in der von ihr ausgefüllten Sphäre ihren eigenen Charakter, ist organisiert nach eigenen Gesetzen. Es sind die Folgen dieser metaphysischen Spekulation, die Licht in sie hineinbringen. Die »Naturphilosophie« mit dem »Geist« als erkennender Kraft hat ihre eigene Aufgabe darin zu suchen, »Gott zu erkennen nicht in der Betrach tung des Geistes«, sondern in der Natur als »seinem unmittelbaren Dasein«. Ist jedoch in der Natur Gottes »unmittelbares Dasein« anzutreffen, dann sind die Rollen von »Natur« und »Geist« wieder vertauscht, dann ist die »Natur« aus ihrer Untcrlcgenheit gegenüber dem »Geist« herausgetreten. Der »Gott« Hegels in seiner Naturphi
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losophie ist nicht der Gott der Juden und Christen, ist nicht der, der bei der Hervorbringung der Welt und der Geschöpfe selbst Hand angelegt hat. Es gibt keinen Grund, Hegels Erklärung an seine Hörer nicht wortwört lich zu nehmen: »Der Zweck dieser Vorlesungen ist, ein Bild der Natur zu geben, um diesen Proteus zu bezwin gen.« »Natur« als »unmittelbares Dasein Gottes« zu sehen, gehört zu den großen Zurücknahmen der Hegelschcn Geistphilosophie. »Natur« rückt damit wieder auf gegen über dem »Geist«; sie zugleich mit dem Namen Proteus zu benennen, mit dem Namen des wandlungsreichen und rätselhaften Wahrsagers auf einer Insel im Nildelta, dem man einen Spruch nur entlocken kann, wenn man ihn festhält und dazu zwingt, löst sie vom (monotheistischen) Schöpfungsakt. In der Hegelschen Anthropologie als Lehre von der Einheit des Organischen in der animali schen Natur, in seiner Lehre von den Naturelementen, der Kybernetik der Himmelskörper ist die Frage nach ihrer Erschaffung, dem möglichen Zeitpunkt und dem Verursacher, preisgegeben und der Vorstellung der An fangslosigkcit geopfert. Kant hatte Auskünften über die »Anfänge der Welt« jede Sicherheit durch das schlagende Argument abgesprochen, daß niemand bei ihnen zugegen gewesen sei. Das bedeutete, bei Kant wie bei Hegel, Brüs kierung des monotheistischen Schöpfungsprinzips. Die Ratlosigkeit angesichts dieser »letzten Fragen« war da durch nicht beseitigt. Sie ist noch im starr nach oben gerichteten Blick Hegels anzutreffen, als er im kleinen Kreis, darunter seine Frau, um Belehrung über das Ent stehen der Welt gebeten wird. Das darauf bezeugte Schweigen ist als Antwort zu nehmen. Beim Forschen nach dem Verursacher, der nach Maßgabe des »absoluten Geistes« und der ad infinitum operierenden Hegelschen Logik immer der vorletzte ist, muß der große Metaphysi ker kapitulieren. Es gehört zu den Ungeheuerlichkeiten des Idealisten Hegel, daß seine Naturphilosophie für atheistisch-materialistisches Denken, ohne es selbst zu sein, annehmbar bleibt. Was zur Totalität, zur Vereinigung des Gegensätzlichen
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im »System« und durch die »Methode« führt, mußte in den Augen der gegen Hegelsehes Denken Argwöhnischen als Beweis für dessen destruktiven Charakter gelten. Vor allem in den Kreisen der Theologen hatten immer schwere Widerslände gegen Hegel bestanden. Früher als Schelling hatte Schleiermachcr gewarnt, vor Hegel auf der Hut 7u sein. Hengstenberg hatte die lutherische Orthodoxie, von Kottwitz das reaktionärste Preußen im engen Bündnis mit der Brüdergemeine gegen ihn aufgebracht. Das war eine plausible Konsequenz. »Naturphilosophie« ist ein Dementi des Offenbarungsglaubens auf dem Boden des von Hegels Religionslehre in den Stand der »absoluten Religion« erhobenen Christentums. Mit einer anfangslos gedachten Natur wird die »Schöpfung« als eine Grundlage des Glau bens, der ein Paragraph der Dogmatik gewidmet ist, annul liert. Gemessen am Verlauf der »Naturgeschichte«, die von Hegel freilich nur in ihren Resultaten wahrgenommen worden war, erscheint die »Heilsgeschichte« als Detail; was eine Religion sich nicht eingestehen kann, ohne ihr Selbst gefühl aufzugeben. Durch die »Naturphilosophie« wird die Religion, hier die christliche auf dem Boden des jüdischen Monotheismus, somit einer festen Stütze be raubt. Zu deren Bewahrung als Religion des Staates wie zur Bewahrung des Staates selbst aber war Hegel seinerzeit nach Berlin berufen worden. So betrachtet konnte der Verdacht der Subversivität des staatsoffiziellen Philoso phen gegenüber der alten Ordnung, den Savigny von Anfang an gehabt hatte und den die Majorität der eigenen Fakultät teilte, für nicht unberechtigt gelten. Spätestens seit 1828 hat sich dieser Verdacht als weitverbreitete Stim mung in der Administration, bei Hofe und natürlich in der Kirche durchgesetzt, wird ihm nur in der Gestalt des Ministers und des Geheimen Oberregierungsrates Schulze entgegengewirkt, so daß er für Hegel folgenlos bleibt. Mit einer »Natur«, die auf keine supranaturale »Offenbarung« mehr angewiesen ist, erfolgen die großen Einbrüche in die konservative Ordnungswelt der nachnapoleonischen Ära mit Konsequenzen, die sich damals noch nicht absehen ließen.
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Neununddreißigstes Kapitel
Im Schatten: Das Ende von Ludxvig Fischers trauriger Geschichte Es hatte sich anscheinend alles gut angelassen, als Hegel nach der Heidelberger Berufung endlich daran denken konnte, seinen aus der Beziehung zur ehemaligen Zim merwirtin in Jena hervorgegangenen Sohn Ludwig bei sich aufzunehmen. In Nürnberg hatte die Rücksicht nahme auf die Familie seiner Frau dagegen gestanden. Die Existenz des Sohnes war /war nicht unbekannt geblie ben, im Gegenteil, er hatte sogar einige Wochen besuchs weise beim Vater und seiner jungen Frau verbringen dürfen, aber an einen Aufenthalt von Dauer war damals nicht zu denken gewesen. Die Lebensumstände des kleinen Ludwig hätten bekla genswerter sein können, als sie es waren. Aber sie waren beklagenswert genug. In Jena teilten sich seine Erziehung die Mutter, der man sie dann zeitweilig aus nicht näher bekannten Gründen wieder aus der Hand nahm, Hegels Freund, der Verleger und Buchhändler Karl Friedrich Frommann als Pate, dessen Schwester Sophie Bohn unter Mitwirkung der ganzen Familie und schließlich ein »Fraueninstitut«, wohin der Zögling in Pension gegeben worden war. Die »Madame Bohn«, die selbst noch eigene Söhne hatte, hat sich dem ihr anvertrauten Jungen wohl am meisten und auch mit allergrößter mütterlicher Hin gabe gewidmet. Der ihm am nächsten stehende Mensch war indessen, zumal nach dem Tode der Mutter, die sechs Jahre ältere Halbschwester Therese. Es mag frühe Aufsässigkeiten bei dem Jungen, der nicht wußte, wo er hingehörte, gegeben haben. Andere Zeugnisse wischen diese Vorwürfe wieder weg. Als Hein rich Voß, dessen Kollege Hegel gerade in Heidelberg geworden war, den zehnjährigen Ludwig von Jena mit auf die Reise nimmt, um ihn der väterlichen Erziehung zuzu führen, ist er ganz entzückt über den »niedlichen Kna ben«, wie er am 21. April 1817 an Fouque schreibt. Auf
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Goethe hat der Junge einen solchen Eindruck gemacht, daß er »Hegels na(türlichem) Sohne« kurz vor dessen Weggang nach Heidelberg ein vierzeiliges Gedicht in sein Stammbuch schreibt: Als kleinen Knaben hab ich dich gesehn Mit höchstem Selbstvertrauen der Welt entgegen gehn; Und wie sie dir im Künftigen begegnet, So sei getrost, von Freundes Blick gesegnet. Hegel hat seinen Sohn zunächst mit väterlich offenen Armen empfangen, und er konnte sich auch bald durch seine Leistungen am Heidelberger Gymnasium von des sen Begabung überzeugen. Spannungen ergaben sich, als die beiden jüngeren ehelichen Söhne in den Genuß einer im bürgerlichen Recht begründeten Bevorzugung gegen über dem älteren »illegitimen« Kinde gelangten. Es gab bereits in Nürnberg Zeichen einer gewissen Unbesorgt heit von Hegels Frau, die eine Kleidcrsendung nach Jena etwas weniger dringlich behandelte, als ihr Mann es offen bar wünschte, wofür sich Hegel dann auch entschuldigte. Deren Wille, dem Jungen eine gute Mutter zu sein, gestat tet indessen keinen Zweifel. Galt Ludwig bereits in Jena als schwieriges Kind, so kommt es, sobald er sich zurückge setzt fühlt, zu neuer Verstocktheit. Hier beginnt der Kreislauf: Die erfahrenen Anzeichen von Benachteili gung treiben ihn in eine Renitenz hinein, die von der Elternseite wiederum geahndet wird. Das zieht sich wie ein roter Faden durch die kurze Lebensgeschichte Lud wigs, bis zum Verlassen des elterlichen Hauses. Auch Hegel kommt zu der Auffassung, daß bei ihm besondere Vorsicht geboten sei. Er kann in Berlin zwar stolz von dessen erfolgreichem Besuch des französischen Gymna siums sprechen, aber den Wunsch, Medizin zu studieren, schlägt er ihm rundweg ab. Er ist nicht einmal bereit, ihm eine Lehrstelle zu bewilligen, die mit Kosten für ihn als Vater verbunden ist. Es fehle ihm, wie er gegenüber Frommann bemerkt hat, das Geld dafür. Er mochte Gründe für diese Ansicht haben. Der Sohn
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sah das anders: »Als Stiefkind ... ward ich von der Stief mutter, die selbst 2 Kinder hatte, nachgesetzt, und auf diese Art lebte ich immer in der Furcht, nie aber in der Liebe zu meinen Eltern«, schrieb er am 11.Juli 1825 aus Holland an S. H. Ebert im Naumburgischen, als er sich bereits auf der Flucht nach Übersee befand. Wir erfahren noch mehr: » I n Berlin hinderte mich nur der Mangel an Hilfsmitteln, mein Haus bei Nacht und Nebel zu verlas sen.« Ludwig Hegel hatte aber die Kupfcrgasse dann doch nicht freiwillig verlassen, sondern war vom Vater aus dem Hause gewiesen worden. Anlaß dazu gab ein Vorfall, mit dem der Sohn in den Augen des Dialektikers den endgül tigen Beweis für seine Mißratenheit geliefert hatte. Er hatte acht Groschen entwendet und damit die Sache auf die Spitze getrieben. Ein Dieb im Hause des preußischen Staatsphilosophen: das war unerträglich und konnte nicht geduldet werden. Wenn Ludwig Hegel nach Stuttgart abgeschoben wurde, so mochte hier die väterliche Sorge verhindern wollen, daß er gleich ins Bodenlose abstürzte, denn es lebten im Württembergischen noch Angehörige der Fa milie, vor allem die Schwester, der der arme Ludwig durch sein Leiden in der Familie, das sie selbst hatte mitansehen müssen, so sehr ans Herz gewachsen war, und in Aalen Hegels Vetter, der Dekan Göritz. Hegel selbst nahm damit allerdings das Ärgernis in Kauf, daß mit dem Erscheinen Ludwigs die Kunde von seinem Jenenser Fehltritt sich nunmehr auch in Württemberg leibhaftig verbreiten konnte. Das wird ihn noch zu Maßregelungen gegen den aufsässigen Sohn veranlassen. In Stuttgart hat sich Ludwig Hegel elendig als »Kauf diener« herumgeschlagen, aber immer noch in der Hoff nung, das Wohlwollen des Vaters zurückzugewinnen. Es gab hier Querelen mit dem Prinzipal. Ludwig fühlte sich aus der Bahn geworfen und war es wohl auch. Zu dem ihm aufgezwungenen Beruf spürt er nicht die geringste Nei gung. Einen Streit hat er dann zum Anlaß genommen, seine Entlassung zu fordern. Das scheint den endgültigen 515
Bruch mit dem Vater herbeigeführt zu haben, der ihm über den Prinzipal den »Abschied« verkündet. Er darf ihn nicht mehr Vater nennen und auch nicht mehr den Fami liennamen fuhren. Der junge Mann hat das als grausam harten Schlag empfunden. Der Name Fischer, den er fortan führen wird, geht offenbar" auf den Mädchennamen seiner Mut ter Christiane Charlotte Burckhardt zurück. Damit soll jede Erinnerung an den übriggebliebenen Zeugen der unliebsamen Jenenser Geschichte ein für allemal ausge löscht werden, nach der angewandten Hegelschen Logik, daß das, was nicht vernünftig ist, auch nicht sein kann. Der in Ludwig Fischer umbenannte Sohn Hegels hat, wie sich zeigen soll, sehr schnell verstanden, was von ihm erwartet wurde. Die Aufforderung, von der bürgerlichen Szene abzutreten, war ihm unmißverständlich nahegelegt worden. Er hatte die Ermahnungen, dem Vorbild des Vaters nachzueifern, wozu ihn Johanna Frommann im mer und J. D. Gries in einer Stammbucheintragung ge drängt hatten, nicht befolgt. Für den einmal Fallenden ist jetzt keine Hand mehr bereit, um ihn zu halten. Die ihm von Goethe herbeigewünschten Segnungen durch des »Freundes Blick« waren ausgeblieben. Aber dies war kein Wunder bei einem Menschen, der »wohl einen Stein statt eines Herzens hat«, wie Johanna Frommann an Betty Wessclhöft inmitten der turbulenten Geschehnisse am 1O. Juni 1825 schreibt, mit dem eindringlichen Wunsch: »Gott führe ihn zur Besserung.« In Deutschland hat der- gewaltsam aus dem Familienzu sammenhang Gerissene, Unerwünschte, am ungeliebten Beruf Verzweifelnde für sich selbst keine Chance mehr gesehen. Zum Glück braucht die holländische Armee zum Schutz der Überseegebiete Soldaten. Hier sieht er seinen Hoffnungsanker. Ludwig Fischer heuert an. Das bedeutet das dringend benötigte Handgeld und die Aussicht, nach sechs Jahren »ausgedient« zu haben. Ludwig Fischer, dem in der Familie so böse mitgespielt worden war, der die Folgen zu tragen hatte, war ein Europamüder in einer Zeit, da die Resignation vor dem
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alten Kontinent unter den Allerbesten der Jugend sich auszubreiten beginnt. Bei ihm hatten ganz wenige Jahre dazu genügt. Mit tiefer Verbitterung gegen den Vater hat er sich auf den Weg nach Amsterdam gemacht, von wo er nach Batavia ausgehoben werden sollte: »Ich schrieb ihm noch einen herzlichen Abschiedsbrief von Mainz aus, den letzten, den er von mir bekommen wird, und somit haben wir gebrochen; denn um Verzeihung bitten, Besserung versprechen etc. kann ich nicht, da ich mir keines Fehlers bewußt bin ...« Solches erfährt der Freund Ebert kurz vor der Einschiffung des Flüchtigen. Es hatte Mühe gekostet, nach Holland zu gelangen. Das Geld war ihm unterwegs ausgegangen, und er hatte deswegen seine Uhr verkaufen müssen. Bitter beklagt er sich über den Vater: »Hr. Hegel hat mir nicht einmal alle Wäsche und gar keine Bücher gelassen.« Aber im Kreise der Söldner, darunter einige Sachsen, und mit fast 3 Gulden täglich, der Aussicht auf das Doppelte nach der Einschiffung, zwei Tagesrationen, aus einem Brot, Fleischsuppe und Kartoffeln bestehend, scheint sich der junge Kanonier nicht ganz unwohl gefühlt zu haben. Die Behauptung, Hegel habe seinem Sohn bei der niederländischen Armee ein Offizierspatent gekauft, ist eine beschönigende Legende. Der erhält zwar, noch bevor die Truppe von Ostende in See sticht, um seinen Eifer anzuspornen, die Z.usage einer baldigen Ernennung zum Korporal mit heraufgesetztem Sold. Aber darüber, ob der im Stammbuch als »Fourier« bezeichnete »Freiwil lige« Ludwig Fischer tatsächlich diese Charge noch be kommen hat, verweigert die Akte die sichere Auskunft. Die Vorahnungen des achtzehnjährigen Legionärs vor der langen Seereise sind nicht die besten. Die Überfahrt gilt als gefährlich. Ludwig Fischer gibt in seinen Briefen letzte Anweisungen. Seine Sorge gilt der Gitarre als einzi gem zurückgelassenen Besitz, der für die Schwester be stimmt ist, sowie sechzig Gulden, im Falle seines Todes an sie auszuzahlen durch »Herrn D. Lohnerdt Ww. Sohn in Amsterdam«! Als die »Diana« sich auf die hohe See begab und ihre Besatzung in eine ungesicherte Zukunft segelte, waren für
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Ludwig Fischer, der sich darauf befand, einige Fragen noch ungeklärt geblieben, mit denen er sich lange und vergeblich herumgequält hatte: »Wenn Sie mir einige nähere Auskunft über die Verhältnisse meiner lieben Mutter, über die letzten Umstände bei ihrem Tod und ihr Verhältnis zu Hrn. Hegel geben könnten, so würden Sie mich verbinden. Ich schwebe hierüber so in Ungewißheit; doch sind dies Sachen, die mir sehr nahe liegen.« So hatte er, kurz bevor das Schiff unter Segel ging, seinen Brief an Ebert geschlossen. Am 29. August 1825 war es von Ostende abgegangen und in Batavia am 26. Ja nuar 1826 tatsächlich angelangt, was für die Schwester, die es aus Amsterdam erfährt, eine gute Nachricht ist. Von Batavia ist seine Truppe ins Innere der Insel Java verlegt worden, und der junge Hegel ist nach Auskunft der Akten von der Artillerie zur Infanterie übergewech selt. Wie stand es mit Hegel selbst in dieser Angelegenheit? Daß er schwer daran getragen hat, ist durch Varnhagen, seine Schüler Heinrich Leo und Karl Rosenkranz ver bürgt. Er scheint hier durch seine eigenen patriarchali schen Vorstellungen, eine unausgesprochene Scheu und sicher auch einen gewissen familiären Druck in die Aus weglosigkeit geraten zu sein. Diesen hochintelligenten, von ihm und der Familie zum Nichtsnutz erklärten Sohn von im bürgerlichen Sinne anfechtbarer Herkunft nicht mehr in Europa zu wissen, hat er, wenn auch zerknirsch ten Herzens, als Lösung angesehen, und zwar als die beste. Seine Sorge, die er gehabt haben mag, ging nicht so weit, dem Lebensweg des Sohnes in Niederländisch-Indien weiter nachzugehen, ihm Erleichterung zu verschaffen oder ihn mit Hilfe diplomatischer Vermittlung zurückzu holen. Drei Jahre nach Ludwigs Eintritt in die Kolonialar mee, am 23. Mai 1828, mahnt van Ghert bei Hegel die längst erbetenen Auskünfte über dessen Verbleib an: »Sie haben vergessen, mir das Nötigste über Ihren Sohn, der in holländischen Diensten und in Batavia ist, zu sagen. Es wäre mir so lieb, ihm nützlich sein zu können, und ich habe dazu die beste Gelegenheit. Sind Sie also so gütig,
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mich zu benachrichtigen, in welchem Corps er ist und was ich für ihn tun kann, ich werde mehr tun, als Sie vielleicht denken.« Ob Hegel keine näheren Angaben mehr ma chen konnte, weil er selbst nichts Genaueres wußte, läßt sich im einzelnen nicht sagen. Es ist in der Korrespondenz nie wieder die Rede davon. Auf irgendwelche Unterstüt zung in der Sache scheint Hegel jedenfalls nicht gedrängt zu haben. Wie ein Keil muß hier das Prinzip der »Entzweiung« in die Natur Hegels eingeschlagen haben, der von der Not wendigkeit des Abschieds vom Sohn überzeugt war und sich vom Vorwurf, an seinem Los mitschuldig zu sein, nie hat freisprechen können. So berichtet es Leo. Wegen einer Lappalie zur Tropenhitze von Niederlän disch-lndien verurteilt zu werden, war schon etwas. Man bekommt den Eindruck, daß diesen Ludwig Fischer der Blitzstrahl des »Absoluten« getroffen haben muß. Die Gitarre wird er nicht mehr in die Hand nehmen können, und auch die hinterlegten sechzig Gulden werden an die Schwester zur Auszahlung gelangen. Ob er an eine Rück kehr nach Europa keine Hoffnung mehr knüpfte oder welche Gründe ihn dazu bestimmten, unter der erbar mungslosen Sonne von Java weiter auszuharren, bleibt ungewiß. Als er am 28. August 1831 in Djakarta an Mala ria stirbt, war die ursprünglich vereinbarte Dienstzeit bereits zwei Monate abgelaufen.
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Vierzigstes Kapitel
Philosophie der Religion Man kann bei der Behandlung der philosophischen Diszi plinen, die Hegel vorgenommen hat, die Religionsphi losophie allen andern voranstellen, man kann ebenso mit ihr abschließen. Das hat leicht einsichtige Gründe. Hegel ist einerseits vom Phänomen der Religion als für sein Denken konstituierend erfaßt worden: somit steht es chronologisch-biographisch am Anfang, er denkt selber noch im Rahmen eines thcozentrischen Gedankensy stems. Andererseits bedeutet seine Religionsphilosophie in der Reihe der von der Logik abgeleiteten »philosophi schen Wissenschaften« deren Höhepunkt, weil ihm der Gegenstand der Religion als der »höchste«, der »abso lute«, gilt. Der Gegenstand der Religion ist zugleich der absolute Inhalt der Religionsphilosophie. Über das, was Hegel unter Religion verstanden hat, läßt sich ohne größere Schwierigkeiten von verschiedenen Standpunkten aus zu einem gewissen Einvernehmen ge langen. Religion ist das, in dem »alle Rätsel der Welt, alle Widersprüche des Gedankens, alle Schmerzen des Ge fühls gelöst sind«. Sie ist die »absolute Wahrheit«: »Gott«. Sie ist Anfang und Enden allen Tuns, allen Beginnens und allen W7ollcns. Alle Menschen und Völker haben von Gott ein Bewußtsein. Das läßt sich nach Hegel bis auf eine Zeit zurückvcrfolgen, in der es noch keine »Erkenntnis« gab: »Es hat eine Zeit gegeben, wo alle Wissenschaft eine Wissenschaft von Golt gewesen ist.« Religion kennt die Zusammenschrumpfung auf das »einfache Gefühl«. Darum bedarf es zur Religiosität keiner besonderen »Er kenntnis«, etwa durch die Religionsphilosophie. Selbst verständlich kann die Religionsphilosophie zu ihr hinfüh ren, aber das muß nicht zwangsläufig sein und setzt sie auch nicht voraus. Die Religionsphilosophie dagegen setzt die »Reflexion« voraus, die der Religion als solcher fehlt, denn sie ist ihrem Wesen nach »ohne weiteres Nachden ken«. Es gilt somit in der Religionsphilosophie stets ein
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Denken von seiten der Religion wie ein Denken von Seiten der Philosophie: Religionsphilosophie ist Aufzeigen des »Unendlichen im Endlichen, des Endlichen im Unend lichen, sie führt zur Versöhnung von Gemüt und Intelli genz«.
Das Phänomen der Religion unterliegt wie alles Seiende im Sinne der Hegeischen Methode dem Prinzip der Ent zweiung. Das gilt für die Religion an sich im Verhältnis zur weltlichen Seite, dem »übrigen Bewußtsein der Men schen«, von dessen Freiheit sie abgewandt ist, weil sie eine andere Freiheit im Auge hat. Das gilt aber auch für Einzelreligionen wie etwa das »Christentum«, das voraus setzt, daß der Mensch von Haus aus »böse« ist und damit zur »Entzweiungdes Subjekts« gelangt, wo die »natürliche Einheit des Geistes« und die »Einheit des Menschen mit der Natur« zerrissen, der »natürliche Frieden« zerstört ist. Der Mensch muß in der Unfreiheit geboren sein, um in der christlichen Religion zur Freiheit zu gelangen. Das Christentum muß demnach Bedürfnisse wecken, es muß Schmerzen wachrufen und von der grundsätzlichen Ver dorbenheit der menschlichen Natur überzeugt sein, denn es wäre sonst schlechterdings nicht einzusehen, warum die Bedürfnisse befriedigt, die Schmerzen gelindert und dem bösen Trachten des menschlichen Herzens schönere Aus sichten eröffnet werden sollten. Es liegt der Versöhnung allemal die Malaise der Entzweiung voraus. Daß die christ liche Religion mit solcher Hartnäckigkeit am »bösen Prin zip« festhält, führt zum Mangel an Heiterkeit. Das heitere Versöhntsein der heidnischen Religion (Hegel denkt hier insbesondere an die griechische) ist nicht die Sache des Christentums. Hegel rechnet bei der Trennung der religiösen von der weltlichen Seite mit »zweierlei Regionen des Bewußt seins«. Religion setzt den Menschen instand, der Zeit lichkeit zu entrücken. Es ist den Gegnern der Religion entgegenzuhalten, daß bei allen gegen die Religion ange führten Gründen die Rechtfertigung der Religion in ihrer Existenz liegt. Sie bezieht im Sinne der Hegelschen Logik trotz der ihr anhaftenden Vcrnunftlosigkeit ihre Ver
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nunft aus ihrem Sein. Denn daß die Religion, oder kon kreter gesagt, die historischen Religionen nicht vorhan den seien, wird der, der nichts mit ihnen im Sinne hat, ihnen schwerlich nachsagen können. Demnach ist es der Philosophie als der das Sein befragenden Disziplin aufge tragen, »die Notwendigkeit der Religion an und für sich zu entwickeln«. Hegel selbst befolgt die Aufforderung an sein fach mit der Definition, daß die Religion »das Moment des Den kens in seiner vollkommenen Allgemeinheit« enthalte, noch mehr: »das Denken denkt sich selbst«. Religion »ist nur durch das Denken und im Denken«. Weiter: »Gott ist nicht die höchste Empfindung, sondern der höchste Ge danke.« Das bedeutet ein Überspringen in ein anderes Geleise. Denn die Vorstellung von der Religion als einfa chem Gefühl ist hier verlassen und in eine andere Bahn gebracht. Das zeigt die Verlegenheit jeden Sprechens über Gott an. Es gilt zwar als Resultat der Philosophie, »daß Gott das absolut Wahre, das an und für sich Allge meine, Alles Befassende, Enthaltende und Allem Be standgebende ist«, aber größere Sicherheit läßt sich damit nicht gewinnen; denn Gott ist eine »wohl bekannte, aber eine wissenschaftlich nicht entwickelte, erkannte Vorstel lung«. Mit Aussagen über Gott läßt sich auch von denen, die darüber Bescheid zu wissen vorgeben, im Blick auf überzeugende Evidenz wenig Staat machen. Über Gott und Geist zu reden, bleibt immer unbestimmt, weil es sich um unbestimmte Wörter handelt. Wenn Hegel seine Religionsphilosophie an der Gottes vorstellung entwickelte, sie als theoretische Einigungs grundlage für das Verständnis der Religion an und für sich voraussetzte, so war dies durch den geltenden jü disch-christlichen Theozentrismus gerecht feil igt. Die Be deutung der »heidnischen« Naturgottheiten war dadurch nicht verworfen, denn sie konnten nach christlicher Auf fassung durch die mosaische Stiftertat und das Kreuz und die Auferstehung Christi dank der unendlichen Güte Gottes für überwunden gelten. Das theologisch-dogmati sche Schema, wie es Hegel in sein Rcligionssystem einbaut,
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bleibt auch in der nachhegelschen Philosophie, so beim großen Lutherkenner Feuerbach, noch voll intakt. Unter derhand und von Hegel unbemerkt außer Kraft gesetzt worden ist dieses Schema von Schopenhauer, der seine Verhöhnung Hegels mit der Bevorzugung des Buddhis mus verbinden und sehr wohl eine Religion ohne Gott ins Feld führen konnte. Es ist Schopenhauer, der nicht ins Bild paßte und Unordnung in die so geordnet scheinende Landschaft der christlich-bürgerlichen Welt hineinbrachte. Hegel greift auf andere Weise hinter den Schleier, der die jüdisch christliche Schiefgläubigkeit verbirgt — etwa in den Darle gungen zum spinozistischen Atheismus, die zu den Schlüsselpartien für das Eindringen ins Hegelsche Den ken gehören. Voranzustellen ist beim Tübinger Theolo gen und Schüler Storrs und Flatts immer die dogmatisch einwandfreie christliche Lehre als Regula fidei. In der geltenden Lehre von Gott ist Gott der Schöpfer der Welt, der sie aus dem Nichts schafft. Die Schöpfungsgeschichte in dieser orthodoxen, also gebilligten Fassung gilt, um daraus die philosophische Folgerung zu ziehen, daß es außerhalb der Welt nichts Sinnliches, nichts Äußerliches gibt. Weiter: Gott ist Unendliches, der Endliches nicht entbehren kann: »er verendlicht sich«. Gott ist Bewegung und nur dadurch lebendiger Gott. Seine Bewegung ist Bewegung zum Endlichen. Damit kommen natürlich Widersprüche ins Spiel. Daß jede Philosophie über die Religion sich in Widersprüche verfangen muß, hängt damit zusammen, daß zum Wesen der Religion der Widerspruch gehört. Es ist dies ein Gedanke, nach dem Feuerbach später seine materialisti sche Religionsphilosophie entwickelt. Hegel, von dem Feuerbach ihn übernommen hat, trägt ihn ausführlich vor, kennt ihn aber nicht in dieser Einseitigkeit. Es gibt einen solchen Widerspruch, aber es geht nach Hegel nicht immer auf. Etwa: Gott ist das Unendliche, und Ich bin das Endliche; es kann auch heißen: Gott ist das Endliche, und Ich bin das Unendliche. Das bedeute, daß der Gegensatz von Endlichem und Unendlichem nicht funktioniert, son
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dein ein »Schreckbild des Gegensatzes« ist. Im Hcgel schen Sprachgebrauch ist dem Mühsamen in einem sol chen Verhältnis, das keinen einfachen Gegensatz ergibt, Rechnung getragen: »Gott kehrt im Ich als dem sich als endlich Aufhebenden zu sich zurück und ist Gott nur als diese Rückkehr.« Das klang für mit der Orthodoxie vertraute Ohren befremdlich und war es auch. Aber es war nicht neu, sondern kam der Häresie des Sprechens in der Mystik des Meister Eckhart nahe, war der Struktur des Denkens nach das gleiche. Ohne Ich kann Gott nicht existieren. Es gibt keinen Gott, der nur für sich, nur seiner selbst wegen sein könnte. Die Schöpfung der Welt hat Gott zum Gott ge macht: »Ohne Welt ist Gott nicht Gott.« Das Subjekt wird Subjekt erst im Verhältnis zum Objekt. Die Formel ist umkehrbar. Das war eine Rückkehr zur großen irreversiblen Errun genschaft der Fichteschen Ich-Philosophie. Das Ich nicht die Existenz Gottes - ist die einzige Sicherheit, das einzige sichere Wissen, das das Ich haben kann. Alle mögliche Gewißheit vom Sein Gottes beziehe ich aus dem Ich. Gottes Sein hat seine Quelle im Ich, und das Gefühl ist der Ort, wo Gott in meinem Sein Platz gefunden hat. Anders wäre Gewißheit von Gott nicht zu beziehen. Denn Gott ist kein äußerlich wahrnehmbares Objekt, er ist Ge genstand unserer Vorstellung, die aber nicht als bloße Vorstellung besteht, sondern dieser Gegenstand ist. Wenn Gott auch nicht als sinnliche Erscheinung wahrgenom men werden kann, so ist dennoch ein Halt für ein Wissen nötig über etwas, von dem es kein vernünftiges Erkennen gibt. Wir wissen nach Hegel zwar von Gott, aber wir wissen auch, Gott soll nicht begriffen, es soll nicht über ihn räsoniert werden. Hegels Lehre vom Gefiihl als der Quelle für das Wissen von Gott gehört nur zu den Grundlagen seiner Religions philosophic. Man darf dabei nicht stehenbleiben wie die »moderne Theologie« seiner Zeit, also Schleiermacher, für den das »Gefiihl« Anfang und Ende der Theologie ist. Wir wissen, wie unbarmherzig Hegel mit Schleiermachers
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Vorstellung von der »Religion« als Gefühl der »schlecht hinnigcn Abhängigkeit« umgesprungen war, wie er darin eine dem Gläubigen nicht zumutbarc hündische Ergeben heit glaubte herausspüren zu müssen. Alles Sprechen von »Gefühl« als letztem Wort innerhalb der Religion ist darum trivial. Es bedarf hier des Übergangs in die Refle xion und weiter des Bewußtseins als Fortschreiten, bei dem das Ich zu seiner Bestimmtheit gelangt: »Denn der Mensch ist Geist, Bewußtsein«, Religion ist für das Be wußtsein, sie »hat ihre Realität im Bewußtsein«. Das greift weiter als das Gefühl, das als Ort, wo Gott Platz gefunden hat, am Aufbau des Menschen, seinem Bewußtsein, nur mitbeteiligt ist. Kierkegaard hat später an der Hegelschen Philosophie als einem unter dem Primat der Reflexion stehenden Denken Anstoß genommen. Für Kierkegaard gibt es ge gen diese (dialektische) Logik sehr wohl ein unmittelbares Zu-sich-selbst-Verhalten. Ineinsfallendcs Denken und Sein werden als Idee und Wirklichkeit voneinander ge trennt, wobei er gegen Hegel den Vorwurf erhebt, sein Denken über die Wirklichkeit mit der Wirklichkeit selbst zu verwechseln. Für Kierkegaard ist gegenüber dem Den ken das Leben eine Sphäre sui generis, durch die Denken je und je zu einem existcntiellen Denken wird. Auf diese Weise ließ sich die Höhe der metaphysischen Spekuation mit dem »Begriff« als Erkenntnismittel nicht halten, setzte der Rückfall in die (philosophische) Theolo gie, hier den »Glauben« als existentielles Wagnis, ein, der aber selbst wieder einer eigenen Dialektik ausgesetzt is mit Gott als Gegenstand, wo der Widerspruch im Glauben erscheint, die Philosophie sich in »dialektische Glaubens lehre« verwandelt ohne den großen Boden von Hegels Totalitätsdenken. Das theoretische Eindringen in das Phänomen der Reli gion führt angesichts des Gegenstandes in eine von der Vernunft allein nicht erfaßte und erfaßbare Sphäre. Da mit bringt die Religionswissenschaft die Philosophie als mit der Vernunft befaßte »Wissenschaft« in Verlegenheit, sie verwickelt sie in Widersprüche, die sie nur dialektisch
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bewältigen kann. In der Hegelschen Wissenschaftslehre war die Logik die ableitende philosophische Disziplin. Sie bleibt auch bei den abgeleiteten Disziplinen immer gegen wärtig, in der Geschichte als von der Vernunft auf ein Ziel hingeleiteten Bewegung genau so wie in der Religion, die insofern »vernünftig« ist, als sie für Gott als die »absolute Wahrheit« steht. Die hier vorwaltenden Schwierigkeiten, die sich aus der Identität des Identischen mit dem Nicht identischen ergeben, machen theoretische Vorarbeiten notwendig, die die Religionswissenschaft an den Schluß der philosophischen Einzeldisziplinen gelangen lassen: »Die Religionswissenschaft ist eine, und zwar die letzte Wissenschaft in der Philosophie, sie setzt insofern die andern philosophischen Disziplinen voraus, ist also Resul tat.« Die hier ans Ende der aufgereihten Teilfächer gerückte Religionswissenschaft stand aber chronologisch gesehen bei Hegel am Anfang. Sie, die jetzt »Resultat« genannt wird, begründete in den Berner und Frankfurter Manu skripten sein Denken, so in seinem frühen Aufsatz über Die Positivität der christlichen Religion, das unmittelbar zum
ersten Systemfragment hinführt. Das Hegelsche System der Religion kennt von den ersten Konzeptionen an schon die Staffelung. Über die Naturkulte erhebt sich der jüdi sche Monotheismus, auf ihm aufgebaut die christliche Erlöserreligion mit der Dreiheit als Dreieinigkeit, aber durch den sakramentalen Materialismus noch nicht von der Magie der alten Naturreligion und ihrem Charakter der massiven Beschwörung völlig gelöst, wie er der katho lischen Kirche noch anhängt. Die protestantische Religion liegt höher durch den stärkeren Anteil am »Geist« anstelle des sakramentalen Instruments, der zugleich »Freiheit« von ihm und der priesterschaftlichen Vermittlung bedeu tet, sowie die »Bildung« als diesseitige menschliche Form. Aber die Religion des Protestantismus ist nur als höchste Erhebung der Religion, und zwar vom Standpunkt der Religion aus, zu verstehen: nicht vorn Standpunkt der Philosophie, die das »Absolute« institutionslos als »absolu ten Geist« verhandelt. In seiner Religionsphilosophie, die
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auf die »Totalität« dringt, bringt Hegel sehr wohl den religiösen Standpunkt zur Geltung und bleibt durchaus auf dem Boden des religiösen Prinzips, das mit Gott, der Erlösung durch den Sohn, den Gekreuzigten und Aufer standenen und den Heiligen Geist den überkommenen Jugendglauben darstellt. Dieses Prinzip gilt, weil es das Bestehende ist und darum seine Vernunft in sich selber hat. Der Theologe, der Hegel von Haus aus ist, wurzelt fest im alten System der Religion, hier der protestanti schen, aber er stellt ihm das philosophische Prinzip als das höhere, sozusagen als die bessere Hälfte, entgegen, als das eigentliche Prinzip, auf das es ankommt. »Die Religion ist die Philosophie nur für diejenigen, die des reinen Den kens nicht fähig sind: das, und genau das, ist Hegels Grundauffassung«, meint Höslc heute und gibt hier eine Konstellation an, die sich im Verkehr zwischen Philoso phie und Religion tatsächlich einstellt, wobei wie bei Schcl ling ein Drittes, die Kunst, eingeschaltet ist. Die Hcgelschen Vorstellungen von der Naturreligion und der natürlichen Religion sind von äußerster Verwik kelthcit, weil sie bei aller Unterscheidung ineinander übergehen. Naturreligion, die bis zur Zauberei hinab reicht, kennt einen Zusammenhang mit der natürlichen Religion, in der der Mensch durch das »natürliche Licht seiner Vernunft« zur Erkenntnis gelangt, also einer Of fenbarung nicht bedarf; natürliche Religion, die Hegel auch metaphysische Religion nennt, wie sie sich im Deismus der Aufklärung findet. In ihr ist die Einheit von Geist und Natur noch ungetrübt, sie ist noch nicht von der Entzwei ung, wie sie auf einer höheren Stufe der Religion stattfin det, erfaßt. Sie steht noch im Einklang mit Kunst und Wissenschaft oder ihren Vorstufen. Das ist gegen die Kritiker der primitiven Religionen anzuführen, die sich auch im Lager des Christentums befinden, wo man sich selbst mit der Vorstellung des Paradieses noch die Erinne rung an einen solchen Zustand der Harmonie bewahrt hat. Bei der lutherischen Theologie, die er in Tübingen studiert hatte, ließ sieh mit dem Gedanken an eine natür
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liehe Religion, die auf Vernunft beruht, wenig Anklang finden, so wenig wie mit dem Naturrecht. »Gnade« und »Offenbarung« wischen alles weg, was von dieser Seite kommt, lassen es nicht gegen sie aufkommen. Das tritt erst später zutage, als der Sturm gegen die Hegeische Philoso phie losbricht. Hegels System der Religion war als ent wicklungsgeschichtliches System auch immer ein verglei chendes. Es hatte nach Herder der christlichen Theologie erst »den Blick für eine objektive Würdigung der außer christlichen Religionen eröffnet« (Arthur Drews). Das allein ist für das Luthertum im engeren Sinne schon Ärgernis genug. Der auf Vernunft gegründeten natürli chen Religion wird bei Hegel eine Aufmerksamkeit ge widmet, die sie in den Augen der lutherischen Orthodo xen nicht verdient. Denn von den sogenannten primitiven Kulten schlägt Hegel Bögen, die zu den Religionen des Maßes, der Phantasie, des Rätsels führen — also weitab vom Monotheismus der Juden und Christen — und Sym pathie für die Schönheit der menschlichen Gestalt und der Naturerscheinung kundtun. Die »schöne Kunst« kann dem Begriffe Gottes zugehören: wieder etwas, was dem jüdischen Monotheismus und dem Protestantismus der strengen bilderfeindlichen Form zuwiderläuft. In die ser Sicht wird die »schöne Kunst« unverdächtig in der Religion hervortreten und »notwendig« sein. Das gehört zur Rettung der Kunst vor den harten Ansprüchen der Religion, die bis zur Kunstfeindlichkeit reichen können. Hier bricht Hegels Bevorzugung des Griechischen vor dem Jüdischen durch. In den griechi schen Kunstwerken ist alles auf Klarheit und Maß abge stellt. Die jüdische Religion ist nach Hegel eine Religion der »Erhabenheit«. Es liegt die Bestimmung des jüdischen Gottes darin, daß er der Eine ist. Und: »Gott ist nur der Gott dieses Volks, nicht der Menschen und dies Volk ist das Volk Gottes.« Alle andern Völker sind ausgeschlossen. Dies nach der bei den Orientalen anzutreffenden Ge wohnheit, daß die Religion an die Nationalität geknüpft ist! Erst die Griechen und die Römer haben fremde Got tesdienste aufgenommen, bei den Römern zumal galt die
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Religion nicht mehr als nationale Einrichtung. Aber wenn das jüdische Volk das von Gott auserwählte ist, so muß sein Gott gegen das Allgemeine gerichtet sein. Gott ist hier der Gott seiner Geschöpfe, er ist noch nicht der Gott freier Menschen. In der jüdischen Religion hat der »Mensch . . . noch keinen inneren Raum, keine innere Ausdehnung oder eine Seele von dem Umfange, die in sich befriedigt sein wollte, sondern die Erfüllung und Realität derselben ist das Zeitliche«. Es geht im Judentum um zeitlichen Besitz, um Verfügung über Boden und Vieh, um langes Leben, nicht um Unsterblichkeit. Für den Tod ist bei den Juden kein Trost vorhanden. Das Leben so lange wie möglich zu erhalten, heißt nicht, das ewige Leben zu suchen. Was besagt dies für eine Reli gion, die mit der Lehre vom Sündenfall die Antwort auf die Frage gab: Wie ist das Böse in die Welt gekommen? Für eine Religion, die den Versuch des Menschen, zur Gottgleichheit, zum Wissen, was Gut und Böse ist, mit dem Verlust der Natürlichkeit bestrafte? Was dem Ju dentum, das der Menschheit den Einen Gott beschert, auf der Entwicklungsstufe, die es selbst geschaffen hat, noch anhängt, ist ein Manko: Es ist noch nicht zur »Tota lität des religiösen Bewußtseins« gelangt. Das wird erst auf der nächsten Stufe, dem Ghristentum, möglich sein. Dazu gehört, daß der Gott stirbt und aus seinem Tod wieder aufsteht. Es ist der Eindruck des Freundlichen und Versöhnli chen, der die Gedanken an die griechische Religion be gleitet. Bei der Schönheit als Kennzeichen der griechi schen Welt verweilt man gern. Am Anfang der Welt steht nach der von Hesiod übermittelten Auffassung der Grie chen das Chaos. Wer das Chaos geschaffen hat, wird nicht gesagt. Es war immer da, es kennt keine Vorge schichte. Als »die bewegende Einheit des Unmittelbaren« schafft das Chaos die »Besonderheiten«, die selbst gebä ren: die Erde zeugt den Himmel, gebiert die Gebirge ohne befruchtende Liebe, den Ozean, aber auch die Zy klopen, die Naturgewalten als solche. Erde und Himmel bringen die unerforschlichc Zeit hervor, die den Untcr
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gang in sich trägt. Die Nacht gebiert alles, was die Natur als Negation in sich hat. Bei den Griechen haben die Naturgewalten person hafte Gestalt angenommen. Aber sie kennen im Einklang mit der Hegeischen Philosophie die Unterwerfung der Naturmächte durch den Geist. Durch Krieg hat Zeus die Herrschaft der geistigen Gölter begründet. Es sind seit dem die geistigen Mächte, die ehe Welt regieren. Die Naturmächte wurden dadurch an den Rand der Welt gedrückt, aber sie haben ihre Rechte behalten und melden sie immer wieder als ununterdrückbare an. Im Götterkrieg, aus dem Zeus als Sieger hervorgegangen war, ist die ganze Geschichte der Götter, Halbgötter und Titanen zum Ausdruck gebracht. Dieses Heranrücken des Menschlichen an das Göttliche wie des Göttlichen an das Menschliche und das schließ liche Zusammenfallen des einen mit dem andern war ein Goethescher Gedanke, den dieser gerade durch den Ein druck der griechischen Kunst bestätigt sieht. Die Gjöttcr erscheinen hier in menschlicher Gestalt, und zwar in der schönen, idealischen Form. Hegel steht hier zwischen Goethe und Feuerbach und hat schon alles das vorwegge nommen, was die materialistische Religionsphilosophie später lehren wird: »So sind die Götter von menschlicher Phantasie gemacht und sie entstehen auf endliche Weise, vom Dichter und der Muse produziert.« Sie sind Hervor bringungen des menschlichen Geistes: »Homer und He siod haben den Griechen ihre Götter gemacht.« Bei den Griechen gilt, daß die göttlichen Mächte durch die menschliche Gestalt in ihrem sinnlichen und natürlichen Dasein dargestellt werden. Die »Sinnlichkeit der schönen Gestalt« ist hier gegen die jüdische Vorstellung gesetzt, daß Gott wesentlich für den Gedanken da ist, d.h. hier äußerlich karg und ohne Form. Vor den Griechen hat es keine wirkliche Idealität gegeben. Das tritt an ihren Göt terbildern zutage. Sie zeigen die Götter in vollkommener Form. Man darf sie nicht symbolisch nehmen. Die griechi schen Götter sind das, was sie vorstellen. Denn die Grie chen waren imstande, »im Zeus des Phidias ihren Gott
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anzuschauen«. Auf der bei den Griechen anzutreffenden Stufe erscheint das Göttliche in einer Vielheit von Göttern mit menschlichem Aussehen. In ihrer Kunst ist dieser Anthropomorphismus zum stärksten Ausdruck gelangt. Das heißt auch: Die »Lebendigkeit des Tieres« kennt »nur beschränkten Inhalt«. Alles ist auf den Menschen und den menschlichen Leib gesetzt. Die Griechen sind so das menschlichste Volk. Die römischen Götter kennen dagegen nicht die schöne freie Individualität der griechischen, weil es ihnen an deren Humanität fehlt. Es wird zwar die römische Reli gion gern in einen Zusammenhang mit der griechischen gebracht, weil die Römer viele ihrer Gottheiten von den Griechen übernommen hatten. Aber es lebt in ihnen ein anderer Geist. Es ist eine Religion der Zweckmäßigkeit. Vergil und Horaz haben in ihren Dichtungen die griechi schen Götter zu kalten Nachahmungen werden lassen. In ihnen steckt stets etwas Starres und Lebloses. Es werden bestimmte Erwartungen an sie geknüpft, die sie zu befrie digen haben. Sie stehen für Fruchtbarkeit, Krieg, Handel, Reichtum oder auch die Macht, wie sie sich im Kaiser darstellt, so daß der Kaiser selbst als Gott verstanden wird. Nichts erinnert bei ihnen an die griechische Heiterkeit. Als die Römer in Großgriechenland Fuß gefaßt hatten, haben sie die Tempel geplündert und ganze Schiffsladun gen von Göttern nach Rom geschleppt. So wurde Rom zu einer Versammlung aller Religionen, der griechischen, persischen, ägyptischen, zu einem Pantheon, wo die Göt ter nebeneinanderstehen. Und Rom ist tolerant. Aber die Anwesenheit aller Religionen stiftet Verwirrung. Die Kulte vermischen sich miteinander. Die Gestalt und das Gefühl für die Gestalt, wie sie der Kunst zugehören und für die Griechen eigentümlich waren, gehen verloren. An der römischen Religion läßt sich der Zweck einsich tig machen, wie er im Kult zutage tritt. Der Kult setzt stets eine Wahrheit voraus, die für ein Allgemeines, Objektives, das wahrhaft Göttliche steht. Aber das Interesse am Kult geht vom Subjekt aus, denn seine Not und Abhängigkeit bringen jenes Gefühl der Ergebenheit, der Bereitschaft zu
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Verehrung, zur Frömmigkeit hervor, die der Kult für sich fordert, mit der Aussicht für den Gläubigen, seiner Not abzuhelfen. Eine solche Erwartung ist die subjektive Wur zel für die Verehrung der Götter. Der Römer bringt dafür den Schauer vor dem Geheimnisvollen mit. Er denkt stets an die Götter, alles hat bei ihm mit der Religion zu tun. Die Römer verehren die Götter, weil sie sie brauchen — vor allem im Krieg. Die Not schafft Götter und verlangt nach der Einführung neuer Götter, wenn die alten nichts mehr taugen. Hier ist mit dem Begriff Gottes unter dem Gesichts punkt der äußeren Zweckmäßigkeit gerechnet. Zur Voraus setzung Gottes gehört freilich, daß er »gesetzt« ist. Dieses »Gesetztsein«, das theoretisch unterbleiben könnte, muß sich zur Totalität entwickeln und hat es in der römischen Welt auch bereits getan. So in der Vorstellung des Kaisers als personhafte Göttlichkeit. Dagegen steht die für Rom eigentümliche Erscheinung, daß die im Pantheon versam melten Götter aller Völker dadurch, daß sie vereinigt werden, sich gegenseitig vernichten. Die Göttergestalten der in Rom zelebrierten Kulte werden zur Einheit und Gleichheit gebracht und dadurch herabgedrückt. Römi scher Geist hat das (ilück der vorhergehenden Religionen zerstört. Ein ungeheurer Schmerz verbreitet sich, der zur Geburtswehe einer neuen Religion, der Religion der Wahrheit, werden sollte. Die alte Welt gerät in die Krise. Durch die Allmacht des Kaisers verschwinden die Unter schiede der freien Menschen und der Sklaven. Rom in seinem weltgeschichtlichen Abtreten bereitet den Boden für die »wahrhaftige geistige Religion« vor. Der Aufstieg des (Christentums ist nach Gibbons Vorstellung an den Untergang der römischen Welt geknüpft. Im (Christentum erreicht die Religion als »Selbstbe wußtsein Gottes« ihre höchste Stufe; in ihm realisiert sich die Religion, indem sie »vollendete Religion« wird: »Reli gion, die das Sein des Geistes für sich selbst ist ..., in welcher sie sich selbst objektiv geworden ist.« Damit tritt die Offenbarung in die Weltgeschichte ein als Erschei nung, durch die Gott gegenständlich erkennbar wird im
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Einklang mit der von Hegel in der Logik gesetzten Prä misse, daß vom Sein des Geistes nur da gesprochen wer den kann, wo er »Gegenstand« ist. In der von der Logik abgeleiteten Religionsphilosophie gilt die Regel: »Ein Geist, der nicht offenbar ist, ist nicht Geist.« Die offenbare Religion ist zugleich die (von Gott) geoffenbarte. Das war nach Hegel nur auf dem Boden des Römischen Reiches möglich, wo der »Schmerz der Welt« auf die »Vorbereitung der subjektiven Seite, auf das Bewußtsein des freien Geistes, als des absolut freien und damit unend lichen Geistes« getroffen war und dadurch die Bedingung des Christentums wurde: »Schmerz der Welt«, an dem das an der »Erlösung« nicht teilhabende jüdische Volk weiter trug. Der christlichen Vorstellung zufolge ist Gott Mensch geworden. Dieses Hervorbringen bedeutet Befreiung und Versöhnung: »Daß nur diese Idee die absolute Wahr heit ist, das Resultat der ganzen Philosophie, in seiner reinen Form ist es das Logische.« War dies die Verwandlung der theologischen Wahrheit in die philosophische oder umgekehrt der philosophi schen in die theologische? War der examinierte Tübinger Theologe der kirchlichen Lehrmeinung ergeben geblie ben, aus der als Philosoph der »verkappte Theologe« sprach, oder war seine Theologie schon seit den frühen Schriften Philosophie? Die Frage wird zur Schlüsselfrage der nachhegelschen Philosophie, und sie wird im einen wie im andern Sinne beantwortet werden. Für Lukäcs sind die Frühschriften Hegels nichttheologischen Inhalts, für Küng ist »Hegels theologisches Denken als Prologomena einer künftigen Christologie« zu verstehen, als ein Zeug nis für die »Menschwerdung Gottes«. Es ist nicht zu über sehen: Hegel trägt in seiner Religionsphilosophie die Grundwahrheiten der christlichen Lehre vor, und zwar in dogmatisch einwandfreier Form, die sich ausdrücklich auf die Dreiheit von Religion des Vaters, des Sohnes und des Geistes beruft. Die theologische Grundidee der »Heilsgeschichte« ist bei Hegel beibehalten, sie tritt als »Freiheit« ins Weltlich-Politische hinübergezogen auf und ist Ziel aller Geschichte. »Freiheit« gilt ihm als Attribut des
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Christentums, wie die »Versöhnung« und die »Erlösung«, die mit dem Christentum in die Welt hineingebracht werden. Wenn die Grundwahrheiten des Christentums von der Philosophie erhalten und aufbewahrt bleiben, dann auch darum, weil sie sich über die Theologie, zumal über die »moderne Theologie« Schlciermachcrs, hinwegsetzen können. Sie hat das Christentum gewissermaßen in ihre Zuständigkeit geholt und ist dafür zusätzlich durch das ihr einwohnende »Logische« ausgestattet. Sie rückt damit über die Religion hinaus, erweist damit, daß sie höher steht. Sie rechnet nicht mit der Religion ab, sondern sie rechnet mit ihr als einem Gegebenen. Ihr Sein ist der Beweis für ihre Existenz als »positive Religion«, die als solche über Zeichen des historisch Zufälligen verfügt, d. h. über das, was »von außen« in sie hineingelangt ist, das so oder so sein kann. Mit dem Fixkurs über den ontologischen Gottesbeweis in seiner Religionsphilosophie, der er in seiner Vorlesung über die Gottesbeweise aus dem Jahre 1831 weiter aus führt, zieht Hegel die Gottesfrage aus der theologischen Kompetenz ausdrücklich in die der Ontologie und damit der Philosophie herüber. Gott als Gesetztes weist auf das Sein, das Sein als Gesetztes weist auf Gott. Hegel nutzt die Gelegenheit, hier seine Auffassung vom »notwendigen Wesen« gegen die Kantische geltend zu machen. Der Unterschied bestand darin, »daß von Hegel Kants These bestritten wird, der Begriff des notwendigen Wesens sei ein bloßer Name. Hegels Versuch, den ontologischen Gottesbeweis zu rehabilitieren, ist der Versuch, dem Be griff des notwendigen Wesens einen verständlichen Sinn zu geben« (Henrich). Er beruft sich hier auf Anselm von Canterbury, für den Gott das Vollkommene, der Inbe griff aller Realität ist. Wäre Gott bloße Vorstellung, so wäre er nicht vollkommen, denn als vollkommen kann nur geachtet werden, was nicht bloß vorgestellt ist, sondern auch Sein hat. Demnach wäre das Sein Gottes, da bei Kant dem Sein die Realität nicht zuerkannt sei, unvollkommen gesehen.
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Wo Hegel die Sachwaltung des Gottesbeweises der Theologie entzieht und der Philosophie als höchster In stanz zuerkennt, gelangt seine Religionsphilosophie zu einem ihrer Höhepunkte. Aber zugleich zeigt sie darin ihre Schwäche. Goethe hat das sogleich erkannt. Als er erfuhr, daß Hegel eine Vorlesung über die Gottesbeweise plane, fand er bei aller Sympathie für Hegel die Behand lung dieser Fragen als längst erledigt. Mit dem Vergleich zwischen Anselm und Kant, den Hegel zugunsten An selms ausgehen läßt, nimmt sich Hegels Dialektik der scholastischen Spitzfindigkeiten der mittelalterlichen Theologie an, begibt er sich in ihre Sphäre und fällt damit hinter die vorsichtige Zurückhaltung Kants hinsichtlich des Gottesbeweises zurück. Es ist der Weg in die alte Metaphysik, die Kant doch überwunden hatte. Denn He gel ist in den Benennungen Gottes als »Geist«, als »ewige Idee«, als das »Absolute«, als »Dreieinigkeit«, als »Tun«, als »Anfang und Ende«, als »Liebe« von der Sparsamkeit Kants, dem Begriff eine nähere bestimmende Bezeich nung zu geben, weit entfernt. In seiner philosophischen Gotteslehre bewegt Hegel sich in den Bahnen der spekula tiven Mystik auf logischer Grundlage, bringt er seine Logik zur Anwendung, die auf der spekulativen Mystik aufruht, nach der Einsicht, daß jede Mystik eine rationale Wurzel hat, die im Irrationalismus preisgegeben wird. Die mystische Spekulation gelangt zu einem Wissen von Gott, das Kant nicht hat und oder als unsicher zurückweist. Mit seiner Lehre von der Dreieinigkeit Gottes hat Hegel den christlichen Standpunkt über das Wesen Gottes vor getragen und ihn ins Philosophische übersetzt. Er hat sie sogar gegen die »moderne Theologie« verteidigt, die sie nicht mehr ernst genommen habe. Der »Vater« ist das Allgemeine, das Eine, das Sein, der Abgrund, die Tiefe. Aber das Eine als das Erste ist noch nicht Alles. Das Erste kann noch nicht als Totalität gefaßt werden. Das Zweite ist das Anderssein, der Unterschied. Hegel sieht es als Logos, als Wort oder Tätigkeit. Es ist in der Stellvertretung und im »Sohn« anwesend. »Eingeboren« in Gott bedeutet Eine Geburl. Der Unterschied von Vater und Sohn liegt in der
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Qualität bei Einheit der Substanz und der Person. Mit dem hinzutretenden »Geist« als einer neuen Qualität kann die Totalität in Substanz und Person erst begründet werden. Das enthielt vieles von der mystischen Rede Jakob Böh mes. Dessen Name fällt denn auch, er steht für eine sichere Quelle, aus der Hegel nach eigenem Bekunden geschöpft hat. Zwar nennt er Böhmes Dreieinigkeitslehre »phantastisch und wild«, aber er sieht hier im Gären und Kämpfen um Erkenntnis eine Gründlichkeit am Werk, Dreieiniges in allem und als Grundlage von allem anzu nehmen. Wenn Hegel den Wildwuchs der Böhmeschen Gottesmystik auch gern beschnitten sehen mochte, so hat er in der Dreieinigkeitsspekulation darin selbst festen Fuß gefaßt. Das war Rückkehr zur archaischen Gottesrede. Hegel weiß denn auch: »Ein Geheimnis im gewöhnlichen Sinn ist die Natur Gottes nicht, in der christlichen Religion am wenigsten, da hat sich Gott zu erkennen gegeben, gezeigt, was er ist, da ist er offenbar.« Wenn sich Schwie rigkeiten einstellen, sind sie nicht im Gegenstand begrün det: Gotteserkenntnis bleibt »ein Geheimnis ... für das sinnliche Wahrnehmen, Vorstellen, für die sinnliche Be trachtungsweise und für den Verstand«. Hier sind die verschiedenen »Betrachtungsweisen« ne beneinander gesetzt, von denen jede der andern fremd bleibt: spekulative Idee, Sinnlichkeit, Verstand. Das ge hört mit zum Riß, der mitten durch die Natur geht und sie hoffnungslos aufspaltet. Aber ebendies ist logische Ein sicht. Jeder Begriff unterliegt dem Widerspruch zu sich selbst, löst sich in ihm auf: »Es ist das Logische, in welchem es sich zeigt, daß aller bestimmte Begriff dies ist, sich selbst aufzuheben, als der Widerspruch seiner zu sein.« Die Aufgabe bleibt darum unlösbar. Der logisch denkende Verstand kann sich damit begnügen, den »Geist« als »reine Anschauung« zu verstehen, als »einfache Tätigkeit des Denkens«, so daß zwischen Subjekt und Objekt nichts ist, beide eigentlich nicht vorhanden sind. Das kommt dem nahe, was Kant das »Ding an sich« nennt. Für die Spekulation aber ist das unbefriedigend. Ihr wird die Aufteilung im dreieinigen Gott willkommen sein, an ihr
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kann sie sich entzünden. Sie greift wie Jakob Böhme gern auf Bilder, Vergleiche, Sagen und Geschichten, auf My thologie zurück, weil sie hier Stoff zur deutenden Sinnge bung findet. So schafft Gottvater in Adam den Menschen, und zwar einen solchen, von dem zu erwarten oder zu befürchten ist, daß er Gott gleich wird. Gott wird Mensch, Christus ist der zweite Adam, eine Ausdeutung der Tradi tion, die Hegel begrüßt. Aber schon von der Schöpfung bis zur Geschichte vom Paradies liegen Widersprüche über Widersprüche! Das Paradies setzt ein ewiges Leben voraus, während andrerseits gesagt wird, daß erst die »Erkenntnis«, vor der der Mensch bewahrt bleiben soll, Unsterblichkeit schaffe. Ist nun der Mensch als solcher seiner Natur nach gut, oder ist er böse? Beide Annahmen sind möglich und haben darum ihr Recht. Ein definitives Urteil läßt sich nicht fällen. Mit seinem natürlichen Willen steht das »Ich« in Beziehung zur Welt und wird zugleich von ihr abgestoßen. Das Bewußtsein der Trennung schafft »unendlichen Schmerz«. Der Mensch wird nicht befriedigt in der Welt, Versöhnung ist nur partiell mög lich. Ein Ausgleich des Ich mit sich selbst, eine Versöh nung, die es sich selbst beschert, wie es die stoische Phi losophie in Aussicht stellt, alles bleibt nur abstrakt. Es ist stets nach dem Andern als Vorausbedingung gefragt. Hegel fügt das in die Reihe der Zeugnisse dafür an, daß Vollendung nur durch ein anderes Ich möglieh ist: so wie Gott der Menschwerdung in Christus bedarf, um sich dem Menschen verständlich zu machen und ihn zur Gewißheit zu bringen, daß die Schwäche der menschlichen Natur mit Gott als der »absoluten Idee« nicht unvereinbar ist. Im Gottmenschen statuiert Gott den Beweis. In seiner Geburt wie in seinem Tode! Hier ist die große Volte der Hegelschen Religionsphi losophie. Das Wort »Gott ist tot«, dem man gern Nietz sches Urheberschaft zusagt, stammt von Hegel. Auf den lebendigen Gott muß nach den Gesetzen der Logik der tote Gott folgen, eine Ungeheuerlichkeit für den, der Gott als »von Ewigkeit zu Ewigkeit« zu glauben angeleitet wor den ist, nach Hegel Ausdruck für »das Gefühl der voll
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kommensten Regungslosigkeit«. Es heißt: daß »alles Wahre nicht ist«, ist der »fürchterlichste Gedanke«, der gedacht werden kann. Ein Glaube an alles Höhere ließe sich hinfort nicht mehr denken. Aber Hegel lüftet den Vorhang mit dem Blick auf die Öde der gottlosen Welt nur einen Spaltweit. Denn so wie Gott sich selbst durch den Tod aufhebt, kann auch der Tod aufgehoben werden. Der Prozeß der Negation, die »selbst in Gott ist«, bleibt beim Tode Gottes nicht stchn. Es gibt auch den Tod des Todes. Gott läßt den Tod sterben und steht zu neuern Leben auf. Er läßt den Gerechten nicht im Grabe. Damit tritt Gott sozusagen seinen eigenen Gottesbeweis an. Gott als »Geist ist nur Geist, als dies Negation des Negativen ist, welches also das Negative selbst in sich erhält«. Im Tode Christi hat der Tod seinen eigenen Tod erfahren müssen. Das war ein Umweg, der nach kurzem Verweilen in einer Sphäre ohne Hoffnung wieder zum Theozentris mus zurückführt, wo mit der Tübinger »Christenlehre« in keinem Punkt ernsthaft gebrochen ist. Hegel, der Kenner der griechischen Naturphilosophen, stand freilich ande res zu Gebote, etwa der Atomwirbel Demokrits als Sein, das mit dem Nichts zusammenfällt. Davon ist in den Vorlesungen über die Religionsphilosophie nicht die Rede. Die große Masse der Zuhörer hat damals nicht gemerkt, welche Konterbande Hegel in seinem philoso phischen Gepäck beförderte, ausgenommen vielleicht seine Schüler Ludwig Eeuerbach, Arnold Rüge und Bruno Bauer. Diese Einsicht dämmerte erst später, als selbst Teile der preußischen Reaktion, die lange auf Hegel vertraut hatten, bemerken müssen, wie man dieser philo sophischen Theologie oder auch theologischen Philoso phie aufgesessen war. Es kommt zir der schrecklichen Entdeckung, daß Hegel trotz der emphatischen Bekun dungen seiner christlichen Gesinnung das Christentum und seine monotheistische Grundlage in den Köpfen sei ner Schüler untergraben hatte. Das war, so feindselig es klingen mochte, noch nicht einmal falsch. Sind das reine Sein und das reine Nichts identisch, fallen auch Gott und
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Nicht-Gott zusammen. Die »Logik«, aus der Hegel seine Religionsphilosophie ableitete, konnte Ausgang für die Lehre vom (dreifaltigen) Gott und auch für den Erweis seiner Nichtcxistenz sein. Der Schlüssel paßt haargenau und ist auf die Gotteslehre und den Atheismus hin an wendbar. Hegel vertritt das eine und läßt das andere als Möglichkeit zu. »Das Wahre ist das Ganze.« Schopen hauer wird ihm später seinen Monotheismus vorwerfen, Ferdinand Christian Baur schreibt seine Kirchenge schichte nach dem Schema des Hegeischen Dreitakts, wie er ihn verstand, Schelling wird 1840 nach Berlin berufen, um der durch Hegel in Berlin eingerissenen modernen Gottlosigkeit, wie sie der preußische König Friedrich Wil helm IV. bemerkt zu haben glaubte, ein Ende zu bereiten. Für Paul Deussen, den Freund Nietzsches, den Schopen hauerianer und Indologen, der sein Fach von Hegel ver kannt sah, war Hegel zutiefst irreligiös. Das alles ergab sich aus der Mehrdeutigkeit der Hegel schen Rcligionsphilosophie, wenn man sie mit seiner vor angestellten Wissenschaft der Logik zusammennahm. Es kommt der Eindruck auf, als ob das, was man als Hegel sche Philosophie bezeichnet, in Wirklichkeit mehrere un terschiedliche, sich widersprechende Philosophien seien. Der erste große Bruch zwischen der Hegeischen »Rech ten« und der Hegclschen »Linken« in der Mitte der drei ßiger Jahre vollzog sich unter dem Gesichtspunkt der »Religion«: David Friedrich Strauß und Ludwig Feuer bach mobilisieren erklärtermaßen auf dem Boden der Hegelschen Philosophie die kritischen Einwände gegen das »Wesen der Religion« in orthodox-christlichem Ver ständnis, wie es Marheineke für sich in Anspruch nahm, der Hegel als theologischen Weiterbildner des Luther tums ansah und als Freund und Kollege an der Berliner Universität von ihm darin schriftlich und mündlich bestä tigt wurde. Der Standort in der Frage des lutherisch rechtgläubigen Christentums: im Sinne der dogmatischen Untadeligkeit mit Einschluß des Supranaturalismus, den Hegel philosophisch rechtfertigte - oder gegen sie im Sinne der kritisch aufgeklärten, halbmaterialistischen
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oder materialistischen Anschauungsweise, entschied bis etwa 1840 über die Zugehörigkeit zu einer der beiden Schulen. Aber hegelianisch waren die Anhänger der ei nen wie die der andern Schule gleichermaßen. Denn in Hegel vereinigten sich - wie seine Vorlesungen über die Religionsphilosophie dartun — dogmatisches Christen tum, alte Metaphysik, Mystik mit griechischer Humanität, Spinoza und Geist der Aufklärung in der Form der letzten Radikalität des Vernunftprinzips. Sie sind hier zusam mengeführt. Zusammengeführt machen sie die »Totali tät« aus, um die es der Philosophie zu gehen hat, deren große Themen Hegel an der Berliner Zensur, am Ministe rium Altenstein, am im Kolleg mitschreibenden Ministc rialrat Schulze, am Kirchenwesen, an denunzierenden Professoren wie mißgünstigen Studenten vorbei abhan delt und die er damit selbst in seiner Zeit gegen alle Widerstände rettet. In der Zeit aber gilt das »Reich des Geistes«, ein Drittes, in dem sich der durch den »Sohn« komplett gewordene »Eine Gott« in der Welt darstellt, der auch die Gegenwart mit ihrem Preußen, der durch Thron und Altar geordne ten Kompetenzaufteilung von Weltlichem und Geistli chem, der Religionsfreiheit, der schönen Aussicht auf ein weiteres Fortschreiten der Geschichte, mit Goethes Faust und Hegels Philosophie und deren Einsicht, »daß das Menschliche unmittelbar, präsenter Gott ist«, kräftig durchweht. Heinrich Heine, der in Berlin Hegel gehört und seine Bewunderung für ihn auch da, wo er ihm grotesk erschienen war, zeitlebens beibehielt, hat in den Geständnissen diesen Gedanken in seiner Parodie unver geßlich durchscheinen lassen: »Ich war jung und stolz, und es tat meinem Hochmut wohl, als ich von Hegel erfuhr, daß nicht wie meine Großmutter meinte, der liebe Gott, der im Himmel residiert, sondern ich selbst hier auf Erden der liebe Gott sei.« Diese Stufe war mit dem Chri stentum, und zwar dem des Geistes, nicht dem der katholi schen Kirche, die es nur »von außen« verkörpert, erreicht. Durch ihre Unsterblichkeit als Geglaubtes hat die »Seele« in der christlichen Religion ihre Bestimmung gefunden:
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Geist als »unendliche Rückkehr in sich« und damit als »wirkliche gegenwärtige Göttlichkeit«. Der Mensch im Stadium des Geistes ist »Bürger im Reich Gottes« gewor den. Das war nun ein weiterer Höhepunkt in Hegels Reli gionsphilosophie und erinnerte an das mit Hölderlin und Schelling ins Auge gefaßte Programm aus gemeinsamen Tübinger Stiftstagen: dem »Reich Gottes« in der Welt den Weg zu bereiten. Für den in Tübingen beim Tischler Zimmer in Pflege gegebenen, am Neckarufer vor sich hin lebenden Hölderlin, auf den Hegel keinen offen ausge sprochenen Gedanken mehr verwandt hatte, war an das »Christliche« der allerfrühesten schwäbischen Jugendein drücke das »Griechische« herangerückt. Schelling befin det sich damals ebenfalls auf dem Weg, das »Reich Gottes« als »Arbeiter im Weinberg des Herrn« anzustreben, frei lich auf seine ausdrücklich antihegelschc Weise. Er wird noch von sich hören lassen. In Vergessenheit geraten war dieses »Reich Gottes« bei keinem der drei ehemaligen Jugendgenossen. Für den Hegel der Religionsphilosophie liegen — so wird man sagen dürfen — schon erste feste Resultate bei der Erfüllung des frühen Wunsches vor: Im Christentum als der eigentlichen »Religion des Geistes« war schon im Hier und Jetzt Gott in der menschlichen Natur gegenwärtig geworden mit allen Folgen auch für Staat und Gesellschaft. Das alles enthielt große verherrlichende Worte für das Christentum, schien für seine glänzende Apologie geeig net und war es am Ende doch nicht. Denn es zeigt nur die eine Hälfte des Gesichts. Hegel ist ein Meister der Zurück nahme, der dialektischen Untergrabung des Behaupte ten, die bis zur völligen theoretischen Annullierung der bis zum Schluß durchgehaltenen These reicht. Es kann nichts Festes in der Welt geben, weil schließlich jede historisch gewordene Bewegung in der Geschichte wieder unter dem Gesetz der »Entzweiung« steht und damit ins Nichts zurückfällt. Hier sitzt sozusagen der Pferdefuß, den erst das restau rative Christentum, das sich teils in seinem Denken wie
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derzufinden geglaubt, teils ihm mit unklarer Verdächti gung gegenübergestanden hatte, ganz zu spüren bekom men wird. Supplement zu seiner Religionsphilosophie sind seine Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes, ausdrücklich für seine »Herrn Zuhörer« gedacht, um bei ihnen allen Zweifel daran auszulöschen, daß die Behand lung dieses Gegenstandes im Zusammenhang mit der Logik steht. Derartige Beweise, so antiquiert sie sein mö gen, wie Hegel bemerkt, sind hervorgegangen aus dem Bedürfnis, die logisch denkende Vernunft zu befriedigen, obwohl der Gegenstand selber, für den der Beweis anzu treten ist, außerhalb der Vernunftsphäre liegt und der »vormaligen Metaphysik« subsumiert ist. Was in der Reli gionsphilosophie in einer gewissen Nebelhaftigkcit unter taucht, ist in diesem handschriftlich ausgeführten Vor lesungsmanuskript ausgesprochen. Hegel verwirft den physiko-teleologischen und kosmologischen Gottesbeweis und läßt nur den ontologischen gelten. Das Sein bezeugt Gottes Existenz. Aber wir wissen aus den Vorlesungen über die Philosophie der Religion, daß die Existenz Gottes am denkenden Subjekt hängt. So wie Gott als Gesetztsein ein Gesetztsein durch mich ist, ist auch das Nichtgesetztsein ein Nichtgesetztsein durch mich. Dahinter steckt die alte skandalöse Formel der Hegelschen Logik A = nicht-A, die zu A = A immer mitgedacht werden muß. Das war eine Formel, bei deren Zustandekommen die Magie von He gels Landsmann Dr. Faustus aus Knittlingen mitgewirkt haben mochte, sie spricht für jenen abstrusen Inhalt, den Hegel selbst für seine Wissenschaft der Logik gelten ließ. Aber die Abstrusität war Teil der logischen Vernunft und der Wirklichkeit in Natur, Recht, Staat, Religion, Kunst, Geschichte. Sie ist am Fortgang der Bewegung unmittel bar mitbeteiligt. In ihrer scheinbaren Phantastik liegt kalte Nüchternheit. Die Logik war aus der Willkür herausgenommen. Es ging ihr um Denken, das mit dem Sein zusammenfällt, um Denken an und für sich. Man muß auf die Auswirkungen schauen, um den ungeheuren Realismus zu erkennen, der der Hegelschen
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Logik und der daraus abgeleiteten Religionsphilosophie innewohnt, insbesondere auf den nachhegelschen Atheis mus. Hegel und die Folgen! Hegels Theismus enthielt die Rechtfertigung dafür, das genaue Gegenteil zu behaup ten. In Gang gesetztes Denken befindet sich wie eine um die eigene Mitte sich drehende Kugel in ständiger Bewe gung. Mochte Hegel sich formal für die »Kirche« als Prinzip ausgesprochen haben, von ihr als Institution blieb nicht viel übrig. »Kirche« gilt ihm nur etwas, wo sie »Gemeinde« im Sinne des »Geistes« ist. Die »Äußerlichkeit« der katho lischen Religion hat als »Religion« ebensowenig wie der Feudalismus als Form der Gewaltwirtschaft Gnade vor seinen Augen gefunden. Luther gibt zwar über den Zu sammenhang Gottes mit dem subjektiven Wollen von allen möglichen Fassungen die »geistreichste«, aber auch er bleibt im Unvollständigen stecken. Das Abendmahl wird wohl als Mittelpunkt der christlichen Lehre verstan den, weil in ihm der Genuß erfolgen kann, sich die Gegen wärtigkeit Gottes anzueignen. Doch drohen ihm von der sakramentalen Seite Gefahren durch die in seiner stoffli chen Beschaffenheit angelegten Denunziation des Gei stes. »Gott« wird in der Hostie »als äußerliches Ding der religiösen Anbetung präsentiert«. So vermerkt die Enzy klopädie (§ 552) sehr sachbezogen dieses Mißtrauen in eine Allmacht, die körperlos ist und sich darum zur Bekräfti gung erst eines Gegenstandes versichern muß. Man sieht: Jeder Stein am Wege wird aufgehoben, umgekehrt, von allen Seiten geprüft und mit Mängelrügen wieder auf seinen Platz gelegt. Oder auch: alles wackelt. Etwas, was »Religion« als »Prinzip« nicht gut verträgt! Hegel kann sogar - was weder Augustinus noch Thomas von Aquin, Luther oder Kant gewagt haben — im Christentum eine Freiheit der religiösen Bestimmung sehen, die dem »Be freitsein« in der Welt vorauszugehen habe: ein Gedanke, dem in der Zukunft eine gewaltige Bedeutung zukommen sollte: das Christentum als politische Befreiungsbewe gung. Aber Hegel wäre nicht Hegel, wenn er eine solche exponierte Vorstellung nicht auch wieder hätte fallenlas
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sen können. So kann eine »christliche Philosophie« erfahren wir in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie - keine »freie« sein, weil die Attribute »frei« und »christlich« Verschiedenes als Inhalt haben. Es war kein Wunder, daß kirchliche Kreise, sobald aus dem über die Hegelsche Sprache gelegten Nebelschleier eine, wie es schien, für das Christentum wenig ersprieß liche Gesamttendenz vernehmlich hervordrang, auf die Seite der Verdächtiger Hegels überwechselten. Denen war nicht entgangen, daß »Hegel auch nicht aus Galiläa und Jerusalem, sondern mehr aus Griechenland und Rom das Christentum entspringen läßt« (Bloch). Sollte das ein Teil der königlich und ministeriell beglaubigten preußi schen Staatsphilosophie sein? Sie hatten mit ihren Zwei feln so unrecht nicht und überdies Hegel auch keineswegs ganz falsch verstanden. Schleiermacher hatte früh vor ihm gewarnt. Die Zeit, wo Hegel bei Theologen in Gunst stand, wird bald ihren Höhepunkt überschritten haben, und er wird in ihren Augen zum Schreckbild werden. Die »Kirche« in ihrer Institutionalisierung kam bei Hegel schlecht weg, und zwar wegen der bei ihr naheliegenden »Versöhnung mit der Weltlichkeit«, die ihr das »Zerris sensein« beschert. Theologie und Theologen erfahren hier, was sie sich nicht gern ins Gesicht sagen lassen: »alles, was geistloseste Weltwirklichkeit ist, tritt an der Kirche durch diese Herrschaft selbst hervor«. Auch sie wird von der »Entzweiung« ereilt und erfährt so an sich das »Nicht beisichsein« als Herausfallen aus dem eigenen Prinzip. Was dem Staat, als dessen Anwalt Hegel auftritt, gegebe nenfalls die Rechtfertigung zum Mißtrauen gegenüber einer von solchem »Verderben« bedrohten Einrichtung verleiht! Alles das war aus Hegel herauslesbar und gehörte zur gewaltigen, das restliche Jahrhundert mitbestimmenden, hoch aufragenden Lchrpyramide mit ihren zahlreichen Rissen und Sprüngen. Die einzelnen Religionen lagen darin nach Wert gegliedert streng übereinandergeschich tet. Nicht nur Feuerbach und Marx als Rezensent von Bruno Bauers Schrift über die Judenfrage haben an die
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sein Schema festgehalten. Auch die Kirchen selbst haben sich im Kampf gegen Hegel der Gewalt des von ihm vorgelegten »Systems der Religion« gar nicht entziehen können, haben sich seiner bedient.
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Einundvierzigstes Kapitel
Ein politisch Wort letzter Hand: »Über die englische Reform-Bill« Hegels politisch-historische Anschauungen hatten seit der Darstellung über die Verhältnisse der Berner Republik unter dem Eindruck der Napoleonischen Ära, ihrem Ende durch den Sieg der restaurativen »Heiligen Al lianz«, dem Aufstieg Preußens als dem Staat, der ihn aufgenommen und zum philosophischen Anwalt seiner Existenz ernannt hatte, einige bedeutsame Veränderun gen durchgemacht. Aber diese Veränderungen sind eher vordergründig gegenüber den Konstanten innerhalb He gels politischer Philosophie, die auf dem Naturrecht auf gebaut ist und auf der gänzlichen Verwerfung des Feuda lismus, der gnadenlosen Kritik an der Demokratie als Illusion beruht, die dem »Volk« vertraut, wiewohl immer offenbleibt, was darunter zu verstehen ist, und auf die Monarchie als beständigste Staatsform setzt. Der Demo kratie (athenischen Modells) ist zu mißtrauen wegen der Sklaverei als Voraussetzung der Freiheit. Dieser Vorwurf taucht jetzt nur am Rande auf, ist aber immerfort auch unausgesprochen im Spiel und theoretisch so angelegt, daß die englischen Verhältnisse mit ihrem Anteil an der »bürgerlichen Demokratie« des europäischen Westens in ein wenig günstiges Licht geraten. Das ließ sich in Preußen mit seinen nach Osten gerichte ten agrarischen Großgrundbesitzern als herrschender Klasse ohne größere Anfechtung vortragen. Hegel spricht in manchen Partien dieser Schrift sehr wohl als ein Theo retiker der preußischen politischen Restauration, wenn man von der völlig antifeudalistischen Grundeinstellung absieht, die sich aber mit seiner Anwaltschaft für Krone und Staat ohne große Schwierigkeiten in Einklang brin gen ließ; in anderen Partien nicht, weswegen der Abdruck der Abhandlung in der Allgemeinen Preußischen Staatszei
tung 1831 abgebrochen wurde. Die Arbeit selbst war ent standen aus Hegels allgemeiner Beunruhigung über mög
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liehe größere politische Veränderungen revolutionärer Art, wie sie in Frankreich und Belgien im Jahre 1830 vor sich gegangen oder im Versuch steckengeblieben waren, wie in einigen deutschen Teilstaaten. England könnte, das ist hier vorausgesetzt, sich im Vorfeld solcher revolutionä rer Bewegungen befinden, und die Reform Bill wäre ein Zeugnis dafür. Hegels Auslassungen über die englischen Verhältnisse schürfen tief und von Grund auf, sie haben mit ihrer genauen Kenntnis der Details über mehr als 150 Jahre nach ihrer Niederschrift trotz der Zeitgebundenheit nichts von ihrer historischen, ökonomischen und politi schen Exaktheit verloren. Das England der »Magna Charta«, der »Bill of Rights«, stand als politischer Groß faktor auch in Preußen mit seiner anderen gesellschaftli chen Organisation in Ansehen; man hielt für die »Frei heit«, die man hier nicht hatte, großen Respekt bereit. Auch wenn man darin Gefahren witterte. Nicht nur in Kreisen der Reaktion galt Hegel als ihr Sympathisant. Seine Schrift über die Reform Bill räumt hierin alle Mißverständnisse aus. Die Verfassung des alten Deut schen Reiches, dessen Ende Hegel nicht beklagt hatte und das selbst »ein unförmliches Aggregat von partikularen Rechten gewesen« war, kann gegenüber dem England der »Freiheit«, des »Parlaments«, sehr wohl bestehen, denn es hat eine solche »Anomalie« wie die in England »alle Volks klassen durchdringende Eigensucht« nicht gekannt. Die »englische Freiheit« wie auch die »republikanische Frei heit«, wie Hegel sie in Bern kennengelernt hatte, treten mit einem eigentümlichen Hang zu Geldbewegungen und Unregelmäßigkeiten auf. Man darf sich durch Deklama tionen solcher großen Worte wie »Recht« und »Freiheit« nicht blenden lassen. Sie sind wie die Magna Charta und die Bill of Rights mit Gewalt erzwungene »Konzessionen« oder »Gnadengeschenke«, die Privilegien enthalten und somit andern verweigert werden. Weiter: Wenn die Re form Bill durch Ausdehnung des Wahlrechts auf eine größere Anzahl Bürger demokratischen Elementen Auf trieb beschert, so gibt sie mit der einen Hand, was sie sich
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mit der anderen wieder zurückholt, weil Verfassungen, die der Volksversammlung einen großen Anteil an der Staatsverwaltung einräumen, das Budget im Auge haben müssen und dessen ständige Ausweitung nur durch wach sende Steuereinkünfte zu erreichen ist. Den »Zehnten«, der der Kirche von England gehört, haben andere prote stantische Länder wie Preußen bereits abgeschafft oder abgelöst. Eine »Schamlosigkeit« wie die »Habsucht« von solchen »Geistlichen in Betreibung ihrer Zehnten« wäre hier undenkbar und macht die Besorgnisse der englischen Kirche gegenüber der Reform verständlich. Wer von der »Freiheit« einer »zivilisierten und christlich-protestanti schen Nation« wie der englischen spricht, darf auch Ir land nicht vergessen, dessen Elend und moralische Ver wilderung ein im Parlament und in den Ministerien »ein gestandenes Thema« ist: »Selbst die Türken haben den ihnen unterworfenen Christen, Armeniern, Juden, meist ihre Kirche gelassen ...; aber die Engländer haben der von ihnen besiegten katholischen Bevölkerung alle Kir chen weggenommen.« Und dies im Schutz der gutsherr lichen Berechtigung, die bisherigen Bebauer des Landes, wenn für seine Bestellung weniger Hände notwendig waren, aus ihren Hütten zu vertreiben und diese Hütten auch dies von Rechts wegen - anzuzünden, weil sie ohne hin nicht das Eigentum ihrer Bewohner waren! Hegel geht hier schon weit über Adam Smith hinaus, wenn er im Grundeigentum und den Anteilsverhältnissen daran den »Krebsschaden Englands« sieht, der zwar in Parlamentsreden und in eigens seiner Behandlung wegen eingerichteten Komitees unentwegt zur Sprache gebracht wird, aber ohne Aussicht auf Behebung bleibt. In Betracht zu ziehen wäre der »Abztig der Überzahl der Armen durch Kolonisation«, der, wenn er wirksam sein sollte, mindestens eine Million Einwohner aus dem Lande her austreiben müßte. Wenn Hegel es der »Schwäche der monarchischen Macht« zuschreibt, den Übergang des Grundeigentums in die Hand der landbautreibenden Klasse nicht besorgt und die parlamentarische Gesetzge bung »auch nach der Reform-Bill in den Händen derjeni
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gen Klasse« belassen zu haben, die ihr Interesse und noch mehr ihre starre Gewohnheit in dem bisherigen Systeme der Eigentumsrechte hat«, so konnte das als Zweifel am monarchischen Prinzip aufgefaßt und in Preußen gegen ihn vorgebracht werden. Es bedeutete, daß in einer konsti tutionellen Monarchie wie England nicht ebendiese Mon archie, sondern eine privilegierte Klasse die eigentliche Macht in Händen und die Regierungsgewalt sozusagen aus den Geleisen gerückt hat. Denn liegt in England die Regierungsgewalt beim Parlament und treten im Parla ment verschiedene und mit Heftigkeit einander bekämp fende Parteien auf, so gibt es darin nur wenige Faktionen; und die sind durch das dominante Interesse am Grundei gentum miteinander verbunden. Ein Ministerwechsel hat deswegen nach innen so gut wie keine Bedeutung. Das monarchische Prinzip befindet sich dagegen bereits auf dem Rückzug. Es hat so gut wie nichts mehr zu verlieren, es beschränkt sich darauf, ein durch Verschwendung zusammengeschmolzenes Vermögen der Krone, eine im Budget veranschlagte »Vorabfindungssumme« zur Dis position zu stellen, und auf ehe Einflußnahme, ihre Höhe im Staatshaushalt festzulegen. Es sind ausgemachte Eigenarten, die Hegel am engli schen Staatsleben bemerkt und in Gegensatz zu den »zivi lisicrteren Staaten des Kontinents« bringt. Das demokrati sche Element hat hier ein Gewicht, an das in Preußen nicht zu denken war. In der Reform Bill wird ihm weiterer Vorschub geleistet, allerdings in der für Hegel gefährli chen Art, daß die Balance zwischen Monarchie und Parla ment verlorenzugehen droht zu Nutz und Frommen der Aristokratie, die über ihren riesigen Grundbesitz die Fä den in der Hand hält. Diese im Parlament mit dem demo kratischen Element vereinte Aristokratie, von dem sie durch den Vermögensunterschied auch wieder getrennt ist, kennt in den vergleichbaren Kontinentalstaaten nicht ihresgleichen, so wenig wie der insulare »Kontrast von ungeheurem Reichtum und von ganz ratloser Armut«. England ist in Europa einzigartig durch seine Lage und seine gesellschaftlich-staatliche Verfassung. In der Re
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form ßill zu Lasten der Krongewalt sieht Hegel freilich eine Annäherung an das französische System und den Extremfall einer parlamentarischen Opposition, deren Angehörige, sobald die Ministerien in ihre Hand gelangt sind, sich ungefähr nach den gleichen Maximen verhalten wie die von ihnen verdrängten Vorgänger: »der linken Seite, der sie früher angehörten«, werden sie »ungetreu« angesichts der Erfahrung, daß zum Regieren mehr gehört als die Anwendung von Prinzipien. Und das Volk? Wir kennen Hegels Anschauungen dar über aus seiner Abhandlung über die württembergischen Landstände, die hier unverändert vorgetragen werden: »Volk« ist etwas außerordentlich schwer Bestimmbares: »Eine Menge von Menschen kann sich den Titel von Volk geben, und mit Recht, denn das Volk ist diese unbe stimmte Menge.« Eben dadurch unterscheidet es sich von den Behörden und ihren Beamten, überhaupt von der Staatsgewalt, die dem »Volk« dadurch begegnen, daß sie »aus der Gleichheit herausgetreten« sind und sich dem »Volk« gegenüber in dem Vorteil befinden, über Organi sation, Befugnisse, Willen und die Möglichkeit, ihn durch zusetzen, verfügen: »Dies ist das Extrem von den Wider sprüchen, in dessen Kreise eine Nation herumgeworfen wird.« Angesichts dieser im Staatsleben gegebenen Wirk lichkeit muß Hegel den Engländern einen praktischen Staatssinn zuerkennen; sie wissen, was Regierung und Regieren bedeutet; d.h., sie gestehen dem Staat ange sichts der freien Zustände des bürgerlichen Lebens nicht zwangsläufig das Recht des Eingreifens in die Grafschaf ten, Städte, das Kirchen- und Schulwesen oder Angele genheiten wie den Straßenbau zu. Das war mit dem allmächtigen Staat nach preußischer Organisation nicht mehr in Übereinstimmung zu bringen. Aber daran hat Hegel ebensowenig, wie der anglophile Wilhelm von Humboldt je einen Zweifel gelassen: Engli sche Einrichtungen lassen sich auch da, wo sie lobenswert sind, nicht einfach auf die deutschen Verhältnisse über tragen. Hegels Ausführungen über die Reform Bill gehen über
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den Zustand der dialektischen Schwebe nicht hinaus. Ein solcher Akt ist angesichts unerträglicher Bevorrechtung einiger Klassen und Nutznießer verständlich, er ist ver nünftig, denn sonst wäre er von der Notwendigkeit nicht hervorgebracht worden. Aber an ihn Hoffnungen zu knüpfen, geht nicht an. Er wird nicht leisten, was er zu leisten hätte. Seine möglichen Vorzüge wiegen die Nach teile nicht auf. Er greift nicht an die Wurzel. War aber nun das Hauptmerkmal des Englands der Reform Bill und von Hegel als solches erkannt, das Unter haus, die Vertretung durch gewählte Abgeordnete, dann blieb zu fragen: Was sind die Merkmale des Unterhauses, wie sieht die Volksvertretung aus, wie kommt sie zu stande? Wie setzt sich das Parlament zusammen? Die Antworten zeigen den preußischen Kronanwalt bei einem von sokratischem Staunen geleiteten Plädoyer, das bis zu den Grundlagen der »angelsächsischen Demokra tie« vorstößt und zugleich mit dem aufwartet, was es in Berlin deswegen nicht gab, weil es kein Parlament gab; und sich deswegen allenfalls mit den viel bescheideneren Maßverhältnissen in den Stadtverordnetenversammlun gen preußischer Städte begnügen muß: »Es konnte bisher auf dem Wege des gewöhnlichen Handels mit parlamen tarischen Sitzen mit Sicherheit dafür gesorgt werden, daß Bank-Direktoren, ingleichen Direktoren der ostindischen Kompagnie sich im Parlamente befanden, wie jene großen Plantagen-Besitzer auf den westindischen Inseln und an dere Kaufleute, die solche große Handelszweige beherr schen, sich gleichfalls mit solchen Stellen versehen, um ihre und ihrer Association Interessen wahrzunehmen, die allerdings zugleich für das Gesamt-Interesse Englands so wichtig sind.« Die Erwerbstätigkeiten derer, die, hier aufgeführt, die Sitze im Parlament einnehmen, bestärken den Zweifel, unbeschadet ihrer Bedeutung für das »Gcsamt-Interessc Englands«, daß es sich bei ihnen um das englische »Volk« handelt. In der hier beschriebenen Form ist der Parla mentarismus kaum mehr als Boden für einen sanktionier ten Lobbyismus. Sicher hat das »Volk« auch nicht seinen
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Willen bekundet, wo »herabgekommene Flecken das Recht behalten haben, Sitze im Parlament zu vergeben, während viele in späteren Zeiten emporgekommene blü hende Städte von hunderttausend und mehr Bewohnern von dem Rechte solcher Ernennung ausgeschlossen sind«. Und wo wird der Anteil des Volkes zu suchen sein, wenn »vor einem Jahr durch Erhöhung der zum Stimmrecht erforderlichen Rente in Irland einer Anzahl von 200000 Individuen ihr Wahlrecht genommen worden« ist? Das mochte beim Zensus-Wahlrecht im preußischen Kommu nalwesen Parallelen aufweisen, aber die Landratsverfas sungen im Osten und die Städte und Gemeinden im Wresten, etwa im Rheinland, treten nicht mit dem An spruch auf, »Unterhaus« zu sein und Gesetze zu beschlie ßen. Von dem parlamentarischen System in der bestehen den Form droht Gefahr, weil eine »bedeutendere Anzahl von Sitzen käuflich, zum Teil ein anerkannter Handelsge genstand ist, so daß der Besitz einer solchen Stelle durch Bestechung, förmliche Bezahlung einer gewissen Summe an die Stimmberechtigten, erworben wird, oder über haupt in vielfachen andern Modifikationen sich auf ein Geldverhältnis reduziert«. Die Käuflichkeit von Sitzen, überhaupt der durch Güter, wie »Heiratsgut« in Bern als Erbmasse erlangte Anteil an der Staatsmacht, als Erfor dernis für den Eintritt in den Großen Rat, ist hier von Hegel als Kennzeichen einer legislativen Konstitution er kannt, die ein demokratisches Element enthält oder enthalten soll. In Bern hatte während des 18.Jahrhunderts das »englische System« stets mehr gegolten als das »französi sche« des Ancien regime und später der Assemblee als einer allgemeinen Volksversammlung. Wir wissen genau, wem Hegel hier zuneigt, wenn er in der Wiederaufnahme seiner Auseinandersetzung mit dem Berner RepublikModell am Parlamentarismus Englands den Scheincha rakter der »Freiheit« ausmacht, »Freiheit« als Quasi-Zu stand, nicht »Freiheit an sich und für sich«. Der Parla mentssitz in England ist nicht oder nur in beschränktem Maße durch freie Wahl zu gewinnen, sondern durch den Aufwand dessen, der gewählt werden will, für diejenigen,
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die ihn wählen sollen, und er ist damit Reduktion »auf ein Geldverhältnis«. Die bestehenden politischen Rechte sind Rechte auf materiellen Besitz, beruhen auf Gütern, Land besitz, auf Titel des Privateigentums, sie setzen den »Her zog [von Wellington] ... dem Rechte gleich, vermöge dessen ihm sein Sitz im Oberhaus so wenig entzogen, wie dem Minister, Grafen Grey, seine Güter in Yorkshire genommen werden dürfen«. Sie sind also nicht das, was sie abstrakt sein sollen, sondern vor allem historische Titel im Institutionenrecht. Sie sind »Rechte«, aber vorn wahrhaften Recht zu unterscheiden. Vom Vorbildcharakter des englischen Systems, am allerwenigsten für Preußen, war Hegel nicht zu überzeugen, er sieht vielmehr » England ... so auffallend in den Institutionen wahrhaften Rechts hin ter den andern zivilisierten Staaten Europas aus dem einfachen Grunde zurückgeblieben, weil die RegierungsGewalt in den Händen derjenigen liegt, welche sich in dem Besitz so vieler einem vernünftigen Staatsrechts und einer wahrhaftigen Gesetzgebung widersprechenden Pri vilegien befinden«. Der in Berlin geäußerte Verdacht, Hegel denke eng lisch-konstitutionell, traf demnach nicht zu. Aber er tat es dann doch insofern, als Hegel sehr wohl die umgestal tende Rolle der englischen politischen Ökonomie für die industrielle Produktion in neue Fabriksysteme und für den Welthandel vor Augen gestellt hatte, so wie den bis zum Reichtum reichenden Wohlstand der Holländer, die bürgerliche Zivilisation des nachnapoleonischen Frank reich, die alle die Verhältnisse im Königreich Preußen keineswegs im günstigen Licht erscheinen ließen. Aber die möglichen Vorteile des englischen Regierens wiegen die Nachteile nicht auf. Hegel macht kein Hehl daraus: Zweckmäßiger als die Unterscheidung in Unterhaus und Oberhaus, gerechter als die Sitzverteilung nach Beherr schern großer Wirtschaftszweige, Handelskompanien, Landeigentümern, Käufern ihrer eigenen Mandate usw. erscheint ihm, wenn schon aus den deutschen Ländern kein Beispiel für die parlamentarische Legislative er bracht werden kann, die von Napoleon für das Königreich
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Italien eingeführte »Repräsentation« nach »den Klassen von Possidenti, Dotti, Merchanti«. Das englische Parla ment ist im Gegensatz dazu keine Repräsentativ-Verfas sung, die Errungenschaften der Magna Charta, neuer dings der Bill of Rights, sind bei »der Zufälligkeit ihrer Inhalte stehen geblieben«. Als »Aggregat« ein/einer, un zusammenhängender »positiver Bestimmungen« könn ten sie ganz anders aussehen, als sie es tun. Es wirkt hier der generelle Verdacht Hegels gegen das in aristokratischen Regierungsverfassungen anwesende demokratische Element mit, wenn er seiner Handhabung durch die im Dienste der Aristokratie eingerichteten hi storischen Institutionen die allerschlimmsten Folgen zu schreibt. Das galt für England, wo der Aristokratie die Sitze des Oberhauses vorbehalten sind, aber das galt noch mehr für die »rein aristokratischen Regierungen« wie »Venedig, Genua, Bern«, denen »zum Vorwurfe gemacht worden« ist, »daß sie ihre Sicherheit und Festigkeit in dem Versenken des von ihnen beherrschten Volks in gemeine Sinnlichkeit und in der Sittenverderbnis derselben fin den«. Der Vorwurf, der Hegels eigener war, ließ sich nicht leicht überbieten. Die Stärke solcher Regierungen beruht auf der Schwäche des Volks, auf seinem Elend und seiner Armut als dem, was bleibt, so wie Pestalozzis Volkserzie hung Erziehung für den Mangel ist, die sich von vornher ein darauf einstellt. Not und moralische Heruntergekom menheit, Trunksucht usw. sind feste Karten im Spiel solcher Regierungen, ihre Macht zu begründen und zu erhalten. In England, das weiß Hegel aus dem Studium von Adam Smith und aus den veröffentlichten Statistiken, die er für seine Jenenser Vorlesungen benutzt hatte, übersteigt die wirtschaftliche Not vor allem durch die neuen Manufakturen mit den Fabrikarbeitern die seiner Nachbarn bei weitem, und dies auch wegen der »Anoma lien« seiner Regierung. Das wird nicht als das Ende ausgegeben. Dem Verder ben stellen sich die Gegenkräfte entgegen. Hegel ver merkt es »als ein gutes Zeichen von dem Wiedererwachen des moralischen Sinnes in dem englischen Volke ..., daß
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eines der Gefühle, welche das Bedürfnis einer Reform herbeigeführt, der Widerwille gegen jene Verderbtheit ist. Man wird es gleichfalls für den richtigen Weg anerken nen, daß der Versuch der Verbesserung nicht mehr bloß auf moralische Mittel der Vorstellungen, Ermahnun gen ... gestellt werden soll, sondern auf die Veränderung der Institutionen«. Hegel war nicht davon zu überzeugen gewesen, daß bei der Machtbalance zwischen monarchischer, aristokrati scher und demokratischer Gewalt im englischen Regie rungssystem das Unterhaus eine glaubwürdige Vertre tung des demokratischen Elements darstellt, und er hatte sich für den Gegenbeweis mit der Aufzählung der Volks vertreter nach Berufen, wirtschaftlichen Interessen und Funktionen mit zu erwartenden Einkünften sowie dem Verweis auf Manipulation durch möglichen Kauf der Parlamentssitze begnügt. Das war nicht irgendein beliebi ger Vertrauensentzug, der sich auf England und seine Staatsform bezog, sondern gehört zum konstitutiven Miß trauen des Hegelschen »Staats« in das demokratische Element, noch deutlicher gesagt in die Demokratie des bürgerlichen Staats, als Mißtrauen in das Parlamentari sche, das der deutschen Geschichte noch über den Sturz der Monarchie im Jahre 1918 hinaus eigen sein wird. Und das sich auf das eigentümlichste mit dem linkshegeliani schen Mißtrauen in die parlamentarische Demokratie als Einrichtung der bürgerlichen Klasse zusammenfindet, ebendem, was sie in Frankreich durch die bürgerkönigli che Demokratie Louis Philippes im Jahre 1830 wurde! Einem ihrer Führer, nämlich Thiers, damals noch in der Opposition, aber schon Verfasser einer auf Glorifizierung bedachten Geschichte der französischen Revolution, Verfech
ter der Charte, der auf Egalité beruhenden Verfassung mit Zweikammernsystem nach englischem Vorbild, hatte Hegel im September 1827 in Paris zu Gesicht bekommen, ohne daß eine Unterhaltung zustande gekommen wäre. Thiers wird zu denen gehören, die drei Jahre später, nach der Julirevolution und dem Sieg der orleanistischen Mon archie als endgültigem Sieg der Bourgeoisie den Zensus
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für das Wahlrecht auf 500 Francs, den für die Wählbar keit auf 200 Francs Steuertaxe herabsetzen, die Zahl aller Wahlberechtigten auf 200000 erhöhen und damit unter Ausschluß aller übrigen (Bauern, Kleinbürger, verarmter Adel, der die vorgeschriebenen Stcuergcbühren nicht entrichten kann) in der Nationalversammlung der konsti tutionellen Monarchie eine bürgerliche Majorität sie her stellen. Das war die französische Version für das, was Hege! auf England übertragen die Reduktion des Parla mentssitzes auf ein »Geldverhältnis« nannte. Erscheint Hegel, je älter er wurde, immer intransigen ter gegenüber politischen Veränderungen, sieht er die Reform Bill zwar als Ausdruck des verständlichen Re formwillens, an dessen Frfolg er selber freilich nicht glaubte, konnte er in Frankreich mehr als anderswo in Europa Zeichen einer auf Umsturz zielenden Bewegung bemerken, die Befürchtungen aufsteigen ließen, so wäre ein Zwiespalt zu vermuten, wenn die Bewegungen sich irgendwo mit der Idee der Freiheit verbanden. Und das war in Frankreich der Fall, wo sich die Bourgeoisie aus drücklich als liberale Bourgeoisie mit freier Presse, freier Verfügbarkeit über das Eigentum, Freiheit des unbe grenzten Gewinns verstand und Hegels Freund Cousin als Anhänger der bürgerlich-freiheitlichen orleanistischen Partei zur Zeit, als Hegel in Paris bei ihm zu Besuch weilte, von der restaurativen bourbonischen Regierung suspen diert war. Wenn Hegel in der Philosophie der Geschichte das nachnapoleonische Frankreich der restaurierten altbour bonischen Monarchie »durch religiöse Knechtschaft an politische Unfreiheit angeschmiedet« fand, aber zugleich in ihrer Bekämpfung das Prinzip des Umsturzes am Werke sah, mußte der Zwiespalt unauflösbar erscheinen. Hegel bewältigt ihn durch die Unterscheidung der »Frei heit« vom »Liberalismus« als dem »Prinzip der Atome« und der »Einzelwillen«. Das war im Sinne des »Systems« konsequent gedacht, hielt sich auf der Linie des Verdachts gegenüber demokratisch-parlamentarischen Stimm rechtsbewegungen, den er auch in der Schrift über die Reform Bill nicht unterdrückt hatte.
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Die Reform Bill lag damals, als Hegel über sie schrieb, dem englischen Parlament zur Annahme vor und sah dem Wortlaut nach eine maßvolle Revision des Regierens vor. Die Julirevolution in Frankreich und die Unruhen in Brüssel als ihre Folgen, die zur Unabhängigkeit Belgiens führten, haben sich indessen gegen die staatskonservati ven Anschauungen des entschiedenen Gegners der Revo lution im Metternichschen Europa vollzogen. Die Schrift über die Reform Bill als Hegels »politisches Wort letzter Hand« aber war nicht »letztes Wort« in den Fragen von Staat, Nation, Volk, Monarchie, Republik, Demokratie, Wahlen. Wahlen sind nach Hegel ein konsti tutives Element von Republiken, auch innerhalb von kon stitutionellen Monarchien, wie etwa der englischen, weil eine historische Monarchie »an sich« solche Wahlen über flüssig macht. Eine reine Monarchie bringt sich damit freilich um den Vorzug, daß sie »die Möglichkeit einer Regierung begründet, d. i. eine Majorität von Männern im Parlament, die Staatsmänner sind, die von Jugend auf sich den Staatsgeschäften gewidmet und in ihnen gearbeitet und gelebt haben«, was Hegel gegenüber den Verhältnis sen in Deutschland am englischen Regierungssystem aus drücklich rühmend hervorhebt. Was Hegel über Konsti tutionen, Charten, Parlamente, über die Zusammenset zung von Volksversammlungen, Assembleen, über den »Großen Rat« in Adelsrepubliken sagt, wird in der Folge Wasser auf die Mühlen derer sein, die die »westlichen Demokratien« im Namen des allmächtigen Staats von rechts beargwöhnen, wie derer, die von links in der Demo kratie als »bürgerlicher Demokratie« eine »Abstraktion« sehen: eine »Teilnahme aller an allen Geschäften«, wie es der demokratischen Verfassung entspricht, »widerstreitet für sich dem Prinzip der Teilung der Gewalten« (System der Philosophie), ist also Widerspruch in sich und erledigt sich damit von selbst. Von selbstgcwissem Vertrauen auf »Wahlen« war Hegel seit den Schweizer Erfahrungen bis zur Schrift über die englische Reform-Akte im letzten Lebensjahr weit entfernt. »Wahlen« an sich und für sich besagen für den Hegel von 1831 überhaupt nichts. Die
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englischen Verhältnisse können auf das hinauslaufen, was Hegel als Überset/er von Carts Vertraulichen Briefen über Bern niedergeschrieben hatte: »unter 92 Mitgliedern, die iin Jahre 1795 in den großen Rat aufgenommen wurden, wurde nur von einem einzigen gesagt, daß seine Verdien ste in etwas zu seiner Erwählung beigetragen haben.«
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Zweiundvierzigstes Kapitel
Der philosophische Absolutissimus Es war stürmisch zugegangen in einer der konstituieren den Sitzungen der »Sozietät für wissenschaftliche Kritik«, die die Hegeische Zeitschrift tragen sollte; »Sozietät« darum, weil nach den Sitzungen gewöhnlich ein Abendes sen stattfand. Alles das zeigt an, daß Hegel die Einrich tung selbst auch als Entschädigung für die ihm von Schlei ermacher vorenthaltene Mitgliedschaft in der Akademie der Wissenschaften betrachtete. Die Aufnahme in die »Sozietät« war mit keinen weiteren Formalitäten verbun den. Hegel selbst hatte für sie ausdrücklich geworben und niemals Einwände gegen eine gewünschte Mitgliedschaft erhoben. Mit einer einzigen Ausnahme! Er war gegen die Aufnahme Schleiermachers. Als Varnhagen in einer Ver sammlung einen Antrag erwägt, an Schleiermacher eine Aufforderung ergehen zu lassen, Mitglied zu werden, springt Hegel erregt von seinem Sitz, wandert unruhig durch das Zimmer und murmelt, daß das die eigene Vertreibung bedeute. Es kommt dann doch zu einer Lö sung: Schleiermacher wird nicht eingeladen, weil er der Einladung ohnehin nicht Folge leisten würde und sich die »Sozietät« in diesem Falle etwas vergäbe. Aber nicht nur die Gegner Hegels rücken durch die Gründung von Gesellschaft und Zeitschrift enger zusam men, sondern auch unbeteiligte Beobachter, und selbst Sympathisanten wie Wilhelm von Humboldt gehen auf einen gewissen Abstand. Humboldt, der vor Altenstein die Geschäfte für Kultusangelegenhciten damals als Sek tionschef im preußischen Ministerium für Inneres verwal tet hatte, warnt die »Sozietät« davor, die vom Staat erwar teten Subventionsgelder in Höhe von 400 Reichstalern anzunehmen: »da Herr von Altenstein unaufgefordert für die Sozietät Geld erwirken wolle, so habe er gewiß auch besondere Absichten mit der Sozietät, diese aber müsse dafür sorgen, von jedem schlechten Einfluß frei zu blei ben.« So trägt es Varnhagen in sein Tagebuch ein. Hum
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boldt wußte von der Ambition Altensteins, sich seine Klientel mit Hegel als Hauptfigur zu erhalten und weiter gefügig zu machen. Ludwig Börne empfiehlt Vorsicht vor den von der Hegelschen Zeitschrift zu erwartenden Berli ner antiliberalen Tendenzen und rät den deutschen Ge lehrten, sich nicht daran zu beteiligen. Es war nur natürlich, daß sich durch die Etablierung der Hegelschen Philosophie in so sichtbarer Form die Zahl der Gegner vergrößern mußte. Der Germanist Karl Lach mann kann bei Jacob Grimm auf Zustimmung rechnen, wenn er von der »Hegelschen Clique« (11. April 1827) spricht. Hegel selbst konnte dies zurückweisen, und zwar mit Recht, denn er ließ ja in der ersten Nummer Gelehrte wie den Altphilologen Philipp August Boeckh und den Archäologen Aloys Hirt, die überhaupt nicht zur Anhän gerschaft gehörten, ihr sogar fernstanden, mit Beiträgen zu Wort kommen. Und Goethe oder die beiden Hum boldts, die Hegel für das Blatt zu interessieren versteht, haben kaum weniger damit zu tun. Eng sind Hegels Beziehungen zum Berliner bürgerlich avancierten Judentum der Salons. Er hat gern im Hause der Rahel verkehrt, wo er sich im Gespräch mit Varnha gen meist über politische Angelegenheiten ausließ, wäh rend seine Frau ausdrücklich die Unterhaltung mit der Gastgeberin suchte. Varnhagen (so in einem undatierten Brief an Rosenkranz) ist der Meinung, die Rahel habe sehr wohl mit ihrem Einfühlungsvermögen Hegels »volle Gei stesgröße« erkannt, bezweifelte aber, daß umgekehrt He gel in »das eigentliche Wesen ihres Geistes« eingedrungen sei. Das mochte zutreffen, doch fand Hegel hier das, was er jetzt im Zenit seiner Wirksamkeit in der privaten Gesell schaftlichkeit suchte: jenes intellektuelle Milieu, wo Wis senschaft, Philosophie, Politik, Literatur, Musik sich für Augenblicke zu vereinen scheinen und wo auch die Anwe senheit italienischer Sängerinnen wie der Angelika Cata lani zu erwarten ist. Im privaten Hegel kann sich der amtliche nicht immer ganz verbergen. Und der wird »immer schwieriger, tyran nischer«, wie sich Varnhagen im selben Brief an Rosen
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kranz äußert; er »benahm sich in den Sitzungen so sonder bar, daß die ganze Gesellschaft fühlte, so könne es nicht wcitergehn«. Das Absolutistische, dem er jetzt im Politi schen immer mehr zuneigt, geht auch im Persönlichen in eine eigentümliche Verstocktheit über. Aber stets nur für Augenblicke, die bald von Bezeugungen der freisinnig sten Herzlichkeit abgelöst werden und wieder an die gemütliche Langsamkeit und sogar das Phlegmatische des Stiftlers mit der Devise »Gut Ding will Weile haben« erinnern. Man glaubt hier, bis auf den Grund der Hegel schen Existenz sehen zu können. Aber einer Existenz, wo aus dem grobgliedrigen Körper mehrere Köpfe heraus wachsen! Als Eduard Gans von seiner Reise im Dienste der Jahrbücher, um für sie Mitarbeiter zu werben, nach Berlin zurückkehrt und Hegel besucht, trifft er ihn in einem grünen Schlafpelz mit schwarzer, an ein Barett erinnern der Mütze an und gerade dabei, mit der einen Hand aus der Dose eine Prise zu nehmen und mit der andern in unordentlich aufgeschichteten Papieren etwas zu suchen. Eine Szene unverfälschten Biedermeiers der Gelehrten stube von 1827! Selbst der Eindruck der Schläfrigkeit fehlt nicht ganz. Es melden sich um diese Zeit auch die ersten Ansprüche der engeren Schüler. Sie möchten gefördert, empfohlen, in festen Staatsstellungen untergebracht werden. Kon kurrenzen werden sichtbar, wie die zwischen Hinrichs, den Hegel nach Halle gelobt hatte, und Gabler, der durch Hegels Unterstützung aus dem bayerischen in den preußi schen Staatsdienst gelangen möchte. Mit Leo gibt es Schwierigkeiten, bei denen sich Dienstliches und Privates vermischen. Er war von Altenstein in Berlin in einer außerordentlichen Professur belassen worden, die ihm die Heirat unmöglich machte. Jetzt ist er dem Minister, wie er Hegel wissen läßt, dankbar dafür, denn er hatte die Frau nicht heiraten können, von der er sich, durch bessere Einsicht veranlaßt, inzwischen getrennt hat. Er hat sich inzwischen nach Jena geflüchtet und wagt nicht, nach Berlin zurückzukehren. Hegels einmal gewonnene Sym pathie war nicht leicht zu verlieren. Dem Ruf, seine An
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hänger mit allen Mitteln der Zähigkeit und des geheimen Einfädelns in Professuren hineinzubringen, ist er, solange er lebte, immer gerecht geworden. Hier war eine Quelle für den Streit zwischen Fakultät und Ministerium: Die Fakultät stand mehrheitlich gegen Hegel, während Alten stein vorbehaltlos Hegel stützte. Als sich das kirchliche Luthertum in der Gestalt Hengstenbergs auf bramabar sierende Weise gegen Hegel und seine Schule wandte, soll Hengstenberg als außerordentlicher Professor in das ferne Königsberg verset/t werden. Von der Gegenseite erschallt der Ruf von der »Vergötterung« Hegels, aber auch Wilhelm von Humboldt, der zu den Mitarbeitern der Hegelschen Zeitschrift gehörte, vieles darin zu unver ständlich fand, sich aber ein abschließendes Urteil über die Hegeische Philosophie nicht anmaßen wollte, macht im privaten Kreise Hegel den Vorwurf des »Despotis mus«. Der Philosoph der Freiheit als Mann, der der Frei heit schade. Humboldt war nicht irgendwer. Das Urteil mochte ein Recht haben, wo Hegel als Mann im Gefolge Altensteins gesehen wurde, der sich mehr und mehr daranmacht, sich im Stil der immer stärker- werdenden Restauration mit Weisungen in die Universität einzumischen, und hierbei auf die Unterstützung des Staatsphilosophen rechnen konnte. Geist der Reformzeit im Sinne Humboldts war darin nicht mehr zu finden. Aber dagegen sprach der von anderer Seite erhobene Vorwurf gegen Hegel, im gehei men englisch-konstitutionell zu denken und darüber die Monarchisten der strengeren Observanz zu täuschen. Was war nun richtig? Im Sinne der Hegeischen Logik und der Berliner Gegebenheiten zweifellos beides! Hegel befand sich damals beim Aufschwung der durch die Jahrbücher mitausgelösten Bewegung in vollem Zuge, die Kraft seiner Methode mit der Macht seiner Stellung in der Omnipo tenz seiner Philosophie zusammenzuführen. Er zieht das Richteramt in allen die alte und neue Philosophie betref fenden Fragen an sich. So in seinem Brief an Cousin vom 25. März 1828, wo er sich dagegen verwahrt, Kant schlech terdings unter Piaton zu stellen. Das kann seiner Meinung
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nach nur in einiger Hinsicht gelten, in anderer Hinsicht sind die neueren Philosophen gegenüber den alten an Tiefe und Ausdehnung des Prinzips auf einer höheren Ebene zu finden. Und für die neuere Philosophie steht wie kein anderer Hegel selbst. Der Aufstieg der Hegelschen Philosophie und ihre Ver breitung als Schulmethode hatte denjenigen ganz in den Schatten gedrängt, der an ihrem Anfang stand und sich für den eigentlichen Begründer hielt. Nach Jahren des Schweigens hatte Schelling in München seine Vorlesungs tätigkeit wiederaufgenommen, und das bedeutete immer auch öffentliche Auseinandersetzung mit dem, der ihm seine »Methode« weggenommen hatte und sie unter an derem Etikett und mit anderer Verbrämung, auch teil weise an anderen als ihn selbst interessierenden Diszipli nen, so erfolgreich vortrug. Hegel, der bis zu seiner Hei delberger Zeit noch als »Schellingianer« gegolten hatte, war inzwischen eine europäische Berühmtheit geworden, dem ehemals so sieghaften Schelling waren in Bayern schwere Schläge zugefügt worden: kein günstiges, seinen Geist beflügelndes Klima, der Tod seiner ersten Frau und schließlich, was er sich selbst nicht eingestehen wollte, die Berührung mit dem Mystizismus eines Baader und Gör res. Die Anlage dazu war kernhaft in ihm gewesen, sie brach zunächst in seinem Interesse für das Geheimnis volle der »Wünschelrute« durch, über das Hegel im Brief verkehr schweigend hinweggegangen war, und zeigt ge rade in der Münchner Zeit eine weitere Ausbreitung durch das Hinneigen zur »Nachtseite« der Natur. Schel ling vertraut auf den »magischen Willen«. Seine Kraft kann das Pendel in Bewegung bringen. »So sind unsere Muskeln in der Tat nichts anderes als Wünschelruten, die nach innen oder außen schlagen, je nach dem wir es wollen«, hatte es schon in seinem Brief vom 16. September 1804 an Windischmann geheißen. Es gehört mit zu seinem Programm, den »Schlüssel« zur »alten Magie« zurückzu gewinnen. Der Schelling der späteren Jahre ist bereits »mystisch-religiös« geworden, was sich vom Religionsphä nomenologen Hegel auch da, wo er von der Seite der
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Religion aus urteilt, nie sagen läßt. Und noch mehr: Schelling rückt jetzt in die Nähe des katholisch geworde nen Friedrich Schlegel, was ihn nach Hegels kritischen Ausfällen gegen Schlegel geistig als erledigt erscheinen läßt. In Preußen jedenfalls! Aber nicht nur hier. Schelling ist längst drauf und dran, in ganz Deutschland, bei den tonangebenden literarischen Schichten, über die Grenzen der liberalen Fortschrittsbewegung weit hinweg, in Ver ruf zu geraten. Man kann die ganze Bösartigkeit wegstrei chen, mit der ihn Heinrich Heine in seinem Buch Religion und Philosophie in Deutschland später bedenkt, aber der
Vorwurf, Schelling sei selbst von der Restauration nicht mehr zu ertragen gewesen, er habe am Ende Dinge restau riert, »wodurch er auch im schlechten Sinne mit der französischen Restauration verglichen werden kann«, traf nicht daneben. Warum er im öffentlichen Bewußtsein so tief gesunken war? Es »hat ihn die öffentliche Vernunft nicht länger geduldet«, er »handlangen in der Jesuiten höhle, wo Geistesfesseln geschmiedet werden, und dabei will er uns weis machen, er sei noch immer unverändert derselbe Lichtmensch, der er einst war ...«. Aber Schelling konnte nicht die Anfänge vergessen, wo ein bei ihm um Rat suchender Hegel sich mit der Bitte um Wegweisung an ihn gewandt, wo er, der Ältere, sich ausdrücklich als Schüler des Jüngeren gefühlt hatte. Die Priorität in der Frage der Methode brauchte Schelling sich nicht streitig machen zu lassen. Darauf beharrt er. Cousin, der ursprünglich zum Studium Schellings nach Deutsch land gereist, durch Zufall in Heidelberg an Hegel geraten war und bei ihm die »deutsche Philosophie« kennenlernt, bekommt von Schelling in einem am 27. November 1828 aus München in Französisch geschriebenen Brief zu lesen: »Sie haben begonnen, das von mir stammende System nur in dem Sinne kennenzulernen, den ihm einige schlechtun terrichtete oder urteilsschwache Personen gegeben ha ben, und in der Form, die es vorübergehend in dem engen Kopf eines Mannes bekommen hatte, der geglaubt hat, sich meiner Ideen bemächtigen zu dürfen, wie ein krie chendes Insekt glauben kann, sich ein Pflanzenblatt zu
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eigen zu machen, das es mit seinem Gewebe umspinnt.« Wenn Schelling dies so sah, dann auch immer darum, weil er als der in der großen Öffentlichkeit um die Urheber schaft Gebrachte es gar nicht anders sehen konnte. Außer dem: Indem, was Hegel mit dem »System« angestellt hatte, fand er sich selbst nicht mehr wieder. Das »System«, so erfährt es Cousin, hatte ein »Lebensprinzip«, das Hegel nicht erkannte und an dem wie an einem empfindlichen Gewebe er so lange zerrte, bis er es um den kurzen Augenblick seiner Lebensfähigkeit gebracht hatte. Hier meldet sich aus München die erste wirklich ernst zu nehmende Kritik an Hegel, die bereits in ihrem Kern alle späteren Elemente der gegen ihn gerichteten Argumenta tion enthält. In der Konstruiertheit seines Denkens habe Hegel den Lebensfaden des Organischen durchgerissen. Das lag in der Nähe dessen, was Goethe so offen nicht aussprechen mochte, aber auch unausgesprochen in sei nen Erwägungen zur Philosophie seines lieben Freundes durchschimmern ließ. Aber wenn dieser Vorwurf einiges für sieh haben mochte, dann hatte Schelling da nicht recht, wo er alles von seinem Anspruch auf die Priorität ableitete und Hegels Weiterbildung der »Methode« so ungünstig bedachte. Er übersah, daß Hegel die Dialektik zu einer totalen erhoben und ihr in seiner Logik ein Instrumenta rium geschaffen hatte, das sich auf alle wissenschaftlichen Disziplinen einstellen ließ und darüber hinaus »Natur« und »Geist«, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ihrer Kompetenz unterstellte, kurz: sie zu dem gemacht hatte, als das sie von nun an weltbewegend auftreten wird. Denken »an sich« und »für sich« ist dialektisches Denken, Sein »an sich« und »für sich« ist Sein mit eingeschlossenem dialektischen Akt. Vor allem übersah Schelling den Auf klärer Hegel zu einer Zeit, wo die Aufklärung als Bewe gunglängst vorbei und sich allenfalls noch in einer Kuriosi tät wie Paulus in Heidelberg erhalten hatte. Aber Hegel war nicht Paulus. Am schwersten wog, daß Schelling bei diesem harten Urteil sich selbst aus den Augen verloren hatte, daß das Licht der Aufklärung, das bei ihm einst so hell geleuch tet hatte, bereits in leises Flackern übergegangen war.
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In welche Richtung hinein sich Hegels Denken entwik kelt hatte und wie weit es sich von dem Schellings um diese Zeit unterschied, zeigt das Schreiben, das ein ihm Unbe kannter aus dem bayerischen Ansbach an ihn richtete. Der junge, gerade zum Doktor der Philosophie promovierte Absender schickt unter dem 22. November 1828 Hegel seine Dissertation zu und faßt in den begleitenden und sehr umständlich verfaßten Zeilen das Resümee seiner Anschauungen über die Religion zusammen. Obwohl der Briefschreiber sich als »unmittelbarer Schüler«, der »zwei Jahre lang in Berlin Ihren Vorlesungen beiwohnte und Ihnen hiemit nur meine persönliche Hochachtung und Verehrung bezeugen möchte«, zu erkennen gibt, hatte der Absolutissimus seinen Namen nie gehört, noch hätte er sich erinnern können, mit ihm je ein Wort gewechselt zu haben. Aber die Lektüre der Schrift und des beigefüg ten Briefs, wenn sie erfolgt sein sollte, hätte ihm sagen müssen, daß ihn hier jemand verstanden hatte. Verstan den noch im Abrücken von seiner Philosophie! Der Brief schreiber, Ludwig Feuerbach mit Namen, hält dem Mei ster in Berlin im begleitenden Handschreiben und sprach lich auffallend unbeholfen die Maximen der »neuern Philosophie« vor: »die bisherigen weltgeschichtlichen An schauungsweisen von Zeit, Tod, Diesseits, Jenseits, Ich, Individuum, Person und der außer der Endlichkeit im Absoluten und als absolut angeschauten Person, nämlich Gott usw., in welchen der Grund der bisherigen Ge schichte und auch der Quelle des Systems der christlichen sowohl orthodoxen als rationalistischen Vorstellungen enthalten ist, wahrhaft zu vernichten, in den Grund der Wahrheit zu bohren.« Das war etwas, was Hegel vom Katheder öffentlich nie gesagt hatte, was sich aber, wenn man die Bauteile des vorgetragenen »Systems« heraus brach, in anderer Form und in Übereinstimmung mit dem »System« wieder zusammenfügen ließ. Feuerbach wagt sogar in seinem Brief den Widerspruch zum Hegeischen Buchstaben, wenn er anschließend niederschreibt: »Das Christentum kann deswegen nicht als die vollkommene und absolute Religion gefaßt werden.« Aber ebendas war
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es ja bei Hegel. Und war es auch wieder nicht, wenn diese Wahrheit gegenüber der von der Philosophie geschaffe nen Einsicht nur eine Wahrheit zweiten Ranges ist: »Denn wenn es sich bei der Philosophie, die nach Ihnen benannt wird, wie die Erkenntnis der Geschichte und der Philoso phie selbst lehrt, nicht um eine Sache der Schule, sondern der Menschheit handelt . .. so gilt es jetzt sozusagen ein Reich zu stiften, das Reich der Idee.« Weiter: »Die Phi losophie, die seit Jahrtausenden an ihrer Vollbringung und Verwirklichung arbeitete, aber stufenweise aufstei gend das Ganze, das All (oder wie man es bezeichnen will) immer in eine besondere Bestimmtheit in einen bestimm ten Begriff einfaßte ..., muß nun endlich auch dies bewir ken, daß nicht mehr ein Zweites oder Andres, etwa mit dem Scheine oder dem Recht und Anspruch, eine zweite Wahrheit, etwa Religionswahrheit usw. zu sein, bestehe.« Das hieß in den Augen des Briefschreibers »Alleinherr schaft der Vernunft«, bei der es gilt, »das Ich, das Selbst überhaupt, das, seit Anfang der christlichen Ära beson ders, die Welt beherrscht hat ..., von seinem Herrscher thron zu stoßen«. Hier konnte Hegel erfahren, was er in dieser Vereinfa chung zu keiner Zeit selbst gesagt hatte, was sich aber aus seinem mit vielen Verklausulierungen aufwartenden System der Philosophie herauslesen ließ. Hier hatte in der Einsamkeit einer süddeutschen Kleinstadt und im Namen der Hegelschen Methode ein vierundzwanzigjähriger Jünger den Tarnschleier, den sein Meister über die Kon struktionen seines Denkens ausgebreitet hielt, weggezo gen und schon Züge einer im Aktivistischen liegenden Anwendung auf Veränderung hin durchscheinen lassen. Feuerbach, der hier zugleich die Grundlagen seiner eige nen Denkweise ausbreitet, befindet sich dabei auf dem Wege zur doppelten Einseitigkeit, nämlich Hegel vom materiellen Sein her zu verstehen und die Hegelsche Philosophie auf die Hegelsche Religionsphilosophic zu sammenzuziehen. Die Hegelsche Philosophie war immer zugleich Philosophie ihrer eigenen Umkehrung, die aus der Existenz Gottes auf seine Nichtexistenz schließen las
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sen konnte, wie es Feuerbach tut, wenn er im Brief an Hegel ausdrücklich darauf abhebt, »Gott ... zu vernich ten«, ihn zu den altersgrauen, sich auf ihren Untergang zurüstenden Anschauungsweisen zu rechnen, an deren Stelle das Reich der Idee seine Wahrheit aufrichtet, die keine Wahrheit einer Religion oder einer Kirche mehr ist. Soweit war es Ende 1828 bereits gediehen. Es ist schon zu Lebzeiten Hegels das erste Kapitel von »Hegel und die Folgen« eingeleitet worden, mit der erst später heraustretenden Eigentümlichkeit, daß der ganze Feuerbach - auch derjenige, der sich als Materialist von Hegel freimacht, sich ausgesprochen gegen ihn wendet in Hegel enthalten ist. Über den Umkreis dessen, was Hegel als logische Operation im Denken über Gott und Nicht-Gott, als Möglichkeit, zur Sprache gebracht hat, ist Feuerbach nicht hinausgekommen, es sei denn in den Materialien zu den historischen Religionen. Der Feuer bachsche Atheismus ist in Hegel angelegt, und zwar in der Form der Spinozistischen Lehre von der einen Substanz, die Hegel einerseits als Pantheismus, als alles durchdrin gende »Weltseele« oder als »Weltgeist« verstehen kann, zu dem er eine persönliche Beziehung unterhält, für die er aber auch die Bezeichnung Atheismus bereithält bei An kündigung aller Gefahren, die mit dem Gebrauch und dem Verständnis dieses Wortes verbunden sind. Das alles läuft wieder darauf hinaus, daß die Hegelsche Philosophie in Wirklichkeit aus mindestens zwei Philoso phien besteht, aus einer und der ihr entgegengesetzten, die aber durch die Klammer der »Methode« zusammen gehalten werden und sich in ihrer Synthese zu einer dritten vereinen. So wie Hegel ein Mensch mit tiefen Rissen und Sprüngen ist: in der Familie, in der Amtsfüh rung, der Beziehung zu den Kollegen, der Einsicht in Natur, Staat, Politik, Geschichte, Recht und Religion. Die Dialektik ist hier das Mittel, die Widersprüche als Wesen des Seins und der Erscheinung geistesgegenwärtig aufzu lösen. Das führt nicht zuletzt unter dem Eindruck der Jahrbü cher dazu, daß in den späten zwanziger Jahren die von der
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»Schule« gesponnenen Fäden mit denen der Kritik, an der Hegeischen Philosophie zusammengeführt werden und bald schon nicht mehr genau auseinandergehalten wer den können. Als Immanuel Hermann Fichte, der Sohn von Hegels Vorgänger im Amt, seine Beiträge zur Charakte ristik der neueren Philosophie zur Beurteilung an Hegel
sendet und sie als Gutachten für seinen Eintritt in die Universitätslaufbahn zu benötigen erklärt, war dies keine geringe Zumutung: denn die Schrift enthielt bereits die Grundlagen für eine durchgängige Hegelkritik, mit der sich Fichte jun. später hervortun wird. Ch.H. Weißes Gründe, die er als »Schüler« in seinem Brief vom 2. Juni 1829 an Hegel vorträgt, waren da von anderem Schlag. Weiße hat als erster zwei große Entdeckungen an der Hegelschen Philosophie gemacht, durch die sie in mögli che und heute noch nicht erledigte Mißverständnisse hin eingerät. Und er hat sie Hegel mitgeteilt. Das war erstens das eigentümliche Zusammenfallen von Logik und Meta physik bei gleichzeitiger Trennung und zweitens das eigentümliche Phänomen des »Weltgeistes« im Fort schreiten als Widerspruch zur Annahme, daß mit Hegels »Wissenschaft« die »höchste aller denkbaren Formen der Geistestätigkeit« und damit »das Endziel aller Entwick lung nicht bloß des menschlichen, sondern auch des göttli chen Geistes« erreicht sei. In unserem Jahrhundert haben Karl Barth und Ernst Bloch noch einmal die Ernsthaftig keit von Weißes Anfrage an Hegel bekräftigt. Gilt der Anspruch der Hcgelschcn Philosophie, daß sich in ihr der »Geist« selber realisiert, so bleibt bei seinem weiteren Fortschreiten »diesem Geist nur die Wahl, noch einmal von sich abzufallen, oder in ewig einförmigem Kreislauf stets dasselbe zu wiederholen«: was, wie Weiße meint, eine Vorstellung sei, die Hegel widerstreben müsse. Eine Ant wort darauf hat der Briefschreiber aus Leipzig nicht er halten. Es waren zwei Faktoren, die jetzt auf dem Höhepunkt von Hegels öffentlichem Wirken die Stellung seiner Phi losophie in der wissenschaftlichen Welt bestimmten: ihre Schwerverständlichkeit und der Übergang in eine »Ge
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heimlehre« dadurch, daß Hegel sie in weitergebildeter Form im Hörsaal vortrug. In der schriftlichen und also allgemein zugänglichen Form lag sie nur in der Phänome nologie, der Logik, dem Naturrecht und den beiden Aufla gen der Enzyklopädie vor sowie den Beiträgen für die Berliner Jahrbücher. Was Hegel über Natur, Geschichte, Ästhetik und Religion letztgültig dachte, war allein im Kolleg zu erfahren und kursierte in Nachschriften, die Hegel, wo er Einsicht in sie bekam, höchst unzureichend fand. Die Frage, was Hegel zu den von der Logik abgelei teten Teildisziplinen eigentlich gesagt hatte, ließ sich schwer beantworten. Am 5. April 1829 erkundigt sich der Premierleutnant im 2. Kürassierregiment in Pasewalk, Herr Ravenstein, mit dem Ausdruck der tiefsten Ergeben heit bei Hegel nach einem Hinweis auf die Möglichkeit, sich eine Abschrift der Vorlesungen über die Religions philosophie zu beschaffen; Abschriften der anderen Vor lesungen, die er wie seinen Augapfel hüte, habe er schon, sie würden, wie man hier erfahren kann, von Anhängern in der kleinen Garnisonstadt untereinander getauscht. In seiner Rückantwort muß Hegel eingestehen, dem Freund seiner Philosophie hier konkret nicht weiterhelfen zu können. Mit Berlin hatte Hegel auf Umwegen, auf denen er vom Füllhorn des Glücks keineswegs immer reichlich bedacht worden war, die letzle Lebensstation erreicht. Aber er war trotz seiner Erfahrungen in Frankfurt und Nürnberg mit ihren großen reichsstädtischen Erinnerungen ein Mann der Provinz geblieben, war »Hegels Äußere immer nach der Weise eines schwäbischen Magisters«, fand der spätere jungdeutsche und Hörer von Hegels Vorlesung über die Philosophie der Geschichte im Wintersemester 1830/31 Karl Gutzkow in seiner literarischen Porträt sammlung Das Kastanienwäldchen in Berlin. Das bedeutet
nichts Geringes. Es täuscht die Stetigkeit, die sich durch seine Natur und seine Beschäftigung mit dem Denken ergab, leicht über die Bedrängnisse hinweg, denen er ausgesetzt war. Die Entscheidung für die Philosophie blieb ein Wagnis kaum zu empfehlender Art, das wie ein
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»Fluch« auf ihm lastete, wie er bekennen kann. Neue Bedrängnisse stürmen auf ihn ein, die an seiner Substanz nagen. Es prägt sich bei Besuchern der Eindruck seines elenden Aussehns ein. Der auf die Paris-Reise folgende Winter beschert ihm eine leidige Erkrankung, die er selbst als »Brustübel« bezeichnet. Es müssen darum die Vorle sungen längere Zeit ausfallen. Der Arzt empfiehlt ihm eine Badereise. Hegels Brief vom 16. Mai 1829 an Mini ster Altenstein zeigt, wie es um seine Haushaltskasse steht. Die Kosten für eine solche Reise zur Wiederherstellung seiner Gesundheit übersteigen die eigenen Mittel. Sie kommen darum besonders ungelegen, weil Hegel im Win tersemester nur ein Privatkolleg hält und somit einen größeren Ausfall seiner Einnahmen hat. Es gibt keine Reserven: »Das bare Vermögen, welches meine Frau be saß, haben wir während unseres hiesigen Aufenthalts zusetzen müssen, weil meine amtliche Einnahme nicht ausreichte zur Bestreitung der Ausgaben, welche ich hier machen mußte, ohne doch über die Schranken des wirkli chen Bedürfnisses und dessen, was der Anstand fordert, jemals hinausgegangen zu sein.« Und eine bei seinem Eintritt in den preußischen Staatsdienst in Aussicht ge stellte Erhöhung seiner Bezüge war während der elf Dienstjahre nicht erfolgt. Ein elf Tage später abgefaßtes Schreiben Altensteins stellt ihm eine »außerordentliche Remuneration von dreihundert Talern« in Aussicht. Hier kam es zur Sprache: Staatsergebenheit und Dienst eifer des Beamten in seiner öffentlichen Wirksamkeit hatten wirtschaftlich nichts gebracht. Er hatte, um sich der Philosophie widmen zu können, noch die kleine Mitgift seiner Frau in Anspruch nehmen müssen. Hegel war in Berlin so arm, wie er als verschuldeter Rektor in Nürn berg gewesen war und gewiß ärmer als der Redakteur in Bamberg, der keine Familie zu versorgen hatte. Was blieb, waren die Pensionsansprüche für sich und möglicher weise die Witwe. Das war nicht viel. Und Reform-Preußen stand sogar noch im Ruf, in der Regelung der Ruhe standsgelder günstiger zu verfahren als die meisten ande ren deutschen Staaten.
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Hegels alter Beharrungstrieb hatte sieh im Herbst 1828 endgültig behauptet. Er will keine Veränderung mehr. Als die Verlängerung seines Mietkontrakts ansteht, läßt er seiner Frau während seiner Abwesenheit alle Freiheit, nach ihren Vorstellungen zu verfahren. Aber er wünscht im Kupfergraben zu leben und zu sterben. Besser den notwendigen Umbau der Wohnung vornehmen und einige Monate Unbequemlichkeiten ertragen als umzie hen. Festhalten an den Gewohnheiten war ein alter, von Württemberg herrührender Zug seines Wesens gewesen. Es war für ihn manches hinzugekommen: zum spekulati ven Philosophen und Pantheisten der passionierte Lieb haber der »italienischen Oper«, der nie zum Verständnis Beethovens gelangt ist und sich auch auf den von Men delssohn wiederentdeckten Bach nicht einstellen kann. Nach der ersten Aufführung der Matthäuspassion kommt er —Zelter berichtetes umgehend an Goethe —zum Urteil: »das sei keine rechte Musik«. Das griff so daneben wie seine Einschätzung Shakespeares als verworrenen Kopf, womit er seinen Übersetzer Tieck schwer gekränkt hatte. Im Juli 1829 konnte Hegel in die renovierte Wohnung einziehen. Seine Frau ordnet die Bibliothek nach wissen schaftlichen Fächern. Für sie ist Hegel ein rechter »Lebe mann« geworden: »je ernster ihn der Tag beschäftigt, je lieber ist ihm ein Spaziergang oder eine Whistpartie oder sonst erheiternde Gesellschaft oder Musik am Abend; wo etwas Schönes zu hören und zu sehen ist, muß er dabei sein.« So erfährt Hegels Schwester Christiane es in einem am 24.Juni 1829 von der Schwägerin geschriebenen Brief. Ende August reist Hegel über Prag nach Karlsbad. Im »Goldenen Löwen« steigt er ab, unternimmt die obli gaten Spaziergänge, begibt sich auf den Hirschsprung mit dem berühmten Blick über die Stadt und macht die emp fohlenen Sprudelkuren. Schon nach zwei, drei Tagen spürt er Besserung. Auf Bäder läßt er sich nicht ein, ganz im Gegensatz zu jenem Kurgast, von dessen Anwesenheit am gleichen Ort er gehört hat und den zu suchen er sich gleich aufmacht. »Stell Dir vor«, so schreibt Schelling
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Anfang September 1829 aus Karlsbad an seine Frau, »gestern sitze ich im Bade, höre eine etwas unangenehme, halb bekannte Stimme nach mir fragen. Denn nennt der Unbekannte seinen Namen, es war Hegel aus Berlin.« Es ist außerordentlich aufschlußreich, die Berichte der beiden Württemberger an ihre Frauen miteinander zu vergleichen. Hegel hat von Anfang an die alte Vertrau lichkeit mit Schelling wiederherzustellen versucht, trifft aber auf einen Mann mit großen Vorbehalten. »Nachmit tags kam er zum zweiten Male«, schreibt Schelling weiter, »sehr empressiert und ungemein freundschaftlich, als wäre zwischen uns nichts in der Mitte; da es aber bis jetzt zu einem wissenschaftlichen Gespräch nicht gekommen ist, auf das ich mich auch nicht einlassen werde, und er übrigens ein sehr gescheiter Mensch ist, so habe ich mich die paar Abendstunden gut mit ihm unterhalten.« In Hegels Brief vom 3. September klingt die Erwähnung des Wiedersehens anders: »Wir sind beide darüber erfreut und als kordate Freunde zusammen.« Auch Varnhagen gegenüber erweckt Hegel den Eindruck, als ob die alte Eintracht der beiden Systembegründer wiederhergestellt sei. Dazu hatte es Schelling nicht kommen lassen. Hegel war bei einem zutiefst Gekränkten aufgelaufen. Über Philosophie und ihre »Methode« haben sie in ihren Karls bader Gesprächen kein Wort verloren. Im Oktober 1829 wird Hegel zum Rektor der Berliner Universität gewählt. In seiner einjährigen Amtsperiode wurde zum erstenmal das Amt mit dem des Regierungsbe vollmächtigten vereinigt. Humboldtisch war das nicht mehr gedacht. Die Regierung handelte im Glauben, in Hegel den rechten Mann für die neue Doppelfunktion gefunden zu haben. Das ging auf. Er war der Philosoph der Freiheit, die er am 18. Oktober in seiner lateinisch verfaßten Antrittsrede als akademische Freiheit der Lehre und des Lernens feiert, und er war der Philosoph des Staats, wo Freiheit und Gesetz zusammengehn. Hegels Rektorat fiel in eine bewegte Zeit. Die Revolu tion von 1830 bereitet sich vor, und dies auch in einigen deutschen Universitätsstädten, ohne daß sie hier recht
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zum Ausbruch gelangen oder für das bestehende Regi ment später von lebensbedrohender Gefahr werden sollte. Anders in Frankreich und Belgien. Hier sah Hegel große Stürme heraufziehen. Bei den belgischen Unruhen steht er auf der Seite der altniederländischen Partei, der sein Freund und Schüler van Ghert zugehört, und rät zum unverzüglichen Einschreiten. Komplizierter liegen für Hegel die Verhältnisse in Frankreich, wo der andere Freund, Cousin, ihn im Sinne der eigenen Philosophie für die Sache der Freiheit zu gewinnen versucht hatte, unter deren Fahne die liberale Bourgeoisie in der Bürgermon archie Louis Philippes sich an die Macht bringt. Natürlich hat das Prinzip der Legitimität, das auch in Frankreich verhandelt wurde, Hegel an der Parteinahme für den aufsteigenden Liberalismus, dem er von Grund auf miß traute, innerlich stets gehindert. In Berlin gelang es ihm, alle politischen Störungen und Umtriebe von der Univer sität fernzuhalten. Kein Student ist während seiner Amts zeit relegiert worden. Bei den vierzehn Studenten, die man in den Karzer steckte, handelte es sich um die üb lichen disziplinarischen Verstöße. Die Regierung dankt es ihm und erkennt ihm längst nach der Entbindung von seinen Amtspflichten im Januar 1831 den Orden des Roten Adlers Dritter Klasse zu. Hegel hatte sein Rektorat als Galionsfigur der Karlsba der Beschlüsse ausgeübt, jener Dekrete, mit denen 1819 die Auflösung der Burschenschaften, die Pressezensur und die Überwachung der Universitäten durchgesetzt worden waren. Er tat es aber im Sinne der mildesten Auslegung. Bei der Dreihundertjahrfeier der Übergabe der Augsburger Konfession an Kaiser Karl V., am 25.Juni 1830, verschaffte ihm sein Amt Gelegenheit, in einer wieder lateinisch gehaltenen Rede die Zusammen gehörigkeit von Thron und Altar, hier Preußen und Pro testantismus, in aller Öffentlichkeit und glaubwürdig zu bezeugen: Luther wurde gepriesen als Erretter der reli giösen Freiheit von der katholischen Religion mit ihrer unübersteigbaren Kluft in der Beziehung von Gott und Mensch. Zwei Monate später, zu seinem 60. Geburtstag,
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können seine Schüler mit der von ihnen in Auftrag gege benen Gedächtnismedaille als Gabe aufwarten. Die Vor derseite der Plakette zeigt Hegel im Profil, die Rückseite eine allegorische Darstellung: ein Genius im Strahlen kranz ist zur Rechten von einer Frauengestalt mit Kreuz flankiert, zur Linken von einem Gelehrten, der über ein Buch gebeugt ist und auf den die Eule der Minerva hinabschaut. Natürlich war die Freude über die Münze, in der man ohne Schwierigkeit den Bund von Glaube und Weisheit dargestellt finden konnte, so groß, daß das Be denkliche daran verschwand. Goethe, der ein ihm zuge dachtes Exemplar erhält, erkennt das augenblicklich: Was hat das Kreuz mit der Eule der Minerva zu tun und umgekehrt? Hegel war dafür nicht verantwortlich zu ma chen. Es mochte darin sogar eine eigentümliche »Entzwei ung«, die in ihm wieder aufgehoben war, zum Ausdruck gelangt sein. Goethe aber war tief getroffen und teilt Zelter am 1 .Juni 1831 mit, »wie sehr mir die Rückseite von Hegels Medaille mißfallt. Man weiß gar nicht, was es heißen soll. Daß ich das Kreuz als Mensch und als Dichter zu ehren und zu schmücken verstand, hab ich in meinen Stanzen bewiesen; aber daß ein Philosoph, durch einen Umweg über die Ur- und Ungründe des Wesens und Nicht-Wesens, seine Schüler zu dieser trockenen Konti gnation hinführt, will mir nicht behagen.« Goethes bis ins Tiefste, aber auch in die sinnliche Wahrnehmung hinein wirkendes Unbehagen am Zusammengehen von Philoso phie und Christentum konnte Hegel treffen. Aber auch wiederum nicht, denn seine Methode führte, wie sich in den nächsten Jahrzehnten noch zeigen sollte, zu Systemen der Nichttheologie, wie sie in der Vergangenheit unbe kannt waren: zu Ludwig Feuerbach und zu Karl Marx. In Hegels Amtszeit als Universitätsrektor hat die unmit telbare Bewegung der »Schule« zu Lebzeiten des Philoso phen ihren Höhepunkt erreicht. Es bereitet sich jetzt schon der Niedergang vor. Die Jahrbücher hatten durch manche redaktionelle Un geschicklichkeiten nicht den erwarteten günstigen Ein druck gemacht. Sie wirkten für die Bewegung selber eher
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aufsplitternd, zusammenhanglos, hegelianisch und nicht hegelianisch zugleich, es fehlte das einigende Band. Nicht zuletzt durch manche Beiträge mit merkwürdigsten und abwegigsten Inhalten entblößten sich erwünschte .An griffsflächen für ihnen zugedachte Schläge der Gegen seite. Auch die Unterstützung durch die Regierung hatte auf sich warten lassen. Altensteins Gelder waren ausge blieben. Hegels pragmatische und von der Regierung dankbar quittierte Amtsführung als Rektor hatte Schleiermachers Widerstand gegen seine Aufnahme in die Akademie schwächer weiden lassen. Für Wilhelm von Humboldt war es immer »unpassend« erschienen, daß man Hegel die Mitgliedschaft versagte. Nur mochte er nicht den Ein druck erwecken, persönlich etwas bewirken zu wollen. Aber jetzt, da Schleiermacher bereit ist zuzustimmen, regt sich der Widerstand der Naturwissenschaftler. Es scheint, daß der alte Zwist in Sachen Theologie am Ende beigelegt worden ist. So gibt es das Zeugnis für ein anregendes Gespräch, das Hegel kurz, vor seiner Erkrankung mit Schleiermacher in Kreuzberg auf der Straße an der Sta tion der Pferdebahn geführt hat und beide in gutem Einvernehmen gezeigt haben soll.
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Dreiundvierzigstes Kapitel
Das Ende Kaum ist sein Rektorat zu Ende, da erkrankt Hegel. Im September 1830 werden er und seine Frau bettlägerig. Die Genesung stellt sich bald als nur scheinbar heraus. Am 1. November setzt Zelter seinen Freund Goethe darüber in Kenntnis: »Hegel und seine Frau haben das Fieber wieder bekommen und mir ist um beide bange.« Und zwölf Tage später schreibt Zelter an Goethe und berichtet von einer Frau von Wahl, die sich auf der Flucht vor der in ihrer russischen Heimat ausgebrochenen Cholera nach Berlin begeben hat, um hier den Winter zu verbringen. Sie hat ihren Sohn bei den Hegels mit dem Staatsphiloso phen als »Pflegevater« in Pension gegeben und ist in seiner Wohnung zu Besuch. Wieder glaubt Hegel, sich auf dem Wege zur Besserung zu befinden, und ist deswegen trotz Fieber nicht davon abzubringen, seine Vorlesungen über Geschichtsphilosophie aufzunehmen. In diesen Ta gen trifft bei Hegel die Nachricht ein, daß Goethes Sohn gestorben ist. Hegels Reaktion teilt Varnhagen dem Dich ter unter dem 16. November mit: ein Goethe »ist zu allem entschlossen . . . er wird mit allem fertig, ist er es doch mit sich selbst geworden, das war wohl die größte Aufgabe, da die stärksten Gewalten«. Hegel ist dann den folgenden Winter über in leidlichem Gesundheitszustand seinen Vorlesungsvcrpflichtungen nachgekommen. Sie bedeuteten ihm sehr viel. Auf sie hat er mehr Kraft verwandt als auf seine schriftstellerische Produktion, die sich jetzt auf die Neubearbeitung der Logik und der Arbeit über die englische Reform Bill erstreckte. Hegel hat sich »totgelesen«, wird Zelter als Zeuge seiner Konzentration auf den Hörsaal 6 der Berli ner Universität gegenüber Goethe vermerken. Mit dem Vorrücken der Cholera, von den Berlinern schon vorher mit Furcht und Schrecken erwartet, be kommt ein solches Wort eine zusätzliche Bedeutung. Aber es ist auch möglich, daß diese Vermutung auf eine falsche
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Fährte führt. Übrigens hatte die Familie Hegel, so gut es ging, Vorsorge getroffen. Als die Epidemie bereits in Berlin ihre Opfer gefordert hatte, bezog sie im damals ländlichen und verschonten Kreuzberg als Wohnung den ersten Stock eines Gartenhauses. Gleich mit Beginn der Ferien dringt seine Frau darauf, daß Hegel ganz in den Garten zieht. So verbringt er den Sommer über sozusagen auf dem Lande, wo die Ansteckungsgefahr gemindert erschien. Dorthin kamen auch seine Freunde, die ihn erstaunlich heiter und gelöst im Familienkreise antrafen, und dort hat er seinen letzten Geburtstag in von Cham pagner beflügelter Stimmung gefeiert. Der Herbst zeigt bereits einen anderen Hegel. »Bleich, verfallen schwankte er die Stufen des Katheders hinauf«, berichtet sein Hörer Johann Jacoby von Hegels Nachmit tagsvorlesung, die er am 1. November 1831 über die Ge schichte der Philosophie hielt. Es muß, wie ebendieser Student und auch Schulze an Altenstein schreiben, von dieser letzten Freitagsvorlesung eine suggestive Wirkung ausgegangen sein. Anschließend begibt sich Hegel trotz schlechten Wretters zum Buchhändler Duncker, um mit ihm einen Vertrag über die beabsichtigte Neuausgabe der Phänomenologie abzuschließen. Marie Hegel schreibt in der Todesnachricht an die Mutter in Nürnberg, daß ihr Mann »nach 1½ Tage lan gem Kranksein ... leicht, schmerzenfrei, sanft und selig ohne Todeskampf, ohne eine Ahnung seines Todes und mit hellem Bewußtsein bis zum letzten Entschlafen hin übergeschlummert« sei. Und sie fügt aufschlußreich hinzu: »Er hatte keines von den Symptomen, an der wir das tödliche Übel hätten erkennen können, keinen Krampf in den Waden, keine Kälte an den Extremitäten und auf der Brust.« Die beiden Ärzte behandeln mit über den ganzen Körpern gelegtem Senfpflaster, das aber keine Wirkung zeigt, sowie mit warmen Kamillenumschlä gen. Diese Bekämpfung der »Cholera in ihrer intensivsten Form«, die dann auch als offizielle Todesursache angege ben wird, muß offenbar die Zustimmung von Hegels Frau gefunden haben, obwohl sie »Magenschmerz« als voraus 578
gehendes Symptom selber anführt. Hegels Magenleiden ist zeitlich früher anzusetzen. Mit dem Brechreiz war Galle nach oben befördert worden. Dazu »eisige Kälte, kalter Schweiß auf der Stirn«, wie es seine Frau am Sterbelager bemerkt. Es kann sich hier sehr wohl um ein älteres Leiden gehandelt haben. Die Schwester Christiane im Württembergischen weiß von früher her bei Hegel »eine fatale Krankheit«, das »kalte Fieber« zu nennen: »ich habe es bei Wilhelm in seinen Studentenjahren kennenge lernt.« So hatte sie ihrer Schwägerin am 6.Februar 1831 geschrieben. Als ihr jetzt der Tod des Bruders mitgeteilt wird, befindet sie sich bereits im Zustand geistiger Um nachtung und braucht Stunden, bis sie die Nachricht verstanden hat. Wenn der Totenschein nun die Epidemie als Ursache erwähnt, was die Witwe, die einiges dagegen angeführt hatte, hinzunehmen bereit war, so war damit einer sehr verständlichen Vorsichtsmaßnahme Rechnung getragen. Immerhin kann man - offenbar durch Schulze über Al tenstein - erreichen, daß der Tote nicht auf dem Leichen wagen für Choleraopfer und dem dafür bestimmten Kirchhof und auch nicht bei Nacht, sondern am Nachmit tag um 3 Uhr an der Seite Fichtes und in der Nähe von Solger bestattet wird. Die Trauerrede im großen Hörsaal der Universität wird Marheineke halten. Übrigens mit einem Vergleich, der sehr hochgegriffen war, aber der Stimmung innerhalb der Hegelschule entsprach, mit der man sich hier ans Ende der Zeiten angelangt glaubte: »Unserm Erlöser ähnlich, dessen Namen er stets verherr licht hat in allem seinem Denken und Tun, in dessen göttlicher Lehre er das tiefste Wesen des menschlichen Geistes wiedererkannte, und der als der Sohn Gottes sich selbst in Leiden und Tod begab, um ewig als Geist zu seiner Gemeinde zurückzukehren, ist auch er nun in seine wahre Heimat zurückgegangen und durch den Tod zur Auferstehung und Herrlichkeit hindurchgedrungen.« War er hier im Höhenflug der Kanzelrhetorik neben Jesus Christus gestellt worden, so wird es Friedrich För ster in seiner Grabrede mit dessen Jünger bewenden
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lassen: »Zwar wird kein Petrus aufstehen, welcher die Anmaßung hätte, sich seinen Statthalter zu nennen, aber sein Reich, das Reich des Gedankens, wird sich fort und fort nicht ohne Anfechtung, aber ohne Widerstand aus breiten.« Zum Erlöser und seinem Stellvertreter auf Er den werden Alexander der Große und Friedrich der Große hinzugefügt. So feiert Preußen durch den Mund zweier Hegelianer seine Koryphäen. Auch im Preußen der Restauration war es nicht aus dem Bewußtsein der Regierenden auszustreichen gewesen, daß es der König war, der »die Philosophie auf den Thron setzte«. Ohne Friedrich den Großen kein Kant. Ohne Preußen kein Leibniz und auch kein Fichte, den es als Verfolgten aufge nommen hatte. Ohne Preußen auch kein Hegel, der erst hier - wie der Redner bestätigt — »seine wahre Heimat« gefunden hat. Schließlich: »Fichte und Hegel! das sind die Säulen des Herkules«, Preußen aber, daß sich in den friderizianischen und den Befreiungskriegen gegen Na poleon als »Sparta« erwiesen hatte, war durch seine Phi losophen zugleich »Athen« geworden. Das hatte alles einen hohen pathetischen Klang, aber mit einer frappierenden Eigentümlichkeit: Es traf tatsäch lich zu. Die Hegelsche Philosophie in ihren Wirkungen, wozu auch das Auseinanderfallen in die verschiedenen sich bekämpfenden Schulen gehört sowie ihre Verfol gung, diejetzt, kaum daß Hegel selbst die Augen geschlos sen hatte, ihren Auftakt erlebt, wird den Beweis noch erbringen. Hegels Tod am 14. November 1831 hatte statt der ver muteten, aber nicht wahrscheinlichen Cholera und neben der Magenkrankheit wohl noch eine andere, damals schon vielbesprochene Ursache: seine Auseinanderset zung mit Eduard Gans. Für das Wintersemester hatte Hegel zwei Vorlesungen angekündigt: eine über die Rechtsphilosophie und eine andere über die Geschichte der Philosophie. Er hatte nun zu Semesteranfang die Entdeckung machen müssen, daß Gans seine geplante Vorlesung über die Philosophie des allgemeinen Rechts bekannt gibt. Das heißt, Lehrer und Schüler lesen gleich
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zeitig über den gleichen Gegenstand nach der gleichen Methode. Es gibt freilich einige recht bedeutsame Unter schiede: Gans ist der Fortschrittlichere, er ist Republika ner, liberal und mit der Gabe ausgestattet, den Stoff leichter verständlich zu machen. Hegel ist der Mann der Restauration, Monarchist der strengeren Observanz, Geg ner des Liberalismus mit einem Vortrag, der bei den Hörern dem Eindringen in den Stoff gewisse Wider stände entgegensetzt. Es hatte sich bei den Studenten herumgesprochen, Hegelsche Philosophie lasse sich bei Gans leichter studieren als bei Hegel selbst. Die Repro duktion ist gegen das Original gestellt zur gängigeren Münze geworden. Daß Hegel die Vorlesungen über die Rechtsphiloso phie, die er an Gans abgetreten hatte, jetzt wiederauf nahm, geschah auf Vorschlag des Ministeriums, das ver hindern wollte, daß durch Gans »alle Studenten zu Repu blikanern« gemacht werden. Hegel hatte sich um die Vorlesungen von Gans nie gekümmert und ihn gewähren lassen, obwohl er dessen Standpunkt kannte und nicht teilte. Auf Hegels Erstaunen über die parallele Behand lung des gleichen Stoffs nach der gleichen, von ihm her rührenden Methode reagiert Gans außerordentlich ela stisch und für Hegel unangreifbar mit seinem Verzicht auf das Thema und der Ankündigung, dafür über Hegels Rechtsgeschichte zu lesen. Was konnte Hegel dagegen haben? Aber damit hatte Gans seinen Lehrer Hegel ins Leere laufen lassen. Denn es stellt sich heraus: Die Studenten, um die Gans geworben hatte, wollen nicht Hegels Vorle sungen hören, sondern warten darauf, bis der modernere Professor das Thema behandelt. Als Hegel die Universität betritt, findet er einen Anschlag, in dem Gans den Studen ten empfiehlt, Hegels Vorlesung zu besuchen. Der Schü ler war damit plötzlich zum Protektor geworden, der sich öffentlich in der Sorge ergeht, daß seinem Lehrer die Hörer fehlen. Hegels Brief vom 12. November, in dem er bei Gans äußerst förmlich und stilistisch umständlich über den Anschlag Beschwerde führt, »worin Sie den bespro
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chenen Umstand einer Konkurrenz an die Studenten bringen und eine Empfehlung meiner Vorlesungen an dieselben zu geben sich erlauben«, ist das letzte, was Hegel zu Papier gebracht hat. Er hatte dann nur noch zwei Vorlesungsstunden über das Naturrecht gehalten, war darauf akut erkrankt und seitdem nicht wieder in der Universität erschienen. Daß äußerste Erregung sein altes Magenleiden plötzlich verschlimmert und ihn aufs Sterbelager geworfen habe, ist eine Vermutung, die viel für sich hat. Auch Arnold Ruge, der in seinen Erinnerungen Aus früher Zeit über die selbst miterlebten Vorfälle berichtet, hat hier Zusammen hänge zwischen Aufwallung und Krankheit gesehen. Wie wir von Varnhagen wissen, konnte Hegel im Zorn furcht bar sein. Er hatte bei dieser Gelegenheit noch eine andere überraschende Erfahrung machen müssen: »Er sollte«, wie Ruge an gleicher Stelle bemerkt, mit der Wiederauf nahme der Vorlesung »seine Autorität für den Hof gel tend machen, und es zeigte sich, daß er keine hatte.« Die Zeit war, an der Berliner Universität und bei ihren Stu denten jedenfalls, längst über ihn hinweggegangen. Und der umtriebige Gans hatte es im Gegensatz zu Hegel selbst schon gewußt.
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Vierundvierzigstes Kapitel
Hegel und Hegelianisches Als Hegel starb, war seine Philosophie auf dem Höhe punkt ihrer Wirksamkeit angelangt. Das hieß auch: Sie hatte alle anderen Philosophien, die wie die Kants und Fichtes von Preußen aus ihre Verbreitung gefunden hat ten, weitgehend verdrängt. Vor den Augen der Zeitgenos sen war Schelling, aus dessen »Naturphilosophie« noch bei ihrer Bekämpfung Hegel geschöpft hatte, in seinem bayerischen Refugium beinahe in Vergessenheit geraten. Während Kant und Fichte niemals »Schulen« gebildet hatten, hinterläßt Hegel bei seinem Tode, wie Virchow es in seiner Berliner Rektoratsrede vom 3. August 1893 aus drückt, »einen förmlichen Generalstab geschulter Jünger, die es übernahmen, in seinem Sinne weiterzuwirken und die Tradition seiner Lehre auf die kommenden Ge schlechter zu übertragen«. Sie können sich jetzt daranma chen und haben bereits damit begonnen, als Theologen, Juristen, Staatswissenschaftler und Ästhetiker die Fakul täten zu erobern. Nur die Naturwissenschaften und die Medizin blieben weitgehend davon aus genommen. Aber was die Schüler bei der Verwaltung des Hegel schen Erbes im folgenden Dezennium nicht haben verhin dern können, war das Ende des philosophischen Zeitalters in Deutschland. Schopenhauer lebt in der Versenkung als Privatier und zeitweise möblierter Zimmerherr ohne jedes erwähnenswert ihn zur Kenntnis nehmende Publikum. Hegel war eine Zierde der Ära Altenstein und der Regie rung Friedrich Wilhelms III. gewesen. Als Schelling nach dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms IV. einen Ruf nach Berlin erhält mit dem ministeriellen Auftrag von Altensteins Nachfolger Eichhorn, die Brutstätte von Frei geisterei, Unglauben und Zweifel jeder Art im Namen der »Offenbarung« unschädlich zu machen, stößt er in den Hörsälen auf Unverständnis. Schellings Vorlesungen mußten den an Hegel geschulten Köpfen wie außeror dentlich fromme Darbietungen eines Obskuranten er
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scheinen. So hat ihn Friedrich Engels als Kollegbesucher während seiner Militärzeit erlebt. Aber Hörer wie Jules Michelet, Michail Bakunin und Jacob Burckhardt dachten nicht viel anders. In den dreißiger Jahren schien die Frucht der Hcgel schen Philosophie in der Nachfolgeschaft der Schüler zu reifen und in den Wissenschaften, die jetzt nach seiner Lehre neu zu organisieren waren, geerntet werden zu können. Aber die Jahre nach dem Tode nicht nur Hegels, sondern auch Goethes, sind die Jahre der »Epigonen«, die der Philosophie das »Elend«, wie Marx es später nennen wird, und der Dichtung die Bewegung des »Jungen Deutschland« bescheren werden. Also Abstieg von der höchsten Höhe der Abstraktion und der Poesie in jedem Fall! Wenn Hegel in seiner Philosophie die Aufhebung aller früheren Gegensätze zu einer höheren Einheit gelei stet und damit im eigenen System den Schlußstein der geschichtlichen Entwicklung der Philosophie gesetzt sah, dann war das nicht falsch gesehen. Im Blick auf ein die »Totalität« umfassendes philosophisches System traf es zu. Das Hegelsche System ist das letzte große der philoso phischen Systeme gewesen, ein »titanisches«, wie Carl Friedrich von Weizsäcker es neuerdings genannt hat, das Werk eines Riesen, gegen den sich die philosophierenden Nachkommen wie Zwerge ausnehmen. Für alles, was der Sphäre des Himmels zugehörte, was sich auf der Erde und was darunter lag, abspielte, für alles, »was die Welt im Innersten zusammenhält«, hatte Hegel eine abschlie ßende Erklärung zur Hand gehabt und jedem Teilstück des Ganzen seinen Platz im großen Gebäude der Spekula tion zugewiesen. Für ein solches Unternehmen wird sich hinfort keine Gelegenheit mehr bieten. Die Zeit dafür war abgelaufen. Der Schlußstein, den das Hegelsche System gesetzt hatte, hat dem Vorrücken der Geschichte nichts anhaben können, aber es führt von der Bahn der Philosophie weg zu anderen Gegenständen, die sich bisher vom Schatten Hegels nicht gelöst hatten. Hegel hatte zu Lebzeiten Ge org Andreas Gabler noch selbst als seinen Nachfolger
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designiert. Er ist dabei offenbar neben der Bekundung persönlicher Sympathie gegenüber diesem Anhänger auch dem Prinzip der Anciennität gefolgt, denn Gabler war noch sein Schüler in Jena gewesen. Er gehört wie Marheineke, Hotho, von Henning, Michelet, Förster, Gans als spätere Herausgeber von Hegels Werken neben Vatke den »Althegelianern« an. Das war ein weites Feld; denn zu dieser Gruppe zählten neben solchen fortschritt lichen Köpfen auch inzwischen konservativ gewordene Männer wie Hinrichs und Göschel. Die Wahl Gablers, der damals Schulrektor in Bayreuth war, stieß wegen der ihm vorgehaltenen geringen Qualifikation bei den Berliner Hegelianern auf pures Erstaunen; seine Berufung wurde gegen starke Widerstände und die Mitbewerberschaft von Steffens und Ritter 1834 von Altenstein durchgesetzt, der in religiösen und politischen Fragen Gablers »Wohlver halten« in Aussicht stellte. Eine Spaltung in Schulen war damit noch nicht verbun den. Die Auseinandersetzungen spielen sich, wie gerade der Kampf um die Nachfolge zeigt, ab unter dem Ge sichtspunkt der Gretchenfrage: »Wie hast du's mit der Religion?« Hegel hatte ja nicht nur seine Philosophie im Sinne der triadischen Einheit von Vater, Sohn und Geist auslegbar, sondern auch das Christentum »philoso phisch« gemacht. Der theologischen Verfügbarkeit des Systems ließen sich nicht leicht Grenzen setzen, so daß der Baron von Kottwitz, aus dem der Herrnhuter sprach, beim König aufs dringlichste vorstellig werden konnte, »keinem Anhänger des Pantheismus und der Selbstver götterung den philosophischen Lehrstuhl an der ersten Universität des Landes anzuvertrauen«. Wenn der Brief schreiber hier an einen Kern der Hegelschen Lehre anzu rühren glaubte, hatte er nicht ganz daneben getroffen. Im gemächlichen Dahintreiben der ersten Jahre nach Hegels Tod haben sich die »Althegelianer« in der Frage der rechten Erbverwaltung das Heft nicht aus der Hand nehmen lassen. Als K. Fr. Göschel, ein Gerichtsbeamter aus Naumburg, 1832 seine Schrift Der Monismus des Gedankens erscheinen ließ, hätte er mit seiner Vorstellung, daß
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die logische Vernunft den Charakter der Einheit hat, nicht nur eine annehmbare Interpretation der Hegelschen Phi losophie für sich in Anspruch nehmen, sondern auch Hegels langjähriger persönlicher Zustimmung sicher sein können. Hegel selbst hatte in Göschels Aphorismen die eigene Lehre wiedererkannt. Seine Philosophie als »Mo nismus« zu verstehen, in dem die Trennung von Sein und Denken aufgehoben ist, war einwandfrei hegelianisch. Daraus die Übereinstimmung des aus voraussetzungslo ser philosophischer Spekulation fließendes Wissens mit dem Inhalt des christlichen Glaubens zu machen, hätte Hegel sich gefallen lassen und sogar begrüßen können. Einheit von Glauben und Wissen war aber auch etwas, um die es der kirchlichen Theologie nach Schleiermacher zu tun sein mußte. Nichts darin hätte bei den kirchlich orthodoxen Glaubenswächtern in Berlin, ohne daß der Boden der Hegeischen Philosophie verlassen worden wäre, anstößig wirken müssen. Aber ebendas ist der Fall, als vier Jahre nach Hegels Tod das Buch Das Leben Jesu von David Friedrich Strauß erscheint. Strauß war Württemberger, wie Hegel Tübin ger Theologe, der noch eben rechtzeitig in Berlin ange kommen war, um einige Vorlesungen Hegels zu hören und sich persönlich dem Landsmann vorzustellen, ehe diesen die Krankheit dem Leben entriß. Die Wirkung, die sein Buch hatte, wobei Bewunderung für die kritische Leistung und Entrüstung nebeneinanderstehen, kennt im 19.Jahrhundert kaum einen Vergleich. Aber auch aus Strauß ebenso wie aus Göschel sprach Hegel. Über die Frage: Wie ist die evangelische Geschichte geworden, wie sind die Dogmen entstanden? hatte sich Hegel nicht näher ausgelassen; ebenso glaubte Strauß in Hegels Ansichten über Person und Geschichte Jesu eine gewisse Unbestimmtheit bemerkt zu haben. Das galt auch im Blick auf die Beurteilung der Wunder als glaubwür dige oder »supranaturale« Geschehnisse. Gewinnbrin gend sei für ihn - so erklärt Strauß in den Streitschriften zur Verteidigung meiner Schrift über das Leben Jesu aus dem Jahre
1837 — Hegels Unterscheidung zwischen »Vorstellung«
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und »Begriff« in der Religion gewesen, die bei verschiede ner Form denselben Inhalt haben können und bei voraus gesetzter Identität von Inhalt und Form, wie Hegel es lehrte, mit dem Inhalt auch die Form, mit der Form auch den Inhalt ändern, so daß Wahrheit in der Form des Denkens und Wahrheit in der Form der Religion nicht mehr identisch sind. Diese ebenfalls aus Hegel gezogene Konsequenz, die Strauß auf die Theologie übertrug, wandte sich gegen die Vertreter der konservativen Rich tung. Wer ihr nicht zustimmte, wie Marheinekc und Gö schel, sei deswegen »in theologischer Hinsicht vom Hegel schen auf den Schellingschen Standpunkt zurückgesun ken«. Im dritten Heft seiner Streitschriften macht Strauß dann nach dem Vorbild der Sitzordnung im französischen Parlament den folgenschweren Unterschied zwischen der Rechten, der Linken und dein Zentrum. Göschel, Gabler und Bruno Bauer plaziert er auf die Seite der Rechten, Rosenkranz ins Zentrum, sich selbst auf die der Linken. Die Trennung in die drei hegelschen Schulen war, von Strauß namentlich vorgenommen, durch Streitpunkte der ursprünglich theologischen Debatte herbeigeführt worden. Fs ging um die Deutung der Hegelschen Philoso phie als Form einer Theologie und ihrer Stellung, d.h. der Nähe zur kirchlich approbierten Lehre im orthodo xen Sinne, bzw. der Entfernung von ihr. Wer sich wohl verhält, Frieden gibt, die Lehrsätze eines paulinisch-luthe rischen Christentums und der Glaubensartikel mit der Dreieinigkeit im Zentrum bei Hegel ins Philosophische transformiert sieht, gehört zur Rechten. Wer davon weg führende Fragen über Wunder, Supranaluralismus, My then, Echtheit der Evangelien stellt, zur Linken. Hegel war darin neutral und darum als Autorität wieder unan gefochten. Im Grunde handelt es sich bei der theologi schen Debatte um eine Plazierung unter Hegelianern, von denen keiner, auch Marheincke nicht, am allerwenigsten Bruno Bauer, von unangefochtener Kirchlichkeit war, dagegen in der Sicht Hengstenbergs, der noch zu Hegels Lebzeiten als »Hauptzelot« dem Luthertum der strengen Observanz an der Berliner Universität wieder zu Ehren
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verhelfen wollte, ausnahmslos jeder das Gift der Philoso phie, nach Luther »ein altes Weib aus Griechenland, das stinkt«, in seiner Blutbahn hatte. Die Ruhe in den ersten Jahren nach Hegels Abtreten war, wie sich jetzt zeigen sollte, nur Ruhe vor dem Sturm gewesen. Das Buch von Strauß hatte die Dinge in Bewe gung gebracht. Mit ihm als Protagonisten der allerersten Reihe waren die »Junghegelianer«, aber auch sie zunächst mit rein theologischen Interessen, auf der Bildfläche er schienen. Strauß hatte für diejenigen, die es noch nicht wußten, aufgedeckt, was auch im Hegelschen System steckte und von Julius Schaller in dem Buch Die Philosophie unserer Zeit 1837 zur Sprache gebracht wurde: daß Hegel nämlich die Personalität Gottes leugne. Gott als Person ist aber eine Schicksalsfrage des dogmatischen Christen tums. Wenn der Vorwurf zutraf, war der Weg von hier zum Atheismus nicht mehr weit, den alle diejenigen gin gen, die die Hegelsche Religionsphilosophie in diesem Licht sahen. Was hier im Anzug ist und unter Berufung auf Hegel eine auf Mythologie aufgebaute Dicsseitsreli gion im Sinne hat, wird von Heinrich Leo, der Hegel persönlich sehr nahe gestanden hatte, in der Schrift Die Hegelingen von 1838 erbittert bekämpft. Das war als Ver teidigung seines Berliner Lehrers gedacht und vermerkt beim Junghegelianismus, wie er sich jetzt zu etablieren beginnt, schon einen über alle Theorie hinausgehenden Willen, auf die Öffentlichkeit zu wirken. Als sich Arnold Ruge und Theodor Echtermeyer 1838 daranmachen, mit dem Hallischen Jahrbüchern für deutsche
Wissenschaft und Kunst ein Organ für die hegelsche Schule zu schaffen, ist es für die Aufnahme aller über Hegel bestehenden Anschauungen gedacht. Mit der Vorstellung von der Einheit der Schule sollte die Hegelsche Philoso phie sich der Zustände in Staat und Kirche, Wissenschaft, Literatur, Kunst, Universität annehmen und sie kritisch erörtern. Das war zunächst von Ruges Seite als Verteidi gung des Staats und der protestantischen Religion geplant gewesen. Doch hier brechen gleich Divergenzen durch, als Leo in einem Sendschreiben an Josef Görres Luther lobt,
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aber den Weg der Reformation als Abfall verurteilt und dafür von Ruge angegriffen wird. Schon die Namen der Mitarbeiter für die drei Jahrgänge der Zeitschrift, darun ter Strauß und Feuerbach, zeigen, daß an eine Überein kunft der Meinungen nicht zu denken war. Die soge nannte »Rechte« kommt hier zu kurz, wird dem Gespött überlassen und bald völlig ausmanövriert. Aus der Kritik, die aber Staat und Religion nach Hegel immer noch als Säulen im historisch Gegebenen verstand, wird offene Bekämpfung, insbesondere des preußischen Staats und der Kirche. Natürlich macht sie auch hier nicht halt: Sie nimmt sich die Philosophie selber vor, die von Fichte als romantische Verunklarung, die von Schelling als »Abfall von der Philosophie« überhaupt. Es ist der Zeitpunkt abzusehen, wo sie sich Hegel selber ausersieht. Das hieß Kritik Hegels durch die hegelsche Philosophie. Der Au genblick war schneller gekommen, als es die beiden Her ausgeber vermuten konnten, wenn sie es bei der Be gründung der Jahrbücher überhaupt für möglich gehalten haben sollten. Weit über Strauß hinaus wird Bruno Bauer gehen. Strauß hatte ihn in seinem Plazierungssystem zunächst der hegelschen »Rechten« in der Nähe der »Mitte« ange siedelt, offenbar, weil Bauer ein von Marheineke herkom mender Theologe war, als solcher auch seine Universitäts laufbahn beginnt, die diesen irrliehternden Geist bald aus den vorgesehenen Geleisen herausführt und in Bonn wegen seines Werkes Kritik der evangelischen Geschichte der
Synoptiker mit der Entfernung aus dem Amt endet. Der »Fall Bauer« von 1841 ist Beispiel für ein in Preußen übrigens mit peinlicher juristischer Akuratesse aufgezo genes Disziplinarverfahren nach eingeholten und vonein ander abweichenden Gutachten. In ihm wurde nach der Mehrheit und gegen das Seperatvotum Marheinekes und einiger freisinniger Theologen entschieden, und der öf fentlich Abgeurteilte erschien als Sympathiefigur der junghegelianischen Opposition, zu der inzwischen auch Marx und Engels gehörten, im vollen Leidenslichte. Das inkriminierte, geistvoll und maßlos zugleich geschriebene
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Buch war indessen nicht ohne großen bleibenden wissen schaftlichen Wert. Nach Strauß, der wegen seiner Evangelienkritik seine Stelle als Repetent im Tübinger Stift verloren hatte und lebenslang der Aussicht auf ein Lehramt enthoben wor den war, kommt mit Bruno Bauer vor aller Öffentlichkeit zum zweitenmal ein Mann der Hegelschule zu Fall. In der Religionsfrage hatte der Rechtshegelianer Bauer inzwi schen einiges vom Standpunkt der Linken übernommen und mit der anonymen Schrift Die Posaune des jüngsten Gerichts wider Hege! den Atheisten und Antichristen von 1841
Hegel selbst postum in das Kesseltreiben gegen die dem Verfasser zur Last gelegten Ansichten hineingezogen. Bauer war dabei auf der schiefen Ebene dieser Postille den Beweis keineswegs schuldig geblieben, daß sich Hegel in der ihm vorgeworfenen Weise sehr wohl interpretieren ließ. Die Umbenennung der Hallischen Jahrbücher in Deutsche
Jahrbücher im Jahre 1841 hatte der Veränderung der politischen Szene Rechnung getragen und bedeutete, daß die Publizistik der Junghegelianer sich noch mehr als bisher schon vom religiös-philosophischen Gebiet auf das politisch-staatskritische vorwagte, bis sich Ruge unter dem Druck der Zensur entschloß, nach Paris auszuweichen. Mitherausgeber der Deutsch-Französischen Jahrbücher, die
1844 zu erscheinen beginnen, ist Karl Marx. Im allgemei nen Klima mit der Hinwendung zum »Vormärz« er scheint Bruno Bauer jetzt als führender Kopf des älteren religionsphilosophischen Hegelianismus, der bestimmte staatsautoritärc Positionen preiszugeben keineswegs be reit ist bzw. Religionskritik als die eigentliche Waffe der Staatskritik betrachtet, was von Marx mit seinen Glossen über »Sankt Bruno« und die »Heilige Familie« quiüiert wird. Als Publizist der feudalen Berliner Kreuzzeitung wird Bauer später Bismarcks Politik und insbesondere seinen »Sozialistischen Imperialismus« von rechts bekämpfen. Feuerbach gehört von seiner Biographie als einer der frühesten Hegelschüler noch der theologischen Richtung der Hegelianer an; er ist im Grunde ein »theologisieren
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der Philosoph« (Karl Barth), der zeit seines Lebens über diesen einen Gegenstand und über nichts anderes sonst nachgedacht und geschrieben hat. Der Art seiner Interes sen nach stehen ihm Strauß und der frühe Bruno Bauer am nächsten. Während Strauß und Bauer auf spektaku läre Weise um ihre kleinen Universitätsämter gebracht wurden (bei der Berufung von Strauß nach Zürich wäre es fast zum Bürgerkrieg gekommen, und der Staatsrat machte sie darum wieder rückgängig), ist Feuerbach über eine Privatdozentur in Erlangen nicht hinausgelangt und für den Rest des Lebens Privatier in bescheidenen Ver hältnissen geblieben. Von allen dreien ist Feuerbach das größte Kaliber, das eigentliche Mittelglied zwischen Hegel und Marx, welcher ebenso wie Engels seine Religionskri tik zunächst auf Feuerbach gründet. Mit seinem Haupt werk Das Wesen des Christentums habe Feuerbach, so gesteht ihm Strauß zu, den Punkt auf das i gesetzt. Hegel, bei dem er in Berlin studiert hatte, ohne je mit ihm ein persönliches Wort gesprochen zu haben, war Feuerbach von Grund auf vertraut. Mochte er Hegels Religionsphilosophie zu kritisieren glauben, wenn er im (Christentum nicht die vollkommene »absolute Religion« anerkennen wollte und statt dessen sein Ende in einem Zeitalter der Vernunft in Aussicht stellt, so hatte Hegel selbst ähnliches in verklausulierter Form ausgesprochen. Das war übrigens keine originelle Idee. Der Historiker Treitschkc weiß zu berichten, daß man sich im Kreis um Altenstein, allerdings privat, ernsthaft darüber unterhal ten habe, ob dieses Ende schon in dreißig oder erst in fünfzig Jahren zu erwarten sei. Mit seiner in den Hallischen Jahrbüchern 1839 veröffentlichten Kritik der Hegeischen Phi
losophie, mit der er sich von der »rationellen Mystik« abwendet, stand Feuerbach noch ganz fest auf dem Boden der Philosophie, von der er sich im Namen der »Natur« und der »Menschenliebe« entfernen möchte. Und er wird diesen Boden auch später nie ganz verlassen. Die Wahr heit ist, daß Feuerbach mit seinem großen Gedanken (»das Geheimnis der Theologie ist die Anthropologie«) einen Gedanken Hegels bis zur letzten Konsequenz zu Ende
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gedacht hat, mit der er sich dann erbarmungslos gegen die herrschende Religion, das historische Christentum, wen det und ihm den Krieg erklärt. Aber schon Hegel hatte, indem er allen Dualismus verurteilt, eine so dualistische Religion wie das Christentum, wenn man es recht be denkt, schwer getroffen. Läßt sich Feuerbachs Lehre ver kürzt auf die Formel bringen: »das Wissen des Menschen von Gott ist das Wissen des Menschen von sich, von seinem eigenen Wesen« oder: » I m Wesen Gottes wird dir nur dein eigenes Wesen Gegenstand, tritt nur vor dein Be wußtsein, was hinter deinem Bewußtsein liegt«, so lassen sich beide Fassungen bis auf den Schlüsselsatz in Hegels Philosophie der Religion zurückverfolgen: »Der Mensch weiß nur von Gott, insofern Gott im Menschen von sich selber weiß; dies Wissen ist Selbstbewußtsein Gottes, aber ebenso ein Wissen desselben vom Menschen, und dies Wissen vom Menschen ist Wissen des Menschen von Gott; der Geist des Menschen, von Gott zu wissen, ist nur der Geist Gottes selbst.« Durch den Vergleich kann man er fahren: Feuerbach kehrt die Formel Hegels um und hal biert sie obendrein, indem er »Gott« als Reproduktion der menschlichen Phantasie faßt und damit aufhebt, ver schafft ihr aber in solcher Vereinseitigung für die Zukunft eine gewaltige Wirkung. Wenn später noch ein weiterer Unterscheidungsgrund zwischen Hegel und Feuerbach eingeschaltet wurde, indem man dem Verfasser der »Ge danken über Tod und Unsterblichkeit« jenen Hegel ge genüberstellte, der sich über den Unsterblichkeitsglauben nicht näher ausgelassen hatte, so traf das überhaupt nicht. Hegel war Kantianer genug, um sich in dieser Sache Zurückhaltung aufzuerlegen, und Feuerbach hatte schon eine Zeit vor Augen, wo die Menschen weniger nach ihrem Schicksal im jenseits forschen, als sich mit all ihrer Menschlichkeit dem Leben widmen werden. »Der Zweck meiner Schriften«, sagt Feuerbach in den Vorlesungen über das Wesen der Religion, ist, »die Menschen aus Theologen zu Anthropologen, aus Theophilen zu Philanthropen, aus Kandidaten des Jenseits zu Studenten des Diesseits ... zu machen«.
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Damit war Feuerbach, ebenso wie Strauß und Bruno Bauer, in jene Wendebewegung hineingelangt, in die der Hegelianismus unvermeidlich hineingelangen mußte; er konnte sich den Zeit- und Tagesfragen nicht mehr entzie hen, er mußte, wenn auch widerstrebend, politisch wer den. Das geht auf verschiedenen Wegen vor sich, erfolgt bei Strauß mit seinem Übergang in die Tätigkeit des württembergischen Deputierten, bei Bauer als Weg in die Dienste der politischen Reaktion, bei Feuerbach in seinem zwangsläufigen Anschluß an den Sozialismus. Allen ge meinsam ist, daß sie als theologische Bankrotteure Luthe raner waren - wie Hegel - und sich ihr Scheitern in kämpferische Energie umgesetzt hatte; bei Feuerbach be sonders intensiv, der sich bei seiner Deutung des Christen tums als »Menschenwerk« immer auf Luther berief. Und ihn kannte er genau. Dieses Steckenbleiben im Theologi schen ist Feuerbach dann von einem noch weiter nach links abgedrängten Zeitgenossen, von Max Stirner in sei ner Schrift Der Einzige und .sein Eigentum von 1844, vorge
halten worden: »Was gewinnen wir denn, wenn wir das Göttliche außer uns zur Abwechslung einmal in uns verle gen?« Was ist damit erreicht, wenn der nachhegelsche Atheismus das Transzendente bis auf den Menschen be seitigt und sich dann untersteht, es als das Göttliche im Menschen wiedererstehen zu lassen? Unübersehbar hatte seit der Begründung der Hallischen Jahrbücher die hegelsche Linke die Führung der philoso phischen Geschäfte an sich gerissen. Von ihr gehen - was sich aber damals noch nicht einsehen ließ — die größten Wirkungen für die Zukunft aus. Aber sie ist damals heillos untereinander zerstritten. Am Primat der Religion bzw. ihrer Bestreitung ist in dieser Phase nicht zu rütteln. Aber es war nicht zu verkennen, daß von der Hcgelschen Reli gionsphilosophie überhaupt Ärgerniserregendes ausge gangen war, unabhängig von ihrer Deutung durch die linken Flügelleute. Schleiermacher hatte davon ein Lied zu singen gewußt, ebenso wie der altlutherische Teil, der vor Wut und Empörung aufheulte, als er zu bemerken glaubte, daß er von Hegel durch dessen in der Form
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bewahrenden Sätze, wo in den Konjekturen der Teufel nistete, an der Nase herumgeführt worden war. Marhei neke und Ferdinand Christian Baur sind nicht gerade freundlich von der theologischen Kollegenschaft bedacht worden. Wie Marheineke für die Dogmatik, so sah der Tübinger Baur für die Kirchengeschichte in der Hegcl schen Philosophie das Instrument, sein Fachgebiet nach der »Methode« zu behandeln. Nach dem Hegelschen Dreitakt ist über die höhere Einheit von Heidentum und Judentum das »Urchristentum« aus dem Gegensatz einer judenchristlich-petrinischen und einer heidenchristlich paulinischen Partei entwickelt worden, der zu einem jo hanneisch vermittelnden Christentum führt. Hier lag die Allmacht der »Methode« in ihrer Allverwendbarkeit, die allerdings in dem Augenblick ihre Überzeugungskraft verlor, als sie theologisch aus der Mode kam und einen Mann wie Baur zu Zurücknahmen zwang. In welchem Stadium der »Gang der Weltgeschichte« um die Mitte der vierziger Jahre in Deutschland angelangt war, erfahren wir durch Marx. »Für Deutschland ist die Kritik der Religion im wesentlichen beendigt, und die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik«; so leitet er seine Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie ein. Es heißt
ausdrücklich: »Für Deutschland«; nicht etwa für Frank reich. Da hatte sie früher eingesetzt, da war sie — wenn auch nicht so gründlich theoretisch durchdacht - zu ei nem früheren Zeitpunkt abgeschlossen worden, mit gro ßen Folgen für die Politik. Alles Gewicht, das ist hier hinzugefügt, liegt in Deutschland auf den Fragen der Religion, nicht auf den Fragen des Rechts, des Staats, der Politik und ihrer praktischen Anwendung. Hier war ge dacht und geglaubt, aber nicht politisch gehandelt wor den. Das hatte Hegel bereits in seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie vorgetragen. Marx hat Hegels Rechtsphilosophie nicht mehr aus dessen Munde kennengelernt, sondern aus dem Kolleg von Gans, der auch die Nachschriften publiziert hatte. Daß zwischen Hegel und Marx ausdrücklich die gescheiterten Theolo gen Strauß, Bruno Bauer und Feuerbach stehen, daß
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diese Spanne jetzt in diese Kritik hineinwirkt und Marx von Hegel entfernt, ist unverkennbar. »Feuerbachs große Tat«, sagt Marx in seinen Ökonomisch-philosophischen Ma
nuskripten von 1844, ist unter anderem » 1. der Beweis, daß die Philosophie nichts andres ist als die in Gedanken gebrachte und denkend ausgeführte Religion, eine an dere Form und Daseinsweise der Entfremdung des menschlichen Wesens; also ebenfalls zu verurteilen ist«, und ist »2. die Gründung des wahren Materialismus«. Das enthielt Hegel und zugleich seine Überwindung. Für He gel bedeutete die Philosophie gegenüber der Religion die höhere Stufe des Geistes auf seinem Weg zum »absoluten Geist«. Ihr Unterschied ist nach Marx formaler Art und gering gegenüber dem gemeinsamen Charakter der »Ent fremdung«, die sie dem Menschen bescheren. Aber ihre Überwindung durch den »wahren Materialismus« Feuer bachs kann nur erfolgen auf der Stufe, auf der sie ange langt sind. Feuerbach steht hier in den Augen von Marx zwischen Theologie und Philosophie auf der einen und der Praxis auf der andern Seite. »Alles gesellschaftliche Leben ist wesentlich praktisch«, heißt es in der 8. Feuer bachthese. Diese Einsicht vermittelt zu haben, wird Feuer bach auf seinem Weg von Hegel weg zugestanden. Aber in der 11 .Feuerbachthese: »Die Philosophen haben die Welt verschieden interpretiert; es kömmt darauf an, sie zu verändern«, ist Feuerbach, sofern er Philosoph ist, immer auch mitgetroffen. Marxens Auseinandersetzung in der Heiligen Familie mit Strauß und Bauer und auch mit Feuerbach gehört eigentlich zu den Flügelkämpfen auf der Seite des linken und rechten Hegelianismus. Hier traf Marx auf die theo retisch entwickelteste Seite der Kritik an der Religion als der »Voraussetzung aller Kritik«. Hatte Marx in Hegels Rechtsphilosophie die verwundbarste Stelle seines Sy stems erkannt, die Einbruchstellen, von denen es sich ausheben läßt, wo es Positionen verficht, mit denen es steht oder fällt, weil sie in alle anderen Disziplinen hinein wirken? Hegels Rechtsphilosophie enthält Partien über die »bürgerliche Gesellschaft«, die an Schärfe den Marx
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sehen Urteilen in nichts nachstehen. Beim Gedanken an den »Feudalismus« verläßt Hegel angesichts der Empö rung über die mit ihm verbundene Gewalt oft die Ruhe des objektiven Betrachters. Die in seinen Jenenser Vorle sungsmanuskripten enthaltene Beschreibung des engli schen Fabrikarbeiterproletariats hat Marx noch nicht ken nen können. Für ihn war die Phänomenalogie maßgeblich und hier das Kapitel »Herrschaft und Knechtschaft«, wo Hegel »die Selbsterzeugung des Menschen« aus der »Ar beit« hervorgehen läßt. Aber Marx stellt neben das »Große« dieser Entdeckung dessen »Einseitigkeit«: »er sieht« — so wirft er Hegel vor - »nur die positive Seite der Arbeit, nicht ihre negative«. Der Arbeitende legt in der Arbeit sein Wesen in den produzierten Gegenstand. Je mehr er sein Wesen im Gegenstand der Arbeit entäußert, desto mehr verliert er sich daran, desto ärmer wird er. In der »Entfremdung« des Arbeiters von sich selbst wie von dem Produkt seiner Arbeit liegt die Wurzel für das Übel der industriekapitalistischen, auf Arbeitsteilung beruhen den Gesellschaft. Die Kritik an Hegels Verständnis der »Arbeit« war von Marx unter den Bedingungen zustande gekommen, die durch die Organisation der Manufakturen in den indu striell am weitesten fortgeschrittenen Ländern Westeuro pas geschaffen worden waren, über deren Anfänge sich Hegel auch verschiedenerorts ausgesprochen hatte, so in den Jenenser Manuskripten oder der Schrift über die Reform Bill, ohne jedoch ins Detail zu gehen, ohne von hier aus kritisch grundsätzlich zu werden und zum Ent wurf einer politischen Ökonomie anzusetzen. An dieser Stelle, aber nicht nur hier, wird Hegel jetzt von der eige nen »Schule« überholt, kann das »System« nicht mehr standhalten; es gerät in die Veralterung. Goethe hatte früh die Gefahren geahnt, in die die Hegelsche Philoso phie dadurch gerate, daß die einzelnen Wissenschaften ihre Ergebnisse überträfen. Er war zwar deswegen von Gans, wie der über sein Gespräch mit Goethe anläßlich eines Empfangs bei der Feier zu dessen achtundsiebzig sten Geburtstag (Rückblicke auf Personen und Zustände,
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1836) berichtet, beruhigt worden, wenn er ihn auf ihre Offenheit für alles Neue verwies und die Fähigkeit, »ihr Typisches in flüssige Entwicklung zu verwandeln«. Jetzt zeigt es sich, daß Goethe richtig gesehen hatte. Das »Sy stem« bricht zusammen. Aber die Hegelsche Philosophie lebt weiter durch ihre »Methode«. Das bedeutet nicht, daß die Hegelsche Philosophie nicht, wie immer man sie sah und sich daran hielt, in Deutschland ohne Unterbrechung ihre starke Stellung behauptet hätte. Sie wird bekämpft, verdächtigt, verächt lich gemacht, zugleich befindet sie sich auf den Universitä ten in der Verwahrung durch zahlreiche Kathedergrö ßen. Hegels Autorität für eine Philosophie des Staates blieb, wo man sie für die bestehenden politischen Bedürf nisse einrichtete, insbesondere in Preußen, unangefoch ten. Aber auch die »Rechte« war in den Sog der verfas sungsmäßigen Bestrebungen hineingeraten. Der späte Rosenkranz und Kuno Fischer sind Parteigänger des staatspolitischen Liberalismus. Sie hielten sich an die zeit lebens von Hegel befolgte Linie, den Staat nicht zu reizen, um ihm keine Gründe für die Anwendung von Machtmit teln zu geben, mit denen er dann seine ganze Stärke zeigen kann. Und dies darum, weil sich die Idee des Fortschreitens am Ende doch gegen alle Widerstände ihren Weg durch die Geschichte bahnen wird. So hatte Hegel als Beamter zwischen dem Staat und seinen zeit weise gegen den Staat frondicrenden eigenen Anhängern wie Förster,. Garove, von Henning und andere seine Dienstgeschäfte geführt. In diesem Sinne hatte er auch Ratschläge gegeben, die seiner vorsichtigen Natur ent sprachen und — das war sicher realistisch gesehen - mit der Erfahrung des Welthistorikers stets die Unberechen barkeit der Gewalt und der Leidenschaft einbezogen, wie sie in der Geschichte selber liegt. Das konservative Ele ment unter den hegelianischen Professoren findet man am stärksten vielleicht bei Johann Eduard Erdmann, des sen Nähe zur politischen Reaktion durch sein vorwiegen des Interesse an der Geschichte allerdings vieles vom Gestus in sich hat. Auch die rechten Hegelianer zogen, als
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die Monarchie konstitutionell wurde, in deren Pflugschar hinterdrein, keiner von ihnen, auch Erdmann nicht, war Anhänger eines starren Staatskonservatismus. Dagegen waren sie gefeit durch den Geist der Ära Altenstein, der Hegel seinen Aufstieg verdankte. Auch sie führten die gefährliche Konterbande von Hegels Ansichten über Reli gion und Naturrecht mit sich, weswegen sie sich gerade dem Zentrum der wirklichen Reaktion in Staat und Kirche leicht verdächtig machten. Es gab natürlich von den Kathedern herab offenen Widerstand weit hinaus über Kreise des Berliner Hofchri stentums zur Zeit der Regierung Friedrich Wilhelms IV., über das Luthertum der reinen Lehre, Pietisten sowie Nachzügler der Aufklärung, die Paulus in Heidelberg so lange angeführt hatte, denen Hegel ein Dorn im Auge gewesen war. Von einer organisierten Gegenpartei läßt sich allerdings auch hier wieder nicht sprechen. Die Zeugen dafür, daß der Niedergang der deutschen idealistischen Philosophie elf, zwölf Jahre nach Hegels Tod vollkommen war- und die Unglücksfigur dafür in Schelling leibhaftig vor ihnen stand, saßen in seinen Ber liner Vorlesungen: neben Friedrich Engels, der seinen Eindruck von Schellings Antrittskolleg im Winterseme ster 1841/42 ausführlich beschrieben hat, Bruno Bauer, Jacob Burckhardt, Sören Kierkegaard, Michail Bakunin, Max Stirner. Deutlicher als durch diese Namen ließ sich das, was in Zukunft anstand, nicht umschreiben. Ankün digungen dafür gab es schon früher. In seiner Schrift Religion und Philosophie in Deutschland von 1834 fand Hein
rich Heine mit Schelling das »große Pfingstfest« der Phi losophie ausgebrochen, und zwar durch jene Naturphi losophie, wo sich »die Farben hören und die Töne sehen« lassen. Für einen Anhänger der hegelschen Linken, der Heine mit Einschränkung war, konnte der Fall eines Man nes, dessen Anfänge er bewundert hatte und den er ein Jahr später in der Romantischen Schule von den »Schlingen der katholischen Propaganda, deren Hauptquartier zu München« ist, erfaßt glaubt, nicht tiefer sein. Die aus drückliche Verteidigung des verstorbenen Staatsphiloso
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phen durch Heine, daß »Herr Schelling mehr von Spinoza entlehnt hat als Hegel von ihm selber«, griff den Schel lingschen Anspruch auf die Urheberschaft der Methode auf, wirkte ihm entgegen, zeigte aber damit doch die gemeinsame Herkunft des »objektiven Idealismus«, für den in den kommenden Dezennien schlechte Zeiten an brechen sollten. So maliziös Heines Urteile klingen und auch waren, sie beschreiben die aufkommende Grund stimmung derer, auf die es in der Öffentlichkeit damals ankam, werden geglaubt und lassen Schelling als das Person gewordene Mißverständnis der von ihm mitge schaffenen Richtung erscheinen. Im Frankreich hat sich Auguste Comte mit seinem Positivismus als eine Hegel direkt zuwiderlaufende Rich tung etabliert und die Anhänger der »deutschen Philoso phie« um Cousin zu einem Schattendasein verurteilt. Die herrschende Universitätsphilosophie in Deutschland aber wird jetzt die von Herbart, in deren Namen nun Denken und Sein, Logik und Metaphysik wieder getrennt werden. Der Pädagoge Karl Mager, mit seinem Brief an eine Dame über die Hegelsche Philosophie aus dem Jahre 1834 auch ihr
Anhänger, gehört zu denen, die ins Lager Herbarts über gehen. Es greifen jetzt »Psychologie« und der »Psycholo gismus« eines Eduard Beneke um sich. Beneke hatte sich in Berlin als Opfer Hegels gefühlt, der ihm dort den Eintritt in die Universitätslaufbahn so schwierig gemacht hatte, daß er sich anderweitig umsah, dann, obwohl er nie recht reüssierte, eine Zeitlang von sich reden machte, bis er sich aus Lebensüberdruß im Berliner Landwehrkanal ertränkte. Widerstand kam auch auf durch Trendelen burg, der an Kant und Herbart, insbesondere aber an Aristoteles anknüpfte und in seinen Logischen Untersu chungen von 1840 das System der Hegeischen Logik aus den Angeln zu heben versuchte. Wortgewaltigster unter den Kontrahenten ist der alte unerkannte Gegenspieler aus Berliner Zeit: Arthur Schopenhauer. Wie immer ver steht dieser es, Hegel an seinen schwachen Stellen zu packen, der Sprache und der Schwerverständlichkeit der Begriffsbildung. »Will dich Verzagtheit anwandeln«, so
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bietet er in der /weiten Auflage seiner Schrift Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde aus dem
Jahre 1847 dem Leser "Frost an, »so denke nur immer daran, daß wir in Deutschland sind, wo man gekonnt hat, was nirgend anderswo möglich gewesen wäre, nämlich einen geistlosen, unwissenden, Unsinn schmierenden, die Köpfe durch beispiellos hohlen Wortkram von Grund aus und auf immer desorganisierenden Philosophaster, ich meine unsern teuern Hegel, als einen großen Geist und tiefen Denker ausschreien.« Diese bösen Worte gegen Hegel können jedoch die Wahrheit nicht verdunkeln, daß es sich bei Hegel und Schopenhauer um zwei philosophierende Naturen von eigentümlicher Verwandtschaft handelt. Beide sind Meta physiker, beide hängen der Lehre von der Einen Substanz an, beide vertreten in der Ästhetik ein sehr verwandtes Weltregister. Durch beider Philosophien weht ein pan theistischer Luftstrom. Es gibt Unterscheidungen, die weit in die Tiefe hinabreichen, aber doch wiederum nicht so breit sind, daß sich nicht Brücken darüber schlagen lassen. Schopenhauers Pessimismus im Blick auf das Ziel der Geschichte läßt bei aller Düsternis, bei allem Leiden innerhalb der »Metaphysik der Geschlechter« und ange sichts von Krieg, Mord und Gewalttat jeglicher Art nie den Gedanken aufkommen, daß das Leben nicht doch weiter gehe. Hegel rechnet dagegen mit der Hoffnungslosigkeit all derer, die auf der Schlachtbank der Geschichte geop fert werden, die das große Unglück hatten, zur falschen Zeit dagewesen zu sein: das Thema der Tragödie des »Hegelianers« Friedrich Hebbel in Gyges und sein Ring. Alle Anfechtungen, denen Hegels Philosophie über vier Jahrzehnte nach seinem Tod ausgesetzt war, bis sie im neuen Kaiserreich unter Preußens Führung wieder zu offiziellen Ehren kam, hat sie in der Ästhetik von Friedrich Theodor Vischer überstanden. Vischer stammt wie David Friedrich Strauß aus der württembergischen Residenz stadt Ludwigsburg, beide sind fast gleichen Alters, beide ursprünglich Theologen, beide Repetenten am Tübinger Stift gewesen, beide geraten mit dem Staat bzw. der Kir
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chenbehörde in Konflikt, beide werden als Professor nach Zürich berufen, aber nur die Berufung Vischers ans Poly technikum 1855 kommt tatsächlich zustande. Vischers Ästhetik ist mehr als eine popularisierte Form der Hegel schen, auch wenn sie oft als solche ausgegeben wurde und im zaristischen Rußland, wo Hegel zeitweise verboten war, an ihre Stelle als offizielles Lehrbuch an den Universitäten trat. Es ist — und dies bis auf den heutigen Tag - ein umfassendes Kompendium der vergleichenden Kunst wissenschaft, das über die Konventionen des »Schönen« von der Antike bis ins 19. Jahrhundert berichtet. Hegelianisch blieb auch die Landschaft des Rechts be stimmt. Hegels Rechtsphilosophie und die historische Rechtsschule Savignys sind die beiden großen vom nach napoleonischcn Berlin ausgehenden, in gewisser Weise einander gegenüberstehenden Typologien des Rechts denkens mit schnell über Preußen, später den Deutschen Bund und das Reich hinausführenden Nachwirkungen. Das lag im verschiedenen Naturell, in der Herkunft, dem Lebensweg, den politischen Anschauungen begründet. Hegel ist erbitterter Gegner des Feudalismus im Namen der Monarchie, konkret der preußischen als der am höch sten entwickelten; er ist Systemdenker. Savigny dagegen ist ein mit den mittelalterlichen Institutionen befaßter, mit dem Feudalismus sehr wohl ausgesöhnter Jurist, für den das positive Recht Gewohnheitsrecht ist, der zwar den »Volksgeist« Herders in der Rechtsschöpfung am Werk zeigt, aber doch zu sehr auf das Vorbild der Antike, hier auf Rom als den Lehrmeister der politischen Geschichte blickt, um nicht in der klassischen Jurisprudenz, im römi schen Pandektenrecht, den eigentlichen Boden für die geltende Rechtskultur /u sehen. Das »historische Prinzip« hat bei Savigny eine Geltung, die bei Hegel allein des Systems wegen durch den »Begriff« als eine auf ein Ziel der Geschichte gerichtete »Bewegung des Wissens« außer Kraft gesetzt ist. Gegen den Württemberger Neu-Preußen Hegel stand der Frankfurter Savigny aus lothringischer Familie für die Form des gerade untergegangenen »Reichs«. Es treffen in
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diesen beiden Gegnern an der Berliner Universität die im Aufsteigen befindliche Staatsphilosophie und die bereits in die Defensive gedrängte Reichslehre aufeinander - ein Gegensatz, der seinen Ausdruck in den heftigen Schlägen findet, die Hegel gegen die Kontemplation des histori schen Rechts führt. Im §258 der Rechtsphilosophie hätte Savigny nachlesen können, ohne seinen Namen genannt zu finden, was Hegel über ihn und seine Schule dachte: »Welches nun aber der historische Ursprung des Staates überhaupt, oder vielmehr jedes besonderen Staates, sei ner Rechte und Bestimmungen sei oder gewesen sei, ob er zuerst aus patriarchalischen Verhältnissen, aus Furcht oder Zutrauen, aus der Korporation u.s.f. hervorgegan gen, und wie sich das, worauf sich solche Rechte gründen, im Bewußtsein als göttliches, positives Recht, oder Ver trag, Gewohnheit und sofort gefaßt und gefestigt habe, geht die Idee des Staates selbst nicht an, sondern ist in Rücksicht auf das wissenschaftliche Erkennen, von dem allein die Rede ist, als die Erscheinung eine historische Sache.« Das bedeutet klare Abgrenzung der Kompeten zen der Geschichtlichkeit von der Sache selbst. Deren Ursprünge können hier oder dort liegen, im »Sachsen spiegel«, in der »Bambergischen Halsgerichtsordnung« oder in der »Carolina«. Sie liegen in jedem Fall außerhalb des Feldes der philosophischen Betrachtungsweise, die es »mit
dem Inwendigen von Allem diesem, dem gedachten Begriffe zu tun« hat. Das war die Abkanzelung des durch Savigny bekräftig ten altreichischen Standes- und Tnstitutionenrechtsjustus Mosers im Namen des »Allgemeinen preußischen Land rechts«, die zwar sein Weitertreiben nicht verhindern kann, es aber fortan aus dem Zentrum des neuen Staats denkens ausscheiden läßt und als Privatrecht oder als Rechtsgeschichte an seine Ränder verweist. Damit war der Anspruch angemeldet, geltende Rechtsphilosophie für den wirklichen, weil vernünftigen Staat zu sein, wobei nichts Dogmatisches darüber ausgesagt ist, wie dieser Staat seiner Beschaffenheit nach konkret auszusehen hat. Dem Hegelschen »Staat« mit seinen künftigen Realisie
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rungen hängt zweifellos die Vorstellung von der unbe grenzten Staatsautorität an. Der »Staat« als solcher braucht keine weitere Rechtfertigung oder läßt sich an der genügen: »Es ist der Gang Gottes in der Welt, daß der Staat ist« (Philosophie des Rechts). Es gebietet die Vernunft, daß er ist. Daß der Staat als »Vernunftstaat« an keine besondere Staatsform gebunden ist, daß er im Absolutis mus Friedrichs des Großen mit einem der Vernunft ver trauenden König gerade für Hegel in Preußen ein g ü l t i ges Modell bot, liegt auf der Hand. Der »Vernunftstaat« kann sich in der absoluten oder konstitutionellen Monar chie wiederfinden, er kann wie in Athen oder Rom Repu blik sein, aber er kann der Legitimität nicht entraten; ohne daß sich genau angeben ließe, wodurch er sich diese Legitimität im einzelnen Fall schafft. Legitimität inner halb des Staats kann auch auf vorausgegangener (lewalt beruhen — das weiß Hegel so gut wie Hobbes -, es ist sogar davon auszugehen, daß Gewalt an der Begründung des Staats und der darin entwickelten Legitimität mitgewirkt hat. So beruhte die neue Legitimität gegenüber der alten im Frankreich der Republik und des Kaisertums als dem ersten modernen Nationalstaat in Europa auf Gewalt, die Hegel in der Gestalt Napoleons bejaht und bewundert hatte. Aber der Staat kann nicht bei der Gewalt als dem ihm allein zukommenden originären Mittel stehenblei ben, sondern muß »auf die Ausbildung des vernünftigen, d. i. des politischen Zustands in sich« dringen (Philosophie der Geschichte). Er muß »Wirklichkeit der sittlichen Idee« sein (Philosophie des Rechts), und er stellt sie dar, insofern er Vernunftstaat ist. Zugleich ist der Staat »Hieroglyphe der Vernunft« (Philosophie des Rechts), eine Erscheinungsform des Numinosen. Er hat eine unverständliche Seite. Darum läßt sich das, was der Staat seinem Wesen nach ist, letztlich nicht ganz ergründen. Lehre von Staat ist immer auch Staatsmystik. Mit der Hegelschen Lehre vom Staat als dem politisch Absoluten haben die Theoretiker der Staatsallmacht des 19. und 20. Jahrhunderts leben können. Sie hat sich mit ihren Stützen Vernunft, Legitimität, Naturrecht als die
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theoretisch entwickelteste Staatsapotheose erwiesen und ist als solche verstanden, angewandt, gefürchtet und auch mißbraucht worden. In der Sache der Erklärung, was der Staat ist, bol sie das Instrumentarium, den Bestrebungen der Revolution, aber auch des politischen Liberalismus, des Konstitutionalismus, des Parlamentarismus, der Wahlrechtsbewegung, überhaupt allem, was den Staat als absoluten Staat in seiner Allmacht einzuschränken geeig net wäre, entgegenzuwirken. So wäre der in der Zeit zwischen Hohcnzollernmonarchic und Drittem Reich in Rudolf Smends Konzept des Staatsrechts nicht ausge räumte Zweifel, ob der liberale Staat mit seinem parla mentarischen Prinzip als Staalsform zu gelten hat, vom Rechtshegelianismus her begründbar. Gemeint ist der Staat immer in seiner jeweils bestehenden und darum nach Hegel in seiner »vernünftigen« Form, nicht in der Form, in der er auch sein könnte. Für die Diktatur ließ sich die Hegelsche Staatslehre ausdrücklich nicht in Anspruch nehmen, wohl aber kann sie nicht verhindern, von der Diktatur in Anspruch ge nommen zu werden, wenn die Diktatur sich die Allmacht des Staats mit ihren Attributen Recht, Militär, Polizei, Bürokratie aneignet. Das kann auf verschiedene Weise (Napoleon, Stalin, Hitler) geschehen. Ein bedeutsames Beispiel in unserem Jahrhundert ist das Staatsrechtskon zept von Carl Schmitt in Legalität und Legitimität und seine Kritik an der Demokratie als »Polykratie« und »pluralisti sche Anarchie«, die der Notwendigkeit eines in seiner Autorität unbeschädigten Staats im Wege steht. Schmitt hat das Autoritäts-Verständnis des Staats mit den Mitteln des äußersten Rechtshegelianismus geltend gemacht, aber da, wo er den bürgerlich-rechtsstaatlichen Teil der Ver fassung für überholt erklärt und preiszugeben bereit ist, die Grenzen des Hegelschen »Staats« überschritten. Die Regulative des Hegelschcn »Staats«, die ihn von Hobbes' Leviathan als dem »Ungeheuer Staat« unterscheiden, lie gen in der Vernünftigkeit seiner Zwecke, der Moral, der Freiheit als in der Geschichte wirkende Idee. Hegels »Staat« ist auch nicht der »Geschlossene Handelsstaat«
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Fichtes mit seinen staatssozialistischen Zügen, die vom Etatismus oder vom absolutistischen Merkantilsystem Col berts und seiner Autarkie durch Handelsschranken von der Monarchie auf den abstrakten »Staat« übertragen werden. Die Bewegung vom »Staat« weg ist nach Hegel im Einklang mit der formalen Logik Bewegung zum »NichtStaat« hin, wie sie in das Programm der Linkshegelianer aufgenommen wurde. Für den Marx der Kritik am He gelschen Staatsrecht und der frühen philosophisch-öko nomischen Manuskripte ging es nicht mehr um die Recht fertigung des »Staats«, sondern um sein Absterben als vorläufiges Ziel der weiteren historisch-politischen Ent wicklung. Die Unvorhersehbarkeit des Verlaufs dieser Entwicklung zeigte sich darin, daß der kommunistische Weg in Osteuropa und Asien nicht zur Abschaffung des Staats im Sinne von Marx führte, sondern im Gegenteil zum »Staat« Hegels, seine Form annahm, auch wenn der kommunistische Staat nicht der »Hegelsche Staat« war und ist. Das ist er so wenig, wie es die Demokratien im Westen sind, zumal dann, wenn sie im Begriffe stehen, Rechte ihrer Souveränität als dem Zeichen des Staat-Seins abzutreten, sich in die Richtung des »Nicht-Staats« oder einer staatsähnlichen Form bzw. Gemeinschaft begeben. Hegels »Staat« ist »Rechtsstaat«, aber ohne Volkssouver änität, ohne gewähltes Parlament, ohne »Freie Presse«, er ist nicht kosmopolitisch, sondern Staat, der die durch die Französische Revolution und Napoleon eingeleitete Etappe des Nationalstaats, wenn auch revolutionslos, er fahren und dabei seinen royalistisch-monarchischen Cha rakter bewahrt hat; der den Krieg als letztes Entschei dungsmittel kennt. Die Allegorie vom preußischen Staat als im Garten Gottes ausgespannte Riesenharfe, die den Weltchoral leitet, wie sie der Hegelschüler und Königs burger Rechtsphilosoph Sieze entwarf, enthielt bereits eine aus dem Rechtshegelianismus abgeleitete Glorifizie rung, die jedoch insofern zulässig ist, als sie die weite Entfernung Hegels von jeder Form der liberalen Demo kratie bestätigt.
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Der Neuhegelianismus im Bismarckschen Deutschen Reich nach der Versailler Proklamation von 1871 ist zwar ebenfalls siegreich, aber doch schon sehr geschwächt, zum Epigonentum heruntergekommen. Die stärksten Gegen kräfte werden jetzt von den Anhängern Schopenhauers mobilisiert, aber Nietzsche, zunächst dessen Gefolgs mann, dann sein »Überwinder«, in jedem Fall das einzige große philosophische Ereignis aus der zweiten Hälfte des Jahrhunderts in Deutschland, schreibt damals noch in seinen Verstecken an der Mittclmeerküste, im Schweizer Hochgebirge und in Turin. Nietzsche hat nicht nur mit Hegel gebrochen, die Philosophie im Sinne Hegels ist für ihn die zu bekämpfende, aus ihr redet der Geist der »Lüge« jener aus dem Tübinger Stift stammenden philo sophischen Idealisten, die in Luther ihren Stammvater sehen. Das gehört zur Form von Nietzsches Abrechnung mit dem Christentum protestantischer Herkunft. Vor sicht vor dem Betrug, mit dem sie die »Moral« anpreisen! Und dann auch wieder Nietzsches Klage über jenes Deutschland, das zum eigentlichen »Flachland« Europas geworden ist und wo man nach einem Kant und Hegel vergeblich sucht! Bloch wird später die »Heilslinie« He gel-Feuerbach-Marx gegen die »Unheilslinic« Schopen hauer—Wagner—Nietzsche kontrastieren lassen. Aber das zeigt die Dinge in unendlicher Vereinfachung. Denn der Wagner um 1830 kam von Hegel her, später steht er der vorrevolutionären Richtung Bakunins nahe. »Das Kunst werk der Zukunft« war vom Komponisten des Tannhäuser ausdrücklich Ludwig Feuerbach »in dankbarer Vereh rung gewidmet« worden. Freilich nur in der ersten Auf lage. Aber über »Christentum« hat Wagner auch später nicht viel anders gedacht als Feuerbach, die »katholische Religion« war für ihn so anstößig wie für Hegel selbst. Im »Eigentum« sah Wagner noch in den allerletzten Lebens tagen das kardinale Verhängnis über die Menschheit hin eingebrochen mit zerstörerischen Wirkungen — kaum an ders als der Linkshegelianer Marx, der 1842 über das Judentum härter geurteilt hatte als Wagner in seiner Zürcher Schrift von 1850.
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Neben der staatsoffiziellen Anerkennung im »Reich« und besonders in Preußen, wo im »Kulturkampf« Bis marcks die Hegelsche Philosophie zu Diensten stand, gab es stets die Versuchung, über Hegel hinweg zur Tagesord nung überzugehen. Hegel gilt jetzt in vielen Kreisen weit hin für tot. Benedetto Croce spricht 1909 von Urteilen aus Deutschland über Hegel, »die uns in unserem abliegen den Winkel Italiens erstaunen machen, die wir es nie fertiggebracht haben, ihn ganz zu vergessen« (Lebendiges und Totes in Hegels Philosophie). Italien ist für den Hegelia
nismus der verschiedensten Färbungen bis auf den heuti gen Tag ein klassischer Verbreitungsboden geblieben. In Frankreich gab es seit Cousins Tagen eine bemerkens werte Affinität zur »philosophie hegelienne«. Rationaler Geist spürt im Dunkelsinn einer schwer an ihren Gewich ten tragenden Sprache das Gerüst des Aufklärers heraus. Im Jahre 1914 hat Lenin seine Konspekte zu einigen Werken Hegels angelegt. Sie waren zur Orientierung und Fundicrung der eigenen theoretischen Maximen mit der Erwägung ihrer praktischen Anwendbarkeit gedacht. Le nin prüft die philosophische Landschaft, befragt sie nach dem, was sie als Gelände für seine eigene Strategie anzu bieten hat. Dabei stellt sich sogleich heraus: Kant kommt überhaupt nicht in Betracht: »Das >Ding an sich< bei Kant ist leere Abstraktion, Hegel aber verlangt Abstraktionen, welche >der Sachc< entsprechen.« Lenin findet in Hegels Kant-Kritik seine eigene bestätigt, was soviel heißt: Kant bekämpft durch »Ding an sich« als der großen Unbekann ten die Vernunft, die er postuliert. Der philosophische Standpunkt ist bei Hegel höher gerückt. Er geht in der Religionsfrage dem Feuerbachs voraus, seine Dialektik gibt trotz des »Idealismus« und sogar trotz der »Irrtümer« des »subjektiven Idealismus«, der in Hegels Augen ein »schlechter« Idealismus ist, die Mittel in die Hand, um zum Materialismus zu kommen, den Hegel zurückweist. Lenin anerkennt die Konsequenz, mit der Hegel den Materialismus als philosophisch unmöglich ansieht, denn für ihn sei Philosophie »Wissenschaft vom Denken, vom Allgemeinen, das Allgemeine aber sei der Gedanke«. Hier
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hatte Lenin ebenso wie Marx von Hegel gelernt, wenn er in Hegels Idealismus die notwendig vorauszusetzende, sprich: zu überwindende Philosophie anerkennt und die sen Akt zu leisten der Dialektik mit der Unbegrenztheit in ihren Mitteln anheimgibt. Ohne Hegel kein Feuerbach, ohne Hegel kein Marx. Das und nichts anderes sagt Lenin in seinem Konspekt zu Hegels Wissenschaft der Logik: »Man kann das >Kapital< von Marx und besonders das 1. Kapitel nicht vollständig begreifen, ohne die ganze Logik von Hegel durchstudiert und begriffen zu haben.« Wie Lenin die Wahrscheinlichkeit eines solchen Studiums der zwei Bände von Hegels Logik einschätzte und welch vernich tende Konsequenz er daraus zog, zeigt der Nachsatz: »Folglich hat nach einem halben Jahrhundert nicht ein Marxist Marx begriffen.« Hier wird an die Grundlage der von Hegel ausgehen den Idealismus-Materialismus-Debattc gerührt, die Marx in der Kritik an der Dialektik Hegels beginnt, Lenin hier weiterführt und die von der Logik als der nach Hegel für alle anderen Wissenschaften verbindlichen Fundamental wissenschaft ausgeht. »Sein = Nicht-Sein« hieß in der Anwendung der Formel, daß die Existenz Gottes mit seiner Nichtexistenz zusammenfällt, daß Bewegungen der Geschichte auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung nach der Logik der Geschichte in ihr Gegenteil umschlagen, dem Gesetz, der »Entzweiung« unterliegen, als Kraft und Gegenkraft sich gegenüberstehen, aber auch das be rühmte »Paar« bilden, wo kein Teil mit dem andern leben und zugleich ohne ihn leben kann. Der Marxismus hat lange gebraucht, nicht zuletzt durch die Bekämpfung des Idealismus und die zwiespältigen Urteile von Marx, die Rolle Hegels für den Kommunis mus uneingeschränkt anzuerkennen. Unter Marxisten verbreitet waren die Vorwürfe der Metaphysik, der Sub jektivität, des Idealismus, des Neutralismus, des restaura tiven, des reaktionären, des anarchistischen Denkens. In seiner Schrift Anarchie und Sozialismus aus dem Jahre 1906 hat Stalin entsprechende Vorwürfe zurückgewiesen und die »dialektische Methode Hegels, die jede unveränder
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liehe Idee ablehnt«, für »von Anfang bis Ende wissen schaftlich und revolutionär« erklärt. Interessant ist, daß Stalin bei Hegel die gleichen Merkmale des Untergra bens durch die »Methode«, die Savigny und Schleierma cher konstatierten, anführt, sie als »Destruktionalismus« bezeichnet und der Unerläßlichkeit des dialektischen Fortschreitens zurechnet. Größer konnte der Unter schied zur »Philosophie der Restauration«, wie der libe rale Hegel-Biograph Rudolf Haym sie nannte, nicht sein. In Hegel die Voraussetzung für Marx zu sehen, hat an den Utopieentwürfen Ernst Blochs mitgewirkt, führte aber auch zu den Schwenkungsbewegungen, die sich, als die Anlässe zur Weiterfuhrung der Revolution zu fehlen begannen und die aus dem bereits erreichten Stadium der Entwicklung seit der Oktoberrevolution hervorgegangenen Resultate hinter den Erwartungen zurückgeblieben, auf Schelling und ein humanistisch ausgerichtetes allgemeines Hoffnungsdenken hin be wegten, dessen Anfänge indessen weiter zurücklagen. Blochs »Ubi Lenin ibi Jerusalem«, an dem er lange fest gehalten hatte, ließ sich am Ende mit dem Namen He gels, in dem es gelten sollte, nicht mehr rechtfertigen. Georg Lukács hatte wie Bloch, mit dem ihn wegen der ganz anderen Struktur seines Denkens sonst wenig ver bindet, die Marxsche Dialektik aus der Hegelschcn ent wickelt immer im Blick auf die Unterschiede, die auch darin bestanden, daß die Marxsche mit einer aktionisti schen, auf das Ende des Kapitalismus durch die »Dik tatur des Proletariats« als Übergangsphase hinarbeiten den Energie ausgestattet war, die der Hegelschen fehlte. Das gehört mit zu den Hauptthemen von Lukács' Arbei ten, zeigt aber schon früh an, daß die Marxsche Dialek tik gegenüber der Hegelschen als einer totalen eine Ver kürzung bedeutete. Als die Ankündigungen dafür nicht mehr zu übersehen waren, in welch unerreichbare Ferne das ursprüngliche Ziel gerückt war, hat der späte Lukács die Konsequenzen durch den Übergang in einen Postmarxismus gezogen, und das war nichts anderes als
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die Rückkehr zur Vorstellung der Hegeischen Unab schließbarkeit historischer Prozesse bzw. ihres weiteren Verlaufs in Richtung des Unerwarteten. Demgegenüber war die von Hegel ausgehende Abhän gigkeit, auf die Nietzsche verwiesen hat, aufs Ganze gese hen, unbemerkter geblieben. Der Verfasser der Fröhlichen Wissenschaft vermeldet »den erstaunlichen Griff Hegels, der damit durch alle logischen Gewohnheiten und Ver wöhnungen durchgriff, als er zu lehren wagte, daß die Artbegriffe sich auseinander entwickeln: mit welchem Satze die Geister in Europa zur letzten großen wissen schaftlichen Bewegung präformiert wurden, zum Darwi nismus - denn ohne Hegel kein Darwin«. Die Begrün dung wiegt nicht weniger schwer als die Behauptung. Durch Hegel sieht nämlich Nietzsche »den entscheiden den Begriff >Entwicklung< in die Wissenschaft gebracht« und darin »etwas Deutsches«, nämlich den Zweifel »an der Letztgültigkeit naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und überhaupt an Allem, was sich kausaliter erkennen läßt«. Denn »Entwicklung« bedeutet auch immer Zweifel am Sein zugunsten des Werdens. »Wir Deutsche« - so weiß dieser ausgemachte Hegelkritiker — »sind Hegelianer, auch wenn es nie einen Hegel gegeben hätte, insofern wir ( i m Gegensatz zu allen Lateinern) dem Werden, der Ent wicklung instinktiv einen tieferen und reicheren Wert zumessen als Dem, was >ist<.« Eigentümlich ist die Verbindung, die Nietzsche mit diesem Gedanken zustande bringt, wenn er meint: Hegel hat den »Niedergang des Glaubens an den christlichen Gott«, d.h. den »Sieg des wissenschaftlichen Atheismus« als »ein gesamteuropäisches Ereignis, an dem alle Rassen ihren Anteil von Verdienst und Ehre haben sollten«, noch einmal aufgehalten. Er ist die theoretisch stärkste Kraft, die sich ihm entgegenstellt, er ist »sein Verzögerer par exccl lence«; er wird ihn am Ende nicht verhindern können. Dem »grandiosen Versuche« galt gerade wegen seiner Aussichtslosigkeit Nietzsches Bewunderung, die, wo er sie bekundet, noch auf eine viel tiefer liegende Ursache weist, von der wir bei dieser Gelegenheit erfahren: »Schopen
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hauer war als Philosoph der erste eigenständliche und unbeugsame Atheist, den wir Deutschen gehabt haben: seine Feindschaft gegen Hegel hatte hier ihren Hinter grund.« Das enthielt Unterschiedliches, auf knappem Raum zusammengefaßt: die Existenz einer deutschen idealisti schen Philosophie und das ihr von Nietzsche zugeschrie bene Mißtrauen in das Kausalitätsprinzip, die Priorität des »Geistes« gegenüber der »Natur« als Prämisse mit den theologischen Folgen, dem Abbau der Gottesgewißheit entgegenzuwirken und zugleich mit dem Auseinander streben der Begriffe durch die »Methode« den Weg frei zulegen für eine neue wissenschaftliche Bewegung. Was Nietzsche vorträgt, war schon mit andern Worten gesagt worden; er sagt es in der ihm eigenen unvergleichlichen Sprache, wie skandalös die janusköpfige Erscheinung He gels sich jetzt bereits in europäischer Hinsicht darstellt. In Wahrheit ist hier der Verdacht ausgesprochen, auf den sieh Schopenhauer, Feuerbach und Marx ohne große Schwierigkeiten hätten einigen können: daß man es bei Hegel immer auch mit der Form einer versteckten Theo logie zu tun hatte. Nietzsche meint einen Hegel, bei dem ein in immerwährender Bewegung befindlicher »Welt geist« sich mit dem Geist des Rückschritts vereinigt hat womit Nietzsche nicht allein steht. Hegel ist den alten christlichen Gott nicht losgeworden, er versucht ihn in abstrakten Begriffen, in Bemäntelungen verschiedenster Art als Absolutes, Substanz, Wesen, Prinzip, Geist hin überzuretten, gewissermaßen als sein letzter ernst zu neh mender Gewährsmann, bevor die Gottesidee aus dem europäischen Bewußtsein ausgelöscht sein wird. Das hört sich anders an als Schellings Wort über Hegel als »Geist, der stets verneint«, oder die »Herabsetzung der Religion«, wie sie Schleiermacher nicht öffentlich, son dern in einem Brief an G. Ch. F. Lücke vom 5. Januar 1821 Hegel vorwirft. Die Klage Savignys, daß im Klima des Hegelschen Denkens »seine eifrigsten Schüler sich auch von allem religiösen Zusammenhang lossagen« (an G. F. Crcuzer vom 6. April 1822), deutet darauf hin, daß
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der von Kant ausgehende Zermalmungsprozeß durch den »Unglauben« über Fichte hinaus von Hegel vorangetrie ben worden ist, auf jeden Fall, daß seine konservativen Gegner es so sehen. Ähnlich, nur von anderer Seite, nämlich direkt aus der Hegelschule heraus, von Bruno Bauer, war Hegels Philosophie als eine großangelegte Täuschung über die eigenen religiösen Ansichten ver standen worden. Heidegger hat in seinen Freiburger Vorlesungen 1930/ 31 über die Phänomenologie des Geistes als Hegels erstem großen Hauptwerk sich seine Gewißheit des Seins bestäti gen lassen. Es enthüllt für ihn als »das innerste Problem der abendländischen Philosophie«, als ihr »Leitproblem«, die »Frage nach dem Sein«. Sein rückt damit vor das Werden als dem, was nach Nietzsches Kennzeichnung auf den Grund des Hegelschen Denkens führt. In der Frage nach dem »Seienden« wird der Zusammenhang mit dem »Logos«, dem »Nous«, der »Ratio«, dem »Denken«, der »Vernunft«, dem »Wissen« Heideggerschen Verständnis ses hergestellt, und zwar in der Gleichsetzung des »Seien den« als des »Wirklichen«, das alles im »Logos« und »Nous« enthaltene »Wissen« vereint. Die hier von Hegel abgeleitete Ontologie Heideggers schließt immer eine un veränderliche Zuständlichkeit ein, es sei denn, man rech net dem Sein auch das Werden zu, einigt sich auf Heraklit als den gemeinsamen Stammvater, bei dem für Hegel wie für Nietzsche wie für Heidegger die Bewegungslosigkeit des Seins und die Bewegung als immerwährendes Fließen zusammengeführt sind. Für Heidegger ist Hegel der Zeuge dafür, daß »das eigentliche Seiende das Absolute« und das »Absolute« Gott ist und damit die »spekulative Interpretation des Seins Onto-theo-logie«, nach der aus der Hegelschen Ästhetik entnommenen Versicherung: »Denn auch die Philosophie hat keinen andern Gegen stand als Gott, und ist so wesentlich rationelle Theologie.« Das kam Nietzsches Auffassung vom Theologiecharak ter der Hegelschen Philosophie nahe, wich aber von des sen Anspielung auf Darwin ab, die wir in veränderter Form bei Kierkegaard in einer Tagebucheintragung wie
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derfinden mit seinem Eindruck, »daß Hegel die Men schen im Grunde heidnisch, zu einer mit Vernunft begab ten Tier-Art macht«. Mit dieser Widersprüchlichkeit in den Urleilen über Hegel als Grundtatsache ist zu rechnen. Aus dem Ganzen herausgerissene Teile seines Denkens konnten zum Aus gang für selbständige Lehren werden: so als Philosophie der Freiheit im Sinne der in der Geschichte der Philosophie geäußerten Gewißheil: »Die Weltgeschichte stellt nun den Stufengang der Entwicklung des Prinzips, dessen Gehalt das Bewußtsein der Freiheit ist, dar.« Der russische Publi zist und Freiheitskämpfer Alexander Herzen pries die Hcgelsche Philosophie als »Algebra der Revolution«. Es waren gewaltige Erwartungsströme, die von Hegel ausgingen. Er, der die Zukunft aus der Philosophie gestri chen hatte, wurde zum Urtypus für den »Geist der Uto pie«. Schwer zu sagen ist, ob die Gegenwirkungen nicht ebenso stark waren. Von der »Freiheit« als »Substanz«, als »Wesen des Geistes«, läßt sich keine Grenze erkennen, aber auch: »Die Idee der Freiheit ist wahrhaft nur als der Staat« (Philosophie des Rechts). Aus dieser Gleichsetzung von »Freiheit« und »Staat« ergaben sich Hoffnungen für revolutionäre Bewegungen, ergab sich zugleich das Miß trauen in den Umsturz des bestehenden Staats, so wie der späte Hegel als preußische Amtsperson in der Ära der »Heiligen Allianz« jedem Umsturz mißtraut hat, auch wenn er — wie in Frankreich 1830 — im Namen der »Freiheit« als »Prinzip des Denkens« erfolgte. Der Wclt historiker Hegel weiß, daß aus Revolutionen hervorge hende Staaten über Nacht wie Kartenhäuser zusammen brechen können, genau wie diejenigen Staaten, die sie selber zum Einsturz gebracht hatten. Daß er dann doch die Französische Revolution als eine »welthistorische« ge sehen und gefeiert hatte, und unwiderstehlich darum, weil darin der »Geist« selbst »seine Kategorien geändert« hat, ist nicht die Pointe, sondern daß er es als »preußischer Staatsphilosoph« tat, zu dessen ausdrücklichen Geschäf ten die Verteidigung des legitimen monarchischen Staats gehörte. Das Vertrauen des Berliner Hofs in ihn als den
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eigens dazu bestellten Kronanwalt hat er dann auch wäh rend der letzten Lebensjahre wegen des Verdachts der Subversivität restlos verspielt. Kierkegaards in seinen Ta gebüchern ausgesprochene Behauptung, daß die »Hegel sche Philosophie zuerst Regierungsphilosophie gewesen sei«, traf demnach nachweisbar nicht zu. Die freundlichen Worte, die Hegel für das englisch-konstitutionelle System gefunden hatte, konnten nicht hinreichend glaubwürdig dadurch zurückgenommen werden, daß er es für die deutschen und zumal preußischen Verhältnisse als un brauchbar bezeichnete. Die Ideale der Republik sieht er dagegen eher in der Antike oder Amerika. Als »abstrakt gehaltene Bestimmung der Freiheit hat zur Folge, daß sehr allgemein in der Theorie die Republik für die einzig gerechte und wahrhafte Verfassung gilt, und selbst eine Menge von Männern, welche in monarchischen Verfas sungen hohe Stellen der Staatsverwaltung einnehmen, solcher Ansicht nicht widerstehen, sondern ihr zugetan sind« (Philosophie der Geschichte), ist Exposition, Empfeh
lung und Rückzug auf die »Theorie« in Einem. So ist auch die erste französische Republik gewissermaßen vor Hegels Augen versunken angesichts des aufsteigenden Sterns Napoleon. In Napoleon figuriert das Hauptgesetz von Hegels Philosophie der Geschichte zum klassischen Fall: Auf dem Höhepunkt ihrer Macht angelangt, geraten Staaten, regierende Gestalten, Bewegungen vom Wege ab, bereitet sich die Wende vor, nähert sich der Zeitpunkt, wo die »Fallhöhe« abzumessen ist. Das gilt ebenso für den Held der Tragödie, den großen Täter, wie es für Religionen gilt, die im Verlauf ihrer Ausbreitung und der Macht, die sie gewinnen, ihre ur sprünglichen Lehren in Vergessenheit geraten lassen, beim Christentum, als es unter Konstantin Reichskirche wird und sich später im Papsttum des Mittelalters perver tiert. Sie kommen in Widerspruch zu sich selbst, erleben den Sturz, fallen dahin zurück, von wo sie ihren Ausgang genommen hatten. Man könnte von vergeblichen Rich tungsänderungen des »Weltgeists« sprechen, aber Hegels »Weltgeschichte« kennt bekanntlich kein »Umsonst«. He
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gel ist der große Entdecker der Abstrusität als logischem Prozeß. Ohne die Vernünftigkeit würde die Geschichte in ihren unerklärlichen Wendungen den Sinn verlieren, aber das Walten der Leidenschaften legt die Fragwürdig keit des Vernunftdenkens innerhalb der Geschichte bloß; es bleibt bei der »Vernunft«, die eine »Weltgeschichte als Weltgericht« annimmt, immer auch mit der »vernünfti gen Notwendigkeit eines blinden Schicksals« zu rechnen {Philosophie des Rechts).
Wo der »Widerspruch als Wurzel aller Bewegung und Lebendigkeit« ihr eigentlicher »Kern« ist, befindet sich die »dunkle Seite« unmittelbar neben dem Licht der Auf klärung. Das schließt die Einsicht ein, daß die Aufhebung des Widerspruchs, wo sie erfolgt, nicht mehr auf derjeni gen Ebene stattfindet, auf der er entstanden ist. Zur »dunklen Seite« gehört die von Hegel selbst behauptete Nähe zur philosophia teutonica Jakob Böhmes wie zur My stik Meister Eckharts, zum Vorplatonischen, Voraristote lischen, Vorvernünftigen der griechischen Naturdenker, zur Metaphysik in ihrer Identität mit der Logik und als die »Nacht, in der alle Kühe grau sind«. Wenn Hegels Phi losophie keine Zukunft kannte, konnte sie auch keine für die Zukunft bestimmten Weisungen geben, verhielt sie sich — die Hegel-Deutungen des 19. und 20. Jahrhunderts beweisen es — immer wieder wie das Delphische Orakel. Aber wenn sie für das eine wie für das andere, für die Sache und ihr Gegenteil in Anspruch genommen werden konnte, bekräftigte sie den Ruf ihrer »Unwiderlcgbar keit«; es konnte ihr in der Anwendung durch die Absicht, den Willen, die Idee, die Weltanschauung immer wieder die Richtung gegeben werden. Das weist auf den Unterschied von »System« und »Me thode«. Das System stellt das letzte geschlossene System der philosophischen Enzyklopädie dar, aufgeteilt nach »Geist« und »Natur« (organische und anorganische), »Na tur« und »Geschichte«, in dem alles von der »Substanz« als »absolutem Geist« an über Völker, Kontinente, den politi schen Täter, das Kunstwerk, die Funktion der Nase bis zur Elektrizität, zum »Stirnbein als Hüftknochen im Kopfe«,
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der Logik der Trinität, der Selbstauflösung der Knospe in Blüte und Frucht hin rubriziert und im Zustand der Bewegung gezeigt wird, Totalität, die unter das Gesetz der »Entzweiung« gestellt ist. Dazu gehört der Weg zum »Reich Gottes«, das Sein als das Wirkliche und sein Zusam menfallen mit dem Nichts im Unendlichen. Als »System« war es an seine Zeit gebunden und trat ab, als die Zeit darüber hinweggegangen war. Hegel hat nie daran ge zweifelt, daß mit seiner Philosophie die Philosophie selbst zu einem Ende gekommen sei, auch wenn sie, wie die Geschichte, weitergeht. Die Folgen hätten ihn darin bestä tigen können. Was am »System« verbraucht und überholt war, fiel ab wie eine Hülse, die mit der »Methode« die unendliche Frage als ihren entzündbaren Inhalt für die Zukunft entlassen hatte.
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Bibliographie (Auszug)
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