Ludwig Renn
Herniu und der blinde Asni Illustrationen von Kurt Zimmermann
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Ludwig Renn
Herniu und der blinde Asni Illustrationen von Kurt Zimmermann
Der Kinderbuchverlag Berlin Alle Rechte vorbehalten • Printed in the German Democratic Repolic Lizenz-Nr. 304-270/218/64-(70-IVB) Karte genehmigt durch Mdl der DDR, Nr. 3005/7 Satz und Druck: Karl-Marx-Werk Pößneck V 15/30 • 6. Auflage ES 9 D 4
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Bei den Cheruskern
WEG DURCH DIE REGENNACHT
Z
WANDERER tasteten sich durch den nächtlichen Gewitterguß. Dabei trat der Blinde sicherer auf als sein noch kindlicher Führer. Der blickte meist in die Höhe nach dem matt leuchtenden Himmel zwischen den schwarzen Baumkronen, um den Pfad durch den Wald nicht zu verlieren. „Herniu!“ sagte der Blinde. „Von links höre ich keine Tropfen auf die Blätter fallen. Ist da eine Lichtung?“ „Ich kann nichts erkennen“, erwiderte der Junge. „Bäume stehen da wirklich nicht.“ Plötzlich fühlte der Blinde, daß Herniu stark zu hinken begann. Menschen mußten in der Nähe sein. Hier schien der Weg ausgefahren, und ihre bloßen Füße patschten durch tiefen Schlamm. Herniu hatte einen schwachen Lichtschein bemerkt, und da der Weg dorthin führte, zögerte er und spähte nach vorn und nach den Seiten. Sie näherten sich einem breit ausladenden Baum. WEI
„Halt! Wer seid ihr?“ rief eine scharfe Stimme auf germanisch. „Ein Blinder mit seinem Begleiter!“ rief Asni zurück. „Was wollt ihr hier?“ „Ich suche einen Verwandten. “ „Lüge nicht! Du sprichst Cheruskisch und suchst deinen Verwandten im Lande der Sugambrer?“ „Ja, ich spreche Cheruskisch wie du! Kann der Verwandte nicht unter eurer Kriegerschar sein?“ „Bringe ihn zum Anführer!“ befahl die Stimme unter dem Baum. Aus der Dunkelheit löste sich ein Mensch und sagte grob: „Kommt mit!“ Er trug Spieß, Schild und einen kurzen Umhang. Herniu hinkte stark, und Asni tastete sich mit dem Stock vorsichtig weiter. Sie bewegten sich mühsamer als auf dem schwierigen Wege durch den Wald, so daß der Krieger mit der Frame, dem Spieß, öfters stehenbleiben mußte. Bald sah Herniu den Giebel einer Hütte. Der Krieger öffnete die Tür, ließ beide eintreten und rief hinein: „Ich bringe zwei, die etwas wollen!“ Am Ende des Raums saßen bei trübem Licht unter dem geschwärzten Stroh des Daches eine Anzahl Männer in germanischen Umhängen, die Frame im Arm. Ihre langen, buntbemalten Schilde hingen an den
Stützen des Daches. Quer davor saß ein Junger Mann, der nach römischer Sitte glatt rasiert war. „Was wollt ihr?“ fragte er knapp. Asni hatte seine Lederkappe so über die Augen gezogen, daß man nur einen Teil der Nase und den blonden Bart sehen konnte. Von seinem Umhang und den Hosen tropfte es auf den Lehmboden. Herniu stand neben ihm mit blödem Gesicht und offenem Munde. „Ich suche“, begann der Blinde mit heller Stimme, „Armin, den Sohn des Cheruskerfürsten Sigimär. “ „Das bin ich“, erwiderte der junge Mann. „Was willst du von mir?“ „Nicht jede Mär mag Mitwissende. Doch daß du verstehst, deute dies!“ Asni schlug seinen Umhang zurück, und an seinem kräftigen Oberarm war ein Silberring zu sehen, der in einem Tierkopf endete. Bestürzt fragte Armin: „Ist mein Vater Sigimär tot?“ „Nein, Armin. Zur rechten Zeit erfährst du mehr. Aber siehst du nicht? Wir sind naß. Uns hungert. “ Vom offenen Herdfeuer erhob sich eine Frau. „Gib deinen Umhang und die Hosen! Und auch du, Junge, den Umhang! Mehr hast du wohl nicht an? Ich trockne eure Sachen am Feuer. Gleich wird euch meine Tochter mit Tüchern abreiben und euch trockene Umhänge bringen. “ Der Blinde legte alles außer seiner Lederkappe ab. Die Krieger wunderten sich, einen noch nicht alten und sehr kräftigen Mann mit mehreren Narben vor sich zu sehen. Armin aber betrachtete mißtrauisch Herniu: „Was ist mit dir, Junge? Eben noch hinktest du, und auf einmal stehst du ganz ohne Schaden vor mir. “ Der Blinde sagte eilig: „Gefährlich ist geöffnetes Geheimnis, doch Freunde verstehen den Freund im Singen. “ An diese Art Sprache waren die Germanen von ihren Volkssängern gewöhnt. Daher nickten die Krieger. Armin jedoch sagte: „Der Mann, der meines Vaters Ring als Zeichen trägt, ist hier geehrter Gast. Erst soll er sich im trocknen Umhang setzen und essen. Dann, wenn es ihm gefällt, singe er uns. Hier findet er keinen Verräter. “
DAS LIED VOM BOTEN TWISTOS, DES ERDGEBORENEN GOTTES Als Asni und Herniu ein Stück Wildschwein und Käse gegessen und Met getrunken hatten, nahm der Blinde seine Kappe ab. Nun sahen die Krieger ein entschlossenes Gesicht, dessen Augenlider tief in die Höhlen gesunken waren, wohl als Folge einer Verwundung. Er öffnete den Mund zu einem halb singenden Sprechen: „Das sagt der Blinde, der frei die Frame einst führte: In alten Tagen trat ins Leben Twisto, stand stark im Getümmel der Streiter. Doch mächtig erst machen Freunde den Mann. Bruderschaft bittend, sandte er zu den Brukterern. Haduger hieß der Bote des Heerkönigs. Weithin wand sich durch Sümpfe der Weg, der kundige Kühne kannte ihn. Rasch rückten heran Römer im Raubzug, zerbrachen das Zeichen des Freien, die Frame, zerbrachen den Schild. Wie Wölfe rissen sie am wankenden Wehrlosen: ,Weise uns Wege wider dein Volk!’ Haduger hörte, Bote des Heerkönigs, haßvollen Herzens Twistos Heerstimme: ,Wähle wagmutig, Bote, faulenden Weg!’ Sinnend suchte falsche Pfade er im saugenden Sumpf.
Die Sonne stieg, die Sonne sank. Bebender Boden wurde ihr Bett. Rund und rot stieg der Mond aus dem Ried. Wie Nattern sich schieben zum spiegelnden Naß, glitt weich er ins wellende Wasser. Zu strahlenden Sternen die Stirne gekehrt, sah spähend er Wächter am Weg zu finden den flüchtigen Führer. Fort von Haduger führt' sie ihr Fuß. In tieferes Wasser wagt' er sich weiter, strebte zum Lande mit starken Stößen. Römer riefen, forderten Rache. Sausend surrten Pfeile über den See. Haduger schrie, der starke Streiter: ,Wer Twisto treu, den trifft kein Pfeil!’ Wohl hob sich der Bote aus Wasser und Wellen, doch feig war das Volk hier und feil. Gierig nach Gold band es den Gast, bracht' ihn den Römern zur Rache. Spitz war der Speer, der die Augen stach. Sollt' nimmer er die Sonne sehen? Wehrlos warf man ihn ins Wasser. - ,Nun finde den Weg, du findiger Führer!’ Ihr Lachen ward leise, erlosch. Jäh jagte ins Wasser ein Junge. Genommen hatte ein Gott ihm den Geist, als raubende Römer drangen ins Dorf, mordeten Männer, meuchelten Frauen, nahmen als Narren den blöden Buben. Jäh jagte ins Wasser der Junge, barg im Schilf den blutenden Blinden. Saugend fraß sie der Sumpf. “ Asni, der Sänger, machte eine Pause. Endete dieses Lied so traurig? Armin blickte nach Herniu, dem Blöden. Der Blinde fuhr fort: „Nicht fraß sie saugend der Sumpf. Nicht närrisch war der Narr, gesunder Geist gehorchte ihm. Zart aus dem Schilf zog er den Zitternden, half ihm zur Hütte des Heerkönigs, der das schneidende Schwert nicht mehr schwang. Raubende Römer schlugen ihn roh. Weh war er von Wunden. Er sandte den Blinden sofort zum Sohne: ,Vor Fremden sei närrisch, vor Freunden üb Vorsicht! Meinem Sohn allein sag, was ich sende!’ “ Armin erschrak. „Narr, zeige, ob du gehen kannst!“ Herniu schloß den offenen Mund, erhob sich und schritt aufrecht zu Armin. „Genug!“ sagte der und wandte sich an seine Krieger: „Ich binde euch mit schwerem Eide bei Tiu, dem Gott, der über die Treue wacht: Ihr wißt nur, daß dieses Kind lahm und ein Narr ist! - Du aber, Haduger -“ Der Blinde unterbrach ihn: „Ich heiße Asni und komme von deinem Vater Sigimär.“ „Gut; Asni! Wenn du künftig diese Mär singst, so gibt es darin keine Römer! Es sind Bojer gewesen, auch ein Volk, das nicht unsere Sprache spricht. Aber es ist spät, laßt uns schlafen!“
AM FLUSSE Am Morgen warf Herniu seinen Umhang ab, in dem er geschlafen hatte - welches Kind wird im Sommer etwas anhaben? -und lief aus der Hütte in die Sonne. Hinkend patschte er durch die Regenpfützen und blickte sich nach den Kindern um, die im Flusse ihr Morgenbad nahmen. Dahin humpelte er und bemerkte, daß die hier ansässigen Sugambrer nicht mit den cheruskischen Kriegern zusammen badeten, sondern einige Schritte von ihnen entfernt. Das erkannte er, obwohl alle nackt und ohne Waffen waren. Mit seinen dreizehn Jahren war er schon schlau. Die cheruskischen Hilfstruppen der Römer bestanden nur aus jungen Männern, denen erst der Bart sproßte. Drüben aber befanden sich auch alte Leute, und daher mußten das die Sugambrer sein. Obwohl sie sich von den Cheruskern getrennt hielten, schien keine Feindschaft zu bestehen, wie Herniu sie überall gegen die hochmütigen Römer, diese Sklaventreiber, gefunden hatte. Die Kinder sahen Herniu heranhumpeln, taten aber so, als bemerkten sie ihn nicht. Absichtlich ungeschickt warf er sich mit dem Bauch ins Wasser, daß es nach allen Seiten spritzte. Die Kinder lachten. „Vorsicht!“ rief ein Mädchen. „Dort ist es tief!“ Herniu strampelte im Wasser und fand Grund. In seiner angelernt blöden Art machte er: „Ääh?“ und blickte das Mädchen mit offenem Munde an. „Ach, tu nicht so!“ erwiderte die Kleine. „Ich habe doch gestern in der langen Hütte gesehen, daß du nicht lahm bist!“ Herniu verstand von seinen Märschen mit den Römern als ihr kindlicher Spaßmacher alle germanischen Dialekte um Rhein und Donau bis zur Elbe. Sogar Lateinisch konnte er recht gut. Er machte aber nur wieder: “Ääh?“ als ob er nichts begriffen hätte. „Ach, du Narr!“ Damit wandte sich das Mädchen von ihm ab. Die Kinder wuschen sich sprudelnd und plantschend im langsam dahinströmenden Flusse. Dann stiegen sie ans Ufer und sprangen herum, um die Nässe abzuschütteln. Herniu machte dabei besonders komische Sprünge, als wäre er schief oder als täte ihm etwas weh. Die anderen Jungen merkten aber, daß diese Sprünge viel mehr Kraft brauchten als ihre eigenen. Alles das war ihnen an diesem fremden Jungen rätselhaft. Nachdem sie einigermaßen trocken geworden waren, rannten die kleinen Sugambrer zu ihren Müttern und verlangten zu essen. Eben war gemolken worden, und es gab kuhwarme Milch, außerdem Haferbrei, den die Kinder gleich stehend mehr tranken als aßen, um recht bald zu ihren Spielen zu kommen. Erst jagten sie die grunzenden Schweine auf. Einer der Jungen sprang von hinten einer Kuh auf den Rücken - sie war von einer kleinen Rasse. Sie erschrak, lief ein paar Schritte und graste wieder. Bald sammelten sich die jungen Krieger und begannen einer gegen den anderen die Frame zu werfen. Der Angegriffene bemühte sich, die heransausende Frame mit der Linken am Schaft zu fassen, während er gleichzeitig seine eigene warf. Die sugambrischen Jungen hatten ihre Wurfstöcke geholt, sahen eine Zeit den Kriegern zu und begannen dieselbe Übung mit ihren Stöcken. Später nahmen die Cherusker ihre Schilde auf und wehrten damit die Frame des Gegners ab. Herniu saß auf einem kleinen Erdhaufen und verfolgte aufmerksam dieses Spiel. Sein Gesicht hatte den blöden Ausdruck verloren, da ihn niemand beobachtete. Er wollte ein Krieger werden, ein großer Held, und den Tod seiner Verwandten an den Römern rächen. Der Blinde hatte ihm aber einmal gesagt: „Nicht jeder kann als Krieger kämpfen, die List ist der Dolch und die Frame des Denkenden.“ Das hatte Herniu sehr gut verstanden, und doch war solche Weisheit für ihn schwer, ja, kaum erträglich. Je besser er gelernt hatte, den gutmütigen Narren zu spielen, desto heftiger regte sich in ihm der Wunsch, zum offenen Kampfe tüchtig zu werden. So versetzte ihn auch heute das Zusehen bei den Kampfspielen in Unruhe. Gern hätte er den Jungen gezeigt, wie stark und gesund seine Glieder waren! Gern hätte er, der immer mit Erwachsenen Zusammensein mußte, einen Freund in seinem Alter gehabt! Während er so saß und sann, kam Armin, der den Blinden an der Hand führte. Herniu erhob sich und hinkte scheinbar planlos fort. Erst dann ging er den beiden nach, als ihn die anderen nicht mehr sehen konnten. Nicht belauschen wollte er das Gespräch, nur aufpassen, daß kein anderer sie belauschte. Er wußte, daß die Römer überall ihre Späher hatten. DIE HEIMLICHE BOTSCHAFT Armin führte den Blinden zu einem kleinen Waldtal, in dem sich zwischen Buchen ein ausgewachsener Pfad emporschlängelte. Nicht weit davon befand sich ein freierer Fleck mit grünem, weichem Waldgras. Da
ließen sie sich nieder. „Wußtest du, Armin, daß der vergangene Feldzug des Kaisersohns Tiberius sich gegen uns Cherusker richtete?“ „Ich dachte mir Böses, denn Tiberius schob uns hierher zu den Sugambrern und ließ uns nicht am Vorstoß teilnehmen. Aber sage mir: Wie kam es, daß unsre Cherusker so schnell unterlagen? Wir sind einer der stärksten Stämme unter den Germanen und haben gute Verbündete.“ „Wir haben auch Feinde im eigenen Volk. Du kennst den Fürsten Segest und weißt, er ist ein Römling. Er hat dem Tiberius Führer gestellt, die den Legionen die geheimen Wege zu den Ringwällen zeigten. So wurde auch dein Vater mit seinen Mannen eingekreist und überwältigt. Danach schleppten ihn aber die Römer nicht in die Sklaverei, wie sie es mit den übrigen Gefangenen taten. Ihm und anderen Fürsten zwangen sie Eide ab, den Römern Hilfstruppen zu stellen, denn sie planen einen Zug gegen Marobod, den Herzog der Markomannen im Lande Bojuheim. So schwer dein Vater auch an seinen Wunden litt, verstand er doch sofort, daß die Römer ihn brauchten. Daher erklärte er, die Cherusker würden seinen Weisungen nicht folgen, wenn sie unter römischen Oberen kämpfen sollten. Und er erreichte von den Römern das Zugeständnis, daß du, Armin, alle cheruskischen Hilfstruppen befehligen sollst.“ „Aber, Asni, denkt mein Vater nicht daran, daß ich als Führer aller cheruskischen Hilfstruppen den Römern weiter helfe, die germanischen Stämme, einen nach dem anderen, zu unterwerfen?“ Armin sprang vor Erregung auf. „Seht ihr nicht, daß ich den Römern mit meinen Cheruskern geholfen habe, die Cherusker zu schlagen, wenn ich auch nicht am Kampfe teilnahm? Was war denn meine Aufgabe hier? Die Sugambrer zu hindern, gegen die Römer einen Aufstand zu machen. Sie waren dazu bereit!“ „Dein Vater Sigimär weiß das so gut wie du. Aber sage selbst: Sind die Gaukrieger der Cherusker schon fähig, die Römer mit ihrer Kriegskunst zu schlagen? Darum befiehlt dir dein Vater hierzubleiben und die cheruskischen Hilfstruppen so zu erziehen, daß sie einmal Rache nehmen können für ihn und deinen Stamm!“ „Mein Vater befiehlt“, erwiderte Armin leise. Nach einer Weile fuhr er eindringlich fort: „Asni, ich habe mir gute Krieger erzogen, aber weißt du auch, was aus ihnen wird? Söldner werden sie, die dem gehorchen, der ihnen ein gutes Leben und Beute verspricht. Wofür sie aber kämpfen, das vergessen sie! Nur Helden wollen sie sein, wenn sie auch ihre eigenen Brüder dabei in die Sklaverei bringen. Und doch ist so ein Held kein Held. Lumpen erziehen wir hier! Lumpen, Asni!“ Asni antwortete erst nach einer Weile: „Da ich die Frame nicht mehr werfen kann, hat mir ein Gott die Gabe des Singens gegeben. Gestern hörtest du mich zum ersten Mal. Ich weiß mehr Lieder. Ich kann Mären singen, die deinen Kriegern Vergessenes ins Gedächtnis rufen. Singen kann ich ihnen, daß sie die Römer wieder hassen lernen, die ihre Brüder zu Sklaven auf ihren Landgütern machten. Ich kann so singen, daß sie in ihrem Herzen schwören, ihren Haß geheimzuhalten, und dieses Schweigen Heldenmut nennen. Und dadurch, Armin, werden sie ihrem cheruskischen Stamme erhalten bleiben.“ Armin blickte auf. „Gut, singe für uns, sage es uns in unserer Sprache!“ ANKUNFT DER CHERUKER Herniu führte den Blinden sorgsam zum Hügel, wo Armin und sein jüngerer Bruder, der breite, flachsblonde Flavus, standen, beide in weißer Tunika, da sie als höhere Offiziere das römische Bürgerrecht besaßen. Ihr Gewand war mit einem Gürtel um die Hüften gerafft, wie es im Felde üblich war. Hinter ihnen standen Priester mit Stierhäuten über Kopf und Schultern, in der Hand hochragende Feldzeichen, auf denen geschnitzte und buntbemalte Tiere steckten: Bären, Pferde, Wölfe, Vögel. Zu beiden Seiten reihten sich die Befehlshaber auf, die Armin bisher unterstanden hatten, halb germanisch gekleidete bärtige Männer in römischen Panzern und Helmen. Sie erwarteten die neuen cheruskischen Truppen, von denen der blinde Asni Armin erzählt hatte. Bei dem trockenen Wetter erkannte Herniu schon von weitem die Herannahenden an der Staubwolke, die fast unbeweglich über dem Walde stand. Zuerst tauchten die Reiter auf. Mit Frame und Schild saßen sie auf kleinen, ungesattelten Pferden. Als ihr Anführer die auf dem Hügel Wartenden erblickte, hob er die Frame und wandte sich kurz um. Die Reiter trabten zur Linie auf und galoppierten zu dem Hügel. Wieder hob der Anführer die Frame. Jäh hielt die Masse, und alle sprangen von den Pferden, die unbeweglich stehenblieben. Die Krieger hoben die Frame zum Gruß. Die Anführer zu beiden Seiten Armins schlugen als Gegenbegrüßung mit ihren Framen gegen die Schilde. Darauf sprangen die Eingetroffenen rasch auf die Pferde, um den nachfolgenden Reitern Raum für dasselbe Schauspiel zu geben. Hinter den Reitern marschierte das Fußvolk in Abteilungen, voran der Anführer. Armin begrüßte jeden der Gauführer mit vorgestreckter Hand, dem römischen Gruß, und winkte ihm, auf den Hügel zu kommen,
um das weitere mit anzusehen. Dieser Vorbeimarsch dauerte wohl eine Stunde, bis hinter dem Fußvolk die Wagen sichtbar wurden, die mit quietschenden Rädern den schlechten Weg entlangschwankten. Nun verließ Armin mit seinen Unterführern den Hügel und begab sich ins Dorf. Dort bereiteten auf einer Weide die Frauen das Begrüßungsmahl. Ganze Rinder und Wild wurden am Spieß über offenen Feuern gedreht. Weithin roch es nach Fett und Fleisch.
EINE BEDEUTSAME VERSAMMLUNG Am folgenden Tage rief Armin die Anführer der cheruskischen Gaue zu einer Versammlung zusammen. Man saß im weiten Kreise, Armin mit Flavus vor einem heiligen Baum, der nicht gefällt werden durfte. Als erster erhob sich neben Armin ein älterer Priester, stampfte dreimal mit dem Stock seines Feldzeichens auf den Boden, daß die Bronzescheiben unter dem Pferdekopf laut klirrten, und rief: „Das Thing ist eröffnet! Armin der Cherusker, den die Fürsten unseres Volkes wie auch die Römer zu eurem Befehlshaber erwählt haben, wird zu euch sprechen.“ Einer sprang auf. „Nicht alle Fürsten haben ihn erwählt!“ Ruhig erwiderte der Priester: „Du hast recht, nicht alle Fürsten. Weshalb aber nennst du nicht den, der Armin nicht erwählt hat? Es ist Segest! Ihr kennt ihn. Er hat die Römer gegen Sigimär und unseren Stamm geführt. Er ist ein Römling, und glaubst du wirklich,, daß er ernstlich gegen Armin sein darf, da auch die Römer ihn zum Führer bestimmt haben?“ Fast alle schlugen mit der Frame gegen den Schild. „Wir wollen Armin“ schrie einer.“ „Wir wollen Armin, Sigimärs Sohn!“ riefen andere, und schließlich riefen es alle. Der Zwischenrufer blieb allein, und wütend sagte er: „Ich sehe, hier bin ich nicht am Platze!“ „Geh!“ rief der Priester höhnisch. „Aber geh ganz!“ Wieder brach Lärm aus, und der Mann Segests zog sich aus dem Kreise zurück. Man schrie ihm nach, und der Lärm verstummte erst, als sich Armin erhob. Er sprach nicht laut, aber klar: „Söhne der Cherusker! Eben erst ist Schweres über unser stolzes Volk gekommen -“ Obwohl er nichts weiter dazu sagte, verstand jeder, daß er den Einfall der Römer in das Land der Cherusker meinte. Als römischer Offizier aber konnte er diesen Einfall nicht verurteilen. „Vielleicht wird mancher von euch nur gezwungen den Weg hierher gezogen sein. Aber“, er machte eine Pause und blickte sich im Kreise um, „es ist eine alte Sitte, daß jeder freie Mann ein Kämpfer ist, solange seine Kräfte dazu reichen. Wir werden kämpfen, niemand weiß noch, gegen wen. Können wir jedoch dabei siegen, ohne die Kampfart gründlich zu lernen, die heute die beste ist, die römische? Nun frage ich euch: Seid ihr bereit, sie zu lernen ?“ Die Framen schlugen hallend gegen die Schilde. „Gut, das wollt ihr. Dazu aber müßt ihr etwas aufgeben, was unserem Stamme teuer ist. Ihr kamt in Gauverbänden hierher, so wie es unsere Väter taten. Jeder dieser Verbände hat eine andere Zahl Framenträger. In römischer Weise könnt ihr aber nur kämpfen, wenn wir Verbände römischer Art bilden. Dazu müssen wir eure bisherigen Verbände auflösen.“ Wieder blickte sich Armin um. „Seid ihr auch dazu bereit?“ Nur wenige schlugen jetzt an die Schilde, denn viele der Anführer, die hier im Thing saßen, würden dabei abgesetzt werden, auch deshalb, weil sie selbst die römische Kriegsführung erst kennenlernen mußten. Armin sah an den Gesichtern, wie die Männer zögerten. Daher sagte er abschließend: „Heute könnt ihr euch darüber nicht klarwerden. Sprecht also mit denen, die schon lange unter den Römern dienen! Dann werdet ihr begreifen, daß ich nicht etwas fordere, was auch anders gemacht werden könnte. Es ist unvermeidlich.“ Flavus hatte vorher sogar gefordert, nach römischer Art die Umformierung einfach zu befehlen. Armin wollte jedoch die Sitte der Entscheidung auf dem Thing nicht verletzen, und die Priester, die sie um Rat fragten, hatten ihm zugestimmt. Mit veränderter, froher Stimme rief nun Armin: „Und jetzt singe uns der blinde Sänger in unserer Sprache von Twisto, dem erdgeborenen Gott, und wie er sein eines Auge opferte, um sein zweites und seinen Sohn zu retten!“
TUMBALD Als Herniu noch ein kleiner Junge war, hatte ein Mann in seinem Dorfe gelebt, den alle Tumbald nannten. Dieser Tumbald war ein Geistesschwacher, der sich zu Kindern hingezogen fühlte. Stets sah er ihren Spielen zu, ohne jedoch zu wagen, ihnen nahe zu kommen. Vielmehr verzog er sein Gesicht in schrecklicher Weise, wenn ihn etwas freute. Und was an den Kindern erfreute seinen sehr kurzen Verstand nicht? Da Geistesschwache für Wesen gehalten wurden, denen die Götter besondere Gaben verliehen haben, bekam er in jeder Hütte zu essen und durfte dort schlafen. Die Frauen hätten ihm auch Kleider gegeben, wenn es einen Sinn gehabt hätte. Da er aber seine Hosen stets irgendwo liegen ließ und immer wieder seinen alten, zerrissenen Umhang trug, selbst bei kältestem Wetter, so ließ man ihn, wie er war. An einem sehr kühlen Frühjahrsmorgen, die Bäche begannen eben erst aufzutauen, lief er hinaus und sah den noch kleinen Herniu unter einem Baume nach etwas kratzen. Da bemerkte er plötzlich Wölfe, die aus dem Walde lautlos von drei Seiten auf den ahnungslosen Jungen zuliefen. Ungeschickt und schief, wie Tumbald war, konnte er nicht schnell rennen, dafür aber vorzüglich mit Steinen werfen. Rasch bückte er sich, hob einen Stein auf und schoß nach dem vordersten Wolf. Vermutlich hatte er dem Tier einen Fuß zerschmettert, denn es legte sich hin und leckte seine Pfote. Nun traf er einen zweiten Wolf so heftig in die Seite, daß er aufheulte und ausriß. Jetzt zogen sich auch die übrigen zurück, während der verwundete Wolf auf drei Beinen den ändern nachhumpelte. Gesichterschneidend hastete Tumbald auf Herniu zu, nahm ihn in seine Arme und trug ihn schnaufend und gurgelnd - denn er konnte nicht richtig sprechen - zur Mutter des Jungen. Von dieser Zeit an sorgte sie für Tumbald, so daß er nun in ihrer Hütte wohnte und sich eine seltsame Freundschaft zwischen ihm und Herniu bildete. Eines Tages verzog Tumbald wieder sein Gesicht in seiner gewohnten Weise, und Herniu machte es ihm zum Spaß nach. Statt nun, wie es jeder andere getan hätte, sich über den kleinen Flegel zu ärgern, schien Hernius Gesichterschneiden den Blöden sehr zu belustigen. Vielleicht verstand er gar nicht, daß Herniu ihn nachahmte. Von nun an erfreute der Junge seinen Lebensretter mit dessen eigenem sonderbarem Benehmen und stets mit der gleichen Wirkung; Tumbald freute sich unbändig. Dadurch gewöhnte Herniu sich schon in frühem Alter an, den Narren zu spielen und die Wirkung seines Spiels bei anderen zu beobachten. Das schien nichts als eine recht unnütze Beschäftigung, rettete ihn aber, als die Römer überraschend in die Siedlung eindrangen und die Bewohner erschlugen oder in die Sklaverei führten. Unter den Toten lag neben seinen Eltern auch der harmlose Tumbald. In seiner Furcht stellte sich Herniu lahm und blöd, wie er es gelernt hatte, und deshalb nahmen ihn die Legionäre mit, um sich an seiner Narrheit zu ergötzen. Da er aber ein sehr geweckter Junge war, lernte er schnell, absichtlich komische Dinge zu sagen und sich so den Legionären als ihr Narr unentbehrlich zu machen, bis ihn die Blendung Asnis zu seiner raschen Tat brachte. Er begriff damals sofort, daß Asni die Römer absichtlich in die Irre geführt hatte. Mit tiefer Verehrung diente er dem Blinden und spielte immer dann den Blöden, wenn er eine Gefahr für ihn witterte oder nicht wußte, was er tun sollte.
BLUTSBRUDERSCHAFT Sentius Saturninus, der römische Feldherr und Statthalter von Obergermanien, sandte an Armin den Befehl, mit seinen Cheruskern nach Moguntiacum am Rhein gegenüber der Mündung des Mains zu marschieren. Als der Blinde das Herniu erzählte, befiel den die Furcht, in Moguntiacum könnte er einen seiner früheren Herren treffen, und die Legionäre würden ihn als ihren Sklaven zurückfordern. Deshalb beschloß er, nun als gerade gewachsener und in keiner Weise blöder Junge aufzutreten und auch niemand zu zeigen, daß er Lateinisch konnte. Wenn ihm dann wirklich ein bekannter Legionär begegnete, wollte er fremd tun und war sicher, daß ihm das bei seiner jahrelang geübten Verstellungskunst gelingen würde. Wie aber sollte er den Übergang zu seinem neuen Benehmen finden? Ihm, der sonst erfindungsreich genug war, fiel diesmal nichts ein, und er vertraute sich dem Blinden an. „Herniu“, antwortete Asni, „ich höre an deiner Stimme, daß du beginnst ein Mann zu werden. Deine Muskeln sind auch fest. Andere Jungen in deinem Alter haben einen Freund, mit dem sie ringen und die Frame werfen. Du solltest dir einen Freund suchen.“ „Hier ist aber kein Cherusker in meinem Alter, Vater Asni!“
„Das wohl, aber sind die Sugambrer unsere Feinde?“ Diese Worte trösteten Herniu wenig. Er ging aus der Siedlung und suchte nach einem Holz, das sich als Wurfstock eignete. Nach ziemlicher Mühe hatte er es hergerichtet und begann damit nach Bäumen zu werfen, bis ihn der Arm schmerzte. Er verbarg gerade den Stock in einem Busch, als er einen Jungen bemerkte, der ihm wohl schon längere Zeit zugesehen hatte. „Was machst du hier?“ fragte der Sugambrer. Er hieß Olfo und war für seine Stärke bekannt. Trotzdem wurde er von den übrigen Kindern wegen seiner langsamen Art und seiner Arglosigkeit oft verspottet. Seine Frage verwirrte Herniu, weil er sich ertappt fühlte. Den Blöden konnte er nicht spielen, aber auch nicht den ganz Vernünftigen. Daher antwortete er obenhin: „Was ich mache? Stock werfen!“ „Das sah ich, aber heute morgen warst du noch lahm!“ Um von dem unbequemen Gespräch abzulenken, erwiderte Herniu: „Und weshalb läufst du hier allein herum?“ „Ich bin nicht von hier.“ „Sondern woher?“ Olfo wies in die Ferne. „Meinen Vater Ehinolf haben die Römer als Sklaven für ihre Schiffe fortgeschleppt. Sechs Legionäre waren nötig, um ihn zu bezwingen!“ „Du bist also Waise wie ich?“ Olfo zuckte die Achseln. „Ich weiß nicht. Meine Großmutter hat mich hierher mitgenommen. Sie ist aber gestorben.“ „Und niemand kümmert sich um dich?“ „Doch, ich bin bei Fremden, und die sind gut zu mir.“ Herniu erzählte dem anderen seine Geschichte. Dabei blickte er den starken Jungen immer wieder an, denn er empfand, während Olfo ihn so grundehrlich ansah, wie wenig edel sein Aufenthalt bei den Römern gewesen war, erfüllt mit lauter kleinen Betrügereien. Das müßte ein Freund für mich sein! dachte er. Er wußte aber nicht, wie er seinen Wunsch anbringen sollte. Schließlich fragte er Olfo leise: „Olfo, willst du mein Freund werden?“ Olfo nickte. „Richtiger Freund? Ich meine, Blutsfreund?“ Erschreckt fragte Olfo: „Ja, wie macht man denn das?“ „Komm heute, wenn es dunkel ist, zu dem heiligen Baum!“ „Ich komme“, erwiderte Olfo, benommen von dem Gedanken. Er hatte von der Blutsbrüderschaft munkeln hören, aber die Großen würden ihn auslachen, wenn er sie danach fragte. In Wirklichkeit wußte auch Herniu nicht, wie sie das machen sollten, und grübelte darüber nach. Dazu gehörten sicherlich feierliche Sprüche wie in Asnis Liedern. Die konnte er auswendig, und vielleicht paßte etwas daraus, wenn er es ein bißchen umänderte. Als es dunkel geworden war, schlich Olfo voll Spannung zu dem heiligen Baum, unter dem alle feierlichen Handlungen stattfanden. Herniu erwartete ihn schon. Er faßte ihn an der Schulter und sagte mit möglichst tiefer Stimme: „Blut des Sugambrers zum Blut des Cheruskers!“ Dabei stach er Olfo in den Arm, der fühlte, wie Herniu die Lippen an seinen Arm setzte und das Blut absaugte. Nun gab ihm Herniu eine Nadel in die Hand. Sonst diente sie zum Zusammenhalten des Umhangs, und Herniu hatte sie einmal einem betrunkenen Römer abgeschwatzt. „Blut des Cheruskers zum Blut des Sugambrers!“ Olfo stach Herniu und saugte ebenfalls das langsam herausdringende Blut ab. Darauf umarmte Herniu den Blutsfreund und flüsterte: „Nie darf Not uns trennen, nie erfahre ein Fremder den Eid!“ Nach diesen Worten ließ er Olfo los und wollte fort, weil er nicht wußte, was nun weiter werden sollte. Olfo hielt ihn jedoch fest: „Wenn ihr aber nach Moguntiacum zieht?“ „Ich weiß nicht“, erwiderte Herniu. An diese Schwierigkeit hatte er noch nicht gedacht. „Jetzt dürfen wir uns nicht mehr trennen. Da wirst du mitkommen müssen.“ „Aber meine Pflegeeltern bleiben doch hier!“ „Du mußt eben ausreißen“, erwiderte Herniu. Für ihn, der schon öfters alles aufgegeben hatte und der kein Heim mehr kannte, erschien das einfach. Olfo aber war sehr anhänglich. Die ganze Nacht schlief er nicht vor Herzeleid. Am Morgen sah er sehr blaß aus, so daß ihn seine Pflegemutter fragte, wo es ihm weh täte. Schroff antwortete er: „Ich muß lernen, den Speer besser zu werfen!“ Eine andere Entschuldigung fiel ihm nicht ein. Das Speerwerfen schien der Frau auch ein einleuchtender Grund des Kummers. So waren die Jungen eben. Sie wunderte sich auch nicht, als Olfo in der Nacht vor dem Abmarsch der cheruskischen Truppen nicht in ihrer Hütte erschien. Oft übernachteten die Kinder in fremden Hütten. Olfo aber irrte umher, um am Morgen außerhalb des Dorfes mit Herniu zusammenzustoßen, ohne daß es seine Eltern merkten und ihn zurückhalten konnten. Das fürchtete er, denn er war ja kein Cherusker und mußte doch mit ihnen ziehen. Wohin also gehörte er? Der Trennungsschmerz überfiel ihn so stark, daß er weinte. Hier im Dunkeln konnte er es, weil es keiner seiner Altersgenossen sah und ihn deshalb verhöhnen würde. Er war ja noch ein halbes Kind.
Morgens, als die Signalhörner in den Siedlungen zum Aufbruch bliesen, rannte er zum Fluß, wusch sich und rieb sein Gesicht recht stark, damit man nicht bemerkte, wie übernächtig und bekümmert er war. Sobald er die ersten Cherusker heranmarschieren sah, versteckte er sich hinter einen Busch und wartete auf den Troß mit seinen plumpen, klappernden Wagen und den dahinter gehenden Frauen. Unter ihnen erblickte er die Lederkappe des Blinden, kam hervor und schritt wortlos neben Herniu einher, der so tat, als sähe er seinen Blutsfreund nicht. Nach einer Weile fragte Asni: „Herniu, wer geht neben dir?“ „Ein Freund.“ Der Blinde fragte weiter, aber die beiden Jungen blieben stumm, um das Geheimnis nicht zu verraten, daß sie Blutsbrüderschaft geschlossen hatten und daß Olfo kein Cherusker war. Abends, als sie Rast machten, sagte Asni: „Kommt mit, ihr beiden, und führt mich zu Armin!“ Das war den Jungen unheimlich. Wollte der Blinde den Olfo zurückschicken? Wie sollten sie sich aber weigern, dem Befehl zu gehorchen? Armin empfing den Sänger, wie immer, mit Ehrerbietung und fragte nach seinem Wunsch. „Ich habe eine Bitte.“ „Dir gewähre ich sie, ohne zu fragen.“ „Tu das nie, Armin! Keinen Edelmut, solange du im Dienste der Fremden stehst!“ Er sprach wie sie alle nie das verhaßte Wort Römer aus, sondern nannte sie die Fremden. „Hier stehen zwei Jungen. Den einen kennst du: Es ist Herniu, der schon beginnt ein Mann zu werden. Den anderen kenne ich nicht. Nach seiner Sprache ist er ein Sugambrer. Es sind wohl Freunde, nimm sie in deine Gefolgschaft auf! Für sie beide verbürge ich mich, denn sie verstehen zu schweigen.“ Armin lächelte Olfo an. „Ausgerissen?“ Der Junge wandte sein Gesicht ab und sagte mit erstickter Stimme: „Ja.“ Armin lachte jetzt. Es gefiel ihm, daß sich ihm Germanen fremder Stämme anschlössen. Dann aber wurde er ernst: „Ich nehme deine Bürgschaft an, Asni. Aber ihr, Jungen, zeigt euch dem Vertrauen eines solchen Mannes würdig! Hiermit nehme ich euch in meine Gefolgschaft auf, und wenn die Zeit heran ist, werde ich euch mit Frame und Schild ausrüsten.“ Olfo stürzte vor Armin auf die Knie und küßte seine Hand. Nun gehörte er wieder zu einem Stammesverband! Und noch zu dem Armins, unter dessen Leitung die Germanen die römische Kriegsführung lernten!
EINE RÖMISCHE ABENDGESELLSCHAFT Im Empfangsraum kam der Statthalter Sentius Saturninus seinem Gast entgegen. „Nochmals willkommen in Monguntiacum, mein Quintus! Wurdest du im Bade von meinem germanischen Sklaven gut bedient?“ „Sehr gut sogar. Er war stumm wie ein Fisch, und Sklaven haben den Mund zu halten! Ich hatte nicht erwartet, hier so ganz nach römischer Weise leben zu können.“ „Ja, hier diesseits des Rheins. Aber drüben in Großgermanien müßtest du in Häusern übernachten, die wir höchstens Viehställe nennen. - Aber sprechen wir griechisch! Hier haben die Wände Ohren, und diese Ohren können höchst selten Griechisch - obwohl man Sklaven auch darin nicht trauen darf. Sie erfahren viel mehr, als uns angenehm ist. - Ich wollte dir sagen, daß du heute zum Nachtmahl zwei Germanen bei mir treffen wirst.“ „In der Tat eine Überraschung!“ erwiderte Quintus. „Da muß man wohl etwas über schlechtes Benehmen hinwegsehen?“ „Keineswegs. Es sind Söhne des Cheruskerfürsten Segimerus, den wir im vorigen Sommer besiegt haben, zwei gescheite Burschen, kaum über zwanzig Jahre. Du wirst sie leicht auseinanderhalten. Der ältere, Arminius, ist sehr schlank. Er befehligt alle unsere cheruskischen Hilfstruppen und exerziert mächtig mit ihnen. Der jüngere, Flavus, drillt seine Reiterei sogar in einer Weise, daß selbst uns manchmal die Haare zu Berge stehen. Dabei gehört er zu den Männern, die unseren römischen Frauen ganz besonders gut gefallen, kraftstrotzend und mit flachsblondem Haar. Ich möchte aber keiner raten, sich mit ihm einzulassen.“ „Weshalb nicht?“ „Sie hätte nur seinem Ehrgeiz zu dienen, denn er möchte ein richtiger Römer, möglichst ein Ritter werden.“ Quintus lachte. „Ich hatte gedacht, solche ehrgeizigen Menschen gäbe es nur in Rom, aber nicht unter diesen Barbaren hier.“
Sentius Saturninus fuhr fort: „Arminius jedoch ist aus ganz anderem Holz. Ich gestehe sogar, eine Schwäche für ihn zu haben. Man hat mir berichtet, daß er sich einen gelehrten Sklaven gekauft hat, einen Halbgriechen. Den hält er hoch in Ehren und läßt sich von ihm an stillen Abenden in allem unterrichten, was wir Bildung nennen. Arminius ist ein Mensch, wie es leider unsere goldene Jugend in Rom meist nicht ist, aber gerade wegen seiner guten Eigenschaften ist er auch gefährlich, Quintus. Gefährlich!“ Ein Sklave in kurzem Gewand kam barfuß herein und meldete: „Arminius und Flavus bitten eingelassen zu werden.“ „Sie sind willkommen“, erwiderte der Statthalter. Armin und Flavus schritten in der langen römischen Toga und feinen Lederschuhen herein. Zum Gruß streckten sie den rechten Arm vor. Wie würdig doch dieser Flavus auftritt, dachte Quintus. Beide Brüder waren übrigens weniger liebenswürdig als militärisch straff. Sentius Saturninus bat mit einer höflichen Handbewegung seine Gäste in das Tablinum, das Eßzimmer, in dem sie sich nach griechischer Sitte auf Bänke an den Tisch legten. Sklaven rückten ihnen die Polster zurecht. „Du sprichst Lateinisch?“ fragte Quintus den Flavus. „Natürlich, denn seit meinem fünfzehnten Jahre diene ich im römischen Heer.“ Inzwischen kamen Sklaven mit überbackenem Blumenkohl herein, einem Gericht, das den Großgermanen unbekannt, den Brüdern aber nichts Neues war. Dann folgten Rheinsalm, Wachteln und schließlich Apfelsinen aus Italien, die in Sternform geschält hereingebracht wurden. Nach dem Mahle wusch man sich die Hände in parfümiertem warmem Wasser, das die Sklaven den Herren hinhielten. „Nun, meine germanischen Freunde!“ sagte der Statthalter, der ebenso wie seine Gäste bequem auf der gepolsterten Bank lag, „gestern sah ich die Bewegungen eurer Truppen, es war beachtlich. Aber pflegt ihr nicht irgendwelche Tiere aus euren Wäldern mit euch zu führen, gezähmte Bären oder Wölfe?“ Armin antwortete: „Nein, wir haben keine mitgebracht, weil es nicht gut ist, den Troß mit überflüssigen Fressern zu vergrößern. Nur Frauen, die für uns kochen und waschen, habe ich zugelassen. Sonst nahm ich noch einen blinden Sänger mit.“ „Einen Sänger?“ fragte Quintus interessiert. „Habt ihr denn Gesänge wie etwa -“ Er unterdrückte den Namen Homers, weil er vermutete, daß diese beiden großartigen Naturburschen den berühmten griechischen Sänger nicht kannten. Armin aber erwiderte lächelnd: „Nicht ganz wie Homer, aber doch, wie bei ihm, Gesänge von großen Helden der Vorzeit.“ „Könnten wir nicht etwas hören?“ fragte Quintus, der daran dachte, wie er sich in Rom brüsten würde, er hätte einen neuen Homer entdeckt - wenn auch einen barbarisch ungeschliffenen. Sentius Saturninus erwiderte: „Du würdest nichts verstehen.“ „Da läßt sich abhelfen“, fiel Armin ein, der seine heimische Dichtung sehr liebte und sie gern gebildeten Römern vorführen wollte. „Ich werde den Gesang übersetzen.“ übrigens hatte er mit Asni besprochen, was der singen könnte, wenn einmal Römer zuhörten. NACHTS IN DER RÖMERSTADT Es dauerte eine Zeit, bis der Sänger ins Haus des Statthalters gebracht wurde. Denn in der befestigten Stadt durften nur die römischen Legionäre, nicht aber die germanischen Hilfstruppen wohnen. Abends nach dem Schließen der Tore mußten alle germanischen Krieger aus der Stadt verschwunden sein. Daher wurden der Blinde und sein Führer Herniu wie Gefangene von einer römischen Wache in ihrer Hütte abgeholt. Als sie sich dem Tore näherten, hörten sie Lärm. Der Wachhabende schimpfte in lateinischer Sprache, die reichlich mit germanischen Wörtern vermischt war: „Ihr Gesindel, könnt ihr nicht drauf hören, wenn zum Verlassen der Stadt geblasen wird! Draußen sind für euch blöde Kerle auch Kneipen!“ „Was sollen wir mit den Besoffenen machen?“ fragte der Führer der Streife. „Sie sind so blau, daß sie nicht mehr laufen können.“ „Schmeiße sie in das Wasserloch draußen! Da werden sie schon munter werden, die bärtigen Ochsen!“ Herniu sah, wie die Legionäre zwei Germanen, vermutlich Cherusker, durch das Tor schleiften. Er kannte den verächtlichen Ton, in dem alle Römer von den Germanen sprachen. Diese Beschimpfungen erweckten in ihm immer wieder den Haß gegen die Römer. Die Stadt mit ihren engen, schmutzigen Gäßchen bedeutete für ihn nichts Neues. Dagegen war er noch nie in einem reichen Hause gewesen. Er staunte über die hohen Räume und die buntbemalten Wände. Die marmornen Fußböden glänzten, und niemand hatte hingespuckt. Er ließ es sich aber nicht merken, wie ihn dieser Reichtum beeindruckte. Hinter einem vorausschreitenden Sklaven führte er den Blinden in das Tablinum, in dem die zwei Römer und die zwei Germanen an der Tafel lagen und Falerner Wein aus grünlich schillernden Glasschalen tranken.
„Stell dem Sänger einen Stuhl hin!“ befahl der Statthalter Sentius Saturninus. „Der Junge kann draußen warten!“ Gehorsam folgte Herniu dem Sklaven, der ihn in einen Raum neben dem Eingang führte, in dem wachhabende Legionäre saßen. „Na, Junge!“ sagte einer in ziemlich falschem Germanisch: „Was bist du denn für einer?“ Herniu blickte den Mann an und brachte sein immer wieder bewährtes blödes: „Ääh?“ heraus. „Ein germanischer Trottel!“ bemerkte der Soldat auf lateinisch zu den anderen, während Herniu sich heimlich freute, wie mühelos er den Römer hereingelegt hatte. Ein anderer sagte mißmutig: „Mit diesem dickfelligen Volk werden wir in diesem Sommer wieder zu tun haben. Wann kommen wir endlich in ein Land, wo einen nicht während des ganzen Feldzugs in den Nächten der Nebel durchnäßt und es nirgends ein festes Haus gibt!“ Während Herniu mit stumpfsinnigem Gesicht aufmerksam zuhörte, was die Legionäre miteinander redeten, hatte der Blinde seinen Gesang begonnen. Er sprach von den drei Enkeln Twistos und ihrem Kampf gegen die Riesen. Dabei nannte er aber nicht die Namen der drei Enkel, Ingo, Irmin und Isk, denn sonst hätten die Zuhörer ahnen können, daß sie die Stammväter der drei Gruppen von Germanenstämmen der Ingwäonen, Herminonen und Iskäwonen waren und daß ihr gemeinsamer Kampf gegen die Riesen nichts als den Zusammenschluß gegen Rom bedeuten konnte. Nach dem Aufbruch der Brüder und des Blinden sagte Sentius Saturninus: „Solche Gesänge haben wir nicht. Weshalb gilt bei uns der persönliche Mut so wenig?“ „Weil wir in der Kultur fortgeschritten sind“, erwiderte sein Gast. „Wo findest du bei diesen Helden, den Enkeln Twistos, irgend etwas über den Wert der Persönlichkeit oder das Streben nach Liebesglück und einem verfeinerten Leben?“ Nachdenklich erwiderte der Statthalter: „Und doch hatte ich den Eindruck, daß diese Barbaren - denn das sind sie! - etwas in sich tragen, was ihnen teuer ist.“ „Vielleicht“, antwortete Quintus und unterdrückte ein Gähnen. „Aber in dieser sogenannten Dichtung sind nicht einmal die Silben gezählt und nach Hebungen und Senkungen eingeteilt. Dazu kommen auch noch diese Heldentaten, nichts als Mord und Totschlag! Diese Barbaren sind für unser gewaltiges Reich keine Gefahr.“ DER AUFTRAG Herniu suchte schon den ganzen Vormittag nach einer Gelegenheit, Armin etwas mitzuteilen. Darum tauchte er so häufig vor ihm auf, daß Armin dem Jungen schließlich unfreundlich sagte: „Herniu, genügt es dir nicht, daß ich dich schon in deinem Alter in meine Gefolgschaft aufgenommen habe?“ Verlegen antwortete der Junge: „Aber ich muß dir etwas berichten.“ „Was denn?“
„Gestern, als der Blinde euch sang, habe ich die Legionäre belauscht.“ „Hat denn Sentius Saturninus auch germanische Legionäre? Davon habe ich noch nie gehört.“ „Nein, sie sprachen lateinisch.“ „Und du verstehst das?“ fragte Armin verwundert und plötzlich interessiert. „Ja, gut. - Die Soldaten waren recht unzufrieden, weil sie in diesem Sommer nach Großgermanien sollen, durch das Land der Hermunduren nach Bojuheim. Dabei sagte ein Älterer: ,Wenn erst Tiberius mit seinen sechs Legionen von der Donau her und Sentius Saturninus ebenfalls mit sechs Legionen vom Maintal aus den Markomannenherzog Maroboduus geschlagen haben, dann wird ganz Germanien bis zur Elbe römische Provinz, und es gibt Frieden.'“ „Ich verstehe aber nicht, Herniu, wieso das ein Grund zur Unzufriedenheit sein soll?“ „Die Legionäre sind arme Leute, die in Italien nichts weiter besitzen. Deshalb möchten sie, bevor sie aus dem Militärdienst gehen, noch reichlich Beute machen. Aber, sagen sie, was ist in Großgermanien schon zu holen? Dort lebt man wie das Vieh.“ „Junge!“ unterbrach ihn Armin plötzlich, „sprich einmal Lateinisch - ich möchte hören, wie du das kannst - und sage mir, was die Legionäre von Marobod halten!“ „Darüber haben sie nicht gesprochen, aber ich bin mit den römischen Soldaten lange herumgezogen und weiß, was sie von Marobod sagen.“ „Na, du sprichst ja ein furchtbares Legionärs-Latein! Aber ich sehe, du kannst es. Was sagen sie also von Marobod?“ „Er will das ganze Großgermanien unter seiner Herrschaft vereinigen, aber das wird ihm nicht gelingen.“ „Weshalb nicht?“ „Er hat lange in Rom gelebt und will Kaiser spielen, will ein Augustus sein. Das aber kann er nicht.“ Nach kurzer Überlegung fragte Armin: „Warst du schon in Bojuheim?“ „Nur auf dem Wege dorthin.“ „Getraust du dich trotzdem, den Blinden dahin zu führen?“ „Allein könnte ich es nicht, aber mit dem Blinden, ja.“ Belustigt erwiderte Armin: „Was ist das für eine sonderbare Rede?“ „Allein würde man mich nicht ernst nehmen. Wenn aber Asni sein Lied vom Boten Twistos singt, dem sie die Augen ausstachen, werden sich überall zuverlässige Führer finden.“ „Ich sehe, du bist gescheit, Herniu, und deshalb sollst du ihn hinführen. Zugleich soll das eine Prüfung sein: Wenn du deinen Auftrag gut durchführst, so rüste ich dich bei deiner Rückkehr mit Frame und Schild aus. Hole mir jetzt Asni!“ Das war ein Auftrag für Herniu! Wie der Wind flog er fort, den Blinden zu holen.
Die Gesandtschaft zu Marobod
WEG DURCH DIE AUEN DES MAINS
D
hatte zu Herniu und Olfo gesagt: „Merkt euch: Auf dem Wege seid ihr meine Söhne, Herniu von einer cheruskischen, Olfo von einer sugambrischen Mutter. Niemand wird sich dann wundern, daß ihr verschieden sprecht. Ihr sagt niemand, wohin wir ziehen, sondern überlaßt es mir zu antworten!“ Die drei zogen so den Main aufwärts auf einem Wege, der an der sumpfigen Niederung entlangführte. Eines Tages sahen sie im saftigen Grün eine Unzahl weißer Störche stehen, so viele, daß man sie nicht zählen konnte. Ab und zu stieß einer mit dem spitzen roten Schnabel nach unten und verschluckte einen Frosch. Auch im seidig-blauen Himmel kreisten Störche, ohne ihre langen, schmalen Flügel zu bewegen, über die Wiesen huschten Schwalben in scharfen Kurven auf der Jagd nach Mücken. Ein Kuckuck rief in der Ferne. „Was ist das dort?“ fragte Herniu. „Wohl ein Fischer“, erwiderte Olfo. Beim Näherkommen beobachteten sie, daß sich der tief braungebrannte Mann häufig bückte. „Es wird ein Biberfänger sein“, sagte Herniu. „Hier am Wasser entlang sind zahllose Biberbaue. Bei uns an der Weser gibt es viele dieser Tiere. Man sieht sie im Wasser schwimmen, die Schnauze mit ihren Borsten gerade über der Wasserfläche.“ Der Mann hatte die Wanderer bemerkt, stapfte herbei und stellte sich nackt, wie er war, auf den Weg. „Woher kommt ihr?“ fragte er auf Chattisch. „Vom Rhein, von Moguntiacum“, erwiderte freundlich der Blinde. „Wohin geht ihr?“ „Wohin die Augen schauen.“ „Weshalb so ohne Ziel?“ „Ich singe dem Volk von den Heldentaten seiner Väter.“ „Ach, du bist ein Sänger?“ erwiderte der Biberfänger erfreut. „Nicht weit von hier befindet sich ein Dorf. Wir haben in den letzten Tagen viel Wild erlegt, und es gibt ein Mahl. Dabei wirst du besonders willkommen sein. Laß mich nur meinen Umhang holen, und ich führe euch hin.“ Schon nach kurzem Wege sah Herniu die Gänse und Enten des Dorfes in einem Flußarm schwimmen. Gleich darauf erblickten sie die Siedlung auf einem Hügel. Einige Männer waren schon betrunken. Sie hatten sich untergehakt und schwankten zwischen den Hütten umher. Am Boden hockten Männer und würfelten, wobei sie vor Erregung schrien. Einer von ihnen freilich starrte stumm auf die Würfel. Wer weiß, ob er nicht schon sein ganzes Vieh oder gar seine Unfreien und seine Familie verspielt hatte? Ein Gaukler ließ einen Bären tanzen und pfiff dazu auf einer Flöte mit fünf Tönen. Kaum sah er den Blinden, als er den ärgerlich brummenden Bären hinüberzerrte und nun blasend mit seinem Tier vor dem Sänger herschritt, was ihren Einzug gleichzeitig feierlich und komisch machte. Die Kinder kamen gelaufen und begleiteten den Zug auf beiden Seiten. Sie stritten sich, ob Asni unter der Lederkappe keine Augen hätte oder ob er sonstwie blind wäre. „Weg da, Kinder!“ rief ein Mann. Er trug nicht nur Hosen, sondern sogar ein Hemd, also mußte er reich sein. „Einem Sänger soll man Achtung bezeigen!“ Darauf wandte er sich an Asni: „Ich bitte dich, Fremder, mein Gast zu sein. Bei mir ist auch ein römischer Kaufmann mit seinem Sohn eingekehrt.“ „Das nehme ich gern an“, erwiderte der Blinde und ließ sich zu der recht großen Hütte seines Gastgebers führen. Davor saßen der Römer und sein vielleicht sechzehnjähriger Sohn, beide in germanischen Wollhosen, während zwei ER BLINDE
dunkelhäutige, dürftig gekleidete Sklaven die Pferde von einem breiträdrigen Wagen abschirrten und dabei in einer auch Herniu unbekannten Sprache fluchten. „Dieses elende Sklavengesindel!“ sagte der Römer zu seinem Sohn. „Sieh dir an, wie sie die Pferde am Maul reißen! Ihnen ist es gleichgültig, ob die Tiere krepieren und wir irgendwo im Schlamm steckenbleiben!“ Ob das ein wirklicher Kaufmann ist? dachte Herniu. Sentius Saturninus will ja mit seinem Heer hier im Maintal aufwärts gegen Marobod ziehen. Dieser sogenannte Kaufmann könnte auch ein Späher sein. Er blieb in der Nähe und horchte dem lateinischen Gespräch zu, während er das Leben auf dem Dorf platz zu betrachten schien. „Siehst du, Sohn“, fuhr der Römer fort, „auch deshalb mußt du Germanisch lernen. Die Leute hier sind gastfreundlich und hilfsbereit.“ „Ich mag aber diese Barbarensprache nicht!“ erwiderte der Sohn verstockt. Der Kaufmann neigte sich zu ihm und erwiderte leise: „Hoffentlich hat dich niemand gehört! Fremde Völker merken viel besser, als du denkst, was der Sinn deiner Rede ist. Wer das Wort Barbar so verächtlich ausspricht, kann jemand tödlich beleidigen, der vielleicht vom Lateinischen nur dieses eine Wort kennt. Wir sind keine Senatoren oder Ritter, die sich etwas herausnehmen können, weil ein Trupp Bewaffneter sie begleitet.“ Trotz dieser anständigen Worte belauschte Herniu den Römer weiter, während sich Olfo, harmlos und einfach wie er war, der Freude am bunten Treiben hingab. DAS NEUE LIED VOM BOTEN TWISTOS Gegen Abend kamen die freien Männer zusammen und lagerten sich nahe dem Blinden, ihnen gegenüber die Frauen und Kinder. Die Familien der Unfreien kamen erst später, denn sie hatten auf dem Felde gearbeitet und das Vieh versorgt. Dadurch ergab es sich, daß sie entfernter lagerten. Sie waren übrigens genauso gekleidet wie ihre Herren. Der Blinde saß auf einem römischen Stuhl, dem Prunkstück aus der Hütte ihres Gastgebers. Asni nahm, bevor er seinen Gesang begann, die Lederkappe nicht ab, worüber sich Herniu wunderte, weil es der Sitte widersprach. Diesmal hausten im Liede von der Blendung des Boten Twistos nicht die Römer, auch nicht die Bojer, sondern es war ein Riese mit Namen Grimwald, der Menschen fraß. Herniu dachte, Asni hätte das so verändert, damit der zuhörende Römer nicht begriffe, worum es ging. Würden aber die Chatten das Lied in dieser Form verstehen? Asni kam zu den Worten: „Bevor der Mond rund und rot aus dem Riede stieg, stach ihm Grimwald die stolzen Augen aus, stieß ihn, der nicht mehr die Sonne sah, in den Sumpf.“ Jäh riß Asni seine Kappe ab und wandte den Kopf nach allen Seiten, damit jeder sehen konnte, daß er geblendet worden war. Die Hörer starrten ihn an, und einem Mädchen fuhr ein erschrockenes „Ach!“ heraus. Ruhig sprach Asni weiter:
„Nicht närrisch war der Narr, gesunder Geist gehorchte ihm. Zart aus dem Schilf zog er den Zitternden. Der Hütte Twistos nahten sie nach vielen Nächten. Sprach der Schönbärtige: , Mich schmerzt dein Los, doch langer Mut bringt langen Lohn. Gezählt ist die Zeit des Riesen, wenn zur großen Zahl sich meine Enkel sammeln, die heute Säumenden, Ingo, Irmin und Isk. Sie kehrten zum Kampfe Bruder gegen Bruder die Kraft. Sei du, Blinder, Sänger von ihrem Siege, von der Rache am räudigen Riesen!’ Tropfen der Tränen nahm Twisto vom Blinden, benetzte des Boten bebenden Mund: Trauer trag Treue! Schmerz schaffe Stärke! Weh werde Wohllaut! Trotzige Tat durch deinen Mund fordert Twisto. Doch nicht vor ihrer Zeit fliege die Frame!'“ Asni hob den Kopf zur untergehenden Sonne, deren wärmende Strahlen er fühlte, und zog die Kappe tief ins Gesicht, zum Zeichen, daß er geendet hatte. Herniu war von diesem neuen Schluß des Liedes so gefangen, daß er darüber alles andere vergessen hatte. Hier forderte ja Asni die Söhne Ingwis, Irmins und Istwis, alle germanischen Stämme, auf, sich zum gemeinsamen Kampfe zu vereinigen. Das mußte für die Chatten verständlich sein, hatte es aber nicht auch der Römer begriffen? Er blickte nach dem Kaufmann, der auch ihn ansah und fragte: „Junge, du bist doch der Blindenführer. Was bedeutet denn dieses sonderbare Lied?“ Herniu überlegte einen Augenblick und antwortete: „Twisto ist der große Ahn unseres Volkes, von dem fast alle Lieder handeln.“ „Ach so?“ erwiderte der Römer. „Wie bei uns Romulus und. Remus oder auch wie Herkules. Ich habe mich um diese alten Sagen nie viel gekümmert. Als Kaufmann hat man anderes zu tun. Wohin zieht ihr morgen? Wir würden gern mit dem Blinden gehen, denn, wie ich sehe, achtet man ihn unter dem Volk, und mit ihm fühlen wir uns sicherer.“ Herniu zog die Schultern hoch. „Ich weiß nicht, wohin sich der Sänger wenden will.“ Er überlegte: Wenn der Römer morgen abend wieder das Lied hört, begreift er es vielleicht. Wir müssen ihn loswerden! Er fand den ganzen Abend keine Möglichkeit, dem Blinden seine Bedenken zu sagen, und sonst fiel ihm nichts ein, was er tun könnte. Olfo war ein guter und zuverlässiger Freund, aber nicht geeignet, Listen auszudenken.
DER ÜBERFALL Am Morgen, als sie aufbrechen wollten, sah Herniu zwei Jungen mit Säcken auf dem Rücken vor der Hütte stehen. Das wunderte ihn, denn einer war der Sohn ihres Gastgebers. Wird aber ein Freigeborener, und dazu noch der Sohn des reichsten Mannes im Dorf, Säcke schleppen? Nun erst bemerkte er drei junge Männer mit Framen, von denen einer vor Asni trat. „Sänger! Erlaube uns, mit dir zu ziehen! Die nächsten zwei Tage führt euer Weg durch große Wälder, wo niemand wohnt. Und dort gibt es auch wilde Tiere.“ Herniu sah dem Krieger an, daß er nicht ganz, die Wahrheit sagte. Sicher war die Sache vielmehr so, daß diese jungen Krieger es für eine große Auszeichnung hielten, den Sänger zu begleiten, und sie übertrieben deshalb die Gefahren des Weges. Der Gastgeber trat hinzu. „Ich danke dir, Cherusker, daß du meiner Hütte die Ehre gegeben hast und bei mir zu Gast warst. Mein Junge wird dich zusammen mit einem anderen begleiten. In ihren Säcken haben sie Fleisch, Brot und Käse für drei Tage.“ Inzwischen trieb der Kaufmann seine Sklaven an, sie sollten sich mit dem Anspannen beeilen. Die
beiden aber arbeiteten nun gerade langsam. Herniu kannte das schon. Je mehr ein Herr seine Sklaven auszunutzen versuchte und anspornte, desto langsamer wurden sie. Und wenn gar durch ihre Unachtsamkeit etwas kaputt ging, freuten sie sich heimlich. Es war die einzige Art, wie sie sich für das Unrecht der Sklaverei rächen konnten. Herniu versuchte inzwischen, den Blinden zu bewegen aufzubrechen, bevor der Wagen fahren konnte. Asni jedoch verstand ihn nicht, und überdies wurde er dadurch aufgehalten, daß ein alter Chatte sich von ihm mit großer Umständlichkeit und Geschwätzigkeit verabschiedete. Vermutlich hatte der Alte schon wieder getrunken. Jedenfalls brach der Blinde zusammen mit dem Kaufmann auf, und Herniu mußte nach einer neuen Möglichkeit suchen, die Begleitung der Römer loszuwerden. Der Kaufmann erzählte dem Blinden von seinen Geschäften: „Wenn nur die verfluchten Kriege nicht wären! In diesem Jahre wollen die Legionen gegen Marobod kämpfen, weil er sich vom römischen Einfluß freimachen will. Wir Kaufleute leiden darunter. Wie sollen wir in ausgeraubten Ländern Handel treiben? In einer Siedlung frage ich nach Fischotterfellen. Sie haben keine mehr, alles wurde ihnen von den Legionären weggenommen. Und eine Alte schreit mich an: , Gib mir erst meinen Sohn zurück, den eure Räubersoldaten in die Sklaverei fortgeschleppt haben!’ Recht hat sie, die Alte! Es ist ein Elend!“ Gegen Mittag befahl Herniu plötzlich seinem Freund: „Olfo, du führst jetzt Vater Asni weiter! Ich renne mit den Kriegern und den Jungen voraus, um eine gute Stelle für die Mittagsrast zu suchen!“ Die Krieger hatten das langsame Gehen mit dem Wagen satt und waren sofort einverstanden; aber auch die beiden chattischen Jungen rannten mit. Sie näherten sich einem Walde, und als sie hinter einer Biegung von den Folgenden nicht mehr zu sehen waren, bog Herniu ins Waldesinnere ab. „Dort finden wir keine Raststelle!“ sagte ein Krieger. „Kommt nur!“ forderte Herniu und rannte in eine kleine Schlucht, in der sie vollkommen verborgen waren. Hier erklärte er den anderen in hastigen Worten, worum es ging. „Aber“, schloß er, „was können wir tun, um die Römer loszuwerden?“ Alle dachten angestrengt nach. „Ich hab's!“ sagte leise ein Krieger und erklärte seinen Plan. Sie berieten nun, was jeder zu tun hätte, und die Jungen sprangen vor Freude in die Höhe. Zuerst gingen sie rasch wieder zum Wege und sahen, daß die Nachkommenden schon ziemlich nahe waren. Das tat aber nicht viel. Mochten sie denken, daß die Späher hier vergeblich nach einem geeigneten Fleck gesucht hatten! Die Verschworenen rannten bis zu einer Stelle, wo der Weg so schmal war, daß der Wagen nur schwer umlenken konnte. Hinter der nächsten Krümmung verbargen sie sich. Nur einer der Krieger lugte aus dem Gebüsch. Als der Wagen an die enge Stelle kam, schrie er plötzlich: „Ergebt euch!“ Auch die anderen fingen an entsetzlich zu schreien und zu fluchen. Ein Krieger sprang sogar auf den Weg und schien mit einem Mann zu kämpfen, der im Walde stehen mußte. An ihm vorbei raste Herniu und rief gellend: „Ein Überfall! Rettet euch!“ Den Sklaven brüllte er auf Lateinisch zu: „Auf die Pferde! Rettet euch! Zurück!“ Der Kaufmann blickte sich entsetzt um. Er wollte seinen Wagen mit den Waren nicht im Stich lassen. Die Sklaven hängten in großer Hast die Stränge ab und schwangen sich auf die Pferde, doch der Kaufmann konnte eins am Zügel ergreifen, während das andere den Weg zurückjagte. „Keinen Aufenthalt!“ schrie Herniu, scheinbar außer sich, so daß der Römer erschrocken das Pferd losließ, das sofort dem anderen nachgaloppierte. „Fort in den Wald, ihr Römer! Auf euch haben sie es abgesehen! Den Blinden wird niemand anrühren!“ Da die Römer sofort verschwanden, konnte Herniu dem Olfo einen Wink geben. Wie sollte der aber diese wilde Geschichte begreifen? Er blieb unschlüssig stehen. Herniu rannte zu ihm hin und flüsterte Asni ins Ohr: „Komm, Vater! Es gibt keine Gefahr!“ Noch immer begriff Olfo nichts, ließ sich aber mit dem Blinden fortziehen. Hinter ihnen stand verlassen der Wagen, während vor ihnen die Krieger und die Jungen schrien. Das machten sie übrigens nicht gut, denn ihnen fiel nichts Neues mehr ein, und sie wiederholten immer wieder das gleiche. Asni meinte: „Ich verstehe nicht ganz -“ „Vater“, flüsterte Herniu, „wir werden es dir gleich erklären. Komm nur erst bis dahin, wo uns die Römer nicht mehr sehen und hören können!“ An der Wegbiegung stellte der immer noch unruhige Olfo verwundert fest, daß die Krieger und die Jungen gar nicht kämpften, sondern nur schrien und herumsprangen. . „Geglückt!“ sagte Herniu zu den Tobenden. „Aber hört nicht zu schnell mit dem Geschrei auf, damit die Römer nichts merken!“ Beim Weitergehen umringten sie dicht den Blinden, und jeder wollte ihm zuerst seine Taten bei dem Streich erzählen. Ein Krieger sagte begeistert: „Die Römer brauchen mindestens einen Tag, bis sie den Wagen wieder ins Dorf zurückgebracht haben, wenn ihnen die Sklaven nicht ganz ausgerissen sind!“
Der einzige, der nicht lachte, war Asni. „Ihr denkt wohl nicht daran, was die Folgen sein werden? Der Kaufmann wird in eurem Dorf von dem Überfall erzählen. Und eure Sippe? Sie wird sich sofort versammeln und mit allen Waffenfähigen aufbrechen, um euch von den Räubern zu befreien und Rache zu nehmen!“ Die Fröhlichkeit verstummte jäh. Nun aber begann der Blinde zu lachen. „So schlimm ist das auch wieder nicht! Spielt nur eure Rolle weiter! Was können denn das für Räuber gewesen sein? Doch nur Hermunduren, die Marobod beim Überfall auf ihr Land in alle Winde zerstreut hat und die nun von nichts anderem leben können als vom Raub. Also: Einer von euch ist entkommen und muß gleich ins Dorf, bevor die Männer aufbrechen. Wenn er dort den Kaufmann trifft, erzählt er eine Räubergeschichte von den Hermunduren. Er muß aber versuchen, möglichst rasch eurem Sippenältesten zu sagen, was wirklich geschehen ist. Dann wird sich das ganze Dorf freuen und die Römer weiter an der Nase herumführen, bis so viel Zeit verstrichen ist, daß uns der Kaufmann nicht mehr einholen kann. Also, wer ist es, der schnell ins Dorf zurückläuft?“ Wieder setzte die Fröhlichkeit ein. Nur Herniu blieb ernst. Ihm war klargeworden, wie klein seine Verstellungskunst war, wenn er sie mit der des stets vorausschauenden Blinden verglich.
IM GEBIRGE Ihr Weg führte sie oft in breite Täler, in denen Vieh weidete und Menschen wohnten, manchmal über Bergrücken und durch waldige Schluchten, immer höher hinauf. Je weiter sie kamen, desto einsamer wurde es. Die Menschen aber, die in dieser Abgeschiedenheit ihr bescheidenes Leben führten, liebten nichts so sehr wie Gäste. Freudig kamen sie den Wanderern entgegen und geleiteten sie zu ihren Hütten. Weithin sandten sie die Jungen, um Verwandte und Sippenfreunde heranzuholen, daß auch sie den Blinden hören konnten, einen echten Sänger fern aus der großen Welt vom Rhein. Diesen freundlichen Menschen brauchte Asni nichts zu verbergen. Er sprach seinen Haß gegen die Römer, deren Sklaverei germanische Männer, Frauen und Kinder fraß, offen aus. In seinem Liede nannte er Twisto den großen Herrn der Germanen.
Wenn sie ihn dann fragten, wo Twisto wohnte, so antwortete er: „Fern wohnt er und doch nahe denen, die seine Vertrauten sind. Sein Name wird in aller Munde sein, wenn er mit seinem heimlichen Heere aufbricht, um sich den Römern entgegenzustellen.“ Darauf sagte ein Alter: „Hoffen wir, daß sich Twisto bald seinem Volke zeigt, daß ich nicht zu alt werde, um die Frame zu werfen!“ Am Morgen, wenn der Nebel aus den Tannen stieg, standen stets zwei, drei junge Männer mit Framen bereit, um die Wanderer weiter zu bringen. Auf den Wegen durch das Gebirge sahen sie viel Wild. Ganze Rudel Hirsche brachen plötzlich durch das Geäst. Ein Stück weiter kratzte eine Bärin mit zwei Jungen am Boden und zog sich nur langsam zurück. Rote
Eichhörnchen sprangen von Ast zu Ast, und am Wasser standen auf Steinen unbeweglich schlankeReiher. Bergauf, bergab führte der vielgewundene Pfad, bis sie den Kamm erreichten und sich ein liebliches Tal in ein wärmeres Land senkte. Sie befanden sich in Bojuheim. Der anfangs kleine Bach nahm andere Bäche auf und wurde zum Fluß, der durch ein Land mit bewaldeten Bergkuppen floß.
ZUSAMMENTREFFEN MIT WELFO, DEM SEMNONEN In der ersten größeren Siedlung erfuhren sie, daß nur wenige Stunden entfernt eine große Zahl semnonischer Krieger einen Gebirgspaß überquerte. Sie zogen als Hilfstruppen zu Marobod. Der Blinde ermahnte Herniu und Olfo, vorsichtig zu sein und nicht zu sagen, daß er von Armin, einem Unterführer des Sentius Saturninus, kam. Denn die Semnonen hatten sich aufgemacht, um mit Marobod gegen die Römer zu kämpfen. Am folgenden Tage wanderten sie den Fluß weiter abwärts, als sie sahen, wie aus einem Seitental bewaffnete Reiter herauskamen. Ihr Haar trugen sie nach hinten gekämmt und zu einem Knoten geschlungen. An ihrer Spitze ritt auf einem großen Pferde ein ziemlich kleiner Mann mit einem grellbemalten Schilde. Auf weißem Grunde erhob sich ein rotes Tier auf die Hinterbeine. Kaum hatten sie die Wanderer entdeckt, sprengte einer der Reiter auf sie zu. „Mich sendet Welfo, Wolfrits Sohn, der Anführer der Semnonen, um zu fragen, wer ihr seid und wohin ihr zieht.“ - „Ich bin ein Sänger und ziehe zu Marobod, dem Herzog der Markomannen.“ Der Bote sprengte fort und kam darauf mit Welfo zurück. Dieser kleinwüchsige Semnonenführer hatte ein von Narben so entstelltes Gesicht, daß man nicht wußte, ob er jung oder alt war, ob er Gutes oder Böses dachte. Dafür klang seine Stimme freundlich, als er sagte: „Sänger, ich bitte dich, mein Gast auf dem Wege zu Marobod zu sein. - Wovon singst du? Zu Ehren der Götter und der Fürsten?“ „Ich singe, Welfo, vom Kampf unserer Stämme. Sage mir, was euch Semnonen dient, und ich werde euch singen!“ Welfo verzog sein Gesicht zu einem furchtbaren Grinsen, von dem Herniu nicht erkennen konnte, ob es Zorn oder Freude bedeutete. Außerdem wandte sich Welfo rasch um und ritt davon. Kurze Zeit darauf brachte ein Reiter einen Esel, den er am Halfter führte, und sagte ehrerbietig: „Sänger, diesen Esel schenkt dir Welfo. Er ist fromm, wie ihn ein Blinder braucht. Mir gab Wolfrits Sohn den Auftrag, bei dir zu bleiben und dich zu ihm zu führen, wenn wir den heutigen Tagesmarsch beendet haben.“ Das rätselhafte Gesicht Welfos hatte Herniu neugierig gemacht. Da es aber als unschicklich galt, wenn einer, der noch nicht die Waffe trug, an einen Fremden das Wort richtete, sagte er: „Erlaube mir, Vater Asni, daß ich unseren semnonischen Begleiter etwas frage, wonach du nicht fragen kannst, weil du das Gesicht Welfos nicht gesehen hast.“' „Tu das, mein Sohn!“ „Woher“, fragte Herniu, „ist das Gesicht eures Anführers so entstellt?“ „In unserem Stamme gibt es ein Lied darüber, das überall gesungen wird. Viele können es auswendig.“ DAS LIED VOM KAMPFE DER FREUNDE WELFO UND WODAL An diesem Abend nach dem sehr einfachen Mahle sagte der Blinde: „Welfo, Wolfrits Sohn, man hat mir erzählt, daß es ein Lied über dich gibt und daß viele es kennen. Wir aber kennen es nicht. Ich bitte dich, sende nach einem Mann, der es uns sprechen kann.“ Welfo blickte zu Boden. Er wollte wohl dem Wunsche nicht gern nachkommen, ließ sich aber schließlich bewegen, nach Irminrich zu schicken. Dieser Mann sah ganz anders aus, als ihn Herniu sich gedacht hatte. Es war ein plumper Mensch mit einem lustigen Gesicht, der, ohne sich zu setzen, mit heller Stimme begann: „Wehrhaft wuchs der Semnone Wolfrits Sohn. Kurz war sein Körper, doch feurig das Auge und kräftig der Arm. Hoch auf den Hügel über der Havel
kamen keuchende Boten. Viel Kummer brachte ihr böser Bericht. Auf Schiffen waren in starken Scharen Römer gesetzt, Fußvolk und raschere Reiter, fingen Frauen, fesselten Männer, verkauften sie auf Bänke zum Rudern buntbortiger Boote, Korn anzubauen unter Knuten, in Ketten. Auf blutiger Bahn zogen die Beutegierigen. Sprach da Wolfrit: ,Es weiche der Wehrhafte vor dem zu Starken, verbrenne die Hütte, vergrabe das Korn,führe auf fernere Weiden das Vieh! Du aber, Sohn, sammle die Siegkühnen, führe sie vordenkend hinter die Feinde!’ So suchte heimliche Pfade Wolfrits Sohn, verlegte räuberischen Römern den Rückweg. Warum wichst du nicht früher, Wolfrits Sohn? Semnonen sanken, die Siegkühnen. Zwei noch schwangen schneidend das Schwert, Welfo, Wolfrits Sohn, und Wodal. Deine Stirne stach der spitze Speer, dich deckte Wodal. Weg wischtest du das Blut der Wunde, doch wund zu Tode ward er. Wodal schützend mit schwerem Schilde wardst du selber weh wund. Sie ließen dich liegen, wohl ohne Leben. Zu nebliger Nacht nahten Semnonen. In hehre Helle sollten die Helden zu Pro steigen, vom Feuer verzehrt. Auf Leichen noch lebend lag in Weh und Wunden Wolfrits Sohn. Nach langem Lager, gehütet lind, froh und frei tratst du zu Freunden, doch Grausen geworden war dein Gesicht. Wer weiß nun, wen du liebst, wer weiß nun, wen du haßt? Die kühnen Krieger, die als Führer koren Welfo, des toten Wodal wehrhaften Freund.“ Welfo hatte mit gesenktem Kopfe zugehört und hob ihn auch nicht, als die Krieger mit den Framen gegen die Schilde schlugen. Herniu, der ihm sehr nahe saß, hörte ihn aber murmeln: „Und auch die Krieger wissen es nicht!“ Erst als es wieder still geworden war, hob Welfo den Kopf und rief: „Nun singe uns der blinde Cherusker, der von ferne kam, das Lied von seinem Stamme!“ Asni nahm die Kappe ab und sprach das Lied vom geblendeten Boten des Heerkönigs und endete mit den Worten Twistos: „Meine Enkel, Ingo, Irmin und Isk, kehrten zum Kampfe Bruder gegen Bruder die Kraft. Dein wägendes Wort, Sänger, wende sie zur Rache am räudigen Römer!“ Welfo hatte auch dieses Lied regungslos angehört. Als nun die Krieger ihre Framen gegen die Schilde schlugen, war er der einzige, der sich nicht rührte. Das beunruhigte Herniu, so daß er dem Blinden heimlich über das merkwürdige Verhalten des Semnonenführers berichtete. „Herniu!“ erwiderte Asni leise, „es ist gut, daß du alles beobachtest. Aber was du mir sagtest, weiß ich auch. Ein Blinder hat ein feines Gehör und denkt in seiner Einsamkeit mehr nach als andere.“
EINE TREIBJAGD Der Blinde mußte sein Lied vom geblendeten Boten des Heerkönigs Twisto jeden Abend vor anderen semnonischen Kriegern singen. Dabei wunderte sich Herniu, daß Welfo, der bei diesem Lied keinen Beifall gespendet hatte, ihn immer wieder dazu aufforderte. Asni tat das gern, war aber auch begierig, das Lied vom Kampfe Welfos und Wodals erneut zu hören. Jedesmal wurden Herniu Und Olfo mehr davon ergriffen. Herniu schlang seinen Arm um Olfo und zog ihn aus der Siedlung hinaus in die Nacht. „Olfo!“ sagte er leise, „wir sind Blutsfreunde, doch so zusammen kämpfen können wir noch nicht, bis uns Armin mit Schild und Frame gerüstet hat. Aber lernen müßten wir es!“ „Wie sollen wir das machen?“ fragte Olfo ebenso leise zurück. „Wenn wir einen Vater hätten, der mit uns übte!“ „Ich habe einen Gedanken, Olfo. Hast du gesehen, wie der lange Semnone dem Vater Asni das gebratene Herz des Ebers brachte? Sie verehren ihn so, daß sie uns vielleicht erlauben, an ihren Waffenübungen teilzunehmen oder wenigstens mit ihnen auf die Jagd zu gehen. Auch unser Stammesahn Ingwi hatte einen Blutsfreund, und sie erlegten Bären und Auerochsen und Elche. Sie zogen sich Tierhäute über den Kopf, um nahe an die Tiere heranzukommen. Davon hast du sicher schon gehört. Ich schmeichle mich bei den Semnonen ein und sehe, was sich machen . läßt. Aber du mußt deinen Mund halten und nicht erzählen, daß wir noch nicht zur Gefolgschaft Armins gehören!“ „Dir wird das leicht, Herniu“, erwiderte Olfo, „aber ich kann nicht lügen!“ „Laß mich nur machen!“ Damit zog Herniu den Freund zur Siedlung zurück, wo die Krieger noch um das Feuer saßen. Gerade kam der Führer des Gaus der Habichte, den sie der Einfachheit halber den Habicht nannten, eilig an. „Ein Bote ist von Welfo gekommen und läßt uns sagen, daß wir in ein Gebiet ziehen, wo es wenig zu essen gibt, weil dort das Heer Marobods liegt. Hier aber sind die Wälder wildreich. Deshalb werden wir noch ein paar Tage dableiben, und alle Gauverbände sollen sich reichlich mit Fleisch versorgen. Morgen brechen wir früh zu einer großen Treibjagd auf!“ Er ließ sich am Feuer nieder. Herniu hockte sich hinter ihn. „Habicht, hast du schon gehört, wie wir den blinden Asni von der lästigen Begleitung der Römer befreit haben?“ „Na, erzähle mal!“ Herniu schmückte die Geschichte von dem vorgetäuschten Überfall mit all den Späßen aus, mit denen er früher die römischen Legionäre belustigt hatte. Während nun die Semnonen lachten, suchte er nach einem Übergang, um seinen Wunsch recht gefällig vorzutragen. Es gelang ihm aber nicht recht, sondern nach den Worten: „Wir sind gar nicht so dumm“, fragte er unvermittelt: „Braucht ihr nicht noch Treiber zur Jagd?“ „Ja, ihr könnt mitkommen.“ „Aber wenn wir dabei von einem Bären angegriffen werden, müssen wir uns verteidigen können. Gebt ihr uns Framen?“ Olfo erschrak über die Frage, denn aus ihr mußte jeder Germane merken, daß sie noch zu den Kindern zählten. Der Habicht aber schien die Sache ganz richtig zu finden und antwortete: „Framen sollt ihr haben.“ Herniu stieß vor Freude Olfo in die Rippen. Am Morgen zogen zuerst die Treiber aus. Sie folgten in langer Reihe einem markomannischen Jäger, der hier ansässig war. Fast am Ende gingen Herniu und Olfo, beide mit Framen über der Schulter. Sie zogen in den Wald, einen schmalen Weg entlang. Herniu war noch nie auf einer Treibjagd gewesen, während Ehinolf seinen Sohn Olfo öfters mitgenommen hatte. Die Jäger hatten ihm freilich nicht gestattet, vorn in der Linie zu gehen, sondern er mußte sich hinter den Jägern halten. Heute jedoch nahm er zum ersten Mal als Gleichberechtigter teil. Wie gewöhnlich bei solchen Jagden, hatten die Treiber einen weiten Anmarsch, um das Wild von der Windseite her zu umgehen und dann mit dem Winde den älteren Jägern zuzutreiben. Nach einiger Zeit hielten die Treiber und drehten sich, so daß sie eine breite Linie gegen den hier recht dichten Wald bildeten. Bei dem langen Aufenthalt, dessen Sinn Herniu noch nicht verstand, fingen sie an zu frieren, denn Sie waren nur wenig bekleidet, um recht beweglich zu sein. Endlich hörten sie von fern Schläge und setzten sich in Bewegung, zwängten sich durch das dichte Unterholz und schlugen mit den Framen gegen die Bäume. Hier zeigte sich, daß der sonst so gewitzte Herniu bei den Römern das Gehen durch den Wald nicht gelernt hatte. Er glaubte vorwärts hasten zu müssen, und holte sich gleich mehrere brennende Striemen auf der Haut. „Halte dich hinter mir!“ sagte Olfo, „und spare jetzt noch deine Kräfte!“ Obwohl Herniu diese Mahnung einsah, war er doch so sehr daran gewöhnt, den Ton anzugeben, daß er sich nur ungern fügte. Erst nach einiger Zeit, als er müde zu werden begann, begriff er auch, wie wichtig es
war, daß sie alle paar Schritte gegen die Bäume schlugen. Natürlich diente das hauptsächlich dem Aufschrecken des Wildes, aber gleichzeitig hörten sie dadurch, wo sich die ihnen unsichtbare Linie der Treiber befand. Sie durften nicht vorprellen und auch nicht zurückbleiben. Noch hatten sie kein Tier gesehen und auch von den älteren Jägern nichts gehört, denen sie das Wild zutrieben. Plötzlich wurde es nicht weit von ihnen laut. Man schrie und schlug heftiger an die Bäume. „Das können nicht Hirsche oder Rehe sein“, sagte Olfo, „vielleicht ein Bär.“ Immer erregter wurde das Schreien. „Vorsicht!“ rief Olfo. „Frame vor!“ Durch das Unterholz brach jäh ein Eber. Herniu stieß nach seinem Rücken, aber wohl an einer falschen Stelle. Wütend fuhr ihm das Tier zwischen die Beine und riß ihn um. Er fühlte einen heftigen Schmerz am Oberschenkel. Olfo sprang von der Seite auf den Eber zu und bohrte ihm die Framespitze in die Brust. Scharf wendete sich das wütende Tier gegen ihn. Herniu wollte aufspringen, fühlte sich aber dazu unfähig, warf halb aufgerichtet seine Frame nach dem Eber und sah, wie sie ihm in den Bauch fuhr. Olfo stieß erneut zu und zog dadurch das rasende Tier von dem verwundeten Freund ab. Zum Glück hatte sich inzwischen ein Semnone durch das Unterholz gezwängt und stieß von oben dem Eber die Frame tief in den Rücken. Das Tier fiel auf die Seite, und die in seinem Bauch steckende Frame riß ihm den Leib noch weiter auf. Er zuckte noch ein paarmal mit den Beinen und regte sich nicht mehr.
„Ich muß weiter“, sagte der Semnone zu Olfo. „Bleib du bei dem Verletzten! Nachher beim Aufsammeln der Beute holen wir euch.“ Sie hörten, wie sich die Reihe der Treiber entfernte. Olfo ergriff Hernius Frame und zog sie dem Eber aus dem Bauch. „Immer zuerst die Waffe wieder in die Hand! Du durftest überhaupt nicht werfen. Wären wir anderen nicht dagewesen, so würdest du jetzt nicht mehr leben.“ Nun erst untersuchte er Herniu, der auf dem Rücken lag und dessen Schenkel sehr blutete. Olfo streifte Blätter von einem Ast, legte sie auf die Wunde und murmelte: „Buche, binde das Blut!“ Ferner Lärm ließ sie aufhorchen. „Jetzt wird die Masse des Wildes von den Jägern erlegt.“ Erst nach einer Zeit hörten das Schlagen gegen die Bäume und das Geschrei auf. Später vernahmen sie Rufe: „Wo liegt der Eber?“ „Hierher! “schrie Olfo. Vier Semnonen erschienen. „Na du!“ sagte einer gutmütig zu Herniu. „Das gleich bei,der ersten Jagd!“ Als er die Wunde untersucht hatte, fuhr er fort: „Nicht so schlimm! Eine kleine Fleischwunde.“ Von seinem Halse löste er eine der Bastschnuren, die dazu dienten, dem erlegten Wild die Beine zusammenzubinden, um es daran fortzuschleifen. Mit dieser Schnur band er Herniu das Bein oberhalb der Wunde ab. „Ein mächtiger Keiler! Wer hat ihn denn erlegt?“ „Den tödlichen Stoß führte ein semnonischer Krieger. Der ist aber nicht mehr zurückgekommen“, antwortete Olfo. „Dann gebührt euch beiden der erste Bissen.“ Der Mann griff dem Eber in den aufgeschlitzten Bauch und hielt Olfo die Leber hin, wobei er feierlich sagte: „Der Keiler hat Kraft, der Keiler gibt Kraft.“ Olfo teilte die
Leber auf Hernius ausgebreiteten Händen. Darauf wiederholten sie den Spruch: „Der Keiler hat Kraft, der Keiler gibt Kraft“, und verzehrten die zarte, noch warme Leber. Da Herniu nicht gehen konnte, trugen ihn zwei von den Habichtkriegern langsam und vorsichtig durch das Dickicht. MAROBOD In der Siedlung nahmen sich die Markomanninnen Hernius an. Das taten sie um so lieber, als er nicht wehleidig war und den Frauen, wenn er Schmerzen hatte, komische Geschichten aus seinem Leben unter den Römern erzählte. Das hätte er nicht zu tun brauchen, denn bei den Germanen war es Sitte, daß ein Verwundeter nur auf dem Schlachtfeld oder auf der Jagd seinen Schmerz zu unterdrücken hatte. War er aber dann den Frauen zur Pflege übergeben, so konnte er sich gehenlassen, ohne deshalb getadelt zu werden. Nach einigen Tagen brachen die Semnonen zum weiteren Marsch auf. Ihre Karren lagen voll Wild für etliche Tage. Es machte ihnen nichts aus, wenn das Fleisch zu riechen begann, sondern sie fanden es, wie alle Jäger, erst dann besonders schmackhaft. Der Blinde war um Herniu besorgt und ließ ihn auf seinem Esel reiten. Das war freilich trotz der ruhigen Bewegungen des Tiers sehr schmerzhaft. Der Marsch dauerte glücklicherweise nicht lange. Gegen Mittag tauchte ein Trupp Reiter auf, sicher Germanen, obwohl an der Spitze römisch gekleidete Männer ritten, vorn einer in weißer Tunika mit zwei purpurnen Streifen. Sie näherten sich in scharfem Trab. „Dort scheint Marobod selbst zu kommen“, sagte Welfo zu dem Blinden, den ein Semnone vor sich auf sein starkes Pferd gesetzt hatte. „Wer trägt sich sonst wie ein römischer Ritter? Er soll nicht einmal richtig unsere Sprache reden, so verrömert ist er!“ Welfo setzte sich in Galopp und mit ihm seine ganze Begleitung. Der Esel versuchte mit den Pferden mitzukommen, und schüttelte Herniu so, daß der nur mit Mühe seinen Schmerz verkniff. Dicht vor Marobod hielt die Schar jäh an, sprang von den Pferden und reckte zum Gruß die Frame hoch. Nur der Blinde blieb auf seinem Pferde und der verwundete Herniu auf dem Esel. Auch Marobod hatte angehalten, stieg aber mit seiner Begleitung nicht ab. Mit hochmütig verzogenem Munde sagte er: „Welfo, Wolfrits Sohn, ich begrüße dich und die Semnonen. Ihr sollt nicht weiterziehen: Schon eine allzu große Kriegerschar ist um mich und frißt das Land leer. Bleibe, wo du bist! Zur rechten Zeit wirst du Nachricht von mir erhalten.“ Herniu hörte, daß Marobod absichtlich das Germanische in lateinischer Weise aussprach. Schämt er sich etwa seiner Herkunft als Markomanne? Freilich redet auch Armin mit seinem Bruder und mit einigen anderen stets Lateinisch, spricht das Cheruskische aber wie wir. Marobod schielte mit halb zugekniffenen Augen zu dem Blinden und fragte unfreundlich: „Wer ist das?“ Der Sänger antwortete: „Ich bin der Cherusker Asni und zu dir mit einer Botschaft gesandt.“ „Cherusker?“ erwiderte Marobod. „Ihr habt eine Hilfstruppe bei Sentius Saturninus. Sie steht unter Armin, dem Sohn Sigimärs, der die Römer nicht besonders liebt. Ein anderer Teil der Cherusker unter dem Fürsten Segest liebt sie um so mehr. Was kann mir euer Stamm sagen, bei dem die einen so, die anderen entgegengesetzt, die dritten undurchsichtig sind? Ich werde dich rufen lassen, wenn es Zeit ist. Bis dahin bleibe bei den Semnonen!“ Er wandte sich um und sagte zu einem rasierten Reiter in römischem Gewände auf Lateinisch: „Wuorandus, du wirst als mein Vertreter bei den Semnonen bleiben!“ Wuorant hob die Hand zum römischen Gruß, trieb sein Pferd vorwärts und sagte fast so hochmütig wie Marobod: „Welfo, Wolfrits Sohn, erkenne mich als Vertreter des Herzogs der Markomannen! Meine Hütte sei neben der deinen.“ Herniu blickte Welfo an. Sein entstelltes Gesicht zeigte aber wie sonst nicht an, was er dachte und ob er die Überwachung durch den römisch gekleideten Wuorant ohne Abwehr hinnahm. Nach kurzem römischem Gruß wendete Marobod sein Pferd und ritt mit seiner Begleitung davon.
KAMPF MIT DEM ELCH Der Blinde erwartete, daß er bald zu Marobod gerufen würde ; aber Tag um Tag und Woche um Woche verstrich, ohne daß der ersehnte Bote des Herzogs eintraf. Schließlich ließ sich Asni von Herniu, der nur
noch ein wenig hinkte, zu dem markomannischen Überwacher führen. „Hat Marobod etwa vergessen -“, fragte er und konnte seinen Satz nicht beenden, weil Wuorant ihn unterbrach: „Der Herzog vergißt nie etwas! Was ich dir übrigens sagen wollte, Sänger, glaubst du nicht auch, daß du die Semnonen etwas reichlich gegen die Römer aufstachelst? Und könnte es nicht damit zusammenhängen, daß dich der Herzog noch nicht gerufen hat?“ „Aber euer Herzog will doch gegen die Römer kämpfen und hat Zehntausende eigene Krieger und noch einmal soviel Semnonen und Langobarden gegen sie zusammengezogen. Ich wollte seine Absichten mit meinen Liedern unterstützen.“ „Du wolltest das“, erwiderte Wuorant, „aber der Herzog liebt es nicht, wenn seine Untertanen - oder auch seine Freunde - zu viel wollen, sondern er bestimmt allein, was zu geschehen hat.“ Er hatte in so schroffem Tone geendet, daß sich der Blinde rasch verabschiedete und dann vor seiner Hütte nachgrübelte, was die Worte Wuorants bedeuteten. Nach einer Weile rief er Herniu und fragte leise: „Ist jemand in der Nähe?“ „Nein, Vater.“ „Dann höre! Ich kann nicht mit Welfo sprechen, ohne daß es auffällt. Aber du kannst ihm mitteilen, was mir Wuorant gesagt hat.“ Herniu überlegte einen Augenblick: „Es wäre gegen die Sitten, wenn ich selbst ihn bäte, mich zur nächsten Jagd mitzunehmen. Du aber kannst ihn darum bitten, damit er feststellt, ob ich wieder jagdfähig bin. Dann werde ich schon die Möglichkeit finden, allein mit ihm zu reden.“ Asni sprach noch am selben Tage mit Welfo, und der war mit Hernius Wunsch einverstanden. Diesmal ging daher Herniu nicht mit den Treibern, was für ihn noch zu anstrengend gewesen wäre, sondern den weniger beschwerlichen Weg mit den vornehmsten Semnonen. Sie stellten sich in einer Art Gasse auf, durch die das Wild gejagt werden sollte. Fast stand Mann neben Mann, so daß Herniu hier nicht mit Welfo sprechen konnte. Nach einiger Zeit hörten sie die Schläge gegen die Bäume und das Schreien der Treiber. Ein einzelnes Reh mit zwei Jungen kam aus dem Walde, stutzte, als es die Jäger sah, und stürzte dann vorwärts, so schnell, wie ihm die Kitzen folgen konnten. Man erlegte die Tiere mit Pfeilen, und schon kamen viele Hirsche, Wölfe, ein gewaltiger Auerochse und Elche mit weit ausladenden Schaufelgeweihen angebraust. Atemlos vor Erregung sah Herniu, wie die Jäger von beiden Seiten in die Masse hineinschossen. Nicht alle Tiere ließen sich aber so abschießen, sondern einige gingen mit gesenktem Kopf gegen die Jäger vor. Die Bogenschützen sprangen zurück und gaben den Framenträgern Raum zum Stechen. Immer zwei, drei Jäger halfen einander. Herniu stand hinter Welfo, die Frame fest in der Hand. Plötzlich wich der Semnonenführer zur Seite. Ein mächtiger Elch nahm ihn an. Einen Augenblick zögerte der unerfahrene Herniu, sprang aber noch rechtzeitig zur Seite und bohrte dem Tier die Frame tief in den Hals. Der Schaft brach, und der Junge wurde zur Erde geschleudert. In diesem Augenblick sprang ein anderer vor und stieß seine Frame dem Elch in den Leib, der an allen Gliedern zitternd anhielt, auf die Knie brach und nur noch einmal atmete. Nach kurzer Zeit war das Gemetzel beendet. Die Jäger blickten sich nach Welfo um, weil er als Jagdherr den Ort bezeichnen mußte, wo das Wild zur Verteilung hingelegt werden sollte. Welfo bestimmte die Stelle, und während die Semnonen das Wild an den Hinterläufen packten und fortschleiften, wandte sich Herniu an ihn und flüsterte: „Ich habe eine Botschaft von Asni.“ Rauh erwiderte Welfo: „Ich werde dir zeigen, wie man Elche treffen muß. Komm mit mir!“ Etwas abseits sagte er dann ruhig: „Nun erzähle!“ Herniu berichtete von dem Gespräch mit dem Markomannen. „Aha!“ erwiderte Welfo. „Ich danke dem Blinden für seine Nachricht. Er soll in mir einen Freund sehen. Es wird also besser sein, wenn Asni vorläufig meinen Semnonen nicht mehr singt. Seine Lieder werden auch ohne das weitergetragen. Wenn er von Marobod empfangen wird, soll er mir mitteilen, wie das Gespräch ausging.“ Er wandte sich um und kehrte zu den anderen zurück, die ihn schon erwarteten. Zwei Semnonenführer gingen an seiner Seite, während Herniu mit anderen folgte. So näherten sie sich dem Anfang der Streckengasse, an dem rechts und links je ein gewaltiger Elch lag. Wortlos schritten die Männer zwischen den zwei Reihen des aufgelegten Wildes entlang, vorbei an den größten Beutetieren, den Hirschen, Wildschweinen, Rehen, Wölfen bis zu dem kleinen Getier. Hinter den beiden Beutereihen standen die Jäger mit hochgestellter Frame, manche mit blutigen Händen. Am Ende der Strecke wandte sich Welfo um und bezeichnete den einen der beiden Elche als Beute für seine Gefolgschaft. Darauf machte sich jede der beiden Jägerlinien an die vor ihr liegende Reihe der Beute. Die Unterführer hockten sich nieder, öffneten den Bauch des Wildes, griffen hinein und verteilten nach althergebrachten Regeln den Ehrenbissen an ihre Mannen. Jeder murmelte den bei diesem Tier üblichen Zauberspruch und aß schweigend sein Stück. Mehr durften
sie nicht anrühren. Alles andere mußte ins Lager gebracht werden, damit die Alten, die Frauen und Kinder bei gemeinsamem Mahle ihren Anteil bekämen. Diese Regel wurde auch hier innegehalten, obwohl beim Heer gar keine Alten und nur wenige Frauen und Kinder waren. In langer Reihe zogen die Jäger zurück, wobei je vier die schweren Elche trugen, deren gewaltige Schaufelgeweihe am Boden schleiften. Die Beute war groß. Im Lager warteten schon die Frauen. Sie machten sich sofort ans Abhäuten, während die Männer Feuer zum Braten entzündeten. Später saß in mehreren großen Kreisen immer eine Sippe zusammen, die Habichte, die Hirsche, die Eber, die Wölfe. Welfo bildete mit seinem Gefolge einen kleineren Kreis. Er mußte den Elch selbst zerlegen, während andere die einzelnen Stücke austeilten. Nach dem Essen wandte sich Welfo an den neben ihm sitzenden Sänger: „Herniu wird ein guter Krieger werden, denn er hat Mut. Er kann zu mir kommen, so als ob er schon mit Schild und Frame ausgerüstet wäre.“ Sein Gefolge wunderte sich über dieses bei dem strengen Welfo seltene Lob. Der Blinde und Herniu aber verstanden, daß der Semnone Asni nur sagen wollte, er könnte Herniu zu jeder Stunde mit geheimen Botschaften senden. BEI DER KRÄUTERFRAU Herniu war der Meinung, er könnte jetzt schon wieder als Treiber an einer Jagd teilnehmen, und erwartete sehnsüchtig ein neues Kesseltreiben. Als er am folgenden Abend einen sonst stets freundlichen Semnonen danach fragte, blickte der ihn erstaunt an und schwieg. Nun erst bemerkte Herniu, daß sich die Krieger heute anders benahmen als sonst. Sie saßen im weiten Kreise, wie es üblich war, und redeten leise miteinander. Mehrmals hörte er den Namen Wuorant. Dabei fiel ihm auf, wie unfreundlich die Semnonen diesen Namen aussprachen. Herniu erhob sich wie zufällig und ging zu dem Blinden, dessen Benehmen ebenfalls verändert erschien. Entgegen seiner heiteren Art saß er mit gesenktem Kopfe da. Ärgerte er sich etwa, daß er nicht mehr singen sollte? „Vater Asni, du wolltest doch einmal zu der Alten gehen, die einen Trank gegen dein Reißen bereiten kann. Sie will ihn dir geben. Soll ich dich hinbringen?“ Asni kannte Herniu gut genug, um an seinem Ton zu hören, daß er noch etwas ganz anderes wollte. Deshalb erhob er sich sofort und wunderte sich nicht, als ihn Herniu aus der Siedlung führte. „Vater, es muß etwas mit Wuorant geschehen sein. Auch sonst sind die Semnonen nicht gut auf diesen Aufpasser zu sprechen, aber -“ „Ich weiß“, unterbrach ihn der Blinde. „Wuorant will an den Feierlichkeiten teilnehmen.“ „Was für Feierlichkeiten?“ „Dem Fest Wuotans. So weit bist du herumgekommen und hast nichts davon gehört?“ „Doch. Alle swebischen Stämme verehren ihn, aber weshalb sind sie ärgerlich, wenn Wuorant daran teilnehmen will? Er ist doch als Markomanne auch ein Swebe.“ „Ich verstehe auch manches nicht, Herniu, und wenn wir mehr herausbekommen könnten, wäre es gut. Frage doch Welfo, ob wir als Cherusker, die den Tiu verehren, am Fest Wuotans teilnehmen dürfen! Vielleicht erfahren wir dabei mehr. Aber frage ihn ehrerbietig! Wir wollen in gutem Einvernehmen mit den Semnonen bleiben - Jetzt führe mich zu der Alten, die sich auf Heiltränke versteht, sonst kann unser Ausbleiben verdächtig erscheinen.“ Er schüttelte unwillig den Kopf. „Wann hat es das unter Germanen gegeben, daß man voreinander die Gedanken verbirgt?“ Die Kräuterfrau wohnte am Rande der Siedlung in einer winzigen Hütte mit zerzaustem, bis zur Erde reichendem Schilf dach. Sie blieben davor stehen, und Herniu rief hinein: „Ursintruda, erlaube uns einzutreten! Wir kommen im Guten.“ Eine Greisinnenstimme antwortete: „Tretet ein! Bringst du Asni, den cheruskischen Sänger? Ich habe ihn neulich gehört. Mir wurde dabei mein altes Herz warm. Du mußt wissen: Wie dir das Augenlicht, so fehlt mir die Wärme der Jugend. Bald wird es zu Ende sein, auch wenn die Römer uns nicht wieder vertreiben. Setzt euch ans Feuer! Die Nebelfetzen ziehen schon draußen ihre Schleier und greifen einem kühl an die Haut.“
Vom Feuer unter der breiten Dachöffnung erhob sich mühsam eine Uralte. Dabei stützte sie sich mit einer Hand auf ein Stück Baumstamm, das ihr als Sitz gedient hatte. Den Oberkörper mit dem darüber gehängten Fell konnte sie nicht aufrichten, er blieb zur Erde gebeugt. Weißes, dünnes Haar verdeckte ihr Gesicht. Aus dem runden Tontopf, der in der Holzglut ruhte, schöpfte sie mit einer lehmverschmierten Hirnschale etwas Wasser, setzte sie vorsichtig auf den Boden, humpelte zu ihrem Lager aus Moos und Kleiderfetzen und brachte einen Napf. Von oben griff ihre knochige Hand hinein und streute etwas Getrocknetes in die Knochenschale: „Wieder würzig aus Totem werde das Kraut!“
Nun nahm sie ein Stöckchen und rührte damit dreimal um: „Lindre, Linde, den Schmerz des Leibes! Kraft dem Körper gebe das Kraut!“ Nun hielt sie die Hirnschale dem Blinden hin: „Trinke den Trank aus dem Kopf des Toten!“ Asni griff zuerst daneben, setzte dann die Hirnschale an den Mund und trank in sehr kleinen Schlucken. Der starke Geruch der Krauter ließ ihn stärker atmen. Beim Zurückgeben des Schädels fragte er: „Und was, Ursintruda, willst du als Gegengabe?“ „Ich sagte dir schon, Cherusker, daß mein Leib kalt zu werden beginnt. Dein Lied aber hat mich erwärmt. Was brauche ich sonst? Die Mädchen meiner Sippe bringen von jedem Mahle etwas zu mir. Geh jetzt und laß mich ruhn! Das ist mein Wunsch. Ich träume dann von alten Zeiten.“ Bei der Rückkehr in den Kreis der Krieger ließ sich Herniu hinter Welfo nieder und sagte: „Welfo, Wolfrits Sohn, dich läßt Vater Asni fragen, ob es ihm erlaubt ist, bei dem Fest eures Stammes zugegen zu sein.“ „Ich werde unsere Ältesten, die Priester, fragen, Herniu, und es euch wissen lassen.“
WULFEGAR, WOLFRITS SOHN Am folgenden Morgen übten sich die Blutsfreunde im gemeinsamen Kampf, und Olfo zeigte Herniu, wie man zurückweicht und wieder vorspringt. Ein junger Mann, kaum älter als sie, aber mit Umhang und Frame, blieb bei ihnen stehen und sah zu. „Ihr sprecht nicht Semnonisch und nicht Markomannisch“, sagte er plötzlich. „Wer seid ihr?“ Herniu bemerkte jetzt erst, daß der Umhang des Zuschauenden aus gutem Tuch war und mit einer schönen Nadel, wohl römischer Anfertigung, zusammengehalten wurde. Weshalb trug ein so junger Mensch überhaupt bei warmem Wetter ein Gewand? „Wir sind die Söhne des Cheruskers Asni. Und wer bist du? Ich habe dich noch nie gesehen.“
„Das kannst du auch nicht, denn ich kam erst diese Nacht an. Ich heiße Wulfegar des Wolfrit Sohn. Bist du Herniu?“ „Der bin ich. Komm mit zu Asni, dem Blinden. Zu ihm willst du doch?“ Wulfegar nickte. Er mußte ein bedeutend jüngerer Bruder Welfos sein, ebenso stark und von kurzer Gestalt. Dazu aber besaß er ein hübsches Gesicht. Vielleicht hatte Welfo vor seiner Verwundung auch so ausgesehen. Sie fanden den Sänger nicht bei seiner Hütte, sondern erst nach längerem Suchen am Flusse, wo er mit den Füßen im Wasser plätscherte. „Ich grüße dich, Asni“, begann Wulfegar. „Welfo sendet mich, dir zu sagen: Ihr könnt am Fest der Semnonen teilnehmen. Jedoch bittet er, euch nicht in seine Nähe zu setzen. Er bittet weiter, daß ich bei euch bleiben darf.“ Er blickte sich vorsichtig um und flüsterte: „Man soll nicht wissen, daß ich Welfos Bruder bin!“ „Meine Söhne werden schweigen“, erwiderte Asni, „und dir ein Lager in der Hütte frei machen.“ „Aber“, sagte Herniu mit gedämpfter Stimme, „wenn du in dem feinen Umhang und mit dieser Nadel herumgehst, wird jeder sagen: Das ist der Sohn eines Fürsten!“ Sofort ließ Wulfegar den Umhang fallen. „Setz dich zu mir!“ sagte der Blinde. „Ich will dich nicht fragen, weshalb und in wessen Auftrag du so plötzlich deinen Bruder besuchst, aber vielleicht kannst du mir ein anderes Geheimnis lüften: Warum seht ihr Semnonen den Markomannen Wuorant ungern beim Fest Wuotans?“ Auf Wulfegars Gesicht spiegelten sich Überraschung und Verlegenheit: „Habt ihr das so deutlich gemerkt? Aber weshalb sollte ich es euch nicht sagen? Du weißt, daß vor acht Jahren Domitius Ahenobarbus, ein wüster, roher Kerl, mit einem römischen Heer in unser Land an der Havel einbrach. Bis dahin hatten unsere Ältesten und Fürsten die Römer für unsere Freunde gehalten und sie sogar gegen Marobod in unser Land gerufen. Wer wußte auch bei uns - so weit vom römischen Reiche entfernt - etwas Genaueres über die Römer? Während des Feldzugs aber schleppten sie viele von uns in die Sklaverei. Sie haben sogar freie Männer geschlagen. Stell dir vor: Freie Männer geschlagen! Wir schlagen selbst unsere Unfreien nicht. Nur im Thing kann einer verurteilt werden, und nur Priester dürfen einen Menschen fesseln lassen. Ist das nicht auch bei euch so?“ „Es ist auch unsere alte Sitte. Bei uns haben die Römer ebenso unser altes Recht mit Füßen getreten, und deshalb hassen wir sie.“ Der junge Wulfegar fuhr fort: „Die Markomannen wurden von den Römern gezwungen, vom Main nach Bojuheim zu wandern. Du weißt wohl, daß sie, wie wir, zu den swebischen Stämmen gehören, und kannst es an den nach oben gekämmten und zusammengebundenen Haaren sehen. Wir alle verehren Wuotan, und sein großes Heiligtum liegt in unserem Lande. Jedes Jahr kamen die Abgesandten aller Sweben zu dem heiligen Hain und hielten da Besprechungen ab. Bei einem großen Fest wurde beschlossen, daß die Sweben unter gemeinsamer Führung die Einfälle in unsere Länder abwehren sollten. Dazu wollten wir einen Herzog wählen. Einige waren sehr gegen Marobod, denn sie kannten ihn schon. Weil er aber lange in Rom gelebt hatte und ein kluger Mann ist, wählte man ihn doch. Wie falsch das gewesen war, begriffen wir erst, als er im Namen unseres Gottes Wuotan mit Gewalt und Schlichen begann alle Sweben von der Donau bis zur Nordsee und Ostsee sich zu unterwerfen. Verstehst du nun, weshalb wir den Aufpasser Marobods nicht bei unserem Fest sehen mögen?“ Asni fragte: „Ihr haßt wohl Marobod mehr als die Römer?“ „Der Einfall der Römer ist schon acht Jahre her, aber Marobods Abgesandten müssen wir jedes Jahr Pelze und Honig übergeben.“ Leise fügte er hinzu: „Unsere Ältesten und Priester hassen Marobod!“ WUOTANS OPFER Der Tag des Festbeginns war trübe, aber warm. Herniu und Olfo gingen nackt zum Festplatz, weil sie noch nicht mit dem Schild belehnt waren und daher bei dem Gottesfest keine Kleider tragen durften. Schon saßen viele der Semnonen mit ihren Waffen im weiten Kreise und schwatzten. Man begrüßte laut den Blinden, der sich mit den jungen Männern unter ihnen niederließ. Nach einiger Zeit hörten sie regelmäßiges Schlagen von Framen gegen die Schilde. Die Krieger erhoben sich und schlugen ebenfalls im gleichen Takt ihre Framen gegen die Schilde. Durch die offengehaltene Gasse zog Welfo mit dem auch diesmal römisch gekleideten Wuorant herein. Einige murrten über dieses ungehörige Benehmen des Aufpassers. Hinter ihnen kam in gleichem Tritt und guter Ordnung Welfos Gefolge, meist
recht junge Krieger. Sie stellten sich nahe dem heiligen Baume auf, einer mächtigen Buche. Nun richteten sich aller Blicke wieder nach der Gasse, in der drei ältere Männer in Umhängen und Hosen erschienen, die ältesten Priester. Der in der Mitte mit langem weißem Bart hatte einen besonders weiten Umhang, der sonderbar steif abstand. Das kam vom getrockneten Blut früherer Opfer, das als heilig nicht ausgewaschen werden durfte. Auf der einen Hand trug er einen Raben, das weise Tier Wuotans. In der anderen hielt er eine Frame, die Spitze nach oben, feierlich vor sich. Diese drei Priester blickten weder nach rechts noch nach links und stellten sich vor den heiligen Baum. Nun erst bemerkte Herniu, daß die Schlinge eines Seils von einem Aste herabhing. Er hatte gehört, daß im berühmten heiligen Hain der Semnonen an der Havel Menschen und Tiere zu Ehren Wuotans gehängt wurden und dort hängen bleiben mußten, bis sie von selbst herabfielen. Wie sollte das hier beim Heere sein? Ob man einen Krieger hängen würde? Ihn grauste. Weiter schlugen die Framen. Nun kamen durch die Gasse zwei weitere Priester, starke Männer, zwischen sich einen Schimmel. Das Pferd riß an der Halfter, und seine Augen blitzten erregt. Die heiligen Pferde waren nicht gezähmt und die Halfter ihnen ungewohnt. Vielleicht machte es auch das gleichmäßige Schlagen scheu, so daß die Priester schwer mit dem Tiere zu kämpfen hatten. Der Oberpriester hob die Frame, und das Schlagen brach ab. Er trat an den Baum zurück und stand da regungslos mit Raben und Frame, während seine beiden Begleiter das Pferd mit weit auseinander gezogener Schlinge erwarteten und sie ihm überraschend um den Hals warfen. Sofort wurde das Seil von hinten angezogen, so daß der Schimmel mit den Vorderhufen wild die Luft peitschte. In diesem Augenblick stieß der Oberpriester dem Pferd die Frame in die Brust. Entsetzt starrte Herniu auf das Tier, das noch einmal ausschlug und dann ruhig wurde, tot. Man zog es hoch, so daß es langgestreckt am Aste hing und ein wenig schwankte. Nun trat der Oberpriester mit festen Schritten vor das Pferd, richtete die blutige Framespitze auf die Zuschauer und rief: „Wehe, weint um Wuotan!“ Die Priester wiederholten heulend: „Wehe, weint um Wuotan!“ Im Kreise brachen Männer und Frauen in Schreie aus. Frauen schlugen sich an die Brust. Andere weinten laut. Immer erneut schien sie das Entsetzen des unheimlichen Vorgangs zu packen. Wiederum erhob sich die Stimme des Oberpriesters, zuerst unverständlich, dann aber sprachen alle Priester mit ihm: „Kein Labsal lindre das Leid, bis nach neun Nächten Wuotan die Wahrheit weiß!“
Neunmal wurde dieser Spruch wiederholt, worauf die Priester nach der Mitte des Kreises schritten und in weitem Bogen den Baum zu umwandeln begannen. Hinter ihnen folgte der Semnonenführer Welfo mit Wuorant, dessen Gesicht hochmütig und eisig war, weil er den Haß, der ihn umgab, fühlte. Ihnen schlössen sich alle zu einem langen Zuge an, der wie die nördliche Sonne den Baum umkreiste. Bei der zweiten Umwandlung, dem zweiten Tage des Leids, brachen erneut die Schreie aus. Immer mehr nahm das Heulen und Weinen zu. Schon schluchzte der weichherzige Olfo mit, und Herniu würgte es, bis er plötzlich furchtbar aufstöhnte und dann ebenfalls weinte. Bei der neunten Umwandlung begannen die Krieger im Takt ihrer Schritte an die Schilde zu schlagen. Allmählich erstarb das Heulen, und nur noch das eintönige Schlagen war zu hören. Wieder gingen die drei Priester durch die Mitte der Krieger gerade auf den Baum mit dem gehängten Pferde zu und stellten sich vor ihn, während die übrigen den Kreis erneut bildeten. Ein Priester trat von hinten an den Oberpriester heran und zog ihm einen weiten Hut über den Kopf, so daß eins der Augen verdeckt wurde. In diesem Augenblick hörte das Schlagen auf. Lautlose Stille herrschte. Der Oberpriester gab die Frame und den Raben an die beiden Priester zu seiner Seite. Tief in Gedanken versunken blickte er zu Boden, bis man vor ihn ein Tuch breitete und ihm Hölzchen gab. In halb singendem Ton rief er: „Wuotan wußte nicht, wer er war. In des Laubes leises Rauschen lauschte er, von breiter Buche Zweige brach er, ritzte mit Zeichen die Runen.“ Langsam hob der Priester die Hand mit den Runen und warf sie auf das Tuch. Den Kopf abgewandt, beugte er sich nieder, nahm einige Hölzchen und betrachtete sie lange, bevor er sprach: „Nun wußte Wuotan Wahrheit: Korn im Boden stirbt, keimt zu Korn. Frucht fällt, wird faul, doch neuer Baum trägt neue Frucht. Leben zu lassen, schafft Leben in Fülle für Korn und Vieh.“ Er wandte sich um und deutete nach dem gehängten Pferd: „Leben zu lassen, schafft Leben. Der Schimmel starb, seine Zahl wird stärker. Daß der Stamm stehe, muß einer sterben. Wuotan, Weiser, walte!“ Alle im Kreise sprachen gemeinsam: „Wuotan, Weiser, walte!“ Nun erhielt der Oberprister von einem seiner Begleiter die. Frame zurück, vom anderen den Raben. „In Weisheit wieder lebt Wuotan. Schlagt an die Schilde, schlagt!“ Im Takt des Schlagens verließen die Priester, Welfo, Wuorant und alle anderen die Stätte, wobei die Krieger alle neun Schritte in die Wölbung des Schildes hinein „Höh!“ riefen, daß es weithin hallte. ZU MAROBOD Wenige Tage nach dem Opfer ließ Wuorant dem Blinden ausrichten, er sollte sofort zu ihm kommen. „Begleitet mich beide!“ sagte Asni zu Herniu und Olfo. „Und führt mich recht feierlich vor den Markomannen!“ Die Freunde, nur mit dem Umhang bekleidet und ohne Frame, geleiteten ihn den kurzen Weg zur Hütte Wuorants. Er hatte sich vor die altersgraue Hütte in der faltigen weißen Toga auf eine schmale Bank gesetzt, einen Fuß vor den anderen, wie es römischer Anstand von einem empfangenden hohen Beamten forderte. Herniu hatte das oft genug bei römischen Richtern gesehen, er hielt den Blinden fünf Schritt vor Wuorant an und flüsterte ihm zu: „Jetzt kannst du sprechen, Vater.“ „Ich grüße dich, Wuorant. Du hast mich rufen lassen.“ Steif erwiderte der Aufpasser: „Herzog Marobod will dich empfangen und hat dir eine Begleitung geschickt, damit dir unterwegs nichts zustößt.“ Er hob die Hand lässig zur Seite und winkte, worauf drei Krieger herantraten und sich hinter Asni stellten. „Seid ihr bereit, gleich aufzubrechen?“ fragte Wuorant.
Herniu zog den Blinden leicht nach hinten. Der jedoch schien das Zeichen nicht zu verstehen, sondern sagte: „Wir sind bereit.“ „Dann lebe wohl!“ fuhr Wuorant fort und erhob sich. Herniu ärgerte sich über das kalte, hochmütige Benehmen des Markomannen. Außerdem wollte er noch mit Welfos Bruder Wulfegar sprechen, und das war nun unmöglich. Er argwöhnte, daß Wuorant den blinden Boten hindern wollte, mit den Semnonen zu reden, deren Abneigung gegen den Herzog deutlich genug war. Was aber waren die Absichten Marobods? Sie erschienen Herniu rätselhafter als je. Nach wenigen Schritten hielt Asni plötzlich. „Mir wird es schwer, so weit zu gehen. Herniu, hole meinen Esel!“ Bei einem raschen Blick auf die Markomannen sah Herniu, daß sie ihn nicht gern umkehren ließen. Wie aber wollten sie dem Blinden den Wunsch abschlagen? Klug hatte Vater Asni sich das ausgedacht! Und schon rannte Herniu zurück. Wulfegar erwartete ihn, und gemeinsam liefen sie auf die Weide, den Esel zu holen. Dabei flüsterte Herniu: „Sie scheinen uns von euch fernhalten zu wollen. Verstehst du, weshalb?“ „Wir verstehen auch nicht, was Marobod will. Wenn er euch empfangen hat, sagt uns auf jeden Fall, wie das war!“
IM LAGER DER MARKOMANNEN Am nächsten Tag näherten sie sich Marobods Lager. Von weitem sahen sie es auf einem flachen, kahlen Hügel breit liegen. Nach römischer Art wurde es durch Graben und Wall geschützt, hinter denen niedrige Hütten in schnurgeraden Reihen standen. Die Markomannen führten die Cherusker über eine hölzerne Brücke an der Wache vorbei eine Lagerstraße entlang bis zu einer Hütte, von der aus Herniu eine Plankenwand mit großer Tür sah, wohl den Palast Marobods. In der Hütte fanden sie einen bärtigen Mann, der aber ein kurzes Gewand nach der Art römischer Sklaven trug. Dieser Unfreie kniete vor Asni nieder. „Herr, ich soll dir dienen, solange du Gast des Herzogs bist.“ Der Blinde war von der Anrede Herr befremdet und wunderte sich, daß er die Stimme von unten her kommen hörte. Denn wie sollte er auf den Gedanken verfallen, daß ein Germane vor ihm knien könnte? In seiner Verlegenheit sagte er etwas ganz Unerwartetes: „Wie kommt es, daß es hier ringsum so entsetzlich stinkt?“ Herniu hatte dem Diener ein Zeichen gegeben aufzustehen. „Herr“, sagte der, „in der Nacht darf niemand aus dem Lager. Sogar am Tage gibt es die Wachen am Tor. Wo sollen sie die Abfälle hinwerfen als auf die Lagergassen?“ Herniu fügte hinzu: „Das ist auch in den römischen Lagern nicht viel anders. Sogar in der Hauptstadt Moguntiacum hast du dich manchmal über den Gestank geärgert, Vater.“ „Herr“, begann der Diener wieder, „erlaubst du, daß ich mich entferne, um für euch aus der Küche Marobods Essen zu holen?“ Kaum war der Sklave gegangen, als Herniu dem Blinden zuraunte: „Vorsicht mit dem Diener, Vater! Diese Art Kerle ist zum Aushorchen da. Außerdem steht vor unserer Hütte ein Posten.“ „Sind wir denn eingesperrt?“ fragte Asni leise. „Nein, das nennen sie eine Ehrenwache. Aber wohin du gehst, stets wirst du begleitet, sogar -“ Er beendete den Satz nicht, denn ein stattlicher Mann in römischer Toga trat ein. „Gruß dir, Cherusker, im Namen des Herzogs. Er läßt dir sagen, daß er dich heute noch nicht empfangen kann. Wenn dir etwas fehlt, so sende zu mir! Ich wohne nebenan. Jetzt bitte ich dich, mich zu entlassen, denn ich habe mehr Gäste zu begrüßen.“ Mehr Gäste zu begrüßen? In Herniu erwachte die Neugier. Nach dem auf germanische Weise bereiteten Essen schob er sich dicht neben Asni und rieb seinen kleinen Finger unauffällig an dessen Hand. Dabei sagte er laut: „Vater, laß mich nach deinem Esel sehen, ob er auch Futter bekommen hat!“ „Geh, mein Sohn!“ erwiderte der Blinde in heiterem Ton, obwohl er genau verstand, daß Herniu herumhorchen wollte. Er hörte auch an den Tritten, daß sein sogenannter Sohn wieder einmal hinkte.
DIE RÄTSELHAFTE GESANDTSCHAFT Vor der Tür stand ein Markomanne mit Schild und Frame. Hemiu blickte ihn mit offenem Munde an, als ob er noch nie einen Krieger gesehen hätte, und fragte mit schwerfälliger Stimme: „Weißt du, wo man den Esel des Blinden hingebracht hat?“ „Wie soll ich das wissen? Alle Reittiere grasen jetzt draußen.“ Unterdessen hatte Herniu vor der stattlichen Nachbarhütte sonderbar angezogene Männer bemerkt. Waren etwa das die anderen Gäste? Er ging mit der zur Schau gestellten Neugier eines Dummen zu ihnen und blickte sie von oben bis unten an. Ihre Umhänge waren von gutem Stoff, aber viel kürzer als römische Togen. Auffallend waren auch ihre großen, schmalen Nasen und der entschlossene Blick ihrer dunklen Augen. Von ihrem Gespräch verstand Herniu kein Wort, bis einer auf Lateinisch einen der Markomannen fragte: „Wovon lebt denn dieses große Militärlager? Wir haben in der Nähe fast keine Dörfer gesehen.“ „Ihr unterschätzt die Größe von Herzog Marobods Reich“, erwiderte der Markomanne, der einen mit bunten Fäden bestickten Leinenumhang trug. „Es reicht bis zu den nördlichen Meeren. Von überallher werden uns Lebensmittel als Tribute geschickt. Erst heute kam eine Gesandtschaft der Cherusker an.“ Herniu ließ sich nicht merken, wie es ihn empörte, daß dieser Markomanne die Cherusker als einen von Marobod unterworfenen Stamm hinstellte. Wieder sprachen die fremden Männer in ihrer Sprache. Der Markomanne bemerkte Herniu und herrschte ihn an: „Was stehst du da und gaffst!“ Der Mann erkannte also nicht, daß Herniu kein Markomanne war und konnte es auch nicht, da die Sweben erst von ihrer Beleihung mit Schild und Frame ab das Haar hochgebunden trugen. Viel anders hatten auch die Römer Herniu nicht angeschrien, und er war sich klar, daß es sich gerade nach solchen Worten lohnte zu horchen. Er wandte sich also, ging zwei Schritte weiter und stockte, den Blick zu Boden gerichtet. Obwohl da nicht das geringste von Interesse lag, bückte er sich und wühlte im Staub, als ob er da einen Mistkäfer oder sonst etwas für Jungen Interessantes gefunden hätte. Das tat er mit so vollendeten Bewegungen eines heiteren Blöden, daß der Markomanne nach einem kurzen Blick ihn nicht weiter beachtete. „Euer Land sieht wohl sehr anders aus?“ fragte der die Fremden höflich auf Lateinisch. „Ja, sehr. Die Berge sind höher und schroffer und die Häuser aus Stein wie die der Griechen. Wir nahmen ihre feine Kultur an, bevor uns die Römer zur Kolonie machten.“ Herniu konnte nicht länger im Sande spielen, er schob die Füße langsam durch den Staub und überlegte: Was wollen diese Leute aus einer fernen römischen Kolonie bei Marobod? Sie können eine Gesandtschaft sein, denn der Markomanne geht sehr höflich mit ihnen um. Beim Eintritt in die Hütte konnte er dem Blinden nichts von seinen Beobachtungen mitteilen, denn der Sklave hockte mit gespannter Miene am Feuer, bemüht, kein Wort zu verpassen, das zwischen Asni und seinen beiden Söhnen fiel. Olfo wurde das Sitzen in der dumpfen Hütte unerträglich, denn, wie alle Germanen, war er von seiner frühsten Jugend an daran gewöhnt, bei Tage draußen und unter Menschen zu sein. „Vater!“ sagte er, „können wir nicht ein wenig an die frische Luft?“ „Gut, aber laßt mich hier!“ Der Sklave mischte sich ein: „Geht nicht zum Hause des Herzogs, sondern nach dem Rande des Lagers!“ Diese Warnung machte Herniu noch mißtrauischer. Aber wer weiß, ob es nicht auch im äußeren Teil des Lagers etwas zu sehen gab? Dort pflegten die gewöhnlichen Krieger zu hausen, und mit denen verstand er umzugehen. Sie merkten bald, daß sie durch die beste der Lagerstraßen zu ihrer Hütte geführt worden waren. Von ihr aus gingen rechtwinklig noch engere ab, und in eine von ihnen bogen sie ein. In der Mitte lagen flache Steine, immer einen Schritt vom anderen entfernt. Darauf konnten sie treten. Zwei Krieger in guten Umhängen kamen ihnen entgegen, so daß Herniu und Olfo von den Steinen in den Morast von schmutzigem, übelriechendem Wasser und Abfällen steigen mußten. „Morgen“, sagte der eine Markomanne, „muß das besser klappen. Es kommt darauf an!“ Die beiden gingen vorbei, und hinter ihnen strömte eine größere Zahl Krieger laut schwatzend zu ihren Hütten. Einer stutzte vor Herniu und Olfo: „Woher kommt denn ihr? Uns ist es verboten, unsere Kinder mitzubringen.“ „Wir gehören zu einem Boten “, erwiderte Herniu. „Boten lassen sich von Unmündigen begleiten?“ „Der Bote ist blind, ein Cherusker.“ „Was? Auch Cherusker sind da, nicht nur Dalmatiner?“ Herniu tat so, als interessierte ihn die Anwesenheit von Dalmatinern nicht, und fragte: „Hier erscheinen wohl oft Fremde?“ „Ja“, erwiderte der Krieger harmlos, „erst neulich hatten wir Pannonier hier und mußten vor ihnen auch einen Angriff zeigen.“ „Auch?“ fragte Herniu.
„Ich meine, ebenso wie morgen. Da werdet ihr doch zusehen?“ Herniu nickte. „Sicher, zusammen mit der dalmatinischen Gesandtschaft.“ „Na, dann paßt auf! Im dritten Stoßhaufen stehe ich im vordersten Glied!“ Er lächelte freundlich, denn er hatte angebracht, daß er ganz vorn stünde, also einer der stärksten Kämpfer sein mußte, und verschwand in seiner Hütte. Auf ihrem weiteren Wege sahen die Freunde immer deutlicher, in welchem schlechten Zustand das Lager war. Sonst pflegten größere Verbände germanischer Truppen nur kurze Zeit an einer Stelle zu bleiben, weil die Lebensmittel aus der nächsten Umgebung rasch verbraucht wurden. Das war bei den Römern anders, weil ihre Legionen in langen Wagenkolonnen oder auf Schiffen von weither ihren Bedarf erhielten. Das Lager Marobods war außerdem zu eng angelegt. Es wimmelte von Menschen und Hunden. Als es anfing zu dämmern und die beiden den Weg zu ihrer Hütte zurück suchten, sahen sie überall Ratten in den Abfällen wühlen.
HERNIUS VERSUCHE In der Hütte erwartete der Sklave schon voll Ungeduld ihre Rückkehr. Da aber Herniu auf die Frage des Blinden mit gleichgültigem Gesicht behauptete, sie hätten nichts Besonderes bemerkt, beruhigte sich der Sklave sichtlich und setzte nun den Gästen Rehkeule vor. Das war streng nach der Sitte, denn nur Frauen, Kinder und Unfreie pflegten Brei oder Eierspeisen zu essen, freie Männer aber überwiegend Fleisch, möglichst Wild. Während die drei ihre großen Fleischstücke mit den Händen aßen, wurde der Diener vor die Tür gerufen. Das benutzte Herniu, um dem Blinden zuzuraunen, daß eine dalmatinische Gesandtschaft da wäre. Zugleich lauschte er hinaus und hörte, wie jemand leise auf Lateinisch sagte: „Maroboduus“ und „trotzdem an den Heeresvorführungen teilnehmen“. Ob diese Worte an den Sklaven gerichtet waren? Der verstand also vielleicht auch Lateinisch. Gut, daß Herniu den Blinden vor diesem so unterwürfig scheinenden Menschen gewarnt hatte ! Bevor sie sich schlafen legten, spießte der Diener die Reste des Fleisches an einen Haken, der vom Schilfdach herunterhing. So machte man es in allen germanischen Hütten, damit nicht in der Nacht die Ratten das Fleisch anknabberten. Hier erschien das besonders notwendig. Am Morgen wollten Asni und seine Söhne nach ihrer Gewohnheit baden. In dem engen Lager aber war das unmöglich. Stattdessen brachte ihnen der Sklave in einem kleinen Holztrog etwas Wasser. Sie steckten die Fingerspitzen hinein, lachten über die Katzenwäsche, und Asni fragte: „Wascht ihr euch hier immer so? Da könnt ihr doch gar nicht rein werden!“ Abwehrend erwiderte der Sklave: „In allen Städten ist das so.“ „Ach, warst du schon in Städten?“ fragte Herniu. Der Diener warf ihm einen tückischen Blick zu und antwortete zögernd: „Ja, ich war in Italien, bis mich der Herzog kaufte.“ Herniu stellte sich dumm: „Und dort sind die Städte auch so schmutzig?“ „Nicht ganz so“, gab der Sklave widerwillig zu. „Ich ziehe das Leben der freien Germanen vor“, sagte der Blinde. „Gewiß, die Römer haben mehr Auswahl im Essen, aber sein ganzes Leben in so einem stinkenden Rattennest zubringen?“ Der Diener konnte seinen Unmut nicht unterdrücken, daß Asni Marobods Lager ein stinkendes Rattennest nannte, und machte ein finsteres Gesicht. Bald aber hatte er sich wieder im Zaum und sagte unangenehm demütig: „Ich bin ein Sklave.“ Wer weiß? dachte Herniu. Vielleicht nicht nur das, sondern auch ein Spitzel! Ich werde dir gleich zu schaffen machen! „Olfo!“ rief er fröhlich. „Ich kann diese stickige Luft hier drin nicht aushalten. Komm mit hinaus!“ Der Sklave holte tief Atem, augenscheinlich erschreckt, und begann mit wortreichen Versuchen, die beiden in der Hütte zu halten. Er lief, um Wein und Trinkschalen aus der Nachbarhütte zu holen. Herniu benutzte seine Abwesenheit, um den Blinden und Olfo zu sagen, daß seiner Meinung nach alle die Heimlichkeiten nur dazu da wären zu verhindern, daß die Cherusker mit den Dalmatinern zusammenträfen. Als der Diener wieder hereinkam, fragte ihn Herniu, von einer Vermutung getrieben: „Weißt du, was für ein Land jenseits der Donau liegt, also südlich dem der Markomannen?“ „Dort wohnen die Pannonier.“
Herniu bohrte weiter: „Und wieder jenseits? Liegt dort Italien?“ „Nicht eigentlich, sondern Dalmatien.“ „Von diesem Land habe ich noch nie gehört“, log Herniu. Der Sklave fiel auf diese angebliche Ahnungslosigkeit herein und sagte: „Dalmatien ist ein bergiges Land am Adriatischen Meer.“ „Sind das Germanen, oder sprechen sie dort Lateinisch?“ fragte Herniu weiter. „Nein, sie sprechen eine Sprache für sich, Illyrisch. Kein Wort kann man verstehen.“ „Du hast wohl schon Dalmatiner gesehen?“ Wieder warf der Sklave einen mißtrauischen Blick auf Herniu, der aber hatte gelernt, den Dummen zu spielen. Ausweichend antwortete der Diener: „Natürlich habe ich Dalmatiner gesehen. Es gibt viele illyrische Sklaven in Italien.“ Herniu sah, daß er nicht weiterkam, und es blieb ihm unbekannt, was die Gesandtschaft dieses recht fern lebenden Volkes bei den Markomannen wollte. Er wurde auch dadurch abgelenkt, daß germanische Stierhörner zu blasen begannen. Das konnte nur das Signal zum Sammeln für die Vorführungen bedeuten. Der Sklave redete weiter von dalmatinischen, dakischen und afrikanischen Sklaven, und Herniu merkte, daß dieses salzlose Geschwätz nur dazu diente, die Aufmerksamkeit der Cherusker von den Vorgängen draußen abzulenken. Sie hörten aber am Gleichschritt, daß Truppen auf das Tor zu marschierten. Mit übertriebener Geflissenheit schenkte der Diener die Schalen immer wieder voll, obwohl die Gäste nur daran nippten. Sogar der arglose Olfo schien zu verstehen, daß sie nicht zuviel trinken durften und ihre Sinne beisammenhalten mußten.
VORFÜHRUNG DES MARKOMANNENHEERES Als draußen jedes Geräusch verstummt war, trat ein Höfling in besticktem Umhang ein. „Der Herzog bittet euch, den Vorführungen seiner Heeresmacht beizuwohnen.“ Asni ließ sich von Olfo die Ledersohlen unter die Füße schieben und die Halteschnuren um die Knöchel binden. Dann erhob er sich. Nur noch Hunde liefen schnüffelnd im Lager umher, sonst war es leer. Als sie das Lagertor passierten, sagte Herniu zu dem Blinden: „Wir gehen zu einem Hügel, auf dem schon viele Menschen sind. - Hinter uns kommt übrigens der Herzog mit seinem Gefolge.“ Die Mitte des Hügels war durch Krieger abgesperrt, augenscheinlich für Marobod. Der Höfling führte die Cherusker auf die linke Seite neben der Absperrung, während rechts die dalmatinische Gesandtschaft stand. Feierlich erstieg Marobod in seiner purpurstreifigen Tunika den Hügel. Sein Blick schweifte unruhig über die Ebene und über seine in der Ferne stehenden Kriegermassen. Neben ihm gingen Männer, bekleidet mit Umhang und Hosen, wohl die vornehmen Ältesten der Markomannen, hinter ihm die rasierten Höflinge in weißen Umhängen, die mit groben Wollfäden bestickt waren. Marobod blieb stehen, wandte sich zu den Dalmatinern und hob die Hand zum Gruß, dann wandte er sich zu Asni und grüßte ebenfalls. Herniu flüsterte: „Vater, du mußt nach rechts grüßen.“ Der tat es mit dem hier üblichen römischen Gruß, aber in falscher Richtung. Niemand lachte darüber, und das fiel Herniu auf, weil die Römer bei solchen Versehen höhnisch zu lachen pflegten. Hier gab es also doch noch den althergebrachten Anstand. Nun hob Marobod die Hand straff über seinen Kopf und nickte gebieterisch. Ein Reiter im Helm jagte mit wehendem Umhang hinüber zu den Heerhaufen, die sich langsam auf den Hügel zu in Bewegung setzten. Alle Framen waren hoch aufgerichtet und schwankten ein wenig. Inmitten dieses Waldes von Spießen ragte aus jedem Haufen eine Stange mit einem buntbemalten, geschnitzten Tier, das Feldzeichen. Vor der Front jedes Haufens schritt der Anführer in Panzer und Helm. Zu beiden Seiten des Fußvolks bewegten sich ebenso langsam und geschlossen die Reiter, ebenfalls die Framen hochgerichtet, in ihrer Mitte die Feldzeichen. Auf ein Kommando des Feldherrn hielt das Heer etwa hundert Schritt vor dem Hügel. Nun sah Herniu, daß die Markomannen anders gegliedert waren als die cheruskischen Hilfstruppen der Römer unter Armin. Hier hatte jede Gruppe eine andere Breite und Tiefe. Es mußten also Gauverbände nach altgermanischer Tradition sein und nicht Kohorten, Manipeln und Zenturien wie bei der ganz nach römischem Vorbild kämpfenden Truppe Armins. Der Heerführer hob sein gezogenes Schwert und rief mit gewaltiger Stimme: „Markomannen, Krieger
aller Gaue! Jetzt zeigt, wie ihr nach eurer Väter Weise anzugreifen vermögt!“ Er schwang das Schwert scharf nieder. Alle die buntbemalten Schilde hoben sich vor die Köpfe und die Tausende von Kriegern schrien in die Schildwölbungen hinein: „Hoo-ah! Hoo-ah!“ Die Anführer der Gaue rannten in die Zwischenräume zwischen den einzelnen Heerhaufen zurück, so daß eine lange durchgehende Linie entstand. Auf ein neues Kommando begann sich die ganze Front mit kurzen Schritten vorwärts zu bewegen. Die vordersten richteten ihre Framen zum Stoß, und ihre Schritte wurden immer schneller. Plötzlich brachen auf beiden Flanken die Reitermassen vor, hielten kurz vor dem Hügel, sprangen ab und stellten sich in gedrängter Gruppe vor ihre Pferde. Ihre Framen drohend gehoben, deckten sie mit den Schilden den unteren Teil ihres Gesichts, so daß sie gerade noch darüber wegsehen konnten. Zwischen die beiden Blocks der abgesessenen Reiter rannte die übrige Phalanx und hielt auf ein Kommando jäh an. Alle schrien in die Schilde Hoo-ah! und stachen zu, als ob eine gegnerische Schlachtfront aufmarschiert wäre. Auf dem Hügel schlug das Gefolge Marobods mit den Framen an die Schilde. Er selbst senkte feierlich seinen Stab vor den Kriegern, die weiterstachen und in den hinteren Gliedern in die Schilde schrien, bis er den Stab hob und nach beiden Seiten bewegte, zum Zeichen, daß die Vorführung beendet war. Nun sprangen die Gauführer vor ihre Heerhaufen und kommandierten den Abmarsch. Sie rückten aber nicht weit, sondern verteilten sich über das ganze Feld. Der Höfling, der Asni begleitete, trat vor ihn und sagte den zu solchen Gelegenheiten bei den Markomannen üblichen Spruch: „Wolle die Kampfspiele besuchen!“ Herniu bemerkte, daß man ihre Gesandtschaft in eine andere Richtung führte als die dalmatinische. Zuerst wurden sie zum Springen über Pferde geführt. Zwei Mann hielten ein Pferd an der Halfter, und ein Stück von ihm entfernt standen hintereinander nackte Krieger ohne Waffen. Der vorderste rannte los und schnellte sich mit vorgestreckten Armen über das Pferd. Jenseits fingen ihn zwei Mann auf. So sprang einer nach dem ändern. Danach stellte man ein zweites Pferd neben das erste, und schon sprangen weniger. Ein drittes kam dazu, und schließlich sprang nur noch ein Mann über vier Pferde. Nun führte der Markomanne die Gäste zu einer Gruppe, die mit der Frame warf. „Endlich einmal“, sagte der Blinde, „höre ich wieder das Surren der mit Kraft geworfenen Framen.“ Er ließ sich zu der Abwurfstelle führen und schritt die Entfernung nach dem weitesten Einschlag ab, die durch einen Stein markiert war. „Gut!“ sagte er anerkennend. „Aber das muß nicht nur einer erreichen, sondern eine ganze Abteilung auch im gemeinsamen Wurf!“ „Auch das sollst du sehen“, erwiderte der Höfling, „oder vielmehr, da du es nicht sehen kannst, das Surren vieler Framen hören.“ „Ja, das möchte ich!“ erwiderte Asni und schritt mit jugendlich schnellen Bewegungen neben dem Höfling her, der ihn nun an der Hand führte. Nach dem nur kurzen Schauspiel des Massenwurfs gingen sie zu dem Platz, an dem die Männer über eine Schnur sprangen. Das hatte Herniu oft selbst mitgemacht, hier aber sah er zum ersten Male den Sprung mit Waffen über ein von zwei Mann gehaltenes Seil. Dabei hielten die Krieger die Frame mit der Spitze nach vorn und mußten mit dem anderen Arm den langen Schild hochheben. Das war recht schwierig. Herniu flüsterte Olfo zu: „Das müssen wir auch üben!“ Dabei blickte er über das Feld und entdeckte plötzlich ziemlich weit entfernt eine größere Ansammlung von Menschen, die dicht zusammenstanden. Es war Marobod mit seinem ganzen Gefolge. Unter ihnen erkannte er aber auch die anders geschnittenen Umhänge der Dalmatiner. Der Herzog ehrte also diese Gesandtschaft recht auffällig, während er sich um die Cherusker überhaupt nicht kümmerte. DER EMPFANG BEI MAROBOD Am Tage nach der Schaustellung der kriegerischen Macht des Markomannenherzogs sandte Marobod nach dem Blinden. Herniu war gespannt, wie dieser Empfang verlaufen würde, denn er wußte noch nicht, welchen Auftrag Asni von Armin erhalten hatte. Der Höfling von nebenan führte die drei zu der großen Tür in der Plankenwand. Hinter ihr befand sich eine hölzerne Querwand, die den Blick ins Innere verwehrte. Dahinter sah Herniu ein sonderbares Gebäude. Auf sechs Holzsäulen ruhte ein hoher Giebel, auf den in tiefem Rot ein Tier gemalt war. Es konnte einen Eber darstellen. Das Dach des Palastes bestand aus Schilfrohr. In seiner Mitte befand sich eine Tür, die in einen augenscheinlich ziemlich dunklen Raum führte. Der Bau erschien Herniu wie eine entfernte
Nachahmung eines römischen Tempels. Der Platz davor war sauberer als das übrige Lager, aber nicht ganz geebnet und an den Rändern mit Unkraut bewachsen. „Nur einer von deinen Söhnen darf mit hinein“, sagte der Höfling. „Nur bei bedeutenden Gesandtschaften ist ein größeres Gefolge gestattet.“ Asni ließ es sich nicht anmerken, ob er sich über diesen Bescheid ärgerte. Er bestimmte Herniu zu seinem Begleiter. Zu beiden Seiten der Tür stand ein besonders hochgewachsener Krieger. Sie blickten stumm auf den hereinschreitenden Blinden nieder. Der Innenraum sah wie eine Germanenhütte aus, nur viel gewaltiger. Die Träger, die zu beiden Seiten das Dach stützten, waren gut behauene Baumstämme. Quer vor saß auf einer Erhöhung Marobod in rotem Umhang, den linken Fuß vor den rechten gestellt und sehr auswärts gedreht. In einer Hand hielt er einen langen Stock mit einem geschnitzten Tier als Knauf. Etwas tiefer standen auf beiden Seiten unbeweglich die Höflinge. Herniu flüsterte dem Blinden zu: „Der Herzog sitzt fünf Schritte vor dir.“ Asni nahm seine Lederkappe ab und erhob die Hand zum römischen Gruß. Da Marobod die Grußhand nicht frei hatte, hob er den Stock und stieß ihn dann laut wieder auf das Podium. Das war wohl das Zeichen zum Sprechen. Asni sagte langsam und deutlich: „Arminius, der Cherusker, der Sohn Sigimärs, läßt dich, Maroboduus, Herzog der Markomannen, grüßen. Er befindet sich in Moguntiacum beim Heere des Statthalters von Obergermanien, Sentius Saturninus.“ „Du bist im Irrtum, Bote“, erwiderte Marobod. „Er befindet sich nicht mehr dort, sondern am mittleren Main. Was will ein Unterfeldherr der Römer, die gegen uns ziehen, von mir?“ Asni ließ sich nicht verwirren. „Er läßt dir sagen: Noch nie gab es einen Streit zwischen Cheruskern und Markomannen, und wenn Armin auch jetzt gezwungen ist, gegen dich zu kämpfen, so wünscht er doch diesen Kampf nicht.“ „Das sind leere Worte, Cherusker.“ Marobod zog geringschätzig die Mundwinkel herunter. „Wenn Arminius an meiner Seite kämpfen will, so werde ich ihn willkommen heißen. Zögert er aber, so wäre er nur ein fragwürdiger Bundesgenosse.“ „Vielleicht nicht so fragwürdig“, erwiderte der Blinde eifrig. „Die Schwäche des römischen Heeres besteht in seiner großen Zahl. Nur wenn Sentius Saturninus seine langen Wagenkolonnen mit Lebensmitteln auf unseren schlechten Wegen heranbringt, kann er längere Zeit im Lande bleiben.“ „Du brauchst mich nicht zu belehren“, erwiderte Marobod hochmütig. „Außerdem sind die Wege in meinem Reiche nicht so schlecht wie eure in den sumpfigen Gegenden um die Weser.“
Asni erkannte deutlich die Ablehnung Marobods und brachte nun das Angebot vor, das ihm Armin nur für den Notfall mitgegeben hatte: „Wenn du, Marobod, mir mitteilst, wo du dem Doppelstoß der Römer entgegenzutreten beabsichtigst, so bin ich von Armin beauftragt, dir bestimmte Zusagen zu machen.“ Marobod bewegte seine freie Hand zur Seite, um seine Geringschätzung auszudrücken: „Wenn - dann! Wenn ich ihm sage, will er etwas tun, was er mir nicht gleich sagt. Hält er mich für einen so kleinen Mann, daß er mich verpflichten will, meine Pläne zuerst zu verraten?“
„Herzog!“ erwiderte Asni heftig. „Wie soll er handeln, wenn du ihm nichts mitteilst, wonach er selbst erst endgültige Pläne machen kann?“ „Er braucht nur zu mir überzugehen, und er wird alles erfahren.“ Der Blinde war empört, denn diese Worte konnten nur bedeuten, daß die Cherusker, der mächtigste Stamm Niedergermaniens, sich Marobods Reich eingliedern und ihm Tribute zahlen sollten, wie es die Semnonen taten. „Gibst du“, fragte er, nach Fassung ringend, „dem Arminius kein Wort des Entgegenkommens?“ „Ich grüße ihn, wie er mich grüßen ließ, und wünsche eine gute Nachbarschaft mit seinem Vater Sigimär.“ Herniu sah, wie sich das Gefolge Marobods bewegte und einige über den eisigen Spott ihres Herzogs leise lachten. Der Blinde stand, die Lippen fest zusammengepreßt, mit erhobenem Kopfe da. „Dann, Herzog, bitte ich, mich zu entlassen.“ „Das gewähre ich gern, jedoch würde es dich in Schwierigkeiten bringen, wenn du denselben Weg zurückkehrtest, auf dem du kamst und auf dem Sentius Saturninus heranmarschiert. Ich werde dir eine Begleitung mitgeben, damit du den Anfang des Weges findest, der dich zur Elbe und von dort zum Lande der Cherusker führt.“ Asni grüßte den Herzog und schritt hinaus. Noch nach der Rückkehr zu ihrer Hütte waren sie nicht fähig, ein Wort zu sprechen. Sie waren zu empört darüber, daß ihnen Marobod sogar einen Umweg vorgeschrieben hatte, auf dem sie nur mit Wochen Verspätung zu Armin zurückkommen konnten. ANGEBOT EINES HEIMLICHEN BUNDES Am folgenden Tage brach der Blinde mit seinen Söhnen, einem Höfling und zwei markomannischen Kriegern auf. Anscheinend hatten die Begleiter die Anweisung, mit den Cheruskern möglichst wenig zu sprechen. Der Unmut über diese neue Unfreundlichkeit ließ Herniu nachdenken, wie er die Absichten Marobods durchkreuzen könnte. Die Sonne schien, und leicht konnte er feststellen, daß sie nach Nordosten zogen. Vielleicht bezweckte Marobod damit, daß die Cherusker nicht unterwegs die Semnonen träfen und ihnen mitteilten, wie das Gespräch mit dem Herzog ausgegangen war. Weshalb aber wünschte er das geheimzuhalten? Nachmittags erreichten sie eine Siedlung, in der die Markomannen sehr herrisch auftraten und verlangten, man sollte für sie eine Hütte räumen. Kein Wunder, daß die Dörfler die Ankömmlinge nicht gerade freundlich anblickten, und sie, entgegen der germanischen Sitte, nicht als ihre Gäste betrachteten. Erst am nächsten Morgen wurden die Cherusker ihre lästigen Begleiter los. „Dieser Weg“, sagte der Höfling und deutete nach einem Waldtal, „führt euch zu einem Fluß. Dem folgt ihr abwärts und kommt bald zur Elbe. Wir lassen euch Fleisch, Käse und Brot für drei Tage zurück. Schon bevor ihr alles aufgebraucht habt, erreicht ihr Siedlungen.“ Damit gab er Olfo als dem Stärkeren einen prallen Ledersack. „Ich wünsche euch eine gute Reise.“ Herniu blickte den Markomannen erstaunt an. Das war das erste freundliche Wort, das sie von ihm hörten. War es nur Hohn? Nein, der Höfling blickte die Cherusker offen und freundschaftlich an. Vielleicht war er selbst froh, das Amt des schweigenden Führers beenden zu können. Trocken erwiderte der Blinde: „Gute Rückkehr!“ und wartete gelassen, bis die abziehenden Markomannen nicht mehr zu hören waren. Erst jetzt trieb er seinen Esel an. Endlich konnte Herniu dem Blinden seine Beobachtungen über die dalmatinische Gesandtschaft mitteilen, deren Zusammentreffen mit den Cheruskern Marobod so sorgfältig verhindert hatte. „In welcher Richtung ziehen wir?“ fragte Asni. „Können wir weit von den Semnonen entfernt sein? Welfo hatte uns gebeten, ihm mitzuteilen, was wir bei Marobod erleben würden. Wir sollten mit den Semnonen in gutem Einvernehmen bleiben.“ „Zu ihnen“, erwiderte Herniu, „ist es eine Tagereise.“ Er drehte sich halb um. „In dieser Richtung.“ Olfo nickte, auch er hatte genau beobachtet, wohin sie zogen. „Gut“, sagte der Blinde. „Führt mich zu einem bequemen Lagerplatz, möglichst im Walde!“ „Das ist nicht weit“, erwiderte Olfo. „Ein Wald mit hohen Bäumen liegt vor uns, und dort ist auch ein Bach.“ Kaum waren sie da angekommen und der Blinde vom Esel gestiegen, als er zu Herniu sagte: „Wirst du den Weg zu den Semnonen finden?“ „Ja, Vater.“
„Dann lauf hin und sage Welfo, daß ich ihn sprechen möchte, gerade deshalb, weil Marobod es nicht zu wünschen scheint!“ „Ich gehe. Und du, Olfo, unterhältst ein starkes Feuer in den Nächten, daß der Vater nicht friert!“ Darauf machte sich Herniu mit dem Eifer, mit dem er alle seine Ziele verfolgte, auf den Weg. Er hatte aber, nach seiner Gewohnheit, immer etwas zu verbergen, nicht alles gesagt. Nicht nur damit es der Blinde warm hätte, wünschte er ein starkes Feuer in der Nacht, sondern er rechnete damit, daß ihn Welfo sofort zurücksenden würde, und wie sollte er ohne ein Feuer den Lagerplatz im vielleicht noch nächtlichen Walde finden? Während sich der Blinde niederließ, ging Olfo zum Bach und badete gründlich, was ihm nach dem stinkenden Lager Marobods und dem Mangel an frischem Wasser ein Genuß war. Dann schöpfte er Wasser und brachte es dem Blinden. Um in der Nacht wachen zu können, legte er sich schlafen. In dieser Nacht hockte er am Feuer. Um die Schultern hing ihm der hausgewebte Wollumhang. Sonst hatte er nichts an, denn an diese geringe Kleidung war er gewöhnt. Mancherlei ging ihm durch den Kopf. Seit er mit dem Blinden und Herniu zog, hatte sich dem sehr einfachen Olfo eine neue Welt erschlossen. Er konnte nicht so schnell denken wie sein Blutsbruder, dessen Aufgewecktheit er bewunderte. Bei ihm, Olfo, ging alles langsamer, saß aber dann fest. Vorläufig begriff er wenig von der Geheimnistuerei um ihn. Weshalb hatte sie Marobod fast wie Gefangene behandelt? Er legte Holz auf das niedergebrannte Feuer und grübelte weiter. Noch glitzerte die Mondsichel durch die Bäume. Nun sank sie langsam, und es wurde undurchdringliche Nacht, in der nur das Nächste beim Schein der Flammen zu sehen war. Plötzlich bemerkte er zwei große grünlich schimmernde Augen, wohl die einer Wildkatze. Das war keine Gefahr. Die Augen verschwanden so schnell, wie sie erschienen waren. Auf einmal Pferdegetrappel! Er richtete sich lautlos auf und horchte. Es waren zwei Pferde, und sie mußten den Waldweg entlangkommen. Der Blinde mit seinem feinen Gehör war erwacht und lauschte halb aufgerichtet. Nur noch fünfzig Schritt konnten die Reiter entfernt sein, als Hernius Stimme rief: „Olfo!“ „Wen bringst du, Sohn?“ fragte Asni. „Wulfegar“, antwortete Herniu. Sie sprangen von den Pferden und setzten sich ans Feuer. „Mein Bruder Welfo“, begann Wulfegar, „läßt dich grüßen. Er hat von Herniu erfahren, wie euch Marobod empfing, und läßt dir das Folgende sagen: Der Markomannenherzog ist kein zuverlässiger Verbündeter. Wir aber, die Semnonen und Cherusker, sollten ein heimliches Bündnis schließen. Unsere Gebiete stoßen aneinander. Ihr Cherusker müßt heute tun, was die Römer verlangen, wir, was Marobod verlangt. Armin befehligt die besten Krieger der Cherusker, Welfo die besten Semnonen. Wieder frei wollen unsere beiden Stämme werden. Damit Armin sieht, wie ernst es Welfo mit dem heimlichen Bunde ist, sendet er mich, seinen Bruder, zu euch. Willst du mich, Sänger, mit dir ziehen lassen?“ „Du bist willkommen, Wulfegar, Wolfrits Sohn, obwohl ich nicht sehe, wie sich unsere Stämme befreien sollen.“
IM NEBEL Gegen Morgen fing es an stark zu regnen, so daß sie beim ersten Heraufdämmern des Tages schnell etwas von ihren Vorräten aßen und aufbrachen. Da sie nur zwei Pferde und einen Esel hatten, mußte einer zu Fuß gehen, und das war heute Olfo, weil er fast einen ganzen Tag Ruhe gehabt hatte. Sie wollten erst einmal aus dem Walde hinaus, um ihre Tiere weiden zu lassen. Vielleicht gab es auch irgendwo eine Hütte, um die vom Regen triefenden Umhänge zu trocknen. Dicht hing der Nebel zwischen den Bäumen. Ein Bächlein lief neben dem schmalen Weg hinunter, und der Lehm war so schlüpfrig, daß die Pferde ihre Hufe vorsichtig setzten. Olfo glitt aus und rutschte ein Stück auf seinem hosenlosen Hinterteil. Das sah so komisch aus, daß sich ihre Regenstimmung wesentlich hob. Bei einer Biegung lag vor ihnen eine sanft geschwungene Wiese, die sich weiter unten im Nebel verlor. Die Pferde begannen die Köpfe zu schwingen, sie waren hungrig. Unter einem hohen Baume saßen die Reiter ab, banden den Tieren den Zaum hoch und ließen sie laufen. Sie selbst hockten sich unter den Baum,
der ihnen Schutz bot. „Söhne!“ begann Asni. „Wir wissen nicht, wie uns die Leute, die hier wohnen, empfangen werden. Darum ist es besser, vorsichtig zu sein. Ich bin wieder der ziellos fahrende Sänger mit seinen. Kindern.“ Wulfegar lachte. „Die Einwohner hier werden allerdings kaum erkennen, daß ihr verschiedene niedergermanische Dialekte sprecht, aber ich? Wahrscheinlich sind die Leute hier Sweben wie ich, und es wird besser sein, wenn wir offen sagen, daß ich ein Semnone bin und daß mich Welfo euch zugeteilt hat.“ „Wozu?“ fragte Herniu. „Asni ist blind, und ihr beiden seid noch nicht waffenfähig, also zu eurem Schütze.“ „Das ist gut“, erwiderte Asni. „Aber wie machen wir es mit dem Weg? Marobod hat uns den längs der Elbe angewiesen. Ist das nicht ein zu großer Umweg? Vielleicht hat er das befohlen, damit wir recht spät zu Armin kommen und nicht verraten können, wo sich Marobods Heer befindet. Als er mir sagte, daß Sentius Saturninus schon am mittleren Main steht, dachte ich gleich: Da wird Armin auch dort sein. Wahrscheinlich kommen die Römer in Eilmärschen an, und wir gehen nördlich an ihnen vorbei und treffen Armin nicht.“ Wulfegar betrachtete befremdet den Blinden: „Du vergißt, Vater Asni, daß ich Semnone bin und Sentius Saturninus mit Armin gerade auf uns stoßen muß, wenn er seinen bisherigen Weg weitermarschiert. Willst du ihm denn mitteilen, wo mein Bruder Welfo steht?“ „Wulfegar, ich bin kein Freund der Römer, ebenso wie Armin, und doch muß er recht bald erfahren, daß Marobod auf ein Bündnis mit ihm nicht eingehen will.“ Wulfegar überlegte. „Du willst also nicht die Elbe entlang ziehen, sondern entgegen dem Wunsch Marobods -“ Sie horchten auf. Schon seit einiger Zeit hörten sie im Talgrunde Geräusche. Sie erkannten, daß es Germanen waren, die mit Geschrei ihr Vieh trieben. „Was bedeutet das?“ sagte Asni. „Am Morgen jagt man doch nicht die Rinder zusammen, sondern läßt sie weiden! Jedenfalls müssen wir nahe einer Siedlung sein. Ein Dach über dem Kopf wäre mir bei diesem Wetter lieb.“ Die drei jungen Männer rannten zu den Reittieren, und bald zogen sie weiter. Schon nach kurzer Entfernung sahen sie Männer Vieh forttreiben. So viele Rinder! Gleich danach tauchten Hütten auf und hinter ihnen eine große Herde, die sich fortbewegte. Wulfegar stieß seinem Pferde die Hacken in die Weichen und galoppierte auf eine Gruppe Bewaffneter zu. „Wohin zieht ihr?“ Die Männer blickten sich um, und einer sagte: „Junger Mann, so begrüßt man bei uns nicht erfahrene Krieger! Wer bist du?“ „Ich bin ein Semnone, Wulfegar, Wolfrits Sohn.“ „Wir haben von Welfo, Wolfrits Sohn, gehört.“ „Er ist mein Bruder.“ „Der Bruder des großen Kriegers ist uns willkommen. Wohin, wir ziehen? Weißt du nicht, daß der Kaisersohn Tiberius über die Donau gedrungen ist? Wo er hinkam, nahm er die Männer der Markomannen weg und führte sie in die Sklaverei. Deshalb haben wir uns aufgemacht. Wir Älteren erleben es schon zum zweiten Mal, daß sie uns aufscheuchen, diese Räuber! Aber wir haben alles hinter uns verbrannt. Wenn auch unsere Hütten, die wir in Bojuheim gebaut hatten, noch neu waren, haben wir sie doch vernichtet.“ „Aber wohin zieht ihr?“ fragte Wulfegar. „Die Elbe abwärts. Hinter dem Gebirge, da soll ein Land mit guten Weiden sein.“ „Ist die Elbe nahe?“ „Man sieht sie nur wegen des Nebels nicht. - Und wer sind die anderen?“ „Ein blinder Sänger mit seinen Söhnen.“ „Ein Semnone also?“ „Nein, ein Cherusker.“ „Noch niemals habe ich einen gesehen. Sie sollen in einem Lande weit im Norden leben, wo die Sonne nie scheint und nur Nebel ist, wie heute hier. Kannst du ihn fragen, ob er für uns singen will, wenn wir am Nachmittag unseren Tagemarsch beendet haben? Wir werden nicht weit ziehen. Gestern mußten wir mehrere Rinder schlachten. Sie hatten Entzündungen zwischen den Hufen von den vielen Märschen.“ Asni, der herangekommen war, sagte: „Ich singe euch, Markomannen. Jetzt aber will ich erst in eine Hütte treten, um den Umhang und die Hose zu trocknen. Seht, das Wasser läuft in Fäden an mir herunter!“
ASNI SINGT DEN MARKOMANNEN Gegen Mittag brach der Blinde auf. Inzwischen hatte sich der Nebel zerteilt, und die Sonne schien warm. Gleich unterhalb der Hütten floß durch grüne Wiesen ruhig und dunkel die Elbe. Jenseits der Flußniederung mit ihren Wasservögeln befanden sich sanft bewaldete Hügel. Herniu war ergriffen, weil dieses Land so sehr seiner Heimat an der Weser ähnelte, nur farbiger und lieblicher war es hier. Eine ihm sonst fremde Weichheit und Sehnsucht nach dem Schönen bemächtigte sich seiner und ließ ihn nicht los. Welch friedliches Bild! Auf den üppigen Uferwiesen graste das Vieh der ziehenden Markomannen, und etwas weiter standen ihre plumpen Wagen in einem Kreise zusammen. Ein paar Ältere kamen Asni entgegen. „Cherusker, wir begrüßen dich. Noch sind viele von uns im Walde, um Holz für die Nachtfeuer zu holen, aber nachher essen wir gemeinsam, und du sollst das beste Stück haben. Dann hören wir deinen Liedern zu.“ Wie anders benahmen sich diese freien Markomannen als die im stinkenden Lager Marobods. Oder gar die verrömerten Höflinge ! Schon auf dem Wege längs der Elbe hatte sich der Blinde überlegt, was er ihnen singen sollte. Nach dem fröhlichen Mahl im Innern des Wagenkreises halfen ihm junge Männer auf eine Karre, die aus Knüppeln eine Plattform erhalten hatte. Dort stand nun Asni, allen sichtbar. Ihm zur Seite saßen zwei Männer und hielten seine Hände, damit er nicht herunterfiele. Der leichte Wind spielte in seinem langen Haar, das seine leeren Augenhöhlen halb verdeckte. Er hob den Kopf: „Weithin waltet der Wehrhafte, der Germanen großer Gott Twisto tief im Waldestal. Die Frame fliegt in des Wildes Flanke, wenn der Wald vom Treiberlärm widerhallt. Doch seine Enkel, Ingo und Irmin und Isk, kehrten die Kräfte zum Kampfe Bruder gegen Bruder. Der Helden Schläge hörte Twisto hallen. Falten des Grams furchten sein Antlitz. Wo waltet der Held, den Enkeln zu wandeln den Sinn?“ Wulfegar, der Asni noch nie gehört hatte, blickte ihn voll Staunen an. War das nur ein Lied aus fernen Zeiten? Oder sang der Blinde von ihnen selbst, den Cheruskern, Markomannen, Semnonen? Asni fuhr fort: „Wehrhaft wuchs der Semnone, des Wolfrit Sohn -“ Wulfegar beugte sich vor. Er kannte das Lied, jede Zeile, bis zu den Worten: „Welfo, wehrhaften Freund des toten Wodal.“ Damit endete Asni aber nicht, sondern sang weiter: „Der Germanen großer Gott Twisto rief im tiefen Tal den Sänger zu singen vom Siege: ,Gezählt ist die Zeit der Römer, wenn zahllos sich meine Enkel sammeln, die heute Säumenden. Sei der Sänger, Blinder, von ihrem Siege! Trotzige Tat durch deinen Mund fordert Twisto!’“ Wulfegar erwachte wie aus einem Traum und blickte sich um. Auch die übrigen waren von Asnis Worten so gebannt, daß zuerst nur wenige die Framen gegen die Schilde schlugen, dann aber ein ungeheurer Lärm anhob. Einer rief in seinen Schild hinein: „Trotzige Tat!“ Andere wiederholten das. Plötzlich aber nahm der Lärm ab, denn eine Frau klomm auf den Wagen, von dem der Blinde eben herabgestiegen war. „Still!“ rief ein Alter. „Die Wala Ehadrud will sprechen!“ Die Wala hob den starken Arm zum Zeichen, daß sie reden wolle. „Trotzige Tat? Wo ist, Männer, eure Tat? Wie das Vieh flieht ihr mit dem Vieh! Dieser, ein Fremder -“, sie zeigte auf Asni, „muß euch erst mahnen!
Eine Frame der Frau gebt mir, daß die Frau, was Mannes Mut ist, Männern zeige! Bleibe, wer nicht kämpfen kann. Die Fähigen aber, die Frame zu führen, mögen folgen der Frau!“ Der Blinde war von der Wirkung seines Liedes betroffen. Es wirkte weiter, als ihm nützlich erschien. Seine Söhne aber fühlten sich von Begeisterung hingerissen. „Was, trotzige Tat?“ rief eine Männerstimme. „Unter wem kämpfen?“ Viele wandten sich ihm zu. Es war ein Alter, der ruhiger fortfuhr: „Wir ehren Ehadrud, die Wala, weil sie stürmisch ist und kämpfen will, wie es manche Frauen der Vorzeit taten. Aber unsere Väter zogen nicht in den Krieg, weil nur einer es forderte. Sie zogen, wenn sie es im Thing beschlossen hatten. Daher fordere ich das Thing!“ Einige murrten, andere schlugen gegen die Schilde. Aus dem Stimmengewirr hob sich eine andere Stimme: „Markomannen, schon neigt sich die Sonne. Nicht mehr heute das Thing! Thunar und Tiu und Twisto machen nicht Wachende weise. Beschlaft es, bevor ihr beschließt!“ Bis tief in die Nacht saßen Männer und Frauen beisammen und stritten heftig darüber, ob die Wehrfähigen zu Marobod ziehen sollten. Eine Frau rief leidenschaftlich der Ehadrud zu: „Was willst du von uns? Wer befindet sich denn hier? Alte und ganz Junge. Die anderen sind schon in Marobods Heer, und Marobod ist unser Herzog!“
ABSCHIED VON DEN MARKOMANNEN Asni war entschlossen, sich durch den Streit unter den Markomannen nicht aufhalten zu lassen. Am Morgen aber kamen mehrere ältere Männer zu ihm: „Cherusker, ist es wahr, daß eure besten Krieger bei unseren Feinden, den Römern, sind und gegen uns ziehen?“ „Es ist wahr. Sie werden von Armin angeführt.“ „Wie kommt es dann, daß du unsere Gemüter mit Wut gegen die Römer erregst?“ „Wir Cherusker dienen nicht freiwillig den Römern und möchten mit euch gegen sie kämpfen.“ „Möchten?“ erwiderte ein Alter erregt. „Wer seid ihr?“ Statt des Blinden antwortete Wulfegar: „Asni ist ein Abgesandter der Cherusker zu Marobod.“ „Und Marobod“, erwiderte der Alte, „hat uns einen Boten gesandt: Wir sollen uns mit dem Cherusker nicht einlassen, der gegen die Römer hetzt und doch von den Römern kommt.“ „Ich komme nicht von den Römern, stehe nicht in ihrem Solde, werde nie -“ Der Markomanne unterbrach ihn: „Du bist unser Gast, Sänger, und bei uns sicher, aber -“ Auch er wurde unterbrochen, denn die Wala Ehadrud eilte mit wehenden Haaren herbei: „Was tadelst du den Sänger? Wir liegen im Kriege gegen die Römer. Hat er versucht, unsere Kampfeslust zu schwächen? Hätten wir einen markomannischen Sänger, er hätte nicht besser für uns singen können!“ Die Männer blickten die stürmische Wala ratlos an. Inzwischen hatte sich der Blinde gefaßt: „Ich sehe, daß Marobod mich nicht unter euch wünscht. Daher werde ich mit meinen Begleitern noch in dieser Stunde aufbrechen. Glaubt mir aber, daß ich euch nicht gesungen habe, um Zwietracht in euren Stamm zu tragen. Ich danke euch für eure Gastfreundschaft.“ Damit waren die Markomannen einverstanden, beeilten sich sogar, den Scheidenden Fleisch und Käse als Reisezehrung mitzugeben, und begleiteten sie ein Stück an der Elbe entlang. Ihre Stimmung schien wieder umgeschlagen zu sein, so daß sie sich geradezu herzlich von den Cheruskern verabschiedeten. Nicht lange danach nahm Wulfegar das Wort: „Kann es nicht sein, daß Marobod auch weiter auf unserem Wege die Elbe entlang Boten ausgesandt hat, um vor uns zu warnen? Das wird uns neue Schwierigkeiten bringen. Daher bin auch ich jetzt der Meinung, wir sollten gleich hier nach Westen abbiegen und versuchen, Armin recht bald zu erreichen.“ „Tun wir das!“ erwiderte Asni. „Wenn ich nur verstünde, weshalb uns Marobod zuerst so lange warten ließ, dann auf nichts einging und uns nun auch noch mit Unfreundlichkeiten verfolgt?“ „Wir kennen ihn schon länger“, antwortete Wulfegar. „Er möchte wie Augustus herrschen, ohne sich um das Stammesthing oder irgend jemand sonst zu kümmern. Das ist ihm freilich noch nicht ganz geglückt.“
EIN WIEDERTREFFEN Die ersten zwei Tage, nachdem sie die Elbe verlassen hatten, war das schönste Sonnenwetter und die Landschaft so lieblich, daß sie zufrieden dahinzogen. Der dritte Tag aber begann mit Regen, und im Laufe des Tages nahm er noch zu. Der Waldboden war so durchweicht, daß sie in den Abend hineinzogen, in der Hoffnung, eine Siedlung und ein trocknes Lager zu finden. Schon begann es zu dunkeln, und die Luft wurde immer diesiger. Da bemerkten sie, daß von der Seite ein Weg mit tiefen Radspuren einbog. Herniu, der heute zu Fuß ging, betrachtete sie genau. „Die Sporen sind neu. Ob hier auch Flüchtlinge mit ihrer ganzen Habe entlanggezogen sind? Dann müßten sie dicht vor uns sein.“ Wenn das stimmte, so würden der Blinde und seine Begleiter alle Hütten der vielleicht nahen Siedlung besetzt finden. Das war aber bei dem Hundewetter keine angenehme Aussicht. Bald hörten sie die Geräusche vieler Menschen, konnten aber in der Dämmerung noch nichts erkennen. Plötzlich wurden sie auf Germanisch angerufen. „Ein Sänger mit seinen Söhnen!“ erwiderte Wulfegar. „Bist du ein Semnone?“ rief es zurück. Inzwischen erkannten sie Wachposten mit Schilden und Framen, die ihnen den Weg versperrten. Bevor Wulfegar antworten konnte, rief eine Stimme von drüben: „Das ist doch der blinde Cherusker! Du kannst natürlich zu uns herein!“ Es stellte sich heraus, daß es die ganze Streitmacht der Semnonen war, die sie zufällig getroffen hatten. Weshalb aber zog sie in dieser Richtung? Sollte sie sich Sentius Saturninus und seinen Legionen entgegenstellen? Dazu war sie zu schwach, wenn sich nicht auch Marobods Hauptheer in der Nähe befand. Ein Wachposten führte die Ankömmlinge zu der Hütte Welfos, den sie aber nicht antrafen, sondern nur Männer seines Gefolges, die nackt herumstanden, da ihre Umhänge am Feuer zum Trocknen aufgehängt waren. Es roch nach nasser Wolle. Gleich darauf trat Welfo ein, reichte Asni und seinem Bruder die Hand, sagte aber nur die herkömmlichen Worte der Begrüßung. Auch nach dem Essen blieb er stumm, bis der Blinde ihn fragte: „Ziehst du in die Schlacht?“ Welfo hob den Kopf und erwiderte kurz: „Nein, ich ziehe in das Sauengebirge.“ Was konnte das bedeuten? Da Welfo augenscheinlich nicht sprechen wollte, fragte Asni nicht weiter. Alle schienen mißgelaunt und legten sich bald nieder, Mann neben Mann an den Seiten der Hütte entlang, während in der Mitte sich andere ausstreckten, um in dieser Regennacht ein Dach über dem Kopf zu haben. Erst am nächsten Tag nach dem Frühstück wandte sich Welfo an den Blinden: „Cherusker, du tust nicht gut, deinen Weg weiterzuziehen. Die Legionen des Sentius Saturninus sind denselben Weg marschiert, den du kamst und haben wahrscheinlich schon das Gebirge von den Quellen des Mains nach Bojuheim überschritten. Armin mit seinen Cheruskern zieht seitlich hinter ihnen heran. Wenn du auf die Römer triffst, traue den Legionären nicht! Sie erschlagen den, der ihnen nicht gefällt, und du würdest kaum Zeit zu Erklärungen haben. Besser ist, du kommst mit mir. Sobald ich durch meine Späher erfahre, daß Armin in unserer Nähe ist, sage ich es dir.“ „Wohin aber zieht ihr Semnonen?“ „Marobod hat uns befohlen, nach Norden auszuweichen. Er selbst zieht nach Osten.“ „Will er also eine Schlacht vermeiden?“ „Vorläufig ja, mehr aber weiß ich nicht, denn er teilt seine Pläne nie mit.“
AHNENTIERE Noch an diesem Vormittag brachen sie auf und bogen bald in die Berge ab, die sich aus der Ebene wie eine laubgrüne Mauer erhoben. Welfo hatte den größten Teil seiner Reiterei nach dem Paß über das Gebirge vorausgesandt, während ein kleinerer unten im freundlichen Flußtale als Nachhut blieb. Zuerst stieg der Weg wenig an, wurde aber dann immer steiler. In Kurven wand er sich den Waldhang hoch, auf dem die Mittagssonne lag und einen Duft von Harz und Kräutern ausbrütete. Der Blinde und seine Söhne zogen mit dem Troß, und die sehr gesprächige Semnonin, die Herniu nach seiner Verletzung gepflegt hatte, erzählte: „Jenseits dieser Berge sind wir auf dem Hermarsch nach Bojuheim
schon gewesen. Dort kannst du Tage und Tage nach allen Richtungen gehen und findest nichts als endlosen Wald. Nicht einmal in den Tälern der Flüsse wohnt ein Mensch. Dieses Gebirge nennen die Leute hier nach den vielen Wildschweinen das Sauengebirge. Sie getrauen sich nicht hinein und behaupten, darin hausten Riesen und Waldgeister.“ „Ich würde gern einmal einen Riesen sehen, Mutter. Ist dir schon je einer begegnet?“ „Mir nicht, aber meiner Urgroßmutter ist etwas anderes Unheimliches begegnet. Einmal kam sie erst nachts vom Pilzesammeln aus dem Walde zurück. Da sah sie am Wasser einen riesigen Hirsch stehen, viel größer als ein Elch, der blickte sie mit feurigen Augen an. Das war wohl ein Sippenahn.“ „Was heißt das, ein Sippenahn?“ „Sprich nicht so laut! Man merkt, daß du lange unter den Römern gelebt hast, sonst müßtest du das wissen. Bei uns Semnonen stammt die Sippe Wolfrits von einem Wolf ab. Dieser Wolf ist ihr Sippenahn.“ - „Und er lebt noch?“ „Wer weiß! Die Sippenahnen sterben nicht. Aber nur wenige Menschen haben einen gesehen. Gewaltig groß und mächtig sind sie. Wer einen erlegen wollte, würde sofort blind werden oder ein anderes furchtbares Geschick haben. Nicht einmal spotten darfst du über deinen Ahn, denn er würde es hören und in der Nacht zu dir kommen!“ Herniu lief ein Schauer über den Rücken. Erst nach einer Weile fragte er: „Und deine Urgroßmutter hat so einen Sippenhirsch gesehen ? Was machte sie denn da ?“ „Sie hat ihre Hände vor die Augen geschlagen, um nicht blind zu werden. Dabei ist ihr der Sack Pilze heruntergefallen. Nach einer Weile hat sie vorsichtig durch die Finger geblinzelt. Nichts war mehr da. Von dieser Zeit ab ist sie aber immer schwächer geworden, in ihren Gliedern hat es gezwackt, bis sie sich nicht mehr aufrichten konnte und ganz krumm wurde. Wenn die Sonne schien, habe ich sie ins Freie getragen. Das konnte ich, obwohl ich noch ein halbes Kind war, so leicht war sie geworden. Und dann ist sie gestorben. Es ist immer ein böses Vorzeichen, wenn man einen Ahn sieht!“ Nach der Schwüle des Aufstiegs wehte auf der Höhe ein angenehmer Wind. Hier wollten die Semnonen bleiben und machten sich daran, notdürftige Hütten zu bauen. Der Abend war so warm und schön, daß sie trotz der Anstrengungen des Tages noch lange im Mondschein sitzenblieben. Herniu sagte zu einem Krieger: „Seit wir wieder bei euch sind, haben wir nichts von Wuorant gesehen.“ „Du meinst den markomannischen Aufpasser, den uns Marobod wie eine Laus in den Pelz gesetzt hatte? Der ist am selben Tage fortgeritten, als wir den Befehl bekamen, nach Norden auszuweichen.“ „Darüber war wohl Welfo sehr zufrieden?“ „Du weißt, daß sein Gesicht nie anzeigt, was er denkt.“ Der Semnone hob lauschend den Kopf: „Was bewegt sich da?“ Auch Herniu hatte etwas gehört. Es war, als ob da jemand herumschliche. Einige Krieger griffen nach Frame und Schild und erhoben sich. Mit ihnen ging Herniu vorsichtig in die Richtung, aus der die Geräusche gekommen waren. Durch das Mondlicht war es hell genug, um bis zu den nächsten Bäumen und Büschen zu sehen. Halb gebückt und sehr langsam schlichen sie. Plötzlich brachen Äste, und hastige Tritte entfernten sich. Herniu war zusammengefahren, die Krieger aber standen aufrecht und blickten nach den Büschen. Einige Blätter bewegten sich im leisen Nachtwind. So warteten sie eine Weile regungslos. Wieder hörten sie Geräusche. Etwas näherte sich. Ein Busch begann sich zu bewegen, als ob jemand einen Zweig fortzöge. Jäh schnellte er in seine alte Lage zurück. Der Mann neben Herniu erhob rasch die Frame und warf sie nach dem Busch. Auch andere Framen sausten hinüber. Wieder hörten sie eine schnelle Flucht. Die Krieger stürmten vor, durchbrachen das Gebüsch und suchten ihre Framen. Augenscheinlich hatten sie nichts getroffen. „Was war das?“ fragte Herniu. „Nachtalben?“ „Ach was!“ erwiderte einer lachend. „Hirsche. Schon als wir zum ersten Male hier waren, störten sie uns jede Nacht. Sie kennen den Menschen nicht und sind wenig scheu. Einmal, als ich nachts aufwachte, funkelte mich einer mit seinen Augen an. Er muß nur wenige Schritte entfernt gestanden haben.“ „Und ist er stehengeblieben?“ „Aber Junge! Weißt du denn so wenig von unseren Jagdtieren.?“ „Aber wenn es ein Ahn war?“ „Ach, das spukt dir im Kopfe herum! Noch niemand hat einen Sippenhirsch gesehen.“ „Du meinst also, es gibt gar keine Ahnentiere?“ „Natürlich gibt es sie. Ich stamme von einem Auerhahn. Aber denkst du denn, die Ahnen zeigen sich für gewöhnlich den Menschen? Was du eben gehört hast, waren Hirsche, ganz einfache Hirsche.“
Herniu fühlte sich gedemütigt, weil er so wenig von den Geheimnissen des Waldes wußte. Gleichzeitig hatte ihn das Erlebnis sehr erregt. Noch als sie lagen, horchte er in die Nacht hinaus und hörte wieder das Brechen der Äste und das Stampfen gewaltiger Hufe und sah Augen riesengroß durch die Äste funkeln. Das aber war wohl schon ein Traum. WO IST SENTIUS SATURNINUS? Täglich zogen Gaue des Semnonenheeres in dem wildreichen Wald auf die Jagd, während die Masse nahe dem steilen Hang vereinigt blieb, um einem Angriff der Römer begegnen zu können. In den ersten Tagen fand der Blinde darin nichts Besonderes. Als jedoch eine Woche vergangen war, wurde er ungeduldig. Betrog ihn der undurchsichtige Welfo? Freilich befand sich der offenherzige Bruder Wulfegar weiter bei Asni. Schließlich ließ er sich zu dem Semnonenführer geleiten, der gleich neben ihm hauste. „Welfo, Wolfrits Sohn, ich habe Klage über dich zu führen. Weshalb hältst du mich hier fest und teilst mir mit keinem Worte mit, wo sich die Römer oder Armin befinden, so daß ich nicht weiterziehen kann?“ „Asni“, entgegnete Welfo, „ich verstehe deinen Vorwurf, aber ich selbst bin auch voller Unruhe. Schon zweimal sind reitende Boten zurückgekehrt und konnten nur melden, daß sie keine Römer fanden und daß auch die Bevölkerung keine gesehen hat.“ „Betrügen sie dich nicht?“ „Wer? Die Leute im oberen Tal der Ogra? Du kennst sie selbst, sie sind ohne Falsch. Erneut verspreche ich, dir sofort zu sagen, sobald ich eine Nachricht habe. Die Römer müssen aus irgendeinem Grunde abgeschwenkt sein und vermutlich weiter im Süden über einen der Pässe des dortigen Waldgebirges ziehen, vielleicht um sich mit dem Heer des Tiberius zu vereinigen. Auch nach diesen Pässen habe ich Reiterabteilungen gesandt.“ „Weshalb schickst du nicht zu Marobod? Sein Land ist es, in das die Römer einbrechen wollen.“ „Aber, Asni, hast du nicht bemerkt, daß er nicht nur dich verächtlich behandelt, sondern auch uns Semnonen? Er beantwortet Anfragen nur mit ausweichenden Worten. Wer weiß, was für Geheimverhandlungen er führt!“ „Die scheint er wirklich zu führen“, erwiderte Asni und erzählte von der rätselhaften Gesandtschaft der Dalmatiner. Dalmatiner? Ich kenne sie nicht einmal dem Namen nach. Wo wohnen sie denn?“ Herniu berichtete, was man ihm darüber gesagt hatte, aber auch das machte weder Welfo noch den Blinden klüger. Nachdenklich sagte Welfo: „Ich habe eine starke Reiterabteilung auch ins Maintal gesandt, wo die Römer vom Spessart fast bis nach Bojuheim einen breiten Streifen abgeholzt haben.“ „Weshalb tun sie das?“ fragte Asni.
„Sie fürchten nichts so sehr wie plötzliche Angriffe aus dem Walde. Daher ließen sie auf beiden Seiten ihrer Vormarschstraße den Wald fällen oder niederbrennen. Irgendwo an dieser Straße muß es bekannt sein, wohin sich die Römer gewandt haben. Ein Heer von sechs Legionen mit Hilfstruppen und langen Nachschubkolonnen kann keine Geheimmärsche machen.“ Das ganze semnonische Lager begann davon zu sprechen, wo sich das römische Heer befinden könnte. Einige Krieger kamen mit ihren Fragen zu dem Blinden und sogar zu dem jungen Herniu. Sie vermuteten, daß diese im Lager Marobods mehr erfahren hätten. Bei der allgemeinen Spannung war es kein Wunder, daß es eine Ansammlung gab, als eine größere Abteilung semnonischer Reiter eintraf. Ihre Pferde waren müde, so daß man annehmen mußte, sie wären in langen und schnellen Ritten hergeeilt und hätten Wichtiges zu melden. Der Anführer weigerte sich, etwas zu sagen, bevor er Welfo berichtet hätte, und auch seine Reiter schwiegen. Selbst als er aus Welfos Hütte wieder heraustrat, sagte er nur: „Fragt uns nicht! Welfo, Wolfrits Sohn, wird auf dem Thing heute gegen Abend zu euch sprechen.“
STREIT UNTER DEN SEMNONEN Selten war ein Thing mit größerer Spannung erwartet worden als dieses. Im Kreise saßen vorn die Anführer der Semnonen, und dahinter drängten sich die Krieger und die Frauen des Trosses. Feierlich zog Welfo mit den Trägern der Feldzeichen, Priestern in mittlerem Alter, in den Kreis. Sie stellten sich vor eine nicht sehr ansehnliche Buche, denn in der Nähe des freien Platzes gab es keinen geeigneteren Baum. Nach alter Sitte trat der Träger des Feldzeichens, das einen roten Wolf trug, vor, stampfte mit dem Stock dreimal auf den Boden und rief: „Das Thing ist eröffnet! Es spreche Welfo, Wolfrits Sohn!“ So klein Welfo von Gestalt war, so mächtig ertönte seine Stimme: „Semnonen! Heute kamen unsere Reiter vom Gau des Hirsches über das Gebirge aus dem Tale des Mains zurück. Sie sollten feststellen, wohin sich die Legionen des Sentius Saturninus gewandt haben. Da erfuhren sie, daß zwei Nächte nach dem letzten Vollmond die Legionen plötzlich umgekehrt und den Main abwärts marschiert sind. Weil aber niemand von der Bevölkerung wußte, weshalb das römische Heer seine Richtung geändert hatte, verfolgten die Hirsche es weiter. Tiefe Spuren hatten die vielen Wagen hinterlassen, so daß ein Irrtum unmöglich war. Sie fanden mehrere Nachtlager und erfuhren von einem krank zurückgelassenen Sklaven, daß auch die Legionäre nicht wußten, weshalb sie überstürzt den Rückmarsch antreten mußten. Viele sprachen davon, es ginge nach dem schönen Italien, denn Kaiser Augustus wäre gestorben. Er ist fast siebzig Jahre. Sofort entstand ein Streit zwischen ihnen, wer der neue Kaiser würde. Sie sprachen mit Haß von der Kaiserin Livia, die ihren Sohn Tiberius auf dem Thron sehen möchte. Tiberius ist ein großer, starker Mann von herrischem Charakter, den niemand mag. Die Legionäre hoffen, daß sie nach Italien marschieren, um Tiberius zu besiegen und seinem allgemein beliebten Neffen Germanicus auf den Thron zu helfen. Das ist alles, was ich bisher hörte.“ Der Gauführer der Elche erhob sich. „Semnonen, wir befinden uns im Kriege mit den Römern. Wenn sie sich untereinander raufen, ist es unser Vorteil. Wir sollten ihnen nachrücken. Das ist mein Vorschlag.“ Der Träger des roten Wolfs antwortete: „Elch, du vergißt, daß wir Semnonen zum Stämmebund der Sweben gehören und. daß Marobod unser Herzog ist.“ „Marobod?“ rief der Elchführer. „Kümmert er sich um uns? Er kann nicht verlangen, daß wir uns um ihn kümmern, wenn er uns ohne Nachrichten läßt!“ Nun erhob sich der Führer der Falken. „Elch! Wie unbedacht du redest! Weißt du, ob uns die Römer nicht eine Falle stellen? Willst du bis zum Rhein ziehen, weit fort von unserer Heimat an der Havel? Weißt du nicht, wie stark die Römer dort sind?“ „Falke!“ schrie der Elch. „Wir liegen hier, Krieger, die keine Krieger sind, sondern nichts tun als jagen! Wo ist der Geist unserer Vorfahren, deren Leben im Kampfe verging!“ So stritten sie hin und her, während Welfo regungslos vor dem Baume stand. Plötzlich hob er die Frame zum Zeichen, daß er sprechen wollte. „Semnonen, was soll das? Sind wir stark genug, es allein mit Legionen aufzunehmen? Die Ungeduld, zum Kampfe zu kommen, kann gut sein, aber Ungeduld ohne klares Ziel ist Narrheit. Ich habe Boten zu Marobod gesandt, die ihm sagen, was wir erfahren haben, und ihn nach seinen Entschlüssen fragen werden. Bis zu weiteren Nachrichten bleiben wir hier, wo es reichlich Wild gibt und wir täglich satt werden!“
Während Herniu den Blinden vom Thing führte, sagte er: „Vater, wir haben genug Fleisch, wie es Welfo sagte, und doch bleibe ich stets hungrig. Als ich bei den Römern war, aß ich viel weniger und wurde dabei satt.“ „Ja, Herniu, das geht hier vielen so. Dagegen gibt es ein altes Mittel unserer Väter: Iß rohes Fleisch oder auch etwas aus den Därmen des Wildes! Bald werden wir wieder in Gegenden kommen, wo es Viehwirtschaft und Milch gibt. Dann geht dieser Hunger weg.“ DER HERMUNDURE LIUTIPRANT Es war drei Tage später, als Herniu zwei Reiter mit einem älteren Mann ankommen sah, der nur Fetzen eines Umhangs trug und überhaupt sehr verwahrlost erschien. Die Reiter saßen vor Welfos Hütte ab und verschwanden mit dem Fremden darin. Kurz darauf kam einer der Semnonen wieder heraus und fragte Herniu: „Weißt du, wo sich Asni befindet? Welfo möchte, daß er bei dem Gespräch“, er deutete mit dem Kopf nach der Hütte, „zugegen ist.“ „Ich bringe ihn sofort.“ Die Hütte Welfos bestand aus schräg in den Boden gerammten Stämmen, die eine Art Zelt mit einem dichten Laubdach bildeten. Beim Eintritt des Blinden sagte Welfo: „Setze dich zu mir, Asni! Vor dir steht der Hermundure Liutiprant, den unsere Reiter in der Ebene Bojuheims getroffen haben. Erzähle du selbst deine Geschichte!“ „Ich kenne dich, blinder Cherusker“, begann der Hermundure und blickte Asni aus seinem abgemagerten Gesicht ernst an. „Woher kennst du mich?“ „Aus dem Lager Marobods. Ich bin ein Hermundure von der Sippe des Habichts. Als Marobod unser Land verheert hatte, forderte er Geiseln, und daher mußte ich mit ihm nach Bojuheim ziehen. Zuerst befanden wir uns in seiner Burg auf einem Hügel, der auf drei Seiten von einem Fluß umgeben ist. Dort hat er seine Frauen, seine Kinder und seine Schätze. Dieser Ort heißt Maroburg. Als ihn dann die Römer bedrohten, begab er sich mit dem gesamten Aufgebot der Markomannen dorthin, wo auch du gewesen bist. Hier hielt man uns abseits vom Herzog, denn er ist mißtrauisch und fürchtet, daß wir von seinen Verhandlungen erfahren.“ „Verhandlungen?“ fragte Welfo. „Er kann doch nicht den ganzen Tag verhandeln!“ „Du, Wolfrits Sohn, sprichst wie ein echter Germane, das aber ist Marobod nicht. Keiner von uns hat ihn je mit der Frame in der Hand auf die Jagd ziehen sehen. Man sagt sogar, er verstünde nichts vom Kampfe. Stattdessen beschäftigt er sich damit, Gesandtschaften und Boten mit geheimen Aufträgen abzusenden und zu empfangen. Er verachtet unsere alten Sitten und möchte am liebsten ohne das Thing regieren wie ein römischer Feldherr in einem eroberten Lande. Dadurch hat er sich auch unter den Markomannen unbeliebt gemacht, und wir erfuhren einiges von den Kriegern. Sie mißtrauen seiner Kriegskunst und möchten nicht unter seiner Führung gegen die Römer kämpfen. Wie soll jemand etwas von der Schlacht verstehen, der noch nie in einer war? Er scheint übrigens seiner eigenen Fähigkeit darin nicht zu trauen, und bald, nachdem es sicher war, daß Tiberius und Sentius Saturninus ihn angreifen wollten, begann ein lebhaftes Kommen und Gehen von Gesandtschaften. Zuerst wußten wir nicht, was die Fremden für Leute waren, denn sie redeten in einer uns unbekannten Sprache. Bald aber bekamen wir heraus: Es waren Pannonier von jenseits der Donau und ihre Nachbarn im Süden, die Dalmatiner. Beide Völker waren von Augustus und Tiberius unterworfen worden, und bei ihnen schwelte der Haß gegen die Aussauger. Der Herzog Marobod wollte sie zum Aufstand gegen die Römer gewinnen.“ Welfos Gesicht verzerrte sich häßlich, wie immer, wenn er lachen wollte: „Gut, Hermundure! Wenn die Pannonier und Dalmatiner aufstehen und sich Marobod mit dem ganzen swebischen Bund gegen Tiberius wirft, so werden sich auch andere Germanenstämme uns anschließen.“ Er nickte Asni zu, denn er hatte vergessen, daß der Sänger nicht sehen konnte. „Wenn das so wäre“, erwiderte Liutiprant düster, „so würde ich noch bei Marobod sein.“ „Was willst du damit sagen?“ fragte Welfo. „Jetzt, wo Augustus tot ist und seine Erben um die Macht kämpfen, können wir Germanen zusammen mit den Pannoniern und Dalmatinern die Legionen an Donau und Rhein vernichtend schlagen!“ „Augustus tot?“ fragte der Hermundure überrascht. „Wer erzählt das?“ „Weshalb zieht sonst Sentius Saturninus so eilig an den Rhein zurück?“ „Das will ich euch sagen. Weil sich alle Pannonier und Dalmatiner erhoben haben. Sie erschlugen die römischen Beamten, kreuzigten die verhaßten Steuereintreiber und stehen Tiberius im Rücken.
Hunderttausend Krieger sollen sie unter den Waffen haben. Es ist der größte Aufstand, den die Römer bisher erlebten. Aber Marobod -“ Er wandte verzweifelt sein Gesicht ab. „Was ist mit Marobod?“ fragte Welfo und beugte sich vor. „Er verhandelt jetzt mit den Römern und hat ihnen versprochen, sich still zu halten, wenn sie versprechen, daß die Legionen ihn nicht wieder angreifen.“ „Aber“, rief Welfo entsetzt, „das ist doch Verrat an den Pannoniern und Dalmatinern!“ „Und auch Verrat an uns Germanen!“ Welfo starrte den Hermunduren an. „Und deshalb bist du aus Marobods Lager geflohen?“ Liutiprant nickte. „Und du, Welfo, stehst in Marobods Dienst! Wirst du mich ihm ausliefern?“ Welfo überlegte. „Ein Verräter an der germanischen Sache könnte auf meine Hilfe nicht rechnen. Wenn aber deine Worte, Hermundure, wahr sind, werde ich dich nicht ausliefern.“ „Meine Worte, Wolfrits Sohn, sind wahr, das schwöre ich bei Wuotan, dem Gott des Todes und des Lebens!“ „Was aber, Liutiprant, sind deine Pläne?“ „Gefährlich ist, was ich dir erzähle, aber ich weiß, wer du bist, Welfo. Deshalb sage ich es dir. Ich kann zu meinem Volke nicht zurückkehren, weil es mich als Geisel zu Marobod sandte und mich ihm ausliefern müßte. Ich habe mir jedoch geschworen, an Marobod für seinen Verrat Rache zu üben, und suche einen Germanenstamm, der mich aufnimmt und mich die Rache vorbereiten läßt.“ „Diese Rache, Liutiprant, richtet sich nicht nur gegen Marobod, sondern auch gegen die Römer. Willst du, blinder Asni, den Hermunduren in deine Hütte als Gast aufnehmen, bis wir wissen, ob seine Worte wahr sind?“ „Er sei mein Gast!“ erwiderte der Sänger.
AUFBRUCH VON DEN SEMNONEN Die jungen Leute, Wulfegar, Herniu und Olfo, betrachteten ihren neuen Hüttengenossen Liutiprant zuerst kühl, weil sein Gesicht ihnen zu streng erschien. Jedoch schon am ersten Abend war das Eis gebrochen, denn dieser Hermundure war weit herumgekommen und konnte gut erzählen. Er liebte es, die Jugend zu belehren, und tat das in einer freundlichen Art. Herniu hatte sich in letzter Zeit recht verändert. Früher rühmte er sich gern, wie er die römischen Legionäre an der Nase herumgeführt hatte, um sich Vorteile zu verschaffen. Nun aber verachtete er sein früheres Leben, und dazu hatte unwissentlich der Blinde beigetragen. Wenn er in seinem Liede vom Boten Twistos die Worte sang: Nicht närrisch war der Narr, gesunder Geist gehorchte ihm, huldreich zum Ufer half er Haduger, so durchrieselte den Jungen ein Schauer der Ergriffenheit. Er, dieser kleine Schmarotzer bei den Legionären, erschien hier als Held! Es gab auch Hörer, die wußten, daß er gemeint war, und die ihn daher mit Freundschaft und Achtung behandelten. Darum blieb ihm nichts anderes übrig, als auch wirklich dieser Held zu sein, ein schlauer Held, der sich verstellt und lügt, aber doch mit einem großen Ziel, der Rache an den Römern. Während das sein Selbstbewußtsein hob, erkannte er gleichzeitig, wie wenig er von der Jagd und dem Kampf verstand, daß er sogar die Vorstellungen der Germanen zum Teil nicht kannte. Seine Unerfahrenheit hatte er auch zu fühlen bekommen, als ihn der Eber verwundete. Sein Freund Olfo war durch den Verlust seines Vaters ebenfalls zu früh aus der Erziehung der Eltern herausgerissen worden. Daher schlössen sich beide Liutiprant an. Schon am nächsten Tage gingen sie zusammen mit mehreren Semnonen auf die Jagd, die hier besonders leicht war, weil der Wald licht stand und es viel Hochwild gab. Schon als die Sonne den höchsten Punkt erreicht hatte, war die Strecke in zwei Reihen aufgelegt, und die Jäger aßen die inneren Teile roh, die ihnen nach der alten Sitte zustanden. Danach zogen sie in langer Reihe mit der Beute zurück. Als sie in die Nähe des Lagers kamen, erwartete sie zu ihrem Erstaunen am Pfade der Blinde auf einem Esel und drei semnonische Krieger.
Einer der Krieger winkte Liutiprant und die jungen Leute herbei, legte den Finger auf den Mund und sagte leise: „Hier ist ein Sack mit Lebensmitteln, den euch Welfo schickt. Übernehmt die bereitgehaltenen Pferde Das übrige erfahrt ihr von Asni.“ Liutiprant machte ein finsteres Gesicht und ließ erst die letzten Jäger mit ihrer Beute vorbeiziehen, bevor er sprach: „Ich ahne, was geschehen ist. Hier hat Marobod die Hand im Spiele!“ „Deine Ahnung trügt dich nicht“, erwiderte der Blinde. „Heute vormittag traf Wuorant ein, der schon einmal von Marobod geschickt wurde, um die Semnonen zu überwachen. Er weiß noch nicht, daß du hier bist. Da dich Welfo nicht an Marobod ausliefern will, gibt er dir den Rat, zu dem Cheruskerfürsten Sigimär zu ziehen.“ „Welfo ist also jetzt überzeugt, daß ich die Wahrheit gesagt habe?“ „Ja, und er hat auch erfahren: Du bist ein Bruder des Wibiliu, -des Fürsten der Hermunduren, und Marobod fahndet nach dir, um dich als wichtigsten der Geiseln wieder in seine Hand zu bekommen. Darum sollen wir sofort möglichst weit reiten, damit uns die Semnonen nicht einholen, denn auch sie ziehen nach Norden.“ „Nach Norden?“ fragte Wulfegar erstaunt. „Ja, in ihre Heimat, an die Havel. Marobod entläßt sein ganzes Heer, weil er mit den Römern Frieden geschlossen hat.“
Schildbelehnung
ZUM LANDE DER CHERUSKER
B
ABEND erreichten sie keine Siedlung und hatten auch keine erwartet, denn das Sauengebirge und der unabsehbare Wald in seinem Norden galten als völlig menschenleer. Die jungen Leute trugen Holz zu einem Feuer zusammen, und alle setzten sich darum. Nach dem Mahle sagte Liutiprant: „Mir ist diese Richtung lieb, die wir ziehen, denn hier treffe ich keine Hermunduren und vor allem nicht meinen Bruder. Er soll Marobod ehrlich sagen können, daß er nicht weiß, wo ich mich befinde und ob ich noch lebe. Denn Marobod ist in seiner Rache furchtbar, und unser Stamm hat viel unter ihm gelitten. Unsere Gaue wandern zum Teil noch heute verstreut auf der Suche nach Weide für ihr Vieh, weil er sie vertrieben hat. - Aber sagt mir: Weshalb zieht ihr diese Richtung? Armin befindet sich doch eher am Rhein.“ „Eben deshalb“, erwiderte der Blinde. „Wuorant hat Welfo gesagt, daß der Aufstand der Pannonier und Dalmatiner so gewaltig ist, daß die Römer fast alle Legionen und Hilfstruppen vom Rhein an die Donau ziehen. Mein Auftrag war, ein geheimes Bündnis zwischen Marobod und Armin zustande zu bringen. Unterdessen weiß Armin sicher vom Verrat Marobods. Welfo fürchtet auch, daß der Herzog den Römern unsere Gesandtschaft verraten hat, und warnte mich, den Weg zu Armin zu versuchen. Daher gehen wir zu seinem Vater Sigimär.“ „Wird er mich als Flüchtling aufnehmen?“ „Du kennst ihn nicht, sonst würdest du diese Frage nicht stellen. Der guten Aufnahme bei ihm bist du gewiß.“ IS ZUM
Gegen Abend des folgenden Tages öffnete sich der Wald zu grünen Auen, auf denen Vieh weidete. Welchem der germanischen Stämme aber mochten diese Viehzüchter angehören? Liutiprant fand es bedenklich zu sprechen, da man ihn als Hermunduren erkennen könnte. Er schlug vor, daß Wulfegar das Wort führte, der als Semnone zum swebischen Bund gehörte und unverdächtig war. „Auch du, Asni, wirst hier kaum Feinde finden. Euer Stamm lebt weit genug entfernt und hat nie hierher einen Feldzug unternommen.“ „Laßt mich schweigen!“ erwiderte der Blinde düster. „Und ihr sagt nicht, daß ich ein Sänger bin!“ „Weshalb nicht?“ fragte Wulfegar. „Man ehrt in allen germanischen Landen die Sänger.“ „Mein Wort wollte die Germanen gegen die Römer zusammenrufen, aber nach dem Verrat Marobods ist mein Wort versiegt. Nun kann es lange währen, bis das Römische Reich wieder in solcher Gefahr ist und ein großer Bund von Völkern gegen es zusammenkommt.“ „Deshalb muß Marobod gestürzt werden!“ sagte Liutiprant hart. „Und wir müssen wieder anfangen, einen Bund zusammenzubringen!“ „Dazu brauche ich neue Lieder“, antwortete Asni. „Noch bin ich dazu nicht bereit.“ Die Menschen, die sie trafen, waren anfangs mißtrauisch, denn sie hielten die Ankömmlinge für Markomannen. Als sie aber die Cherusker in ihrer niedergermanischen Mundart sprechen hörten, wurden sie rasch freundlich, und es zeigte sich, daß sie zum Stamme der Hermunduren gehörten. Sie erzählten, wie Marobod sie immer wieder aufgejagt und vertrieben und außerdem übermäßige Abgaben von ihnen verlangt hatte. „Mögen doch die Römer kommen!“ sagte ein Alter. „Sie wohnen weit weg und ziehen auch wieder ab. Wenn sie sich nur diesen Herzog Marobod mitnehmen! Auch gegen euch Cherusker haben wir nichts, aber befreit uns von den Markomannen!“ Asni saß mit gesenktem Kopfe, seine Kappe wie gewöhnlich tief über die Augen gezogen. Ihn erregte es, daß die Hermunduren bereit waren, Rom um Hilfe zu rufen. Schon einmal hatten sie das getan, ebenso wie die Semnonen. Auch Asni haßte Marobod, aber waren die Römer nicht die viel mächtigeren Feinde? Wie sollte er das den Leuten hier klarmachen, die fern von Rhein und Donau keinen Begriff von der Knechtung unter den Römern hatten?
SWIDUN, DER SCHWACHE Am folgenden Tage bogen sie im weiten Flachland nach Westen ab. Nun bestand keine Gefahr mehr, daß sie von den Spähern Wuorants eingeholt würden. Daher reisten sie langsamer. Eines Abends erreichten sie die erste cheruskische Siedlung und ritten zu der stattlichsten Hütte. Hier wurden sie mit großer Gastlichkeit empfangen. Bald, nachdem sie ihre Tiere auf die Weide gelassen hatten, kam ein Alter am Stock zu Asni und fragte: „Bist du der blinde Sänger unseres Volkes?“ Auf Asnis Kopfnicken bat der Greis: „Singe uns! Unsere jungen Leute haben noch nie einen richtigen Sänger gehört. Hier wohnt ein junger Mann, der nicht zum Kriege und nicht einmal zur Jagd taugt, aber ein Gedächtnis hat wie sonst keiner. Wenn du dann fort bist, kann er uns deine Lieder wiederholen, sooft wir wollen.“ Asni wollte nicht singen. Der Alte aber ließ sich von seinem Gedanken nicht abbringen, humpelte eilig vondannen und kam mit einem jungen Menschen zurück, den er fast mit Gewalt vor Asni zerrte. „Hier ist Swidun, der Schwache.“ „Komm näher zu mir!“ erwiderte Asni. „Wir Blinden sind auch neugierig, und aus der Stimme allein kann man nicht alles über einen Menschen wissen.“ Er tastete den muskelschwachen Swidun mit den großen, ängstlichen Augen ab, und Mitleid ergriff Asni mit diesem zu jeder Mannesarbeit untauglichen Menschen. Er hatte einen Sohn gehabt und seinen Verlust nie verschmerzt, so daß er auch zu niemand von ihm sprach. Trotz der völligen Verschiedenheit der beiden empfand Asni Swidun, den Schwachen, wie seinen verlorenen Sohn, so daß er dem Alten sagte: „Ich singe euch zwei Lieder, heute eins und morgen eins. Das erste kannst du, Swidun, immer singen, das andere nur, wenn es Zeit ist. Dann aber trage es überallhin!“ „Vater!“ erwiderte Swidun, „was heißt: Wenn es Zeit ist?“ „Hast du keinen Verstand, Swidun, daß du den Geist der Zeit nicht begreifst?“ Swidun dachte nach. „Ich habe es begriffen“, sagte er leise und blickte Asni mit weit geöffneten Augen an, einem Blick, der Herniu beeindruckte. Der Alte scheint große Stücke auf ihn zu halten, dachte Herniu. Was aber ist das, was erst gesungen werden soll, wenn es Zeit ist? Unterdessen humpelte der Alte fort, um alle Bewohner der Siedlung zusammenzurufen. Swidun aber schien schon von der kleinen Anstrengung des Herkommens und Stehens so ermattet, daß er sich auf den Boden hockte, die Beine eng an den Leib zog und den Kopf mit dem dichten Haarbüschel auf die Knie legte. Es kam selten vor, daß so schwächliche Menschen aufwuchsen. Die Germanen waren in solchen Fällen nicht gefühlvoll und fanden nichts Schlechtes darin, Kümmerlinge in den Wald zu bringen und ihrem Schicksal zu überlassen. Wer zu Jagd und Kampf nicht taugte, galt nicht als Mensch. Asni wurde vor den heiligen Baum geführt und sprach im Stehen zu dem Kreis der Männer, Frauen und Kinder, während neben ihm zusammengekauert Swidun am Baumstamm saß. Asni begann: „Wehrhaft wuchs der Semnone, Wolfrits Sohn -“ Nachdem er geendet hatte, schlugen die freien Männer, die mit Waffen gekommen waren, ihre Framen gegen die Schilde. Wulfegar konnte die Frage nicht unterdrücken: „Weshalb singst du, Cherusker, von unserem Stamm und nicht von deinem?“ „Es ist das Lied der Freundschaft, und wenn ich es unter Cheruskern singe, nicht nur der Freundschaft zwischen Welfo und Wodal, sondern auch der Freundschaft zwischen den Cheruskern und euch Semnonen. Diese Freundschaft brauchen wir, wenn wir uns befreien wollen. Aber Swidun!“ Er wandte sich zur Seite. „Kannst du wiederholen, was ich gesungen habe?“ Swidun versuchte sich am Baumstamm in die Höhe zu schieben. Der Alte jedoch rief ihm zu: „Bleibe sitzen! Wir wollen dich nur hören!“ Der Muskellose Öffnete weit den Mund und sagte klingend: „Wehrhaft wuchs der Semnone, Wolfrits Sohn -“ Staunend lauschte ihm Asni. Noch nie hatte er eine so edle, tönende Stimme gehört, und jedes Wort hatte Swidun genau bewahrt. Noch betroffener als er war Herniu. Schon wollte er den Blinden bitten, diesen sonderbaren Swidun mitzunehmen, damit er noch mehr lernte und eines Tages die Cherusker in allen Gauen aufriefe. Aber konnte der Schwache bis zur nächsten Siedlung gehen? Vielleicht konnte er sich nicht einmal auf einem Pferde halten. Was übrigens wollte Asni morgen singen?
Es war das Lied von der Blendung des Boten und dem Zauberspruch Twistos: Trauer trag Treue! Schmerz schaffe Stärke! Weh werde Wohllaut! Als Swidun diese Worte hörte, begann er heftig zu weinen. Es war wie für ihn gesungen. Bei den nächsten Sätzen aber, der Aufforderung an die germanischen Stämme, sich gegen die Römer zu einigen, hob er den Kopf mit den noch feuchten Augen und blickte Asni begeistert an. Am späteren Abend schob er sich neben den Blinden und sagte leise: „Vater Asni, jetzt verstehe ich noch besser, was du meinst und wann ich dieses Lied singen soll. Nun weiß ich auch, wozu mein elendes Leben gut ist!“ BEI SIGIMÄR Schon zogen sie an der Weser entlang, wo zu beiden Seiten waldige Höhen den ruhig dahinziehenden Fluß begleiteten und hoch am Himmel mit schmalen Flügeln schlanke Reiher kreisten. Olfo versuchte seit Tagen, von Herniu zu erfahren, wie es bei Armins Vater Sigimär aussähe. Der sagte jedoch nur: „Wie überall.“ So aber konnte es sich Olfo nicht vorstellen, denn Sigimär galt als der mächtigste Fürst im mächtigen Stamme der Cherusker. Unwillkürlich dachte sich Olfo Sigimär wie den unangenehmen Marobod in seinem Heerlager. Bei einer Krümmung des hier engen Tales sahen sie auf einem steilen Hügel einige schilfgedeckte Hütten. „Dort haust Sigimär“, sagte Herniu. Liutiprant, der Weitgereiste, erkannte sofort, daß Sigimär in altgermanischer Weise lebte, und das gefiel ihm nach seinen schlechten Erfahrungen mit dem Markomannenherzog. Hier schienen nicht einmal Krieger Wache zu stehen. Wirklich, es hielt sie niemand an, so daß sie ungefragt zu der sehr langen Hütte Sigimärs kamen.
„He!“ rief Herniu hinein. „Gäste!“ Aus der Hütte trat eine ältere Frau, barfuß, aber in einem buntbestickten Leinenhemd. „Ach, ihr seid es, Asni und Herniu!“ Ihre Bewegungen hatten etwas Schweres und Feierliches. Das muß Sigimärs Frau sein, dachte Liutiprant. Wer sonst kann ein so feines Hemd tragen? Sie fuhr fort: „Sigimär ist unten am Fluß. Man wird euch die Pferde abnehmen. Setzt euch! Ruht euch aus!“ Das war die althergebrachte Begrüßung. Sie setzten sich vor die Hütte auf eine Bank. „Hier habe ich gesessen“, sagte Asni, „als Herniu mich geblendet hierhergebracht hatte. Sigimär saß neben mir und hatte
gute Worte -“ „Asni!“ rief eine Stimme, „Freund, willkommen!“ Eilig kam ein Mann den Berg herauf, nur mit einer Hose bekleidet, nicht mehr jung, aber schlank und kräftig. Asni erhob sich. „Da bin ich endlich wieder, Sigimär.“ „Wen bringst du mir da, Asni?“ Liutiprant trat einen Schritt vor. „Sigimär, Sohn des Hariomär, ich bin ein Flüchtling und erbitte deine Gastfreundschaft.“ Sigimär fragte mißtrauisch: „Weshalb mußtest du fliehen? Hast du einen freien Mann erschlagen? Warum wandtest du dich nicht an deine Sippe? Sie hätte für dich die Buße gegeben.“ „Ich bin kein Übeltäter, Sigimär, sondern war Geisel bei Marobod.“ „Geisel für wen?“ „Für meinen Bruder Wibiliu, Sohn des Liutiger.“ „Ich weiß nur von einem Wibiliu, Sohn des Liutiger. Er ist Fürst bei meinen Nachbarn, den Hermunduren.“ „Das ist mein Bruder.“ „Wie willst du das beweisen? Und weshalb flohst du vom Hofe Marobods?“ „Weil er ein Verräter ist und wir gegen ihn kämpfen müssen!“ „Gegen ihn? Nicht gegen die Römer?“ „Gegen ihn, weil er uns vom Kampfe gegen die Römer abhält und sogar einen Vertrag mit ihnen geschlossen hat.“ „Das glaube ich nicht!“ rief Sigimär heftig. „Ich bestätige es“, sagte Wulfegar. „Mein Bruder Welfo, Wolfrits Sohn, Anführer der Semnonen, sendet mich zu dir.“ „Du bist des berühmten Welfo Bruder? Asni, stimmt es, daß Männer zweier so wichtiger Stämme des swebischen Bundes vor mir stehen?“ „Es stimmt.“ „Dann sei willkommen, Sohn des Liutiger! Betrachte mich als deinen Bruder! Und auch du, Wolfrits Sohn! Solange ihr bleiben wollt, werdet ihr an meinem Tische essen. - Wer aber ist der Jüngling da?“ „Es ist Olfo, ein Sugambrer“, erwiderte der Blinde. „Er hat mich zusammen mit Herniu zu Marobod begleitet. Dein Sohn Armin versprach ihnen, sie mit dem Schilde zu belehnen, wenn sie seinen Auftrag gut erfüllten. Sie haben es gut getan, wir aber wissen nicht, wo sich Armin befindet.“ „Er steht mit der Mannschaft der Cherusker an der Donau“, erwiderte Sigimär mißmutig. „Das aber soll den beiden Jungen nicht schaden. Ich sehe, sie sind schon Männer und kräftig. So werde ich sie mit Schild und Frame belehnen.“ KAMPFÜBUNGEN Herniu und Olfo brauchten zur Einführung in die Gemeinschaft der Männer einen, der sie noch manches lehrte, und da Asni wegen seiner Blindheit dazu nicht fähig war, übernahm es Liutiprant. Jeden Tag übten sie zusammen mit anderen jungen Leuten Wettlauf, Hoch- und Weitsprung und den Gebrauch der Frame und des Schildes. Dann schlossen sie sich gewappnet zu einer Linie und mußten sich dabei so eng stellen, daß die gewölbten Schilde eine einzige Wand bildeten. Über sie ragten die hochgereckten Arme, die Frame nach vorn gerichtet, um mit ihr nach Kopf und Schulter des Gegners zu stechen. Nachdem sie das genügend geübt hatten, stellte Liutiprant alle hintereinander auf, vornhin Olfo als den stärksten. „Nun“, sagte er, „rennt auf mich zu, als ob ich der gegnerische Schlachthaufen wäre!“ Olfo rannte, so schnell er konnte. „Schlecht!“ rief Liutiprant. „Zurück! Wenn du, Olfo, so vorwärts stürmst, wirst du bald von allen andern getrennt sein. Das Wichtige an dieser Kampfart ist, daß ihr zusammenbleibt, so daß nach dem ersten Zustechen des vordersten Gliedes die hinteren mit der Gewalt ihrer Masse den Gegner über den Haufen werfen, üben wir das zuerst ohne Waffen!“ Nun stellte er die Mannschaft so hintereinander, daß jeder seine Hände an den Rücken der Vorderen legte, und ließ sie so ein Stück rennen. Darauf teilte er sie in zwei Abteilungen, die er gegeneinanderlaufen ließ. Die Vordersten prallten aufeinander, und von hinten drückten die anderen, bis Olfos Reihe zurückwich und die anderen lachend riefen: „Sieg!“ „Noch immer nicht gut genug!“ sagte Liutiprant. „Ihr müßt langsamer zu rennen beginnen, schneller werden und im Augenblick des Zusammenpralls mit äußerster Kraft von hinten schieben. Also noch einmal!“
Diesmal prallten die Reihen mit Wucht aufeinander, und Olfos Abteilung warf die andere, wobei auch Olfo und zwei hinter ihm über den Haufen der Besiegten stürzten. Beim Aufstehen blutete einem die Nase. Ein anderer betastete seine Brust. Liutiprant sah es und befühlte die Stelle. „Dir haben sie eine Rippe oder zwei gebrochen. Das tut ein bißchen weh beim Atmen, aber heilt von selbst wieder. Du stellst dich jetzt ganz ans Ende, da kann dir nichts geschehen! Nun werde ich euch zeigen, wie man sich gegen das Brechen der Rippen schützt. Nehmt die Schilde auf! In der Schlacht schiebt man nicht mit den Händen, sondern mit dem Schilde. Wenn es dann zum Pressen kommt, legt ihr euch mit aller Kraft in ihn hinein. Er schützt eure Brust mit seiner Rundung. Nach mehreren Stößen dieser Art waren alle so außer Atem, daß Liutiprant ihnen erlaubte, sich auf den Boden zu setzen. Dabei erklärte er ihnen etwas Neues: „Denkt euch einmal, daß ihr einen großen Haufen bildet, zwanzig Mann breit und dreißig Mann tief! Wenn zwei solcher Gruppen aufeinanderprallen, dreht es in der Pressung die Männer. Sie können dagegen nichts tun. Manche hebt es in die Höhe. Die Luft geht ihnen aus, und nun wissen sie nicht mehr, wohin sie drücken sollen. Wie können sie dann ihre Richtung feststellen?“ „Sie blicken nach ihrem Feldzeichen“, rief einer. „Seht ihr! Jetzt wißt ihr, weshalb der Priester, der das Feldzeichen trägt, ein so starker Krieger sein muß. Er befindet sich ziemlich weit hinten, um nicht zu sehr gepreßt zu werden, denn sonst dreht es auch ihn, und er verliert die Richtung. Er muß aber das Feldzeichen so halten, daß alle es sehen können. Wohin der Kopf des Tieres zeigt, dahin müssen alle weiterdrücken.“ Nach diesen einfachsten Übungen im Stoßblock lehrte Liutiprant die jungen Leute das Vorgehen über einen Graben, bei dem die Masse leicht durcheinanderkommt. Ein anderes Mal übten sie das plötzliche Zurückweichen des Blocks, wobei der Anführer vorn die Frame hoch in die Luft stieß. „Ihr müßt verstehen“, sagte Liutiprant, „daß es eine Schande ist auszureißen. Wenn man aber nur scheinbar ausreißt, um wieder vorzustoßen, so ist das eine List und ehrenhaft. Weicht der Block plötzlich zurück, dann denkt der Gegner, er hat gesiegt und stürmt in Unordnung weiter. Nun aber schließt sich unser Block rasch wieder und stößt erneut vor.“ Bei dieser Übung kam keiner ohne Schrammen davon. Sie aber lachten und wiesen einander stolz, was sie abbekommen hatten. An den Abenden freilich saßen sie nicht lange am Feuer, sondern legten sich mit schmerzenden Gliedern bald schlafen. Als letztes zeigte Liutiprant, wie die Römer angriffen. Dazu ließ er die jungen Männer in Linie aufmarschieren, ein Stück vorlaufen, rasch halten, die Frame werfen und dann mit dem kurzen Schwert vorstürmen. Da sie jedoch keine Schwerter hatten, konnten sie es nur mit leeren Händen tun. „Weshalb“, fragte einer, „machen wir es nicht wie die Römer?“ „Überlege dir einmal“, erwiderte der Hermundure, „woher du die vielen Schwerter nehmen willst! Hier an der Weser ist eine Schmiede. Unsere Schmiede könnten wohl Schwerter hämmern, aber woher käme das viele Eisen! Es reicht gerade, um unsere kurzen Framenspitzen zu schmieden und für einige wenige Schwerter. Bei den Römern ist das etwas anderes. Sie haben Bergwerke, in denen Sklaven arbeiten, die schon nach wenigen Jahren verrecken, weil sie nie richtig ans Licht kommen. Willst du, daß Sigimär euren Stamm so versklavt, daß er euch die Freiheit nimmt und im Berge verrecken läßt?“ Erschrocken hörte Herniu diese Worte. Er, der so lange unter den Römern gelebt hatte, war noch nie auf diesen Gedanken gekommen. Ja, die Germanen hatten nicht alles, was die Römer besaßen, dafür aber führten sie ein ungebundenes Leben. STREIT MIT SEGEST Nun kam der große Tag der Schildbelehnung heran. Zwei Tage zuvor brachen Sigimär und seine Gefolgschaft, Asni, Wulfegar, Liutiprant mit Herniu und Olfo auf. Ihnen folgten zwei Wagen mit Lebensmitteln und auch Fellen, um darin zu schlafen. Weithin schlängelte sich der Weg an der Weser entlang. Gegen Mittag trafen sie einen Zug älterer Männer und noch unbewaffneter Jünglinge, die in langgezogenen Tönen sangen. Bald wurde jedoch der Weg so steil, daß ihnen der Atem ausging. Das letzte, kurze Stück mußten die jungen Männer die Wagen schieben, und hier brannte die Sonne erbarmungslos auf den kahlen Hang. Erst als sie oben waren, erkannte Herniu, daß sie sich in einem weiten Ringwall befanden. Die Wagen waren zu einem Kreis, einer Wagenburg, zusammengeschoben. Gruppen junger Leute kamen gerannt, um die Ankömmlinge zu betrachten. Ältere Männer begrüßten ehrerbietig Sigimär, der den Gruß in seiner frischen Art erwiderte.
Zwei Jungen traten zu Herniu und Olfo und fragten: „Wer ist der da mit dem bestickten Hemd?“ „Sigimär, Sohn des Hariomär.“ „Ach, der große Sigimär? So einfach ist der?“ Besonders beeindruckt waren die beiden, als sie erfuhren, daß Herniu und Olfo von Sigimär eingekleidet würden. Sie tauschten miteinander Blicke und zogen die sogenannten Söhne Asnis hinüber zu ihrer Gruppe, die vom Harz gekommen war. Sie begannen eben den Tanz im Kreise, und sofort nahmen sie Herniu und Olfo mit hinein, legten einander die Arme auf die Schultern, stampften auf und sprangen abwechselnd, wozu ein paar Männer den Takt klatschten und die jungen Leute ab und zu einen Schrei ausstießen. Nach einer Weile bemerkten sie, daß in der Nähe der Wagenburg ein Streit ausgebrochen war. Sie ließen einander los und zogen neugierig hinüber. „Du meinst es nicht ehrlich!“ schrie ein stattlicher Mann in besticktem Hemd, Hosen, Schuhen und einem rot eingefaßten Umhang. „Ich nicht ehrlich?“ rief Sigimär zurück. „Ein Mann, der den Römern gegen uns hilft, nennt mich unehrlich?“ „Welche dumme Einbildung von dir, Sigimär, daß es einen Sinn hätte, sich dem römischen Weltreich entgegenzustellen!“ Sigimär trat seinem Gegner, anscheinend auch einem Fürsten, einen Schritt näher. „Und du glaubst, die Sitten unserer Ahnen verspotten zu können? Das Thing - so hat man mir gesagt - ist dir lästig. Du willst ohne es regieren? Ja, regieren wie eine Katze über die Mäuse!“ Auch der andere trat einen Schritt vor, gefolgt von einem ganz jungen Menschen in einem Umhang mit purpurnem Saum und feinen Schuhen. „Bist du nicht gezwungen, Sigimär“, rief der angekommene Fürst höhnisch, „deine Söhne Armin und Flavus mit deiner ganzen Mannschaft den Römern zu überlassen? Protze nur mit deiner Gefolgschaft, die dir nicht gehört, und deinen Söhnen, die bei Sentius Saturninus scharwenzeln!“ Empört riß Sigimär seine Fäuste hoch, um sich auf den Gegner zu stürzen. Aber ein weißbärtiger Mann stellte sich dazwischen und streckte gegen beide abwehrend die Hände aus. „Frieden im Namen Tius, der über diesen Tagen waltet! - Sigimär, deine Ehre kann so nahe dem heiligen Hain Tius nicht befleckt werden! Mäßige dich!“ Darauf wandte er sich an den im rotgefaßten Umhang: „Du aber, Segest, sage uns, ist das“, er deutete auf den schön gekleideten Jüngling, „dein Sohn?“ „Ja, es ist Sigimunt, Segests Sohn.“ „Und erst hier willst du ihn mit Schild und Frame belehnen? “ „Das will ich, Priester Tius.“ „Weißt du nicht, daß ein noch Unbelehnter nicht diese Kleidung tragen darf?“ „Er darf es, Priester, denn er ist ein Fürst und mein Erbe!“ „Hört ihr das, Cherusker?“ schrie Sigimär. „Er dünkt sich und seinen Sigimunt höher, als es die Sitte unserer Väter zuläßt! Er will unter uns ein Marobod werden! Ein Spötter unserer Sitte!“ „Schweige, Sigimär!“ sagte der Priester. „Hier ist es mein Amt zu sprechen! Sage du, Segest, willst du deinen Sohn in diesem Gewand vor die Volksversammlung führen?“ Trotzig erwiderte Segest: „Das will ich!“ „Wie voreilig du bist! Wenn du deinen Sohn so vor uns führst, müßten wir ihn als schon von dir belehnt ansehen, und er könnte nicht mehr von der Volksversammlung belehnt werden.“ „Was schadet das mir?“ fragte Segest hochmütig. „Dir würde es nicht schaden, aber deinem Sohn Sigimunt.“ „Wie sollte ihm das schaden?“ „Damit würdest du verhindern, daß ihn die Volksversammlung aufnähme. Er würde außerhalb des Volkes stehen, und du weißt, was das bedeutet!“ Segest blickte sich wütend um. Alle sahen ihn gespannt an, während Sigimär schallend lachte. „Merkst du nun, Segest, wohin dein Hochmut führt, du Überfürst!“ „Komm mit!“ sagte Segest rauh zu seinem Sohne. Darauf wandte er sich noch einmal um und schien etwas Boshaftes sagen zu wollen. Es blieb aber ein unverständliches Knurren. Erst als er hinter einem Wagen verschwunden war, hörte Herniu, daß fast alle gegen Segest sprachen. Nur zwei, vielleicht aus seinem Gefolge, versuchten ihn zu verteidigen. Der Priester trat zu Sigimär und sagte nicht laut, aber deutlich: „Ich achte deine Meinung, aber du bist zu stürmisch. Solange Armin und Flavus den Römern dienen, mußt du dich zurückhalten!“ „Soll ich etwa bereuen, sie zu ihnen gesandt zu haben? Sollen sie die römische Kampfart nicht lernen?“ „Das sollst du nicht bereuen, mußt aber suchen, bedacht zu sprechen, wie es deine Stellung und dein Alter erfordern.“ „Mir läuft eben das Maul davon!“ erwiderte Sigimär. „So war ich immer und bin dabei ehrlicher
geblieben als der Überfürst, der alles auf seine edle Geburt setzt.“
UM SIGIMUNT Bis in die Nacht lärmten die zur Weihe und den Festlichkeiten eintreffenden Cherusker. Erst gegen Morgen wurde es still. Sigimär schlief mit Asni und den Angesehensten in den Wagen, Wulfegar und die Jungen zwischen den Rädern. Am Morgen rannte die ganze Schar einen steilen Pfad hinunter zur Weser, um zu baden. Herniu tauchte den Kopf unters Wasser und fuhr mit gespreizten Fingern durch sein langes Haar. „Nanu!“ hörte er rufen. „Da kommt ja der junge Überfürst! Er hat nicht einmal etwas an! Ich dachte, er würde in Hosen und Umhang baden!“ Die Jungen prusteten vor Lachen. Sigimunt sprang ins Wasser und tat so, als merkte er nichts von dem Hohn. Aber überall, wohin er sich wendete, wichen ihm die Jungen aus. Schon stiegen einige ans Ufer, schüttelten die Tropfen ab und warteten auf ihre Freunde, um gemeinsam den Berg wieder hinaufzusteigen und zu frühstücken. Einige besprachen etwas und blickten nach Sigimunt, der sich noch wusch. Die haben etwas vor! dachte Herniu und beobachtete. Kaum war Sigimunt aus dem Wasser gestiegen, als ein ungewöhnlich großer und starker junger Mann auf ihn zuschritt. Ihm war anzusehen, daß er den anderen reizen wollte. „Woher ist dein Vater eigentlich Fürst?“ fragte er so laut, daß alle ihn verstehen mußten. „Mein Großvater hat mir erzählt, daß es in seiner Jugend noch keine Fürsten gegeben hat, keine Leute, die sich die Ersten nannten. Damals waren noch alle gleich!“ Sigimunt blickte den anderen halb hochmütig, halb verlegen an. „Dir verschlägt's wohl die Sprache?“ fuhr der Große zu sprechen fort. „Na, heraus damit, wie ist dein Vater zu den vielen Unfreien gekommen, die für ihn das Vieh hüten und die Äcker bestellen?“ Da Sigimunt merkte, daß alle gegen ihn waren, antwortete er: „Ihr wißt, daß nach dem Einfall der Römer viele kein Vieh und auch sonst nichts mehr hatten. Da gab ihnen mein Vater Vieh zum Hüten und Land in Pacht.“ „In Pacht?“ erwiderte der andere. „Wenn ich das schon höre! Eine römische Einrichtung, um den Sippengenossen die Freiheit zu nehmen!“ Sigimunt suchte nach einer Verteidigung und sagte: „Warum seid ihr gegen die römischen Einrichtungen? Wollt ihr weiter so leben? Wo gibt es gute Messer und alles, was schön und nützlich ist, als bei den Römern? Freiheit ist ganz gut, aber Freiheit, um wie das Vieh zu leben?“ „Oho!“ schrie ein anderer. „Wir leben nicht wie das Vieh! Dir gefallen wohl die Römerinnen, die sich unsere blonden Haare kaufen, sie in Locken auf Leder kleben und auf den Kopf stülpen! Wenn ihr Mann mal nicht zart genug ist, hat er den Schöpf in der Hand, und die Schöne steht mit kahlem Kopfe da! Die künstlichen Zähne sind ihr auch aus dem Munde gefallen!“ Man lachte schallend und schlug sich auf die Schenkel. Sigimunt sagte verächtlich: „Du willst nur nichts Neues! Auch Sigimär ist Fürst und hat viele Unfreie. Wenn ihr gegen meinen Vater seid, müßt ihr auch gegen ihn sein!“ Empört sprang Herniu vor. „Sigimär will nicht das Thing abschaffen wie dein Vater! Kennst du denn die Römer von nahem, Sigimunt? Hast du schon in ihren stinkenden Städten oder den Budendörfern vor den Toren gewohnt? Ich habe es und sehne mich nicht danach zurück. Hier bei uns gilt ein offenes Wort, dort aber belauert einer den anderen und will nur reich werden wie du!“ „Ich nicht!“ erwiderte Sigimunt. Höhnisch rief einer: „Nein, reich willst du nicht werden, nur recht viele Unfreie haben und Fürst oder gar König spielen! Gegen Sigimär haben wir nichts, aber gegen deinen Vater, der mit Hilfe der Römer uns alle zu Sklaven machen und König werden möchte. Gegen so einen gibt es keine Mannestreue! Den muß man umbringen!“ Sigimunt erblaßte, aber auch die anderen waren über diese Drohung erschrocken. War es wirklich richtig, daß es gegen ein Mitglied der Stammesgenossenschaft keine Treue gäbe?
URSILO, DER LÄUFER Schon ließen sich die älteren Männer auf der inneren Seite des Ringwalls nieder, die Sonne im Rücken, um gut sehen zu können. Sie rollten ihre Umhänge zusammen und setzten sich darauf, während sie die Frame an die Schulter und den Schild an die Knie lehnten. Die beiden Fürsten kamen zuletzt, jeder einzeln an. Da sich Sigimär auf ein weißes Schafsfell rechts von den übrigen setzte, nahm Segest am anderen Ende der Zuschauer Platz. Er hatte ein mächtiges Bärenfell als Unterlage und darauf das Flies eines neugeborenen Lammes. Hinter ihn stellten sich die Krieger seiner Gefolgschaft. Alle bemerkten diese Schaustellung des Reichtums und der Macht und nickten einander in höhnischer Weise zu. Plötzlich erhob er sich und ging zu den Männern, die die Bahnen für den Wettlauf abschritten und auch die übrigen Plätze absteckten. In befehlendem Tone sagte er: „Steckt für die Jünglinge der Gefolgschaften auch Plätze ab, nicht nur für die der Mannschaften!“ Erstaunt hielten die Absteckenden in ihrer Arbeit inne und blickten Segest an. Einer, der sich zuerst gefaßt hatte, sagte: „Wann hätte es das gegeben? Alle werden in die Stammesgenossenschaft aufgenommen, gleich, ob sie später in der allgemeinen Mannschaft kämpfen oder in der Gefolgschaft der Fürsten.“ Segest stampfte mit der Frame auf: „Ich verlange, daß die jungen Männer unserer Gefolgschaften getrennt von den anderen üben, denn sie sind mehr!“ Unter den Zuschauern murrte man, während die Gefolgschaft Segests die Framen gegen die Schilde schlug. Sigimär war sitzen geblieben und tat, als ginge ihn der Streit nichts an. Erst als man ihn fragte, antwortete er laut: „Nach der Sitte unserer Väter entscheidet der älteste Priester Streitigkeiten beim Wettbewerb.“ Nun schlugen die Freien die Framen gegen die Schilde, während Segests Gefolgschaft nicht wußte, was sie tun sollte. Verstimmt ging Segest an seinen Platz zurück. Von der Wagenburg her kamen in dichtem Block die Jünglinge. Vor ihnen schritt in weitem Umhang der alte Priester mit Schild und Frame. Hinter ihm folgte in der vordersten Reihe Sigimunt, diesmal nackt wie die anderen, denn sie sollten erst bei ihrer Aufnahme in die Genossenschaft der Männer bekleidet werden. Als sich die Jünglinge aufgestellt hatten, gab es einen kurzen Streit. Sigimunt forderte im Auftrage seines Vaters, daß er und die Jünglinge, die künftig zu seiner Gefolgschaft gehören sollten, die erste Linie bildeten. Da es dafür keine Regel gab, hatten die anderen endlich zugestimmt, sich aber über die Anmaßung geärgert. Bei der Ankunft des Priesters mußte erst die Forderung Segests entschieden werden, der die Gefolgschaften getrennt von den allgemeinen Mannschaften halten wollte. Dagegen protestierten die Gemeinfreien heftig. Der Priester entschied, die Wettkämpfe sollten nach alter Sitte stattfinden, wobei alle gleich wären. Nun rief er: „Die Spiele sollen beginnen!“ und setzte sich auf ein Wolfsfell. Sigimunt drängte sich, am ersten Wettlauf teilzunehmen. Herniu sprang neben ihn, so daß es so aussah, als ob tatsächlich die Jünglinge der fürstlichen Gefolgschaften getrennt von den anderen laufen würden. Herniu flüsterte Olfo zu: „Du bist mein Bruder, darfst aber jetzt nicht mitlaufen!“ „Weshalb nicht?“ „Wirst du schon sehen. Aber bringe den dort neben mich! Zwinge ihn, wenn es nötig ist!“ Der Jüngling, auf den Herniu deutete, war ein schlanker, etwas schüchterner Mensch, dessen leichte Bewegungen ihm aufgefallen waren. Olfo schob diesen jungen Menschen neben Herniu und zog sich zurück. Die Jünglinge beugten sich, ein Knie vorn, und berührten mit den Fingerspitzen den Grasboden. Ein Priester ohne Waffen hob die Hand und schlug sie scharf nieder. Herniu, der Schnelldenkende, schoß als erster vorwärts, gleich hinter ihm Sigimunt, während der von Olfo neben Herniu Geschobene mit Verzögerung losrannte. Das ärgerte Herniu, und er setzte alles daran, vor Sigimunt zu bleiben. Dieser Fürstensohn mußte geschlagen werden! Sigimär schrie: „Vorwärts, Herniu!“ Sigimunt aber war ein besserer Läufer und schob sich langsam an Herniu vorbei. Sigimär sah das und sprang vor Erregung auf: „Herniu! Herniu! Reiß dich zusammen!“ Auch ihm lag viel daran, daß Sigimunt geschlagen wurde. „Ursilo, höh!“ schrie jemand. „Ursilo, höh!“ Ursilo mußte der junge Mann sein, der mit den beiden rannte, denn nun zeigte sich, daß er, einmal im Lauf, immer mehr aufholte und schon an Herniu vorbeikam.
Nun schrie auch Sigimär: „Ursilo, höh!“ obwohl er nicht wußte, ob dieser nicht vielleicht zur Gefolgschaft seines Gegners Segest gehörte. Da jedoch so viele von den Gemeinfreien Ursilo zuriefen, nahm er an, daß der Läufer zu ihnen gehörte. In seiner Erregung fuchtelte er mit den Fäusten in der Luft herum und sah triumphierend, wie Ursilo mit federleichten Bewegungen Sigimunt überholte und als erster über die Ziellinie sprang. Alle, außer Segest und seiner Gefolgschaft, rasselten mit den Framen. Sigimär rief: „Ursilo! Komm her. Hier, diesen Armring gebe ich dir!“ Der alte Priester jedoch erhob sich, streckte die Frame vor und sagte: „Nicht jetzt! Die besten Läufer rennen nachher noch einmal.“ In diesem Augenblick tauchte auf dem Ringwall ein schlanker Mann in einem Umhang auf, der auf jeder Seite ein schwarzes Tier zeigte. Hinter ihm erschien eine Gruppe Krieger, sicher seine Gefolgschaft. „Bruder Sigimär!“ schrie der Mann. „Ach, Ingwiomär!“ rief der zurück. „Ein bißchen spät kommst du!“ Die Brüder setzten sich zueinander und unterhielten sich lebhaft. Dann blickte Ingwiomär zu Segest hinüber. „Ach, der ist da! Überfürst nennen sie ihn! - Aber im Ernst: Die alte Ordnung des Things darf durch so einen Römling nicht zerstört werden! Ich, Ingwiomär, werde nie dulden, daß in unserem Lande ein König die Macht an sich reißt! Marobod wird stürzen, das sage ich dir! Wenn es nötig ist werde ich dabei mithelfen! Und dort sitzt auch so ein Verräter!“ Er zeigte auf Segest. „Still!“ erwiderte Sigimär. „Du störst die Spiele!“ Ein Priester ging an den nächsten Läufern entlang und streckte vor jedem einen Finger hoch, bis zehn voll waren. Den übrigen befahl er zu warten. Bei diesem Rennen sah man, daß Olfo einer der schlechtesten Läufer war. Dagegen stellte er sich später als der beste Framenwerfer heraus, denn dabei konnte er seine Kraft ganz entfalten. Sigimär zeigte ihn stolz seinem Bruder. „Das wird ein starker Kämpfer in Armins Gefolgschaft werden!“ Nun rannten die besten Läufer noch einmal, und Ursilo bewies jetzt erst seine ganze Schnelligkeit. Da diesmal Sigimunt nicht mitgelaufen war, schlug ihm selbst die Gefolgschaft Segests Beifall. Nur der mit Haß betrachtete Überfürst saß finster da und regte sich nicht. Sigimär winkte Ursilo zu sich und wollte ihm den Ring auf den Arm ziehen. Ursilo aber trat einen Schritt zurück und sagte bescheiden: „Noch bin ich nicht bekleidet, und mir ziemt kein Ring. Wenn ich Waffen trage, darf ich deine Gabe annehmen, solltest du sie mir dann noch geben wollen.“ Ingwiomär, der neben seinem Bruder stand, nickte. „Dieser Ursilo weiß besser als mancher“, er deutete mit dem Kopf zu Segest hinüber, „was unsere alten Sitten sind. Wo stammst du her?“ „Von jenseits der Weser.“ „Aus der Gegend, wo Segest wohnt? Du sollst einen Wunsch bei mir frei haben, wenn du in Not bist.“ DAS LIED VON TIU UND DEM RIESEN RAGANHAR An diesem Abend nach dem Mahle versammelten sich die Männer noch einmal im Norden des Ringwalls. Sie setzten sich im hellen Mondlicht an den Hang, in ihrer Mitte der alte Priester und der Blinde. Die jungen Leute lagerten ihnen gegenüber unten im niedergetretenen Gras. Der Priester erhob sich und streckte ein langes Eisenschwert vor. „Im Kriegswall darf kein Feuer keimen vor der Festnacht des vollen Monds! Sänger, singe vom großen Gott, von Tiu, dem Trotzigen!“ Asni begann gedämpft zu sprechen: „Tiu war nackt, nicht ein Mann noch. Lutwolf lehrt' ihn, gab ihm Leber, wilder Tiere Herzen, nicht weicheres Wildbret. Streitbar ward Tiu, stämmig und stark. ,Schmiede mir, Lutwolf, das schimmernde Schwert, Sax sei's genannt und ich Saxnot!’ -
,Dies Schwert zu schmieden braucht's schwerere Hand, des Riesen Raganhar Rechte.’ Tiu fand den Fettsack, fragte : ,Schmiedest du mir das schimmernde Schwert, Sax sei's genannt und ich Saxnot?’ ,Wenn den heißen Hunger du mir gestillt hast, wenn der Durst starb durch Met, wenn ich schlief zu strotzender Stärke.’ ,Mahl und Met sollst du haben und Muße.’ Ein Rebhuhn, ein Reh jagt er dem Riesen. ,Mehr nur, Tiu, machte ein Mahl!’ Tiu holte Hühner, zwei Hirsche. ,Mehr nur, Tiu, machte ein Mahl.’ Tiu brachte drei brummende Bären, trug in Tonnen den Met zum Trinker, der schmausend schmatzte und füllte den Schmerbauch. Dann schleppt er sich schwer zum Lager und schnarchte. Tiu rüttelte Raganhar, rief: ,Gegessen, getrunken, geschlafen, steh auf, zu schmieden das Schwert!’ ,Hab Hunger, hol mir erst einen Hirsch!’ Weit jagte Tiu im wilden Wald. Raganhar schmiedete schwer an dem Schwert, sprach heimliche Sprüche über die Schneide. ,Nun bring ich das blitzende Schwert meinen Brüdern.| Nie trage es Tiu, der trotzige Held!’ Mit dem Schwerte schlug er Lutwolf, den Schnellen. Tot fand Tiu den Treuen, setzte Raganhar nach durch Sumpf und Sand. Mit der Frame traf er den fetten Verräter, schwang in der Hand das schimmernde Schwert: ,Nun sieg ich mit Sax, nun heiße ich Saxnot, ich, Tiu, der trotzige Herr der Tat!’“ Asni zog seine Kappe über den Kopf. Der alte Priester erhob sich. „Ihr Mannen Tius, Cherusker, hörtet ihr das Lied vom großen Gott, von Tiu, dem Trotzigen? War es nach eurem Herzen, so zeigt, ob ihr Asni, den blinden Sänger, als Priester kürt, wie wir zu Priestern gekoren wurden?“ Weithin hallte das Schlagen der Framen durch die Stille der Mondnacht. DAS OPFER FÜR TIU Am Morgen trugen die Jünglinge Holz zu Stößen auf den Ringwall und schichteten in jeder der vier Himmelsrichtungen einen auf, den größten aber im Süden, über dem zu Mitternacht der Vollmond stehen würde. Dabei bemerkte Herniu, daß Sigimär und sein Bruder Ingwiomär miteinander stritten. Herniu machte sich in ihrer Nähe zu schaffen und verstand bald, worum es ging. Sigimär wollte Segest dadurch seine Verachtung zeigen, daß er auf dem Wege zum heiligen Hain nicht neben dem Römling ging, sondern sich unter die Gemeinfreien mischte. Ingwiomär aber sprach dagegen: „Wer von euch beiden ist mehr? Du, denn das Thing unseres Stammes hat dich in zwei Feldzügen zum Herzog der Cherusker gewählt. Wenn du ihn allein vor den Gemeinfreien gehen läßt, stellst du ihn über dich. Oder denkst du, die Reihenfolge hat gar keinen Sinn?“ Bald darauf bildete sich inmitten des Ringwalls der Zug zum Heiligtum, vorn die Priester mit Schilden und Framen, hinter ihnen die drei Fürsten, die starr über ihre Schilde nach vorn blickten, um einander nicht ansehen zu müssen, dann die Gemeinfreien in Waffen und in streng geschlossenem Block die noch nackten und unbewaffneten Jünglinge, die heute noch nichts gegessen hatten. Das Ende bildeten einige Unfreie, die
Pferde führten. Zum Schluß stellten sich vor den gesamten Zug drei Männer mit Auerochsenhörnern. Der alte Priester blickte nach dem Stande der Sonne und hob die Frame. Nun stießen die drei Bläser in ihre Hörner, von denen jedes einen anderen Ton gab. Damit setzte sich der Zug in Bewegung. Die Krieger bliesen, solange ihr Atem reichte, setzten ab und bliesen wieder, stets den gleichen Ton. Der Weg wand sich von der Höhe des Ringwalls hinunter zur Weseraue und bog in einen unregelmäßig mit alten Eichen bestandenen Wald. Herniu kannte die Opfer für Tiu noch nicht, aber das Hängen des Pferdes bei den Semnonen hatte ihm einen unheimlichen Eindruck gemacht. Der Zug hielt. Das einzige Besondere hier war ein kurzes Bronzeschwert, das von einem Aste hing. Die Priester umwandelten dreimal einen Stein in der Richtung des am Himmel ziehenden Mondes und stellten sich vor die Eiche, von der das Schwert hing, das Zeichen Tius. Was nun am Steine vor sich ging, konnten die Jünglinge nicht sehen, weil vor ihnen die bewaffneten Männer standen. Sie hörten auch nicht, was die Priester murmelten. Die Unfreien führten die Pferde nach vorn, und ein Priester band das Schwert ab, Plötzlich erklang ein Hornsignal. Herniu hörte die Pferde unruhig stampfen und dann ein dumpfes Fallen. Wahrscheinlich waren die Tiere mit dem heiligen Schwert getötet worden. Halb singend rief der Alte: „Was auf Erden wirkt, muß am Himmel werden. Blut rinnt rot auf den rauhen Stein. So näßt das Wasser der Wolke die Erde, daß Weide sprieße für Vieh und Wild.“ Wieder erschallten die Hörner. Der Priester benetzte wohl den Stein mit dem Blut der Pferde. Es fing an zu knistern. Rauch stieg auf. Bald verbreitete sich der Geruch verbrannter Eingeweide, nicht anders als bei den Opfern der Römer, denen Herniu oft zugesehen hatte und die ihm wenig eindrucksvoll erschienen waren, nüchtern wie das ganze römische Wesen. Die Unfreien zogen einen Wagen nach vorn, schleppten die toten Tiere zur Seite, luden sie auf und fuhren ab, damit aus ihnen das heilige Mahl bereitet würde. Dann erst setzte sich der Zug zum Rückmarsch in Bewegung. TANZ ZWISCHEN DEN SCHWERTERN Im Ringwall wurden die Pferde von den Männern über niedrig brennenden Feuern an langen Spießen gedreht, nicht zu langsam, damit das Fleisch nicht versengt würde, nicht zu schnell, damit die Hitze der Flammen genügend tief eindränge. Frauen konnten das nicht tun, weil sie an der Einführung der Jünglinge in die Männerwelt nicht teilnehmen durften. Während des Bratens war es Sitte, daß die Jünglinge zum letzten Mal ein Kinderspiel machten. Sie saßen am Boden im weiten Kreise und gaben unter den dicht angezogenen Knien einen Stein herum. Einer rannte um den Kreis und versuchte, nach hinten den umzureißen, bei dem sich gerade der Stein befand. Herniu saß dem Sohn des Überfürsten gegenüber und sah, daß sich Sigimunt nur gezwungen an dem kindlichen Spiel beteiligte. Dem werde ich es geben! dachte er und blinzelte listig. Er benahm sich ungeschickt, so daß er umgerissen wurde und rennen mußte. Er stellte sich nun hinter Sigimunt und schien zuerst nur beobachten zu wollen, deutete aber mehrmals auf den vor ihm Sitzenden. Zuerst begriffen das die anderen nicht, bis sie merkten, sie sollten Sigimunt den Stein recht oft zustecken. Der sah das und ärgerte sich. Herniu sprang hinter ihm hin und her und zog so komische Gesichter, daß die Jünglinge ihm gegenüber immer ausgelassener lachten. Da Sigimunt die Ursache des Gelächters nicht sehen konnte, glaubte er, man lachte über ihn. Am liebsten wäre er aufgesprungen und fortgerannt. Aber sein Vater hatte ihm gesagt: „Junge, nimm dich zusammen und laß dir nichts anmerken! Unsere Zeit kommt schon, wo wir es diesem Volk zeigen werden!“ Herniu setzte das Spiel hinter Sigimunts Rücken noch eine Weile fort, um ihn zu ärgern. Plötzlich packte er den Fürstensohn an der Schulter und riß ihn so heftig um, daß der die Beine hoch in die Luft streckte und fast auf den Kopf zu stehen kam. Nun mußte er laufen, und die anderen machten es ihm recht schwer. Inzwischen waren die Vorbereitungen für das Essen fertig, und die Männer kamen zu den Jünglingen, um sie zum feierlichen Mahl in ihrem Kreise abzuholen. Sigimär faßte zuerst Herniu, dann Olfo an der Schulter, zum Zeichen, daß sie nun zu seiner Gefolgschaft gehörten. Alle führten ihre Söhne, Neffen oder Pflegesöhne zu den Feuern, um die sie sich im großen Kreise niederließen. Bei diesem Mahl durfte nur das Fleisch der geopferten Pferde gegessen und ihr Blut getrunken werden, das in Auerochsenhörnern die Runde
machte. Dabei mußten die Jünglinge schweigen, während sich die Männer um so unbekümmerter benahmen. Sie stießen die noch immer nackten Jünglinge scheinbar aus Versehen an, verhöhnten sie, weil sie nichts sagten, oder wegen irgendwelcher Unregelmäßigkeiten ihres Körperbaus. Die Witze, die sie dabei machten, waren alles andere als fein. Alles änderte sich mit dem Eintritt der Dunkelheit. Die Priester entflammten Scheite, trugen sie zu den Holzstapeln nach den vier Himmelsrichtungen und setzten sie in Brand. Auch auf den Höhen jenseits der Weser flammten Festfeuer auf. Im zuckenden Licht steckten Männer in der Mitte des Ringwalls mehrere Reihen von Schwertern in den Boden, so daß die Spitzen nach oben ragten und Gassen bildeten. Die Jünglinge stellten sich vor dem Schwerterfeld auf, während sich die Männer rings niederließen. Der alte Priester hob das kurze heilige Schwert und schlug es nieder. Nun begannen die Hörner zu blasen und die Männer im Takt zu klatschen. Die ersten Jünglinge traten zum Tanz an. Es war ein Schreiten, Springen und Stampfen in das Schwerterfeld hinein. Dann folgten die andern. Als alle Jünglinge zwischen den Schwertern tanzten, klatschten die Männer nach jedem vierten Schritt stärker, wobei sich die Jünglinge dicht an die Klingen zu bewegen hatten. Bald ritzte sich einer am Arm, ein anderer an der Hüfte, so daß sie bluteten. Nach einer Stunde hob der Priester das Schwert. Der Tanz und das Klatschen endeten. Die Jünglinge durften sich auf den Boden setzen. Unfreie brachten Hörner voll Met, die unter den Männern und Jünglingen kreisten. Dann begann der Tanz von neuem. Der Vollmond wanderte vom Feuer im Osten, bei dem er aufgegangen war, immer weiter nach dem Süden. Mehrmals warf man frisches Holz auf die Flammenstöße. Nach Mitternacht wurden die Jünglinge müde, bewegten sich weniger straff, während die Männer ringsum immer ausgelassener wurden. Sie tranken nicht nur während der Pausen des Tanzes, sondern setzten mit Klatschen öfters aus, um einen Schluck zu nehmen. Je mehr sich der Mond gegen den im Westen brennenden Holzstoß neigte, desto betrunkener wurden die Alten. Sie hoben die Hörner und tranken Saxnot Minne, wobei sie wohl den Mond mit ihrem Gott TiuSaxnot gleichsetzten. Ihr Händeklatschen wurde unregelmäßig. Zwei von den Bläsern lagen schon am Boden und schliefen, und nur noch einer ließ ab und zu wehmütig einen Ton brummen. Herniu war so müde, daß er nicht mehr recht aufpaßte und sich an einer Schwertspitze schmerzhaft in den Arm stach. Das erst machte ihn wieder wach. Bei dem unsicheren Licht des Mondes und der Holzfeuer sah er sein Blut rinnen. Es tropfte ihm auf die Oberschenkel und die Füße, aber er durfte im Tanze nicht aussetzen, denn dieser Dauertanz mit seiner Gefahr war eine der Prüfungen. Die Jünglinge mußten beweisen, daß sie die nötige Kraft und Ausdauer für den Beruf des Kriegers und Jägers hätten. Schwächliche wurden zu den Spielen und dem Tanz überhaupt nicht zugelassen. Während der nächsten Tanzpause betastete Herniu seinen Arm. Liutiprant, der Hermundure, betrachtete die Wunde. „Schwinge den Arm nicht zu sehr nach unten und tanze bis zum Morgengrauen! Bis dahin hat das Bluten aufgehört.“ Auch Olfo wurde das Tanzen schwer. Dagegen bewegte sich der um vieles schwächere, schlanke Ursilo noch fast so elastisch wie zu Anfang, obwohl es bei dem durcheinandergekommenen Klatschen der Männer nicht leicht war, im Takt zu bleiben. Jedoch packte auch ihn eine lähmende Müdigkeit, als über den Hügeln im Osten der Himmel heller zu werden begann. Die übrigen Jünglinge torkelten fast willenlos zwischen den Schwertern umher. Da endlich hob der alte Priester das heilige Schwert. Obwohl nur noch ein kleiner Teil der Männer klatschte, fuhren einige in ihrer Betrunkenheit damit fort, bis man sie anstieß und schrie: „Genug! Hört auf!“ Liutiprant hatte vorsorglich einige Felle ausgebreitet, auf die Herniu, Olfo, Ursilo und noch andere ermattet fielen. Niemand kümmerte sich darum, wer neben ihm lag. Herniu hatte sogar vergessen nachzusehen, ob seine Wunde noch blutete.
DIE BELEHNUNG Herniu erwachte erst, als die Sonne auf ihn niederbrannte und er zwischen zwei anderen mächtig schwitzte. Er rieb sich die Augen, richtete sich halb auf und erinnerte sich nur undeutlich an den Tanz der vergangenen Nacht. Die Wunde an seinem Arm war schon schwarzbraun verkrustet.
Nun blickte er auf die anderen Schläfer, die schmutzig, verschwitzt, mit Blutwischern auf den Gliedern dalagen, von denen niemand wissen konnte, ob es eigenes Blut oder das eines anderen war. „Steht auf!“ rief Liutiprant. Lachend sagte er: „So sehen die jungen Männer auch bei uns an diesem Morgen aus. Aber ihr habt euch bewährt, nun kommt die Belohnung. So schmutzig dürft ihr jedoch nicht bleiben. Kommt baden!“ Die Jünglinge erhoben sich schläfrig, das Hinunterlaufen zur Weser ging heute schlecht. Die Glieder waren steif und schienen ihnen nicht recht gehorchen zu wollen. Das kalte Bad erfrischte sie, und der Rückweg zum Ringwall wurde ihnen leichter. Vor allem aber hatten sie alle einen mächtigen Hunger. Heute waren die Männer gut zu ihnen, verhöhnten sie nicht mehr, obwohl sie noch immer nackt waren, sondern reichten ihnen vom Besten, was es gab. Schon saß ein Teil der Männer, die Sonne im Rücken, am Wall. Sigimär in einem festlichen Umhang mit zwei aufgenähten Pferdeköpfen aus Leder wartete auf Herniu und Olfo. Hinter ihm standen zwei Unfreie mit geschorenen Köpfen, die auf den Armen Umhänge und Waffen bereithielten. Die Priester hatten zuvor beschlossen, daß Sigimär als erster seine zwei Jünglinge der Versammlung vorstellen sollte. Dagegen hatte der Priester aus dem Gau des Segest dessen Vortritt verlangt. Der Alte jedoch erklärte: „Unser Stamm der Cherusker ist stärker als seine Nachbarn, weil er an seinen alten Sitten festhält. Jenseits des Rheins aber, wo die Römer herrschen und die Germanen ihre Sitten vergessen haben, ist auch ihre Kampfkraft verlorengegangen. Segest will unserem Stamme das aufzwingen, was ihr jenseits des Rheins seht. Deshalb darf er nicht als erster seinen Sohn vorführen, denn das würde bedeuten, daß wir, die Priesterschaft und das Volk, seine Anschauungen anerkennen.“ Dieser Rede hatte Segests Priester nichts entgegenstellen können. So kam es, daß Sigimär Herniu und Olfo als erste der Versammlung vorführte, obwohl sie nicht einmal Edle waren. Sigimär nannte ihre Namen, und der alte Priester erklärte: „Aufgenommen seid ihr in die Gemeinschaft des Stammes!“ „Strecke deinen linken Arm vor, Herniu!“ sagte Sigimär und streifte ihm den Schild darüber. Das schmerzte wegen der noch nicht richtig vernarbten Wunde, aber Herniu ließ es sich nicht anmerken. „Strecke deinen rechten Arm vor und empfange die Frame, das Zeichen des Freien! Wende dich und empfange den Umhang!“ In derselben Weise wurde Olfo belehnt, worauf sie sich in Waffen zu beiden Seiten Sigimärs unter die Zuschauer setzten. Herniu hielt einen Augenblick den Atem an, so erfüllte ihn dieser Augenblick mit Stolz und Freude. Er, der kleine Spaßmacher unter den meist recht unfeinen Legionären, war nun ein echter Krieger im Stamme der Cherusker!
Die Priesterin der Frija
DIE UNFREIEN CHAUKEN
W
HÜTTEN Sigimärs einen Fürstenhof nennen wollte, so war es einer mit viel Fröhlichkeit und wenig Zwang. Sigimär hatte im Gegensatz zu seiner Frau einen sehr heiteren Charakter. Sie kümmerte sich um alle Einzelheiten des Haushalts, griff auch selbst zu, aber blieb stets Herrin, ruhig, schwer und nachdenklich. Er aber lebte in den Tag hinein und liebte Abwechslung, vor allem die Jagd. Alle paar Tage schickte er zu der Hütte, in der Asni, Liutiprant und Wulfegar wohnten, und ließ sie für den nächsten Tag zum Jagen an seiner Seite bitten. Dann trieb sein Gefolge, darunter Herniu und Olfo, den Schützen in weitausholenden Umgehungsmärschen das Wild zu. Eines Abends zechte man ausgiebig in Sigimärs Hütte, und er machte seinen Gästen unter Augenblinzeln Andeutungen von einer besonderen Art der Jagd, die er plante. Herniu wurde abgesandt, einer Reihe von Unfreien den Befehl zu bringen, als Treiber an der großen Jagd teilzunehmen. Dazu hatten sie Zeit, weil die wenigen Felder mit Gerste, Hafer und Hirse schon abgeerntet waren. Diese Unfreien stammten von einem Feldzug der Cherusker gegen die Chauken. Dabei ging es um ein großes Jagdgebiet im nördlichen Flachland. Dem Krieg waren Drohungen vorausgegangen. Sigimärs Vater hatte die Chauken aufgefordert, sie sollten das Gebiet räumen und sich verpflichten, es nie wieder zu besiedeln. Das war eine unerfüllbare Forderung, denn wohin sollten die Siedler ziehen, ohne andere zu vertreiben? Da der Stamm wenig zahlreich und auch nicht kriegerisch war, versuchte er zu verhandeln. Sigimärs Vater Hariomär war aber ein stürmischer, rauflustiger Herr, der den Raub von Land und Vieh für ein Recht des freien Mannes hielt. Er fiel also mit einer starken Mannschaft in das chaukische Land ein und trieb das Vieh aus dem umstrittenen Gebiet in sein eigenes. Um die Menschen kümmerte er sich wenig. Da aber die Chauken für einen offenen Kampf zu schwach waren, stahlen sie im Laufe des Winters einen Teil des Viehs zurück. Dafür beschloß Hariomär, sich im Sommer zu rächen. Diesmal trieb er alle Chauken des von ihm ENN MAN DIE
beanspruchten Grenzgebiets in sein Land, wobei viele erschlagen wurden. Die Überlebenden erhielten Land zugeteilt, um es für ihre cheruskischen Herren zu bebauen, und bekamen auch Vieh zum Hüten. Zwar hätten die so zu Unfreien Gemachten wieder in ihr Land ziehen können, denn niemand bewachte sie. Aber dann wären sie wohl eines Tages von den jagenden Cheruskern erschlagen worden, zumal diese prahlerisch sagten: „Neben uns wagt sich niemand mehr anzusiedeln!“ Diese Redensart brauchten übrigens auch die Semnonen gegenüber ihren Nachbarn. So wohnten diese Chauken neben den Hütten Sigimärs und seiner Gefolgschaft in ihren eigenen, opferten ihrem Gott Thunar Schweine und führten ein friedliches Leben. Zu ihnen also ging Herniu und überbrachte Sigimärs Befehl. „Was kriegen wir dafür?“ rief eine Frau, die mit einem rauhen Stein Gerste zerrieb. „Frage erst Sigimär, ob wir den Anteil an der Beute bekommen, der unserer Zahl an Treibern entspricht!“ Herniu war im Umgang mit germanischen Unfreien unerfahren. Die Römer hätten Sklaven, die solche Forderungen stellten, ausgepeitscht oder in Ketten gelegt. Er ging also zu Sigimär und traf ihn beim Würfelspiel mit zwei anderen. Die Frage Hernius hörte Sigimär zuerst gar nicht, dann neigte er den Kopf zur Seite und sagte: „Was willst du?“ Herniu wiederholte seine Frage. „Sage ihnen, sie kriegen den Anteil nach ihrer Zahl. Sollen sie sich auch einmal den Bauch vollschlagen! - Ich bin dran!“ Damit wandte er sich wieder dem Spiele zu. EINE STURZJAGD Zu der großen Jagd brachen die Treiber schon in der Nacht auf, setzten in Kähnen über die leise glucksende Weser und zogen durch einen taunassen Grund. Herniu tastete sich vorwärts und versuchte, immer in die Spuren seines Vordermannes zu treten, denn er war an das Gehen bei Nacht weniger gewöhnt und kannte auch diesen Weg nicht. Zwischen den Bäumen war es pechschwarz. Es roch nach faulenden Blättern und Nebel. In der Ferne hörten sie das Röhren der Hirsche und die viel tieferen Töne eines männlichen Elchs, der vor ihnen auf der Höhe stehen mußte. In dieser Jahreszeit war die Jagd gefährlicher als sonst, wenn auch die Bären Fett angesetzt hatten und faul waren. Das männliche Hochwild aber befand sich in Erregung und war geneigt anzugreifen. Die vordersten Treiber stiegen bald eine steile Höhe hinauf. Herniu befand sich fast am Ende hinter einem erfahrenen Jäger, der mit seiner Schar weit ausholend auf unbequemem Wege vorwärts eilte, so daß sie trotz der Kühle des Morgens in Schweiß gerieten. Der Boden wurde immer steiniger. Von fern hörten sie das Schlagen an die Bäume und hasteten voran, um das Wild von drei Seiten einzuschließen. Plötzlich öffnete sich der Wald zu einer kleinen, kahlen Höhe. Herniu sah unten das helle, geschwungene Band der Weser, über der noch der Morgennebel in unregelmäßigen Schwaden hing, während hier oben schon die Sonne schien. Dort, wo das Wild durchkommen mußte, war der Hang so steil, daß da höchstens Ziegen klettern konnten, Wild aber stürzen mußte. Unten erkannte Herniu einige Jäger, die wegen des Geländes in einer unregelmäßigen Linie standen. Das Schlagen der Treiber kam allmählich näher. Schon mußte ihr Bogen flacher sein, als zwei Elchkühe auf nur zwanzig Schritt vor Herniu auftauchten und vor dem jähen Abfall stutzten. Auf der Suche nach einem Wege erblickte die eine Herniu und brach nach der anderen Seite ab. Dort aber schlug man nun an die Bäume, so daß sie zurückschreckte. Ein Hase hoppelte aus dem Walde und hielt schnuppernd an. Der Herniu folgende Jäger kam rasch näher und dahinter wieder der nächste. Schon zog sich die Linie der Treiber auch seitlich zusammen. Damwild brach hervor, stutzte und wogte unruhig hin und her. Nun standen die Treiber neben Herniu mit einem Schritt Zwischenraum und schoben sich langsam gegen das unruhige Wild vorwärts, das sich rasch um Hirsche mit hochragenden Geweihen vermehrte. Hier standen keine Bäume, und daher schrien die Treiber: „Hoo-a! Hoo-a!“ Von drüben schallte derselbe Ruf, während die Mitteltreiber schon nahe sein mußten. Endlich erschien auch der große Elch, dessen Röhren sie in der Dunkelheit gehört hatten. Die mächtigen Schaufeln seines Geweihs überragten alle anderen Tiere. Kurz äugte er nach vorn und setzte dann zum Lauf an, alle anderen gedrängt hinter ihm, gerade auf Herniu los. „Frame vor!“ schrie der Treiberführer. „Und draufgehen!“ Die dichte Linie der Framenträger brüllte: „Hoo-a!“ und bewegte sich vorwärts.
In gewaltigem Sprunge setzte ein Hirsch über ihre Köpfe weg und entfloh abwärts, während die Masse des Wildes zurückwich. „Halt!“ schrie der Führer neben Herniu. Ihre Linie wurde nun schon so dicht, daß sich einige Treiber hinter die vorderste Linie zogen. Mit fürchterlichem Hoo-a-Gebrüll drangen die Mitteltreiber aus dem Walde und begannen in die hintersten Tiere hineinzustechen, so daß diese die anderen auf den für sie unsichtbaren Abgrund zudrängten. Schon stürzte ein Reh den schroffen Hang hinunter. Die Treiber schrien und stürmten, die Framen nach vorn, auf die Tiere ein. Herniu konnte nicht den Felsen sehen, von dem sie absprangen. Auf der anderen Seite begann ein wüstes Schreien und Lärmen. Dort versuchte wohl eine Gruppe Tiere durchzubrechen. Plötzlich war kein Wild mehr oben, außer ein paar Kaninchen, die hin und her schossen und einen Unterschlupf suchten. Herniu strich sich mit dem Handrücken die Haare und den Schweiß aus der Stirn und sah, wie sich unten die Jäger bewegten. Viele der Tiere hatten sich vermutlich beim Sturz die Beine gebrochen und wurden nun einzeln erlegt. Die Treiber ließen sich oben zum Ausruhen nieder und erzählten einander ihre Jagderlebnisse.
URSILOS BOTSCHAFT Erst nach der großen Sturzjagd merkte Herniu, daß Sigimär bei diesem Unternehmen nicht nur des Vergnügens wegen die Jagd veranstaltet hatte. Er hatte erfahren, daß sich Liutiprant über die Sorglosigkeit Sigimärs beschwerte, der nichts täte, jetzt, wo die Römer alle Hände voll zu tun hatten, den gefährlichen Aufstand der Pannonier und Dalmatiner niederzuschlagen. Da Sigimär keine Nachrichten von Armin hatte, wollte er sich nicht vorzeitig zu Handlungen treiben lassen. Er versuchte deshalb, seine ungeduldigen Gäste, den Hermunduren Liutiprant und den Semnonen Wulfegar, durch eine der berühmten Sturzjagden abzulenken, die im flachen Havelland unmöglich waren, aber wohl auch im welligen Lande der Hermunduren kaum unternommen werden konnten. Die Absicht Sigimärs wurde jedoch dadurch vereitelt, daß Ursilo eintraf. Seine Auszeichnung durch den Cheruskerfürsten mit einem Armreif hatte sich in seinem Gau schnell herumgesprochen, und deshalb wählte man ihn aus, um eine wichtige Nachricht recht schnell zu Sigimär zu bringen.
Die ersten, die ihn nach der Überfahrt über die Weser trafen, waren Herniu und Olfo. Erschrocken sahen sie, wie müde und erschöpft Ursilo war. „Was ist mit dir?“ fragte Herniu. „Zuerst zu Sigimär!“ Sie nahmen ihm die Waffen und das wenige Gepäck ab und brachten ihn zu Sigimär, der sich gerade mit seinen Gästen und Asni unterhielt. Er unterbrach das Gespräch sofort und fragte: „Was bringst du, Läufer?“ „Böse Nachrichten über Segest!“ „Wo befindet er sich jetzt? Wie gewöhnlich in seiner Burg?“ „Ja. Wir sind seine Nachbarn, aber nicht von ihm abhängig.“ „Und was ist geschehen?“ Mißtrauisch blickte sich Ursilo um. „Kann ich hier offen sprechen?“ „Das kannst du.“ Ursilo schob sich dichter an Sigimär: „Segest hat den neuen römischen Statthalter Varus eingeladen, alles Land zwischen Rhein und Weser zu besetzen.“ „Dann würden die Römer doch auch seinen Herrschaftsbereich besetzen.“ „Das will er gerade. Mit Hilfe der Römer möchte er alle Freien ringsum - auch uns - von sich abhängig machen. Wir sollen ihm dann Vieh, Getreide, Felle, Honig abgeben, und er verspricht den Römern einen Teil davon, wenn sie ihm bei seinem schuftigen Vorhaben helfen!“ „Siehst du, Sigimär!“ sagte Liutiprant heftig. „Dahin kommt ihr Cherusker, wenn ihr weiter untätig bleibt! Schon reißen die Römer einen Teil eures Stammesgebiets an sich! Was ist mit deinen beiden Söhnen Armin und Flavus?“ „Das ist das Schlimmste“, fuhr Ursilo fort. „Segest sagt: ,Schon haben es Armin und Flavus fertiggebracht, römische Ritter zu werden, und meine Familie, die viel edler ist, bekommt keine Ehren! Armin wird von den Römern zum König der Cherusker gemacht werden, und mein Sigimunt muß sich bald vor ihm als kleiner Gaufürst bücken!’“ Liutiprant wandte sich angeekelt ab. „Das war meine Befürchtung! Du läßt deinen Sohn bei den Römern dienen, und nun wunderst du dich, wenn er König von Roms Gnaden werden will? Du selbst zerstörtest die alten Sitten unserer Stämme!“ Sigimär sprang auf und ging erregt hin und her. „Grauenhaft! Mein Sohn! Und gerade der, von dem ich am meisten hielt!“ Der Blinde hatte unbewegt zugehört und fragte nun ruhig: „Weißt du denn, ob die Nachricht über Armin stimmt?“ Sigimär blieb stehen und fragte Ursilo: „Woher weißt du das alles? Warst du dabei, als Segest das sagte? Du, dessen Gegenwart ihn an die Niederlage seines Sohns beim Wettlauf erinnern muß! Wehe dir, wenn du gelogen hast!“ „Ich“, erwiderte Ursilo bescheiden, „bin nur der Abgesandte meiner Siedlung, und sie steht mit anderen freien Cheruskern in Verbindung, die derselben Meinung sind.“ Sigimär bereute schon seine übereilte Drohung, fragte aber erneut erregt: „Woher wißt ihr, was Segest für geheime Verhandlungen führt?“ „Er hat nicht nur einen Sohn, den du kennst, sondern auch eine Tochter Tursinhilda. Sie ist erst siebzehn Jahre, aber gescheit, und sie hat uns das mitgeteilt.“ „Und wenn sie euch irreführen will?“ „Sie hat einen Grund, zu uns zu kommen.“ „Eine Liebesgeschichte?“ fragte Sigimär und runzelte die Stirn. Er hielt nicht viel von solchen Gefühlen. „Ja“, antwortete Ursilo, „ihr Vater hat sie einem gewissen Saxobert versprochen, der einer seiner Anhänger ist, ein halb verrömerter, roher Kerl, den sie nicht ausstehen kann. Zwar wird sie so jung nicht verheiratet, aber sie sucht sich schon heute eine Stelle, zu der sie fliehen kann, wenn man sie Saxobert geben will.“ „Könnt ihr sie denn gegen den mächtigen Segest schützen?“ „Das können wir nicht, und sie wollte auch ursprünglich um deine Hilfe bitten, Sigimär. Als sie aber hörte, daß Armin römischer Ritter geworden ist, will sie von dir und deiner Familie nichts mehr wissen.“ Wütend wollte Sigimär antworten, wandte sich dann aber verzweifelt ab und sagte schließlich: „Wenn ich nur wüßte, was mit Armin ist! Ein Vater darf doch auf seinen Sohn nicht einfach verzichten! Wen aber kann ich schicken? Dich, Asni?“ „Ich bin gut als Bote unter den Germanen. Diesmal aber müßte ich weit durch römisches Gebiet ziehen, vielleicht bis nach Italien. Da wäre Herniu besser. Welchen Auftrag soll er bekommen, damit die Römer ihn durchlassen?“
„Das ist schwierig. Hätte ich doch meine Schwester Ruwala da! - Aber das ist ein Gedanke. Sie ist Priesterin im Hain der Frija. Laßt uns zu ihr ziehen !“
DAS WINTERLAGER Der Aufbruch zum heiligen Hain der Frija wurde aufgeschoben, denn am Morgen teilte Sigimärs Frau ihm mit: „Ich hatte einen schweren Traum. Du zogst zu der Schwägerin Ruwala, und ich blieb hier. In der Nacht aber kam ein großer, zottiger Mann aus dem Walde und wollte mich greifen. Ich versuchte auszureißen, konnte die Glieder jedoch nicht bewegen. Dann wollte ich zu dir, hatte aber vergessen, wo Ruwala wohnt. Als ich andere fragte, wo der Hain liegt, fragten sie mich, wie die Priesterin hieße. Da wußte ich auch das nicht mehr. Sogar, wie sie aussieht, hatte ich vergessen! Denke dir, ihr Gesicht vergessen. Ich fürchte mich nicht so leicht, aber vor ihr habe ich Angst.“ „Ausgerechnet vor ihr, die dich schätzt!“ erwiderte Sigimär. „Das ist ein dummer Traum!“ „Sprich nicht so von Träumen! Sie rächen sich an dir! Nachts kommen sie angekrochen und drücken dir den Atem ab. Zieh nicht zu Ruwala! Mein Traum kann eine Warnung sein.“ Sigimär war sonst nicht so leicht für Vorahnungen zu haben, aber diesmal zögerte er. Er fürchtete, es könnte sich bestätigen, daß Armin ein Römling und Verräter seines Stammes wäre. Jetzt kam auch der Winter, in dem die Römer niemals Krieg führten. Bis zum Mai war Zeit, sich alles genau zu überlegen. Inzwischen ließ seine Frau die Winterhütten herrichten, denn in den geräumigen Sommerhütten wurde es trotz des Feuers in den Nächten schon unangenehm kühl. Sie holte die Unfreien heran, um zuzupacken, denn für das Gefolge Sigimärs wäre es eine Schande gewesen, mitzuarbeiten. Sie froren lieber beim Zusehen, als daß sie einen Finger rührten. Ein freier Mann zieht auf die Jagd und in den Krieg, aber arbeitet nicht! Das hielten sie für den natürlichen Lauf der Welt. Man nannte die Winterhütten im Walde auch Höhlen, weil sie eine Beinlänge in den Boden versenkt waren und die unteren Enden des Daches eingegraben wurden. Vorläufig roch es in den Höhlen muffig, denn das Holz war angeschimmelt. Auf dem Dach lag Schilf und Dung zum Warmhalten und darüber eine dünne Erdschicht mit daraufgefallenem Laub. Dadurch unterschieden sich die Höhlen, außer auf der Seite des Eingangs, kaum vom Waldboden. Da den Römern diese Winterhütten unbekannt waren, erzählten sie sich die sonderbarsten Geschichten darüber. Herniu hatte sich den Legionären gegenüber im Ausschmücken der Gefahren solcher Waldhöhlen gütlich getan und erzählt, manche wären überhaupt nicht zu erkennen. Aber plötzlich kröche etwas hinter einem her, denn es gäbe - das flüsterte er geheimnisvoll - nicht nur Menschenhöhlen, sondern in einigen hausten Drachen mit langen, zahnbewehrten Schwänzen und krummen Krallenbeinen. Diese Drachen lebten von Menschenblut und wohnten mit Wölfen zusammen, die sich von Menschenfleisch ernährten. Hier bei Sigimär ging es aber nicht so geheimnisvoll zu. Die unfreien Männer stellten die Dächer wieder her, wo sie eingesunken waren, während die Frauen die faulende Liegestreu herausschleppten und frische ausbreiteten. Aus den Eingängen der Höhlen rauchte es, denn sie mußten trockengeheizt werden. Im Gegensatz zu den Sommerhütten hatten sie kein Loch im Dach, aus dem der Rauch abziehen konnte. Sie waren so niedrig, daß sie durch die Menschen selbst warmgehalten wurden. Schon vorher hatte man begonnen, auch die Winterkleidung herzurichten. Die Frauen zogen Schnüre durch die hochgebogenen Ränder von Lederstücken, die als Schuhe dienten, und nähten Wollhosen.
ZUM HAIN DER FRIJA Abends ließ Sigimär Asni kommen und sagte zu ihm: „Geh mit deinen Begleitern zu meiner Schwester und erzähle ihr, was wir erfahren haben. Ich möchte ihre Ansicht hören.“ Sigimärs Frau gab den Reisenden gute Wollhosen, neue Winterumhänge und Schuhe. So ausgerüstet saß der Blinde auf seinem Esel, während Herniu und Olfo mit Frame und Schild nebenher gingen, von der
Weser fort, gegen die noch tiefstehende Sonne. Zu beiden Seiten lagen dichtbewaldete Hügel. Am zweiten Tag überschritten sie einen kleineren Fluß, und nachmittags näherten sie sich weiten Wiesen, auf denen Vieh weidete. Wiederholt schon hatte sich der Blinde erkundigt, wo sie sich befänden. Nun fragte er: „Seht ihr im Tal einen niedrigen Wall und dahinter einen Garten mit krumm gewachsenen Bäumen?“ „Ja“, erwiderte Herniu, „die Bäume sehen aus wie die Obstbäume der Römer jenseits des Rheins.“ „Es sind auch Obstbäume. Sigimärs Vater hatte auf einem seiner Raubzüge einen germanischen Gärtner von jenseits des Rheins gefangen. Den hielt er gut und ließ ihm durch einen römischen Kaufmann Obstreiser bringen. So entstand dieser einzige Obstgarten unseres Landes. Als es dann den Streit um Ruwala gab, schenkte ihr Sigimär den Garten, dazu Unfreie und Vieh, damit sie selbständig leben kann.“ „Was ist das für ein Streit gewesen, Vater?“ „Habt ihr davon noch nicht gehört? Sigimär wollte seine Schwester Ruwala mit Segest verheiraten; aber da wurde sie böse. Damals soll sie ihren Bruder angeschrien haben: ,Weißt du denn nicht, du blinder Tor, wer Segest ist?’ Was sie weiter sagte, wissen wir nicht. Jedenfalls lebt sie seitdem hier als Priesterin der Frija und soll so große Zauber kennen wie keine zweite im germanischen Lande.“ Auch hier in Ruwalaheim war man gerade beim Umzug aus den Sommerhütten in die Höhlen. In der Nähe des Flusses wurde aus übereinandergelegten Stämmen eine kleine Hütte mit senkrechten Wänden errichtet, sicher das Schwitzhäuschen, denn Herniu sah die Heizsteine darin liegen. Eine junge Frau kam ihnen entgegen: „Bewaffnete dürfen hier nicht weiter!“ „Wir haben eine Botschaft für Ruwala von ihrem Bruder Sigimär. „Dann wartet hier! Ich werde es ihr sagen.“ Nach kurzer Zeit erschien eine alte Frau, wohl eine Unfreie, legte auf einen Stein ein Fell zum Sitzen und betrachtete die Ankömmlinge neugierig. Sie schien von ihrem Anblick befriedigt, denn ihr Gesicht wurde freundlicher. „Setzt euch! Ruht euch aus!“ Kurz darauf brachte sie auf einer flachen Holzschüssel eingesalzenen Fisch und Käse. „Eßt zur Gesundheit!“ Während des Essens blieb sie vor ihnen stehen. „Ich erinnere mich daran“, sagte Asni, „daß früher hier Schinken geräuchert wurde, und man bekam davon einen Ehrenbissen.“ „Ja, gestern am Tage Thunars, dem das Schwein heilig ist, hättet ihr davon bekommen. Heute aber ist der Tag der Frija, und da wäre es eine schlimme Sache, Fleisch zu essen, denn es heißt: Frija freut sich an Fisch und Früchten. Wenn ihr auch nicht im heiligen Haine seid, so gelten doch hier die Gesetze der Göttin.“ Nach dem Essen kam die junge Frau wieder. „Heute am Tage der Frija kann euch Ruwala nicht sehen. Sie hat sich gesäubert und befindet sich im Hain der Göttin. Morgen aber wird sie euch rufen lassen. Geht auch heute nicht weiter in dieser Richtung! Sonst könnt ihr tun, was ihr wollt.“ Nachdem sie verschwunden war, fragte Herniu: „Vater, darf niemand außer Ruwala in den Hain?“ „Nur heute nicht. An den Tagen der Obsternte wimmelt es darin von Menschen, und es ist Sitte, die Göttin durch Fröhlichkeit zu erfreuen.“ Auch Olfo hatte eine Frage: „Wie ist das, wenn sich Ruwala säubert?“ „Sie nimmt morgens ein Bad, genau wie du. Im Sommer geht sie zum Fluß, im Winter ins Dampfhäuschen. Danach zieht man ihr ein frisches Hemd an und setzt ihr einen Kranz auf.“ „Und was tut sie im Hain?“ „Wie soll ich das wissen, Olfo? Nur Frauen erfahren diese Geheimnisse. Vielleicht bringt sie ein Opfer dar?“ „Ein Tier? So wie damals bei den Semnonen, als das Pferd gehängt wurde?“ „Nein, Frija will keine blutigen Opfer, sie ist eine fröhliche Göttin.“ RUWALA Der Morgen war kühl, aber sonnig. Gut ausgeruht nahmen die Blutsfreunde den Blinden in ihre Mitte und rannten zum Flusse. Da, wo das Wasser über Kiesgrund lief, badeten alle, Freie und Unfreie, Männer, Frauen und Kinder. Es herrschte ein lustiges Treiben. Bei ihrer Rückkehr zur Gasthütte erwartete sie schon die alte Dienerin und sagte mit leicht singender Stimme: „Heute gibt es den Schinken, nach dem du dich so sehnst, Asni. Setzt euch! Eßt zur Gesundheit!“ Bald darauf kam die junge Frau. „Ich soll euch zu Ruwala führen.“ Sie gingen zu den Sommerhütten, wo es nicht anders aussah als überall in germanischen Siedlungen. Nur über einer Tür war ein rötlicher Vogel mit gespreizten Flügeln gemalt, das heilige Tier der Frija, die Taube. Das war die Empfangshütte der Priesterin. Vor dem Feuer saß im weiten Umhang eine weibliche Gestalt.
„Setzt euch!“ sagte sie ruhig. „Was läßt mir mein Bruder Sigimär sagen?“ Asni berichtete über das drohende Unheil. Ohne sich zu rühren, hörte ihm Ruwala zu, bis er fragte: „Soll Sigimär zu dir kommen?“ „Eins verstehe ich nicht“, erwiderte sie mit klarer Stimme. „Ihr mißtraut meinem Neffen Armin. Solange er aber bei den Römern ist, muß er von ihnen jede Ehrung annehmen. Mein Bruder selbst hinderte ihn bisher daran zurückzukehren. Weshalb macht er ihm jetzt Vorwürfe? Nur wenn Armin bei seiner Rückkehr in unser Land versuchte, nach römischer Weise König zu werden, könnte man ihn tadeln. Aber auch dann wäre er noch kein König. Haben wir keine Ältesten und Priester, die ihm sagen können, was bei den Cheruskern Brauch ist? Asni, du warst bei meinem Neffen Armin. Sage mir: Glaubst du, daß er wie Segest heimlich mit Rom verhandelt, um König zu werden?“ „Nein, er bemüht sich um Bündnisse gegen sie.“ „Siehst du!“ „Aber, Ruwala, kannst du die Göttin nicht befragen, was Armins Zukunft ist?“ „Du redest in deinem Unverstand, Asni! - Als die Walaheit Sagintruda starb, ließ sie mich an ihr Lager rufen. Sie hatte viele Junge alt werden sehen, und die Welt lag schon um sie im Schatten. Nur noch ganz leise konnte sie sprechen, so daß ich mich dicht über sie bücken mußte. So flüsterte sie mir eine Weisheit zu: ,Nie nahe der Göttin mit Neugier! Die Götter gaben den Menschen den Geist zu suchen, zu finden, zu handeln. Dem Ringer in Not nur raunt die Rune.’ Verstehst du das? Ist eure Not so groß, daß Runen sprechen müssen? Habt ihr keinen Verstand? Sigimär stieß seinen Sohn selbst auf diesen Pfad und soll ihm deshalb nicht mißtrauen. Wenn aber Sigimär meine Hilfe braucht, so wird er nicht zweimal bitten. Und wenn es einen Krieg gibt, in dem es um Wohl und Wehe der Cherusker geht, so wird die Göttin selbst mit ihm ziehen!“ Diese letzten Worte hatte sie mit solcher Schärfe gesagt, daß Asni bestürzt fragte: „Sollen wir gehen?“ „Bleibe noch! Du sprachst von Tursinhilda. Vielleicht ist ihre Weigerung, Saxobert zu heiraten, jetzt nur ein Widerwillen gegen ihn. Richtete er sich nicht aber auch gegen ihren Vater Segest? Ich möchte ihr zeigen, welcher verderbliche Geist in ihrem Vater steckt. Er will selbstherrlich alles anordnen, ihre Ehe ebenso wie das Leben der Cherusker. Sklaven will er um sich haben wie die römischen Senatoren. Wir aber sind Germanen. Und wer versucht, unsere alten Sitten zu zerstören, dem werden die Götter einen Sturz bereiten, auf eine Weise, die niemand erwartet. Wer klug ist, zieht sich vom Stürzenden zurück, bevor er zu Falle kommt. Ich möchte, daß Tursinhilda ihren Weg zu mir findet. Ihr Vater wird es ungern sehen. Er kann ihr aber nicht verwehren, die Priesterin der Frija aufzusuchen, die über die Ehe wacht. Wie heißt der Bote aus ihrer Nachbarschaft?“ „Ursilo, der Läufer.“ „Gut, sagt Ursilo, dem Läufer, daß ich ihr Unterkunft und den Schutz der Göttin verspreche, wenn sie mich besucht.“ Eilig kam die junge Frau herein und flüsterte Ruwala etwas ins Ohr. Diese erhob sich: „Für jetzt seid ihr entlassen, bleibt aber noch bis morgen!“ Vor dem Eingang sah Herniu zu seinem Staunen einen der Priester aus Armins Umgebung. „Ach, du bist es, Sänger!“ rief dieser. „Komm wieder mit hinein!“ Er faßte Asni freundschaftlich an der Hand. Ruwala war erzürnt, als der Blinde zu ihr zurückkehrte. „Willkommen, Bote!“ sagte sie. „Weshalb aber verlangst du zuerst, mich allein zu sprechen und führst nun selbst einen Zeugen ein?“ „Gleich erfährst du es, Ruwala. Armin läßt dich grüßen. Er weiß, du hegst den Hain der Fruchtbarkeitsgöttin. Deshalb sendet er dir einige seltene Reiser, um die Arten deiner Obstbäume zu vermehren. Dies ist mein Auftrag vor der Welt. Ich habe jedoch noch einen, der nur für dich gedacht war. Aber Asni soll ihn auch wissen, denn er wird sein Bote sein.“ „Was ist das?“ fragte Ruwala. „Armin befindet sich bei den Römern, wie du weißt. Ihre Absicht war, ihn und seine Cherusker gegen die aufständischen Pannonier und Dalmatiner zu verwenden. Gegen sie sind sowohl der Kaisersohn Tiberius wie Sentius Saturninus gezogen, jedoch werden sie in diesem Jahre nicht mehr kämpfen können. Nun kam an Sentius Saturninus ein Schreiben von Varus, dem neuen Statthalter Roms am Rhein. Darin teilt er mit, daß Segest ihn gebeten hat, alles Land zwischen Rhein und Weser zu besetzen. Dazu reicht jedoch die Truppenmacht nicht aus, die der Statthalter am Rhein besitzt. Er bittet nun, ihm die Hilfstruppe der Cherusker zu senden. Armin vermutet, daß Varus
von der Feindschaft zwischen Segest und Sigimär nichts weiß. Er bittet dich, Ruwala, deinem Bruder Sigimär sagen zu lassen, er soll alles vermeiden, was Varus aufklären könnte. Armin selbst kann das seinem Vater nicht sagen, ohne die schuldige Achtung des Sohnes zu verletzen. Du aber, Ruwala, verstehst, worum es geht, und besitzt das Vertrauen deines Bruders.“ Ruwala antwortete: „Du hörtest, Asni, was Armin von seinem Vater erbittet. Ich lasse ihm sagen: Seine Zunge sitzt ihm zu locker im Munde. Er soll sie anbinden. Als Priesterin der Frija, der Göttin des Friedens, gebiete ich ihm, Frieden mit Segest, aber einen Frieden, der vorsichtig ist! Verstehst du, Asni? Die Göttin könnte Segest einmal zürnen! Nun aber sage mir, Bote, weshalb haben die Römer Armin zum Ritter gemacht? Ein Ritter ist ein Edler Roms, ein Schützer Roms!“ „Es war Tiberius, der seinen kaiserlichen Vater bat, Armin in diesen Rang zu erheben. Du weißt, daß Augustus Marobod an seine Tafel geladen hat. So machen es die Römer, um unsere Stämme zu unterjochen. Marobod ließ sich auch gewinnen und hat jetzt mit den Römern einen schmählichen Frieden geschlossen, wobei er die Pannonier und Dalmatiner verriet. So will Augustus auch Armin gewinnen und ihn fest an Rom binden. Armin aber weiß, daß er dann seinen Vater und seine Stammesbrüder verlieren würde. Seine wahre Gesinnung jedoch zeigt er den Römern nicht, und darum habe ich eine zweite Bitte dir, Ruwala, zu überbringen.“ „Ich kenne sie, Bote, bevor du sie nennst. Armins Vater, mein Bruder, ist gut, aber wie ein Ast am Baume. Wenn der Sturm durchs Land fährt, schlägt er hin und her. Ich werde ihn festhalten. Das sage meinem Neffen Armin!“
DER APFEL DER FRIJA Bevor der Blinde wieder zur Weser aufbrach, kam Ruwala vor seine Hütte. Diesmal konnte Herniu die Priesterin genau betrachten. Ihr Schritt war ungewöhnlich weit. Sie war auch schön, aber nicht so geheimnisvoll, wie sie ihm bisher erschienen war. Eher hatte sie etwas Klares, Festes in ihren Zügen. Sie blieb dicht vor Asni stehen. „Ziehe mit dem Frieden Frijas von dannen, Sänger! Hier überreiche ich dir etwas für meinen Bruder Sigimär.“ Sie streckte ihre Hand aus, und eine ihrer Begleiterinnen übergab ihr einen großen Apfel. „Sage Sigimär: Diesen Apfel sendet dir die Göttin aus ihrem Hain. Es ist der größte und beste dieses Jahres. Sigimär soll ihn teilen, ihn zusammen mit seinen Freunden essen und dazu sagen: ,Die Frucht war eins, in wen sie wandert, soll eins mit seinen Brüdern sein.’ Wenn er mit den Edlen unseres Stammes sitzt, soll er aus den Säcken, die wir euch mitgeben, gemeinsam essen. Der Sack mit den zuerst gereiften Äpfeln ist mit einem roten Band verschnürt, weil der Herbst rot ist. Der Sack mit denen, die um die Wintersonnenwende reifen, hat ein weißes Band wie der Schnee, der mit den spätesten Äpfeln ein grünes, denn der Frühling ist grün. Dadurch, daß mein Bruder bei jeder Mahlzeit einen Apfel ißt, wird er daran denken, daß die Cherusker nur geeint bestehen können, und nicht nur die Cherusker! Das bedeutet der Apfel der Frija! Es esse ihn der Gau des Wolfs, der Gau des Bären, der Gau des Ebers, der Gau des Elchs, der Gau des Adlers. Sie alle bindet Frija, und sie wird es auch Tiu sagen. Der Gott des Schwertes wird verstehen, daß der friedliche Apfel auch der Apfel des Schwertes ist, der Apfel Frijas und Saxnots!“
Herniu lernt
BÄRENJAGD
S
liebte den Winter nicht, denn es war nicht seine Sache, in der engen Höhle zu sitzen. Wenn das Wetter es nur irgendwie erlaubte, ging er auf die Jagd. So war er an einem Morgen mit Liutiprant, Wulfegar, Herniu und Olfo trotz des Sturmes aufgebrochen, der über die Schneeflächen fegte und ihnen Eiskörnchen ins Gesicht trieb. Sigimär hatte erfahren, daß nicht allzuweit am Fuße eines Hügels ein mächtiger Bär in einer Kuhle seinen Winterschlaf hielt. Den wollten sie erlegen, die mächtigen Schenkel zu feinem Bärenschinken räuchern lassen und den Bärenkopf schon am nächsten Tage mit all der hergebrachten Feierlichkeit essen. Beim Betreten des Waldes versank Olfo gleich bis an den Bauch im Schnee. Er war in ein zugewehtes Loch geraten, und alle vier mußten zugreifen, um ihn herauszuziehen. Sigimär, der sich hier am besten auskannte, ging langsam voraus und tastete mit dem stumpfen Ende der Frame den Boden ab. Die anderen traten in seine breiten Spuren, denn er hatte sich die Füße dick umwickelt und darüber den Lederschuh gebunden. Selbst hier im Walde blies der Wind unangenehm, pfiff und heulte in den kahlen Bäumen. In der tiefen Wehe war Olfo Schnee in die Schuhe gekommen, der nun zu tauen begann und seine Fußlappen durchnäßte. Aber was schadete das, solange man sich bewegte, nur - mit Schrecken dachte Olfo an seinen Vater Ehinolf. Ob der überhaupt noch lebte? Man sagte, daß einer, der als Rudersklave angekettet würde, höchstens zwei Jahre vor sich hätte. Olfo dachte manchmal an ihn, denn er hatte diesen gewaltigen, starken Menschen geliebt und bewundert. Ehinolf konnte herzhaft und voll Gutmütigkeit lachen, nur eins vertrug er nicht, Grausamkeit und Heimtücke. Wenn er so etwas bemerkte - und meistens bemerkte er es nicht, weil es ihm unmöglich erschien - verlor dieser Riese vor Zorn jede Vernunft. Sah er aber Leid, so schmolz sein Herz vor Mitleid. Wenn ich ihm nur helfen könnte! In solchen Gedanken stapfte Olfo als letzter in der Reihe und hatte doch seine Sinne auf alles gerichtet, was er sah und hörte. Sigimär bog um einen Hügel. Waren sie etwa an der Stelle schon vorbei, wo der Bär seinen Winterschlaf halten sollte? Es kam Olfo so vor, als bliese der Wind jetzt aus einer anderen Richtung. Da aber von der Sonne nichts zu sehen war, denn tief zogen die grauen Wolken rasch über sie hin, erkannte er die Himmelsrichtungen nicht mehr. Sie kamen zu einer kahlen Fläche. Der Sturm hatte noch zugenommen. Eisstückchen flogen Olfo ins Ohr, und seine eine Backe überzog sich mit einer dünnen Eisschicht. Er befühlte sie vorsichtig, sie war jedoch sehr empfindlich, und da bestand keine Gefahr des Erfrierens. Mittag mußte schon längst vorbei sein, und noch immer suchten sie. Es begann zu regnen. Auf dem Schnee bildete sich Eis, das beim Auftreten in scharfkantigen Platten brach. Olfo schnupperte gegen den Wind. Es roch sonderbar und wurde merklich wärmer. Ein jähes Tauwetter hatte eingesetzt, und auf dem Eise bildeten sich Pfützen. In den Spuren der Vordermänner stand Wasser. Olfo trat neben sie, aber auch dort bildete es sich sofort, so daß seine Füße von Minute zu Minute nässer wurden. An Hernius Bewegungen sah er, daß der sehr müde war, und doch suchte Sigimär weiter. Sie kamen an eine Stelle, an der sie schon einmal am Morgen gewesen waren. Der kurze Wintertag ging zu Ende. Es regnete immer stärker. Ihre Kleidung war durchnäßt, am wenigsten bei den drei Edlen, weil sie Ledersachen trugen. Der Sturm hatte aufgehört. Dafür lag ein gespenstisches Dämmerlicht im Tal und am Rande des laublosen Waldes. Plötzlich bewegten die vorn sich rascher. Was geschah da? Hatten sie Wild aufgescheucht? Olfo eilte vor, glitt aber im weichen Schnee aus und sah nur, daß Sigimär seine Frame mit einem Ruck zurückzog und sie erneut zum Angriff bereithielt. Auch die anderen hatten die Framen gesenkt, aber nichts rührte sich vor ihnen. Sigimär hatte wirklich den Bären gefunden und, obwohl nur wenig von ihm zu sehen war, sofort tödlich getroffen. Nun galt es, das Tier fortzuschaffen, das noch nicht, wie am Ende des Winterschlafs, abgemagert, sondern fett und schwer war. Schon das Herausziehen aus der Kuhle kostete eine große Anstrengung. Dann zogen ihn die Jäger, die in dem Schneematsch ausrutschten, nach dem Wege zu. In der feuchten, nun fast warmen Luft begann es ihnen heiß zu werden, und bei der zunehmenden Dunkelheit wurde es auch immer IGIMÄR
schwerer, den Boden zu erkennen. Einer nach dem anderen glitt aus und fiel hin. Nur Sigimär beteiligte sich nicht am Schleppen, sondern tastete langsam voraus, um die Richtung nicht zu verlieren. Nach einiger Zeit erreichten sie in völliger Dunkelheit den Pfad und verschnauften. „Wir könnten den Bären liegenlassen“, sagte Sigimär. „Aber die Wölfe würden ihn auffressen.“ Liutiprant entgegnete: „Kein ordentlicher Jäger läßt seine Beute im Stich.“ „Dann wollen wir erst den Ehrenbissen verzehren!“ Sigimär tastete mit einer Hand nach dem Bauch des Bären und schnitt ihn mit der anderen auf. Beim Verzehren der noch warmen Leber dachte Olfo wieder: Wäre doch mein Vater da! Er liebte nichts so sehr wie rohe Bärenleber. Nach dem kurzen Jagdmahl brachen sie wieder auf und schleppten das gewaltige Tier mit viel Mühe bis zu Sigimärs Winterhöhle. Beim Eintritt sah Herniu, daß da etwas los sein mußte. Schon tauchte bei dem rötlichen Licht des römischen Öllämpchens ein Männergesicht auf. Erst als Sigimär rief: „Willkommen, Armin!“ erkannte ihn Herniu. Auch Armin war in den Sturm gekommen, und sein Gesicht hatte sich in der Wärme der Hütte hochrot gefärbt. Alle legten ihre nassen Gewänder ab und erhielten warme, trockene von Sigimärs Frau, die dabei voll Freude und Stolz ihren Sohn anblickte. Die schweren Anstrengungen des Tages waren nun überwunden, und dazu bewirkte die Wärme, daß die Männer heiße Köpfe bekamen. Während des Essens wurden sie so müde, daß Herniu sogar am Tische einschlief und von der Bank gefallen wäre, wenn ihn der starke Olfo nicht auf sein Lager getragen hätte. DER BUND DES APFELS Trotz des tief aufgeweichten Bodens brach Sigimär mit den Gästen und Armin am Morgen wieder zur Jagd auf. Sie haben sicher etwas anderes vor, dachte Herniu. Kaum waren sie hinter den nächsten Hügeln in den Wald gekommen, als Sigimär stehenblieb und zu Herniu und Olfo sagte: „Ihr werdet hier bleiben und aufpassen, daß wir nicht von Wölfen überfallen werden!“ Die Jagdgesellschaft lachte, denn jedem war klar, daß es sich nicht um Wölfe handeln konnte. So blieben die Blutsfreunde am Waldrand zurück und stapften auf und ab, um sich warm zu halten. Plötzlich sagte Olfo: „Die Römer sind jetzt durch den Pannonieraufstand geschwächt. Wenn sie“, er zeigte dahin, wo die vier Männer verschwunden waren, „die Schwächung der Römer zu einem Rachefeldzug ausnützten, könnten wir doch auch Rudersklaven befreien. Aber wo wird mein Vater sein?“ Herniu glaubte kaum, daß der starke Ehinolf noch lebte, wollte aber die Hoffnung seines Freundes nicht enttäuschen und sagte: „Im Lande der Batawer hat Drusus einen Kanal bauen lassen, und dort ist das Land von Flüssen ganz durchzogen. Daher ist bei den Batawern der regste Schiffsverkehr.“ „Ist es weit dahin?“ „Nicht weiter als bis Moguntiacum, aber im Land der Batawer können wir nicht kämpfen, wenn wir nicht ebenso viele Schiffe und Kähne bauen wie die Römer, und das können wir nicht. Die Batawer und Friesen würden uns nicht helfen, weil sie unserer Stärke nicht trauen. Nur die Stämme am mittleren Rhein sind bereit, mit uns zu gehen, die Sugambrer, Chatten, Marsen und ihre Verwandten.“ Viel Aussicht, den Vater zu finden, bestand also für Olfo nicht. Erst nach Stunden tauchten die vier Männer ohne Jagdbeute wieder auf. „Armin“, sagte Sigimär, „ich habe Herniu und Olfo an deiner Stelle mit Schild und Frame belehnt, weil Asni es empfahl. Gern behalte ich sie hier, aber wenn du sie brauchst, nimm sie mit!“ Armin betrachtete prüfend die beiden. Olfo versprach, ein sehr starker Mann zu werden, und hatte ein gutes Gesicht. Herniu aber - bei seinem Anblick schien Armin etwas einzufallen: „Ich brauche beide.“ „Dann gehören sie von dieser Stunde an zu deiner Gefolgschaft.“ An diesem Abend ließ sich Sigimär vor dem Essen von seiner Frau einen der Äpfel seiner Schwester reichen. Die Gäste standen verwundert um ihn. Im schwachen Licht des Öllämpchens sah man nur ihre Gesichter genauer, Liutiprant und Wulfegar mit dem hochgebundenen Schöpf der Sweben und dem Bart, der freilich bei Wulfegar erst sproßte, Armin glattrasiert und die Haare in die Stirn gekämmt, wie es die Römer taten. Allerdings trug er hier einen germanischen Umhang. Sigimär teilte den Apfel in vier Teile und sagte feierlich: „Die Frucht war eins, in wen sie wandert, soll eins mit seinen Brüdern sein.“
Würdevoll streckte er Liutiprant die Hand hin. Als jeder seinen Teil genommen hatte, fuhr er fort: „Wenn ihr diesen Apfel eßt, sollt ihr wissen, daß er aus Frijas heiligem Hain stammt. Auch Tiu, der Gott unseres Stammes und Herr des Schwerts, hat ihm seinen Zauber gegeben. Er grüßt Wuotan, den Herrn der Frame, denn Frame und Schwert sollen zusammen kämpfen.“ Sie haben heute einen Bund geschlossen, dachte Herniu. Aber die Sweben gehören zu Marobods Reich. Wollen sie sich etwa von ihm lossagen? TURSINHILDA Armin zog nicht unmittelbar zum Rhein zurück, sondern in die entgegengesetzte Richtung, um seine Tante Ruwala aufzusuchen. Zwei Tage vorher hatte er Wechselpferde vorausgesandt und brach mit Herniu und Olfo beim Morgengrauen auf. Der Tag war kalt und der Boden hart gefroren, so daß die Hufe bei dem scharfen Trab laut aufschlugen. Zu Mittag erreichten sie eine Siedlung, in der Krieger seiner Gefolgschaft auf ihn warteten. Armin nahm in einer Winterhöhle ein Mahl ein, das man ihm gastlich bereitgehalten hatte. Beim Verlassen der Hütte fanden sie eine Schar Menschen versammelt, die trotz der Kälte warteten, um den Anführer der weit berühmten cheruskischen Truppe zu sehen. Armin nickte ihnen lächelnd zu, schwang sich auf das bereitgehaltene Pferd und brauste los, so daß seine Begleiter auf die rennenden Tiere springen mußten. Herniu war an solche Kunststücke nicht gewöhnt, kam aber noch gerade auf den Pferderücken, wenn auch so weit hinten, daß die Dörfler lachten und er vor Scham rot wurde. Das sollte ihm nicht wieder geschehen! Er wollte das üben. Bei dem schnellen Tempo erreichten sie schon am selben Tage Ruwalaheim. Auch hier standen Krieger zum Empfang bereit. Aus der Gasthütte drang ihnen Qualm entgegen, da sie vermutlich lange leergestanden hatte und eben erst geheizt wurde. Innen war sie durch eine Kienfackel, die den Rauch noch vermehrte, schlecht beleuchtet. Inmitten des Qualms stand die freundliche Alte, die den Blinden vor Monaten in Ruwalaheim bedient hatte, und lächelte mit ihrem verrußten Gesicht Armin und seine Begleiter an. Sie hängten ihre Schilde an Pflöcke, die aus den Stützen des Dachs ragten, und setzten sich trotz des beißenden Rauchs zum Essen nieder. Herniu konnte nur schief sitzen. Deshalb fragte ihn Armin lachend: „Hast dich wohl aufgeritten? Und du, Olfo, auch? Das ist uns allen schon einmal so gegangen. Laßt euch vor dem Schlafengehen Hirschtalg geben! Damit reibt ihr die schmerzenden Stellen ein!“ Kaum hatten sie zu essen begonnen, als sie streitende Frauenstimmen hörten. Gleich darauf tauchte eine sehr junge Frau von stattlicher Größe in der Tür auf und blickte offen, fast herrisch, die Männer an. „Ah, du bist Armin?“ fragte sie. „Rasiert wie eine gerupfte Ente! Schämst du dich nicht, als Germane wie ein Römer herumzulaufen?“ Hinter der Fremden erschien Ruwala mit lachendem Gesicht. Der anfangs verblüffte Armin antwortete: „Ja, rasiert! Ich bin sogar ein römischer Ritter, wenn dich das noch mehr in Wut bringt, mein Liebchen!“ „Laß mich mit Liebchen in Ruhe! Für deinesgleichen habe ich nichts übrig.“ „Aber“, erwiderte Armin, „die Schöne, die uns da so stürmisch besucht, könnte uns wenigstens ihren Namen nennen. Du trägst eine silberne Nadel, die auch nicht gerade germanisch aussieht.“ Ruwala lachte noch mehr. „Es ist Tursinhilda, die Tochter Segests.“ Überrascht erhob sich Armin: „Ruwala und Tursinhilda, seid willkommen! Setzt euch zu uns und eßt zur Gesundheit!“ „Ich setze mich nicht neben dich!“ erwiderte die junge Frau trotzig. „Gut“, antwortete Armin. „Aber im Ernst gesprochen: Wie kommt es, daß die Tochter dessen, der die Römer ins Land rief, alles Römische so haßt?“ Ruwala warf Armin einen mißbilligenden Blick zu. „Darüber jetzt kein Wort! Ich setzte mich neben Armin, denn daß er mich besucht, deren Gesinnung er kennt, zeigt mir keinen Römling. Komm, Tursinhilda, setze dich neben mich und laß die Männer erst einmal ihr Mahl beenden.“ Die Krieger rückten zur Seite, um den beiden Frauen Platz zu machen. Dabei wunderten sie sich, daß Tursinhilda einen Duft feiner Salbe ausströmte, wie die reichen Römerinnen sie benutzten. Niemand wagte aber, davon zu sprechen, um nicht die kriegerische Jungfrau erneut zu reizen. Nach dem Mahl kam die alte Dienerin mit einem Holzbottich voll Wasser und einem kugligen Stück Seife, damit sich die Krieger die Hände waschen konnten.
Armin nahm das Stück und betrachtete es. „Sieh, Tursinhilda, diese Seife wird aus dem Fett unseres Viehs und der Asche unserer Buchenwälder bereitet, und wir verkaufen sie an die Römer. Ist das für sie eine Schmach? Wir kaufen von ihnen Nadeln, um unsere Umhänge am Hals zu schließen. Ist das für uns eine Schmach? Kommt es denn darauf an? Dein Vater Segest aber will das Thing abschaffen, will die Freiheit der Germanen -“ „Und du?“ fragte Tursinhilda heftig. „Willst du nicht König der Cherusker werden?“ „Wenn du mir nicht glaubst, mußt du dich einmal zügeln und mich anhören. Natürlich könnte ich die Römer bitten, mich mit Hilfe der Legionen als König der Cherusker einzusetzen. Und dann? Weißt du, wie verhaßt Marobod bei den Sweben ist? Und er wurde noch nicht einmal von den Legionen als Herzog eingesetzt. Weißt du, daß sich Fürsten zweier swebischer Stämme bei meinem Vater befinden? Sie sind dort, weil Sigimär die alten Sitten unserer Stämme achtet und auch weil die Hoffnung auf Rache an den Römern sie zu uns führte. - Wenn ich nach der Königswürde strebte, würde ich zu Sturze kommen - vielleicht nicht gleich, aber später ganz sicher!“ Er blickte Tursinhilda fest an. Sie schlug die Augen nieder. Ruwala beobachtete es und sagte laut: „Die Krieger haben einen langen Ritt hinter sich und wollen ruhen. Thunar, Tiu, Twisto machen nicht Wachende weise. Beschlaft es, bevor ihr beschließt!“ DER RIESE Kaum hatten sich die Männer zur Ruhe gelegt, als sie Getrappel von Pferden und Männerstimmen hörten. „Herniu!“ sagte Armin. „Geh hinaus und sieh nach, wer das ist!“ Die Nacht war ziemlich hell, so daß Herniu einen Mann von ungewöhnlicher Größe in einem weiten Lederumhang, wohl einem Pelz, erkannte, der von Kriegern begleitet wurde. „Heh!“ sagte der Riese mit fröhlicher Stimme. „Gut, daß noch jemand wach ist. Sind schon Gäste da?“ Herniu war mißtrauisch, durfte er aber schweigen? Zögernd erwiderte er: „Armin, der Sohn Sigimärs, ist da.“ „Ach, der? Geh hinein und sage ihm: Hier ist der andere Sigimär, den sie Raganhar, den Riesen, nennen. Nichts ist mir lieber, als Armin zu treffen.“ Beim Eintritt in die Hütte bemerkte Herniu, daß sich Armin schon erhoben hatte. „Zünde am Herdfeuer die Fackel an! Und bringe alles her, was wir noch zu essen und zu trinken haben!“ Unterdessen polterte schon der neue Gast herein, stieß in der Dunkelheit an etwas und lachte auf. Nachdem Herniu die brennende Fackel in das an einer Stütze angebrachte Horn gesteckt hatte, sah er, daß die beiden einander gegenüberstanden. Dabei erschien Armin geradezu klein und zierlich. Der Riese, der ein breites, gutmütiges Gesicht mit blondem Bart hatte, sagte schallend: „Endlich lerne ich dich einmal kennen, Armin! Wer ich bin, weißt du wohl, der Bruder Segests, des Überfürsten. Ja, wir sind eine bunte Familie: Der eine, nämlich ich, muß einmal eine Großwachswurzel gegessen haben, der andere, Segest, hat zu seinem Unglück ein Hochmutskraut verzehrt, und meine Nichte Tursinhilda ist eine ungezähmte Stute aber fein, mein Lieber! Sie ist ihrem Vater ausgerissen! Hätte ich an ihrer Stelle auch getan! Wo mag sie nur stecken?“ „Hier, Raganhar.“ „Ach, sie hat wohl gar etwas mit dir?“ „Höchstens, daß sie mich als Römling heftig verachtet.“ Der Riese lachte. „Wenn ich mich auf Frauen verstehe, wird sie den sehr glücklich machen, der sie zu bändigen weiß. Dazu gehört aber Verstand - den mir Tiu nicht verliehen hat - abgesehen davon, daß ich schon ein Weiblein habe, ein ganz kleines, mußt du wissen. Das habe ich genommen, damit unsere Kinder nicht solche Klötze werden wie ich. übrigens hat es nichts genützt. Meine Töchter reißen schon heute Bäume aus.“ In dieser Weise schwatzte Raganhar vergnügt weiter, aß mächtige Stücke Fleisch und legte sich schließlich nieder, ohne daß sich Herniu über mehr klar werden konnte, als daß der Riese für seinen Bruder Segest wenig übrig hatte. Gegen Mittag sandte Ruwala eine junge Frau zu den Gästen, sie wäre zum Empfang bereit. Um die Geschenke zu tragen, die Armin und Raganhar der Oberpriesterin mitgebracht hatten, bestimmte jeder der beiden zwei aus ihrer Gefolgschaft. Unter ihnen befand sich auch Herniu, denn die übrigen Begleiter Armins waren zwar gute Reiter und Krieger, aber verstanden nicht, wie man sich bei so feierlichen Gelegenheiten benimmt. Ruwala empfing die Gäste in ihrer Hütte hinter dem niedrigen Herde sitzend, neben sich Tursinhilda, über die Herniu ihrer königlichen Haltung wegen noch mehr staunte als bisher.
„Willkommen, Raganhar und Armin!“ begann Ruwala. „Ihr seht neben mir Tursinhilda.“ Der Riese unterbrach sie: „Die ihren Zaum zerriß und fortgaloppierte!“ „Raganhar!“ erwiderte Ruwala. „Wir kennen deine Späße, aber lieben sie nur, wo sie hingehören. Hier geht es um eine ernste Aussprache, bei der auch du gut zuhören solltest. Tursinhilda will sich ihrem Vater nicht fügen, weil er sie fortgeben will, wie man etwas verschenkt.“ „Und darin hat sie recht!“ rief der Riese. „Ich weiß, ihr verachtet mich, weil ich bei euren schlangenklugen Reden nicht mitkann. Aber meine Hand ist stark und bereit, Tursinhilda gegen meinen Bruder zu schützen.“ Mißmutig wandte sich Tursinhilda ab. „Weshalb schlägst du meine Hilfe aus, du wilde Stute?“ Ruhig antwortete Ruwala: „Wir sprechen nicht schlangenklug, aber auch nicht so unbedacht wie du. Wie kannst du sie eine wilde Stute nennen? Weißt du denn, ob es nur dieser Saxobert ist, den sie nicht nehmen mag? Ihr Vater hat die Römer gerufen, und das bedroht die Freiheit unseres Stammes.“ „Er ist ein Verräter!“ sagte Raganhar dröhnend. „Ja, ein Verräter“, erwiderte Armin, „und doch -“ Erschrocken fragte Ruwala: „Was ist das für eine Rede? Bist auch du für die Römer, Armin? Dann würde ich den Fluch der Göttin über dich sprechen!“ „Und recht hättest du“, erwiderte Armin, „mich zu verdammen. Anders ist es mit Segest. Er ist nicht nur der Überfürst aus Ehrgeiz, wie ihr meint. Können wir Germanen denn neben dem riesigen Römerreich so weiterleben, wie es unsere Urväter taten? Sie gingen auf die Jagd und kämpften miteinander um Jagdgebiete. Wir aber müssen uns zusammenschließen, und das will Segest ebenso wie du, Ruwala. Nur will er uns zusammenschließen, wie es die Römer taten, unter einem allmächtigen Kaiser. Ich habe die Geschichte der Griechen und Römer durchforscht, denn dazu halte ich mir den gelehrten Sklaven Artemios. Die Römer brauchten viele hundert Jahre, um ihr großes Reich mit allem dem aufzubauen, was darin ist. Haben wir aber Hunderte von Jahren Zeit, uns der Römer zu erwehren?“ Er blickte Ruwala mit festem Blick an und fuhr nachdenklich fort: „Marobod und Segest wollen mit einem bißchen Gewalt und Heimtücke uns Germanen zu einem zweiten Rom machen. Wo aber nehmen sie zum Beispiel das viele Eisen für die Waffen her, um Dutzende von Legionen damit auszurüsten? Wo sind die Staatsgüter, um diese Legionen zu ernähren?“ Voll Zorn sagte Tursinhilda: „Du willst also, daß wir uns den Römern einfach fügen?“ „Nein, das will ich nicht. Nur der Weg Segests ist falsch. Er will die Germanen dadurch einen, daß er sie mit Hilfe der Römer zusammenschließt. Aber sind denn die Römer so dumm, ihn zum Oberherren aller Germanen zu machen? Das Gegenteil müssen wir tun.“ „Was ist das Gegenteil?“ fragte Ruwala. „Wir müssen die Römer zuerst einmal irgendwo schlagen, und dadurch werden wir uns einigen.“ „Wo soll das sein?“ fragte Tursinhilda. „Das ist es, wonach auch ich mich frage“, erwiderte Armin. „Ich beobachte bei den Römern alles. Jetzt sind ihre besten Legionen gegen die Pannonier und Dalmatiner gezogen, während die Legionen am Rhein aus jungen Leuten ohne Kriegserfahrung bestehen. Varus, der neue Statthalter am Rhein, ist ein geldgieriger, fauler Mann. Mit ihm -“ Raganhar lachte. „Ja, schlau seid ihr! Erzählt große Geschichten von Königen, Metallen und Getreide und habt nicht den geringsten Plan!“ „Oheim!“ erwiderte Tursinhilda. „Mag dir das komisch vorkommen, aber Armin ist der erste, der mir zeigt, wo es bei meinem Vater nicht stimmt.“ „Ja, komisch kommt es mir wirklich vor!“ rief der Riese dröhnend. „Womit sich manche Leute den Kopf heiß machen! Wenn es Kämpfe gibt, gehe ich mit! So dachten unsere Großväter und waren dabei glücklich.“ „Gut“, sagte Ruwala. „Wo es Kämpfe gibt, gehst du mit, aber paß auf, daß du nicht auf der falschen Seite mitgehst! Du willst wirklich Tursinhilda gegen ihren Vater schützen, wenn, es notwendig würde?“ „Das schwöre ich bei Tiu!“ „Dabei stehst du auf der richtigen Seite“, antwortete Ruwala. „Aber leider scheint es mir Zufall zu sein, daß du dieses Mal auf der richtigen Seite bist!“
DER ADVOKAT Wieder ritten Armin und seine Gefolgschaft mit größter Geschwindigkeit, wie er es liebte, und schon am ersten Tage überquerten sie zu Mittag die Weser. In einer Siedlung des Teutoburger Waldes übernachteten sie. Tags darauf lag vor ihnen ein großes, befestigtes Lager, ähnlich dem Marobods in Bojuheim. Armin hielt sein Pferd an. „Wir werden nicht hier in Aliso über Nacht bleiben, denn ich darf zwar als römischer Bürger darin übernachten, aber nicht ihr. Deshalb werde ich dem Befehlshaber der Festung nur einen Besuch abstatten. Ihr bleibt vor seinem Hause stehen und laßt euch auf keine unnützen Gespräche ein! Nur Herniu kommt mit mir. Jetzt gebt mir aus meinem Mantelsack meine Toga und die guten Schuhe!“ Während einer den Mantelsack von dem Packpferd abschnürte, sagte Armin zu Herniu: „Du folgst stets drei Schritte links hinter mir, ohne Waffen! Denn zu dem Befehlshaber darfst du mit Frame und Schild nicht hinein. Du wirst genau darauf horchen, was gesagt wird, und es mir später wörtlich wiederholen. Überhaupt Ohren und Augen offenhalten! Drusus hat diese Festung nicht zum Spaß angelegt, sondern weil hier das Land der Cherusker, Chatten, Sugambrer und Brukterer zusammenstößt. Eine Menge Leute befinden sich hier, die durch Herumhorchen und Angeben etwas verdienen wollen. Traue niemand und tue so, als ob du nur Cheruskisch verstündest!“ Auf einer Holzbrücke überquerten sie die Lippe. Das große Lager war jetzt im Winter nur zum Teil belegt, und die Legionäre lungerten gelangweilt vor den Baracken herum. Im Mittelpunkt der Festung, wo sich die zwei Hauptstraßen kreuzten, standen aus Ziegeln gemauerte Häuser und der kleine Tempel ohne Säulen. Vor ihm gingen Posten auf und ab, denn darin befanden sich, wie Herniu wußte, die Feldzeichen der Truppen. Am Haus des Befehlshabers saßen Armin und seine Begleitung ab, und er befahl dem heraustretenden Sklaven, ihn anzumelden. Erst nach einiger Zeit erschien der ältliche Mann wieder und führte Armin und Herniu hinein. Sie gingen um das Wasserbecken des Atriums herum. Im Raum dahinter hatte sich der Befehlshaber auf einem Stuhl niedergelassen, erhob sich aber, da Armin als römischer Ritter ihm im Range mindestens gleichstand. Er hatte einen Schuppenpanzer an, auf dem Medaillen und metallene Kränze, seine Kriegsauszeichnungen, befestigt waren. In der Hand hielt er ein Stöckchen als Zeichen seiner militärischen Gewalt. Armin teilte ihm den Zweck seiner Reise mit. „Ah!“ erwiderte der Befehlshaber und gab einen Wink, Armin einen Sessel zu bringen. „Das trifft sich gut! Leobardus, führe Gnaeus Lobilla hierher! - Dieser Gnaeus“, erklärte er, „ist ein Advokat, und wenn man seinen Worten glauben darf, der einzige regelrecht studierte unter allen denen, die sich um Varus drängen. Auch er will nach Vetera am Rhein, fürchtet sich aber, allein zu reisen.“ Der Befehlshaber lachte hämisch. „Ja, diese Rechtsfüchse! Das Geld verstehen sie den Unschuldigen aus der Tasche zu ziehen, aber ein bißchen Mut?“ Er schlug sich an die Brust, daß die Medaillen klirrten. „Wir alten Soldaten lieben etwas anderes!“ Er hatte wohl schon zuviel getrunken. Nun trat Gnaeus Lobilla ein.
Sein Gewand hing unordentlich an ihm herab, und sein Schritt war unsicher. Der Befehlshaber betrachtete ihn mit offenem Hohn. „Na, wie wäre es, mein Gnaeus? Hier der Ritter Arminius ist mit einer ganzen Reiterschar auf dem Wege nach Vetera. Er freut sich, so einen großen Juristen wie dich mitnehmen zu können.“ Herniu beobachtete Armins unbewegte Züge. „Morgen?“ fragte Gnaeus mit schwerer Zunge. „Nein, heute. Übermorgen sind wir schon in Vetera“, erwiderte Armin lächelnd. „So schnell? Ich kann aber nicht gut reiten.“ Der Befehlshaber lachte. „Es gibt in Aliso auch zahme Pferde, fromm wie die Schafe, nur etwas größer! So ein Pferd haben wir auch für dich ausgesucht.“ „Ja, wenn es sein muß! Da wird mein Diener eilig zusammenpacken.“ Er schwankte aus dem Saal. Bald darauf erschien er wieder, einen Pelzumhang um die Schultern, und ihm folgte aufrecht und mit scharfem Blick ein blondbärtiger Sklave. Das konnte ein Germane, aber auch ein Gallier sein. Das Gewicht des großen Sacks, den er trug, schien ihm nichts auszumachen. Diesmal brauste Armin nach dem Aufsitzen nicht gleich davon, sondern betrachtete zurückgewendet, wie der blonde Sklave seinen schlaffen Herrn auf die Decke des Pferdes schob. Das war keine leichte Arbeit, aber von der rauhen Decke würde der ungeübte Reiter nicht so leicht herunterrutschen. In Aliso begann die feste Straße längs der Lippe zum Rhein. Sie war nicht breit, aber hart gepflastert, im Winter ein großer Vorteil in diesem morastigen Lande. Vorn ritten Armin und der Römer, dahinter die älteren Krieger der Gefolgschaft, am Schluß der Sklave, der nach germanischer Art auf dem blanken Pferde saß. Herniu war neugierig, was das für ein Mann wäre, der in keiner Weise das unterwürfige Wesen der Haussklaven zeigte. Längs der Straße war auf ziemlicher Breite der Wald gerodet. Hier arbeiteten Germanen unter Aufsicht von Römern und hackten Büsche weg. „Sieh dir das an!“ sagte der Sklave plötzlich, und Herniu wandte sich erstaunt zu ihm um, denn er sprach reines Cheruskisch. „So fürchten sich die Herren vor uns, daß sie noch die wenigen nachgewachsenen Pflanzen wegmachen lassen!“ Das Gesicht des Sklaven war böse. Nun bemerkte er Hernius erstaunten Blick. „Ach, du wunderst dich? Du, der auch den Herren dient!“ „Ich gehöre zur Gefolgschaft Armins.“ „Der ist auch nicht viel wert - wenn auch etwas besser als Segest. Du mußt wissen, daß Segest es war, der mich an den Federfuchser da vorne verkauft hat!“ „Weshalb?“ „Weil ich gegen ihn war. Im Thing habe ich ihn angeklagt, und dafür hat er sich gerächt. Als ich in Not geriet, nahm er mir die Freiheit und verkaufte mich. Meine Frau und meine Kinder“, er blickte voll Haß in die Ferne, „wer weiß, wo die sind!“ „Wie heißt du?“ fragte Herniu. „Auerolf. - Aber guck mich nicht so mitleidig an! Du wirst mir doch nicht helfen!“ „Spricht dein Herr Germanisch?“ „Gerade genug, um mir Befehle zu geben. Aber wenn ich nicht will, verstehe ich sie nicht.“ „Was tut er denn in Germanien?“ „Er möchte viel Geld machen, ohne sich anzustrengen. Von seinen Geschäften verstehe ich nichts, mag auch nicht!“ Schon nach zwei Stunden erreichten sie eine Siedlung mit einer Schenke, vor der Fässer mit Wein oder Met standen. Hier stieg der Römer ab, während Armin zu einer einfachen Hütte ritt, die in germanischer Art gebaut war. Man nahm ihn dort gastfreundlich auf. Nach dem Essen zog er Herniu beiseite. „Nun wiederhole mir, was im Hause des Befehlshabers von Aliso gesprochen wurde!“ Herniu antwortete auf lateinisch, wobei Armin mehrmals nickte. Dann aber erzählte er noch, was der Sklave mit ihm gesprochen hatte. „Aha!“ sagte Armin, „so ein Vogel ist das!“ LOBILLAS PLÄNE Am folgenden Tage saß der Römer besser auf seinem wirklich sehr zahmen Pferde, denn er hatte seinen Rausch ausgeschlafen. Nach dem anfänglichen Trab ließ Armin die Pferde ein Stück im Schritt gehen. Da Herniu bemerkte, daß der Advokat lebhaft auf Armin einredete, ritt er vor, dicht an Armin heran, der es be-
merkte und mit den Augen ein Zeichen des Einverständnisses gab. Der Advokat wollte Armin überreden, ihn als Patronus für den Stamm der Cherusker anzunehmen. Zwar wußte Herniu, daß ein Patronus ein Schutzherr war, aber er verstand den Vorschlag doch nicht. Armin schwieg mit undurchdringlicher Miene und erwiderte schließlich: „Was sagen der Kaiser Augustus und der Statthalter Varus zu deinem Plan?“ „Du weißt, mein Arminius, daß Varus im kommenden Sommer alles Land zwischen Rhein und Weser in römische Verwaltung nehmen will.“ „Das Land der Cherusker liegt aber hauptsächlich zwischen Weser und Elbe.“ „In ein oder zwei Jahren wird auch das besetzt sein.“ „Mein Gnaeus, du rechnest mit Dingen, die auch anders kommen können. Vorläufig haben die Legionen darauf verzichten müssen, Marobod und die Markomannen zu besiegen. Stattdessen kämpfen sie schwer gegen die Pannonier und Dalmatiner. Ich war dort und habe bei der Wiedereinnahme einiger Dörfer gesehen, daß alle römischen Beamten ans Kreuz geschlagen oder auf andre Weise umgebracht wurden. Laß deine Hände von dem gefährlichen Geschäft!“ „Wie kann ich?“ erwiderte der Advokat. „Wenn ich nicht Geld mache, solange ich jung bin, kann ich nie nach Rom ziehen und ein großes Haus führen.“ Armin wendete den Kopf dem Römer zu. „Varus ist von Advokaten umgeben, die alle dasselbe wollen wie du.“ Gnaeus schien den Spott nicht zu bemerken und erwiderte mit dem Blick eines vom Ehrgeiz besessenen Menschen: „Ja, sie umschmeicheln ihn, aber keiner hat das Recht studiert und eine Prüfung abgelegt wie ich. Auch kann keiner auch nur ein Wort Germanisch. - Da fällt mir ein: Hast du, mein Arminius, nicht einen Mann, der Germanisch sprechen und auch Lateinisch schreiben kann? Ich würde ihn gut bezahlen.“ „Wozu brauchst du ihn?“ Flüsternd erwiderte der Advokat: „Ich habe Varus eine hohe Summe bezahlt - es war mir sehr schwer, so viel zusammenzuborgen - damit er mir die Steuereinnahme zwischen Rhein und Weser überträgt. Wenn ich mit den germanischen Stämmen unterhandle, muß ich einen Sekretär haben, der mir übersetzt und auch gleich die Abmachungen notieren kann.“ „So jemand zu bekommen, wird schwer sein. Es gibt jedoch einen jungen Mann, und wenn der Fürst, dem er dient, auf ihn verzichtet, kannst du ihn haben.“ „Das wäre mir eine große Hilfe und machte mich allen meinen Konkurrenten überlegen.“ Armin hob die Hand zum Zeichen, daß sie wieder traben wollten, und blickte sich um. Dabei gab er Herniu einen kleinen Wink zu verschwinden. Der zog das Pferd zurück und dachte nach, wo sich unter den Gefolgschaften germanischer Fürsten ein Mann befände, der schreiben könnte. So etwas müßte er doch erfahren haben. Denn wozu sollte in den Hütten der Fürsten ein Mann nützlich sein, der zu schreiben verstünde? Die Krieger oder das Vieh konnte man auch ohne Schreibtafel zählen. ÜBER DIE BRÜCKE Je mehr sie sich dem Rhein näherten, desto weniger Schnee lag auf den Feldern, und die Straße war durch den starken Verkehr längst schneefrei geworden. Nachmittags befanden sie sich plötzlich am Rhein, der hier breit und ruhig zwischen flachen Ufern dahinfloß. Vor ihnen lag die lange Holzbrücke, an deren Anfang zwei römische Legionäre Posten standen. Aus einem Holzhäuschen trat der Wachhabende und grüßte stramm. Armins Rittergewand und Haltung waren ihm Beweis genug, um ihn unbefragt durchzulassen. Den schlecht zu Pferde sitzenden römischen Advokaten streifte er nur mit einem Blick des Bedauerns. Zwei ältere Germanen mit vier Ochsen versuchten, sich dem Gefolge Armins anzuschließen. Die Posten traten ihnen aber laut schimpfend in den Weg, und Herniu hörte den Wachhabenden auf lateinisch sagen: „Das sollen mir die bärtigen Ochsen bezahlen, daß sie sich um den Brückenzoll drücken wollten !“ Da die meisten Germanen nicht an das Bezahlen mit Geld und überhaupt an das Zählen gewöhnt waren, konnten sie selbst sehr einfache Dinge nicht ausrechnen und waren leicht zu begaunern. Am anderen Ufer begann die Händlervorstadt von Castra Vetera, dem Alten Lager, das meist einfach Vetera genannt wurde. Es war die Hauptstadt des römischen Untergermanien. Zwischen dieser unordentlich gebauten Vorstadt und der eigentlichen Stadt befand sich das Lager der Cherusker, ein Rechteck mit geraden Hüttenstraßen. In seiner Mitte stand ein neues Ziegelhaus aus rohen Mauern mit einem unscheinbaren Eingang. Armin wandte sich an den Advokaten.- „Hier bin ich daheim. Bestehst du darauf, von mir einen
germanischen Sekretär zu bekommen? Es kann mehrere Wochen dauern, bis ich in der Lage bin, dir endgültig Bescheid zu sagen.“ „Jetzt im Winter brauche ich ihn nicht, aber für den Sommer, wenn ich durch das Land ziehe.“ „Gut, ich benachrichtige dich, sobald ich es weiß.“ Der Advokat wollte in die Römerstadt weiterreiten.
Aber sein Pferd wurde unruhig und wollte bei den Pferden der Cherusker bleiben. Mit höhnischem Gesicht faßte es der Sklave Auerolf am Zaum und zog es hinter sich her. Die cheruskischen Gefolgsleute lachten laut, aber Armin hob gebietend den Kopf, so daß die Krieger verstummten. Weshalb dachte Herniu, will er nicht, daß wir über diesen Geschäftemacher lachen, über den sich doch auch der Befehlshaber von Aliso lustig machte? Armin befahl Herniu: „Übergib dein Pferd Olfo und folge mir!“
HINTER DEM VORHANG In der Tür erschien der Pförtner, ein älterer Germane, mit einem großen Wachhund am kurzgefaßten Riemen. Ihm sagte Armin: „Herniu gehört zu meinem Haushalt. Du läßt ihn zu jeder Zeit aus und ein! - Ist der blinde Asni schon eingetroffen?“ „Er ist da.“ „Und Artemios?“ „Er knurrt wie gewöhnlich und friert.“ Armin trat ein. Im Inneren war es ein völlig römisches Haus, aber mit Holzsäulen im Vorhof statt der steinernen. Im Empfangsraum dahinter warteten zwei germanische Diener auf Befehle. „Ich möchte zunächst mit Asni allein sprechen“, sagte Armin. „In zwei Stunden essen wir! Du, Herniu, bleibst vor der Tür des Blinden stehen und sorgst dafür, daß niemand uns belauscht. Du selbst aber hörst zu!“ Er schlug den Vorhang zu einem der Nebenräume auf und trat ein. „Sei gegrüßt, Asni! Ich muß dir einiges sagen, was ich dir bei meinem Vater nicht sagen konnte, weil man dort nie allein ist. -Unsere cheruskischen Hilfstruppen wurden geteilt. Der Statthalter Varus hat mich mit dem gesamten Fußvolk hierhergezogen, während Flavus mit der Reiterei in Moguntiacum blieb. Anfangs dachte ich, das geschähe nach dem bekannten römischen Spruch: Teile und herrsche. Dann aber erfuhr ich, daß zwischen meinem Bruder Flavus und dem Fürsten der Chatten Boten hin- und hergehen, denn er möchte dessen einzige Tochter heiraten. Vielleicht hofft er, einmal Herzog der Chatten werden zu können. Da er aber ein Cherusker
ist, rechnet er dabei wohl mit der Hilfe der Römer. Der Chattenfürst möchte seine Stellung erblich machen und ein Königreich aus allen Stämmen der Nordwestgermanen bilden. Dann hätten wir zwei große Germanenreiche, das des Marobod und das der Chatten, statt daß sich alle Germanen gegen die Römer zusammenschließen. Siehst du die Gefahr?“ „Ja“, erwiderte Asni zögernd. „Weshalb aber holte dich dann Varus hierher?“ „Weil er merkwürdigerweise dem Flavus mißtraut und mich seinem Einfluß entziehen will.“ Er lachte. „Stell dir vor, er hat zu mir großes Vertrauen! Und das, Asni, müssen wir zu erhalten suchen. Sorge du zusammen mit den anderen Priestern dafür, daß niemand von unseren Cheruskern den Römern gegenüber Feindschaft zeigt! Natürlich dürfen wir unsern Männern nicht sagen, was unser Ziel ist, und müssen doch bei ihnen auch die Freiheitsliebe wachhalten. Glaubst du, daß euch das gelingen wird?“ „Schwer ist es, aber möglich, wenn wir immer rechtzeitig wissen, was die Römer vorhaben.“ „Daran habe ich schon gedacht. Auf dem Wege hierher traf ich den römischen Advokaten Gnaeus Lobilla. Der war so dumm, mir zu sagen, wie er als Hauptsteuerpächter die Germanen auszusaugen gedenkt. Dieser Mensch hat mich um einen germanischen Sekretär gebeten.“ Wieder lachte Armin, und Herniu horchte gespannt, um endlich zu erfahren, an wen Armin dachte. Er hörte aber nur den Blinden sagen: „So etwas gibt es doch gar nicht unter den freien Germanen.“ „Noch nicht“, erwiderte Armin. „Ich denke an Herniu. Er soll bei Artemios schreiben und rechnen lernen. Dazu freilich wird er sich sehr anstrengen müssen. Was denkst du darüber, Asni?“ In höchster Erregung lauschte Herniu. Es war zunächst still, bis der Blinde sagte: „Ja, Armin, gib ihm dein Vertrauen, und du wirst ihn bei dieser schwierigen Aufgabe treu finden!“ „Komm herein!“ befahl Armin. Herniu schob den Vorhang zur Seite und trat fahl im Gesicht in den Raum. Armin sah seine Erregung und wußte, daß er diesem jungen Manne trauen durfte. Es handelte sich nur noch darum, festzustellen, ob er gut lernen würde.
ARTEMIOS Wohlgelaunt sagte Armin: „Also, Herniu, komm mit zu dem Griechen!“ Sie gingen zu einem anderen Raum mit einem noch dickeren Vorhang, den Armin zur Seite hob. Der fensterlose Raum wurde von einem irdenen Öllämpchen erhellt, das von der Decke hing. Artemios erhob sich. Er war ein kleiner, alter Mann mit einer großen Glatze. Mißmutig blickte er Armin an und sagte auf lateinisch: „Habt ihr ein scheußliches Land! über die Hälfte des Jahres ist Winter!“ „Nun“, erwiderte Armin, „das werden wir beide nicht ändern. Hier bringe ich dir meinen Gefolgsmann Herniu, den ich dich bitte, im Schreiben und Rechnen zu unterrichten. Er wird dir dienen und stets dafür sorgen, daß du ein warmes Kohlenbecken im Zimmer hast.“ „Ein Gefolgsmann und mir dienen? Ein Freier einem Sklaven?“ „Artemios, ich habe dir schon einmal gesagt, daß ich bereit bin, dich freizulassen.“ Entrüstet streckte der Grieche die Hand aus. „Nein, daraus wird nichts! Wenn ich dir dann nicht mehr passe, setzt du mich auf die Straße. Geh, verrecke, zahnloser Narr! Wenn ich aber Sklave bleibe, mußt du mich auch in meinem Alter erhalten!“ „Welcher Irrtum, Artemios!“ erwiderte Armin. „Bei uns Germanen gelten keine römischen Gesetze. Dafür aber gibt es die heilige Sitte, die Alten zu ehren und zu erhalten, gleichgültig, ob sie frei oder unfrei sind.“ Artemios musterte Herniu. „Wie soll ich dem jungen Mann etwas beibringen? Ich kann nicht Germanisch.“ „Aber er Lateinisch.“ „Hast du alles verstanden, Hermion - oder wie du heißt?“ „Alles, Vater.“ „So, so?“ entgegnete der Alte und veränderte sofort seinen Gesichtsausdruck. „Aber Griechisch kannst du nicht, du Barbar? Auch die Römer sind Barbaren, daß du nur gleich weißt, was ich von dem Gesindel halte! Setz dich her! Fangen wir an!“
„Nein, Artemios, morgen!“ sagte Armin. „Wir haben einen langen Ritt hinter uns und wollen jetzt essen!“ In dieser Nacht konnte Herniu lange nicht einschlafen. Er dachte mit Herzklopfen an den Vorschlag, lesen und rechnen zu lernen. Gewiß, unter den römischen Legionären hatte er viele getroffen, die schreiben konnten. Sie waren meist sehr nüchterne Menschen, steckten aber auch voll von Wundergeschichten. So stand einst ein gewisser Quartus unter einem besonders rohen Hundertschaftsführer, einem Centurio, wie die Römer sie nannten. Damit die Legionäre in den oft langen Monaten der Untätigkeit nicht auf dumme Gedanken kämen, ließen die römischen Offiziere ihre Soldaten das Lager immer besser ausbauen, sich selbst gute Häuser errichten, die Straßen säubern oder die Wälle mit Knüppeln befestigen. Bei der Arbeitseinteilung nun ließ der Centurio stets diesen Quartus aus dem Festungsgraben Schlamm schöpfen. Dabei mußte der Arme selbst bei kaltem Wetter bis zu den Hüften im Wasser stehen. In seiner Verzweiflung ließ sich der Legionär von Herniu zu einer weisen Germanenfrau führen, um ein Mittel zu erfahren, wie er sich an dem Centurio rächen könnte. Herniu übersetzte seinen Wunsch der Alten. Sie schnitzte dann eine Rübe so zurecht, daß sie einem Menschen ähnlich sah. Hierauf nahm sie zwei Stäbchen von Buchenholz. Auf den einen mußte Quartus den Namen des Centurios schreiben. Nun band sie dieses Holz so auf die Rübe, daß man den Namen lesen konnte. In das andere ritzte sie geheimnisvolle Runen, die steil nebeneinander standen. Unter Murmeln von Sprüchen band sie dieses Holz mit der Runenschrift auf die Rübe. Sie befahl darauf dem Quartus, dem der Angstschweiß auf der Stirn stand, ein Loch zu graben, in das sie die Rübe versenkte. Darüber legte sie eine Schicht Mist und eine Schicht Erde, wobei sie wieder Zaubersprüche hersagte. Niemand durfte bemerken, daß hier gegraben worden war, denn im Römischen Reich gab es ein Gesetz gegen die Zauberei. Es waren schon Leute furchtbar bestraft worden, weil sie anderen Qualen angehext hatten. Auch sonst hatte Herniu gesehen und gehört, wie die Germaninnen mit Runen zauberten. Freilich waren das meist Zauber für erfolgreiche Jagd, für die Vermehrung des Viehs, um Kinder zu kriegen und um einen Mann unverwundbar zu machen. Da war also keine böse Absicht dabei. Trotzdem erschien es Herniu unheimlich, daß er schreiben und gar rechnen lernen sollte, was noch viel geheimnisvoller war. Dadurch mußte er ein großer Zauberer werden. Fast mit Schrecken dachte er an seine Macht, denn niemand unter den Germanen, soweit er herumgekommen war, konnte schreiben und rechnen. Aber durch das Zaubern käme er auch mit den Geistern der Verstorbenen in Berührung, und da fürchtete er sich besonders vor dem Geist Hariomärs. Der war in seinem Leben ein gewalttätiger Mann gewesen. Wie mochte der erst jetzt als Gestorbener sein! Schließlich fiel Herniu in einen unruhigen Schlaf. Er träumte, er könnte sich nicht bewegen, obwohl sich ihm ein unsichtbares Wesen näherte. Immer mehr fühlte er die Kälte, die der Geist um sich verbreitete. Mit einem Schrei wachte Herniu auf. Der Unterricht wurde jedoch völlig anders, als es sich Herniu vorgestellt hatte. Der sonst stets knurrende Artemios veränderte sein ganzes Wesen, sobald er zu lehren begann. Er schien vergessen zu haben, daß sein Schüler ein Germane und in seinen Augen ein Barbar war. Er nannte ihn mit dem griechischen Namen Hermion, verbesserte die schlechte Aussprache und zeigte geduldig, wie man die Schreibtafel hält, wie man vor dem Schreiben mit dem Griffel die Wachsschicht glättet und dann mit kurzen, leichten Strichen die Buchstaben einritzt. Alle diese Anweisungen würzte er mit Sprüchen seines galligen Temperaments. „Was, du weißt nicht, was dreimal drei ist? Wenn ein römischer Beamter kommt und dir sagt, du sollst für drei Ochsen je drei Denare Steuer zahlen und du kannst das nicht ausrechnen, so wird er erklären: Das macht zehn Denare - denn Römer betrügen immer! Wenn derselbe Römer dir aber dreimal drei Denare zu geben hat, so wird er dir sagen: Das macht acht. Außerdem zählt er dir dann nur sieben vor, wenn du nicht aufpaßt. Also dreimal drei ist neun!“ Schon nach einer Woche wußte Herniu, daß weder das Schreiben noch das Rechnen bei Artemios das geringste mit Zauberei zu tun hatte. Außerdem begriff er, daß dieser häßliche Mann ein gütiges Herz besaß, das über jeden Fortschritt seines Hermion in Begeisterung ausbrach und dauernd zwischen Verzweiflung und ebenso sinnloser Freude schwankte. Ein paarmal hörte Armin dem Unterricht zu. Dabei freute er sich, wie dieser Lehrer von seinem griechischen Standpunkt aus Herniu so beeinflußte, daß es auch der Sache der Germanen nützlich war.
ABENDUNTERHALTUNGEN Asni war mit den anderen Priestern nach einem unbekannten Ziel aufgebrochen. Herniu blieb an den Abenden allein und, wenn Artemios ihn nicht brauchte, ging er ins Cheruskerlager zu seinem Blutsfreund Olfo. „Was gibt's Neues im Haus?“ rief man ihm entgegen. Die Gefolgsleute nannten Armins Ziegelbau nur das Haus. „Friert ihr nicht in eurer römischen Pracht?“ „Ich nicht, aber Artemios.“ „Wann kommt denn der Blinde wieder?“ „Ich weiß nicht einmal, wo er hingegangen ist“, erwiderte Herniu. „Da seht ihr's! Er befindet sich an der Quelle und weiß weniger als wir. Aber ich kann es dir verraten: Bald kommt die Nacht, die dem Tage gleich lang ist. Da feiert Nerthus ihr Frühlingsfest. Von unseren Priestern ist jedoch keiner ein Himmelsbeschauer. Und darum sind sie zum heiligen Hain der Marsen aufgebrochen, um sich mit den dortigen Priestern über den rechten Tag zu beraten.“ Sie unterhielten sich weiter darüber, wie ungünstig das Wetter für die Beobachtung des Himmels wäre, denn an diesen Tagen war er nie ganz wolkenfrei. Bei seiner Rückkehr in das kalte Haus rief Herniu vor der Kammer des Griechen: „Vater, soll ich dir ein neues Kohlenbecken bringen?“ „Komm herein!“ rief Artemios zurück. Er saß, ein Fell über den Knien, vor den schwach glühenden Kohlen, neben sich einen Behälter, aus dem Papyrosrollen ragten. Eine hatte er aufgerollt und hielt sie dicht vor seine kurzsichtigen Augen. „Setz dich, Hermion, und höre mir zu! Ich will dir eine Strophe des lateinischen Modedichters Horatius vortragen.“ Mit etwas fremder Aussprache ließ er die Verse klingen. „Wer in Unschuld wandelt und rein von Frevel, der bedarf nicht Maurengeschoß und Bogen, noch geschwellt von giftigen Pfeilen, Fuscus, braucht er den Köcher.“
Herniu erschien das schön und weich, das geruhsame Leben aber, das da angepriesen wurde, sagte ihm nicht zu. „Nun, Hermion, lese ich dir einen der Chöre unseres großen Dichters Sophokles vor, wenn du auch nicht Griechisch verstehst. Vieles ist mächtig; nichts jedoch ist so mächtig, als wie der Mensch. Er ist's, der durch die graue See in des stürmischen Südes Hauch hinzieht, vom hochgetürmten Wogenschwalle rings umtost.“ Eigenartig hob er die Stimme und betonte scharf die Silben, deren Leidenschaft Herniu packte. „Wie gefällt dir das?“ rief Artemios begeistert. „Mir klingt es ähnlich wie unsere Heldenlieder.“ „Ich kenne sie nicht, kannst du nicht etwas auswendig?“ Herniu sprach so, wie er es von Asni gehört hatte: „Tiu war nackt, nicht ein Mann noch. Lutwolf lehrt' ihn, gab ihm Leber, wilder Tiere Herzen, nicht weicheres Wildbret. Streitbar ward Tiu, stämmig und stark.
,Schmiede mir, Lutwolf, das schimmernde Schwert, Sax sei's genannt und ich Saxnot!’“ Artemios unterbrach ihn: „Ich verstehe nur einige Worte. Wer ist Tiu?“ Herniu übersetzte die Worte. „Aber“, sagte Artemios erstaunt, „der Anfang lautet ja fast wie die griechische Sage von dem Helden Herakles, den Cheiron mit den Herzen von Ebern und den Eingeweiden wilder Tiere großzog. Nur der Schluß ist anders. Cheiron war ein Pferdemensch, und euer Lutwolf ist seinem Namen nach ein Menschenwolf, sonderbar!“ Er begann Herniu von der Ähnlichkeit der griechischen und römischen Sagen zu erzählen. „Natürlich haben das die Römer von uns nur gestohlen, dieses an uns reich gewordene Volk! Aber woher habt ihr die Sage? Erzähle mir weiter, was für Abenteuer Tiu besteht!“ Herniu tat es, aber mit Widerstreben, denn er fühlte, daß der gelehrte Artemios etwas völlig anderes darin fand als er, der Cherusker. An diesem Abend schwor er sich, nie wieder einem Fremden etwas von den heiligen Liedern vorzutragen.
DER SCHWUR BEIM FESTE DER NERTHUS Wenige Tage später kamen die Priester von den Marsen zurück und beriefen für die folgende Nacht das heilige Thing ein. Dazu schanzten mehrere Gauverbände auf einem der nahen Hügel einen Rundwall, während andere Holz herbeischafften und zu gewaltigen Stapeln schichteten. So verging der nächste Tag, und bei Dunkelwerden entzündete man die Holzstöße. Knisternd und prasselnd stiegen die Flammen höher und höher. Beim dumpfen Blasen der Hörner zogen die Priester mit den Feldzeichen in den Wall, hinter ihnen Armin und seine Gefolgschaft. Alle ließen sich im Kreise nieder und hatten Lederstücke oder Holzscheite mitgebracht, um nicht auf dem noch feuchten Boden sitzen zu müssen. Durch die Feuer angelockt, sammelten sich auch Römer hinter dem Kreise der cheruskischen Krieger. Sie wollten das ihnen fremde Schauspiel betrachten. Zu Armin trat ein junger Römer in ritterlichem Gewände und flüsterte ihm etwas zu. Daraufhin bat Armin die Priester, den Beginn noch hinauszuschieben. Nach einiger Zeit erschien eine Abteilung Legionäre in geschlossener Ordnung. In gemessenem Abstand folgten ihnen sechs Liktoren, Scharfrichter mit Rutenbündeln, die um ein Richtbeil gebunden waren. Nach ihnen kam ein dicker Mann in der Toga des Senators und eine mit vielen Locken steif frisierte Frau, Publius Quinctilius Varus und seine Frau Claudia Pulchra, eine Nichte des Kaisers. Armin erhob sich und ging dem Paar entgegen. Die Statthaltersgattin nickte kaum, während Varus gemütlich sagte: „Kalte Stunden sucht ihr euch für eure Götterfeste aus!“ Sklaven stellten ihnen Sessel mit halbrunder Lehne hin, legten Polster darauf und hängten ihnen Felle um. Herniu betrachtete den gelangweilt dasitzenden Statthalter und dessen straff aufgerichtete Frau. Es schien ihm, daß sie ihr Gesicht böse verzog. Oder war es das unregelmäßige Licht der brennenden Holzstöße, das sie so heimtückisch erscheinen ließ? Die Hörner bliesen dumpf und setzten auf ein Zeichen des ältesten Priesters ab. Mit lauter, halb singender Stimme begann Asni: „Hört das Lied von der großen Göttin! Wo Winde eisig wehen, wogt gen Mitternacht mächtig ein Meer. Langhin liegt ein Land, die Insel der Göttin, grün und groß. Noch sah niemand Nerthus. Im heiligen Haine haust die Hehre. Aus den Eichen und Eiben im Jahre einmal ziehn weiße Kühe auf schwankendem Wagen
ihr Bild, das bunt bemalte, im Frühling vorüber an kahlen Fluren. Dann kommen die Keime, die Knospen schwellen. Es schmückt sich die Erde mit Früchten schwer. Heim kehrt die Hehre zum Haine, man bringt sie zum baldigen Bad. Doch wer sie tauchte, muß tief in den Teich. Ihm leuchtet nie mehr des Lebens Licht, damit Nerthus sich neu dem Menschen neige.“ Zwischen den ziehenden Wolken zeigte sich der Mond und verschwand. In den Kreis traten Frauen und schwangen brennende Scheite, bald rechts, bald links, bald über dem Kopfe. Sie führten einen Zug von Mädchen an, die auf den Schultern ein Boot trugen. Dazu sangen sie eintönig im Chor: „Nerthus, neige den Segen neu! Gebiete, Göttin, der Erde, daß in ihr keime das Korn!“ Während dieser Gesang immer von neuem begann, nickte Claudia Pulchra ihrem Manne zu. Varus gähnte, erhob sich schwer und sagte: „Entschuldige uns, Arminius! Wir verstehen nicht den Sinn der Gesänge.“ „Und entschuldige du mich!“ erwiderte Armin. „Es geziemt sich nicht, mich zu entfernen.“ Als die Römer und ihre Begleiter den Rücken gewendet hatten, glaubte Herniu ein Lächeln auf Armins Gesicht zu sehen. Freute er sich etwa, daß sich, der Statthalter gerade während der Beschwörung entfernte? Das würden seine Cherusker gewiß als Beleidigung ansehen. Die Frauen setzten nach der Umwandlung des Platzes das Boot in die Mitte und begannen unter Schwingen von Feuerbränden darum einen feierlichen Tanz. Bei den Männern kreisten Hörner mit Met. Nach dem ersten Umtrunk erhoben sich die Priester und auch Armin, der Herniu im Vorübergehen sagte: „Komm mit!“ Bestürzt folgte Herniu, denn einem jungen Manne war es verboten, sich den Trägern der Feldzeichen anzuschließen. Was bedeutete das? Schweigend schritten die Priester zum Barackenlager zurück und traten in das Holzhäuschen, in dem nach römischer Art die Feldzeichen aufbewahrt wurden. Hier durfte Herniu auf keinen Fall hinein. Armin aber wandte sich erneut an ihn: „Komm mit!“ Innen hing ein Öllämpchen vom Gebälk und gab einen bescheidenen Schein, bei dem die bärtigen Gesichter der Priester unheimlich aussahen. Ein Mann zog die schwere Holztür hinter Herniu zu. Ein starker Krieger mit dunklem Bart sagte: „Kein lautes Wort!“ Darauf wandte er sich an Herniu: „Du wirst zu den Römern gehen. Weißt du, wozu?“ „Euch zu sagen, was ich erfahre.“ „So soll es sein. - Weißt du, daß niemand außer uns etwas erfahren darf?“ „Ich weiß es.“ „Weißt du, was dich erwartet, wenn du zu anderen sprichst?“ „Ich weiß, daß man Verräter im Moor versenkt.“ „Nicht nur das. Von einem Verräter spricht niemand mehr. Sein Name ist vergessen, sein Gedächtnis geächtet, vergangen wie ein Ton, der verklungen ist. Weißt du das?“ Herniu konnte kaum mehr sprechen vor Entsetzen und hauchte: „Ich weiß es.“ „Dann sprich den Schwur nach!“ Ein Priester senkte ein Feldzeichen vor Herniu, so daß er dicht vor sich das geschnitzte rotbraune Tier sah. Wieder sprach der starke Krieger: „Hebe deine Hand über das heilige Bild!“ Herniu hob die Hand, zitterte aber. „Sprich: Ich schwöre!“ „Ich schwöre.“ „Bei Tiu, dem Herrn der Treue, schwöre ich Treue. Die Hand, die falsch schwur, verwelke! Das falsche Herz sei friedlos, frei es zu töten! Der untreue Mann modre im Moor!“ Nun blickte der Priester einen nach dem anderen an. „Zeugen des schweren Schwurs, schwört den Schwur der Zeugen!“ Die Priester hoben ihre Hände über das Tierbild und sagten dumpf: „Wir schwören.“ Der Älteste wandte sich an Herniu und redete ihn nun freundlich an: „Wenn du nicht weißt, was tun, traue Tiu, dem Herrn der Treue! Dem Schwurbelegten schickt er helfendes Wort im Schlaf.“
Der Steuerpächter
IM SCHWITZBAD
S
wußte Herniu kaum, wie er aus dem Tempel in Armins Haus gekommen war. Nach schwerem Schlaf ging er morgens ins Schwitzhäuschen. Im engen Vorraum legte er seine Kleider ab und öffnete die Tür. Dichter Wasserdampf schlug ihm heiß entgegen. Bei der fast völligen Dunkelheit des Raums konnte er nicht erkennen, wer sich darin befand. „Noch mehr!“ hörte er Olfo sagen. „Es wäre doch gelacht, wenn ich Auerolf nicht schlagen würde!“ Bei diesen Worten schüttete jemand Wasser auf die heißen Steine, von denen eine neue Dampfwolke Herniu ins Gesicht schlug und ihm beinahe den Atem nahm. „Nun laß es aber genug sein!“ sagte Armins Stimme. „Wir wissen, was für ein Held du im Schwitzen bist, Olfo. Und was Auerolf betrifft, so ist er unser Gast und Bruder.“ Auerolf antwortete: „Wenn du mich als Freien behandeln willst, kaufe mich von der Sklaverei los!“ „Du bist uns bei dem römischen Advokaten wertvoller als in meinem Gefolge. Verstehst du das nicht?“ „Das verstehe ich, aber ich glaube nicht an deine Pläne, Armin!“ „Kennst du sie denn?“ „Nein, aber ich weiß, daß die germanischen Fürsten lieber mit den Römern zusammengehen, als ihre angemaßten Rechte aufgeben. Auch du bist ein Fürst, Armin!“ „Gut, bleibe bei deinem Mißtrauen, aber merke dir eins, Auerolf: Wenn einmal unser Tag kommt, der auch dich befreien könnte, werden wir dich fragen: Hast du uns verraten oder uns geholfen? Erkennst du an, daß wir dazu ein Recht haben?“ „Das Recht habt ihr und wehe mir, wenn ich ein Verräter würde! Den Fürsten aber mißtraue, ich. Ihr wollt unsere Freiheit vernichten!“ „Wer die germanische Freiheit vernichtet, wird an seinem Verrat zugrunde gehen!“ sagte Armin hart. „ Danach sprach niemand mehr, und Herniu hörte nur noch, wie sich die Männer im heißen Dampf wuschen. Nach einer Weile befahl Armin: „Nun macht das Fenster auf!“ Jemand öffnete die Holzklappe. Die kalte Luft ließ alle erschauern. Rasch zog ein Teil des dichten Dampfes hinaus. Olfo schloß die Klappe wieder, so daß erneut der warme Brodem sie in der Dunkelheit einhüllte. Noch einmal wurde die Klappe geöffnet, die Luft war jetzt nur noch angenehm warm, und die Männer wurden trocken. Nachher im Hause erklärte Armin lachend: „Nun wollen wir dich, Herniu, so herrichten, wie es deine neue Beschäftigung verlangt. Dein Haar werden wir kürzen, und von heute ab trägst du es wie die Römer in die Stirn gekämmt. Zu rasieren brauchen wir dich noch nicht. Deine germanische Tracht kannst du so mit römischen Kleidungsstücken mischen, wie es der Advokat wünscht. Bei ihm heißt du Hernius, und wir werden uns eine hübsche Geschichte über deine Herkunft ausdenken.“ PÄTER
SEKRETÄR Armin selbst führte Herniu zu Gnaeus Lobilla, der in der Römerstadt von Vetera wohnte. Innerhalb der mächtigen Festungswälle konnte man an den schnurgeraden Straßen noch erkennen, daß diese Stadt ursprünglich ein gewöhnliches Legionslager gewesen war. Inzwischen hatte man aber an Stelle primitiver Baracken auch bessere Häuser aus Ziegeln gebaut, die freilich von außen ziemlich schäbig wirkten. Die Eintretenden hörten den Advokaten mit schriller Stimme schimpfen: „Kommst du endlich mit dem Fell? Leg es mir ordentlich um, du Mißgeburt! Wenn man doch Menschen um sich hätte und keine solchen Hundesöhne!“ Lobilla bemerkte seine Gäste erst, als sie vor ihm standen. Nun schämte er sich vor dem lächelnden Armin und stand rasch auf, wobei ihm eine erstaunliche Zahl von Decken und Fellen von den Beinen rutschte. „Stühle!“ schrie er. „Setzt euch! Ist das dein Bruder, Arminius?“ „Nein, er heißt Hernius und ist der Sohn
eines römischen Kaufmanns mit einer germanischen Frau unseres Stammes. Von seinem verstorbenen Vater hat er lesen und schreiben gelernt. Als auch seine Mutter gestorben war, nahm ihn mein Vater auf, weil er dachte, es wäre nützlich, einen Menschen dazuhaben, der Lateinisch schreiben kann. Weil aber mein Vater keine Briefe schickt, habe ich ihn überredet, dir, mein Gnaeus, den Hernius für deine Geschäfte zu überlassen. Mein Vater fordert nur, daß du ihn gut bezahlst und ihn zurücksendest, wenn du ihn nicht mehr brauchst.“ Der Advokat betrachtete neugierig Herniu: „Merkwürdig, daß er gar nicht wie der Sohn eines Römers aussieht! Und auch den Namen Hernius habe ich noch nie gehört. Bist du, Hernius, nur bei dem Vater meines Freundes Arminius gewesen, oder kennst du Germanien auch anderswo?“ „Mein Vater Lucius“, antwortete Herniu, „nahm mich auf seine Handelsreisen mit, und daher kenne ich die Hauptwege über die Ems, Weser und bis zur Elbe, aber auch über das Sauengebirge nach Bojuheim.“ Erstaunt, einen so vielgereisten und fließend Lateinisch sprechenden jungen Mann zu finden, fragte Lobilla weiter: „Kennst du auch den Fürsten Segestes?“ „Er wird mich wohl nicht beachtet haben, denn ich bin jung, aber ich kenne ihn, auch einen seiner Brüder, seinen Sohn und seine Tochter.“ „Ausgezeichnet“, sagte der Advokat und wandte sich an Armin. „Wenn er auch noch gut schreibt -“ Armin unterbrach ihn: „Diktiere ihm etwas, und du wirst sehen, was er kann!“ Schon zog Herniu aus der Falte des Umhangs, in dem die Römer alles hinter dem gebeugten linken Arm trugen, die Wachstafel und den Griffel und sagte in der höflichen Art, die ihn Armin gelehrt hatte: „Ich bin bereit.“ Dieses Benehmen gefiel Lobilla. Hernius Gekrakel war freilich nicht gerade schön, aber doch richtig und deutlich. Daher bedankte er sich vielmals bei Armin, ließ Herniu einen kleinen Raum in seinem Hause zuweisen und befahl, ihm dahinein eine Liegestatt zu stellen. Herniu wartete in dem kahlen Raum. Es war der starke Auerolf, der schwer an dem Möbel schleppte, es hinstellte und außer Atem sagte: „Da sieht man es, Armin ist wie alle! Wieviel mußt du ihm denn von deinem Lohn abgeben, daß er dir diesen einträglichen Posten verschafft hat?“ Das empörte Herniu. „Er hat mich doch nicht hierher gebracht, um Geld aus mir herauszuholen!“ „Sondern weshalb?“ fragte Auerolf lauernd. Herniu erschrak. Wie ihn, den Gewitzigten, dieser Kerl hereingelegt hatte! Er durfte nicht antworten, mußte aber etwas sagen. Da fiel ihm einer von Asnis Sprüchen ein: „Die Zeit zeugt in der Zukunft. Zu frühes Wort fällt in die Falle.“ Höhnisch erwiderte Auerolf: „Nicht nur das Wort fällt in die Falle. Du selbst hängst schon mit einem Bein drin. Was machst du denn hier?“ „Schreiber.“ „Ach? Und wie willst du mit dem Römer sprechen?“ „Lateinisch.“ Nun war Auerolf der Überraschte. „Woher kannst du denn das?“ „Mein Vater war Römer.“ „Ach so!“ Auerolf verschwand ohne ein weiteres Wort. Augenscheinlich war für ihn jeder Römer ein Schuft, mit dem man kein freundliches Wort sprechen durfte - übrigens betrachteten die meisten Römer die Germanen genauso. Herniu hatte Auerolf nach den anderen Bewohnern des Hauses fragen wollen, das ging aber nun nicht. Vielleicht war es sogar gut, wenn Auerolf nicht mehr mit ihm sprach, denn ein so unbedachter Polterer konnte ihm sehr schaden. Herniu beschloß also, sich allein umzublicken, und begab sich in den hinteren Teil des Hauses, in dem er die Dienerschaft vermutete. Er kam in einen Hof, der von Holzsäulen umgeben war. Sie trugen oben einen Gang mit schmalen Türen, die zu den sehr engen Sklavenkammern führten. Unter diesem Gang saß an einem Tischchen ein Alter und schrieb. Erstaunt blickte er den blonden, straffen Herniu an, erhob sich und sagte stockend: „Nicht weiß Germanisch.“ Herniu erwiderte auf Lateinisch: „Ich bin der neue Sekretär.“ Aufs tiefste erschrocken sagte der Alte: „Ah!“ und blickte dann demütig zu Boden, wobei ihm Tränen kamen. „Da bin ich wohl altes Eisen?“ Vor Betroffenheit wußte Herniu nicht zu antworten. Leise begann der Alte wieder: „Der Herr verzeihe mir, aber seit Jahren fürchtete ich diesen Tag - seit mich der Vater des Advokaten freiließ. Dazu läßt man uns Sklaven ja frei, um uns im Alter nicht versorgen zu müssen.“ Er schluchzte. „Und ich tauge zu nichts anderem, bin schwach. Wovon soll ich leben?“ „Ich weiß nicht“, erwiderte Herniu verlegen, „ob ich dich ersetzen soll. Was hast du denn getan?“ Der Alte deutete auf die Papyrosblätter. „Ich führte die Listen der Schuldner und Gläubiger, schrieb die Mahnbriefe.“ Herniu faßte sich schnell. „Ich weiß nichts davon, daß ich das künftig tun soll.“ Und zögernd fügte er
hinzu: „Listen zu führen, habe ich nicht gelernt.“ Der Sekretär wandte sich ihm zu: „Warum hat dich dann der Advokat angestellt?“ „Um mit den Germanen zu verhandeln. Meine Mutter war eine Cheruskerin.“ „Ach, gebe Jupiter, daß ich nicht verjagt werde!“ Herniu dachte: Vielleicht erzählt mir der Schreiber, wer sonst hier lebt? Als er aber fragte, erfuhr er wenig. Der Alte fürchtete sich vor Auskünften, und daraus schloß Herniu, daß Gnaeus Lobilla ein abscheulicher Herr war.
DIE VERSTEIGERUNG DER UNTERPACHTEN In den ersten Tagen hatte Herniu nichts zu tun, aß mit dem verängstigten Alten und langweilte sich. Nach wenigen Tagen aber änderte sich das. Gleich nach dem Frühstück befahl der Advokat beiden, dem alten Sekretär und Herniu, in den Hauptraum zu kommen, in dem sich bald darauf Römer sammelten, deren Anblick Herniu erschreckte. Er kannte genügend Legionäre und kleine Händler, und die waren meist nicht fein gewesen. Die Leute hier aber erschienen zugleich anmaßend und in einer besonderen Weise heimtückisch. Und solche Menschen lud sich der Advokat ein? Er, ein Ritter! Die bedienenden Sklaven boten den Gästen weißes Brot, Fleisch, Süßigkeiten und Wein an, während Lobilla mißtrauisch aufpaßte, daß niemand übergangen wurde, übrigens befanden sich auch blonde Leute unter den Gästen, was Herniu besonders unbegreiflich war. Der Advokat ermunterte eifrig zum Trinken und nahm schließlich das Wort: „Teure Gäste! Ihr wißt, daß der hohe Statthalter von Germanien, Publius Quinctilius Varus, zu dessen Tischgenossen ich mich zählen darf, mir die Erhebung der Steuern und sonstigen Abgaben in Großgermanien zwischen Rhein und Weser verpachtet hat. Um dieses Recht zu erwerben, habe ich große Opfer bringen müssen. Es ist zu befürchten, daß der Statthalter von mir noch mehr fordert, wenn er im Laufe der kommenden Jahre noch größere Gebiete Germaniens unter die Schutzherrschaft Roms bringen wird. Daher müßt ihr verstehen, daß ich mich sichern muß. Ich kann also die Rechte zur Unterpacht nicht ohne Vorauszahlung eines Jahreseinkommens abgeben.“ Herniu stellte an den Gesichtern der Geladenen fest, daß sie diese unverschämte Forderung keineswegs einsahen. Sie warteten jedoch noch auf klarere Bedingungen. „Da ich aber begreife“, fuhr Lobilla in unangenehm freundlichem Tone fort, „daß nicht jeder eine so bedeutende Summe sofort aufbringen kann, bin ich bereit, im Ausnahmefall die Summe auf ein halbes Jahr zu stunden. Der Zinsfuß beträgt jedoch ein Drittel der gestundeten Summe.“ Die Gäste rührten sich nicht, einige aber wurden fahl, als sie solche Wucherbedingungen hörten. „Zunächst“, begann der Advokat erneut und in munterem Tone, „will jemand das gesamte Gebiet zwischen Rhein und Weser pachten?“ Die Gäste blickten sich um und stellten mit Befriedigung fest, daß sich niemand meldete. „Dann“, sagte Lobilla, „verhandeln wir über die einzelnen Gebiete. Wer macht Angebote?“ „Ich für das Land der Marsen!“ rief einer. „Unerhört!“ schrie ein anderer. „Die nördliche Hälfte habe ich seit Jahren in Pacht und erhebe Einspruch!“ „Dieses Problem läßt sich leicht lösen“, sagte der Advokat vergnügt. „Hast du einen beglaubigten Vertrag über die Dauerpacht des nördlichen Marsenlandes?“ „Solche Verträge sind noch nie beglaubigt worden!“ „Ihr wißt“, erwiderte Lobilla, „daß sich das Römische Reich unter der wohltätigen Friedensregierung des Kaisers Augustus in seiner rechtlichen Ordnung immer weiter festigt.-Ich bin bereit, als Notar Verträge zu beglaubigen. Das kostet allerdings eine der Höhe der Pacht entsprechende Summe!“ „Schöne Ordnung!“ zischte jemand, „wo ein Notar so erpressen darf!“ Lobilla tat so, als ob er das nicht gehört hätte. „Da unser Freund keinen beglaubigten Vertrag hat, erhält der Meistbietende das Recht. Was bieten die beiden Bewerber für das Gebiet der Marsen?“ Für Herniu war das, was hier geschah, so neu, daß er zuerst nicht alles verstand. Nun aber wurde das Geschrei der Bietenden so laut und gemein, daß ihn Empörung packte, am heftigsten, als es um sein Heimatland ging. Er durfte sich aber nichts merken lassen und stand mit steinernem Gesichte da. Wenn es sich auch nur um das Gebiet der Cherusker westlich der Weser handelte, nicht um das Sigimärs, wollte er doch Armin sobald wie möglich darüber berichten.
Nun bot ein Germane für das Land der Chatten. Ihm mußte Herniu übersetzen und später die ausgehandelten Bedingungen auf lateinisch niederschreiben. Da die Diener ununterbrochen Wein anboten, tranken die Gäste viel, während der Advokat den Wein zurückwies. Nachmittags waren die meisten betrunken, und dabei zeigte jeder seine besondere Art. Einer flüsterte seinem Nachbarn zu: „Ich habe meine Leute für morgen bestellt, ein ganz übles Pack, sage ich dir! Aber sie bringen mir das Geld herein! Und für sich natürlich noch viel mehr! Wenn du dieses Geschäft erst ein paar Jahre machst, weißt du diese Lumpen richtig anzufassen. Da darfst du kein Erbarmen haben, sie haben mit anderen Menschen auch keins.“ Einer ging herum und sagte allen, obwohl sie es gar nicht hören wollten: „Nun habe ich mich ruiniert. Wie konnte ich nur so viel bieten! Meine arme Frau und meine Kinder!“ Die meisten hatten ihr Geschäft abgeschlossen und betranken sich auf Kosten des Advokaten. Unerwartet wurde Herniu von einem untersetzten Mann leise angesprochen: „Wie ist das, wenn ich mir einen Vertrag auf fünf Jahre notariell beglaubigen lasse? Gilt das auch noch, wenn ein neuer Hauptsteuerpächter anstelle dieses Lobilla tritt?“ „Das kann ich nicht beantworten, aber komm mit zu dem alten Sekretär!“ Sie drängten sich an den lärmenden Gästen vorbei und warteten, bis der Alte etwas zu Ende notiert hatte. Mit gesenktem Kopfe hörte er die Frage an. „Ich glaube“, sagte er, „daß solche Verträge erst durch das schriftliche Einverständnis des Statthalters verbindlich werden. Das kostet aber wahrscheinlich ziemlich viel.“ Der Fragesteller neigte sich zum Ohr des Sekretärs: „Dort ist doch sicher jemand, der das Einverständnis besorgt - ich meine, ohne daß der Statthalter es gesehen und eine hohe Summe dafür verlangt hat.“ „Du meinst, ob jemand von der Statthalterei eine echt aussehende Bestätigung ausstellt?“ Der Mann nickte. „Solche Leute gibt es, man muß nur an den Richtigen kommen.“ „Und wärest du bereit, mich zum Richtigen zu führen? - Ich weiß auch nicht“, fügte er noch leiser hinzu, „wieviel man dafür gibt, und mancher will das Geld auf eine feinere Art haben.“ „Das kann ich“, flüsterte der Alte zurück. „Aber“, er blickte sich nach dem Advokaten um; „gib mir meinen Anteil dafür nicht hier! Warte morgen mittag vor dem Jupitertempel auf mich! Jetzt aber bleibe nicht bei mir stehen!“ Wirklich war Vorsicht geboten, denn Lobilla schob sich heran. Er strahlte. „Das wäre gut gegangen! Ich möchte aber genau wissen, wie hoch die Gesamtsumme der Pachtversteigerung ist, und zwar getrennt nach dem, was gleich gezahlt wird, dem, womit ich erst in einem halben Jahre rechnen kann, und wieder getrennt möchte ich die Summe der zu erwartenden Zinsen haben.“ Die beiden Sekretäre zogen sich in den hinteren Teil des Hauses zurück und ließen sich Öllämpchen anbrennen, um die Listen aufzustellen. Da Herniu im Rechnen noch recht schwach war, überließ er die Arbeit fast ganz dem Alten, den er dabei betrachtete. Dieser Mensch wollte also vor allem deshalb seine Stelle nicht an Herniu abgeben, weil er krumme Geschäfte hinter dem Rücken des Advokaten machen konnte. Ich muß also, sagte sich Herniu, diesem Licius gegenüber kein Interesse an seinen heimlichen Geschäften zeigen. Dann wird er sich auch nicht dafür interessieren, weshalb ich hier bin. Im Gegenteil: Alles, was krumm ist, werde ich ihm zuschieben, wie ich es schon heute getan habe. Die Aufstellung der Listen machte mehr Arbeit, als es zunächst erschien, zumal die beiden durch den Lärm der Gäste gestört wurden, der aus dem Vorderhaus immer lauter herüberschallte. Schließlich hatte Licius die Endsummen heraus. Nun neigte er sich zu Hernius Ohr: „Mir hat Lobilla gestern gesagt, wieviel er verdienen muß, um seine Schulden zu bezahlen, und wieviel er hofft, aus der heutigen Versteigerung herauszuschlagen. Er ist hoch darübergekommen. Wenn er das nächste Jahr die Steuer zu den gleichen Bedingungen wieder verpachtet, ist er ein reicher Mann. Wir gehen jetzt zu ihm.“ Ein Diener kam ihnen entgegen, der Scherben von Trinkgefäßen trug. Am Ausgang zum Saal lehnte Auerolf an der Wand und schüttelte böse den Kopf. „Mich läßt man nicht mit bedienen, weil ich zu germanisch plump bin. Aber sieh dir das an! Wie das Vieh benehmen sie sich!“ Wirklich stützte sich einer mit der Stirn an eine Säule, um beim Speien nicht umzufallen. Die Sekretäre mußten über einen Menschen wegsteigen, der schlafend am Boden lag. Ein paar grölten ein Lied. Auch der Advokat schien nachgeholt zu haben, was er während der Versteigerung vermieden hatte. Er saß schwankend auf einer Ruhebank, blickte seine Sekretäre mit schwimmenden Augen an und fragte: „Viel?“ „Sehr viel!“ antwortete der Alte und nickte stark mit dem Kopf, um von dem Betrunkenen verstanden zu werden.
„Morgen“, erwiderte Lobilla. Dann deutete er mit großer Geste auf die Unterpächter und sagte singend: „Ich - hasse das gemeine - Volk! Und - halte es von mir fern!“ Herniu kannte diesen Vers des Horaz, denn Artemios hatte ihn als Übung aufschreiben lassen. Aber wozu gehörte Lobilla, wenn er seine Gäste als gemeines Volk bezeichnete? Außerdem fand es Herniu empörend, daß der Advokat schlecht von seinen Gästen sprach. Kein Germane hätte das getan! GESCHÄFTE, GESCHÄFTE Ohne weiter darüber nachzudenken, hatte Herniu angenommen, mit der Versteigerung der Unterpachten wäre diese Arbeit zu Ende. Aber schon am nächsten Tage gab es erregte Aussprachen im Vorderhaus, deren Sinn er nicht verstand, zumal der Advokat dazu nur den alten Licius heranzog. Nachmittags kam ein sehr römisch aussehender Mann ins Hinterhaus geschlichen. Die Diener hatten ihn wohl nicht bemerkt, weil sie von dem wüsten Gelage der vergangenen Nacht müde waren und schliefen. Der Mann blickte sich scheu um und kam zu Herniu, der untätig am Tisch saß. „Bist du der Sekretär?“ Herniu fühlte Abneigung gegen diesen Menschen. „Ich gebe dir etwas“, sagte der Fremde und zeigte eine Goldmünze, „wenn du mir verrätst, wer gestern Bedingungen abgeschlossen hat und in welcher Höhe. Du mußt wissen, ich bin Rechtsberater einiger alter Unterpächter, die Lobilla nicht eingeladen hatte.“ „Die Listen darüber führe ich nicht“, erwiderte Herniu abwehrend. „Und wer führt sie? Der alte Licius?“ Herniu nickte, ohne den Römer auch nur anzusehen. Plötzlich fühlte er ein Geldstück in seiner Hand. Ihm war es so neu, für eine Auskunft Geld zu bekommen, daß er erstaunt dem sich schnell zurückziehenden Römer nachblickte. Erst nachdem dieser verschwunden war, betrachtete Herniu die Münze. Es war nicht das Goldstück, sondern weniger. Noch immer verstand er nicht, was vorging. Nur soviel vermutete er, daß der Advokat einen Teil der alten Steuerpächter absichtlich nicht eingeladen hatte. Aber konnte ihm das nicht rechte Unannehmlichkeiten bereiten? In welche Räuberhöhle bin ich geraten! Herniu schwankte, ob er Licius fragen sollte. Als der jedoch abends müde von den Besprechungen kam und nur lustlos ein wenig aß, schwieg auch er. Nach wenigen Tagen tauchte ein neuer Mann auf, ein schlanker, junger Römer von gutem, wenn auch betont unbekümmertem Benehmen.
Lobilla stellte Licius und Herniu dem jungen Manne vor. „Das ist mein Rechtsgehilfe. Ihm werdet ihr daher über alles Auskunft geben!“ Der junge Römer begab sich sofort mit den Sekretären in den hinteren Hof und zeigte sich als klarer und fixer Kopf. Er gehörte zu den jungen Abenteurern, die nach Germanien kamen, um bei der noch völlig willkürlichen Verwaltung des Landes Geschäfte zu machen. Erstaunlich rasch bildete sich um den Advokaten eine Gruppe von Leuten, die teils irgendwelche Geschäfte für ihn besorgten, teils ihm schmeichelten, um auf seine Kosten ohne viel Arbeit zu leben. Unter diesen Leuten befand sich ein junger Mann, der sich stets vergnügt zeigte, abends mit Lobilla soff, sich von ihm auf jede Weise beleidigen ließ und dazu noch lachte. Dieser junge Mensch wurde der Spaßmacher genannt und diente dem Advokaten gleichzeitig als Leibwächter. Gegen diesen Menschen zeigte der sonst ruhige Licius offenen Haß. Der alte Sekretär war gewiß bestechlich wie alle hier, aber innerhalb der gemeinen Bande bewahrte er doch einen gewissen Anstand. Das führte ihn mit Herniu zusammen, der sich sonst mit niemand einließ. Zu dieser Annäherung halfen ein paar Vorfälle mit. Eines Morgens, ziemlich früh, wurde Licius ins Vorderhaus gerufen. Gleich darauf kam er in den hinteren Hof, zusammen mit einem Mann, an dessen Benehmen Herniu merkte, daß hier etwas geschoben werden sollte. Kühl erhob sich Herniu, grüßte den Fremden höflich und ging zum Nebeneingang aus dem Hause. Als sich Ähnliches ein zweites und drittes Mal ereignet hatte, verlor der Alte jedes Mißtrauen gegen Herniu und erzählte dem nun manches. „Weißt du, Hernius, der junge Rechtsanwalt ist nicht so harmlos, wie du wohl denkst. Eines Tages wird er Lobilla ebenso begaunern, wie der es mit aller Welt tut. Der Schlimmste aber ist der ewig lächelnde Jüngling. An Lobillas Stelle würde ich mit diesem Kerl niemals allein eine Reise nach Großgermanien machen, zumal der Advokat feige ist. - Aber, was ich dich schon immer fragen wollte, Hernius, wie kommt es, daß du nie Geld nimmst? Ich würde es ja herauskriegen, wenn du es tätest, und hier haben alle offene Hände.“ Herniu erschrak über diese Frage, denn sie konnte zu leicht offenbaren, weshalb er sich hier befand. Daher antwortete er vorsichtig: „Du weißt, Licius, daß mein Vater ein Römer war. Nach seinem Tode aber wohnte ich mit meiner Mutter unter Germanen. Dort ist das Leben anders als bei euch, und sie hassen sogar eure Art. Ungern nehmen sie Münzen an und wissen mit ihnen nichts anzufangen, weil sie nur tauschen und nie gegen Geld kaufen. Sie betreten auch nur widerwillig römische Städte, in der Furcht, daß man sie wegen ihrer Kleidung verachtet oder betrügt. Bei ihnen gilt ein gegebenes Wort, ohne daß man es aufschreibt, sogar wenn kein Zeuge dabei war. Ein gelehrter Grieche hat mir einmal gesagt, daß es eine solche Ehrlichkeit früher auch unter den Römern gegeben hätte. Und verstehst du, daß es sich schöner mit anderen zusammenlebt, wenn man ehrlich ist?“ Licius war von Hernius Worten sehr beeindruckt, schüttelte aber den Kopf. „Und doch, mein Hernius, könnte ich nicht unter Germanen leben. Jagd, Viehzucht und Krieg sind mir zuwider. Ich brauche unsere höhere Kultur.“ Trotz dieser Worte versank der Alte in trauerndes Schweigen. Herniu betrachtete ihn und dachte: Und doch verstehe ich die Verstellung besser als eure schmutzigen Geschäftemacher. Wenn du wüßtest, zu welcher Heuchelei ihr mich zwingt! BESPRECHUNG IM CHERUSKERLAGER Die Tage wurden wärmer, und Herniu erfaßte eine Sehnsucht, einmal wieder das Land zu sehen, nicht nur Häuserwände und enge, schmutzige Gassen. Er bat also den Advokaten um einen freien Tag. Unfreundlich fragte Lobilla: „Wozu?“ Herniu log: „Der Ritter Arminius hat mir gesagt, ich soll ihm berichten, ob ich mich in meiner Stelle eingerichtet habe.“ Da der Advokat es für möglich hielt, daß Armin eines Tages Herzog oder gar König der Cherusker sein würde, wollte er gute Beziehungen zu ihm behalten und gab die Erlaubnis. Fröhlich schritt Herniu aus dem Hause, die Gasse entlang und hinaus. Das Gras sproß, der Rotdorn blühte am Rande der Straße, die zum Lager der Cherusker führte. Das beschwingte seinen Schritt. Vor dem Hause Armins traf er Olfo, der ihm heiter entgegenkam und ihn zu dem Blinden begleitete. „Wo hast du nur die ganze Zeit gesteckt?“ fragte Olfo. „Laß es dir genügen, Olfo, wenn Asni es weiß. Du darfst auch nicht mit mir zu ihm hinein.“ Olfo wunderte sich über die Worte seines Blutsbruders sehr, beruhigte sich aber, als er hörte, wie froh
Asni Herniu begrüßte. „Olfo!“ rief der Blinde. „Bitte Armin zu mir, und dann wachst du vor der Tür, daß uns niemand belauscht!“ Armin kam rasch und folgte Hernius Bericht mit steigender Spannung. „Wie gut, daß wir dich zu diesem Blutsauger Lobilla geschickt haben! Freilich wissen wir noch nicht, welche Rolle Segest, der Überfürst, bei der Aussaugung unserer Länder spielen wird. Höre mich jetzt an, Herniu! Ich habe mit dem Statthalter Varus gesprochen und ihm gesagt, daß er die cheruskischen Hilfstruppen nicht mehr braucht, wenn die Legionen selbst das Land bis zur Weser besetzen. Er soll sie in die Heimat entlassen, denn danach verlangen meine Cherusker. Sie sind im Heiratsalter und möchten sich Frauen nehmen. Ich hatte befürchtet, Varus würde Schwierigkeiten machen, um das Entlassungsgeld nicht bezahlen zu müssen. Er ging jedoch sofort darauf ein und sagte: ,Gut, ihr marschiert im Mai mit uns zur Weser, und du, Arminius, bleibst als Gast bei mir. Dann führe ich euch noch bis zum Herbst in meinen Listen, aber entsende euch zum Schutz eurer Siedlungen nach Hause.’ Verstehst du das?“ Herniu lachte. „Bei Lobilla habe ich eine Menge solcher Gaunereien kennengelernt. Varus will sicher den gesamten Sold, den er vom Kaiser für die cheruskischen Hilfstruppen bekommt, selbst einstecken, während sie tatsächlich schon entlassen sind.“ „Noch viel mehr will er einstecken, die Verpflegungs- und sonstigen Unterhaltungskosten auch. Er war jedoch etwas erschrocken, als ich das sofort begriff, und bot mir Schweigegeld an. Das habe ich aber nicht angenommen.“ Da Herniu ihn fragend anblickte, fügte er hinzu: „Wenn ich es genommen hätte, könnte Varus diese Tatsache eines Tages verwenden, um mich zu verdächtigen. Zum Beispiel könnte er dem Überfürsten sagen, daß ich Bestechungsgelder von ihm genommen hätte. Auch im Thing würde mir das sehr schaden. Und dir, Herniu, sage ich: Sei recht vorsichtig mit dem Geldnehmen! Es ist eine Methode der Römer, ihre sogenannten Bundesgenossen an ihren eigenen Betrügereien mitschuldig zu machen, um sie dadurch in der Falle zu haben. - Weißt du schon, ob dein Herr, Lobilla, im Sommer hier in Vetera bleibt?“ „Vorläufig ja, weil einige Prozesse gegen ihn laufen.“ Geringschätzig erwiderte Armin: „Das hindert ihn wenig, denn Varus ist durch schmutzige Geschäfte an ihn gekettet. Er wird ihm, wenn es nötig ist, durch ein Machtwort helfen. - Da ich mit Varus zum Sommerlager an die Weser ziehe, könnte es sein, daß wir vorübergehend voneinander wenig hören. Ich werde dir ab und zu jemand schicken, dem du Nachrichten mitgeben kannst.“ BEI VARUS Anfang Mai marschierten die Cherusker unter Armin nach der Weser ab. Herniu hatte sich eigentlich ihren Abmarsch ansehen wollen, aber der Advokat ließ ihn eilig rufen. Er traf bei Lobilla einen eleganten Römer, der ohne höfliche Anrede sagte: „Du also bist Hernius? Unser Übersetzer, das heißt, der des Statthalters, hat sich gestern bei der Abschiedsfeier der Cherusker so betrunken, daß er nicht zu gebrauchen ist. Gerade heute ist aber ein Germanenfürst angekommen, und Varus braucht dringend einen Übersetzer. Gnaeus Lobilla ist bereit, dich für einen Tag oder zwei abzugeben. Man wird deine Dienste gut belohnen.“ Herniu war erbost: Da soll ich wohl mithelfen, einen Germanen hereinzulegen! dachte er. Um Zeit zum Überlegen zu gewinnen, antwortete er: „Ich möchte mich besser anziehen, denn ich will dem Statthalter keine Schande machen. Was soll der Fürst denken, wenn ich in diesem alten Umhang neben Varus stehe?“ Der Römer nickte. „Wenn doch unser Übersetzer auch an so etwas dächte! Aber die Germanen, die sich uns zum Dienst anbieten, sind heruntergekommene Leute. - Also, mein Gnaeus, ich erwarte Hernius in einer halben Stunde in des Statthalters Haus.“ Kaum war der Besucher außer Hörweite, als der Advokat in die Hände klatschte und den herbeieilenden Sklaven befahl: „Ein gutes Hemd und neue Schuhe für Hernius! Einer soll ihn salben! Komm jetzt in den hinteren Hof, Hernius!“ Unterwegs fragte er: „Du machtest kein zufriedenes Gesicht, als man dich zu Varus rief. Aber wer ist nicht froh, dem Vertreter des Kaisers dienen zu können?“ Herniu dachte: Jetzt werde ich zweien etwas vorlügen - und sagte so laut, daß der alte Sekretär es auch hören mußte: „Ich möchte Varus nicht dienen!“ „Weshalb nicht?“ fragte Lobilla erstaunt. „Um Varus sind schlechte Leute. Du hast eben erst etwas von seinem Übersetzer gehört. Wenn Varus mich bei sich behalten möchte, weil ich sauberer bin und vielleicht auch besser Lateinisch spreche, was dann? In
diesem Hause behandelt man mich gut -und er, Licius, ist ein anständiger Mensch, kein bestechlicher Gauner wie die meisten!“ Er blickte Lobilla und Licius ernsthaft und scheinbar traurig an, um die Wirkung seiner Worte zu beobachten. Beide waren sichtlich gerührt, besonders der Advokat, denn diesem durchtriebenen Menschen tat es wohl, einmal ein Lob seines Charakters zu hören. „Ich lasse dich nicht im Stich“, erwiderte er, „und werde dafür sorgen, daß du zurückkehrst. Die Hauptsache ist, daß du mir alles berichtest, was bei Varus verhandelt wurde.“ Schon kamen die Sklaven. Herniu mußte sich ausziehen, auf seine Schlafstatt legen und wurde von dem Masseur des Advokaten mit einer wohlriechenden Salbe eingerieben. Dabei flüsterte ihm der Sklave zu: „Dich salbe ich lieber als den Römer, weil du dich jeden Tag gründlich wäschst wie wir Ägypter. Bei Lobilla streiche ich nur eine Salbe über die andere, denn er hat immer schon seine Geschäfte im Kopfe, wenn er sich waschen sollte. Du kannst dir denken, wie er riecht.“ Dieser ägyptische Sklave sprach das Lateinische absichtlich schlecht aus, und wenn keine Römer es hören konnten, pflegte er zu sagen: „Ich mag diese Affensprache nicht! Man kann die römischen Protzen nur verachten, wenn man aus einem so alten Lande stammt wie Ägypten!“ Als Herniu aus seinem Schlafraum gesalbt und geradezu mit römischer Eleganz heraustrat, kam ihm Licius tölpisch vor Bewegtheit entgegen: „Hernius, dieses Wort über mich werde ich dir nie vergessen!“ Herniu wußte, er hatte einen Bundesgenossen gewonnen. Auf dem Wege zum Hause des Varus nahm er sich vor, bei der Übersetzung recht zurückhaltend zu sein und nichts zu tun, was man ihm nicht ausdrücklich befahl. Der Pförtner des Palastes schien Anweisung zu haben, Herniu sofort einzulassen. Daher betrat er das Haus frei wie ein vornehmer Römer. Der Palast des Sentius Saturninus, den er in Moguntiacum gesehen hatte, war einfach und ärmlich im Vergleich zu dem des Varus. Glanzvolle Malereien bedeckten die Wände, und in den Nischen standen Statuen aus Marmor und Bronze. Ein Sklave fragte Herniu höflich nach seinem Begehren und führte ihn ohne ein weiteres Wort in den Empfangsraum, in dem Varus, lässig und dick, ihm sein Gesicht zuwandte, während er den germanischen Gast nur von der Seite sehen konnte. Trotzdem erkannte ihn Herniu sofort. Es war kein anderer als Segest. Wut erfaßte Herniu, aber er zügelte sich und grüßte den Statthalter kalt und stramm: „Ich bin Hernius und von Gnaeus Lobilla als Übersetzer hergesandt.“ „Gut, daß du kommst. Stell dich an meine Seite und sage: ,Ich begrüße Segestes, den Fürsten der Cherusker, und freue mich ihn anzuhören.’“ Sobald Herniu zu übersetzen begann, blickte ihn Segest erstaunt an, denn er hatte nicht erwartet, hier einen Mann zu finden, der seine Mundart sprach. Er schien jedoch Herniu nicht wiederzuerkennen, der sich freilich seit der Schildverleihung und dem Streit mit Sigimunt recht verändert hatte, übrigens fand Herniu Segests Kleidung lächerlich, die römische Toga zusammen mit Germanenhosen und sehr plumpen Schuhen.
Der Überfürst antwortete: „Ich erwidere den Gruß des Kaiserlichen Statthalters und kam her, um mit ihm einige Fragen meines Landes zu besprechen.“ „Sprich, ich höre!“ sagte Varus. „Ich weiß, daß die Legionen alles Land zwischen Rhein und Weser besetzen wollen, darunter auch mein Gebiet. Nun ist es bei uns Sitte, daß der Fürst die Abgaben von den Einwohnern einzieht. Du aber willst, so höre ich, Beamte zu uns schicken, die sich die Abgaben holen und dabei uns Fürsten übergehen.“ Varus schüttelte den Kopf. „Beamte sind es und auch keine. Es sind die Steuerpächter, denn so ist im Römischen Reiche die Steuererhebung üblich.“ „Varus“, erwiderte Segest heftig, „ich warne dich! Du kennst nicht die Germanen. Wenn Augustus Länder so fern von Rom beherrschen will, soll er das nicht mit diesen Steuerpächtern tun. Ihr schlechter Ruf ist bis zu uns gedrungen! Vielmehr sollte er unsere Macht, die Macht der Fürsten, stärken. Wenn ihr das nicht tut, werdet ihr nicht nur die gemeinen Freien gegen euch haben, sondern auch die Fürsten!“ Der Statthalter rief nach Wein. Er schien zu überlegen und sagte schließlich: „Wovor du warnst, Segestes, das haben wir gerade jetzt in Pannonien und Dalmatien gesehen. Aber es gibt dagegen auch ein anderes Mittel: die Gewalt, die Legionen.“ „Du scheinst uns für dumm zu halten, Varus. Wir wissen, daß die besten Legionen Roms bisher nichts gegen die Pannonier und Dalmatiner erreicht haben. Und was deine Legionen hier anbelangt, so sind sie neu und ohne Kriegserfahrung.“ Herniu sah den Ärger des Varus über diese Wahrheiten, aber auch, wie sich der Statthalter zurückhielt und ruhig antwortete: „Einiges von dem, was du sagst, ist richtig. - Wenn du zusammen mit deiner Herrschaft auch das Recht der Besteuerung willst, brauchst du es nur von meinem Steuerpächter zu erwerben. In diesem Jahre freilich sind die Rechte schon vergeben, aber wenn du sie für das nächste Jahr suchst, so tritt nur mit Gnaeus Lobilla in Verbindung. Der Übersetzer hier kann dich hinführen.“ Während Herniu übersetzte, schien Varus ein neuer Gedanke zu kommen, und er sagte spöttisch: „Soviel ich weiß, lebtet ihr Germanen noch vor nicht langer Zeit, ohne Herren anzuerkennen. Deine Macht kamt also nicht groß sein.“ Aufgebracht über diesen Hohn, erwiderte Segest: „Darüber solltest du nicht lachen, Varus! Denn die alte Sitte des Things bedroht auch euch Römer. Solange sich die Germanen frei versammeln können, werden sie sich euren Steuern, ebenso wie uns, widersetzen. Nur dadurch könnt ihr herrschen, daß ihr uns Fürsten zu anerkannten Herrschern über unser Gebiet macht.“ Der Statthalter antwortete hochmütig: „Der Kaiser Augustus hat Maroboduus, den Herzog der Markomannen, sehr geehrt. Er hat die jungen Cherusker Arminius und Flavus in den Stand römischer Ritter erhoben. Viel hat uns das nicht eingebracht. Aber gut, du sollst bei mir geehrt sein, und wenn sich deine Macht bewährt, kann ich den Kaiser bitten, auch dir einen Rang zu geben. Freilich sprechen Maroboduus, Arminius und Flavus gut Lateinisch. - Wir können wohl jetzt das Gespräch beenden.“ Er klatschte in die Hände und befahl dem herbeieilenden Sklaven, den Fürsten Segestes in einen Gastraum zu führen. Als sich auch Herniu entfernen wollte, gab ihm Varus einen Wink zu bleiben und fragte, nachdem Segest verschwunden war: „Kennst du Segestes?“ „Nur vom Hörensagen.“ „Er scheint auf Arminius neidisch zu sein?“ „Dafür ist er bekannt.“ Varus lachte gemütlich. „Siehst du, mein Sohn, wie ich das gleich bemerkt habe! Und was hältst du von seiner Warnung vor einem Aufstand der Germanen?“ Herniu wollte seine Meinung nicht sagen und antwortete: „Wenn ich ehrlich meine Meinung sagen darf, so hat Segestes nur deshalb gewarnt, weil er mächtig werden möchte wie Maroboduus. Und dann wird er sich von Rom selbständig machen wollen. Arminius aber ist ein gerader Charakter und spricht offen aus, was er denkt.“ Erstaunt blickte der Statthalter zu Herniu auf. „Woher kennst du Maroboduus so genau?“ Herniu erschrak und erwiderte ausweichend: „Ich weiß nur, was das Volk in den Schenken redet.“ „Und es meint, daß Arminius ein offener Mensch ist und Segestes ein - wie soll ich sagen - ein Schleicher?“ „So ist es.“ „Ja, meine Nase!“ erwiderte Varus selbstgefällig. „Sie riecht von weitem, was los ist! - Höre, Hernius! Segestes wird bei mir wohnen, aber halte ihn mir fern! Bringe ihn mit dem Advokaten Lobilla zusammen! Gleich und gleich gesellt sich gern.“
GEFÄHRLICHE PLÄNE Schon am nächsten Tage begleitete Herniu den Segest zum Advokaten. Die ganze Stadt Vetera war in Bewegung, denn Varus brach mit drei Legionen nach dem Osten auf, um an der Weser sein Sommerlager zu beziehen. Dem Heer wollten Tausende von Menschen folgen, darunter der Stab des Statthalters mit seinen Glücksrittern von Advokaten, Schreibern, Boten und Dienern. Auch Händler waren dabei, die von der Weser weiter nach der Elbe oder bis zur Oder ziehen wollten, um römische Waren zu verkaufen und Felle, Wachs, Bernstein zurückzubringen. Erst unter dem Schutze der bedeutenden Kriegsmacht wagten sich auch die Unterpächter mit den gewöhnlichen Steuereinnehmern in das Land. Da so viele Vetera verließen, wurde es im Haus Lobillas ruhig. Er empfing daher Segest nicht mit der Ungeduld, die sonst den Umgang mit ihm so unerfreulich machte. Segest spielte hier übrigens auch nicht den anmaßenden Überfürsten, denn dazu fühlte er sich in der römischen Umgebung mit ihren ihm ziemlich unbekannten Sitten zu unsicher. Da der Advokat nicht wußte, wie er seinen Gast beschäftigen sollte, ging er mit ihm aus. Er zeigte ihm den Ort, an dem er sich ein geräumiges Haus bauen lassen wollte, das seiner Stellung entspräche. Dabei ließ er durchblicken, was für ein wichtiger Mann er wäre, der wichtigste Zivilbeamte nach Varus. Herniu übersetzte alles das mit steigender Abneigung gegen diesen Neureichen. Übrigens ließ sich Segest durch diese Reden nicht sehr beeindrucken, denn wegen des Auszugs der vielen Menschen sah die Provinzhauptstadt verwahrlost aus. Dazu stanken die Abfallhaufen in dem warmen Wetter, und niemand hatte Zeit, sie von den engen Gassen wegzuräumen. Nach der Rückkehr in sein Haus konnte der Advokat Lobilla eine Frage nicht mehr zügeln, die man sonst einem Gast nicht stellt: „Wann gedenkst du abzureisen, Segestes?“ „Und du, Lobilla?“ fragte Segest boshaft zurück. „Du könntest unter dem Schutz meiner Gefolgschaft erst einmal in meine Burg kommen.“ „Du hast eine Burg? Ich dachte, ihr lebt in offenen Dörfern.“ „Das war früher so, aber die neue Zeit zwingt uns Fürsten, unsere Macht zu festigen, übrigens bin ich bereit, dir auch Boden für ein Haus zu geben. Wenn das Land zwischen Rhein und Weser römisch wird, kannst du nicht hier in Vetera wohnen bleiben.“ Lobilla überlegte. „Wenn ich dich recht verstehe, willst du, Segestes, deine Burg zu einem Hauptort des ganzen Landes machen. Was aber willst du damit erreichen?“ Segest lächelte schlau. „Dafür daß ich deine - wie heißen die Leute?“ „Steuereintreiber.“ „Also dafür, daß ich dich und deine Steuereintreiber schütze - was mich nicht beliebter macht - könntest du mich an dem Steuergeschäft beteiligen. Das gäbe mir die Möglichkeit, mehr Krieger unter Waffen zu halten, und letzten Endes käme es euch wieder zugute.“ „Mich schützen schon die Legionen!“ erwiderte der Advokat aufgebracht, denn wo es um Geld ging, wurde er ungemütlich. „Ja, vorläufig schützen dich die Legionen. Aber es gibt Fälle -Hast du nicht gehört, wie die Pannonier und Dalmatiner trotz der Legionen alle Steuereintreiber an die Bäume genagelt haben? Da siehst du, wohin es führt, wenn sich die Eintreiber in den Völkern keine Bundesgenossen schaffen! Verstehst du nun, was unser gemeinsames Interesse ist?“ Der Advokat hörte so etwas ungern, brach das Gespräch ab, ließ Segest zu essen bringen und ging aus dem Hause. Herniu zog sich in den hinteren Hof zurück, wo ihn der alte Licius mit der Frage überfiel, was vorn besprochen worden wäre. Widerwillig antwortete Herniu und sagte nicht alles. Es genügte aber dem erfahrenen Sekretär, er hatte schon begriffen. Freundlich beugte er sich zu Herniu. „Ich muß dir gestehen: Als du hier auftauchtest, dachte ich, du wolltest mich verdrängen. Nun aber sehe ich jeden Tag deutlicher, wie wenig begründet meine Furcht war. Deshalb will ich dir erklären, was du wohl nicht verstehst: Lobilla hatte die Absicht, einen kleinen Teil seiner Angestellten hierzulassen. Er wollte selbst zu dem Statthalter an die Weser, denn Varus ist von einer Menge Schmeichler und böswilliger Leute umgeben, die Lobilla sehr schaden können. In früheren Jahren, noch unter Caesar, waren die Betrügereien der Steuerpächter so arg, daß es einen Aufstand nach dem andern in den Provinzen gab. Deshalb erließ Caesar ein Gesetz, wonach die Steuerpächter die Steuern nur noch von Verkäufen, vor allem auf den Märkten, erheben dürfen, die Steuern für den Kopf der Bevölkerung aber nicht. Die sollen die Ortschaften unmittelbar dem Staat abliefern. Varus und Lobilla kümmern sich jedoch um
dieses Gesetz nicht, weil das Land eben erst besetzt wird und dabei alles drunter und drüber geht. Nun ist es schon wiederholt geschehen, daß Steuerpächter oder auch die Statthalter selbst wegen ihrer Willkür in Rom angeklagt und hingerichtet wurden. Ich wünsche das Lobilla nicht, denn dabei pflegt man uns kleine Helfer auch nicht zu schonen. Aber er muß, wenn der Kaiser es befiehlt, auf die Eintreibung der Kopfsteuer verzichten. Bei den Verhältnissen in Germanien wird sie dann wahrscheinlich durch die Fürsten eingezogen werden. Deshalb wird es Lobilla mit Segestes nicht verderben wollen. Heute will Segestes an dem Steuergeschäft beteiligt werden, und später wird Lobilla den Fürsten Segestes bitten müssen, ihn daran zu beteiligen.“ „Aber, mein Licius, Segestes ist kein König, sondern nur einer der Gaufürsten der Cherusker“, erwiderte Herniu. „Der römische Spruch lautet: Teile und herrsche! Könnte nicht Varus den mächtigen Stamm der Cherusker teilen wollen und westlich der Weser die Macht dem Segestes, Östlich aber dem Arminius geben?“ Herniu erschrak. Der Alte fuhr fort: „Wenn die Römer bis zur Elbe vordringen -“ Bestürzt fragte Herniu: „Bis zur Elbe?“ und bereute sofort, seine Erregung so offen gezeigt zu haben. Licius aber schien sich nicht zu wundern. „Ja, Hernius, alle Römer sprechen davon, daß die Herrschaft Roms in diesen Gegenden nur dann gesichert wäre, wenn die Elbe die Grenze bildete.“ Der Alte redete in seinem schläfrigen Ton weiter, aber Herniu konnte nicht mehr aufpassen, so entsetzte ihn der Plan, auch seine engere Heimat zu unterwerfen.
ZUR SEGESTESBURG Überraschend schnell entschloß sich der Advokat, mit Segest zu ziehen, während sein Stellvertreter noch in Vetera blieb. Schon nach wenigen Tagen brachen sie auf, und dabei zeigte sich, zu welchem Reichtum es Lobilla in den paar Monaten gebracht hatte, seitdem ihm Herniu zum ersten Male begegnet war. Damals besaß der Advokat nur den Sklaven Auerolf, der vermutlich wegen seines streitsüchtigen Charakters ziemlich billig gewesen war. Nun aber wurde der Cherusker nur noch zu schmutzigen und schweren Arbeiten verwendet, während für die persönliche Bedienung ein ganzer Troß von Angestellten und Dienern folgte, die zu Fuß gehen mußten. Nur der alte Licius durfte auf einem der Wagen fahren, die mit Akten und Hausgerät vollgeladen waren und deren plumpe Räder greulich klapperten und quietschten. Herniu ritt unmittelbar hinter Segest und Lobilla. Der Morgen war sonnig, und die Landschaft lag im ersten Grün des Frühlings vor ihm, er aber konnte sich daran nicht erfreuen. Zu sehr bekümmerte ihn, was ihm Licius erzählt hatte. Ihn beschäftigte auch, wie er das von der Burg aus dem Armin mitteilen sollte. Am zweiten Tage der Reise bogen sie von der festen Heerstraße ab und näherten sich gegen Abend bergigem Land, in dem es keine Gasthäuser römischer Art mehr gab. Da es schwer war, Nachtlager für die vielen Menschen zu finden, sandte Segest den größten Teil seiner Gefolgschaft nach der Burg voraus und befahl, einen besonders würdigen Empfang für den römischen Gast vorzubereiten. Trotz des verminderten Gefolges blieb es dem Advokaten nicht erspart, sich am Abend Seite an Seite mit Germanen niederzulegen. Ängstlich und mißtrauisch horchte er auf die Atemzüge der Schlafenden. Schließlich, als nichts Verdächtiges geschah, schlief auch er ein. Daß ein Gast in germanischen Ländern überall sicher ruhen konnte, wo römische Sitten noch nicht eingedrungen waren, wußte er nicht und hätte es auch schwerlich begriffen. Denn unter den Römern erzählte man schreckliche Geschichten über die Grausamkeit der Barbaren. Am folgenden Mittag erreichten sie die Segestesburg. Plötzlich sahen sie hoch über dem Flüßchen etwas wie eine Mauer aus Baumstämmen, von der die Bergkuppe bekrönt war. Erstaunt blickte der Advokat hinauf und ließ Segest fragen, ob man eine Burg mit hölzerner Einfriedung nicht leicht in Brand setzen könnte. Der Überfürst lachte. „Komm nur erst einmal mit einer Brandfackel diesen steilen Hang hinauf! Oben stehen doch Pfeilschützen. Außerdem befindet sich hinter den Baumstämmen ein Erdwall.“ Während sie so sprachen, ordneten sich oben Krieger, die dann die Schilde hoben und in die Wölbungen hinein schrien: „Hoo-a!“ „Man begrüßt dich, Lobilla“, sagte der Überfürst. Dem Advokaten machte das keine Freude, denn er war allem Kriegerischen abgeneigt und wußte nicht, wie er die Ehrung erwidern sollte.
Der Weg zur Burg hatte an einer Stelle einen scharfen Knick und stieg nun erst zu den hölzernen Mauern empor. „Weshalb“, fragte der Advokat, „macht der Weg diese Biegung? Es wäre viel großartiger, wenn er gerade weiterführte.“ Der Überfürst sah seinen Gast ohne Verständnis an und antwortete gönnerhaft: „Mein lieber Gnaeus, auch die Römer tragen den Schild am linken Arm und können sich nach links mit ihm decken. Deshalb zwingen wir den Angreifer, sich so dem Tor zu nähern, daß er den Verteidigern seine ungedeckte Seite zeigt. Verstehst du es nun?“ Kleinlaut gab der Advokat die Richtigkeit zu. Solche praktischen Gesichtspunkte waren ihm ganz neu. Noch etwas Unangenehmes geschah. Beim Durchreiten des hölzernen Tores schallten den Reitern plötzlich Stierhörner in die Ohren. Lobilla fuhr vor Schrecken zusammen, während Segest stolz über die Großartigkeit dieses Empfangs lächelte. Im Hofe fanden sie vor dem rotbemalten Holzgiebel einer Hütte die gesamte Gefolgschaft des Überfürsten aufgestellt, am rechten Flügel einen jungen Mann in römischem Gewand, Segests Sohn Sigimunt, den Herniu mit geringer Freude betrachtete. Die Reiter saßen ab, und der Überfürst sagte zu Lobilla: „Willkommen in meinem Heim. Für den Augenblick habe ich dir eine Hütte einrichten lassen. Du magst eine Stelle bestimmen, wo dir ein Haus nach deinem Geschmack gebaut werden soll. Mein Sohn führt dich zu deiner Unterkunft.“ Sigimunt geleitete mit natürlichem Anstand Lobilla und Herniu zu einer gewöhnlichen Germanenhütte, an deren Eingang eine Unfreie stand und ihnen ins Innere folgte. Zu seiner Überraschung fand Herniu darin zwei römische Ruhebetten und drei Sessel, die in ganz unrömischer Weise in die Winkel unter dem tief herabreichenden Schilfdach geschoben waren. Wie sollte man auch diese für hohe Räume gedachten Möbel in so einer Hütte aufstellen? Die nächsten Stunden vergingen mit dem Abladen des Hausrats und der Einrichtung der Kanzlei, wodurch sich die lange Hütte noch sonderbarer veränderte. Gegen Abend erschien Sigimunt und bat Lobilla und seinen Übersetzer zum Essen in die Hütte seines Vaters. Kaum hatten die drei die Gasthütte verlassen, als mehrere Unfreie hineinstürmten. Drin hörten sie den alten Licius aufschreien. Entsetzt blieb der Advokat stehen, aber auch Herniu war es rätselhaft, was da geschah. Ebenso schnell, wie sie hineingerannt waren, kamen die Unfreien heraus und rasten, jeder mit einem Sessel, an den Gästen vorbei nach Segests Hütte. „Was bedeutet das?“ fragte Lobilla mit gerunzelter Stirn, denn einige der fortgeschleppten Möbel gehörten ihm. „Wahrscheinlich“, erwiderte Herniu, „will unser Gastgeber es dir so angenehm wie möglich machen, hat aber nicht so viele Sessel, um in beide Hütten römische Möbel zu stellen.“ Zum ersten Mal, seit sie in der Segestesburg waren, wich die Spannung vom Gesicht des Advokaten, und er lachte hell auf. Von diesem Augenblick an begann er sich unter den ihm so fremden Germanen wohler zu fühlen. Freilich wurde er erneut in Erstaunen versetzt durch die Art, wie man hier tafelte. In Segests Hütte standen etwas erhöht vor dem niedrigen Herd zwei Tische und hinter jedem stand ein Sessel. An dem einen bat Segest den Advokaten Platz zu nehmen, während er sich an den anderen setzte, so daß sie nach dem Eingang blickten. Rechtwinklig dazu standen auf beiden Seiten kleinere Tische. Auf der einen Seite nahmen Frauen Platz, ihnen gegenüber setzten sich Herniu, Sigimunt und einige andere Männer. Kaum saßen sie, als Unfreie über jeden Tisch ein Leinentuch breiteten und Holzschüsseln mit dampfenden Speisen hinstellten, vor Segest und Lobilla aber mehr als vor die anderen. Der Römer staunte, als er Spanferkel, Gans, Huhn und Hasen erhielt. Die Unfreien brachten Trinkgefäße mit Milch, Met und Wein. „Soll ich das alles essen?“ fragte er. „Es ist Sitte“, erwiderte Herniu, „daß man vor besonders geehrte Gäste viel mehr stellt, als sie essen können. Gestatte aber, daß ich dich aufmerksam mache. Es ist nicht üblich zu sprechen, bevor der Hausherr anordnet, die Speisen wegzuräumen.“ Den an fröhliche Tischgespräche gewöhnten Römer befremdete das. Doch empfand er es mit seinem am Recht geschulten Verstande als angenehm, sich in einer Gesellschaft zu befinden, die eine strenge Sitte besaß. Mit solchen Leuten konnte man sicher Verträge schließen, die genau eingehalten würden. Während des Mahls bemerkte Herniu, daß Sigimunt immer wieder prüfend zu ihm herüberblickte. Erinnerte er sich etwa, wie sich Herniu an den Verhöhnungen bei der Schildbeleihung beteiligt hatte? Nachdem man aufgehört hatte zu essen, sagte Segest zu Lobilla: „Ich hoffe, es hat dir geschmeckt. Oder hast du noch einen Wunsch?“
Als der Advokat das verneinte, befahl der Überfürst abzuräumen. Eifrig stürzten sich die Unfreien auf die Schüsseln und trugen sie hinaus, denn nach einem solchen zeremoniellen Mahl fiel ihnen und ihren Familien der ganze Rest, das heißt, fast alles zu. Die Frauen und Männer erhoben sich, und auch Lobilla wollte aufstehen. Segest aber bat ihn mit einer Geste, sitzen zu bleiben. „Wenn es dir angenehm ist, Römer, setzen sich Hernius und mein Sohn zu uns, denn ich möchte mit dir sprechen.“ Nachdem sich die beiden jungen Leute niedergelassen hatten, fuhr Segest fort: „Ich habe Nachricht vom Sommerlager an der Weser erhalten. Die Unterkünfte für die Legionäre sind zwar fertig, aber sonst fehlt es an jeder Bequemlichkeit. Varus und seine Leute sind deshalb vorläufig in der Festung Aliso geblieben, obwohl dort kein Platz für so viele feine Herren ist. Ich schlage dir, Gnaeus Lobilla, daher vor, hierzubleiben. Morgen früh können wir einen Platz für dein Haus aussuchen.“ Der Advokat zögerte, denn es machte ihn mißtrauisch, daß ihm der Cherusker schon zum dritten Male Baugrund anbot. Darauf begann Segest von neuem: „Damit du verstehst, weshalb mir daran liegt, dich hier zu behalten, will ich dir erklären, wie ich die Zukunft Germaniens sehe. Ihr Römer seid ein starkes Volk, weil euer Adel die Menschen zur Arbeit zwingt. Unser Volk will nicht arbeiten und wird sich auch nicht zur Arbeit bequemen, solange es das Thing, die Volksversammlung, hat, in dem alle ihre Meinung sagen können. Ohne Zwang, ohne Sklaverei werden wir es nie weiterbringen. Hier in der Segestesburg möchte ich eine Stelle errichten, von der aus das neue Leben beginnt. Dazu soll auch mein Sohn Lateinisch lernen, was ich leider nicht kann. Würdest du, Lobilla, deinem Übersetzer erlauben, meinem Sohn die römische Sprache beizubringen und auch das Schreiben?“ „Das erlaube ich ihm, aber vor allem muß er mein Übersetzer und Sekretär sein! - Übrigens werde ich wohl vorläufig hier bleiben müssen.“ HERNIU UND SIGIMUNT Herniu war wenig beglückt, daß er Sigimunt unterrichten sollte. Wie machte man das überhaupt? Er hatte das Lateinische durch den Umgang mit Römern gelernt. In seiner Hilflosigkeit vertraute er sich dem alten Licius an, der ihn freundlich anhörte und erwiderte: „Gut, du hast mir geholfen, und daher helfe ich auch dir.“ Nun gab er Herniu Ratschläge, wie man unterrichtet. Trotzdem ging Herniu mit einem Gefühl großer Unsicherheit zu der Hütte Segests, wo ihn Sigimunt erwartete. Das Unterrichten stellte sich aber als nicht so schwierig heraus, weil Sigimunt ernstlich bemüht war, etwas zu lernen. Als dann Herniu aufbrechen wollte, hielt ihn der andere zurück: „Bist du nicht mit mir zusammen in dem Ringwall an der Weser mit dem Schilde belehnt worden? Ich erkenne dich doch trotz deiner römischen Kleidung.“ Jetzt will er mich ausfragen, dachte Herniu und antwortete spröde: „Ja, wir waren dort zusammen.“ „Du bist also ein richtiger Cherusker und gehörst zur Gefolgschaft Sigimärs? Aber der Advokat scheint dich als Römer zu betrachten?“ Hier versagte die Verstellungskunst Hernius, und da er verlegen schwieg, sagte Sigimunt schlau lächelnd: „Ich verstehe: Man hat dich dem Römer beigegeben - wohl nicht ohne Absicht?“ „Gnaeus Lobilla hat um mich gebeten.“ „Aber Lobilla war gar nicht mit Sigimär zusammen. Nur Armin kann dich ihm gegeben haben!“ Er lachte, bis er bemerkte, daß dieses Lachen Herniu ärgerte. Sofort lenkte Sigimunt ein und sagte leise: „Du hast gestern gehört, wie mein Vater davon sprach, wir Germanen sollten auch so eine Sklaverei einführen, wie sie die Römer haben. Was hältst du davon?“ „Die Ältesten und Priester sind für das Thing“, erwiderte Herniu. „Das ist es. Unser ganzes Volk zu Sklaven zu machen, wird nicht so leicht sein. „Nein, gar nicht leicht!“ sagte hart eine Stimme hinter ihnen. Sie fuhren zusammen und sahen in das wütende Gesicht Auerolfs. „Dein Vater, Sigimunt, hat mich verkauft! Und wenn er mich noch an einen Germanen verschachert hätte! Aber an den geldgierigen Römer!“ Nun blickte Auerolf den Herniu an. „Und du bildest dir wohl ein, ich wüßte nicht, was dieser Rechtsfuchs für Pläne hat? Wenn ich auch nicht viel Lateinisch verstehe, weiß ich doch recht gut, wobei du ihm hilfst!“ Herniu durfte nicht antworten, um nicht alles zu verraten. Zu seiner Überraschung kam ihm Sigimunt zu Hilfe: „Auerolf, sieh dich vor! Nicht vor mir! Ich werde dich nicht angeben. Aber vor meinem Vater!“ „Auch du bist ein Schurke!“ erwiderte der Sklave und ging. „Wie unvernünftig er ist!“ sagte Sigimunt zu Herniu. „Also, auf morgen!“
Trotz dieser Unterredung traute Herniu dem anderen nicht und war zufrieden, daß Sigimunt ihn nicht wieder nach etwas fragte. So verflossen Wochen, und es war schon Hochsommer, als ein römischer Bote eintraf und nach kurzem Gespräch mit Lobilla wieder aufbrach. Herniu fragte den alten Licius, was der Bote gebracht hätte. „Auch ich weiß es nicht. Der Advokat hat allein mit ihm gesprochen und hinterher nur gesagt: ,Man müßte ganz andere Maßnahmen treffen! Alle sind zu nachgiebig für ein solches Land!’ Wenn Lobilla so aufgeregt ist, pflegt etwas mit seinen Geldgeschäften schiefgegangen zu sein.“ Zwei Tage später geschah etwas ganz Unerwartetes. Zuvor hatte Sigimunt erzählt, sein Vater wäre auf der Jagd und hätte ihm streng verboten mitzukommen. „Lerne du Lateinisch, das ist wichtiger!“ über dieses schroffe Verbot hatte sich Sigimunt recht geärgert. Als nun Herniu zum Unterricht in Segests Hütte trat, sah er Sigimunt mit seiner Mutter und zwei jungen Männern zusammenstehen. Das Gespräch brach jäh ab, als Herniu auftauchte. Dabei blickte sich einer der Unbekannten um, und Herniu erkannte zu seiner Verblüffung Ursilo, den Läufer. Der tat aber so, als wäre ihm Herniu noch nie begegnet. Während des Unterrichts waren beide, Herniu und sein Schüler Sigimunt, nicht recht bei der Sache. Was tut Ursilo hier? fragte sich Herniu. Er ist der Vertraute der Tursinhilda. Und wie steht es mit Sigimunts Mutter? Sie zeigt sich mit ihrem Manne, dem Überfürsten, selten zusammen. Nach Schluß der Stunde fragte Herniu: „Wer waren denn die beiden vorhin?“ „Aber Herniu! Ursilo, den Läufer, mußt du doch kennen, der bei der Schildleihe viel schneller lief als wir!“ „Ich entsinne mich“, erwiderte Herniu. Welche Überraschung, daß ihm Sigimunt augenscheinlich nichts nachtrug! „Und der andere?“ „Ein Vetter von mir.“ „Ach so, ein Sohn des Riesen Raganhar?“ „Nein, mein Vater hat mehrere Brüder.“ Diese Auskünfte machten Herniu nicht klüger, und wie er auch grübelte, er konnte nicht alles begreifen. RITT ZUM WESERLAGER Für den folgenden Tag hatte sich der Advokat vorgenommen, sein aus Holz gebautes, einigermaßen römisches Haus in der Segestesburg zu beziehen. Aber daraus wurde nichts, denn es traf eine Abteilung römischer Reiter ein. Was wollte die auf einmal hier? Gleich nach der Ankunft der Legionäre befahl der Advokat seinen Sekretären, sich zur Reise fertig zu machen. „Kommen die Wagen mit?“ fragte Licius. „Nein“, erwiderte Lobilla kurz. „Aber ich kann nicht reiten!“ „Ein Römer kann alles!“ antwortete der Advokat, ein Ausspruch, den Herniu mit einem höhnischen Blick beantwortete, denn Lobilla ritt sehr schlecht. Da der alte Licius geängstigt dastand, zwinkerte ihm Herniu zu und flüsterte: „Ich helfe dir.“ Die Pferde für Licius und Herniu wurden von Auerolf herbeigeführt. Er grinste boshaft und zeigte dem Alten, welches für ihn gedacht war. „Ausgerechnet die kitzliche Stute!“ sagte Herniu vorwurfsvoll. „Du weißt doch, daß er nicht reiten kann!“ „Mag er herunterfallen! Das schadet der alten Krähe nichts!“ „Auerolf, du solltest deinen Haß auf Leute loslassen, die ihn verdienen.“ „Ach, Römer ist Römer!“ knirschte Auerolf, war aber doch bereit, für Licius ein zahmes Pferd zu holen. Herniu schob den Alten hinauf. „Was mache ich aber“, fragte der Sekretär mit Angstschweiß auf der Stirn, „wenn die anderen fortreiten, und das Pferd bleibt stehen?“ Herniu erwiderte, erstaunt über so viel Ahnungslosigkeit: „Dieses Tier ist gewöhnt, mit den anderen zu laufen. Halte dich nur an der Mähne fest, wenn es anruckt!“ Sigimunt trat zu Herniu. „Komm nur bald wieder!“ War das Hohn? Nein, Sigimunt erwiderte offen und freundlich Hernius prüfenden Blick. Während des Ritts überlegte Herniu hin und her, wie er Sigimunts Worte deuten sollte. Meinte er es ehrlich? Wohin ging es übrigens? Zuerst ritten sie denselben Weg zurück, den sie vor einigen Wochen gekommen waren. Später aber bogen sie gegen die Weser ab und überschritten am folgenden Tage in einem engen Tal
den Teutoburger Wald. Wenn sie diese Richtung beibehielten, mußten sie zu Sigimär und Armin kommen. Später erst wurde Herniu klar, daß es nach dem Sommerlager der Legionen ging. Trotzdem verstand er noch nicht, weshalb sie so plötzlich und unter so starker Bedeckung aufgebrochen waren. Wegen der im Reiten ungeübten Römer ging die Reise langsam vor sich, und nirgends sahen sie Außergewöhnliches. Am Tor des Sommerlagers fragte der Wachhabende die Legionäre, die an der Spitze des Zuges ritten, mit einem Blick auf Lobilla und den Alten: „Sind das Römer, die ihr befreit habt?“ „Nein, wir haben sie zu ihrem Schutz begleitet.“ „Ist das nicht der Hauptsteuerpächter?“ „Ja, Gnaeus Lobilla.“ Der Wachhabende und die Posten betrachteten den Advokaten jetzt mit so deutlicher Erbitterung, daß Herniu dachte: Was herrscht denn hier für eine Stimmung? Etwas muß geschehen sein. Auch auf der Hauptstraße blieben die Leute stehen und deuteten mit Fingern auf Lobilla. Kurz vor der Mitte des Lagers wurde der Advokat angerufen: „Hierher, mein Gnaeus! Ich werde deinen Vertreter gleich rufen.“ Herniu half dem alten Licius vom Pferde und hörte dabei einen Mann sagen: „Und wegen diesen Halsabschneidern müssen wir wochenlang in germanischen Hütten hausen und können uns nicht hundert Schritte fortbewegen, weil die Bevölkerung eine solche Wut auf alles Römische hat!“ Als sich Herniu umwendete, blickten ihn mehrere Legionäre an und zogen sich mit mürrischen Gesichtern zurück, wohl um nicht wegen ihrer Reden verraten zu werden. Plötzlich fühlte sich Herniu leicht angestoßen. Hinter ihm stand Ursilo, der Läufer. Er blickte Herniu mit leicht gehobenen Augenbrauen an und ging dann zur Straßenseite, wo er mit gekreuzten Armen stehenblieb. Herniu verstand, daß der Läufer etwas wollte, vielleicht gar einen Auftrag hatte. Er konnte jedoch jetzt nicht mit ihm sprechen, sondern mußte mit Licius ins Haus. Im Vorhof stand der Advokat in heftigem, aber leisem Gespräch mit seinem Vertreter, der sich augenscheinlich entschuldigte und dann sagte: „Die drei Unterpächter warten schon drin.“ Die Sekretäre gingen in den hinteren Hof, und ein Sklave trug ihnen ihr geringes Gepäck nach. „Mein Licius“, sagte Herniu, „bitte, hilf mir, daß ich das Haus verlassen kann!“ und zur Erklärung fügte er hinzu: „Ich möchte mir das Lager ansehen, bevor es dunkel wird. Dann kenne ich die wichtigsten Wege, wenn ich jemand eine Botschaft bringen muß.“ Licius lächelte ungläubig und fragte leise: „Ist sie so hübsch?“ Herniu errötete, aber nicht über die Anspielung, sondern weil ihm der Verdacht des Alten so gut zu Hilfe kam, und nickte zustimmend. In diesem Augenblick rannte ein Sklave herbei: „Licius, sofort zum Herrn!“ „Höre, Herniu!“ sagte der Römer leise. „Ich vergesse meine Schreibtafel. Wenn ich sie holen komme, sage ich dir Bescheid.“ Wirklich erschien er gleich darauf wieder. „Lobilla hat für dich heute sowieso keine Zeit. Viel Spaß!“ BEI ARMIN Trotz der Erlaubnis auszugehen, hielt es Herniu für klüger, dem Advokaten nicht zu begegnen. Nach kurzem Suchen fand er, daß dieses Haus einen Nebenausgang für die Sklaven besaß. Er wandte sich nach der großen Lagerstraße, an der Ursilo noch stand. Kaum bemerkte er Herniu, als er ohne Übereilung seinen Platz verließ, während ihm der andere folgte. Nicht weit davon trat er in einen Eingang, hinter dem sich eine germanische Hütte befand. Niemand war zu sehen. Nun erst drehte sich Ursilo um. „Dort hinten sind sie.“ Wer mochten die sein, von denen er sprach? Im Schatten der Rückwand fand Herniu Armin und den Blinden in freundlichem Gespräch. Armin blickte auf. „Da bist du ja, Herniu! Schon seit zwei Tagen erwarten wir dich.“ Verblüfft fragte Herniu: „Woher wißt ihr, daß ich komme?“ Armin lachte. „Sigimunts Mutter hat es uns mitteilen lassen.“ Ohne sich weiter um Hernius Staunen zu kümmern, forderte er von ihm einen Bericht über das, was er erfahren hatte. Bei den Worten, daß die Römer vielleicht den Stamm der Cherusker in einen Teil östlich, einen anderen westlich der Weser teilen wollten, schien er sich nicht zu wundern. „Ich sehe“, sagte er schließlich, „daß du auf der abgelegenen Burg nicht viel erfahren hast. Segest und Lobilla wollen also einander betrügen, und der Statthalter Varus denkt nur daran, wie er noch reicher werden kann. Dabei macht er dieselben Fehler, wie die Römer sie in Pannonien und Dalmatien gemacht haben. Dort besetzten sie Riesengebiete und glaubten sicher zu sein, weil die zum Widerstand nicht vorbereiteten
Völker zuerst die römische Verwaltung einfach hinnahmen. Aber die Ungerechtigkeiten der Steuereintreiber und die willkürlichen Sprüche der römischen Richter haben die Völker in Wut versetzt. Sie erhoben sich im vorigen Jahr und erschlugen alle Römer. Der Kaiser mußte fast alle europäischen Legionen zusammenholen und sie gegen die Pannonier und Dalmatiner schicken. Mehrere römische Heere stießen vor einigen Monaten gleichzeitig los, und das gelang ihnen wider Erwarten gut. Bald aber mußten sie feststellen, daß sich die Pannonier und Dalmatiner hinter ihnen zusammengezogen hatten und ihnen die Wagenkolonnen mit dem Nachschub wegnahmen. Wenn die Römer versuchten, den Aufständischen ins Gebirge zu folgen, wurden sie an Stellen angegriffen, wo sie ihre Legionen nicht zur Schlachtordnung entwickeln konnten. Dabei erlitten sie schwere Verluste.“ „Können wir das nicht auch?“ fragte Herniu erregt. „Wir haben Sümpfe und dichte Wälder, in denen die Römer auch nicht kämpfen können!“ „Nicht so stürmisch!“ erwiderte Armin. „Wir können nur dann Erfolg haben, wenn, wie in Pannonien und Dalmatien, ganze Völker kämpfen. Solange aber bei uns ein Segest etwas zu sagen hat - und solche Römlinge gibt es in vielen unserer Stämme - können wir nicht losschlagen. Die germanischen Stämme müssen Verträge zum gemeinsamen Kampf schließen. Die Römer wissen auch, wie gefährlich es für sie ist, wenn das Thing die allgemeinen Angelegenheiten berät. Deshalb hat Varus verboten, daß sich das Thing versammelt. Du mußt die Geduld lernen, die für die Vorbereitung großer Taten nötig ist.“ Bedrückt fragte Herniu: „Wenn es kein Thing mehr gibt, kann dann Vater Asni überhaupt nicht mehr singen?“ „Ich singe“, erwiderte der Blinde. „Jetzt im Sommer muß ich in entlegene Siedlungen ziehen, wohin die Römer nicht kommen. Im Herbst aber marschieren sie über den Rhein zurück. Dann wird sich das Thing bei allen Stämmen versammeln. Freilich taugen meine alten Lieder jetzt wenig. Es wird ein neues Lied sein, von Ingo, der sich nachts ins Lager der Riesen schlich, pflockte die Rosse der Schnarchenden ab, trieb sie, daß donnerte von den Hufen die Heide. Ohne Rüstung rannten die Riesen zu ihren Rossen. Ingo aber und Irmin erschlugen mit Isk viele der Feinde.“ „Du siehst, Herniu“, sagte Armin, „daß dieses Lied noch nicht zum großen Kampfe auffordert, sondern zu Überfällen. Allenthalben gibt es sie schon. Das ist auch der Grund, weshalb dein Advokat so rasch hierher kam. Einige seiner Steuereintreiber sind erschlagen worden. Anderen haben die germanischen Krieger, die von den Römern Räuber genannt werden, alles wieder abgenommen. Varus hat überall römische Gerichte eingesetzt, aber die Richter sprechen nur Lateinisch, und kein Germane geht freiwillig zu ihnen. Er bekäme doch kein Recht.“ Traurig sagte Herniu: „Es kann lange dauern, bis sich unsere Stämme vereinigen. Muß ich bis dahin bei Lobilla bleiben?“ „Herniu!“ erwiderte Armin streng. „Du bist trotz deiner Jugend von den Priestern ausersehen worden! Wer sonst kann deine Arbeit tun?“ „Das verstehe ich. Aber weder im Hause Lobillas noch bei Segest habe ich einen Menschen, dem ich wirklich vertrauen kann. Der Sklave Auerolf poltert seinen Haß gegen die Römer offen heraus. Er ist für mich eine Gefahr.“ „Und doch hören wir von ihm durch Ursilo, den Läufer, manches. Darin aber hast du recht, daß du dich mit ihm nicht weiter einläßt. Sigimunt ist etwas anderes. Du weißt wohl nicht, daß seine Mutter ihre Tochter Tursinhilda vom heiligen Hain der Frija zurückholen wollte. Ruwala aber hat sie überredet, die Tochter dort zu lassen. Das gab dann in der Segestesburg einen schweren Zusammenstoß zwischen Segest und seiner Frau. Seitdem hat sich mehr ereignet: Die Brüder des Überfürsten sind gegen ihn, besonders heftig einer seiner Neffen, der zusammen mit dem Läufer Ursilo Botschaften zwischen mir, Segests Frau und Ruwala hin und her trägt. Nun weiß Sigimunt nicht, wohin er sich wenden soll, zu seinem Vater oder zu dessen Brüdern und seiner Mutter, an der er zu hängen scheint.“ „Wie soll ich mich aber zu Sigimunt und den anderen stellen?“ „Vermeide mit ihnen Streit, aber suche auch nicht ihre Freundschaft! Laß sie zu dir kommen, wenn sie etwas wollen! Nur Ursilo kannst du völlig trauen und ihm auch jede Nachricht übergeben.“
IN LOBILLAS HAUS Bedrückt kehrte Herniu in das Haus Lobillas zurück. Wie lange mußte er noch bei dem geldgierigen Römer bleiben, während sich seine Altersgenossen in den Waffen übten? Er wollte kein Stubenhocker werden wie der alte Licius! Wieder ging er durch den Sklaveneingang und hörte eine weinende Frauenstimme aus dem Vorderhaus dringen. Im Verbindungsgang standen drei Sklaven, und lauschten, unter ihnen der ägyptische Masseur. Er winkte Herniu heran und flüsterte ihm zu: „Hör dir das an! So machen es die römischen Barbaren!“ Noch begriff Herniu nichts. Eine hohe Kinderstimme fragte angstvoll: „Vater kommt nicht zurück?“ „Das weiß ich nicht!“ erwiderte der Advokat kühl. „Es hängt von deiner Mutter ab. Wie ich schon sagte, kann ich eine Abteilung Legionäre für einen Streifzug an die Ems anfordern. Sie wird versuchen, deinen Mann zu befreien. Das muß er aber hinterher bezahlen.“ „Sie haben ihm sicher alles weggenommen!“ entgegnete die Frau schluchzend. „Woher soll er es denn nehmen?“ Die Stimme des alten Licius sagte: „Eben erzählte mir einer, daß man neulich auch einen Steuereintreiber befreien wollte. Aber die Räuber schleppten ihn in den Wald, und als er ihnen zu lästig wurde, töteten sie ihn und entkamen auf ihren heimlichen Pfaden.“ „Werden sie Vater auch umbringen?“ schrie das Kind. Grob antwortete Lobilla: „Heult hier nicht herum! Damit befreit ihr ihn nicht. Es gibt eine andere Möglichkeit: Du kannst deinen Mann auch loskaufen.“ „Ich habe nichts“, erwiderte die Frau hilflos. „Für einen Steuereintreiber gibt jeder Geldverleiher genügend - auch ich, wenn du es nur willst.“ „Wenn er aber nicht mehr lebt, was die Götter verhüten mögen!“ „Dann haftest du mit dem, was du hast.“ Höhnisch fügte Lobillas Spaßmacher hinzu: „Und wenn du nichts hast, wirst du in die Sklaverei verkauft und deine Kinder mit dir!“ Der Ägypter stieß Herniu an. „So ein Hund!“ „Weshalb duldest du solche Leute in deinem Haus, Lobilla?“ fuhr der Spaßmacher fort. „Sie bringen dir nichts ein.“ „Wirf sie hinaus!“ befahl der Advokat. „Habt ihr gehört?“ fragte der Spaßmacher. „Ich soll euch hinauswerfen. Der Advokat hat euch in seiner Großmut schon lange genug angehört.“ Die Sklaven und Herniu zogen sich in den hinteren Hof zurück. „Das ist ein Gesindel!“ sagte der Ägypter verächtlich. „Mit ihren eigenen Landsleuten haben sie auch kein Erbarmen!“ „Mir scheint“, erwiderte Herniu, „daß der Spaßmacher nicht nur die Frau kränken wollte. Er wollte wohl auch seinen Herrn Lobilla bei den Steuereinnehmern recht unbeliebt machen.“ „Von diesem Lumpen könnte ich dir noch andere Dinge erzählen, Hernius. Er versucht, uns Sklaven gegen Lobilla aufzustacheln. Ich weiß nur nicht, ob er das tut, um uns hereinzulegen, oder wozu sonst.“ Der alte Licius kam, die Schreibtafel in der Hand, in den hinteren Hof. „Na“, fragte der ägyptische Sklave, „dein Herr scheint wieder eine Heldentat vollbracht zu haben! Eine verlassene Frau hinauszuwerfen, welcher Mut! Welch edle Gesinnung!“ Licius wandte sich ärgerlich an den Masseur: „Du tust gerade so, als ob ich daran eine Mitschuld hätte!“ „Allerdings, genauso eine Mitschuld wie ich, wenn meine Hände den Herrn für einen Besuch beim Statthalter herrichten wie eine unberührte Blüte! Allerdings stinken sie dann einander an wie zwei Füchse aus demselben Bau.“ „Ägypter!“ erwiderte Licius. „Wenn es nur mit dir gut ausgeht, bei deinen gehässigen Reden!“ Der Sklave trat nahe an den Alten heran - er war ein muskulöser Mann. „Wie soll es mit mir gut ausgehen? Ich bin nicht freigelassen wie du und habe mir auch nicht ein Sümmchen mit Betrügereien zusammensparen können! Aber wenn auch mein Leben so endet, wie es eben bei einem Sklaven üblich ist, ich hoffe doch, daß wir einmal - in nicht sehr ferner Zeit - an Rom Rache nehmen werden! Bei uns in Ägypten gibt es Leute, die Rom ein furchtbares Gericht weissagen. Oder glaubst du etwa nicht an Vorahnungen?“ Licius war bleich geworden, denn auch er war ein Römer, der einzige hier im hinteren Hof, und fürchtete sich. Unruhig legte er sein Schreibtäfelchen auf den Tisch und blickte dann den Ägypter an. „Ich weiß selbst“, flüsterte er, „daß es nicht immer so weiter gehen kann - und an die Weissagungen glaube ich.“ Der verängstigte Alte tat Herniu leid, aber recht hatte der Ägypter.
DAS GESCHÄFT BLÜHT Schon nach wenigen Tagen brach der Advokat wieder nach der Segestesburg auf. Wie Herniu später von Licius erfuhr, war der Haß unter den Legionären gegen Lobilla kein Zufall, man hatte ihn geschürt. Ein anderer Ritter interessierte sich auch für das Steuergeschäft in Großgermanien und war ebenso hemmungslos in seinen Mitteln wie Lobilla. Um den Advokaten unmöglich zu machen, hatte er Leute in Sold genommen, die gegen ihn hetzen mußten. Dieses Geschäft war leicht, denn die Legionäre waren mit vielerlei unzufrieden. Man konnte ihnen einreden, Lobilla wäre an allem schuld. Ebenso einfach war es, die vielen Neider des Advokaten gegen ihn einzunehmen, zumal er sich durch seine Raffgier und seinen Hochmut überall unbeliebt gemacht hatte. Herniu dachte: Wahrscheinlich ist auch der Spaßmacher von dem anderen Ritter bestochen und hetzt nun gegen seinen Herrn! Davon sagte er dem Alten nichts. Der erzählte ihm: „Gerade als wir hier im Sommerlager eintrafen, hatte sich aber für Lobilla alles geändert, denn sein Konkurrent war abgereist. In Kleinasien hatte sich ihm eine bessere Möglichkeit zu Geschäften geboten.“ Wenn aber auch der gefährlichste Feind Lobillas fort war, blieb doch die Stimmung der Legionäre so, daß der Advokat vorzog, in die gut befestigte Segestesburg zurückzukehren. Von da zog er im Herbst mit seinem ganzen Troß von Menschen und Wagen in die Römerstadt Vetera am Rhein zurück. Dort begann er gleich die Versteigerung der Unterpachten noch besser vorzubereiten als im vorigen Jahre. Und das gelang ihm über Erwarten gut. Freilich ging er aus Angst vor Überfällen nie ohne seinen bewaffneten Spaßmacher aus. Auch den kräftigen Ägypter nahm er oft mit, und nur an Herniu wandte er sich nicht wieder, seitdem der ihm einmal gesagt hatte, Sigimär hätte ihm solche Dienste verboten.
Verwicklungen
WIGIMOT, DER SUGAMBRER
I
GASTHÜTTE Sigimärs wohnten nun nicht nur der Hermundure Liutiprant und der Semnone Wulfegar vom swebischen Bund, sondern Vertreter auch anderer germanischer Stämme. Armin, dessen cheruskische Truppe inzwischen in die Dörfer entlassen war, befand sich ebenfalls bei seinem Vater. In einer Winternacht klopfte es an Armins Hütte. Olfo erhob sich, schob den Holzriegel zurück und öffnete die Tür. Vor ihm stand ein unansehnlicher Mann in zerrissenem Umhang. An seiner Sprache erkannte ihn Olfo als einen Landsmann, einen Sugambrer. Auch ohne das wäre er eingelassen worden, denn bei den Germanen fragte man nicht nach dem Aussehen eines Gastes. Armin erhob sich von seinem Lager und setzte sich neben den Ankömmling, dem man auf einer Holzschüssel Fleisch und Käse hinstellte, und betrachtete aufmerksam sein Gesicht. Er hieß Wigimot, ein nicht so absonderlicher Name. Weshalb aber hatte dieser nicht mehr junge Mann einen so kurzen Bart? „Bist du einmal rasiert gewesen?“ fragte Armin. Wigimot blickte ihn an und nickte. „Das ist eine traurige Geschichte.“ „Du warst in Gefangenschaft bei den Römern?“ „Ja, lange.“ Armin fragte weiter: „Gehörtest du gar zu den Sugambrern, die von den Römern als Geiseln gefordert und nach Italien verschleppt worden sind?“ „Ja, ich bin der letzte von ihnen.“ „Sprichst du Lateinisch?“ „Mit den Römern habe ich es alle die Jahre der Gefangenschaft - fünfzehn waren es - sprechen müssen.“ „Sprich Lateinisch!“ sagte Armin. „Vielleicht wird es dir dabei leichter, von deinem Kummer zu reden. Niemand außer mir wird dich verstehen.“ „Wie du schon erraten hast, gehörte ich zu den Vornehmen der Sugambrer, die von den Römern heimtückisch verschleppt wurden. Ich war aber noch jung, als sie mich zusammen mit meinem Vater in Ketten nach Italien brachten. Sie trieben uns unter Peitschenhieben in ein sogenanntes Ergastulum, ein halb unterirdisches Sklavengefängnis. Jeden fünften Tag blieben wir ohne Essen und wurden stattdessen ausgepeitscht. Mein Vater war einer der ersten, der starb. Er hatte immer vorgegeben, keinen Hunger zu haben, um mir das bißchen Essen zuzuschieben. Erst als er tot war, erkannte ich, daß er sich für mich geopfert hatte. Nach seinem Tode brachten die anderen stets für mich etwas zusammen. Sie sagten: ,Du bist der Jüngste und sollst uns einmal rächen.’ - So sind sie alle gestorben. Schon vorher hatte für uns das Leben aufgehört, ein Leben zu sein. Aber noch immer quälten uns die Römer wegen der Aufstände, die unser Volk gegen sie gemacht hatte. Gewiß, unsere Krieger sind mit den gefangenen Römern roh umgegangen, nun aber erkannte ich, daß wir diese Grausamkeiten erst von ihnen gelernt hatten.“ Wigimot machte eine Pause und fuhr dann leise fort: „Als der letzte starb - es war ein Oheim von mir war ich sehr krank. Um meinetwegen wollten die Römer das Sklavengefängnis nicht weiter bewachen und stießen mich hinaus. Ich hörte sie sagen: ,Der lebt sowieso nicht mehr lange!’ Vielleicht war es die Sonne, die ich so lange entbehrt hatte, oder das wenige, was mir mitleidige Leute gaben, ich erholte mich und bin hier.“ „Weshalb kamst du zu uns, Wigimot?“ „Weil ich von deinem Vater Sigimär und dir gehört habe.“ Armin dachte, daß ihm dieser schwächliche N
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Mann nicht viel helfen würde. Es wäre jedoch eine Schande gewesen, ihn nicht freundlich aufzunehmen. In diesen Tagen kamen Priester der Marsen und Brukterer, um sich mit Armin zu beraten, was man im nächsten Sommer tun sollte. Sie schlugen vor, im ganzen Gebiet zwischen Weser und Rhein die Steuerabgabe zu verweigern. „Glaubt ihr denn, das zu können?“ fragte Armin. „Die römische Heerstraße führt durch das Land der Marsen, und alle, die nahe der Straße wohnen, können ohne weiteres gezwungen werden zu zahlen. Sie leben auch zum Teil von den durchmarschierenden Truppen. Vermutlich habt ihr Römlinge unter euch. Bei uns Cheruskern ist ihr Oberhaupt Segest. Der hilft sogar dem geldgierigen Lobilla beim Eintreiben der Steuer.“ „Was aber sollen wir sonst tun? Unser Volk verlangt nach Taten!“ „Ihr Brukterer“, erwiderte Armin, „wohnt an der Ems und ihren Nebenflüssen, und eure Siedlungen sind von Sümpfen und unabsehbaren Wäldern umgeben. Deshalb ließ vor etlichen Jahren Drusus über weite Strecken Knüppeldämme bauen, die von den Römern lange Brücken genannt werden. Sind sie noch für Truppen gangbar?“ „An einigen Stellen sind sie es noch.“ „Dann reißt die Knüppel dort auseinander, wo ihr die Dämme nicht für euren eigenen Verkehr braucht!“ „Wir könnten die Brücken abreißen, denn in den abgelegenen Gegenden lebt unser Stamm noch wie in Urvaters Tagen. Dort gibt es fast keinen Getreidebau. Man lebt vom Vieh und zieht dahin, wo es gute Weiden gibt. Deshalb sind auch die Hütten klein und schlecht. Und wenn die Römer sie niederbrennen, ist nicht viel verloren. Rasch bauen wir neue.“ Armin beugte sich vor. „In solchen abgelegenen Gegenden könnt ihr den Steuereintreibern die Zahlung verweigern und sie bedrohen. Aber nicht gleich totschlagen! Zwingt sie vielmehr, zuerst mit kleinen Soldatenabteilungen zurückzukehren. Auch die, solltet ihr zunächst nur bedrohen, so daß sie sich zurückziehen und in größerer Zahl wiederkommen.“ „Wozu das?“ fragte der alte Brukterer düster. „Ich denke, es ist besser, alle Römer zu vernichten, damit sie sich nicht wieder in unsere Sümpfe wagen.“ Wigimot hatte sich neben den Priestern niedergelassen und sagte eindringlich: „Ihr kennt Rom nicht! Wie gering ist die Zahl unserer Germanen in unseren Wäldern und Sümpfen gegenüber Rom. Sein Reich erstreckt sich in breitem Streifen mit wohlbebauten Fluren rings um das weite, blaue Mittelmeer. Dort gibt es Menschenmassen, von denen wir uns hier keinen Begriff machen, und gewaltigen Reichtum. Für dieses Kaiserreich wäre eine Hundertschaft, die ihr erschlugt, eine Kleinigkeit. Neue Legionäre werden an Stelle der Erschlagenen geschickt, und mehr als Hundertschaften können die Brukterer in Sumpf und Wald nicht einkreisen.“ „Willst du uns den Mut nehmen?“ fragte der Marse mißtrauisch. „Nein. Wenn wir gleich das ganze große Rom schlagen wollen, werden wir nichts als Niederlagen erleiden. Klein müssen wir beginnen, mit Schlägen, die unsere Kraft nicht übersteigen. Dadurch zwingen wir die Römer, immer größere Abteilungen in den Urwald zu schicken. Sie müssen sich weit über das Land verteilen und werden nirgends mehr stark sein. Wenn wir einen kleinen Erfolg haben, werden mehr Krieger bereit sein, beim nächsten Mal mit größeren römischen Abteilungen zu kämpfen.“ „Und“, rief Armin, „wenn wir vereinigt sind, alle zwölf Stämme zwischen Rhein und Weser, können wir einen solchen Schlag führen, daß die Welt aufhorcht und sich auch andere Völker gegen das blutsaugende Rom erheben!“ „Ja“, sagte Wigimot, „aber auch die Vereinigung der Stämme muß vorbereitet werden. Auch sie beginnt im Kleinen. Gibt es denn einen Austausch zwischen euren Siedlungen an der Ems?“ „Was sollten wir austauschen?“ erwiderte der Brukterer. „Milch, Honig, Felle haben wir überall.“ „Und wie steht es mit dem freundschaftlichen Verkehr zwischen den Siedlungen?“ „Streit gibt es um Viehweiden und Jagdgebiete. Wie willst du das ändern?“ „Das müßt ihr ändern“, erwiderte Wigimot. „Wenn ihr die Steuern verweigert und eure Nachbarn euch nicht benachrichtigen, daß die Römer heranrücken, hat euer ganzer Wille zum Kampf keinen Wert. Dann werdet ihr einfach überrumpelt. Vielleicht können sich die Rüstigen unter euch retten, aber was wird mit den Alten, den Kranken und Kindern? Und euer Vieh ginge auch verloren. Deshalb müßt ihr vor der Steuerverweigerung zu euren Nachbarn schicken und ihnen sagen: ,Bruder, vergessen wir den alten Zwist und helfen wir einander!’ Wer das nicht einsieht, wird in der Not alleinstehen. Ihr Priester müßt von einer Siedlung zur anderen gehen und mit freundlichen Worten die Nachbarn zu euch einladen, damit Gastfreundschaft alle verbindet! So beginnt das im Kleinen und bindet schließlich Stämme und Gruppen von Stämmen aneinander.
So haben es unsere Vorväter gemacht, und so sollen wir es wieder tun.“ „Ich sehe“, sagte der Marse, „du, Sugambrer, hast einen guten Kopf. Komm mit mir! Besprechen wir es bei uns, denn jeder Ort hat seinen eigenen Vorteil und seine eigene Gefahr.“ „Und von den Marsen kommst du zu uns, zu den Brukterern!“ fügte der andere Priester hinzu. „Gut“, sagte Armin. „Ich bitte dich aber, Wigimot, von Zeit zu Zeit zu mir zurückzukehren, denn hier östlich der Weser, wo die Römer noch nicht herrschen und wir uns freier bewegen können, werden die großen Schläge vorbereitet. Willst du, Wigimot, mir mit den Erfahrungen des kleinen Krieges bei den zwölf Stämmen helfen?“ „Das will ich, Armin“, erwiderte der Sugambrer. „Alle die Jahre in römischer Gefangenschaft habe ich darauf gewartet, Rache zu nehmen. Oft lag ich in den Nächten im unterirdischen Gefängnis wach und habe nachgedacht, wie unser Volk die Schwäche Roms ausnutzen kann, denn Rom ist nicht nur stark. Wo findest du rings um das Mittelmeer einen Menschen, der dieses grausame Volk liebt?“ „Auch davon sollst du uns erzählen“, sagte der Marse. „An den Winterabenden, wenn es stürmt, werden wir in einer langen Hütte sitzen, und viele werden stehen müssen, so voll wird sie sein! - Übrigens haben wir gehört, daß du, Armin, einen blinden Sänger hast. Schicke auch ihn zu uns!“ „Asni ist zu den Chatten gezogen, um ihnen zu singen.“ „Zu den Chatten?“ erwiderte der Marse unfreundlich. „Man sagt uns, daß dein Bruder Flavus die Tochter des mächtigsten Chattenfürsten heiraten will und daß er zu Rom hält. Die Ältesten meines Volkes haben mich beauftragt, dich darüber zu befragen, denn einige mißtrauen dir, Armin.“ „Du fragst offen, Marse, und das fordert eine offene Antwort. Mein Bruder Flavus unterhält zu meinem Vater und mir fast keine Verbindung. Ihr wißt wohl, daß wir beide lateinische Briefe schreiben können. Aber ich schreibe ihm nicht, denn ich will ihm nicht sagen, was ich tue, und er scheint sich seiner germanischen Herkunft fast schon zu schämen. Der blinde Sänger ist nicht nur zum Singen zu den Chatten gezogen, sondern auch um mit dem Chattenfürsten zu sprechen. Ihr Stamm ist stark, und wir brauchen ihn im Bunde der zwölf Stämme. Wenn also der Fürst seine Tochter an Flavus gibt, so soll er doch nicht vergessen, was seine Pflicht als Führer seines Volkes ist. Der Blinde wird ihm sagen, daß wir seine halbrömische Haltung nicht verstehen. Er wird ihn auch darauf hinweisen, welche Gefahr es für ihn werden kann, wenn die Krieger seines Stammes unseren Bund der Zwölf mehr lieben als ihn.“ „Das ist ein gutes und klares Wort“, sagte der Marse. „Es wird manchen Zweifelnden überzeugen. Wir aber sollten auch zu dem Chatten senden und ihm dasselbe erklären.“ „Tut das!“ erwiderte Armin. „Nun aber ist das Essen bereit, und nachher wird euch ein anderer Sänger ein Lied Asnis singen. Er kann zu euch ziehen, wenn ihr ihn gut pflegt, denn er ist von sehr schwacher Gesundheit.“ Nach dem Mahle führten Olfo und Ursilo Swidun, den Schwachen herein, fast mußten sie ihn tragen. Armin hatte ihm einen Esel geschenkt, auf den man ihn hob, wenn er in ein anderes Dorf zog. Stets begleiteten ihn junge Leute, denn auch Swiduns Vater war schwach und nicht fähig, dem Kranken zu helfen. Man setzte Swidun in einen römischen Stuhl mit Lehne, in deren Rundung er seinen schwachen Rücken schmiegte. Dann strich er sich mit der knochigen Hand die Haare aus der Stirn und blickte seine Hörer mit erschreckend leuchtenden Augen an. Seine Stimme war noch schöner und tönender geworden, als er das Lied von Irmin und seinen zwölf Freunden sang, die gemeinsam gegen die Riesen kämpften. IN TAFANA Wie jedes Jahr strömten zu Ostern viele Germanen ins Land der Marsen, um im berühmten Heiligtum von Tafana am Frühlingsfest teilzunehmen. Sigimär und Armin erschienen mit stattlichen Gefolgschaften, darunter Swidun, dem Schwachen, der in früheren Zeiten nur seine weltabgelegene Siedlung gekannt hatte. Nun wurde er von dem starken Olfo in den heiligen Hain getragen. Zwar war das Wäldchen nichts Besonderes, aber wie drängten sich die Menschen darin! Olfo legte dem jungen Sänger ein Fell auf die breite Wurzel eines Baumes, daß er bequem sitzen und alles beobachten konnte. Ein Mann mit reichbesticktem Umhang führte den blinden Asni an der Hand. Swidun vermutete, daß es der mächtige Fürst der Chatten war. Nun tauchte auch Sigimär mit seiner Schwester Ruwala auf. Sie hatte einen Kranz auf und in einer Hand eine Taube, in der anderen trug sie einen Apfel. Sigimär erzählte der Priesterin anscheinend etwas sehr Komisches. Das durfte er an diesem Tage, obwohl sie so feierlich mit den Abzeichen der Göttin erschien, denn
Frija freut sich an Fisch und Früchten. Lachen liebt sie und Lust. Zu beiden Seiten der Geschwister gingen, neben Sigimär sein Sohn Armin, neben Ruwala Tursinhilda. Sie hörten zu. Wie werden sich die Menschen hier wundern, dachte Swidun, wenn sich die Tochter des Überfürsten vor allem Volke mit seinen ärgsten Feinden zeigt! Der Chattenfürst trat zu ihnen. „Du also bist Sigimär, der Vater des Flavus, dem ich meine Tochter geben will? Ich begrüße dich.“ „Hoffentlich“, erwiderte der Cherusker leicht spöttisch, „bist du hier in Tafana als Germane und nicht als Schwiegervater meines verrömerten Sohnes.“ „Als beides“, sagte der Chatte mit listigem Blick. „Wir alle leben zwischen dem mächtigen Rom, das zu fürchten wir Grund haben, und unserem Volk, das wir lieben.“ Ruwala tat einen raschen Schritt auf ihn zu. „Es gibt eine Liebe, von der man spricht, und eine andere, die man fühlt und die einen zu Taten führt. Welche meinst du?“ „Priesterin der Frija, ich meine die, mit der ich zu euch gehöre, und kam her, weil euer blinder Sänger mich rief. Am Osterfest haben wir niemals nur über Unmögliches gelacht, wir traten auch zusammen, um zu beraten. Ich wußte schon, bevor Asni mich aufsuchte, daß ihr einen brüderlichen Bund mit den swebischen Stämmen schaffen wollt. Vieles erfuhr ich von Wigimot, dem Sugambrer, der Rom besser kennt als wir alle. Ich werde ihn ehren, wenn er zu mir kommt. Seine Mutter war überdies meine Schwester. Ich hörte von dem, was ihr den kleinen Krieg nennt und was ich von ihm lernen möchte.“ „Auch Wigimot wird bald eintreffen“, erwiderte Sigimär. „wollen wir mit ihm beraten!“
ZUR SIEDLUNG AM SCHWARZEN MOOR Wieder einmal mußte Ursilo einen Weg laufen, so schnell es seine Kräfte zuließen. Schon zwei Tage war er vom Lager an der Weser unterwegs und näherte sich gegen Abend einer Siedlung. Die Hunde begannen zu bellen. Ursilo hob Steine auf, um sie fernzuhalten. Drei Jungen kamen auf den Dorfweg gerannt, blickten nach ihm und verschwanden. Langsam ging er weiter und sah einen alten Mann. Der war schon so krumm, daß er den Kopf kaum heben konnte. „Woher kommst du?“ fragte der Alte. „Von dem des Apfels.“ „Es gibt mehr als einen, der sich des Apfels nennt.“ „Von dem, der ihn trägt, ihn teilt und zusammentut.“ Der Alte schielte zu dem schlanken Ursilo empor. „Wohin gehst du?“ „Zu der Siedlung am Schwarzen Moor.“ „Du bist in dieser Siedlung. Was willst du hier?“ „Eine Nachricht bringen, Vater. Römer befinden sich im Anmarsch.“ „Nach deiner Sprache bist du Cherusker. Kennst du Segest?“ „Ja, aber ich komme nicht von ihm.“ Plötzlich richtete sich der Alte straff auf und sagte: „Folge mir!“ Ursilo wunderte sich, wie gut der Mann den gebrechlichen Greis gespielt hatte. Weshalb führte er ihn aber aus der Siedlung hinaus? Der Pfad senkte sich und wurde sehr schmal. Er wand sich zwischen zwei halb zugewachsenen Teichen entlang. Nach einer Krümmung ging es ins Gebüsch, hinter dem Ursilo die gesamte Dorfbevölkerung im Kreise sitzen sah, unter ihnen Wigimot, ihm zur Seite Männer mit ihren Waffen. „Das ist ja Ursilo, der Läufer!“ sagte er. „Willkommen, Sohn! Was bringst du? Sprich!“ „Mich sendet Armin. Er hat von einem seiner Vertrauensleute erfahren, daß eine römische Hundertschaft zu einem Strafzug hierher aufbricht oder schon unterwegs ist. Bei euch hat, wie er hörte, ein römischer Richter mehrere Germanen zu schweren Strafen verurteilt, und weil sie nicht zahlen wollten, nahm er junge Männer aus eurem Dorf in die Sklaverei mit.“ „Nein!“ rief jemand dazwischen, „ich bin einer von ihnen. Die Römer kamen nur bis zum nächsten Nachtquartier. Dort haben uns die Krieger befreit und den Richter und seine Bande nackt und ohne Waffen in den Wald gejagt.“ „Das ist es, was ich auch von Armin weiß“, erwiderte Ursilo. „Nun läßt er euch sagen: Das habt ihr gut gemacht, aber treibt es nicht zu weit! Für einen richtigen Aufstand ist es noch zu früh.“
„Seht ihr!“ rief Wigimot. „Wie ich euch schon sagte, dürfen wir nur so weit gehen, daß sich die Römer zurückziehen. Dann werden sie das nächste Mal mit einer noch größeren Abteilung kommen.“ Er wandte sich zu Ursilo. „Wir haben einen Plan, und wenn du nicht gleich zu Armin zurückmußt, sieh dir unsere Unternehmung an. Du kannst ihm dann darüber berichten! - Noch diesen Abend muß das Vieh fort, mit ihm die Alten, Frauen und Kinder. Die Männer bleiben auf der Insel in den Sümpfen! Die jungen Männer aus den nächsten Siedlungen könntet ihr einladen, damit sie sehen, wie man so etwas macht!“
DER SPASSMACHER Herniu kannte die Gewohnheiten des Steuerpächters Lobilla sehr genau, denn was er nicht selbst beobachtete, teilte ihm der ägyptische Masseur und Schönheitspfleger in allen Einzelheiten mit. Seit ihrem Umzug von Vetera am Rhein ins Sommerlager am Weserknie fiel allen Hausgenossen auf, wie faul der Advokat wurde. Die oft unangenehmen Verhandlungen mit den Unterpächtern überließ er seinem Stellvertreter. Er selbst schlief bis gegen Mittag und stand dann mit schwerem Kopf auf. Frühstens am Abend ging er aus dem Hause, um bei dem Statthalter oder einem anderen Advokaten und ähnlich anrüchigen Geschäftemachern zu essen und bis in die Morgenstunden zu trinken. „Weißt du“, sagte der Ägypter zu Herniu, „weshalb Lobilla nur mit dem Spaßmacher ausgeht? Er hat eine unbeschreibliche Angst vor Überfällen. Und da vertraut er sein Leben diesem Kerl von Spaßmacher an, der in den fremden Häusern nicht in die inneren Räume darf und fast wie ein Sklave behandelt wird? Ich muß mir manchmal anhören, wie dieser Hund dem Advokaten ins Gesicht schmeichelt, aber hinter seinem Rücken Du machst dir schwer einen Begriff, wie der Kerl mit seinem ewig grinsenden Gesicht in Wirklichkeit mit Gift gefüllt ist!“ In dem ziemlich primitiven Sommerlager konnte Lobilla nicht jeden Abend zu einem Gastmahl gehen, und wenn er es nicht konnte, befahl er den Spaßmacher zu sich und soff mit ihm. Hatte er dann genügend getrunken, so wurde er gefühlvoll. Er schwärmte von dem schönen Leben, das er in Rom führen wollte, wenn er genügend verdient hätte, um sich einen Haushalt großen Stils zu leisten. „Dann kommen die ersten Männer Roms zu mir, zu dem Ritter Gnaeus Lobilla! Denke dir, vielleicht sogar Verwandte des Kaisers!“ Wie konnte er das gerade dem Spaßmacher sagen, der brennend ehrgeizig war und es kaum je dazu bringen würde, außer hier, im Speiseraum mitzutafeln! Solange der Advokat noch richtig denken konnte, hörte ihn der andere scheinbar zustimmend an. Je mehr Gnaeus Lobilla aber die Urteilskraft verlor, desto zweideutigere Reden führte der Spaßmacher: „Wirst du mich dann noch kennen, Lobillachen, du, für den ich eine Laus bin?“ „Nicht Laus!“ stammelte der Advokat. „Andere Laus!“ Was er damit meinte, war nicht klar, jedenfalls fuhr der Spaßmacher, auch nicht mehr ganz nüchtern, fort: „Ja, vielleicht brauchst du mich dann noch, um mir Ohrfeigen zu geben - weißt du: so!“ „Au!“ schrie Lobilla. „Was unterstehst -“ Er wollte sich erheben, um auf den andern loszugehen, fiel aber auf seine Liegestatt zurück. „Ich zeige dir ja nur“, sagte der Spaßmacher mit gemeinem Lachen, „wie du es mit mir machen sollst!“ und boxte dem Advokaten vor die wegen der Wärme halb entblößte Brust. „Dieser Spaß ist nicht hübsch!“ schrie Lobilla. Später mußten ihn der Ägypter und Auerolf in seine Schlafkammer tragen, wobei auch sie ihn beträchtlich knufften.
DER CENTURIO IM MOORDORF Gegen Abend marschierten die Römer in die Siedlung am Schwarzen Moor ein. Die Hunde zogen sich bellend und jaulend auf den Pfad nach der Insel zurück. Neben dem Centurio, dem Führer der Hundertschaft, ritten der Richter und der Steuereintreiber dieser Gegend.
„Centuria, halt!“ kommandierte der Centurio und wandte sich an seinen Begleiter. „Das ist also das Dorf, in dem du die Germanen verurteilt hattest? Weißt du, wie viele Ausgänge es hat?“ „Zwei, soviel ich feststellen konnte. Hier ist aber niemand. Die Barbaren haben jeden Tag einen besseren Nachrichtendienst!“ Hochmütig antwortete der Centurio: „Wir verstehen auch etwas von dem Handwerk!“ Er ließ Wachen an den Ausgängen aufziehen und die Hütten durchsuchen. Nicht einmal das wenige Hausgerät war da, keine Schale mit Milch oder irgend etwas zu essen. Weil die Legionäre vom Marsche müde waren, wollte der Centurio erst am nächsten Morgen weiter vorstoßen und vermutete, daß die Bewohner der Siedlung nicht weit wären. Er ließ vom Lebensmittelwagen Brot, Zwiebeln und Käse ausgeben und zog sich in eine Hütte zurück. Kaum hatte er gegessen und sich niedergelegt, als ein Legionär meldete: „Die Germanen haben draußen ein großes Feuer angezündet.“ Der Centurio trat hinaus und sah am nächtlichen Himmel, daß der Feuerschein ziemlich nah war. Wie sicher mußten sich die Germanen fühlen, daß sie sich so dicht an die Römer heranwagten! Da waren es wohl nicht nur ein paar Dutzend. Ihm wurde unheimlich, und er alarmierte die Centuria. Vorsichtig ließ er eine Abteilung gegen den Lichtschein vorgehen und folgte mit den übrigen. Die Abteilung kam nicht weit, denn bald erreichte sie das Ufer eines Teiches, in dessen stillem Wasser sich das Feuer spiegelte. Der Centurio ließ den Rand des Sees nach beiden Seiten erkunden, soweit es die Dunkelheit zuließ. Die Streifen stießen überall auf Wasser oder Sumpf, der die Siedlung fast ganz umgab. Daher war die Gefahr, überrascht zu werden, nicht groß, und der Centurio befahl, wieder in die Hütten zu gehen. Einige Stunden später erscholl plötzlich ein vielstimmiges „Hoo-a!“ der Schlachtruf der Germanen. Die Legionäre stürzten aus den Hütten. „Von wo kommen sie?“ Jeder wollte die Rufe aus einer anderen Richtung gehört haben. „Esel!“ schrie der Centurio, aber seine Wut vermehrte nur die Verwirrung. Als nirgends Germanen auftauchten, erkannte er, daß die Barbaren den Römern nur die Nachtruhe hatten stören wollen. Und das war ihnen gründlich gelungen. Am Morgen ließ der Centurio die Umgebung des Dorfes erneut absuchen. Man meldete ihm, daß es einen Pfad zwischen zwei Seen gäbe, der dorthin führen mußte, wo in der Nacht das Feuer geloht hatte. „Da müssen sie stecken!“ sagte der Centurio und ließ seine Pfeilschützen neben dem Pfad Aufstellung nehmen, um die anderen zu sichern, die, Mann dicht hinter Mann, hinüberliefen und im Gebüsch verschwanden. Gleich darauf tauchte ein Legionär auf und winkte. Die Centuria sollte ihm folgen. An ihrer Spitze rannte der Centurio und fand jenseits des Gebüsches eine Wiese mit Kuhfladen und Spuren von Rinderhufen. Er befahl einer Gruppe zu erkunden, ob die Spuren vielleicht zeigten, wohin das Vieh getrieben worden war. Dort mußte sich auch die Bevölkerung befinden. Inzwischen formierte er die Centuria zu einem Rechteck, um gegen jede Überraschung gewappnet zu sein. Die Ausgesandten meldeten: „Wir befinden uns auf einer Insel, von der das Vieh über einen Pfad fortgetrieben wurde, den die Germanen aber jetzt abgestochen haben.“ Der Centurio ließ sich zu der Stelle führen und ordnete an, Buschwerk zu schlagen, um darauf und aus draufgeworfener Erde einen Notweg zu bauen. Ein Teil der Legionäre legte die Waffen ab und begann zu arbeiten. Ein Schrei ließ den Centurio aufblicken. Er sah, wie die Arbeitenden einem aus dem Wasser halfen, dem ein Pfeil in den Hals gefahren war. Er blutete sehr, es war eine gefährliche Verwundung. Nun ließ der Centurio eine Abteilung Bogenschützen vorrücken, die in das dichte Gebüsch gegenüber schössen, in dem sich aber nichts regte. Um nicht zu viele Pfeile zu verschwenden, wurde das Schießen abgebrochen und die Arbeit fortgesetzt. Plötzlich kamen mehrere Pfeile angesurrt und trafen - aus kurzer Entfernung abgegeben - fast alle Arbeitenden, so daß sie voll Schrecken zurückwichen. Am See gegenüber dem Dorf stand am Waldrand eine Gruppe Germanen. Einer flüsterte Wigimot zu: „Hier können uns die beiden römischen Wachen nicht sehen. Und dabei ist es gerade die Stelle, wo der Seegrund fest ist. Paß auf!“
Einige gingen ins Wasser, und als es ihnen bis zur Brust reichte, hoben sie Schild und Frame über den Kopf und wateten weiter, bis sie drüben zwischen den Hütten verschwanden. Eine zweite Gruppe folgte. „Boote heraus!“ befahl der Mann leise. Junge Männer schleppten drei schwere Einbäume zum Ufer und ließen die letzten, auch Wigimot und Ursilo, einsteigen. Dann ruderten sie geräuschlos hinüber, wo alle ausstiegen und sich auf einem Umweg an den schmalen Pfad heranpirschten, der zur Insel führte. Sofort begannen sie den engen Damm wegzustechen und die Erde ins Wasser zu werfen. Aus verschiedenen Richtungen hörten sie Geräusche und Schreie. Trotzdem durften sie sich bei ihrer Arbeit nicht stören lassen. Ein Bote meldete: „Die Wache am Dorfeingang ist überwältigt. Was glaubt ihr, wie die Römer überrascht waren, als auf einmal vor und hinter ihnen Krieger auftauchten! Sie kamen nicht mehr dazu, eine Linie zu bilden! Nun gehen wir zur anderen Wache. Mit der werden wir es noch leichter haben, denn es sind weniger.“ „Jetzt“, sagte der Anführer, „wird die Arbeit hier beendet. Die jüngsten der Mannschaft stellen sich auf, um die Römer zu beschießen, wenn sie aus dem Gebüsch treten und plötzlich den Weg nicht mehr finden. Aber zieht euch rechtzeitig zurück!“ befahl ihnen der Anführer. „Ihr sollt nur aufhalten. - Die übrigen zu den Wagen!“ Die Schar schlich dicht an den Hütten entlang zur Mitte der Siedlung. Auf einer Bank saßen der Richter und der Steuereintreiber und unterhielten sich. Entsetzt sprangen sie auf und versuchten auszureißen. Ein Germane war aber schon nah, faßte den Richter an der Tunika und schrie ihn an: „Du mußt mich doch kennen! Als Sklaven wolltest du mich fortführen! Hast dir ein neues Gewand gekauft! Runter damit!“ Die römischen Kutscher mußten die Wagen anspannen, die dann von den Germanen im Triumph aus der Siedlung gefahren wurden, während man die Legionäre hinterhertrieb. „Wohin bringt ihr sie?“ fragte Wigimot. „Irgendwohin, wo es ihnen Mühe macht, sich zurechtzufinden. Ein paar Tage Hunger schadet diesen Halunken nichts, und sie werden sich überlegen, ob sie ein drittes Mal herkommen wollen!“ Als sich die Centuria formierte, um über den eben gebauten Steg zu stürmen, wurde sie plötzlich von Pfeilen überschüttet. Viele Soldaten wurden verwundet. Der Centurio stand einen Augenblick lang unentschlossen, denn er merkte, daß er sich keiner kleinen feindlichen Abteilung gegenüber befand. Zu sehen war aber noch immer niemand. Jenseits des Gebüsches konnten die Germanen ihm eine neue Falle bereitet haben. Daher befahl er die Rückkehr in die Siedlung. Er selbst marschierte an der Spitze der Centuria. Nun erst traten einzelne Germanen hervor und sandten ihnen Pfeile nach. Die Römer näherten sich dem Gebüsch, hinter dem der schmale Pfad in die Siedlung führte. Bei der Biegung des Weges sah der Centurio zu seinem Schrecken hinter dem durchstochenen Pfad eine
Schar Germanen. Ein Pfeil prallte an seiner Rüstung ab. Rasch trat er zurück. Wenn hier Germanen standen, mußten sie seine Wachen im Dorf überwältigt haben! Er war für das Leben des Richters verantwortlich. Nur die äußerste Entschlossenheit konnte hier helfen! Rücksichtslos trieb er die Legionäre ins Wasser. Und wenn jemand ertrank, wichtiger war, den Richter und den Steuereinnehmer zu retten, um derentwillen er hergezogen war und die ihn bezahlten! Nach einem heftigen Pfeilschießen zogen sich die Germanen zurück. Als der Centurio in die Siedlung kam, sah er an den Fetzen der römischen Gewänder, was geschehen sein mußte. „Vorwärts, weiter!“ schrie er. „Wir müssen den Barbaren ihre Gefangenen wieder abjagen!“ Schon als sie das Dorf verließen und er auch dort die Spuren des Kampfes erblickte, dachte er nüchterner. Aber es war zu spät. Sein Abmarsch sah wie eine regelrechte Flucht aus! Im Sommerlager würde sie ihm kaum verziehen werden. Erst nach Tagen langten der Richter und die übrigen Römer nackt und erschöpft bei einem römischen Posten an. BESUCH AUF DEM HÜGEL ÜBER DER WESER Gerade hatte sich Sigimär mit seinen Gästen zum Essen gesetzt, als ein Stierhorn zu blasen begann, darauf ein zweites. Alle sprangen auf, ergriffen Schild und Frame und rannten hinaus. Den Talweg kam eine Anzahl Männer geritten, voran ein riesiger Mensch auf einem starken Pferde. „Ist das nicht Raganhar?“ fragte Sigimär. „Aber was will der hier? Sie machen nicht den Eindruck, als ob sie in feindlicher Absicht kämen.“ Die Gefolgschaften Sigimärs und Armins warteten schweigend. Die ankommenden Reiter hielten in einiger Entfernung, und drei Männer lösten sich von ihnen, zwei mit Urhörnern in den Händen. Sie ritten auf Sigimär zu, hielten wenige Schritte vor ihm und bliesen. Die Hornbläser Sigimärs erwiderten den Gruß. Laut sagte der Sprecher: „Sigimär, Sohn Hariomärs, dich grüßt Sigimär, der Sohn Sigimunts, den sie den Riesen Raganhar nennen. Er bittet dich um den Frieden der Gastfreundschaft, er will sich mit dir und deinen Freunden beraten.“ Armins Vater erwiderte: „Ich danke den Gästen für ihren Gruß. Den Frieden der Gastfreundschaft gewähre ich gern. Schon ist das Essen aufgetragen. Ich bitte euch, meiner Hütte die Ehre anzutun. Für Beratungen wird danach Zeit genug sein.“ Es stellte sich heraus, daß nicht nur alle Brüder des Überfürsten Segest, sondern auch einer seiner Neffen gekommen waren, derselbe, der bisher durch Ursilo, den Läufer, dem Armin Botschaften zukommen ließ. Trotz seiner Jugend war er der heftigste Befürworter eines Bündnisses mit Armin. Nach dem Mahl zog Sigimär mit seinen Gästen und dem blinden Asni in den Wald hinaus, um nach alter Sitte unter einem Baume zu beraten. Was dabei besprochen wurde, erfuhr niemand von den Gefolgschaften, weder aus Sigimärs noch aus Raganhars Familie. Sie zweifelten aber nicht daran, daß zwischen Segests Brüdern und denen auf dem Hügel ein Bündnis abgeschlossen wurde. So mischten sich die Männer in freundschaftlicher Weise und tranken bis tief in die Nacht hinein zusammen. Zwei Tage später brachen Liutiprant zu den Hermunduren, Wulfegar zu den Semnonen und der blinde Sänger zu den Langobarden auf.
IN DER SCHENKE Herniu war schon längere Zeit im Sommerlager an der Weser. An einem schönen, warmen Abend schlenderte er eine der Lagergassen entlang und kam zu einer Schenke, vor der es recht laut zuging. Neben der Tür saß abseits von den Lärmenden ein älterer Legionär und sprach leise mit einem aufmerksam zuhörenden jüngeren. Seine Art war so verschieden von dem, was Herniu sonst von den Legionären kannte, daß er voll Neugier zuhörte. „Es kommt eine neue Zeit, Fabius - und bei Isis! - hoffen wir, daß sie besser wird! Die Kerle da drüben, die so herumschreien, wünschen zwar die alten Tage zurück und nennen sie die guten. Weißt du aber, wie es
damals war? Fast jeden Sommer brachen unsere Legionen über den Rhein vor, und vom Feldherrn bis zum einfachen Legionär ersehnten alle nur Gefangene. Hinter uns zogen die Sklavenaufkäufer und betrogen uns. Selbst wenn der Legionär einen Germanen gut verkauft hatte, behielt er vom Erlös kaum etwas. Dafür sorgten die Schenkenbesitzer und Händler. Und siehst du, das ändert sich jetzt: Streng wirst du im Lager gehalten, sollst keine Beute mehr machen, und weshalb? Damit der Kaiser und seine Beamten ins Geschäft kommen. Früher wurden durch unsere Sklavenjagden denn etwas anderes waren unsere Kriege nicht - ganze Völker aufgescheucht. Noch jetzt zieht ein Teil der Hermunduren mit seinem Vieh hin und her, um Weide zu finden. Heute aber läßt man die Völker wohnen, wo sie sind, und der Steuereintreiber holt sich aus der Germanenhütte alles, was einen Wert hat.“ „Aber, Gajus“, erwiderte der junge Fabius, „ist das nicht ebenso schlimm wie früher?“ „Es werden doch nicht mehr so viele Menschen sinnlos erschlagen, und es wird auch nicht mehr alles vernichtet.“ „Du hoffst also, daß es besser wird?“ „Als ich Kind war, hatten wir einen Nachbarn“, erwiderte Gajus. „Er besaß ein größeres Weingut und war ein freundlicher Mensch, der auch Griechisch verstand und die Philosophen las. Weil er mich gern hatte, erzählte er mir vieles: Die Verhältnisse sind schlecht, aber der Mensch ist in seinem Wesen gut. In den alten Göttersagen gibt es keine Ungleichheit zwischen den Menschen, keine Senatoren und Ritter, die alle Reichtümer besitzen, und es gibt auch keine Sklaven. Alle Menschen sind gleichgeboren.“ „Aber bei uns besteht eine schreckliche Ungleichheit“, erwiderte Fabius. „Ich selbst habe an den großen Häusern des Statthalters und der anderen Oberen mitgearbeitet und wurde dabei behandelt wie ein Sklave, obwohl ich von freien Eltern abstamme.“ „Ja, so ist es. Nur ein Gott kann uns erlösen!“ „Ich kenne keinen, der hilft, Gajus. Die Priester sind große Herren aus reichen Familien. Was habe ich mit ihnen zu tun?“ Ein Betrunkener mit stumpfem Blick stellte sich neben Herniu und sagte zu dem älteren Legionär: „Du, das ist Geschwätz! Hüte dich!“ Gajus blickte hoch, lachte und fuhr zu Fabius gewendet fort: „Und doch gibt es etwas.“ „Möglich“, erwiderte Fabius. „Aber wozu diene ich in der Legion? Um bei der Entlassung einen Acker zu bekommen und mir dann eine Frau zu nehmen.“ „Und an weiter glaubst du nichts? Du mußt -“ Entsetzt sah Herniu einen Dolch aufblitzen. Gajus sank auf den Boden, bevor ihn der junge Legionär halten konnte. „Was hast du getan?“ schrie Fabius den Betrunkenen an. Andere waren aufgesprungen und entrissen dem Mörder den Dolch, wogegen er sich nicht wehrte. Stier starrte er auf den Toten, der zu seinen Füßen in einer Blutlache lag, und wischte sich über die Stirn. Ein Centurio drängte sich an den Umstehenden vorbei und faßte den Mörder an der Schulter: „Was gab es hier? Hatte er dich beleidigt?“ „Ich kenne ihn nicht“, erwiderte der Mensch, noch immer mit starrem Blick auf den Toten. „Kennst ihn nicht?“ fragte der Centurio verständnislos. Mit der unbestimmten Bewegung der Betrunkenen deutete der Mann auf den Ermordeten: „Wir Legionäre - dulden solche Kerle nicht! Ein Gescheiter war er!“ „Und deshalb -“, fragte der junge Fabius mit aufgerissenen Augen, vollendete aber den Satz nicht, sondern warf sich mit den Armen über den Tisch und schluchzte. Dieses Vorkommnis hatte für Herniu eine Folge: Er mußte als Zeuge vor Gericht. Der Mörder wurde von zwei Liktoren mit Rutenbündeln und Richtbeil aus dem Arresthaus vor den Richter geführt und stand ebenso teilnahmslos da wie nach der Tat. Der junge Fabius berichtete mit bewegten Worten über den Gemordeten: „Er war ein guter Mensch! Stets bereit, Streit zu schlichten oder Unerfahrenen zu helfen.“ Herniu bestätigte, daß auch er von dem Toten den Eindruck eines wohlmeinenden Menschen gehabt hatte, der sich vor der Schenke besonders gesittet benahm. Bei diesen Worten erhielt Herniu von dem Legionär Fabius einen freundlichen und dankbaren Blick. Der Richter fragte nun den Mörder: „Stimmt das? Bist du von dem Toten nicht gereizt worden?“ Finster erwiderte der Mann: „Ich hatte ihn vorher nie gesehen.“ „Gestehst du, ihn erstochen zu haben?“ „Es muß wohl so sein.“ „Also, du gestehst. Weshalb aber hast du das getan?“ „Er redete so klug, da hat mich die Wut gepackt“, erwiderte der Mörder mit ausdrucksloser Stimme. Mehr war aus ihm nicht herauszubekommen. Sein Verteidiger, ein junger Advokat, bemühte sich auch nicht, den Fall weiter zu klären, und sagte nur: „Der Mörder hatte nachweislich sehr viel getrunken. Deshalb beantrage ich für ihn mildernde Umstände.“ Ob der Richter schon öfters so vertierte Legionäre abzuurteilen hatte, oder weshalb sonst, er sprach das
Todesurteil und befahl den Mörder abzuführen. Herniu ging mit Fabius hinaus in den heißen Sommertag. Beide waren von der Gerichtsszene bedrückt, und Herniu antwortete auf die Frage des Legionärs, wo er wohnte, ausweichend. Er wollte allein sein. Eine Vorstellung bedrängte ihn: Wenn er damals, als die Römer Asni geblendet hatten, dem Blinden nicht in den Sumpf nachgesprungen wäre, würde er vielleicht heute auch ein Säufer sein, der aus blindem Haß gegen sich und die Welt kaltblütig jemand umbrachte. Wie gemein war sein Leben gewesen! DER NEUE LEIBWÄCHTER Noch stand Herniu unter dem Eindruck des sinnlosen Mordes, als Ursilo zum Sklaveneingang des Advokatenhauses hereinkam. Er grüßte den alten Licius aufmerksam und sagte, Herniu sollte sofort zu ihm hinauskommen, denn seine Aufträge duldeten keinen Aufschub. Herniu ging ins Vorderhaus zu Lobilla und schwindelte ihm vor, er wollte sich mit dem Legionär treffen, mit dem er als Zeuge vor Gericht gestanden hätte: Der Advokat kannte den Fall und fragte: „Das ist wohl ein anständiger Mensch?“ „Ja, Fabius scheint nicht einmal zu stehlen.“ „So einen könnte ich zu meinem persönlichen Schutz brauchen, als zweiten Leibwächter. Frage ihn doch, ob er das will!“ „Aber Fabius ist in der Legion!“ „Hernius!“ erwiderte der Advokat lachend. „Es scheint wirklich, daß du ehrlich und ahnungslos bist, wie Licius es von dir erzählt! Weißt du nicht, daß ich von den Führern der Legionen zu meinem Schutz jede beliebige Zahl Soldaten haben kann, auch ganze Hundertschaften und mehr? Ich brauche dem Befehlshaber nur dafür zu bezahlen, und ein guter Leibwächter ist mir etwas wert. Also frage ihn, ob er bei mir bewaffneter Begleiter werden will!“ Dieser Auftrag verdroß Herniu, denn er wollte zu Ursilo, der außerhalb des Lagers auf ihn wartete. Er fand Fabius aber bald. Der junge Mann fragte: „Wer ist dieser Gnaeus Lobilla?“ „Der Hauptsteuerpächter zwischen Rhein und Weser.“ „Und du dienst ihm?“ „Ja, mein Fabius.“ „Du mußt verstehen, daß ich nur dort Dienst nehmen möchte, wo anständige Menschen sind. Ich werde mich vorstellen.“ Herniu wußte nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Dieser Fabius hielt wegen ihm, dem germanischen Spion, das Haus Lobillas für anständig. Solche Einfalt rührte ihn. Ursilo saß abseits der festen Straße auf einem Hügel und erwartete Herniu. Auch hier war zu beiden Seiten ein breiter Streifen völlig abgeholzt, um zu verhindern, daß sich Räuber unbemerkt näherten. „Komm hinüber in den Wald, Ursilo! Die Römer haben eine kindische Angst vor den Germanen und könnten von der Straße her mit Pfeilen auf uns schießen, wenn sie uns hier sitzen sehen.“ Auf dem Wege zum Walde sagte Herniu: „Wie ich mich sehne, wieder zu euch zu kommen, am Morgen das Bad im Flusse und den ganzen Tag mit Menschen zu sein, denen ich vertrauen kann!“ Sie setzten sich unter eine mächtige Eiche. Der zunehmende Mond stand schon am Himmel und wurde immer heller, je weiter die Dämmerung zunahm. Ursilo wußte noch nicht, ob die Botschaften zu den swebischen Stämmen Erfolg gehabt hätten. Er war ausgesandt, um von Herniu zu erfahren, wie die Stimmung in den Legionen wäre. Sofort nach dem Bericht brach Ursilo wieder auf, denn er wollte in der Nacht noch recht weit kommen. Herniu, der nach Torschluß nicht mehr in das Lager zurückkonnte, streckte sich unter dem Baume aus, blickte noch ein wenig nach dem steigenden Mond und schlief dann ein, zufrieden, einmal wieder in Freiheit zu übernachten. Fabius trat seinen Dienst als zweiter Leibwächter Lobillas auf die ungewöhnlichste Weise an. Zuerst meldete er sich militärisch stramm bei dem Advokaten, der von seinem anderen Begleiter, dem Spaßmacher, an eine immer zunehmende Dreistigkeit gewöhnt war. Er freute sich, einen kräftigen jungen Mann von angenehmem Äußeren vor sich zu sehen. Nach dieser Vorstellung ging Fabius in den hinteren Hof, wo mehrere Sklaven gelauscht hatten, um festzustellen, was für ein Mensch der neue Hausgenosse wäre. Der erste, dem er begegnete, war der blondbärtige Auerolf, dem der Legionär freundschaftlich die Hand hinstreckte und seinen Namen nannte.
Auerolf, in seiner Gewohnheit, jedem Römer grob zu begegnen, war so überrascht, daß er ungeschickt zurückwich, aber doch Fabius die Hand drückte. Neben ihm stand der ägyptische Masseur, der mit den Augen zuerst die Muskeln des Leibwächters prüfte und ihm dann in das offene Gesicht blickte. „Bist du ein richtiger Römer?“ Fabius verstand den Sinn der Frage nicht und antwortete: „Ja, mein Vater hat ein bißchen Land bei Praeneste, und meine Mutter ist auch von dort. Weshalb fragst du?“ „Weil freie Römer sonst nicht Sklaven die Hand geben.“ „Da hast du leider recht. Mich hat man schon getadelt, daß ich mich mit allen gemein mache, aber ich kann nicht anders.“ „Du kannst nicht anders?“ erwiderte der Ägypter. „Also willst du dich auch mit dem anderen Leibwächter gut stellen?“ „Weshalb nicht? Ich will mich mit allen vertragen.“ Der Ägypter pfiff durch die Zähne. „Viel Spaß mit dem! Wenn es aber schiefgeht, komm zu mir! Ich weiß mancherlei über deinen Mitwächter.“ Ebenso freundlich wie die Sklaven begrüßte Fabius den alten Licius, der in seiner Verschüchterung als ehemaliger Sklave vor dem Leibwächter aufstand. „Was macht ihr hier?“ fragte Fabius den am Tische sitzenden Herniu. Der verstand, daß er Genaueres sagen sollte, aber mochte keine Auskunft geben. Da Fabius von dem verschlossenen Herniu hinüber zu Licius blickte, erwiderte der: „Wir sind die Sekretäre Lobillas. Ich sehe, du meinst es gut, aber gerade deshalb frage nicht nach Einzelheiten!“ Lebhaft sagte Fabius: „Ich kann nicht glauben, daß Lobilla so schlecht ist, wie es die Leute behaupten!“ Erschrocken antwortete Licius: „Nicht so laut! Wenn er das hört!“ Lächelnd schüttelte der Leibwächter den Kopf und ging nach der Küche, um auch dort die Sklaven zu begrüßen. Der alte Licius blickte ihm erstaunt nach und flüsterte Herniu zu: „Du wirst es vielleicht nicht verstehen, aber ich fürchte niemand so, wie die ganz ehrlichen Leute. Denen fehlt etwas!“ So wunderte sich jeder im Hause des Advokaten über Fabius, und jeder mochte ihn auf eine vorsichtige Weise gern, außer dem Spaßmacher. Der begegnete seinem neuen Kameraden mit unverhülltem Hohn. Noch am selben Tage mußte dann etwas geschehen sein, worüber aber keiner von beiden sprach. Nur soviel war gewiß, daß Fabius, der sonst allen Menschen freundlich entgegenkam, den Spaßmacher verabscheute, ja, ihn zu hassen schien. In diesen Tagen zog der Advokat wieder einmal zu Segests Burg, ließ jedoch den Spaßmacher zum Schutz seines Stellvertreters im Weserlager. Dagegen nahm er Fabius mit, um jemand zu haben, der mit ihm tränke, denn die Segestesburg bot Lobilla wenig Abwechslung. Zweimal tranken sie auch miteinander, aber das konnte nicht gut gehen, denn der Advokat wurde gefühlvoll und gemein, während Fabius von seinen Idealen der Menschengleichheit und Güte zu sprechen begann. Das fand Lobilla dumm und langweilig. Daher hörten die gemeinsamen Trinkgelage bald auf. Zur größten Überraschung Hernius befreundeten sich aber Fabius und der Sohn des Überfürsten, Sigimunt. Stundenlang sprachen sie miteinander, wobei der Cherusker übrigens ein bedeutend besseres Lateinisch lernte als von Herniu. Vielleicht zogen Sigimunt die Ansichten des Legionärs deshalb so an, weil sie der germanischen Denkweise entgegengesetzt und ihm völlig neu waren. Jedenfalls nahm durch diesen Umgang die Unentschiedenheit im Wesen Sigimunts noch zu. Ein recht zweifelhafter Bundesgenosse für den Aufstand der Germanen! dachte Herniu. Aber er wird nie etwas verraten. Beim Aufbruch der Legionen vom Sommerlager nach den Winterquartieren am Rhein bat Sigimunt seinen Vater, mit nach Vetera gehen zu dürfen, um das römische Leben in einer Stadt kennenzulernen, und erhielt die Erlaubnis. Auch dem Advokaten war es lieb, daß Sigimunt mitkam, weil er die Familie des Segestes recht eng an sich binden wollte. Im Herbst und Winter schloß der Advokat mit den Unterpächtern Verträge für das neue Jahr ab und ließ sich zum dritten Mal die Pachtsummen im voraus bezahlen. Da er schon ein schwerreicher Mann war, konnte er die Unterpachten noch höher setzen, denn er hatte Zeit zu warten, bis sich jemand fand, der auf die unerhörten Forderungen einging. Herniu war froh, mit diesen Verhandlungen wenig zu tun zu haben, denn er wurde noch eifriger im Aushorchen der Legionäre und hatte dafür ein einfaches Verfahren gefunden: Er fragte sie nach ihren Erlebnissen im letzten Jahre, besonders nach ihren Kämpfen mit den Räubern, wie auch er vor den
Legionären die Germanen nannte. Die Soldaten waren froh, einmal jemand zu finden, der ihre langweiligen Geschichten anhören wollte. Dabei stachelte Herniu sie noch an und schien voll Bewunderung für ihre Heldentaten. Stets von neuem setzte es ihn in Erstaunen, wie sie jeden Verdacht und jede Vorsicht verloren, wenn sie sich vor ihm brüsten konnten. Auf diese Weise erfuhr er nicht nur, wie die Römer ihre Streifzüge machten und was sie dabei für Anweisungen hatten. Er bekam auch eine genaue Kenntnis von den höheren und niederen Offizieren und ihren Eigenschaften und teilte alles Ursilo mit, wenn er plötzlich wieder auftauchte. DER BUND DER ZWÖLF Die zwei Gesandten der swebischen Stämme, Liutiprant und Wulfegar, kehrten im Winter niedergeschlagen von ihren Stämmen, den Hermunduren und Semnonen, zurück. Marobod war nicht zu bewegen gewesen, irgend etwas für die gemeinsame Sache der Germanen zu tun. Etwas später kam der blinde Asni von den Langobarden der Unterelbe. Er berichtete Sigimär und seinen Gästen: „Die Fürsten der Langobarden haben über unseren Vorschlag, Marobod zu gewinnen, einfach gelacht. Daher hatte ich zuerst den Eindruck, daß ihr Stamm völlig friedlich geworden wäre. Aber schon am nächsten Tage baten sie mich, ihnen etwas zu singen. Ich war vorsichtig und sprach unser Lied von Tiu und dem Riesen Raganhar. Es gefiel ihnen, doch sie sagten: ,Singt ihr nur so etwas, obwohl euch die Römer mit der Besetzung eures ganzen Landes drohen?’ Dadurch merkte ich, daß ich alles sagen durfte. Je kriegerischer mein Lied war, desto mehr begeisterte es sie, und bald rief man mich aus allen Teilen des Landes. Weil ich es für nützlich hielt, die Freundschaft mit den Langobarden durch unsere Lieder zu wecken, zog ich weit umher. Während dieser Zeit hielten ihre Priester und Ältesten ein Thing und empfingen mich später feierlich in ihrer Mitte. Dabei erklärte ihr Sprecher: ,Bestelle Sigimär und Armin unseren Brudergruß. Wir wohnen weit von Bojuheim und dem Herzog Marobod. Er wird nicht gegen Rom ziehen, wir aber könnten mit euch gegen die Legionen kämpfen. Deshalb wird einer von uns zu euch kommen, damit wir eure Pläne kennenlernen, denn unsere Krieger brennen auf den Kampf. Aber sagt niemand etwas davon, damit uns Marobod nicht vorher bedroht!’“ Nach dieser guten Nachricht beschlossen Liutiprant und Wulfegar, erneut zu ihren Stämmen zurückzukehren und auch ihnen vorzuschlagen, ohne Marobods Einwilligung zum Kampf an Armins Seite zu ziehen. „Wie steht es“, fragte Liutiprant den Sigimär, „mit einem richtigen Bund der zwölf Stämme zwischen Rhein und Weser? Je fester ihr euch bindet, desto leichter wäre es, unsere Stämme auch auf eure Seite zu ziehen.“ „Warte noch einige Tage!“ erwiderte Sigimär. „Ist euch noch nicht aufgefallen, daß Armin und seine Gefolgschaft merkwürdig viele Tage auf der Jagd sind? Ihr werdet sehen, weshalb.“ Mehr verriet Sigimär nicht. Inzwischen ließ Armin mitten im tiefsten Walde eine große Hütte bauen. Während dieser Zeit setzte strenge Kälte ein. Außerdem waren die Wölfe hungrig, so daß Armin seiner Gefolgschaft befahl, die holzfällenden Unfreien gut zu beschützen und an jeder Arbeitsstelle ein großes Feuer zu unterhalten. Mehrere Tage vor dem Neumond war alles bereit, und kein Unfreier befand sich mehr in der Nähe der Hütte, die für das heimliche Thing bestimmt war. Da die Abgesandten der zwölf Stämme in Sigimärs Siedlung nicht gesehen werden sollten, wurden sie von Kriegern aus Armins Gefolgschaft jenseits der Weser erwartet und an der Siedlung vorbei über den zugefrorenen Fluß geführt. Während der Beratung durften nur Olfo und Ursilo in die Hütte, um für das Feuer zu sorgen. Auf einem Bänkchen quer davor saßen Sigimär und Armin, in zwei Reihen einander gegenüber die Abgesandten der Sweben und der zwölf Stämme, ältere Krieger und Priester mit langen Bärten. Der Angesehenste der zwölf, ein Chatte, erhob sich, streckte ein Schwert vor und sagte feierlich: „Das ist das Schwert Tius, des Gottes der Treue. In starkem Bund stehen zwölf Stämme, Cherusker, Chatten, Chamawen, Chauken, Sugambrer, Marsen, Brukterer, Usipeter, Tenkterer, Tubanten, Amsiwarier und Angriwarier. Hebt eure Hände über das Heilige, zu schwören Schutz und Beistand und Schweigen!“
So schwur man und vertagte das Thing auf die folgende Nacht, in der die schwierige Frage beraten werden sollte, die der Beuteverteilung. Diese Beratung begann damit, daß Sigimär sagte: „Vor mehr als zwanzig Jahren, als sich die Germanen gegen Drusus zusammenschlössen, vereinbarten sie, daß den Sugambrern die Gefangenen zufallen sollten, uns Cheruskern die Pferde, den Sweben Gold und Silber. Wie wollen wir das bei den kommenden Kämpfen halten?“ Die Abgesandten der Sugambrer verlangten, daß ihnen, zusammen mit ihren Nachbarn, den Marsen, wieder die Gefangenen gegeben würden. Gegen diese Verteilung sprachen andere, bis sich Armin erhob. „Brüder des Bundes, damals war unsere Beute gering. Ein paar hundert oder höchstens tausend Legionäre wurden gefangen. Aber heute? Wenn wir die Römer endgültig aus unserem Lande treiben wollen, dürfen wir nicht zaghaft auf sie einschlagen, damit unsere Freunde, die Sugambrer und Marsen, recht viele unverwundete Gefangene erbeuten und sie dann verkaufen können. Mit Haut und Haar müssen wir sie vernichten!“ „Glaubst du denn, Armin“, rief ein Angriwarier, „daß du sie alle einkreisen und schlagen kannst? Es sind drei Legionen, die Varus jeden Sommer in unseren Ländern hat. Wieviel Mann sind das?“ „Zwischen zwanzig- und dreißigtausend.“ „Und die alle willst du vernichten? Welche Vermessenheit!“ Da nur wenige glaubten, daß Armin einen so ungeheuren Plan durchführen könnte, ließ sich Wigimot das Wort geben. Ihn kannten sie und achteten ihn. „Ihr“, sagte Wigimot, „vergeßt, daß wir schon ein Jahr in kleinen Kämpfen unsere Krieger für den großen vorbereiten. Armins Plan ist mir bekannt und gut. Er wird gelingen. Was nun die Gefangenen betrifft, so muß ich den Vertretern meines Landes, den Sugambrern, eins sagen: Wie wollt ihr zehntausend oder mehr Gefangene durch unser dünn besiedeltes Land an den Rhein führen, ohne daß sie verhungern? Selbst wenn es euch gelänge, sie nach Moguntiacum oder woandershin auf den Sklavenmarkt zu bringen und ihr nicht dort von den Römern erschlagen würdet, wer, meint ihr, soll euch diese Zahl abkaufen? Römische Händler werden es nicht tun, weil die Gefangenen für sie freie Römer sind. Oder wollt ihr euch mit einem freundlichen Schreiben an den Kaiser wenden? Wenn ihr mit den Römern solche Geschäfte machen wollt, solltet ihr nicht erst mit ihnen auf Tod und Leben kämpfen!“ „Mögen die Römer bei uns als Sklaven arbeiten!“ rief einer dazwischen. „Man sieht“, erwiderte Wigimot, „daß du die Legionäre nicht kennst und auch über unsere Verhältnisse nicht nachgedacht hast. Welche Arbeiten gibt es bei uns zu verrichten? Vieh zu hüten und Hirse und Hafer anzubauen. Brauchst du dazu diese Zahl von Römern, die an den Müßiggang gewöhnt sind? Bei uns ist es so: Nimmt man einen Unfreien, so gibt man ihm auch Vieh oder Land. Nein, diese Mäuler werden wir nicht füttern, denn wir haben keine Arbeit für sie! Darum bin auch ich der Meinung, daß wir sie alle vernichten müssen.“ Sigimärs stürmischer Bruder Ingwiomär sprang auf: „Das war das Wort eines Germanen, klar und scharf wie das Schwert Tius!“ Man entschied, daß es keine andere Möglichkeit gäbe, als alle Römer zu töten. Das aber sollte nicht in der gemeinen Weise geschehen, wie es die Römer taten, sondern jeder Stamm sollte seine Gefangenen seinen Göttern opfern, dem Tiu, dem Thunar, der Nerthus oder dem Wuotan.
MORD Wieder einmal hatte sich Herniu mit Ursilo getroffen und kehrte eilig durch den Sklaveneingang in das Haus des Advokaten zurück. Im hinteren Hof blickte der alte Licius von einem Täfelchen auf und sagte: „Wo warst du so lange?“ „Wozu braucht man mich?“ fragte Herniu. Licius blinzelte ihn zerstreut an. „Was fragtest du?“ „Wozu man mich braucht?“ „Dich braucht?“ erwiderte der Alte noch immer halb geistesabwesend. Mit einem plötzlichen Entschluß aber richtete er sich auf. „Man braucht dich gar nicht! Hernius, geh, leg dich nieder! Du bist krank, überleg dir selbst, was dir fehlt!“ „Wozu das?“ fragte Herniu. Licius trat dicht an ihn heran und sagte fast weinend: „Vertraue mir und frage nicht! Geh sofort!“ Kopfschüttelnd verschwand Herniu in seinem Schlafraum und legte sich hin. Am Morgen fand er den Alten zwar etwas zerfahren, aber ruhiger und half ihm bei der Zusammenstellung einer Liste. Da kamen eilig Sigimunt und Fabius herein und zogen Herniu in seinen Schlafraum. Es war dort ziemlich dunkel, so daß er ihre Gesichter nicht erkennen konnte. „Weshalb waren Saxobert und die anderen hier?“ herrschte
Sigimunt Herniu an. Dieser Ton ärgerte Herniu: Was sollte das? Da er nicht antwortete, stampfte Sigimunt mit dem Fuß auf. „Ich verlange eine Antwort!“ Herniu dachte: Wie er in seinen alten, anmaßenden Ton zurückverfällt, und antwortete: „Ich habe Saxobert noch nie gesehen. Du meinst doch den Mann, dem dein Vater deine Schwester Tursinhilda geben will? Und wer sollen die anderen sein, von denen du sprichst?“ Fabius mischte sich ein: „Siehst du, Sigimunt, wie ich dir schon sagte, Herniu hat damit nichts zu tun!“ „Ist es wirklich so?“ fragte Sigimunt ruhiger. „Hast du sie nicht gesehen?“ „Nein, was soll denn Saxobert hier? Hat ihn dein Vater geschickt? Vielleicht weiß der Spaßmacher etwas über ihn?“ Sigimunt öffnete voll Staunen den Mund, atmete tief auf und sagte: „Ach - nimm mir mein Verhalten nicht übel! Wenn du etwas wüßtest, würdest du meine Empörung verstehen. Komm, Fabius!“ Als sie in den Flur traten, bemerkten sie den Sklaven Auerolf, der mit bösem Lachen sagte: „Ich verstehe ja euer lateinisches Gesäusel nicht, aber ihr scheint Saxobert zu suchen. Woher soll denn Herniu wissen, wo der Hund steckt?“ Voll Haß trat er dicht an Sigimunt heran. „Der Hund, dem dein Vater seine Tochter geben will! Was er hier zu tun hatte, das sage ich aber dem, dessen Vater mich an einen römischen Verbrecher verkauft hat, nicht!“ Sigimunt war blaß geworden, und Fabius fragte: „Was hat er gesagt? Ist es also wahr?“ „Komm fort von hier, Fabius! Ich fürchte, es ist noch schlimmer!“ Herniu blickte den beiden so ratlos nach, daß Auerolf ihm höhnisch sagte: „Ja, dahin führen die Geschäfte deines Herrn, dem du so fleißig dienst!“ „Was ist nur geschehen?“ Auerolf lachte. „Wenn es hier eine Gerechtigkeit gäbe, würde unser lieber Herr nicht mehr lange leben und ebenso auch einige Cherusker nicht! Aber der fette Statthalter Varus wird dem, der ihn so gut mästet, schon helfen!“ Damit wandte er sich um und ließ Herniu in der größten Verwirrung zurück. Welche Cherusker? Einer von ihnen mußte Saxobert sein. Was aber hatten sie getan? In diesen Tagen war Herniu mehrmals drauf und dran, Licius zu fragen, erinnerte sich aber jedes Mal, wie der Alte ihn fast weinend gebeten hatte, nicht in ihn zu dringen. Auskunft geben konnte wahrscheinlich der Spaßmacher, doch Herniu hütete sich, ihn um etwas zu bitten. Merkwürdigerweise traf er ihn auch nirgends. Später sagte ihm der Ägypter, der Advokat hätte den Kerl verjagt. „Und weshalb?“ „Aber mein Lieber, mir ist unbegreiflich, daß Lobilla es nicht schon früher getan hat. Er soll von einem anderen bestochen worden sein, gegen den Advokaten zu hetzen - wenn es nicht etwas Schlimmeres war. Dem Schuft ist doch zuzutrauen, daß er Geld genommen hat, um den Steuerpächter zu ermorden.“ Und leise fügte er hinzu: „Verdient hätte das Lobilla. Aber für Geld jemand ermorden? Nein, bei allem Haß und aller Berechtigung, das kann doch nur einer, der ganz tief gesunken ist!“ Kurz nach diesem Gespräch suchten Sigimunt und Fabius Herniu wieder in seinem Schlafraum auf. „Laß uns einen Bund schließen, uns drei!“ sagte Sigimunt. „Einen Bund, wofür?“ „Zu gegenseitiger Freundschaft und zu gegenseitigem Schutz. Glaubst du denn, ich sähe nicht, daß sich etwas zusammenbraut? Bisher war ich unentschieden, das gebe ich zu. Nachdem mein Vater aber. . . Ich kann nicht zu ihm zurückkehren - oder nur äußerlich!“ Herniu setzte an zu fragen, was der Überfürst getan hätte, aber Fabius gab ihm einen Wink und sagte leise: „Frage nicht! Siehst du nicht, daß es ihm weh tut?“ „Und doch muß ich fragen, von wem ihr euch bedroht fühlt!“ „Ach, daß du nichts verstehst! Würdest du Fabius erschlagen?“ „Weshalb sollte ich? Er hat mir nichts getan.“ „Gut“, erwiderte Sigimunt, „und dabei willst du bleiben?“ „Ja!“ „Dann reichen wir uns die Hände, wie es Brüder tun!“ Hinterher fand Herniu die rührselige Verbrüderung komisch und dachte: Ich möchte nicht den Kopf so voll Zweifel und Kummer haben wie diese beiden! Also Sigimunt steht jetzt mit dem Herzen ganz auf Armins Seite, will aber doch wohl zum Schein zu seinem Vater zurückkehren. Was aber soll der Legionär Fabius in unserem Bund? Er kann unmöglich auch nur verstehen, was Armin will. Er kennt nicht unsere alten Sitten. Darin mag ein anderer einen Sinn finden! Bei einem seiner abendlichen Gänge durch die Schenken geschah es, daß die Legionäre bei seinem Eintritt in auffälliger Weise ihr Gespräch abbrachen.
Ich werde euch schon zum Sprechen bringen, dachte Herniu. Wer weiß, ob es nicht etwas mit den Streifzügen des kommenden Jahres zu tun hat? „Nun“, fragte er in heiterem Ton, „ihr dient ja wohl schon zwei, drei Jahre in der Legion? In diesem Sommer geht es wieder an die Weser.“ „An der Weser ist es gar nicht so schlecht“, entgegnete einer. „Wenn uns dein Herr, dieser Gnaeus Lobilla, nicht wieder Arbeit verschafft, ich meine, fern in den Wäldern!“ Aha! dachte Herniu. Sie wissen, was ich tue, und haben wohl deshalb das Gespräch abgebrochen. „Ich bin nicht Lobilla, und er erzählt mir nicht, was er vorhat.“ „Dafür aber, was geschehen ist!“ antwortete einer hämisch lachend. „Einiges weiß ich. Aber wovon sprichst du gerade?“ „Spiele nur nicht den Ahnungslosen! Hast du nicht den Germanen den Befehl übersetzt?“ „Welchen Befehl?“ fragte Herniu so ehrlich erstaunt, daß der andere fortfuhr: „Den zum Mord.“ „Ihr blickt mich alle an, als ob ihr etwas wüßtet', was mir aber unbekannt ist.“ „Schaut euch den Menschen an!“ schrie einer und lachte dröhnend. „Sitzt im Mordhaus und will kein Blut gesehen haben!“ „Vielleicht weiß er wirklich nichts“, meinte ein anderer. „Ich will dir sagen, wovon ganz Vetera spricht, aber leise! überall gibt es Schleicher und Angeber! - Also man sagt: Lobilla hat die unteren Steuerpächter mächtig in die Höhe geschraubt. Und da hat sich ein anderer gefunden, der versuchte, sich an Lobillas Stelle zu setzen und die Unterpachten für einen niedrigeren Preis zu vergeben. Natürlich hätte auch er später die Pachten in die Höhe gesetzt. Um nun Varus auf seine Seite zu ziehen, wollte er ihm eine höhere Pachtsumme anbieten, als ihm Lobilla zahlt. Und wie raffgierig der Statthalter ist, das weiß ja jeder. Das war für Lobilla so gefährlich, daß er seinen Konkurrenten in einer schönen Nacht umbringen ließ. Der Mörder scheint das aber nicht besonders geschickt gemacht zu haben, so daß etwas davon herauskam. Nun ging Lobilla zu Varus und bot ihm Geld an, wenn er den Fall unterdrückte. Soweit gelang das auch. Der Bruder des Ermordeten ging jedoch vor Gericht, und weil der Mörder keinen Grund sah zu verschweigen, wer ihn zum Mord angestiftet hatte, wurde die Sache für Lobilla noch viel gefährlicher. Er schickte daher über den Rhein zu irgendeinem Germanenfürsten um Hilfe. Der sandte auch Leute, und die erstachen zuerst in Lobillas Haus den Mörder selbst, denn der wohnte dort, und dann den Bruder des zuerst Ermordeten. Du warst es also nicht, der den Germanen Lobillas Anweisungen übersetzt hat?“ Diese Nachrichten erregten Herniu so, daß er bald von den Legionären aufbrach und dann wach auf seiner Schlafstatt lag. Er mußte plötzlich an den Spaßmacher denken. Er ist also nicht vom Advokaten verjagt, sondern ermordet worden. Er wollte auch nicht Lobilla töten, sondern hat den Konkurrenten umgebracht. - Das schließt aber nicht aus, daß der Ägypter doch recht hat. Der Kerl wird wohl auch von dem Konkurrenten Geld bekommen haben, um Lobilla umzubringen, nur vielleicht zu wenig. Welche Gemeinheit - welche Verbrechen! Nun begriff Herniu auch das rätselhafte Verhalten des alten Sekretärs: Zuerst hatte Licius gefragt, wo ich so lange gewesen bin. Vielleicht war er von Lobilla beauftragt, mich zu rufen, um Saxobert Lobillas Wunsch zu übersetzen - den Wunsch, den Spaßmacher umzubringen. Licius aber hat mich ins Bett geschickt, als ob ich krank wäre, damit ich nicht in diese Geschichte verwickelt würde. Guter alter Licius!
UNFRIEDEN BEIM QBERFÜRSTEN Nun erst beobachtete Herniu das Benehmen des Advokaten, der drei Morde auf dem Gewissen hatte, von denen außerdem jedermann wußte. Lobilla war in sich gekehrt. Er brach bald mit seinem Gefolge nach der Segestesburg auf, vielleicht aus Furcht davor, daß andere genauso an ihm handeln könnten wie er an ihm unbequemen Menschen. Bei ihrem Eintreffen fanden sie aber auch Segest recht unfreundlich. Zuerst nahm Herniu an, es hätte trotz der gemeinsamen Schuld - denn der Überfürst hatte ja die Mörder dem Advokaten geschickt - eine Verärgerung zwischen den beiden gegeben. Bald aber erfuhr er, daß kurz vor ihrem Eintreffen der Riese Raganhar dagewesen war und in seiner lauten, unbekümmerten Weise dem Bruder gedroht hatte. „Meinst du denn“, sollte er geschrien haben, „daß für den Römerfreund kein Pfeil da ist?“ „Meinst du mit dem Römerfreund mich?“ fragte Segest lauernd. „Wen denn sonst! Und mit dem Pfeil meine ich - damit du es
ganz richtig verstehst - daß er in deinen Balg fahren könnte!“ Dabei stieß er Segest so heftig gegen die Brust, daß der fast umfiel. „Und willst du, daß ich meine Gefolgschaft rufe, um dich toll gewordenen Hund zu erschlagen?“ „Wenn du unter den Cheruskern das letzte Ansehen verlieren willst, kannst du sie auf deinen Bruder hetzen!“ Dieser Versuch Raganhars, seinen Bruder umzustimmen, machte die Dinge nur schlimmer und den Überfürsten noch verbissener. In den folgenden Tagen gab es lange Verhandlungen zwischen Segest und Lobilla, bei denen aber nicht Herniu, sondern Sigimunt übersetzte. Das beunruhigte Herniu so sehr, daß er schon Fabius fragen wollte, worum es bei den langen Aussprachen ginge. Aber ob dieser versponnene Römer das wußte? Eines Nachmittags hörte Herniu die Stierhörner der Burg blasen und ging auf den Hof, in den eine stattliche Anzahl Krieger einritt, an ihrer Spitze ein großer blonder Mann. Er trug sich völlig römisch und winkte Herniu mit gebieterischer Gebärde heran. „Ist der Fürst Segestes daheim?“ Dann erst betrachtete er Herniu genauer und fragte mit leichtem Hohn: „Bist du etwa Herniu, von dem ich Zweideutiges hörte?“ Noch bevor Herniu antworten konnte, rief der Fremde: „Ah, Sigimunt! Was stehst du da, als sähst du mich zum ersten Mal? Ist dein Vater da?“ Herniu blickte sich nach Sigimunt um. Der stand feindlich und straff aufgerichtet da. „Frage ihn selbst, Saxobert! Du kennst ja den Weg.“ Der Fremde war also der für Tursinhilda ausgesuchte Mann und der zweifache Mörder. Herniu zog sich zurück und betrat die Hütte Segests erst am Abend in Begleitung Lobillas. Das allerdings empfand er als eine Schande, konnte es aber nicht ändern. Man wartete noch auf die Frau Segests und seinen Sohn Sigimunt. Schließlich schickte der Öberfürst, sie zu Tisch zu bitten. Der Bote aber kam zurück und berichtete, die beiden wären fortgeritten. Mit verschlossener Miene gab Segest das Zeichen, sich zu setzen. Nach Beendigung des Mahles erhob er sich sofort und zog sich zurück. Auf dem Wege zu seinem Schlafraum im Hause Lobillas stieß Herniu auf Auerolf, den Polterer, der lachend laut sagte: „Krach im Hause des Überfürsten!“ Herniu war es aber nicht zum Lachen. Wenn nur nicht Segest in seiner Wut Armins Vorbereitungen zum Aufstand an die Römer verriet! Er mußte ziemlich viel davon wissen, und Raganhar hatte wohl auch noch manches ausgeplaudert. In seinem Schlafraum fand Herniu zu seiner Verwunderung Fabius mit gesenktem Kopf stehen. Was für ein merkwürdiger Legionär! In Griechenland und Ägypten soll es Leute geben, die absichtlich den Armen spielen. Aber was soll dieses demütige Wesen hier? „Hernius“, murmelte Fabius, „ich fürchte mich.“ „Und da bist du Leibwächter?“ konnte sich Herniu nicht enthalten zu sagen. „Nein, nicht so fürchte ich mich! Was wird hier noch geschehen? Ich stehe da und weiß nicht, wohin ich gehöre. Als ich euch kennenlernte, dachte ich, unter den Germanen bin ich besser aufgehoben als bei uns. Nun ist Saxobert gekommen, und ich habe ihn gesehen. Der ist vielleicht noch schlimmer als Lobilla und die ganz rohen Kerle in der Legion!“ „Und Sigimunt?“ fragte Herniu. „Er hat doch nichts mit den Verbrechen zu tun.“ „Nun ist er mit seiner Mutter fort und kehrt nicht mehr zurück.“ „Weißt du das so genau?“ „Ja, er hat es mir gesagt. Dabei tobte er vor Wut über die Bande, wie er die Leute hier nannte.“ „Wohin reiten sie denn?“ „Zuerst will er seine Mutter zu einem Wald bringen - ich habe das nicht verstanden - jedenfalls zu seiner Schwester und einer Priesterin. Von dort möchte er dann weiter zu Arminius. Das muß ein mächtiger Fürst sein. Wenn er aber ebenso ist wie hier Segestes? Ich habe Angst.“ Für Herniu war es sehr wichtig zu wissen, daß Fabius keine klare Vorstellung von Armin hatte. Sigimunt hatte also seinem Freunde nicht erzählt, was bei Sigimär und Armin gegen die Römer vorbereitet wurde. Der Leibwächter tat Herniu leid, und er beschloß, freundlich zu ihm zu sein, ihm aber doch nichts Ernstes mitzuteilen.
EINE SCHLAUE VERDÄCHTIGUNG In diesen Tagen bat Lobilla den Überfürsten in sein Haus und empfing ihn feierlich in Gegenwart seiner beiden Sekretäre. Herniu mußte übersetzen: „Fürst Segestes, ich möchte mit dir noch einiges besprechen, bevor ich unseren Vertrag schriftlich niederlege. Meine Hilfe für dich liegt klar. Ebenso haben wir uns geeinigt, daß du mich als den Hauptsteuerpächter für dein ganzes Gebiet, das der zwölf Stämme, anerkennst, wenn du hier König wirst. Ich habe jedoch auch Interesse am Land zwischen der Weser und der Elbe, das Varus vielleicht schon im nächsten Jahr besetzen wird. Bis dahin rechnet der Kaiser Augustus damit, die Pannonier und Dalmatiner niedergeworfen zu haben. Dann stehen Varus am Rhein weitere Legionen zur Verfügung. Er wird danach bis zur Elbe vorstoßen und mit der Provinz Großgermanien die Eroberungen Roms hier im Norden abschließen. Es ist jedoch so, daß in der Umgebung des Statthalters Leute geschäftig sind, die ebenfalls nach der Steuerpacht in diesem neuen Gebiet streben. Deshalb, und um mit Arminius einen Vertrag abzuschließen, muß ich zum Sommerlager an die Weser ziehen.“ Segest warf einen bösen Blick auf Lobilla. „Auch ich fühle mich veranlaßt, hinzureiten.“ Der Advokat lächelte gezwungen und sagte: „Dann darf ich mich wohl dir und deiner Gefolgschaft anschließen?“ Segest nickte unfreundlich. Nachdem der Überfürst hinausgegangen war, sagte Lobilla zu dem alten Licius: „Kannst du dir erklären, weshalb sich Segestes so plötzlich entschloß, mit zur Weser zu ziehen?“ „Als du den Namen Arminius aussprachst, beobachtete ich, daß Segestes mißtrauisch wurde. Varus scheint das Land dort unter die Oberhoheit des Arminius geben zu wollen.“ „Ich verstehe nicht, Licius, weshalb er das fürchtet. Ist es denn sein Land?“ „Das nicht, aber es ist bekannt, daß Arminius beim Volk der Cherusker sehr beliebt ist, Segestes aber verhaßt.“ „Was denkst du darüber, Hernius?“ fragte Lobilla. „Licius hat recht: Segestes ist neidisch auf Arminius, weil der römischer Ritter ist und bei Varus sehr in Gunst steht. Man munkelt“, hier senkte er die Stimme, damit seine Worte auf Lobilla recht wirkten, „daß Segestes den Arminius verdächtigen will, böse Pläne gegen die Römer zu schmieden. Arminius aber lebt nicht in einer Burg wie Segestes, sondern unbeschützt. Er hat auch die Hilfstruppen, die unter seinem Befehl standen, heimgeschickt.“ „Das stimmt allerdings“, erwiderte Lobilla. „Ich kenne Arminius und weiß, er liebt die römische Kultur, schwärmt sogar für unsere Dichter - wozu ich leider bei meinen Geschäften keine Zeit habe! Gut, ich muß Varus vor den Einflüsterungen des Segestes warnen, denn mit dem gebildeten Arminius ist es sicher angenehmer zu verhandeln als mit anderen. Was denkst du darüber, Hernius?“ „Arminius lebt einfach nach seiner Väter Weise, und Geld hat in seinem Lande wenig Wert, weil man dort nur tauscht. Daher kann ich mir nicht denken, daß er geldgierig ist.“ „Aha, sehr wichtig! Ich werde mich jetzt mehr Arminius zuwenden. Segestes ist mir sowieso sicher.“ Herniu beschloß, sein Spiel mit dem Advokaten noch weiter zu treiben, und sprach deshalb: „Ob Segestes dir so sicher ist? Als vor ein paar Tagen Saxobert ankam, hörte ich jemand aus der Gefolgschaft des Segestes sagen: ,Was hat der Mensch hier vor? Will er sich wieder an einem Römer vergreifen?’ - Ich verstand nicht, was der Mann meinte, aber welcher Römer ist hier außer dir?“ Der Advokat erblaßte: „Dann ist es wohl besser, nicht mit Segestes zu ziehen?“ „Du hast gute Leute um dich, Lobilla. Uns kannst du vertrauen. Wir werden dich nicht aus den Augen lassen. Dein Sklave Auerolf ist stark und haßt Segestes, weil der ihn in die Sklaverei verkaufte, und gar der treue Fabius! Außerdem wird niemand wagen, dir auf der Reise vor so vielen Menschen etwas zu tun.“ „Gut, daß du mich aufmerksam gemacht hast, Hernius! Solange ich noch in der Segestesburg bin, wird Fabius mit in meinem Raum schlafen. Ruft ihn mir gleich her!“ Im Hinterhof fragte der alte Licius Herniu leise: „Wußtest du etwas von dem Mord Saxoberts?“ „Zuerst nichts, später aber habe ich in einer Schenke von einem - oder vielmehr von drei Morden gehört.“ „Wenn das nur auf die Dauer gut geht! Und wenn man bedenkt, daß unsereiner, sonst ein unbekannter Sekretär, in so etwas hineingezogen werden kann! Wenn wir im Herbst nach Vetera kommen, werde ich Jupiter ein Opfer bringen. Oder haben die Germanen auch starke Götter?“
NEUE INTRIGEN Kurz nach der Ankunft im Sommerlager ließ der Advokat seine Sekretäre rufen. „Du, Hernius“, sagte er, „hast mich auf gewisse Gefahren aufmerksam gemacht, die mir von Segestes drohen könnten. Gestern abend war ich bei Varus zu Gast und traf dort auch Arminius mit seinem Vater Segimerus. Nachdem ich freundschaftlich mit ihnen gesprochen hatte, zog mich ein Mann beiseite und flüsterte mir zu: ,Vorsicht mit Arminius! Ihm droht eine Anklage wegen Vorbereitung eines Aufstandes gegen Rom.’ - Da ich den Mann nicht kannte, erkundigte ich mich, was er bei Varus tut. Ich erfuhr, daß er es ist, der Varus in den Ohren liegt, ihm beim Vorstoß der Legionen die Steuerpacht bis zur Elbe zu geben. Es ist also klar, weshalb er mich von Arminius fernhalten will. Solche Leute können sehr gefährlich werden. In Rom gehen die großen Herren nie ohne bewaffnete Abteilungen aus. In den Zeiten des Caesar und Pompejus kam es sogar zu Gefechten zwischen den Banden in der Stadt. So könnte es auch hier werden, und ich habe keine Lust, eines Nachts bei der Rückkehr von einem Gastmahl überfallen zu werden. Das beste Mittel dagegen sind gute Bundesgenossen, und darum möchte ich den Statthalter und Arminius auf meine Seite bringen. Sobald er mich wieder empfängt, werde ich ihn darüber aufklären, weshalb gewisse Kreise gegen Arminius hetzen und daß es sich dabei einfach um Geschäfte handelt. - Nun hat Segestes im Augenblick keinen Übersetzer und wird bestimmt zu Varus gehen wollen, um ihn zu beeinflussen. Wenn er dich, Hernius, von mir als Übersetzer erbittet, werde ich sagen, daß ich dich gerade jetzt dringend brauche. Und du mußt das bestätigen, wenn es nötig ist. Aber da fällt mir etwas ein: Ich wollte dich zu Arminius senden, um ihm sagen zu lassen, welche Verleumdungen Segestes gegen ihn verbreitet.“ Herniu hatte Mühe, seine Freude zu verbergen. Er hatte auch schon überlegt, wie er gerade diese Nachricht so schnell wie möglich Armin bringen könnte. Er ging mit Licius in den hinteren Hof. Der Alte war nachdenklich und sagte kopfschüttelnd: „Dieser Lobilla sieht alles nur von seinen Geschäften her. Mich überzeugen seine Schlußfolgerungen nicht. Es könnte auch ganz anders sein. Seit den Morden beginne ich mich zu fürchten und kann doch nicht sagen, wovor. Aber wozu sage ich dir das und mache auch noch dir den Kopf schwer! Verstehst du eigentlich, wieviel Blut an den Händen dieses glatten Menschen klebt? Ich bin bei allen Verhandlungen mit den Untersteuerpächtern dabei, und was ich da erfahre!“ Frohen Muts ging Herniu zu Armins Haus, das er sich erst in diesem Jahre hatte bauen lassen. Herniu wurde aber enttäuscht, als man ihm sagte, Armin wäre zusammen mit seinem Vater zur Jagd jenseits der Weser aufgebrochen. Unschlüssig stand Herniu und betrachtete die sehr geräumige Anlage. Weshalb hat Armin so viel ausgegeben, wenn er vielleicht schon diesen Herbst, in wenigen Monaten, losschlagen will? Oder tat er es nur, um Varus auch dadurch zu täuschen? Sollte es etwa auch mit der Jagd nicht stimmen? Befindet er sich vielleicht in Sigimärs Hütte auf dem Hügel? Herniu fragte einen Germanen, ob er nicht ein Pferd erhalten könnte. „Ja, nur hat Armin verboten, die Fähre hier unten zu benutzen.“ „Wie soll ich dann über die Weser kommen?“ „Hier ist einer, der sich den Fuß verstaucht hat. Vielleicht ist er bereit, mit dir zu reiten und dir die Furt zu zeigen, die Armin zu benutzen pflegt. Ich führe dich zu ihm.“ Der Kranke war Olfo, der bei Hernius Anblick aufsprang und merkwürdig gesund auf den Freund zueilte. Plötzlich aber sagte er: „Au!“ hob einen Fuß und betastete ihn. Herniu betrachtete seinen Blutsfreund belustigt. Daß der biedere Olfo einmal ihn, den listigen Herniu, nachahmen würde, hatte er am wenigsten erwartet. Weshalb aber eine solche Verstellung? Olfo war glücklich, seinem Freund einen Dienst leisten zu können. Bald saßen sie auf ausgeruhten Pferden, die sie voll Übermut schnell aus dem Lager und die Weseraue entlangtrugen. Nach dem anfänglichen Trab ritten sie ein Stück im Schritt. Herniu warf einen bewundernden Blick auf die mächtigen Muskeln seines lange nicht gesehenen Blutsfreundes. Der mußte jetzt siebzehn oder achtzehn Jahre sein, war aber schon ein richtiger Mann. „Du hast mich nicht getäuscht!“ sagte Herniu lachend. „Dein Fuß ist völlig heil.“ „Ja, aber ich muß hier auf jemand warten, und wir haben im Hause einen Kerl, der von Varus bestochen ist, um uns zu bespitzeln. Glücklicherweise ist er nicht sehr klug, und wenn es nötig ist, schenken wir ihm aus Versehen immer wieder Met ein, besonders stark gebrauten.“ „Wen erwartest du denn?“ „Wigimot. Ich soll ihn sofort zu Armin bringen, wenn er kommt. Deshalb begleite ich dich auch nur bis an
den Anfang der Furt.“ „Armin ist also in Sigimärs Siedlung?“ „Sicher. Aber wie steht es mit dir? Wie lange wirst du noch bei dem Lobilla, diesem Blutsauger, sein?“ „Solange es nützlich ist.“ „Wie kommst du von dort weg, wenn - du verstehst?“ „Natürlich verstehe ich dich. Dann muß ich mir eben etwas ausdenken, und das dürfte schwierig werden. Den Kopf kann es kosten, wenn ich es nicht geschickt mache!“ „Könnte ich dir nur dabei helfen, Herniu!“ Sie bogen nach dem Flusse, der in mehreren seichten Armen breit dahinfloß. „Hier“, sagte Olfo, „geht Armin immer hinüber. Du weißt ja, was für Leute Varus umgeben, Städter, die sich nicht so weit ins Land hineingetrauen. Bis hierher ist uns noch nie ein Aufpasser gefolgt. Jetzt aber muß ich dich verlassen, Herniu, meines verstauchten Fußes wegen.“ Sie lachten, und Herniu trieb sein Pferd tiefer ins Wasser. Vorsichtig, aber ohne Scheu, tastete es mit den Hufen, blieb an der tiefsten Stelle stellen und trank. Es war wohl schon Öfters durch diese Furt gewatet. Herniu traf gegen Abend in Sigimärs Siedlung ein. Man hatte ihn schon von weitem erspäht und führte ihn sofort zu Armin. Der saß mit seinem Vater und mehreren germanischen Führern beisammen. Auch Sigimärs hitziger Bruder Ingwiomär und der blinde Asni waren da, übrigens auch Sigimunt, der unter den Männern ziemlich kümmerlich wirkte. „Nun, Herniu?“ fragte Armin. „Es muß etwas Ernstes sein, weshalb du so eilig kommst.“ Herniu berichtete. „Siehst du“, sagte Armin zu Ingwiomär, „daß man nicht nur mit einfacher Gewalt zu arbeiten braucht. Hier geben uns die Römer eine von uns nicht vorausgesehene Möglichkeit. Ich werde diesem stumpfsinnigen Varus etwas erzählen, was ihn auf eine falsche Spur lenkt.“ „Wovon sprichst du?“ fragte Ingwiomär, der sich von seinem Neffen nicht gern belehren ließ. „Ich spreche davon, daß ich Varus von einem geplanten Steuervertrag zwischen mir und Lobilla erzählen will. Ich werde ihm sagen, daß ich mich hier nicht sicher fühle, weil es unter den Cheruskern welche gibt, die gegen Rom und vor allem gegen die Steuerpächter sind. Daher soll er mir eine größere Abteilung Legionäre senden, um mich zu beschützen.“ „Du willst dich von ihm beaufsichtigen lassen?“ schrie Ingwiomär wütend. „Wir werden“, erwiderte Armin, „uns sowieso nicht wieder wie heute versammeln, und du, Ingwiomär, hast den Ort, wo die cheruskischen Krieger sich sammeln, entfernt genug bestimmt. Siehst du nicht, daß ich damit zweierlei erreiche? Erstens wiege ich die Römer in Sicherheit, und zweitens ziehe ich eine weitere Truppe von Varus ab, die du leicht zusammenhauen kannst, wenn es erst soweit ist.“ „Der Plan ist nicht übel“, gab Sigimär zu, „aber wird Varus ihn nicht durchschauen?“ „Deshalb werde nicht ich den Varus um die Truppen bitten, sondern der Steuerpächter wird ihm den Gedanken vortragen.“ Die Germanen blickten Armin verständnislos an. „Wie willst du den Steuerpächter dazu veranlassen?“ fragte Liutiprant. „Das ist einfach: Er hat Herniu zu mir geschickt, der wird die Nachricht zurückbringen, daß ich mich in Schwierigkeiten befinde. Diese Schwierigkeiten, so wird er sagen, müssen sich noch vermehren, wenn ich ihm, dem Lobilla, beim Steuereintreiben zwischen Weser und Elbe helfen soll. Das versteht er sofort, und wo er hofft, Geld zu scheffeln, setzt bei ihm der Verstand aus. Begriffen, Herniu?“ „Das habe ich begriffen, Armin. Ich denke aber noch an etwas anderes.“ Herniu blickte hinüber zu Sigimunt. „Segest hat keinen Übersetzer und braucht einen. Es wäre für unsere Sache wichtig zu erfahren, was er Varus sagt und wie der es aufnimmt. Kann Sigimunt nicht zu seinem Vater zurückkehren?“ Sigimunt fuhr auf, blickte sich mit erschrockenen Augen im Kreise um und rief: „Nein!“ Einer seiner Oheime wandte sich ruhig an ihn: „Du, Sigimunt, schwurst uns Treue. Wir verstehen, daß du irgendwelche Gedanken römischer oder griechischer Philosophen aufgenommen hast. Wir verstehen davon nichts, wollen dir auch deine Überzeugungen lassen. Jetzt aber sind wir im Kampf, und du kamst zu uns, weil hier mehr Gerechtigkeit ist als bei deinem Vater und den Römern. Weshalb also schreckst du davor zurück, deinem Vater zu dienen? Du sollst ihm übersetzen und durch Ursilo, den Läufer, berichten, was sich ereignet hat.“ „Und dann?“ fragte Sigimunt. Armin lächelte. „Wenn ich unseren Freund Sigimunt richtig verstehe, bangt er nicht um sein Leben, sondern darum, wie er rechtzeitig von den Römern fort und zu uns kommen kann. Das ist auch so mit Herniu und Auerolf. Wir können euch leider nicht sagen, wann der rechte Zeitpunkt zur Flucht da ist und wie ihr das machen sollt. Deshalb, Sigimunt, halte dich an die anderen! Herniu ist schlau und Auerolf stark.“
Die Schlacht an der Straße der Quellen
DER AUFSTAND
B
HERNIUS RÜCKKEHR traf auch Sigimunt im Sommerlager ein, um seinem Vater, dem Überfürsten, wieder zu übersetzen. Schon am ersten Tage kam er in Lobillas Haus, denn er wollte Fabius, seinen Freund, besuchen. Der Advokat hielt in seiner Besprechung mit Licius und Herniu sofort inne und begrüßte Sigimunt mit schlecht verhülltem Mißvergnügen. Nach Beendigung der Besprechung traf Herniu im Gang die beiden Freunde und sagte zu dem Sohn des Überfürsten: „Es ist nicht ratsam, daß du dich dem Steuerpächter unnötig zeigst.“ Heftig entgegnete Sigimunt: „Wegen dieser Mordbuben soll ich leiden? Ich sage dir eins: Am liebsten würde ich Priester bei einem der guten Götter, die man in Rom verehrt!“ Herniu hatte für diesen bei einem Germanen wirklich sonderbaren Wunsch nicht das geringste Verständnis und fragte: „Will dein Vater noch immer Tursinhilda an Saxobert geben?“ „Heute mehr als je.“ „Weshalb eigentlich? Saxobert scheint mir weder würdig noch bedeutend.“ „Er ist aber der letzte und einzige unter den edlen Cheruskern, der noch zu meinem Vater hält.“ ALD
NACH
In diesen Tagen erfuhr Herniu in den Schenken wenig Neues. Nirgends zwischen Rhein und Weser hatten die Römer Schwierigkeiten, als ob sich die zwölf Stämme mit der Herrschaft Roms und ihrer wüsten Verwaltung abgefunden hätten. Herniu erschien das beunruhigend. Im August trafen Sigimär und Armin wieder im Sommerlager ein und besuchten oft die großen Abendmahlzeiten des Statthalters in heiterster Stimmung. Gelegentlich nahm der Advokat Herniu mit dorthin, um sich mit einem der germanischen Fürsten unterhalten zu können.
Eines Abends versammelte sich wieder eine Anzahl Männer im Vorhof, höhere Offiziere in leichten Panzern mit Medaillen und Metallkränzen auf der Brust, blasse Advokaten in wallenden Togen und halb römisch gekleidete Germanen, unter denen der riesige Raganhar mit seinem großen roten Kopf herausragte. Abseits dieser Gruppe stand finster Segest mit dem bedrückt dreinschauenden Sigimunt. Die Frauen der reicheren Römer waren schon zum Rhein zurückgekehrt, wohin, wenn die heißen Augusttage vorbei waren, auch Varus mit den Legionen marschieren wollte. Die Gäste verstummten, denn sie hörten die verschlungene Melodie einer Flöte und wandten sich um. Ein junger, hübscher Flötenspieler in leichtem, aber gutem Sklavengewand kam zierlich angetänzelt. Ganz unpassend zu dieser griechischen Eleganz schritt hinter dem Jüngling schwer in straffer Haltung der Haushofmeister, dem Varus im bauschigen Senatorengewand folgte. Nach der Begrüßungssitte ging er langsam durch die Reihen der Gäste, die den Arm zum römischen Gruß erhoben. Der Statthalter deutete nur hier und da einen Gegengruß an. Seine fast unverschämte Lässigkeit fiel Herniu um so mehr auf, als er vor Jahren den damaligen Statthalter Sentius Saturninus in Moguntiacum bei einem ähnlichen Empfang gesehen hatte. Dieser alte Soldat bewegte sich militärisch und begrüßte manche der Gäste höflich, ja sogar freundschaftlich. Varus kehrte vor der Eingangstür um und forderte mit einer Handbewegung die Gäste auf, ihm in den Speisesaal zu folgen. Hier war es nicht üblich, wie in Rom, nach griechischer Sitte beim Essen zu liegen. Im Sommerlager herrschte militärischer Brauch, nach dem man sich setzte, während Sklaven den Gästen die Stühle zuschoben. Armin hatte als Ritter seinen Platz nahe Varus, während Segest weiter unten an der Tafel saß. Zu beiden Seiten des Statthalters saßen die Legionsführer, und dort ging es steif zu, denn, wie alle wußten, liebte Varus die altgedienten Soldaten und ihre Späße nicht. Er zog Zivilisten vor, besonders wenn sie seiner Eitelkeit schmeichelten. Nach dem Mahl kam plötzlich ein Offizier mit erregtem Gesicht herein und flüsterte einem der Legionsführer etwas zu. Dieser runzelte die Augenbrauen und wendete sich halblaut an Varus. Der Statthalter zog geringschätzig die Mundwinkel herab, erhob sich aber und gab so allen Tischgästen die Möglichkeit, aufzustehen. Um Armin bildete sich ein Kreis von Germanen. Dazu traten auch Lobilla und sogar Segest, um zu erfahren, was geschehen war. Herniu mußte dem Advokaten Armins Worte übersetzen: „Eben wurde gemeldet, daß westlich des Teutoburger Waldes ein Aufstand ausgebrochen ist, wie es scheint, bei den Brukterern. Die Meldung ist noch wenig klar, jedenfalls sollen alle Römer in dieser Gegend niedergemacht worden sein.“ Armin blickte sich mit erhobenem Kopfe um. „Was denkt ihr, Fürsten, wäre es nicht gut, wenn wir die Krieger unserer Gaue zur Hilfe der Römer aufriefen? Lange genug haben wir auf der Bärenhaut gelegen!“ „Ja, tun wir das!“ rief Raganhar dröhnend und hob seine starken Arme, als wollte er sogleich in den Kampf ziehen. Mißmutig blickte ihn Segest an und brummte: „Das hast du schlecht gespielt! Ich kenne eure Pläne!“ „Gut, wenn du mitkommst!“ sagte Raganhar. „Endlich sind wir uns einmal einig!“ „Ich werde mich hüten!“ erwiderte Segest. „Denkst du, ich wüßte nicht, daß ihr selbst den Aufstand angezettelt habt?“ „Bist du nicht ein Freund der Römer?“ fragte Armins Vater Sigimär höhnisch. „Weshalb läßt du sie jetzt im Stich?“ „Ihr werdet schon sehen!“ schrie Segest, drehte sich um und schritt wütend aus dem Saal. Armin wandte sich wieder an die Germanenfürsten: „Ihr seid also mit mir einverstanden? Gut, dann gehe ich mit meinem Vater zu Varus und verspreche ihm, daß wir ihm mit unseren Gaukriegem folgen, sobald sie beisammen sind. Als Weg gegen die Aufständischen werde ich ihm die Straße der Quellen durch den Teutoburger Wald vorschlagen, die jetzt im Herbst gut gangbar ist.“ Der Statthalter war von einer Gruppe römischer Herren umringt, unter denen Herniu der hochgewachsene Numonius auffiel. In den Schenken hatte man ihm von diesem Führer der römischen Reiterei erzählt, von seiner grausamen Rücksichtslosigkeit und Tapferkeit. „Sieh dir an, Hernius“, sagte der Steuerpächter, „wie Numonius auf Varus einredet. Er versuchte ihn schon früher gegen Arminius einzunehmen. Ich muß hören, was er redet!“ Der Statthalter zuckte unwillig die Schulter. „Was kommt ihr mir hier mit Geschäften! Wendet euch damit an einen meiner Sekretäre, aber während der Dienststunden. Der kann dann eure Wünsche notieren!“ Er winkte Lobilla heran. „Hilf mir doch, mich von diesen lästigen Leuten zu befreien! Oder kommst auch du mit Geschäften?“ Dienstfertig erwiderte der Advokat: „Nicht ein Wort von Geschäften, dafür aber werde ich dir die neuste Skandalgeschichte aus Rom erzählen - ich kann dir sagen: göttlich!“ „Dann komm! Ich habe einen besonders guten Wein, den ich nicht zum Rhein zurücknehmen möchte, weil er sich nicht lange hält. Vor meine Tür stellen wir zwei Leibwächter, damit uns die zudringlichen
Herren nicht stören können.“ AUFREGUNGEN Da Herniu hier nicht mehr gebraucht wurde und er sich mit den Germanenfürsten nicht öffentlich zeigen durfte, ging er nach Hause und fand den alten Licius noch bei einer Schreibarbeit. In seiner Erregung konnte er nicht schweigen und sagte: „Mein Licius, beim Gastmahl des Statthalters erschien ein Bote, der von einem Aufstand in unserem Rücken berichtete.“ Licius blickte erschrocken auf. „In unserem Rücken? Wie kommen wir da zurück zum Rhein?“ „Das ist nicht so schwierig: Unser Rückmarsch wird gleichzeitig ein Kampf gegen die Aufständischen werden.“ „Geraten da auch wir in Kämpfe hinein? Du bist mutig, Hernius, aber ich nicht.“ Herniu sah, daß es ein Fehler gewesen war, dem Alten vom Aufstand zu erzählen, aber er hätte ja doch davon gehört. Unterdessen sprach Licius weiter über die Gefahren. „Wenn ich wieder mit dem Troß reise. . . Dort gibt es keinen Schutz! Ob ich mich in einen Wagen verkriechen kann?“ „Ich glaube, Vater Licius, daß Varus den Wagen eine starke Bedeckung geben wird, schon weil er und seine Umgebung alles mitnehmen, was sie im Sommerlager hatten.“ Durch dieses Gespräch wurde Herniu angeregt, darüber nachzudenken, wie gewaltig der Troß des Statthalters und seiner drei Legionen sein mußte. Beim Umzug des Steuerpächters ins Sommerlager hatte er mit Staunen die vielen Gefährte und Tragtiere betrachtet, auf denen Ruhebetten, Stühle, Tische, Geschirr, Kleider, Akten transportiert wurden. Nichts von alledem durfte im Sommerlager bleiben, weil das im Winter völlig geräumt wurde. Die in der Nähe wohnenden Germanen pflegten nach dem Abzug der Truppen ins Lager zu strömen, um sich alles anzusehen. Sie fanden dabei manches, was für sie einen Wert hatte, eiserne Haken, ein Stück fein gegerbtes Leder, einen Napf. Im vorigen Winter, der sehr kalt gewesen war, hatten sie sogar mehrere aus Holz errichtete Häuser abgerissen und das gut ausgetrocknete Holz verbrannt. Herniu zog sich in seinen Schlafraum zurück und überlegte, wie Varus den ungeheuren Troß schützen könnte, obwohl dieses Problem ihn am wenigsten anging. Er mußte von den Römern fliehen, bevor es zu Kämpfen kam. Am folgenden Abend ging er in eine Schenke, um zu horchen. Alle Legionäre sprachen von dem Germanenaufstand in ihrem Rücken, aber fürchteten sich nicht davor. „Noch nie sind ganze Legionen von germanischen Aufständischen geschlagen worden“, meinte einer. „Aber nun können wir nicht die gute Heerstraße über Aliso ziehen, an der sich alle paar Stunden ein Ort befindet, in dem man vieles kaufen und am Abend in einer Schenke sitzen kann.“ „Wenn es nur die Schenken wären!“ sagte ein anderer. „Ich habe mir Felle gekauft, um sie in Vetera gut zu verkaufen. Aber wenn die Wagen auf den schlechten Wegen steckenbleiben, schmeißen die Kutscher vieles herunter, besonders wenn sie wissen, daß es einem einfachen Legionär gehört! Die Kerle denken nur daran, wie sie ihren Wagen leichter machen können.“ Herniu stellte sich dumm und fragte: „Kannst du da nicht aufpassen, daß sie dir deine Felle nicht runterschmeißen?“ Der Legionär antwortete: „Du scheinst mir ein rechter Trottel zu sein! Wie denkst du dir das? Wir marschieren vielleicht ganz vorn, der Troß ganz am Ende. Fünf Stunden brauchte ich, um an den drei Legionen vorbei dahin zu kommen. Bin ich eine Schwalbe, daß ich schnell mal nach hinten fliegen kann?“ Die letzten Tage vor dem Aufbruch gab es viel Arbeit: Akten mußten abgeschlossen und sorglich aufgerollt werden, um beim Transport nicht zu zerreißen. Herniu tat diese Arbeit mit Abneigung, denn in wenigen Tagen, so hoffte er, wäre er sein Amt als Sekretär und Spion los. Und was mit den Akten des Hauptsteuerpächters würde, war ihm gleichgültig. Sigimunt kam öfters in Lobillas Haus und tuschelte mit seinem Freund Fabius. Ob er dem Leibwächter gesagt hatte, was geplant war? Auch Herniu würde es bedauern, wenn dem Legionär bei den Kämpfen etwas zustieße, denn der hatte nie jemand etwas Böses getan. Aber deshalb die Pläne verraten? Nicht einmal mit Auerolf sprach er darüber, und der war doch ein Germane.
DAS ABSCHIEDSMAHL Anfang September hatte die in diesem Jahre lang dauernde Hitzeperiode ihr Ende gefunden. Das Wetter war herbstlich kühl und dabei trocken, das Günstigste für einen langen Marsch. Am Abend vor dem Aufbruch der Legionen gab der Statthalter ein Gastmahl, um, wie die einladenden Sklaven sagten, die Vorräte an allem Gutem zu vertilgen. Auch diesmal mußte Herniu den Steuerpächter begleiten, weil der annahm, daß es wieder zu einem Zusammenstoß zwischen Segest und den anderen Cheruskerfürsten kommen würde. Das Gastmahl begann in fröhlicher Stimmung, zumal sich der Aufstand im Rücken der Römer als nicht sehr bedeutend erwiesen hatte. Die Legionsführer erwarteten, ihn in wenigen Tagen mit dem Abbrennen einiger Dörfer niederschlagen zu können. Numonius allerdings, der Führer der Reiterei, blickte finster vor sich hin und beteiligte sich an keinem Gespräch. Auffallend war auch, daß Varus ihn keines Blickes würdigte. Nach dem Essen schleppten Sklaven einen großen Mischkrug in den Saal, aus dem sie mit kleineren Gefäßen Wein schöpften und den Gästen die Trinkschalen wieder und wieder füllten. Die Unterhaltung wurde immer fröhlicher, plötzlich aber erhob sich Segest mit zusammengezogenen Augenbrauen und rief auf germanisch zum Statthalter hinüber: „Varus, ich warne dich!“ Er deutete auf Armin. „Man will dich in eine Falle locken!“ Die Römer schüttelten die Köpfe, weil es jeder guten Sitte widersprach, aufzuspringen, bevor der Hausherr die Tafel aufgehoben hatte. Sie verstanden auch die Worte nicht und hörten nur den wilden Ton. „Übersetze ins Lateinische!“ befahl Segest seinem Sohn. Sigimunt empfand es als noch ungehöriger, daß er nun auch aufstehen mußte. Konnte er aber anders, da sein Vater stand? Verlegen übersetzte er. Lobilla sagte, um die Wirkung dieser Verdächtigung noch weiter abzuschwächen, zu den Umsitzenden: „Seht, wie sich der Sohn schämt, weil sein Vater betrunken ist!“ Armin nickte dem Steuerpächter zu und lachte. Das versetzte den Überfürsten in noch größere Wut, so daß er schrie: „Die da drüben haben alles angezettelt!“ Nun lachten auch Segests Brüder, und Varus schüttelte lächelnd den Kopf. „Du glaubst mir nicht, Varus?“ rief Segest empört und schlug sich dröhnend an die Brust. „Verhafte mich!“ Er hatte weitersprechen wollen, aber Sigimunt übersetzte schon, und immer mehr lachten, während einer ausrief: „Sonderbar! Weil andere Böses tun wollen, fordert er, selbst verhaftet zu werden!“ Die Stimme Segests überschlug sich vor Wut. „Verhafte mich zusammen mit diesen da! Und nach wenigen Tagen schon wirst du erkennen, daß ich sie zu Recht anklage!“ Numonius nickte. „Er sagt die Wahrheit!“ Dem Statthalter schien der Streit peinlich zu sein, und er erhob sich, wie man annahm, um einzugreifen. Er verneigte sich jedoch liebenswürdig nach beiden. Seiten. „Ich muß mich entschuldigen, wenn ich das Gelage so früh abbreche. Ihr müßt jedoch verstehen, daß wir schwere Märsche vor uns haben und daß noch diese Nacht alles, was mein Sommerhaus birgt, verladen werden soll.“ Er grüßte seine Gäste, die sich erhoben, und verschwand in seine Gemächer. Lobilla trat zu Armin, der aber hastig sagte: „Halte mich nicht auf! Oder komm zu den Legionsführern! Ich habe ihnen Wichtiges mitzuteilen, bevor sie fortgehen.“ Sie traten zu den Legionsführern. „Ich habe schlechte Nachrichten“, begann Armin in sachlichem Ton. „Im Emsland sammeln sich die Krieger einiger Gaue und scheinen den Legionen den Übergang über die Ems verlegen zu wollen. Unter diesen Umständen möchte ich mit meiner Hilfstruppe so schnell wie möglich aufbrechen. Ich werde mich dann mit euch jenseits des Teutoburger Waldes vereinigen können, also in vier oder fünf Tagen. Schneller geht es nicht, denn die Gaukrieger, die nahe der Elbe wohnen, haben hierher einen weiten Anmarsch. Euch bitte ich, das Varus zu sagen. Ich hatte leider nicht die Möglichkeit, heute abend mit ihm zu sprechen.“ Die Legionsführer nickten teilnahmslos. Vermutlich waren sie der Meinung, mit den Aufständischen leicht, auch ohne die cheruskische Hilfstruppe, fertig zu werden. Armin wandte sich um und wollte mit Lobilla sprechen, als Sigimunt eilig auf sie zutrat und erregt sagte: „Mein Vater wird nach seiner Burg zurückkehren. Ich aber bitte dich, Lobilla, laß mich in deiner Begleitung nach Vetera ziehen.“ Der Advokat sah wohl nicht den befremdeten Blick Armins und antwortete: „Du bist mir willkommen.“ Auch Herniu war bestürzt. Er hätte es verstanden, wenn sich Sigimunt dem Armin anschloß. Wie aber
konnte er freiwillig mit den Römern gehen? Doch war Sigimunts Wunsch für Armins Absichten günstig. Lobilla mußte denken, daß selbst Sigimunt die Warnung seines Vaters für völligen Unsinn hielt.
AN DER FURT Als Armin aus dem Hause ins Dunkle trat, saßen Raganhar und die anderen schon auf den Pferden und warteten auf ihn. Am Lagertor gab es einen Aufenthalt, denn nachts war es für jeden Verkehr gesperrt. Ein Legionär ging in das Wachhäuschen, um den Wachhabenden zu holen. Schweigend warteten die Reiter. Wenn man sie nicht hinausließe und sich während der Nacht der Verdacht gegen sie verstärkte - und Armin wußte, wie leicht das möglich war - konnte es für sie sehr gefährlich werden. Der Wachhabende kam, und Armin sagte ihm auf lateinisch: „Freundlich bitte dich, uns schnell hinauszulassen! Wie du siehst, bin ich römischer Ritter. Der Statthalter hat mir einen besonderen Auftrag gegeben, der keinen Aufschub duldet.“ Bei diesen Worten beugte er sich zu dem Römer und ließ einige Münzen in seine Hand fallen. Erstaunt sah der Wachhabende, trotz des trüben Lichts am Häuschen, daß es Goldstücke waren. „Sofort wird das Tor geöffnet werden“, erwiderte er erfreut. In scharfem Trab ging es nun an der Weser entlang, der Furt zu, die Armin zu benützen pflegte. Als sie genügend weit vom Sommerlager entfernt waren, hielt Armin an und sagte halblaut: „Ich muß euch nun einiges erklären.“ Nachdem sie einen engen Kreis um ihn gebildet hatten, sagte er: „Ihr wißt, daß bei unseren Hütten an der Weser eine starke Legionärsabteilung steht. Hätte ich nicht um sie gebeten, wer weiß, ob wir heute vom Gastmahl heil fortgekommen wären! Wir reiten nicht zu unseren Hütten, sondern nur bis zur Furt. Von dort sende ich einen Boten an meinen Oheim Ingwiomär. Er steht mit dem gesamten Kriegsaufgebot der Cherusker bereit, um über die Römer herzufallen, aber erst dann, wenn wir in Sicherheit sind. - Nun noch etwas anderes: Mein Vater und ich zogen in den letzten Monaten oft in einem Gebiet auf die Jagd, wo wir kein Recht dazu hatten, nämlich auf der römischen Seite der Weser. Tagelang streiften wir durch Fluren und Wälder, obwohl, wie alle wissen, es dort wenig Wild gibt.“ „Aber jetzt“, unterbrach ihn Sigimär, „kennt ihr die Pfade durch den Teutoburger Wald entlang der Straße der Quellen.“ „Und noch etwas“, fuhr Armin fort. „Auf meinen ausdrücklichen Befehl benutzten wir stets die Furt hier und nicht die nahe Fähre, obwohl die Furt vom Sommerlager weiter entfernt ist. Doch kann man vom Lager aus nicht beobachten, wohin wir jetzt ziehen. Nun kennt jeder von unseren Gefolgschaften und jedes Pferd die Furt und findet sie auch in der Dunkelheit. Das ist deshalb so wichtig, damit unsere Wegführer die fremden Stämme mühelos über den Fluß bringen.“ „Ich verstehe das nicht“, sagte Raganhar. „Unsere zwölf Stämme kommen doch nicht von jenseits der Weser, sondern wohnen zwischen Weser und Rhein. Oder wollen Langobarden hier über den Fluß?“ „Nein, das wäre für sie ein großer Umweg. Sie gehen flußabwärts über die Weser, und zwar in dieser Nacht. In dieser selben Nacht aber werden auch die Semnonen und Hermunduren zu uns stoßen, und zwar hier!“ „Auch sie?“ fragte Raganhar erstaunt. „Aber wohl nur wenige?“ Sie gehören doch zu Marobods Reich!“ „Nicht wenige, Raganhar, sondern ihre gesamten Aufgebote unter ihren bewährtesten Führern. Oder glaubst du, der Semnone Wulfegar und der Hermundure Liutiprant wären nur zum Jagen jahrelang bei uns gewesen? Es ist übrigens möglich, daß Marobod es begrüßt, wenn seine Krieger den Römern Schwierigkeiten bereiten. Hauptsache, er behält dabei reine Hände. Wir wissen, daß er unsere Vorbereitungen kennt, aber nicht an unseren Sieg glaubt. Wahrscheinlich hofft er, daß vor allem wir Cherusker durch den Krieg sehr geschwächt werden.“ Raganhar lachte. „Wieviel Stämme sind denn das, die mit uns kämpfen?“ Er ließ die Zügel los und streckte seine mächtigen Hände aus, um die Stämme abzuzählen. Da aber die Finger nicht reichten, murmelte er: „Schade, daß ich Schuhe anhabe und nicht an den Zehen weiterzählen kann.“ Man ritt in sehr gehobener Stimmung weiter. In der Nähe der Furt hörten sie Rufe. War das einer der swebischen Stämme? An der Sprache erkannten sie bald, daß es nur Cherusker sein konnten. „Wo kommt ihr her?“ fragte Armins Vater.
„Ach, du bist es, Sigimär? Wir haben die Römer oben auf dem Hügel niedergehauen, alle!“ Erschrocken erwiderte Sigimär: „Wie ist das möglich? Unser Bote kann doch noch nicht drüben sein! Da hat wohl mein Bruder wieder einmal vorzeitig losgeschlagen? Dieser Ingwiomär setzt das Leben von uns allen aufs Spiel, nur weil er nicht warten kann! Armin, dem mußt du den Kopf waschen!“ „Vater!“ antwortete Armin, „du weißt, ich stehe schlecht mit ihm. Er nennt mich ein junges Kraut. Nur du als Älterer kannst mit ihm sprechen, denn sonst wird es noch schlimmer zwischen uns, und wir brauchen ihn, weil ihn die Cherusker wegen seiner stürmischen Tapferkeit verehren.“ ZWEI UNRUHIGE NÄCHTE In dieser Nacht war im Hause des Steuerpächters nicht viel an Schlaf zu denken, denn die Sklaven hatten zu packen. Sie schleppten Möbel und Hausgerät zu den Wagen, die, dicht nebeneinander, die Straße versperrten, denn all die reichen Herren, die im Lagerzentrum wohnten, ließen ebenfalls packen und laden. Dabei gab es Zusammenstöße und lautes Schimpfen. Im Hause wurde es auf einem Gange plötzlich dunkel. Der Sklavenaufseher kam mit einem Öllämpchen, er hielt die Hand vor die Flamme, damit sie nicht ausginge. Am Boden lag eine Lampe, die eben noch gebrannt hatte, und daneben schwamm das Öl. Jemand mußte sie absichtlich abgehängt und das Öl ausgegossen haben. Der Sklavenaufseher setzte seine Lampe auf den Boden und verbarg sich. Gleich darauf erschien Auerolf und wollte ein zweites Lämpchen abhängen und das Öl ausgießen. „Du Hund!“ schrie der Aufseher und zog dem Cherusker mit seiner Peitsche einen Hieb quer übers Gesicht. Auerolf stürzte sich auf den viel kleineren Römer, wich aber zurück, als dieser erneut zum Schlag ausholte. „Das wirst du mir büßen!“ knirschte der Sklave, ergriff einen Sessel und trug ihn fort. In einem von ihm dunkel gemachten Flur aber ließ er ihn stehen, so daß gleich darauf jemand darüber stürzte. In der Morgendämmerung wurde der Lärm auf der Straße besonders arg, denn Abteilungen der Legionen kamen marschiert, um die drei Legionsadler aus dem Tempelchen der Feldzeichen zu holen. Die befehligenden Offiziere sagten den Sklaven, sie sollten die Wagen sofort wegschieben, denn nach dem Abholen der Adler müßte die Straße frei sein. Nun erhob sich auch der Steuerpächter übelgelaunt von seinem Lager und verlangte nach dem Barbier und dem Frühstück. Daß die Sklaven die ganze Nacht durch gearbeitet hatten und nichts bekamen als altbackenes Brot und abgestandenes Wasser, kümmerte ihn nicht. Inzwischen bliesen die Tuben, und die Reiterei setzte sich bald darauf in Bewegung. Herniu sah sie in bester Ordnung vorbeikommen. Das wunderte ihn auch nicht, denn bei den Truppen, wo jeder für sich sorgte, herrschte stets Ordnung. Nur in den großen Haushalten gab es das Durcheinander. Die verwöhnten Herren wollten von ihren Ansprüchen nicht lassen, und die Sklaven, die an solchen Tagen besonders litten, rächten sich jetzt auf ihre Weise. Nach der Reiterei marschierte die vorderste Legion ab. Schon war weit über eine Stunde vergangen, als sich der dicke Varus aufs Pferd schieben ließ. Dem Steuerpächter Lobilla half Auerolf recht unsanft beim Aufsitzen.
Hinter Lobilla ritt sein Leibwächter Fabius, neben ihm der heute recht blasse Sigimunt, nach ihm Herniu und Auerolf. Die Haussklaven hatten hinter den Wagen zu Fuß zu gehen. Der Stab des Varus mit der Menge schlecht reitender Richter und Beamten schob sich in die Lücke zwischen der vordersten und der nachfolgenden Legion. Langsam zog die Masse durch das Lagertor. Abseits auf einem Hügel saßen Germanen, Männer, Frauen und Kinder. Sie wollten sich ins Lager stürzen, sobald der letzte Römer hinaus war und nur noch herrenlose Hunde und Ratten drin herumliefen. Wegen des trockenen Wetters marschierte die unübersehbar lange Kolonne in einer dichten Staubwolke.
Bald begann der Weg sich aufwärts zu schlängeln und führte durch ebenes Gelände. Trotzdem war der Marsch sehr ermüdend, weil die lange Kolonne immer wieder ins Stocken kam und man nie wußte, wann es weitergehen würde. Vorläufig entsprach die Straße der Quellen nicht ihrem Namen. Es gab nur hier und da Wasser, und dann liefen alle aus dem Zug heraus, um etwas zu schöpfen und im Gehen zu trinken. Infolge der vielen Aufenthalte erreichten sie erst am Abend das Feld, auf dem die vorderste Legion an dem viereckigen Lager für die Nacht schanzte. Lobilla und sein Gefolge ritten zur Mitte, wo man Varus eben vom Pferde half. Sein Leibsklave schnallte von einem Maultier einen Feldsessel, auf den der Statthalter Germaniens sich setzte, während andere sein Zelt aufschlugen. Herniu sah, wie von vorn eine Reiterschar angetrabt kam, an ihrer Spitze Vala Numonius. Er sprang vor Varus vom Pferde. Sollten etwa die verbündeten Stämme schon hier vor dem Eintritt in den Teutoburger Wald die Römer aufhalten? Sehr wahrscheinlich war es nicht. Armin hatte davon gesprochen, daß sich Kriegerverbände an der Ems sammelten, also mehrere Tagesmärsche vor ihnen. „Mein Varus“, meldete Numonius, „ich habe Abteilungen in das vor uns liegende Gebirge geschickt. Sie berichten, daß der Weg dort recht schmal wird und kaum eine Straße genannt werden kann. Unser Troß dürfte also beträchtliche Schwierigkeiten haben. Ich wiederhole daher meine Bedenken: Es ist nicht klug, den Marsch auf der Straße der Quellen fortzusetzen. Wenn wir umkehren und statt dessen die gesicherte und gute Heerstraße benutzen, kommen wir vermutlich früher in das Gebiet des Aufstandes und umgehen die unangenehmen Sümpfe im Quellgebiet der Ems.“ Ärgerlich erwiderte Varus: „Ich habe diese Straße befohlen und bitte, mir nicht immer wieder dieselben Bedenken vorzutragen!“ Numonius grüßte stramm, aber mit bösem Blick. Da Lobillas großes Gepäck noch nicht angekommen war, lud ihn Varus zum Abendessen ein, das aus kaltem Fleisch, Weißbrot und Wein bestand. Danach zog sich der Statthalter in sein Zelt zurück, zumal es recht kühl wurde. Lobilla aber ging auf und ab und schimpfte, daß niemand daran gedacht hätte, für ihn ein Lager auf einem Pferd oder Maultier gleich vorn beim Stabe des Statthalters mitzunehmen. Erst nach Mitternacht polterte der Troß ins Lager, und endlich konnte der Steuerpächter seine Liegestatt bekommen. Freilich ging auch das langsam, denn die Sklaven waren von der Packerei in der Nacht vorher und dem immer wieder stockenden Marsch zum Umfallen müde. Sigimunt und Fabius schliefen schon und waren nicht zu bewegen aufzustehen, um etwas zu essen. Gerade war Herniu beim Einschlafen, als er Pferdegetrappel hörte und die hastige Frage: „Wo ist der Feldherr?“ „Er schläft.“ „Dann mußt du ihn wecken! Es ist dringend!“ Herniu erhob sich und schlich zum Zelt des Varus. „Was soll das?“ hörte er dessen Stimme. „Ach, wieder von Numonius ? Laß den Boten ein! Die Götter mögen mich künftig vor so aufgeregten Offizieren bewahren! - Was bringst du?“ „Der Führer der Reiterei, Numonius, läßt melden, daß ausgesandte Streifen mehrmals auffallende Bewegungen auf dem Wege vor uns bemerkten. Wenn sie aber die Leute anriefen, antworteten die nicht und verschwanden. Er fürchtet, daß die Germanen einen Überfall aus dem Wald heraus planen. Das ist leicht, weil wir die Seiten der Straße nicht gelichtet haben.“ „Sind Feuer zu bemerken?“ „Nein, nirgends.“ „Sage dem Numonius, daß es eine bekannte Sitte der Germanen ist, Feuer anzubrennen, bevor sie angreifen. Es ist auch möglich, daß die Aufständischen Späher in den Teutoburger Wald geschickt haben. Darin sehe ich keine Gefahr. Und selbst wenn ein Überfall geplant wäre, so werde ich wohl mit drei Legionen den Widerstand brechen können! Wir müssen diesen Weg weiterziehen, denn eine Umkehr zu einer anderen Straße würde wie ein Rückzug aussehen und uns als Schwäche ausgelegt werden. Sage dem Führer der Reiterei: Er soll sich die Ruhe langer Erfahrung angewöhnen!“ Herniu schlich vorsichtig zurück und legte sich wieder. Nach den Worten Armins beim Abschiedsmahl hatte er angenommen, die Germanen würden sich an der Ems den Legionen entgegenstellen. Nun erst fiel Herniu ein, daß Armins Worte eine absichtliche Irreführung sein konnten. Wenn es aber im Gebirge schon zum Kampf käme, so durften er, Auerolf und Sigimunt nicht länger bei den Römern bleiben. Jetzt in der Nacht freilich war es unmöglich, sich zu entfernen, denn rings um das Lager standen Pfosten. Trotzdem mußte er die beiden einweihen. Er begann Sigimunt zu rütteln. Der aber schlief so fest, daß nicht er, sondern der neben ihm liegende Fabius mit einem Schrei erwachte. Schnell faßte sich Herniu. „Ihr müßt wirklich etwas essen! Morgen habt ihr vor dem Abmarsch keine Zeit
dazu.“ „Ach, besser ist es zu schlafen“, erwiderte Fabius und drehte sich auf die andere Seite. Herniu gab den Versuch auf, Sigimunt zu wecken, und ging statt dessen zu Auerolf. Er fand ihn mit geöffneten Augen auf dem Rücken liegen und nach dem Mond blicken. Leise ließ er sich bei ihm nieder und flüsterte ihm das Neuste zu. Auerolf schüttelte den Kopf. „Sage dem Sigimunt nichts! Er weiß nicht, wohin er gehört. Solche Narren gefährden dich nur. Und um mich kümmere dich nicht! Ich weiß selbst, was ich zu tun habe.“ Herniu mußte dem Sklaven recht geben, legte sich hin und war bald eingeschlafen. AUF DEM MARSCH DURCHS GEBIRGE Bewegung um Herniu ließ ihn aufwachen. Gleichzeitig fühlte er eine empfindliche Kälte. Der Morgen dämmerte. Auf seinem wollenen Umhang saßen Tauperlen. Dazu blies ein starker Wind. Am Wagen mit den Akten traf er Licius, der über Schmerzen in den Gliedern klagte. „Mich alten Mann zieht man noch in so einem wilden Lande herum! Übrigens ist heute eine andere Marschordnung befohlen als gestern. Man scheint zu befürchten, daß uns Räuber den Troß wegnehmen könnten. Ich muß dir auch sagen, Hernius, daß ich mich gestern auf dem Marsche sehr gefürchtet habe. Immer wenn wir an einem Waldstück vorbeikamen, habe ich durch einen Riß in der Wagenplane nach Räubern ausgeguckt.“ Herniu erschien die Angst des Alten diesmal gar nicht lächerlich. Ihn schmerzte der Gedanke, daß er dem gutmütigen Licius nicht helfen konnte, wenn es zu den Kämpfen käme. Bald zog die Legion aus dem Lager, die heute die Vorhut bildete. Ihre Wagen waren zwischen die Truppenteile eingeschoben. Nach einiger Zeit setzte sich der Stab des Varus in Bewegung. Unmittelbar dahinter fuhren die vielen Wagen des Stabes. Zwischen ihnen gingen Sklavinnen und Sklaven, Musikanten, Schauspieler, Possenreißer und Kinder, die alle einen recht kläglichen Eindruck machten. Der immer heftiger werdende Wind peitschte ihnen Regen ins Gesicht, so daß manche sich Schlafdecken über die Köpfe gezogen hatten. Der Weg begann stark zu steigen und tauchte in dichten Wald. Der Quartiermeister des Stabes ritt nach hinten, um zu sehen, ob noch alles in Ordnung wäre. Er bestimmte eine Reiterabteilung, die sich auf den übermäßig langen Zug verteilen mußte. Denn bereits jetzt verwandelte sich der Staub, der Mensch und Vieh am Tage zuvor belästigt hatte, in tiefen Schlamm, so daß die Wagen leicht steckenbleiben konnten. Bald nach dem Eintritt in den Wald hielt der Zug. Schließlich setzten sich die Menschen. Gerade da ging es weiter. Nach vielen solchen Stockungen kamen sie an die Stelle, wo der Weg durch einen tiefen Bach führte, über den die vorderste Legion eine Brücke auf eilig gefällten Bäumen geschlagen hatte. So holprig und eng diese Brücke war, hielt sie doch nicht so auf wie eine andere Stelle, wo der Weg nach der Seite so abschüssig war, daß alle die Wagen gestützt werden mußten. Ein besonders hoch beladener kippte trotzdem um, mußte erst abgeladen, hinübergezogen und wieder bepackt werden. Inzwischen marschierte die vorderste Legion weiter und verschwand hinter einer Krümmung des Weges. Voll Angst blickte der alte Licius den Entschwindenden nach. Herniu, der schweigend hinter Sigimunt und Fabius ritt, betrachtete aufmerksam den Wald zu beiden Seiten. Waldschluchten mündeten ein, von denen niemand wissen konnte, was sie bargen. Herniu überlegte: Sollte er hier fliehen? Keine Pflicht hielt ihn mehr bei den Römern. Wohin er aber auch blickte, überall war entweder der Wald zu dicht, um schnell verschwinden zu können, oder das Gelände war sonstwie ungeeignet. Das dauernde Aufpassen ermüdete ihn, zumal nichts Auffallendes geschah, so daß er nachmittags auf dem Pferde einschlief. Plötzlich wachte Herniu von einem Geräusch auf. Es war wohl nur das Klappern eines Wagens gewesen. Wieder nickte er ein wenig, bis er schimpfen hörte. Zwei Meldereiter wollten zu Varus durch. Die Begleitleute der Wagen trotteten aber müde und über den ganzen Weg verstreut dahin und wichen nur langsam und verdrossen aus. Die Meldereiter hielten endlich vor Varus und deuteten nach vorn. Nun sah Herniu auch, daß auf einer steilen Kuppe dicht an der Straße Germanen in wehenden Umhängen standen, über ihre Köpfe hinweg ragte ein rotes Tierbild. Herniu konnte nicht verstehen, was Varus seinen Offizieren befahl. Jetzt aber war sicher der letzte Augenblick zu fliehen. Rechts befand sich ein Tälchen mit flachem Grunde und tiefgrünem Sumpfgras. Dort würde er versinken. Auf der anderen Seite wuchs dichter Mischwald. Was blieb ihm übrig, als da
hineinzureiten? Er wandte sich zu Auerolf um, der mit verschlossener Miene ihm leicht zunickte. Jäh riß Herniu sein Pferd zur Seite und preßte ihm heftig die Hacken in die Seiten. Das Tier erschrak, erhob sich auf die Hinterbeine und sprang in den Wald. Herniu konnte nur noch rufen: „Sigimunt!“ und mußte sich tief auf den Pferdehals hinabbeugen, weil ihm schon die Zweige ins Gesicht schlugen. Hinter ihm schrie jemand: „Hilfe!“ Mit aller Kraft trieb er das Pferd tiefer in den Wald hinein. Er hörte Äste brechen. Verfolgte man ihn? Viel zu langsam kam das Pferd vorwärts! Wieder schrie jemand. Lärm. Herniu war zu sehr damit beschäftigt, sein Tier zwischen den Bäumen durchzutreiben, um zu überlegen, was das für ein Lärm war. Dicht hinter ihm hörte er wieder Äste brechen. Er war ohne Waffen, bis auf einen Dolch, den er verborgen auf dem bloßen Leib trug. „Wir sind es!“ rief Sigimunt keuchend. Herniu blickte sich um und erwartete Sigimunt und Auerolf. Es waren aber Sigimunt und Fabius. Was wollte der Römer hier? „Wo ist Auerolf?“ „Hast du nicht mehr gesehen, wie er sich auf den Advokaten stürzte und ihn erstach?“ „Ach, deshalb das Geschrei?“ „Danach wollte er auch den Sklavenaufseher erstechen, aber sie packten ihn. Er ist sicher tot!“ „Und euch haben sie nicht verfolgt?“ „Dort ist eine solche Verwirrung, sie denken nur -“ „Hoo-a!“ schrie es aus vielen Kehlen. Die Germanen griffen an. „Hätten wir nur Waffen!“ rief Herniu. „Nur Fabius hat welche“, erwiderte Sigimunt, „aber er will nicht gegen Römer kämpfen!“ Ratlos blickte sich Herniu um: überall nur vom Regen triefender Wald. Lateinische Kommandos wurden geschrien. „Hoo-a!“ tönte es ferner, aus anderer Richtung.
BEGINN DER SCHLACHT Der Lärm nahm zu. Immer mehr Germanen schienen anzugreifen. Herniu war vom Pferde gestiegen und zog es durch das Dickicht. Bald erreichte er eine Lichtung und erblickte auf der von hier aus nicht so steilen Kuppe Germanen in Umhängen, auf die Tiere aus roten Lederstücken genäht waren. Das konnten keine Cherusker sein. Die Straße war nicht zu sehen, nur Gefechtslärm war zu hören. Leise sagte Herniu zu Sigimunt: „Bleibt hier! Wenn die Männer dort oben Fabius in seiner Legionsrüstung bemerken, kann es ein Unglück geben. Erst wenn ich winke, kommt nach!“ Er sprang auf das Pferd und ritt den Hang hinauf. Die Männer blickten sich nach ihm um. Ihnen mußte der junge blonde Mensch in halb römischer Kleidung sehr seltsam erscheinen. „Wo kommst du her?“ fragte ein Mann mit einem dicken Bronzering um den nackten Arm. Neben ihm stand der Träger des Feldzeichens, es war ein geschnitzter, rotbemalter Bär. .„Ich war von Armin den Römern als Späher beigegeben, habe aber meine Aufgabe erfüllt.“ „Warst du es, der als erster in den Wald ausbrach?“ Herniu nickte. „Ist das ein Legionsführer dort auf der Straße? Er ist von Unbewaffneten in weißen Gewändern umgeben.“ „Es ist Varus selbst.“ „Was!“ schrie der Mann. „Dann setze ich sofort meine Angriwarier ein!“ Er wandte sich an die neben ihm: „Sagt allen, daß sie den Blutsauger Varus selbst vor sich haben! Angriff mit allen Gauen! - übrigens“, er sprach wieder zu Herniu, „ist auch der Steuerpächter Lobilla, der Hund und Mörder, dabei?“ „Ja, aber er ist eben erstochen worden.“ Mißtrauisch blickte der Mann - sicher der Herzog der Angriwarier - Herniu an. „Woher weißt du das? Wir haben gesehen,. wie jemand von einem germanischen Sklaven erstochen wurde, aber du warst schon im Walde!“ „Zwei sind mir gefolgt.“ „Ja, ein blonder und ein Legionär. Wollten sie dich fangen?“ „Nein, einer ist der Cherusker Sigimunt, der andere sein römischer Freund, der nicht kämpfen will.“ „Ein Feigling also! Auch feige Römer schonen wir nicht!“
„Ich bitte dich um sein Leben, Herzog. Wir haben uns Treue geschworen, und er haßt die römischen Blutsauger so wie du.“ „Ich soll hier einen bewaffneten Legionär dulden?“ „Gib mir seine Waffen! Ich will mit euch kämpfen! Laß ihn waffenlos und ohne seinen Panzer vor dir erscheinen!“ „Also gut, nimm seine Waffen!“ „Sieh dort!“ Herniu deutete erregt hinunter. „Der Dicke, den die Römer in ihre Mitte nehmen, ist Varus!“ Legionäre schlössen ein Viereck um den Statthalter und seine Beamten, die von den Pferden gestiegen waren. Schild reihte sich an Schild wie eine Mauer, aus der die Wurfspeere ragten. Plötzlich flogen aus dem Walde Framen und fuhren gegen die Schilde der Röiner. Sie prallten zum Teil ab. Andere Framen hatten sich eingebohrt und zogen durch ihr Gewicht und ihre Länge die Schilde nach unten. Nun warf die römische Linie ihre Speere. Eine Schar Germanen stürmte aus dem Walde. Das konnten aber keine Angriwarier sein, denn sie hatten das Haar hochgebunden. Sicher waren es Sweben. Mit ihren langen Schwertern hieben sie auf die Römer ein, die aber mit ihren kurzen schneller schlagen und stechen konnten. Auf beiden Seiten stürzten Männer, und es gab Unordnung. Etwas entfernter drangen Sweben auf die ungeschützt dastehenden Wagen ein, erstachen die Pferde und verfolgten die unbewaffneten Köche, Diener und Wagenbegleiter in den Sumpf. Darauf kehrten sie um und gingen gegen die Rückseite des römischen Vierecks vor. Da ihre Reihen aber bei der Verfolgung in Unordnung geraten waren, wurde ihr Angriff lahm, so daß sie sich bald in den Wald zurückzogen. Herniu brannte darauf mitzukämpfen und ritt zu Sigimunt und Fabius hinunter. Sie erwarteten ihn unter einem Baum, von dem der Regen tropfte. „Fabius, du mußt mir deine Waffen geben, sonst bringen dich die Angriwarier um!“ „Das ist mir recht. - Nur, wie komme ich je wieder zu den Römern?“ „Du bleibst bei uns!“ erwiderte Sigimunt. „Wie kann ich das?“ antwortete der Legionär kleinlaut, streifte seinen Schild vom Arm und gab ihn Herniu. Darauf schnallte er das Schwert ab und löste den Panzer. Es zeigte sich nun, daß er für Herniu, aber auch für Sigimunt zu klein war. Daher ließen sie ihn liegen und ritten zu dritt den Hügel hinauf, Fabius in kurzen, weißen Unterkleidern, die von den nassen Waffen starke Rostflecke zeigten. Der Herzog betrachtete ihn in seinem durchnäßten, schmutzigen Gewand mit einem Ausdruck spöttischer Verachtung. „Gefährlich siehst du nicht aus! Und du, Cherusker, was hast du bei den Römern getan?“ „Armin hatte mich zu ihnen geschickt, um ihm zu berichten, was geschah, und -“ Er stockte. „Sprich weiter! Hast wohl etwas zu verbergen?“ Sigimunt fuhr zögernd fort: „Ich hatte meinem Vater Segest zu übersetzen.“ „Was? Du bist der Sohn des Oberfürsten! Was willst du bei uns?“ „Ich bin nur auf Bitten meiner Verwandten, die mit euch verbündet sind, zu meinem Vater zurückgekehrt.“ „Ist dein Vater dort unten bei Varus?“ „Nein, er befindet sich in seiner Burg.“ „Das ist sein Glück! Wir hätten ihn sonst als Verräter erschlagen.“ Herniu stellte sich mit seinen römischen Waffen vor den Herzog. „Wo darf ich mich einreihen ? Ich möchte mit euch kämpfen!“ „Nein! Das sind Wünsche eines dummen Jungen! Jetzt bleibst du hier! Vielleicht werde ich dich wieder zu Armin schicken.“ Er streifte sich die vom Regen triefenden Haare aus der Stirn und sagte zu dem Träger des Feldzeichens: „Jetzt müßten unsere Gaue zum Angriff bereit sein. Aber sieh dir das dort an!“ Das Viereck mit Varus und den Advokaten in der Mitte begann sich die Straße vorwärts zu schieben, ihnen voraus die Abteilung der Meldereiter. An einem stehengebliebenen Wagen trabten sie eilig einzeln vorbei und schlössen sich vor ihm wieder zur Kolonne zusammen. Da flog plötzlich aus dem Walde ein Hagel von Framen. Pferde bäumten sich auf, Menschen schrien oder stürzten. In diese Unordnung stießen die Sweben erneut vor, stachen die Pferde tot und überwältigten die Meldereiter, von denen wenige zu dem Viereck des Varus entkamen. Gleichzeitig ertönte weiter vorn das Angriffsgeheul, wohl der Angriwarier, die aber von hier aus nicht zu sehen waren. Daher setzten sich der Herzog und sein Gefolge zu Pferde und ritten in die Richtung des Waffenlärms. Jenseits einer Schlucht befand sich Hochwald, in dem man ziemlich weit sehen konnte, denn er besaß fast kein Unterholz. Dort sammelten sich Germanengruppen, die nach einem Vorstoß zurückgewichen waren. Ein Verwundeter humpelte, von einem anderen gestützt, und hielt erschöpft an einem Baum an. Andere Verletzte saßen oder lagen, und man bemühte sich um sie.
Der Herzog beriet sich mit seinen Unterführern und winkte Herniu zu sich. „Reite zu Armin und sage ihm: Wir haben mehrere Stöße gegen die Römer geführt, auch mit allen Gauverbänden. Ungünstig war, daß wir sie von links angreifen mußten, so daß sie sich mit den Schilden decken konnten. Nach rechts konnten wir nicht, weil da ein sumpfiger Grund lag. Darin werden allerdings die meisten der unbewaffneten Flüchtlinge umgekommen sein. Sehr schwer sind die Verluste der Römer an Pferden, so daß kaum ein Wagen mehr eine Bespannung hat. Ich frage Armin, wie es bei den anderen Stämmen steht. - Und noch eins, Herniu: Nimm den Sohn des Überfürsten und den Legionär mit dir! Ich kann sie hier nicht gebrauchen.“ Der römisch bewaffnete Herniu, der ganz germanische Sigimunt und Fabius in der rostigen Untertunika ritten im Walde weiter längs der Straße, die auch die römischen Legionen zogen. Sie horchten dabei nach den Geräuschen, die von der Straße herüberdrangen. Bald stießen sie auf Sugambrer und standen plötzlich vor Wigimot. „Wir haben fast nichts erreicht“, sagte er finster, „und dabei schwere Verluste gehabt! Jetzt marschieren die Römer wieder vorwärts. - Übrigens kannst du hier nicht weiter. Biege dorthin aus! Da findest du einen Weg und kommst auf ihm zu Armin.“ Sie fanden den Weg schnell. Es war ein Wildpfad, und er brachte sie zu einer Wiese, hinter der ein Berg mit kahlen Hängen und einem Waldschopf aufstieg. Der Hang war so steil, daß sie streckenweise die Pferde am Zaum führen mußten. Schließlich rundete sich die Kuppe, und sie erblickten vor sich das Gipfelwäldchen, an dessen Rande auf einem umgefallenen Baum der blinde Asni in Wind und Regen saß. Herniu rannte zu ihm. „Vater, kümmert sich niemand um dich? Hier bin ich wieder, den Römern entkommen!“ Der Sänger hob den Kopf, aber von seinem Gesicht war wenig zu sehen, weil er die Lederkappe tief heruntergezogen hatte. Mit heller Stimme sagte er: „Sohn, ich war in Sorge um dich, nun bin ich froh! Weshalb ich allein bin? In die Herzen der Helden sät' ich den Haß, nun siege der Sehende! Geh zu Armin, Herniu! Er braucht dich vielleicht, und laß mich hier sitzen und horchen! Auch dadurch erfahre ich vieles, und es greift mir ans Herz, daß ich spreche nach schwerer Schlacht vom leidvollen Tode und lindernden Leben.“
Die drei Jünglinge drangen durch den kleinen Wald und befanden sich vor einem Felsen, auf dem drei Menschen standen. Ihre Umhänge flatterten im Winde. In der Mitte stand die Priesterin Ruwala, einen Kranz von Herbstblumen auf dem Kopf, in der Hand einen Apfel. Auf ihrer einen Seite hielt ein alter Priester mit langem weißem Bart das Schwert Tius unbeweglich vor sich, denn: Die Schlacht steht stark, solange Saxnots Schwert nicht sinkt. Auf Ruwalas anderer Seite hob Tursinhilda das geschnitzte Bild der Frija hoch in die Luft. So sahen die Götter den Kampf und die Kämpfenden ihre Götter. Jenseits des Felsens blickten die Führer der Cherusker nach der Straße hinunter. Armin drehte sich um, und sein Blick fiel auf Fabius. „Ein Gefangener?“ fragte er erstaunt. „Nein“, erwiderte Sigimunt hastig, „er ist mit mir und Herniu vom Stabe des Varus geflohen.“ „Und Auerolf?“ „Er hat den Steuerpächter Lobilla erstochen und hätte noch fliehen können, stürzte sich aber auf den Sklavenaufseher. Den hat er schwer verletzt, wurde jedoch selbst zusammengehauen.“ „Ein wackerer Cherusker bis zu seinem Tode! Wie steht es dort, wo ihr herkommt?“ Herniu meldete, was ihm der Herzog aufgetragen hatte. „Ich danke dem Angriwarier für seine Nachricht. Du, Herniu, gehst zu ihm zurück zusammen mit deinem Freund Olfo! Sigimunt und der Römer aber bleiben hier! Jetzt werde ich dir die Lage zeigen, damit du sie dem Herzog erklären kannst.“ Er trat an den Rand der Kuppe, wo sie jäh zur Straße abfiel. Ein überraschender Anblick bot sich Herniu. Er sah unten die Römer in fest geschlossenen Vierecken vormarschieren, freilich behindert durch Wagen, um die herum tote Menschen und Pferde lagen. An diesen Hindernissen rannten die Legionäre einzeln vorbei und formierten sich davor wieder. Im Inneren der Vierecke gingen oder ritten die Führer der Abteilungen. Vor ihnen weitete sich das Tal zu ziemlicher Breite, auf der die vorderste Legion das Lager schanzte. „Hier hat es schwere Kämpfe gegeben“, sagte Armin. „Unsere Cherusker versuchten die römische Reiterei aufzuhalten. Aber Numonius versteht sein Handwerk und ist durchgebrochen. Weshalb er das tat, verstehe ich allerdings nicht. Nachgesandte Reiterabteilungen melden, daß er rasch vorwärts strebt und augenscheinlich zur Festung Aliso will.“ „Gestern nacht“, unterbrach Herniu, „hat Numonius noch Varus geraten umzukehren. Varus wollte sich aber nicht hereinreden lassen, und heute scheint es wieder eine Uneinigkeit zwischen ihnen gegeben zu haben.“ „Ah, das ist wichtig, Herniu! Sein Durchbruch, ohne daß die Legionen heran waren, wird Varus noch teuer zu stehen kommen. Vielleicht allerdings hielt Numonius die Sache des Varus für verloren und wollte einem so unfähigen Feldherrn nicht weiter gehorchen. So wird er dem Kaiser wenigstens die Reiterei retten. Leider können wir ihn jetzt nicht verfolgen. - Varus muß nun versuchen, alle Legionen bis zur Nacht in das Lager hier unten zu ziehen. Dabei werden wir ihn so sehr wie möglich stören. Er muß gezwungen werden, alle Wagen stehenzulassen, so daß die Legionen nichts mehr zu essen haben. Heute abend und in der Nacht schließen wir ihn vollkommen ein. Die Angriwarier sollen seitlich der Römer mitziehen, so daß die Einkreisung von Stunde zu Stunde dichter wird. Richte das dem Herzog der Angriwarier aus!“ Die beiden Blutsfreunde ließen ihre Pferde bei Armins Gefolgschaft, weil sie zu Fuß im Walde besser vorwärts kamen, rannten den steilen Hang hinunter und gingen dann langsamer. Nun erst erfuhr Herniu von Olfo, daß außer den zwölf verbündeten Stämmen noch drei des swebischen Bundes herangezogen waren. Die Zahl der Germanen überstieg sicher die der Römer weit.
DIE ERSTE NACHT IM WALDE Sie näherten sich der Kuppe, auf der Herniu die Angriwarier getroffen hatte. Der Herzog saß auf einem römischen Stuhl in Wind und Regen, der an seinem mit Tieren benähten Umhang herunterfloß. Die beiden erfuhren, daß sich die hinterste der drei Legionen zusammengeschlossen hatte, bevor sie weitermarschierte. Dadurch hatten die Angriwarier und Sweben Zeit gewonnen, die Wagen des Statthalters zu einem Hindernis quer über die Straße zu ziehen. Weil einige aber recht schwer waren, hatten sie die Möbel, Lebensmittel und Geräte auf die Straße geworfen und vieles im Triumph in den Wald geschleppt. Tote Pferde zerrten sie von der Straße, um sie später im Walde zu braten.
Kurz bevor die letzte Legion in fester Ordnung herankam, zündeten die Germanen die Wagen an. Die Gauführer versuchten nun, rasch ihre Haufen wieder zusammenzuschließen, um anzugreifen. Die Unordnung war aber so groß, daß inzwischen die Legionäre einen Teil der Wegsperre wegräumen konnten. Als endlich die Angriwarier und Hermunduren aus dem Walde vorstießen, erreichten sie den zu festen Vierecken aufmarschierten Römern gegenüber wenig und hatten eine beträchtliche Anzahl Tote. Der Herzog sandte Herniu und Olfo gleich wieder fort: „Meldet Armin, daß wir die Römer auf den Seitenpfaden begleiten werden. - übrigens noch etwas: Als meine Krieger Papierrollen auf einem Wagen anbrannten, kroch halb erstickt ein alter Mann heraus.“ „Lebt er noch?“ fragte Herniu bestürzt. „Das war sicher der alte Sekretär Licius.“ „Also ein Federfuchser!“ erwiderte der Herzog verächtlich. „Dort hinten muß er liegen, wenn er noch lebt.“ Olfo folgte dem schnell forteilenden Herniu und begriff nicht, weshalb sein Freund sich eines alten Römers wegen beunruhigte. Sie fanden Licius im Walde liegen. Seine Kleider waren angesengt. Herniu redete ihn an, bekam aber keine Antwort. Der Alte war tot. Traurig richtete sich Herniu auf. Die Abenddämmerung hatte begonnen den Wald noch dunkler zu machen, und sie mußten eilen, wenn sie zu Armin zurückfinden wollten. Es war ruhig geworden. Nach der Straße konnten sie nicht hinüberblicken, sahen aber an den tief ziehenden grauen Wolken einen rötlichen Schein. Konnte der von der brennenden Wagensperre hinter ihnen kommen? Beim Anstieg zu dem Berg, auf dem sich Armin befand, überholten sie mehrere Cherusker, die mühsam ein totes Pferd hinaufschleiften und alle paar Schritte verschnauften. In dem Wäldchen auf der Bergspitze fanden sie die Führer der Cherusker in einem heftigen Wortwechsel. „Ich greife morgen früh ihr Lager doch an!“ schrie Ingwiomär. Sigimär war bemüht, seinen Bruder zu beruhigen: „Aber nimm doch Vernunft an! Wie machst du es bei der Treibjagd? Stellst du dich Auerochsen, Ebern und Hirschen entgegen und läßt dich umrennen? Nein, du bildest eine Gasse und schießt das Wild ab, wenn es durchzulaufen versucht.“ Ingwiomär schien der Vergleich mit der Treibjagd einzuleuchten, denn er antwortete ruhiger: „Aber das Gelände wird weiter vorn offener. Dort können die Legionen eine Schlachtordnung entwickeln.“ „Das stimmt“, erwiderte Armin, „aber ein Stück weiter müssen sie wieder durch Wald.“ „Bis dorthin willst du sie ungestört ziehen lassen?“ „Ungestört nicht. Diese Nacht schon sollen vier unserer Stämme nacheinander das Lager angreifen. Dabei werden zwar nur ein paar ihrer Posten getötet, aber die Legionen können nicht ruhig schlafen. Wahrscheinlich haben sie nicht mehr viel zu essen, nur das, was jeder bei sich trägt. Zu dem Hunger muß die Ermüdung kommen. Unsere vier Stämme können natürlich auch nicht schlafen. Dafür aber werden sie morgen früh liegenbleiben und erst später folgen, während ich gleich bei Tagesanbruch die Cherusker und Semnonen vorziehe, weil sie die bestgeschulten Kriegerverbände haben.“ „Morgen also willst du die Entscheidungsschlacht schlagen?“ fragte Ingwiomär. „Das läßt sich nicht vorausbestimmen“, erwiderte Armin. Und da er sah, daß sein Oheim schon wieder einem Wutausbruch nahe war, fügte er eindringlich hinzu: „Du verstehst eins nicht: Wir haben Zeit, die Römer nicht. Sie müssen versuchen, so schnell wie möglich nach ihrer Festung Aliso oder wenigstens zu ihrer Heerstraße an der Lippe zu kommen. Dort ist zu beiden Seiten ein breiter Waldstreifen abgeholzt, auf dem sie sich zu einer Schlachtfront nach ihren Regeln entwickeln können und uns überlegen wären. An der Straße fänden sie auch zu essen. Um aber dahin zu gelangen, brauchten sie selbst dann mehrere Tage, wenn wir sie nicht aufhielten. Noch sind sie stark und marschieren in hervorragender Ordnung. Laß sie aber erst mehrere Tage hungern, in den Nächten alle paar Stunden aufgescheucht werden und an den Tagen stets vor neuen Hindernissen stehen - das wird sie zermürben, und dann werden wir sie vernichten. Wenn du aber zu früh die Entscheidungsschlacht erzwingst, schlagen sie uns, und alles war umsonst!“ Armin brach ab und blickte Ingwiomär an. Der Wind zauste in den Bäumen und ließ manchmal ganze Schauer von Regentropfen auf die Männer fallen. Ingwiomär schien mit sich zu kämpfen. Es ging gegen seinen Stolz, anzuerkennen, daß er, der bewährte Kriegerführer, einen schlechten, sein Neffe aber den guten Plan hatte. Schließlich nahm Sigimär das Wort und sagte beschwörend: „Bruder, mäßige dich einmal! Habe Geduld!“ „Eure Art zu kämpfen“, erwiderte Ingwiomär grimmig, „ist nicht nach meinem Herzen und auch nicht so, wie unsere Väter kämpften, aber ich werde mich gedulden.“ „Deine Hand, Oheim!“ sagte Armin. Sie traten nun an den Rand der Bergkuppe. Der rote Widerschein an den Wolken kam von Feuern der
Germanen, die auf den Hügeln rings um das Römerlager brannten. Eben rückte die hinterste Legion hinein. Durch die strenge Ordnung waren die einzelnen Truppenteile genau zu erkennen. „Sieh, Vater!“ sagte Armin. „Bei der vordersten Legion sind einige Centurien sehr zusammengeschmolzen. Da haben wir doch etwas erreicht. Wenn du außerdem bedenkst, daß die gesamte Reiterei disziplinlos abgerückt ist, so hat Varus schon heute mindestens fünftausend Mann verloren, dazu fast seinen ganzen Troß. Es sind nur noch wenige Wagen im Lager. Dort raufen sich Legionäre um einen. Vielleicht ist Brot darauf.“ Er wandte sich an Herniu und Olfo: „Ihr bleibt hier und beobachtet! In zwei Stunden werdet ihr abgelöst. Wir heben euch etwas zu essen auf, denn wir sind durch die römischen Pferde mit Fleisch reichlich versorgt. Sie aber werden sich hüten, ihre letzten Tiere zu schlachten.“ Die Blutsfreunde ließen sich auf den Boden nieder, standen aber bald wieder auf, weil der Wind um sie pfiff. Zwar hatte es zu regnen aufgehört, aber ihre Umhänge waren durchnäßt. Sie gingen auf und ab, starrten nach den Feuern auf den Hügeln, über denen wohl Pferde brieten, oder bohrten ihre Blicke in das fast ganz im Dunkel liegende römische Lager. Jäh kamen Herniu die Erlebnisse dieses Tages zurück, der ihm lang wie eine Woche erschien. Daß Lobilla tot war, konnte ihm nicht leid tun, schon eher das Ende Auerolfs, obwohl er den verbitterten Polterer nie gemocht hatte. Um einen solchen Menschen zu verstehen, war er zu jung. Nahe ging ihm der Tod des Licius. Zwei Jahre hatten sie zusammen gearbeitet, und der Alte war ihm fast ein Vater gewesen. Plötzlich zeigte Olfo ins Tal hinab. Etwas fing im Römerlager an zu brennen. Ein Legionär trug einen Scheit fort und zündete ein zweites Feuer an. Bald brannten bei allen Legionen Stöße brennbarer Dinge, und nun sah Herniu, woher das Holz kam. Die Legionäre rissen von den Wagen Gegenstände herab. „Dort verfeuern sie sogar ein Rad!“ sagte Olfo. Dabei blieb es nicht. Varus ließ alle Wagen seines Trosses verbrennen. Plötzlich schallte von jenseits des Lagers das furchtbare Hoo-a! Die Legionäre rannten zu ihren Alarmplätzen. Kommandos wurden geschrien. Ein noch mächtigeres Hoo-a! erschallte von diesseits. Herniu erkannte da und dort ein Gesicht, einen Helm, eine Speerspitze. Er horchte auf die Geräusche, bis nach einer Weile wieder Ruhe eintrat und nur die Feuer ringsumr auch die unten, unregelmäßig zuckten.
KAMPF AN DER STRASSENSPERRE Herniu hatte am Lagerfeuer etwas gegessen und seine Kleider getrocknet. Dann war er müde geworden und hatte sich, die Füße zum Feuer, niedergelegt. Nun rüttelte man ihn. „Aufstehen!“ Es war ein trüber Tag, aber Regen und Wind hatten aufgehört. Armin blickte zum Römerlager hinunter. Von den Wagen des Trosses war nicht einer mehr da. Die Legionäre sammelten sich zum Abmarsch, und die Legion, die gestern die letzte gewesen war und die geringsten Verluste gehabt hatte, marschierte durch das Lager an den Anfang. Sie bildete mehrere Rechtecke, die gerade so breit waren, wie das enge Tal es zuließ. Zunächst hielten sie an der inneren Seite des Lagerausgangs und marschierten dicht auf. Das vorderste Rechteck drängte sich seitlich zusammen und rannte hinaus, wo es gleich wieder breit wurde und das zweite sicherte. „Vorzüglich gemacht!“ sagte Armin zu seinem Vater. „So wird die ganze Armee folgen. In einer Stunde marschieren sie geschlossen ab und sind unangreifbar, weil sie der Troß nicht mehr behindert.“ „Unangreifbar?“ fragte Sigimär. „So etwas gibt es doch nicht!“ „Vorübergehend gibt es das, Vater, aber ein römisches Sprichwort sagt: Man soll dem Gegner goldene Brücken bauen. So eine goldene Brücke ist es, wenn wir sie zuerst ruhig marschieren lassen. Später wird sich zeigen, was ihnen Wigimot zugedacht hat. Er führt nicht umsonst schon zwei Jahre den kleinen Krieg bei den zwölf Stämmen. Reiten wir jetzt! Dann werde ich dir das erste Hindernis zeigen.“ Am Fuß des Berges saßen sie auf. Der Pfad war schmal, aber gut ausgehauen, so daß die Reiter bedeutend schneller vorwärts kamen als die auf der Straße marschierenden Legionen. Nach längerem Ritt hielt Armin auf einer Lichtung und ließ alle nahe herankommen. „Nun kreuzen wir die Straße. Haltet euch dicht an eure Vordermänner!“ „So kurz vor den Legionen über die Straße?“ fragte der Riese Raganhar. Armin lachte. „Varus hat keine Reiterei mehr, und von seinen Legionen wird er niemand fortschicken.
Denn überall können unsere Krieger lauern, um kleinere Abteilungen einzukreisen. Das weiß selbst Varus, obwohl er wenig vom Kriege versteht. Wir könnten vor ihnen hertanzen, wie es die Priester des Adonis tun, ohne daß sie uns etwas anhaben würden. Das ist ja ihre Schwäche.“ In scharfem Trab ging es auf die Straße zu. Während des Überquerens blickte sich Herniu nach beiden Seiten um. Rechts war noch nichts von den Römern zu sehen, links aber, jenseits einer Lichtung, hinter der die Straße wieder in den Wald trat, war sie durch mächtige Baumstämme gesperrt. Sie ritten einen sanften Hügel hinauf und stellten sich einige hundert Schritt von der Straße entfernt auf, in der Mitte der Priester mit dem heiligen Schwert, die bekränzte Ruwala und Tursinhilda mit dem Frijabildnis. Herniu hörte, wie Sigimär leise fragte: „Erkläre mir, Armin, weshalb du dich hierherstellst! Dadurch sieht doch Varus, wo du dich aufhältst!“ „Das soll er auch, Vater. Er wird seine Berater, die den Kampf mit den Germanen kennen, nach der Bedeutung dieses Schauspiels fragen, und sie werden ihm sagen: Die Germanen pflegen ihre Götterbilder dort aufzustellen, wo sie eine Schlacht liefern wollen. Daher wird er vermuten, daß hinter unserem Hügel alle unsere Stämme aufmarschiert bereitstehen, um über seine Legionen herzufallen, sobald er uns angreift.“ „Wenn er es aber trotzdem tut?“ „So weichen wir zurück, und während er ins Leere stößt, sammeln sich unsere Germanen hinter ihm auf der Straße und fallen ihm in den Rücken. Das ist zwar für ihn nicht gefährlich, würde ihn aber sehr aufhalten. Und hinterher müßte er noch die Sperre erzwingen.“ Gespannt blickten alle nach der Straßenkrümmung, an der die Legionen erscheinen mußten. Niemand bewegte sich, als die ersten Vierecke erschienen. Sie rückten ein Stück auf der Lichtung vor und marschierten dann zu einem breiten und tiefgegliederten Block auf. In der Mitte hielt zu Pferde Varus, nun mit einem Panzer, nicht wie früher in der Tunika mit den breiten Purpurstreifen. Er besprach sich mit den Legionsführern. Danach zog das Heer im gleichen Schritt die Straße entlang weiter. „Herniu, Sigimunt, Fabius!“ rief Armin. „Reitet hinüber - aber nicht zu nah - und verspottet die Legionäre, weil sie nicht wagen, uns anzugreifen!“ Schon wollte Herniu losreiten, als er Fabius sagen hörte: „Arminius, laß mich erschlagen, aber fordre nicht das von mir!“ Armin blitzte den ehemaligen Legionär finster an. „Jetzt werde ich dich nicht hinrichten lassen, aber später, wenn es die Römer nicht sehen!“ Fabius senkte demütig den Kopf. Als Herniu im Galopp auf die Römer zusprengte, wandten sie sich ihm zu. Er wußte, daß die marschierenden Soldaten zwar nach der Seite mit Pfeilen schießen, aber kaum treffen konnten. Daher ritt er ziemlich nah an sie heran und hielt. „Ihr Römer! Seht ihr nicht? Dort oben steht euer Gegner! Weshalb zieht ihr vorbei? Ach so, ihr fürchtet euch! Fürchtet euch!“ Sigimunt war hinter den Block geritten und rief von dorther den Soldaten Schimpfworte nach. Herniu schrie: „Feiglinge! Wir werden euch zwingen, uns anzugreifen!“ Einige Pfeile flogen hinter ihm her, verfehlten ihn aber. „Nicht einmal schießen könnt ihr! Ja, im Ausreißen kann man nicht treffen!“ Wieder kamen Pfeile. „Nicht schießen!“ schrie ein Centurio. „Pfeile sparen!““ Herniu ritt noch näher heran: „Ihr Plünderer, Mörder und Sklaventreiber! Nun verbietet euch der fette Varus noch zu schießen. Er hat heute morgen sicher ausgezeichnet gespeist. Ihr aber, hattet ihr etwas? Liefert ihn uns aus, wenn ihr zu feig seid, zu kämpfen!“ Der Block zog schweigend weiter. Ein Reiter kam vom Hügel herab, es war Olfo. „Du sollst zurückkommen!“ Die Römer rückten bis dicht vor die Straßensperre. Einige unbewaffnete Legionäre sprangen vor, um die Baumstämme auseinander zu reißen, aber hinter der Sperre richteten sich Krieger auf und warfen ihre Framen. Die Legionäre sprangen zurück. Einige waren getroffen und stürzten. Scharfe Kommandos. Nun warfen die Römer ihre kurzen Wurfspeere und rannten vor, diesmal mit Schilden. So aber konnten sie schlecht arbeiten. Wieder erschallten Kommandos. Ein Trupp Pfeilschützen trat vor. Andere rannten dicht geschlossen ins Dickicht neben der Sperre. „Hoo-a!“ schrie es, also hatten dort Germanen zum Angriff bereitgestanden. Trotz dieses Gegenstoßes schien die vorderste Legion vorwärts zu kommen. Unbewaffnete rissen die Baumstämme weg. „Hoo-a!“ schrie es wieder. Erneut stürzten sich Germanen auf die Römer, die unter schweren Verlusten zurückwichen. Trotzdem war die Sperre so weit geöffnet, daß die Legion nun mit einer schmalen, tiefen Sturmkolonne durchstieß.
Bald verschwand ein Rechteck nach dem andern durch die Bresche in den Wald. Schon war die Hälfte des Heeres hindurch, als von
hinten auf der Straße Germanen heranrückten, nach ihrer Haartracht zu urteilen, Sweben. „Sie kommen zu spät“, sagte Armin. „Aber die Legionen sollten hier nur aufgehalten werden und haben auch eine bis zwei Stunden verloren.“ Als die Römer völlig im Walde verschwunden waren, ritt Armin auf die Straße und zu der Sperre. Man hatte die Toten, Römer wie Germanen, zur Seite gestoßen, und dort lagen sie friedlich nebeneinander. Armin war vom Pferde gestiegen und ging suchend umher. Herniu war vom Anblick der vielen Toten und der schrecklichen Wunden zu benommen, um zu bemerken, was um ihn herum geschah. Viel schlimmer war der Zustand des Fabius. Er hatte die Hände auf die Augen gepreßt und schluchzte. Schwankend näherte er sich Armin und sagte, ohne den Kopf zu heben: „Nun kannst du mich töten lassen.“ „Das wäre zuviel Mühe“, erwiderte Armin. „Was bist du für ein Mensch! Zuerst gehst du zu uns über, und wenn es heißt zu kämpfen, hängst du mit deinem Herzen noch an unseren Feinden. Lebe weiter, aber komme mir nicht zuviel vor die Augen! Deinem Freund Sigimunt kannst du ausrichten, daß er nicht viel besser ist! Jetzt störe mich nicht weiter! Meine Gefolgschaft soll herkommen!“ Der Gefolgschaft schlössen sich auch Sigimär und die Verwandten Segests an. „Was betrachtet ihr die Toten!“ begann Armin aufgebracht, „überlegt lieber, was wir aus diesem Kampf lernen müssen! Wir haben zuviel Krieger verloren, mehr als die Römer. Hört genau her, denn ihr sollt das den andern Stämmen erklären! Was ist unsere Stärke? Unsere Zahl, und daß wir vorstoßen und zurückweichen können. Das dürfen die Römer nicht, wenn nicht ihre Stärke, die feste Ordnung, verloren gehen soll. Wir müssen schneller vor, aber auch schneller zurück. Das ist jedoch noch nicht alles. Vorhin hörte ich die Römer rufen: ,Nicht schießen! Spart eure Pfeile!’ Das müssen wir uns merken und sie zum Vergeuden ihrer Pfeile veranlassen. Wenn sie sich verschossen haben und keine Pfeile und Wurfspeere mehr besitzen, bleiben ihnen nur die kurzen Schwerter. Da hilft ihnen nichts als das rücksichtsloseste Draufgehen. Wir aber stechen sie mit unseren langen Framen tot, bevor sie uns mit den kurzen Schwertern erreichen können. An der nächsten Sperre gehen unsere Stoßhaufen so dicht an die Römer heran, daß sie schießen oder ihren Speer werfen müssen. Sofort weichen wir zurück, ziehen ihre Spieße oder Pfeile aus unseren Schilden und gehen wieder dicht an sie heran. Wir aber werfen nicht, denn das hieße, ihnen unsre Framen schenken. Bei den vielen Sperren werden sie sich bald verschossen haben. Richtet das den Stämmen aus!“
MELDERITTE Herniu wurde zu den Semnonen, Olfo zu den Cheruskern gesandt. Zuerst hatten sie den gleichen Weg, dann aber kreuzte Herniu die Straße, nicht weit vor den Römern, die er in guter Ordnung ankommen sah. Aus dem Walde rief jemand: „Herniu!“ Wer konnte ihn hier kennen? Als er in den Wald eindrang, stieß er auf die Krieger der Semnonen. „Ist der Blinde auch da?“ fragte der Anführer. „Wir kennen ihn, denn er sang uns in Bojuheim seine Lieder. Du warst damals bei ihm.“ „Auch er ist da. Ich aber suche Welfo, Wolfrits Sohn.“ „Dort drüben.“ Schnell fand Herniu den untersetzten Semnonenführer. Nachdem er die Botschaft gehört hatte, sagte er: „Mir ist die Kampfweise der Römer bekannt. Doch kann der Tag und der Abend vergehen, bevor sie alle ohne Wurfgeschosse sind. Denn wenn die vordersten ihre Pfeile und Speere geworfen haben, treten die nächsten und nach ihnen die letzten vor. Sage das Armin!“ Auf dem Rückritt überquerte Herniu hinter den Römern die Straße. Am Ende der Legionen humpelten Verwundete, auf ihre Wurfspeere gestützt. Auch weiter vorn schien die Ordnung nicht mehr so fest zu sein. Er traf Armin im Aufbruch, denn der wollte mit seiner Begleitung das römische Heer seitlich -überholen. Auch hier hatte Wigimot einen guten Pfad aushauen lassen. Bald bogen sie auf die Straße ein und trabten vor den Legionen, aber von ihnen ungesehen, scharf weiter. Hernius Pferd war müde und kam nur noch schwer mit. Die Gegend begann ebener zu werden. An einer Stelle schaufelten Germanen einen Graben, der die Straße unterbrach. Einige standen bis über die Hüften im Wasser, denn zu beiden Seiten war Sumpf. Von drüben rief Wigimot: „Hier kommst du nicht mehr durch, Armin! Ich gebe dir einen Führer, der dir einen Pfad durch den Sumpf zeigt.“ „Können ihn die Römer nicht auch benutzen?“ „Nur einer hinter dem anderen kann da gehen. Es wäre ein Spaß für uns, sie am Ende zu empfangen. Nein, sie müssen hier durch, und das wird lange dauern!“ Die letzten von Armins Gefolge ritten noch auf dem Pfad, als auf der Straße die ersten Römer erschienen. Sie erreichten auch bald den Graben. Hinter dem Hindernis stand ein Gau Krieger. Niemand konnte den Graben überqueren, ohne niedergestochen zu werden. Zuerst erschienen die Römer ratlos. Dann begannen sie Erde zu holen, die sie in den Graben warfen. Wie lange aber sollte das dauern, um den tiefen, wassergefüllten Einschnitt zu füllen? Daher trieben die Offiziere ihre Legionäre an, nicht nur mit ihren Spaten, sondern auch in ihren Helmen Erde zu tragen. Den Endkampf an dieser Stelle wartete Armin nicht ab, sondern ritt mit Wigimot weiter. Auf einmal sahen sie einen sehr langen, aber ungeordneten Zug Germanen ihnen entgegenkommen. Armin bat Raganhar, die Ankömmlinge zu fragen, wer sie wären. Der Riese sprengte auf seinem mächtigen Pferde den Kriegern entgegen und kehrte gleich darauf mit der Nachricht zurück: „Es sind Brukterer, aber nicht die Brukterer, die bereits mit uns kämpfen. Diese hier sind andere, meist ältere Leute, die zunächst zu Hause geblieben waren.“ Der Zug näherte sich schnell und hielt. Ein Mann trat vor. „Was glaubt ihr, mit welcher Geschwindigkeit sich die Nachricht verbreitet hat, daß ihr die Römer im Sack habt! Wir sind nur die ersten, die sich zu euch auf den Weg gemacht haben. Gib uns Kriegerarbeit!“ „Gut“', erwiderte Armin. „Wigimot führt euch zu einer Stelle, an der wir die Römer zwingen wollen zu übernachten. Dort werdet ihr sie aufhalten.“ Er gab Herniu den Befehl: „Reite noch einmal zu den Semnonen und richte Welfo aus: Neue kampflustige Germanenscharen sind eingetroffen. Sie werden die Römer heute nachmittag, abend und in der Nacht durch Überfälle wachhalten. Welfo aber soll seine Krieger schonen und heute noch bis dahin vorrücken, wo ihn Wigimot erwartet.“ Je mehr sich Herniu der Stelle näherte, wo er die Semnonen vermutete, desto lauteren Gefechtslärm hörte er. Welfo selbst führte seine Semnonen zu einem wuchtigen Stoß in die Flanke der Römer. Viele Verwundete wurden zurückgebracht, und es schien Herniu der schwerste Kampf, der bisher im Walde getobt hatte. Als es stiller wurde, kam Welfo hinkend zurück. Er hatte einen Stich in den Oberschenkel erhalten, den ihm ein Priester unter Murmeln von Zaubersprüchen verband. Währenddessen hörte er Herniu zu, als ob er keinen Schmerz fühlte. „Bringe mich jetzt zu Armin!“ sagte er, nachdem die Wunde verbunden war. „Wulfegar wird meine Semnonen zu Wigimot führen “
DIE ZWEITE NACHT IM WALDE Müde zogen die Römer die Straße weiter. Nur mit Mühe konnten sie noch die Ordnung aufrechterhalten, und die Zahl der hinkenden Verwundeten am Ende der Legionen hatte sich sehr vermehrt. In der Mitte der Truppen saß Varus gebeugt auf dem Pferde. Einem Meldereiter, der von vorne kam, nickte er teilnahmslos zu und antwortete ihm nicht einmal. Hinter ihm folgte der Schwarm von Richtern, Beamten, Steuereintreibern. Nicht weit vor den Römern stand auf einem Hügel Armin zusammen mit anderen germanischen Heerführern. Lebhaft ging er Welfo, der den Hügel hinaufhumpelte, entgegen und deutete auf die ankommenden Legionen. „Ich bin gespannt, was die da unten jetzt tun werden! Wigimot hat jeden Baum auf der Lichtung fällen und fortbringen lassen, damit sie in dieser windigen Nacht keine Lagerfeuer anbrennen können. Vor der Straßensperre hat er außerdem einen tiefen Graben ausheben lassen, so daß sie auch von dort nicht so leicht Holz in ihr Lager zerren können. Gut hat Wigimot diese Stellung ausgesucht. Es gibt hier nämlich kein Wasser. Wenn sich Varus entschließt, hier zu übernachten, wird er das nicht gleich bemerken
und später trotzdem weiterschanzen lassen. Hunger, Durst, Frieren und dauernde Alarme, das kann auch die beste Truppe zermürben.“ Herniu blickte abwechselnd auf die langsam heranmarschierenden Römer und auf die Straßensperre, hinter der ein mindestens fünfzig Mann tiefer und ebenso breiter Block germanischer Krieger sie erwartete. Da überdies auf beiden Seiten der Straße lange Züge auftauchten, Cherusker und Semnonen, mußten die Römer annehmen, es mit der ganzen Macht Armins zu tun zu haben. Sie hielten an, marschierten zu einem großen Rechteck auf und begannen zu schanzen. „Ihr Lager ist zu klein“, sagte Armin zu Welfo. „Wenn wir sie angreifen, stehen sie zu dicht, um sich in der Mitte noch genügend frei bewegen zu können.“ „Also greifen wir sie an!“ erwiderte Welfo. „Wolfrits Sohn, wir kennen deine Taten und verehren dich als großen Helden. Hier aber ist es nicht der kleine Krieg, durch den du im Havellande berühmt wurdest, sondern der große. Wenn wir jetzt angreifen, so können die Legionen vielleicht doch noch durchbrechen. Wir aber wollen keinen Römer - nicht einen einzigen! - aus dieser Falle herauslassen. Diese Nacht werden wir sie wieder nur schwächen. Für morgen aber habe ich ihnen einen anderen Kampfplatz ausgesucht. Das hier ist gewiß eine Falle, aber wir werden sie ihnen öffnen, damit sie freiwillig in die noch gefährlichere gehen. Dort sollst du, Welfo, mit deinen tapferen Semnonen und zusammen mit den Cheruskern den Hauptschlag führen. Wigimot erwartet dich ein Stück weiter vorn und wird dir den Schlachtplan erklären. Ich bleibe die Nacht hier.“ „Also morgen schlägst du mit allen Kräften zu, Armin?“ „Ja, morgen. Laß deine Priester das große Opferfest für morgen abend rüsten! - Aber was ist das? Weshalb läßt du deine Semnonen in zwei Kolonnen nebeneinander marschieren? Das ist doch sehr beschwerlich.“ Welfo blickte verwundert hinunter und antwortete: „Nur die eine Kolonne sind Semnonen. Die anderen müssen, nach ihren Schilden zu urteilen, Hermunduren sein.“ „Auch das verstehe ich nicht“, erwiderte Armin, „denn die Hermunduren sind schon vorbei.“
Inzwischen lösten sich drei bärtige Krieger von den Vorbeiziehenden und erstiegen den Hügel. „Wir sind Hermunduren“, sagte der jüngste, wohl der Anführer der Krieger. „Der Lärm der Schlacht drang bis in unsere Wälder. Da haben sich alle aufgemacht, die noch die Frame werfen können. Was sollen wir tun, Armin?“ „Von Herzen willkommen, tapfere Hermunduren. Ihr kommt sehr zur rechten Zeit, denn diese Nacht ziehen alle anderen zum Schlachtfeld des morgigen Tages und sollen vorher ruhen. Ihr aber entfacht rings um das Lager der Römer in doppelter Weite eines Pfeilschusses Feuer, so große und so viele Feuer, daß Varus glauben muß, alle Germanen lägen hier! Stürzt euch dann plötzlich auf ihre Posten und zieht euch zurück, wenn sie euch angreifen! Viel Mut dürften sie aber nicht mehr haben.“ Die drei Hermunduren lachten. „Wir werden mit Feuerbränden nahe an sie herangehen, damit sie uns genau sehen! Wir werden ihnen zeigen, wie gut es uns schmeckt! Met haben wir auch mitgebracht!“ „Das ist der rechte Geist, Brüder!“ rief Armin. Nun wurde es still auf dem Hügel. Herniu und Olfo ließen sich nieder, sahen es dunkel werden und die Feuer ringsum aufflammen, nur viel näher und dichter dem Römerlager als in der vorigen Nacht. Im Lager aber blieb es dunkel. Die Hermunduren zogen ums Lager und schwangen unter Geschrei brennende Scheite. Niemand antwortete ihnen. Plötzlich gab es Lärm im Lager. Lateinische Kommandos erschallten. „Hoo-a!“ schrien rauhe Kehlen. Dann ebbte der Lärm ab. Wieder loderten nur die Flammen der Feuer, vor denen sich schwarze Schatten bewegten. Es begann zu regnen, und der Regen wurde immer stärker. Dazu blies heftig der Wind vom fernen Rhein her. Fröstelnd zogen sich Herniu und Olfo zu Armins großem Feuer zurück. Ein alter Krieger belehrte sie, wie sie die Schilde ans Feuer stellen müßten. „Wenn ihr sie zu nah stellt, reißen sie. Wenn ihr sie aber nicht trocknet, könnt ihr sie morgen in der Schlacht nicht brauchen. Sie wären zu schwer, und die Lederbespannung würde sich lösen.“ „Und die Römer?“ fragte Herniu. „Sie haben keine Feuer.“ „Ihre Schilde sind freilich fester als unsere. Wenn es aber weiterregnet, halten sie das auch nicht aus. Das Bogenschießen wird ihnen ebenfalls schwer werden. Bei dieser Nässe müssen die Sehnen entspannt werden, sonst sind sie morgen unbrauchbar.“
ARMINS REDE Die Krieger erhoben sich beim Morgengrauen und gingen trotz des Regensturms auf den Hügel, um nach dem Römerlager hinunterzublicken. Einige der Legionäre lagen noch dicht nebeneinander, um sich gegenseitig zu wärmen. Andere wanderten planlos umher. Bald darauf bliesen die Tuben zum Antreten. Hinter dem Lager tauchten die Kriegerscharen der Langobarden auf in ihren Umhängen aus dunklem Leder. Sie sollten nach Anordnung Armins heute den Legionen unmittelbar folgen, aber während des Marsches einen ernsthaften Zusammenstoß vermeiden. Vor den Römern lag das Hindernis, das von den Brukterern bewacht wurde. Neben den Römern zogen die schreienden und tobenden Hermunduren her, die allerdings keine ernsthaften Gegner waren. Hatte es aber für die Römer einen Wert, sie anzugreifen? Sie mußten vorwärts. Bald bewegten sie sich auch auf das Hindernis zu, an dem es einen kurzen Kampf gab, worauf die Brukterer zurückwichen. Die Legionäre warfen Erde in den Graben, schleppten die Baumstämme zur Seite und begannen mit dem Vormarsch gegen den heftigen Wind, der ihnen den Regen ins Gesicht peitschte. Drohend folgten ihnen die geschlossenen Haufen der Langobarden. Armin setzte sich mit seiner Gefolgschaft zu Pferde, trabte vorwärts und bog zur Straße ab, auf der er in scharfem Trab weiterritt. Herniu konnte sich nicht vorstellen, was das für ein Schlachtfeld sein könnte, das eine so schlimme Falle für die Römer werden sollte. Er hatte aber noch nie eine große Schlacht gesehen. Das Gelände war wellig und teilweise mit Wald bedeckt. Es erschien nicht besonders günstig für einen Angriff auf die noch immer unerschütterte Macht der Legionen.
Beim Herausreiten aus einem düsteren Waldstück fand Herniu die Talsohle von einem mächtigen Hindernis gesperrt. Auf den Hängen hatten sich zu beiden Seiten zwei gewaltige Heere aufgestellt, rechts die Cherusker und einige andere der zwölf Stämme, links die Semnonen, Hermunduren und, an ihren hellen Schilden erkenntlich, die Chatten. Alle Stämme waren in festen Blocks aufmarschiert, aus denen die Feldzeichen und Götterbilder der Stämme und Gaue herausragten. Langsam ritt Armin mit seiner Gefolgschaft zwischen den beiden Heeren. Die Männer schlugen mit den Framen gegen die Schilde, die wegen ihrer Nässe heute dumpfer klangen als sonst. Er wartete, bis der Lärm verstummt war, und rief: „Germanen! Söhne des Ingo, des Irmin und des Isk! Eure Götter stehen zu euren Häuptern, euren Sieg zu sehen! Auf dem Wege hierher sind die Legionen des blutigen Kaisers, sind die Richter und Blutsauger! In diesem Hufeisen werden wir sie zerschmettern! Nie mehr soll ein Römer euch zu Sklaven machen, eure Kinder erstechen, eure Greisinnen erschlagen! Schwört bei Tiu, schwört bei Wuotan, schwört bei Nerthus, schwört bei Frija, daß kein Römer von hier entkommen darf!“ Ein alter Priester trat vor: „Schwört!“ „Wir schwören!“ hallte es von beiden Hängen. Nun schlug Armin seine Frame an den Schild, und all die ändern schlugen ebenfalls an ihre Schilde. Zwei von Armins Meldereitern galoppierten herbei. „Sie kommen!“ schrie Armin. „Und Sieg!“ „Und Sieg!“ erscholl es mächtig durch das Tal. DER ENDKAMPF Armin und seine Gefolgschaft galoppierten zum Schlachthaufen der Cherusker, neben dem unbeweglich Ruwala mit Kranz und Apfel, der Priester mit dem nach oben gerichteten Schwert Tius und Tursinhilda mit dem Bildnis der Frija standen. Neben sie stellten sich Armin und Sigimär. Schweigend blickten alle zur Straße hinab, auf der die ersten Legionäre sichtbar wurden. Ein römischer Meldereiter sprengte neben der Straße zurück, sicher um Varus zu berichten, daß die Germanen mit allen Kräften zur Schlacht aufmarschiert wären. Und wenn er umkehrt? dachte Herniu plötzlich erschrocken. Aber wie soll er? Drei Tage mindestens bis zum Sommerlager, ohne etwas zu essen! Unmöglich, er muß kämpfen! Noch bevor alle drei Legionen ins Freie gelangt waren, formierte sich die vorderste zu einem breiten und tiefen Heerhaufen. Nun tauchte Varus mit seinem Stab von Offizieren und Beamten auf. Sie hielten an und schienen zu beraten. Einzelne Germanen riefen höhnische Bemerkungen hinüber. Die meisten jedoch schwiegen und beobachteten, wie sich der Statthalter und sein Gefolge in die Mitte der zweiten Legion begab und auch die dritte zum dichten Heerhaufen aufmarschierte. Hinter ihr brachen die Langobarden aus dem Walde hervor und bildeten, Block neben Block, eine Schlachtordnung im Rücken der Römer. Eine schneidende Stimme kommandierte auf lateinisch: „Vorwärts, marsch!“ Die drei Legionen schoben sich dem Hindernis zu. Ihnen rückten Schritt für Schritt die Langobarden nach. Armin rief mit schallender Stimme: „Ihr Semnonen und Cherusker, fünfzig Schritt vor!“ Die Hänge hinab bewegten sich die germanischen Krieger. Vielleicht hatten die Römer gehofft, das Hindernis schnell zu durchstoßen, aber schon waren ihnen die Semnonen, Cherusker und Langobarden näher als das Hindernis. Neue Kommandos. Die vorderste Legion veränderte ihre Form und wendete sich plötzlich gegen die Semnonen. Die zweite schob sich vor und wendete sich als zweites Treffen ebenfalls gegen die Semnonen. Die hinterste schob sich als drittes Treffen vor und konnte sich nun ebenfalls gegen die Semnonen, aber auch gegen die Cherusker zur
Wehr setzen. Ein schrilles Kommando: „Vorwärts!“ Alle drei Legionen bewegten sich auf die Semnonen zu. „Von allen Seiten drauf!“ schrie Armin. „Hoo-a!“ antworteten Zehntausende von Kehlen, daß es schauerlich vom Walde widerhallte. Den Hang hinab rannten die Semnonen den Römern entgegen, in den Rücken des Feindes stießen die Cherusker, gegen seine Flanke die Langobarden, die Frame hoch erhoben. Noch hatte Armin seiner Gefolgschaft nicht den Befehl zum Angriff gegeben. Herniu stockte der Atem. Zuerst erreichten die Langobarden die Römer von der Seite her. Dort mußten sich die Legionäre gegen die anstürmenden Germanen wenden und blieben hinter den andern zurück. Dadurch ging ihre Ordnung verloren. Die Langobarden drangen in die Lücken ein und stachen die Römer in den ungeschützten Rücken. Nun prallten die Semnonen mit den Legionären zusammen, beide in scharfem Lauf, und stachen aufeinander ein. Die Männer drehten sich und sanken nieder. Ein scharfes Kommando. Die hinterste Legion machte kehrt, denn schon war ihr die lange cheruskische Front nah. Durch den Anprall wurden die Römer zurückgestoßen, freilich nicht weit. Dann hielt die Masse der Legionäre, und auch hier sah Herniu die erhobenen Speere niedersausen. Plötzlich wichen die Semnonen zurück. Einige Römer rannten ihnen nach, die meisten aber richteten sich hinter einem Wall von Toten und Verwundeten aus. Wer noch Leben in sich fühlte, versuchte sich nach der römischen oder nach der semnonischen Seite zu retten. Beide bereiteten sich auf einen neuen Stoß vor. Nun wichen die Cherusker ebenfalls, und zahllose Gefallene blieben liegen. Nur bei den Langobarden wurde noch gekämpft, bis ihr Führer sie mit gellender Stimme zurückrief. Die Legionäre rannten hilflos durcheinander. Herniu hatte erwartet, mit diesem Angriff von drei Seiten müßte die Schlacht gewonnen sein. Als nun die Germanen überall zurückgegangen waren, sah er zu Armin hinüber, der den Blick unbeweglich auf die Römer gerichtet hielt. Herniu folgte seinem Blick, sah aber nichts, außer daß in der Mitte der römischen Truppen ein großes Durcheinander herrschte. „Vater!“ sagte Armin, „siehst du Varus?“ „Nein“, erwiderte Sigimär, „aber was ist das für ein Rauch?“ Auch Herniu bemerkte, daß mitten aus dem römischen Heer Rauch aufstieg. Wozu brauchten sie während der Schlacht ein Feuer? Von den Cheruskern kam jemand gerannt. Es war Ursilo, der Läufer. Verwundete Germanen zogen sich hinter die semnonischen Krieger zurück. Die Heeresmasse aber hatte sich inzwischen erneut fest zusammengeschlossen, Schild an Schild. Keuchend langte Ursilo bei Armin an. „Ingwiomär läßt sagen: Varus ist verwundet! Die Römer haben ihn zurückgezogen.“ „Deshalb also sahen wir ihn nicht mehr! Was bedeutet der Rauch?“ „Auch wir wissen es nicht.“ „Lauf zu Ingwiomär! Die Semnonen sind zum neuen Kampf bereit. Schon stoßen sie vor. Die römische Flanke ist von den Langobarden eingedrückt und beginnt sich aufzulösen. Die Cherusker sollen wieder angreifen!“ Herniu sah die Semnonen immer schneller vorwärts laufen, und die Entfernung zu den Römern wurde immer geringer. Ihre Schilde hoben sich wie eine Welle. Darüber ragten die Fäuste mit den stoßbereiten Framen. „Hoo-a!“ schallte es. Von den Cheruskern löste sich ein Reiter und sprengte heran. Schon von weitem rief er etwas und schwang Frame und Schild. Seine Worte wurden jedoch vom Geschrei der Semnonen übertönt. „Was ist?“ rief Armin dem Boten entgegen. „Varus“, schrie der Bote, „hat sich das Leben genommen! Seine Leute versuchen seine Leiche zu verbrennen! Wir haben gesehen, wie sich zwei Legionsführer und auch andre vornehme Römer in ihr Schwert stürzten! Wir greifen wieder an!“ „Hoo-a!“ schrien die Cherusker und begannen vorwärts zu stürmen. „Herniu!“ rief Armin. „Galoppiere zu den Langobarden: Sie sollen - halt! Sie greifen schon an! Und wie!“ In die aufgelöste Flanke der Römer fuhren die Langobarden hinein und trieben die nach der Mitte zurückweichenden Legionäre vor sich her. Da erreichten die Cherusker die Römer, und plötzlich war auch dort der Widerstand zu Ende. Kurze Zeit darauf gelang es auch den Semnonen, in die Schlachtordnung der Römer einzubrechen. Dann kämpften nur noch kleine Gruppen von Legionären. Die anderen ließen ihre Schwerter fallen und hoben die Hände. Einige Offiziere schrien Befehle und versuchten in ihre Reihen Ordnung zu bringen.
„Meldereiter!“ rief Armin. „Zu euren Stämmen! Man soll nicht alle Römer töten, sondern die Gefangenen zu den Sammelplätzen vor die Priester führen, die vornehmsten voran! Die Führer der Germanen bitte ich zu dem großen Baum dort auf der Höhe!“ DAS THING DES SIEGES Herniu war wie betäubt. Erst nach einer Weile blickte er sich beim Hinaufreiten um. Mit gesenkten Köpfen zogen Römer zwischen Reihen bärtiger Germanen nach den Sammelplätzen der Stämme. Hinter ihnen auf dem Schlachtfeld sah er in wirrem Durcheinander Menschen, Pferde, Schilde, Helme liegen, überall schleppten sich Verwundete aus dem Gewühl des Schlachtfeldes. Der Anblick war so furchtbar, daß Herniu den Blick abwandte. Vor dem Baum, einer weit ausladenden Buche, stellte sich Ruwala auf. Wie während der Schlacht stand sie feierlich zwischen dem Priester mit dem Schwert Tius und Tursinhilda, die mit starrem Ausdruck das Bildnis der Frija hielt. Sie hatte zum ersten Male eine Schlacht gesehen, aber auch Ruwala schien erschüttert. Neben sie führte man den vorsichtig schreitenden Asni. „Sänger!“ sagte die Priesterin leise, „du kannst nicht sehen, neben wem du stehst. Nimm deine Kappe ab! Nicht stehe der Sterbliche stolz vor Göttern, die des Sieges Größe geben!“
Welfo kam mit dem Träger des roten Wolfes angeritten, saß ab und trat zum Baum. Armin sagte zu ihm: „Welfo, Wolfrits Sohn, tritt rechts neben Sigimär! Du und die anderen Sweben sind geehrte Gäste in diesen Gauen. Wenn die Langobarden und Hermunduren eintreffen, bitte sie neben dich!“ Weitere galoppierten mit ihren Feldzeichen und Götterbildern heran. Armin bat alle, die zu den zwölf Stämmen gehörten, sich links neben Sigimär aufzustellen. So kamen der Herzog der Angriwarier in seinem buntbenähten Umhang, der herrische Ingwiomär, der hellblickende Wigimot, dem Armin freundlich zunickte. Zuletzt ritt langsam der Führer der Marsen heran, von Kriegern gestützt und den Kopf dick mit einem durchbluteten Zeugstreifen umwunden. Auch andere zeigten Spuren der blutigen Schlacht und sahen erregt und müde aus. Ihre vom Regen nassen Haare hingen ihnen wirr in die Stirn. Da der Führer der Marsen nicht mehr stehen konnte, half man ihm vorsichtig zu einem Platz, wo er sich niederließ. Niemand sprach, die Blicke der Versammelten aber schweiften hinunter nach dem eben verlassenen wüsten Schlachtfeld und den Feuern, die eins nach dem ändern auf den Höhen aufflammten. Der regnerische Tag neigte sich seinem Ende zu. Ein Priester trat vor. „Das Thing des Sieges ist eröffnet!“ Die Anführer schlugen an ihre Schilde. „Nun singe uns der Sänger vom Sinn der Stunde!“
Der Blinde begann mit dumpfer Stimme: „Nacht war um Twisto, Nacht des Nichts. Unter der Buche beugt' er den Rücken, horchte ins Dunkel, hörte nichts. Zum Himmel hob er die Augen, kein Mond, kein Stern kam hervor. Zum Winde wandt er das wehrhafte Antlitz, kein Wind wehte Wahrheit. Da weinte der Waltende über der Welt. Doch von ferne fuhr es durch den Wald wie Wölfe. Und von ferne flammten Fackeln. Durch das Dickicht drang es. ,Enkel, endlich erblick ich euch, Ingo, Irmin und Isk! Was fassen eure Finger so fest?’ Sprachen da Ingo, Irmin und Isk: ,Mit Riesen rangen wir ums Recht, daß wieder Freiheit walte. Hier halten wir des Riesen Haupt.’“ In diesem Augenblick hielt Armin einen abgeschlagenen Kopf an den Haaren hoch und sprach: „Das war Publius Quinctilius Varus, Statthalter von Ober- und Niedergermanien und Feldherr des Augustus. Seine Leute versuchten seine Leiche zu verbrennen. Aber schneller waren unsere Krieger. Nur einmal in der Geschichte Roms ging ein Heer in solcher Weise zugrunde, durch Hannibal, den Karthager.“ Der Blinde sang weiter: „Drei Tage rangen wir unter den Riesen, wir, die Enkel Twistos. Drei Nächte schwangen wir schneidend das Schwert. Aus klaffender Brust quoll ihnen Blut. So ließen sie ihr Leben.“ Wieder wurde der Sänger unterbrochen, denn drei Priester traten hervor. Sie trugen römische Feldzeichen. Der Sänger rief: „Die Stämme stampften zu Staube Roms Heer vom Rhein, drei Legionen. Gewaltig über sie schreiten der Germanen Götter.“ Die Priester warfen die Legionsadler auf den Boden, und über sie hinweg schritt die bekränzte Ruwala, den Apfel in der Hand. Ihr folgten Tursinhilda mit dem Frijabildnis und der Priester mit dem Schwerte Tius. Danach wurden die Götter- und Feldzeichen über die Adler Roms getragen, und alle stellten sich wieder auf, wo sie vorher gestanden hatten. Asni begann erneut: „Das sprach Twisto: ,Ihr stampftet in den Staub der Riesen Stolz. Jedoch wer waltet über der Welt, muß des Kommenden Keime kennen. Es rufen die Riesen in Riesenheim Rache. Was wartet ihr, bis neue Waffen sie schmieden und schleifen die Schneiden?'“ Der verwundete Marse versuchte in großer Erregung sich zu erheben und rief: „Ja, den Rhein überschreiten, um auch die Gallier zum Aufstand zu wecken!“ „Wahr ist es!“ schrie Ingwiomär. Welfo trat vor. „Wir kämpften hier als loser Bund und ohne Herzog, denn unklug wäre es gewesen, vorher zu wählen. Armin aber war es, der uns zum Siege führte. Drum soll er im kommenden Krieg unser Herzog sein.“ Kräftig und lange schlugen die Führer der Stämme gegen ihre Schilde.
WORTERKLÄRUNGEN
Adonis
Advokat
Beamter
Bojuheim (Bojoheim) Centurie
syrischer Gott von strahlender Schönheit, der schon als Jüngling stirbt. Bei seinem jährlichen Fest pflegten die Priester die Auferstehung des Gottes mit wilden Freudentänzen zu feiern. Adonis wird meist als Verkörperung der im Herbst sterbenden und im Frühling wieder belebten Natur gedeutet dieses Wort war schon im alten Rom gebräuchlich, bezeichnet aber nicht ganz das, was wir heute darunter verstehen. Es gab damals noch keine staatlichen Universitäten mit einem festgelegten Lehrplan und auch keine juristischen Staatsexamen. Die Advokaten waren nicht nur Rechtsberater, sondern verdienten noch auf viele andere Arten Geld. Der Konkurrenzkampf zwischen ihnen tobte mit den gemeinsten Mitteln. Ähnlich war es bei den Ärzten zur Zeit des Augustus waren die Beamten noch nicht fest angestellt. Sie kamen mit einem Statthalter oder einem andern Machthaber in ihr Amt und versuchten sich während der oft recht kurzen Amtszeit auf jede Weise zu bereichern. Ihre Bestechlichkeit war allgemein bekannt das Land der (keltischen) Bojer, heute Böhmen, in das die slawischen Tschechen erst später einwanderten
von dem lateinischen Wort centum = hundert abgeleitete Bezeichnung für die Hundertschaft. Sie entspricht unserer Kompanie. Ihr Anführer hieß Centurio Cheiron (lat. ein Kentaure, das heißt, ein Pferd mit menschlichem Oberkörper. Da Cheiron gelehrt und weise war, wurde er nach einander und neugriechisch: teilweise widersprechenden griechischen Sagen zum Erzieher verschiedener Helden Chiron) Denar römische Silbermünze Feldzeichen bei Römern wie Germanen ein Tierbild auf einer Stange, das in der Schlacht hochgehalten wurde, weil die Krieger im Getümmel oft die Richtung verloren und am Feldzeichen erkennen konnten, in welcher Richtung sie kämpfen mußten. Im Mittelalter traten an Stelle der Feldzeichen die Fahnen Frame der altgermanische Spieß, der sowohl zum Werfen wie zum Stechen diente. Sie war bedeutend länger als der römische Wurfspeer, vermutlich etwas über Körperlänge Fürst altniedergermanisch furisto, englisch first, wörtlich Erster. Zur Zeit Armins gab es zwar einen Stammesadel, aber noch nicht mit den Vorrechten des späteren Feudaladels. Es bestand noch die sogenannte militärische Demokratie mit dem Thing, der Versammlung aller Freien, in dem die Fürsten zwar ein gewichtiges Wort redeten, aber überstimmt werden konnten Herakles (lat. Hercules) Herzog Horaz Kohorte König Legion Lieder
Liktoren
der berühmteste Sagenheld Altgriechenlands von unerhörter Kühnheit und Kraft ein gewählter, nicht erblicher Anführer der Krieger, „der vor dem Heere zog“. Selbst der tyrannische Markomannenherzog Marobod (in manchen Büchern auch Marbod genannt) konnte das Thing seines Stammes nicht ganz umgehen Quintus Horatius Flaccus (65 bis 8 v. u. Z.), berühmter römischer Dichter aus der Zeit des Augustus Teil der römischen Legion, etwa 500 Mann stark. Sie entspricht unserem Bataillon im Gegensatz zum damaligen Herzog, ein Herrscher auf Lebenszeit. Die Einrichtung des Königtums widersprach den germanischen Auffassungen dieser Zeit große Einheit des römischen Heeres, etwa unserer Division entsprechend. Zur Zeit des Augustus war sie bis zu 10000 Mann stark die frühen Germanen verwendeten keine Endreime, z. B. Ich kann sie kaum erwarten Die erste Blum im Garten (Goethe) sondern den Stabreim (Anfangs-Buchstaben-Reim, Alliteration), bei dem meist drei Anfangsbuchstaben in der Zeile gleich waren, z. B.: Hiltibrant enti Hadubrant untar heriun tuen (Hildebrant und Hadubrant zwischen Meeren zweien) (aus dem Hildebrantslied, 8. Jahrh. u. Z.) Aus der Zeit Armins und aus den folgenden Jahrhunderten ist uns nicht eine einzige germanische Dichtung erhalten. Wir wissen nicht, inwieweit die frühen Heldenlieder rhythmisch waren und ob sie schon zu einem Saiteninstrument gesungen wurden. gingen hohen Beamten voraus, machten ihnen im Gedränge Platz und achteten darauf, daß dem hohen Herrn Ehrerbietung erwiesen wurde. Auf der Schulter trugen sie ein Bündel Ruten, die um ein Beil gebunden waren, um Leute auszupeitschen oder zu enthaupten .
Manipel
Teil des römischen Heeres, etwa 200 Mann
Namen
die Namen der germanischen Fürsten aus den Kämpfen mit den Römern kennen wir nur in vermutlich entstellter Form aus lateinischen und griechischen Quellen, z. B. Segimerus, was als Sigimär (Siegberühmt) gedeutet wird. Armin heißt in den Quellen Arminius oder Armenios. Ob das sein Name unter den Römern war und er einen anderen Namen unter den Germanen hatte (ähnlich seinem Bruder Flavus, was auf lateinisch „der Blonde“ heißt), wissen wir nicht. Kleist nennt ihn in seiner „Her mannsschlacht“ Hermann, was nach neueren Forschungen sicher falsch ist
Nachtalben
d. h. Nachtgeister, vom Worte Alb kommt unser Elf. Wenn wir aber an den Elfenreigen denken, so ist das eine spätere
Verniedlichung der ursprünglichen, durchaus nicht immer harmlosen Alben Papyros
Phalanx Priester
die Römer schrieben, außer auf die mit Wachs bestrichenen Täfelchen, auf die in Ägypten erfundenen Streifen aus den Stengeln der Papyrosstaude, der ältesten Art Papier. Das römische Buch war eine Papyrosrolle, von der man beim Lesen jeweils das benötigte Stück aufrollte. Sie wurden in Behältern aufbewahrt, die sich am treffendsten mit unseren runden Papierkörben vergleichen lassen griechische Bezeichnung der geschlossenen Schlachtfront, in der die Römer, aber auch Armin und Marobod in ihren großen Schlachten kämpften man denke sich die Priester der Germanen nicht als abgesonderten Stand. Es waren angesehene Leute, die z. B. vor heiligen Bäumen die Opfer darbrachten. Sie sprachen Recht, eröffneten das Thing, trugen in der Schlacht das Feldzeichen und feuerten die Kämpfer an. Ihre Macht war, wie die der Fürsten, durch das Thing, die Volksversammlung, beschränkt Rechnen das Zusammenzählen war bei den unpraktischen römischen Ziffern recht schwierig. Beispiel: CXLVII =
147
+ CCLIX = + 259 = CDVI = 406 Man versuche selbst festzustellen, wie man mit diesen Ziffern malnehmen oder teilen will! Dezimalzahlen waren unbekannt Sklaven
die meisten Sklaven der Römer in dieser Zeit stammten nicht aus Italien, sondern waren ehemalige Kriegsgefangene oder von Seeräubern und Händlern auf den Sklavenmärkten gekaufte Ausländer, die vielfach nicht richtig Lateinisch konnten. Es gab aber auch Sklaven römischer Herkunft, die z. B. aus wirtschaftlicher Not unfrei geworden waren oder deren Eltern sie in der Sklaverei geboren hatten. Die in diesem Buch erscheinenden Sklaven sind Haussklaven, denen es verhältnismäßig gut ging. Die Acker-, Bergwerks- und Rudersklaven aber lebten vielfach in Verhältnissen, die nur mit den Zuständen in Konzentrationslagern verglichen werden können. Der alte Sekretär Licius gehörte schon vor seiner Freilassung zur ausgesprochenen Sklavenaristokratie, also zu denen, deren Stellung besser war als die mancher mittelloser Freier
Steuerpacht
das System der Steuererhebung durch Pächter herrschte bis ins 18., teilweise 19. Jahrhundert u. Z. hinein in fast ganz Europa. Es führte, wie schon unter den Römern, zu solchen Mißbräuchen, daß in der Großen Französischen Revolution einige Steuerpächter enthauptet wurden da im alten Germanien die Flüsse noch nicht eingedämmt waren, ist das Land außerordentlich sumpfig und neblig gewesen, besonders im flachen Norden. in unserer historischen Literatur pflegt der Umhang Mantel genannt zu werden. Da man sich aber bei diesem Wort meist ein Wintergewand mit Ärmeln vorstellt, es sich hier jedoch um ein einfaches Stück Tuch oder Fell handelt, verwende ich das für uns treffendere Wort Umhang. Er wurde von Mann und Frau getragen, aber nur, wo er nicht störte. Bei vielen Arbeiten, bei der Jagd oder in der Schlacht verzichteten die Germanen oft darauf, wie es die römischen Reliefs deutlich zeigen. Die Kinder waren in der Hütte, wie es scheint, stets nackt eigentlich Castra Vetera (Altes Lager), am Rhein bei Xanten, nahe der holländischen Grenze. Umfangreiche Ausgrabungen haben einen Teil der Römerstadt freigelegt die Römer waren sehr abergläubisch und hatten sogar ein Gesetz gegen die Zauberei, nach dem z. B. der berühmte Arzt Galen von Neidern seines Erfolges wegen angeklagt wurde. Ähnlich steht es mit den alten Germanen. Die Nazis behaupteten, ihre Vorfahren hätten an Zauberei nicht geglaubt und wären überhaupt ein Kulturvolk von Anbeginn gewesen. Bei den Germanen gab es aber sowohl im Götterkult Zauberriten, vor allem den Fruchtbarkeitszauber, wie auch das „Besprechen“ und ähnliches die Römer sind für den Wucher mit Zinsen bekannt, die für unsere Begriffe unglaublich hoch waren
Sumpf Umhang
Vetera Zauberei
Zinsen
Bemerkungen zu der Karte von der Schlacht im Teutoburger Walde: Man hat durch Grabungen festzustellen versucht, wo diese Schlacht stattgefunden hat, aber bisher erfolglos. Ebenso steht es mit dem befestigten Lager von Aliso, von dem nur bekannt ist, daß es an der Lippe lag. In den historischen Atlanten sind für das Schlachtfeld wie für Aliso je drei Stellen angegeben, die sich auf die Vermutungen von Delbrück, Mommsen und anderen stützen.
ZEITTAFEL 63 42 17 15 12 11 7
v.u.Z.
6-4 6 2 1 3 u. Z. 4 6
7 7-9 7 (?) 7.-9. Sep. 9.-11. Sep.
Augustus geboren Varus geboren Armin geboren Germanicus gehören Drusus beginnt die Germanenfeldzüge über den Rhein Drusus gründet das befestigte Lager Aliso an der Lippe Tiberius zwingt die Markomannen zum Abzug vom Main nach Bojuheim. Sie vertreiben unter Marobod dort den Gotenfürsten Katwalda Varus Statthalter in Syrien Lucius Domitras Ahenobarbus kämpft gegen die Hermunduren Ahenobarbus fällt ins Havelgebiet ein, wo die Semnonen nicht zur Abwehr bereit sind Ahenobarbus fällt ins Land der Cherusker ein Marobod unterwirft die Semnonen (Niederlausitz) und Langobarden (Mecklenburg) Tiberius besiegt die Cherusker und zwingt sie, Hilfstruppen zu stellen Sentius Saturninus, Statthalter von Obergermanien, marschiert mit 6 Legionen gegen Marobod von Moguntiacum (Mainz) aus, Tiberius mit 6 Legionen von der Donau her. Marobod mit 70 000 Mann, 4000 Reitern und Hilfstruppen der Semnonen und Langobarden, zusammen 140 000, weicht aus und erregt die Pannonier und Dalmatiner (zusammen 209000 Mann) zum Aufstand gegen Rom, so daß Sentius Saurninus und Tiberius sofort umkehren müssen - Marobod schließt Frieden mit der Römern und verrät die Pannonier und Dalmatiner - Varus wird Oberbefehlshaber am Rhein Varus will Germanien zwischen Rhein und Weser zur Kolonie machen Krieg des Tiberius und Germanicus gegen Pannonier und Dalmatiner Arminius und sein Bruder Flavus werden römische Ritter. Rückkehr des Arminius zu seinem Vater Segimerus Gastmahl bei Varus, Anklage des Segestes gegen Arminius und Segimerus Schlacht im Teutoburger Walde
INHALTSVERZEICHNIS
BEI DEN CHERUSKERN Weg durch die Regennacht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Das Lied vom Boten Twistos, des erdgeborenen Gottes . . . . . . . 8 Am Flusse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Die heimliche Botschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Ankunft der Cherusker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Eine bedeutsame Versammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Tumbald . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Blutsbrüderschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Eine römische Abendgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Nachts in der Römerstadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Der Auftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 DIE GESANDTSCHAFT ZU MAROBOD Weg durch die Auen des Mains . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Das neue Lied vom Boten Twistos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Der Überfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Im Gebirge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Zusammentreffen mit Welfo, dem Semnonen . . . . . . . . . . . . . . . . 46 Das Lied vom Kampfe der Freunde Welfo und Wodal . . . . . . . . . . 48 Eine Treibjagd . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Marobod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Kampf mit dem Elch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Bei der Kräuterfrau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Wulfegar, Wolfrits Sohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Wuotans Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 Zu Marobod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 Im Lager der Markomannen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Die rätselhafte Gesandtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Hernius Versuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Vorführung des Markomannenheeres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Der Empfang bei Marobod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Angebot eines heimlichen Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9l Im Nebel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .94 Asni singt den Markomannen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Abschied von den Markomannen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Ein Wiedertreffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .102 Ahnentiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 Wo ist Sentius Saturninus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 Streit unter den Semnonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Der Hermundure Liutiprant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Aufbruch von den Semnonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
SCHILDBELEHNUNG Zum Lande der Cherusker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Swidun, der Schwache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bei Sigimär . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kampfübungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Streit mit Segest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Um Sigimunt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ursilo, der Läufer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Lied von Tiu und dem Riesen Raganhar . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Opfer für Tiu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tanz zwischen den Schwertern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Belehnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
119 121 l24 128 131 134 136 141 143 145 148
DIE PRIESTERIN DER FRIJA Die unfreien Chauken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Eine Sturzjagd . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Ursilos Botschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
Das Winterlager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zum Hain der Frija . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ruwala. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Apfel der Frija. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
161 163 166 170
HERNIU LERNT Bärenjagd . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Bund des Apfels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tursinhilda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Riese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Advokat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
172 176 178 181 185
Lobillas Pläne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Über die Brücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hinter dem Vorhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Artemios . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abendunterhaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Schwur beim Feste der Nerthus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
190 192 194 196 200 203
DER STEUERPÄCHTER Im Schwitzbad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
Sekretär . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Versteigerung der Unterpachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschäfte, Geschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besprechung im Cheruskerlager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bei Varus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gefährliche Pläne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Segestesburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herniu und Sigimunt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ritt zum Weserlager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bei Armin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . In Lobillas Haus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Geschäft blüht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
210 213 221 224 226 232 235 241 244 247 250 253
VERWICKLUNGEN Wigimot, der Sugambrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . In Tafana . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Siedlung am Schwarzen Moor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Spaßmacher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Centurio im Moordorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besuch auf dem Hügel über der Weser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . In der Schenke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der neue Leibwächter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Bund der Zwölf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mord . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unfrieden beim Überfürsten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eine schlaue Verdächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neue Intrigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
254 261 262 264 266 272 273 277 282 286 291 294 297
DIE SCHLACHT AN DER STRASSE DER QUELLEN Der Aufstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufregungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Abschiedsmahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . An der Furt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwei unruhige Nächte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auf dem Marsch durchs Gebirge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beginn der Schlacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die erste Nacht im Walde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kampf an der Straßensperre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Melderitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die zweite Nacht im Walde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Armins Rede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Endkampf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Thing des Sieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karte von Germanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
303 308 310 313 316 322 325 333 338 345 348 352 355 359 364
Karte von der Schlacht im Teutoburger Walde . . . . . . . . . . . . . . . . 365 WORTERKLÄRUNGEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 Bemerkungen zu der Karte von der Schlacht im Teutoburger Walde 370
ZEITTAFEL. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371
Vom gleichen Autor sind erschienen:
HERNIU UND ARMIN Illustrationen von Kurt Zimmermann 332 Seiten, Ganzleinen mit Schutzumschlag, 7,50- DM Für Leser von 13 Jahren an
DER NEGER NOBI Illustrationen von Hans Baltzer 96 Seiten, Halbleinen cellophan., 4,- DM Für Leser von 8 Jahren an
TRINI Illustrationen von Kurt Zimmermann 344 Seiten, Halbleinen mit Schutzumschlag, 5,80 DM Für Leser von 13 Jahren an
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