Horror‐Hölle Tansania Version: v1.0
Früher hatte er das Böse mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln bekämpft. ...
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Horror‐Hölle Tansania Version: v1.0
Früher hatte er das Böse mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln bekämpft. Wo immer er auf Spuren der schwarzen Macht stieß, nahm er die Herausforderung an. Ohne Rücksicht auf Verluste. Aber dann passierte etwas Schreckliches mit ihm. Er geriet in die Gewalt von Rufus, den man den Dä‐ mon mit den vielen Gesichtern nannte, und dieser holte ihn auf die andere Seite. Jetzt war er ein Va‐ sall der Finsternis. Er – Frank Esslin.
Tansania. Das Taxi hatte Daressalam verlassen und befand sich auf der Straße nach Bagamoyo. Bagamoyo war einst ein bedeutender Ausfuhrhafen für Sklaven und Elfenbein, doch so weit wollte der Weiße im Fond des klappe‐ rigen Wagens nicht gebracht werden. Er war 31 Jahre alt, blond, hager, elegant gekleidet und Amerikaner. Sein Name war Esslin. Dr. Frank Esslin. Bis vor kurzem war er für die WHO, die Weltgesundheitsorgani‐ sation, tätig gewesen. Sein Fachgebiet: die Tropenmedizin. Er hatte schon den ganzen Globus bereist und kannte sich in vielen Städten der Erde ebensogut aus wie in New York, wo er zu Hause war. Auch in Daressalam war er schon gewesen, doch an diese Zeit er‐ innerte er sich nicht gern, denn sie gehörte zu seinem anderen Leben, das er heute total ablehnte. Was er damals getan hatte, hielt er nunmehr für ein Verbrechen an der schwarzen Macht, und er würde viele grausame Taten begehen müssen, um sich davon reinzuwaschen. Es wurde ihm die Chance geboten, sich um die Hölle verdient zu machen, und er wollte sie nützen. Ein grauenvoller Plan war in den letzten Tagen gereift, und Frank Esslin war Rufus dankbar, daß er ihm die Möglichkeit gab, ihn zu unterstützen. Die Menschheit würde den Atem anhalten, das stand fest. Frank Esslin lachte boshaft in sich hinein. Er hoffte, nicht lange Handlanger des Bösen zu bleiben. Er strebte die Selbständigkeit an. Keiner sollte ihm Vorschriften machen. Nur noch dem Höllen‐ fürsten selbst wollte er Rechenschaft schuldig sein. Er stellte es sich großartig vor, gleichberechtigt zu sein mit Rufus, mit Phorkys, dem Vater der Ungeheuer, mit Atax, der Seele des Teufels, und mit vielen anderen Mitgliedern des Höllenheers. Gleichberechtigung, das war sein großes Ziel. Er war sich zu gut für einen Laufburschen. Es widerstrebte ihm, niedrige Arbeiten zu ver‐ richten. Dennoch tat er sie ohne zu murren, weil ihm klar war, daß er sich hochdienen mußte. Niemand war bereit, ihm etwas zu schenken.
Der Höllenfürst mußte auf ihn aufmerksam werden, und dazu kam es nur, wenn er sich aus der Masse hervorhob. Irgendwann, dachte Frank Esslin begeistert, wird Satan dich nicht übersehen können. Dann hast du es geschafft, denn dann wird er dich zum Dämon machen. Eine Auszeichnung, eine Be‐ lohnung für große Leistungen. Es liegt bei dir, wie schnell du dieses Ziel erreichst. Das Taxi quälte sich über die Küstenstraße. Der Motor hustete hin und wieder beängstigend. Es gab knallende Fehlzündungen am laufenden Band, der Auspuff zog eine blaue Ölwolke hinter sich her, während das gesamte Fahrzeug – bedingt durch die Unwucht der Räder – ständig vibrierte. Frank Esslin ließ seinen Blick über die blaue Weite des Indischen Ozeans schweifen. Das Grauen, der absolute Horror, würde hier in Tansania seinen Ursprung haben. Noch wußte niemand davon, aber die Weichen waren bereits gestellt, erste Vorbereitungen schon getroffen. So hatte Frank Esslin zum Beispiel etwa zwanzig Kilometer nörd‐ lich von Daressalam ein Haus gemietet, das sich als Unterschlupf eignete. Die Lage des Gebäudes ließ er sich vom Makler auf einem Plan zeigen. Wie das Haus aussah, hatte Esslin auf einem Foto gese‐ hen. Miete und Kaution waren bezahlt, und nun befand sich Frank Esslin auf dem Weg zu dem Versteck, in dem er auf Rufus und Phorkys warten würde. Esslin betrachtete den muskulösen Stiernacken des Taxifahrers. Der Mann war ein massiger Typ mit breiten Schultern und einer Haut, so schwarz wie Ebenholz. Mit diesem Mann hatte Frank Esslin noch einiges vor! Es war heiß im Wagen. Esslin kurbelte das Fenster nach unten. Die feuchtschwüle Luft, die ihm ins Gesicht wehte, machte die Fahrt noch unerträglicher, deshalb schloß er das Fenster wieder. Ihm fiel auf, daß der schwarze Fahrer ihn ab und zu im Innen‐ spiegel betrachtete, und er verkniff sich ein Grinsen. Wenn du wüßtest …. dachte er und verlieh seinem Gesicht einen
gelangweilten Ausdruck, während er innerlich bereits dem Ende der Fahrt entgegenfieberte. Er hatte das Haus, dessen Schlüssel er in der Tasche trug, für einen ganzen Monat gemietet, obwohl feststand, daß sie so lange nicht bleiben würden. Aber Geld spielte keine Rolle. Rufus be‐ schaffte es im Handumdrehen. Frank Esslin zerbrach sich nicht den Kopf darüber, woher es kam. Es genügte ihm, zu wissen, daß es sich um echte Scheine handelte, mit denen er überall bezahlen konnte, ohne Schwierigkeiten befürchten zu müssen. Der schwarze Fahrer drehte den Kopf, so daß Esslin sein Profil sehen konnte. Die Nase war breit, mit großen Öffnungen, die Lippen wulstig aufgeworfen. Auf der Stirn, unter dem Kraushaar‐ ansatz beginnend, glänzten Schweißperlen. Ihm ist auch heiß, dachte Esslin amüsiert. Aber noch ist es kein Angstschweiß, der ihm auf der Stirn steht. Er blickte auf seine Armbanduhr, schätzte Fahrzeit und Tempo ab und kam zu dem Schluß, daß sie das Haus in Kürze erreichen mußten. Mit finsterer Miene verschränkte er die Arme vor der Brust. Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus, sagt man. Nun – Frank Esslin war dieser Schatten. Er erinnerte sich an seine letzte Unterredung mit Rufus. »Wir brauchen ein Quartier«, hatte der Dämon mit den vielen Gesichtern gesagt. »Du weißt, worauf du achten mußt. Mach dich auf den Weg und besorg eines.« Esslin hatte genickt. »In Ordnung. Wann kann ich mit deinem Eintreffen rechnen?« »Ich muß erst noch Phorkys für unsere Sache gewinnen.« »Wird er mitmachen?« »Ich bin davon überzeugt. Ihm wird gefallen, was ich ihm vor‐ schlage.« »Soll ich mich um ein ›Versuchskaninchen‹ kümmern?« »Keine schlechte Idee.« Esslin hatte den Taxifahrer als Versuchskaninchen auserkoren. Ahnungslos wies der Mann auf das Gebäude, in dem sich sein
Schicksal erfüllen sollte. »Dieses Haus, Sir?« Esslin warf einen Blick zum Fenster hinaus und erkannte das Ge‐ bäude, das er auf dem Foto gesehen hatte, sofort wieder. Es war etwa zweihundert Meter von der Straße zurückgesetzt, eingebettet in eine wild wuchernde, üppige Naturlandschaft. Unter hohen, langblättrigen Kronen schimmerte das dunkelgrü‐ ne, glänzende Laub der Mangobäume und die hellgrünen, zerlapp‐ ten Riesenblätter von Bananenstauden. »Ja«, sagte Frank Esslin, darum bemüht, sich seine Erregung nicht anmerken zu lassen. »Dieses Haus.« Der Neger ließ den alten Wagen vor dem Gebäude ausrollen. Frank Esslin fragte nach dem Fahrpreis und legte 50 Tansania‐ Shilling drauf. Mit Speck fängt man Mäuse, dachte Esslin. Mit Geld diesen Mann. Der Schwarze rollte die Augen. »Oh, Sie sind sehr großzügig, Sir.« »Würden Sie dafür mein Gepäck ins Haus tragen?« »Selbstverständlich, Sir. Mit Vergnügen.« Frank Esslin ging voraus. Er stieg die vier Stufen hinauf, die zur schattigen Veranda führten. Eine Eidechse huschte davon. Esslin holte den Schlüsselbund aus der Tasche und rief sich ins Gedächt‐ nis, was ihm der Makler zu den einzelnen Schlüsseln gesagt hatte. Er schloß auf und trat ein. Muffiger Geruch stieg ihm in die Nase. Heruntergezogene Stoffrollos filterten das Tageslicht auf ein Mini‐ mum herab. Düster und unwohnlich wirkten die Räume, die nur spärlich möbliert waren. Behäbig walzte der schwergewichtige Taxifahrer heran. Er trug eine Reisetasche und einen Koffer. Mit stampfenden Schritten kam er durch die Tür. »Wohin damit?« erkundigte er sich. »Ins Wohnzimmer«, antwortete Esslin und griff nach einem schweren gläsernen Aschenbecher, ohne daß es dem Neger auffiel, und als der Mann an ihm vorbeiging, schlug er damit zu.
* Wie vom Blitz getroffen brach der Schwarze zusammen. Koffer und Reisetasche fielen ihm aus der Hand. Er kippte nach vorn und schlug hin. Dann sickerte Blut aus der Nase des Ohnmächtigen. Esslin grinste zufrieden. »Saubere Arbeit, Frank«, lobte er sich selbst. Er wandte sich um und kickte die Tür zu. Sie fiel mit einem satten Geräusch ins Schloß. Damit war die Welt gewissermaßen ausge‐ sperrt und Frank Esslin mit dem Schwarzen allein. Er packte den Neger und schleifte ihn zu dem Sofa, das zwischen den beiden Wohnzimmerfenstern stand. Ächzend stemmte er den Fleischbrocken hoch. »Mensch, bist du schwer«, keuchte er. »Das kommt davon, wenn man zuviel futtert, dann wird man anderen zur Last.« Mit dem Knie verlieh er dem schlaffen Körper den nötigen Schwung. Der Schwarze landete auf dem Sofa. Wie tot lag er auf dem Rücken, den Mund leicht geöffnet, die Augen geschlossen. Esslin suchte nach einer Schnur, mit der er den Taxifahrer fesseln konnte. Die Gardinenschnur bot sich an. Esslin schnitt sie mit sei‐ nem Taschenmesser ab und kehrte damit zu dem Bewußtlosen zu‐ rück. Er band dem Mann Arme und Beine zusammen. Anschließend schob Esslin den großen runden Wohnzimmertisch näher an das Sofa heran und stieß die schlanke Klinge seines Ta‐ schenmessers hart in die Tischplatte. Nun hatte er Zeit, sich im Haus umzusehen. Alle Räume waren möbliert. Die Einrichtung traf nicht Esslins Geschmack, aber das störte ihn nicht. Er hatte nicht die Absicht, sich hier zur Ruhe zu setzen. Als Schlupfwinkel war das Gebäude ideal. Es lag abseits der Stra‐ ße außerhalb der Stadt, war unscheinbar und besaß einen Hinter‐ ausgang. Esslin war mit seiner Wahl zufrieden, und Rufus würde es
auch sein. Ihm lag sehr viel daran, Rufus zufriedenzustellen, denn ohne dem Dämon mit den vielen Gesichtern wäre er heute nicht mehr am Leben. Rufus hatte ihn mit Hilfe der Totenuhr, einem Energie‐ Vampir, wieder zum Leben erweckt. Der Dämon hatte das nicht aus reiner Gefälligkeit getan, sondern er wollte den Dämonenhasser Tony Ballard mit seiner, Esslins, Hilfe hinters Licht führen.* Da Frank Esslin Tony Ballards Freund gewesen war, hätte er den Dämonenjäger täuschen können. Zweck der Übung: Mago, der Schwarzmagier, war scharf auf Mr. Silvers Höllenschwert. Der Ex‐ Dämon bewahrte es in Tony Ballards Haus auf, und Frank Esslin hätte ihm die gefährliche Waffe bringen sollen. Die Sache hatte dann aber nicht so geklappt, wie sie sich das vor‐ stellten. Rufus, Mago und Frank Esslin mußten sich aus dem Staub machen. Die Totenuhr wurde zerstört – und das Höllenschwert blieb weiterhin in Mr. Silvers Besitz. Mago würde sich etwas anderes einfallen lassen müssen, um an die starke Waffe zu kom‐ men. Rufus war jedoch nicht mehr gewillt, den Schwarzmagier dabei zu unterstützen. Frank trug seinen Koffer nach oben, kehrte zurück und begab sich mit der Reisetasche in die Küche. Er schaltete den Kühlschrank ein und stellte den mitgebrachten Proviant hinein. Mit einer Dose Kräuterbier schlenderte er ins Wohnzimmer. Es zischte leise, als er den Verschluß hochzog. Esslin fischte sich mit dem Fuß einen Stuhl, setzte sich rittlings darauf und löschte mit dem Bier seinen Durst. Als die Dose leer war, zuckten die Lider des Schwarzen. Wenig später schlug er verwirrt die Augen auf und blickte benommen zur Decke. Er begriff nicht, was los war. Da ein bohrender Schmerz in seinem Hinterkopf saß, wollte er danach greifen. Im selben Augenblick fiel ihm auf, daß er gefesselt war. Er bäumte sich erschrocken auf. *siehe Tony Ballard 21: »Die Totenuhr«
Um sich bemerkbar zu machen, stellte Frank Esslin die leere Bier‐ dose mit Schwung auf den Tisch. Der Neger zuckte zusammen. Er sah die Bierdose, das Messer, das in der Tischplatte steckte, die Hand, die danach griff, und Frank Esslin, dem diese Hand gehörte. Der Fahrgast, der ihm ein so großzügiges Trinkgeld gegeben hatte, mußte wahnsinnig sein. Wie sonst sollte sich der Taxifahrer erklären, was der Mann getan hatte? Frank Esslin zog das Messer aus dem Holz. »Niemand würde dich hören, wenn du losbrüllst. Ich möchte aber trotzdem nicht, daß du’s tust. Wenn du dich nicht daran hältst, schneide ich dir die Keh‐ le durch, verstanden?« Der Neger nickte verstört, und nun trat ihm der Angstschweiß auf die Stirn. »Warum?« fragte er gepreßt. »Warum tun Sie das?« »Ich habe meine Gründe. Wie ist dein Name?« »Zanaza.« Esslin grinste. »Hör zu, Zanaza, du bist zu etwas Großem aus‐ ersehen.« »Sind Sie … Sind Sie ein Terrorist oder so etwas?« Esslin schüttelte den Kopf. »Terrorismus interessiert mich nicht. Ich habe für Politik nichts übrig. Es sei denn, man zieht die Höllen‐ politik hinzu. An der habe ich sehr großes Interesse.« Für Zanaza schien nun festzustehen, daß er einem Verrückten in die Hände gefallen war. Höllenpolitik. Der Mann war vermutlich Anhänger einer schwarzen Sekte. Manche dieser verbotenen religi‐ ösen Gruppen brachten dem Satan Menschenopfer dar. Sollte ihn so ein entsetzliches Schicksal ereilen? »Ich bitte Sie, lassen Sie mich frei!« flehte der Schwarze. Esslin winkte ab. »Das kannst du dir aus dem Kopf schlagen. Du wirst mir bis auf weiteres Gesellschaft leisten.« »Und dann?« Esslin bleckte die Zähne. »Später können wir über deine Frei‐ lassung sprechen. Ich bin schließlich kein Unmensch.« »Und was passiert mit mir zwischen jetzt und dann?« wollte Za‐ naza wissen.
»Vorerst einmal nichts.« »Bitte sagen Sie mir, was Sie mit mir vorhaben.« »Sei nicht so neugierig«, sagte Esslin spöttisch. »Laß dich über‐ raschen, das ist doch viel spannender.« »Ich habe Familie.« »Wie schön für dich.« »Sie wird mich vermissen. Meine Frau, meine beiden Kinder …« Esslin musterte den Fleischberg verächtlich. »Mann, tu doch nicht so, als wärst du unentbehrlich. Deine Familie wird sich auch ohne dich zurechtfinden. Es liegt bei dir, ob sie dich wiedersieht.« »Wenn ich nicht zur gewohnten Zeit nach Hause komme, wird sich meine Frau an die Polizei wenden.« »Gehst du nach der Arbeit nie einen heben?« »Nein, das hat es in den zehn Jahren Ehe noch nicht gegeben. Meine Frau hängt sehr an mir. Sie ist ein wenig schüchtern, hat Angst vor dem Leben. Ich bin ihre Stütze. An mir richtet sie sich auf, hinter mir versteckt sie sich, wenn unangenehme Dinge auf die Familie zukommen. Sie braucht mich. Die Kinder brauchen mich …« »Nun sieh mal an, und ich brauche dich auch. Muß doch ein herr‐ liches Gefühl sein, wenn man so begehrt und unentbehrlich ist wie du.« »Ich sage es Ihnen noch einmal: Meine Frau wird zur Polizei ge‐ hen«, sagte Zanaza eindringlich. »Denken Sie an die Folgen! Man wird mich suchen!« »Aber nicht finden«, sagte Frank Esslin ungerührt. »Vor dem Haus steht mein Wagen.« »Vielen Dank, daß du mich darauf aufmerksam gemacht hast, ich werde ihn hinter das Haus fahren.« »Es kann ihn bereits jemand gesehen haben.« »Dieses Risiko nehme ich auf mich«, meinte Esslin und zuckte die Achseln. Er verließ das Gebäude. Zanaza hörte, wie er den Motor anließ und die klapperige Karre hinter dem Haus versteckte. Der Motor verstummte. Frank Esslin kehrte durch die Hintertür zurück.
Zanaza blickte ihn verzweifelt an. »Haben Sie denn kein Herz im Leibe?« »Doch, aber vielleicht solltest du wissen, daß es nicht für das Gute schlägt. Folglich hat es keinen Zweck, wenn du an mein Mit‐ gefühl appellierst. Ich tue nur, was ich für richtig halte und was mir nützt.« Der Neger unternahm einen zaghaften Versuch, sich von den Fesseln zu befreien, mußte ihn aber sofort wieder abbrechen, denn die Luft wurde ihm knapp. Esslin lachte. »Nichts zu machen, Freund. Ich würde an deiner Stelle einfach resignieren. Lehn dich nicht gegen das Unvermeidba‐ re auf, das hat keinen Zweck. Du machst dir damit nur selbst das Leben unnötig schwer.« Der Schweiß rann über Zanazas Gesicht und vermischte sich mit dem Blut, das aus seiner Nase geflossen und eingetrocknet war. Ro‐ tes Blut auf schwarzer Haut – es war kaum zu sehen. »Sind Sie sich darüber im klaren, daß Sie ein Verbrechen bege‐ hen?« fragte der Neger mit krächzender Stimme. Ein fanatisches Glühen erschien in Esslins Augen. »Dummkopf«, sagte er leidenschaftlich. »Für dich Einfaltspinsel gibt es nur Gesetz und Ordnung. Alles, was nicht in dieses Schema paßt, nennst du ein Verbrechen. Aber so simpel liegen die Dinge nicht immer. Es gibt mehr, als du dir träumen läßt. Du wirst davon eine Kostprobe erhalten. Was bist du? Moslem? Katholik? Protestant? Hinduist? Oder bist du Anhänger irgendeiner Naturreligion?« »Ich bin Katholik.« »Besuchst du die Kirche?« »Manchmal.« »Warum gehst du nicht jeden Sonntag, wie es deine Religion vor‐ schreibt?« »Das … das werde ich von nun an tun.« »Glaubst du an Gott?« »Ja.« »Und an den Teufel?« »Es gibt ihn.«
»Sehr richtig!« sagte Esslin erregt. »Es gibt ihn. Ich habe ihn zwar noch nicht zu Gesicht gekriegt, aber eines Tages wird er verlangen, daß man mich zu ihm bringt. Sieh mich nicht so entsetzt an. Du hast einen der eifrigsten Diener des Bösen vor dir. Jetzt denkst du wohl, ich wäre nicht ganz richtig im Kopf, aber du irrst dich. Mit mir ist alles in Ordnung. Ich stehe auf der Seite der schwarzen Macht, und du wirst in absehbarer Zeit zwei ihrer gefährlichsten Vertreter kennenlernen: Rufus, den Dämon mit den vielen Gesichtern, und Phorkys, den Vater der Ungeheuer!« Zanaza fing an zu zittern. Dieser Mann schien die Wahrheit zu sagen. Der Neger glaubte nun zu wissen, daß er verloren war. Er konnte sich nicht vorstellen, daß man ihn wieder freiließ. Du bist in eine Falle des Bösen geraten, sagte er sich verzweifelt. Aus der kommst du nicht mehr raus. Was für Pläne hatten sie mit ihm? Standen ihm furchtbare Qualen bevor? Rufus und Phorkys waren bestimmt sehr grausam. Esslin wandte sich um und trat ans Fenster. Auf der Straße waren zwei Fahrzeuge Richtung Daressalam unterwegs. Esslin grinste. Wenn die Fahrer geahnt hätten, was in diesem Haus hier anlief, hätten sie Großalarm ausgelöst. Aber die schwarze Blume, an deren Gift viele zugrunde gehen sollten, blühte im Verborgenen auf. Un‐ beachtet und unbemerkt wuchs sie, und sie würde vielen Menschen zum Verhängnis werden. Zwei Stunden vergingen. Frank Esslin stand immer noch am Fenster. Er schien auf je‐ manden zu warten. Zanaza lag auf dem Sofa und wagte sich nicht zu rühren. Die Schnur schnitt schmerzhaft in sein Fleisch, er war in Schweiß gebadet. Obwohl ihn im Moment niemand bedrohte, krallte sich die nack‐ te Angst mit eiskalten Fingern in sein Herz. Sterben! dachte er verzweifelt. Du wirst sterben! Vielleicht werden die Dämonen dich fressen. Wie hatte es nur dazu kommen können? Er war zu vertrauensse‐ lig gewesen. Das war seit jeher sein Fehler. Vertrauensselig und hilfsbereit – und wenn ihm jemand 50 Tansania‐Shilling gab, kannte
diese Hilfsbereitschaft kaum noch Grenzen. Das Geld machte ihn blind, das harmlose Äußere des Ame‐ rikaners täuschte ihn – und so war es passiert. Die Dämmerung setzte ein. Düstere Schatten krochen auf das Haus zu und schlossen es ein. Gegen zehn Uhr wippten Schein‐ werfer durch die Finsternis. Sie stießen gegen das einsame Haus, schwenkten ab, bohrten sich in die üppige Vegetation und erlo‐ schen. Frank Esslin verließ das Wohnzimmer. Er wartete in der Diele. Draußen klappte eine Wagentür mit einem schmatzenden Geräusch zu, dann näherten sich der Haustür Schritte. Esslins Augen verengten sich, als es klopfte. Er trat an die Tür und öffnete sie. Vor ihm stand ein hellhäutiges Mädchen, eine um‐ werfende Schönheit mit dunklen, brennenden Augen, langem schwarzen Haar, einer dünnen Bluse, deren Knöpfe von einem vollen Busen beinahe gesprengt wurden. Sie trug einen kornblu‐ menblauen Minirock und hatte die wohlgeformtesten Beine, die Frank Esslin je gesehen hatte. »Hallo, Frank«, sagte sie mit einer rauchigen Stimme und wiegte sich lasziv in den Hüften. »Da bin ich.« Ihr gewinnendes, engelhaftes Aussehen konnte ihn nicht täuschen. Er spürte, wer sich hinter dieser attraktiven Fassade ver‐ barg. »Sei mir herzlich willkommen, Rufus«, sagte er und gab die Tür frei, um den Dämon eintreten zu lassen.
* Rufus konnte jede Gestalt annehmen. Auf diese Weise gelang es ihm immer wieder, die Menschen zu täuschen. Seine ursprüngliche Gestalt war die eines bleichen Skeletts, das eine lange schwarze Kutte mit hochgeschlagener Kapuze trug. Auch so kannten und fürchteten ihn seine Feinde. Rufus gehörte seit langem zur Höllenelite. Er hatte der
schwarzen Macht zu vielen Siegen verholfen, mußte in der Vergangenheit aber auch so manche schwere Niederlage hin‐ nehmen, und zwar immer dann, wenn es zu einer Konfrontation mit dem Dämonenhasser Tony Ballard kam. Vor vielen Jahren war Rufus der Anführer einer gefährlichen Chicagoer Dämonenclique gewesen. Er erinnerte sich noch gut an diese Zeit. Damals hatte es noch den Dämon Zodiac gegeben. Ein Tribunal der Dämonen verurteilte Zodiac, den Versager, zum Tode. Auf dem Richtblock des Grauens sollte er sterben, und seine Henker waren keine geringeren als die apokalyptischen Reiter. Zu verdanken hatte Zodiac dieses Todesurteil Tony Ballard, an dem er mehrmals scheiterte. Deshalb verfluchte er den Dämonenjä‐ ger in der Stunde seines Todes. Und dieser Fluch erreichte Rufus, der es sich zum höchsten Ziel setzte, Tony Ballard zu vernichten. Bisher war ihm das noch nicht gelungen. Daß sich das Tribunal der Dämonen seiner noch nicht angenommen hatte, lag wohl daran, daß er der bessere Höllendi‐ plomat war und unter den Vertretern der schwarzen Macht viele Freunde hatte. »Großartige Idee, in der Gestalt eines so schönen Mädchens hierher zu kommen«, sagte Frank Esslin. »Da kann kein Mensch Verdacht schöpfen.« »Ich werde mich dieses Aussehens auch weiterhin bedienen«, sagte Rufus. Es war für Frank Esslin ungewöhnlich, ihn mit dieser weichen Mädchenstimme sprechen zu hören. »Hat das Mädchen einen Namen?« wollte Esslin wissen. »Ihre Papiere weisen sie als Jill Cranston aus. Sie ist Engländerin.« Esslin grinste. »Wie aufregend. Und wie möchtest du von mir angesprochen werden? In der Öffentlichkeit mit Jill – und wenn wir unter uns sind mit Rufus?« »Besser, du nennst mich immer Jill. Wir könnten mal belauscht werden.« »Einverstanden«, sagte Esslin. Er wies mit stolzgeschwellter Brust auf die Wohnzimmertür. »Ich habe bereits ein Versuchskanin‐
chen besorgt. Es brennt darauf, deine Bekanntschaft zu machen.« Sie betraten den Raum. Zanaza wandte den Kopf zur Tür. Als er das schöne Mädchen sah, rief er mit weinerlicher Stimme: »Helfen Sie mir! Dieser Mann hält mich hier seit Stunden fest! Er … er ist ein schwarzer Sektierer und hat etwas Schreckliches mit mir vor!« Esslin lachte. »Du armer Irrer. Du bellst den falschen Baum an. Weißt du, wen du vor dir hast? Rufus, den Dämon mit den vielen Gesichtern. Dies ist eines davon. Sieht er nicht verführerisch aus? Doch Vorsicht! In ihm ist die Hölle! Er verkörpert das Böse! Es sind seine Pläne, die wir hier realisieren werden!« Der Neger starrte das Mädchen ungläubig an. »Nein, das glaube ich nicht. Das ist nicht wahr. Sie belügen mich. Dieses Mädchen ist kein Dämon.« »Wollen wir wetten?« Zanaza sackte schluchzend in sich zusammen. »O Gott, warum laßt ihr mich nicht laufen. Ich verspreche, euch nicht zu verraten. Kein Wort verliere ich über euch. Ich bin euch nie begegnet, habe euch nie gesehen. Bitte laßt mich nach Hause zu meiner Familie.« »Das geht nicht«, sagte Rufus eiskalt. »Wir brauchen dich.« »Wozu?« »Wir müssen etwas ausprobieren.« »An mir?« fragte Zanaza schrill. Jill Cranston hob die wohlgerundeten Schultern. »Irgend jemand muß es sein. Du hattest das Pech, daß Frank Esslins Wahl auf dich fiel.« Der Amerikaner grinste. »Zanaza bot sich an, er drängte sich förmlich auf.« Tränen quollen aus den Augen des Schwarzen, doch sie rührten weder Frank Esslin noch Jill Cranston. Sie wandten sich von dem Gefangenen ab. »Wann trifft Phorkys ein?« wollte Esslin wissen. »Noch vor Mitternacht.« Esslin rieb sich erfreut die Hände. »Fein, dann sind wir vollzäh‐ lig, und es kann losgehen.« Das Mädchen wies mit dem Daumen auf Zanaza. »Hast du ihm
gesagt, was wir mit ihm vorhaben?« »Nein. Er wird es noch früh genug erfahren. Wie sieht es in Daressalam aus?« »Alles läuft reibungslos ab. Unserem Unternehmen wird ein durchschlagender Erfolg beschieden sein.« »Das hoffe ich«, sagte Esslin. »Dein Plan ist jedenfalls großartig. Das sage ich nicht bloß, um dir zu schmeicheln. Wir werden wie ein Blitz aus heiterem Himmel zuschlagen.« »Ich war in der Sportschule.« »Ich auch. Die britische Boxstaffel ist nicht schlecht.« »Für die hiesige Boxstaffel sind die Männer aus England nur Prügelknaben. Ich habe mich mit Andrew Quaid, dem Manager der Briten, unterhalten. Er sieht die Chancen seiner Staffel realistisch, rechnet mit dem einen oder anderen Unentschieden. Aber an einen Sieg über die schwarzen Athleten glaubt er nicht.« Jill Cranston zeichnete mit ihrer Hand ihre aufregenden Kurven nach. »Quaid hat übrigens Gefallen an mir gefunden. Vielleicht ist uns das noch mal nützlich.« Esslin blickte ungeduldig auf seine Uhr. Er hätte es gern gesehen, wenn Phorkys, der Erschaffer der Bestien, jetzt eingetroffen wäre. Sein Wunsch schien für Phorkys Befehl zu sein, denn plötzlich flog die Haustür auf und knallte mit großer Wucht gegen die Wand. Jill Cranston und Frank Esslin wechselten einen raschen Blick. »Phorkys«, sagte das Mädchen, das Rufus war. Stampfende Schritte näherten sich der Wohnzimmertür. Zanaza starrte den schweren Schritten entgegen, und eine Sekunde später bot sich ihm ein absolutes Bild des Schreckens. In der Tür stand Phorkys, der Vater der Ungeheuer! Von jedem Ungeheuer, das er geschaffen hatte, hatte er selbst et‐ was an sich. Seine Haut war geschuppt wie die eines Drachen, die Zähne waren die eines Ghouls, er hatte die Schnauze eines Werwolfs, das Schlangenhaar der Gorgonen, die Krallen eines Wertigers und so fort … Der gefangene Neger befürchtete, den Verstand zu verlieren. Fassungslos blickte er dieses grauenerregende Scheusal an.
Du bist verloren! schrie es in ihm. Dein Leben hängt nicht einmal mehr an einem seidenen Faden. Es hängt überhaupt an nichts mehr. Du fällst bereits, befindest dich auf dem Weg nach unten, und es geht rasend schnell. Wie tief ist die Schlucht, in die mich dieser Frank Esslin gestoßen hat? Wann kommt es zum tödlichen Auf‐ prall? Phorkys trat ein. An manchen Körperstellen glänzte er schleimig. Er war das perfekteste Konglomerat des Grauens, das man sich vor‐ stellen kann. Seine Augen wurden zu rot glühenden Kohlen, als er den Neger auf dem Sofa liegen sah. »Unsere Testperson«, sagte Frank Esslin. Zanaza flehte den Himmel an, er solle ihn jetzt auf der Stelle tö‐ ten. Erspar mir das, was diese Bestien mit mir vorhaben! bettelte er im Geist. Bring mein Herz zum Bersten, damit es vorbei ist! Laß nicht zu, daß ich diesen Wesen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert bin! Doch der Himmel hörte Zanazas Flehen nicht. Der Schwarze war dazu verurteilt, weiterzuleben. Sein Herz klopfte weiterhin kräftig gegen die Rippen. Wie zum Trotz. Jill Cranston nickte dem Vater der Ungeheuer zu. »Du weißt, was wir von dir wollen, Phorkys. Fang an. Schaff ein Monster, dessen wir uns bedienen können. Mach es stark und unberechenbar, blut‐ rünstig und grausam. Allein sein Aussehen soll die Menschen zu Tode erschrecken.« Zanaza schluckte trocken. War Phorkys tatsächlich in der Lage, ein solches Ungeheuer zu erschaffen? Der Neger starrte das grauen‐ erregende Höllenwesen gespannt an. Absolute Stille herrschte im Raum. Rufus und Frank Esslin waren zurückgetreten. Sie warteten. Phorkys breitete seine mächtigen Arme aus und baute ein gewaltiges schwarzmagisches Kraftfeld vor sich auf. Dunkle, gutturale Laute drangen aus seiner Kehle. Frank Esslin verstand diese Dämonensprache nicht. Nicht einmal Rufus war diese unheimliche Klangbildung vertraut. Phorkys ak‐ tivierte einen uralten Zauber, der nur ihm bekannt war, und in‐
mitten des magischen Kraftfeldes begann mit einemmal die Luft zu flimmern. Das gibt es nicht! Ich bin verrückt! dachte Zanaza. Ich habe den Verstand verloren! Himmel, mein Herz solltest du treffen, nicht meinen Geist! In dem Flimmern entstand ein undefinierbares Etwas. Lang und dünn war es. Armdick, wie eine ausgestreckte, steifgefrorene Schlange sah es aus. Doch diese Gestalt behielt es nicht lange bei. Aus dem starren Körper wuchsen verschiedene Monsterschädel, klumpige Arme, Spinnenbeine. Grüner Schleim glänzte auf dem Ungeheuer, das in Sekundenschnelle in die Breite wuchs und mit einem dumpfen Laut – als würde es explodieren – zur Decke hoch‐ schoß. Dort oben neigte sich ein Rattenschädel zu den Anwesenden her‐ unter und stieß das gefährliche Fauchen einer Schlange durch die Zähne. Der Körper des Monsters konnte keinen Moment stillstehen. Er bewegte sich ständig, wie ein Wurm, auf den man trat, und veränderte dadurch fortwährend sein Aussehen. Dem Neger blieb vor Schreck beinahe das Herz stehen. Rufus und Frank Esslin hingegen waren mit dem, was Phorkys geschaffen hatte, mehr als zufrieden. »Das ist es!« rief der Dämon mit den vielen Gesichtern begeistert aus. »So habe ich mir die Bestie vorgestellt, die wir auf die Menschheit loslassen werden.«
* Phorkys überließ ihnen das Höllenmonster und zog sich zurück. Er stand nicht gern in vorderster Front. Seine Ungeheuer mußten die Arbeit für ihn tun. Er lebte lieber im Hintergrund und zog die Fäden. Diesmal war nicht einmal das nötig, denn Rufus übernahm die Regie. Er würde ein Schauspiel inszenieren, das prall gefüllt war mit Grauen und Horror.
Zanazas Nerven drohten zu zerreißen. Verstört starrte er dieses Scheusal an, das bis zur Decke hochgewachsen war. Testperson hatte ihn Frank Esslin genannt. Welchen Test wollten sie vor‐ nehmen? Sollte er dem Ungeheuer zum Fraß vorgeworfen werden? »Prächtig«, sagte Rufus und betrachtete das Satanswesen. »Eine wahre Augenweide«, sagte Frank Esslin und grinste breit. Die Bestie kreischte, fauchte und zischte. Sie wandte sich Zanaza zu. Sieben, acht gierige Augen starrten den Gefesselten an. »Neiiin!« schrie der Unglückliche. »Es will mich fressen! Laßt es nicht zu!« Esslin lachte. »Hab keine Angst, es wird dich nicht fressen. Du wirst es verschlingen!« Er wandte sich an Rufus. »Nun bist du dran.« Das hübsche Mädchen nickte, und Zanaza erlebte eine weitere grauenerregende Vorstellung. Das schöne Mädchengesicht bekam tiefe Risse. Die Haut klaffte auf, doch kein Tropfen Blut war zu se‐ hen. Muskeln, Sehnen zerrissen mit einem häßlichen Geräusch. Das Fleisch fiel von den Knochen, und die wahre Gestalt des Dämons kam zum Vorschein. Schwarz wie die Nacht war die Kutte, die Ru‐ fus einhüllte. Der Dämon streckte einen Arm aus. Sein Knochenfinger wies auf das Wesen mit den vielen Köpfen und brachte es mit seinem dä‐ monischen Willen zum Erstarren. Unheilvolle, stumpfe Schwärze lag in Rufus’ Augenhöhlen. Seine höllische Kraft nahm Einfluß auf das erstarrte Ungeheuer. Er zwang es, zu schrumpfen, und die von Phorkys zum Leben erweckte Bestie sank nieder, als wäre sie aus aufblasbarem Gummi, der mit einem spitzen Gegenstand verletzt worden war. Frank Esslin bewunderte Rufus’ Kraft. Er hoffte, eines Tages ebenso stark zu sein wie dieser Dämon. Immer noch schrumpfte das Monster. Bald war es nur noch so groß wie ein sechsjähriges Kind. Wie klein es auch immer werden mochte, seine Gefährlichkeit würde es beibehalten.
Zehn Zentimeter war es nur noch groß, und es schrumpfte wei‐ ter. Fünf Zentimeter. Rufus war es immer noch zu groß. Vier Zentimeter, drei, zwei, einer … Rufus verkleinerte die Bestie auf einen halben Zentimeter. Ein kleiner grüner Punkt lag auf dem Boden, nicht größer als der Nagel von Frank Esslins kleinem Finger. Wie eine harmlose Tablette sah das geschrumpfte Ungeheuer nun aus. Eine Pille, in der die Kraft der Hölle steckte. Wer sie schluckte, trug den Keim des Bösen in sich. »Heb den Keim auf«, befahl Rufus. Frank Esslin nahm die unscheinbare grüne Pille zwischen seine Finger. Seine Augen strahlten fanatisch. »Leg den Keim auf den Tisch!« verlangte Rufus. Frank kam der Aufforderung unverzüglich nach. Der Dämon trat an den Tisch und spaltete mit seiner höllischen Magie die Pille des Grauens. Er vervielfachte sie, ohne daß sie dadurch etwas von ihrer brisanten Wirkung einbüßten. Die Pillen wurden nur unwesentlich kleiner. Zehn, zwanzig, dreißig Tabletten lagen auf dem Tisch. Rufus nickte zufrieden. »Ich denke, das reicht.« »So viele Pillen brauchen wir ja gar nicht«, sagte Frank Esslin überwältigt. »Lieber zuviel als zuwenig«, erwiderte der Dämon und richtete seine Knochenfratze auf den gefesselten Neger. »Laß uns nun die Wirkung testen.« Zanaza schüttelte entsetzt den Kopf. »Nein! Nicht! Das dürft ihr nicht tun!« Frank Esslin lachte höhnisch. »Wer will uns irgend etwas ver‐ bieten, he?« »Du wirst jetzt eine von diesen Pillen schlucken«, sagte Rufus hart. »Mal sehen, was dann passiert«, sagte Frank Esslin grinsend. »Du wirst stark werden. Ungeheuer stark, sobald du den Keim in dir hast. Er wird dich überwuchern, sich bis in den letzten Winkel deines Körpers ausbreiten. Die Kraft der Hölle wird bei dir Einzug halten. Das mußte dir doch gefallen!«
»Herr im Himmel, steht mir bei!« brüllte der Schwarze. »Gib ihm den Keim, Frank«, ordnete Rufus an. Esslin nahm eine Tablette in die Hand und begab sich damit zu Zanaza. »Ihr Mörder!« schrie der Neger verzweifelt. »Ihr grausamen Bes‐ tien! Warum tut ihr mir so etwas Schreckliches an?« »Mund auf!« verlangte Frank Esslin eisig. Zanaza preßte die Kiefer fest zusammen. Seine wulstigen Lippen schienen miteinander verwachsen zu sein. »Wirst du wohl den Mund aufmachen!« schrie Esslin zornig und schlug mit der Faust zu, doch er erreichte damit nichts. Zanaza weigerte sich weiterhin hartnäckig, den Mund zu öffnen, denn er wußte, daß er verloren war, wenn er es tat. Da wurde es Rufus zu bunt. Er trat hinzu. Seine harten, kalten Knochenfinger legten sich auf Zanazas Gesicht und drückten zu. Der Neger brüllte gequält auf. Weit öffnete sich dabei sein Mund, und Frank Esslin schleuderte den Keim hinein. »Schluck ihn! Schluck ihn!« schrie Esslin begeistert. Rufus legte seine Knochenhand unter Zanazas Kinn und drückte es hoch, damit der Mann den Keim nicht ausspucken konnte. »Schluck ihn!« schrie Esslin wieder. »Das ist nicht nötig«, sagte Rufus. »Der Keim findet auch so sei‐ nen Weg.« Zanaza – verrückt vor Angst – spürte ein heißes Brennen auf der Zunge. Schäumte die Pille des Schreckens in seinem Mund? Löste sein Speichel sie auf? Das Brennen griff auf die Schleimhäute über, füllte innerhalb weniger Augenblicke die gesamte Mundhöhle aus, ging in den Rachen weiter, teilte sich, kroch die Speiseröhre hinun‐ ter und stieg gleichzeitig auch in den Kopf des Mannes. Der Keim überwucherte sein Inneres, ergriff von ihm Besitz. Das Weiße der Augäpfel nahm für Sekundenbruchteile einen grünli‐ chen Schimmer an, der aber sofort wieder verschwand. Rufus trat zurück. Es war nicht mehr nötig, den Schwarzen zu ir‐ gend etwas zu zwingen. Von nun an würde er gehorchen. Unge‐ ahnte Kräfte flossen in Zanazas Glieder.
Er bekam Sehnen wie Drahtseile und Muskeln, die aus Eisen zu sein schienen. Ein grausamer, harter Ausdruck kerbte sich um seine Lippen. Er setzte seine neue Kraft gegen die Fesseln ein. Frank Esslin bemerkte es und wollte ihn daran hindern. »Laß ihn«, sagte Rufus scharf. »Seit er den Keim in sich hat, ge‐ hört er zu uns. Er braucht nicht länger gefesselt zu bleiben.« Zanaza drückte gegen die Fesseln und zerriß sie. Mit einem wilden Ruck setzte er sich auf und blickte auf die Pillen, die auf dem Tisch lagen. »Wie fühlst du dich?« wollte Frank Esslin wissen. »Gut«, knurrte Zanaza. »Sehr gut.« »Keinerlei Beschwerden? Irgendwelche Schmerzen?« Der Schwarze schüttelte den Kopf. »Nichts. Ich fühle mich groß‐ artig.« »Wie denkst du über die schwarze Macht?« »Ich stehe auf ihrer Seite.« Esslin nahm diese Antwort mit einem zufriedenen Nicken zur Kenntnis. Er wandte sich an Rufus. »Es haut großartig hin. Wie lange wird die Wirkung vorhalten?« »Solange er lebt«, sagte der Dämon. »Mann, das ist ein Ding.« Zanaza wies auf die Tabletten. »Noch eine. Ich will noch eine.« Frank Esslin blickte Rufus fragend an. »Der Keim scheint ihm ge‐ schmeckt zu haben. Entwickelt sich bei der Einnahme einer solchen Pille eine gewisse Sucht?« »Ich nehme an, er möchte das Hochgefühl in seinem Inneren ver‐ stärken.« »Was passiert, wenn ich ihm einen zweiten Keim gebe?« »Tu’s, dann werden wir es sehen«, sagte Rufus. »Dazu haben wir ihn ja hier.« »Na schön«, sagte Frank Esslin. »Hier hast du noch eine Tablette.« Er drückte sie dem Neger in die Hand. Diesmal warf sie sich der Schwarze selbst in den Mund. In seinen Augen glänzte eine selt‐ same Gier. Es hatte den Anschein, als wollte er am liebsten alle
Pillen, die auf dem Tisch lagen, verschlingen. Frank Esslin wartete gespannt auf die Wirkung. Sie setzte gleich ein. Und sie war verheerend!
* Etwas schien Zanazas Genick zu brechen. Sein Schädel schoß hoch, und aus dem Hals griffen mörderische Klauen. Kopf und Rumpf verband ein faseriges Seil, das sich jetzt zusammenknotete. An vielen Stellen zerriß Zanazas Kleidung. Beulen bildeten sich auf seinem Körper. Sie brachen auf, und Horrorwesen kamen zum Vorschein, die mit gierigen Mäulern, die mit scharfen Zähnen ge‐ spickt waren, um sich schnappten. Frank Esslin wich zurück. Zanaza machte mit seinen Beinen, die immer klumpiger und unförmiger wurden, ein paar unsichere Schritte. Dann kippte er zur Seite. Stacheln durchdrangen von in‐ nen seinen Brustkorb und rasten zum Fenster. Sie zertrümmerten das Glas, hakten sich an der Fensterbank fest, sahen aus wie die ge‐ spannten Gummibänder einer Steinschleuder, und die Kraft, die sich in dieser Spannung befand, riß das Ungeheuer, zu dem Zanaza geworden war, auf das Fenster zu und durch dieses hinaus in die Schwärze der Nacht. Klatschend landete der unförmige Körper auf dem Boden, und er entfernte sich vom Haus mit verblüffender Schnelligkeit. Eine schleimige Spur blieb zurück. Sie löste sich aber bereits Augenbli‐ cke später auf. »Er haut ab!« schrie Frank Esslin aufgeregt. »Wir müssen ihn …« Rufus winkte gleichmütig ab. »Gar nichts müssen wir.« Esslin blickte ihn nervös an. »Wäre es nicht besser, ihn zu zerstö‐ ren?« Rufus lachte. »Wozu? Er wird in unserm Sinn wüten. Ich sehe keinen Grund, ihn daran zu hindern.« »Kann er nicht unsere Pläne gefährden?« »Ich wüßte nicht wie«, sagte Rufus. »Niemand wird ihn mit dir
oder Jill Cranston in Verbindung bringen. Wir haben ein Höllen‐ wesen losgelassen. Nun sollen die Menschen sehen, wie sie damit fertig werden. Und während man Jagd auf Zanaza macht, treffen wir in aller Ruhe, und völlig unbemerkt, unsere Vorbereitung für das große Ereignis.«
* Ich fuhr meinen weißen Peugeot 504 TI in die Garage meines Hauses. Meine Freundin Vicky Bonney saß neben mir. Wir kamen vom Flugplatz zurück, wo wir uns von unserem Wiener Freund Vladek Rodensky verabschiedet hatten. Der sympathische Brillenfabrikant und Weltenbummler – gebür‐ tiger Pole mit österreichischer Staatsbürgerschaft – war nach Eng‐ land gekommen, weil einer seiner Geschäftsfreunde einen schwe‐ ren Herzanfall erlitten hatte. Man lieferte den Mann in die St‐Mary’s‐Klinik außerhalb Lond‐ ons ein, und dort besuchte ihn Vladek. Da er auch mich wiederse‐ hen wollte, rief er bei mir an. Vicky teilte mir mit, ich solle ihn von der Klinik abholen. Das wollte ich auch tun, aber dann gerieten wir in den wilden Strudel grauenvoller Ereignisse, die uns zwangen, gegen gefährliche Blut‐ sauger zu kämpfen.* Seit dem Ende der hungrigen Vampire waren vier Tage vergangen, und diese Zeit hatte Vladek Rodensky in meinem Haus als gern gesehener Gast verbracht. Er besuchte seinen Geschäfts‐ freund, der sich von der Herzattacke gut erholt hatte, jeden Tag. Den Rest der Zeit verbrachten wir zusammen, und wir hatten keine Minute Langeweile. Vier Tage. Mir war Vladek Rodenskys Besuch zu kurz gewesen, deshalb sagte ich ihm zum Abschied, er möge bald wiederkommen. »Werde ich gern tun«, sagte er. »Sobald mir meine Geschäfte dazu Zeit lassen.« *siehe Tony Ballard 23: »Die Vampir‐Klinik«
Ich winkte ab. »In ein paar Jahren wird es nur noch drei Dinge auf der Welt geben: Einen Computer, einen Menschen und einen Hund. Den Computer für die Arbeit. Den Menschen, damit er den Hund füttert. Und den Hund, damit er den Menschen nicht an den Computer heranläßt. Also hör auf, dich abzustrampeln.« Wir warteten, bis Vladeks Maschine startete. Dann begaben wir uns zum Wagen, und nun stiegen wir aus. »Schade, daß Vladek schon wieder nach Wien zurück mußte«, sagte meine blonde Freundin. Ihr Beruf war es, Bücher zu schreiben. Sie tat es mit großem Erfolg. »Er wird bald wiederkommen«, erwiderte ich. »Diesmal wagt er nicht, so lange nichts von sich hören zu lassen. Ich habe ihm zu ver‐ stehen gegeben, daß ich ihm sonst meine Freundschaft aufkündige. Das wäre ein zu schmerzlicher Verlust für ihn.« Vicky schmunzelte. »Eingebildet bist du wohl gar nicht.« Ich nickte. »Du sagst es.« Wir begaben uns ins Haus. Ich nahm mir einen Pernod. Vicky wollte nichts haben. Sie streckte ihre Glieder, bemerkte, daß sie sich ein wenig abgeschlafft fühle, und meinte, eine heiße Dusche würde ihr guttun. Ich sagte grinsend: »Ich komm’ später nach, um dir den Rücken einzuseifen.« Sie zuckte die Schultern. Meinetwegen, sollte das wohl heißen. Vicky Bonney verließ den Living‐room. Mein Blick fiel auf die Tür des Abstellraums. Dort drinnen bewahrte Mr. Silver das Höl‐ lenschwert auf. Eine nicht ungefährliche Waffe, die sich nur jemand Untertan machen konnte, der einen ausgeprägten starken Willen hatte. Wie eben der Ex‐Dämon. Aber auch ihm mußte die Waffe, die ein geheimnisvolles Eigen‐ leben führte, nicht bedingungslos gehorchen. Das würde sie erst tun, wenn Mr. Silver ihren Namen kannte. Vieles hatte sich in letzter Zeit ereignet, und nicht alles hatten wir erfolgreich abschließen können. Ich dachte an den Sarg der tausend
Tode, in dem die Zauberin Arma ihr Leben verloren hatte.* Metal, ein Silberdämon, hatte den Sarg nach London gebracht, aber nicht wieder mitgenommen, als wir ihn in die Flucht jagten. Und so befand der Sarg sich immer noch in jener abgebrannten Fabrik. Für mich stand mit an Sicherheit grenzender Wahrschein‐ lichkeit fest, daß uns dieser Sarg noch große Scherereien machen würde. Man hatte eine schwere Gittertür vor dem Kellerabgang ange‐ bracht, und Polizeibeamte wachten darüber, daß niemand an den Sarg herankam, aber das war keine Dauerlösung. Wir mußten eine Möglichkeit finden, den Silbersarg zu vernichten. Da wir Schuld an Armas Tod waren – und da Arma Metals Freundin gewesen war –, mußten wir mit Metals Rache rechnen. Wir wußten nicht, wo er war und was er vorbereitete. Uns war nur klar, daß er den Verlust der Zauberin nicht unwidersprochen hin‐ nehmen würde. Doch damit waren unsere Probleme noch nicht zu Ende. Da Gefahr bestand, daß sich das Höllenschwert eines Tages gegen Mr. Silver wendete, wäre es wichtig gewesen, die letzte Ruhestätte eines Dämons zu finden, der einst sehr mächtig war. Sein Name war Loxagon. Für ihn war das Schwert einst angefertigt worden. Er war ein mächtiger Führer höllischer Heerscharen gewesen. Doch als er in seinem Größenwahn nach dem Höllenthron greifen wollte, verbündeten sich seine Feinde und vernichteten ihn. Kein Dämon nahm seinen Namen je wieder in den Mund. Man tat so, als hätte es Loxagon nie gegeben. Sein Grab mußten wir finden, denn er war immer noch prall ge‐ füllt mit starker Magie. Wenn Mr. Silver die Klinge da hineinsteck‐ te, würde sich ihm der Name des Höllenschwerts offenbaren. Soweit, so gut. Wo sollte man die letzte Ruhestätte des Dämons suchen? Roxane, die Hexe aus dem Jenseits, die die Fähigkeit besaß, zwischen den Dimensionen hin und her zu pendeln, bemühte sich *siehe Tony Ballard 22: »Der Sarg der tausend Tode«
zur Zeit, Loxagons Grab zu finden. Wenn es einer von uns schaffte, dann sie. Sie hatte auch den Tunnel der Kraft ausfindig gemacht, in dem sich Mr. Silver seine verlorengegangenen übernatürlichen Fähigkeiten wiederholte.* Roxane war also irgendwo in anderen Welten unterwegs. Wo sich Mr. Silver herumtrieb, entzog sich meiner Kenntnis. Ein weiteres Problem war Fystanat, der Mann aus der Welt des Guten. Er war nach London gekommen, um Mitglied des »Weißen Kreises« zu werden. Pakka‐dee alias Daryl Crenna hatte den Kreis ins Leben gerufen. Auch Crenna stammte aus der Welt des Guten, und hatte es sich zur Aufgabe gemacht, das Böse auf der Welt aktiv zu bekämpfen. Fystanat, der sich bei uns Mason Marchand nannte, war vom Biß schwarzmagischer Ratten, die Arma geschaffen hatte, gelähmt worden. Nun lag er steif wie ein Brett in Daryl Crennas Haus, konn‐ te denken und reden, aber sich nicht bewegen, und wir wußten alle zusammen nicht, wie wir ihn von dieser schlimmen Starre befreien konnten. In seinem Zustand war Mason Marchand wertlos für den »Weißen Kreis«, dem außer ihm und Daryl noch Cruv, der Gnom aus der Prä‐Welt Coor, angehörte. Vieles war offen, unerledigt, und wir wußten keine Lösung für unsere Probleme. Ich leerte mein Glas und stellte es auf den Tisch. Ich ging dem Rauschen der Dusche entgegen. Vicky summte ein Lied, das ich noch nicht kannte. Es gefiel mir. Die Melodie ging ins Ohr. Milchig‐braun zeichnete sich Vickys nackter Körper an der Wand der Duschkabine ab. Ich schob die Schiebetür zur Seite. Ein paar glitzernde Wassertröpfchen sprangen mir entgegen. »Tony Ballard, dein ganz persönlicher Rückenschrubber, ist ein‐ getroffen«, sagte ich und schob meinen Ärmel hoch. »Darf ich um die Seife bitten, Mylady?« Sie wandte sich mir zu. Vicky schämte sich nicht ihrer Nacktheit. *siehe Tony Ballard 18 – 20
Wir kannten uns seit einer Ewigkeit. Sie sah mich mit ihren veil‐ chenblauen Augen an und entfachte in mir ein brennendes Feuer. »Komm doch herein, Tony Ballard«, sagte sie und legte einen verführerischen Klang in ihre Stimme. »Hör mal, was sollen sich denn die Leute denken? Am hellichten Tage …« »Welche Leute?« »War nur ein Vorwand«, sagte ich und grinste. »Gefalle ich dir nicht mehr?« »Doch, du bist wunderschön, Vicky.« Es fiel mir schwer, zu at‐ men. »Liebst du mich?« »Das weißt du doch.« »Dann komm«, flüsterte sie, und ich kam so, wie ich war. Ange‐ kleidet trat ich in die enge Duschkabine, stand mit Vicky unter diesem herrlich warmen Regen, schlang meine Arme um ihren biegsamen Körper und spürte, wie sie die Knöpfe meines durch‐ näßten Hemds öffnete …
* Es war neu unter der Dusche, und es war herrlich. Später spazierte ich in Bademantel und Pantoffeln durch das Haus. Jemand läutete an der Tür. Ich sah nach, wer es war. Als ich die Tür öffnete, wehte mir ein dicker blauer Zigarren‐ qualm ins Gesicht. Ich hätte mit geschlossenen Augen sagen können, daß ich Tucker Peckinpah vor mir hatte. Sechzig Jahre, rundlich, Geschäftsmann mit Goldhändchen, stark gelichtetes Haar und immer eine Zigarre zwischen den Zähnen, das war er, mein Partner. Er hatte mich, den Privatdetektiv, auf Dauer engagiert, damit ich mich ohne finanzielle Sorgen dem Kampf gegen Geister und Dämonen widmen konnte. »Hallo, Tony.« »Hallo, Partner«, sagte ich erfreut. »Was führt Sie zu mir?« Ich
blickte über seine Schulter. Am Straßenrand stand sein silberme‐ tallicfarbener Rolls Royce. Wenn es ihm Spaß machte, steuerte er das Fahrzeug selbst, wenn nicht, stand ihm ein Chauffeur zur Verfügung. Niemand saß in der silbernen Kutsche. Also war Peckinpah allein gekommen. »Sie haben ein Bad genommen?« fragte er, während er an mir vorbeiging. »Das verrückteste Bad meines Lebens«, erwiderte ich. »Wie meinen Sie das?« Ich winkte ab. »Vergessen Sie’s.« Ich führte ihn in den Living‐ room und bot ihm einen Drink an. Er nahm dankend an. Als er Vicky sah, die ihn – ebenfalls im Bademantel – begrüßte, huschte ein verständnisvolles Lächeln über sein Gesicht. Er wußte Bescheid. Vicky zog sich zurück. Ich setzte mich auf die Couch. »Hat Ihr Besuch einen besonderen Grund?« erkundigte ich mich. »Darf ich nur kommen, wenn etwas Wichtiges vorliegt?« »Nein, nein, Sie wissen, daß Sie in diesem Hause stets willkom‐ men sind.« »Ich weiß auch, daß Sie sich ein wenig für den Boxsport inter‐ essieren«, sagte der reiche Industrielle. »Eigentlich interessiere ich mich für jede Art von Sport. Sogar fürs Sackhüpfen.« »Mein Club wird in diesem Jahr ein Dinner‐Boxing veranstalten«, sagte Tucker Peckinpah. »Man sitzt gemütlich beisammen, ißt und trinkt, redet über Geschäfte, und anschließend läuft ein gutes Box‐ programm mit Fightern ab, die vielleicht schon morgen auf der Weltrangliste zu finden sind.« »Ist ja wie im alten Rom zur Zeit der Gladiatorenkämpfe«, sagte ich. »Haben Sie Interesse, Tony?« »Darf ich Vicky mitnehmen?« »Tut mir leid, Damen haben keinen Zutritt.« »Aha, die Gentlemen wollen mal unter sich sein. Wann soll die Veranstaltung denn steigen?«
Er sagte es mir. »Wenn ich Ausgang kriege, bin ich dabei«, sagte ich. Peckinpah lachte. »Ich kann Vicky ja mal fragen.« »Lassen Sie nur, das mach’ ich schon. Ich muß aber einen güns‐ tigen Zeitpunkt abwarten.« »O ja, der Zeitpunkt spielt bei Frauen eine große Rolle«, pflichtete mir der Industrielle bei. »Ich spreche aus Erfahrung, schließlich war ich ja mal verheiratet.« Vicky und ich würden nie heiraten, das stand fest. Kinder in die Welt setzen, eine Familie gründen, das ist nichts für einen Dä‐ monenjäger. Dadurch hätte ich meinen Gegnern eine zu breite An‐ griffsfläche geboten. Wir hatten uns damit abgefunden, daß wir meinem gefährlichen Job dieses Opfer bringen mußten. Vicky war ein sehr vernünftiges Mädchen. Sie sah die Gründe ein und ver‐ suchte mit mir, das Beste aus unserer Beziehung zu machen. »Ich schlage vor, Sie ziehen sich an und kommen mit zu mir«, sagte der Industrielle. »Was soll ich da?« fragte ich ihn. »Sie können sich bei mir ein bißchen Appetit auf den großen Boxabend holen«, meinte Tucker Peckinpah. »Die Boxstaffel, die bei uns das Programm bestreiten wird, hält sich zur Zeit in Tansania auf. Ein von uns entsandter Spion besuchte die Athleten im Trainingslager und brachte ein Videoband nach Hause mit. Die Kassette liegt bei mir daheim. Wir könnten uns das Band gemein‐ sam ansehen.« »Okay, ich spring’ nur rasch in meine Klamotten«, sagte ich und eilte aus dem Raum. Fünf Minuten später kehrte ich zurück. Vicky Bonney wußte be‐ reits, was ich vor hatte. Sie wünschte mir viel Vergnügen. Wir konnten gehen. Als ich zu Tucker Peckinpah in den Rolls Royce stieg, freute ich mich auf ein unbeschwertes Vergnügen. Ich sollte eine große Überraschung erleben.
*
Das Monster entfernte sich von dem Haus, in dem es entstanden war. Es huschte durch die Dunkelheit, hinunter zur Uferstraße und bewegte sich dort Richtung Norden. Sein Ziel schien Kunduchi zu sein, doch es begab sich nicht in den Küstenort, sondern suchte die Ruinen einer Moschee auf, vor denen Gräber aus dem 15. und 18. Jahrhundert lagen. Hier nistete sich die Bestie erst einmal ein. Im dämmrigen Schatten verwitterter Mauerfragmente kauerte es sich hin und ver‐ brachte so die Nacht. Als der Tag anbrach, verbarg sich das Unge‐ heuer in Zanazas Körper, der wieder seine menschliche Gestalt annahm. Über dem Indischen Ozean strahlte bald die morgendliche Sonne. Zanaza kroch aus seinem Versteck. Das Sonnenlicht brannte in seinen Augen. Er senkte den Blick und ließ ein unwilliges Knur‐ ren hören. Seine Kleidung ließ sehr zu wünschen übrig. Sie war an vielen Stellen aufgerissen. Er würde sagen müssen, daß er einen Unfall hatte. Schwerfällig verließ er die Ruinen. Hunger meldete sich. Doch all das, was er als Mensch gegessen hatte, konnte nun diesen Hunger nicht stillen. Er wußte, was er brauchte, und er lenkte seinen Schritt zur Straße. Ein Lkw verließ soeben Kunduchi. Das trifft sich gut, dachte Zanaza. Ich werde ihn anhalten. Er muß stehenbleiben. Ich werde mich so auf die Straße stellen, daß das Fahrzeug nicht an mir vorbei kann. Überrollen wird der Fahrer mich wohl kaum. Zanaza stolperte über Ruinenreste und erreichte die Fahrbahn. Breit und unübersehbar baute er sich auf der Straße auf. Er hob beide Arme und winkte. »Halt!« rief er dem Lkw entgegen. »Anhalten!« Der Laster verringerte seine Geschwindigkeit und blieb zwei Me‐ ter vor dem koloßhaften Mann stehen. Ein junger, schlanker Neger streckte seinen Kopf zum Fenster heraus. »Sind Sie unter die Räuber gekommen?«
»Sieht so aus. Nehmen Sie mich mit?« »Wohin wollen Sie denn?« »Daressalam. Fahren Sie da hin?« »Ja. Sie haben Glück. Steigen Sie ein.« Der Tod setzte sich neben den Fahrer. Das personifizierte Grauen – in Zanazas harmloser Gestalt. »Unfall gehabt?« fragte der Lkw‐Fahrer. »Ja. Mein Wagen ist hin.« »Wo ist es denn passiert?« »Hinter den Ruinen.« »Und wie?« »Irgend so ein Idiot mißachtete meine Vorfahrt. Ich konnte einen Zusammenstoß gerade noch verhindern, in dem ich meinen Wagen von der Straße lenkte. Es ging einen Abhang hinunter, und da lag ich dann – vielleicht eine halbe Stunde – ohne Bewußtsein.« »Warum suchen Sie nicht gleich die Polizeistation von Kunduchi auf?« »Den rücksichtslosen Kerl finden die sowieso nicht mehr, und mir ist es wichtiger, so schnell wie möglich nach Daressalam zu kommen.« Der Lkw rollte an. »Ich heiße Kemba«, sagte der Fahrer. »Zanaza«, erwiderte das Ungeheuer. »Wer viel unterwegs ist, steht immer mit einem Bein im Grab«, sagte Kemba. Zanaza lachte in sich hinein. Wie recht du hast, dachte er. Sein Blick war starr nach vorn gerichtet. In der Ferne tauchte jenes Haus auf, in dem Zanaza die Bekanntschaft von Frank Esslin, Rufus und Phorkys gemacht hatte. Sie fuhren an der Geburtsstätte des Monsters vorbei. »Sind Sie in Ordnung?« fragte Kemba. »Ich stehe natürlich noch unter Schock.« »Das ist klar. Brüche, innere Verletzungen scheinen Ihnen glück‐ licherweise erspart geblieben zu sein.« Zanaza grinste. »Ich habe eigentlich nur einen Mordshunger.« Seltsam, wie er dieses letzte Wort betonte.
Kemba bekam das jedoch nicht mit. »Hunger«, sagte er und nick‐ te verständnisvoll. »Ein knurrender Magen ist ein lästiger Geselle. Ich kenne ein Rasthaus, wo man ordentlich was zu futtern kriegt. Ein, zwei Hamburger könnten mir auch nicht schaden. Wollen wir die Oase der wohlschmeckenden Speisen ansteuern?« Zanaza schüttelte den Kopf. »Ich glaube, von dem Zeug, das dort angeboten wird, bringe ich keinen Bissen runter.« Kemba lachte. »Sind Sie denn so verwöhnt? Sind Sie verheiratet? Gehören Sie etwa zu den Männern, die allen Ernstes behaupten, außer ihrer Frau kann niemand kochen? Ich sage Ihnen, der Besitzer des Rasthauses kocht selbst. Er war in Kairo, Rom, Wien und Paris. Wenn Sie dem freie Hand lassen, stellt er Ihnen ein Morgenmenü zusammen, das Sie umwirft.« »Gekochtes! Gebratenes! Davor ekle ich mich«, knurrte Zanaza. »Es muß roh sein, blutig …« Kemba wiegte den Kopf. »Na hören Sie mal, Sie scheinen mir ja einen ganz besonders ausgefallenen Geschmack zu haben. Sagen Sie bloß, am liebsten wäre Ihnen frisches Menschenfleisch.« Er lach‐ te aus vollem Halse. »Richtig«, sagte Zanaza leise. »Sehr richtig.« Er starrte den Lkw‐ Fahrer dabei mit unverhohlener, wachsender Gier an. Kemba fühlte sich auf einmal unbehaglich. Der Mann schien bei seinem Unfall geistig etwas abbekommen zu haben. Menschenfleisch! Lächerlich! dachte Kemba. Wo leben wir denn? Was für eine Zeit haben wir? Es tat ihm schon leid, angehalten und Zanaza mitgenommen zu haben. Der Bursche war ihm auf einmal nicht mehr geheuer. Wenn einer zugibt, daß er am liebsten rohes, blutiges Menschenfleisch ißt … Kemba liebäugelte mit dem Gedanken, Zanaza aussteigen zu lassen. Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut, und nun auf Wiedersehen. Sehen Sie zu, wie Sie zu Ihrer grausigen Mahlzeit kommen. Zanaza wurde unruhig. Er wollte nicht warten, bis sie Daressa‐ lam erreicht hatten, denn in der Stadt gab es viele Augen, die beob‐
achten konnten, was er mit Kemba machte. Er griff sich an den Magen und verzog schmerzlich das Gesicht. »Ist Ihnen nicht gut?« fragte Kemba besorgt. »Sie hätten doch so‐ fort die Polizeistation von Kunduchi aufsuchen sollen. Jetzt läßt der Unfallschock nach, und Sie spüren die Blessuren. Wissen Sie, was ich mit Ihnen machen sollte? Ich sollte Sie ins Krankenhaus bringen, damit man sich um Sie kümmert.« Zanaza bebte. »Nicht ins Krankenhaus«, preßte er heiser hervor. »In Ihrem Zustand wären Sie dort aber am besten aufgehoben.« »Nicht ins Krankenhaus.« »Sie sollten vernünftig sein …« »Halten Sie nur mal kurz an. Ich glaube, ich muß …« »O mein Gott – wenn’s geht, nicht hier drinnen. Den Geruch kriegt man nie wieder raus.« Kemba warf einen Blick in den Außenspiegel und steuerte den Fahrbahnrand an. Zanaza zitterte. Dicke Schweißtropfen glänzten auf seiner Stirn. Er konnte sich kaum noch beherrschen. Auf seinem Handrücken bildete sich ein grüner Punkt, der grö‐ ßer wurde. Als er die Größe eines Tennisballs erreicht hatte, fiel er dem Lkw‐Fahrer auf. Soeben war das Fahrzeug zum Stillstand ge‐ kommen. Kemba wandte sich Zanaza zu, sah den grünen Fleck und sagte: »Was haben Sie denn da? Lassen Sie mal sehen.« Er griff nach Zanazas Hand. Da passierte es! Der grüne Fleck platzte auf. Ein kleiner schleimiger Schädel, der auf einem dürren, glitschigen Hals saß, schoß auf Kembas Kehle zu. Der Lkw‐Fahrer riß entsetzt die Augen auf. Er sah ein widerliches Maul, gespickt mit Säbelzähnen, die er im selben Augenblick in seinem Fleisch spürte. Er wollte schreien, doch die Zähne verhinderten es. Weitere Schädel brachen aus Zanazas Körper hervor … Schmatzen, Schlürfen … Kemba hatte nicht die geringste Chance. Die Art seines Todes war zu grauenvoll, um hier beschrieben zu werden. Das Ungeheuer schob sich über ihn, und als es sich nach einer
Weile zurückzog, war Kemba nicht mehr vorhanden. Das Monster hatte seine grausige Mahlzeit beendet.
* Gediegene Möbel, teure Gemälde – und überall Aschenbecher … Das war Tucker Peckinpahs Heim. In diesem Refugium entspannte er sich von den Strapazen seiner Geschäfte, die hin und wieder sehr nervenaufreibend sein konnten und ihn manchmal rund um den Erdball jagten. Der Industrielle war ständig hinter dem Geld her, aber von anderen, die das gleiche taten, unterschied ihn die Tatsache, daß er es immer erwischte. Er machte das nicht aus Raffgier. Geldver‐ dienen war sein Hobby. In dieser Disziplin hatte er es zu einer un‐ nachahmlichen Meisterschaft gebracht. Er kannte Gott und die Welt, und mit seinen weitreichenden Ver‐ bindungen hatte er für mich schon so manches Tor geöffnet und mir so manchen Stein aus dem Weg geräumt. Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, sein Geld bedingungslos gegen das Böse einzusetzen. Um dem Guten zum Sieg zu verhelfen, hätte er sein gesamtes beträchtliches Vermögen geopfert. Ein Beweis dafür, daß er an seinem vielen Geld nicht hing. Es zu vermehren, war bei ihm keine Krankheit, sondern reinstes Vergnügen. Die Opfer, die ihm seine Geschäfte hin und wieder ab‐ verlangten, brachte er gern, doch er vergaß niemals, dazwischen Pausen einzulegen – und Mensch zu bleiben. Da, wo andere eine Registrierkasse hatten, schlug bei Tucker Peckinpah nach wie vor ein einfühlsames Herz. Er haßte die schwarze Macht genauso wie ich, und dieser Haß, gepaart mit einer langjährigen Freundschaft, machte uns unzertrennlich. Er bot mir Platz und einen Drink an. Ich setzte mich und lehnte den Drink ab. »Augenblick«, sagte er. »Ich hole nur schnell die Kassette.« Ich nickte. Er verließ den Living‐room, und als er wiederkam,
trug er die Videokassette in der Hand. »Unsere Boxer werden Ihnen gefallen«, sagte Peckinpah. »Die stehen am Beginn einer beachtlichen internationalen Karriere, habe ich mir sagen lassen. Vor allem Rock Kilman … Rock ›Panther‹ Kil‐ man«, verbesserte er sich. »Sie werden ihn gleich bei der Arbeit se‐ hen, Tony. Ein Mann, der das Herz in den Fäusten hat. Ge‐ schmeidig und gefährlich wie ein hungriger Panther. Ihm fehlt nur noch die Ringerfahrung. Wenn er die einmal hat, schlägt er alles, was heute auf der Rangliste steht.« Peckinpah schob die Kassette ins Videogerät. Dann begab er sich zu den Fenstern und ließ die Jalousien herunterrasseln. Es wurde dämmrig im Raum. Mein Partner setzte sich in einen tiefen, beque‐ men Sessel, zündete sich eine dicke Zigarre an und fragte: »Sind Sie bereit für den Sportgenuß?« »Bereit – und sehr neugierig«, gab ich zurück und schob mir ein Lakritzbonbon in den Mund. »Dann wollen wir mal«, sagte Tucker Peckinpah und spielte auf einigen Knöpfen. Auf dem Fernsehschirm begann es zu flimmern. Ich lehnte mich bequem zurück und harrte der Dinge, die kamen. »Kennen Sie Andrew Quaid?« fragte Peckinpah. »Ich weiß, daß er unsere Boxer managt.« »Ich wäre an seiner Stelle nicht nach Tansania geflogen.« »Warum nicht?« »Die Gegner, die man unsrer Boxstaffel dort vor die Fäuste stellt, sind noch zu stark.« »Man sagt, ein Mann wächst mit der Größe seiner Aufgabe.« »Das ist nur bedingt richtig. Unsere Leute werden in Daressalam keinen einzigen Sieg erringen. Das kann ihr Selbstvertrauen schwer erschüttern. Unter Umständen muß der Trainer dann wochenlang ihre Seelen massieren. Quaid hätte für seine Männer leichtere Gegner aussuchen sollen. Die Schwarzen haben schon zu viele Kämpfe in den Fäusten, schnupperten schon zu oft Ringluft. Das macht sie zu cleveren Füchsen.« »Quaid wird schon wissen, was er tut«, meinte ich.
»Das wage ich zu bezweifeln. Quaid schielt zu sehr nach dem Geld. Dadurch besteht die Gefahr, daß er diese aufstrebenden Talente verheizt. Es wäre sehr schade um diese jungen Leute. Vor allem um ›Panther‹ Kilman.« Das erste Bild erschien auf dem Fernsehschirm. Eine Aufnahme aus dem Flugzeug. Wir blickten auf Daressalam hinunter. Dunkel‐ blau leuchtete der Indische Ozean, die große Sichel des Hafens kam ins Bild. Aufnahmen, die in einem, der gern reist, das Fernweh weckten. Nach der Landung sahen wir die Fahrt zum Trainingslager un‐ serer Boxstaffel. Wir wurden mit einem modernen Gebäude kon‐ frontiert, dessen einzelne Abschnitte verschieden hoch waren. In diesem verschachtelten Bauwerk an der Morogoro Road bereitete sich die britische Mannschaft auf die Großveranstaltung vor. Die Kamera ließ uns einen Blick in die leeren Trainingsräume werfen, schwenkte ab zu den Umkleidekabinen, zeigte die Sauna, das Schwimmbad, die Massagekojen. Alles war noch neu. Die ge‐ samte Anlage war erst vor einem Jahr in Betrieb genommen worden. Man hatte alle sportmedizinischen Ratschläge beherzigt und für optimale Trainingsbedingungen gesorgt. »Gefällt Ihnen die Anlage, Tony?« fragte Peckinpah. »Man bekommt beim Ansehen direkt Lust auf körperliche Er‐ tüchtigung«, gab ich schmunzelnd zurück. »Ich trage mich mit dem Gedanken, hier in London etwas Ähnli‐ ches auf die Beine zu stellen«, sagte der Industrielle. »Das wäre nicht schlecht.« »Bisher bin ich bei den zuständigen Stellen noch nicht auf die nö‐ tige Gegenliebe gestoßen. Von einer finanziellen Beteiligung will man nichts wissen, in privater Hand soll das Projekt aber auch nicht bleiben. Meine Anwälte sind damit beauftragt, eine Basis zu schaf‐ fen, auf der man sich finden kann.« Nachdem uns das TV‐Gerät die leeren Trainingsräume gezeigt hatte, bekamen wir sie benützt zu sehen. John McKenzie, ein guter Mann aus Birmingham, trainierte am Sandsack. Seine Schnelligkeit war bestechend. Was ihm meines Erachtens noch fehlte, war ein
härterer Punch. Sobald er den hatte, würde er nicht mehr zu brem‐ sen sein. Henry Dimster kam aus Ipswich. Ein Bursche mit einem pracht‐ vollen Körperbau und austrainierten Muskeln, die unter seiner schweißglänzenden Haut beeindruckend spielten. Von Dimster ver‐ sprachen sich die Fachleute sehr viel. Wenn man dem, was in der Zeitung stand, glauben durfte, arbeitete er am härtesten an seiner Boxerkarriere. Angeblich wollte er um jeden Preis nach oben. Jedes Opfer war er dafür zu bringen bereit. Keine Zigaretten, keine Mädchen, keinen Alkohol … Er lebte wie ein Eremit, wenn er in England war, und es gab Leute, die be‐ haupteten, er wäre vom Boxsport besessen. Wir sahen als nächstes Andrew Quaid im Gespräch mit Trevor Dunaway, dem Trainer der sechsköpfigen Boxstaffel. Dann ging die Kamera weiter zu Rock Kilman und Humphrey Tuco, die im Ring sparrten. Es war ein Vergnügen, ihnen bei der Arbeit zuzusehen. Sie nahmen die Sache sehr ernst. Tuco schenkte seinem Gegner nichts, und »Panther« Kilman ließ sich von ihm nicht in die Defensive manövrieren. »In einem Jahr«, sagte Tucker Peckinpah, »wären sie reif für die Gegner, die man ihnen jetzt schon vorsetzt. Trevor Dunaway hat mit diesen Leuten ein Material in Händen, aus dem sich etwas Großartiges formen läßt – vorausgesetzt, Andrew Quaid verheizt die Sportler nicht.« »Ist das wirklich zu befürchten?« fragte ich. »Dunaway ist ein hervorragender Trainer, aber er kann sich nicht so gegen Quaid durchsetzen, wie es manchmal nötig wäre. Er müß‐ te sich mehr für die Interessen seiner Boxer starkmachen.« »Vielleicht lernt er’s noch.« »Das wollen wir hoffen«, meinte Tucker Peckinpah und blies paf‐ fend den Zigarrenrauch Richtung Fernsehapparat. Plötzlich war mir, als würde ein Stromstoß durch meinen Sessel jagen. Ich sprang mit einem heiseren Schrei auf. Peckinpah mußte denken, ich wäre übergeschnappt. »Stop!« schrie ich aufgeregt und eilte zum Fernsehgerät. »Halten
Sie das Band an!« »Was haben Sie denn, Tony?« »Sie sollen das Band anhalten!« Peckinpah drückte auf die Taste. Das Bild blieb auf dem Schirm stehen. Aber der Industrielle hatte zu lange gezögert. Die Kamera war den beiden Boxern gefolgt. Rock »Panther« Kilman war es ge‐ lungen, Humphrey Tuco in der Ecke festzunageln und schickte sich nun an, den Gegner wie einen Sandsack zu bearbeiten. Aber das interessierte mich nicht mehr. Ich hatte überhaupt jegli‐ ches Interesse an den Boxern verloren. Meine Kopfhaut spannte sich. In meinem Innern drohten einige Sicherungen durchzuschmo‐ ren. »Zurück«, sagte ich aufgewühlt. »Lassen Sie’s ein Stück zurück‐ laufen.« »Wollen Sie mir nicht verraten, was Sie so aus dem Häuschen ge‐ bracht hat, Tony?« fragte Tucker Peckinpah verwirrt. »Ich zeig’s Ihnen auf dem Bildschirm«, entgegnete ich. Der Industrielle ließ das Band zurücklaufen. Natürlich tat er zu‐ viel des Guten. Wir waren wieder bei Andrew Quaid und Trevor Dunaway. Ich verlangte nicht von Peckinpah, er solle das Band wieder vorlaufen lassen, sondern wartete fiebernd, bis der Ring ins Bild kam. »Also ehrlich, Tony«, sagte Peckinpah besorgt. »Wenn ich Sie nicht so gut kennen würde …« »Da!« rief ich und wies auf den Bildschirm. »Stop!« Diesmal reagierte der Industrielle schnell genug. Er erhob sich und kam zu mir. Wir standen ganz knapp vor dem Fernsehapparat. »Stört Sie etwas an Tuco oder Kilman?« fragte Peckinpah. »Ach was, auf die beiden sehe ich schon längst nicht mehr.« »Auf wen denn sonst?« »Auf den Mann im Hintergrund. Sehen Sie ihn sich an. Sehen Sie ihn sich genau an!« verlangte ich. Peckinpah beugte sich vor. »Das Gesicht ist ziemlich unscharf.« »Ich erkenne den Mann trotzdem. Wissen Sie, wer das ist?« »Nein.«
»Dieser Mann ist Frank Esslin!«
* Peckinpah starrte mich entgeistert an. »Was sagen Sie da, Tony?« fragte er ungläubig. Sein Blick richtete sich wieder auf den Bild‐ schirm. Er kannte Franks tragische Geschichte. Jahrelang waren wir Freunde gewesen. Durch Dick und Dünn waren wir zusammen ge‐ gangen und hatten immer wieder erbittert gegen die schwarze Macht gekämpft, bis … Ja, bis Rufus, der verdammte Dämon, diesen Mann in seine Gewalt bekam und sich mit ihm zerstörte.* Damals hatten wir Frank Esslin verloren. Er gehörte nun zu un‐ seren erbittertsten Gegnern, denn er wollte sich auf der Gegenseite seine Sporen verdienen. Ich rechnete damit, daß uns sein Eifer noch vieles aufzulösen geben würde. Frank Esslin, der Söldner der Hölle, in Tansania! Was wollte er da? Was hatte er in Daressalam zu suchen? Ich weigerte mich, an ein zufälliges Erscheinen zu glauben. Frank Ess‐ lin führte meiner Meinung nach gegen die britische Boxstaffel ir‐ gend etwas im Schilde. Ich erinnerte mich an unsere Begegnung im Labyrinth der Lon‐ doner Kanalisation. Seither wußte ich, auf welcher Seite Frank Ess‐ lin stand. Er selbst hatte es mir gesagt. Er hätte gern meine Energie in sich aufgenommen. Beinahe hätte ihm die Totenuhr dazu verhol‐ fen. Ich spürte jetzt noch das kalte Ziehen und Zerren, das mir die Lebensenergie aus dem Leib reißen wollte. Frank Esslin hatte sich mit Rufus und Mago aus dem Staub ge‐ macht. Und nun sah ich ihn wieder. Auf einem Videoband, das ein Spion von Tucker Peckinpahs Club aus Tansania mitgebracht hatte. Was will er? Was hat er vor? Die Fragen hämmerten in meinem Kopf. Tucker Peckinpah meinte, ich müsse mich irren. Das Gesicht des *siehe Tony Ballard 20: »Das Schiff der schwarzen Piraten«
Mannes sei so unscharf, daß man unmöglich mit Sicherheit be‐ haupten könne, dort würde Frank Esslin stehen. »Er ist es!« sagte ich überzeugt. Ich wies auf meine Halsschlag‐ ader. »Hier können Sie mich hineinstechen, wenn das nicht Frank Esslin ist.« »Kommen Sie, Tony. Wir wollen uns das Band weiter ansehen. Vielleicht kommt der Mann im Hintergrund besser ins Bild.« Es fiel mir nicht leicht, wieder Platz zu nehmen. Für mich stand unumstößlich fest, daß sich Frank Esslin in Daressalam befand. Was immer er vorhatte – es würde nichts Gutes sein. Ich mußte es verhindern. Peckinpah ließ das Band weiterlaufen. Rock »Panther« Kilman drängte Humphrey Tuco in die Ecke und feuerte seine gut gesetz‐ ten Links‐Rechts‐Kombinationen ab. Er war ein Ästhet im Boxring. Normalerweise hätte ich es ge‐ nossen, ihm zuzusehen, doch nun interessierte er mich nicht mehr. Ich wartete nur gespannt auf den Moment, wo Frank Esslin wieder ins Bild kam. Das passierte, als Tuco es schaffte, aus der Ecke herauszukom‐ men. Die Fighter tänzelten in die Mitte, und Frank Esslin trat näher an den Ring heran. Nun war sein Gesicht deutlich zu erkennen. »Na, glauben Sie’s immer noch nicht?« fragte ich meinen Partner. Peckinpah nahm seine Zigarre überwältigt aus den Mund. »Sie haben recht, Tony. Er ist es tatsächlich.« Durch meine Adern schien glühende Lava zu fließen. Es wäre noch mehr auf dem Videoband gewesen, doch es interessierte uns nun beide nicht mehr. Tucker Peckinpah schaltete das Videogerät und den Fernsehapparat ab, erhob sich, begab sich zu den Fenstern und ließ das Tageslicht wieder herein. Mit Daumen und Zeigefinger massierte er nachdenklich sein Kinn. »Was kann er in Daressalam wollen?« »Das frage ich mich auch schon die ganze Zeit«, brummte ich. »Ich werde den Verdacht nicht los, daß sich die schwarze Macht eine ganz große Schweinerei einfallen ließ, und Frank Esslin beab‐ sichtigt, sie auszuführen. Er war auf der Seite des Guten sehr zu‐
verlässig, und er ist es drüben bestimmt auch. Das macht ihn beson‐ ders gefährlich.« »Glauben Sie, daß ihm die schwarze Macht schon so sehr vertraut, daß Sie ihn allein arbeiten läßt?« »Die Hölle weiß, daß sie ihm hundertprozentig vertrauen kann. Frank ist ehrgeizig. Er will es zu etwas bringen. Die Leiter der schwarzen Hierarchie hat viele Sprossen, und es gibt für Frank Ess‐ lin nichts Erstrebenswerteres, als sie zu erklimmen.« »Wäre es nicht möglich, daß er sich im Fahrwasser eines erfah‐ renen Dämons befindet?« fragte Tucker Peckinpah. »Das könnte natürlich auch sein. An wen denken Sie?« »Vor allem an Rufus«, sagte der Industrielle. Ich ließ meine Zunge aufgeregt über die Lippen huschen. »Wann wurden diese Aufnahmen gemacht, Partner?« »Vorgestern.« »Wann steigt die britische Boxstaffel in den Ring?« »Heute abend.« »Ich muß sofort nach Daressalam.« Ich wies auf das Telefon. »Darf ich mal?« »Wen wollen Sie anrufen, Tony?« »Zunächst den Airport. Ich nehme die nächste Maschine, die nach Daressalam startet.« »Den Anruf können Sie sich sparen. Wir fliegen mit meinem Jet.« »Wir?« »Ich komme selbstverständlich mit«, sagte der Industrielle. Ich hätte ihm nun lang und breit erklären können, daß es für ihn besser gewesen wäre, zu Hause zu bleiben, denn Frank Esslin ließ sich nicht mit vielen schönen Worten zum Guten bekehren. Der Mann war zur echten Gefahr für die Menschheit geworden. Wer sich ihm entgegenstellte, riskierte sein Leben, und ich wollte nicht, daß Tucker Peckinpah etwas zustieß. Der Industrielle war mir hin‐ ter der Front wichtiger. Doch es war keine Zeit, ihm das alles klarzumachen. Er ließ die besten Argumente nicht gelten, wenn er sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte. Es wäre reinste Zeitverschwendung gewesen, ihn von dieser Reise abzuhalten,
deshalb ließ ich es bleiben. »Darf ich trotzdem telefonieren?« fragte ich. »Vicky … Sie muß zumindest wissen, warum sie mich für ein paar Tage nicht zu Gesicht kriegen wird.« Der Industrielle machte eine einladende Handbewegung. Ich eilte zum Apparat, fischte den Hörer aus der Gabel und tippte meine Telefonnummer: Paddington 2332. Vicky Bonney meldete sich fast augenblicklich. Es hatte den An‐ schein, als habe sie auf meinen Anruf gewartet. »Nun, wie war der Videofilm?« erkundigte sie sich. »Hör zu, ich muß sofort nach Daressalam.« »Du hast doch nicht etwa vor, für einen erkrankten Boxer einzu‐ springen.« Ich sagte ihr, wen ich auf dem Bildschirm gesehen hatte. Vicky hielt für einige Sekunden den Atem an. Sie konnte meine Eile ver‐ stehen, fragte mich, ob sie mir rasch ein paar Sachen in meine Reise‐ tasche packen solle. Ich sagte nein, ich würde mir in Daressalam kaufen, was ich brauche. »Tony«, sagte Vicky Bonney mit belegter Stimme. »Ja, Schatz?« »Was wirst du tun, wenn du Frank Esslin gegenüberstehst?« Bei diesem Gedanken schnürte es mir die Kehle zusammen. »Ich weiß es noch nicht«, sagte ich krächzend. »Wirst du die Kraft aufbringen, ihn zu töten?« Ich versuchte den lästigen Kloß, der in meinem Hals steckte, hin‐ unterzuschlucken und erwiderte: »Ich weiß wirklich nicht, was ich tun werde, Vicky. Ist Silver inzwischen nach Hause gekommen?« »Nein.« »Weißt du, wo ich ihn erreichen kann?« »Ich habe keine Ahnung, Tony.« »Er soll nachkommen, so schnell er kann.« Ich sagte, ich würde am Airport von Daressalam eine Nachricht für ihn hinterlassen, da‐ mit er uns fand. »Ich werd’s ihm bestellen«, versprach Vicky, wünschte mir Glück, sagte, sie hoffe, mich bald und unversehrt wiederzusehen,
und legte auf. Anschließend führte Tucker Peckinpah ein Gespräch mit dem Flugplatz. Er verlangte, daß sein Jet in einer Stunde startklar war, und das war er dann auch. Die Maschine fegte über die breite Betonpiste und hob steil ab. An Bord befanden sich nur zwei Passagiere, mein Partner und ich. Meine Gedanken eilten dem Flugzeug voraus. Sie weilten bereits in Ostafrika, wo mein einstiger Freund, der nunmehrige Söldner der Hölle, Frank Esslin, einen gefährlichen Brand zu legen beabsichtig‐ te. Oder hatte er ihn schon gelegt?
* Hinter dem Neubau, in dem die britische Boxstaffel untergebracht war, gab es im Freien unter rauschenden Palmen ein nierenför‐ miges Schwimmbecken. Das Wasser schien türkisfarben zu leuch‐ ten. Auf der gekräuselten Oberfläche tanzten blitzende Sonnen‐ reflexe. Rock Kilman hüpfte auf dem Sprungbrett. Immer höher sprang er, als wollte er sich kraftvoll in den stahlblauen Himmel hinein‐ schnellen. Aber er konnte sich nicht entschließen, ins Wasser zu springen. Da trat von hinten John McKenzie an ihn heran und versetzte ihm einen leichten Stoß. »Panther« Kilman klatschte in die glitzern‐ den Fluten, tauchte auf und spie eine lange Wasserfontäne aus. »Na warte, du hinterlistige Kreatur!« rief er, ohne dem Sports‐ freund ernstlich böse zu sein. »Das zahle ich dir heim!« Die anderen Staffelmitglieder lachten schallend, als McKenzie den »Panther« als wasserscheues Individuum bezeichnete. Andrew Quaid und Trevor Dunaway lagen im Schatten in beque‐ men Liegestühlen und genossen die entspannte Atmosphäre. Quaid – mittelgroß, schütteres Haar und dunkelbraune Knopfaugen – grinste. Er trug ein T‐Shirt, auf dem der Union Jack
prangte. »Nun sieh dir unsere Jungs an«, sagte er zu Dunaway. »Sie sind wie junge Hunde.« »Die heute abend Prügel beziehen werden, wenn sie nicht ver‐ dammt gut aufpassen«, meinte Trevor Dunaway trocken. Er war grauhaarig und muskulös. Sein Nasenbein war vor vielen Jahren schon zertrümmert worden. Er hatte selbst lange Zeit im Boxring gestanden und einige beachtliche Kämpfe geliefert, von denen so‐ gar heute noch manchmal gesprochen wurde. Quaid musterte ihn mit einem mürrischen Blick. »Fang jetzt nicht wieder damit an, daß ich das Angebot nicht hätte annehmen sollen, Trevor. Es ist das lukrativste Angebot, das ich bisher für die Jungs bekam. Ich wäre verrückt gewesen, nicht zuzugreifen. Wir haben davon schließlich alle was.« »Du weißt, daß sie für den heutigen Kampf noch nicht reif sind, Andrew.« »Herrgott noch mal, soll ich immer nur Milchbubis vor sie hin‐ stellen? Oder abgetakelte Fighter, Typen mit ‘nem Glaskinn? Das ist kein Aufbau für meine Boxer. So kommen sie nie weiter.« »Nächstes Jahr hätten wir hier besser ausgesehen«, sagte der Trainer. »Das weiß ich. Aber das Angebot kam in diesem Jahr. Hätte ich sagen sollen: ›Tut mir leid, meine Jungs sind noch nicht reif für eure Staffel. Sie haben Angst vor euch.‹ Hätte ich das sagen sollen? Sieh sie dir doch an. Die haben keine Furcht. Sie werden beherzt in den Ring steigen und alles geben, was sie zu bieten haben. Sie werden es ihren Gegnern auf keinen Fall leicht machen, zu siegen. Okay, wir werden als Verlierer nach Hause fliegen. Aber wir werden auch alle um eine große Erfahrung reicher sein. Vom Geld will ich gar nicht reden.« Dunaway winkte ärgerlich ab. »Geld, Geld. Du redest immer vom Geld, Andrew.« »Was jammerst du? Einer muß schließlich auf die Kasse achten. Wir können alle zusammen nicht von der Luft leben.« Er verstummte, denn er wurde abgelenkt. Ein hübsches, schlan‐ kes, schwarzhaariges Mädchen im weißen, knapp sitzenden Hosen‐
anzug, schlenderte über den kurzgeschorenen Rasen. Man sah deutlich, was sie darunter anhatte. Es war nicht viel. »Sieh dir diese Biene an«, sagte Quaid beeindruckt. »Ist die nicht eine Wucht?« »Allerdings. Besser, sie geht wieder«, brummte Trevor Dunaway. »Ich schick’ sie weg, sonst macht sie mir die Jungs noch verrückt.« Der Trainer wollte sich erheben. »Laß nur, ich mach’ das schon«, sagte Andrew Quaid und erhob sich. Er ging dem schönen Mädchen lächelnd entgegen. »Miß Cran‐ ston! Welche Freude, Sie wiederzusehen!« Jill Cranston gab das Lächeln zurück. »Ich freue mich auch, Mr. Quaid.« Er schob seine Hand unter ihren Arm. »Wollen wir ein wenig Spazierengehen?« »Gern«, sagte das Mädchen und setzte den Manager mit seinen Glutaugen in Brand. »Heute ist ein großer Tag für Ihre jungen Bo‐ xer, nicht wahr?« »Ja, heute abend können sie zeigen, was in ihnen steckt.« »Die hiesige Presse räumt ihnen keine allzu großen Chancen ein.« »Der eine oder andere ist allemal für eine Überraschung gut«, sagte Andrew Quaid, aber es klang nicht besonders überzeugt. Jill lachte. »Ich stehe auf Ihrer Seite, Mr. Quaid. Mir brauchen Sie nicht mit schöngefärbten Statements zu kommen. Mit der Wahrheit imponieren Sie mir mehr.« Quaid räusperte sich. »Nun, wenn Sie an der Wahrheit inter‐ essiert sind … Die hiesigen Blätter haben nicht so unrecht. Unsere Gegner besitzen die größere Ringerfahrung. Das ist ein Manko, das wir nicht ausgleichen können. Wir können uns nur darauf beschränken, dem Publikum einen Kampf zu liefern, mit dem es zu‐ frieden ist.« »Angenommen, Ihre Staffel würde aus diesem Kampf als strah‐ lender Sieger hervorgehen«, bemerkte Jill Cranston lauernd. Der Manager lachte. »Das wäre eine Sensation. Ein Wunder wäre das. Aber wo gibt es heute noch Wunder? Und im Boxgeschäft
schon gar nicht.« »Wenn Sie ungeschlagen nach England zurückkehren würden …« »Würden sich in meinem Büro die Superangebote bald häufen«, fiel der Manager dem hübschen Mädchen ins Wort. »Aber wir müssen auf dem Teppich bleiben. So etwas wird nie passieren. Je‐ mand müßte unseren Gegnern Schlaftabletten ins Essen schmug‐ geln …« Nun unterbrach Jill Cranston den Manager. »Oder unseren Jungs etwas Kräftigendes verabreichen.« Quaid blieb stehen. Er wandte sich Jill zu und blickte sie über‐ rascht an. »Sie sprechen doch nicht etwa von Doping. Das ist ausge‐ schlossen. Es gibt strenge Kontrollen. Wir wären erledigt, wenn man feststellen würde, daß … Nein, so etwas kommt nicht in Frage.« »Nehmen wir einmal an, es gäbe ein stärkendes Mittel, das sich bei keiner noch so strengen Dopingkontrolle nachweisen ließe.« Quaid kratzte sich hinter dem Ohr. »Würden Sie Ihren Boxern so etwas auch nicht geben?« fragte das Mädchen. Sie ist wie der Teufel, der mich in Versuchung führen will, dachte Andrew Quaid. »Sehen Sie«, sagte er vorsichtig. »Ich weiß nicht, wie gut Sie über Dopingmittel Bescheid wissen, Miß Cranston. Es steht jedenfalls fest, daß all das Zeug, das die Sportler einnehmen, um sich für kurze Zeit hochzuputschen, gesundheitsschädlich ist. Ich würde mir persönlich keinen Gefallen erweisen, wenn ich meine Jungs, mit denen ich noch mal eine Menge Geld verdienen kann, auf lange Sicht gesehen kaputtmache. Diese Aufputschmittel höhlen die Sportler aus. Sie sind zwar in der Lage, eine Zeitlang großartige Leistungen zu erbringen, aber irgendwann kommt es zum großen Zusammenbruch, zum Katzenjammer, und so etwas möchte ich weder mir noch meinen Athleten antun.« Sie gingen weiter. Jill Cranston nickte nachdenklich. »Ich kann Ihre Beweggründe sehr gut verstehen. Darf ich meinen Faden dennoch weiterspinnen?«
Er lächelte. »Gern, wenn es Ihnen Spaß macht. Reden kann man über alles. Ich möchte Sie nur bitten, daß es unter uns bleibt.« »Darauf können Sie sich verlassen, Mr. Quaid.« »Ach, bitte nennen Sie mich doch Andrew.« »Mit Vergnügen … Andrew.« Ihr Blick ging ihm unter die Haut. Er war nahe daran, sie in seine Arme zu nehmen, an sich zu reißen und leidenschaftlich zu küssen. Sie hatten sich inzwischen so weit von den anderen entfernt, daß niemand es gesehen hätte. Üppige, blütenübersäte Natur umgab sie. Betörende Düfte strömten ihnen entgegen. Quaid hielt sich mühsam zurück. »Nehmen wir an, es gäbe eine Droge, die nicht gesundheits‐ schädlich ist«, sagte Jill Cranston. »Dann ist sie nichts wert«, sagte der Manager. »Ich bin mit jemandem bekannt, der jahrelang für die Weltge‐ sundheitsorganisation gearbeitet hat«, sagte das Mädchen. »Ihm ge‐ lang es, eine Pille zu entwickeln, die keinerlei nachteilige Wirkung auf den Sportler hat. Die Person, die das Medikament einnimmt, wird kräftig, zäh und ausdauernd. Da diese Art von Doping auf mi‐ kroorganischer Basis beruht, kann bei Dopingkontrollen auch nichts gefunden werden. Hinzu kommt eine unbegrenzte Langzeit‐ wirkung. Das heißt, die Einnahme einer einzigen Pille reicht aus, um den Athleten für immer zu stärken.« Quaid blickte das Mädchen ungläubig an. »Was denn? Die Wirkung dieser Droge läßt nie mehr nach?« Jill Cranston nickte. »So ist es.« »Das wäre ja eine Superdroge. Keine Nebenwirkungen. Nicht feststellbar …« Er schüttelte den Kopf. »So etwas gibt es nicht.« »Doch, Andrew, so etwas gibt es.« »Und Sie kämen an diese Pillen heran?« »Das wäre kein Problem für mich.« »Was würde das Zeug kosten?« »Für Sie – nichts.« Quaid grinste. »Wo ist der Haken, Mylady?« »Es gibt keinen. Ich würde unsere Mannschaft heute abend nur
gern siegen sehen«, sagte das Mädchen. »Mit Hilfe der Droge, die ich Ihnen beschaffen kann, würde Ihre Staffel die Gegner kurz und klein schlagen. Denken Sie an die Schlagzeilen, die das machen würde. Sie und Ihre Jungs wären morgen schon in aller Munde.« »Wie heißt der Mann, der die Wunderpille erfunden hat?« »Das möchte ich lieber für mich behalten«, sagte Jill. »Haben Sie kein Vertrauen zu mir, Jill?« »Doch, aber ich habe dem Mann mein Wort gegeben, seinen Namen nicht zu erwähnen.« »Ist er sich eigentlich der Tatsache bewußt, daß er mit seiner Dro‐ ge ein Vermögen verdienen kann?« Jill nickte. »Natürlich, aber er macht sich nichts aus Geld.« Quaid lachte. »Gibt es so etwas auch?« »Deshalb wird niemals jeder X‐Beliebige seine Droge erhalten.« »Wenn sich das herumspricht, wird man ihm die Tür einrennen.« »Deshalb legt er ja so großen Wert darauf, anonym zu bleiben«, sagte das Mädchen. Quaid wollte sich nicht länger beherrschen. Blitzschnell riß er Jill an sich und küßte sie wild. Sie ließ es nicht nur geschehen, sondern schlang ihre Arme um ihn, atmete schwer und preßte ihren auf‐ regenden Körper gegen ihn. »Heute abend, nach dem Kampf … Wir könnten den Sieg meiner Mannschaft feiern. Hättest du Lust?« fragte er atemlos. »Du machst mir mit dieser Einladung eine große Freude«, flüsterte sie und kraulte zärtlich sein Haar. Ihm trat der Schweiß auf die Stirn. Er spielte mit dem Gedanken, sie aus dem Hosenanzug zu schälen und … Warte! sagte er sich. Bis heute abend. So lange hältst du es noch aus – und dann wird dir Jill den Himmel auf Erden bescheren. »Wirst du dir den Fight ansehen? Ich würde dir einen Platz in der ersten Reihe reservieren lassen«, sagte Quaid. »Ich komme«, sagte Jill. »Und die Wunderpillen? Wann kann ich die haben?« »In einer Stunde«, antwortete Jill Cranston, und der Dämon, der sich in ihr verbarg, lachte. Wie dumm dieser Andrew Quaid doch
war. Völlig ahnungslos kroch er ihm auf den Leim. Das Mädchen verabschiedete sich und ging. Sobald sie weg war, kehrte der Manager zu Trevor Dunaway zurück. Der Trainer sagte gelassen: »Du hast Lippenstift am Kinn.« Quaid wischte die rote Farbe grinsend weg. »Neidest du mir den Erfolg?« »Die Puppe ist zwar umwerfend schön, aber ich werde das Ge‐ fühl nicht los, daß sie verdammt gefährlich ist. Sie ist eine Schlange, Andrew, mit giftigen Zähnen. Man muß sich vor ihr in acht nehmen.« »Ach, Unsinn. Sie ist ein ganz reizendes Geschöpf mit erstaunlich vernünftigen Ansichten.« Quaid setzte sich. »Ein größerer Glücks‐ fall, als ihr zu begegnen, hätte mir gar nicht passieren können.« »Bist du sicher?« fragte Dunaway zweifelnd. »Weißt du, was heute abend geschieht, Trevor?« »Wir wissen es beide. Wir werden Mühe haben, das Gesicht nicht zu verlieren.« »So sah’s vor zehn Minuten noch aus.« »Was hat sich inzwischen geändert?« »Alles«, sagte Quaid aufgekratzt. »Hat die Kleine in deinem Kopf in paar Schrauben gelockert?« »Wir werden siegen, Trevor. Wir rammen unsere Gegner unge‐ spitzt in den Boden.« »Sag mal, hast du getrunken?« »Nur von Jills sinnlichen Lippen … Hör zu …« Der Manager zog den Trainer ins Vertrauen. Trevor Dunaway kam aus dem Staunen nicht heraus, und später wurde aus diesem Staunen blanke Entrüs‐ tung. »So weit willst du gehen?« brauste er auf, als Quaid geendet hatte. »Das willst du diesen jungen Leuten, die dir blind vertrauen, antun?« »Pst, nicht so laut!« sagte der Manager ärgerlich. »Muß das denn ganz Daressalam hören? Warum läßt du es nicht gleich über den Rundfunk verlautbaren?« »Mann, bist du verrückt! Deine Habgier hat dich um den
Verstand gebracht, Andrew.« »Die Droge ist völlig harmlos.« »Das behauptet Jill Cranston. Zeig mir jemanden, der die Pille schon eingenommen hat.« »Ich glaube Jill. Welchen Grund sollte sie haben, mich zu be‐ lügen?« »Warum bietet sie dir überhaupt diese verfluchten Pillen an?« »Weil sie will, daß unsere Mannschaft gewinnt.« »Die Sache hat doch irgendeinen Pferdefuß, Andrew.« »Das dachte ich anfangs auch, aber es ist nicht der Fall. Wenn Jill die Pillen bringt, sagen wir Rock Kilman und den anderen, es würde sich um ein Vitaminkonzentrat handeln, okay?« Dunaway sprang auf. »Nein, Andrew. Bei dieser Schweinerei ma‐ che ich nicht mit« »Trevor, sei doch vernünftig. Es wird überhaupt nichts passieren – außer daß unsere Jungs zur schlagkräftigsten Boxstaffel der Welt werden.« »Was für ein Motiv hast du, so etwas zu tun? Hat dir das Mäd‐ chen den Kopf verdreht? Ist es das viele Geld, das du witterst? Ist es beides?« »Mein Motiv spielt hier überhaupt keine Rolle, Trevor. Als wir nach Tansania kamen, waren wir davon überzeugt, daß wir nur bessere Prügelknaben abgeben würden. Nun wird mir knapp vor dem Kampf die Chance geboten, das Blatt total zu wenden. Diese Gelegenheit lasse ich mir nicht entgehen, und du wirst mitziehen, mein Junge.« Es funkelte fanatisch in Dunaways Augen. »Irrtum, Andrew. Was du vorhast, ist ein Verbrechen an der Gesundheit unserer Boxer. Es ist Betrug am Publikum, und du betrügst auch unsere Gegner. Was bedeutet dir sportliche Fairneß? Gar nichts?« »Zur Hölle mit der sportlichen Fairneß. Dafür kann man sich nichts kaufen. Jill sagte, daß die Droge der Gesundheit unserer Sportler nicht schadet.« »Was Jill sagt, interessiert mich nicht!« blaffte der Trainer. »Ich war in meinem Leben noch nie käuflich, habe noch nie ein krum‐
mes Ding gedreht, war stets ehrlich.« »Deshalb hast du es auch zu nichts gebracht.« »Aber mir wird nicht jeden Morgen übel, wenn ich mein Gesicht im Spiegel sehe!« hielt Dunaway dagegen. »Du mußt dich ja zum Kotzen finden.« »Bravo, zieh nur über mich her. Ich hab’s ja verdient. Wer hat dir denn diesen Job als Trainer angeboten? Wo wärst du ohne mich, he?« »Willst du den Job wiederhaben? Okay, du kriegst ihn. Ich bleibe nicht mit einem Verbrecher im selben Boot sitzen. Ich steige aus. Aber denk nicht, daß du dadurch freie Bahn kriegst. Wenn diese Männer auch nur eine einzige Tablette schlucken, zeige ich dich an. So wahr ich Trevor Dunaway heiße, das tu’ ich, du kannst dich dar‐ auf verlassen. Ich rate dir, diese Jill Cranston mit ihren Pillen zum Teufel zu jagen. Tust du es nicht, sorge ich dafür, daß du mehr Schwierigkeiten an den Hals kriegst, als du verkraften kannst.« Der Trainer wandte sich abrupt um und eilte davon. »Trevor!« rief ihm Quaid nach. »Mach doch keinen Quatsch! Komm zurück! Wir werden noch mal ausführlich darüber reden!« Doch Dunaway machte nur eine wegwerfende Handbewegung und verschwand im Haus. »Idiot«, stieß Quaid zornig zwischen den Zähnen hervor. Er war entschlossen, die Chance, die sich ihm bot, zu nutzen. Mit dem Trainer würde er schon irgendwie fertigwerden. Jill Cranston brachte die Pillen. Zehn Stück. Sie befanden sich in einer kleinen Blechschachtel. Quaid betrachtete sie. »Man sieht ih‐ nen nicht an, daß es wahre Kraftpakete sind«, meinte er schmun‐ zelnd. »Sie werden meine Leute zur Spitze hochpushen.« Seine Miene wurde ernst. Er berichtete von seinem Streit mit dem Trainer. »Kann er dir wirklich Schwierigkeiten machen?« fragte das Mäd‐ chen ernst. Quaid hob die Schultern. »Was habe ich zu befürchten? Wenn er behauptet, ich hätte meine Boxer gedopt, wird die Kontrolle ihn Lügen strafen.«
Jill nickte. »Er kann dir nichts anhaben. Tu, was du für richtig hältst, und von deinen Athleten wird bald die ganze Welt spre‐ chen.« »Wann soll ich die Pillen austeilen?« »Je eher, desto besser.« »Na schön. Ich lasse eine Karte an der Kasse für dich hinterlegen. Du mußt dir den Auftritt meiner Gladiatoren unbedingt ansehen.« Jill lächelte hintergründig. »Das lasse ich mir bestimmt nicht ent‐ gehen«, sagte sie. Während sich Andrew Quaid zu seinen Boxern begab, betrat Jill Cranston das Haus, in dem die Sportler untergebracht waren. Rufus wollte sich seinen Plan nicht torpedieren lassen. Da damit gerech‐ net werden mußte, das Trevor Dunaway querschießen würde, war es wichtig und unumgänglich, ihn sofort auszuschalten. Das Mädchen begab sich in den zweiten Stock. Rufus ortete den Gegner mühelos. Vor der Tür, die in Dunaways Zimmer führte, blieb Jill Cranston einen Augenblick stehen. Sie lauschte, und was sie hörte, gefiel Rufus ganz und gar nicht. »Ja«, sagte Dunaway. »Ich warte … Wie? … Ach so. Trevor Duna‐ way ist mein Name … Der Trainer der britischen Boxstaffel …« Dunaway unternahm bereits etwas gegen Quaid. Das mußte Ru‐ fus schnellstens unterbinden. Er klopfte an die Tür, wartete nicht auf das »Herein!« des Trainers, sondern trat einfach ein. Trevor Dunaway ahnte nicht, in was für einer Gefahr er schweb‐ te. Er wußte nicht, daß er den Dämon mit den vielen Gesichtern vor sich hatte. Für ihn war es nur ein verflucht gutaussehendes Mäd‐ chen, dem er sich unvermittelt gegenübersah. Seine unterschwellige Abneigung veranlaßte ihn, unfreundlich zu fragen: »Was wollen Sie in meinem Zimmer, Miß Cranston?« Das Mädchen schloß wortlos die Tür. Der Raum war hell. Vor der Balkontür hingen flamingofarbene Vorhänge, die sich sachte im Wind bauschten. Dunaways Augenbrauen zogen sich zusammen. »Wenn Sie den‐ ken, mich umstimmen zu können, sind Sie auf dem Holzweg!« schnauzte er das Mädchen an. »Verdammt noch mal, wie haben
Sie’s bloß geschafft, Quaid so mühelos herumzukriegen?« Jill Cranston zuckte die Schultern. »Vielleicht habe ich ihn verhext.« »Ja, das muß es wohl sein. Und die Droge? Von wem stammt die? Etwa vom Teufel persönlich?« »So könnte man es nennen«, erwiderte Jill und näherte sich dem muskulösen Trainer, der immer noch darauf wartete, daß sich die Person, die er vorhin verlangt hatte, meldete. Rufus sorgte für eine Störung in der Leitung. Dunaway hörte es knacken, schlug mehrmals wütend auf die Gabel und rief: »Hallo! Hallo! Verdammt noch mal, die sind hier wohl noch ans Trommeln gewöhnt!« Er legte auf und blickte Jill Cranston durchdringend an. »Sie sind an allem schuld!« fuhr er sie an. »Ich machte Andrew Quaid nur einen Vorschlag. Er hätte ihn ab‐ lehnen können«, behauptete das Mädchen, aber es stimmte nicht, denn Rufus hätte sich den Manager auf jeden Fall gefügig gemacht. Es gab viele Möglichkeiten, das zu erreichen. Rufus hätte auch Dunaway in die Knie zwingen können, aber das genügte ihm nicht. Dieser Mann sollte seine Macht zu spüren kriegen. Rufus haßte so aufsässige Typen. »Sie haben Quaid den Kopf verdreht!« behauptete der Trainer ge‐ reizt. »Würden Sie mir mal verraten, wieso Ihnen soviel daran liegt, daß unsere Mannschaft gewinnt?« Sie lächelte. »Ich mag keine Verlierer.« Dunaway musterte sie mißtrauisch. »Wer sind Sie, Miß Cranston? Denken Sie, ich durchschaue Sie nicht? Sie tun nichts ohne Berech‐ nung. Was bezwecken Sie mit Ihren gottverdammten Tabletten wirklich?« »Nun, wenn du es unbedingt wissen willst, werde ich es dir ver‐ raten«, sagte das Mädchen plötzlich mit einer grollenden Baß‐ stimme. Trevor Dunaway riß verdattert die Augen auf. Wie kam dieses bildschöne Mädchen auf einmal zu einer so unpassend tiefen Stimme? Spinne ich? fragte sich der Trainer. Ist das etwa kein Mädchen,
sondern ein verkleideter Mann? Und Jill Cranston fuhr fort mit dieser dumpfen, unheimlichen Stimme: »Du hast recht, Dunaway. Die Tabletten, die ich Quaid ge‐ bracht habe, sind nicht ungefährlich. Sie sind ein Keim, der die Athleten wohl stärken, aber auch verderben wird. Langsam, aber stetig wird der Keim des Bösen diese jungen Männer innerlich überwuchern. Die Saat des Bösen wird in ihnen aufgehen und sie in Ungeheuer verwandeln, aber das wirst du nicht mehr erleben, denn dein Leben endet in dieser Minute!« Die Stimme schwoll an, und plötzlich schien Jill Cranston größer zu werden. Ratschend zerriß ihr weißer Hosenanzug, färbte sich schwarz und wallte hoch. Für einen Sekundenbruchteil sah Duna‐ way den nackten Mädchenkörper, der jäh aufklaffte. Das Skelett schnellte hervor. Aus dem wallenden Stoff wurde eine Kutte mit Kapuze, die die ursprüngliche Gestalt Rufus’ einhüllte. Trevor Dunaway prallte zurück. Er traute seinen Augen nicht. Jill Cranston, dieses bildschöne Mädchen, hatte sich in einen grauener‐ regenden Dämon verwandelt. Trotz seiner wahnsinnigen Angst wußte der Trainer, daß er aus seinem Zimmer raus mußte. Der einzige Weg zur Tür führte an Ru‐ fus vorbei. Oder sollte er über den Balkon fliehen? Ihm blieb keine Zeit, zu überlegen. Vielleicht konnte er die Tür erreichen. Er wollte es zumindest versuchen. Kraftvoll sprintete er los. Mit der Schulter wollte er Rufus zur Seite rammen. Er spannte die Muskeln an und biß die Zähne zusammen. Da streckte ihm der Dämon die Knochenhände entgegen und fing ihn ab. Hart griffen die Skelettfinger zu. Es war nicht der Schmerz, der den Trainer heiser aufschreien ließ, sondern die Todesangst. Rufus schleuderte Trevor Dunaway gegen die Wand. Der Trainer sackte benommen zusammen. Balkon! Über den Balkon! hämmerte es in seinem Schädel, und er kämpfte sich verbissen hoch, wirbelte herum und stürmte auf die Vorhänge zu. Wild fegte er sie zur Seite. Rufus machte sich nicht die Mühe, ihm zu folgen. Reglos stand
das Skelett im Raum und setzte seine Magie ein. Der Dämon hatte den Mann unter Kontrolle, aber das spürte Trevor Dunaway nicht. Er dachte, noch eine winzige Chance zu haben, mit dem Leben da‐ vonzukommen. Wenn er erst mal den Balkon im ersten Stock erreicht hatte, war er in Sicherheit – dachte er. Hastig schwang er das rechte Bein über die Brüstung aus Stein. Da packte Rufus Magie zu. »Steh auf!« befahl ihm Rufus Geist. »Steig auf die Brüstung!« Der Trainer wollte es nicht tun, aber die magische Kraft, die von ihm Besitz ergriffen hatte, duldete keinen Widerspruch. Er mußte gehorchen. Langsam richtete er sich auf der Brüstung auf. Am Schwimmbecken schrie John McKenzie erschrocken auf. Alle blickten daraufhin zu dem Balkon, auf dessen Brüstung Trevor Du‐ naway stand. Andrew Quaid wurde blaß vor Schreck. Er hatte seine Athleten soeben auf das »Vitaminpräparat« vorbe‐ reitet, das sie in der nächsten halben Stunde mit einem Glas Milch hinunterspülen sollten. Jetzt hetzte Quaid los. »Trevor! Trevor, steig sofort von der Brüstung herunter!« brüllte der Manager. Er ahnte nicht, wie gern das Dunaway getan hätte, doch der Mann war dazu nicht in der Lage. »Mach keinen Blödsinn, Trevor!« schrie Quaid. »Mein Gott, hast du den Verstand verloren? Warte! Ich komme zu dir rauf! Warte, Trevor!« Rufus war nicht interessiert daran, daß Quaid das Zimmer des Trainers betrat, deshalb befahl er dem Unglücklichen, sich kopfüber in die Tiefe zu stürzen. Unten lief ein breiter Betonstreifen ums Haus. Wenn Dunaway mit dem Kopf voran da aufprallte, war er mit Sicherheit tot. »Spring!« zischte der Dämon. »Trevor!« brüllte Quaid. Der Trainer breitete die Arme aus. Dieser Mann, der für den Box‐ sport viel getan hatte, war dem Tod geweiht. Die Staffelmitglieder und Andrew Quaid dachten, was er zu tun beabsichtigte, wäre eine Kurzschlußhandlung. »Gütiger Gott!« stieß Henry Dimster heiser hervor. »Er wird es
tun.« »Kann ihn denn keiner daran hindern?« fragte Humphrey Tuco verzweifelt. Ihn verband mit dem Trainer eine besonders enge Be‐ ziehung. Er wußte, daß er nie so weit gekommen wäre, wenn sich Dunaway nicht so intensiv mit ihm beschäftigt hätte. Tränen quollen aus Trevor Dunaways Augen. Wie ein Turm‐ springer stand er dort oben. Es hatte den Anschein, als würde er die Aufmerksamkeit des Publikums abwarten. Er kann die Pillen nicht mit seinem Gewissen vereinbaren! dachte Andrew Quaid. Er will mich aber nicht anzeigen. Deshalb zieht er sich auf diese Weise aus der Affäre. Aber, verdammt noch mal, das ist keine Lösung. »Spring!« zischte Rufus noch einmal hinter Dunaway, und der Trainer gehorchte diesem grausamen Befehl. Alle wurden Zeuge dieses »Selbstmordes«. Kraftvoll stieß sich Trevor Dunaway von der Brüstung ab. Weit schnellte er hoch. Dann klappte sein Körper in der Luft zusammen. Der Kopf wies nach unten. Dunaway streckte sich, so daß die Füße nach oben zeig‐ ten, die Arme legte er seitlich an, und in dieser Haltung raste er dem Betonstreifen entgegen. Die Boxer wandten sich entweder ab oder schlossen die Augen, als Trevor Dunaway aufschlug. Andrew Quaid hetzte los. Er ließ sich neben dem Trainer auf die Knie fallen. Alles war voll Blut. Quaid faßte Dunaway nicht an. Man brauchte kein Arzt zu sein, um feststellen zu können, daß dem Trainer nicht mehr zu helfen war. Der Manager schüttelte verständnislos den Kopf. »Das war das Verrückteste, was du tun konntest!« sagte er leise. Die Boxer eilten herbei. »Ist er …« begann Rock Kilman. »Tot«, sagte Andrew Quaid und richtete seinen Blick auf den Bal‐ kon, von dem sich Trevor Dunaway herabgestürzt hatte. Dimster sagte: »Ihr hattet euch in der Wolle. Kann er’s deshalb getan haben?« Quaid schüttelte wieder den Kopf. »Nein, bestimmt nicht.«
»Worum ging’s denn?« wollte Henry Dimster wissen. »Wir waren unterschiedlicher Auffassung, was die heutige Kampftaktik betrifft. Ihr wißt ja, wie Trevor war. Ein Hitzkopf. Wenn er sich mal in eine Idee verrannt hatte, wollte er keinen Milimeter davon abweichen. Er ärgerte sich darüber, daß ich nicht nachgab. Aber das war kein Grund, sich das Leben zu nehmen. Sol‐ che Meinungsverschiedenheiten hatten wir öfter, wie ihr wißt. Wir kamen letztlich doch immer zu einer vernünftigen Einigung. Mag der Teufel wissen, was ihn veranlaßt hat, vom Balkon zu springen.« Quaid blickte in die Gesichter der jungen Boxer. »Ihr wißt, was ihr Trevor schuldig seid. Zeigt heute abend, was er euch beige‐ bracht hat. Wenn ihr in den Ring steigt, müßt ihr daran denken, daß ihr diesmal um Ehre und Anerkennung eures toten Trainers kämpft.« Die Sportler nickten feierlich. Oben in Dunaways Zimmer schien zur selben Zeit ein Horror‐ Film zurückzulaufen. Aus Rufus wurde wieder Jill Cranston, dieses attraktive Mädchen, das ein grauenvolles Geheimnis in sich barg. Sie lächelte kalt. So würde es jedem ergehen, der den Plan gefährden wollte. Der Dämon mit den vielen Gesichtern kannte keine Gnade. Menschen‐ leben hatten für ihn noch nie einen besonderen Wert gehabt. Wenn er all jene Revue passieren ließ, denen er schon das Leben genommen hatte, kam eine Legion von Toten zusammen. Ein Lei‐ chenheer hätte er auf die Beine stellen können. Eine riesige Armee, und er arbeitete gerade eben wieder darauf hin, sie zu vergrößern. Jill wandte sich um und verließ das Zimmer des Trainers. Wäh‐ rend die Sportler immer noch den Toten umringten, trat das un‐ heimliche Mädchen aus dem Haus. Sie verließ die Sportschule durch eine Tür, die die Boxer nicht sehen konnten, schlenderte die Morogoro Road hinunter, als wäre alles in Ordnung, und für sie war es das auch. In bester Ordnung sogar. Andrew Quaid erholte sich von dem Schreck am schnellsten. Er schickte die Boxer auf ihre Zimmer und sorgte dafür, daß Trevor
Dunaway abgeholt wurde. Ein Krankenwagen brachte ihn weg. Zwei Männer vom Sportschulpersonal schrubbten den Beton, da‐ mit nichts mehr an den grausigen Selbstmord erinnerte. Zwei schwarze Kriminalbeamte stellten dem Manager der bri‐ tischen Boxstaffel später viele Fragen. Andrew Quaid beantwortete sie rückhaltlos, doch er färbte sie ein wenig. Jill Cranston und die Superpillen erwähnte er mit keinem Wort. Über Trevor Dunaway erzählte er ihnen alles, was sie wissen woll‐ ten. Selbstverständlich war es seine Version, die die Beamten zu hö‐ ren bekamen. Quaid wußte genau, was er sagen durfte. Keine Frage blieb unbe‐ antwortet, aber es war nicht immer die Wahrheit, die die Polizisten zu hören bekamen. Es gelang ihm dennoch, sie zufriedenzustellen. Auch für sie war es Selbstmord. Ein Motiv schien sich dafür nicht finden zu lassen. Vielleicht waren schwere Depressionen schuld daran. Quaid meinte, ihm wären bei Dunaway zwar noch nie De‐ pressionen aufgefallen, aber er könne nicht ausschließen, daß der Trainer welche gehabt habe. Die Kriminalbeamten äußerten nach diesem Gespräch den Wunsch, mit den Boxern zu reden. Das war Quaid nicht besonders recht, er ließ es sich aber nicht anmerken. Er bat die Polizisten nur, zu berücksichtigen, daß seine Athleten eine schwierige Aufgabe vor sich hatten. »Sie sind ohnedies schon völlig durcheinander«, sagte er. »Deshalb wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie sie mit Samt‐ handschuhen anfassen würden.« Das versprachen die Beamten zu tun. Sie gingen von Zimmer zu Zimmer. Quaid begleitete sie. Während sie mit den Sportlern spra‐ chen, stand der Manager im Hintergrund und sagte nichts. Nur manchmal antwortete er schneller als sein Schützling, um keine Schwierigkeiten aufkommen zu lassen. Eine halbe Stunde später verließen die Kriminalbeamten die Sportschule. In ihrem Bericht würde stehen, daß Trevor Dunaway sich während eines Anfalls von geistiger Verwirrung das Leben nahm. Niemand hatte Schuld am Tod des Mannes.
Das glaubten auch Andrew Quaid und seine Boxer. Der Manager ließ seinen Sportlern ein Glas Milch bringen. Dann suchte er sie auf und gab ihnen die »Vitamintabletten«. John McKenzie nahm das kleine grüne Ding in die Hand. Der drehte die Pille zwischen seinen Fingern. »Ist damit auch wirklich alles okay, Andrew?« Der Manager lachte gezwungen. »Hör mal, würde ich dir etwas geben, das dir schadet? Für wie dämlich hältst du mich? Ich bin auf dich und die anderen angewiesen, und ich würde niemals etwas tun, was meinem Ruf schadet. So etwas würde im Boxgeschäft schnell die Runde machen. Im Nu ist man erledigt.« McKenzie nickte langsam. »Entschuldige, Andrew. War wohl eine saudumme Frage.« Quaid legte die Hand auf John McKenzies muskulösen Nacken. »Du vertraust mir doch, oder?« »Natürlich, Andrew.« »Dann schluck die Pille, und mach mir heute abend keine Schande.« McKenzie öffnete den Mund, warf die Tablette ein und spülte sie mit der Milch hinunter. »So«, sagte Quaid zufrieden. »Und jetzt legst du dich hin und schaltest vollkommen ab. Versuch an nichts mehr zu denken. Ver‐ giß Trevor Dunaway, vergiß mich, vergiß den bevorstehenden Kampf.« Der Boxer, der schon auf dem Bett saß, ließ sich zurückfallen, schob die Hände unter seinen Kopf, blickte zur Decke und spürte, wie der Keim des Bösen in ihm aufging. Quaid verließ ihn und begab sich zu Dimster. Dann kam »Pan‐ ther« Kilman an die Reihe, und so ging der Manager von einem zum anderen. Und dann fieberte er dem Abend entgegen, denn dann würde sich zeigen, wie gut die geheimnisvolle Droge wirklich war.
*
Die Veranstaltung war ausverkauft, doch das bedeutete für Tucker Peckinpah nicht, daß er keine Karten auftreiben konnte. Er kaufte sie einem jungen Mann ab, der sich mit seiner Freundin die Kämpfe ansehen wollte. Der Industrielle gab dem Schwarzen dafür so viel Geld, daß dessen Freundin an seinem Verstand gezweifelt hätte, wenn er das Angebot ausgeschlagen hätte. »Wir können uns die Kämpfe doch auch im Fernsehen anschau‐ en«, sagte sie geschäftstüchtig, und Augenblicke später wechselten die Eintrittskarten den Besitzer. »Das sind die angenehmen Seiten des Reichtums«, sagte Tucker Peckinpah lächelnd. »Gibt es auch unangenehme?« fragte ich. »Eine ganze Menge. Man hat viele Neider und Feinde, die stän‐ dig versuchen, einem das Wasser abzugraben. Und man muß stän‐ dig damit rechnen, überfallen oder gekidnappt zu werden.« Ich grinste. »Die ehrenwerten Gangster tun gut daran, ihre dre‐ ckigen Finger von Ihnen zu lassen, sonst kriegen sie’s mit meinen Freunden und mir zu tun.« »Ist beruhigend, das zu wissen«, sagte der Industrielle. Vor der riesigen Sporthalle herrschte ein lebensgefährliches Ge‐ dränge und Geschiebe. Peckinpah hatte drei Zimmer im Kiliman‐ dscharo Hotel gebucht. Eins für mich, eins für sich und eins für Mr. Silver, falls dieser rechtzeitig den Weg nach Daressalam ein‐ schlagen sollte. Die Information auf dem Airport wußte Bescheid, in welchem Hotel wir abgestiegen waren, und im Hotel wußte man, daß wir die Boxveranstaltung aufzusuchen gedachten. Ich wünschte mir, daß Mr. Silver in Kürze zu uns stieß, denn tief in meinem Inneren spürte ich einen Widerstand, den ich wohl kaum überwinden können würde. Dutzende Male hatte ich mir die Begegnung mit Frank Esslin schon ausgemalt. Mein Herz krampfte sich dabei jedesmal schmerzhaft zusammen. Frank war nicht mehr mein Freund. Die Hölle hatte ihn zu meinem Todfeind gemacht, und er würde
nicht zögern, mich umzubringen, aber ich … ich würde zögern, das wußte ich. Ich konnte nicht vergessen, was wir alles zusammen durchgestanden hatten. Wie Pech und Schwefel hatten wir zu‐ sammengehalten. Der eine war jederzeit für den anderen durchs Feuer gegangen. Mit all dem war es nun vorbei, und es fiel mir so verdammt schwer, mich damit abzufinden. Es war verrückt, aber ich hegte immer noch die vage Hoffnung, Frank Esslin auf unsere Seite zurückholen zu können. Noch wußte ich nicht, wie ich dieses Kunststück fertigbringen sollte. Auf keinen Fall würde es mir gelingen, wenn ich ihn im Zweikampf tötete. Aber durfte ich ihn schonen? Er würde die kleinste Chance nutzen, um mich zu erledigen. Wie war es da möglich, ihm kein Haar zu krümmen? Meiner Haut muß‐ te ich mich wehren … Ich sah Frank im Geist vor mir stehen. Frank Esslin, der grausame Söldner der Hölle! Er wollte mein Leben … Es war eine von diesen verhaßten Not‐ wehrsituationen, in denen einem der Gegner keine Wahl läßt. Es heißt Er oder ich! Und man muß trachten, schneller zu sein als der andere. Schneller als Frank Esslin … Mit Mr. Silver hätte ich versuchen können, Frank zu überwäl‐ tigen. Mit vereinten Kräften konnten wir es vielleicht schaffen, Frank unschädlich zu machen, ohne ihm das Leben zu nehmen. Aber würde der Ex‐Dämon rechtzeitig in Daressalam eintreffen? Wir wären nicht in die Sporthalle eingelassen worden, wenn Tu‐ cker Peckinpah sich nicht von seiner Zigarre getrennt hätte. Es fiel ihm schwer, den dicken Lungentorpedo in eine Blechtonne zu werfen, die zur Hälfte mit Sand gefüllt war. Ich hatte vom Hotel aus versucht, Andrew Quaid, den Manager der britischen Boxstaffel, telefonisch im Trainingslager zu erreichen. Man teilte mir mit, daß er sich mit seinen Athleten bereits auf dem Weg zum Veranstaltungsort befand. Da ich mir vorstellen konnte, wie nervös die Boxer zur Zeit waren, konnte ich vor dem Kampf ein Gespräch mit Quaid
vergessen. Ich nahm mir aber vor, Quaid gleich nach dem Kampf aufzusuchen und ihn nach Frank Esslin zu fragen. Die Plätze, die Tucker Peckinpah ergattert hatte, waren nicht ge‐ rade die allerbesten. »Ich saß schon mal besser«, brummte der Industrielle enttäuscht. Ich grinste. »Sehen Sie’s so: Sie haben dem jungen Paar zu einem trauten Eigenheim in einer vornehmen Gegend verholfen.« Vor uns, neben uns und hinter uns lärmten die Leute, vor‐ wiegend Schwarze. Sie schrien Parolen, feuerten die Sportler, die noch gar nicht zu sehen waren, mit zündenden Sprechchören an, klatschten in rhythmischem Gleichklang in die Hände und heizten die Stimmung bis zum Siedepunkt auf. Rundfunk und Fernsehen übertrugen das Sportereignis, das überall in der Stadt mit grellbunten Plakaten angekündigt war. Ich versuchte in der Menge Frank Esslin zu entdecken. Es war nicht ausgeschlossen, daß er sich die Kämpfe ansah. Er interessierte sich fürs Boxen so wie ich, und er hatte meiner Ansicht nach noch ein anderes Interesse an den britischen Sportlern. Zum Teufel, wenn ich bloß gewußt hätte, was lief. Frank war garantiert nicht bloß hier, um sich zu vergnügen. Ich mußte von der Tatsache ausgehen, daß ihn die schwarze Macht hierher entsandt hatte, und er würde mit Sicherheit irgend etwas für sie erledigen. Aber was? Verflucht noch mal, was? Natürlich war es bei diesen Massen unmöglich, Frank Esslin aus‐ zumachen. Wenn er hier war, dann hatte er bestimmt einen besseren Platz als wir. Vielleicht saß er sogar unten in der vordersten Reihe. Ich sah mir aufmerksam die Personen an, die dort Platz genom‐ men hatten. Von Frank Esslin keine Spur. Ich hoffte, Andrew Quaid würde mir sagen können, wo ich meinen ehemaligen Freund, den jetzigen Söldner der Hölle, finden würde. Keinen Augenblick würde ich zögern, mich dorthin zu begeben. Aber ohne Tucker Peckinpah, denn er mußte mir erhalten bleiben. Mir fiel auf, daß der Industrielle nicht mehr neben mir saß. Es
ärgerte mich ein wenig, daß er sich dünnegemacht hatte, ohne mir ein Wort zu sagen, denn ich fühlte mich für seine Sicherheit verant‐ wortlich. Frank Esslin würde sich ein Vergnügen daraus machen, ihn um‐ zubringen, denn er wußte, daß er meine Freunde und mich damit empfindlich treffen würde. Nicht wegen des Geldes, denn Peckin‐ pah hatte schon längst dafür gesorgt, daß ich auch nach seinem Tode ein finanziell sorgenfreies Leben führen konnte. Uns hätte der Verlust des Menschen, des Freundes schmerzhaft getroffen. Als Peckinpah wieder auftauchte, befanden sich zwei Weiße in seinem Schlepptau. »Die Gentlemen sind so nett, mit uns Platz zu tauschen«, sagte er lächelnd, und ich fragte mich, wieviel er sich das kosten ließ. Jedenfalls landeten wir auf diese Weise in der dritten Reihe. Wenn ich den Arm ausstreckte, konnte ich das Seil des Ringes fast berühren. In unserer Nähe saßen die Pressefotografen mit schußbe‐ reiten Kameras. Die Sporthalle war der reinste Hexenkessel. Meine Augen be‐ gaben sich wieder auf die Suche, doch ich hatte abermals kein Glück. Frank Esslin schien nicht hier zu sein. Ich sah einen Ordner, der vor einem unwahrscheinlich hübschen schwarzhaarigen Mädchen einherwatschelte. Er führte sie zu ihrem Platz. Das Trinkgeld, das sie ihm dafür gab, ließ ihn über das ganze Gesicht strahlen. Sie schien zu spüren, daß ich sie ansah, denn sie suchte den‐ jenigen, der seinen Blick auf sie gerichtet hatte. Und sie fand meine Augen. War Überraschung in ihrem Blick? Kannte sie mich von ir‐ gendwo? Ich konnte mich nicht erinnern, sie jemals gesehen zu haben. Ein kleines Lächeln huschte über ihr bildschönes Gesicht. Ich lä‐ chelte zurück. Sie setzte sich und sah mich nicht mehr an, verlor jegliches Interesse an mir. »Ein Glück, daß Vicky Bonney nicht hier ist«, sagte Tucker Peckinpah schmunzelnd. »Sonst läge jetzt ein Gewitter in der Luft.«
Ich grinste schief. »Ich bitte Sie, man wird doch noch ein hüb‐ sches Mädchen ansehen dürfen.« »Keine Sorge, ich verrate Sie nicht. Wir Männer müssen ja zu‐ sammenhalten.« Ein Mann kletterte in den Ring. In Tansania schien ihn jedes Kind zu kennen, denn die Leute schrien sich vor Begeisterung die Kehle heiser. Er begrüßte das sportbegeisterte Publikum mit Witz und Charme und holte dann ein Mitglied der Tansania‐Staffel nach dem anderen in den Ring. Der Jubel kannte keine Grenzen. Als dann die britischen Athleten den Ring betraten, waren es Tu‐ cker Peckinpah und ich und vielleicht noch eine handvoll weiterer Leute, die den Mut aufbrachten, ihre Mannschaft mit »Bravo!«‐Rufen zu begrüßen. Ich sah mir die schwarze Boxstaffel an. Das waren erfahrene, rou‐ tinierte Burschen, mit denen es »Panther« Kilman & Co. ziemlich schwer haben würden. Die Tansania‐Mannschaft hatte ein höheres Durchschnittsalter, war aber noch jung genug, um keinen Gegner fürchten zu müssen. Ich drückte unseren Männern – das war ich ihnen als Patriot schuldig – die Daumen und hoffte, daß es auch nutzte. Der Sprecher rief ins Mikrofon: »Möge die bessere Mannschaft gewinnen!« Und es gab für keinen in dieser großen, prallgefüllten Sporthalle einen Zweifel daran, wer das sein würde. Die Athleten verließen das Seilgeviert, und kurz darauf hieß es im ersten Kampf: »Ring frei für die erste Runde!« Unser Mann schoß wie ein gereiztes Raubtier aus seiner Ecke und stürzte sich mit einer Wildheit auf seinen Gegner, die mich ängstig‐ te. Er zeigte nicht den geringsten Respekt, legte ein Tempo vor, das er unmöglich halten können würde. Es kam zum ersten offenen Schlagabtausch. »Großartig, wie beherzt der Junge boxt!« rief Tucker Peckinpah begeistert aus. »Er sollte sich seine Kraft besser einteilen«, bemerkte ich und nagte an meiner Unterlippe. »So kommt er doch nicht über zehn
Runden.« »Er scheint es auf einen K.‐o.‐Sieg abgesehen zu haben.« »Dann ist er verrückt.« »Ich sage Ihnen, der Kampf geht nicht über die gesamte Distanz, Tony«, stieß Peckinpah aufgeregt hervor. Er behielt recht. In der fünften Runde fiel die Entscheidung. Was ich nicht für möglich gehalten hatte, passierte: Unser Mann bezwang seinen schwarzen Gegner mit einem wuchtigen Schlag, und diesmal waren es ein paar Leute mehr, die es wagten, dem Engländer zuzujubeln. In der Ecke der Heimmannschaft herrschte Ratlosigkeit. Den zweiten Kampf gewann die Britenstaffel klar nach Punkten, und als ich Humphrey Tuco in den Ring steigen sah, glaubte ich zu wissen, daß auch er siegen würde. »Sehen Sie sich das an!« schrie Tucker Peckinpah. »So etwas war noch nicht da, Tony! Hier bahnt sich eine Sensation an, sage ich Ih‐ nen! Sehen Sie nur, wie Tuco seinen Gegner verprügelt! Unsere Jungs haben den Spieß glatt umgedreht! Die krassen Außenseiter dominieren das Geschehen! Ist das eine Schau! Welch ein groß‐ artiges Fest für mich!« Er verstieg sich in Superlativen und konnte sich nicht beruhigen. Mir kam die Sache irgendwie nicht ganz astrein vor. Tuco hätte seinen Gegner erschlagen, wenn der Ringrichter ihn nicht zurück‐ gedrängt hätte. Das war nicht Humphrey Tucos Art. Die Briten kämpften mit Wut und Haß in den Fäusten, so kam es mir vor. Wen haßten sie? Wer hatte ihre Wut geschürt? Vielleicht war es verrückt zu vermuten, Frank Esslin könnte hier seine Hand im Spiel haben, aber er hatte die Boxer beim Training besucht, und allein das rechtfertigte meiner Ansicht nach schon diesen Verdacht. Das Publikum, das gekommen war, um die Heimmannschaft tri‐ umphal siegen zu sehen, war sichtlich enttäuscht Immer mehr Boxfans wechselten in das Lager der Briten über, denn die boten den besseren, härteren, mutigeren Kampf. Henry Dimster und John McKenzie bereiteten ihren Gegnern
schmachvolle Niederlagen, und als Rock »Panther« Kilman in den Ring stieg, brodelte es wieder im Hexenkessel. Weiße und Schwarze jubelten ihm zu, als er sich seinem Gegner entgegenkatapultierte, und binnen zwei Runden die Sensation perfekt machte. Die britische Boxstaffel hatte sechs Siege errungen. Es war unfaß‐ bar. Der Prügelknabe hatte das Geschehen diktiert. David hatte Go‐ liath geschlagen. In der Halle spielten sich unbeschreibliche Szenen ab. Ein Großteil des Publikums war bereit, die großartige Leistung des britischen Teams anzuerkennen. Aber es gab auch Stimmen, die »Schiebung!« riefen. Oder: »Do‐ ping! Ein Skandal!« Doch der Dopingtest, der unmittelbar nach dem Kampf durchge‐ führt wurde, verlief negativ. Es war unmöglich, an Andrew Quaid heranzukommen. Foto‐, Rundfunk‐ und TV‐Reporter umringten ihn und bestürmten ihn mit Fragen. Jeder wollte für seinen Sender ein Interview haben, jeder brauchte für seine Zeitung ein Foto von dem großen Pokerspieler, der alle Welt getäuscht hatte. All das spielte sich vor der Tür ab, die in die Umkleidekabine führte. Tucker Peckinpah und ich waren dabei, und wir erfuhren, daß Trevor Dunaway, der großartige Trainer der britischen Boxstaf‐ fel, sich heute das Leben genommen hatte. Man bat Quaid, dazu Stellung zu nehmen. Ich hörte, wie Dunaway ums Leben gekommen war, und der Ma‐ nager behauptete, seine Jungs hätten sich für ihren toten Trainer so sehr verausgabt. Seinetwegen wären sie alle über sich selbst hin‐ ausgewachsen – um Trevor Dunaway in dieser Stadt ein Denkmal zu setzen. Das glaubten ihm die Reporter, und ich glaubte es ihm auch. Quaid bat die Meute, sie möge ihn entschuldigen. Er zog sich zu seinen Schützlingen zurück. Eine Ordnerkette sorgte dafür, daß nie‐ mand durchkam, aber es gibt auf der ganzen Welt bestechliche Leu‐ te, und so auch in Daressalam. Tucker Peckinpah machte den schwachen Punkt der Kette ausfindig, schmierte kräftig, und dann
durften wir zu Andrew Quaid und seiner großen Mannschaft. Der Name Tucker Peckinpah war dem Manager nicht unbekannt. »Wenn ich mich nicht irre, gehören Sie dem Club an, der dem‐ nächst dieses Dinner‐Boxing veranstaltet«, sagte Andrew Quaid. »Sehr richtig«, sagte der Industrielle lächelnd. »Da ich Ihre Schützlinge vorher schon mal in Aktion sehen wollte, kam ich nach Daressalam. Damit ich später weiß, welche Wetten ich abschließen soll.« Quaid lachte. »Ah, ich verstehe.« Peckinpah machte mich mit dem Manager bekannt, und Quaid lud uns kurzerhand zur Siegesfeier ein, mit der keiner gerechnet hatte und die nun sehr improvisiert über die Bühne gehen würde. »Da sind wir sehr gern dabei«, sagte Peckinpah. »Wo findet sie statt?« »Bevor ich mich lange um ein passendes Lokal umsehe, feiern wir gleich in der Sportschule. Wissen Sie, wo das ist? Morogoro Road …« »Wie kommen Sie dorthin?« »Mit dem Kleinbus.« Tucker Peckinpah nickte. »Tony Ballard und ich werden Ihnen mit unserem Leihwagen folgen.« »Wunderbar«, sagte Andrew Quaid und scheuchte seine Boxer auf. Sie verließen die Kabine durch eine schmale Hintertür. Polizei war da – und viele Fans, gegen die sich die Uniformierten stemm‐ ten, damit die Boxer durch konnten. Wir folgten ihnen, aber an uns waren die Fans nicht interessiert. Mich wunderte, daß die Athleten auf diese Sympathiekundgebung nicht freundlicher reagierten. Sie wirkten mürrisch und aggressiv. Wie paßte das mit dem Triumph zusammen, über den sie sich doch eigentlich freuen mußten? Schlug die Trauer um den toten Trainer nun durch? Die Sportler stiegen in ihren Kleinbus, und ich sah dieses bild‐ schöne Mädchen wieder, das mir in der Sporthalle aufgefallen war. Andrew Quaid schien sie gut zu kennen, denn er winkte sie zu sich, und sie bestieg ebenfalls den Bus. Wir schlugen uns nach links durch die Menge und beeilten uns,
zu unserem Leihwagen zu kommen. Tucker Peckinpah strahlte vor Glück. »Wer hätte das gedacht? Der Sieg über die Tansania‐Staffel wird in die Boxgeschichte einge‐ hen. Unser Dinner‐Boxing ist auf einmal keine gewöhnliche Veran‐ staltung mehr, der nur wenig Beachtung geschenkt wird. Sie rückt damit in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses.« Ich rutschte hinter das Steuer und startete den Motor. Tucker Peckinpah nahm neben mir Platz und verpestete die Luft mit einer neuen Zigarre, die er sich genußvoll anzündete. Ich ließ den Wagen langsam anrollen. Der Kleinbus, in dem sich die britische Boxstaffel befand, bog soeben in die Ghana Avenue ein. Ich hängte mich dran. Wir fuhren zur Jamhuri Street weiter und bogen bald danach in die Morogoro Road ein. Die Sportschule befand sich am Stadtrand von Daressalam. Andrew Quaid bewies großes Organisationstalent. Im Nu stand ein Saal für die Siegesfeier zur Verfügung. Die Tische wurden zu einer langen Tafel zusammengeschoben und mit weißen Tüchern be‐ deckt. Im Handumdrehen war die Feier im Gange – und diesmal wunderte ich mich, wie fröhlich die Boxer waren. Keiner von ihnen trauerte in diesem Moment um Trevor Dunaway. Den Mann, der ihnen das Fighten beigebracht hatte, schienen sie alle vergessen zu haben. Wir saßen bei Quaid. Das Mädchen hieß Jill Cranston. Ich hatte den Eindruck, Andrew Quaid würde mit ihr ein Verhältnis haben. Manchmal tauschten die beiden glühende Blicke. Mir war es nur peinlich, daß Jill Cranston – wenn es Quaid nicht bemerkte – mir die gleichen leidenschaftlichen Blicke zuwarf. Worauf war sie aus? Genügte ihr der Manager nicht? Obwohl sie so schön war, störte mich irgend etwas an ihr. Ich konnte aber nicht herausfinden, was es war. Vielleicht stieß es mich ab, daß sie es darauf anlegte, zweigleisig zu fahren. Dafür war ich noch nie zu haben gewesen. Auch früher nicht, als ich Vicky Bonney noch nicht gekannt hatte. Während des köstlichen Essens, das der Küchenchef für uns auf
den Tisch zauberte, unterhielt sich Tucker Peckinpah sehr angeregt mit Andrew Quaid über das bevorstehende Dinner‐Boxing. Jill Cranston seufzte. »Ich wollte, ich könnte es miterleben.« Ich lächelte. »Ladies haben leider keinen Zutritt zu dieser Veran‐ staltung.« »Finden Sie das richtig, Mr. Ballard?« »Der Club hat eine alte Tradition, die man immer noch hochhält. Er ist eine Insel. Die Männer ziehen sich dorthin zurück, wenn sie unter sich sein wollen.« »Wir Frauen sollten uns auch solche Inseln schaffen.« »Das steht dem weiblichen Geschlecht natürlich frei.« »Warum schufen sich die Männer solche Clubs? Sind das alles Frauenhasser?« »Keineswegs«, schaltete sich Tucker Peckinpah ein, der unser Gespräch mitgehört hatte. »Viele Clubmitglieder sind verheiratet. Doch ab und zu möchten sie ungestört mit Gleichgesinnten zu‐ sammentreffen. Der Club bietet ihnen diese Möglichkeit.« »Die Vorschriften, daß Frauen zu den Clubräumen keinen Zutritt haben, sollten geändert werden«, forderte Jill Cranston. »Wenn es dazu käme«, erwiderte Peckinpah lächelnd, »wären die Clubs dem Untergang geweiht.« Ich erzählte Quaid von dem Videofilm, den ich bei Tucker Peckinpah gesehen hatte, und kam damit zu einem Thema, das mich mehr als alles andere interessiere. Natürlich wußte Andrew Quaid von den Aufnahmen. Sie waren mit seinem Einverständnis gemacht worden. »Während ›Panther‹ Kilman und Humphrey Tuco im Ring sparr‐ ten«, fuhr ich fort, »fiel mir im Hintergrund ein Mann auf, der sich den Sparringskampf ansah. Verwundert stellte ich fest, daß es sich hierbei um einen guten alten Freund handelte. Frank Esslin ist sein Name. Kennen Sie ihn?« Der Manager dachte nicht lange nach. Er schüttelte sofort den Kopf. »Ich höre diesen Namen zum erstenmal.« Ich beschrieb Frank so genau, daß man danach eine Zeichnung hätte anfertigen können. Quaid kratzte sich hinter dem Ohr. Seine
Augen verengten sich. »Ja, ich glaube, ich erinnere mich an diesen Mann.« »Haben Sie mit ihm gesprochen?« fragte ich hastig. »Nur ganz kurz.« »Was wollte er hier?« »Er interessierte sich für die Arbeit meiner Jungs. Ist aber kein Fachmann auf dem Gebiet. Sein Interesse war rein privater Natur.« »Erinnern Sie sich noch an das, was Sie mit ihm sprachen?« wollte ich wissen. Der Manager schüttelte den Kopf. »Leider nein. Ich hatte so viel um die Ohren, daß ich froh war, daß der Mann mich nicht lange aufhielt.« »Wissen Sie zufällig, wo er wohnt?« »Keine Ahnung, Mr. Ballard.« »Schade«, sagte ich enttäuscht. »Ich hätte ihn gern wiedergese‐ hen.« Mist, dachte ich. War die Flugreise umsonst? Hat sich Frank schon wieder aus dem Staub gemacht? Wo ist er jetzt? Frank, ver‐ dammt, wo bist du? »Ich kenne Frank Esslin auch«, sagte Jill Cranston zu meiner Überraschung. »Er sprach mich vor der Sportschule an. Er ist Ame‐ rikaner, nicht wahr?« »Ja«, bestätigte ich schnell. »Er wohnte … wohnt in New York.« »Ich fand ihn sehr amüsant.« Oh, du weißt nicht, wie »höllisch« interessant Frank Esslin sein kann, Mädchen! dachte ich. Du ahnst ja nicht, wieviel Glück du hattest, daß dir nichts zustieß, denn Frank Esslin ist heute so tödlich wie eine Klapperschlange! »Er lud mich zu einem Drink ein«, sagte das schwarzhaarige Mädchen. »Zu sich nach Hause.« »Und Sie haben die Einladung angenommen?« »Warum nicht? Ich war davon überzeugt, daß er sich wie ein Gentleman benehmen würde, und er hat mich nicht enttäuscht.« Lieber Himmel, dachte ich. Sie war bei ihm und hat es überlebt. Ein Wunder. Es geschehen doch noch Zeichen und Wunder. Was ist
los mit dir, Frank Esslin? Wieso hast du das Leben dieses Mädchens verschont? Seid ihr nicht ständig auf der Suche nach Men‐ schenseelen, mit denen ihr euch eine bessere Position in der Höllen‐ hierarchie erkaufen könnt? Sind Menschenseelen nicht mehr die Währung Nummer eins in der Hölle? Sie war bei ihm! hämmerte es in meinem Kopf. Sie weiß, wo er wohnt, wo sich sein Schlupfwinkel befindet! Frank, jetzt kriege ich dich doch! Ich fragte das Mädchen nach Franks Adresse. Sie konnte sie mir nicht nennen, aber sie sagte: »Wenn Sie möchten, bringen ich Sie hin.« Und wie ich das wollte.
* Zanaza – es gab ihn noch! Nachdem das Ungeheuer Kemba, den Lkw‐Fahrer, verschlungen hatte, zog es sich in den leeren Laderaum des Fahrzeugs zurück. Aus der grauenerregenden Bestie wurde wieder ein Mensch. Zanaza legte sich satt auf die rissigen Bretter. Sein Hunger war bis auf weiteres gestillt. Sollte er sich wieder melden, würde sich das Scheusal eben nach einem neuen Opfer umsehen. Trotz des vorbeirollenden Verkehrs schlief der Neger wie ein To‐ ter. Erst als es Abend wurde, erwachte er, und eine lästige Unruhe befiel ihn. Das Wesen in ihm spürte, daß es nicht mehr allein war. Es gab noch andere Ungeheuer, die aber noch nicht so weit waren wie er. Sie entwickelten sich langsamer. Seine Entwicklung war nur durch die zweite Pille so heftig beschleunigt worden. Zanaza fühlte sich zu Seinesgleichen hingezogen. Er wollte ihre Nähe suchen, mit ihnen vereint sein. Als sie in der Sporthalle kämpften, stand Kembas Lkw nicht weit davon entfernt auf der Straße, und als die Boxer mit dem Minibus zum Trainingslager zurückfuhren, folgte ihnen Zanaza. Nun saß er im Lkw, dessen Motor er abgestellt hatte, und ein glü‐
hendes Brennen befand sich in seinem Magen. Schon wieder Hunger? Er bleckte die Zähne und schlug mit den Fäusten auf das Lenkrad. Die Gier nach weichem, warmem Menschenfleisch wuchs in der Bestie. Zanaza fragte sich, ob die Wesen ihn unterstützen würden, wenn er über die Menschen herfiel, die sich in der Sportschule befanden. Sie sind noch nicht so weit, dachte er. In ihnen reift der Keim langsam, also kannst du mit ihrer Hilfe noch nicht rechnen. Aber sie werden wissen, daß sie einen »Bruder« vor sich haben, wenn sie dich sehen. Und sie werden erkennen, daß sie eines Tages genauso sein werden wie du. Jetzt ernähren sie sich noch von Gekochtem, Gebratenem, Gebackenem. Doch damit wird es bald vorbei sein, und dann wird sie der gleiche Hunger quälen wie dich. Er blieb nicht länger im Lastwagen. Ungestüm stieß er die Tür auf und sprang aus dem Fahrzeug. Mit Schwung warf er die Tür zu, eilte um den Lkw herum und verschwand zwischen Büschen in der Dunkelheit. Andrew Quaid hatte dafür gesorgt, daß sämtliche Türen der Sportschule abgesperrt wurden. Kein ungebetener Gast sollte die Siegesfeier stören. Fürs erste mußte den Reportern reichen, was er ihnen gesagt hatte. Morgen würde er sich mit seiner Mannschaft im Rahmen einer Pressekonferenz noch einmal den Reportern stellen. Doch diese Nacht sollte ihm und seinen Athleten gehören. Jenen Athleten, zu denen sich Zanaza so stark hingezogen fühlte, weil sie innerlich schon so waren wie er. Der Schwarze schlich durch die Finsternis. Er erreichte die Rück‐ front des verschachtelten Gebäudes. Als er seinen Fuß auf die Stelle setzte, wo Trevor Dunaway aufgeprallt war, spürte er, daß hier erst kürzlich ein Mensch sein Leben verloren hatte. Sofort durchlief ihn ein brennendes Prickeln. Er sank auf die Knie und strich mit der Hand über den rauhen Beton. Man hatte das Blut zwar gründlich weggewaschen, aber Zanaza fühlte noch Spuren des Todes, und das stachelte seine Gier an. Schwer atmend erhob er sich. Sein grausamer Blick richtete sich auf eine erhellte Fensterfront. Leben! Dort war Leben!
Er schlich darauf zu, erreichte das erste Fenster und blickte in eine große blitzsaubere Küche mit Nirosta‐Herden und weißen Fliesen an den Wänden. Drei Köche sah er. Sie wieselten umher, ta‐ ten sehr geschäftig und bemerkten ihn nicht. Zanaza stand reglos da. Sein gieriger Blick folgte den Männern, die sich bemühten, die kleine Runde draußen im Speisesaal zufriedenzustellen. Einer der Köche schien Zanazas Blick auf sich ruhen zu spüren. Er hielt in der Arbeit inne und wandte sich dem Fenster zu. Als er den koloßhaften Neger erblickte, setzte er eine ärgerliche Miene auf. Entschlossen begab er sich zum Fenster. Zanaza grinste ihn frech an. Der Koch öffnete das Fenster und fragte mit schneidender Stimme: »Was wollen Sie? Was haben Sie hier zu suchen?« »Ich habe Hunger«, knurrte Zanaza. »Dies ist kein Wohlfahrtsinstitut!« »Ich kriege, was ich brauche!« »Machen Sie, daß Sie wegkommen, sonst sorge ich dafür, daß Sie eine ordentliche Tracht Prügel kriegen.« Etwas schien plötzlich tief in Zanazas Gesicht zu schneiden. Ein unsichtbares Skalpell, das bis zum Knochen durchdrang. Von der Stirn bis zum Kinn klaffte das Gesicht des Mannes auf, und sein Ge‐ biß schoß auf den Koch zu. Gleichzeitig verformte sich der Schädel, die Zähne wurden fingerlang, und das Scheusal bekam ein Maul, das so groß war, daß es dem Koch den Kopf mit einem einzigen Biß vom Rumpf trennen konnte. Der Mann mit der weißen Mütze schnellte mit einem grellen Schrei zurück. Einer seiner Kollegen ließ vor Schreck mehrere Teller fallen, die auf dem Kachelboden zerschellten. Wie gelähmt sahen die Köche, was einem von ihnen passierte. Weit war das Höllenmaul aufgerissen, und es wuchs noch mehr. Aus Zanazas Brust brachen zwei dürre Arme hervor, die in Greif‐ zangen mündeten. Mit diesen Hornzangen packte das Ungeheuer den verdatterten, entsetzten Koch. Sie rissen ihn zum Fenster, und das riesige Maul
stülpte sich über den Kopf des Mannes.
* Als ich den gellenden Schrei hörte, fuhr ich wie elektrisiert hoch. So schreit keiner, der sich bloß die Hand verbrennt. Einen solchen Schrei stößt nur ein Mensch aus, der sich in Lebensgefahr befindet. Ich hörte ihn nicht zum erstenmal. Immer wieder drang er an mein Ohr, doch nicht immer konnte ich helfen. Ich hoffte, daß es mir jetzt möglich war. Die Boxer starrten mich an. Keinem wäre es in den Sinn gekom‐ men, gleichfalls aufzuspringen. Was war mit ihnen los? Ließ sie der Todesschrei eines Menschen kalt? Ich stürmte los, auf die Küchentür zu. Im Vorbeirennen fing ich einen Blick von Jill Cranston auf. Machte sie sich Sorgen um mich? Schrien mir ihre Augen zu, ich solle auf mich aufpassen? Oder bildete ich mir das nur ein? »Meine Güte …!« hörte ich Andrew Quaid stöhnen. Er quälte sich wenigstens hoch. Und natürlich schnellte auch Tucker Peckinpah empor, und ich konnte nur hoffen, daß er nicht den Fehler machte, mir zu folgen. Mit langen Sätzen näherte ich mich der Küchentür. Sie erhielt von mir einen Tritt und knallte gegen die Wand. Ein weiter Sprung beförderte mich bis zu einer Tiefkühltruhe, und dann sah ich, was im Gang war. Es war so grauenvoll, daß es mir – obwohl ich einiges gewöhnt bin – den kalten Schweiß aus den Poren trieb. Ich erblickte ein Ungeheuer, das man kaum beschreiben kann, denn kaum war die Beschreibung fertig, da stimmte sie schon nicht mehr. Das Monster war zum Teil quallig und glatt, zum Teil be‐ haart, schien Hunderte von Armen und Beinen zu haben, und es gab Dutzende von scheußlichen Köpfen. Und inmitten all dessen befand sich eine riesige schwarze Öff‐ nung, die mit Speichelblasen bedeckt war, und in die die Bestie so‐
eben zwei Menschenbeine schob. »Hinaus!« schrie ich den starren Köchen zu. »Bringt euch in Si‐ cherheit!« An meine eigene Sicherheit dachte ich nicht. Stumpfe Horror‐Augen glotzten mich an, und dann pfiff etwas Dunkelgrünes durch die Luft, das Ähnlichkeit mit einem Lasso hatte. Die Schlinge fiel auf mich herab. Ich sprang zur Seite, die Schlinge folgte mir. Krallen schossen aus ihr hervor. Ich konnte nicht verhindern, daß die verdammte Schlinge über meinen Körper fiel. In Brusthöhe zog sie sich mit einem gewaltigen Ruck zu‐ sammen. Ich verlor das Gleichgewicht und fiel. Die Schlinge schleifte mich über den glatten Boden, auf das Ungeheuer zu. Es hatte soeben einen Menschen gefressen, wollte noch einen verschlingen, und das sollte ich sein. Die Krallen bohrten sich durch alles, was ich anhatte und gruben sich schmerzhaft in mein Fleisch. Ich biß die Zähne zusammen, knallte mit dem Kopf gegen einen Kühlschranksockel, sah Sterne und hörte die Engel singen. Vor mir schob sich etwas Klebrig‐Glattes über den Boden auf mich zu. Es erinnerte mich entfernt an eine Zunge. Gelb war sie, mit violetten Streifen darin. Das Ding flatterte an den Rändern hoch, während mich die Schlinge darauf zuzog. Ich drehte mich auf den Rücken und setzte meinen magischen Ring gegen diesen krallenbewehrten, lebenden Strick ein. Sofort war ich frei. Schrill pfeifend schnellte die Schlinge zurück. Dafür erschien über mir eine Faust mit nur drei Fingern. Sie war größer als mein Kopf und sauste auf mich herab. Ich rollte zur Seite. Die Faust landete neben mir auf den Fliesen und zertrümmerte sie. Respektlos stieß ich meinen Ring in ihre Richtung. Die drei Klauen öffneten sich und der Arm flitzte nach oben, aber meine Situation war immer noch kritisch, denn die Zunge versuchte sich unter meinen Körper zu schieben. Beinahe hätte sie es geschafft.
Im allerletzten Augenblick fiel mir auf, was sie beabsichtigte, und hämmerte mit der Faust darauf. Wie ein glühender Stempel prägte sich mein magischer Ring in diesen weichen Lappen. Es zischte und dampfte. Ein Qualm stieg mir in die Nase, daß mir davon beinahe übel wurde. Fäulnis breitete sich von jenem Punkt, den ich getroffen hatte, nach allen Seiten aus. Die Zunge rollte sich ein und zog sich blitzschnell von mir zu‐ rück. Dieser Erfolg ließ mich hoffen, daß ich mit der Bestie fertig‐ werden konnte. Doch sie gab sich noch nicht geschlagen. Ich sprang auf. Das Ungeheuer wucherte wie riesiger Schwamm zum Fenster herein. Woher kam es? War dieses schreckliche Scheusal etwa mein einstiger Freund Frank Esslin? So erleichterte er es mir wenigstens, ihn zu töten, denn was da zum Fenster hereinkam, hatte nicht im Entferntesten Ähnlichkeit mit einem Menschen und schon gar nicht mit Frank. Aus den Schwammbeulen wurden häßliche kleine Köpfe. Ich sah grauenerregende Fratzen, Ausgeburten einer entarteten Phantasie. Ekeliges Gewürm verbreitete sich in der Küche. Schädel, die auf langen Stangen zu stecken schienen, rasten auf mich zu, als würden sie aus dem Schwamm herausgestoßen. Ich drosch mitten hinein in die widerlichen Fratzen. Es war ein gefährlicher Reaktionstest. Ich wußte nie, wann und aus welcher Richtung der nächste Angriff kam. Vollste Konzentrati‐ on war nötig, doch die verpatzte mir im nächsten Moment Tucker Peckinpah. Es schien ihm schon zu lange gedauert zu haben, seit ich in die Küche gestürzt war. Von den Köchen hatte er vermutlich inzwi‐ schen erfahren, was hier los war, und wahrscheinlich trieb ihn die Sorge um mich hier rein. Das sollte sich rächen. »Tony!« rief der Industrielle. Damit lenkte er mich für einen Sekundenbruchteil ab. Und schon nützte die Höllenbestie ihre Chance. Menschenhände waren auf einmal da, die mich bei den Fußknöcheln packten und hochrissen.
Ich sah die Welt auf einmal verkehrt, hing mit dem Kopf nach unten, pendelte hin und her. Aus zwei Fingern wurden schwarze Schlangen, die sich um meine Beine ringelten. Peckinpah, der begriff, was er angerichtet hatte, raufte sich die wenigen Haare, die er noch hatte. »O mein Gott!« stöhnte er, wäh‐ rend die Menschenhände mich zum Ungeheuer holten. Er wollte mir zu Hilfe eilen. Schon wieder ein Fehler. Wie wollte er mir denn helfen? »Zurück!« brüllte ich, obwohl ich um mich selbst fürchten mußte. »Bleiben Sie stehen!« Doch Peckinpah hörte nicht auf mich. Er sprang – oder stolperte er? … Jedenfalls flog er auf mich zu. Mit ausgebreiteten Armen. Er ergriff meine Hände und stemmte sich gegen den Zug des Unge‐ heuers. Es lag nicht daran, daß er sechzig war – auch kein Jüngerer hätte es zuwege gebracht, mich dem Scheusal zu entreißen. Ich konnte mir nur selbst helfen. Blitzschnell schüttelte ich Peckinpahs Hände ab. Er meinte es gut, aber er brachte sich damit nur unnütz in Gefahr. Vor mir öffneten sich tellergroße Augen und starrten mich gierig an. Ich schnellte meine Füße hoch und schlug nach dem rechten Ge‐ lenk, während sich unter mir ein schwarzes, zahnloses Maul auftat. Mein Ring traf die Schlangenpranke. Sie fiel von mir ab. Ich wippte nach unten, spannte meine Bauchmuskeln gleich wieder an und federte erneut hoch. Treffer mit dem magischen Ring. Nichts hielt mich mehr fest. Ich fiel, nahm den Kopf zur Seite, wie man es mir beim Judo‐ training beigebracht hatte, krümmte den Rücken, landete auf dem Boden, rollte mit Schwung ab und kam sofort wieder auf die Beine. Da drang das Röcheln eines Menschen an mein Ohr. Ich brauchte mich nicht umzudrehen, um zu wissen, wer diese schaurigen Laute ausstieß. Es konnte nur Tucker Peckinpah sein! Wie von der Natter gebissen fuhr ich herum, und dann blieb mir vor Entsetzen das Herz stehen!
* Von den sechs Boxern fühlte sich Henry Dimster nach Einnahme der Satanspille am großartigsten. Er strotzte vor Kraft, war selbstbe‐ wußt und bedauerte, sich in der Sporthalle an die Regeln gehalten zu haben. Dimster fühlte sich so gut, daß er meinte, die Welt aus den Angeln heben zu können. Und das nach Einnahme einer einzigen Pille. Wie prächtig mußte er sich erst fühlen, wenn er noch eine zweite Tablette schluckte? Von den Köchen hatte er erfahren, was sich in der Küche ab‐ spielte, und er war damit einverstanden. »Panther« Kilman und die anderen dachten wie er, das sah er ihnen an. Sie fühlten sich mit jenem Ungeheuer, das in der Küche wütete, auf eine unerklärliche Weise verbunden, spürten die Entwicklung in sich, die sie ebenfalls zu einer solchen Bestie machen würde. Dimster ging das nicht schnell genug, deshalb entschloß er sich, sich eine zweite Tablette zu holen. Unbemerkt verließ er den Saal. Niemand durfte sich ihm in den Weg stellen, auch Andrew Quaid nicht. Dimster würde kurzen Pro‐ zeß machen, und es würde ihn nicht reuen. Seine Miene verzog sich zu einem grimmigen Ausdruck. Die Droge hatte ihn mit »Panther« Kilman und den anderen stark zu‐ sammengeschweißt. Quaid hingegen war für ihn zum Fremdkörper geworden, obwohl er von diesem die Pille erhalten hatte. Anders verhielt es sich mit Jill Cranston. Die gehört irgendwie zu uns, dachte Henry Dimster. Sie ist nicht bloß irgendein Mädchen. Jill Cranston ist etwas Besonderes. Ein Mädchen mit einmaligen Beziehungen. Er konnte sich vorstellen, daß diese Beziehungen bis tief hinab in die Hölle reichten. Dimster hätte gern mehr über dieses außerge‐ wöhnliche Mädchen erfahren. Woher kam sie? Was steckte wirklich hinter dieser bildschönen Fassade, von der sich die Menschen so leicht täuschen ließen? Wo‐
her hatte sie die Tabletten? Arbeitete sie mit den Mächten der Fins‐ ternis zusammen? War sie ein Mitglied dieser schwarzen Mächte? Dimster ahnte nicht, daß er mit diesen Gedanken den Nagel haargenau auf den Kopf getroffen hatte. Er spürte, daß er zu Jill Cranston vollstes Vertrauen haben konnte, daß er von ihr jede Un‐ terstützung erwarten durfte. Sie ist eine von uns! sagte er sich, während er den Gang entlang‐ schlich. Wer hätte gedacht, daß es mit mir einmal eine solche Wendung nehmen würde … Dimster erreichte die Treppe. Er lauschte. In der Küche ging es immer noch rund. Der Boxer schlich die Stufen hoch. In Ipswich war er als junges Boxtalent sehr bald nach seinem Ein‐ stieg aufgefallen. Seine Mutter war von Anfang an dagegen ge‐ wesen, daß er Boxer wurde. »Das ist kein vernünftiger Sport für einen jungen, gesunden, vernünftigen Menschen!« hatte sie energisch gesagt. »Brutale Prügelszenen in einem Seilgeviert – und ringsherum sitzen Bestien, die dich anfeuern und Blut sehen wollen. Abscheulich ist das. Du bist so ein hübscher Junge, Henry. Warum willst du dir deine schöne Nase einschlagen lassen? Vielleicht triffst du mal auf einen Gegner, der dich zum Idioten, zum geistigen Krüppel schlägt. Oder er erschlägt dich überhaupt. Sag nicht, so etwas könnte dir nicht passieren. Mit dieser Überzeu‐ gung sind schon viele Männer in den Boxring gestiegen, und als Leichen hat man sie hinausgetragen.« Er hatte ihr kaum zugehört. Ihre Argumente gingen ihm beim linken Ohr hinein und beim rechten ungehört wieder raus. Und er wurde Boxer. Aus Leidenschaft. So hart wie er arbeitete keiner in seiner Boxschule, die andern dachten, es müsse auch mit weniger Fleiß gehen, aber sie irrten sich. Das merkten sie spätestens dann, wen sie gegen Dimster kämpfen mußten. Er hatte ein sicheres Auge und eine schnelle Faust, und Faust – »Fist« – wollte er sich später einmal nennen. Henry »Fist« Dimster sollte auf den Plakaten stehen. Es dauerte nicht lange, da wurde Andrew Quaid auf ihn auf‐
merksam. Eines Tages erschien der Manager in der nach dem Schweiß des Eifers riechenden Boxschule. Man hatte ihm einen Tip gegeben, und er war von London nach Ipswich gefahren, um sich Henry Dimster anzusehen. Nach dem Training lud der Manager den Boxer zum Dinner ein. Für Dimster war das eine große Ehre, die er zu schätzen wußte. »Sie sind auf dem richtigen Weg«, sagte Quaid. »Ich möchte Sie mit einem glühenden Eisen vergleichen. Bestes Material, aber es ge‐ hört noch geschmiedet. Wenn Sie in Ipswich bleiben, wird die Glut eines Tages erlöschen, ohne daß Sie jemals Ihre ganz große Form er‐ reichten.« »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir helfen würden, Mr. Quaid«, sagte Dimster. »Ich bin gerade dabei, eine junge Boxstaffel aufzustellen, die in absehbarer Zeit alles schlagen soll, was ihr entgegengestellt wird. Sie würden meines Erachtens großartig in diese Crew passen. Wä‐ ren Sie bereit, bei mir einzusteigen?« Dimster strahlte vor Glück. »Ich wüßte nicht, was ich lieber täte.« »Sie müßten nach London ziehen.« »Kein Problem.« »Sie müßten sich an ein Leben aus dem Koffer gewöhnen, denn wir werden die ganze Welt bereisen.« »Darauf freue ich mich, Mr. Quaid.« Der Manager gab ihm seine Karte und sagte ihm, er solle sich in den nächsten Tagen bei ihm in seinem Londoner Büro melden. Das hatte Henry Dimster getan. Seine Mutter weinte, als er Ipswich ver‐ ließ, aber das hatte seiner Meinung nach nichts zu bedeuten. Sie weinte häufig, mal vor Freude, mal aus Kummer. Damals hatte sie wohl aus Freude und Kummer geweint, denn ein wenig stolz war sie auf ihren tüchtigen Jungen schon. Dimsters Vater hatte ihm kräftig die Hand gedrückt und mit dröhnender Stimme gesagt: »Mach’s gut mein Sohn, und mach deinem alten Herrn keine Schande, sonst komme ich und haue dir die Hucke voll.« So war Henry Dimster zu Quaids Staffel gestoßen. Im ersten Jahr
hatten sie alles aus dem Ring gefegt, was man ihnen vor die Fäuste stellte, aber sie wußten, daß sie noch nicht die Größten waren. Es hätte härtere Gegner gegeben, doch denen wich Andrew Quaid ge‐ schickt wie ein Steuermann, der durch Riffgewässer fährt, aus. Und dann war das verlockende Angebot aus Tansania gekom‐ men. Quaid hatte seine Mannschaft vergattert und gesagt: »Jungs, nun kommt für euch die Stunde der Wahrheit. Die Zeit der weichen Gegner ist vorbei. Jetzt wird mal hart gearbeitet. Höchstwahr‐ scheinlich werdet ihr alle, ausnahmslos, in Daressalam Prügel be‐ ziehen. Das ist nicht so schlimm. Man muß auch verlieren können. Es kommt nur darauf an, wie man verliert. Kämpft wie die Löwen und verliert mit Anstand und Würde, dann wird euch das Boxpu‐ blikum fest in sein Herz schließen.« Mit diesen Aussichten waren sie nach Tansania gereist. Krasse Außenseiter. Abgestempelte Verlierer. Ein Fraß für die Tansania‐ Crew. So bezeichnete sie die Sportpresse, doch sie ließen sich nicht entmutigen und hatten keine Angst vor dem Kampf, den sie nicht gewinnen konnten. Aber dann dieser Umschwung durch die grandiosen Kraftpillen. Niemand hätte das für möglich gehalten. Die Boxwelt stand Kopf. Die Fachleute standen vor einem Rätsel. Wie hatte man sich so irren können? Henry Dimster grinste. Und es geht weiter! dachte er. Bald sind wir in London. Dort sorgen wir für die nächste Sensation. Die Höl‐ lencrew kann keiner mehr schlagen! Er erreichte den ersten Stock, eilte weiter. In der zweiten Etage schlich er bis zum Ende des Korridors. Vor Quaids Zimmertür blieb er stehen. Ein verächtlicher Ausdruck huschte über sein Gesicht. Andrew Quaid mußte sich vor ihnen in acht nehmen. Er gehörte nicht zu ihnen. Zwar hatte er ihnen die Teufelspillen gegeben, aber Dankbarkeit kam in ihrem Vokabular nicht mehr vor. Die Staffelmitglieder betrachteten den Manager ebenso als Gegner wie zum Beispiel diesen Tony Ballard oder den Industri‐ ellen Tucker Peckinpah – oder jeden anderen Menschen, der keinen
Keim des Bösen in sich trug. Dimster legte die Hand auf den Türknauf. Er war aufgeregt. Die Tür war abgeschlossen. »Mist!« schimpfte der Boxer, obwohl er eigentlich damit gerech‐ net hatte. Er sah sich das Schloß an. Für einen Einbrecher wäre es eine Kleinigkeit gewesen, dieses Schloß zu knacken. Da Dimster in so et‐ was jedoch keine Übung hatte, aber auf jeden Fall in das Zimmer hinein mußte, setzte er das ein, wovon er am meisten zu bieten hatte: Kraft. Er wuchtete sich gegen die Tür. Das Holz knackte zwar, gab aber nicht nach. Doch beim vierten Versuch brach das Schloß aus dem Holz, und die Tür schwang auf. Dimster trat ein und kickte die Tür hinter sich zu. Er schaute sich um. Wo hatte Andrew Quaid die Satanspillen versteckt? Schweiß trat Henry Dimster auf die Stirn. Er hatte keine Geduld, gierte nach einer Verstärkung der Drogen‐ wirkung. Wie ein Süchtiger, der den Beginn von Entzugserschei‐ nungen spürte, benahm er sich. Fürs Durchsuchen des Zimmers nahm er sich nur so viel Zeit, wie es unbedingt nötig war. Das bedeutete, daß er aus dem Schrank alles herausriß, es kurz filzte und auf den Boden warf. Nichts legte er an seinen Platz zu‐ rück. Das wäre für ihn mit zuviel Zeitaufwand verbunden gewesen. Die Folgen waren ihm egal. Es ging ihm nur darum, so rasch wie möglich die Kraftpillen zu finden. Er wußte, daß Quaid nicht alle ausgeteilt hatte. Zehn Stück hatte er gehabt, sechs Boxer hatte er da‐ mit gefüttert, mußten noch vier Tabletten vorhanden sein. Dimster holte den Koffer vom Schrank herunter, warf ihn aufs Bett, öffnete ihn. Leer. Aber Dimster überzeugte sich davon, daß sich auch unter dem Futter nichts befand, indem er es herausfetzte. Anschließend warf er den Koffer hinter sich auf den Boden, zerwühlte das Bett, schlitzte mit einem Messer die Matratzen auf, wütete wie ein Berserker. Die Erfolglosigkeit machte ihn rasend. Er knurrte aggressiv, eilte ins Badezimmer, fegte mit einem Handstreich alles herunter, was sich auf der Ablage befand, riß den
Spiegelschrank auf und … fand endlich die kleine runde Schachtel, in der sich die Höllendroge befand. Jetzt grinste er. Sein Gesicht zuckte vor Aufregung. Er nahm den Deckel ab und starrte gierig auf die vier Tabletten. Vier! Sollte er gleich alle vier einwerfen? Er nahm eine und schleuderte sie sich in den Rachen …
* Mehr als zwei Meter groß, muskulös, breitschultrig, mit perlmutt‐ farbenen Augen und Haaren und Augenbrauen, die aus puren Silberfäden bestanden – das war Mr. Silver. Er war kein Mensch, sondern ein ehemaliger Dämon, der der Silberwelt entstammte, die heute nicht mehr existierte, weil Asmo‐ dis sie in seinem Zorn verwüstete. Von Metal, dem Silberdämon, wußte Mr. Silver, daß den Höllen‐ sturm, den Asmodis schickte, kaum jemand überlebt hatte. Vor langer Zeit hatte der heutige Ex‐Dämon die Silberwelt verlassen und sich geweigert, nach den Gesetzen der Hölle zu leben, worauf man ihn so lange jagte, bis man seiner habhaft wurde. Er sollte sterben, und er hätte sein Leben verloren, wenn ihn Tony Ballard nicht gerettet hätte. Seither war er mit Tony zu‐ sammen, und sie bekämpften die schwarze Macht mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln. Das war in Mr. Silvers Fall eine ganze Menge, denn er besaß im Gegensatz zu Tony Ballard übernatürliche Fähigkeiten. Wo immer der Hüne mit den Silberhaaren auftauchte, fiel er lo‐ gischerweise auf. Manche hielten ihn für einen Spinner und sein silbernes Haar für eine lächerliche Marotte. Sie drehten sich nach ihm um und schüttelten hinter ihm den Kopf. An all das hatte er sich im Laufe der Jahre gewöhnt. Es störte ihn nicht mehr. Mit leichtem Handgepäck schritt der große Bursche durch die
Ankunftshalle des Airports. Die Linienmaschine – von London kommend –, war soeben gelandet. Der Ex‐Dämon war während sei‐ ner Abwesenheit nicht untätig gewesen. Er suchte in der Umge‐ bung von London nach starken magischen Kraftfeldern, über die er schwarze Wesen zu kontaktieren versuchte, denn genau wie Rox‐ ane, seine Freundin, wollte auch er herausfinden, wo sich Loxagons Grab befand. Er hatte vieles unternommen, doch es hatte sich kein Erfolg ein‐ gestellt. Enttäuscht hatte er sich nach Hause begeben und von Vicky Bonney erfahren, daß Tony Ballard ihn in Daressalam gern an sei‐ ner Seite gehabt hätte, denn Frank Esslin habe sich dort blicken lassen. Frank, der einstige Freund. Auch Mr. Silver erfaßte Wehmut bei dem Gedanken, daß sie Frank Esslin verloren hatten. Frank zu tö‐ ten, gefiel dem Ex‐Dämon ebensowenig wie Tony Ballard und allen andern, die früher mit dem sympathischen Amerikaner befreundet gewesen waren. Es muß eine andere Lösung geben! Das war Mr. Silvers Meinung, aber was sollte mit Frank Esslin geschehen, bis sie diese Lösung ge‐ funden hatten? Sie konnten ihn nicht inzwischen einfach weiterma‐ chen lassen, denn Frank war versessen darauf, eine höhere Position in der Höllenhierarchie einzunehmen. Frank Esslin war sich zu gut für einen gewöhnlichen Laufbur‐ schen, der für andere die Arbeit machte, die ihnen zuwider war. Man mußte ihn einfangen, unschädlich machen und vorerst ein‐ mal auf Eis legen. Dann konnte man weitersehen, wie Frank Esslin zu helfen war. Doch leicht würde es nicht sein, Frank zu kriegen, das wußte Mr. Silver jetzt schon, denn ihm war bekannt, mit welchem Eifer Frank Esslin seine Ziele zu verfolgen gewöhnt war. Jetzt, wo er auf der anderen Seite stand, ging dieser Söldner der Hölle über Leichen! Mit besonders großem Vergnügen sogar über die Leichen seiner einstigen Freunde. Das zu verhindern, sah Mr. Silver als seine vor‐ dringlichste Aufgabe an, wobei er natürlich die Suche nach Loxag‐
ons Grab nicht aus dem Auge lassen durfte, denn es war wichtig für ihn – vielleicht sogar lebenswichtig –, so bald wie möglich den Namen des Höllenschwerts zu erfahren, damit sich diese starke, eigenwillige Waffe nicht eines Tages gegen ihn wandte. Der Hüne steuerte den Informationsschalter an. Ein hübsches, dunkelhäutiges Mädchen bedachte ihn mit einem freundlichen Blick. »Mein Name ist Silver, es soll eine Nachricht für mich bei Ihnen hinterlegt worden sein«, sagte er. Das zierliche Persönchen gefiel ihm. Mit dem kleinen Finger hät‐ te er dieses kleine, schlanke Mädchen hochheben können. Dieser Gedanke amüsierte ihn. Er lächelte. »Einen Augenblick, Mr. Silver«, sagte die hübsche Negerin, stö‐ berte die Notizen kurz durch und fand, was sie suchte. »Eine Nach‐ richt von Mr. Tony Ballard.« »Was sollen Sie mir den Schönes bestellen?« »Daß für Sie ein Zimmer im Kilimandscharo Hotel reserviert ist. Auf dem City Drive. Jeder Taxifahrer kennt es.« »Würden sie mich da mal besuchen?« »Furchtbar gern. Darf ich meinen Mann und meine dreijährige Tochter mitbringen?« »Was denn, Sie haben schon Familie? Sind Sie dafür denn nicht noch zu jung?« »Ich bin vierundzwanzig.« »Donnerwetter, ich hätte Sie für achtzehn gehalten.« »Vielen Dank für das Kompliment, Mr. Silver. Bleibt es bei der Einladung?« »Ach, wissen Sie … Daressalam ist für mich ein heißes Pflaster, und ich werde demnächst wohl sehr viel zu tun haben …« Das Mädchen schmunzelte und freute sich, den Hünen mit den Silberhaaren in Verlegenheit gebracht zu haben. Der Ex‐Dämon trollte sich, stieg in ein Taxi und nannte dem Fahrer den Namen des Hotels, zu dem er gebracht werden wollte. Er war neugierig, wie weit Tony Ballard im »Fall Frank Esslin« bereits gekommen war.
* Was ich sah, trieb mir den kalten Schweiß aus allen Poren. Knollige Pfoten preßten Tucker Peckinpah gegen die verflieste Wand, und etwas Graues, Geripptes, das wie ein dicker Wurm aussah, war um den Hals meines Partners geringelt. Es schnürte ihm die Kehle zu. Er röchelte schaurig. Seine Augen waren weit aufgerissen, blutrot lief sein Gesicht an, die Lippen öff‐ neten sich, und die Zunge quoll hervor. Das Ungeheuer war drauf und dran, ihn umzubringen. Ich mußte ihm zu Hilfe eilen, ihn retten. Als ich startete, fiel ein Gewirr von roten Schnüren auf mich. Sie bewegten sich, peitschten durch die Luft und wollten mich fesseln, doch ich befreite mich mit dem Ring. Die Schnüre stießen markerschütternde, kreischende Laute aus, wenn ich sie traf, fielen auf den Boden und rollten sich zu dicken Klumpen zusammen. Ich sprang über sie hinweg und hetzte zu meinem Partner, dem es schon sehr schlecht ging. Er hat gleich die Schwelle des Todes erreicht! schrie es in mir, und ich hoffte, ich würde nicht zu spät kommen. Wenn diese knol‐ ligen Pfoten ihn nicht festgehalten hätten, wäre er mit Sicherheit zu‐ sammengebrochen. In diesem Moment verdrehte er die Augen, seine Lider schlossen sich, er verlor das Bewußtsein. Ich hieb wie von Sinnen auf die Pfo‐ ten ein. Sie schnellten zur Seite, als mein Ring sie traf. Tucker Peckinpah fiel wie ein gefällter Baum um. Nach wie vor würgte ihn dieser dicke graue Wurm. Ich zog den schwarzen Stein meines magischen Rings über dieses widerliche Ding, das hart wie Glas war. Die Rippen zersplitterten. Aus dem Wurm quoll eine ekelige Masse hervor, die auf den Boden tropfte. Tucker Peckinpah war ge‐ rettet. Ich zerrte ihn keuchend hoch, lud ihn mir auf die Schulter und stampfte davon. »Quaid!« schrie ich atemlos.
Der Manager nahm mir den ohnmächtigen Industriellen ab. »Himmel, Mr. Ballard, ist er tot?« »Nur bewußtlos. Sehen Sie zu, daß er wieder zu sich kommt.« »Ich hab versucht, ihn zurückzuhalten, aber …« »Schon gut«, sagte ich und kehrte um, denn der Kampf war noch nicht zu Ende. Das Höllenwesen, das einen der Köche verschlungen hatte, brach durch die Wand. Etwas schoß zur Decke empor. Ich sah hoch. Saugnäpfe klatschten gegen die Decke und blieben daran kleben, und dann schwang mir das Ungetüm, an der Decke hängend, ent‐ gegen. Ich ließ mich fallen. Die Bestie wischte über mich hinweg. Ich rollte auf den Rücken und sah lange schwarze Lanzen, die aus dem massigen Körper auf mich herabrasten. Die Spitzen bohrten sich neben mir in den Boden, er schien weich wie Butter zu sein. Ich brachte mich davor in Sicherheit, griff in die Hosentasche und holte mein Silberfeuerzeug heraus. Dieses Feuerzeug hatte es in sich. Man sah es ihm nicht an, aber es war nicht nur dazu da, um Zigaretten anzuzünden. Mein Freund und Nachbar, der Parapsychologe Lance Selby, hatte es zusammen mit einem rumänischen Kollegen entwickelt. In die Seitenwände waren kabbalistische Zeichen und Symbole eingraviert, die von Bannsprüchen mit großer Wirkung umschlossen waren. Wenn ich auf einen bestimmten Knopf drückte, sauste ein armlanger Feu‐ erstrahl aus der Düse, dann verwandelte sich das harmlos ausse‐ hende Feuerzeug in einen gefährlichen magischen Flammenwerfer. Diese Waffe setzte ich nun gegen das Höllenbiest ein. Noch auf dem Boden liegend, drehte ich mich nach rechts und ließ die Flamme aus der Düse schießen. Sie traf die schwarzen Speere, die immer noch in den Fliesen steckten. Das Feuer zerstörte die Lanzen. Es gab eine Stichflamme, und dunkelgraue Asche rieselte zu Boden. Ich federte auf die Beine. Jetzt sollte es dem Wesen an den Kragen gehen. Kragen war in diesem Fall nicht der passende Aus‐
druck, denn das Ungeheuer hatte keinen. Ich nahm den magischen Flammenwerfer in die linke Hand. Eine meterlange Feuerlohe stand vor dem Feuerzeug. Damit verbrannte ich alles, was mir die Bestie entgegenstreckte. Was das Feuer nicht erwischte, schlug ich mit dem Ring zurück. Ich ließ mich nicht aufhalten. Zuvor hatte das Biest mich auf sich zugerissen, nun kam ich von selbst. Aber das war ihm nicht recht. Es klatschte mit seinen Saugnäpfen über die Decke und wollte zum Fenster zurückkehren, doch ich war nicht gewillt, das zuzulassen. Ich sprang auf einen Herd. Die Feuerlohe schnitt waagrecht durch die Luft und trennte die Beine durch, die das Untier zur De‐ cke emporstreckte. Es plumpste auf den Boden. Ich richtete den Flammenstrahl auf das Zentrum der Bestie, die ihre zahlreichen Schädel nach innen stülpte. Das Wesen fing Feuer. Die Flammen fraßen sich in seinen Körper. Die Bestie zitterte und bebte, zog alles ein, was es vorhin ausge‐ streckt hatte, um meiner habhaft zu werden, erstarrte in der Hitze des Feuers und zerfiel schließlich knirschend. Der Kampf war zu Ende, das Scheusal erledigt. Ich stand schwer atmend vor den qualmenden, dampfenden Überresten des Wesens, das meiner Ansicht nach direkt aus der Hölle gekommen sein mußte … Und irgendwie hatte Frank Esslin damit zu tun, das war für mich eine unverrückbare Tatsache. Ich wußte nur noch nicht, wie Frank in dieses tödliche Spiel paßte, aber ich hatte eine Möglichkeit, es herauszufinden: Jill Cranston. Niemand wagte sich in die Küche, obwohl die Gefahr vorbei war. Ich kehrte in den Speisesaal zurück. Fassungslose Blicke. Keiner schien damit gerechnet zu haben, mich lebend wiederzusehen. Das gesamte Personal des Sportheims hielt sich im Saal auf. Man bestürmte mich mit Fragen, die ich nicht beantworten konn‐ te. Noch nicht. Aber ich würde mir die Antworten holen. Von Frank Esslin. Man hatte in aller Eile ein paar Stühle zusammengeschoben und Tucker Peckinpah daraufgelegt. Dunkelrote Striemen leuchteten auf
seinem Hals. Als ich ihn erreichte, kam er zu sich. »Tony!« war sein erstes Wort. Seine Stimme klang krächzend. Er sah die Umstehenden verwirrt an. In seiner Erinnerung gähnte im Moment noch ein Loch, aber es würde sich bald schließen. »Wie fühlen Sie sich, Partner?« fragte ich. Er setzte sich auf und massierte seinen Hals. Seine Züge wirkten schlaff. Zum erstenmal sah er sogar älter aus, als er war. Doch schon im nächsten Moment strafften sich die Züge des Industri‐ ellen, und seine Augen weiteten sich. Die Erinnerung war wieder voll da. »Das Ungeheuer!« »Es ist erledigt«, sagte ich. »Ich kann Ihnen eine Rüge nicht ersparen. Sie hätten mir nicht in die Küche folgen dürfen, das wäre Ihnen beinahe zum Verhängnis geworden.« »Ich wollte Ihnen helfen.« »Haben Sie sich vorher auch überlegt, wie?« »Nein«, mußte Tucker Peckinpah zugeben. »Woher kam dieses Ungeheuer?« fragte Andrew Quaid er‐ schüttert. »Ich glaube, ich kenne gewisse Zusammenhänge. Ich muß sie aber erst ergründen«, antwortete ich. »Wie schafften Sie es, mit dieser gefährlichen Bestie fertigzu‐ werden, Mr. Ballard?« Ich sagte es ihm und zeigte ihm mein Feuerzeug, das er wie ein Wunderding anstarrte. Tucker Peckinpah erhob sich von den Stüh‐ len. Er war noch ein bißchen blaß um die Nase, ich brauchte mir aber keine Sorgen mehr um ihn zu machen. Zögernd warfen zwei Neger einen ängstlichen Blick in die Küche. »Man muß die Behörden einschalten«, sagte Andrew Quaid. »Ich weiß zwar nicht, was man denen sagen soll, aber wir können die Sache nicht einfach auf sich beruhen lassen.« Ich nickte. »Es hat immerhin einen Toten gegeben«, fügte Quaid seinen Worten hinzu. Plötzlich wich die Farbe aus seinem Gesicht. Ich dachte, ihn würde nachträglich der Schlag treffen, aber er
erschrak nicht wegen des Ungeheuers, das in der Küche so schreck‐ lich gewütet hatte, sondern weil er einen seiner Schützlinge vermiß‐ te. »Dimster!« schrie er. »Wo ist Henry Dimster? Henry!« Er wippte auf den Zehenspitzen und blickte über alle Köpfe. Er eilte zu »Pan‐ ther« Kilman. »Weißt du, wo Henry ist?« »Nein«, sagte Rock Kilman knapp. Es schien ihm gleichgültig zu sein, wo Dimster war. Der Mann trug wie er den Keim des Bösen in sich, ihm konnte also nichts passieren. Folglich brauchte man sich um ihn auch keine Sorgen zu machen. »Er hat doch neben dir gesessen!« schrie Quaid den Boxer an. »Als das Ungeheuer loslegte, sahen wir alle in dieselbe Richtung. Vielleicht ist Henry in dem Moment abgehauen.« »Wohin denn?« »Keine Ahnung.« »Wir müssen ihn suchen!« »Er wird schon wiederkommen«, sagte »Panther« Kilman beina‐ he gelangweilt. »Wozu die Aufregung?« »Wozu? Weil ihn möglicherweise dieses Untier gefressen hat!« schrie Andrew Quaid. »Wir suchen ihn!« Er brauchte Tucker Peckinpah und mich nicht aufzufordern, mit‐ zukommen. Es war für uns eine Selbstverständlichkeit, ihm bei der Suche zu helfen. Rock Kilman und seine Kollegen brachten der Idee wenig Begeisterung entgegen, aber sie beteiligten sich ebenfalls an der großangelegten Suche. Auch das Personal der Sportschule half mit. Wir schwärmten aus. Ein Teil sah sich im Erdgeschoß um. Ich be‐ trat einen Fitneßraum, in dem es so ziemlich alle Geräte gab, die ge‐ eignet waren, einen Sportler auf die verschiedenste Art zu fordern. »Dimster?« rief ich. Meine Stimme hallte durch den großen Raum. Ich bekam keine Antwort. Es gab nicht viel Möglichkeiten, sich zu verstecken. Ob‐ wohl ich mir nicht vorstellen konnte, aus welchem Grund sich Hen‐ ry Dimster vor mir verstecken sollte, warf ich in jeden Winkel einen Blick.
Nichts. Ich machte auf den Hacken kehrt und erblickte Jill Cranston. Sie hatte die Tür hinter sich geschlossen. So leise, daß ich es nicht hörte. Vielleicht sollte es auch niemand anders hören. Wollte sie mit mir allein sein? Das war der verkehrteste Moment, den sie sich für so etwas aus‐ suchen konnte. Sie kam auf mich zu, und in ihren dunklen Augen lag ein Ausdruck, den ich nicht zu deuten wußte. Was beabsichtigte sie zu tun? Ich erfuhr es nicht, denn jemand stieß die Tür auf, die sie so sach‐ te geschlossen hatte. Jill Cranston blieb stehen, und ich sah Un‐ willen in ihrem schönen Gesicht. Der Störenfried war Tucker Peckinpah. »Ach, hier sind Sie, Tony.« Er war außer Atem. »Haben sie eine Spur von Dimster ent‐ deckt?« »Leider nein.« »Oben, in seinem Zimmer, ist er auch nicht. Und Andrew Quaids Zimmer ist völlig verwüstet.« »Das muß ich mir ansehen«, sagte ich. Jill Cranston empfahl ich, in den Speisesaal zurückzukehren und dort auf mich zu warten. Dann eilte ich mit Tucker Peckinpah nach oben. Jill blickte mir ent‐ täuscht nach. Was hatte sie sich vorgestellt? Daß ich den großen Verführer spielte? In dieser Situation? Bei Gott, ich hatte andere Sorgen. Da heißt es immer, wir Männer denken stets nur an das eine … Und was war mit Jill Cranston? Peckinpah konnte mein Tempo nicht mithalten. Er fiel zurück. Ich wußte nicht, wo sich Quaids Zimmer befand, hörte den Ma‐ nager aber fluchen und war Augenblicke später bei ihm. »Sehen Sie sich das an, Mr. Ballard!« schrie er wütend. »Demjenigen, der das getan hat, sollen die Arme abfaulen.« »Vermissen Sie etwas?« fragte ich. »Das konnte ich bei dem Chaos noch nicht feststellen.« »Kann das Dimster gewesen sein?« Quaid schüttelte den Kopf. »Unmöglich. Das hat einer getan, bei dem sämtliche Schrauben locker sind.«
Ich half Quaid, halbwegs Ordnung zu schaffen. Es fehlte nichts. Das behauptete jedenfalls Andrew Quaid. Ihm schien etwas einzu‐ fallen. Er begab sich ins Bad. Als er zurückkam, behauptete er zwar immer noch, nichts wäre abhanden gekommen, aber ich sah ihm an, daß er nicht die Wahrheit sagte. Was war ihm gestohlen worden? Hatte doch Henry Dimster et‐ was damit zu tun? Wohin war Dimster gekommen? Es war nicht anzunehmen, daß er sich in Luft aufgelöst hatte. Warum deckte ihn Andrew Quaid? Das waren viele neue Fragen, auf die ich auch keine Antworten geben konnte. Ich hoffte, daß sich das ändern würde, sobald ich Frank Esslin in meiner Gewalt hatte. In meinen Augen war Frank Esslin der Schlüssel zu allem, was geschehen war. Höchste Zeit, daß ich mir diesen Schlüssel holte. Von allen Seiten kehrten die Suchenden zurück und meldeten, keine Spur von Henry Dimster gefunden zu haben. Auch draußen hatte man den Boxer gesucht, ohne damit Erfolg zu haben. Für Quaid stand fest – und davon ging er nicht ab –, daß Dimster dem Ungeheuer zum Opfer gefallen war. »Hier bleiben wir nicht länger, als wir unbedingt müssen!« knurrte er. »Ich sehe zu, daß ich mit meinen Jungs so schnell wie möglich nach London komme. Daressalam ist für uns ein verfluch‐ ter Boden. Wir schafften hier zwar eine sportliche Sensation, muß‐ ten dafür aber einen verdammt hohen Preis bezahlen, denn wir verloren Trevor Dunaway und Henry Dimster.« Ich wandte mich an Tucker Peckinpah. »Nehmen Sie die Sache in die Hand, Partner? Dann kann ich Jill Cranston bitten, mich zu Frank Esslin zu bringen.« Der Industrielle, der sich inzwischen gut erholt hatte, nickte. »Fahren Sie, Tony. Ich kümmere mich um alles andere. Sie brau‐ chen daran keinen Gedanken mehr zu verschwenden.« Mein Herz hämmerte aufgeregt gegen die Rippen. Frank, ich komme! Ich wandte mich um. »Viel Glück!« rief Peckinpah mir nach.
»Danke!« gab ich zurück und eilte aus Andrew Quaids Zimmer. Was hier zu erledigen war, lag bei meinem Partner in den besten Händen. Während ich die Treppe hinunterstürmte, fragte ich mich, was der Manager vermißte. Hatte Quaid irgendwelchen Dreck am Stecken? Vielleicht fand es die Polizei heraus. Ich konnte mich da‐ mit nicht befassen. Ich mußte zu Frank Esslin, dem Söldner der Hölle! Jill Cranston wartete im Speisesaal auf mich. »Sie wollten mir zeigen, wo Frank Esslin wohnt«, sagte ich. »Gilt Ihr Angebot noch?« »Selbstverständlich, Mr. Ballard.« »Können wir fahren?« »Jetzt gleich?« Ich nickte. »Okay«, sagte sie. »Ich schlage vor, wir nehmen Ihren Wagen.« »Einverstanden.« Ich fragte mich, ob ich ihr reinen Wein ein‐ schenken sollte. Mußte sie unbedingt die Wahrheit über Frank Ess‐ lin erfahren? Versetzte ich ihr damit nicht noch im nachhinein einen schlimmen Schock, wenn sie erfuhr, mit wem sie es zu tun gehabt hatte, in wessen Haus sie gewesen war? So viel Glück hatte sie mit Sicherheit kein zweites mal. Sie war Frank einmal entkommen, ohne es zu ahnen. Beim zweitenmal würde er seine Falle aber be‐ stimmt zuschnappen lassen. Wir stiegen in den Wagen. Ich schob den Schlüssel ins Zünd‐ schloß und startete den Motor. »Müssen wir weit fahren?« erkundigte ich mich. »Wir müssen raus aus Daressalam. Die Straße nach Bagamoyo … Es ist die Küstenstraße …« Ich ließ den Wagen anrollen und fuhr die Morogoro Road entlang. Was war diese Jill Cranston für ein Mädchen? Sie war auf jeden Fall außergewöhnlich. Ging sie mit jedem Mann gleich nach Hause? War sie so naiv, zu glauben, alle Männer wären vollendete Gentlemen? War sie mit ihrer vertrauensseligen Art noch nie in Schwierigkeiten geraten? Sie schien meine Gedanken lesen zu können, denn sie sagte un‐ vermittelt: »Es ist für gewöhnlich nicht meine Art, jede Einladung
zum Dinner anzunehmen.« Ich lächelte gezwungen. »Das nahm ich nicht an.« »Ich bin nicht leichtfertig und auch nicht leicht zu haben. Ich sehe mir die Männer sehr genau an.« »Warum sagen Sie mir das?« »Weil ich möchte, daß Sie’s wissen.« »Sie sind erwachsen und ungebunden. Sie sind mir keine Rechen‐ schaft schuldig«, sagte ich. »Es liegt mit sehr viel daran, daß Sie mich in keinem falschen Licht sehen, Tony. Ich darf Sie doch Tony nennen.« »Selbstverständlich, Jill. Ich habe die beste Meinung von Ihnen.« »Das freut mich.« »Was tun Sie in Daressalam?« »Nichts.« Ich grinste. »Nichts ist nicht viel.« »Da haben sie recht.« Jill lehnte sich bequem zurück und blickte durch die Frontscheibe. »Mein Vater ist ein sehr reicher Mann, und ich bin seine einzige Tochter.« »Ich verstehe«, sagte ich. »Ich zigeunere in der Welt herum, bin mal in Europa, mal in Asi‐ en oder Amerika … oder Afrika, wie gerade jetzt. Ich versuche mich zu amüsieren – und das Leben zu genießen. Ich habe viele Freunde. Sie sind über alle fünf Erdteile verstreut, und sie freuen sich, wenn ich mich wieder einmal bei ihnen blicken lasse. Wenn ich nicht reise, versuche ich mich auf dem sozialen Sektor nützlich zu machen. Ich nehme mich armer Menschen an, versuche die Not von Flüchtlingen zu lindern, gehörte einem Dutzend Komitees an, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, armen, notleidenden Men‐ schen zu helfen. Sie sehen, Langeweile kommt in meinem Leben nicht auf, und ich bin auch kein unnützer Esser, der anderen den Sauerstoff wegatmet und sonst nichts tut, wie es häufig in meinen Kreisen üblich ist. Mein Leben ist ausgefüllt, und ich bin für meine Mitmenschen auch nützlich.« »Schön für Sie«, sagte ich. Wir ließen Daressalam hinter uns.
Es lag an mir, daß das Gespräch verflachte, denn ich dachte zu‐ viel an Frank Esslin. Jede Radumdrehung brachte mich ihm näher, und dieses Bewußtsein nagte ständig in meinen Eingeweiden. »Wie gut sind Sie mit Frank Esslin befreundet?« wollte Jill wissen. »Es gab eine Zeit, da konnte ich mit ihm Pferde stehlen.« »Heute nicht mehr?« »Frank hat sich ein wenig zurückgezogen.« »Aus welchem Grund?« Jill hatte den Nerv getroffen. Es schmerzte. Bald würden wir bei Frank Esslin sein. Durfte ich noch länger schweigen? Ich erzählte dem Mädchen vorsichtig von den vielen guten Jahren, die ich mit Frank erlebt hatte, und kam dann auf seine Wandlung zu sprechen, für die Rufus, der Dämon mit den vielen Gesichtern, verantwortlich war. Sie hörte mir gespannt und aufmerksam zu, und mir fiel auf, daß sie begriff, in was für einer Gefahr sie sich befunden hatte, als sie mit Frank Esslin allein gewesen war. Jill versuchte das mit Fassung zu tragen, aber ich sah das nervöse Zucken ihrer Wangen und wußte, daß ihr in diesem Moment eiskalte Schauer über den Rücken jagten. Vielleicht hätte sie mir die haarsträubende Geschichte nicht geglaubt, wenn sie nicht miterlebt hätte, was sich im Sportheim zugetragen hatte. Nun klang mein Be‐ richt nicht mehr so phantastisch für sie. »Meine Güte, Tony, das ist ja entsetzlich«, sagte Jill mit bebenden Lippen. »Ich war in Lebensgefahr, ohne es zu merken.« Ich nickte. »Deshalb werden Sie, wenn wir unser Ziel erreicht haben, in diesem Wagen sitzen bleiben, egal was passiert. Kann ich mich darauf verlassen?« »Ganz bestimmt. Ich hänge an meinem Leben.« »Sie werden es behalten, wenn Sie tun, was ich Ihnen sage.« »Dort vorn ist das Haus«, sagte Jill unvermittelt. Ich sah das einsame Gebäude. Es war etwa zweihundert Meter von der Straße entfernt. Schwarz und düster ragten dahinter Man‐ gobäume und Bananenstauden auf. Ein gutes Versteck für Frank
Esslin. Niemand konnte vermuten, daß hier ein Söldner der Hölle untergeschlüpft war. Aber ich würde ihn aus seinem Bau holen, und er würde mir viele Fragen beantworten müssen. Damit rechnete er bestimmt nicht, daß ich ihm hier auf die Pelle rückte. Er hatte keinen blassen Schimmer, daß ich nach Tansania gekommen war. Ich schaltete beizeiten die Fahrzeugbeleuchtung aus und bog von der Küstenstraße ab. Um Jill Cranston nicht zu gefährden, stoppte ich den Wagen schon nach wenigen Metern. Den Rest des Weges wollte ich zu Fuß zurücklegen. Man konnte nicht wissen, was Frank Esslin einfiel. Vielleicht hielt er sich nicht allein im Haus auf. Es war durchaus möglich, daß er einen höllischen Komplizen bei sich hatte. Ich stellte den Motor ab und wandte mich meiner Begleiterin zu. »Vergessen Sie nicht, was ich Ihnen gesagt habe, Jill. Was auch immer passieren wird, selbst wenn Sie meinen, die Welt würde un‐ tergehen – Sie verlassen diesen Wagen nicht!« Sie blickte mich besorgt an. »Glauben Sie, daß Sie mit Frank Ess‐ lin fertig werden, Tony?« »Ich muß«, erwiderte ich knapp und stieß die Wagentür auf. »Ich drücke Ihnen die Daumen, Tony.« »Danke.« Ich stieg aus. Im Haus brannte Licht. Der Schein war jedoch kaum zu sehen, denn zugezogene Vorhänge verhinderten, daß er nach draußen drang. Ich drückte die Tür ins Schloß und setzte mich in Bewegung. Meine Handflächen waren feucht, mein Herz schien hoch oben im Hals zu klopfen. Frank, gleich sehen wir uns wieder – aber wir können uns dar‐ über nicht freuen, denn du hast die Fronten gewechselt, bist nicht mehr mein Freund, den ich herzlich in meine Arme schließen kann. Es wäre ein tödlicher Fehler, dies zu tun. In wenigen Augenblicken stehen wir einander gegenüber, Frank Esslin … Als Todfeinde! Mit Nerven, die bis zum Zerreißen angespannt waren, stand ich vor der Tür und klopfte. Sicherheitshalber nahm ich meinen ma‐ gischen Flammenwerfer in die Hand. Frank Esslin kannte die
Waffe. Er wußte, wie verheerend sie wirkte. Damit würde ich ihn in Schach halten können. Schritte näherten sich der Tür. Ich nagte an meiner Unterlippe. Die Tür öffnete sich, und ich sah Frank Esslin! Eiskalt starrte er mir in die Augen. »Hallo, Frank!« sagte ich mit belegter Stimme. Er schien nicht überrascht zu sein, mich zu sehen. Das verwirrte mich ein wenig. Er konnte mit meinem Besuch nicht gerechnet haben. Hatte er sich so gut in der Gewalt? »Hallo, Tony Ballard«, sagte er furchtlos und trat zur Seite. Im selben Moment passierte es. Zwei Fäuste hämmerten in meinen Rücken. Ich flog nach vorn, an Frank Esslin vorbei, landete hart auf dem Boden, vernahm das schrille Lachen eines Mädchens – Jill Cranston, fuhr es mir durch den Kopf –, rollte herum und sah, wie aus Jill einer meiner erbittertsten Erzfeinde wurde: Rufus, der Dämon! »Diesmal«, donnerte er mit einer Stimme, die mich erbeben ließ, »rettet dich nichts mehr, Dämonenhasser!« ENDE des ersten Teils
Der Dämon ist tot! von A. F. Morland Noch ist Rufus, der Dämon mit den vielen Gesichtern, nicht zur Strecke gebracht. Noch treibt er in Tansania sein Unwesen, und immer noch sind Tony Ballard und Mr. Silver auf der Jagd nach dem Höllenboten, um ihm endgültig das Handwerk zu legen. Doch die satanische Bestie hat sich eine neue Teufelei einfallen lassen. Rufus macht Frank Esslin zu seinem verlängerten Arm. Und Frank Esslin ist es auch, der schließlich Tony Ballard in die Satansfalle lockt. Ohnmächtig muß der Dämonenhasser mitansehen, wie Rufus sei‐ ne Fäden spinnt und eine Bastion des Bösen aufbaut …