Klappentext Die Quecksilbersäule steigt und steigt – über Metropolis ist eine Hitzewelle hereingebrochen, und Superman ...
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Klappentext Die Quecksilbersäule steigt und steigt – über Metropolis ist eine Hitzewelle hereingebrochen, und Superman hat alle Hände voll zu tun, um die schlimmsten Katastrophen zu verhindern. Aber damit nicht genug – die Reporter Lois Lane und Clark Kent haben den Auftrag, für den Daily Planet einer mysteriösen Serie von Unfällen auf die Spur zu kommen, die sich am Set des millionenschweren Kinofilms „Bolt“ ereignet haben. Handelt es sich wirklich nur um Unfälle oder versucht jemand, die Dreharbeiten zu sabotieren? Bald richten sich alle Verdachtsmomente auf Dorian Hatch, den Starregisseur des Action-Films... Doch plötzlich steht Lois in der sich zuspitzenden Situation völlig alleine da, denn Clark alias Superman ist wieder einmal in unbekannter Mission unterwegs... Doch die junge Reporterin hat nicht lange Zeit, sich über die Zuverlässigkeit ihres Verlobten Gedanken zu machen, denn irgend jemand hat es auf ihr Leben abgesehen...
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M. J. Friedman
HEISSE TAGE IN METROPOLIS
Aus dem Amerikanischen von Kerstin Winter
digitalisiert von Vlad
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Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Superman – die Abenteuer von Lois & Clark. – Köln: vgs. Heiße Tage in Metropolis z M.J. Friedman. Aus dein Amerikan. von Kerstin Winter. – L Aufl. – 1997 ISBN 3-8025-2445-4
Der Roman basiert auf der Serie SUPERMAN – DIE ABENTEUER VON LOIS & CLARK ™ (im Original: LOIS & CLARK – THE NEW ADVENTURES OF SUPERMAN ™), ausgestrahlt bei Pro Sieben.
Erstveröffentlichung bei: BBC Books, London 1996 Titel der Originalausgabe: Heat Wave. TM and © 1996 DC Comics. All rights reserved. SUPERMAN, LOIS & CLARK, and all related elements are the property of DC COMICS. Superman created by Jerry Siegel and Joe Shuster
1. Auflage 1997 © der deutschen Ausgabe: vgs Verlagsgesellschaft, Köln Lektorat: Astrid Frank, Köln Umschlaggestaltung: Heike Unger Kommunikationsdesign, Köln Satz: Kalle Giese Grafik, Overath Druck: Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany ISBN 3-8025-2445-4
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Für Jerry Siegel und Joe Shuster
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D ANKSAGUNG Hiermit möchte ich mich bei Jerry Novick bedanken, ohne dessen Mühe und Eifer dieses Buch nicht zustande gekommen wäre. Dank auch an Mike Carlin, KC Carlson, Mike McAvennie, Dean Motter und Lee Nordling von DC Comics für ihre wertvolle Hilfestellung. Schließlich möchte ich noch Charles Kochman, Ann Goetz und Scott Sonneborn meinen Dank aussprechen: Sie haben mir dieses Projekt übertragen und den kreativen Prozeß mit Hingabe und Sorgfalt begleitet.
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PROLOG Es war heiß. Entsetzlich heiß. Doch Colin Dunn konnte daran im Augenblick keinen Gedanken verschwenden. Er durfte sich nur aufs Laufen konzentrieren. Laufen, laufen, so schnell ihn seine Beine durch diesen dichten, stickigen, sonnendurchfluteten Wald trugen. Dann, plötzlich, war das Gewirr aus Zweigen und Büschen zu Ende, und er stürzte auf eine Lichtung hinaus. Sein Fuß verfing sich in einer knorrigen Wurzel, und ein Schreck durchfuhr ihn, als er einen kurzen Augenblick durch die Luft segelte und bäuchlings auf den Boden aufschlug. Das aggressive Dröhnen der Motorräder hinter ihm wurde lauter, kam immer näher. Colin versuchte hastig wieder auf die Füße zu kommen. „Nun mach schon!“ rief seine rothaarige Gefährtin, die an ihm vorbeigerannt war, nun aber anhielt und zu ihm zurückblickte. Ihre Augen weiteten sich vor Angst, als sie hinter Colin die Verfolger herankommen sah. „Bitte! Sie sind direkt hinter uns!“ Aber es war zu spät. Noch bevor Colin reagieren konnte, waren sie von den Motorradfahrern umringt. Die großen, muskelbepackten Männer auf ihren qualmenden Bikes musterten ihre Opfer mit bösartigen Blicken, während sie immer wieder die Motoren aufheulen ließen. Die meisten von ihnen besaßen ein oder mehrere Metallprothesen an Stelle ihrer Glieder, die sie wahrscheinlich in irgendwelchen Bandenkriegen verloren hatten. Die Biker umkreisten Colin und seine Freundin wie Raubtiere, die die Furcht ihrer Beute auskosten wollen. Colin nahm den scharten Geruch von Schweiß und Motorenöl wahr. Das Hohngelächter und das Gejohle der Männer übertönten noch das Heulen der Motoren und jagten Colin trotz, der Hitze 7
einen eiskalten Schauder das Rückgrat hinab. Das Mädchen umklammerte Colins nackten Arm mit solcher Kraft, daß ihre Finger rote Male hinterließen. „Ich wußte es“, stöhnte sie. „Ich hab dich gewarnt. Wir hätten niemals herkommen dürfen.“ „Du hättest auf das Flittchen hören sollen!“ brüllte Griffin, ein Koloß von mindestens hundert Kilo, über das Dröhnen der Motoren hinweg. „Niemand betritt den Wald der Dragons ohne eine Einladung! Hab ich nicht recht, compañeros?“ Als seine Männer ihre Zustimmung herausbrüllten, verzog sich Griffins Mund zu einem breiten Grinsen, das sein lückenhaftes Gebiß entblößte. Jeder der „Drachen“ schwang einen Baseballschläger, eine Eisenstange oder eine Kette, als wollte er die Worte seines Anführers damit unterstreichen. Und jeder einzelne von ihnen schien nur darauf zu warten, den beiden verängstigten Eindringlingen zeigen zu können, was mit ungeladenen Gasten geschah. In diesem Augenblick nahm Colin aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr und blickte zum Himmel. Etwas BlauRotes schoß in rasanter Geschwindigkeit durch den wolkenlosen Himmel. Das Etwas wurde langsamer, und für einen Augenblick konnte Colin eine Gestalt mit einem flatternden Umhang erkennen. Die Gestalt verharrte, als wollte sie sehen, was unter ihr auf der Erde vor sich ging. Dann flog sie weiter, beschleunigte und verschwand schließlich über den Wipfeln der Bäume, die die Lichtung umgaben. Colin stöhnte verzweifelt auf. Sie waren auf sich allem gestellt! Neben seinem Fuß entdeckte er einen dicken, toten Ast. Er bückte sich blitzschnell, griff nach dem Holz, und hielt es wie eine Waffe vor seinem Körper. Irgend jemand mußte sie wohl verteidigen... und es sah ganz so aus, als ob er der einzige war, der diese Aufgabe übernehmen konnte. „K... kommt ja nicht näher!“ stammelte Colin, doch seine 8
wenig überzeugende Drohung entlockte den Männern nur weiteres Hohngelächter. „Hey, Griff, ist er nicht süß?“ brüllte Screech, der zweitwichtigste Mann der Dragons. Er wischte sich mit dem Handrücken einen Schweißtropfen vom Kinn und richtete sein blitzendes Glasauge auf seinen Anführer. „Für was hält sich der Bubi bloß? Für ‘nen Ritter oder ‘nen Highlander oder so was?“ Griffins hämisches Grinsen trug nicht dazu bei, Colin die Angst zu nehmen. „Spar dir deine Drohung, kleiner Mann. Ob du ein Stöckchen in der Hand hast oder nicht... wir werden euch schon zeigen, warum der Wald hier Dragonland heißt!“ Doch bevor sich Griffin vom Bike schwingen und auf Colin zugehen konnte, ertönte eine andere Stimme: „Typisch für dich, Griffin, daß du deinen Mund aufmachst und mit deinem stinkenden Stiefel alles plattwalzt, bevor du dich vergewissert hast, was Sache ist.“ Griffin und seine Männer erstarrten mitten in der Bewegung und blickten sich verdattert um. Am Rand der Lichtung löste sich eine einsame Gestalt auf einem schwarzen Motorrad aus der dichten Reihe der Bäume. Der große, muskulöse Mann trug eine Maske, doch das Aufblitzen in seinen stahlblauen Augen war deutlich zu erkennen. „Meiner Meinung nach“, fuhr der Neuankömmling; fort, „sieht der Junge so aus, als würde er gar keinen schlechten Ritter abgeben. Und was die Lektion angeht, die du ihm offenbar erteilen willst... tja, wie immer hast du vergessen, daß ich ja auch noch da bin.“ Colin grinste durch die Ströme von Schweifs, die ihm von der Stirn rannen. Es gab nur einen einzigen Menschen, der es wagen wurde, sich für zwei Fremde gegen eine Gang von Rockern zu stellen. „Bolt!“ grollte Griffin. Sein Gesicht verzerrte sich vor Wut. „Du elender Störenfried! Diesmal mäh ich dich nieder und 9
zerleg dein Bike in Einzelteile!“ Der Anführer der Gang ließ den Motor seiner Maschine aufheulen, senkte seine Eisenstange, als hielte er eine Lanze in der Hand, und schoß ohne zu zögern über die Lichtung. Bolt blinzelte, wobei die tätowierte Schlange auf seiner rechten Wange zuckte. Dann warf er mit einer schwungvollen Bewegung seinen Umhang zurück, senkte seine eigene Eisenstange und schaltete mit einem satten Klacken in den ersten Gang. Einen Sekundenbruchteil später raste auch er über die Lichtung und auf seinen Gegner zu. Der Abstand zwischen den beiden Motorrädern verringerte sich zusehends. Fünfzig Meter, dreißig, zehn. Die Rivalen kamen sich immer näher und wappneten sich gegen den Zusammenstoß, der einen von ihnen zu Boden reißen würde. Plötzlich blockierte das Vorderrad von Bolts Bike. Der Motor heulte mit einem ohrenbetäubenden Laut auf. Der abrupte Verlust an Geschwindigkeit hatte einen prompten Effekt auf den Fahrer: Bolt schoß über seinen Lenker hinweg und flog ein Stück durch die Luft. Voller Entsetzen beobachtete Colin, wie Bolt mit einem Übelkeit erregenden Knirschen auf dem Boden aufschlug und ein paar Meter über das verdorrte Grus rollte. Als er endlich zum Liegen kam, umklammerte er seinen rechten Unterschenkel. „Ahhh! Mein Bein! Mein Bein!“ schrie er. Alle Anwesenden stürzten sofort auf ihn zu – Colin und seine Gefährtin ebenso wie die Dragons. Auch Griffin sprang mit einem Satz von seinem Bike und rannte zu dem Verletzten hinüber. Selbst die Leute, die am Rand der Lichtung gestanden und den Dreharbeiten zugesehen hatten, scharten sich aufgeregt um den schreienden Mann, als sich eine andere Stimme über das Stimmenge wirr erhob – die des Regisseurs! „Schnitt!“ brüllte er und erhob sich aus seinem Klappstuhl. Dorian Hatch war ein untersetzter Mann Ende Dreißig, der sein 10
langes dunkles Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden trug. „Was zum Teufel ist denn jetzt schon wieder los?“ Es war keine ernstgemeinte Frage, wie Colin sehr wohl wußte. Dorian Hatch fragte nie, er befahl. Als Hatch jetzt sein aufgerolltes Script wütend zu Boden schleuderte, kam ein anderer Mann auf ihn zu. Dieser Mann – Beau Paris – war bestimmt einen halben Kopf größer als der Regisseur, hatte blonde Locken, ge bräunte Haut und war ausgesprochen attraktiv. „Du willst wissen, was los ist?“ fauchte Paris, der Star des Films. „Mein Double hat sich gerade das Bein gebrochen, das ist los. Und wenn ich, wie ich es sonst immer tue, die Szene selbst gespielt hätte, dann würde ich mich jetzt heulend auf dem Boden wälzen!“ „O Gott, nicht schon wieder diese Leier“, knurrte Hatch mit gerunzelter Stirn. „Da will mich jemand fertigmachen, Dorian. Da versucht jemand, den Film zu sabotieren, Dorian.“ Die Stimme des Regisseurs hatte einen sarkastischen Ton angenommen. Er tupfte sich die Stirn mit einem roten Halstuch ab. Wie jedem hier am Set raubt auch ihm die Hitze den letzten Nerv, dachte Colin. „Nur, daß niemand hier irgend jemanden fertigmachen will, Beau“, fuhr Hatch entnervt fort. „Das war nur ein weiterer dummer Unfall. Ich denke nicht daran, die Dreharbeiten zu unterbrechen, nur weil du unter einem Verfolgungswahn leidest.“ „Dorian hat recht“, meldete sich nun Arlee Atkinson, die schöne Rothaarige, die Colins Freundin spielte, zu Wort. Sie kam heran und nahm Dorians Arm, sah aber Paris an. „Es handelt sich nur um Unfälle. Kleine Mißgeschicke, das ist alles. Die werden uns doch nicht kleinkriegen.“ „›Kleine Mißgeschicke‹ nennst du das?“ wiederholte der Schauspieler mit einem finsteren Blick auf Arlee. 11
„Genau“, bestätigte Arlee. „Und ihr beide leidet nur unter der Hitze. Sie macht euch aggressiv. Ihr braucht ein wenig Abkühlung und Ruhe. Regt euch ab. Beide.“ „Ich werde mich erst dann abregen, wenn dieser schwachsinnige Film endlich abgedreht ist“, fauchte Paris. „Und wenn es weiter so katastrophal läuft, dann könnte es schneller zu Ende sein, als erwartet – was mir wahrhaftig nur recht ist.“ Hatchs Geduldsfaden war nun endgültig gerissen. „Der Film ist erst dann abgedreht, wenn ich es sage“, preßte er zornig hervor, „Und nicht eine Sekunde früher.“ Dann stolzierte er mit Arlee Atkinson im Schlepptau davon. Paris sah ihnen hinterher, die Lippen zu einem blutleeren Strich zusammengepreßt. Colin schüttelte frustriert den Kopf. Es hatte sich anfangs so phantastisch angehört: Er durfte in einem Hatch-Epos – vielleicht dem größten und aufwendigsten, das der Regisseur je gedreht hatte – mitspielen. Und nun? Nun schien sich alles in Rauch aufzulösen.
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1 Als Lois Lane aus der U-Bahnstation kam, blieb sie gerade lange genug vor dem Schaufenster von Dacy’s stehen, um ihre Erscheinung in der spiegelnden Scheibe kritisch zu mustern. Sie hatte ihr dunkles Haar hochgesteckt, einen Minirock und eine tief ausgeschnittene, dünne Bluse angezogen Und sogar auf Nylons verzichtet. Sie hatte sich richtig Mühe gegeben, um sich gegen die drückende Hitze zu wappnen. Und was nützt es? Nichts! dachte die Reporterin, als sie auf dem flirrenden Bürgersteig weiterging. Sie bewegte sich langsam und gemäßigt, denn jede überflüssige Be wegung, jeder hektische Schritt reichte aus, um ganze Ströme von Schweiß auszulösen. Keiner der Fußgänger auf der Seventh Avenue dachte an Eile. Die Hitzewelle, die bereits seit mehreren Tagen andauerte, lag wie eine Glocke über den Straßenschluchten, jeden Tag wurden neue Rekordtemperaturen gemeldet. Und obwohl die Einwohner umherschlichen und sich schlapp und träge bewegten, als wäre jede überflüssige Regung zu viel, schürte das unerträgliche Wetter die Aggressivität der Menschen. Metropolis war zu einer Art Pulverfaß geworden. Lois fand die Spannung, die in der Luft lag, beunruhigend. Sie selbst war selbstverständlich nicht aggressiv – es sei denn, sie hörte den Namen des Wettermannes von WGBS, der einen kühleren Sommer als üblich vorhergesagt hatte. Und wenn man es so betrachtete, war sie auch wütend auf die Person, die beschlossen hatte, daß das Dacy’s nur schmale Markisen oberhalb ihrer Schaufenster anbringen sollte. Denn so war der kühle Schatten, der an dem Kaufhaus entlangführte, unverschämt klein und viel zu kurz. Lois blickte zu der Digitalanzeige des Thermometers am Gebäude der Metropolis First Federal Savings & Loan hinauf 13
und seufzte tief: Nicht einmal fünf Minuten nach neun und schon fast 39 Grad! Wann wird sich dieser Planet endlich ein Stückchen von der Sonne wegbewegen? dachte sie mit einem weiteren Seufzer. Dann verzog sich ihr Mund unwillkürlich zu einem seligen Lächeln. Denn über den Planeten wanderten ihre Gedanken zum Daily Planet. Die Verheißung! Nur noch zwei Blocks, dann war sie dort; dann konnte sie das Gebäude der Zeitung betreten und sich an der wundervollen Erfindung der Klimaanlage ergötzen. Wenn du nicht vorher wie ein alternder französischer Weichkäse zerläufst, dachte sie zynisch. Dank ihrer langjährigen Erfahrung als Fußgängerin und Reporterin würde sie nur wenige Minuten brauchen, um sich durch die schleichenden Menschenmengen auf den Gehwegen zu drängeln und zu ihrem Zielort zu gelangen. Doch als sie schließlich den verlockenden Schriftzug des Planet sehen konnte, war ihre Bluse bereits durchgeschwitzt. Die Haare klebten an ihrem Kopf, und ihre Füße fühlten sich an, als wären sie auf die doppelte Größe angeschwollen. Kurz: Der Tag war im Prinzip schon gelaufen. „Dies soll also die ruhmreiche Starreporterin vom Daily Planet sein?“ knurrte sie, als sie an einem weiteren Schaufenster vorbeikam und einen verstohlenen Blick hineinwarf, den sie sofort bereute. Sie sah aus wie eine nasse Ratte! Resigniert ging sie weiter. Nur ein paar Schritte von der Drehtür des Planet entfernt hörte sie ein inzwischen schon vertrautes Raunen, das durch die Menschenmenge ging. Instinktiv schaute sie hinauf und entdeckte wie erwartet den blau-roten Streifen, der an dem goldenen Globus, dem Logo des Daily Planet, vorbeizog. Einen Moment war die drückende Hitze vergessen, und sie gluckste vergnügt. „Seht nur! Da, am Himmel!“ sagte sie zu niemand Bestimmtem. „Ist es ein Vogel? Oder ein Flugzeug? 14
Nein, es ist...“ ... mein Verlobter, setzte sie im stillen hinzu. Lois winkte Superman kurz zu. Er entdeckte sie, verlangsamte sein Tempo und kam mit flatterndem Cape herab, bis er knapp über den Köpfen der Fußgänger hinwegflog. Sie schenkte ihm ein Lächeln. Superman erwiderte es, und seine Augen funkelten schelmisch. Schade eigentlich, dachte Lois, daß niemand weiß, daß er mich anlächelt. Superman beschleunigte wieder, stieg hinauf in die Luft und war einen kurzen Augenblick später verschwunden. Seine rasante Wendung erzeugte eine kühle Brise, die den Menschen unter ihm eine kurze Erleichterung von der Hitze verschaffte. Dennoch runzelte Lois die Stirn, als sie durch die Drehtür ging und die klimatisierte Eingangshalle des Verlagsgebäudes betrat. Clark hätte an seinem Arbeitsplatz sein sollen. Wohin war er geflogen? Während Superman über die Dächer der Stadt schoß, konzentrierte er sich ganz, auf die drohende Katastrophe. Er wäre gerne noch ein wenig länger bei Lois geblieben, doch sein Supergehör hatte etwas wahrgenommen, das ziemlich sicher auf eine kommende Tragödie hinwies. An der Ecke der Ninth und Chesterfield Avenue tauchte Superman hinab, nahm Maß und schoß an einigen verschwitzten, schlappen Mitbürgern vorbei hinunter in die gekachelte U-Bahnstation. Der Mann aus Stahl hatte keine Zeit, seine Eile zu erklären – er wußte, daß jede Sekunde zählte. Unten angekommen, wandte er sich rasch nach rechts und flog in die tiefe Finsternis des Tunnels hinein, durch den die Züge fuhren. Das Wasser, das aus der zerborstenen Wasserleitung sprudelte, würde die Gleise, die unter der Ninth Avenue entlangführten, innerhalb von Sekunden überfluten. Die Warnung an die Zugführer der Linie mußte jeden Moment 15
durchgegeben werden. Aber für den Neun-Uhr-Dreizehn- Zug käme jeder Hinweis zu spät. Jede Minute konnte er durch den Tunnel gedonnert kommen, ohne daß der Fahrer etwas von der Flut vor ihm ahnte. Die Wassermengen würden den Zug entgleisen lassen, und was dann geschah, konnte man sich ohne viel Phantasie ausmalen. Menschenleben standen auf dem Spiel. Es sei denn, jemand unternahm etwas – und das schnell! Jemand beispielsweise, der auf einem anderen Planeten geboren worden war und Fähigkeiten und Kräfte besaß, die die der Menschen bei weitem übertrafen. Jemand wie Superman. In halsbrecherischem Tempo schoß der Stählerne die Röhre entlang und nahm die Kurven schneller, als ein Zugführer seinem Wagen je hätte zumuten können. Die verbleibende Zeit, bis der Neun-Dreizehn auf die Flutwelle traf, war lächerlich gering – wenn Superman Glück hatte, blieben ihm noch zwanzig Sekunden. Er mußte es schaffen. Einen Augenblick später hörte Superman das charakteristische Rattern und Quietschen von U-Bahn-Rädern auf Eisenschienen. In der Ferne sah er. wie die Funken von der dritten Schiene aufstoben, die den Zug mit Strom versorgte. Etwa auf halber Strecke zwischen ihm und dem herannahenden Zug drang Wasser in einem schäumenden Schwall aus einem Seitentunnel auf die Schienen. Der Schwall prallte auf die gegenüberliegende Wand und schoß in einer Welle zurück, die jedem Surfer Alpträume verursacht hätte. Der Stählerne biß die Zähne zusammen und tauchte durch die wirbelnden Wassermassen hindurch. Dann drosselte er seine Geschwindigkeit gerade so viel, daß er den Zug, der nun donnernd um die Kurve geschossen kam. nicht beschädigen würde. Superman streckte die Hände, Innenflächen nach vorne, aus 16
und bereitete sich innerlich auf die Wucht des Aufpralls vor. Seine Hände waren wie Puffer, die sich dem Schuh des rasenden Zuges entgegenstemmten. Superman ließ sich wenige Meter zurückdrängen, um den Stoß abzufangen, und übte dann mit aller Kraft Gegendruck auf die Fahrerkabine aus. Trotz der Anstrengung entging ihm nicht, daß der Zugführer schockiert die Augen aufriß. Die Räder quietschten schrill, und ein Funkenregen begleitete das gräßliche Geräusch. Doch der Zug wurde spürbar langsamer. Mit einem raschen Blick über die Schulter sah Superman, daß sie verflucht nah an das Chaos aus Wassermassen herangekommen waren. Superman mobilisierte alle Kräfte, die er besaß. Knirschend und quietschend kam der Zug zum Stehen. Kurz darauf war nur noch das Donnern und Rauschen des Wassers hinter ihm zu hören. Schau an, dachte Superman mit einem Gefühl der Befriedigung. Es ist doch immer wieder schön, zu sehen, wie stark man ist! Dann wandte er sich an den Fahrer. „Alles in Ordnung?“ fragte er. Der Mann, dem noch immer der Mund offenstand, nickte nur. Das, was er soeben erlebt hatte, war einfach zu unglaublich, als daß er ein Wort hervorbringen konnte. An Menschen, die stumm vor Staunen vor ihm standen, war Superman gewöhnt. Dem Mann war nichts geschehen, und das war die Hauptsache. Aber was war mit den Fahrgästen? Der Stählerne glitt durch den engen Raum zwischen U-Bahn und Tunnelwand und spähte durch die Wagenfenster. Beruhigt stellte er fest, daß niemand verletzt war. Tatsächlich sah es sogar so aus, als schienen die Leute nicht einmal zu wissen, welcher Gefahr sie gerade entronnen waren. Um so besser, dachte Superman. Wenn sie es schließlich begreifen, wird die Polizei bereits mit einem Rettungsteam an 17
Ort und Stelle sein, so daß auch dann keine Panik ausbricht. Superman wäre gerne geblieben, um bei den Bergungsarbeiten zu helfen. Aber bei der Hitzewelle in Metropolis konnte man fast sicher sein, daß sich in den nächsten paar Minuten ein neuer Notfall ereignen würde – er wurde draußen gebraucht. Er hatte diesen Gedanken gerade zu Ende gedacht, als er einen Schrei hörte. Er kam von ziemlich weit her, aber das hatte nichts zu sagen. Wenn Superman ihn vernehmen konnte, dann war es auch seine Sache. Er flog an dem Zug vorbei und schoß ins Dunkel des UBahntunnels hinein. Sein Ziel war Hob’s Bay. Tony Bonelli hatte noch nie in seinem Leben so geschwitzt. Und daß es seinen drei Söhnen, seiner Frau und der gesamten Nachbarschaft nicht anders erging, war auch kein Trost. Schlimm genug, daß sie in einem Bezirk von Metropolis lebten, den die Restbevölkerung „Suicide Slums“ – die Selbstmörderslums – nannte. Schlimm genug, daß die Aussicht aus seinem Fenster ihm nur schrottreife Autos, Müll und herumstreunende Obdachlose bot. Nein, es war wahrhaftig keine Wonne, in einem Gebiet zu wohnen, das der Normalbürger von Metropolis auch bei Tag mied. Aber Tony Bonelli hatte sich mit der Zeit so weit daran gewöhnt, daß er damit leben konnte. Aber nun war es so heiß geworden, daß man sich die Fußsohlen auf den Bürgersteigen verbrannte. Das war entschieden zu viel. Tony war klar, daß es so nicht weitergehen konnte. Man mußte etwas unternehmen. Und er wußte auch ganz genau, was zu tun war. Schließlich war Tony hier in Hob’s Bay aufgewachsen. Und niemand wuß te besser als er, wie man einen Hydranten öffnet. Tony versetzte dem Ding einen letzten Hieb mit seinem gewaltigen Schraubenschlüssel. Und sofort schoß eine 18
Wasserfontäne hervor, die fast bis zur anderen Straßenseite reichte. Kurz, darauf kamen Tonys Kinder herbei und hüpften glücklich in den Wasserstrahl. Es dauerte auch nicht lange, bis sich andere Kinder dazugesellten. Als das fröhliche Kreischen der Kids über die Straße tönte, verzog sich Tonys Mund zu einem breiten Grinsen. Nun, vielleicht war dies doch nicht so ein übler Tag. Superman flog in südlicher Richtung auf Hob’s Bay zu, doch sein eigentliches Ziel waren die Suicide Slums, aus denen der Schrei gekommen war. Als er das Gebiet erreicht hatte, reduzierte er seine Höhe und flog langsamer, wobei er die Straßen unter sich aufmerksam beobachtete. Dann hörte er ihn wieder – diesmal war der Schrei lauter und schriller als das erste Mal. Der Stählerne schoß aufrecht in die Höhe, verlagerte kaum merklich das Gewicht, um die Flugbahn zu ändern, und stürzte sich mit mörderischer Geschwindigkeit wieder herab. Superman erfaßte die Situation erst, als er den Ort des Geschehens erreicht hatte. Es war nur ein Kind! Ein Kind, das vor Wonne schrie, weil es in dieser unfaßbaren Hitze im Strahl eines Hydranten spielen durfte! Und dieses Kind war nicht das einzige, das sich an dem kühlen Naß erfreute. Es sah aus, als sei das ganze Viertel an dem Hydranten versammelt, um sich ein wenig Abkühlung zu verschaffen. Dummerweise war diese Art von Kühlung ganz und gar nicht gut für das Wasserreservoir der Stadt. Zwei Wasserrohre – das eine unter der Ninth Avenue und das andere in der Bessolo Street – waren geplatzt, und der Druck war ohnehin schon bedenklich gesunken. Die Stadt brauchte alles, was sie bei der momentanen Knappheit bekommen konnte. Wenn ein Feuer ausbrach... „He, seht nur!“ rief eine Frau. Sie zeigte mit ausgestrecktem 19
Finger auf Superman, der sich langsam in die Menschenansammlung herabließ. „Das ist Superman! Cool!“ brüllte ein rothaariger Junge. Während Superman auf dem heißen Asphalt der Straße landete, überlegte er, was zu tun war. Der Hydrant mußte wieder abgedreht werden, darüber gab es keine Diskussion. Andererseits konnte er den Kindern aber auch nicht ihren Spaß nehmen und die Leute förmlich auf dem Trockenen sitzen lassen. Er mußte eine Lösung finden. Superman blickte sich um, suchte sich den nächstbesten Mann aus und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Hören Sie“, sagte er. „Ich glaube, ich habe noch eine bessere Idee, wie ihr euch abkühlen könnt. Machen Sie den Hydranten wieder zu. Ich bin gleich zurück.“ Der Mann grinste. „Klar, was immer du willst! Nicht mal Tony Bonelli würde an Supermans Wort zweifeln!“ Superman lächelte ihn an, dann schlug er mit einer Hand sein Cape zurück und erhob sich wieder in die Luft. Der Wind, den er beim Start erzeugte, kräuselte die Oberfläche der Pfützen auf der Straße. Ein paar Augenblicke später kehrte der Mann aus Stahl mit einem gewaltigen Stapel alter Autoreifen zurück. Er ließ sich vorsichtig auf die Straße herab und deponierte die Reifen auf dem Bürgersteig. Nachdem er sich umgeblickt hatte, entdeckte er auf der Straßenseite, die dem Hydranten gegenüberlag, ein verlassenes Grundstück und flog hinüber. Mit einer Schnelligkeit, die einem unwissenden Beobachter den Eindruck vermitteln mußte, hier wären mehrere Supermänner am Werk, schaufelte der Stählerne ein tiefes, rundes Loch in den Boden. Mit zusammengekniffenen Augen musterte er die Grube und schätzte das Loch auf einen Meter Tiefe und etwas über drei Meter im Durchmesser. Zufrieden mit seinem Werk setzte er wieder auf die andere Straßenseite über, hievte den Reifenstapel hoch und ließ die 20
Reifen in die Grube hineinfallen. Anschließend bündelte er seinen Hitzeblick in einem breiten Strahl und richtete ihn auf die Reifen. Mit einem konzentrierten Schub schmolz er die Reifen und verteilte die Masse mit blitzschnellen Handbewegungen, bis die ganze Grube gleichmäßig mit einer Gummischicht ausge kleidet war. Schließlich kreiste er über dem Loch in der Luft und kühlte das Gummi mit seiner Superpuste ab. Als er fertig war, vergewisserte sich Superman, daß die Gummischicht glatt und makellos war, so daß kein einziges Stäubchen hindurchdringen konnte, dann erhob er sich in die Luft, um den zweiten Teil seines Plans in Angriff zu nehmen. In niedriger Höhe flog er über die heruntergekommenen Häuser und Gebäude von Hob’s Bay hinweg, bis er an einen alten, leeren Wasserturm gelangte, der ihm kurz zuvor aufgefallen war. Zum Glück war das Ding noch in einem recht anständigen Zustand. Superman positionierte sich darunter, spannte alle Muskeln an und hob den Wasserbehälter von seiner Stützkonstruktion. Mit dem riesigen Bottich auf den Händen flog er zur Bucht und nahm einige Hektoliter Meerwasser auf. Der Wasserbehälter war nun um einiges schwerer – und um einiges schwerer zu handhaben –, aber nichts, was einen Superman ins Trudeln gebracht hätte. Mit ein wenig Extraschub schwang er sich über die Dächer der niedrigen Häuser und flog zurück zu der Grube, die er zuvor ausgehoben hatte. In der Zwischenzeit hatte sich die ganze Nachbarschaft versammelt, um zu sehen, was vor sich ging. Auch einige Polizisten waren bereits zur Stelle. Superman drosselte sein Tempo über der Grube, ließ sich ein Stück herab und kippte das Wasser in den provisorischen Pool. Als der letzte kühle Tropfen aus dem Bottich geronnen war, stellte er den Behälter sanft ab. 21
„Bitte sehr“, verkündete er. „Hob’s Bays erstes öffentliches Schwimmbad ist hiermit eröffnet.“ Die Kinder brachen in lauten Jubel aus und scharten sich um den Mann aus Stahl. Tony klopfte ihm jovial auf die Schulter. „Feine Sache, Superman. Da hast du ‘n gutes Werk getan“, sagte er grinsend. „Danke“, erwiderte Superman. Dann nahm er sich den leeren Wassertank und schoß damit hinauf in die Luft. Ein paar Minuten später saß der Behälter wieder auf seinem ursprünglichen Platz. Gerade als er damit fertig war, den Tank auf der Stützkonstruktion sicher zu befestigen, hörte er das Pfeifen der Neun-Uhr-dreißig-Fähre, die aus dem Hafen auslief. Oje, dachte er. Ich sollte besser ein bißchen Gas geben. Sonst kommt Clark Kent mal wieder zu spät zur Arbeit.
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2 Lois konnte den kritischen Blick des Chefredakteurs Perry White förmlich spüren. Daß das halbe Dutzend anderer Angestellter, die sich im Konferenzraum zum allmorgendlichen Treffen versammelt hatten, sie ebenfalls anstarrte, als sie eintrat und sich setzte, machte die Situation nicht unbedingt erträglicher. „Lois“, sagte Perry in seinem üblichen barschen Tonfall, „wo in aller Welt ist Clark?“ Lois konnte nicht verhindern, daß sie in ihrem Stuhl ein Stück herabrutschte. Da mühten sie und Clark sich ständig ab, um sich im Job aus Gründen der Professionalität nicht anmerken zu lassen, daß sie auch eine private Beziehung zueinander hatten – und was hatte es für einen Sinn? Überhaupt keinen! Es gab wohl niemanden in der Redaktion, der nicht darüber Bescheid wußte, daß die beiden auch außerhalb des Planet Partner waren. Also zuckte sie betont lässig die Achseln. „Tut mir leid, Perry. Er meinte gestern, er hätte noch ein paar wichtige Dinge zu erledigen. Ich habe ihn nicht mehr gesehen, seit wir abends die Redaktion verließen.“ „Und wieso auch“, meinte einer ihrer Kollegen. „Nur weil man im Job zusammen arbeitet, ist man ja nicht gleich das Kindermädchen des anderen.“ Perry warf dem, der gesprochen hatte, einen verärgerten Blick zu. „Es kommt dem aber schon verdammt nah. Und da ich Clark nicht selbst fragen kann...“ Entnervt holte er tief Luft und stieß sie übertrieben laut wieder aus. Dann wandte er sich an Jimmy Olsen, den ehemaligen Laufburschen und Zeitungsjungen, der sich in nur einem Jahr zu einem vielversprechenden Fotoreporter entwickelt hatte. 23
Jimmy schaute von seinen Kritzeleien auf seinem Block auf und begegnete dem Blick seines Vorgesetzten. „Hm?“ „Hast du Kent heute morgen schon gesehen?“ fragte Perry. „Nee, Boß, ich nicht“, antwortete Jimmy. Er hatte den Satz noch nicht ausgesprochen, als er schon rot wurde. Lois konnte es ihm nachempfinden. „Boß“ war die Bezeichnung, die White am wenigsten ausstehen konnte. Und dank Clark war der Chefredakteur ohnehin schon auf Hundertachtzig. „Ich, ähm... war heute den ganzen Morgen im Fotolabor“, setzte Jimmy hastig hinzu. „Ich hab überhaupt niemanden gesehen.“ Perry legte die Stirn in bedrohliche Falten. „Nun, dann werden wir eben ohne Clark anfangen müssen.“ Lois seufzte. Sie wußte, wie sehr Perry Clark und sie mochte und wie sehr er sich über die Tatsache freute, daß die beiden schließlich zusammengefunden hatten. Und doch hatte sie manchmal den Verdacht, daß ihr Chef, ein Zeitungsmann der alten Schule, es ganz und gar nicht gut fand, daß sich in seiner Redaktion eine Romanze abspielte, und Lois ahnte auch den Grund dafür: Perry White sah gewiß die Gefahr eines Bruchs zwischen ihr und Clark, der dann möglicherweise auch das Ende einer überaus produktiven beruflichen Partnerschaft bedeutete. „Ohne wen wollt ihr anfangen?“ fragte Clark, als er durch die Tür zum Konferenzraum schlüpfte. Lois lächelte. „Nett, daß du dich zu uns gesellst“, bemerkte sie. Clark hob in einer gutmütigen Geste die Schultern. „Ach, ihr habt euch so angeregt über mich unterhalten, daß es mir unhöflich vorkam, euch zu unterbrechen.“ Alle Anwesenden lachten – Perry, der sich gnädig eine Standpauke für Clarks Zuspätkommen sparte, einge schlossen. Ohne ein weiteres Wort ließ sich Clark neben Lois nieder und 24
holte seinen Notizblock hervor. Sobald er saß, tastete Lois unter dem Tisch nach seiner Hand und drückte sie. Fast augenblicklich tadelte ihr unabhängiges, beruflich orientiertes Ich sie heftig dafür, daß sie im Job ihre Zuneigung offenbarte – auch wenn niemand außer Clark es bemerkt haben konnte. Doch Lois registrierte immer öfter, daß es ihr mit der Zeit leichter zu fallen schien, diese Seite, dieses Berufs-Ich, zu ignorieren. Sie warf Clark einen verstohlenen Blick zu. Seltsam, daß ich es nicht früher bemerkt habe, dachte sie nicht zum ersten Mal. Brille auf, Brille ab, das Haar mal trocken und gewellt, mal glatt zurückgekämmt – tolle Verkleidung! Als sie die Wahrheit einmal erkannt hatte, war sie sich vollkommen dämlich vorgekommen, daß es ihr nicht sofort aufgefallen war. Clark Kent sah Superman wirklich verflucht ähnlich. Aber wahrscheinlich war dies nur ein weiterer Beweis dafür, daß die jeweilige Situation und die Umstände immer entscheidend dafür waren, wie man einen Menschen sah. Es war einfach so, daß niemand erwartete, in Clark Kent Superman zu entdecken. Und niemand, der Superman vor sich hatte, erwartete Clark Kent oder überhaupt eine normalsterbliche Person. Nicht, daß Clark sich nicht sehen lassen konnte, im Gegenteil: Der Mann war überaus attraktiv! „Also gut“, begann Perry und riß Lois damit aus ihren Gedanken. „Machen wir uns an die Arbeit. Die Neuigkeiten vom Tage.“ Perrys Miene war nun wieder ernst, damit auch jedem deutlich wurde, daß der Spaß nun vorbei war und der Ernst des Lebens begonnen hatte. Jimmy klopfte Clark auf die Schulter. Er freute sich ehr lich, den älteren Kollegen zu sehen. Lois, Clark und Jimmy waren ein Team, das sich zusammenfügte, als wären die drei zur Zusammenarbeit geboren. Sie ergänzten einander und kannten 25
und tolerierten die Schwächen und Macken der jeweils anderen. Ihre Verbundenheit wurde allgemein akzeptiert. Niemand hätte auch nur daran gedacht, diese freundschaftliche Zusammenarbeit zu unterbinden. „Dummerweise“, setzte Perry White nun an, während er sic h an seinem Tisch niederließ, „haben wir heute nicht viel, das sich zu einer Titelgeschichte auswalzen ließe. Mit Ausnahme dieser verdammten Hitzewelle, versteht sich. Aber wenn ich darüber auch nur noch die winzigste Story sehe, schreie ich!“ „Aber irgendwas muß doch in dieser Stadt gesche hen“, meldete sich Jimmy zu Wort. „Ich meine, wir leben hier schließlich in einer Metrop... na ja, eben in Metropolis!“ „Jimmy hat recht“, stimmte Lois ein. Sie unterließ es tunlichst, Clark anzusehen, als sie fortfuhr: „Wer weiß? Vielleicht hat Superman ja heute morgen irgendeinen bombastischen Plan irgendwelcher Krimineller vereitelt, der mindestens den Untergang der Stadt bedeutet hätte.“ Lois Ziel war es, aus Clark herauszubekommen, was Superman vor Arbeitsbeginn gemacht hatte. Und dabei spielte sowohl persönliche Neugier eine Rolle, als auch die echte Hoffnung, daß er Informationen besaß, aus denen sich eine wirkliche Story machen ließ. Und Clark enttäuschte sie nicht. „Genausogut könnte er dafür gesorgt haben, daß ein neues Freibad entsteht“, bemerkte er. „Oder dafür, daß der UBahnzug unter der Ninth Avenue nicht ent gleist.“ „Nun“, sagte Perry, „das ist doch schon was.“ Er wies einen der Reporter an, diesen beiden Dingen nachzugehen. „Ich hätte da noch ein paar Ideen. Sie müssen nur noch...“ Das Klingeln des Wandtelefons im Konferenzraum unterbrach ihn. „Ich geh schon“, meldete sich Jimmy und wollte bereits aufspringen. Doch Perry bedeutete ihm sitzenzubleiben. Statt dessen 26
stemmte er sich selbst aus seinem Sessel hoch und nahm den Hörer ab. „White hier“, sagte er und lauschte einen Moment, „Ja, Julie. Danke, daß Sie an mich gedacht haben.“ Er legte die Hand über die Muschel und drehte sich zu seinem Team um. „Julie Sullivan von der Metropolis Film Commission. Eine der Möglichkeiten, die ich eben erwähnt habe.“ Lois sah Clark an. „Ich bin gespannt, worum es geht“, flüsterte sie. „Vielleicht will der Boß es mit einer zweiten Karriere im Filmgeschäft versuchen“, sagte Jimmy, wobei er sich Mühe gab, eine reglose Miene beizubehalten. Clark hielt seinen Kugelschreiber wie eine Zigarre in der Hand und ahmte Groucho Marx’ Stimme nach. „Ich wußte nicht, daß er schon eine erste Karriere im Showgeschäft hinter sich hat.“ Lois schüttelte den Kopf. Manchmal war es wirklich schwer zu glauben, daß ihr Verlobter ein Besucher von einem anderen Stern war. Perry ignorierte die Erheiterung seiner Reporter und konzentrierte sich auf das Telefongespräch. „Das würden Sie tun, Julie? Wirklich, Sie sind großartig! Ja, klar. Feine Sache. Sie haben was gut bei mir, Julie. Ja, danke. Bis dann.“ Perry hängte auf und wandte sich nachdenklich an Clark. „Da ich gerade eine Kostprobe Ihrer Schauspielkunst genießen durfte, denke ich, daß Sie und Lois genau die richtigen für einen kleinen Undercover-Job sind.“ „Undercover-Job?“ wiederholte Lois lahm. „Tja, Sie beide werden die nächsten paar Tage am Set von ›Bolt‹ mitmischen.“ „Wer oder was ist ›Bolt‹?“ fragte einer der anderen Reporter. Jimmy sah ihn ungläubig an. „Das weißt du wirklich nicht?“ fragte er. „Das ist der Film, den sie im Centennial Park drehen. Ich wollte diese Woche eigentlich auch schon versuchen, mich 27
da irgendwie einzuschleichen, um ein paar gute Fotos zu machen. Die Hauptrolle spielt Beau Paris. Mann, der Kerl ist absolut spitze. Ich bin ein echter Paris-Fan.“ „Beau Paris?“ wiederholte Clark. „Ja, lieber Himmel, Clark“, antwortete Perry. „Gehen Sie eigentlich nie ins Kino? Beau Paris ist ein echter HollywoodStar. Es heißt sogar, daß er demnächst den King in einer groß angelegten Bio graphie-Verfilmung spielen soll!“ „Welchen König?“ fragte Lois, obwohl sie die Antwort genau wußte. „Ich verbitte mir jegliche Scherze über den großartigen Elvis Presley, junge Dame“, fuhr Perry sie indigniert an. „Nun, wie auch immer... ›Bolt‹ ist ein aufwendiges Machwerk, dessen Thematik irgendwo zwischen Science- fiction und Robin Hood angesiedelt werden kann, in dem Beau Paris die Hauptrolle spielt. Der Regisseur... äh, wie war noch mal der Name Seiner Majestät?“ „Dorian Hatch“, half Jimmy ihm weiter. „Genau. Dieser Hatch hat also mit dem Filmgremium verhandelt, daß er im Centennial Park drehen kann. Nun, eigentlich haben sie ihm den Park sogar umsonst überlassen... natürlich mit dem Gedanken im Hinterkopf, das zukünftige Filmgeschäft in dieser Stadt ordentlich anzuheizen. Schließlich wurden früher in Metropolis ziemlich viele Filme gedreht.“ „Ja, aber was ist bei dem Deal für Hatch rausgesprungen?“ fragte einer der Reporter. „Er hätte seinen Streifen doch auch in irgendeinem abgelegenen Wald abdrehen können.“ „Das ist richtig“, bestätigte Perry. „Offensichtlich hat er gedacht, daß die Lokalität seinem Film eine besondere Publicity einbringen würde. Und wer verschmäht schon kostenlose Werbung?“ „Und es hat ja schließlich auch funktioniert“, warf Jimmy ein. „Zumindest zuerst. Jede bedeutende Infotainment-Sendung hat anfangs ihre Geschichte über die Dreharbeiten gebracht. 28
Aber dann hab ich letztens ir gendwo gehört, daß der Film weit hinter den Erwartungen zurückbleiben soll!“ Perry nickte. „Das einzige, was an ›Bolt‹ wirklich berichtenswert oder für uns interessant wäre, ist die Frage, ob der Film Hatchs letzte Arbeit für Hollywood ist oder nicht. Wie man hört, hat es mehrere Unfälle am Set gegeben, und zwar – wie ich hinzufügen sollte – keine unbedeutenden. Nein, wir reden hiervon echten Ärgernissen – ganze Kulissen, die zusammenbrechen, zum Beispiel.“ „Und warum haben wir davon überhaupt nichts mitbekommen?“ fragte Lois, die sich augenblicklich beunruhigt fragte, wie ihr eine Nachricht, die auch nur im entferntesten erwähnenswert war, entgangen sein konnte. „Weil diese Zwischenfälle sorgfältig vertuscht wurden, damit nichts davon in die Öffentlichkeit gerät“, erklärte Perry. „Hatch war offenbar in der Lage, Polizei und Filmkommission davon zu überzeugen, daß er alles unter Kontrolle habe. Doch heute morgen hat der Stuntman von Beau Paris fast den Löffel abgegeben, als sein Motorrad nicht so funktionierte, wie es sollte, und ihn wie ein Rodeo-Bulle im hohen Bogen abgeworfen hat.“ „Ein Stuntman?“ fragte Jimmy sichtlich erstaunt. „Das ist aber merkwürdig. Paris ist doch berühmt dafür, daß er seine Stunts normalerweise selbst macht.“ „Ganz genau, mein Junge“, erwiderte Perry. „Wollen Sie damit etwa andeuten, daß diese Unfälle gar keine waren?“ fragte Clark. Sein Vorgesetzter zuckte mit den Schultern. „Man könnte glatt auf die Idee kommen, nicht wahr?“ Clark lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Wenn Hatchs Karriere davon abhängt, wie gut oder wie schlecht sein nächster Film wird, dann könnte es durchaus sein, daß er versucht, dem Schicksal ein wenig unter die Arme zu greifen, indem er seinen eigenen Film sabotiert. Möglich, daß er das 29
Geld der Versicherung kassieren will.“ „Du meinst, daß er seine Ausrüstung oder so versichert hat?“ fragte Jimmy. „Das sowieso, aber darauf wollte ich nicht hinaus“, sagte Clark. „Um sich vor hohen Verlusten zu schützen, schließen die Geldgeber eines Filmprojektes eine Versicherung für den Fall ab, daß der Film nicht fertiggestellt wird. Bei den aufwendigen und teuren Filmen heutzutage ist das inzwischen Usus.“ „Und wenn Hatch einen Anteil daran hat“, ergänzte Lois Clarks Gedankengang, „dann könnte er versuchen, sich sein Stück vom Kuchen abzuschneiden. Falls der Film ein Flop zu werden droht – was ja offenbar nicht gerade unwahrscheinlich ist –, könnte er durch die Unfälle verhindern, daß das Werk jemals auf der Leinwand erscheint, und dennoch ein sattes Sümmchen kassieren. Dadurch würde er auch seinen Ruf retten, denn ›Bolt‹ hätte es ja nur deswegen nicht in die Kinos geschafft, weil jemand den Dreh sabotiert hat – nicht durch Hatchs Schuld also.“ „He, keine voreiligen Schlüsse“, rief Perry mit einem mahnenden Blick auf Clark und Lois. „Hört zu. Julie hat euch zwei Jobs am Set besorgt. Lois, Sie mimen Julies Cousine, Claire Sullivan. Als Produktionsassistentin werden Sie direkt mit dem Production Coordinator – genauer gesagt, ist es eine Frau – des Films zusammenarbeiten.“ „Und ich?“ fragte Clark. „Sie sind auch Produktionsassistent“, sagte Perry. „Aber Julie dachte, Sie hätte einen besseren Zugang zu den Requisiteuren und Bühnenbildnern, wenn Sie bei der SpecialEffects-Crew eingesetzt werden. Sie haben dieselbe Chefin wie Lois, arbeiten aber mit einer anderen Gruppe zusammen. Auf diese Art und Weise können Sie beide einen größeren Bereich abdecken. Clark, Ihr Name am Set lautet Louis White – so heißt übrigens ein Verwandter von mir.“ 30
Lois grunzte. „Eine Frage noch, Perry. Warum setzt sich diese Frau aus der Kommission so sehr dafür ein, daß wir diese Story bekommen?“ „Gute Frage“, sagte Perry seufzend. „Sagen wir einfach, Julie schuldet mir noch ein oder zwei Gefallen. Und außerdem verliert die Kommission ihre Chancen auf lukrative Geschäfte, wenn sich diese Unfallserie fortsetzt. Einer könnte tragisch ausgehen, und dann ist die erhoffte Werbung allenfalls negativ. Oder betrachten wir es umgekehrt: Wenn wir herausfinden, wer hinter diesen ›Unfällen‹ steckt, können wir Metropolis’ Image als zukünftige Filmstadt sauber halten und gleichzeitig noch die Exklusivrechte bei den nächsten Verträgen bekommen.“ „Hört sich gar nicht schlecht an“, meinte Lois. „Dann macht euch auf den Weg“, sagte Perry. „Sie und Clark sind von der weiteren Teilnahme an dieser Besprechung entbunden.“ „Ich auch?“ fragte Jimmy hoffnungsvoll. Der Chef schüttelte den Kopf. „Diesmal nicht, Jimmy. Wir wollen die Crew infiltrieren, nicht zahlenmäßig übertreffen.“ „Wir sagen dir sofort Bescheid, wenn wir dich brauchen“, sagte Lois an Jimmy gewandt, während sie aufstand und zur Tür ging. Clark folgte ihr. „Du gestattest?“ sagte Clark, überholte sie und zog die Tür für sie auf. „Aber ja, vielen Dank“, antwortete Lois. „Clark – ich meine, Louis... Darf ich Lou zu dir sagen?“ Ihr Verlobter lächelte. „Nenn mich, wie immer du willst, Lois. Du hast ja bekanntermaßen ein Händchen für Spitznamen.“ Und das war nicht gelogen. Immerhin war es Lois Lane gewesen, die Clark in einer ihrer Stories zum ersten Mal als „Superman“ bezeichnet hatte – und der Name hatte sich eingebürgert. 31
Als sie in das betriebsame Nachrichtenzentrum des Planet kamen, konnte Lois es kaum erwarten, sich an die Arbeit zu machen. Selbst wenn das bedeutete, daß sie den kühlen Segen der Klimaanlage in ihrem Büro aufgeben und sich der vernichtenden Hitze ausliefern mußte. „Und? Wie gehen wir vor?“ fragte Clark. Sie hatten sich schon lange angewöhnt, die Arbeit an einer Geschichte aufzuteilen, wenn sie gemeinsam einge setzt wurden. Auf diese Art und Weise vermieden sie, sich durch Konkurrenzdenken gegenseitig zu behindern – ein Problem, das sie zu Beginn ihrer Zusammenarbeit erkannt hatten. Lois zuckte die Achseln. „Da du dich in der Nähe der Kulissen und der Ausstattung aufhalten wirst, ist es wohl am sinnvollsten, wenn du dir mal die jeweiligen Requisiten ansiehst, die bei den Unfällen eine Rolle gespie lt haben.“ „Ja, das klingt vernünftig“, stimmte Clark zu. „Und du? Was machst du, während ich durch die Kulissen schleiche?“ Sie dachte einen Augenblick nach. „Ich werde versuchen, die Personen, die unmittelbar mit den Hauptdarstellern und dem Regisseur zu tun haben, ein bißchen besser kennenzulernen. Wer weiß, was auf so einem Dreh alles geredet wird. Ich will herausbekommen, wer was wem angetan haben könnte – und vor allem, warum!“ Clark nickte. „Hört sich nach einem guten Plan an.“ Lois war froh, daß sie und Clark diesen Job gemeinsam machen konnten. Am Anfang ihres Berufslebens hatte sie stets alles allein und so eigenständig wie möglich machen wollen. Doch inzwischen genoß sie es, mit jemandem zusammenzuarbeiten – besonders, wenn es sich dabei um Clark handelte. Schließlich waren sie mehr als Partner. Sie waren zwei Menschen, die sich liebten... und einer von diesen beiden Menschen war zufällig imstande, mit blo ßen Händen eine Eisenstange zu verbiegen. Und das hatte etwas enorm Beruhigendes. 32
3 Colin stand am Rand der Lichtung, rieb einen trockenen Ast zwischen den Handflächen und beobachtete die Liebesszene zwischen Beau Paris und Arlee Atkinson. Gerade zog Beau Arlee fest an sich und senkte den Kopf, um sie zu küssen. Colin seufzte. Was würde er dafür geben, nun an Paris’ Stelle zu sein! Arlee war immerhin eine der attraktivsten Frauen, die er je gesehen hatte. Und als Schauspieler hatte er schon verdammt viele gesehen. „Schnitt!“ brüllte Hatch. Der Regisseur stolzierte steifbeinig auf die sonnenüberflutete Lichtung hinaus und ging zu dem einsamen Pärchen hinüber. „Was ist diese Frau?“ fuhr er Paris an. „Deine Schwester? Ein Kumpel?“ „Was zum Teufel soll das heißen?“ gab Paris verärgert zurück. „Ich will eine Romanze sehen. Gefühle“, fauchte Hatch. „Ich will, daß die Funken sprühen!“ Paris wies mit dem Daumen über seine Schulter zur Sonne. „Dann stell du dich doch mal in den Backofen, Hatch. Ich kann mich kaum aufrecht halten, ge schweige denn jemandem etwas von großer Liebe erzählen!“ „Wenn es so leicht wäre“, erwiderte Hatch beißend, „dann könnte es ja jeder! Du bist Schauspieler, Beau, oder wenigstens behauptest du das. Ein Schauspieler sollte schauspielern.“ Einen Augenblick sah es so aus, als läge Paris noch eine Bemerkung auf der Zunge. Doch dann preßte er die Lip pen zusammen und wandte sich wieder Arlee zu. „Versuchen wir’s nochmal“, knurrte er. Colin wandte sich ab und machte sich auf den Weg zur fahrbaren Kantine des Filmteams. Als er fast angekommen war, erblickte er etwas, das den Gedanken an Arlee 33
augenblicklich aus seinem Gedächtnis löschte. An einem Tisch vor dem Anhänger, der die Kantine darstellte, saß eine brünette Frau. Sie trug knappe rote Shorts und ein noch knapperes Top. Ihre Beine erschie nen ihm endlos, und das Lächeln auf ihrem Gesicht war einfach umwerfend. Außerdem sah sie ihn an, als hätte sie ihn schon eine Weile beobachtet. Er schluckte. „Sie gehören hoffentlich nicht zu der Kategorie Gaffer, in die sich der Rest von diesem Haufen hier einordnen läßt“, sagte sie, als er herangekommen war. „Äh... nein“, stammelte Colin. Die Frau warf ihr Haar mit einer lässigen Geste zurück und streckte ihm die Hand entgegen. „Claire Sullivan“. stellte sie sich vor. „Die neue Produktionsassistentin.“ „Schön, Sie kennenzulernen“, sagte er. „Ich bin Colin Dunn.“ „Ich weiß“, erwiderte Claire. „Ich habe Sie in ›Sieben Schwestern‹ gesehen. Sie waren großartig.“ Colin hoffte, daß man ihm die Erleichterung nicht so sehr ansah. Wenigstens hatte sie einen Film von ihm gesehen, der nicht allzu übel gewesen war. Leider hatte er nämlich in ein paar echten Katastrophen mitgespielt – von der Art, wie ›Bolt‹ auch zu werden drohte. „Tja, danke“, sagte er. „Sagen Sie... hätten Sie vielleicht Lust auf einen Nudelsalat? Und ein bißchen nette Plauderei an einem furchtbar heißen Tag?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Warum nicht? Ich habe ohnehin gerade Pause.“ Colin lächelte. Vielleicht war doch nicht alles an die sem unsäglichen Streiten schlecht... „Wissen Sie“, sagte Lois, nachdem sie den letzten Happen ihrer kalten Pasta verputzt hatte, „wenn ich es nicht besser wüßte, dann würde ich meinen, daß sich Ihre Begeisterung, bei 34
diesem Streifen mitzuwirken, schwer in Grenzen hält.“ Lois war sorgsam darauf bedacht, nicht allzu neugierig zu erscheinen. Sie durfte Colin nicht verprellen – er konnte sich als eine gute Informationsquelle erweisen. „Das ist noch nett ausgedrückt“, antwortete er und blickte sich um, als wollte er sich vergewissern, daß nie mand zuhörte. „Dieser ganze Dreh ist eine reine Farce.“ Na bitte, das war doch ein Anfang. Bemüht, ihre Worte beiläufig klingen zu lassen, fragte Lois: „Wieso? Was ist denn so schlimm?“ Colin zögerte. „Versprechen Sie, daß Sie es nicht dem Boß erzählen, Claire?“ „Großes Indianerehrenwort.“ Er seufzte „Angeblich soll ›Bolt‹ ja so eine Art Robin Hood der Zukunft darstellen, aber ich habe selten etwas gesehen, das weniger mit Robin Hood zu tun hat, als das hier.“ Lois musterte ihn interessiert. „Das hört sich so an, als würden Sie sich in diesem Bereich auskennen.“ Colin schnaubte. „Man könnte wohl behaupten, daß ich eine Art Experte auf diesem Gebiet bin. Mein Großvater, Bruce Dunn, hat den Rächer der Enterbten in dem allerersten Film, der die Legende begründet hat, gespielt. Nun, eigentlich war es ein Stummfilm – aber einer mit Stil. Da konnte man noch richtig nachvollziehen, was Robin Hood dem Volk bedeutete!“ Lois nickte mitfühlend, „Und ›Bolt‹ setzt bloß auf Special Effects, während die Handlung nur den niedrigsten gemeinsamen Nenner mit dem Ursprungshelden besitzt.“ „Sie sagen es“, antwortete er. Interessant, dachte Lois. Vielleicht sollte sie Colin nicht nur als potentielle Informationsquelle, sondern auch als Verdächtigen betrachten. Möglicherweise versuchte er aus Loyalität zu seinem Großvater den Film zu sabotieren! Das konnte eine Spur sein! „Andererseits“, fuhr Colin fort, „ist es natürlich immer noch 35
eine gute Publicity für mich – gerade wenn man meine Familiengeschichte in Betracht zieht. Außerdem brauchte ich dringend eine Rolle, um mein Talent überhaupt beweisen zu können. Viele Schauspieler, die heute Stars sind, haben in ihren ersten Jahren in grausigen Machwerken mitgespielt.“ Soviel zum Thema Verdächtiger, dachte Lois zynisch. Es war immerhin recht unwahrscheinlich, daß Colin Dunn nur aus Loyalität zu seiner Familie seinen eigenen Aufstieg in den Hollywood-Himmel aufs Spiel setzen würde. „Nun“, sagte sie nach einer Weile, „hier handelt es sich ja offenbar um ein grausiges Machwerk, das es vielleicht gar nicht bis in die Kinos schafft.“ Er sah sie aufmerksam an. „Sie meinen die Unfälle?“ Lois nickte. „Allerdings spricht nicht jeder von Unfällen.“ „Vielleicht haben Sie recht“, stimmte Colin zu. „Vielleicht ist Hatch so sicher, daß er da ein faules Ei im Korb hat, daß er alles versucht, um das Projekt den Bach runtergehen zu lassen. Zumindest kann er dann die Versicherung einkassieren.“ Seine Stimme verriet, daß er nicht wirklich an diese Theorie glaubte. Dennoch war es genau die Vermutung, die auch Clark geäußert hatte. „Sie denken doch nicht im Ernst, daß Dorian Hatch das Leben seiner Leute gefährden würde, nur um einen guten Gewinn zu machen?“ fragte sie. Colin lächelte. „Claire, Sie sind anscheinend neu in die sem Geschäft. Sie glauben doch nicht etwa, daß Dorian Hatch so etwas wie ein Gewissen besitzt? Er tut alles, um das zu bekommen, was er haben will. Wen oder was er dabei gefährdet, kümmert ihn einen feuchten Staub.“ Er hielt inne, fuhr dann aber fort: „Das heißt, mit Ausnahme von Arlee Atkinson. Die beiden sind bis über beide Ohren ineinander verliebt. Wenn Arlee diesen Film auf der Leinwand sehen will, dann würde sich Hatch mit Honig beschmiert in einem Bienenstock wälzen, wenn es nötig wäre, um es möglich zu 36
machen.“ „Aber das würde die Frage aufwerten, ob die weibliche Hauptrolle diesen Film fertigstellen möchte – oder nicht. Oder ob es ihr vielleicht vollkommen egal ist“, sagte Lois. „Das ist wahr“, sagte Colin. Wieder ein Aspekt, den man näher beleuchten muß, dachte Lois. Doch wie es schien, hatte Colin ihr gesagt, was er wußte – zumindest zu diesem Thema. Und Lois hatte mit Clark ein Treffen verabredet, das in ein paar Minuten stattfinden sollte. „Tja“, sagte sie also, „ich würde ja gerne noch ein wenig mit Ihnen plaudern, aber die Pflicht ruft.“ Colin nickte. „Ja, wir haben alle etwas zu tun.“ Er lächelte sie hoffnungsvoll an. „Dann bis demnächst?“ „Bestimmt“, versprach sie. Lois erhob sich, warf ihren Pappteller und das Plastikbesteck in einen Abfalleimer und machte sich auf den Weg zum Produktionswagen. Es war der letzte in einer langen Reihe Wohnwagen, die mit dem Essenswagen begann und auch die Garderoben der Schauspieler einschloß. Sie warf Colin noch einen Blick über die Schulter zu und sah ihn winken. Sie hob grüßend die Hand und setzte dann ihren Weg durch die hohen Bäume fort. Der Produktionswagen befand sich jenseits einer kleinen Anhöhe. Dort wollte Clark auf sie warten. Während sie durch den Wald ging, dachte sie über Colins Worte nach. Hatch war also offenbar ein skrupelloser Schuft, der alles beiseitigen würde, das ihm im Weg stand. Andererseits gab es da Arlee Atkinson, die nicht nur seine Geliebte sondern auch die Hauptdarstellerin war, und so war es nicht unwahrscheinlich, daß er diesen Film wegen ihr zu Ende bringen wollte. Dennoch war Dorian Hatch der Hauptverdächtige – noch! Lois wischte sich den Schweiß von der Stirn und warf einen Blick auf ihre Uhr. Verdammt. Sie war spät dran. 37
Das war schlecht, denn weder sie noch Clark wollten länger als nötig von ihrer Arbeit fernbleiben. Dadurch konnte ihre Deckung gefährdet werden. Aber als sie in Sichtweite des Produktionswagens kam, nahm sie eine leichte Brise wahr, die die ansonsten reglose Luft bewegte. Es war eine sehr vertraute Brise. Im nächsten Moment erhaschte sie schon einen Blick auf die ebenso vertraute blau-rote Gestalt, die durch den glühenden Nachmittagshimmel schoß, und wußte, daß ihr Zeitplan sowieso hinfällig geworden war. „Soviel zu unserem Treffen“, murmelte Lois. Sie war verärgert, aber nicht sehr. Es war ja schließlich nicht das erste Mal, daß Clark sie sitzenließ, um als Superman etwas zu erledigen. Lois lenkte ihre Schritte in eine andere Richtung und öffnete kurz, darauf die Tür des Produktionswagens. Sofort schlug ihr ein Schwall fast eisiger Luft entgegen. Sie seufzte. Wenigstens hatte sie nun ein paar Minuten Zeit, um sich ein wenig abzukühlen. Gepriesen sei der Name dessen, der die Klimaanlage erfunden hat, schoß es ihr durch den Kopf. „Claire?“ Sie drehte sich um und entdeckte ihre Vorgesetzte, Mary Chase, die mit ausgestrecktem Finger auf sie wies. Die Frau hielt ein schnurloses Telefon an ihr Ohr. „Ja?“ erwiderte Lois. „Sie müssen ein paar Dinge für mich erledigen“, sagte Mary und hielt eine Handvoll pinkfarbener Notizzettel hoch. „Da draußen?“ fragte Lois und deutete auf die Tür, durch die sie eben hereingekommen war. „Da draußen!“ bestätigte die Produktionsleiterin. Lois rief sich in Erinnerung, daß sie am Set offiziell als Assistentin arbeitete. Resigniert nickte sie. „Natürlich, Miss Chase.“ Hoffentlich amüsierte sich Clark im Augenblick besser als 38
sie – wo auch immer er hingeflogen war.
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4 Während er durch den Himmel über Metropolis schoß, dachte Superman unzufrieden darüber nach, was er bisher als Louis White herausgefunden hatte: So gut wie nichts. Er hatte noch immer keinen einzigen Hinweis darauf entdeckt, ob es sich bei den Vorkommnissen am Drehort nun wirklich um Unfälle handelte, oder ob jemand seine Finger im Spiel gehabt hatte. Und nun war er auch noch ge zwungen gewesen, den Centennial Park nur wenige Minuten vor dem verabredeten Treffen mit Lois zu verlassen. Aber es ließ sich nicht ändern. Rettungsaktionen und Überfalle waren nun einmal etwas, das Supermans sofortige Einmischung erforderten – da gab es kein Überlegen oder Zögern. Doch ärgerlich war es schon, denn schließlich waren auch Lois und sein Beruf als Reporter wichtig. Zum Glück kam seine Verlobte auch bestens ohne ihn zurecht. Schließlich war Lois schon Starreporterin beim Daily Planet gewesen, bevor Clark mit einem Bus aus Smallville nach Metropolis gekommen war. Sie brauchte ihn nicht, um diesen Fall zu knacken. Superman änderte die Flugrichtung, indem er sein Gewicht ein wenig nach links verlagerte. Sein Ziel war Hob’s Bay. Das ist schon das zweite Mal heute, daß ich in den Suicide Slums zu tun habe, dachte er, als die ersten heruntergekommenen Häuser unter ihm erkennbar wurden. Vielleicht war es an der Zeit, ein vertrauliches Gespräch mit dem Stadtbeauftragten von Metropolis zu führen. Sicher, die Herren in der Verwaltung hatten genug zu tun, aber um die schlechten Zustände in diesem Stadtteil schienen sie sich nicht besonders intensiv zu kümmern. Das war ein Mißstand, den Superman zu ändern gedachte. Und besonders schlimm schien es in der Umgebung des 40
Altenpflegeheims von Hob’s Bay auszusehen. Wenn es stimmte, was er im Radio gehört hatte, dann hatte ein Stromausfall vier Blocks lahmgelegt – der, in dem sich das Heim befand, eingeschlossen. Mit anderen Worten: Man hatte in der Einrichtung keinen Strom für die Klimaanlage oder für medizinische Geräte. Normalerweise waren solche Bagatellen nichts, was in Supermans Ressort fiel, zumal das Gesetz vorsah, daß jedes Heim mit einem Notstromaggregat ausgerüstet sein mußte. In diesem Fall jedoch hatte der Generator versagt, und um dem ganzen die Krone aufzusetzen, hatte die Stadt dem Radiobericht zufolge auch noch Schwierigkeiten, Ambulanzfahrzeuge bereitzustellen. Stickige, erdrückende Hitze und ein Stromausfall – das war in der Tat eine gefährliche Kombination, ganz besonders dann, wenn es alte Menschen betraf. Doch nun, da er zur Stelle war... Superman hatte den fraglichen Block erreicht und setzte zur Landung an. Plötzlich stockte ihm der Atem. „Das glaube ich einfach nicht!“ brachte er hervor, als er sich zu Boden ließ. Als er von dem Stromausfall gehört hatte, war er davon ausgegangen, daß das Stromnetz durch den Dauerbetrieb der vielen Klimaanlagen in der ganzen Stadt überlastet gewesen war. Er hätte sich niemals träumen lassen, daß die Ursache ganz woanders lag. Nun sah er, was den Blackout verursacht hatte, und konnte einfach nicht fassen, daß es so simpel sein sollte. Und vor allen Dingen absolut vermeidbar. Zu seinen Füßen befand sich ein klaffendes Loch mitten in der Straße, die vor dem Pflegeheim vorbeiführte. Die Grube hatte einen Durchmesser von mindestens vier Metern, und es wimmelte darin von Straßenarbeitern. Superman näherte sich dem nächsten Arbeiter und tippte ihm auf die Schulter. Der Mann, der ihn nicht hatte kommen hören, weil er mit seinem Preßlufthammer beschäftigt gewesen war, machte vor Schreck einen Satz. 41
„Superman!“ stieß er schließlich hervor. „Was willst du denn hier?“ Der Stählerne deutete mit einer Kopfbewegung auf die Grube mit den Arbeitern. „Was geht denn hier vor?“ fragte er. „Wieso? Was meinst du?“ fragte der Mann. Superman runzelte die Stirn. „Was ist der Grund dafür, daß ihr ausgerechnet am heißesten Tag, den es je in der Geschichte Metropolis’ gegeben hat, ein Loch vor dem Pflegeheim grabt?“ „Oh“, machte der Mann, „das meinst du. Tja, also, wir ersetzen die Leitungen des Pflegeheims, damit in Zukunft mögliche Stromausfälle vermieden werden können.“ „Mögliche Stromausfälle“, wiederholte Superman ungläubig. Was für eine Ironie – er hätte gelacht, wenn es nicht so traurig gewesen wäre. Der Mann nickte. „Ja. Aber leider ist eine der Leitungen durch diesen Bohrer da zerschnitten worden.“ Er zeigte auf eine riesige Maschine, die mitten in der Grube stand. „Dann zeigen Sie mir, wo sich der Schnitt befindet“, sagte Superman. „Ich repariere ihn mit meinem Hitzeblick.“ Der Arbeiter grunzte. „Habe ich ›ze rschnitten‹ gesagt? Zerfetzt wäre wohl treffender gewesen. Und wir haben auch nicht genug Kabel dabei, um so ein großes Stück zu ersetzen.“ „Und sobald die Leitung beschädigt war, hat man den ganzen Bezirk vorsichtshalber vom Versorgungsnetz abgeklemmt!“ schloß Superman. „Genau“, bestätigte der Arbeiter. „Es wird noch Stunden dauern, bis das Stromkabel ersetzt werden kann. Und noch ‘ne Weile länger, bis hier wieder Saft durchläuft.“ „Schon begriffen“, seufzte Superman. „Danke!“ Er wandte sich um und setzte sich in Richtung Eingangstür des Pflegeheims in Bewegung. „Hey!“ rief der Arbeiter ihm hinterher. „Das ist doch nicht meine Schuld. Ich leg’ hier nur die Leitung!“ Natürlich hatte der Mann recht. Er verlegte nur die 42
Leitungen. Aber irgend jemand hatte hier geschlampt, sonst wären die Leute in dem Pflegeheim kaum in einer derart mißlichen Lage. Superman dachte an seine Adoptiveltern, die sich des kleinen Clarks so liebevoll angenommen hatten. Jonathan und Martha Kent kamen auch langsam in die Jahre. Und obwohl sie gesund, munter und überaus aktiv waren und gewiß niemals auf die Versorgung durch ein Pflege heim angewiesen sein würden, so konnte Superman doch nicht verhindern, daß er sie sich in einer Situation wie dieser hier vorstellte. Der Stählerne verdrängte den Gedanken. Er mußte sich auf die Aufgabe, die vor ihm lag, konzentrieren. Er mußte die alten Herrschaften aus dem Gebäude evakuie ren und sie an einen sichereren Ort bringen, an dem die Hitze sie nicht mehr gefährden konnte. Als er die Eingangstür öffnete, bot sich ihm ein verheerendes Bild! Pfleger und Angestellte hasteten hin und her, schoben Betten auf Rollen über den gefliesten Boden, stützten die alten Menschen, um ihnen in die Eingangs halle zu helfen, trugen Patienten die Treppe herab... Natürlich, dachte Superman. Hitze steigt nach oben. In der Eingangshalle war es schon heiß genug – man durfte gar nicht daran denken, wie stickig es in den oberen Stockwerken sein mußte! Als er das Quietschen von Turnschuhen auf blank polierten Fliesen hörte, wandte er sich um. Eine Frau mittleren Alters mit ergrauendem Haar, das sie zu einem strengen Knoten am Hinterkopf gebunden hatte, kam zielstrebig auf ihn zu. „Superman!“ rief sie. Ihre Stimme hallte in dem kargen Foyer wider. „Dem Himmel sei Dank!“ Die Frau trug einen schlichten braunen Hosenanzug mit einem weißen Laborkittel darüber. Sie streckte ihm die Hand entgegen, als sie vor ihm stehenblieb. „Ich bin Dr. Stacey“, sagte sie. „Wie du siehst, stecken wir in einigen Schwierigkeiten!“ 43
„Das ist wirklich nicht zu übersehen“, antwortete er. Die Doktorin runzelte die Stirn. „Nur wenige von meinen Patienten können aus eigener Kraft gehen, und wir verfügen leider nicht über genügend Rollstühle, um sie zu...“ „Entschuldigen Sie, daß ich unterbreche“, warf Superman ein, „aber ich sollte jetzt anfangen. Ich kann nur immer einen Patienten auf einmal tragen, vielleicht zwei, wenn sie noch einigermaßen fit sind.“ Stacey seufzte. „Und wohin willst du sie bringen? Zu dir nach Hause?“ Der Stählerne sah sie verdutzt an. „Soll das heißen, daß Sie sich noch nicht mit anderen Heimen in Verbindung gesetzt haben, damit sie die Leute vorübergehend aufnehmen?“ „Oh, ich habe mich durchaus mit anderen Heimleitern in Verbindung gesetzt“, sagte die Frau. „Aber dies hier ist eine staatliche Einrichtung, und zwar die einzige in der Stadt. Alle anderen Häuser haben private Kostenträger, und du glaubst doch nicht, daß sie Patienten von uns aufnehmen würden.“ „O doch, das werden sie“, sagte Superman. „Ich kann recht überzeugend sein, wenn ich will. Welches ist das nächstgelegene Heim?“ Stacey legte die Stirn in Falten. „Das nächste, das genü gend Platz hätte, ist das Shady Acres Resort“, sagte sie nach einer Weile. „In Ridgeway Hills.“ „Ridgeway Hills“, wiederholte Superman. Das Viertel war eines der schicksten in der Stadt. „Nun denn“, fuhr er schließlich fort. „Dann werden Ihre Patienten nun einen raschen Aufstieg von Economy zur First Class machen, was denken Sie?“ Dr. Stacey nickte mit einem schwachen Lächeln. „Ich habe gehört, daß Superman Airlines eine der sichersten der Welt sein soll!“ Der Stählerne erwiderte das Lächeln. Doch für eine längere Plauderei war keine Zeit: Jede Verzögerung erhöhte das Risiko 44
für die Patienten. Superman durchquerte die Eingangshalle und hob den nächstbesten Senioren auf seine Arme. Es war eine grauhaarige, dickliche alte Dame in einem weißen Hausmantel. Eine zarte Röte überzog ihre Wangen, als Superman sie hinaustrug. „Lieber Himmel“, hauchte sie entzückt. „Seit vierzig Jahren hat mich niemand mehr so in den Armen gehalten. Sind Sie sicher, daß Sie das verkraften, junger Mann?“ Superman lächelte sie an. „Alles wird gut, Ma’am. Entspannen Sie sich, lassen Sie sich einfach tragen. Ich kümmere mich schon um alles andere.“ In den folgenden zwei Stunden flog Superman zweiundvierzigmal zwischen dem Hob’s Bay Nursing Home und dem Shady Acres Resort in Ridgeway Hills hin und her. Anfangs war der Direktor vom Shady Acres von der Aus sicht, auf einen Schlag einen Haufen Neuzugänge zu bekommen, nicht gerade begeistert. Aber sowohl das Mitleid seiner Pfleger und Pflegerinnen als auch der Protest seiner eigenen Patienten hatte ihm rasch verdeutlicht, daß er einen Aufstand riskierte, falls er seine Tore nicht denen öffnete, die es nötig hatten. Superman nahm mit Befriedigung zur Kenntnis, daß die Wohlhabenden auch ein Herz für Bedürftige haben konnten. Schließlich setzte der Mann aus Stahl den letzten Patienten vor dem Portal von Shady Acres ab und sah zu, wie zwei Pflegerinnen den alten Mann behutsam in einen Ro llstuhl hoben. Der Mann winkte Superman zum Abschied zu. „Und danke nochmal“, rief er. Superman erwiderte das Winken. „Gern geschehen“, sagte er. Dann schlug er sein Cape zurück und erhob sich in die Luft. Kurz darauf hatte er eine Höhe erreicht, aus der er einen guten Blick auf die gesamte Anlage des Shady Acres hatte – und er konnte nicht umhin, zu hoffen, daß der Stromausfall noch länger dauern würde. Das Heim lag in einem herrlichen Park, 45
und die Patienten des staatlichen Pflegeheims würden ihren Aufenthalt sicher genießen. Doch als er an der riesigen Uhr vorbeiflog, die zwischen den beiden gigantischen Carlini- Türmen hing, war es schlagartig aus mit der Zufriedenheit eines Heroen, der Menschenleben gerettet hatte. Unsanft wurden Supermans Gedanken wieder in die Realität zurückgeholt. „Verflucht“, stöhnte er laut auf. Er hatte nicht nur seine Verabredung mit Lois verpaßt, sondern er hatte auch schon einen guten Teil seines ersten Arbeitstages auf dem Set versäumt. Und seine Che fin, Miss Chase, war nicht der Typ, der über ein solches Fehlen großzügig hinwegsehen würde. Wenn ich nicht bald zurückkehre, dann bin ich derjenige, der sich schon mal im Shady Acres anmelden kann, dachte er zerknirscht. Die Chase würde ihm bestimmt eine Standpauke halten, nach der er ziemlich alt aussah. Superman beschleunigte sein Tempo und schoß in Richtung Centennial Park davon.
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5 Nachdem Clark noch eilig seine Brille aufgesetzt hatte und nun durch die Bäume zum Produktionswagen hastete, stellte er fest, daß irgend etwas nic ht stimmte. Auf der Lichtung schlichen zig Assistenten auf der Suche nach einem schattigen Platz umher. Alle wirkten müde und ausgesprochen niedergedrückt. „Was ist denn hier passiert?“ fragte Clark, ohne daß er seine Frage an jemand Bestimmtes gerichtet hätte. Falls man den Neuen gehört hatte, schien man sich nicht dazu durchringen zu können, ihm eine Antwort zu geben. Die unerbittliche Hitze setzte ihnen allen derart zu, daß niemand auch nur die Energie aufbrachte, zu ihm aufzuschauen. Clark beschloß, nach Lois zu suchen. Sie würde ihm gewiß erklären können, was geschehen war. Als er zügig auf den Produktionswagen zuging, bemerkte Clark, daß die Tür weit offen stand, was in Anbetracht der herrschenden Hitze mehr als ungewöhnlich war. Hier war in der Tat etwas faul, und die zerknüllten gelben Zettel, die den ausgedörrten Rasen vor der kleinen Treppe übersäten, bestätigten seinen Verdacht nur noch. Nun drang auch Lois’ Stimme in sein Bewußtsein. Er hatte sie schon eine ganze Weile wahrgenommen, ohne wirklich darauf zu achten. Ihm entging nicht, daß seine Partnerin ganz, und gar nicht glücklich klang. Clark spähte durch die Türöffnung und sah Lois, die mit dem Rücken zu ihm an dem Schreibtisch der Produktionsleiterin saß. Sie hielt das Telefon in ihrer Hand und blickte auf das Branchenbuch vor sich, das auf den Seiten ›Klimaanlagen‹ aufgeschlagen war. Lois’ weißes Top klebte ihr am Rücken, was ihm sagte, daß die Klimaanlage im Inneren des Wagens nicht erst vor ein paar 47
Minuten ausgefallen war. Und das, was Cla rk noch an Informationen fehlte, wurde ihm Sekunden später geliefert. „Nein“, bellte Lois ins Telefon. „Jetzt hören Sie mir mal zu. Und wenn Sie einen Wartungsvertrag auf dem Mond zu erfüllen hätten, das ist mir verdammt egal! Unsere Maschine hier ist kaputt!“ Lois schwieg einen Augenblick und lauschte der Stimme am anderen Ende der Leitung. Clark konnte ihr Gesicht nicht richtig erkennen, aber das, was er sah, wirkte ziemlich wütend. Einen Moment später jedoch war ihr die Zerknirschung deutlich anzusehe n. „Oh, ein Pflegeheim“, murmelte sie mit reumütiger Stimme. „Nun, dann... können Sie mir vielleicht eine andere Firma... Hallo? Hallo?“ Einen unanständigen Fluch murmelnd, riß Lois die nutzlose Seite aus dem Telefonbuch, zerknüllte sie und warf sie Richtung Tür. Ohne Zweifel beabsichtigte sie, die zerknüllte Seite zu dem anderen Papierabfall, der sich vor dem Wohnwagen angesammelt hatte, zu befördern. Clark sah seelenruhig zu, wie der Papierball von seiner Brust abprallte, dann fing er ihn auf, bevor er zu Boden plumpsen konnte. „Hast du was verloren?“ Erst in diesem Moment bemerkte Lois, daß sie nicht mehr allein war. Sie drehte den Kopf und starrte ihren Verlobten mit leerem Blick an, offensichtlich zu erschöpft und zu verzweifelt, um sich noch über ihn aufzuregen. „Wo bist du gewesen?“ fragte sie. Clark deutete auf das Telefon. „Würdest du mir glauben, wenn ich sage, daß ich in einem Pflegeheim war?“ sagte er, wobei er versuchte, ein Grinsen zu unterdrücken. „Da scheint ja der Bär los zu sein“, erwiderte sie müde. „Kann man sagen“, meinte er und blickte sie mitfühlend an. „Ein Stromausfall hat die Klimaanlage lahmge legt. Ich mußte 48
die Leute da herausholen.“ „Einzelheiten kannst du mir später erzählen“, gab Lois zurück. „Ich habe den schier unmöglichen Auftrag, einen Wartungsdienst zu finden, der bereit ist, bis hierher in den Park zu fahren, um eine einzige kleine Anlage zu reparieren – und das an einem Tag, an dem die ganze Welt dasselbe Anliegen hat. Wie du siehst, ist Camping im Park nicht meine liebste Freizeitbeschäftigung.“ Sie wandte sich wieder dem Telefonbuch zu und ließ den Finger über die Namen der Firmen gleiten, um sich die nächste Nummer herauszusuchen. Plötzlich hielt sie inne und schaute wieder zu ihm auf. „Und was hast du herausgefunden, bevor du dich in die Lüfte erhoben hast?“ fragte sie. Clark seufzte. „Nicht viel, wenn ich ehrlich bin. Und du?“ „Tja“, begann Lois und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. „Bevor diese Katastrophe über uns hereingebrochen ist, habe ich ein paar pikante Informationen erhalten. Ich habe mich mit einem der Nebendarsteller unterhalten: Colin Dunn.“ Lois erzählte ihm, was sie erfahren hatte, angefangen von Colins Familiengeschichte bis zu seiner geringen Meinung über Dorian Hatch. Clark gab zu, daß dies ein erster Erfolg war. Doch während sich Lois in Einzelheiten erging, wurde Clarks Aufmerksamkeit plötzlich abgelenkt. Auch Lois schien es gemerkt zu haben, denn sie griff nach seinem Arm. „Clark!“ sagte sie drohend. „Hörst du mir überhaupt zu?“ Unglücklicherweise tat er das nicht. Denn er mußte sich auf etwas konzentrieren, das sich anhörte wie... „Schüsse!“ zischte er. Lois sah ihn verdattert an. „Wie bitte?“ Er runzelte die Stirn. „Ich muß weg. Irgendwo in der Nähe des Parks findet ein bewaffneter Überfall statt.“ 49
Mit diesen Worten wandte er sich ab, verließ den Wagen und eilte auf die Bäume zu. Er hatte bereits seine Brille abgesetzt, als Lois den Kopf durch die Tür steckte. „Könntest du das zur Abwechslung nicht einmal der Polizei überlassen?“ schlug sie halbherzig vor. Aber sie kannte seine Antwort darauf bereits. Clark verschwand hinter den Bäumen, verwandelte sich in Superman und kam wieder zum Vorschein. Dann schoß er so rasch in den Himmel, daß kein Beobachter ihn hätte erkennen können. Lois ließ sich mit vor der Brust verschränkten Armen gegen den Türrahmen des Campingwagens sinken und schnaubte verärgert. Weg war er! Und das einzige, was bewies, daß er eben noch dagewesen war, war das Rascheln der Blätter, die sich in einem nur zu vertrauten Luftzug bewegten. Mit einem Seufzer kehrte sie ins Innere des Wagens zurück, um sich wieder ihrer Arbeit zu widmen. Doch noch bevor sie die nächste Nummer wählen konnte, wur de sie erneut unterbrochen. „Claire?“ ertönte eine Stimme in ihrem Rücken. Sie drehte den Kopf und sah Mary Chase hinter sich, „Ja?“ antwortete sie, strich sich eine feuchte Strähne aus der Stirn und gab ihr bestes, um so etwas wie ein Lächeln auf ihre Lippen zu zaubern. „Claire, haben Sie zufällig irgendwo Louis White gesehen?“ fragte Mary. Lois war ziemlich gut darin, Ausreden für Clarks Abwesenheit zu finden. Schließlich mußte sie ihn in der Redaktion des Daily Planet regelmäßig decken, doch in diesem Fall schien jeder Versuch aussichtslos zu sein. „Ja“, sagte sie also schlicht. „Ich habe ihn tatsächlich eben ganz kurz gesehen.“ „Da haben Sie aber großes Glück gehabt“, erwiderte Mary und versuchte nicht einmal, den ironischen Tonfall zu unterdrücken. Es war nicht zu übersehen, daß sie mehr als nur 50
ein bißchen verärgert war. „Seit heute morgen hat ihn nämlich sonst noch niemand mehr zu Gesicht bekommen“, fuhr sie fort. „Was ist denn los?“ fragte Lois. „Nun“, sagte Mary seufzend, „da die Klimaanlage ausgefallen ist, haben wir einen Schwund an Getränken, als würden sie in der Wüstensonne verdunsten!“ Mary lachte über ihren kleinen Scherz, und Lois brachte ein höfliches Kichern zustande. „Ich wollte Louis losschicken, damit er unsere Vorräte auffüllt“, fuhr die Koordinatorin fort, „aber dieser Mann scheint vom Erdboden verschluckt zu sein. Er ist nie da, wenn man ihn braucht.“ „Wem sagen Sie das“, murmelte Lois und blickte zum Himmel. „Was?“ fragte ihre Chefin. „Ach, nichts“, antwortete Lois hastig. „Tja, nun“, sagte Mary, „er und ich werden uns einmal ernsthaft unterhalten müssen. Das heißt, wenn ich ihn überhaupt einmal zu fassen kriege.“ Lois’ Gedanken rasten. Ihr mußte etwas einfallen, um Clark zu entschuldigen – und das schnell. „Hören Sie“, begann sie, „ich weiß, ich habe vielleicht meine Kompetenzen überschritten, aber... ich habe ihn bereits losgeschickt, um Getränke einzukaufen. Und deswegen ist er gerade nicht hier.“ Mary sah sie starr an. „Sie haben ihn bereits geschickt?“ Lois nickte. „Äh... ja.“ Na prima, dachte sie. Jetzt fliegen wir beide raus. Er, weil er nie da ist, und ich, weil ich mir zu viel erlaube. Doch anstatt ihr den Kopf abzureißen, lächelte die Produktionsleiterin freundlich. „Nicht schlecht. Endlich mal jemand, der mitdenkt. Sie machen Ihren Job gut, Claire. Ich hätte nichts dagegen. Sie beim nächsten Projekt wieder als Assistentin einzustellen.“ „Nun, lassen Sie mich zuerst dafür sorgen, daß dieses 51
Mistding von Klimaanlage wieder ans Laufen gebracht wird“, antwortete Lois. Mary nickte. „Bis später.“ Mit diesen Worten wandte sie Lois den Rücken zu, um sich um die nächste Katastrophe zu kümmern. Sie war noch nicht ganz zur Tür heraus, als sie auch schon ihr Funksprechgerät aktiviert hatte. Lois seufzte. Großartig, Lois, wirklich großartig, schimpfte sie im stillen vor sich hin. Nun durfte sie auch noch das Branchenbuch nach einem Getränkeservice durchforsten, der ihnen neue Erfrischungen brachte. Aber zuerst mußte sie das Problem mit der defekten Klimaanlage lösen. Ungeduldig tippte sie die nächste Nummer in das Telefon ein. Kurz darauf meldete sich eine rauhe Männerstimme. „Ja?“ „Dreher Heiz- und Kühltechnik?“ fragte Lois. „Ich brauche einen Helden und Lebensretter!“
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6 Ricky Pataki beugte sich über den Tresen der Big Belly Burger-Filiale und wedelte dem Kassierer mit der Pistole vor der Nase herum. „Jetzt hör mir mal genau zu“, knurrte er. „Wir wollen, was wir wollen, und du willst am Leben bleiben. Also tu, was wir sagen, und alle sind glücklich und zufrie den!“ Der Kassierer, ein pickelgesichtiger Jüngling, dessen Namensschild ihn als „Elvin“ auswies, schluckte. Sein Blick klebte an der Mündung des Revolvers, aus der es noch rauchte, nachdem Ricky eben einen Warnschuß abgegeben hatte. Die Kugel war nur wenige Zentimeter über Elvins Kopf hinweg geflogen. „Selbstverständlich. Wir tun, was Sie sagen“, sagte die Filialleiterin, eine nicht unattraktive Blondine, die aus der Küche gekommen war, als sie den Schuß gehört hatte. „Wir wollen keinen Ärger.“ Ricky lächelte. Das sagten sie im Kino auch immer. Er konnte noch die Stimme seiner Mutter hören. Such dir eine Arbeit, Ricky. Das bildet den Charakter, Ricky. Wie immer zuckten Rickys Mundwinkel bei diesem Gedanken nervös. Klar, dachte er. Such dir ‘nen Job, schufte, mach dich kaputt und sieh zu, daß du Kohle verdienst. Oder Überfall den Big Belly Burger und hol dir in wenigen Minuten gleich einen ganzen Sack voll. Ohne die Mündung des Laufes von Elvins Gesicht zu nehmen, warf Ricky seinen Kumpanen Freddie und Mickey einen Blick zu. Die beiden bewachten die Eingänge, um sowohl die Straße als auch das Dutzend Gäste im Auge zu behalten, das schwitzend über ihren Burgern an den Tischen saß. „Draußen alles paletti?“ fragte Ricky. 53
„Tutti paletti“, bestätigte Mickey. „Tutti frutti“, setzte Freddie lahm hinzu. Für dieses mehr oder weniger gelungene Wortspiel erntete er sogar ein Lächeln von Ricky, dem der Schweiß in den Nacken rann. „Tutti frutti. Ein Wahnsinnsgedanke, Freddie. Diese Hitze bringt einen noch um! Los, mach mir ‘nen Shake“, wandte er sich wieder an den Jungen hinter dem Tresen und schob die Waffe noch dichter an Elvins pickelige Nase heran. „Okay, Big Belly-Boy“, grinste er. „Jetzt erzähl ich dir, was genau du tun sollst.“ Ricky wies mit dem Lauf seiner Waffe auf die Anzeigetafel über Elvins Kopf. „Zuerst nehmen wir...“ Er stockte, als er etwas durch den Sicherheitsspiegel, der über der Speisenkarte angebracht war, huschen sah. Ricky trat einen Schritt von der Theke zurück und riß seine Waffe herum, bis sie auf den Farbigen wies, der sich schweigend von seinem Sitz erhoben hatte. „Oh, oh“, machte Ricky mit einem Kopfschütteln. „Ich weiß ja nicht, wo Sie hinwoll’n, Mister, aber unser guter Elvin hier würde es sicher mächtig persönlich nehmen, wenn Sie gehen, ohne zu bezahlen. Und jetzt setzen Sie sich wieder!“ Der Mann tat, wie ihm geheißen. Ricky drehte sich wieder zu Elvin um. „Wie ich gerade sagen wollte“, fuhr er fort, „nehmen wir drei extragroße Tutti-FruttiShakes zum Mitnehmen!“ Elvin starrte Ricky ungläubig an. „Im Ernst?“ Ricky nickte. „Wollt ihr sonst noch was, Jungs?“ rief er über die Schulter seinen Freunden zu. „Wie wär’s mit der Knete in der Kasse?“ sagte Mickey. „Ach ja, stimmt.“ Ricky grinste breit. „Das hätte ich fast vergessen. Als Beilage hätte wir gerne das Bargeld.“ „Wollt ihr Pommes Frittes dazu?“ fragte Elvin mit brüchiger Stimme. Ricky lachte fröhlich auf. „Mann, Junge, du hast ja echt Humor. Aber bei dieser Höllenhitze kann ich gut auf was 54
Warmes verzichten. Nur die Shakes und die Knete aus der Kasse.“ Elvin warf der Managerin einen Blick zu, und als diese nickte, drückte er auf einen Knopf an der Kasse. Mit einem „Kling“ sprang die Schublade auf, und Elvin füllte das Geld in eine rot-weiß gestreifte Tüte mit der Aufschrift Big Belly. „Fein machst du das, Kumpel“, bemerkte Ricky zufrieden. Plötzlich schwenkte er die Waffe auf zwei andere Kassierer hinter dem Tresen, die augenblicklich erbleichten, als sich der Lauf auf sie richtete. „He, Jungs, nehmt eurem Kumpel mal ein bißchen Arbeit ab“, sagte er. „Greift euch ‘ne Tüte. Und du“, der Lauf richtete sich auf die Managerin, „machst die Shakes!“ Die Angestellten nickten hastig und beeilten sich, dem Befehl nachzukommen. Gleichzeitig trat die Filialleiterin an die Milchshakemaschine und ließ die kühle, sämige Flüssigkeit in einen großen Becher laufen. Einige Sekunden später reichten die Kassierer drei prallgefüllte Tüten über die Theke. Mickey und Freddie verließen ihre Posten an der Für, um Ricky beim Tragen des Geldes zu helfen. In diesem Moment gab die Milchshakemaschine ein schauderhaftes Geräusch von sich, und Ricky zuckte zusammen. „Was soll das? Was ist los?“ fauchte er. „W... wir haben kein Tutti Frutti mehr“, stammelte die Blondine. „Das ist ja mal wieder typisch“, maulte Freddie. „Dann mach mir einen Erdbeer.“ „Für mich Vanille“, tönte Mickey. „Ich bin eher ein Fan von Kirsche“, erklang eine andere Stimme scheinbar aus dem Nichts. Ricky wandte den Kopf und blickte sich um, konnte aber nicht herausfinden, wer gesprochen hatte. 55
„Wer hat das gesagt?“ fragte er barsch, und seine Stimme ließ keinen Zweifel daran, daß er eine möglichst zügige Antwort erwartete. Die Gäste an den Tischen erwiderten seinen Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. Offenbar dachte der Schuldige nicht daran, sich zu melden. Rickys Kiefermuskeln spannten sich an. Es war höchste Zeit, von hier zu verschwinden. Er würde der Manage rin sagen, sie solle ihnen das Shake geben, das sie bereits fertig hatte, und den Rest vergessen, und dann nichts wie weg. Sie hatten ihren Spaß gehabt. Er wandte sich wieder um und öffnete den Mund, um der Blondine seine Befe hle zu geben, klappte ihn jedoch sofort wieder zu. Er sah nicht etwa in das Gesicht der Managerin, sondern auf ein großes, rotes „S“ eines gewissen Superhelden! „Verflucht!“ stöhnte Mickey, bevor Ricky überhaupt ein Wort herausbrachte. Rickys Blick wanderte langsam zu den stahlblauen Augen Supermans hinauf. „Aber wie... wie bist du...“ stammelte er. „Wie wär’s mit dem Fenster?“ antwortete Superman freundlich. Der Stählerne musterte die drei MöchtegernRäuber. Es waren fast noch Kinder. Er bezweifelte stark, daß einer von ihnen älter als neunzehn Jahre alt war. Selbst ihr Anführer, der ihm gegenüber auf der anderen Seite des Tresens stand, schien sich noch nicht allzu lange zu rasieren. Dennoch waren sie bewaffnet und gefährlich, und in diesem Restaurant befanden sich Menschen, die verletzt werden konnten, falls es zu einem Handgemenge kommen sollte. „Jungs! Wir gehen“, sagte der Bursche vor ihm, wobei er sich hörbar bemühte, seiner Stimme einen zuversicht lichen Klang zu verleihen. „Ja, das ist richtig“, erwiderte Superman, immer noch fröhlich. „Und ihr braucht euch nicht einmal vor einem anstrengenden Marsch in der Gluthitze draußen zu fürchten, 56
denn ich fliege euch gratis direkt zur nächsten Polizeistation.“ „Vergiß es“, fauchte der Junge mit der Pistole. „Wir gehen allein.“ Dann entsicherte er seine Waffe. Offenbar hatte er sich in Gedanken einen Plan zurechtgelegt, der ihm überaus vielversprechend erschien. Superman wußte, daß dies nicht der Zeitpunkt war, es ihm auszureden. „Kugeln,“ sagte er statt dessen so neutral wie möglich. „Liest du eigentlich nicht den Daily Planet? Kugeln können mir nichts anhaben.“ „Klar“, erwiderte der Junge. „Das weiß ich. keine Sorge.“ Dann wies er mit einer Kopfbewegung auf die Ange stellten des Schnellrestaurants. „Aber die da... die sind aus Fleisch und Blut, nicht wahr?“ Superman lächelte. „Ich mache aus deinem Ballermann eine hübsche Brezel, bevor du den Abzug noch gedrückt hast“, sagte er sanft. „Vielleicht“, gab der Junge zurück. „Aber die erste ist schon auf dich gerichtet. Und ich wette, nicht einmal du kannst sechs Kugeln, die von deiner Brust abprallen. so schnell einfangen. daß keine einen Unschuldigen trifft!“ Superman runzelte die Stirn. „Okay“, sagte er schließlich. „Dann nehmt das Geld und haut ab.“ Ricky zögerte. Er sah Superman mißtrauisch an, als suchte er nach etwas in seiner Miene, das ein Täuschungs manöver verraten würde. Doch er konnte nichts finden. „Mickey, Freddie... laßt uns verschwinden!“ befahl er schließlich. Ohne Superman aus den Augen zu lassen, trat er wachsam einen Schritt von der Theke zurück. Superman blieb reglos stehen, während sich die drei Räuber immer weiter von ihm entfernten. Dann, mit einer Geschwindigkeit, die es einem menschlichen Auge unmöglich machte, seinen Bewegungen zu folgen, 57
sprang Superman über den Tresen. Der Junge konnte nur noch verdattert feststellen, daß der Superheld nicht mehr dort stand, wo er eben noch gewesen war. Ricky feuerte seine Waffe in die Richtung ab, in der Superman eben noch gestanden hatte. Doch er konnte nur einen einzigen Schuß abgegeben. Einen Sekundenbruchteil später hatte Superman den Lauf der Pistole so verdreht, daß er einer Spirale ähnlich sah. Noch bevor Ricky wußte, was ihm geschah, griff Superman nach ein paar der metallenen Stühle, die zur Einrichtung des Big Belly gehörten, und wickelte die Stuhlbeine um die Handgelenke der Teenager. Anschließend wand er die Beine untereinander so zusammen, daß die drei aneinandergekettet waren. Ricky starrte den Mann aus Stahl mit glasigen Augen an. „Aber... aber wie...“ „Ihr habt einen Fehler gemacht“, erklärte Superman. „Deine Idee mit den abprallenden Kugeln war gar nicht übel, aber du hast nicht bedacht, wie eine Veränderung des Abstands zwischen dir und mir sich auf die Flugbahn der Kugel auswirkt. Ich habe nur gewartet, bis du weit genug von mir entfernt warst, so daß ich deinen ersten Schuß in die Decke ableiten konnte. Es ist ein bißchen wie Poolbillard. Spielst du Billard?“ Der Junge schüttelte den Kopf. „Schade“, sagte Superman. „Aber du hast ja demnächst viel Zeit, es zu lernen. Zwei bis fünf Jahre, würde ich sagen. Wie ich gehört habe, hat das Staatsgefängnis ganz reizende Aufenthaltsräume.“
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7 Eine Stunde, nachdem er Lois mit ihrem Branchenbuch alleingelassen hatte, trat Superman aus der Polizeiwache des Bezirks, entschlossen, nun seinen Teil zu der Recherche und der Aufklärung des Falls ›Bolt‹ beizutragen. Er hatte die drei Burschen, die versucht hatten, die Big BellyFiliale auszurauben, den Cops ausgeliefert, die sie in eine hübsche Zelle verfrachtet hatten. Und obwohl er noch eine Weile darauf gewartet hatte, seine Zeugenaussage aufnehmen zu lassen, waren noch genügend Stunden des Tages übrig, um die Arbeit zu tun, für die er am Set eingestellt worden war. Superman schwang sich in die Luft, um zum Centennial Park zurückzufliegen. Es würde nur eine knappe Minute dauern. Dummerweise schien die Verbrecherinnung heute wild entschlossen, ins Guinness Buch der Rekorde zu kommen. Als Superman gerade zum Landeanflug ansetzen wollte, hörte er schon die nächsten Schreie. Entschlossen biß der Mann aus Stahl die Zähne zusammen. Nicht eine Sekunde dachte er daran, diese Hilfeschreie zu ignorieren. Jemand war in Not. Seine Pflicht war eindeutig. Mit einem Rechtsschwenk schoß er in die Richtung, aus der die Rufe gekommen waren. Sein Umhang flatterte laut knatternd hinter ihm her. Die Atmosphäre im Centennial Park war immer noch angespannt. Lois gewöhnte sich jedoch langsam daran. Sie saß immer noch in dem Produktionswagen, unterhielt sich mit ihrer Chefin, schüttete kalte Cola in sich hinein und genoß die kühle Brise, die aus der reparierten Klimaanlage drang. Doch so gelöst sie auch nach außen scheinen mochte – die ganze Zeit behielt Lois das Gesche hen draußen vor dem großen Fenster im Auge. 59
Von ihrer erhöhten Position aus konnte sie praktisch alles beobachten, was auf dem Set vor sich ging. Nur wenige Meter von ihr entfernt bereitete sich gerade die gesamte Crew auf die nächste Szene vor. „Sie erweisen sich langsam als echtes Goldstück, Claire“, sagte Mary und hob ihr Glas in einem angedeuteten Toast auf ihre neue Mitarbeiterin. „Wirklich! Es grenzt an ein Wunder. was Sie heute alles zustandegebracht haben!“ Lois errötete – und war selbst stolz auf sich, daß sie die Verlegenheit so gut spielen konnte. „Ach, das war doch eine Kleinigkeit“, erwiderte sie bescheiden und lächelte. „Von wegen“, protestierte Mary. „Nicht nur, daß Sie meine Anweisungen gewissenhaft befolgen; Sie sind auch noch überaus einfallsreich und ergreifen, wenn nö tig, selbst die Initiative. Sie werden noch weit kommen, lassen Sie es sich gesagt sein.“ „Vielen Dank“, antwortete Lois. Sie konnte nur hoffen, daß Mary ihr Unbehagen nicht spürte. Sie mochte die Produktionsleiterin wirklich, und das schlechte Gewissen, das sie empfand, während sie die Frau anlog, ließ sich langsam nicht mehr ignorieren. Schließlich war „Claire“ für Mary Chase nur eine Produktionsassistentin, während Lois Lane in Wirklichkeit hier war, um im Dreck zu wühlen und zu sehen, was sich zum Vorschein bringen ließ. Für die Reporterin war Mary Chase in erster Linie eine potentielle Informationsquelle, und ihr Lob war eigentlich verschenkt. „Und wo wir schon mal dabei sind...“, fuhr die Frau fort, „ist dieser Louis White eigentlich inzwischen noch einmal hier vorbeigekommen? Wo ist dieser Mann denn dauernd? Ich habe noch immer ein Wörtchen mit ihm zu reden.“ Lois’ Gedanken rasten. Was konnte sie diesmal erfinden, um ihren ständig abwesenden Partner zu decken? „Nun ja“, begann sie. „Ich bin nicht ganz sicher. Er sagte vorhin etwas davon, 60
daß einer der Beleuchter neue Birnen braucht. Ich nehme an, er kümmert sich im Augenblick gerade darum.“ Mary legte die Stirn in Falten. „Das kann wohl kaum mehr als ein paar Minuten dauern.“ Sie seufzte und sah Lois mit enttäuschter Mie ne an. „Ich weiß ja, daß Sie nicht für diesen Mann verantwortlich sind. Claire, aber er ist gewiß nicht die Arbeitskraft, die man mir versprochen hat. Ich hoffe, ich sehe bald ein wenig Leistung von ihm. Wenn er sich nicht am Riemen reißt, muß ich ihn raus schmeißen.“ Lois grinste nervös. „Bestimmt muß er sich nur ein biß chen eingewöhnen. Dann werden Sie schon sehen, was er kann.“ Mary bedachte sie mit einem prüfenden Seitenblick. „Das klingt, als würden Sie Wert darauf legen, ihn in Ihrer Nähe zu haben“, sagte sie. „Wenn ich es nicht besser wüßte, dann würde ich sagen, daß Sie sich in ihn verguckt haben.“ Die ältere Frau zuckte die Achseln. „Na ja, hübsch ist er ja, das kann man nicht leugnen.“ Lois räusperte sich. „Ja, das ist wohl wahr“, gab sie zu, fuhr aber dann hastig fort: „Aber mein Interesse an ihm ist rein beruflicher Natur. Ich denke mir, wenn ich so einen Drückeberger wie ihn zum Arbeiten kriege, dann bin ich für den Job wahrhaftig geeignet.“ Mary lachte laut auf. „Jaja, ›rein beruflicher Natur‹, na sicher.“ Mit einem wissenden Grinsen setzte sie hinzu: „Ganz wie Sie wollen, Claire.“ Lois wandte sich ab und sah einen Moment aus dem Fenster, um dem forschenden Blick ihrer Chefin zu entge hen. Sie konnte nur hoffen, daß ihre Miene der Frau nicht verriet, was sie wirklich für Clark empfand. Draußen auf dem Set, im Ring der Kameras, war alles für die nächste Aufnahme bereit. In der Szene, die ge spielt werden sollte, schlief Bolt auf dem Waldboden, während sich ihm ein Rudel Wölfe näherte. Die Filter der Kameras würden das Tageslicht in nächtliche Dunkelheit verwandeln. 61
Lois sah, wie Paris mit Hatch und einem Mann sprach, der ihr als Trainer der Wölfe vorgestellt worden war. Lois konnte nicht verstehen, worüber die drei sich unterhielten, aber Paris’ Gesten verrieten, daß er ziemlich aufge bracht war. Hatch hatte dem Trainer eine Hand auf die Schulter gelegt, als wollte er damit sein Vertrauen in den Mann demonstrieren. Mary folgte Lois’ Blick. „Dies ist übrigens eine meiner Lieblingsszenen in dem Film“, vertraute sie Lois an. „Tatsächlich?“ fragte Lois, ohne den Blick vom Set abzuwenden. „Ich finde es, ehrlich gesagt, ein bißchen beängstigend, daß hier überall Wölfe herumlaufen.“ Und ganz, offensichtlich machte es auch Paris nervös. „Ach, Unsinn. Zur Beunruhigung besteht überhaupt kein Anlaß. Die Wölfe gehören Alan Sbarra“, erwiderte Mary und wies auf den rothaarigen Trainer. „Er ist der beste Mann in dieser Branche. Er versteht was von Tierdressur. Seine Kuscheltiere würden nicht einmal atmen, wenn er es ihnen nicht erlaubt hätte.“ Lois wandte den Kopf und sah Mary an. Sie spürte, daß die Frau Vertrauen zu ihr gefaßt hatte und sich ihr öffnete, und als Reporterin, die sie war, nutzte sie die Chance sofort. „Gut zu wissen“, begann sie. „Aber nach all den Unfällen, die sich hier schon ereignet haben, hätte ich nichts dagegen, wenn diese Viecher irgendwie ferngesteuert wären. In meinen Augen ist es ein ziemliches Risiko, einen Haufen unberechenbarer Raubtiere um den Star des Filmes herumlaufen zu lassen.“ Mary kicherte vergnügt. „Also glauben Sie nicht daran, daß es sich bei dem, was hier schon geschehen ist. um blo ße Unfälle handelte?“ Die Frau trank einen Schluck ihrer Cola und ließ die Frage in der Luft hängen. Das war ja fast schon die professionelle Interviewtechnik eines Reporters, dachte Lois. Wer war denn hier undercover beschäftigt – sie oder Mary? 62
„Wieso?“ fragte sie ihre Chefin. „Was glauben Sie denn?“ Mary stellte die Dose ab und zuckte mit den Schultern. „Wenn ich ehrlich bin, glaube ich nicht an Unfälle“, ant wortete sie. „Ich denke, daß irgend jemand da seine Finger im Spiel hat!“ Lois warf ihrer Chefin einen neugierigen Blick zu. „Ach ja?“ „Ja.“ Die Produktionsleiterin beugte sich näher zu Lois, als wollte sie mögliche Lauscher ausschließen. „Man muß ja bloß eins und eins zusammenzählen“, fuhr sie fort. Sie schien beglückt zu sein, jemanden gefunden zu haben, dem sie ihre Theorien mitteilen konnte. Und Lois bot sich nur allzu gerne an. „Und was denken Sie, wer dahinter steckt?“ fragte Mary nun. „Dorian Hatch?“ antwortete Lois probeweise. „Hatch?“ Die Frau lachte. „Der war nicht schlecht, wirklich!“ Plötzlich hörte sie auf zu lachen und sah Lois an, als sähe sie sie auf einmal mit anderen Augen. „Wie kommen Sie denn auf Hatch?“ Lois zuckte die Achseln. „Es ist ja kein Geheimnis, daß Hatch einen fetten Anteil an der Abschlußversicherung besitzt“, sagte sie gerade heraus. Gespannt wartete sie auf die Antwort. „Das Geld von der Versicherung?“ Mary dachte einen Augenblick nach. „Nein, das glaube ich nicht. Hatch ist nicht hinter dem Geld her. Klar, wenn man mit Arlee Atkinson zusammen ist, hat das sicher verheerende Auswirkungen auf das Bankkonto, aber Hatch verdient genug. Nein, das ist kein Motiv.“ „Und wer steckt dann hinter diesen Unfällen?“ fragte Lois und zuckte innerlich zusammen. Himmel, hatte sie sich jetzt nicht ein wenig zu neugierig angehört? Doch Mary schien es nicht zu kümmern. Sie kreuzte triumphierend die Arme vor der Brust und lehnte sich in ihrem Klappstuhl zurück. „Beau Paris“, sagte sie im Brustton der 63
Überzeugung. „Paris?“ Lois war überrascht von der Gewißheit in Marys Stimme. „Aber der schwerste Unfall hätte ihn doch fast ins Krankenhaus gebracht. Wie kommen Sie auf die Idee, daß er es war?“ „Denken Sie mal nach, Claire. Mag ja sein, daß das Versagen des Motorrads Paris fast aus dem Verkehr gezogen hätte. Aber Fakt ist, daß er gerade gedoubelt wurde, als sich der Unfall ereignete.“ Sie machte eine Pause, fuhr dann aber fort: „Vielleicht wäre das kein besonderes Indiz, wenn wir von einem anderen Schauspieler reden würden. Paris ist jedoch berühmt dafür, daß er seine Stunts alle selbst macht. Warum also diesen verhältnismä ßig harmlosen nicht?“ Lois rieb sich nachdenklich über das Kinn. „Sind Sie sicher, daß er sich geweigert hat, die Szene selbst zu drehen?“ fragte sie. „Nein“, antwortete Mary aufrichtig. „Sicher bin ich nicht. Aber die einzigen Leute, die hier wirklich etwas zu sagen haben, sind Hatch und Paris. Und warum sollte Hatch seinem Star verbieten, den Stunt zu machen, wenn er es bei allen anderen zugelassen hat?“ Die Produktionsleiterin nahm ihre Coladose, warf Lois einen selbstzufriedenen Blick zu und trank noch einen Schluck. Lois sah ihr zu, während die Gedanken in ihrem Kopf umherwirbelten. „Also wollte Paris den Stunt man umbringen?“ überlegte sie. Mary schüttelte den Kopf. „Nein. Das kann ich mir nicht vorstellen. Um Mord geht es bestimmt nicht.“ „Aber worum dann?“ Lois mußte unbedingt noch mehr aus ihrer Chefin herausbekommen. Mary Chase schien Dinge zu wissen, die Lois’ Wissenslücken auffüllen konnten, und ihre Theorie war gar nicht so abwegig. Doch die Reporterin brauchte mehr Fakten! 64
„Ganz einfach“, antwortete Mary schließlich. „Das Motiv ist Rache.“ „Rache?“ wiederholte Lois ungläubig. „Aber wieso? weswegen kann sich Paris rächen wollen? Und an wem?“ „An Hatch“, erwiderte die Frau, als wäre es das Logischste der Welt. „Wegen Arlee Atkinson. Schließlich waren Arlee und Paris ein Herz und eine Seele, bis sie ihn wegen Dorian verlassen hat.“ Das ist in der Tat interessant, dachte Lois. Paris und Atkinson waren also einmal ein Paar! Enttäuschte Liehe war immer schon ein starkes Motiv, um einen Haufen Dummheiten zu machen. Doch sie brauchte noch mehr Informationen, um daraus eine richtige Story zu machen. „Sie denken also, daß Paris seine Karriere aufs Spiel setzen würde, weil ihm jemand das Herz gebrochen hat?“ skeptisch schüttelte Lois den Kopf. „Nein, das kann ich einfach nicht glauben. In Hollywood gibt es Frauen wie Arlee doch in rauhen Massen.“ „Das ist wahr“, gab Mary zurück. „Aber er riskiert gar nicht so viel. Als ich in Hatchs Büro in Hollywood war, habe ich zufällig Paris’ Vertrag für ›Bolt‹ gesehen. Darin steht, daß seine Gage von vornherein gesichert ist.“ „Oh!“ „Seine Gage ist in diesem Vertrag testgelegt, und er kassiert sie in jedem Fall. Egal, ob der Film nun fertiggestellt wird oder nicht. Das ist ziemlich ungewöhnlich, wenn man bedenkt, daß sich ein Schauspieler normalerweise mit einer kleineren Gage begnügt, dafür aber an den Einspielergebnissen beteiligt wird, womit dann erst das richtige Geld verdient wird! Und nun frage ich Sie, Claire, warum verzichtet ein Routinier wie Paris auf einen Gewinn, der möglicherweise weit höher liegt als die Gage, auf die man sich geeinigt hat? Weil er weiß, daß der Streifen ohnehin nicht in die Kinos kommt!“ „Keine schlechte Theorie“, sagte Lois langsam. 65
Paris hatte definitiv ein Motiv. Und er hatte auch genü gend Gelegenheit, die Unfälle zu inszenieren. Was bedeutete, daß der Hauptdarsteller nun direkt hinter Dorian Hatch auf der Liste der Verdächtigen stand. „Aber das war noch nicht alles“, unterbrach Mary Lois’ Gedankengang. Wieder hatte sie ein triumphierendes Lächeln auf den Lippen. „Eine Freundin, die bei einer Castingagentur arbeitet, hat mir verraten, daß Paris eine mündliche Absprache getroffen hat, in einem großen Romantik-Thriller die Hauptrolle zu übernehmen, wenn er bis Ende des Monats für die Dreharbeiten frei ist. Und das wäre drei Wochen früher, als der Drehplan für ›Bolt‹ vorsieht!“ Wodurch Paris auf Platz eins der Verdächtigen-Hitliste rutscht, dachte Lois und nickte stumm. „Was ist mit Colin Dunn?“ fragte sie plötzlich. Sie war zwar längst zu dem Schluß gekommen, daß Colin nichts mit der Sache zu tun hatte, aber es konnte nicht schaden, Marys Meinung über den Schauspieler zu hören. „Was soll mit ihm sein? Er ist ein recht talentierter Schauspieler und ein gutaussehender Junge. Ich verstehe nicht, was Sie mit Ihrer Frage andeuten wollen.“ „Denken Sie, er könnte etwas mit den Unfällen zu tun haben?“ Mary zuckte die Achseln. „Wieso sollte er? Wegen seiner familiären Beziehung zu Robin Hood? Das ist überhaupt der Grund, warum er die Rolle bekommen hat! Wir dachten, daß es das Interesse des Publikums steigern würde, wenn man die Verbindung seines Großvaters zu dem Thema öffentlich macht. Allerdings scheint es keine Wirkung gehabt zu haben.“ „Schon“, sagte Lois, „aber vielleicht ist ja er derjenige, der eitersüchtig ist. Neidisch auf Paris’ Ruhm und Hatchs Befehlsgewalt.“ „Ach nein, das scheint mir zu weit hergeholt“, meinte Mary. Sie sah an Lois vorbei nach draußen. „Er ist ein lieber Kerl. 66
Und er braucht nur noch ein oder zwei Filme, um selbst eine Hauptrolle zu ergattern. Es wäre doch dumm von ihm, wenn er...“ Mary brach mitten im Satz ab. Zuerst wirkte sie nur verdattert. Dann schlich sich pures Entsetzen in ihre Miene. „Mein Gott!“ rief sie und sprang auf die Füße. Lois drehte den Kopf, um zu sehen, was ihre Chefin so erschreckt hatte. Und als sie hinaussah, konnte sie nur mühsam einen Schrei unterdrücken. Die Wölfe! Die dressierten Tiere, die sich um den schlafenden Bolt versammeln sollten... Sie drehten vollkommen durch!
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8 Die beiden Frauen stürzten gleichzeitig auf die Tür zu. Lois, die etwas jünger und sportlicher war, erreichte sie zuerst. Als sie in die drückende Hitze hinaussprang, hörte sie die Schreie der Schauspieler und übrigen Crewmitglieder. Doch zwei andere Geräusche hoben sich deutlich von den panischen Hilferufen und dem Gekreische ab: Die laute, dröhnende Stimme von Alan Sbarra und das wilde Knurren der drei angeblich zahmen und gut dressierten Wölfe. Lois packte einen der Beleuchter am Arm. „Was ist passiert?“ fragte sie atemlos. „Die Viecher sind vollkommen außer Kontrolle“, ant wortete der Mann. „Sehen Sie zu, daß Sie hier wegkommen. Wer weiß, worauf die Bestien Appetit haben!“ Lois ignorierte seinen gutgemeinten Rat. Die Reporterin in ihr machte es ihr förmlich unmöglich, sich in Sicherheit zu bringen. Die Neugier war zu groß. Lois hastete, gefolgt von Mary Chase, zum Set. Als sie ankam, hatten die meisten Leute bereits das Weite gesucht. Innerhalb des Kreises, den die Kameras bildeten, befanden sich nur noch Hatch und der Wolfstrainer. Beau Paris lag auf dem Boden und starrte den Wolf an, der nur knappe zwei Meter von ihm entfernt mit angelegten Ohren die Zähne fletschte. Die anderen Wölfe umkreisten den Schauspieler drohend. Paris streckte bebend den Arm aus und hielt dem Wolf die Handfläche entgegen. „G... guter Hund“, brachte er mühsam hervor. Doch die Wölfe knurrten nur. Und das Tier, das Paris so nah war, knurrte am lautesten, zog die Lefzen hoch und präsentierte eine weißblitzende Reihe erstaunlich großer Zähne. „Nicht bewegen!“ rief Sbarra, wobei nicht klar war, ob er 68
Paris oder seine Schützlinge meinte. „Misha!“ brüllte er. „Bei Fuß!“ Der Wolf vor Paris schien nicht viel von Gehorsam zu halten. Statt Sbarras Befehl zu befolgen, ging er drei Schritte auf Paris zu. Das Zittern des Schauspielers war inzwischen nicht mehr zu übersehen. Der Wolf leckte sich mit der Zunge über die Schnauze. „Nicht bewegen, Mr. Paris“, befahl der Trainer erneut. „Sagen Sie nichts. Und vor allem zeigen Sie ihm nicht Ihre Angst.“ „Sagen Sie nichts?“ zischte Hatch indigniert. „Sind Sie nicht ganz dicht? Das könnte die Szene des Films werden!“ Er deutete mit einer Kopfbewegung auf den einzigen Kameramann, der am Set geblieben war. Er war nicht etwa besonders mutig – er saß auf einem kleinen Gerüst. „Phil, laß die Kamera lauten. Und du, Paris, sprich deinen Text! Los!“ Der Schauspieler warf dem Regisseur einen mörderischen Blick zu. Er machte den Mund auf, um etwas zu sagen, doch Sbarra hob den Finger an die Lippen. „Halten Sie bloß den Mund!“ Dann wandte er sich wieder seinen Wölfen zu. Man konnte förmlich sehen, wie er alle Autorität und Kraft, die in seinem schlanken, schmächtigen Körper steckte, zusammensammelte. „Fang, Percival, Misha! Sitz!“ befahl er. Das war der Augenblick, in dem die Wölfe das Interesse an Paris verloren und sich statt dessen auf ihren Herrn stürzten. Sbarra wurde von einer Masse pelziger, brauner Leiber niedergerissen. Seine Hilfeschreie gingen in dem wütenden Knurren der Raubtiere unter. Und plötzlich – bevor noch einer einen Laut des Ent setzens äußern konnte – mischte sich eine rot-blaue Gestalt in das Chaos aus Muskeln und Fell. Die Wölfe wur den von dem am Boden liegenden Mann fortgerissen, und Superman baute sich zwischen den knurrenden Bestien und dem Tiertrainer auf. 69
Lois stieß erleichtert den Atem aus. Superman war wieder zurück! Zum ersten Mal an die sem Tag war sie froh, daß Clark sich nicht um seinen Auftrag kümmerte. Mit einem Satz warfen die Wölfe sich auf den Neuankömmling. Die mächtigen Kiefer schlossen sich um seine Unterarme, seine Beine und um seine Kehle. Doch der Mann verzog noch nicht einmal das Gesicht. Schließlich wurde Superman nicht umsonst der Stählerne genannt. Bevor die Tiere jemandem etwas antun konnten, klemmte sich Superman einen unter den Arm, packte die anderen beiden am Nackenfell und schwang sich in den Himmel. Sein Cape knatterte theatralisch im Fahrtwind, als er den Kreis der Kameras verließ. Lois sah ihm nach, und überlegte, wo er die Tiere wohl hinbringen würde. Wahrscheinlich flog er sie direkt zum städtischen Zoo. Dort konnte man die Wölfe unterbringen und sich um sie kümmern. Man mußte herausfinden, warum sich die zahmen Tiere plötzlich auf ihren Herrn gestürzt hatten. „Mann“, sagte Hatch voller Inbrunst. Er beschattete sich mit der Hand die Augen und sah Superman hinterher. „Was würde ich dafür geben, wenn so einer wie er für mich arbeiten würde.“ Er tut es schon, dachte Lois. „Was für ein Mann“, stöhnte Mary. „Jap“, sagte Lois, doch ihre Gedanken wanderten schon weiter. „Ich würde zu gerne wissen, warum die Wölfe so plötzlich ausgeflippt sind.“ „Ich habe nicht die leiseste Ahnung“, ant wortete die Produktionsleiterin. „Vielleicht hat man ihnen irgend etwas ins Futter gege ben“, überlegte Lois laut. „Oder sie mochten Beaus Aftershave nicht“, witzelte Mary mit zittriger Stimme. 70
Offenbar ist Mary Chase einer von jenen Menschen, die versuche n, den erlebten Schrecken mit Humor zu verarbeiten, dachte Lois. Wenn es ihr hilft... Alan Sbarra hatte ganz andere Sorgen. „Meine Schätzchen“, stöhnte er. Er war von dem Angriff seiner „Schätzchen“ ganz schön ramponiert, doch das schien ihn nicht im mindestens zu kümmern. „Was wird nur mit ihnen geschehen?“ „Wen interessiert das?“ murmelte Hatch. „Wir sind hoch versichert.“ Paris, inzwischen wieder auf den Füßen, stürmte auf ihn zu und piekste ihm wütend den Finger in die Brust. Das Gesicht des Schauspie lers war dunkelrot. „Du bist doch vollkommen verrückt!“ brüllte er. „Wenn es nach dir ging, hätten die Wölfe mich zerfleischen können. Hauptsache, du hast eine tolle Szene im Kasten!“ „Tja, jedenfalls hätte ich dann zur Abwechslung einmal echte Gefühle auf Zelluloid gebannt“, gab Hatch hochnä sig zurück und stieß Paris’ Finger beiseite. „Wenn ich so etwas nur auf diese Art und Weise bekomme..“ Die Augen des Schauspielers schleuderten Blitze. „Ich könnte dich in Stücke reißen“, knurrte er. Doch bevor er seinen Worten Taten folgen lassen konnte, schob sich Arlee Atkinson zwischen die beiden Streithähne. „Nun mal langsam, Jungs“, sagte sie. „Wem nützt es, wenn wir uns anbrüllen?“ Sie schlang ihren Arm um Hatchs Taille. „Und was hat Dorian schon getan? Er hat nur eine mißliche Lage ausnutzen wollen, um dich in einem noch besseren Licht darzustellen, Beau.“ Paris blähte die Nasenflügel. „Aber er...“ „Was hätte er denn sonst tun sollen?“ unterbrach die Schauspielerin ihn. „Sich auf die Wölfe stürzen? Er ist ein Künstler, Beau. Er hat eine schadhafte Leinwand genommen und versucht, ein gutes Bild darauf zu malen.“ Paris starrte seine Partnerin nur an. Für einen Augenblick 71
schienen ihm die Worte zu fehlen. „Was ist denn hier los?“ ertönte eine Stimme hinter Lois. Als sie erkannte, wer da gesprochen hatte, wandte sie sich um. Da stand Clark, gekleidet in seinen normalen Sachen, und grinste wie ein kleiner Junge. Er sah rundum zufrieden aus: offensichtlich war er stolz auf sich, daß er sich so rasch um die Wölfe gekümmert hatte und zurückgekehrt war, bevor die anderen sich noch von dem Erlebten hatten erholen können. Lois warf ihm einen mißbilligenden Blick zu. „Ach“, sagte sie, „du bist es.“ „Tut mir leid, daß ich die besten Szenen verpaßt habe“, sagte er und beugte sich zu Lois, so daß nur sie seine nächsten Worte hören konnte. „Wenigstens habe ich es ge schafft, im richtigen Moment hier zu sein.“ Lois legte Clark eine Hand auf die Brust und schubste ihn sanft aber bestimmt von den anderen weg. Erst als sie den Waldrand erreicht hatten, wo niemand mithören konnte, begann sie zu reden. „Ja, du warst rechtzeitig hier, um zu verhindern, daß der Tiertrainer zu Hundefutter verarbeitet wird“, zischte sie. „Aber das ist auch alles, was du erreicht hast!“ Clark sah sie hilflos an. „Lois, das ist nicht fair. Ich...“ „Nicht fair?“ unterbrach sie ihn gereizt. „Wer redet hier von Fairneß? Während du weiß Gott wo herumgeflogen bist, habe ich meinen und deinen Job erledigt, und zwar nicht nur als Reporterin, sondern auch als Produktions assistentin! Und nebenbei durfte ich mir auch noch jede Menge Ausreden ausdenken, warum Louis White gerade mal wieder nicht anwesend war.“ Clark seufzte. „Bist du jetzt fertig?“ fragte er. „Ich bin jetzt fertig!“ fauchte Lois. Seine Miene wirkte finster – etwas, das Lois nicht gewohnt war. Es verriet ihr, daß auch er nicht allzu erfreut über den Lauf der Dinge war. 72
„Also gut“, begann er. „Es tut mir leid, daß du diese Recherche bisher alleine machen mußtest, und mir tut es auch leid, daß du für mich lügen mußtest. Aber dieser Tag heute war voller Katastrophen. Vielleicht lag es an der Hitze, das weiß ich nicht, aber es war so.“ „Und das ist es ja, was mich so ärgert“, fuhr Lois ihn an. „Warum brauchen die Leute für jede Kleinigkeit einen Superhelden? Warum rufen Sie nicht einfach die Polizei, die Feuerwehr oder irgendeinen Notdienst? Es gibt doch zig Stellen, an die man sich wenden kann, wenn es brennt!“ Noch bevor sie den Satz zu Ende gesprochen hatte, wußte sie, daß sie in der Tat nicht gerecht war. Sie war frustriert, weil sie die ganze Last der Nachforschungen allein tragen mußte, weil sie zusätzlich in Streß geraten war, weil sie Clark nicht nur decken, sondern seine Arbeit auch noch miterledigen mußte... Und vielleicht zermürbte die Hitze auch sie! Doch obwohl sie sich dessen bewußt war, konnte sie sich einfach nicht bremsen. Die Worte waren nur so aus ihr herausgeströmt, und sie konnte sie nun nicht mehr zurücknehmen. Clark sah sie unglücklich an. „Du weißt genau, daß ich keinen Hilferuf ignorieren kann!“ Lois hörte an seinem Tonfall, wie sehr ihn ihre Vorwürfe verletzten. Und er hatte ja recht! Superman zu sein war kein Spiel, keine Freizeitbeschäftigung für gelangweilte Möchtegernhelden. Superman zu sein war eine Berufung! Lois’ Zorn schmolz. Plötzlich empfand sie vor allem Mitgefühl. „Nein, wahrscheinlich nicht“, stimmte sie traurig zu und legte Clark eine Hand auf den Arm. „Aber eines Tages wirst du einem fernen Hilfeschrei nachgehen... und dafür einen anderen, viel näheren, überhören!“ Er hatte verstanden, was sie meinte. Sie konnte es in seinen Augen lesen. 73
„Was soll ich deiner Meinung nach tun?“ fragte Clark. Sie dachte einen Augenblick nach, aber es gab keine schlichte Antwort darauf. „Ich weiß es nicht“, sagte sie schließlich. „Ich weiß es einfach nicht.“ Sie wandte sich ab. Es war zu heiß für eine gefühlsbeladene Diskussion über ihre Beziehung. Aber leider entwickelte sich ein solches Gespräch ja nie im geeigneten Moment. „Ich denke, es ist eine Frage der Priorität“, fuhr sie fort. „Wenn ich etwas Wichtiges zu tun habe, und es taucht plötzlich ein zweites oder drittes dringendes Problem auf, dann lasse ich mich dennoch nicht von der ersten Sache ablenken, sondern mache weiter. Dabei halte ich aber die anderen Notfälle stets im Auge und versuche, einen möglichen Schaden zu begrenzen, bis ich Zeit habe, mich wirklich darum zu kümmern – wie verschiedene Feuer, die man zuerst eindämmt, bis man eins nach dem anderen löscht! Zumindest denke ich es mir so.“ „Es ist keine leichte Sache, Feuer einzudämmen, anstatt sie sofort zu löschen. Besonders wenn Menschenleben auf dem Spiel stehen.“ Sie drehte sich wieder zu ihm um. „Das weiß ich. Aber auch hier, auf diesem Set, stehen Leben auf dem Spiel. Frag nur mal den Tiertrainer. Frag Beau Paris! Und wenn wir nicht bald herausfinden, was hier vor sich geht, dann wird dieser Film den Bach runtergehen. Und das heißt, daß der böse Bube dann genau das bekommt, was er haben wollte. Oder noch schlimmer: es endet damit, daß jemand sterben muß!“ Clark biß sich auf die Unterlippe. Er wußte, daß Lois recht hatte. „Ich möchte einfach in der Lage sein, mich auf dich zu verlassen, Clark“, sagte sie eindringlich. „Und langsam komme ich zu dem Schluß, daß ich das nicht kann.“ Bevor Clark Zeit hatte, ihr eine Antwort zu geben, lenkte 74
etwas Lois’ Aufmerksamkeit ab. Sie sah an ihm vorbei und entdeckte hinter ihm Mary Chase, die auf sie zukam. „Lois, ich...“, begann Clark. Noch bevor Lois ihn mit einer Geste zum Schweigen bringen konnte, brach er abrupt ab. Supergehör, dachte sie. Wie praktisch übermenschliche Kräfte doch manchmal sein konnten. „Mary“, sagte sie, indem sie sich ihrer Chefin zuwandte. Mary lächelte. „Claire, hier sind Sie also. Und sieh an, auch Louis White. Es scheint ja doch wenigstens eine Sache an diesem Set zu geben, die Ihr Interesse wachhält“, sagte sie, wobei sie Lois mit einem wissenden Blick bedachte. Die Reporterin lachte verlegen. „O nein“, versuchte sie zu erklären. „Es ist nicht, was Sie denken. Ich, ähm, war nur gerade dabei...“ „Claire war nur gerade dabei, mir eine saftige Standpauke zu halten“, unterbrach Clark sie. „Sie fürchtet, daß ich ein schlechtes Licht auf unsere Freundin bei der Filmkommission werte, die uns diese Jobs hier besorgt hat.“ Lois konnte sich nur mit Mühe zurückhalten, eine Augenbraue hochzuziehen. Zur Abwechslung war es einmal Clark, der eine Ausrede für sie parat hatte, wie erfrischend! Die Chefin sah Clark abschätzend an. „Tja, das wird wohl nicht die einzige Standpauke sein, die Sie heute zu hören bekommen.“ Sie wandte sich kurz zu Lois um. „Wir machen für heute Schluß. Sie können nach Hause gehen.“ Lois zögerte mit einem Blick auf Clark. „Gut“, sagte sie schließlich. „Ich bringe dich nach Hause“, bot Clark ihr an. Lois war sich nicht sicher, ob sie im Augenblick auf Clarks Gesellschaft Wert legte. Bei ihrem Gespräch war vieles offen geblieben, aber sie war zu müde und zu verärgert, um sich einmal mehr eine von Clarks „Superman- ist- für-alle-da-Reden“ anzuhören. Natürlich wußte sie, daß er absolut recht hatte, aber 75
manchmal war es ihr einfach nicht möglich, mit dem, was Superman war und ausmachte, zurechtzukommen. Sie würde diese Diskussion sicher weiterführen, aber im Augenblick fand Lois die Aussicht darauf nicht gerade beglückend. Zum Glück nahm Mary ihr die Entscheidung ab. „O nein, Sie gehen nicht, Louis“, sagte die Frau streng. „Sie und ich werden uns jetzt einmal über Ihre Arbeitsmoral unterhalten. Und danach überlegen wir, wo Sie am besten einsetzbar sind. Und dann...“ Lois überließ den sich windenden Clark und die plötzlich sehr autoritär wirkende Mary sich selbst und ging. Armer Clark! Erst ein harter Tag, dann Krach mit der Verlobten und nun dies! Doch, Lois hatte durchaus Mitgefühl. Aber sie war auch nur ein Mensch, und ein klitzekleiner Teil von ihr freute sich diebisch. Sollte er ruhig dafür leiden, daß er sie in diesem Sumpf aus Hollywoodstars alleingelassen hatte!
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9 Eine Stunde später schleppte Lois ihren verschwitzten ausgelaugten Körper über die Türschwelle ihrer Wohnung. Sie hatte überlegt, ob sie auf dem Heimweg noch beim Daily Planet vorbeigehen sollte, sich dann aber dage gen entschieden. Es gab dort wirklich nichts zu tun, was nicht noch warten konnte. Außerdem verspürte sie nach der Auseinandersetzung mit Clark keine große Lust, sich unter Leute zu mischen. Doch sobald Lois die Tür hinter sich schloß, merkte sie, daß sie nicht allein war. „Clark?“ rief sie vorsichtig. Sie spähte ängstlich ins Wohnzimmer. Schließlich ent deckte sie in der Nähe des Kühlschranks in ihrer kleinen Küche einen Schatten, der sich bewegte. Ganz ruhig, Lois, beruhigte sie sich. Es konnte durchaus Clark sein. Selbst wenn Mary ihn neunundfünfzig Minuten lang angebrüllt hatte, wäre er noch immer in der Lage gewesen, sie zu überholen und vor ihr in ihrer Wohnung einzutreffen. Lois schlich durch das Wohnzimmer und steckte den Kopf in die Küche. Hoffentlich war es kein Einbrecher. Sie war zu müde und zu erschöpft, um sich jetzt mit etwas derart Lästigem zu beschäftigen. Aber sie hatte Glück. Es handelte sich nicht um einen Einbrecher, sondern um ihre Schwester Lucy, die zufrieden vor dem Kühlschrank stand und aus einem Plastikbecher Thunfischsalat futterte. „Nein“, antwortete Lucy auf Lois’ anfänglichen Ruf. „Ich bin’s bloß.“ Sie lächelte das typische Lane-Lächeln. „Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, Schwesterchen.“ „Ich bin gar nicht enttäuscht“, versicherte Lois ihr. „Ganz 77
bestimmt nicht.“ Lois kehrte ins Wohnzimmer zurück, ließ ihre Handtasche auf die Couch plumpsen und warf sich daneben. Sie hätte ihrer Schwester wenigstens ein paar freundliche Worte sagen sollen, aber sie konnte einfach nicht die Kraft dazu aufbringen. Sie wollte nur noch auf der Couch liegen und die erfrischende kühle Luft ihrer Klimaanlage in sich aufsaugen. „Bleib du nur liegen“, sagte Lucy, als sie sich zu ihrer Schwester setzte. Sie stellte ein Glas Eiswasser auf den Beistelltisch, plazierte den Plastikbehälter mit dem Salat in ihrem Schoß und pickte die Thunfischhappen mit einer Gabel auf. „Ich will ja nicht, daß du wegen mir Umstände machst und dabei vielleicht ins Schwitzen gerätst.“ Sie warf einen Blick auf Lois und verzog das Gesicht. „Ups! Zu spät!“ Lois seufzte. „Tut mir leid, daß ich nicht frisch wie der junge Morgen vor deinen Augen erscheine“, erwiderte sie bissig und drehte den Kopf gerade weit genug, daß sie zu ihrer jüngeren Schwester aufblicken konnte. „Übrigens... wie geht’s?“ Lucy hob die Schultern. „Ganz gut. Ich bin nur vorbeigekommen, um deinen Kühlschrank zu plündern, bevor ich zur Arbeit muß.“ Sie kicherte. „Und wie geht’s dir? Du siehst aus wie etwas, das nicht mal ‘ne Straßenkatze anschleppen würde. War wohl ‘n harter Tag?“ „Hart ist gar kein Ausdruck“, murmelte Lois. Sie beäugte das Glas, das ihre Schwester aus der Küche mit hereingebracht hatte. Ein Tropfen Wasser rann verführerisch über die beschlagene Oberfläche. „Oh“, sagte Lucy und reichte ihr das Glas. „Trink nur.“ Lois fand tatsächlich die Kraft zu nicken und den Arm nach dem Glas auszustrecken. „Danke.“ Sie stützte sich auf einen Ellenbogen und trank so hastig, daß ihr Wasser das Kinn hinablief. „Und?“ fragte sie, als sie das Glas kurz absetzen mußte, um zwischendurch nach Luft zu schnappen, „warum bist du 78
vorbeigekommen?“ Lucy wies mit der Gabel auf den Thunfischsalat in ihrem Schoß. „Umsonst essen“, antwortete sie. „Erinnerst du dich?“ Lois kam sich reichlich albern vor. „Oh, ja. Du hast es bereits erwähnt!“ Ihre Schwester sah sie mit einer gewissen Beunruhigung an. „Lois“, begann Lucy und zog den Namen ihrer Schwester so in die Länge, daß es klang, als würde er aus zwei getrennten Wörtern bestehen. „Komm schon, ich bin’s, deine Schwester! Du brauchst hier nicht einen auf unantastbar zu machen. Ich sehe doch, daß es nicht nur die böse, böse Hitze ist, die dich so fertiggemacht hat!“ Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. „Also los, spuck’s aus. Was ist passiert’“ Lois ließ ihren Kopf wieder an die Sofalehne sinken und schloß die Augen. „Was ist es, hm?“ drängte Lucy. „Die Arbeit? Clark? Einer dieser Morgen, an dem die Haare nicht sitzen, und der Tag ist eh gelaufen?“ „Das vor allem“, erwiderte Lois. „Dann los. Ich will Einzelheiten“, sagte ihre Schwester beharrlich. Lois schwieg. „Nun mach schon“, quengelte Lucy. „Du wirst dich danach besser fühlen. Kostenloses Frustablassen. Zwei offene Ohren, garantiert keine Wartezeit!“ Lois legte den Kopf zurück, um ihre Schwester anzusehen. Eigentlich hatte sie fest vor, irgendwelche Ausreden vorzubringen, damit ihre Schwester endlich Ruhe gab. doch Lucys Gesicht drückte soviel Hilfsbereitschaft und aufrichtiges Interesse aus, daß Lois nicht widerstehen konnte. Es war, als würden die Schleusen endlich geöffnet, und Lois wußte, daß es sie in der Tat erleichtern würde, alles loszuwerden, was ihr auf dem Herzen lag. „Es ist so“, begann sie. „Clark und ich arbeiten zusammen an 79
einer Story. Beziehungsweise wir sollten zusammen an einer Story arbeiten.“ Unglücklicherweise durfte Lois nichts über Clarks wahre Identität als Superman sagen. Sie und ihre Schwester hatten kaum Geheimnisse voreinander, aber dieses mußte eins bleiben. „Nun, wie auch immer“, fuhr sie fort. „Er war bisher keine große Hilfe.“ Ihre Schwester sah sie verdutzt an. „Clark? Der nette Junge von nebenan im Reporterkostüm? Der Pfadfinder mit Notizblock? Ist er krank oder was?“ Lois zögerte einen Moment, um zu überlegen, wie sie antworten sollte, ohne Clark zu verraten. Die ganze Wahrheit konnte sie nicht sagen, aber vielleicht würde eine leicht abgewandelte, verkürzte Version auch ihren Zweck erfüllen. „Ja, in gewisser Weise ist er krank. Nicht in dem Sinne, daß er erkältet ist oder so, aber... nun, sagen wir einfach, er ist im Moment ein wenig daneben.“ Auf Lucys Stirn erschienen tiefe Sorgenfalten. „Ihr zwei habt doch keinen Streit, oder?“ Lois schüttelte den Kopf. „Nein, das ist es nicht. Wir können nur im Augenblick einfach nicht so richtig zusammenarbeiten. Er gibt sich nicht wirklich Mühe in der Sache.“ „Na, du solltest dich mal selbst hören“, sagte Lucy, während sie mit der Gabel ein Stück Thunfisch durch den Plastikbehälter trieb. „Du jammerst wie eine vernachlässigte Ehefrau.“ Lois war augenblicklich empört. „Das tue ich nicht!“ „Doch, genau das tust du“, erwiderte Lucy. „Clark leistet nicht das, was du von ihm erwartest!“ Sie schnitt eine Grimasse. „Na und? Es gab eine Wunderreporterin Lois Lane, lange bevor Wunderreporter Clark Kent auftauchte.“ Gott, sie hat ja recht, dachte Lois. „Behandelt er dich schlecht?“ fragte Lucy, obwohl sie die 80
Antwort natürlich im voraus kannte. „Versucht er, deinen Arbeitseifer auf irgendeine Art und Weise auszunut zen? Klaut er Ideen? Heimst er falschen Ruhm ein? Wenn ja, dann schick den Mistkerl sofort in die Wüste!“ Lois blickte ihre Schwester verdattert an. „Oder“, fuhr Lucy fort, bevor Lois noch etwas erwidern konnte, „gibt es da noch etwas ganz anderes – etwas, das nichts mit dir oder deiner Arbeit zu tun hat? Vielleicht Familienprobleme?“ Nicht ganz, dachte Lois. Aber sie konnte nicht verhindern, daß ihre Schwester Spekulationen anstellte, ohne Clarks Geheimnis zu verraten. „Weißt du“. sagte Lucy nach einem kurzen Augenblick des Schweigens, „ich habe Clark nicht als einen Menschen kennengelernt, der sein Herz auf der Zunge trägt. Vielleicht beschäftigt ihn etwas so sehr, daß er sich kaum auf die Arbeit konzentrieren kann. Ihr zwei steht euch ja sicher ziemlich nah, aber vielleicht braucht er einfach noch etwas Zeit, bis er sich dir wirklich anvertrauen kann.“ Lucy ließ ihre Worte einen Moment wirken, damit ihre Schwester sich aus den Möglichkeiten etwas heraussuchen konnte. War Clark ein Schuft oder ein Schatz? Lois wußte, daß die Frage gar nicht gestellt zu werden brauchte. Und sie wußte auch, daß es wenig gab, was Clark ihr nicht anvertrauen würde. „Lois“, sagte Lucy eindringlich, als wäre sie noch nicht überzeugt, ihre Meinung klar dargelegt zu haben. „Clark ist ein toller Typ. Wahrscheinlich besser als jeder, der mir mal über den Weg läuft. Aber es gibt doch in jeder Bezie hung Durststrecken. Wichtig ist nur, wie ihr beide sie überbrückt!“ Lois starrte Lucy einen Moment lang an. Sie war überrascht, daß ihre kleine Schwester ein solches Ausmaß an Einsicht besaß. Langsam dämmerte ihr, daß sie sich damit abfinden mußte, eine erwachsene Frau als Schwester zu haben. Lucy war kein Kind mehr. Sie hatte tatsächlich etwas überaus 81
Vernünftiges über die Lippen gebracht. „Ich denke, du hast recht“, seufzte Lois. „Und wir werden die Durststrecke schon überbrücken, so oder so.“ Zumindest hoffe ich das, setzte sie im stillen hinzu. Sie legte Lucy eine Hand auf das Knie und stemmte sich in eine sitzende Position. Dann stand sie von der Couch auf. „Ich denke, ich werde einfach abwarten müssen, wie sich die Sache mit Clark entwickelt“, sagte sie. „Aber was immer auch geschieht – Lois Lane wird diesen Fall schon knacken. Wenn es sein muß, im Alleingang. Ganz, so wie jeder andere selbstbewußte Wunderreporter es tut!“ Lucy grinste. „Gut so, große Schwester. Mach sie fertig.“ „So, und jetzt gehe ich duschen“, sagte Lois und ging auf die Badezimmertür zu. „Ich hoffe kalt.“ Lois warf einen Blick über die Schulter zurück. „In dieser Hitze? Eiskalt, glaub’s mir. Bist du noch da, wenn ich zurückkomme?“ „Klar“, meinte Lucy. „Ich werde mich wie zu Hause fühlen.“ „Fein“, sagte Lois. „Dann kannst du mir bei meinem Abendessen zusehen.“ Sie betrat das Badezimmer und schloß die Tür hinter sich. Doch plötzlich hatte sie das Bedürfnis, ihrer Schwester noch etwas mitzuteilen. Sie öffnete die Tür einen Spalt und rief: „Lucy?“ Ihre Schwester schaute von ihrem Thunfisch auf. „Ja?“ „Danke.“ Lucy grinste. „Ich hab doch gar nichts gemacht“, sagte sie. „Nur das Kind beim Namen genannt.“ Clark seufzte. Louis White befand sich zweifellos in Teufels Küche. „Es tut mir leid“, sagte er zerknirscht. „Es wird nicht wieder vorkommen. Morgen arbeite ich doppelt soviel, versprochen.“ 82
„Dreimal! Mindestens“, fauchte Mary Chase ihn an. Dann blickte sie auf ihre Armbanduhr. „Nun, ich habe auch noch andere Dinge zu erledigen, also sind Sie für heute aus dem Schneider. Sehen Sie zu, daß wir ein solches Gespräch nicht noch einmal führen müssen.“ „Das tue ich. Ganz sicher“, versicherte Clark ihr. Die Produktionsleiterin hatte den größten Teil der vergangenen Stunde damit verbracht, sich über die mangelnde Leistung von Louis White als Aushilfe an diesem Drehort auszulassen. Nachdem sie mit ihrer Schimpftirade am Ende war, hatte sie Clark genaueste Anweisungen für den folgenden Tag gegeben, so daß er keine Chance haben würde, eine Art Fehlkommunikation als Ausrede vorzuschieben, falls irgend etwas schiefgehen sollte. Mary stand auf und ließ Clark allein, um sich dem Strom der Crewmitglieder anzuschließen, die den Park verließen und ihre Hotelzimmer aufsuchten. Nur ein beauftragter Sicherheitsdienst würde die Nacht über zurückbleiben, um auf die Ausrüstung aufzupassen. Clark dachte noch über die Worte seine Chefin nach. Sie waren mehr als deutlich und mehr als hart gewesen. Junge, Junge, schoß es ihm durch den Kopf. Verglichen mit der ist Perry ja direkt sanftmütig. Darauf bedacht, einen anderen Weg als Mary Chase einzuschlagen, damit er nicht versehentlich noch einmal in sie hineinrannte, setzte sich Clark in Bewegung. Er wollte zu Fuß nach Hause gehen. Nach allem, was er heute schon getan hatte, war ihm die Lust zu fliegen vergangen. Er war jedoch noch nicht sehr weit gekommen, als er eine Gestalt in den Schatten der Bäume entdeckte. Trotz des schwindenden Lichts erkannte er, daß es sich um einen der Schauspieler handelte, und er schien auf ihn zu warten. „Äh, Mr. White, nicht wahr?“ fragte Colin Dunn und streckte Clark die Hand entgegen. „Colin Dunn.“ 83
„Ja, natürlich“, erwiderte Clark. Er schüttelte dem jungen Mann die Hand. „Was kann ich für Sie tun, Mr. Dunn?“ „Zuerst einmal, nennen Sie mich ruhig Colin. Mr. Dunn klingt so nach meinem Vater.“ Clark lachte höflich. „Also gut, Colin. Und sie können mich Cl...“, er brach ab und täuschte einen Hustenanfall vor, um seinen Versprecher zu kaschieren, „ähm, Louis nennen.“ Es war schon hart genug, eine geheime Identität aufrecht zu halten. Aber zwei waren eindeutig zuviel. „Fein“, sagte Dunn. „Louis also.“ Colin brach ab und verschränkte die Hände in einer nervösen Geste. „Louis, ich habe mich gefragt, ob Sie mir vielleicht etwas über die neue Produktionsassistentin erzählen können. Sie wissen doch... Claire Sullivan.“ „Etwas erzählen?“ fragte Clark erstaunt. Er kannte diesen ganz bestimmten Tonfall in der Stimme eines Mannes. Er kannte diesen Tonfall, der verriet, daß ein Mann Interesse an einer bestimmten Frau bekundete. Colin Dunn schien offensichtlich etwas für Lois übrig zu haben. Nicht, daß Clark es ihm verübeln konnte. Schließlich kannte er dieses Gefühl gut genug. „Nun ja“, meinte Dunn etwas verlegen. „Wo sie herkommt, was sie sonst so macht, was sie mag oder nicht mag... ob sie mit jemandem zusammen ist...“ „Oh“, sagte Clark mit sanftem Spott. „Sie wollen es genau wissen!“ Dunn lachte. „Na ja, Sie wissen schon...“ Er ließ das Ende des Satzes offen und wartete darauf, daß Clark ihm antwortete. Der Reporter sah ihn neugierig an. „Und wie kommen Sie auf die Idee, daß ausgerechnet ich Ihnen diese Informationen geben könnte?“ „Tja“, begann Dunn, „ich habe Sie heute zusammen gesehen. So wie Sie sich unterhalten haben, kam es mir sehr vertraut vor. Ich dachte, Sie wären vielleicht miteinander befreundet?“ 84
Sein Tonfall ließ keinen Zweifel daran, daß er wissen wollte, welcher Art diese Freundschaft war. „Befreundet“, wiederholte Clark, während er überlegte, was er antworten sollte. Es war wohl am günstigsten, sich so vage wie möglich auszudrücken. „Ja, das kann man so sagen, ja.“ Überrascht stellte Clark fest, wie schwer es ihm fiel, sich zurückzuhalten. Am liebsten hätte er diesem Kerl klipp und klar gesagt, daß er die Finger von Lois lassen sollte. Aber das war natürlich nicht möglich. Er durfte nichts aus seinem Privatleben verraten, das möglicherweise auf seine wahre Identität als Reporter des Planet hinweisen würde. Außerdem vermasselte er Lois sonst die Chance, mehr aus diesem Burschen herauszukriegen. „Nur Freunde?“ fragte Dunn nach. „Gute Freunde“, betonte Clark und zog eine Augenbraue hinauf. „Aber Sie sind nicht zusammen?“ Himmel, der Bursche war wirklich hartnäckig! „Heute abend zumindest nicht“, war das Höflichste, was Clark zustande brachte. Seine Antwort hatte den Schauspieler sichtlich verwirrt, und Clark nutzte sein Zögern sofort aus. „Nun, wie dem auch sei“, sagte er. „Mr. Dunn... Colin... es war ein sehr langer, sehr heißer Tag, und ich muß morgen früh aufstehen.“ Ohne sich umzudrehen, wich Clark ein paar Schritte zurück. „Ich muß jetzt wirklich gehen.“ Dunn wollte offenbar noch eine weitere Frage stellen, doch Clark, der ein Meister darin war, sich blitzschnell von einem Ort zurückzuziehen, um zu einem anderen zu eilen, tat, als sei er außer Hörweite. „Schönen Abend noch!“ rief er. Einen Augenblick später hatte er die Baumreihe erreicht und flüchtete in den Wald. Es war wirklich ein langer, heißer Tag gewesen. Und je eher Clark ihn zu Ende bringen konnte, desto besser. 85
Colin Dunn sah dem großen, dunkelhaarigen Produktionsassistenten hinterher, bis er zwischen den Bäumen verschwunden war. Eine ganze Weile stand er nur da und grübelte über das nach, was er von dem Mann erfahren hatte. „Heute abend sind sie nicht zusammen“, murmelte er nachdenklich. Dann setzte er sich in Richtung Südausgang des Parks in Bewegung. Es war der weitere Weg, aber er wußte, daß er dort niemandem begegne n würde, und er wollte in aller Ruhe nachdenken. Zu seiner Rechten tauchte die untergehende Sonne die Baumwipfel in ein rotgoldenes Licht, aber er bemerkte es kaum. „Heißt das nun, daß sie noch zu haben ist?“ murmelte er vor sich hin. Vielleicht hatte dieser Louis ein Auge auf sie geworfen, aber einen Korb von ihr bekommen. In diesem Fall hatte er, Colin, vielleicht eine Chance. Er dachte noch immer über diese Möglichkeit nach, als er die Straße erreichte. Automatisch hob er die Hand, um ein Taxi anzuhalten, senkte sie jedoch wieder, als er eins auf der anderen Straßenseite vor dem Centennial Park Hotel entdeckte. Der Schauspieler schlängelte sich mühsam durch den zähfließenden Verkehr der breiten Straße, um auf die andere Seite zu gelangen. Zu diesem Zeitpunkt des Tages waren Taxen stets Mangelware, und das Glück schien auf seiner Seite zu sein. Oder doch nicht. „Mist!“ fluchte er laut, als ein Mann und eine Frau Arm im Arm aus der Drehtür des Hotels kamen und auf das freie Taxi zugingen, Und sie befanden sich ein gutes Stück näher an dem Wagen als er! Colin seufzte frustriert. Es wäre vermutlich auch zu schön gewesen, wenn einmal alles reibungslos funktioniert hätte. 86
Er wollte gerade wieder zur Parkseite der Straße zurückkehren, um dort auf ein anderes Taxi zu warten, als ihm dämmerte, was er da soeben gesehen hatte. Hastig drehte er sich wieder um und sah gerade noch, wie das Pärchen in das Taxi stieg. Colin schüttelte staunend den Kopf. Durch die Scheibe konnte er beobachten, wie die Frau den Mann leidenschaftlich küßte. Dann beugte sich der Mann vor und gab dem Taxifahrer Anweisungen, und einen Moment später fädelte sich der Wagen in den Verkehr ein. Colin stand mitten auf der Straße und starrte dem Taxi mit offenem Mund hinterher. Er war so verdattert, daß es eine Weile dauerte, bis er begriff, daß das Hupen, das Quietschen der Bremsen und die Flüche der Autofahrer ihm galten. „Einfach nicht zu fassen“, flüsterte er, während er sich in die Sicherheit des Bürgersteigs begab. Aber eigentlich sollte mich das nicht überraschen, dachte er. Hollywood ist eben Hollywood – auch wenn es kurzfristig nach Metropolis verlagert worden ist.
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10 Am nächsten Morgen erschien Clark schon früh an seinem Arbeitsplatz am Set. Er hoffte, einen Blick auf das Motorrad werfen zu können, dessen Fehlfunktion einen Stunt man ins Krankenhaus gebracht hatte. Unglücklicherweise hatte man das Fahrzeug am vorherigen Tag, als Superman damit beschäftigt gewesen war, alte Leute durch die Luft zu fliegen und Planschbecken zu bauen, verladen und ins Studiolager in Kalifornien zurückgebracht. Das zumindest berichteten ihm die Techniker, bevor sie sich wieder ihren anderen Pflichten widmeten. Clark knurrte frustriert. „So weit zum Thema Initiative“, sagte er laut. Er schob die Hände in die Tasche n seiner Jeans und überlegte, was er als nächstes unternehmen konnte. Diese Fährte war jedenfalls abgekühlt. Was jetzt, Sherlock Holmes? Gib zu, daß Lois immer schon der bessere Detektiv gewesen ist. Doch das Schicksal hatte sich noch nicht ganz gegen ihn gewandt. Während er noch dastand und grübelte, wie er weiter vorgehen sollte, entdeckte er Dorian Hatch, der in eine hitzige Diskussion mit Mary Chase und Kyle Clanton, dem beleibten Produzenten des Films, verstrickt war. Die drei standen neben dem Wagen des Regisseurs, und ihre Mienen verrieten, daß keiner von ihnen besonders glücklich war. „Na, das sieht doch vielversprechend aus“, murmelte Clark. Dann stellte er sein Supergehör auf das Gespräch ein. „Zeitplan, Zeitplan“, fauchte Hatch gerade. „Ich bin der Regisseur, und ich sage, daß es eine Änderung gibt. Wenn ihr damit nicht leben könnt, ist das euer Problem!“ „Hör zu, Dorian“, sagte Clanton mit einer Spur Unge duld in der Stimme. „Du kannst nicht einfach den Zeitplan umstoßen. 88
Wir hatten vor, das End e heute zu filmen. Du weißt schon... diese Szene, die gut und gerne hundert Komparsen erfordert, ganz zu schweigen von dem Feuerwerk und der Fahrt in dem Heißluftballon! Was, im Namen unserer großartigen Regisseure, soll ich mit dem ganzen Krempel machen? Und was soll ich den zig Komparsen erzählen?“ „Schick sie nach Hause“, erwiderte Hatch knapp. Dann holte er tief Luft und begann zu reden, während er auf seinem Klemmbrett herumhämmerte, als wollte er seinen Worten dadurch besonderen Nachdruck verleihen. „Wir müssen umdisponieren, ob ihr es wollt oder nicht. Heute wird die große Katastrophenszene gedreht“, sagte er. „Die Polizei wird langsam unruhig wegen unsere Unfallserie hier am Drehort, und die Filmkommission brummelt irgend etwas von Untersuchung, für die alles gestoppt werden muß. Meinst du nicht, daß das deinem Zeitplan einen gehörigen Schlag versetzen würde?“ Mary nickte bedächtig. Offenbar sah sie ein, daß dies ein wichtiges Argument war. „Sicher, Dorian, aber...“ „Aber“, unterbrach Hatch sie, „wenn wir die Katastrophenszene im Kasten haben, bevor die Arbeiten eingestellt werden, dann kann ich das Finale umschreiben, so daß wir es notfalls im Studio aufnehmen können.“ Clanton klappte den Mund auf, um zu protestieren, doch Mary zog ihn ein Stück beiseite und redete beruhigend auf ihn ein. Hatch beobachtete die beiden, als würde er nur darauf warten, wieder auf den Produzenten loszugehen. Doch einen Augenblick später kam ein weitaus ruhigerer Clanton zu dem Regisseur zurück. „Okay“, willigte er ein, holte tief Luft und stieß den Atem langsam und geräuschvoll wieder aus. „Ich verstehe, was du meinst. Aber es fehlen noch einige Vorbereitungen für die Katastrophenszene. Das Drehbuch sieht vor, daß Bolts Dorf von den Dragons niedergebrannt wird, aber die Bühnenbildner 89
haben das Dorf noch nicht einmal fertiggestellt.“ „Doch, haben sie“, erwiderte Hatch mit einem schiefen Grinsen. „Was soll das heißen?“ fragte Clanton. Mißtrauisch zog er die Augenbrauen zusammen. Der Regisseur zuckte die Achseln. „Ich konnte mir denken, was du mir vorhalten würdest, und daher habe ich gestern noch eine Crew zusammengetrommelt, die die Nacht durch gearbeitet hat. In ein oder zwei Stunden können wir das Dorf abfackeln.“ Hatch kreuzte die Arme mit einem spitzbübischen Grinsen vor der Brust. Er schien sich seines Sieges sicher zu sein. Er hatte alle möglichen Argumente und Gegenargumente durchdacht. „Das ist ja großartig“, antwortete Clanton, und die Ironie in seiner Stimme war nicht zu überhören. Er schüttelte den Kopf – sowohl aus Unglauben als auch aus Verärgerung. „Einfach großartig. Und diese Überstunden haben mal eben das bißchen, was wir noch in unserem Budget zur Verfügung hatten, aufgefressen.“ Er warf Mary einen Blick zu, die jedoch nur die Schultern hob. Offenbar hatte auch sie nichts von der einsamen Entscheidung des Regisseurs gewußt. „Sieh es doch mal so“, sagte Hatch in versöhnlichem Tonfall. „Wer A sagt, muß auch B sagen.“ „Aber müssen wir gleich das ganze Alphabet runterrasseln?“ knurrte der Produzent. Er kaute auf seinem Daumennagel, während er versuchte, die neue Situation gedanklich zu verarbeiten. „Okay“, sagte er schließlich. „Ich habe ja keine andere Wahl. Sieh zu, daß die Schauspieler fertig sind. Aber ich warne dich. Dorian, wenn sich der Aufwand nicht lohnt, wirst du dafür bezahlen!“ Mit diesen Worten wirbelte er auf dem Absatz herum und ging fort. Mary setzte sich ebenfalls in Bewegung, doch statt 90
dem Produzenten zu folgen, ging sie auf ihren Wohnwagen zu. Und dort stieß sie auf Clark. Als er sie hatte herankommen sehen, war er ebenfalls zielsicher losmarschiert, um sich den Anschein zu geben, beschäftigt und aktiv zu sein. „Louis!“ rief Mary. Clark drehte sich um und lächelte sie an, als hätte er sie gerade erst entdeckt. „Mary. Hallo.“ „Gut, daß Sie hier sind. Wie ich sehe, haben Sir sich unser kleines Gespräch gestern zu Herzen genommen.“ „Selbstverständlich“, versicherte er ihr. „Ich...“ „Unser Drehplan ist geändert worden“, schnitt sie ihm das Wort ab. „Sie und Claire müssen sich ein bißchen die Hände schmutzig machen.“ „Äh... wie bitte?“ fragte Clark, der nicht genau wußte, was sie damit meinte. „Ihr müßt die Ärmel aufkrempeln und euch an die Arbeit machen“, erklärte Mary und rollte zur Demonstration ihre eigenen Ärmel auf. „Das Dorf muß in einer Stunde fertiggestellt sein. Ich möchte, daß Sie und Claire hinübergehen und sich umsehen, ob Sie in irgendeiner Hinsicht behilflich sein können. Sie wissen schon: Donuts, Kaffee, Eiswasser, blutjunge, schöne Tänzerinnen – was immer die Jungs brauche n, verstanden?“ Clark nickte belustigt. „Verstanden“, erwiderte er. „Na, dann frisch ans Werk“, sagte sie. „Ich schicke Ihnen Claire hinterher, sobald sie auftaucht.“ Nachdem Mary gegangen war, machte sich Clark auf den Weg zu der Stelle, an der das Dorf entstehen sollte. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Endlich habe ich auch etwas herausgefunden, dachte er. Endlich kann ich auch einen Beitrag zu diesem Fall leisten. Es war nicht viel, aber immerhin etwas. Und zur Abwechslung suchte er jetzt einmal nach Lois. Als er etwa die Hälfte der Strecke zum Set zurückgelegt 91
hatte, entdeckte Clark seine Partnerin, die auf dem Weg zum Produktionswagen war. Sie trug ein Paar ausgeblichene kurze Jeans und ein T-Shirt – beides weniger auf Eleganz ausgerichtet, als vielmehr auf einen Arbeitstag, der genauso heiß wie der vergangene zu werden versprach. In Clarks Augen hätte sie tragen können, was immer sie wollte – sie bot einen entzückenden Anblick. Allein ihre Erscheinung zauberte ein breites Grinsen auf sein Gesicht. „Lo...“, begann er, klappte den Mund jedoch rasch wie der zu und setzte neu an. „Claire! Claire Sullivan!“ Lois wandte den Kopf, „Tag, Louis“, erwiderte sie kühl, ohne ihre Richtung zu ändern oder ihr Tempo zu verlangsamen. Mit ein paar Schritten war er bei ihr. „Du siehst toll aus“, sagte er. „Ja?“ erwiderte sie in neutralem Tonfall. Falls sie sich freute, ihn zu sehen, gab sie sich keine große Mühe, es ihm zu zeigen. Auf der anderen Seite wirkte sie aber auch nicht gerade verärgert. Eigentlich machte sie den Eindruck, als sei es ihr recht egal, ob er nun da war oder nicht. Ihre kühler Empfang versetzte Clarks guter Laune einen gewaltigen Dämpfer. „Lois“, sagte er leise, während er neben ihr herging. „Stimmt etwas nicht?“ Sie warf ihm einen kurzen Seitenblick zu. „Unsinn. Was soll denn nicht stimmen?“ „Du scheinst mir ein bißchen... nun, ich weiß auch nicht... distanziert!“ Sie hatten den Wagen erreicht, und Lois stieg das Treppchen hinauf. Sie trat durch die Tür und ließ sie vor Clarks Nase zufallen. Unbeirrt folgte er ihr ins Innere des Wagens, in dem die Klimaanlage schon auf vollen Touren arbeitete. Sie waren allein. 92
„Distanziert nicht“, kommentierte Lois seine Bemerkung. „Nur entschlossen.“ „Entschlossen?“ wiederholte Clark verwirrt. „Zu was hast du dich entschlossen?“ „Meinen Job zu erledigen“, sagte sie knapp. Doch dann setzte sie plötzlich inbrünstig hinzu: „Was auch immer geschieht!“ Er zwang sich zu einem Lächeln. „Ah, ich verstehe. Superman-Streitpunkt.“ Lois schüttelte den Kopf. „Kein Streitpunkt. Überhaupt kein Streitpunkt.“ Sie setzte sich an den Tisch, zog eine Schublade auf, holte ein paar Unterlagen heraus und setzte eine geschäftige Miene auf. Clark wußte, daß sie die Show seinetwegen abzog. „Tja“. sagte er, während er ihr über die Schulter blickte. „Nur zu deiner Information. Ich bin seit Tagesanbruch hier und habe versucht, ein paar Dinge herauszufinden.“ Er wartete in der Hoffnung, daß Louis anerkennende Worte äußern würde, doch sie reagierte nicht einmal. Statt dessen beugte sie sich mit konzentrierter Miene über die Papiere. „Nun, wie auch immer“, fuhr Clark fort, als er begriff, daß er von ihr keine Antwort zu erwarten hatte, „Ich habe etwas Interessantes herausgefunden.“ Endlich schaute Louis auf, jedoch ohne ein Wort zu sagen. Clark schluckte. Ihr Verhalten ihm gegenüber gefiel ihm ganz und gar nicht. Da war es ihm schon lieber, wenn sie ihn anschrie, mit ihm stritt, ihm Vorwürfe machte... „Aha?“ fragte sie endlich. Es kam ihm vor, als würde sie ihm einen Knochen hinwerfen. „Ja“, sagte er. „Ich habe Hatch und Kyle Clanton – das ist der Produzent, wie du weißt – belauscht. Die beiden haben sich mit Mary Chase über eine ziemlich grundlegende Änderung im Drehplan unterhalten.“ „Ach“, machte Lois. 93
Wenigstens hatte sie nicht vollkommen desinteressiert geklungen. Clark schöpfte neue Hoffnung. Sie wollte wissen, was er gehört hatte, auch wenn sie versuchte, ihre Neugier zu verbergen. Vielleicht konnte er darauf aufbauen und die zwischen ihnen entstandene Kluft überbrücken. „Hatch hat Cla nton das Okay für die Dorfbrand-Szene abgerungen. Geplant war eigentlich, das Finale abzudrehen.“ „Die Dorfbrand-Szene?“ wiederholte Lois. Sie starrte ins Leere, während sie diese Neuigkeit verarbeitete. „Ja. Statt heute Happy-End und Glück in allen Ecken zu drehen, will Hatch alles in die Luft jagen.“ Endlich sah sie ihn neugierig an. „Hat Hatch auch gesagt, warum er den Plan ändert?“ „Das hat er“, erwiderte Clark. „Er befürchtet, daß die Unfallserie zum Anlaßgenommen wird, die Produktion einzufrieren. Deshalb will er schnell die Dorfszene im Kasten haben, solange die Dreherlaubnis im Centennial Park noch gültig ist. Er meint, das Finale kann notfalls in abgeänderter Form auch im Studio aufgenommen werden.“ Lois nickte. „Das ist wirklich interessant.“ Sie klopfte sich nachdenklich mit ihrem Stift ans Kinn. „Das ist phantastisch. Das beweist doch...“ Clark hätte nur zu gerne das Ende ihres Gedankengangs gehört, zumal er ihr auch noch von Mary Chases Anweisungen erzählen mußte. Doch plötzlich drängte sich etwas ganz, anderes in sein Bewußtsein. Quietschende Bremsen und das Bersten von Metall. Unfallgeräusche! Lois kannte den Ausdruck auf Clarks Gesicht. Als er auf die Tür zustürzte, murmelte er etwas, das wie eine Ent schuldigung klang. Dann fiel die Tür hinter ihm ins Schloß – und er war fort. Da geht er hin, dachte Lois mit einer gewissen Melancholie. Wenn die Pflicht ruft... 94
Clark schien immer woanders zu sein. Selbst wenn er mit ihr zusammen war. Sein Supergehör war stets darauf eingestellt, den unvermeidlichen Hilfeschrei, Gewehr schüsse oder das Krachen einer Explosion zu vernehmen. Würde er jemals seine Aufmerksamkeit auf eine einzige Sache oder einen einzigen Menschen konzentrieren können? Auf sie, zum Beispiel? Oder mußte sie ihn ihr ganzes Leben lang mit dem Rest der Welt teilen? Lois spürte, wie gleichzeitig Trauer und Wut in ihr aufstiegen. „Das lasse ich nicht zu“, sagte sie laut. Sie biß die Zähne zusammen, um den Ansturm der widerstreitenden Gefühle in ihrem Inneren zurückzudrängen. „Ich lasse nicht zu, daß mich meine privaten Probleme von dem ablenken, was ich zu tun habe.“ Entschlossen stand sie auf und trat zum Fenster. Draußen sah sie Arbeiter, die im Wald verschwanden und auf die Lichtung zugingen, auf der der dramatische Höhe punkt der Filmhandlung gedreht werden sollte. Sie hörte die Geräusche der Maschinen in der Ferne, das aggressive Sirren der Motorsägen, das Klingeln von Metall auf Metall. Mit dieser Aktion hatte sich Hatch fast von der Liste der Verdächtigen gelöscht. Aber nur fast, dachte sie. Immerhin setzte er alles daran, „Bolt“ in eine Form zu bringen, die man später vorzeigen konnte. Aber möglicherweise tat er nur so, als wollte er diesen Film um jeden Preis fertigstellen. Vielleicht versuchte er nur von seinen wahren Absichten abzulenken? Doch wenn der heutige Dreh ohne Probleme vonstatten ging, dann konnte jeder Anfänger den Rest erledigen und die letzten Szenen auf Zelluloid bannen – selbst wenn Hatch sich aus dem potentiellen Flop herauszog. Das hieß, daß der Film tatsächlich fertiggestellt werden würde, so daß Hatch nicht auf das Geld aus der Versiche rung hoffen konnte – falls es denn eine solche Versiche rung tatsächlich gab. 95
Trotzdem mußte sie Hatch im Auge behalten, um sicherzustellen, daß seine Drehplanänderung nicht doch ein Täuschungsmanöver war. Aber tief in ihrem Inneren war sie bereits davon überzeugt, daß sie sich nach einem anderen Hauptverdächtigen umsehen mußte. Seufzend wandte sie sich vom Fenster ab, ergriff einen Schreibblock und einen Stift und trat in den he ißen Sommermorgen hinaus. Auf dem Pfad, der inzwischen schon zu einem gut ausgetretenen Weg geworden war, ging sie durch den Wald auf die Lichtung zu. Als sie an Dorian Hatch, Beau Paris, Arlee Atkinson und einer Handvoll anderer Schauspieler vorbeikam, ve rlangsamte sie ihr Tempo. Hatch gab letzte Anweisungen zu der ersten Szene, während alle darauf warteten, daß der Set zum Drehen bereit war. Lois betrachtete Beau Paris intensiv, als sie an ihm vorüberging. Der Schauspieler stand neben Arlee Atkinson, und sein Blick glitt immer wieder flüchtig zu ihr hinüber. Paris ist auf jeden Fall noch im Rennen, überlegte Lois. Richtig überzeugt konnte sie jedoch auch von dieser Theorie nicht sein. Ja, Eifersucht war ein starkes Motiv. Aber war es stark genug, um das Leben eines unschuldigen Stuntmans aufs Spiel zu setzen? Vielleicht. Aber schließlich war Paris selbst in Lebens gefahr gewesen, als die Wölfe durchgedreht waren. Sie mußte unbedingt erfahren, was die Fachleute im Zoo über das veränderte Verhalten des Rudels herausgefunden hatten. Doch schließlich besaß Paris noch einen anderen Grund, die Dreharbeiten so schnell wie möglich zu beenden. Da war immer noch das Rollenangebot für diesen anderen Film, das ihm sicher verlockend erschien. Also hatte nicht nur Hatch ein berechtigtes Interesse daran, die Dorfszene ohne Probleme abzuwickeln: Wenn der heutige Dreh reibungslos verlief, konnte Paris „Bolt“ vorzeitig abschließen und den Vertrag für 96
den anderen Film unterzeichnen. Lois warf noch einen letzten Blick auf die Gruppe der Schauspieler, bevor sie weiterging. Irgend etwas stimmte da nicht, irgend etwas fehlte, aber sie kam einfach nicht darauf, was es war. Nach einer Weile trat sie zwischen den Bäumen hervor und auf die Lichtung hinaus, auf der Bolts Dorf gerade errichtet wurde. Eisenträger und Holzplanken lagen herum, baumelten zwischen zwei Bäumen oder ragten aus Plattformen heraus. Zimmerleute hasteten hierhin und dorthin und gaben den Häuschen, die das Dorf des Titelhelden darstellen sollten, den letzten Schliff. Der Clou des Dorfes war, daß einige Hütten ebenerdig standen, andere aber in den Bäumen hingen. Design by Robin Hood, dachte Lois zynisch. Die Lichtung wurde von einer hohen Palisade gesäumt, an deren Innenseite ein Steg entlanglief – der Schutzwall für die kleine Gemeinde aufrechter Rächer und Retter. Für weitere Aufnahmen war hinter dem nächsten Wäldchen ein anderer Zaun inklusive Wachtürmchen und Stege errichtet worden. Als sie Mary auf der anderen Seite der Lichtung ent deckte, bahnte sich Lois ihren Weg durch die hölzernen Fassaden und die Arbeiter. Die ganze Zeit kreisten ihre Gedanken um die Frage des Hauptverdächtigen. Irgend etwas war ihr entgangen, sie wußte es ganz genau. Teile des Puzzles fehlten, aber so angestrengt sie auch nachdachte, sie wollten ihr einfach nicht einfallen. Lois blickte zur Fassade der Holzkonstruktion hinauf, die das Ratsgebäude des Dorfes darstellte. Das Häuschen war auf einer Plattform errichtet worden, die in ein paar Metern Höhe zwischen zwei gewaltigen Bäumen hing. Sie konnte nur hoffen, daß sie die Puzzleteile finden und einfügen konnte, bevor alles auf sie niederkrachte.
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11 Der Stählerne hatte nur einen einzigen Gedanken im Kopf: Flieg so schnell du kannst! Er schoß durch den Himmel von Metropolis auf die St. Martins Bridge zu und konzentrierte all seine Energien nur auf sein Tempo, das er immer noch zu steigern versuchte. Die Lage auf der Brücke war grauenvoll. Für den eigentlichen Berufsverkehr war es noch zu früh, aber es waren schon genug Autos zwischen Rid geway Hills und St. Martin’s Island unterwegs, so daß sich das, was sich auf der Brücke abspielte, schnell zu einem Desaster entwickeln konnte. Mit Hilfe seines Teleskopblicks schätzte Superman aus der Entfernung die Lage ein. Die St. Martin’s Bridge war ein sechsspuriges Eisenungeheuer, das in einer Zeit ge baut worden war, in der die Sicherheitsauflagen bei weitem nicht dem heutigen Standard entsprochen hatten. Der mit Stahlträgern beladene Neun-Achser war offenbar aus östlicher Richtung auf die Brücke gekommen und hatte die falsche Auffahrt erwischt. Soeben hatte er die mittlere Abtrennungsbande zwischen den beiden Fahrtrichtungen durchbrochen und schlingerte und schleuderte nun durch den entgegenkommenden Verkehr. Unter den Autofahrern, die in Richtung Ridgeway Hills fuhren, war eine Panik ausgebrochen. Jeder versuchte, so schnell und so weit wie möglich an den Fahrbandrand zu gelangen, um dem außer Kontrolle geratenen Truck und den anderen Wagen, die ebenfalls mit quietschenden Reifen aus der Gefahrenzone zu gelangen versuchten, auszuweichen. Es hatte bereits einige Zusammenstöße gegeben, doch zum Glück war bisher niemand ernsthaft verletzt worden. In Supermans Augen war es ein reines Wunder, daß die Lage nicht noch schlimmer war. 98
Doch das Blatt konnte sich jeden Moment wenden. Der Truck mußte aufgehalten werden, und das konnte nur einer schaffen. Superman kreiste über der Brücke und konzentrierte all seine Energien auf die bevorstehende Aufgabe. Doch bevor er die restlichen Meter zurücklegen konnte, schwang der schwerbeladende Anhänger des LKWs zur Seite und blockierte die gesamte Fahrbahnbreite, während die Fahrerkabine geradeaus auf ein herannahendes Auto zurutschte. Von oben sah es so aus, als könnte selbst Superman diesen Zusammenstoß nicht mehr verhindern. Aber der Stählerne hatte schon mehr Dinge geschafft, die eigentlich unmöglich waren. Irgendwie mußte es ihm auch diesmal gelingen. Das Schicksal und die Gesetze der Physik kamen Superman zur Hilfe. Bevor es zu einem Crash kam. ließ die Fliehkraft den tonnenschweren Truck herumschwenken, bis der Hänger gegen die äußere Leitplanke krachte und die Fahrspuren im letzten Moment wieder freigab. Doch unglücklicherweise hielt die Begrenzung dem gewaltigen Schwung nicht stand. Mit einem gräßlichen Kreischen, erzeugt durch Metall auf Metall, brach der LKW durch die Bande und kippte von der Fahrbahn. Superman brauchte ein paar wertvolle Sekunden, um seinen eigenen Schwung abzubremsen, dann wandte er sich um und schoß in die entgegengesetzte Richtung auf den Truck zu. Der mächtige Laster stürzte vom Fahrbahnrand in die tiefgrüne Bucht unter der Brücke hinab. Die Zeit schien plötzlich langsamer abzulaufen. Superman nahm den Fall in allen Einzelheiten in sich auf, so, als wären seine Supersinne noch zusätzlich intensiviert. Er hörte die Schreie der Möwen, die aufgeschreckt in die Luft flatterten. Er sah den Fahrer, der reglos über dem Lenkrad zusammenge sackt war. Die Räder, die sich noch drehten, obwohl keine Straße mehr da war, auf der sie greifen konnten... Superman biß die Zähne zusammen. Mit 99
Höchstgeschwindigkeit schoß er auf das dunkle Wasser zu. Gerade als der hintere Teil des Hängers das Wasser berührte, hatte Superman den LKW erreicht und packte die Fahrerkabine. Die Muskeln zum Zerreißen ange spannt, änderte er erneut die Richtung und schoß gegen den gewaltigen Zug der Schwerkraft aufwärts. Der Bolzen, der den Triebwagen mit dem Hänger verband, knirschte und ächzte, aber er hielt. Und langsam, ganz langsam, erhob sich der Stählerne in die Luft und zerrte das Tonnengewicht an der Fahrerkabine hinter sich her. Es dauerte nicht lange, bis er wieder das Niveau der Brücke erreicht hatte. So sanft, wie es ihm möglich war, setzte Superman den LKW auf der Straße ab. Auf der Brücke sah es aus, als hätte eine Schlacht getobt. Überall standen zerbeulte und schrottreife Autos herum. Die meisten Fahrer waren aus gestiegen, taumelten über die Fahrbahn oder betrachteten entsetzt das Chaos um sich herum. Superman hastete zur Fahrertür und riß sie aus den Angeln. Der Fahrer in der Kabine war über dem Lenkrad zusammengesackt und rührte sich nicht. Blut rann aus einer Wunde auf seiner Stirn. Der Mann aus Stahl richtete den Fahrer behutsam auf und drückte ihn in die Lehne des Sitzes zurück. Der Mann war sehr groß, sehr dick und sein Hemd war schweiß durchtränkt. Superman legte ihm zwei Finger an den Hals, um den Puls zu fühlen. Zu schwach, dachte er. Wahrscheinlich ein Hitzschlag. Ich darf keine Zeit verlieren. Rasch zog er den Fahrer vom Sitz und hob ihn wie ein Baby auf die Arme. Ohne ein Wort an die Menschen, die sich bereits um ihn sammelten, startete er und erhob sich mit seiner Last in die Luft. Wie viele Katastrophen wird diese verdammte Hitze denn noch verursachen?’ fragte er sich, während er das nächste Krankenhaus, das Park Ridge Mercy General, ansteuerte. Die 100
Hitze war ein Gegner, gegen den er nichts ausrichten konnte. Er konnte nur ihren Opfern helfen. Und das kostete viel Zeit. Verflixt viel Zeit. Im Centennial Park gab Lois sich alle Mühe, sich auf Explosionen zu konzentrieren. Sie stand vor dem Sicherheitsinspektor des Filmgremiums, Mick McMichael, der mit ihr alle Einzelheiten der bevorstehenden Brandszene durchgehen wollte. „Ich versichere Ihnen, Mr. McMichael...“ „Sagen Sie Mick zu mir“, unterbrach sie der Inspektor. „Also, Miss Sullivan...“ „Lois“, korrigierte sie abwesend. McMichael warf ihr einen perplexen Blick zu. „Wie bitte?“ Lois spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. „Claire, meine ich“, sagte sie und lächelte nervös. Sie hätte sich ohrfeigen mögen! Wie hatte sie nur solch einen Fehler machen können? Nun, die Erklärung lag auf der Hand. Sie war zerstreut, abgelenkt und besorgt. Und das nicht nur wegen der Story, die sie schreiben mußte, sondern auch, weil ihr Partner wieder einmal nicht dort war, wo er sein sollte. McMichael erwiderte das Lächeln, dann wies er auf die Sicherheitsformulare in seinen Händen, die Lois ihm auf Marys Bitte hin gegeben hatte. „Wie ich eben schon sagte“, fuhr er fort, „haben Ihre Leute von der Sprengmannschaft die Ladungen offenbar unter dem sogenannten Rathaus plaziert und so angeordnet, daß das Feuer in einem Bogen nach vorne ausbrechen wird. Die Flammen werden also in das Filmdorf hineinschießen, ohne daß die Bäume gefährdet werden.“ Lois nickte. „Ja“, sagte sie. „So habe ich das auch verstanden. Das Feuer wird nach vorne herausbrechen.“ Zur Veranschaulichung deutete sie mit beiden Armen einen Halbkreis an. „Nach vorne“, betonte sie noch einmal gewissenhaft. 101
„Ah, nun, Claire“, sprach McMichael weiter. „Ich würde mich dennoch wohler fühlen, wenn hinter jeder Sprengladung zusätzlich Schutzschilde aufgestellt werden könnten. Dann wissen wir mit Sicherheit, daß das Feuer in die Richtung geht, die wir ihm vorbestimmt haben. Wenn die Schilde errichtet worden sind, werde ich mir noch einmal alles ansehen. Als erstes aber unterschreiben Sie mir bitte ein paar Formulare, die mir bestätigen, daß die Sicherheitsmaßnahmen, um die ich gebeten habe, auch durchgeführt werden. Anschließend können Ihre Jungs sich an die Arbeit machen. Einverstanden?“ McMichael hielt ihr einen Stapel Papiere und einen Stift hin. Lois beäugte die Formulare entsetzt. Was sollte sie tun? Sie konnte doch nicht mit ihrem Tarnnamen unterschreiben, wenn es um so offizielle Dinge ging, oder? Zudem wollte sie nicht die Verantwortung für etwas derart Wichtiges übernehmen. Das Schicksal meinte es gut mit ihr. In diesem Augenblick sah sie aus dem Augenwinkel eine vertraute Gestalt herankommen. „Claire, da sind Sie ja“, rief Mary, als sie näherkam. Lois stieß erleichtert den Atem aus. „Mary Chase, meine Chefin“, erklärte sie McMichael. „Sie ist diejenige, die unterzeichnungsberechtigt ist.“ McMichael drehte sich zu der Produktionsleiterin um und hielt ihr die Formulare entgegen, während er noch einmal zusammenfaßte, was er kurz zuvor Lois erläutert hatte. Mary nickte. „Okay“, sagte sie zu Lois gewandt. „Ich kümmere mich schon darum. Gehen Sie bitte zu Hatch und fragen Sie nach, ob er noch irgend etwas benötigt, bevor wir zu drehen beginnen.“ Lois nickte. „Wird erledigt.“ Sie verließ das Zentrum des Filmdorfes und machte sich auf den Weg zum Produktionswagen, in dem sie den Regisseur vermutete. Aber als sie sich ihrem Ziel näherte, hörte sie aufgeregte Stimmen aus dem Inneren des Wagens dringen. Es 102
fiel ihr nicht schwer, sie als die von Hatch und seinem Hauptdarsteller zu identifizieren. Offenbar hatten die beiden mal wieder Streit. Und wie sich das anhörte, wußte sie ja bereits. Lois blickte rasch nach links und rechts, um sicherzuge hen, daß niemand in der Nähe war. Als sie keinen Menschen entdeckte, schlich sie sich zum Fenster des Wagens und duckte sich. „Hör zu“, drang Hatchs Stimme laut und arrogant an ihr Ohr. „Du behauptest die ganze Zeit, du wärst ein Profi und kein Schauspielschüler mehr. Also mußt du auch wissen, wie die Sache abläuft. Eine Szene ist eine Szene. Du hast einen Vertrag unterschrieben, und du wirst verdammt noch mal machen, wozu du dich verpflichtet hast!“ „Als ich den Vertrag unterzeichnet habe“, gab der Schauspieler hitzig zurück, „war von einer solchen Gefahr keine Rede. Jetzt soll ich mich auf einmal an Lianen umherschwingen und mit Feuersbrünsten um die Wette laufen.“ „Und?“ fragte Hatch provozierend. „Und?“ äffte Paris ihn wütend nach. „Und ich bin nicht bereit, diese Stunts zu machen. Auf solche Szenen muß ich mich körperlich und geistig vorbereiten. Gestern hast du gesagt, wir würden das Finale drehen. Heute willst du das Dorf niederbrennen.“ „Ich sag es ja nur ungern“, mischte sich eine dritte Stimme ein, „aber er hat nicht ganz unrecht, Dorian.“ Das war ganz offenbar Arlee Atkinsons Stimme. Wenn es um eine Auseinandersetzung zwischen Hatch und Paris ging, schien sie niemals weit weg zu sein. „Nach allem, was ich gehört habe“, fuhr die Schauspielerin fort, „war unser Freund Beau letzte Nacht sehr lange auf. So lautet zumindest das Gerücht.“ „Na, toll“, bemerkte Hatch sarkastisch. „Also ist er 103
unausgeschlafen und wird sich vielleicht einen Muskel zerren. Schreckliche Sache.“ „Ja, es ist möglich, daß ich mir eine Zerrung hole“, fauchte Paris. „Oder aber etwas Schlimmeres. Und wenn ich aus dem Verkehr gezogen werden muß...“, er machte eine bedeutungsvolle Pause, „kann der Film nicht fertiggestellt werden. Richtig?“ Eine ganze Weile herrschte Schweigen. Offenbar hatten Paris’ Worte die gewünschte Wirkung erzielt. War es als Drohung gemeint gewesen? Hatch schien wirklich bestrebt, seinen Film zu Ende zu drehen, während Paris’ Kooperationsbereitschaft deutlich zu wünschen übrig ließ. Natürlich war es durchaus denkbar, daß es dem Schauspieler tatsächlich nur um die Gefahr von ernsthaften Verletzungen ging, der er sich nicht aussetzen wollte. Er war im Verlauf dieser Dreharbeiten schon in einige riskante Situationen geraten; und eine Szene, in der es hauptsächlich um Feuer und Explosionen ging, schien prädestiniert für Unglückställe. „Vielleicht könnten wir heute einen Stuntman einsetzen“, schlug Arlee schließlich vor. „Nein“, erwiderte Hatch sofort. „Das geht nicht. Die Aufnahmen müssen beim ersten Mal im Kasten sein. Wir jagen die Kulissen in die Luft, und wir haben weder Zeit noch Geld, um ein zweites Dorf zu errichten. Ich traue es keinem Double zu, Paris’ Part so hinzukriegen, wie ich es haben will.“ Eine berechtigte Sorge? Oder war es nur eine Ausrede, um Paris unter Druck zu setzen? Wollte Hatch ihn loswerden? Vielleicht war Paris von Anfang an das Ziel gewesen, nicht das Geld der Versicherung. Aber was war dann mit all den Unfällen, von denen Paris nicht betroffen gewesen war? Oder dienten diese nur dazu, dem Hauptdarsteller Angst einzujagen? Oder von ihm abzulenken? Im Inneren des Wagens herrschte wieder Schweigen. „Hör mir jetzt genau zu“, unterbrach Hatch schließlich die 104
Stille. „Du läßt mich jetzt im Stich, und ich schalte meine Anwälte ein. Und ich schwöre dir, Beau, ich zögere keine Sekunde, der Öffentlichkeit brühwarm zu erzählen, wie der harte Bursche Beau Paris vor einem kleinen Stunt den Schwanz eingezogen hat! Aber wenn du nun mitarbeitest, wenn du tust, was ich sage, dann versuche ich, dich so rasch wie möglich aus dem Vertrag rauszulassen, damit du diesen anderen Film machen kannst, den man dir angeboten hat. Du hast die Wahl.“ Lois spürte förmlich die Spannung, die in dem Wagen herrschte. Sie konnte sich vorstellen, wie Paris vor Zorn bebte. Doch schließlich willigte er ein. „Also gut“, sagte er. „Ich mache mit. Aber wenn mir etwas zustößt, dann wirst du dir wünschen, du hättest nie im Leben eine Kamera gesehen. Hast du mich verstanden, Hatch? Diesmal wird kein Mißgeschick passieren, ist das klar?“ Hatch antwortete nicht. Zumindest hörte Lois nichts. Dann spürte sie, wie sich der kleine Wohnwagen ein wenig zu einer Seite verlagerte. Die Tür quietschte in den Angeln. Lois drückte sich rasch an die Wagenwand, gerade noch rechtzeitig, um Paris aus dem Wagen und die Treppe hinunter stürmen zu sehen. Aber der Mann war ohnehin zu sehr mit seinem Zorn beschäftigt, um etwas um sich herum wahrzunehmen. Lois drehte sich wieder zum Fenster und spitzte die Ohren. „Es wird schon gutgehen“, sagte Arlee. „Entspann dich, okay?“ „Ich wünschte, ich könnte es“, knurrte Hatch. „Komm her“, forderte die Schauspielerin ihn auf. „Ich massiere dir die Schultern. Dann geht es dir gleich wieder besser.“ Ein paar Sekunden war nichts zu hören. „Hm“, stöhnte Hatch schließlich. „Das tut wirklich gut.“ Lois wartete noch einen Moment ab und kam dann zu dem Schluß, daß sie alles gehört hatte, was für sie wichtig sein 105
konnte. Immer noch in gekrümmter Haltung, wand te sie sich um, um sich leise davonzuschleichen. Bevor sie jedoch noch einen Schritt tun konnte, erstarrte sie. Ihre Nase befand sich auf Bauchhöhe mit einer Person, die sie aus dieser Position nicht erkennen konnte. „Ich, ähm... hab was verloren“, stotterte sie. Ohne sich die Zeit zu nehmen, aufzublicken, um festzustellen, wer sie erwischt hatte, ließ sie sich auf ein Knie fallen und fuhr mit den Händen über den Rasen, als würde sie nach irgend etwas tasten. „Sie brauchen mir nichts vorzuspielen, Claire.“ Lois hob langsam den Kopf...
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12 ...und blickte in Colin Dunns lächelndes Gesicht. Er streckte ihr die Hand entgegen, um ihr – ganz, der Gentle man – aufzuhelfen. Lois ergriff sie resigniert und ließ sich auf die Füße ziehen. „Colin. Hi“, sagte sie und lächelte dabei so gut es ihr möglich war. Sie hoffte, ihn damit von eventuellen dummen Fragen, die er ihr stellen konnte, abzulenken. Aber es funktionierte nicht. „Sie haben gelauscht, nicht wahr?“ fragte er mit einem breiten Grinsen. Lois fuhr sich nervös durch die Haare. „Oh, ich wollte nicht...“ „Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen“, sagte Dunn zu ihrer Erleichterung. „Ich weiß, daß es eine unwiderstehliche Versuchung ist, gerade wenn man mit Leuten wie Hatch, Paris und Arlee zusammen ist.“ Lois nickte. „Da haben Sie allerdings recht.“ „Und wenn ich ehrlich bin“, fuhr Colin fort, wobei er die Stimme zu einem Flüstern senkte, „war ich gerade auf dem Weg hierhin, um exakt das zu tun, was Sie gerade gemacht haben.“ Lois schaute ihn fragend an. „Ja“, antwortete er. „Ich habe gestern abend etwas beobachtet, das mir die Haare zu Berge stehe n ließ. Und zwar ein kleines romantisches Rendezvous, das mich so neugierig gemacht hat, daß ich unbedingt mehr darüber wissen wollte.“ Der Schauspieler ließ die Andeutung in der Luft hängen, doch Lois widerstand dem Drang, nachzuhaken. Sie wußte aus ihrer Erfahrung als Reporterin, daß Informanten meistens mehr sagten, wenn man ihnen erlaubte, sich den Zeitpunkt ihrer Offenbarung selbst auszusuchen. 107
„Interessiert?“ fragte Colin. Er wirkte, als würde er gleich platzen. Lois’ Instinkt war richtig gewesen. Colin brannte darauf, es ihr zu sagen! Sie zog die Augenbrauen hoch, schwieg aber weiter. „Okay, Sie erpressen mich ja förmlich“, erwiderte er mit einem Lachen. Er brach wieder ab, und seine Absicht war klar. Er wollte Lois noch eine Weile auf die Folter spannen. Vielleicht hoffte er auch, sie endlich aus der Reserve zu locken. „Und?“ entfuhr es Lois auch prompt, bevor sie sich bremsen konnte. Colin lächelte. „Also. Gestern abend, als ich den Park verließ...“ In diesem Moment ertönte eine Stimme und unterbrach Colin, noch bevor er etwas Interessantes gesagt hatte. „Claire! Claire! Wo sind Sie?“ rief Mary Chase. Lois biß sich auf die Lippe. Sie kam um vor Neugier, wenn Colin ihr nicht gleich erzählte, was er gesehen hatte. Aber Mary Chase war drauf und dran, das zu verhindern. Ohne darüber nachzudenken, legte sie ihre Hand in Colins Armbeuge und zerrte ihn in den Schutz eines Baumes, so daß Mary sie nicht mehr sehen konnte. „Claire!“ sagte er erstaunt. „Pst, kommen Sie mit“, flüsterte sie. „Was ist denn los?“ fragte Colin, nun ebenfalls flüsternd. „Warum wollen Sie denn Ihrem Boß aus dem Weg gehen?“ „Ich gehe ihr nicht aus dem Weg“, antwortete Lois. „Jedenfalls nicht in diesem Sinne.“ „Aber Claire“, sagte Colin verschmitzt. „Ich wußte ja gar nicht, daß Sie so wild auf mich sind.“ „Das bin ich auch nicht“, begann sie. „Ich meine, doch natürlich, das heißt...“ Sie brach ab und seufzte. „Ich wollte einfach nur hören, was Sie zu erzählen haben. Es klang so aufregend.“ 108
„Das ist es auch“, bestätigte Colin ihr. Er beugte sich ein Stück zu ihr, nah genug, daß Claire sein Aftershave riechen konnte. „Gestern abend“, fuhr er fort, „sah ich Arlee Atkinson. die im Fond eines Taxis turtelte wie ein Teenie.“ Lois zuckte die Achseln. „Ja und?“ „Tja“, sagte er lächelnd, „nur war es nicht Hatch, mit dem sie herumschmuste.“ Lois spürte, wie sich ihre Nackenhaare aufstellten. War hier eines der fehlenden Puzzleteile? „Arlee betrügt Hatch also? Und mit wem?“ Colin blickte sich vorsichtig um, doch es war niemand zu sehen. „Beau Paris!“ verkündete er triumphierend. „Und wahrscheinlich schnarchte Hatch die ganze Zeit über friedlich und einsam im Hotelbett, während sich die beiden Hauptdarsteller seines Films miteinander amü sierten.“ Lois’ Gedanken rasten, während sie versuchte, all die Konsequenzen, die sich aus dieser neuen Information ergaben, zu erfassen und zu ordnen. Paris und Arlee waren also wieder – oder immer noch? – zusammen. Ahnte Hatch etwas davon? Wenn ja, dann war er wieder verdächtig, denn er konnte versuchen, die Dreharbeiten zu stoppen, um Arlees Karriere zu behindern. Aber es war wahrscheinlicher, daß er nichts wußte; er hatte sich kein einziges Mal anmerken lassen, daß er sich hintergangen fühlte. Zumindest hatte Lois nichts davon bemerkt. „Nicht schlecht, nicht wahr?“ Colins Stimme klang so erwartungsvoll, als würde er eine Belohnung erwarten. Lois tat ihm jedoch nicht den Gefallen, angemessen zu reagieren. „Ja, das ist allerdings eine Überraschung“, sagte sie. Dann setzte sie hinzu: „Hören Sie, Sie sollten jetzt besser gehen.“ Er blinzelte verdattert, „Bitte?“ „Mary sucht nach mir“, erklärte Lois, „und ich möchte nicht, daß sie uns zusammen erwischt. Sie könnte daraus denselben 109
Schluß ziehen, wie Sie es mit Arlee und Paris getan haben.“ Colin starrte sie ungläubig an. Er wirkte ein wenig verletzt. Lois konnte es ihm nicht verübeln, sie war wirklich etwas hart mit ihm umgesprungen. Um ihre brüske Abfuhr etwas abzumildern, lächelte sie ihn warm an. „Ich wollte damit nur sagen, daß ich meinen Job nicht wegen irgendwelcher unsinnigen Gerüchte aufs Spiel setzen möchte.“ Colins Miene heiterte sich ein wenig auf. „Schon klar“, sagte er. Dann wich er langsam ein paar Schritte zurück, zwinkerte ihr zu, wandte sich um und entfernte sich. „Claire Sullivan!“ erklang Mary Chases Stimme erneut. Die Produktionsleiterin hatte offenbar erst in ihrem Wagen nach Lois gesehen und dann, als sie sie dort nicht entdeckte, ihre Suche draußen fortgesetzt. „Diese Frau ist heute schwerer zu finden als Louis White“, murmelte ihre Chefin. „Ja, wechseln die beiden sich denn mit Blaumachen ab?“ Von wegen Blaumachen, dachte Lois, während sie sich flach gegen die Rückwand des Wagens drückte und abwartete, bis Mary vorbeigegangen war. Wir haben nur noch ein paar Nebenjobs zu erledigen. Nachdem Mary außer Sicht war, spähte Lois vorsichtig um die Ecke des Wagens. Sie wollte unbedingt Arlee Atkinson, Paris und Hatch im Auge behalten. Aber wenn Mary Chase sie fand, dann konnte die Frau ihr einen Auftrag geben, der Lois vom Set fortführte, und das galt es zu verhindern! Als sie sicher war, daß niemand sie beobachtete, machte sich Lois auf den Weg zum Filmdorf. Während sie durch den Wald ging, drangen die Geräusche der letzten Vorbereitungen für den Dreh an ihr Ohr. In gewisser Hinsicht war die Frage der Verdächtigen nun komplizierter als zuvor. Lois versuchte die Möglichkeiten systematisch durchzugehen. Hatch konnte man immer noch das Motiv Geld unterstellen. 110
Er war derjenige, der fein heraus war, wenn der Film nicht fertiggestellt wurde und er die Versicherungs summe einstreichen konnte. Und diese Aussicht wurde ohne Zweifel immer verlockender, denn „Bolt“ machte von Tag zu Tag mehr den Eindruck, als würde er sich zu einem Flop an den Kinokassen entwickeln. Und wenn Hatch wußte, daß Arlee und Paris hinter seinem Rücken ein Techtelmechtel hatten, dann hatte er erst recht einen Grund, seinen Hauptdarstellern schaden zu wollen. Aber allem Anschein nach kämpfte Hatch mit allen Mitteln darum, daß der Streifen abgedreht wurde. Falls er wußte, daß seine Freundin ihn betrog, dann ließ er sich jedenfalls nichts davon anmerken. Im Gegenteil: Lois kam es eher so vor, als hätte sich der Regisseur gründlich um den Finger wickeln lassen. Paris dagegen wurde als Verdächtiger immer uninteressanter. Anfangs hatte Lois es für ein gutes Motiv gehalten, daß er sich an Hatch rächen wollte, weil der ihm seine Freundin ausgespannt hatte. Aber wenn der Schauspieler nun doch wieder mit Arlee zusammen war, dann besaß dieses Motiv keine große Überzeugungskraft mehr. Und sie konnte nicht glauben, daß die Aussicht auf den anderen Film ihm wichtig genug war, um deswegen zu töten. Außerdem war da noch der Vorfall mit den Wölfen. Kein Stuntman, sondern Paris hatte in Lebensgefahr geschwebt. Sehr unwahrscheinlich, daß er eine solche Sache, deren Risiken nicht von vornherein abzuschätzen waren, selbst inszenieren würde. Dafür war nun eine neue Verdächtige aufgetaucht. In bezug auf Arlee Atkinson fielen Lois mittlerweile eine ganze Menge offener Fragen ein, denen sie nachgehen mußte. Arlee wußte ganz bestimmt von der Versicherung. Wenn Hatch das Geld kassierte, würde Arlee neben ihm auf einem Haufen Dollarscheine sitzen. 111
Daraus resultierte dann aber die Frage, wieso sie sich wieder für ihren Verflossenen interessierte. Wenn Hatch etwas von dem Verhältnis erfuhr – würde das nicht ihre Chance auf das dicke Geld zunichte machen? Nein, entschied Lois. Das war noch nicht das letzte Puzzleteil gewesen. Ihr fehlte noch eines, das die ganze Situation und die Beziehungen der Beteiligten untereinander wirklich klärte. Noch ergab alles keinen rechten Sinn. Tja, wenn ich wenigstens Hilfe hätte, dann wäre ich auch in der Lage, alle drei Verdächtigen im Auge zu behalten und ein paar unumgängliche Nachforschungen anzustellen! Aber da Clark sich ständig darum zu kümmern hatte, daß die Menschheit überlebte und die Zivilisation nicht zusammenbrach, fiel diese Unterstützung flach. Lois beschloß, sich hauptsächlich auf Arlee zu konzentrieren, da sie über die Schauspielerin am wenigsten wußte. Sie runzelte die Stirn, als ihr wieder das Gespräch mit ihrer Schwester Lucy am Abend zuvor einfiel. Sie würde diese harte Nuß schon irgendwie knacken – so oder so! Lucy hatte es ihr wieder in Erinnerung gerufen, und Lois wußte, daß ihre Schwester recht hatte: Sie würde es schon schaffen. So wie sie es immer geschafft hatte, bevor Clark Kent in ihr Leben getreten war!
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13 Nachdem Clark den verletzten LKW-Fahrer im Krankenhaus abgeliefert hatte, kehrte er zur St. Martin’s Bridge zurück, um zu sehen, ob seine Hilfe dort benötigt wurde. Als er ankam, mußte er feststellen, daß weder ein Notarzt noch die Polizei bislang am Unfallort eingetroffen waren. Das war seltsam und beunruhigend. Doch bevor er versuchen konnte, den Grund dafür herauszufinden, mußte er sich zunächst um das Naheliegende kümmern. Er landete an der Stelle, an der die meisten Autos bei ihren Ausweichmanövern gegen die Leitplanken ge kracht waren. Rasch vergewisserte er sich, daß niemand ernsthaft verletzt worden war. Wie er schon zuvor bemerkt hatte, handelte es sich hauptsächlich um Sachschä den – die Insassen der Autos hatten allerhöchstens ein paar Schrammen und Prellungen abbekommen. Dies war ein Problem, um das sich die Ambulanz kümmern konnte, sobald sie auftauchte. Ungünstiger sah es bei den Fahrzeugen aus, denn einige waren derart zerbeult, daß man sie nicht von der Brücke fahren konnte. Die Brücke selbst hatte nicht besonders gelitten; in die Mittelbande war ein Loch gerissen worden und die seitliche Leitplanke mußte ersetzt werden, aber die Verbindung zu St. Martin’s Island war dadurch nicht unterbrochen. „Hey, Superman!“ rief einer der Autofahrer. Er stand neben seinem weißen Kombi, dessen Front von der Leitplanke eingedrückt worden war. Der Mann zerrte ein Taschentuch aus seiner Hose und tupfte sich damit die Stirn ab. Superman wandte sich ihm sofort zu, da er zunächst glaubte, daß der Mann seine Hilfe benötigte. Dann sah er jedoch, daß dies nicht der Fall war. Der Mann hielt seine aufgeklappte Brieftasche hoch, so daß seine Polizeimarke deutlich zu erkennen war. Der Cop, offenbar im 113
Moment außer Dienst, steckte nun den Kopf in sein Auto, drehte das Autoradio lauter und lauschte einen Augenblick konzentriert. „Was gibt’s?“ fragte Superman und landete neben dem Mann auf der anderen Seite der Brücke. „Ich an deiner Stelle“, sagte der Cop, „würde so schnell es geht nach Massequot fliegen. Da stecken sie wahrhaft in der Klemme!“ „Was meinen Sie damit?“ „Da geht anscheinend nichts mehr“, erklärte der Mann ihm. „Der Stau aller Staus. Die Mutter aller Verkehr sstockungen. Kümmere dich lieber darum. Wir kommen hier schon zurecht.“ Der Stählerne nickte, erhob sich wieder in den Himmel und ließ die heiße, stickige Luft unter sich zurück. Nach nur wenigen Sekunden Flug sah er, was der Polizist ge meint hatte. Unter ihm, etwa eine Meile von der Brückenauffahrt entfernt, hatte sich das übelste Verkehrschaos gebildet, das er je gesehen hatte. Autos, so weit das Auge blickte. Auf den drei Fahrspuren, die zur Brücke führten, drängten sich mehr Fahrzeuge, als ein fünfspuriger Highway verkraftet hätte. Jeder versuchte irgendwie ein Stück weiterzukommen, aber niemand hatte eine Chance. Nicht einmal mehr den Motorrädern gelang es, sich durch das Durcheinander zu winden. Es war nicht schwer, auf die Ursache dieser katastrophalen Verkehrslage zu kommen. Jeden Tag blieben in Metropolis einige Wagen liegen, weil die Motoren überhitzt waren. Jeden Tag gab es Stauungen, weil der eine oder andere Kühler versagte. Aber an einem glühend heißen Morgen wie diesem handelte es sich nicht mehr um einige. Und das war das Ergebnis. Außerdem verlief die Straße zur Brücke zwischen zwei Hügeln, so daß kaum Raum für Haltebuchten oder Seitenstreifen bestand, auf denen ein Wagen der Straßenwacht oder ein Ambulanzfahrzeug weiterkommen konnte. 114
Superman seufzte. „Das nenne ich Stadtplanung“, knurrte er. Während er über dem Chaos schwebte und sich die Bescherung ansah, schoß ihm unwillkürlich der Vergleich mit einem riesigen Puzzle aus Metall und Fiberglas durch den Sinn. Zum Glück dauerte es nicht lange, bis er ein Stück weiter entfernt das entdeckte, was er zu finden gehofft hatte. Wie eine abgefeuerte Kugel schoß er in Richtung Osten und bremste abrupt über zwei Krankenwagen, einem Notarztwagen und zwei Polizei-Motorrädern ab. Die Beamten versuchten, einige ausgesprochen grantige Kraftfahrer zu beruhigen, während die Sanitäter in ihren jeweiligen Kleinbussen saßen und gequälte Mienen zur Schau trugen. Superman ließ sich vor den Krankenwagen auf die Erde nieder. „Keine Zeit für Plaudereien, Sir“, sagte er zu dem Fahrer des einen. „Halten Sie sich nur gut fest.“ Superman bückte sich, packte die vordere Stoßstange und hob den Wagen an. Mit einer fließenden Bewegung griff er mit der anderen Hand unter das Auto, packte die Vorderachse und hob das Fahrzeug über seinen Kopf. Dann startete er in den Himmel. Einen Augenblick später stellte er den Krankenwagen mitten auf der Brücke zwischen den Autos ab, die bei dem Versuch, dem Truck auszuweichen, liegengeblieben waren. Der Cop, der Superman eben auf das Chaos hingewiesen hatte, war bereits dabei, die ersten Aufräumarbeiten zu organisieren. Er hatte die Leute angewiesen, ihre demolierten Autos so weit an den Straßenrand zu schieben, daß der Verkehr wieder fließen konnte. Ohne Zögern kehrte Superman zu dem wüsten Stau auf dem Brückenzubringer zurück. Ein paar Sekunden später landete er neben dem nächsten Krankenwagen. „Und jetzt ihr“, sagte er schlicht. Er hob den Wagen hoch und flog ihn so schnell, wie er es wagen konnte, zur 115
Unfallstelle. Ein drittes Mal kehrte er nach Massequot zurück, um den dritten Wagen zu holen, den er ebenfalls auf die Brücke trug und dort neben den anderen sanft herabließ. Beruhigt, daß man sich nun ordnungsgemäß um die Verletzten kümmern würde, machte Superman wieder kehrt. Die zwei Polizisten, die versuchten, in dem Verkehrschaos eine Art von Ordnung aufrechtzuhalten, bekamen immer mehr Schwierigkeiten. Die unerträglichen Temperaturen erhitzten die Gemüter, und nicht wenige ungeduldige Autofahrer waren ausgestiegen, um sich bei den beiden zunehmend überforderten Cops zu beschweren. Superman preßte die Lippen zusammen. Es sah ganz so aus, als könnte es diesmal richtig Ärger geben. Der eine Polizist, ein junger Bursche, der noch nicht lange dabeizusein schien, bemühte sich um die ange messene Autorität. Er trat auf einen großen, wuchtigen Mann mit einem dichten schwarzen Bart und einer Jeansweste zu. „Hören Sie“, sagte der Polizist. „Gehen Sie jetzt wieder zu Ihrem Wagen, setzen Sie sich rein und schnallen Sie sich an. Da können Sie abwarten, bis die Straße wieder frei wird.“ Der Mann bewegte sich nicht. „Du hast mir gar keine Befehle zu geben, Bürschchen“, grollte er. Er wog mindestens doppelt so viel wie der Polizeifrischling und überragte ihn um gut einen Kopf. Der andere Polizist, ein älterer, erfahrenerer Mann, dessen Schläfen schon ergrauten, trat neben seinen jungen Kollegen. „Brauchst du Hilfe?“ fragte er. „Nein“, antwortete der junge. „Aber wenn der Kerl da nicht gleich wieder in seinem Wagen verschwindet, dann wird er sich wü nschen, daß Superman einen Krankenwagen hiergelassen hätte.“ Um seine Drohung zu verdeutlichen, bedachte er den Trucker mit einem eisigen Blick. Einen Augenblick später gab der Fahrer nach. Mit einem lauten Fluch machte er auf dem Absatz kehrt und stampfte 116
wütend zu seinem weißen Pick- up zurück, der ein paar Meter entfernt stand. Als der Mann außer Hörweite war, landete Superman hinter dem Polizisten. Dieser fuhr herum und lächelte Superman sichtlich erleichtert an. „Gut gemacht“, sagte der Stählerne. „Aber ich denke, Sie und Ihr Partner sollten sich besser an das Stauende begeben und dort den Verkehr umlenken, bevor das Cha os noch größer wird. Inzwischen kann ich so viele Wagen wie möglich von der Straße entfernen. Gemeinsam müßten wir es eigentlich schaffen.“ „Worauf warten wir dann noch?“ fragte der ältere. Die beiden Polizisten schwangen sich auf ihre Motorräder und bahnten sich langsam ihren Weg um die stehenden Autos herum. Bis zum Stauende waren es gut zwei Meilen. Die meisten der Fahrer saßen in ihren Wagen und hatten entweder den Motor angelassen, damit die Klimaanla ge funktionierte, oder aber die Fenster heruntergekurbelt. Ein gutes Dutzend jedoch befand sich noch immer auf der Straße, wanderte umher und schimpfte über die Lage. Superman stie g etwa fünfzehn Meter hinauf in die Luft. „Alle mal herhören!“ brüllte er. Er hatte soviel Autorität in seine Stimme gelegt, daß jeder augenblicklich in der Bewegung erstarrte und zu ihm aufsah.. „Ich möchte, daß Sie alle in Ihre Wagen zurückgehen und sich anschnallen“, sagte Superman. „Wenn Ihr Motor läuft, stellen Sie ihn aus. Ich werde Sie jetzt einen nach dem anderen aus diesem Durcheinander schleppen. Und bitte sagen Sie mir erst gar nicht, wo Sie hinwollen. Ich will nur die Straße freimachen, so daß wieder Platz für die Rettungs- und Abschleppwagen da ist.“ Eine ganze Weile geschah gar nichts. Es war, als würde niemand die simplen Befehle des Stählernen begreifen. Doch dann machten die Leute auf der Straße langsam kehrt, suchten 117
ihre Fahrzeuge auf und setzten sich gehorsam hinein. Superman setzte über die Autoreihen hinweg zu dem ersten liegengebliebenen Wagen und hievte ihn über den Kopf. „Fertig?“ fragte er die zwei Insassen. Mit seinem Röntgenblick sah er sie durch den Boden des Fahrzeugs nicken. Superman sammelte seine Kräfte, um in die Luft zu steigen. „Hey!“ brüllte jemand hinter ihm. Superman wandte den Kopf und sah, wie der große, bärtige Dicke, der zuvor versucht hatte, den jungen Polizisten einzuschüchtern, sich aus dem Fenster lehnte. „Wieso kommen die zuerst dran?“ „Weil sie...“, begann Superman. Weiter kam er nicht, weil eine andere Stimme aus einem der Autos erklang, das näher an dem Pick-up stand. „Reg dich ab, Großmaul“, rief ein schlanker junger Mann, der gerade im Begriff war, in seine zerbeulte Limousine einzusteigen. „Du hältst den Mann nur von seiner Arbeit ab.“ „Sag das nochmal!“ bellte der Dicke, stieß die Fahrertür auf und schwang die Beine hinaus. „Hey!“ brüllte Superman. Das durfte doch nicht wahr sein! Wenn er die zwei Streithä hne nicht aufhielt, würde es exakt zu der Art Handgreiflichkeiten kommen, die er kurz zuvor noch befürchtet hatte. Die zwei Männer kümmerten sich nicht um ihn. Beide Gesichter röteten sich, während sie sich gegenseitig Schimpfwörter an den Kopf warfen. „Es reicht!“ rief Superman erneut. Aber es half nichts. Resigniert setzte Superman den Wagen behutsam wie der ab. Plötzlich stürzten die zwei Männer aufeinander los. Einen Sekundenbruchteil später war eine wilde Schläge rei im Gang. Der Fahrer des Pick- ups, neben dem die Streithähne rangen, griff in seine offene Autotür. Nachdem er der Faust ausgewichen war, die auf sein Kinn gezielt hatte, zog er seinen Arm wieder hervor. In der Hand 118
hielt er einen gewaltigen Schraubenschlüssel, mit dem er augenblicklich ausholte. Zum Glück war Superman so schnell, wie man ihm nachsagte. Er packte das schwingende Werkzeug, als es gerade auf den Schädel des Gegners niedersausen wollte. „Für so etwas habe ich jetzt keine Zeit“, bellte er die beiden Männer an. „Sie!“ Er deutete auf den Fahrer der Limousine. „Sie steigen jetzt sofort wieder ein!“ Der Mann biß sich auf die Lippe und gehorchte dem Mann aus Stahl, ohne ein Wort zu sagen. „Und Sie“, wandte sich Superman mit schneidender Stimme an den Dicken, während er ihm den Zeigefinger in die Brust bohrte, so daß der Mann durch die offene Tür in seinen Sitz zurückplumpste, „Sie können froh sein, daß ich im Augenblick keine Zeit damit verschwenden kann, Sie zur Polizei zu schleppen!“ Superman schwang die Beine des Mannes in den Fuß raum, bis er aufrecht hinter seinem Steuer saß. Dann nahm er den Schraubenschlüssel, wand das eine Ende um die Handgelenke des Fahrers und zog das andere Ende durch die Speichen des Lenkrads, so daß der Mann weder sich noch den Wagen bewegen konnte. Superman zog den Kopf aus der Türöffnung und ließ die Tür krachend zufallen. „Ach, übrigens“, sagte er, als er davonmarschierte, „Sie kommen als letzter dran!“ Der Mann setzte zu einer Beschwerde an, aber der Blick, den ihm der Stählerne über die Schulter zuwarf, ließ ihm die Worte im Hals steckenbleiben. Superman ging zurück zu dem Auto, das er hatte wieder abstellen müssen, und hob es erneut auf. „Straße räumen, die Zweite“, kommentierte er laut. Dann erhob er sich mit seiner Last in die Luft und flog zu der nächstgelegenen Tankstelle, wo er den Wagen abstellte. Dies war der erste von etwa vierzig Wagen, die er umzusetzen hatte. 119
Diese Aktion würde ihn mindestens noch weitere zwanzig Minuten kosten. „Ich kann nur hoffen, daß Lois noch eine Weile ohne mich zurechtkommt“, erzählte er einer vorbeifliegenden Möwe. „Heute scheint mal wieder eine Katastrophe auf die andere zu folgen.“
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14 Im Centennial Park hatte sich die Hitze zu unerträglicher Glut gesteigert. Die Sonne stand trotz der frühen Stunde schon hoch über den Bäumen und brannte auf alles nie der, was sich nicht schützen konnte. Lois war damit beschäftigt, sich nicht durch die Hitze oder die Liter an Schweiß, die an jedem menschlichen Körper herabströmten, von ihrer selbst gesetzten Aufgabe abbringen zu lassen. Sie mußte Arlee Atkinson im Auge behalten. Mochte Arlee auch vor ihr davonrennen wie eine Maus vor Lois’ Katze – sie wollte hartnäckig dranbleiben! Selbstverständlich war die Reporterin darauf bedacht, stets einen gewissen Abstand zu der Schauspielerin einzuhalten, damit diese nicht merkte, daß sie beobachtet wurde. Im Augenblick war Arlee gerade auf dem Weg zu der Lichtung, auf der das Filmdorf aufgebaut worden war. Lois folgte ihr in einiger Distanz durch das kleine Ahornwäldchen im Herzen des Parks. Da die meisten Arbeiter gerade Mittagspause machten, befanden sich nicht viele Leute am Set. Und obwohl soweit alles fertig war, konnte Hatch noch nicht den Befehl zum Drehen geben, denn die Sonne stand im Augenblick in einem überaus ungünstigen Winkel. Es würde noch eine gute Stunde dauern, bis man mit den Aufnahmen beginnen konnte. Bis dahin hatten sich Schauspieler und Crewmitglieder in den Schatten des Ahornwäldchens zurückgezogen oder waren wieder in die Garderoben zurückgekehrt, in denen die Klimaanlagen auf Hochtouren liefen. Lois wurde immer neugieriger, je länger sie Arlee folgte. Was hatte die Schauspielerin vor? Nun, vielleicht gar nichts, nichts Bedeutendes zumindest, aber man konnte ja nie wissen... 121
Als Arlee die Attrappe der dörflichen Ratshütte erreicht hatte, blieb sie stehen und blickte hinauf zu den Bäumen, an denen das Bauwerk aus Holz, und Stroh befestigt war. Dann rieb sich die Schauspielerin die Hände kräftig an ihrer Jeans ab. Nachdem sie sicher war, daß die Innenflächen vollkommen trocken waren, packte sie eine der dicken Metallstangen, die die Konstruktion stützten, und hievte sich mit erstaunlicher Leichtigkeit und Anmut hinauf. Lois, die sich hinter den dicken Stamm eines alten Ahornbaumes geduckt hatte, stieß einen leisen Grunzlaut aus. Wo hatte Arlee nur gelernt, so zu klettern? War sie Turnerin? Ihre Bewegungen wirkten so athletisch und flüssig, daß es nicht nur eine Naturbegabung sein konnte. Die Schauspielerin kletterte inzwischen weiter. Erst als sie circa zwei Meter über dem Boden war, hielt sie an, schlang ihre Beine fest um die Metallstange, stützte sich mit einem Arm ab und streckte den anderen aus, um nach der Sprengladung zu greifen, die unterhalb der Plattform, auf der die Konstruktion ruhte, herabbaumelte. Lois war dabei gewesen, als die Sprengladungen pla ziert worden waren. Und sie war auch dabei gewesen, als der Sicherheitsinspektor die vorbestimmte Richtung der Druckwelle überprüft hatte. Nun blieb ihr fast das Herz stehen, als sie zusah, wie Arlee das Metallschild entfernte, das auf McMichaels Drängen hin angebracht worden war, damit die Bäume garantiert nicht von dem Feuer in Mitleidenschaft gezogen wur den, und die Sprengladungen so drehte, daß sie auf die Ahornbäume um den Set herum gerichtet waren. Nun gab es keinen Zweifel mehr: Arlee steckte hinter all diesen „Unfällen“. Lois mußte die Schauspielerin aufhalten... sonst würde etwas Schreckliches geschehen! Aber wie sollte sie vorgehen? Sollte sie Arlee jetzt stellen, bevor sie weitere Sprengladungen umlenken konnte? Oder 122
sollte sie einfach zu ihren Vorgesetzten gehen und Arlee verpfeifen – wodurch die Frau vielleicht eine Chance zur Flucht erhielt? Lois dachte angestrengt nach. Endlich kam sie zu dem Schluß, daß eine direkte Konfrontation – ausnahmsweise! – nicht die beste Lösung war. Es war günstiger, Arlees Tat zu melden, so daß ein Unglück vermieden und die Ladungen ersetzt werden konnten. Zudem war es zweifelhaft, daß die Schauspielerin nach Ausführung ihres Plans Reißaus nehmen würde. Schließlich konnte sie nicht wissen, daß jemand sie dabei beobachtet hat. Während Lois noch grübelte, sah sie, wie Arlee sich an einer zweiten Eisenstange hochschwang und sich an den nächsten Satz Sprengladungen heranmachte. Die Reporterin war zu fasziniert, um sich von der Szene zu lösen und zu dem Produktionswagen zurückzukehren. Doch ihr Zögern erwies sich als verhängnisvoller Fehler. Denn als sie sich aufrichtete und sich umdrehen wollte, krachte etwas auf ihren Hinterkopf nieder. Lois’ Knie knickten ein. Und dann spürte sie nichts mehr. Irgendwann kam Lois wieder zu sich. Langsam und desorientiert versuchte sie, sich aus dem schwarzen Nichts in das blendende Tageslicht herauszukämpfen. Sie blinzelte, kniff aber rasch die Augen wieder zu. Schweiß rann ihr über das Gesicht. In ihrem Hinterkopf pochte es mörderisch. Die Hitze schien sich mindestens verfünffacht zu haben, und ihre Haut fühlte sich an, als wäre sie bereits verbrannt. Steh auf! schrie eine Stimme in ihrem Kopf., Steh auf oder du bist tot! Lois versuchte sich aufzusetzen, doch die plötzliche, heftige Bewegung verursachte ihr Übelkeit. Sie stützte die Hände auf 123
den Boden, um sich hochzustemmen, aber selbst diese Bewegung verursachte einen höllischen Schmerz in ihrem Schädel. „Autsch!“ stöhnte sie und stieß sich mit einem Ruck vom Boden ab. Endlich. Sie saß wenigstens schon. Ihr Kopf dröhnte, und sie fühlte sich noch immer benebelt. Ihre Sinne wollten sie immer wieder im Stich lassen und erstatteten ihr Meldungen, die sie am liebsten ignoriert hätte. Mühsam unterdrückte sie das Schwindelgefühl, zwang sich, die Augen zu öffnen... und fand sich mitten in der Hölle wieder! Lois’ Kopf schoß herum, doch egal in weiche Richtung sie blickte – das Bild wurde nicht besser. Um sie herum – Bolts Dorf, der Park, die Bäume – stand alles in Flammen! Der Himmel war durch den dicken, schwarzen Qualm kaum noch zu erkennen, und immer neue Explosionen schleuderten weitere Rauchwolken in die Luft. Erst jetzt wußte sie, wo sie war: direkt unterhalb der Attrappe, die das Ratsgebäude des Dorfes darstellen sollte! Unter jener Kulisse, an der Arlee Atkinson zuvor – wie lange es her war, konnte Lois nicht sagen – die Arbeit der Pyrotechniker sabotiert hatte. Die Attrappe war ein einziges Flammenmeer und die Konstruktion nur noch als Skelett zu erkennen. Arlee Atkinson war es gelungen, ihren Plan, den Film ein für alle Male zu vernichten, doch noch durchzuführen. Trotz der Bruthitze war Lois eiskalt vor Angst. Hektisch blickte sie sich um, in der Hoffnung, einen Flucht weg aus der Feuersbrunst zu entdecken. Doch ihr Ent setzen steigerte sich noch, als sie erkennen mußte, daß es keinen gab. Sie wollte nach Superman rufen, aber aus ihrer Kehle kam nur ein heiseres Krächzen, und ihre Lunge schmerzte, als sie tief Luft zu holen versuchte. Sie wollte verzweifelt daran glauben, daß er bereits 124
unterwegs war, um sie zu retten, ganz so, wie er es schon unzählige Male zuvor getan hatte – aber sie wußte, daß dies nicht der Fall war. Clark hatte den Park vor Stunden verlassen, und wenn er inzwischen zurückgekehrt wäre, dann hätte es gewiß gar nicht erst ein solches Feuer ge geben. Lois wußte, daß sie aufstehen mußte, aber sie war noch immer unglaublich schwach, und es kostete sie schon alle Kraft, die sie noch besaß, um sich hinzuknien. Der beißende Qualm, der die ganze Lichtung einhüllte, ließ ihr die Tränen über die Wangen strömen. Angestrengt lauschte Lois nach Geräuschen, die Rettung versprachen: das Heulen der Feuerwehrsirenen. Doch da war nichts; nichts außer dem Krachen von zerberstendem Holz und dem Rauschen brennender Blätter. Plötzlich hörte sie ein häßliches Knirschen und das Knarzen von nachgebenden Balken. Lois schaute hoch und sah, wie sich der Boden des Holzhauses über ihr in der Mitte senkte. Die Angst ließ ihren Adrenalinspiegel hochschnellen. Lois warf sich gerade noch rechtzeitig zur Seite, bevor die Konstruktion aus Stroh und Holz auf sie herabregnete. Das brennende Material krachte dicht neben ihr zu Boden. Das Entsetzen, das sie angetrieben hatte, sich in Sicherheit zu bringe n, verlieh ihr noch immer Energie. Lois ballte die Fäuste. Sie war nun vollkommen wach, und ihre Sinne waren schärfer denn je. Sie bemerkte eine Lücke in der Wand aus Feuer, wo zuvor die Attrappe im Funkenmeer gestanden hatte. Offenbar hatte das Gewicht des herunterstürzenden Materials die Eisenträger der Konstruktion mit herabge rissen. Lois zögerte nicht lange. Sie wandte sich um und stürmte los. Sekunden später rannte sie auf den Teil des Sets zu, der die Wohngebäude der Dorfbewohner darstellen sollte. Hinter Lois kamen die Flammen näher. Vor ihr befand sich eine große Lichtung, auf der die Holzhütten, einige in den 125
Bäumen hängend, andere ebenerdig, kreisförmig angeordnet waren. Das Feuer hatte diese Hütten noch nicht erreicht, doch schon quoll der Rauc h des Brandes hinter ihr auf die Lichtung. Die Bäume zu ihrer Linken, die die Lichtung umgaben, hatten bereits Feuer gefangen, zu ihrer Rechten jedoch war das tobende Flammenmeer noch einige Meter entfernt. Durch den Qualm und das Feuer hindurch glaubte sie plötzlich, schemenhafte Gestalten zu erkennen. Ein Mann und eine Frau standen neben einer dritten Gestalt, die am Boden lag. Doch die Rauchschwaden waren so dicht, daß Lois die Gesichter nicht erkennen konnte. Sie bewegte sich vorsichtig auf die Gestalten zu, wollte ihnen etwas zurufen, doch wieder brachte sie nicht mehr als ein Krächzen zustande. Nach ein paar Schritten lichtete sich der Dunst ein wenig, und als Lois die Gestalten vor ihr erkannte, blieb sie wie angenagelt stehen. Dennoch war sie seltsamerweise nicht wirklich überrascht. Arlee Atkinson und ihr Ex-Lover Beau Paris, der laut Colin Dunn wieder aktuell war, stritten miteinander, während Dorian Hatch reglos am Boden lag! Der Anblick, der sich Lois bot, hätte direkt aus einem Kinofilm stammen können, wenn die Hitze der züngelnden Flammen ihr nicht verdeutlicht hätten, wie real die Szene vor ihr war. Lois konnte nicht sagen, ob Hatch nur bewußtlos oder bereits tot war. Aber was auch immer ihm zugestoßen war – es bestand kein Zweifel daran, daß diese beiden an seinem jetzigen Zustand schuld waren. Plötzlich, wie in einem Alptraum, drehte sich Paris um und blickte Lois direkt in die Augen. Dann packte er Arlees Arm und wies in Lois’ Richtung. Lois konnte den kurzen folgenden Wortwechsel nicht 126
verstehen, aber es war auch nicht besonders wichtig. Fest stand, daß man sie gesehen hatte. Was nun? Arlee schüttelte Paris’ Hand ab und wirbelte auf dem Absatz herum. Dann begann sie zu laufen, doch sie rannte von Lois weg – weg von dem Dorf und auf das Wäldchen zu, hinter dem sich der Set mit dem Schutzwall des Dorfes befand. Zögernd warf Paris noch einen letzten Blick auf Hatchs Gestalt am Boden. Nach einem kurzen Moment jedoch stürmte er hinter der Hauptdarstellerin her. Auch Lois wußte, daß sie keine Zeit zu verlieren hatte, wenn sie aus diesem Inferno noch einmal lebend heraus kommen wollte. Das Feuer kam immer näher, und es gab nur zwei Richtungen, die Rettung versprachen. Eine Möglichkeit führte nach rechts, fort vom Set, und die andere war genau die, die auch Arlee und Paris eingeschlagen hatten – direkt an Hatchs Körper vorbei. Wieder hüllten dicke Rauchschwaden sie ein, so daß Lois von einem Moment auf den anderen nichts mehr sehen konnte. Sie wußte, daß der sicherste Fluchtweg rechts von ihr lag. Aber was geschah mit Dorian Hatch? War er tot, oder lebte er noch? Sie konnte ihn doch nicht einfach dort liegenlassen. Sie versuchte noch einmal, angestrengt durch den dichten Qualm zu spähen, in der Hoffnung, einen Hinweis auf den Zustand des Regisseurs zu erhalten. Aber sie konnte einfach nichts sehen... Und plötzlich spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter.
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15 Mit einem Seufzer der Erleichterung wandte sich Lois um. Endlich war ihr Held gekommen – gerade noch rechtzeitig, um die Lage zu retten, ganz, wie er es immer tat. Doch es war nicht ihr Held, der gekommen war. Es war Colin Dunn. Schweiß strömte ihm über das rußgeschwärzte Gesicht, und doch lächelte er. Seine Zähne blitzten weiß im Feuerschein. Trotz ihrer Furcht und trotz der widrigen Umstände konnte Lois nicht anders: Sie verglich ihn unwillkürlich mit dem verwegenen Robin Hood, den sein Großvater einst so gut gespielt hatte. „Claire? Claire!“ brachte er mit einem Huster hervor. „Gott sei Dank, daß ich Sie endlich gefunden habe!“ „Colin!“ Lois fürchtete, an dem Namen des Schauspielers ersticken zu müssen. Sie rang ein paarmal nach Luft, dann versuchte sie es noch einmal. „Was machen Sie...“ „Dazu ist jetzt keine Zeit“, unterbrach er sie. „Man hat mir gesagt, daß Sie in diese Richtung gegangen sind, und so bin ich Ihnen hinterhergelaufen.“ Seine Brust hob und senkte sich unter der Anstrengung, das bißchen Sauerstoff, das sich in der Luft befand, einzusaugen. „Das Feuer ist außer Kontrolle! Hatch, Arlee – wir können sie nicht mehr retten. Wir müssen hier weg.“ „Nein!“ krächzte Lois. Colin verstand ihren Ausbruch offenbar falsch, denn er packte sie nun hart am Arm. „Wir können den Weg nehmen, den ich gekommen bin“, schrie er gegen den tosenden Lärm des näherkommenden Feuers an. „Claire! Bitte!“ „Nein, das können wir nicht!“ beharrte Lois. „Was ist mit Hatch? Er kann...“ Ein heftiger Hustenanfall machte es ihr unmöglich, den Satz zu beenden. „Kommen Sie!“ 128
Lois riß ihren Arm aus seinem Griff, packte statt dessen seine Hand und zog ihn in die Richtung, in der Hatch lag. Oder zumindest dorthin, wo er liegen mußte, denn der Qualm war nun so dicht, daß man die Hand vor den Augen nicht mehr sehen konnte. „Was soll das? Claire, seien Sie doch vernünftig!“ brüllte Colin. Plötzlich teilten sich die Rauc hschwaden ein wenig, und der Schauspieler konnte sehen, warum Lois ihn so verzweifelt mit sich zog. Hatch lag immer noch reglos auf dem Boden – bewußtlos oder vielleicht sogar... „Paris und Arlee haben ihn hier einfach liegengelassen. Es würde seinen sicheren Tod bedeuten“, erklärte Lois. Colin starrte sie entgeistert an. Dann dämmerte ihm, was sie sagen wollte, und seine Miene drückte pures Entsetzen aus. „Und ist er schon...“ Er brach ab und schluckte. „Ich weiß es nicht“, keuchte sie. „Aber wir können ihn nicht einfach hier liegenlassen!“ Colin nickte zögernd. Es war nicht zu übersehen, daß er sich nicht darauf freute, Hatch aus diesem Inferno schleifen zu müssen. Es würde ihr Tempo verlangsamen – und sie mußten so schnell wie möglich von hier fortkommen. Doch wie Lois schon gesagt hatte: sie konnten ihn unmöglich hier liegenlassen. Sie hatten keine Wahl. „Okay“, sagte er. „Sie...“ In diesem Moment wurden seine Worte von einer weiteren Explosion übertönt. Flammen schossen auf, es regnete Funken. Einen Augenblick später krachte ein gewaltiger Ahornbaum zu Boden. Die Wucht des Aufpralls ließ die Erde erbeben. Unglücklicherweise blockierte der schwelende Stamm nun den Weg, den Colin gekommen war. Damit war ihnen auch diese Fluchtmöglichkeit genommen. Lois blickte zu den anderen Bäumen, die die Lichtung 129
säumten, hinauf. Es waren nicht wenige, die sich bereits gefährlich nach vorne neigten. Es würde nicht mehr lange dauern, bis auch sie zu Boden krachten. Ohne ein Wort zu sagen, packte Lois wieder Colins Hand und zog ihn weiter. Der Rauch wurde immer dichter, und es lag soviel Ruß in der Luft, daß die beiden kaum erkennen konnten, wohin sie ihre Füße setzten. Sie wußten, daß sie Hatch erreicht hatten, als Lois fast über den reglosen Körper stolperte. Hastig kniete sich Colin neben die Gestalt und fühlte seinen Puls. „Er lebt!“ rief der Schauspieler. Ohne zu Zögern hievte er den bewußtlosen Regisseur hoch und schwang ihn sich wie einen Sack Mehl über die Schulter. „Wohin jetzt?“ preßte er hervor. Lois verengte die Augen und starrte angestrengt durch den Qualm. Schließlich wies sie auf ein Stück Waldrand, das die Flammen noch nicht erreicht hatten. „Sie sind da entlang geflüchtet.“ Colin hustete und bedeutete Lois mit einer Kopfbewegung, voranzugehen. Lois rannte auf die Baumreihe zu, wobei sie darauf achtete, daß es dem Schauspieler mit seiner Last noch möglich war, ihr zu folgen. Endlich befanden sie sich auf dem Pfad, der von der Lichtung fortführte. Alle paar Sekunden blickte Lois über die Schulter, um sich zu vergewissern, daß Colin noch bei ihr war. Der arme Kerl hatte mit Hatchs Gewicht enorm zu kämpfen. Das Waldstück, durch das sie liefen, war vom Feuer noch verschont geblieben. Lois hoffte inbrünstig, daß sie das Schlimmste hinter sich hatten. Doch als sie ein paar hohe Büsche umrundet hatte, mußte sie erkennen, daß ihre Hoffnung umsonst gewesen war. Auch der Teil des Sets, der die Dorfumgrenzung mit den Wachtürmen darstellte, stand in Flammen. Die Pyrotechniker und Arlee Atkinson hatten wirklich ganze Arbeit geleistet. Lois 130
blieb stehen, damit Colin zu ihr aufschließen konnte. Obwohl ihre Augen von dem Qualm brannten, suchte Lois den Set nach einer Spur von Arlee und Paris ab, doch sie konnte nichts entdecken. Aber es mußte einfach einen Ausweg geben. Arlee und Paris waren doch keine Selbstmörder! Bestimmt hatte die Schauspielerin sichergestellt, daß sie aus diesem Ort der Verdammnis flüchten konnte! Aber wie? Wo war die rettende Lücke in dem Flammenmeer? „Und jetzt?“ sagte ein schnaufender, hustender Colin, als er schließlich neben ihr anhielt. Das Gesicht des Schauspielers war rot vor Anstrengung, Schweiß rann ihm an den Schläfen herab. „Ich weiß es nicht“, brach es verzweifelt aus Lois heraus. „Ich habe keine Ahnung, wohin Paris oder Arlee gelaufen sind.“ In diesem Augenblick streckte Colin die Hand aus. „Dort“, sagte er heiser und zeigte auf eine Leiter, die zum Wachturm hinaufführte, an dem ein Steg entlanglief. Noch hatten die Flammen diesen Teil der Palisade nicht erreicht. Lois sah in die Richtung, die Colin ihr wies, und ent deckte augenblicklich Arlee Atkinsons rotes Haar. Die Schauspielerin hangelte sich auf dem Steg entlang auf den Wachturm zu. Wenige Meter vor ihr befand sich eine Gestalt, die nur Beau Paris sein konnte. Es war deutlich, daß sie nichts über die Existenz ihrer Verfolger wußten. Ohne es zu wollen, hatten die beiden Colin und Lois den Fluchtweg gezeigt. Da haben sie ja wenigstens ein gutes Werk getan, dachte Lois trotz ihrer Panik. „Kommen Sie“, rief sie und rannte auf die Leiter zu. Colin stöhnte auf, hastete aber, so schnell es seine Last erlaubte, hinter ihr her. Es kostete sie nur ein paar Sekunden, bis sie die Leiter 131
erreicht hatten, ein paar weitere, bis sie sich auf die Plattform des Wachturms gezogen hatten. Es war ein Glück, daß diese Konstruktion nicht nur eine Attrappe war, denn sonst hätte sie ihr Gewicht niemals getragen. Ganz zu schweigen von Colin, über dessen Schulter ein noch immer bewußtloser Regisseur hing. Als sie oben angekommen war, wandte sich Lois rasch um und half Colin hinauf. Das Gesicht des Schauspielers war vor Anstrengung verzerrt, als er sich taumelnd aufrichtete. Der Steg vor ihnen erstreckte sich bis zu dem nächsten Turm, der unversehrt war. Das Waldstück dahinter war noch grün und saftig. Dort lag die Rettung! Lois biß die Zähne zusammen. Sie mußten es bis dahin schaffen! „Nur noch ein bißchen weiter!“ sprach sie Colin Mut zu. Der Steg schwankte bedrohlich, als sie darüber hasteten. Links und rechts von ihnen brannte es bereits lichterloh. Lois entging nicht, daß kleine Flammen sich durch die Zwischenräume in den Holzplanken emporzüngelten. Leider war dies nicht ihr einziges Problem. Als sie den Turm am anderen Ende des Stegs fast erreicht hatten, sprangen zwei Gestalten aus dem Wachhäuschen heraus und auf sie zu: Paris und Arlee. Paris hielt einen kleinen Revolver in seiner Hand. „Ihr könnt euch wohl nicht von uns trennen, was?“ Er lachte höhnisch. „Ich hatte schon überlegt, ob ich unserem geliebten Regisseur nicht eine Kugel in den Kopf jagen sollte.“ Seine Augen glänzten unnatürlich im Schein des Feuers, das sich immer weiter zu ihnen hinauffraß. „Nun. jetzt kriege ich ja offenbar doch endlich eine Chance, das Ding auszuprobieren.“ „Hör auf zu quatschen“, fuhr Arlee ihn an. „Dafür haben wir keine Zeit. Tu es einfach!“ Lois schluckte. Sie starrte auf den schimmernden Lauf der Waffe in Paris’ Händen,, Ihr Herz sandte einen letzten Hilferuf an Superman aus, während sie in Gedanken bereits ihr Testament aufsetzte. 132
„Du hast recht“, sagte Paris. Seine Lippen verzogen sich. „Ich tue es einfach!“ Doch bevor er abdrücken konnte, schlug der Wind plötzlich um. Flammen loderten auf, sprangen über den Steg und erfaßten einen Zipfel von Paris’ Kostüm. Innerhalb weniger Sekunden brannte der ganze Umhang des Superhe lden Bolt. Paris schrie auf und schlug wild nach den Flammen, um sie zu ersticken. Natürlich schaffte er es nicht. In Panik versuchte Paris, sich aus dem Cape zu winden, verhedderte sich jedoch statt dessen immer mehr darin. Er ließ den Revolver fallen und griff mit beiden Händen nach dem Verschluß um seinen Hals. Während er verzweifelt kämpfte, rührte Arlee sich nicht von der Stelle. Wie gebannt sah sie zu, als Paris taumelte, umherstolperte und dabei wild mit den Armen um sich schlug. Und dann verlor der Mann die Balance. Entsetzt sah Lois, wie er auf den Rand des Stegs zutorkelte, noch mit den Armen ruderte und mit einem fürchterlichen Aufschrei ins Leere trat. Einen Moment später war er im wütenden Flammenmeer verschwunden. Arlee stieß einen leisen Fluch aus, dann blickte sie zu Lois und Colin auf. Lois’ Herz krampfte sich zusammen, als sie das Grinsen der Frau sah. „Er wußte sowieso zuviel“, sagte die Schauspielerin. „Jetzt muß ich mir wenigstens nicht mehr die Mühe machen, ihn loszuwerden!“ Ihr Lächeln verblaßte. „Ihr zwei dagegen...“ Sie schüttelte den Kopf fast bedauernd. „... stellt ein Problem dar. Na ja, auch das werde ich schon beseitigen.“ Sie trat zwei Schritte auf Lois zu, die augenblicklich zwei Schritte zurückwich. „Seien Sie doch vernünftig, Arlee“, flehte Lois. Sie warf einen raschen Blick auf das Feuer, das sich bereits an den Balken an ihrer Seite entlangfraß. „Wenn wir nicht bald hier wegkommen, werden wir alle geröstet!“ 133
„Oh, keine Sorge, du wirst hier schon wegkommen“, sagte Arlee, während sie sich langsam vorwärtsbewegte. Die Schauspielerin befand sich nun neben einem Stapel Eisenstangen, die für den Dreh dort deponiert worden waren. „Ich helfe dir nur ein bißchen dabei!“ Arlee packte eine der Stangen und wirbelte das Ding geschickt in ihren Händen herum. Dann stellte sie sich in Angriffsposition. „Ihr braucht euch nicht zu wundern“, sagte sie triumphierend. „Ich war auch einmal Stuntfrau. Es ist schon lange her. Damals habe ich Beau kennengelernt.“ Lois biß sich auf die Unterlippe. Diese Frau wußte offenbar, was sie sich zutrauen konnte. Sie kam immer näher auf Lois zu, doch die Reporterin blieb eisern stehen. Es blieb ihr auch nicht viel anderes übrig. Wenn sie weiter zurückwich, würde sie nur Colin und den bewußtlosen Regisseur umstoßen. Der Weg zurück war ihnen ohnehin versperrt. Der Wachturm, von dem sie gekommen waren, brannte bereits. Lois konnte auch nicht auf Colins Hilfe hoffen, denn der Steg, auf dem sie sich befanden, war viel zu schmal, um den bewußtlosen Hatch darauf abzulegen, so daß Colin mit seiner Last nur die Zuschauerrolle blieb. Und als wäre das alles noch nicht schlimm genug, fraß sich das Feuer weiter durch das trockene Holz. Schon leckten die ersten Flammen an den Bohlen des Stegs. Wenn sie hier stehenblieben, würden sie sterben, und so tat Lois das einzige, was sie tun konnte. Sie trat ein paar Schritte vor und schickte ein lautloses Gebet zum Himmel. Arlees Haltung drückte pures Selbstbewußtsein aus, als sie mit schwingender Eisenstange auf Lois zukam. Die Stange sauste von oben auf Lois herab. Wenn die Schauspielerin sie traf, würde sie ihr entweder den Schädel einschlagen oder sie vom Steg ins Feuer befördern. In letzter Sekunde duckte sich Lois und wich wie ein Boxer 134
aus. Sie spürte den Luftzug der Eisenstange an ihrem Ohr. Wo zum Teufel ist Superman? fluchte sie. Sicher, er war mal wieder irgendwo unterwegs, um Leben zu retten. Aber hier gab es verdammt noch mal auch ein paar Leben, die es zu retten galt. Sie brauchte Hilfe, und zwar jetzt! Doch niemand hörte ihre stummen Hilferufe. Sie mußte sich selbst darauf konzentrieren, ihr Leben zu retten. Als Arlee die Eisenstange ein zweites Mal schwang, wich sie rasch einen Schritt zurück. Dann, plötzlich, ließ sie den Arm vorschnellen und packte das freie Ende der Eisenstange. Sobald sich ihre Finger um das Metall schlossen, drehte sie die Stange so fest sie konnte. Arlee schrie auf, als ihr Handgelenk sich mitdrehte, und ließ los. Augenblicklich holte Lois aus und hieb auf die Schauspielerin ein. Das Eisen krachte Arlee in die Rippen. Lois hatte nicht genug Schwung gehabt, um Knochen zu zertrümmern, aber die Wucht reichte aus, um Arlee gegen die hölzerne Ballustrade zu schleudern. Die Schauspielerin prallte von der Wand ab und kämpfte mit dem Gleichgewicht. Doch sie war nicht umsonst Stuntfrau gewesen. Sie wirbelte herum, verlagerte ihr Gewicht und warf sich zur Seite, so daß sie sich vom drohenden Abgrund entfernte. Nach Atem ringend versuchte Arlee, wieder auf die Füße zu kommen. Doch in diesem Augenblick schossen die Flammen, die bereits von unten an den Planken geleckt hatten, auf und fraßen sich gierig in das Holz. Arlee schrie auf, als der Steg unter ihr zusammenbrach. Verzweifelt versuchte sie, sich irgendwo festzuhalten, doch ihre Hände griffen ins Leere. Lois sprang vor, um Arlee zu packen, aber es war zu spät. Unter ihrem entsetzten Blick rutschte die Frau ab und stürzte in die lodernden Flammen. Jetzt – endlich! – schoß etwas Blau-Rotes so schnell heran, 135
daß Lois nur den Lufthauch spürte. Doch eine Stimme in ihr schrie vor Glück auf. Superman! Er war gekommen! Oder hatte sie sich getäuscht?
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16 Benommen spähte Lois in das Loch im Steg, durch das Arlee Atkinson verschwunden war. Doch es war nichts zu sehen – nichts außer den züngelnden, grellorangenen Flammen. Und auch von Superman keine Spur. Hatte sie sich nur eingebildet, ihn gesehen zu haben? War Arlee tatsächlich in die Flammen gestürzt? Und waren Colin und sie nun wirklich Gefangene des Flammenmeeres um sie herum? Das Feuer kam immer näher, und vor ihnen klaffte ein riesiges Loch im Steg! Frustriert schrie Lois auf. Sie waren doch so weit gekommen! Wenn Arlee sie nicht aufgehalten hätte, wären sie jetzt in Sicherheit. Nun würden sie alle drei – sie, Colin und Hatch – im Feuer sterben. Sie sah Colin entschuldigend an. Irgendwie schaffte der Schauspieler es, ein Lächeln zustandezubringen. Lois fiel es nicht schwer, sich vorzustellen, daß es dasselbe Lächeln war, mit dem sein Großvater einst als Robin Hood in einem Stummfilm die Zuschauer verzaubert hatte. Sie konnte nicht anders: Sie mußte das Lächeln erwidern. Colin setzte an, um etwas zu sagen, doch was immer es gewesen sein mochte – seine Worte wurden von dem plötzlichen Knirschen und Krachen der Planken übertönt, als der Boden unter ihren Füßen nachgab. Lois schloß die Augen und bereitete sich innerlich auf ihren Tod vor. Doch seltsamerweise tat die Anziehungskraft der Erde nicht das, was man von ihr erwartete. Nicht nur, daß sie nicht abwärts stürzten... im Gegenteil! Lois hatte den Eindruck, als würden sie aufsteigen. Um es genau zu sagen: Es fühlte sich ganz so an, als würden sie fliegen! Lois entspannte ihre Kiefermuskeln und verzog die Lippen zu einem seligen Lächeln. Dann schlug sie die Augen 137
wieder auf. Sie lag sicher in den Armen jenes Mannes, den sie liebte. Und er hatte nicht nur sie gerettet, sondern auch Colin und Hatch, die in seinem anderen Arm hingen. Superman stieg mit allen dreien auf und erhob sich über die Baumwipfel. Unter ihnen brüllte und tobte das Feuer. Lois drehte den Kopf und sah Superman an. In seinen Augen las sie eine so umfassende Erleichterung, daß es ihr im Herzen weh tat. Der Stählerne landete ein gutes Stück vom Flammenmeer entfernt und setzte die drei ab, um sich sofort wieder in die Luft zu erheben und so schne ll davonzuschießen, daß das Blau und das Rot seines Kostüms zu einem verschwommenen Streifen verschmolzen. Lois seufzte. Es dauerte einen Moment, bis sie ihren Blick von Supermans davonrasender Gestalt losreißen konnte, um sich das Chaos um sie herum anzusehen. Die städtische Feuerwehr hatte ein ganzes Bataillon Löschfahrzeuge geschickt, doch das Feuer war außer Kontrolle geraten. Obwohl die Feuerwehrleute alles daran setzten, das rasende Flammenmeer einzudämmen, handelte es sich nur noch um Schadensbegrenzung. Ein großer Teil des Centennial Parks war bereits den Flammen zum Opfer gefallen. Es gab nicht mehr viel zu retten. Und so konzentrierten sich die Feuerwehrleute auch bald vor allem darauf, zu verhindern, daß die Flammen auf weitere Bäume übergriffen und sich ausbreiteten. Die Hitzewelle hatte die Stadt ausgedörrt. Wenn das Feuer nicht rasch unter Kontrolle gebracht wurde, konnte es halb Metropolis abfackeln! Lois sah zwei Sanitäter auf sie, Colin und Hatch zukommen. Offenbar waren die anderen Brandopfer bereits versorgt. Hatch, der immer noch ohnmächtig war, wurde zuerst untersucht. Die Ursache seiner Bewußtlosigkeit wurde schnell gefunden: Er hatte einen heftigen Schlag auf den Hinterkopf 138
erhalten, und der Rauch und die Hitze hatten nicht gerade zur Besserung seines Zustandes beigetragen. Auch Colin litt unter den Folgen des eingeatmeten Qualms. Nur ein paar Meter entfernt kümmerte man sich um Arlee Atkinson. Doch zusätzlich zu den Notarzthelfern standen auch zwei Polizisten dabei, die Arlee wachsam im Auge behielten. Wahrscheinlich hatte Superman die Polizei darauf hingewiesen, daß es sich bei der Frau um die mutmaßliche Brandstifterin handelte. „Das Feuer... werden sie es schaffen?“ fragte Lois einen der Sanitäter, der ihr Handgelenk gerade mit kühlender, feuchter Gaze verband. Der Mann hob die Schultern. „Schwer zu sagen.“ „Superman...“, murmelte Lois. Er war der einzige, der eine Katastrophe von solch unglaublichen Ausmaßen verhindern konnte. Oder war dieses Feuer selbst für ihn eine Nummer zu groß? Superman schaute auf das Inferno unter ihm. Er mußte etwas tun, sonst war nicht nur der Park, sondern auch ein guter Teil von Metropolis in Gefahr. Irgendwie mußte er große Wassermengen herbeischaffen, um das Feuer zu löschen – aber wie? Dann fiel es ihm ein. Ohne eine Sekunde zu zögern flog er auf Hob’s Bay zu und jagte durch den Himmel. Kurz darauf hatte er den alten, rostigen Wasserturm gefunden, den er schon für das Schwimmbad in den Suicide Slums benutzt hatte. Er riß den riesigen Bottich aus der Verankerung auf der Stützkonstruktion und hievte ihn über den Kopf. „Seht nur!“ schrie einer der Sanitäter. Lois folgte mit ihrem Blick dem Zeigefinger des Mannes und sah den Stählernen knapp über den Baumkronen schweben. 139
Über seinem Kopf hielt er einen riesigen Bottich, der aussah wie das Reservoir eines alten Wasserturms. Wasser schwappte über den Rand und an den Seiten herab. Als Superman den ehemaligen Set erreicht hatte, an dem das Feuer ausgebrochen war, kippte er den Bottich und leerte dessen Inhalt über den gierig hochzüngelnden Flammen aus. Es zischte und krachte laut, und bevor die aufwallende Wasserdampfwolke Superman erreichte, war er schon wieder fort. Ein paar Momente später war er zurück und kippte ein zweites Mal den mit Wasser gefüllten Bottich über den brennenden Baumgipfeln aus. Während Lois wie hypno tisiert zusah, holte Superman eine Wasserladung nach der anderen. Jedesmal, wenn er wieder davonsauste, war eine kleine Fläche des Brandes gelöscht. Irgendwann bemerkte Lois Jimmy Olsen, der Fotos von Supermans Kampf gegen das Feuer machte. Der junge Mann rannte unablässig hin und her, um die besten Bilder zu schießen, und Lois wußte, daß sie ihn nicht würde einholen können. Zudem war sie viel zu erledigt von dem Kampf, den sie soeben ausge fochten hatte, um noch zwei Schritte zu gehen. Das Feuer war zu groß und zu gewaltig, um in kurzer Zeit gelöscht zu werden. Und es war in der Tat ein Kampf, den Superman auszufechten hatte, denn immer wieder schossen Flammen an Stellen auf, an denen keine Gefahr mehr zu bestehen schien. Doch Superman war ein würdiger Gegner. Mochte das Feuer sich auch starrköpfig gegen das Wasser wehren – Superman war unermüdlich. So vergingen einige Stunden, bis er erkannte, daß er langsam die Oberhand gewann. Die Feuersbrunst schrumpfte. Dann ging es plötzlich sehr schnell. Die Feuerwehrleute hatten das Feuer unter Kontrolle. Inzwischen war der Bürgermeister der Stadt eingetroffen. Er lobte die Löschmannschaft und wollte auch Superman seinen 140
Dank für alles, was er getan hatte, aussprechen. Doch der Stählerne war nirgends zu sehen. Lois blickte sich im Park um. Nur ein paar Stunden zuvor hatte es hier noch von Schauspielern und Technikern gewimmelt, alles hatte sich um die Produktion eines teuren Films gedreht. Nun deutete nichts mehr darauf hin. Der einst so schöne Park bot ein trostloses Bild der Zerstörung. Die ausgebrannten Wohnwagen waren schwarz, die Fenster geborsten, Kunststoff und Gummiteile zusammengeschmolzen; die aufwendige und teure Filmausrüstung war hinüber. Einige Crewmitglieder und Schauspieler hatten Verbrennungen erlitten. Doch zum Glück war keiner tödlich verletzt worden, obwohl einige ins Krankenhaus mußten. Und alles nur, weil zwei Schauspieler zu gierig waren, um sich darüber Gedanken zu machen, was sie mit ihrer Tat anrichten konnten. Lois schüttelte den Kopf. Aber was war mit ihr selbst? War sie nicht auch gierig gewesen, wenn auch in einer ganz anderen Hinsicht? Sie wollte Clark stets bei sich und für sich ganz, allein haben. Und nicht nur Clark, sondern auch Superman! Erst hatte sie sich Clark herbeigewünscht, später hatte sie gebetet, Superman würde sie retten. Plötzlich erkannte sie das ganze Ausmaß an Verantwortung, die Superman tragen mußte. Er hatte sich selbst, Metropolis und der ganzen Welt gegenüber eine Verantwortung, die so gewaltig und so bedeutend war, daß es Lois plötzlich die Schamesröte ins Gesicht trieb. Wie hatte sie nur so selbstsüchtig sein können? Wie hatte sie auf seine Anwesenheit bestehen können, als es um weit mehr ging als um sie und ihre persönlichen Bedürfnisse? Er war da gewesen, als sie ihn wirklich gebraucht hatte. Und allein das war es, was zählte. Eine Hand legte sich sanft auf Lois’ Schulter. In Erwartung, Colin Dunn zu sehen, der in den vergangenen beiden Tagen immer in ihrer Nähe gewesen zu sein schien, wandte sie sich 141
um. Doch ausnahmsweise stand nicht Colin hinter ihr. Ein müde wirkender Clark Kent lächelte sie an. „Tut mir leid. Ich...“ Bevor er weiterreden konnte, schlang Lois ihm die Arme um den Nacken und küßte ihn. Dann legte sie den Kopf gegen seine Brust, schloß die Augen und vergrub das Gesicht in seiner Schulter. So standen die beiden da, hielten sich fest und genossen die aufkommende Brise, die zum ersten Mal seit vielen Tagen Erfrischung brachte. Keiner der beiden sagte etwas. Aber das brauchten sie auch nicht.
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EPILOG Am nächsten Morgen hatte die Sonne ihre grausame Kraft verloren. Das Ende der Hitzewelle war da. Es war, als hätte sie vor der Gewalt des echten Feuers kapituliert, das am Nachmittag zuvor Metropolis heimge sucht hatte. Clark betrat die Nachrichtenzentrale des Daily Planet an Lois’ Seite. Obwohl sie nur ein paar Tage fortgewesen waren, kam es ihnen beiden wie eine Ewigkeit vor. „Croissant?“ fragte Clark, als sie Lois’ Schreibtisch erreicht hatten. „Und Kaffee“, setzte sie hinzu. „Wenn’s nicht zuviel Mühe macht. Es war so lange so heiß, daß es mir vorkommt, als hätte ich seit Jahrzehnten keinen Kaffee mehr getrunken.“ Er zuckte die Achseln und beugte sich vor, damit nur sie seine Worte hören konnte: „Ich könnte mal eben nach Frankreich düsen und eine europäische Mischung holen, wenn du willst!“ Lois verdrehte die Augen. „Es ist mir egal, was in den Becher kommt. Hauptsache, es ist Kaffee.“ Sie legte ihre Tasche auf den Tisch und griff nach einem Kugelschreiber. „Im übrigen“, sagte sie grinsend, „will ich dich die nächste Zeit immer in Sichtweite haben. Wenn du jetzt abdüst, dann könntest du auf dem Weg... na, sagen wir, abgelenkt werden.“ Clark gluckste. Er war froh, daß sie jetzt darüber scherzen konnten. Die letzten Tage über hatte Lois’ Verhalten ihn ernsthaft beunruhigt. Er wandte sich ab und setzte sich in Bewegung, um ihr Frühstück zu holen. Doch als er mit den Croissants und dem Kaffee zurückkam, unterhielt sich Lois gerade angeregt mit einem Besucher. Es war Colin Dunn, der neben dem Tisch der Reporterin stand. Clark hielt einen Moment inne, um ihrem Gespräch 143
zuzuhören. „Sie haben mich wirklich an der Nase herumgeführt“, sagte Colin lachend. „Wieso ist mir nur nicht von Anfang an aufgefallen, daß sie keine Produktionsassistentin sind?“ Lois stimmte in sein Lachen ein. „Ich weiß das Kompliment zu schätzen“, antwortete sie. „Schließlich kommt es von einem echten Schauspieler.“ Colins Lächeln ließ etwas nach. „Aber eigentlich bin ich gekommen“, wechselt er das Thema, „um mich bei Ihnen zu bedanken. Sie haben mir das Leben gerettet.“ „Wir haben beide unseren Teil dazu beigetragen“, erwiderte Lois bescheiden. „Ohne Sie hätte ich es auch nicht geschafft. Und ich muß mich bei Ihnen bedanken, daß Sie mir die nötigen Hinweise gegeben haben.“ Colins Gesichtsausdruck wirkte plötzlich, als müßte er seinen Mut zusammensammeln, um etwas zu sagen. Offenbar schüchterte Lois ihn ein. Clark empfand pures Mitgefühl für den jungen Schauspieler: er selbst hatte Lois gegenüber oft genug so empfunden. „Wo wir gerade bei Hinweisen sind“, sagte Colin mit aufgesetzter Lässigkeit. „Ich hatte gehofft, von Ihnen am Set ein paar Hinweise zu bekommen.“ Der Schauspieler brach ab, und Clark ahnte schon, was nun kommen würde. „Nun ja, ich habe mich gefragt...“ Colin seufzte. Doch bevor er den Satz beenden konnte, schlenderte Clark zum Tisch hinüber. „Hier, dein Croissant“, sagte er fröhlich und stellte Kaffee und Gebäck vor Lois auf den Tisch. Dann stemmte er seinen rechten Fuß auf Lois’ Stuhl und neigte sich ihr zu. „Tut mir leid“, meinte er unbekümmert. „Ich wollte nicht unterbrechen.“ Colin begriff die Situation mit einem Mal und seufzte wieder. „Nun, ich habe mich gefragt“, fuhr er dann fort, „ob es bei 144
Ihnen zu Hause nicht noch mehr von Ihrer Sorte gibt. Sie wissen schon: attraktiv, intelligent, voller Leben.“ Lois wirkte erleichtert. Wahrscheinlich hätte es ihr nicht gefallen, so einem netten Kerl wie Colin Dunn eine Abfuhr verpassen zu müssen. „Ganz zufällig“, antwortete sie, „gibt es sie. Ich werde meine Schwester fragen, ob sie Lust hat, mit einem aufstrebenden Star auszugehen.“ Colin grinste. „Das wäre sehr freundlich. Ich melde mich.“ Der Schauspieler war gerade gegangen, als Jimmy und Perry aus dem Büro des Chefredakteurs kamen. „Da sind sie ja endlich“, sagte Perry laut. „Nett, daß ihr euch auch mal blicken laßt“, setzte Jimmy feixend hinzu. „Also, bitte, seit wann ist die Uhrzeit denn so bedeutend?“ fragte Lois entrüstet. „Sie haben natürlich recht, Lois. Absolut recht“, sagte Perry in einem etwas freundlicheren Tonfall. Clark und Lois hatten bereits gemerkt, daß Perry beide Hände hinter seinem Rücken verbarg. Er schien etwas vor ihnen zu verstecken. „Sie wollten uns etwas zeigen?“ neckte Clark ihn. Perry ignorierte Clarks plumpen Versuch, ihn zu überlisten, und wandte seine Aufmerksamkeit statt dessen Lois zu. „Wir sind alle sehr froh, daß Ihnen nichts Ernsthaftes passiert ist“, sagte er. „Das kann man wohl sagen“, fügte Jimmy hinzu. „Und außerdem hast du auch noch ein paar andere Leben ge rettet.“ Lois zuckte mit den Schultern. „Nicht so viele wie Superman“, wehrte sie ab und warf Clark einen Blick zu. „Stimmt doch, oder?“ „Schon“, meinte er, „aber du warst diejenige, die die Nuß geknackt hat.“ „Und genauso stellt es auch in der Story“, meldete sich Perry 145
zu Wort. Endlich zog er die Hände hinterm Rücken hervor und hielt ihnen die Morgenausgabe des Daily Planet hin. Auf der Titelseite, unter dem fetten Logo des Daily Planet prangte in großen Lettern: SUPERMAN RETTET PARK VOR FEMME FATALE. Unter der Headline stand etwas kleiner: von Lois Lane in Zusammenarbeit mit Clark Kent. Eines von Jimmys Fotos zeigte eine rußverschmierte, zerrupft aussehende Arlee Atkinson, die von Polizisten vor dem Hintergrund schwelender, geschwärzter Bäume abgeführt wurde. Die Polizisten blickten sehr ernst, und auch die Schauspielerin wirkte nicht allzu glücklich. Lois nahm die Zeitung und überflog die ersten Zeilen. Dann wandte sie sich zu Clark um. „Das ist aber nicht die Story, die ich abgegeben habe“, sagte sie und sah ihn fragend und mit einer hochgezoge nen Augenbraue an. „Ich, ähm, habe ein klitzekleines bißchen redigiert“, erklärte Clark hastig. „Ich wußte, daß du viel zu bescheiden bist, um deinen Beitrag zur Aufklärung des Falls richtig darzustellen. Ein Reporter berichtet die Fakten...“ „Und macht die Nachrichten nicht selbst. Schon gut.“ Lois seufzte. „Ich kann immer noch nicht glauben, daß die ganzen Sabotageakte auf Arlee Atkinsons Konto gehen“, sagte Jimmy. „Ich meine, sie stand doch noch am Anfang ihrer Karriere. Das ist ja so, als ob man seine Essensmärkchen verbrennt.“ Clark schüttelte den Kopf. „Ruhm ist vergänglich. Das wird sie auch gewußt haben. Und die Höhe der Versicherungssumme hat offenbar eine ziemliche Versuchung dargestellt.“ „Clark hat recht“, warf Lois ein. „Jimmy, deine Recherchen haben doch Dorian Hatchs Versicherungspolice und sein Testament zutage gefördert. Und in beiden Dokumenten stand Arlees Name als Begünstigte!“ 146
„Also hat sie sich entschlossen, es gleich besonders gründlich zu machen“, fuhr Clark fort, „indem sie die Dreharbeiten störte und Hatch beseitigte. Das Geld der Versicherung wäre ohne den Umweg über Hatch direkt in ihre Hände geflossen.“ „Aber was hatte Paris mit all dem zu tun?“ fragte Jimmy traurig. „Ich nehme an, er hat nie aufgehört, Arlee zu lieben“, sagte Clark. „Außerdem hat sie ihm wahrscheinlich einen Anteil von dem Geld versprochen. Aber ich bezweifle nicht, daß sie sich von Anfang an überlegt hat, ihn loszuwerden – schließlich wäre er ja auch der einzige Zeuge gewesen.“ Lois nahm den Gedankengang ihres Partners auf. „Es würde mich nicht überraschen, wenn sie ihn in das brennende Filmdorf gelockt hätte, damit er im Feuer umkommt. Dadurch hätte sie auch ihre Spuren beseitigt.“ Clark nickte. „Ja. Wie es aussieht, hat Paris mit dem Motorrad und den anderen Dingen, durch die die ›Unfälle‹ verursacht wurden, gepfuscht. Überall müssen seine Fingerabdrücke drauf gewesen sein. Und dann war da noch die Spraydose mit dem Gas, das die Wölfe notfalls davon abgehalten hätte, über ihn herzufallen! Man hätte Paris nach seinem Tod als Täter identifiziert, und Arlee wäre von jedem Verdacht reingewaschen gewesen.“ Jimmy grinste, „Tja, aber dann kam unsere Lois – und Superman –, und aus war’s mit dem Traum vom großen Geld.“ Perry gluckste vergnügt. Dann klopfte er seinen beiden Starreportern gleichzeitig auf jeweils eine Schulter. „Ihr zwei habt gute Arbeit geleistet“, lobte er sie enthusiastisch. „Und ich habe von meiner Freundin hei der Filmkommission gehört, ihr hättet eure Rollen so gut gespielt, daß sie euch eine zweite Karriere als Schauspieler prophezeit.“ „Ehrlich?“ fragte Lois interessiert. Die Aussicht schien verlockend – wenn auch nur für einen kurzen Moment. Perry behielt sein Pokerface noch einen Augenblick bei. 147
Doch dann verzog sich sein Mund zu einem breiten Grinsen. „Nö.“ Er lachte. „Ich wollte euch nur aufziehen.“ Er legte den Arm um Jimmys Schultern, und die beiden setzten sich in Richtung Büro in Bewegung. „Tja. Junge, das nenne ich schauspielern.“ Als er sicher war, daß niemand mehr in Hörweite war, wandte sich Clark an Lois. „Weißt du“, begann er, „ich fand es wirklich nicht berauschend, dich ständig alleinlassen zu müssen. Ich hoffe nur, du gibst mir die Chance, es wieder gutzumachen.“ Lois zuckte die Achseln. „Schon okay“, versicherte sie ihm und schenkte ihm ihr schönstes Lächeln. „Vielleicht bist du ja nicht immer da, wenn ich dich gerne bei mir hätte... aber du bist da, wenn ich dich brauche.“
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Ü BER DEN AUTOR Wenn es einem gelingt, M.J. Friedman aus einem seiner heißgeliebten und dauerhaften Tagträume zu wecken, in denen Baseballspieler keine Schlagfehler machen und White CastleHamburger auf Bäumen wachsen, dann wird der Autor sicherlich zugeben, daß neunzehn Science-Fiction- und Fantasy-Bücher, unter anderem auch viele „Star Trek“- und „Star Trek: The Next Generation“-Bestseller auf sein Konto gehen. Wenn er nicht schreibt – etwas, dessen Vorkommen man etwa genausooft beobachten kann wie den Halley’schen Kometen –, dann verbringt er seine Zeit mit Segeln, Joggen oder seiner wunderbaren Frau Joan und ihren ebenso wundervollen Klonen... ähm, Söhnen. Im übrigen legt er Wert auf die Feststellung, daß er vermutlich mit keinem anderen Friedman verwandt ist – nach welchem auch immer Sie ihn fragen könnten.
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