Dr. No 06 Himmelfahrtskommando von W. A. Hary ISBN: 3-8328-1268-7
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Sheila kitzelte unseren Gefangenen mit der Beretta. »Ach was, ich drücke einfach ab. Der redet ja doch nicht.« Der änderte auf einmal jedoch seine Meinung. Sheila war ja auch zu überzeugend: »Nein, nein, keine Mafia! Wir sind keine Mafia! Es - es gibt in Spanien keine Mafia. Wir - wir haben nichts mit denen zu tun.« »Welche Organisation sonst? Konkurrenz zur X-Organisation ja offenbar - oder irre ich mich?« »Wir wissen nicht, wie sie sich nennt. Nach und nach hat man uns angeheuert. Dies hier ist das erste Mal, daß wir uns überhaupt begegnet sind. Alle wurden einzeln geworben. Wir wußten vorher nichts voneinander.« »Habt ihr vorher Soloaufträge erledigt oder was?« »Ja, meistens. Manchmal auch mit anderen, die wir vorher nie gesehen haben und auch später nie mehr sahen. Das war alles gut organisiert. Damit niemals einer den anderen verraten kann.« »Was für Aufträge waren das denn normalerweise?« Er zögerte und schielte auf den Zeigefinger von Sheila, der sich um den Abzug krümmte. Kurz leckte er sich über die Lippen. Dann: »Mord!« »Ich bin sehr zufrieden mit deiner Bereitschaft zur Kooperation!« Damit gab Sheila ihm Anlaß zu hoffen. »Und wie stand es mit Folterungen?« Er bejahte - wenig begeistert. »Dann hattet ihr doch genügend Übung, nicht wahr? Und trotzdem ist euch Armstrong unter den Händen weggestorben?« »Ich - ich kann nichts dafür! Der war ungeheuer zäh und daher...« »Offenbar nicht zäh genug, wie man jetzt weiß!« Sheila trat zwei Schritte zurück. »Was hattet ihr eigentlich mit uns vor?« Der Boß der Banditen kam nicht mehr dazu, ihr zu antworten: »Verräter!« knurrte einer der anderen, riß eine kleine Pistole aus seinem linken Ärmel und schoß. Die Kugel war tödlich. Anschließend erst richtete er die Waffe auf Sheila. Doch diesmal kam ihm Sammy zuvor: Er traf den Unterarm des Mörders. Sheila wandte erschrocken den Kopf. »Verdammt!« entfuhr es ihr. Alles hatte sich in Sekundenbruchteilen abgespielt. Ein anderer Bandit fiel wimmernd auf die Knie. »Wir - wir wissen erst recht nichts! Wir waren nicht einmal bei der Folterung dabei. Es hieß nur, der dort sei unser Boß bei der Aktion, und er hat uns nichts gesagt. Wir sollten nur seine Befehle befolgen.« Copyright 2001 by readersplanet
Sammy bückte sich nach dem Feigling. Mit einer Hand hob er ihn hoch. »Wie war das noch mit den Muskeln und der Luft drin? Willst du mal fühlen?« Er klopfte nur leicht auf den Schädel des Feiglings. Der schrie gleich wie am Spieß. »Der vorhandene Luftdruck im Bizeps reicht vollkommen, merkst du? Aber die Tendenz ist deutlich steigend!« Er holte aus... »Laß ihn!« sagte Sheila ärgerlich. Sammy ließ den Feigling einfach fallen. »Tut mir leid, Knabe, aber es gibt Dinge, da ist unsereins mächtig empfindlich. Heb' dir das als wichtige Erkenntnis für die Zukunft auf!« »Wir sammeln die Waffen alle ein und fesseln die Kerle zu handlichen Paketen zusammen«, schlug ich vor. »Dann hauen wir hier ab.« »Vielleicht wäre es noch besser, wir würden uns hier verschanzen, Dr. No?« fragte Sheila. Sammy entschied für uns: »Nein, abhauen ist besser. Ich weiß nicht, was die mit uns wirklich vorhatten. Es ist mir auch egal, ob der Gegner sich nun Mafia oder sonstwie nennt. Aber ich glaube kaum, daß die rücksichtsvoll sind und lange fackeln, wenn wir uns hier verbarrikadieren. Sobald die das nämlich geschnallt haben, daß sie nicht mehr an uns herankommen, jagen sie alles in die Luft. Das traue ich denen zu.« Der Feigling zu seinen Füßen: »Das stimmt, ganz ehrlich. Die machen hier alles nieder, auch uns, sobald es Widerstand gibt. Unser Boß dort hat gesagt, daß es nur wichtig ist, euch aus dem Verkehr zu ziehen. Auch wenn ihr nicht mitspielt, klappt das Geschäft. Es sei alles gut vorbereitet.« Ich dachte an die Abschiebehaft, an die Doppelgänger... Alles war zu einer Farce geworden. Und wie sollten wir dem Capitan das klar machen? Ob es da drin wenigstens Telefon gab? Aber machte das überhaupt einen Sinn? »W a s ist vorbereitet?« hakte Sammy nach. »Echt, ich weißt es nicht! Ich würde es euch sofort sagen. Ich - ich will doch nicht sterben, verdammt.« Das glaubte ich ihm unbesehen. Also abhauen von hier - aber erst nach einem brauchbaren Telefon sehen. »Bin gleich wieder da!« sagte ich und lief ins Haus. Sheila und Sammy brauchten nicht lange auf mich zu warten. Eine Minute später war ich wieder bei ihnen: »Aussichtslos: Die haben sämtliche Verbindungen nach draußen gekappt.« Ich wandte mich an die Banditen: »Wieso eigentlich?« Bevor sie mir Antwort geben konnten, winkte ich mit beiden Händen ab: »Okay, ich weiß schon: Der Boß hat es so bestimmt. Ihr wißt nicht warum. Und der Kerl ist jetzt tot!«
* Wir fesselten und knebelten die Banditen wie verabredet und krümmten ihnen ansonsten kein Härchen. Was mit ihnen weiter geschehen sollte, dafür waren wir schließlich nicht zuständig. Wir konnten nicht auch noch die Aufgabe von Richtern und Vollstreckern oder sogar Rächern übernehmen, sondern es ging in erster Linie darum, zu überleben - und außerdem Licht in das Dunkel der hiesigen Vorgänge zu bringen... Anschließend sorgten wir noch für einen ausreichenden Wasservorrat für unterwegs und machten uns dann auf den Marsch. Proviant war tatsächlich keiner mehr vorhanden gewesen. Davon konnten wir uns überzeugen.
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Die Banditen hatten einen Teil wohl selber verzehrt und den Rest weisungsgemäß vernichtet. Wir hatten keine Ahnung wieso. Vielleicht, damit sie nicht unabhängig hier draußen wurden unabhängig vom großen Unbekannten im Hintergrund? Sammy fungierte als eine Art Reiseleiter. Zwar konnte ich mich nicht über fehlende Überlebensinstinkte beklagen, aber möglicherweise hätten Sheila und ich uns in dieser öden Wildnis im neukastilischen Hochland zunächst einmal hoffnungslos verlaufen. Da konnte man stundenlang umherirren, ohne auf eine Menschenseele zu treffen. Vor allem in der Gegend, in die man uns gebracht hatte. Wir vertrauten unserem Führer. Sammy war zwar in der übervölkerten Großstadt Chicago aufgewachsen, aber er hatte immer noch die wachen Instinkte seiner afrikanischen Vorfahren bewahrt. Ich wußte durch Captain Stone davon. Er hatte uns Sammy nicht umsonst mitgegeben. Meine Gedanken wandten sich unserem Ziel zu. Die Frage war gewesen: Wohin sollten wir uns wenden: Richtung Madrid, also zurück zur Polizei und Capitan Gonzales? Nicht daß ich ihm mißtraut hätte, aber er hatte uns zur Hazienda und damit in eine tödliche Falle bringen lassen. Das war eine Tatsache. Vielleicht konnte er selber nichts dafür. Zumindest aber gab es in den Reihen der Polizei Verräter. Und nur ihn aufsuchen, um ihm zu sagen, daß der Plan von der angeblichen Abschiebehaft mißlungen war...? Dies war im Grunde genommen unsere Situation, einmal grundsätzlich gesehen: Wir befanden uns in einem fremden Land, inmitten einer kargen Wildnis, verfolgt von Verbrechern - und Verrätern innerhalb der Polizei gleichermaßen. Und wir wußten nicht einmal genau warum - und hatten keine Chance, Freund und Feind voneinander klar zu unterscheiden. Meine Theorie: Jemand hatte sich einen verrückten Plan ausgedacht, mit welchem Motiv auch immer, und wir spielten eine wichtige Rolle darin. Wir kannten aber weder den Plan, noch seinen Urheber. Sammy führte uns nicht schnurgerade, sondern beschrieb viele Umwege. Nicht nur angepaßt an das Gelände, sondern auch, um eventuelle Spuren zu verwischen. Wir mußten zunächst einmal total untertauchen. Das erschien uns ratsam. Denn nur, wenn wir überlebten, hatten wir irgendwann eine Chance, einzuhaken. Irgendwann? Es ging bergauf und bergab. Hier war das Hochland sehr hügelig. In windgeschützten Nischen kauerte sich karge Vegetation. Der Wind war rauh und trocken. »Bald kommen wir in eine Gegend mit Landwirtschaft. Irgendwo muß es auch einen Bauernhof geben. Ich sage das, weil ich Hunger habe«, erläuterte Sammy. Ich fragte ihn nicht danach, wie er zu einer solchen Vermutung kam, denn ich konnte keinerlei Anzeichen einer beginnenden Landwirtschaft erkennen. Stattdessen rieb ich mir über den Bauch: »Hunger habe ich auch. Kein Frühstück, kein nichts. Und es geht schon auf Mittag zu. Wenn wenigstens die Sonne wärmer werden würde...« Vor uns öffnete sich ein Steppental. Dahinter zog sich ein Felsenkamm entlang. Unglaublich, wenn man bedachte, daß sich hier einmal vor Jahrhunderten ausgedehnte Wälder befunden hatten. Sie hatten genügend Wasser gebunden, um das ganze Jahr über die Natur wachsen und gedeihen zu lassen. Die Spanier hatten zur Zeit ihrer Seemacht alles abgeholzt und zu Schiffen verarbeitet. Das Land war sich selbst überlassen worden - und verkarstet. Das Wetter war umgekippt. Bestenfalls Buschwälder konnte man hier noch finden. Die Bauern des Hochlandes fristeten ein erbärmliches Dasein. Sie schufteten Tag und Nacht, und dabei reichte es kaum zum überleben. Der Boden gab einfach nicht genug her.
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Wir durchquerten das Steppental nicht schnurgerade, sondern hielten uns in der Nähe von möglichen Deckungen. Jetzt waren wir schon seit Stunden ununterbrochen unterwegs. Von Verfolgern war noch nichts zu sehen. Doch das hatte nichts zu bedeuten. Sie waren gewiß schon unterwegs: Wie würden sie gegen uns vorgehen? Jetzt galt es zunächst einmal, Eßbares in den Bauch zu bekommen. In dieser Hinsicht hatte Sammy vollkommen recht: Anders konnte man nicht mehr so klar denken. Und das war jetzt lebensnotwendig, wollten wir unser Ziel nicht doch noch verpassen... »Ich überlege die ganze Zeit, wie die Verbrecher zur Hazienda gekommen sind«, sagte Sheila plötzlich. »Sie mußten einen Wagen benutzen. Als wir kamen, war aber überhaupt keiner mehr da.« »Vielleicht schickten sie einen Kurier damit weg?« vermutete ich. »Wozu? Sie hätten doch von Madrid aus Nachricht geben können: 'Fahren zur Hazienda, kommt uns bitte abholen!' oder so. Das ist doch sonst unlogisch.« Ich runzelte nachdenklich die Stirn. Sheila fuhr fort: »Außerdem hieß es, wir würden abgeholt. Das heißt, wir waren dafür vorgesehen, einer anderen Gruppe übergeben zu werden. Die Gruppe, der wir entrannen, war für den Plan in Madrid zuständig - die Folterung von Mr. X und so. Der Plan gelang ja soweit, daß wir von der Polizei zur Hazienda - und somit in die Falle gebracht worden waren. Die Banditen brauchten nur vorbereitet zu sein. Sie haben den Besitzer der Hazienda zur Aussage gezwungen. Aber nur, weil sie vorher schon ungefähr Bescheid gewußt haben. Denn sie waren sich ihrer Sache sehr sicher. Von der anderen Gruppe, die anschließend für uns zuständig sein sollte, wußten sie praktisch gar nichts. Deshalb hatten sie Angst. Außerdem hatten sie weisungsgemäß sämtliche Verbindungen nach draußen abgebrochen - also kein Telefon, kein Funk, nichts. Sie hätten niemandem mitteilen können, daß der Plan soweit überhaupt gelungen war...« »Sieht mir nach einer strengen Hierarchie aus«, mischte sich Sammy ein. »Niemand kennt den anderen. Das schaltet Verrat weitgehend aus. Und wenn es keine Telefonverbindung gibt, kann man auch keinen Kontaktmann verraten - dessen Telefonnummer man zumindest wissen müßte. Ein möglicher Verräter kann nur einen winzigen Teil verraten, ohne Aufschluß auf die Organisation als solche bieten zu können.« »Terroristen sind oft so organisiert!« trumpfte ich auf. »Und Rauschgifthändler innerhalb ihrer Organisationen.« Sammy schüttelte den Kopf. »Alles reichlich mysteriös. Es ergibt überhaupt keinen Sinn für mich. In keinem Zug. Was für eine Rolle spielen wir? Darf man sogar soweit gehen...?« Er brach ab, nagte an seiner Unterlippe. »Darf man sogar annehmen, daß sogar jetzt jeder Schritt von uns vorhergesehen wird und - wurde?« Sheila lachte heiser. »Das würde bedeuten, wir sind nur winzige Schachfiguren, und es geht hier um Dinge, von denen wir nicht die leiseste Ahnung haben. Ich weiß nicht recht, Sammy, ich finde das reichlich übertrieben.« »Aber mysteriös bleibt es trotzdem!« beharrte Sammy. »Das bezweifelt ja auch niemand!« Ich winkte mit beiden Händen ab. »Nur die Ruhe, ihr beiden. Ich finde, wir verbrauchen unnötig Sauerstoff, wenn wir darüber debattieren. So kommen wir jedenfalls nicht weiter.« »Ja, machst du dir denn überhaupt keine Gedanken?« wunderte sich Sheila. »Doch!« gab ich zögernd zu. »Also gut, ihr beiden: Ich glaube, ich weiß, warum die keinen Wagen mehr hatten: Einer brachte ihn weg. Vielleicht nach Madrid zurück? Die anderen blieben allein und ohne Proviant in der Hazienda. Damit sie von der nächsten Gruppe abhängig waren. So ist gewährleistet, daß der Boß von einer Gruppe nicht gemeinsame Sache mit dem Boß einer anderen Gruppe macht. Wer seine Schuldigkeit getan hat, tritt ab - und hat sich Copyright 2001 by readersplanet
ansonsten klein zu halten. Sonst ergeht es ihm schlecht. Möglicherweise haben wir die Kerle zum Tode verurteilt, als wir sie gefesselt und geknebelt zurückließen? Sie hatten nicht umsonst eine Heidenangst vor ihren Komplizen. Und wenn der eine dann vielleicht aus Madrid zurückkehrt, mit dem Transporter, trifft er nur noch Leichen an. Unsere Verfolger werden die Mörder von denjenigen sein, die wir überlistet haben.« Wir hatten das Steppental umrundet. Sammy entdeckte einen Durchgang in dem Felsenkamm und winkte uns dorthin. »Nach meinen Berechnungen müßte dahinter Ackerland beginnen. Mein Hunger wächst. Wird Zeit, daß wir etwas dagegen tun.« Wir passierten den Felsenkamm an dieser Stelle und sahen Sammys Annahmen bestätigt. Als hätte er einen sechsten Sinn! Mehr noch: Als wäre er eine Art Hellseher! Ich betrachtete in kopfschüttelnd von der Seite. In der afrikanischen Heimat seiner Vorfahren wäre er wahrscheinlich so etwas wie ein Zauberpriester geworden... Ich schmunzelte über diesen Gedanken. Sammy hob den Arm und gebot uns zu stoppen. Lauschend standen wir da. Was hatte er? Ein Getreidefeld vor uns. Der Wind peitschte die Ähren und erzeugte Wellen wie auf der Oberfläche eines kleinen Meeres. Fern im Hintergrund sahen wir ein Cortijo, ein winziges spanisches Bauerngut, wie es für diese Gegend typisch war. Alles erschien normal, aber auch mein Gefahreninstinkt hatte sich gemeldet! Ich wagte mich noch ein Stückchen vor, blieb geduckt und schaute vorsichtig umher. Und da sah ich die Männer: Sie hatten den Felsenkamm erreicht und folgten ihm. Ihr Weg führte sie zwangsläufig zu uns. Und sie waren bis an die Zähne bewaffnet.
* »Der große Planer mischt wieder mit«, zischelte Sheila. »Er kümmert sich persönlich um uns. Deshalb all die Vorsichtsmaßnahmen, die uns so umständlich erschienen. Bravo. Und er will uns unter allen Umständen, ob tot oder lebendig. Vielleicht, weil wir unsere Schuldigkeit bereits getan haben - was immer das auch war?« »Sheila, du hast eine umwerfende Art, deinen Freunden Mut zu machen!« tadelte Sammy. Sie zupfte an ihrem Kleid. »Und ich wollte, ich hätte was anderes angezogen. Im Kleid läßt es sich nicht gut kämpfen, wenn man draußen in der Wildnis ist.« »Du willst dich zum Kampf stellen?« wunderte ich mich. »Du dich etwa nicht, Dr. No?« Ich wandte mich an Sammy. »Was meinst du: Wie groß sind unsere Chancen?« »Gleich Null! Nicht nur, weil ich solchen Hunger habe. Rückkehren ist auch nicht, weil es hinter uns nichts Eßbares gibt. Dort vorn wartet möglicherweise mein Mittagessen? Seltsam, ich kann sowieso an nichts anderes mehr denken!« »Aber zwischen dir und dem Mittagessen befindet sich eine Horde wildentschlossener Killer!« gab ich zu bedenken. Copyright 2001 by readersplanet
»Und wo sind die Probleme, die du darin siehst, Dr. No?« »Okay, Sammy, schließlich haben wir ja dich!« Sheila lachte leise über diese Bemerkung. Wir zogen uns in den Durchgang zurück. Unsere Gegner würden ihn zwangsläufig finden. Und sie würden ihn auch benutzen wollen, denn es war viel zu beschwerlich und auch vor allem gefährlich, den Felsenkamm zu überqueren. Außerdem mußten sie damit rechnen, von uns entdeckt zu werden, wenn sie oben auftauchten. Sie wußten anscheinend noch nicht, daß wir bereits da waren. Der große Planer hatte sie uns entgegengeschickt, und er war sehr sicher gewesen, daß wir diesen Weg kommen würden. Wir hatten, noch unentdeckt, eine winzige Chance meiner Meinung nach: Wir konnten sie allerdings nur wahrnehmen, indem wir uns in dem Durchgang verbarrikadierten. Dazu bedurfte es keiner großen Anstrengung, denn es lagen Felsbrocken herum, die wir ein wenig zusammenschieben konnten. Der Durchgang hatte eine Länge von ungefähr zwanzig Schritten. Der Felsenkamm war einige Meter hoch, kahl, zerfurcht, vereinzelt mit Gras bewachsen. Wir legten uns auf die Lauer und warteten ab. Ich hielt die ganze Zeit den obersten Rand des Felsenkammes rechts und links von uns im Auge. Das waren nur fünf bis acht Meter, aber sie waren schwierig zu überbrücken. Der erste Killer tauchte auf. Nicht oben, sondern erwartungsgemäß von vorn. Er kam allein, hielt eine MP Uzi im Anschlag und den Finger am Abzug. Ich mochte die israelische Uzi nicht: Wenn man sie mal unbedacht fallenließ, ging sie mitunter von allein los. Vor allem hatte ich etwas dagegen, wenn der Gegner so ein Ding besaß, denn sie schoß recht präzise und war trotz ihrer Gefährlichkeit völlig anspruchslos: Die Uzi schoß nämlich auch noch nach einem Sand- oder Schlammbad, wenn es sein mußte. Breitbeinig stand der Kerl da und schaute sich den Durchgang an. Offenbar hielten sich seine Kumpane vorerst zurück und ließen ihm in weiser Voraussicht den Vortritt. Er näherte sich, passierte die Stelle, wo Sheila lag, bemerkte sie aber nicht. Gut gemacht! lobte ich sie in Gedanken. Er passierte die Stelle, an der sich Sammy versteckt hielt. Sammy sah den Gegner nicht. Wenigstens nicht mit den Augen, die er außerdem auch noch geschlossen hielt. Dennoch reagierte er genauso, als sei der Felsbrocken vor ihm durchsichtig wie Glas. Sowie der Gegner den Brocken passierte, kroch Sammy darum herum. Dadurch wurde auch er nicht entdeckt, zumal er nicht das geringste Geräusch verursachte. Der Killer zeigte sich zuversichtlich, als er auf meiner Höhe auftauchte. Beinahe wäre er noch über mich gestolpert. Die von mir bei der Hazienda erbeutete Pistole lag ruhig in meiner Hand. Ihr Lauf folgte dem Killer. Wenn er jetzt zur Seite blickte, entdeckte er mich. Es war zu spät, mich zurückzuziehen. Ich bewegte mich lieber nicht mehr. Aber er hatte nur das Augen für das Feld, das hinter dem Durchgang lag. Wir hatten unverschämtes Glück, daß wir so zügig marschiert waren. Obwohl wir sämtliche Deckungsmöglichkeiten genutzt hatten. Falls wir jetzt noch in dem Steppental gewesen wären: Nicht auszudenken! Der Killer hätte uns in diesem Augenblick mit Sicherheit entdeckt und sofort seine Kumpane von unserem Kommen in Kenntnis gesetzt. Sie hätten seelenruhig auf uns warten können - sicher in Deckung liegend, in diesem Durchgang - genauso wie wir jetzt! Copyright 2001 by readersplanet
Unsere Chance wäre gleich Null gewesen - wie Sammy es bereits pessimistisch formuliert hatte. Ich zielte sorgfältig. Der Killer betrachtete sich eingehend das weite Steppental, konnte natürlich nichts Verdächtiges sehen und rief über die Schulter zurück: »Die sind noch gar nicht da! Ihr könnt aufrücken!« Darauf hatten wir nur gewartet. Langsam wandte er sich um. Die Mündung seiner Uzi war jetzt auf den Boden gerichtet. »Wir werden uns hier häuslich niederlassen und ihnen einen angemessenen Empfang bereiten.« Er lachte häßlich. Und dann schaute er in die Mündung meiner Pistole. Jedes weitere Wort blieb ihm im Halse stecken.
* Der Killer begriff recht schnell, daß wir genau das getan hatten, was bei ihm gerade als Entschluß gereift war: Nämlich sich auf die Lauer zu legen! Aber er hatte nicht vor, sich kampflos zu ergeben, sondern riß seine Uzi sofort hoch und wollte den Abzug durchreißen. Der Kugelhagel hätte mich zum Sieb gemacht. Ich war schneller. Mein Schuß hallte zwischen den steil aufragenden Felswänden wider. Er dröhnte in meinen Ohren. Der Killer zuckte zusammen. Dann kippte er langsam nach vorn. Vergeblich versuchte er, die Uzi zu halten und doch noch eine Feuergarbe anzubringen. Aber dazu fehlte ihm die Kraft. Die Uzi entglitt endgültig und unwiderruflich seinen Händen und fiel zu Boden. Es kam, wie es kommen mußte: Selbständig schickte die MP eine Garbe aus. Die Kugeln trafen mich gottlob nicht, aber sie pfiffen mir als Querschläger gefährlich nahe um die Ohren. Rasch robbte ich zu dem Toten hinüber, um die MP an mich zu bringen. »Nicht!« warnte Sammy, aber ich hörte nicht auf ihn. Fast hätte ich die Uzi erreicht, als ein weiterer Schuß losdonnerte - irgendwo hinter mir. Die Kugel verfehlte mich knapp und ließ Dreck aufspritzen. Die Gegner, von dem Killer kurz vor seinem Tode gerufen, waren schon da. Verbissen robbte ich weiter, schnappte mir die Uzi und ging den gleichen Weg zurück, während Sheila und Sammy mir Feuerschutz gaben. Auf mich wurde nicht mehr geschossen. Die Gegner wurden erst einmal niedergezwungen. Sie preßten sich flach auf den Bauch, um von uns nicht getroffen zu werden. Ich hatte vor, den Helden zu spielen. Wahrscheinlich deshalb, weil ich das erste Duell so erfolgreich überstanden hatte. Manchmal wurde man eben vom Teufel geritten. Vor allem in Extremsituationen wie dieser, wenn es um Leben und Tod ging. Dann tat man auf einmal Dinge, die man unter normalen Umständen niemals begriff. Ich sprang auf, die Uzi im Anschlag. Zuvor hatte ich mich kurz überzeugt, ob noch genügend Munition im Magazin war.
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Vier der Banditen hatten sich flach auf den Boden gelegt. Sie befanden sich in der Nähe des Zugangs und wollten sich nun langsam zurückziehen. Wenn wir in Deckung blieben, konnten wir sie nicht erreichen. Deshalb mein Wagemut: Damit uns die vier nicht entgingen. Kaum hatte ich sie im Blick, als ich abdrückte und ihnen eine Salve schickte. Sie erwiderten das Feuer, aber ich duckte mich rechtzeitig nieder. Die Kugeln pfiffen dicht über mich hinweg. »Bist du wahnsinnig?« schimpfte Sammy. »Ja!« antwortete ich. Und ich hatte durchaus Erfolg zu vermelden: Die Banditen schrieen schmerzerfüllt durcheinander! Also hatte ich getroffen. Geduckt rannte ich zur Seite und richtete mich wieder zur vollen Größe auf. So war ich eine ideale Zielscheibe, aber die Gegner erwarteten mich an einer anderen Stelle. Abermals drückte ich ab. Diesmal erfolgte kein Gegenfeuer: Die hatten keine Chance mehr dazu. »Also, du spinnst wirklich, Dr. No!« kommentierte Sammy böse. Ich warf mich wieder hinter meine Deckung. Sheila meldete sich überhaupt nicht. Verdammt, ich hatte sie nicht mehr gesehen: Wo steckte sie? Vorsichtig spähte ich nach vorn. Sheila war weiter vorgerobbt, in der Deckung von kleineren Felsbrocken. Hier sah es aus, als wäre der Durchgang durch den Felsenkamm irgendwann einmal gesprengt worden. Stimmte vielleicht sogar? Konnte doch sein, daß das Steppental auch einmal landwirtschaftlich genutzt worden war? Von demselben Bauern? Irgendwann hatte er dann das Tal aufgegeben, weil es sich noch weniger lohnte als auf seiner Seite des Felsenkamms. Sheila war ganz nahe am Eingang und richtete sich auf. Sie preßte sich seitlich gegen den Felsen und hielt die Waffe im Anschlag. Sie hatte die Waffe in der linken Hand. Sheila war Beidhänderin. Sie konnte links so gut schießen wie rechts. »Gebt's auf!« rief jemand von draußen herein. »Ihr habt keine Chance!« »Und ihr habt fünf Leute verloren!« gab ich ruhig zurück. »Das spielt keine Rolle. Wir wollen euch nicht umbringen, sondern nur gefangennehmen.« »Im Namen von Mr. Unbekannt, nicht wahr?« »Ja, in seinem Namen. Er erweist euch die Ehre einer persönlichen Begegnung.« »Ach nee, ist er denn schon da? Warum zeigt er sich denn nicht?« Während ich sprach, hielt ich die Umgebung aufmerksam im Auge. Die führten was im Schilde. Ich spürte es deutlich. Wahrscheinlich war da vorn nur noch einer. Er hatte die Aufgabe, uns abzulenken, während die anderen den Felsenkamm erkletterten. Vielleicht kamen sie von oben oder von der anderen Seite, um uns in den Rücken zu fallen? Wenn, dann saßen wir allerdings ganz schön in der Falle! Sheila machte mir ein Zeichen: Ich sollte ruhig weiterreden. Um die abzulenken? Von was? »He, falls wir uns einfach nicht ergeben wollen: Was dann? Wie wollt ihr an uns herankommen? Wir haben uns gut verbarrikadiert.« Copyright 2001 by readersplanet
»Aber ihr habt nichts zu essen. Wir belagern euch so lange, bis ihr freiwillig kommt, und für die Nacht haben wir Scheinwerfer, die hier alles taghell ausleuchten, wenn es sein muß.« Klar, daß er uns belog, denn er mußte doch damit rechnen, daß wir uns vor der Zeit ins Steppental zurückzogen. Was hieß denn hier Belagerung? Das klappte doch nur, falls es ihnen gelang, auch den Ausgang auf der Rückseite abzuriegeln. »Nenn mir die Bedingungen!« rief ich. »Waffen weg und einzeln herauskommen. Schön die Hände in die Luft strecken. Es wird euch nichts passieren.« »Mr. Unbekannt bestimmt also, was danach folgt?« »Genau!« »Dann verzichten wir lieber! Nun, was ist jetzt? Beginnt jetzt die angekündigte Belagerung? Von beiden Seiten gar?« Anstelle einer Antwort warf er etwas zu uns herein. Es prallte gegen die Felsenwand und fiel zu Boden. Dort kullerte es noch ein Stückchen weiter. Keiner von uns konnte es erreichen, um es rechtzeitig wieder nach draußen zu befördern: Es war eine Handgranate! Und sie war bereits gezündet!
* Sammy schoß. Er hatte die Handgranate genau im Schußfeld. Das war unser aller Glück. Mit zwei Kugeln trieb er die Handgranate wieder aus dem Durchgang hinaus. Kaum war sie draußen, als sie auch schon detonierte. Sheila krümmte sich zusammen. Nein, sie hatte sich nicht verletzt, sondern hatte sich nur tiefer in Deckung gekauert. Der Killer draußen lachte schadenfroh. Also hatte auch er Glück gehabt. Sheila sprang vor. Es war ein mächtiger Satz, einer Tigerin würdig. Sie hatte sich genau gemerkt, woher die Stimme kam, und der Lacher hatte den Killer zusätzlich verraten. Und Sheila rechnete damit, daß die anderen bereits unterwegs waren, um uns von hinten anzugreifen. Ihr Risiko war somit kalkulierbar. Und sie tauchte für den Killer völlig überraschend auf. Er hatte uns unterschätzt - und Sheila ganz speziell! Sie zeigte ihm die Pistolenmündung und befahl: »Waffe weg!« Der Kerl zögerte. Vor ihm stand eine schöne Frau. Sollte er sich von dieser geschlagen geben? Es war nicht das erste Mal, daß Sheila doppelt und dreifach unterschätzt wurde. Die meisten Männer schienen sowieso die Meinung zu vertreten, Frauen hätten nichts im Hirn und dafür mehr in der Bluse. Und eine schöne Frau, die sogar mit der Waffe in der Faust zu kämpfen verstand, paßte erst recht nicht in ihr Konzept. Als ich Sheila kennengelernt hatte, war sie auf den Strich gegangen. Gezwungenermaßen. Weil die Zuhälter für sie eine übermacht gewesen waren. Sie war ihnen ausgeliefert gewesen. Copyright 2001 by readersplanet
Bis ich aufgetaucht war. Sie hatte mir das Leben gerettet - und ihr eigenes dazu! Sie war wieder zu der geworden, die sie vorher gewesen war! Keine Spur mehr von Resignation und sich einfügen in vermeintlich Unvermeidbares... Der Bandit vor ihr grinste anzüglich und betrachtete Sheila von Kopf bis Fuß. Er wußte anscheinend, daß Sheila jahrelang eine Prostituierte im übelsten Viertel von Chicago gewesen war. Auf der untersten Stufe der Gesellschaft sozusagen. Und er unterschätzte die Tatsache, daß Sheila sich daraus befreit hatte! Er riß seine Waffe hoch und wollte Sheila einfach über den Haufen schießen. Sheila hatte sowieso schon den Finger am Abzug, und sie kannte keine Skrupel, wenn es um die Verteidigung ihrer Haut ging. Die Kugel traf voll, und der Kerl brach mit ungläubigem Gesichtsausdruck zusammen. Sammy und ich sprangen auf und sprinteten im Zickzackkurs zum Ende des Durchgangs, vorbei an dem Sterbenden und vorbei an Sheila. Sie schloß sich uns mit flatterndem Kleid an. Rücksichtslos schlugen wir uns ins Kornfeld. »He!« schrie einer auf dem Felsenkamm. Sheila hatte zwar den Durchgang freigemacht, aber die restlichen Gegner waren noch da, und mit ihnen mußten wir rechnen. Einer hatte uns bereits entdeckt und fuchtelte mit den Armen. Zwei weitere tauchten oben auf. Sie waren soeben im Begriff gewesen, auf der anderen Seite hinunterzuklettern, um uns von dort in den Rücken zu fallen. Es ist ein Fehler, wenn man durch unbekanntes Gelände rennt und dabei über die Schulter sieht: Ich stolperte prompt und fiel aus vollem Lauf der Länge nach hin. Aber es rettete mir das Leben, denn die Killer eröffneten gleichzeitig das Feuer. Reiner Zufall, daß sie dabei zunächst nur auf mich hielten. Ich überschlug mich zweimal und verlor meine Waffe. Zum Glück blieb sie in der Nähe liegen. Die Uzi hatte ich in weiser Voraussicht zurückgelassen: Zu unhandlich für eine Flucht - und zu gefährlich, wenn man bedachte, daß sie auch mal von allein losging - gerade, wenn man es am wenigsten brauchte. Ich rollte zur Seite und entging abermals Kugeln. Endlich erwischte ich meine Pistole wieder und konnte sie einsetzen. Die Killer sahen das und duckten sich rechtzeitig. Mir bot sich dadurch kein Ziel mehr. Ich sprang auf und gab einen ungezielten Schuß ab. Dann rannte ich weiter. Die nächsten Schüsse der Killer waren ebenfalls ungezielt. Sheila und Sammy erwiderten das Feuer und zwangen die Kerle damit wieder in Deckung. Ehe die sich auf neuen Mut besinnen konnten und vor allem endlich erkannten, daß sie uns gegenüber im Vorteil waren, wenn sie Zielschießen veranstalteten, während wir verzweifelt versuchten, außer Schußweite zu kommen, waren wir weit genug weg. Der eine schimpfte mit seinen Kumpanen herum: Noch mehr waren inzwischen aufgetaucht. Sechs hatten wir insgesamt ausgeschaltet. Aber dort oben waren jetzt noch mindestens zehn. »Idioten!« knurrte Sammy abfällig. »So wie die sich anstellen...« »Sei froh!« sagte Sheila, »sonst wären wir nicht mehr am Leben.« »Anscheinend ist Mr. Unbekannt doch nicht so anspruchsvoll bei der Auswahl seiner Leute.« »Es könnte aber auch sein«, sagte ich vorsichtig, »daß die uns total unterschätzen? Es wäre derselbe Effekt.« Copyright 2001 by readersplanet
Sheila boxte mir zwischen die Rippen. »Nee, Dr. No, du bist denen völlig über. Das allein ist es. Ohne dich und Sammy würden wir schlecht aussehen.« Ich schüttelte lächelnd den Kopf. »War das jetzt ernst gemeint oder nur ein Scherz?« Sammy raunzte: »Falls ihr euch endlich darüber einig werden könntet, würde ich vorschlagen, wir rennen weiter, so lange wir noch können! Na, wie wär's?« Er hatte recht: Der Gegner formierte sich bereits neu und bereitete die Verfolgung vor. Allerdings: Sehr eilig hatten sie es nicht. Konnte es sein, daß am Bauernhof noch andere auf uns warteten? Oder hatte es andere Gründe? Etwas knurrte so bedrohlich, daß ich erschrocken zusammenfuhr und mich umschaute. Ein spanischer Wolf oder was? Sammy grinste: »Das war nur mein Magen!« Ich schüttelte den Kopf. Jetzt begriff ich auch, warum er es so eilig hatte, zu einem Mittagessen zu kommen.
* Ich blieb abrupt stehen, weil ich wieder an eine mögliche Falle im Bauernhof denken mußte. Das erschien mir jetzt wahrscheinlicher denn je. Und wenn diese Vermutung stimmte, saßen wir ganz schön in der Klemme - unentrinnbar, um genauer zu sein. Auch Sheila und Sammy blieben jetzt wieder stehen. Wir sahen uns betroffen an. »Du mit deiner Freßgier!« zischelte Sheila Sammy zu. »Da verlernst du das Denken glatt und erkennst keine mögliche Gefahr mehr.« »Mag sein, aber ich würde trotzdem vorschlagen, unser Glück am Bauernhof zu versuchen.« »Bist du sicher, Sammy?« fragte ich ihn zweifelnd - und dachte wieder an seine wachen Instinkte, die mir manchmal vorkamen wie reine Hellseherei. Oder stimmte es, was Sheila sagte: Machte ihn der Hunger unvorsichtig, wurde der gewissermaßen Vater seiner Gedanken und ignorierte er deshalb alle Warnimpulse? Er erriet offensichtlich meine Gedanken, denn er runzelte ärgerlich die Stirn. »Du mißtraust meinem Optimismus, wie? Und wie steht es mit dir, Dr. No? Was sagen deine Instinkte? Wie ich weiß, sind die doch ebenfalls ziemlich wach. Man sagt dir nach, du seist kein normaler Mensch. Du kennst deine Herkunft nicht. Vielleicht gibt es überhaupt nicht so etwas wie eine Erinnerung an eine Vergangenheit? Vielleicht hast du nicht einfach nur das Gedächtnis verloren, sondern es gibt überhaupt keine Vergangenheit?« »Warum sagst du das jetzt?« murrte Sheila. »Nur weil du dich über uns ärgerst?« »Nein, Sheila, es liegt mir die ganze Zeit über schon auf der Zunge. Exakt seit ich den unglücklichen Besitzer der Hazienda gesehen habe. Er war übel zugerichtet, aber sein Gesicht...« Ich fuhr erschrocken zusammen. Die ganze Zeit über hatte auch ich es verdrängt, aber jetzt ging das nicht mehr. Sammy sprach es aus, und Sheila konnte es nicht mehr verhindern: »Er ähnelte Dr. No! Und ich weiß von Captain Stone, daß es noch mehr Leutchen gibt - weltweit und zumeist in führenden Positionen... Sie alle ähneln Dr. No wie Geschwister. Als würden alle aus ein und derselben...« »Nein, Sammy, sage es nicht!« warnte Sheila eindringlich. Copyright 2001 by readersplanet
Er ließ sich nicht aufhalten: »Als würden alle aus ein und derselben Retorte stammen! Aber wenn das wirklich so ist, dann war es die Retorte von Professor Armstrong! Und es ermöglichte ihm die weltumspannende Macht seiner X-Organisation. Wenn ich mir das vor Augen führe und diesen Mann in der Hazienda... Tja, er war offensichtlich ein Freund der Polizei? Vielleicht nur ein Freund des Polizeipräfekten, der die Fäden in der Hand hält und auch den Capitan zum reinen Befehlsempfänger, zum Ausführenden degradiert? Vielleicht ähnelt auch er... Dr. No?« »Das ist unfair!« schleuderte ihm Sheila entgegen. Mir schwindelte. Ich hatte Mühe, mich zu beherrschen und wieder zu mir selbst zurückzufinden. Da war er wieder - der furchtbare Verdacht, daß ich kein Mensch war.... »Ja, kein Mensch!« sagte Sammy, als hätte er meine Gedanken gelesen, und es klang böse. »Ich habe einmal einen interessanten Science-Fiction-Roman gelesen, mit demselben Thema, und dort war zu lesen, wie man herausfinden kann, ob jemand ein Mensch ist, normal geboren - oder ein Android, also ein künstlicher Mensch aus der Retorte...« »Und wie kann man es erkennen?« ächzte ich. Neue Hoffnung keimte in mir. »Am fehlenden Nabel!« trumpfte Sammy auf. »Ich kenne dich zwar in Unterwäsche, aber nicht mit nacktem Oberkörper. Nun, hast du überhaupt so etwas wie einen - Nabel?« Wortlos zog ich das Hemd hoch. »Tatsächlich!« Sammy atmete erleichtert auf: »Da ist er!« »Nun zufrieden?« fragte Sheila wütend. »Also hatte Dr. No eine richtige, menschliche Mutter! Sergeant Powers: Er ist kein Android, sondern nur der Mann, der seine Erinnerung verloren hat! Und für deinen schlimmen Verdacht hasse ich dich!« Ich zwang mich zu einem Lächeln. »Nein, Sheila, das wäre falsch: Sammy hat sich als ein Freund erwiesen - bisher. Und wir sind ihm immer noch fremd, weil er uns erst seit zwei Tagen kennt. Du solltest ihm das kleine Zwischenspiel verzeihen. Wenn wir nicht zusammenhalten, sind wir verloren!« »Na, dann mal los!« sagte Sergeant Sammy Powers ungerührt, »vertraut mir endlich auch: Wir rennen weiter zum Bauernhof!« Er wandte sich einfach ab und verließ uns...
* Die Verfolger bildeten eine lange Linie, um damit auch zu gewährleisten, daß wir nicht zur Seite hin ausbrechen konnten. Rücksichtslos zertrampelten sie das Weizenfeld. Die Bauern, die hier mühselig versucht hatten, dem Boden etwas abzugewinnen, konnten einem leid tun: Alle Arbeit umsonst: Aber auch wir waren nicht rücksichtsvoller - zwangsläufig: Es ging um unser Leben. Da wird man so. Je näher wir dem Cortijo kamen, desto nervöser wurde ich: Was erwartete uns dort? Eine weitere Horde gnadenloser Killer, die nur auf eines aus waren: uns umzulegen? Nur noch fünfzig Meter. Mit einem guten Gewehr hätte man uns bequem abschießen können. Auch für eine Pistole wurde es jetzt gefährlich. Die meisten schafften es auch über noch etwas größere Entfernungen, tödlich zu sein. Am Cortijo jedoch rührte sich nichts. Alles blieb ruhig. Die Läden waren geschlossen, wie meistens, denn viele dieser Bauernhöfe haben nicht einmal Fensterscheiben. Die Aldeanos waren einfach zu arm dafür. Diese Gegend, westlich von Madrid, gehörte mit zu den ärmsten Gegenden von ganz Spanien. Copyright 2001 by readersplanet
Wer das karge Land sah, brauchte sich nicht mehr zu wundern. Und schon wieder mußte ich daran denken, daß dies einmal alles voll gewesen war von blühender Vegetation. Die Spanier von heute mußten für die Umwelt-Fehler ihrer Vorfahren bitter büßen. Ich schwitzte, obwohl mir eigentlich gar nicht warm war: Verdammt noch mal, was war mit dem Bauernhaus? Was erwartete uns? Bestimmt nicht nur eine warme Mahlzeit, wie es sich Sammy erhoffte. Der hatte eigentlich immer Hunger. Wenn man ihn ließ, aß er für eine ganze fünfköpfige Familie. Kein Wunder: Diese Muskelmasse mußte ernährt werden! Noch zehn Meter. Auch wir hatten uns getrennt. Wir wollten nicht gerade ein einheitliches Ziel bilden. Noch fünf Meter. Ein gellender Schrei aus dem Innern des Cortijo: Eine Frau. Sie schrie wie am Spieß. Eine Männerstimme mischte sich darein. Ich konnte den Dialekt nicht verstehen, aber es hörte sich so an, als wollte er sie zur Ruhe bringen. Sammy war als erster an der Tür und riß sie auf. Er stürmte ins Innere. In das Schreien der Frau mischte sich Kindergeheul. Die Bauersfamilie? Dann erwarteten uns hier überhaupt keine Killer mehr? Ich wollte es gar nicht glauben. Und dann trat ich in das Innere des Cortijo und sah es bestätigt: Im Hauptraum kauerte die Familie am Boden. Sie trauten sich nicht einmal, den Kopf zu heben. Leute, die ihr Leben lang nichts als geschuftet hatten. In dieser kargen Gegend hatten sie zu überleben versucht. Niemand hatte ihnen gesagt, wie sie sich verhalten sollten, wenn Killer auftauchten. Wahrscheinlich hätten sie das sowieso niemals für nötig gehalten. Für diese Menschen waren wir fremdartiger als wären wir von einem anderen Stern gekommen. Wahrscheinlich hatten sie nicht einmal irgendwann einen Touristen zu Gesicht bekommen. Denn Madrid war zwar nicht weit mit dem Wagen, aber viel zu weit zu Fuß oder mit einem Muli - und viel zu teuer für Menschen, die kaum genug zum Überleben hatten. Ich spürte Groll in mir aufsteigen: Die Killer waren in die bettelarme, wenngleich friedliche Welt dieser Aldeanos eingedrungen, zertrampelten die Ernte und würden nicht zögern, hier ein Blutbad anzurichten. Die Aldeanos konnten nicht unterscheiden zwischen Freund und Feind. Sie sahen nur die Waffen und hatten die Schüsse gehört. Und sie waren fest der Überzeugung, daß wir gekommen waren, um sie umzubringen. »Wundert mich, daß die Killer sie am Leben gelassen haben«, murmelte Sammy bewegt. Ihm taten die Leute genauso leid wie Sheila und mir. Am liebsten hätte ich die Brieftasche geöffnet und sie für ihre Angst entschädigt - und für die entgangene Ernte. Aber draußen waren immer noch die Killer, und sie hatten sich ziemlich sicher gegeben, daß wir ihnen nicht entwischen konnten. Woher bezogen sie ihre Sicherheit? Ich riß einen Laden auf und kümmerte mich nicht mehr um die ängstlichen Aldeanos. Erst einmal mußte das hier erledigte werden: falls wir überhaupt eine Chance gegen die Übermacht hatten! Die Verfolger verständigten sich mit Zurufen. Sie zogen sich weiter auseinander und kreisten somit den Cortijo ein. Sheila und Sammy öffneten die anderen Läden auch. Sofort zog es hier drinnen. Doch das mußten wir in Kauf nehmen. Kurz widmete sich Sheila den Aldeanos. Sie sprach mit sanfter Stimme auf sie ein. Erst sah es so aus, als könnten sie ihr Spanisch gar nicht verstehen. Aber dann hob die weinende Copyright 2001 by readersplanet
Frau den Kopf. »Haben Sie keine Angst!« wiederholte Sheila. »Wir werden von denen da draußen verfolgt. Sie wollen uns umbringen. Wenn wir gegen sie bestehen, verschwinden wir wieder von hier.« »Andere werden kommen und uns bestrafen!« widersprach die Aldeana und drückte ein Kleinkind an ihren Busen. Es waren insgesamt vier Kinder und ein ausgemergelter Mann mit wettergegerbtem Gesicht und abgearbeiteten Schwielenhänden. War die Frau vorher am ängstlichsten erschienen, gab sie sich jetzt am tapfersten. »Nein«, sagte ich, »die werden keine Veranlassung haben, euch dafür zu bestrafen, wenn uns die Flucht gelingt.« Ich hätte ihnen sagen können, daß sie im Grunde genommen für den großen Unbekannten im Hintergrund und seine Killer zu unwichtig waren, aber das hätte sie womöglich beleidigt. Deshalb fügte ich hinzu: »Wenn wir es schaffen, wollen wir alle Spuren beseitigen. Und wir werden Sie für den Schaden gut entschädigen.« Das war keine falsche Versprechung, denn mein Spesenkonto war ziemlich umfangreich und ich ein sehr genügsamer Mensch: Ich würde mir eine solche Entschädigung also durchaus leisten können. »Wir wollen nichts von Ihnen. Später wird man womöglich annehmen, wir wären von euch bezahlt worden, um euch zu helfen!« Sammy brummte mürrisch: »Was wollt ihr dagegen tun? Wenn ihr das Geld nicht nehmt, wird es auch nicht besser. Die werden nur glauben, ihr hättet das Geld versteckt. Hört lieber meinen Rat: Steckt ein, was euch geboten wird und betet für uns, damit wir es schaffen. Später könnt ihr immer noch in die Stadt gehen und wieder zurückkehren, wenn Gras über die Sache gewachsen ist. Das Geld gibt euch jedenfalls die Möglichkeit dazu.« Sie sahen ihn an wie einen Geist. Die Kinder vergaßen sogar zu weinen. Wahrscheinlich hatten sie noch niemals einen Neger gesehen. Vielleicht hätten sie auch niemals geglaubt, daß es einen Menschen mit so schwarzer Haut geben könnte? Und dann auch noch Sammy und seine gewaltigen Muskelpakete... Ich konnte mir vorstellen, wie er auf sie wirkte. Und ihm schienen sie auch mehr zu vertrauen als uns. Es war die ungeheure Stärke, die er ausstrahlte. Er lächelte sie an und bleckte dabei das blütenweiße Gebiß. Die Kinder und auch die Frau lächelten zurück. Ich zückte seufzend meine Brieftasche und gab ihnen das ganze Bündel Scheine, das ich darin hatte. Wenigstens hatte der Capitan uns nach der vorübergehenden Verhaftung in Madrid das Geld wieder überlassen. Als hätte er geahnt, wie dringend wir es noch brauchen konnten. Als ich es den Aldeanos gab, gingen ihnen schier die Augen über: Geld war für sie normalerweise kein Begriff. Weil sie nichts davon hatten. Ob sie ahnten, wie reich sie jetzt waren - in diesem armen Hochland? Aber sie würden es nicht umsonst bekommen. Ich ahnte, wie wenig von ihrem Besitztum hier übrigbleiben würde, war alles mal vorbei... Ich wandte mich wieder dem Fenster zu. Von den Verfolgern war nichts mehr zu sehen. Sie hatten sich irgendwo ins Feld geduckt und warteten ab. Auf w a s warteten sie? Sammys Magen knurrte mal wieder wie ein gereizter Steppenwolf. Die Aldeana deutete es richtig: »Ich werde euch etwas zu essen machen!« Copyright 2001 by readersplanet
Sie sprach so, daß wir es einigermaßen verstehen konnten, nachdem sie begriffen hatte, daß wir ihren Dialekt nicht kannten. »Aber vorsichtig!« mahnte Sammy. »Die liegen immer noch auf der Lauer.« »Möchte wissen warum?« Sheila sprach Englisch, um die Aldeanos nicht zu verängstigen. Sie brauchten schließlich nicht zu wissen, wie hoffnungslos es für uns im Grunde genommen stand... »Ich auch«, sagte ich. »Es ist, als würden sie auf Verstärkung warten. Und hier drin sind wir ihnen sicher. Sobald wir uns draußen sehen lassen, geht es uns an den Kragen.« Die Bäuerin hantierte herum. Eines der größeren Kinder unterstützte sie dabei tatkräftig. Wir achteten gar nicht mehr darauf. Nur Sammy schielte ab und zu hinüber, um zu sehen, ob das Essen bald fertig war. »Wie kann man nur so gierig sein!« zog ich ihn auf. Er ging nicht darauf ein. Wir spähten hinaus. Die Ruhe war sehr trügerisch. Mit jeder Sekunde, die verstrich, wuchs unsere Nervosität. Ich war dazu übergegangen, auch den Horizont zu beobachten. Ich ahnte nämlich was... Dies hier war ein weiter Talkessel. Zum Haus führte ein verschlungener Pfad. Nein, Straße konnte man dazu wirklich nicht sagen. Im Stall nebenan war Vieh. Es gab keinen direkten Zugang von hier zum Stall. Vielleicht glaubten wir nur, die Verfolger lauerten da draußen, und in Wirklichkeit schlichen sie sich an? Nein, das war es sicher nicht. Wie wollten sie an uns herankommen? Mit Handgranaten? Es war zum Verzweifeln: Wir lauerten und hatten überhaupt keine Ahnung, was uns erwartete. Aber wir blieben wachsam. Auch als das Essen fertig war und Sammy sich als erster darüber hermachte. Die Aldeanos bestaunten seinen gewaltigen Appetit. Vor allem die Kinder sperrten Münder und Augen auf. Darüber vergaßen sie sogar die Gefahr, in der wir alle schwebten. Wir allerdings vergaßen sie nicht... und lange dauerte es sowieso nicht mehr...
Es geht weiter in... Band 7: »Verzweifelt« - ein Roman von W. A. Hary
Den bekommt man übrigens auch in gedruckter Fassung (wie jeden Roman aus der Serie DR. NO!), diesmal mit Titelbild von dem bekannten Künstler Thorsten Grewe. Einfach mal fragen bei: HARY-PRODUCTION, Waldwiesenstraße 22, 66538 Neunkirchen, Internet: www.hary.li, eMail:
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