Atlan - Der Held von
Arkon
Nr. 237
Hexenkessel der
Transmitter
Das Erbe der Ahnen beherrscht ihre Welt - und das T...
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Atlan - Der Held von
Arkon
Nr. 237
Hexenkessel der
Transmitter
Das Erbe der Ahnen beherrscht ihre Welt - und das Todesspiel bestimmt ihr Dasein von Dirk Hess Das Große Imperium der Arkoniden kämpft um seine nackte Existenz, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums schwer zu schaffen machen. Die inneren Feinde Arkons sind die Herrschenden selbst, deren Habgier und Korruption praktisch keine Grenzen kennen. Gegen diese inneren Feinde ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristallprinz von Arkon, bereits mehrmals erfolgreich vorgegangen. Selbst empfindli che Rückschläge entmutigen ihn nicht und hindern ihn und seine Helfer nicht daran, den Kampf gegen Orbanaschol III. den Diktator und Usurpator, mit aller Energie fort zusetzen. In diesem Kampf hatte Atlan mit dem wiederbelebten Körper Gonozals, seines Va ters, kurzfristig eine neue wirksame Waffe gegen Orbanaschol. Doch dann, nach dem Abflug von Perpandron, der Welt der Goltein-Heiler, kommt es auf Atlans Raum schiff zu folgenschweren Ereignissen, von denen alle Besatzungsmitglieder der ISCHTAR betroffen werden. Akon-Akon, der mysteriöse junge Mann, der auf Perpandron an Bord genommen wurde, entpuppt sich bei seinem Erwachen als Psycho-Tyrann. Mit seinen unheimli chen Fähigkeiten beherrscht er die Männer und Frauen der ISCHTAR und dirigiert sie nach seinem Willen. Nachdem er Atlan und Fartuloon auf Ketokh zurückgelassen hat, zwingt er die Be satzung der ISCHTAR, Kledzak-Mikhon anzusteuern, den Planeten der Loghanen. Dort kämpft man im HEXENKESSEL DER TRANSMITTER …
Hexenkessel der Transmitter
3
Die Hautpersonen des Romans:
Snayssol - Ein wißbegieriger Eingeborener von Kledzak-Mikhon.
Rassafuyl, Tamoyl und Kenyol - Obmänner der Loghanen.
Hover-Maracul - Ein Opfer der Schwarzen Tore.
Akon-Akon - Herr der ISCHTAR.
Ra - Der Barbar unternimmt eine Rettungsexpedition.
1. Die Station des Magnortöters Das Universum war schon immer voller Legenden, Widersprüchlichkeiten und unge klärter Phänomene. Die Geschichten der Raumfahrer wurden ständig ergänzt. Farben prächtige Ausschmückungen, verliehen ih nen zusätzlichen Reiz. Im unendlichen Kos mos gab es Dinge, die Vergangenes, Gegen wärtiges und Zukünftiges miteinander ver schmelzen ließen. In den galaktischen Le genden herrschte die Einheit von Raum und Zeit. Der Magnortöter Klinsanthor war eine solche Legende. Niemand kannte den Magnortöter. Nie mand wußte, wie er aussah, und keiner hatte seine Bekanntschaft lebend überstanden. Dennoch war Klinsanthor ein häufig ver wandter Name in kosmischen Legenden. Schreckliches und Faszinierendes rankte sich um die Figur des kosmischen Töters. Aus Fartuloons Erzählungen hatte ich mir ein bestimmtes Bild von Klinsanthor ge schaffen. Dieses Bild war diffus und unbe stimmbar. Sein Gesicht nahm niemals feste Konturen an. Der Magnortöter war für mich zum Inbegriff des Schrecklichen geworden. Man brauchte Klinsanthor nur zu rufen, und er würde kommen. Kosmische Entfernungen spielten dabei keine Rolle. Klinsanthor würde den Ruf ver nehmen und sich auf den Weg machen. Mein Gegenspieler Orbanaschol III. hatte den Magnortöter gerufen. Ich wollte den Mörder meines Vaters vom arkonidischen Thron hinwegfegen – doch Orbanaschol hat te den Magnortöter auf mich gehetzt. Ich hatte lange gebraucht, um diese Tatsa
che zu verdauen. Kein Arkonide hatte den Befehl Orbana schols verwirklichen können: Bringt mir At lans Kopf! Ich erfreute mich bester Gesund heit. Trotzdem war meine Lage verzweifelt. Klinsanthor, der Unheimliche, hatte mich und Fartuloon erwischt. Es war bekannt, daß Klinsanthor seine Tötungsaufträge mit abso luter Perfektion erledigte. Doch warum zögerte der Magnortöter mit der Hinrichtung? Weil Orbanaschol den Lohn für unseren Tod verweigerte? Ich wußte es nicht. Der Unheimliche hatte sich zurückgezogen und wünschte keinen Kontakt mit seinen Opfern. Fartuloon ging unruhig vor mir auf und ab. Die matten Frontscheiben der desakti vierten Bildschirme reflektierten seinen massigen Körper. »Wie sieht der Magnortöter aus?« fragte ich. »Diese Frage hast du mir schon oft ge stellt«, erwiderte der Bauchaufschneider. »Du weißt genau, daß ich sie dir nicht beant worten kann. Aber ich ahne, was du damit ausdrücken willst. Du suchst eine Möglich keit, um mit dem Unheimlichen ins Ge spräch zu kommen. Ich zweifle daran, ob das jemals möglich sein wird …« Ich unterbrach meinen Freund abrupt. »Er sprach mit uns über seine Absichten. Er hätte uns töten können, doch er legte alle Karten offen auf den Tisch. So benimmt sich kein seelenloser Henker.« »Das stimmt.« Fartuloon nickte. »Klinsanthor hätte uns töten können. An scheinend ist sein Handel mit Orbanaschol noch nicht perfekt. Wenn der Herr über das Große Imperium den vereinbarten Lohn zahlt, wird Klinsanthor uns töten.« »Es kann noch allerhand dazwischenkom
4 men, Fartuloon!« Das Schweigen in der Zentrale der großen Raumstation war bedrückend. Kein Stäub chen lag auf den Schaltkonsolen. Die Hebel und Tasten luden uns förmlich dazu ein, sie zu benutzen. Doch das hätte keinen Sinn ge habt. Die Instrumente würden unseren Be fehlen nicht gehorchen. Obwohl wir inzwi schen viele Räume der Station betreten konnten, waren wir wie in einem riesigen Käfig gefangen. Unsere Lage war grotesk. Wir kannten den Kerkermeister mit Na men, doch das war auch schon alles. Wir wußten nicht, wie er aussah, und was er wirklich dachte. Wir kannten den Ort unse rer Gefangenschaft, doch wir hatten keine Chance, aus eigener Kraft hier auszubre chen. Das Gefängnis war perfekt. Perfekter als das gefürchtete Raumgefängnis TorrenBox. Wir mußten gegen das aufkommende Ge fühl der Ohnmacht ankämpfen. Ich dachte an Scolaimon Nove. Wir hat ten den Gestaltenwandler kurz nach unserem Eintreffen hier kennengelernt. Nove war ebenfalls Gefangener des Magnortöters ge wesen, und er war wahnsinnig geworden. Um zu überleben mußten wir den Unglückli chen töten. Sollte uns ein ähnliches Schick sal bevorstehen? Sollten wir hier warten und langsam verrückt werden, um dann von zu künftigen Gefangenen des Magnortöters um gebracht zu werden? »Ob uns Klinsanthor seelisch ruinieren will?« Fartuloon sah mich nicht an. Er starrte verbissen zu Boden und zog die Knie an den Oberkörper an. Dann legte er sein Kinn dar auf und schloß die Augen. »Wir zerbrechen uns hier den Kopf, ob wir leben oder sterben müssen«, begann der Bauchaufschneider langsam. »Aber was draußen in der Galaxis geschieht, daran den ken wir nicht mehr. Im Kampf gegen Orba naschols Gewaltherrschaft sind wir nur zwei Figuren im Garabo-Spiel. Wir können jeder zeit ersetzt werden. Es gibt genügend tapfere
Dirk Hess Arkoniden, die unseren Kampf fortsetzen können …« »Unsere Freunde auf der ISCHTAR zum Beispiel!« »Die werden uns längst abgeschrieben ha ben«, stieß Fartuloon kehlig hervor. »Klinsanthor wollte uns das deutlich vor Augen halten. Warum hätte er uns sonst auf dem Bildschirm gezeigt, daß unser Raum schiff einen fernen Planeten ansteuert?« Ich erinnerte mich an die Szenen, die un ser Kerkermeister auf dem Bildschirm ein geblendet hatte. Die dreihundert Meter große ISCHTAR steuerte eine Sauerstoff welt an. Ich wußte nicht, in welcher galakti schen Region sich dieser Planet befand. Er konnte zehn, hundert oder auch hunderttau send Lichtjahre von der Station des Magnor töters entfernt sein. »Was suchen unsere Freunde auf dem Planeten?« fragte ich. Fartuloon zuckte mit den Schultern. »Uns bestimmt nicht. Möglicherweise ist der Planet für Akon-Akon wichtig. Aber das ist auch nur eine Vermutung. Unsere Freun de befinden sich auch nicht gerade in der be sten Lage. Dieser merkwürdige Junge, den wir auf Perpandron fanden, ist schuld an al len Veränderungen. Seine geheimnisvollen Kräfte haben uns auf Welten verschlagen, von denen wir bisher keine Ahnung hatten. Der Magnortöter hat sich diesen Umstand zunutze gemacht. Wir waren hilflos, und er hat uns gefangengenommen.« Ich wollte nicht mehr an Akon-Akon den ken. Ich mußte unbedingt Kontakt mit dem Magnortöter aufnehmen. Wenn er uns de monstrieren wollte, wie unbedeutend wir im Ränkespiel galaktischer Ereignisse waren, so war ihm das nur zum Teil gelungen. Mei ne Vermutung war kühn. Warum sollte ein Wesen, das sich vor keiner Macht zu fürch ten brauchte, uns psychisch vernichten? Klinsanthor sollte über solche Regungen er haben sein. Er war mächtig und unnahbar. Aber vielleicht schufen diese Eigenschaften das bedrohliche Gefühl der Einsamkeit. Ein mächtiger Einsamer konnte gefährlich wer
Hexenkessel der Transmitter den. Seine Reaktionen waren unbestimmbar. »Ob er sich noch einmal meldet?« »Selbstverständlich«, stieß Fartuloon her vor. »Wenn er ausgeträumt hat, wird er über unser Schicksal entscheiden.« Ich sah mich um. Die grauen Bildschirme schienen alle eine andere Geschichte zu er zählen. Eine Geschichte war die Geschichte der ISCHTAR. Ich wußte, daß unser Raum schiff zur Landung auf jenem unbekannten Planeten ansetzte, den wir vorhin auf dem Bildschirm gesehen hatten. Meine Gedanken schweiften ab. Ich versuchte mir vorzustel len, welche Wesen diesen Planeten bevöl kerten. Ich fragte mich, ob sie meine Freun de willkommen heißen würden, oder ob sie in ihnen und der ISCHTAR eine gefährliche Bedrohung aus dem All sahen. Obwohl ich den fremden Planeten noch nie zuvor gese hen hatte, kam er mir auf einmal sehr ver traut vor. Ich besaß genügend Phantasie, um mir seine Oberfläche plastisch ausmalen zu können. Vor meinem geistigen Auge ent stand die Wunderwelt einer fremdartigen Zi vilisation. Das Gedankenspiel lenkte mich von der ständigen Bedrohung durch den Magnortöter ab. In diesem Augenblick waren wir beide uns sehr ähnlich: Henker und Delinquent überließen sich den eigenen Träumen! Ich hoffe, daß dieser unwirkliche Zustand bald zu Ende sein würde.
2. Kledzak-Mikhon, Planet der Schwarzen Tore Snayssol war anders als die anderen Log hanen, die den Planeten bevölkerten. Er war ein Erbe. Eines Tages würde er vom Trium virat in die engere Wahl eines Bewerbers um den höchsten Posten gezogen werden, den die loghanische Gesellschaft zu verge ben hatte. Es war nicht ausgeschlossen, daß Snays sol einmal in das Triumvirat gewählt werden würde.
5 Doch der Gedanke daran erfreute ihn nicht. Das Amt verlangte Selbstaufgabe und ein asketisches Leben. Als Wissender war man automatisch von den anderen Loghanen isoliert. Das Wissen über die Vergangenheit des Planeten machte die Mitglieder des Triumvirats zu Geheim nisträgern erster Klasse. Kein anderer Log hane durfte ihr Wissen besitzen. Snayssol jedoch strebte nach diesem ver botenen Wissen, ohne auf die Annehmlich keiten seines Lebens verzichten zu wollen. Er wollte Licht in das Dunkel der Vergan genheit bringen. Er wollte mehr über die Herkunft der Loghanen erfahren. Er wußte bereits, daß sie nicht auf dieser Welt entstan den waren. Der verlassene Raumhafen von Poal-To bewies das zur Genüge. Das Triumvirat hatte sämtliche Spuren ausgetilgt, die Hinweise auf die Vergangen heit geben konnten. Snayssols ungewöhnlich hoher Intelli genzquotient hatte ihn in den Rang eines Er ben versetzt. Er brauchte sich nicht um sei nen Lebensunterhalt zu kümmern. Er konnte tun und lassen was er wollte. Während die anderen seiner Artgenossen zu Überwa chungsarbeiten in den automatischen Fabri ken herangezogen wurden, trieb er Müßig gang. Dabei war ihm einiges aufgefallen. Er war rein zufällig darauf gestoßen, daß es in seinem Volke keine Wissenschaftler mehr gab. Die hochentwickelte Technik von Kledzak-Mikhon stagnierte. Die Loghanen kümmerten sich zwar um die Wartung der Maschinen, doch sie entwickelten die tech nischen Errungenschaften nicht mehr weiter. Warum kümmerten sich die Loghanen nicht um den Fortschritt? Warum war es verboten, nach der Ver gangenheit zu fragen? Wer hat die Raumschiffe verschwinden lassen? Snayssol trottete langsam auf die Lich tung zu. Vielstimmiges Vogelgeschrei er füllte den Wald. Die Flora und Fauna von Kledzak-Mikhon war vielfältig und wies die unterschiedlichsten Arten auf.
6 Ein kreisrunder See tauchte vor dem Log hanen auf. Snayssol legte den bunten Kreuzgurt ab, den er quer über der Brust trug. Er atmete tief durch, und sein breiter Brustkorb wölbte sich wie eine Tonne vor. Die Luft in den Wäldern von Sover-Kar war frisch und un verbraucht. Hier herrschte nicht das Gedrän ge wie in den großen Städten. Das Wasser war frisch und kühl. Snayssol schöpfte es mit Hilfe seiner vier gliedrigen Hände und trank in tiefen Zügen. Nachdem sich die Wellen gelegt hatten, sah er sein Spiegelbild im Wasser. Er sah den schimmernden grünen Pelz, der seinen Kör per bedeckte. Seine Ohren ragten spitz in die Höhe. Sie verliehen ihm etwas Tierisches. Man konnte den Eindruck gewinnen, er wür de ständig auf der Lauer liegen. Seine Nase war platt, und seine dunklen Lippen verbar gen ein kräftiges Raubtiergebiß. Snayssol wußte, daß es auf ganz KledzakMikhon keine Tierart gab, die mit den Log hanen verwandt war. Das hatte nichts zu be deuten. Doch es bestärkte den Erben in der Annahme, die Loghanen würden nicht von diesem Planeten stammen. Snayssol warf einen Stein ins Wasser. Die Wellen zerstörten sein Spiegelbild. Ich muß den Morgo-Morgon noch vor Einbruch der Dunkelheit in die Falle locken, dachte Snayssol. Ich habe bereits zuviel Zeit verloren. Der Kampf mit dem Grauhaarigen sollte morgen nacht stattfinden. Ihm blieben also nur noch vierunddreißig Stunden. Wenn er ohne den Morgo-Morgon auf dem Kampf platz erschien, war er erledigt. Der Grauhaa rige würde ihn töten, ohne zu zögern. Snayssol wußte, daß die Morgo-Morgons regelmäßig an diesen See kamen. In den späten Nachmittagsstunden erfrischten sie sich im Wasser. Es war jedoch schwer, einen gehörnten Morgo-Morgon zu fangen. Die Tiere waren intelligent und ungewöhn lich flink. Plötzlich schrillte ein lautes Wiehern durch die Luft.
Dirk Hess Snayssol sprang auf. Sein Körper dehnte sich. Er neigte lauschend den Kopf vor. Er wußte, daß ganz in der Nähe ein Mor go-Morgon um sein Leben kämpfte. Snayssol wurde nervös. Wenn sich ein an derer Loghane einen Morgo-Morgon fangen wollte, würde es zu einem Kampf auf Leben und Tod kommen. Snayssol durfte sich das Reittier von keinem anderen wegschnappen lassen. »Das wirst du bereuen«, zischte Snayssol vor sich hin. »Der Morgo-Morgon gehört mir!«
* Das Unterholz wurde dichter. Snayssol kam nur mühsam voran. Er hatte die Fang schnur fest um seine Schulter geschlungen. Der spitze Dolch steckte im Gürtel. Er hatte bewußt auf eine Energiewaffe verzichtet, um die Patrouillen des Triumvi rats nicht auf sich aufmerksam zu machen. Vorsichtig teilte er die dornenbewehrten Äste zu seiner Linken. Der schmale Spalt im Dickicht gestattete ihm einen Blick auf den schräg ansteigenden Hang. Außer ein paar niedrigen Büschen wuchs dort nichts. Lang stielige Fieberblüten reckten sich aus dem Unterholz. Er mußte aufpassen, daß er sie nicht berührte, denn die klebrigen Sekrete aus dem Innern der Blüte übertrugen eine tödliche Krankheit. Das gequälte Stöhnen des Morgo-Mor gons ließ noch einmal die Luft erzittern, brach dann abrupt ab. Snayssol knirschte mit den Zähnen. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, daß ein anderer Loghane einen Morgo-Morgon quäl te. Es gehörte viel Geduld und Fingerspitzen gefühl dazu, um ein solches Tier an den Rei ter zu gewöhnen. Manche schafften es nie, anderen gelang es innerhalb weniger Stun den. Ein Morgo-Morgon ließ sich zu nichts zwingen. Wenn ihm der Geruch des Logha nen nicht gefiel, würde er niemals zulassen, daß sich der Mann auf seinen Rücken
Hexenkessel der Transmitter schwang. Snayssol wich den Fieberblüten geschickt aus. Er kroch zwischen den Dornenbüschen hindurch. Dann stand er unmittelbar vor dem Hügel. Weiter oben flatterten ein paar schwarze Vögel auf. Er steht auf der anderen Seite des Hügels, schoß es Snayssol durch den Kopf. Der Loghane bewegte sich vollkommen lautlos vorwärts. Darin war er ein Meister. Viele Loghanen hatten es längst verlernt, sich der Natur des Planeten anzupassen. Sie lebten in vollklimatisierten Räumen und brauchten sich um nichts zu kümmern. Nicht einmal um die Nahrung. Die wurde ihnen durch ein positronisches Regelsystem prak tisch auf den Tisch serviert. Vorsichtig ließ sich Snayssol auf den Bo den gleiten. Er zog, den Dolch aus dem Gürtel und stützte sich mit der Linken hoch. Die Luft war stickig. Gluthitze lastete über dem Land. Vor ihm lagen mehrere Felsen. Dicht hin ter dem Hügelkamm ging es über mehrere Bodenwellen hinweg schräg abwärts. Der Boden war sandig. Über fast tausend Meter hinweg wuchs weder ein Baum noch ein Strauch. Jetzt ertönte das Wimmern eines jungen Morgo-Morgons. Snayssols Kopf ruckte nach rechts herum. Eine Felsengruppe versperrte ihm den Blick. Er bewegte sich lautlos auf allen vieren vor wärts. Als der Sand unter ihm wegrutschte, umklammerte er eine Luftwurzel; die aus dem Boden ragte. Der Fremde hat den Morgo-Morgon mit einem Jungtier in die Falle gelockt, ging es ihm durch den Kopf. Das ist einfach, wider spricht aber den elementaren Regeln der Jagd. Kein Morgo-Morgon würde sich je mals zum Reittier ausbilden lassen, wenn es durch ein Jungtier in die Falle gelockt wor den war. Das Tier würde ewig daran denken. Snayssol kniff seine geschlitzten Augen zusammen. Ich muß sofort eingreifen, dachte er bei sich. Der Fremde quält den Morgo-Morgon
7 unnötig. Als er den röchelnden Atem des gefange nen Tieres erneut vernahm, konnte er sich nicht mehr beherrschen. Er ließ die Luftwur zel los und rutschte den Abhang in einer auf wirbelnden Staubwolke hinunter. Sein An griffsschrei dröhnte durch den Talkessel. Dann landete er auf allen vieren am Boden. »Wo steckst du?« schrie Snayssol laut und vernehmlich. »Zeige dich! Ich will mit dir um den Morgo-Morgon kämpfen.« Außer dem Wimmern des kleinen Tieres war nichts zu hören. Snayssol lief auf die Felsgruppe zu, die wie eine rohe, unbehauene Skulptur vor ihm aufragte. Sein Atem ging keuchend. In sei ner Rechten blitzte der Dolch. »Sei kein Feigling! Stell dich zum Kampf!« Plötzlich vernahm Snayssol das erregte Keuchen des Fremden. Es klang fast so, als würde man die Luft aus einem Blasebalg pressen. Aber kein normaler Loghane gab solche Geräusche von sich. Snayssol ver langsamte seine Gangart. Die Felsen waren noch knapp zehn Meter von ihm entfernt. »Was ist los? Hat es dir die Sprache ver schlagen?« Der Fremde antwortete wieder nicht. Statt dessen ertönte gieriges Schmatzen. Doch auch diese Geräusche verstummten sofort wieder. Irgendein schwerer Gegenstand wurde aufgehoben. Dann waren schwere Schritte zu hören, die sich rasch vom Ort des Geschehens entfernten. »He, bleib stehen«, schrie Snayssol. Mit wenigen Sätzen umrundete er die Fel sengruppe. Eine schmale Sandmulde lag jetzt offen vor ihm. Links öffnete sich ein weiterer Trichter. Fangleinen lagen am Bo den. Doch das war nicht das Schlimmste. Snayssol erschauerte, als er den sterbenden Morgo-Morgon erblickte! Er spürte, wie sich sein Nackenpelz sträubte. »Wo steckst du?« schrie Snayssol. Er hielt den Dolch stoßbereit in der Rechten. »Ich werde dich dafür töten.« Der Fremde war verschwunden. Bis auf
8 die Fangleinen, und die großen Fußabdrücke im Sand war nichts mehr von ihm zu sehen. Die Spuren verrieten Snayssol, daß der Mann in großen Sätzen davongesprungen war. Die dünne Einkerbung des rechten Ab drucks bewies, daß der Jäger hinkte. Snays sol wurde erst jetzt gewahr, daß die Ab drucke ungewöhnlich tief waren. Sein Geg ner war viel größer und schwerer als er. Snayssol fragte sich vergeblich, weshalb der Fremde den Morgo-Morgon so übel zu gerichtet hatte. Die Vorder- und Hinterbeine des Tieres waren brutal zusammengebunden worden. Das Tier konnte sich keinen Zentimeter be wegen. Es lag schmerzverkrümmt in der Sandkuhle. Im Nacken klafften tiefe Wun den. Sie rührten von einem stumpfen Gegen stand her. Seitlich quoll ein dunkelroter Blutstrom hervor. Der fremde Jäger mußte versucht haben, den Morgo-Morgon bei le bendigem Leibe zu verspeisen. Snayssol zitterte vor Wut und Abscheu. Er wich dem flehenden Blick des Tieres aus. Dann packte er blitzschnell den Dolch, holte schwungvoll aus und stieß ihm dem Morgo-Morgon bis zum Heft in den Nacken. Dort saßen die lebenswichtigen Nerven. Wurden sie durchtrennt, starb das Tier von einem Atemzug zum anderen. Der Morgo-Morgon zitterte noch einmal, dann entspannten sich seine verkrampften Glieder. In die starr werdenden Augen trat ein friedlicher Glanz. Snayssol atmete schwer. Der Gnadentod war das einzige, womit er dem Tier noch dienen konnte. Salzige Trä nen liefen ihm über die Wangenknochen und nisteten sich in seinem Gesichtspelz ein. Er sah die Sonne wie durch einen Schleier hin durch. Dann stand er neben der anderen Sand kuhle. Er wischte sich die Tränen aus den Au genwinkeln. Das Jungtier stand unbeholfen da. Es zerrte an dem Lederriemen, mit dem es der Unbekannte an einen Pfahl gefesselt hatte. Das Tier war höchstens zwei Monate
Dirk Hess alt. Es konnte noch nicht allein durch die Wälder ziehen. Es mußte erst noch lernen, wie man sich Nahrung beschaffte. Snayssol kniete neben dem zitternden Kleinen nieder. Die Nüstern waren gebläht, und die großen Augen unnatürlich weit auf gerissen. Als er ihm beruhigend über den flauschigen Pelz strich, spürte er das Pochen der beiden Herzen. Sie hämmerten in schnellem Rhythmus. Die Halsadern hoben sich reliefartig ab. »Ganz ruhig, mein Kleiner«, flüsterte Snayssol. »Ich schneide dich jetzt los.« Der Dolch blitzte noch einmal auf, dann war das kleine Tier frei. Es machte ein paar unbeholfene Schritte, doch dann knickte es mit den Vorderbeinen ein. Seine schwachen Kräfte reichten nicht aus, um es wieder auf die Beine zu bringen. Snayssol lächelte. Der Lebenswille des kleinen Morgo-Morgons war ungebrochen. Er würde es zur Herde der großen MorgoMorgons zurückbringen. Anschließend woll te er sich den grausamen Jäger vorknöpfen. Das schwor er sich in diesem Augenblick. »Ich trage dich zu deinen Artgenossen«, sagte Snayssol und nahm das kleine Tier mit beiden Händen hoch. Er ging quer durch den Talkessel. Er ahn te nicht, daß jede seiner Bewegung beobach tet wurde. Er konnte auch nicht wissen, daß der Fremde noch ganz in der Nähe war, um sein grausiges Mahl zu beenden.
* Der Steppenboden erzitterte unter dem Trommelwirbel unzähliger Hufe. Sie kommen näher, erkannte Snayssol. Jetzt darf ich keinen Fehler machen, sonst bekomme ich nie ein Reittier. Obwohl die Sonne schon ziemlich tief stand, herrschte noch starke Hitze. Die Luft über den Felsen flimmerte. Über dem Blät terdach des Dschungels trieben Wolken von Insekten. Snayssol kauerte mit dem kleinen MorgoMorgon nieder. Eine Bodenwelle bot ihm
Hexenkessel der Transmitter Deckung. Er strich sanft über die Nüstern des kleinen Tieres. Es hatte inzwischen ge merkt, daß Snayssol ihm nichts antun wollte. Ich muß sie ganz dicht an mich heran kommen lassen, dachte Snayssol. Je näher, desto besser. Wenn ich beim ersten Wurf da nebentreffe, kann ich die Jagd aufgeben. Der kleine Morgo-Morgon spürte die Nä he seiner Artgenossen. Er wollte sich aus Snayssols Griff entwinden. Sein Wimmern war schwach und kläglich. »Gib doch Ruhe«, stieß Snayssol unge duldig hervor. »Gleich kannst, du laufen.« In der Ferne erschien eine Staubwolke. Sie wurde rasch größer. Gelber Staub wurde unter den Hufen der Morgo-Morgons aufge wirbelt. Jetzt konnte man bereits einzelne Tiere erkennen. Sie preschten im Höllentem po über die Ebene. Snayssol spürte eine nie gekannte Erregung in sich aufsteigen. Das Jagdfieber hatte ihn gepackt. Er begann sich vorzustellen, wie er auf dem Rücken eines so prachtvollen Tieres durch die Wälder ga loppieren würde. Die Fahrt mit einem offe nen Gleiter war überhaupt nichts dagegen. Die Technik war etwas Künstliches. Beschleunigte man einen Gleiter über das erlaubte Maß hinaus, wurde die Steuerung von der Lenkzentrale des Triumvirats blockiert. Der Fahrer erhielt eine Verwar nung. Nach mehrmaligem Verstoß gegen die Geschwindigkeitsbegrenzung wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen. Snayssol verzog verächtlich die Mund winkel. Er verachtete die Gesetze des Tri umvirats. Er war der geborene Rebell. Jetzt befeuchtete er den zweiten Finger seiner Rechten mit Speichel. Er hielt die Hand hoch. Der Wind kam aus derselben Richtung, aus der die Herde heranpreschte. Zufrieden lächelnd gab Snayssol dem klei nen Tier einen Schubs auf die Hinterbacken. »Geh schon, Kleiner! Gleich bist du wie der bei den anderen. Verrate ihnen aber nichts von mir!« Snayssol lachte leise. Er sah, wie der klei ne Morgo-Morgon über die Grasbüschel hoppelte. Er blieb mehrmals stehen und
9 schnappte angestrengt nach Luft. Dabei warf er den langgestreckten Kopf in den – Nacken und stieß einen Lockruf aus. Er hat te die Witterung seiner Artgenossen aufge nommen. Doch der Abstand zur Herde war noch zu groß, und sein Stimmchen zu schwach, um die Entfernung zu über brücken. Snayssol nahm die zusammengerollte Fangleine von der Schulter. Die Herde war noch knapp zweitausend Meter von ihm entfernt. Der Leit-Mor go-Morgon jagte wie ein schwarzer Blitz über die Ebene. Das spitze, knapp ein Meter lange Horn ragte wie die Spitze einer Rakete in den Vordergrund. Vom Kopf bis zum Schwanz war der ausgewachsene MorgoMorgon ungefähr drei Meter lang und zwei Meter hoch. Das gedrehte Horn war eine ernstzuneh mende Waffe. Von sich aus griffen die Mor go-Morgons niemals an. Sie waren Pflan zenfresser. Doch wenn es darum ging, die Herde gegen einen Jäger zu verteidigen, dann würde der Morgo-Morgon sein Stirn horn wie eine Lanze benutzen. Snayssol kroch flach auf dem Boden vor wärts. Er hielt erst inne, als er fünfzig Meter von dem kleinen Tier entfernt war. Jetzt schrillte das Wiehern des LeitMorgo-Morgons durch die Luft. Snayssol sah, wie das Tier stehenblieb. Die anderen Tiere warteten in sicherer Ent fernung. Sie bildeten einen dichten Kreis. Sie haben das Kleine entdeckt, erkannte Snayssol. Jetzt dauert es nicht mehr lange, und sie werden es in die Herde zurückholen. Snayssols Nerven waren bis zum Zerrei ßen angespannt. Wenn sich in diesem Au genblick der Wind drehte, waren seine Be mühungen umsonst gewesen. Er preßte sich dicht auf den Boden. Er konnte die Erde rie chen. Er hörte das Summen der Insekten. Seine Rechte umklammerte fest die Fanglei ne. Das Leittier trottete jetzt langsam auf das kleine Tier zu. Die beiden begrüßten sich wiehernd. Die Nüstern waren gebläht, als sie
10 sich beschnupperten. Plötzlich warf das Leittier den Kopf her um. Es äugte aufgeregt um sich. Snayssol kauerte sich noch tiefer nieder. Die Grashalme bedeckten ihn völlig. Der Morgo-Morgon konnte ihn einfach nicht se hen. Und doch mußte das Leittier etwas wahrgenommen haben. Es wird mir durch die Lappen gehen, schoß es dem Jäger durch den Kopf. Mein Geruch liegt im Fell des Kleinen. Das ist es! Trotzdem durfte sich Snayssol jetzt nicht zu unbedachten Handlungen hinreißen las sen. Jetzt kam es darauf an, wer die stärke ren Nerven besaß. Er oder das Leittier. Ein Morgo-Morgon ließ seine Artgenossen nie im Stich. Erst recht kein hilfloses Jungtier. Das große Tier leckte den Nacken des Kleinen ab. Dabei äugte es aufmerksam in alle Richtungen. Dann schien sich sein Miß trauen zu legen. Es schubste den Kleinen vorsichtig mit der Schnauze vorwärts. Das sollte heißen: Geh doch schon! Oder soll ich dich etwa im Nacken packen und zu den anderen tragen? Die Herde rührte sich nicht. Mehr als sechzig Augenpaare waren auf das Leittier und das Junge gerichtet. Der Staub, den die Hufe aufgewirbelt hatten, legte sich nur langsam. Snayssol ließ die Fangleine durch die Fin ger gleiten. Er berührte die Eisenkugeln, die in regelmäßigen Abständen am Seil befestigt waren. Als er den verstärkten Griff zwischen den Fingern spürte, packte er zu. Er sprang blitzschnell auf und ließ die Fangleine mehr mals um seinen Kopf kreisen. Die Eisenku geln erzeugten einen seltsamen singenden Ton. Das Leittier wurde vollkommen überrum pelt. Es sprang auf den Hinterbeinen hoch und schnaubte wild. Sein Horn stand senk recht in die Höhe. »Aieeeee!« schrie Snayssol und ließ die Fangleine auf den Morgo-Morgon zuschnel len. Es gab ein klatschendes Geräusch, als die Eisenkugeln gegen den muskulösen Nacken
Dirk Hess des Morgo-Morgons schlugen. Vom eigenen Schwung vorwärts gerissen, schlang sich die Leine mehrmals um den Hals des Tieres. Snayssol schlang das Ende der Leine um sein Handgelenk. Er stand breitbeinig da und erwartete den Angriff des Leittiers. In zwischen hüpfte das Junge davon und näher te sich der Herde. Jetzt warf sich der Morgo-Morgon herum. Das Jungtier war in Sicherheit. Nur darauf hatte das Leittier gewartet. Es preschte mit weitausholenden Sätzen davon. Die Hufe trommelten in rasendem Stakkato auf den Steppenboden. Snayssol hatte damit gerechnet, daß der Morgo-Morgon kämpfen würde. Dennoch wurde er von der Heftigkeit des Versuchs überrascht. Die Fangleine spannte sich. Snayssol stemmte sich gegen die Zugrichtung und umklammerte die Leine mit beiden Händen. Dann gab es einen mörderischen Ruck, und Snayssol stürzte zu Boden. Staub wirbelte auf. Snayssol wurde rasend schnell über den Boden gezerrt. Er lag zuerst auf dem Bauch. Dann brachte er sich durch eine Körperdrehung halb auf die Seite. Die Welt schien einen Höllenreigen um ihn her um zu veranstalten. Sand verklebte ihm die Augen. Scharfkantige Steine zerfetzten sei nen Kreuzgurt. Seine Schreie wurden vom Wiehern des Morgo-Morgons übertönt. Er wird mich so lange durch die Steppe zerren, bis kein Fetzen mehr von mir übrig ist, schoß es Snayssol durch den Kopf. Mehrere Felsen kamen in Sicht. Snayssol umklammerte die Fangleine, als hing sein Leben davon ab. Der Morgo-Morgon war noch schneller geworden. Als die Felsen ganz nahe waren, bäumte sich Snayssol ruckhaft auf. Für einen kurzen Augenblick stand er auf den Füßen, sah den Felsbrocken vor sich und schlang das Seil blitzschnell um ihn herum. Staubwolken standen in der Luft. Plötzlich gab es einen entsetzlichen Ruck. Der Morgo-Morgon wieherte schmerzgeplagt. Dann herrschte
Hexenkessel der Transmitter Totenstille. »Hat dich wohl ganz schön mitgenom men, mein Freund«, murmelte Snayssol schwer atmend vor sich hin. Er verknotete die Leine um die schmälste Stelle des Felsen und ging langsam auf das Tier zu. In den Staubwolken, die sich lang sam legten, sah er den mächtigen, schwarzen Körper am Boden liegen. Der Morgo-Mor gon rührte sich nicht. Der Jäger wußte aber auch, daß die Mor go-Morgons äußerst raffiniert waren. Im Falle einer Gefahr stellten sie sich tot, um den Jäger im geeigneten Augenblick aus schalten zu können. Die Nackenhaare des Tieres waren ge sträubt. Die Fangleine schnürte den schlan ken Hals ein. Die Eisenkugeln verhinderten das Nachrutschen. »Ich helfe dir«, flüsterte Snayssol. »Schön ruhig bleiben!« In der Ferne rief die Herde nach dem Leit tier. Der Wind trug das ungeduldige Schnau ben der Tiere heran. Plötzlich ruckte der Kopf des gefangenen Tieres hoch. Sein Schnauben klang kläglich. Die Herde würde es nicht hören. Snayssol achtete darauf, daß er dem ge fährlichen Stirnhorn nicht zu nahe kam. Er bedeckte die Nüstern mit den Händen. Dabei spürte er das Zittern des mächtigen Körpers. Ein Morgo-Morgon war stolz. Er würde sei ne Niederlage erst dann überwinden, wenn sein Gegner bewies, daß er der Stärkere war. Erleichtert stellte Snayssol fest, daß sich das Tier beim Sturz nichts gebrochen hatte. Jetzt drehte die Herde ab. Snayssol richte te sich auf. Er sah den langgezogenen Halb kreis aus Tierleibern, und er erblickte auch das neue Leittier. Ein junger Morgo-Morgon hatte jetzt die Funktion des Anführers über nommen. Nachdem sein Vorgänger nicht zur Herde zurückgekehrt war, mußte er seine Artgenossen aus der Nähe des loghanischen Jägers führen. »Das Spiel ist aus«, rief Snayssol trium phierend. Der Morgo-Morgon bäumte sich noch
11 einmal auf. Die straff gespannte Fangleine drückte ihm die Luft ab. Snayssol lockerte die Leine unter dem Kehlkopf des Tieres. »Du hast Durst«, meinte Snayssol. »Das Rennen hat dich erschöpft. Dachte ich mir. Aber du mußt dich noch ein Weilchen ge dulden. Durst gehört dazu, um dich gefügi ger zu machen.«
3. Die Opfer der Schwarzen Tore Der Boden schien unter den Hufen des Einhorns hinwegzufliegen. Snayssol lag dicht an den Nacken des Morgo-Morgons gepreßt. Aus der Fangleine hatte er primitive Zügel geknüpft. Das Tier gehorchte jeder Anweisung. Es würde ihn überall hintragen. Snayssol hatte sich geschworen, den Jäger zu finden, der einen Morgo-Morgon ange lockt und grausam zugerichtet hätte. Die Loghanen waren im Grunde keine Jä ger. Das bequeme Leben in den Städten der drei Kontinente gewährte ihnen alle Vergün stigungen, die man sich denken konnte. Die automatischen Fabriken produzierten Kon zentrate, Kunstspeisen und angereicherte Getränke in ausreichender Menge. Nur wenige Loghanen wußten noch in der Wildnis Bescheid. Snayssol war einer da von. Er klopfte den Morgo-Morgon gegen den Hals. »Langsam, du verausgabst dich ja völlig!« Schnaubend verlangsamte das Tier seine Gangart und tänzelte unruhig auf der Stelle. Es wurde dunkler. Die Sonne stand wie ein riesiger Glutball am Horizont. Dunkle Wolken ballten sich am Himmel. Es wurde rasch kühler. Ein frischer Wind wehte aus westlicher Richtung. Das Steppengras ra schelte, und in der Ferne ertönte das Brüllen eines Aasfressers. Ich muß die Spur des fremden Jägers fin den, bevor die Nacht alles zudeckt, sagte Snayssol zu sich selbst. Unmittelbar vor ihm wölbte sich der Fel senhügel im Abendhimmel. Die beiden
12 Sandkuhlen waren nur noch als schwarze Löcher erkennbar. Das war die Stelle gewe sen, an der der Fremde den Morgo-Morgon in die Falle gelockt hatte. Snayssol ließ sein Reittier an die Sand kuhle herantraben. Das Tier sträubte sich. Seine Nackenhaare stellten sich auf. Es wit terte den Geruch des Fremden, und es spürte die Nähe des Todes. Plötzlich glaubte Snayssol erstarren zu müssen. Der tote Morgo-Morgon ist verschwun den, durchzuckte es ihn. Der Kerl ist also zurückgekehrt und hat sich seine Beute doch noch geholt. Ohnmächtige Wut erfaßte den Loghanen. Im Zwielicht entdeckte er ein paar abgenag te Knochen. Dunkle Fellfetzen lagen im Sand. Snayssol riß seinen Morgo-Morgon her um. Im Sand zeichneten sich die tiefliegen den Spuren des Fremden deutlich ab. Sie führten zu den Felsen hinüber. Weiter hinten bildete ein düsterer Dschungelstreifen eine hohe Mauer. Mit der hereinbrechenden Dun kelheit erwachte auch das Leben der Nacht tiere. Ihr Geschrei gellte durch das Dickicht. Jetzt verließen die hungrigen Räuber ihre Höhlen. Raubvögel schwangen sich in die Nacht empor und spähten nach Beute aus. Die Spur des Fremden war nicht zu über sehen. Neben dem Felsbrocken hatte der Jä ger kurz innegehalten. Knochen und blutige Fleischbrocken lagen auf dem Boden. Als Snayssol näher kam, flatterten ein paar kleine Vögel auf, die sich an den Re sten gütlich taten. Der Morgo-Morgon wurde immer nervö ser. Schweiß glänzte auf seinem schwarzen Fell. Die Nüstern waren weit gebläht, und die großen Augen waren starr vor Angst. »Du bist nicht allein«, flüsterte Snayssol dem erregten Tier ins Ohr. »Ich werde mit dem Jäger abrechnen. Darauf kannst du dich verlassen.« Je näher Snayssol an den Dschungel her ankam, desto unruhiger wurde er. Was ist, schoß es ihm durch den Kopf,
Dirk Hess wenn der Fremde auf mich lauert. Ich reite ahnungslos näher und, und er schleudert sei nen Dolch. Es gab noch andere Waffen, mit denen der Fremde ihn erledigen konnte. Die weni gen Jäger, die sich in den Wäldern und Ebe nen von Kledzak-Mikhon behaupteten, wa ren recht erfinderisch in der Wahl ihrer Waf fen. Snayssol hatte schon von Blasrohren gehört, mit denen vergiftete Pfeile abge schossen wurden. Einige sollten sogar Waf fen der Ahnen entdeckt haben. Es war jetzt stockfinster geworden. Am Himmel schimmerten die ersten Sterne. Die Steppe war schwarz, im Wald dagegen gab es helle und dunkle Stellen. Kleine Leucht käfer schwirrten durch das Blattwerk. An anderer Stelle spien die Knallschoten ihre leuchtenden Samen aus. Die kleinen schwef lig leuchtenden Dinger lockten Insekten zur Befruchtung an. Ihr Licht reichte aus, um sich im Dickicht zurechtzufinden. Snayssol wurde das unangenehme Gefühl nicht los. Eine innere Stimme warnte ihn da vor, weiter in den nächtlichen Dschungel vorzudringen. Doch er wollte jetzt nicht auf geben. Er sah in der Konfrontation mit dem grausamen Jäger eine letzte Möglichkeit, vor dem Ed-Schun-Kampf seine Stärke zu be weisen. Die niedrige Mauer war größtenteils von üppig wuchernden Pflanzen bedeckt. Snays sol erkannte die Mauer erst, nachdem sein Morgo-Morgon sich weigerte, weiterzutra ben. Snayssol ließ sich zu Boden gleiten. Er hielt die Zügel locker in der Rechten und sah sich lauernd um. Das rettete ihm das Leben. Plötzlich stand eine massige Gestalt auf der niedrigen Mauer. Der Fremde hielt einen mattglänzenden Gegenstand in der Hand. Ein Tuch bedeckte seine linke Körperhälfte. Der Kopf war leicht schräg geneigt. Es gab einen kurzen trockenen Knall, und irgend etwas schnellte haarscharf über Snayssol hinweg. Als sich das Ding unmit telbar hinter ihm in den Baumstamm bohrte, splitterte das Holz wie unter einem Axt
Hexenkessel der Transmitter schlag auseinander. Snayssol stieß einen Schreckensschrei aus.
* Snayssol hörte, wie sich die schweren Schritte von ihm entfernten. Das ist derselbe Kerl, der den MorgoMorgon in die Falle gelockt hat, erinnerte sich der Loghane. Dieselben schweren Schritte! Snayssol erhob sich, nachdem er sicher war, daß der Fremde nicht mehr in unmittel barer Nähe war. Dann band er die Leine sei nes Reittiers an einen herunterhängenden Ast. Im Fall einer Gefahr würde sich der Morgo-Morgon selbst befreien können. Snayssol klopfte dem Tier auf die Nü stern. »Ich komme gleich wieder, Alter … den Burschen will ich mir nicht durch die Lap pen gehen lassen.« Die Mauer bestand zum Teil aus Plastik bauteilen, die auch nach Jahrtausenden nicht verrotteten. Wenn man die Moose abkratzte, kamen unbekannte Schriftzeichen zum Vor schein. Snayssol schob sich vorsichtig über die Mauer. Im Hintergrund erkannte er niedrige Kup pelbauten, die von den Dschungelriesen völ lig eingeschlossen waren. Snayssol wunder te sich, daß er noch nicht früher auf diese unbekannte Stadt gestoßen war. Soweit er sich erinnerte, hatte auch kein anderer Erbe davon gesprochen. Vielleicht handelt es sich um eine Station, die über einem Schwarzen Tor errichtet wur de, dachte er. Auf Kledzak-Mikhon gab es ungefähr vierzigtausend Schwarze Tore. Jede Stadt war damit verbunden. Das dichte Netz ga rantierte eine ununterbrochene Verbindung zu allen Wohnstätten der Loghanen. Snays sol wußte nicht, wie die Schwarzen Tore funktionierten. Als Erbe konnte er sie ledig lich bedienen. Er programmierte die Zielda
13 ten, durchschritt das Tor und landete inner halb von Sekundenbruchteilen am Ziel. Snayssol wußte auch, daß es noch ein weiteres Transportsystem auf diesem Plane ten gab. Es bestand aus drei großen Toren. Auf jedem Kontinent stand eins davon. So weit Snayssol darüber informiert war, hatte das Triumvirat die Aktivierung der großen Tore nie gestattet. Vielleicht wußten die Re gierungsvertreter auch gar nicht, wie man diese Tore bediente. Snayssol hatte sich schon oft Gedanken darüber gemacht. Er nahm an, daß man durch diese Riesentore andere Welten errei chen konnte. Sein größtes Ziel war es, das Geheimnis jener großen Tore zu lösen. Die Kuppelbauten sahen verwittert und uralt aus. Ihre Form war zweckmäßig und stellte das Gegenstück zu einigen Kuppel bauten in Poal-To dar. Hier waren also die selben Baumeister am Werk gewesen, die auch die Architektur der anderen Städte be stimmt hatten. Snayssol sprang federnd von der niedri gen Mauer. Ein kreisrunder Platz lag jetzt vor ihm. Darüber wölbte sich das undurch dringliche Blätterdach des Dschungels. In den Kuppelbauten gähnten finstere Türöff nungen. Plötzlich schrillte ein Schrei durch die Nacht. Snayssol blieb wie erstarrt stehen. Er kannte kein Tier, daß solche Laute von sich gab. Jetzt ertönte ein unbeschreibliches Rö cheln. Es kommt aus der Tiefe, stellte Snayssol unsicher fest. Anscheinend existieren hier unterirdische Gangverbindungen. Snayssol zog den Dolch aus dem Gürtel. Vorsichtig tastete er sich weiter durch die Dunkelheit. Die Kuppelbauten hoben sich nur schemenhaft vor ihm ab. Plötzlich trat er mit dem rechten Fuß ins Leere. Er ließ sich sofort nach hinten fallen und entging dem Sturz in den schwarzen Schacht. Nachdem er seine Überraschung über
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wunden hatte, tastete er die Bodenöffnung mit beiden Händen ab. Rechts von ihm lag ein schweres Eisengitter. Es war kreisrund und paßte anscheinend genau über das Loch. Ein Abschirmgitter, durchzuckte es den Loghanen. Aber wozu das Ganze? Der fremde Jäger unterbrach seine Gedan ken. Brüllend verließ er sein Versteck im Unterholz und sprang von hinten auf den überraschten Loghanen. Snayssol konnte dem schweren Körper nicht mehr rechtzeitig ausweichen. Er fiel und rollte über den Rand der Bodenöffnung, instinktiv klammerte er sich an dem Fremden fest. Als er das nach giebige Fleisch des anderen spürte, durch zuckte es ihn siedendheiß. Er hat keinen Pelz, erkannte Snayssol. Er ist kein Loghane! Es gab einen Ruck, und die Gegner stürz ten kopfüber in den finsteren Schacht. Snayssol schrie vor Entsetzen laut auf. Die Waffe des Fremden polterte gegen die Schachtwand. Dann wurde es Nacht um Snayssol.
* Ich lebe, sagte Snayssol zu sich selbst. Der Körper des Fremden hat den Aufprall gemildert. Snayssol riß die Augen auf. Er suchte nach seinem Dolch, doch die Waffe war ver schwunden. Flackernder Lichtschein erfüllte den Raum. Das andere Ende war von hier aus nicht zu sehen. Links war die Wand, die bis zur Schachtöffnung emporreichte. Rechts ging es schräg abwärts. Ein qualmender Fackelstumpf steckte in einem Wand loch. Ein richtiges Verschwörernest, dachte Snayssol. Hierher wagt sich bestimmt keine Patrouille des Triumvirats. Snayssol streckte seine Rechte aus. Als er etwas Warmes, Klebriges berührte, zuckte er erschrocken zurück. Neben ihm lag der fremde Jäger. Snayssol atmete kurz. Sein Brustkorb schmerzte. Er hatte sich nichts gebrochen,
doch er kam sich völlig zerschunden vor. Am linken Oberschenkel hatte er eine kleine Platzwunde. Mühsam richtete sich der Loghane auf. Als er den Fremden erblickte, durchzuckte ihn eisiger Schrecken. Der Fremde war zwar nur einen Kopf größer als er, doch sein Brustkorb war fast ebenso breit, wie er lang war. Die Haut glänzte speckig. Von der Hüf te bis zum Kopf war er völlig nackt. Nur der Unterkörper besaß den charakteristischen Pelz der Loghanen. Über der Schulter lag ein Tuch. Es be deckte den Kopf. Snayssol stand jetzt dicht neben dem Fremden. Er berührte den massigen Körper mit der Fußspitze. »He«, sagte er. »Steh auf! Ich will mit dir reden.« Der Fremde rührte sich nicht. Snayssol er kannte erst jetzt, daß der Jäger nicht mehr atmete. Er ist tot, stellte Snayssol fest. Er hat sich das Genick gebrochen. Kurz entschlossen zog Snayssol das Tuch vom Kopf des Unbekannten. Es traf ihn wie ein Keulenschlag. Der Fremde besaß zwei Köpfe. Damit hatte er nicht gerechnet. Der Anblick war so schrecklich, daß Snayssol unwillkürlich auf stöhnte. Der rechte Kopf war loghanisch. Die ge schlitzten Augen, die stumpfe Nase, der breite Mund und die spitz emporragenden Ohren. Es stimmte alles. Da der Fremde kei nen Gesichtspelz besaß, waren die tief ein gekerbten Linien besonders deutlich zu er kennen. Sie zogen sich schräg über sein Ge sicht. Snayssol glaubte, in den gebrochenen Augen etwas unbeschreiblich Trauriges zu sehen. Das Wesen mußte zu Lebzeiten Schreckliches mitgemacht haben. Links be deckten schwärende Wunden den Hals. Das hat der zweite Kopf verursacht, durchzuckte es den Loghanen. Snayssol spürte einen eiskalten Schauer über seinen Rücken laufen. Er wischte sich über die Augen, doch der schreckliche An
Hexenkessel der Transmitter blick blieb. Der zweite Kopf gehört einem Schetan. Und wer die Schetans kannte, der wußte auch, wozu diese parasitären Lebewesen fä hig waren. Sie bevölkerten zu Tausenden die Abwäs serkanäle der großen Städte. Selbst Jagd kommandos konnten dieser Plage nicht Herr werden. Ein ausgewachsener Schetan war zwar nur zwanzig Zentimeter groß, doch sei ne Gier ließ sich kaum beschreiben. Unbe stätigten Berichten zufolge sollte ein einzi ger Schetan in einer Nacht fünf Loghanen zerfleischt haben, als sie im Fieberwahn ei ner Rauschdroge lagen. Die Schnauze des Schetankopfes lief spitz zu. Reißzähne ragten aus dem geöffneten Maul. Sie hatten bei jeder Kopfdrehung jene scheußlichen Wunden am Kopf des Logha nen verursacht. Die rötlich funkelnden Au gen starrten glanzlos ins Leere. Dicht über der behaarten Stirn wuchsen zwei kleine Stummelohren. Snayssol beugte sich etwas vor. Er mußte gegen die aufsteigende Übelkeit ankämpfen. Von dem Schetankopf ging ein bestialischer Gestank aus. Zwischen den Reißzähnen hingen verfaulende Fleischreste. Das Biest hat den Loghanen dazu getrie ben, den Morgo-Morgon zu zerfleischen, er kannte Snayssol. Eine andere Möglichkeit war ausgeschlossen. Er fragte sich jedoch vergeblich, wie der Loghane zu diesem zweiten Kopf gekommen war. Snayssol sah sich aufmerksam um. Die Schachtöffnung war mindestens zehn Meter über ihm. Die Wände waren zu glatt, als daß er daran emporklettern konnte. Also mußte er sich nach einem anderen Ausgang umse hen. Die Waffe des Toten war in den weiter führenden Gang gerollt. Snayssol bückte sich danach. Das Modell war ihm fremd. Es erinnerte ihn an die Strahlenwaffen, die einem Erben bei Bedarf ausgehändigt wurden. Der Griff war schmal. Er war anscheinend für eine größere Hand konstruiert worden. Statt der vier loghani
15 schen Fingerglieder paßte er für fünf Finger. Über dem Griff lag das Magazin. Der Lauf war leicht gedreht, und über der Mündung steckte ein Zielmechanismus. Snayssol überlegte kurz. Sollte das viel leicht eine Waffe der rätselhaften Ahnen sein? Er steckte sie sich in den Kreuzgurt. Vorsichtig drang er in den Gang ein. In unregelmäßigen Abständen waren kienige Fackeln an den Wänden angebracht. Snays sol mußte damit rechnen, auf Gegner zu tref fen. Wer hier unten für Licht sorgte, hatte bestimmt auch Vorsichtsmaßnahmen getrof fen, um unerwünschte Eindringlinge abzu wehren. Snayssol ging dem kalten Luftzug nach, der ihm entgegenwehte. Hatte er sich getäuscht, oder tönte dort vorn tatsächlich Stimmengewirr durch die Gänge? Er blieb stehen und lauschte. Tatsächlich, jetzt konnte er es ganz deutlich hören, daß sich Loghanen miteinander unterhielten. Snayssol spürte eine kaum zu bezähmen de Spannung in sich aufsteigen. Es war mehr als nur die Neugier eines Jägers. Es war der Wunsch, Licht in die Dunkelheit dieser ge heimnisvollen Stadt im Dschungel zu brin gen.
* Hover-Maracul führte die Opfer der Schwarzen Tore an. Seine Stimme klang krächzend. Wenn er schwerfällig seine Worte formulierte, hörte es sich abgehackt und wirr an. Hover-Ma racul war aber gerissen und schlau. Er be hauptete seine Stellung durch äußerste Grau samkeit. Ihm standen zwei verrückte Logha nen zur Seite, die bei einem Sprung durch das Schwarze Tor Teile ihrer Gehirne verlo ren hatten. »Es war ein Fehler«, setzte Hover-Ma racul an, »den Schetankopf ins Freie gehen zu lassen. Draußen laufen genügend Jäger herum, die auf uns aufmerksam werden könnten. Noch ist der Tag nicht gekommen,
16 an dem wir uns rächen werden. Unsere Ra che braucht Zeit. Je länger wir warten, desto sicherer fühlen sich die Obmänner des Tri umvirats …« Zorniges Bellen dröhnte durch den Ver sammlungsraum. Die beiden verrückten Lo ghanen stammelten wirres Zeug. Sie schlu gen die Handflächen gegeneinander und schnitten abscheuliche Grimassen. Hover-Maracul reckte sich empor. Er war etwas größer als die anderen. Der Sprung durch ein Schwarzes Tor hatte eine Gewebs wucherung bei ihm verursacht. Innerhalb weniger Monate waren seine Muskelpartien auf das Doppel angeschwollen. Seine Kraft war dementsprechend gewachsen. Er trug bunte Kreuzbänder, unter denen sich die stahlharten Muskeln seines Brustkorbs und seiner Arme wölbten. »Wir sind noch nicht stark genug, Brüder! Wir müssen zuerst unsere eigenen Kräfte er proben. Nur wenn wir planvoll vorgehen, können wir das Triumvirat vernichten.« Erneut brandete frenetischer Jubel auf. Außer Hover-Maracul und den beiden Dienern waren hier unten noch achtund neunzig mißgestaltete Loghanen versam melt. Einer sah schlimmer aus als der ande re. Manche besaßen nur faustgroße Köpfe, andere waren beweglich wie Schlangen. Es waren auch doppelköpfige Kreaturen dabei. Kein einziges Wesen glich dem anderen. Die Natur schien in einem Anfall von Wahnsinn alle Variationsmöglichkeiten durchgespielt zu haben, die ihr zur Verfü gung standen. Das Bild war apokalyptisch. Eine Steigerung des Grauenvollen schien nicht mehr möglich zu sein. Doch als der violett verfärbte Loghane in den Raum kam, verzog sogar Hover-Ma racul verächtlich die wulstigen Mundwinkel. »Was willst du hier?« herrschte er das mißgestaltete Wesen streng an. Der Violette kroch auf seinen sechs Arm paaren mühsam über den Boden. Sein Unterleib zuckte konvulsivisch. Wenn man genauer hinsah, erkannte man den zierlichen, nur teilweise ausgebildeten
Dirk Hess Körper eines jungen Loghanen, der fest mit dem Rumpf des Violetten verwachsen war. Der »kleine« Loghane war weißhäutig. Seit lich wuchsen ihm kleine Klauen aus dem Körper. »Essen«, gurgelte der Violette mühsam. »Essen!« Hover-Maracul ließ sich von seinen Die nern eine Schüssel reichen. Sie war bis zum Rand mit Nährbrei gefüllt. »Wenn du noch einmal deinen Posten un erlaubt verläßt, wirst du ein paar Tage lang auf Notration gesetzt.« Der Violette heulte entsetzt auf. Nah rungsaufnahme schien das einzige zu sein, woran er denken konnte. Seine vorderen Armpaare machten ununterbrochen Eßbewe gungen. »Gebt ihm den Brei«, forderte HoverMaracul seine Diener auf. Gelangweilt sah er zu, wie der Violette den zähflüssigen Brei herunterschlang. Jedesmal schwankte er zwischen Mitleid und Abscheu. Doch sein selbstherrliches Gefühl überwog. Er benutz te diese Kreaturen nur als Mittel zum Zweck. Sie waren seine Privatarmee, mit der er seine ganz persönliche Rache vollenden wollte. »Zurück auf deinen Posten!« »Essen«, gurgelte der Violette, dessen zwergenhafter Zusatzkörper erregt zuckte. »Verschwinde, oder ich mach meine Dro hung wahr!« Der Violette ließ die halbgeleerte Schüs sel zurück und kroch murrend zwischen den zurückweichenden Kreaturen hindurch. In Hover-Maraculs Blick lag etwas Dä monisches. »In wenigen Tagen beginnt das neue Spiel der Schwarzen Tore«, stieß er in seiner ab gehackt klingenden Sprechweise hervor. »Aber diesmal sind wir gewappnet. Ich ken ne die Programmierung der Schwarzen Tore. Wir werden jeden einzelnen Augenblick des Wettkampfs miterleben. Das verspreche ich euch.« Die Mißgestalteten reckten ihre Arme em por. Inzwischen hatte der Violette den Aus gang erreicht. Er drehte sich noch einmal
Hexenkessel der Transmitter um. Sein Blick drückte Schmerz und Gier aus. »Ich kann mich auf euch verlassen«, fuhr Hover-Maracul fort. »Ich kenne euren Haß. Ich weiß was euch das Triumvirat angetan hat. Man trieb euch durch die Schwarzen Tore. Man versprach euch Reichtum und ein sorgloses Leben. Doch als ihr verwandelt wurdet, wollte keiner mehr etwas von euch wissen.« Hover-Maraculs Stimme bekam einen suggestiven Klang. »Niemand hat euch geholfen! Oder hat euch jemand geholfen?« Ein vielstimmiger Schrei ließ das Gewöl be erzittern. »Du hast uns geholfen, Hover-Maracul!« Der Anführer der entsetzlichen Meute grinste. Er hatte erreicht, was er wollte. Je des dieser unglücklichen Wesen würde für ihn durchs Feuer gehen. Wenn er von ihnen den kollektiven Selbstmord verlangte, wür den sie ihm gehorchen. Sie waren wie Wachs in seinen Händen. Er konnte mit ih nen machen, was er wollte. »Folgt mir jetzt zum Schwarzen Tor«, rief er. Die Meute ließ sich nicht zweimal dazu auffordern. Sie bildete eine Gasse und ließ Hover-Maracul vorbei. Dann folgten ihm die einzelnen Kreaturen. Der Weg führte an staubbedeckten Bildschirmen vorbei. Das Licht zahlreicher Fackeln beleuchtete den Gang. Schließlich erreichten sie einen oval geschnittenen Saal. Auf beiden Seiten ragten Maschinenblöcke aus dem Boden. Ge schwungene Schaltpulte verbanden jeden Apparat mit dem nächsten. In der Mitte erhob sich ein niedriges Po dest. Über zwei Stufen erreichte man einen Gitterrost. Links und rechts standen zwei durchsichtige Säulen, in die das hauchzarte Geflecht komplizierter Energieleiter einge gossen war. Das niedrige Programmpult stand unter Energie. Die Digitalanzeigen leuchteten rötlich. Sie gaben das Erken nungssymbol dieser Station wieder. »Verneigt euch vor dem Schwarzen Tor«,
17 schrie Hover-Maracul. Die Mißgestalteten krümmten gehorsam ihre Rücken. »Das Schwarze Tor hat euch zu dem ge macht, was ihr jetzt seid …« Die Menge heulte zornig auf. »Das Schwarze Tor wird euch auch wie der von dieser Last befreien«, beendete Ho ver-Maracul seinen Satz. Er hatte absichtlich diese zweideutige Formulierung gewählt. Die Mißgestalteten sollten annehmen, daß ein erneutes Durchschreiten des Schwarzen Tores sie von ihren körperlichen Leiden er lösen würde. Sie sollten denken, daß sie wieder ihre frühere Gestalt zurückerhielten. »Meister«, heulte ein verwandelter Log hane auf. »Ich will diesen unseligen Leib verlieren. Ich will nach Poal-To zurückkeh ren und ein Leben wie alle anderen führen.« Hover-Maracul streckte sich. »Ich kenne die Programmierung des Schwarzen Tores. Ich bin ein Erbe. Deshalb bin ich auch ein Meister der Schwarzen To re. Wenn ich den Sprung durchs Schwarze Tor programmiere, werdet ihr alle wieder normal werden.« Das war schlicht gesagt eine Lüge. Kör perliche Veränderungen waren irreparabel. Hover-Maracul wußte das ganz genau. Sonst hätte er seine Gewebswucherungen längst unter Kontrolle gebracht. Aber er wußte, wie man diese Unglücklichen gefügig machte. »Kniet nieder und verneigt euch!« Plötzlich gellte der Schrei des Violetten durch den Saal. Hover-Maracul knirschte mit den Zähnen. Noch einmal würde er dem Betteln des Violetten nicht nachgeben. Er nickte seinen Untergebenen zu. Zwei verän derte Loghanen zogen ihre Dolche aus den Brustgurten. Sie würden den Violetten töten, wenn Ho ver-Maracul das Zeichen dazu gab. Niemand durfte die Zeremonie stören. Jetzt erschien der Violette im Saal. Er war außer Atem. Sein zweiter Körper machte ihm anscheinend immer noch Schwierigkei ten. Die winzigen Krallen schrammten über den Bodenbelag der Halle.
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»Alarm«, keuchte der Violette. »Der Schetankopf ist tot!« »Was?« preßte Hover-Maracul beunruhigt hervor. »Wie konnte das passieren? Rede schon!« Der Violette mußte verschnaufen. Gelbli cher Schaum tropfte ihm übers Kinn. Hover-Maracul biß sich auf die Lippen. Vor seinen geistigen Auge erschien das Bild des Schetankopf es. Er erinnerte sich deut lich an das Schicksal des Loghanen, der beim letzten Spiel der Schwarzen Tore zu sammen mit einem kaum handtellergroßen Schetan entmaterialisiert war. Während des Transports durch die fünfte Dimension hat ten sich die Atome dieser beiden grundver schiedenen Wesen miteinander vermischt. Praktisch in Nullzeit war daraus der »Schetankopf« entstanden, wie seine Lei densgenossen ihn daraufhin nannten. Nie mand beneidete ihn um sein Schicksal, denn der Schetankopf zerfleischte den Hals des Unglücklichen immer wieder aufs neue. »Er liegt unter dem Schacht«, keuchte der Violette. »Seine Waffe ist verschwunden!« Hover-Maracul gab einen zischenden Laut von sich. »Hast du seine Waffe gestohlen?« herrschte er den Violetten an. »Nein, Meister!« Das Wesen krümmte sich wimmernd zusammen. »Nein, das hat ein Fremder getan. Seine Spuren sind deut lich auf dem Boden zu erkennen. Er kam von draußen. Er hat den Schetankopf getö tet.« Hover-Maracul stieß dem Violetten die Stiefelspitze in den Leib. Er war außer sich vor Zorn. Wenn ein fremder Jäger in die Station eingedrungen war, konnte er die Re bellion der Mißgestalteten sofort abschrei ben. Seine einzige Chance bestand darin den Fremden zu stellen und zu töten. »Ausschwärmen«, schrie Hover-Maracul. »Der Fremde darf die Oberwelt nicht wieder lebend erreichen!«
*
Snayssol wußte, daß er einen Fehler ge macht hatte. Seine Spuren im Gang würden ihn verraten. Jetzt war es für eine Änderung seines Planes zu spät. Er mußte das nackte Leben retten. Wenn er den Ausgang aus die ser Station nicht in kürzester Zeit fand, war er verloren. Hover-Maraculs Stimme dröhnte durch den Transmittersaal. »Verteilt euch in den Gängen! Durchsucht jeden Raum!« Snayssol kauerte sich hinter einem Schalt pult nieder. Die mattschwarze Fläche reflek tierte das Licht der Fackeln. Mehrere Logha nen trugen Fackeln. Sie leuchteten damit die düsteren Nischen aus, in denen sich der Ein dringling versteckt haben konnte. Snayssol spürte ein schmerzhaftes Bren nen im Magen. Sein Pelz war schweißbe deckt. Seine vier Finger umklammerten den Griff der Waffe. Er würde sein Leben so teuer wie möglich verkaufen. Hover-Maracul stand jetzt allein vor dem Schwarzen Tor. Am Saalende hielten sich nur noch fünf Mißgestaltete auf ihre Unter haltung wirkte gedämpft. Was tut der Anführer dort, fragte sich Snayssol und richtete sich etwas auf. Er ach tete darauf, daß er den Kopf nicht zu weit über den Rand des Schaltpults schob. Die Mißgestalteten waren sehr aufmerksam. Ih nen wurde auf die Dauer nicht entgehen, daß sich der Fremde im Transmittersaal ver steckt hielt. Snayssol war wenige Minuten vor der wilden Meute hier angelangt. Hover-Maracul stand vor der Programm tafel des Schwarzen Tores. Er programmiert das Gerät, erkannte Snayssol verblüfft. Ob er aus dem Saal ver schwinden will? Snayssol kniff die Augen zusammen. Er konnte die Programmanzeige ganz deutlich erkennen. Die Symboldaten gaben in der er sten Reihe das Erkennungszeichen dieser Station wieder. Darunter erschienen die Da ten der anvisierten Station. Jetzt glimmte ein grünes Lämpchen auf. Das Gerät steht auf Transport, wußte
Hexenkessel der Transmitter Snayssol sofort. Er hatte sich oft genug da mit beschäftigt. Obwohl es vom Triumvirat verboten war, sich mit den Mechanismen ei nes Schwarzen Tores zu beschäftigen, hatte er seine Nachforschungen betrieben. Plötzlich gab es einen scharfen Knall. Über den Säulen stand ein grünschimmerndes Energiefeld. Es bildete einen Torbogen. In der Mitte gähnte ein schwarzes Loch. Knisternd ionisierten die Luftmoleküle. Es roch nach Ozon. Er will aus dem Saal verschwinden, durchzuckte es den Loghanen. Der Rebel lenführer läßt seine Meute im Stich. Er will in sicherer Entfernung abwarten, wie die Jagd auf mich ausgeht. Den Mißgestalteten schien es gar nichts auszumachen, daß ihr Herr und Meister den Saal auf diesem ungewöhnlichen Weg ver ließ. Er drehte sich noch einmal kurz um. Ein häßliches Grinsen spielte um seine Mundwinkel. In wenigen Sekunden würde ihn das Entstofflichungsfeld erfassen, dachte Snayssol. Er erkannte sofort die einmalige Chance, die sich ihm hier bot. In den Gängen der un terirdischen Station war er verloren. Er muß te den Saal also ebenfalls durch das Schwar ze Tor verlassen. Kurz entschlossen sprang Snayssol auf. In seiner Rechten drohte die geheimnisvolle Waffe des Schetankopfes. Er stützte sich mit der Linken ab und setzte über das Schaltpult hinweg. Hinter ihm ertönten erregte Stimmen. Die Mißgestalteten hatten ihn entdeckt. »Dort ist er! Meister … er rennt auf das Schwarze Tor zu!« Hover-Maracul achtete nicht auf die Schreie seiner Untergebenen, denn in die sem Augenblick entstofflichte er. Das grüne Leuchten erfaßte und löste ihn blitzschnell auf. Die Atome seines Körpers wurden vom schwarzen Feld aufgenommen und abge strahlt. Snayssol wußte nicht, wie lange das Ener giefeld stabil sein würde. Er rannte quer durch den Saal. Jede Sekunde, die jetzt ver
19 strich, konnte ihm das Leben kosten. »Tötet ihn«, gellten die Schreie der Miß gestalteten näher. Zehn groteske Wesen hatten die Verfol gung aufgenommen. Sie waren höchstens noch zwanzig Meter von ihm entfernt. Ein blitzender Dolch schnellte an ihm vorüber, und verschwand im schwarzen Feld. Zu seinem Entsetzen erkannte Snayssol, daß die charakteristische Grünfärbung des Transportfeldes schwächer wurde. Ein schmerzhafter Schlag traf ihn an der linken Schulter. Der Stein rollte über den Boden und blieb vor den Stufen des Podests liegen. Snayssol nahm die Hürde in einem Anlauf. Er sah nicht mehr, wie ein Mißge stalteter seine Energiewaffe hob und auf ihn zielte. Die Entstofflichung traf ihn wie ein Keu lenschlag. Dann war Snayssol aus dem Transmittersaal verschwunden. Der Glutstrahl aus der Waffe des Mißge stalteten ging zwischen den durchsichtigen Säulen hindurch und traf auf der anderen Seite die Wand des Saales. Es gab einen häßlichen Rußfleck. Beißende Dämpfe zo gen durch den Raum. Dann war alles vorbei. Auf dem Programmpult des Transmitters leuchtete wie gewohnt das Erkennungssym bol der Station.
* Ich bin heil durch das Schwarze Tor ge kommen, erkannte Snayssol. Jetzt aber rasch in Deckung, bevor mich der Wahnsinnige aufs Korn nimmt. Snayssol sprang vom Rastergitter und überwand die niedrigen Stufen mit einem Satz. Das Energiefeld war längst erloschen. Er war weder benommen, noch verspürte er irgendwelche Schmerzen. Der Raum lag im Halbdunkel. Sämtliche Leuchtröhren waren ausgeschaltet worden. Bis auf das verhaltene Glühen der Digitalan zeigen auf dem Programmpult gab es hier keine Lichtquelle. Ein gräßliches Stöhnen ließ Snayssol zu
20 sammenzucken. Die Laute kamen aus dem angrenzenden Raum. Das Gebäude schien überirdisch zu liegen. Sonnenlicht traf die verstreut umher liegenden Gegenstände. Die Tür war halb geschlossen. Ein schwerer Gegenstand hatte den Mechanismus blockiert. Entweder bin ich auf der anderen Seite von Kledzak-Mikhon herausgekommen, dachte Snayssol, oder es ist inzwischen wie der Tag geworden. Gegen die erste Annah me sprach die Tatsache, daß er beim Sprung durchs Schwarze Tor keinerlei Beschwerden verspürt hatte. Die Reise zu einem anderen Kontinent war immer mit Schmerzen ver bunden, die auf die Wiederverstofflichung folgten. Der Boden war blutverschmiert. Eine Schleifspur führte genau auf die Tür zu. Snayssol atmete flach. Er verhielt sich ab solut lautlos. Der Wahnsinnige ist verwundet, kombi nierte er. Er setzte ganz langsam Schritt vor Schritt. Die Waffe des Schetankopfs verlieh ihm ei ne gewisse Überlegenheit. Er hatte keine Angst mehr. Das Stöhnen brach für einen kurzen Au genblick ab. Ein Röcheln wurde hörbar, dann setzte das Stöhnen wieder ein. Snays sol biß sich erregt auf die Lippen. Jetzt stand er dicht neben der Tür. Der Ausschnitt des Raumes, soweit er ihn überblicken konnte, verriet ihm nicht allzuviel über die Einrich tung. Über einer zerwühlten Schlafstätte hing ein desaktivierter Bildschirm. Dabei handelte es sich um das übliche Modell, das jedem Loghanen auf Kledzak-Mikhon zur Verfügung stand. Snayssol bemerkte ein paar zerknüllte Plastikflaschen. Abgenagte Knochen ergänzten das chaotische Bild. Der Kerl ist ein Fleischfresser, durchzuck te es den Loghanen. Seine instinktive Abneigung gegen den Anführer der Mißgestalteten-Meute vergrö ßerte sich. Snayssol war zwar auch Jäger, aber er verabscheute es, die großen Tiere wegen ihres Fleisches zu töten. Er hatte
Dirk Hess selbst schon Fische und kleine Vögel gefan gen und sie anschließend verspeist. Aber bei allen großen Säugern war das etwas anderes. Jedes größere Tier auf Kledzak-Mikhon be saß einen relativ hohen Intelligenzquotien ten. Snayssol erinnerte sich an Jäger, die die Sprache der Tiere verstanden. Das Stöhnen im Nebenraum wurde leiser. Wenn er stirbt, kann er mir nicht mehr die Daten des nächsten Schwarzen Tores verra ten, schoß es Snayssol durch den Kopf. Ich muß ihn zum Reden bringen. Snayssols Körper straffte sich. Er schätzte die Länge des Raumes ab. Dann beugte er sich vor, holte tief Luft und stieß die Tür mit voller Kraft in die Wandritze zurück. Ein weiterer Sprung brachte ihn mitten in das Zimmer. »Keine falsche Bewegung«, bellte er im typisch loghanischen Befehlston. Der Verletzte unterbrach seine verzwei felten Bemühungen, den Dolch aus seiner blutverschmierten Brust zu ziehen. Snayssol ließ die Waffe sinken. »Du bist erledigt«, knurrte er. Hover-Maraculs wulstige Lippen bebten. »Der Dolch hätte dich treffen sollen … die Sogwirkung des Schwarzen Tores hat seine Wurfgeschwindigkeit vervielfacht. Ich … konnte ihm nicht rechtzeitig auswei chen.« »Wo sind wir?« fragte Snayssol den Ster benden. »Das wirst du selbst herausfinden …«, lallte Hover-Maracul. »Erwarte keine Hilfe von mir.« Snayssol hatte das dringende Bedürfnis, den Anführer der Mißgestalteten zu demüti gen. Die hochtrabenden Worte seiner Rede waren ihn noch in guter Erinnerung. »Der Traum deiner Rebellion ist ausge träumt«, sagte er. »Nein … es wird ein anderer kommen, der meine Stelle einnimmt!« Snayssol lachte höhnisch. »Du sprichst, als würdest du gerechte Zie le vertreten. Ich hatte Gelegenheit, den Un sinn zu hören, den du den armseligen Krea
Hexenkessel der Transmitter turen anbietest. Ihr seid für alle Zeiten aus der loghanischen Gesellschaft ausgeschlos sen. Ihr werdet nie wieder die unterirdische Station verlassen. Eines Tages wird eine Pa trouille des Triumvirats euer Versteck anpei len. Dann seid ihr erledigt.« Hover-Maracul heulte wütend auf. »Das wirst du nicht erleben, Loghane. Die Station wurde von den Ahnen gegen jede Ortung meisterhaft abgeschirmt. Weder die Entladung einer Energiewaffe, noch die Tä tigkeit des Schwarzen Tores kann angemes sen werden.« »Aber der Energieverbrauch muß doch extrem hoch sein«, warf Snayssol irritiert ein. »Ganz recht, Loghane«, kam es von den zuckenden Lippen Hover-Maraculs. »Aber die unterirdische Station besitzt ein autarkes Energiespeicher-System. Der Ver brauch geht also nicht zu Lasten des zentra len Netzes. Die Ahnen haben an alles ge dacht. Ihre geheimen Biolaboratorien wur den gegen alle äußeren Einflüsse geschützt …« Snayssol stutzte. Was wußte dieser Bur sche über die Ahnen? Er mußte unbedingt mehr aus ihm herauskriegen. »Was sind das … Biolaboratorien?« frag te Snayssol gedehnt. Hover-Maracul verzog sein breites Ge sicht. »Du bist kein Wissender. Ich habe das so fort gemerkt. Du bist ein einfacher Jäger, der nicht einmal einen Zipfel des großen Ge heimnisses gelüftet hat. Du wirst das Rätsel der Ahnen niemals lösen … ich aber sterbe als Wissender!« Snayssol packte den Loghanen am Brust gurt. »Du willst meine Frage also nicht beant worten?« Hover-Maracul schüttelte schmerzgepei nigt den Kopf. »Niemals …« Snayssol überlegte kurz. Mit dieser Taktik kam er keinen Schritt weiter. Er war beses sen von der Idee, jetzt auf die Spur der Ah
21 nen zu kommen. Dafür würde er alles geben. Sogar die Teilnahme am Ed-Schun-Spiel, für das er extra einen Morgo-Morgon gefan gen hatte. Snayssols Gesicht wurde auf einmal freundlich. Er bettete den Rücken HoverMaraculs auf ein Polster. Dann öffnete er ei ne Plastikflasche und flößte den Mißgestal teten ein paar Schluck davon ein. »Ich könnte dich in die Stadt bringen …« »Zu spät, Loghane«, flüsterte HoverMaracul. Sein Atem ging stoßweise. »Ich würde deine Wunde desinfizieren. Ich habe viele Freunde. Ich bin ein Erbe. Es fällt bestimmt nicht auf, wenn ich dich bei mir unterbringe …« »Nein«, sagte Hover-Maracul bestimmt. »Du brauchst dich nicht zu bemühen. Die Patrouillen des Triumvirats warten doch bloß auf den Augenblick, um mich zu schnappen. Den Gefallen will ich ihnen nicht tun. Ich sollte Rassafuyls Stelle im Tri umvirat einnehmen …« Snayssol unterbrach Hover-Maracul. »Rassafuyl ist der dritte Obmann im Tri umvirat. Nur ein Erbe, der den Rang eines Wissenden erhalten hat, darf Obmann wer den. Du lügst, Kerl, du bist kein Erbe!« Hover-Maracul lachte lautlos. Ein Blutfa den lief ihm übers Kinn. »Ich bin ein Erbe, Loghane«, stieß er her vor. »Mein Intelligenzquotient beträgt hun dertneunzig Darts. Das sind genau zehn mehr als bei Rassafuyl.« »Hundertneunzig Darts«, wiederholte Snayssol ehrfürchtig. »Aber warum bist du dann nicht Obmann geworden?« Hover-Maracul wurde zusehends schwä cher. »Weil … ich den loghanischen Gesetzen vertraute«, stammelte der Sterbende. »Ich bewarb mich um den Posten des Obmanns. Ich wurde den Tests unterzogen und erhielt meine Qualifikation. Aber was wißt ihr dort draußen schon von den Intrigen, die sich im Hintergrund abspielen?« »Intrigen?« »Ja, du hast mich richtig verstanden. Ras
22 safuyl ist einer von den Schlimmsten. Er wollte mich in Sicherheit wiegen. Er ver sprach mir, seine Kandidatur zurückzuzie hen. Doch in Wirklichkeit hat er seine Hä scher auf mich angesetzt. Es war nicht leicht, mir eine Verfehlung nachzuweisen. Wie jeder Erbe interessierte ich mich für un sere Vergangenheit. Ich wollte das Rätsel der Ahnen lösen. Als ich die geheime Daten bank anzapfen wollte, fielen Rassafuyls Hä scher über mich her. Sie schleppten mich vor das Gericht der Obmänner …« »Und weiter«, drängte Snayssol unerbitt lich. »Du hättest dich doch rausreden kön nen.« »Das denkst du«, stieß Hover-Maracul hervor. »Rassafuyl hatte bereits alles arran giert. Sie wollten mir großzügig eine Chance geben. Wenn ich am Spiel der Schwarzen Tore teilnahm, wollten sie mir eine Amne stie gewähren.« »Und hast du daran teilgenommen?« »Sieh mich an«, gab Hover-Maracul zu rück, »und du weißt, daß ich daran teilge nommen habe. Ich hatte bereits das Endtor erreicht. Die meisten meiner Gegner waren tot. Ich hätte den Kampf spielend gewinnen können, wenn Rassafuyl die Programmie rung nicht verändert hätte.« Snayssol runzelte die Stirn. Er überlegte. Schlagartig kam ihm zu Bewußtsein, welche Umstände diesen Loghanen in den Unter grund getrieben hatten. Die veränderte Transmitterprogrammierung hatte seine Körperatome durcheinander gebracht. Er war zwar noch normal aus dem Empfangstor gekommen, doch anschließend hatte die ex plosive Gewebswucherung eingesetzt. Da mit war Hover-Maraculs Laufbahn als Ob mann von vornherein zum Scheitern verur teilt gewesen. Snayssol erkannte, daß er diesen Logha nen vorschnell verurteilt hatte. Er versuchte sich vorzustellen, wie er an seiner Stelle ge handelt hätte. Vielleicht wäre er auch ein Rebell geworden. Vielleicht hätte er eben falls die Opfer der Schwarzen Tore um sich geschart, damit er eines Tages als Rächer
Dirk Hess nach Poal-To zurückkehren konnte. »Und was weißt du von den Ahnen?« fragte Snayssol. Hover-Maracul rührte sich nicht. Die her vorquellenden Augen starrten glanzlos ins Leere. Es dauerte ein paar Sekunden, bis Snayssol begriff, daß er von diesem Logha nen keine Antwort mehr zu erwarten hatte. Der Jäger stand ein paar Minuten nach denklich vor dem Toten. Ich werde mich vor diesem Rassafuyl in acht nehmen müssen, ging es ihm durch den Kopf. Als Erbe könnte mir eines Tages das selbe passieren wie diesem Unglücklichen. Snayssol blickte sich um. Die Tür reagierte auf die Wärmeimpulse seiner Hand. Wenig später stand er draußen und blinzelte in die grelle Sonne. Der Wind trug den Duft blühender Blumen heran. Lei se rauschte das Steppengras. Die Kuppel bauten waren größtenteils vom Dschungel überwuchert worden. Snayssol kam die Ge gend bekannt vor. Als er das schwere Eisen gitter unmittelbar vor einem Kuppelbau er blickte, wußte er, daß der Transmittersprung über höchstens hundert Meter gegangen war. Ich stehe genau über der unterirdischen Station, erkannte er erleichtert. Das erspart mir den langen Marsch durch die Wildnis. Snayssol trat an die dunkle Schachtöff nung heran. Ganz unten sah er den weiter führenden Gang. Er erinnerte sich nur un gern an die Begegnung mit dem Schetan kopf und die weiteren Erlebnisse. Besser, ich verschließe den Schacht wie der, sagte er zu sich selbst und wuchtete das schwere Gitter über die düstere Öffnung. Es gab ein zähes Knirschen, als sich die Verrie gelung schloß. Unten rührte sich nichts. Snayssol vermutete, daß die Mißgestalteten das Tageslicht fürchteten. In der Ferne ertönte der Ruf des MorgoMorgons. Ich komme ja schon, dachte Snayssol. Er war voller Tatendrang.
4. Das Ed-Schun-Spiel
Hexenkessel der Transmitter Es wurde bereits wieder dunkel. Snayssol krallte sich in die Nackenhaare seines Reit tiers. Er legte die letzten Kilometer in rasen dem Galopp zurück. An der letzten Wasser stelle hatte er sich erfrischt und ein paar Konzentratriegel verspeist. Er fühlte sich in Hochform. Auch der Morgo-Morgon schien nie schneller gewesen zu sein. Snayssol beglückwünschte sich zu diesem Fang. In der extrem kurzen Zeit von nicht einmal einem Tag hatte er das Tier gezähmt. Der Morgo-Morgon reagierte auf jeden Schenkeldruck. Er hob den Kopf, wenn er ihm ein paar Worte zuflüsterte, und er senk te das gefährliche Stirnhorn zum Angriff, wenn er es wünschte. Im Dunkel der beginnenden Nacht zeich neten sich die Turmbauten von Poal-To wie gigantische Silhouetten ab. Die Gewächse der ausgedehnten Parkanlagen rankten sich um die stummen Zeugen einer uralten Zivili sation. Den Gleiterverkehr konnte man aus dieser Entfernung nicht wahrnehmen. Um diese Zeit verließ kaum ein Loghane die si chere Großstadt. Kledzak-Mikhon besaß keinen Mond. Dennoch war es hier draußen nicht stockfin ster. Während der Reifezeit jener Sumplan-Pil ze konnte es passieren, daß der nächtliche Dschungel taghell erleuchtet wurde. Wenn die Sporen eines Pilzes ausgestoßen wurden, gab es einen lauten Knall. Die Stickstoffbal lons im Innern der Pilze barsten und schleu derten die Sporen mehrere hundert Meter durch die Luft. Um die Insekten anzulocken, strahlten die Sporen ein phosphoreszierendes Licht ab. Snayssol hatte auf das charakteristische Leuchten der Sumplan-Sporen schon gewar tet. Das Knallen überraschte ihn nicht mehr. Wie Leuchtkugeln stiegen die Sporen in den Nachthimmel und senkten sich zeitlupenhaft durch das Blätterdach. Snayssol streckte seinen muskulösen Kör per. Die Lichtung, auf der heute nacht das EdSchun-Duell stattfinden sollte, lag unmittel bar vor ihm. Stimmengewirr wurde laut. Et
23 wa hundert Loghanen hatten sich hier ver sammelt. Ihre dunkelgrünen Pelze ver schmolzen mit der Umgebung. Sie besaßen alle nahezu die gleiche Größe. In ihren ge schlitzten Augen lag das Feuer einer intelli genten und kämpferisch veranlagten Rasse. »Aieeee … Snayssol kommt!« Das charakteristische Bellen der Logha nen erfüllte die Luft. Die wartenden Zu schauer sprangen auf und liefen dem MorgoMorgon entgegen. »Snayssol kommt!« Sie waren vom Fieber des Wettkampfs er faßt worden. Jeder wettete auf seinen Favo riten. Die einen setzten wertvolle Speicher kristalle, die anderen Waffen oder Lebens mittel-Versorgungsscheine. Es kamen nicht unbeträchtliche Mittel zusammen. Speicher kristalle stellten dabei den wertvollsten Po sten dar. In den automatischen Fabriken wurden schon lange keine Speicherkristalle mehr hergestellt. Die Fabriken beschränkten sich nur auf das Lebensnotwendige. Außerdem war der Besitz von Speicher kristallen verboten. Die Obmänner befürch teten, einige dieser Kristalle könnten noch Informationen über die Ahnen weitergeben. Auch die Ed-Schun-Spiele waren verbo ten. Trotzdem wurden sie sehr oft veranstaltet. Obwohl das Triumvirat mit aller Strenge da gegen vorging, konnten sie nicht verhindert werden. Die Loghanen liebten das Spiel. Sie freuten sich auf die prickelnden Augen blicke während der kämpferischen Ausein andersetzungen. Sie waren geborene Spie lernaturen. Niemand wollte auf die offiziellen, Spiele der Schwarzen Tore warten. Das Triumvirat hielt diese Veranstaltung nur einmal im Jahr ab. Das war den Logha nen zu wenig. Snayssol hielt vor den Wettnehmern an. Er grinste. »Wo steckt mein Gegner?« Ein alter, fast ergrauter Loghane zuckte mit den Schultern. Er steckte mehrere Spei cherkristalle in die Tasche seines Brustgurts.
24 »Er müßte schon hier sein.« Sein Kollege lachte erheitert. »Du weißt, daß der Grauhaarige immer erst im letzten Moment kommt. Diesmal wird es nicht anders sein. Das hat nichts zu bedeuten. Nimm ruhig weiter Wetten an.« Snayssol führte den Morgo-Morgon an der Leine neben sich her. Das schwarze Tier hielt das Stirnhorn gesenkt. Trotzdem wi chen die versammelten Loghanen dem Tier ehrfürchtig aus. Keiner von ihnen hatte je mals einen Morgo-Morgon geritten. Sie glaubten deshalb alle möglichen Schauerge schichten, die von den Jägern in die Welt gesetzt wurden. Snayssol nickte einer jungen Loghanin zu. »Hallo«, stieß er kehlig hervor. »Auf wen hast du gesetzt?« Sie lächelte. Ihr seidiges Fell besaß das typisch weibliche Fleckenmuster. Ihre ge schwungene Taille veranlaßte Snayssol zu einem bewundernden Knurren. »Auf wen ich gesetzt habe?« wiederholte sie Snayssols Frage gedehnt. »Wenn du's unbedingt wissen willst, ich habe meine Lebensmittelkarte auf den Grau haarigen gesetzt. Wenn er dich erledigt, kriege ich meinen Anteil am Gesamteinsatz. Das wird nicht viel sein, denn die meisten haben auf den Grauhaarigen gesetzt. Aber ich werde meinen Einsatz garantiert verdop peln.« »Der Kerl ist wohl euer Favorit«, vermu tete Snayssol sarkastisch. »So kann man's auch nennen«, meinte ein junger Loghane, dessen Kreuzgurt mit leuchtenden Steinen besetzt war. »Du hast einen Morgo-Morgon gefangen. Na, gut! Das ist eine reife Leistung. Aber im Zwei kampf bist du eine Null. Gegen den Fünf kämpfer hast du nicht die geringste Chan ce.« Snayssol verstand den Loghanen. Ein Fünfkämpfer war nur schwer zu besiegen. Denn ein Fünfkämpfer hatte bereits fünfmal siegreich den Kampfplatz verlassen. Der Grauhaarige war ein Fünfkämpfer. Snayssol trug trotzdem eine überlegene
Dirk Hess Haltung zur Schau. »Wenn der Grauhaarige noch länger auf sich warten läßt«, meinte er lässig, »dann gewinne ich das Spiel ohne Anstrengun gen.« Snayssol hatte recht. Eine Spielregel be sagte, daß beide Kämpfer unbedingt zum festgesetzten Termin erscheinen müssen. Kam ein Kämpfer zu spät, so siegte der An wesende auch ohne Kampf. Damit ging au tomatisch der Besitz des Verlierers auf ihn über. Die Loghanen nannten den Kampf »Ed-Schun-Spiel«. Worauf der Kampf zurückging, konnte keiner mehr sagen. Es war ein Kampf auf Leben und Tod. Auch wenn die Loghanen von einem »Spiel« redeten, hatte das Ganze nichts mit einem Spiel zu tun. Vielleicht meinten sie damit die spielerische Art des Kampfes, bei dem alles erlaubt und nichts verboten war. Die Zuschauer wurden unruhig. »Wo bleibt der Grauhaarige? Wir haben unseren Einsatz gemacht und wollen den Kampf sehen!« Einige steckten sich die kostbaren Spei cherkristalle wieder hinter die Brustgurte. Wenn Snayssols Gegner nicht bald auf tauchte, würden sie das Ed-Schun-Spiel ab blasen. Plötzlich ging ein eisiger Wind durch das Blätterdach des Dschungels. Ein paar Leuchtsporen trieben flackernd vorüber. Bellende Rufe wurden laut. »Er kommt!«
* Snayssols Nerven waren bis zum Zerrei ßen gespannt. Seine geschlitzten Augen tränten leicht. Er redete sich selbst ein, daß es ein leichtes wäre, den Grauhaarigen zu besiegen. Er spürte den Kolben der fremden Waffe unter seinem Kreuzgurt. Im Stiefel steckte ein Dolch. Er war hellwach und spürte über haupt keine Müdigkeit. Er fühlte sich in
Hexenkessel der Transmitter glänzender Verfassung. Trommelnder Hufschlag kam näher. Die Luft erzitterte unter dem Geschrei der Zu schauer. Als Snayssol zur Dschungelschnei se hinüberblickte, sah er den schlanken Mor go-Morgon seines Gegners heranpreschen. Im Dämmerlicht schien das schwarze Tier über dem Boden zu schweben. Das Stirn horn ragte wie eine Lanze in den Vorder grund. Die Beinpaare streckten und spannten sich so schnell, daß man dem rasenden Lauf kaum folgen konnte. Wenn ein Morgo-Morgon in Fahrt kam, hatten sogar die Schweber des Triumvirats Schwierigkeiten, ihm auf der Fährte zu blei ben. »Hier bin ich«, schrie Snayssol ungedul dig. »Wir dachten schon, du hättest dich bei den Schetans verkrochen, Grauer!« Der Morgo-Morgon verringerte sein Tem po. Das Trommeln der Hufe wurde leiser und verstummte schließlich ganz. »Der Grauhaarige«, bellten die Loghanen ehrfürchtig. Snayssol verzog seine breiten Lippen zu einem Grinsen. Das war sein Gegner. Er hat te sich lange um diesen Kampf bemühen müssen. Es war nicht leicht, an den Grau haarigen heranzukommen. Da mußte man schon seine Beziehungen spielen lassen. An dererseits bewarben sich nur wenige Logha nen um die Gunst, gegen den Grauhaarigen antreten zu dürfen. Snayssols Gegner blieb auf dem MorgoMorgon sitzen. Er bot seinen Zuschauern einen eindrucksvollen Anblick. Sein Kopf war grau, fast weiß. Und von der rechten Schulter zog sich eine dunkle Trennlinie bis zum rechten Oberschenkel herunter. Die lin ke Körperhälfte und der Kopf waren grau, die andere Hälfte dunkelgrün. Es hieß, der Graue hätte diese eigenartige Färbung bei ei nem Sprung durch ein Schwarzes Tor erhal ten. Genaueres aber wußte niemand darüber zu berichten. »Von mir aus kann's losgehen«, knurrte der Graue und langte nach seiner Stahlpeit sche.
25 Snayssol schwang sich auf seinen MorgoMorgon und ritt auf die gegenüberliegende Seite der Lichtung. Als er die funkelnden Augen des Grauen sah, kamen ihm zum er sten Mal Bedenken gegen diesen Kampf. Aber dafür war es jetzt zu spät. »Fangt an!« schrie ein Wettmeister.
* Der Atem des Morgo-Morgons ging stoß weise. Das Tier schwitzte vor Erregung. Auf einmal wurde es still. Jeder erwartete den er sten Angriff. Die Regeln des Duells waren bekannt. Jetzt schlug der Grauhaarige mehrmals gegen den Nacken seines Reittiers. Das Tier schnaubte und bäumte sich auf den Hinter beinen auf. »In wenigen Minuten liegst du im Staub«, verhöhnte Snayssol seinen Gegner. Die Be schimpfung gehörte zum Ritual der EdSchun-Spiele. Sie sollte die Aggression der beiden Kämpfer steigern. »Schwächling«, stieß der Graue hervor. »Ich erledige dich mit einem einzigen Schlag. Meine Stahlpeitsche wird dich in zwei Hälften zerteilen. Sollen dich die Aas fliegen fressen!« Bellendes Gelächter erfolgte. Diese Worte gefielen den Zuschauern. Sie hatten spontan Partei für den Grauhaarigen ergriffen. Hier war alles gestattet: Es gab keine Waffe, die nicht verwendet werden durfte. Das Ringen sollte solange dauern, bis ein Kämpfer tot am Boden lag. Der Geschickteste würde ge winnen. Nicht allein rohe Kraft, sondern In telligenz und List würden den Ausschlag ge ben. »Ich zertrete dich wie einen räudigen Schetan«, schrie der Graue. Er preßte seine Stiefelabsätze in die Flan ken seines Reittiers. Der Morgo-Morgon stieß einen Wehlaut aus und raste los. Snayssol beschleunigte sein Tier eben falls. Das Trommeln der Hufe erfüllte die Lichtung. »Jetzt!«
26 Snayssol sah die blitzenden Augen seines Gegners. Das Stirnhorn des Morgo-Morgons zielte auf seinen Kopf. Er duckte sich und ließ die Fangleine im Handgelenk kreisen. Dann schnellte die Stahlpeitsche des Grauen auf ihn zu. Snayssol wollte seine Fangleine um das Handgelenk des Grauen schleudern. Doch der Wurf mißlang. Die Stahlblätter der Peitsche des Gegners streiften seine Schul ter. Stechender Schmerz durchzuckte ihn, dann waren die Kontrahenten aneinander vorübergeprescht. Warmes Blut sickerte durch Snayssols Pelz. Der Schmerz stachelte ihn nur noch mehr an. Er beugte sich vor und drehte sei nen Morgo-Morgon herum. Der Graue kam erneut auf ihn zu. Sie waren höchstens noch fünf Meter voneinander entfernt. Snayssol ließ die Fangleine wieder kreisen. Der Graue lachte über seine Anstrengungen. Snayssol spürte einen heftigen Luftzug. Ein Sirren ertönte, und die Stahlpeitsche des Grauen zertrennte Snayssols Fangleine. Die Zuschauer lachten. Ihr moschusarti ger Körpergeruch breitete sich stechend aus. »Beim nächsten Mal bist du dran«, drohte der Graue und wendete seinen Morgo-Mor gon zum dritten Anlauf. Snayssol schleuderte die Reste seiner Fangleine zu Boden. Er beugte sich tief über den Hals seines Reittiers und flüsterte ihm ein paar beruhigende Worte zu. Dann schlug er ihm derb gegen den Kopf und preßte sei ne Absätze in die Flanken des Tieres. Er schrie laut und brachte den Kopf mit dem spitzen Horn in Angriffsposition. Der Graue erkannte Snayssols Taktik so fort. »Du willst mich aufspießen«, schrie er. »Das wird dir nicht gelingen.« Er schwang die gefährliche Stahlpeitsche über seinem Kopf und preschte auf Snayssol zu. Plötzlich ließ Snayssol seinem Morgo-Morgon freien Lauf. Er ließ das Tier mit unverminderter Geschwindigkeit auf den Grauen zujagen. Das spitze Stirnhorn zielte auf den Gegner. Doch bevor er seinen Körper durchbohren konnte, sprang der Graue vom Rücken sei-
Dirk Hess nes Morgo-Morgons herunter. Snayssol wußte jetzt, wie gefährlich der Graue war. Der Kerl würde ihm nicht die geringste Chance geben. Jetzt pfiff er nach seinem Morgo-Morgon. Das Tier kam blitzschnell herangetrabt. Doch bevor er sich wieder auf den Rücken schwingen konnte, war Snays sol zur Stelle. Er versetzte dem Grauen einen Tritt, der den Loghanen meterweit über die Lichtung schleuderte. Die beiden Morgo-Morgons wieherten verwirrt auf. Der Grauhaarige stand langsam auf. Er wischte sich den Staub aus dem Gesicht. Aber er erwiderte nichts. Die Zuschauer schwiegen ebenfalls verblüfft. Wie unbeabsichtigt löste er den Magnet verschluß seines Brustgurts, und ließ den zerfetzten Stoff zu Boden gleiten. Dabei öff nete er ein kleines Täschchen und nahm et was heraus. Er hielt den Gegenstand zwi schen den Fingern seiner Rechten verbor gen. »Worauf wartest du, Erbe?« fragte der Graue. »Ich töte dich auch ohne Reittier.« Snayssol runzelte die Stirn. Jetzt verwirrte ihn der Gegner. Ohne Reittier war er Sicht lich im Nachteil. Das schien ihm aber nichts auszumachen. Er bemühte sich nicht einmal, den Morgo-Morgon wieder einzufangen. Entweder war das ein Trick, um seinen Geg ner in Sicherheit zu wiegen, oder er besaß noch einen absolut sicheren Trumpf. Snayssol wollte nicht zuviel Zeit verstrei chen lassen. So etwas liebten die Zuschauer nicht. Er befahl seinem Morgo-Morgon, die Stirn zu senken und das spitze Horn auf den Gegner zu richten. Er wollte den Grauen da mit aufspießen. Der Loghane stand breitbeinig da. Seine rechte Hand war leicht, angewinkelt. Er schien keine Waffe mehr zu besitzen. Den noch trug er ein überlegenes Grinsen zur Schau. Snayssol beugte sich tief in den Nacken seines Morgo-Morgons. »Jetzt … mach ihn fertig.!« Plötzlich öffnete sich die Hand des Grau haarigen. Ein Plastikumschlag wurde sicht
Hexenkessel der Transmitter bar. Snayssol jagte genau auf den Loghanen zu. Dann öffnete der Graue den Umschlag, und etwas Rotes schnellte auf Snayssol zu. Im gleichen Augenblick bockte der MorgoMorgon. Er stemmte unverhofft seine Vor derhufe in den aufgewühlten Boden und schleuderte seinen Reiter in hohem Bogen durch die Luft. Das rote Ding fiel dicht neben Snayssol ins Gras. »Elendes Biest«, brüllte der Grauhaarige enttäuscht auf. »Wenn du nicht gewesen wärst, läge der Kerl tot zu meinen Füßen. Die Fieberblüte hätte ihm ein würdiges Ende beschert.« Snayssol rollte sich geschickt auf dem Boden ab und kam wenige Meter neben sei nem zitternden Morgo-Morgon wieder auf die Füße. Als er die rote Fieberblüte sah, durchzuckte es ihn siedendheiß. Bei der ge ringsten Berührung hätte er sich mit einer tödlichen Krankheit infiziert. »Hinterhältiger Schetan«, knurrte Snays sol zornig. »Ich hätte wissen müssen, zu welchen miesen Tricks du greifst.« »Mach dir nichts vor, Erbe … beim EdSchun-Spiel ist alles erlaubt. Du kannst ja aufhören. Dann bist du für alle Zeiten als Feigling gebrandmarkt. Nun, wie steht's? Willst du aufgeben?« Snayssol antwortete nicht darauf. Der Graue wollte ihn zu unbedachten Handlun gen reizen. Wenn er es sich recht überlegte, standen seine. Chancen gar nicht so schlecht. Er hatte sich bis jetzt tapfer ge schlagen. »Ich breche dir sämtliche Knochen«, preßte Snayssol hervor. »Und ich blende dich!« Kaum hatte der Graue das gesagt, als er sich blitzschnell bückte, mit der Hand eine Ladung Erde packte und sie Snayssol ins Gesicht schmetterte. Sekundenlang sah Snayssol gar nichts mehr. Seine Augen brannten. Er schrie auf und wollte sich den Dreck aus den Augen wischen. Doch er rieb die feinen Schmutzpartikel nur noch tiefer in die Augen.
27 Der Graue lachte. Langsam kam er auf Snayssol zu. In seiner Rechten blitzte etwas Metallisches. Erregte Rufe der Zuschauer wurden laut. »Keine Thermowaffe! Die Patrouillen or ten uns.« Snayssol riß beide Augen gewaltsam, auf. Wie durch einen Schleier sah er den Grau haarigen auf sich zukommen. Die Mündung der Thermowaffe zeigte genau auf seine Brust. Snayssol erkannte, daß ihn der Graue ver brennen wollte. Wieder warnten einige Zuschauer den Grauhaarigen. »Willst du uns alle ans Messer liefern? Du weißt genau, daß die Patrouillen nur dar auf aus sind, unsere Spiele zu verhindern. Steck den Strahlerein! Nimm den Dolch!« Der Grauhaarige reagierte nicht auf die Zwischenrufe. Er hob den Thermostrahler und schrie: »Stirb, Erbe!« Snayssol ließ sich zu Boden fallen. Er sah das Aufblitzen der gegnerischen Waffe. Der Glutstrahl irrlichterte über ihn hinweg und versenkte ihm die Nackenhaare. »Das verlängert deine Qualen nur«, spot tete der Graue. Snayssol ließ seine Hand zwischen die Gürtelschlaufe gleiten. Er spürte den Kolben der geheimnisvollen Waffe und packte ihn. Seine Bewegungen waren so rasch, daß der Graue völlig überrumpelt wurde. Snayssol zog den Feuerkontakt durch. Es gab einen kurzen, trockenen Knall. Der Rückschlag riß sein Handgelenk hoch. Snayssol sprang sofort aus der Schußrich tung des Grauen. Sein Gegner hatte instink tiv auf den Feuerknopf gedrückt. Der zweite Glutstrahl zuckte über den Erben hinweg. Aus den Augenwinkeln heraus sah Snayssol, wie der Graue mitten im Lauf stehenblieb. Es war, als wäre er gegen eine unsichtbare Mauer gerannt. Dann detonierte der winzige Druckluftpfeil. Von einer Sekunde zur ande ren verschwand der Graue von der Bildflä che. Snayssol hörte das Gebrüll der Zuschauer
28 nicht. Er stand wie erstarrt da. Seine Rechte hing schlaff herunter. Die Wirkung der Waf fe schockierte ihn derart, daß er zu keiner Reaktion fähig war. Er wußte nicht, wieviel Patronen noch im Magazin steckten. Es konnten fünf, es konnten aber auch noch fünfzig sein. Es war unvorstellbar, daß die winzigen Geschosse eine so durchschlagen de Wirkung hatten. Jede Patrone besaß eine extrem verdichtete Luftfüllung. Bei der Ex plosion wurde eine vernichtende Wirkung erreicht, die einer chemischen Reaktion weit überlegen war. Es fehlten nämlich Verbren nungsrückstände, und es konnten keine Energiepeilungen erfolgen. »Du hast gewonnen«, rief die junge Lo ghanin und rüttelte Snayssol am Arm. »Ich hätte doch auf dich setzen sollen. Was machst du mit deinem Gewinn?« Snayssol war noch viel zu betäubt, um ihr darauf antworten zu können. »He, bist du verletzt?« Snayssol schüttelte den Kopf. Jetzt kam sein Morgo-Morgon zu ihm. Das Tier schnaubte und berührte ihn mit den Nüstern. Snayssol strich über das schwarze Fell. Dann sagte er leise, daß es die anderen nicht hören konnten: »Du kannst gehen! In der Stadt kann ich dich nicht gebrauchen. Wir haben zusam men gekämpft, ich habe gewonnen … und du kannst zu deiner Herde zurückkehren.« Der Morgo-Morgon wieherte freudig auf. Es schien, als hätte er die Worte des Erben verstanden. Er bäumte sich auf, reckte sein prächtiges Stirnhorn empor und lief auf den Dschungelrand zu. Dort stand das Reittier des Grauen. Die beiden Tiere beschnupper ten sich, dann trabten sie gemeinsam davon. »Eine Sensation«, rief der älteste Wett meister. »Wer hätte das gedacht? Snayssol hat den Grauen besiegt.« »Er soll uns seine Waffe zeigen«, riefen mehrere Loghanen. »Ja … er soll uns verraten, woher er sie hat!« Snayssol steckte den Druckluftnadler in
Dirk Hess den Gürtel zurück. »Ich verlange meinen Preis«, sagte er un gerührt. »Ihr hattet euer Vergnügen. Laßt mich jetzt zufrieden.« Murren wurde laut. Doch plötzlich brach das Stimmengewirr ab. Motorengeräusch er füllte auf einmal den Dschungel. Zwischen den Baumkronen kreuzten sich Suchschein werfer. »Die Patrouille des Triumvirats«, kreisch te ein alter Loghane und raffte rasch noch ein paar Speicherkristalle zusammen, die ein anderer vor ihm ausgebreitet hatte. »Versteckt euch, oder ihr landet im Ge fängnis der Obmänner!« Panik ergriff die Zuschauer. Keiner dach te mehr an die Verteilung der Siegesprämie. Die meisten verzichteten sogar auf ihren Wettgewinn. Snayssol kämpfte sich durch die umherlaufenden Loghanen. Als er den alten Wettmeister erblickte, packte er ihn am Kreuzgurt. »Du wolltest wohl verschwinden, was?« Der Alte stieß ein enttäuschtes Knurren aus. Man sah ihm deutlich an, daß er nicht mit Snayssols Hartnäckigkeit gerechnet hat te. »Meinen Gewinn! Aber Tempo!« Snayssol streckte seine Linke aus. Seine schrägstehenden Augen bildeten Schlitze. Währenddessen wurde das Motorgeräusch lauter. Die Gleiter der Patrouille standen jetzt unmittelbar über ihnen. Lediglich das dichte Blätterdach hinderte sie noch an der Landung. Mehrere Scheinwerferkegel huschten über den Boden. Ein Thermostrahl verdampfte einen Baum. Qualm und glühende Holz stückchen bedeckten die Lichtung. »Meinen Gewinn«, preßte Snayssol uner bittlich hervor. »Ich bin schneller als du! Ich entkomme der Patrouille allemal.« Der Alte verlor die Nerven. Keuchend zerrte er ein kleines Bündel aus dem Kreuz gurt. »Nimm das und laß mich endlich los!« Snayssol öffnete das Bündel mit der Lin ken. Eine Spange hielt mehrere Lebensmit
Hexenkessel der Transmitter telkarten zusammen. Darunter lag eine Pro grammkarte für das Sensitivkino. Doch das Wichtigste war der Magnetschlüssel zur Wohnung des Grauen. »Das reicht«, knurrte Snayssol und ließ den Alten los. »Verschwinde!« Snayssol kümmerte sich nicht mehr um das Geschehen auf der Dschungellichtung. Er schlug sich seitlich in die Büsche und rannte gebückt durch eine enge Röhre. Klei ne Tiere durchquerten hier den Dschungel. Kein anderer Loghane kannte diesen Weg. Als das Lärmen hinter ihm leiser wurde, verlangsamte er seine Gangart. Er konnte mit sich zufrieden sein. Er hatte das EdSchun-Spiel gewonnen und die Wohnung des Grauhaarigen errungen. Jetzt würde er sich wochenlang um nichts anderes küm mern. Er würde die Sammlung der Speicher kristalle ausgiebig prüfen. Vielleicht fand er endlich einen entschei denden Hinweis auf die verschwundenen Ahnen.
5. Der Kandidat Der Graue besaß eine Wohnung im Stadt zentrum von Poal-To. Normalerweise stan den die Wohntürme sehr dicht beieinander. Der Bau, in dem sich die Wohnung des Grauen befand, stand aber etwa hundert Me ter von den anderen Türmen entfernt. Ledig lich ein paar geschwungene Rohrbahn-Tun nels führten dicht an diesem Wohnturm vor bei. Die Wohnung lag im neunundvierzigsten Stockwerk. Snayssol wußte, daß hier hauptsächlich Erben lebten. Niemand würde ihn belästigen oder fragen, was er in dieser Wohnung such te. Erst nach den nächsten Routinekontrollen konnte man mit einer Vermißtenmeldung rechnen. Bis dahin hätte er sämtliche Dinge in der Wohnung des Grauen untersucht. Er konnte sich also Zeit lassen. Seine Schritte klangen gedämpft. Der Bo den war mit weichem Kunststoff ausgelegt.
29 Snayssol steckte den Schlüssel in die elektronische Abtastung. Geräuschlos ver schwand die Tür in der Wandritze. Drinnen ertönte gedämpfte Musik. Die Sichtblenden bedeckten die Fensterfronten. Neugierig ging Snayssol an den farbigen Polsterelementen vorbei. Die Möbel schufen eine behagliche Atmosphäre. Der Graue war passionierter Waffen sammler gewesen. An den Wänden hingen Thermostrahler, einfache Schußwaffen, Stahlplastik-Westen, Blasrohre und ver schiedene Arten von Peitschen. Snayssol zählte fast fünfzig verschiedene Waffenmo delle. Im Nachhinein kam es ihm wie ein Wun der vor, daß er den Grauen überhaupt be siegt hatte. Der Loghane war nicht nur ein Waffennarr, sondern auch ein ausgezeichne ter Waffenkenner gewesen. Dennoch besaß er keine Waffen, die ein mal den Ahnen gehört hatten. Snayssol war stolz auf den Besitz seines Druckluftnadlers, den er dem Schetankopf abgenommen hatte. Solche Waffen waren äußerst selten. Da ihr Besitz verboten war, fand man diese Modelle höchstens bei einem Sammler oder bei den Rebellen. Im Nebenraum entdeckte Snayssol in ei ner kleinen Vitrine mehrere Speicherkristalle. Er pfiff aufgeregt durch die Zähne. Das war es, wonach er gesucht hatte. Jetzt fehlte ihm nur noch ein Abspielgerät. Doch so sehr er sich umschaute, er konnte keines ent decken. Vielleicht hat er das Gerät woanders ver steckt, dachte Snayssol und betrat den Schlafraum. Plötzlich blieb er wie angewur zelt stehen. Das Rauschen der Reinigungs anlage klang zwar nur gedämpft bis hierher, doch es war nicht zu überhören. Snayssol wollte sich vorsichtig zurückzie hen, doch da stieß er mit dem Rücken gegen eine Wandkonsole. Getränkebehälter fielen klirrend zu Boden. Im gleichen Augenblick verstummte das Wasserrauschen. »Bist du's?« rief eine weibliche Stimme.
30 Snayssol überlegte kurz. Er hatte nicht da mit gerechnet, daß der Graue Besuch hatte. Wie sollte er sich verhalten? Er, hatte den Grauen getötet. Das machte ihn für alle Freunde seines Kontrahenten automatisch zum Gegner. »Komm ruhig 'rein …, wir können zu sammen baden«, ertönte die Stimme zum zweiten Mal. »Wasch dir den Kampf schweiß ab, Grauer!« Snayssol gab sich einen inneren Ruck. Er konnte der Konfrontation nicht ausweichen, wenn er die Speicherkristalle des Grauen in Sicherheit bringen wollte. Obwohl ihm die persönlichen Dinge des Grauen als Sieges prämie zustanden, kam er sich auf einmal wie ein Dieb vor. »Worauf wartest du? Komm schon!« Snayssol schob die Milchglastür beiseite. Die zierliche Loghanin stieß einen entsetz ten Schrei aus. Sie hockte bis zu den Hüften in der runden Wanne und hatte sich gerade eingeschäumt. »Wer … bist du?« stammelte sie. »Ich habe den Grauen besiegt. Sein sech ster Kampf war zugleich sein letzter.« Die Loghanin schwieg erschüttert. Ihre großen Augen drückten Trauer und Schmerz zugleich aus. Sie jammerte nicht. Doch ihre ganze Haltung zeigte dem Erben, daß sie nicht mit der Niederlage des Grauen gerech net hatte. Sie war kleiner als Snayssol. Ihr zierlicher Körper war schlank und wohlge formt. Der seidige Pelz besaß jene charakte ristischen Flecken, die bei allen Weibchen wie eine Verzierung wirkten. »Es tut mir leid«, sagte Snayssol einfach. Sie nickte. Dann senkte sie ihren Blick. Sie wollte nicht, daß ein Fremder sie weinen sah. »Du gehörst jetzt mir«, ergänzte Snayssol seine Worte. »Ich bin jünger als der Graue. Du solltest dich freuen.« Sie reagierte nicht darauf. »Sag etwas«, drängte Snayssol. Ohne den Erben anzusehen, stieg sie aus dem Bad und stellte sich unter die automati sche Trockenanlage. Ihr weicher Pelz wurde
Dirk Hess von einem Heißluftstrom – umfächelt. Sie schüttelte sich, wobei ihre hübsche Figur vorteilhaft zur Geltung kam. »Gefalle ich dir etwa nicht?« brummte Snayssol enttäuscht. Sie verließ die Trockenanlage. Das Sum men verstummte augenblicklich. Ihr Fell glänzte jetzt seidig und reflektierte das Licht der Deckenleuchten. »Darum geht es nicht«, sagte sie. »Ich kann dir nicht gehören. Ich erwarte ein Jun ges. Der Graue ist sein Vater.« Snayssol trat verblüfft einen Schritt zu rück. Damit hatte er nicht gerechnet. Eine schwangere Loghanin durfte ihren Partner nicht mehr wechseln. Sollte er jedoch vor ih rer Niederkunft sterben, so blieb sie allein. Das war das Gesetz auf Kledzak-Mikhon. Die Geburt durfte auf gar keinen Fall ge fährdet werden. Da die Geburtenrate relativ niedrig war, achtete das Triumvirat beson ders streng auf die Einhaltung dieses Geset zes. Snayssol überwand seine Überraschung ziemlich schnell. »Die Wohnung gehört jetzt mir«, sagte er. »Ich nehme an, du wirst dir jetzt ein anderes Quartier suchen. Oder etwa nicht?« Sie lächelte. Doch dahinter versteckte sie ihre Unsicherheit. Sie wußte nicht, wie sie sich Snayssol gegenüber verhalten sollte. »Ich habe keinen Angehörigen«, begann sie. »Also muß ich vorerst hierbleiben. Au ßerdem gehört dir die Wohnung gar nicht …« Snayssol brauste erregt auf. »Was? Die Wohnung soll mir nicht gehö ren? Ich habe das Ed-Schun-Spiel gewon nen!« »Mag sein«, entgegnete sie kühl. »Diese Zweikämpfe sind ungesetzlich. Was dabei von den Kämpfern und Wettveranstaltern vereinbart wird, gilt nach loghanischem Recht nicht. Dir gehört also gar nichts.« Snayssol biß sich auf die Unterlippe. Die Kleine machte ihm also bewußt Schwierig keiten. »Wir werden uns schon irgendwie eini
Hexenkessel der Transmitter gen«, meinte Snayssol vermittelnd. Sie schüttelte energisch den Kopf. »Nein … ich denke nicht daran. Ich werde dich …« Weiter kam sie nicht. Von draußen tönten gedämpfte Befehle herein. Das Trappeln schwerer Stiefel erfüllte den Hausgang. Snayssol drehte sich um. Er sah gerade noch den Schatten eines Gleiters hinter den Sicht blenden der Fensterfront davonhuschen. Dann wurde gegen die Tür geklopft. »Aufmachen! Wir wissen, daß du in der Wohnung steckst, Snayssol!«
* Die Loghanin sprang schreiend ins Wohn zimmer. Snayssol lief hinterher und packte sie im Genick. »Sei still, oder ich bringe dich zum Schweigen!« Sie zuckte zusammen und sank weinend in ein Polster. Snayssol lief zum Fenster und schob die Sichtblende ein bißchen hoch. Er hatte einen ausgezeichneten Blick auf den westlichen Stadtbezirk. Der Himmel war klar. Er konn te bis zu dreißig Kilometer in die Ferne blicken. Dann zuckte er zusammen. Zwan zig Polizeigleiter hatten den Bezirk abgerie gelt. Sie schwebten in genau gleichen Ab ständen vor dem Wohnturm. Snayssol sah, daß sie mit Thermostrahlern ausgerüstet wa ren. Sie suchen mich! Sie wissen, daß ich beim Ed-Schun-Spiel gewonnen habe, durchzuckte es den Erben. Jemand muß mich verraten haben. Er würde wahrscheinlich nie erfahren, wer für das Triumvirat Spitzeldienste gelei stet hatte. Die Situation war verfahren. Doch Snayssol war entschlossen, sich erbittert zur Wehr zu setzen. Er riß den Druckluftnadler aus dem Kreuzgurt und rannte zur Vitrine hinüber, in der die Speicherkristalle lagen. Hastig stopfte er ein paar davon in seine kleine Gürteltasche. »Sie werden hier alles zusammenschmel
31 zen«, schrie die Loghanin entsetzt. »Ergib dich, dann kannst du Gnade beim Triumvirat erwarten! Denk an mich. Ich erwarte ein Junges!« »Wie oft willst du mir das noch sagen«, bellte Snayssol ungerührt. Jetzt klopfte es wieder an die Tür. Dies mal klang es härter. »Aufmachen, oder wir zerstrahlen die Tür!« Das war eine unmißverständliche War nung. Beim nächsten Mal würden sie schie ßen. Snayssol hörte, wie sich mehrere Log hanen im Hausgang unterhielten. Er ver nahm auch das Klicken der Waffensicherun gen. »Laß den Unsinn«, schrie die Gefährtin den Grauen und wollte Snayssol die Waffe aus der Hand schlagen. Er blockte ihren An griff mit dem Ellenbogen ab und stieß sie zu Boden. Dann zielte er auf die Tür und drückte ab. Dem kurzen Knall folgte die Druckluftex plosion. Die gesamte Türfüllung wurde aus dem Rahmen gerissen. Dicke Kunststein brocken rollten in den Hausgang, und das Wimmern eines verletzten Loghanen ertön te. Eine elektrische Leitung verschmorte. Der Qualm der gummiartigen Isolierung trieb durch den Raum. Snayssol warf einen letzten Blick auf die junge Loghanin, die ihr Gesicht fest in die Polster preßte. Er bellte einen Abschiedsruf, dann sprang er mit schußbereiter Waffe in den Gang hinaus. Sie werden die Personenaufzüge bewa chen, schoß es Snayssol durch den Kopf. Al so versuche ich mein Glück über die Nott reppe. »Dort hinten läuft er«, schrie ein Polizist. Snayssol rannte an einer Fensterluke vor bei. Dicht dahinter hing der Korb für die Fensterreiniger. Die Fernbedienung für das Gerät lag in einem Sicherungskasten. Snayssol überlegte nicht lange. Er zer trümmerte die Glasscheibe mit dem Kolben seiner Waffe. Dann sprang er in den schwankenden Reinigungskorb. Ein scharfer
32 Luftzug zerzauste seinen grünen Pelz. Er hielt unwillkürlich die Luft an. Unter ihm ging es zweihundert Meter steil abwärts. Er klammerte sich am Haltegriff des schwan kenden Korbes fest, der über einen Seil- und Schienenmechanismus an der Hauswand auf- und abwärts gefahren werden konnte. Ein Druck auf die Tastatur der Fernbedie nung, und der Korb ruckte an. Plötzlich schoß ein Gleiter um die Hau secke. Hinter der Frontverglasung erkannte Snayssol mehrere Bewaffnete. Er sah, wie die Polizisten aufgeregt auf den Reinigungs korb deuteten. Ungerührt hob er seinen Druckluftnadler und zielte auf den Gleiter. Plötzlich riß ein scharfer Luftstrom seinen Arm hoch. Der Schuß ging fehl. Irgendwo über ihm zerplatzte die winzige Druckluft kapsel. Verdammt, dachte Snayssol, jetzt bin ich erledigt. Ein Thermostrahl blitzte auf. Unmittelbar neben dem abwärts rasenden Reinigungs korb bildete sich ein schwarzer Fleck in der Hauswand. Verschmorte Kunststeinbrocken prasselten in die Tiefe. Snayssol konnte das pfeifende Rufsignal der Funk-Sprechanlage des Gleiters hören. Er sah auch, wie ein Bewaffneter das Mikro phon ergriff, um sich bei seinem Gesprächs teilnehmer zu melden. Die Gesichter der Po lizisten verfinsterten sich. Der Sprechende nickte mehrmals. Seine spitz aufgerichteten Ohren knickten ab. Was hat das zu bedeuten, dachte Snayssol verblüfft. Sie hätten eben mehrmals Gele genheit gehabt, mich zu verbrennen. Er hob seinen Druckluftnadler. Doch er kam nicht mehr zum Schuß. Die Polizisten hatten ihre kleinen Blasrohre aus den Kreuz gurten gezogen und Snayssol mit einem Ha gel vergifteter Pfeile eingedeckt. Die Wind böen lenkten zahlreiche Pfeile ab, doch einer traf Snayssol in den Oberkörper. Sie wollen mich nicht töten, durchzuckte es den Erben. Sie haben eben den Befehl be kommen, mich nur zu betäuben. Sie wollen
Dirk Hess mich also lebend haben. Anscheinend trauen sie sich nicht, einen Erben mitten in der Stadt zu den Ahnen zu schicken. Dann taumelte Snayssol. Die Wirkung des Nervengifts entfaltete sich rasend schnell. Seine Gedanken verwirrten sich. Feurige Schemen tanzten vor seinen Augen. Dann krachte er schwer auf die Brüstung des Rei nigungskorbs. Sekundenlang sah es aus, als würde er die restlichen hundert Meter in die Tiefe stürzen. Doch dann erstarben seine Bewegungen völlig. Neben dem abwärts rutschenden Reini gungskorb schwebte der Polizeigleiter an der Hauswand herunter.
* »Stehen Sie gerade, Erbe Snayssol!« Ras safuyls Stimme klang schneidend. Der Ob mann des Triumvirats stand hochaufgerich tet vor dem Kommunikationspult. Sein sei diger Pelz schimmerte dunkelgrün. Unter halb der Schlüsselbeinknochen hatte er meh rere dunkle Farbringe aufgetragen. Rassa fuyl war eitel, und er scheute keine Mühe, seine Erscheinung immer wieder vorteilhaft zu präsentieren. Snayssol stand mit hängenden Armen da. Sie hatten ihm alles abgenommen. Sein Blick glitt von einem Ratsmitglied zum an deren. Links standen die alten Erben Tamoyl und Kenyol. Ihr Pelz war mit weißen Fäden durchzogen. Die harte Arbeit des Regie rungsgeschäfts hatte sie frühzeitig altern las sen. »Sie haben den Tod verdient, Erbe Snays sol«, bellte Rassafuyls Stimme erneut auf. »Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung zu sa gen?« »Ich habe lediglich das getan, was jeder auf Kledzak-Mikhon tun würde«, meldete sich Snayssol schwach. Die Wirkung des Nervengifts war noch nicht aus seinen Glie dern gewichen. »Die Ed-Schun-Spiele sind verboten«, sagte der alte Tamoyl. »Ja … ich weiß das«, erwiderte Snayssol.
Hexenkessel der Transmitter Er machte sich kaum Hoffnung, den Regie rungspalast jemals wieder lebend verlassen zu können. »Und trotzdem haben Sie einen Loghanen getötet?« »Wer an den Spielen teilnimmt, muß sich den Regeln beugen«, stieß Snayssol trotzig hervor. Er hatte gar nicht erst den Versuch gemacht, sich vor den Ratsmitgliedern un terwürfig zu benehmen. Sie waren auch nur sterbliche Loghanen. Das einzige, was sie von ihm unterschied, war ihr Wissen. Sie kannten das Rätsel der Ahnen. »Ich gebe ja alles zu«, knurrte Snayssol. Seine spitzen Ohren standen kerzengerade empor. Allein das bedeutete einen Affront gegen das Triumvirat. Weder die Techniker im Regierungspalast, noch die weiblichen Begleiterinnen der drei Mächtigen durften sich so benehmen. »Sie sind ein unverbesserlicher Rebell, Erbe Snayssol«, stieß Kenyol barsch hervor. »Sie verlassen sich darauf, daß Erben bevor zugt behandelt werden. Doch einmal ist Schluß damit. Strapazieren Sie unsere Ge duld nicht allzusehr …« »Ich weiß, daß ich sterben muß! Das wuß te Hover-Maracul auch!« Snayssol grinste das Ratsmitglied Rassa fuyl dabei herausfordernd an. Rassafuyl sagte zunächst überhaupt nichts auf diese Anspielung. Er stand wie verstei nert da und preßte die Lippen zusammen. Die Pupillen seiner Schlitzaugen verengten sich, und die Nasenlöcher seiner Stumpfnase blähten sich. »Was soll die Erwähnung eines Erben, der längst zu den Ahnen gegangen ist?« fragte Tamoyl. »Rassafuyl kann Euch das am besten er klären!« Tamoyl drehte sich zum Ratskollegen Rassafuyl um. Der alte Loghane erhob die Rechte und meinte gedehnt: »Wissen Sie, verehrter Rassafuyl, was dieser Erbe meint? Wenn ich mich recht er innere, sollte jener Hover-Maracul Ihre Stel le im Triumvirat einnehmen, nachdem der
33 Posten vakant war.« Rassafuyl wußte natürlich genau, worauf Snayssol hinauswollte. Er hatte das Ablen kungsmanöver des Gefangenen sofort durch schaut. Während der vergangenen Jahre war die Intrige, die ihm das Amt eines Ratsmit glieds verschafft hatte, längst in Vergessen heit geraten. Er tat sein Möglichstes, damit es dabei blieb. »Snayssol will seinen Hals aus der Schlin ge ziehen«, bemerkte Rassafuyl knapp. »Das ist verständlich, aber nicht entschuldbar. Ich plädiere dafür, daß dem Erben sofort das Wort entzogen wird. Wir haben wichtigere Dinge zu tun, als unsere Zeit mit diesem Ge setzesbrecher zu vergeuden.« Snayssol lachte bellend auf. »Hover-Maracul hat Sie mir genauso be schrieben«, log er. »Unbeherrscht und im mer nur auf den eigenen Vorteil bedacht.« Rassafuyl beherrschte sich. Man sah ihm an, daß er schwer mit sich kämpfen mußte, um nicht aus der Rolle zu fallen. »Sehen Sie, meine verehrten Kollegen«, knurrte Rassafuyl. Dabei erhob er die Rech te theatralisch und stieß mit vorgestrecktem Daumen schräg nach oben in die Luft. »Ich warnte Sie schon öfter über die Gefahr von draußen! Es gibt Aufrührer, Rebellen und Gesetzesbrecher, die unsere altehrwürdige Ordnung vernichten wollen. Diesen Verbre chern ist nichts mehr heilig …« Tamoyl unterbrach den Redeschwall sei nes Kollegen durch eine ungeduldige Hand bewegung. »Ich kenne Ihre Theorie, Rassafuyl. Ihre Polizeieinsätze gegen die kleinen Bergdörfer sollten Ihre Annahme bestätigen. Doch bis heute konnten Sie den Beweis nicht erbrin gen, daß es tatsächlich Rebellen und Unter grundkämpfer auf Kledzak-Mikhon gibt. Der überwiegende Teil der Bevölkerung achtet unsere Gesetze. Wir können uns nicht beklagen.« »Und dieser unwürdige Erbe«, keuchte Rassafuyl, »ist er etwa kein lebender Beweis für meine Theorie?« Snayssol verfolgte grinsend das Streitge
34 spräch der Ratsmitglieder. Aus der Anklage gegen ihn war eine Auseinandersetzung un ter den Richtern geworden. Etwas besseres konnte er sich eigentlich gar nicht wün schen. Ihm war in den letzten Minuten klar geworden, daß Rassafuyls Stellung inner halb des Triumvirats weniger gefestigt war, als allgemein angenommen wurde. Rassa fuyl strebte nach der alleinigen Macht über Kledzak-Mikhon. Doch die beiden anderen Ratsmitglieder wußten sich dagegen zu weh ren. »Ich suche die Wahrheit«, platzte Snays sol mitten in die hitzig geführte Debatte hin ein. Die Ratsmitglieder verstummten. Sie sa hen Snayssol entgeistert an. »Die Wahrheit«, knurrte Tamoyl gedehnt. »Die einzige Wahrheit ist das Gesetz des Triumvirats.« »Ich suche die Wahrheit über die Ahnen!« Tamoyl vergaß vor Erstaunen den Mund zu schließen. Auch die beiden anderen Rats mitglieder waren überrascht. Mit dieser Of fenheit hatten sie nicht gerechnet. »Das ist verboten«, brachte Kenyol schließlich hervor. Snayssol zuckte ungerührt mit den Schul tern. »Ich weiß … aber der Drang nach Er kenntnis ist immer stärker gewesen. Ich bin neugierig. Ich will mehr über unsere Vorge schichte wissen. Es gibt viel zuviel unge klärte und widersprüchliche Dinge auf Kledzak-Mikhon, als daß ein Erbe mit mei nem Intelligenzquotienten darüber hinweg gehen könnte.« Kenyol hob den Kopf. Die Miene des Lo ghanen wirkte versteinert, doch Snayssol glaubte in den Augen des alten Ratsmit glieds so etwas wie Verständnis erkennen zu können. »Ihr Intelligenzquotient beträgt hundert fünfundachtzig Darts …« Snayssol warf einen Blick auf Rassafuyl. Bei der Nennung der Darts-Ziffer war das Ratsmitglied unwillkürlich zusammenge zuckt. Snayssol, der sich an sein Gespräch
Dirk Hess mit dem sterbenden Hover-Maracul erinner te, wußte, daß Rassafuyl nur einen Intelli genzquotienten von hundertachtzig Darts be saß. Jeder Erbe, der einen höheren DartsQuotienten besaß, wurde in seinen Augen automatisch zu einem Gegner um die Amts würde. Snayssol ahnte, daß Rassafuyl jetzt fieberhaft nach einer Möglichkeit suchte, wie er ihn aus dem Weg räumen konnte. »Dieser hohe Intelligenzquotient«, fuhr Kenyol fort, »hat uns auch dazu veranlaßt, Sie lebend zu fangen. Unsere Gesetze schüt zen sowohl das ungeborene Leben wie auch die Intelligenz. Wir dürfen Sie nicht zum Tode verurteilen, Snayssol. Wir können Sie aber auch nicht ungestraft entlassen.« Snayssol nickte. Seine Chancen standen also nicht allzu schlecht. Jetzt räusperte sich Rassafuyl. Die fun kelnden Schlitzaugen des Ratsmitglieds ver rieten nichts Gutes. Er warf einen höhni schen Blick auf den Erben und wandte sich dann an seine beiden Amtskollegen: »Wir sollten dem Erben Snayssol Gele genheit geben, seine Verfehlungen zu bereu en und sich im Kampf zu bewähren …« Die beiden alten Loghanen nickten zu stimmend. »Der Meinung bin ich auch«, brummte Kenyol. »Strafe muß sein.« »Der Erbe Snayssol kann vor aller Augen zeigen, was in ihm steckt«, sagte Rassafuyl ergänzend. »Wenn seine kämpferischen Qualitäten ebenso groß sind wie sein Intelli genzquotient, dann wird er das Spiel der Schwarzen Tore lebend überstehen!« Snayssol glaubte, im Boden versinken zu müssen. Im flimmerte vor Augen. Das Spiel der Schwarzen Tore war die mörderischste Angelegenheit, die auf Kledzak-Mikhon be kannt war. »Wir sind einverstanden«, knurrten Ke nyol und Tamoyl gleichzeitig. Rassafuyl atmete erleichtert aus. »Dann schafft den Gefangenen zu den an deren Kandidaten. In drei Tagen fangen die Spiele an. Ich bin gespannt, wie er sich schlagen wird.«
Hexenkessel der Transmitter Snayssol ließ sich teilnahmslos aus dem Saal führen. Hinter ihm verhallte das Ge lächter Rassafuyls. Er konnte nichts gegen die Entscheidung unternehmen. Einen Ein spruch dagegen sahen die Gesetze des Pla neten nicht vor. Snayssol erinnerte sich an Hover-Ma raculs Schicksal. Alles in ihm krampfte sich zusammen. Er ahnte, daß Rassafuyl zu ähn lichen Mitteln greifen würde, wie in HoverMaraculs Fall. Denn offiziell durfte man einen Erben nicht töten. Doch im geheimen standen Rassafuyl alle Machtmittel der Ah nen zur Verfügung, um den Mordplan zu verwirklichen.
6. Das Spiel der Schwarzen Tore Die Straßen sämtlicher Großstädte waren verstopft. In Poal-To umringten Tausende die aufgestellten Bildschirme. Jeder wollte dabei sein, wenn die dreitausend jungen Lo ghanen das Spiel der Schwarzen Tore be gannen. Das Triumvirat hatte die Teilneh mer dazu willkürlich ausgesucht. Wenn die ser oder jener Loghane aus politischen Gründen zur Teilnahme gezwungen wurde, so fiel das überhaupt nicht auf. Niemand würde fragen, ob der Erbe Snayssol zum Kampf gezwungen wurde oder ob er freiwil lig daran teilnahm. Kein Spieler hatte die Möglichkeit, später noch einmal Kontakt mit den Zuschauern aufzunehmen. Knisternde Spannung erfaßte die Logha nen. Die einzelnen Familien waren stolz, wenn ein Verwandter zum: Spiel gerufen wurde. Kam er dabei ums Leben, wog das nicht so schwer, als wenn er zu Hause gestorben wä re. Jene Erben, die als Schiedsrichter fungier ten, schwebten in offenen Gleitern zu den einzelnen Torstationen. Von dort würden sie über den Fortgang der Spiele berichten. Sie achteten auch darauf, daß kein Spieler gegen die Regeln verstieß. Ausgangspunkt für alle Spieler war das
35 Beginntor von Poal-To. Die dreitausend Spieler bildeten zunächst zwei Gruppen. Das Los entschied jetzt, wer zur ersten und wer zur zweiten Gruppe zähl te. Die erste Gruppe würde sofort durch das Beginntor gehen, die andere etwas später. Dadurch verzögerte sich der Ablauf etwas, und die Spannung erhöhte sich auf ein Ma ximum. Beim Spiel der Schwarzen Tore vergaßen die Loghanen die Probleme des Alltags. Kein Erbe fragte mehr nach den Ahnen. Nie mand wunderte sich über die Widersprüche im täglichen Leben. Das war im Grunde auch der Hintergedanke des Triumvirats. Die Wissenden wollten verhindern, daß je mand auf die Idee kam, die komplizierte Technik könnte nicht von den Loghanen be herrscht werden. Indem sie die Transmitterverbindung zu einzelnen Spielstationen umfunktionierten, schufen sie sich die Illusion, sie wären die geborenen Transmittermeister. Nachdem die ersten fünfzehnhundert Log hanen das Beginntor von Poal-To durch schritten hatten, war kein Loghane mehr von den Bildschirmen wegzukriegen. Eine Verteilerautomatik spaltete jene fünfzehnhundert Loghanen in mehrere Gruppen auf. Jede Kleingruppe wurde Se kundenbruchteile später aus einem Tor aus gespien. Hier sahen sich die Spieler gefährli chen Situationen gegenüber, die sie meistern mußten. Neun Tore waren nämlich als Fal len präpariert worden, um die Spielerschar schon frühzeitig zu dezimieren. Das zehnte Tor war ein Kampfplatz. Hier fielen die Überlebenden übereinander her. Sie mußten sich bis aufs Messer bekämpfen, denn nur fünfzehn aus dem ersten Durchgang durften am Leben bleiben. Dasselbe Verfahren wur de auch bei den Überlebenden des zweiten Durchgangs angewandt. Sollte wider Erwar ten eine ungewöhnlich hohe Verlustziffer schon beim ersten Durchgang zu verzeich nen sein, so wurden immer fünfzehn Logha nen aus jeder Gruppe zurückgehalten. Es war nämlich Gesetz, daß immer der zehnte
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Teil überleben mußte. Warum das so war, wußte keiner zu sagen. Insgesamt überlebten dreißig Loghanen das Spiel der Schwarzen Tore. Niemand hatte sich bis jetzt über die grau samen Spielregeln beschwert. Es kam auch keinem in den Sinn, sportliche Wettkämpfe ohne Blutvergießen vorzuschlagen. Vielleicht lag gerade in diesem Verhalten die Tragik der Loghanen begründet: Sie hat ten noch nie den Versuch gemacht, beste hende Verhältnisse ändern zu wollen! Der Erbe Snayssol befand sich in der er sten Großgruppe. Zusammen mit 1499 ande ren Loghanen durchschritt er das Beginntor von Poal-To.
* Snayssol empfand ein unangenehmes Zie hen im Nacken. Hinter ihm ertönte unbeherrschtes Flu chen. Das laute Bellen einiger Mitspieler schallte über den Transmittervorplatz. Snayssols Gruppe bestand aus zehn Log hanen. Jeder litt unter den Nachwirkungen des Sprunges. »Wir müssen auf dem Südkontinent ge landet sein«, dröhnte die Stimme eines breit schultrigen Loghanen. Heißer Wind fegte über den Vorplatz. Dicke Kunststeinmauern schirmten das Schwarze Tor vom Hinterland ab. Von hier aus sah man Sanddünen, die sich bis zum Horizont erstreckten. Es war keinerlei Vege tation zu erkennen. Vor den Spielern breitete sich eine hitzedurchglühte Wüste aus. Snayssol betrachtete die anderen. Harte Burschen, dachte er bei sich. Jetzt geben sie sich noch friedlich. Aber nachher wird das anders. Jeder will das zehnte Tor lebend erreichen. Spätestens beim neunten Tor fallen sie übereinander her. »Wo finden wir das zweite Tor?« Achselzucken und Ratlosigkeit. »Am besten marschieren wir einfach ge radeaus«, schlug einer vor, dessen Pelz im Sonnenlicht giftgrün schillerte. »Weiter hin-
ten steigt das Gelände an. Dort könnten wir uns orientieren.« In Ermangelung eines besseren Vor schlags verließen sie den Transmittervor platz. Hinter ihnen erlosch der Energiebogen des Transportfelds. Snayssol fragte sich vergeblich, wo die Aufnahmekameras für das loghanische Vi deo aufgestellt war. Da das Gelände ziem lich unübersichtlich war, gab es genügend Verstecke für die Schiedsrichter. Es würde nicht leicht sein, sie zu entdecken. »Verdammte Hitze!« schimpfte ein Log hane. Er trug einen besonders farbenprächti gen Kreuzgurt. »Ich finde, wir sollten uns erst einmal miteinander bekannt machen«, schlug Snayssol vor. »Wir sind während der folgen den Tordurchgänge aufeinander angewiesen. Ich will wissen, mit wem ich's zu tun habe.« Der breitschultrige Hüne grinste verächt lich. »Wenn du darauf aus bist, zu erfahren, wer ich bin …«, er schlug sich lachend auf den Brustkorb, »dann komm doch her! Ich zeige dir gern, wie stark ich bin.« Snayssol ließ sich nicht herausfordern. Er hatte sofort erkannt, daß der Hüne nur einen Streit vom Zaun brechen wollte. »Ich bin ein Erbe«, begann er erneut. »Das Ratsmitglied Rassafuyl hat mich zum Kampf gezwungen. Mein Intelligenzquotient beträgt hundertfünfundachtzig Darts. Rassa fuyl will verhindern, daß ich jemals in den Rat komme …« Mehrere Mitspieler unterbrachen Snays sol grob. »Sei still. Wir sind nicht hier, um mitein ander zu quatschen! Wir wollen schleunigst das nächste Tor finden. Alles was uns auf hält, bringt anderen einen Vorteil.« Snayssol verzog den Mund. »Ihr seid wie Roboter! Ihr nehmt alles hin was man euch befiehlt …« »Bringt den Kerl endlich zum Schwei gen«, knurrte ein Loghane. Die Spieler nahmen Snayssol gegenüber eine drohende Haltung ein. Bevor es zu
Hexenkessel der Transmitter Handgreiflichkeiten kam, schrie ein Logha ne entsetzt auf. Die Köpfe der Spieler ruck ten herum. Etwa zwanzig Meter von ihnen entfernt wirbelte eine Sandfontäne auf. Ein junger Mitspieler steckte bis, zur Hüfte im Treib sand. Er schaufelte verzweifelt Sand, doch mit jeder Bewegung rutschte er tiefer hinun ter. Wenn man genauer hinschaute, sah man die tückischen Sandstrudel. Sie verrieten den Loghanen, daß die ganze Wüste in ständiger Bewegung begriffen war. Der Untergrund verschob sich, und durch die Temperaturun terschiede wurden häufig Sandbeben er zeugt. Der feinkörnige Sand ließ nichts mehr frei, was er einmal erfaßt hatte. »Wir müssen ihm helfen«, sagte Snayssol erschüttert. »Hier ist sich jeder selbst der Nächste«, erklärte der Hüne und drehte sich um. »Laß mich nicht im Stich«, zeterte der versinkende Loghane. Er steckte schon bis zum Hals im Sand. Seine Augen traten gro tesk hervor, und seine Arme suchten krampfhaft nach Halt. Die anderen Spieler gingen langsam zu rück. Sie achteten jetzt besonders aufmerk sam auf den Sand. »Helft mir«, schrie der Versinkende. Sein Schrei ging im Lärm der anderen Lo ghanen unter. Einige hatten bereits den Transmittervorplatz erreicht. Snayssol hielt unentschlossen inne, obwohl er wußte, daß dem Sandopfer nicht mehr zu helfen war. Er blickte schaudernd zu dem Loghanen hin über, dessen Kopf gerade im Treibsand ver schwand. Plötzlich ertönte ein krachender Schlag. »Der Transmitter läuft wieder an!« Snayssol war jetzt sicher: Das Ganze war ein Trick gewesen, um sie alle in den Treib sand zu jagen. In wenigen Augenblicken wölbte sich ein grünlicher Energiebogen über den Säulen, aus denen sie eben getreten waren. Darunter gähnte ein schwarzer Sch lund, der so dunkel wie der Kosmos war. »Weg von hier«, schrie der Hüne und drängte sich an den anderen vorbei. Er
37 sprang als erster durch den Transmitter. Ihm folgten die anderen. Snayssol kam als letzter dran. Ein zerrendes Reißen, und für einen kaum meßbaren Zeitpunkt gehörten die Spieler der fünften Dimension an.
* Der Hüne schrie. Seine Stimme drückte ohnmächtigen Zorn aus. Snayssol hockte auf der gerasterten Bo denplatte des Transmitters. Über ihm flim merte ein weißer Energiebogen. Das war ein Empfangstor. Es hatte also keinen Sinn, wenn er hier hockenblieb. Solang die Auto matik nicht auf Grün umschaltete, gab es keinen erneuten Durchgang. Ein lichtdämpfender Pflanzendschungel umgab die Station. »Fleischfressende Pflanzen«, keuchte ein Loghane. »Wir befinden uns immer noch auf dem Südkontinent.« Der Hüne wurde von mehreren klebrigen Tentakeln umschlungen. Die Pflanze, deren Stamm nicht von den Stämmen der anderen Bäume zu unterscheiden war, rollte inner halb weniger Sekunden weitere Greifarme aus. Die Oberfläche der gefährlichen Pflan zenarme schimmerte klebrig. Wie Schlangen überwanden sie die Entfernung zum Trans mitter. »Warum schalten sie nicht endlich auf Grün um«, bellte ein Loghane. »Die warten, bis es ein paar von uns erwi scht hat«, sagte Snayssol spöttisch. »Je län ger wir uns mit der Höllenpflanze herum schlagen, desto größer ist das Vergnügen der Zuschauer. Vielleicht sehen dich in diesem Augenblick deine Angehörigen auf dem Bildschirm. Die Spielleidenschaft hat sie so gepackt, daß ihnen dein Tod nichts aus macht.« Der Loghane knirschte mit den Zähnen. In seinen schrägstehenden Augen flackerte Todesangst auf. Snayssol deutete nach oben. Zwischen den rauschenden Blättern der Dschungelrie
38 sen sah man den Schatten eines Gleiters. »Dort hocken die Schiedsrichter! Du kannst sie ja um Gnade bitten.« Snayssol hörte die Entgegnung seines Mitspielers nicht mehr. Ein Pflanzenarm war von hinten an den Loghanen herangezückt, hatte sich blitzschnell um dessen Hals ge wickelt und den Mann nach oben gezerrt. »Armer Kerl«, stammelte Snayssol er schüttert. Der Hüne kämpfte immer noch um sein Leben. Während die anderen damit beschäf tigt waren, den heranschnellenden Pflanzen fangarmen auszuweichen, zerfetzte der Hü ne zehn Meter über dem Boden einen Fang arm. Sein Triumphgebrüll war weithin ver nehmbar. Er packte sofort den nächsten Fangarm, der sich um seine Hüfte geschlun gen hatte. Snayssol verfolgte das Ende seines Mit spielers aus weitaufgerissenen Augen. Die Fangarme transportierten den Schreienden bis in die Baumwipfel. Dort senkte sich ein riesiger Blütenkelch herab. Die manns großen Blätter besaßen spitze Dornen an den Rändern. Damit verhinderten sie das Abrut schen des Opfers. Nachdem die Fangarme den Loghanen bis an die Freßorgane heran gepreßt hatten, schlossen sich die Blüten blätter um den zuckenden Körper. Im Innern sonderten die Organe der Pflanze ein zerset zendes Sekret ab. Ein paar Tropfen davon perlten zwischen den Kelchblättern hindurch und fielen auf den Boden. Wenig später erstarben die zappelnden Bewegungen des Loghanen. Snayssol sah einen Fangarm auf sich zu schnellen. Er duckte sich, packte einen her umliegenden Ast und wehrte das Gebilde damit ab. Der Fangarm wand sich ruckhaft um den Ast. Snayssol spürte die unglaubli che Kraft der Pflanze. Der Ast wurde ihm aus den Händen gerissen und zerbrach knackend. Er beneidete den Hünen nicht. Der Kampf im Gewirr der Äste schien aussichtslos zu sein. Snayssol drehte sich um. Eben erwischte
Dirk Hess es einen anderen Mitspieler. Doch ehe ihn die Pflanze hochzerren konnte, hatte er sei nen Dolch aus dem Gürtel gezogen. Er zer trennte den Pflanzenarm mit einem Hieb. Im gleichen Augenblick färbte sich der obere Transportbogen grün. »Wir können von hier verschwinden«, schrie Snayssol und rannte auf den Trans mitter zu. Hinter ihm dröhnte der Wutschrei des Hü nen. Es gab ein heftiges Gedränge vor dem Transmitter. Snayssol wurde mehrmals bei seite geschubst, bevor er in den Erfassungs bereich des Energiefelds kam. Das letzte, was er erkennen konnte, waren die Fangarme, die auf den hünenhaften Spie ler zuschnellten. Doch der Loghane schien die Kräfte eines Morgo-Morgons zu besit zen. Er packte den Fangarm, der sich um seine Hüften gewickelt hatte, und zerfetzte ihn mit einem Ruck. Dann ließ er sich auf den Dschungelboden fallen und rannte keu chend auf das schwächer werdende Trans portfeld zu.
* Die Luft war frisch und klar. Hier fehlte die dumpfe Schwüle des südlichen Dschun gels. Irgendwo plätscherte ein Wasserlauf. Niedriges Buschwerk und kultivierte Zier bäume begrenzten das Blickfeld. Niemand konnte sehen, wie sich hinter ei ner Abblendwand mehrere tausend Logha nen drängten, um jede Bewegung der Spie ler zu verfolgen. Eine dreidimensionale Bildprojektion verbarg die Zuschauer vor den Blicken der Spieler. Das Ganze war so täuschend echt, daß nicht einmal Snayssol auf den Gedanken kam, daß sie weniger als fünfhundert Meter von den Zuschauern ent fernt standen. »Wir sind wieder auf Sover-Kar gelan det«, meinte der junge Loghane, dessen Pelz giftgrün schillerte. »Woher willst du das so genau wissen?« fragte ein anderer mürrisch.
Hexenkessel der Transmitter »Das Klima ist zu milde, für den Nord kontinent.« Der Hüne, der im letzten Augenblick durch den Transmitter gesprungen war, bau te sich grollend vor dem Giftgrünen auf. Er stemmte sich beide Fäuste in die Seiten. »Bist wohl auch ein Neunmalkluger, was?« »Ich kenne den Kontinent«, stieß der Gift grüne hervor. »Ich könnte wetten, daß wir nicht weit von Poal-To entfernt sind.« »Dann marschier los! Niemand hindert dich daran, dort Unterschlupf zu suchen.« Der Giftgrüne wandte sich ab. Er wollte sich mit den Hünen nicht streiten, denn auch er war Zeuge der unglaublichen Kraftakte dieses Loghanen geworden. »Wir haben eine Pause verdient«, rief der Giftgrüne den anderen Spielern zu. »Vielleicht ist das hier eine Erfrischungssta tion.« Der Hüne lachte grollend auf. »Bist du schon zu schwach, daß du dich ausruhen mußt, Kleiner? Paß auf, daß du nicht mit mir zusammen durchs neunte Tor kommst. Ich breche dir zuerst den Hals. So zusagen als Vorspiel, damit ich nicht aus der Übung komme.« Sein Lachen schallte über den ganzen Transmitterplatz. Die anderen gingen nicht darauf ein. Jeder fürchtete im Grunde den Augenblick, in dem er diesem Loghanen mit bloßen Fäusten gegenübertreten mußte. »He, wir kriegen Besuch!« Aller Augen richteten sich auf die hüb sche Loghanin, die zwischen den blühenden Bäumen stand und ihnen zulächelte. Ein schillernder Kreuzgurt betonte ihre weibli chen Rundungen, und in den Augen der Spieler war sie die perfekte Verkörperung des loghanischen Schönheitsideals. »Die Kleine sieht ja prächtig aus«, rief ein Spieler. »Paßt auf, daß der Hüne sie euch nicht wegschnappt«, stieß Snayssol grinsend her vor. Je eher sich die Spieler in die Haare kriegten, desto größer waren seine Chancen, heil durch das neunte Tor zu kommen.
39 Der Giftgrüne ließ sich nicht irritieren. Er ging langsam auf die Loghanin zu und ver neigte sich. »Freut mich, eine solche Schönheit wäh rend der Spiele kennenzulernen …« »Sie haben Benehmen«, gurrte das Weib chen und neigte den Kopf, wobei sie verfüh rerische Blicke in die Runde warf. »Freut mich, Sie kennenzulernen. Wie heißen Sie?« Der Giftgrüne ging näher an das Weib chen heran. Er fühlte sich seiner Sache völ lig sicher. »Ich bin Hovimyl aus der Familie der Gratinars«, flüsterte er. »Ich würde, mich glücklich schätzen, wenn …« Jetzt stockte der Giftgrüne. Irgend etwas schien ihn zu irritieren. »Die Stimme«, stieß er aufgeregt hervor. »Mit Ihrer Stimme ist etwas nicht in Ordnung.« »Was wollten Sie eben noch sagen, Hovi myl?« sagte das Weibchen sanft. »Kommen Sie doch näher …« Der Giftgrüne warf alle Bedenken über den Haufen. Er hatte nur noch Augen für die hübsche Loghanin, die sich langsam über den gefleckten Pelz strich. Plötzlich war der Giftgrüne verschwun den. Sein Schrei gellte sekundenlang durch die Luft, dann gab es einen schweren Schlag, und sein Schreien verstummte ab rupt. Das Weibchen stand noch an derselben Stelle. Jetzt winkte es den anderen Logha nen zu. »Eine ganz gemeine Psychofalle«, stieß Snayssol hervor. »Geht nur weiter, dann lan det ihr auch in einer Schlucht, einem Schacht oder einem künstlichen Graben.« Kaum hatte Snayssol das gesagt, als sich das Weibchen buchstäblich in Nichts aufzu lösen schien. Der Vorgangs erfolgte völlig lautlos. Wenig später war nichts mehr von ihr zu sehen. Dafür entdeckten die Loghanen etwas weiter hinten einen zweiten Transmit ter. Das Gerät stand auf einem niedrigen Sockel. »Das Schwarze Tor«, schrien die Loghanen fast gleichzeitig. »Wir können oh ne Prüfung wieder verschwinden.«
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»Ihr Narren«, meinte Snayssol verächt lich. »Merkt ihr denn nicht, daß uns die Schiedsrichter an der Nase herumführen wollen?« Mehr sagte er dazu nicht. Sollten die Ker le doch in ihr Unglück rennen. Er würde hier warten, bis der Ankunftstransmitter umge schaltet wurde. Vorschnelles Handeln hatte sich beim Spiel der Schwarzen Tore immer als ungünstig erwiesen. Doch Snayssols Warnung hatte die Log hanen mißtrauisch gemacht. Keiner wagte es, die unsichtbare Linie zu überschreiten, die für den Giftgrünen zum Verhängnis ge worden war. »Na was ist?« spottete Snayssol. »Habt ihr auf einmal Angst bekommen?« Die Spieler gingen unruhig auf und ab. Je der erwartete vom anderen, daß er die Initia tive ergriff. Das Warten beunruhigte die Lo ghanen zutiefst. Es zerrte an ihren Nerven, und würde sie über kurz oder lang zu un überlegten Handlungen hinreißen. Der Hüne baute sich vor Snayssol auf. Sein Gesicht drückte Verachtung aus. Es war der Neid auf die Intelligenz des Erben. Zumindest bei dieser Torstation kam er mit seinen Muskelkräften nicht weiter. »Freu dich nicht zu früh, Erbe«, grollte der Hüne. »Nicht mehr lange, und ich kriege dich zwischen die Finger. Dann werden wir ja sehen, was dir dein Grips nützt.« Snayssol schaute gleichmütig drein. Er wollte den Muskelberg nicht unnötig reizen. »Sie schalten das Tor um«, rief ein hage rer Loghane freudig erregt. Snayssol sah, wie sich der weiße Emp fangsbogen langsam grünlich verfärbte und dann stabil wurde. Der schwarze Schlund zwischen den Säulen erinnerte an einen Blick ins Weltall. Mit dem einzigen Unter schied, daß man hier keine Sterne sah. Das Transportfeld war makellos schwarz.
* Der hagere Loghane, der zuerst durch das Tor gesprungen war, wand sich vor Schmer-
zen am Boden. Er lag auf einer Felsplatte und krümmte sich schreiend zusammen. Schaum stand auf seinen Lippen. Seine Au gen quollen grotesk aus den Höhlungen. Snayssol kam leicht vorgebeugt aus dem Transmitter. Er blickte sichernd nach allen Seiten. Bizarre Felsformationen erstreckten sich bis weit in den Hintergrund. Dazwi schen gähnten düstere Schluchten und Fels spalten. Das könnte der Nordkontinent sein, ging es ihm durch den Kopf. Ein Spieler nach dem anderen verließ das Transmitterfeld. Jeder wurde durch den An blick des wimmernden Loghanen geschockt, dessen Zustand sich anscheinend noch ver schlimmert hatte. »Was ist mit ihm passiert?« fragte der Hüne ungeduldig. Snayssol beugte sich gerade über den Lo ghanen und untersuchte ihn. »Anscheinend ein Fehler bei der Übertra gung«, rief er den anderen zu. »Er ist als er ster durchs Tor gegangen. Vielleicht war das Feld noch nicht stabil.« Der Pelz des Unglücklichen verfärbte sich von einem Augenblick zum anderen. Es wurde stumpf und glanzlos, dann erschienen die Haare in einem gelblichen, fahlen Farb ton. »Er hat innere Verletzungen«, stieß Snayssol hervor. »Wir können ihm nicht helfen.« Ein Blutstrom quoll aus dem Mund des Spielers. Er preßte beide Hände gegen den Brustkorb und bäumte sich auf. Sein Körper zuckte unkontrolliert. »Möglicherweise«, meinte Snayssol, »wurden lebenswichtige Organe nicht wie der in seinen Körper integriert. Bei einem fehlerhaften Transmitter ist das ohne weite res möglich.« »Quatsch«, schrie der Hüne. »Der Kerl ist ausgerutscht und hat sich die Rippen gebro chen. Das ist alles. Die Schwarzen Tore funktionieren perfekt. Das Triumvirat wacht darüber. Jeder, der das Gegenteil behauptet, ist ein Rebell!«
Hexenkessel der Transmitter Snayssol lachte trotzig auf. Er kannte die se Sprüche zur Genüge. Aber er konnte die sen Loghanen auch nicht böse sein. Sie hat ten die Mißgestalteten in der unterirdischen Station nicht gesehen. Sie wußten nicht, welches unbeschreibliche Leid durch fehler hafte Transmitterverbindungen hervorgeru fen wurden. Dann geschahen zwei Dinge gleichzeitig: Zuerst schaltete sich das Schwarze Tor ab, und dann dröhnte das gierige Heulen von Eisbestien durch die Felsenschlucht. Keiner dachte noch an den Sterbenden. Jeder suchte nach einem Versteck. Die Furcht vor den Eisbestien war größer als je de Vernunft. Nur Snayssol und der Hüne be hielten einen klaren Kopf. Snayssol nahm dem Sterbenden den Dolch ab. Der Hüne ließ seine Muskelpakete spielen. Er würde einer Eisbestie mit bloßen Händen gegen übertreten. »Also doch der Norden«, sagte Snayssol gedehnt. »Na klar, habe ich von Anfang an ge wußt«, grollte der Hüne. Plötzlich flackerte knapp zweitausend Meter von ihrem gegenwärtigen Standort entfernt ein grünes Licht auf. Es schimmerte über den gezackten Rand einer Felsengrup pe. »Dort müssen wir hin«, schrie Snayssol. »Diesmal ist das weiterführende Tor nur durch einen Fußmarsch zu erreichen.« Snayssol war entschlossen, allein den Weg durch die tödliche Felslandschaft zu wagen. Er schwang sich über den Rand der Felsklippe und landete in einer schmalen Querrinne. Auf allen vieren kroch er weiter. Er rutschte mehrmals ab, denn Regen, Wind und Eis hatten alle Unebenheiten beseitigt. Doch er konnte sich schnell wieder fangen. Dann hielt er lauschend inne, um sich zu ori entieren. Hinter ihm stritten sich mehrere Loghanen über die Richtung, die sie ein schlagen sollten. Snayssol grinste. Diese Männer würden in ihr Verderben laufen. Ei ne Eisbestie ließ sich nicht so leicht abschüt
41 teln wie der Fangarm einer fleischfressenden Pflanze. Das Heulen der gefährlichen Tiere hallte schaurig über die Felseinöde. Sie wissen, daß sie bald Beute bekom men, dachte Snayssol schaudernd. Sie haben uns längst entdeckt. Aber sie warten noch mit dem Angriff. Sie wollen die armen Kerle erst in Sicherheit wiegen. Unmittelbar vor Snayssol machte die Rin ne einen Knick. Es ging knapp fünf Meter steil abwärts. Dort unten führte eine Schlucht nach rechts. Wenn sie ihren Lauf nicht änderte, würde sie den Erben direkt zum Sendetor führen. Plötzlich purzelten kleine Steinchen über den Rand der Felsen, die die Schlucht be grenzten. Eine Eisbestie, erkannte Snayssol fie bernd. Er griff nach seinem Messer. Ich kann nicht ewig in der Rinne hocken. Nach einer bestimmten Zeit schalten sie das Schwarze Tor aus. Dann können wir sehen, wie wir von hier wegkommen. Kurz entschlossen beugte sich Snayssol über den Felsrand. Auf der gegenüberliegen den Seite regte sich immer noch nichts. Die Eisbestie tarnte sich vorzüglich. Es gehörte zur Natur dieser gefährlichen Raubtiere, daß sie bis zum letzten Augenblick in Deckung blieben. Ich muß weiter, sagte Snayssol in Gedan ken und schob sich über die Felskante. Er nahm den Dolch zwischen die Zähne und ließ sich langsam an der Wand herunterglei ten. Er hielt sich ein paar Sekunden mit bei den Händen an der oberen Kante fest, dann ließ er los. Das war auch das Signal für die Eisbestie. Heulend sprang das Tier von der anderen Schluchtwand herunter. Es landete nur weni ge Meter hinter Snayssol am Boden. Blitz schnell sprang der Erbe herum. Der blitzen de Dolch lag in seiner Rechten. Die Eisbestie war drei Meter lang. Der schlanke Körper besaß vier Beine und einen langen, bepelzten Schweif. Eine gewisse Eleganz in den Bewegungen dieser eisgrau
42 en Raubtiere ließ sich nicht verleugnen. Sie bewegten sich schleichend und wiegend. Ihr breiter Kopf mit den flammenden Augen neigte sich dabei leicht zu Boden. Jetzt öff nete das Tier seinen Rachen und grollte. Zwei fingerlange Reißzähne blitzten auf. Snayssol spürte, wie Panik in ihm aufstei gen wollte. Er sah, wie seine Rechte zitterte. Das Tier konnte jeden Augenblick zum töd lichen Sprung ansetzen. Im gleichen Augenblick ertönte der To desschrei eines Loghanen. Das Knurren ei ner Eisbestie erstickte den Schrei, und an schließend konnte man das Bersten von Knochen vernehmen. Snayssol ließ keine Sekunde seinen Geg ner aus den Augen. Das Biest leckte sich gierig die Schnauze. Jetzt streckte sich der Raubtierkörper. Snayssol sah, wie sich der Pelz im Nacken kräuselte. Der Rachen schloß sich. Das Tier machte noch ein paar Schritte nach links, dann schnellte es sich wie eine Stahlfeder vom Boden ab. Snayssol hatte damit gerechnet. Er duckte sich und warf sich blitzschnell nach rechts. Die Eisbestie landete auf dem nackten Fels boden und heulte enttäuscht auf. Jetzt muß ich die Initiative ergreifen, sonst ist es aus, schoß es dem Erben durch den Kopf. Snayssol lag halb auf dem Boden, als sich die Eisbestie herumwarf. Ihr Schweif be rührte den Loghanen. Dann schlug die Pran ke zu. Snayssol spürte ein heißes Brennen an der linken Schulter. Das Gewicht der Eisbe stie drohte ihn zu erdrücken. Er bekam die Rechte frei. Seine Finger umklammerten den Dolch. »Aiiieee«, schrie Snayssol und stieß die Waffe bis zum Heft in den Nacken der Eis bestie. Das Tier brüllte laut auf und krampfte sich zusammen. Snayssol zog den Dolch wieder aus der Wunde. »Hast du noch nicht genug?« keuchte Snayssol, über dessen Schulter warmes Blut sickerte.
Dirk Hess Die Eisbestie knickte mit der rechten Vor derpfote ein. Brüllend warf sie den Kopf in den Nacken. Dunkles Blut verfärbte den eis grauen Pelz. Snayssol atmete schwer. Vor seinen Au gen tanzten glühende Ringe. Die Schmerzen in der Schulter wurden unerträglich. Lange würde er das Ringen nicht mehr aushalten. Die Bestie brüllte erneut auf und schoß dann blitzschnell auf den Loghanen zu. Un mittelbar vor dem zurückweichenden Mann knickte das Tier mit der Vorderpfote ein. Anscheinend habe ich einen wichtigen Nerv erwischt, schoß es dem Erben durch den Kopf. Das muß ich ausnutzen! Snayssol sprang beiseite und landete mit einem Satz auf dem Rücken des verwunde ten Tieres. Sein Schweiß vermischte sich mit dem dunklen Blut des Gegners. Er um klammerte ein Fellbüschel und stieß den Dolch zum zweiten Mal in den massigen Nacken der Bestie. Das Tier bäumte sich auf und schleuderte den Erben in hohem Bogen durch die Luft. Es wühlte den Boden auf. Felssplitter flogen durch die Luft, und das Brüllen des waidwunden Tieres brach sich an den Schluchtwänden. Snayssol nutzte die Atempause und raffte sich auf. Er rannte keuchend durch die Schlucht und hoffte, die richtige Richtung eingeschlagen zu haben. Hinter ihm ver stummte das Toben der Bestie. Er achtete nicht mehr darauf. Er hatte jetzt nur noch ein Ziel vor Augen. Er wollte so schnell wie möglich das Schwarze Tor erreichen. Die Luft stach in seinen Lungen. Jeder Atemzug schmerzte. Er spürte ein starkes Brennen in der Magengrube. Von seiner ver letzten Schulter ging ein dumpf er Schmerz aus. Ich muß es schaffen, befahl er sich selbst. Ich darf nicht aufgeben. Diesen Triumph will ich Rassafuyl nicht gönnen. Der Erbe setzte jetzt mühsam Schritt vor Schritt. Er lehnte sich mehrmals gegen die Felswand, die sich wenige Meter vor ihm bis zum Boden absenkte. Verwundert erkannte er, daß freies Land vor ihm lag. An einigen
Hexenkessel der Transmitter Stellen sah er kleine Eisflächen. Die Felsen waren grau und düster. Bizarre Formen hat ten sich im Lauf der Jahrtausende herausge bildet. Einige waren durchlöchert, und der Wind pfiff schaurig zwischen ihnen hin durch. Als er das grüne Leuchten erblickte, at mete er erleichtert auf. Jetzt waren die Strapazen des Marsches vergessen. Snayssol ging auf das Schwarze Tor zu. Es stand zwischen den Felsen. Seine Kontrollmechanismen wurden durch eine Plexiglashaube vor der Witterung geschützt. Ich bin der erste, dachte Snayssol stolz. Die anderen sind noch mit den Bestien be schäftigt. Ein kühner Gedanke schoß ihm durch den Kopf: Vielleicht bin ich sogar der einzige, der heil durch diesen Transmitter kommt! Das hätte bedeutet, daß er als einziger von seiner Gruppe überlebt hatte. Die Regel be sagte, daß er dann sofort zum Kampftor ge bracht werden mußte. Dort würde er auf die Überlebenden der anderen Gruppe stoßen. Snayssol drehte sich um. Der Wind hatte Stimmen zu ihm herangetragen. Der Hüne und zwei andere, erkannte er. Ich bin also doch nicht der einzige. Dann sprang er in das schwarze Feld.
* Snayssol landete innerhalb eines Gebäu des. Merkwürdig, dachte er und stand langsam auf. Bis jetzt haben sie uns durch die Wild nis gehetzt. Was soll das? Snayssol erkannte kein System hinter dem Spiel. Das Ganze war eine Aneinanderrei hung gefährlicher Einzelsituationen. Das einzige Ziel dabei war die Dezimierung der Spielergruppen. Das Ganze ist abscheulich, dachte Snays sol angewidert. Wir Loghanen sind intelli gente Wesen. Auf der einen Seite schützen die Ratsmitglieder das ungeborene Leben durch äußerst strenge Gesetze. Es ist ein to deswürdiges Verbrechen, die Geburt eines
43 Jungen zu verhindern. Auf der anderen Seite werden regelmäßig Tausende von erwachse nen Loghanen beim Spiel der Schwarzen Tore geopfert. Das ist ein offener Wider spruch, mit dem wir nun schon seit Genera tionen leben. Kriege waren auf Kledzak-Mikhon unbe kannt. Snayssol besaß keinerlei Vergleichsmög lichkeiten. Er kannte das Zusammenleben anderer Rassen nicht. Er hatte seine Heimat welt noch nie verlassen. Daher hatte er auch nie die Gelegenheit bekommen, mitzuerle ben, wie andere intelligente Rassen ihre Ge sellschaft organisierten. Er wußte auch nichts von regelmäßig wiederkehrenden Kriegszügen, mit denen andere Völker gan ze Epochen auslöschten. Hätte er davon eine Ahnung gehabt, wäre ihm die Interpretation des Geschehens auf Kledzak-Mikhon leich ter gefallen. Snayssol sah sich in dem kreisrunden Raum um, den er durch das Schwarze Tor erreicht hatte. Der Durchmesser betrug an nähernd fünfzig Meter. Eine mächtige Kup pel bildete die Decke. Türen waren nicht zu erkennen. Die Beleuchtung erfolgte von oben durch indirekt strahlende Leuchtröh ren. Links von ihm stand das Ankunftstor. Die weiße Energie über dem schwarzen Feld war konstant geblieben. Rechts stand das zweite Tor, und halbschräg gegenüber von ihm das dritte. Sie waren desaktiviert. Welche Gefahr, fragte sich Snayssol, könnte von diesen Toren ausgehen? In diesem Augenblick reagierte der Trans mitter, der ihn hierher befördert hatte. Snayssol trat zurück. Er sah, wie sich im schwarzen Feld drei Energiewirbel bildeten. Zuerst waren nur die schemenhaften Kontu ren von drei Loghanen zu erkennen, dann verschärften sich die Umrisse. Drei Spieler hatten das Felsental der Eisbestien lebend verlassen können. Hinter ihnen erlosch der Transmitter. »Sieh mal an«, knurrte der Hüne, »unser neunmalkluger Erbe hat's auch überstanden.
44 Ich hätte ihm nicht die geringste Chance ge geben. Muß wohl meine Meinung ändern. Wer 'ne Eisbestie erledigt, verdient meine Achtung.« Der Hüne war über und über blutver schmiert. Breite Fellstücke waren aus sei nem Pelz gerissen worden. Plötzlich ballte der Hüne beide Hände zu Fäusten. »Zwei Bestien habe ich mit bloßen Händen erledigt. Das soll mir mal einer nachmachen. Wenn wir hier 'rauskommen, werde ich euch plattquetschen. Habe näm lich vor, zu den dreißig Überlebenden zu ge hören.« Der Hüne blickte sich verwirrt um. Snays sol deutete die Unsicherheit des Spielers richtig, indem er meinte: »Hier helfen dir deine Muskeln auch nicht 'raus! Da mußt du deinen Grips schon ein bißchen mehr anstrengen.« Der Hüne strich sich grollend über die Wunden. Sein Gesicht war verzerrt, und sei ne Augen funkelten tückisch. »Giftzwerg«, preßte er zwischen den Zäh nen hervor, »dir breche ich das Genick, be vor du ausgeatmet hast.« »Schön und gut«, rief Snayssol und achte te darauf, daß er dem Loghanen nicht zu na he kam. »Wenn du mir verraten kannst, wie wir aus diesem Raum entkommen sollen, stelle ich mich dir gern zum Zweikampf.« Der Hüne lachte unsicher. Es gab nir gendwo ein Anzeichen für drohende Gefah ren. Wilde Tiere würden ganz bestimmt nicht in das Gebäude eindringen. Vielleicht ein paar falsch programmierte Kampfrobo ter, aber sonst bestimmt nichts. Der Aufent halt in einem geschlossenen Raum zerrte an den Nerven des Hünen. Er wollte kämpfen und nicht lange über seine Lage nachden ken. Er haßte Psychofallen und ähnliche Tricks. Er akzeptierte nur das, was er sah. Alles andere verabscheute er. »Du schweigst«, sagte Snayssol. »Na, schön … vertreiben wir uns die Zeit mit ei nem Spielchen.« »Deine Spielchen kenne ich schon«, brüll te der Hüne. »Ihr Erben seid doch alle
Dirk Hess gleich. Müßt immer mit eurem Intelligenz quotienten prahlen. Wenn's hart auf hart geht, kneift ihr …« Snayssol unterbrach den Loghanen. »Bin ich der Eisbestie etwa ausgewi chen?« »Das hat nichts zu sagen«, murrte der Spieler und ließ seine Armmuskeln spielen. »Du hattest eben Glück. Noch mal würdest du das nicht überstehen.« Die beiden anderen Loghanen standen verwirrt da. Sie wußten ebensowenig, was sie jetzt unternehmen sollten. An den Wän den konnten sie nicht emporsteigen. Die wa ren zu glatt. Außerdem sah es nicht so aus, als könnte man die Kuppel durchbrechen. Sie saßen in einem perfekten Gefängnis fest. Übergangslos heulte eine Umformerbank auf. Die Digitalanzeigen der Transmitter flackerten auf. »Es geht los … das war sicher nur eine Zwischenstation!« Snayssol schüttelte ungläubig den Kopf. »Glaube ich nicht«, sagte er nachdenk lich. »Die Schiedsrichter lassen niemals Langeweile aufkommen. Die wissen genau, was sie mit uns anstellen.« Plötzlich bildeten sich über allen drei Transmittern grüne Sendebögen. Die Ener gie stabilisierte sich, und die schwarzen Transportfelder erschienen zwischen den Säulen. »Na, was habe ich euch gesagt«, schrie der Hüne. Seine Stimme wurde von den Wänden zurückgeworfen und klang eigen tümlich hohl. »Wer wagt's zuerst?« Er blickte seine beiden Begleiter auffor dernd an. »Los, los …, sucht euch ein Schwarzes Tor aus!« Snayssol räusperte sich. Er hatte den Ver dacht, daß sie hier beweisen mußten, ob sie logisch denken konnten. Das Ganze sah nach einer gefährlichen Rechen- und Denk sportaufgabe aus. »Spring in das erste Tor«, forderte der Hüne einen Mitspieler auf. Snayssol drängte sich zwischen die Log
Hexenkessel der Transmitter hanen. »Ich habe mir die Daten eingeprägt, die vorhin auf dem Schaltpult eingeblendet wur den …« »Was willst du damit sagen? Drück dich deutlich aus!« »Dieselben Daten werden immer noch eingeblendet«, sagte Snayssol und deutete auf die Digitalanzeigen. »Jedoch mit einem kleinen Unterschied. Das letzte Symbol scheint eine Umkehrung dessen zu sein, was ich in Erinnerung habe.« »Was heißt das im Klartext?« »Wer durch dieses Tor geht, kommt wie der bei den Eisbestien 'raus!« Die Loghanen schwiegen verblüfft. Sie sahen zu den flackernden Digitalanzeigen und blickten anschließend Snayssol erneut an. In ihren Augen lag Ratlosigkeit. Das Problem überforderte sie. »Dann bleiben uns immer noch zwei To re«, knurrte der Hüne. »Wir müssen uns ent scheiden, durch welches wir jetzt gehen.« Unverhofft packte der Hüne die beiden Loghanen, mit denen er aus dem Tal der Eisbestien hierhergekommen war, und stieß sie in das zweite Tor. Die Schreie der beiden Spieler verhallten. Es gab einen heftigen Überladungsblitz, und die beiden waren ver schwunden. »Jetzt nimmst du das andere Tor«, keuch te der Hüne und drehte sich zu Snayssol um. Im gleichen Augenblick gab es einen lau ten Knall. Der zweite Transmitter wurde von einem Beben erschüttert. Blitze zuckten aus den energetischen Zuleitungen, dann er schienen die Körper der beiden Spieler im schwarzen Feld. »Das … ist doch unmöglich«, schrie Snayssol. »Der Transmitter steht auf Sen den. Wie können die beiden zurückkom men?« Vermutlich hatten die Schiedsrichter an den Kontrollen »gedreht« und eine blitz schnelle Rückkopplung bewirkt. Die beiden Loghanen wurden schemen haft sichtbar. Von einer Sekunde zur ande ren wurden ihre Körper durchsichtig. Das
45 Knochengerüst erschien geisterhaft vor dem schwarzen Feld, dann löste es sich auf. Als der Transmitter erlosch, lagen zwei schwarze Aschehäufchen auf dem Boden davor. Der Hüne stand da, als hätte ihn der Schlag getroffen. »Diese gemeinen Schetans«, preßte er hervor. »Wenn ich einen zwischen die Fin ger kriege …« »An die Schiedsrichter kommst du nie mals 'ran«, sagte Snayssol sarkastisch. »Da mußt du dich schon an mich halten. Jetzt sind nur noch wir zwei von unserer Gruppe übrig. Du kannst es dir aussuchen … entwe der kehrst du zu den Eisbestien zurück, oder du wagst den Sprung durch das dritte Tor.« Der Hüne war sichtlich irritiert. »Du machst dich über mich lustig, Erbe!« »Warum sollte ich das?« entgegnete Snayssol gleichmütig. »Du weißt, daß es jetzt um die Entscheidung geht. Einer von uns muß überleben, denn nur einer von jeder Gruppe darf den letzten Kampfplatz betre ten.« Snayssol wußte plötzlich, daß er keinen der beiden noch eingeschalteten Transmitter durchschreiten durfte. Jeder war so präpa riert worden, daß er den Tod des Spielers zur Folge hatte. Das war der Trick bei der ganzen Sache. Er mußte den Hünen dazu bringen, sofort durch das dritte Tor zu springen. »Hast du Angst?« fragte Snayssol schein heilig. »Noch einen Ton, und ich bringe dich zum Schweigen.« Snayssol lachte und sah den Hünen her ausfordernd an. Er durfte sich jetzt nicht an merken lassen, daß er müde und abgekämpft war. Er würde diesen Muskelberg nur durch eine List besiegen. »Du kannst nur drohen«, setzte Snayssol nach. »Wenn etwas nicht gleich klappt, drehst du durch.« Der Hüne duckte sich und schlug zorn schnaubend nach Snayssol. Doch der wuch tige Faustschlag ging ins Leere. Snayssol
46 hatte den Angriff kommen sehen und sich blitzschnell abgeduckt. »Bleib stehen, Erbe!« »Ich denke nicht daran. Ich bin doch kein Selbstmörder.« Der Hüne stampfte wie eine Maschine heran. Seine Fäuste wirbelten wie Wind mühlenräder durch die Luft. Snayssol tän zelte vor ihm her. Aus den Augenwinkeln heraus behielt er die beiden eingeschalteten Transmitter im Auge. Er mußte aufpassen, daß er dem Entstofflichungsfeld nicht allzu nahe kam. »Ich zerquetsche dich, Erbe … gleich ha be ich dich!« Snayssol lachte und verhöhnte seinen Gegner. Das wirkte augenblicklich. Der Hü ne war kaum noch Herr seiner Sinne. Er wollte den Erben mit eigenen Händen töten, sonst nichts. Snayssol lief haarscharf am dritten Transmitter vorbei. Der Loghane war dicht hinter ihm. Er konnte den Atem des Kämpfers deutlich spüren. Dann blieb er ab rupt stehen, duckte sich und schmetterte bei de Hände, die er ineinandergefaltet hatte, wie eine Dampframme in den Unterleib des Hünen. Der Spieler blieb stehen, als wäre er ge gen eine unsichtbare Wand geprallt, dann kippte er hintenüber in das Transmitterfeld. Es gab eine Entladung, und der Loghane war verschwunden. Snayssol stand schwer atmend im Kuppelsaal. Er war allein. Doch er brauchte nicht lange zu warten. Von der Kuppeldecke ertönte eine Stimme. Der Laut sprecher war nirgendwo zu entdecken. »Meinen Glückwunsch, Snayssol! Sie ha ben sich tapfer geschlagen. Ganz KledzakMikhon war Zeuge Ihrer Kämpfe. Sie haben als einziger von Ihrer Gruppe überlebt. Ih nen wird die große Ehre zuteil, gegen die anderen Überlebenden in der Arena zu kämpfen. Vielleicht sind Sie unter den glor reichen Fünfzehn, die der Jugend von Kledzak-Mikhon als leuchtendes Beispiel vorangehen werden …« »Wie erreiche ich den Kampfplatz?« schrie Snayssol. Das salbungsvolle Gerede
Dirk Hess des Schiedsrichters war ihm zuwider. »Ich verstehe Ihre Ungeduld«, meldete sich die Lautsprecherstimme erneut. »Daher will ich Sie nicht lange auf die Folter span nen. Ich habe soeben das zweite Tor neu ge schaltet. Sie können es durchschreiten. Ha ben Sie keine Angst. Ihnen wird dabei nichts passieren.« Snayssol wollte etwas erwidern, doch da veränderten sich die Digitalanzeigen auf dem Schaltpult des zweiten Tores. Er atmete tief durch und sprang kurz entschlossen in das pechschwarze Feld.
* Die Arena war ungefähr tausend Meter lang und fast fünfhundert Meter breit. Die Seitenwände waren haushoch und auf der Oberseite mit Ziersträuchern bepflanzt. Wolkenloser Sonnenhimmel wölbte sich über der Kampfstätte. Die Luft erzitterte vom Kampfgeschrei der Loghanen. Snayssol stand noch neben den Transmit terkontrollen. Er atmete schwer. Dunkle Schemen tanz ten vor seinen Augen. Er war am Ende sei ner Kraft. Er wußte, daß er die nächsten paar Minuten nicht mehr lebend überstehen wür de. Verstecke gab es in der Arena nicht. Er sah zu den Kämpfenden hinüber. Dutzende von Loghanen attackierten einander mit den unterschiedlichsten Waffen. Sie hatten die Speere, Fangleinen und Netze von den Haken gerissen, die in Griff höhe an der Umfassungsmauer angebracht worden waren. Plötzlich preschten zwei Kämpfer auf Snayssol zu. Der eine hielt einen Speer, und der andere schwenkte ein Fangnetz. Sie wollen mich gemeinsam erledigen, schoß es dem Erben durch den Kopf. Snayssol packte den Dolch. Er richtete sich auf. Doch er spürte die Schwäche in den Beinen. Seine verletzte Schulter schmerzte. Er wünschte sich jetzt nur noch eines: Er wollte in Ruhe gelassen werden und schlafen! Doch das gönnten ihm die bei
Hexenkessel der Transmitter den Angreifer nicht. Snayssol sah, wie der eine den Speer nach ihm schleuderte. Er duckte sich und stieß ge gen den Schaltkasten des Transmitters. Der Speer schnellte über seinen Kopf hinweg und raste in das Schwarze Feld. Es gab einen Knall, und der Speer lag zerbrochen am Boden. Na, klar! durchzuckte es den Erben. Das Gerät ist ja auch auf Empfang gestellt. Als der zweite Angreifer sein Netz nach ihm schleuderte, unterlief er den Angriff und stieß mit dem Dolch zu. Der Mann sackte lautlos vor ihm, zusammen. Jetzt ergriff der Speerwerfer die Flucht. Er drehte sich um und rannte zur Mauer zurück, wo weitere Waffen hingen. Er würde sich wieder einen Speer schnappen und diesen Erben töten. Snayssol stand schwer atmend da. Er sah sich um. Zahlreiche Verletzte und Tote la gen im Arenarund. Er würde gleich genauso daliegen. Er war am Ende seiner Kraft. Er senkte den Kopf und starrte auf die Anzeige instrumente der Schaltkonsole des Schwar zen Tores. Plötzlich kam ihm ein kühner Gedanke. Wenn ich die Symbolkombination ändere, kann ich vielleicht von hier verschwinden, dachte er wie elektrisiert. Das ist ein manu ell umschaltbarer Transmitter. Ich müßte es auf einen Versuch ankommen lassen. Was bei den bisherigen Toren unmöglich war, ist hier durchaus machbar. Snayssol kannte die verschiedenen Torty pen. Es gab synchrongeschaltete Transport ketten. Es gab Zweiwegtore, die jederzeit mit dem gewünschten Zieltor gekoppelt werden konnten, und es gab die großen To re, die kein Loghane programmieren konnte. Das Kampftor, vor dem er stand, war ein sogenanntes Zweiwegtor. Hastig veränderte er die Symbolgruppen. Es genügten ein paar Handgriffe. Welches Ziel soll ich nehmen, fragte er sich fieberhaft. Ich kenne nur wenige Ziel symbole. In Poal-To greifen mich die Schiedsrichter sofort auf. Snayssol dachte instinktiv an die unterir
47 dische Station, in der die Mißgestalteten da hinvegetierten. Er kannte die Symboldaten des Transmitters auswendig. Nein, sagte er zu sich selbst. Die Kreatu ren würden mich sofort töten. Mehrere Angreifer hatten ihn aufs Korn genommen. Sie schwenkten ihre primitiven Waffen und stürmten auf ihn zu. Es sah so aus, als wollten sie sich das Opfer streitig machen. Entweder ich verschwinde hier, sagte sich Snayssol, oder ich lasse diese Burschen ver schwinden. Er entschied sich blitzschnell für die zweite Lösung. Hastig programmierte er die Symboldaten für das Tor unter dem Dschun gel. Wenig später gaben die Digitalanzeigen den richtigen Wert an. Die helle Farbe des Empfangsfeldes verfärbte sich grünlich. Im gleichen Augenblick heulten Alarmsirenen auf. Die Schiedsrichter haben meinen kleinen Trick erkannt, stellte Snayssol fest. Dann muß ich ebenfalls von der Bildfläche ver schwinden. Aber ich warte solange, bis die meisten vor mir durchs Tor gegangen sind. Damit lenke ich die Mißgestalteten am Emp fangstor von mir ab. Snayssol wich den ersten Kämpfern ge schickt aus. Als sie den funktionierenden Transmitter sahen, änderten sie ihre Taktik. Sie schienen zu vermuten, daß die Schieds richter die Transportrichtung umgepolt hat ten. Einem Mitspieler trauten sie diese Fer tigkeiten nicht zu. »Wir werden im Lebenstor landen«, rie fen die ersten. »Folgt mir! Wenn wir fünf zehn sind, muß sich das Tor abschalten.« Aus den Augenwinkeln heraus sah Snays sol, daß sich mehrere Polizeigleiter über das Arenarund herabsenkten. Ich muß den richtigen Augenblick abpas sen, sagte sich Snayssol. Ich lasse die Horde durch das Tor springen, dann folge ich ih nen. Snayssol versuchte sich vorzustellen, wie sich die Mißgestalteten verhalten würden, wenn die Spieler erschienen. Er ahnte, daß
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Dirk Hess
sich in der unterirdischen Transmitterstation schreckliche Szenen abspielen würden. Jetzt verschwanden die ersten Spieler im Schwarzen Tor. Snayssols Körper dehnte sich. Gleich mußte er den Spielern folgen. Jede Sekunde war wichtig. Als etwa zehn Loghanen im Tor verschwunden waren, rannte er los. Er sah weder nach rechts, noch nach links. Und das wurde ihm zum Verhängnis. Der Poli zeigleiter näherte sich lautlos und mit Höchstgeschwindigkeit. Es gab einen Ruck. Ein Polizist legte sein Blasrohr an die Lippen, und wenige Augen blicke, später brach Snayssol betäubt zusam men. Er lag nicht einmal einen Meter von der Warnlinie des Transmitters entfernt am Boden. Zahlreiche Loghanen liefen achtlos an ihm vorüber und sprangen in das Tor. Das ging noch ein paar Minuten so weiter. Erst dann schalteten die Schiedsrichter das Transmittertor aus. Von den Spielern, die es passiert hatten, wurde nie wieder etwas gehört.
7. Das Urteil Der Erbe Snayssol stand zum zweitenund letztenmal vor den Ratsmitgliedern Ta moyl, Kenyol und Rassafuyl. Die Mienen der Loghanen wirkten eisig. Besonders Ras safuyl trug seine Ablehnung offen zur Schau. »Der Erbe Snayssol hat den Tod ver dient«, schrie er unbeherrscht. »Hätten Sie auf mich gehört, wäre das Ganze nicht pas siert. Snayssol ist ein unverbesserlicher Re bell. Ihn können wir nicht ändern. Aber er kann unsere Gesellschaft gefährden. Er und seinesgleichen haben doch nichts anderes im Sinn, als Kledzak-Mikhon in ein Tollhaus zu verwandeln …« Snayssol folgte der Haßtirade ungerührt. Er befand sich in einem Zustand, in dem ihm alles egal war. Er fühlte sich wie leerge brannt. Die stundenlangen Verhöre hatten ihn zermürbt. Er war müde und abgekämpft.
Sein Hals war wie ausgetrocknet. Den Hun ger spürte er kaum noch. »Ich habe Durst«, flüsterte er schwach. »Gebt mir etwas zu trinken.« Rassafuyl ging überhaupt nicht darauf ein. »Ich stelle den Antrag, diesen Erben an einem geheimen Ort von einem Feuerkom mando zu verbrennen«, sagte er. »Ich erwar te, daß Sie meinem Antrag stattgeben.« Tamoyl und Kenyol schüttelten die Köp fe. »Sie machen es sich zu einfach, Rassa fuyl«, erwiderte Tamoyl. »Haben Sie etwa schon vergessen, daß Sie einmal genauso wißbegierig und ungeduldig waren wie der Erbe Snayssol?« »Ich habe mich immer an die Gesetze ge halten«, kam die gefühllose Antwort des Ratsmitglieds. Tamoyl wandte sich an Snayssol. Die Au gen des alten Erben drückten eher Mitgefühl als Zorn aus. »Warum rühren Sie an Dinge, die man besser unausgesprochen lassen sollte?« frag te er Snayssol. Der Gefangene hob mühsam den Kopf. Seine Augenlider waren verkrustet, und die dunkle Breitschnauze war trocken wie ein Stück gegerbtes Leder. »Ich … muß wissen, wer die Ahnen wa ren! Ich will wissen, was uns zu dem ge macht hat, was wir jetzt sind!« Die beiden Ratsmitglieder nickten einan der lächelnd zu. »Das dachten wir uns«, sagte Kenyol für seinen Kollegen. »Ihre Intelligenz ließ Ihnen keine Ruhe. Sie strebten nach dem verbote nen Wissen und übertraten dabei zwangsläu fig die Gesetze. Das ist verständlich, kann aber niemals entschuldigt werden …« »Das verlange ich auch nicht«, sagte Snayssol stockend. Tamoyl nickte Kenyol zu. Rassafuyl woll te etwas aufbrausend entgegnen. Doch die beiden alten Erben brachten ihn durch eine Handbewegung zum Schweigen. Tamoyl öffnete den Tresor des Triumvi rats. Snayssol folgte dem Treiben des alten
Hexenkessel der Transmitter Loghanen mit brennenden Augen. Er sah, wie Tamoyl ein großes, farbiges Bild her ausnahm. In einem Seitenfach lagen zahlrei che Speicherkristalle. Snayssol entdeckte unter den Sachen auch den Druckluftnadler, den er dem Schetankopf abgenommen hatte. »Sehen Sie sich das an, Erbe Snayssol … und ein Teil Ihrer Neugier wird gestillt sein. Mehr können wir für Sie nicht tun.« Snayssol nahm das Bild mit zitternder Hand entgegen. Es stellte ein fremdrassiges Wesen dar. Das Gesicht ähnelte der loghani schen Physiognomie, war jedoch völlig nackt. Nur auf dem Kopf wuchsen tief schwarze Haare. Die Augen, leuchteten dun kel, und die haarlose Haut besaß einen samt braunen Ton. Das Gesicht drückte trotz sei ner »Nacktheit« Durchsetzungsvermögen und Intelligenz aus. »Wer ist das?« fragte Snayssol. »Das We sen gehört nicht zu unserem Volk.« Rassafuyl stieß einen Wutschrei aus. »Ihr dürft ihm das Bild des Ahnen nicht zeigen!« »Warum nicht, Rassafuyl?« fragte Ta moyl. »Der Erbe Snayssol wird den Tag nicht lebend überstehen. Ich meine, wir soll ten ihm einen Teil seiner Ungewißheit neh men.« »Ein Ahne?« stieß Snayssol entsetzt her vor. »Wie können die Ahnen so fremdartig aussehen? Ich dachte, unsere Ahnen seien Loghanen wie wir gewesen. Das muß ein Irrtum sein.« Snayssol warf das Bild auf den Boden. Er krümmte sich wie unter unbeschreiblichen Schmerzen zusammen. Er schrie und jam merte. »Nein … das kann nicht die Wahrheit sein! Unsere Ahnen waren Loghanen! Ihr lügt!« Rassafuyl winkte seinen Kollegen unauf fällig zu. »Es wird Zeit, daß wir ihn entfernen.« »Nein«, schrie Snayssol. »Sagt doch, daß Ihr lügt! Das Bild stellt ein Phantasiewesen dar. Sagt doch, daß wir nicht umsonst ster ben! Das Spiel der Schwarzen Tore muß
49 doch einen Sinn haben.« »Natürlich hat es einen Sinn«, erklärte Tamoyl. »Das Spiel der Schwarzen Tore ist eine bittere Notwendigkeit. Wenn unser Volk erst einmal begreift, woher es kommt und was es ist, dann wird es untergehen.« »Was sind wir?« fragte Snayssol schrei end. »Was sind wir? Woher kommen wir?« Die Ratsmitglieder schüttelten bedauernd den Kopf. »Das können wir Ihnen nicht sagen, Erbe Snayssol!« – Mehrere Polizisten betraten den Saal des Triumvirats. Sie hielten Stahl peitschen in den Händen. »Packt ihn«, rief Rassafuyl. »Achtet nicht auf seine Worte. Er ist verrückt geworden. Schafft ihn zum Beginntor von Poal-To. Er soll mit den letzten Auserwählten durch das Schwarze Tor gehen.« »Das ist Mord … kaltblütiger Mord«, rief Snayssol. »Ihr wißt genau, daß ich nicht noch einmal alle neun Tore durchschreiten kann. Ich werde schon beim ersten Tor ster ben.« »Man wird uns nicht nachsagen können, daß wir einen Erben leichtfertig getötet hät ten«, rief Rassafuyl höhnisch. »Sie sollen Ih re Chance bekommen, Erbe Snayssol!« Die Polizisten trieben den schreienden Er ben brutal vor sich her. Als Snayssol einen Fluchversuch wagte, schlugen sie ihn mit ih ren Stahlpeitschen nieder. Dann schleiften sie ihn zum Beginntor von Poal-To. Hier verschwanden gerade die letzten Spieler der zweiten Großgruppe im Endstofflichungs feld. Snayssol stemmte sich verzweifelt ge gen den Griff seiner Schergen. Doch das nütze ihm nichts. Sie zerrten ihn bis vor das Beginntor von Poal-To. Das ist mein Ende, dachte Snayssol pani kerfüllt. Ich werde sterben! Sein Angstschrei brach ab, als ihn das Entstofflichungsfeld erfaßte. Wenig später war Snayssol verschwunden. Und mit ihm die restlichen Spieler.
8. An Bord der ISCHTAR
50 Das dreihundert Meter große Kugelraum schiff stand über dem Planeten KledzakMikhon. Sämtliche Ortungsinstrumente wa ren auf den Planeten gerichtet, dessen äuße res Erscheinungsbild die Existenz einer in telligenten Rasse verhieß. Der Sauerstoffpla net besaß drei große Kontinente, zahlreiche kleine Inseln und weitausgedehnte Polkap pen. Die Schwerkraft betrug 1,1 Gravos, und die mittlere Temperatur lag bei dreißig Grad. Die Eigenrotation betrug knapp vie runddreißig Stunden. Monde waren nicht vorhanden. Auf dem Panoramabildschirm der Zentra le erschien zunächst die Gesamtschau des Planeten. Doch schon jetzt konnte man er kennen, daß der Planet bewohnt war. Mehre re große Städte unterbrachen das saftige Grün der ausgedehnten Savannen und Wäl der. »Umschalten auf Ausschnittvergröße rung!« befahl Akon-Akon, dessen suggesti ve Fähigkeiten die Besatzung unter einem unheimlichen Zwang hielten. Die Bildschirmeinblendung veränderte sich. Rasend schnell erschien das Bild einer großen Stadt. Riesige Turmbauten wurden sichtbar. In den Straßen wimmelte es von fremdartigen Wesen. »Ich möchte bloß wissen, was der Knabe für ein Interesse an diesem Planeten hat«, meinte Ra ungebührlich. Mit »Knaben« be zeichnete er Akon-Akon. Karmina Arthamin zuckte mit den Schul tern. »Wenn ich das wüßte, wäre mir auch wohler. Ich würde viel darum geben, wenn wir Akon-Akon zwingen könnten, nach Ke tokh zurückzukehren, um Atlan und Fartu loon an Bord zu nehmen. Aber dieses Jün gelchen hat uns leider in der Gewalt. Seit er an Bord ist, geht alles schief. Wir können froh sein, daß er uns wenigstens miteinander reden läßt.« Ra und Karmina Arthamin konnten nicht wissen, daß sich Atlan und Fartuloon in die sem Augenblick in der Station des Magnor töters befanden. Es wäre also völlig unsinnig
Dirk Hess gewesen, nach Ketokh zurückzufliegen. »Ah, diese ekelhaften Kreaturen«, schrie Akon-Akon angewidert. Auf dem Bildschirm waren unzählige Grünpelze zu erkennen, die sich um die Bildschirme scharten, die man in den Stra ßen der planetarischen Stadt aufgestellt hat te. Die Instrumente auf dem Kontrollpult zeigten starke Transmittertätigkeit an. »Na, so abscheulich können die Fremden doch gar nicht sein«, mischte sich Ra ein. Der Barbar spürte, wie der suggestive Druck Akon-Akons auf sein Bewußtsein nachließ. »Wenn sie Transmitter entwickelt haben, stehen sie auf einer uns vergleichbaren tech nischen Entwicklungsstufe.« »Nein«, wehrte Akon-Akon ab. Seine Miene drückte Abscheu und Ekel aus. »Diese Kreaturen haben keine Transmitter entwickelt. Dazu wären sie niemals fähig.« »Warum sind wir dann hierhergekom men?« fragte Karmina Arthamin. »Das ist meine Sache«, erwiderte AkonAkon. Sein Gesicht verdüsterte sich, und er senkte den Kopf. Er schien einen inneren Kampf auszufechten. Niemand an Bord ver mochte sich zu erklären, was in den geheim nisvollen Jungen gefahren war. Ra veränderte erneut die Bildschirmein stellung. Jetzt tauchten Szenen eines brutalen Kampfes auf. Die Grünpelze dröschen mit unterschiedlichen Waffen auf ihre Artgenos sen ein. Mehrere von ihnen lagen sterbend am Boden. Staub wirbelte auf, und weiter hinten erblickte Ra einen Transmitter. »Merkwürdiges Modell«, murmelte er. »Im ganzen Imperium gibt es diese Kon struktionen nicht.« Dann erblickte er den Grünpelz, der vor seinen Artgenossen davonrannte. Er blutete aus zahlreichen Wunden. Nicht mehr lange, und die anderen hatten ihn eingeholt. Ra konnte sein Mitgefühl nicht aus drücken. Er empfand es als ungerecht, wenn ein Wesen von einer erdrückenden Über macht zu Tode gehetzt wurde.
Hexenkessel der Transmitter »Ich will diesen Grünpelz retten! Ich er bitte Starterlaubnis.« Akon-Akon rührte sich nicht. Der Junge starrte gedankenverloren auf den Boden. Sein Blick schien ins Leere zu gehen. »Na, also … wenn das alles ist, kann ich das Kommando über die ISCHTAR über nehmen«, scherzte Ra. Der Suggestor reagierte auch darauf nicht. Auch den anderen Besatzungsmitgliedern wurde bewußt, daß der suggestive Zwang nachgelassen hatte. Ra verließ die Zentrale und eilte zu den Beiboothangars. Unterwegs begegnete er zwei jungen Technikern. »Ah, Nordol und Kestin Bulovo! Sie kön nen mich bei einem kleinen Ausflug beglei ten. Machen Sie ein Beiboot startklar. Ich programmiere inzwischen den Kurs.« »Aber dieser Junge«, bemerkte der Tech niker mißtrauisch. »Er wird den Start ver hindern.« »Keine Angst«, sagte Ra und ließ das schwere Hangarschott aufgleiten. »Der macht uns im Augenblick keine Schwierig keiten. Kann sein, daß er bald wieder zur Besinnung kommt … aber bis dahin haben wir einen Grünpelz an Bord. Ich hoffe, der Bursche kann uns mehr über seinen Planeten verraten. Ich will nämlich unbedingt wissen, weshalb Akon-Akon uns hierher geschleust hat!«
* Das Beiboot raste mit Höchstgeschwin digkeit auf den Kampfplatz zu, den Ra auf dem Zentralebildschirm gesehen hatte. Die Befürchtungen der beiden Techniker, die planetaren Abwehrforts könnten sie or ten und abschießen, hatten sich glücklicher weise nicht bewahrheitet. Die Raumhäfen waren verlassen. So weit sie sehen konnten, existierte kein einziges Raumschiff auf die ser hochtechnisierten Welt. »Dort unten müßte es sein«, sagte Bulovo und deutete mit dem Zeigefinger auf die Sichtluke.
51 Ra verringerte die Geschwindigkeit so ab rupt, daß ein paar Gravos die Abschirmung durchschlugen. Die Arkoniden ächzten und atmeten tief durch. »Laß die Scherze, Ra … ich habe keine Lust, abzustürzen und mich mit dem Grün pelzen herumzuprügeln.« »Das ist unser Mann«, rief Ra. »Er hat sich tapfer geschlagen. Hätte nicht gedacht, daß er es so lange aushalten würde.« Im gleichen Augenblick blieben die Kämpfer stehen. Sie hoben die Köpfe und deuteten auf das Beiboot der ISCHTAR. Im Hintergrund erlosch das Transportfeld des Transmitters. Mehrere Gleiter schossen mit hoher Geschwindigkeit davon. »Sie haben uns entdeckt«, meinte Ra. »Wir scheinen ganz schön Verwirrung zu stiften!« Jetzt hoben zwei Grünpelze ihre Speere. Sie zielten auf ihren Artgenossen, der kraft los am Rand einer Felsengruppe zusammen gebrochen war. »Paralysefächer aktivieren«, schrie, Ra. »Aktiviert«, entgegnete Nordol. »Ziel erfassen und … Feuer!« Bevor die Bepelzten ihr Opfer töten konn ten, blitzte es an der Spitze des Beiboots grell auf. Ein gefächerter Energiestrahl raste auf die Wesen zu, hüllte sie ein und erlosch. Sie brachen lautlos zusammen und blieben in merkwürdig verkrampfter Haltung am Boden liegen. Der Flüchtling stand auf und blickte ratlos zum Beiboot empor. »Wir nehmen ihn an Bord«, befahl Ra. »Langsam runtergehen und untere Schleuse öffnen.« Ra erhob sich vom Kommandositz und ging zum offenstehenden Schott hinüber. Er grinste übers ganze Gesicht. Die Aktion be reitete ihm anscheinend großen Spaß. »Erschrecken Sie den armen Grünpelz nicht noch mehr«, meinte der Techniker am Steuerpult. »Keine Angst«, rief Ra und verschwand nach unten. Inzwischen schwebte das Beiboot knapp
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Dirk Hess
zwei Meter über dem Boden. Der entsetzte Grünpelz stand nur wenige Meter von der aufgleitenden Schleuse entfernt. Als er den dunkelhäutigen Barbaren im Innern des großen Fahrzeugs erkannte, stöhnte er unterdrückt auf. Er bedeckte die Augen mit beiden Armen und ging ein paar Schritte rückwärts. In der Ferne tauchte ein ganzer Pulk von Polizeigleitern auf. Ra erkannte die Bedrohung sofort. Er sah, daß die Besatzungen bewaffnet waren. »Komm schon«, rief Ra dem Grünpelz zu, »oder sollen dich deine Artgenossen doch noch erwischen? Sah vorhin verdammt schlecht für dich aus.« Der Bepelzte reagierte nicht auf Ras Wor te. Er nahm jedoch die Arme von den Augen und starrte verständnislos auf das arkonidi sche Beiboot. »Wir verlieren zuviel Zeit«, schrie Ra. »Komm endlich her! Ich habe die Reise nicht umsonst gemacht.« Die Polizeigleiter kamen mit unvermin derter Geschwindigkeit näher. »Ich heiße Ra«, sagte der Barbar und deu tete auf sich. Das schien der Grünpelz zu verstehen. Er machte dieselbe Geste und sagte in einer
merkwürdig bellenden Sprache: »Snayssol!« Damit war der Bann gebrochen. Der Log hane rannte auf die offenstehende Schleuse zu und reichte dem Barbaren die viergliedri ge Klaue. Ra packte zu und half dem Frem den ins Beiboot. Sekunden später schlossen sich die beiden Hälften der äußeren Schleuse und das Boot hob vom Boden ab. »Schade, Snayssol«, sagte Ra und blickte den Grünpelz fest an. »Schade, daß wir kei nen Translator an Bord haben. Dann könn ten wir uns jetzt schon ausgiebig unterhal ten. Aber das werden wir an Bord der ISCH TAR nachholen. Ich bin sicher, daß du mir eine ganze Menge interessanter Dinge über deine Heimat erzählen kannst.« Snayssol nickte lächelnd. Der Dunkelhäu tige gefiel ihm. Er vertraute ihm instinktiv. »Ra?« knurrte er freudig erregt. »Schon gut, ich weiß, daß du's gut meinst«, erwiderte der Barbar. »Komm mit hoch. Wir plündern erst mal die Vorrats kammer, sonst fällst du mir noch vom Fleisch!«
E N D E
ENDE