Carol Finch
Hobby? Liebe!
Tiffany Lieben & Lachen 5-1/01
Gescannt von almutK
1. KAPITEL Daniel Joseph Grayson, Mit...
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Carol Finch
Hobby? Liebe!
Tiffany Lieben & Lachen 5-1/01
Gescannt von almutK
1. KAPITEL Daniel Joseph Grayson, Mitbegründer und Direktor der Firmenkette »Hobbydrome Enterprises« für Heimwerker- und Bastelbedarf, war ausgerissen. Er wünschte, er hätte das schon vor einem Jahr getan, denn diese Auszeit war längst überfällig. Daniel wünschte sich verzweifelt seine ursprüngliche Begeisterung für das Familienunternehmen zurück. Er musste zu sich selbst zurückfinden, denn das ständige Starren auf Gewinndiagramme in seinem Luxusbüro, umgeben von lauter Jasagern, verzerrte sein Weltbild. Alle seine Abteilungsleiter und Manager schienen einzig und allein darauf aus zu sein, sich ihre Posten und ihre hohen Gehälter zu sichern. Das machte ihn einfach wahnsinnig! Weder konnte er neue Ideen an seinen Top-Managern testen noch konstruktive und innovative Vorschläge von ihnen erwarten, denn er konnte ihnen nicht trauen. Ging es ihnen um das Wohl der Firma oder nur um ihr eigenes? Als sein Großvater sich vor einem Jahr aus dem Geschäft zurückgezogen hatte, hatte sich die Lage rapide verschlimmert. J.D. Grayson war der einzige Mensch, der Daniel die Wahrheit ins Gesicht sagen würde, doch der alte Herr war in den wohlverdienten Ruhestand getreten. Also hatte Daniel den Entschluss gefasst, seine Manager allein zu lassen und sie damit zu zwingen, sich ihre exorbitanten Gehälter wirklich zu verdienen. Einen Monat lang wollte er außerhalb von Oklahoma City einen ganz gewöhnlichen Arbeitnehmer spielen. Er hoffte inständig, dass es im normalen Arbeitsleben nicht so zuging wie in der Chefetage eines Großkonzerns mit all seinen Intrigen. Frische Landluft musste ihm einfach mal gehörig durch Herz und Hirn blasen! Daniel wollte auf sämtliche Privilegien eines Firmendirektors verzichten und sich damit auch der Belagerung durch all die Hochglanzschönheiten entziehen, die in ihm nur ein wandelndes Wertpapier mit hoher Gewinnerwartung sahen. In letzter Zeit war er immer unsicherer geworden, ob er um seiner selbst willen geschätzt wurde oder ob die Menschen lediglich seine Macht, seinen Reichtum und seinen Einfluss sahen. Es gab nur einen Weg, das herauszufinden. Als unauffälliger Durchschnittsbürger würde er schon merken, wie viele wahre Freunde er finden konnte. Daniel verließ mit dem uralten Pick-up, den er sich von seinem Großvater geliehen hatte, die Autobahn und fuhr Richtung Fox Hollow. Die kleine Ortschaft lag in einem Tal, das von waldigen Höhen mit rauschenden Bächen umgeben war; ein malerischer Gebirgssee war nur einen Katzensprung entfernt. In diesem idyllischen Städtchen trafen sich Jäger, Angler, Wanderer und Rentner. Der perfekte Zufluchtsort für einen zynischen, abgestumpften Firmendirektor, der ein paar grundlegende Dinge in seinem Leben klären musste. Als Daniel den Ortseingang erreichte, spürte er bereits, dass seine Anspannung nachließ. Er tuckerte mit seiner Rostlaube die Hauptstraße entlang bis zum Ortsende, wozu er nicht länger als drei Minuten brauchte. Hätte er nicht wegen einer unachtsamen alten Dame bremsen müssen,
wären es sogar weniger gewesen. Es gab eine Ampel, massenweise Parkplätze ohne Parkuhren und vor fast jedem Geschäft Holzfässer, aus denen eine üppige Blumenpracht quoll. Ein Haushaltswarengeschäft, ein Blumenladen, eine Antiquitätenhandlung, eine Reparaturwerkstatt für Traktoren, ein Tante-Emma-Laden, ein winziges Cafe, eine Schreibwarenhandlung und ein Möbelgeschäft säumten die Hauptstraße. Es gab kein Verkehrsgewühl, in dem entnervte Autofahrer sich gegenseitig anschrieen oder den Mittelfinger zeigten. Daniel hörte weder Reifenquietschen noch Gehupe. Er nahm Ruhe und Stille wahr, das Zwitschern der Vögel und das freundliche Grüßen der Einwohner, die auf der Straße ihren Freunden und Bekannten begegneten. Ja, so lebte man in der wirklichen Welt! Er hatte es beinahe schon vergessen. Daniel wollte auf seine Armbanduhr sehen, erinnerte sich dann aber daran, dass er die Rolex in den Firmensafe gepackt hatte. Er wollte sich ja der ländlichen Umgebung anpassen. Keiner sollte wissen, dass er sich mehr leisten konnte als normale Freizeitkleidung und eine Klapperkiste als fahrbaren Untersatz. Daniel blickte die Querstraße hinunter und erspähte die örtliche Hobbydrome-Filiale. Bald würden die Ladentüren geöffnet, und er wollte der Erste sein, der sich dort um eine Stelle bewarb. Er hatte diesen Ort aus zwei Gründen ausgewählt: Erstens lag er nur eine Dreiviertelstunde von seinem Büro in Oklahoma City entfernt, und zweitens waren die Verkaufszahlen der Geschäftsführerin absolut beeindruckend. Mattie Roland machte in dieser kleinen Ortschaft mehr Umsatz als viele Hobbydrome-Filialen in größeren Städten. Entschlossen, sich in seiner eigenen Firma anstellen zu lassen, marschierte Daniel die Straße hinunter. Fremde nickten ihm zu und grüßten ihn so freundlich wie einen heimgekehrten Freund. Er fühlte sich sofort willkommen, obwohl er nicht länger als zehn Minuten im Ort war. Vor den Auslagen des Heimwerker- und Bastelgeschäfts blieb er überrascht stehen. Die Dekoration war in drei Bereiche unterteilt: Schifffahrt, Landhausstil und Kolonialstil. Originalgemälde und Reproduktionen von Landschaften und Stillleben in Hobbydrome-Rahmen waren umgeben von handbemalten Kuriositäten und setzkastenähnlichen Regalen mit kleinen Figuren und Sammlerstücken. Kleine Konsolen, Holzbänke und Truhen waren so gestrichen und bemalt worden, dass sie zu dem jeweiligen Thema passten. Daniel blieb einige Minuten stehen, um die gelungene Dekoration zu bewundern. Kein Wunder, dass Mattie Roland zu den besten Geschäftsführern der Firmenkette zählte! Ihre Schaufenster lockten einen geradezu ins Geschäft. Man fühlte sich sofort inspiriert, sein Heim mit Dingen wie im Schaufenster zu verschönern. Die Tür war nicht verschlossen, und Daniels Eintritt wurde vom melodischen Klang eines Windspiels begleitet. »Komme sofort«, ertönte eine angenehme weibliche Stimme aus dem hinteren Teil des Geschäfts. »Stöbern Sie nur nach Herzenslust herum.« Daniel blinzelte irritiert. Wer passte auf das Geschäft auf? Es konnte jede Menge teure Ware gestohlen werden, ehe die Geschäftsführerin aus dem Hinterzimmer auftauchte. Vielleicht war Mattie Roland doch keine so gute Mitarbeiterin der Firma.
Während Daniel sich umsah, kam die weißhaarige alte Frau in den Laden, die er vorhin beinahe angefahren hätte. Sie nickte ihm freundlich zu und ging zu den hinteren Räumen. »Mattie, wie steht’s mit meinem Auftrag? Bist du bald damit fertig? Mein Sohn und meine Enkel kommen schon morgen. Ich möchte unbedingt noch die Regale vorher aufbauen und die Familienfotos aufhängen.« »Kein Sorge, Alice«, erwiderte Mattie. »Ich bin gerade bei den letzten Pinselstrichen. Willst du es dir ansehen?« Mit erstaunlicher Flinkheit verschwand die alte Dame hinter der Ladentheke. Stark beeindruckt beendete Daniel seinen Rundgang. Ganz offensichtlich war Mattie Roland eine Meisterin der Raumgestaltung. Diese Frau hatte wahrhaftig eine besondere Begabung! Als er über die Schulter blickte und eine kleine, mit auffällig weiblichen Rundungen ausgestattete Frau in farbbeklecksten Jeans und T-Shirt auf sich zukommen sah, verschlug es ihm einen Moment lang die Sprache. Ihr schwarzes Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden, der frech auf eine Seite gerutscht war, und in ihrem Gesicht funkelten blauviolette Augen mit unglaublich langen schwarzen Wimpern. Mattie Roland war kaum größer als einen Meter sechzig und wirkte mit ihrem spitzbübischen Gesicht auf Daniel wie ein zauberhafter Kobold. Daniel stand wie gebannt. Diese energiegeladene Frau war Mattie Roland? Hobbydromes Angestellte des Jahres? »Hi«, grüßte Mattie fröhlich. »Kann ich Ihnen helfen?« Noch immer war Daniel sprachlos. Nachdem er jahrelang Glamour-Girls an seiner Seite gehabt hatte, stand ihm hier nun eine ganz andere Art Frau gegenüber – natürlich, kraftvoll, bodenständig. Und wie erfrischend und anziehend wirkte das im Vergleich zu der operativ erzeugten Schönheit, mit der so viele Frauen ihren Wert zu steigern versuchten. Schlagartig wurde ihm klar, warum seine Begleiterinnen ihn in letzter Zeit zunehmend gelangweilt hatten. Als Mattie mit energischen Schritten und einem strahlenden Lächeln auf ihn zukam, fühlte er sich wahrhaft aufgerüttelt. »Sir?« fragte sie nach, während er sich noch immer an ihrem Anblick ergötzte. »Suchen Sie vielleicht ein Geschenk für Ihre Frau oder Freundin? Oder brauchen Sie etwas für Holzschnitzarbeiten?« »Keine Frau, keine Freundin«, erwiderte Daniel, als er seine Sprache wieder gefunden hatte. »Ich suche Arbeit.« »Tatsächlich? Meinen Sie das ernst?« »Ja. Ich bin ganz neu in der Stadt und suche einen Job«, log er, ohne mit der Wimper zu zucken, und dachte schuldbewusst an seine Manager, die jederzeit kaltblütig lügen würden, wenn es für ihre Karriere förderlich wäre. »Ich wundere mich nur, dass Sie ausgerechnet hier danach fragen«, meinte Mattie. »Warum?« »Die meisten Männer am Ort halten dieses Geschäft für ,Weiberkram’. Die Mehrzahl meiner Kunden sind Frauen.« »Die Männer halten Heimwerken für ,Weiberkram’?« entgegnete Daniel
pikiert. »Das ist doch lächerlich. Tischsägen, Fuchsschwänze und Nagelpistolen sind normalerweise nichts für schwache Nerven. Wie schnell kann man einen Finger verlieren, wenn man nicht aufpasst? Ich habe als Jugendlicher viel Zeit in der Werkstatt verbracht und Regale, Tische und Truhen gezimmert. ,Weiberkram’?« Er schnaubte. »Nein, ganz bestimmt nicht!« Mattie musste aus vollem Halse lachen. Ihre Augen funkelten vor Heiterkeit, und Daniel wurde rot, weil er merkte, dass er zum ersten Mal seit einem Jahr Gefühle zum Ausdruck gebracht hatte. Mattie hielt ihn vermutlich für einen Schwachkopf, weil er mit solcher Leidenschaft vom Heimwerken sprach – die Leidenschaft, die ihn und seinen Großvater verbunden hatte, wenn sie früher zusammen in der Werkstatt arbeiteten. »Offenbar haben Sie Erfahrung mit Holzverarbeitung und lieben diese Tätigkeit«, sagte Mattie, immer noch lachend. »Ich teile Ihre Begeisterung. Und Sie werden es wahrscheinlich nicht glauben, aber ich habe gerade ein Fax von der Firmenleitung erhalten, dass ich einen Mitarbeiter einstellen soll.« Natürlich glaubte er das. Schließlich hatte er dieses Fax vor seiner Abreise nach Fox Hollow selbst geschickt. »Tatsächlich gehe ich in Arbeit unter«, fuhr Mattie fort, »und meine einzige Angestellte ist eine Kunststudentin, die nach ihren Kursen und an Samstagen aushilft. Ich habe so viele Sonderaufträge laufen, dass ich kaum noch nachkomme, obwohl ich in Doppelschicht arbeite.« Sie drehte sich auf dem Absatz um und gewährte Daniel so einen Blick auf ihren wohlgerundeten Po, der in ausgeblichenen Jeans steckte. »Kommen Sie mit in mein Büro, um den Bewerbungsbogen auszufüllen.« Daniel folgte ihren schwingenden Hüften wie magisch angezogen. In letzter Zeit hatte er gedacht, dass sein sexueller Appetit bereits zu schwinden begann, doch ein Blick auf Mattie Rolands Sanduhrfigur rief in ihm längst vergessene Reaktionen hervor. Es war wirklich lange her, seit Daniel sich so schnell von einer Frau angezogen gefühlt hatte. Dabei sollte ich mich eigentlich gar nicht wundern, dachte er auf dem Weg in ihr Büro. Mattie war herzlich, mitteilsam, freundlich und offensichtlich mit ihrem Leben zufrieden. Sie schien das zu tun, was sie liebte, und das zu lieben, was sie tat. Daniel beneidete sie darum. Mattie war der personifizierte Enthusiasmus und damit genau das, was er brauchte – jemand, dem diese Arbeit so sehr am Herzen lag wie einst ihm selbst. »Hier, bitte sehr«, sagte sie und reichte ihm den Bogen. »Sie können sich gern an meinen Schreibtisch setzen. Da liegt nur ein Haufen unbedeutender Papierkram vom Oberhäuptling.« »Oberhäuptling?« wiederholte er neugierig. »Der große Boss von Hobbydrome«, erklärte Mattie. »Wenn Sie mich fragen, gibt dieser Mensch viel zu viel auf Formulare, was verhindert, dass ein Filialleiter sich direkt mit den Kunden auseinander setzen kann. Aber Sie wissen ja, wie diese Typen sind. Die trauen uns kleinen Angestellten nicht zu, ein Geschäft ordentlich zu führen, schon gar nicht hier in der Provinz.« Sie zuckte mit den Schultern, und ihr Pferdeschwanz wippte.
Daniel sah betreten zu Boden. Wenn Mattie wüsste, wen sie in Wahrheit vor sich hatte, wäre ihr diese Offenheit sicher sehr peinlich. »Haben Sie eine Abneigung gegen Firmendirektoren im Allgemeinen oder nur speziell gegen Ihren eigenen Boss?« fragte er, während er sich auf ihren Schreibtischstuhl setzte. »Bevor ich hier Filialleiterin wurde, hatte ich eine denkwürdige Begegnung mit einem hohen Tier einer anderen Firmenleitung«, erklärte sie. »Er schien anzunehmen, es sei meine Pflicht als loyale Angestellte, ihm zusätzliche Leistungen zu offerieren, und betrachtete es wohl als große Ehre für mich, dass er mich in seinen Firmenharem aufnehmen wollte. Er dachte auch, dass seine Position mich wahnsinnig beeindrucken müsste, was nicht der Fall war. Ich kündigte und bewarb mich um die Stelle hier. Ich kann diese Typen nicht ausstehen, die ihre Machtpositionen dazu benutzen, das zu bekommen, was sie wollen«, fuhr sie aufgebracht fort. »Und obwohl ich den Oberhäuptling nicht persönlich kenne, vermute ich, dass er demselben Laster erlegen ist. Ich kann ihn mir sehr gut vorstellen: eine Rolex am Arm, die zu seinem teuren Siegelring passt; ein BMW auf dem Privatparkplatz, der für andere unter Androhung der Todesstrafe verboten ist; gestylte Titelblattschönheiten an seiner Seite; das neueste Handy, die teuersten Klamotten und um sich herum jedes erdenkliche Statussymbol, um uns jämmerliches Fußvolk zu beeindrucken.« Daniel schluckte. Mattie hatte ins Schwarze getroffen. Er war nicht sicher, ob er den Rest auch noch hören wollte. »Was den Oberhäuptling an der Firma interessiert, sind vermutlich nur Umsatzzahlen. Ihm ist doch piepegal, ob die Ware auch das Geld wert ist, das die Kunden dafür ausgeben – Hauptsache, der Profit stopft ihm die Taschen. Und seine Verkaufspolitik!« Sie schnaubte verächtlich. »Seine so genannten Sonderangebote bestehen nur aus Ladenhütern. Ich würde gern mal die teure Ware heruntergesetzt sehen, damit auch Kunden mit normalen Gehältern sie kaufen können, anstatt sie immer nur sehnsüchtig anzustarren.« Den Kopf tief über das Blatt geneigt, füllte Daniel den Bewerbungsbogen aus. Sie blickte ihm über die Schulter. »Nett, Sie kennen zu lernen, Joe Gray. Ich bin Mattie Roland, Ihre neue Chefin.« Er hob den Kopf. »Sie sind ganz schön vertrauensselig. Ich habe noch gar nicht angekreuzt, ob ich vorbestraft bin.« »Sind Sie nicht«, erwiderte sie bestimmt. »Dafür sind Sie nicht der Typ.« »Sie kennen wohl viele Kriminelle, wie?« Mattie lachte ihr herzerfrischendes Lachen. Oh, wie tat sie ihm gut mit ihrer sprühenden Lebendigkeit und ihrem Enthusiasmus! Ganz zu schweigen von der stimulierenden Wirkung, die sie auf seine Libido ausübte. »Die Kleinganoven, mit denen ich hier im Hobbydrome zu tun habe, sind leicht zu erkennen. Für Sie spricht Ihre Kleidung, Ihre Art zu sprechen und Ihre Vorliebe dafür, mit den Händen zu arbeiten. Ich
glaube, Sie sind genau das, was wir hier in unserem Laden brauchen. Die Neandertaler in Fox Hollow sollten endlich begreifen, dass Heimwerken, Basteln und Dekorieren kein Weiberkram sind. Ihre Gegenwart wird es ihnen leichter machen – wenn sie sich erst einmal an den Gedanken gewöhnt haben.« Sie warf einen weiteren Blick auf den Bewerbungsbogen. »Fünfunddreißig Jahre alt, letzter Wohnort Oklahoma City, so, so«, meinte sie nachdenklich. »Sie haben wohl die Nase voll vom Großstadtleben, wie? Ich nehme an, Sie jagen und angeln gern und lieben die freie Natur. Dann wird es Ihnen in Fox Hollow gefallen. Und ich vermute, dass alle weiblichen Singles sich an Ihre Fersen heften werden, sobald sie Sie zu Gesicht bekommen.« Daniel, beziehungsweise Joe Gray, blickte über die Schulter und sah Matties spitzbübisches Lächeln. »Sie meinen also, ich sei ein Frauenschwarm? Ausgerechnet ich in meinem ausgeblichenen Poloshirt und den alten, abgewetzten Jeans?« Mattie verdrehte die Augen. »Nicht die Kleidung macht den Mann. Es kommt drauf an, was drinsteckt. Und Sie gehören ohne Zweifel in die Kategorie ,Frauenschwarm’: groß, gut aussehend, mit fantastischen goldbraunen Augen. Da denkt man an Sonnenaufgang und Sonnenuntergang in einem. Aber keine Angst, ich werde Sie nicht anbaggern. Ich bin Ihre Arbeitgeberin, und wir werden Freunde mit gemeinsamen Interessen sein.« Wie schade, dachte Daniel. »Wenn Sie allerdings Informationen über Ihre künftige Fangemeinde wünschen, kann ich Ihnen bestimmt weiterhelfen, denn ich habe die meiste Zeit meines Lebens an diesem Ort verbracht.« Sie würden nur Freunde sein? Daniel spürte, wie ihn diese Ankündigung auch körperlich sehr enttäuschte. Nach langer Ruhezeit waren seine männlichen Instinkte wieder geweckt worden, ohne dass dieser Ausbund an Energie und Weiblichkeit es überhaupt darauf angelegt hätte. Aber vermutlich war das die Strafe dafür, dass er seinen letzten Verehrerinnen gegenüber so abweisend gewesen war. Als er den Bogen – teilweise mit falschen Angaben und mit entsprechend schlechtem Gewissen – ausgefüllt hatte, gab Daniel ihn zurück. Mattie schob ihr wohlgeformtes Hinterteil zur Hälfte auf die Schreibtischplatte und studierte das Blatt. »Sie haben keine Anschrift angegeben«, bemerkte sie. »Wo wollen Sie denn unterkommen, Joe?« Er zuckte mit den Schultern. »Ich habe kurz vor Ortseingang eine kleine Pension gesehen, die wochenweise Zimmer vermietet. Da könnte ich mich vorübergehend einquartieren, bis ich etwas anderes gefunden habe.« »Sie könnten aber auch das möblierte Apartment über der Garage nehmen, in dem ich bis vor kurzem gewohnt habe«, schlug Mattie vor. »Nachdem mein Großvater in das Pflegeheim Paradise Valley gezogen ist, habe ich sein Haus bezogen. Auf seinen nachdrücklichen Wunsch hin, möchte ich hinzufügen. Wenn seine Arthritis und Diabetes nicht so schlimm geworden wären, wäre er niemals in dieses Heim gegangen.«
»So wie Sie das sagen, ist er wohl nicht sehr gern dort.« »Kaum.« Mattie rutschte vom Tisch und begann in dem kleinen Büro auf und ab zu gehen. Daniel dachte, dass es ihr bestimmt schwer fiel, lange in einer Position zu verharren. Sie hatte so viel Energie, dass sie ständig in Bewegung sein musste. »Pops ist mir sehr ähnlich, fürchte ich«, vertraute sie Daniel an. »Er muss permanent etwas zu tun haben, sonst fühlt er sich nicht wohl. In letzter Zeit hat er mir große Sorgen gemacht, weil er immer wieder aus dem Heim entwischt ist. Die Ärzte und Schwestern regen sich darüber schrecklich auf, weil es dem Ruf des Hauses natürlich schadet, aber ihm scheint es richtig Spaß zu machen, sie auszutricksen.« Daniel lachte amüsiert. Ihr Pops erinnerte ihn an seinen eigenen Großvater. Vor einem Jahr hatte J. D. Grayson verkündet, er werde die Firma verlassen, um sich zur Ruhe zu setzen. Seither hatte er diverse Rundreisen gemacht, unter anderem durch Alaska und die Karibik, und die Leitung verschiedener Freizeitaktivitäten im einem Seniorenheim übernommen. »Mattie!« ertönte Alices Stimme aus der Werkstatt. Mattie bedeutete Daniel, ihr zu folgen. »Sie könnten sich eigentlich gleich mit Ihrem neuen Arbeitsplatz vertraut machen, während ich mich um Alice Dawson kümmere. Eine Ihrer Aufgaben wird darin bestehen, besondere Aufträge zu erledigen.« Neugierig folgte er ihr, den Blick erneut wie gebannt auf ihre schwingenden Hüften gerichtet. Was hatte diese Frau doch für eine betörende Ausstrahlung! Als sie die Werkstatt betraten, blieb Daniel wie angewurzelt stehen. Er fühlte sich schlagartig um zwanzig Jahre zurückversetzt, denn hier sah es beinahe so aus wie in der alten Werkstatt seines Großvaters. Dort hatte Daniel fast seine ganze Freizeit verbracht und eifrig gewerkelt. So hatte er die Trauer über die Vernachlässigung durch seine Eltern verarbeitet und später den Verlust seiner Großmutter. Gemeinsam hatten er und J.D. ihren Schmerz in kreative Arbeit umgesetzt, die dann irgendwie zu einem enorm lukrativen Geschäft ausgewachsen war. »Gehören all diese Werkzeuge Ihnen?« Die Werkstätten der Hobbydrome-Geschäfte waren normalerweise nicht mit solch hochmodernen Elektrowerkzeugen ausgerüstet. »Die meisten. Einige hat mein Großvater spendiert. Er hat mir auch oft geholfen, ehe die Arthritis ihn daran hinderte.« Voller Staunen betrachtete Daniel die zahlreichen Sägen, Bohrer und Schraubzwingen. Ganz offensichtlich liebte Mattie es ebenso wie er, mit den Händen zu arbeiten. Diese Frau war der wahr gewordene Traum eines jeden Heimwerkers. Daniel konnte sein Glück gar nicht fassen. Hier zu arbeiten war genau die richtige Therapie für ihn, und er begann sich immer mehr wie Joe Gray zu fühlen. Mattie warf Alice einen amüsierten Blick zu, als sie sah, wie er jedes einzelne Werkzeug begutachtete. »Sie sehen überrascht aus, Joe. Aber es ist nicht das erste Mal, dass ein Mann so reagiert. Ich habe Kunst studiert, und zwei meiner Prüfungsfächer waren Schnitzen und
Tischlern.« »Darf ich tatsächlich mit Ihren Werkzeugen arbeiten?« erkundigte er sich. Sie nickte, und ihr schwarzer Pferdeschwanz wippte wieder. »Hobbydrome bietet zwar fertige Holzmöbel und Werkstücke an, aber ich ändere sie nach den Wünschen meiner Kunden um. Wie hier, zum Beispiel.« Daniel trat zu den beiden Damen und erblickte ein gerahmtes Ölgemälde mit einem Satz passender Regale. Staunend betrachtete er das in warmen Erdtönen gehaltene Bild, das vermutlich das alte Ranchhaus der Dawsons darstellte. Das Holz der Regale, die auf beiden Seiten des Gemäldes angebracht werden sollten, stammte sicher von der alten Scheune, und darauf ausgestellt wurde eine Sammlung ländlicher Kuriositäten sowie kleine Holzrahmen mit Fotos von Alice Dawsons Kindern und Enkeln. »Kann Mattie das nicht einfach großartig?« meinte Alice stolz. »Sie kam extra zu mir, um Kleinigkeiten zu sammeln, die auf die Regale passen. Als ich letzten Monat bei Josie Foreman ein Ölgemälde von ihrem alten Haus und die Sammlung ihrer Erinnerungsstücke sah, wusste ich, dass ich auch so etwas wollte.« »Beeindruckend«, lobte Daniel. »Wo Sie jetzt hier sind, Joe, kann ich ja während der Mittagspause zu Alice fahren und die Sachen anbringen, ohne mich abhetzen zu müssen, ja?« Mattie sah ihn hoffnungsvoll an. »Sie wollen doch gleich anfangen, oder?« Er grinste. »Kein Problem, Boss.« Alice klatschte erfreut in die Hände. »Du kannst das heute schon fertig machen? Wunderbar!« Mit strahlendem Gesicht drehte sie sich um und eilte aus dem Geschäft. Mattie lachte leise. »Ich hoffe, Sie merken jetzt, dass die Arbeit bei Hobbydrome nicht nur ein Job für mich ist. Die Kunden glücklich zu machen ist mir viel wichtiger als der Profit.« Ja, das konnte er sehen. Mattie Roland war genau die Person, die er und sein Großvater sich für ihre Firma erträumt hatten. Ihm wurde warm ums Herz. O ja, diese Auszeit in Fox Hollow war haargenau das Richtige für ihn! Sie würde den Frust und die Gleichgültigkeit vertreiben, die ihn als Direktor von Hobbydrome befallen hatte. Dafür und aus einigen weniger ehrbaren Gründen hätte er Mattie in die Arme nehmen und küssen können. Ein Monat in ihrer Gesellschaft, und er würde seinen verlorenen Enthusiasmus wiedergewonnen haben. Der Klang des Windspiels kündigte einen neuen Kunden an. Mattie lächelte, und Daniel blickte hingerissen auf das entzückende Grübchen in ihrer linken Wange. »Wollen Sie sich gleich um die neue Kundin kümmern? Ich muss heute Morgen noch Holz für einen anderen Auftrag abmessen und markieren. Wenn Sie wollen, können Sie dann sägen, denn Sie sehen so aus, als könnten Sie es gar nicht erwarten, hier loszulegen.« »Mit Vergnügen«, erwiderte er und machte sich federnden Schritts auf den Weg in den Verkaufsraum. Mattie blickte ihrem hoch gewachsenen neuen Angestellten nach. Er
sah gut aus. Und er kam wie gerufen. Sie konnte ihr Glück kaum fassen. Gerade war das Fax von der Firmenleitung gekommen, dass sie einen Vollzeit-Mitarbeiter einstellen solle, und schon tauchte Joe Gray aus dem Nichts bei ihr auf. Und es war nicht nur so, dass sie jemanden für den Laden brauchte, während sie sich den Spezialaufträgen widmete – sie konnte auch seine Mietzahlungen gut gebrauchen, um die Kosten des Pflegeheims zu decken. Na, der Tag fing ja geradezu perfekt an! Sie hatte einen Angestellten gefunden, der wie sie gern mit den Händen arbeitete, der mehr in seinem Job sah als bloßes Geldverdienen, der selbstbewusst auftrat und zudem noch ungemein attraktiv aussah… Du meine Güte, was dachte sie da? Mattie rief sich abrupt zur Ordnung. Joe Gray mochte noch so attraktiv und charmant sein – er war für sie tabu. Sie war seine Arbeitgeberin und würde niemals ihren Job gefährden. Auch wenn Joe Gray der erste Mann seit ihrer College-Zeit war, der sinnliche Gefühle in ihr weckte, durfte sie nicht schwach werden, denn das verstieß bestimmt gegen die Firmenpolitik und war möglicherweise ein Kündigungsgrund. »Alles rein geschäftlich, denk daran«, ermahnte sie sich, während sie nach dem Maßband griff, um die Holzbretter abzumessen. Es spielte keine Rolle, ob Joes whiskeyfarbene Augen und dunkle Haare sie faszinierten oder ob sein gutes Aussehen und seine männliche Aura erotische Gefühle in ihr wachriefen. Sie war sein Boss, Punkt. Sie würde sich mit einem angenehmen Arbeitsverhältnis und der gemeinsamen Liebe für das Arbeiten mit Holz begnügen müssen. Mehr kam nicht infrage. Eigentlich schade, dachte sie. Sie war dreißig Jahre alt, und ihre biologische Uhr tickte. Sie wünschte sich Kinder, und die sollten in einer intakten Familie aufwachsen. Wer wusste, was ohne ihren geliebten Großvater aus ihr geworden wäre? Bernard Roland hatte sie aufgenommen, damit sie ein Dach über dem Kopf und genug zu essen hatte. Er hatte seine wenigen Besitztümer mit ihr geteilt und in ihr die Lust geweckt, mit den Händen zu arbeiten. Zugegeben, er hatte sie dadurch unbeabsichtigt zu einem halben Jungen erzogen, da sie lieber mit Sägen und Bohrern hantierte und kleine Kunstwerke aus Holz schuf, als einkaufen zu gehen, wie es sich für ein »richtiges Mädchen« gehörte. Dennoch war sie mit ihrem Leben zufrieden. Na ja, abgesehen davon, dass ihr neben der Geschäftsführung von Hobbydrome, neben den zusätzlichen Sonderaufträgen und den Werkunterrichtsstunden, die sie im Winter an der örtlichen Berufsschule gab, keine Zeit für irgendwelche privaten Kontakte oder Freizeitvergnügungen blieb. »Hör auf zu lamentieren, Mattie«, murmelte sie und legte die markierten Holzbretter für Joe zurecht. »Und mach dir keine Illusionen, was deinen neuen Angestellten angeht. Ihr könnt nichts weiter sein als gute Freunde.«
2. KAPITEL
Was für ein Tag! dachte Daniel, während er zu seinem Pick-up ging. Er hatte ausgiebig mit Sägen, Hobeln und Bohrern gearbeitet, Kunden bedient und sich mit dem Geschäft vertraut gemacht. Die ganze Zeit über hatte er sich ausgesprochen gut gefühlt, und die Stunden waren wie im Flug vergangen. Matties Kundenservice verdiente die Bestnote. Jede einzelne Kundin wusste ein Loblied auf sie zu singen. Schmunzelnd dachte Daniel daran, wie ihn die weiblichen Kunden in die Mangel genommen hatten. Jede wollte wissen, woher er kam, seit wann er hier arbeitete und wo er wohnte. Er war zu einem Abendessen der Kirchengemeinde und zu einem Wohltätigkeitsbasar eingeladen worden – typische gesellschaftliche Ereignisse einer Kleinstadt, an denen er gern teilnehmen würde, vorausgesetzt, es war ihm zeitlich möglich. Persönlichen Fragen war er geschickt ausgewichen, um seine Tarnung nicht zu gefährden. Jeder ging jetzt davon aus, dass er ein ganz normaler Kerl war, der hier einen neuen Anfang machen wollte, weil ihm der Ort und die Umgebung gut gefielen. Daniel bremste, um Mattie vor sich einscheren zu lassen, damit sie ihm den Weg zu ihrem Haus zeigen konnte. Ihm war schleierhaft, was mit ihr passiert war, während er seinen ersten Kunden bedient hatte. Zuvor war sie noch herzlich, offen und schelmisch gewesen, dann plötzlich kühl und reserviert. Während sie ihm Anweisungen zum Zuschneiden und Zusammenbauen des Setzkastenregals gab, hatte sie deutlich Abstand gehalten. Er wollte keinen Abstand. Er wollte Schulter an Schulter mit ihr arbeiten. Doch sie hatte ihn nur kurz beobachtet und sich dann zu einem weiteren Maßauftrag zurückgezogen. Seine düsteren Gedanken verflogen, als sie die Einfahrt zu einem kleinen, gepflegten Hexenhäuschen erreichten. Daniels Blick fiel auf die angebaute Doppelgarage, über der sich sein neues Zuhause befinden würde. Nach seinem 465 Quadratmeter großen Haus am Stadtrand von Oklahoma City würde ihn hier wohl ein weiterer Kulturschock erwarten. Als sie auf die Garage zugingen, bemerkte Daniel, dass Mattie sich strikt an die Regel hielt, zu fremden Personen etwa einen Meter Abstand zu wahren. Verdammt, was hatte er nur an sich, das sie so abstieß? »Ich weiß ja nicht, was Sie so gewohnt sind, Joe, aber die Garagenwohnung ist ziemlich klein.« Sie zog die Schlüssel aus ihrer Handtasche. »Doch die Miete ist entsprechend niedrig, und die Nebenkosten sind minimal.« Sie stieß die Tür auf, und Daniel verliebte sich auf den ersten Blick in sein neues Heim. Die Wände waren mit lackiertem Kiefernholz getäfelt. Erkerfenster boten einen fantastischen Blick auf die Bäume am Bach. Eine riesiges Wandmalerei an der Westseite vermittelte den Eindruck, man könnte dort direkt durch die hohen Kiefern bis zu den fernen Bergen wandern. »Haben Sie das gemalt?« fragte Daniel ungläubig. Mattie nickte. »Damit es einem hier drin nicht zu eng wird.« »Sie haben ein außergewöhnliches Talent, Mattie«, entgegnete er und ging zur Wand, um das Kunstwerk genauer zu betrachten. »Mit der
richtigen Förderung könnten Sie es im Kunstgeschäft weit bringen.« »Landesweite Anerkennung interessiert mich nicht«, informierte sie ihn, während sie sich – mit merklichem Abstand – neben ihn stellte. »Ich male aus reinem Vergnügen und nicht um des Geldes willen. Und ich lebe hier in Fox Hollow, weil es meine Heimat ist und ich mich meinem Großvater verpflichtet fühle, der mich aufgezogen hat.« »Was geschah mit Ihren Eltern?« Matties Lächeln wurde eine Spur wehmütig. »Leider muss ich zugeben, dass ich das unerwünschte Produkt zweier leichtsinniger Menschen bin, die zu jung waren, um sich von einem Kind in ihrem Lebensdrang einschränken zu lassen. Meine Eltern waren nie verheiratet. Mein Vater wollte raus aus der Kleinstadt und die Welt sehen. Meine Mutter legte mich meinen Großeltern auf die Türschwelle, als ich vier Jahre alt war, und verschwand auf Nimmerwiedersehen. Drei Jahre später verlor ich meine Großmutter, und die Einwohner dieses Ortes sind Pops und mir zur Großfamilie geworden.« Daniel nickte verständnisvoll. »Eltern können ganz schön grausam sein. Ich war zwölf, als mein Vater auszog, ,um sich selbst zu finden’, wie er es nannte. Verdammt, ich wusste gar nicht, dass er sich verloren hatte! Und meine Mutter sucht immer noch nach dem Richtigen – von ihren drei Exehemännern war es offensichtlich keiner. Auch ich bin bei meinen Großeltern aufgewachsen.« »Eines kann ich Ihnen sagen, Joe: Sollte ich mal eine Familie haben, werden meine Kinder für mich an erster Stelle stehen«, erklärte Mattie entschieden. »Das kann ich nur unterschreiben. Ich habe es gehasst, mich nur als Ballast zu fühlen.« »Ich auch.« »Was die Kinder betrifft, sind wir uns also schon mal einig«, entfuhr es Daniel da. Mattie trat einen Schritt zurück und starrte ihn entsetzt an. »Wie bitte?« Daniel fluchte innerlich. Wie hatte er nur so etwas Dummes sagen können? Sie hatten gerade wieder eine Gemeinsamkeit gefunden, und nun hatte er mit seiner scherzhaft gemeinten Bemerkung alles kaputtgemacht. »Tut mir Leid, ich wollte nur unser ernsthaftes Gespräch etwas auflockern. Ich arbeite sehr gern für Sie, Mattie, und will unsere Freundschaft auf keinen Fall zerstören. Deshalb möchte ich Sie auch fragen, ob ich Ihnen heute Morgen in irgendeiner Weise zu nahe getreten bin. Mir ist aufgefallen, dass sich Ihr Verhalten mir gegenüber stark verändert hat.« Mattie erschrak. War das wirklich so auffällig gewesen, nachdem sie in der Werkstatt sozusagen ein paar ernsthafte Worte mit sich selbst geredet hatte? Nun, vermutlich war jetzt der richtige Zeitpunkt, die klärenden Worte offen auszusprechen, damit es keine Missverständnisse zwischen ihnen gab. Schließlich war sie ein Mensch, der immer geradeheraus sagte, was er dachte. »Die Wahrheit ist, dass ich Sie gern mag, Joe«, gestand sie, ohne den Blick von ihrem Wandgemälde zu nehmen.
»Aber…?« Sie lächelte kaum merklich. »Der Oberhäuptling unserer Firma verbietet persönliche Beziehungen zwischen leitenden Angestellten und ihren Mitarbeitern. Ich weiß das ganz sicher, weil ich heute Nachmittag extra meinen Vertrag hervorgekramt und das Kleingedruckte gelesen habe. Aber selbst wenn er es nicht verbieten würde, hätte ich da meine eigenen Regeln. So viel wir auch gemein haben, persönlich wie beruflich, können wir doch nur eine rein geschäftliche Beziehung pflegen.« »Und weiter nichts, egal, wie sehr es uns auch reizt«, beendete er ihre Ausführungen. »Ich verstehe schon, Boss. Gibt es außerdem einen anderen Mann in Ihrem Leben?« Mattie musste schallend lachen. Daniel runzelte irritiert die Stirn. »So abwegig war die Frage doch gar nicht. Ein Blick in den Spiegel müsste Ihnen genügen, um zu sehen, wie attraktiv Sie sind. Und ist es nicht der Traum eines jeden wahren Mannes, eine Frau zu finden, die mit ihm hämmert und sägt?« »Ist es das?« fragte sie zurück. »Ich weiß es beim besten Willen nicht. So gut kenne ich die männliche Psyche nicht. Aber die Erfahrung hat mich gelehrt, dass manche Männer es nicht ertragen, wenn eine Frau in ihr Territorium eindringt. Angeblich sei das nicht weiblich. So ein Quatsch! Außerdem hatte ich nie Zeit für Privatleben, abgesehen von irgendwelchen Veranstaltungen hier am Ort. Bis vor zwei Monaten habe ich meinen Großvater gepflegt und ein Geschäft geführt, das mir mehr Arbeit bringt, als ich erledigen kann. Ich habe das College absolviert, bin aber hier wohnen geblieben, um Pops nicht allein zu lassen. Bevor der liebe Gott sich nicht entschließt, an jeden Tag ein paar Stunden dranzuhängen, werde ich kaum Zeit für anderes als meine beruflichen und privaten Verpflichtungen finden. Apropos«, fügte sie mit einem Blick auf ihre Armbanduhr hinzu, »ich muss gleich nach Paradise Valley fahren, um nach Pops zu sehen. In letzter Zeit ist er ein bisschen aufsässig. Letzten Monat sind er und seine Truppe streitsüchtiger alter Käuze vor dem Zubettgehen ausgebüchst. Pops hat sich in unseren Schuppen geschlichen und ein paar Angeln stibitzt. Und bis heute weiß ich nicht, wie diese Halunken an das Sixpack Bier gekommen sind, das sie beim Angeln an unserem Bach getrunken haben.« Daniel lachte amüsiert in sich hinein. Ihr Pops war ja eine herrliche Nummer! Sein eigener Großvater wäre von seinen Streichen sicher sehr angetan. »Das war nicht lustig«, beharrte Mattie, obwohl auch sie schmunzeln musste. »Die Pfleger waren ganz schön sauer auf Pops, weil er wegen seiner Medikamente keinen Alkohol trinken darf. Ihm hätte schwindelig werden können, und dann wäre er womöglich ins Wasser gefallen.« Sie drehte sich um. »Dann will ich Ihnen schnell mal alles zeigen, ehe ich losdüse. Die Kochecke ist klein, aber funktionell.« Sie deutete auf die Schränke und Gerätschaften an der Nordseite. »Das Schlafsofa hat eine Federkernmatratze und ist ausgezogen etwa einen Meter fünfzig breit. Das Bad befindet sich da drüben hinter dem Einbauschrank. Sie können sofort einziehen, wenn Sie möchten.« »Ja, ich nehme es«, erwiderte Daniel ohne Zögern, obwohl das
Apartment von der Quadratmeterzahl her leicht in sein eigenes Wohnzimmer gepasst hätte. »Der fahrbare Rasenmäher steht in meiner Werkstatt hinter dem Haus. Sie dürfen ihn gern benutzen.« »Ich mähe den gesamten Rasen als Teil der Mietzahlung. Dann haben Sie etwas mehr freie Zeit.« Mattie drehte sich zu ihm um und sah ihn an. Er tauchte ein in das tiefe Blauviolett ihrer Augen, und das nicht zum ersten Mal. Teufel auch, diese Frau ging ihm einfach unter die Haut! Wie dumm, dass eine enge Beziehung zwischen ihnen nicht möglich war. »Das ist wirklich nett von Ihnen«, murmelte sie. »Das Angebot nehme ich gern an.« Sie verließ das Apartment, und Daniel sah sich erneut um. Die Wohnung strahlte Matties Persönlichkeit aus, war gemütlich und einladend. Es würde hart für ihn werden, sich zurückzuhalten, wenn seine unmittelbare Umgebung ihren Stempel trug. Er wünschte, der »Oberhäuptling« – er! – hätte nicht diese Regel aufgestellt, die sexuelle Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Untergebenen verbot. Was für eine Ironie des Schicksals! Nun gut – er würde auch mit einer rein freundschaftlichen Beziehung zu Mattie klarkommen. Schließlich würde er nur einen Monat lang hier sein, und später erklären zu müssen, wer er wirklich war, stellte er sich äußerst unangenehm vor. Da war es schon besser, wenn Mattie nie erfuhr, dass ihr neuer Angestellter in Wahrheit ihr eigener Boss war. Im Moment schien sie ihn als Joe wirklich zu mögen, aber wenn sie wüsste, dass er sie belogen hatte, würde sie ihn bestimmt verabscheuen. Nein, er würde einfach seine Rolle weiterspielen und neue Begeisterung für seine Arbeit tanken. Und dann würde er das, was er hier in Fox Hollow gelernt hatte, positiv umsetzen. Ende der Geschichte. Na toll, Joe, dachte er. Und wie willst du cool bleiben, wo diese Frau doch so verdammt sexy ist? Er beschloss, dieses Problem auf dem Weg zum Lebensmittelgeschäft zu erwägen, denn er musste jetzt erst einmal den leeren Kühlschrank füllen. Mattie seufzte laut, als sie das Pflegeheim betrat und eine der Schwestern mit erhobenem Zeigefinger vor ihrem schmollenden Großvater stehen sah. Was gab es jetzt schon wieder für Probleme? Mit entnervtem Gesichtsausdruck kam Schwester Gamble auf sie zu. »Was ist los?« fragte Mattie besorgt. Gertie Gamble verdrehte die Augen. »Dieser alte Halunke hat eine Revolte gegen die Mitarbeiter der Kantine angezettelt. Ich wette, er genießt es geradezu, der Unruhestifter vom Dienst zu sein.« »Hallo, Knusperkeks!« rief Pops fröhlich. »Schön, dass du kommen konntest. Beachte Admiral Gamble nicht weiter. Es ist ihr Job, hier alles in tadelloser Ordnung zu halten.« Gertie warf Pops einen vernichtenden Blick zu und wandte sich dann wieder an Mattie. »Sehen Sie, was ich meine? Jetzt hat er den Großteil
der Bettpfannenmeute dazu gebracht, mich Admiral zu nennen. Reden Sie mit ihm, Mattie. Ich habe für diese Woche genug.« Sie wollte gehen, drehte sich dann aber noch einmal zu Mattie um. »Ich habe übrigens das Gemälde und die Regale gesehen, die Sie für Arthella Lambert angefertigt haben. Sie sind fantastisch. Könnten Sie so etwas in Grün- und Brauntönen für mich machen, passend zu meiner Wohnzimmereinrichtung?« »Aber sicher, Gertie. Kommen Sie einfach bei Gelegenheit im Geschäft vorbei, dann besprechen wir die Einzelheiten.« »Danke.« Gerties Lächeln verebbte, als sie zu Pops sah. »Zeit für die allwöchentliche Standpauke über gutes Benehmen. Das Gedächtnis Ihres Großvaters reicht gerade mal sieben Tage lang – wenn’s hoch kommt.« Mattie folgte Pops, der mit Hilfe einer Gehhilfe in sein Zimmer tapste. »Wie ich höre, hat der böse Bube von Paradise Valley wieder zugeschlagen«, sagte Mattie. »Was hat dich denn zu diesem letzten Aufstand bewogen, Pops?« Pops drehte sich halb zu ihr um und zwinkerte verschmitzt. »Jetzt weißt du endlich, was ich in deiner Teenagerzeit alles durchgemacht habe, Knusperkeks. Wie gefällt dir das mit den vertauschten Rollen?« Es war Mattie unmöglich, ihrem Großvater lange böse zu sein. Außerdem hatte er Recht. Er hatte ihr sicher nicht wenige graue Haare zu verdanken. »Dann ist das jetzt die Rache, oder?« erkundigte sie sich, legte den Arm um seine Taille und gab ihm einen liebevollen Schmatz auf die Wange. »Bitte nicht hier«, brummelte Pops. »Da kommen meine Verehrerinnen nur auf dumme Gedanken. Gut, dass ich einen Gehstock habe, um all die Weibsbilder abzuwehren, die mich hier anhimmeln.« Mattie kicherte. »Es stimmt wohl wirklich, dass alle Frauen, egal wie alt, für Rebellen schwärmen. Und du als Rädelsführer verursachst wieder mal jede Menge Aufsehen.« »Tja, irgendjemand muss denen hier doch sagen, wo’s langgeht«, erwiderte Pops. »Versuch du mal zu essen, was sie uns hier servieren! Willst du wissen, auf wie viele Arten man Backpflaumen zubereiten kann? Dann komm morgen zum Mittagessen her.« »Soweit ich gehört habe, verhilft eine vernünftige Diät zu Gesundheit und langem Leben«, konterte sie, während Pops sich zur Bertkante schob. »Du weißt ganz genau, dass du hauptsächlich deswegen hier bist, um die Dosis deiner Medikamente gegen Arthritis und Diabetes einzustellen. Du kannst erst wieder bei mir einziehen, wenn der Doktor dir einen guten Gesundheitszustand bescheinigt.« Pops zog seine Nickelbrille von der Nase und putzte die Gläser mit einem Hemdzipfel. »Ich habe nun mal eine Schwäche für herzhaftes Essen. Wo bleibt die Freude am Leben, wenn man sich nicht mal ab und zu etwas gönnen darf?« Es war schwer, mit einem achtundsiebzigjährigen Sturkopf zu diskutieren. »Ist das Essen hier wirklich so schlecht?« »Ich wette, Hundefutter hat mehr Geschmack«, erwiderte er und setzte die Brille wieder auf. »Der Rinderbraten ist so zäh, dass mir die Prothese
aus dem Mund fällt. Das gedünstete Huhn schmeckt wie nasse Zeitung. Die Bohnen sind völlig verkocht, und die fettfreien Nachspeisen schmecken wie Mörtel. Soll ich fortfahren?« »Nein, ich habe schon verstanden.« Pops vergewisserte sich, dass niemand an der Tür stand, um zu lauschen. Dann lehnte er sich zu Mattie vor. »Hier ist mein Plan, Knusperkeks: Du bringst einfach Essen mit, wenn du mich besuchen kommst. Du reichst es mir durchs Fenster, und dann gehst du ganz normal durch den Haupteingang. Niemand wird etwas merken. Fred, Ralph, Herman und Glen sind bereit, dir Geld zu zahlen, wenn du das Gleiche für sie machst.« Mattie runzelte die Stirn. »Ich verstehe. Du willst mich zur Komplizin der Roland-Gang machen.« »Du hast es erfasst.« »Pops, ich habe einen Ruf zu verlieren«, erinnerte sie ihn. »Ich bin Filialleiterin in einem riesigen Unternehmen.« »Und? Ich habe ebenfalls einen Ruf zu verlieren«, beharrte er. »Diese alten Leute hier…« Als gehörte er gar nicht zu ihnen, dachte Mattie. »… bauen darauf, dass ich sie anführe und ihre Schlachten schlage. Ich mache auf Probleme aufmerksam und kümmere mich darum, dass sie behoben werden. Alte Leute wollen Respekt. Wenn du mich fragst, sind Langeweile und das Gefühl der Nutzlosigkeit hier drin die beiden Haupttodesursachen.« Er rutschte vom Bett und griff nach seiner Gehhilfe. »Komm mit, Knusperkeks, ich will dir was zeigen.« Er deutete kurz auf das Landschaftsgemälde und die Regale, die sie angebracht hatte, um sein Zimmer gemütlicher zu machen. »Sieh dir das an.« »Ja, aber…« »Nichts aber. Komm mit.« Pops schlurfte ins Nebenzimmer. »Hallo Fred, meine Enkelin ist hier!« rief er. Mattie streckte ihren Kopf ins Nebenzimmer und sah den in einem Lehnstuhl sitzenden alten Mann durch die Jalousie aus dem Fenster starren. »Hallo, Fred, wie geht’s?« »Schlecht, aber danke der Nachfrage.« »Ich wollte dich nur kurz an heute Abend erinnern«, sagte Pops und machte bereits wieder kehrt. »Poker um zehn Uhr. Bei dir, ja?« Fred schien in seinem Sessel ein gutes Stück zu wachsen, und seine Augen leuchteten auf. »Stimmt. Ich hätte fast vergessen, dass heute Freitag ist. Ein Tag ist hier wie der andere.« Zurück in seinem Zimmer, zog Pops ein Kartenspiel aus der Tasche und zeigte Mattie das Herzass. »Pops! Um Himmels willen! Da sind ja nackte Frauen auf den Karten«, entrüstete sie sich. »Aber sicher«, erwiderte er ungerührt. »Hermans Enkel hat sie mir besorgt. Das gibt eine nette Überraschung für die Herren heute Abend. Nun schau mich nicht so an, Knusperkeks. Als ob wir noch nie ’ne nackte Frau gesehen hätten!« Er schob die Karten zurück in die Hosentasche. Dann machte er es sich auf dem Bett gemütlich. »Ich habe dich zu Fred
mitgenommen, damit du sein Zimmer siehst. Es steht nur das Allernotwendigste darin. Und er fühlt sich dort nicht zu Hause, weil es einfach ungemütlich ist. Keine Bilder an den Wänden, keine Erinnerungsstücke – nichts. Ich musste mich mächtig ins Zeug legen, damit wir dein Gemälde und die Regale hier bei mir anbringen konnten. Aber das hätte nicht so sein dürfen. Wir zahlen hart erarbeitetes Geld für unsere Zimmer, das Essen und die medizinische Versorgung. Trotzdem sehen diese Löcher zum Teil aus wie Gefängniszellen. Dieses Haus braucht dein Gespür für Inneneinrichtung, damit es ein bisschen Wärme ausstrahlt. Wenn jeder Bewohner das Recht hätte, sein Zimmer auf persönliche Weise zu gestalten, wäre schon viel gewonnen. Das wird mein nächster Kreuzzug.« Mattie stöhnte innerlich auf. Bernard Roland würde nicht eher aufgeben, bis er den Weg für bessere Wohnbedingungen geebnet hätte. Allerdings musste Mattie ihrem Großvater Recht geben. Das Heim wirkte tatsächlich wie ein dumpfer Wartesaal fürs Jenseits. »Nächste Woche werde ich unser Gesuch dem Direktor vorlegen«, informierte Pops seine Enkelin. »Wenn ich damit durchkomme, wollen alle Patienten so ein Gemälde und Regal in ihren Zimmern wie ich. Das Problem ist nur, dass die meisten wenig Geld zur Verfügung haben. Könntest du wohl Sonderpreise berechnen?« Mattie war fassungslos. Pops halste ihr Arbeit auf, obwohl sie ohnehin schon völlig ausgelastet war. Doch sein flehender Blick verriet, dass ihm diese Aktion ungemein wichtig war. Er kämpfte für bessere Lebensbedingungen für alte Menschen, die auf Hilfe angewiesen waren. Konnte sie genügend Zeit für ein Projekt dieser Größe aufbringen? Aber wie konnte sie es ablehnen? Einige der Patienten hatten sie gewissermaßen mit aufgezogen, wenn ihr Großvater auf Baustellen unterwegs gewesen war. Diese Leute hatten ihr zu essen gegeben, auf sie aufgepasst und ihr die Liebe und Aufmerksamkeit geschenkt, die ihre eigenen Eltern ihr verweigert hatten. Nun, da Joe Gray mit im Geschäft arbeitete, könnte sie Pops’ Wunsch erfüllen. Gut, sie würde rund um die Uhr beschäftigt sein, aber das war ja nichts Neues. »Okay, Pops«, sagte sie also. »Danke, Knusperkeks. Das bedeutet mir sehr viel.« »Das merke ich. Zufällig habe ich gerade heute Morgen die Anweisung der Firmenleitung erhalten, einen neuen Mitarbeiter einzustellen. Und zufällig war sofort jemand zur Stelle, Joe Gray, der wirklich etwas von der Arbeit versteht, und…« »Joe Gray? Nie gehört«, unterbrach Pops. »Er ist neu in der Stadt. Ich habe ihm die Garagenwohnung vermietet.« Pops kniff misstrauisch die Augen zusammen. »Was ist das für ein Kerl? Wo kommt er her? Was weißt du über ihn?« Mattie überlegte einen Moment und merkte, dass sie eine ganze Menge über ihren neuen Angestellten wusste, obwohl sie erst acht Stunden zusammen gearbeitet hatten. »Er ist fünfunddreißig und allein stehend. Er ist höflich und kann sehr
gut auf die Kunden eingehen, weil er eine Menge übers Heimwerken weiß. Er arbeitet sehr gern mit den Händen, fühlt sich in der Werkstatt wohl und scheint kein bisschen allergisch gegen harte Arbeit zu sein. Ich musste ihm heute Morgen und am Nachmittag direkt befehlen, seine Pause zu machen.« »Allein stehend?« hakte Pops nach. Mattie verdrehte die Augen. »Komm ja nicht auf die Idee, mich verkuppeln zu wollen. Du hast schon genug angestellt. Außerdem sind Joe und ich Arbeitskollegen, und weiter kann unsere Beziehung sowieso nicht gehen.« »Blödsinn«, schnaubte Pops. »Falls dieser Joe kein entlaufener Serienkiller ist, der sich in Fox Hollow verstecken will, scheint er genau dein Typ zu sein. Die meisten Männer hier fühlen sich doch von dir eingeschüchtert, weil du mit Sägen und Bohrern mindestens genauso gut umgehen kannst wie sie.« »Was ich dir zu verdanken habe.« »Aber wenn dieser Joe dieselben Interessen hat wie du und ein anständiger Kerl ist, würde ich sagen: Schnapp ihn dir. Oder gibt’s da einen Haken? Ist er etwa hässlich?« Mattie kicherte. »Ganz im Gegenteil. Meine Kundinnen wollen sich ständig von ihm bedienen lassen, nur um ihn aus der Nähe zu sehen.« »Klingt wie eine männliche Mary Poppins.« »Nur dass er für mich arbeitet«, wiederholte Mattie. »Ich müsste ihn erst feuern, ehe ich mit ihm etwas anfangen darf. Oder selbst kündigen. Und das kann ich nicht, vor allem nicht nach dem Großprojekt, das du mir gerade aufgebürdet hast.« »Tja, das stimmt natürlich«, murmelte Pops. »Aber hier im Heim gibt es keinen, der nicht sagen würde, dass du es versuchen solltest, wenn der Kerl dir gefällt. Dann starren sie eben noch einen Monat länger ihre nackten Wände an, ehe deine Verschönerungen fertig sind…« »Pops«, sagte sie warnend. Er hob abwehrend die Hände. »Hör auf, Kindchen. Du wirst auch nicht jünger, und ich will, dass du es mal so schön hast wie deine Grandma und ich. So eine Chance solltest du dir nicht entgehen lassen.« Mattie wand sich. Es war nicht das erste Mal, dass sie über dieses Thema sprachen. Pops wollte, dass sie heiratete, ehe er das Zeitliche segnete. Das verstand sie ja, aber Liebe konnte man nun mal nicht erzwingen. Es passierte einfach – oder eben nicht. Mit Anfang zwanzig hatte sie sich ein oder zwei Mal verliebt, aber die Beziehungen waren zerbrochen, weil Mattie bis spät abends arbeiten und sich um Pops kümmern musste. Die meisten Männer hatten keine Lust, mit Pops zu konkurrieren. Wenn er fit war, strahlte er so viel Lebensfreude und Energie aus, dass er ihnen die Show stahl. Die wenigen Freunde, die Mattie gehabt hatte, hatten sie irgendwann vor die Wahl gestellt – entweder sie oder Pops. Und da musste sie nun wirklich nicht überlegen. Dieser Mann hatte sie großgezogen, ihr vieles beigebracht und sie ermutigt, ihr künstlerisches Talent zu entwickeln. Als ihr Magen knurrte, fiel Mattie ein, dass sie das Mittagessen hatte ausfallen lassen, um Alice Dawsons Wohnzimmer zu dekorieren. »Ich
gehe jetzt lieber, Pops. Ich muss noch was essen.« »Wenn du hier gegessen hättest, würdest du immer noch so denken«, brummte Pops. »Ich meinte das Ernst mit dem Essen. Salzcracker, Vanillewaffeln, Puddingbecher – völlig egal. Bring mir und meinen Kollegen einfach ein paar Sachen vorbei.« Mattie seufzte resigniert. »Okay, mach eine Liste und ruf mich morgen im Laden an. Ich bringe die Sachen am Sonntagabend, wenn ich dich wieder besuche.« »Du bist ein Schatz, Knusperkeks. Habe ich dir das schon gesagt?« »Ja, jedes Mal, wenn du mich zu irgendeiner deiner Schandtaten überredet hast.« »Hey, du weißt, dass ich dich lieb habe. Du warst immer mein allerbester Kumpel. Jetzt muss ich mich ja mit diesen Gruftis verbünden, aber das heißt nicht, dass ich dich nicht immer noch am liebsten mag.« Mattie stand auf, umarmte ihren Großvater und gab ihm einen Kuss. »Ich hab dich auch lieb, Pops.« »Und denk dran, was ich über diesen Joe Gray gesagt habe. Wenn er es wert ist, lass ruhig mal fünfe gerade sein. Mit so was kenne ich mich aus. Und nun ab mit dir.« Kopfschüttelnd verließ Mattie das Zimmer. Pops war mit Sicherheit der rebellischste Achtundsiebzigjährige im ganzen Land. Er hatte ihr einmal gesagt, er bereue am meisten, nicht mehr Risiken eingegangen zu sein – und ihrer Meinung nach hatte er das andauernd getan. Doch wenn es um Joe Gray ging, musste sie sich zurückhalten. Nein, sie würde Joe nicht entlassen, weil sie sich für ihn interessierte. Sie brauchte ihn im Geschäft – nach Pops’ neuesten Plänen mehr denn je. Ihre Sehnsucht nach Zärtlichkeit und Liebe stellte sie schon seit Jahren zurück; sie würde damit klarkommen. Sie und Joe würden beste Freunde werden, das wäre vernünftig. Diesmal würde sie definitiv nicht den Rat ihres Großvaters befolgen. Und damit basta.
3. KAPITEL Daniel staunte über die große Anzahl von Kunden, die am Samstag ins Hobbydrome kamen. Als er Mattie darauf ansprach, erklärte sie, dass Fox Hollow der dem See am nächsten gelegene Ort sei, wo die Bewohner der Ferienhäuser alles zur Neudekoration ihrer Wochenenddomizile einkaufen könnten. Außerdem informierten sich die Senioren gern über die neuesten Trends. Jüngere und ältere Damen, einige mit zögerlichen Ehemännern im Schlepptau, strömten ins Geschäft, um herbstliche Dekorationen zu kaufen. Zwei Mal hatten Ehemänner von Kundinnen Daniel von oben bis unten gemustert und halblaut »Schwuchtel« gemurmelt. Daniel hätte wohl beleidigt sein sollen, dass er als feminin eingestuft wurde, nur weil er gern mit Holz arbeitete. Aber es machte ihm nichts aus. Mattie trat zu ihm an die Ladentheke. »Da kommen die Zimmermans«, flüsterte sie. »Lassen Sie mich das jetzt lieber machen, dann wissen Sie
für die Zukunft Bescheid. So liebenswert die beiden auch sind – sie machen einen Sport daraus, mir hin und wieder kleine Streiche zu spielen.« Daniel beobachtete neugierig das harmlos wirkende ältere Ehepaar, das mit vier Farbkanistern den Mittelgang entlang kam. »Wir haben unsere Meinung über den Farbton für die Wandmuster im Schlaf- und Wohnzimmer geändert«, verkündete Coreen Zimmerman und kramte die Quittung hervor. »Wir wollen nur unser Geld zurück, bis wir uns neu entschieden haben.« Für Daniel klang das einleuchtend. Warum wollte Mattie diese einfache Transaktion unbedingt selbst durchführen? Doch zu seiner großen Überraschung hebelte sie den Deckel eines Kanisters auf, steckte einen Finger hinein und kostete den Inhalt. »Gefärbtes Wasser«, sagte sie dann. »Ganz schön gerissen von Ihnen. Aber wenn Sie mich übers Ohr hauen wollen, müssen Sie schon früher aufstehen.« Homer Zimmerman sah Mattie treuherzig an und blickte dann zu Daniel. »Wenn Sie ihn gelassen hätten, hätten wir’s sicher geschafft. Wir haben gehört, dass Sie einen neuen Mitarbeiter haben, und wollten nur mal testen, wie schlau er sich anstellt.« Daniel war entsetzt, dass diese Kunden Geld für Farbe zurückerstattet haben wollten, die sie ganz offensichtlich bereits verbraucht hatten. Er wusste nicht, ob er über ihre Dreistigkeit lachen oder fluchen sollte. Mattie stellte die vier Farbkanister neben der Theke auf den Boden und schenkte den beiden ein strahlendes Lächeln. »Sonst noch etwas, das Sie heute an mir vorbeimogeln wollten?« »Tja, jetzt, wo Sie’s sagen…« Coreen zog eine Plastiktüte aus ihrer übergroßen Handtasche. »Vor ein paar Wochen habe ich diese Engelsfigur bei Ihnen gekauft und erst zu Hause gemerkt, dass ein Flügel abgebrochen war. Ich würde gern einen neuen Engel dafür haben.« Daniel verschränkte abwartend die Arme. Wie würde Mattie jetzt reagieren? Zunächst einmal lächelte sie wieder ganz freundlich und nahm dann den Engel in die Hand. »Sie wissen doch, dass ich diese Figur selbst gefertigt habe, mit all der Liebe, die man einem Engel zukommen lassen sollte. Sie gehören zu meinen Lieblingsfiguren.« Sie sah Coreen eindringlich an und fixierte dann Homer. »Wer von Ihnen hat ihn aus Versehen fallen lassen? Und lügen Sie mich ja nicht an, denn es geht immerhin um einen Engel. Es wäre wie eine Lüge in der Kirche.« Sekunden vergingen. Daniel sah von einem zum anderen. Dann konnte Homer es anscheinend nicht länger ertragen. »Also gut, Mädchen, ich war’s, verdammt! Ich hab den Engel vom Regal gestoßen. Haben Sie vielleicht so einen Superkleber, mit dem man den Flügel wieder befestigen kann?« »Natürlich, Homer«, versicherte Mattie fröhlich. »Ich bin gleich wieder da.« Sobald Mattie verschwunden war, wandten die Zimmermans sich an Daniel. »Sie können von Glück reden, dass Sie für diese Frau arbeiten dürfen«, erklärte Homer. »Das Beste, was dieser Ort an Frauen zu bieten hat,
wenn Sie mich fra… Aua!« Er verzog das Gesicht, weil Coreen ihn in die Rippen gestoßen hatte. »Nach meiner herzallerliebsten Ehefrau, natürlich. Mattie ist auch eine begnadete Künstlerin, falls Sie das noch nicht wissen. Ich würde gern ein paar ihrer Gemälde kaufen, wenn ich das Geld dafür hätte.« »Er will damit sagen, dass Sie unsere Mattie nicht übers Ohr hauen sollen«, fügte Coreen hinzu. Daniel runzelte die Stirn. Das sagten ausgerechnet Leute, die Mattie vorhin um die Farbe hatten betrügen wollen? Nun, sie schienen Mattie nichtsdestotrotz sehr ins Herz geschlossen zu haben. Aber wer hatte das nicht? Den ganzen Tag schon hatte Daniel ein Loblied nach dem anderen auf sie gehört. »Ich würde nicht im Traum daran denken, Mattie zu hintergehen«, versicherte Daniel den Zimmermans. »Meine Arbeit gefällt mir, und ich will sie behalten.« »Gut für Sie, mein Junge.« Homer beugte sich näher an Daniel heran. »Aber seien Sie gewarnt, dass einige der Cowboys sich heute Mittag drüben im Cafe über Sie lustig gemacht haben. Sie denken, Sie seien ’ne Schwuchtel, weil Sie hier arbeiten.« »Und was denken Sie?« wollte Daniel wissen. »Ich denke, Sie haben ganz schön Mumm«, antwortete Homer. »Ich hoffe nur, dass Sie die Spötteleien aushalten, die sicher noch kommen werden, wenn diese Kerle schlechte Laune bekommen und meinen, auf Ihnen herumhacken zu müssen.« »Danke für die Warnung.« Mattie kehrte zurück und überreichte Daniel den Klebstoff. »Bitte kassieren Sie das, während ich meinen Auftrag in der Werkstatt fertig mache. Ich habe versprochen, heute nach Ladenschluss noch zu liefern.« Daniel tippte den Betrag in die Kasse und hörte Homer leise schimpfen, dieser horrende Preis für solch eine kleine Tube Klebstoff sei doch der reinste Nepp. Daniel wurde klar, dass die Arbeit mit Kunden wahrlich kein Zuckerschlecken war. Offensichtlich hatte er schon viel zu lange in seinem Elfenbeinturm gesessen. Die Angestellten im Verkauf hatten allesamt eine Lohnerhöhung verdient. In seiner Nachmittagspause hörte Daniel in Matties Büro das Telefon klingeln. Da sie gerade mit einem Stammkunden beschäftigt war, lief Daniel schnell zum Apparat. »Hobbydrome«, meldete er sich freundlich. »Was kann ich für Sie tun.« »Wo, zum Teufel, ist Mattie?« kam eine laute, knarrende Stimme aus dem Hörer. »Sie bedient im Moment einen Kunden. Kann ich ihr etwas ausrichten?« »Sind Sie Joe?« erkundigte sich der Anrufer. Daniel blinzelte irritiert. »Ja, Sir, der bin ich.« »Hab ich mir gedacht. Hier ist Matties Großvater. Die Liste ist fertig. Haben Sie was zu schreiben?« »Ja, Sir.« Daniel nahm sich Stift und Notizblock. »Hören Sie auf mit diesem Sir-Getue«, beschwerte sich Pops. »Ich bin
Pops.« Daniel musste schmunzeln. »Okay. Schießen Sie los, Pops.« »Doppelt gefüllte Waffelplätzchen, ein Glas cremige Erdnussbutter, Äpfel, Cracker«, ratterte Pops herunter, »Schokoplätzchen, je klebriger desto besser, Schokoschaumriegel mit Vanillefüllung – aber bloß nicht diese No-Name-Produkte, notieren Sie das!« Daniel schrieb, so schnell er konnte. »Wollen Sie in dem Heim eine Party schmeißen?« »Teufel, nein! Mattie muss für mich und meine Freunde ein paar Schleckereien einschmuggeln. Die behandeln uns hier wie Vorschulkinder. Haben wohl Angst, wir könnten eine Überdosis Zucker und Koffein erwischen und zur Schlafenszeit auf den Matratzen herumspringen.« Daniel musste wieder schmunzeln. Er freute sich schon darauf, Pops persönlich kennen zu lernen. Und er wünschte, J.D. könnte es auch. »Sonst noch etwas, Pops?« »Ja. Wie finden Sie meine Enkelin?« »Äh…« »Nicht attraktiv genug?« Pops Stimme klang drohend. »O doch, sehr«, erwiderte Daniel aufrichtig. »Das dachte ich mir. Ich bin vielleicht alt, aber blind bin ich noch nicht. Das Mädchen hat eine prima Figur und ein hübsches Gesicht. Das muss Ihnen doch aufgefallen sein.« »Äh…« »Fühlen Sie sich eingeschüchtert, weil sie mit Hobel und Kreissäge genauso gut umgehen kann wie ein Mann?« feuerte Pops seine nächste Frage ab. »Nicht im Geringsten.« »Aber Sie sind gegen ihre Ausstrahlung immun, oder wie?« »O nein! Mattie ist eine der charmantesten und sympathischsten Frauen, die ich je kennen gelernt habe.« »Wo liegt dann das Problem?« »Was für ein Problem?« Daniel verstand nicht. Er dachte, es liefe gut zwischen ihnen. »Ich wüsste nicht, warum es eins geben sollte. Mattie ist Single und Sie auch. Sie sagt, Sie seien ein anständiger Kerl und sähen gut aus. Und Sie finden Mattie attraktiv und sympathisch. Also, wann gehen Sie mit ihr aus? Sie verbringen praktisch den ganzen Tag zusammen. Da müssten Sie einander doch schon ziemlich gut kennen.« »Ich denke, gerade das sieht Mattie als Problem«, erklärte Daniel. »Wenn es nicht funktioniert, müssen wir trotzdem weiter zusammenarbeiten und Tür an Tür wohnen.« »Dann sind Sie also zu feige, es zu versuchen. Ist es das, was Sie mir sagen wollen, Joe?« »Ich sage nichts dergleichen, Pops. Als Matties Angestellter respektiere ich einfach ihre Wünsche.« »Unsinn. Hören Sie auf mich, und gehen Sie mit ihr aus. So, jetzt muss ich Schluss machen. Zeit für die Wärter, ihre Gefangenen in die Kantine zu scheuchen. Vergessen Sie nicht, Mattie die Liste zu geben. Sie muss
die Sachen für morgen Abend beschaffen. Und wehe, wenn Sie sie verpfeifen! Das wird Ihnen Leid tun!« Daniel musste sich auf die Lippen beißen, um bei der Drohung des alten Mannes nicht laut loszulachen. »Keine Sorge, Pops. Ich werde die Sachen selbst bringen, falls Mattie verhindert sein sollte. Sie können sich darauf verlassen.« »Sie sind okay, Joe«, meinte Pops. Daniel legte auf, drehte sich um und sah Mattie ins Büro kommen. »Wer war das?« fragte sie neugierig. »Pops.« Er winkte er mit der Liste. »Macht er Sie oft zu seiner Komplizin?« Mattie warf sich in ihren Bürosessel, ließ die Schultern kreisen und nickte. »Pops befindet sich auf einem Kreuzzug, um die Lebensbedingungen in Paradise Valley zu verbessern. Seine letzte Mission bestand darin, mich zu überreden, die Inneneinrichtung der Patientenzimmer neu zu gestalten. Pops meint, nur durch eine persönliche Atmosphäre in den Zimmern könne der Lebenswille der alten Leute aufrechterhalten werden.« »Und natürlich konnten Sie Ihren Pops nicht enttäuschen, obwohl Sie genug Aufträge haben, um die nächsten zwei Jahre beschäftigt zu sein.« Ein durchdringender Blick aus Matties betörenden Augen, und Daniel überlief es heiß. »Pops hat durchaus Recht, und er wendet sich mit einem schriftlichen Gesuch an den Direktor. Wenn Sie seinen Freund Fred gesehen hätten, wie er im kahlen weißen Nebenzimmer durch die Jalousien starrte, hätten Sie mit Sicherheit auch Ja gesagt.« Daniel hob abwehrend die Hände. »Sie müssen sich vor mir nicht rechtfertigen, Boss. Ich wollte Sie in keiner Weise kritisieren. Wenn mein Großvater in so einem öden Pflegeheim wäre und seine persönlichen Siebensachen um sich haben wollte, würde ich genau dasselbe tun. Außerdem wäre ich froh, Ihnen bei dieser Arbeit helfen zu können. Ich nehme an, bei den alten Leuten ist das Budget begrenzt, oder?« »Sie wollen mir helfen?« Mattie lächelte ihn dankbar an. »Danke, Joe. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich mich darüber freue.« »Aber Sie müssen dafür bezahlen«, warnte er mit gespieltem Ernst. »Sie müssen versprechen, dass Sie sonntags das Abendessen kochen, während ich in der Werkstatt das Holz für die Regale, Truhen und Bänke zurechtsäge.« »Woher wollen Sie wissen, dass ich kochen kann?« »Bis jetzt habe ich noch nichts gesehen, was Sie nicht außerordentlich gut könnten«, lobte er überschwänglich. »Von Elektrowerkzeugen über Kunsthandwerk und Innendekoration bis zum Umgang mit schwierigen Kunden – Sie beherrschen alles perfekt.« Mattie legte den Kopf schief und musterte ihn. »Wollen Sie mir Honig um den Bart schmieren, um eine Lohnerhöhung zu bekommen?« »Nein, ich sage nur, wie es ist, Ma’am.« Eines jedoch sagte er nicht: dass er den verrückten Wunsch verspürte, Mattie zu küssen, bis sie nach Luft rang. Wenn sie ihn anlächelte, schlug sein Herz schneller, und er dachte an Dinge, die er niemals würde haben können.
»Dann darf ich sagen, dass ich Ihnen nach zwei Tagen Arbeit ohne jegliche Beanstandung nichts weniger als außergewöhnlich’ auf Ihren Beurteilungsbogen schreiben kann, Mr. Gray. Ich vermute, der Oberhäuptling würde Ihren Arbeitseifer zu schätzen wissen.« Daniel zuckte innerlich zusammen. Jedes Mal, wenn Mattie den allmächtigen Firmendirektor erwähnte, quälte ihn sein Gewissen. Vielleicht sollte er ihr die Wahrheit sagen. Nein, lieber nicht. Er hatte Angst, dass seine Angestellte des Jahres alles falsch verstehen würde. »Wie wäre es, wenn ich Sie zu einem Hamburger mit Pommes frites einlade, bevor ich die Sachen bei Gladys Howser anbringe?« bot Mattie an. »Haben Sie denn schon Feierabend gemacht?« »Ja, gerade eben. Ich rechne noch schnell ab, dann können wir los.« »Prima, aber ich werde zahlen.« Als sie protestieren wollte, legte Daniel ihr den Zeigefinger auf die Lippen. Bei dieser schlichten und scheinbar vollkommen harmlosen Berührung schoss ihm ein elektrisierendes Prickeln durch den ganzen Körper. Matties Lippen waren wie Samt unter seiner Fingerspitze, und er musste sich mit aller Macht zusammenreißen, um den Finger nicht durch seinen Mund zu ersetzen und sie zu küssen. Verdammt! Hätte er nur im Mindesten geahnt, dass er so heftig auf Mattie Roland reagierte, hätte er sich niemals von ihr einstellen lassen. »Sie einzuladen ist meine Art, mich für diesen Job zu bedanken, für die Wohnung und für die Gelegenheit, dem Establishment eins auszuwischen – und zwar allen Leuten zuliebe, die ihre Lebensqualität im Alter verbessern möchten…« Er brach ab, als sie den Kopf hob und seinen Blick festhielt. Die Zeit schien stillzustehen. Daniel hatte das eindeutige Gefühl, dass Mattie dasselbe fühlte wie er. Hatten sie den Mut, sich die wechselseitige Anziehung einzugestehen und auszuprobieren, was es mit den so offensichtlich idealen Voraussetzungen für eine wunderbare Beziehung auf sich hatte? Halt, rief er sich zur Ordnung. Er hatte Mattie bereits belogen und betrogen, also konnte es keine vertrauensvolle Freundschaft zwischen ihnen geben. Das hatte er in dem Moment vermasselt, da er sich als Joe Gray vorgestellt und es zugelassen hatte, dass Mattie ihm ihre Meinung über ihren obersten Boss offenbarte. Nein, er hatte sich selbst eine so tiefe Grube gegraben, dass er eine ausfahrbare Leiter brauchte, um wieder herauszuklettern. Mattie starrte wie gebannt in Daniels braune Augen. Aus Pops’ Sicht war jedes vermiedene Risiko eine vertane Chance. Hinterfrage die Regeln, hatte er immer gesagt, befolge sie nicht einfach. Sollte sie Joe küssen oder nicht? Es war eine ganz schön vertrackte Situation. Sie war die Filialleiterin, er der Angestellte. Wenn sie die Initiative ergriff und ihn küsste, würde er dann ihren Kuss erwidern, weil er um seinen Job bangte oder weil er es wirklich wollte? Würde er sie küssen – und er machte den Eindruck, als ziehe er diese Möglichkeit tatsächlich in Betracht –, lief er Gefahr, seinen Job zu verlieren. Nach einer Weile, die den beiden wie ein Ewigkeit vorkam, fuhr Daniel
mit dem Zeigefinger um Matties Lippen. Mattie bekam weiche Knie. »Ich glaube, es würde uns beiden viel besser gehen, wenn wir das hier hinter uns bringen«, sagte er. »Sie sind der Boss, also müssen Sie sich jetzt mal eine Auszeit nehmen. Es ist Feierabend. Trotz meiner guten Vorsätze bin ich nicht davon überzeugt, dass diese Gute-Kumpel-Nummer zwischen uns funktioniert. Ich sehe einfach viel zu sehr die Frau in Ihnen. Tut mir Leid, aber so ist es.« Mattie versuchte gar nicht erst, so zu tun, als wüsste sie nicht, was er meinte. Offensichtlich waren sie auf einer Wellenlänge, und er überlegte genau wie sie, ob ein Kuss die sexuelle Spannung lindern würde, die sich seit ihrer ersten Begegnung aufgebaut hatte. Mattie hatte immer wieder zu ignorieren versucht, dass Begierde in ihr aufflackerte, wenn Joe in ihrer Nähe war. Was ungefähr genauso unmöglich war, wie einen Wirbelsturm zu ignorieren, der direkt um einen herum tobte. »Ich denke, dass Sie denken, dass Sie sich nicht dem Vorwurf sexueller Belästigung am Arbeitsplatz aussetzen wollen, wenn Sie mich küssen«, flüsterte Daniel heiser. »Und Sie denken vermutlich, dass ich denke, ich könnte meinen Job verlieren, wenn ich Sie als Erster küsse und Ihnen das dann doch nicht so gut gefällt. Also würde ich vorschlagen, wir treffen uns einfach in der Mitte wie zwei Erwachsene, die in gegenseitigem Einverständnis handeln. Alle Regeln sind für diesen Moment nichtig. Wenn es nicht funktioniert, schlüpfen wir einfach wieder in unsere Rollen als Boss und Untergebener, werten es als misslungenes Experiment und machen weiter wie bisher. Klingt das fair?« »Und wenn das Experiment nicht misslingt?« fragte sie und wagte kaum einzuatmen aus Angst, sein betörender Duft könnte ihren Verstand benebeln. »Darüber machen wir uns Gedanken, wenn es so weit ist«, flüsterte er mit rauer Stimme. »Die Spannung bringt mich noch um, Mattie. Auf drei. Eins, zwei…« Ein wiederholtes scharfes Klopfen an der Ladentür zwang Mattie und Daniel, sich abrupt voneinander zu lösen. »Huhu, Mattie! Ich bin’s, Gladys Howser. Bist du noch da?« Mattie wusste nicht, ob sie sich über ihre ungeduldige Kundin freuen oder ärgern sollte. »Ich komme!« rief sie. Nach ihrem Verschwinden lehnte Daniel sich wie erschöpft gegen den Schreibtisch. Mist, er hätte besser den Mund halten sollen, aber seine Gefühle hatten ihn einfach übermannt. Du bist doch verrückt, schalt er sich selbst. Nach all den eleganten Frauen, mit denen er ausgegangen war, drehte er bei dieser Heimwerkerprinzessin fast durch, die nach Farbe und Sägemehl roch anstatt nach Parfüm und die verwaschene Jeans trug anstelle von Designermode. Und um die Sache noch zu komplizieren, arbeitete Mattie auch noch für ihn. Außerdem hielt sie ihren Oberboss für einen geldgierigen Schnösel. Fehlte noch was? Ach ja, er war ein hinterhältiger Betrüger, und Mattie war viel zu gut, um diesen Schwindel zu verdienen. Wenn er auch nur einen Funken Anstand im Leibe hatte, würde er umgehend kündigen und in seine Firmenzentrale zurückkehren.
»Joe!« rief Mattie auf dem Weg durch den Laden ins Büro. »Es gibt eine kleine Planänderung. Gladys möchte ihre Gemälde und die Regale sofort angebracht haben, weil ihre Bridge-Party auf sieben Uhr vorverlegt wurde. Das mit dem Essen müssen wir also verschieben.« Daniel nickte. Vermutlich war es das Beste so. Das Schicksal hatte eingegriffen. Die Mächte des Universums hatten gegen ihren Kuss gestimmt. »Ich werde die Kasse schließen«, bot er an. »Das heißt, falls Sie mir vertrauen.« Sie lächelte und sah ihm direkt in die Augen. »Ich vertraue Ihnen, Joe. Sonst wären Sie überhaupt nicht hier, und wir hätten vor fünf Minuten auch nicht auf jener Schwelle gestanden.« Jetzt kam er sich wirklich vor wie der letzte Dreck. Er hatte sie belogen und betrogen, und sie vertraute ihm. Während er das Geld zählte, hörte er jemanden gegen den Hintereingang hämmern. »Was ist denn jetzt los?« murmelte er verdrießlich. Er riss die Stahltür auf und sah sich fünf alten Herren gegenüber, die ihn anstarrten. Die Roland-Gang, wie er vermutete. In ihrer Mitte wahrscheinlich der Anführer, gestützt auf seine Gehhilfe. Pops trug eine Jeans, an der ein paar Zweige und Blätter hingen, ein verblichenes Baumwollhemd, das seinen eingefallenen Oberkörper betonte, und eine Nickelbrille. Er hatte volles silbergraues Haar und strotzte sichtlich vor Energie. J.D. Grayson würde gut in diese Runde passen, dachte Daniel. Die vier Männer hinter Pops waren mehr oder weniger kahlköpfig, sehr beleibt und trugen Brillen und altmodische Kleider. Daniel nickte zur Begrüßung. »Sie sind also Joe«, sagte Pops. »Was meint ihr, Jungs?« Jungs? dachte Daniel. Diese alten Halunken durchlebten offenbar ihre zweite Kindheit. »Sieht doch ganz anständig aus«, meinte Fred. »Was denkst du, Herman?« Herman musterte Daniel zwei Mal von oben bis unten. »Gut gebaut, würde ich sagen. Und du, Ralph?« »Scheint okay zu sein«, urteilte Ralph. »Glen?« Glen zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen. »Sind Sie vorbestraft, mein Junge?« »Nein, sollte ich?« fragte Daniel ungerührt zurück. »Nicht auf den Mund gefallen, das gefällt mir«, kommentierte Pops. »Kennt Knusperkeks diese Seite an Ihnen schon?« »Sie meinen Mattie?« »Wen denn sonst? Also?« »Nein.« »Tja, dann halten Sie sich nicht zurück, mein Junge. Sorgen Sie dafür, dass sie von Anfang an Ihr wahres Ich kennen lernt. Das ist immer besser.« Diesen Rat kann ich leider nicht befolgen, dachte Daniel. »Ich hab gesehen, wie Mattie vor einer Minute weggefahren ist«, sagte
Pops. »Und ich dachte mir schon, dass die alte Klapperkiste da hinten Ihnen gehört. Sind Sie hier fertig?« »Ja«, antwortete Daniel vorsichtig. »Sehen Sie mich nicht so skeptisch an«, brummte Pops. »Wir werden Sie nicht zwingen, bei einem Banküberfall mitzumachen. Wir brauchen nur eine Mitfahrgelegenheit. Und wir wollten nicht, dass Mattie davon erfährt, bevor wir unser Ziel erreicht haben. Die Woche im Heim war schrecklich – jetzt wollen wir angeln gehen.« Pops hob herausfordernd sein spitzes Kinn. Sollte Joe es nur wagen, sich zu widersetzen! Er tat es nicht. »Die Angelruten sind im Schuppen hinter Matties Haus«, informierte Pops ihn. »Wir sind schon eine Meile zu Fuß gelaufen. Können Sie uns mitnehmen?« Daniel machte die Kasse fertig, schaltete das Licht aus und schloss die Türen ab. Zwar trauerte er noch dem verpassten Kuss nach, aber eine Hilfsaktion für die Roland-Gang war sicher das Nächstbeste, was ihm in dieser Situation passieren konnte. »In meinem Pick-up wird es ein wenig eng werden«, sagte er auf dem Weg zu seinem Wagen. »Sardinen beklagen sich auch nicht über Platzmangel in der Konservendose«, erklärte Pops, der neben ihm her hinkte, so schnell er konnte. »Haben Sie sich schon mit Mattie verabredet?« »Nein«, entgegnete Daniel etwas unwirsch. »Sie haben unser Okay, worauf warten Sie also noch?« wollte Glen wissen. »Danke, das Urteil von fünf Pflegeheimflüchtlingen bedeutet mir wirklich sehr viel.« »Hören Sie, wenn Sie sich weiter so zieren, werden Sie noch enden wie wir: mutterseelenallein und immer auf der Pirsch«, meinte Herman. »Etwas Besseres als Mattie finden Sie nicht. Ich habe sie aufwachsen sehen. Ja, ich habe sie sogar mit aufgezogen, wenn ihr Großvater berufsbedingt ganze Wochen weg musste.« »Ich ebenfalls«, fügte Ralph stolz hinzu. »Ich und Wilma, Gott hab sie selig, waren sozusagen ihr Ehrenonkel und ihre Ehrentante.« »Dasselbe gilt für mich und Jean«, sagte Fred. »Wir waren sogar auf ihrer Abschlussfeier der High School und des College als Familienangehörige dabei. Denken Sie etwa, Mattie ist nicht gut genug für Sie, weil sie wie ein halber Junge aufgewachsen ist? Liegt da das Problem?« »Sie ist zu gut für mich«, murmelte Daniel. »Sprechen Sie lauter, mein Junge«, verlangte Pops. »Die Batterien meines Hörgeräts sind schon ziemlich schwach.« »Ich mag Mattie sehr gern«, schrie Daniel. »Brüllen Sie nicht so!« beschwerte sich Glen. »Wir sind zwar schwerhörig, aber nicht taub.« Daniel bog von der Hauptstraße ab und nahm den Schleichweg zu Matties Haus. Ihre Loyalität gegenüber Mattie war rührend. Mattie mochte keinen großen materiellen Wohlstand besitzen, aber hier in Fox Hollow wurde sie allseits bewundert und geliebt. Ihre Kunden sangen
Lobeshymnen, ihr Großvater und ihre »Ehrenonkel« vergötterten sie, wohingegen Daniel zwar viele Bekannte und Kollegen besaß, aber nur wenige wahre Freunde. Daniel war nach Fox Hollow gekommen, um seine Verbindung zur Realität wieder herzustellen. Binnen achtundvierzig Stunden hatte er eine volle Dosis wahren Lebens erhalten und konnte direkt spüren, wie er aufblühte. »Habt ihr Jungs schon zu Abend gegessen?« wollte er wissen. Die Frage löste verächtliches Schnauben. »Ich habe Ihnen doch am Telefon gesagt, wir würden gleich in die Kantine gescheucht werden. Der krönende Abschluss des heutigen Festmahls: glasierte Pflaumen. Wenn Sie das Essen nennen, dann haben wir allerdings gegessen«, schimpfte Pops. »Haben Sie vielleicht irgendwas Ungesundes in Ihrem Apartment herumliegen?« Daniel grinste. »Aber sicher. Sie besorgen die Angelruten, und ich steuere Proviant und ein paar Würmer als Köder bei.« Pops strahlte. »Sie gefallen mir, Joe.« »Also, wann müssen Sie sich im Heim zurückmelden?« erkundigte sich Daniel, als sie die Auffahrt erreichten. Glen grinste. »Wir haben unsere Kopfkissen und extra Wolldecken unter die Bettdecken geschoben, damit es so aussieht, als wären wir früh schlafen gegangen. Uns bleiben noch einige Stunden, bevor sie die Hunde auf Spurensuche schicken.« Daniel schüttelte schmunzelnd den Kopf, während die Männer sich vor Lachen bogen. Oh ja, das Leben in Fox Hollow war äußerst interessant. Dann überlegte Daniel, wie Mattie wohl reagieren würde, wenn sie seine Komplizenschaft mit der Roland-Gang entdeckte. Aber er fand, Mattie könnte ihm sogar dankbar sein, dass er auf die alten Herrschaften aufpasste. Schließlich könnte er sofort helfen, falls einer von ihnen ausrutschte und in den Fluss fiel. So gesehen tat er Mattie eigentlich einen Gefallen.
4. KAPITEL Mattie ging in die Hocke und setzte die Teile der kleinen Holzbank zusammen. Dann nahm sie die Nagelpistole, um die Bretter und Querhölzer miteinander zu verbinden. Beim monotonen Klacken der Pistole dachte sie an die angenehmen Stunden, die sie am vergangenen Sonntag mit Joe verbracht hatte. Sie hatten Klapptische, Kommoden, Regale und Garderobenhaken für Paradise Valley entworfen. Mit Holzresten von anderen Aufträgen, übrig gebliebener Farbe und beschädigten Verkaufsstücken aus dem Geschäft hatten sie Dekoartikel gefertigt. Stundenlang hatten sie Seite an Seite gearbeitet, geredet und ihre Freundschaft vertieft. Joe hatte den Beinahe-Kuss nicht wieder erwähnt, ebenso wenig Mattie. Sie sagte sich selbst, die Unterbrechung sei wohl das Beste gewesen. Trotzdem wiederholte eine hartnäckige Stimme immer wieder: »Na los, Mädchen, geh ran.«
Sie arbeiteten nun schon seit einer Woche zusammen, und Joe entpuppte sich als regelrechter Traum-Angestellter. Mattie hatte einiges von dem Gespött gehört, das Joe sich von besonders sturen Machos anhören musste, die in den Ort kamen, um sich das »Weichei« anzusehen, das bei Hobbydrome angeheuert hatte. Meistens ignorierte Joe die Spötteleien einfach. Er war Manns genug, um sich nicht von den Cowboys und Anglern und Jägern einschüchtern zu lassen, die im »Watering Hole«, einer Kneipe am Stadtrand, zusammentrafen. Mit einer Grimasse stand Mattie auf, um sich die eingeschlafenen Beine zu vertreten. Sie sah auf die Uhr. Es war weit nach Geschäftsschluss, und sie war mit den drei Aufträgen für Regale passend zu drei ihrer Landschaftsgemälde gut vorangekommen. Und wieder ist ein einsamer Samstagabend in meinem Leben gerettet, dachte sie resigniert. Ihr Privatleben war ein Desaster. Sie hatte Joe angeboten, ihn nach der Arbeit zum Essen einzuladen, aber er hatte das Geschäft pünktlich verlassen und gesagt, er habe für den Abend schon etwas vor. Doch er wolle am Sonntagmorgen früh aufstehen und an den Sachen fürs Heim arbeiten. Mattie überlegte, ob er ihrer inzwischen überdrüssig geworden war und sein Interesse an dem Kuss verloren hatte, der nie passiert war und zu dem es auch vermutlich nie kommen würde. Vielleicht hatte er beschlossen, sich woanders nach weiblicher Gesellschaft umzusehen. Die ganze Woche über hatten unzählige Frauen das Geschäft aufgesucht und unter dem Vorwand, etwas kaufen oder beraten werden zu wollen, mit Joe geflirtet. Aber warum beschwerte sie sich? War sie es nicht selbst gewesen, die ihre Beziehung rein platonisch halten wollte? Hatte sie sich nicht einen fähigen Mitarbeiter gewünscht, weil sie die viele Arbeit nicht mehr schaffte? Sie hatte bekommen, was sie wollte, und doch war sie nicht so glücklich darüber, wie sie es gedacht hatte. Und alles nur, weil sie sich für einen Mann interessierte, den sie für tabu erklärt hatte. Sollte sie ihren Kurs ändern? Nein. Sie würde nach Hause fahren, ein heißes Bad nehmen und es sich anschließend mit einer großen Tüte Chips im Lehnsessel gemütlich machen. Ein weiterer fröhlicher Abend vor dem eigenen Fernseher… Voller Selbstmitleid schloss Mattie das Geschäft ab und stieg in ihren Wagen. Eine Stunde später stand sie in einem übergroßen T-Shirt, das ihr als Nachthemd diente, am Küchenfenster und starrte auf ein fernes Lagerfeuer, das tanzende Schatten an die Bäume unten am Flussufer warf. »So ein verdammter Mist!« schimpfte sie und eilte zur Hintertür. Wenn das nicht Außerirdische waren, die am Fluss wissenschaftliche Experimente durchführten, dann mussten Pops und seine Kollegen aus dem Heim entwischt sein, um dort zu angeln. Entnervt stapfte Mattie den kleinen Pfad zum Fluss hinunter und spähte hinter einem dicken Baumstamm stehend zum Feuer. Ja, dort stand Pops, die Angelrute in der einen und eine Getränkedose in der anderen Hand.
So ein verdammter Dickschädel! Dieser Unsinn musste ein Ende haben! Was die anderen Herrschaften betraf, so würde Mattie androhen, ihre Familien zu verständigen, wenn diese Mondscheineskapaden nicht aufhörten… Plötzlich stutzte sie. Da war Joe Gray! Er hatte unter einem Baum gesessen und war nun aufgestanden, um eine Bierdose aus der Kühltasche zu nehmen. Sie erkannte sofort, dass er es war. Die breiten Schultern und schmalen Hüften waren unverwechselbar. Nun reichte es aber! Fuchsteufelswild stürmte Mattie aus ihrem Versteck. »Leute, die Party ist vorbei«, bellte sie kurz angebunden. »Schluss damit, Pops.« Ihr Großvater griff sich ans Herz und warf die Getränkedose fort, um sich auf seinen Stock zu stützen. »Himmel, herrje, Knusperkeks! Was hast du vor? Einen kollektiven Herzinfarkt auslösen?« »Warum nicht? Den kriegt ihr sowieso demnächst, wenn ihr in der feuchten Nachtluft herumlungert, Bier trinkt und Chips fresst. Habt ihr denn vollkommen den Verstand verloren? Wenn der Direktor merkt, dass ihr entwischt seid, lässt er euch ans Bett binden oder wirft euch raus, je nach Laune. Und Sie…« Sie drehte sich zu Daniel und holte Luft, um ihm die Leviten zu lesen. Pops fuchtelte mit den Armen, um Mattie aufzuhalten. »Beruhige dich, Knusperkeks. Wir sind nur hergekommen, um die neuen Angelruten auszuprobieren, die Joe uns besorgt hat. Außerdem ist das kein Bier«, erklärte er und schickte sich an, die Dose aufzuheben. »Es ist zucker- und koffeinfreie Limonade. Sieh her!« Er hielt ihr die Dose entgegen. »Und der hochnäsige Direktor von Paradise Valley hat uns letzten Samstag auch nicht geschnappt. Die anderen werden uns nicht verraten.« »Letzten Samstag?« Mattie warf Daniel einen durchdringenden Blick zu. »Sie haben sie letzten Samstag auch hergefahren?« »Jetzt gib nicht unserem guten Freund Joe die Schuld«, unterbrach Fred. »Wir haben ihn zu Boden geworfen und ihm die Arme verdreht, bis er schließlich einwilligte, uns zu helfen. Er ist unschuldig, nicht wahr, Jungs?« Die vier anderen nickten. »Na klar.« Mattie verzog das Gesicht. »Ich sehe euch klapprigen Alten direkt vor mir, wie ihr den armen Joe überwältigt. Und jetzt packt eure Siebensachen zusammen, ich fahre euch auf schnellstem Weg zurück ins Heim.« »Es ist doch erst neun«, beschwerte sich Ralph. »Uns bleibt noch eine Stunde Freiheit bis zur Bettruhe.« »Keine Widerrede. Ihr seid ohne Erlaubnis hier, da gibt’s keine Freiheit. Packt zusammen, und ab die Post!« Schmollend wie die kleinen Kinder räumten die alten Herrschaften auf und warfen Mattie gelegentlich finstere Blicke zu. Sie war der Spielverderber, und das gefiel ihr nicht im Geringsten. Aber sie durfte nicht nachgeben. »Ich hole den Wagen«, verkündete sie und wandte sich ab. »Mattie«, sagte Daniel behutsam.
»Was ist?« Sie sah ihn nicht an. »Vielleicht sollte lieber ich die Männer nach Hause bringen. Obwohl Sie in Ihrem dünnen T-Shirt umwerfend aussehen, besonders wenn das Laternenlicht hindurchscheint, würde ich Ihnen nicht raten, so unter Leute zu gehen. Vor allem nicht mit diesen Ausreißern im Schlepptau. Man könnte auf falsche Gedanken kommen.« Mattie wurde puterrot. »Ich möchte mich entschuldigen, wenn ich Sie in Verlegenheit gebracht habe, Joe«, meinte sie betreten. »Oh, das haben Sie wirklich«, bestätigte er mit rauer Stimme. »Ihnen ist natürlich bewusst, dass dies meine Haltung Ihnen gegenüber am Arbeitsplatz beeinflusst. Vielleicht müssen Sie mich feuern, weil ich demnächst tagträume, wenn ich Sie ansehe.« Mattie verschränkte die Arme vor der Brust und drehte sich zu Daniel um. Er zog sie auf und genoss es. »Sehr witzig. Wenn Sie damit fertig sind, sich auf meine Kosten zu amüsieren, können Sie Ihre Freunde meinetwegen selbst ins Heim kutschieren. Aber ich will Ihnen die Kosten für Getränke und Angelruten ersetzen. Meinen draufgängerischen Großvater und seine Kumpanen zu verpflegen gehört nicht zu Ihrem Job.« Er zog die Augenbrauen hoch. »Haben Sie als mein Arbeitgeber etwa das Recht, mir vorzuschreiben, wofür ich mein Gehalt ausgebe?« »Sie haben ja noch gar keins bekommen«, erinnerte sie ihn. »Stimmt genau. Was wollen Sie mir also sagen, Miss Roland?« erwiderte er keck. Wie Pops es ihm geraten hatte, war es wohl das Beste, wenn er Mattie seine gute, seine schlechte und alle Seiten dazwischen zeigte. Tatsache war, dass seine Hormone verrückt spielten. Er hatte eine miserable Woche gehabt, weil er seine eigenen Firmenregeln und auch Matties private Prinzipien haargenau eingehalten hatte. Sie nicht zu berühren oder zu küssen hatte all seine Willenskraft erfordert. Er begehrte Mattie. Er verzehrte sich nach ihr. Oft wälzte er sich die halbe Nacht schlaflos im Bett. Nun, da sie mit offenem Haar vor ihm stand, in diesem dünnen T-Shirt, durch das er die Konturen ihres rassigen Körpers schimmern sah, wurde seine Standhaftigkeit auf eine noch härtere Probe gestellt. Ihr erotisches Bild würde ihm vermutlich die ganze nächste Woche durch dem Kopf spuken – mindestens. »Was ich Ihnen sagen will, Mr. Gray«, zischte sie, »ist, dass Sie nicht im Mindesten für diese alten Gauner verantwortlich sind.« »Das sehe ich anders, denn die alten Herren sind meine Freunde geworden. Sie unterhalten mich. Sie lenken mich ab.« »Ablenken? Wovon denn, wenn ich fragen darf?« Daniel ging an ihr vorbei, um den Männern zu seinem Pick-up zu folgen. »Glauben Sie mir, das wollen Sie gar nicht wissen.« »Ach nein?« rief sie ihm nach. »Bestimmt nicht, Boss!« Er verschwand in der Dunkelheit. Verstimmt löschte Mattie das kleine Feuer und stapfte dann den Pfad zurück nach Hause. Sie hatte keine Ahnung, wovon Joe sich ablenken musste. Trauerte er einer verlorenen Liebe nach? Musste er eine
zerbrochene Ehe verdauen? Nur weil er sich als allein stehend bezeichnete, musste er nicht zwangsläufig die letzten Jahre ohne eine Beziehung verbracht haben. Je länger sie darüber nachdachte, umso mehr war sie davon überzeugt, dass Joe aus einer tragischen Situation geflohen war oder vor schmerzhaften Erinnerungen davonlief. Das würde auch erklären, warum er mit so wenig Gepäck nach Fox Hollow gekommen war. Tja, was sollte sie nun tun? Sollte sie sich dafür entschuldigen, dass sie durch ihre Frage unangenehme Erinnerungen wachgerufen hatte? Sollte sie so tun, als hätte ihr Gespräch niemals stattgefunden, ebenso wie der Beinahe-Kuss? Mattie schenkte sich ein Glas Wasser ein und verzog sich mürrisch wieder auf ihren Sessel. Das Fernsehprogramm konnte sie nicht von ihren verwirrenden Gedanken ablenken. Verdammt – da war das Wort schon wieder. Warum musste Joe sich ablenken? Sollte sie sich als Seelentröster anbieten? Sie hörte Joes Wagen die Auffahrt heraufkommen, doch er hielt nicht vor der Garage, sondern fuhr bis vor ihr Haus. Was war los? Waren die fünf Musketiere geschnappt worden? Hatte man sie aus dem Heim geworfen? Doch bald hörte sie an den Schritten, dass Joe allein war. Sie stellte ihr Glas ab und öffnete die Tür. »Haben Sie alle sicher ins Bett gebracht?« wollte sie wissen, während er ihre Verandatreppe hinaufstieg. »Darf ich reinkommen?« Er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern schob sie sanft zur Seite, zwängte sich an ihr vorbei und schloss die Tür. Groß und ungewohnt ernst stand er neben ihr. Mattie trat unweigerlich einen Schritt zurück und verschränkte schützend die Arme vor der Brust, da sie noch immer das dünne T-Shirt trug. »Erstens, ich mag Ihren Großvater und seine Freunde. Sehr sogar«, erklärte Daniel. »Ich bin selbst bei meinem Großvater aufgewachsen, und ich vermisse ihn. Er ist noch rüstig und unternimmt jetzt im Ruhestand viele Reisen, weshalb ich ihn nicht mehr so oft sehe wie früher. Wenn ich also einen Ersatz-Großvater gefunden habe, oder sogar fünf, dann ist das allein meine Sache. Zweitens hatte ich die offizielle Erlaubnis, die ganze Bande heute Abend auszuführen. Natürlich wissen sie das nicht, weil ich ihnen den Spaß nicht verderben will, denn sie denken ja, dass sie dem Direktor und den Schwestern einen Streich spielen. Tatsächlich habe ich die Erlaubnis, sie jederzeit auf einen Ausflug mitzunehmen, sofern sie ihre Medikamente rechtzeitig einnehmen.« Mattie war sehr erleichtert zu hören, dass Joe die abendlichen Eskapaden sozusagen legalisiert hatte. Sie ärgerte sich, dass sie nicht selbst darauf gekommen war. »Tut mir Leid, wenn ich Sie vorhin so runtergeputzt habe«, murmelte sie betreten. »Das muss es nicht, denn ich bin noch nicht fertig«, fuhr er fort. Er kam einen Schritt näher und sah ihr tief in die Augen, so dass sie unsicher den Blick abwandte. »Ich habe beschlossen, Ihnen zu sagen,
warum ich so viel Ablenkung brauche.« »Wenn Sie nicht darüber reden wollen, verstehe ich das schon.« Sie räusperte sich. »Wirklich, Joe, wenn es etwas Privates ist und Sie es mir nicht anvertrauen wollen, ist das okay. Vielleicht sind Sie frisch geschieden oder haben eine Trennung hinter sich, und dann ist es sicher schwer, darüber zu reden. Aber glauben Sie mir, ich…« Zu ihrer Verblüffung lachte er. »Ist es das, was Sie gedacht haben? Tja, diesen Eindruck mag ich wohl erweckt haben. Die Wahrheit ist, dass ich vor meiner Arbeit davongelaufen bin, die mich ganz und gar frustrierte. Ich musste fort, weil ich nicht mehr wusste, wer ich eigentlich bin. Oder weil mir nicht gefiel, wer ich geworden war. Was auch immer – fortzugehen schien mir die einzige Lösung. Ich musste einfach raus aus allem.« Mehr wollte er lieber nicht sagen. Jedenfalls nicht heute. Das Schlimme an der ganzen Sache war, dass er allmählich verrückt wurde, weil er geschworen hatte, sie nicht anzurühren – aufgrund einer blödsinnigen Regel, die er selbst in einem Moment geistiger Umnachtung in seinem Büro aufgestellt hatte. Sobald er in die Firma zurückkehrte, würde er diese Vertragsklausel umgehend streichen. War es nicht einleuchtend, dass alle Personen, die bei Hobbydrome arbeiteten, gemeinsame Interessen hatten? Wer war er, Beziehungen zu verbieten, die möglicherweise zu einer guten, lang andauernden Partnerschaft zwischen Arbeitskollegen führten? Wenn natürlich eine Beziehung die Produktion oder den Verkauf oder sonst irgendetwas Geschäftliches negativ beeinträchtigte, dann war das etwas anderes und musste unterbunden werden. Jedenfalls wollte er Mattie die Wahl lassen – das hatte er auf der Rückfahrt von Paradise Valley beschlossen. Daniel seufzte und sah, dass Mattie ihn erwartungsvoll anblickte. Oh, sie sah so verdammt sexy aus in ihrem alten T-Shirt, mit dem offenen schwarzen Haar, mit ihren ausdrucksvollen blauvioletten Augen. »Du bist der Grund, warum ich mich ständig ablenken muss«, platzte er heraus. Mattie riss die Augen auf. Sie öffnete den Mund, bekam aber kein Wort heraus, sondern starrte Daniel nur an. »Ich?« fragte sie dann verschüchtert. »Was habe ich denn getan?« »Nichts. Dass es dich gibt, ist schon genug«, flüsterte er. Hatte sie wirklich nicht gemerkt, wie sehr er sich von ihr angezogen fühlte? Sie sah ihn fragend an, als wisse sie tatsächlich nicht, ob er sich über sie lustig machen wollte oder nicht. »Himmel noch mal, ich meine es ernst«, beantwortete er ihre unausgesprochene Frage. »Willst du, dass ich vor oder nach diesem Kuss kündige? Denn ich werde dich jetzt küssen, es sei denn, die Vorstellung stößt dich ganz und gar ab. Wenn dem so ist, dann sag es jetzt, Mattie.« Sie lächelte nur. Dann schlang sie die Arme um seinen Nacken und hob ihm ihr Gesicht entgegen. Er umfasste mit starken Händen ihre Taille und zog Mattie zu sich. »Bei drei«, flüsterte er und sah in ihre blitzenden Augen. »Eins, zwei, drei…« Als sie bei der ersten zarten Berührung sofort die Lippen öffnete, flammte wildes Begehren in ihm auf. Sein Herz begann zu rasen, als er
sie stöhnen hörte, und er vertiefte den Kuss. Seine Hände glitten tiefer, streichelten ihre Hüften, ihren Po. Dann wagte er sich zu ihren Brüsten, spielte durch das T-Shirt hindurch mit den harten Knospen. Mattie presste sich noch fester an ihn und ließ seine Erregung dadurch noch mehr ansteigen. »Oh, Mattie«, stöhnte Daniel heiser. Er öffnete die Augen und sah auf ihre vom Küssen geschwollenen Lippen. Seine Lust war nicht im Mindesten besänftigt. Wieder presste er seine Lippen auf ihre und küsste sie, bis sie alles um sich herum vergaßen. Matties Körper prickelte vor bisher ungekannter Erregung. Sie hatte gewusst, dass sie sich zu Joe hingezogen fühlte. Aber sie hatte nicht erwartet, dermaßen außer Kontrolle zu geraten, sobald seine Lippen ihren Mund und seine Hände ihren Körper berührten. Selbst jetzt noch, als er den Kopf hob und tief Luft holte, erschauerte sie. So etwas hatte sie noch nie erlebt, und ganz bestimmt nicht damals, als sie sich im College zum einzigen Mal von ihrer sexuellen Neugier hatte hinreißen lassen. Nach dem Erlebnis hatte sie sofort gemerkt, dass es ein Fehler gewesen war. Sie war sich dumm und unerfahren vorgekommen und hatte danach keine Beziehung über harmlose Verabredungen hinausgehen lassen. Erst jetzt bekam sie einen Vorgeschmack darauf, was wahres Verlangen bedeutete. Wahres Verlangen war unkontrollierbar, aufwühlend und versetzte sie in einen köstlichen Zustand absoluter Lebendigkeit. Mattie hatte sich immer als einen beherrschten und besonnenen Menschen betrachtet. Aber wenn Joe sie küsste und streichelte, fühlte sie sich herrlich unbeherrscht und zu allem fähig. Diese faszinierende Erkenntnis machte sie mutig. Sie schloss die Augen, schmiegte sich eng an ihn und genoss das Gefühl, solche Erregung in ihm auszulösen. »Sehr beeindruckende Küsse, Mr. Gray«, sagte sie neckend. »Was meinen Sie, sind aller guten Dinge wirklich drei? Wollen wir meine Regeln und die des großen Bosses außer Acht lassen und sehen, wohin uns das führt?« Er lächelte. Seine Hände glitten von ihren Brüsten über ihren flachen Bauch und umfassten besitzergreifend ihre Hüften. Zufrieden stellte er fest, dass Mattie vor Entzücken erbebte. »Bei den zwei Küssen eben habe ich fast einen Herzinfarkt bekommen. Ich bin nicht sicher, ob ich einen dritten überleben werde. Aber wenn, dann kann ich fast garantieren, dass es nicht beim Küssen und Streicheln bleiben wird. Du machst mich scharf, falls du das noch nicht gemerkt haben solltest. Bist du bereit, noch mehr zu riskieren?« Ihr kühnes Lächeln verflog, als Vernunft die atemberaubenden Empfindungen verdrängte. Sie bewunderte und schätzte Joe dafür, dass er ihr die Wahl ließ und sie nicht einfach verführte. Denn zweifelsohne hätte er als attraktiver Mann mit offensichtlich viel Erfahrung die Macht dazu. Sie dagegen war auf diesem Gebiet praktisch ein Neuling. Langsam löste sie sich von ihm. Ihre Hände glitten über seine Schultern, und sie umkreiste mit den Fingerspitzen seine Hemdknöpfe. »Du hast vermutlich Recht. Wir kennen uns erst seit zehn Tagen. Und
obwohl wir viel Zeit miteinander verbracht haben, ist es noch ein bisschen zu früh. Ich bin kein Freund von kurzen Affären und habe ohnehin kaum Zeit für Beziehungen wegen meiner Arbeit und wegen Pops.« Aus genau diesem Grund hatte Daniel innegehalten, obwohl sein Körper ihn zum Weitermachen drängte. Er kannte Mattie gut genug um zu wissen, dass sie keine Frau für eine Nacht war. Kurzum, sie war das genaue Gegenteil von den Frauen, mit denen er sich bisher abgegeben hatte. Daniel hatte viel zu viel Respekt vor Mattie und mochte sie zu gern, als dass er ihre gemeinsame Arbeit und ihre Freundschaft aufs Spiel setzen wollte, nur um seine sexuellen Gelüste zu befriedigen. Er strich ihr über die weichen Lippen, das Kinn, die geröteten Wangen. »Du bist etwas ganz Besonderes, Mattie«, flüsterte er. Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Ich weiß, das ist eine höfliche Umschreibung für: Du bist das jungenhafte Mädel von nebenan, das sich mehr für Werkzeuge interessiert als schicke Kleider.« Es gefiel ihm nicht, wie sie sich selbst so abwertete, vor allem weil er ihre besonderen Fähigkeiten und ihr künstlerisches Talent so sehr schätzte. Er schüttelte energisch den Kopf. »Da liegst du falsch, mein Schatz. Du besitzt eine erstaunliche Kreativität. Du magst ein Faible für Bohrmaschinen und Stichsägen haben, aber das, was du erschaffst, und die Liebe und Intensität, die du in deine Arbeit steckst, machen dich zu etwas Besonderem. Du bist fürsorglich und großzügig, und deine Nachbarn und Kunden kommen zu dir und bitten um Ideen, Rat und Hilfe. Glanz und Glamour sind kurzlebig. Deine Schönheit kommt von innen und erwärmt einem das Herz.« Mattie war höchst überrascht, dass er sie als etwas Besonderes betrachtete, während sie sich selbst als unscheinbar einschätzte und niemals Anstrengungen unternommen hatte, ihre körperlichen Attribute herauszustellen. Noch mehr beeindruckte sie allerdings, dass es Joe ganz egal war, dass sie sich nicht herausputzte, um anderen zu gefallen. Er schien sie um ihrer selbst willen zu respektieren. Dafür hätte sie ihn am liebsten umarmen mögen, doch angesichts der überwältigenden körperlichen Reaktion, die sie beide soeben erlebt hatten, fürchtete sie, dass sie dann womöglich nackt auf dem Fußboden endeten. »Da ist noch etwas, das du wissen solltest, Mattie«, fuhr er fort und zog sie wieder an sich. »Ich mag den Menschen, der ich in deiner Gegenwart bin. Ich musste aus meinem vorherigen Leben fliehen, weil ich nicht wusste, ob ich um meiner selbst willen gemocht wurde. Du hast mir geholfen, mein Selbst zu finden, das ich unterwegs irgendwo verloren hatte. Ich genieße es, ein Teil deines Lebens zu sein. Wenn du dich irgendwie von mir gedrängt fühlst, dann sag es, und ich werde mich zurückhalten. Ich überlasse es ganz und gar dir, das Tempo zu bestimmen, in dem sich unsere Beziehung entwickelt.« Mit großer Willensanstrengung löste er sich wieder von ihr. Er blickte über ihre Schulter und bemerkte mehrere große Gemälde, die von Regalen, einer Blumensäule, einer niedrigen Bank und einem Stehpult im Shaker-Stil umrahmt und akzentuiert wurden. Ihre Einrichtung genauer zu studieren war jetzt genau die Ablenkung, die er brauchte, ehe er doch
noch alle guten Vorsätze über Bord warf und Mattie hier und jetzt verführte. »Weißt du eigentlich, wie talentiert du bist?« sagte er und näherte sich den Gemälden. »Du legst so viel Leben in deine Bilder, dass sie einen gar nicht wieder loslassen.« Er ging zum nächsten Bild, das die alte Holzbrücke darstellte, die er auf seinem Ausflug mit der Roland-Gang gesehen hatte. Matties Gemälde brachte ihn direkt vor Ort und vermittelte ihm ein Gefühl von Ruhe und Frieden. Beim nächsten Bild merkte er, dass wohl alle ihrer Landschaftsbilder solche Orte der Ruhe darstellten, in die ein Mensch sich zurückzog, um inneren Frieden zu erlangen. Durch die Erinnerungsstücke und das Sammelsurium an persönlichen Dingen auf den Regalen wurde die Wand selbst zu einem Ort des Friedens. »Joe, möchtest du vielleicht einen Kakao trinken? Ich nehme an, du willst jetzt alle meine Werke sehen, wenn du schon vom Wohnzimmer so fasziniert bist.« Mattie war ausgesprochen stolz und glücklich, dass Joe ihre Bilder bewunderte. »Ja, ein Kakao wäre toll, danke«, erwiderte er, ohne sie anzusehen, so gebannt war er von einem Seestück, das über bootsförmigen Regalen mit handbemalten Figuren hing. »Wann findest du nur Zeit für so was?« »Es ist schon einige Monate her, seit ich an so zeitaufwendigen Bildern wie diesem arbeiten konnte. Das Geschäft nimmt den ganzen Tag in Anspruch, und die Sonderaufträge füllen meine Abende aus. Pops bekommt den Rest meiner Freizeit. Ich denke immer, die privaten Aufträge werden irgendwann weniger, aber im Moment läuft die Mundpropaganda noch auf vollen Touren.« Während Mattie in der Küche den Kakao zubereitete, ging Daniel fasziniert von einer Wand zur nächsten. Matties Zuhause war geradezu eine Schatzkiste von Kunst und Handwerk, das ihm eine ganz persönliche Atmosphäre verlieh. Und das Gemälde über ihrem Bett übertraf alles. Kinder mit lachenden Gesichtern spielten im Schatten einer ausladenden Eiche. Im Hintergrund war ein altes Schindelhaus mit Scheune und Schuppen zu sehen. Ein junges Pärchen, das auf der Veranda auf einer Hollywoodschaukel saß, beobachtete voller Zufriedenheit die Kinder auf dem Rasen. Daniel stand vollkommen reglos da und spürte, wie er in den Kreis dieser liebenden, fest zusammengehörenden Familie hineingezogen wurde, die er selbst nie gehabt hatte – und wahrscheinlich niemals haben würde, wenn er seinen bisherigen Lebensstil beibehielt. Er hatte das Gefühl, in den Traum der Künstlerin von einem einfachen Leben innerhalb einer liebevollen Familie hineinzufallen. Auf einmal wollte er dort sein, auf der Schaukel sitzen, seine Kinder beobachten, sich an seine Ehefrau schmiegen. Er wollte all das Aufrichtigkeit, wahre Freundschaft und die Möglichkeit, mit seinen Händen etwas zu erschaffen, so wie Mattie es tat. Und Liebe. Die wollte er am allermeisten. Einen Platz haben, wo er hingehörte, gebraucht werden, anderen etwas bedeuten. Etwas bewirken… Er erkannte, wie leer und nur aufs Materielle ausgerichtet sein Leben geworden war. Mattie hingegen führte ein erfülltes Leben und widmete
sich liebevoll ihren Kunden, ihren Freunden und ihrem Großvater. Dennoch spürte er, dass dieses Bild darstellte, was ihr noch zum ganz großen Glück fehlte. Dieses Bild stellte ihren fernen Traum dar. »Joe, der Kakao ist fertig.« Er drehte sich um, sah Mattie lächeln und merkte, dass er es nicht länger ertragen konnte, mit ihr allein zu sein. Er musste seine wirren Gefühle unter Kontrolle bringen. Wenn er jetzt nicht ging, würden diese Gefühle ihn überwältigen, und Verzweiflung würde ihn übermannen. Aus dieser Verletzbarkeit heraus könnte er etwas Dummes anstellen, um sich wieder stark vorzukommen – etwa, Mattie zu verführen. Aber das durfte er auf gar keinen Fall, nachdem er ihr versprochen hatte, sich ganz nach ihr zu richten. »Ich muss gehen«, erklärte er abrupt und eilte an ihr vorbei, ohne sie anzusehen. »Joe! Was ist los?« rief sie ihm nach, während er zur Tür hastete. »Geht es dir gut?« »Nein, ganz und gar nicht.« Es ging alles zu schnell, die Gefühle, die Gedanken… alles machte ihm eine Heidenangst. Er musste sich hinsetzen und nachdenken. Er würde in sein kleines Apartment gehen, sich vor das riesige Landschaftsgemälde setzen und es anstarren, bis es ihm wieder besser ging. »Joe?« Mattie ließ die Schultern hängen, als die Haustür hinter ihm ins Schloss fiel. Was war denn auf einmal mit ihm los? Nachdenklich ging sie zu der Stelle, an der er zuletzt gestanden hatte, und blickte auf ihr Gemälde mit dem alten Schindelhaus und der Familie. Hatte das ihn so aufgewühlt? »Warum, um alles in der…?« murmelte sie und erinnerte sich dann an den Beweggrund für dieses Bild. Sie hatte es gemalt, nachdem sie endgültig den Traum aufgegeben hatte, einen Mann zu finden, der sowohl ihre Sehnsucht nach einer liebenden Familie als auch ihre Vorliebe fürs Kunsthandwerk teilte. Hatte dieses Gemälde Joe daran erinnert, was auch er nicht besaß? Mattie konnte diese Frage nicht beantworten, weil er ihr nur Bruchstücke seiner Vergangenheit anvertraut hatte. Irgendetwas machte ihm zu schaffen, etwas, das er ihr nicht erzählt hatte. Gib’s auf, Mattie, du bist kein Sigmund Freud, sagte sie sich. Sie ging ins Wohnzimmer und trank beide Tassen heißen Kakao. Dies war ihr Leben, und es hatte ihr gut gefallen, bevor Joe aufgetaucht war. Sie sollte dankbar sein für das, was sie hatte, und nicht dem nachtrauern, was sie nicht hatte. Also stellte sie den Fernseher an und machte es sich in ihrem Sessel bequem. Es war reine Zeitverschwendung, sich über Joes Probleme den Kopf zu zerbrechen, wenn sie nicht einmal sagen konnte, was dieses kribbelige, unruhige Gefühl in ihr hervorrief. Halt, so ganz stimmte das nicht, denn tief in ihrem Innern wusste sie, dass sie anfing, tiefere Gefühle für Joe zu entwickeln, ob das nun eine gute Idee war oder nicht. Nach dem, was er ihr heute Abend erzählt hatte, würde er vermutlich nur vorübergehend in Fox Hollow bleiben. Wenn sie es zuließ, dass sie sich in ihn verliebte,
würde er ihr unweigerlich das Herz brechen. »Geh mal ein Risiko ein, Knusperkeks. Verpasste Gelegenheiten wirst du ewig bereuen.« Mattie stand auf, schaltete den Fernseher ab, dann das Licht und ging zu Bett. Pops draufgängerischen Devisen waren das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte. Nein, was sie unbedingt brauchte, war ein Mütze voll Schlaf.
5. KAPITEL Daniel saß in seinem Sessel und starrte auf das riesige Wandgemälde. Ein Gefühl des Friedens stellte sich ein – solange er sich auf die hohen Kiefern, den kristallklaren See und die im Hintergrund aufragenden Berge konzentrierte. Er wusste immer noch nicht genau, warum ihn das Gemälde über Matties Bett so aufgewühlt hatte. Bis jetzt hatte er sich über seine Zukunft noch nie den Kopf zerbrochen und auch seine Vergangenheit nie beklagt – er hatte einfach nur gearbeitet, um die Firma aufzubauen, die mittlerweile viele Millionen Umsatz machte. Das Gemälde jedoch stellte eine Familie dar, wie er sie als Kind nie gekannt hatte und sie auch vielleicht nie kennen lernen würde. Er hatte sich nie die Frage gestellt, ob er mit seinem Leben zufrieden war – bis er es plötzlich nicht mehr ertragen konnte. »Du meine Güte, hör dich nur an«, schimpfte er mit sich selbst. »Wie viele Menschen auf diesem Planeten würden wohl liebend gern mit dir tauschen?« Unvermittelt rappelte er sich auf, um sein Handy hervorzukramen, dann wählte er die Nummer seines Großvaters. Nach dreimaligem Klingeln wurde abgehoben. »Hallo?« »Hallo, Gramps, ich bin es.« »D.J. wo zum Teufel steckst du?« Der alte Herr nannte seinen Enkel immer D.J. »Ich habe schon mehrere Male versucht, dich über dein Handy zu erreichen, aber da meldet sich immer nur deine Mailbox. Deine Manager haben die ganze Woche über angerufen und Nachrichten hinterlassen, damit du ihnen sagst, was sie tun sollen.« »Genau das ist der Grund, warum ich die Stadt verlassen habe«, erwiderte Daniel. »Die ganze Bande soll sich endlich mal ihr Geld verdienen und aufhören, jede Entscheidung mir zu überlassen.« Offensichtlich hörte J.D. den bitteren Unterton in Daniels Stimme heraus, denn er lachte leise. »Ich hab dir ja schon immer gesagt, dass du diese Burschen zu sehr verwöhnst. Allerdings sieht es dir gar nicht ähnlich, einfach so zu verschwinden. Wo, zum Teufel, steckst du?« »Erst musst du mir versprechen, es niemandem zu verraten«, verlangte Daniel. »Ich? Ach, bewahre! Ich werde diesen Pappnasen kein Sterbenswörtchen verraten, wenn du es nicht willst.« »Ich bin in Fox Hollow und arbeite inkognito als Angestellter in der hiesigen Hobbydrome-Filiale.«
»Und wieso, um alles in der Welt?« Wie sollte Daniel das nur erklären, ohne sich wie sein verantwortungsloser, egoistischer Vater anzuhören. Seinem Großvater gegenüber war das ein heikles Thema. »Weil ich wieder entdecken wollte, warum du und ich überhaupt angefangen haben, in unserer Garage kleine Kunstwerke zu entwerfen und zu bauen«, sagte er schließlich. Am anderen Ende der Leitung herrschte Totenstille. »Gramps?« fragte Daniel nach. »Nun sag mir bloß nicht, du wirst wie dein selbstsüchtiger Vater oder deine flatterhafte Mutter«, entgegnete J.D. skeptisch. »Nein, ich bin nicht wie mein Vater. Ich musste einfach nur mal wegkommen, um die Begeisterung wieder zu entdecken, die dieses Gewerbe in mir weckte, wenn nur wir zwei den anderen Firmen unsere Arbeiten anpriesen.« »Du hast also den Blick auf den Ursprung verloren«, formulierte J.D. es um. »Ja, und ich brauche noch weitere drei Wochen aktiver Entspannung. Mattie hat unheimlich viele Aufträge laufen, für die sie meine Hilfe benötigt.« »In welchem Verhältnis stehst du zu dieser Mattie?« Daniel verzog den Mund. Sein Großvater hatte das Problem wieder einmal instinktiv auf den Punkt gebracht. »Sie ist Geschäftsführerin der hiesigen Hobbydrome-Filiale und liebt das Kunsthandwerk ebenso sehr wie einst wir«, antwortete er ausweichend. »Sie ist außerdem eine sehr talentierte Künstlerin. Ich sitze hier vor ihrem zweieinhalb mal zweieinhalb Meter großen Gemälde der Rocky Mountains und habe das Gefühl, direkt auf einem der zerklüfteten Gipfel zu hocken.« J.D. lachte wieder. »Das beantwortet aber nicht meine Frage, Junge. Ist sie eine dieser Glitzertussis, mit denen ich dich hin und wieder in der Stadt gesehen habe?« »Ganz im Gegenteil.« »Ist sie wohlhabend?« Zum ersten Mal seit einer Stunde musste Daniel schmunzeln. »Enorm. Sie besitzt Dutzende guter Freunde, und sie macht sich nichts aus öffentlicher Anerkennung für ihre Gemälde. Sie will einzig und allein ihren Freunden und Bekannten die schönen Künste ins Haus bringen.« »Hm«, meinte J.D. »Und weiß sie, wer du bist?« Daniel wand sich auf seinem Sessel. »Nein, sie kennt mich als Joe Gray, ihren begeisterten neuen Mitarbeiter, der genau in dem Moment in ihrem Laden aufkreuzte, da sie von der Firmenleitung ein Fax bekommen hatte, das sie zur Einstellung eines Mitarbeiters aufforderte.« J.D. lachte. »Ganz schön clever, D.J.« »Vor einer Woche schien es genau das Richtige zu sein«, murmelte Daniel. »Und jetzt?« »Jetzt, fürchte ich, wird es wohl ziemlich kompliziert.« »Oha…« »Genau.« »Tja, das ist ja eine schöne Geschichte. Wurde auch langsam Zeit,
wenn du mich fragst. Die Luxusgeschöpfe an deinem Arm haben mir ja nie besonders gefallen. Aber diese Mattie scheint mal eine handfeste Frau zu sein.« Daniel erzählte von Matties aufopfernder Arbeit für das Geschäft, ihren Feierabend-Auf trägen, ihrem Großvater und der Roland-Gang im Pflegeheim. Als er von Pops Eskapaden berichtete, musste J.D. herzlich lachen. »Das hört sich so an, als könnte es mir in Fox Hollow auch ganz gut gefallen«, bemerkte er. »Diese Mattie und ihren Großvater würde ich gern kennen lernen.« »Das dachte ich mir, aber es würde die Situation noch schwieriger machen, als sie jetzt schon ist.« Nach einer Pause sagte J.D.: »Bist du glücklich, Junge? Geht es dir da unten wirklich gut?« »Oh ja, Gramps. Seit deinem Rückzug aus der Firma bin ich nicht mehr so glücklich gewesen wie hier.« »Dann genieß es«, meinte J.D. »Ich werde mich hier um die Anrufe kümmern und deinen Managern sagen, sie sollen den Laden allein schmeißen, weil du erst Ende des Monats wieder zurückkommst.« »Danke, Gramps. Gehst du bald wieder auf Reisen?« »Nein, der letzte Trip an die Ostküste war doch ein bisschen anstrengend. Ich werde mich erst einmal nicht weiter als eine Stunde Fahrt von meinem Haus fortbewegen. Lass es dir gut gehen, D.J.« Nach dem Gespräch fühlte Daniel sich erheblich besser. Der alte Mann war der einzige Kontakt zu seinem »normalen« Leben, den er brauchte. Und dass sein Großvater seine Entscheidung nicht verurteilte, sondern ihm auch noch Glück wünschte, erleichterte ihn sehr. Daniel zog sich aus und ging ins Bett. Obwohl er lieber in Matties Bett liegen würde, schwor er sich erneut, sie nicht zu drängen. Sie sollte entscheiden, ob und wann sie bereit dazu war. Auch wenn ihm das Warten noch so schwer fiel. Mattie sah aus dem Küchenfenster und erblickte Joe, der am Sonntagmorgen fleißig vor ihrer Werkstatt arbeitete. Um sie nicht mit der Nagelpistole oder Säge aus dem Schlaf zu reißen, hatte er sich daran gemacht, die Regale, Garderobenständer und Truhen zu streichen, und sie freute sich über seine Rücksichtnahme. Nach einem Glas Orangensaft und einer Scheibe Toast schlüpfte Mattie in ihre Arbeitsklamotten und machte sich auf den Weg, Joe zu helfen. »Morgen«, murmelte sie und studierte sein markantes Profil. »Hallo, Mattie. Ich dachte mir, ich fange früh an, damit wir die Sachen Mitte der Woche ins Heim…« Mattie ging zu ihm, legte ihm die Arme um den Nacken und küsste Daniel kurz auf den Mund. Daniel sah sie erstaunt an. »Womit habe ich denn das verdient?« »Weil du mir mit den Aufträgen hilfst, weil du da bist und weil ich einfach Lust hatte, dich zu küssen.« Daniel zog sie in seine Arme und revanchierte sich mit einem intensiveren Kuss. Wie schon in der Nacht zuvor spürte sie wilde Begierde
in sich aufwallen. Trotz seiner plötzlichen Flucht aus ihrem Haus schien Joe wieder ganz der Alte zu sein. Mattie war erleichtert. Sie hatte sich sehr an ihn gewöhnt und wollte ihn weiter in ihrer Nähe haben. Das war auch der Grund, weshalb sie ihn geküsst hatte. Es war der erste Schritt, ihm zu verstehen zu geben, dass sie entschieden hatte, sich auf mehr mit ihm einzulassen, auch wenn der große Boss in Oklahoma gegen solche Verhältnisse war. Mattie hatte sich die ganze Nacht lang im Bett gewälzt und über Pops Lebensmaxime nachgedacht. Daniel gab sie frei und blickte sie voller Leidenschaft an. »Das ist aber mal ein interessanter Start in den Tag, Boss. Versuchst du etwa, mir etwas mitzuteilen?« Mattie nickte. Ihr schiefer Pferdeschwanz glänzte in der Sonne. »Ich pfeife auf den Oberhäuptling und seine albernen Regeln«, verkündete sie. »Dann ist Küssen also erlaubt?« »Solange es unsere Arbeit nicht beeinträchtigt.« »Klingt vernünftig.« Daniel blickte kurz zu Boden. »Was gestern Nacht betrifft und meinen plötzlichen Rückzug…« Sie hob die Hand, um ihn zu unterbrechen. »Ist schon gut. Du brauchst nichts zu erklären, weil wir heute einfach neu beginnen. Abgemacht?« Daniel fuhr mit dem Daumen über ihre samtweichen Lippen. »Abgemacht.« Dann küsste er sie sanft. »Ich bin völlig deiner Meinung, was die dummen Regeln des Oberhäuptlings angeht. Wer ist er schon, dass er seine Nase in die Beziehungen anderer Leute stecken darf?« Mattie trat einen Schritt zurück, bevor sie noch die Lust am Schreinern der Tische, Bänke und Bilderrahmen für Paradise Valley verlor. »Wir sollten jetzt besser arbeiten«, erklärte sie mit belegter Stimme. »Du hast Recht.« Er deutete auf die Werkstatt. »Ich schlage vor, du misst und sägst die Holzteile zurecht, ehe ich vergesse, warum wir hier sind. Du scheinst nicht zu bemerken, wie sehr du mich von der Arbeit ablenkst, Boss.« »Gestern Nacht hast du noch gesagt, ich wäre das Problem, von dem du Ablenkung brauchtest«, erinnerte sie ihn verschmitzt. Oh, wie gut war es, so unbeschwert mit einem Mann zusammen zu sein! Joe tat ihrem weiblichen Ego immens gut. »Du bist die Ursache und das Heilmittel in einem, Mattie.« Er klopfte ihr spielerisch auf den Po. »Und jetzt an die Arbeit, Weib.« Sie zog die Augenbrauen hoch. »Du bist im Grunde ein Kommando-Typ, stimmt’s?« »Gelegentlich«, antwortete er ausweichend und wechselte schnell das Thema. »Ich lade dich nachher zum Mittagessen ein, wenn du mir hilfst, die Sachen fertig zu stellen.« Mattie lächelte. Den nächsten Schritt zu tun erschien ihr einfach und natürlich. Nun gab es einen Mann in ihrem Leben – einen Mann, der ihre Vorlieben und Abneigungen teilte, der ihr die Zuneigung zu Pops nicht übel nahm, ein Mann, von dem sie sich als Frau begehrt fühlte. Mit diesen Gedanken und Gefühlen ging ihr die Arbeit leicht von der Hand. Sie arbeiteten den ganzen Morgen präzise und effektiv zusammen. Er reichte ihr Werkzeuge, ohne dass sie darum bitten musste, und umgekehrt. Zur Mittagszeit hatten sie vier Regal-Sets zusammengebaut
und das Holz für eine Zierbank, einen Beistelltisch, eine rustikale Hutablage und eine Blumensäule zurechtgeschnitten. Zufrieden mit ihrer Leistung, stieg Mattie in Daniels Pick-up. Ihr knurrte der Magen, und sie freute sich aufs Essen. Ihre gute Laune hielt an, bis ihnen in der Nähe des Cafes vier Cowboys den Weg verstellten, die ganz so aussahen, als müssten sie dringend ihren Kater auskurieren. »Na, sieh mal einer an! Der Wildfang und das Weichei«, sagte Buck Reynolds und schürzte verächtlich die Lippen. »He, Schwulibert, dekorierst du immer noch im Hobbydrome die Blümchen?« stichelte Harlan Baker. Mattie hatte wenig Verständnis für ihre ehemaligen Schulkollegen, die sie ständig hänselten, weil sie im Werkunterricht immer besser gewesen war. Es machte sie wütend, dass Männer, die mit ihrem Leben nichts Sinnvolles anstellten, sich bemüßigt fühlten, durch solche Frotzeleien ihr Ego aufzupolieren. Joe hatte ihnen absolut nichts getan. »Verzieht euch, ihr Saufnasen«, befahl sie streng. »Ich weiß, dass ihr schlecht gelaunt seid, weil eure Stammkneipe sonntags nicht geöffnet hat, aber lasst euren Frust bitte nicht an uns aus.« »Oh, Mattie, immer noch die gleiche scharfe Zunge wie früher«, erwiderte Leo Sampson und warf einen herablassenden Blick auf Daniel. »Etwas Besseres als diesen Waschlappen konntest du wohl nicht auftreiben, was?« Das reichte! Mattie konnte es nicht zulassen, dass diese Verlierer Joe beleidigten. »Joe hat mehr Mumm in den Knochen als ihr vier zusammen. Und nur, dass ihr’s wisst: Wir haben eine heiße, befriedigende Affäre. Wenn einer von euch solch beeindruckende Fähigkeiten auf diesem Gebiet besitzen würde, müsstet ihr nicht jede Nacht im Watering Hole herumhängen und Märchen über euer nicht vorhandenes Liebesleben erzählen!« Daniel hätte sich beinahe verschluckt, als Mattie zu seiner Verteidigung behauptete, sie schliefen miteinander. Die Tatsache, dass sie ihren eigenen Ruf aufs Spiel setzte, um seinen zu retten, berührte ihn tief. Noch nie war jemand so für ihn in die Bresche gesprungen. Einen Moment lang war er zu verblüfft, um etwas zu sagen. Die vier Cowboys hatten dieses Problem allerdings nicht, da sie nicht ihr Gehirn bemühten, ehe sie den Mund aufmachten. »Du fährst auf so eine Tunte ab?« Harlan grinste unverschämt. »Joe ist keine Tunte«, fuhr Mattie ihn an. »Und jetzt macht Platz da. Ihr könnt an einer anderen Straßenecke herumlungern.« Als Buck seine Hand ausstreckte, um Mattie am Arm zu fassen, reagierte Daniel rein instinktiv. Er versetzte Bucks Handgelenk einen Handkantenschlag, was die drei anderen Cowboys zum Angriff anstachelte. Doch zwei schnelle Ellbogentreffer in Harlans Magengrube ließen den Mann auf die Knie sinken und nach Luft schnappen. Dann schlug Daniel mit dem Unterarm auf Leos Nase, woraufhin der zurücktaumelte. Und der Letzte lief bedauerlicherweise in Joes Knie, so dass er sich krümmte und vor Schmerzen aufheulte. Du meine Güte, es war Sonntag, und Daniel prügelte sich auf offener Straße mit diesen Rüpeln, deren Meinung ihn nicht im Mindesten
interessierte! Allerdings musste er zugeben, dass es ihn mit gewissem Stolz erfüllte, als Mattie ihn bewundernd anstarrte wie einen Actionhelden. »Wow«, sagte sie. »Das war beeindruckend.« »Das kommt vom Football auf der High School«, entgegnete er. »Da lernt man so etwas.« Er nahm ihren Arm, um sie ins Cafe zu führen, und sagte zu den Cowboys, die sich schwankend aufrichteten: »Wenn Sie uns jetzt entschuldigen wollen – ich habe Mattie zum Essen eingeladen. Es war nett, Sie kennen zu lernen. Vielleicht können wir irgendwann ein Bier zusammen trinken.« »Warum hast du das gesagt, wo du doch genau weißt, dass die vier dir überhaupt nicht liegen?« wollte Mattie wissen, als sie ins Cafe gingen. »Warum hast du diesen Hornochsen gesagt, wir hätten eine heiße Affäre?« fragte er zurück. »Wunschdenken, vielleicht?« Daniel blieb verblüfft stehen, während sie nun einen freien Tisch in der Ecke ansteuerte und Freunde und Bekannte grüßte. Als er sich schließlich zu ihr setzte, merkte er, dass ihm etliche neugierige Blicke folgten. Durch dieses öffentliche Mittagessen gab sie Anlass zu Spekulationen, dass sie mehr verband als nur die Arbeit. Daniel war nicht sicher, was er davon halten sollte, denn über diesen Aspekt hatte er vorher überhaupt nicht nachgedacht. Seine Hormone interessierten sich nicht unbedingt dafür, wie eine Affäre ihr Leben in dieser kleinen Stadt beeinträchtigen würde, in der sie aufgewachsen war und die sie vermutlich nicht verlassen wollte. Was hatte er einer Frau wie Mattie zu bieten? Ein paar Wochen guten Sex und Hilfe bei ihrer Arbeit? Diese Frage hatte Daniel bereits am vergangenen Abend gequält, während er das Bild über ihrem Bett angestarrt hatte. Er hatte sich gefragt, ob er der Mann auf dem Gemälde sein könnte. Ob er es überhaupt wollte. Und ob Mattie es wollte. Dabei wusste er die ganze Zeit, dass nach der ersten Lüge über seine Identität nicht die geringste Chance bestand, jemals eine Antwort auf diese Fragen zu erhalten. Das schlechte Gewissen nagte an ihm. Bevor er sich weiter mit ihr einließ, sollte er Mattie sagen, wer er wirklich war und warum er hergekommen war. »Mattie, da ist etwas, worüber wir reden müssen.« Sie griff über den Tisch und legte ihre Hand auf seine. Ihr Lächeln und der Ausdruck in ihren violetten Augen überwältigten ihn. »Nein, Joe«, flüsterte sie. »Ich habe heute Morgen beschlossen, was dich betrifft, alle Regeln außer Acht zu lassen. Lass uns die Dinge nehmen, wie sie kommen, einverstanden?« Er sah sie eine Weile nachdenklich an. Vielleicht hatte sie Recht. Vielleicht sollten sie die Möglichkeiten dieser Beziehung zunächst ausloten, ehe er mit seinem Geständnis alles kaputtmachte. Vielleicht war sie froh, wenn er in drei Wochen wieder abreiste – und er wäre froh zu gehen. Daniel bedachte auch, was sein Großvater am Telefon zu ihm gesagt hatte. »Lass es dir gut gehen. Sei glücklich.« Das war er, und dieses schöne Gefühl wollte er nicht gleich wieder verlieren.
Und so befolgte er den Ratschlag seines Großvaters. Er lehnte sich auf der Bank zurück, genoss Matties Gesellschaft, verlor sich im geheimnisvollen Glitzern ihrer Augen und ließ die Dinge einfach auf sich zukommen. Für die nächsten Wochen würde er Joe Gray bleiben und nicht weiter in die Zukunft blicken. Mattie betrachtete ihr Spiegelbild, bevor sie Eyeliner und Mascara auftrug, um ihre Augen zu betonen. Sie hatte sich die Mühe gemacht, Make-up aufzulegen und sich in das verführerischste Kleid zu werfen, das sie besaß. Es war nichts Besonderes, da sie ihre Kleidung unter dem Aspekt der Bequemlichkeit auswählte und ihre weiblichen Reize normalerweise nicht betonte. Aber heute Abend wollte sie Joe Gray ein Zeichen geben. Und weil sie keinerlei sexy Unterwäsche aus Spitze und Seide besaß, zog sie eben überhaupt keine an. Bei dem Gedanken daran musste sie lächeln. Nun stand sie also tatsächlich kurz davor, ihren Angestellten zu verführen, der bei ihr zur Untermiete wohnte! »Für alles gibt es ein erstes Mal«, bemerkte Mattie und besprühte sich dezent mit Parfüm. »Jetzt oder nie. Geh ran, Mädchen!« Mattie war zuversichtlich, dass sie keinen Korb bekommen würde. In den letzten Tagen hatte Joe ihr bei der Arbeit hin und wieder sehnsüchtige Blicke zugeworfen und ihr bei den Gutenachtküssen nach den Überstunden in der Werkstatt deutlich, wenn auch nicht aufdringlich, gezeigt, dass er sie begehrte. Er hatte ihr gesagt, sie solle ihn wissen lassen, ob und wann sie mehr als einen Kuss von ihm wollte. Ohne Unterwäsche in einem eng anliegenden Baumwollstrickkleid bei ihm aufzutauchen, so dachte sie, sollte deutlich genug sein. Als sie vor seiner Tür stand, wurde sie doch unsicher, aber sie holte tief Luft und klopfte. Daniel öffnete die Tür und machte große Augen. Als Mattie sah, wie sein Blick anerkennend über das lavendelfarbene Kleid glitt, hatte sie genug Selbstvertrauen, um an ihm vorbei in das Apartment zu schlüpfen. »Du meine Güte«, brachte Daniel mühsam hervor. »Was hast du mit mir vor? Das ist ja noch schlimmer als damals nachts am Fluss. Macht es dir Spaß, mich so zu quälen?« Er musterte sie noch einmal von oben bis unten. »Unter diesem Kleid hast du nichts weiter an, oder?« »Ich wollte Spitzenunterwäsche anziehen, aber ich habe keine«, gab Mattie kokett zurück. Im ersten Moment war Daniel sprachlos. Er trat zwei Schritte zurück, als wollte er sich nicht in ihrer direkten Nähe aufhalten. Das war nicht der Effekt, den sie sich erhofft hatte. Unsicher blickte sie auf ihre Sandaletten. »Was möchtest du, Mattie?« fragte er mit heiserer Stimme. Sie sah ihn nicht an. »Ich habe beschlossen, die heiße Affäre zu beginnen, mit der ich neulich geprahlt habe. Ich lüge nicht gern.« Daniel auch nicht. Er wusste, dass Mattie Ehrlichkeit schätzte, aber ihr jetzt die Wahrheit über sich zu erzählen schien absolut unpassend. Außerdem konnte er kaum einen klaren Gedanken fassen, wenn er sie
ansah. Sie hatte ihn noch nicht einmal berührt, und doch schmerzte sein Körper schon fast vor Erregung. Der Fernseher lief, aber Daniel hörte kaum etwas anderes als sein hämmerndes Herz. Er wollte, dass diese Nacht etwas Besonderes würde, vor allem, da Mattie sich extra für ihn so aufregend angezogen hatte. Das wäre zwar nicht nötig gewesen, da er sie auch so attraktiv und sexy fand, doch er wusste es zu schätzen. »Joe?« »Ja?« »Ich habe noch nie versucht, einen Mann zu verführen«, erklärte sie nervös. »Ich könnte ein wenig Hilfe gebrauchen – das heißt, wenn du dazu überhaupt Lust hast.« Was für eine Frage! Er hielt sich bewusst zurück, weil er fürchtete, sein wildes Verlangen könnte ihr Angst machen. »Du siehst einfach umwerfend aus«, erwiderte er und ballte die Hände an seinen Seiten zu Fäusten, um Mattie nicht einfach zu packen, sie sich über die Schulter zu werfen und mit ihr auf die Couch zu sinken. Sie seufzte laut. »Irgendwie läuft das nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe«, murmelte sie und senkte den Blick. »Was hattest du dir denn vorgestellt?« Auf keinen Fall wollte er die Fantasie zerstören, die Mattie zu ihm getrieben hatte. »Bitte erzähl es mir. Ich möchte es so gern wissen.« Sie sah durch ihre langen, dichten Wimpern zu ihm auf. Allein dieser Blick machte ihn schwach. »Ich hatte gehofft, du wärst vor Leidenschaft so überwältigt, dass du mich einfach küsst, und der Rest würde sich dann von allein ergeben.« Ein viel sagendes Lächeln glitt über seine Züge, während er langsam sein Hemd aufknöpfte und auf den Boden gleiten ließ. »Oh, Mattie, ich finde, das ist eine ganz wunderbare Vorstellung.« Als er die Arme nach ihr ausstreckte, schmiegte sie sich ohne Zögern an ihn. Seine Begierde, die ihn schon seit so langer Zeit quälte, ließ ihn alles andere vergessen, selbst seine Schuldgefühle, weil er Mattie nicht gesagt hatte, wer er wirklich war. In dem Moment, wo er sie küsste und sie seinen Kuss erwiderte, hörte er auf nachzudenken und nahm nur noch die lustvollen Gefühle wahr, die sie in ihm auslöste. Er ließ seine Hände über ihren Körper gleiten, als wollte er jeden Quadratzentimeter in seinem Gedächtnis einprägen. Ihr lustvolles Stöhnen spornte ihn an und die Art, wie sie sich instinktiv an seinen Körper presste, machte ihn rasend vor Verlangen. Dass Mattie so stark auf ihn wirkte, hatte er ja gewusst, aber er hatte gedacht, er besäße genug Selbstbeherrschung, um die Dinge langsam angehen zu lassen. Sie hatten die ganze Nacht vor sich, falls sie das wollten. Und trotzdem konnte er sich einfach nicht bremsen. Er wollte sie nackt in seinen Armen spüren und sich in ihr verlieren. Sofort. Mit einer Ungeduld, die ihn selbst abstieß, zog er ihr das Kleid über den Kopf und warf es auf sein Hemd. Mattie sah nackt noch schöner aus, als er es sich in seiner Fantasie ausgemalt hatte. Der Wildfang von Fox Hollow war eine durch und durch rassige Frau, und der Anblick ihrer seidig schimmernden Haut, die sich entblößt seinen hungrigen Blicken
und kühnen Liebkosungen darbot, ließen sein Herz rasen wie nach einem Hundertmeterlauf. »Du bist einfach umwerfend«, stieß er hervor. »Wirklich?« flüsterte sie. »Ich kann es gar nicht oft genug betonen.« Daniel hob sie hoch und trug sie zur abgewetzten Couch. Er entledigte sich seiner Stiefel und Jeans und streckte sich neben ihr aus. Immer wieder ermahnte er sich, bedächtig vorzugehen, doch es half nichts. Er küsste sie überall, liebkoste sie mit der Zunge, saugte an den Spitzen ihrer Brüste und entlockte ihr so die süßesten Laute. Er streichelte ihre Schenkel und glitt mit der Fingerspitze zwischen ihre Beine, spürte, wie bereit sie für ihn war. Sanft liebkoste er ihre empfindlichste Stelle, bis Mattie laut aufstöhnte und sich unter ihm aufbäumte. Da war es auch um seine Beherrschung geschehen. Er legte sich auf sie und drang in sie ein, kurz bevor sie in seinen Armen den Höhepunkt erlebte. Daniel konnte sich nicht erinnern, jemals so sehr die Kontrolle über sich verloren zu haben. Wie in Trance bewegte er sich, steigerte seinen Rhythmus, schneller, tiefer… Und dann wurde er davon gewirbelt zu einem Ort purer Seligkeit, und die rauschhafte Gier wich höchster Befriedigung. Schwer atmend legte er seinen Kopf auf Matties Brust und schloss die Augen. Als er wieder zu Sinnen kam, verfluchte er sich selbst. Himmel, so hatte er sich das erste Mal mit Mattie wahrhaftig nicht vorgestellt! Er hatte sich benommen wie ein lüsterner Teenager auf dem Rücksitz des elterlichen Autos. Zögernd hob er den Kopf und sah sie an. »Tut mir Leid. Ich nehme an, ich habe deinen schönen Traum aufs Gründlichste zerstört.« Zu seiner großen Erleichterung lächelte sie. »Ich gebe zu, dass mir eher so etwas wie ,träge Sinnenlust’ vorschwebte, zu der ich auch meinen Teil beisteuern könnte. Aber auch ich war von meinen Gefühlen vollkommen überwältigt.« Sie war auf jeden seiner Schritte bereitwillig eingegangen, hatte seine Küsse und Berührungen erwidert und es genossen, seinen muskulösen Körper auf sich zu spüren. Jeder Moment war so erregend gewesen, dass sie nur zu gern mitgemacht hatte. Man muss kein Genie sein, um herauszufinden, warum das so ist, dachte Mattie. Alles, was Joe tat, gefiel ihr so sehr, weil sie in ihn verliebt war. Zugegeben, das war dumm von ihr, weil sie sich noch nicht einmal zwei Wochen kannten. Doch sie hatte sich bereits gefühlsmäßig an ihn gebunden, bevor sie sich auch körperlich mit ihm eingelassen hatte. Es gefiel ihr, dass sie beide dermaßen den Kopf verloren, wenn sie sich liebten. Dass sie einander begehrten und nichts anderes zu zählen schien, als ihr übermächtiges Verlangen zu stillen. Ihre Gedanken schweiften ab, als Daniel eine ihrer Brüste umfasste und seine Zunge über die immer noch harte Knospe gleiten ließ. Er legte sich neben sie und streichelte sanft ihren Körper. Mattie tauchte in eine fremde Welt erotischer Empfindungen, als Daniel sie nun mit beinahe quälender Langsamkeit erregte und auf unerwartet zärtliche Weise küsste.
»Träge Sinnenlust diesmal«, versprach er, küsste ihren Bauch und kehrte zu ihren Brüsten zurück. »Ganz, wie du es dir wünschst.« »Hm, ein Mann mit vielen Talenten«, flüsterte sie. »Aber dieses Mal übernehme ich die Führung.« Er hob den Kopf und schmunzelte über ihre Entschlossenheit, den aktiven Part zu übernehmen. »Ich werde mich dir voll und ganz hingeben, Liebste – später. Jetzt gehörst du erst einmal mir.« Widerspruchslos vertraute Mattie sich seinen geschickten Händen an und hatte mehrere Male das Gefühl, im nächsten Moment vor Lust zu sterben, bevor er endlich in sie eindrang und ihr Erfüllung schenkte. Nicht in ihren wildesten Träumen hätte Mattie sich ausgemalt, dass körperliche Liebe so schön sein könnte. Joe gab ihr das Gefühl, begehrt und geschätzt zu werden, als sei ihm ihre Befriedigung wichtiger als seine. Er lehrte sie Dinge über ihren Körper, die sie nie geahnt hätte. Und danach zeigte er ihr, wie man einen Mann willenlos machte – und jede Minute dabei genoss. Irgendwann nach Mitternacht driftete Mattie, körperlich und geistig vollkommen erschöpft, in den Schlaf. Sie und Daniel lagen eng umschlungen auf der alten Schlafcouch.
6. KAPITEL Daniel erwachte vom Zwitschern der Vögel draußen in den Bäumen direkt vor seinem Apartment. Sein linker Arm war eingeschlafen. Seine Beine waren um Matties geschlungen. Sie hatten ohne irgendwelche Kissen oder Decken geschlafen, eng aneinander geschmiegt, ohne sich zu rühren. Er blickte zur Uhr über dem Fernseher und überlegte, ob ihm vor der Arbeit noch Zeit blieb, Mattie noch einmal zu lieben. Dann entschied er, dass er sie in der letzten Nacht schon genug beansprucht hatte. Nach all den Anspielungen auf ihr jungenhaftes Image hatte er schon geahnt, dass sie sexuell sehr unerfahren war. Es gefiel ihm, dass er derjenige war, der Mattie zwölf verschiedene Arten der Liebe hatte zeigen können, und das auf der nicht sonderlich bequemen Couch. Mit einem anzüglichen Grinsen überlegte er, was ihm wohl für die Küchentheke, den Tisch und die Dusche einfallen würde. Er unterdrückte seine erotischen Fantasien und erhob sich vorsichtig von der Couch. Vor der Geschäftsöffnung blieb ihm gerade noch Zeit zum Duschen, Anziehen und Hinunterschlingen einer Scheibe Toast. Er blickte auf die schlafende Mattie. Ihr rabenschwarzes Haar bedeckte wie ein Vorhang eine ihrer Schultern, und sie sah so verführerisch aus, dass er stark an sich halten musste, um sich nicht doch noch einmal zu ihr zu legen. Er wünschte, er wäre so künstlerisch veranlagt wie Mattie, dann könnte er sie in ihrer sinnlichen Pose zeichnen. Ja, das wäre ein Gemälde, das er sich über sein Bett hängen würde! Leise ging er zur Dusche. Als er zurückkehrte, schlief Mattie immer noch. Er beschloss, sie nicht zu wecken. Sie hatte in den letzten Tagen
unzählige Doppelschichten geschoben. Wenige Minuten später verließ er das Apartment und stieg in seinen Pick-up. Nach einer Meile fiel ihm ein, dass er nicht eine Sekunde lang über Verhütung nachgedacht hatte. Nun plagten ihn noch mehr Schuldgefühle. Nicht nur, dass er Mattie gegenüber unaufrichtig gewesen war – nun hatte er auch noch verantwortungslos gehandelt. Und er hatte gedacht, es wäre unmöglich, seine prekäre Situation noch weiter zu komplizieren! Verdammt und zugenäht, er hatte riskiert, ein Kind zu zeugen, das ebenso ungeplant war wie er selbst. Daniel besorgte noch einen Imbiss für die Mittagszeit, dann schloss er den Laden auf. Die ersten Kunden waren vier Frauen, die mit kokettem Augenaufschlag ihre Verfügbarkeit andeuteten. Doch nicht eine der Kundinnen in ihren engen Shorts und tief ausgeschnittenen Stricktops gefiel ihm. Er war sich fast sicher, dass er dabei war, sein Herz an eine Sägespänenfee mit rabenschwarzem Haar, blauvioletten Augen und strahlendem Lächeln zu verlieren. Das war die gute Nachricht – und gleichzeitig die schlechte. Es würde ihm unmöglich werden, einfach so zu gehen – und ebenso unmöglich zu bleiben, weil Mattie keine Ahnung hatte, wer er wirklich war. Als Mattie schließlich durch die Hintertür das Geschäft betrat, wurde sie sofort rot, als Daniel sie ansah. Er wollte schmunzeln, verzog jedoch keine Miene, um sie nicht noch mehr in Verlegenheit zu bringen. »Guten Morgen, Boss«, begrüßte er sie fröhlich. Mattie sah die vier Frauen, die Joe umschwirrten wie Bienen den Nektar. Sie bemerkte seinen anzüglichen Blick und wurde noch verlegener. Die Vorstellung, dass er ihre intimsten Vorlieben kannte und sie nackt auf seiner Couch hatte schlafen lassen, war beunruhigend. Ganz zu schweigen von den Dingen, die sie die halbe Nacht lang miteinander angestellt hatten! Ehe sie noch mehr errötete, machte sie auf dem Absatz kehrt. »Guten Morgen, Joe«, sagte sie über die Schulter. »Wenn du vorne im Laden allein klarkommst, kann ich ja ein paar Sachen in der Werkstatt erledigen.« Tja, das würde tatsächlich schwierig werden, überlegte Mattie, während sie eifrig werkelte. Sie konnte Joe nicht ansehen, ohne an ihre leidenschaftliche Nacht zu denken und daran, dass er der einzige Mann auf diesem Planeten war, der sie vollkommen nackt gesehen und in ihren Armen geschlafen hatte. Doch ich werde mich an diese Gedanken gewöhnen müssen, dachte sie nüchtern. Denn wichtiger noch als ein ungestörtes Arbeitsverhältnis war ihr das Private zu ihm, das sich so schnell entwickelt hatte. Sie würde einfach lernen müssen, ihre Gefühle besser zu verbergen und die Erregung im Zaum zu halten, die Joe auch hier im Geschäft in ihr auslöste. Sie sah auf und erblickte Joe, der sich lässig gegen den Türrahmen lehnte und sie verwegen anlächelte. »Die Röte steht dir ausgezeichnet, Boss«, flüsterte er. »Wirst du jetzt jeden Morgen erröten, wenn ich dich ansehe?«
Mattie stieg erneut das Blut in die Wangen. »Du hättest mich wecken sollen«, schalt sie, während sie ein Brett abmaß. »Um nichts in der Welt hätte ich das tun mögen!« »Ich weiß nicht, ob ich das kann«, sagte sie rau und beugte sich tief über ihre Arbeit. »Ich habe keine Erfahrung darin. Vielleicht hatte der Oberhäuptling Recht mit seiner Bestimmung über Beziehungen am Arbeitsplatz. Es ist sehr eigenartig.« Daniel lächelte nicht mehr. »Was den Oberhäuptling betrifft…« »Sprich nicht von ihm«, fiel sie ihm rasch ins Wort, ohne ihn anzusehen. »Ich habe schon genug Mühe, die Sache mit uns auf die Reihe zu bekommen, da kann ich ihn nicht auch noch gebrauchen. Und vergiss nicht, dass wir versprochen haben, die Sachen heute Abend ins Pflegeheim zu bringen. Pops sagt, wir werden erwartet.« »Ich habe es nicht vergessen.« Daniel wandte sich ab, um wieder in den Verkaufsraum zu gehen. Es gab eine Menge Dinge, die er nicht vergessen hatte, aber gern vergessen würde. Zum Beispiel, wer er war und wie Mattie reagieren würde, wenn sie herausfand, dass sie die unglaublich leidenschaftliche Nacht mit dem Oberhäuptling von Hobbydrome persönlich verbracht hatte. Als Mattie und Daniel es endlich geschafft hatten, alle Regale, Tische, Truhen, Garderobenständer, Bänke, Bilderrahmen, Blumenständer und Kleinkunst-Gegenstände in die Lobby des Pflegeheims Paradise Valley zu karren, hatten sich auch alle Bewohner des Heims, die sich aus eigener Kraft fortbewegen konnten, dort zusammengefunden, um die Sachen zu begutachten. Daniel wurde ganz eigenartig zu Mute, als er das Leuchten in den Gesichtern der alten Menschen sah. Es war ein bisschen wie Weihnachten. Die Heiminsassen suchten sich mit Hilfe der Schwestern und Pfleger die Dinge aus, die am besten in ihre jeweiligen Zimmer passten. Und als Mattie sich mit einem zufriedenen Lächeln neben ihn stellte und seine Hand nahm, hatte er auf einmal einen Kloß im Hals. »Ja, genau darum geht es«, flüsterte sie, Tränen in den Augen. »Spürst du das, Joe? Du und ich haben Gaben erschaffen, die den Menschen Freude bringen und ihren Geist wiederbeleben. Das ist der Grund, warum ich male und in meiner Freizeit arbeite – um anderen Freude zu bereiten. Es geht nicht um Geld, es geht um meine persönliche Befriedigung.« Daniel verstand vollkommen. Die tiefe Zufriedenheit, die ihn jetzt erfüllte, das war es, was er in Fox Hollow gesucht hatte. Und er war hergekommen, um zu erfahren, warum die Geschäftsführerin der hiesigen Filiale so gute Umsätze machte. Die Antwort lag auf der Hand. Mattie ging es nicht um Profit – sie schenkte mit ihrem großen Talent Freude so freigiebig wie ein nimmermüder Weihnachtsmann. Mattie blinzelte heftig, um die Tränen zurückzuhalten, und winkte mit großer Geste, um Aufmerksamkeit zu erringen. Die Stimmen verstummten, und aller Augen richteten sich auf Mattie und Daniel. »Anders als Pops es Ihnen gesagt hat, befinden sich nun doch keine Preisschilder an den einzelnen Stücken«, verkündete Mattie. »Das kommt
daher, weil Joe und ich beschlossen haben, Ihnen alles zu schenken.« Es erhob sich ein Gemurmel, doch sie hob die Hand, und es wurde wieder ruhig. »Joe und ich haben Holz- und Farbreste von anderen Aufträgen verwendet, und viele Sachen waren beschädigte Verkaufsteile aus dem Geschäft, die wir repariert haben, anstatt sie wegzuwerfen. Wir möchten, dass Sie nehmen, was immer Ihnen gefällt. Wenn noch besondere Wünsche bestehen, werden wir eine Liste erstellen und die restlichen Sachen nächsten Monat herbringen.« Die alten Leute applaudierten mit strahlenden Gesichtern und bedankten sich. »Das war mächtig großzügig von dir«, flüsterte Daniel und drückte Matties Hand. »Vor allem, weil ich weiß, dass du in deine eigene Tasche gegriffen hast, um Material zu bezahlen.« Sie lächelte verschwörerisch. »Das bleibt aber unter uns, wenn ich bitten darf. Ich bin für meine Arbeit und die angefallenen Kosten mehr als genug entlohnt worden. Natürlich werde ich dir deine Überstunden bezahlen…« Er hob abwehrend die Hand. »Oh, nein, das wirst du nicht«, widersprach er. »Du willst wohl den ganzen Spaß für dich allein haben, wie?« Sie sah ihn nachdenklich an. »Es macht dir wirklich nichts aus, so viel Zeit geopfert zu haben, ohne einen Lohn dafür zu erhalten?« »Ohne Lohn?« Er deutete auf die frohen Heiminsassen, die freudig ihre Geschenke begutachteten. »Dieses wunderbare Gefühl, so viele Menschen glücklich zu machen, das ist der beste Lohn.« »Dann verstehst du es also«, flüsterte sie. »Du hast es mich gelehrt zu verstehen, Mattie.« Er hätte sie am liebsten in seine Arme gerissen und gedrückt, bis ihr die Luft wegblieb, weil er durch sie wieder entdeckt hatte, was im Leben wirklich wichtig war – unbezahlbare Dinge wie Zufriedenheit und Großzügigkeit. Daniel war ziemlich sicher, dass er mehr von diesem Projekt profitiert hatte als die alten Leute. »Ich hab dir doch gesagt, es wäre eine gute Idee«, meinte Pops grinsend. »So viele glückliche Gesichter sieht man hier nicht alle Tage. Ich hoffe, ihr habt auch Bohrer, Hammer, Nägel und Dübel mitgebracht, damit die Sachen angebracht werden können.« Er kicherte leise. »Ich wette, der Direktor kriegt einen Anfall, wenn ihr anfangt, Löcher in seine schönen weißen Wände zu bohren.« »Tatsächlich habe ich den Direktor heute Nachmittag angerufen und seine Erlaubnis erbeten«, erklärte Daniel. »Er hat nichts dagegen.« Pops runzelte die Stirn. »Nein? Dann hat der alte Halunke wohl doch ein Herz, wie?« »Offenbar ja«, bestätigte Daniel. Pops schnaubte. »Wahrscheinlich hast du ihm Arme und Beine verdrehen müssen, damit er zustimmt.« Daniel sagte nichts dazu. Er hatte mit dem Direktor ein ernsthaftes Wort reden müssen, damit er zuließ, dass die Patientenzimmer persönlicher und gemütlicher wurden. Doch ein Blick auf den Direktor zeigte, dass auch er von der Szene tief berührt war.
Daniel nahm Mattie bei der Hand und zog sie hinter sich her. »Komm mit, du kleine Glücksfee. Wir sollten uns lieber an die Arbeit machen, damit wir vor der Schlafenszeit fertig sind. Du nimmst den Ostflügel und ich die Westseite.« »Pops, schnapp dir eine Schwester oder einen Pfleger, um eine Liste der noch gewünschten Sachen aufzustellen, ja?« rief Mattie ihrem Großvater über die Schulter zu. »Na klar, Knusperkeks. He, Joe, diese Woche wieder um dieselbe Zeit?« wollte Pops noch wissen. Daniel zwinkerte ihm zu. »Wie abgemacht. Sag den anderen Bescheid.« Mattie sah ihn fragend an. »Was habt ihr denn schon wieder vor?« »Wieder ein kleines Abenteuer. Die Roland-Gang denkt, wir schleichen uns ohne Erlaubnis davon. Aber keine Sorge, ich habe mit dem Direktor gesprochen.« »Danke, Joe. Ich hoffe, du weißt, wie sehr ich deine Mühe zu schätzen weiß.« Daniel schmunzelte hintergründig. »Du kannst mir deine Dankbarkeit später zeigen.« Mattie errötete. Der Gedanke daran, wie und wo er die Nacht verbringen würde, gab ihm den nötigen Anstoß, um möglichst schnell zu arbeiten. Daniel blieb vor Schreck fast das Herz stehen, als zwei Tage später sein Großvater in Freizeitkleidung das Geschäft betrat. Völlig verdattert blieb er an der Ladentheke stehen, während Mattie auf J.D. zuging und ihn fragte, ob sie ihm helfen könne. Was zum Teufel machte J.D. denn hier? Verdammt! Daniel erinnerte sich, dass er seinem Großvater ausdrücklich verboten hatte, sich einzumischen. »Sind Sie die Geschäftsführerin?« wollte J.D. wissen. Mattie nickte lächelnd. »Nett, Sie kennen zu lernen«, sagte J.D. und zwinkerte Daniel verstohlen zu. »Tja, ich könnte tatsächlich Hilfe gebrauchen. Ich hätte gern ein Seidenblumengesteck für mein Wohnzimmer. Und auch ein paar kleinere Dekorationsgegenstände. Haben Sie Vorschläge?« Mattie führte ihn in die entsprechende Abteilung und überlegte, warum ihr der alte Mann so bekannt vorkam. Sie hätte schwören können, dass er noch nie in ihrem Geschäft gewesen war, aber er erinnerte sie an irgend jemanden. »Wohnen Sie hier in der Gegend?« erkundigte sie sich, während sie auf das Regal mit den Seidenblumen deutete. »Nein, ich bin nur auf der Durchreise«, erwiderte J.D. »Ein netter Ort ist das hier. Ich habe Hinweisschilder zu einem See gesehen und dachte, ich gehe ein bisschen wandern. Hm, das hier sieht schön bunt und freundlich aus«, wechselte er schnell das Thema. Das Telefon im Büro klingelte, und Mattie sah Joe von der Ladentheke verschwinden. Als er wiederkam, winkte er sie herbei, worauf sie sich bei J.D. entschuldigte. »Eine Kundin braucht deinen Rat zu einem Einrichtungsproblem«, sagte Daniel. »Ich übernehme den Herrn hier.«
Mattie ging ins Büro, und Daniel eilte zu seinem Großvater. »Was machst du denn hier?« zischte er halblaut. Schmunzelnd nahm J.D. einen Seidenblumenstrauß vom Regal. »Ich kaufe ein.« »Nein, tust du nicht. Du bist nur hergekommen, um mich als Angestellten arbeiten zu sehen, gib’s zu!« J.D. grinste. »Stimmt. Hast du was mit dieser Mattie?« fragte er im selben Atemzug. »Ich glaube, zu diesem Thema habe ich bereits am Telefon alles gesagt, was ich sagen wollte«, antwortete Daniel, der nur mit Mühe ruhig blieb. »Aber nicht alles, was ich hören wollte«, konterte J.D. »Außerdem würde ich Pops gern kennen lernen. Triffst du ihn und seine Freunde zufällig heute Abend?« Daniel seufzte resigniert. »Zufällig ja. Ich fahre die ganze Bande zum See, sobald wir im Cafe einen Happen gegessen haben. Sie haben ihr Geld zusammengeworfen, um ein Boot zu mieten, und haben mich zum Kapitän auserkoren.« »Fein, dann komme ich mit.« »Und als was soll ich dich vorstellen?« J.D. sah ihm einen Moment lang fest in die Augen. »Die Wahrheit wäre wohl das Beste. Es wird Mattie und ihrem Großvater nicht schaden zu wissen, wer ich bin.« Nein, vermutlich nicht. Mit Mattie lief alles bestens. Sie hatte ihre anfänglichen Vorbehalte überwunden, mit einem ihrer Angestellten zu schlafen. Sie verbrachten die Nächte in ihrem Bett oder auf seiner Schlafcouch, und er hatte sich um die Verhütung gekümmert, die er in der ersten Nacht vergessen hatte. Ihr jetzt seinen Großvater vorzustellen würde sicher keinen Verdacht erregen. »Also gut, Gramps, komm mit zur Ladentheke, und ich stelle dich Mattie vor.« Zufrieden lächelnd folgte J.D. seinem Enkel und legte die Blumen neben die Kasse. Als Mattie aus dem Büro kam, winkte Daniel sie herbei. »Mattie, dieser Mann hier ist mein Großvater, der völlig überraschend aufgetaucht ist. Darf ich vorstellen: J.D…. Gray«, fügte er mit einigem Zögern hinzu. Sie streckte ihre Hand aus und lächelte. »Das erklärt einiges. Ich dachte mir nämlich schon, dass Sie mir irgendwie bekannt vorkommen. Schön, Sie kennen zu lernen, J.D. Ihr Enkel hat schon viele wunderbare Dinge von Ihnen erzählt. Werden Sie ein paar Tage bleiben?« J.D. warf Daniel einen kurzen Blick zu. »Das hatte ich eigentlich gehofft, als ich meinen Überraschungsbesuch plante. Joe sagte mir gerade, dass er Ihren Großvater und seine Freunde heute Abend zum See fährt. Ich wollte mich anschließen. Sind Sie auch dabei?« Mattie schüttelte den Kopf. »Gerade habe ich einer Kundin versprochen, sie nach Ladenschluss zu besuchen. Sie hat Schwierigkeiten beim Dekorieren ihres Wohn- und Esszimmers.« »Mattie ist der Inneneinrichtungs-Guru für die gesamte Gegend hier«, warf Daniel dazwischen. »Was du in den Schaufenstern gesehen hast,
sind ihre eigenen Gemälde und ihre erstaunliche Gabe, Einrichtungs- und Kunstgegenstände zu einem ansprechenden, gemütlichen und auch zweckmäßigen Ensemble zu kombinieren.« »Ja, das ist mir aufgefallen«, bestätigte J.D. »Sehr beeindruckend, Mattie.« Mattie blickte auf die Uhr. »Ich muss nur noch ein paar Sachen auspacken, bevor ich zu der Kundin fahre. Joe, wenn du dir den Rest des Nachmittags freinehmen möchtest, ist das okay. Meine Aushilfe kommt in einer Stunde und kann mich bei dem gewohnten Ansturm kurz vor Feierabend unterstützen.« »Danke, Mattie, Sie sind ein Schatz.« J.D. schmunzelte hintergründig. »Da hat Joe aber Glück, dass er für jemanden wie Sie arbeiten darf.« Entnervt schob Daniel seinen Großvater aus dem Laden und fuhr mit ihm in sein kleines Apartment, damit der alte Mann sich vor ihrem Ausflug mit der Roland-Gang noch etwas ausruhen konnte. Außerdem ermahnte Daniel ihn eindringlich, vor Pops und dessen Freunden besser auf seine Worte zu achten. Dass sein Großvater hier war, machte Daniel ziemlich nervös. Eine falsche Bemerkung, und die Sache konnte auffliegen. Ich muss Mattie verdammt noch mal die Wahrheit sagen, dachte Daniel entschlossen. Heute Nacht, entschied er. Nachdem er die alten Herrschaften ins Bett verfrachtet hatte, würde er zu Mattie gehen und ihr erklären, wer er war und warum er hier war. Er hatte einige Stunden Zeit, um sich seine Rede zurechtzulegen. Er würde ihr versichern, dass seine Flucht nach Fox Hollow nicht das Geringste mit ihr persönlich zu tun hatte und dass sie ihm wirklich viel bedeutete. Ja, so sagte er sich, Ehrlichkeit ist das Beste. Besser spät als nie. Nachdem er sein Gewissen einigermaßen beruhigt hatte, weckte er seinen Großvater und fuhr los, um Pops und seine Freunde am verabredeten Treffpunkt abzuholen. Als Daniel spätabends zu Mattie kam, riss sie gleich nach dem ersten Klopfen die Tür auf und begrüßte ihn mit einem hungrigen Kuss. Sie hatte sein Hemd aufgeknöpft und zur Seite geschoben, noch ehe die Tür geschlossen war. »So ungeduldig?« fragte er neckend. »O ja.« Sie fuhr mit den Händen über seinen muskulösen Oberkörper. »Wie war euer Ausflug?« »Die alten Herren haben sich köstlich amüsiert und sogar ein paar Fische gefangen. Auch Gramps fand den Abend sehr schön, aber eigentlich bin ich hergekommen, um…« Mattie fand, das sei für heute Nacht genug an Konversation. In den Stunden, in denen sie allein gewesen war, hatte sie erkannt, wie viel Joe ihr bedeutete. Es hatte eine Zeit gegeben, in der sie sich nur mit ihren Sonderaufträgen beschäftigt hatte. Doch das war vorbei. Jetzt dachte sie ständig an Joe. Trotz ihrer anfänglichen Vorbehalte hatte sie sich bis über beide Ohren in den Mann verliebt. Daniel konnte sich plötzlich nicht mehr an seine gründlich durchdachte kleine Rede erinnern, als er Matties weiche Lippen auf seinem Oberkörper
und ihre Hände am Bund seiner Jeans fühlte. Er hörte das Surren des Reißverschlusses, den sie mit flinken Fingern öffnete. Daniel vergaß einen Moment lang zu atmen, als sie begann, ihn zu streicheln. Den ganzen Tag lang hatte er an sich gehalten und sein Verlangen nach Mattie unterdrückt, doch nun konnte er es nicht mehr zügeln. Wilde Begierde erfasste ihn, und er sank mit Mattie auf den Teppich, denn die Geduld, mit ihr ins Schlafzimmer zu gehen, brachte er einfach nicht mehr auf. So ungestüm war es bisher immer mit ihr gewesen. Das erste Mal, dass sie sich an diesem Abend liebten, war eine fiebrige Jagd nach Erfüllung. Ihr Verlangen entsprang einem so mächtigen, überwältigenden Gefühl, dass es durch nichts im Zaum gehalten werden konnte. Ihre Leidenschaft füreinander war wie ein gieriges, unkontrollierbares Feuer, das sich selbst nährte und alles um sich herum verschlang. Erst beim zweiten Mal konnten Mattie und Daniel all die unaussprechlichen Gefühle genießen, die jeder im anderen weckte. So etwas hatte Daniel noch niemals erlebt, und er wusste, er war drauf und dran, sich ernsthaft in Mattie zu verlieben. Sie bedeutete ihm so viel, dass er sich schon gar nicht mehr erinnern konnte, wann sie nicht ein Teil seines Lebens gewesen war. Ein Tag war nicht vollkommen, wenn sie sich nicht leidenschaftlich geliebt hatten. Viel später, als Daniel wieder Kraft hatte, den Kopf zu heben, und den Mut fasste, das Thema anzuschneiden, das sein Gewissen so belastete, verschlug es ihm abrupt die Sprache, als Mattie plötzlich »Ich liebe dich« flüsterte. Noch ehe er sich nach diesem überraschenden Geständnis fassen konnte, begann Mattie ihren Worten mit zärtlichen Küssen und Liebkosungen Nachdruck zu verleihen. Und als sie sich auf ihn legte, war er wieder so aufgewühlt vor Lust, dass er nicht einmal mehr seinen Namen wusste – weder den richtigen noch den falschen. Natürlich konnte er ihr jetzt unmöglich die Wahrheit über sich erzählen, wo sie – sogar zwei Mal – gestanden hatte, dass sie ihn liebte. Und er konnte das Liebesbekenntnis nicht erwidern, weil er sich wie ein hinterhältiger Schuft vorkam und vor Gewissensbissen kaum klar denken konnte. Als er endlich die Energie aufbrachte, sich aus Matties Bett zu erheben und in sein Apartment zurückzukehren, hatte er das Gefühl, Himmel und Hölle gleichzeitig zu erleben. Sie liebte ihn. Und er war verstrickt in ein Netz aus Lügen – egal, wie unschuldig, harmlos und notwendig diese Schwindeleien ihm zu Anfang erschienen waren. Vollkommen frustriert schlich er auf Zehenspitzen zu seinem Nachtlager, das er sich auf dem Fußboden zurechtgemacht hatte, damit J.D. auf der Schlafcouch übernachten konnte. Er hatte sich gerade so gut es ging ausgestreckt, als J.D.’s Stimme in der Dunkelheit ertönte. »Hast du ihr die Wahrheit gesagt?« »Äh… nein.« »Du schläfst mit ihr«, bemerkte J.D. »Mattie scheint mir nicht der Typ zu sein, der sich auf Affären einlässt. Tu ihr nicht weh. Das hat sie nicht
verdient.« »Ich weiß«, murmelte Daniel. »Je länger du mit deinem Geständnis wartest, desto weniger Verständnis wird sie aufbringen.« »Darauf bin ich auch schon gekommen.« »Was hält dich also davon ab?« wollte J.D. wissen. »Sie hat ein so reines Herz, und sie ist das Beste, was mir je passiert ist, Gramps. Sie bringt meine besten Seiten hervor, und wenn ich mit ihr zusammen bin, bin ich endlich wieder mit mir selbst zufrieden. Wenn ich ihr die Wahrheit sage, werde ich ihr Vertrauen in mich zerstören, das sie mir so vorbehaltlos schenkt. Ich habe Angst, sie wird es falsch verstehen, wenn sie die Wahrheit erfährt. Ich habe Angst, dass es dann zwischen uns nie mehr so sein wird wie jetzt. Ich werde das Glück verlieren, das ich hier gefunden habe, und dazu bin ich einfach noch nicht bereit.« Daniel fühlte sich elend. »Es ist schwer, die Wahrheit zu sagen, wenn man weiß, dass als Konsequenz die Welt zusammenbricht.« J.D. schwieg. Offenbar wusste er für dieses Problem auch keinen Rat. Daniel wollte ganz sein neues Ich als Joe verkörpern, wenn er mit Mattie zusammen war, und Daniel Joseph Grayson ganz und gar vergessen. Denn der Oberhäuptling von Hobbydrome würde das Beste kaputtmachen, was ihm in seinem ganzen Leben passiert war. »Wie steht’s, Knusperkeks? Wann wirst du Joe heiraten und einen ehrbaren Mann aus ihm machen?« Mattie hatte noch nicht einmal Gelegenheit bekommen, sich hinzusetzen, als Pops sie mit dieser Frage überfiel. Mittlerweile hegte sie große Zweifel, dass Joe ihre Beziehung ebenso ernst nahm wie sie. Obwohl sie in den letzten zwei Wochen unzertrennlich gewesen waren, hatte er nicht ein Mal gesagt, dass er sie liebte. Trotzdem flüsterte sie ihm weiterhin jede Nacht die drei Worte ins Ohr, wenn sie sich zum Schlafen zusammenkuschelten. Sie war sicher, dass Joe sie gern hatte und die Zeit mit ihr genoss. Andererseits hatte sie mit romantischen Beziehungen nur sehr wenig Erfahrung, so dass sie möglicherweise die Zeichen und Signale nicht wahrnahm, die andere Frauen sofort erkannten. Oder vielleicht gehörte Joe zu den Männern, die sich schwer taten, ihre Gefühle in Worte zu kleiden. Vielleicht versuchte er ihr zu zeigen, was er empfand, anstatt es zu sagen. »Nun?« hakte Pops ungeduldig nach. »Du hast es ja schrecklich eilig. Ich bin erst einen knappen Monat mit ihm zusammen. Wir haben noch keine Zukunftspläne geschmiedet.« Pops verdrehte die Augen. »Diese jungen Leute heutzutage! Sie zäumen das Pferd von hinten auf, wenn du mich fragst.« Mattie kämpfte gegen ihre Verlegenheit an. Gewiss ahnte ihr Großvater, dass sie nicht mehr allein schlief. »Die Sache ist einfach die, dass eine Heirat ein großer Schritt ist. Ich will sicher sein, eine weise Entscheidung bei etwas zu treffen, das den Rest meines Lebens betrifft.« »Eine weise Entscheidung?« Pops schnaubte unwirsch. »Kein Mensch kann eine weise Entscheidung treffen, ehe er nicht auf die fünfzig zugeht.
Und aus meiner Perspektive scheint selbst das ein bisschen früh. Man hat einfach noch nicht genug Lebenserfahrung, um sich bei so etwas sicher zu sein. Du bist in diesen Mann verliebt, und das merkt man, wenn du mit ihm zusammen bist – so wie du ihn ansiehst und er dich.« »Wie er mich ansieht? Was sieht man da?« »Na, dass Joe dich sehr mag, natürlich! Mich übrigens auch. Nicht wie diese anderen Fuzzis, mit denen du dich bisher abgegeben hast. Die haben mich als notwendiges Übel betrachtet, das sie in Kauf nehmen mussten, um mit dir zusammen zu sein. Wenn du mich fragst, ist Joe das Beste, was dir passieren kann, und J.D. auch. Der alte Kauz hat ein paar gute Scherze auf Lager. Ich hätte nichts dagegen, die beiden in unserer Familie zu haben.« »Tja, falls Joe das Thema Heirat anspricht, werde ich ihm sagen, er hat deinen Segen«, erwiderte Mattie. Pops beugte sich zu ihr vor. »Ich habe noch einen Feldzug vor mir, bevor die Ärzte mich gehen lassen können.« Mattie schwieg. Sie hatte letzte Woche mit Pops Arzt gesprochen, und der schien eine Entlassung noch in meilenweiter Ferne zu sehen. Pops müsste sich mit regelmäßiger häuslicher Krankenpflege abfinden, damit seine Werte permanent kontrolliert werden konnten. Mattie entschied, diese Information vorerst für sich zu behalten. »Worum geht es denn diesmal, Pops?« fragte sie. »Mir kam die Idee, man könnte die alten Leute hier ein bisschen aufmuntern, indem man ein Mal pro Woche Kinder aus der Vorschule oder aus dem Kindergarten einlädt. Nichts hebt die Stimmung so sehr wie Kinder.« »Das ist eine wunderbare Idee.« Mattie war begeistert. »Danke.« Ihr Großvater lächelte. »Aber du musst mir dabei helfen.« »Ich werde ein paar Kindergärten und Vorschulen anrufen und sehen, was sich machen lässt«, versprach sie. Insgeheim erwog sie bereits, Pops Idee sogar noch einen Schritt weiter zu führen. Sie wollte den Blumenhändler fragen, ob er hin und wieder Blumen stiften würde, die die Kinder dann ins Pflegeheim mitnehmen könnten. »Frag Joe, ob er das mit dem Direktor klären kann«, bat Pops. »Er hat das mit den Bildern und Regalen hingekriegt, dann wird er dies hier sicher auch schaffen.« »Ich erzähle ihm, was du vorhast«, versprach Mattie, stand auf und drückte ihrem Großvater einen Kuss auf die runzlige Stirn. »Und jetzt ruhst du dich besser aus. Bei all den Sachen, die du vorhast, möchte ich nicht, dass du dich überanstrengst.« »Schlafen kann ich, wenn ich tot bin«, entgegnete Pops. »Jetzt muss ich die Runde bei meinen Freunden machen. Aus Hermans und Glens Familie lässt sich hier kaum jemand blicken, da muss ich sie ein wenig aufmuntern. Im Moment leben sie nur von einem unserer Abenteuer mit Joe zum nächsten. Sie haben nicht das Glück, dass regelmäßig ein Engel wie du bei ihnen vorbeischaut.« Mattie nahm ihn spontan in die Arme. »Ich hab dich lieb, Pops.« »Ich dich auch, Knusperkeks.« Er tätschelte ihren Arm und humpelte zur Tür. »Und vergiss nicht, Joe wegen des Direktors Bescheid zu sagen«,
wiederholte er, als sei ihr Gedächtnis ebenso schlecht wie seines. »Versprochen«, sagte Mattie und verließ das Zimmer. Als Nächstes ging sie in den Aufenthaltsraum, um vor ihrer Abfahrt noch ein paar Minuten mit den Freunden ihres Großvaters zu verbringen.
7. KAPITEL Mattie zog sich hastig aus und sprang unter die Dusche. Joe hatte angekündigt, er wolle sie ins Watering Hole ausführen, wo am heutigen Samstagabend eine Country-und-Western-Band spielen würde. Mattie bezweifelte, dass das eine so gute Idee war, weil Buck Reynolds und die anderen Cowboys als Stammgäste des rustikalen Lokals galten. Aber Joe hatte ihr versichert, er würde mit allen etwaigen Problemen fertig werden. Trotzdem blieb Mattie skeptisch. Eine Schlägerei war nicht gerade ihre Vorstellung von einem netten Abend. Es war ihr erstes offizielles Rendezvous und lange überfällig, wie Joe betonte. Fast einen Monat lang hatten sie jeden Tag Seite an Seite gearbeitet, auch an den Wochenenden, um die Aufträge für das Pflegeheim fertig zu stellen. Doch miteinander ausgegangen waren sie noch nie. Joe hatte sie zum Essen eingeladen und wollte anschließend mit ihr tanzen gehen. Diese Verabredung schien eine besondere Bedeutung für ihn zu haben, die sie nicht nachvollziehen konnte, doch sie stimmte trotz ihrer Vorbehalte zu. Sie hatte sich ein neues Kleid aus Lindsay’s Boutique gegönnt und sich die Haare eingedreht, so dass sie ihr nun in weichen Locken ins Gesicht und auf die Schultern fielen. So übel sehe ich gar nicht aus, dachte sie. Das schwarze Kleid aus Seidenjersey, das sie in der Mittagspause gekauft hatte, war provozierend eng geschnitten und wahrscheinlich ein bisschen zu schick für einen Schuppen wie das Watering Hole, aber sie wollte elegant und feminin aussehen, damit Joe stolz wäre, sie an seiner Seite zu haben. Vielleicht würde es ihn ein wenig von seinen trüben Gedanken ablenken. Denn in den letzten Tagen war er ihr sehr nachdenklich und manchmal geistesabwesend vorgekommen. Fast so, als wollte er ihr etwas sagen und könnte sich nur nicht so recht dazu durchringen. Dachte er etwa darüber nach, ihr Verhältnis enger werden zu lassen? Spielte er gar mit dem Gedanken, ihr einen Verlobungsring zu schenken? Die Aussicht auf einen Heiratsantrag machte sie ganz kribbelig. Trotz ihrer ausweichenden Antworten auf Pops Frage wünschte sie sich in Wahrheit doch eine feste Beziehung mit Joe. Noch nie hatte sie so viel für einen Mann empfunden, und obwohl Joe ihr immer noch nicht seine Liebe gestanden hatte, so vermittelte er doch den Eindruck, dass sie ihm viel bedeutete. Mattie wartete darauf, dass Joe ihr erzählte, wo er zuvor gearbeitet hatte, und fragte ganz bewusst nicht nach, um ihn nicht zu bedrängen. Doch warum machte er ein so großes Geheimnis daraus? Es war fast so, als gäbe es in seiner Vergangenheit etwas, das sie nicht wissen sollte, etwas, wofür er sich schämte.
Begriff er denn nicht, dass sie ihm vorbehaltlos vertraute? Dass sie sich alles, aber auch wirklich alles anhören würde, was ihn belastete? Das Klopfen an der Tür riss sie aus ihren Gedanken. »Komm rein!« rief sie und lief mit den Pumps in der Hand zur Tür. Als sie Joe mit teurem Westernhemd, enger schwarzer Hose und Cowboystiefeln sah, blieb sie abrupt stehen. »Wow, du siehst aber gut aus!« Wobei »gut« nicht annähernd ausdrückte, wie umwerfend er wirkte. Alle Frauen würden auf ihn fliegen. Daniel hatte es komplett die Sprache verschlagen. Seine kleine Sägespänefee, die normalerweise ausgeblichene Jeans und T-Shirts trug, stand in einem superengen schwarzen Kleid vor ihm, zu dem sie eigentlich ein Warnschild mit der Aufschrift »Sexy – bei Anfassen Blitzschlag!« tragen müsste. Sie sah absolut hinreißend aus. Fast zu hinreißend, dachte er dann. Ein urmännliches Besitzdenken ergriff ihn, als sein Blick zu ihrem Dekollete wanderte, das ihre vollen Brüste bestens zur Geltung brachte. Sein begehrlicher Blick wanderte über ihre schlanke Taille, ihre Hüften und ihre wohlgeformten Beine. Für ein paar Sekunden blitzten Erinnerungen an frühere Verabredungen mit Schickeriamiezen auf, die sich für ihn in Schale geworfen hatten. Aber keine konnte Mattie das Wasser reichen, weil er genau wusste, dass es nicht das schicke Kleid war, was diese Frau für ihn so attraktiv machte. Diesmal war es die Frau, die dem Kleid seinen Glanz verlieh. Daniel war zu perplex, um etwas zu sagen. Und mit jeder Sekunde, da er sie stumm bewunderte, wuchs seine Erregung. Sein Schweigen verunsicherte sie offenbar, weil sie nervös von einem Fuß auf den anderen trat und dann zur Seite blickte. »Es gefällt dir nicht besonders, oder? Na ja, ich habe nie behauptet, dass ich beim Kleiderkauf einen guten Geschmack habe. Ich kenne mich besser mit dem Dekorieren von Wohnungen aus, und für eine Tanzveranstaltung mit Countrymusic bin ich wahrscheinlich zu aufgetakelt, aber…« »Mir nicht gefallen?« unterbrach er schließlich ihren Redefluss und betrachtete sie noch einmal bewundernd von oben bis unten. »Soll das ein Scherz sein?« Sie sah ihn ernst an. »Dann gefällt es dir doch?« »Ich bin absolut begeistert.« Endlich konnte er sprechen, ohne zu krächzen. »Und das wird jeder andere Mann auch sein. Oh Mattie, hast du eigentlich eine Ahnung, wie sexy du aussiehst?« Sie lächelte und drehte sich beschwingt, damit er sie von allen Seiten betrachten konnte. »Findest du wirklich?« »O ja«, bestätigte er und trat einen Schritt näher. Er würde sich viel lieber gleich mit ihr auf eine sinnliche Entdeckungsreise begeben, als unter Leute zu gehen. »Heute Abend darf kein anderer mit dir tanzen als ich, verstanden? Teufel auch, ich bin imstande, jeden Mann umzubringen, der dich länger als eine halbe Sekunde lang ansieht, weil ich genau weiß, was er denkt. Und ich mag es nicht, wenn andere Männer unanständige Fantasien über dich entwickeln.« »Ist doch egal«, flüsterte sie und stellte sich auf Zehenspitzen, um seine Sorgenfalten wegzuküssen. »Alles, was ich will, bist du.«
Daniel konnte nicht widerstehen. Er zog sie in seine Arme und küsste sie mit all der Verzweiflung, die seit Tagen in ihm brodelte. Die Zeit lief ihm davon, und er hatte es nicht geschafft, den richtigen Zeitpunkt und den richtigen Weg zu finden, Mattie die Wahrheit zu sagen. Außerdem war er nicht sicher, dass die Liebe, die sie für ihn zu empfinden behauptete, der brutalen Realität standhalten würde. Von Anfang an hatte er alles falsch gemacht. Er hatte sich mit Mattie eingelassen, obwohl er wusste, dass es Komplikationen geben würde. Aber Mattie hatte ihn bedenkenlos und großherzig in ihr Leben integriert. Durch die Verbindung mit ihr war er in Fox Hollow freundlich aufgenommen und akzeptiert worden. Sie war der Grund, warum er den wahren Sinn des Lebens und seine Lebensfreude wieder entdeckt hatte. Doch demnächst musste er all das aufgeben und in seine Welt zurückkehren. Die Vorstellung, Mattie zu verlassen, brach ihm das Herz. Um das Ganze nicht allzu schlimm für sie zu machen, hatte er vor, täglich anzurufen und sie an den Wochenenden zu besuchen. Er hatte viel darüber nachgedacht, und schließlich war ihm eine Idee gekommen, wie er die Zeit überbrücken könnte, bis die Wahrheit kein vernichtender Schlag mehr sein würde. Zunächst würde er diese dummen Regeln ändern, die er einst selbst aufgestellt hatte. Dann wollte er Matties Verbesserungsvorschläge hinsichtlich der Firmenpolitik in die Tat umsetzen. Sie würde erkennen, dass ihm ihre Meinung wichtig war und dass er ihre Ideen guthieß. Und das würde sie sicher milde stimmen, wenn er schließlich den Mut aufbrachte, seine Maskerade zu beichten. Außerdem hatte Daniel vor, dem Genesungsheim Paradise Valley einige großzügige Spenden zukommen zu lassen, um die Lebensqualität der Bewohner zu verbessern. Er wollte all den alten Menschen, die er dort kennen gelernt hatte, mehr Komfort und Freude bereiten. »Joe?« fragte Mattie leise, »geht es dir gut?« Nein, es ging ihm nicht gut, weil er verzweifelt nach einem Weg suchte, das Beste festzuhalten, was ihm je in seinem Leben passiert war. Einen Moment lang dachte er hoffnungsvoll, es würde ihm bestimmt gelingen – im nächsten fürchtete er, dass alles schief gehen würde. »Ja, prima«, log er mit einem Lächeln. »Lass uns lieber gehen, bevor ich über bei deinem verführerischen Anblick vergesse, dass ich dich zum Essen und zum Tanzen eingeladen habe.« Er nahm sie beim Arm und führte sie zur Tür. Mattie wunderte sich über seinen festen Griff, den seltsamen Unterton in seiner Stimme und seine eigenartige Stimmung. Was war nur mit Joe los? War er nervös, weil er Angst hatte, sie könnte seinen Antrag ablehnen? Nun, es hat keinen Sinn, auf etwas zu warten, das dann doch nicht eintrifft, dachte Mattie nüchtern. Sie mochte ja an Heirat denken, aber Joe hatte vielleicht etwas ganz anderes im Sinn als Hochzeitsglocken, Kinder und »bis dass der Tod euch scheidet«. Sie wusste nur, was sie selbst fühlte, und Joe dieselben Gefühle zu unterstellen, konnte zu großer Enttäuschung führen. Doch egal, wie es weitergehen würde, Mattie schwor sich, den Abend zu genießen. Sie war glücklich und wollte sich ihre gute Stimmung durch nichts verderben lassen. Lächelnd schritt sie an Joes Arm zur Tür hinaus.
Daniel entschied, dass die laute Musik und die lärmenden Gäste im Watering Hole genau das Richtige sein würden, um ihn von seinen düsteren Gedanken abzulenken. Es war der Anfang vom Ende, doch daran wollte er heute eigentlich gar nicht denken. Alles, was er wollte, war Mattie einen wunderbaren Abend zu schenken. Bislang schien sie sich auch prächtig zu amüsieren. Sie hatte genüsslich ein Fischgericht verspeist und die wiederholten Blicke der Männer in ihre Richtung anscheinend gar nicht wahrgenommen. Daniel natürlich schon. Alle männlichen Gästen im Cafe hatten die Augen aufgerissen, als Mattie hereinspazierte, als sei sie soeben der »Vogue« entstiegen. Als sie dann das Watering Hole betraten, wurde es noch schlimmer. Alle Männer schienen sich wie auf Kommando nach Mattie umzudrehen und starrten auf ihren attraktiven Körper und ihr strahlendes Gesicht. Noch nie war Daniel so sehr von Eifersucht gepackt worden. Er hatte wohl geahnt, dass Mattie Aufsehen erregen würde, aber so schlimm hatte er es sich dann doch nicht vorgestellt. Verdammt, er würde den ganzen Abend aufpassen müssen wie ein Schießhund. Als die Band eine langsame Ballade anstimmte, zog er Mattie in seine Arme. So konnten die anderen Männer wenigstens nicht mehr ihre Brüste anschauen, die durch das eng anliegende Kleid so reizvoll zur Geltung kamen. Er konnte sich entspannen und ihren weichen, warmen Körper ganz an seinem spüren. Zugegeben, so richtig entspannen konnte er sich natürlich nicht, aber an seinen beinahe permanenten Erregungszustand in Matties Nähe war er zumindest gewöhnt. »Hm, das ist schön«, sagte Mattie, den Kopf gegen seine Schulter gelehnt. »Ich habe seit dem College nicht mehr getanzt. Und damals eigentlich auch nicht, weil ich immer Geld für das Studium verdienen musste.« »Ich auch«, erwiderte Daniel und starrte mit bösem Blick einen Cowboy nieder, der ganz in den Anblick Matties schwingender Hüften versunken schien. Als das Lied zu Ende war, packte Daniel ihr Handgelenk und drängelte sich durch die Menge zur Bar. »Ich könnte ein Bier vertragen. Du auch?« »Für mich nur eine Cola… Hey!« rief sie abrupt. Sie zog an seinem Arm, und als Daniel sich umdrehte, sah er, dass Buck Reynolds ihre freie Hand ergriffen hatte und versuchte, Mattie wieder zur Tanzfläche ziehen. »Lass sie los«, verlangte er scharf. »Die Lady gehört zu mir.« Buck beachtete Daniel gar nicht. »Ach, komm schon, Mattie«, säuselte er. »Nur einen Tanz. Ich dachte, du würdest dich gern mal an einem richtigen Mann festhalten statt an diesem Weichei.« Ehe Mattie irgendetwas erwidern konnte, zog Buck sie zu einem Twostepp auf die Tanzfläche. Daniel kochte vor Wut, als Bucks Kumpane sich vor ihm aufbauten, um sein Eingreifen zu verhindern. »Beruhige dich, Schlappschwanz«, grölte Harlan in Joes Ohr. »Buck will doch nur mit ihr tanzen. Hey – sie ist eine echt heiße Braut geworden. Könnte mir auch gefallen.« Daniel war bereits drauf und dran, eine Schlägerei zu beginnen, doch
bevor er etwas tun konnte, sah er plötzlich, wie Mattie ihrem Tanzpartner das Knie zwischen die Beine rammte, als er sie an sich pressen wollte. Dem Cowboy knickten die Beine ein, und er sank zu Boden wie ein Sack Maismehl. »Euer Freund sieht aus, als würde er sich nicht besonders wohl fühlen«, sagte Daniel. »Hat er vielleicht zu viel getrunken? Ihr solltet ihm helfen, bevor jemand auf ihn drauftritt. Das wäre doch schade, oder?« Während die drei abschwirrten, beeilte sich Daniel, sich Mattie zu schnappen, ehe es ein anderer tat. Seine Anspannung ließ etwas nach, und grinsend sah er zu, wie die Cowboys Buck auf einen Stuhl hievten. »Guter Schachzug«, lobte Daniel, während er Mattie zur Bar brachte. »Ich hatte Angst, dass du aus lauter Ritterlichkeit die anderen drei in die Mangel nimmst, wenn ich den Kerl nicht selbst erledige. Du weißt schon, so wie letztes Mal vor dem Cafe. Gib zu, du hast daran gedacht.« Daniel schlang besitzergreifend seinen Arm um ihre Taille, während er die Getränke bestellte. »Ja, ich habe daran gedacht. Es hat mich rasend gemacht zu sehen, wie dieser Buck dich begrapscht hat, und ich hätte meinem Ärger gern Luft gemacht.« Sie sah ihn mit funkelnden Augen an, und sein Herz begann zu rasen. »Bist du etwa eifersüchtig?« fragte sie. »Tödlich eifersüchtig«, bestätigte er. »Gut, dann kannst du dir ja vorstellen, wie ich mich fühle, wenn all diese Frauen im Geschäft dich mit den Augen ausziehen. Auch du hast heute Abend viel Aufmerksamkeit erregt. Du siehst zum Anbeißen aus, Joe.« Er blickte um sich und stellte überrascht fest, dass Frauen ihm von allen Seiten einladend zuzwinkerten. Er war so damit beschäftigt gewesen, Mattie zu beschützen, dass es ihm gar nicht aufgefallen war. Mattie lachte erst über sein erstauntes Gesicht, zog dann aber missbilligend die Stirn kraus, als eine ihrer Kundinnen in hautengen Jeans und eng anliegendem Stricktop auf Daniel zusteuerte. »Achtung, Angriff«, warnte Mattie ihn. »Jetzt bist du an der Reihe. Candice Green geht wieder einmal ihrem Lieblingssport nach: der Männerjagd.« »Ach ja?« erwiderte Daniel und sah in Candices Richtung. Dann legte er schnell ein paar Scheine auf die Theke und schob Mattie behutsam zum Ausgang. »Mir ist nach einer Fahrt um den See zu Mute.« »Geht mir genauso«, stimmte Mattie zu. Draußen holte Daniel erst einmal tief Luft. »Wenn ich das nächste Mal einen netten Abend im Watering Hole vorschlage, erinnere mich bitte daran, dass das keine gute Idee ist«, bat er. »Okay. Ich bin zwar ein geselliger Mensch, aber so viele Leute auf einmal sind mir auch zu viel. Da ziehe ich eindeutig das weite Land vor.« Daniel öffnete die Beifahrertür seines alten Pick-ups. Als Mattie beim Einsteigen viel von ihren schlanken nylonbestrumpften Beinen zeigte, räusperte er sich verlegen. »Also, was unsere Mondscheinfahrt angeht…« »Ja?« Er lächelte viel sagend. »Ich würde lieber gleich zu dir fahren.« »Nur wir beide? Allein im Dunkeln?«
»Das wäre schön.« Sie beugte sich vor und gab ihm einen Kuss. »Ich kann mir auch nichts Schöneres vorstellen, Joe.« Daraufhin lief er zur Fahrerseite, klemmte sich hinter das Steuer und fuhr auf schnellstem Wege zu Matties Haus. Er fragte sich ernsthaft, ob dieses gierige Verlangen, das er nun seit fast einem Monat ständig verspürte, wohl nachlassen würde, wenn er Jahre statt Tage mit Mattie verbringen würde. Nein, er bezweifelte es, denn Mattie reizte ihn in so vieler Hinsicht. Sie strahlte Erotik aus, hatte Charakter und Persönlichkeit. Er würde nie genug von ihr bekommen. Es war unglaublich, was für Gefühle sie in ihm wachrief. Und es versetzte ihn beinahe in Panik, wenn er bedachte, dass er diesen Zauber zwischen ihnen durch einen einzigen falschen Schritt zerstören konnte. Wenn sein Plan zur Enthüllung der Wahrheit fehlschlug, dann hätte das Konsequenzen, an die er nicht zu denken wagte. Alles hing vom richtigen Timing ab. Später würde er sich Gedanken über das Einleiten des ersten Schrittes machen, aber nicht jetzt. Jetzt wollte er Mattie in ihr Schlafzimmer tragen, und dann würde er ohnehin an nichts Vernünftiges mehr denken können. Daniel war überzeugt, mindestens im siebten Himmel zu schweben, als Mattie ihn zu liebkosen begann. Sie streichelte seinen muskulösen Oberkörper, fuhr mit der Zunge über seine flachen harten Brustwarzen. Sein Körper reagierte so empfindlich auf ihre Berührungen und Küsse, dass er das Gefühl hatte, elektrisiert zu sein. Als sie mit der Hand über seinen Bauch glitt, hatte er plötzlich Schwierigkeiten zu atmen. Und dann berührte sie den pulsierenden Beweis seiner Erregung, streichelte ihn mal sanft, mal fester, bis Daniel vor süßer Qual aufstöhnte. Dadurch ermutigt, ließ sie der Hand Lippen und Zunge folgen. Daniel verlor immer mehr die Kontrolle über sich, so aufregend war das, was sie mit ihm machte. »Nicht weiter«, keuchte er. »Mattie…« Sie ignorierte seinen Einwand, und Daniel wusste, er würde es keine Minute länger mehr aushalten, wenn er sie nicht bremste. Ehe sie protestieren konnte, hatte Daniel sie auf den Rücken gedreht und hielt ihre Hände über ihrem Kopf fest. »Jetzt bist du an der Reihe«, flüsterte er rau und senkte den Kopf, um ihre Brüste zu küssen und an ihren zarten Knospen zu saugen. Mattie bog sich ihm entgegen und genoss zitternd vor Erregung das magische Netz aus Lust und Leidenschaft, das Daniel mit seinen Küssen und Berührungen um sie spann. Als seine Hände und Lippen tiefer wanderten und sie immer mehr erregten, stöhnte sie laut auf. Mit sanften Berührungen seiner Fingerspitzen hielt er ihre Erregung aufrecht. Dann spreizte er vorsichtig ihre Beine und kniete sich dazwischen. Mattie seufzte laut auf, als sie seine warmen, weichen Lippen und seine Zunge an ihrer empfindlichsten Stelle spürte. Sinnliche Schauer durchrieselten ihren Körper. »Komm ganz zu mir«, flüsterte sie keuchend, als die erste Welle der Ekstase anrollte. »Joe… bitte!«
Daniel schlang ihre Beine um seine Hüften und drang behutsam in sie ein. Langsam, aber unaufhaltsam steigerte er das Tempo seiner Bewegungen. Es wurde der pure Genuss, heftig und schön, und er kostete jede Sekunde aus. Denn bald würde er sich von Mattie verabschieden müssen, und er wollte diese Erinnerungen hüten wie einen kostbaren Schatz. Als sie auf dem Höhepunkt ihrer Lust aufschrie und seinen Namen rief, durchströmte ihn ein Gefühl tiefster Befriedigung, und er ließ sich mit Mattie in dieses Gefühl hineinfallen wie in einen wirbelnden Sog. Er presste ihren Körper an sich und schmiegte das Gesicht in ihre schwarzen Locken. Sein Herz hämmerte, sein Atem ging schwer und keuchend, er fühlte sich aufs Angenehmste erschöpft. Mit Mattie zu schlafen forderte ihm alles ab, was er zu geben imstande war. »Ich liebe dich«, flüsterte sie. Sein Herz krampfte sich zusammen, so wie immer, wenn sie so ehrlich und vertrauensvoll ihre Gefühle für ihn in Worte fasste – drei Worte nur, und doch so bedeutungsvoll. Daniel lag einige Minuten nur da, Mattie eng an sich gedrückt. Es quälte ihn unsäglich, dass er die Situation so verfahren hatte. Schließlich sagte er: »Mattie, wir müssen miteinander reden.« »So? Worüber?« Sie wartete mit angehaltenem Atem, da sie hoffte, er würde ihr die große Frage stellen. Sie war sich ihrer Antwort bereits sicher. Es spielte keine Rolle, dass sie ihn erst seit einem Monat kannte. Sie wusste, dass sie ihn von ganzem Herzen liebte. Sie könnten hier in Fox Hollow ein schönes Leben führen. Dass er sich hier wohl fühlte, war offensichtlich. »Mattie, ich muss dir leider mitteilen, dass ich kündige.« Eisige Kälte stieg in ihr auf. Mit allem hatte sie gerechnet, aber ganz bestimmt nicht damit! Sie drehte ruckartig den Kopf, der auf seiner Schulter lag, damit sie ihn ansehen konnte. »Was? Warum? Ich dachte, es gefällt dir hier? Ich dachte…« »Das tut es ja auch«, unterbrach er schnell, um mit seiner sorgsam geprobten Erklärung fortfahren zu können. »Unglücklicherweise entbindet mich die Tatsache, dass es mir hier gefällt – dass es mir mit dir gefällt –, nicht von meinen Verpflichtungen, die ich zurückgelassen habe.« Er rieb seine Nase zärtlich an Matties Wange, da er ihre Enttäuschung und Verwirrung spürte. »Als ich herkam, sagte ich dir, dass ich aus einer unangenehmen Situation geflohen bin. Ich hatte meine Begeisterung und mein Ziel im Leben verloren. Durch dich, Mattie, habe ich meinen Lebenssinn wieder gefunden.« Die Vorstellung, Joe als Werkzeug gedient zu haben, nur damit er sich aus irgendeiner emotionalen Klemme befreien konnte, löste gemischte Gefühle in ihr aus. Es war, als hätte er sie im selben Atemzug gelobt und beleidigt. Es brach ihr das Herz, weil sie nun ahnte, dass ihre Liebe zu Joe nicht ausreichte, um ihn zu halten. »Ich weiß, dass du das jetzt nicht verstehst, und ich kann leider nicht erklären, wohin ich gehe und was ich dort tun muss«, fuhr Daniel fort,
während er mit beruhigender Geste ihren Arm streichelte. Mattie fühlte sich allerdings kein bisschen beruhigt. Sie fühlte sich verletzt und abgewiesen und konnte sich nicht vorstellen, dass Joe sie durch irgendetwas noch trösten könnte. »Mittwoch wird mein letzter Tag sein. Bis dahin werde ich meine ganze Freizeit daran setzen, so viele Stücke für das Pflegeheim fertig zu stellen, wie es nur geht. Dann werde ich am späten Freitagabend zurückkommen und das Wochenende hier verbringen. Ich habe vor, jedes Wochenende herzukommen, bis ich mein Leben geordnet habe. Ich will dich nicht verlieren, Mattie«, versicherte er. Mattie war sich nicht sicher, weil sie in solchen Dingen unerfahren war, aber sie vermutete, dass er nach einer altbekannten Masche verfuhr und ihr mit schönen Worten all das sagte, was sie hören wollte, um sie sich warm zu halten. Dafür, dass er keine Ehefrau oder Freundin in seinem anderen Leben zurückgelassen hatte, hatte sie schließlich nur sein Wort. Unglücklicherweise klangen Ausdrücke wie »anderweitige Verpflichtungen«, »mein Leben ordnen« oder Versprechen von Wochenendbesuchen in Matties Ohren wie hohle Phrasen. Und wo sie jetzt darüber nachdachte, kam ihr auch der überraschende Besuch seines Großvaters sehr merkwürdig vor. War J.D. vielleicht gekommen, um Joe zu ermutigen, in sein altes Leben zurückzukehren? So ein elender Mistkerl! Und sie selbst war eine dumme Gans, weil sie mehr in ihre Affäre hineininterpretiert hatte, als tatsächlich bestand. Mattie war im Begriff, sich innerlich zurückzuziehen, doch Daniel wollte das nicht zulassen. »Wende dich nicht von mir ab, Mattie«, bat er leise. »Ich hatte Angst, dass genau dies passieren würde, und habe deshalb die ganze letzte Zeit mit mir gerungen, wann wohl der richtige Zeitpunkt wäre, es dir zu sagen. Aber ich wollte so fair sein, mit dir zu reden, bevor ich gehe. Und ich will, dass du weißt, dass ich zurückkomme.« Ja, sicher, dachte Mattie. Er machte es auf die sanfte Tour. Nichtsdestotrotz gab er ihr den Laufpass. Sie konnte sich gut vorstellen, was er dachte: Mach’s gut, Süße. Der Sex mit dir war toll, dein Großvater bringt mich zum Lachen, und Schreinern macht mir wirklich Spaß, aber das Ganze war doch nur ein nettes kleines Abenteuer, weiter nichts. »Ich rufe dich jeden Abend an«, versprach er. Ja, natürlich, dachte sie. Und ich bin die Kaiserin von China. »Und ich komme jedes Wochenende her, egal, ob es regnet, stürmt oder schneit.« Prima, pass nur auf, dass du dich im Schneesturm nicht verirrst . »Mattie?« Sie antwortete nicht. Wenn sie etwas sagte, würde sie vermutlich in Tränen ausbrechen. »Ich weiß, wie das klingt, und ich kann mir gut vorstellen, was du denkst.« »Ach ja?« Ihre Stimme klang belegt. »Ja, das kann ich«, bekräftigte Daniel. »Du denkst, dies sei der Anfang vom Ende, aber du irrst dich. Ich will mich nicht davonschleichen, Mattie, das schwöre ich.« Klar, und als Nächstes würde er das Leben seines Großvaters ins Spiel
bringen, um seinen Worten mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen. Was die Männer sich nicht alles einfallen ließen, um die Frauen einzuwickeln! »Ich schwöre es beim Leben meines Großvaters!« Das war’s. Aus, vorbei. Seine Beschwichtigungsversuche bewirkten genau das Gegenteil. Das Vertrauen, das sie ihm bisher entgegengebracht hatte, war zerstört. Oder ging es hier eher um ihr mangelndes Selbstvertrauen, ihre lang gehegten Ängste, sie wäre nicht Frau genug, einen Mann zu halten? Je länger sie darüber nachdachte, desto mehr kam sie zu der Überzeugung, dass sie Joe mit ihrer Art sehr gelegen gekommen war. Naiv, ohne große Erfahrung, vertrauensselig, liebebedürftig. Ja, ja, die gute alte Mattie. Prinzessin der Elektrowerkzeuge, die nur das halten konnte, was sich festnageln ließ. Genau die Richtige, um Joes sexuellen Appetit zu stillen. Was war sie nur für eine Idiotin gewesen! Sie hatte es nicht kommen sehen, weil Joe ein Meister darin war, seine Absichten zu verheimlichen. Er hatte sie benutzt und warf sie jetzt weg wie abgewetztes Sandpapier. Als er versuchte, sie zu küssen, wand Mattie sich aus seinen Armen. Sie fühlte sich benutzt, beschämt und desillusioniert. »Mattie, bitte denk jetzt nicht…« »Ich will, dass du gehst, Joe«, unterbrach sie ihn und blinzelte heftig, um die Tränen zurückzuhalten. »Ich brauche Zeit, um über alles nachzudenken, was du gesagt hast – und nicht gesagt hast.« Er stand auf und griff nach seinen Sachen. Er hatte gewusst, es würde nicht leicht werden, deshalb hatte er seine Worte auch ein halbes Dutzend Mal geprobt. Doch seine gründliche Vorbereitung hatte nicht das kleinste bisschen genützt. Tja, ich muss ihr wohl einfach Zeit geben, sich an den Gedanken zu gewöhnen, versuchte er sich selbst zu beruhigen. Der vorläufige Schock würde nachlassen, und er könnte sie durch seine Anrufe und Besuche überzeugen, dass er es ernst meinte. Wenn er jedes Wochenende zurückkam, musste sie doch irgendwann merken, dass sie sich auf ihn verlassen konnte. Und dann würde er ihr die Wahrheit sagen – die ganze Wahrheit bis ins kleinste geheime Detail. Und davor hatte er am allermeisten Angst, mehr noch als vor dem Geständnis, dass er ihr Boss war und dies nicht das Geringste an seinen Gefühlen für sie änderte. Nach einem kurzen »Gute Nacht«, auf das er keine Antwort bekam, machte Daniel sich auf den Weg in sein Apartment. Doch im letzten Moment entschied er sich anders. Obwohl es schon spät war, ging er zu seinem Pick-up und fuhr nach Paradise Valley. Er brauchte einen Verbündeten: Pops. Er musste ihn überzeugen, dass er Mattie nicht fallen ließ, egal, was Mattie ihrem Großvater erzählen würde. Daniel stellte den Wagen ab, schlich im Dunkeln zum Westflügel des Gebäudekomplexes und klopfte bei Pops ans Fenster. Er wartete ein paar Sekunden, dann klopfte er nochmals. »Fred? Bist du das? Was zum Teufel machst du da draußen? Unser großer Ausflug zum Bowling ist doch erst morgen. Dein Gedächtnis ist auch nicht mehr das, was es mal war.«
Trotz seiner Sorgen musste Daniel schmunzeln. Er steckte den Kopf durch das nun geöffnete Fenster. »Ich bin’s. Kann ich reinkommen und kurz mit dir reden?« »Joe?« flüsterte Pops aufgeregt. »Was machst du denn hier? Ja, komm rein, aber sei leise.« Daniel schwang ein Bein über das Fensterbrett und kletterte ins Zimmer. Als er die neueste Ausgabe des »Playboy« auf Pops Bett liegen sah, musste er wieder schmunzeln. Der alte Mann wollte gewiss nicht die interessanten Artikel lesen…
8. KAPITEL Pops schob die Zeitschrift unter sein Kopfkissen und setzte sich bequem auf. »Was führt dich denn mitten in der Nacht hierher, mein Junge?« Daniel ließ sich in den alten wackligen Lehnstuhl fallen. Dabei fiel ihm plötzlich auf, dass er Matties Haus in solcher Eile verlassen hatte, dass er sein zerknittertes Hemd falsch zugeknöpft hatte. Er hoffte nur, dass der alte Mann zu schlecht sah, um es zu bemerken. »Ich brauche deine Hilfe«, bat Daniel und seufzte. Pops verschränkte seine runzligen Hände hinter dem Kopf. »Ich helfe dir gern. Was kann ich für dich tun?« Daniel lehnte sich vor, Ellbogen auf den Knien, und sah Pops eindringlich an. »Ich muss die Stadt verlassen und mich um ein paar unerledigte Dinge kümmern. Ich fürchte, Mattie glaubt mir nicht, dass ich zurückkommen werde, obwohl ich es ihr mehrmals fest versprochen habe. Ich hatte gehofft, du könntest sie vielleicht beeinflussen, damit sie nicht schlecht über mich denkt.« Pops zog die Augenbrauen hoch. »Du verlässt Fox Hollow, dieses Paradies? Warum sollte ein vernünftiger Mensch wie du das tun?« Er sah Daniel argwöhnisch an. »Wartet etwa irgendwo eine Frau auf dich, von der ich nichts weiß?« »Nein, ganz bestimmt nicht«, beteuerte Daniel. »Ich muss mich nur um einige Geschäfte kümmern, die ich im letzten Monat vernachlässigt habe. Ich habe versucht, es Mattie zu erklären, aber sie denkt, ich will mich aus dem Staub machen und mich nie wieder blicken lassen.« »Und? Willst du das?« »Natürlich nicht! Ich kann aber nur an den Wochenenden kommen, bis ich alle Angelegenheiten in der Stadt erledigt habe.« »Treibst du irgendwelche Spielchen mit meiner Enkeltochter, Joe?« Pops richtete sich auf und drohte mit seiner knochigen Faust. »Ich warne dich, Junge. Ich bin vielleicht ein bisschen alt, aber wenn du Mattie wehtust, prügele ich dich windelweich.« Die Vorstellung, wie Pops über ihn herfallen würde, wäre unter anderen Umständen vielleicht sogar amüsant gewesen. »Nein, ich meine es ernst mit Mattie, aber die Dinge sind leider verdammt kompliziert. Und so schwer es mir auch fällt, ich muss alles in der richtigen Reihenfolge angehen, ehe ich zurückkommen und Mattie um ihre Hand bitten kann.«
»Hast du ihr das auch gesagt? Die Sache mit dem Heiraten?« wollte Pops wissen. »So weit bin ich gar nicht gekommen, weil sie schon aufgehört hat, mir zu glauben, als ich ihr versprach, sie jeden Abend anzurufen und an den Wochenenden zu besuchen.« Pops schenkte sich ein Glas Wasser ein. »Du musst bedenken, dass Mattie als Kind verlassen wurde. Sie hat dieselben Versprechen von ihren Eltern gehört, und die haben nie angerufen oder sie besucht. Ich habe mein Bestes getan und ihr alle Liebe gegeben, aber sie wartete immer auf einen Anruf oder einen Besuch, der nie kam. Als sie älter wurde, lernte sie eben, dass es auch leere Versprechen gibt und dass die am meisten schmerzen. Ich tippe mal, dass du ihren wunden Punkt getroffen hast. Ich werde mich bemühen, ihr zu erklären, dass du es ernst mit ihr meinst und ihr nicht dieselben leeren Versprechen gemacht hast wie ihre Eltern.« Daniel stöhnte, als ihm einfiel, was Mattie ihm bereits am ersten Tag über nicht eingehaltene Versprechen gesagt hatte. Verdammt, wieso hatte er nicht gemerkt, wie viel Verbitterung in ihren Worten gelegen hatte? »Ich wünschte, ich hätte das alles schon vorher gewusst. Dann wäre ich die Sache bestimmt ganz anders angegangen. Meine Eltern haben mir wenigstens nichts versprochen, bevor sie mich bei meinen Großeltern abluden und dann jeder für sich loszog, sein Glück zu suchen.« »Tja, wie gesagt, ich kann versuchen, mit Mattie zu reden. Aber wenn du mich zum Lügner machst, bekommst du es mit der Roland-Gang zu tun. Du weißt, dass Mattie meinen Freunden genauso viel bedeutet wie mir.« »Ja, ich weiß. Wenn ich die Sache mit Mattie vermassle, verliere ich alle Freunde, die ich hier gewonnen habe, weil alle Mattie lieben.« »Du hast es erfasst, Junge«, bestätigte Pops. Daniel stand auf und schüttelte Pops die Hand. »Ich werde jede Unterstützung zu schätzen wissen, die du mir geben kannst, während ich den Schlamassel bereinige.« »Aber du willst nicht sagen, was das für ein Schlamassel ist. Findest du nicht, das klingt ein wenig suspekt?« »Kompliziert«, berichtigte Daniel. »Suspekt«, wiederholte Pops mit Nachdruck. »Also, wann willst du die Stadt verlassen?« »Am Mittwoch.« »Dann findet unser Ausflug morgen zur Bowlingbahn noch statt?« »Ja, das wird vorerst unser letztes Abenteuer, ehe ich in die Stadt zurückkehre. Dann kann ich erst einmal nur kurze Ausflüge an den Wochenenden anbieten.« »Ich werde dich daran erinnern.« Pops bedachte ihn mit einem eindringlichen Blick. Daniel kletterte aus dem Fenster und schlich durch die Dunkelheit zu seinem Pick-up. Beim Davonfahren überkam ihn auf einmal ein Gefühl der Einsamkeit. Er dachte, dass er sich besser an dieses Gefühl gewöhnte, weil er vorerst sicher allein schlafen müsste. Er spürte bereits,
wie sich eine Kluft zwischen ihm und Mattie auftat, da sie ihr Vertrauen in ihn verloren hatte. Aber was hätte er denn tun sollen, außer mit ihr zu reden? Bis Mittwoch warten, um ihr seine Abreise zu verkünden? Schon jetzt dachte sie, ihr offizielles Rendezvous heute Abend sei das Vorspiel zu seinem großen Abschied gewesen. Und genau das hatte er eigentlich verhindern wollen. Missmutig stieg Daniel aus dem Wagen und ging in seine Wohnung. Er dachte daran, seinen Großvater anzurufen, um eine mitfühlende Stimme zu hören. Aber J.D. hatte ihm geraten, lieber früher als später mit der Wahrheit herauszurücken. Nein, der alte Herr wäre vermutlich nicht besonders mitfühlend. Daniel dachte, er hätte einen guten Plan entwickelt, um die verzwickte Situation zu entschärfen, aber die einzelnen Stufen seines Plans würden Zeit erfordern. Und in dieser Zeit würde die Kluft zwischen ihm und Mattie womöglich noch größer werden. So ein Mist! Er hatte doch nicht ahnen können, dass er ihr dieselben leeren Versprechungen präsentiert hatte, die sie von ihren Eltern gehört hatte, ehe sie auf Nimmerwiedersehen verschwanden. Daniel warf sich auf die Schlafcouch und versuchte sich zu beruhigen. Doch das gelang ihm ebenso wenig, wie Mattie davon zu überzeugen, dass er zurückkommen würde. Gereizt durch ihren Mangel an Schlaf und das nagende Gefühl der Enttäuschung, stand Mattie auf und bereitete sich auf die Arbeit vor. Sie wusste nicht, wie sie einen zweiten Tag neben Joe im Geschäft ertragen sollte. Gestern hatte sie versucht, ihn möglichst zu ignorieren, und war ihm einfach aus dem Weg gegangen, was ihren Spezialaufträgen in der Werkstatt zugute gekommen war. Joe hatte sich ihr mehrere Male genähert, doch sie war ihm stets ausgewichen. Er war betont höflich gewesen und hatte ihr so leider keine Gelegenheit geboten, ihrer Wut Luft zu machen. Sie verrichtete ihre Arbeit mechanisch und schickte Joe, um ihn eine Weile los zu sein, bald zu Candice Green nach Hause, damit er ihr die extra für sie angefertigte Schiffstruhe und das Setzkastenregal anbrachte. Candice freute sich bestimmt, Joe ganz für sich allein zu haben. Als das Windspiel an der Tür erklang, ging Mattie in den Verkaufsraum, um den neuen Kunden zu bedienen. Beim Anblick des fremden Mannes im eleganten Business-Anzug und mit teurer Lederaktentasche runzelte sie die Stirn. Der Mann, dessen Frisur trotz der morgendlichen Brise kein bisschen zerzaust war, sah sich um und ging dann geradewegs auf Mattie zu. »Kann ich Ihnen helfen?« erkundigte sie sich. »Oh, das hoffe ich«, erwiderte Eric Shaffer, während er mit offenkundiger Missbilligung ihre Jeans und T-Shirt betrachtete. »Ist der Geschäftsführer im Hause?« Offensichtlich dachte dieser feine Pinkel, sie sei eine Aushilfskraft. Mit großer Genugtuung sagte sie: »Sie sprechen mit ihm.« Mr. Geschniegelt machte sich nicht die Mühe, seine Überraschung zu
verbergen. »Oh. Ich bin auf der Suche nach Daniel Grayson.« Daniel Grayson? Irgendwie kam ihr der Name bekannt vor. Mattie dachte angestrengt nach. Grayson. Ach ja, das war doch der Direktor von Hobbydrome Enterprises. Mattie bezeichnete ihn nun schon so lange als Oberhäuptling, dass sie seinen richtigen Namen fast vergessen hatte. Aber warum suchte dieser Anzugträger den großen Firmenboss Daniel Grayson ausgerechnet in Fox Hollow? »Daniel Grayson ist nicht hier«, versicherte sie dem Fremden. »Wir sprechen doch vom Firmenpräsidenten, nicht wahr?« »Von eben diesem«, erwiderte Eric von oben herab. »Mir wurde aber gesagt, ich könnte ihn hier finden. Ich muss ihm eine dringende Nachricht überbringen, daher ist es äußerst wichtig, dass ich ihn persönlich spreche. J.D. hat ausdrücklich nach seinem Enkelsohn verlangt.« J.D.? Das kam einem Schlag in die Magengrube gleich. Mattie fühlte ihre Beine nachgeben und musste sich an der Ladentheke abstützen. Du liebe Güte, das konnte nicht sein! Joe Gray konnte nicht Daniel Grayson sein… oder etwa doch? Mattie klammerte sich immer noch mit einer Hand an der Theke fest, und in ihrem Kopf drehte sich alles, als die Türglocke erneut klingelte. Wie in Trance blickte sie über die Schulter und beobachtete, wie Joe sich mit zwei leeren Kisten vor der Brust durch die Tür zwängte. Offenbar hatten Candice alle Dekorationen gefallen, die Mattie für ihre Wandregale zusammengestellt hatte. »Eric, was machst du denn hier?« Sobald die unbedachte Frage seinem Mund entwichen war, erstarrte Daniel und wünschte, er könnte sie zurücknehmen und dass er den aufstrebenden, übereifrigen Jungmanager überhaupt nicht kennen würde. Er blickte zu Mattie, die ihn anstarrte, als wäre er ein Monster und wollte sie jeden Augenblick verschlingen. Anscheinend hatte sie bereits eins und eins zusammengezählt und seine wahre Identität durchschaut. Er wusste nicht genau, wie es war, eine Panikattacke zu haben, aber etwas in der Art erlebte er sicher gerade. Er bekam kaum noch Luft, und sein Herz hämmerte wie eine Bongotrommel. »D.J. wie gut, dass ich Sie gefunden habe!« rief Eric und eilte auf Daniel zu. »D.J.?« wiederholte Mattie. Ihr Gesicht war aschfahl geworden. »Wie in Daniel Joseph Grayson? Joe Gray?« Sie ballte die Hände und stand starr wie eine Statue da. »Wie konntest du nur? Warum hast du das getan? Himmel, wenn ich daran denke, wie oft du dir auf meine Kosten ins Fäustchen gelacht hast…« Ihre Stimme versiegte, als sie daran dachte, wie viele abfällige Bemerkungen über den Oberhäuptling sie Joe gegenüber gemacht hatte. Sie hatte sich über seine Regeln, seine Firmenpolitik, seinen Führungsstil mokiert und mindestens ein Dutzend Mal erzählt, wie sie die Firma leiten würde. Wie schrecklich! Joe Gray war ein betrügerischer, heimtückischer Spion, der hergekommen war, um sie als Geschäftsführerin auszukundschaften und nebenbei auch noch ins Bett zu zerren, weil sie so
hoffnungslos naiv und unerfahren war und ihn angehimmelt hatte wie ein verknallter Teenie. Sie war nichts weiter als ein Spielzeug für ihn gewesen, und er für sie die wahre Liebe. Aber Joe Gray war nicht sein wahrer Name. Der Mann, in den sie sich verliebt hatte, existierte überhaupt nicht. Der Schmerz über den Betrug brannte wie Feuer in ihrem Innersten. Mattie taumelte leicht. Sie liebte Joe von ganzem Herzen, und er hatte sie manipuliert, belogen, benutzt! Wie dumm war sie gewesen, zu denken, dass nichts Schlimmeres geschehen konnte als sein verlogener Rückzug vor zwei Tagen! Sie hatte sich geirrt. Dies hier war tausend Mal schlimmer – und noch nicht vorüber. »Mattie, lass mich…« Wortlos drehte sie sich um und verschwand in der Werkstatt. Sie hatte genug Lügen gehört. Nichts, was Joe sagte, könnte ihre Empörung und Enttäuschung mildern. Mattie fühlte sich so gedemütigt, dass sie am liebsten ein Loch in den Boden gesägt und darin verschwunden wäre! »Mattie!« rief Daniel ihr nach. »D.J. ich muss mit Ihnen sprechen«, beharrte Eric. Er packte Daniel am Arm, als der versuchte, Mattie aufzuhalten. »Es geht um J.D. Er hat mich gebeten, Sie zu kontaktieren.« Daniel hörte auf, sich zu wehren, und drehte sich zu dem Top-Manager um. »J.D. hat Sie ganz bestimmt nicht hergeschickt«, herrschte er ihn an. »Er hat mir einen Monat Ruhe vor Ihnen und den anderen leitenden Angestellten versprochen.« Eric machte einen beleidigten Eindruck, fing sich aber wieder. »D.J…. äh, Mr. Grayson, J.D. wollte, dass ich Sie anrufe, aber ich dachte, ich komme lieber persönlich vorbei.« »Nun, ich wünschte, Sie hätten verdammt noch mal angerufen«, zischte Daniel mit Blick auf die geschlossene Tür der Werkstatt. »Was zum Teufel will mein Großvater denn von mir?« Eric wurde so weiß wie sein gestärktes Hemd. »Es tut mir Leid, aber Sie sollten wissen, dass J.D. letzte Nacht einen Herzinfarkt hatte. Glücklicherweise konnte er noch den Notruf betätigen und Hilfe anfordern. Aber sein Zustand ist so ernst, dass er Sie bei sich haben möchte.« So bestürzt Daniel auch war, packte ihn dennoch unbändige Wut auf Eric Shaffer. Hätte der nicht versucht, sich durch seinen persönlichen Besuch bei ihm anzubiedern, sondern einfach nur angerufen, könnte er, Daniel, jetzt bereits am Krankenbett seines Großvaters sitzen. Außerdem hätte Mattie dann nicht entdeckt, was Daniel ihr in vorsichtigen Schritten hatte beibringen wollen, damit sie nicht vollkommen durchdrehte. Doch genau das war nun dank Eric, diesem Schleimer, geschehen. »Ich bin mit meinem Wagen da«, sagte Eric schnell. »Ich dachte, wir könnten auf der Fahrt zum Krankenhaus kurz ein paar geschäftliche Dinge durchgehen.« Daniel ballte die Fäuste. »Geschäftliche Dinge?« knurrte er drohend. Eric trat unsicher von einem Fuß auf den anderen, als Daniel ihn mit seinen Blicken geradezu durchbohrte. »Nun ja, Sir, Firmenangelegenheiten… Sie wissen schon.«
»Was mich betrifft, kann die Firma zur Hölle fahren, und Sie gleich hinterher!« fauchte Daniel wütend. »Warten Sie in Ihrem Wagen auf mich. Und wagen Sie es ja nicht, irgendwelche geschäftlichen Dinge anzusprechen«, fügte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hinzu. »Verstanden?« »Ja, Sir… ich meine, nein, Sir.« Verstört hastete Eric zur Tür. Nachdem er verschwunden war, atmete Daniel einige Male tief durch. Er war fuchsteufelswild, aber in dieser Stimmung würde er die Sache mit Mattie nur noch verschlimmern, wenn er sie jetzt ansprach. Daniel näherte sich der Werkstatt wie ein zum Tode verurteilter Mann auf dem Weg zu seiner Hinrichtung. Mattie schien ihren Ärger an dem herzförmigen Blumenständer auszulassen, den sie gerade sorgfältig abgeschmirgelte. »Mattie, ich weiß, dass die ganze Geschichte einen äußerst schlimmen Eindruck macht, und das tut mir aufrichtig Leid«, begann Daniel mit sanfter Stimme. »Aber es geht im Moment nicht um…« Mattie fuhr herum. »Sprich nie wieder ein Wort mit mir, Daniel Joseph Grayson«, erklärte sie in eisigem Ton. »Du hast mich belogen, betrogen, bespitzelt und…« Ihr stockte der Atem, und Tränen rannen ihr über die geröteten Wangen. »Du hast mich benutzt. Und ich, naiv und dumm wie ich bin, habe mich auch noch in dich verliebt. Ich bin sicher, das hattest du nicht erwartet – als Krönung des Sex-Abenteuers, wie es sich für einen tollen Spion gehört. Aber keine Angst, D.J.« Ihre Stimme klang scharf und schneidend. »So sehr, wie ich glaubte dich zu lieben, so sehr hasse ich dich jetzt, und das werde ich tun, solange ich lebe.« Schwer atmend, mit Tränen in den Augen, hob sie drohend die Holzfeile. »Und jetzt raus aus meinem Laden! Es ist immer noch mein Laden, bis du einen Ersatz für mich findest. Ach, und mach dir keine Mühe, mich zu feuern, denn ich kündige!« Doch Daniel wollte nicht gehen, ehe er das gesagt hatte, was er sagen wollte, sagen musste. »Ich liebe dich, Mattie.« Das Timing hätte schlechter nicht sein können. Er hätte wissen müssen, dass sie ihm nicht glaubte, wenn sein aufrichtiges Geständnis so kurz nach dem für sie schlimmsten Betrug aller Zeiten folgte. »O Mann, das ist ja toll!« höhnte sie voller Sarkasmus. »Sagst du das all deinen geschäftsführenden Gespielinnen, nachdem du sie hinreichend ausspioniert hast? Wozu soll das gut sein? Ist es irgendeine Art krankhafter Wiedergutmachungstrieb?« »Nein… ich meine, ich spioniere sonst niemanden aus«, beeilte er sich zu sagen. »Ach, etwa nur mich? Da fühle ich mich aber geehrt, Mr. Oberhäuptling. Und jetzt raus hier!« »Ich gehe«, versicherte er ihr. »Aber du sollst wissen, dass mein Großvater einen Herzinfarkt hatte. Sonst würde ich nämlich bleiben und diese Sache bereinigen.« Eine Moment lang lagen Mitgefühl und Besorgnis in ihrem Blick. Dann reckte sie entschlossen ihr Kinn, und ihre Augen glitzerten eisig. »Das tut mir Leid. Ich mag J.D. sehr gern. Sicher wird es seinen Zustand nicht gerade verbessern, zu wissen, was für einen hinterhältigen, gemeinen
Kerl er zum Enkelsohn hat. Aber wieso ist dein schnöseliger Manager extra hierher gefahren, um dir die Nachricht zu überbringen? Er hätte dich doch auch anrufen können.« »Ja, und ich wünschte mir nichts mehr, als dass Eric einfach zum Hörer gegriffen hätte«, murmelte Daniel erbittert. Mattie schnitt eine Grimasse. »Tja, dumm gelaufen, nicht? Denn so habe ich nun doch herausgefunden, wer du wirklich bist und wie sehr ich mich zum Idioten gemacht habe.« »Mattie, ich will nicht, dass du kündigst. Du bist doch Angestellte des Jahres.« Sie lachte kurz auf. »Oh, toll. Was für ein wunderbarer Trostpreis. Damit fühle ich mich ja schon gleich viel besser.« Sie musterte ihn argwöhnisch. »Oder bist du hergekommen, um deine Angestellte des Jahres zu kontrollieren, weil du dachtest, ich hätte die Verkaufszahlen frisiert?« »Natürlich nicht.« Verdammt! Sie war jetzt so misstrauisch geworden, dass sie ihm bei allem, was er tat, böse Absichten unterstellte. Mattie verzog das Gesicht. »Das glaube ich dir nicht. Und jetzt raus!« »Ich gehe nicht, bevor du mir versprochen hast, dass wir über die ganze Sache reden, wenn es Gramps wieder besser geht«, beharrte er. »Da kannst du warten, bis du schwarz wirst, Mr. Grayson, denn eher friert die Hölle zu, als dass ich mir weiter Lügenmärchen von dir anhöre.« Verzagt ließ Daniel die Schultern hängen. Er hatte Mattie verloren. Zu viele Tatbestände sprachen gegen ihn. »Auf Wiedersehen, Mattie«, murmelte er. »Verschwinden Sie endlich, Mr. Oberhäuptling«, gab sie zurück. Daniel drehte sich um und ging. Er hatte das Gefühl, einen Teil von sich selbst zurückzulassen – und zwar den, der wirklich etwas bedeutete. Joe Gray war tot und mit all seinen Hoffnungen, Träumen und wohl durchdachten Plänen begraben unter dem Hass, den er in Matties tränenfeuchten Augen gesehen hatte. Daniel blickte auf seinen im Krankenhausbett liegenden Großvater. Das Piepen und Zischen von Maschinen waren die einzigen Geräusche, die die Stille durchbrachen. Laut Auskunft des behandelnden Arztes hatte J.D. nur einen leichten Herzinfarkt erlitten, der ihn ein paar Wochen ans Bett fesseln würde. Die Angst, seinen Großvater zu verlieren, hatte Daniel in den fünfundvierzig Minuten Autofahrt schier die Luft abgeschnürt. Eric hatte nicht einmal gewagt, den Mund aufzumachen, während sein Boss mit düsterer Miene auf dem Beifahrersitz saß. Im Krankenhaus blieb er ihm wie ein ergebenes Hündchen bis zum Krankenbett immer dicht auf den Fersen, in der Hoffnung, durch seinen Krisenbeistand ein paar Pluspunkte zu verbuchen. Daniel setzte sich auf einen Stuhl und nahm die Hand seines Großvaters. »Gramps, ich bin da«, flüsterte er. J.D.s Lider flatterten, dann öffnete er die Augen und lächelte schwach. »Ich wusste, du würdest kommen, mein Junge. Entschuldige bitte die Umstände. Ich habe dir dreißig Tage Auszeit versprochen, aber ich hab’s vermasselt. Wie geht’s Mattie? Und Pops und den anderen?«
»Gut.« Na ja, den meisten von ihnen. Bei Mattie war er sich nicht so sicher. Er musste nur die Augen schließen, dann sah er den gequälten Ausdruck in ihrem Gesicht. Er war nicht sicher, ob sie jemals bereit sein würde, sich seine Erklärung anzuhören. »Hast du ihr die Wahrheit gesagt?« flüsterte J.D. heiser. Daniel schüttelte den Kopf. »Ich hatte keine Gelegenheit dazu. Das Plappermaul Shaffer da hinten in der Ecke hat alles ausgeplaudert, bevor ich meinen sorgsam durchdachten Plan der graduellen Wahrheitsvermittlung zu Ende führen konnte, um Mattie nicht allzu schlimm vor den Kopf zu stoßen.« Daniel durchbohrte Eric mit seinen Blicken. »Ach übrigens: Sie sind gefeuert, Shaffer. Räumen Sie bitte bis Montag Ihr Büro.« Als Eric reglos stehen blieb, die Aktentasche fest umklammert, das Gesicht weiß wie die Wand, deutete Daniel auf die Tür. »Raus!« Eric schlich davon. »War das nicht ein bisschen hart, mein Junge?« wollte J.D. wissen. »Nein«, entgegnete Daniel. »Er kann von Glück reden, dass ich ihn nicht erwürgt habe. Dieser Schwachkopf hat dich als Vorwand benutzt, um mir in den Allerwertesten zu kriechen. Anstatt im Laden anzurufen und mich so früh wie möglich zu informieren, ist er persönlich nach Fox Hollow gefahren, mit voll gepackter Aktentasche, damit wir auf der Fahrt geschäftliche Dinge besprechen könnten. Als hätte er in meiner Abwesenheit tatsächlich irgendwelche Arbeit geleistet! Verdammt, dieser widerliche Kerl hat absolut nichts getan, seit ich ihn vor eineinhalb Jahren eingestellt habe – außer zur Kaffeemaschine zu gehen und die Papiere auf seinem Schreibtisch von rechts nach links zu schieben. Anstatt ihn zu feuern, hätte ich ihn vielleicht lieber in eine unserer Filialen nach Nebraska schicken sollen, wo es so kalt ist, dass ihm sein schmieriges Lächeln auf den Lippen gefriert.« J.D. grinste. »Der Mann ist sehr von sich eingenommen. Ich konnte auch nie viel mit ihm anfangen, wenn du meine Meinung hören willst. Verschwendetes Gehalt.« Daniel sank in sich zusammen. Er war durch die Anspannung der letzten Tage emotional und körperlich erschöpft. Er fühlte sich zehn Jahre älter und um hundert Jahre weiser. »Mach einfach die Augen zu, und ruh dich aus, Gramps«, flüsterte er. »Ich bleibe hier und werde mir die nächsten Wochen lang selbst gehörig in den Hintern treten, weil ich die Sache mit Mattie vermasselt habe. Wenn du etwas brauchst, lass es mich einfach wissen.« J. D. nickte und schloss die Augen. »Nur ein Dummkopf würde eine Frau wie Mattie einfach aufgeben, ganz egal, was er tun muss, um sie zurückzugewinnen«, murmelte er noch, bevor er in den Schlaf sank. Sie zurückgewinnen? Ha! Man konnte keine Frau zurückgewinnen, die sich weigerte, einem zuzuhören. So wie Daniel es sah, waren seine Chancen äußerst gering – und selbst »gering« war noch optimistisch ausgedrückt. Dennoch wollte Daniel seinen Plan nicht ganz aufgeben. Nur musste er eben sofort mit der zweiten Phase dieses Plans beginnen. Mattie mochte ihn ihr Leben lang hassen, aber er wollte seine guten Vorsätze trotzdem
in die Tat umsetzen. Entschlossen griff er zum Telefon, um diverse Anrufe zu erledigen. Den ganzen Tag und die ganze Nacht blieb er an J.D.’s Bett, um dem alten Mann zur Seite zu stehen und ihn zur Ruhe zu ermahnen, damit er bald wieder auf die Beine kam.
9. KAPITEL Mattie unterdrückte ein Fluchen, als der Lieferant ihr erneut ein Blumenarrangement von Daniel Joseph Grayson überreichte, dem Schuft. Seit zwei Wochen trafen täglich Blumen im Geschäft ein, und auf der beigefügten Karte standen immer dieselben Worte. Es tut mir Leid. Bitte komm zu mir zurück.
Daniel J. Grayson
Sicher hatte eine seiner Sekretärinnen die Blumen bestellt, denn der Oberhäuptling war bestimmt viel zu beschäftigt, um sich darum zu kümmern, auch wenn er sie als Geschäftsführerin behalten wollte. Mattie kannte die allgemeine Verkaufsstatistik und wusste, dass ihr Geschäft beste Umsätze einfuhr. Daniel J. hatte herausfinden wollen, warum das so war und ob sie irgendeine seiner goldenen Regeln brach. Und dann hätte er triumphierend ihr Erfolgsgeheimnis gelüftet. Nun, wenn dieser hinterhältige Fiesling sonst nichts begriffen hatte, dann doch wohl hoffentlich, dass ihre Liebe zum Beruf und ihr Eingehen auf die individuellen Wünsche der Kunden das Geheimnis waren. »Stellen Sie die Blumen einfach da ab.« Mattie deutete neben die Kasse. Zunächst hatte Mattie die Bouquets einfach in den Mülleimer geworfen, doch dann hatte sie die Idee, die Blumen per Post an J.D. Grayson c/o Hobbydrome Enterprises liefern zu lassen. Auf die dazugehörige Karte schrieb sie, sie wünsche J.D. baldige Genesung und dass Daniel J. sein Geld lieber für jemanden ausgeben solle, der ihm etwas bedeute. Und das sei ja sicherlich nicht sie! Als Candice Green in einem ihrer typischen Kombinationen aus Stricktop und Shorts in den Laden spazierte, verdrehte Mattie entnervt die Augen. »Ist Joe da?« wollte Candice wissen und reckte neugierig den Hals. »Nein, er arbeitet nicht mehr hier.« Und im Stillen fügte Mattie hinzu: Eigentlich hat dieser Mann niemals existiert. Täglich rief sie sich ins Gedächtnis, dass der Mann, in den sie sich verliebt hatte, nichts als ein Hirngespinst gewesen war – so etwas wie der Held eines Romans. »Ach, Joe hat gekündigt?« zwitscherte Candice. »Wie schade! Ich hatte gehofft, er könnte vorbeikommen und mir bei der Umgestaltung meiner Wohnung helfen. Er hatte wirklich ein Händchen für so etwas.« Hatte er das? Nun, als allmächtiger Heimwerkerprinz sollte er das auch! »Ja, wirklich schade, dass Joe nicht mehr da ist«, fuhr Candice fort. »Er war so ein reizender Mann, nicht wahr? Aber ich nehme an, das weißt du
bereits.« Sie bedachte Mattie mit einem mitleidigen Blick. »Wahrscheinlich wurde die Sache kompliziert, als er genug von dir hatte, und ihm blieb nichts anderes übrig, als weiterzuziehen. Beziehungen mit Angestellten funktionieren einfach nicht, oder was meinst du?« Mattie lächelte, obwohl sie innerlich kochte. »Ganz recht. Kann ich sonst noch etwas für dich tun?« »Nein.« Candice wirbelte herum und stolzierte zum Ausgang. »Ich komme wieder, wenn ich wieder einmal den Drang verspüre, die Wohnung umzugestalten.« Mattie war erleichtert, als die Ladentür sich hinter Candice schloss. Nun konnte sie sich voll und ganz darauf konzentrieren, Daniel J. Grayson zu hassen. Dieser Mann hatte es in kürzester Zeit geschafft, ihr Leben zu ruinieren. Und er zwang sie, einen Schritt zu unternehmen, den sie nie im Leben geplant hätte. Wenn er endlich in seinen Dickschädel bekommen hätte, dass sie nicht mehr für ihn arbeiten wollte, würde er einen Nachfolger schicken. Und Mattie müsste die Stadt verlassen, in der sie aufgewachsen war. Einen ähnlichen Job zu finden wäre schwierig genug, aber was wäre mit Pops? Unter Umständen müsste sie auch ihn seiner Heimat entreißen. Sie blinzelte überrascht, als sie genau in diesem Moment Pops und seine Freunde ins Geschäft humpeln sah. »Was macht ihr denn hier?« fragte sie erstaunt. »Wir haben uns im neuen Kleinbus in die Stadt mitnehmen lassen«, erwiderte Pops. »Ein toller Wagen!« »Was für ein neuer Kleinbus?« wollte Mattie wissen. »Joe hat ihn Paradise Valley gestiftet, damit wir öfter rauskommen«, sagte Glen fröhlich. »Und das ist noch nicht alles«, meldete sich Herman zu Wort. »Joe will einen Teich anlegen lassen, in dem wir Fische aussetzen können. Dann müssen wir nicht immer heimlich zum Fluss schleichen, wenn wir Lust zum Angeln haben.« Mattie blieb vor Staunen der Mund offen stehen. »Ihr macht Witze, oder?« »Nein«, beteuerte Pops. »Er hat mich selber angerufen.« Mattie kniff argwöhnisch die Augen zusammen. Sie witterte Bestechung. Joe schmierte die Roland-Gang, damit die alten Herrschaften sie überredeten, bei Hobbydrome zu bleiben. Nun, was war von diesem hinterhältigen Schurken auch anderes zu erwarten! »Pops, kann ich dich kurz unter vier Augen sprechen?« »Aber sicher, Knusperkeks.« Pops humpelte mit ihr einen Verkaufsgang hinunter, damit sie außer Hörweite der anderen waren. »Was ist los?« »Hast du vergessen, dass ich dir erklärt habe, dass es gar keinen Joe Gray gibt?« »Mein Gedächtnis ist ausgezeichnet.« »Dann erinnerst du dich sicher auch, dass ich dir gesagt habe, dass er der Inhaber dieser Firma ist und herkam, um mich auszuspionieren«, fuhr Mattie eindringlich fort. »Du hast dich von ihm kaufen lassen! Schäm dich.« Pops winkte ab. »Erstens bin ich zu alt, um neue Namen zu lernen,
deshalb ist Joe für mich immer noch Joe. Zweitens hat er mir im Vertrauen erklärt, dass er einige komplizierte Dinge regeln müsse, dann aber zurückkäme. Aber weil der arme J.D. jetzt im Krankenhaus liegt, ist es verständlich, dass er bisher noch nicht wiederkommen konnte.« Er sah Mattie fest in die Augen. »Würdest du von meiner Seite weichen, wenn ich im Krankenhaus läge mit all diesen Schläuchen in mir drin?« »Nein, natürlich nicht.« »Na, bitte. Also tut Joe das Nächstbeste, da er nicht persönlich hier auftauchen kann. Er ruft mich jeden Abend an, weil er sagt, du würdest seine Nachrichten auf deinem Anrufbeantworter nicht erwidern. Und er unternimmt etwas, damit unser Leben im Pflegeheim angenehmer wird.« In Matties Augen blieb das nach wie vor Bestechung, und sie wollte nie mehr auf Daniels Tricks hereinfallen. Dieser Kerl hatte ihr jede Menge Faxe und Blumen geschickt und sie Dutzende Male angerufen, aber sie wollte nicht mit ihm sprechen. Wenn Pops alles Mögliche an Spielzeug bekam – Kleinbusse und Fischteiche –, schön und gut. Aber Mattie wollte seine Spielchen nicht spielen, und sie würde ihm keine Gelegenheit geben, ihr noch mehr Lügen aufzutischen! »Und hör dir das an, Mädchen«, fügte Pops hinzu. »Nächste Woche lässt Joe uns einen Großbildfernseher inklusive Videorecorder liefern, damit wir Filme und Shows sehen können, ohne uns die Augen an dem kleinen Bildschirm zu verderben, den wir jetzt haben. Einen Großbildfernseher hatte ich noch nie, das wird bestimmt ganz toll. Und nicht nur das, er hat auch mehrere dieser superkomfortablen Fernsehsessel für uns bestellt, die man zum Aufstehen hochfahren kann.« Mattie fluchte innerlich. Pops und seine Freunde waren wie Kinder, die neues Spielzeug geschenkt bekamen. Daniel J. war tatsächlich ein Meister darin, sich Loyalität und Anerkennung zu erkaufen und Menschen zu beeinflussen. Er warf mit Geld um sich, und Mattie zweifelte keine Sekunde daran, dass er Gegenleistungen erwartete. »Und, wann wirst du aufhören, sauer zu sein, und Joes Anrufe erwidern?« wollte Pops wissen. »Wenn die Hölle wie die Antarktis aussieht. Das ist früh genug«, schimpfte Mattie. »Ach, komm schon, Knusperkeks. Ich sage dir: Joe gehört zu den Guten. Würde ich dich etwa anlügen? Gib dem Mann eine zweite Chance.« »Oh ja, ich bin sicher, das war alles ein großes Missverständnis«, meinte Glen, der den Kopf um die Ecke steckte. Die anderen Männer, die das Gespräch ebenfalls belauscht hatten, nickten eifrig. »Joe würde sich nicht diese ganzen Mühen und Kosten machen, wenn wir ihm nicht wichtig wären«, sagte Ralph. Mattie glaubte nichts von diesem Unsinn. Wenn überhaupt etwas, dann wollte Daniel J. sein Gewissen beruhigen. Er gab freizügig Geld aus, allein zu dem Zweck, Mattie als Geschäftsführerin zu behalten. Da er an sie nicht herankam, benutzte er die Roland-Gang. Früher oder später würde sie Daniel J. persönlich einen Kündigungsbrief schreiben müssen und ihm mitteilen, dass sie auf keinen Fall in Fox Hollow bleiben würde – egal, was er sich noch ausdachte, um
sie davon abzuhalten. Sie würde eine neue Arbeit finden und regelmäßig pendeln, damit sie Pops besuchen könnte, bis er aus Paradise Valley entlassen wurde. Allerdings war es möglich, dass Pops dieses dank Daniel J. großzügiger Spenden bald edelste Pflegeheim des Staates gar nicht mehr verlassen wollte. Was für ein Mistkerl, der ihren Großvater und seine Freunde gegen sie einnahm! Mattie beschloss, dass Daniel J. ihr das büßen würde! Daniel ließ sich in den Stuhl neben J.D.’s Bett sinken und registrierte mit finsterem Blick die letzte Blumensendung, die Mattie zurückgeschickt hatte. Auf der beigefügten Karte stand dasselbe wie letztes Mal. Drei Wochen lang hatte Daniel sein Versprechen gehalten, jeden Abend anzurufen. Allerdings war er an den Wochenenden nicht gekommen, weil er seinen kranken Großvater nicht allein lassen wollte. Daniel war mit seiner Weisheit am Ende. Mattie erwiderte seine Anrufe nicht, seine Faxe ignorierte sie. Die Einzigen, die ihn erhörten, waren die alten Herren der Roland-Gang, die ihn immer wieder ermunterten, Mattie nicht aufzugeben. Aber nichts, was er tat, konnte Mattie verdammt noch mal dazu bewegen, wieder mit ihm zu sprechen! »Immer noch keinen Erfolg?« erkundigte sich J.D. als er aus seinem Nickerchen erwachte. »Nein«, antwortete Daniel grimmig. »Genauso gut könnte ich mit dem Kopf gegen eine Betonwand rennen. Mattie geht einfach nicht ans Telefon, und ich kann mich weder entschuldigen, noch alles erklären.« »Tja, mein Junge, ich schätze, du musst zu derselben Taktik greifen, die ich vor fünfzig Jahren bei deiner Großmutter anwenden musste«, entschied J.D. Daniel sah ihn verwundert an. »Musstest du etwa drastische Maßnahmen ergreifen, um Großmutter dazu zu bringen, dich zu heiraten?« J.D. schmunzelte. »Aber sicher. Esther dachte, das Geldverdienen wäre mir wichtiger als sie. Zwei Mal hat sie meinen Antrag abgelehnt, und ich war schon ganz verzweifelt, weil ich merkte, dass ich sie mehr brauchte als den Erfolg in der Möbelbranche.« Daniel beugte sich vor. »Und was hast du getan, um sie letztendlich zu überzeugen, Gramps?« J.D. stellte das Kopfteil seines Bettes per Fernbedienung höher. »Ich habe sie entführt.« Daniel blinzelte ungläubig. »Du hast was?« »Ja, du hast richtig gehört, Junge. Ich habe sie in den Wald verschleppt und musste sie sogar fesseln, damit sie nicht wegrennt, sondern sich anhört, was ich ihr zu sagen hatte«, erzählte J.D. »Du musst nur eine dieser Ferienhütten am See mieten und Mattie so lange dort festhalten, bis du sie überzeugt hast, dass du es ernst und ehrlich mit ihr meinst.« »Na klar.« Daniel schnitt eine Grimasse. »Deine Taktik mag vor fünfzig Jahren gewirkt haben, aber ich wandere vermutlich ins Gefängnis, wenn ich Mattie entführe. Damit wäre ich dann noch schlechter dran als jetzt, und die Journalisten werden sich um die Story reißen.« J.D. grinste. In seinen Augen erschien zu Daniels Erleichterung wieder
das alte schelmische Funkeln. »Du kannst die Sache durchziehen, wenn du ein paar Vorkehrungen triffst.« »Ich muss die Roland-Gang einschalten«, meinte Daniel bedächtig. »Genau. Außerdem musst du Vorsorge treffen, dass sich während Matties Abwesenheit jemand um den Laden kümmert. Und zwar so lange, dass du alles sagen kannst, was gesagt werden muss.« Zum ersten Mal seit drei Wochen hatte Daniel einen kleinen Hoffnungsschimmer. Zugegeben, J.D.’s Plan war drastisch, aber Daniel war inzwischen so verzweifelt, dass es schlimmer nicht mehr ging. »Ich werde es tun«, sagte er voll Entschlossenheit. J.D. strahlte über das ganze Gesicht. »Das ist wahrer Kampfgeist. Der Arzt will mich morgen früh entlassen. Ich habe beschlossen, meine Genesung in Paradise Valley fortzusetzen. Kannst du für mich dort ein Zimmer organisieren?« Daniel machte ein verblüfftes Gesicht. »Du willst in Pops Genesungsheim? Meinst du denn, du kannst dir die lange Reise zumuten?« »Ach, natürlich. Bis zu mir nach Hause brauchen wir in der Hauptverkehrszeit mindestens vierzig Minuten, und nach Fox Hollow sind es nur wenig mehr. Nachdem du das Heim durch so viele großzügige Spenden unterstützt hast, würde ich zu gern wissen, wie es dort jetzt aussieht. Außerdem freue ich mich darauf, die Roland-Gang wieder zu sehen.« Daniel sah seinen Großvater ernst an. »Bist du dir wirklich sicher? Deine Gesundheit geht vor. Ich will nicht, dass meine Probleme deine Entscheidung in irgendeiner Weise beeinträchtigen.« J.D. sah seinen Enkel ebenso ernst an. »Bist du dir denn wirklich sicher, dass du Mattie auch wirklich zurückgewinnen und nicht nur dein schlechtes Gewissen beruhigen willst?« Darüber musste Daniel keine Sekunde nachdenken. Drei Wochen ohne die tägliche Dosis von Matties ansteckender Begeisterung waren die reinste Hölle gewesen. »Ganz sicher, Gramps. Sie ist wirklich die Richtige.« J.D. grinste zufrieden. »Was hängst du dann immer noch hier herum und bläst Trübsal? Du hast einiges vorzubereiten, mein Junge. Na los, mach dich an die Arbeit!« Daniel sprang auf. Sein Großvater hatte Recht. Vielleicht würde er wieder einen Korb bekommen, aber er wollte sich nicht einfach kampflos geschlagen geben. Mattie wälzte sich in ihrem Bett, zählte Unmengen von Schafen und verfluchte die Schlaflosigkeit, die sie Nacht für Nacht quälte. Sie litt an Trennungsschmerz wegen eines Mannes, der es nicht wert war, dass man überhaupt über ihn nachdachte. Ihre Theorie, dass die Zeit ihren Schmerz und die bittere Enttäuschung heilen würde, funktionierte einfach nicht. Und der Schlafmangel machte sie zusätzlich mürrisch und aggressiv. Schon zwei Mal hatte sie Kunden angefahren, die nicht genau wussten, was sie wollten. So etwas war ihr früher nie passiert – bevor die schmerzvolle Erinnerung an Daniel J. Grayson ihre Laune beeinträchtigt
hatte. Zum Teufel mit diesem hinterhältigen Mistkerl! Er hatte ihre Welt auf den Kopf gestellt und sie dann komplett aus der Bahn geworfen. Mattie konnte weder vernünftig essen noch schlafen, noch auf ihre gewohnt fröhliche Art arbeiten. Ein heftiges Klopfen an der Haustür ließ sie hochschrecken. Sie warf einen Blick auf ihren Wecker. Es war Viertel nach zwei in der Früh. Ihr erster Gedanke war, dass Pops einen Rückfall erlitten hatte und nun jemand gekommen war, um ihr die schlechte Nachricht zu überbringen. Hektisch sprang sie aus dem Bett und rannte barfuss und nur mit ihrem dünnen, übergroßen Schlaf-T-Shirt bekleidet über den Flur. Als sie die Tür aufriss, konnte sie auf der Veranda niemanden entdecken. Doch ehe sie die Tür schließen konnte, warf ihr irgendjemand eine Decke über den Kopf und hielt sie fest. Sie kreischte und stieß die schlimmsten Flüche aus, die ihr einfielen, aber aller Protest war vergeblich. Ihre Arme wurden mit Klebeband fest an ihren Körper geschnürt und ihre Beine an den Knien zusammengeklebt, so dass sie fast wie eine Mumie verpackt war. Mattie schrie aus Leibeskräften. »Beruhige dich, Mattie. Ich habe nicht die Absicht, dich zu verletzen.« Mattie erstarrte. »Joe? Ich meine… Daniel J.? Was machst du denn hier, zum Teufel?« rief sie, doch wegen der Decke klang ihre Stimme sehr gedämpft. »Ich entführe dich«, erwiderte er freundlich. Mattie schrie auf, als er sie abrupt über die Schulter warf und die Stufen hinuntertrug. Das Blut schoss ihr in den Kopf, während sie in dieser Position über den Rasen getragen wurde. Zu ihrem größten Ärger hörte sie auch noch Stimmen im Hintergrund murmeln, und sie hatte eine ziemlich genaue Vorstellung davon, zu wem diese Stimmen gehörten. Miese Verräter! »Pops? Bist du das etwa mit deinen Freunden?« »Aber sicher, Knusperkeks«, antwortete Pops fröhlich. »Dann hol gefälligst sofort die Polizei!« verlangte Mattie. »Ich kann nicht«, sagte Pops. »Ich bin Joes Komplize.« Mattie kochte vor Wut. Der allmächtige Oberhäuptling von Hobbydrome hatte die Roland-Gang mit Geschenken bestochen. So ein Schuft! Sie gab einige fantasievolle Flüche zum Besten, als Daniel sie in die Arme nahm, um sie auf den Ledersitz seines vermutlich neuen Autos abzusetzen. Das Fahrzeug roch neu, oder zumindest glaubte sie das, denn sie hatte noch nie in einem fabrikneuen Wagen gesessen. »Pops, wenn du nicht sofort etwas unternimmst, um diese Sache – was auch immer hier vorgeht – zu beenden, werde ich für den Rest meines Lebens kein Wort mehr mit dir sprechen!« rief Mattie erbost. Pops blickte grinsend zu Daniel. »Hab ich dir nicht gesagt, sie würde stocksauer sein?« »Ich meine es ernst, Pops. Wenn die Roland-Gang bei dieser kindischen Aktion mitmacht, werde ich mit keinem von euch jemals wieder ein Wort sprechen.« »Aber, aber, Mattie. Du weißt doch, dass wir dir nie etwas Schlimmes
antun würden«, versicherte Glen, während er sich neben sie auf die Rückbank setzte. »Dies ist einfach ein kleiner Abenteuertrip. Völlig harmlos.« Mattie fluchte weiter vor sich hin, während alle Mitglieder der Bande samt Daniel einstiegen und die Türen zuschlugen. »Du kannst Daniel J. sagen, dass ich ihn bei nächster Gelegenheit anzeigen werde.« »Wem soll ich das sagen?« erkundigte sich Pops. Der Wagen fuhr los. »Joe«, brummte Mattie unter ihrer Decke. »Ach, ja. Ich vergesse ständig seinen richtigen Namen.« Pops wandte sich an Daniel, der seinen BMW auf den Highway lenkte. »Joe, Mattie sagt, dass sie dich bei nächster Gelegenheit anzeigen wird. Ich vermute, dass sie nicht direkt mit dir sprechen will.« »Bestell ihr, das Risiko nehme ich in Kauf«, entgegnete Daniel. Pops drehte sich zu Mattie um. »Mattie, Joe hat gesagt…« »Ich habe gehört, was er gesagt hat«, gab sie wütend zurück. »Wo fahren wir hin?« »Das wirst du erfahren, wenn wir angekommen sind«, antwortete Daniel. »Sag Daniel J. er soll hoffen, dass ich mich nicht befreien kann, weil ich ihm sonst die Augen auskratzen werde.« »Ganz schön hitzig, meine Kleine, nicht wahr?« meinte Pops stolz. Die nächste Viertelstunde warf Mattie mit wüsten Beschimpfungen um sich, erntete als Antwort aber nur leises Gelächter und Witzeleien der alten Männer, die Daniel J. zweifellos mit teurem Spielzeug bestochen hatte, weil er genau wusste, dass er die Entführung nicht allein durchziehen konnte. Schließlich kam der Wagen zum Stehen, und alle stiegen aus. »Okay, Pops, du weißt Bescheid«, sagte Daniel. »Ihr fahrt mit meinem Wagen zurück zum Heim und schleicht zurück in eure Betten. Ich setze mich später mit euch in Verbindung.« »Ist es okay, wenn Ralph dein teures Auto fährt?« wollte Pops wissen. »Ich leide seit einigen Jahren an Nachtblindheit. Ralph sieht im Dunklen besser als ich.« »Ja, aber wir alle wissen, wie schnell Ralph die Orientierung verliert«, wandte Herman ein. »Er bekommt es fertig und fährt uns alle nach Dallas.« »Na schön, dann soll Fred fahren«, schlug Pops vor. »Ich weiß aber nicht, wie wir zurückkommen«, meldete sich Fred. »Ich habe auf dem Rücksitz gesessen und nicht genau aufgepasst.« »Ich kenne den Weg«, verkündete Glen. »Soll ich fahren?« »Nein!« riefen die anderen wie aus einem Mund. »Egal«, meinte Daniel. »Ich bringe Mattie rein und fahre euch selbst zurück. Ihr werdet sowieso Hilfe brauchen, wenn ihr die Leiter zu Pops Fenster hinaufklettern müsst. Und die Leiter können wir ja auch nicht stehen lassen, sonst schöpft der Direktor Verdacht.« »Das ist wahr«, erwiderte Pops erleichtert. Daniel zog die immer noch fluchende Mattie über die Rückbank zur Autotür und lud sie auf seine Arme. Kurz darauf hörte sie, wie eine Tür aufgeschlossen und geöffnet wurde. Der Duft von frischen Blumen drang
durch die Decke, doch sehen konnte sie noch immer nichts. Aber sie vermutete, dass sie sich in einer der Hütten am See befand. »Ich bin gleich wieder da, Mattie«, versicherte Daniel. »Oh, meinetwegen brauchst du dich nicht zu beeilen, denn ich werde sowieso kein Wort mit dir sprechen!« »Hast du aber gerade.« »Fahr zur Hölle!« »Was denkst du, wo ich den letzten Monat über gewesen bin?« entgegnete er, bevor er die Tür schloss und Mattie allein zurückließ.
10. KAPITEL Als Mattie den Wagen davonfahren hörte, fluchte sie erneut. Was meinte Daniel mit seiner letzten Bemerkung über die Hölle, wo es doch eindeutig sie war, die unter gebrochenem Herzen litt? Wahrscheinlich war es wieder nur eine seiner dreisten Lügen, denn er schreckte ja offensichtlich vor nichts zurück. Fest entschlossen, nicht mehr da zu sein, wenn er zurückkehrte, drehte und wand sie sich seitwärts zur Bettkante. Sie schwang die Füße auf den Boden, neigte sich vor und stand auf. Dann hüpfte sie wie ein armloses Känguru vorwärts, bis sie an eine Wand stieß, und anschließend immer an der Wand entlang mit dem Bestreben, die Tür zu finden. Irgendwie würde sie schon in die Freiheit gelangen! Sich blind im Wald zu verirren war immer noch besser, als mit Daniel J. Grayson allein zu sein! Einige Minuten später stieß sie mit dem Unterarm gegen den Türknauf. Es würde schwierig werden, ihn mit fest an die Seite gebundenen Armen zu drehen, aber sie packte den Knauf durch den Stoff der Decke hindurch und drehte ihren gesamten Oberkörper seitwärts. Nach einigen Versuchen klappte es. Die Tür sprang auf, und sie hüpfte über die Schwelle in die Freiheit. Daniel J. Grayson, der große Heimwerkerkönig, dachte wohl, sie würde ihn nicht verklagen, weil er Geld und Einfluss besaß und ihren eigenen Großvater samt seinen Freunden bestochen hatte, ihm zu helfen? Von wegen! Zunächst aber musste sie irgendwie die Veranda hinunterkommen. Sie setzte sich auf den Boden und streckte die Beine aus, um die Treppe zu orten. Mit triumphierendem Lächeln ließ sie sich seitwärts die Stufen hinunterrutschen, bis sie unter ihren bloßen Füßen das Gras spürte. Sie war gerade zehn Mal vorwärts gehüpft, als sie ein Auto heranfahren hörte und durch die Decke das Scheinwerferlicht sah. Verdammt! Fünf Minuten noch, und sie wäre in Freiheit gewesen! Der Motor wurde abgestellt, die Lichter gingen aus, und die Wagentür klappte zu. »Du meine Güte, Mattie! Ich reiße mir fast ein Bein aus, um dich irgendwie zu fassen zu kriegen, damit ich endlich mit dir reden kann, und du brichst dir lieber den Hals, als mir zuzuhören!« schimpfte Daniel beim Näherkommen.
»Lass mich frei«, sagte sie drohend. »Ich habe dir nichts zu sagen – nie mehr! Lass mich runter, verdammt noch mal!« Trotz ihres Protests trug Daniel sie zurück in die Hütte und setzte sie auf dem Bett ab. Mattie hatte gehofft, er würde nun das Klebeband durchschneiden und ihr so eine neue Fluchtmöglichkeit bieten, doch er nahm nur eine Schere und schnitt ein Loch in die Decke, durch das sie ihren Kopf stecken konnte. Mattie blinzelte erstaunt, als sie sich in der holzgetäfelten Hütte umsah. Der Raum war mit den drei neuen Auslagen bestückt, die sie für ihre Ladenfenster gebaut hatte. Dieser Mann schreckte nicht einmal davor zurück, sein eigenes Geschäft zu bestehlen! Sie erblickte die bunten Blumenarrangements neben dem Sofa, dem Sessel und in der Essecke. Sogar die Theke der kleinen Kochnische war mit Blumensträußen bestückt. »Die Antwort heißt Nein«, sagte sie unwirsch und blickte schließlich zu Daniel, der in Jeans und einem bunt gemusterten Freizeithemd vor ihr stand. Sie wünschte, sie würde ihn nicht so attraktiv finden. Verärgert wandte sie den Kopf. »Du kannst mich auch foltern, falls dich das glücklich macht, aber ich weigere mich, weiterhin dein Geschäft zu führen. Wenn ich überlege, wie viel Zeit du damit verbracht hast, mich auszuspionieren, dann müsstest du jetzt eigentlich wissen, warum ich Angestellte des Jahres geworden bin.« Daniel runzelte verwirrt die Stirn. »Was hat denn das mit uns beiden zu tun?« Mattie, die vergessen hatte, dass sie bis an ihr Lebensende nicht mehr mit ihm sprechen wollte, erwiderte: »Jetzt tu doch nicht so, als ob du das nicht wüsstest. Die Karten, die bei deinen Blumensträußen lagen, hatten alle denselben Text: ,Es tut mir Leid. Bitte komm zu mir zurück. Daniel J. Grayson.’« Er starrte sie lange an. »Du kapierst es anscheinend wirklich nicht.« »Natürlich kapiere ich es«, gab sie zurück. »Du hast dich in meinen Laden eingeschlichen, um zu sehen, warum ich so gute Umsatzzahlen habe. Wahrscheinlich hast du gedacht, da läuft irgendetwas Illegales, und du wolltest mich dabei erwischen. Aber du weißt ganz genau, dass ich die Sonderaufträge in meiner Freizeit erledigt habe und der Firma eine Kommissionsgebühr für jedes Gemälde gezahlt habe, das ich in Verbindung mit Sachen aus dem Geschäft verkauft habe. Es war alles ganz und gar legal.« »Das weiß ich doch«, beschwichtigte sie Daniel und kam näher. »Aber dass ich dich zurückhaben will, hat nichts mit dem Geschäft zu tun. Wenn du unbedingt kündigen willst, dann ist das deine Sache, obwohl ich kaum einen gleichwertigen Ersatz für dich finden werde, weil du so gut bist.« Mattie blinzelte verwirrt. »Und warum dann all die Blumen und Karten, auf denen du mich gebeten hast, nicht zu kündigen?« »Auf den Karten stand, dass ich dich zurück will, Mattie«, erwiderte er mit Nachdruck. »Nicht als Geschäftsführerin. Sondern ganz.« Jetzt dämmerte es ihr. Sie konnte es zwar kaum glauben, aber sie verstand. Er wollte, dass sie sich besser fühlte, damit sie nicht kündigte. »Aha.«
»Ich möchte, dass es wieder so wird, wie es war, bevor die ganze Sache aus dem Ruder geriet«, erklärte Daniel. »Das wird schwer werden. Ich gehe nicht mit hinterhältigen Firmenpräsidenten aus, denen es einen Kick gibt, sich unters gemeine Volk zu mischen«, gab sie kühl zurück. Daniel seufzte verzweifelt auf und zog einen Hocker heran, damit er sich vor Mattie setzen und ihr ins Gesicht sehen konnte. »Lass uns von vorne beginnen, damit du verstehst, wie dieses ganze Chaos überhaupt entstanden ist.« »Schön. Du kannst reden, so lange du willst, wenn dich das glücklich macht, aber erwarte nicht, dass ich meine Meinung über dich ändere, Grayson«, warnte sie ihn. Daniel ordnete einen Augenblick seine Gedanken, dann sagte er: »Ich bin nach Fox Hollow gekommen, weil das Unternehmen, das mein Großvater und ich in seiner alten Garage gegründet hatten, mir kaum mehr etwas bedeutete. Er und ich hatten damals den Schmerz über den Verlust meiner Großmutter durch das Tischlern verarbeitet. Wir verkauften unsere Arbeiten, und die Nachfrage wurde so groß, dass wir ein Geschäft eröffnen und Mitarbeiter einstellen mussten, um den Bedarf zu decken. Der Laden lief so gut, dass wir immer weiter expandierten, bis wir schließlich Niederlassungen in den fünf angrenzenden Staaten gründeten.« Mattie hörte auf, ihn wütend anzustarren, und begann zuzuhören. So weit, so gut, dachte Daniel bei sich. »Ich war einigermaßen zufrieden damit, die Firma zu leiten, bis Gramps im letzten Jahr beschloss aufzuhören. Davor konnten er und ich uns gegenseitig die Ideen zuwerfen und neue Modelle entwickeln. Aber als er weg war, saß ich mit Leuten wie Eric Shaffer zusammen, denen es wichtiger war, Karriere zu machen und dem Boss in den Allerwertesten zu kriechen, als ihr Hirn anzustrengen und gute Ideen einzubringen.« »Wo hast du diesen idiotischen Typen bloß aufgegabelt?« wollte Mattie wissen. »Er kam frisch vom College und konnte sich gut verkaufen«, erklärte Daniel. »Aber er und die anderen Top-Manager nahmen die fürchterliche Angewohnheit an, all meinen Ideen zuzustimmen, ohne jemals eigene Vorschläge oder konstruktive Kritik einzubringen.« »Die sprichwörtlichen Jasager«, fasste Mattie zusammen. »Genau. Ich musste da raus, bevor ich verrückt wurde. Ich musste meine ursprüngliche Begeisterung für das Unternehmen wiederfinden und dachte mir, dass die Angestellte des Jahres vielleicht in der Lage wäre, mir etwas von dem Geist zu vermitteln, der Gramps und mich vor Jahren angetrieben hatte. Also schickte ich von meinem Büro aus ein Fax, in dem stand, dass du einen weiteren Mitarbeiter einstellen solltest.« Mattie machte große Augen. »Ach, von dir stammte das Fax, und dann kamst du selbst, um die soeben geschaffene Stelle zu besetzen?« »Na ja, ich wollte ja nicht, dass mir jemand anders zuvorkam.« Mattie schüttelte angewidert den Kopf. »Wie kommt man sich eigentlich vor, wenn man Gott spielt, hm?« Daniel zuckte zusammen. »Ich brauchte diesen Job, Mattie. Ich musste
wieder zu mir selbst finden. Ich habe dir nicht gesagt, wer ich bin, weil ich nicht wollte, dass du mir nach dem Mund redest wie die anderen.« Er sah sie ernst an. »Sei ehrlich: Hättest du mich weiterhin wie einen ganz normalen Mitarbeiter behandelt, wenn du gewusst hättest, wer ich wirklich bin?« Mattie verzog den Mund. »Wahrscheinlich nicht, aber das ist keine Entschuldigung dafür, dass du mich ausspioniert hast, um zu sehen, ob bei mir alles mit rechten Dingen zugeht.« »Das habe ich nicht!« entgegnete er aufgebracht. »Himmel, du bist immer noch die Angestellte des Jahres! Ich wollte dich keineswegs heimlich überprüfen.« »Na gut. Dann eben nicht«, gab sie zurück. »Du hast nach einer Dosis Enthusiasmus gesucht. Ich nehme an, ich habe dir geliefert, was du brauchtest. Aber das bedeutet nicht, dass ich dir verzeihe, was du mir persönlich angetan hast.« »Was habe ich dir angetan, Mattie?« fragte Daniel sanft. Sie hob den Kopf und sah ihn mit blitzenden Augen an. »Du hast mich dazu gebracht, mich in dich zu verlieben. Aber das warst gar nicht du. Das war ein ganz normaler Typ, der wie ich gern tischlert und bastelt und kleine Kunstwerke erschafft, ein Mann, der scheinbar zufrieden ist mit dem einfachen Leben in einer abgelegenen Kleinstadt. Joe Gray hat es nie gegeben. Du hast mich in die Irre geführt, und du hast meine Gefühle für dich ausgenutzt, um dich sexuell zu befriedigen, bevor du mit deinem neu gewonnenen Enthusiasmus wieder in deinen Firmenvorstand verschwindest. Du hast versprochen, mich anzurufen und regelmäßig zu besuchen, wobei ich das natürlich nie ernsthaft erwartet habe. Du hast mir wehgetan, verdammt noch mal, und das werde ich dir nie verzeihen.« Daniel nickte ernst. »Ich hätte dir das alles nie versprochen, wenn ich gewusst hätte, dass du als Kind mit ebensolchen Versprechungen enttäuscht wurdest. Allerdings meinte ich es absolut ernst.« »Das mit den leeren Versprechungen hat dir wohl Pops erzählt, oder?« »Ja, ich bin direkt zu ihm gefahren, nachdem ich dir gebeichtet hatte, dass ich nach Oklahoma City zurückkehren musste«, bestätigte Daniel. »Wenn es dir ein Trost ist – ich hatte jedes Mal ein schrecklich schlechtes Gewissen, wenn du eine Bemerkung über den Oberhäuptling gemacht hast. Ein paar Mal habe ich versucht, dir die Wahrheit zu sagen, aber ich war zu feige aus Angst, das zu verlieren, was wir zusammen hatten.« »Den Sex, meinst du wohl«, stellte sie klar. »Ich kann mir nicht vorstellen, warum du Angst hattest, mich als Gespielin zu verlieren, wo doch Candice Green jederzeit gern diesen Platz eingenommen hätte.« »Ich wollte aber nicht Candice«, entgegnete er, »ich wollte dich, Mattie! Wann begreifst du endlich, dass ich nur dich will und keine andere?« »Warum willst du gerade mich? Weil ich nicht nur die Filiale leite, sondern auch noch einen rüstigen, liebenswerten Großvater habe, der dich in deiner Freizeit amüsiert und unterhält? Du willst wohl immer gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen, wie?« Daniel sprang auf. »Jetzt hör mir mal gut zu«, meinte er leicht gereizt. »Alles, was ich tat – ob es nun richtig war oder nicht –, tat ich nur, weil
ich dich wiederhaben wollte. Nicht als Geschäftsführerin, obwohl du diesen Posten meiner Meinung nach unbedingt behalten solltest, sondern als die Frau, die ich brauche, ohne die ich mir mein weiteres Leben nicht vorstellen kann.« Er beugte sich vor und sah ihr in die Augen. »Hörst du mich, Mattie? Verstehst du, was ich sage? Ich will dich. Ich liebe dich, aber ich konnte es dir nicht sagen, solange ich mich nicht aus dem Gespinst meiner eigenen Lügen befreit hatte, weil das eine Form des Betrugs gewesen wäre, die du mir sicher nie verziehen hättest, hab ich Recht? Ich wollte, dass du mich liebst. Joe und Daniel, weil ich beides bin.« Mattie starrte ihn an. Niemand außer ihrem Großvater hatte je behauptet, sie zu lieben. Und niemand hatte es ihr je ins Gesicht gebrüllt, so wie Daniel es gerade eben getan hatte. Er liebte sie? Die Heimwerkerkönigin von Fox Hollow? »Nun sieh mich nicht so ungläubig an, verdammt!« knurrte Daniel. »Es wundert mich immer wieder, dass ausgerechnet du, die so viele Freunde und Bekannte hat, nicht begreifen kannst, dass du liebenswert bist und eine schöne und attraktive Frau, selbst wenn du lieber an der Werkbank arbeitest als einkaufen zu gehen. Nur weil deine Eltern sich aus dem Staub machten und dich zurückließen, heißt das doch nicht, dass mit dir irgendwas nicht stimmt. Wenn du dir deines eigenen Wertes nicht bewusst bist, dann erlaubst du damit deinen verantwortungslosen Eltern, dein Selbstbild zu beeinflussen. Und diese Macht haben sie nicht verdient.« Mattie dachte ein paar Minuten über seine Worte nach. Daniel hatte vermutlich Recht. Sie neigte durchaus dazu, sich in Situationen zu bringen, in denen sie sich gebraucht fühlte, um so die als Kind erfahrene Ablehnung zu kompensieren. Als die versprochenen Anrufe und Besuche ausblieben, auf die sie damals so sehnlich gewartet hatte, hatte sie geglaubt, sie sei es nicht wert, angerufen und besucht zu werden. Geliebt zu werden. Daniel fiel vor ihr auf die Knie, umrahmte ihr Gesicht mit den Händen und drehte ihren Kopf so, dass sie seinem Blick nicht ausweichen konnte. »Ich liebe dich, Mattie Roland. Ich liebe es, dass du so viel von dir selbst in deine Gemälde und in deine Arbeit legst. Ich liebe es, dass du deinen Beruf mit so viel Leidenschaft ausübst. Ich liebe es, dass du die Verantwortung für deinen Großvater übernommen hast, so wie er es damals für dich tat. Mir geht es mit meinem Großvater ganz genauso. Ich verstehe diese Art der Loyalität, was auch der Grund ist, weshalb ich so eilig nach Oklahoma City zurückgekehrt bin, als ich von seinem Herzinfarkt erfuhr. Das bedeutet nicht, dass ich nicht hier bleiben und um das kämpfen wollte, was wir hatten. Dir erklären wollte, warum ich tat, was ich tat. Ich wollte alles beides gleichzeitig.« »Wie geht es J.D?« erkundigte sie sich. »Das wollte ich dich schon die ganze Zeit fragen.« »Danke, ganz gut. Im Moment befindet er sich in Paradise Valley. Er ist seit ein paar Tagen dort, aber ich wollte ihn zu seiner großen Enttäuschung heute Abend nicht dabeihaben. Ich war nicht sicher, ob er
schon wieder so fit ist.« »Daniel, wann willst du mich eigentlich wieder losbinden?« wollte Mattie wissen. »Gleich. Wenn ich die Antwort bekommen habe, die ich von dir erwarte.« »Wie lautet die Frage?« »Verzeihst du mir, dass ich dich angelogen und dir dann nicht die Wahrheit gesagt habe aus Angst davor, dass du genau so reagierst, wie du reagiert hast?« »Ich verzeihe dir. Und jetzt binde mich los«, verlangte sie ungeduldig. Er schüttelte den Kopf. »Das reicht noch nicht.« »He, könnt ihr Manager-Typen euch eigentlich nie an eure Abmachungen halten?« Er strich ihr mit dem Zeigefinger sanft über die Lippen. »Willst du mir damit sagen, dass du nicht den Rest deines Lebens als Frau eines Manager-Typen verbringen könntest? Und als Mutter seiner Kinder, die niemals im Stich gelassen werden und an der Liebe ihrer Eltern zweifeln sollen? Kinder, die ohne das Gefühl aufwachsen sollen, sie seien mit einem unverzeihlichen Makel behaftet, der es unmöglich macht, sie zu lieben?« »Das ist ein ganz übler Trick, auf diese Weise mit meinen tief verwurzelten Ängsten zu spielen. Keines meiner Kinder wird jemals an seinem eigenen Wert zweifeln müssen, darauf kannst du wetten. Natürlich muss ich aufpassen, dass ich sie nicht mit meiner Liebe ersticke, weil ich bestimmt versuchen werde, sie für das zu entschädigen, was ich selbst als Kind vermisst habe.« »Ja, das Problem werde ich sicher auch haben«, stimmte Daniel zu. »Bestimmt werde ich meine Kinder schrecklich verwöhnen, was ich eigentlich nicht so schlimm finde, solange sie lernen, sich nicht wie verzogene Gören zu benehmen.« Er schenkte ihr sein charmantestes Lächeln. »Tja, und wie stehen nun die Chancen, dass eine Frau wie du sich mit einem Mann wie mir einlässt und ein paar Kinder großzieht, die sicherlich von unseren Großvätern schrecklich verwöhnt werden, noch ehe wir selbst die Gelegenheit dazu haben?« »Nicht gut«, meinte Mattie. Daniel erstarrte. Sein Herz setzte einen Schlag aus. »Um Himmels willen, Mattie, habe ich etwa alle Liebe zerstört, die du für mich empfunden hast? Oder ging es dir bei allem nur um Sex?« »Dafür entschuldigst du dich bitte, und zwar sofort!« befahl sie streng. »Es mag ja stimmen, dass du der einzige Mann bist, den ich je geliebt habe, und dass ich kaum Vergleichsmöglichkeiten habe, aber der großartige Sex…« »Großartig?« Seine Miene hellte sich auf. »Der geradezu sensationelle Sex, um genauer zu sein, war nur ein Teil dessen, was mich mit dir verband. Du hast meine Liebe zum Kunstgewerbe und zum Schreinern geteilt. Dir lag etwas an Pops, und du hast alles in deiner Macht Stehende getan, damit er und seine Freunde glücklich sind. Du hast mich zum Lachen gebracht und dazu, dass ich mich wohl fühle. Dass ich mich selbst mochte, wenn ich mit dir
zusammen war.« »Das klingt ja, als wäre das alles Vergangenheit.« »Nein, ich liebe dich noch immer«, versicherte sie ihm. »So etwas verschwindet nicht in einem Monat.« »Wirklich? Wo liegt dann das Problem?« »Es ist diese Oberhäuptlings-Geschichte, mit der ich nicht klarkomme.« »Du meinst, wenn ich die Firma verkaufe, wirst du mich heiraten?« »Nein.« Daniel hob voller Verzweiflung die Hände gen Himmel und begann nervös auf und ab zu gehen. »Du willst mich jetzt dafür quälen, dass ich dich verletzt habe, stimmt’s? Na schön, ich habe es verdient. Verdammt, ich wusste ja, dass ich mir Ärger einhandle, wenn ich mit dir schlafe. Denn ich war mir ziemlich sicher, was du denken würdest, wenn ich schließlich den Mut gefasst hätte, dir die Wahrheit zu sagen.« Er machte auf dem Absatz kehrt und marschierte in die andere Richtung. »Also, was verlangst du von mir, Mattie? Was muss ich tun, um deine Liebe zurückzugewinnen? Sag’s mir, und ich tue es.« »Binde mich los.« Daniel blinzelte. »Du wirst mich lieben, wenn ich dich losbinde?« Sie nickte. Ihre schwarzen Locken, die ihr über die Schultern fielen, glänzten im matten Licht der Hütte. »Ja, aber ich stelle ein paar Bedingungen. Allerdings werde ich erst näher darauf eingehen, wenn meine Arme und Beine nicht mehr eingeschlafen sind.« Daniel fischte eine Schere aus der Tasche und schnitt das Klebeband durch. Mattie warf die Decke ab und massierte sich Arme und Beine. »Also, was sind das für Bedingungen?« fragte Daniel ungeduldig. »Hast du noch was von dem Klebeband?« wollte sie wissen. Daniel griff in die andere Tasche und reichte Mattie die Rolle. »Jetzt leg dich hin«, kommandierte sie. Auf einmal fürchtete Daniel, er könnte die ganze Entführungsgeschichte umsonst durchgezogen haben. Vielleicht war Mattie immer noch so verbittert, dass sie nur vorgab, ihn zu lieben, um sich jetzt fürchterlich an ihm zu rächen. Schließlich hatte er ihr Vertrauen enttäuscht und sie angelogen. Warum sollte er von ihr etwas anderes erwarten? Er wusste aber auch nicht, was er anderes machen sollte, als ihr zu vertrauen und zu hoffen, dass sie ihn nicht deshalb fesseln wollte, um ihm bei lebendigem Leib die Haut abzuziehen. Also legte er sich aufs Bett. Mit vollkommen ernstem Gesicht band Mattie seine Hand- und Fußgelenke am metallenen Bettgestell fest. »Ich hoffe, dass es deine Rachepläne beeinflusst, wenn ich dir sage, dass ich auf keinen Fall vorhatte, dich über Nacht gefesselt zu lassen, falls du meinen Heiratsantrag nicht annimmst«, erklärte er vorsichtshalber. »Dann bist du wahrscheinlich fairer als ich«, erwiderte sie, während sie das letzte Band abriss. Seine Hoffnung schwand. »Mattie, ich…« »Sei still, Boss«, befahl sie und baute sich drohend neben ihm auf.
»Also, ich werde dich unter folgenden zwei Bedingungen heiraten: Erstens, du wirst mich niemals in all unseren gemeinsamen Jahren als Heimwerkerkönigin titulieren. Das ist absolut tabu.« Daniel lächelte. »Diese Bezeichnung wird mir niemals über die Lippen kommen.« »Zweitens, du wirst mich nicht überreden, auf all diese öden Cocktailund Lunchpartys zu gehen, die du für deine Manager an irgendwelchen Feiertagen organisieren musst.« »Okay. Hiermit streiche ich dich von der Gästeliste«, gewährte er großzügig. »Firmenpicknicks ausgenommen«, fügte sie schnell hinzu. »Da gehe ich gerne mit. Drittens…« »Ich dachte, es sollten nur zwei Bedingungen sein«, erinnerte er sie. »Tja, mir ist gerade eben noch eine eingefallen«, erwiderte sie. »Du wirst mich weder jetzt noch später dazu drängen, Fox Hollow zu verlassen, weil ich auf gar keinen Fall Pops und seine Freunde missen möchte.« »Nicht einmal im Traum würde ich daran denken«, versicherte Daniel. »Tatsächlich hatte ich mir überlegt, uns ein Haus hier in Fox Hollow zu bauen, weil D.J. ebenfalls beschlossen hat, hier wohnen zu bleiben, wenn er aus dem Heim entlassen wird.« Mit ihrem gewohnt strahlenden Lächeln beugte Mattie sich vor, um die Knöpfe seines Hemds zu öffnen. Dann fuhr sie mit der Hand über seine nackten, muskulösen Oberkörper. Daniel stöhnte auf. »Ich glaube, mich von dir fesseln zu lassen, war keine gute Idee. Du wirst mich jetzt elendig quälen, hab ich Recht?« Sie ließ ihre Hände zu seinem Hosenbund gleiten und entblößte mit wenigen Griffen auch den unteren Teil seines Körpers. »Hm, Sie sehen genauso aus wie jemand, den ich mal kannte, Mr. Grayson.« Daniel war nicht ganz sicher, wie er das verstehen sollte. »Wer denn?« »Ach, ein ganz normaler Typ namens Joe«, flüsterte sie, während sie sich neben ihn legte und zarte Küsse auf seinem Oberkörper, seinem Bauch und den Hüften verteilte. Daniel holte geräuschvoll Luft, als er ihre feuchten Lippen auf dem sensibelsten Teil seines Körpers spürte. Sie liebkoste ihn mit dem Mund, und von heißer Begierde übermannt, drehte und wand er sich in seinen Fesseln. Er wollte Mattie ebenfalls berühren, küssen und verwöhnen. »Mattie, binde mich los«, flüsterte er stöhnend, weil sie ihn immer mehr zum Wahnsinn trieb. »Nie im Leben«, versprach sie mit Nachdruck. »Ich liebe dich zu sehr, als dass ich dich wieder gehen lassen könnte.« »Oh, Mattie, ich hatte solche Angst, dass du das niemals wieder sagen würdest. Ohne dich bin ich…« »Ich weiß: ein alter, langweiliger Firmenboss ohne Enthusiasmus.« Sie lächelte kurz und fuhr dann mit ihrem süßen Verführungsspiel fort, bis er um Gnade flehte. Dann setzte sie sich rittlings auf ihn und gab sich dem leidenschaftlichen Crescendo hin, das ihre vereinten Körper erzeugten. Die überwältigenden Gefühle, die Mattie bereits verloren geglaubt hatte, als Daniel ihr das Herz brach, kehrten mit unbändiger Kraft zurück.
Verzückt genoss sie sein drängendes Verlangen nach ihr und nahm, was er ihr gab, bis sie beide wild erschauernd zum Höhepunkt kamen. Allmählich wich ihre Erregung einer süßen Trägheit, die Hitze sexueller Lust verwandelte sich in tiefe Wärme. Erschöpft ließ Mattie sich auf Daniel sinken, glücklich über die tiefe seelische Nähe. »Ich liebe dich, Mattie«, flüsterte Daniel heiser. Dieses Mal glaubte sie ihm. Er hatte sich wirklich alle Mühe gegeben, sie davon zu überzeugen, dass sie ihm mehr bedeutete als alles andere. Lächelnd zog sie die Schere aus seiner Tasche und durchschnitt seine Fesseln. Daniel schloss sie in die Arme und hielt sie fest, so fest an sich gedrückt. »Und du willst wirklich in Fox Hollow bleiben?« fragte sie noch einmal nach. »Auf jeden Fall. Sicher muss ich hin und wieder in die Zentrale nach Oklahoma City fahren, aber Fox Hollow wird mein persönlicher Hauptstützpunkt für Hobbydrome Enterprises.« »Mit kurzen Geschäftsreisen komme ich klar, solange du abends wieder in meinem Bett liegst«, meinte sie zufrieden. »Ich kann mir keinen Ort vorstellen, an dem ich lieber wäre«, gab er zurück. »Hm, das klingt schön«, murmelte Mattie noch, dann schlief sie mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen ein.
EPILOG Pops und J.D. umringt vom Rest der Roland-Gang, standen vor der Kirche und winkten dem Brautpaar zum Abschied nach. Als das frisch vermählte Paar davonfuhr, klapperten die festgebundenen Blechdosen auf dem Asphalt, und neonfarbende Bänder wehten hinter dem Wagen her. »Das wurde aber auch langsam Zeit, dass die beiden heiraten«, meinte J.D. »Wir werden ja auch nicht jünger.« Pops sah dem Wagen nach, bis dieser hinter einer Kurve verschwand. »Ich kann immer noch nicht glauben, dass sie zur Hochzeitsreise nicht weiter wegfahren als zu der Hütte am See.« »Wenn du mich fragst, werden sie es noch nicht mal bis dahin schaffen, ehe sie übereinander herfallen«, unkte Glen. »Stimmt«, warf Herman ein. »Auch in der Kirche und beim Empfang konnten sie kaum die Hände voneinander lassen.« Ralph grinste fröhlich. »Die sind geradezu verrückt nacheinander, stimmt’s?« »Ganz und gar närrisch, die zwei«, bestätigte Fred. »Ich hatte die ganzen letzten Monate schon Angst, sie würden sich beim Hausbauen die Finger absägen, weil sie sich immerzu nur angestarrt haben«, sagte Pops. J.D. lachte. »Irgendwie rührend, dass sie das Haus ganz alleine zusammen bauen wollten. Nicht einmal mit der Brechstange würde man die zwei auseinander kriegen.« Pops humpelte an seinem Stock in Richtung Parkplatz. »Lasst uns nach
Paradise Valley zurückfahren. Im neuen Teich schwimmt ein Fisch herum, auf dem mein Name steht.« »Ich denke, ich werde mich in einen der neuen weichen Fernsehsessel setzen und auf den großen Bildschirm starren«, meinte Ralph und folgte Pops. »Nur zu«, sagte Herman. »Ich werde wohl eine Runde im neuen Pool schwimmen, um mich nach all der Aufregung um die Hochzeit ein wenig abzukühlen.« »Klingt gut«, bestätigten Fred und Glen im Chor. Pops blickte zu J.D. »Und was ist mit dir? Kommst du mit mir, oder soll ich allein angeln?« »Ich gehe mit dir angeln«, antwortete J.D. »Dann zieh dich mal warm an, alter Mann«, warnte Pops schmunzelnd. »Oho, nicht so vorlaut, alter Knabe. Du hast mich noch in keinem Angelwettbewerb geschlagen.« Pops schnaubte. »Wir hatten ja auch noch kein offizielles Wettangeln.« J.D. lachte. »Wie ich bereits sagte…« Während die Roland-Gang in den Transporter stieg, um ins Heim zurückzukehren, saßen Daniel und Mattie bereits eng umschlungen auf dem Rücksitz ihres Autos, das auf einem Waldweg geparkt war. Wie die alten Männer prophezeit hatten, waren Mattie und Daniel zu ungeduldig, um bis zur Hütte zu warten. »Ich werde dich immer lieben, Mattie«, flüsterte Daniel ihr ins Ohr. »Und du solltest mittlerweile wissen, dass ich ein Mann bin, der hält, was er verspricht.« Mattie lächelte, und ihre Augen strahlten voller Liebe. »Ja, ich weiß.« - ENDE -